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MICHELANGELO
KRITISCHE UNTERSUCHUNGEN
ÜBER
SEINE WERKE
VON
HENRY THODE
IL BAND
ALS ANHANG ZU DEM WERKE:
MICHELANGELO UND DAS ENDE DER RENAISSANCE,
DESSEN V. BAND
BERLIN
G. GROTE'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
1908
ÜBERSETZUNGSRECHT UND ALLE ANDEREN RECHTE VORBEHALTEN
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DRUCK VON FISCHER & WITTIG IN LEIPZIG.
Seite
INHALTSVERZEICHNISS
DES 11. BANDES
VI. DAS JÜNGSTE GERICHT, DER ENGELSTURZ UND
DIE FRESKEN IN DER CAPPELLA PAOLINA ... i
A. Das Jüngste Gericht 3
I. Geschichtliches 3
II. Zeichnungen S
1. Gesamtentwürfe 6
2. Entwürfe für Einzelnes 9
m. Kopien 17
1. Zeichnungen 17
2. Gemälde 19
IV. Die Komposition und ihre Quellen 20
I. Die Verwerthung älterer künstlerischer Motive 21
II. Die Inspiration durch die Bibel 24
III. Die Inspiration durch Dante? 40
V. Deutung einzelner Figuren 49
1. Die Gruppenbildung 50
2. Die einzelnen Gestalten 52
1. Der Chor der Patriarchen 53
2. Der Chor der Apostel 55
3. Die Chöre der Propheten und der Confessores .... 56
4. Die Chöre der Sibyllen und Virgines 60
5. Der Chor der Märtyrer 62
Die mittlere Zone 62
Die untere Zone 63
VI. Die Urtheile über das Jüngste Gericht 64
B. Der Engelstur^ 75
C Die Fresken der Cappella Paolina 77
I. Geschichtliches 77
II. Zeichnungen 79
IV Inhaltsvcrzeichniss
Seite
VII. DIE BAUTEN IN FLORENZ 83
I. Die Fassade von S. Lorenzo 85
1. Geschichtliches 85
2. Zeichnungen und Modelle 88
a) Fassade mit einfacher Säulenordnung 88
b) Fassade mit Attika 91
c) Fassade von einheitlicher Höhe 93
3. Der plastische Schmuck 10 1
1. Die Statuen loi
2. Die Reliefs 102
n. Das Ciborium und die Tribüne in S, Lorenzo 102
1. Geschichtliches 102
2. Zeichnungen 105
m. Die Medicikapelle 107
1. Geschichtliches 107
2. Zeichnungen 109
3. Der malerische Schmuck 109
4. Der Altar und die Kandelaber iii
IV. Die Libreria di S. Lorenzo 113
1. Geschichtliches 113
2. Die Zeichnungen 120
A. Gesamtanlage . . . • 120
B. Die kleine Libreria 120
C. Der Ricetto oder das Vestibül 121
D. Der Bibliotheksaal i35
V. Die Fenster am Palazzo Riccardi 136
VI. Das Portal und der Hochaltar von S. Apollonia 137
VII. Das Modell für das Gesims der Domkuppel 139
VIII. Der Entwurf zu einem Palazzo dell' Altopascio 140
IX. Entwurf für ein Haus des Baccio Valori 141
X. Michelangelos Haus in der Via Mozza i43
XI. Dem Meister zugeschriebene Villen bei Florenz 143
1. Die Villa dei Collazzi i43
2. Die Villa Aloisi oder del Trebbio 145
3. Die Villa Mazzei, früher Macchiavelli 145
4. Die Villa Liccioli alla Ruffina 146
XII. Entwurf für eine Villa des Marchese di Mantova 146
XIII. Auftrag auf eine Kirche und Brücke in Igno . . . . •. . . • 146
XIV. Die Fortifikationsarbeiten 1529 »47
XV. Der Entwurf für die Rialtobrücke in Venedig 149
Vm. DIE BAUTEN IN ROM 151
A. Kirchliche Bauten iS3
I. S. Peter I53
1. Nachrichten über Michelangelos Thätigkeit 153
2, Zeichnungen und Stiche 160
Inhaltsverzeichniss V
Seite
IL S. Giovanni dei Fiorentini 178
Geschichtliches 178
Modell und Entwürfe 180
ni. S. Maria degli Angeli 183
IV. Die Cappella Sforza in S. Maria maggiore 185
V. Die Kirche del Gesü 187
VI. Einige zugeschriebene kirchliche Bauten 187
1. Die Cappella Strozzi in Andrea della Valle 187
2. S. Anna de' Palafrenieri 188
3. Die Ornamente in Cap. Cesi in S. Maria della Face . . . 188
4. Der Brunnen von S. Susanna 189
5. S. Maria dell' Orto 189
5. Die Holzdecke in S. Giovanni in Laterano 189
B. Profanbauten 190
I. Das Kapitol 190
Geschichtliches 190
Michelangelos Entwurf 193
II. Der Palazzo Farnese 195
Geschichtliches i95
Das Kranzgesims i97
Das Mittelfenster und Wappen 200
Das Erdgeschoss 200
Das zweite Geschoss des Hofes 200
Das oberste Geschoss des Hofes 200
III. Die Arbeiten im Belvedere des Vatikan 202
1. Treppe vor der grossen Nische 202
2. Die Nische für den Flussgott 202
3. Entwurf für einen Brunnen 202
IV. Entwurf für den Palast Julius' EI 202
V. Kleine Kapellenfassade im Castel S. Angelo 204
VI. Entwurf zum Collegio della Sapienza 204
VII. Entwurf für den Palast des Kardinals von Santiquattro . . 205
Vni. Entwurf für den Neubau eines Palastes 206
IX. Antheil am Bau der Vigna Julius' III 206
X. Die Porta Pia 207
XI. Die Porta del Popolo 209
XII. Andere zugeschriebene Portale 210
XIII. Die Brücke S. Maria 211
XIV. Die Befestigung von Rom 213
XV. Michelangelos Haus am Macello de' Corvi 216
XVI. Erhaltene unbestimmte Entwürfe 217
XVII. Studien nach antiken Architekturtheilen 219
IX. ENTWÜRFE FÜR GRABDENKMÄLER UND FÜR KIRCH-
LICHE UND PROFANE GEBRAUCHSGEGENSTÄNDE 225
A. Entwürfe für Grabdenkmäler 227
I. Entwurf für ein Wandnischengrab 1517 227
II. Altar und Denkmäler in S. Silvestro 15 18 228
VI Inhaltsverzeichniss
Seite
III. Das Grabmal des Francesco Gonzaga 15 19 229
IV. Das Grabmal des B. Barbazza in Bologna . 230
V. Auftrag des Kardinals Cibo auf ein Grabmal 1531 . . . . 231
VI. Zeichnungen für Grabmäler Leos X. und Clemens' VII. . . 232
VII. Das Grabmal Cecchino Braccis 1544 232
VIII. Rath für ein Grabmal des Herzogs von Suessa 234
IX, Rath für ein Grabmal des Prinzen von Orange 235
X. Mitwirkung am Grabmal Pauls III 235
XI. Grabmal des Zanobi Montaguti 238
XII. Grabmal des IMarchese von Marignano in Mailand .... 239
XIII. Zugeschriebene Epitaphien Pius' IV. und Kardinals Serbelloni 241
B. Enuvürfe für kirchliche und profane Gebrauchsgegenstände . . . 242
XIV. Auftrag des Aldobrandini auf einen Dolch 1506 242
XV. Valerio Bellis Bitte um eine Zeichnung 243
XVI, Die Kandelaber der Medicikapelle 243
XVII. Der Vaso des Domenico Naldini 1521 244
XVm. Salzfass für den Herzog von Urbino 1537 244
XIX. Bronzepferd für den Herzog von Urbino 1537 245
XX. Der farnesische Schrein 1540 247
XXI. Das farnesische Ciborium in Neapel 250
XXII. Das farnesische Salzfass 252
XXni. Die zugeschriebenen Kandelaber in S. Pietro 252
XXIV. Die Erzählung von dem Mörser 253
X. STATUEN UND ENTWÜRFE ZU SOLCHEN 255
A. Religiöses 257
I. Der Christus in S. Maria sopra Minerva 257
1. Geschichtliches 257
2. Studien und Reproduktionen 267
3. Urtheile über das Werk 270
II. Kleine Statue eines kreuztragenden Christus 272
III. Die Pietä im Dom zu Florenz 273
IV. Die Pietä im Palazzo Rondanini 278
V. Die Pietä im Palazzo Barberini zu Palestrina 281
VI. Entwurf zu einer Petrusstatue 283
VII. Karton zu einer Statue in S. Peter 284
B. Mythologisches 284
Vin. Der Kauernde in Petersburg 284
IX. Der Apollo oder David für B. Valori 285
X. Die Brutusbüste 287
XI. Entwnirfe zur Kolossalstatue der Piazza 288
1. Geschichliches 288
2. Entwürfe: Herkules und Antäus. Kakus. Simson . . . 295
XII. Entwurf zur Entführung eines Weibes 298
XIII. Modell zur Reiterstudie Henris II 299
XIV. Angebliche Restaurirung antiker Statuen 301
Inhaltsverzeichniss VII
Seite
XV. Unausgeführte Aufträge 305
1. Madonna für Kardinal Fiesco 1522 305
2. Koloss für Piazza S. Lorenzo 305
3. Auftrag auf eine Statue Andrea Dorias 306
4. Auftrag auf eine Büste Cosimo Medicis 306
XI. GEMÄLDE, ZEICHNUNGEN UND ENTWÜRFE MYTHO-
LOGISCHEN, ALLEGORISCHEN UND PROFANEN
INHALTES 307
I. Die Porträts der Söhne Urbinos 309
n. Das Porträt Cavalieris 310
III. Die Leda 311
1. Geschichtliches 311
2. Das Gemälde. Zeichnungen und Kopien 315
3. Michelangelos Vorbild 322
4. Zusammenfassendes 323
IV. Der Karton zu Venus und Amor 324
V. Die Idealbildnisse in Zeichnungen 331
1. Das Frauenideal 334
2. Das Jünglingsideal 339
3. Die Kleopatra 340
4. Die sogen. Zenobia oder Colonna 343
5. Der sogen. Graf von Canossa 345
6. Die sogen. Marchesa von Pescara 346
VI. Die Prudentia oder Veritas 347
VII. Die zugeschriebene Fortuna 349
Vin. Der Raub des Ganymed 350
IX. Der Tityos 356
X. Der Sturz des Phaeton 358
XI. Das Kinderbacchanal 363
XII. Die Bogenschützen 365
XIII. Die Herkulesthaten 370
XIV. Der Atlas mit Himmelskugel 373
XV. Verwechslung von Lionardo und Michelangelo 375
XVI. Der Traum 375
XVII. Zeichnungen zur Divina Commedia 382
XVIII. Entwurf zu einer Historie 384
XII. GEMÄLDE, ZEICHNUNGEN UND ENTWÜRFE RELI-
GIÖSEN INHALTES 385
I. Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 387
1. Die Nachrichten 388
2. Zeichnungen zu Gemälden 395
Die Auferweckung des Lazarus 396
Die Geisselung Christi 398
Christus im Limbus 400
Die Pietä in Viterbo 401
Die Geburt der Maria 401
3. Andere Zeichnungen 403
VllI . Inhaltsverzeichniss
Seite
II. Zeichnung für Bugiardinis hl. Katharina 416
III. Unausgeführte Aufträge auf Gemälde 418
1. Gemälde für P. F. Borgherini 1515 . 419
2. Aufforderung nach der Türkei 1519 419
3. Sellajos Bitte um einen Entwurf 1522 421
4. Auftrag des Kardinals Dom. Grimani 1523 421
5. Fra Zanobi de' Medicis Bitte 1525 423
6. Der Auftrag Malvezzis in Bologna 1526 423
7. Federigo Gonzagas Bitte 1527 426
8. Anerbieten für Kardinal Salviati 1531 427
IV. Madonnenstudien 427
1. INIaria mit Kind 427
2. Maria mit Kind und Johannes 432
3. Die hl. Familie 433
V. Die hl. Familie, „il Silenzio" 434
VI. Der Karton der „Epifania" 439
Vn. Das Opfer Isaaks 443
VIII. Die eherne Schlange 444
IX. David und Goliath 444
X. Simson und Dalila 445
XI. Das „Noli me tangere" 1531 446
XII. Die Auferstehung 449
XIII. Die Vertreibung der Wechsler 454
XIV. Die Verkündigung 456
1. In S. Giovanni in Laterano 456
2. In S. Maria della Face 458
3. Zwei andere Entwürfe 460
XV. Das Gebet in Gethsemane 461
XVT. Christus und die Samariterin 464
XVII. Christus am Kreuz 465
1. Christus im Todeskampf 466
2. Christus im Tod verbuchen 471
XVIII. Die Kreuzigung 475
A. Zugeschriebene Entwürfe 475
B. Erhaltene Entwürfe 476
Modelle zu den Schachern 478
XIX. Die Kreuzabnahme 480
XX. Die Grablegung in London 483
XXI. Die Pietä, Beweinung und Grablegung 488
A. Christus am Boden liegend 488
B. Christus auf einem Sitze 489
C. Zeichnung für Vittoria Colonna 492
D. Christus im Schoosse der Maria beweint 496
E. Christus von einer Gestalt gehalten 496
F. Christus von den Freunden gehalten 498
G. Die Grabtragung 499
XXII. Der Karton für die Pietä mit neun Figuren 502
XXin, Christi Abschied von Maria 502
XXIV. Der hl. Hieronymus 503
Inhaltsverzeichniss IX
Seite
ANHANG: DEM MEISTER IRRTHÜMLICH ZUGESCHRIE-
BENE WERKE, DIE VERHERRLICHUNG MICHEL-
ANGELOS NACH SEINEM TODE UND DIE ALTEN
BILDNISSE MICHELANGELOS . 505
A. Irrthümlich zugeschriebene Werke 507
1. Statuen und Büsten 507
2. Reliefs 510
3. Architektonisches und Kunstgewerbliches 513
4. Gemälde und Entwürfe 513
B. Die künstlerische Verherrlichung des Meisters nach seinem Tode . 517
1. Die Leichenfeier in S. Lorenzo 517
2. Die Darstellungen des Lebens in der Casa Buonarroti .... 525
3. Das Grabdenkmal in S. Croce 528
C. Die alten Bildnisse Michelangelos 532
1. Büsten 533
2. Medaillen 538
3. Stiche und Holzschnitte 54o
4. Zeichnungen 544
5. Gemälde 545
6. Zusammenfassendes 55^
VERZEICHNISS DER BESPROCHENEN ZEICHNUNGEN . . 555
VI
DAS JÜNGSTE GERICHT,
DER ENGELSTURZ UND DIE FRESKEN IN DER
CAPPELLA PAOLINA
A. Das Jüngste Gericht
I
Geschichtliches
Während seines Aufenthaltes in Rom vom Herbst 1533 bis zum
Frühjahr 1534 hat Michelangelo von Clemens VII. den Auf-
trag erhalten, an der Altarwand der Sixtinischen Kapelle das Jüngste
Gericht, an der Eingangswand den Sturz der Engel zu malen. Er
gab an, sich an die Kartons zu machen, beschäftigte sich aber mit
dem Juliusdenkmal. Am 26. September starb der Papst. Sein
Nachfolger, Paul III., nimmt den Gedanken auf Der Meister muss
sich fügen und erhält den Auftrag, den Plan und Entwurf so, wie
er ihn für Clemens gemacht, auszuführen. Am 16. April 1535 em-
pfängt der Zimmermeister Perino del Capitano 25 Dukaten für den
Bau des Gerüstes und sonstige Auslagen. (Hier , wie in einigen
anderen Fällen, habe ich von mir übersehene oder erst neuerdings
veröffentlichte Angaben für die Annalen des I. Bandes nachzutragen.
Rossi: Giornale di erudizione artistica 1877, VI, 209. Pogatscher bei
Steinmann II, 766, i .) Die Vorbereitungen der Wand nahmen längere
Zeit in Anspruch. Die Fenster wurden zugemauert, die Gesimse
herabgeschlagen, die älteren Gemälde Peruginos und die zwei von
Michelangelo gemalten Lunetten beseitigt und die Wand, wie Vasari
berichtet, zur Vermeidung des Haftens von Staub in der Weise neu
hergerichtet, dass sie etwas abgeschrägt ward und so oben weiter
vorsprang als unten. Erst zwischen 10. April und 18. Mai 1536
ist Michelangelo an die Arbeit gegangen (Leon Dorez : Comptes
rendus de l'academie des inscriptions et belles-lettres. Mars-Avril
1905 nach Dokumenten im Besitze des M. de Navenne). Demnach
bezieht sich die Angabe in Pauls III. Breve vom i. September 1535
von dem ,, begonnenen Werk" nur auf die Thätigkeit an den Kartons.
Die Verzögerung scheint aber auch noch durch einen anderen Um-
stand veranlasst worden zu sein. Sebastiano del Piombo hatte
Das Jüngste Gericht
dem Papst die Idee nahegelegt, das Gemälde in Öl ausfuhren
zu lassen. Michelangelo sagte weder Ja noch Nein und enthielt
sich, da die Wand nach dem Willen Sebastianos hergerichtet wurde,
einige Monate der Arbeit. Dann aber sagte er, gedrängt, endlich :
er wolle das Gemälde nur al fresco ausführen ; die Ölmalerei sei
eine Kunst für Weiber und träge und bequeme Personen, wie Fra
Bastiano eine sei. Er Hess den Bewurf herunterschlagen und die
Mauer für Freskomalerei bereiten (Vasari V, 584. Vgl. auch Stein-
mann: ,, Altes und Neues aus der Sixtinischen Kapelle". Allgemeine
Zeitung 1897, Nr. 149, Beilage S. 2). Am 4. Februar 1537 suchte
der Papst den Meister, den er beständig drängte (nach Brief Giov.
Maria della Portas an Herzog Francesco Maria 21. Januar 1537,
s. Gronau, J. d. k. pr. K. XXVII, Beiheft S. 8), bei seiner Arbeit
auf (Leon Dorez a. a. O.), der in diesem Jahr sein Werk sehr ge-
fördert haben muss, denn im September antwortet er auf den Brief,
in dem Aretino seine Phantasievorstellung von einer Darstellung
des Jüngsten Gerichtes entwickelt hatte, er bedauere diese Ge-
danken nicht für das Gemälde verwerthen zu können, da dieses
zum grossen Theile vollendet sei. Auch in einem Brief della
Portas an den Herzog von Ürbino heisst es, der Künstler sei con-
tinuamente occupato alla pictura della Capeila (Gronau a. a. O.
S. 9). Dies war freilich eine absichtliche Übertreibung, wie Stein-
mann richtig bemerkt : wir dürfen uns aber den Eifer , mit dem
Michelangelo an's Werk ging, gross denken. Vermuthlich durch
mancherlei andere Arbeiten und Präokkupationen : die Angelegen-
heiten des Juliusdenkmales, die Pläne für die Neugestaltung des
Kapitols, auch durch seinen Fall vom Gerüst wiederholt unter-
brochen, wurde er mit dem grösseren oberen Theile Ende 1540
fertig, denn wir erfahren, dass am 15. Dezember dieses Jahres der
Zimmermeister Ludovico Bezahlung für das Niedrigermachen des
Gerüstes erhielt. Im Oktober 1541 war die grosse Schöpfung voll-
endet und wurde am 31. des Monats enthüllt. So sagt das Dia-
rium des Petrus Paulus Gualterius (St. S. 'J'J^., 2). Nach Vasaris
freilich unbestimmter Angabe hätte die Enthüllung zu Weihnachten
stattgefunden. Urbino , der seinem Meister als Farbenreiber Ge-
hülfendienste geleistet, erhielt vom Papst ein Geschenk von 60 Skudi
(18. November) und bald darauf (26. Oktober 1543) das Amt eines
Mundator picturarum capellarum palatii apostolici (St., Pogatscher,
S. 770, II und 757, 7).
Michelangelo musste es selbst noch erleben, dass Veränderungen
mit seinem Werke vorgenommen wurden. Der finstere Caraffa,
der 1555 Papst wurde, war nur mit Mühe von dem Befehl, das
Fresko herabzuschlagen, abzuhalten. Daniele da Volterra erhielt
den Auftrag , die nackten Gestalten zu bekleiden , und veränderte
Zeichnungen c
die als anstössig betrachtete Haltung der Heiligen Katharina und
Blasius. Ein Girolamo da Fano setzte auf Befehl Pius' V., den der
Kardinal Rusticucci hierzu bewog, und unter Herbeiziehung des
Modenesen Domenico Carnevali die unselige Thätigkeit des ,,bra-
chettone" fort und vollendete sie (Vasari und Bottaris Notiz in der
Vasariausgabe von 1760). Fast wäre es dann unter Gregor XIII.
doch zur völligen Zerstörung gekommen. Dieser Papst wollte an
Stelle derMichelangelo'schen „Obszönitäten" ein Paradies von seinem
Maler Lorenzino Sabbatini ausgeführt sehen, (Baglioni in Malvasia:
Felsina pittrice I, 184.) Nochmals gerettet, hatte das Fresko, das,
wie die anderen Fresken, 1625 von Simone Laghi und dann wieder
um 171 2 nach den Vorschlägen des Agostino Taja gereinigt wurde
(Pogatscher bei Steinmann S. 783 , Nr. 7 und 8) , nochmals unter
Clemens XIII. unter einer Übermalung zu leiden. Im Jahre 1762
hat der Abbe Richard sehr mittelmässige Künstler die schönsten
nackten Figuren des Altargemäldes und der Decke (dies letztere
muss , wie Steinmann bemerkt , ein Irrthum sein) mit Gewändern
bedecken sehen. (Description de l'Italie 1769, V, p. 375.) Chattard
(Nuova descrizione del Vaticano 1766, II, p. 41) nennt als Restaurator
den Stefano Pozzi.
Eine Festigung des durch Mauerrisse bedrohten Gemäldes an
der Altarwand , wie der Deckenbilder , wurde , von Leo XIII. an-
geordnet, in den Jahren 1903 bis 1905 unter Leitung des Prof.
L. Seitz von Cecconi Principi und Giovanni Cingolani ausgeführt.
(Pogatscher a. a. O. S. 784, 9. Steinmann in der Kunstchronik
1902/03 und 1903/04 an verschiedenen Stellen.)
Der Zustand, in dem das Riesenwerk auf uns gekommen, ist
ein so gänzlich entstellter, dass ein Urtheil über die malerischen
Qualitäten gar nicht mehr möglich ist.
II
Zeichnungen
Die Zahl der erhaltenen Entwürfe und Einzelstudien für das
Jüngste Gericht ist eine verhältnissmässig kleine. Michelangelo selbst
scheint fast alle seine Vorarbeiten zerstört zu haben. Dass er eine
Zeichnung wie die der hl. Katharina — vermuthlich war es die
Studie für die Gestalt im Fresko — an Pietro Aretino (1535, Bottari
III, 190) verschenkte, ist eine Ausnahme gewesen. Nichts erfahren
wir über die Kartons , denn selbst der einzige , bei dem man, wie
Scheffler gethan , an das Fresko denken könnte , nämlich der in
seiner Hinterlassenschaft erwähnte und an Cavalieri vermachte, der
im Inventar als : ,, Christus und Maria" bezeichnet wird, stellte, wie
Das Jüngste Gericht
sich aus Danieles da Volterra Brief an Vasari (Gotti II, 358) ergiebt,
nicht die Gestalten des Gerichtes , sondern Christi Abschied von
der Mutter dar. — Die im Folgenden mit St. angegebenen Nummern
beziehen sich auf das Verzeichniss der Zeichnungen im Anhang I
des Steinmann'schen Werkes über die Sixtinische Kapelle, II. Band.
Gesamtentwürfe
für das Fresko oder für einzelne Gruppen
I. Die Hauptgruppe. Bayonne, Musee Bonnat. Thode 2.
St. 64. Abb. Woodburn: Lawrence Gallery 14. St. S. 665, 64.
Kreide. Christus mit erhobener rechter Hand, die Linke vor der
Seitenwunde, den Blick nach unten gerichtet, sitzt in der Mitte.
Seine Haltung ist ungefähr schon die im Fresko gegebene. Nur
ist in der Zeichnung das linke Bein weiter ausgestreckt, das
rechte nicht ganz so gekrümmt. In unmittelbarer Nähe rechts
neben ihm scheinen eine oder zwei Figuren angedeutet. Etwas
unter ihm , mit den Köpfen etwa die Höhe seiner Kniee er-
reichend, sitzen links und rechts, in schräger Vertiefung an-
geordnet, je sechs Figuren (doch kann man auch sieben zählen,
wenn man einen ganz flüchtig skizzirten Kopf mit rechnet).
Und hinter diesen zwei besonders hervorgehobenen Gruppen
schliessen sich, kreisförmig angeordnet, eine grosse Anzahl von
nur leicht skizzirten Personen an. Die Stimmung der Christus
umgebenden Gestalten ist , verglichen mit der Erregung der
Figuren im Fresko , eine verhältnissmässig ruhige. Nur die
beiden hintersten fahren mit Bewegungen des Schreckens auf,
eine andere rechts sucht sich zu verkriechen, und die vorderste
links hebt wie flehend ihre Arme zu Christus empor. Diese
letztgenannte nennt Steinmann Maria. Es ist möglich, dass
die Madonna hier gemeint ist, sicher aber ist es, dass in den
zwei Gruppen vorne die zwölf Apostel zu erkennen sind.
Michelangelo knüpft also zunächst, so lebendig bei ihm
auch Alles wird, an die Tradition an, welche die Apostel als
Beisitzer zeigt. Bedenkt man dies, so wird es wahrscheinlich,
dass auch Maria und Johannes als Pendants von ihm beab-
sichtigt waren, und dann käme man darauf, die vorderste
Figur links als Maria und die rechts in ruhigem Anschauen
versunkene als Johannes zu bezeichnen. In diesem Falle, der
mir sehr wahrscheinlich dünkt , hätte man links und rechts
je sieben Figuren zu zählen.
II. Entwurf für das ganze Fresko. Florenz, Casa
Buonarroti XIII, 65. Thode 57. Ber. 1143. St. 65. Abb.
Zeichnungen 7
St. S. 666, 65. Alinari 1014. Kreide. In der Mitte oben
Christus in stärker bewegter Haltung, das linke Bein hoch
aufgestemmt, das rechte ausgestreckt. Mit der Linken greift
er hier nicht an die Wunde, sondern scheint sein Gewand
von ihr wegzureissen. Von links nähert sich ihm Maria mit
weit ausgestreckten Armen, um Erbarmen flehend. Links
neben ihr eine Gruppe von bewegten Gestalten, deren einige
bemüht sind , nackte wie kletternd sich nahende Erlöste
heraufzuziehen. Diesen folgen im Fluge von unten herauf
andere Auserwählte, unter denen eine knieende klimmende
Figur skizzirt ist, die im Entwurf und später im Fresko rechts
unter den Stürzenden erscheint. Rechts von Christus eine
Gruppe lebhaft bewegter Menschen. Der mittlere Theil der
Komposition zeigt rechts und in der Mitte eine Lücke. Die
rechte Ecke unten enthält den Sturz verzweifelt kämpfender
Verdammter. Keines der später im Fresko gegebenen Motive
lässt sich erkennen. Links unten einige aus Gräbern Auf-
erstehende und eine nach oben schauende, stehende Figur. —
Man sieht, der Meister ist sich über die Ausfüllung der Mitte
noch nicht klar. Er denkt sich nur ein Aufschweben der
Geretteten links, den Sturz der Verfluchten rechts. Noch
fehlt der Charonsnachen und Minos. Doch verräth sich in
der oberen Gruppe eine Befreiung von dem Traditionellen,
insofern die Apostel als Beisitzer verschwunden sind und
Maria, losgelöst von den Anderen, in lebhafter Aktion Christus
nahe gebracht wird. Die einzig bekleidete, links unten
stehende Figur, die nach oben schaut, giebt zu denken.
III. Entwurf für Christus und Maria und für die
Märtyrergruppe. Florenz, Uffizien, 170 (147 H). Coli. Santa-
relli. Thode 235. Ber. 1654. St. 66. Abb. Jacobsen und
Ferri XXIV. St. 667, 66. Brogi 1410B. Die Gruppe links
auf dem Blatte zeigt Christus in gleicher Stellung, wie auf II,
nur ist hier die Beinhaltung wieder ähnlicher I : das rechte
Bein ist zurückgezogen, das linke tiefer aufgestellt (die nächste
Veränderung scheint dann das Fresko selbst zu zeigen, in dem
das zu stark Geschwungene der Haltung gemässigt und das
früheste Motiv der auf die Wunde weisenden Hand wieder
aufgenommen wird). Maria ist höher und Christus näher ge-
rückt, so dass sie knieend sich in den leeren Raum unter
Christi rechtem Arm einschmiegt. Im Fresko bleibt sie dann
an demselben Ort, aber aus einer Knieenden wird eine Sitzende,
und das Motiv des Flehens um Mitleid wird aufgegeben. —
Rechts eine Gruppe von knieenden und vornüber sich neigen-
den Gestalten, darunter sind zwei Kreuzträger: der eine ahn-
Das Jüngste Gericht
lieh demjenigen auf dem Fresko hält es hinter dem Rücken,
der andere weist es, etwa wie Katharina später ihr Rad. Eine
nach unten langende Figur ist später im Fresko auf die linke
Seite des Gemäldes versetzt worden. — Es ist also jetzt die
Gruppe der mittleren Schicht des Gemäldes konzipirt, noch
aber scheinen die Figuren nicht als Märtyrer gedacht, denn
man sieht keine bestimmten Attribute.
IV. Entwurf für die Gruppe der Märtyrer und für
die zur Hölle Hinabgerissenen. London, British
Museum 1895 — 9—^5 — 5 18. Malcolm 80. Thode 364.
Ber. 1536. St. 75. Abb. Ottley 33. Ber. CXLIV. St. 675, 75.
Die Gruppe der Märtyrer zeigt nur in den zwei Figuren ganz
rechts und im Kreuzträger Beziehung zur eben besprochenen
Zeichnung. Schon treten drei Gestalten des Freskos : Laurentius,
der Kreuzträger, der aber das Kreuz etwas anders hält, und
Simon deutlich in der Stellung auf. Die Gruppe der Stürzen-
den ist ausgebildet, sie zieht sich aber mehr nach der Tiefe
zu, als auf dem Wandgemälde, was darauf schliessen lässt,
dass die Charonsgruppe noch nicht geplant war, sondern wie
auf dem Entwurf II der Sturz bis in die untere rechte Ecke
sich erstrecken sollte. Beibehalten von den hier gegebenen
Gestalten werden im Fresko nur zwei : die von hinten
gesehene auf dem rechten Bein knieende (im Gegensinne)
und der Engel rechts über ihr. Ein zerrender Teufel er-
innert schon allgemein an denjenigen unter der ,, Wollust". —
Auf dem Blatte sind noch andere Einzelstudien. Eine Gruppe
von drei erschreckt aus einander Stiebenden ist nicht in das
Fresko übergegangen. Die Studie eines nach vorne Schweben-
den (Brust und Arme) war wohl für einen Engel bestimmt,
der einen Verdammten verdrängt: sein linker Arm mit der
geballten Faust ist noch einmal gezeichnet. Eine sitzende
Figur, mit dem rechten Arm hinablangend, scheint für die
Märtyrergruppe bestimmt gewesen zu sein. Noch einmal er-
scheint der Kreuzträger , das Kreuz noch so haltend wie
auf UI. Der Rücken des Knieenden. Zwei kleine Skizzen
bringen einen seitwärts zerrenden Teufel , eine andere den
Oberkörper eines Verdammten, der die Hand vor den Kopf
hält (hier taucht also das Motiv des von Teufeln und Schlangen
Umstrickten im Fresko auf). Ferner sehen wir einen Sitzenden,
den Kopf mit dem Arme schützend, einen rücklings hinunter
Gestossenen, einen Knieenden, der die rechte Hand ans Haupt
legt und einen nach vorne Fhegenden, der verzweiflungsvoll
beide Fäuste vor das Gesicht hält. — Auf der Rückseite der
Zeichnung (Abb. St. S. 6^6, 76) einige jetzt undeutlich skizzirte
Zeichnungen n
Figuren für die gleichen Gruppen und ein zweimal wieder-
holter Kopf (s. unten).
V. Entwurf für die Auferstehenden, die linke untere
Hälfte des Gemäldes. Windsor. Thode 545. Ber. 1620.
St. 80 B. Abb. St. S. 682, 83. Kreide. Rückseite eines Blattes
mit Einzelstudien (s. unten Nr. XXIII, XXIV). Links aus der
Erde Emporsteigende : hier erscheinen neben anderen später
nicht beibehaltenen Figuren bereits der von hinten gesehen
sich auf beide Arme Stützende und der nach vorn Heraus-
steigende, der die Arme aufstützt. Weiter rechts, bereits fast
wie im Fresko, die am Boden Liegenden und darüber die zwei
von Engeln Emporgezogenen. Der mit dem Kopf nach unten
Emporgetragene erscheint daneben noch zweimal skizzirt,
und zwar sieht man in der einen Skizze mehrere Engel hülf-
reich mit ihm beschäftigt. Zwei andere Studien zeigen ab-
weichende, nach oben getragene Gestalten.
Die fünf beschriebenen Entwürfe gestatten einen nicht un-
wichtigen Einblick in die allmähliche Ausgestaltung der gesamten
Komposition. Anfangs verwerthet Michelangelo offenbar seine Ge-
danken für den Engelsturz, den er an der Eingangswand der Kapelle
hatte schildern sollen. Hierbei wird im Auffliegen links und im
Abstürzen rechts eine grosse Einheit von unten nach oben bis zu
der Gerichtsszene gewahrt. Erst später tritt eine streifenartige
Theilung durch die Einschiebung der Märtyrergruppen (und wahr-
scheinlich der entsprechenden links) ein, und ganz am Schlüsse erst
gewinnt die Auferstehungsszene und die Charonsgruppe als unterste
Streifenschicht ihre Ausgestaltung.
Entwürfe für Einzelnes
A. Die Hauptgruppe.
Christus.
Durch zwei Kreideskizzen in der Casa Buonarroti könnte man
an Christus erinnert werden. Die eine (XIII, 66. Thode 58. Ber. 1667)
zeigt eine Figur mit hoch erhobenem linken Arm und gesenktem
rechten in zwei Stellungen : einmal sitzend, das andere Mal stehend
mit erhobenem rechten Beine. Berenson sieht hier eine Schüler-
hand und eine Variation des Christus. Ich halte das Blatt für
acht und aus der Zeit des Jüngsten Gerichtes, möchte aber Stein-
manns Hinweis (S. 605 A.) auf die Ähnlichkeit mit den Studien
zum ,, auferstehenden Christus" beachtenswerth finden. Freilich gilt
dies nur für den Entwurf der stehenden, nicht der sitzenden Figur.
lO Das Jüngste Gericht
Die andere Skizze (XII, 6i, Thode 53), welche eine sitzende, ab-
wärts schauende Figur, den linken Arm erhoben, den rechten auf-
gestützt, bringt, hat sicher keine Beziehung zu dem Christus, und
es ist mir auch zweifelhaft, ob sie von Michelangelo herrührt.
Maria.
Von Jacobsen und Ferri (Abb. XIII) ist eine flüchtige Kreide-
skizze nach dem Nackten eines vollen weiblichen, nach halb rechts
hinten gewandten Körpers auf die Maria, und zwar auf die Maria,
wie sie in den Entwürfen II und III erscheint, bezogen worden.
Sie befindet sich in den Uffizien (18735, Thode 224). Eine grosse
Ähnlichkeit in der Haltung lässt sich nicht ableugnen, doch dünkt
es mir wahrscheinlicher, dass die Studie für die den Baum hinauf-
kletternde Figur in der „Sündfluth" diente (s. oben S. 246 Nr. XXXII).
Eine Rötheizeichnung in der Casa Buonarroti (VII, 7), die Gestalt
des Fresko im Gegensinne zeigend, dürfte Schülerarbeit sein.
Der hl. Laurentius.
VI. Die ganze Figur, der Kopf nur angedeutet. Der Rost fehlt.
Der Kopf daneben besonders gezeichnet. Haarlem, Teyler
Museum. Kreide. Thode 261. Ber. 1468. St. 71 A. Abb.
Marcuard XIII. St. S. 671, 71.
Der hl. Bartholomäus.
VII. Nach halb links gewandter bärtiger kahler Kopf. In grossen
Verhältnissen. Kreide. London, British Museum. Malcolm 74.
1895 — 9—15—511- Thode 358. Ber. 1692. St. 73. Abb.
Ottley 34. St. S. 67 T,, 73. Seit Ottley erhielt sich die An-
nahme, dies sei eine ausgeführte Studie für den Bartholomäus.
Berenson bestritt dies sowohl, als auch die Autorschaft Michel-
angelos. Steinmann Hess beides zweifelhaft. Niemand wird be-
streiten, dass der Kopf unangenehm wirkt, aber das liegt in dem
Ausdruck, der ihm gegeben ist und dem Ähnliches wir ja im
Jüngsten Gericht genug gewahren. In der Technik aber —
es handelt sich um eine Kartonzeichnung — ist Nichts zu
finden, was gegen die Autorschaft des Meisters spräche, dem
ich die Rötheistudien auf der Rückseite bestimmt zuschreiben
möchte. Man betrachte den Kopf nur etwas aus der Ferne,
um seine Grossartigkeit zu gewahren. Aber mit dem Bartho-
lomäus stimmt die Zeichnung nicht. Die Haltung nicht allein,
sondern auch der Ausdruck sind ganz verschieden. Man
müsste annehmen, dass es sich um einen früheren, dann auf-
gegebenen Entwurf handelt. Und dies würde wahrscheinlich
durch die Bemerkung, dass ein anderer dieser Zeichnung ent-
Zeichnungen 1 1
sprechender Kopf sich im Fresko nicht vorfindet. So ist
eine bestimmte Entscheidung unmöglich.
Der gute Schacher.
VIII. Der gute Schacher , wie im Fresko , links neben ihm aber
andere Figuren, deren eine, nach rechts gewandt, ihn, wie es
scheint, bei der Schulter fasst. Kreide. Bayonne, Musee
Bonnat. Thode 3 a. St. 6^ . Abb. St. S. 668, 67. Gleich
neben der Gruppe rechts eine nach vorne schreitende und
abwärts schauende Figur, vor der eine andere am Boden
liegt. Sie erinnert in der Bewegung an den nackten Jüngling
über dem Schacher.
Der junge Heilige über Bartholomäus.
IX. Studie zu seinem rechten Arme. London, British Museum
1856 — 5 — 10 — 1173. Thode 283. Ber. 1512. St. 72. Kreide.
Ich folge in dieser Bestimmung Steinmann ; ganz sicher ist
sie nicht.
B. Die Engelgruppen.
Der Engel der rechten Gruppe, rechts in der
Mitte über der Säule.
X. Die ganze Gestalt (der Kopf nur angedeutet). Der rechte
Arm wiederholt daneben. Kreide. London, British Museum
1860— 6— 16— 5. Thode 327. Ber. 1684. St. 63 A. Abb.
St. S. 663, 62. Phot. Br. 18. Die Zeichnung wurde von
Berenson als nicht acht betrachtet. Ich halte sie, wie eine
Anzahl verwandter, unbedingt für acht.
XI. Dieselbe Figur. Flüchtigere Studien. Kreide. Rückseite
von X. St. 63 B. Abb. St. S. 664, ^i.
Der Engel der rechten Gruppe, derknieend, von
hinten gesehen, die Säule umfängt.
XII. Studie für das linke Bein. Kreide. Florenz, Uffizien 17377.
Thode 237. (Nicht ausgestellt, in der ,,Raccolta".) Diese
Zeichnung ist bisher nicht beachtet worden. Sie gehört zu
einer Reihe nach meiner Ansicht ächter, in breitester Weise
ausgeführter Studien, als deren charakteristisches Beispiel die
oben genannte X genannt werden kann (vgl. auch XXXIII).
Der Engel zu oberst der rechten Gruppe, mit
dem Gewand.
XIII. Zwei Studien. Kreide. Auf dem Blatt XI. Die Armhaltung
hier noch anders, dem linken Arm ist die Funktion (des Um-
12 Das Jüngste Gericht
schlingens) gegeben, die auf dem Fresko der rechte Arm hat,
und die Rechte ist sprechend bewegt. Von Steinmann fälsch-
hch auf den Engel mit dem Essigschwamm bezogen.
Entwurf für einen (nicht ausgeführten) Engel.
XIV. Oberkörper eines fliegenden Engels en face mit gekreuzten
Armen. Kreide. Auf dem Blatte X. Die rechte Hand
wiederholt. Steinmann meint irrig, es wäre vielleicht eine
Studie für eine Frau oberhalb der sich Umarmenden in der
Heiligenschaar rechts.
C. Die Gruppe der Emporschwehenden.
Der knieend Hinablangende.
XV. Entwurf der Figur, der linke Arm in zwei Haltungen skizzirt.
London, British Museum, Malcolm 65. Thode 351. St. 68.
Abb. St. 669, 68. Ich stimme Steinmanns Meinung bei, welcher
die Zeichnung Michelangelo giebt.
XVI. Entwurf, welcher die Haltung des linken Armes in definitiver
Weise gegeben zeigt. Florenz, Casa Buonarroti VI, 27.
Thode 28 a. St. 69. Abb. St. S. 669, 69.
Der ein Paar am Rosenkranz Emporziehende.
XVII. Skizze auf einem Blatt mit Studien für die Medicidenkmäler.
Florenz, Casa Buonarroti V, 19. Thode 75. Ber. 1660.
St. 70. Abb. St. S. 670, 70. Von Steinmann auf die Figur
bezogen. Haltung des Oberkörpers und des rechten Armes
ist allerdings verwandt, aber der Jüngling ist auf der Zeich-
nung sitzend dargestellt und der linke (nicht ausgeführte)
Arm war aufgestützt gedacht. Dies ergiebt sich aus der
gleichen Figur auf
XVni. Oxford 70, 3. Thode 444. Ber. 1572B. Eine ähnliche
Figur findet sich in der Gruppe der Märtyrer auf Londoner
Zeichnung IV.
Der Emporschwebende, dem die Hand ent-
gegengereicht wird.
XIX. Florenz, Uffizien 17 177 . Thode 237. Das linke Bein.
Entwürfe für (nicht ausgeführte) Schwebende.
XX. Mit erhobenen Armen fliegende Gestalt. Flüchtige Skizze.
London, British Museum 1885 — 5— 9— 1893- Thode 331.
Ber. 15 10. Von Steinmann nicht erwähnt. Berenson erkannte
mit Recht hier eine Studie für das Jüngste Gericht. Auf dem
Entwurf in London aber (s. oben IV), wie er meint, findet
sie sich nicht.
Zeichnungen I -t
XXI. Zwei aufwärts fliegende nackte Gestalten. Früher bei Sir
Charles Robinson, London. Thode 376. Ber. 1542.
XXII. Florenz, Uffizien 17377. Thode 237. Nicht ausgestellt:
nach oben fliegende Gestalt mit erhobenen Armen, zurück-
gelegtem Kopf, von hinten gesehen.
D. Die Gritppe der Aufersiehenden.
Der vom Engel aufrecht Emporgetragene.
XXIII. Studie zu den Beinen und zum rechten Arm. Kreide.
Windsor. Thode 545. Ber. 1620. St. 80 A. Abb. St. 681,
82. Daneben auch die rechte Hand des ihn zerrenden Teufels.
Der vom Engel an den Beinen Emporgezogene.
XXIV. Flüchtige Studie zu dem Engel. Kreide. Auf demselben
Blatt XXIII. Von Steinmann nicht erkannt.
Der vom Rücken gesehene, mit beiden Armen
sich aufstützende Auferstehende.
XXV. Studie. Der Kopf nur angedeutet. London, British Museum
1886— 5— 13— 5. Thode 333. Ber. 1683. St. 81 A. Abb.
Lawrence Gallery 15. St. S. 683, 84. Entgegen Berensons
Meinung halte ich, wie Steinmann, die Zeichnung für sicher
acht. — Eine Kopie in Röthel von Daniele da Volterra in
den Uffizien 238.
Der Eingehüllte, Erwachende ganz links.
XXVI. Studie zum Oberkörper und rechten Arm. Auf der Rück-
seite von XXV. Abb. St. S. 684, 85.)
Ezechiel.
XXVII. Studie zu beiden Armen. Gleichfalls auf der Rückseite
von XXV. Abb. St. S. 684, 85.
Der unter dem Fels Hervorkriechende.
XXVin. Studie zu der Figur. Oxford 58. Thode 435. Berenson
1721 hält es für eine Zeichnung nach dem Fresko, so, wie
es scheint, auch Steinmann, der die Zeichnung nicht erwähnt.
Ich halte sie für acht.
Die zwei am Boden liegenden Figuren rechts.
Eine Rötheistudie in der Casa Buonarroti (V, 20) ist offenbar
eine Zeichnung nach dem Fresko.
Entwurf für einen (nicht ausgeführten) Auf-
erstehenden.
XXIX. Ein nach rechts gewandt sitzender, mit beiden Händen nach
links sich aufstützender Mann (Kopf nicht angegeben). Florenz,
14 Das Jüngste Gericht
Casa Buonarioti VI, 32. Thode 32. Röthel. Von Berenson
(1406) richtig als eine Studie für das Jüngste Gericht be-
zeichnet, von Steinmann nicht erwähnt.
XXX. Studie eines männlichen, bartlosen Kopfes en face. Florenz,
Casa Buonarroti VI, 31. Thode 30. St. 82. Abb. St. S. 608, 5.
Kreide. Steinmann meint, was möglich, aber nicht bestimmt
zu sagen : Entwurf für einen Auferstehenden.
E. Die Gruppe der Märtyrer.
Entwurf für eine nicht ausgeführte Figur.
XXXI. Ein etwas nach links gewandt sitzender Mann, der sich mit
der Linken aufstützt, die Rechte hinabstreckt, offenbar, um
einem Anderen zu helfen. Auf dem unter Nr. IV genannten
Blatt. In Kreide. Könnte auch , ähnlich wie XV , für die
Gruppe der Emporschwebenden bestimmt gewesen sein.
Der Todtenkopf in Oxford (60, 4. Abb. Fisher II, 4) ist Kopie.
F. Die Gruppe der stürzenden Sünder.
Der mit dem rechten Bein knieende, von hinten
gesehene Verdammte.
XXXII. Entwurf der ganzen Figur. Kreide. Paris, Louvre 707.
Thode 482. Ber. 1591, der aber die Beziehung nicht erkannte.
Von Steinmann nicht erwähnt. Die Stellung ist im Fresko
etwas verändert.
Der Teufel mit der Seele über demCharons-
nachen.
XXXIII. Studie zu dem Teufel, auf anderem Blatte : dessen linker
Arm und die linke Schulter. Kreide. Haarlem , Teyler
Museum. Thode 262. Ber. 1673. St. 'J^. Abb. v. Marcuard XVa
und XV b. St. S. 6"]^, yj u. 78. Schon v. Marcuard erkannte
hier einen Entwurf zu einer Figur im Gericht. Steinmann
bestimmte sie mit Recht näher als eine an Signorellis ,,anima
damnata" anknüpfende Vorstudie zu dem Teufel. Die Zeich-
nung gehört zu einer ganzen Gruppe von Entwürfen , die
Berenson alle mit Unrecht Michelangelo nimmt, und ist ganz
besonders beweisend für die Ächtheit aller dieser Blätter
(s. Nr. XII). — Eine alte Kopie nach der ganzen Gruppe in
Lille. Ber. 1677. Abb. Br. 33.
Die Zeichnung der Figur der ,, Wollust" im British Museum
1895 — 9 — 15 — 505, Malcolm 68, ist Kopie.
Entwürfe für (nicht ausgeführte) Figuren.
XXXIV. Kopfüber abwärts stürzende Figur. Zwei Skizzen. Kreide.
London, British Museum 1885 — 5—9 — 1894. Thode 332.
Zeichnungen j c
Ber. 151 1. Von Steinmann nicht erwähnt. Berenson erkannte
die Beziehung zum Jüngsten Gericht. Ich finde die Gestalt
auf dem Londoner Entwurf IV in der Mitte.
XXXV. Nach vorne schwebende Figur, das linke Bein knieend
(offenbar auf Wolken), mit dem rechten Arm einen rund ge-
bildeten Gegenstand (vielleicht eine andere Figur }) umfangend,
in den Zügen der Ausdruck des Schreckens. Der linke Arm
ist nicht sichtbar. Lille, Musee Wicar 99. Thode 278.
Ber. 1678. St. 78. Abb. St. S. 679, 80. Br. 37. Von Morelli
(Kunstchronik 1892, S. 377), dessen Meinung ich bin, für acht,
von Berenson und Steinmann nur für Kopie einer Zeichnung
Michelangelos gehalten. Steinmann meint, es sei eine Studie
für einen Verdammten , der mit vorgebeugtem Oberkörper
aus Charons Kahn springt. Dies kann ich nicht zugeben.
Die Stellung ist ganz verschieden , die Gestalt ist nicht in
springender Bewegung, sondern schwebt in der Luft. Sie war
offenbar für die Gruppe der stürzenden Verdammten bestimmt.
Vielleicht trat an ihre Stelle der von Teufeln und Schlangen
Umwundene.
XXXVI. Brust und Arme (der Kopf nur angedeutet) eines Nackten
in verzweifelter Bewegung. Er legt die Linke an den Hinter-
kopf, die Rechte vorne an das Gesicht. Der rechte Arm ist
in etwas anderer Haltung nochmals gezeichnet. Auf dem eben
erwähnten Blatte. Steinmann berücksichtigt diese Skizze nicht.
Auch sie war für einen Verdammten bestimmt. Ähnliche
Schreckensgebärde macht eine Gestalt in Charons Kahn auf
dem Fresko, doch ist die Bewegung eine ganz andere.
XXXVII. Eine nach hinten gewandt knieende Figur, welche die
Arme etwas nach rechts erhebt. Kreide. Florenz, Casa
Buonarroti XI, 54. Thode 49. St. 74. Abb. St. S. 674, 74.
Album Michelangiolesco VI.
XXXVIII. Halbe Figur eines nach halb rechts gewandten, abwärts
schauenden Mannes, der die Hände abwehrend nach links
hinten bewegt, ähnlich wie der Adam in der Vertreibung aus
dem Paradiese. Florenz, Casa Buonarroti V, 64. Thode 24.
Ob die Skizze von Michelangelo.?' Ich glaube es, jedenfalls
geht sie auf ihn zurück. Darüber verkürzter Kopf, nach
einem Kopf ganz links unten im Jüngsten Gericht.
XXXIX. Von vorne gesehener Mann, das linke Bein wie knieend,
die Rechte erhoben, die Linke nach links unten greifend,
wohin auch der Kopf blickt. Flüchtige Rötheiskizze. Florenz,
Casa Buonarroti I, 4. Thode 14, Wohl Studie für einen der
Engel.
l5 Das Jüngste Gericht
XL. Halb nach links gewandter Kopf eines in Verzweiflung
schreienden bartlosen Mannes. Ein Gewandstück umflattert
ihn. Kreide. Windsor. Thode 544. Ber. 1619. St. ']T.
Abb. St. S. 678, 79. Phot. Br. 114. Eine Kopie in den
Uffizien 137, 601. Phot. Br. 182. Diese gewaltige, berühmte
Zeichnung war wohl eine Studie für einen der Verdammten.
G. Die Charonsgritppc.
Der vordere an einem Eisenhaken ziehende
Teu fei.
XLI. Grossartige Studie auf der Rückseite des eben erwähnten
Blattes XL. Phot. Br. 106. Kohle. Die Stellung der Beine
ist schon ähnlich, aber der Oberkörper ist nach links gesenkt,
der thierische Kopf nach rechts gewendet und die Hände
zerren links den (nicht angegebenen) Kahn.
Der Schreiende im Kahn, der die Hände an
den Kopf legt.
XLII. Skizze des Oberkörpers mit Kopf und Armen. Auf dem
Blatt der Casa Buonarroti, s. oben Nr. XVI.
Der die Auferstehenden belauernde Teufel in
der Höhle.
XLIII. Kopie einer Originalzeichnung in Florenz, Uffizien 144, 616.
Thode 212. Offenbar eine Studie für die Figur, da die an-
gezogene Stellung des rechten Beines von der des Fresko
abweicht und die Füsse noch nicht die Krallenform haben.
Teufelsfratzen.
XLIV. Drei groteske Köpfe. Röthel. London, British Museum
1859 — 6 — 25 — 557. Thode 299. Ber. 1490. St. 79. Abb.
St. S. 680, 81. Br. Der eine ist für den Teufel links unten
neben Minos verwendet, ein anderer vielleicht für den Kopf
rechts unten neben Minos — wie auch Steinmann annimmt.
Ich glaube aber, dass diese Fratzen bereits früher, in der
Zeit der Arbeit an den Medicigräbern , entstanden sind , in
der gleichen Zeit wie die Maskenköpfe in Lille (Br. 35), die
ich, trotz Steinmanns Einspruch, mit Berenson für acht halte
— die in der Casa Buonarroti sind eine Kopie und so auch
eine Zeichnung in Frankfurt a. Main, Städel'sches Institut 392,
wo übrigens der untere Kopf des Londoner Blattes wieder-
holt ist. (Vgl. oben Exkurs über die Medicigräber I, 499.)
H. Nicht näher zzi bestimmende Entwürfe.
XLV. Ein nach rechts hinten ausschreitender Mann
von mächtigen Formen ; nur der Unterkörper ausgeführt.
Kopien 1 7
Auf der Rückseite der Studie zum hl. Laurentius. S. oben
Nr. VI. Steinmann 71 B. Abb. v. Marcuard XIV. St. S. 672, 72.
Steinmann meint: vielleicht Rir den Verdammten ganz links
in der Gruppe der sieben Hauptsünden. Diese Vermuthung
kann ich, da es sich um ein ganz anderes Motiv handelt,
nicht theilen. Die Figur ist im Fresko nicht verwerthet
worden.
XL VI. Aktstudie desOberkörpers einesjungenMannes,
der, die Arme gesenkt, sich halb nach links wendet und nach
links hinten aufwärts schaut. Kreide. Lille, Musee Wicar 104.
Thode 279. Weder von Steinmann noch von Berenson er-
wähnt. Nach meiner Ansicht eine schöne ächte Studie für
einen Auserwählten.
XL VII. Nach hinten schreitender Mann, der sich etwas
nach links wendet und den linken Arm nach der Seite aus-
streckt. Leichte Kreideskizze. London, British Museum.
Malcolm 75. Thode 395. Ber. 1531. Schon von Robinson
auf das Jüngste Gericht bezogen.
XL VIII. Stehender Mann en face, nach rechts schauend, die
Rechte gesenkt, die Linke über die Brust gelegt. Flüchtige
Kreideskizze. London, British Museum. Malcolm "/Q. Thode
360. Ber. 1532.
XLIX. Anatomische Studie eines Oberkörpers von hinten
gesehen. Kreide. Florenz, Uffizien 17377. Nicht ausgestellt.
Auf demselben Blatt wie oben Nr. XIX. Rückseite. Daneben
undeutliche bewegte Figur, von vorne gesehen.
L. Nach rechts gesenkter unbärtiger Kopf eines
Mannes. Auf der Rückseite des Londoner Entwurfes für
den Sturz der Verdammten, S. oben IV. St. 75 B. Abb.
St. S. ^T^, 76. Steinmann sieht in ihm eine Studie für den
Heiligen links neben dem Kreuzträger. Dies muss dahin-
gestellt bleiben.
Zeichnungen.
III
Kopien
Deren Anzahl ist eine so grosse , dass ich auf ein genaues
Verzeichniss verzichten muss. Ich erwähne alte Zeichnungen, welche
die gesamte Komposition wiedergeben, in Oxford 65 (Abb. Fisher
II, 2) und in Paris (834) , eine Nachzeichnung der rechten Seite
im Städel'schen Institut zu Frankfurt a. M. (Nr. 3982, danach ein
Umrissstich im Gegensinne ebendaselbst), wo auch eine Kopie der
zwei Engel rechts oben neben der Säule bewahrt wird (Nr. 391), des
I* 2
Das Jüngste Gericht
Sturzes der Verdammten bei E. J. Poynter (Abb. Symonds II, 48).
Eine „besonders kunstvoll ausgeführte Zeichnung", 181 1 von Tom-
maso Minardi angefertigt, ist in der Vatikanischen Bibliothek (St.
S. 518, A. i). Eine von Alexandre Charles Guillemot, um 18 12
entstanden, im Louvre. Von Kopien einzelner Figuren findet sich
eine besonders grosse Anzahl im Louvre (die Nrn. 736, 738, 740,
744, 783, 790, 795, 797,808,817, 819,821,824, 830), in Mailand (Phot.
Br. 10, II, 12, 19, 20, 22) und in Oxford (60, 4. 61. 62. 63. 69.
83, bis auf 83 alle bei Fisher abgebildet). In Photographieen sind zu-
gänglich drei Zeichnungen in dem Grossherzoglichen Schlosse zu
Weimar (Br. 112, 113, 114), wo auch eine Kopie der Madonna auf-
bewahrt wird, in Venedig (Br. 18, 20), in der Albertina zu Wien
(Br. 45, 46), wo ausserdem auch ein posaunenblasender Engel
(Nr. 139) zu finden ist, in Chatsworth (Br. 23), in der Casa Buo-
narroti (Alinari 10 10 und 1066).
Wohin die Zeichnungen , die Daniele da Volterra für die Ge-
wänder entworfen, dereinst in der Sammlung Cicciaporci, gelangt sind,
vermag ich nicht zu sagen (Fanfani : Spigolatura Michelangiolesca
S. 98). Auch ist nicht mehr nachzuweisen, wohin die Zeichnungen,
die nach Vasari (VI, 578) Battista Franco von dem ganzen Gemälde
gemacht hat , wohin die drei Blätter mit den sieben Hauptsünden,
die Vasari gleich nach Enthüllung des Fresko anfertigte (V, 553)
und an Giulio Romano nach Mantua sandte, gekommen. Drei Zeich-
nungen, darunter eine aquarellirt , werden im Inventar von Parma
erwähnt, 1662 (Venturi: Le Gallerie nazionali 1902. V, 269, 270, 282).
In wiefern eine Kreidestudie Sebastianos del Piombo (?) für seinen
,, Christus an der Säule" in S. Pietro in montorio, im Kupferstich-
kabinet Pal. Corsini aufbewahrt (Abb. Venturi : Gallerie Italiane
1896. II, Taf. XI, S. 154, d'Achiardi: Seb. del Piombo, Fig. 28), mit
Benutzung des Kreuzträgers in der Gruppe der Heiligen — so
meint Steinmann (S. 538, Anm.) — entstanden sein könnte, be-
greife ich nicht. Sebastianos Geisselung war doch schon 1525 fertig.
Siehe hierfür den Exkurs über Michelangelo und Sebastiano.
Zum Schluss sei, als nicht unwichtige Belehrung für den Be-
urtheiler der Zeichnungen Michelangelos, eine bei Malvasia (Felsina
pittrice 1841. I, 197) berichtete Geschichte mitgetheilt. Der Kar-
dinal Alessandro d'Este zeigte dem D. Kalvaert seine schöne Zeich-
nungensammlung. Kalvaert erkannte alle die Künstler, welche die
Blätter verfertigt. Aber als sie zu einem Nackten Michelangelos
aus dem Jüngsten Gerichte und zu zwei Figuren Raphaels aus der
Schule von Athen kamen, unterrichtete Kalvaert den Kardinal da-
von , dass es nicht Originale seien , sondern Kopien , die er nach
den Gemälden selbst verfertigt, und zwar indem er die Figuren
an einigen Stellen veränderte. Denn so war es ihm von
Kopien ig
einem gewissen Pomponio , der ihm den Auftrag gab , befohlen
worden. Und eben Dieser sei es gewesen, der, nachdem das Pa-
pier angeräuchert und hier und da dünner gemacht worden war,
die Zeichnungen dann als Originale dem Kardinal verkauft hatte.
Solchen Thatsachen gegenüber wird selbst der geübte Kenner
sich bescheiden müssen , die Möglichkeit , dass auch er sich bis-
weilen irre, zuzugeben.
2. Gemälde.
Ich erwähne :
1. Die wichtige Kopie von Marcello Venusti im Museum
zu Neapel, welche, 1 549 für den Kardinal Alessandro Farnese
ausgeführt, das Gemälde vor der Thätigkeit Danieles da Vol-
terra zeigt — cosa rara e condotta ottimamente (VasariVII, 575).
Noch 1638 in Rom (von Caspare Celio in der ,, Memoria" über
die Gemälde Roms) angeführt, vgl. St. S. 517. S. A. Bertolotti :
Speserie segrete e pubbliche di papa Paolo III in Atti e me-
morie della dep. di st. p. per le prov. dell'Emilia N. S. III,
Mod. 1878, p. 211. Lanciani : Storia degli scavi di Roma 1903,
II, 160. Zwei Zeichnungen Venustis zu dieser Kopie werden
im Inventar des Pal. ducale von Mantua 1627 erwähnt. (Carlo
d'Arco : delle Arti e degli Artefici di Mantova 1859. II, 161
und 166.) — Abb. bei St. Taf. LXVI. — Die meisten gestochenen
Reproduktionen des XVI. Jahrhunderts und alten gemalten
Kopien gehen auf Venustis Bild zurück.
2. Kopie des Venusti ' sehen Bildes von Robert le
Voyer aus Orleans. Vgl. St. S. 517. 1570 entstanden.
Der Künstler erhielt daraufhin das römische Bürgerrecht.
Jetzt im Museum von Montpellier. (C. Jarry : Document inedit
sur un jugement dernier de M. A. in ,,Reunion des societes
des beaux-arts des departements". Paris 1895, p. 616. Abb.
PI. XX. Vgl. auch Schorns Kunstblatt 1837, XVIII, 418.)
3. Kopie von Francesco Dandi da Forli. Florenz,
Palazzo Corsini.
4. Kopie in Padua, Museo civico (auch ohne die Ge-
wänder) , von einem Venezianer der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts.
5. Kopie einzelner Hauptgruppen von Alessandro
Allori in seinem Altargemälde der Kapelle Montaguti in
S. Annunziata zu Florenz. (Vasari VII, 606. Baldinucci
IX, 522.)
6. Kopie bei Vicomte de Castex, erwähnt von L. L. Chapon
(Le Jugement dernier de M. A., Paris 1892).
2*
20 Das Jüngste Gericht
Angeführt werden in der älteren Litteratur Kopien in S. Eligio
zu Neapel (von O. Boni bei Freart : Idea della perfezione della
pittura, Firenze 1809, App. p. 31), bei Antonio Cocchi in Florenz
(bemalter Stich, Gori : Notizie in Ausgabe Condivi von 1746 p. 116),
beim Connetabile Colonna in Rom (Brief des Giacomo Carrara vom
19. Juni 1768 in Bottari : Lett. Pitt. VI, 237), in der k. Sammlung
in Neapel (auf Kupfer , s. Bottari ebendaselbst) , in Palermo (In-,
ventar 1807. Bei Venturi : Le Gallerie nazionali 1902, V, 320) und
1820 bei M. Daval (A. Lenoir : Annales frangaises des Arts, des
Sciences et des Lettres 1820, VI). — In der Ecole des beaux-arts
in Paris befindet sich die 1833 bis 1836 von Sigalon angefertigte
Kopie in Originalgrösse, für die einstige Kapelle der Petits-Augustins
bestimmt. — Vgl. Steinmann, S. 518, Anm. i. — Für eine Original-
studie zum Fresko v^^urde ein grau in grau ausgeführtes Bild in
der Gallerie des Principe di Colobrano in Neapel ausgegeben. Es
zeigte viele Varianten in den Figurengruppen. (Napoli e i luoghi
celebri delle sue vicinanze, Napoli 1845, II> 32 5-)
Von Aquarellkopien, die Bury und Lips für den Grafen Friess
anfertigten , erzählt Goethe in der Italienischen Reise (August) :
,, Sorgfältige Durchzeichnungen der unteren Köpfe und Figuren des
Altarbildes, die man mit der Leiter erreichen konnte, wurden ge-
fertigt, erst mit weisser Kreide auf schwarze Florrahmen, dann mit
Röthel auf grossen Papierbogen durchgezeichnet."
Von einer sonderbaren Gemäldekopie eines Seligen, der aber
als Ketzer ins Feuer gestellt ist, aus der Gall. Buckingham 171 8 in
die Prager Gallerie, von dort 1749 nach Dresden gelangt, erfahren
wir durch Claude Philipps (The Gallery of pictures of Charles I.,
I, S. 60) und Karl Woermann (Galleriekatalog Nr. 74).
IV
Die Komposition und ihre Quellen
Über das Verhältniss des Meisters zu seinen Vorgängern ist
des Öfteren gehandelt worden, und jede Untersuchung hat die ge-
waltige Originalität seiner Schöpfung erwiesen. So gewiss Ein-
drücke von älteren Kunstwerken bei der Konzeption mitgewirkt
haben, so neu gestaltend ist doch das Schauen des gesamten Vor-
ganges in einem dramatisch einheitlichen Sinne und die im Ein-
zelnen sich bewährende Erfindung. Erst neuerdings ist, nachdem
schon seitens Colombs de Batines (Bibliografia Dantesca, Prato
1845, I) 301 — 338) und in einem Aufsatz: Cenno intorno al Giudi-
zio universale di Giuseppe Velasquez e a quello della Sistina di
Die Komposition und ihre Quellen 21
Michelangelo (Faro di Messina II, 368 — 373) die Inspiration des
Meisters durch die Divina Commedia hervorgehoben worden war,
durch Wolfgang Kailab (in den ,, Beiträgen zur Kunstgeschichte,
Franz Wickhoff gewidmet", Wien 1903) und Ernst Steinmann in
seinem Werke über die Sixtinische Kapelle die Bedeutung des Ein-
flusses, welchen Dantes Dichtung auf das Jüngste Gericht gehabt habe,
näher erörtert worden. Es gilt zu untersuchen , in wie weit diese
Behauptung begründet ist, und zu diesem Behufe heisst es, erstens
zunächst scharf hervorzuheben, welche Elemente in Michelangelos
Werk schon der vorhergehenden Kunst zu eigen waren und daher
unmittelbar aus dieser zu erklären sind, und zweitens, welche Vor-
stellungen er dem Studium der Bibel, deren eifriger Leser er ge-
wesen ist, verdanken konnte. Erst Das, was nicht auf diese beiden
Quellen zurückzuführen ist, kann als ein der Anregung durch Dante
Verdanktes in Frage kommen. Es will mich bedünken, als habe
man die Hauptquelle der Inspiration, die Bibel, bisher zu wenig be-
rücksichtigt.
I. Die Verwerthung älterer künstlerischer Motive.
Aus dem Zusammenhang der Erscheinungen ergiebt sich, dass
unter den früheren Darstellungen des Gerichtes diejenigen von
Giotto, im Camposanto zu Pisa, von Signorelli und auf dem Revers
der Medaille Filippos Strozzis von Bertoldo es waren, die auf Michel-
angelo den stärksten Eindruck hervorgebracht, in geringerem Grade
die Skulpturen Niccolö und Giovanni Pisanos, die Bilder Fra Gio-
vannis und das Fresko Fra Bartolommeos. Die Beziehungen zeigen
sich in Folgendem:
1. Das Gesamtschema seinen Grundzügen nach: Christus in
Mandorla in der Höhe, umgeben von Heiligen, links unten
die Seligen, rechts die Verdammten ist das Traditionelle. Die
Anordnung der Posaunen blasenden Engel in der Mitte unter
Christus und des Engels, welche die Marterwerkzeuge tragen,
in der Höhe über ihm links und rechts geht auf das Fresko
in Pisa als Vorbild zurück.
2. Die Auffassung Christi als des im Zorn mit erhobener Hand
die Verdammten in den Abgrund Schmetternden ist die gleiche,
wie auf dem Pisaner Gemälde.
3. Die Leidenswerkzeuge: Säule, Kreuz, Stab mit Ysopschwamm,
Dornenkrone hatte Michelangelo in Signorellis Deckenbild in
Orvieto, welches die Engelgruppe zeigt (signa Judicium in-
dicantia), gesehen. Auch auf der Medicimedaille, auf welcher
ein Engel mit dem Kreuz, ein anderer mit der Säule erscheint,
also eine ähnliche Gegenüberstellung gebracht ist.
2 2 Das Jüngste Gericht
4. Die Erweiterung des Tribunals der Apostel durch Hinzu-
fügung von Heiligen war schon von Fra Giovanni Angelico
vorgenommen worden.
5. In Gruppen gegliedert erscheinen diese Heiligen bereits an
den Deckengewölben der Orvietaner Kapelle. Und zwar sind
CS die Chöre der Patriarchen, Propheten, Apostel, Kirchen-
väter, Märtyrer und heiligen Jungfrauen.
6. Besonders grossartige Darstellungen der die Posaunen blasen-
den Engel hatten ausser dem Meister im Camposanto besonders
Giovanni Pisano an der Kanzel in S. Andrea zu Pistoja, deren
starke Wirkung auf Michelangelos Phantasie auch in den
Sibyllen nachzuweisen ist, und Signorelli in Orvieto gegeben.
7. Die Nacktheit der auferweckten Erlösten und Verdammten
war durch Signorelli zur höchsten künstlerischen Wirkung
gesteigert worden.
8. Der Kampf von Engel und Teufel um eine Seele ist ein altes
Motiv. Es erscheint an Niccolö Pisanos Kanzel in Pisa und
spielt eine bedeutende Rolle in dem Triumph des Todes im
Camposanto.
9. Das Emporsteigen der Auferweckten aus der Erde hatte in
Sonderheit durch Signorelli seine drastische Verdeutlichung
gewonnen.
10. Die Abwehr der zum Himmel Emporstrebenden durch Engel
und ihr durch das Eingreifen von Teufeln beschleunigter Sturz
war von Signorelli dargestellt worden. Schon Giotto hatte
in grosser Mannigfaltigkeit der Motive diesen Sturz (im Feuer-
strom) geschildert.
11. Das Vorbild der menschlich gebildeten, aber gehörnten Teufel
ist gleichfalls bei Signorelli zu finden.
12. Ebenso der eine Seele auf den Schultern tragende Teufel.
Das Motiv wird schon von Niccolö Pisano gebracht.
13. Dass die Sünder durch Teufel mit Haken in die Hölle ge-
zerrt werden, finden wir bei Fra Giovanni.
14. Charon in seinem Nachen (aber ohne Ladung) ist von Signo-
relli auf dem einen Schmalbilde in Orvieto dargestellt worden,
auf dem
15. auch der schlangenumwundene Minos erscheint.
Fragen wir nunmehr nach Feststellung dieser Beziehungen zur
vorhergehenden Kunst, was das Neue in Michelangelos Schöpfung
ist, so zeigt sich dies zunächst und vor Allem, allgemein gefasst, in
der einheitlichen dramatischen Konzeption der momentanen Wir-
kung des Verdammungsurtheiles , das nicht allein die Sünder,
sondern auch die himmlischen Heerschaaren , die in den älteren
Darstellungen ein feierlich theilnahmsloses Tribunal gebildet hatten,
Die Komposition und ihre Quellen 23
in Schrecken und leidenschaftliche Erregung versetzt. Zweitens in
der Mitwirkung der Märtyrer an dem Racheakt und drittens in der
Vorstellung, dass die Erlösten ihren Flug durch die Lüfte nach
oben nehmen und die Verdammten, die den Himmel stürmen
wollen, von Engeln hinabgeschmettert werden. Aus dieser neuen
Konzeption ergaben sich nun folgende Erscheinungen:
1. Die Eintheilung in drei Zonen, die ganz allgemein an Giottos
Komposition gemahnt.
2. Die erregte Bewegung der Heiligen.
3. Das Mitwirken der Märtyrer bei dem Urtheil.
4. Der Aufflug der Seligen. ' Motiv : Emporstreben und Empor-
gezogenwerden. Ein Engel zieht zwei Gestalten, einen Mann
und eine Frau, am Rosenkranz aufwärts.
5. Der Absturz der Verdammten. Motiv: Engel schmettern sie
mit den Fäusten hinab, Teufel zerren sie, Andere stürzen
sich im Flug nach unten.
Hierzu kommen folgende weitere Neuerungen :
6. Die Gliederung der Engel mit den Leidenswerkzeugen in zwei
stark bewegte Gruppen.
7. Die bisher beschränkte Zahl der Heiligen hat einer unzähligen
Menge Platz gemacht.
8. Die Gliederung der Heiligen in vier (respektive) fünf Gruppen,
a. die Christus im Kranz umgebende, die sich in zwei zer-
legen lässt, nämlich in eine links und eine rechts von ihm
befindliche, b. die seitliche Gruppe von Frauen links, c. die
seitliche Gruppe von Männern rechts und unter der letzteren
d. der Chor der Märtyrer. Es fragt sich, in wie weit diese
Gliederung den von Signorelli gebrachten Chören entspricht.
9. Die Heiligen thronen nicht mehr, wie früher, sondern stehen
und sitzen auf kompakten Wolken. Motive : erschrecktes
Schauen und Lauschen, Gespräch, Umarmungen. Petrus weist
seinen Schlüssel, Bartholomäus sein Messer. Eine Frau um-
fängt eine zu ihr sich flüchtende jüngere.
10. Die Heiligen sind nackt dargestellt, nur verhältnissmässig
wenige durch Attribute gekennzeichnet.
11. Christus ist bartlos, in einer Bewegung des Sicherhebens ge-
geben.
12. Maria schmiegt sich, auf die Erlösten schauend, an seine Seite.
13. Die Engel sind nicht beflügelt.
14. Die Posaunen blasenden Engel sind in grösserer Anzahl gegeben.
15. Zwei Engel dieser Gruppe halten, der eine ein kleines Buch
nach der Seite der Gerechten, der andere ein grosses nach
jener der Ungerechten.
24 Das Jüngste Gericht
i6. Die Auferstehenden befinden sich zum Theil in Klüften und
unter Steinplatten. Motive : Emporsteigen aus der Erde,
Hervorkriechen, Liegen, Sichemporrichten, Engel entführen
Teufeln Seelen in die Luft. Einzelne Gerippe, einer mit
Todtenkopf.
17. Ein stehender älterer bärtiger Mann wendet sich zu einem
eben Erwachenden, der in Leichentücher gehüllt ist, und scheint
ihm theilnahmsvoll Muth zuzusprechen.
18. Charons Nachen ist mit Verdammten beladen, die von ihm
mit einer Keule herausgetrieben und von Teufeln heraus-
gezerrt werden. Feuerschein der Hölle im Hintergrund.
Fragen wir nun, in wie weit für diese Neuerungen die Bibel
oder die Divina Commedia bestimmend gewesen ! Als rein aus der
freischöpferischen künstlerischen Anschauung des Meisters hervor-
gegangen dürfen wir von Vorneherein betrachten: die Gliederung
der Engel mit den Leidenswerkzeugen in zwei Gruppen (6) , die
grosse Anzahl der Heiligen (7), das freie Sichbewegen der Hei-
ligen (9), die nackte Darstellung derselben (10), den bartlosen Typus
Christi (11), die Flügellosigkeit der Engel (13), die grössere Anzahl
der Posaunenengel (14). Auch ist es nicht zweifelhaft, dass Charon
und Minos Signorelli resp. Dante entnommen sind. Es bleibt also
die Prüfung folgender Momente übrig: das dominirende Grundmotiv
des entsetzlichen Racheaktes, durch welches das Verhalten der Hei-
ligen und der Maria bestimmt wird, die Mitwirkung der Märtyrer,
die Heiligenschaar und Kennzeichnung Einzelner, der Aufflug der
Seligen, der Absturz der Verdammten, das Motiv der Bücher, die
Auferstehung und die Gestalt des Priesters bei den Auferstehenden.
II. Die Inspiration durch die Bibel.
Ich gebe im Folgenden alle wichtigen biblischen Stellen, die
vom Jüngsten Gerichte handeln oder auf dasselbe bezogen werden
konnten, und fassen für Einzelnes bedeutungsvolle die Resultate
zum Schluss zusammen. Und zwar wähle ich die Luther'sche Über-
setzung, um dem Geist der Zeit gerecht zu werden.
A. Das Alte Testament.
I. Samuelis 2, 6. Der Herr tödtet und machet leben-
dig, führt in die Hölle und wieder heraus. — 2, 9. 10. Er wird be-
hüten die Füsse seiner Heiligen , aber die Gottlosen müssen
zu nichte werden in Finster niss. Die mit dem Herrn
hadern, müssen zu Grunde gehen ; über ihnen wird er donnern
im Himmel. Der Herr wird richten der Welt Enden
und wird Macht geben seinem Könige und erhöhen das Hörn
seines Gesalbten.
Die Komposition und ihre Quellen 25
I. Könige 2, 19. Micha sagt: ich sähe den Herrn sitzen auf
seinem Stuhl und alles himmlische Heer neben ihm stehen
zu seiner Rechten und Linken (so auch II. Chron. 18, 18).
Hiob 19, 25. 26. Aber ich weiss, dass mein Erlöser lebet;
und er wird mich hernach aus der Erde auferwecken;
und werde darnach mit dieser meiner Haut umgeben werden, und
werde in meinem Fleische Gott sehen.
Hiob 21, 30. Denn der Böse wird behalten auf den Tag
des Verderbens, und auf den Tag des Grimmes bleibet er.
Hiob 24, 19. Die Hölle nimmt weg, die da sündigen, wie
die Hitze und Dürre das Schneewasser verzehrt.
Psalm 2, 5. Er wird einst mit ihnen reden in seinem
Zorn und mit seinem Grimm wird er sie erschrecken.
Psalm 9, 8. Der Herr aber bleibet ewiglich, er hat seinen
Stuhl bereitet zum Gericht.
Psalm 10, 12. Stehe auf, Herr Gott, erhebe Deine
Hand; vergiss der Elenden nicht!
Psalm 11,6. Er wird regnen lassen über die Gottlosen Blitz,
Feuer und Schwefel, und wird ihnen ein Wetter zum Lohn geben.
Psalm 17, 7. Beweise Deine wunderliche Güte, Du Heiland
Derer, die Dir vertrauen, wider Die, so sich wider deine
rechte Hand setzen.
Psalm 18, 5. Denn es umfingen mich des Todes Bande und
die Böcke Belials erschreckten mich. 6. Der Hölle Bande umfingen
mich und des Todes Stricke überwältigten mich. — 8. Die Erde
bebete und ward bewegt und die Grund vesten der
Erde regeten sich und bebeten, da er zornig war. 9. Dampf
ging auf von seiner Nase und verzehrend Feuer von
seinem Munde, dass es davon blitzete. — 11. Und er
fuhr auf dem Cherub und flog daher, er schwebete auf den Fittigen
des Windes. 12. Sein Gezelt um ihn her war finster und schwarze
dicke Wolken, darinnen er verborgen war. Etc.
Psalm 30, 4. Herr, Du hast meine Seele aus der Hölle ge-
führt; Du hast mich lebendig behalten, da Die in die
Hölle fuhren.
Psalm 40, 3. Und zog mich aus der grausamen
Grube und aus dem Schlamm, und stellte meine Füsse auf
einen Fels, dass ich gewiss treten kann.
Psalm 49, 15. Sie liegen in der Hölle wie Schafe,
der Tod naget sie; aber die Frommen werden gar bald über sie
herrschen, und ihr Trotz muss vergehen, in der Hölle müssen sie
bleiben. 16. Aber Gott wird meine Seele erlösen aus der Höllen
Gewalt ; denn er hat mich angenommen. Sela,
26 Das Jüngste Gericht
Psalm 55, i6. Der Tod übereile sie und müssen lebendig
in die Hölle fahren; denn es ist eitel Bosheit unter ihrem
Herzen. — 24. Aber, Gott, Du wirst sie hinunterstossen
in die tiefe Grube.
Psalm 50, I. Gott, der Herr, der Mächtige redet und
ruft der Welt vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang.
2. Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes. 3. Unser Gott
kommt und schweiget nicht, fressend Feuer geht vor ihm her, und
um ihn her ein gross Wetter. 4. Er ruft Himmel und Erde,
dass er sein Volk richte. 5. Versammelt mir meine Heiligen,
die den Bund mehr achten, denn Opfer. 6. Und die Himmel
werden seine Gerechtigkeit verkünden ; denn Gott ist Richter.
Psalm 96, 13. Denn er kommt, denn er kommt zu
richten das Erdreich. Er wird den Erdboden richten mit
Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.
Sprüche 4, 4. Gut hilft nicht am Tage des Zorns, aber
Gerechtigkeit errettet vom Tode.
Prediger 12, 14. Denn Gott wird alle Werke vor Ge-
richt bringen, das verborgen ist, es sei gut oder böse.
Jesajas 2, 19. Da wird man in der Felsen Höhlen gehen
und in der Erde Klüften, vor der Furcht des Herrn und
seiner herlichen Majestät, wenn er sich aufmachen
wird, zu schrecken die Erde.
Jesajas 3, 13. Aber der Herr stehet da zu rechten und ist
aufgetreten, die Völker zu richten. 14. Und der Herr kommt
zum Gericht mit den Ältesten seines Volkes und mit
seinen Fürsten.
Jesajas 5, 14. Daher hat die Hölle die Seele weit
aufgesperrt und den Rachen weit aufgethan ohne alle
Maassen, dass hinunterfahren Beide, ihre Herrlichen und Pöbel,
Beide, ihre Reichen und Fröhlichen.
Jesajas 5, 25. Darum ist der Zorn des Herrn er-
grimmet über sein Volk und reckt seine Hand über sie
und schlägt sie, dass die Berge beben; und ihr Leichnam ist
wie Koth auf den Gassen. Und in dem Allen lässt sein Zorn nicht
ab, seine Hand ist noch ausgereckt.
Jesajas 9, 17. Seine Hand ist noch ausgereckt (so
auch Jes. 10, 4).
Jesajas 13, 6. Heulet, denn des Herrn Tag ist nahe; er
kommt wie eine Verwüstung vom Allmächtigen. 7. Darum werden
alle Hände lassund aller Menschen Herz wird feige sein. 8. Schrecken,
Angst und Schmerzen wird sie ankommen; es wird ihnen bange
sein wie einer Gebärerin , Einer wird sich vor dem Anderen ent-
setzen, feuerroth werden ihre Angesichter sein. 9. Denn siehe, des
Die Komposition und ihre Quellen 27
Herrn Tag kommt grausam, zornig, grimmig, das
Land zu verstören und die Sünden daraus zu ver-
tu <^en. 10. Denn die Sterne am Himmel und sein Orion scheinen
nicht helle; die Sonne gehet finster auf und der Mond scheinet
dunkel. 11. Ich will den Erdboden heimsuchen um seiner Bosheit
willen, und die Gottlosen um ihrer Untugend willen und will des
Hochmuthes der Stolzen ein Ende machen und die Hoffart der
Gewaltigen demüthigen . 13. Dann will ich den Himmel
bewegen, dass die Erde beben soll von ihrer Stätte
durch den Grimm des Herrn Zebaoth und durch den
Tag seines Zornes.
Jesajas 14, 26. Das ist die ausgereckte Hand über
alle Heiden. 27. Und seine Hand ist ausgereckt; wer will sie
wenden }
Jesajas 22, 5. Denn es ist ein Tag des Getümmels und
der Zertretung und der Verwirrung vom Herrn Zebaoth.
Jesajas 26, 19. Aber deine Todten werden leben
und mit dem Leichnam auferstehen. Wachet auf und
rühmet, die ihr liegt unter der Erde; denn dein Thau ist ein
Thau des grünen Feldes.
Jesajas 29, 18. Denn zur selbigen Zeit werden die Tauben
hören dieWorte desBuchs und dieAugen derBlinden
werden aus dem Dunkel und Finsterniss sehen.
Jesajas 30, 27. Siehe des Herrn Name kommt von ferne, sein
Zorn brennet und ist sehr schwer, seine Lippen sind
voll Grimms und seine Zunge wie ein verzehrend Feuer .
30. Und der Herr wird seine herrliche Stimme schallen lassen,
dass man sehe seinen ausgerecktenArmmitzornigem
Drohen und mit Flammen des verzehrenden Feuers.
Jesajas 30, 30. Und der Herr wird seine herrliche
Stimme schallen lassen, dass man sehe seinen ausge-
reckten Arm mit zornigem Drohen und mit Flammen
des verzehrenden Feuers, mit Strahlen, mit starkem Regen und mit
Hagel (bezieht sich auf Assurs Vernichtung).
Jesajas 35, 4. Sehet, euer Gott, der kommt zur Rache;
Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.
Jesajas 35, 10. Die Erlöseten des Herrn werden
wiederkommen, und gen Zion kommen mit Jauchzen; ewige
Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden
sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird weg müssen.
Jesajas 63, 4. Denn ich habe einen Tag der Rache mir
vorgenommen.
Jesajas 66, 14. Da wird man erkennen die Hand des
Herrn an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.
Das Jüngste Gericht
15. Denn siehe, der Herr wird kommen mit Feuer, und seine
Wagen wie ein Wetter, dass er vergelte im Grimme seines
Zornes und sein Schelten in Feuerflammen.
Hesekiel 7, 8. Nun will ich bald meinen Grimm über dich
schütten und meinen Zorn an dir vollenden; und will dich richten,
wie du verdient hast.
Hesekiel Z7 ^ i- Und des Herrn Hand kam über mich und
führete mich hinaus im Geist des Herrn, und stellete mich auf ein
Feld, das voller Gebeine lag. 2. Und er führte mich allenthalben
dadurch. Und siehe des Gebeines lag sehr viel auf dem Felde ;
und siehe sie waren sehr verdorret. 3. Und er sprach zu mir: Du
Menschenkind, meinest du auch, dass diese Beine wieder lebendig
werden.? Und ich sprach: Herr, Herr, das weisst Du wohl. 4. Und
er sprach zu mir : Weissage von diesen Beinen und sprich zu ihnen :
Ihr verdorreten Beine, höret des Herren Wort! 5. So spricht der
Herr Herr von diesen Gebeinen: Siehe, Ich will einen Odem in euch
bringen, dass ihr sollt lebendig werden. 6. Ich will euch Adern
geben, und Fleisch lassen über euch wachsen, und
mitHaut überziehen; und will euch Odem geben, dass
ihr wieder lebendig werdet; und sollt erfahren, dass Ich der
Herr bin. 7. Und ich weissagte, wie mir befohlen war ; und siehe,
da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich ; und die
Gebeine kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebeine.
8. Und ich sähe, und siehe, es wuchsen Adern und Fleisch darauf,
und er überzog sie mit Haut ; es war aber noch kein Odem in
ihnen. 9. Und er sprach zu mir : Weissage zum Winde ; weissage,
du Menschenkind , und sprich zum Winde : so spricht der Herr
Herr: Wind, komm herzu aus den vier Winden und blase diese
Getödteten an, dass sie wieder lebendig werden! 10. Und ich weis-
sagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam Odem in sie, und sie
wurden wieder lebendig und richteten sich auf ihre Füsse. Und
ihrer war ein sehr gross Heer.
Daniel 7, 13. Ich sähe in diesem Gesicht des Nachts, und
siehe , es kam Einer in des Himmels Wolken wie eines
Menschen Sohn bis zu dem Alten und ward vor Denselbigen
gebracht. 14. Der gab ihm Gewalt, Ehre und Reich, dass ihm alle
Völker, Leute und Zungen dienen sollten.
Daniel 12, 2. Und Viele, so unter der Erde schlafen
liegen, werden aufwachen; Etliche zum ewigen Leben, Et-
liche zur ewigen Schmach und Schande. Die Lehrer aber werden
leuchten wie des Himmels Glanz ; und Die , so Viele zur Gerech-
tigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewigHch. — — 13. Du
aber, Daniel, gehe hin, bis das Ende komme; und ruhe,
dass du aufstehest in deinem Theil am Ende der Tage.
Die Komposition und ihre Quellen 29
Joel I, 15. O wehe des Tages ! Denn der Tag des Herrn
ist nahe und kommt wie ein Verderben vom Allmäch-
tigen.
Joel 2, I. Blaset mit den Posaunen zu Zion, rufet auf meinem
heiligen Berge ; denn der Tag des Herrn kommt und ist nahe.
10. Vor ihm erzittert das Land und bebet der Himmel ; Sonne
und Mond werden finster und die Sterne verhalten ihren Schein.
II. Denn der Herr wird seinen Donner vor seinem Heer lassen
hergehen: denn sein Heer ist sehr gross und mächtig,
welches seinen Befehl wird ausrichten; denn der Tag des
Herrn ist gross und sehr erschrecklich: wer kann ihn leiden?
Joel 2,4. Der grosse und schreckliche Tag des Herrn.
Joel 3, 19. Denn des Herrn Tag ist nahe im Thal des
Urtheils. 20. Sonne und Mond werden verfinstert und die Sterne
werden ihren Schein verhalten. 21. Und der Herr wird aus Zion
brüllen und aus Jerusalem seine Stimme lassen hören, dass
Himmel und Erde beben wird.
Sacharja 14, 5. Da wird dann kommen derHerr, mein
Gott, und alle Heilige mit Dir. 6. In der Zeit wird kein
Licht sein, sondern Kälte und Frost. 7. Und wird ein Tag sein,
der dem Herrn bekannt ist, weder Tag noch Nacht u. s. w.
Maleachi 4, 5. Siehe ich will euch senden den Propheten
Elia, ehe denn da komme der grosse und schreckliche
Tag des Herrn.
Weisheit Salomonis 5, 2. Wenn dieselbigen dann solches sehen,
werden sie grausam erschrecken vor solcher Selig-
keit, der sie sich nicht versehen hätten. 3. Und werden unter
einander reden mit Reue und vor Angst des Geistes seufzen : das
ist Der, welchen wir etwa für einen Spott hatten und für ein höhnisch
Beispiel.
Weisheit 5, 16. Aber die Gerechten werden ewiglich leben;
und der Herr ist ihr Lohn, und der Höchste sorget für sie. 17. Dar-
um werden sie empfangen ein herrliches Reich und eine schöne
Krone von der Hand des Herrn. Denn er wird sie mit seiner
Rechten beschirmen und mit seinem Arm vertheidigen. 18. Er
wird seinen Eifer nehmen zum Harnisch und wird die Kreatur
rüsten zur Rache über die Feinde. 19. Er wird Gerechtigkeit an-
ziehen zum Krebs und wird das ernste Gesicht aufsetzen zum Helm.
20. Er wird Heiligkeit nehmen zum unüberwindlichen Schilde.
21. Er wird den strengen Zorn wetzen zum Schwert,
und die Welt wird mit ihm zum Streit ausziehen wider die Un-
weisen. 22. Die Geschosse der Blitze werden gleich zu-
treffen und werden aus den Wolken, als von einem hartgespannten
Bogen, fahren zum Ziel.
30 Das Jüngste Gericht
Weisheit 6, 6. Er wird gar greulich und kurz über euch
kommen und es wird gar ein scharf Gericht geben über die Ober-
herren. 7. Denn dem Geringen widerfährt Gnade; aber die Ge-
waltigen werden gewaltigHch bestraft werden.
Sirach 18, 24. Gedenke an den Zorn, der am Ende kommen
wird, und an die Rache, wenn du davon musst.
Sirach 21, 2. Fliehe vor der Sünde, wie vor einer
Schlange: denn so du ihr zu nahe kommst, sticht sie dich.
B. Das Neue Testament.
Matth. 7, 22. Es werden Viele zu mir sagen an jenem Tage:
Herr, Herr, haben wir nicht in Deinem Namen geweissaget } Haben
wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben } Haben wir nicht
in Deinem Namen viele Thaten gethan.? 23. Dann werde ich
ihnen bekennen: ich habe euch noch nie erkannt,
weichet Alle von mir, ihrÜbelthäter (so auch Luk. 13, 27).
Matth. 8, II. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom
Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und
Jakob im Himmelreich sitzen. 12. Aber die Kinder
des Reichs werden ausgestossen in die äusserste
P^insterniss hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen
(^vgl. Luk. 13, 28: Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten).
Matth, 10, 15. Wahrlich, ich sage euch: dem Lande der So-
domer und Gomorrer wird es erträglicher ergehen am Jüngsten
Gericht, denn solcher Stadt (vgl. Mark. 6, 11. Luk. 10, 12).
Matth. II, 23. Und du, Kapernaum , die du bist erhoben an
den Himmel, du wirst bis in die Hölle hinuntergestossen
werden (so auch Luk. 10, 15).
Matth. 12, 36. Ich sage euch aber, dass die Menschen müssen
Rechenschaft geben am Jüngsten Gericht von einem jeg-
lichen unnützen Wort, das sie geredet haben.
Matth. 12, 41. Die Leute von Ninive werden auftreten
am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es ver-
dammen; denn sie thaten Busse nach der Predigt Jonas. Und
siehe, hier ist mehr denn Jonas. 42. Die Königin von Mittag
wird auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und
wird es verdammen ; denn sie kam vom Ende der Erde , Salomos
Weisheit zu hören. Und siehe , hier ist mehr , denn Salomo (so
auch Luk. 11, 31).
Matth. 13, 37. Des Menschen Sohn ist es, der da guten Samen
säet. 38. Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder
des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit. 39. Der
Feind, der sie säet, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende
der Welt. Die Schnitter sind die Engel. 40. Gleichwie
Die Komposition und ihre Quellen 3 1
man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt: so wird
es auch am Ende dieser Welt gehen. 41. Des Menschen Sohn
wird seine Engel senden; und sie werden sammeln aus seinem
Reich alle Ärgernisse und die da Unrecht thun. 42. Und wer-
den sie in den Feuerofen werfen: da wird sein Heulen und
Zähneklappen. 43. Dann werden die Gerechten leuchten
wie die Sonne in ihres Vaters Reich.
Matth. 13, 49. Also wird es auch am Ende der Welt gehen.
Die Engel werden ausgehen und die Bösen von den
Gerechten scheiden. 50. Und werden sie in den Feuerofen
werfen, da wird Heulen und Zähneklappen sein.
Matth. 16, 27. Denn es wird ja geschehen, dass des Men-
schen Sohn komme in der Herrlichkeit seines Vaters,
mit seinen Engeln (so auch Mark. 8, 38); und alsdann wird er einem
Jeglichen vergelten nach seinen Werken. 28. Wahrlich, ich sage
euch : es stehen Etliche hier, die nicht schmecken werden den Tod,
bis dass sie des Menschen Sohn kommen sehen in seinem Reich
(dasselbe Mark. 9, i. Luk. 9, 27).
Matth. 18, 34. Und sein Herr ward zornig und überantwortete
ihn den Peinigern, bis dass er bezahlete Alles, was er ihm schuldig
war. 35. Also wird euch mein himmlischer Vater auch thun, so
ihr nicht vergebet von euren Herzen, ein Jeghcher seinem Bruder
seine Fehler.
Matth. 19, 28. WahrHch, ich sage euch, dass ihr, die ihr mir
seid nachgefolget in der Wiedergeburt, da des Menschen Sohn
wird sitzen auf dem Stuhle seiner Herrlichkeit,
werdet ihr auch sitzen auf zwölf Stühlen und richten
die zwölf Geschlechter Israels (vgl. das Sitzen zur Rechten
und Linken 20, 23 ; auch bei Luk. 22, 30).
Matth. 22, 30. In der Auferstehung werden sie weder
freien noch sich freien lassen ; sondern sie sind gleichwie
die Engel Gottes im Himmel.
Matth. 23, 19. Denn ich sage euch: ihr werdet mich von jetzt
an nicht sehen, bis ihr sprechet : Gelobet sei, der da kommt
im Namen des Herrn (so auch Luk. 13, 25).
Matth. 23, 35. Auf dass über euch komme alle das
gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blut an
des gerechten Abel bis auf's Blut Zacharias , Barachias Sohn
(vgl. Luk. II, 49: Aller Propheten Blut).
Matth. 24, 3 — 27. Die Vorereignisse -des Jüngsten Gerichtes.
27. Denn gleichwie der Blitz aufgehet vom Aufgang
und scheinet bis zum Niedergang; also wird auch sein die
Zukunft des Menschensohnes. — 29. Bald aber nach der Trüb-
sal derselbigen Zeit werden Sonne und Mond ihren Schein ver-
32 Das Jüngste Gericht
Heren, und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte
der Himmel werden sich bewegen. 30. Und alsdann wird er-
scheinen das Zeichen des Menschensohnes im Himmel. Und als-
dann werden heulen alle Geschlechter auf Erden, und
werden sehen kommen des Menschen Sohn in den
Wolken des Himmels, mit grosser Kraft und Herrlich-
keit. 31. Und er wird senden seine Engel mit hellen
Posaunen; und sie werden sammeln seine Auserwählten von den
vier Winden , von einem Ende des Himmels zu dem anderen. —
36. Von dem Tage aber und der Stunde weiss Niemand, auch die
Engel nicht im Himmel, sondern allein mein Vater (vgl. Mark. 13,
5 — 27; Luk. 21, 8 — 28).
Matth. 25, 30. Und den unnützen Knecht werfet in
die äusserste Finsterniss hinaus, da wird sein Heulen und
Zähneklappen.
Matth. 25, 31. Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird
in seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit ihm, dann wird
er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit; 32. und werden vor
ihm alle Völker versammlet werden. Und er wird sie von ein-
ander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken
scheidet; 33. und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und
die Böcke zu seiner Linken. 34. Da wird dann der König sagen
zu Denen zu seiner Rechten: kommet her, ihr Gesegneten
meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist
von Anbeginn der Welt. — — 41. Dann wird er auch sagen zu
Denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten,
in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen
Engeln. — — 46. Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber
die Gerechten in das ewige Leben.
Matth. 26, 64. Doch sage ich euch: von nun an wird es ge-
schehen , dass ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur
Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Him-
mels (so auch Mark. 14, 62).
Matth. 27, 52. Und die Erde erbebte und die Felsen zer-
rissen und die Gräber thaten sich auf und standen auf
viele Leiber der Heiligen, die da schliefen.
Matth. 28, 18. Mir ist gegeben alle Gewalt im Him-
mel und auf Erden.
Mark. 9, 43, 44. Und fahrest in die Hölle, in das
ewige Feuer, da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer
nicht verlöscht.
Luk. 3, 17. Und er wird seine Tenne fegen und wird
den Weizen in seine Scheuer sammeln, und die Spreu wird
er mit ewigem Feuer verbrennen.
Die Komposition und ihre Quellen 33
Luk. 9, 26. Wann er kommen wird in seiner Herrlichkeit und
seines Vaters und der hl. Engel.
Luk. 10, 18. Ich sehe wohl den Satanas vom Himmel
fallen als einen Blitz.
Luk. 12, 8. Wer mich bekennt vor den Menschen, Den wird
auch des Menschen Sohn bekennen vor den Engeln Gottes. 9. Wer
mich aber verleugnet vor den Menschen, Der wird verleugnet werden
vor den Engeln Gottes.
Luk. 21, 28. Wenn aber Dieses anfängt zu geschehen, so
sehet auf und hebet eure Häupter auf darum, dass sich
eure Erlösung nahet.
Luk. 21, 35. Denn wie ein Fallstrick wird er (der Tag)
kommen über Alle, die auf Erden wohnen.
Luk. 23, 29. Denn siehe es wird die Zeit kommen, in welcher
man sagen wird : Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die
nicht geboren haben und die Brüste , die nicht gesäugt haben.
30. Dann werden sie anfangen zu sagen zu den Bergen:
fallet über uns! und zu den Hügeln: decket uns!
Luk. 23, 40 — 43. Der gute Schacher.
Luk. 24, 49. Bis dass ihr angethan werdet mit Kraft
aus der Höhe.
Joh. 3, 19. Das ist aber das Gericht, dass das Licht
in die Welt gekommen ist; und die Menschen liebten die
Finsterniss mehr , denn das Licht. Denn ihre Werke waren böse.
Joh. 3, 31. Der von oben her kommt, ist über Alle.
Joh. 3, 36. Wer dem Sohne nicht glaubet, der wird das Leben
nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.
Joh. 5, 22. Denn der Vater richtet Niemand, sondern alles
Gericht hat er dem Sohne gegeben.
Joh. 5, 25. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die
Stunde und ist schon jetzt, dass die Todten werden die
Stimme des Sohnes Gottes hören; und Die sie hören
werden, Die werden leben. — 27. (Der Vater) hat ihm Macht ge-
geben, auch das Gericht zu halten, darum, dass er des Menschen
Sohn ist. 28. Verwundert euch dess nicht, denn es kommt die
Stunde, in welcher Alle, die in den Gräbern sind, werden
seine Stimme hören und werden hervorgehen, die da Gutes
gethan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übels gethan
haben, zur Auferstehung des Gerichts.
Joh. 5, 45. Ihr sollt nicht meinen, dass ich euch vor dem
Vater verklagen werde. Es ist Einer, der euch verklagt,
der Moses, auf welchen ihr hoffet.
Joh. 6, 39. Das ist aber der Wille des Vaters, der mich ge-
sandt hat, dass ich Nichts verliere von Allem, das er mir ge-
34 Das Jüngste Gericht
geben hat, sondern dass ich es auferwecke am Jüngsten
Tage.
Joh. 12, 48. Wer mich verachtet und nimmt meine Worte
nicht auf, Der hat schon, der ihn richtet; das Wort, welches ich
geredet habe, wird ihn richten am Jüngsten Tage.
Joh. 14, 3. Und ob ich hinginge, euch die Stätte zu bereiten,
will ich doch wiederkommen und euch zu mir nehmen,
auf dass ihr seid, wo ich bin.
Joh. 14, 19. Es ist noch um ein Kleines, so wird mich die
Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe,
und ihr sollt auch leben.
Joh. 15, 7. So ich aber hingehe, will ich ihn (den Tröster) zu
euch senden. 8. Und wenn Derselbe kommt, der wird die
Welt strafen um die Sünde und um die Gerechtigkeit
und um das Gericht.
Apost. 2, 20. — ehe denn der grosse und offenbar-
liche Tag des Herrn kommt.
Apost. 2, 27. David spricht: „denn Der wird meine Seele
nicht in der Hölle lassen, auch nicht zugeben, dass dein
Heiliger die Verwesung sehe."
Apost. 10, 42. Und er hat uns geboten zu predigen dem Volk,
und zu zeugen, dass er ist verordnet von Gott ein Richter
der Lebendigen und der Todten.
Apost. 17, 31. Darum, dass er einen Tag gesetzt hat, auf
welchen er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit
durch einen Mann, in welchem er es beschlossen hat, und Jeder-
mann vorhält den Glauben, nachdem er ihn hat von den Todten
auferweckt.
Apost. 24, 15. Und habe die Hoffnung zu Gott, auf welche
auch sie selbst (die Väter) warten, dass zukünftig sei die Auf-
erstehung der Todten, beides der Gerechten und Un-
gerechten.
Rom. I, 18. Denn Gottes Zorn vom Himmel wird ge-
offenbaret über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der
Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten.
Rom. 2, 5. Du aber nach deinem verstockten und unbuss-
fertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des
Zornes und de r Offenbarung des gerechten Gerichtes
Gottes, 6. welcher geben wird einem Jeglichen nach seinen
Werken: 7. Nämlich Preis und Ehre und unvergängliches Wesen
Denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen
Leben; 8. aber Denen, die zänkisch sind und der Wahrheit nicht
gehorchen, gehorchen aber dem Ungerechten, Ungnade und Zorn;
9. Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses
Die Komposition und ihre Quellen 35
thun, vornehmlich der Juden und auch der Griechen; 10. Preis
aber und Ehre und Friede allen Denen, die da Gutes thun, vor-
nehmlich den Juden und auch den Griechen. — 16. Auf den Tag,
da Gott das Verborgene der Menschen durch Jesum Christum
richten wird, laut meines Evangelii.
Rom. 4. Über Abraham, der durch den Glauben gerecht-
fertigt ward. 17. Wie geschrieben stehet: Ich habe dich gesetzt
zum Vater vieler Heiden, vor Gott, dem du geglaubet hast, der
da lebendig macht die Todten und ruft dem, das nicht ist,
dass es sei.
Rom. 5, 14. Wie Adam, welcher ist ein Bild Dess, der zu-
künftig war.
Rom. 14, 10. Wir werden Alle vor dem Richterstuhl Christi
dargestellet werden.
I. Kor. 6, 2. Wisset ihr nicht, dass die Heiligen die
Welt richten werden.'' So denn nun die Welt soll von euch
gerichtet werden ; seid ihr denn nicht gut genug, geringere Sachen
zu richten }
I. Kor. 15. Das Kapitel über die Auferstehung. 21. Sinte-
malen durch einen Menschen der Tod und durch einen Menschen
die Auferstehung der Todten kommt. 22. Denn gleichwie sie in
Adam Alle sterben; also werden sie in Christo Alle lebendig ge-
macht werden. 23. Ein Jeglicher aber in seiner Ordnung. Der
Erstling Christus. Danach, die Christo angehören, wenn er kommen
wird. 24. Danach das Ende , wenn er das Reich Gott und dem
Vater überantworten wird, wenn er aufheben wird alle Herrschaft
und alle Obrigkeit und alle Gewalt. 25. Er muss aber herrschen,
bis dass er alle seine Feinde unter seine Füsse lege. 26. Der
letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod.
1. Kor. 15, 35. Möchte aber Jemand sagen: wie werden
die Todten auferstehen.'^ Und mit welcherlei Leibe werden
sie kommen.?' 36. Du Narr, das du säest, wird nicht lebendig, es
sterbe denn u. s. w. 44. Es wird gesäet ein natürlicher Leib und
wird auferstehen ein geisthcher Leib. — 49. Und wie wir getragen
haben das Bild des irdischen: also werden wir auch tragen das
Bild des himmlischen. — 51. Siehe ich sage euch ein Geheimniss:
Wir werden nicht Alle entschlafen, wir werden aber Alle verwandelt
werden: 52 und dasselbe plötzlich in einem Augenblick zu der Zeit
der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen und die
Todten werden auferstehen unverweslich und wir werden verwandelt
werden.
2. Kor. 5, 10. Denn wir müssen Alle offenbar werden vor
dem Richterstuhl Christi, auf dass ein Jeglicher empfange,
nach dem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse.
3*
36 Das Jüngste Gericht
I. Thess. 4, 16. Denn er selbst, derHerr,wird mit einem
Feldgeschrei und Stimme des Erzengels und mit der
Posaune Gottes hernieder kommen vom Himmel, und die
Todten in Christo werden auferstehen zuerst. 17. Darnach wir,
die wir leben und überbleiben, werden zugleich mit Den-
selbigen hingerückt werden in den Wolken dem Herrn
entgegen in der Luft, und werden also bei dem Herrn sein
allezeit.
1. Thess. 5, 2. Denn ihr selbst wisst gewiss, dass der Tag
des Herrn wird kommen, wie ein Dieb in der Nacht.
2. Thess. I, 7. Euch aber, die ihr Trübsal leidet, Ruhe mit
uns, wenn nun der Herr Jesus wird ge offenbart werden
vom Himmel samt den Engeln seiner Kraft; 8. Und mit
Feuerflammen, Rache zu üben über Die, so Gott nicht erkennen
und über Die, so nicht gehorsam sind dem Evangelio unsres Herrn
Jesus Christus. 9. Welche werden Pein erleiden, das
ewige Verderben von dem Angesicht des Herrn und
von seiner herrlichen Macht. 10. Wenn er kommen wird,
dass er herrlich erscheine mit seinen Heiligen und
wunderbar mit allen Gläubigen.
2. Thess. 2, 3. Denn er kommt nicht, es sei denn, dass zuvor
der Abfall komme und geoffenbart werde der Mensch der Sünde
und das Kind des Verderbens. — 8. Und alsdann wird der Bos-
haftige geoffenbart werden , welchen der Herr umbringen
wird mit dem Geist seines Mundes, und wird seiner ein
Ende machen durch die Erscheinung seiner Zukunft.
1. Petri 2, 9. Der Herr weiss die Gottseligen aus der Ver-
suchung zu erlösen, die Ungerechten aber zu behalten zum Tage
des Gerichts zu peinigen.
2. Petri 3, 7. Also auch der Himmel jetzund und die Erde
werden durch sein Wort gesparet , dass sie zum Feuer behalten
werden am Tage des Gerichts und Verdammniss der gott-
losen Menschen.
2. Petri 3, 10. Es wird aber des Herrn Tag kommen als ein
Dieb in der Nacht, in welchem die Himmel zergehen
werden mit grossem Krachen, die Elemente aber werden
von Hitze zerschmelzen und die Erde und die Werke, die darinnen
sind, werden verbrennen. — 13. Wir warten aber eines neuen
Himmels und einer neuen Erde, nach seiner Verheissung, in welcher
Gerechtigkeit wohnet.
Ebr. II, 17 ff. Wird die Liste der Gläubigen gegeben: Abraham,
Isaak, Jakob, Joseph, Moses, Rah ab, Gideon, Barak,
Simson, Jephtah, Daniel, Samuel, die Propheten.
Ebr. 12, 23. (Ihr seid gekommen) zu der Gemeine der Erst-
Die Komposition und ihre Quellen 37
geborenen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem
Richter über Alle , und zu den Geistern der vollkommenen
Gerechten und zu dem Mittler des Neuen Testamentes Jesu.
Judä 14. Es hat aber auch von Solchen geweissaget Enoch ,
der siebente von Adam, und gesprochen: Siehe, der Herr
kommt mit vielen tausend Heiligen, 15. Gericht zu halten
über Alle und zu strafen alle ihre Gottlosen, um alle Werke ihres
gottlosen Wandels, damit sie gottlos gewesen sind, und um all
das Harte, das die gottlosen Sünder wider ihn geredet haben.
Apok. I, 7. Siehe, er kommt mit den Wolken; und es
werden ihn sehen alle Augen, und die ihn gestochen haben ; u n d
werden heulen alle Geschlechter der Erde.
Apok. Passim : das Buch des Lebens.
Apok. 6, 16. Und sprechen zu den Bergen: fallet
auf uns und verberget uns vor dem Angesicht Dess, der
auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes. 17. Denn
er ist gekommen der grosse Tag seines Zornes und wer kann
bestehen }
Apok. 8, 2. Und ich sähe sieben Engel, die da traten vor
Gott; und ihnen wurden sieben Posaunen gegeben. — 13. Und
ich sah und hörte einen Engel fliegen mitten durch den Himmel
und sagen mit grosser Stimme: Wehe, wehe, wehe Denen, die auf
Erden wohnen.
Apok. II, 13. (Die zween Zeugen.) Und sie höreten eine
grosse Stimme vom Himmel zu ihnen sagen : Steiget herauf. Und
sie stiegen auf in den Himmel in einer Wolke.
Apok. II, 18. Und es ist gekommen Dein Zorn und
die Zeit derTodten, zu richten und zu geben den Lohn Deinen
Knechten, den Propheten und den Heiligen, und Denen,
die Deinen Namen fürchten, den Kleinen und den Grossen; und zu
verderben, die die Erde verderbet haben.
Apok. 12, 7 ff. Der Streit Michaels und seiner Engel mit dem
Drachen (Satanas). 9. Und ward geworfen auf die Erde,
und seine Engel wurden auch dahin geworfen.
Apok. 14, 6. Und ich sähe einen Engel fliegen mitten
durch den Himmel, der hatte ein ewig Evangelium, zu ver-
kündigen Denen , die auf Erden sitzen und wohnen , und allen
Heiden und allen Geschlechtern und Sprachen und Völkern, 7. und
sprach mit grosser Stimme : Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre,
denn die Zeit seines Gerichtes ist gekommen.
Apok. 16, 14. Und sind Geister der Teufel; die thun
Zeichen und gehen aus zu den Königen auf Erden und auf den
ganzen Kreis der Welt, sie zu versammeln in den Streit auf
jenen grossen Tag Gottes des Allmächtigen.
38 Das Jüngste Gericht
Apok. 20, 4. Und ich sähe Stühle, und sie setzten sich dar-
auf, und ihnen ward gegeben das Gericht.
Apok. 20, 12, Und ich sähe die Todten, beide, gross und
klein, stehen vor Gott; und die Bücher wurden aufgethan
und ein ander Buch ward aufgethan, welches ist des
Lebens. Und die Todten wurden gerichtet nach der
Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. 13. Und das
Meer gab die Todten, die darinnen waren; und der Tod und die
Hölle gaben die Todten, die darinnen waren : und wir werden ge-
richtet werden, ein Jeglicher nach seinen Werken. 14. Und der
Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das
ist der andere Tod. 15. Und so Jemand nicht ward erfunden ge-
schrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den
feurigen Pfuhl.
Selbst bei einem flüchtigen Überblick über diese Stellen wird
es Jedem sofort erkenntlich, wie unmittelbar Michelangelo sich von
der Bibel hat inspiriren lassen und wie genau er alle wichtigen auf
das Jüngste Gericht bezüglichen Stellen gekannt hat. Erkenntlich
aber auch, wie für seine Konzeption in Sonderheit das Alte Testa-
ment maassgebend gewesen ist. So wie er ihn darstellt, hatte
Jesajas den königlichen Richter am Tage des Zornes und Grimmes
und der Rache erschaut mit dem in furchtbarem Drohen ausgereckten
Arm: den Heerführer mit seinem grossen und mächtigen himm-
lischen Heer (l. Kön. 22, 19. Joel 2, i.), der seine starken Engel
zum Kampfe aussendet. Es ist ein Kriegszug, der auf dunklen
Wolken, dem Gezelte des Königs (Ps. 18, 5), unter Donner und
Blitzen furchtbar herannaht, von Posaunen und von Feldgeschrei
umdröhnt, nicht die Gerichtssitzung, welche in den Evangelien und
Episteln jener aus dem Alten Testament genommenen Vorstellung
gesellt wird. Michelangelo kehrt zu der Uranschauung zurück : das
Gericht als kriegerisch gewaltsamen Vernichtungsakt. Die nicht mit-
kämpfenden, aber miterlebenden Gefolgsleute sind die Altesten seines
Volkes und seine Fürsten (Jes. 3, 14), sind die Heiligen (Ps. 50, 5),
alle Heiligen (Sach. 14, 5), — die Heiligen und Gläubigen, wie es
2. Thess. I, 10 heisst. Aus vielen Tausenden besteht ihre Zahl
(Judae 14). Und sie werden mit richten (i. Kor. 6, 2), sie werden
verdamrnen — werden doch selbst die Leute von Ninive und die
Königin von Mittag am Jüngsten Gericht auftreten und verdammen
(Matth. 12, 41). Es war aus dieser Stelle und aus der anderen
(Matth. 23, 35): ,,auf dass über euch komme alle das gerechte
Blut, das vergossen ist auf Erden" und aus der Erwähnung des
Moses ,,als Verkläger" bei Joh. 5, 45, dass Michelangelo das Motiv
seiner in die Handlung mit eingreifenden Märtyrer gewann.
Die Komposition und ihre Quellen -in
Auch die anderen entscheidenden Momente der Komposition
aber sind auf die unmittelbare Anregung seitens der Bibel zurück-
zuführen. So der Sturz der Verdammten — ,,du wirst sie hinunter-
stossen in die tiefe Grube" heisst es Ps. 55, 24, „du wirst bis in
die Hölle hinunter gestossen werden" bei Matth. 8, 1 1 — und das
Emporschweben der Erlösten: „sie werden hingerückt werden in
den Wolken dem Herrn entgegen in der Luft" (i. Thess. 4, 16,
vgl. Apok. II, 12: „sie stiegen auf in den Himmel in einer Wolke").
Vielleicht dass Michelangelo auch ein Hymnus bekannt war, wie
der von Daniel (Thesaurus hymnologicus I, S. 137, CV) publizirte
,,in exequiis defunctorum", in dem es heisst (17):
Quae pigra cadavera pridem
Tumulis putrefacta jacebant,
Volucres rapientur in auras
Animas comitata priores.
Für die Schilderung der Auferstehung geben, abgesehen von
der bekannten Vision Ezechiels (37), Stellen die Bestimmung wie
Ps. 40, 3 : ,,und zog mich aus der grausamen Grube und stellte
meine Füsse auf einen Fels", Hiob 19, 25: „und er wird mich her-
nach aus der Erde auferwecken und werde darnach mit dieser
meiner Haut umgeben werden", Jes. 26, 19: ,,aber deine Todten
Vv'erden leben und mit dem Leichnam auferstehen", Ps. 18, 5 : „die
Erde bebete und ward bewegt und die Grundvesten der Erde
regeten sich", Jes. 2, 19: „da wird man in der Felsen Höhlen
gehen und in der Erde Klüften", Matth. 27, 52: ,, und die Felsen
zerrissen und die Gräber thaten sich auf", Luk. 21, 28: „so sehet
auf und hebet eure Häupter auf", Luk. 23, 30: „dann werden sie
anfangen zu sagen zu den Bergen: fallet über uns! und zu den
Hügeln: decket uns!", Joh. 5. 28: „Alle, die in den Gräbern sind,
werden seine Stimme hören".
Die Siebenzahl der posaunenblasenden Engel — statt der Vier-
zahl in den älteren Darstellungen — entnahm der Künstler, wie
schon Vasari und Condivi bemerkten, der Apokalypse (8, 2), die
auch in ihrer an alttestamentarische Stellen (Buch der Lebendigen,
2. Mos, 32, 32; Ps. 69, 29; Dan. 12, i ; vgl. Luk. 10, 20; Phil. 4, 3;
Offenb. passim) anschliessenden Erwähnung der Bücher, nach denen
gerichtet wird, bestimmend für seine Darstellung von zwei Büchern
ward (Offenb. 20, 12: und die Bücher wurden aufgethan , und ein
ander Buch ward aufgethan, welches ist das Buch des Lebens. Und
die Todten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern).
Nächst der Bibel kommt als Quelle der Inspiration für den
Künstler vielleicht des hl. Hieronymus Gedicht von den 1 5 Zeichen
40
Das Jüngste Gericht
des Jüngsten Tages (s. hierüber A. Springer: Rep. f. Kunstw. VII,
378) in Betracht, in welchem Christus so zornig geschildert wird,
.,dass die eigene Mutter Heber der Hölle Pein ertragen möchte,
als sein Antlitz". In höherem Grade aber des Thomas a Celano
Hymnus — ein anderer (Daniel: Thes. I., S. 194, CLXI) hält sich
getreu an die biblischen Stellen — , der Hymnus : Dies irae, dies illa.
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla
Teste David cum Sibylla.
Ouantus tremor est futurus,
Quando judex est venturus,
Cuncta stricte discussurus?
Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum,
Coget omnes ante tlironum.
Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura,
ludicanti responsura.
Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus judicetur.
Judex ergo cum sedebit,
Quidquid latet, apparebit,
Nil inultum remanebit.
Quid sum miser tunc dicturus,
Quem patronum rogaturus,
Cum vix justus sit securus ?
Rex tremendae majestatis,
Qui salvandos salvas gratis,
Salve me fons pietatis.
Recordare, Jesu pie
Quod sum causa tuae viae:
Ne me perdas illa die.
Quaerens me sedisti lassus,
Redemisti crucem passus:
Tantus labor non sit cassus.
Juste judex ultionis
Donum fac remissionis
Ante diem rationis.
Ingemisco tanquam reus,
Culpa rubet vultus meus :
Supplicanti parce Deus.
Qui Mariam absolvisti.
Et latronem exaudisti,
Mihi quoque spem dedisti.
Preces meae non sunt dignae,
Sed tu bonus fac benigne,
Ne perenni cremer igne.
Inter oves locum praesta
Et ab hoedis me sequestra,
Statuens in parte dextra.
Confutatis maledictis,
Flammis acribus addictis;
Voca me cum benedictis.
Oro supplex et acclinis
Con contritum quasi cinis:
Gere curam neci finis.
Lacrimosa dies illa.
Qua resurget ex favilla
ludicandus homo reus :
Huic ergo parce Deus !
Pie Jesu Domine
Dona eis requiem. Amen.
III. Die Inspiration durch Dante?
Wie weit nun ist neben den entscheidenden Einflüssen seitens
der Bibel, zu denen sich die der Hymnen gesellen mögen, auch Dante
Die Komposition und ihre Quellen 41
für die Gestaltung der Komposition maassgebend geworden ? In
wie weit darf man, des Dichters allgemeine Einwirkung auf den-
Künstler, wie es sich von selbst versteht, zugegeben, direkte An-
lehnungen im Einzelnen feststellen ? Es gilt, Kailabs und Steinmanns
Behauptungen zu prüfen.
/. Christus tind die Heiligen.
1. Dass, wie Steinmann will, für die Auffassung Christi als
des furchtbaren Rächers zwei Stellen im Paradiso
(XXI, 140; XXII, 13) mitgewirkt, scheint mir ganz ausge-
schlossen. Was v/ill die kurze Erwähnung der ,, Vendetta"
in ihnen bedeuten neben allen biblischen Stellen }
2. Die Anordnung der Heiligen in konzentrischen
Kreisen. Von Steinmann auf Par. XXXI, i und 2 zurück-
geführt :
In forma adunque di Candida rosa
Mi si mostrava la miüzia santa.
Diese Beziehung darf man allenfalls gelten lassen, obgleich
die Anordnung sich aus rein künstlerischen Gründen und,
wie wir sehen werden, aus der Feststellung der ,, Chöre" von
selbst ergeben musste.
3. Die bedeutungsvolle Gegenüberstellung von Adam
und Petrus wird von Kailab und Steinmann aus Par. XXXII,
121 — 126 erklärt, wo sie links und rechts von Maria erscheinen.
Die Anlehnung ist wohl denkbar.
4. Das allgemeine Schema: zur Rechten Marias die
Heiligen des Alten Bundes, zur Linken die des
Neuen Bundes könnte, wie Kailab bemerkt, aus der
allgemeinen Sonderung, die im XXXII. Gesänge des Para-
diso angegeben wird , hervorgegangen sein. Aber freilich
sehen wir hier Maria und Johannes d. T. sich gegenüber-
gestellt.
5. Das Motiv des er zur nten Petrus. Kailab lässt Michel-
angelo hier inspirirt sein durch Par. XXVII, 16 — 27, wo
Petrus seinen Zorn über die Verderbtheit der Päpste aus-
lässt. Ich halte die Annahme einer solchen Beziehung ' für
möglich, nicht aber für nothwendig. Es ist der Pförtner des
Himmels , der ebenso wie Bartholomäus und die anderen
Märtyrer, seine Stimme gegen die Sünder geltend macht.
6. Die Frau, zu der eine andere sich flüchtet, wird
von Kailab als Beatrice, christliche Theologie (nach Lan-
dino), gedeutet, unter deren schützendem Arm Rachel, die
Vita contemplativa, sich birgt. Wie Dante an seine himmlische
42 Das Jüngste Gericht
Führerin sich wende (Par. XXIII, 22), so hier Rachel. Diese
ganz willkürliche Deutung muss ich ebenso, wie die Stein-
manns auf Anna und Maria, zurückweisen. Näheres darüber
unten.
7. Die zwei Frauen hinter Adam und der alte Mann
mit Kappe werden von Steinmann Beatrice, Rahel und
Bernhard vonClairvaux genannt. Beatrice weise Bern-
hard auf den unten auferstehenden Dante hin und gebe ihm
die Weisung, Diesen zu geleiten, Rahel bekräftige diesen Auf-
trag. Der einzige Stützpunkt für diese Hypothese ist die
Thatsache, dass bei Dante (Par. XXXII, 8 und 9) Rahel und
Beatrice in der ,, himmlischen Rose" bei einander sitzen. Alles
Andere Fiktion. Die angebliche Beatrice schaut gar nicht auf
den sogenannten Bernhard und weist ihn daher auch nicht,
ebensowenig wie die Rahel Genannte, auf die Auferstehenden
hin. Der Alte ist in keiner Weise als Bernhard, sondern als
ein Patriarch gekennzeichnet. Und endlich, wie später zu
erwähnen, ist der Auferstehende unten nicht Dante.
8. Die zwei Bücher des Gerichtes. Steinmann hält für
möglich , dass Michelangelo nicht nur durch die Stelle der
Apokalypse, sondern auch durch die Verse Par. XIX, 113
und 114:
Com' e' vedranno quel volume aperto,
Nel quäl si scrivon tutt' i suoi dispregi.!"
bestimmt worden sei. Möglich , aber die Bibelstelle genügt
als Quelle vollständig.
2. Die Verdarnniten.
9. Der Sturz der Sünder erinnert Kailab und Steinmann
allgemein an den Gigantenkampf. Das ist richtig, aber die
Verse (Purg. XII, 28 ff.), die den zu Boden geschmetterten
Briareus nennen, haben keine Anregung gegeben.
10. Der Höllenbrodem dreht und reisst sie abwärts,
so beschreibt Kailab die Bewegungen der Stürzenden und findet
die Beziehung zu Inf. V, 31 — 33. Hier werden die Lussuriosi
geschildert , die rastlos hierhin und dorthin , nach oben und
nach unten vom Winde getrieben werden. Was hat damit
der Kampf und Sturz der Verdammten bei Michelangelo zu
thun ? Es handelt sich ja um ganz andere Motive der Be-
wegung. Nur durch einige, nach unten Getriebene, darunter
zwei Figuren, die Steinmann Paolo und Francesca da Rimini
nennt, kann man an Dante erinnert werden.
Die Komposition und ihre Quellen 43
1 1 . Dass die seh lange numwundenenFurien (Inf. IX, 34 — 60)
Einfluss auf Michelangelos Gruppen gehabt (die schlangen-
umwundenen Sünder entnahm er der älteren Kunst), dass er
durch das Gleichniss der wie Hunde sich auf die Seelen
stürzenden Teufel (Inf. XXI, 65 ff.) angeregt worden sei,
vermag ich nicht einzusehen. Ebensowenig dass , wie Stein-
mann will, die Szenen der Umwandlung von Mensch in
Schlange (Inf. XXV, 5 8 ff. 75 ff.) Motive abgegeben haben.
12. Der Sünder mit dem Kopf zwischen den Beinen
gegen Engel kämpfend wird von Kailab als Illustration
von Inf. VII, HO — 114 aufgefasst. Hier werden die Jähzornigen
im Kampfe mit einander geschildert, wie sie nicht nur mit den
Händen, sondern mit Kopf, Brust und Füssen sich stossen.
Hier, wie in einigen anderen Figuren der Gruppe des Freskos
könnte man wohl eine Ähnlichkeit finden. Aber ergaben
sich solche Motive nicht von selbst aus der plastischen Phan-
tasie des Malers }
13. Der Stürzende mit Schlüssel und Beutel wird von
Kailab und Steinmann als Nikolaus III. gedeutet (Inf. XIX,
13—87). Das erscheint mir doch sehr zweifelhaft. Durch
den Beutel als Geizige Charakterisirte sind typische Figuren
der älteren Höllendarstellungen. Die Schlüssel brauchen nicht
auf die kirchliche Würde , sondern können einfach auf den
verschlossenen Geldkasten gedeutet werden. Bei Dante steckt
der Papst kopfüber im Brunnen. Der Sturz kopfüber kann
aus bloss künstlerischen Rücksichten dargestellt worden sein.
14. Der von Schlangen umwundene nach unten Ge-
zerrte soll nach Kailab frei nach den Versen Inf XXIV, 112 ff.
geschaffen worden sein. Der Vanni Fucci Pistojese, der hier ge-
schildert wird , gehört zu den Dieben , die , von Schlangen
gebissen , verbrennen und dann wieder neu erstehen. Wo
ist hier die Beziehung.'' Der Schlangenbiss sagt doch Nichts:
das ist , wie schon erwähnt , ein altes Motiv auf Höllendar-
stellungen. Und die angeführte Stelle,
E quäl e quei che cade, e non sa como,
Per forza di demon ch'a terra il tira,
O d'altra oppilazion che lega l'uono
ist von Kailab ja ganz missverstanden worden ! ! Es handelt
sich hier um einen Epileptischen (vom Dämon Besessenen),
der zu Boden stürzt und dann, wieder zum Bewusstsein
kommend, in Verwirrung seufzt ! —
15. DerTeufel, den Sünder auf der Schulter tragend.
Hier kommen wir endlich zu einem Fall, wo wir eine be-
44 ^^s Jüngste Gericht
stimmte Analogie haben. So schildert Dante (Inf. XXI, 29—38)
Malebranche, der den Rathsherrn von Lucca entführt. Aber
— Michelangelo illustrirte auch hier offenbar nicht Dante,
sondern bildete seine Gruppe der Signorellis nach.
16. Die zwei Gestalten hinten in weissen Kutten
sollen nach Kailab die Heuchler mit Bleikappen (Inf. XXIII, 58
bis Gy) wiedergeben. Der Beweis .f"
17. Auch für die Gestalt des schlangenumwundenen
Minos hatte Michelangelo ein Vorbild in der bildenden
Kunst, nämhch bei Signorelli. Bei Dante umwickelt sich
Minos mit seinem Schwänze, im Fresko ist er von einer
Schlange umringelt. Immerhin ist die allgemeine Beziehung
zu Dante, dem auch Belcari in seiner Rappresentazione folgt,
hier deutlich. So auch, wie es schon Vasari und Condivi
aufgefallen, bei
18. Charon, der die Lässigen mit dem Ruder schlägt. Auchhieraber
war Signorelli Michelangelo in der Entlehnung vorangegangen.
Und es ist zu bemerken, dass sich Michelangelo nicht an
Dantes Schilderung des Greises hält, sondern Charon jünger
und bartlos darstellt, ja, dass er ihn zu einem Teufel macht.
Statt Dantes Einfluss zu betonen, muss man vielmehr die
absichtlich auffallend andere Charakteristik der Gestalt hervor-
heben. Als Teufel erinnert dieser Führer der Verdammten
viel mehr an den Calcabrin des Belcari (s. unten).
19. Das Herauszerren der Verdammten aus dem Kahn
mitHaken undHarken bringt die Motive im XXI. Gesänge
des Inferno in Erinnerung. Hingegen auch das Heulen und
Jammern der Seelen daraus (V, 34 — 36; VI, 19 — 21; XVII,
46 ff.) erklären zu wollen, erscheint doch sehr überflüssig.
20. Der den Kopf eines Anderen Bewegende rechts
neben Minos. Zuerst Guattani, dann Chapon und Steinmann
sahen hier Ugolino und Ruggiero (Inf. XXXII, 124). Dies ist
nicht denkbar, denn der beissende Kopf ist deutlich der thierische
Kopf eines Teufels. Das Motiv könnte Psalm 49, 15 entnommen
sein : sie liegen in der Hölle wie Schafe, der Tod naget sie.
j. Die Aiiferstehendefi und Emporschwebenden.
2 1 . In den zwei vorn liegenden Gestalten die Seelen
der Geizigen und Verschwender zu sehen auf Grund
von Purg. XIX, 70 — 75, Hegt gar keine Nothwendigkeit vor.
In der Dichtung sind es Weinende, die ,,tutti volti in giuso"
am Boden liegen und ausrufen: adhaesit pavimento anima
mea (Ps. 118, 25). Bei Michelangelo sind es doch mühsam
von der Erde sich Emporhebende.
Die Komposition und ihre Quellen 45
22. Kampf von Engeln und Teufeln um die Seele.
Hierfür giebt es allerdings in Purg. V, 100 — 108 eine Ana-
logie :
L' Angel di Dio mi prese, e quel d'inferno
Gridava: O tu dal ciel, perche mi privi?
Aber auch hier wird nicht Dante der Gebende gewesen sein,
sondern die bildende Kunst (Niccolö Pisano , Camposanto in
Pisa) hatte Michelangelo vorgearbeitet.
23. Auffliegende Gestalten im Hintergrunde. Hier
wird Kailab an die den Hymnus ,,Te Lucis ante" Singende er-
innert (Purg. VIII, 10 — 12), die gen Osten schaut. Ich sehe hier
nur verwandte Sehnsuchtsstimmung im Gedicht und im Fresko,
aber keine direkte Beziehung.
24. Blinde in schlichtem Bussgewand. Hier weist Kailab
auf die Neidischen im Purg. XIII, 5 8 ff. hin, deren Augen ge-
schlossen sind ; sie stehen auf einander gelehnt. Ich halte auch
diese Beziehung auf Dante für ganz irrig. Denn wir finden
solche Blinde sowohl unter den Auferstehenden, als unter den
Emporschwebenden (mehrfach). Michelangelo drückt offenbar
dasselbe aus, was Goethe in die Worte fasst : ,,noch blendet
ihn der neue Tag."
25. Das am Rosenkranz emporgezogene Paar. Kailab
meint, dass ]\Iichelangelo hier vielleicht an die frommen Ge-
bete, durch welche Nella ihren Gatten Forese ins Purgatorio
verholfen, gedacht (Pur. XXIII, 85 — 89). Dies wäre denkbar.
26. Der zusammengekauert Fliegende. Nach Kailab
hätte dem Künstler Purg. XIII, 100 — 102 vorgeschwebt. Ge-
schildert wird einer der Neidischen mit zugenähten Augen,
der nach Blinden Art das Kinn erhob , eine Antwort er-
wartend. Die Bewegung ist in der Michelangelo'schen Figur
wohl zu sehen , sie ist aber ganz anders motivirt : nämlich
durch sehnendes Aufwärtsstreben.
27. Das Steigen von Wolke zu Wolke in Sehnsucht.
Die von Kailab zitirte Stelle (Purg. V, 28 — 33): ,,con l'ali snelle
e con le piume del gran disio", nach kurzer Schilderung
mühsamer Bergbesteigung. Mehr als eine leicht begreifliche
Ähnlichkeit in Dantes Schilderung und in Michelangelos Dar-
stellung ist nicht zu finden.
Man sieht, auf wie Weniges sich bei näherer Prüfung die
angeblich aus Dante gewonnenen Inspirationen reduziren: nämlich
etwa auf das allgemeine Schema der Anordnung der Heiligen, auf
die Adam und Petrus zugewiesene Stellung , auf Charon , Minos
und den die Seele tragenden Teufel (die alle drei aber schon bei
46 Das Jüngste Gericht
Signorelli vorkommen) und vielleicht die Idee zur Gruppe der am
Rosenkranz Emporgezogenen. Statt die vielfache Abhängig-
keit der Phantasie Michelangelos von Dante zu ge-
wahren, lernt man vielmehr bei einem genauen Vergleich mit
immer wachsendem Staunen bei dem Künstler, diesem grossen
Kenner des Dichters, die unbeirrbare schöpferische
Selbstständigkeit bewundern , die ihn statt zu einem Nach-
folger, zu einem Rivalen des Sängers der Göttlichen Komödie
machte. Der Bildner, weil er den Gesetzen seiner Kunst folgte,
hielt sich frei von der Nachahmung des Dichters. Dies hob richtig
schon der Rezensent des Harford'schen Buches in der Quarterly
Review 1858 (Bd. 103, 460) hervor: ,,No stronger evidence can be
given of the distinctness between the materials suitable to Pain-
ting and Poetry than the instinct with which Michael Angelo
avoided embodying any ofthose fearful details which impart
such pitiless reality to the pages of Dante." Ältere Motive der
Kunst verwerthend, aber zu den ursprünglichen Quellen der In-
spiration, den biblischen Schriften, zurückkehrend, setzte er, ,,a guisa
d'un Dante pittore", wie Lomazzo (Idea 98) trefflich sagt, an Stelle
des Traditionellen ein gewaltiges, ganz ihm eigenes Neues.
Hierbei mag, wie es schon Kailab gethan, darauf hingewiesen
werden, dass die furchtbare Betonung der Rache, die der zürnende
Gott nimmt, im Geiste der Savonarola'schen Predigten lag und
auch bei Bernardino Ochino sich geltend macht. Auch möchte ich
an ein volksthümliches Drama der Zeit, die ,,Rappresentazione del
dl del giudizio" Feo Belcaris erinnern. Einiges in dieser Dich-
tung erscheint beachtenswerth, weil mit dem Fresko übereinstimmend
(Feo Belcari: Le Rappresentazioni , Florenz 1833, S. 119 — 155)-
Nachdem ein Engel einen Prolog gesprochen, erweckt durch
dreimaligen Posaunenruf der Engel die Todten , und Minos , der
den Teufeln befiehlt, bereit zu sein, schickt Einen, den Calcabrin
(Dante entlehnt), aus, die Verdammten zu holen.
Dunque tu, Calcabrin, senza dimoro
Muoviti, e va' lä dove e' maladetti
Dal sommo Padre del superno coro
Si troveran partiti dagli eletti,
E sia la guida di tutti costoro
A qui condurre i malvagi capretti,
De' qua' faremo asprissimo governo
Con varie pene dentro al fuoco eterno.
Hierauf befiehlt Christus den Engeln, die Scheidung vor-
zunehmen. Der Erzengel Michael, der den Befehl ausgeführt hat,
weist nach einer Diskussion einen Heuchler aus, um dann, im Streit
mit einem Teufel , den Kaiser Trajan zu den Seligen zu führen.
Die Komposition und ihre Quellen 47
Wir hören Zwiegespräche zweier Väter mit ihren Söhnen , deren
einer verdammt, der andere aufgenommen wird. Vergeblich sucht
Salomon Michael zu Mitleid zu bewegen. Es folgt die Zurück-
weisung pharisäischer Geistlicher durch den „erzürnten" Petrus,
gottloser Bettler durch den hl. Franz, betrügerischer Kaufleute durch
den hl. Nikolaus , heuchlerischer Disciplinati durch den hl. Hiero-
nymus , lasziver Frauen durch Magdalena. Alle Sünder insgesamt
flehen Maria um ihre Fürsprache an; sie antwortet:
El mio figliuol tanto turbato veggio
Verso di voi che pregar non lo voglio ;
Oggi e quei di ch'n suo tribunal seggio
Delibera punir vostro rigoglio:
Passate e '1 tempo : che mai piü non chieggio
Veruna grazia per voi com' io soglio,
Perche ne' vostri orechi al mondo avesti
Questo di de! giudicio, e nol temesti.
Worauf Christus ,,mit erzürntem Antlitz und schrecklicher Stimme"
den Verdammten ihre Sünden vorwirft. Die folgende Szene stellt
die sieben Todsünden den Tugenden gegenüber. In Wechsel-
gesprächen treten auf der Hochmüthige und der Demüthige , der
Neidische und der Barmherzige, der Zornige und der Sanftmüthige,
der Träge und der zum Guten Eifrige, der Geizige und der Wohl-
thätige , der Schlemmer und der Enthaltsame , der Wollüstige und
der Keusche. Ein Engel gebietet San Bernardino, diesen Sündern
ihre Laster vorzuhalten. Zum Schluss ruft Christus die Gesegneten
mit den Worten der Bibel zu sich und sendet die Gottlosen in
das ewige Feuer. Calcabrin bringt die letzteren zu Minos :
Ecco, o Minos, el maledetto seme
Che vinto dalle nostre tentazioni
Vengono a star dove sempre si geme
In pianti, martir, duoli e passioni ;
E noi con loro abiteremo insieme:
Ouesti trovammo spartiti da' buoni,
Giudica tu il luogo ov' hanno a stare
Secondo le cagion de! lor peccare.
Minos übergiebt sie den Dämonen, die jedem der durch Todsünden
Schuldigen seinen Platz verkündigen , worauf der Engel mit einem
Epilog die Zuschauer entlässt.
Eine direkte Beeinflussung Michelangelos durch das Gedicht
anzunehmen ist nicht geboten, wohl aber, die Analogieen mit dem
Gemälde hervorzuheben :
1. Die Stellung, die Belcari, an Dante anknüpfend, dem Minos
ertheilt hat.
2. Dessen Auftrag an Calcabrin.
48 Das Jüngste Gericht
3. Die Schilderung der, in Furcht vor Christus beben-
den Maria.
4. Die Personifikation der sieben Todsünden.
Der Kuriosität halber möge schliesslich das Phantasiebild, das
sich Pietro Aretino von dem Jüngsten Gerichte machte und das er in
einem Briefe am 15. Dezember 1537 dem mit seinem Werke be-
schäftigten Meister entwarf, Platz finden (Bottari, Mailand 1822, III,
S. 86. Steinmann: Rep. für Kunstw. XXIX, S. 425):
,,Ich sehe in Mitten der Schaaren den Antichrist in einer Er-
scheinung, wie nur Ihr sie erdenken könnt. Ich sehe den Schrecken
auf den Stirnen der Lebendigen ; ich sehe die Zeichen , welche
Sonne, Mond und Sterne durch ihre Verdunklung geben; ich sehe
Feuer, Luft, Wasser und Erde gleichsam ihren Geist aushauchen;
ich sehe seitwärts die Natur, in die Unfruchtbarkeit des Greisen-
alters verfallen; ich sehe eingefallen und zitternd die Zeit, die, zu
ihrem Ende gelangt, auf einem dürren Baumstumpf sitzt: und in-
dessen ich vernehme, wie die Posaunen der Engel in jeglichem
Busen das Herz erschüttern, sehe ich Leben und Tod von Schrecken
und Verwirrung überwältigt, denn jenes müht sich ab, die Todten
wieder aufzurichten , und dieser ist darauf bedacht , die Lebenden
niederzuwerfen; ich sehe die Hoffnung und die Verzweiflung,
welche die Schaaren der Guten und die Schwärme der Bösen
führen ; ich sehe den Schauplatz der Wolken, die von den aus den
reinen Feuern des Himmels ausgehenden Strahlen gefärbt werden,
und auf ihnen inmitten seiner Heerschaaren , von Glanz und
Schrecken umgeben, Christus; ich sehe sein Antlitz widerleuchten,
wie er Flammen, theils heiteren, theils schrecklichen Lichtes
sprühend, die Gutgeborenen mit Freudigkeit, die Schlechtgeborenen
mit Furcht erfüllt. Und ich sehe zugleich die Diener des Ab-
grundes , die , schaurig zu sehen , zum Ruhme der Märtyrer und
der Heiligen Cäsar und die Alexanders verhöhnen, denn ein Anderes
ist es , sich selbst , als die Welt zu besiegen ; ich sehe den Ruhm
mit seinen Kränzen und Palmen unter den Füssen niedergeschmettert
unter die Räder seiner Wagen ; und endlich sehe ich aus dem
Munde des Gottessohnes den grossen Richterspruch hervorgehen,
in Form von zwei Pfeilen , einen des Heiles und den anderen der
Verdammniss , und wie ich sie niederfahren sehe , fühle ich seinen
Zorn auf den Bau der Elemente stossen, und unter fürchterlichem
Donner ihn zerstören und in Nichts auflösen ; ich sehe die Lichter
des Paradieses und die Öfen der Hölle, welche das auf des Äthers
Antlitz gesunkene Dunkel durchbrechen — und der Gedanke, der
mir das Bild von dem Verderben des Jüngsten Tages vorführt,
sagt mir: zittert man in Furcht so beim Anblick des Werkes des
Deutung einzelner Figuren 49
Buonarroti, in welcher Furcht wird man zittern, wenn wir uns von
Dem gerichtet sehen, der uns richten soll?"
Mit welcher Verbindlichkeit Michelangelo diese ausschweifen-
den Phantasieen des geschwätzigen Mannes beantwortet, habe ich
im ersten Bande meines ,, Michelangelo" (S. 93) mitgetheilt.
V
Deutung einzelner Figuren
Nur wenige Gestalten sind von Vasari (schon in der I. Auflage)
benannt. Er sagt, Christus sei von Aposteln und Propheten um-
geben, und hebt Adam, Petrus, Bartholomäus und Lorenzo hervor.
Die Gruppe der stürzenden Verdammten bezeichnet er als die der
sieben Todsünden, die als Teufel dargestellt seien (von ihnen führt
er an die Invidiosi, Superbi, Avari und Lussuriosi) und nennt Charon.
Condivi erwähnt von den Christus Umgebenden Johannes den Täufer
(doppo Maria) , die zwölf Apostel und ,,i santi e sante de Iddio".
Unter ihnen die Märtyrer: Andreas, Bartholomäus, Lorenzo, Se-
bastian, Biagio und Katharina. Spricht er auch nicht direkt von
den sieben Todsünden, so sagt er doch, dass die Sünder von den
Teufeln nach unten gezogen werden, ein jeder an dem Körpertheil,
mit dem er sündigte : 1 superbi per i capegli , i lussuriosi per le
parti vergognose. Er nennt Charon und Minos und bemerkt, die
Auferstehung sei dargestellt, wie Ezechiel sie geschildert.
Von den neueren Schriftstellern haben nur Wenige den Versuch
gemacht, ausser jenen von Vasari und Condivi bezeichneten, leicht
zu benennenden Figuren andere mit einem Namen zu versehen.
Nur L. L. Chapon, der Stecher des Werkes, hat in seiner Schrift:
Le jugement dernier de M. Ange (Paris 1892) auf Grund von Mit-
theilungen des Abbe Rouvier eine ausführliche Deutung gegeben.
Nach ihm haben wir in der Gruppe links zunächst Christus: die
Vorfahren und Typen Christi, in jener rechts: Johannes, Apostel
und Märtyrer zu gewahren. Die Versammlung ganz links stelle
das heidnische Alterthum (darunter alle Sibyllen) , diejenige ganz
rechts das jüdische (Patriarchen, Moses, Daniel, unten die ersten
Bekehrten : guter Schacher und Magdalena) dar. Des Weiteren be-
nennt er dann die einzelnen Figuren in jeder Gruppe :
I. Gruppe links von Christus: Adam, neben ihm Abel. Da-
hinter Noah, Abraham, Isaak. Darüber Rahel und Lea.
Dann die Richter : Gideon und seine Söhne, Simson, Samuel,
Judith , Melchisedek. Dann eine Menge von Erwählten , in
der Ferne die drei Könige , Saloraon und seine Frau (mit
Diadem).
I* 4
50 Das Jüngste Gericht
2. Gruppe rechts von Christus: Petrus, Stephanus, Johannes d.T.,
EHsabeth , Matthäus , Simon , Anna , Paulus , Lukas , Markus,
Johannes Ev., Bartholomäus, Martha, Laurentius, Andreas.
3. Gruppen ganz links: Eva mit einer ihrer Töchter, Persische,
Erythräische, Delphische, Libische, Kumäische Sibylle, Hagar
und Ismael, die Tochter Pharaos, Mutter und Schwester des
Moses. Hinten: Äakus, Minos, Rhadamantys und Virgil, der
das Echo der ersten Offenbarung hört.
4. Gruppen ganz rechts: Jakob, Esau, Benjamin, Kaleb, Josua,
Moses, Hiob, Tobias, David, Mutter der Makkabäer, Magda-
lena, Veronika, Simon von Kyrene, Joseph von Arimathia. —
Darunter die Märtyrer.
Es fragt sich nun vor Allem , in wie weit der Versuch einer
solchen Einzelbenennung berechtigt ist. Hat Michelangelo selbst
bei jeder einzelnen Figur an eine bestimmte Persönlichkeit gedacht.?'
Daran, dass er den einzelnen Gruppen einen besonderen Charakter
verlieh , dass er , wie ich meine , an die traditionellen „Chöre"
der Heiligen anknüpfte , ist nicht einen Augenblick zu zweifeln.
Aber auch daran nicht, dass er bei den hauptsächlicheren Gestalten
seine Gedanken gehabt haben muss. Denn so sehr ihn auch die
formalen Motive beschäftigten und für die Anordnung und die Be-
wegungen maassgebend waren — er hatte die Gesellschaft der
„Alleheiligen" zu schildern, und dies war ohne unmittelbar sich ein-
stellende Vorstellungen bestimmter Persönlichkeiten nicht denkbar.
Aber gilt dies ohne Ausnahme für jede Figur.? Dazu war Michel-
angelo doch ein zu sehr auf die Darstellung des allgemein Mensch-
lichen bedachter Künstler und, da er als solcher die Kennzeichnung
durch Attribute und Trachten möglichst vermieden hat, erhebt er
selbst dort, wo er an historische Einzelerscheinungen gedacht, das
Individuelle zu Typischem. Hierdurch wird zumeist der Nachweis der
Individualitäten sehr erschwert oder unmöglich gemacht. Rouvier
und Chapon sind zu weit gegangen, und wir müssen uns hüten,
ihnen zu folgen , aber wenn wir bemüht sind , Michelangelos Ge-
danken und Intentionen uns möglichst klar zu machen, ergiebt sich
doch unbestreitbar das Eine , dass der Künstler bei den meisten
Figuren biblische Charaktere im Auge gehabt !
Die Gruppenbildung
In fünf Gruppen hat Michelangelo Alle Heiligen angeordnet.
Wenn man will, kann man zwei Gruppen, nämlich die äussersten
links und rechts, jede noch einmal theilen,. in welchem Falle wir
also sieben Gruppen anzunehmen hätten. Nach mittelalterhch kirch-
Deutung einzelner Figuren 51
lieber Anschauung werden nun folgende Chöre unterschieden:
Patriarchen, Propheten, Apostel, Confessores, Märtyrer, Mönche und
Jungfrauen. Man vergleiche die kurze Zusammenfassung in Hymnen
,,de Omnibus sanctis" :
Jesu salvator saeculi, Baptista Christi praevius
Redemptis ope subveni, Et clavige aethereus
Et pia Dei genitrix Cum ceteris apostolis
Salutem posce miseris. Nos solvant nexu criminis.
Coetus omnes angelici, Chorus sacratus martyrum
Patriarcharum cunei, Confessio sacerdotum
Et Prophetarum merita Et virginalis castitas
Nobis precentur veniam. Nos a peccatis abluant.
Monachorum suffragia
Omnesque cives coelici,
Annuant votis supplicum
Et vitae poscant praemium.
(Daniel: Thesaurus hymnologicus I, 297.
Im Breviarium Romanum.)
Oder:
Christe redemptor omnium, Vates aeterni judicis
Conserva tuos famulos, Apostolique domini,
Beatae semper virginis Suppliciter exposcimus
Placatus sanctis precibus. Salvari vestris precibus.
Beata quoque agmina Martyres Dei inclyti
Coelestium spirituum, Confessoresque lucidi,
Praeterita, praesentia Vestris orationibus
Futura mala pellite. Nos ferte in coelestibus.
Chorus sanctarum virginum
Monachorumque omnium,
Simul cum sanctis omnibus
Consortes Christi facit.
(Ebenda I, 256. Im Breviarium Romanum.)
Auch in einem dritten Hymnus (ebenda II, 26), wo noch die
,,Viduae sanctae" hinzugefügt werden.
Die Michelangelo bekannte Darstellung in der Capella Brizio
zu Orvieto zeigt sechs Chöre: die Patriarchen, Propheten, Apostel,
Kirchenväter, Märtyrer und Jungfrauen. Hier sind die Mönche den
Kirchenvätern (Confessores) gesellt. Dass diese Eintheilung in Chöre
auch in Michelangelos Fresko vorliegt, ist unmittelbar ersichtlich:
der Chor der Märtyrer (martyrum candidatus exercitus, wie es in
Orvieto heisst) ist deutlich gekennzeichnet. Sehen wir nun in der
Gruppe rechts von Christus als Hauptfigur Petrus, unten Bartholo-
mäus , so dürfen wir wohl annehmen , dass hier die Apostel ver-
einigt seien, und ebenso, wenn wir den schon von Vasari bezeich-
neten Adam und die Besonderheit der Trachten links von Christus
52 Das Jüngste Gericht
gewahren, werden wir auf die Ansicht, hier handle es sich um
die Patriarchen (nobilis patriarcharum coetus), geführt. Es bleiben
die Propheten, Confessores (und Mönche) und Jungfrauen zu suchen.
Wenden wir zunächst den Blick auf die Schaar von Gestalten ganz
rechts , so sehen wir bei näherer Betrachtung , dass ein Unter-
schied zwischen den hinteren Figuren und der vorderen Gruppe zu
machen ist. Nicht allein der Greis, der am meisten von den hinteren
vortritt, ist als Blinder geschildert, sondern die Blindheit fällt bei
noch mehreren anderen , ebenso wie öfters ein gewisses wildes
Wesen, auf. Mir scheint die Annahme, dass hier die noch im
Dunkel wandelnden Propheten gemeint seien, unzweifelhaft zu werden,
wenn wir ganz rechts, durch den mächtigen Bart deutlich gekenn-
zeichnet, Moses finden. Ungezwungen aber ergiebt sich dann für
die vorderen, freier sich Bewegenden und Schauenden der Name:
Confessores.
Und nun erklärt sich auch die Frauenschaar ganz links. Die
obere Gruppe von Gestalten, durch phantastische Trachten und
Typen ausgestattet, erschien mir nie zweifelhaft: es können nur
die Sibyllen dargestellt sein, die also den Propheten auf der anderen
Seite entsprechen. Vor ihnen aber haben wir dann die Versamm-
lung der christlichen ,,Virgines" zu erkennen.
Eine höchst geistreiche neue Gestaltung des alten Gedankens
also ist es, die uns so vor Augen tritt, hervorgegangen aus der
Durchdringung von künstlerischen Nothwendigkeiten, die in sym-
metrischen Bezügen gegeben waren , mit sinnvollen Deutungen.
Christus unmittelbar umgeben von den Patriarchen links und den
Aposteln rechts. Links die Schaar der Virgines , in vorchristliche
(Sibyllen) und nachchristUche (Heilige), rechts die Confessores, in
Propheten und christliche geschieden. Dazu die Märtyrer! Man
begreift nun, wie Michelangelo, die Idee der Chöre dem himmlischen
Heer zu Grunde legend und genöthigt, auch die Märtyrer in eine
Gruppe zusammenzufassen , Diesen einen direkten Antheil an der
Handlung zuzuweisen sich gedrungen sah.
Gehen wir mit so gewonnener allgemeiner Anschauung zum
Einzelnen über, so dürfte manche Bestimmung für die Persönlich-
keiten gewonnen, zugleich aber durch diese wiederum unsere Auf-
fassung der Chöre vollauf gerechtfertigt werden.
2
Die einzelnen Gestalten
A. Die obere Zoiie.
Ich erinnere an das oben Gesagte, dass, nach der Bonnat'schen
Zeichnung in Bayonne zu schliessen, Michelangelo zuerst sich an
Deutung einzelner Figuren 53
die Tradition hielt, indem er die Apostel im Kreise um Christus,
und zwar in sitzender Stellung anordnete und erst im Hintergrunde
andere Gestalten brachte.
I. Der Chor der Patriarchen.
Zwei biblische Stellen haben wir zunächst zu berücksichtigen:
„Da wird sein Heulen und Zähneklappen, wenn ihr sehen werdet
Abraham und Isaak und Jakob (vgl. auch Matth. 8, 11:
Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich), und alle Propheten
im Reich Gottes, euch aber hinausgestossen" (Luk. 13, 28), und
das elfte Ebräerkapitel, welches die ,,ohne Verheissung Gläubigen"
des Alten Bundes, denen ,,Gott eine Stadt zubereitet hat und welche
die Auferstehung erlangen", aufzählt: Abel, Enoch, der den
Tod nicht sah, Noah, Abraham, Sarah, Isaak, Jakob,
Joseph, Moses, Rahab, Gideon, Barak, Simson, Jephtah,
David, Samuel und die Propheten. In Gedanken dürfen
wir die von Dante im Paradiso gefeierten Lea und Rahel, die beide
das Haus Israel gebaut haben (Ruth 4, 11) und Andere hinzufügen,
Bemerkenswerth — um nur das Wichtigste hervorzuheben —
ist weiter Dantes Aufzählung der von Christus aus dem Limbus
Befreiten und Seliggemachten : Adam, Abel, Noah, Abraham,
Isaak, Jakob, Moses, David, Rahel (Inf. IV, 5 5 ff.), zu denen
wir den auf mittelalterlichen Darstellungen der Szene immer ge-
brachten guten Schacher gesellen müssen. Die dreizehn, von
Signorelli gemalten Patriarchen haben leider keine namentliche Be-
zeichnung.
Mit Bestimmtheit ist in der Gestalt in der Mitte vorne mit
ihrem im Rücken herabfallenden Felle Adam (Platner meinte:
Johannes d. T.) zu erkennen, ,, welcher ist ein Bild Dess, der zu-
künftig war". „Wie nur durch Eines Sünde die Verdammniss über
alle Menschen gekommen ist: also ist auch durch Eines Gerechtig-
keit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen"
(Rom. 5, 14. 18). Die jugendliche, nach vorne schreitende, Adam
am Arm fassende Figur, wird zumeist Eva genannt. Trotz der
eigenthümlichen Haartracht vermag ich aber hier nicht eine Frau
zu erkennen — man vergleiche den Oberkörper mit dem der Frauen
daneben! — sondern einen Jüngling, und die nahe Beziehung zu
Adam weist darauf hin, dass, wie auch Chapon bemerkt, Abel
gemeint sei. Abel, der, als erstes Opfer frevler Sündenthat, hier
durchaus an der Stelle erscheint. Der bärtige hinter Adam liegende
Mann dürfte Noah sein, der „ererbet hat die Gerechtigkeit, die
durch den Glauben kommt" (Ebr. 11, 7) oder Henoch, von dem es
heisst (i. Mos. 5, 24): ,,dieweil er ein göttlich Leben führte, nahm
ihn Gott hinweg, und ward nicht mehr gesehen." Oder ist Henoch
54 Das Jüngste Gericht
in der wenig sichtbaren Figur links unten neben Abel dargestellt?
Der bärtige Mann, der hinten zwischen Adam und Abel erscheint,
mit einer Kappe auf dem Kopf, kann , da wir eine historische
Reihenfolge in dem Aufbau der Gestalten nach hinten finden,
Niemand Anderes als Abraham sein. Die Deutung auf Bernhard
von Clairvaux durch Steinmann ist ganz willkürlich, und auch die-
jenige Kallabs, der von Moses spricht, ausgeschlossen, da wir Moses
an einer anderen Stelle finden. Neben Abraham wird links der
Kopf Sarahs sichtbar. Die zwei Frauen darüber, die eine Gruppe
für sich bilden und sich umschlingen, können nur als Lea und
Rahel aufgefasst werden, und zwar muss die mit nackten Armen,
welche Abraham auf Adam hinweist, Lea (vita activa), die andere,
welche feierlich wie lehrend die Hand erhebt, Rahel sein. Es folgt
weiter hinten eine Gruppe von fünf jugendUchen Männern (nicht
Frauen, wie Kailab sagt), unter denen zwei besonders hervortreten.
Die vordere unmittelbar über Lea dürfte Jakob, die hintere
Joseph sein. Oder soll man sie Isaak und Jakob nennen.? Hier
wird die Bestimmung unsicher. In den anderen Jünglingen könnte
man Esau, Benjamin, respektive auch Joseph voraussetzen, in der
Frau rechts neben Joseph R a h a b ? in dem Alten mit dem priester-
lichen Kopftuch hinter ihr Aaron.?
Die hintersten Figuren, wieder theil weise durch geschlossene
Augen als Vertreter des Alten Bundes gekennzeichnet, fliegen über
Christus hinweg nach der Apostelseite rechts. Da der Künstler
nicht alle alttestamentarischen Gestalten links anbringen konnte,
hat er sich in der Weise geholfen, dass er deren Zug sich von
hinten bis ganz nahe an die Apostel herandrängen lässt. Er macht
so, wie auch bei den Propheten und Confessores, den unmittel-
baren Zusammenhang zwischen dem Alten und dem Neuen Bunde
anschaulich. Dass wir hinter den Aposteln alttestamentarische
Figuren zu gewahren haben, macht eine genaue Prüfung unzweifel-
haft. Denn erstens haben wir wieder Mehrere mit geschlossenen
Augen vor uns, und zweitens sind zwei Gestalten mit phantastischen
Kopftrachten auf das Deutlichste als Juden charakterisirt. Aber
nur für Einige darf man vermuthungsweise Namen vorschlagen,
wobei zu beobachten, dass es sich hier um zeitlich späte Persön-
lichkeiten handeln muss.
Ganz oben würde man Josua, Gideon, Simson, Barak, Ruth zu
finden glauben. Ausgezeichnet erscheint eine jugendliche Gestalt
mit einer helmartigen Bedeckung — bei ihr könnte man an Gideon
oder Josua oder Simson denken. Bei dem Alten rechts mit
dem priesterlich wirkenden Hut an Samuel und bei seinem Nach-
bar mit prononzirter jüdischer Physiognomie und einer Art Pelzhut
etwa an Kaleb oder Nathan. Chapon irrt sicher, wenn er hier die
Deutung einzelner Figuren c c
Gruppe der hl. drei Könige sieht. Der Frauenkopf in umittelbarer
Nähe dürfte wohl nur auf Judith zu beziehen sein. Doch das
ist Alles nur allgemein richtig, im Einzelnen fraglich, auch ob der
Jüngling mit antikischer Kappe in der untersten Reihe unmittelbar
über den Aposteln als Judas Makkabäus zu denken ist. Be-
stimmt gekennzeichnet durch die Krone ist nur die Frau links
hinter dieser Figur als Königin von Saba, was auch von
Chapon richtig erkannt ward.
Vermögen wir nun auch nicht, jede einzelne Figur heute noch
zu bestimmen — Eines geht schon aus dieser ersten Betrachtung
mit Sicherheit hervor, dass Michelangelo doch bei den Meisten an
eine historische Persönlichkeit gedacht hat. Wen aber hat er mit
der von uns noch nicht erwähnten Gestalt des Kreuzträgers rechts
von Adam gemeint.'' Gemeinhin spricht man, durch die eigenthüm-
liche Form des Kreuzes verleitet, von Andreas. Wie aber käme
Dieser hierher zu den Patriarchen.'' Auch hier dürfen wir doch
einen aus dem Limbus Befreiten voraussetzen! Es ist der gute
Schacher, dem das Wort erklang: ,, heute noch wirst du mit mir
im Paradiese sein", und der in Darstellungen sowohl des Besuches
Christi in der Unterwelt als auch des Jüngsten Gerichts eine Rolle
spielt ! Indem er unmittelbar neben Adam und nach hinten ge-
wandt erscheint, wird in den beiden Gestalten gleichsam der ganze
Zeitraum des Alten Bundes zusammengefasst. Mit Condivi (,,dopo
Maria") Johannes d. T. anzunehmen, wäre wohl denkbar, da er an
dieser Stelle nicht unangebracht erschiene, doch wäre es befremdend,
hätte Michelangelo alle traditionelle Charakteristik vermieden und
ihm zudem auch noch ein so grosses Kreuz verliehen. Dass die
hinter Lorenzo nur mit ihrem Kopfe sichtbar werdende Frau als
Anna gedacht, könnte man aus der Nähe der Maria schliessen.
2. Der Chor der Apostel.
Ohne Weiteres an ihren Attributen erkenntlich sind Bartho-
lomäus und Petrus. Von auffallender ausgeprägter Individualität
erscheint der langbärtige mächtige, halbbekleidete Mann mit dem
üppigen Haar links hinter Petrus. Es ist wohl kein Anderer als
Johannes der Täufer in ihm zu gewahren.
Wir dürfen nun weiter erwarten , Johannes dem Evan-,
gellsten eine hervortretende Stelle zugewiesen zu sehen. Es
dürfte der nackte, Christo am meisten angenäherte Jüngling über
Bartholomäus sein. Sonst finden wir nur noch vier — resp. wenn
wir den früher Judas Makkabäus genannten und seinen Nachbarn
mit dazu rechnen wollten: sechs — als Apostel zu deutende Figuren:
eine jugendliche und eine bärtige Gestalt in der Höhe — die jugend-
liche vielleicht Matthäus .^^ die bärtige Jakobus der Ältere.? — eine
56 Das Jüngste Gericht
jugendliche knieende Gestalt hinter Petrus und die jugendliche
betende Gestalt unmittelbar hinter Bartholomäus.
Die letztere spielt eine besondere Rolle. Wie schon Kailab
richtig bemerkt hat, zeigt der Kopf Porträtzüge. Ein Porträt von
Michelangelo, der niemals Bildnisse anfertigte, und an dieser Stelle,
in unmittelbarster Nähe Christi , in Anbetung versunken ^ Wer
anders , als der Besteller des Werkes , der Papst oder allenfalls
Michelangelo selbst, wäre hier zu denken.? Es ist das Antlitz weder
des Einen noch des Anderen : dargestellt ist eine bartlose Physio-
gnomie von kräftigen , fast derben Zügen , mit hoher , zurück-
weichender Stirne, vollem, nach hinten gewelltem, kurzem Haar. Ein
kuttenartiger Mantel umgiebt die Schultern. Aber der Kopf ist ganz
übermalt : auf der Venusti'schen Kopie in Neapel erscheint er aus-
nehmend fein gebildet, von edelster Harmonie der Verhältnisse,
jünger, ein altrömischer Typus von grösster Schönheit. Aufmerksam
geworden glaubt man durch die Übermalung hindurch diesen Kopf
im Fresko noch zu erkennen. Vor Venustis Kopie sagte ich mir;
diese Figur ist der Apostel Thomas, und Michelangelo hat ihm
die Züge seines geliebten jüngeren Freundes, des Tommaso Cavalieri
— des Einzigen, den er, wie wir wissen , in einer Zeichnung por-
trätirt hat — verliehen ! — War etwa jene Zeichnung , von der
an anderer Stelle die Rede ist, von Michelangelo im Hinblick auf
das Fresko gemacht worden ?
Es bleiben vier Frauen zu betrachten übrig, die der Meister
offenbar aus künstlerischen Rücksichten, um eine Analogie mit der
Patriarchenseite herzustellen, den Aposteln gesellt hat. Man dürfte
hier Elisabeth , Johannes' Mutter (die Alte gleich über Johannes
dem Evangelisten }), Martha, dieSamariterin (die zwei jüngeren
Frauen : die eine, mit kranzartigem Kopfputz, links vom Kopf des
Paulus, die andere über Anna) oder auch die eine oder andere
der Marien erwarten. Aber es lässt sich nichts Bestimmtes sagen.
3. Die Chöre der Propheten und der Confessores.
Sie sind zu einer Gesamtgruppe von zahlreichen Figuren ver-
bunden, derart, dass vorne die Confessores, hinten die Propheten an-
gebracht sind. In zwei Paaren sich umschlingender und küssender
Gestalten dürfte die freudige Verbindung ahnenden Prophetenthums
und wissender Kirchengelehrsamkeit dargestellt sein, wie auch durch
die Bewegung des jugendlichen Propheten, der die Hand eines zu
ihm sich wendenden Confessor erfasst, die gleiche Einswerdung
ausgedrückt wird. Mehrere Greisenfiguren in der hinteren Gruppe
sind blind dargestellt. Eine tiefe Erregung geht durch alle alt-
testamentarischen, nach vorwärts drängenden Gestalten : ein athem-
loses Lauschen, ein erschrecktes, bisweilen fast zweifelndes Schauen,
Deutung einzelner Figuren 57
ein gewaltsames Verarbeiten des Eindruckes , eine ekstatische Be-
geisterung. Dem gegenüber verrathen die Gebärden der zumeist
sitzenden Confessores die freudige Sicherheit des Wissens.
Auch nur die Hauptfiguren der hinteren Gruppe , welche den
Propheten sich gesellende andere Erscheinungen in sich schliesst,
bestimmt mit Namen bezeichnen zu wollen, würde ein bedenkHches
Unterfangen sein. Nur Moses, der auch in Orvieto bei den Pro-
pheten erscheint, glaube ich in dem Alten mit dem auffallend
mächtigen Barte rechts hinten über dem Kreuzesträger erkennen
zu dürfen. Für die beiden leidenschaftlich vordrängenden Jünglinge,
welche in direkte Beziehungen zu den vorne sitzenden nackten
Jünglingen treten, liegt es nahe, wegen einiger Verwandtschaft mit
den Gestalten an der Sixtinischen Decke die Namen Daniel (für
den unteren) und Jesajas (für den oberen) in Vorschlag zu
bringen, und da es ferner erwünscht, auch Jeremias eine Haupt-
stelle zuerkannt zu sehen , Hesse sich denken , dass er mit der
Hauptfigur links, dem greisen Blinden, gemeint ist. Oder wäre es
H i o b ? Hinter Diesem gewahrt man einen Mann , der durch eine
kronenartige Kopfbedeckung ausgezeichnet ist — David? Unter
den wenigen eingefügten Frauenfiguren wird man Hannah, vielleicht
auch Elisabeth suchen dürfen. Wer aber ist jene vom Kopftuch
halb verhüllte, wie von Leidenschaft verzehrte eindrucksvolle Er-
scheinung über dem sich küssenden Paare rechts.^ Auffallend ist
die Kennzeichnung dreier Jünglinge (ganz hinten rechts) durch
phrygische Mützen — sollte man sie , da ja neben den Propheten
andere alttestamentarische Persönlichkeiten auftreten, als ,,die drei
Jünglinge im feurigen Ofen" auffassen dürfen.?
Die Schaar der Doctores, deren Bestimmung durch das Fehlen
jeder Kennzeichnung der Trachten ungemein erschwert wird, ist
auf eine sehr kleine Zahl von Persönlichkeiten beschränkt. Diese
Wenigen müssen besonders wichtiger und bekannter Art sein. Vor
Allem erwartet man die Kirchenväter zu finden. Aber nur zwei
Erscheinungen könnten auf Diese hinweisen : nämlich der wild aus-
sehende Greis rechts, der das Kreuz fasst, auf Hieronymus und der
kräftige, bärtige, sitzende auf Augustinus. Doch wäre auch Paulus,
den wir unter den Aposteln vergeblich suchen, hier denkbar. Und
an wen hat Michelangelo gedacht , als er die beiden herrlichen,
sitzenden Jünglinge im Vordergrunde schuf-f* Bezeichnend ist die
intime Beziehung der Jünglinge zu Jesajas und Daniel: wären hier
unter die Confessores zwei Evangelisten aufgenommen worden ?
Und weiter, wer ist die ganz von Gewandung verhüllte schräg
sitzende weibliche Gestalt.? Sollte es, unmittelbar unter der von
mir Augustinus genannten Figur angebracht. Dessen Mutter, die
hl. Monika sein.? Dies Alles bleibt ungewiss.
58
Das Jüngste Gericht
Endlich die Frage : wer ist der athletische Jüngling , der das
Kreuz auf sich nimmt? Man hat in ihm den guten Schacher oder
Simon von Kyrene oder auch Simeon, Bischof von Jerusalem (Platner),
sehen wollen. Letzteres erscheint mir undenkbar. Der von mir
Augustinus Genannte weist auf ihn hin, als sagte er : nur in solcher
Nachfolge Christi beruht alles Heil und alles Wissen. Die Gestalt
gehört zu den am meisten ausgezeichneten. Da Andreas in der
Märtyrergruppe und der gute Schacher bei den Patriarchen an-
gebracht ist, erscheint dieser dritte Kreuzträger unerklärlich. Man
könnte etwa sagen : der angebliche gute Schacher ist Johannes der
Täufer, der angebliche Johannes der Täufer Paulus und dieser Träger
des Kreuzes der gute Schacher, und hierfür könnte die Gegenüber-
stellung des guten Schachers und der Magdalena in ,,Dies irae,
dies illa" geltend gemacht werden, da, wie wir sehen werden, die
dem Kreuzträger etwa an Bedeutung entsprechende Figur links im
Fresko Magdalena genannt werden muss. Aber der gute Schacher
bei den Confessores und so in den Vordergrund gebracht und als
Träger des Kreuzes .? Und ist jene Umdeutung des Paulus und
Johannes nicht unmöglich.?' Auch diese Deutung will nicht ein-
leuchten. Welche andere aber giebt es } Zwei Möglichkeiten bieten
sich mir dar.
Die erste führt zu der freilich sehr gewagten Vermuthung, dass
wir hier den hl. Sixtus, der an so hervorragender Stelle in der
Sixtinischen Kapelle wohl am Platze wäre , vor uns sehen. Diese
Vermuthung, obgleich die übliche Darstellung des greisen Papstes,
so wohl aus Raphaels Werk bekannt , sie auszuschliessen scheint,
könnte sich aus dem mittelalterlichen Hymnus auf Sixtus (Daniel,
Thesaurus I, S. 102 Nr. XCI) ergeben.
Magni palmam certaminis
Invicta fides contulit;
Pro Christo dimicantibus
De caelo datur calculus.
Sic fortis Xystus athleta
Petri sequens martyrium,
Ornavit mox ecclesiam
Confessionis titulo.
Nam carnifex tyrannidis
Fremens ut leo rabiens
Advectans secum martyres
Abdon et Semen perimit.
Dein ad Xystum properans
Vincia, catenas, carcerem
Minatur, interneciem
Gladioli sententia.
Ortus Athenis et altus
Philosophorum studiis,
Mutavit artem artium
Praeceptor apostolicus.
Tunc pius ille pontifex
Accersiens Laurentium
Levitae fideiissimo
Commendavit ecclesiam.
Uterque consecuti sunt
Agonis sui bravium
Ensis et craticulae
Coronam dedit passio.
Deutung einzelner Figuren 59
Bedenkt man, wie frei von der Tradition Michelangelo in der
Gestaltung der Heiligen bei der Schöpfung des Jüngsten Gerichtes
vorging, so erschiene es wohl nicht unmöglich, dass er aus diesem
Hymnus eine Vorstellung von dem Heiligen , w^ie die des Kreuz-
trägers , gewonnen habe. Der Athlet (man beachte die Binde im
Haar!), der zugleich ein Praeceptor apostolicus ! Als letzterer fügt
er sich in die Gruppe der Doctores und Confessores ein. Und lag
nicht in den Worten Petri ,,sequens martyrium" ein Hinweis auf die
Kreuzigung — so deutet auch Thomasius die Stelle im Hymnario
— , welcher die spätere Mittheilung von dem Martyrium durch das
Schwert übersehen oder absichtlich ignoriren liess.f"
Aber die Deutung ist zu gewagt! Und ich lasse sie, indem ich
sie angebe, fallen. Die Umwandlung des greisen Papstes in den
nackten Jüngling bleibt schwer denkbar.
Eine andere Hypothese dürfte mehr Glaubwürdigkeit für sich
haben, obgleich auch an ihr Anstoss genommen werden kann. Be-
achten wir zunächst , dass Michelangelo seinen Doctores keinerlei
Zeichen kirchlichen Ranges, keinerlei kirchliche Tracht giebt ! Wir
dürfen uns also nicht daran stossen , sonst traditionell in Priester-
gewänder oder Kutten gekleidete Heilige : Päpste, Bischöfe, Mönche
ohne jede Kennzeichnung ihres Standes, nackt oder wenig bekleidet
dargestellt zu finden. Unter den Doctores erscheinen nun aber
immer neben den Kirchenvätern heilige Mönche: Bernhard, Franz,
Dominicus und Andere. Fragen wir uns, wer unter den Confessores
als Christus nachfolgender Kreuzesträger charakterisirt werden kann,
so ist dies nur ein Einziger: Franz von Assis i. Man beachte,
dass die Gestalt im Fresko das Kreuz auf sich lädt: es ist nicht
das Martyrium am Kreuze, sondern die Kreuzesnachfolge, die hier-
durch bezeichnet wird. Als ein Christus nächster Nachfolger hatte
Franz die Wundenmale von dem Gekreuzigten selbst empfangen.
Es ist der Kultus des Kreuzes, den er, wie kein Zweiter, gepredigt
und gefördert hat (vgl. meinen ,, Franz von Assisi", II. Aufl. S. 543),
das Kreuz in der Hand, wird er von der Kunst verherrlicht. Ja,
man schilderte ihn als Kreuzträger: so folgt er auf dem Titelblatt
der ,,Conformitates" des Bartholomäus Pisanus dem kreuztragenden,
ihm voranschreitenden Herrn (a. a. O. S. 554). Und weiter ein ,,ath-
leta Christi" war auch er; ein Feldherr himmlischer Heerschaaren,
ein Fahnenträger Christi, wie er auf dem Triumphbilde in Assisi
verbildlicht ist mit dem Kreuz auf der Standarte, der neue Michael,
dem der verlassene Himmelsthron Luzifers zu Theil geworden war
(a. a. O. S, 97, 538). Als Kämpfer im Krieg gegen den Drachen,
welcher .. ^^ ,
nititur attrahere
maximam partem syderum
ad damnatorum numerum
6o Das Jüngste Gericht
wird er in einem Hymnus von Gregor IX. gefeiert :
verum de Christi latere
novus legatus mittitur
in cujus sacro corpore
vexillum crucis cernitur
Franciscus princeps inclytus
Signum reale bajulat.
Und ähnlich von Jacopone da Todi in seinem Liede : O Francesco
da Dio amato. Es ist diese heroische Auffassung, die sich Michel-
angelo zu eigen machte. Wie allgemein sie auch in seiner Zeit
war, zeigt ein Sonett Vittoria Colonnas (Ausg. Barbera CXX) :
Dietro al divino tuo gran capitano
Seguendo l'orma bella, ardito entrasti
Fra perigUose insidie, aspri contrasti
Con l'arme sol dell'umiltade in mano.
Mentre il mondo sprezzando e nudo e piano
Solo della tua croce ricco andasti
Per deserti selvaggi, a noi mostrasti
Ouanto puö con la grazia un core umano.
Fasst man Alles zusammen — auch dies beachtend , dass Franz
jugendlich dargestellt ward — so wird, wie mir scheint, mag auch
zuerst die Behauptung befremdlich kUngen, die Annahme glaub-
haft, dass der Kreuzträger in der Gruppe der Doctores der hl.
Franz ist.
4. Die Chöre der Sibyllen und Virgines.
Dass in der hinteren Gruppe links, wie Chapon schon bemerkte,
eine Versammlung der Sibyllen , dre gedanklich der Schaar der
Propheten rechts entspricht, zu erkennen ist, darüber kann meines
Erachtens kein Zweifel sein. Die eigenthümlichen Trachten, der
Charakter und die Gebärdensprache der Gestalten beweisen es.
So gewiss Michelangelo bei den Hauptfiguren bestimmte Sibyllen
in Gedanken gehabt hat — auch die Königin von Saba (Matth.
12, 41, Luk. II, 31) könnte man hier erwarten — , so unmöglich
dürfte es aber sein , Namen anzugeben , denn die blossen Alters-
unterschiede geben keinen Anhalt hierfür. Und das Gleiche gilt
von den heiligen Frauen des Neuen Bundes im Vordergrunde —
man wäre auf blosses Rathen angewiesen. Wieder wie bei den
Propheten und Confessores ist auch hier die Unterscheidung der
beiden Schaaren deutlich durch die Stimmung gegeben. Die vor-
christlichen Frauen sind von Erregung, von Staunen , Erschrecken
durchbebt, die nachchristlichen verharren in seliger Ruhe. Selbst
die mächtige Frau im Vordergrunde, an die sich hülfesuchend eine
Deutung einzelner Figuren 6l
jüngere schmiegt, ist in Anschauung versunken. Verzichtet man aber
gerne bezüglich der übrigen auf Namen — hier angesichts dieser
so ausgezeichneten, isoHrten Gruppe drängt sich die Frage doch
auf, wen Michelangelo gemeint habe. Es ist undenkbar, dass er
nicht bestimmte Persönlichkeiten zu schildern beabsichtigt hat.
Der Abbe Rouvier giebt der Gruppe die Benennung: Eva mit
einer ihrer Töchter. Steinmann sieht Anna mit Maria (wie wäre
es denkbar, dass Maria zweimal im Fresko dargestellt sei.?*). Kailab,
eine symbolische Deutung suchend, will Beatrice erkennen, welche
Rahel umschlingt, d. h. die Vita contemplativa, welche sich zur
christlichen Theologie ,,colla gratia perficiente" (Landino) flüchtet.
„Wehrlos ist auch die tiefste Erkenntniss Gottes, wenn ihr nicht
göttliche Wissenschaft und Gnade zu Hülfe kommt." Wie Dante
sich an seine himmlische Führerin wende , so hier Rahel — pa-
reami che il suo viso ardesse tutto (Par. 23, v. 22). Michelangelo
habe in den beiden Gestalten den Grundgedanken der Divina
Commedia zusammengefasst. Die Erklärung ist zu gesucht, als
dass sie einleuchten könnte. Eine Allegorie anzunehmen, wider-
spricht dem im gesamten Kunstwerke sich äussernden Geiste.
Ungezwungen, so will es mich bedünken, ergiebt sich die Er-
klärung der herrlichen Gruppe, wenn wir an unserer grundlegenden
Auffassung der Chöre festhalten. Dann gehört die mächtige, ganz
in liebende Anschauung Christi versunkene Frau zu den Virgines.
Und unter Diesen — welche dürfte eine so ausgezeichnete Stellung
beanspruchen dürfen, als Magdalena, die Liebende.? Und für
sie spricht, wie die sinnlich schöne Bildung des Körpers, so auch
die bei ihr Zuflucht suchende Frau — ist doch Magdalena die
Patronin der Büsserinnen. Es erscheint nicht unangebracht
an die zwei Sonette zu erinnern (CXIV und CLVII der Barbera'schen
Ausgabe), welche Vittoria in ihrem besonderen Kultus für die Heilige
Dieser widmete. Das eine, die Macht der Frauenliebe verherr-
lichend, lautet:
La bella donna a cui dolente preme
Quel gran desio che sgombra ogni paura,
Di notte, sola, inerme, umile e pura,
Armata sol di viva ardente speme.
Entra dentro '1 sepolcro e piange e gerne;
Gli angeli lascia e piü di se non cura:
Ma a' piedi del Signor cade secura,
Che '1 cor ch'arde d'amor di nulla teme.
Ed agli uomini, eletti a grazie tante,
Forti, insieme rinchiusi, il lume vero
Per timor parve nudo spirto ed ombra.
62 Das Jüngste Gericht
Onde sc '1 ver dal falso non s'adombra,
Convien dare alle donne il pregio intero,
D'aver il cor piü acceso e piü costante.
Und das andere endigt :
In tal pensier da vil nodo mi scioglio,
Pregando lei con voce ardita e balda
M'impetri dal Signor appo se loco.
Die „lebendig glühende Hoffnung", ,,das von Liebe entbrannte
Herz" — das ist es , was , ja auch Kailabs Deutung bestimmend,
diese Gestalt vor allen anderen Frauen in dem Gemälde auszeichnet.
5. Der Chor der Märtyrer.
Die Bestimmung der Hauptfiguren ist durch die Attribute ge-
sichert. Wir gewahren Sebastian mit den Pfeilen, Katharina
mit dem Rade, Blasius mit der Hechel, Andreas mit dem Kreuz
(Platner meinte: Philippus) und Simon mit der Säge. Andere
Gestalten sind nicht gekennzeichnet.
Als Märtyrer dargestellt sind auch die beiden, unmittelbar unter
Christus auf Wolken sitzenden Heiligen Laurentius und Bar-
tholomäus. Dass der erstere, in Rom besonders verehrt, eine so
ausgezeichnete Stellung erhielt, erklärt sich leicht. Die Wahl des
Bartholomäus mag aus künstlerischen Gründen hervorgegangen
sein : als Gegenstück zu Lorenzo sollte ein Märtyrer aus dem
Kreise der Apostel angebracht werden. Den Aposteln selbst wurde
Laurentius gleichgestellt :
Apostolorum supparem
Laurentium Archidiaconum
Pari Corona martyrum
Romana sacravit fides
heisst es in einem Hymnus (Daniel: Thes. hymn. I, S 103, Nr. XCII) ;
die grösste Verehrung unter den Märtyrern nächst Stephanus ward
ihm zu Theil.
B. Die mittlere Zone.
Die gen Himmel Aufsteigenden und die Posaunenengel be-
dürfen keiner weiteren Deutung. Wohl aber verlangt Vasaris An-
gabe , die Gruppe der von Engeln in den Abgrund Gestossenen
oder, näher präzisirt, die Teufel in dieser Gruppe stellten die sieben
Todsünden dar, eine Prüfung. Vasari erwähnt die Individiosi, die
Superbi, die Avari und die Lussuriosi. Condivi bemerkt, wie er-
wähnt , dass die Sünder von den Teufeln nach unten gezogen
würden, ein Jeder an dem Körpertheil, mit dem er gesündigt, und
Deutung einzelner Figuren 63
führt als Beispiele an: die Hochmüthigen an den Haaren, die
Lussuriosi an den Schamtheilen.
Nun ist zunächst zu betonen, dass diese Behauptung allgemein
nicht zutrifft: nur das eine letztgenannte Motiv (durch Daniele da
Volterra verändert) findet sich. Die Teufel greifen zu, wo sie eben
können. Wie aber verhält es sich mit Vasaris Aussage.?' Wir
sehen in der That sieben Hauptfiguren der Verdammten. Deren
eine ist durch den Schlüssel und den Beutel als Geizhals charak-
terisirt ; eine andere mit widerlich thierischem Gesicht, den Finger
in den Mund steckend , als Schlemmer und durch das eben er-
wähnte Motiv des Zugreifen des Teufels zugleich als Wollüstiger.
Den Zorn könnte man in dem über diesem befindlichen , sich
Wehrenden erkennen. Vergeblich aber wäre es , in den anderen
vier Verdammten die Personifikation von Hochmuth , Neid , Träg-
heit und Wollust bestimmt nachweisen zu wollen. Liesse sich
allenfalls der auf Wolken Aufwärtssteigende als Repräsentant des
Hochmuthes ansehen , so wäre es immer die Frage , ob mit dem
Schlangenumwundenen der Neid gemeint sei. Entschiede man sich,
vielleicht in Rücksicht auf den Blick, der aber doch wohl nur Ent-
setzen, nicht Scheelsucht ausdrückt, hierfür, so bliebe kaum etwas
Anderes übrig, als den rechts mit dem Engel Ringenden ,, Trägheit"
zu nennen. Für die siebente Figur, die abwärts fliegende ver-
zweifelte Frauengestalt , gäbe es keine Erklärung. Wir bleiben also
willkürlich in der Interpretation.
Immerhin, da wenigstens zwei, respektive drei Laster deutlich
gekennzeichnet sind, dürfen wir an Vasaris Behauptung, Michel-
angelo habe bei der Gestaltung dieser Gruppe die Vorstellung der
Todsünden, wie sie ja auch bei Belcari uns scharf ausgeprägt be-
gegnet, vorgeschwebt, festhalten.
Was die Engel betrifft, so scheint die Zahl vier darauf hin-
zuweisen, dass ausser dem Kampfe Michaels und seiner Schaar mit
dem Teufel auch die apokalyptische Vision der vier Engel vom
Euphrat des Künstlers Phantasie beeinflusste. Michael in dem
siegreichen Bekämpfer des Geizigen zu erkennen, dürfte naheliegen.
C. Die untere Zone.
Über Charon und Minos ist dem früher Gesagten nichts Wesent-
liches hinzuzufügen. Zu bemerken wäre nur, dass Rouvier-Chapon
— wie mir scheint, ungerechtfertigter Weise — diese Deutung der
beiden Gestalten im Sinne Dantes ablehnen und behaupten, die
Barke werde nicht von Charon , sondern vom Satan geführt. Es
handle sich um den Gegensatz zu dem Gedanken der von Petrus
geleiteten Barke der Kirche. Zu bemerken ist allerdings, wie oben
schon erwähnt, dass Michelangelo Charon zu einem Teufel gemacht
64 Das Jüngste Gericht
hat, indem er ihm Krallen und Fledermausohren gab. Hat er an
den Calcabrin Belcaris gedacht und Diesen an Stelle des Dante-
schen Charon gesetzt? So scheint es, denn die Abweichung von
Dante ist zu auffallend, als dass hier nicht eine bestimmte Absicht
vorläge. Ob Minos die Porträtzüge des Zeremonienmeisters Biagio
trägt, scheint mir, wie Kailab, sehr zweifelhaft. Bezüglich des an-
geblichen Ugolino rechts in der Ecke habe ich meine Meinung
schon oben geäussert.
Unter den Auferstehenden ist es nur eine Figur , die eine
Deutung herausfordert , da es sich sonst um Namenlose handelt :
der gewandete ältere Mann , der — kein Auferstehender — sich
sprechend an einen eben erwachenden, in Leichentüchern Gehüllten
richtet. Steinmanns Annahme, es sei Virgil, der sich zu Dante
wende , habe ich schon zurückgewiesen. Ich bin der Meinung
Kaliabs, dass Hesekiel dargestellt ist, auf dessen Vision schon
Condivi die Konzeption der ganzen Szene zurückführt. Wollte man
dem Erwachenden einen Namen geben, was mir aber nicht geboten
erscheint, so könnte es nur der Daniels sein, von dem es heisst:
,,Du aber, Daniel, gehe hin, bis das Ende komme ; und ruhe, dass
du aufstehest in deinem Theil am Ende der Tage" (Dan. 12, 2).
VI
Die Urtheile über das Jüngste Gericht
Noch während seiner Thätigkeit an dem Gemälde vernahm
Michelangelo die ersten sein Werk verurtheilenden Worte. Der
Zeremonienmeister Biagio da Cesena sprach jene Bedenken gegen
die Nacktheit der Figuren aus , welche später unter Paul IV. und
Pius V. die Übermalung durch Daniele da Volterra und Girolamo
da Fano veranlassen sollten. Sie werden von Vielen getheilt
worden sein nach Enthüllung des Freskos, so gross das allgemeine
Staunen und die glühende Bewunderung der Künstler und Kenner
war, und Pietro Aretino schreibt 1545 jenen infamen Brief, in dem
er, seiner Wuth über erbetene und nicht erhaltene Geschenke
freien Lauf lassend, dem Meister selbst gegenüber in seiner schwül-
stigen Weise frech sich zum Anwalt jener Meinung macht.
„Mein Herr!"
,,Erst beim Anblick der Gesamtskizze Eueres Jüngsten Ge-
richtes sind mir die Augen aufgegangen für die erlauchte An-
muth, die Raphael in der wohlgefäUigen Schönheit seiner Erfindung
zu eigen ist. Als ein christlich Getaufter schäme ich mich der
unerlaubten Freiheit, die sich Euer Geist beim Ausdruck der
Ideen von jener letzten Entscheidung, nach welcher unser wahr-
Die Urtheile über das Jüngste Gericht 65
haftigster Glaube mit allen Sinnen strebt , herausgenommen hat.
Wie? Michelangelo, staunenswerth durch seinen Ruhm, Michel-
angelo , ausgezeichnet durch seine Besonnenheit , Michelangelo,
der Bewundernswürdige , hat der Welt nicht weniger irreUgiöse
Gottlosigkeit, als Vollkommenheit in der Malerei zeigen wollen?
Ist es möglich, dass Ihr, der Ihr, als ein Göttlicher, den Verkehr
mit Menschen verschmäht, Etwas dergleichen im grössten Gottes-
tempel verfertigt habt? Über dem ersten Altar Jesu? In der
grössten Kapelle der Welt? In der die Thürangeln der Kirche,
die ehrwürdigen Priester , der Stellvertreter Christi mit katho-
lischen Zeremonien, mit heiligen Funktionen und göttlichen Ge-
beten sich zu Seinem Leib, Seinem Fleisch und Blut bekennen,
es in Anschauung vertieft anbeten ? Wäre es nicht ruchlos, Ver-
gleiche zu ziehen , so würde ich , meine weise Vorsicht Eurem
indiskreten Gewissen vorziehend, mich meiner Güte rühmen, wie
ich sie im Traktat der Nanna bewiesen, denn obgleich der Gegen-
stand lasziv und unkeusch , bediene ich mich vorbedachter und
gesitteter Worte, ja spreche in untadeliger und keuscher Weise;
Ihr aber in der Gestaltung eines so hohen Vorwurfes zeigt Engel
und Heilige, die Heiligen baar jedes irdischen Anstandes und die
Engel jedes himmlischen Schmuckes beraubt. Selbst die Heiden,
wenn sie , ich spreche gar nicht von der bekleideten Diana,
die nackte Venus meisseln, lassen sie mit den Händen die Körper-
theile verdecken , die man nicht enthüllt , und ein Christ , bloss
weil er die Kunst höher achtet als den Glauben, macht sowohl
Mangel an Schicklichkeit in den Märtyrern und Jungfrauen als
auch die Geste , dass Einer an den Geschlechtstheilen hinab-
gezogen wird, zum öffentlichen Schauspiel, Etwas, was nicht zu
sehen man selbst im Bordell die Augen verschliessen würde.
Einem wollüstigen Baderaum, nicht einem vornehmsten Kirchen-
chor ist solch' Euer Vorgehen angemessen. Es wäre weniger
sündhaft , hättet Ihr überhaupt keinen Glauben , als mit einem
solchen Glauben den Anderer zu vermindern. Nicht ungestraft
aber bleibt die Vortrefflichkeit so waghalsiger Wunderdinge,
denn das Wunder , das sie selbst bewirken , ist der Tod Eures
Ruhmes. Wollt Ihr diesen wieder erwecken , so thut es , indem
Ihr durch Feuerflammen die Schamtheile der Verdammten und
durch Sonnenstrahlen die der Seligen verhehlt, oder ahmt die
florentinische Züchtigkeit nach, welche jene des schönen Kolosses
unter goldenen Blättern verbirgt ; und der steht dort auf öffent-
lichem Platze und nicht an geweihtem Ort. So verzeihe Euch
Gott , als ich dies nicht etwa aus Zorn über die gewünschten
Dinge sage ; denn Euerer Verpflichtung, sie mir zu senden, hättet
Ihr mit allem Eifer nachkommen sollen , da Ihr hierdurch die
66 Das Jüngste Gericht
neidischen Zungen zum Schweigen gebracht , welche behaupten,
nur die Gherardos und Thomasse könnten über solche Gaben
verfügen. Aber wenn selbst der Schatz, den Euch Giulio hinter-
licss , damit seine irdischen Reste in einem von Euch skulpirten
Grabmal untergebracht würden , nicht genügte , Euch Euer Ver-
sprechen halten zu machen , was kann ich erhoffen ? Obgleich
nicht Eure Undankbarkeit, grosser Maler, nicht Euer Geiz trägt
die Schuld daran, sondern die Huld und Würde des höchsten
Hirten. Gott will, dass Dessen ewiger Ruhm, ihm selbst nur
verdankt , in einem einfachen Grabe weiterlebe und nicht durch
Eure Kunst in einem hochfahrenden Grabgebäude. Immerhin
wird Euch als Diebstahl angerechnet, dass Ihr Eure Verpflichtung
nicht erfüllt. Da aber unsere Seelen mehr danach verlangen,
zur Devotion gestimmt, als durch die Kunst der Zeichnung be-
eindruckt zu werden, so gebe Gott Seiner Heiligkeit dem Papst
Paul das Gleiche ein, wie er es Gregor eingab, der lieber Rom
des Schmuckes seiner stolzen Gottesstatuen berauben , als die
Verehrung der bescheidenen Heiligenbilder durch jene beein-
trächtigen lassen wollte. Zum Schlüsse sage ich: hättet Ihr Euch
bei der Komposition des Weltalls, der Hölle und des Paradieses
und bei der Schilderung der Glorie, der Ehrenbezeugungen und
der Schrecken von meinem Brief, den dieses Jahrhundert liest,
von seiner Belehrung, seinem Beispiel und seiner Weisheit be-
rathen lassen , so würden , dies erkühne ich mich zu behaupten,
nicht nur die Natur und all der günstige Sterneneinfluss es nicht
bereuen. Euch jenen leuchtenden Intellekt gegeben zu haben,
der die Menschen heute bewegt , Euch zu einem Wunderbilde
höchster Tugend zu machen, nein auch die Vorsehung, die Alles
sieht, würde auch für ein solches Werk Sorge tragen, so lange
die Ordnung im Sphärenwalten sich erhält."
,,Euer Diener, der Aretiner."
, Jetzt da ich meine Wuth über die Grausamkeit, mit der Ihr
meine Ergebenheit behandelt, ausgelassen, und es mich dünkt, ich
habe Euch gezeigt, dass, wenn Ihr göttlich seid, ich auch nicht
von Wasser bin, zerfetzt dies Schreiben, denn auch ich habe es
in Stücke zerrissen, und entschliesst Euch nun, denn ich bin Einer,
dessen Briefe selbst Könige und Kaiser beantworten." (Gaye 11,
S. 332. Steinm.ann, Rep. f. Kunstw. XXIX, S. 491.)
Fast wörtlich erscheint dieser hämische Erguss in einem anderen
Briefe, den Pietro 1547 an Alessandro Corvino richtete (Lettere.
Paris IV, S. 86. Steinmann, Rep. f Kunstw. XIX, S. 494).
AnEneaVico, der das Gemälde stach, schrieb er im Januar 1546:
,,so befleissigt Euch nun der Vollendung eines so heiligen und
lobenswürdigen Unternehmens; denn der Skandal, den die Zügel-
Die Urtheile über das Jüngste Gericht ^J
losigkeit der Kunst Michelangelos bei den Lutheranern wegen des
mangelnden Respektes vor dem natürlichen Schamgefühl, in den
Figuren der Hölle wie des Himmels zu Tage tretend, erregen
könnte, nimmt Euch Nichts von der Ehre, die Ihr verdient, indem
Ihr die Ursache seid, dass Jeder sich an dem Werke freuen könne."
(Lettere. Paris II, S. 328. Bottari III, S. 112. Steinmann a. a. O.
S. 433-)
In seinem ,, Dialogo della Pittura" (Florenz 1733, S. 244) lässt
Lodovico Dolce Aretino auf den Einwurf: ,,die Erfindung sei höchst
geistreich und von Wenigen verstanden", antworten: „wenn Michel-
angelo will, dass seine Erfindungen nur von wenigen Gelehrten ver-
standen werden, so überlasse ich seine Gedanken ihm selbst, da
ich nicht zu diesen wenigen Gelehrten gehöre."
Es klingt wie eine Antwort auf solche Kritik, der sich Lodovico
Dolce angeschlossen hat, wenn Michelangelo Biondo 1549 das
Jüngste Gericht „das schönste und ruhmvollste, das glorreichste
Werk" nennt, welches je in der Welt von irgend einem Maler
gemacht wurde (Quellenschriften für Kunstgeschichte V, 38). Und
gleich darauf, 1550, offenbar in Kenntniss des Aretino'schen Briefes,
ergreift Vasari in der ersten Ausgabe seiner Vite das Wort. Nach-
dem er die Terribilitä und Grösse des Werkes, die Wahrhaftigkeit
im Ausdruck aller menschlichen Affekte , das Dekorum im Aus-
sehen und in den Bewegungen aller Figuren, die unendliche Mannig-
faltigkeit und Neuheit der Motive, den philosophischen Geist, die
Kunst der Verkürzungen und der Modellirung in höchsten Tönen
gepriesen, ruft er aus :
„Dies ist in unserer Kunst das Muster grosser Malerei, das
von Gott den Menschen auf Erden gesandt ward, damit sie ge-
wahren, was das Schicksal thut, wenn die Geister von höchstem
Sitze »herab auf die Erde steigen und ihnen die Gnade und die
Göttlichkeit des Wissens eingehaucht wird. Dieses Werk macht
Alle, die sich einbilden. Etwas von Kunst zu wissen, zu Gefangenen,
und jeder gewaltige Geist, er sei so reich begabt in der Zeichnung
wie er wolle, geräth in Furcht und Zittern, sieht er die Striche,
mit denen die Umrisse von was immer es sei gezeichnet sind.
Und indem man die Mühen dieser seiner Schöpfung gewahrt, ver-
wirren sich die Sinne beim blossen Gedanken, was andere Gemälde,
die wetteifernd mit diesem entstehen oder entstehen werden, sein
können! Glücklich wahrUch darf sich die Zeit nennen und glück-
lichen Gedenkens , wer dies staunenswerthe Wunder unsres Jahr-
hunderts gesehen! Glückselig und vom Schicksal begünstigt bist
du, Paul III, da Gott es zugiebt, dass unter deiner Protektion sich
der Ruhm berge, den seinem und deinem Andenken die Federn
der Schriftsteller verleihen werden. Wie viel gewinnen deine Ver-
6g Das Jüngste Gericht
dienste durch seine Fähigkeiten? Das ist gewiss, ein guter Stern
ward durch seine Geburt den Künstlern in diesem Jahrhundert
beschieden, da sie den Vorhang zerrissen sahen, und durch die
von ihm geschaffenen Malereien und Skulpturen und Architekturen
alle Schwierigkeiten behoben , zu entwerfen und gestalten , was
man will."
Zwei Jahre später äussert sich der Litterat Lodovico Domenichi
in seiner Schrift: „Nobiltä delle Donne" (Venedig, Giolito 1552)
gelegentlich der Erwähnung des Nackten in der Antike: ,,In seinem
wunderbaren Gemälde in der Kapelle zu Rom hat Michelangelo
es mit lebhafter Kraft wieder in Gebrauch bringen wollen, was ihm
viel grösseres Lob von den Kunstverständigen eingetragen hat, als
Tadel von einigen Ignoranten und Betbrüdern (ignoranti spigolistri),
die sich schämen, schönste, dem einen und dem anderen Geschlecht
eigene Körpertheile anzusehen."
Aber die Meinungen bleiben getheilt. Ausführlich werden die
Mängel des Werkes in einem Dialog des Gilio da Fabriano be-
sprochen, auf den schon Borghini in seinem Riposo (S. 53) auf-
merksam macht. (Due dialoghi di M. Giovanni Andrea Gilio da
Fabriano. Camerino 1564, S. 69 ff. Bei Steinmann: Sixt Kap. II, 554
ein Auszug.) Auf die Nacktheit wird jetzt kein solches Gewicht
mehr gelegt; inzwischen hatte Daniele da Volterra ja schon das
hierin Anstössige beseitigt. Der Tadel des sprechend eingeführten
Kanonikus Ruggiero Coradini trifft die der Andacht und Ehrfurcht
widersprechende Verletzung des Theologisch-Historischen. Die zum
Theil sehr kindisch vertheidigten Bedenken betreffen die Bartlosig-
keit Christi, die Furchtsamkeit der Madonna, die als willenseinig
mit ihrem Sohne doch den gleichen Abscheu vor den Verdammten
zeigen müsse, die Flügellosigkeit der Engel und die fehlerhafte
Charakteristik der Teufel, die keine Schwänze und Hörner hätten,
die Verschiedenartigkeit im Zustande der Auferstehenden, den Flug
der Auserwählten gen oben, die Anbringung des Charon. Ja er
will, obgleich er aus der Bibel direkt widerlegt wird, selbst die
beiden Bücher nicht gelten lassen, da nur das Gewissen am Jüngsten
Tage entschuldige oder verklage. Selbst ein Bewunderer Michel-
angelos darf in diesen Gesprächen sich empört über die unschick-
lichen, gewaltsamen Bewegungen der Engel mit den Marterwerk-
zeugen äussern.
Wie der Kanonikus, der Alles für ,,favoloso e vano" hielt, be-
zeichnete nach Lomazzo (Idea S. 98) ein Schüler des Camillo
Boccaccino die ,, Wunder dieses Werkes" als ,, Träume und Chimären".
Michelangelo habe beabsichtigt, der Dante unter den Malern zu
sein. Man sieht, es hatten sich Schlagworte gebildet. Dem gegen-
über sprach Lomazzo es mit Nachdruck aus : das Gemälde sei
Die Urtheile über das Jüngste Gericht 69
„das edelste und ausgezeichnetste, das man auf Erden finden könne"
(Idea S. 42). Er rühmt die unendliche Fülle der Motive, die sichere
Charakteristik der Dämonen, erklärt die bedeutendere Grösse der
oberen Figuren aus der Nothwendigkeit eines gleichmässigen Ein-
druckes, nur bezüglich der Heiligen, meint er, habe der Künstler
nicht das Dekorum gewahrt , da er sie zu robust dargestellt
(Trattato I, 31. 179. 207. 206).
Wie die Künstler, hat Michelangelo auch die künstlerisch fühlen-
den Dichter für sich gehabt. Noch bevor er das Gemälde ent-
hüllt, scheint ihm Francesco Maria Molza folgendes Sonett (Poesie.
Bergamo 1747. Son. CXLIV. S. 75) gesandt zu haben:
Angiol terren, che PoUcleto e Apelle
A l'etä nostra desiar non lasci,
E dai spirar si dolcemente a i sassi,
Ch' opre il mondo non vede altre piü belle.
Se le voglie contempli inique e feile,
Di che '1 secolo ripieno ogn'or piü fassi,
Non fu mai di virtü spirti si cassi,
Ne gente di pietä tanto rubelle.
Tu sol (perche non scopri il bei lavoro)
Puoi con effetti di lodi alti e chiari
II mondo richiamar a l'antic'oro.
Si che a prieghi si desti omai piu rari,
E '1 Ciel mirando, e di Cocito il coro
Amar or l'uno, or temer l'altro impari.
Und Niccolo Martelli , der gleich nach Enthüllung in einem
Briefe an Michelangelo seiner schrankenlosen Begeisterung über
das ,, göttliche Werk" Ausdruck gegeben hatte, grüsst den Meister
mit folgenden Strophen (Frey: Die Dichtungen des M. B. S. 265,
CLXXIII):
Se Prassitel, del marmo etterno honore,
E il grande Apelle, a cui diede la cura
Ritrar' sol di se stesso la figura
Colui, ch'al mondo die briga et terrore.
Non fusser d'esta nostra vita fuore,
Non sdegnierien chiamarvi lor' fattura,
Michelangel, piü ch'huom di cui natura
Piü bello ancor' non hebbe imitatore.
Come veder' si puo nel sacro tempio
Del Vatican' dal' alta fantasia
Vostra sculpito il Di grande et tremendo,
Che perch' ai gesti et moti han' vivo essempio,
L'occhio s'inganna et l'udir' non udendo,
Tra l'uno et altro par' discordi sia.
70 Das Jüngste Gericht
Worte, welche die unerhört lebensvolle Wirkung der Gestalten
ähnlich verherrlichen, wie ein Ausspruch Sebastiano del Piombos,
den Pietro Aretino in seiner Komödie La Talanta (Akt II, Sz. 3)
mittheilt: ,,es ist schwer einzusehen, wer lebendiger sei: die Leute,
welche die gemalten Figuren bewundern, oder die Figuren, die
von den Leuten bewundert werden."
An Vasaris überschwänglichen Ausruf erinnert der Schluss
eines Sonettes von Gandolfo Porrino von Modena (Frey: Dicht.
S. 272, CLXXX):
Se del figliol di Dio l'almo sembiante,
Che Veronica impresse nel bei velo,
Tal ch'e giä stanco et ha cangiato il pelo,
Tira del Tebro ä queste rive sante,
Ho per mirar diverse cose tante
Et tutta la militia alta del cielo
Dritto e, se di la sü lo scalda il zelo,
Ch'ale doppio disio giunga ä le plante.
Quivi appar di Maria la forma vera,
E quel fia nel gran di reterno Sire,
Scacciando i pravi e ä se chiamando i giusti,
O Sacra Roma, homai tu puoi ben dire:
Mai non mi fe di tal trionfo altera
Cesare o gli altri miei famosi Augusti.
Die Vorwürfe, die Michelangelo im XVI. Jahrhundert gemacht
wurden, bezogen sich im Wesentlichen auf Geist und Auffassung
des Werkes, nicht auf die künstlerische Gestaltung. Diese wurde
als ein wahres Wunder betrachtet. Erst aus dem Anfang des
XVII. Jahrhunderts vernehmen wir, im Nachklang derjenigen Lodo-
vico Dolces, Stimmen, die auch an ihr auszusetzen finden, und
zwar sind es, was leicht erklärlich, solche bolognesischer Künstler.
Annibale Caracci vergleicht die Deckengemälde der Sixtina und das
Jüngste Gericht und zieht die ersteren vor , da die Figuren im
Gericht zu anatomisch seien (Bellori: Vite S. 44). Francesco
Albani, der Michelangelo in der Komposition der Verdammten im
Charonsnachen von Raphael beeinflusst glaubt, tadelt die Perspek-
tive: auch die oberen Gestalten hätten von unten, also von einem
tiefen Gesichtspunkt aus gesehen werden sollen ; er findet viele
Figuren überflüssig und wünscht, Michelangelo habe für die An-
ordnung der Christus umgebenden Personen sich des Vorbildes
Raphael'scher Kompositionen bedient (Malvasia: Felsina pittrice, ed.
Zanotti U, 169). Damit beginnt eine Kritik, die, schon vor 1672
von Felibien in seinen „Entretiens" bekämpft, sich im XVIII. Jahr-
hundert bis zu Verdammungsurtheilen steigert. Auf Mengs'schen
Die Urtheile über das Jüngste Gericht 71
Spuren gehend, sieht d'Azara in der Michelangelo'schen Kunst, als
deren Beispiel er das Jüngste Gericht zitirt, keine Schönheit,
sondern nur die Absicht, ,,pompa del suo sapere" zu machen, ge-
waltsame Bewegungen, einzig bestimmt, die anatomischen Kennt-
nisse zur Schau zu tragen, einen groben und schwerfälligen Stil
(Mengs: Opere publ. da G. N. d'Azara. Parma 1780, I, 115). Die
abfälligen Urtheile Frearts und Milizias sind bekannt. Richardson
(III, 496 ff) rede von ,,Improprietes, Indecences, Absurdites", findet
das Ganze ohne Harmonie, sehr unangenehm und aus dem Wunsche
des Künstlers, Parade mit seinen Kenntnissen zu machen, hervor-
gegangen. Volkmann spricht von ,, wildem Getümmel", mangelnder
Verbindung der Gruppen, fehlendem Anstand, Monotonie im Aus-
druck, verfehlter Charakteristik der Maria, die dreist, hochmüthig,
ja beinahe schrecklich wirke, und rühmt nur die Kraft, die Kühn-
heit und Grösse der Zeichnung (11, 108). Ramdohr geht so weit,
das Gemälde ein Beispiel schlechten Geschmackes zu nennen. Die
Gestaltung oben sei symmetrisch, die unten unordentlich, der Aus-
druck allenthalben übertrieben und oft gemein, viele Gedanken
seien sogar ekelhaft (der hl. Bartholomäus, der Wollüstige). Es
zeige sich ein Mangel an Haltung und Kolorit (I, 179). Von
Quatremere de Ouincy wird dargethan, wie der gelehrte Prunk der
Anatomie der Mannigfaltigkeit des moralischen Eindruckes schade.
Nirgends finde man eine solche Nichtigkeit des moralischen oder
Gefühlseffektes. Am Weitesten in der Verurtheilung der Kompo-
sitionsweise ist Speth in seiner ,, Kunst in Italien" gegangen: er
sieht nur ein ,, gräuliches Gewirr".
Inzwischen ist auch die Anklage, die das Nackte betrifft, nicht
ganz verstummt. In einer Satire über die Malerei (S. Rosa : Satire,
Liriche, Lettere. Milano, Sonzogno 1892. S. 118 f.) geisselt Salvator
Rosa den Hochmuth der Künstler und bringt als Beispiel Michel-
angelo :
Ma tutta l'albagia non credo ch'abbia
Un fatto piü superbo e piü bestiale
Di quel ch'ora mi viene in sulle labia.
Scoperse il suo Giudizio Universale
Michel'Angelo al Papa; e ognun che v'era
Lo celebrava un' opera immortale.
Solo un tal cavalier con faccia austera,
E con parole di rigor ripiene
Favellö col pittore in tal maniera:
Questo vostro Giudizio espresso b bene,
Perche si vedon chiare in questo loco
Della vita d'ognun le parti oscene.
72 Das Jüngste Gericht
Michel'Angelo mio, non parlo in gioco ;
Questo che dipingete e un gran Giudizio,
Ma del giudizio voi n'avete poco.
10 non vi tasso intorno aH'artifizio,
Ma parlo del costume, in cui mi pare,
Che il vostro gran saper si cangi in vizio.
Dovevi pur distinguere e pensare,
Che dipingevi in chiesa ; in quanto a me
Sembra una stufa questo vostro altare.
Sapevi pur che il figlio di Noe,
Perche scoperse le vergogne al padre,
Tirö l'ira di Dio sovra di se :
E voi senza temer Cristo e la Madre
Fate che mostrin le vergogne aperte
Infin dei santi qui l'intiere squadre.
Dunque lä dove al ciel porgendo Offerte
11 sovrano Pastore i voti scioglie,
S'hanno a veder l'oscenitä scoperte?
Dove la terra, e il ciel lega e discioglie
II Vicario di Dio, staranno esposte
E natiche, e cotali, e culi e coglie?
In udire il pittor queste proposte,
Divenuto di rabbia e rossor nero,
Non pote proferir le sue risposte :
Ne potendo di lui l'orgoglio altero
Sfogar il suo furor per altre bände,
Dipinse nell'inferno il cavaliero.
E pur era un error si brutto e grande,
Che Daniele dipoi fece da sarto
In quel Giudizio a lavorar mutande.
Männer wie Bottari und Mariette waren im XVIII. Jahrhundert
der gleichen Meinung, wie Salvator Rosa: auch für sie war das
Nackte ein „error brutto e grande".
Eine Wendung zu verständnissvollerer Betrachtung des Werkes,
die Wilhelm Heinse (1782 s. Ardinghello) und Goethe, bereits während
seines römischen Aufenthaltes, anstellten, trat erst im XIX. Jahr-
hundert ein. Man beginnt sich eingehender mit ihm zu beschäf-
tigen, so Duppa (A dissertation on the picture of the last jugdment
and a life of Raffaello. London 1801) und Alexander Lenoir
(Observations sur le genie de M. A. et son tableau representant le
Die Urtheile über das Jüngste Gericht 72
Jugement dernier. Paris 1820. Annales Frangaises des Arts, Bd. VI).
In Italien macht Antonio Mezzanottes Cantica sul finale Giudizio
dipinto da M. (Perugia 1804) von sich reden und ruft Besprechungen
hervor: Pietro Bagnolis Articolo critico sulla cantica di M. (Nuovo
Giornale dei Letterati. Pisa 1825. X, 3 — 13), Vincenzo Salvagnolis
Articolo bibliografico sopra la cantica del prof. M. (in Giornale
Arcadico di scienze, lettere ed arti. Roma 1825. XXV, 331 — 338).
Aber zu unbedingter Anerkennung kamen doch auch jetzt nur
Wenige, unter denen Eugene Delacroix, der es j.l'ouvrage le plus
colossal que les arts aient produit chez les modernes" nennt, an
erster Stelle anzuführen ist (1837. Rev. d. d. m. IV. ser, tom. XI,
S. 337 ff.), und unter den neuesten Berthold Haendcke (Kunst-
chronik 1903 N. F. XIV. S. 57 ff.). Was zu wohl allgemeiner Würdi-
gung gelangt, ist die hohe Kunst der Anordnung, auf welche Be-
trachter, wie Montegut, Manz, Springer und Carl Justi mit be-
sonderem Nachdruck die Aufmerksamkeit lenkten. Burckhardt und
Springer werden vorzugsweise durch die unvergleichliche Kraft der
in den einzelnen Gruppen ausgedrückten poetischen Gedanken ge-
fesselt. Auch die vollendete Technik, welche Heath Wilson zu
näheren Untersuchungen veranlasst, wird erkannt. Aber die alten Be-
denken werden, wenn auch in gemässigterer Form, wieder laut. So
weit wie Ruskin, der jene früheren Behauptungen, es sei Michelangelo
nur um Schaustellung seiner Fertigkeit und anatomischen Kennt-
nisse zu thun gewesen, erneut, geht freilich nur ein Anderer: Heath
Wilson , der das Gemälde eine für die Marterkammer der Inqui-
sition passende Dekoration nennt, darin Verstösse gegen allen Ge-
schmack und alles religiöse Gefühl, ja ,,Irreverence" findet. Aber
immer wieder kehrt der Vorwurf der grausamen Einseitigkeit der
Schreckensschilderung, des Unterdrückens aller seelischen Züge von
Liebe, Dankbarkeit, Sympathie, der Tilgung aller Stimmung von
Heiligkeit und Seligkeit in den himmlischen Heerschaaren, der Ver-
nachlässigung des richtigen Ausdrucks zu Gunsten der Anbringung
von Verkürzungen — letzteres wird besonders in Platners Be-
schreibung von Rom (II, S. 275 ff.) bezüglich der Engel mit den
Marterwerkzeugen geltend gemacht. Sehr scharf hat Burckhardt
im Cicerone das Urtheil formulirt:
,,Der grosse Hauptfehler dieser gewaltigen Schöpfung, die schon
durch die schlechte Erhaltung ungünstig wirkt, kam tief aus Michel-
angelos Wesen hervor. Da er längst gebrochen hatte mit Allem, was
kirchlicher Typus, was religiöser Gemüthsanklang heisst, da er den
Menschen — gleichviel welchen — immer und durchgängig mit er-
höhter physischer Macht bildete, zu deren Äusserung die Nacktheit
wesentlich gehört, so existirt gar kein kenntlicher Unterschied
zwischen Heiligen, Seligen und Verdammten. Die Bildungen der
74 Das Jüngste Gericht
oberen Gruppen sind nicht idealer, ihre Bewegungen nicht edler
als die unten. Umsonst sucht man nach jener ruhigen Glorie von
Engeln, Aposteln und Heiligen, die in anderen Bildern dieses In-
halts schon durch ihr blosses symmetrisches Dasein die Haupt-
gestalt, den Richter, so sehr heben, vollends aber bei Orcagna und
Fiesole mit ihrem wunderbaren Seelenausdruck einen geistigen
Nimbus um ihn ausmachen. Nackte Gestalten , wie Michelangelo
sie wollte, können eine solche Stimmung gar nicht als Träger ver-
dienen ; sie verlangen Gesten, Bewegung und eine ganz andere Ab-
stufung von Motiven. Auf die letzteren hatte es der Meister eigent-
lich abgesehen." Er führt dann nach höchster Anerkennung der
poetischen Kraft aus , dass doch wohl die malerischen Gedanken
im Ganzen das Bestimmende gewesen seien. ,,Vom malerischen
Gesichtspunkte aus ist denn auch sein Werk einer ewigen Bewun-
derung sicher. Es wäre unnütz, die Motive einzeln aufzählen zu
wollen ; kein Theil der ganzen grossen Komposition ist in dieser
Beziehung vernachlässigt ; überall darf man nach dem Warum } und
Wie.? der Stellung fragen und man wird Antwort erhalten." Und
die Betrachtung schliesst: „immer noch bleibt das Ganze einzig
auf Erden."
Erst in dieser neueren Zeit versucht man sich über die geistigen
Vorbedingungen und den Gedankengehalt klar zu werden. Hettner,
dessen Auffassung im Wesentlichen von Justi getheilt wird, erklärt
das Werk aus der Gegenreformation : es zwänge sich wieder in die
Schranken der überlieferten Dogmatik. Carriere (in der Zeitschr. f.
bild. Kunst 1869, IV, S. 334) sieht von solchem Zwange Nichts. Er
erfasst Michelangelo hier als den Maler des Gewissens, wie Shake-
speare dessen Dichter sei. Der Künstler halte Gericht über die
Schlechtigkeit der Welt, wie Shakespeare im Timon und im Lear.
Es sei eine reformatorische Predigt, in Michelangelo rege sich das
Puritanerthum, das durch Milton seine Sprache finden sollte. Mon-
tegut bezeichnet das Gemälde als eine höchste abstrakte Kon-
zeption. Es führe in die ontologischen Sphären des Christenthums,
in denen die Sensibilität, das Mitleid, die Zärtlichkeit Nichts zu thun
haben. ,, Christus ist gross , nicht weil er vorübergehende Leiden
erfahren, sondern weil er der Vollzieher eines vom Urbeginn der
Zeiten an gefassten Rathschlusses ist." Haendcke erkennt in dem
Schöpfer des Werkes , in dem man durchaus nicht nur die Schil-
derung des Dies irae, sondern stets von Neuem das Hervorbrechen
der Seligkeit gewahre und mit dem gluthvollen Glauben des supra-
naturalistischen Mittelalters die Verherrlichung des Menschen im
Sinne der Renaissance verbunden finde, den Mann, ,,der beide
Weltansichten, die sich damals trafen, mit sicherster Hand zu ver-
einigen verstand".
Der Engelsturz 75
B. Der Engelsturz
Gleichzeitig mit dem Gedanken des Jüngsten Gerichtes für
die Aharwand der Sixtinischen Kapelle fasste kurz vor seinem
Tode Clemens VII. jenen, an der Eingangswand den Sturz Luzifers
und der Engel von Michelangelo malen zu lassen. Das Einzige,
was wir hierüber erfahren , findet sich in der zweiten Ausgabe
Vasaris. ,,Und an der anderen Wand gegenüber über dem Haupt-
eingang hatte er ihm Auftrag gegeben , darzustellen , wie Luzifer
wegen seines Hochmuthes aus dem Himmel verjagt ward und zu-
gleich mit in die Tiefe der Hölle alle jene Engel, die mit ihm ge-
sündigt, hinabgestürzt wurden. Wie sich erwies, hatte Michelangelo,
es ist schon viele Jahre her , für diese Komposition Skizzen und
verschiedene Zeichnungen angefertigt, deren eine dann von einem
sizilianischen Maler, der viele Monate lang Michelangelo als Farben-
reiber diente, in der Kirche der Trinitä in Rom ausgeführt worden
ist. Dieses Werk befindet sich im Querschiff der Kirche , in der
Kapelle des hl. Gregorius, in Fresko gemalt, und obgleich es schlecht
in der Behandlung ist , gewahrt man doch etwas grossartig Ge-
waltsames (terribile) und grosse Mannigfaltigkeit in den Stellungen
und Gruppen der nackten Gestalten, die vom Himmel herab regnen,
und der in die Tiefe der Erde Gestürzten, die in verschiedenartige
bizarre , von Schrecken erfasste Teufelsgestalten verwandelt sind ;
und eine kapriziöse Phantasie ist es wahrhaftig."
Zwei spätere Zeugnisse führt Steinmann (Sixt. Kap. S. 524) an.
Im Codex Capp. Vat. 231, p. 27 des Giulio Mancini heisst es:
,,dicono alcuni , che la caduta di Lucifero dentro in chiesa sia di
Jacomo da Pontormo". Und in Caspare CeUos „Memorie dei nomi
delU artefici , delle pitture che sono in alcune chiese , facciate e
palazzi di Roma", Napoli 1638 (Handschrift im Archäol. Institut in
Rom): ,,da capo incontro alla Assunta di Federico vi e la pittura
della caduta degh AngioU con alcuni Profeti e Sibille con la sua
invetriata; il tutto e disegno di M. A. ; di chi li habbia coloriti
l'opinione e incerta, si dice che fu un N. Siciliano, che mori subito
dopo, alti dicono che furno quelli due che fece venire il Buonarroti
da Firenze per cominciare la volta; puo essere che gli tre insieme
la pingessero essa opera, poiche si va vedendo, che la volta non e
simile del tutto al restante quanto colorito."
Bei Filippo Titi : Studio di pittura, Rom 1674, p. 408 findet
sich nur eine kurze Wiederholung der Vasari'schen Angaben. Im
76 Der Engelsturz
Ritratto di Roma moderna, Rom 1689, p. 344 liest man: ,,il giu-
dizio nella croce della chiesa e d'un Siciliano che serviva il Buo-
narroti et e uno de'disegni fatti per il Giuditio nel Vaticano."
Später wurde das Fresko zerstört, als man eine Kapelle des
hl. Franz dort baute (Titi: Ausgabe von 1763, p. 377).
Haben wir irgend eine Möglichkeit, das Gemälde zu rekon-
struiren ? Ein Entwurf Michelangelos für die gesamte Komposition
ist nicht erhalten. Wie ich bei Karl Köpl : ,, Urkunden, Acta u. s. w.
aus dem k. k. Statthalterei-Archiv in Prag" (Jahrb. der kunsthist.
Sammlungen des Allerhl. Kaiserhauses l88g, X, S. CXXXVIII) finde,
befand sich im XVIII. Jahrhundert in der Kaiserl. Kunstkammer
(Inventare von 17 18 und 1737) unter Nr. 453 ein Bild: ,,Die Ver-
treibung Luzifers aus dem Himmel", das als Kopie des Originales
von Michelangelo betrachtet wurde. Ist dieses Bild noch heute er-
halten }
Beachtenswerth scheint mir eine ausgeführte Zeichnung von
Angelo Bronzino in den Uffizien (ausgestellt 545, 4982 F) zu sein.
Sie könnte, ja dürfte wahrscheinlich von Michelangelos Werk in-
spirirt , gewiss aber nicht als eine Kopie aufzufassen sein. Sie
zeigt in der Höhe auf Wolken stehend den hl. Michael, in der Linken
den Schild , in der Rechten das Schwert. Links und rechts von
ihm über Wolken anbetende Engel. Darunter der Sturz zahlreicher,
in zwei Reihen über einander angeordneter nackter Figuren. Unten
auf der Erde verzweifelt laufende , hockende , die Hände ringende
Gestalten. Rechts der Abgrund mit Flammen. Es dürfte sich diese
Komposition ähnlich zu der des Meisters verhalten , wie Bronzinos
Entwurf zu einem Jüngsten Gericht (Uffizien 546) zu dem der Six-
tinischen Kapelle. In Hauptzügen hält sich Bronzino hier an das
grosse Vorbild, verändert es aber doch sehr frei.
Die Mittelgruppe unten : erschreckte , eilende Männer mit ab-
wehrenden Bewegungen ruft uns die kleinen Skizzen der Casa
Buonarroti, die je drei solche Figuren zeigen und gelegentlich der
,, Bekehrung Sauls" von mir angeführt werden, in Erinnerung:
V, 17, 18; VIII, 38; XIII, 67, 68 (Thode 27, 28, 36, 59, 60).
Dass Rubens das Gemälde in S. Trinitä gekannt und ihm An-
regungen für seine Darstellungen des Engelssturzes und auch des
Sturzes der Verdammten in München entnommen, ist mit Sicherheit
anzunehmen.
Auf einen kuriosen Entwurf des Engelssturzes von Hans Bock,
der lauter vereinzelte Stürzende in kühnen Verkürzungen zeigt,
möchte ich nur beiläufig hinweisen (Basel: Öff. Kunsts. Nr. 4, 85).
Die Fresken der Cappella Paolina: Geschichtliches 77
C. Die Fresken der Cappella Paolina
I
Geschichtliches
In der ersten Ausgabe der Vite erwähnt Vasari die Fresken ganz
kurz: „und nachdem diese (Sixtinische) Kapelle vollendet, wurde
ihm eine andere , wo das Sakrament sich befinden wird , gen. die
Paulina, in Arbeit gegeben. In ihr malte er zwei Geschichten, eine
vom hl. Petrus, die andere vom hl. Paulus; die eine, wie Christus
dem Petrus die Schlüssel giebt, die andere die schreckenvolle Be-
kehrung Sauls." Damals, also 1550, lässt Vasari den Meister noch
mit den Fresken beschäftigt sein.
Condivi schreibt: ,,SchliessHch wünschte Papst Paul, der in
demselben Stockwerk wie die Kapelle des Sixtus eine Kapelle ge-
baut hatte, diese auch mit Erinnerungen an den Künstler zu
schmücken und Hess ihn zwei grosse Gemälde an den Seitenwänden
malen ; in dem einen ist die Geschichte dargestellt , wie S. Paulus
durch die Erscheinung Jesu Christi bekehrt wird, in dem anderen
die Kreuzigung Petri, beide staunenswerth sowohl im Ganzen der
Darstellung, als auch in jeder einzelnen Figur. Und dies ist das
letzte Werk der Malerei, das er bis zum heutigen Tage geschaffen,
und er vollendete es im Alter von 75 Jahren." Das heisst also
im Jahre 1550.
Eine ausführlichere Beschreibung der Fresken giebt Vasari in
der zweiten Auflage, in welcher er erwähnt, dass Antonio da San
Gallo die Kapelle nach dem Muster derjenigen von Nikolaus V.
gebaut habe, und fährt fort: ,, Immer ist Michelangelo, wie schon
an anderer Stelle gesagt wurde, nur auf die Vervollkommnung der
Kunst bedacht gewesen ; in der Landschaft sieht man weder Bäume
noch Häuser noch andere anmuthige Spielereien der Kunst, denn
niemals war er auf solche bedacht als Einer , der seinen grossen
Geist nicht mit Dergleichen erniedrigen wollte. Dies waren seine
letzten Gemälde; er führte sie im Alter von 75 Jahren aus, und
zwar, wie er mir sagte, mit grosser Mühe, da die Malerei und
namentlich die Arbeit in Fresko , ist man über ein gewisses Alter
hinaus, nicht eine Kunst der Greise ist. Michelangelo ordnete an,
dass nach seinen Zeichnungen Perino del Vaga, ein ausgezeichneter
Maler, das Gewölbe mit Stuck und mannigfaltigen Malereien aus-
78 Die Fresken der Cappella Paolina
schmücke; und dies war auch der Wille Pauls III., doch wurde die
Sache auf die lange Bank geschoben und man machte Nichts davon.
So bleiben viele Dinge unvollendet, bisweilen durch die Schuld
unentschlossener Künstler, bisweilen durch die von Fürsten, welche
zu wenig bemüht sind, sie anzuspornen."
Folgendes sind die uns erhaltenen näheren Angaben über die
Ausführung der Fresken. Im Herbst 1541 sind diese beschlossene
Sache. Der Kardinal Ascanio Parisani schreibt am 23. November
an den Herzog von Urbino (Gaye II, 290) :
,,Da unser Herr den Wunsch hat und entschlossen ist, dass
Michelangelo Hand anlege, seine neue Kapelle im Palast auszumalen,
aber die Verpflichtung, die er bezüglich des Grabmales des Papstes
Julius E. Exzellenz gegenüber hat, und Euer Interesse in dieser
Sache kennt, hat er mit mir davon gesprochen und mir aufgetragen,
ich solle Euch schreiben und Euch ermahnen , es so einzurichten,
dass besagter Michelangelo mit entlasteterem Gemüth Seiner Heilig-
keit dienen könne. Er wies darauf hin , dass er , mit der Aus-
malung der Kapelle beschäftigt , nicht an dem Grabmal arbeiten
könne; alt und hinfälHg werde er, nach Vollendung der Kapelle,
falls er noch lebe, nicht weiter mehr arbeiten können, und da jene
drei oder vier Jahre in Anspruch nehmen werde, so sei es nöthig,
für das Grabmal in anderer Weise Sorge zu tragen."
Am 20. Juli 1542 ist die Arbeit im Gange, sie wird in einem
Briefe Vittoria Colonnas erwähnt. Am 16. November 1542 erhält
Urbino eine Provision für Farbenreiben in der Kapelle. Aus den
Jahren 1543 (22. Februar) und 1544 (15. November) erfahren wir,
dass der Meister malt. Am 12. Juli 1545 besichtigt Paul III. die
Malereien : Interim papa ivit ad videndum capellam seu picturas
factas per dominum Michaelem angelum (Steinmann u. Pogatscher,
S. 399). Verbinden wir diese Nachricht mit der anderen : dass
Urbino am 10. August für Zurichtung der einen Wand bezahlt wird,
so erscheint der Schluss berechtigt, dass damals eines der beiden
Gemälde vollendet ist und das andere vorbereitet wird. In diesem
Jahre 1545 ist ein Theil der Decke der Kapelle durch Brand zer-
stört worden. Das zweite Gemälde wird im März 1546 begonnen:
am 26. erhält Jacomo Meleghino Zahlung für Ultramarin , am 29.
Urbino für die Gerüstkosten. Auch am i. Mai 1546 erhält Me-
leghino Geld für blaue Farbe. Weitere Nachrichten über die Arbeit
bis zum Herbst 1549 fehlen. Damals ist sie nahe der Vollendung.
Am 13. Oktober schreibt Cosimos Gesandter Serristori über das
Wohlbefinden und die Rüstigkeit des Papstes: ,, Seine Heiligkeit
ist so frisch, dass Sie diesen Morgen eine Sprossenleiter von zehn
oder zwölf Stufen hinaufstieg , um die Malereien zu sehen , welche
Buonarroti in der Kapelle, die Seine Heiligkeit von ihm ausführen
Zeichnungen 79
lässt, gemacht hat" (Gronau: Rep. f. Kunstw. XXX, 194). 1550 war
das Werk abgeschlossen.
Der übrige malerische Schmuck der Kapelle wurde von
Fed. Zuccaro und Lor. Sabbatini ausgeführt; die Stuckengel in
den Ecken sind das Werk P. Brescianos.
Nach Volkmann (II, 112) sahen die Fresken im XVIII. Jahr-
hundert aus, ,,als wenn sie mit Russ gemalt wären". Von der
ausserordentlichen Sorgfalt der technischen Behandlung spricht
Heath Wilson, der sie vor der Reinigung im Jahre 1842 auf einer
Leiter genau untersuchte. Er stellte eine frühere Restaurirung fest.
Diese ist nach meinen Untersuchungen eine so weitgehende, dass
der ursprüngliche Farbencharakter fast ganz verschwunden ist. Die
Farbe wirkt jetzt unangenehm , fast hässUch. Zu bemerken aber
ist, dass fast alle Beurtheiler nur nach Stichen geurtheilt haben,
auf denen die Muskulatur der Körper, vergleicht man die Originale,
sehr übertrieben ist. Lernt man nur bei der Betrachtung von der
Entstellung durch die Übermalung absehen, so gewahrt man auch
hier, in diesen kaum bekannten Werken, mit wachsender Bewunde-
rung die herrlichsten und grossartigsten Gestalten und Motive.
II
Zeichnungen
Von Skizzen des Meisters , die auf die beiden Fresken mit
Sicherheit zu beziehen sind , kenne ich nur zwei , eine schon von
Robinson bemerkte Zeichnung in
I.Oxford. Univ. Gall. 77. Thode 450. Ber. 1577. Abb. Fisher I,
12. Phot. Br. 85. Kreide. Rechts zwei nach hinten gewandte
Kriegergestalten , auf stufenartige Erhöhung steigend , die
vordere mit einem Stab. — Links zwei andere , eine nach
rechts gewandt auf Stab gestützt , die andere nach hinten
schreitend mit erhobener Rechten, einen Helm auf dem Kopf.
Die Studien, deren Entstehung Berenson ein Jahrzehnt früher
als das Fresko ansetzt, haben offenbar für die Figuren links
vorne in der Kreuzigung Petri gedient ; freilich wurden sie in
der Stellung verändert.
II. Wien. Albertina 158. Thode 529. Studie zu den zwei nach
hinten Laufenden ganz links auf der Bekehrung Sauls. Sie
unterscheidet sich in Einzelheiten von dem Fresko. Der
Mann links hat den Kopf nach links gerichtet und streckt
den rechten Arm aus. Handelt es sich hier nicht um eine
Originalzeichnung, so gewiss um die Kopie einer solchen.
8o Die Fresken der Cappella Paolina
Die folgenden Blätter kommen in Betracht:
A. Oxford. Univ. Gall. 60. Thode 436—438. Ber. 1569. Drei
Blätter mit Kreideskizzen, i. Ein drapirter, nach vorne aus-
schreitender Mann , der mit dem rechten Arm nach rechts
greift und den linken etwas erhoben ausstreckt (a). Rückseite :
eine nach vorne ausschreitende nackte weibliche Figur, die
mit dem linken Arm nach links ausgreift, den rechten, wie es
scheint, erhebt (b). — 2. Die Figur b, wiederholt. — 3. Die
Figur a , nur unbekleidet , und die Figur b , nur drapirt. —
Es handelt sich also um mehrere Studien für zwei Gestalten,
die offenbar als Träger irgend einer Last gedacht sind.
Berenson deutete auf die Möglichkeit einer Grablegung hin ;
hielt aber eine Beziehung zu den Fresken der Paulina für
wahrscheinlicher. Ich würde es für denkbar halten, dass
hier Skizzen zu zwei Schergen der Kreuzigung Petri vor-
liegen, zu dem Bärtigen links, der mit der Rechten das
Kreuz fasst , und zu dem das Kreuz Fassenden rechts (frei-
lich sind die Stellungen etwas verändert worden). Bedenk-
lich an dieser Bestimmung macht nur die Thatsache , dass
Figur ib deutlich weiblich ist. So handelt es sich doch
wohl um Skizzen zu einer Kreuzabnahme. Dass die Blätter
in diese späte Zeit gehören, erkannte schon Robinson.
B. London, A. E. Gathorne-Hardy. Thode 368. Ber. 1540.
Kreide. Mann in ähnlicher Haltung, wie die eben be-
sprochenen, und offenbar in der gleichen Zeit skizzirt. Beren-
son findet am ersten Ähnlichkeit mit dem Mannesengel rechts
oben in der Bekehrung Sauls. Bestimmtes lässt sich nicht
sagen.
C. Florenz, Casa Buon. V, 17, 18. Thode 27, 28. XIII, 67,68.
Thode 59, 60. Ber. 1402, 1403, 1414, 1415. Dazu auch
noch VIII, 38. Thode 37. Ber. 1409. Federskizzen. Jede
enthält drei aufgeregt flüchtende Figuren, welche abwehrende
Bewegungen gegen eine von der Höhe drohende Gefahr
machen. Berenson, der mit Recht auf eine ähnliche Studie,
gleichfalls von drei Figuren, in Oxford Nr. 71 (Thode 445)
aufmerksam machte , vermuthet , dass die Skizzen entweder
für die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel , auf
welche Robinson das Oxforder Blatt bezogen hatte, oder
für die Bekehrung Sauls bestimmt waren. Ähnliche Mo-
tive kommen allerdings in der letzteren vor. Gegen eine
Darstellung der Vertreibung aus dem Tempel sprechen die
entschieden gegen eine Bedrohung von oben gerichteten
Schreckensgesten. Wie oben erwähnt, wäre es denkbar,
dass diese Skizzen für den ,, Engelsturz " bestimmt waren.
Zeichnungen 8 1
Erinnert wird man auch an die Motive in der ,, Ehernen
Schlange ".
D. Florenz, Uffizien 147 E, 144 12. Thode 217. Ber. 1399A.
Jacobsen u. Ferri Taf. II. Röthel. Ein nach hinten galop-
pirender Reiter , der sich nach rechts zurückbeugt und die
Linke hoch erhebt (mit Schild ?). Jacobsen und Ferri werden
an das Pferd in der Bekehrung Sauls erinnert. Die Ähn-
Hchkeit beschränkt sich darauf, dass in beiden Fällen ein
nach hinten springendes Pferd dargestellt ist. Eine Ver-
werthung der Zeichnung, die sicher in viel frühere Zeit,
nämlich etwa Ende der zwanziger Jahre, anzusetzen ist, für
das Fresko anzunehmen , liegt kein Grund vor. Das Motiv
ist ein ganz anderes: ein Reiter wehrt sich gegen einen von
links erfolgenden Angriff.
Wir sind also nicht berechtigt, von irgend einer dieser Studien,
Nr. I und II ausgenommen, zu behaupten, dass sie für die Gemälde
der Kapelle Paolina verwerthet worden seien. Eine Federzeichnung
und eine Kreidezeichnung mit Studien für einzelne Figuren , die
im Besitze des alten Richardson waren , sind nicht mehr nach-
zuweisen (Richardson III, 506). Hingegen ist uns ein Originalkarton
erhalten.
III. Karton im Kupferstichkabinet des Museums zu Neapel
(Thode 554). Die drei nach hinten eilenden Krieger, über-
lebensgross , in der Ecke hnks unter der Bekehrung Sauls.
Die Schönheit der Zeichnung berechtigt dazu, Michelangelos
eigene Hand hier zu erkennen.
Von alten Zeichnungen nach Figuren der Fresken erwähne ich:
den Petrus, in Röthel, Dresden, Kupferstichkabinet (Br. 18), Skizze
nach dem Petrus auf einem Blatte mit allerhand Studien nach den
Jünglingen der Sixtinischen Decke in den Uffizien (137, 615. Phot.
Brogi 1789. Br. 187), nach einem Schergen und dem Kopf eines
die Treppe hinabschreitenden Mannes auf einem von H. Brockhaus
erwähnten nicht ausgestellten Blatte in derselben Sammlung (Nr. 257.
Rep. f Kunstw. 1884, VII, 443).
Von alten Stichen sind zu nennen die Reproduktionen der
beiden Kompositionen von J. B. de Cavalleriis, der Bekehrung Sauls
von Beatrizet (B. 33) und Enea Vico.
J*
vn
DIE BAUTEN IN FLORENZ
I
Die Fassade von S. Lorenzo
I
Geschichtliches
Der Aufenthalt Leos X. in Florenz Ende Dezember 1 5 1 5 brachte
den wahrscheinlich schon im Juni aufgetauchten Plan zur
näheren Verhandlung. Nach Vasari kam es zu einer Konkurrenz
verschiedener Künstler ; von Entwürfen sind uns die sechs Zeich-
nungen Giuliano da San Gallos erhalten. Im September 15 16 bietet
Michelangelo sich an, die Fassade zu machen; es wird ihm der
Auftrag, mit Baccio d'Agnolo ein Modell anzufertigen. Am 7. Ok-
tober drückt er den Wunsch aus , dass Baccio die Angelegenheit
mit dem Papst ordne. Dieser erklärt sich (3. November) damit ein-
verstanden , dass der Meister nur die Hauptstatuen ausführe , die
anderen nach seinen Modellen ausführen lasse, und wünscht die
V^erwerthung von Marmor aus Pietrasanta. Schon damals also
muss Michelangelo einen Entwurf gemacht haben. Noch Ende
November ist Nichts entschieden. Am 5, Dezember macht er eine
Zeichnung für die Fassade und erhält den Auftrag, Marmor zu
brechen. Im Ganzen sollen zehn Statuen angebracht
werden: im ersten Stock Lorenzo (am Canto della Paglia),
Johannes der Täufer, Petrus (in der Mitte) und Paulus
(beim Canto alle Macine) , im zweiten die vier Evangelisten
sitzend (Lukas über Lorenzo, Johannes über Johannes Baptista, Markus
über Paulus); ganz oben Kosmas und Damianus. Ausser-
dem Bronzereliefs. Noch im Dezember erhält Baccio den
Auftrag, das Modell anzufertigen und die Fundamente zu unter-
suchen. Es stellt sich die Nothwendigkeit, neu zu fundiren, heraus.
Michelangelo, in Pietrasanta, ist für Carraramarmor. Im Februar
kommt er wegen des Modelles nach Florenz, wo er in Beziehung
zu Jacopo Sansovino tritt. Am 12. Februar wird ein Vertrag mit
Lionardo Cagione bezüglich der Ausbeutung einer Steingrube für
86 Die Bauten in Florenz
die Fassade geschlossen , am 6. März ein Vertrag mit Matteo
Cuccarello über Lieferung zweier Säulen. Unbefriedigt von Baccios
Arbeit, die er kindisch nennt, hat er selbst ein Modell begonnen
(13. März); Francesco di Giovanni gen. Grassa soll nach einer
Zeichnung ein kleines Modell ausführen (20. März). Kurz zuvor
wird ein Vertrag mit Lionardo Cagione über zwei fünf Ellen hohe,
vier eine Elle hohe Marmorfiguren und zwei Säulen abgeschlossen.
Michelangelo hegt Verdacht gegen Baccio, als habe Dieser sich mit
seinen Feinden eingelassen; Baccio vertheidigt sich und Buonarroto
räth dem Bruder, doch Baccio und nicht den unfähigen Grassa das
Modell machen zu lassen. Ende April hat der Meister ein kleines
Thonmodell in Carrara anfertigen lassen. Am 3. Mai und
15. Juni drängen der Papst und Giulio , dass die Fundamente ge-
legt würden , und wünschen das Modell zu erhalten. Daraufhin
ordnet er, während einiger Tage (19., 20. Juni) in Florenz, die Fun-
damentirung an. Er erklärt sich damals gegen Sansovinos Mit-
arbeit (die Bronzereliefs) , dem der Papst früher Versprechungen
gemacht, und zieht ihm Bandinelli vor. Andrea Ferrucci leitet die
Fundamentirungsarbeiten (8. Juli). Baccio d'Agnolo und Baccio
Bigio sollen wegen Strassenbau nach Pietrasanta gesandt werden.
Von Neuem drängt man am 12. Juli um das Modell. Michelangelo
verlangt Entscheidung durch einen Vertrag und berechnet die
Kosten auf 35 000 Dukaten. Er geht am 20. August nach Florenz,
um selbst das Modell zu machen und führt es mit Ur-
bano im September aus; die Figuren aus Wachs
bildet er selber. Nach einer Erkrankung vollendet
eres Mitte Dezember und sendet es durch Urbano
nach Rom, wo Papst und Kardinal es sehen. Am 19.
und 29. Dezember findet die Abrechnung mit Andrea Ferrucci und
die Bezahlung der beiden Modelle, dessen von Baccio und
seines eigenen, statt.
Am 19. Januar 15 18 wird der Vertrag mit dem Papste
abgeschlossen. Es werden 40000 Dukaten stipulirt, die Arbeits-
frist auf acht Jahre angesetzt. Das durch acht Säulen (11 braccia
hoch) gegliederte Erdgeschoss soll drei Portale und vier Statuen
(5 Ellen hoch), sowie Reliefs, an der Seite aber je eine Statue zwischen
zwei Säulen erhalten. Das zweite Stockwerk wird durch Pilaster
(6 — 7 Ellen hoch) gegliedert und mit vier sitzenden Bronzestatuen
(4^/.3 Ellen hoch) geschmückt — an der Seite je eine. Das dritte
Stockwerk erhält vier Tabernakel mit Marmorstatuen (5^/2 Ellen
hoch) — an der Seite je ein Tabernakel. Über den Tabernakeln
je eine sitzende lebensgrosse Figur in Hochrelief, ausserdem sollen
in dem Stockwerk sieben Marmorreliefs : zwei runde und fünf vier-
eckige mit Historien angebracht werden. Ein Giebel bildet den
Die Fassade von S. Lorenzo
Abschluss. — Es folgt am 2. Februar der Befehl, den Marmor in
Pietrasanta zu brechen. Die Streitigkeiten mit den Carraresen brechen
aus. Nach Uneinigkeit über die Leitung des Strassenbaues wird
dieser unter Donato Benti in Angriff genommen. Am 16. September
ist er so gut wie fertig. Der am 14. Juli gemachte Ankauf eines
Terrains in der Via Mozza wird am 24. Oktober abgeschlossen. Am
29. Oktober wird mit Domenico Bertini ein Vertrag über Lieferung
von Säulen, Thürpfosten und Architraven gemacht , im November
und Dezember das Atelier auf der Piazza di S. Lorenzo errichtet.
Der Papst möchte einige der Reliefs sehen. Am 18. Dezember ein
Vertrag wegen einer Marmorsäule. Am 4. Januar 15 19 erklärt er
sich bereit, Modelle der Figuren für den Papst anzufertigen , und
erhält die Erlaubniss, drei Säulen in Carrara ausführen zu lassen.
Ricordi vom 14. — 21. Februar (Steinmann und Pogatscher S. 390)
verzeichnen Zahlungen an den Topolino und an Andrea del Lucche-
sino : erwähnt werden Domenico Zara, Capo, Pietro Urbano, Donato
Benci und Andrea da Fiesole. Am 26. März sind sechs Säulen in
Pietrasanta bereit zum Transport. Im April zerbricht eine Säule,
drei Blöcke treffen in Florenz ein. Acht weitere Blöcke werden
in Carrara in Auftrag gegeben (13. April). Im September und
Oktober kommen Marmorsendungen in Florenz an. Aus dem
Anfang des Jahres 1520 vernehmen wir ausser von einigen Zahlungen
in Seravezza Nichts über die Arbeit ; es beginnen die Verhandlungen
über die Lösung des Vertrages. Die Domopera nimmt die Blöcke
für den Boden des Domes in Anspruch. Giulio fordert Rechenschafts-
ablage, um den Vertrag zu lösen. Am 10. März kommt es hierzu.
Aus späterer Zeit (1555) vernehmen wir, dass Cosimo Medici
bei einem Besuche des Michelangelo'schen Hauses die beiden Mo-
delle der Fassade betrachtet habe und sie gerne besässe. Darauf-
hin befiehlt am 28. September der Meister seinem Neffen , sie Co-
simo zu schenken. Ob dies geschehen.? Es scheint nicht, denn
am 22. Februar 1559 deutet Cosimo Ammanati an, ob nicht die
Zeichnung der Decke der Libreria und das Modell der Fassade zu
erhalten sei. (Die Belege für Alles in den Annalen des I. Bandes
meines ,, Michelangelo".)
Aus diesen Notizen ergiebt sich, kurz zusammengefasst, Folgendes.
I. Im September und Oktober 15 16 wohl erste Entwürfe.
II. Zeichnung vom 5. Dezember 151 6. Zehn Statuen
und Bronzereliefs. Danach macht Baccio ein Modell , das
Michelangelo nicht befriedigt.
III. Zeichnung vom 20. März 1517, nach der Grassa ein
kleines Modell ausführen soll. Michelangelo hat aber selbst
auch eines am 13. März begonnen. Es ist wohl dieses, das
er Ende April in Carrara in Thon hat ausführen lassen.
gg Die Bauten in Florenz
IV. Modell, das er selbst von August bis Dezember 15 17 aus-
geführt und durch Urbino nach Rom sendet. Daraufhin wird
der Vertrag gemacht : unten sechs Statuen, Säulen ; im zweiten
Stockwerk sechs Bronzestatuen , Pilaster ; im dritten : sechs
Marmorstatuen in Tabernakeln. Ganz oben sieben Marmor-
reliefs.
Es fragt sich nun, wie viele Entwürfe anzunehmen sind. Vier
oder, falls die unter III genannten Modelle verschiedenartig waren,
fünf.^ Oder bloss zwei, falls nämlich die Modelle III und IV den
gleichen Entwurf behandelten, nur III in kleinen, und IV in grossen
Verhältnissen. Die Antwort hierauf ist nur aus den Zeichnungen
zu gewinnen, und es liegen hier Heinrich von Geymüllers sorgfältige
Untersuchungen vor, die überraschend reiche Aufschlüsse über die
bis dahin fast vollständig dunkle Geschichte der Entwicklung und
Gestaltung des Planes gebracht haben. Auf seinen Darlegungen
fussend, aber von Neuem eine gründliche Prüfung vornehmend, bin
ich dazu gelangt, die Plauptergebnisse seiner Forschungen zu be-
stätigen, aber bezüglich der Datirung und Reihenfolge der Entwürfe
und Modelle theilweise andere und, wie ich glaube, bestimmtere
Resultate zu gewinnen.
Zeichnungen und Modelle
Das gesamte Material von Zeichnungen, die in Betracht kommen,
Originalstudien und Kopien, ist, nachdem schon Gotti die Skizzen
in der Casa Buonarroti gekennzeichnet, in dem Werke Heinrich
V. Geymüllers zur Verwerthung und grösstentheils auch zur Ver-
öffentlichung gelangt. Er unterscheidet zwei Perioden : die Periode
des ersten Entwurfes (I. Modell) und die des zweiten mit seinen
Varianten (Phase der Modelle II und III, Phase der Modelle IV
und V). Der Übersichtlichkeit wegen ziehe ich eine Eintheilung
in drei Gruppen vor, deren erste beide in Geymüllers Periode des
ersten Entwurfes zusammengefasst sind.
a. Fassade mit einfacher Säulenordnung- ohne Attika.
Ein oberes Geschoss mit Giebel nur am Mittelschiff (Primo disegno)
Durch inschriftliche Notiz auf zwei Zeichnungen (II und III) wird
dieser Entwurf (von GeymüUer als A ausgeführt) als primo di-
segno Michelangelos für die Fassade bezeichnet. Es ist nun aber
wohl zu beachten, dass zwei Varianten hier vorUegen: die erste
ist durch die zuerst zu nennenden zwei Zeichnungen, die andere
durch die dritte vertreten.
Die Fassade von S. Lorenzo 89
Erster Entwurf. Gemeinsam ist den beiden Zeichnungen die
gesamte Anordnung. Der Mittelbau ist durch vier jonische Säulen,
die auf sehr hohen Postamenten stehen , sein zweites Geschoss
durch entsprechende Pilaster gegliedert. An den beiden Endpfeilern
der Fassade ist über hohen lisenenartigen Postamenten je ein Taber-
nakel mit Segmentgiebel angeordnet. Die drei Thüren sind mit
geradem Gesims geschlossen. Alle Flächen sind mit Statuen
und Reliefs geschmückt. Die Vermittlung zwischen dem Mittel-
schiffaufsatz und dem horizontalen Abschluss der Seitenschiffe ist
durch sich anlehnende Statuen (nicht durch Voluten) versucht. Je
zwei andere Statuen erheben sich krönend über den Tabernakeln.
So weit die Übereinstimmung. Im Einzelnen zeigen sich Ver-
schiedenheiten, die keinen Zweifel darüber lassen, dass die Zeich-
nung n später als I ist.
I. Florenz, Casa Buonarroti IX. Thode 76. Grosse lavirte Zeich-
nung , sorgfältig mit dem Lineal ausgeführt. Abb. v. Gey-
müller Bl. i. v. GeymüUer hält sie für eigenhändig, was
ich nicht zugeben kann. Sie ist offenbar nach einer Skizze
des Meisters von einem Anderen (etwa Baccio d'Agnolo?)
angefertigt worden. Nur die linke Seite ist ganz ausgeführt.
Hier sehen wir in dem Tabernakel eine stehende männliche
Statue , im Feld darunter eine Gruppe von zwei Männern,
einem alten und einem jungen , auch als Statuen gedacht,
über der Thür zwei Reliefs : das oblonge unten das Mar-
tyrium des hl. Laurentius , das grössere quadratische oben
den gefangenen Heiligen vor dem römischen Kaiser darstellend.
Auf dem Kranzgesims über dem Tabernakel zwei feston-
haltende, lebhaft bewegte Jünglinge, an den Mittelschiffaufsatz
gelehnt ein stehender Mann. Welcher Art der plastische
Schmuck des Mittelbaues sein sollte, ist nicht angegeben.
Zwischen den Säulen links und rechts vom Hauptportal ist
eine Nische in der Höhe des durchgeführten Gurtgesimses
angebracht. Das Kranzgesims ist durch das obere Mittel-
geschoss durchgeführt.
IL München, Kupferstichkabinet. Thode 385. Kopie eines
Michelangelo'schen Entwurfes von Aristotele da San Gallo.
Abb. V. GeymüUer Fig. 2 (auf demselben Blatt die Zeichnung
nach dem Medicigrab). Wir sehen hier eine Verbesserung
von Nr. I. Die Anordnung der Tabernakel stand dort in
keinem Verhältniss zur Säulenordnung des Mittelbaues. Ein
solches wird jetzt erstrebt , indem einerseits die Säulen auf
noch höhere Postamente gestellt und dadurch verkürzt, an-
dererseits die Tabernakel, welche nun rundbogige Nischen
einschliessen, höher gebildet werden (so dass das Feld unter
90
Die Bauten in Florenz
ihnen jetzt quadratisch wird). Hierdurch wird eine höhere
Einheitlichkeit des Eindruckes erreicht. Hierzu trägt die
grössere Höhe der Thüren , über denen Segmentgiebel an-
gedeutet werden, bei, auch die Vereinfachung des plastischen
Schmuckes : über den Thüren befindet sich jetzt nur noch
ein Relief und an die Stelle der Statuengruppe im Feld unter
den Tabernakeln tritt ein quadratisches Relief. Die Gesimse
sind nicht mehr durchgeführt, was der einheitlichen Gestaltung
des Obergeschosses zu Gute kommt. — Der plastische Schmuck
besteht nur aus je einer Gruppe von zwei Statuen (seltsam
gepresst und überschlank im engen Räume) in den Nischen
neben dem Hauptportal , je einer gleichen Gruppe in den
Tabernakeln , und je einer Statue in den Seitennischen des
oberen Geschosses , in dessen Mitte ein rundes Medaillon
(ohne Relief) angebracht ist, weiter aus drei Reliefs über den
Thüren und zwei unter den Tabernakeln , endlich aus vier
stehenden , einen stabartigen Gegenstand haltenden Statuen
auf dem Kranzgesims über den Tabernakeln und aus zwei
an das Mittelschiff angelehnten , volutenartigen, sitzenden Fi-
guren (hinter der rechts erscheint eine zweite stehende).
Also fünf Reliefs, vier Statuengruppen in Nischen unten, zwei
Statuen in Nischen oben , und sechs (resp. sieben) Statuen
auf dem Kranzgesims.
Die unschöne, kleinlich unruhige Postamentenanordnung muss
Michelangelo missfallen haben. Die nächste Zeichnung zeigt eine
grosse wirkungsvolle weitere Vereinfachung, v. Geymüller nimmt an,
dass unsere Nr. II dem Baccio'schen, von Michelangelo verurtheilten
Modell entsprochen habe. Das entscheidend Neue in Nr. III ist
die gleichmässige Durchführung der Säulenordnung an der Fassade,
indem die Tabernakel durch die gleichen Säulen, wie sie am Mittel-
bau vorhanden sind, eingerahmt werden. Dies bedingte eine Rück-
kehr zu den niedrigeren Postamenten von I.
III. Lille, Musee Wicar. Thode 280. Kopie eines Michelangelo'-
schen Entwurfes von Battista da San Gallo, wie v. Geymüller
nachgewiesen hat. Abb. G. Fig. 3. Bez.: Primo disegno che si
fe pella facciata di san Lorenzo. Es fehlt in der Zeichnung die
linke Seite der Fassade. Sie zeigt die befriedigendste Lösung
des Problems ; nur sind die Tabernakelnischen hier sehr hoch
geworden, was die Anbringung von Kolossalstatuen auf hohen
Postamenten mit sich führte. Die Statuengruppen sind auch
in den Nischen neben dem Hauptportal aufgegeben und ein-
fache, flüchtig skizzirte Figuren an ihre Stelle getreten. Die
Portale tragen jetzt den ausgebildeten Segmentgiebel , wie
dort, aber einen kleinen, in das Tympanon ragenden Aufsatz
Die Fassade von S. Lorenzo 91
über dem Gesims. Das Relief über dem Hauptportal enthält
einen Knieenden, neben dem zwei Figuren stehen, vor einem
thronenden Mann. In dem Relief über dem Seitenportal sind
zwei Figuren skizzirt. Die Kolossalstatue zeigt einen aus-
schreitenden Mann, der die Rechte hoch erhebt und die Linke
vor die Brust legt. Das Mittelschiffstockwerk ist niedriger
gehalten: drei verschieden hohe Giebel sind versucht. In
der Mitte bleibt das Medaillon, in den Seitennischen ist eine
stehende Figur angedeutet. Die Statuen auf dem Kranz-
gesims haben Kandelabern und kleinen Voluten Platz gemacht.
Wir verzeichnen hier sechs Statuen und nur drei Reliefs, da
unter den Tabernakeln für Reliefs kein Platz mehr ist.
III a. Cambridge, Rugby School. Kopie desselben Entwurfes von
Aristotele da San Gallo , wie v. GeymüUer nachwies.
Schmarsow, der zuerst auf das Blatt aufmerksam machte,
hielt es für die Originalzeichnung Michelangelos (Abb. Jahrb.
d. k. pr. Kunsts. IX, 134). Nur unbedeutende Abweichungen
sind zu finden : es ist nur ein Giebel, nämlich der höchste,
angegeben ; der erhobene Arm der Kolossalstatue ist nicht
sichtbar; die in das Tympanon hineinragenden Aufsätze über
dem Gesims der Thüren sind weggelassen.
Bei einer Zeichnung in Lille, Musee Wicar Nr. 94, Thode 274,
welche in einem Tabernakel eine stehende Statue zeigt , könnte
man an einen Entwurf für den primo disegno der Fassade denken,
doch glaube ich, dass sie mit mehr Recht auf eine andere in Lille
erhaltene Studie für einen Palast bezogen werden muss. Siehe
darüber weiter unten bei Besprechung des Entwurfes für den Palast
juHus' m.
Vergleichen wir nun diese Entwürfe mit den Angaben über
die erste Zeichnung vom 5. Dezember 15 16, nach welcher Baccio
das Modell anfertigte, so zeigt sich keine Übereinstimmung. Jene
Zeichnung muss einen zweistöckigen Bau mit je vier Statuen in
jedem Stockwerk, und darüber vermuthlich noch den Mittelschiff-
aufsatz mit zwei Statuen gezeigt haben. Unser primo disegno, der,
wie wir sehen werden, nach dem 5. Dezember 15 16 nicht angesetzt
werden kann, muss demnach früher datirt werden. Hierüber später
Näheres.
b. Fassade mit Attika über dem Unterg-eschoss und darüber hinaus
ragendem Mittelsehiffgeschoss
Nur drei kleine Skizzen kommen hier in Betracht.
IV. Florenz, Casa Buonarroti XLII, 91. Thode 137. Abb. Frey 96a.
Sehr flüchtige Rötheiskizze, die von Geymüller erwähnt, aber
nicht abbildet. Ein seltsamer Entwurf: über dem unteren
92
Die Bauten in Florenz
Stockwerk in voller Breite und ungefähr gleicher Höhe wie
dieses eine Attika, die vom Mittelschiffgeschoss überragt
wird. Die untere Säulenordnung erhebt sich unmittelbar vom
Boden.
V. Ebendaselbst XXIX, 49. Thode 99. v. Geymüller: Studie B.
Abb. Bl. 2, 6. Frey 29. Auch hier die Säulenordnung auf dem
Boden, aber die Attika nur etwa halb so hoch als das untere
Geschoss, das Mittelschiffgeschoss in niedrigerer und höherer
Form versucht. Versuch eines Spitzgiebels über den vier
Säulen in der Mitte. Die Attika endigt links und rechts in
einem Tabernakel, das den Gedanken der ersten Gruppe auf-
genommen zeigt. Das Mittelschiffgeschoss hat vier Pilaster.
Notizen, die H. v. Geymüller nicht beachtet, geben einen
Anhaltspunkt für die Datirung dieses Blattes, i. der sauber
geschriebene Anfang eines Briefes an Domenico (Buoninsegni) :
Messere domenicho a questi di e stato Jachopo Salviati a
pietrasanta pare. 2. Della grassa-di gian Francesco scultore-e
nomi de santi-de fondamenti - de danari (unter einander ver-
zeichnete flüchtige Gedenknotizen). 3. o a cinque o a sei di
giennajo da bentivoglio in carrara. Die Erwähnung Grassas
weist auf die Zeit des Zusammenarbeitens mit Diesem : Anfang
1517 hin; auch um die Fundamentirung handelte es sich
damals. In den ersten Monaten 15 17 ist er in Carrara, wo
Salviati Mitte Januar war. Der Briefanfang ist früher, als die
Skizzen, denn diese wurden auf das Blatt gezeichnet erst, als
Michelangelo es für den Brief zu verwenden aufgegeben hatte.
Wir müssen die Notizen 2 und 3 also in den Anfang 15 17
(ob Januar, oder März, April, also in die Zeit, da Grassa am
Modell beschäftigt wird ^) setzen. Wie ich sehe , thut dies
auch Frey. Zu beachten ist, dass er sich damals über die
Heiligen, die an der Fassade dargestellt werden sollen, ver-
gewissern will. — Auf demselben Blatte: Durchschnitt eines
Säulenschaftes , Grundriss des Mittelbaues , eine Herme , die
offenbar , wie die rechteckige Form der Nische neben ihr
zeigt, nicht für das Juliusdenkmal, sondern für die Tabernakel
gedacht war, ein Postament für zwei Säulen und Profile.
VI. Ebendaselbst XXIX, 47. Thode 98. Röthel. H. v. Geymüller
StudieC. Abb. Bl. 2,Fig. I. Frey 96b. Der Gedankeist weiterent-
wickelt. Das Untergeschoss wie in V, aber kein Giebel, sondern
gerades, durchlaufendes Gebälk über den Säulen; das Haupt-
portal mit Segmentgiebel, die Seitenportale mit spitzem; vier
rundbogige Statuennischen. Die Attika mit den Tabernakeln,
wie in V, nur erhebt sich hier das obere Mittelgeschoss nicht
auf dieser, sondern, sie durchbrechend, unmittelbar auf dem
Die Fassade von S. Lorenzo
93
üntergeschoss : zwischen den Pilastern drei untere Felder,
oben vier rundbogige Nischen (zwei in der Mitte).
VII. Ebendaselbst XXXV, 57. Thodeii2. Röthel. Linkes Profil
der Fassade. Es scheint mir einzig auf diesen secondo disegno
bezogen werden zu können.
Zwei andere Studien in der Casa Buonarroti (XXXVII, 69 und
XLVII, 113): seitlicher Theil der Attika und flüchtiger Grundriss
der Fassade, bezieht v. GeymüUer auf diese Entwürfe — ich be-
spreche sie erst später, da sie mir einer weiteren Phase des Planes
anzugehören scheinen.
Unsere drei kleinen Skizzen gehören, wie wir sahen, der Zeit
Anfang 15 17 an, d.h. der Periode, in welcher Michelangelo seine erste
Zeichnung dem Papst eingereicht und Baccio danach das Modell
zu arbeiten anfing. Wie verhalten sie sich nun zu dieser Zeichnung.?
Sie zeigen, es kurz zu sagen, unter allen Skizzen die einzige Mög-
lichkeit, vier stehende Statuen unten, vier sitzende darüber und
weitere zw^ei Statuen im obersten Geschoss anzubringen. Wäre
V nicht zu datiren, ich glaube, wir würden ohne Weiteres annehmen,
dass jene Zeichnung vom 5. Dezember 15 16 ähnlich VI gewesen.
Nun sind aber die Studien V und VI später, als jene Zeich-
nung entstanden. Sie bezeichnen also eine Entwicklung über diese
hinaus, die wir uns also wohl etwa wie IV, nur in ausgebildeterer
Form denken dürfen. Der Entwurf vom 5. Dezember ist vielleicht
zwischen IV und V entstanden zu denken. Da nun IV, V und
VI deutlich eine weitere Entwicklung des Gedankens der ersten
Gruppe zeigen, sind die Entwürfe des primo disegno früher an-
zusetzen — vielleicht schon Anfang 15 16, zur Zeit der ,, Konkur-
renz" oder etwa im September 15 16. Ich bezeichne den Entwurf
unsrer Gruppe als secondo disegno.
c. Fassade von einheitlicher Höhe mit ünterg-esehoss, Attika, Obergeschoss
und Mittelg-iebel
Zwei Gruppen von Entwürfen lassen sich unterscheiden.
A. Terzo disegno. Zwischen der oberen und unteren
Ordnung ist eine Attika des Untergeschosses und ein
dieser fast gleich hoher Sockel des Obergeschosses
eingeschoben. Dies bringt den nicht glücklichen Eindruck
einer doppelten Attika hervor. Wie Michelangelo auf diesen Ge-
danken gekommen, wird uns vielleicht durch eine Federzeichnung
im Louvre ersichtlich.
VIII. Paris, Louvre Nr. 134. Thode 476. Bandinelli zugeschrieben,
von Geymüller für Aristotele da San Gallo gehalten. Schema
in Fig. 13 bei v. Geymüller. Das Üntergeschoss höher, als in
94
Die Bauten in Florenz
der zweiten Gruppe, da die korinthischen Säulen auf hohe Posta-
mente gestellt sind ; hierdurch ergiebt sich eine grössere
Wandfläche über den Thüren : nur über der mittleren ist
ein grösseres Relief angegeben. Zwischen den Säulen stehen
Statuen auf Sockeln. In der Attika , die durch lisenenartige
Pilaster gegliedert ist , sind vier sitzende Statuen und drei
Reliefs angedeutet. Darüber der unverzierte Sockel des
zweiten Geschosses , das zwischen den mittelsten Pilastern
ein Fenster mit Spitzgiebel , ganz links und rechts je eine
Statuennische und in den angrenzenden Feldern Rund-
medaillons zeigt.
Entscheidend für die Beurtheilung und zeitliche Ansetzung der
Skizze ist der plastische Schmuck, der den Abmachungen vom
Dezember 1516, also der zweiten Gruppe entspricht; die vier Statuen
unten, vier sitzende darüber, zwei oben (man beachte, dass in der
That, obgleich Platz für vier Nischen gewesen wäre, nur zwei an-
gegeben sind), sechs viereckige Reliefs (statt fünf, weil sich eben
unten noch Platz ergab), zwei Rundreliefs ! Dieser Entwurf, der
demnach zu den folgenden und der Neugestaltung hinüber leitet,
ist entstanden offenbar aus derErkenntniss, dass der secondo disegno
noch keine glückliche Lösung sei. Das obere Geschoss erschien
zu hoch und ohne Vermittlung mit den Seitentheilen der Fassade,
die Attika nicht organisch in das Ganze einbezogen. Die Einheit-
lichkeit war nur zu erreichen, wenn das obere Geschoss in der
vollen Breite des unteren ausgedehnt wurde , dies aber machte
wieder höhere Verhältnisse des unteren Stockwerkes wünschens-
werth, was zur Wiederaufnahme der im primo disegno gegebenen
hohen Sockel der Säulen führte. Nun erhielten die vier sitzenden
Statuen ihre Stelle an der Attika , die ihrethalben beibehalten
werden musste.
Auch dieser Versuch aber war unbefriedigend : die Fassade
war zu hoch gerathen und es entstanden Leeren in der Wandfläche.
In dem folgenden wird das untere Stockwerk wieder niedriger ge-
bildet, indem die Säulenordnung unmittelbar auf den Boden ge-
stellt wird.
IX. Florenz, Casa Buonarroti LVI, 43. Thode 174. Rötheiskizze,
mit der Feder übergangen, v. Geymüller. Studie F. Bl. 2,
Fig. 2. Eine feste und verhältnissmässige Gliederung ist hier
gewonnen. Im unteren Geschoss die Mittelthür mit geradem
Gesims , die Seitenthüren mit Segmentgiebeln (wie in VIII).
Die Statuennischen sind nicht angegeben. Auch die Statuen
in der Attika sind nicht angedeutet, wir haben aber auch
sie vorauszusetzen. Im Obergeschoss in der Mitte Fenster
mit Segmentgiebel, zwischen den Säulenpaaren vier runde
Die Fassade von S. Lorenzo
95
Statuennischen, in den Feldern dazwischen zwei Medaillons,
über denen oblonge Felder sind. Als Akroterien des Giebels
hohe Kandelaber, kleinere über den Seitenpfeilern der Fassade.
Wir sehen, wie diese neue Anordnung, indem sie die in VIII
noch nicht gebrachten Konsequenzen zieht , die Anbringung von
vier (statt zwei) stehenden Statuen oben zur Folge hat.
Etwa in diesem Stadium der Entwicklung scheinen mir nun zwei
Blätter entstanden:
X. Florenz, Casa Buonarroti LVI, 41. Thode 172. Feder. Phot.
Alin. 1019, V. GeymüUer Bl. 2, 4. Frey 30. Die linke Hälfte des
Untergeschosses mit der Attika. Die Thüren hier mit Spitz-
giebeln, die Statuennischen, ziemlich hoch angebracht, niedrig,
mit Muschelwölbung, über und unter ihnen ein viereckiges
Feld. Die Säulen korinthisch gedacht.
XI. Ebendaselbst XXXVII, 69. Thode 120. Feder. Abb. v. Gey-
müUer Bl. 2, Fig. 8. Seitlicher Theil des Obergeschosses:
zwei Pilaster auf Sockeln. An der Wand dahinter durch-
laufendes Gurtgesims. Das letztere weist auf nächste Be-
ziehung zu einem Entwurf in der Art von Nr. VII hin.
V. Geymüller meinte, es könne sich hier nur um den seit-
lichen Theil einer Attika handeln , da die Höhe nach an-
gegebenen Maassen nur etwa 6 braccia betrage. Die An-
ordnung aber stimmt nicht zu irgend einem Attikaentwurfe,
wohl aber, wie gesagt, zu der Obergeschosseintheilung in VII
und IX. Auch scheint mir v. Geymüller die Maasse nicht ganz
richtig gelesen zu haben : nach meiner Berechnung betrüge
die Höhe etwa 9 braccia. Und Das entspräche etwa der Höhe
des obersten Stockwerkes. — Auf der Zeichnung befindet
sich eine von v. Geymüller nicht beachtete Notiz : richordo
chome oggi questo di venti uno di gennajo mille Cinquecento
sedici lasciai aserbo a maestro Domenicho schultore da ssetti-
gnano in charrara duchati mille d'oro largi e ducati quaranta
tre pur d'oro largi e son di diciasette per tanto ch'io tornassi
da firenze o io o altri per me. — Die Notiz ist, nach unsrer
Zeitrechnung, am 21. Januar 15 17 geschrieben. Auch aus
anderen wissen wir, dass er an diesem Tage von Carrara
nach Florenz ging. Eine ungefähre Zeitbestimmung also,
wenn auch keine ganz genaue, für die Entstehung der Skizze
gewinnen wir: sagen wir Anfang 1517. Und dies bestätigt
meine Annahme, die Entwürfe VIII und IX seien bald nach
dem secondo disegno entstanden.
Im März 15 17 hat er, wie wir wissen, unbefriedigt von Baccios
Modell, selbst ein kleines Modell entworfen. Dieses Modell, das
Ende April in Carrara ausgeführt ist, scheint in den drei folgenden
gö Die Bauten in Florenz
Zeichnungen wiedergegeben zu sein. Hier treffen meine Bestim-
mungen ganz mit denen v. Geymüllers zusammen, der als Vorlage
jenes piccolo modello annimmt.
XII a. Mailand, Stadt. Archiv. Samml. Bianconi vol. IV, p. 35.
Thode 379. Zuerst von Luca Beltrami in der Rassegna d'arte
1901. I, S. 68 , als Original Michelangelos veröffentlicht.
P. N. Ferri (Arte e storia 1901, Nr. 16, p. 98) und v. Geymüller
(Rassegna d'arte a. a. O. S. 184) erkannten die Hand des Ari-
stotele da San Gallo. Abb. v. Geymüller, Fig. 6. Die Kompo-
sition ist keine andere als die der Originalskizze Nr. IX. Die
Verhältnisse sind aber durchweg zu schlank und hoch ge-
rathen , was Aristotele in mehreren hinzugefügten Notizen
selbst angiebt. Zu unterst befindet sich derGrundriss der linken
Seite der Fassade ; hinter ihr giebt er eine Säule des Kirchen-
inneren, bemerkt aber dazu: non so come stia la pianta di
Santo Lorenzo questa e la faccata maestro michelagnolo fioren-
tino. — Unter der linken Thüre steht, bezüglich der Distanz der
Säulen : da pilastro a pilastro piu largho cioe da cholonna
a colonna acio la porta abbia piu ispatio. Daneben unter
den zwei Säulen links vom Hauptportal : fatta a discretione.
Links neben dem Gebälk der unteren Säulen : di questi sono
lunghi per I'altro verso. Links neben der Attika: quaggiu si
e piu bislunghi chosi — dies bezieht sich, wie v. Geymüller
richtig bemerkte, auf die Füllungen der Attika, welche also
länglicher im Modell, als in der Zeichnung sind. In den
grösseren Füllungen der Attika sind ,,storie" angegeben.
Links neben dem Piedestal des Obergeschosses : tra zocholo
e zocholo non e istorie cioe di questo. Dies bezieht sich
also auf die Füllungen des Piedestals. Diese sind irrthüm-
licher Weise in der Zeichnung angegeben : in den kleinen
Füllungen steht: piano, in der grossen: niente non e qui piano.
In dem mittleren Piedestalfelde rechts neben dem Pilaster-
sockel: piu vano zocholo. Über der Basis des Piedestales :
corre il regolone di mezo per tutto non risalta se non la
cimasa, d.h. nach Geymüller: die Basis geht durch, nur das
Gesims ist verkröpft. Neben dem Fenster oben : questa
finestra non ha membretti da canto solamente di drento e vole
essere piu larga di vano a proportione. Im Fenster : abaso.
XII b. München, Kupferstichkabinet. Arch. Fol. 34. Thode 386.
Abb. V. Geymüller, Fig. 7. Wie Letzterer nachgewiesen hat,
ist dies eine zweite Zeichnung von Aristotele, welcher alle
die in XII a angegebenen Fehler verbessert hat : Alles ist hier
verbreitert. Immer noch sind Einzelheiten nicht genau. Unten
w'ieder der Grundriss und wieder die Bemerkung: questa
Die Fassade von S. Lorenzo 97
pianta non so chome si stia di drento. (Daneben : in botte,
bezieht sich auf das Gewölbe im linken Seitenschiff.) Die
linke Ecke des Grundrisses ist nicht richtig wiedergegeben :
istä male und: male. Daher wiederholt Aristotele die Ecke
noch einmal rechts unten auf dem Blatte: chosi istä questo canto.
Auf den Sockel der Nische zwischen den beiden Säulen links
vom Hauptportale bezieht sich die Notiz : questo zocholetto
esce in fora insino a mezo la basa chome vedi. Links unten
vom Erdgeschoss: li zocholi piü alti. Unter dem Segment-
giebel der linken Seitenthüre : questi piü alti ; und auf sie be-
züglich : frontone della porta piu alta dove vedi quei punti
(die angegeben sind). In der Füllung der Attika über Seiten-
portal : storie. An dem Piedestal des oberen Stockwerkes
sind hier keine Füllungen. In den Füllungen am zweiten
Stockwerk oben : sono pichole queste storie piü alte la metä,
d. h., wie v. Geymüller richtig sagt, diese Füllungen sind zu
klein gezeichnet, müssen höher sein. Neben dem Fenster:
questo frontone e troppo alto. Oben eine Bemerkung in
Bezug auf das zu klein gezeichnete Medaillon : el tondo tanto
grande che vengha al pari de nichi. Er zeichnet diese Parthie
oben noch einmal : chosi grande a chonperatione.
Nimmt man nun auch diese Verbesserungen noch vor, so er-
giebt sich ein Entwurf, wie er sich findet auf der folgenden Zeich-
nung.
XII c. Florenz, Uffizien Nr. 205. Thode 242. v. Geymüller, Fig. 8.
Lavirte Federzeichnung von unbekannter Hand , sorgfältig
ausgeführt. Der Bau erhebt sich hier auf drei Stufen. Er
entspricht ganz der Originalskizze Nr. IX. In der Nische
rechts oben ist die Statue eines langbärtigen Mannes, der im
Buch liest: offenbar Paulus.
Zu bemerken ist, dass in diesem Modell kein Platz mehr für
die sitzenden Bronzestatuen war : die Attika ist zu niedrig. Hier
waren nur acht stehende Figuren in das Auge gefasst an der
Vorderseite der Fassade ; an den schmalen Seiten derselben vier.
Fünf grössere Historienreliefs. Zwei Medaillonreliefs.
B. Quartodisegno. Genau dieselbe Gliederung des
unteren und des oberen Geschosses, aber Attika und
Piedestal des Obergeschosses sind hier Eines ge-
worden. Also keine doppelte, sondern einfache Vermittlung der
beiden Geschosse. Die Attika ist jetzt etwas höher, als die in A.
Xni. Das Holzmodell in der Akademie. Thode 580. Abb. v. Gey-
müller, Fig. 12 und Details Fig. 4, 5, 9, 10. Phot, Brogi
3694. Es befand sich früher im Vestibül von S. Lorenzo.
%* 7
g8 Die Bauten in Florenz
Baldinucci (VII, 508) erwähnt es. Gori (Not. stör. 108) meint,
es sei nicht von Michelangelo. Bottari (bei Fanfani S. 81)
erwidert darauf, Alle hätten es bisher für eine Arbeit des
Meisters gehalten. Auch lasse sich die Tradition auf etwa
100 Jahre zurückverfolgen. In neuerer Zeit ist Goris Ansicht
allgemein angenommen worden , und Viele hielten es für
das Modell von Baccio d'Agnolo. Unsere Darlegung beweist,
dass diese Annahme ausgeschlossen ist, da Baccios Modell
ganz anderer Art gewesen sein muss. v. Geymüllers Eintreten
für die Ächtheit ist durchaus begründet. Nicht allein die
Übereinstimmung mit dem terzo disegno und Nr. XIV, sondern
auch mit einer unten zu nennenden ächten Profilstudie
schliesst jeden Zweifel daran aus , dass uns in dem Modell
der definitive Entwurf für die Fassade vor Augen steht. Ob
Michelangelo selbst oder nicht vielmehr ein Anderer nach
seinen Angaben es ausgeführt, ist eine andere Frage. Es ist
offenbar eines der beiden Modelle, die der Meister 1555 seinem
Neffen dem Cosimo zu schenken befiehlt. Das andere ist nicht
erhalten, aber eine Zeichnung danach existirt:
XrV. Giov. Battista Nellis Zeichnung nach dem verlorenen Modell
mit Wachsfiguren. Florenz, Offizien Nr. 3697. Thode 243.
Abb. v. Geymüller, Fig. 11. Nelli fertigte diese Zeichnung,
neben anderen, für den Ferdinando, principe di Toscana, 1687
an. In seinem Widmungsschreiben sagt er: I bassi rilievi
delle due Medaglie, il martirio di S. Lorenzo, i festoni e l'arme,
CO Putti , si vedono abbozzate con cera in un altro , quasi
simile modello di esso Michel Angelo; ma piu piccolo , che
sta serrato nella stanza, detta de' modelli prossimo al Palazzo
di S. A. e nel medesimo si vedono pure abbozzati i due
bassirilievi sopra le porte laterali , che per essere consumati
dal tempo non s'e potuto conoscere quello che rappresentano
e perö si e supplito d'invenzione con rappresentarvi altre
azzioni di S. Lorenzo. Nelle nicchie non si veggono statue,
ma qui vi sono disegnati, accio non restino vote.
Nellis Zeichnung nun stimmt bis auf ganz unwesentliche Kleinig-
keiten architektonisch mit dem Holzmodell überein. Michelangelo
hat also ein kleines Modell mit dem plastischen Schmuck angefertigt
und danach offenbar das grössere der Akademie, vermuthlich von
Urbano, ausführen lassen.
Es fragt sich nun: ist das Nelli'sche Modell jenes, welches
Michelangelo mit Urbano im September 15 17 ausführte (die Figuren
aus Wachs machte er selber) und durch Diesen nach Rom an den
Papst sandte — eben jenes Modell, auf Grund dessen dann der
Vertrag am 19. Januar 15 18 abgeschlossen wurde .f*
Die Fassade von S. Lorenzo
99
Von Nelli rekonstruirt wurden die vier Statuen und die zwei
Seitenreliefs mit Legenden des hl. Laurentius. Das Andere war
vorhanden : nämlich
1. die vier quadratischen Felder oben mit aufgehängten Kränzen.
2. Die zwei oblongen Reliefs oben : je zwei Putten, einen Feston
haltend.
3. Die Reliefs in den zwei Medaillons. Eine genauere Unter-
suchung der Zeichnung ergiebt, dass das links die Kreuzi-
gung Petri, das rechts die B e kehr u ng Sau Is darstellte.
4. Das grosse mittlere Relief : das Martyrium des Lauren-
tius. Die genauere Betrachtung ergiebt eine ähnliche, aber
figurenreichere Komposition wie in I.
5. In den vier schmalen Kompartimenten der Attika: je ein
Mediciwappen mit der Papsttiara, von zwei Putten gehalten.
In dem unteren Stockwerk sind auch von Nelli weder Statuen,
noch Reliefs angegeben. Wir dürfen aber sicher annehmen, dass
in den grösseren viereckigen Nischen Statuen von Michelangelo
geplant waren , sind auch die Nischen hier , wie im Holzmodell,
flach gehalten.
Vergleichen wir nun die Angaben des Kontraktes vom
19. Januar 15 18, so entspricht wohl die Angabe von je sechs
Statuen im unteren und im oberen Geschoss und von zwei Rundreliefs
dem Modell , eine Verschiedenheit aber zeigt sich darin , dass der
Kontrakt die vier sitzenden Statuen in der Attika angiebt, an deren
Stelle im Nelli'schen Modell die Papstwappen sich befinden. Und
weiter sind in diesem nur drei Historienreliefs angegeben, während
der Kontrakt fünf erwähnt.
Die Erklärung ergiebt sich unschwer : der Papst und der
Kardinal werden nach Besichtigung des Modelies den Wunsch ge-
äussert haben , die vier Evangelisten möchten doch , wie es im
ersten Vertrag vorgesehen war, auch noch an Stelle der Wappen
angebracht und zwei Reliefs an den leeren Flächen über den
Seitenportalen hinzugefügt werden. Und mit dieser Modifikation
wurde das Modell gutgeheissen und der Kontrakt abgeschlossen.
Einige Einzelstudien zu dem definitiven Entwurf sind erhalten:
XV. Florenz, Casa Buonarroti XVIII, 51. Thode 79. Das linke
Fassadenprofil. Es stimmt genau mit dem Modell überein.
XVI. Ebendaselbst XL VII, 113. Thode 163. Eine Federskizze
des Fassadengrundrisses. Vor der Fassade ist ein Podest an-
gedeutet. Auf der Rückseite Maassangaben des Grundrisses.
XVII. Ebendaselbst XXXVI, 64. Thode 11 5. Frey 53. Säulenschaft ohne
Kapital. Mit Notizen : lunga braccia dieci grossa un braccio e
terzo senza el chollarino. Grossa un braccio e terzo senza el
7*
100 Die Bauten in Florenz
regolino da pie. Es war eine der an Matteo Cuccarello
(Vertrag 6. März 15 17) gesandten Zeichnungen, wie die Notiz
besagt : questo ha el terzo che maestro Michel Angelo hae
dessignato et dato a matteo di cucarello et aUi suoi compagni.
— Nicht von v. Geymüller erwähnt.
XVIII. Ebendaselbst XXXV, 54. Thode 109. Eine korinthische
Säule. — Nicht erwähnt.
XIX. London: British Museum 1859— 6— 25— 560a. Thode 302.
Rückseite: linkes Fassadenprofil, eine korinthische Säule mit
Gebälk, Kapital mit Gebälk, Grundriss eines kannellirten
Pilasters. — Auf der Vorderseite Studien zu Kranzgesims und
Säule, die Nichts mit der Fassade zu thun haben. — Nicht
erwähnt.
Zusammen fassendes.
Wir haben vier Hauptphasen in der Entwicklung der Projekte
der Fassade festzustellen, entsprechend den Thatsachen , die wir
den litterarischen Quellen entnehmen konnten. Diese werden durch
die enthaltenen Entwürfe bestätigt und erläutert.
I. Früheste Entwürfe, die im September und Oktober 15 16 ent-
standen. Erste Gruppe : Primo disegno. Fassade mit einfacher
Säulenordnung, ohne Attika, und mit Mittelschiffstockwerk.
Man sieht, wie der Meister hier an Giuliano da San Gallo an-
knüpft. Triumphbogenmotiv des Mittelbaues. Seitentaber-
nakel. Jonische Säulenordnung. Der plastische Schmuck in
den verschiedenen Studien verschieden. In den letzten ver-
einfacht : zwei Kolossalstatuen in den Eckrisaliten, zwei kleinere
in den Nischen neben dem Mittelportal. Ein grösseres und
zwei kleinere ReUefs über den Thüren.
II. Der Entwurf vom 5. Dezember 15 16, auf Grund dessen Baccio
das Modell entwirft. Secondo disegno. Fassade mit Attika
über dem Erdgeschoss und darüber hinausragendem Mittel-
schiffgeschoss. Zehn Statuen und Bronzereliefs.
III. Anfang 15 17. Modell April 15 17. Terzo disegno. Fassade
von einheitlicher Höhe. Zwischen unterem und oberem Ge-
schoss Doppelzone von Attika und Piedestal des Oberge-
schosses. Nur acht Statuen (die sitzenden fortgelassen) an
der Front, vier an den Seitentheilen der Fassade. Fünf recht-
eckige, zwei runde Rehefs.
IV. September 15 17. Plolzmodell der Akademie und verlorenes
Modell mit Wachsfiguren. Ouarto disegno. Wie III, aber
nicht mehr Doppelzone in der Mitte, sondern einfache Attika.
Statuen und Reliefs wie in III. Vier Mediciwappen in der
Attika. — Auf Wunsch des Papstes an Stelle der Wappen
Die Fassade von S. Lorenzo loi
die vier sitzenden Statuen. So dann der definitive Kontrakt
vom 19. Januar 15 18 abgeschlossen.
In den Uffizien befindet sich (Nr. 1923) eine Zeichnung (Abb.
v. Geymüller, Fig. i), die angeblich nach Michelangelo ist und
eine Fassade mit drei, der Grösse nach abnehmenden Stockwerken,
die durch gekuppelte Säulen undPilaster gegUedertsind, darstellt. Ich
glaube nicht, dass es sich hier um eine Michelangelo'sche Idee
(es müsste denn eine ganz frühe sein!) handelt.
Der plastische Schmuck
I. Die Statuen.
Wir sahen, wie verschiedenartig die frühen Entwürfe in Bezug
auf den plastischen Schmuck erscheinen. Charakteristisch für den
primo disegno sind die Statuengruppen, bestehend aus zwei Figuren
(Nr. I und II). Wir können sie ebensowenig mit Namen benennen,
wie die dann geplanten zwei Kolossalstatuen (Nr. III). Ein festes
Programm : Lorenzo , Johannes d. T. , Petrus , Paulus — die vier
Evangelisten — , Kosmas und Damianus, wird am 5. Dezember 15 16
aufgestellt. Und an diesem ward im Wesentlichen wohl auch später
am 19. Januar 15 18 festgehalten, nur dass noch sechs andere, nicht
näher bezeichnete Statuen hinzukommen.
Im Modell mit den Wachsfiguren waren diese skizzirt, wir
wissen aber nicht wie , da sie zu Nellis Zeit schon zerstört waren.
Nur eine einzige: der Paulus mit langem Bart, zur Seite gewandt
lesend, wird uns durch die Zeichnung in den Uffizien (Nr. XII c)
einigermaassen veranschaulicht — die Skizzen auf der Louvrezeich-
nung Nr. VIII sind zu flüchtig, als dass sie etwas sagten. Und
doch möchte man annehmen, dass Michelangelo Entwürfe gemacht
habe, denn am 4. Januar 15 19 erklärt er sich bereit, Modelle der
Figuren für den Papst zu entwerfen. Aber meine Nachforschungen
nach Zeichnungen für die Statuen haben kein einziges Blatt er-
geben, das mit Bestimmtheit auf diese bezogen werden könnte.
Vielleicht könnte Jemand die Vermuthung aussprechen , dass die
Federskizzen zweier sitzender Männer, die geöffnete Bücher halten,
in den Uffizien (147 H. Nr. 17379 u. 17380. Thode 227, 228.
Jacobsen u. Ferri, Taf XVI) für die Evangelistenstatuen bestimmt
gewesen seien ; doch bleibe ich bei der Meinung, es seien Entwürfe
für die erste Lunette der Sixtinischen Decke (s.I, 268, CIX.). Und ich
möchte es auch nicht für wahrscheinlich halten , dass die Kreide-
studie eines sitzenden Mannes (Apostels .? Evangelisten .?) mit einem
Buche auf dem Schoosse (Uffizien 147 H, 18729. Thode 223.
I02 Die Bauten in Florenz
Jacobsen u. Ferri, Taf. XII) aus der Zeit der Beschäftigung mit der
Fassade stammt. Eher wäre die Möglichkeit gegeben, die gross-
artige Rötheistudie eines Mannes in Herrscherpose, der einen Stab
gegen seine Hüfte stemmt, in den Uffizien (145, 620) für einen
Entwurf zu einer Fassadenstatue zu halten. Sie dürfte , obgleich
Berenson sie für früher hält und in ihr eine Studie für den
Matthäus sehen möchte, in diese Zeit anzusetzen sein — sogleich
aber stellt sich die bedenkliche Frage ein : wen soll die Figur dar-
stellen? Doch unmöglich einen Heiligen.?
2. Die Reliefs.
Wie es scheint, hat Michelangelo nicht ins Auge gefasst, die-
selben selbst auszuführen. Zuerst ist an Jacopo Sansovino , dann
an Bandinelli gedacht worden. Ende 15 18 wünschte der Papst einige
derselben zu sehen.
Das Programm scheint von Vorneherein festgestanden zu haben,
dass es Darstellungen aus der Legende des hl. Laurentius sein
sollten. In Nr. I bereits erscheint das Martyrium , das schliesslich
die Hauptstelle über dem Mittelportal erhielt, und ,, Laurentius vor
dem Kaiser". Sonst wissen wir nichts Näheres, da in Nellis Mo-
dell die Reliefs über den Seitenportalen nicht die Originalskizzen
Michelangelos wiedergeben. Auch hat sich keine sonstige Skizze
erhalten.
Dass in den Medaillons die Kreuzigung Petri und die Be-
kehrung Sauls dargestellt werden sollte, lehrte uns Nellis Zeichnung.
II
Das Ciborium und die Reliquientribüne in S. Lorenzo
I
Geschichtliches
Am 14. Oktober 1525 drückte Clemens VII. den Wunsch aus,
Michelangelo solle an ein Ciborium über dem' Altar von S. Lorenzo
auf vier Säulen denken. In dieses wolle er alle die Mediceischen
Gefässe aus dem Besitze des älteren Lorenzo mit vielen schönen
Reliquien stellen; und man solle darum herumgehen können, um
die Reliquien dem Volke zu zeigen. Fattucci erhält in Rom den
Auftrag, sich nach vier Porphyrsäulen umzusehen und zwei schöne
Säulen aus orientalischem Granit bei den Tre Fontane zu messen.
Michelangelo geht zunächst nicht darauf ein , worüber sich der
Papst am 30. Oktober verwundert ausspricht. Am 10. November
schreibt Fattucci in Dessen Auftrag, die Säulen seien gefunden und
Das Ciborium und die Reliquientribüne in S. Lorenzo 103
die Arbeit solle womöglich noch in diesem Winter begonnen
werden. Die Säulen sollen auf Sockel gestellt werden und, da der
Altarraum gross, einen Bronzearchitrav erhalten, aber einen dünnen,
damit es ihm nicht ergehe wie der Bronzestatue des Papstes Julius,
die zum Guss einer Kanone verwendet wurde , und zwar Bronze
mit einem Kern von Eisen, damit sie den Aufsatz trage. Hierauf
(29. November) kommt Clemens auf den Gedanken , man könne
das Ciborium auch über der Mittelthüre, falls es tiefer anzubringen
sei, oder über der Thüre der Neuen Sakristei machen, wobei dann
aber für einen Raum zur Unterbringung der Gefässe zu sorgen sei.
Entschlösse sich Michelangelo jedoch für den Altar, so solle der Zu-
gang nur vermittelst einer hölzernen Leiter, und nicht anders, ge-
macht werden (offenbar, um die Gefässe vor Diebstahl zu schützen).
(Frey: Briefe 260, 265, 267).
Am 4. Februar 15 26 schickt Michelangelo Zeichnungen ein. Deren
eine: das Ciborium über dem Hochaltar, gefällt dem Papste höch-
lich. Nur wünscht er, dass der Blick in den Chorraum, den er
ausmalen lassen wolle, nicht gehindert werde. Es heisst dann in
dem Briefe weiter: ,,dipoi considerato la porta et misurato , dice,
che le v'ando gli stipiti et il cardinale; et movendo di terra dua
pilastri et sopra fra uno pilastro et l'autro non passando l'alteza
di detto cardinale, et facendovi bechategli che isportassino in fuora
uno braccio o piü, secondo che a voi paressi, et il resto nella
grossezza del muro , pargli, che fra la cornice di sopra et il car-
dinale sia bracia 5. Et essendo cosi senza altre colonne, vedete,
se si puo fare cosa bella ; et parendo a voi , che si possa fare
niente che sia al proposito in questa alteza ne passandola, datene
aviso." (Frey: Briefe 272. Cardinale steht natürlich für cardine).
Ausser dem Entwurf für das Ciborium hatte der Meister also auch
einen solchen für den ,,pergamo" über einer Thüre eingesandt.
Am 23. Februar wiederholt Fattucci , dem Papste gefalle der
Gedanke des Ciboriums über dem Altare sehr. Er habe an eine
andere Stelle gedacht nur, weil er die Aussicht auf den Chor nicht
gestört haben wolle, in dem Michelangelo vielleicht eines Tages
Gemälde ausführen werde. Michelangelo möge doch ein grosses
oder kleines Modell anfertigen. Am 10. März wird dem Meister
seine Zeichnung zurückgesandt mit dem Bemerken, er solle das
Ciborium erst ausführen , wenn es ihm passe und jetzt bei den
Figuren der Medicigräber bleiben. Auch am 3. April heisst es:
er solle das Modell machen lassen , wann es ihm gut dünke und
er nicht mehr so viel zu thun habe. Dann sollte er Angaben be-
züglich der Säulen machen, die in Porto behauen werden könnten.
Am 23. November heisst es weiter, das Ciborium, für welches
der Papst die Reliquien schicken werde , solle zunächst in voller
I04
Die Bauten in Florenz
Grösse in Holz ausgeführt und bemalt werden, zu welchem Zweck
Michelangelo den Altar und die Stufen nach seinem Gutdünken
verändern könne. Später solle es dann in Marmor ausgeführt
werden. Als Fattucci keine Nachricht erhält , beklagt er sich am
8. Dezember: die Reliquien und Gefässe seien bereit zum Ab-
senden. Nun erklärt sich Michelangelo, obgleich er das Geschwätz
fürchtet, bereit, das Modell, das einfach und fest, mit Gesims ver-
sehen sein soll, auszuführen. (Frey: Briefe 274, 279, 291, 292).
Dann erfahren wir nichts weiter bis Ende Oktober 1531. Da-
mals ist das Ciborium aufgegeben und an seine Stelle der Plan
der Tribüne über dem Hauptportal getreten. Der Papst, einver-
standen, wünscht zu wissen, aus welchem Stein es gemacht werden
solle ; Figiovanni hat ihm erwidert , aus Macigno , wie die Kirche,
aussen aber aus Marmor, um die Einheitlichkeit mit der Fassade
herzustellen, falls diese einmal ausgeführt werde. Unter der Tribüne
und über dem Portal beabsichtigt Michelangelo das päpstliche
Wappen nach altem Stile in „Pferdekopfform" zu machen, und zwar
so schön, dass es der ganzen Kirche zum Schmucke gereiche. Es
ist damals in der Arbeit. Der Papst aber will nicht das päpst-
liche , sondern das einfache Mediciwappen , wie es sonst in der
Kirche vorkomme. Figiovanni bittet Michelangelo , es doch noch
zu ändern , d. h. Tiara und Schlüssel wegzulassen. Ein Jahr ver-
geht: am 7. Oktober 1532 hören wir von der Arbeit an Ort und
Stelle. Michelangelo ist in Rom und hat sich die Maasse aus-
gebeten , welche maestro Bernardo ihm durch Figiovanni sendet
mit der Bitte um die sehnsüchtig erwartete Zeichnung. Bernardo
hat die zwei Säulen mit ihren Kapitalen errichtet: am folgenden
Tage soll das Gebälk aufgesetzt und dann das Wappen angebracht
werden. Das Loch, das in die Fassade hat gemacht werden müssen,
ist so gross, dass es wieder zuzumauern einen Monat dauern wird.
Michelangelo sendet nun eine Zeichnung (die zweite) und es
entstehen Schwierigkeiten bezüglich der Tiefenausdehnung der Tri-
büne. Michelangelo hat in dieser Zeichnung die Thüren innerhalb
der breiten , das Ganze abgränzenden Pilaster angeordnet. Figio-
vanni, der Grundriss und Aufriss von Bernardo einsendet, bemerkt,
dass dann die intaglirten Pilaster selbst weggelassen werden müssten
und räth, es beim Alten bewenden zu lassen. Alles Wichtige ist
zur Aufmauerung bereit und es wird nur noch Michelangelos Ent-
scheidung, auch über die Balustrade, abgewartet. Noch am 23. No-
vember wird an der Tribüne gearbeitet. Am 4. Dezember treffen
die Reliquien in Florenz ein und werden am 13. nach S. Lorenz©
gebracht, am 15. ausgestellt. Am 19. Juli 1533 schreibt der Meister
selbst, der „pergamo" sei sehr schön ausgefallen. (Frey: Briefe 309.
331- 332. 334. Dicht. 511. Milanesi: Les corresp. 108.)
Das Ciborium und die Reliquientribüne in S. Lorenzo 105
Zeichnungen
I . Früher Entwurf.
Heinrich v. Geymüller hat einen Entwurf für die Tribüne nach-
gewiesen :
I. Florenz, Casa Buonarroti XLI, ^6. Thode 131. Abb. v. Gey-
müller Bl. 2, Fig. 5. Frey 68. 69. Rückseite: Frontansicht:
zwei Säulen mit Gebälk und Gesims schliessen eine Wand
ein, die fast ganz durch eine Thüre durchbrochen wird. Über
der Thüre, von zwei Konsolen getragen, läuft balkonartig ein
Gang mit Säulchenbalustrade, auf den von innen eine Thüre
herausführt. Daneben Skizze des Balkons im Profil, von einer
anders geformten Volute getragen, und drei Säulchenkapitäle.
Das eine , ausgeführt , hat Voluten (deren Rosettenmitte da-
neben detaillirt ist) ; der Hals zeigt zwei Reihen von Kanne-
luren über einander und zwei Kränze. Das zweite zeigt keine
Voluten , sondern nur zwei Kränze angedeutet , das dritte
Spiralen. — Die Vorderseite, die v. Geymüller nicht beachtet,
bringt den Grundriss eines Altares mit seiner Architektur-
umgebung; die Breite desselben ist auf 9^/^ Ellen angegeben.
Auch andere Maassangaben, auf den Altartisch, das Ciborium,
die Stufen u. A. bezüglich, sind verzeichnet und weiter Notizen :
l'altare e alto b 2d, la chapella braccia 19 e dua terzi per
ogni verso el vivo. Und ferner: a di 8 febrajo 1525 (id est:
1526) dichati 6 e 3 lire Antonio a portato a chambiare a oro.
Die Zeichnungen sind offenbar Studien für die am 4. Februar
1526 dem Papste eingesandten Entwürfe, die eine für die Wand-
tribüne, die andere für den Altar mit dem Ciborium im Chor von
S. Lorenzo, welch' letzterer ja von Fattucci ,,la capella" genannt
wird rFrey S. 274). Die angegebene Breite der Kapelle von
19^/2 Ellen auf der Skizze der Vorderseite entspricht der Breite des
Chores: 11,60 m (s. Grundriss von S. Lorenzo in der Arch. d. Ren.
in Toskana, Brunellesco S. 11, Fig. i). Der Künstler dachte sich
den Altar mit seinen vier (angegebenen) Säulen nahe an die Rück-
wand des Chores gestellt und plante, wie es scheint, eine Belebung
der Seitenwände durch Pilaster in der Axe der Vorderseite des
Ciboriums.
Frey lässt seltsamer Weise die doch ganz überzeugende Be-
ziehung der Skizze der Rückseite auf die Tribüne über der Thüre
nicht gelten und behauptet irrig, der Altarentwurf sei für den Chor
der Medicisakristei bestimmt gewesen. Dieser Chorraum ist aber
doch 4,55 m tief und breit — Verhältnisse und Form des Ent-
wurfes passen nicht zu ihm, der Altar wäre viel zu gross. Weiter
Io6 Die Bauten in Florenz
ist doch deutlich ein Ciborium mit vier Stützen angegeben, und
wir wissen Nichts davon , dass ein solches für die Medicikapelle
geplant war. Endlich wird letztere in den Notizen und der Korre-
spondenz nicht „chapella", sondern „sagrestia" (nuova) genannt —
und das Datum 8. Februar 1526 stimmt zu der Nachricht von den
am 4. Februar übersandten Entwürfen.
Vier andere Blätter mit Kapitälstudien möchte ich, wegen deren
nahen Verwandtschaft mit den eben erwähnten Kapitalen, auch auf
den Reliquienbau beziehen, nicht auf die Fassade von S. Lorenzo,
wie Frej^ meint.
II. Florenz, Casa Buonarroti XXXV, 55. Thode t 10. Abb.
Frey 107 e. Kreide. Kapital mit kannelirtem Hals und Spi-
ralen, und Kapital mit tief sich senkenden Voluten und Kranz.
III. Ebendaselbst XXXV, 56. Thode in. Abb. Frey 107 d.
Kreide. Kapital ganz ähnlich dem ausgeführten auf Nr. I.
Voluten, Eierstab, kannelirter Hals mit Kränzen.
IV. Ebendaselbst XLIII, 82. Thode 144. Abb. Frey 107 a. Kreide.
Kapital mit Voluten, der Hals in drei Zonen gegliedert.
V. Ebendaselbst XLIII, 83. Thode 145. Abb. Frey 107b.
Kreide. Kapital mit Voluten, von denen ein einfacher Kranz
vor kannelirtem Hals niederfällt.
VI. Ebendaselbst XLIII, 86. Thode 148. Abb. Frey 107 f. Kreide.
Nur flüchtig angedeutet (links Volute).
Vli. Ebendaselbst XLIII, 87. Thode 149. Abb. Frey 107 c. Kreide.
Volutenkapitäl mit kannelirtem Hals.
Haben wir hier Studien für frühere Entwürfe vor Augen , so
wird, was v. Geymüller nicht bemerkt, aber schon Robinson richtig
gesehen hat, in Oxford eine Zeichnung für den späteren aufbewahrt.
2. Späterer Entwurf.
VIII. Oxford, Univ. Call. 49. Thode 432. Lav. Federzeichnung.
Grundriss der jetzigen Anlage der Reliquienkammer innerhalb
der Fassadenmauer. In der Mitte die schmale , oblonge , in
zwei kleinere Apsiden endigende Kammer, zu der eine Treppe
von rechts (stehen wir im Innern der Kirche) führt: el vano
nella grossezza del muro per le relique. Nach der Kirche
zu die Tribüne: el vano del pergamo di dentro, nach aussen
an der Fassade : el vano del pergamo di fuora.
Hier erhalten wir die Bestätigung dafür, dass ein Balkon, um
die Reliquien zu zeigen, auch aussen an der Fassade geplant war.
Ich halte die Zeichnung, die von Berenson willkürlich dem Monte-
lupo zugewiesen wird, für acht. Es ist die Schrift Michelangelos,
nur besonders sorgfältig. Offenbar wurde das Blatt dem Papste
eingeschickt.
Die Medicikapelle lO/"
Studien für die Thüren, für die Balustrade und für die breiten
Pilaster mit ihren schweren Gehängen von Festons, die aus Lorbeer,
Wein und Eiche gebildet sind (der links ist an den drei Ringen
der Medici aufgehängt), kann ich nicht nachweisen. Auch nicht für
das Wappen, das in der That die Form eines Pferdeschädels hat
und bei dem die Papstinsignien weggelassen worden sind. — Die
Zeichnung Casa Buonarroti XLVI, iio, einen Reliquienbehälter dar-
stellend, die von Frey 73 auf das Ciborium bezogen wird, beziehe
ich auf eine andere Arbeit für S. Silvestro in Rom, s. weiter unten.
III
Die Medicikapelle
I
Geschichtliches
Alles Wichtige ist gelegentlich der Medicigräber schon an-
gegeben worden. Ich fasse kurz die Hauptdaten, von denen v. Gey-
müUer S. 10 nur einen Theil verzeichnet hat, zusammen. Am
23. November 1520 sendet Michelangelo den Entwurf der Kapelle.
Die Arbeit ist vor dem 25. März 1521 begonnen. Am 10. April
wird während der Abwesenheit des Meisters der Miniator Stefano
di Tom. Lunetti Leiter des Baues. Es wird an der Kapelle ge-
baut und der Marmor in Carrara gebrochen. Zwischen Stefano
und Buoninsegni entstehen Streitigkeiten über die Art des Ein-
ganges. Über das Fortschreiten des Baues erhalten wdr keine
näheren Nachrichten. Erst im Januar 1524 ist die Laterne der
Kuppel, d. h. also der ganze Bau im Wesentlichen vollendet —
und damals, wie wir sahen, geht nun der Meister an die definitive
Gestaltung der Denkmäler. Der Papst wünscht (18. Januar) die
Dekoration der Kuppel in Stuck durch Stefano ; alle neuen Zeich-
nungen für die Kassettirung sollen eingesendet werden (21. Januar).
Dies geschieht : Michelangelos Entwurf, mit dem zugleich er Zeich-
nungen einer Thüre und eines Tabernakels einschickt, gefällt
(9. Februar) ; Michelangelo soll Vitruv studiren , dem auch Gio-
vanni da Udine seine Kunst verdanke. Es wird das Gerüst er-
richtet und Stuck angefertigt (Februar). Am 21. März wird das
Gerüst mit Brettern bedeckt, damit die Arbeit beginne. Um Licht
für ein Fenster über dem Lavamani bei der Treppe zu gewinnen,
schlägt Michelangelo den Ankauf und das Niederreissen einiger
Häuser vor (Mitte Juni). Im Herbst (29. Oktober und 9. November,
Ricordi) werden die Fenster der Sakristei und der Laterne mit
Papier überspannt. Anfang Januar 1525 soll er die ,,Porticelle" der
lo8 Die Bauten in Florenz
Kapelle machen (offenbar die Thürrahmungen) ; es hat damit
Schwierigkeiten, an denen Stefano die Schuld trägt (28. Januar).
Sie entstehen wohl (wie vielleicht auch die darüber befindlichen
Tabernakel) in der Folgezeit, denn wir hören Nichts mehr von
ihnen. Im April 1526 fasst der Meister den Gedanken, die Kuppel
durch Giovanni 'da Udine verzieren zu lassen. Dieser soll auf des
Papstes Wunsch nur Das machen , was Michelangelo ihm angebe.
Im Juni (6.) erwartet Fattucci noch diesbezügUche Nachricht. In-
dessen das zweite Grabmal aufgemauert wird, könne, so meint
Michelangelo, die Kuppel geschmückt werden ; dies sei, stelle man
viele Leute an, in zwei oder in drei Monaten möglich (17. Juni).
Dann heisst es, dass Giovanni erst im Frühjahr kommen könne.
Hierauf tritt die lange Pause ein. Mitte Dezember 1531 denkt
Michelangelo wieder an Giovanni, dem er die Zeichnung der Ka-
pelle sendet. Giovanni antwortet am 25. Dezember, der Papst
habe ihm befohlen, die Mosaiken im Sommer auszuführen. Er
habe keine geübten Gehülfen, auch sei es nicht seine Sache, grosse
Historien , wie der Papst angedeutet habe , auszuführen. Er
bittet um genauere Angabe über die Art des Werkes und die
Feldereintheilung. Daraufhin wolle er eine Zeichnung anfertigen.
Gleich nach dem 4. Oktober 1532 ist Giovanni an die Arbeit ge-
gangen (Vasari, Milanesi VI, S. 560 Anm. 3); er sendet am 7. Ok-
tober dem in Rom befindUchen Michelangelo Grüsse. Am 16. No-
vember 1532 wird von einer Reparatur an der Laterne, die durch
eindringendes Wasser nöthig wurde , berichtet. Wir hören am
23. November von Giovannis Arbeit in der Sakristei, mit der sich
Michelangelo am 17. Juli 1533 zufrieden erklärt. Der Papst hin-
gegen wünscht , dass Giovanni die Wölbung farbiger , in der Art,
wie die Villa Madama, verziere und dauerhafte Farben nehme.
Michelangelo solle den wasserdichten Abschluss der Kuppel machen
und die Verzierung der Wölbung der Laterne selbständig bestimmen
(17. Juli). Der Meister macht am 28, JuH Vorschläge über die An-
bringung von Wasserröhren an der Laterne, womit der Papst sich
einverstanden erklärt, der auch Giovannis Gesuch um Urlaub unter
der Bedingung, dass er zur Zeit zurückkehre, seine Arbeit zu voll-
enden, gewährt. Vasari (VI, 561) berichtet, Giovanni sei fast mit
der Arbeit fertig gewesen , er hätte höchstens noch vierzehn Tage
zu thun gehabt, als er auf die Nachricht von Clemens' Tode sie im
im Stiche gelassen und nach Rom gegangen sei. Wir erfahren
darüber weiter Nichts. (Die Belege für diese Angaben s. in den
Annalen meines I. Bandes Michelangelo).
Als später Cosimo die endgültige Ausschmückung der Kapelle
wünscht, fragt Vasari bei Michelangelo an, ob er noch Skizzen für
diese Ausgestaltung habe; beabsichtigt sind damals auch Gemälde
Die Medicikapelle 109
an den Bögen und Wänden der Kapelle , sowie Statuen in den
Tabernakeln über den Thüren.
Was wir bestimmt erfahren , beschränkt sich also auf Fol-
gendes :
1. Bau der Kapelle. Beginn Anfang 1521. Vollendung
Januar 1524. Bauleiter ist Stefano.
2. Ausschmückung. Die Porticelle entstehen 1525. — Januar
bis März 1 524 wird die Kassettirung der Kuppel in Stuck berathen,
wofür das Gerüst am 21. März in Stand gesetzt wird. — Vom
4. Oktober 1532 bis Ende Juli 1533 oder September 1534
arbeitet Giovanni da Udine an dem Schmuck der Kuppel und
Laterne. — Die Kugel auf der Laterne wurde nach Vasari
(VII, 362) vom Goldschmied Piloto angefertigt.
Zeichnungen
In der Studie v. Geymüllers wird keine einzige genannt , und
auch ich vermag nur zwei Blätter, die direkte Beziehung zur Archi-
tektur der Kapelle besitzen, anzuführen : nämlich zwei Studien für
die eigenthümlichen, sich verjüngenden Fenster der Lunetten, beide
in der Casa Buonarroti. Die eine (LVIII, 8. Thode 175) zeigt
den Entwurf eines Fensters nach der Antike, aber ohne Rundgiebel,
die andere (XL, 105. Thode 129) das Fenster mit dem Segment-
giebel, fast identisch mit dem der Kapelle. — Die Zeichnung Casa
Buon, XLI, ']6, die Frey auf die Kapelle bezieht, ist von mir oben
als Entwurf für das Ciborium in S. Lorenzo nachgewiesen worden.
3
Der malerische Schmuck
Dass Michelangelo einen farbigen Schmuck der Kapelle ins
Auge gefasst hatte, beweist seine Berufung Giovannis da Udine,
der die Kuppel mit später übertünchten, bis auf die letzte Spur
vertilgten Malereien und Stuckverzierungen versehen hat. Auch
die leeren Wandflächen sollten mit Gemälden geschmückt werden.
Dies geht aus zwei Mittheilungen hervor.
1. Aus dem Briefe Giovannis vom 25. Dezember 1531 (Frey
S. 320), in dem es heisst: perche giä una volta me parlo
Nostro Signore che'l ci era da fare storie grande da una
banda(.?). Er lehnt dies ab, da es nicht seine Profession sei.
2. Aus Vasaris Brief an Michelangelo vom 17. März 1563 (Mil.
VIII, 367): e il medesimo faccino i pittori la cappella, e archi
e facciate, come si vede che la Signoria Vostra
I lo Die Bauten in Florenz
aveva ordinato perlepitture, e dove vanno gli stucchi
e le altre fantasie d'ornamenti e pavimenti. Er bittet sich
den „concetto e invenzione delle pitture" aus.
Mit Recht hat v. GeymüUcr darauf hingewiesen , welche Be-
deutung für den gesamten Eindruck der Kapelle diese Bemalung
gehabt haben würde und wie wenig deren heutiger Anblick der
Intention des Meisters entspricht. Wir dürfen uns das beabsichtigte
Verhältniss von Farbe , Architektur und Plastik wohl nach dem
Muster der Sixtinischen Decke vorstellen. Aber wir haben keinerlei
Anhalt, um uns von dem „concetto" und der „invenzione" auch nur
die geringste Vorstellung zu machen. Eine solche gewinnen wir
aber wenigstens von Giovannis Kuppelverzierung. Vasari erzählt
in des Künstlers Leben (VI, S. 560): ,,er hatte die Ornamente der
Tribuna (Kuppel) zu machen. Diese ist mit Kassetten, die nach
der Mitte oben zu allmählich kleiner werden, ausgefüllt. Mit Hülfe
vieler seiner Gesellen führte Giovanni es auf das Beste aus : mit
schönstem Blattwerk, Rosetten und anderen Ornamenten in Stuck
und Gold. Nur in Bezug auf Eines Hess er es an Urtheil fehlen :
in den Friesstreifen nämlich , die durch die Rippen der Wölbung
und durch die umlaufenden Bänder, welche die Kassetten umrahmen,
entstehen, machte er Blattwerk, Vögel, Masken und Figuren, die man
wegen der Entfernung, so schön sie sind, und wegen der abgetönten
Farben nicht sehen kann ; hätte er sie farbig gehalten , wären sie
ohne Weiteres sichtbar gewesen und das ganze Werk hätte einen
reicheren und heitereren Eindruck gemacht."
Das war ja auch des Papstes Ansicht gewesen. Sebastiano
schreibt am 17. Juli 1533:
,, Unser Herr begnügt sich damit, wenn Euch die Kuppel Messer
Joannis da Udine gefällt und hat mir ausdrücklich aufgetragen, Ihr
solltet im Namen Seiner Heiligkeit Messer Joanni sagen, viele Per-
sonen hätten ihm berichtet, dass die Kuppel sehr arm an Farben
ausfiele , und solche Weisse gefalle ihm nicht , und Seine Heilig-
keit wünsche , die Kuppel solle viel mehr der Wölbung in seiner
Vigna als jener des Baldassare da Pescia gleichen. Und vor
Allem ermahne er Messer Joanni, dauerhafte Farben anzuwenden,
so dauerhaft als miöglich : er solle vor Allem das deutsche Blau
und das grüne Azur und andere abbleichende Farben ver-
meiden."
Da Giovanni sich Michelangelos Wünschen zu fügen hatte, wie
wir hörten, ist Dieser für die gerügte Farblosigkeit verantwortlich
zu machen, und v. GeymüUer bemerkt richtig, dass wir in diesen
Bestimmungen den Geschmack des Malers der Sixtinischen Decke
erkennen, der die starken Farben vermied und auf sanfte, einheit-
liche Stimmung in grauem Tone ausging.
Die Medicikapelle 1 1 1
Was in der Wölbung der Laterne von ihm angeordnet wurde,
wissen wir nicht. Der Papst überliess ihm die freie Wahl. Es war
natürlich ein blosser Scherz, wenn Sebastiane sagt: „mir schiene
es, dass dort gut der Ganymed sich ausnehmen würde und man
könnte ihm ein Diadem machen, dass er aussähe wie Sankt Johannes
in der Apokalypse, wenn er in den Himmel entrückt wird."
4
Der Altar und die Kandelaber
Von einem Altar ist nur ein einziges Mal die Rede, in einem
Briefe Fattuccis an den Meister vom 21. Dezember 1526: per tanto
fate a vostro modo et mutate l'altare et fate, come se l'avessi affare
di marmo (Frey S. 293). Es ist aber sehr die Frage, ob es sich
hier um den Altar der Kapelle und nicht vielmehr, wie ich be-
stimmt glaube, um den Altar der Kirche S. Lorenzo handelt, denn
in demselben Briefe ist die Rede vom Ciborium und das ,,mutare"
weist auf die Veränderung eines schon vorhandenen Altares hin.
So wissen wir nichts Bestim.mtes darüber , ob der Altartisch auf
einen Entwurf Michelangelos zurückzuführen ist. Die Inschrift
lautet: Paulus V. Pont. Max. cuique sacerdoti qui ad hoc altare
pro defunctis litaverit animam supremis poenis liberari perpetuo
an. MDCX concessit pro salute aeterna Ferdinandi I. M. Etr. D.
a Christianis ad deum fieri preces liortatus.
Die Frage nach der Gestaltung des Altars hängt mit der nach
der Entstehung der reich ornamentirten Kandelaber, die auf seinen
Seitenwangen stehen, zusammen. Die Tradition bezeichnet sie als
Schöpfungen Michelangelos; und Gori, der diese Ansicht vertritt,
erwähnt, der eine, zerbrochen und ruinirt, sei auf Anordnung der
Kurfürstin von der Pfalz um 1741 von Ticciati restaurirt worden
(Not. stör, zu Condivi S. iio). Hierzu bemerkt Bottari (Fanfani:
Spigolatura Michelangiolesca S. 81), der von Ticciati bearbeitete
Kandelaber sei nicht ruinirt, sondern in abozzirtem Zustande gewesen.
Beide Kandelaber haben die gleiche Form. Auf viereckigem
Postament, dessen Felder je einen langgestreckten Meerdrachen
zeigen, steht ein viereckiger, in sanfter Schweifung nach oben sich
verjüngender Aufsatz, der, antiken Altären nachgeahmt, den schlanken,
vasenförmigen, mit flachen Akanthusblättern umkleideten Leuchter
trägt. Der altarartige Aufsatz ruht auf Löwenfüssen, von denen
Akanthusblätter , die Ecken einfassend , nach oben gehen und
zvv^ischen denen Muscheln angebracht sind. Die oberen Ecken
werden durch Widderköpfe, zwischen deren Hörnern Festons hängen,
bezeichnet. An den mittleren , von einfacher Sima umrahmten
Füllungen sind verschiedenartige Ornamente :
1 1 2 Die Bauten in Florenz
1. am Kandelaber links: a) vorne: ein Pelikan, der drei Jungen
seine Brust öffnet ; b) rechts : eine Vase mit Früchten zwischen
zwei Delphinen und über zwei Masken mit verschlungenen
Hörnern; c) hinten: eine Maske mit Widderhörnern, darüber
eine Tafel mit zwei Delphinen und über dieser zwei Reiher,
die sich am Fusse jucken; d) links: ein Adler.
2. am Ticciati'schen Kandelaber: a) vorne: ein brennender Kande-
laber zwischen zwei in Ranken ausgehenden Drachen; b) rechts:
ein Korb mit Früchten über einer Maske; c) hinten: zwei
Drachen an einer Vase; d) links: über einer verhüllten Maske
ein Gefäss, auf dem zwei Vögel sitzen.
Dass hier Michelangelo'scher Geist zu erkennen ist, steht
mir ausser aller Frage. Die Entwürfe wenigstens stammen sicher
von ihm, ja man darf sich fragen, ob der mit erstaunlicher Weich-
heit, wie in Wachs gestaltete Kandelaber links nicht von ihm selbst
ausgeführt worden , bescheidet sich aber besser damit , die Hand
eines geschickten Mitarbeiters — Silvio Cosini.? — anzunehmen.
Beweisend für Michelangelos geistige Autorschaft ist der Ver-
gleich der Ornamente, für welche die Masken, die Drachen, Vögel-
paare und Vasen charakteristisch sind, mit jenen am Juliusdenkmal
und mit einigen Zeichnungen. Man sehe für die Vögelpaare die
Zeichnungen
I. London, Malcolm Nr. 59 verso, Thode 346: zwei reiherartige
Vögel mit verschlungenen nach unten gestreckten Köpfen ;
Vögel mit Fischschwanz an einem Kandelaber befestigt.
II. Florenz, Uffizien 147, 233 F. Thode 215. Zwei schwanen-
artige Vögel neben Kandelaber mit Maske.
Für die Drachen :
III. London, British Museum Malcolm ']6. Thode 361, Lang-
gestreckter Drache mit hundartigem Leib, langem Hals.
IV. Oxford, 53 a. Ahnliches liegendes Thier mit spitzem Kopf.
V. London, Malcolm 1895 — 9 — 15 — 1501. Groteskes, hunde-
artiges gelagertes Thier.
VI. Oxford, 13. Thode 433. Der Drache mit Vogelleib und
langem Schlangenschwanz (Kopie im Louvre 693).
Für den Adler:
VII. Florenz, Casa Buonarroti XXIV, 6. Thode 94. Auf einem
Blatt mit Entwürfen aus der Zeit der Beschäftigung mit den
Medicigräbern.
Vor Allem aber kommen die Seedrachen über den Tabernakeln
des Lorenzograbmales, die eine durchaus verwandte Erfindung ver-
rathen, und die Festons sowie die Masken an den Kapitalen der
Grabmäler in Vergleich.
Die Libreria di S. Lorenzo 1 1 3
In den Kandelabern haben wir also wichtigste Zeugnisse für
die Dekorationskunst Michelangelos vor Augen. Sind sie sein Werk,
dann ist aber auch der Altar, für den sie bestimmt waren, von
ihm. Die Form der das mittlere Feld flankirendcn, nach oben
anschwellenden Baluster entspricht ganz dem Geschmack, der sich
in den Thronen der Grabmäler äussert.
IV
Die Libreria di S. Lorenzo
I
Geschichtliches
Im Herbst 1523 nach der Wahl GiuUos zum Papste dürften
die ersten Verhandlungen über den Bau in Rom stattgefunden
haben. Ende Dezember hat Fattucci eine, von Stefano di Tommaso
nach des Meisters Angaben angefertigte Zeichnung erhalten, die
dem Papst vorgelegt werden soll. Jacopo Salviati wünscht eine
andere, die Michelangelo selbst ausführen solle. In ihr sollen die
Maasse beider Librerien, der lateinischen und der griechischen
(welch letztere in der ersten Zeichnung fehlten) angegeben sein ;
und er solle dafür sorgen, dass bei dem Eingang ein wenig Licht
sei (2. Januar 1524). Michelangelo antwortet, er sei noch gar nicht
unterrichtet über die Libreria; Stefano habe wohl davon gesprochen,
er habe aber nicht darauf geachtet. Sobald Jener von Carrara
zurück sei, wolle er sich von ihm unterrichten lassen. Eine solche
Arbeit sei aber nicht seine Profession. Am 21. Januar 1524 schickt
er einen Grundriss ein. Der Papst entscheidet sich für die
nach Süden gelegenen Räume, wünscht aber nochmals den Grund-
riss des unteren Stockwerkes, um zu wissen, wie viel Räume sich
dort befinden. Diese mussten erhalten bleiben der Fundamente
wegen. Das obere und untere Stockwerk solle , um Feuergefahr
zu vermeiden, gewölbt und Fenster sollen so viele als möglich an-
gebracht werden. Vermuthlich auf den neuen eingesendeten
Grundriss hin wünscht der Papst, da nach diesem Plan das
halbe Kloster zerstört werden müsste , die Wahl eines anderen
Platzes. Er denkt an die Räume, die nach der Piazza und nach dem
Borgo di S. Lorenzo zu liegen. Michelangelo soll sich erkundigen,
wie viele von den Zimmern und von den Botteghe und Häusern dort
zu kaufen und niederzulegen wären und wie viel es kosten würde.
Am 18. Februar sendet Fattuci die Zeichnung zurück und stellt
nochmals die Fragen. Hierauf hat Michelangelo geantwortet, aber
vergessen die Zahl der Klosterräume anzugeben, die zerstört werden
%* 8
114 ^^^ Bauten in Florenz
müssen , auch die Zahl der Ellen , um die die Piazza erweitert
werden soll. Anfang März sendet der Meister zwei neue Pläne ein.
Der Papst entscheidet sich für die Anlage nach der
Piazza zu, d. h. die längere von 96 Ellen. Er hat Bedenken
wegen der Treppe, die 6 Ellen hoch steigt und wünscht die
Zimmer unten eingewölbt, was wohl leicht möglich sei. Die Holz-
d e c k e soll schön werden, aber nicht kassettirt, sondern von neuer
Erfindung und nicht stärker als zwei oder drei Finger breit ver-
tieft. Am Ende der Libreria gegenüber dem Eingang sollen zu
Seiten des Fensters zwei ,,studietti" für die geheimsten Bücher
angebracht werden , wie die zwei zu Seiten der Thüre.
Auch wolle er wissen, wohin jenes Fenster schaue, ob auf Gärten,
Dächer oder Stallungen. Die Häuser, die nach der via della Stufa
zu liegen, sollen niedergerissen werden. Michelangelo wird gebeten
einen neuen Entwurf zu senden , in dem es namentlich ersichtlich
sei, wie die Treppe angelegt werde, um die Höhe von 6 Ellen
zu erreichen. Fast alle diese Wünsche werden am 3. April noch
einmal wiederholt, da Michelangelo den vorhergehenden Brief ver-
legt hat. Dessen Plan — heisst es hier — in Rücksicht auf
die Fassade von S. Lorenzo die Libreria doch zu bauen,
wo die Räume nach der Sagrestia vecchia zu sich befinden,
wird gutgeheissen, auch die ,,crociera col graticolato". Nun schickt
der Künstler wieder Zeichnungen ein , mit deren Ausführung
Clemens (13. April) einverstanden ist, falls nicht der Bau neu
fundirt werden müsse; er billigt es, dass 9 Ellen vom Hofe
dazugenommen werden. Auch die Zeichnung der Holzdecke
gefällt ihm, nur möchte er deren Eintheilung der unteren im Saale
entsprechend wissen, so nämlich, dass jenes Feld mit den kleinen
Figuren, welche das figürlich ausgeschmückte Medaillon halten, in
der Grösse dem Gang unten entspreche und so auch alles Übrige.
Auch geschähe ihm ein Gefallen, wenn an der Decke etwas Emble-
matisches (fantasia o livrea sua), wie es Giovanni da Udine in
seinem Zimmer gemacht, angebracht würde.
Von Neuem schickt Michelangelo , der Baccio Bigio flir den
Bau engagirt hat, Zeichnungen ein: seine Vorschläge bezüglich
der Wölbung des Erdgeschosses und der Anlage einer Doppel-
treppe werden gebilligt; nur sollen die Mauern nicht dicker als
eine Elle werden, woraufhin die Fundamente zu untersuchen sind.
Der Papst wünscht Näheres über die Crociera, den Querbau, zu
erfahren, da die Zahl der Bücher so gross ist, dass sie nicht in
eine gehen würden. Ein Modell brauche nicht angefertigt zu
werden (29. April). Michelangelo erwidert, es habe Schwierigkeit,
die Mauern zu verstärken; er wolle Alles niederreissen und mit
Pilastern innen und aussen aufbauen. Fattucci meint: nach Baccio
Die Libreria di S. Lorenzo j i c
Bigios Vorschlag würde es genügen, die Mauern auf beiden Seiten
um ein Viertel über den Gewölben zu verstärken, da ja oben nur
das Dach zu tragen sei und das Balkenwerk die Mauern wie mit
Ketten hielte (13. Mai). Der Papst äussert sich zunächst nicht, ist
aber mit einer Zeichnung, die Pilaster zeigt, einverstanden,
vorausgesetzt, dass sie genügende Sicherheit geben und, nachdem
noch einmal Anfang Juli eine Zeichnung der Pilaster eingesandt
worden ist, giebt Clemens den Auftrag, nun an die Arbeit zu
gehen, zu fundiren und die Steine kommen zu lassen. Die kleinen
Häuschen der Nelli sollen gekauft und abgerissen werden. Fattucci
räth, den Marmor in Carrara zu bestellen und, mit Übergehung
aller schlechten Stücke, nur die guten zu nehmen. Damit weniger
Zeit verloren werde, solle die Arbeit Männern von Ansehen in ihrem
Fach übertragen werden (9. Juli). Am 21. Juli bittet sich der Papst
den Kostenanschlag aus, den der Meister gleich darauf schickt. Ein
Ricordo Mil. S. 597 bezieht sich offenbar darauf: in ihm werden die
100 Ellen langen, 16 Ellen hohen und eine Elle starken Mauern
auf 430 Dukaten, die ,,Croce", welche auf beiden Seiten je 18 Ellen
beträgt, auf 193 Dukaten berechnet. Clemens ist einverstanden,
wünscht aber, dass die Arbeit schnell in Angriff genommen und
gefördert werde. Die Crociera soll einstweilen nicht gemacht, je-
doch soll auf die Möglichkeit ihrer späteren Anbringung Rücksicht
genommen werden. Die Gesamtmaasse werden gewünscht und
die Angabe der Zahl der ,,banchi" und ihrer Distanz von einander,
die der in der Bibliothek von S. Marco entsprechen soll, auch die
Zahl der Bücher per Bank (2. August). — Nun wird, mit Einwilligung
des Papstes, Baccio Bigio Oberaufseher der Arbeiten an
der Libreria, für deren Ausführung Michelangelo aber die Verant-
wortung trägt. Der Künstler erfährt Belästigungen durch den Prior
des Klosters Figiovanni, der herumschwätzt, die Libreria werde
ein Taubenhaus, und Schwierigkeiten mit seiner Wohnung macht.
Am 3. Apriri52 5 erfahren wir von einer Bezahlung Bernardino
Bassos für die Blechpatronen derProfile der Fenster aussen
an der Libreria. Der Papst erklärt sich zufrieden mit den Fenstern
innen und aussen, auch mit den Tabernakeln innen über den
Fenstern; an Stelle der Doppeltreppe im Ricetto (Vestibül)
wünscht er aber lieber eine einzige in der vollen Breite der
Vorhalle. Die Räume am Ende der Libreria sollen nicht
Kapellen, sondern für die werthvollsten Bücher bestimmt sein. Die
Holzdecke soll sehr schön werden; ihre Zeichnung erbittet Fattucci
nochmals (12. April). — Am 10. November berichtet Fattucci, Spina
habe gewisse Zeichnungen der kleinen Libreria eingesandt;
der Papst will, dass sie ausgeführt werde, wie Michelangelo sie
gezeichnet habe, und ist bereit, das Haus des Larione Martelli zu
jl5 Die Bauten in Florenz
kaufen. Am 29. November wird der Freude Ausdruck gegeben,
dass Michelangelo sich entschlossen habe, den Ricetto zubauen.
Auf den Vorschlag, Glasfenster (occhi) in der Holzdecke und darüber
Lichter im Dach zu machen, eine so schöne und neue Erfindung
das sei, geht der Papst nicht ein, weil zu viel Staub dadurch in
die Libreria komme und dann zwei Frati dazu angestellt werden
müssten, diese rein zu halten. Auf eine Nachricht des Künstlers
(2. Dezember), dass die Wölbung des Kapitels niedriger gemacht
werden müsse, wolle der Papst, so schreibt Fattucci am 5. Dezember,
sich noch äussern, ebenso über die Fenster. Der Rath Michel-
angelos, jenes Haus zu kaufen, davon zu verwenden, was nöthig,
und das Übrige zu vermiethen, scheine der beste. Am 23. Dezember
kommt der Papst, der eine Zeichnung ,,a piedi della Li-
breria" von Michelangelo erhalten hat, die ihm gefällt, auf die
Deckenfenster zurück. Er hält sie nicht für praktisch aus angege-
benen Gründen und befürchtet, dass die dazu nöthige Erhöhung der
Mauer um 2 Ellen gefährlich für den Bau sei. Doch überlässt er
Alles dem Meister, der es besser verstehe. — Erst am 3. April 1526
vernehmen wir wieder Etwas über den Bau. Der Papst wünscht,
die Holzdecke solle die gleiche Eintheilung haben, wie unten
die Bänke, die ja durch die drei Gänge in zwei Reihen geschieden
würden. Es soll Nussbaumholz für die Bänke genommen werden.
Was die kleine Libreria anbetreffe, solle Michelangelo bei der An-
lage der Scheidewand zwischen Ricetto und Libreria so verfahren,
als wäre die kleine Libreria, die nach Vollendung des Ricetto
ausgeführt werden soll, schon gemacht. Die Spesen bis zu diesem
Tage belaufen sich auf lire 59615. 16. 12 (Moreni : Descrizione S. 36).
Die bald darauf vom Künstler eingesandte Zeichnung der
Libreriathüre gefällt dem Papst ausnehmend; Dieser giebt dem
Datario und Paolo Giovio den Auftrag, verschiedene Epitaphien
für sie zu entwerfen, denn ein solches (mit der Zahl der Buch-
staben) ist von Michelangelo auf der Zeichung angegeben worden.
Wären die Epitaphien nicht nach seinem Geschmack, so werde er
selber den Gedanken angeben. Am 20. April bittet der Prior
Francesco Campano, der durch den Bau seiner Wohnung beraubt
ist, um Herrichtung einer anderen. Am 6. Juni sendet Fattucci
die Zeichnung der Thüre zurück mit Inschriften, die dem Papste
bis auf eine nicht gefallen. Die Gelehrten in Florenz, vornehmlich
ein Notar oder Cancelliere der Signoria, sollen welche entwerfen.
Gott und allen Heiligen soll darin die Ehre gegeben werden. Es
wird wieder empfohlen, Nussbaumholz für die Bänke zu nehmen.
Am 17. Juni 1526 giebt der Meister Bericht über den Stand
der Arbeit: vier Säulen im Vestibül sind, nachdem schon
eine fertig war, aufgemauert worden. Mit den Taber-
Die Libreria di S. Lorenzo
117
nakeln will es noch etwas Zeit haben, doch hofft er,
dass die Ausstattung in vier Monaten fertigseinwird.
Mit der Holzdecke wurde jetzt begonnen, aber das
Lindenholz ist noch nicht trocken. In der folgenden Zeit
aber treten auf Wunsch des Papstes die Medicigräber in den Vor-
dergrund. Für sie soll alles Geld verwendet werden , für die
Libreria nur wenig (17. Juli); an der Decke soll jetzt nicht ge-
arbeitet werden (16. Oktober) — so wünschte der Papst. Dann
tritt die lange Pause ein.
Erst am 25. November 1530 hören wir wieder Etwas von der
Arbeit. Michelangelo soll genöthigt werden, „vigilante alla fabrica"
zu sein, nachdem am 21. November das Breve, betreffend ,,die
Werke in Florenz" ergangen ist.
Die Arbeit aber schreitet in den folgenden Jahren wenig vor-
wärts. Am 19. Juni 1532 schreibt Michelangelo, nach der Rückkehr
von seinem Aufenthalt in Rom , dass die Maestranza verdoppelt
werde. Wieder vergeht ein Jahr und wir erfahren , dass nun erst
die Bänke gemacht werden sollen (17. Juli 1533). Abermals be-
tont der Papst, dass sie aus Nussholz angefertigt werden sollen,
ohne zu sparen, und zwar ,,a la cosimesca", d. h. den Werken des
Cosimo magnifico (es wird wohl an die in S. Marco gedacht) ähn-
lich. Bezüglich der Decke bleibe die Entscheidung Michelangelo
überlassen. Es wird darüber weiter verhandelt; und Clemens er-
klärt sich einverstanden damit, dass die Bänke aus Tannen- oder
Kiefernholz gemacht und nur mit Nussholz ausgeschmückt würden.
Die Arbeit an ihnen und an der Decke soll an den Geschicktesten
verdingt werden (3. August). Hierauf kommt der Meister zurück
und bittet, um für den Winter nach Rom gehen zu können, ausser
den Bänken und der Decke auch die Figuren (!) und die Treppen
verdingen zu dürfen, was bewilligt wird. Weiter hören wir Nichts
mehr. Auch dieses Unternehmen bleibt unvollendet, als der Künstler
1534 nach Rom übersiedelt.
Über die späteren Vorgänge erfahren wir Folgendes. Ende
1 549 sendet Cosimo Tribolo zu Michelangelo, mit der Bitte um An-
gaben über den Bau der Treppe, von der viele Steine ge-
macht (auch einige Thonskizzen) und Spuren in der Erde sich fanden,
aber kein Modell existirte. (Vasari.) Daraufhin hat Dieser einen
Brief über die Treppe an Fattucci geschrieben, der nicht erhalten
ist (29. Januar 1550). In dem Briefe des Lelio Torelli heisst es,
dass ,,beim Tode des Ansuino (Andrea Sansovino) in jenen Räumen
das Modell der Treppe sich befand, und ich vernehme, dass alle
Steine bearbeitet waren, mit Ausnahme der ersten Stufe". 1552
und 1553 führte Santi detto de' Buglioni das Paviment nach der
Zeichnung von Tribolo aus. (Mil. Vasari VI, 88, n. i.) Fünf Jahre
Il8 Die Bauten in Florenz
später (September 1555) fragt Cosimo durch Vasari von Neuem,
wie sich Michelangelo die Treppe, die Vasari ausführen soll , ge-
dacht. Dieser schreibt am 28. September an Vasari: er erinnere
sich nur noch wie im Traum an die Treppe, wolle es aber an-
geben. Vasari solle sich ovale Schachteln, einen Palmo hoch, aber
von verschiedener Länge und Breite denken, und diese nach ihrer
abnehmenden Grösse stufenbildend aufeinander legen bis zur Thür
der Libreria, deren Öffnung die letzte Schachtel in der Breite ent-
spreche. Und diese Haupttreppe, für den Herzog bestimmt, habe
zwei Flügeltreppen mit geraden, nicht ovalen Stufen. Es folgen
einige weitere Angaben, über die unten Näheres. Diese Aussagen
waren nicht genügend : von Neuem fragt, im Auftrage des Herzogs,
Ammanati im Dezember 1558 an, worauf der Meister ein kleines
Thonmodell anfertigt und am 13. Januar 15 59 an Ammanati schickt.
Zugleich giebt er einige Erläuterungen brieflich und meint, man
sollte die Treppe nicht aus Stein , sondern in Harmonie mit den
Bänken, der Decke und der Thüre in schönem Nussholz ausführen.
Das Modell wird Cosimo nach Pisa überbracht (19., 20. Februar),
der die Ausführung in Stein anordnet und zugleich andeutet, ob
nicht auch die Zeichnung für die Decke des Ricetto zu erlangen wäre.
Was wir zu diesen authentischen Daten noch ergänzend von
Vasari erfahren, beschränkt sich auf die Erwähnung, dass die Holz-
decke nach des Meisters Zeichnung von Antonio di Marco di Giano
gen. Carota und T a s s o angefertigt und die Bänke von Bat t ist a
del Cinque und Ciappino gearbeitet wurden. Zu bemerken
ist hierzu, dass nach Baldinucci (VII, 605) auch der Maler Fran-
cesco Pagani mit dem Intagliator di legname C r o c i n i, Schwieger-
sohn Tassos, nach Angaben Michelangelos die Intagli der Libreria
angefertigt. (Anfang 50er Jahre.) Die farbigen Fenster wurden
durch verschiedene Glasmaler von 1558 bis 1568, angeblich nach
Giovanni da Udines Zeichnungen, ausgeführt.
Zusammenfassendes:
I. Stadium. Ende 1523 bis Anfang 1524.
Plan A: Anlage an der Südseite des Klosters: zwei Bibliotheken,
die lateinische und die griechische, d. h. für die lateinischen und
für die griechischen Manuskripte, nicht, wie v. GeymüUer meint, in
lateinischer oder griechischer Form : ,,sia le misure a tutte a dua
le librerie, cioe alla latina et alla grecha." Michelangelo fertigt zwei
Grundrisse an.
Plan B: Anlage nach Osten zu, an der Piazza und am Borgo
di S. Lorenzo (Piazza muss der Platz vor S. Lorenzo sein, es kann
damit nicht, wie v. Geymüller es vermuthet, der Chiostro des
Klosters gemeint sein). Der Bau hat eine Länge von 96 Ellen.
Die Libreria di S. Lorenzo 119
Die unteren Räume gewölbt , die oberen mit einer schönen Holz-
decke. Zwei kleine Studienräume am Südende , zwei andere zu
Seiten der Eingangsthüre. Die Häuser, die nach der Via della Stufa
Hegen, sollen niedergerissen werden.
Plan C: Anlage an der Westseite des Chiostro, in dem Trakt
des Klosters, der an die Sakristei von S. Lorenzo, also an das
Querschiff der Kirche anstösst. Dieser Plan wird definitiv ange-
nommen (3. April). Der Künstler schickt Zeichnungen, darunter
eine der Holzdecke ein, die auf Wunsch des Papstes eine der An-
ordnung der Gänge zwischen den Bänken entsprechende Eintheilung
und Embleme erhalten soll. Ein Querhaus, das beiderseits 18 Ellen
vorspringt, ist ins Auge gefasst und eine Doppeltreppe. Nachdem
auch noch Zeichnungen, welche die Verstärkung der Mauer durch
Pilaster zeigen, eingesandt sind, wird der Beginn der Arbeit an-
geordnet. Die ,,Crociera" soll vorläufig nicht ausgeführt, aber es soll
Bedacht auf sie genommen werden. Baccio Bigio wird Oberauf-
seher des Baues, der im August begonnen wird.
II. Stadium. Bauthätigkeit vom August 1524 bis Juni 1526.
Bis zum April 1525 ist der Bau so weit vorgerückt, dass die Arbeit
an den Fenstern vorgenommen wird. Bestimmungen über Einzel-
heiten werden getroffen : der Papst ist einverstanden mit den Fenstern
und den Tabernakeln innen über denselben. An Stelle der Doppel-
treppe aber soll eine einfache kommen. An den Studietti am Süd-
ende wird festgehalten. Die Zeichnung der Holzdecke wird noch
einmal erbeten. — Im November entschliesst sich Michelangelo, das
Vestibül auszuführen. Sein Vorschlag, Oberlichter anzubringen,
wird nicht angenommen. Der Plan einer kleinen Libreria —
dieser Gedanke tritt wohl an Stelle des früheren eines Querbaues
— an der Westseite der grossen , für welche der Erwerb eines
dort befindlichen Hauses ins Auge gefasst wird, gefällt, wird aber
später wieder fallen gelassen. Im Dezember schickt Michelangelo
wieder einen disegno a piedi della libreria ein. — Bis zum April
1526 ist das Ganze so weit gediehen, dass nun die innere Aus-
stattung und Bedeckung näher ins Auge gefasst wird: die Holz-
decke , die Bücherbänke , die Eingangsthüre mit Epitaph , deren
Zeichnung der Papst biUigt. Bis zum 17. Juni sind fünf Säulen im
Vestibül aufgemauert , dessen Ausstattung in etwa vier Monaten
fertig sein kann. Die Holzdecke ist noch nicht begonnen. Die
Pause tritt ein.
III. Stadium. Wiederaufnahme der Arbeit Ende 1530 bis
September 1534. Damals ist die Wandausstattung wohl voll-
endet worden. Im Juli 1533 finden neue Verhandlungen betreffend
die Bücherbänke und die Decke statt. Kurze Zeit darauf wird er
die Arbeit der Bänke an Battista del Cinque und Ciappino, die der
I20 Die Bauten in Florenz
Decke an Tasso und Carota verdingt haben. Unausgeführt bleibt
die Treppe und die Decke des Vestibüls.
IV. Stadium. Vollendung 155 5 bis 1568. 1550 soll die Treppe
mit Hülfe von Michelangelos Rath durch Tribolo angefertigt werden.
Es kommt aber nicht dazu. Nach Tribolos Zeichnung macht Santi
Buglioni 1552 und 1553 das Paviment. 1555 soll Vasari die Treppe
nach Anweisung Michelangelos vollenden ; es kommt wieder nicht
dazu. 1558 beginnt die Ausführung der Glasmalereien. Ende
dieses Jahres fertigt Michelangelo für Ammanati ein kleines Thon-
modell an, mit dessen Hülfe 1560 die Treppe offenbar von Amma-
nati, nicht, wie allgemein angenommen wird, von Vasari ausgeführt
wurde. 1 568 wird der Schmuck mit farbigen Fenstern beendet.
Von Publikationen sind zu erwähnen: Carlo Faucci: Bibliothecae
Mediceo — Laurentianae porta, vestibulum et fenestrae, tabulis aeneis
expressae. Firenze 1756. — Giov. Ign. Rossi: la Libreria Mediceo-
Laurenziana, disegnata e illustrata. Firenze 1739. II. bereicherte
Ausgabe 1755- — Man vgl. auch Dom. Moreni: Continuazione delle
Memorie istoriche di S. Lorenzo. Firenze 18 16. — Ruggieri, Ferdi-
nando: Scelta di arch. ant. e mod. d. cittä di Firenze 1755.
Zeichnungen
Auch hier verdanken wir v. Geymüller grundlegende Unter-
suchungen, die im Folgenden aber bereichert und zum Theil be-
richtigt werden durften.
A. Die Gesamtanlage
Nur eine einzige auf sie bezügliche, bereits von Gotti erwähnte
Skizze kenne ich.
I. Florenz, Casa Buonarroti XLIII, 81. Thode 143. Röthel:
Der Plan der an die Westseite der Libreria anstossenden
Häuser , deren Besitzer verzeichnet werden und zwar von
Norden an wie folgt : l'osteria, di San Lorenzo, meser Andrea
martelli , una capella in Santo Stefano , del bechuto , di san
Lorenzo, del bechuto, san Lorenzo.
B. Die nicht ausgeführte kleine Libreria,
die nach Westen zu in der Nische des Vestibüls auf dem Grund-
stück des Larione Martelli gebaut werden sollte. Ich erkenne ihren
Grundriss in zwei Federzeichnungen, welche v. Geymüller irrthüm-
lich als Entwürfe für die grosse Libreria betrachtet.
II. Florenz, Casa Buonarroti XLIII, 80. Thode 142. Dreieckiger
Grundriss mit reicher Wandgliederung : halbrunde und vier-
Die Libreria di S. Lorenzo 12 1
eckige Nischen. Die Rundnischen in den drei Ecken sind
durch Säulen flankirt. Der Eingang von der alten Libreria
aus ist in der Mitte der einen Seite. Die Anordnung der
Bücherbänke in drei Reihen entspricht der Dreiecksform des
Raumes: an der Eingangsseite werden die Reihen durch-
brochen durch eine runde Bank (bancho tondo). Die Dreieck-
seite rechts, vom Eingang aus gesehen, gränzt an das Haus
des MartelU (el muro d'Ilarione Martelli); die Seite links
an Terrain, das S. Lorenzo gehört (di qua si puo fare quello
che piace perche e de preti). Rechts die Notiz : la chasa di
larion martelli, riducesi in modi di sopra e tucti e lumi si
piglion della volta perche non si posson aver daltrove. Auch
sonst finden wir verzeichnet: lumi per di sopra.
III. Ebendaselbst XLIII, 79. Thode 141. Derselbe dreieckige
Grundriss, aber andere Wandeintheilung : in den drei Ecken
halbrunde Nischen mit je zwei vor sie tretenden Säulen, die
Eingangswand mit zwei, die beiden anderen Wände mit drei
flachen, rechteckigen Wandnischen zwischen Pilastern. Die
Bankreihen, mit einem Zwischengang, parallel zu den zwei
Wänden angeordnet. Daneben kleiner Grundriss mit Angabe
der den Raum bedeckenden Kuppel und eine Wandtravee mit
Wölbung darüber, in welcher Rundfenster. — Ein Ricordo
auf der Rückseite betreffend den Eintritt eines Niccolö da
Pescia in die Werkstatt am 3. August 1525 und Zahlungen
an denselben bis zum 28. Januar 1526, stimmt, wie man sieht,
wohl zu den Daten über die Beschäftigung mit der kleinen
Libreria, die im Herbst 1525 eintritt.
C. Der Ricetto oder das Vestibül
I. Grundriss.
IV. Florenz, Casa Buonarroti XLII, 89. Thode 135. Rückseite.
Feder. Bisher nicht beachteter Entwurf (a). Zwei seitliche
Treppen führen zu einem breiten Podest , der von vier
zwischen ihnen angebrachten Säulen getragen werden sollte.
Ein Kreuzgewölbe soll, wie es scheint, das Vestibül bedecken.
Wir finden die gleiche Doppeltreppe auf einem Entwurf des
Vestibüls in Haarlem. S. unten, Nr. XI. — Wir dürfen die
Zeichnung April 1525 datiren , da Michelangelo damals dem
Papst einen solchen Entwurf einsendet; Dieser aber will die
Doppeltreppe nicht. Daneben flüchtigeSkizze(b) einer Abtheilung
der Decke im Saal und Notizen von Ausgaben an die am
Bau Beschäftigten: Bernardino di disidero venti soldi el di,
Betto da rovezzano nebbe venti quattro , Sandro di bertino
122 Die Bauten in Florenz
di bertino venti soldi el di , per quadro si dette soldi sedici
a dua grossi. — Die Zeichnung der Vorderseite dieses Blattes
bezog V. Geymüller irrig auf ein Projekt der Fassade von
S. Spirito ; sie ist ein früher Entwurf für die Wandgliederung
des Ricetto. S. unten. Nr. X. — Frey (Taf. 71) äussert sich,
wie ich nachträglich hinfüge , bezüglich b : „für die Kapelle
Medici", was irrig, bezüglich a: ,, nicht zu entscheiden, ob für
den Altarraum der Kapelle oder für den ricetto", was gleich-
falls irrig.
V. Haarlem, Teyler Museum. Thode 260. v. Marcuard Taf. XII.
Auf einem noch unten zu erwähnenden Blatte: Flüchtiger
Grundriss, welcher eine schmale gerade Mitteltreppe andeutet.
VI. Ebendaselbst. Grundriss ohne Treppe, der nur die Eintheilung
der Wandtraveen andeutet.
VII. Ebendaselbst. Grundriss mit halbrunder Treppe in der Mitte.
Konzentrisch in das Quadrat eingezeichnete Kreise lassen an-
nehmen, dass hier der Meister eine Kuppel über dem Vestibül
plante, auf welche auch die flüchtige Skizze einer Wandtravee,
über den Bogen ansetzend, hinweist.
Villa. Lille, Musee Wicar. Thode 281. Im sog. Michelangelo'schen
Skizzenbuch Battista da San Gallos. Kopie einer ächten
Zeichnung. Abb. v. Geymüller, S. 47, Fig. 37. Wie in Nr. VII
führt eine dreigetheilte halbrunde konvexe Treppe zu einem
ovalen Podest. Von diesem aus führen noch konkav angelegte
Stufen durch die Thüre in den Saal. Die Zeichnung ist
später als VII, denn die WandgUederung zeigt schon die ein-
gelassenen Doppelsäulen. Über der Treppe ist zu lesen :
questo vano qua su e tanto quanto el sodo a rinchontro e di
qui s'entra nella libreria. Bei der Eingangsthüre im Vestibül:
,,un bilicho serava", was nach v. Geymüller besagt : eine Thür-
angel, ein Gleichgewicht machte zu. Unten : queste el ricetto
di S. Lorenzo und : di mano di michelagnolo buon.
VIII b. Siena, Bibl. comunale. Skizzenbuch des Oreste Vannocci
S. VI, I. Fol. 30 V. Von Geymüller erwähnt, Kopie des
gleichen Originals, wie Villa.
II. Wandeint heil ung.
Wir haben hier frühere Entwürfe, die noch nicht die ge-
kuppelten Säulen zeigen, von späteren zu unterscheiden, und zwar
sehen wir, dass zuerst eine durchgehende Säulenordnung
die Einheitlichkeit der ganzen Wand herstellt, dann zwei gesonderte
Stockwerke unterschieden werden.
IX. London, British Museum. Malcolm 70. Thode 354. Schon
von Robinson als Entwurf für das Vestibül erkannt, von Gey-
Die Libreria di S. Lorenzo I23
müller nicht erwähnt. Eine breite Mitteltravee mit vier durch-
gehenden Säulen dominirt ; sie besteht aus breitem Mittelfelde
und schmäleren, von je zwei Säulen eingerahmten, vortreten-
den Seitentheilen, die eine hohe untere und niedrigere obere
Nische enthalten. Die schmalen Seitentraveen, von Ecksäulen
begränzt, zeigen eine hohe Nische. Die Ordnung erhebt sich
über einem Wandunterbau , der offenbar in der Höhe des
Treppenpodestes abschliesst. — Eine zweite Skizze wiederholt
den Seitentheil der Mitteltravee mit den Säulen ; daneben der
Grundriss hierfür.
X. Florenz, Casa Buonarroti XLII, 89. Thode 135. Vorderseite
des unter IV angeführten Blattes, v. GeymüUer glaubte hier
den — übrigens in keiner Weise beglaubigten — Entwurf
zur Fassade von S. Spirito zu erkennen. Die Rückseite lässt
aber keinen Zweifel darüber, dass es ein Entwurf für die
Vestibülwand ist. Diese ist hier über dem hohen Unterbau
durch durchgehende Säulen in drei Traveen gegliedert. Im
unteren Stockwerk sehen wir Säulen , zwischen denen hohe
Nischen mit kleinen viereckigen Füllungen darüber angebracht
sind. Und zwar enthält die Mitteltravee zwei Nischen zwischen
drei Säulen , jede Seitentravee eine zwischen zwei Säulen.
Im oberen Stockwerk sind den Säulen entsprechende Pilaster
angedeutet und hohe rundbogige Fenster. — Eine flüchtige
Skizze daneben bringt die Mitteltravee mit verändertem Ober-
geschoss : statt der zwei Fenster ist hier eine breite oblonge
Füllung gegeben — offenbar wollte der Künstler hierdurch
die unglückliche Theilung der Mitteltravee gut machen,
indem er die Einheit wenigstens oben betonte. — Auch Frey
(72) erkennt hier den Ricetto.
An diese Gliederung knüpft Michelangelo nun in der folgenden
Zeichnung an, giebt aber die durchgehenden Säulen auf.
XI. Haarlem, Museum Teyler. v. Marcuard Taf. XII. Ich erwähnte
die Grundrisse auf diesem Blatte schon oben (Nr. V — VII).
v. Marcuard meinte Studien zu der Sagrestia nuova hier zu
finden, v. GeymüUer stellte fest , dass sie für den Ricetto
dienten. Obere Skizze: die Eintheilung der Wand durch
Säulen, wie in X. Auch hier die unglückliche Zweitheilung
der Mitteltravee. Die Nischen (ohne Felder darüber) hier
aber reich gerahmt. Das Eckfenster mit weit herabgehenden
Ohren und einem durchbrochenen Spitzgiebel, über dem ein
kranzartiger Aufsatz. Die Nischen der Mitteltravee rundbogig
in viereckigem Rahmen mit geradem Gesims ; zwischen Bogen
und Gesims oblonge Füllung. — Eine zweite Skizze, welche
die gerade Doppeltreppe zeigt (vgl. oben Nr. IV). wiederholt
124
Die Bauten in Florenz
die Wandeintheilung, ohne die Füllungen anzugeben. — Ein
Entwurf auf der anderen Hälfte des Blattes zeigt eine Seiten-
travee mit niedrigem zweiten Stockwerk, von welchem Bogen
ausgehen.
Der nun folgende Schritt in der Entwicklung führt zur gleich-
massigen Dreitheilung der Wand und Anordnung ge-
kuppelter Säulen zwischen Mauerpfeilern.
XII. Florenz, Casa Buonarroti XXVIII, 48. Thode 97. Abb. v. Gey-
müller Bl. 4, 5. Auch hier die hintere Wand gegenüber dem
Eingange. Über dem Unterbau , in dem rechts schon die
Thüre angegeben ist, sehen wir drei breite Mauerpfeiler vor-
treten, welche von Säulen mit Gebälk gerahmt sind und mit
Tabernakeln: das in der Mitte mit spitzem, die anderen mit
Segmentgiebel, geschmückt sind. Zwischen den Pfeilern sind
gekuppelte Säulen von gleicher Höhe wie jene in die Wand
eingelassen. Über der Ordnung ist eine Art Attika mit vier-
eckigen Füllungen oberhalb der Mauerpfeiler, runden ober-
halb der gekuppelten Säulen. Drei Skizzen daneben geben
die Säulenanlage im Grundriss, eine andere den Giebel des
Mitteltabernakels. Die Häufung der Säulen neben einander
bringt eine sehr unerfreuliche Wirkung hervor.
XIII. Ebendaselbst LVI, 42. Thode 173. Abb. v. Geymüller BI.4, 6.
Hier tritt gleichsam eine Vertauschung der Stellen zwischen
den Tabernakeln und den gekuppelten Säulen ein. Letztere,
wie in XII in enger Stellung, werden zwischen die Säulen der
Wandpfeiler eingesenkt und die Tabernakel an den zwischen
den Pfeilern befindlichen zurücldiegenden Wandflächen an-
gebracht. Die Tabernakel erheben sich auf Postamenten und
sind über seitlich angesetzten Konsolen mit einem Segment-
giebel abgeschlossen. Statt der Attika befindet sich hier ein
Obergeschoss mit Pilastern und spitzgiebligen Tabernakeln.
Auch diese Lösung befriedigt nicht. Es tritt die Vereinfachung
ein , indem die Säulen der Wandpfeiler weggelassen und nur die
gekuppelten Säulen zwischen den schmäler gebildeten Pfeilern ge-
lassen werden.
XIV. Ebendaselbst XXXIV, 39. Thode 106. Ein solcher schmaler
Wandpfeiler, neben dem die gekuppelten Säulen rechts an-
gegeben sind. Am Pfeiler über einem Postament ein Taber-
nakel mit Volutenstützen unter auskragendem, ohrenförmig
gebildetem Gesims, über dem ein eigenthümlicher Aufsatz.
(Eine Variante des Tabernakels auf der Rückseite des Blattes.)
XV. London, Brit. Museum. Malcolm 71. Thode 355. Als Studie
für das Vestibül bereits von Robinson erkannt, von Geymüller
nicht beachtet. Auch hier der schmale Wandpfeiler mit Taber-
Die Libreria di S. Lorenzo 125
nakel (Segmentgiebel) neben dem Säulenpaar. Mit besonderer
Sorgfalt der Unterbau behandelt: unter dem Mauerpfeiler
sauber gerahmter und profilirter Sockel, unter den Säulen
die grossen Konsolen , deren eine daneben in Seitenansicht
gegeben ist. — Wir stehen hier dicht vor dem definitiven,
ausgeführten Entwürfe , in dem nur der Wandpfeiler eine
grössere Breite und dessen Sockel eine einfachere Form er-
halten wird, wie sie übrigens auf unserem Blatte in einem
Profil schon angedeutet ist.
Im definitiven Entwürfe wird über dem Tabernakel noch ein
quadratisches Blindfenster angebracht, dessen Rahmen mit den senk-
rechten Ohren (zwischen denen Guirlanden hängen) aus den Auf-
sätzen in Nr. XIV hervorgegangen ist. Für die Entwicklung des
Obergeschosses seit dem Entwurf XIII aber fehlt uns die Anschauung
aus Zeichnungen. Die Idee der Fenster in XIII geht einen Kom-
promiss mit jener der Rundfenster in XII ein , indem nun diese
über den Fenstern angebracht werden. An die Stelle der einfachen
Pilaster treten den Säulen unten entsprechend gekuppelte. So ist
das seltsame Gebilde dieser Wandgliederung gewor-
den: es entsteht aus dem gleich Anfangs ins Auge ge-
fassten Mauerpfeiler, dessen Entwicklungsgeschichte
in der immer enger werdenden Beziehung naher Säu-
len bis zur seltsamen Nebeneinanderordnung der
zwei Säulen in der Wand geführt hat. Die unter-
geordneten, gleichsam überflüssigen Säulen haben
die Hauptsäulen überwunden und schliesslich ganz
verdrängt.
III. Tabernakel und Fenster.
Eine Anzahl von Entwürfen, die, zum Theil sorgfältig aus-
geführt, der definitiven Gestaltung vorangehen, ist erhalten. Be-
stimmtere Bildungen treten uns in den Gesamtentwürfen schon in
XI entgegen. In XII ist das allgemeine Schema für die grossen
Tabernakel : in der Mitte Spitzgiebel, auf den Seiten Segmentgiebel
schon bestimmt. Ja hier erscheint an dem einen Tabernakel schon
die Hermenform als Träger des Gesimses. In diese Zeit möchte
ich versetzen
XVI. Florenz, Casa Buonarroti XLIV, 96. Thode 151. Phot.
Alin. 1033. V. GeymüUer Bl. 4, Fig. 3. Ein den Tabernakeln
der Medicikapelle verwandtes Gebilde. Einfacher viereckiger
Rahmen, Segmentgiebel über Volutenkonsolen, oblonger Auf-
satz über dem Gesims im Giebel. — Auf der Rückseite vier
ähnliche Entwürfe in Röthel. Verschiedenartige Bildung des
Segmentgiebels , einmal der Rahmen mit Ohren über den
126 Diß Bauten in Florenz
Voluten. Diese letztere Form erinnert schon an die Form
in XIV.
XVn. Florenz, Casa Buonarroti XXXIV, 39. Thode 106. Rück-
seite von XIV. Der Rahmen mit seitlich angesetzten Voluten,
das Gesims mit Ohren, die nach der Seite und nach oben
auskragen.
XVIII. Ebendaselbst XXXIII, 37. Thode 104. Tabernakel von fast
genau der gleichen Form wie XVII. Daneben Skizze des
oberen Theiles eines Tabernakels, dessen Giebel, wie es
scheint, oben durchbrochen gedacht ist.
XIX. Ebendaselbst XLIV, 97. Thode 152. Phot. Alin. 1035.
V. GeymüUer Bl. 2 , 3. Einfach gebildetes Fenster mit Spitz-
giebel, darüber oblonge Füllung, v. GeymüUer meint, eine
Studie für die Fenster des inneren Raumes der Libreria. Da
die Form doch verschieden , glaube ich eher : ein Entwurf
für das Mitteltabernakel im Vestibül, so wie es im Entwurf XII
erscheint.
Ich reihe einen verwandten Entwurf an , ohne ihn doch mit
voller Sicherheit auf die Tabernakel des Vestibüles beziehen zu
können.
XX. Florenz, Casa Buonarroti XXXVI, 65. Thode 116. Phot.
Alin. 1036. Fenster mit Segmentgiebel, in dem ein Kranz
aufgehangen ist. Darüber schmale rechteckige Wandfüllung.
Die Verwandtschaft mit verschieden früher erwähnten Studien
veranlasst, auch hier an die Libreria zu denken.
Für die ausgeführten Tabernakel, die oberen Fenster und die
Wandfüllungen vermag ich keine Studien nachzuweisen. Nur eine
einzige kleine Skizze ist zu bemerken.
XXI. Ebendaselbst XLII, 92. Thode 138. Neben Studien zur
Treppe findet sich hier eine kleine Wandfüllung skizzirt, die
für den Mauerpfeilersockel in XV bestimmt war.
IV. Die Thüren.
Für die Hauptthüre, welche von dem Vestibül in den Saal
führt und auf der Tafel die Inschrift trägt: Deo praesidibusque
famiUae divis Clemens VII Medices Pont. Max. libris opt. studio
majorum et suo undique conquisitis bibliothecam ad ornamentum
patriae ac civium suorum utilitatem D. D. , wies v. GeymüUer eine
ausgeführte Studie in der Casa Buonarroti nach:
XXn. Florenz, Casa Buonarroti XLIV, 98. Thode 153. Phot.
Ahn. 1030. V. GeymüUer Bl. 4, 2. Diese Zeichnung, welche
bis auf unwesentliche Unterschiede dieselbe Form wie die
Hauptthüre zeigt, war, dem unteren Theile des Rahmens nach
Die Libreria di S. Lorenzo
127
zu schliessen, ursprünglich wohl für ein Tabernakel geplant,
wurde aber für die Thüre verwerthet. Es ist vermuthlich
die im April 1526 dem Papste eingesandte Zeichnung. —
Man hat, ganz mit Unrecht, daran gezweifelt, dass die Thüre
von Michelangelo selbst entworfen sei.
In einer anderen Zeichnung derselben Sammlung erkennt
V. GeymüUer den ausgeführten Entwurf für die Eingangsthür in das
Vestibül , der aber nicht ausgeführt ward. (Die jetzige Thür ist
von M. P. Baldi.)
XXin. Ebendaselbst XLIV, 95. Thode 150. Phot. Alin. 1029.
V. GeymüUer Bl. 4, i. Der Rahmen mit den Lisenen und
dem seitwärts ein Stück heruntergezogenen Gesims, sowie der
Segmentgiebel darüber (über Fries) erscheinen der Ordnung
der Aussenfenster am Vestibül so nahe verwandt, dass v. Gey-
müllers Behauptung gerechtfertigt erscheint.
V. Die Säulen und Pilaster.
XXIV. Florenz, Casa Buonarroti XLII, 92. Thode 138. Säulenbasis
neben Skizzen für die Treppe. Wohl für das Vestibül ge-
dacht, aber nicht in dieser Form ausgeführt.
XXV. Ebendaselbst XXIV, 7. Thode 95. Alin. XXIV, 7. Feder.
Das Kapital für die Pilaster des oberen Stockes, das übrigens
ebenso an den Pilastern des Saales wiederkehrt. Ein anderes
ähnliches Kapital. Die Säulenbasis ähnlich , aber nicht ganz
gleich, wie die ausgeführten Basen.
XXVI. Ebendaselbst XLI, 78. Thode 133. Durchschnitt des
Säulenkapitäles.
XXVII. Ebendaselbst XLI, TJ. Thode 132. Derselbe in ein Qua-
drat eingezeichnet. Rückseite das gleiche.
Zwei Skizzen im Vatikanischen Kodex der Gedichte Michel-
angelos (Fol. 89 u. 90. Thode 515), die zwei grosse Säulen mit
Maassangaben darstellen, 1555 entstanden, werden von Frey auf
das Vestibül bezogen, über dessen Treppe Michelangelo ja 1555
an Ammanati schreibt (Dicht. S. 493). Dies ist zweifelhaft.
VI. Gesimse.
Ich finde nur ein einziges Blatt mit Studien, die mit Bestimmt-
heit auf das Vestibül zu beziehen sind:
XXVIII. Florenz, Casa Buonarroti XXXIX, 62. Thode 127. a) Zwei
Profile des Gesimses über den Pilastern des oberen Stock-
werkes. Das eine ist genau so ausgeführt, b) Drei Entwürfe
im Profil des Gesimses über den Säulen des unteren Stock-
werkes, davon der eine genau so ausgeführt ist.
128 Die Bauten in Florenz
XXIX. Auf dem unter Nr. XXV erwähnten Blatte ein Gesimsprofil,
das offenbar für das Vestibül bestimmt war , das ich aber
nicht nachzuweisen vermag.
VII. Die Treppe.
Dass diese, wie wir sie heute sehen, nicht der ursprünglichen
Idee des Meisters entspricht , darüber kann kein Zweifel obwalten.
Die schärfste Verurtheilung hat sie durch v. GeymüUer erfahren,
der ,,den gänzlichen Mangel an Zusammengehörigkeit und archi-
tektonischer Verbindung zwischen der Treppe und ihrem Gehäuse"
darlegt. Die ,,ganz niedrige, fast beweglich erscheinende Treppe
sei wie herbeigeholt und so gut als möglich vor die höher liegende
Saalthür geschoben". ,,Fast lächerHch wirkt auf dem breiten Unter-
theile mit seinen drei an einander gereihten Läufen der einzige,
schmale Oberlauf, der etwa wie eine Zugbrücke vor der Thür
liegt." „Der Gedanke (1555), dass der Mittellauf für den Fürsten
bestimmt sei, ist vernichtet." ,, Jetzt ist dies grosse Treppenhaus
nur für diese winzig kleine Treppe da. Nicht nur wirkt sie kurios,
fast wie ein Zwerg, sondern ihr gegenüber stehen die Wände öde
und leer und wie über ihre eigene Form verlegen da" (S. 27).
Derselbe ausgezeichnete Beurtheiler unterscheidet drei ver-
schiedene Anordnungen, die Michelangelo selbst gegeben habe.
A. Die ursprüngliche , für welche Michelangelo vor seiner Über-
siedlung nach Rom viele Theile hatte herstellen lassen. Sie
wird uns einigermaassen bekannt durch die Zeichnung des
Battista da San Gallo in Lille (s. unsere Nr. VIII) und zwei
Zeichnungen des Antonio da San Gallo d. J. in den Uffizien.
B. Die Anordnung, die im Briefe vom 28. September 1555 (v. Gey-
müUer giebt noch das fälschliche Datum IS58) an Vasari ge-
geben ist und dem ersten Prospekt noch am nächsten komme.
C. Die 1559 Ammanati mitgetheilte Anordnung, welcher die
jetzige entspreche.
Wir unterziehen die Frage einer erneuten Prüfung, da v. Gey-
müUer einige wichtige Entwürfe nicht gekannt hat.
A. Ursprüngliches Projekt.
Bereits erwähnt wurden die frühesten Entwürfe, i. Doppel-
treppe, die an den zwei Wandseiten gerade zu dem Podest empor-
führt, der die volle Breite der zum Saale führenden Wand einnimmt
(Nr, IV und XI). — 2. Schmale gerade Mitteltreppe, die
direkt zur Thüre zu führen scheint (Nr. V). — 3. Halbrunde
Treppe mit ovalem Podest vor der Thüre (Nr. VII und VIII).
Dies sind die ersten Versuche, an deren Stelle nun der Plan einer
von Flügelläufen begleiteten Mitteltreppe tritt, also
Die Libreria di S. Lorenzo j2q
eine Verschmelzung der Idee einer geraden Doppeltreppe mit jener
der einfachen halbrunden Mitteltreppe. Ein Blatt mit verschie-
denen interessanten Skizzen, das von Gotti und Frey erwähnt wird,
V. GeymüUer aber entgangen ist, zeigt die Entwicklung des Ge-
dankens.
XXX. Florenz, Casa Buonarroti XLII, 92. Thode 138. Röthel.
a) Zwei sechsstufige Treppen führen, schräg angeordnet, zu
einem Podest vor der Thüre. Die Idee der Doppeltreppe
taucht hier also in neuer Form auf — b) Grundriss. Eine
sechsstufige halbrunde Mitteltreppe, deren Stufen seitlich in
gerade, nach oben sich verbreiternde Stufen übergehen. Also
eine nach oben sich erweiternde Treppe. — c) Grundriss.
Dieselbe Anlage , nur , wie es scheint , auf die ganze Breite
des Raumes ausgedehnt und mit breitem Podest vor der Thüre.
— d) Dreifache Treppe mit geraden Stufen, nach oben sich
verbreiternd; der Übergang von den niedrigen Seitentreppen
zur höheren Mitteltreppe vermittelt durch eingefügte würfel-
förmige Stufen, die als Zwischenstufen zwischen den Stufen
der Seitentreppe und jenen der Haupttreppe dienen.
XXXI. Ebendaselbst V, 19. Thode 75. Auf einem Blatte mit
Entwürfen für die Medicigräber : Skizze einer Doppeltreppe
ähnlich wie XXXa. '
XXXII. Florenz, Uffizien 816A. Thode 244. Abb. v. Geymüller
S. 49, Fig- 38. Studien des Antonio da San Gallo d. J. nach
Entwürfen Michelangelos. Vier Skizzen. Unter der grössten
(a) steht: Schala della libreria che aordinata michelagniolo quäle
Chi sale ne mezi sale uno tertio alla volta e chi sale nelli angoli
sale i/ß e tutti li schaloni sono simili alti uno tertio di bracio
acieto lo primo di mezo quäle i/^, di braci. — a) Anlage mit
rundem Mitteltheil und geraden Seiten ähnlich wie XXX b ; nur
gehen die Mittelstufen nicht in gleicher Höhe in die Seiten-
stufen über, sondern die runden Mittelstufen greifen in die
geraden Seitenstufen und verlaufen an deren vertikaler Fläche :
die Mittelstufen (V^ braccio hoch) sind also V« braccio höher^
als die Seitenstufen. Der Ausgleich der Höhe wird dadurch
erreicht, dass die unterste Mittelstufe (und, wie v. Geymüller
richtig hinzufügte, die oberste Seitenstufe) nur ^^ braccio
hoch ist. Steigt man in den Ecken zwischen Mitteltreppe
und Seitentreppe hinauf, so hat man, von Seitenstufe zu Mittel-
stufe und von Mittelstufe zu Seitenstufc u. s. f steigend, immer
nur Stufen von 7^, Elle Höhe zu steigen. Wir sehen hier
also, anknüpfend an XXX d eine raffinirtere Anlage des Über-
ganges von der Seitentreppe zur Mitteltreppe gestaltet —
9
I30
Die Bauten in Florenz
Nun scheint aber noch etwas Weiteres, was v. Geymüller
nicht berücksichtigte, geplant: nämlichdie Anlage zweier schräger
Flügel mit konkaven Stufen links und rechts, in welche, nach
der Podestwand sich ziehend , die geraden Stufen verlaufen.
Hierdurch gewinnen die Seitentheile neben der runden Mittel-
treppe im Grundriss thatsächlich eine vollständige Ähnlichkeit
mit ausgebreiteten Vogelflügeln, und man hätte einen geraden
Mittelaufstieg und zwei schräge Seitenaufstiege gehabt, zwischen
ihnen einen Eckaufstieg auf halben Stufen, also ein sehr eigen-
thümliches , ausgeklügeltes Schema ! — b) Grundriss dieser
Anlage, aber ohne die konkaven Flügel. Der Podest, der
offenbar die volle Breite der Wand einnahm , ist verzeichnet,
wie auch die Thüre in die Sala. — c) Nochmals der gleiche
Grundriss, aber schärfer gezeichnet. — d) Theil der obersten
Stufenanlage. — e) Die dem Prinzip nach gleiche Anlage :
aber der Mittellauf nicht rund, sondern viereckig, daher auch
der vorspringende Theil des Podestes nicht halbrund, sondern
rechteckig.
XXXIII. Florenz, Uffizien 1464. Thode 244 a. Gleichfalls von An-
tonio da San Gallo d. J., nach v. Geymüllers Angabe: perspek-
tivischer Aufbau der eben beschriebenen Anlage (Nr. XXXII),
bez. als schala Tonda und daneben Skizze der rechtwinkligen
Anlage : scala a faccie. Die unterste Stufe von halber Höhe
ist hier nicht in der Mitte, sondern im Seitentheil ange-
ordnet.
XXXIV. Florenz, Casa Buonarroti XXXV, 53. Thode 108. Abb.
V. Geymüller El. 4, Fig. 4. Neben Zeichnungen von Gesims-
profilen für Thüren eine Zeichnung des Profils der Stufen : e
modani degli scaglioni dati a cecchone.
Hier bleibt nun Manches räthselhaft. Zunächst einmal was die
Höhe der Treppe anbetrifft. In den Studien auf XXX und auf
XXXII ist die Treppe auf sechs oder fünf Stufen Höhe ange-
geben, und zwar, wie es scheint, als ein Abgeschlossenes (XXX c
sagt, als flüchtig andeutend, hierüber Nichts, und XXX d mit vier
Stufen deutet die Fortsetzung nach oben an). Wenn nun die Stufe
^/g Elle hoch ist, so käme die ganze Treppe auf zwei Ellen Höhe.
Die zu erreichende Höhe beträgt in der That aber 2,725 m (nach
V. Geymüller), und die ausgeführte Treppe besteht aus 15 Stufen.
Da das Niveau des Saales der Libreria durch die darunter befind-
lichen Räume und ebenso das Niveau des Vestibüls von Vorneherein
gegeben war, so bleiben nur zwei Annahmen möglich. Entweder :
nur das Schema ist in unseren Skizzen gegeben , es sagt über die
Zahl der Stufen Nichts aus. Wir können also ebensowohl etwa zwölf
Die Libreria di S. Lorenzo
131
Stufen annehmen. Dann würden wir ein Gebilde seltsamer Art
erhalten : die ja nach unten sich verbreiternde Mitteltreppe mit den
runden Stufen würde unten eine solche Breite haben, dass die Seiten-
theile ganz verdrängt würden. Das erscheint unglaublich. Oder
aber: die sechsstufige Treppe führt nur zu einem Podest, der in
halber Höhe angeordnet wäre , und von diesem Podest aus führte
dann eine obere Treppe nach der Thüre empor. Hiervon ist frei-
lich in den Skizzen gar Nichts angedeutet , ja jene , welche Podest
und Thür angiebt (Nr. XXXII b), spricht direkt gegen die Annahme.
Halten wir aber an ihr fest, so könnte der Podest unmöglich die
ganze Breite des Raumes einnehmen. Wie hätten wir uns dann
die seitliche Begränzung der Nebentreppen zu denken } Offenbar
etwa wie in XXXd, oder sagen wir, um es anschaulicher zu
machen, etwa wie die heutige Treppe, mit welcher das ganze Ge-
bilde sehr verwandt erscheinen würde, nur dass Mitteltheil und
Seitentreppen nicht durch eine Balustrade geschieden gewesen
wären , sondern in einander übergegriffen hätten , und der Mittel-
treppe eine vollere Abrundung und eine grössere Breitenausdehnung
gegeben wäre.
Es bleibt bei unbestimmten Vermuthungen : die Skizzen geben
uns keine gewisse Auskunft über den ursprünglichen Entwurf. Sie
weisen nur auf die allgemeine Idee : dreigetheilte Treppe mit
rundem Mitteltheil hin. Hören war nun den Meister selbst.
B. Michelafigelos Aussage im Jahre ISSS-
Das Erste ist ganz deutlich : der Vergleich mit den ovalen, auf
einander gelegten Schachteln, die nach oben immer schmäler werden,
so dass die Breite der letzten der Breite der Thüre entspricht, lässt
uns sogleich die Anlage erkennen, die wir in unseren Skizzen fanden.
Und zwar wird ausdrücklich gesagt : dass die Treppe in dieser
Weise vom Fussboden des Vestibüls bis zur Thüre emporsteigt.
Auch das Folgende weist auf die Skizzen hin : ,, diese ovale Treppe
habe zwei Flügel , den einen auf der einen , den andern auf der
andern Seite, und zwar sollen sich die Stufen in gleicher Weise
folgen, nur gerade, nicht oval." Nun aber folgt das Dunkle : questi
pe' servi e '1 mezzo pel signore, dal mezzo in su di detta scala; le
rivolte di dette alie ritornino al muro ; dal mezzo in giü in sino sul
pavimento, si dicostino con tutta la scala dal muro circa tre palmi,
in modo che l'imbasamento del Ricetto non sia occupato in luogo
nessuno et resti libera ogni faccia. Auf was bezieht sich das: ,,dal
mezzo in su di detta scala , und was bedeutet der Satz : le rivolte
u. s. w. ? Die Antwort auf die erste Frage erhalten wir durch einen
Entwurf zu diesem Briefe, den Frey publizirt hat (Jahrb. d. K. p.
132
Die Bauten in Florenz
Kunsts. IV, S. 41): la di mezzo aovata intendo per el signior le
parte da canto pe servi andando a veder la liberria le rivolte di
decte alia dalmezzo in su insino al riposo di decta scala sappichano
col muro dal mezzo in giu insino in sul pavimento decta scala si
discosta dal muro circa quattro palmi in modo che l'inbasamento
del ricecto non e offeso in luogo nessuno e atorno actorno resta
libero.
Das: dal mezzo in su gehört also zu dem Satz: le rivolte.
Die rivolte der Flügeltreppen kehren von der Mitte der Treppe an
zur Mauer zurück, heisst es das eine Mal, das andere Mal: sie
schliessen sich bis hinauf zum riposo (d. h. bis zu einem oberen
Podest?) an die Mauer an.
Was sich zunächst als unzweifelhaft ergiebt, ist dies, dass in
halber Höhe ein Podest sich befand. Bis zu diesem steigen die
ovale Mitteltreppe und die geraden Seitentreppen mit und neben
einander an, und zwar bleibt zwischen den Seitentreppen und den
Wänden etwa eine Elle Raum frei. Vom Podest steigt die Mittel-
treppe gerade weiter zur Thüre auf dem oberen Podest. Was wird
nun aber aus den Seitentreppen .^ Frey nimmt an, sie begleiteten
auch fernerhin die Mitteltreppe und führten gleichfalls zur Thüre
(Mauer): rivolte bedeute die schrägere Richtung, die sie auf die
Thüre zu nähmen. Wir müssten dann annehmen, dass sie in einer
Spitze an der Thüre ausliefen, v. GeymüUer sagt : ,,die Seiten-
läufe wenden sich vom mittleren Podest rechtwinklig nach aussen,
steigen längs der durchgehenden oberen Podestmauer hinauf und
münden je auf ein quadratisches Podest, welches an den beiden
Enden des Tribünenpodestes vorspringt." Das „ritornano al muro",
wie das ,,s'appiccano col muro", wie auch der Ausdruck: ,, riposo",
den man fast genöthigt ist, als „oberen Podest" zu deuten, scheinen
sehr für diese Meinung zu sprechen. Und doch kann man sich
grosser Bedenken nicht erwehren. Ein oberer Podest und noch
dazu mit vorspringenden quadratischen Podesten, würde doch den
imbasamento , d. h. die Dekoration der unteren Theile an der
Treppenwand und an den angränzenden zwei Seitenwänden bis
hin zu dem ersten Paar der gekuppelten Säulen verdeckt haben —
und Michelangelo legt ja ausdrückliches Gewicht darauf, dass der
imbasamento nirgends verdeckt, sondern jede Wandseite voll sicht-
bar sei! Diesem Einwand könnte freihch mit der Bemerkung er-
widert werden, dass ein „ritornare al muro" oder ,,appiccare al
muro" ja nicht denkbar sei ohne das Verdecken eines Theiles des
Imbasamento. Aber auch räumlich erscheint mir die Anlage un-
möglich: ein solcher vorspringender Podest mit einer zu ihm auf-
steigenden Treppe hat gar keinen Platz, es sei denn, dass er, wie
die Treppe, in kümmerlichen Verhältnissen gebildet werde, die
Die Libreria di S. Lorenzo
133
eine ästhetische Wirkung, wie sie der hochverdiente Kenner der
Renaissancearchitektur anzunehmen geneigt ist, schwerlich hervor-
bringen würde.
Also hätte doch Frey Recht: jene rivolta der Flügehreppen
bezeichnet ihr sich Wenden schräg nach der Thüre zu, deren
Schwelle mit dem Riposo gemeint wäre? Einer der von mir be-
sprochenen Entwürfe (Nr. XXXIIa) scheint mir hierfür zu sprechen,
ja könnte uns von diesem Gesichtspunkt aus verständlich werden.
Wir fanden in ihm schräg von der Seite nach der Mitte zu auf-
steigende konkave Stufen angedeutet. Von diesen konnte man in
der That sagen: sie kehren in einer Wendung zur Mauer zurück
oder heften sich an die Mauer: und das künstliche Schema der
ineinandergreifenden Stufen des Mitteltheiles und der Seitentheile
erklärte sich auch, denn eine trennende Balustrade wäre natürlich
an dieser oberen Treppe nicht, wie an der unteren, denkbar. Die
Konsolen unter den Säulenpaaren neben der Thüre freilich wären
verdeckt worden. — Wollen wir aber jene absonderliche Anlage
der konkaven seitlichen Stufen nur als einen Versuch der Lösung,
nicht als die Lösung selbst betrachten, so können wir uns die
Seitentreppen vom Podest an , in dreieckigem Grundriss , spitz zu
dem Thürpfosten verlaufend, denken. Auch für diese Form wären
die Ausdrücke ritornare und appiccarsi al muro denkbar. Und für
diese Annahme entscheide ich mich , die Hypothese Freys zur
meinigen machend, da sie mit der Aussage Michelangelos im Jahre
1559 im Einklänge steht.
Dass Baldinuccis Meinung, die Flügelthüren seien von der
Wand der Eingangsthür in den ricetto ausgegangen (VII, 506), un-
haltbar ist, wird durch alles Vorhergehende erwiesen.
XXXV. Zwei kleine Federskizzen der Treppe, von vorn und von
der Seite, erwähnt Frey als auf dem Briefentwurf des Kodex
der Vaticana Nr. 321 1, LXXXVII, 6 (Thode 515 b.) befindlich.
C. Michelangelos Aussage 155g.
Im Brief an Ammanati heisst es bezüglich des übersandten
kleinen Modelles : e per esser cosa piccola non ho potuto fare se
non l'invenzione, ricordandamiche quello che giä ordinal, era isolato
e non s'appoggiava se non alla porta della Libreria.
Sommi ingegnato teuere il medesimo modo, e le scale che mettono
in mezzo la principale, non vorrei che'avessin nella stremitä balaustri,
come la principale, ma fra ogni due gradi un sedere, come e
accennato dagli adornamenti.
Hier ist die Angabe so deutlich — die Treppe ist ganz isolirt
und berührt die Wand nur unter der Thüre — , dass v. Geymüller
134 ^^^ Bauten in Florenz
bei seiner Interpretation der Angaben von 1555 nichts Anderes
übrig blieb, als die Annahme: Michelangelo habe nunmehr eine
andere und viel weniger befriedigende Anordnung angegeben, als
früher. Diese Annahme erscheint aber ausgeschlossen , da der
Meister sagt: er erinnere sich, die Treppe isolirt geplant zu
haben. Man vernimmt hier deutlich die Antwort auf eine Frage
Ammanatis. Und diese Frage ist dieselbe, welche wir uns beim
Lesen des Briefes von 1555 stellen mussten. Wie uns, so war
es auch Vasari und Ammanati unklar geblieben , wie sich Michel-
angelo die oberen Seitentreppen denke. Auch sie waren offen-
bar, wie V. Geymüller, auf die Idee einer seitlichen Wendung
nach aussen gekommen. Nun werden sie eines Anderen belehrt,
und zwar in einem Sinne, der Freys Annahme als die richtige er-
kennen lässt.
Es fragt sich nun, ob Michelangelo in seinem Modell noch die
oberen Seitentreppen beibehalten oder selber sie aufgegeben hat.
In letzterem Falle entspräche die gesamte jetzige Treppenanlage
seiner definitiven Idee, im anderen hätte Ammanati aus eigener
Machtbefugniss sich für die einfache obere Treppe entschieden.
Hierüber ist Bestimmtes nicht zu sagen, doch möchte ich glauben,
Ammanati habe auch hierin sich an des Meisters Weisung gehalten.
Denn wir sehen, dass er ihm sonst: nämlich in der Anordnung von
Balustraden an der Mitteltreppe und von derjenigen eines ,,sedere
fra ogni due gradi" (rechteckige Sockel) an den Seitentreppen
gefolgt ist. In wie weit auch in Form und Profilirung der Stufen,
in den Voluten, die den Podest abgränzen, bleibt dahingestellt, da
wir nicht genau wissen, was ihm an Mustern hierfür in den Resten
aus der Periode der frühen Arbeit an der Treppe vorlag. Ver-
muthUch musste er in den Details selbständig vorgehen , denn
Michelangelo schreibt ihm: base, cimase a quei zoccoli ed altre
cornicie non bisogna che io ve ne parli perche siete valente. Sicher
ist, dass das Profil der jetzigen Stufen ein anderes ist, als das in
XXXIV vom Meister selbst entworfene.
Von dem Briefe von 1559 aus also fällt Licht zu-
rück auf die früheren Ideen des Meisters, und es
geht aus allen unseren Darlegungen hervor, dass die
heutige Treppe im Wesentlichen den ursprünglichen
Entwurf ausgeführt zeigt, nur dass die Seitenläufe
der oberen Treppe — vielleicht auf Michelangelos
eigene spätere Entscheidung — weggelassen worden
sind. Dass dies dem ästhetischen Eindruck zu Gute gekommen
ist, möchte ich glauben. Im Übrigen wird man sich mit der That-
sache abfinden müssen, dass dieses seltsame Treppengebilde eine
Schöpfung Michelangelos ist.
Die Libreria di S. Lorenzo j-ic
D. Der Bibliotheksaal.
Die Eingangsthüre in der Sala.
XXXVI. London, British Museum 1859 — 6 — 25 — 550. Thode 292.
Vier mit der Feder ausgeführte Entwürfe: Thüren und Fenster,
die schon Fagan als solche für die Libreria bezeichnete. Der
erst zu erwähnende könnte für die Thür in der Sala bestimmt
gewesen sein: a) Tabernakelartig mit Segmentgiebel, über
dem ein Spitzgiebel hinzugefügt ist, auf seitlich den Rahmen
flankirenden Säulen. Der Rahmen oben in senkrechten Ohren
endigend, zwischen denen eine oblonge Füllung angebracht
ist. Vor dem Giebel und ihn überragend grosses Papst-
wappen. Die Gesamtanlage zeigt nahe Verwandtschaft mit
der Thüre. Das Weglassen des Wappens erklärt sich aus
dem Wunsche des Papstes. — b) Fenster mit Spitzgiebel, an
dem das Mediciwappen angebracht. Wohl auch Entwurf für
die Sala. — c) Kleinere Skizzen eines Fensters mit Segment-
giebel. — Dito mit geradem Gesims. — Die Rahmung von
a) erinnert sehr an die Tabernakel der Medicikapelle ; doch
kann der Entwurf des Wappens wegen kaum auf diese be-
zogen werden. Man könnte wohl eher vermuthen , dass er
für das Mittelfenster oben an der Fassade von S. Lorenzo
bestimmt gewesen. Hiergegen aber spricht die durchweg
einfache Rahmung, die diesem Fenster in den Skizzen für
die Fassade gegeben ist. Auch weist die kompHzirte, reiche
Bildung auf die spätere Zeit.
XXXVII. Florenz, Casa Buonarroti XXXV, 53. Thode 108. Abb.
V. Geymüller Bl. 4, Fig. 4 (vgl. Details der Thüre, Bl. 8).
Frey 49. 50. Profile, a) de modani la copia della cornice
delle porte della liberria, date a ccechone. Die Zeichnung
stimmt mit dem ausgeführten Gesims überein. — b) el modanS
dato a ccechone degU stiti delle decte porte della Hberria.
Ist das Profil des Thürrahmens. — c) e modani degli scagHoni
dati accechone. — d) Rückseite: modano delle decte porte
del frontone tondo dirieto. — e) frontispizio el modano del
frontone delle decte porte cioe del dinanzi.
Die Decke.
XXXVIII. Florenz, Casa Buonarroti XXI, 126. Thode 86. Skizze
für ein Mittelfeld und die zwei angränzenden Seitenfelder.
Die Gesamteintheilung entsprechend der ausgeführten; auch
smd die Widderköpfe mit den Lorbeerkränzen angegeben
In den Ecken des Mittelfeldes aber sind statt der Dreiecke
mit den Delphinen noch kleine Rechtecke entworfen.
jqö Di^ Bauten in Florenz
Für die einzelnen Ornamente habe ich keine Studien gefunden ;
eine viereckige Füllung mit Akanthusornament auf Blatt XXIV, 6
(Thode 94) der Casa Buonarroti lässt zuerst an die Decke oder
an die Bänke denken, erweist sich aber bei näherer Betrachtung
als stilistisch ganz verschieden von deren Ornamenten.
Die Buche rbänke.
XXXIX. Ebendaselbst XLII, 94. Thode 140. Flüchtige Skizze für
die Bank, auf der eine sitzende Figur angedeutet, und den
Bücherständer davor. Die Form noch etwas anders: keine
Voluten als Stützen; der Träger am Bücherständer vielmehr
ausgeschweift.
V
Die Fenster am Palazzo Riccardi
Vasari berichtet : ,,und damals machte er für den Palazzo Medici
ein Modell der finestre inginocchiate in jenen Zimmern an der
Ecke, wo Giovanni da Udine einen Raum mit Stuck und Malereien
verzierte, und Hess nach seiner Anweisung vom Goldschmied Piloto
jene Fensterläden aus durchbrochenem Kupfer machen , die ein
bewundernswerthes Ding sind" (VII, 191). Im Leben des Giovanni
da Udine sagt er: ,,jene Loggia an der Ecke des Palastes war nach
einer Zeichnung Michelangelos geschlossen und zu einem Zimmer
mit zwei finestre inginocchiate, welche die ersten dieser Art, mit
Eisen vergittert, aussen an einem Palaste waren, gemacht" (VI, 557).
Dies geschah nach Vasaris ungefährer Zeitangabe zur Zeit der Be-
schäftigung mit der Fassade von S. Lorenzo , also etwa 15 17,
womit eine Angabe über Giovannis Arbeit: ,,noch zur Zeit Leos X."
(VIII , 249) stimmt. Vasari war darüber wohl unterrichtet , denn
er vollendete als Jüngling 1535 Giovannis Malereien (VII, 656.
Vni, 249).
Den Ausdruck: inginocchiata hat v. Geymüller in Rom auf
Fenster des Erdgeschosses angewendet gesehen, ,, deren Brüstungen
seitwärts in ganzer Höhe von Konsolen begleitet sind , um die
Fenstergewände oder deren begleitende Halbsäulen zu tragen"
(S. 32, A. 2).
Eine Studie zu diesen Fenstern fand ich nicht. Die von Gotti
in den Uffizien angeführte Zeichnung, auf der ein Fenster und
Profile mit Maassangaben sich befinden, ist nicht von dem Meister.
Auf die Verwandtschaft mit der Originalzeichnung eines Altar-
tabernakels in der Casa Buonarroti (XLV, 10 1. Thode 156) möchte
ich aufmerksam machen. Aufnahmen finden sich in Donato Cellesis
Das Portal und der Hochaltar von S. Apollonia I37
Sei fabbriche di Firenze. Florenz 1851. Taf. XXIV. Phot. Brogi
4893. Vgl. Luigi Biadi: Notizie sulle ant. fabbriche di Firenze.
Florenz 1824. S. 231.
VI
Das Portal und der Hochaltar von S. Apollonia
Der Altar.
In Leben Francesco Granaccis (V, 344) sagt Vasari, der schon
in seiner I. Auflage (S. 987, Frey S. 174) die Architekturzeichnungen
für Apollonia erwähnt hatte: „da Michelangelo, der eine Nichte
als Nonne in S. Apollonia hatte, Dieser zulieb das Ornament und
die Zeichnung der Tafel und des Hochaltars gemacht, malte Granacci
dort einige Darstellungen in kleinen Figuren in Öl und einige
grosse, welche die Nonnen und auch die Maler sehr befriedigten."
Hochaltar und Altartafel sind nicht erhalten. Granaccis Bilder
sind theils in der Akademie : Szenen aus dem Leben der hl. Apol-
lonia und Engel mit Lilien, theils in München: Tafel mit Heiligen.
Die Guiden geben uns wenig Aufschluss. Cinelli in Bocchis:
Le bellezze della cittä di Firenze 1678, S. 516: la tavola posta
all'altare maggiore di questa chiesa e di mano di Francesco Granacci
quäle e tenuta in gran pregio da gl'intendenti, perö che il disegno
e di Michelagnolo, come anche la porta di essa chiesa. — Richa :
Chiese VIII, S. 312, sagt über den Altar: la Tribuna, sotto della
quäle in eminenza risiede l'Altare ricco di un Ciborio vaghissimo,
con alcune Storiette nella predellina dipinte da Francesco Granacci,
il quäle come amico del Buonarroti e poi divenuto parente, sino
della fanciullezza per compiacerlo, dipinse quivi due Tavole, una
delle quali bruciö, e l'altra che era all'altar maggiore, fu transferito
in Monastero.
War das Ciborio vaghissimo von Michelangelo.^ An Vasaris
Aussagen zu zweifeln liegt kein Grund vor, denn das Kloster war
die Stiftung eines Buonarroti (1339), und es sieht dem auf seine
Familie stolzen Meister ganz ähnlich, dass er es künstlerisch ge-
schmückt habe. Der Entwurf zu einem Ciborium , auf den ich,
ohne eine Vermuthung aussprechen zu wollen, hinweisen möchte,
ist uns in einer Kreidezeichnung der Casa Buonarroti (XXXIV, 40,
Thode 107) erhalten, die uns die Vorderansicht (in zwei verschie-
denen Höhen) eines eleganten Baues mit einem Spitzgiebel über
dem Gebälk je zwei gekuppelter, auf hohem Postament stehender
Säulen zeigt und Bedenken hinsichtlich der Bestimmung als Altar-
baldachin nur durch die Anlage eines Sockels, auf dem die Säulen
stehen, erregt.
138
Die Bauten in Florenz
Das Portal.
Vasari erwähnt es nicht. Der Erste, der es Michelangelo zu-
schreibt, ist nach v. Geymüller (S. 33, A. i) der französische Archi-
tekt DEV, dessen Studienalbiim in der Sammlung Destailleur
in Paris sich befand. Auf Fol. 16 ist die Zeichnung der Thüre
gegeben, mit der Angabe: Porta di Sta. Appolonia Monasterio in
Fiorenza di Michael Angello 161 6 DEV. Es handelt sich also um
eine alte und, wie mir scheint, aus oben angegebenem Grunde
glaubhafte Tradition, die uns auch bei CinelU begegnet. Richa
(a. a. O.) sagt: l'esteriore ornamento della facciata consiste in una
svelta e proporzionata Porta, alzandosi da i lati due mezze colonne
Doriche , sulle quali posano fregio ed architrave , finendo con
frontispizio di figura angolare. Debbo pero qui riportare un
lamento di moderno e dotto Scrittore e Prelato in Roma, che riporta
in un suo libro stampato in Lucca, dicendo di questa Porta, come
segue: ,,fino una bellissima porta, che egli (il Buonarroti) fece in
Firenze alle monache di S. Apollonia, gli e stata stroppiata strana-
mente, poiche essendosi rotta la soglia e stata rifatta con una si
sconcia modinatura, che scompagna da tutto il resto e fa pietä a
vederla". — Aus der Zeit Richas stammt die Abbildung der Thüre
in Ruggieris Scelta (1755).
Gesamtform und Details der Thüre, die heute noch erhalten
ist (Via di S. Gallo), spricht durchaus für die Richtigkeit der Tradi-
tion. Die toskanischen Säulenkapitäle erinnern lebhaft an die im
Vestibül der Libreria: auch hier ist in der Mitte des Abakus eine
Maske (löwenartig). Am Fries über den Säulen ein von Helm-
schmuck bekröntes, von Strahlen umgebenes Wappen.
Richa schreibt dem Meister auch den farbig mit Arabesken ver-
zierten Plafond zu, der von Suor Aurelia Magalotti, Schwester der
Donna Gostanza Barberini, Verwandten Urbans VIII., gestiftet worden
sei. Und seit dem Ende des XVIII. Jahrhunderts sagen die meisten
Guiden kurzweg : die ganze Kirche sei nach einer Zeichnung
Michelangelos erbaut.
Zugeschrieben, ohne zureichenden Grund, wurde Michelangelo
auch die Seitenthüre von S. Gesü Pellegrino (detta dei
Pretoni), in der Via degli Arazzieri (Ecke der Via di San Gallo):
mit einem Segmentgiebel, der auf den Gesimsen zweier Konsolen
aufsitzt, in kräftigen einfachen Formen, Die Thüre, von Ruggieri ab-
gebildet, ist vergrössert in dem Portal des benachbarten Hauses
nachgebildet worden. — Könnte man hier noch an Michelangelo
glauben, so bleibt es ganz unerfindUch, wie die kleine unbedeutende
Fassade des Kirchleins S. Maria della Neve in der Via S.
Giuliano , jetzt in ein militärisches Gefängniss eingemauert , dem
Das Modell für das äussere Gesims der Domkuppel 13g
Meister zugeschrieben werden konnte (bei Ruggieri). Sie enthält
ein Portal mit Spitzgiebel , darüber ein rechteckiges Fenster in
Rahmen mit Ohren, links und rechts kleinere Thüren mit Segment-
giebeln.
VII
Das Modell für das äussere Gesims der Domkuppel
Vasari erzählt von ihm im Leben des Baccio d'Agnolo(V,S. 353).
Dieser hatte das Gesims an der einen Seite ausgeführt: „aber
Michelangelo, der bei seiner Rückkehr von Rom gewahrte, dass bei
der Ausführung dieser Arbeit die vorkragenden Steine, die Filippo
Brunelleschi nicht ohne Absicht hatte stehen lassen, weggeschnitten
worden waren, machte solchen Lärm, dass man von der Arbeit ab-
stand ; er sagte, es komme ihm vor, als habe Baccio einen Grillen-
käfig gemacht. Dieses so grosse Bauwerk verlange Etwas grösseren
Stiles und von andrer Kunst und Anmuth der Zeichnung, als sie
Baccios Entwurf zeige. Er wolle es zeigen, wie man es zu machen
habe. Als Michelangelo nun ein Modell gemacht, wurde die Sache
lange von vielen Künstlern und kundigen Bürgern vor dem Kardinal
Giulio de'Medici verhandelt; und schliesslich wurde weder das eine
noch das andere Modell ausgeführt."
Eine Studie zu dem Modell hat v. GeymüUer in einer Zeichnung
der Casa Buonarroti (XVIII, 50. Thode 78) zu finden geglaubt
(S. 34). Ich lasse ihm das Wort: ,,die Ecken des Tambours sind
durch gebrochene breite korinthisirende Pilaster mit verkröpftem
Gebälk gegliedert. Darüber eine Attika, durch deren ebensoviel
wie die Pilaster vortretenden Ecken die Verbindungsthür des Um-
ganges auf dem Gesims führt. Eine Figur oder Kandelaber be-
krönt den Eckpfeiler der Attika und dahinter beginnt die Kurve der
Kuppel. An der Achteckseite des Tambours sind zwei konzentrische
Kreislinien, vermuthlich die Rundfenster, angedeutet. Michelangelo
suchte einfachere Formen , als die begonnene Arkade B. d'Agno-
los zeigt."
H. V. Geymüllers Meinung leuchtet mir durchaus ein. Ich
möchte bemerken, dass die Zeichnung selbst die Berücksichtigung
jener vorkragenden Steine unter dem Gebälk und unter dem Um-
gang deutlich gewahren lässt.
Hinzufügen aber möchte ich weiter eine zweite schöne Zeich-
nung, in Röthel ausgeführt, in der Casa Buonarroti (XXXVI, 66,
Thode 117), die sich auch sicher auf das Projekt zu beziehen
scheint : es ist die eine Seite des Tambours dargestellt mit Angabe
der Rundfenster und der Füllungen zu dessen Seiten. Auch hier
I40
Die Bauten in Florenz
haben wir Pilaster an den Ecken mit gleichem Gebälk, wie in dem
anderen Entwurf. Ein Umgang darüber aber ist uns nicht an-
gedeutet. — Eine ungefähre Zeitbestimmung ist hier gegeben, denn
auf der Rückseite befindet sich der Entwurf zu dem Brief, den
Michelangelo im Juni 1520 an den Kardinal Bibbiena betreffend
Sebastiane del Piombo schrieb.
VIII
Der Entwurf zu einem Palazzo dell 'Altopascio
Ein Blatt der Casa Buonarroti (LIV, 117. Thode 166) zeigt
den Grundriss eines Hauses und von des Meisters Hand geschrieben :
l'alto pascio. H, v. Geymüller hat die wohl nicht anzufechtende
Meinung geäussert, es sei ein Entwurf ,,für eine Persönlichkeit mit
dieser Bezeichnung in Florenz, deren Wohnung der Palazzo del-
l'Altopascio auf der Piazza S. Annunziata ist".
Das Haus wird durch ein durchgehendes Vestibül in zwei
Hälften geschieden, deren jede in der Mitte eine Doppeltreppe hat.
Zu beiden Seiten des Einganges eine Bottega, dahinter Camera;
an der hinteren Seite links und rechts vom Vestibül je eine Küche
und eine Camera. Auf demselben Blatt der Rahmen eines Por-
tales mit Spitzgiebel über Fries, der Rahmen mit wagerechten
Ohren.
Ein zweites Blatt (LIV, 118. Thode 167), zeigt dasselbe Haus,
aber einen anderen Grundriss ; v. Geymüller meint, es sei der des
zweiten Stockwerkes , dem widersprechen aber einige der Raum-
bezeichnungen (Bottega disocto, Camera di sopra). Ich halte es
für einen anderen Entwurf. Durch einen ,,ricecto", neben dem links
und rechts zunächst ein kleinerer Raum , dann eine Bottega sich
befindet, gelangt man in einen „salocto" in der Mitte des Hauses,
von dem links eine Doppeltreppe, rechts Räume („camera di sopra").
Die hinteren Räume bestehen links aus ,,cucina", „camera",
„studiolo", rechts ,,cucina", „camera"; in der Mitte an den salocto
anschUessend ,,giardino" mit ,,pozzo". — Auf der Rückseite des
Blattes Gesimsstudien und oberer Theil eines Fensters. Mir scheint:
auch der weniger detaillirte, aber in der Haupteintheilung ähnliche
Grundriss auf dem Blatt XXXIII, 33, Thode looa der Casa Buonar-
roti, ist für denselben Bau bestimmt gewesen.
Geymüller erinnert daran, dass Francesco da San Gallo einen
Entwurf für eine Villa in Altopascio bei Lucca gemacht (publ. in
dem gleichen grossen Toskanawerke unter den Villen Bl. 6, Fig. 2),
mit dem aber der unsrige keine Beziehung aufweise. Dies letztere
ist nicht ganz richtig: wohl handelt es sich um eine grössere An-
Entwurf für ein Haus des Baccio Valori I41
läge, da an der Hinterseite zwischen zwei Flügeln eine Loggia an-
gebracht ist, aber eine Ähnlichkeit zeigt sich in den doppelten
Treppen, die in der Mitte des Gebäudes und links und rechts vom
Vestibül ausgehen. Aber bei den sonstigen Verschiedenheiten will
dies doch Nichts sagen, zumal Michelangelos Entwurf wohl einem
Stadthaus (,,botteghe"), nicht einer Villa gilt. Ein anderes aber
muss man bemerken, dass es nämlich ein Hospital dell' Altopascio
gab, und dass der Palast auf der Piazza dell' Annunziata so genannt
wurde, weil sein Besitzer und Erbauer: Ugolino Grifoni Verwalter
dieses Hospitales war. Es liegt nun wohl am Nächsten anzunehmen,
dass eben dieser Grifoni Michelangelo um einen Entwurf für seinen
Palast gebeten hat, den dann Ammanati, im Untergeschosse die
Michelangelo 'sehen Fenster des Palazzo Riccardi nachahmend, baute.
Unlängst war er im Besitze der Antinori , jetzt in dem der Gattai-
Budini (vgl. J. Marcotti: Guide souvenir de Florence S. 165. Abb.
Toskanawerk: Ammanati Bl. 4). — Die einzigen Zeugnisse für die
Beschäftigung Michelangelos mit diesem Palaste sind die zwei
Zeichnungen.
IX
Entwurf für ein Haus des Baccio Valori
Ein Brief des Valori vom Februar 1531, an Michelangelo ge-
richtet, setzt uns von einem solchen Plan in Kenntniss. (Frey:
Briefe, S. 323.)
,,Ich bin im Besitze Eures Briefes vom 23. des letzten
Monats, den mir Cechone del Luchesino überbrachte, in Eurem
Auftrag hierhergekommen ; es konnte mir Nichts willkommener
sein, sowohl der Brief als auch der ausführlichere Bericht, den mir
Cechone in Eurem Namen abstattete. Ich weiss, Ihr habt Recht,
wenn Ihr sagt, man könne nichts Gutes machen: ich warte, wie
Ihr sagt. Der Hof würde ohne das Haus des Bancho sehr klein
im Verhältniss zu den anderen Theilen; und ich habe desswegen
genanntem Cechone den Auftrag gegeben, er solle von der Sache
sprechen und sie betreiben, um zu sehen, ob sich mit jenem
Bancho ein Abkommen treffen lässt. Und es wäre mir sehr
lieb, fändet Ihr Mittel und Wege und übernähmet für mich diese
Mühe und trachtetet, wie gesagt, danach, ein Abkommen zu treffen;
und seht Ihr, dass dies nicht zu erreichen , so möchte es Euch
auf alle Fälle gefallen, den Entwurf mit dem Terrain (.^panno !) so
wie es ist nach Eurem besten Gutdünken festzustellen , und in
Allem verlasse ich mich auf Euch. Und da ich, wie Cechone es
Euch mündlich besser aus einander setzen kann, wünschte, dass
142
Die Bauten in Florenz
jener Theil (des Gebäudes) an der Ecke , wo messer Piero da
Filicaja wohnte, zuerst gemacht würde, so wäre es mir lieb, Ihr
gäbet der Zeichnung , für die Ihr Euch entschliesst , die Maasse
für jenen Theil bei, damit man damit beginnen könne, die Steine
zu brechen und die Arbeit anzufangen. Und könnten in der
Zwischenzeit, solange die Entscheidung über das Haus des Bancho
noch aussteht und man sich mit dem Stück begnügt, das wir
besitzen, die Maasse der Thüren gegeben werden , damit keine
Zeit verloren geht, so wäre mir dies angenehm ; und ich meine,
Euch wird das ja keine Schwierigkeiten machen ; gleichwohl über-
lasse ich es Euch Alles, wie ich oben sagte. Übrigens will ich
meinerseits Euch nicht antreiben, da ich dessen ganz gewiss, es
bedürfe bei der Zuneigung, die Ihr mir schenkt, keines solchen
Antreibens. Ich bringe Euch in Erinnerung, dass ich Nichts weiss,
was ich zur Befriedigung meines Gemüthes mehr wünschte , als
dieses. Und gebraucht Ihr Geld oder irgend etwas Anderes, von
dem Ihr annehmt, dass es in meinem Vermögen steht, so benach-
richtigt mich , denn ich werde es an Nichts fehlen lassen ; und
liebt Ihr mich, wie ich mich überzeugt halte , so wendet Euch
vorkommenden Falles an keinen Anderen , als an mich : ich
werde es nie an mir fehlen lassen, und es wird mir besonderste
Freude sein.
,,Es bleibt mir nur noch zu sagen, dass, wenn Ihr Euch ent-
schliesst, nach Rom zu gehen, Ihr nicht verfehlt diesen Weg zu
nehmen ; und lasst es mich vorher wissen, damit ich Euch Ge-
sellschaft verschaffen kann und Ihr unter der Reise nicht zu
leiden habt. — Euer gegenwärtiger Bartolommeo Valori."
Es ist derselbe Valori, der nach den Kriegszeiten in Florenz
als Bevollmächtigter des Papstes Dessen Versöhnung mit dem
Künstler zu vermitteln hatte und für den Michelangelo eine Statue
des Apollo arbeitete. Von wo aus er den Brief geschrieben, bleibt
ungewiss; das ,,presente" deutet auf Florenz, der Schluss des
Briefes aber auf irgend einen Ort zwischen Florenz und Rom. Im
Ungewissen auch sind wir über die Stadt, wo das Haus gebaut
werden sollte. Die Erwähnung des Messer Pietro da Filicaja —
mit Leuten dieses Namens stand er zur Zeit der Beschäftigung mit
der Fassade von S. Lorenzo in Beziehung — und die Bitte,
Michelangelo möge selbst die Angelegenheit des Hausankaufes be-
treiben, lässt auf Florenz schliessen.
Dass der Meister wenigstens eine Zeichnung gemacht, ist
wohl anzunehmen. Der später noch zu erwähnende Grundriss eines
Hauses in der Casa Buonarroti LIV, 119 (Thode 168), kann aber
nicht gut in Betracht kommen, da hier der Hof eine besonders
grosse Ausdehnung hat.
Michelangelos Haus in der Via Mozza und Villen bei Florenz 143
X
Michelangelos Haus in der Via Mozza
Am 14. Juli 15 18 kaufte der Meister in der Via Mozza (jetzt
Via S. Zenobi 55 — 57) vom Domkapitel das Terrain, auf dem er
sein Haus baute. Er zahlte 300 Dukaten dafür, was ihm zu theuer
erschien. Am 15. Juli bat er den Kardinal Giulio zu vermitteln,
dass ihm kostenfrei ein anstossendes Stück Land überlassen werde.
Der Ankauf wurde am 24. November abgeschlossen, und in den
folgenden Monaten beginnt Michelangelo den Bau , von dem wir
Weiteres aus Ricordi vom 17. Februar bis 28. März 15 19 (Stein-
mann und Pogatscher S. 392), und dann weiter im Mai und Juni
15 19 erfahren.
Eine Federskizze des Terrains ist in der Casa Buonarroti
(XXXIII, 32. Thode 100. Abb. Frey 108) erhalten; mit den Notizen:
el terreno ch'io o comperato dal capitolo di santa maria del fiore.
An drei Seiten sind die Maasse verzeichnet: novanta secte braccia;
cento quatro braccia ; cento quaranta quatro braccia. An der vierten
Seite: strada che va lunga le mura. Unter der Schmalseite : strada
che va in via di San Gallo. Ausserdem noch eine verstümmelte
Notiz : di santa cate(rina).
XI
Dem Meister zugeschriebene Villen bei Florenz
I. Die Villa dei Collazzi, ursprünglich Dini, jetzt
Bombicci-Pomi bei Giogoli hinter der Certosa. Wir besitzen
eine sie behandelnde Publikation mit zahlreichen Aufnahmen von
Giulio Bellotti, Firenze 1893, und eine Würdigung seitens H. v.
Geymüllers in dem Werke über die Toskanische Architektur (Abth.
„Villen" mit Abb. Bl. i und 8).
Nach G. Carocci (lUustratore fiorentino) hiess die Villa im
XV. Jahrhundert il Castello und war 1427 im Besitze eines Piere
di Bonaventura , von dem sie bald nachher die Dini , gen. della
Libertä, erwarben. Nach einem ,,antico ricordo" hätten Baccio
und Agostino nach einer Zeichnung Michelangelos den Neubau
aufgeführt, der von Santi di Tito ausgeschmückt worden ist. Der
hintere linke Seitentheil und ein Theil der Fassade links ward nicht
vollendet, da hier einige Wirthschaftsgebäude erhalten blieben.
Man hat nun zwischen einem ersten Entwurf, der uns in des
jüngeren Giorgio Vasari Sammlung von Villengrundrissen in den
Uffizien erhalten blieb , und dem Gebäude selbst einen Vergleich.
144
Die Bauten in Florenz
Der Vasari'sche Grundriss (Abb. v. Geymüller Bl. i), der be-
zeichnet ist: ,,questa pianta fu fatta per fare il Palazzo di signori
Dini a Giogoli ma non fu messa in opera", zeigt ein rechteckiges,
dem Quadrat sich näherndes Gebäude mit zwei grossen , hinter
einander angeordneten Räumen in der Mitte , je fünf kleineren
hinter einander angeordneten Räumen links und rechts , von
denen, an verschiedenen Stellen vertheilt, im Ganzen fünf schmale
Treppen in den oberen Stock führen. Der vordere grosse Raum
ist als Vestibül mit Säulenumgang gebildet (6:4), der hintere ist
ein Saal.
Das ausgeführte Gebäude zeigt zwischen vorspringenden Flügeln
einen offenen Hof, zu dem vom vorderen Garten eine Doppeltreppe
mit kräftig gebildeten Balustraden emporsteigt. Eine Säulenloggia
mit sieben Rundbogen zieht sich vor dem Mitteltrakt hin ; ihr ent-
spricht eine gleiche Loggia im ersten Geschoss , die sich auch auf
die Flügel herüberzieht , indessen hier im Erdgeschoss nur Blend-
arkaturen zu sehen sind. Die Zimmereintheilung in den Seiten-
theilen des Gebäudes erinnert an den Vasari'schen Grundriss, nur
dass sie bereichert sind im Erdgeschoss durch Räume , die nach
dem Hof zu gehen (links die Kapelle) ; statt der grossen breiten
Mittelsala aber finden wir eine schmälere (in der Breite von drei
Arkaden der Loggia), die von bedeutender Höhe ist, da sie durch
beide Geschosse durchgeht, und mit einem Tonnengewölbe bedeckt
ist. Zwischen sie und die Seitentrakte sind noch je zwei Räume
eingeschoben, in deren linkem die Treppe zu einer nach dem
hinteren Garten sich öffnenden Loggietta mit drei Bogen auf ge-
kuppelten Säulen führt (eine gleiche Loggietta auf der anderen Seite
der Sala). Von der Sala steigt man auf halbrunder Doppeltreppe
in den hinteren Garten hinab.
Die herrliche Anlage und die grossartigen Verhältnisse gestatten
gewiss, an Michelangelo als Architekten zu denken — auch er-
innern Einzelheiten, wie die Formen der toskanischen Ordnung
der Loggien, die grossen Erdgeschossfenster mit den Spitzgiebeln,
die oberen auf Konsolen sich erhebenden Fenster mit geradem
Gesims an die Werke seiner florentinischen Zeit, sobald wir aber
das Hauptportal, die Tabernakel und die Fenster im Hof, auch die
anderen Portale auf die Details hin prüfen, kommen uns schwerste
Bedenken. Ich kann in der Dekoration des Meisters Geist nicht ge-
wahren: nirgends finde ich in beglaubigten Werken und Zeichnungen,
weder in der florentinischen noch in der späten römischen Periode,
Formen wie, um nur die wichtigsten zu nennen, die verschieden-
artigen Voluten, die Baluster, die Wappen hier. Man hat dies
auch richtig gefühlt, als man die Ausführung der Einzelheiten dem
Santi di Tito zuschrieb.
Dem Meister zugeschriebene Villen bei Florenz 14c
Auf Michelangelos Zeichnung zurückzuführen, wäre nur die
Gesamtanlage, die Säulenordnung der Hofloggia und die Fenster
an der Aussenseite des Gebäudes (mit Ausschluss der Fenster wie
der Thüren im Hofe). Etwas Bestimmtes ist aber auch hierüber
nicht zu sagen ; die Möglichkeit, an einen anderen Architekten, der
Michelangelo'sche Elemente verwerthet , zu denken , bleibt. Hin-
weisen möchte ich auf einen flüchtigen Grundriss in der Casa
Buonarroti (LIV, 119. Thode 168), der einen ähnlichen Säulen-
hof (4:3) mit ihn umgebenden Räumlichkeiten zeigt, wie der
Vasari'sche.
2. Die Villa Aloisi oder del Trebbio di Pisignano
bei S. Casciano in Val di Pesa.
Nach G. Carocci (II Comune di S. Casciano in Val di Pesa,
Firenze 1892, S. 168) wurde sie 1529 von Filippo Alemanni er-
worben und von ihm und seinen Söhnen Giovanni und Galeazzo
neu erbaut. Vgl. v. Geymüller: S. 12.
Der Grundriss ist ein Rechteck, die Eintheilung regelmässig.
Die mittleren Räume — nach dem Garten zu der Saal, vor dem
eine gleich breite Loggia liegt — sind etwa doppelt so breit als
die seitlichen (drei auf jeder Seite). H. v. Geymüller sagt: ,,die
Bogen der Loggia sind leicht gespannt und fest und fein profilirt,
die dorischen Säulen mit Rosetten im Hals haben nichts Schweres.
Die Profilirung ist mit Verstand gezeichnet, eher einfach, aber
nirgends arm. Die Architekturformen sind aus einer Steingattung
(Pietra forte) , deren braune Farbe und feine , aber sehr feste Pro-
filirung dazu beitragen, dieselbe wie aus Bronze gegossen erscheinen
zu lassen, wie dieses auch bei einigen Gebäuden der Söhne von
Baccio d 'Agnolo der Fall ist. Die Konsolen der Fensterbänke und
Gesimse sind seitlich glatt ohne Profile , und vorn sind die Profile
in der ganzen Breite glatt. Die Schlusssteine der Loggia sind auch
als Konsolen gebildet, aber dagegen mit vielen zum Theil feinen
Gliedern profilirt, bei welchen eine Erinnerung an die Konsolen
Michelangelos in der Laurenziana und der Medicäerkapelle allen-
falls denkbar wäre."
Die Entscheidung über die Urheberschaft fällt mit jener be-
züglich der zwei folgenden, die den gleichen Stil zeigen, zusammen,
wie Carocci und v. Geymüller betont haben.
3. Die Villa Mazzei, früher Macchiavelli, in S. An-
drea bei Casciano, 1645 vom Kardinal Francesco Macchiavelli an
den Senator Mazzeo Mazzei verkauft (Carocci S. Sy). Nur zur
Hälfte ausgeführt. Der ursprüngliche Grundriss in Vasaris d. J.
Sammlung, Abb. v. Geymüller Bl. i.
Ein grösserer rechteckiger Bau: auf jeder Schmalseite zwischen
vorspringenden Flügeln eine Loggia, die sich mit drei Bogen öffnet.
I4t)
Die Bauten in Florenz
An der Fassade zwischen je zwei Zimmern ein „Ricetto scoperto",
von dem aus man in den grossen Mittelraum des Gebäudes, den
Salone, gelangt. Von den Seitenloggien führt in diesen je ein Gang,
neben dem zwei Zimmer. Im hinteren Trakt gleichfalls ein Mittel-
gang, neben dem je zwei Räume. — Da nur die eine Hälfte aus-
geführt ward , ist der Salone jetzt Hof H. v. GeymüUer weist auf
die Ähnlichkeit der Anlage mit Francesco da San Gallos Villa für
Altopascio bei Lucca hin.
4. Die Villa Liccioli alla Ruffina im unteren Sievethal.
xn
Entwurf für eine Villa des Marchese Federigo di Mantova
in Marmirolo
Der öfters mit Wünschen an den Künstler herantretende Gonzaga
erhielt die Bitte um einen Entwurf für eine Villa erfüllt. Am
16. Juni 1523 überbrachte Baldassare da Castiglione ihm aus Rom
eine Zeichnung einer Villa mit Garten, die als sehr schön gepriesen
wird (Mil.: Prosp. cron. S. 364).
Wir haben keinerlei Anhalt für die Beantwortung der Frage,
welcher Art der Entwurf gewesen sei. Man könnte auch hier, wie
gelegentlich der Villa dei Collazzi, auf einen Grundriss in der Casa
Buonarroti hinweisen (LIV, 119. Thode 168), der ein rechteckiges
Gebäude mit Säulenhof zeigt, vielleicht auch auf eine von jonischen
Säulen flankirte Rundnische mit Spitzgiebel, die, auf einem Blatt
derselben Sammlung (XL VI, 112. Thode 162) erhalten, sehr wohl
für einen Garten bestimmt sein könnte und die um jene Zeit ent-
standen sein dürfte, da sich auf der Rückseite ein Briefentwurf vom
26. Januar 1524 befindet. Aber selbst eine blosse diesbezügliche
Vermuthung aufzustellen, wäre viel zu gewagt.
XIII
Auftrag auf eine Kirche und eine Briäcke in Igno
Am 27. August 1533 schreibt der Bischof von Pistoja, Kardinal
Lorenzo Pucci, an Michelangelo und ersucht ihn, nach seiner Villa
Igno zu kommen und einen Entwurf für eine Steinbrücke und eine
Kirche, die der Lieblichkeit jenes Ortes entspräche, anzufertigen
(Mil.: Prosp. cron. 381). Ob der Meister Zeichnungen gemacht,,
wissen wir nicht.
Die Fortifikationsarbeiten 1529 I47
XIV
Die Fortifikationsarbeiten 1529
Über die Befestigungen des Hügels von S. Miniato, die Michel-
angelo zu seiner Hauptaufgabe gemacht, werden wir am Besten
durch eines militärischen Unbekannten „Breve Istorietta deU'assedio
di Firenze" (Cod. Magliabecchiano Nr. 622, Cl. XXV, c. 5—6), die von
Gotti zitirt wurde, unterrichtet. ,,Und auf die erste Besichtigung
hin machte er sich daran, den Hügel von S. Miniato und S. Fran-
cesco zu befestigen , und da ihm , bei der Form der von den
Medici 1526 und 1527 errichteten Bastionen, die Kosten, um auch
Giramonte mit einzuschliessen , zu gross erschienen , Hess er seine
Bastionen beim ersten Thurm ausserhalb der Porta di San Miniato
gegen San Giorgio zu beginnen, in jener Anlage, die, später besser
befestigt , noch bis auf unsere Zeit fortdauert ; mit wunderbarer
Geschwindigkeit schloss er durch zur Arbeit kommandirte Bauern
den Hügel mit Wällen ab, deren äussere Schale er mit rohen Back-
steinen aus gestampftem Thon, mit gehacktem Werg gemischt" —
man sieht : er wendet hier seine Erfahrungen als Bildner von
grossen Thonmodellen an — ,, bekleidete und die er innen immer
aus Erde und Reisig machte. Alle Gebäude ausserhalb der Stadt
wurden zerstört ; und so bereitete sich die Stadt, die in den Jahren
1527 und 1528 eine grosse Pest durchgemacht, auf einen sehr
grossen und gefährlichen Krieg vor. Von Einigen ist es Michel-
angelo als Fehler vorgeworfen worden, dass er so viele Ecken und
Schiessscharten in seinen Schutzwehren gemacht, was er doch, von
den Bedingungen der Örtlichkeit genöthigt, gethan : aber ob dies
ein Fehler war, und was grössere Gefahr mit sich bringe: viele
Ecken und viele Schiessscharten an Festungen, oder wenige, wird
Einer, der Kenntnisse davon besitzt, sehr leicht beurtheilen können.
Was die Aufgabe eines guten Baumeisters ist, nämlich den Grund-
riss gut anzulegen und die Schutzwehren der Örtlichkeit anzupassen,
das hat er, auch hierin der tüchtigste von Allen, wunderbar ge-
than. Zu erkennen , von welcher Seite aus die Schutzwehren an-
gegriffen oder wie vertheidigt werden können, und welche Wirkung
in ihnen die Ecken und die Schiessscharten haben, das ist nicht
Aufgabe des Baumeisters, sondern des praktisch geschulten, tüch-
tigen Soldaten, der über Festungen nicht nur spekulirt, sondern
sie vertheidigt. Wenn es sich da um einen Fehler handelte, so
beging ihn Derjenige, der nicht dafür sorgte, ihm solche Männer
zur Seite zu geben. Aber was können blosse Kaufleute denn vom
Krieg verstehen, der eben so viel Übung verlangt, als alle anderen
Künste ? Und um so grössere Erfahrung, je edler und gefährlicher
dies Handwerk ist!"
lA^ Die Bauten in Florenz
War Bottari richtig unterrichtet, so hat Vauban, der Michel-
angelos Befestigungen zum Gegenstand von Studien machte, diesem
wackeren Anwalt des Meisters Recht gegeben.
Die in der Casa Buonarroti befindlichen Zeichnungen in lavirter
Feder und in Röthel für die Befestigungen, die uns Michelangelo
nicht allein bei S. Miniato, sondern auch an anderen Seiten der
Stadt thätig zeigen, sind von Gotti (II, S. 185 ff.) verzeichnet worden.
Ich führe sie nach der Ziffernfolge der Aufstellung an. Es handelt
sich durchweg um Bastionen.
I. XXV, 13. Thode 178. Lavirte Feder. Grundriss von Ba-
stionen. In Röthel die Geschossrichtungen angegeben. Notizen:
Porticciola — fossa che mette drento : bastioni — fosso —
fosso dove oggi e mugnione — porta al prato — mura della
terra — prato d'ognisanti — arno — Mugnione fuor del lecto
suo — argina. Verso: Studien. Notizen: Arno — al canto
del prato — pleno.
II. XXVI, 17. Thode 179. Federskizzen. Rückseite ähnliche
Skizzen. Notizen : dua bambini ducati 24 — tre uomini
ducati 72 — dua fante ducati 48 — una fanciulla ducati 25 —
in coraune ducati 50 — mio padre ducati 20 — Antonio
ducati 20 — Interessante Notizen: vertheilt er zur Aufbewah-
rung sein baares Geld.^" Der Antonio ist offenbar sein Ge-
hülfe Mini. — Anderes nur fragmentarisch: dodici grossoni
e cinque . . . ö prestato a Francesco inge . . . Antonio alla
fanta.? oggi . . . di settembre 15 18 (1528.?).
III. XXVI, 18. Thode 180. Bastion. Ohne schriftliche Notizen.
IV. XXVII, 19. Thode 181. Befestigung bei der Porta alla
Giustizia zur Seite der Porta di S. Niccolö. Notizen: Arno —
muro d'arno — tempio — peschaja d'arno — le mura vecchie —
el sodo della terra — fossi. — la porta alla justitia.
V. XXVII, 20. Thode 182. Notizen: fosso — terra. Verso:
anderes Projekt. Notizen: venti.
VI. XXX, 21. Thode 183. Befestigungen von einem Thore.
Notizen: nota sotterra — in sul fondo della — disotto
porta.
VII. XXX, 22. Thode 184. Bastionen. Notizen: porta — fossi —
ponte. Verso: Studien für dieselbe Bastion.
VIII. XXXI, 27. Thode 67. Grosse Zeichnung. Mehrere Bastionen.
Notizen: fosso — muro di sotto — terra all'altezza de' fossi
sottile -j- per consumare altri -{- all'altezza de'fossi -[- sottile
perche non puo essere bactuto. Darunter Studie eines Mannes.
Verso : über den Studien zweier Männer (Sklaven) und einer
Historie ein Bollwerk. Notiz: terra (S. oben I, S. 158).
Der Entwurf für die Rialtobrücke in Venedig 149
IX. XXXII, 28. Thode 185. Bastion bei einem „fosso". Verso :
el bastione — porta — fosso — strada, ora —
X. XXXII, 29. Thode 186. Skizzen.
XI. XXXII, 30. Thode 187. Skizzen.
XII. XLIX, 14. Thode 188. Grosse Zeichnung. Befestigung der
Porta al prato. Richtungen der Geschosse mit Röthel an-
gegeben. Notizen : fosso — terra — le mura della cittä —
la pianta — Mugnione. — Porta al prato. Maassstab von
braccia dieci.
XIII. L, 25. Thode 189. Ohne Bezeichnung.
XIV. L, 26. Thode 190. Ebenso.
XV. LI, 23. Thode 191. Notizen: volta tanto disotto quanto
disoprä — ponte — terra — fosso.
XVI. LI, 24. Thode 192. Ohne Bezeichnung.
XVII. LH, 15. Thode 193. Grosse Zeichnung. Notizen: Arno —
prato d'ognisanti — mugnione.
XVIII. LIII, 16. Thode 194. Mehrere Bastionen. Notizen: Mug-
none — fosso — fosso fatto — bastione — porticciola —
e bastioni non facti.
XIX. LVII, II. Thode 195. Mauerbefestigung. Notizen: Trecento
40 al mezzo della torre. Dalla torre del miracolo insino al
bastione di San Piero Gattolini duemila novecento cinquanta.
Die Porta S. Piero ist die heutige Porta Romana.
(XX.) LVII, 12. Thode 196. Der Schrift nach nicht von Michel-
angelo. Gotti meint: vielleicht von Antonio da San Gallo.
Befestigungen bei San Gallo. Notizen: la via nova in via de
San Gallo — la via nuova lunga le mura — lungho delle
mura.
XV
Der Entwurf für die Rialtobrücke in Venedig
Condivi sagt : er machte die Zeichnung einer Brücke über den
Canal grande von Venedig in neuer und noch nie gesehener Form
und Art; Vasari, offenbar Condivi folgend: ,,man sagt, dass er
damals (1529), auf Bitten des Dogen Griti, für Venedig eine Zeich-
nung der Rialtobrücke machte, eine Zeichnung von seltenster Er-
findung und künstlerischer Wirkung."
Ich bemerkte schon in den Annalen meines Werkes, dass im
Jahre 1529 Pietro Lando Doge war. Andrea Gritti ist 1528 ge-
storben. Condivi erwähnt den Dogen nicht und auch nicht, dass
der Auftrag an den Meister gelegentlich seines Aufenthaltes in
Venedig ergangen sei. Wohl aber nennt Varchi in seiner Leichen-
I CO Die Bauten in Florenz : Der Entwurf für die Rialtobrücke in Venedig
rede unter den Freunden des Meisters Andrea Gritti. Vasaris An-
gabe wird also eine Kombination von Condivis und Varchis Aus-
sagen sein ; und wir werden anzunehmen haben, dass in der That
nicht während seines Aufenthaltes in Venedig, sondern früher durch
Andrea Gritti an ihn die Aufforderung ergangen ist, einen Entwurf
für den Ponte di Rialto anzufertigen.
Weiteres wissen wir über diesen nicht; und auch meine Be-
mühungen, irgend welche Nachrichten in Venedig zu entdecken,
blieben resultatlos.
VIII
DIE BAUTEN IN ROM
A. Kirchliche Bauten
I
S. Peter
Nachrichten über Michelangelos Thätigkeit
Trotz seiner Weigerung, eine so grosse Aufgabe zu übernehmen,
wurde der Meister nach dem Tode Antonio da San Gallos dazu
vom Papst Paul III. gezwungen. Er verurtheilte das Modell Antonios
und verfertigte selbst im Jahre 1546 in vierzehn Tagen eines, dessen
Kosten sich auf 25 Skudi beliefen (Vasari). Daraufhin wurde er
am I.Januar 1547 (oder nach dem von Steinmann und Pogatscher
S. 400 publizirten Text des Breves erst am 5. Oktober 1549.^) durch
ein Breve mit vollster Machtbefugniss als Bauleiter von S. Pietro
bestellt. Er darf, wie es ihm gut scheint, das Bestehende zerstören,
verändern, verbessern, erweitern oder beschränken und hat die freie
Bestimmung in Wahl und Anstellung aller Arbeiter, Meister und
Vorgesetzten. Neid und Feindschaft der Anhänger San Gallos streut
Verleumdungen aus. Nanni di Baccio Bigio macht in Florenz das
Modell schlecht. Die Annahme von Steinmann und Pogatscher,
dass in dem Breve von einem zweiten Modell die Rede sei, das
Michelangelo 1549 gemacht, scheint mir irrig. Das ,,neue" bezieht
sich in dem Dokument nicht auf ein neues Modell, sondern eben
auf den neuen Entwurf, den Michelangelo an die Stelle des alten
von San Gallo gesetzt. Hierin also wäre kein Argument für die
Ansetzung des Breves ins Jahr 1 549 zu finden ! Im Juli bittet
Michelangelo seinen Neffen , ihm durch Fattucci die Maasse der
Kuppel von S. Maria del Fiore : die gesamte Höhe vom Fussboden
bis zum Ansatz der Laterne und die Höhe der Laterne, zu ver-
schaffen. Über seinen Plan berichtet Vasari:
„Er fand, dass die vier von Bramante gemachten und von An-
tonio unverändert gelassenen Hauptpfeiler, welche die Last der
154
Die Bauten in Rom
Kuppel zu tragen hatten, schwach waren; so füllte er (den inneren)
Theil aus und legte seitwärts zwei schrauben- oder schneckenförmige
eben ansteigende Treppen an, auf denen die Lastthiere alles Material
bis oben hinauf tragen und auch Leute zu Pferde bis zur Höhe
des Bogenansatzes reiten können. Er bildete aus Travertin das
erste runde Gesims über den Bögen, das, wunderbar anmuthig, von
allen anderen abweicht und nicht besser in seiner Art gemacht
werden könnte. Er begann die zwei grossen Nischen des Quer-
schiffes und dort, wo nach dem Campo santo zu, von Bramante,
Baldassare und Raphael acht Tabernakel angeordnet wurden, die
auch San Gallo in seinen Plan aufnahm, begnügte sich Michelangelo
mit dreien und drei Kapellen; und wölbte sie mit Travertin ein und
gab ihnen lichtreiche Fenster von verschiedener Form und gewaltiger
Grösse; ich brauche sie, wie auch die von San Gallo, da man sie
sieht und sie im Stich herausgegeben wurden, es also unnöthig
wäre, nicht zu beschreiben. Genug, mit aller Genauigkeit Hess er
überall dort arbeiten, wo der Bau im Hinblick auf grösste Festig-
keit verändert werden musste, so dass er niemals mehr von Anderen
verändert werden könnte."
Bis 1551 vernehmen wir Nichts von dem Bau, ausser was den
von Michelangelo zurückgewiesenen Plan, das Grabmal Pauls in.
unter dem ersten Bogen der Kuppel anzubringen, betrifft. Anfang
1551 muss er sich vor dem Papst und einer Versammlung der
Deputati am Bau wegen eines Vorwurfes rechtfertigen, den
die Feinde äussern : er versehe die Kirche nicht mit genügend
Licht, denn in der Königsnische, wo die drei Kapellen seien, habe
er nur drei obere Fenster angebracht. Michelangelo erwiderte: er
beabsichtige in der Wölbung, die er aus Travertin machen werde,
drei weitere Fenster anzubringen. Am 23. Januar 1552 bestätigt
Julius III. das Breve Pauls III. Die nächste Nachricht vom li. Mai
1555 berichtet, dass er bald so weit sei, an die Wölbung der Kuppel
zu gehen.
In demselben Jahre schreibt er an Ammanati den berühmten
Brief, in dem er Bramantes Projekt rühmt und das Antonio San
Gallos verurtheilt-
„Man kann nicht leugnen, dass Bramante in der Architektur
so bedeutend war wie kein Anderer seit der Antike. Er entwarf
den ersten Plan von S. Pietro, frei von jeder Verwirrung, klar und
einfach, licht und ringsum isolirt, so dass er in keiner Weise dem
Palast (des Vatikan) Schaden that, und er wurde für ein schönes
Werk gehalten, wie auch heute noch offenkundig ist, so dass Jeder,
der sich von besagtem Gedanken Bramantes entfernt hat, wie z. B.
San Gallo, sich von der Wahrheit entfernt hat. Und dass es so
ist, kann Jeder, dem die Leidenschaft nicht die Augen trübt, an
S. Peter 155
seinem Modell sehen. Denn erstlich nimmt er mit jenem Umgang
aussen dem Bau Bramantes alles Licht ; aber nicht allein dies, auch
für seinen eigenen hat er keines ; und dann so viele dunkle Schlupf-
winkel oben und unten, die es endlosen Schurkereien sehr bequem
machen , als da sind : heimlicher Aufenthalt Verbannter , Falsch-
münzerei , Schwängern von Nonnen und Anderes ; da würde man
Abends, wenn die Kirche geschlossen wird, 25 Leute noth wendig
haben, um die sich Versteckenden zu suchen und alle Mühe
haben, sie zu finden. Auch wäre da noch dieser andere Übelstand,
dass, wenn man den Umgang, den das Modell Bramantes Kom-
position hinzufügt , ausführte , man gezwungen wäre , die Kapelle
Pauls, die Stanza del Piombo , die Ruota und viele andere Räume
niederzureissen; selbst die Sixtinische Kapelle, glaube ich, würde nicht
unberührt bleiben. Was die Behauptung betrifft, dass dieser äussere
Umgang 100 000 Skudi kostete, so ist das nicht wahr, denn mit
10 000 könnte man ihn machen, und es ginge wenig verloren, wenn
man ihn zerstörte , denn die Steine , die zu den Fundamenten an-
gewandt wurden , könnten nicht gelegener kommen und der Bau
würde um 200 ooo Skudi billiger und 300 Jahre früher fertig werden.
Da habt Ihr meine Meinung und ohne Leidenschaft; siegten sie,
hiesse dies für mich grösster Verlust. Und könnt Ihr den Papst
dies wissen lassen, so thut Ihr mir einen Gefallen, denn ich fühle
mich nicht wohl. — Euer M. — Hält man sich an San Gallos
Modell, so folgt auch dies noch : dass nämlich Alles, was zu meinen
Zeiten gemacht worden ist, niedergerissen wird, was allergrösster
Schaden wäre."
Man sieht aus diesem Schreiben, dass die Gegner wieder Alles
daran setzten, San Gallos Projekten zum Siege zu verhelfen. Es
spielen damals wohl auch Pirro Ligorios Intriguen.
Dann hören wir zunächst am 13. Februar 1557 wieder Etwas
von dem Bau. Er bittet den Herzog Cosimo, ihn in Rom zu lassen:
„denn würde mir die Komposition dieses Baues verändert, wie es
der Neid zu thun versucht, so würde es mir vorkommen, als hätte
ich bis zu dieser Stunde überhaupt noch Nichts gethan." Damals,
vielleicht schon länger, scheint aus Mangel an Geld eine Stockung
in die Thätigkeit gekommen zu sein. ,,Dass der Bau eingestellt
wäre, ist nicht wahr, denn, wie man sieht, arbeiten noch 60 Leute :
Steinmetzen, Maurer und Handlanger dort; und es ist Hoffnung,
dass fortgefahren werden kann." Am 8. Mai schreibt Vasari: ,,von
Vielen, die von Rom kommen, vernahm ich, dass der Bau von
S. Peter fast stille steht." Auf solche Nachrichten hin , die vor-
nehmlich Bastiano Malenotti verbreitet hatte, setzte Cosimo eben
Alles daran, den Künstler wieder für sich zu gewinnen. Anfang
des Jahres versuchen unter diesen Umständen der Kardinal vonCarpi,
156 Die Bauten in Rom
Donato Giannotti, Francesco Bandini, Tommaso Cavalieri und Giov.
Francesco Lottini ihn zu bewegen, ein Holzmodell der Kuppel an-
zufertigen. ,,Dazu kommt, dass ich gezwungen bin, ein grosses
Holzmodell der Kuppel und Laterne anzufertigen, um damit die
Bestimmung zu hinterlassen, in welcher Weise der Bau ganz voll-
endet werden soll ; und ganz Rom bittet mich hierum, insonderheit
aber der Ehrwürdigste Kardinal von Carpi : so glaube ich, dass ich,
um dieses Nöthige zu erledigen , nicht weniger als ein Jahr noch
hier bleiben muss." (13. Februar.) Er scheint sich erst 1558 dazu
entschlossen zu haben und hat dann bis 1 560 an diesem Modell
gearbeitet.
Vasari berichtet darüber: ,,es war so weit gekommen (1557),
dass Michelangelo, welcher sah, dass im Peter es wenig vorwärts
ging, nachdem schon ein grosser Theil des Frieses über den Fenstern
im Innern und den Doppelsäulen aussen, die auf dem grossen runden
Gesims (um den Tambour) herum laufen, ausgeführt war, dass seine
besten Freunde (die erwähnten) ihn ermahnten und drängten, er
möchte doch, da er sehe, wie sich das Wölben der Kuppel ver-
zögere, wenigstens ein Modell machen. Viele Monate Hess er ver-
gehen, ohne sich zu entschliessen : endlich aber begann er es und
fertigte allmählich ein kleines Thonmodell an, nach dessen Muster
er dann, mit Hilfe der Grundrisse und Profile, die er gezeichnet,
ein grösseres aus Holz anfertigen lassen konnte. Nachdem er dieses
angefangen, liess er es in wenig mehr denn einem Jahre von Maestro
Giovanni Franzese , grosse Mühe und Sorgfalt darauf verwendend,
ausführen. Und er machte es in solcher Grösse, dass die kleinen
Maasse und Verhältnisse, auf den antiken römischen Palmo be-
rechnet, im grossen Werke mit vollkommener Treue wiederkehrten;
denn mit Sorgfalt führte er alle Glieder von Säulen, Basen, Kapi-
talen, Thüren, Fenstern, Gesimsen und Vorsprüngen aus, wissend,
dass man für ein solches Werk nicht weniger thun dürfe, damit
unter den Christen, ja in der ganzen Welt sich kein Bau, herrUcher
geschmückt und grösser als dieser, finde." Vasari giebt dann, um
der Zukunft keinen Zweifel über die Intentionen des Meisters zu
lassen, falls das Modell nicht erhalten bliebe, eine genaue Be-
schreibung desselben.
In eben jenem Frühjahr 1557 hatte der greise Meister ärger-
liche Erfahrungen zu machen. Es war ein Fehler bei dem Bau
der Kapelle des Königs von Frankreich d. h. der südlichen Tribuna
geschehen. ,,Ich habe mehr Mühe und Ärger mit dem Bau," schreibt
er an Herzog Cosimo (Ende Mai), ,,denn je : bei der Wölbung der
Kapelle des Königs von Frankreich, die sehr kunstreich ist und
bisher nicht angewandt wurde, entstand, weil ich alt bin und nicht
oft genug hingehen kann, ein Fehler, der mich zwingt, zum grossen
S. Peter 157
Theil das, was schon gemacht war, wieder zu zerstören. Und was
das für eine Kapelle ist, kann Bastiane da San Gimignano be-
richten, der hier Oberaufseher war, auch von welcher Bedeutung
sie für den ganzen übrigen Bau ist. Und wenn der Fehler gut
gemacht, so wird die Kapelle, glaube ich, bis Ende des Sommers
vollendet werden können: und mir bleibt dann Nichts weiter zu
thun übrig, als das Modell des Ganzen hier zu lassen — — und
nach Florenz zurückzukehren."
An Vasari schreibt er zu gleicher Zeit: ,, hätte man fortgefahren
an dem Bau zu arbeiten, wie im Anfang, so wäre ich jetzt so weit
mit ihm , wie ich gewünscht , um nach Florenz zurückzukehren :
aber die Bauthätigkeit hat sich, in Folge nachlassender Arbeit, ver-
langsamt, und zwar verlangsamt sie sich im Augenblick, da der
mühsamste und schwierigste Theil der Arbeit beginnt ; so dass,
wenn ich sie jetzt aufgeben würde, dies hiesse, zu meiner grössten
Schande, den Lohn aller m.einer Mühen, die ich aus Liebe zu Gott
zehn Jahre lang erduldet, aufgeben. — — (Ginge ich fort), so
geschähe dies gewissen Dieben sehr zu Gefallen, und ich würde
die Ursache des Ruins des Baues , ja dieser würde vielleicht für
immer eingestellt."
Am I. Juli drückt er sich ähnlich Lionardo gegenüber aus: ,,da
es an Geld und Leuten fehlte, gelang es mir noch nicht, so weit
zu kommen" (dass an dem Plan des Baues Nichts mehr verdorben
oder verändert werden kann), und sendet Vasari eine nähere Mit-
theilung über das in der Kapelle geschehene Versehen, das durch
eine Zeichnung und am 17. August noch durch weitere Angaben
erläutert wird. Der Fehler, der geschah, obgleich Michelangelo wie
für Alles, so auch hierfür ein Modell gemacht, lag an einem un-
geeigneten Gerüst, und die Wölbung, die, aus Travertin gebildet,
bis zur Höhe der oberen Rundung gelangt war, musste wieder
abgetragen werden. Auch im Septemt)er klagte er über die Nach-
lässigkeit oder Böswilligkeit der capomaestri; und ein Zeugniss
der fortwährenden kleinen Verdriesslichkeiten liegt in einem Briefe
eines Arbeiters Cristoforo Marsili (28. März 1558) vor.
In den Jahren 1558 und 1559 arbeitet er am Modell, das zu
vollenden er noch viele, viele Monate brauchen wird, schreibt Lottini
am 7. Juli 1559 an Cosimo. Sonst erfahren wir nichts Näheres über
die Fortschritte des Baues ; der Meister, von Alter beschwert, kann
ihn nur selten noch besuchen. Im Dezember 1559 bestätigt Pius IV.
ihn als Leiter des Baues. Auf die Nachricht hin, der Kardinal von
Carpi habe geäussert, es könne nicht schlechter um den Bau stehen,
als es stehe, antwortet er am 13. September 1560: ,,ich glaube,
wenn ich mich nicht täusche, in Wahrheit versichern zu können,
dass die Arbeit, wie sie augenblicklich betrieben wird, nicht besser
158
Die Bauten in Rom
sein könnte." Da aber sein eigenes Interesse und sein Altern ihn
täuschen und hieraus Schaden für den Bau entstehen könnte, bittet
er, ihn von der Last dieser Aufgabe, die er 17 Jahre getragen,
zu befreien.
In den zwei folgenden Jahren spielen zunehmende Intriguen
seitens Nannis di Baccio Bigio, welcher i 562 so weit geht, Cosimos
Interesse für seine eigene Beförderung zum Leiter des Baues zu
erbitten. Im August 1 563 kommt es zum offenen Konflikt. Die
Deputati, welche die Parthei Nannis ergreifen, jagen Michelangelos
Werkmeister Pierluigi Gaeta fort und wollen diesen Posten Nanni
übergeben. Darüber empört, will Michelangelo nicht mehr nach
S. Feter kommen. Einer der Deputati, der Bischof Ferratino, sagt
dem Kardinal Carpi, Michelangelo habe geäussert, er wolle sich nicht
mehr um den Bau bekümmern. Der Meister sendet Daniele da
Volterra zum Bischof mit der Botschaft, es sei nicht wahr. Der
Bischof beklagt sich , dass Michelangelo seinen Bauplan nicht mit-
theile und meint, es sei Zeit, dass er einen Stellvertreter bestelle.
Ferratino schlägt Daniele vor. Damit ist Michelangelo einverstanden.
Ferratino beruft die Deputati und stellt ihnen als Stellvertreter des
Meisters nicht Daniele, sondern Nanni vor, der auch sogleich An-
ordnungen für den Bau giebt. Daraufliin sucht Michelangelo sofort
den Papst auf, den er auf dem Kapitol findet, beschwert sich und
sagt, er verlasse Rom und gehe nach Florenz. Der Papst beruft eine
Versammlung der Deputati, der Michelangelo beiwohnt. Diese
erklären, der Bau sei in Gefahr und es würden Fehler begangen.
Pius, welcher diese Lüge durchschaut, sendet als Bevollmächtigten
Gabrio Scierbellone nach S. Peter, dem Nanni die Fehler zeigen
soll. Gabrio sieht, dass es Alles nur Bosheit ist, und Nanni, dem
der Papst seine Unfähigkeit vorwirft, wird mit Schande fortgejagt.
Provisionszahlungen an Michelangelo für Gaeta am 20. August,
27. November und 24. Dezember beweisen den Sieg.
Dies ist das Letzte, was wir vernehmen. Über die Vorgänge
nach Michelangelos Tode giebt uns Vasari kurzen Bericht. Pius IV.
befahl den Deputati, Nichts an dem zu ändern, was Michelangelo
angeordnet, und in gleichem Sinne erUess Pius V. seine Befehle an
die zwei Architekten, die des Meisters Nachfolger wurden, nicht
Nanni, der eine Supplik einreichte (Repert. f Kunst, 1879, II, 419),
sondern Pirro Ligorio und Vignola. Als Pirro, mit 25 Dukaten monat-
lich angestellt, anmaassliche Veränderungen vornehmen wollte, wurde
er seiner Stellung entsetzt, und Vignola wurde allein Leiter des
Baues, nachdem Galeazzo Alessi eine Berufung abgelehnt (Redten-
bacher: Die Arch. der ital. Ren. S. 245). Als Vasari 1565 und 1566
beim Papste ist, ist das gewissenhafte Festhalten an Michelangelos
Plan Gegenstand ihrer Gespräche. Der Papst weist ihn an den
S. Peter
159
Bischof Ferratino, der Vasari auf einen Vortrag hin verspricht, nach
den hinterlassenen Anweisungen und Zeichnungen den Bau fortführen
zu lassen und ,,ein Beschützer, Vertheidiger und Erhalter der Be-
mühungen eines so grossen Mannes zu sein". — Auf Vignola (f 1573)
folgte Giacomo della Porta, der in den Jahren (15. Juli) 1588 bis
(14. Mai) 1590 mit Domenico Fontana die Kuppel nach Michel-
angelos Modell bis zur Laterne ausführte; die Laterne mit der Palla
und dem Kreuz, sowie die äusseren Bleiverkleidungen waren Ende
Dezember 1590 durch Fontana vollendet. Schon vorher, nämlich
1585, in welchem Jahre der alte provisorische Bau Bramantes nieder-
gerissen wurde, ist die Haupttribuna begonnen und vermuthlich
bis 1588 vollendet worden. Giacomo Hess unter Clemens VIII.
(1592 — 1605) die Kuppel mit Mosaiken schmücken, die Wölbungen
mit Stuck verzieren und das Marmorpaviment ausführen; auch baute
er die Kapellen Gregoriana und Clementina — d. h. die östlichen
Eckräume der Zentralanlage mit Kuppeln , entsprechend Michel-
angelos Plan. Mit Carlo Maderna 1605 trat dann dessen Verände-
rung durch die Hinzufügung des dreijochigen Längsschiffes mit
seiner Fassade ein.
Die Kosten des Baues waren folgende: Vom I.Januar 1547
bis 8. Mai 1551: Dukaten 121, 554, 16. Vom 8. Mai 1551 bis
19. April 1555: Dukaten 62, 911. Vom 19. April 1555 bis 6. Juni
1561: 105, 115, 12. Vom 6. Juni 1561 bis 6. September 1571:
Dukaten 147, 778, 82.
Zusammenfassendes:
Auf Grund eines 1546 angefertigten Modelles beginnt Michel-
angelo am I. Januar 1547 die Arbeit, die in den ersten Jahren eine
eifrige ist. Ein Theil derselben besteht in der Verstärkung der
Bramante'schen Kuppelpfeiler, die mit ihren Bögen bereits in die
Luft ragten, durch Ausfüllung, womit die Anlage von Treppen im
Innern im Zusammenhang steht, ein anderer in der Gestaltung der
Chortheile und in den Apsiden des Querschiffes. Anfang 1551 ist
die südliche Tribuna, die Kapelle des Königs von Frankreich, bis
zur Höhe des Kuppelansatzes aufgemauert. Bis zum Frühjahr 1555
muss er mit dem Tambour der Kuppel schon weit vorgeschritten
sein, da er ,,bald so weit ist, an die Wölbung der Kuppel zu
gehen". Damals und in den folgenden Jahren aber rückt, wie
auch die Ausgaben erweisen, die Arbeit nicht so schnell vorwärts.
Anfang 1557 droht sie überhaupt eingestellt zu werden, und in
Folge dessen taucht der Gedanke eines genauen Modells auf Der
Tambour nähert sich seiner Vollendung (Fries über den Fenstern,
Doppelsäulen zum grossen Theil ausgeführt). Die Wölbung der
Kapelle des Königs von Frankreich ist fast fertig, muss aber wieder
l5o Die Bauten in Rom
abgetragen werden ; die neue Wölbung ist vermuthlich nicht vor
Frühjahr 1558 vollendet. Bis 1560 scheint die Arbeit nicht grosse
Fortschritte zu machen, will man dem Kardinal von Carpi Glauben
schenken ; die ausgegebenen Summen sprechen aber doch für
stärkeren Betrieb. Der Meister selbst ist bis 1 560 mit dem Modell
beschäftigt. Von 1560 bis 1564 gar keine Nachrichten über die
Fortschritte des Baues.
Dies ist sehr spärliche Kunde. Was war fertig, als der Meister
starb? Bestimmt wissen wir nur, dass der Mittelbau im Wesent-
lichen bis zum Ansatz der Kuppel gediehen, also der Tambour so
gut wie vollendet war. Wie weit die beiden Seitenkapellen der
Chortribuna gekommen waren, ist ungewiss. Jene Hauptapsis aber
ist nach v. GeymüUers Nachweisen, dass der von Bramante
provisorisch errichtete Chor erst 1585 beseitigt wurde, noch nicht
erbaut gewesen. Von den Tribünen des Querschiffs ist die eine
von ihm in Travertin eingewölbt worden (Vasari I, 123), offenbar
die südliche (des Königs von Frankreich). Nicht ausgeführt waren
die Gregorische und die Clementinische Kapelle.
Nähere Bestimmungen müssen wir also anderen Zeugnissen :
Zeichnungen und Stichen entnehmen.
Zeichnungen und Stiche
A. Originalstudien.
Im Nachlass des Meisters werden genannt: der Grundriss von
S. Peter, nach welcher Zeichnung vielleicht Du Perrac seinen Stich
angefertigt hat, und ein Fenster (noch ein anderes Fenster wird
genannt, aber ohne Hinzufügung: für S. Peter); daneben noch
Antonio San Gallos Grundriss. Die Zahl der erhaltenen Studien
ist eine verschwindend kleine. Man möchte fast annehmen, dass
der Meister, als er sein Modell, das bis ins Einzelne seine Ge-
danken definitiv gestaltete, vollendet, alle seine Skizzen und Ent-
würfe selbst vernichtet hat. Ich vermag nur folgende Blätter zu
nennen.
I. Haarlem, Museum Teyler. Thode 264. v. Marcuard Taf. XVI.
Ber. 1469. V. Geymüller S. 39. a) Querschnitt der Kuppel.
Über der Kuppel nur eine Kuppelschale, auf welcher un-
mittelbar die Laterne aufsetzt. Wie v. Geymüller nachgewiesen
hat, entsprechen die Verhältnisse der zwei KuppeUinien fast
genau dem Modell, nur fehlt die in diesem gegebene zweite
höhere Schale. Wir haben also hier einen Entwurf, in welchem
die Kuppel noch nicht die bestimmende äussere Gestalt er-
halten hat. Auch die Laterne hat dementsprechend noch
S. Peter i6l
eine niedrigere Form; die Voluten unten und oben sind
bereits angegeben, an Stelle der gekuppelten Säulen sind noch
einfache angeordnet, der obere Aufsatz mit den Kandelabern
fehlt, das Dach ist niedrig und konvex. Diese niedrige Form
der Laterne befriedigt ihn aber nicht. Er macht zwei andere
Entwürfe von höheren Dimensionen, b) Die Laterne. Höherer
Leib, da die Säulen auf hohe Sockel gestellt sind; dazwischen
hohe Nischen mit Muschelwölbung und darüber kleine Rund-
fenster ; bekrönende Balustrade mit angedeuteten Kande-
labern {}); hoch ansteigendes konkaves Dach, c) Laterne, etwas
niedriger in den Verhältnissen: jetzt Doppelsäulen, zwischen
welchen gleiche Nischen, wie in b. Auch hier Balustrade.
Annäherung an die Form des Modells, d) Detail zu b : die
Säulen mit den hohen Nischen dazwischen, e) Grundriss :
Kuppel und Laterne in zwei Kreisen angegeben. Figuren. —
Rückseite : f) ein Stück Kuppelgrundriss mit Angabe einfacher
Füllungen. Figuren. — Da auf demselben Blatte eine Skizze
für die Porta Pia ist, datirte v. Geymüller es 1559 oder 1560.
Es könnte aber früher sein, da jene Studie nicht direkt für
die Porta diente.
II. Ebendaselbst, v. Marcuard Taf. XVIII a. Thode 265. Flüch-
tiger Entwurf für die Gliederung der Laterne : Säulen und
Nischen. Profil eines Gesimses. — Entwurf einer Figur.
ni. Ebendaselbst. Taf.XVIlIb. Thode 265. Wandfüllung: Grösseres
Mittelfeld, schmäleres Seitenfeld mit Nische und Füllung dar-
über. Einige Gesimsprofile.
IV. Lille: Musee Wicar. 93 (Rückseite von 91). Thode 274.
v. Geymüller S. 39. a) Aussenansicht des Tambours mit An-
gabe der Kuppel und ihrer Schale darüber. Die Höhen-
verhältnisse der Kuppel und Schale entsprechen la und dem
Modell, wie v. Geymüller in Maassen nachwies. Die Säulen
des Tambours sind toskanischer Ordnung; die Fenster in
Füllungen noch Rundfenster, also inspirirt von der Florentiner
Domkuppel. An der Attika schon die Kränze angegeben.
Statuen auf Sockeln über der Attika, nicht wie im Modell vor
den Voluten der Attika. Die Laterne noch niedrig gebildet. —
b) Skizze für zwei Seiten der Attika, wie es scheint; und
zwar ist hier Füllung der Wand gedacht und der Eckpfeiler
einmal als breiter Pilaster, das andere Mal als Säulenpaar
auf hohem Sockel gestaltet. — c) Grundriss eines Säulen-
paares vom Tambour mit gegenüberliegendem Wandtheil.
V. Florenz: Casa Buon. XL VIII, 31. Thode 165. Grundriss eines
Säulenpaares am Tambour und der gegenüberliegenden Wand.
Ahnlich wie VI c, aber später, in der definitiven Gestaltung des
l--^ ' II
102 I^iß Bauten in Rom
Modells. Notiz: ,,la porta dell' andito" zwischen Säulen und
Wand; andere, bezüglich auf die Wandmaasse rechts: „questa
porta che resta bianca e la faccia , dove anno a esser gli
ochi". Darf man aus letzterem Ausdruck schliessen, dass zur
Zeit der Entstehung dieser Studie noch Rundfenster im Tam-
bour geplant waren?
VI. Oxford, Univ. Gall. 82. Thode 454. a) Flüchtige Kreide-
skizze für die Laterne über der Endigung der Kuppel und
ihrer Schale. Nach der Kuppelform und der niederen Höhe
der Laterne aus der Zeit von Nr. I. Entwurf eines Briefes :
„Messer francesco signior mio caro circa al modello che s'a a
fare e mi pare che col cardinale si sia facto una figura senza
capo". Robinson erkannte schon, dass es sich hier um Bandini
und den Kardinal von Carpi handelte. Die Zeichnung ist
also in den Anfang 1557 (oder Ende 1556.?) zu versetzen.
Damals ist , wie wir sehen , noch nicht die dritte äussere
erhöhte Kuppelschale geplant. — Auf Rückseite : b) Zwei
flüchtige kleine Grundrisse der Kirche. — c) Flüchtiger Auf-
riss einer der Tribunen (unten die drei Nischen angegeben). —
d) Flüchtige Skizze einer Travee des Untergeschosses der
Tribuna: in ihr unten mehrere schmale hohe Nischen an-
gedeutet, darüber oblonge Füllung (vgl. f.). — e) Flüchtige
Skizze einer Mittelnische in der Tribuna (oder eines Fensters
im Obergeschoss ?). — f) Wandeintheilung der mittleren Travee
einer Tribuna: unten drei Nischen, darüber oblonge Füllung;
in der Höhe Lunette. — g) Durchschnitt einer Gewölbetravee
mit anstossender Apsis. — h) Grundriss einer Kuppel (wohl
für die Eckkapelle) mit rosettenförmiger Feldereintheilung.
Bestimmte Schlüsse aus diesen kleinen Skizzen zu ziehen, wäre
wohl gewagt. Nur so viel zu sagen erlauben sie, dass Michelangelo,
als er sie zeichnete — und sie können ja viel früher, als die
Zeichnung auf der Vorderseite (1557), entstanden sein — sich über
die Art der Gestaltung der Tribunen noch nicht im Klaren war; wie
es scheint, dachte er damals noch, anknüpfend an Bramantes Grund-
riss, an eine grössere Anzahl von Nischen in ihnen und versuchte
er unter Anderem auch niedrige Apsiden dem Bau anzugliedern.
Die ausgeführte Zeichnung eines reichen Fensters mit Segment-
giebeln auf toskanischen Säulen in der Casa Buonarroti XLVI, in,
Thode 161, erinnert allgemein an die Fenster aussen an den Tri-
bunen von S. Peter.
Vielleicht sind auch einige Skizzen auf der Rückseite eines
Blattes in Oxford (Nr. 81, Thode 453), dessen Vorderseite eine
Fensterstudie für den Palazzo Farnese zeigt, auf S. Peter zu be-
ziehen: die flüchtige Angabe einer Wandtravee mit Tonnen-
S. Peter 163
gewölbe darüber, eine Säulenbasis und ein kleiner unklarer Grund-
riss einer Wand mit vorgelagertem gekuppelten Säulenpaar.
Nicht von Michelangelo selbst ist der Schnitt der Kuppel in
der Casa Buonarroti XXXIII, 35, der Grundriss in der Coli. Santa-
relli der Uffizien und eine andere Zeichnung mit Schnitten des
Kreuzschiffes und der Kuppeln ebendaselbst.
B. Das Modell der Kuppel.
Das in S. Peter aufbewahrte Modell, das von 1558 bis 1560
durch Giovanni Franzese ausgeführt wurde, ist 5,40 m hoch,
3,86 m breit. Der Forschung zugänglich gemacht wurde es erst
durch Gotti, der in seiner Biographie (II, 136) Zeichnungen, die der
Cavaliere Cesare Castelli anfertigte, reproduzirte. Auf ihnen fussend
wies Heath Wilson die Unterschiede nach, die zwischen dem Bau
und dem Modell sich zeigen. Den Behauptungen Letarouillys,
Garniers und Anderer (auch C. Gurlitt in der Geschichte des Barock
S. 66) gegenüber , denen zu Folge die herrliche äussere Kuppel
nicht eine Erfindung Michelangelos, sondern Giacomo della Portas
sei, wies Josef Durm (Die Domkuppel in Florenz und die Kuppel in
der Peterskirche in Rom, Berlin 1887) nach, dass das Modell sie
zeige, und v. Geymüller S. 39 bewies die Ausführung des Modells
durch Michelangelo, die auch bezweifelt worden war, durch die
ächten Zeichnungen in Haarlem (Nr. I) und Lille (Nr. IV).
Zu mancherlei Erwägungen nun hat die Thatsache Anlass
gegeben, dass im Modell drei Wölbungen (nicht wie im Bauwerk
nur zwei) ausgeführt worden sind, deren äusserste und mittlere un-
gefähr den jetzigen beiden entsprechen, deren innerste im Halbkreis
gebildet ist. Nach Durm sind die beiden äusseren aus einem Stück
Holz geformt, die innere ist aus einem anderen Stück eingefügt.
Heath Wilson sieht in der inneren halbrunden Kuppel die Nach-
ahmung des Pantheon, v. Geymüller das Festhalten an Bramantes
Gedanken. Der Erstere nimmt an, dass erst die Nachfolger Michel-
angelos sie aufgegeben hätten. Symonds hingegen, dass der
Meister selbst von ihrer Ausführung abgesehen habe. v. Geymüller
theilt Wilsons Ansicht und giebt, nachdem er sich schon in seinem
grossen Werke über ,,die Entwürfe zu S. Peter" geäussert, in seiner
Publikation über Michelangelo derselben Meinung mit folgenden
Worten Ausdruck : „Innen dagegen, wo die Verstümmelungen zwar
den Zauber der Lichteffekte und Gliederungen der Masse (Bramantes)
beseitigten, nicht aber deren Hauptverhältnisse berührten, fühlte
Michelangelo wohl, dass er die Scheitelhöhe der Kuppel Bramantes
beibehalten müsse. Um den grossen Abstand zwischen den innen
und aussen nothwendigen Verhältnissen der Kuppel zu vermitteln,
projektirte er eine dritte mittlere Kuppelschale zu rein konstruk-
164 ^^^ Bauten in Rom
tiven Zwecken. Bei der Ausführung wurde jedoch die unterste
Schale aufgegeben, und der Innenraum, nicht zum Vortheil der
Verhältnisse, um so viel höher. Diese Thatsache , verbunden mit
der niedrigeren Kuppellinie der Stiche Du Perracs von 1569, haben
wohl die Meinung aufgebracht, die jetzige äussere Kuppellinie sei
nicht das Verdienst Michelangelos, sondern Giacomo della Portas."
Welche Behauptung hat Recht? Mir scheint: diejenige Wilsons
und v. Geymüllers, doch stellt sich mir die Entwicklungsgeschichte
etwas anders dar. Ich hebe die Hauptthatsachen hervor.
1. Zwei Originalzeichnungen in Haarlem und Lille zeigen uns
die doppelte Wölbung, und zwar in der überhöhten Form.
2. Mit ihnen stimmt die Bildung der mittleren und äusseren
Schale im Modell im Allgemeinen, wenn sie auch etwas
höher ist, überein. Beide sind aus einem Stück Holz gebildet.
3. Die innere halbrunde Kuppel des Modells ist eingefügt.
4. Der Stich Du Perracs 1569 (s. Abb. in Letarouilly: Les edifices
modernes PI. 24, wo daraufhin Rekonstruktion der Seiten-
ansicht des gesamten Kirchenplanes Michelangelos gegeben
ist) zeigt die halbrunde Form in der inneren, eine wenig über-
höhte in der äusseren Wölbung.j
5. Vasari spricht anscheinend nur von zwei Wölbungen ; die
Fenster der äusseren geben den Treppen, die über der innern
ansteigen, Licht. Die innere Wölbung bezeichnet er als
„primo mezzo tondo". Seine Beschreibung bedarf aber der
Interpretation.
Eines geht nun wohl aus diesen Datis hervor: dass das
frühere Projekt dasjenige mit den zwei überhöhten
Wölbungen ist. Hierfür spricht doch auch der auffallende Um-
stand selbst, dass in dem Modell drei Wölbungen angegeben sind.
Zwar nimmt v. GeymüUer an, dass die mittlere Schale aus kon-
struktiven Zwecken eingeschoben sei: diese Nothwendigkeit leuchtet
aber nicht ohne Weiteres ein; und er vergass bei dieser Hypothese
die Zeichnungen zu berücksichtigen. Fasst man hingegen den Vor-
gang so auf, dass die innere halbrunde Kuppel eine spätere Kor-
rektur ist, also unter der bereits vorhandenen, ursprünglich be-
standenen eingezogen wurde, so erklärt sich die dreifache Wölbung
ohne Weiteres.
Es fragt sich nun, ob Michelangelo diese Korrektur selbst vor-
genommen hat. Hiergegen scheint Vasaris Beschreibung zu sprechen,
insofern sie ja nur zwei Wölbungen zu nennen scheint. Aber
diese Beschreibung ist undeutlich: will man ihr eine Anschauung
entnehmen, so sieht man sich schliesslich doch gezwungen, drei
Wölbungen anzunehmen. Er bestimmt drei Zentren, von denen aus
S. Peter 165
die Bögen geschlagen werden, Vom ersten aus „il primo mezzo
tondo della tribuna" ; vom zweiten „la parte di drento dell'altra
volta"; vom dritten die „parte di fuori". Hier sitzt die Schwierig-
keit. Was ist diese parte di fuori? Dem Wortlaut nach, und da
gleich darauf von zwei Wölbungen (la volta di fuori und la volta
di drento) gesprochen wird , nimmt man an : die Aussenseite der
zweiten Wölbung. Warum aber wird dann für diese , .parte di
fuori" ein anderes (drittes) Zentrum bestimmt? Das Modell zeigt
doch die äussere Linie der zweiten Kuppel von dem gleichen
Zentrum aus geschlagen. Dieses dritte Zentrum lässt doch vielmehr
auf eine dritte Wölbung schliessen. Und auf diese deutet doch
auch die später erwähnte : ,, volta della banda dove va il tetto" !
Freilich heisst es gleich darauf wieder: die Fenster dieser volta
seien bestimmt ,,per dar luce al vano di mezzo, dove e la salita
delle Scale fra le due volte". Ich finde keine andere Lösung
dieser Widersprüche, als die Annahme, dass Vasari, als er die
Beschreibung anfertigte, zwischen der Vorstellung zweier und der-
jenigen dreier Wölbungen hin- und herschwankte. Zweierlei aber
scheint mir beweisend dafür, dass er am Modell die innere, etwas
über halbrunde Kuppel gesehen hat : erstens der Ausdruck : ,,il
primo mezzo tondo", und zweitens die zutreffende Beschreibung
der Füllungen des Gewölbes, welche im Modell sich ja an dieser
inneren Kuppel befinden,
Michelangelo hat also offenbar während der Ar-
beit am Modell die innere Kuppel hinzugefügt. Er
war zuerst unter dem Einfluss der Florentiner Kuppel, dann scheint
er eingesehen zu haben, dass eine halbrunde Kuppel innen, wie sie
das Pantheon und Bramantes Entwurf für S. Peter zeigten , einen
schöneren Eindruck hervorbringe. Und ich meine, nur so erklärt
sich auch die auffallende Erscheinung, dass der Stich Du Perracs
die halbrunde, hingegen die ausgeführte Kuppel die überhöhte
Wölbung zeigt.
Die Nachfolger Michelangelos nämlich standen vor der Frage:
welche der beiden im Modell gegebenen Lösungen ist zu befolgen ?
Sie erkannten, so gut wie wir heute, dass das Modell zwei ver-
schiedene Projekte in sich birgt: die überflüssige mittlere Kuppel
verrieth dies.
Der Stich Du Perracs von 1569 zeigt, dass man sich — doch
wahrscheinlich auf Vignolas Autorität hin — zunächst für das Bei-
behalten der halbrunden Kuppel, also für die von Michelangelo
vorgenommene Korrektur entschied. Man glaubte sich berechtigt,
die Konsequenzen dieser Korrektur zu ziehen und statt der über-
höhten äusseren Kuppel nun eine der inneren entsprechende, nur
wenig über das Halbrunde erhöhte zu gestalten.
l66 Die Bauten in Rom
Giacomo della Porta brachte dann die andere
Form, d.h. im Wesentlichen das erste Proj ekt Michel-
angelos zum Siege. Er behielt die hohe äussere
Kuppel bei und gab der inneren die überhöhte Form
der mittleren Schale des Modells. Und hierbei nahm er
noch eine gewisse Veränderung mit dem Modell vor, indem er
den Vertikalismus dadurch steigerte, dass er zunächst die Wölbung
unten mehr senkrecht emporsteigen liess , den Bogen also dem
Charakter des Gestelzten annäherte. Hierin, wie in dem Weglassen
der Volutenstützen und Statuen am Umgang der Kuppel , hat sich
Giacomo Abweichungen vom Modell erlaubt ; wie wir solche auch
m den Füllungen der Kuppel innen am unteren Theil gewahren,
wo die Rundfüllungen einer Anordnung von Lunetten und leeren
Feldern Platz machen mussten.
Eine andere Veränderung hat Michelangelo wohl noch selbst
vorgenommen. Im Modell hatte er die Fenstergiebel im Tambour
alle im Segment, aussen alle dreieckig geformt. Die Ausführung
zeigt innen und aussen abwechselnd den Segment- und den Spitz-
giebel. Michelangelo bestimmte dies , denn Vasari sagt in seiner
Beschreibung von den Fenstern, dass sie aussen ,,ornati di architravi
vari" waren und innen ,,similmente con ordine vario con suoi
frontispizi e quarti tondi", und Du Perrac zeichnet sie so. Wenn auf
einigen kleinen Ansichten des Tambours aus der Zeit der Bau-
thätigkeit unter Michelangelo die äusseren Fenster, wie im Modell,
durchweg den Spitzgiebel zeigen — auch solche, auf denen der
Tambour vollendet erscheint — , so müssen wir hier eine Nach-
lässigkeit der Zeichner annehmen.
Die von Michelangelo geplante Mauerdicke unter der Kuppel,
die nur 13 palmi betrage, wird von Nanni in seiner Supplik an
die Deputati nach dem Tode Michelangelos (Rep. f. K. II, 419) für
zu gering erachtet, das Gewicht der Kuppel zu tragen : die Floren-
tiner Mauer sei 30 palmi, die der Rotonda 40 palmi dick.
C, Der Gesamtplan von S. Peter,
Für dessen Kenntniss kommen vor Allem die Stiche Du Perracs,
daneben einige alte Abbildungen in Betracht,
I. Der Grundriss, Er ist uns aus dem Kupferstiche Du Perracs
vom Jahre I5f9 (in Lafreris Speculum Romanae magnifi-
centiae) bekannt, welcher die Inschrift trägt: Ichnographia
templi divi Petri Romae in Vaticano, Ex exemplari Michaelis
Angeli Bonaroti Florentini a Stephano Duperac Parisiensi in
hanc formam cum suis modulis accurate proportionateque
delineata et in lucem aedita. Anno domini MDLXIX.
S. Peter 167
2. Äussere Ansicht. In zwei Blättern. Ebenda. Bezeichnet:
Orthographia partis exterioris templi divi Petri in Vaticano. —
Michael Angelus Bonarota invenit. Stephanus du Perac fecit.
3. Das Innere. In 2 Blättern. Ebenda. Orthographia partis
interioris templi divi Petri in Vaticano. — Michael Angelus
Bonarota invenit. Stephanus du Perac fecit.
4. Das Gerüst für die Kuppelwölbungen 1561. Ebenda. In-
schrift, rechts : Sara utile a quäl si voglia persona haver messe
nella presente carta le misure antiche e moderne quäl sono
tolte da quelle stesse di campidoglio servono a architetti
muratori e falegnami et a mercanti et ad altri artieri che
esercitano le misure appartenenti alla loro perfessione. Links*
la presente figura dimostra una armadura o vero Incavallatura
delle volte di S. Pietro di Roma fatta da Maestro Antonio
da Sangallo et ancora messa in opera da Michael Ang.
Buonaroto pur nelle medesima volte fatte da lui e volendo
sapere la sua misura disotto a detta ve la Canna Romana
partito in parte 10 detti palmi. — Antonio Lafreri Sequani
formis Roma 1561. R. Jacobus Bossiers Belga summa dili-
gentia circino excepit in aesque incidit.
5. Die Fassade. Dargestellt in dem bekannten Fresko in einem
Räume der Vatikanischen Bibliothek, welches die Gesamtansicht
der Kirche von vorne gesehen giebt. (Abb. Bonanni,Temp.Vatic.
Hist. tab. 19. Letarouilly: Le Vatican. Projets divers PI. 23).
Springer giebt eine hiervon etwas verschiedene Reproduktion
eines alten Stiches.
D. Der Statuen- und Gemäldeschmuck.
Statuen waren, wie das Modell zeigt, auf den Sockeln des
Kuppelumganges über dem Tambour geplant. Das Vatikanische
Fresko zeigt sie auch rings auf den um die ganze Kirche laufenden
Balustraden über dem Kranzgesims und in den zahlreichen Nischen
der Aussenseite.
Es fragt sich, ob Studien von Michelangelo für den figürlichen
Schmuck wenigstens der Hauptkuppel erhalten sind, und hier kann
man nicht umhin, die Figuren in Betracht zu ziehen, die auf den
oben besprochenen Blättern in Haarlem Nr. I — III zu sehen sind.
Folgende Entwürfe sind zu verzeichnen :
I. Ein stehender Mann, etwas nach vorn gebeugt, mit beiden
Händen ein Buch (man sollte meinen : auf einem Pult oder
Tisch aufgestützt) haltend. Thode 264. v. Marcuard Taf XVI.
Sehr undeutlich.
n. Sitzender Mann mit Buch. Auf demselben Blatt. Kaum zu
erkennen.
l68 Die Bauten in Rom
III. Männliche Figur. Auf demselben Blatte. Motiv nicht zu er-
kennen.
IV. Ein leicht nach vorne ausschreitender junger Mann, Mantel
über den Schultern, nach halb rechts schauend, ein Buch (.?)
in den erhobenen Händen. Die Figur befindet sich in einem
nischenartigen rechteckigen Felde. Thode 264. v. Marcuard
Taf. XVII. Zwei andere Skizzen auf demselben Blatte zeigen
dieselbe Gestalt. Schöne lebendige Bewegung.
V. Älterer sitzender Mann, das gesenkte Haupt auf den rechten
Arm, der auf das Knie (Brust .'^) gestützt ist, lehnend; den
linken Arm im Schooss. Gleichfalls in einem viereckigen
nischenartigen, aber etwas breiteren Feld. Das tiefe Sinnen
meisterhaft im Motiv ausgedrückt. Auf demselben Blatte.
VI. Im gleich breiten Felde darunter : Jüngling, stehend oder vom
Sitze sich erhebend, wie in lebhaftem Gespräch den Ober-
körper und Kopf nach rechts vorne streckend. Mantel um
Schulter und Beine. Ähnlich Nr. IV.
VII. Ein stehender Alter, ein offenes Buch in den Händen, sich
in der Lektüre unterbrechend, nach rechts schauend, mit vor-
gebeugtem Oberkörper. Den rechten Fuss hat er auf eine
Erhöhung gestellt. Am Boden liegt, undeutlich erkennbar, eine
Figur. Es ist aber fraglich, ob sie zu ihm gehört. Thode 265.
V. Marcuard Taf XVIII a. Der Oberkörper noch einmal ge-
geben.
VIII. Ein lebhaft nach vorne ausschreitender Jüngling, der in grosser
Bewegung nach rechts himmelwärts blickt und mit den Händen
Etwas von einem, an ihn sich haltenden Knaben zu nehmen
scheint. Thode 265. v. Marcuard Taf XVIII b. Von grösster
Wirkung.
IX. Zwei Figuren: die eine, wie es scheint, liegend, die andere
dahinter stehend. Sehr undeutlich. Auf demselben Blatt.
Herr v. Marcuard stellte die Vermuthung auf, dass diese be-
deutenden Entwürfe für die malerische Ausschmückung der Kuppel-
schale gedacht waren. Ich stimme ihm bei. Dass es sich nicht
um Statuen handelt, zeigen die Motive und die Feldereinrahmungen
bei einigen von ihnen. Es sind aber nicht, wie er sagt, bloss
stehende, sondern auch sitzende Gestalten: offenbar Apostel und
Evangelisten. Bei VIII dürfte man an Matthäus denken. Die Form
der Felder wäre mit Kuppelkompartimenten vereinbar. In einem
Falle : V und VI könnte man eine absichtliche Übereinanderordnung
der zwei Figuren annehmen.
Andere bestimmte Zeugnisse für diese Idee einer Kuppel-
bemalung, die vermuthlich, nachdem sie aufgetaucht, bald wieder
aufgegeben, wenigstens nicht weiter verfolgt ward, kenne ich nicht,
S. Peter 169
doch scheint mir, könnten zwei Studien zu einer leicht ausschrei-
tenden Gestalt, die (einmal bekleidet, das andere Mal nackt) nach
rechts schauend den rechten Arm ausstreckt und die Linke sprechend
oder deutend bewegt, in die Reihe jener Entwürfe eingereiht werden,
da sie diesen in der Technik und in den Motiven nahe verwandt
sind. Berenson und Frey beziehen sie, ohne genügenden Grund
auf das für d'Avalos entworfene Noli me tangere. Das Blatt, auf
dessen Vorderseite und Rückseite sie sich neben einem Gesims-
profil befinden , ist im Besitze von I\Ir. G. T. Clough in London
(Thode 367. Ben 1539. Abb. Frey "jy und 78).
Entwürfe für die Statuen an der Kuppel sind mir nicht bekannt
geworden.
E. Ansichten des Baues aus und kurz nach der Bau-
zeit 1547 bis 1564.
In seinem Werke über die ursprünglichen Entwürfe zu S. Peter
hat H. V. Geymüller mehrere Ansichten, welche uns über die frühere
Bauthätigkeit Aufschluss geben, veröffentlicht : einen Kupferstich in
Basel, der vielleicht schon vor 15 19 entstanden ist und die vier
Kuppelpfeiler mit ihren Bögen (ohne Abdachung) zeigt (PI. 48, Fig. 6),
einen Stich des H. Cock in der Bibliothek Barberini (PI. 49, Fig. 2),
den Einblick in den Kuppelraum von der alten Basilika aus auf
einer Zeichnung im Soane-Museum zu London (PI. 24), deren Original
imHeemskerk'schen zweiten Skizzenbuch zu finden ist (Blatt 52 v.) und
drei Zeichnungen von M. Heemskerk in Dessen erstem Skizzenbuch in
Berlin (PI. 52). Sämtliche Zeichnungen des zweiten Buches, die S.Peter
darstellen , neun im Ganzen , hat Jaro Springer besprochen (Jahrb.
d. k. preuss. Kunsts. 1891. XII, S. 118 ff.). Aus diesen Darstellungen,
denen eine Ansicht auf einem Fresko Vasaris im Palazzo der Can-
celleria von 1546 hinzuzufügen ist, gewinnen wir eine Anschauung
des Zustandes , in welchem Michelangelo den Bau fand. Die vier
Kuppelpfeiler mit ihren Bögen, welche hintermauert und abgedacht
sind , ragen hinter dem erhaltenen Längshause der alten Basilika
hoch empor. In der Vierung befindet sich ein Altargehäuse in
dorischem Stile, welches von Bramante errichtet und, wie es heisst,
von Peruzzi vollendet wurde. Im Westen schliesst sich der von
Bramante erbaute provisorische Chor mit seiner dorischen Ordnung
an. Das Südkreuz ist begonnen, östlich von der Vierung, also am
Ende des Basilikafragmentes, sind Pfeiler begonnen. Nördlich sind
zwei Arkadenpfeiler mit Nische bis zur Höhe des ersten Stockwerkes
gediehen.
Diesen Ansichten folgen nun andere aus der Zeit der Thätig-
keit Michelangelos, die von Letarouilly, C. v. Fabriczy und in Sonder-
heit von P. N. Ferri (Rassegna d'arte IV, S. 90) zusammengestellt.
J70 I^ie Bauten in Rom
aber noch nicht genügend für die uns beschäftigenden Fragen ver-
werthet worden sind. Einiges habe ich hinzuzufügen. Im Wesent-
lichen handelt es sich um Darstellungen des Tambours der Kuppel,
in einigen wenigen aber gewahren wir auch andere Theile des
Baues. Die geringere oder grössere Vollendung des Tambours er-
laubt eine allgemeine zeitliche Anordnung.
1. Skuze von Giov. Antonio Dosio in den Uffizien. Nr. 4345
(Archit.). Ferri Abb. F. Blick von Südost. Vorne der Rundbau
der Madonna della Febbre, neben dem rechts der Obelisk steht.
Wir haben den schrägen Einblick in das schon vor Michel-
angelos Zeit vollendete Tonnengewölbe der südlichen
Tribuna, dessen Pfeiler ja bereits von Bramante begründet
worden waren (vgl. v. GeymüUer : die ursp. Entwürfe PI. 45)
und durch die<^es in das Tonnengewölbe des Kreuzschiffes.
Auch der Bogen zwischen dem südwestlichen Kuppelpfeiler
und der Südwand ist bereits fertig: unser Blick trifft auf die
südliche Nische in diesem Pfeiler. An der Apsis wird gebaut:
die Umfassungsmauer ist nur zum Theil bis zur oberen Höhe
der Fenster gediehen, deren eines mit Spitzgiebel ausgeführt
ist. Die zwei Bogen , die ">'om Kreuzarm und vom Mittel-
schiff in die spätere Cappella Clementina führen, sind vollendet.
Der Tambour der Kuppel hat erst die Höhe erreicht,
wo die Säulenordnung aufsetzen soll. — Die Zeichnung gehört
also in die erste Periode der Thätigkeit, wie wir sehen
werden, etwa in das Jahr 1549-
2. Im zweiten Skizzenbuch des Heemskerk in Berlin Bl. 60 v.
(J. Springer a. a. O. S. 121) Blick von Norden. Vom nörd-
lichen Querhaus sind die Pilaster und die untersten
Fenster fertig. Durch den Vierungsraum sieht man bis zur
Apsis des südlichen Querhauses, das schon höher
gediehen ist, als das nördliche. Am Tambour, an dem
gearbeitet wird, nur der Sockel vollendet. Es handelt sich
hier, wie bei 3, um spätere Zeichnungen, die den früheren
Blättern des Skizzenbuches (1536 — 1538) hinzugefügt sind, was
Springer entging. Das Blatt ist von grosser Wichtigkeit für
die Baugeschichte; denn es zeigt, dass gleichzeitig mit der
Südtribuna auch die nördliche Tribuna schon in An-
griff genommen, wenn auch nicht so weit gefördert war.
Wie wir unten sehen werden, ist unser Blatt etwa 1550
anzusetzen.
3. Ebendaselbst 60 v. Blick vom Süden. Der Tambour ist
weiter vorgerückt im Bau. Die südliche Apsis ist bis zur
zweiten Fensterreihe gediehen. Die Pilaster bis zu den Kapi-
talen sind fertig. Etwas später als Nr. 2 anzusetzen. Der
S. Peter j-j
südliche Tribunenbau etwa in dem Zustande, wie die Dosio'sche
Zeichnung Nr. 5 ihn darstellt.
4. Ausgeführte Zeichnung von Dosio.Uffizien Nr. 91 (Archit). Abb.
(nicht getreu) Heath Wilson S. 514, pl. 19. Ferri E. Blick
vom Süden in die Vierung. Links Einblick in die Arkade
zwischen südwestlichem Kuppelpfeiler, an dem das Tabernakel
zu sehen, und Südwand. Es wird am Tambour gearbeitet,
der nördlich noch sehr niedrig, westlich bis zur vollen Höhe
der Säulen aufgemauert ist. In der Mitte des Raumes das
Altargehäuse Bramantes. Die Zeichnung ist, dem Tambour
nach zu schliessen, etwas später als die vorige.
5. Zeichnung Dosios in den Offizien Nr. 2535 (Archit). Blick von
Osten auf die Südtribuna (nicht auf den Chor, wie Ferri
meint). Wir sehen den Obelisk, dahinter die Madonna della
Febbre und darüber, wie auch über kleinen Häusern rechts,
den Rohbau des Treppenthurmes im Eckpfeiler, neben ihm
rechts den Bogen, der vom Kreuzarm in die spätere Cappella
Clementina führt, links die Südapsis im Rohbau, der etwa in
der Höhe des Attikaansatzes abschliesst. Vom Tonnengewölbe
des Kreuzarmes, das, dem früheren Bau angehörig, auf Nr. i
sichtbar war, ist Nichts zu sehen; wir müssen annehmen, dass
es inzwischen abgerissen wurde. Die ein wenig zum Vorschein
kommende südliche Seite des Tambours ist fertig. — Be-
fremdlich ist die Erscheinung der Südapsis. Man würde bei
flüchtigem Blick annehmen, es handle sich um eine Apsis mit
Umgang, da der untere Theil des Mauerwerkes, an dem die
Pilaster (etwa in ihrer zweidrittel Höhe) ausgeführt sind, vor-
springt. In der zurückliegenden Mauer oben sehen wir seit-
wärts rechts und in der Mitte eine in die Tribuna führende
rundbogige Öffnung. Die Erklärung kann keine andere sein,
als dass die Mauer oben noch nicht zu ihrer ja sehr beträcht-
lichen Dicke gebracht ist, sondern dort abschliesst, wo der
Umgang innerhalb dieser Mauer beginnt. Die Öffnungen sind
die Fenster mit dem Entlastungsbogen. Die Skizze muss,
wie wir sehen werden, Mitte der fünfziger Jahre entstanden
sein.
6. Dem B. Peruzzi zugeschriebene Skizze in den Uffizien Nr. 539
(Coli. Santarelli). Abb. Ferri A. Blick aus der Via di Borgo
nuovo auf den Petersplatz. Hinten der Tambour, thetl-
weise fast bis zum Säulenarchitrav gelangt. Nur flüchtig an-
gedeutet. Wie man sieht, kann von Baldassares Autoiihaft
nicht die Rede sein, — er stirbt 1536!
7. Stich eines Turnieres im Hofe des Belvedere unter Pius IV.
1565. Von Jakob Bink in Lafreris Speculum Romanae magni-
172
Die Bauten in Rom
ficentiae. Abb. Letarouilly (Le Vatican , cour du Belvedere
PI. 7). Ferri L. Dies Blatt, welches die Thatsache von Nr. 2
bestätigt, ist von grosser Wichtigkeit, da es zeigt, wie weit
der Bau von Michelangelo geführt wurde. Der Blick auf den
Bau ist von Nordosten. Die östliche Seite des Tambours
ist bis zum Kreuzgesims vollendet ; im Norden und Westen
fehlt noch das Gebälk auf den Säulen. Die Fenster zeigen
abwechselnd Segment- und Spitzgiebel. Das Tonnen-
gewölbe des nördlichen Kreuzarmes ist ausgeführt,
ebenso die beiden Arkaden, die vom Nordtransept und vom
Mittelschiff in die spätere Cappella Gregoriana führen. Die
nördliche Tribuna ist bis zur halben Höhe der Attika
gediehen: wir sehen Fenster und Nischen genau so, wie sie
heute sind.
8. Skizze im Stuttgarter Skizzenbuch. Abb. und Besprechung
auf Grund H. v. GeymüUer'scher Angaben von C. v. Fabriczy
im Archivio stör, dell' Arte 1903, IV, S. 113 und 125. Man
schaut von Nordwest auf den Bau, also auf den Bramante'schen
provisorischen Chor, der hier mit einem Dache bedeckt ist,
und auf das nördliche Querschiff, dessen Tribuna hier
ganz, bis zum Kranzgesims vollendet ist (also innen auch die
Wölbung fertig). Die Kapelle zwischen Chor und
Nordschiff ist nun begonnen: die Mauern erheben sich
ganz niedrig über der Erde, und man sieht durch den grossen
Bogen in das QuerschifF. Auch der Mauerbau der anderen
Kapelle zwischen Chor und Südschiff ist angefangen, und
zwar höher (etwa bis zur halben Höhe) aufgeführt. — Das
Skizzenbuch wird von Fabriczy zwischen die Jahre 1568 und
1579 angesetzt. Ich möchte annehmen, dass die Zeichnung
etwa Anfang der siebziger Jahre entstand.
9. La virte Federzeichnung in der Kunsthalle zu Hamburg Nr. 2 131 1.
Bisher nicht beachtet. Einblick von der alten Basilika aus in
den Kuppelraum — also dieselbe Vedute wie in der
früheren Zeichnung im zweiten Heemskerk'schen Skizzenbuch
und im Soane-Museum in London. Im Kuppelraum steht
noch der provisorische Altarbau Bramantes. Der Tambour
ist fertig. Bezeichnet : questo e ritratto di santo Pietro dalla
porta della chiesa vecchia acanto all'organo verso la testa
della croce di bramante.
Die folgenden Ansichten, die alle den Tambour vollendet
zeigen, sagen uns nichts Besonderes.
10. Zeichnung von Giov. Balducci gen. il Cosci in den Uffizien
Nr. 1052 (in cartella). Abb. Ferri B. Darstellung eines Wunders.
Im Hintergrund S. Peter.
S. Peter 173
11. Stich von Mario Kartaro 1575. Ferri J. Ansicht von S. Peter
und Vatikan von der Piazza aus.
12. Zeichnung von G. B. Dosio. Uffizien Nr, 2555. (Archit.)
Ferri C. Piazza mit Blick auf die (rekonstruirte) alte Basilika,
dahinter der Neubau. Rechts sieht man die vollendete nörd-
liche Tribuna vorragen.
13. Stich des G. B. de Cavalieri, das Jubiläum von 1575 auf der
Piazza darstellend. Die Architektur ist eine Reproduktion der
Zeichnung Nr, 10, Abb. Ferri K.
14. Stich in der Bibliothek zu Genf. Abb. bei Letarouilly (Vatican,
Ancienne Basilique de S. Pierre PI, 9, 2). Die nördliche Tri-
buna ist angedeutet, die südliche nicht.
15. Fresko von Paris Nogari im dritten Stock der Loggien des
Vatikan, darstellend die Prozession Gregors XIII. 1580. Abb.
Corrado Ricci in der ,,Lettura", April 1903, Der Tambour
vollendet, auch der Tambour der kleineren Kuppel rechts.
16. Ebendaselbst. Anderes Fresko, den Petersplatz darstellend.
Tambour vollendet. Ein kleines Werkhäuschen steht auf ihm.
Die Darstellung betrifft den Bau der Akademie durch Gregor XIII.
17. Ansicht von ,,S. Petri templum Romae". Stich: Henri Cliven
inv. Philipp Galle excud. Bei Letarouilly (a. a. O. PI. 9).
18. Fresko im grossen Saal der Vatikanischen Bibliothek, 1588.
19. Im kleineren (zweiten Räume) ebendaselbst Fresko, die Er-
richtung des Obelisken auf der Piazza 1586 darstellend,
20. Radirung in Dom. Fontana: Della trasportatione dell' obe-
lisco vaticano. Rom 1590, p. 8,
Erst die Kenntniss einiger dieser Zeichnungen (Nr. i, 2, 3 und 5)
setzt uns in die Lage, die Beantwortung der Frage, welche Bau-
geschichte die südliche Tribuna gehabt, zu versuchen.
F, Die südliche Tribuna, gen. die Kapelle des
Königs von Frankreich.
An dieser Stelle befand sich ein der hl. Petronilla geweihter
Rundbau , welcher von Bramante abgerissen wurde. Die Bezeich-
nung: Kapelle des Königs von Frankreich erhielt dieser Bau, weil
Ludwig XI. ihn hatte restauriren und mit zwei ,,Cappellanie" versehen
lassen. H. v. Geymüller wies nach, dass Bramante in der That,
wie Vasari sagt, die Tribuna hier begonnen und bezweifelt Vasaris
Angabe, Peruzzi habe Veränderungen mit ihr vorgenommen (a.a.O.
S, 297), Dargestellt sind diese Bauanfänge (ein begonnener Mittel-
pfeiler und Wandnischen im Umgang) auf der einen Zeichnung des
Heemskerk, auf welcher wir rechts den westlichen Eckpfeiler dieser
I74 I^ic Bauten in Rom
Tribuna (von Bramante begründet, von Raphael und Antonio da
San Gallo ausgeführt) gewahren (PI. 52, Fig. i), und auf Zeich-
nungen des Berliner zweiten Skizzenbuches (Bl. i v., 7 v., 5 1 v. Abb.
a.a.O. S. 120, 54 V.), welche deutlich in wenig über die Erde
herausgewachsenen Mauern den Bramante'schen Nischenkranz der
Apsis erkennen lassen. Michelangelo bei seiner Verkürzung der
Tribuna musste diese Anlage vernichten.
Den Beginn seines Neubaues zeigt die Dosio'sche Skizze Nr. i.
Wir dürfen sie etwa in das Jahr 1549 versetzen, denn Anfang 1551
sind schon die Fenster des zweiten Geschosses vollendet, ist die
Arbeit also etwa bis zum Ansatz der Wölbung gediehen. Zwischen
1549 und 1551 ist die Hetmskerk'sche Zeichnung Nr. 2 , die den
Tambour noch wie auf Nr, 1, die Apsis aber höher aufgeführt zeigt,
anzusetzen. Eine ähnliche Phase des Baues etwa 1551 zeigt die
Heemskerk'sche Skizze Nr. 3 : er ist bis zur zweiten Fensterreihe
gelangt, die Pilaster bis zu den Kapitalen sind fertig; der Tambour
ist weiter fortgeschritten als in Nr. 2. Dann scheint die Arbeit hier
zunächst aufgegeben worden zu sein, denn erst 1557 vernehmen
wir von der Wölbung, und zwar, dass sie missglückt ist und
wieder abgetragen werden muss.
In den hierauf bezüglichen zwei Briefen an Vasari im Juli und
August wird die Wölbung genau so beschrieben, wie wir sie heute
in den Apsiden ausgeführt sehen.
,,Dipoi come si cominciö appressare al mezzo tondo, che e
nel colmo di detta volta, s'accorse dell' errore che facea detta cen-
tina, come si vede qui nel disegno, che con una centina sola si gover-
nava , dove anno a essere infinite, come son qui nel disegno le
segnate di nero. Con questo errore e ita la volta tanto innanzi,
et s'ä disfare un gran numero di pietre, perche in detta volta non
ci va nulla di muro , ma tulto travertino ; e il diametro de' tondi
senza la cornice che gli recigne e ventidue palmi." Und:
,, Perche sia meglio inteso la difficultä della volta ch'io mandai
disegnata, ve ne mando la pianta, che non la mandai allora, cioe
detta volta, per osservare il nascimento suo insino di terra. E stato
forza dividerle in tre volte, in luogo delle finestre da basso divise
da pilastri, come vedete che vanno piramidati al mezzo tondo del
colmo della volta, come fa il fondo e' lati della volta. Ancora e'
bisognia governarle con un numero infinito di centine e tanto fanno
mutazione e per tanti versi di punto in punto, che non ci si puö
tener regola ferma ; e' tondi e' quadri che vengono nel mezzo de'
loro fondi, anno a diminuire e acrescere per tanti versi e andare
per tanti punti, che e difficil cosa a trovarne il modo vero. Non-
dimeno avendo il modello , com' io fo di tutte le cose , non si
doveva mai pigliare si grande errore di volere con una centina sola
S. Peter
175
governare tutt' a tre que' gusci ; onde n'e nato, ch'e bisogniato con
vergognia e danno disfare : e disfassene ancora un gran numero di
pietre. La volta e' conci e' vani e tutta di trevertino, come l'altre
cose da basso : cosa non usata a Roma." (Lett. 546. 547.)
Das fast vollendete Gewölbe ist also 1557 wieder abgetragen
worden ; ward es, wie Michelangelo beabsichtigt, damals von Neuem
aufgeführt und beendigt? Wir dürfen es voraussetzen. In der
freilich etwas befremdenden perspektivischen Ansicht des Stuttgarter
Zeichners sieht man nur das Profil (Säulenordnung und Attika), aber
doch deutlich genug, um die Vollendung der Tribuna annehmen
zu lassen.
Welches Stadium der Thätigkeit an dieser Tribuna aber wird
durch die Dosio'sche Zeichnung Nr. 5 bezeichnet.? Es ist schwierig,
über diese sich klar zu werden. Ich erwähnte, dass wir den Roh-
bau vor uns haben mit dem Treppenthurm an der Ecke, der später
durch die schräge Wand verkleidet werden sollte. Der Bau ist zu
viel grösserer Höhe (Architravhöhe der Säulen) aufgestiegen, als in
Nr. I, der obere Theil der Mauer ist noch nicht in voller Dicke
ausgeführt, die Pilaster sind nur bis zu etwa zweidrittel Höhe gelangt.
Es ist dieselbe Phase dargestellt, wie in den Heemskerk'schen Skizzen
2 und 3. Es ist eine Pause in der Arbeit eingetreten, denn die
Mauern sind oben abgedacht. Was nun aber überrascht ist dies,
dass hier Nichts mehr von den Pfeilern und dem Tonnengewölbe des
Kreuzarmes zu sehen ist, den wir auf Nr. i gewahren. Dieser Be-
standtheil des älteren Bramante'schen Baues ist inzwischen abgetragen
worden.
Auch die Datirung des Blattes begegnet Schwierigkeiten. Einer-
seits müssen wir uns nämlich daran erinnern, dass schon 1551 das
Bauwerk bis zur Attika aufgeführt war, andrerseits sehen wir an
dem Stück Tambour rechts die Säulen schon ganz ausgeführt. Ihr
abfälliges Urtheil über die Fensteranlage konnten die Kritiker schon
aussprechen, als der Bau in dem Zustande war, wie wir ihn hier
sehen. Es stände Nichts im Wege, die Zeichnung etwa in das Jahr
1551 zu versetzen, also in dieselbe Zeit, wie die Heemskerk'sche
Skizze Nr. 3. Aber der Tambour.? Dieser ist in Nr. 3 ja noch
nicht so weit wie hier ! Ich glaube, wir kommen aus dem Dilemma
nur heraus, wenn wir annehmen, die Apsis war 1551 schon so weit
gediehen, wie der Zeichner sie giebt. Dann aber trat eine längere
Unterbrechung der Arbeit ein, wie sie sich auch aus unserer Prüfung
der Dosio'schen Skizze Nr. 1 ergab, und indess der Tambour in-
zwischen an der Südseite bis zur vollen Höhe gediehen war, blieb
die Tribuna im alten Zustand. Da sie 1557 eingewölbt wurde,
dürfte die Arbeit an ihr 1556 (vielleicht schon 1555) von
Neuem betrieben worden sein, 1555 nun sagt ja Michelangelo, dass
1/6
Die Bauten in Rom
er schon bald an die Wölbung der Hauptkuppel gehen könne; der
Tambour war also an einzelnen Stellen schon vollendet oder der
Vollendung nahe. Die Stellen, wo dies zuerst der Fall war, waren
im Norden und im Süden, wie sich dies aus mehreren Ansichten
ergiebt. Also dürfen wir uns unsere Zeichnung etwa 1554 ent-
standen denken, vielleicht auch schon etwas früher.
1558 wird die Tribuna dann zum zweiten Male gewölbt. Wann
das angränzende Tonnengewölbe, das zerstört worden war, neu
ausgeführt ward, ist mit Bestimmtheit nicht zu sagen, vermuthlich
1555 und 1556.
G. Zusammenfassendes.
Die sehr allgemeinen Resultate, welche unsere Prüfung der
litterarischen Nachrichten ergab, erfahren durch die der Zeichnungen,
wie wir sehen, doch mehrfach eine nähere Bestimmung.
Im Jahre 1547 hat er zuerst die Ausfüllung der Kuppelpfeiler
vorgenommen und dann nach Vollendung der Zwickel den Tambour
begonnen, dessen unterer Sockeltheil 1549 vermuthUch vollendet
wurde. In eben dieser Zeit beginnt die Thätigkeit am nördlichen
Kreuzarm und dessen Tribuna und, nach Wegräumung der älteren
Bautheile der Bramante'schen Apsis, der Bau der Südtribuna, der
rascher vorausschreitend, als die nördliche Tribuna, I551 bis zur
Höhe des Pilasterarchitraves gelangt, ohne dass es aber in den
oberen Theilen aussen schon zur Vollendung und Bekleidung käme.
Die Treppenthürme zur Seite der Tribuna sind bis zu gleicher Höhe
gelangt, aber noch nicht durch die äussere schräge Mauer verdeckt.
Das Bramante-San Gallo'sche Tonnengewölbe im linken Kreuzarm
wird abgetragen. Dann bleibt die Arbeit an dieser Tribuna mehrere
Jahre stehen. Am Tambour wird gearbeitet, vermuthlich auch am
nördlichen Ouerarm und der angränzenden Tribuna. 1555 sind
Theile des Tambours im Süden und Osten schon bis zur Höhe
des Säulenarchitraves gelangt — die Theile im Norden und Westen
bleiben im Rückstand. 1555 und 1556 ist man am südlichen Kreuz-
arm und der Tribuna daselbst thätig. 1557 wird die letztere
gewölbt. Das Gewölbe wird wieder abgebrochen und 1558 neu
gemacht. In den folgenden Jahren scheint vornehmhch an der
Nordtribuna gebaut worden zu sein, vielleicht damals, (wenn nicht
schon früher), auch an den beiden Kapellen zu Seiten des Chores.
Der Tambour macht geringe Fortschritte.
Als Michelangelo stirbt, ist der Tambour noch
nicht ganz vollendet, Südarm und Südtribuna voll-
endet, die Nordtribuna fast bis zur Wölbung ge-
diehen, die Kapellen am Chor zeigen, die eine das
S. Peter
177
Mauerwerk noch ganz niedrig, die andere bis zur
halben Höhe gelangt. An Bramantes provisorischen
Chor ist die Hand noch nicht gelegt.
Vignolas nächste Aufgabe ist die Vollendung des Tambours
und der Nordtribuna mit dem anstossenden Gewölbe, wie es heisst,
auch der Kapellen neben dem Chor und der kleineren Kuppeln
(Gurlitt: Geschichte des Barock S. 52). Giacomo della Porta hatte
vielleicht noch an diesen zu thun und wird dann die Einwölbung
der Cappella Gregoriana, auf deren Altar bereits 1578 das alte Bild
der ,, Madonna del soccorso" überführt wurde, vorgenommen haben.
Von 1585 an beschäftigt ihn der Bau der Chortribuna, nach deren
Vollendung er 1588 bis 1590 die Kuppel wölbte. SchUesslich führte
er den Kuppelraum der Cappella Clementina aus.
Umfassender, als man gemeinhin annimmt, stellt sich bei solcher
Prüfung Michelangelos Thätigkeit heraus. Das gesamte Äussere
des Kreuzschiffes undChores, bis in alleDetails hin-
ein — wenn auch nicht Alles von ihm selbst ausgeführt — ist
seine Schöpfung; nicht allein die Kuppel, die bis auf
eine etwas stärkere, von Porta vorgenommene Aus-
bauchung in den unteren Theilen, mit seinem Modelle
übereinstimmt. Zu ergänzen in Gedanken haben wir
nur die auf dem Kranzgesims ringsumlaufenden
Balustraden mit Statuen und vor der Attika der
Kuppel die Volutenstützen und Statuen. Auch die bei-
den niedrigeren Kuppelthürme möchte ich nicht anstehen, auf des
Meisters Zeichnung zurückzuführen. Hierüber aber haben wir keine
Sicherheit.
Auch die architektonische Gestaltung und Deko-
ration im Innern aber, lassen wir nur Bramante den
entscheidend bedeutungsvollenRuhm dergrundlegen-
den Raumrhythmisirung, ist im Wes entlichen Michel-
angelos Werk. Die Pilasterordnung und die Kassettirungen der
Norm bildenden Tonnengewölbe freilich sind von Bramante und
seinen Nachfolgern gegeben worden, aber die Fensler- und Nischen-
bildungen sind von Michelangelo. Mit nicht minderer Sicherheit
ist ihm die Gestaltung der kleineren Kuppeln zuzuschreiben, denn
wenn er selbst auch keine derselben ausgeführt hat , so hielt sich
Giacomo della Porta doch gewiss an seine Zeichnungen, Seinen
Geist, wir mögen nun dessen Äusserungen ästhetisch zustimmen
oder nicht, hat er dem Inneren, wenn auch nicht in so unabhängiger
Weise wie dem Äusseren, aufgeprägt. Nur die Kuppel hat
nicht die von ihm definitiv beabsichtigte halbrunde,
sondern die überhöhte Form des früheren Entwurfes
im Innern erhalten.
t* 12
178 Die Bauten in Rom
n
S. Giovanni dei Fiorentini
Geschichtliches.
Im Frühjahr 1550 ward Vasari von Julius III. nach Rom be-
rufen und machte für Diesen die Entwürfe zu den Grabdenkmälern
der Verwandten des Papstes : Antonio Kardinal de' Monti und
Fabiane, in S. Pietro a montorio. Vasari bittet , dass Michelangelo
die Oberleitung auf sich nähme. Die von Vasari für die Ausführung
vorgeschlagenen Mosca und Raffaello da Montelupo will Michel-
angelo nicht beschäftigt sehen, dagegen ist er damit zufrieden, dass
Ammanati die Arbeit übernähme. Vasari reist ab und überlässt
dem Meister, die Kapelle zu fundiren. Da macht Bindo Altoviti
den Vorschlag, die Gräber in S. Giovanni dei Fiorentini unter-
zubringen und zu diesem Behufe diese Kirche, die Jacopo Sanso-
vino unter dem Protektorat Leos X. zu nahe am Tiber angelegt
und deren Bau von Antonio da San Gallo fortgeführt , dann aber
aufgegeben worden war, vollenden zu lassen. Der Papst solle den
Chor bauen, sechs Kapellen würden die Florentiner Kaufleute errichten.
Am I. August berichtet Michelangelo an Vasari über die Angelegen-
heit: ,, gestern Morgen, als der Papst nach Montorio gegangen war,
sandte er nach mir. Ich kam nicht zur Zeit und traf ihn heim-
kehrend auf der Brücke. Ich hatte eine längere Verhandlung mit
ihm über die dort in Auftrag gegebenen Grabmäler, und zuletzt
sagte er mir, er wäre entschlossen, sie nicht dort oben zu errichten,
sondern in der Kirche der Florentiner, und batmichum meine Ansicht
und eine Zeichnung; und ich bestärkte ihn sehr darin, in der
Meinung, dass auf diesem Wege die Kirche zur Vollendung kommen
werde." — Am 22. August meldet er, dass er Ammanati besucht
und mit Dessen Arbeit an Vasaris Werk (den Grabmälern) sehr zu-
frieden sei. Der Gedanke an den Neubau von S. Giovanni ist wieder
in den Hintergrund getreten, da das Geld nicht aufzubringen ist.
Es soll nun doch in S. Pietro in montorio fundirt werden und Michel-
angelo bestimmt einen an S. Pietro dei Vaticano beschäftigten
Maurer dafür. Da aber der sich in Alles mischende Bischof Aliotti,
„il Tantecose" , seinerseits einen Maurer designirt, zieht sich der
Meister von der ganzen Angelegenheit zurück. In dem Briefe heisst
es: ,, genug, an die Kirche der Florentiner, scheint mir, hat man
nicht weiter zu denken."
Im JuU 1559 wird der Plan aber wieder aufgenommen. Die
Florentiner haben Geld für den Bau gesammelt; die Konsuln und
Räthe der ,,nazione fiorentina" beschliessen , dass auf den alten
Fundamenten ein neues Gebäude errichtet werde, erwählen Francesco
S. Giovanni dei Fiorentini
179
Bandini, Uberto Ubaldini und Tommaso de' Bardi als Prokuratoren
und wenden sich mit der dringenden Bitte an Michelangelo, er möge
dem Bau sich widmen. Er antwortet, dass er, ohne Einwilligung
des Herzogs Cosimo, nicht eine andere Arbeit, als die an S. Peter
übernehmen könne. Am 10. August übernimmt auf Bitten der
Florentiner Herzog Cosimo das Protektorat. Am 19. Oktober danken
die Florentiner für Dessen Interesse und theilen ihm mit, dass sie
sich wegen des Modelies der Kirche, damit dieselbe würdig werde,
an Michelangelo gewandt hätten. Dieser habe eine Zeichnung be-
gonnen. Der Herzog wird ersucht, an den Meister zu schreiben
und ihm den Bau empfehlen zu wollen. Er erfüllt diese Bitte
am 26. Oktober und drückt, Leos X. gedenkend, Michelangelo den
Wunsch der Ausführung eines Kirchenmodells aus. Dieser erwidert
am I. November, der Wunsch sei ihm Befehl und erklärt sich bereit,
sich der Kirche anzunehmen, obgleich er bei seinem Alter ja wenig
mehr versprechen könne. Er hat fünf Zeichnungen gemacht,
deren auch nach seiner Meinung würdigste und reichste von den
Prokuratoren gewählt worden ist. Er lässt sie von Tiberio Calcagni,
da ihm das Zeichnen schwer fällt , sauber ausführen ; sie wird am
2. Dezember an den Herzog gesandt, der am 22. Dezember seiner Be-
wunderung Ausdruck giebt. Der Meister selbst sagt: niemals, auch
zur Zeit der Griechen und Römer nicht, sei Dergleichen gemacht
worden. Calcagni verfertigt nun auch die Zeichnungen für die Profile
und führt ein Modell nach den Anweisungen in der Grösse von
8 Palmi aus, nach welchem das Holzmodell, das Vasari im floren-
tinischen Konsulat sah, gearbeitet wird. Calcagni überbringt im April
dem Herzog, der über des Meisters Eifer erfreut ist, die Zeichnungen
nach Pisa. Auf die schmeichelhaften Dinge, die ihm gesagt werden,
erwidert Michelangelo, er bedaure nur so alt und dem Tode nahe
zu sein (25. April). Am 30. April erhält er vom Herzog, der zugleich
auch an die Prokuratoren schreibt, einen Brief, in dem es heisst :
,,Wir sind so verliebt in Eure Zeichnung für die Kirche der Nation,
dass Wir bedauern, sie nicht vollendet sehen zu können, zur Zierde
und zum Ruhm unsrer Stadt, und auch zu Eurem ewigen Gedächtniss,
das Ihr wohl verdient; so helft, sie zu verwirklichen." Kurze Zeit
darauf kehrt Calcagni heim (2. Mai). Dies ist die letzte Nachricht.
Die Ausführung des grossartigen Planes scheitert , nachdem 5000
Skudi ausgegeben worden waren, aus Mangel an Mitteln. Erst
später, 1588, wird der Gedanke von Neuem aufgenommen. Giacomo
della Porta wird auch hier des Meisters Nachfolger. Er baut die
Kirche, deren Chor durch Maderna ausgeschmückt ward und deren
Fassade Clemens XII. durch Alessandro Galilei errichten Hess. (Be-
lege in den Annalen des I. Bandes meines Werkes unter den be-
treffenden Daten.)
i8q Die Bauten in Rom
Modell und Entwürfe.
Auf den alten Fundamenten sollte ein neuer Bau errichtet werden,
so lautete der Beschluss der Deputati. Welcher Art war dieser
ältere Plan, der nicht zur Ausführung gelangt war? In den Vite
des Jacopo Sansovino (VII, 498) und Antonio da San Gallos (V, 454)
giebt Vasari darüber ziemlich eingehende Auskunft.
In den letzten Lebensjahren Leos X. wird der Bau, der an Herr-
lichkeit, Grösse, Kosten, Schmuck und Gestalt alle anderen damals
entstehenden Nationalkirchen überbieten soll, beschlossen. Die Sorge
für ihn übernimmt der Konsul der Florentiner, Lodovico Capponi.
Raphael , Antonio da San Gallo , Peruzzi und Jacopo Sansovino
fertigen Entwürfe. Der Papst entscheidet sich für den Sansovinos:
einen Zentralbau mit vier Tribunen (Kuppeln) an den Ecken und
einer grösseren Kuppel in der Mitte (ähnlich wie der Plan in Serlios
II. Buch). Da durch die Strasse im Osten die Ausdehnung beengt
wird, beschliesst man im Westen die Fundamente in den Tiber vor-
zuschieben. Man gab für diesen unsinnigen Gedanken , eine so
grosse Kirche in einem so wilden Flusse fundiren zu wollen, 40000
Skudi aus (im Leben des San Gallo sagt Vasari: 12000). Bei der
Thätigkeit thut Sansovino einen Sturz und begiebt sich zur Er-
holung nach Florenz. Er überlässt die weiteren Fundamentirungs-
arbeiten Antonio da San Gallo, der sie in sehr schöner und fester
Weise ausführt und ein Modell von solcher Schönheit anfertigt,
dass die Kirche ,,stupendissima" geworden wäre (Zeichnungen in den
Uffizien, Vasari V, 483). Leos Tod veranlasst eine Unterbrechung
in der Thätigkeit, die unter Clemens VII. von Sansovino wieder auf-
genommen, dann aber durch den Sacco di Roma unterbrochen wird.
Die Fundamente waren mehrere Ellen hoch über das Wasser empor-
geführt. Mosca hatte für Antonio einige Kapitale, Basen und Friese,
auch Wappen, deren eines mit der florentinischen Lilie Vasari sehr
rühmt, gearbeitet.
Michelangelo hatte also, da er die alten Fundamente benutzen
musste, einen Entwurf zentraler Art zu machen , und wir erfahren
denn auch, dass das Modell eine Rotonda darstellte (Ritratto di
Roma moderna. Rom 1689, S. 248). Dies Modell befand sich in
dem Oratorio der Kirche. So sagt der ,, Ritratto" und Titi (Descri-
zione di Roma 1763, S. 422). Letzterer fügt hinzu: bis 1720; dann
sei es zu Grunde gegangen. Welche Angabe durch Bottari bestätigt
wird, der 1747 schreibt, er habe es vor 20 Jahren noch gesehen;
jetzt existire es nicht mehr (Fanfani: Spigol. Mich. S. 84 und 86).
Was aus den fünf Entwürfen geworden , wissen wir nicht. Ein
Grundriss und eine Zeichnung, welche die Fassade und den Schnitt
zeigt , wurde von J. von Sandrart in seiner Teutschen Akademie
S. Giovanni dei Fiorentini igl
I. Hauptth. I. Bd. Nr. 46 und 47, und von Marietti in seiner Vignola-
ausgabe, Amsterdam 1668 (PI. 4 und 16) gebracht, und von Leta-
rouilly im Textband zu seinen Edifices modernes S. 541 reproduzirt
(Grundriss der Giacomo della Porta'schen Längskirche in den Edi-
fices III, Fl. 255).
Jener Grundriss entspricht unseren Erwartungen und ist daher
nicht anzuzweifeln. Wir sehen einen Zentralbau mit vier runden
(etwas ovalen) Tribunen, deren jede fünf Wandnischen (für Altäre)
zeigt, an den Ecken in den Diagonalaxen. In den Hauptaxen
zwischen den Tribunen, etwas nach aussen vortretend, oblonge recht-
eckige Räume, an deren Schmalseiten je eine Wandnische ein-
gelassen ist ; drei von ihnen haben in der Mitte einen Eingang, die
vierte, der Chorraum, ist geschlossen. Die Mauern der Kapellen
verbreitern sich an den Ecken, wo dieTribuna ans Rechteck stösst, zu
Pfeilern, die, durch Nischen belebt und mit zwei Säulen belegt, die
Kuppel tragen.
Der Schnitt zeigt im unteren Geschosse toskanische Ordnung:
die Säulen und die in den Kapellen die Wände gliedernden Pilaster
stehen auf Sockeln. Das fortlaufende Gebälk dient als Kämpfer
für die Arkaden. Die Gewölbe sind Tonnen. Die Nischen haben
Rahmen mit Spitzgiebeln. Das zweite Geschoss, den Rhythmus der
grösseren und kleineren Intervalle fortsetzend, dient als Tambour.
Die Säulen vor den Pfeilern, Fenster mit oberer Lichtzufuhr ein-
schliessend, die Segmentgiebel tragen, sind jonisch. Das untere
Geschoss greift durch seine Arkaden, über denen oblonge Füllungen
angebracht sind, in den Tambour ein. Darüber erhebt sich die
genau halbrunde Kuppel ; ihre Gliederung in schmälere und breitere
Streifen entspricht derjenigen des unteren Geschosses und Tambours.
In den drei Zonen alterniren runde und rechteckige Füllungen.
Eine Laterne bekrönt das Ganze.
Das Äussere hat dorische Wandpilaster, im unteren Geschosse
Fenster mit geradem Gesims und Rahmung mit Ohren, im oberen
einfach gerahmte. Die Portale haben spitzen Giebel. Der Tam-
bour beginnt begreiflicher Weise in grösserer Höhe, über den
Arkaden und Tribunengewölben, und erhebt sich, durch ein Gesims
abgeschlossen und durch zwei Stufen darüber in die Kuppel über-
gehend, höher. Hierdurch erhält die verkürzte Kuppelform aussen
etwas breit Gedrücktes. Wie denn überhaupt das ganze Gebäude
etwas breit und schwerfällig sich Lagerndes hat.
Es fragt sich nun: ist dieser Entwurf, der Verwandtschaft mit
Serlios Zentralbauten nicht verkennen lässt, der definitiv zur Aus-
führung bestimmte.? Man wäre doch einigermaassen verwundert,
wenn auf ihn der Ausspruch Michelangelos, der, wie Vasari sagt,
sonst Dergleichen nie zu sagen pflegte, bezogen werden sollte:
l82 Die Bauten in Rom
,, weder Griechen noch Römer hätten ihm Gleiches geschaffen". Die
schöne Einheit der unteren und oberen Hälfte des Kuppelraumes
und die lebendig pulsirende Wirkung der rhythmischen Traveen seien,
so meint H. v. GeymüUer, die einzigen Elemente, welche etwa
Michelangelos hohe Befriedigung erklären könnten. Die Kuppel
erhebt sich gleichsam von unten, da alle Linien durchgeführt sind.
Es Hesse sich bestreiten, ob dies Motiv, das wir übrigens bereits in
der Capeila di S. Giovanni im Dom zu Siena am Anfang des
Jahrhunderts finden , ästhetisch sehr befriedigend gewirkt hätte —
ich finde hier Das, was einmal gelegentlich der Peterskuppel v. Gey-
müUer geistvoll als gothisches Element in Michelangelos Architektur
bezeichnet.
Wir müssen die Frage offen lassen, ob dieser Entwurf der zur
Ausführung bestimmte gewesen. Eine andere ist von GeymüUer
aufgeworfen worden. Er meint, die Einfachheit der Formen lege
die Vermuthung nahe, die Zeichnung sei nicht 1559, sondern schon
gelegentlich jener Konkurrenz zu Leos X. Lebzeiten angefertigt
worden. Auch zeige sie Verwandtschaft mit einem jener Entwürfe
für einen Zentralbau, die er auf das erste Stadium des Juliusdenkmals
bezieht und die ich als Entwürfe für S. Giovannino in Florenz be-
zeichnet habe (s. oben I, 475). Dies ist unzweifelhaft richtig, ja, ich
selbst habe längere Zeit geschwankt, ob nicht jene Grundrisse eines
Zentralbaues überhaupt für S. Giovanni dei Fiorentini angefertigt
wurden. Doch ist die Annahme unhaltbar, weil, wie ich nachwies,
gerade auf dem besonders in Frage kommenden Blatte (unsere
Nr. XXXVII der Medicizeichnungen s. oben I, S. 4/7) unleugbare Be-
ziehungen zu den Medicigräbern vorhanden sind. Und dann haben
wir in jenen Studien, welche eine Mittelstellung von Säulen zeigen,
offenbar Pläne für einen viel kleineren Bau, als es die riesige Kirche
in Rom werden sollte. (Nr. XXXIV dürfte übrigens gar nicht in
Betracht kommen, da die an S. Stefano erinnernde Grundrissanlage
nicht mit den Fundamenten von S. Giovanni dei Fiorentini in Ein-
klang gebracht werden könnte.) Die Wahrheit scheint mir Dieses
zu sein: Michelangelo hat im Jahre 1559 jene älteren
Entwürfe für einen Zentralbau sich wieder in Erinne-
rung gebracht und an einen derselben angeknüpft.
Jene Einfachheit aber scheint mir der Datirung des Entwurfes
in die späte Zeit des Meisters nicht zu widersprechen. Durch seine
Beschäftigung mit den Problemen von S. Peter ist er Architekt
geworden — in der früheren Zeit bleibt er immer der Bildhauer,
selbst dort wo er einfache Formen anwendet. Nie auch würde er
damals auf plastischen Schmuck verzichtet haben, wie er es hier in
auffallender Weise thut. Nirgends aussen mehr eine Nische für eine
Statue! Nur durch sich selbst, durch Verhältnisse und Kräfteaus-
S. Maria degli Angeli 183
druck soll die Architektur wirken. Und vielleicht war es gerade
das Bewusstsein solcher erreichten Klarheit und Bestimmtheit des
architektonischen Stiles, verbunden mit dem anderen, gewaltigste
Raumverhältnisse in Einfachheit zu gestalten, was ihn sein Werk
mit Stolz den grössten der Antike vergleichen liess.
ni
S. Maria degli Angeli
Zwei Grafen aus dem Hause Orsini, Niccolö und Napoleone,
sollen die Ersten gewesen sein, welche den Gedanken gehabt, in dem
Tepidario der Diokletianischen Thermen eine Kirche und für die
Karthäuser ein Kloster daneben zu begründen. Aber ihr Plan ver-
wirklichte sich nicht. In Jahre 1527 kam ein Priester Antonio del
Duca, Rettore der chiesa di Sant' Angelo in Palermo, nach Rom und
erreichte nach vielen Bemühungen die Einführung des besonderen
Kultus der sieben Engel, der durch die Auffindung eines Bildes
der sieben Engel in seiner Palermitaner Kirche entstanden war.
Der Kultus erhielt seine Stätte in den Thermen, wo jener Antonio
auch begraben worden ist. Am 5. August 1561 weihte Pius IV. die
Thermen der Maria (es war der Tag des Schneewunders) und den
Engeln, verlieh der Kirche den Kardinalstitel und siedelte die Kar-
thäuser aus S. Croce in Gerusalemme hier an. Der Papst liess ver-
schiedene Zeichnungen für die Umwandlung der antiken Kirche von
ausgezeichneten Architekten machen, wie Vasari erzählt, und gab
derjenigen Michelangelos, welcher für die Bedürfnisse der Kart-
häuser in schönster Weise Sorge trug und die vorhandenen Bau-
bestandteile mit feinem Urtheil verwerthete, den Vorzug. ,,So ent-
stand eine Kirche von grösster Schönheit mit einem Eingang, der
alle Ideen der Architektur übertraf, und der Meister trug grossen
Ruhm und Ehren davon." Zur Zeit als Vasari schrieb (gegen 1568),
hatten die Karthäuser den Bau (offenbar auch des Klosters) fast
vollendet. Für die Kirche entwarf Michelangelo im Auftrage des
Papstes ein Sakramentsciborium, welches von dem Sizilianer Jacopo
del Duca, vermuthlich einem Verwandten jenes Antonio, 1565 ,,zum
grossen Theile" in Bronze gegossen wurde, obgleich er nach des
Meisters Tode keine Aussicht hatte, es für die Kirche erwerben
zu sehen. (S. den Exkurs über das Ciborium weiter unten.)
Das Paviment wurde unter Gregor XIII ausgeführt. 1701 fertigte
auf ihm der Prälat Francesco Bianchini die Meridianlinie mit den
Zeichen des Zodiakus an. In der zweiten Hälfte des XVII. Jahr-
hunderts wurde unter Leitung des Padre Alessandro Montecatini
die Kirche restaurirt. Damals wurden die Öffnungen, welche den
184 ^is Bauten in Rom
Eingang zu den vier Kapellen bildeten, durch den Architekten
Orlandini zugemauert. (Nach Memoiren des Vanvitelli in der Aka-
demie von San Luca, zitirt von Letarouilly, S. 658.) Eine voll-
ständige Umgestaltung fand 1749 statt, als man dem Bau eine
Kapelle für den beato Niccolö Albergati hinzufügen vvoUte. Luigi
Vanvitelli veränderte den Plan, indem er das bisherige Michel-
angelo'sche Schiff zum Querschiff machte, worüber weiter unten
Näheres.
Der antike oblonge Raum des Tepidario mit seinen drei Kreuz-
gewölben, den Michelangelo für die Kirche herrichtete, hatte an
jeder Seite einen Raum vorliegen, in dessen einen Michelangelo
das Hauptportal, das er in reichem griechischen Geschmack aus
Travertin ausführte, verlegte und in dessen anderen er den Haupt-
altar versetzte. Vier vor die Wand tretende antike Syenitsäulen
tragen die drei grossen Querbögen. Die mittlere Travee öffnete
sich links in einen langen Korridor, an dessen Ende in einer halb-
runden Nische ein kleiner Altar der Madonna sich befand, rechts
in eine Rotunda (ähnlich wie die der benachbarten, gleichfalls in
den Thermen befindlichen Kirche S. Bernardo) , in welche die
meist benutzte Seitenthüre der Kirche führte. Die vier anderen
Wandfelder öffneten sich in vier Seitenräume, die von Michelangelo
roh gelassen wurden , aber als Kapellen ins Auge gefasst waren.
(Nach dem Abbate Titi.)
Die von Vanvitelli vorgenommene Veränderung bestand in
Folgendem. Das Hauptportal wurde zugemauert und hier der Altar
des beato Niccolö errichtet. Die Seitenthüre wurde zum Haupt-
eingang und der Altar der Madonna zum Hauptaltar gemacht, so
dass nun Rotunda, Mitteljoch und Korridor zum Längsschiff wurden,
das aber begreiflicher Weise unausgebildet und viel schmäler ist,
als der grossartige, zum Querschiff degradirte Raum. Die im nun-
mehrigen Längsschiff angebrachten Säulen wurden aus Backstein
aufgemauert und in Imitation von Granit bemalt, was zur Folge
hatte, dass auch die Syenitsäulen eine solche Bemalung erhielten.
Da es sich hier nur um die Adaptirung einer grandiosen antiken
Anlage handelte und das Portal verschwunden ist, kann von einer
Michelangelo'schen Architektur doch nur in sehr bedingter Weise
geredet werden. In der Gestaltung der vier Kompositsäulen (mittlere
Travee) und der vier korinthischen (in den Ecken), der entsprechen-
den Pilaster des sehr reichen und feinen Gebälkes und Gesimses
hat sich der Meister ganz an die Antike gehalten. Der Fries ist
mit Fruchtkränzen geschmückt (die an den Schmalseiten sind in
derberer, stärker reliefirter Weise offenbar von Vanvitelli nach dem
Muster der von Michelangelo an den Längswänden nachgebildet
worden).
Die Capeila Sforza in S. Maria maggiore ige
Bezüglich der Seitenräume, die von Vanvitelli zum Hauptschiff
gemacht wurden , ist Folgendes zu bemerken : die unmittelbar an
das grosse Michelangelo'sche Schiff anstossenden korridorartigen
Räume und die Rotunda, durch welche man heute eintritt, waren
schon in der Michelangelo'schen Anlage, erhielten ihre aufgemauerten
Säulen und die damit zusammenhängende Ausgestaltung aber erst
durch Vanvitelli. Auf die Zeit von Michelangelo (die Pilaster in
den Ecken !) weist die eine Kapelle der hl. Magdalena in der
Rotunda hin, die dann 1574 durch Gonsalvus Alberus, wie eine
Inschrift besagt, ausgeschmückt und mit Grabmälern seiner Familie
ausgestattet ward. In eben diesem Jahre 1574, also unter Gregor XIII.,
sind die vier Kapellen in den Korridorräumen angelegt worden: in
einer derselben befindet sich eine so datirte Inschrift. Die archi-
tektonische Einrahmung : Rundbogen zwischen jonischen Pilastern,
welche Spitzgiebel tragen, dürfte wohl von Giacomo della Porta
herrühren — und ebenso die ihr genau entsprechende Wand-
verkleidung in der Rotunda. 1574 also haben diese Räume ihre
Ausschmückung erhalten. —
Unabhängiger als in dem Kircheninnern tritt uns in der Riesen-
anlage des angränzenden Karthäuserklosterhofes mit seinen hundert
Travertinsäulen Michelangelos Architektur vor Augen, hat der Meister
auch, wie Letarouilly richtig bemerkt, für die Gesamtanlage die
Certosa bei Florenz als Vorbild benutzt. Auch für die Anordnung
der einzelnen Zellen mit ihren Gärten gilt dies. Nur ist jeder
Komplex einer Zelle etwas reicher gestaltet, indem von dem kleinen
Korridor aus eine kleine Loggia nach dem Garten sich öffnet.
Die Säulenordnung des Hofes ist toskanisch, die Gewölbe haben
Stichkappen. Das Attikageschoss zeigt abwechselnd breite vier-
eckige und ovale Fenster, um deren Rahmen die von oben herab-
steigenden Linien der Felderfüllung als äussere Begrenzung mit
Ohren an den vier Ecken sich herumziehen.
Die Thüren und kleinen Fenster der Zellen haben gleichfalls
Umrahmungen mit Ohren, die zwei aneinandergelehnte kleine
Voluten in sich schliessen. Das Kranzgesims, auf dem das Dach
unmittelbar aufsitzt, wird durch schlichte Pilaster getragen. (Abb. :
Grundriss der gesamten Anlage, Blick in den Hof und einige Zellen
bei Letarouilly III, 316 und 317.)
IV
Die Capeila Sforza in S. Maria maggiore
Vasari sagt : fece allogare a Tiberio (Calcagni), con suo ordine,
a Santa Maria maggiore una cappella cominciata per il cardinale
l85 Die Bauten in Rom
di Santa Fiore, lestata imperfetta per la morte di quel cardinale,
e di Michelagnolo e di Tiberio, che fu di quel giovane grandissimo
danno.
Der Kardinal war Ascanio Guido Sforza, camerlingo di Santa
Chiesa. Vollendet wurde die Kapelle — es ist die zweite im linken
Seitenschiff, jetzt Pallavicini-Sforza genannt — durch Giacomo della
Porta. Sie genoss im XVII. Jahrhundert als Schöpfung Michelangelos
eine grosse Berühmtheit, solange nämlich ihre Fassade erhalten war.
Joachim von Sandrart im „Anderen Theil des grossen Schauplatzes
von dem alten und neuen Rom", 1694, bildete ihren Prospekt und
eine Seite ab. (II, Tav. IX u. X.) Vgl. auch P. de Angelis : Basi-
licae S. M. Majoris descriptio et delineatio, Rom 1621.
Bottari in einem Briefe (Fanfani: Spigol. 90 f) schreibt 1748:
sie sei nicht aus Marmor, sondern aus Travertin und zeige „una
semplicitä magnifica, una novitä bizzara, un grande, un terribile ■ —
sembra un' idea astratta e figurata col pensiero o veduta in sogno".
Sie sei aber vernachlässigt, weil die zwei anderen reich aus-
geschmückten Kapellen Sixtus' V. und Pauls V. den Blick auf sich
zögen. Die „superbissima facciata d'una maestä e sodezza am-
mirabile" mit einer „cancellata di ferro" wolle man jetzt bei der
Restauration wegnehmen, weil sie die Symmetrie der Kirche störe.
Kurze Zeit darauf, im Juni, ist diese Barbarei wirklich geschehen.
Bottari berichtet es am 20. Juli (a. a. O. S. 95) und sagt, er habe
vorher eine Zeichnung mit Maassangaben anfertigen lassen.
Dachte Michelangelo, als er sein Grabmal für S. Maria maggiore
bestimmte und hierfür die Pietä ausführte (Vasari VI, 189), an
diese Kapelle.''
Die Anlage ist eine seltsame. Der Hauptraum besteht aus
einem kuppligen Gewölbe, das von vier schräggestellten, antikischen
Kompositsäulen getragen wird. Links und rechts schliesst sich in
flacher, segmentförmiger Rundung je eine Art Apsis an, und zwar
nicht in der Breite der Säulendistanz, sondern breiter: zwischen
der Vierungssäule und dem seitlichen Apsisabschluss tritt in die
Ecke vermittelnd eine Säule. Zwei Pilaster gliedern die Wand
der Apsis, die mit segmentförmigem Gewölbe versehen ist. Der
viereckige Chor ist mit einem Tonnengewölbe bedeckt. Die Mittel-
fenster der Apsiden zeigen Michelangeleske Formen : nach unten
sich verbreiternd (und zwar stärker wie in der Sakristei von
S. Lorenzo) sind sie mit einem Segmentgiebel, der einen spitzen
in sich schliesst, abgeschlossen. Der Spitzgiebel steht auf, dem
Rahmen entsprechend, schräg gestellten Konsolen mit seltsam ge-
formtem Zahnschnitt und Tropfen und ist mit einer geflügelten
Maske geschmückt. In den Apsiden befinden sich die Grabdenk-
mäler der Guido Ascanio Sforza und des Alessandro Sforza. Die
Die Kirche del Gesü — Dem Meister zugeschriebene kirchliche Bauten 187
Inschriften belehren uns darüber, dass Guido zu seinen Lebzeiten
(vor 1564) die Kapelle zu bauen begann und Alexander sie 1573
vollendete und ausschmückte.
Sie lauten :
Guido Ascanius Sfortia Diacon. card. S. Florae S. R. E.
Camerarius hujus basilicae archipresbyter sacellum hoc pietatis suae
monumentum a se dum viveret inchoatum moriens legata haeredibus
pecunia absolvi testamento jussit Anno MDLXIV.
Alexander Sfortia S. R. E. Presbyter Card, hujus basilicae
archipresbyter sacellum a Guidone Ascanio fratre inchoatum divisque
Florae et Lucillae gentis suae patronis a se dicatum bonis ad sacra
facienda auxit ornavitque anno MDLXXIII.
Die bizarre, wenig glückliche Anlage des Ganzen dürfte dem-
nach wohl auf Skizzen Michelangelos zurückgehen. Ich mache
darauf aufmerksam, dass in dem einen Entwurf für S. Giovannino
in Florenz (s. oben I, S. 477 Nr. XXXVI) eine ähnliche seltsame
Form der Apsiden geplant ist: Zeichnung der Casa Buonarroti
LV, 120.
V
Die Kirche del Gesü
Wir verdanken Klaczko (Jules II, S. ^37, A. 2) den Hinweis
auf einen Brief Loyolas an den Grafen de Melito vom 21. Juli
1554, in dem berichtet wird, dass Michelangelo die Oberleitung
des beabsichtigten Baues von Gesü, der freilich dann erst 1 568 von
Vignola begonnen wurde, übernehmen wolle.
Die Stelle lautet: ,,La iglesia ira ahora mas adelante ...
tomando cargo de la obra el mas celebre hombre che por acä se
sabe , que es Michel-Ange (que tambien tene la de San Pedro),
y por devocion sola, sin interes alguno se emplea en ella. (Cartas
de San Ignacio de Loyola; Madrid 1874 ff. IV, p. 228. 229.)
VI
Einige dem Meister zugeschriebene kirchliche Bauten
I. Die Cappella Strozzi in S. Andrea della Valle.
Es ist die zweite rechts , welche in reicher Wandverkleidung an
der Altarwand die Bronzekopien der Pietä und der Rahel und Lea
(am Juliusdenkmal) zeigt. Joachim von Sandrart im ,, Anderen
Theil des grossen Schauplatzes von Rom" (II, Tav. IV u. V) hat
den Prospekt und eine Seite der Kapelle abgebildet. Filippo Titi
sagt, man glaube mit Recht, dass sie nach einer Zeichnung Michel-
l88 Die Bauten in Rom
angelos angefertigt sei. v. Ramdohr (III, 254) äussert sich begeistert
über sie.
In der That zeichnet sich die gesamte architektonische Aus-
schmückung durch grosse Feinheit, Geschmack und edles Marmor-
material aus. Die Altarwand und die beiden Seitenwände haben
die gleiche reiche Gliederung — nur zeigt sich an der Altarwand
eine mittlere Bekrönung durch einen spitzen Giebel — erhalten.
Über einem hohen Sockel, vor dem an den Seitenwänden je zwei
Sarkophage stehen, erheben sich vier schön gebildete, kannelUrte
Kompositsäulen, die zierlich und fein geformtes Architrav, Fries
und Gesims tragen und ein etwas breiteres Mittelfeld und schmale
Seitenfelder einschliessen. Auf dem Gesims als Abschluss vier
Michelangeleske Volutenkonsolen. In der Lunette darüber das
Wappen der Strozzi. Die Sarkophage aus schwarzem Marmor haben
die Form der Mediceischen. An der Altarwand sind in der Mitte
die Pietä, seitlich Rahel und Lea in Bronzekopien angebracht, über
letzteren zwei Reliefs : die Kreuzabnahme und Christus im Limbus.
Der Altar, aus weissem Marmor, ist schwer in der Form, die an
einen Sarkophag erinnert.
In den Sarkophagen bestattet sind die Söhne des Filippo
Strozzi: Roberto, Pietro (Marschall Heinrichs IL), Lorenzo Kardinal
und Leo.
In der Kapelle auf dem Boden aufgestellt sind zwei prachtvolle
Bronzekandelaber.
Die Pietät und Bewunderung der Strozzi für den grossen
Künstler, welcher der Freund ihres Hauses war, hat hier ein rühren-
des Zeugniss gefunden. Sie wollten im Tode von Gestalten und
Formen Michelangelos umgeben sein. Es wäre von Interesse zu
erfahren , wem sie den Auftrag gaben , diese Komposition aus
Motiven und Reminiscenzen von Dessen Kunst zu schaffen und wer
sich dieser Aufgabe mit solchem Geschick entledigte.
2. Die Kirche S. Anna de' Palafrenieri. Sie wurde
1575 von Giacinto Barozzi nach einer Zeichnung seines Vaters
Giacomo erbaut. ,, Viele aber sagen, sie sei von Michelangelo ent-
worfen worden."
3. DieOrnamente in der Cappella Cesi in S.Maria
della Pace.
Es ist die zweite Kapelle rechts, welche an die mit Raphaels
Sibyllen verzierte sich anschliesst. Kein Anderer als Goethe
spricht angesichts der Ornamente dieses Raumes von Michelangelo.
(Ital. Reise. II. röm. Aufenthalt, Dez.) „Die zwote Kapelle ist nach
des Michael Angelo Zeichnungen mit Arabesken geziert, die hoch
geschätzt werden, aber nicht simpel genug sind." Sie rühren von
Simone Mosca her.
Einige dem Meister zugeschriebene kirchliche Bauten igo
4. Der Brunnen im Garten von S. Susanna. Von
diesem weiss Titi Folgendes zu berichten : nel fondo del giardino
di questo monastero e una cisterna, la cui sponda e tutta di marmo
adorna di pilastri, che reggono un architrave, e dalle scritture di
esso monastero si raccoglie, che e opera del Buonarroti non solo
quanto al disegno, ma anche quanto all' esecuzione e al lavoro.
Da das Werk nicht mehr erhalten und mir keine Abbildungen
bekannt geworden sind , vermag ich mir kein Urtheil zu bilden.
5. S. Maria de 11' Orto. Der Bau dieser Kirche wird von
Martinello (Roma la etica sacra 1653 S. 219) willkürlich Michel-
angelo zugeschrieben. Bei Sandrart: Deutsche Ak. (I. Hauptt.
I. Band Tav. 65) werden als Architekten Martino Longo senior und
Giacomo della Porta genannt. Filippo Titi lässt sie von Giulio
Romano bauen ; die Fassade sei von Longo , der Hochaltar
von Porta.
6. Die Holzdecke des Hauptschiffes von S. Gio-
vanni in Lateran o. Sie wurde von Pius IV. gestiftet und ist von
den Einen Michelangelo , von Anderen dem Giacomo della Porta
zugeschrieben worden.
Sie zerfällt in drei Hauptabtheilungen, deren Mittelfelder (vom
Ouerschiff an gezählt) die Wappen Pius' V., Plus' IV. und Pius' VI.
enthalten. Die Hauptbalken sind alle mit Doppelmäander, die
Rahmungen der vertieften Felder sehr reich und schön mit Konsolen,
Flechtband , Perlenschnur und Sima verziert. Am reichsten die
grossen Felder der Mitte , deren Rahmenstreifen Masken , Putten
und Festons zeigt. Jede Hauptabtheilung enthält ein oblonges
Mittelfeld (mit dem Wappen), das von vier grossen Eck- und vier
kreuzförmig angelegten kleineren Mittelfeldern umgeben ist. Die-
selben sind mit den Leidenswerkzeugen und kirchlichen Utensilien
in Relief geschmückt. Zwischen den Hauptabtheilungen befindet
sich ein Streifen mit drei Feldern , welche gleiche Embleme auf-
weisen. Der Grund der Felder ist abwechselnd blau , roth und
grün ; die Reliefdarstellungen sind golden. Für die Zuschreibung
der Decke an Michelangelo giebt es keinen Anhalt.
igo
Die Bauten in Rom
B. Profanbauten
I
Das Kapitol
Geschichtliches.
Emsiger Forschung verdanken wir eine genaue Kenntniss der
Geschichte des Kapitols auch in der neueren Zeit. Grundlegend
wurde der Aufsatz von A. Michaelis: Michelangelos Plan zum Kapitol
(Zeitschrift f bild. Kunst 189 1, N. F. II, S. 184 ff.). Es folgten Christian
Hülsens „Bilder aus der Geschichte des Kapitols", Rom 1899 und
das Werk E. Rodocanachis : Le Capitole romain , Paris 1904. Ich
darf, auf diese Arbeiten verweisend, mich auf die kurze Erwähnung
der Hauptthatsachen beschränken.
Im Anfang des XVI. Jahrhunderts zeigt der Senatorenpalast
noch die vier ungleichen Eckthürme, einen hohen Campanile, an
der Fassade rechts eine Loggia (lovium) in zwei Etagen , zu der
eine gerade Treppe hinaufführt, links eine an die Mauer sich an-
lehnende unvollendete Treppe über drei Wölbungen. Der Konser-
vatorenpalast , vernachlässigten Eindruck machend , enf hält rund-
bogige Arkaden im Erdgeschoss, unter denen der Kolossalkopf
Domitians aufgestellt ist und deren mittlerer Eingang durch zwei
Flussgötter flankirt wird (Zeichnungen von Heemskerk. Michaelis
S. 685, Fig. I und 2. Rodocanachi S. 60, Fig. 22; S. 35, Fig. 9).
Links die Kirche S. Maria in Araceli, zu deren Querschiff eine
breite Treppe führt; rechts von dieser der Obelisk. (Heemskerk.
Michaelis S. 187, Fig. 3. Rodocanachi S. 31, Fig. 6). 1520 ordnete
der Senator Pietro Squarcialupi Arbeiten am Konservatorenpalast
an, die, in einer Wiederherstellung der Arkaden und in der Anlage
einer Reihe gleichmässiger Fenster mit geraden Gesimsen bestehend,
uns durch den Stich des Hier. Kock von 1562 (Abb. Michaelis S. 189,
Fig. 5. Rodocanachi S. 63, Fig. 24) bekannt sind.
Karls V. Besuch in Rom 1536 veranlasst Pläne einer Ver-
schönerung des Platzes , mit dessen durch Jahrzehnte sich hin-
ziehenden Ausgestaltung und Ausschmückung man damals beginnt.
Offenbar wird Michelangelos Gutachten eingefordert. Am l O. Dezember
1537 erhält er das Römische Bürgerrecht. Trotz des Einspruches,
den das Kapitel der Lateranskirche erhebt (28. November 1537
und 9. Januar 1538), wird im Frühjahr 1538 die Reiterstatue des
Marc Aurel vom Lateransplatz überführt und das Material für ihr Posta-
Das Kapitol 191
ment dem Forum Trajans entnommen. Ein Theil der Kosten wird
vom Consiglio comunale aufgebracht; der Beschluss vom 22,. März
1538 besagt: quod dicta summa erogari debeat in reformatione
Statue M. Antonii in platea Capitolii secundum Judicium
Michaelis Angeli sculptoris.
Nicht die Kleriker allein, auch Michelangelo war gegen die
Übertragung der Statue. Diese interessante Thatsache erfahren wir
aus einem Briefe des Giovan Maria della Porta an den Herzog
Francesco Maria von Urbino, den Georg Gronau publizirt hat (Bei-
heft zum Jahrb. d. k. pr. Kunsts. XXVII, S. 9) : Michelangelo con-
trastö assai, per quanto lui mi dice, che questo cavallo non se
levasse, parendogli che '1 stesse meglio dove l'era, et che se lui
non havesse tanto disuaso il Papa che S. Sta. voleva similmente
levare gli dui cavalli e statue di Montecavallo. Hiernach scheint
es, dass Paul III. auch die letzteren auf das Kapitol bringen wollte,
wohin statt ihrer später das andere Paar der Dioskuren kam.
Übrigens heisst es in diesem Briefe : Porta habe ,,cautamente a chi
ha cura di farvi la nova basa" empfohlen , die alte Inschrift
Sixtus' IV. wieder anzubringen. Diese Umschreibung — kurz
darauf wird Michelangelo genannt — zeigt, dass Dieser nicht
der Verfertiger d es Postament es gewesen ist: er scheint
höchstens allgemeine Bestimmungen darüber getroffen zu haben.
Hat er damals schon Pläne für die Gesamtgestaltung desKapitols
gemacht.? Dies wissen wir nicht. 1541 und 1542 werden Repara-
turen im Senatorenpalast vorgenommen. Mangel an Geld nöthigt,
von Neubauten abzusehen und sich bloss auf die Verschönerung
des Platzes zu beschränken. 1543 werden Mittel beschafft für die
Via Capitolina. Nach Aussagen des später bei der Bauleitung be-
schäftigten Prospero Boccapaduli, der 1568 die ganze Bauzeit auf
22 Jahre angiebt, beginnt man mit dem Neubau 1546 (M. Ubaldo
Bicci : Notizie della Famiglia Boccapaduli. Rom 1762, S. 131). Und
für Diesen fertigt Michelangelo damals sicher die Entwürfe an, denn
Vasari sagt im Leben des Aristotele da San Gallo (VI, S. 449),
der Meister habe beabsichtigt sich seiner ,,bei dem Bau , den die
Römer auf dem Kapitol auszuRihren gedenken", zu bedienen, aber
Aristotele sei damals nach Florenz zurückgekehrt — und diese Rück-
kehr fand 1547 statt!
Das Erste, was geschieht, ist eine Umwandlung der Fassade
des Senatorenpalastes. Die Loggia rechts und die Treppe wird
entfernt. Die Mitteltreppe mit dem Mittelportal wird errichtet und
durch die beiden Flussgötter geschmückt. Deren Erwähnung durch
Aldovrandi (1550) beweist, dass diese Neuerungen Ende der vier-
ziger Jahre vorgenommen wurden. Des Hieronymus Kock Stich
von 1562 giebt, wie Michaelis richtig bemerkt, eine ältere Zeich-
192
Die Bauten in Rom
nung des Zustandes vor i 547 wieder : die ältere Anlage einer halben
Treppe, die hier sichtbar (bereits mit dem einen Flussgott), musste
der neueren weichen. Zwischen 1550 und 1555 wurden die breiten
Treppen nach Araceli und nach dem tarpejischen Felsen durch Vi-
gnola neu gebaut und mit Loggien bekrönt. Nach 1555 aber war,
wie ein Stadtplan aus diesem Jahre (Abb. Letarouilly Text S. 720)
zeigt, der Platz nach Norden zu in noch keiner Weise gestaltet.
Prospero Boccapaduli erhielt 1555 die Aufsicht über die Bauten des
Kapitols, aber es fehlte an Geld, und andere Ämter, zumTheil ausser-
halb Roms, hielten ihn von dieser Aufgabe ferne. Erst 1 560 unter
Pius IV, beginnt regeres Leben. 1561 müssen die Consiglieri auf
Geldbeschaffung bedacht sein. In den folgenden Jahren wird der
Platz durch Balustraden abgeschlossen (Gamucci: Antichitä della
cittä di Roma 1565) und der breite Hauptaufgang wird geschaffen.
1563 hatte ein Architekt Guidetti es übernommen, Michelangelos
Pläne auszuführen , doch erfahren wir Nichts von seiner Thätigkeit
(Bicci a. a. O. S. 114, 132, Anm. a).
Als Michelangelo starb, war ausser der Treppe am Senatoren-
palast also noch Nichts von seinem Plan der Paläste verwirklicht.
Ein Stich in Lafreris Speculum von 1565 zeigt uns den Senatoren-
palast und den der Konservatoren noch unverändert. Links nach
Araceli zu wird der Platz durch eine Mauer abgeschlossen (Abb.
Michaelis S. 191, Fig. 6, Letarouilly S. 721. Rodonachi S.93, Fig.40).
In demselben Jahre aber erhalten Boccapaduli und Tommaso Cava-
lieri den Auftrag, des Meisters Plan auszuführen (Bicci S. 114, 129).
1 568 , als Vasari schrieb , wurde am Konservatorenpalast noch
gebaut: zwei Inschriften wurden zu Seiten des Hauptportales ein-
gelassen:
S. P. Q. R. Majorum suorum praestantiam ut animo sie re
quantum licuit imitatus deformatum injuria temporum Capitolium
restituit Prospere Buccapadulio Thoma Cavalerio Curatoribus Anno
post urbem conditam CXD CXD CCCXX.
S. P. Q. R. Capitolium praecipue Jovi olim commendatum nunc
Deo vero cunctarum bonorum auctori Jesu Christo cum salute
comuni supplex tuendum tradit Anno post salutis initium MDLXVIII.
Ein Jahr später 1569 wurde von Lafreri in seinem Speculum
mahnend Michelangelos gesamter Entwurf in einem Stiche Du
Perracs veröffentlicht. PiusV. schenkt dreissig Statuen zum Schmucke
der Bauten aus der Statuensammlung, die Pius IV. im Vatikan ver-
einigt hatte. Sie wurden aber zum Theil in das Innere gebracht.
Unter Gregor XIII. wird fleissig weiter gearbeitet. Als Architekten
sind Giacomo della Porta und Martino Lunghi thätig, deren Zeich-
nungen zur grossen Aufgangstreppe den Sieg über Entwürfe vieler
anderer Baumeister davongetragen hatten. i577 wird die Nivel-
Das Kapitol I93
lirung des Platzes vorgenommen. Zwischen 1578 und 1580 wird
nach Entwurf Lunghis der alte Thurm des Senatorenpalastes, und
zwar mit doppelten Geschossen errichtet. Die Nische an der Treppe
erhält 1582, statt des Jupiters, den Michelangelo geplant, eine Statue
der Minerva, an deren Stelle dann 1592 eine kleinere derselben
Göttin kam. 1583, nachdem schon unter Plus IV. die zwei bei
S. Maria sopra Minerva gefundenen Sphingen (jetzt durch Kopien
ersetzt) auf die Treppe gebracht worden waren, wurden die beiden
Dioskuren, die beim Ghetto entdeckt wurden, aufgestellt ; 1584 der
alte Meilenzeiger von der Via Appia. 1588 ordnet der Architekt
Matteo di Castello die Brunnenschale zwischen den beiden Flüssen
an. 1 590 erhalten die Trophäen des Marius ihre Aufstellung. Unter
Clemens VIII. wird 1592 bis 1598 nach den Plänen Giacomos della
Porta durch den Architekten Girolamo Rinaldi die Umwandlung des
Senatorenpalastes vorgenommen (Passeri: Vite de' pittori, 17/2,
S. 272): Inschrift über der Hauptthür (Forcella I, 104). Giacomo
del Duca vergrössert das Mittelfenster am Konservatorenpalast
(Baglione). 1594 wird der Marforio an der Mauer nach AraceU zu
in einer von Porta gestalteten Brunnennische angebracht (Abb.
Andrea della Vaccaria: Ornamenti e fabbriche di Roma, 1600,
Taf. 15. Stich Marcuccis von 1625 bei Michaelis S. 102, Fig. 8).
Unter Clemens VIII. werden auch die Fundamente zum dritten
Palast, den aber erst Innocenz X. 1644 durch den betagten Rinaldi
nach dem Muster des Konservatorenpalastes ausführen Hess , ge-
legt (Passeri S. 272. Justi: Velasquez II, 194). Vollendet hat ihn
Alexander VII. Die Statuen des Konstantin und Konstanzius
wurden 1653 von der Aracelitreppe auf die Haupttreppe übergeführt.
1692 erhielt der Meilenzeiger sein Gegenstück. 1709 ward die
grosse Strasse zum Forum angelegt.
MichelangelosEntwurf
Der Kapitolplatz mit seinen Gebäuden ist des Meisters Schöpfung.
Etienne du Peracs Stich vom Jahre 1569, welcher die Bezeichnung
trägt: Capitolii Sciographia ex ipso exemplari Michaelis Angeli
Bonaroti a Stephano du Perac Parisiensi accurate delineata et in
lucem aedita. Romae anno salutis MDLXIX, lässt keinen Zweifel
darüber (Abb. Michaelis S. 188, Fig. 4. Rodocanachi S. 64, Fig. 25).
In allem Wesentlichen haben sich Giacomo della Porta und Dessen
Nachfolger an Michelangelos Zeichnung gehalten. Die Abweichungen
von derselben beschränken sich auf Folgendes.
I. Der niedrige eingeschossige Thurm des Senatorenpalastes
mit den einfachen Pilastern in den Ecken ist in einen höheren,
zweigeschossigen mit gekuppelten Pilastern umgewandelt
worden.
%* 13
194
Die Bauten in Rom
2. An die Stelle der grossen Fenster im oberen Gcschoss des
Senatorenpalastes, welche von Michelangelo in gleicher Grösse
und Form , wie die unteren , geplant waren , sind kleine vier-
eckige gesetzt worden.
3. Die Fenster wurden reicher gerahmt und die Balustraden vor
ihnen weggelassen.
4. Die von einem Balkon mit Statuen bekrönte kleine Säulen-
vorhalle auf dem Mittelpodest der Treppe des Palastes wurde
weggelassen. An ihre Stelle trat ein grosses Portal und an
die des oberen Fensters daselbst eine Inschrifttafel.
5. Die Statuen auf den Balustraden der Treppen wurden nicht
aufgestellt.
6. Nicht Jupiter, sondern Minerva, und zwar bei der späteren
Vertauschung die kleine, als Roma bezeichnete, wurde in der
Mittelnische angebracht.
7. An Stelle der einfachen kleinen Fenster im Erdgeschoss wurden
grössere verzierte gegeben.
8. Vor der Nische wurde eine, von Michelangelo nicht angegebene
Brunnenschale aufgestellt.
9. Im Konservatorenpalast wurde — offenbar aus Lichtbedürf-
nissen des Inneren — ein breites Mittelfenster angeordnet.
10. Die Dioskuren am Ende der grossen Treppe sind von Michel-
angelo in Seitenansicht gegeben. Offenbar dachte er damals
doch an eine Übertragung der Gruppen vom Montecavallo,
so bedenklich diese auch für den Marc Aurel geworden wäre.
Die später angebrachten Gruppen sind in Vorderansicht auf-
gestellt.
11. Im Übrigen hat er auf der Balustrade nur die zwei Kaiser-
statuen anbringen wollen. Man verwirklichte bei deren Über-
führung später seinen Gedanken.
Dass bei dem Bau des Konservatorenpalastes der ältere Bau
benutzt wurde und die schräge Anordnung auf diesen zurückzuführen
ist, hat Michaelis nachgewiesen. BezügUch des Postamentes des
Marc Aurel verweise ich auf das oben Gesagte. Giovan Maria della
Porta deutet auf einen anderen Verfertiger hin ; und so hat die von
Bottari bekämpfte Angabe Sovranis (Vite dei pittori genovesi
S. 55): Leonardo Sormani habe das Piedestal ausgeführt, doch viel-
leicht Recht (Bottari 1748 bei Fanfani : Spig. S. 93).
Zeichnungen des Meisters für Einzelheiten sind nicht nach-
zuweisen. Zwei unter seinem Namen im Stuttgarter Kupferstich-
kabinet befindliche Kapitälstudien sind offenbar nach den jonischen
Kapitalen im Erdgeschoss des Konservatorenpalastes angefertigt.
Von älteren Aufnahmen nenne ich die bei Daviler (Cours
d'Architecturel, S. 284 ff. Details: Fenster, Thüren, Jonisches Kapital,
Der Palazzo Farnese 195
Profil und Aufriss des Konservatorenpalastes), Joachim von Sandrart
(Deutsche Akad. IL, I. Haupttheil , IL Band, Taf. XXXII und
XXXIII) und Pietro Ferrerio (Palazzi di Roma. Ohne Ort und
Datum. Prospekt). Man vgl. Letarouilly III, Taf. 352 — 354 und
Strack: Baudenkmäler Roms, Bl. 63 — 67.
n
Der Palazzo Farnese
Geschichtliches.
Im Jahre 1493 kaufte Alessandro Farnese, der damals Kardinal
wurde, das grosse Terrain am Campo de' fiori, auf dem Antonio
da San Gallo wahrscheinlich schon vor 1 5 1 1 für ihn baute (Fernand
de Navenne: les origines du palais Farnese. Revue des deux mondes
t. 131, sept. 1895, P- 352- G. Clausse: Les San Gallo, Paris, II,
^'] — 103). 15 15 erhielt der Kardinal das Recht, aus S. Lorenzo
fuori le mura Material: Kapitale, Säulen, Ornamente zu entführen.
Über Plan und Fortschritte des Baues sind wir nicht näher unter-
richtet. Als Alessandro im Jahre 1534 Papst wurde, war ein Theil
des ersten Geschosses (primo finestrato) der Fassade, der Saal innen
und eine Seite des Hofes begonnen; damals entschloss sich Antonio,
die Anlage zu vergrössern, ,, einen Papstpalast statt eines Kardinal-
palastes" zu machen. Einige benachbarte Häuser wurden nieder-
gerissen, die alten Treppen in sanfter ansteigende verwandelt, der
Hof nach allen Seiten verbreitert , grössere Säle und zahlreichere
Zimmer, die reich mit Holzschnitzereien ausgeschmückt wurden,
angelegt. Für einige Arbeiten verwerthete Antonio die Dekorations-
kunst Moscas (Vasari VI, 298). Über Antonios Zeichnungen, auf
die ich nicht näher eingehe, vergleiche das zitirte Werk von Clausse
und Ferri: Indice Geografico-analitico dei disegni di Architettura
nella r. Gall. d. Uffizi, Florenz. Ende 1545 war die Fassade bis
zum Kranzgesims gediehen ; da forderte Paul III. , der dieses be-
sonders schön und reich wünschte, vermuthlich mit dem Entwürfe
Antonios unzufrieden und durch ein abfälliges, uns erhaltenes Gut-
achten, das er sich offenbar von Michelangelo erbeten, bestärkt,
die besten Architekten in Rom auf, Entwürfe zu machen. Der
beste sollte dann von Antonio ausgeführt werden. „Und so eines
Morgens (Ende 1 545 oder Anfang 1 546), als er im Belvedere früh-
stückte, wurden in Anwesenheit Antonios alle die Zeichnungen vor
ihn gebracht; sie waren ausgeführt von Perino del Vaga, Fra
Bastiano del Piombo, Michclagnolo und Giorgio Vasari, der damals
ein Jüngling war und dem Kardinal Farnese diente, in Dessen und
des Papstes Auftrag er nicht allein eine, sondern zwei verschiedene
Iq6 Die Bauten in Rom
Zeichnungen für das Gesims gemacht hatte. In Wahrheit brachte
Buonarroti übrigens die seine nicht selbst, sondern sandte sie
durch Giorgio Vasari , dem er sie übergab , als er kam, ihm seine
Zeichnungen zu zeigen und seine freundschaftliche Meinung zu er-
bitten. Vasari erhielt den Auftrag, dem Papst den Entwurf zu über-
bringen und Michelangelos persönliches Fernbleiben damit zu ent-
schuldigen , dass er sich nicht wohl fühle. Seine Heiligkeit be-
trachtete alle ihm präsentirten Zeichnungen lange und lobte sie als
geistreich und sehr schön ; aber die des göttlichen Michelangelo
über alle."
Es war eine schwere Kränkung für Antonio, als Michelangelo
daraufhin beauftragt wurde , ein Modell des Kran^gesimses zu
machen, das, in der natürlichen Grösse von sechs Ellen, auf einer
Ecke des Palastes aufgestellt, die Bewunderung des Papstes und
aller Römer erregte. Am 3. Oktober desselben Jahres 1546 starb
San Gallo und Michelangelo wurde an seiner Stelle Architekt des
Palastes. Er vollendete 1 547 das Kranzgesims , das von Nanni
di Baccio schlecht gemacht ward (14. Mai). Vasari nennt es das
schönste und belebteste aller , die man je gesehen , antiker oder
moderner. Über die von Michelangelo ausgeführten Arbeiten, die
1549 von Bartolommeo Baronino geleitet wurden (A. Bertolotti:
Artisti subalpini in Roma, 1884, S. 30), äussert sich Vasari
wie folgt.
,,Er machte über dem Hauptportal des Palastes das grosse
Fenster mit schönsten gesprenkelten Säulen und mit einem grossen,
sehr schönem Wappen Pauls III. in buntem Marmor. Im Innern fuhr
er in dem von Antonio Begonnenen fort, indem er über der ersten Ord-
nung im Hofe die anderen zwei mit den schönsten verschiedenartigen,
anmuthigen Fenstern , Ornamenten und Kranzgesims , die man je
gesehen, ausführte; so dass dank dem Geist und den Bemühungen
dieses Mannes der Hof der schönste von ganz Europa geworden.
Er verbreiterte und vergrösserte den grossen Saal und ordnete das
Vestibül davor an, dessen Gewölbe er in lebendig neuer Art in
Form eines halben Eirund ausführen liess ; und da in jenem Jahre
( 1 546) in den Antonianischen Thermen eine Marmorgruppe, in der
Grösse von sieben Ellen auf jeder Seite, aufgefunden worden war,
welche, von antiker Hand gemeisselt, Herkules darstellt wie er, von
einem Anderen unterstützt und rings am Berge von verschiedenen
Gestalten, von Hirten, Nymphen und Thieren umgeben, den Stier
bei den Hörnern fasst — ein Werk von ausserordentlicher Schönheit,
denn es zeigt vollkommene Gestalten ohne Anstückelung aus einem
Marmorblock gebildet, und war, wie man urtheilt, für einen Brunnen
bestimmt — so gab Michelangelo den Rath, man solle es in den
zweiten Hof bringen und dort so wiederherstellen, dass es Wasser
Der Palazzo Farnese 107
ausströme, welcher Gedanke Zustimmung fand. Und so haben es
jene Herren Farnese sorgfältig für diese Bestimmung seither restau-
riren lassen. Michelangelo aber ordnete an, dass man in der Axe
des Palastes eine Brücke über den Tiber bauen solle , um vom
Palaste aus nach Trastevere zu einem andern Palast und Garten
der Farnese gehen zu können und in gerader Linie vom Haupt-
portal am Campo di fiore mit einem Blicke den Hof, den Brunnen,
die strada Julia , die Brücke , die Schönheit des anderen Gartens
bis hin zum anderen Thore, welches auf die Strasse von Trastevere
mündet, zu gewahren. Eine Anlage seltener Art, würdig jenes
Papstes und würdig des Talentes, Urtheiles und der Kunst Michel-
angelos." Dem Fra Guglielmo della Porta verschaffte er den Auf-
trag der Wiederherstellung jener antiken Gruppe ; derselbe Künstler
restaurirte auch den Herkules Farnese, und zwar nach Michelangelos
Urtheil so glücklich, dass, als 1560 die antiken Beine der Statue
aufgefunden wurden , man die von Guglielmo ergänzten neuen an
der Figur liess.
An anderer Stelle (I, 123) bemerkt Vasari, dass Michelangelo
die dekorativen Elemente im Cortile : Fenster, Masken, Konsolen
und die sonstigen ,,Bizarrerieen" aus Travertin habe anfertigen lassen,
der wie Marmor bearbeitet worden sei. Das Staunenswertheste
aber sei das grosse Kranzgesims der vorderen Fassade des Palastes,
dem an Schönheit und Vornehmheit Nichts an die Seite zu
stellen sei.
Nach Michelangelos Tode hat Vignola, der von dem Meister
schon am Bau beschäftigt worden war , die Arbeiten fortgeführt
und Giacomo della Porta den Mitteltheil der hinteren Fassade mit
den Loggien, welche das System des Hofes wiederholen, ausgeführt.
1589 war das Ganze vollendet, wie die Inschrift bezeugt: Alex.
Card. Farnesius Vice Can. Episcopus Ostiensis aedes a Paulo III.
Pont. max. ante Pontificatum inchoatas perfecit an. MDXXCIX.
Das Kranzgesims.
Wie San Gallos Kranzgesims gebildet gewesen, wissen wir
nicht. Eine Zeichnung des Künstlers , die zuerst Letarouilly
(Text S. 289) publizirte , zeigt uns zwar eine Ansicht der beiden
oberen Stockwerke mit dem Gesims , aber sie stellt einen ersten
Entwurf der Fassade mit einem korinthischen Eckpilaster, der durch
beide Stockwerke geht, dar, und die Form des Gesimses erscheint
durch diesen Pilaster bedingt. Der spätere definitive Entwurf muss
ein anderes Kranzgesims gehabt haben — auch passen Michelangelos
kritische Bemerkungen nicht auf jenes in der Zeichnung, das, wenn
auch nicht gerade besonders glücklich, doch gute antikische Formen
etwa in der Art derer in den Thermen des Agrippa zeigt. Wir
198
Die Bauten in Rom
sind also auf unsere Phantasie angewiesen, lesen wir Michelangelos
scharf San Gallos Modell verurtheilenden Brief an den Papst, den
Gotti (I, 293) publiziert hat.
Bcatissimo patrc. Come quella ä 'nteso per el capitolo di
Vetruvio, l'architettura non e altro che ordinatione, et dispositione,
et una bella spetie et un conveniente consenso de'membri dell' opera
et convenevolezza et distribuitione.
Et prima : qui non e ordinatione nessuna : perche l'ordinatione
e una piccola comoditä de'membri dell'opera separatamente et uni-
versalmentc posti, di consenso apparecchiati; anzi c'e tutto disordine
dentro ; perche li membri di detta cornice sono sproportionati infra
loro, ne anno convenienza l'uno all' altro.
Seconda: qui non e dispositione alcuna. La dispositione e
una certa collocatione elegantemente composta, secondo la qualitä
e effetto dell'opera. Qui non e qualitä nessuna per l'opera fatta,
e fatta secondo le regole di Vetruvio : et questa cornice accusa
piü presto qualitä barbara o altrimenti.
Terza : una bella spetie della comoditä della composizione de'
membri. In aspetto, in questa non si vede comoditä nessuna, anzi
tutte scomoditä: la prima scomoditä si e, che la minaccia una
grossa spesa da non finire mai detta opera; seconda scomoditä e,
che la minaccia tirare quella facciata del palazzo a terra : appresso
tre sono le spetie della cornice, doriche, ioniche e corinthie. Questa
non e di nessuna di queste tre generationi, ma e bastarda.
Quarta : e dell'opera e de' membri un conveniente consenso
che le parti separatamente rispondino all'universa spetie della figura
con la rata parte : in essa cornice non c'e membro nessuno , che
risponda con la rata parte al tutto della cornice, perche le mensole
son piccole e rare a simile grandezza, el fregio e piccolo a si gran
capassa; e '1 bastone da basso e piccolissimo a tanto volume.
Quinta : e el decoro , e uno amendato aspetto nell'opera :
provar le cose composte con alturitä, decto convenevolezza. In
questa cornice non e convenevolezza alcuna, anzi vi e tutta scon-
venevolezza : prima aparisce quel gran capo sun una piccola facciata,
e maggiore el capo ch'el resto, et non conviene si gran capo a si
poca altezza: l'altra la mana del modano non accompagna colla
mano del morto : e un altro fare.
Sesta: distributione. La distribuzione e secondo l'abondantia
delle cose, de' loci una comoda dispensatione. Qui si vede non
esser ben dispensato niente, ma dispensato ogni cosa a caso, e
secondo el Capriccio che gli e tocco ; in un lato e stato largo a
dispensare, et in un altro loco e stato parco. Questo e quanto
m'occorre, circa a questo, dire a Vostra Santitä, alle quäle umil-
Der Palazzo Farnese
199
mente i' bacio e piedi; e se non mi fo vedere inanzi a Vostra
Santitä n'e causa el mal mio, che quante volle sono uscito, sempre
son ricascato.
Egli e un altro grado di distribuitione quando l'opera sarä fatta
secondo l'uso del padre della famiglia; et secondo l'abundantia de'
danari, et secondo la elegantia et dengnitä sua, li edificii sieno ordinati
alti; imperocche altrimenti si vede che bisogna constituire le case
della cittä, et altrimenti quelle delle possessioni rustice, dove si
ripongono li frutti : non al medesimo modo alli usurai , altrimenti
alli ricchi et dilicati e potenti ; e' quali con le loro cogitatione
governano la republica : atte a quell'uso sieno collocate. Le dis-
tribuitione dein edificii, senza manco , son da fare che sieno atte
secondo el grado di tutte le persone.
Der strenge Richter, der sich genöthigt sah, durch eigene That
sein Urtheil zu rechtfertigen, hat sich in diesem Werke einer stili-
stischen Strenge beflissen, wie sonst nie. Diese Reinheit antikischer
Formen ist so ausgesprochen, dass Letarouilly geneigt war, das
wesentliche Verdienst an der Gestaltung nicht dem Meister, sondern
Vignola zuzuerkennen , den er sich überhaupt als den eigentlich
ausführenden Architekten unter Michelangelos Oberleitung dachte.
Diese Annahme ist unhaltbar ; ihr widerspricht das Zeugniss des
miterlebenden Vasari auf das Entschiedenste. Mit vollem Bewusst-
sein hat sich in diesem Falle Michelangelo , welcher dem Antonio
Unkenntniss des Gesetzmässigen vorwarf, bewogen gesehen, die
Vorschriften der Antike zu respektiren. Und wie gründlich seine
Studien gewesen sind, beweisen uns eine Anzahl erhaltener Zeich-
nungen, die, freilich wohl in früheren Zeiten und auf seinen Wunsch
von einem Schüler in Röthel ausgeführt, seine Bemühungen, ge-
wissenhafte Kenntniss der antiken Form, sowohl der korinthischen,
als auch der dorischen, zu gewinnen, verrathen.
Ich erwähne , ein Verzeichniss auf später verschiebend , hier
nur die Blätter, welche, Gesimse nach antiken Vorbildern zeigend,
in Betracht kommen :
Florenz, Casa Buonarroti XXII, 2; XXffl, 3; XXIII, 4; XXIV, 5
und London, British Museum 1859 — 6 — 25 — 560, erstes und
zweites Blatt.
Von antiken Bauten, die besonders maassgcbend für das
Gesims wurden, nenne ich das Pantheon, die Thermen des Agrippa,
die Reste des Dioskurentempels, das Forum des Ncrva, den Titus-
bogen und den Tempel des Vespasian. Aus genauer Kenntniss
solcher Formen schuf der Meister sein antikisches Gebilde, etwa in
ähnlicher Weise, wie Vignola sich aus Verbindung der Elemente
verschiedener Bauten Typen gestaltete, was Letarouillys Meinung,
wenn sie auch unrichtig ist, doch verständlich macht. In der Ver-
200 I^i^ Bauten in Rom
werthung der Lilien der Farnese als Friesornament folgte Michel-
angelo dem Vorgange San Gallos.
Das Mittel fenster und das Wappen.
Studien hierzu habe ich nicht gefunden. Das Wappen ist mit
Delphinköpfen, Masken und Fruchtkränzen geschmückt und reicher
und voller gebildet als das Mediciwappen in S. Lorenzo.
DasErdgeschoss.
Hier hat Michelangelo den San Gallo'schen Thüren vier weitere
Thüren und Fenster hinzugefügt, welche die von ihm beliebte nach
unten sich verbreiternde Form und oberen Ohren am Rahmen zeigen.
Das zweite Geschoss des Hofes.
Dass das zweite Geschoss mit der .jonischen Ordnung die
Schöpfung Antonios, wenn auch die Ausführung zum Theil in die
folgende Bauperiode fällt, ist schon von Letarouilly endgültig ent-
schieden worden, welcher mit Recht die zwei unter Ranuzzo Farnese
ausgeführten Thüren in den Arkaden dieses Stockwerkes dem Vi-
gnola zuschreibt. Sie entsprechen in ihren zarten , fast dürftigen
Formen der Lisenen und der Konsolen der Thüre des Saales , die
in Vignolas Regola abgebildet ist (Letarouilly PI. 134). Die Zeich-
nung der Fenster mit dem spitzen Giebel hingegen (Abb. ebenda)
stammt von Michelangelo.
Das oberste Geschoss des Hofes.
Es ist durchweg Michelangelos Werk, der in willkürlicher und
den Gesamteindruck des Hofes störender Weise sich von San Gallos
Entwurf entfernt. Man staunt über die Willkür, mit welcher der
Meister vorgegangen ist. Er, der so unerbittlich Antonios Gesims
wegen Mangels an Organismus und Stil im Sinne der antiken Ord-
nungen verurtheilt hatte, schafft hier selbst ein ,, bizarres" Gebilde,
dorische Elemente in die korinthische Ordnung einmischend. Man
sehe das Architrav der Säulen: die drei Glieder springen in starker
Schräge vor und sind durch Rundstäbe (der oben mit Eierstab)
getrennt. Das zweite ist mit Masken geschmückt, das dritte mit
Triglyphen und Rosetten. Der Fries aber ist unverziert! Auch
die Fenster mit Segmentgiebeln, in denen Kränze an einem Stier-
schädel aufgehängt sind , zeigen seltsame spielende Verwerthung
von dorischen Triglyphenbruchstücken , sowohl am Fries , als auch
an den rahmenden Lisenen, an denen wir in der Höhe Löwenköpfe
mit Ringen und über einer Triglyphe ein Feld mit Schuppen ge-
wahren. Zudem haben sie eine nach unten sich etwas verschmä-
lernde Form.
Der Palazzo Farnese 20 1
Nahe Verwandtschaft mit den Fenstern zeigen zwei sauber
ausgeführte Rötheizeichnungen :
X. Oxford, Univ. Gall. 81. Thode 453. Abb. Fisher 31. V/ir
dürfen diesen Entwurf als direkte Vorstudie für den Pal.
Farnese betrachten. Die Form und Dekoration entspricht in
den oberen Theilen fast genau. Nur sind hier die unteren
Endigungen der Lisenen mit Todtenköpfen , zwischen denen
sich Kränze, an einem Widderkopf aufgehängt, hinziehen,
verziert.
XI. Ebendaselbst 80. Thode 452. Abb. Fisher 32. Gleiche Zeit
wie das vorige Blatt. Andere Form. Ein Spitzgiebel in einen
Segmentgiebel einbezogen, wie an der Thüre des Saales der
Laurenziana. Am Fries in der Mitte eine Tafel mit der In-
schrift : Chi non vuol delle foglie non ci venga di maggio
(Guasti verzeichnet diese Worte unter den Epigrammen : IV,
S. 4. Frey, Dicht. CXXXVIII). Der Rahmen mit Ohren ist
in der Höhe , links und rechts , mit einer einfachen Konsole
geschmückt.
Allgemeine Ähnlichkeit mit dem Gesims zeigt:
XII. Florenz, Casa Buonarroti XLII, 90. Thode 136. Röthei-
skizze: Gesims mit einfachen Konsolen undTriglyphe am Fries.
Die frühesten Abbildungen der Fassade und des Hofes finden
sich in Lafreris Speculum Romanae magnificentiae :
Nie. Beatrizets Stich von 1 549 : die Fassade. Bez. : Exterior
orthographiae frontis Farnesianae domus : quam Romae et magnis
impensis et servatis architecturae praeceptis Paulus tertius Pontifex
Maximus a fundamentis memoriae causa sibi posterisque suis
erexit. — Monogramm des Beatrizet. Antonii Lafrerii Sequani
Formis MDXLIX. 2 Blätter.
Der Hof 1560. Bez.: Palatii Farnesii Romae non procul a
reliquiis theatri Pompeji olim e soUdissimo Tiburtino lapide non
minore architecture comendatione ab Antonio Sangallo inchoati
quam stupendo artificio per Michaelem Angclum omnibus numeris
consumati quantum artificio diligentia assequi potuit interioris partis
expressio atquc in intimo ejus ambulacro duarum Herculis sta-
tuarum icones. Formis Antonii Lafrerii Sequani MDLX.
Von sonstigen älteren Publikationen vergleiche man Joh. Jacobi
de Sandrart : Palatiorum romanorum a celeberrimis sui aevi
architectis erectorum pars prima, Nürnberg (1694) tav. 15, und
Pietro Ferrerio : Palazzi di Roma de' piü celebri architetti. Taf. IV
('Kranzgesims) und V (Hof). — Letarouilly hat dem Palast
25 Tafeln seines Werkes gewidmet (II, 115 — 139. Text S. 259
bis 319).
202 Die Bauten in Rom
III
Die Arbeiten im Belvedere des Vatikan
1. Die Treppe vor der grossen Nische.
Bramante hatte dieselbe in runder Form ausgeführt. Auf
Julius' III. Wunsch fertigte 1550 Michelangelo eine Zeichnung, nach
welcher er die jetzt sichtbare „coi balaustri di peperigno" ausführte
(Vasari). Zwei Treppen von je sechs Stufen führen, seitlich an-
gelegt , zum Podest , auf dem , flankirt von zwei Pfauen , zwischen
zwei horizontalen Balustraden der grosse Pinienapfel aufgestellt ist.
In der Füllung des Mittelfeldes, das von je zwei gekuppelten breiten
Lisenen oder Pilastern (auf der Attika über ihnen die beiden Pfauen)
gerahmt wird, eine Maske , die in ein rundes Becken Wasser speit
(Abb. Letarouilly - Simil : le Vatican, cour du Belvedere PI. 9, 13;.
2. Die Nische für den Flussgott.
„Di questa pietra (cipollaccio) e una fönte in Roma in Bel-
vedere , cioe una nicchia in un canto del giardino , dove sono le
Statue del Nilo e Tevere : la quäl nicchia fece far papa Clemente VII.
col disegno di Michelagnolo per ornamento d'un fiume antico, accio
in questo campo fatto a guisa di scogli apparisca, come veramente
fa, molto hello."
Nähere Angaben fehlen uns. Der Flussgott war wohl der so-
genannte Tigris, dessen Ergänzung man dem Meister zugeschrieben
hat (jetzt im Museo Pio Clementino, s. weiter unten).
3. Entwurf für einen Brunnen ,,in testa al corridore di
Belvedere". Auf Julius' III. Wunsch fertigte Michelangelo einen
Entwurf, in dem ein Moses zu sehen war, der Wasser aus dem
Felsen schlug. Der Papst war damit aber nicht zufrieden, da die
Ausführung zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Vasari schlug
vor, die Statue der Cleopatra dort anzubringen. Auf Michelangelos
Vermittlung hin erhielt Daniele da Volterra den Auftrag, für sie
eine Grotte in Stuck zu machen, die er aber nicht vollendet hat
(Vasari VII, 56).
Nach Condivi hätte Julius III. nicht nur im Belvedere, sondern
auch im Palast des Vatikan Werke von Michelangelo ausführen
lassen, bezeichnet sie aber nicht näher.
IV
Entwurf für den Palast Julius' III.
,,Auch machte Michelangelo auf Ersuchen seiner Heiligkeit,"
sagt Condivi, ,,die Fassade eines Palastes, welchen Sie in Rom zu
Entwurf für den Palast Julius' III. 203
bauen beabsichtigte ; ein Werk ganz ungewohnter und neuer Art, das
keinem Stil oder Gesetz weder der Antike noch der Moderne sich
fügt." Vasari erzählt: „Seine Heiligkeit hess ihn das Modell einer
Fassade für einen Palast machen, den Sie neben S. Rocco bauen
wollte, mit Verwerthung der anstossenden Mauern des Mausoleum
des Augustus; man kann als Fassadenentwurf nichts Mannigfaltigeres,
reicher Geschmücktes, in Stil und Anordnung gleich Ungewöhn-
liches sehen, wie es denn in allen seinen Werken sich zeigt, dass
er niemals einem alten oder neuen Gesetze der Architektur sich
hat fügen wollen, als Einer, dessen Geist immer fähig war, neue
und lebendige, und wahrlich nicht minder schöne Dinge zu erfinden.
Dies Modell befindet sich heute im Besitz des Herzogs Cosimo
Medici, der es von Pius IV., als er nach Rom kam, geschenkt er-
hielt und es zu seinen theuersten Schätzen zählt."
Michelangelo hat das Modell von Bastiano Malenotti, der Ober-
aufseher an dem Bau von S. Pietro war, ausführen lassen im
Oktober 1551 (B. Podestä: Doc. inediti relativi a M. B. II Buonarroti
April 1875).
In dem Nachlass des Meisters wird ein kleiner Karton : die
Fassade eines Palastes erwähnt; sehr wahrscheinlicher Weise die
für Julius angefertigte Zeichnung.
Vielleicht giebt uns eine bisher nicht beachtete Skizze im
Musee Wicar zu Lille (Nr. 90, Thode 273, Rückseite) eine Vor-
stellung von dem Entwürfe. Sie stellt die linke Hälfte eines Palastes
mit mächtigem Rustikaerdgeschoss und einem durch gekuppelte
Säulen gegliederten Obergeschoss dar. In der Mitte ein einfaches
rundbogiges Portal, über dem sitzende Figuren angebracht sind,
links über hohem Sockel eine Nische mit Segmentgiebel, in welcher
eine Statue angebracht ist. Oben in jedem Wandtheil ein grosses
Fenster zwischen zwei kleineren schmalen Nischen. — Condivis und
Vasaris Bemerkungen über das Neue und Eigenartige der Konzep-
tion würden dieser Zeichnung gegenüber berechtigt erscheinen.
Nur macht die Schmalheit der Fassade bedenklich, ob es sich hier
wirklich um den Palast des Papstes handelt, oder nicht vielmehr,
was auch denkbar ist, um einen Entwurf für den andern zu er-
wähnenden Palast des Kardinals von Santiquattro.
Eine Detailzeichnung für das eine Tabernakel mit einer Nische
ist uns möglicher Weise erhalten in Lille, Musee Wicar Nr. 94.
Thode 274. Tabernakel mit Segmentgiebel, darin die Statue
eines stehenden Mannes, der das rechte Bein über das linke setzt,
die erhobene Rechte, wie es scheint, hinter den etwas geneigten
Kopf legt und die Linke gesenkt hat. Die Zeichnung ist in
der Zeit der Beschäftigung mit der Peterskuppel (s. Rückseite) ent-
standen.
204
Die Bauten in Rom
Eine Verwechslung dieses Projektes mit einem anderen des
Papstes Julius II. gab Anlass zu einer der Darstellungen aus dem
Leben Michelangelos in der Casa Buonarroti , die der jüngere
Michelangelo anbringen Hess. Ein von Fabrizio Boschi ausgeführtes
Gemälde wird bezeichnet: Romanae Curiae formam Julio III ostendit,
ad cujus latus, ceteris stantibus, sedit, id honoris clarissimae virtutis,
clarissimo exemplo praebente Pontifice (vgl. auch Baldinucci Ausg.
Mailand X, S. 147). Die ,, Curia Romana", auch Palazzo della Ruota,
oder (von Vasari) Palast bei S. Biagio genannt, war das päpstliche
Gerichtsgebäude, das Julius II. von Bramante erbauen lassen wollte
und dessen Sockel , in mächtigen Rustikaquadern nur wenig über
die Erde emporgeführt, noch heute im Erdgeschoss von Häusern
der Via Giulia zu gewahren ist. Statt Curia Romana müsste es
also in jener Inschrift heissen: palatium Julii III.
V
Kleine Kapellenfassade im Castel S. Angelo
H. v. GeymüUer (S. 38) hat auf eine Zeichnung des Battista
da San Gallo im Musee Wicar zu Lille (Skizzenbuch Nr. 435) auf-
merksam gemacht, welche die Bezeichnung trägt: Queste in chastello
di Roma, di mano di michelagnolo di traverti . . . Dargestellt ist
eine Brunnenschale vor einer Wandarchitektur. Die letztere, nur
in der Form der oberen Fensteröffnungen (in der Zeichnung rund,
in Wirklichkeit viereckig) abweichend, ist heute noch in dem kleinen,
nach dem Vatikan zu gelegenen Hof oben auf dem Castello, dem
cortile delle Palle, erhalten (Abb. Ricci: Michelangelo S. 197)-
Toskanische Pilaster gliedern sie in einen breiten Mitteltheil, zwei
schmale Seitentheile. Ersterer enthält, von toskanischen Halbsäulen,
die über Gebälk und Fries einen breitlagernden Spitzgiebel tragen,
gerahmt ein viergetheiltes Fenster oder besser gesagt vier Fenster,
die unteren durch einen Pilaster, die oberen durch eine Konsole
getrennt. In den unteren sind überaus schlanke dünne Baluster.
In den Seitentheilen je eine Rundnische, darüber eine Tafel, von
einem Löwenkopf getragen. Im Giebel der Mediciring mit durch-
gezogenen Bändern. — Eine besonders harmonische architektonische
Schöpfung des Meisters, die er unter Leo X. ausgeführt hat, dessen
Wappen im Innern der Kapelle zu sehen ist.
VI
Entwurf zum Collegio della Sapienza
Authentische alte Nachrichten über Michelangelos Entwurf zu
diesem Bau besitzen wir nicht. Alexander VI. hatte den Neubau
der Universität begonnen :
Entwurf für die Fassade eines Palastes des Kardinals von Santiquattro 20 5
Haec loca Alexander renovavit sextus et auxit
Atria porticibus designans ampla superbis
(Andr. Fulvius: de Antiquitatibus Urbis Carm.
illust. Poet. Ital. V, 229.)
Unter Pius III. und Julius IL, dessen Wappen an der Eingangsseite
im ersten Geschoss zu finden ist, wurde er fortgeführt. Es heisst
nun, dass Leo X den Bau nach einer Zeichnung unseres Meisters
habe erweitern lassen ; wir wissen von der Errichtung einer Kapelle
durch diesen Papst, die am 20. September 15 14 verfügt wurde
(Pastor: Gesch. d. Päpste, IV. Bd. S. 485), und dass er auch sonst
für die Ausgestaltung des Baues sorgte :
inceptumque opus intermissaque moles,
et loca Gymrasii perfecto fine jubentur
protinus absolvi, divo imperitante Leone.
(Andr. Fulvius 1513.)
Die Loggien des Hofes wurden erst IS/S unter Gregor XIII. durch
Giacomo della Porta begonnen. Der Bau wurde unter Sixtus V.,
unter Clemens VIII. und Paul V., Innocenz X. fortgeführt und unter
Alexander VII. vollendet.
Ob und inwieweit Michelangelo Antheil an ihm gehabt, bleibt
in Dunkel gehüllt,
VII
Entwurf für die Fassade eines Palastes des Kardinals
von Santiquattro
Am 28. Januar 1525 fragt Fattucci an, ob der Meister dem
Kardinal wohl einen Gefallen erweisen wolle und erklärt sich hier-
über näher am 8. Februar: ,,Was Santiquattro betrifft, so theile
ich Euch mit, dass es in Eurem Belieben steht, ob Ihr ihm dienen
wollt, denn er weiss nicht, dass ich Euch geschrieben hatte. Was
er wünscht, ist Dieses : er möchte die Fassade seines Palastes machen
und beabsichtigt sie bis zum ersten Stockwerk in Rustika auszu-
führen oder wie es am Besten sich macht. Könntet Ihr ihm eine
kleine Zeichnung machen , so meine ich , wäre das eine schöne
Sache und würde ihm sehr lieb sein. Macht ein Portal in der
Mitte der Fassade mit zwei eisenvergitterten Fenstern , und zwei
andere darüber in zwei Stockwerken, mit einem Kranzgesims nach
Eurem Gutdünken. Ich sage Euch dies, weil er in Gedanken hat,
etwas Schönes zu machen."
Ob Michelangelo den Wunsch erfüllt hat , wissen wir nicht.
Vielleicht ist die oben gelegentlich des Palastes für Julius III. er-
wähnte, bisher nicht beachtete Skizze im Musee Wicar zu Lille
(Nr. 90 Rückseite, Thodc 273) auf diesen Auftrag zu beziehen.
2o6 Die Bauten in Rom
Auf der Vorderseite des Blattes ist die Studie zu einem
Prometheus, die freilich auf eine spätere Zeit hinweist.
Ein kleiner Karton „con disegno di una facciata d'un palazzo"
wird im Inventar des Meisters 1564 erwähnt.
VIII
Entwurf für den Neubau eines Palastes
Die Rückseite einer Zeichnung der Malcolm'schen Sammlung
Nr. 65 im British Museum 1895 — 9 — 15 — 502, Thode 351, zeigt
in flüchtigen Linien den oberen Theil einer Thüre mit einem Vo-
lutenaufsatz und unvollständige Schriftzeilen, denen man aber doch
so viel entnehmen kann, dass sie sich auf einen Auftrag, den Um-
oder Neubau eines Palastes vorzunehmen, beziehen. Zu lesen ist :
certo modo del ricomporre tutto il palazzo come nonne
basta l'animo perche non sono architecto — — rte et in modo
che io possa sapere le comodita di . (Sonst liest man noch
an anderer Stelle: 8 iuli c 7 baioch.)
Die Datirung der Zeichnung wird durch die Vorderseite, auf
welcher sich die Studie zu einer Figur des Jüngsten Gerichtes
(s. den Exkurs hierüber Nr. XV oben II, S. 12) befindet, etwa auf
die Jahre 1534 bis 1540 bestimmt.
IX
Antheil am Bau der Vigna Julius' III.
An diesem hatte Michelangelo 1550 nur eine berathende
Stimme. An drei Stellen spricht Vasari davon. Zuerst sagt er
allgemein, auch in der Vigna habe der Papst Nichts ohne des
Meisters Rath gethan (VII, 228) ; dann erzählt er von einem Spazier-
gang, den Julius mit Michelangelo und Vasari nach der Vigna gemacht,
wo es zu vielen Erwägungen mit dem Meister gekommen sei, denen
der Bau, so wie er ist, seine Schönheit im Wesentlichen verdanke
(VII, 233). Endlich heisst es in dem Leben Vasaris: „ich war der
Erste, der den Entwurf und die Erfindung der Vigna Julia machte,
die der Papst dann mit unglaublichen Kosten bauen liess. Wurde
sie dann auch von Anderen ausgeführt, so war ich es doch, der
immer die Einfälle des Papstes in Zeichnungen brachte , die dann
Michelangelo zur Prüfung und Korrektur übergeben wurden. Und
Jacopo Barozzi da Vignola machte dann viele Zeichnungen, nach
denen er die Zimmer, Säle und viele andere Ornamente jener Villa
ausführte ; aber der untere Brunnen wurde von mir und von
Ammanato, der dann dort blieb, angeordnet und Dieser machte
Die Porta Pia 207
die Loggia oberhalb des Brunnens. Aber bei dieser Arbeit konnte
man nicht zeigen, was man weiss, noch irgend Etwas ordnungs-
gemäss machen; denn dem Papste kamen unaufhörlich neue Ein-
fälle, die man verwirklichen musste, gemäss den täglichen Angaben
des Bischof von Forli, Messer Giovanni Aliotti."
Wir brauchen auf den Bau, an dem Vignola den Löwenantheil
hatte, nicht einzugehen, da offenbar in dessen Gestaltung weder im
Ganzen noch im Einzelnen Michelangelo eingegriffen hat.
X
Die Porta Pia
Vasari sagt: ,,um diese Zeit (1561) wurde Michelangelo vom
Papst (Pius IV.) ersucht, eine Zeichnung für die Porta Pia zu
machen ; er fertigte drei, alle seltsam ungewöhnlich und sehr schön,
an, von denen der Papst die am billigsten auszuführende wählte,
so wie sie heute, sehr zu seinem Ruhme, aufgemauert ist" (VII, 260).
Der Kontrakt, der mit den Maurermeistern Legrantes qu. magistri
Joannis Fontana de Cadme vallis Lugani und Albertus qu. Rai-
mundus de Lucarno de Lacu majori am 2. Juli 1561 abgeschlossen
wird, ist uns erhalten (Gotti II, 160). Er enthält eingehende Be-
stimmungen über ihre Arbeit, deren Prüfung ,,dem Architekten*',
d. h. dem soprastante Pietro Luigi Gaeta obliegt. Dieser wird in
einer Bezahlung vom 24. Mai und öfters genannt. Später als
soprastanti : Bartolomeo del Verme und Tommaso Sorice. Sotto-
architetto ist Paolo del Borgo scarpelhno. Ein Scultore Giov. Fe-
derigo da Parma erhält an demselben Tage 20 Skudi für 72 Bronzc-
medaillen (darunter zv/ölf vergoldete), die in das Fundament gelegt
worden sind (Gotti II, 162, aus dem Libro dei Maestri di strada
1549 bis 1568, f. 61 bis 68; Bertolotti : Artisti subalpini S. 40).
Michelangelo, der in jenem Kontrakt am Schluss genannt wird als
entscheidend für die Bestimmung einer am Schluss zu zahlenden
Summe, ist Ende August mit den Zeichnungen für die Aussenseite
des Thores beschäftigt. 1562 werden die Bildhauer Jacomo del
Duca und Luca beschäftigt. Sie erhalten am 15. Mai 20 Skudi für
das Marmorwappen an der Aussenseitc der Porta. Eine weitere
Zahlung am 5. November an Jacomo und andere folgen. Am
24. Dezember 1562 und am 25. Juli 1565 erhält Maestro Gerolamo
Valperga, maestro di strada, Bezahlung (Bertolotti a. a. O. S. 41).
Gotti verzeichnet auch eine Gesamtabrechnung: Entrata 8525,07;
Uscita 8518,36 Skudi.
Der Bau blieb unvollendet und wurde erst von Pius IX. 1853
zum Abschluss gebracht (Hinzufügung des Aufsatzes in der Mitte)
und restaurirt.
2o8 ^i^ Bauten in Rom
Das gewaltige Portal selbst ist von Michelangelo , sicher sind
auch die beiden grossen unteren Fenster nach Zeichnungen von
ihm, was bei den kleineren Blendfenstern nicht so bestimmt zu be-
haupten, aber wahrscheinlich ist. Wer für die Medaillons mit den
Bändern an der Attika verantwortlich gemacht werden muss, wissen
wir nicht.
Das Wappen oben ist, w'ie wir hörten, von Jacomo del Duca.
Die Inschrift lautet: Pius IV Pont. Max. Portam Piam sublata
Numentana extruxit Viam Piam aequata alta semita duxit. Der
Thorbau stand im Zusammenhange mit der Anlage der Strasse vom
Ouirinal aus.
Verschiedene Zeichnungen kommen in Betracht. Ich will nicht
etwa sagen, dass sie alle für die Porta Pia als Vorstudien gedient
haben, doch zeigen sie interessante Vorstufen.
I. Florenz, Casa Buonarroti XLV, 99. Thode 154. Kreide.
Mit wenigen kräftigen Strichen ausgeführt. Breite Thür mit
Spitzgiebel, das Thürgewände oben ähnlich geradlinig abge-
schrägt wie an der Porta Pia. Dahinter Mauern angedeutet
mit Attikaaufsatz in der Mitte, in dem zwei kleine Fenster
flüchtig angedeutet sind.
II. Ebendaselbst XLIV, 97. Thode 152. Vorderseite: Nischen-
entwurf für die Libreria. Rückseite Thor mit Säulen von
zurückliegenden Pilastern, welche sich verkröpfende Gesimse
tragen ; der Thüreingang mit geradliniger Abschrägung oben
in Rustika gedacht. Attika mit Lunette in der Mitte. Diese
Skizze sieht wie eine die Porta Pia direkt vorbereitende Studie
aus. Auch die flüchtigen Skizzen eines Pilasters, der von
glatter Triglyphe mit Tropfen bekrönt ist und Spitzgiebel
trägt, zeigen nahe Verwandtschaft.
III. Ebendaselbst III, 73 bis. Thode 68. Phot. Alin. 1031. Portal
mit Rundbogen von toskanischen Säulen mit vollem Gebälk,
das Spitzgiebel trägt, gerahmt. Anfangs war bei niedrigerer
Anlage ein Segmentgiebel geplant. Hier haben wir keine
Beziehung zur Porta Pia, aber eine solche zur folgenden
Zeichnung.
IV. Ebendaselbst XLV, 102. Thode 157. Vor zurückliegenden
Pilastern toskanische Säulen mit hohem Fries. Spitzgiebel,
in den Segmentgiebel eingeschrieben ist. Thürlaibung oben
abgeschrägt. Im Fries eine oblonge Füllung, die aber ver-
bessert ist in einen Entlastungsbogen (wie an der Porta Pia).
Über dem Giebel vor einer Attika, die in der vollen Breite
des Portals gehalten ist und zwei kleine viereckige Fenster
zeigt, ein von zwei Voluten gestütztes Wappen. H. v. Gey-
müller erwähnt die Zeichnung (S. 40) und hält sie für viel
Die Porta del Popolo 20Q
früher als die Porta Pia. Dies glaube ich auch, aber jedenfalls
ist sie für diese benutzt worden.
V. Ebendaselbst III, 106. Thode 70. Phot. Alin. 1037. In den
vorhergehenden Zeichnungen fanden wir die grossen Voluten
des gebrochenen Giebels nicht: in diesem Blatte treten sie,
und zwar in den unteren Enden auch gerollt, auf. Sie schliessen
ein Oval über einer Inschrifttafel zwischen sich ein. Der Fries
und das kräftige Gesims (über toskanischen Halbsäulen) , die
abgeschrägten Rustikagewände der Thür entsprechen der
Porta Pia. Nur ist der Fries hier nicht so hoch, und die
Thüröffnung erhebt sich höher , so dass die Entlastungs-
lunette wegfällt. Die Porta Pia erscheint wie eine Verbindung
von IV und V.
VI. Haarlem, Museum Teyler. Thode 264. v. Marcuard, Taf. XVI.
Auf dem Blatte mit Studien für die Peterskuppel eine kräftige
kleine Skizze eines Portales. Diese ist die einzige, die man bis-
her als Studie für die Porta Pia auffasste, und gerade hier muss
ich es bezweifeln, wenn auch entschiedene Ähnlichkeiten vor-
handen. Diese bestehen in der Thoröffnung und in der Ent-
lastungslunette, aber statt der Pilaster sehen wir in Quadern
gegliederte Halbsäulen , die uns an Serlio'sche Entwürfe er-
innern, und geraden Gesimsabschluss , auf dem in der Mitte
ein Wappen und zu dessen beiden Seiten nach aussen ge-
richtete Füllhörner sich befinden. Der Entwurf scheint eher
für ein Gartenportal geplant zu sein.
VII. Ich reihe eine Zeichnung an, die keine Beziehung zur Porta
Pia hat, aber doch in das Bereich der grösseren Portalent-
würfe gehört. Sie befindet sich in der Casa Buonarroti
XLIII, 84, Thode 146, und ist in Kreide ausgeführt. Sie
zeigt einen Thüreingang mit Spitzgiebel , der eingerahmt ist
von Pilastern (oder Säulen), die einen Segmentgiebel mit In-
schrifttafel tragen.
Eine alte Abbildung des Portales findet sich in Vignolas Regola.
Eine spätere in den ,, Porte di Roma nuovamente ed esattamentc
disegnate ed intagliate" : Bologna 1787. Vgl. Abb. bei Strack:
Baudenkmäler Roms Bl. 55.
XI
Die Porta del Popolo
Über diese im Besonderen sagt Vasari Nichts, er bemerkt nur :
,,und da Michelangelo den Wunsch des Papstes, er solle die anderen
Thore Roms restauriren , erkannte , machte er ihm viele andere
%* 14
2IO Die Bauten in Rom
Zeichnungen." Nach der Inschrift : Pius IV portam in hanc ampli-
tudinem extulit viam Flaminiam stravit anno III , ward die Aussen-
seite ■ — und nur um diese handelt es sich — 1 563 begonnen.
Bertolotti (Artisti subalpini S. 41) entnahm dem Archivio dei maestri
di strada die Notizen : am 4. Mai 1 563 erhielt mastro Girolamo
Valperga acht Skudi „per sue fatiche et misure fatte di detta fabrica"
und am 16. Juni 1564 sechs Skudi. Das Wappen arbeitete Nardo
de Rossi. Die Säulen wurden von S. Pietro hingebracht. Soprastante
war Giov. Allegri. Die von Nanni di Baccio Bigio gezeichnete In-
schrift führten Maestro G. B. Palatino und G. B. Romano, Maler,
aus, und vergoldeten sie. Die Statuen der hl. Petrus und Paulus
sind von Francesco Mochi.
In Davilers Ausgabe der Vignola'schen Regola wird das Thor,
d. h. der heutige Mitteltheil : der Rundbogen zwischen je zwei ge-
kuppelten toskanischen Säulen und darüber die Attika mit dem
Papstwappen und den Füllhörnern als Werk Michelangelos ab-
gebildet. Dessen Autorschaft ist nicht ausgeschlossen , so durch-
aus sich die strenge Ordnung und das Unpersönliche hier von der
Porta Pia unterscheidet. Die Idee kommt von ihm ; die Zeichnung
mag danach Vignola ausgeführt haben, der nach Baglione (Vite 1649,
S. 8) das Thor vollendet hat. Die Seitentheile mit ihren gekuppelten
Säulen wurden erst 1878 hinzugefügt, als man die Thürme, die
früher das Portal flankirten (um 1472 erbaut) niederriss.
Zeichnungen für das Portal fand ich nicht. Doch ist darauf
hinzuweisen, dass auf der soeben unter Nr. VI angeführten Haar-
lemer Skizze das Motiv der Füllhörner sich findet. Abbildungen
in den „Porte di Roma" 1787, bei Letarouilly III, 232 (wo auch der
ältere Bau mit den Thürmen) und Strack Bl. 53. Die Innenseite
wurde 1655 von Bernini gemacht.
Dass die Beschäftigung Nannis an dem Thore 1563 und 1565
ein neuer Beweis gegen die Attribution desselben an Michelangelo
sei, wie C. v. Fabriczy meint (Rep. f. Kunstw. 1887, X, 112), ist
nicht zuzugeben. Nanni wird auch an Befestigungsarbeiten der
Porta Pia beschäftigt.
XII
Andere dem Meister irrthümlich zugeschriebene Portale
In A. C. Davilers neuer Ausgabe des Vignola (Cours d'Archi-
tecture 1691, I. Band) sind als Werke Michelangelos bezeichnet:
I. Portal der Vigna des Antonio Grimani in der
Nähe der Porta Pia (Daviler S. 273, PI. 76). Rustikabau mit rund-
bogigem Eingang, der durch Rustikakeilsteine gebildet wird , und
vorgelegten toskanischen Säulen , die auf eigenthümlich profilirten,
Die Brücke S. Maria 2 1 1
bassinartigen Sockeln stehen und volles Gebälk tragen. Vier kon-
vexe Stufen (in der Höhe jener Sockel) führen zum Eingang empor.
Auf dem geraden Gesims an den Ecken über den Säulen gleich
Akroterien altarförmige Pfeilerchen, die Vasen mit Flammen tragen ;
in der Mitte , von Voluten gestützt , eine Attika mit Inschrifttafel :
Antonius Grimanus D. V., deren Endigung, in der Form der Me-
dicisarkophage , auf abwärts gekrümmten Voluten zwei sitzende
Jünglinge zeigt, die das Wappen halten.
Das Portal gehört schon dem XVII. Jahrhundert an. Antonio
Grimani, geboren 1558, wurde 1622 Patriarch.
2. Portal der Vigna des Kardinals Sermoneta.
Gleichfalls einst in der Nähe von Porta Pia (S. 277. PI. 78). In
Rustikaquadern und mit korinthischen Säulen aus Rustikatrommeln
aufgeführt, zeigt es in den grossen Voluten des durchbrochenen
Giebels die Nachahmung der Porta Pia, in den seitlichen Voluten
eine solche des unter Nr. 3 zu nennenden Portals.
Auch hier handelt es sich um ein späteres Werk.
3. Portal zu den Horti Pii Carpenses (Vigna del Duca
Sforza) bei S. Maria del popolo (S. 279. PI. 79). Rundbogen mit
Rustikakeilsteinen , von toskanischen Pilastern aus Rustikaquadern
und je einer Triglyphe am Fries darüber gerahmt; zurückliegende
Seitenpfeiler mit Voluten. Attika mit Relief: zwei Adler, die Feston
halten und Inschrift; Horti Pii Carpenses. Als Akroterien Pinien-
äpfel. Der Zeit nach könnte Michelangelo in Betracht kommen
und auch den Beziehungen nach, die er mit dem Begründer der
Vigna, dem Kardinal von Carpi, hatte, doch finde ich keine In-
dizien, die eine Zuschreibung an Michelangelo rechtfertigen würden.
XIII
Die Brücke S. Maria
Vasari berichtet (VII, 234): ,,Es hatte Michelangelo in den
Zeiten Pauls III. , auf Dessen Befehl hin , begonnen , die Brücke
S. Maria di Roma, die in Folge des beständigen Wasscrandranges
und ihres Alters schwach geworden war und einzubrechen drohte,
neu zu fundiren. Er ordnete die Fundirung mittelst Kästen und
sorgfältiger Ausbesserung der Pfeiler an; und hatte einen grossen
Theil schon fertig gestellt und zum Besten des Werkes grosse Aus-
gaben in Holz und Travertinsteinen gemacht, da wurde unter
Julius III. in einer Versammlung der Kleriker di Camera, die über
die Vollendung berieth , Nanni di Baccio Bigio in Vorschlag ge-
bracht, der, falls ihm die Arbeit in Akkord gegeben würde, sie in
kurzer Zeit und mit wenig Geld beendigen werde. Unter dem
14*
212 Die Bauten in Rom
Schein der Rücksicht gaben sie vor, Michelangelo zu entlasten, der
alt sei und sich nicht um die Sache bekümmere, so dass, wie die
Dinge lägen , man niemals zu einem Abschluss kommen werde.
Der Papst, der möglichst wenige Ungelegenheiten wollte und nicht
daran dachte , was daraus entstehen könnte , gab den Klerikern di
Camera die Machtbefugniss, für die Angelegenheit als eine, die sie
anginge , Sorge zu tragen. Da übertrugen sie diese , ohne dass
Michelangelo Etwas davon erfuhr, mit freiem Vertrag und allem
Material dem Nanni. Dieser Hess die Befestigungen, die zum Fun-
diren nöthig waren , ausser Acht und entlastete die Brücke von
einer grossen Anzahl Travertinquadern , um diese zu verkaufen;
gerade diese Steine aber, mit denen vor Alters die Brücke seitlich
gestützt und befestigt worden war, machten sie durch ihre Be-
schwerung stark und sicher und tüchtiger. An ihre Stelle nun
brachte er Kies und Mörtel, so dass man den inneren Defekt nicht
sah, und aussen brachte er Brustwehren und Anderes an; auf den
ersten Blick schien Alles erneuert. Aber da die Brücke vollständig
schwach geworden und Alles verdünnt war , kam es dann fünf
Jahre später, bei der Überschwemmung im Jahre 1557 (15. Sep-
tember), dazu, dass sie derartig zusammenbrach, dass man erkannte,
wie wenig Urtheilskraft die Kleriker bewiesen und welchen Schaden
Rom davon hatte, dass man den Rathschlägen Michelangelos nicht
gefolgt war. Oft hat Dieser seinen Freunden den Einbruch voraus-
gesagt und auch mir, denn ich erinnere mich, wie er mir, als
wir einst über sie ritten, sagte: »Giorgio, diese Brücke zittert unter
uns ; reiten wdr schnell zu , damit sie nicht einbricht, so lange wir
noch auf ihr sind.«"
Einige nähere archivalische Data verdanken wir Bart. Podestä
(Fanfani: Spigol. S. 126 ff.). Danach wurden die Kosten des Baues
aus einer Taxe bestritten , deren Depositar der Banquier Bindo
Altoviti war. Die erste Zahlung findet am 5. Oktober 1548 statt,
und zwar a conto an den von Michelangelo deputirten Maestro
Andrea Seimone. Am 13. Oktober eine Zahlung an Zimmerleute,
die vom 7. Oktober an ununterbrochen Tag und Nacht gearbeitet
haben. Weitere von Michelangelo angewiesene Zahlungen werden
am 27. Oktober, 3. Dezember und 22. Januar 1549 für verschie-
denerlei Arbeiten verzeichnet. Der Tod Pauls III. scheint die Thätig-
keit gelähmt zu haben. Am 3. Juli 1551 wird der erwähnte Kon-
trakt mit Nanni abgeschlossen , in dem die Fundirung des Pfeilers
und Ausbesserung der zwei Bögen stipulirt wird. Am 13. Juni
1552 verdingt Nanni die Arbeiten an mehrere florentiner Meister.
Die Kosten wurden durch eine den Kurtisanen Roms auferlegte
Abgabe bestritten (Bertolotti, s. C. von Fabriczy, Rep. f. K. X, 112).
Er schreibt am 17. März 1553 an den Herzog von Parma, Ottavio
Die Befestigung von Rom 213
Farnese : „in diesem Jahr habe ich mir 2000 Skudi in 14 Tagen
verdient und dies ist, wie Eure Excellenz wissen, so viel als Michel-
angelo und Boccaccio für den Ponte santo ausgegeben haben; so
dass Alle in diesem Jahre erstaunt sein werden. Sie gaben das
Werk als verzweifelt auf und ich übernahm es und brachte es mit
anderen Hülfsmitteln in 1 5 Tagen zu wege, so dass ganz Rom dar-
über erstaunte; die geschehenen Irrthümer kamen mir so zu Gute"
(C. Ronchini : Atti e memorie delle prov. Modenesi e Parmensi VIII,
S. 357, wo der Brief 1552 datirt ist).
Ein Augenzeuge der Überschwemmung im Jahre 1557 schreibt
in einem Brief: ,,der Tiber hat die Hälfte der Brücke von S. Maria
abgebrochen und fortgeführt, und zugleich auch die schöne kleine
Kapelle Julius' III., die auf der Mitte mit so viel Kunst und Kosten
gebaut worden war." (Avviso della Face tra la Sant. di N. S. Papa
Paulo III e la Maestä del Re Filippo. E del diluvio che e stato
in Roma. In Roma Ant. Blado 1557.)
Unter Gregor VIII. wurde die Brücke wieder hergestellt, aber
1598 von Neuem zerstört und trug seitdem den Namen Ponte rotto.
Heute überschreitet man den Tiber dort auf der Eisenbrücke Ponte
Palatino.
XIV
Die Befestigung von Rom
Hören wir zuerst Vasaris Angaben.
,,Es hatte Papst Paul III. angefangen den Borgo zu befestigen
und viele Herren mit Antonio da San Gallo zu einer Sitzung be-
rufen: er wollte, dass auch Michelangelo daran theilnehme, da er
wusste, dass die Fortifikationen am Hügel von S. Miniato von ihm
angeordnet worden waren. Und nach langem Disput wurde auch
er um seine Meinung gefragt. Im Widerspruch zu derjenigen
San Gallos und vieler Anderen äusserte er sie freimüthig; da er-
widerte ihm San Gallo, seine Kunst sei die Skulptur und die Malerei,
nicht aber die Befestigungen. Michelangelo antwortete : von jenem
verstehe er wenig; aber vom Befestigen glaube er, dank der
vielen Gedanken, die er darauf gewandt, und der Erfahrungen, die
er gemacht, mehr zu verstehen, als Antonio und Alle die von Dessen
Familie; und bewies ihm in Gegenwart Aller, dass er viele Fehler
gemacht. Und da ein Wort das andere gab, sah sich der Papst
genöthigt, Schweigen zu gebieten. Und nicht lange nachher brachte
er einen Entwurf der gesamten Befestigung des Borgo, der die
Augen öffnete für Alles, was dann später angeordnet und ausgeführt
wurde; und er wurde die Veranlassung, dass das Thor von S. Spi-
rito, welches, von Antonio angeordnet, schon nahe dem Abschluss
war, unvollendet blieb." (VII, 216.)
214
Die Bauten in Rom
Zu Zeiten Pauls IV. wurde er an mehreren Stellen bei den Be-
festigungen Roms beschäftigt; auch von Salustio Peruzzi, dem jener
Papst das Thor vom Kastell S. Angelo, das heute halb zerstört ist,
in Auftrag gegeben hatte. Er übernahm die Aufgabe, die Statuen
an diesem Werk anzuordnen und die Modelle der Bildhauer zu
prüfen und korrigiren (VII, 241).
Nähere Kenntnisse verdanken wir einem Briefe Michelangelos
und den Forschungen von A. Guglielmotti : Storia delle Fortificazioni
della Spiaggia Romana S. 319 — 368, und von A. Ronchini : II Monte-
melino da Perugia im Giornale d'erudizione artistica 1872. I, 168.
Vgl. auch Gotti I, 295 ff.
Schon 1 534 war Antonio da San Gallo d. J. mit den Fortifikations-
arbeiten beschäftigt. Nach einer Unterbrechung nahm er sie 1542
wieder auf. Seit Anfang 1545 handelte es sich um die Befestigung
des Borgo , über welche sehr verschiedene Ansichten sich geltend
gemacht hatten , bei denen Berathungen in Pier Luigi Farnese
präsidirte. Zu einer Sitzung am 25. Februar war neben Giov. Fran-
cesco Montemellino, einem im Kriegswesen erfahrenen Manne, und
Anderen Michelangelo zugezogen worden. Er formulirt seine An-
sicht , die mit der eines Jacopo Castriotto im Einklang stand , in
dem Schreiben an den Kastellan von Rom am 26. Februar (Lett.
S. 499)-
,,Monsignore Castellano. — Bezüglich des Modelles, über das
gestern disputirt wurde, sagte ich nicht voll meine Meinung, um
die ich von Eurer Signoria ersucht wurde, weil ich jene Personen,
für die ich die grösste Zuneigung hege, zu sehr zu kränken fürch-
tete. Und zwar meine ich den Capitano Giovanni Francesco, mit
dem ich in einigen Dingen nicht übereinstimme ; denn mich dünkt,
dass die begonnenen Bastionen mit Vernunftgründen und mit Kraft
sich vertheidigen und fortführen lassen. Und thut man es nicht,
so fürchte ich, macht man viel Schlimmeres ; denn mir scheint, alle
diese Gutachten und verschiedenen Modelle haben den Papst in
grosse Verwirrung gesetzt und ihm solchen Überdruss bereitet, dass,
wenn man sich zu Nichts entschliesst , man weder in dieser Weise
fortfahren kann, noch in jener anderen es ausführen, was sehr übel
wäre und wenig zur Ehre Seiner Heiligkeit. Darum, wie ich gesagt,
halte ich es für richtig fortzufahren, ich sage nicht in Dem, was
angefangen ist, sondern in der Befestigung des Hügels, indem man
Einiges, ohne Beschädigung des Ausgeführten, mit Hülfe des Rathes
des Capitano Giovanni Francesco verbessert und die Gelegenheit
benutzt, die jetzige Leitung zu beseitigen, wenn es so ist, wie man
sagt, und an ihre Stelle den Capitano, den ich für tüchtig und vor-
trefflich in allen Dingen halte, zu setzen. Und geschieht dies, so
biete ich mich dem Papste zu Ehren an, denn mehreremale hat
Die Befestigung von Rom 2 1 5
man mich nicht wie einen Mitarbeiter, sondern als wäre ich in
allen den Dingen ein Kind, aufgefordert. — Von den Spinegli bis
zum Castro würde ich nur einen Graben machen, denn der Lauf-
gang genügt, wenn er ordentlich hergerichtet wird."
Montemellino, der ein Memorandum und eine Zeichnung dem
Papste einreichte, war, wie Pier Luigi Farnese, der Meinung, man
müsse die Befestigungslinie verengen, nicht erweitern. Mochi,
Kommissar an den Befestigungen, schreibt an Letzteren, der Herzog
von Parma geworden ist, am 7. September 1 545 : fast alle Arbeit
ist aufgegeben, ausser die an dem sehr schönen und stolzen mili-
tärischen Thor von S. Spirito in dorischem Stil mit dem Mauer-
flügel, der sich zum Flusse zieht. Und am 4. Januar 1 546 wieder-
holt er diese Angaben und fügt hinzu: bis Ende April, hoffe er,
werde das Thor bis zur vollen Höhe gediehen sein. „Und es wird
sehr stolz und in dorischem Stile verziert, nämlich mit grossen Ge-
simsen (regoloni) und Pyramiden, mit Kapitalen, Friesen, Archi-
traven, Säulen und Nischen, mit grossen Statuen zu beiden Seiten
der Thüre. Diese Statuen sind sehr gross, über Lebensgrösse ; die
obere Endigung von stolzestem Charakter ist in neuer Art mit dem
Wappen des Papstes gebildet. Es wird ein wehrhafter Kriegsbau
mit seinen Geschützen vorne und zu beiden Seiten. Die Zugbrücke
ist, wie sie sagen, sehr gut angelegt mit zwei Ausfallsthüren , die
eine eben am Ende der Courtine nach dem Flusse zu für Reiter
und Fussvolk, die andere unmittelbar unter dem Thore unten im
Graben, wo oben die Zugbrücke ist, gleichfalls für Reiter und Fuss-
volk. Die Stelle, die bis jetzt eine der schwächsten war, wird
eine der stärksten sein ; sicher ein Werk , zu ewigem Gedächtniss
des erlauchtesten Hauses Farnese."
Kurze Zeit darauf starb Antonio da San Gallo, und nun wurde
Michelangelo neben dem Meleghini eine entscheidende Stellung
zuerkannt. Wir erfahren hierüber Näheres aus einem Briefe des
Mochi an Pier Luigi vom 2. März 1547: „Was die Fortifikation des
Borgo betrifft, so ist das Thor von S. Spirito abgeschlossen, und
man beschäftigt sich beständig damit, sie auch im oberen Theil zu
beendigen ; es ist ein schönes und kräftiges dorisches Thor , das
verdient haben würde, an ehrenvollerem Platz nach S. Peter zu
zu stehen, dort, wo alle Gesandten der Christenheit einziehen.
Doch hoffen wir, dass Seine Heiligkeit auch dieses machen wird.
Bei den SpinelH ist man augenblicklich dabei , die Courtine nach
dem Thurm Nicolaus' V. heiligen Angedenkens aufzuführen. Wir
arbeiten an der Seite ; und da Meister Michelangelo die Stellung
San Gallos zugleich mit dem Meleghino erhalten hat, und nunmehr
in Dienst getreten ist und Seine Heiligkeit uns befohlen hat , was
die Zeichnung anbetrifft, Michelangelo und keinem Anderen zu ge-
2i6 Die Bauten in Rom
horchen, er aber Dem, was zu machen beschlossen worden war,
entgegen ist, so ist die Entscheidung auf die Ankunft des Herrn
Alessandro Vitelli verlegt, denn so hat es Seine Heiligkeit befohlen.
Michelangelos Meinung ist etwa diese : wo die schon angeordnete
Seite der Courtinc von S. Nicola sich nähert, möchte er sie über
die Bastion hinausziehen und dazwischen eine zweiseitige spitze
Bastion oder kleines Bollwerk oder Plattform mit acht Schiess-
scharten, auf jeder Seite vier, oben und unten, machen; auf der
einen Seite wäre die Schiessrichtung nach dem Thor der Courtine
alli Spinelli, auf der anderen nach dem ersten Schiessstand gegen
Nicola zu. Er behauptet, dass zuvor der Schiessstand gegen uns
selbst sich richtete und dass ein einziger Schiessstand wegen der
grossen Distanz nicht genügte, die Ecke der Spinelli zu vertheidigen.
Das Bollwerk von Gallinare ist auf zwei Seiten niedergelegt : sie
denken daran es mit Kalk zu verkleiden und sich seiner als Erd-
wall zu bedienen."
Als dann nach dem Tode Pier Luigis und der Einnahme Pia-
cenzas durch die Kaiserlichen die Gefahr einer Belagerung Roms
drohender wurde, vertraute Paul III. die beschleunigte Befestigungs-
thätigkeit dem Jacopo Fusto Castriotto von Urbino an — Ende 1 547
wurde die Bastion am Belvedere begonnen — , der die Befestigungen
statt in der Ebene des Borgo, wie Michelangelo verlangt hatte, auf
den Höhen anlegte, und Michelangelo zog sich zurück.
Über Dessen Thätigkeit als Kriegsbaumeister unter Paul IV.
und Pius IV. erfahren wir, ausser jenen Angaben Vasaris über seine
Überwachung der Skulpturen am Thor des Castello S. Angelo,
nichts Weiteres. P. Guglielmotti führte den Nachweis , dass der
,,Torrione Sanmichele sulla foce del Tevere", der 1560 von Pius IV.
errichtet ward, nach einer Zeichnung des Meisters ausgeführt wor-
den ist. In den folgenden Jahren sehen wir vielfach Nanni di
Baccio Bigio an den Fortifikationen sich bethätigen.
XV
Michelangelos Haus am Macello de' Corvi
In seinem Aufsatz: ,, Wohnung und Werkstatt Michelangelos
in Rom" (Deutsche Rundschau 1902, Mai, S. 279 ff.) hat Ernst
Steinmann zusammengestellt, was sich aus Briefen vmd Kontrakten
über diese Niederlassung ergiebt (vgl. auch Gori : la casa di M. e
quella di Raffaello im ,,Archivio storico artistico archeologico e
letterario della cittä e provincia di Roma" 1875. I- S. 661 ff.). Er
bezog es am 6. Mai 1 5 1 3 , bekam es im Kontrakt mit den Testa-
mentsvollstreckern Julius' II. am 8. Juli 15 16 R\r neun Jahre zu-
Erhaltene unbestimmte Entwürfe
217
gesichert, dann wieder am 10. März 1524 und erhielt es 1542 zu
eigen. Es wird im Kontrakt von 15 16 beschrieben: „ein Haus mit
Holzdecken, Sälen, Kammern, Grundstück, Garten, Brunnen und
Nebenwohnungen." In dem Miethsvertrag, der nach des Meisters
Tode von Daniele da Volterra mit Lionardo Buonarroti abge-
schlossen wird, ist die Rede von einem Thurm, Stallungen, zwei
Nebenwohnungen, einem geräumigen Hof und einem Obstgarten.
Das Haus, von dem Nichts mehr erhalten, lag im Vicolo de' Fornari
ein wenig hinter S. Maria di Loreto ; der Garten stiess an die
Piazza Venezia (früher Piazza di S. Marco).
In seinem Werke über die Sixt. Kapelle II, S. 469, publizirt
Steinmann einen Stich von L. Rossini (in der Corsiniana, vgl.
Hermanin: Le Gallerie nazionali italiane IV, S. XLIV n. 10), welcher,
1809 angefertigt, angeblich das Vestibül mit der Treppe des
Hauses wiedergiebt. Es ist Steinmann entgangen, dass Letarouilly
in seinen Edifices (III, 326), wohl nicht ohne Kenntniss des Stiches,
dies Vestibül mit der Treppe dargestellt hat, es mit einigen Figuren
und Statuen, auch einem Kandelaber bereichernd. In seinem Text
(1860) spricht er von dem Gebäude als einem noch vorhandenen
und bemerkt, dass die Gewölbemalereien sehr zerstört seien. Unter
seiner Abbildung ist zu lesen: situee au pied du Capitole via d'Araceli.
Es war das Haus unmittelbar unter dem Kapitol in der via delle tre
pile Nr. 2 , welches die Inschrift trägt : Parva sed apta summo
pictori sculptori poetae architecto. Eine irrige Tradition verlegte
hierher die Wohnung des Meisters. Die Abbildungen Rossinis und
Letarouillys geben also nicht das Haus des Meisters , sondern ein
ihm willkürlich zugeschriebenes wieder und sind daher werthlos.
Von jenem ist uns keine Abbildung erhalten.
XVI
Erhaltene unbestimmte Entwürfe
Hier seien noch einige Zeichnungen angeführt, die mit keinem
der uns bekannten Werke eine Beziehung haben.
A. Grundrisse.
I. Grundriss einer Kirche. Florenz, Casa Buonarroti LV, 122.
Thode 171. Chor und angränzender Theil des Längshauses,
das kein Ouerschiff hat. Der Chor, tief, rechteckig, erweitert
sich kurz vor dem Längsschiff um Etwas. Altar vor ihm an-
gedeutet, mit zwei seitlichen Treppen, die aus dem Mittel-
schiff emporsteigen. Engstehende Säulen links in diesem, im
rechten Seitenschiff weitstehendc, denen Säulen an der Wand
entsprechen ; eine eingebaute Kapelle. Maassangaben.
2i8 Die Bauten in Rom
2. Theil des Grundrisses einer Zentralanlage. Ebenda III, 123.
Thode 72. Gedacht (aber nur die Hälfte gezeichnet) ist ein
Viereck mit Apsiden, die in der Mitte von dessen drei Seiten
vorspringen ; an der vierten Seite der Eingang. Die Vierung
ist durch vier Pfeiler, welche wohl eine Kuppel tragen, be-
zeichnet; die Querarme hat man sich mit Tonnen gedeckt zu
denken. In den Eckquadraten zwischen den Tribünen ist eine
seltsame Anordnung von je zwei Säulen, die, der Ecke ge-
nähert, vor die Wände treten. Fritz Burger (Rep. f. K. XXXI.
loi ff.) spricht von einem 1505 angefertigten Entwurf einer
Kapelle für das Juliusgrab, die als Anbau an S. Peter gedacht
worden sei. Von einer solchen Kapelle wissen wir gar Nichts.
3. Schwer verständlicher Grundriss. Ebenda XLVII, 114. Thode
164. Vorne eine Mauerflucht mit zwei durch einen Pfeiler
getheilten Eingängen. Der eine dieser Eingänge führt durch
einen kleinen Vorraum in einen breiteren Raum, der sich seiner-
seits durch einen dreigetheilten Eingang in einen, wie es scheint,
oblong gedachten Raum mit einem schmäleren Seitenschiff
(darin Altar angedeutet i^) auf der einen Seite, einem Anbau auf
der anderen öffnet. In jenem ersteren breiten Raum, der
Breite nach wie ein Narthex vor dem oblongen angeordnet,
eine Reihe von sechs Säulen. Auf der Rückseite Entwürfe
für Grabmal und eine Notiz : a di secte di giennajo parti da
Firenze per pietrasanta usw., was bestimmt auf das Jahr 1517
hinweist. Also aus der Zeit der Beschäftigung mit der Fassade
von S. Lorenzo. (Vgl. unten Grabdenkmäler I.)
B. Wandverkleidungen.
4. Ein durch zwei korinthische kannellirte Säulen, die volles Ge-
bälk tragen , gerahmtes Wandfeld mit viereckiger Nische,
welche eine stehende Statue enthält, über einem Sockel. Fein
in Röthel ausgeführte Zeichnung in der Casa Buonarroti XLV,
100. Thode 155. Daneben Grundriss, der auf eine reiche
Anlage eines Monumentes mit vorspringendem Mitteltheil und
Schmalseite — jedes Feld mit zwei Säulen — hinweist. —
Ein Grabmonument? Dürfte man an jenes der Päpste Leo X
und Clemens VII. denken ? (S. unten : Entwürfe zu Grabdenk-
mälern V.)
5. Dreigetheiite Wandverkleidung mit Attika. Im mittleren Felde :
ein altarartiges Postament und Nische mit Muschel (in der
Attika) darüber. Im Seitenfelde ein viereckiger Rahmen mit
Ohren (auch als Nische gedacht!^) Links kleine Skizze des Auf-
baues. Federzeichnung in Oxford Nr. 40. Thode 423. Es könnte
gedacht sein für die Reliquienunterbringung in S. Silvestro.
Studien nach antiken Architekturtheilen 219
C. Nischen.
6. Altar. Die Rahmung mit Spitzgiebel auf Volutenkonsolen.
Im Innern rechteckige Nische über einem altarartigen Posta-
ment mit zwei Volutenkonsolen. In der Formensprache an
die Fenster des Palazzo Riccardi erinnernd. Federzeichnung
in der Casa Buonarroti XLV, 10 1. Thode 156.
7. Halbrunde Nische mit Muschelwölbung , eingerahmt von zwei
jonischen (korinthischen .?) Säulen, über deren Gebälk ein Spitz-
giebel sich erhebt. Zu dessen Seiten Akroterien angedeutet.
Daneben nochmals flüchtiger Entwurf des Giebels. Röthei-
zeichnung in der Casa Buonarroti XL VI, 112. Thode 162.
Auf der Rückseite Brief konzept vom 26. Januar 1523. Ich
stellte oben die Frage, ob es sich um eine Nische für den
Garten des Herzogs von Mantua handele. — Dies bleibt aber
durchaus ungewiss. (S. oben II, S. 146.)
XVII
Studien nach antiken Architekturtheilen
Im British Museum und in der Casa Buonarroti befinden sich
eine Anzahl von Rötheizeichnungen nach antiken Bautheilen, die,
wenn auch nicht alle im Format übereinstimmend, doch der Be-
handlung und den Vorwürfen nach zusammengehören. Die Auf-
nahmen sind nicht nach den Bauwerken selbst, sondern zweifellos
nach Vorlagen angefertigt. Letztere glaubte Fagan, was die Lon-
doner Blätter anbetrifft, in Serlios 1537 erschienener Regola zu
finden, und Einiges Hesse sich wohl auch ungezwungen auf diese
beziehen, doch wurde der viel schlagendere und umfänglichere Zu-
sammenhang mit einem Skizzenbuch im Soane Museum in London,
bezeichnet als: ,,Architectura Civilis Andrea Coneri" neuerdings
von T. Ashby junior nachgewiesen, welcher es in den ,,Papers of
the British School at Rome" vol. II, 1904 publizirte. Es enthält eine
grosse Anzahl sauber mit der Feder gezeichneter antiker Architekturen
und Bautheile (auch einige der Renaissance), denen häufig Angaben
über die Originale und Maasse, sowie Annotationen beigegeben sind.
Zwei Künstlerhände sind zu unterscheiden. Der ältere Meister, der
für uns allein in Betracht kommt, muss um 1 5 1 5 seine Zeichnungen
angefertigt haben. Ob er der ,,clericus Bambergensis diocesis"
Andreas Concr, von dem sich ein am i. September 15 13 an Ber-
nardo Rucellai in Florenz gerichteter Brief (in Kopie) in dem Buche
befindet, war, erscheint mehr als zweifelhaft. Das erhaltene Inventar
dieses sonst unbekannten Mannes, der 1527 in Rom gestorben ist,
lässt ihn als einen Alterthumsliebhaber erkennen. Das Wahrschein-
220 Die Bauten in Rom
liehe ist, dass er sich die Aufnahme von einem italienischen Künstler
machen Hess, der vielleicht Giuliano da San Gallos Skizzenbücher
gekannt hat oder aus der gleichen Quelle , wie Dieser , in einigen
Fällen, wo er Gebäude ausserhalb Roms wiedergab, schöpfte.
Ashbys Nachweise lassen nun keinen Zweifel darüber, dass die
Michelangelo zugeschriebenen Zeichnungen von denen in Coners
Skizzenbuch abhängig sind — nicht etwa die Coner'schen von
denen Michelangelos — und er hält es auf Grund des Vergleiches
für undenkbar, dass der Meister selbst der Kopist gewesen, da die
Studien in London und Florenz zu schüchtern und unbedeutend
und die Vorlagen wiederholt missverstanden seien, auch die Maass-
angaben fehlten. Es könne sich nur um einen Schüler Michel-
angelos handeln. Dem hat Frey neuerdings widersprochen. Er
glaubte, dass sowohl Coners als Michelangelos Zeichnungen auf
ein älteres Skizzenbuch zurückzuführen sind und der Letztere als
Jüngling bei seinem ersten Aufenthalte in Rom durch diese Kopien
sich eine Kenntniss der antiken Architektur zu verschaffen bemüht
gewesen ist.
Nehmen wir eine Nachprüfung der sorgfältigen Untersuchungen
Ashbys vor, so müssen wir einige der von ihm angeführten Blätter,
als nicht zu der Serie gehörig, ausscheiden, nämlich die beiden
Federzeichnungen in der Casa Buonarroti XXIV, 5 und 7 (für die
Libreria s. oben II, 127), sowie die auf die Medicigräber bezüglichen
ebendaselbst LVill, 9 und 10. (Vgl. oben I, S. 500. Nr. LXIII und
LXIV.) Auch London 1859 — 6 — 25 — 549, in dem sich auch keine
Beziehung zu Coner findet, lasse ich vorläufig bei Seite. Im Übrigen
folge ich der von Ashby (App. II, S. 80) gegebenen Anordnung
und Bezeichnung und lasse bei der Besprechung der verschiedenen
Studien auf einem Blatte, dieselben, wie er, aufeinanderfolgen, in-
dem ich von links oben, wie beim Lesen einer Seite, ausgehe.
I. London, British Museum 1859 — 6 — 25 — 560 (i). Thode 302.
Ber. 1506. Abb, Frey 85. Gebälk mit darunter angegebenem
Säulenkopf und mit Kranzgesims vom Marcellustheater. Coner
"z^. Die gleiche Ansicht. Die Triglyphe links ist nicht aus-
geführt, links nicht die Ecke des Gebäudes angegeben, sondern
das Gebälk fortlaufend gedacht. — Verso. Abb. Ashby PL A.
Frey 86. Zehn Kapitale, an denen das Ornamentale nur an-
gedeutet ist, wie dies auch in den folgenden Studien oft der
Fall. Aus S. Maria maggiore. a) Weniger von unten gesehen
als bei Coner 119 a. — b) Von S. Niccolo in Carcere. Nicht,
wie bei Coner 119 b von unten gesehen und der Durchschnitt
gegeben, sondern einfache Gesamtansicht. — c) Unbekanntes
Vorbild. Blosses Profil, v^ährend bei Coner 122b Durch-
schnitt. — d) Vom Monte Cavallo. Mit Coner 119 c über-
Studien nach antiken Architekturtheilen 221
einstimmend. — e) Im Barberini'schen Skizzenbuch Giuliano
da San Gallos 14 v : in Trastevere. Nicht wie bei Coner
iigd von unten gesehen und mit Durchschnitt, sondern ein-
fache Ansicht. — f) Im Palast des Kardinals von S. Giorgio
(Cancelleria). Nicht wie bei Coner iige von unten gesehen
und mit Durchschnitt, sondern einfache Ansicht. — g) Bei
S. Matteo. Coner 120 b. Dieselbe Verschiedenheit. — h) Vom
Kapitol. Coner i2od. Dieselbe Verschiedenheit. — i) Im
Hause Valle. Coner 120 a. Dieselbe Verschiedenheit. — j) Bei
S. Prassede. Profil. Übereinstimmend mit Coner 122 f
II. London, British Museum 1859 — 6 — 25 — 560(2). Thode 303.
Ber. 1505. Abb. Ashby PI. B. Verschiedene architektonische
Details. a) Kranzgesims des Konstantinsbogens. Wie bei
Coner 88 a. — b) Profil des Kranzgesimses am Rundtempel
von Tibur. Bei Coner 92 a. Kapital , Architrav , Fries und
Kranzgesims gegeben. — c) Profil des Architraves eines bei
Coner 89 a ganz gegebenen Gebälkes von der Torre delle
Milizie. — d) Profil des Architraves vom Forum Transitorium
(Le Colonnacce). Bei Coner 89 b das ganze Gebälk. —
e) Säulenbau (nur ein Drittel) vom Konstantinsbogen. Bei
Coner 87 a die Hälfte der Basis und Durchschnitt. — f) Detail.
Nach Coner 49. — g) Profil des oberen Gesimses am Marcellus-
theater. Bei Coner 93 a schräge Ansicht des Gebälkes selbst.
— Verso. In den Skizzen hier wies ich früher Studien für
die Fassade von S. Lorenzo nach. (II, loo Nr. XIX.)
III. Florenz, Casa Buonarroti XXn, i. Thode 89. Linke Hälfte
des Blattes. Phot. Alin. 1006. Abb. Frey 82. a) Profil
des Piedestals des Titusbogens. Coner 137 f. — b) Profil einer
Plinthe vom Marcellustheater. Coner 137 e. — c) Schluss-
steinkonsole vom Bogen des Sept. Severus. Bei Coner 147 a
ausgeführt, hier nur im Umriss. — d) Korinthisches Kapital.
Woher? Übereinstimmend mit Coner 140a. — e) Kapital.
Woher.'' Übereinstimmend mit Coner 140b. — f) Kapitale.
Von S. Giovanni in Laterano. Die Kapitale bei Coner 144 b
und d halbirt aneinandergefügt. — g) Kapital. Erinnert an
Kapitale in S. Maria in Trastevere. Coner 148 a. — h) Kapital.
Coner 148 c. — Rechte Hälfte des Blattes. Phot.
Alin. 1004. Abb. FreySi. a) Kapital. Aus Tibur. Coner 123. —
b) Basis. Aus Tibur, Coner 124 a. — c) Basis. Bei dem Mar-
cellustheater. (Giulianos Skizzenbuch. Barberini 7 1 v.) Coner
124 c. — d) Basis. S. Anastasia. Coner I24d. — e) Basis. In
S. Bartolommeo. Coner 125 b. (Codex Escur. ed. Egger fol.
23, b.) — f) Basis. Bei den Santa Croce. Coner 125 a. —
g) Basis. ,,In domo Campolinis". Coner 126 b. — h) Basis.
222 Die Bauten in Rom
Woher? Coner 131a. — i) Basis. Woher? Coner 131b. —
j) Basis. Baptisterium des Lateran. Coner 132 a. — k) Basis.
S. Croce in Gerusalemme. Coner 132 b.
Rückseite der linken Hälfte des Blattes, a) Renais-
sancekapitäl. Coner 138 f. — b) Kapital aus S. Croce in
Gerusalemme. Coner 138 h. — c) Pilasterprofil aus dem unteren
Hof des Belvedere. Coner 117c. — d) Gesims. Woher?
Coner ii6h. — e) Säulenplinthe aus unterem Hof des Belve-
dere. Coner 117 a. — f) Dito. Coner 117 b. — g) Kapital
aus S. Croce in Gerusalemme. Coner 138!. — h) Nicht be-
stimmbar. — i) Gesims von S. Maria della Consolazione.
Coner 115 f. — k) Gesims, bez. „Antonii" (Antonio da San
Gallo). Coner 115 c. — 1) Gesims „Antonii". Coner Ii6i. —
m) Basis. Aus unterem Hof des Belvedere. Coner Il7d. —
Rückseite der rechten Hälfte des Blattes, a) Bra-
mante'sches Gesims ,,circum aram S. petri". Coner Ii6b. —
b) Gesims beim Vespasiansbogen. Coner ii6c. — c) Gesims.
„Antonii" (Antonio da San Gallo). Coner Il6e. — d) Säulen
aus erstem Geschoss des Hofes der Cancelleria. Coner 68 c. —
e) Säule. Bei S. Prassede. Coner 68 a.
IV. Florenz, Casa Buonarroti XXII, 2. Thode 90. Linke Hälfte
des Blattes. Phot. Alin. 1002. Frey Abb. 83. a) Kranz-
gesims. Beim Marcellustheater. Coner 84 a. — b) Kranz-
gesims bei S. Lorenzo in Miranda. Coner 84b. ■ — Rechte
Hälfte des Blattes. Phot. Alin. 1003. Frey Abb. 84.
Gebälk der Basilica Aemilia. Coner ']'j.
Rückseite der linken Hälfte des Blattes, a) Ge-
sims. Vom Ponte molle. Coner 112 a. — b) Gesims. Woher?
Coner 113 c. — c) Plinthe. Coner 113 c. — d) Gesims vom
Colosseum. Coner 113 d. — Rückseite der rechten
Hälfte, a) und b) Fassadenreste vom Mausoleum der Plautii
beim Ponte Lucano. Coner 49 a und b.
V. Florenz, Casa Buonarroti XXIII, 3. Thode 91. Phot. AHn. 1016.
Abb. Frey 101. a) Pilasterbasis vom Templum Solls Aureliani ij).
Coner 81 b. — b) Dorisches Gebälk ,, Antonii" (Antonio da San
Gallo). Coner 82. — c) Kranzgesims von S. Maria in Prassede.
Coner 83 e. — d) Gesims aus der Cancelleria. Coner 83 c
(nicht, wie bei Coner verdruckt: 83 d). — e) Gebälk eines Grab-
mals an der Via Nomentana. Coner 75. — Rückseite der
linken Hälfte des Blattes. Phot. Alin. 1003 (Coner
sagt: 1035). Frey 102. a) Gebälk vom Palatium Mecenatis
(Templum Solls Aureliani). Coner 81 a. — b) Gesims. Woher?
Coner 83 b. — c) Kranzgesims vom Kapitol. Coner 83 d. —
Rückseite der rechten Hälfte, a) Kapital vom Mar-
Studien nach antiken Architekturth eilen 223
cellustheater. Coner "/^ (wo das ganze Gebälk). — b) Gesims
vom Cortile des Belvedere. Coner 78.
VI. Florenz, Casa Buonarroti XXIII, 4. Thode 92. Linke Hälfte
des Blattes. Phot. Alin. 1005. a) Gesims ,,apud Colum-
nam Trajanam. Coner 109 d. — b) Gebälk vom Tempel des
Kastor und Pollux. Coner 85. — c) Gesims nicht bestimm-
bar. — d) Gesims, ,,in s. petro". Coner 90a. — Rechte
Hälfte des Blattes. Phot. Alin. 1007. a) Gesims, bei
S. Marco gefunden. Coner 73 a. — b. Dorisches Kapital.
Woher .^ Coner 74. — c) Gesims. Woher .^ Coner 109 c. —
d) Gesims. Vom Tempel der Minerva. Coner 109 a.
Rückseite der linken Hälfte des Blattes, a) Ge-
sims. Von den Quattro santi Coronati. Coner 109 b. — b) Ge-
sims. Bei S. Paolo fuori. Coner iioc. — c) Gesims. Bei
S. Maria nuova. Coner iiod. — d) Gebälk der Nischen des
Pantheon. Coner 1 1 1 b. — e) Architrav, unbestimmt. — Rück-
seite der rechten Hälfte des Blattes, a) Gesims,
unbestimmt. Coner 72 a. — b) Gebälk. Woher .^ Coner 72 b. —
c) Dorisches Gebälk ,, circa ecclesiam S. Petri". Coner 71b. —
d) Gesims. Bei S. Marco. Coner 73 b.
Vn. Florenz, Casa Buonarroti LVin, 8. Thode 175. Ber. 1457.
a) Thüre des Tempels von Tibur. Coner 32 b. — b) Fenster
des Tempels von Tibur. Coner 32 a. — • c) Linke Hälfte des
Konstantinsbogens, etwas von rechts gesehen. Coner 53. —
d) und e) Profil von Säulenbasen. — f) Kapital, nicht bestimmt
bei Coner nachzuweisen.
Sind diese Zeichnungen von Michelangelos Hand.? Ich muss,
wie Ashby, diese Frage verneinen. (Berenson ist nicht konsequent,
wenn er die Studien in London dem Meister zuerkennt, die in
Florenz nicht.) Die unbestimmte weichliche Art der Behandlung,
die Kraftlosigkeit der Linienführung, die Unsicherheit im Perspek-
tivischen, der Mangel an plastischer Prägnanz sprechen entschieden
gegen den Meister, Einzelne Blätter wirken zwar auf den ersten
Blick wohl etwas besser und kräftiger , als die Mehrzahl : bei
näherer Betrachtung erweisen sie sich aber doch auch als von
derselben Hand. Frey, der an die Ächtheit glaubt, sah sich ge-
nöthigt, eine frühe Entstehung in den neunziger Jahren des XV. und
Anfang des XVI. Jahrhunderts anzunehmen. Das ist aber schon
aus dem Grunde unzulässig, dass mehrfach Kopien nach Antonio
da San Gallo dem Jüngeren sowie einiger anderer Renaissancearbeiten
vorkommen, welche die Annahme, ein so altes Musterbuch habe
Michelangelo , wie Coner vorgelegen , ausschliessen. Die Nach-
bildungen können nicht vor 15 15, als dem Datum des Coner'schen
Buches, entstanden sein. Übrigens würde ich, selbst wenn die
224
Die Bauten in Rom
Dinge nicht so lägen, auch dem jungen Michelangelo die energie-
losen Zeichnungen nicht zuschreiben können. — Nun kommt aber
weiter dazu, dass auf der Rückseite des Blattes II, und zwar
von den Zeichnungen der Vorderseite dem Charakter nach unter-
schieden, ächte Studien zur Fassade von S. Lorenzo sich befinden
(15 17); dies lässt auf die Entstehung der Kopien nach Coner in dieser
Zeit, was vortrefflich mit der Entstehung des antikischen Skizzen-
buchs stimmt, schliessen. In eben jenen Tagen, da der Meister
die erste grosse architektonische Aufgabe mit der Fassade über-
nimmt und auf Belehrung bedacht sein muss, bietet sich ein Hilfs-
mittel in Coners Kollektion von Reproduktionen antiker Bautheile,
die ihm bekannt geworden sein muss, dar. Er benutzt es, aber
nicht, indem er selbst sich Kopien anfertigt, sondern indem er
sich dieselben von einem Bekannten oder Schüler anfertigen lässt.
So scheint sich mir der Vorgang auf das Natürlichste zu erklären.
Er hat diese Blätter in seinem Atelier und setzt auf die Rückseite
eines derselben eigene Studien. Wenn Frey für Michelangelos
Autorschaft geltend macht, dass auf einigen die Handschrift des
Meisters sich befinde, so gilt diese Behauptung nur von der er-
wähnten Rückseite von 11. Das Argument hat also keine be-
weisende Kraft.
Man vergleiche die ächten Architekturzeichnungen aus der
Periode der Arbeit an S. Lorenzo , der Medicikapelle und der
Libreria, die ich an den betreffenden Stellen namhaft gemacht
habe, um über ihre gründliche Verschiedenheit von unseren Röthei-
zeichnungen nicht im Zweifel zu bleiben. Einige andere Blätter
mit verwandten Studien, die aber doch nicht zu der erwähnten
Gruppe gehören und die ich Michelangelo selbst zuschreiben möchte,
führe ich hier an.
VIII. Florenz, Casa Buonarroti XXIV, 5. Thodegs. Feder. Kapitale,
Gesimse. Auch diese sind Studien nach der Antike, aber
nicht nach Coner'schen Zeichnungen.
IX. London, British Museum 1859—6—25—548. Thode 289.
Fagan XIX. Feder. Kapitale und Basen. Drei Renaissance-
kapitale , in der Art der bei Coner 138 gezeichneten, aber
nicht Wiederholungen. Das vierte ähnlich dem Kapital aus
S. Croce in Gerusalemme bei Coner 81.
X. London, British Museum 1859—6 — 25 — 549. Thode 290.
Fagan XX. Röthel. Jonisches Kapital mit kanellirtem Hals
und einige kleine Gesimsstudien.
IX
ENTWÜRFE FÜR GRABDENKMÄLER
UND FÜR KIRCHLICHE UND
PROFANE GEBRAUCHSGEGENSTÄNDE
■s
A. Entwürfe für Grabdenkmäler
Entwurf für ein Wandnischengrab 1517
A uf der Rückseite eines Blattes in der Casa Buonarroti XLVII, 114
X^ (Thode 164) befinden sich vier Skizzen zu einem einfachen
Wandnischengrab, alle ohne figürlichen Schmuck, i. In einer von
Pilastern mit geradem Gesims eingerahmten hohen Nische steht auf
hohem Untersatz mit Füssen der Sarkophag, der spitzen Deckel trägt.
Das Schema ist etwa das von Benedetto da Rovezzanos Grabmal des
Altoviti (gest. 1 507) in S. Apostoli zu Florenz, aber ohne Ornamentik
(Abb. 167 in Burgers Gesch. des Flor. Grabmales S. 280). — 2. In
einem viereckig gerahmten Wandfeld, dessen untere Hälfte leer
gelassen ist, steht oben in rundbogiger Nische der Sarkophag. Es
ist, nur vereinfacht, der Typus des Grabmales Gianozzo Pandolfinis
von Desiderio da Settignano in der Badia zu Florenz (Abb. 97 auf
S. 188 bei Burger). — 3. In quadratischem Wandfeld eingezeich-
netes Rund, in dem der Sarkophag steht. — 4. In quadratischem
Felde unten ein Rund mit Sarkophag, darüber eine Inschrifttafel.
Vorläufer für die Rundform in 3 und 4, in welcher der Arcosolien-
typus eine seltsamste Umwandlung findet, kenne ich nicht. Neben
den Skizzen befindliche Notizen besagen : ,,a di secte di giennajo
parti da firenze per pietrasanta e portal sessantuno duchato meco.
Per le pianelle ducati cinque. A meo fondatore ducati sei e a
scrivere." Wir gewinnen hieraus eine ungefähre Datirung, denn
wir wissen, dass Michelangelo im Jahre 15 17 am 7. Januar nach
Pietrasanta reiste. Von einem Auftrage auf ein Grabmal in dieser
Zeit wissen wir aber Nichts. Ein Florentiner, der vcrmuthlich be-
stimmte Wünsche im Sinne einer traditionellen Form des Denk-
males äusserte, dürfte der Besteller gewesen sein. Auf der Vorder-
seite des Blattes ist der Grundriss eines eigenthümlichen Gebäudes
(Haus? Kirche.?) mit einem Vorhof (s. oben II, S. 218. Unbestimmte
Entwürfe Nr. 3).
15*
228 Entwürfe für Grabdenkmäler
II
Altar des Hauptes Johannes des Täufers und Grabdenkmäler
in S. Silvestro in Capite 1518
Aus einem Briefe Piero Rosseliis an Michelangelo vom 8. Mai
1518 geht hervor, dass Piero Soderini in Rom den Gedanken ge-
fasst, eine Marmorbüste des Täufers in die Kirche S. Silvestro in
Capite zu stiften, in der sich die Reliquie des Hauptes Johannes des
Täufers befindet. Rosselli erbittet des Meisters Rath. Dann er-
weitern sich Soderinis Pläne, und er schreibt am 7. Juni an Michel-
angelo :
,,Theuerster Michelangelo! Da ich sehe, dass das Haupt des
glorreichen Johannes Baptista, des Schirmherrn und Sachwalters
unserer Nation, nicht so, wie es einem so grossen Heiligen gebührt,
verwahrt wird, ist mir der Gedanke gekommen, für dasselbe einen
Altar und schmuckreiche Einfassung, sowie eine Stätte für zwei
Gräber zu machen, wie Ihr von dem Überbringer Dieses erfahren
werdet, und 500 Dukaten dafür auszugeben. Alles aber will ich
nach Eurem Rath, Anordnung und Entwurf machen. Auch über-
lasse ich Euch die Bestimmung des Honorars für die Arbeiten.
Es scheint mir nicht richtig, etwas Anderes als Halbreliefs zu machen,
denn ich sehe, dass hier in Rom mit der Zeit Figuren und Statuen
weggenommen werden. Möchte es Euch gefallen. Euch hierum,
meinem Vertrauen zu Euch entsprechend, zu bemühen und mJr
Antwort zu geben. Und diese Dinge, die aus Devotion gethan
werden, wollen, wie Ihr wisst, geheim gehalten sein. Möge Gott
Euch seine Gnade schenken! Mit einem solchen Dienst könnt Ihr
mich zur grössten Dankbarkeit verpflichten."
Der Meister hat hierauf entgegenkommend geantwortet, nur
gebeten, die Arbeit in Florenz ausführen zu können. Soderini
bittet darauf hin, ihm ein Modell, d. h. eine Zeichnung zu senden,
Marmor zu beschaffen und ihn von zwei oder vier Gehülfen bear-
beiten zu lassen. Die Figuren — offenbar hat Michelangelo doch
Statuen in Vorschlag gebracht — könne er ja dann in aller Be-
quemlichkeit selbst ausführen oder an Andere verdingen (24. Juli 15 18).
Michelangelo sendet eine Zeichnung ein, die Soderini gefällt; nur
wäre es Diesem erwünscht, dass der Meister selbst nach Rom käme
und die Anordnung träfe. An Frizzi , der Michelangelo für die
Ausführung empfohlen hat, will sich Soderini wenden (30. Oktober).
Er zieht auch den Bildhauer Antonio di Filippo del Tanghero
heran, der am 26. November an Michelangelo schreibt : die Zeich-
nung gefalle auch ihm sehr, und es würde ,, etwas Reiches und
Schönes" werden; nur sehe sie unglückHcher Weise eine Höhe
Das Grabmal des Franzesco Gonzaga 1519 229
von 70 Palmi vor ; höher wie 50 Palmi aber könne man nicht
gehen und es scheine ihm, dass der Entwurf eine solche Verkleine-
rung nicht vertrage (26. November).
Der Plan, von dem diese Briefe, die Frey (S. 10 1 ff.) veröffent-
lichte, berichten, ist nicht zur Verwirklichung gelangt. Es fragt
sich, ob uns ein Entwurf für ihn erhalten ist. Ich glaube : ja. In
Betracht scheint mir eine Zeichnung in derCasa Buonarroti
(XL VI, HO. Thode 160. Ber. 1454) zu kommen, welche neben ein-
ander erstens den Entwurf eines zierlichen Reliquienbehälters (a),
zweitens den Entwurf eines Sarkophages (b), drittens einen flüch-
tigen früheren, weniger glücklichen Entwurf für das Ciborium (c)
und viertens eine gleichfalls frühere Skizze für den Sarkophag (d)
unter a zeigt. Der Reliquienbehälter a hat über einem geschwungenen
Fuss ein achtseitiges, mit kuppeiförmigem Dach bedecktes Ge-
häuse , an dessen vier vorspringenden Hauptseiten kleine Nischen,
abwechselnd mit Spitz- und mit Segmentgiebel, an den anderen Seiten
je eine viereckige und darüber eine runde Füllung sich befinden.
Das Nebeneinander eines Reliquienbehälters und eines Sarko-
phages scheint mir die Beziehung dieser Studien auf Soderinis Ent-
wurf wahrscheinlich zu machen. Für die Datirung gewinnen wir
aus den Ricordi auf der Rückseite des Blattes einen ungefähren
Anhalt (Gotti II, 185. Lett. 567). Sie fassen kurz die Geschichte der
Fassade von S. Lorenzo vom 5. Dezember 15 16 bis zum 25. Februar
15 18 zusammen. Wie so oft hat er auch hier die Rückseite eines
Zeichnungsblattes benutzt, seine Gedanken zu skizziren — die
Datirung der Skizzen auf 15 18 ist, wenn auch nicht sicher, so doch
wahrscheinlich. Mit den Medicigräbern, an die man ja auch denken
könnte, haben sie Nichts zu thun. Die Meinung Freys (73) — nur
auf eine künstliche Datirung gestützt — , es handle sich um das
Ciborium von S. Lorenzo und das Grabmal des Barbazza, wies ich
schon (n, 107) zurück. Das erstere war ganz anders geplant.
m
Das Grabmal des Francesco Gonzaga 1519
Am 28. Mai 15 19 schrieb der Marchese Federico Gonzaga an
Baldassare Castiglionc in Rom: ,,da wir daran denken, ein ehren-
volles Grabmal für unseren erlauchtesten Herrn Vater seligen An-
gedenkens machen zu lassen, wollet vier oder sechs schöne Grab-
malentwürfe von Michelangelo, Raphael und von anderen tüchtigen
Künstlern, die sich in Rom befinden, anfertigen lassen und schickt
sie uns". (Ad. Venturi: Arch. stör, dell'artc 1888 I, S. 6, A. 4 und
Campori : Note e doc. per la vita di G. Santi e Raffacllo).
Da Michelangelo nicht in Rom war, erhielt Raphael den Auftrag.
2^0 Entwürfe für Grabdenkmäler
IV
Das Grabmal des Bartolommeo Barbazza in Bologna
Im Leben des Tribolo (VI, S. 59) erzählt Vasari, wie der
Bolognesische Edelmann, der Kanonikus Bartolommeo Barbazza den
jungen Tribolo von Florenz nach Bologna brachte und ihm dort
den Auftrag der Skulpturen an der Fassade von S. Petronio ver-
schaffte. Während der Pest 1525 kehrte der Künstler nach Florenz
zurück und kam dann wieder nach Bologna, „wo Messer Bartolommeo
ihn davon abhielt, irgend Etwas an der Fassade zu thun und sich,
da viele seiner Freunde und Verwandten gestorben waren, ent-
schloss, für sich und für sie ein Grabmal machen zu lassen. Und
so, nachdem er ein Modell angefertigt, das Messer Bartolommeo,
bevor er irgend etwas Anderes mache, ausgeführt haben wollte,
ging Tribolo selbst nach Carrara, um den Marmor an Ort und
Stelle zu bearbeiten und die Blöcke leichter zu machen, in der
Absicht, so einerseits den Transport dadurch bequemer und andrer-
seits die Statuen grösser zu machen. Und so, um keine Zeit zu
verlieren, abbozzirte er zwei grosse Putten aus Marmor, die mit
allen übrigen Werkstücken, unvollendet wie sie waren, nach Bologna
gebracht, und als plötzlich Messer Bartolommeo starb (was Tribolo
in solchen Schmerz versetzte, dass er nach Florenz heimkehrte),
mit anderen Marmorblöcken in eine Kapelle von S. Petronio ge-
stellt wurden, wo sie noch heute sind."
Dies Modell Tribolos ist nach einer Zeichnung Michelangelos
angefertigt worden. Milanesi wies auf einen Brief Barbazzas vom
3. Oktober 1525 hin, den Frey veröffentlicht hat (S. 259). Er lautet:
„An den ausgezeichnetsten Architekten und einzigsten Maler,
den wie ein Bruder verehrten Messer Michelangelo in Florenz. In
Eurer Güte und Menschenfreundlichkeit habt Ihr mir vor einigen
Jahren eine Zeichnung ftir das Grabmal meines Vaters guten An-
gedenkens gemacht und durch den verehrungswürdigsten Messer
Hieronymo Massaino gesandt. Nun, da ich im Begriff bin sie ganz
ausführen zu lassen, meinen Einige, dass das Grabmal weiter von
der Mauer vorspringe, als es die Zeichnung zeigt. Ich habe es
unserm Niccolö Tribolo und Solosmeo, den talentvollen Florentinern,
die an der Kirche unsres heiligen Petronius zu arbeiten begonnen
haben, gezeigt, und sie senden Euch eine Kopie Eurer Zeichnung.
Es wäre mir sehr lieb, wolltet Ihr sie über ihren Zweifel auf-
klären; ich würde Euch dafür sehr verpflichtet sein und nenne
mich Euren Schuldner. Befehlt über mich in Allem, was ich ver-
mag und kann. Sie senden Euch auch die Maasse der Breite und
Höhe der Kapelle. Lebt wohl."
Auftrag des Kardinals Cibo auf den Entwurf eines Grabmales 1531 231
Michelangelo erfüllt die Bitte. Am 29. Oktober dankt ihm
Barbazza; „ich habe Euer Schreiben mit dem Grundriss und dem
Profil des Grabmales und mit den Angaben, wie weit es vor die
Mauer treten solle, empfangen und bin Euch sehr verbunden dafür.
Tribolo und Solosmeo sollen in Allem, was ich vermag, aus Liebe
zu Euch erfahren, dass Eure Empfehlungen Befehle für mich sind.
Und mit diesem sende ich Euch sechs unserer grossen Würste ;
möchtet Ihr Genuss daran finden. Und ohne Unterlass empfehle
ich mich. Lebt wohl!"
Auch Tribolo giebt, zugleich in Solosmeos Namen, seiner Dank-
barkeit Ausdruck : ,,wir haben Eure Zeichnung empfangen, um die
wir gebeten hatten. Ihr habt uns einen solchen Dienst erwiesen,
dass wir Euch für immer verpflichtet sind. Habt Dank. Wir haben
uns zu viel mit Euch herausgenommen. Sind wir Euch zu lästig
gefallen, so verzeiht uns und nehmt unsere Entschuldigungen an."
Das Grabmal, das also schon einige Jahre vor 1525 von
Michelangelo entworfen worden war, ist nicht zur Ausführung ge-
langt. An die vier Entwürfe eines Wandnischengrabes auf dem
Blatt XL VII, 114 in der Casa Buonarroti (s. I, 227) zu denken, ist
nicht möglich, da nach Vasaris Schilderung das Grabmal Statuen,
und zwar in grossen Verhältnissen, enthalten sollte und bezüglich
der Ausführung einer dieser Skizzen die Frage, wie weit es vor die
Wand vorspringen solle, keine Rolle gespielt hätte. Über Freys
von mir zurückgewiesene Annahme, der Sarkophag auf der Zeich-
nung Casa Buonarroti XL VI, iio sei für das Denkmal bestimmt
gewesen, s. oben S. 229.
V
Auftrag des Kardinals Cibo auf den Entwurf eines
Grabmales 1531
Im November 1530 befand sich der Kardinal Cibo in Florenz.
Am 17. schickt Giovanbattista Figiovanni früh eine Zeile an Michel-
angelo in Dessen Wohnung: ,,der verehrungswürdigste Kardinal
Cibo, Neffe Seiner HeiHgkeit, ist auf dem Wege nach Rom in
Florenz. Er wünscht erstens wegen einer Angelegenheit, die ihm
sehr am Herzen liegt, mit Euch zu sprechen und dann, wenn es
Euch gefällig, mit einigen Personen heute Morgen Euer lobens-
werthes Werk zu sehen, um, wie es seine Pflicht, Seiner Heiligkeit
Nachricht davon zu geben. So möge es Euch gefällig sein, heute
Morgen nicht gleich an die Arbeit zu gehen, damit er in seinem
Hause, wo er zu finden ist, oder bei Euch mit Euch über die An-
gelegenheit und seine Wünsche sprechen und dann, wenn Ihr es
wollt, die Statuen sehen könne." (Frey: Briefe S. 306.)
232
Entwürfe für Grabdenkmäler
Die „Angelegenheit" wird wohl nichts Anderes gewesen sein,
als der Auftrag auf das Grabmal, das der Kardinal sich zu er-
richten wünschte. Denn am 4. Dezember 1531 ist hiervon die
Rede. Cibo bittet damals Michelangelo, ihm die Zeichnung oder
das Modell für sein Grabmal zu machen, für das er 1800 bis
2000 Dukaten ausgeben will. Der Meister solle es nicht selbst
ausführen, sondern nur den Entwurf machen und einen oder mehrere
Schüler, die ihn ausführen, senden. (Gotti I, 212.)
VI
Zeichnungen für die Grabmäler Leos X. und Clemens VIl.
in Rom 1534, 1535
Nach dem Tode Clemens' VII. erhielt Alfonso Lombardi vom
Kardinal Hippolyt Medici den Auftrag, die Grabdenkmäler, die
zuerst für S. Maria Maggiore , dann für den Chor von S. Maria
sopra Minerva bestimmt wurden, anzufertigen. Er macht ,,nach einigen
Skizzen von Michelangelo" ein Modell mit Wachsfiguren, das für
sehr schön gehalten wurde (Vasari V, 90). Dann aber bringt
Bandinelli, wie ausführlich von Vasari (VI, 163 ff.) erzählt wird, den
Auftrag an sich, und der Kontrakt wird am 25. März 1536 mit ihm
abgeschlossen. Er Hess die Arbeit 1 540 aber im Stich , und die
Statuen der Päpste wurden: Leo von Raffaello da Montelupo,
Clemens von Nanni di Baccio Bigio ausgeführt. Eine Zeichnung,
die möglicher Weise für Alfonso Lombardi bestimmt war, habe
ich bereits gelegentlich der Entwürfe für die Medicigräber (s. oben I,
S. 478 f unter Nr. XL, XLI und XLII) ausführlich besprochen. Ob
man etwa auch bei der fein in Röthel ausgeführten Studie zu einer
Wanddekoration in der Casa Buonarroti XLV, 100 (Thode 155, s.
oben II, S. 218 Unbestimmte Entwürfe Nr. 4) an die Denkmäler
Leos und Clemens' denken dürfte, lasse ich dahingestellt.
VII
Das Grabmal Cecchino Braccis 1544
In der I. Ausgabe seiner Vite (S. 987, Frey S. 174) sagt Vasari:
für Luigi del Riccio , seinen vertrauten Freund, das Grabmal des
Cecchino Bracci. Einiges Weitere erfahren wir aus Briefen. Am
12. Januar 1544 schreibt Luigi an Giannotti : „Messer Michelagnolo
macht mir die Zeichnung eines schicklichen Grabmales aus Marmor,
und Ihr werdet geruhen, das Epitaph zu machen und es mir mit
einem Trostbriefe zu senden." Im Dezember 1545 theilt Michel-
Das Grabmal Cecchino Braccis 1544 233
angelo Riccio, der in Lyon ist, mit: ,,Ürbino hat mit Messer Aurelio
gesprochen und wird nochmals mit ihm sprechen; und nach dem,
was er mir sagt, werdet Ihr den von Euch gewünschten Platz für
das Grabmal Cecchinos erhalten : und besagtes Grabmal nähert sich
der Vollendung und wird schön ausfallen."
Das Denkmal befindet sich in S. Maria in Araceli an der linken
Wand des Einganges, der vom Kapitol her in die Kirche führt,
und trägt das Epitaph : Francisco Braccio Florentino nobili adoles-
centi immatura morte praerepto anno agenti XVI. die VIII. Januarii
MDXLim., sowie die Inschrift : M. M. V. Alvisius del Riccio affini
et alumno dulciss. P. Invida fata puer mihi te rapuere sed ipse
do tumulum et lachrymas quae dare debueras (P. F. Casimiro :
Mem. stör, della Chiesa di S. M. in AraceH. Rom 1736. Forcella,
Iscrizioni I, S. 167, Nr. 632).
Das merkwürdiger Weise bisher ganz unbeachtet gebliebene
Grabmal verräth auch durch seine Anlage , dass es nach einer
Zeichnung des Meisters ausgeführt worden ist. Sehr einfach und klar
in der Disposition, wie geschreinert, erhebt sich über vier kräftigen
kurzen Volutenkonsolen, deren zwei mittlere über zwei eine flache
Tafel einschliessenden Masken von Männerköpfen ansetzen, eine
Wandarchitektur : ein Hauptgeschoss , das von zwei lisenenartigen
Pilastern eingerahmt wird, und darüber eine Attika. Der einfach
profilirte, auf kräftigen kannellirten Trägern stehende Sarkophag,
dessen Deckel durch zwei abwärtsgehende, einen Mohnkranz ein-
schliessende Voluten gebildet wird , nimmt die volle Breite der
flachen Nische ein. In der Mitte über ihm befindet sich eine kleine
viereckige Nische, in welcher die Büste Cecchinos steht. Über ihr
tritt auf kräftigen Volutenkonsolen ein Segmentgiebel hervor, der
in die Attika emporragt. Links und rechts von der Nische : das
redende Wappen des Bracci (ein erhobener Arm) und darunter je
eine Inschrifttafel. Auf dem Kranzgesims links und rechts ein
kleiner Kandelaber, in der Mitte von zwei sich anschmiegenden
Voluten eingerahmt ein Postament mit Kranz. Die wenigen Orna-
mente, die vorkommen, bestehen nur aus Masken.
Wie die Ausführung der Architektur, ist auch die Büste, die
den Jüngling mit leicht gelocktem Haar, länglichen Gesichtszügen,
hellen offenen Augen in einem schlichten Rock mit Kragen ein
wenig nach links gewandt zeigt, nicht von Michelangelo, sondern
von Urbino.
Der hier geschaffene einfache Typus eines architektonischen
Wandgrabes , dessen einziger plastischer Schmuck die Büste des
Verstorbenen ist — allgemeine Anregungen nach dieser Seite hin
hatte besonders Mino da Fiesole gegeben, der in seinem Salutati-
denkmal ja auch nur die Büste bringt — hat reiche Nachfolge ge-
234
Entwürfe für Grabdenkmäler
funden. Als eine direkte Nachahmung des Braccidenkmales ist
dasjenige Raphael Riarios im Chor von S. Apostoli zu Rom zu
bezeichnen. In S. Maria in Araceli selbst aber vermag man zu ver-
folgen, wie der neue Gedanke aufgenommen vjard (z. B. Grabmal
des Gentilis Delphinius, 1560, des Michel Antonio Marchione 1575,
des Julius Castelvetro 1588).
VIII
Rath bezüglich des Grabmales des Herzogs
von Suessa 1525
Leonardo Sellajo theilt am 5. Januar 1525 Michelangelo
Folgendes mit (Frey: Briefe S. 244): „Der Maler Bastiano ist bei
mir gewesen und sagt mir, der Herzog von Suessa wolle ein Grab- -
denkmal für sich und seine Gattin machen und er habe ihm seinen
Wunsch ausgedrückt, Ihr solltet es machen. Er erwiderte, dies
sei nicht möglich, da Ihr Unserem Herrn verpflichtet seid. Nun
wünschte er aber wenigstens auf alle Fälle Euren Rath und eine
kleine Skizze von Euch; er beabsichtigt bis zu 4000 Dukaten aus-
zugeben. Und da Baco di Michelangelo (Bandinelli) den Auftrag
auf das Werk wünscht und so auch jene Schüler Raphaels von
Urbino für ich weiss nicht welchen ihrer Freunde , so möchte
Bastiano, da er weiss, was Baccio gegen Euch gethan hat und Jene
gegen ihn selbst, die Gelegenheit benützen, sich zu rächen. Er
hat den Sansovino vorgeschlagen und wünschte, falls es Euch gut-
dünkt, Ihr sagtet Eure Meinung, dass er so gut wie ein Anderer
sich eignet. Und dies möchtet Ihr Bastiano und nicht dem Herzog
schreiben, denn Bastiano will nicht, dass Jene den Auftrag erhalten.
Und ich meinerseits glaube, dass der Sansovino, nämlich Jacopo,
es gut machen würde, namentlich wenn Bastiano ihm zur Seite
stünde". Michelangelo ist auf diesen Gedanken eingegangen und
hat Jacopo Sansovino empfohlen, der ihm am 22. Februar dankt:
„durch Euer Schreiben an den Maler Sebastiane vernahm ich von
der Gunst, die Ihr mir bei dem Herzog von Suessa erwiesen habt,
wofür ich Euch danke, so gut ich es nur weiss und kann" (Frey
S. 248).
Der Plan kam aber nicht zur VerwirkUchung, denn der Herzog,
der als kaiserlicher Gesandter am päpstlichen Hofe die Interessen
Karls V. vertrat, gab ihn im Hinblick auf die sich immer mehr ver-
wirrenden politischen Zustände auf Er sagte zu Sebastiano : che
bisognava atendere a le armi et non a marmi addesso (Brief
Sebastianos vom 22. April 1525. Mil. Les Correspondants S. 32).
Rath bezüglich eines Denkmales für den Prinzen von Orange 235
IX
Rath bezüglich eines Denl^males für den Prinzen
von Orange 1531
Ein Orlando Dei schreibt am 29. Januar 1531 aus Lyon an
den Meister:
„Verehrter Michelangelo, ich empfehle mich Euch so viel ich
kann. In der vergangenen Zeit hatte ich keine Veranlassung, Euch
zu schreiben; Gegenwärtiges sende ich nun, um Euch zu benach-
richtigen davon, dass der Bildhauer Giovanbattista, den Ihr, wie ich
weiss, gut kennt, vornehmlich seines Talentes wegen, dann aber
auch dank der Vermittlung eines Eurer Freunde von Madame,
der Prinzessin von Orange, den Auftrag erhalten hat, das Grabmal
ihres Sohnes, des Prinzen von Orange, zu machen. Und diesen
Brief erhaltet Ihr aus seiner Hand ; und ich will Euch nicht lang-
weilen, er wird Euch mündlich Alles Nähere über diesen Plan mit-
theilen. Vertrauensvoll möchte ich Euch bitten, Ihr wollet in jeder
Hinsicht, wie Ihr es gewohnt, ihm Eure Güte bezeugen und in
Allem berathen, damit er, ein Kind Eurer Stadt, leichter sich und
ihr Ruhm und Ehre verschaffen könne, um so mehr, als Meister
Giovanbattista grosse Hoffnungen bei vielen anderen Meistern und
bei Madame, der Prinzessin, erweckt hat." (Frey S. 307.)
Der Prinz von Orange , dessen Andenken durch das Denkmal
geehrt werden sollte , war der letzte der provenzalischen Oranier,
der bei Pistoja 1530 im Kampfe gegen Ferrucci gefallene Feldherr
der kaiserlichen Armee, nach Dessen Tod die Nassau das Fürsten-
thum erbten. Wer der Bildhauer Giovanni Battista aus Florenz ist,
weiss ich nicht zu sagen.
X
Mitwirkung an Guglielmo della Portas Modell für das
Grabmal Pauls III. 1551
Nach dem Tode Pauls III. beschloss der Kardinal Farnese, ihm
ein grosses Denkmal in S. Pietro zu errichten. Marcello Cervini,
Kardinal von Santa Croce, erhielt, wie es scheint, die Oberleitung
des Unternehmens und machte Annibale Caro zu seinem Berather.
Dieser schreibt ihm im Jahre 1551 (Lett. fam. Padua 1763. II, S. 3):
,,Ich sende Eurer Hochwürden zwei Entwürfe für das Grabmal
Pauls III. seligen Angedenkens. Der farbige giebt das Modell wieder,
welches Fra Guglielmo angefertigt und, wie er sagt, mit Michel-
angelo berathen hat; das andere in Aquarell skizzirte ist von
236 Entwürfe für Grabdenkmäler
einem anderen wackeren Manne, dem es nicht darauf ankommt,
genannt zu werden, da er sich aus Bescheidenheit nicht in die An-
gelegenheiten Anderer mischen will, doch hat er es auf Drängen
des Kardinals Farnese gemacht. Der Entwurf des Frate gefällt
fast Allen, die ihn gesehen, nur stört es Einige, dass man, obgleich
im Inneren ein so grosser Raum in Form eines kleinen Tempels ist
und darin der sehr schöne Sarkophag mit dem Leichnam stehen
soll, nicht daran gedacht hat, ihn durch einen Eingang zugäng-
lich zu machen, zumal der Raum sich nicht eignet, mit Stuck-
ornamenten, Malereien und Mosaik verziert zu werden ; denn anfangs
gedachten sie (Porta und Michelangelo) bloss einen Würfel ohne
irgend welchen Eingang zu machen. Von diesen Bedenken in
Kenntniss gesetzt, haben sie dann die Thüre, die man jetzt auf der
Zeichnung sieht, hinzugefügt ; aber es scheint freilich, als habe sie
nicht die Majestät, die dem Werke entspräche und von der Archi-
tektur gefordert wird, insofern namentlich, als man von aussen hinab-,
und von innen emporsteigt. Hiervon abgesehen erscheinen, da der
Leichnam des Papstes sich im Innern befindet, die zwei Sarkophage
aussen überflüssig, und dass sie das Gesims durchbrechen, missfallt.
Auch wirkt es nicht glücklich, dass die beiden Kartuschen (cartelle),
auf welche die anderen Figuren gestellt sind, die Piedestale, welche
die Pfeiler tragen, durchbrechen und über den Bau hinausragen.
Der andere Entwurf scheint Allem gerecht zu werden und nicht viel
mehr zu kosten, obgleich er vier Statuen mehr enthält; es gehen
die acht Pfeiler ab , welche in jener ersten Zeichnung sind. Euer
Hochwürden hat zu entscheiden, welcher von beiden feineres Ver-
ständniss zeigt, und zu sagen, welche weiteren Wünsche Sie hat.
So viel bezüglich der Architektur. Was die anzubringenden Statuen
betrifft, so hatte mir Fra Guglielmo gesagt, zu Lebzeiten des Papstes
sei beschlossen worden, die vier Jahreszeiten und die vier Tugenden,
die auf dem anderen Blatt verzeichnet sind, darzustellen; obgleich
mich die Jahreszeiten nicht ganz befriedigten, hatte ich mich dem
Beschlüsse und dem Wunsche des Bildhauers gefügt, entsprechend
Dem, was man auf dem Blatte sieht. Nach einer Berathung aber
mit dem Bischof von Spoleto, der die vier Jahreszeiten nicht billigt
und auch nicht zugiebt, dass sich der Papst dafür entschliesse,
dünkt es mich gut, sie wegzulassen. An ihrer Stelle scheinen mir
angebracht, wie Eure Herrlichkeit meint, erstens „die Beständigkeit",
und zweitens „die Religion" ; aber bezüglich des „guten Ausgangs"
(buono evento) bin ich im Zweifel, denn man könnte dem Etwas
entgegenhalten, und die Minerva könnte man, da darunter „die
Klugheit" kommt, für zu viel erachten. An Stelle dieser beiden
könnte man zwei andere passendere setzen ; woran zu denken noch
Zeit ist. Dass ,,die Gerechtigkeit", ,,die Klugheit", ,,der Friede"
Mitwirkung an Guglielmo della Portas Modell für das Grabmal Pauls IE. 237
und „der Überfluss" dargestellt werden sollen, darüber herrscht ein-
stimmiger Beschluss. Euer Hochwürden geruhe auf Grund der Be-
schreibungen zu erwägen , welche Darstellungsweise einer jeden
Gestalt am Meisten zu entsprechen scheine, denn es sind ver-
schiedene Gestaltungsmöglichkeiten, alle nach guten Autoren, an-
gegeben. Freihch heisst es sich der Skulptur anbequemen, welche,
verbi grazia, an diesem Orte nicht erlaubt, dass vor dem ,, Frieden"
Ochsen und ein Ackersmann, wie der Bischof möchte, angebracht
werden. Um aber zu einem festen Entschluss bezüglich der Statuen
zu gelangen, muss erst die Form der Architektur, in welcher sie
vertheilt werden sollen, bestimmt sein. Sollte der zweite Ent-
wurf gefallen, so hiesse es an vier weitere Statuen denken, die
hinzukommen, und an ihre Darstellungsweise, was später noch
Zeit ist. Wir erwarten über Alles das weise Urtheil Eurer hoch-
würdigen Herrlichkeit, der ich ehrerbietigst die Hände küsse.
Sie wolle auch entscheiden , ob Ihr die Mischung des Materiales
gefällt oder ob Sic Alles aus Marmor wünscht ; für die Felder
der Marmorfiguren und für die Gesimse würde sie sich sehr gut
machen und reich ausnehmen ; auch macht es keine grossen
Kosten. Ihre Antwort hierüber erwartend, empfehle ich mich un-
begränzt."
Guglielmos Entwurf wurde gewählt. Ergänzende Mittheilungen
über ihn giebt uns Vasari in Dessen Vita (VII, 546). Der Künstler
verwerthete, aber mit Verbesserungen, für den Schmuck des Grab-
males die Reliefs , sowie die theologischen und Kardinaltugenden,
die er für das Denkmal des Bischofs de Solls gemacht hatte. Das
Ganze war als viereckiger Freibau gedacht : auf den Ecken waren
vier Putten und vier Kartuschen (mettendo in su' canti quattro
putti in quattro tramezzi, e quattro cartelle). Ausserdem wurden
Statuen angebracht : Vasari erwähnt nur vier (und zwar in liegender
Stellung) , deren Erfindung Annibale Caro verdankt ward : „die
Gerechtigkeit, die Klugheit, den Überfluss und den Frieden". Ein
Relief stellte, nach Angaben Caros, zwei Flüsse dar: der eine einen
See, der andere einen Fluss der farnesischen Besitzungen bedeutend.
Ein von Lilien bedeckter Hügel mit einem Regenbogen spielte auf
das Wappen an.
Die Bronzestatue des Papstes hat Vasari entstehen sehen : sie
war zu seiner Zeit unter dem ersten Bogen der Tribuna von S. Peter
aufgestellt, aber das Freigrab kam nicht zur Ausführung. Hierüber
spricht Vasari im Leben Michelangelos (VII, 225). ,,Es sollte seine
Aufstellung vor der Tribuna finden. Hiergegen war aber Michelangelo
aus sehr begreiflichen Gründen, was ihm die Feindschaft Guglielmos
zuzog, obgleich ihm Dieser verdankte, wenn er im Uffizio del Piombo
Nachfolger Sebastianos ward." Erst später erhielt das Grabmal in
238
Entwürfe für Grabdenkmäler
verkürzter Form seine Aufstellung in der Nische, wo wir es heute
gewahren. Nur „die Gerechtigkeit" und „die Klugheit" wurden
angebracht; „der Überfluss" und „der Friede" kamen in den
Palazzo Farnese.
Die Rekonstruktion des ursprünglichen Planes wäre nicht ohne
Interesse, und es ist glaubhaft, dass Michelangelo bei seiner Ent-
stehung mitgewirkt, entspricht der Entwurf doch im Allgemeinen
dem ersten Plane des Juliusdenkmales als Freibau, der
in einfacherer Gestaltung hier wieder aufgenommen worden wäre.
Offenbar aber wurde die von Caro dargelegte Idee vereinfacht und
vermuthlich schon damals die Grabkammer und der Sarkophag
auf der Plattform aufgegeben. Waren Anfangs an jeder Seite des
Monumentes zwei Statuen gedacht, so begnügte man sich nun mit
vier Figuren, von denen wohl zwei an der Vorder-, zwei an der
Rückseite angebracht werden sollten. Der Aufsatz mit den vier
Putten an den Ecken und den Kartuschen in der Mitte dürfte dem
jetzigen entsprochen haben, was auch eine ähnliche Aufstellung der
Papststatuen voraussetzen lässt, — Eine zweite Vereinfachung durch
Aufgeben des Freibaues und Beschränkung auf eine Vorderansicht
mit zwei Figuren führte dann zur definitiven Gestaltung und Auf-
stellung in der Nische.
Der starke Einfluss Michelangelo'scher Ideen sowohl in den
Figuren auf den Voluten, als in der Architektur, wird Keinem ent-
gehen, ohne dass man doch direkte Benutzung von Skizzen des
Meisters anzunehmen hätte. Wie beachtenswerth für die Deutung
der Flussgötter in der Medicikapelle die Kennzeichnung der Fluss-
götter in dem Relief als Symbole des Landbesitzes und der Herr-
schaft ist, bemerkte ich früher (I, S. 542).
XI
Das Grabmal des Zanobi Montaguti
In der ersten Ausgabe seiner Vite (S. 987, Frey S. 174) sagt
Vasari : ,,er machte die Zeichnung für das Grabmal des Zanobi
Montaguti, damit Urbino es ausführe." Mit einem Mitgliede des
Bankhauses der Montaguti: Hieronymo stand Michelangelo schon
1526 in Beziehung, und später war er in geschäftlichem Verkehr
mit ihnen. Sie wurden Nachfolger des Bankhauses Bartolommeo
Bettini e compagni in der Einziehung der Einkünfte der Cancellaria
in Rimini (Frey: Briefe S. 349). Über Zanobi und das Denkmal
mal ist nichts Näheres bekannt.
Das Grabmal des Marchese von Marignano im Dom zu Mailand 239
xn
Das Grabmal des Marchese von Marignano im Dom
zu Mailand 1560
Am 8. Oktober 1555 war Gian Giacomo de' Medici, Marchese
von Melegnano oder Marignano gestorben. Im Jahre 1 560 beschloss
Pius IV. dem Bruder ein Denkmal zu errichten. Es ward am
12. September ein Vertrag mit Leone Leoni abgeschlossen, bei
dem als Vertreter des Papstes der Kardinal Morone und Gabrio
Serbelloni fungirten. Am 26. August 1 562 berichtet der Künstler
über den Stand der Arbeit an Michelangelo (Frey: Briefe S. 389):
„Auch will ich nicht bei dieser Gelegenheit verfehlen, Euch zu
sagen, dass ich trotz aller Widrigkeiten mein Werk im Dom zur
Hälfte aufgemauert habe, den ,manti Esperi et mar' fortunosi' zum
Trotz und zur grossen Befriedigung Seiner Heiligkeit, soweit ich
durch Dessen Abgeordnete hier erfahre; und zudem habe ich bei den
guten Zeiten in diesem Sommer die Hände so rüstig geregt, dass
ich alle die Figuren, die noch zu giessen sind, schon bei dem Ofen
habe und darauf rechne, gefallt es Gott, am ersten September Das,
was übrig bleibt, zu thun. Ich glaube Ehre damit einzulegen, denn
ich bin nicht geizig gewesen, sondern habe Alles noch bereichert."
Am 16. Januar 1563 erhielt Leone eine Zahlung von 1422 Skudi,
am 10. März 1564 die Restzahlung von 3200 Goldskudi. Das ge-
samte Honorar belief sich auf 7800 Skudi.
Nun erzählt Vasari an zwei Stellen seiner Vite, dass Michel-
angelo die Zeichnungen für das Monument angefertigt habe. Im
Leben Michelangelos sagt er : ,,im Besonderen bediente sich der
Papst seiner, ihm eine Zeichnung für das Grabmal seines Bruders
des Marchese Marignano zu machen, das von Seiner Heiligkeit an
den Cavaliere Leone Leoni verdingt wurde." Im Leben des Leoni
(VII, S. 539) lesen wir: ,,es ist ganz aus carrarischem Marmor und
mit vier Säulen geschmückt, schwarz und weissen, die, als eine
Seltenheit , vom Papst von Rom nach Mailand gesandt wurden ;
und zwei andere grössere aus gesprenkeltem Steine , dem Jaspis
ähnlich. Alle vier sind unter demselben Gesims in sehr künstlicher,
noch nicht gesehener Weise unter einander in Einklang gesetzt,
wie es der Papst wollte, der Alles nach der Anordnung Michel-
angelos machen Hess; ausgenommen jedoch die fünf Bronze-
statuen, die von der Hand Liones sind." Es sind die Statuen des
Marchese, der Pace, der Virtü militare, der Providenza und der
Fama. Die zwei grösseren Säulen wurden der Bauhütte in dem
Palaste, den Pius IV. gegenüber S. Maria di Brera errichtete, ent-
nommen.
240
Entwürfe für Grabdenkmäler
Diesen bestimmten Behauptungen Vasaris und einer Äusserung
Leones in einem Brief an den Papst: er habe für den architektonischen
Theil die Mitarbeiterschaft Michelangelos erbeten, stehen andere
gegenüber. Paolo Moriggia (II duomo di Milano 1 597, S. 46) sagt von
dem Denkmal : „erfunden und ausgeführt von Leone Leoni" , und
Celio Malespini in den Dugento novelle (Venedig 1609, Nov. LXXXV)
erzählt: der Papst theilte Michelangelo seinen Plan mit und wollte
ihm den Auftrag geben. „Dieser aber, der einsah, dass das Werk
lange Zeit gebrauchen würde, und so alt wie er war (er hatte 85
Jahre) ungerne von Rom fortgegangen wäre, sagte und that so viel,
dass er dem Papst in den Sinn setzte, er solle sich hierfür des
Cavaliere Leone Aretino bedienen, den er für durchaus fähig und
geeigneter, zumal er in Mailand wohnte, hielt."
Aus Malespinis Aussage, wie Carlo dell' Acqua und Luca Bel-
trami es gethan, den Schluss zu ziehen, Michelangelo habe keinen
Antheil an dem Werke, scheint mir nicht gerechtfertigt. Diese An-
nahme verträgt sich ja ganz gut mit Malespinis Mittheilung, und
die Zeugnisse Vasaris und Leones haben doch ein grosses Ge-
wicht. Auch die Vermuthung, Leone habe durch die Behauptung
jener angeblichen Mitarbeiterschaft Michelangelos für sein Interesse
gesorgt, indem er sich selber eine Deckung gegen die Kritik ver-
schaffte, hat wohl, ist sie auch an und für sich zulässig, der be-
stimmten Angabe Vasaris gegenüber einen schweren Stand. Nur,
wenn die Architektur des Grabmales gegen Michelangelos Autor-
schaft aussagte, hätten wir ein Recht, Vasari eines Irrthumes zu
zeihen. Und dies ist nach meiner Überzeugung nicht der Fall.
Im Gegentheil scheinen mir im Ganzen wie im Einzelnen spezifisch
Michelangeleske Eigenthümlichkeiten , nicht solche eines blossen
Nachahmers, deutlich in dem Werke sich zu zeigen.
Vor Allem ist, wie Vasari richtig bemerkt, die Lösung des
Problems, die ungleich hohen Säulen unter ein Gesims zu bringen,
indem er sie nämlich seitwärts anbrachte und Architrav und Fries
über ihnen wegliess, ganz im Geiste des Meisters. Wir werden an
das Vestibül der Libreria erinnert. Auch die seltsame architrav-
artige Dreitheilung des Sockels unter den Pilastern der Attika er-
scheint ganz wie eine seiner ,,Bizarrerieen" ; desgleichen die Profi-
lirung des Architravs über den Säulen. Für deren Kapitale
haben wir in ächten Zeichnungen ausgesprochene Analogieen.
Und recht Michelangelesk ist auch die Nischeneinrahmung hinter
der Statue des Marchese, man sehe die seltsame Gesimsbildung:
die über den Rahmen hinauskragenden und dort durch kleine
Voluten gestützten Verkröpfungen dieses Gesimses in Form von
Pilasterkapitälen. Die Giebelbildung und die das Wappen halten-
den Figuren erinnern an Michelangelos Portalentwürfe der späten
Fälschlich zugeschriebene Epitaphien Pius' IV. und des Kard. Serbelloni 24 1
Zeit. Nur die Form der oben in menschlicher Gestalt endigenden
Voluten scheint mir mehr auf Leone als auf Michelangelo hin-
zuweisen. Hier dürfte Leone eine blosse Andeutung des Meisters
selbständig gestaltet haben.
Plöns Meinung, das Monument sei verändert worden durch
Hinweglassung eines im Modell vorgesehenen Postamentes, ist mit
entscheidenden Gründen von Beltrami entkräftet worden. Letzterer
hat seinerseits die Vermuthung ausgesprochen, dass der Sarkophag
vor dem mittleren, jetzt leeren Felde der Attika hatte angebracht
werden sollen, dieser Gedanke aber in Folge der Bestimmungen des
Konzils von Trient ,,de sepulturis" (1564) aufgegeben wurde. Hier-
für spricht die Erwähnung eines Sarkophages auf Bronzelöwenfüssen
im Kontrakt und die Aussage des Giussano in der Vita di S. Carlo
Borromeo (Rom 1610 p. 91): ,, volle nondimeno che fosse levata
l'arca o sia deposito di bronzo del Marchese di Melegnano, suo zio,
fratello di Pio IV, e ciö per dar buon esempio in questa parte."
Denken v/ir uns den Sarkophag an jener Stelle, so zeigt sich in
dem Ganzen eine dem Juliusdenkmal in S. Pietro in Vincoli ver-
wandte Anlage.
Vgl. von neuerer Literatur : Gaetano Franchetti : II duomo di
Milano. Mailand 1821. — Bertolotti : Artisti Lombardi a Roma.
Mailand 1881. p. 261 — 269; 298 — 301. — Carlo Casati: Ricerche
intorno a Leone Leoni. Mailand 1884 (hier der Kontrakt). —
Eugene Plön: Leone et Pompeo Leoni. Paris 1887. — Carlo del-
l'Acqua: Del luogo di nascita di Leone Leoni. Arch. stör, dell' arte
1889. II, TJ. — Luca Beltrami: II monumento funerario di G. Gia-
como Medici in der Rassegna d'Arte 1904, IV, S. i ff.
xni
Die fälschlich dem Michelangelo zugeschriebenen Epitaphien
Pius' IV. und des Kardinals
Giov. Antonio Serbelloni in S. Maria degli Angeli
Titi in seiner Descrizione bemerkt : si dicono discgno dal Bonar-
roti. Es sind reich mit Anwendung verschiedenfarbigen Marmors
gerahmte Inschrifttafeln. Die Motive des Rahmens (Konsolen,
Voluten, Lisenen, Wappen) sind Michelangelesk. Ein dem Meister
nahestehender Künstler muss sie entworfen haben. Das Epitaph
Pius' IV. ist laut Umschrift von Serbelloni und Anderen nach dem
Tode des Papstes (1565) gestiftet worden. Das Epitaph des Ser-
belloni ward nach dessen Tode 1591 als eine Kopie des anderen
ausgeführt.
I* 16
242 Entwürfe für Gebrauchsgegenstände
B. Entwürfe für kirchliche und profane
Gebrauchsgegenstände
XIV
Auftrag des Pietro Aldobrandini auf einen Dolch 1506
Am 19. Dezember 1506 schreibt Michelangelo aus Bologna an
seinen Bruder Buonarroto :
„Heute am 19. Dezember habe ich deinen Brief empfangen,
durch den du mir Pietro Orlandini (Aldobrandini) empfiehlst, dass
ich ihm in Dem, was er von mir verlangt, zu Diensten sei. Wisse,
dass er mir schreibt, ich solle ihm eine Dolchklinge machen, und
zwar so, dass es eine wunderbare Arbeit sei. Nun weiss ich aber
einstweilen nicht, wie ich in der Lage sein werde, ihn gut und
schnell zu bedienen, denn einerseits ist das nicht meine Profession
und andrerseits habe ich keine Zeit, mich damit zu beschäftigen.
Doch werde ich mich darum bemühen, dass er im Verlaufe eines
Monats, so gut ich es nur vermag, bedient wird."
Am 22. Januar 1507 giebl er Nachricht: ,,sage Pietro Aldo-
brandini, dass ich seine Klinge von dem besten Meister, den es für
derartige Arbeiten hier giebt, machen lasse und dass er mir gesagt
hat, ich würde sie in der kommenden Woche erhalten. Und wenn
ich sie habe und sie mir gut erscheint, werde ich sie senden; wenn
nicht, sie nochmals machen lassen, und sag' ihm, er solle sich nicht
wundern, wenn ich ihn nicht so schnell, wie es sich gebührte, bediene,
denn ich habe so wenig Zeit, dass ich nichts Anderes machen kann."
Demnach hat er die Arbeit ganz einem Goldschmied über-
tragen. Es ist schwerlich anzunehmen, dass er auch nur den Ent-
wurf angefertigt hat.
Am I. Februar theilt er mit, dass er, sobald er ausgehen
könne, nach einer Vertrauensperson sich umsehen werde, durch
die er die Klinge sende. Am 24. Februar : er habe zum Gold-
schmied geschickt, um zu sehen, ob sie gemacht sei. Dieser habe
sie noch zu vergolden. Die Verzögerung sei durch viele Aufträge,
die er von den Hofleuten empfangen, verursacht worden. Binnen
wenigen Tagen werde Aldobrandini sie erhalten. Es tritt aber
wieder eine Verzögerung ein und Michelangelo antwortet am 6. März
auf drängende Briefe des Bruders und des Bestellers, der sich be-
klagt: er habe gethan, was er thun könne. Auch er sei von Un-
geduld zerrissen, aber der Goldschmied habe eben so viel zu thun
gehabt. Nun aber habe er die Klinge endlich erhalten und sende
sie. Wenn sie Pietro nicht gefalle, wolle er eine andere machen
lassen. Sie gefällt nun Jenem in der That nicht, der behauptet,
Valerio Bellis Bitte um die Zeichnung für einen zu schneidenden Stein 243
sie habe nicht das richtige Maass. Der Meister schreibt an den
Bruder (26. März) : „wisse, dass die KHnge die ich gesandt habe
und die Du empfingst, nach dem richtigen Maass, das Pietro ge-
gegeben hat , angefertigt wurde ; denn er sandte ein Muster aus
Papier in einem Brief und schrieb mir, ich solle sie genau so
machen, und so that ich. Und wenn er einen Dolch wollte, so
durfte er mir nicht die Maasse eines Stossdegens senden. Aber
ich will dir hiermit schreiben, was ich nicht mehr schreiben wollte:
nämlich dass du nicht mit ihm verkehrst, denn es ist kein Verkehr
für dich. Basta ! Und käme er wegen der Klinge zu dir, so gieb
sie ihm auf keinen Fall ; mach' ihm ein freundliches Gesicht und
sag' ihm, ich hätte sie einem meiner Freunde geschenkt. Basta!
Wisse, dass sie mir hier 19 Carlini und 13 Quattrini Zoll kostete."
Das Letzte hören wir aus einem Schreiben vom 3 1 . März :
,,Du benachrichtigst mich davon, dass Pietro den Dolch nicht ge-
wollt hat. Das freut mich sehr, dass er ihn nicht gewollt hat und
er ihm nicht gefallen hat, denn es sollte sein Schicksal nicht sein,
dass Jener ihn am Gürtel trüge, um so weniger, als der Dolch von
ganz anderen Leuten, als er Einer ist, nämlich von Filippo Strozzi
erbeten worden ist. Siehst du, dass er Diesem gefällt, so mache
ihm ein Geschenk deinerseits damit und sag' ihm nicht, was er
kostet. Wisse, dass ich die Klinge nicht gesehen habe: daher
wenn sie nicht anständig gelungen, gieb sie ihm nicht, damit er
dich nicht für eine Bestie hält, denn ihm gebührt etwas Anderes,
als dem Pietro." (Lett. S. 61. 63. 6^ . 69. 70. 71. 73.)
XV
Valerio Bellis Bitte um die Zeichnung für einen zu
schneidenden Stein 1521
Im Jahre 1521 scheint Michelangelo dem Belli eine Zeichnung
versprochen zu haben. Belli bittet ihn um dieselbe, da er einen
schönen grossen Stein besitze und, falls er die Zeichnung erhalte,
damit Ehre einlegen werde (Gotti I, 145). Wir wissen nicht, ob
sein Wunsch erfüllt ward. Auch später hat er sich mit solchen
an den Meister gewandt. — Vielleicht war für einen geschnittenen
Stein eine Zeichnung des Ganymed im Codex Vallardi im Louvre
bestimmt, die in einen Kreis hineinkomponirt ist (s. unten den
Exkurs über ,, Ganymed").
XVI
Die Kandelaber der Medicikapelle
Über sie habe ich bereits früher gelegentlich der Besprechung
der Architektur der Kapelle gehandelt (II, S. in).
16*
2AA Entwürfe für Gebrauchsgegenstände
XVII
Der Vaso des Domenico Naldini 1521
Domenico Naldini wird uns von Vasari als ein angesehener
florentiner Bürger bekannt gemacht, der die Begabung des Knaben
Francesco Salviati erkannte und Dessen Vater bewog, ihn Künstler
werden zu lassen. Dieser Domenico schreibt am 21. April 1521
an den ihm befreundeten Michelangelo , der in Carrara sich auf-
hält : „Wie Ihr wisst , beauftragte ich jene Eure Steinmetzen in
Carrara, den Vaso zu machen. Wie Ihr wisst, versprachen sie, dass
unter allen Umständen Mitte oder Ende April der Vaso auf der
Marina sein solle ; und nun bitte ich Euch, benachrichtigt mich da-
von, ob ich betrogen worden bin, denn sie dürfen es an Nichts
fehlen lassen; thun sie dies, so werde ich sie durch einen Brief
des verehrungswürdigsten Kardinals die Strafe und Alles zahlen
machen." Auch Fattucci spricht dem Meister diesen Wunsch am
21. April aus: ,, Domenico Naldini bittet Euch, Ihr möchtet, wenn
möglich bewirken , dass sein ,Piatto' unter allen Umständen nach
Pisa gebracht werde." (Frey: Briefe S. 173, 174.)
Der „Vaso" oder ,,Piatto" dürfte wohl eine Brunnenschale ge-
wesen sein. Ob Naldini hierfür eine Zeichnung von Michelangelo
erhalten, darüber sind wir nicht unterrichtet. Es wäre aber wohl
denkbar. Ein Entwurf zu einer Brunnenschale von Michelangelos
Hand ist uns erhalten: in der Casa Buonarroti XXXVII, 73. (Thode
124.) Wir finden auf dem Blatte drei Federskizzen, a) Brunnen:
auf viereckigem Postament eine flache, runde, nach unten abgerundete
Schale, in deren Mitte ein vasenförmiger Aufsatz. — b) Eine blosse,
in drei Zonen gegliederte, unten flache Schale auf niedrigem Fuss.
— c) Rechte Hälfte einer unten abgerundeten, oben ausgeschwun-
genen Schale.
Ich erwähne bei dieser Gelegenheit zwei Skizzen zu einem
amphoraartigen Gefäss, die eine mit Ohrenhenkeln, die andere nur
mit Henkelansätzen, auf der Rückseite des Blattes im British Museum
1859 — 5 — 14 — 823. Etwa 1524 anzusetzen, da auf der Vorderseite
Studien zu den Medicigräbern befindlich.
xvm
Das Salzfass für den Herzog Francesco Maria
von Urbino 1537
Von dem Modell, welches nach Michelangelos Zeichnung an-
gefertigt ward, berichtet ein Brief des Hieronymo Staccoli vom
4. Juli 1537. Der Agent des Herzogs, der in den Verhandlungen
über das Juliusdenkmal eine Rolle spielt, schreibt:
Das Bronzepferd für den Herzog von Urbino 1537 245
„Mein erlauchtester Herr ! In Beantwortung eines Schreibens
Eurer Herrlichkeit vom 22. des verflossenen Monates melde ich,
dass schon vor mehreren Monaten das Modell des Salzfasses in
plastischer Form vollendet worden ist und in Silber angefangen
einige Thiertatzen , auf die das Gefass gestellt werden soll , und
rings um das Gefäss laufen Festons mit einigen Masken, und auf
dem Deckel befindet sich eine Figur in freier Plastik mit einigem
Blattwerk, so wie es Michelangelo anordnete und wie es in dem
oben genannten vollendeten Modell erscheint. Da ich sehe, dass
es sich um höhere Kosten als acht oder zehn Dukaten für die
Ausführung handelt und eine höhere Summe als diese daraufgeht,
habe ich nicht ohne Wissen und Erlaubniss Eurer Herrlichkeit
weiter vorgehen wollen. Doch theile ich Ihnen mit, dass hier
Silber vorhanden ist , genügend , um das Gewünschte zu bewerk-
stelligen; und sollten vier oder sechs Unzen fehlen, werde ich sie
besorgen. Für die Ausführung des Salzfasses verlangen die Meister,
welche früher Euren Herrn Vater bedient haben , dreissig Skudi
und zwölf portugiesische Golddukaten für die Vergoldung; solche,
in richtiger Valuta, haben sich hier gefunden; und sie verlangen eine
Drittelunze ,,di callo" für das Pfund Silber. Aber Eure Herrlich-
keit versteht sich besser auf Alles, was diese Salzfassangelegenheit
betrifft." (Gotti II, S. 125.)
Der Entwurf dieser Zeichnung war, wie die Anfertigung des
gleich zu erwähnenden Bronzepferdes, eine Gefälligkeit, die Michel-
angelo den Erben Julius' II. erwies.
Nach J. C. Robinson befand sich auf der Versteigerung der
Fontaine'schen Handzeichnungensammlung 1884 ein in Kreide aus-
geführter Entwurf eines Salzfasses, ganz übereinstimmend mit dieser
Beschreibung. Robinson , der die Zeichnung erwarb und in den
Times vom 29. September 1884 darüber berichtete, meinte die
Hand Michelangelos in ihr zu erkennen. (Vgl. Kunstchronik 1885,
XX, S. 58; C. V. Fabriczy: Arch. stör, dell'arte VII, 151.) Es ist
mir nicht gelungen, zu erfahren, wohin diese Zeichnung gelangt ist.
Kam das Salzfass durch die Erbschaft 163 1 nach Florenz.^
Von einem anderen Salzfass für Alessandro Farnese spreche ich
weiter unten.
XIX
Das Bronzepferd für den Herzog von Urbino 1537
Wir verdanken G. Gronau nähere Mittheilungen über diese
bisher nur aus einer einzigen Notiz bekannte Arbeit. (,,Die Kunst-
bestrebungen der Herzöge von Urbino" im Beihefte des Jahrb. der
k. preuss. Kunsts. XXVII, S. ^ ff.)
2A<ß Entwürfe für Gebrauchsgegenstände
Am 21. Januar 1537 schreibt der Gesandte Gio van Maria della
Porta an Francesco Maria : „Michelangelo hat mir versprochen,
unter allen Umständen das Pferd , um welches E. H. ihn bittet,
binnen vierzehn Tagen zu machen, trotzdem ihn der Papst be-
ständig zur Arbeit an dem Gemälde in der Kapelle drängt." Am
2. Februar berichtet er, dass Michelangelo „Hand an das Pferd
gelegt habe". Im Herbst wird der Guss dem Herzog gesandt, der
am 12. Oktober schreibt: „Wir haben jenes Bronzepferd, das Ihr
uns gesandt habt, gesehen; da es uns scheint, dass der Guss nicht
gut gelungen, meinen wir, dass es für den Zweck, für den es er-
beten wurde, nicht gut passen wird, und dass es besser wäre, wenn
möglich, das von der Hand Michelangelos angefertigte Wachsmodell
zu erhalten. Daher sucht zu erfahren, ob es zu haben ist, und,
wenn dies der Fall, so sucht es auf die Weise, die hierfür nöthig,
zu erhalten; und habt Ihr es, so sendet es uns." Hierauf ant-
wortet der Gesandte am 24. Oktober : ,,ich habe von dem Wunsche
E. H., das Pferd in Wachs von Michelangelo zu erhalten, Kenntniss
genommen und werde Alles thun, ihn zu erfüllen, aber ich erinnere
mich, dass er mir sagte, er sei, nachdem er es in Wachs begonnen,
genöthigt gewesen, es aufzugeben, da er bei der Schwäche seiner
Augen es nicht gut in seiner Weise habe ausführen können, und
es in Bronze gegossen habe (lo ridusse in metallo). Nun weiss ich
nicht, was mehr zu erhoffen ist, um so weniger, als er glaubt, Euch
auf diese Weise besser bedient zu haben; jedoch ich werde es,
wie gesagt, nicht an Eifer fehlen lassen." Offenbar gelingt es
Porta, das Modell ,,di metallo" zu erhalten, denn am 28. Oktober
schreibt er: ,,wenn E. H. das Pferd, welches ich Ihr von Michel-
angelo sandte, erhalten haben wird , wäre es mir sehr erwünscht,
dass E. H. ihm durch ein Schreiben besonderen Dank sagte." Und
am 26. November: ,,ich benutzte Zeit und Gelegenheit, mit Michel-
angelo, dessen man schwer habhaft werden kann, da er beständig
mit dem Gemälde der Sixtinischen Kapelle beschäftigt ist , zu
sprechen und sagte ihm , wie sehr ihm E. H. für das übersandte
Pferd danke, denn so müsse man es machen, solle es seinem
Zweck genügen, und theilte ihm den Wunsch E. H. mit, das Wachs-
modell zu besitzen, da er bezweifle , ob man sich des übersandten
bedienen könne. Er sagte mir, seine Kurzsichtigkeit hindere ihn an
minutiösen Arbeiten und die Arbeit in Wachs verlange noch schärferes
Sehen, doch diene jenes Pferd aus Bronze vortrefflich als Modell,
wolle E. H. es zu einem solchen Zwecke gebrauchen. Nichtsdesto-
weniger, werde es aus Wachs gewünscht, so werde er trotz so
grossem Mangel an Zeit nicht verfehlen, sich zu zwingen, E. H.
zu dienen, aber mit grösserem Werk und mit Zeit, bei dem grossen
Mangel, den er an beidem Nöthigen habe. Ich nahm das Anerbieten,
Der Farnesische Schrein 1540 247
wie es ist, an und bat ihn, sich zu zwingen , Euch so gut und so
schnell wie möglich zu bedienen, obgleich meine Hoffnung, das
Ende zu sehen, sehr gering ist, ich vielmehr die Frist für weit
hinausgeschoben erachte. Gleichwohl werde ich, ist es so der
Wunsch E. H,, nicht verfehlen, ihn so weit, als es bei einer solchen
Natur möglich ist, anzuspornen."
Aus diesen Mittheilungen geht, was Gronau nicht beachtet hat,
hervor, dass in der That zwei Exemplare des Pferdes, nämlich
der nicht gelungene Bronzeguss und der erste Bronzeabguss , in
den Besitz des Herzogs gelangt sind. Weder der eine noch der
andere sind heute in den florentinischen Sammlungen, die Gronau
daraufhin untersuchte, nachzuweisen. Auch sonst aber in anderen
Museen ist meinem suchenden Blicke unter den Bronzepferden
keines begegnet, bei dem Michelangelos Name genannt werden
könnte. Im Jahre 1603 war ein solches Bronzepferd im Besitz der
Rovere : ,,Cavallo uno di bronzo." Und 163 1 findet sich im
Inventar unter Nr. 183: ,,Item un cavallo piccolo di bronzo
appoggiato con le zampe di dietro sopra un trepiede di bronzo
con le zampe dinanzi in Aria et sotto la sinistra zampa vi e una
lumaca di bronzo." Unter den nach Florenz gesandten Bronzen
finden wir ,,un cavallo di bronzo con pie rotto verniciato" oder,
wie es in einem anderen Verzeichniss heisst : ,,un cavallo con un
piede rotto dentro a un foglio con briglia di raso rosso" ange-
führt. Auch ein Tintenfass aus Kristall mit einem Pferd ist erwähnt.
Dass das Pferd für einen solchen Gebrauchsgegenstand bestimmt
war, geht aus den Briefen hervor, und dieselben lassen auch keinen
Zweifel darüber , wie peinlich diese ihm zugemuthete Kleinarbeit
dem Meister war.
XX
Der Farnesische Schrein 1540
Über die im Museum von Neapel aufbewahrte Silberkassette
mit Reliefs in Kristall , welche vom Goldschmied Manno und von
Giovanni Bernardo da Castelbolognese zum Theil angeblich nach
Entwürfen Michelangelos angefertigt wurde, haben wir nähere Nach-
richten (Abb. Müntz ; La fin de la Renaissance S. 239).
In dem Leben des Giov. Bernardi (V, S. 373) sagt Vasari :
„Derselbe Kardinal (Alessandro) Farnese , der eine sehr reiche
Silberkassette, anfertigen lassen wollte und die Arbeit dem floren-
tinischen Goldschmied Manno , wovon an anderer Stelle die Rede
sein wird, übertragen hatte, beauftragte Giovanni, alle die Felder
aus Kristall zu machen. Dieser füllte sie mit Darstellungen an und
fugte auch Marmorreliefs hinzu ; die Silberfiguren und die frei er-
248 Entwürfe für Gebrauchsgegenstände
habene Ornamentik führte er (?) mit solcher Sorgfalt aus, dass nie-
mals ein anderes Werk in gleich grosser Vollkommenheit gemacht
worden ist. An den Wänden dieser Kassette sind in ovalen Feldern
folgende Geschichten von Giovanni mit wunderbarer Kunst intaglirt
worden : Meleagers' Jagd und der Kalydonische Eber, Bacchantinnen
und eine Seeschlacht, weiter der Kampf des Herkules mit den
Amazonen, und andere sehr schöne Phantasieen des Kardinals , der
hierfür durchgeführte Zeichnungen von Perino del Vaga und anderen
Meistern anfertigen Hess." (Weiter werden als hiervon unabhängige
Arbeiten Giovannis Kristallintagli nach Michelangelos Zeichnungen
des Tityos und des Phaeton erwähnt.)
Die Kassette war 1540 in Arbeit, nach einem nicht in allen
Ausgaben enthaltenen Briefe Annibale Caros an Giovanni Cesari
(Ausg. der Lettere, Mailand 1807, II, p. 345). Im Februar dieses
Jahres hatte Bernardi schon viel Arbeit daran gethan. Am 2. Mai
1543 bemerkt Claudio Tolomei in einem Brief an Bernardi: ,,ich
denke, Ihr würdet eine sehr schöne Gelegenheit haben, ihn (Pier
Luigi), wenn er Faenza passirt, zu sprechen und ihm die Kristalle
zu zeigen ; dass diese so schön gelungen sind, freut mich sehr, ob-
gleich man Anderes von Eurem Talente gar nicht erwarten kann."
(A. Ronchini: s. u. VII, S. 134.) Am 17. November 1543 schreibt
Bernardi an den Kardinal Farnese : ,,ich wollte nach Rom kommen,
habe aber bei den seltsamen Zeiten nicht den Muth gehabt. Euch
alle Dinge, die ich vollendet habe, zu bringen : nämlich das Taber-
nakel und die Quadrigen. Ihr werdet Etwas sehen, was Euch ge-
fallen wird ; doch verzögere ich es noch , bis Alles vollendet ist,
nämlich alle Stücke der Kassette." (A. Ronchini IV, S. 17.) Dann
am 21. April 1544: ,,ich wünschte nach Rom zu kommen und
Euch das Tabernakel und die vier grossen Stücke der Kassette,
nämlich : den Cirkus der Quadrigen, den Triumph des Bacchus und
des Silen, eine Seeschlacht und die Schlacht bei Tunis, die Euch
staunen machen werden, zu bringen." Und am 4. April 1546: ,,ich
habe alle Eure Werke vollendet und sende Euch die Dreiecke der
Kassette aus schwarzem Kristall." 1 547 wurde sie dem Kardinal
Alessandro Farnese übergeben (Liverani, Maestro Giov. Bernardi
da Castelbolognese, Faenza 1870, S. 28 und 33).
Näheres über die Vorgänge erfahren wir aus einem früheren
Briefe Claudio Tolomeis an Apollonio Filareto (Lettere, Ausg. Ve-
nezia 1596, S. 182; Bottari, Racc. di lettere, Mailand 1822,
IV, S. 6) :
,,Ich finde Schwierigkeit, zu erreichen, dass Meister Perino
(del Vaga) jene Zeichnung für die Kassette unseres Herrn Herzogs
(Pier Luigi Farnese) anfertige. Ich sandte ihn zu dem Goldschmied,
um jene drei zu sehen, welche schon gemacht sind; als er sie sah
Der Farnesische Schrein 1540 249
und vernahm, dass sie von Michelangelo sind, zog er sich im Hin-
blick auf die Vorzüglichkeit und wunderbare Kunst des Meisters
und des Werkes zurück. Und zwar so , dass er mir gestern
seinen Entschluss, die Hand nicht daran legen zu wollen, mittheilte ;
er führte zwei Gründe an. Erstens, weil er weder in Gegensatz
noch in Vergleich zu Michelangelo gesetzt werden will, wobei er,
wie er sicher weiss, den Kürzeren ziehen und nur Schimpf davontragen
würde ; er fügte hinzu, er wolle nicht durch zu kühnes Unterfangen,
wie Phaeton, der in einem der Kristalle dargestellt sei , zu Falle
kommen. Zweitens, weil Michelangelo es als eine Beleidigung auf-
fassen würde , wenn er an einem seiner Werke Theil hätte ; und
er wolle Nichts thun, was sein Gemüth in irgend einer Weise ver-
letzen könne. Denn er, wie alle Maler, verehren ihn als Meister,
Fürsten, ja als Gott der Zeichnung. So scheint mir, begegnet
diesem Werke das Gleiche, was der Kölschen Venus geschah,
die, von Apelles begonnen, aber nicht vollendet, niemals einen
Meister fand, der den Muth gehabt, sie zu vollenden. Ich meiner-
seits antwortete ihm mit mannigfachen Gründen und verschiedenen
Argumenten und strengte mich an, den ganzen Quell meiner Be-
redtsamkeit in diese Sache strömen zu lassen, aber es hat Nichts
genützt, so viel vermag die Ehrfurcht, die er vor Michelangelo hat,
über ihn. Nur dazu habe ich ihn beredet, mir die Skizzen zu jenen
Darstellungen, die ich ihm angegeben, zu machen, aber er will sie
nicht ausführen, auch nicht, dass sie Meister Giovanni übersandt
werden. Daraufhin habe ich mich entschieden , mich an Michel-
angelo zu wenden und Alles zu versuchen, was ich kann. Ich weiss
nicht, was es nützen wird. Ihr könnt hierüber mit dem Herrn
Herzog reden, falls es Euch gut dünkt; schickt mir ein Schreiben
für Michelangelo , in dem er liebreich gebeten werde , dieses von
ihm begonnene Werk zu vollenden, und ich werde mir alle mögliche
Mühe geben."
Was aus diesen Mittheilungen nicht deutlich hervorgeht, wird
durch das Studium der wundervollen Kassette , die im Neapeler
Museum aufbewahrt wird, zur vollen Klarheit gebracht. Michel-
angelo war damit einverstanden gewesen, dass Kristalle, die Ber-
nardi nach seinen Zeichnungen angefertigt hatte, für die Kassette
verwendet würden. Eine dieser Zeichnungen war der Phaeton
— die anderen beiden vermuthlich der Tityos und der Phaeton.
Claudio Tolomei bemühte sich nun, für die weitere Arbeit Perino
del Vaga zu gewinnen. Dessen Entschuldigungen haben wir ver-
nommen. Als daraufhin Tolomei mit Michelangelo sprach, hat
Dieser offenbar veranlasst, dass auf die Kristalle nach seinen Zeich-
nungen verzichtet und Perino freies Feld gelassen ward. In der
That sind die Michelangelo'schen Kompositionen an der Kassette
2 CO Entwürfe für Gebrauchsgegenstände
nicht verwerthet worden. Die an derselben befindlichen Darstel-
lungen : die Amazonenschlacht, der Kampf der Lapithen und Ken-
tauern, die Naumachie des Xerxes, das Wettrennen von Quadrigen,
die Eberjagd Meleagers und der Bacchuszug sind ohne Zweifel zu-
meist nach Zeichnungen Perinos gemacht. (Man vergleiche einen
ganz ähnlichen Kassettenentwurf von Perino in der Zeichnungen-
sammlung der Uffizien 192. Nr. 1603.)
Über den Phaeton und Tityos handle ich an anderer Stelle.
(Vgl. über Manno : A. Ronchini: „Manno, orefice fiorentino" in
den Atti e Memorie delle R. Deputazioni di Storia patria per le
provincie Modenesi e Parmenesi 1874, VII. Bd. — Über Bernardi
Ronchini ebenda Bd. IV. — C. von Fabriczy ; Arch. stör. dell'Arte
1899- VU, I49-)
XXI
Das Farnesische Ciborium in Neapel
„Wie er auch Seiner Heiligkeit (Pius IV.) für diesen Ort
(S. Maria degli Angeli) ein Sakramentsciborium in Bronze zeichnete,
das zum grossen Theile von Meister JacopoSiciliano, ausgezeichnetem
Bronzegiesser, gegossen wurde, welcher es erreicht, dass der Guss
sehr zart, ohne Grate, gelingt und daher nur geringer Ziselirung
bedarf, da er ein in dieser Kunst selten erfahrener Meister ist.
Und es gefiel Michelangelo sehr." (Vasari VII, 261)
1568 also war das Ciborium noch nicht fertig, obgleich Jacomo
Duca nach dem Tode Michelangelos es sich zur Ehrenaufgabe ge-
macht, es zu Dessen Gedächtniss zu vollenden. Denn so schreibt
er am 15. März 1565 an Lionardo Buonarroti :
,,Und da ich nicht davon ablassen kann noch will, die Wunder-
werke Messer Michelangelos zu offenbaren, habe ich mich daran
gemacht, das zwanzig Palmen grosse Bronzetabernakel nach seinem
Modell, das E. H. in Rom sah, auszuführen und gegenwärtig ist es
bis fast zur Hälfte gediehen. Ich bin Keinem hierin verpflichtet
und mache es auf meine Kosten. Doch hoffe ich es, wenn es voll-
endet, zu verkaufen, und schon sind Leute dahinter her, aber ich
kümmere mich nicht darum, denn ich will es nach meinem Sinne
vollenden und später werde ich thun, was Gott mir eingiebt. Und
so, da ich keine Gelegenheit habe, mich bei der Anfertigung seines
Grabmales auszuthun, habe ich mir vorgesetzt, ihn auf diese Weise
zu ehren und zu verherrlichen ; denn aller Ruhm an diesem Werke
soll, wie Inschriften sagen werden, ihm zufallen, und E. H. weiss ja,
dass es ein staunenswürdiges und kostspieliges Werk wird. Im
Hinblick auf das Geld, was ich habe, und andere Unterstützung
hoffe ich es, und zwar binnen Kurzem, zu beenden. Vielleicht schon
Das Farnesische Ciborium in Neapel 25 1
im Monat August wird ein grosser Theil gemacht sein. Und so
werde ich zweierlei erreichen : ich werde Messere (Michelangelo)
verherrlichen und hoffe zugleich einigen Nutzen davon zu haben,
und so werde ich, lebend und todt, Alles Gute von Gott dank seiner
Vermittlung empfangen. Ich schäme mich zu sagen, dass ich Etwas
bin und bin doch Nichts und weiss Nichts, aber das Wenige, für das
ich von meinen Bekannten in Rom gehalten werde, habe ich, weil
ich unter dem Schatten meines Herrn gelebt habe."
Erworben wurde das Werk, dem Giovanni Bernardi die ge-
schnittenen Steine hinzufügte, durch den Kardinal Alessandro Far-
nese, Pierluigis Sohn, und befindet sich heute, aber jener Steine und
der Säulchen aus Lapis Lapuli beraubt, im Museum zu Neapel.
(Vgl. Liverani: Maestro Giovanni Bernardi, Faenza 1870, S. 28. —
C. V. Fabriczy: ,,Disegni di Michelangelo per lavori di oreficeria"
im Arch. stör. dell'Arte 1894. VII, S. 151.)
Der Aufbau des stattlichen achtseitigen Bronzewerkes lässt sich
in drei Theile zerlegen: Untersatz, Postament und tempeiförmiger
Aufbau.
1. Der Untersatz. Er besteht aus dem geschweiften achtseitigen
Fuss : jedes Feld ist mit einem Seraphimkopf, über dem eine
Muschel sich befindet, geschmückt : die Eckstreifen dazwischen
zeigen eine Blüthenkette. In den Feldern des nach oben aus-
ladenden Gliedes über dem Fuss waren in Medaillons die
geschnittenen Steine Bernardis angebracht; unterhalb der
Medaillons ist ein Ornament von zwei Voluten mit Mittel-
palmette. Auch in den Eckstreifen , die oben eine herab-
sinkende Muschel mit Palmettenblatt zeigen, waren je ein
kleiner und ein grösserer Stein eingelegt.
2. Das Postament. Es besteht aus drei Gliedern. Das unterste
enthält Konsolen , die mit Spiralen und Zweigen ornamentirt
sind. Das mittlere ist mit Spiralenpaaren, in deren Mitte sich
Blätter erheben, verziert. Das oberste ist durch kleine
Postamente gegliedert ; die Felder dazwischen tragen Kränze.
3. Das Tempelchen, durch ornamentirte Pilaster (ohne Kapitale)
gegliedert, welche einen mit Palmetten gemusterten Architrav,
und ein Gesims auf viereckigen Konsolen tragen, über dem
sich das mit Blättern belegte Kuppeldach erhebt. In den
Feldern zwischen den Pilastern sind folgende Reliefs angebracht :
Abendmahl, Gethsemane, Geisselung, Kreuztragung, Christus
am Kreuz zwischen Maria und Johannes, Kreuzabnahme, Be-
weinung, Auferstehung.
Es kann kein Zweifel sein, dass nur der allgemeine Entwurf
des Ganzen von Michelangelo herrührt. Die Ornamentik, von seiner
Art verschieden, ist die anmuthige Erfindung Jacopos, und von
252 Entwürfe für Gebrauchsgegenstände
Diesem rühren auch die Passionsdarstellungen her, die nur hier und
da Anklänge an Michelangelo'sche Kompositionen (Geisselung,
Christus am Kreuz) zeigen.
XXII
Das Farnesische Salzfass
Die Nachrichten hierüber verdanken wir A. Ronchini in dem
unter XX zitirten Aufsatz : Manno, orefice fiorentino (vgl. auch den
von C. V. Fabriczy an soeben erwähnter Stelle gegebenen Bericht).
Manno sandte dem Kardinal Alessandro Farnese am 23. August
1567 zwei Entwürfe für ein Salzfass: eine Zeichnung, deren Autor
nicht genannt wird, und ein Thonmodell von Michelangelo. Briefe
vom Grafen Lodovico Tedeschi, Tommaso de' Cavalieri und Manno
behandeln die Angelegenheit. Manno sagt von dem Modell, es sei
von der Hand Michelangelos ; ,,aber es fehlt die Figur, die auf die
Spitze gehört , wo die vier Schildkröten sind ; und diese werden
oberhalb der Nischen an dem Gewände, darauf die Figur steht,
eingefügt". Tedeschi meint : ,,an dem Michelangelo'schen Modell
müsse Viel beseitigt und Anderes hinzugefügt werden; die Kosten
würden sich auf ungefähr 300 Skudi belaufen." Cavalieri schreibt:
,,da mir der Graf Lodovico mittheilte, dass E.H. den Wunsch auf
Anfertigung eines schönen Salzfasses habe, Hessen wir viele Zeich-
nungen anfertigen und sahen sie an. Und wir entschlossen uns für
diese beiden, die uns sehr schön erscheinen. Und um meine
Meinung zu sagen, so wird die Zeichnung Effekt machen, nament-
lich auf Personen, die sich nicht sehr darauf verstehen, denn, ehr-
lich gesagt, ist die Komposition nicht allzu schön. Aber das Modell
ist von herrlichster Erfindung und wurde nach Angaben Michel-
angelos gemacht." Er fährt dann fort: es sei nöthig, einige Dinge
zu verbessern, die Michelangelo nicht genügt hätten, wie z. B. die
Schildkröten oben, die sich dort nicht gut ausnehmen. ,,Und auf
die Spitze kommt eine kleine Figur und gewisse andere Zierdinge,
die, wie ich glaube, sehr schön ausfallen werden." (Steinmann-
Pogatscher: Rep. f. Kw. XXIX, S. 445.)
Ob das Salzfass ausgeführt worden, und, wenn dies der Fall,
ob nach dem Michelangelo'schen Modelle, wissen wir nicht.
xxin
Die fälschlich Michelangelo zugeschriebenen Kandelaber
in der Sakristei von S. Pietro
Wir haben keinerlei Zeugniss dafür, dass Michelangelo Zeich-
nungen für Kandelaber des Hochaltars von S. Pietro, die jetzt in
Die Erzählung von dem Mörser 253
der Sakristei aufbewahrt werden, angefertigt habe. Grimm erwähnt
zwar solche, die er 1531 für den Kardinal Farnese gemacht (II, 186),
aber es handelt sich hier um keine beglaubigte Thatsache. Eine
Tradition hatte sich im XVIII. Jahrhundert herausgebildet, dass die
bei Festen am Hochaltar verwendeten grossen goldenen Leuchter
Werke des Meisters seien: wir finden sie unter Anderem in einem
Briefe Wilhelm Heinses an Gleim vom 30. Juni 1782 (Sämtliche
Schriften, Leipzig 1857, V, S. 338): ,, sieben grosse Leuchter nach
Michel Angelo, wie man behauptet aus reinem gediegenem Golde,
vortrefflich gearbeitet." Was wir wissen, ist dies, dass im Jahre 1581
der Kardinal Alessandro Farnese zwei vergoldete Silberkandelaber
(gemeinhin für goldene gehalten) mit Kristallreliefs von Giovanni
Bernardi (Vasari V, 273) und ein Kreuz, von der Hand des Antonio
Faventino gearbeitet, der Basilika schenkte. Vier andere grössere
kamen als Geschenk des Kardinals Francesco Barberini 1680 hinzu.
(Die anderen Leuchter sind Geschenke Gregors XIII., Urbans VIII.,
der Panfilis etc. Vgl. Chattard ; Nuova Descriz. del Vaticano I.,
S. 231. 240 u. A.)
Willkürlich auch ist die Bezeichnung der zwei von Letarouilly
(Le Vatican. Bas. de St. Pierre PI. 38) abgebildeten Leuchter, des
einen mit dem Namen Michelangelos, des anderen mit dem Raphaels.
Sie wären angeblich von Cellini ausgeführt und im XVIII. Jahrhundert
unter Pius VI. eingeschmolzen worden (publ. zuerst von Charles
Normand: Deux candelabres composes par R. et M., Paris, 1803
nach einer 1778 angefertigten Zeichnung. — Ital. Ausgabe von
Pietro Narducci. Mailand 1823). Das Gleiche gilt von der Zu-
schreibung der Kandelaber in der Kapelle Strozzi in S. Andrea
della Valle in Rom an Michelangelo (S. o. II, S. 188).
In den Uffizien wird die Federzeichnung eines auf einer Säule
angebrachten ziemlich einfachen Kandelabers (530, Nr. 594) mit
einem berechtigten Fragezeichen dem Michelangelo zugewiesen.
XXIV
Die Erzählung von dem Mörser
In einem Briefe des hochgebildeten Kunstfreundes und Sammlers
Vincenzo Giustiniani an den Advokaten Teodoro Amideni (Ende
des XVI. Jahrhunderts, Bottari VI, 133) lesen wir folgende Künstler-
anekdote :
,,Ich habe einen Mörser, von der Hand Buonarrotis, des ersten
Bildhauers, Malers und Architekten unsres Jahrhunderts, gearbeitet
gesehen, mit vielen Arabesken, Blattwerk und Masken, Grotesken
und anderen anmuthigen Einfällen, mehr der Art eines Intagliators
2CA Entwürfe: Die Erzählung von dem Mörser
als eines Bildhauers entsprechend, so fein in der Zeichnung und
so anmuthig in der Erfindung und sauberen Arbeit, dass dieser
Küchengegenstand mir ein würdiger Schmuck für das Zimmer eines
Königs zu sein schien. Und Der es mir zeigte, erzählte mir einen
Vorfall, der, wenn er nicht wahr ist, doch nicht unwahrscheinHch
dünkt. . . Ein Mann, Familienvater, hatte einen Mörser für häus-
lichen Bedarf nöthig. Er nahm seine Zuflucht zu einem Bildhauer,
den er täglich mit dem Meissel in Marmor arbeiten sah, und er-
suchte ihn, ohne jede böse Absicht, er möchte so gut sein, ihm
einen zu machen. Der Bildhauer, bedenklich ob das nicht irgend
ein Streich eines bösartigen Kollegen sei, dachte ein wenig nach und
sagte dann: ,ich pflege nicht Mörser zu machen, aber hier nebenan
ist Einer, der ein Gewerbe daraus macht (auf das Haus Buonarrotis
weisend). Ihr könnt Euch an ihn wenden, denn er wird Euch
gerne bedienen'. Jener ging und brachte Buonarroti sein Anliegen,
ihm einen Mörser zu machen, vor. Dieser kam auf denselben
Verdacht, wie der andere Bildhauer, und frug Jenen, wer ihn zu
seinem Hause gewiesen. Er antwortete: ,Der da, der mit dem
Meissel in Marmor arbeitet', und wies ihm das Haus. Da sah
Michelangelo, dass diese Handlungsweise des Nachbarn aus Wett-
bewerb, ja aus Neid hervorging, und übernahm es, den Mörser für
den Preis zu machen, auf den er geschätzt werden würde. Jener
nahm die Bedingung an und ging davon. Buonarroti machte den
Mörser dann von jener Güte und mit den erwähnten Ornamenten
und gab ihn dem Auftraggeber und sagte ihm : ,geh zu dem Meister,
der dich zu mir schickte und sag' ihm, er solle ihn abschätzen,
was er werth ist, und du zahlst ihn dann nach deiner Bequemlich-
keit'. Jener ging, und als der Bildhauer den Mörser sah, gab es
ihm einen Stoss ins Herz, denn er erkannte, dass Buonarroti durch
die Vorzüglichkeit des Werkes, ohne sich auf Worte einzulassen,
seiner Absicht entsprochen habe, und sah sich genöthigt, dem Über-
bringer des Mörsers zu sagen : geh, gieb den Mörser Dem zurück,
der ihn gemacht hat, und sag' ihm von mir, er sei nicht gut für
deinen Zweck und er solle dir einen anderen gewöhnlichen, glatten
Mörser machen lassen und diesen für sich behalten, denn er passt
besser in seine Hände als in die deinen." Bottari wies auf einen
kleinen Marmormörser im Palazzo RospigHosi a Montecavallo hin,
der wie der beschriebene gearbeitet sei, sowie auf einen danach
in Bronze gegossenen, und fügt hinzu, man sage, er sei von Michel-
angelo. Dass dieser Mörser der von Giustiniani gesehene war, ist
denkbar — dass er aber ein Werk Michelangelos gewesen, dies
anzunehmen, verlangte wohl einen hohen Grad von Gläubigkeit.
X
STATUEN UND ENTWÜRFE ZU
SOLCHEN
A. Religiöses
I
Der Christus in S. Maria sopra Minerva
/. Geschichtliches.
Am 14. Juni 15 14 geben Bernardo Cencio , Kanonikus von
L S. Pietro, maestro Maria Scapucci und Metello Vari Michelangelo
die Statue für S. Maria sopra Minerva für 200 Golddukaten und
mit dem Termin von vier Jahren in Auftrag. Sie soll in Lebens-
grösse , nackt, stehend, ein Kreuz im Arm, in einer Stellung, wie
sie dem Meister gut dünken wird , ausgeführt werden. Den Ort
in der Kirche werden Cencio und Scapucci wählen und die
Kosten von dessen Ausschmückung tragen ; Michelangelo ver-
pflichtet sich nur die ,,gocciola dove posi detta figura", also die
Konsole, auf seine Kosten zu machen. Er soll sogleich 1 50 Gold-
dukaten erhalten , die anderen 50 nach Vollendung der Arbeit,
bevor sie an Ort und Stelle gebracht wird, und zwar zahlt Vari
von ihnen 25, die anderen 25 für Scapucci der Kastellan Pietro
Paolo. — Michelangelo hat, ohne Geld zu erhalten, die Statue be-
gonnen, sie aber aufgegeben, da sich Flecken im Stein zeigten.
Er lässt sie in Rom zurück, als er 15 16 nach Florenz geht. Im
September 15 17 mahnt ihn Vari, und daraufhin bittet er am
26. September Leonardo Sellajo um die Anweisung von igoSkudi
seitens Varis. Er erhält dieselben und am 13. Dezember folgende
Zeilen von Vari: ,, Dieses, um Euch zu benachrichtigen, wie ich
Euch schon vor vielen Tagen auf dem Wege über Siena wissen
Hess , dass , in Anbetracht der Wichtigkeit meines Antheils an der
Angelegenheit der Kapelle der Minerva, es Zeit, ja mehr als Zeit
sei. Darauf erhielt ich keine Antwort. Jüngst habe ich nun Geld
geschickt und ich habe es Euch , um meiner Verpflichtung zu ge-
nügen , geben lassen, und immer habe ich an Eurem Gesuch vom
ersten Tage an festgehalten und dennoch vernehme ich Nichts über
I* 17
258 Statuen und Entwürfe zu solchen
meine Angelegenheit. Mir scheint, es wäre schicklich gewesen,
Ihr hättet mich im Verlaufe der drei Jahre und sieben Monate
wenigstens mit einer Zeile wissen lassen, ob Ihr wünschtet, dass ich
noch auf die Statue eines nackten Christus rechne. Und da Ihr
nicht schreibt, glaubte ich, es wäre so, denn, wenn das Werk an-
gefertigt wurde , bedurfte es keiner weiteren Briefe. Inzwischen
habe ich es Tag für Tag erwartet, und da es nicht kam, habe ich
Euch, des grossen Interesses wegen, das ich an der Erbschaft
nehme, diesen Brief geschrieben und bitte Euch dringend : lasst mich
unverzüglich wissen, wann das Werk eintreffen wird, denn es liegt
mir Viel daran, wie ich Euch geschrieben. Nichts Anderes ; Christus
behüte Euch vor dem Übel." (Frey: Briefe S. 85.)
Es scheint im Januar 15 18 bei der Anwesenheit Michelangelos
in Rom zu bestimmten Abmachungen gekommen zu sein. Auf sie
und folgende Briefe spielt Vari in einem Schreiben vom 26. Juli an,
in dem er von der glücklichen Erledigung der schwierigen und zu
seinem Nachtheil ausgefallenen Erbschaftsangelegenheit Nachricht
giebt und den Meister bittet , die Vollendung der Statue zu be-
treiben , sei es auch durch Mithülfe eines Schülers ; er solle dann
nur die letzte vollendende Hand anlegen. (Ebenda S. 107.) Der
Kardinal Giulio Medici hat auf eine Bittschrift hin den Termin der
Ablieferungsfrist verlängert. Am 24. November drängt Vari , der
noch keine Nachricht erhalten hat, von Neuem, da die Frist Ostern,
d. h. Mai 1519 abläuft. (Ebenda S. 125. 142)
Michelangelos Schreiben an Lionardo Sellajo am 21. Dezember
enthält den Grund, warum er schweigt. Er befindet sich in furcht-
barer Bedrängniss wegen des Juliusdenkmales und im Konflikt
mit den Carraresen. ,,Auch werde ich von Metello Vari wegen
seiner Statue gedrängt ; und die befindet sich in Pisa und wird
mit diesen ersten Barken kommen. Ich habe ihm niemals ge-
antwortet und will auch Euch nicht mehr davon schreiben, bis
ich nicht zu arbeiten begonnen habe; denn ich sterbe vor
Schmerz und ich komme mir wie ein Schwindler vor wider meinen
Willen."
Ein weiterer Brief Varis vom 19. März 15 19 (ebenda S. 136)
wirft helleres Licht auf den gesamten Vorgang. Michelangelo hat
seinerzeit die zuerst angefangene Statue in Rom gelassen — wir
hören später, warum — und hat sich nun, um die Figur noch ein-
mal zu machen, einen neuen Block kommen lassen. ,,Und wenn
Ihr die Figur dort nicht gemacht habt, so lasst doch wenigstens
die in Rom vollenden." Im Nothfall solle er irgend eine andere
Figur, die sich eigne, senden. Michelangelo schweigt, und Vari
wiederholt am 6. und 7. April seine Bitten; könne Michelangelo
nicht bis zum Mai fertig werden , so möge er doch vom Kardinal
Der Christus in S. Maria sopra Minerva 259
Medici sich eine weitere Verlängerung der Frist um einen Monat
oder mehr ausbitten. (Ebenda S. 142.)
In der zweiten Hälfte 15 19 ist der Künstler an der Arbeit.
Am 13. Januar 1520 schreibt Vari: „Vor einigen Tagen brachte
mir Messer Lionardo die Kunde, dass Ihr die Statue so gut wie
vollendet habt. Das war mir sehr lieb, in Anbetracht dessen, dass
der Termin gekommen. Nun habt die Gewogenheit, sie zu vollen-
den und auch die von Euch geplante Einfassung (ornamento) zu
beendigen." (Ebenda S. 148.)
Den Auftrag, dies Tabernakel auszuführen, ertheilt der Meister
Federigo Frizzi in Rom, der am 10. März 15 19 hierfür dankt und
von den Berathungen , die bezüglich der Aufstellung der Statue
stattgefunden haben, berichtet. (Ebenda S. 154.)
,,Theuerster Freund. Ich benachrichtige Euch davon, dass
Messer Bernardo Cenci mir Euren Brief gezeigt hat , in dem Ihr
mittheilt, man solle sich wegen des Tabernakels der Statue, die
Ihr gemacht habt, an mich wenden. Ich danke Euch tausendmal
hierfür und bitte Euch, da ich in jeder Hinsicht Euch zu Diensten
bin und immer sein werde , Ihr wollet über mich befehlen , denn
ich könnte keine grössere Freude in der ganzen Welt haben, als
Etwas zu thun, was Euch lieb ist."
,, Messer Bernardo zeigte mir die Maasse der Statue , nämlich
ihrer Höhe : eine gewisse Linie siebenmal, das macht neun Palmen
römischen Maasses, das Postament, das vier Finger hoch ist, mit
eingerechnet. Die gesamte Statue mit dem Postament ist neun
Palmen hoch. Und der Bischof von Porchari, Messer Bernardo,
und Metello Porchari sind zusammen in die Minerva gegangen und
haben mir die Stelle gezeigt, wo sie die Statue aufgemauert wün-
schen, nämlich an der Kirchenwand bei der Thür, die in den
Klosterhof führt. Dort ist aber schlechtes Licht. Desswegen habe
ich ihnen davon abgeredet und gerathen, sie möchten sie an eine
der Säulen oder Pilaster im Mittelschiff bringen, da dort gutes Licht
ist; und sie sind damit einverstanden, noch ist aber Nichts end-
gültig über die Form des Tabernakels beschlossen. Ich habe ihnen
eines entworfen und versprochen , noch andere zu entwerfen , und
habe den Gedanken, die Nische des Tabernakels vier Palmen breit
zu machen, da ich glaube, dass dies genügt. Und damit man die
Statue besser sehe, beabsichtigte ich die Nische ziemlich flach zu
halten. Messer Metello Porchari hat mir mehrere Male gesagt, ich
solle Euch davon benachrichtigen, und dass er sich sehr freuen
würde zu erfahren , wann die Statue in Rom sein wird. Daher
bitte ich Euch: theilt mir mit, ob die Breite von vier Palmen für
das Tabernakel genügt und ob es Euch recht ist, wenn es geringe
Tiefe in der Rundung hat."
17*
26o Statuen und Entwürfe zu solchen
Gegen den 20. April 1520 meldet Michelangelo Vari und
Cencio, dass die Statue fertig ist und bittet um die Restzahlung
von 50 Dukaten. Vari verspricht am 24. April, diese zu leisten,
obgleich der Kastellan Pier Paolo gestorben ist und Dessen Wittwe
augenblicklich nicht in der Lage , seinen Antheil zu zahlen. Der
Testamentsvollstrecker verlangt , dem Kontrakt entsprechend , der
übrigens von Michelangelo, was die Zeit der Ablieferung anbetrifft,
nicht eingehalten worden sei, dass die Statue zuvor nach Rom ge-
sandt werde. Vari verbürgt sich dann für die Zahlung. (Ebenda
S. 156. 157.) Darauf ist der Meister, wie es scheint, nicht ein-
gegangen. Er beauftragt im Oktober den Maler Giovanni da
Reggio, die Sache mit Cencio und Metello Porchari zu besprechen.
Dieser theilt ihm am 26. Oktober mit, das Geld werde gesandt
werden. (Ebenda S. 160.) Giovanni benimmt sich aber ungeschickt.
Darüber berichtet Sebastiano del Piombo am 9. November (Milanesi :
Les Correspondants S. 22):
,,Ich habe Messer Zovanni getroffen : ich habe ihn gescholten,
er solle ein wenig maassvoller vorgehen. Er sagte mir, er habe
nichts Anderes gethan als auf das Geld für die Christusstatue ge-
drängt , und er hat nur gesagt , die Sache sei nicht in Ordnung
und Ihr solltet die Statue nicht senden , bevor Ihr nicht das Geld
habt. In dieser Sache hat er sich also gut benommen ; was mir
aber missfällt, ist dies, dass er sagt : nicht Ihr hättet die Figur ge-
macht, sondern Pier Urbano. Gebt Acht, denn es ist nothwendig,
dass sie als von Eurer Hand gemacht erscheine, damit die Faulenzer
und Schwätzer krepiren." Auch Sellajo schreibt (i. und 15. Dezem-
ber) und bittet Michelangelo, die Figur nicht zu senden, bevor nicht
Vari das Geld geschickt. Am 30. Januar geschieht es ; Vari und
Cencio geben dem Künstler Nachricht davon. (Frey S. 162 — 164.)
Am 17. Februar nimmt Sellajo an, Michelangelo habe die Statue
schon beendet und nach Signa gesandt; sei dies nicht der Fall,
so solle er sich eilen ; er hofft, er komme selbst nach Rom.
Anfang März wird die Figur abgeschickt. Urbano ist nach
Rom gegangen, um sie dort aufzustellen. Sellajo wird sie in Em-
pfang nehmen. Frizzi empfiehlt sich und ist bereit , Alles für den
Meister zu thun. (10. März. Ebenda S. 165. 166.) Am 22. März
schreibt Sellajo , dass Urbano angekommen , aber noch nicht die
Statue; und am. 31. März Urbano selbst: „ich benachrichtige Euch,
dass ich gesund bin , und von der Statue habe ich gewisse Nach-
richt, dass sie in Sancta Severa (bei Civitavecchia) ist; da aber das
Meer unruhig, ist es nicht möglich, in die Mündung des Tiber ein-
zuschiffen ; so warte ich in Ergebenheit. Täglich habe ich mit
Messer Metello und Messer Bernardo Cenci und mit dem Bischof
und mit Antonino Porchari und allen jenen Porchari gesprochen ;
Der Christus in S.Maria sopra Minerva 26 1
und am Ostersonnabend haben sie sich für das Tabernakel ent-
schieden in Anwesenheit Frizzis und sind sich einig über das
Tabernakel." (Ebenda S. 167.) Bis Mitte April ist die Statue noch
nicht eingetroffen. (S. 168 — 170.)
Im Juni (Juli r) berichtet Urbano : „ich habe die Statue von der
Ripa geholt und hatte viel Verdruss damit, aber ich habe sie ge-
holt. Ich habe protestirt, dass falls in acht Tagen . . ., wohin
sie zu bringen, ich nach Florenz heimkehren werde. Denn sie wollten,
Christus solle Eingangszoll in Rom zahlen. Und diese Schelme von
Frati wollen sie nicht in der Kirche aufnehmen, wenn sie nicht ein
zweites Mal gezahlt werden. Sie haben eine Zahlung, nun möchten
sie noch eine zweite. Euer Fra Ruberto kann Euch davon be-
richten , welche Mühe ich gehabt habe. Ich wünschte, Ihr liesset
einen Brief vom Kardinal kommen , dass es nicht erlaubt sei, Zoll
zu schinden, und zwar schnell." (S. 176.) Im Juli und Anfang
August beschäftigt sich Urbano mit der Statue. Er schreibt: ,,ich
werde Euch die Empfangsbescheinigung der Statue in der kommen-
den Woche senden ; und betreffend die Figur des Frischo (Fiescho .?)
werde ich Euch schreiben, was er dafür geben will. Am Montag
stelle ich die Statue auf; früher war es nicht möglich." Bald
darauf: ,,ich habe die Statue aufgestellt; ich musste warten, bis
ich hatte, worauf sie stellen. Ihr müsst bis Sonnabend Geduld
haben, denn er (Metello?) will sie ganz vollendet sehen, bevor er
mir die Empfangsbescheinigung giebt, und er hat mir Sicherheit
von 300 Dukaten gegeben. Samstag sende ich sie Euch durch
Lionardo und dann werdet Ihr sie gleich empfangen. Inzwischen
habe ich eifrig gearbeitet und gezeichnet."
Und wieder etwas später: ,,in der kommenden Woche hoffe
ich die Statue zu vollenden." Dann: ,,wisst, dass die Statue voll-
endet ist und Mitte August am Tage der hl. Maria enthüllt werden
wird." Zugleich bittet er um eine Zeile; der Kardinal wolle nicht,
dass Michelangelo den Zoll zahle. Bald darauf ist Urbano , der
in leichtfertiges Leben gerathen war, von Michelangelo seiner Arbeit
enthoben worden , hat sich dann verborgen gehalten, ist aus Rom
nach Neapel geflohen und von dort nach Spanien gegangen. Vari
schreibt am 14. August: ,,Pietro ist ohne Erlaubniss und ohne be-
stimmten Zweck , ich weiss nicht wesswegen , flüchtig geworden ;
und sie warten immer noch darauf, dass er die Figur vollende.
Ich sah, dass sich die Sache in die Länge zog und frug nach
ihm; da kam Einer und sagte: Pietro ist fort und hat einen Ring
im Werthe von 40 Dukaten mitgenommen." (Ebenda S. 176 — 178.)
Die Arbeit abzuschliessen, wird nun Federigo Frizzi von Michel-
angelo beauftragt. Frizzi schreibt am 7. Dezember (S. 178): „Ich
theile Euch mit, dass Meister Giovanni da Reggio mir Euren Brief
202 Statuen und Entwürfe zu solchen
zeigte , in welchem Ihr sagt , ich solle das Wenige , was noch zu
thun ist, vollenden. Ich werde es sehr gerne thun ; doch wünschte
ich , dass sie sähen , was Pietro gearbeitet hat , und so gingen
Sebastiano Veneziano und Giovanni da Reggio und ich hin , und
uns Allen dünkte, dass er an allen Stellen, die er retuschirt hat, sehr
ungeschickt vorgegangen ist: erstens an dem Fuss, der vorgestellt
ist , dann an beiden Händen , die er so ungleichmässig behandelt
hat, dass sie wie aus Papiermache gemacht zu sein scheinen, und
endUch am Bart, nämlich am Kinnbacken der rechten Wange ; so
dass es mir sehr lieb war, dass Jene es sähen, um mich von der
Verantwortung zu entlasten. Nun weiss ich nicht, was Ihr wünscht,
dass ich thun solle, nämlich ob ich mich daran machen soll, auch
jene Stellen, wo er gearbeitet hat, zu bearbeiten oder nur jene, an
denen er nicht gearbeitet. Ich werde sie so gut und mit so grosser
Sorgfalt als ich nur kann, vollenden ; und Ende dieses Monats wird
Alles fertig sein : die Figur und das Tabernakel und Alles. Es
wäre mir lieb, Ihr liesset mich wissen, ob ich die von Piero be-
arbeiteten Stellen retuschiren soll."
Noch eingehender äussert sich Sebastiano in einem Briefe am
6. September (Milanesi: Les Corresp. S. 28):
,,Ich glaube, Ihr seid es müde, Nachrichten von Eurem Pietro
Urbano zu empfangen, und so schreibe ich Euch nicht von den
Dingen , die Euch nicht berühren , denn es ist nicht meine Pro-
fession, über Jemanden schlecht zu sprechen, namentlich nicht über
Solche, die mir Nichts zu Leide gethan. Da er Euch aber Schande
gemacht und wenig Rücksicht auf Euch genommen , zwingt mich
die Liebe, die ich für Euch habe. Euch Mittheilung von seinem
unrühmlichen Verhalten zu machen."
,, Zuerst dies ! Ihr hattet ihn nach Rom geschickt mit der
Statue , damit er sie vollende und aufstelle. Was er mit ihr an-
gefangen und in wie verfehlter Weise, wisst Ihr. Aber ich thue
Euch zu wissen , dass er Alles , woran er gearbeitet , verstümmelt
hat. Vornehmhch hat er den rechten , ganz sichtbaren Fuss an
den Zehen, die er abgehauen hat, verkürzt, auch hat er die Finger
der Hände, namenthch der rechten, das Kreuz haltenden, verkürzt,
so dass Frizzi sagt, sie seien wie von Bretzelbäckern gemacht, denn
sie wirken nicht wie aus Marmor, sondern als wären sie aus Teig
gemacht, so schwerfällig sind sie : hiervon verstehe ich Nichts, denn
ich weiss nicht , wie man in Marmor arbeitet ; wohl aber sage ich
Euch, dass mir die Finger sehr abgehackt erscheinen; auch dies,
dass man deutlich gewahrt , wie er den Bart bearbeitet hat : ich
glaube, mein Lehrjunge würde es mit mehr Verständniss gemacht
haben, es sieht aus, als habe er den Bart mit einem Messer ohne
Spitze bearbeitet. Aber das lässt sich leicht wieder gut machen.
Der Christus in S. Maria sopra Minerva 263
Auch hat er den einen Nasenflügel verstümmelt; ein v^^enig mehr
und die Nase war so verdorben , dass nur Gott sie wieder hätte
herstellen können. Ich glaube, Gott war es, der es Euch eingab,
jenen letzten Brief an Giovanni da Reggio , meinen Gevatter, zu
schreiben , denn , blieb die Statue in den Händen Pietros , so ver-
darb er sie ohne jeden Zweifel."
,, Weiter ! Ich habe es Messer Metello wissen lassen und ihm
gesagt, dass er sie unter keinen Umständen in den Händen Pietros
lasse, da es leicht geschehen könnte, dass er sie aus Trotz ruinirte
und Euch noch grössere Schande anthäte als die, welche er Euch
schon angethan ; denn Pietro zeigt sich sehr bösartig, um so mehr
als er sich von Euch ganz verbannt sieht ; mir scheint , er nimmt
weder auf Euch noch auf irgend einen Menschen Rücksicht und
glaubt ein grosser Meister zu sein. Aber sein eigenes Thun wird
ihn darüber belehren, was er ist; und ich glaube, der Arme wird
niemals mehr erfahren, was es heisst, solche Figuren zu machen,
so ganz wird er die Kunst vergessen ; denn die Kniee dieser Statue
sind mehr werth, als ganz Rom."
„Gevatter, im Auftrag Giovanni da Reggios und aus Liebe zu
Euch habe ich Euch geschrieben und mitgetheilt, was Pietro gethan
hat, und in Eurem Letzten habt Ihr mir geschrieben, falls es Frizzi
übernehmen wolle, die Statue zu vollenden, man sie ihm übergeben
solle. Er ist zu mir gekommen und wir sind mit Eurem Brief zu
Messer Metello gegangen, und Dieser hat sich damit einverstanden
erklärt, und ich glaube, dass Frizzi Euch mit Liebe dienen wird,
denn er scheint mir ein guter Mensch zu sein, und ich habe ihn
gebeten, er solle so wenig als möghch die Statue berühren. Und
wir sind übereingekommen, dass er sie um einen Palmo niedriger
stelle, denn man sieht die Füsse nicht. Mir scheint, Pietro stellte
sie sehr hoch auf Und so, glaube ich, werdet Ihr gut bedient
werden, denn Frizzi wird sehr beflissen sein, und Ihr habt es mit
Einem zu thun , der für Eure Ehre besorgt ist. Wundert Euch
nicht, dass Messer Giovanni Euch schrieb : Pietro sei auf und davon,
denn er hielt sich längere Zeit hier auf, ohne dass er gesehen
wurde, denn er floh den Hof und ich bin gewiss, es wird ein
schlechtes Ende mit ihm nehmen."
Urbano befindet sich nach einem Briefe Frizzis vom 14. Dezem-
ber (S. 179) noch immer in Rom. Frizzi will das Wenige, was
zu thun ist, ohne Bezahlung machen. Auf die Nachricht, Michel-
angelo wolle zu Allerheiligen nach Rom kommen, schreibt Vari
an ihn, sie hätten bei dieser Aussicht es aufgeschoben, die Statue
zu enthüllen, aufzustellen und zu vollenden, und bitten den Meister,
schon acht Tage früher zu kommen. Auf Dessen erneute Anfrage,
was Federigo für seine Arbeit verlange , erbittet Dieser sich , ob-
264 Statuen und Entwürfe zu solchen
gleich es ihm eine Schande dünkt, überhaupt Etwas für die geringe
Arbeit zu fordern , um nur nicht hartköpfig zu erscheinen , vier
Dukaten (die ihm dann am 26. Oktober geschickt worden sind)
und fügt hinzu :
„Ich habe die Statue in der Nähe des Hochaltares , d. h. der
grossen Kapelle aufgestellt, zwischen dem Sakrament und der Figur
in einem der Pfeiler , welche die Wölbung der Kapelle tragen.
Und sie hat nicht das Licht, wie ich wünschte. An jenem Pfeiler
des Mittelschiffes, von dem ich Euch schrieb, war gutes Licht. Da
sie sie aber nicht dorthin stellen wollten , thue ich es nicht. Ich
wollte sie in einer gewissen Höhe , nämlich so , dass die Füsse
in Augenhöhe des Betrachters kämen , aufstellen ; und so machte
ich eine Art Predella als Postament , hatte die Statue aber nicht
gesehen und dachte, sie wäre so gross, wie Pietro mir gesagt, der
mir sagte , sie sei so gross wie die Kiste. Dann aber als ich sie
in der Minerva sah und die Höhe des Stückes unter den Füssen,
das Ihr kennt , kam sie ein wenig höher als in Augenhöhe zu
stehen. Um sie nun in die von mir gewünschte Höhe zu bringen,
werde ich in das Steinpostament, das aus einem grossen Stein be-
steht, ein Loch machen und in dieses die unter den Füssen an
der Statue befindliche Steinbasis einlassen : so wird sie sicher stehen
und der Augenhöhe entsprechen. Auch Bastian© Veneziano gefiel
es so, und sie gaben mir den Muth, es zu thun. Die Ausstattung,
die ich mache , ist sehr einfach, ohne irgend welches Schnitzwerk,
nur mit der Inschrift und dem Wappen, da Metello kein Geld
ausgeben will; und er wollte mich überreden, sie aus Travertin zu
machen oder sie zu bemalen , doch mache ich sie aus Marmor
saligno. Und an Allerheiligen , so es Gott will , wird sie enthüllt
werden." (Frey S. 181 f.)
Am 2. November ist sie aber noch nicht enthüllt, da, wie
Frizzi schreibt, Metello sie nicht enthüllen will, bevor das ,, Orna-
ment" vollendet. Frizzi aber weigert sich , es aufzumauern , ehe
er nicht bezahlt ist. (S. 182.)
Kurze Zeit darauf hat Michelangelo , besorgt , die Statue sei
nicht so vollkommen ausgefallen , wie er es gewünscht , in seinem
hohen Ehrgefühl Vari das Anerbieten, eine neue Statue anzufertigen,
gemacht. Vari erwidert, er sei ihm für dieses Zeugniss seiner
grossen Liebe höchlich verpflichtet. ,,Es verräth Euren hohen Sinn
und Eure Grossherzigkeit , dass Ihr mir ein Werk , wie es besser
nicht sein kann und seinesgleichen nicht hat, durch ein noch
besseres ersetzen wollt." Seinen Dank zu beweisen, schenkt er
dem Meister ein Pferd. (Gotti I, 143.) Einem folgenden Schreiben
Varis entnehmen wir nun die Kunde von der ersten Statue, die
Michelangelo begonnen und dann aufgegeben hatte, ,,weil gerade
Der Christus in S. Maria sopra Minerva 265
im Gesicht des Christus eine schwarze Ader im Marmor hervorge-
treten war". (Ebenda: 13. Dezember.) Durch Sellajo — und auch
durch Briefe Varis — erfahren wir, am 14. Dezember, dass Vari
jene ältere Figur haben will. ,,Frizzi sagt mir, Metello wolle jenen
begonnenen Christus , der in Eurem Hause ist ; ich würde Euch
rathen, ihn nicht zu geben, denn man müsste ihn vollenden lassen,
es handelte sich um unsere Ehre, und Euch würde es zu viel Zeit
kosten , ihn zu vollenden. Nun wenn Ihr ihm schreibt , thut , was
Euch gut dünkt ; mir scheint es so , wie ich Euch gesagt und so
rathe ich es Euch." (Frey S. 184.) In eben jener Zeit hatte Vari
Michelangelo um seine Meinung betreffend eine Statue , die er im
Hofe seines Hauses aufstellen wollte, befragt. Der Meister, willig
entgegenkommend, bittet, ihm die Maasse zu senden und ihm das
Weitere zu überlassen. Aber Vari nahm das Anerbieten nicht an:
er wolle ihn nicht unbilHg belästigen. Ihm genüge jene Statue, die
ihm zur grössten Ehre gereiche , als sei sie aus Gold. Sie reiche
hin, Buonarrotis Grossherzigkeit und Güte zu zeigen und wie er
ihm nicht für Geld, sondern aus Liebe einen solchen Dienst er-
wiesen , was die bösen Zungen , die über ihn , Vari , und Michel-
angelo bezüglich des Werkes sich geäussert, zum Schweigen bringen
müsse. (Gotti I, 143.)
Am 27. Dezember 1521 meldet Sellajo: ,,die Statue ist
enthüllt und gefällt."
Anfang Januar T522 will Michelangelo Vari jene ältere Statue
schenken, ja mehr als dies, er will ihm eine andere machen. Sellajo
giebt den betreffenden Brief des Meisters vorläufig nicht an Vari
ab. Er schreibt am 4. Januar :
,,Ihm die abbozzirte Statue zu geben, darauf kommt nicht
Viel an, aber in diesem Briefe verpflichtet Ihr Euch, ihm eine zu
machen, und das scheint mir nicht richtig ; denn Ihr wisst, was für
Leute die Römer sind und namentlich Dieser. Desswegen scheint
es mir in keiner Weise richtig. — — Einstweilen gebe ich den
Brief nicht, ich erwarte Eure Antwort und weiss, Ihr werdet, denkt
Ihr darüber nach und bedenkt Ihr die Art dieser Menschen, Eure
Ansicht ändern." (Frey S. 186.) Und weiter am 12. Januar (S. 187):
,,da es Euer Wille ist, ihm die Statue zu schenken, werde ich sie
ihm geben, aber ich gebe ihm Euren Brief nicht, um Euch nicht
in die Verpflichtung zu setzen , eine andere Statue zu machen.
Wollt Ihr, dass ich ihn übergebe, so benachrichtigt mich, denn
dann werde ich es thun. Morgen suche ich ihn auf und gebe ihm
die Statue. — — Die Statue ist enthüllt, wie ich Euch sagte, und
macht einen sehr guten Eindruck. Gleichwohl habe ich, wo immer
es mir angebracht erschien, gesagt und sagen lassen, dass sie nicht
von Eurer Hand ausgeführt ist. Obgleich es wahr ist, dass Ihr sie
266 'Statuen und Entwürfe zu solchen
an einigen Stellen , wo Pietro sie verstümmelt hatte , retuschirt
habt. So seid in jeder Weise getrost und macht Euch keine Ge-
danken darüber." Am 22. Januar berichtet er: „ich habe die Statue
INIetello übergeben, in Gegenwart so Vieler, dass es genügt; und
dann Euren Brief; und er empfiehlt sich Euch und es genügt, dass
er Euch bisher an Höflichkeit nicht besiegt hat." (S. 188.)
Wie es scheint, fasst Vari dann den Gedanken, eine Madonna
bei Michelangelo zu bestellen , die aber später Frizzi in Auftrag
gegeben wurde. ,,Metello empfiehlt sich Euch und sagt, er schreibe
Euch nicht, weil er mit Thaten schreiben wolle, wie Ihr es mit ihm
gethan." (16. Februar.) ,,Mit Metello werde ich es bewirken, dass
Ihr Recht behaltet." (8. März.) ,, Metello ist mit dem Kardinal
Fiescho zusammen gewesen und will, dass ich hingehe und die An-
fertigung der Madonna bespreche. Und um Eure Meinung über
Preis und Zeit zu erfahren, habe ich Euch geschrieben, bevor ich
ihn spreche. Ich wollte, Ihr antwortet mir so schnell wie möglich,
damit ich der Sache Einhalt thun kann, d. h. ihm sagen , dass Ihr
nicht könnt. Metello wünschte , Ihr gäbet ihm eine Empfangsbe-
scheinigung über die Gelder, die Ihr für den Christus erhalten ; er will
sie irgend einem Römer, der an der Sache festhält, sagt er, zeigen.
Ihr könnt es thun und angeben, von wem Ihr die Gelder em-
pfangen und auf wessen Rechnung, nämlich als Bezahlung der
Statue, denn so wart Ihr übereingekommen." (23. Mai; S. 192.)
Michelangelo geht darauf nicht ein. Am 4. IMärz 1523 richtet
Vari selbst die Bitte an ihn, da er Rechnungen mit den Erben des
Kastellans Pietro Paolo zu regeln habe ; er wünscht eine Empfangs-
bescheinigung über 175 Dukaten. Der Wunsch wird am 27. Juni
und 27. Juli wiederholt — und dann später am 7. April 1526, am
I. Juni, am 5. und 13. Juli und am 2. August 1532. (Frey S. 196.)
Am I. Juni bescheinigt Vari seinerseits Michelangelo, dass
er die Statue, welche ,,die Auferstehung Christi" darstellt, em-
pfangen habe, und in Allem zufrieden gestellt sei. (Gotti I, 143.)
Offenbar traute Michelangelo den Dingen nicht, wie denn trotz aller
Freundschaftsbezeugungen in den Geldangelegenheiten dieser Sache
von ihm und den Freunden in Rom wohl aus guten Gründen —
denn gleich Anfangs hat Michelangelo die bedungenen 1 50 Dukaten
nicht erhalten ! — mit grosser Vorsicht vorgegangen worden ist.
Auch dieses Werk also hat eine lange und verwickelte Ge-
schichte gehabt, die von 15 14 bis 1532 spielte. Wir entnehmen
den zahlreichen Korrespondenzen die Thatsachen :
Die Statue, in ihrer Art von vorneherein be-
stimmt, ward am 15. Juni 1514 in Auftrag gegeben.
Michelangelo hat sie begonnen, dann aber, da eine
schwarze Ader im Gesicht sich zeigte, aufgegeben.
Der Christus in S. Maria sopra Minerva 207
Dieses unvollendete erste Exemplar blieb in seinem
römischen Hause, als er 1516 nach Florenz über-
siedelte, und wurde von ihm 1522 dem Metello Vari
geschenkt, in dessen Hause (in einer corticella overo orticello)
Aldovrandi (Statue) sie 1556 erwähnt: non fornito per
rispetto d'una vena che si scoperse nel marmo della
faccia. 1517 erinnert Vari den Meister an seine Ver-
pflichtung, der damals noch nicht die verabredete
erste Zahlung von 150 Dukaten erhalten hat! Michel-
angelo bestellt 1518 einen neuen Marmorblock und
bearbeitet ihn in der zweiten Hälfte des Jahres 1519
und Anfang 1520. Die Übersendung der nicht ganz
fertigen Statue, für deren Aufstellung undUmgebung
Frizzi sorgen soll, verzögert sich, da das Geld nicht
gesandt wird. Erst Anfang März 1521 wird sie ab-
geschickt auf dem Meerwege, erst imJunivonUrbano
in Rom in Empfang genommen. Urbanos Arbeit an
ihr im Juli und August: am Fuss, an den Händen und
am Bart ist schlecht; Frizzi verbessert die Fehler,
vollendet sie und stellt sie auf. Zu Weihnachten 15 21
wird sie enthüllt.
Die Inschrift wird von Aldovrandi (S. 245) verzeichnet: Metel-
lus Varus et Paul. Castellanus Romani Martiae Portiae testamento
hoc altare erexerunt cum tertia parte impensarum et dotis quam
Metellus de suo supplens Deo Opt. Max. dicavit.
In wie weit Michelangelo die Statue selbst ausgeführt oder sich
auch in Florenz schon der Hülfe Urbanos bedient hat, ergiebt sich
aus den schriftlichen Quellen nicht. Sellajos Bemerkung am
12. Januar 1522 könnte die Vermuthung nahelegen, dass der Meister
in der That selbst wenig an ihr gethan, doch muss man bedenken,
dass er dies Gerücht aussprengt, um dem Geschwätz zu begegnen,
und das Werk selbst lässt wohl keinen Zweifel daran aufkommen, dass
es sich im Wesentlichen doch um eine Arbeit Michelangelos handelt.
Wenn Varchi in seiner Leichenrede von ,, einem anderen, ganz
nackten Christus, aber in einer von dem anderen abweichenden
Manier" spricht, den Michelangelo an Vittoria Colonna schenkte,
so liegt hier wohl, da wir sonst gar Nichts von einer solchen Statue
wissen, ein Irrthum, vermuthlich eine Verwechslung mit dem Vari
geschenkten Christus vor.
2. Studien tmd Reproduktio7ien.
Mariette (Observ. S. 73) behauptete, im Besitze mehrerer Studien
für die Figur zu sein, in denen man des Künstlers Art zu zeichnen:
zunächst das Skelett, dann die Muskeln, gewahren könne. Nur ein
268 Statuen und Entwürfe zu solchen
Blatt ist heute bekannt, das die vorbereitende Beschäftigung mit
der Statue zeigt:
London, Samml. Heseltine. Thode 371. Ber. 1543. Abb.
Symonds I, 360. Frey Taf. 36 und 37. Vorder- und Rückseite ent-
halten in Röthel gezeichnete, zum Theil mit der Feder übergangene
verschiedenartige Versuche, die Stellung der Figur zu bestimmen.
Wir unterscheiden:
I. Sie ist ausschreitend gedacht. Nur die Beine sind skizzirt.
Einmal sehen wir diese so von der Seite dargestellt, dass der rechte
Fuss vorgesetzt, der linke schreitend ist, das andere Mal in ruhigerer
Bewegung von vorne : linkes Standbein , rechtes etwas zurück und
seitwärts gestelltes Spielbein. (Rückseite.) Ähnlich der letzteren
Fassung auf der Vorderseite: das linke Standbein, von vorne gesehen.
(Daneben ein linkes Bein , von der Seite gesehen , in gestreckter
Stellung, nur die Fussspitze den Boden berührend.) — 2. Sie ist
ruhig stehend gedacht. Hier ist der Oberkörper gegeben. Einmal
(Rückseite) fast die ganze Figur dargestellt. Die Haltung des Ober-
körpers ähnlich wie in der Statue , nur der Kopf tiefer gesenkt,
der linke Arm gerader ausgestreckt. Die Stellung der Beine ist
seltsam verdreht: das Standbein mehr nach links gedreht, das Spiel-
bein wie in kreisender Bewegung. Das andere Mal (Vorderseite)
die Figur bis zum halben Oberschenkel sichtbar, (Das Kreuz ist
in beiden Skizzen nicht angegeben.) Hier scheint die Beinhaltung
geschlossener gedacht, sie nähert sich, ebenso wie die der Arme,
mehr der Statue. Doch wird die gesenkte Stellung des Kopfes
beibehalten. Vielleicht hat Michelangelo diese in der ersten Statue,
für welche diese Studien dienten, gebracht.
Eine alte Zeichnung nach der Statue befindet sich im Louvre
Nr. 739.
Eine kleine Bronzekopie, welche die Gestalt mit einem über der
rechten Hüfte geknüpften Lendentuch leichter ausschreitend dar-
stellt, ist im Museo Nazionale zu Florenz.
Einen Gipsabguss anfertigen lassen zu dürfen, erbat sich Franz I.
am 8. Februar 1546 durch den nach Italien entsandten Primaticcio.
Eine Marmorkopie, von der Hand Taddeo Landinis, befindet sich in
reicher Altareinrahmung auf dem zweiten Altar Hnks in S. Spirito
zu Florenz. Eine Inschrift besagt : D. O. M. Hanc aram nobili lapide
exornatam Gulielmus Riccius Christo Servatori resurrectionis auctori
dicavit sepulcrumque ubi in resurrectionis diem ipse et posteri ipsius
requiescant construxit kalendis Junii MDLXXIX. Die Statue zeigt,
in Marmor ausgeführt, ein schmales, um die Hüften gelegtes Tuch.
Von einer im XVIII. Jahrhundert angefertigten und ,, jüngst" nach
Frankreich gesandten Marmorkopie spricht Bottari 1767 (Fanfani :
Spig. S. 325).
Der Christus in S. Maria sopra Minerva 269
Von Stichen erwähne ich die beiden ältesten.
1. Nicolaus Beatrizet B. 23. Im Gegensinne. Bez.: Hie de
marmorea Christi statua Michaelis Angeli Bonaroti manu sculpta
quae in aede divae Mariae supra Minervam visitur effigiatus est.
Nicolaus Beatrizetus Lotaringus incidit et formis suis exe. Romae. —
Im IL etat: Petri de Nobilibus formis. Die Gestalt ist ohne Heiligen-
schein und mit einem schmalen , hinten herabfallenden Hüftentuch
dargestellt.
2. Jakob Matham. B. 82. Im Gegensinne, vor einer Pfeiler-
mauer. Bez. Michelagnolo Buonarroti fecit Romae. Ex Candida
marmorea statua sie J. Maetham effigiavit sculpsit et excudit. Henrico
de Keiser sculptori et architecto urbis Amstelodamensis eximio
Jacobus Maetham merito lubens D. D. Das hinten niederfallende
Hüftentuch hier breit. Der Heiligenschein angegeben.
Diese alten Reproduktionen kommen für die Frage , wie die
Statue aussah , bevor sie mit dem grossen Bronzetuch umkleidet
ward, in Betracht. Die Florentiner Marmorkopie und Beatrizets Stich
zeigen dasselbe schmale Tuch.
Was das Motiv der Statue : das Halten des Kreuzes betrifft,
so ist dasselbe kein neues, wenn es auch nicht gerade häufig in der
Kunst vorkommt. Ich weise auf ein Relief des Andrea della Robbia
im Kaiser Friedrich -Museum zu Berlin (Nr. 120) und auf Lorenzo
Vecchiettas Bronzestatue in der Scala in Siena hin. Bereits früher
aber im XIV. und XV. Jahrhundert erscheint, namentlich in der
norditalienischen Malerei, der nackte kreuztragende Christus, freihch
zumeist als der den Gläubigen, einem Engel oder einem Heiligen
aus dem Seitenmale Blut spendende Erlöser (vgl. auch eine Statuette
des Giovanni della Robbia im Bargello). Dies ist eine besondere
typische Vorstellung des Schmerzensmannes. Und dass im All-
gemeinen Michelangelo sich an dieselbe angeschlossen hat, geht
daraus hervor , dass er seinem Christus ausser dem Kreuze auch
das Rohr mit dem Schwamm und dem Stricke gegeben hat.
Hinter dem linken Bein steht als Stütze des Gesässes ein Ge-
wandstück, das nicht recht motivirt ist. Von der Seite betrachtet
sieht es aus, als wäre es über ein Postament gelegt gedacht. Die
Basis der Statue ist auf eine, als Felsboden gebildete, gesetzt. Das
Postament, ohne Inschrift, ist aus weissem und grauem Marmor
gemacht. Wie weit die Hände von Urbano bearbeitet sind , ver-
mochte ich bei der Entfernung und Dunkelheit nicht zu beurtheilen.
Dass die Statue für das Christusideal des Rubens von Bedeu-
tung gewesen, erscheint mir sicher. In einer von Egbert van Rän-
deren gestochenen Komposition : ,, Marias Intervention" findet sich
eine direkte Verwerthung des Michelangelo'schen Werkes (vgl. Roo-
ses: L'oeuvre de Rubens II, PI. 132).
270
Statuen und Entwürfe zu solchen
j. Urtheile über das Werk.
Wie nicht anders zu erwarten, sind die Urtheile in der zweiten
Hälfte des XVIII. Jahrhunderts abfällige. So weit wie Milizia,
der die Gestalt einem Scharfrichter (manigoldo) verglich, sind die
Anderen zwar nicht gegangen , aber ähnlich klingt es doch , wenn
V. Ramdohr sagt: ,,er ist von gemeiner Natur, sowohl was Kopf
als Körper anbetrifft ; er trägt einen Stutzbart, die Beine sind schwer-
fällig, die Hände unnatürlich; die ganze Stellung ist verdreht und
unedel, die Muskeln sind viel zu stark gegeben. Inzwischen ist die
Kenntniss des Knochen- und Muskelbaues und die Behandlung des
Marmors unsrer Aufmerksamkeit werth." Auch Volkmann hat
Manches auszusetzen, doch findet er Figur und Stellung ,,edel
und simpel". Stendhal begnügt sich mit den Worten: ,, dieser
Christus ist nichts weiter als ein Athlet, als ein durch seine physische
Kraft bemerkenswerther Mensch , wie der Held der ,,fair maid of
Perth." Cicognara sagt, die Statue gäbe Einem nicht die Idee
des Sohnes des ewigen Vaters , auch nicht des ,,speciosus forma
prae filiis hominum". Man bewundere nur die anatomischen Kennt-
nisse, nur die Kunstfertigkeit: Das, was bloss Mittel zum Zweck sei.
Hingegen gewinnt Burckhar dt gerade diesem Werke gegen-
über den Standtpunkt höherer Bewunderung : „es ist eines seiner
Hebenswürdigsten Werke ; Kreuz und Rohr sind zu der nackten
Gestalt geschickt geordnet, der Oberleib eines der schönsten Motive
der neueren Kunst; der sanfte Ausdruck und die Bildung des Kopfes
mag so wenig dem Höchsten genügen, als irgend ein Christus, und
doch wird man diesen milden Blick des , Siegers über den Tod'
auf die Gemeinde der Gläubigen schön und tief gefühlt nennen
müssen." Den ruhigen und würdevollen Ausdruck, die anatomische
Wahrheit und die hohe Vollendung erkennt Harford an, aber,
meint er, ,,soll hier der auferstandene Erlöser gemeint sein, so fehlt
der erhabene, hohe und zarte Ausdruck, der einem solchen Vor-
wurf entspräche. Weit entfernt, die Vorstellung eines vergeistigten
Körpers zu erwecken , entfaltet er vielmehr alle die Muskelstärke
und -energie, durch welche sich der Künstler so sehr auszeichnete,
die aber hier ganz unangebracht sind. Auch können wir nicht um-
hin, den Mangel an aller Draperie als eine unehrerbietige Ver-
letzung alles m der christlichen Kunst Hergebrachten zu verurtheilen."
Grimm, der etwas kriegerisch Heldenhaftes in der Stellung findet,
fasst sein Urtheil in den Worten zusammen: ,, als Darstellung eines
männlichen Körpers in seiner schönsten Blüthe ein bewunderns-
würdiges Werk, als Bild Christi manierirt." Gegen diese Auf-
fassung wendet sichLübke und nennt sie ungerecht: so rein und
schön sei das Werk empfunden. „Es ist eine vollendet edle, freilich
Der Christus in S.Maria sopra Minerva 271
mehr im Geiste der Antike, vielleicht zu elegant aufgefasste nackte
Gestalt."
Zu einer tieferen Auffassung des Problemes, das in der plasti-
schen Gestaltung Christi und im Besondern eines nackten Christus
liegt, gelangte Springer. „Ein nackter Leib hilft Nichts dazu,
die Geistesrichtung und den Charakter einer Persönlichkeit an-
schaulicher zu gestalten. Die Antike hat diese Gränzen erweitert,
doch nicht gänzlich vernichtet, in der neueren Kunst dagegen be-
sitzen sie vollständige Geltung. Michelangelo handelte also weise,
indem er in seiner Christusstatue die physische Thätigkeit hervor-
hob, selbst im Kopfe sich auf den Ausdruck mildernster Würde
einschränkte. Eine schärfere Individualisirung, die Andeutung des
Lehrens und Segnens etwa durch eine emporgehobene Hand, hätte
den Widerspruch verstärkt. Befremdend wird Michelangelos Christus-
bild immer wirken. Es verschuldet nicht die Nacktheit diesen Ein-
druck. Wer behauptet , dass der fromme Sinn dieselbe anstössig
finden musste, vergisst, dass der Volksglauben die Heiligung eines
Gegenstandes nicht immer von seiner Ehrwürdigkeit abhängig
machte. Wenn es wahr ist, dass nur die Umhüllung mit einem
Bronzeschuh den Marmorfuss der Statue vor dem Schicksale be-
wahrte, von andächtigen Lippen schliesslich ganz weggeküsst zu
werden, so liegt ein giltiges Zeugniss vor, wie wenig die Nacktheit
den Kultus störte."
Dies klingt wie eine Abwehr der Behauptung Heath Wil-
sons, das Werk sei ohne Gleichen in seiner Ehrfurchtslosigkeit.
Nur, w^enn man vergesse, wen es darstelle, könne man die männ-
liche Schönheit und Anmuth bewundern. Aber Springers Darlegungen
haben auch Symonds nicht überzeugen können; er vermisst jede
rehgiöse Auffassung. ,,Man hätte doch die geistige Natur seines
Sieges, die Idealität einer göttlichen Seele erwarten sollen. Nichts
davon aber sei zu finden. ,, Setze an Stelle des Kreuzes eine
Leiter und wir haben einen ,life-guardsman' vor, uns in Pose für
irgend ein klassisches Schlachtenstück. Hübsche, aber gewöhnliche
Gesichtszüge , ein von einem Friseurgesellen gekräuselter und
pomadisirter Bart". ,,Indecent and unnatural bulk of the abdomen."
Gleichwohl ,,a kind of fascination in the figure." Symonds erinnert
an Vidas Christiade, in welcher Jesus ähnlich als Heros geschildert
wird.
Man vergleiche mit einer solchen Auffassung diejenige M o n -
teguts! Er sieht in dieser Gestalt den souveränen Typus jener
Aristokratie, die sich durch ihre Kenntniss ewiger Gesetze über die
Irrthümer, Leidenschaften und Feigheiten der Sinnlichkeit erhebt,
die sich über Nichts erstaunt und erregt, weil sie Beleidigungen
und Gefahren als die noth wendigen Züge in dem grossen Welten-
272
Statuen und Entwürfe zu solchen
spiel voraussieht. Kein Zeichen des Leidens ist diesem Christus
verliehen ; er ist ernst, aber nicht traurig. Er hält sein Kreuz wie
ein Heerführer seine Fahne. Er ist ein Theil der metaphysischen
Gesetze der Welt, seine Leiden sind ein Theil seines Ruhmes.
Wie weit sind wir entfernt von dem pathetischen Christus des
Rubens , von dem Armen Rembrandts , von dem Erdenwesen
Dürers !
Müntz und Boito wurden durch die ,, Eleganz" der Er-
scheinung befremdet. Der Letztere geht so weit, von einem ,, faden
Stutzer" zu sprechen ; Müntz findet den Kopf zu klein, die Bewegung
gezwungen, die Haltung geziert, den Torso atrophisch. Ricci nennt
die Figur manierirt. Knapp, der das Würdevolle in der ruhigen,
vornehmen Haltung und einfachen Geste anerkennt, findet das Ver-
letzende in der Art, wie der Körper gebildet ist. ,,Das ist der
volle weiche Leib eines schönen, im Wohlleben hingehenden Mannes,
nicht der Märtyrerleib des Erlösers. Wie edel hatte einst der
Künstler den Körper Christi auf dem Schoosse der jungfräulichen
Maria geformt ! Welche Entwicklung, welcher Rückschritt in kaum
zwei Jahrzehnten ! Gegenüber jener herben Eckigkeit, dem klaren,
strengen Linienflusse jenes edeln Leibes und im Vergleich zu jener
noch im Tode straffen Muskulatur erscheint die Bewegung hier
süsslich und dieser schon im Leben schlaffe Körper mit der kraft-
los, in Wellenlinien hinfliessenden Silhouette weichlich. An Stelle
des seelenvollen Ausdrucks überstandenen Leides dort ist ein
lässiges Sichumschauen getreten. Freilich ist der Mangel an Aus-
druck im Gesicht nicht dem Michelangelo allein, sondern eher seinem
Gehülfen Urbano zum Vorwurf zu machen. Ein andrer Bildhauer,
Frizzi, musste das von diesem Verdorbene nothdürftig ausbessern.
Natürlich hat gerade diese schwächliche , aber im Raffinement der
Oberflächenbehandlung vorzügliche Gestalt den äusserlichen Barock-
meistern imponirt." — Meine Ansicht äussere ich im III. Bande
meines Werkes,
II
Kleine Statue eines kreuztragenden Christus
In dem Nachlass des Meisters befand sich ,,una statua picco-
lina, per un Cristo con la croce in spalla , et non finita" (Gotti
II, 150). In seinem Briefe vom 17. März 1564 an Vasari sagt
Daniele da Volterra von dieser Statuette, die in Marmor gearbeitet
war: „ein Christus, welcher das Kreuz im Arme hält, wie der in
der Minerva, aber klein und von jenem verschieden."
Was aus ihr geworden, wissen wir nicht.
Die Pietä im Dom zu Florenz
273
ni
Die Pietä im Dom zu Florenz
Die Gruppe wird zuerst von Vasari in seiner ersten Ausgabe
erwähnt: „auch befindet sich in seinem Hause abozzirt ein Marmor
mit vier Figuren, unter denen ein Christus vom Kreuze genommen
ist, ein Werk, von dem man glauben möchte, käme es vollendet
auf die Nachwelt, würde es alle seine anderen Werke in der
schwierigen Kunst, aus diesem Steine eine so vollkommene Gruppe
zu gestalten, übertreffen."
Die Arbeit ist demnach vor 1550 begonnen worden. Es war
offenbar das Werk, an dem Blaise de Vigenere 1550 den Meister
so furios arbeiten sah. Im Jahre 1553 ist er mit ihm beschäftigt,
denn Condivi erzählt :
,, Augenblicklich hat er ein Marmorwerk unter den Händen,
das er zu seiner eigenen Freude macht, als Einer, der so voll an
Einfällen und Kraft ist, dass jeder Tag Etwas gebiert. Dies ist eine
Gruppe von überlebensgrossen Figuren , nähmlich ein vom Kreuz
genommener Christus, der todt von seiner Mutter aufrecht erhalten
wird. Man sieht, wie sie in wunderbarer Bewegung mit ihrer Brust,
den Armen und den Knieen den Leichnam umschmiegt, unter der
Beihülfe des Nikodemus , der, aufrecht und fest auf der Füssen
stehend, mit starker Kraft ihn unter den Armen hält, und der einen
der Marien auf der linken Seite. Diese, so grosses Leid sie ver-
räth, widmet sich doch jenem Dienst, den vor äusserstem Leid die
Mutter nicht erfüllen kann. Christus kraftlos , alle Glieder gelöst,
sinkt nieder, aber in einer Stellung, die von derjenigen, welche
Michelangelo in dem Werke für die Marchesa von Pescara gab, und
von der Madonna della Febbre (Pietä in S. Peter) sehr verschieden
ist. Die Schönheit und die Affekte, die man in den leidensvollen,
traurigen Angesichtern, vor Allem der bekümmerten Mutter gewahrt,
zu schildern, ist unmöglich; darum genug hiervon. Sagen aber
muss ich, dass das Werk zu den seltensten und mühevollsten ge-
hört, die er bisher gemacht, namentlich weil alle Figuren deutlich
zu sehen sind, obgleich sich die Gewänder der einen mit denen der
anderen vermengen."
Über die weiteren Schicksale des Werkes unterrichtet uns
Vasari, der seine Beschreibung Condivi entnimmt und über die Ver-
anlassung nur hinzufügt, der Meister habe die Arbeit unternommen,
weil er Nichts zu malen hatte und behauptete, die körperliche An-
strengung des Meisseins erhalte seinen Körper gesund. Er habe
die Gruppe für sein eigenes Grabmal , das er , wie wir später ver-
nehmen , für S. Maria Maggiore bestimmte , unterhalb des Altares
%* 18
274 Statuen und Entwürfe zu solchen
geplant. „Fast täglich arbeitete Michelangelo zu seinem Zeitvertreib
an jenem Marmor mit den vier Figuren, von dem ich schon sprach;
'damals (wohl 1555) zerschlug er ihn aus dem Grunde, weil der
Stein viel Schmergel enthielt und so hart war, dass der Meissel
häufig Feuer aus ihm herausschlug, vielleicht auch, weil seine Selbst-
kritik so gross war, dass er sich niemals genügen Hess an Dem, was
er machte." ,, Diese zerbrochene Pietä gab er dem Francesco
Bandini. Es war nämlich in dieser Zeit der Florentiner Bildhauer
Tiberio Calcagni durch Vermittlung Francesco Bandinis und Donato
Giannottis mit Michelangelo sehr befreundet geworden. Und als er
eines Tages in Dessen Haus, wo die zerbrochene Pietä war , sich
aufhielt, frug er ihn nach längerer Unterhaltung, wesswegen er eine
so wunderbare Arbeit zerbrochen und ruinirt habe. Jener ant-
wortete , daran trage sein Diener Urbino Schuld , der ihn täglich
belästigt und gedrängt habe, sie zu vollenden, und unter Anderem
sei es ihm zugestossen, ein Stück des einen Ellenbogens der Madonna
abzuschlagen. Schon vorher aber habe er einen Hass gegen sie
gefasst und viel Missgeschick mit einem Riss, der im Marmor war,
gehabt. Da sei ihm die Geduld gerissen, er hätte sie zerbrochen
und in der That beabsichtigt, sie ganz zu zerstören, hätte nicht sein
Diener Antonio sich ihm empfohlen und ihn gebeten , sie so , wie
sie sei, ihm zu schenken. Als Tiberio dies vernommen, sprach er
mit Bandini, der Etwas von des Meisters Hand zu besitzen wünschte,
und Bandino liess durch Tiberio dem Antonio 200 Guldskudi ver-
sprechen und bat Michelangelo, er wolle erlauben, dass mit Hülfe
seines Modelles Tiberio sie Rir ihn, Bandino, vollende ; dann wäre
doch so viele Mühe nicht vergeblich verschwendet worden. Michel-
angelo war damit einverstanden und machte sie ihnen zum Ge-
schenk. Sogleich fortgetragen, wurde sie von Tiberio wieder zu-
sammengefügt und in ich weiss nicht wie vielen Stücken restaurirt,
doch blieb sie in Folge des Ablebens Bandinis, Michelangelos und
Tiberios unvollendet."
Die Gruppe kam dann in den Besitz des Pierantonio Bandini,
Sohns des Francesco, der sie in seiner Vigna auf dem Montecavallo
aufstellte. Einen Augenblick tauchte der Gedanke auf, sie für das
Grabmal Michelangelos in S. Croce zu verwerthen. Vasari legte
am 18. März 1564 dem in Rom befindlichen Lionardo diesen Plan
vor. ,,Und da ich in Erv/ägung zog, dass Michelangelo, wie ich es
gehört und wie es auch Messer Daniello, Tomaso dei Cavalieri und
viele andere seiner Freunde wissen, die Pietä mit den fünf Figuren,
die er zerbrach, für sein eigenes Grabmal machte und dass, ab-
gesehen davon, dass er sie selbst entworfen, er sich selbst in dem Greise
porträtirt, würde ich mich bemühen, sie zu erlangen und mich ihrer
für das Grabmal zu bedienen. Und Seine Exzellenz (Herzog Cosimo)
Die Pietä im Dom zu Florenz
275
befahl mir, falls Gunstbezeugungen oder sonst eine Hülfe nöthig
seien, sie zu erlangen. Euch zu schreiben, da er bewirken wird,
dass Ihr Alles erreicht. Und so würde ich Euch aufmuntern, auf
jede Weise es zu versuchen, sie zu erlangen, denn ich weiss, dass
Pierantonio Bandini durchaus verbindlich ist und Euch Alles geben
wird. Denn thut Ihr es, so erreicht Ihr Mehreres zu gleicher Zeit.
Einmal : Ihr gäbet Michelangelo zurück, was er sich selbst für sein
Grabmal bestimmt ; weiter : Ihr Überliesset Seiner Exzellenz jene
Werke, die in der Via Mozza sind und erhieltet dafür vom Herzog
so viel, die Kosten des Denkmals zu decken, und endlich brächtet
Ihr am Grabmal etwas Sinnentsprechendes und nicht jene Viktoria
mit dem Gefangenen darunter , von der ich nicht wüsste , was sie
bedeuten sollte, denn Michelangelo war niemals ein Soldat, der Je-
mand besiegt hätte, wenn er auch mit seinem Geiste die Kunst be-
siegte und den Neid und andere tief unter einem so hohen In-
genium liegende Dinge überwand." (Vasari VIII, 378.)
Leider kam der würdige Plan nicht zur Ausführung. Die Gruppe
blieb in Bandinis Besitz, in dem sie Vasari 1568 noch verzeichnet.
Die Bemerkung, dass Michelangelo seine Grabstätte in S. Maria
Maggiore mit der Pietä habe schmücken wollen, findet sich bei Vasari
gelegentlich der Erwähnung der Pietä, die Bandinelli, Michelangelos
Vorgang folgend und auch seinerseits im Nikodemus sein eigenes
Porträt gebend , für sein Grabmal (in S. Annunziata in Florenz)
anfertigte.
Wann die Gruppe von Rom nach Florenz gebracht worden ist,
wissen wir nicht. Aus der Inschrift geht nicht deutlich hervor, ob
dies auf Veranlassung Cosimos in. geschah. Jedenfalls befand sie
sich, bevor sie 1722 hinter dem Hochaltar des Domes an Stelle
der Bandinelli'schen Gruppe : Adam und Eva aufgestellt wurde , in
dem Raum, in welchem der Marmor für die neue Kapelle (der Medici)
in S. Lorenzo aufbewahrt wurde.
Die vom Senator Filippo Buonarroti verfasste Inschrift lautet:
Postremum Michaelis Angeli opus
Quamvis ab artifice ob vitium marmoris neglectum
Eximium tarnen artis canona
Cosmus III. Magn. Dux Etruriae
Roma jam advectum hie p. i. anno MDCCXXII.
(Vgl. Gori: Not. stör. 119. Vasari VII, 244, A.)
Die bei verschiedenen Biographen gegebene Notiz, Michelangelo
habe die Gruppe aus einem der acht grossen Kapitale des Temp-
lum Pacis des Vespasian gemacht, stammt aus Blaise de Vigenere:
Les Images des deux Philostrates, Paris 1614 (S. 853 — 855). Es ist
aber zu bemerken, dass hier nicht von einer Pietä, sondern von
18*
276 Statuen und Entwürfe zu solchen
einer Kreuzigung die Rede ist, die aus zehn bis zwölf Figuren be-
standen habe und an deren Vollendung der Meister durch den Tod
gehindert worden sei. (Vgl. über den Zusammenhang der Gruppe
mit den Pietäcntwürfcn das Kapitel: „Religiöse Entwürfe".)
/. Stildien tmd Reproduktionen.
Eine bestimmt auf die Gruppe zu beziehende Zeichnung kenne
ich nicht.
Das Wachsmodell früher im Besitze des Cav.
Ottavio Gigli.
In "Le Arti del disegno", 5. Januar 1856 wurde von A. M. Mig-
liarini ein kleines Wachsmodell bekannt gemacht. (Notizie storiche
intorno ad un bozzetto in cera di M. B. rapp. la Deposizione di Croce.
Firenze 1856.) Cav. Ottavio Gigli erwarb es und veröffentlichte,
nachdem er es 1872 vergeblich der Casa Buonarroti zum Kaufe an-
geboten, die ,,Documenti relativi al bozzetto in cera della Pietä di
M. B." Florenz 1873. Er suchte die Ächtheit zu beweisen, indem
er darauf hinwies, dass in dem Modell das linke Bein nicht durch
Hüfte und Kniee der Mutter verdeckt wurde, sondern, wie in dem
Stiche des Cherubino Alberti, zum Vorschein komme, auch viele
kleine Verschiedenheiten in den Bewegungen, Gewändern und
Köpfen sich zeigten, welche dem Modell den künstlerischen Vorzug
vor der Marmorgruppe gäben. Giovanni Dupre erklärte sich auch
entschieden für Michelangelos Autorschaft. Mir ist nicht bekannt
geworden, wohin das Modell gelangt ist; da ich es nicht gesehen,
habe ich kein Urtheil.
Der Kupferstich des Cherubino Alberti (B. 23. M. 24) stellt
die Gruppe im Gegensinne in einer Landschaft dar. Bez. Mich.
Angeli Bonaroti Florentini manu sculpta Romae. Cum privilegio
D. Greg. XIII.
Eine freie Nachbildung zeigt ein kleines Bild des Daniele da
Volterra in der Gallerie Czernin zu Wien (Nr. 16). Hier befindet
sich die Gruppe unter dem Kreuz.
2. Kritische Bemerkungen.
Suchen wir zunächst die gewaltsame Verstümmelung, die Michel-
angelo selbst an seinem Werke vornahm, festzustellen, so ergiebt
die genaue Betrachtung Folgendes :
I. Der linke Arm Christi ist über dem Ellenbogen abgehauen
worden. Man erkennt deutlich , dass der Unterarm - — also
von Calcagni — ergänzt worden ist. Die linke Hand am Knie
der Maria aber ist die alte, vom Meister selbst angefertigte.
Das Stück Arm ist also eingesetzt worden.
Die Pietä im Dom zu Florenz
277
2. An der linken Brustwarze ist ein Stück herausgeschlagen
worden, und der Hammerstreich hat die Finger der Hand
Marias mit fortgenommen, die ebenso, wie das Stück an der
Brust, ungeschickt ergänzt worden sind.
3. Der rechte Unterarm Christi (vom Ellenbogen bis zur Hand)
ist eingesetzt. (In dieser Hand hat der Marmor schwarze
Flecken.)
Ausser jenen Ergänzungen kann Calcagni nicht Viel an der
Gruppe gethan haben. An Maria und Joseph von Arimathia dürfte
er die Hand nicht gelegt haben. Eher wäre dies denkbar an dem
im Wesentlichen vollendeten und polirten Christuskörper, obgleich
es mir doch wahrscheinlich dünkt, dass er von Michelangelo her-
rührt. Mit der Magdalena, die in der Hauptsache ausgeführt ist,
mag sich Calcagni beschäftigt haben. Alles Wesentliche aber weist
auch hier auf Michelangelos Hand hin : die nahe Verwandtschaft
des Kopfes und der Gewandbehandlung mit der Lea lässt nach
meinem Dafürhalten keinen Zweifel hierüber.
Die Motive sind folgende. Nikodemus vorgebeugt, so dass sein
Kopf in eine Fläche mit Christi Kopfe kommt, fasst mit der Rechten
unter Christi Arm und umschlingt mit der Linken Maria. Maria,
eine schräge Fläche über das Eck des Blockes bildend , sitzt auf
niedriger Erhöhung, greift mit dem linken Arm unter Christi Arm
und umfängt mit dem nicht sichtbaren rechten offenbar den Rücken
des Leichnams. Christus , im Herabsinken so gehalten , ruht wohl
zum Theil auf dem nicht sichtbaren rechten Bein der Maria auf.
Sein linkes Bein ist nicht zu sehen, sein rechtes sinkt geknickt auf
den Boden herab. Der linke Arm hängt schlaff mit umgedrehter
Hand hernieder ; der rechte, von Marias Kopf gestützt, berührt mit
der Hand Deren Schulter. Das niedergesunkene Haupt ruht an
Marias Kopf, deren Mund die fallenden Locken berührt. Magdalena
kniet mit etwas vorgestelltem linken Bein. Mit der Rechten stützt
sie Christi Bein und berührt mit der Linken Dessen Rücken.
Versuchen wir es nun , uns die Kritik , welche den Meister
veranlasste, sein Werk zerstören zu wollen, verständlich zu machen.
Er wird sich Folgendes gesagt haben.
I, Von vorne gesehen ergiebt die Gruppe keinen geschlossenen
Eindruck, da die drei Figuren rechts eine kompakte Masse
bilden und die Magdalena dieser, ohne Herstellung eines
Gleichgewichtes, nur lose angefügt ist. Die gerade Vertikale
der Schulter und der rechten Seite Christi durchschneidet das
Ganze. — Einen geschlossenen Eindruck erhält man nur, wenn
man sie von halb links her betrachtet. Einer solchen Auf-
stellung aber widerspricht die Blockform, und dann verschwindet
278 Statuen und Entwürfe zu solchen
Maria zu sehr. Aber auch für eine Ansicht von rechts her
ist die Gruppe nicht berechnet, da dann Magdalena nicht in
der Fläche bleibt, sondern, gleichsam perspektivisch gesehen,
hinter Christus verschwindet. Die Komposition war also ihrer
Anlage nach nicht gelungen, und hieran war im Verlaufe der
Arbeit Nichts mehr zu ändern.
2. Magdalena ist in viel kleineren Verhältnissen als die anderen
Figuren gegeben.
3. Es bleibt eine Unklarheit in den Bewegungen. Sowohl das
rechte Bein, als der rechte Arm der Maria sind unsichtbar.
4. Für das linke Bein Christi ist gar kein Platz vorhanden; es
müsste durch den Schooss der Maria hindurchgehen. Die ein-
zige Möglichkeit, es anzubringen, wäre die gewesen, es vorne
über Marias Bein herunterhängen zu lassen. Man sieht, in
welche Verlegenheit der Künstler versetzt war : in der That
ist von dem Bein nur ein kurzer Stumpf sichtbar. Ein Loch
in dessen Mitte verräth, dass der Künstler wohl an den Aus-
weg gedacht, ein über Marias Schenkel herabhängendes Bein
einzusetzen. Dies hätte aber eine nicht nur unschöne, sondern
unmögliche Stellung ergeben. Unschön, denn das Bein, der
Arm der Maria und der Arm Christi hätten in ihrer Zusammen-
drängung den Eindruck des Gehäuften und in den Linien
Verwirrten hervorgebracht.
So begreift man die Verzweiflung des Künstlers an der Voll-
endung des Werkes und steht zugleich staunend vor dem Wunder-
baren stille, dass trotz aller dieser Fehler der Eindruck ein gewaltiger
und erschütternder ist. Vasaris Angabe, dass der Künstler Niko-
demus seine eigenen Züge habe verleihen wollen, zu bezweifeln,
sehe ich keinen Grund. Eine begreiflicher Weise nur allgemeine
Ähnlichkeit ist zu finden.
Eine kleine Marmorfigur , wundervoll gearbeitet , den todten
Christus in den Armen des Nikodemus (oder Joseph von Arimathia)
darstellend , wurde im XVIII. Jahrhundert im Palazzo Giustiniani
als Werk Michelangelos gezeigt (Richardson III, 257. Volkmann II,
467).
rv
Die Pietä im Palazzo Rondanini
Eine zweite Gruppe der Pietä wird von Vasari erwähnt, nach-
dem er die Schicksale der ersten erzählt. ,,Und um zu Michel-
angelo zurückzukehren, so sah sich Dieser, um täglich Zeit mit
Meissein zu verbringen , genöthigt , eine andere Arbeit in Marmor
Die Pietä im Palazzo Rondanini
279
vorzunehmen, und stellte einen anderen Marmorblock auf, in dem
er schon früher eine Pietä abbozzirt hatte, verschieden von jener
und viel kleiner."
Vermuthlich ist dies dieselbe Gruppe, an welcher Michelangelo
noch acht Tage vor seinem Tode arbeitete. Hierüber berichtet
Daniele da Volterra an Leonardo Buonarroti mit der Bitte, es, als
einen Nachtrag zu früheren Notizen , Vasari für seine Vita mitzu-
theilen. ,,Ich erinnere mich nicht, ob ich unter Allem dem, was
ich schrieb, auch erwähnte, dass Michelangelo den ganzen Samstag
vor Karnevalssonntag (12. Februar 1564) stehend arbeitete, mit jenem
Leichnam der Pietä beschäftigt" (Daelli Nr. 34). In seinen an Vasari
gerichteten Angaben über den Nachlass des Meisters nennt Daniele
eine Marmorstatue : ,,una Pietä in braccio alla Nostra Donna"
(17. März 1564. Gotti I, 358). Im Inventar vom 19. Februar
wird sie bezeichnet als: ,,un'altra statua principata per un Cristo
ed un'altra figura di sopra , attaccata insieme , sbozzata et non
finita".
Was später aus dem Werke geworden, wissen wir nicht. Jenen
Angaben aber entspricht die bloss abbozzirte und verhauene Mar-
morgruppe des Palazzo Rondanini, die zweifellos von Michelangelo
ist, so durchaus, dass wir in ihr das von ihm hinterlassene Werk zu
erkennen haben. Über die Provenienz dieser Gruppe giebt uns
C. Rogers in seinen „Facsimiles of ancient drawings" (S. 21) einigen
Aufschluss. Dieser zitirt einen ,,Trattato della Pittura da un Theo-
logo e da un Pittore", welcher (S. 210) zwei unvollendete Gruppen
der Pietä von Michelangelo erwähnt und sagt : die eine befand sich
in Bandinos Garten in Rom ; ,,die andere wurde in einem unter-
irdischen Raum gefunden und war um 1650 in einem Laden in Rom
öffentlich zu sehen". Vermuthlich ist diese damals erworben und
in den Palazzo Rondanini gebracht worden. (Vgl. J. C. Robinson :
a critical account S. 337.)
Schon Robinson (S. 81) wies darauf hin, dass auf einem Blatte
in Oxford (N. 70, i Thode 442. Ber. 1572.) eine Kreide-
studie zu der Gruppe sich befindet. Wir sehen hier zweimal
eine Gruppe von zwei Männern , die den Leichnam zwischen sich
tragen, und zwar, indem sie ihn unter den Armen, die über ihre
Schulter hängen und unter den Oberschenkel fassen (a, b). Drei
andere Skizzen zeigen eine stehende Gestalt, die vor sich den zu-
sammenknickenden Leichnam unter den Achselhöhlen hält ; und
zwar stimmt die Haltung des Leichnams in zweien (c und d) über-
ein, nur der Träger (in der einen Skizze in zwei Kopfhaltungen
gegeben) ist verschieden. Die dritte (c) zeigt den Leichnam nicht
so nach der Seite links, sondern nach vorne zu sinkend. In c und
e steht die tragende Figur, wie in der Statue Rondanini, auf einer
28o Statuen und Entwürfe zu solchen
Bodenerhöhung. Im Marmor hat der Künstler die geknickte Stellung
des Leichnams mit dem herabsinkenden Kopf aufgegeben, die Figur
erscheint fast aufrecht, wodurch erreicht ist, dass der Kopf der
Maria den Kopf Christi berührt.
Robinson, dem Springer folgt, glaubt, Michelangelo habe zu-
erst, etwa 1541 oder 1542, die Rondaninigruppe begonnen, dann
sie zur Seite gestellt und die andere grössere Gruppe angefangen;
erst später sei er zur ersten zurückgekehrt. Der Stil der Zeichnung
und Vasaris Aussage sprechen für diese Annahme. Weiter behauptet
Robinson, der Meister habe, als er den Marmor wieder vornahm, eine
Reduktion der Grössenverhältnisse vorgenommen, ohne sie aber
ganz durchzuführen. ,, Zuerst scheint er die Figur der Jungfrau fast
durchweg auf die kleineren Verhältnisse reduzirt zu haben , bevor
er sich mit Christus beschäftigte. Dann begann er an Diesem zu
arbeiten , und zwar in unregelmässiger Weise , indem er einzelne
Theile verkleinerte, andere unverändert Hess ; die Glieder, in Sonder-
heit den einen Arm , liess er , wie sie waren , und sie sind da-
her unendlich viel zu gross für den Kopf und den Körper. Der
allgemeine Eindruck ist in Folge dessen bizarr und auf den
ersten Blick unerklärlich ; die Jungfrau scheint einen Giganten zu
halten."
Ist diese Erklärung richtig. ?• Es handelt sich in der That um
Erscheinungen schwer begreiflicher Art. Ausgeführt sind nur die
Beine Christi, mit denen verglichen Oberkörper und Kopf sehr
klein erscheinen. Wie ist das gesamte Motiv.? Wem gehört der
seitwärts freistehende Arm an, dessen Oberarm fehlt : Christus oder
Maria.? Robinson meint: Christus. Das ist aber der Stellung nach
undenkbar. Ich glaube deutlich zu sehen, dass die beiden Arme
Christi nach hinten zurückgenommen sind. Ebenso undenkbar ist
er als Arm der Maria. Ich kann mir nur vorstellen, dass ursprünglich
die Stellung der Figuren anders geplant ward, dass nämlich, wie es
in den Oxforder Skizzen der Fall, Christi Körper stärker zur Seite
geneigt und nach vorne gesenkt gedacht war : dann wäre der Arm
als sein rechter denkbar. Hierauf aber verhaute Michelangelo den
Block an dem rechten Oberarm und sah sich nun gezwungen,
wollte er noch Etwas aus dem Block zu machen versuchen, den
Leichnam aufrechter zu geben, und es blieb jener Arm als Rudi-
ment der ersten Idee stehen. Nun drückt Maria den Leichnam
eng an ihre Brust, was eine Zurückdrängung der Arme Christi nach
hinten zur Folge hatte, zugleich aber auch dies, dass die Arme
thatsächlich nicht wohl auszuführen waren und auch Marias rechter
Arm keine Stelle mehr fand.
Und trotz aller dieser Verstümmelung, welch' ein Eindruck,
den diese Gruppe hervorbringt !
Die Pietä im Palazzo Barberini zu Palestrina 28 1
V
Die Pietä im Palazzo Barberini zu Palestrina
Die Entdeckung eines bisher unbekannten Werkes von Michel-
angelo erregte vor Kurzem die allgemeine Aufmerksamkeit. A. Grenier
fand in der zweiten Seitenkapelle des Oratoriums der hl. Rosalie
im Palazzo Barberini zu Palestrina eine nicht vollendete Pietä, die
er als ein Werk des Meisters, entstanden in der Zeit zwischen der
Gruppe im Florentiner Dom und der Pietä Rondanini, gegen 1550,
bekannt machte (Gaz. d. b. a. III. Per. XXXVII, S. 177 ff., 1907).
Die Gruppe scheint unmittelbar aus dem Felsen , an den die
Kapelle angebaut ist, reliefartig herausgearbeitet zu sein — jeden-
falls ist sie aus einer Art Marmorstein von Palestrina und muss
an Ort und Stelle gearbeitet sein. Ähnlich wie in der Pietä Ron-
danini ist Maria dargestellt, die vor sich den zusammengebrochenen
Leichnam (mit der rechten Hand unter dessen Achsel) hält, dessen
zur Seite gesunkenes Haupt ihr Kopf in unmittelbarer Nähe an-
schaut. Rechts stützt Magdalena, wie zum Knieen sich nieder-
lassend , den Kopf zum Beschauer gewandt , mit beiden Armen,
unter dem Rücken und unter dem linken Bein , des Heilands Ge-
stalt. Am meisten ausgeführt ist der todte nackte Körper, um
dessen Brust sich ein Band und um dessen Hüften sich ein schmales
Tuch zieht. Die beiden Frauen sind nur aus dem Rohen gearbeitet.
Erinnert die allgemeine Anordnung, namentlich der Magdalena, an
die Gruppe in Florenz , das Hauptmotiv an die Rondanini und an
die Skizzen in Oxford , so zeigt die Haltung des Leichnams (das
seitliche Sichstauen der Beine auf dem Boden) die nächste Ver-
wandtschaft mit dem Christus im Londoner Gemälde der Grab-
legung. Im Besonderen Michelangelesk ist das Brustband und das
Hüftentuch. Die durchgeführte Anatomie des Oberkörpers, der im
Verhältniss zu den Beinen sehr stark gebildet ist, findet ihre Ana-
logieen namentlich in Gestalten des Jüngsten Gerichtes.
Leider war es mir nicht vergönnt, das Original zu sehen.
Die Abbildungen im Grenier'schen Aufsatz lassen über den Michel-
angelesken Charakter der Gruppe keinen Zweifel. Befremdend
wirkt die unverhältnissmässige, zwergenhafte Kürze der Gestalt der
Madonna, die man sich doch stehend, nicht sitzend denken muss, und
die plumpe Form ihres Kopfes. Es wird sich nicht leugnen lassen,
dass die Konzeption des Werkes dem Geiste des Künstlers ent-
spricht und im nächsten Zusammenhange mit Dessen erwähnten
Werken steht. Wollte man einen Nachahmer annehmen, so hätte
Dieser Motive der Florentiner Gruppe, der Pietä Rondanini und
des Gemäldes der Grablegung verquickt: dies ist nicht undenkbar.
282 Statuen und Entwürfe zu solchen
Man müsste dann an einen Michelangelo sehr nahe stehenden, in
Dessen Werkstatt verkehrenden Künstler, wie etwa Tiberio Calcagni
oder Daniele da Volterra, denken. Ein bestimmtes Urtheil muss
ich verschieben, bis ich das Werk selbst kennen gelernt.
Die Traditionen desselben, die Grenier anführt, sind kärgliche.
Palestrina gehörte den Colonna. In dem Kriege zwischen Diesen
und Paul III., der 1541 ausbrach, bemächtigte sich Pier Luigi Far-
nese des Ortes, der erst 1550 von Julius III. den Colonna zurück-
gegeben wurde. Grenier nimmt an, dass ein Farnese Michelangelo
kurz vor 1550 bewogen, jene Gruppe zu schaffen. 1630 erwarben die
Barberini Palestrina von den Colonna. Sie Hessen gegen 1670 durch
den Architekten Contini das Oratorium bauen und ausschmücken.
Bernini führte mehrere Grabdenkmäler für Mitglieder der Familie
in der ersten Seitenkapelle aus.
Die älteste Erwähnung der Pietä findet sich bei Cecconi :
Storia di Palestrina, Ascoli 1756, p. iio: ,,man bewundert ausser-
dem in der inneren Kapelle eine Statue der Addolorata mit dem
todten Christus an ihrem Busen, eine Skizze des berühmten Buo-
narroti." Anders lautet die Aussage des Pier Antonio Petrini,
,,Memorie Prenestine disposte in forma di Annali"; Roma 1795,
p. 259: ,,das Werk blieb in skizzenhaftem Zustande. Man sagt,
es sei in einen Block gearbeitet, der an dieser Stelle aus der Berg-
wand vorsprang. Die Arbeit ist so bewundernswürdig, dass man
sie gemeinhin dem Gian Lorenzo Bernini oder dem Nicolo Menghini,
einem berühmten Bildhauer in jener Zeit und Klienten der Familie
Barberini zuschreibt." Petrini beruft sich hierfür auf Suaresius :
Praenestis antiquae libri II, Romae 1655, p. 259. Dieser Suaresius
sagt aber Nichts von der Pietä, sondern erzählt nur, dass der Bild-
hauer Menghini um 1650 im Berg von Palestrina einen dem Mar-
mor ähnlichen harten röthlichen Stein entdeckt und ihn für deko-
rative Skulpturen des Palazzo verwerthet habe. Er fährt dann
fort : ,, Joannes insuper Laurentius Berninus , eques ingeniosissimus
et celeberrimus architectus, effinxit illo e lapide cranium seu calva-
riam , quae naturam ipsam exsuperat , et pulvinari , quod heraclio
e silici concinnarat, imposuit."
Cecconi hat diese Stelle missverstanden : das Wort calvariam
(Todtenschädel) als calvarium (Schädelstätte) gelesen und daraufhin,
sowie auf die Angaben von der allgemeinen Thätigkeit Menghinis
hin, die Pietä dem Bernini oder dem Menghini zugeschrieben. Sein
Zeugniss hat also keine Bedeutung, so wenig wie dasjenige Abbates
(Guida della Provincia di Roma II, p. 353): ,,man schreibt die Pietä
Michelangelo zu, sie ist aber vielmehr von Bernini."
Die einzige zu beachtende ältere Tradition spricht also von
Michelangelo.
Entwurf zu einer Petrusstatue in S. Pietro 283
VI
Entwurf zu einer Petrusstatue in S. Pietro
In dem Inventar der Hinterlassenschaft des Meisters wird er-
wähnt: „una statua principiata per uno santo Pietro, sbozzata et
non finita." Daniele in seinem Briefe vom 17. März 1564 (Gotti II,
S. 358) führt sie gleichfalls an : ,,un San Pietro in abito di Papa,
in sul quäle" (hier fehlt offenbar Etwas im Text oder bezieht sich
dies auf die gleich darauf erwähnte Pietä Rondanini, die danach
oberhalb des Petrus im Studio angebracht gewesen wäre?).
Sie kam in den Besitz Lionardos, und Dieser gab bei seiner
Abreise von Rom den Freunden den Auftrag, sie zu verkaufen.
Dies geht aus einem Briefe des Giacomo del Duca an Lionardo vom
14. Februar 1566 hervor. Er hat vom Papste Pius V. den Auftrag
erhalten , eine Zeichnung für das Grabmal Pauls IV zu machen
und beabsichtigt, die angefangene Statue Michelangelos für die des
sitzenden Papstes zu verwerthen. Im Falle Lionardo hiermit ein-
verstanden sei, sollen zwei Sachverständige den Preis festsetzen.
Am 9. März berichtet Diomede Leoni, es sei noch Nichts darüber
festgestellt, ob die Statue für das Grabmal Pauls IV. oder für ein
anderes bestimmt werde ; aber man behalte die Sache im Aucre,
sowohl im Hinblick darauf, dass die Figur verdiene ans Licht ge-
zogen zu werden , als auch im Interesse Lionardos. Für dieses
würden Jacopo und Daniele sorgen (Daelli Nr. 39. 40). Am
28. März wiederholt er, dass er für die Statue bedacht sein werde,
vAe für sein Eigenthum, Er hoffe, Pius V. werde an seinem Ent-
schlüsse , sie zu verwerthen , festhalten (Steinmann und Pogatscher
S. 409). Noch 1572 ist sie aber nicht verkauft, denn Vasari
schreibt am 18. Januar aus Rom an Lionardo: ,,noch habe ich
keinen Weg für den Verkauf Eures, in Marmor abozzirten Papstes
gefunden: ich werde aber nicht vergessen, daran zu denken" (Va-
sari Vffl, 465).
Ich habe in den Annalen die Frage aufgeworfen, ob diese
Statue die am 24. Juni 1508 erwähnte „Statue Seiner Heiligkeit",
nämlich Julius' IL, die aus dem Groben zugehauen war, sei. Sie
wurde damals mit drei anderen Statuen von Carrara nach Rom
gesandt. Die Frage ist schwerlich zu bejahen. Man muss doch
annehmen, dass mit der ,, Statue Julius' II." nur die liegende Sar-
kophagfigur gemeint sein könne, da wir von einer sitzenden Papst-
statue am Juliusdenkmal (I. Entwurf) Nichts wissen.
Für welchen Zweck ist aber dann jene in der Hinterlassenschaft
Michelangelos gefundene Papststatue bestimmt gewesen, deren end-
gültiges Schicksal uns unbekannt bleibt.? Stellte sie doch einen
284 Statuen und Entwürfe zu solchen
Petrus dar und wäre sie dann für S. Peter entworfen worden und
in der späteren Zeit des Meisters entstanden? Dies wäre wohl
denkbar, denn, wie die folgende Nummer zeigt, plante Michelangelo
eine Statue für die Kirche.
VII
Karton zu einer Statue in S. Peter
Im Inventar von 1 564 erwähnt : un altro cartone grando, dove
e designato et schizzato una figura grande sola. Von diesem
Karton sagt Daniele da Volterra in seinem Briefe : uno Apostolo, il
quäle disegnava, per farlo di marmo in San Pietro.
Nichts Weiteres über diesen Plan ist uns bekannt, und der
Karton ist heute nicht mehr nachzuweisen.
B. Mythologisches
VIII
Der Kauernde in der Petersburger Eremitage
Keinerlei Nachricht ist uns über dieses Werk erhalten. Auch
seine Provenienz ist unbekannt. Die Forschung hat sich wenig
mit ihm beschäftigt. Man fand sich mit ihm ab , indem man die
allgemeine Vermuthung aufstellte, er sei für das Juliusdenkmal be-
stimmt gewesen , und zwar für eine der Viktoriengruppen. Diese
Ansicht widerlegte Carl Justi (S. 289) mit Recht. Er meint, viel-
leicht sei die Gestalt durch den Dornauszieher angeregt worden,
als eine Variante in Michelangelos Geschmack. Sie sei aber nicht
als Genrebild, sondern als Experiment stärkster Biegung der Knie-
gelenke aufzufassen. Die Authentie werde durch G. B. Francos Bild
der Schlacht bei Montemurlo (Pitti 144) bewiesen. Dies halte ich
nicht für zutreffend : die hockende Figur in diesem Gemälde ist
nicht der Statue nachgebildet, sondern dem ,, Traum" entnommen.
Hingegen dürfte das Motiv der Statue der am Bratspiess kauernden
Figur links in letzterem Werke verglichen werden.
Eine Genrefigur hatte sie Wölfflin genannt, der das Motiv dahin
deutet, der Knabe putze sich die Füsse. ,,Das Werk sieht aus, wie
die Lösung einer bestimmten Aufgabe; als ob es ihm wirklich darum
zu thun gewesen sei, einmal mit dem mindesten Maass von Auf-
Der Apollo oder David für Baccio Valori 285
lockerung und Zerstückelung des Volumens eine möglichst reiche
Figur herauszubringen. So würde Michelangelo den Dornauszieher
nach seinem Sinn gemacht haben." Eine ausführlichere Würdigung
widmete Carl Frey der Statue (Allgemeine Zeitung 1905, Nr. 276,
277, Beilage. Italienische Übersetzung von Aldo Foratti : di una
statua di M.; Padova 1906. Biogr. Mich. I, S. 3 14 ff.). Er setzt sie
in die Zeit des römischen Aufenthaltes 1497, noch vor den Bacchus
und die Pietä: es sei vielleicht die Figur, die Michelangelo „zu
seinem eigenen Vergnügen" machte (Brief 19. August 1497). Doch
sei auch 1500 denkbar. Auch er glaubt, dass der ,, Dornauszieher"
den Künstler angeregt habe. Der Knabe habe offenbar einen starken
Schmerz empfunden und bemühe sich, dessen Ursache zu beseitigen.
Die auch mögliche Auffassung, er versuche sich zu erheben und
die Sandale anzulegen, bleibe willkürlich, da die unausgeführte Parthie
das Motiv nicht erkennen lasse. Den Gedanken, die Gestalt sei
vielleicht als Brunnenfigur gedacht, hat Frey neuerdings aufgegeben.
Der zeitlichen Ansetzung des Werkes durch Frey vermag ich
nicht beizustimmen. Die mächtige Formensprache und die Intensität
der Bewegung scheint mir auf eine spätere Zeit hinzudeuten. Ob
auf die ganz späte, wie Knapp will, oder etwa die der Medici-
gräber, scheint mir unmöglich zu bestimmen. Ich glaube das
letztere. Knapp hält es für denkbar, dass Michelangelo durch den
1538 gefundenen ,, Schleifer" ,,zu diesem Bravourstück animirt
worden sei". Dies dünkt mich wenig wahrscheinlich.
IX
Der Apollo oder David für Baccio Valori
,,Um sich Baccio Valori zum Freund zu machen, begann Michel-
angelo eine Marmorfigur, drei Ellen hoch, nämlich einen Apollo,
der einen Pfeil aus dem Köcher zieht , und machte sie fast fertig ;
heute befindet sie sich im Zimmer des Herzogs von Florenz , ein
Werk von seltener Schönheit, obgleich es nicht ganz vollendet ist."
(Vasari, II. Auflage.) In der ersten Auflage nannte Vasari die
Statue eine ,,figuretta", ohne anzugeben, dass sie im Besitze Cosi-
mos sei. Michelangelo hat sich im Herbst 1530 mit der Arbeit
beschäftigt. Sie wird in einem Briefe Valoris an den Meister er-
wähnt (Datum ungewiss: Frey glaubt April 1532, ich nehme an:
Februar 1531). ,, Bezüglich meiner Figur will ich Euch nicht drängen,
denn ich bin dessen ganz gewiss : bei der Liebe, die Ihr für mich
habt, bedarf es keines Drängens." (Frey: Briefe, S. 324.)
In dem Inventar der Kunstschätze Cosimos I., das Cosimo Conti
publizirt hat (La prima Reggia di Cosimo, Florenz 1893. I. 35)»
286 Statuen und Entwürfe zu solchen
wird die Statue in dem vierten Räume zusammen mit dem Bacchus
des Bandinelli , dem Bacchus des Sansovino und einem antiken
Putto angeführt, und zwar als „Davit dcl Buonarroto". Milanesi
thcilt mit, dass sie viele Jahre unerkannt in einer Nische des Theaters
im Boboligarten gestanden. Von dort kam sie in die Galerie der
Offizien und neuerdings in das Museo nazionale.
Nur die letzte Bearbeitung fehlt der Statue, deren Verwandt-
schaft mit den Sklaven wiederholt hervorgehoben worden ist. Wenn
Symonds sogar annahm , sie sei ursprünglich als Sklave gedacht
und für das Juliusdenkmal bestimmt gewesen, so widersprechen dem
die Grössenverhältnisse.
Stellt sie einen Apollo oder einen David dar.? Welche der beiden
älteren Aussagen: die Vasaris oder die des Inventares hat Recht.?
Knapp hat sich, dem Katalog des Museo nazionale folgend, neuer-
dings für die Benennung: David entschieden. Und hierfür scheint
die kugelförmige Erhöhung, auf welche der rechte Fuss gesetzt ist,
in der That zu sprechen. Der Katalog bezeichnet sie kurzweg als
Haupt des Goliath, seltsamer Weise aber meint er, die Hand greife
an die Haare, statt das Motiv, wie sehr nahe liegt, als Halten der
Schleuder zu kennzeichnen. Denn sehr wohl könnte man mit dem
roh gelassenen Stück im Rücken sich eine Schleuder beabsichtigt
denken. Und dann läge es weiter nahe, in dem undeutlichen Gegen-
stand, der von der rechten Hand gehalten wird und nicht das Ende
eines Gewandstückes sein kann, einen Stein zu erkennen.
Die Bezeichnung: ,, David" hat ohne Zweifel viel für sich. Bei
näherer Prüfung aber wird man wieder stutzig. Was soll dieses
Fassen der Schleuder, da Goliath ja bereits getödtet.? Nach der
Stellung der Finger kann der Gegenstand in der rechten Hand nicht
wohl ein Stein sein. Und das in Form und Bewegung sich aus-
sprechende milde, gelinde Wesen will zu einem von Michelangelo
gebildeten David nicht recht passen. Der Gegenstand im Rücken
kann ebensowohl einen Köcher, wie eine Schleuder bedeuten, ja
die Stellung spricht mehr für den ersteren : aus ihm würde der
Jüngling (freilich nicht bloss mit Daumen und Zeigefinger, sondern
mit der ganzen Hand) einen Pfeil ziehen. Sollte Vasari , dessen
Angabe sehr beachtenswerth bleibt, nicht das Richtige angegeben
haben .?
Nun stellen sich aber auch hier wieder Bedenken ein. Die
Gestalt hat, wie schon Wickhoff hervorhob, so gar nichts Apolli-
nisches, dass wir ohne Vasaris Angabe schwerlich auf den Gedanken,
Apollo sei dargestellt, kommen würden. Man müsste dann doch in
der Rechten einen Bogen annehmen : das ist aber der Stellung der
Hand nach nicht wohl möglich. Und unerklärlich bliebe auch der
runde Gegenstand am Boden.
Die Brutusbüste 287
In dem Kampf der Argumente scheinen mir schliesslich die flir
David sprechenden die stärkeren zu bleiben.
Auf die Verwandtschaft einer Zeichnung in der Casa
Buonarroti (VII, 34. Thode 34. Ber. 1662) mit der Statue machte
Berenson aufmerksam, der sie dem Antonio Mini zuschreibt. Auch
ich kann sie nicht für Michelangelo in Anspruch nehmen, glaube
aber, dass ihr eine Originalstudie des Meisters zu Grunde liegt,
und diese dürfte in der That den ersten Gedanken zu der Statue
enthalten. Die Stellung des Kopfes und des linken über die Schulter
langenden Armes ist schon fixirt, doch steht die Figur noch mit
leicht über das linke gelegtem, etwas erhobenem rechten Beine, und
der rechte nach unten gestreckte Arm ist nicht an den Schenkel gelegt.
Ein Wachsmodell im South Kensington Museum (Thode 603)
zeigt wohl in der Haltung der Arme , nicht aber in der Stellung
und Kopfbewegung, Verwandtschaft mit der Statue.
X
Die Brutusbüste
Die einzige alte Nachricht, die wir über sie besitzen, findet
sich in Vasaris zweiter Auflage. Von Calcagni sprechend, fährt er
fort : ,,aus Liebe zu ihm hatte ihm Michelangelo, wie erwähnt ward,
die zerbrochene Marmorgruppe der Pietä zu vollenden gegeben,
und dazu eine überlebensgrosse Marmorbüste des Brutus, damit er
sie vollende , denn nur der Kopf war mit gewissen sehr feinen
Gradireisen von ihm ausgeführt worden. Diese Büste hatte er nach
einem Bildniss des Brutus auf einem antiken, sehr alten Cornolin,
der sich im Besitze des Herrn Giuliano Ceserino befand, entworfen,
und zwar fertigte er sie auf Bitten seines vertrauten Freundes
Donato Giannotti für den Kardinal Ridolfi an, ein seltenes Werk."
Wir erinnern uns der Dialoge Giannottis, in denen Michel-
angelo sich über Brutus äussert (s. Band I meines Michelangelo,
S. 122 ff.). Das Gedenken an Lorenzino de' Medici, der nach der
Errnordung Alessandros 1536 allgemein als Brutus gefeiert wurde,
war im Kreise der florentinischen Verbannten lebendig. Es wird
die Veranlassung zur Entstehung der Büste gegeben haben, die für
einen Florentiner bestimmt war. (Vgl. hierzu Fried. Portheim :
Rep. für Kunstw. 1889, XII, S. 151 ff.). Von irgend welcher Absicht,
Lorenzino zu porträtiren, kann aber natürlich gar keine Rede sein.
Die Inschrift, als deren Verfasser man im XVIII. Jahrhundert
(Richardson, Volkmann) Bembo nannte, lautet:
Dum Bruti effigiem sculptor de marmore ducit,
In mentem sceleris venit et abstinuit.
288 Statuen und Entwürfe zu solchen
Volkmann bemerkt (I, 554): ein Engländer (der Earl of Sand-
wich), der ersichtlich vom Geist der Freiheit eingenommen war,
veränderte dieses Distychon in folgendes :
Brutum effecisset sculptor, sed mente recursat
Tanta viri virtus; sistit et abstinuit.
Wohl nicht auf die Büste, sondern auf eine antike Statue, be-
ziehen sich Verse des F. M. Molza, die ich des allgemeinen Inter-
esses wegen anführe (Poesie volgari e latine, Bergamo 1747, II, 182).
Ad Bruti statuam Romae
Ultorem venerare virum, quo vindice Roma
Sustulit, exactis regibus, ante Caput.
Viveret effigies haec marmore ficta, liceret,
Extincta, Bruto vivere si, Patria.
Über die früheren Schicksale des Werkes sind wir nicht unter-
richtet. Im XVII. Jahrhundert befand es sich im Cortile der Medici-
villa La Petraja. (Steinmann und Pogatscher: Rep. für Kunstw.
XIX, S. 418). Im XVIII. Jahrhundert in der Grossherzoglichen
Sammlung, wo es in der Sala delle Iscrizioni aufbewahrt ward.
Von dort kam es in das Museo nazionale.
Die Richtigkeit der Angabe Vasaris, Michelangelo habe sich an
einen antiken Intaglio gehalten , ward von Springer und Portheim
bezweifelt, da sich keinerlei Verwandtschaft mit antiken Darstel-
lungen des Brutus zeigt. Sie tritt aber doch so bestimmt auf, dass
wenn auch nicht der geschnittene Kopf eines Brutus, so doch einer
anderen Persönlichkeit dem Meister vorgelegen haben dürfte. Mir
scheint, dass Michelangelo auch von Büsten des Caracalla inspirirt
worden ist. Dass Calcagni pietätvoll davon abgestanden ist, das
Werk zu berühren, scheint gewiss: die Handschrift Michelangelos
ist in der subtilen, ungemein lebendigen Behandlung des Marmors,
so wie es Vasari sagt, durchweg zu erkennen. Bezüglich der
elementaren Gewalt der Charakteristik sind sich alle Betrachter einig.
Guillaume vergleicht sie der Shakespeare'schen Kunst, der Eindruck
sei der eines leidenschaftlichen Redners. Nicht ein Politiker, nicht
ein Patrizier, sondern ein Tribun, ein Rienzi sei dargestellt, Klazcko
findet die Züge des gefesselten Sklaven wieder.
XI
Entwürfe zu einer Kolossalstatue für die Piazza:
Herkules und Antäus, Herkules und Kakus, Simson und
zwei Philister
/. Geschichtliches.
Am 10. Mai 1508 bat Pier Soderini den Marchese von Massa,
Alberigo Malaspina, einen Marmorblock zu reserviren, aus dem man
Entwürfe zu einer Kolossal statue für die Piazza 289
in Florenz eine Statue für die Piazza machen wolle. Im August
bittet der Marchese, den Block holen zu lassen. Er erhält darauf
am 4. September folgende Antwort: ,, Michelangelo , von einem
guten Sterne, wie wir sagen möchten, zum Bildhauer bestimmt, ist
noch nicht hier gewesen, thut uns aber kund, dass er binnen
Kurzem kommen wird, und sogleich nach seiner Ankunft werde ich
ihn nach dort senden , mit dem Auftrag, den Block zu verkleinern
und ihn derart zuzurichten, dass er leichter gehoben und transpor-
tirt werden kann." (Gaye II, 97.)
Am 16. Dezember schreibt Soderini an Malaspina: ,,Man hat
noch nicht nach dort geschickt, den Marmor behauen zu lassen,
weil Unser Herr der Papst dem Meister Michelangelo, unserem Mit-
bürger, noch nicht die Erlaubniss gegeben hat, sich hierher zu be-
geben, auch nicht für 25 Tage. Und da es in Italien Keinen giebt,
der im Stande wäre, ein Werk von solcher Art zu Ende zu führen,
ist es nothwendig, dass nur er, und kein Anderer, nach dort komme,
den Block zu sehen und aus dem Groben zu arbeiten, denn jeder
Andere, der seine Phantasieabsicht nicht kennt, könnte ihn ver-
derben. Daher können wir, solange er nicht kommt, was, wie wir
hoffen , aber bald der Fall sein wird , weder unsern , noch Eurer
Signoria Wunsch befriedigen." Ein anderes Bruchstück eines
Briefes lautet: ,,Und da Sie so grosse Geduld gehabt haben, wolle
es Ihnen genehm sein , dass wir in die Lage versetzt werden, von
diesem Meister Michelangelo eine Statue solcher Art machen zu
lassen, dass wir uns vor den antiken nicht zu schämen brauchen.
Und der Marmor wird gut bezahlt werden." (Gaye II, 107.)
Was die Statue darstellen sollte, erfahren wir nicht. Wir
dürfen vermuthen, dass man schon damals an einen Herkules dachte,
der auf dem Siegel der florentinischen Republik zu sehen war.
(Mil. Anm. Vasari VI, 148, nach Manni : Sigilli antichi I, p. 38.)
Längere Zeit vergeht. Als im Jahre 1515 auf dem Wege nach
Bologna Leo X. durch Florenz kam, Hess die Stadt, so erzählt
Vasari im Leben des Bandinelli (VI, S. 141), ihm zu Ehren neben
anderer festlicher Ausschmückung, in der Loggia dei Lanzi unter
einem Bogen nahe beim Palazzo von Bandinelli die Kolossalstatue
eines Herkules, 9^^ Ellen hoch, errichten. Den Verheissungen
Baccios nach erwartete man Etwas, was Michelangelos David über-
treffe, wurde aber enttäuscht, was dem Ansehen des Künstlers sehr
schadete. Offenbar handelte es sich bei dieser Arbeit um eine Art
von Projekt für jene Marmorstatue, die man 1508 auf der Piazza
zu errichten beschlossen hatte. Die Grösse : 9V.2 Ellen stimmt mit
der Grösse des Blockes, von dem Vasari im Folgenden spricht.
,, Schon zu Zeiten Leos X.," so liest man weiter in Bandi-
nellis Biographie, ,,war zugleich mit den Marmorblöcken für die
f * 19
290
Statuen und Entwürfe zu solchen
Fassade von S. Lorenzo ein grosser Block, 9^/^ Ellen hoch und
unten 5 Ellen breit, aus dem Steinbruch gefördert worden." (Ver-
muthlich ist es kein anderer, als jener 1508 erwähnte, eben weil
Bandinelli ja schon 151 5 sein Herkulesmodell in dieser Grösse, also
im Hinblick auf den Block, anfertigte.) ,,Aus diesem Block hatte
Michelangelo den Gedanken gefasst, einen Giganten in Gestalt des
Herkules, welcher den Kakus tödtet, zu machen, um ihn auf der
Piazza neben dem früher von ihm gemachten Giganten David auf-
zustellen, Beide, den David und den Herkules, als Embleme des
Palastes. Und er hatte mehrere Zeichnungen und verschiedene
Modelle angefertigt und versucht, die Gunst des Papstes Leo und
des Kardinals Giulio hierfür zu gewinnen; denn er sagte, jener
David habe viele Fehler, die vom Bildhauer Andrea (muss heissen :
Bartolommeo) verschuldet waren , der ihn zuerst bekam und ruinirt
habe. Aber in Folge des Todes Leos X. blieb damals die Fassade
und dieser Marmorblock liegen."
Vasari erzählt nun weiter, wie Domenico Boninsegni, zum Feinde
Michelangelos geworden, dem Papste Clemens VII. gerathen habe,
die Fassade von S. Lorenzo aufzugeben, die Sakristei zu bauen
und Bandinelli den Block übergeben zu lassen, was Clemens gethan.
Diese Verknüpfung der Thatsachen ist offensichtlich eine falsche.
Wahr aber wohl dies, dass 1525 Baccio vom Papst ausersehen war
für das Werk und sein erstes Modell wohl damals schon ange-
fertigt hatte.
Was wir nun sicher wissen, ist, dass am 20. Juli 1525 die
Kommune von Florenz den Block, der jetzt auf 8^/„ Ellen Höhe
und 2^/2 Ellen Breite angegeben wird, nach Florenz bringen liess.
(Gaye II, 464. Contratti 700.) Nach Vasari hätte Bandinelli ihn
geholt ; acht Meilen vor Florenz sei der Marmor ins Wasser gefallen
und von Pietro Roselli gehoben worden. Dieser Vorfall gab zu
Spottversen Anlass ; darunter war, nach Vasari, einer, welcher be-
sagte : der Marmor habe sich, verzweifelt über die Aussicht von
Bandinelli verstümmelt zu werden, in den Arno geworfen. Die
öffentliche Meinung und der allgemeine Wunsch nun ist, dass
Michelangelo die Statue anfertige. Er selbst äussert sich hier-
über in einem Briefe (Okt. 1525. Lett. 425) an Fattucci in Rom :
,,Piero Gondi hat mir einen Brief von Euch gezeigt, der eine
Antwort ist auf einen, den er Euch vor einigen Tagen geschrieben
hat ; und wie ich aus ihm sehe, wünschtet Ihr zu erfahren, von wem
ich gebeten worden bin, wie Euch Piero schrieb, der die Wahrheit
geschrieben hat. Ich bin von mehreren Personen gebeten worden,
und zwar von Denen, denen es zukommt; Lorenzo Morelli ist einer
von Jenen, die meine Meinung erfahren wollten, und zwar in folgen-
der Weise. Francesco da San Gallo kam zu mir und sagte mir,
Entwürfe zu einer Kolossalstatue für die Piazza
291
es wäre besagtem Lorenzo lieb zu wissen, ob ich bereit sei ihm zu
dienen, wenn er die Sache unternähme; ich antwortete, dass an-
gesichts ihres und des ganzen Volkes Wohlwollen ich mir dasselbe
verdienen könne nur, indem ich die Statue mache, und zwar, wozu
ich verpflichtet, als Geschenk, falls es dem Papste genehm sei ; denn
ohne seine Erlaubniss, da ich ihm verpflichtet bin, kann ich nichts
Anderes übernehmen als seine Aufträge. Messer Luigi della Stufa
hat mich noch mehrmals um das Gleiche angegangen , und ich
habe dieselbe Antwort gegeben. Niemals habe ich mich anders
geäussert und hätte auch nicht zuerst gesprochen ; aber da ich ge-
fragt wurde, war ich genöthigt, zu antworten. Noch in diesen
Tagen haben von Neuem mir gewisse Leute gesagt, dass die Vor-
steher der Domopera sich veranlasst gesehen haben, sich dahin zu
äussern : vorausgesetzt, dass ich sie mache, würde es sie nicht be-
kümmern, zwei oder drei Jahre zu warten, bis ich dem Papst gegen-
über meine Verpflichtungen gelöst."
Diese Angaben werden durch die Chronik Cambis bestätigt
(Gaye 11, 464) : ,,und wir hatten damals in Florenz einen Bildhauer
und Maler, den florentinischen Bürger Michelangelo, den besten
Meister, von dem man zu seiner Zeit Kunde hatte. Daher ver-
langte das Volk, er solle die Statue arbeiten, da er schon den
Giganten gemacht. — — — Denn sie hofften, er werde ein grosses,
würdiges Werk schaffen : einen Herkules, der den Giganten Antäus
erdrückt. Da er aber die Medicigräber, die Clemens VII. machen
Hess, arbeitete, bestimmte besagter Papst, dass ein anderer floren-
tiner Bildhauer die Statue mache, damit die Grabdenkmäler nicht
unvollendet blieben."
Der Brief Fattuccis , der von dieser Anordnung des Papstes
spricht, ist uns bekannt. (10. November 1525. Frey: Briefe S. 266.)
,,Dann sprach ich mit Seiner Heiligkeit über die Statue, welche für
die Piazza bestimmt ist. Er gab mir die gleiche Antwort und
sagte dann: sag' ihm, dass ich ihn ganz für mich will und nicht
will, dass er an öffentliche Angelegenheiten und die Anderer denke,
sondern an die meinigen und an die des Julius." An Stelle der
Herkulesstatue muthet der Papst dem Künstler jenen unsinnigen
Koloss auf der Piazza di S. Lorenzo zu.
Auf Wunsch des Papstes wird der Block wieder Bandinelli
überwiesen. Dieser macht — nach Vasari wäre dies schon früher,
vor der Überführung des Blockes nach Florenz, geschehen — ein
grosses Wachsmodell eines Herkules und Kakus, das Vasari später
in Herzog Cosimos Garderobe sah und folgendermaassen beschreibt:
,, Herkules, der den Kopf des Kakus mit einem Knie zwischen
zwei Felsen zwängt, umklammert Dessen Leib gewaltsam mit dem
linken Arm, indem er ihn in gequälter Stellung zusammengeschmiegt
19*
292 Statuen und Entwürfe zu solchen
zwischen den Beinen hält. Gesenkten Kopfes, die Zähne fletschend,
erhebt er den rechten Arm und versetzt dem Unterhegenden einen
zerschmetternden Schlag auf den Kopf."
Hiernach wäre BandinelHs Plan von Vorneherein die Gruppe
des Herkules und Kakus gewesen , und dies wird bestätigt durch
den späteren Kontrakt vom Jahre 1528, worin es heisst: ,,der Mar-
mor, den wir vor etwa drei Jahren aus Carrara kommen Hessen,
um das Bildwerk des Kakus zu machen." Dieser urkundlichen Aus-
sage steht die oben erwähnte des Chronisten Cambi gegenüber,
welcher von Herkules und Antäus , freilich mit Bezug auf Michel-
angelos Plan, spricht. Löst sich der scheinbare Widerspruch dadurch,
dass Michelangelo den Antäus, Bandinelli den Kakus plante.'' Die
später zu besprechenden Zeichnungen lassen keinen Zweifel hierüber.
Wie Vasari fortfährt, sieht Bandinelli die Unmöglichkeit ein,
jenes Modell in dem Marmor auszuführen. So macht er und über-
bringt er dem Papste andere Modelle, unter denen eines gewählt
wird, welches den Herkules zeigt, wie er Kakus zwischen seinen
Beinen an den Haaren , wie einen Gefangenen , gefasst hält. Ban-
dinelli habe dann ein Modell in der vollen Grösse ausgeRihrt
und den Marmor zu bearbeiten angefangen. ,,Zu abbozziren",
sagt Vasari im Leben Michelangelos , in dem Baccios : er legte
die Figur ringsum frei bis zum Nabel ,,scoprendo le membra
dinanzi". Dann tritt eine Unterbrechung ein, und am 22. August
1528 beschliessen die Signori feierlich, dass der Block Michel-
angelo übergeben wird, ,,der aus ihm eine Figur mit einer
anderen verbunden machen soll , was und wie es ihm gut dünke"
(Gaye II, 98). Dies der Wortlaut des Dokumentes, mit dem Vasaris
Angabe in Einklang steht : ,,es wurde Michelangelo der Marmor
gezeigt, in der Absicht, dass er, falls der Marmor nicht schon zu
tief bearbeitet sei, ihn nähme und zwei Figuren nach seinem Gut-
dünken daraus mache. Michelangelo, nachdem er den Block geprüft,
dachte an eine andere verschiedene Erfindung , gab Herkules und
Kakus auf und wählte Simson mit zwei Philistern unter sich, die
er niedergeschlagen, den einen todt, den anderen noch am Leben,
den er, einen Eselskinnbacken schwingend, zu tödten trachtet. Aber,
wie es häufig geschieht, dass menschliche Gedanken sich Etwas vor-
nehmen , dessen Gegentheil von der Weisheit Gottes beschlossen
ist, so geschah es auch hier: denn als der Krieg gegen die Stadt
Florenz entbrannte, hatte Michelangelo an Anderes zu denken, als
an das Glätten von Marmor, und musste .Mch aus Furcht vor den
Bürgern aus der Stadt entfernen. Und als der Krieg zu Ende und
der Vertrag geschlossen, veranlasste Clemens Michelangelo, die Sa-
kristei von S. Lorenzo zu vollenden, und gab Baccio den Befehl,
den Giganten zu vollenden." Bandinelli beendete sein Werk 1534.
Entwürfe zu einer Kolossalstatue für die Piazza
293
Baccio d'Agnolo und der ältere Antonio da San Gallo leiteten die
Überführung der Statue auf den Platz. Ihre Enthüllung wurde zum
grossen Ereigniss und rief zahlreiche Epigramme, denen dann durch
den Herzog Alessandro ein Ende gemacht wurde, hervor.
Dass nach Michelangelos Modell zum Herkules und Antäus im
Auftrage Herzog Cosimos Montorsoli eine Statue zu arbeiten be-
gonnen, erfahren wir durch Vasari. Als Bandinelli 1544 durch
Cosimo viele Marmorblöcke Michelangelos aus Dessen einstiger
Werkstatt erhielt, fand er in dem Räume von S. Lorenzo einen
Marmorblock mit zwei Figuren: den Herkules und Antäus, die, von
Montorsoli ausgeführt, schon weit gediehen waren. Baccio sagte
dem Herzog, der Block sei verhauen und zerschlug ihn in viele
Stücke (VI, S. 168). Wir dürfen dieser Nachricht wohl Glauben
schenken : die Erinnerung an die einstige leidenschaftliche Be-
schäftigung mit dem gleichen Auftrag entflammte den Rivalen Michel-
angelos zur Vertilgung jeder Erinnerung an Dessen Entwürfe für
die Kolossalstatue. Vermuthlich hatten Montorsoli und andere
Freunde des Meisters Gedanken retten und in einer, wenn auch
kleineren Statue, dem Werke Bandinellis entgegenhalten wollen.
Zusammenfassendes:
Welche Absichten Michelangelo 1 508 bezüglich des Blockes
gehabt, vermuthen wir. Schon damals handelte es sich um einen
Herkules. Im Jahre 1525 plant er einen Herkules mit Antäus (den
später Montorsoli auszuführen begann), nicht, wie Bandinelli, einen
Herkules mit Kakus. Ob er 1528 einen Augenblick an die letztere
Gruppe gedacht, da sie schon von Bandinelli begonnen war, ist
nicht bestimmit zu sagen , doch sprechen hierfür die unten zu er-
wähnenden Modelle. Jedenfalls liess er diesen Plan schnell fahren
und entwarf Modelle zu einem Simson mit zwei Philistern.
2. Entwürfe.
A. Herkules und Antäus.
Dass Michelangelo ein Wachsmodell für die Gruppe angefertigt,
erfahren wir durch Vasari, der berichtet, dass der Meister dem
Leone Leoni zum Dank für Dessen Medaille ein solches geschenkt
habe. Dieses Modell ist heute nicht mehr nachzuweisen, wohl aber
besitzen wir einige Studien zu der Komposition , die bereits von
Springer und Berenson (I, S. 213) zusammengestellt worden sind.
I. Florenz, Casa Buonarroti XI, 53. Thode 48. Ber. 1664. Neben
mehreren anderen Studien findet sich hier eine flüchtige, un-
deutliche Skizze zu der Gruppe. Herkules, nach links gewandt,
hat Antäus um den Leib gefasst, der, wie es scheint, sein
rechtes Bein um das linke des Herkules schlägt und mit dem
294 Statuen und Entwürfe zu solchen
linken Arme Dessen Kopf wegzudrängen versucht. Seine Ge-
stalt überragt die des Herkules um ein Beträchtliches. — Nicht
Originalskizze des Meisters, sondern Kopie nach einer solchen.
II. London, British Museum 1859 — 6 — 25 — 557. Thode 299.
Ber. 1490. Phot. Br. 13. Abb. Ber. PI. CXXXVII. Auf dem
Blatte mit Masken : Rötheiskizze. Herkules nach links gewandt,
das linke Bein vorgestellt und in den Knieen etwas geknickt,
hält Antäus um den Leib, der sich mit dem linken Bein an
sein linkes anklammert , den Oberkörper nach rechts hinten
dreht und mit der Rechten Herkules' Kopf zurückdrängt.
III. London, British Museum. Malcolm 66. Thode 352. Ber. 1526.
Vorderseite: Brief des Meisters vom 18. Oktober 1524. Verso:
neben anderer Studie Herkules, der hier, nach links gewandt,
Antäus unter dem rechten Arme umfasst und die Rechte zum
Schlage erhebt. Antäus umklammert mit dem rechten Bein
das linke des Herkules; sein rechtes ist gekrümmt eingeklammert
zwischen Dessen Beinen. Hier ist also Antäus nicht so hoch
in die Luft gehoben, sondern man hat mehr den Eindruck
des Ringkampfes.
IV. Oxford, Nr. 45. Thode 428. Ber. 1712. Letzterer bezweifelt
die Ächtheit der Skizze, die für mich ausser Zweifel ist. Die
Verse auf demselben Blatt verlegt Frey (Dicht., S. 332) in die
Jahre 1532, 1533. Verso: neben anderen Studien zweimal die
Gruppe. Antäus umklammert mit den Beinen die Hüften des nach
links gewandt stehenden Herkules und stemmt sich mit den Hän-
den gegen Dessen Kopf, von des Herkules' Armen umschlungen.
Drei dieser Studien : I, II und IV, stimmen darin überein, dass
Antäus hoch emporgehoben ist, wie in dem Bilde Antonio Polla-
juolos und in Dessen Bronzestatuette (Bargello). An diese Werke
erinnert auch, allgemein genommen, der krampfhafte Versuch, durch
Stemmen der Hand gegen des Siegers Kopf sich zu befreien, und die
Stellung des Herkules mit etwas gekrümmten Knieen und zurück-
gelehntem Oberkörper. Während aber bei Pollajuolo die Beine
des Antäus in die Luft abstehen, umklammert das eine bei Michel-
angelo die Beine des Herkules. Hierdurch wird die grössere sta-
tuarische Geschlossenheit der Gruppe erreicht, die sich im Übrigen
auch in der Armhaltung geltend macht. Diese Umklammerung ist
allen drei Skizzen eigenthümlich, die Unterschiede beschränken sich
auf die Haltung des Oberkörpers.
Auch in III sehen wir die Beinumklammerung, doch berührt
hier der linke Fuss des Antäus fast noch die Erde und erscheinen
die beiden Köpfe in gleicher Höhe, während dort der des Antäus
emporragt. Die Lösung des Problems ist in III noch weniger ge-
glückt, am besten wohl in IV.
Entwürfe zu einer Kolossalstatue für die Piazza 295
Nun fügt Berenson noch zwei weitere Zeichnungen hinzu. Die
eine in Röthel , im Louvre Nr. 709 (Thode 484. Ber. 1593), zeigt
zwei mit einander Ringende. Beide stehen auf dem Boden. Der
eine, den Anderen mit dem Arme umfangend, sucht ihn zum Fall
zu bringen, indem er sein Hnkes Bein um das rechte des Gegners
schlägt. Dieser greift mit dem rechten Arme unter und wird ver-
suchen , Jenen emporzuheben. Mir scheint der Gedanke an einen
Herkules und Antäus hier ausgeschlossen. Es wäre doch höchstens
der Anfang des Kampfes geschildert, und dieser ist für eine solche
Gruppe unwesentlich, bei der es ja auf das Erdrücken des An-
täus in der Luft ankommt. — Die andere Zeichnung befindet sich
im Musee Teyler in Haarlem (v. Marcuard XXI b u. XXI c. Thode 268.
Ber. 1472). Hier sehen wir auf der Vorderseite eine flüchtige
Konturskizze (in Kreide) eines starken Mannes, der in seinen Armen
schwebend eine sich wehrende , das Bein gegen ihn anstemmende
Figur hält, auf der Rückseite dieselbe Gruppe durchgezeichnet und
mehr ausgeführt und schattirt. Wie Berenson, bezeichnet auch
V. Marcuard sie als die des Herakles mit Antäus. Nun ist aber in
beiden Skizzen die in der Luft gehaltene Figur deutlich als Weib
gekennzeichnet (auch durch die kleineren Körperverhältnisse) — nicht
nur auf der Rückseite, wie v. Marcuard, eine irrige Interpretation der
Vorderseite annehmend , bemerkt. Wohl steht diese Studie in
kompositionellem Zusammenhang mit der Antäusgruppe, aber der
Vorwurf ist ein neuer. Man kann nur entweder an den Raub einer
Sabinerin oder an die Entführung der Proserpina denken. Ich be-
spreche die Zeichnung noch gesondert.
Eine kleine im Museum zu Budapest unter dem Namen Michel-
angelos aufbewahrte Studie zu Herkules und Antäus hat Nichts mit
dem Meister zu thun.
Die Datirung unserer Entwürfe ist annähernd bestimmt durch
das Datum auf Nr. III: 18. Oktober 1524 und durch die Thatsache,
dass Michelangelo 1525 sich mit der Aufgabe beschäftigte. In
späterer Zeit, auf der Röthclzcichnung mit den Herkulesthaten in
Windsor (Thode 536. Ber. 161 1. Phot. Br. 108) hat der Meister
noch einmal, nun aber nicht im Hinblick auf eine Statue, den
Gegenstand behandelt. Herkules erscheint in ähnlicher Stel-
lung, doch hat er den Antäus so mit den Armen gefasst, dass
er ihn , den Kopf nach unten , an die Brust drückt. (S. weiter
unten.)
Die Wahl gerade der Antäusdarstellung mag sich mit aus dem
Eindruck der antiken Gruppe erklären, die damals im Belvedere
des Vatikan sich befand und später in den Hof des Palazzo Pitti
gelangte (Abb. Maffci Raccolta). Über die Tradition, dass Michel-
angelo sie restaurirt habe, spreche ich weiter unten.
296 Statuen und Entwürfe zu solchen
B. Herkules und Kakus.
Die schriftlichen Traditionen ergaben nichts Bestimmtes dar-
über, ob Michelangelo einen Entwurf auch für diese Gruppe ge-
macht, und es ist neuerdings bezweifelt worden. Zeichnungen sind
mir auch nicht bekannt geworden. Wohl aber existiren zwei kleine
Modelle, die, sicher einen Gedanken Michelangelos wiedergebend, ja
von Dessen eigener Hand, kaum anders zu deuten sind.
I. Florenz, Casa Buonarroti Nr. 3. Thode 583. Abb. Bode-
Bruckmann Taf. 531. Knapp S. 97. Stuck. Fehlen Arme
und Kopf des Herkules , sowie der Kopf und rechter Unter-
arm. In mächtiger Bewegung, den rechten Fuss nach rückwärts
auf eine Erhöhung gestellt, die Linke hoch zum Schlage aus-
holend und sich vorneigend packt Herkules mit der Linken
den Hals des Kakus, der, mit dem rechten Beine auf dem
Boden knieend, mit dem linken das linke Bein und mit dem
linken Arme den rechten Oberschenkel des Siegers umklammert.
Mit der Rechten sucht er , wie das folgende Modell zeigt, die
linke Hand des Feindes wegzuzerren.
n. London, South Kensington Museum 4108. Robinson: Italian
sculpture etc. A descriptive Catalogue, London 1862, p. 141.
Thode 604. Phot. Kensington 563. Abb. Symonds I, 438.
Knapp S. 96. Wachs. Genau dieselbe Gruppe, nur ist hier
der Kopf und rechte Unterarm des Kakus erhalten.
Dieser grossartige Entwurf, bei dem man sich gerne den ersten
Versuch solcher Gruppenbildung in des Meisters Jugendwerke: dem
restaurirten Dionysos, in Erinnerung ruft, ist dem Geiste und der
Formensprache (den schlanken Körperverhältnissen) nach so nahe
dem Sieger verwandt, dass wir die beiden Werke einander zeitlich
ganz nahe rücken müssen. In Betracht kommt entweder das Jahr
1525 oder 1528. Für das erstere und gegen das letztere könnte
die Erwägung sprechen, dass Michelangelo aus dem von Bandinelli
schon behauenen Block schwerlich diese Gestalt hätte herausarbeiten
können. Aber die Angaben darüber, wie weit Bandinelli seine
Figur schon freigelegt, sind doch nicht sicher genug, als dass man
Gewisses aussagen könnte. Dem Vertrag von 1528 nach waren
Michelangelo doch noch weitgehende Möglichkeiten gelassen.
Ist dieser Sieger nun Herkules oder Simson.? Knapp nennt
seltsamer Weise , obgleich beide Modelle ganz mit einander über-
einstimmen, das eine in London Herkules, das andere Simson !
Da in dem weiter zu besprechenden Entwürfe Simson mit zwei
Philistern dargestellt und die Mehrzahl der Gegner für Simson
charakteristisch ist, dürfen wir unsere Gruppe von zwei Figuren
getrost Herkules und Kakus nennen, und sei es auch nur, um sie
deutlich von der Simsongruppe zu unterscheiden. Nicht ausgeschlossen
Entwürfe zu einer Kolossalstatue für die Piazza
297
freilich bleibt die Möglichkeit, dass , wie Springer ausfuhrt, das
Modell für eine Siegerstatue am Juliusdenkmal gedient hat. —
Pictro Tacca hat das Kakusmodell als Krönung für eine Fontäne
benutzt. (Zeichnung in den Offizien 436, 1416. Vgl. Jacobsen,
Mise. d'Arte 1903 I, S. 104, der auch daselbst drei Zeichnungen:
18524, 18665 und 1866 nach dem Modell erwähnt.)
Zwei originale Skizzen, die ich auf die Gruppe beziehen möchte,
fand ich in der Casa Buonarroti (XII, 63. Thode 55. Ber. 141 2).
Die eine stellt (nur angedeutet) einen stehenden Mann dar, der mit
der Rechten zum Schlage gegen eine zwischen seinen Beinen ge-
kauerte Figur ausholt. Die andere diesen Gekauerten , der vom
Rücken gesehen und, sich nach links wendend, die Arme erhebt.
j. Simson und zwei Philister.
Die Beschreibung, welche Vasari von diesem Entwurf gemacht,
zeigt, das er ihn gesehen. Er erwähnt ihn auch an anderer Stelle
(VI, 128); Luca Martini sandte den Piero Vinci nach Carrara, um
einen Block, 5 Ellen hoch, 3 Ellen breit, zu beschaffen. ,,Aus
diesem beschloss Vinci, der schon einige Skizzen Michelangelos zu
einem Simson, welcher einen Philister mit dem Eselskinnbacken er-
schlägt, gesehen hatte, diesen Vorwurf nach seiner Phantasie in
zwei Figuren zu gestalten."
Studien oder Modelle des Meisters zu der Gruppe sind nicht
erhalten — denn die Skizzen auf einem Oxforder Blatte (69. Thode
441. Ber. 1571. Phot. Br. 83), welche, angeblich Simson dar-
stellend, einen Mann zeigen, der auf einem anderen am Boden
liegenden kniet , haben natürlich gar nichts mit der Gruppe zu
schaffen und stellen auch nicht Simson dar, sondern sind eine
Studie für eine der Szenen im ,, Traum". Hingegen ist uns in
einer kleinen Bronzegruppe, die in mehreren Exemplaren auf uns
gekommen ist, ohne Zweifel Michelangelos Entwurf erhalten. Ich
kenne folgende Exemplare :
I. Berlin, Kaiser Friedrich -Museum 260. (Abb.: Beschreib, der
italienischen Bronzen. Taf. IX.)
II. Florenz, Museo nazionale. Phot. Alinari 3485. Abb. Mise.
d'Arte I, S. 41.
III. Florenz, Museo nazionale. Anderes Exemplar.
IV. Paris, Louvre. Samml. Thiers 106.
V. London, Vente Bardini 1899 (mit 17680 Fr. bezahlt).
Eine alte Abbildung der Bronze fand ich auf einem vlämischen
Bilde des XVII. Jahrhunderts im Haag (Mauritshuis 266), welches
das Atelier des Apclles darstellt. Daniele da Voltcrra verwerthete
sie, den knieenden Philister in eine Frau verwandelnd, in seinem
Bethlehemitischen Kindermord in den Uffizien (Abb. Mise. d'Arte
298 Statuen und Entwürfe zu solchen
S. 41). Schon Bottari wies darauf hin, dass hier eine Benutzung des
Michelangelo'schen Modellcs vorliege. (Eine von Rud. Weigel :
Handzeichnungen berühmter Meister, Leipzig 1854. Taf. XXVI
publizirte Zeichnung, vielleicht von Tintoretto, hat keine direkte
Beziehung zur Gruppe.) Eine grössere Anzahl von Studien nach
der Gruppe in den Uffizien (13045, 13046, 15002, 15003, 17 133,
17 134, 17390. Coli. Santarelli 1069, 1070) machte Ferri bekannt
(Mise. d'Arte I, S. 64), der sie für Arbeiten Daniele da Volterras
hielt. Jacobsen fügte ein weiteres Blatt im Palazzo Corsini in Rom
hinzu und bezeichnete mit Recht als den Verfertiger aller dieser
Zeichnungen Tintoretto (Rep. f. Kunstw. XIX, 28. 325 f.).
Die Bronze ist früher bald Michelangelo , bald Giovanni da
Bologna zugeschrieben worden. Supino (Mise. d'Arte I, 41) hielt,
auf Grund des Bildes in den Uffizien, Daniele da Volterra für den
Schöpfer. Jacobsen wies dies als irrig nach und nahm , wie
Ferri, an, dass die Komposition auf Michelangelo zurückgehe, und
zwar speziell auf Dessen Kakusmodell in der Casa Buonarroti, was
auch im Berliner Katalog irrig behauptet wird.
Mir scheint es unzweifelhaft, dass die Bronze das verloren ge-
gangene Modell Michelangelos zum Simson getreu wiedergiebt. (Im
Pariser Exemplar hält die erhobene Hand deutlich erkennbar den
Eselskinnbacken.) Die Komposition, in welcher er Motive seines
Kakus verwerthet, ist ein Meisterwerk und als solches von Tinto-
retto auf das Gründlichste studirt worden. Eine originelle Schöpfung
des Meisters von grösster Bedeutung steht uns vor Augen. Mit
wunderbarer Kunst ist die Komposition gebildet. Simson, dem der
Kopftypus des Herkules verliehen ist, erhebt, in stark in den
Knieen gebeugter Stellung, die Linke auf den linken Schenkel
stützend, sich seitwärts drehend, die Rechte gegen den einen Philister,
der, zwischen seinen Beinen knieend, den Gegner umklammert. Ein
zweiter Philister liegt todt zwischen den Beinen des Genossen ; auf
seinen Kopf tritt Simsons rechter Fuss. Die Darstellung entspricht
der kurzen Beschreibung Vasaris.
XII
Entwurf zur Entführung eines Weibes
Als eine Studie zu einem Herkules und Antäus wurde bisher
eine Skizze angesehen , die im Musee Teyler zu Haarlem auf-
bewahrt wird. (v. IMarcuard XXI b und XXI c. Thode 268. Ber.
1472) Vorderseite: flüchtige Kreideskizze in Konturen. Ein herku-
lischer Mann, ausschreitend nach links gewandt, hält in der Luft
schwebend eine Frau um den Leib gefasst, die in leidenschaftlicher
Bewegung, das linke Bein gegen sein linkes gestemmt, den Ober-
Das Modell für die Reiterstatue Henris II.
299
körper herumdreht, die Linke gegen den Kopf des Entführers
stemmt und mit der Rechten Dessen Hnken Oberarm fasst. Nicht
angegeben ist das rechte Bein des Mannes, das rechte Bein und
der Kopf der Frau. Die Skizze ist auf der Rückseite durchge-
zeichnet, doch ist der hier zurückgeworfene Kopf des Weibes, ihr
Bein und das Hnke ausschreitende des Mannes ausgeführt und Alles
schattirt. Ein grosses Gewandstück ruht im Rücken des Mannes.
Die Beziehung zu den Antäusstudien ist deutlich , aber die
emporgehobene Figur ist unzweifelhaft weiblich. Dachte Michel-
angelo hier, Giovanni da Bologna den Weg bereitend, an den Raub
einer Sabinerin (man vergleiche auch die Bronze vom Meister D. C,
Berlin, Beschreib, der italienischen Bronzen 302. Taf. XIII) oder,
als Vorgänger Berninis, an den Raub der Proserpina.?
xm
Das Modell für die Reiterstatue Henris IL
Am 14. November 1559 wandte sich Caterina Medici mit folgen-
den Zeilen an den Meister:
,,Nach dem herben Schicksalsschlag, der den Allerchristlichsten
und Erlauchtesten König, meinen Herrn und Gemahl, getroffen,
blieb mir — ausser dem Verlangen nach ihm, das vergeblich ist —
kein sehnlicherer Wunsch, als der, seinem Namen und meiner ein-
stigen ehelichen Liebe und meinem ihn nun folgenden Leid Leben
zu verleihen ; und neben den anderen Werken, die hierfür bestimmt
sind, habe ich beschlossen, inmitten des Hofes eines meiner Schlösser
meinem Herrn ein Reiterstandbild aus Bronze zu setzen, in der dem
Hofe entsprechenden Grösse. Und da ich , wie alle Welt , weiss,
wie gross Ihr in dieser Kunst seid , mehr ausgezeichnet als irgend
Einer in diesem Jahrhundert und zugleich von Altersher meinem
Hause zugethan, wovon, von dem einen wie dem anderen, die einzig-
artigen Werke Eurer Hand an dem Grabdenkmal der Meinigen in
Florenz leuchtendes Zcugniss ablegen, bitte ich Euch, diese Auf-
gabe zu übernehmen. Und obgleich ich weiss, dass Ihr Euch mit
Euren hohen Jahren bei einer anderen Person entschuldigen könntet,
so glaube ich , dass Ihr Euch mir gegenüber nicht einer solchen
Entschuldigung bedienen wollt, sondern es wenigstens übernehmen
werdet, die Zeichnung zu besagtem Werke anzufertigen und es von
den besten Meistern, die Ihr dort finden könnt, giessen und ziscliren
zu lassen. Und ich versichere Euch , dass weder Ihr noch irgend
Jemand mir einen grösseren Gefallen thun könnte , für den ich
meine Dankbarkeit in frcigicbigstcr Weise zu bezeugen wünsche. Und
da ich zugleich meinem Vetter, Herrn Ruberto, schreibe, sage ich
Euch Nichts mehr hiervon , sondern verweise auf das , was er in
300 Statuen und Entwürfe zu solchen
meinem Auftrag Euch sagen wird. Und ohne mehr hinzuzufügen,
bitte ich Gott, dass er Euch glücklich erhalte."
,,Rubcrto Strozzi, nach Rom gekommen," erzählt Vasari (VII,
66) , ,, verhandelte hierüber ausführlich mit Michelangelo , welcher,
wegen seines Alters unfähig, das Werk selbst zu übernehmen, dem
Roberto rieth, es dem Daniele da Volterra zu übergeben, welchem
Rath und Beistand, so viel er vermöge, zu geben er nicht ermangeln
würde. Auf dieses Anerbieten grossen Werth legend, beschloss,
nach reiflichen Überlegungen darüber, was zu machen sei, Strozzi,
dass Daniello ein Bronzepferd aus einem Stücke, 20 Palmen vom
Kopf bis zu den Füssen hoch und etwa 40 lang, giesse und darauf
die Statue des gerüsteten Königs Henri, gleichfalls aus Bronze, ge-
setzt werde. Nachdem Daniello ein kleines Thonmodell, dem Rath
und Urtheil Michelangelos gemäss, angefertigt und dieses dem Herrn
Ruberto sehr gefallen, wurde über Alles nach Frankreich berichtet
und zwischen ihm und Daniele über die Art der Ausführung, über
Zeit, Preis und alles Andere ein Vertrag abgeschlossen."
Am 24. Oktober 1560 schreibt Roberto Strozzi an Michel-
angelo : da er selbst noch in Paris zurückgehalten werde, werde der
Überbringer seines Briefes, Simone Guiducci, alle Sorge für die An-
gelegenheit, die Auszahlung der Gelder und das Miethen des Hauses
übernehmen. Michelangelo solle in allen vorkommenden Fällen dem
Simon Anweisungen in Sonderheit auch über das zum Guss zu ver-
wendende Metall geben. Die Königin habe für alle im Vertrag
vorgesehenen Kosten Provision gegeben und verlange sehnlich, dass
das Werk so bald wie möglich ausgeführt werde. (Gotti II, 144.) —
Am 30. Oktober theilt die Königin Michelangelo selbst aus Orleans
mit, dass sie 6000 Goldskudi bei Giambatista Gondi habe depo-
niren lassen, und bittet dringlich um Beförderung der Arbeit. Auch
ertheilt sie am gleichen Tage dem Guiducci ihren Auftrag (ebenda
146). Nähere Anweisungen giebt in ihrem Namen am gleichen
Tage Bartolommeo del Bene dem Meister (S. 145) :
,, Nachdem heute Morgen Ihre Majestät die Königin Mutter
den Brief an Euch unterschrieben, befahl sie mir. Euch wissen zu
lassen: sie wünsche, Ihr möchtet anordnen, dass der Kopf der
Statue des Königs keine Locken erhalte und dem Bildniss so ähn-
lich wie möglich werde. Die Rüstung wünscht sie in schöner
moderner Fa^on imd so auch das Zaumzeug des Pferdes. Im
Übrigens verlasse sie sich ganz auf Michelangelos UrtheiL"
Noch einmal am 25. Februar 1561 hat sich Strozzi an Diesen
gewandt und im Namen der Königin ihn gebeten , Deren Ab-
gesandten Giuliano über Alles, was das Werk angeht, zu informiren
und dafür zu sorgen, dass es in Vollkommenheit ausgeführt werde
(ebenda S. 147).
Angebliche Restaurirung antiker Statuen durch Michelangelo 30 1
Der Guss des Pferdes, auf dessen Modell Daniele allen Fleiss
angewandt hatte, wurde bis zum Jahre 1564 verzögert. (Andrea
Fulvio, Antichitä di Roma Hb. V, der die Länge des Pferdes nicht
auf 40, sondern auf 20 Palmi und die Kosten auf 6500 Skudi
angiebt.) Er misslang das erste Mal und wurde dann wiederholt.
Am 8. September 1565 schreibt Leoni an Lionardo, dass er sehr gut
geglückt sei (Gotti II, 147). Die erduldeten Mühen sollen mit an dem
1566 eintretenden Tode Danieles Schuld gewesen sein. Seine Erben:
Michele degli Alberti und Feliciano da San Vito boten sich dem
französischen Gesandten an, das Pferd zu vollenden und die Figur
des Reiters, die von Daniele nicht ausgeführt worden war, zu ver-
fertigen. Die Bürgerkriege in Frankreich aber Hessen die Angelegen-
heit 22 Jahre lang in Vergessenheit gerathen. Dann überwies
Henri III. das Pferd dem Orazio Ruccllai, wohl als Entgelt für die
von Diesem vorgeschossenen Summen, und Rucellai Hess es 1586
in seinem Palast am Corso auf einem Piedestale aufstellen. Antonio
Tempesta fertigte einen Stich davon an, den er dem Kardinal Charles
von Lorraine dedizirte, und fügte in ihm den Reiter hinzu. Später
wurde es für die Reiterstatue Ludwig XIII., die Biard goss, verwendet.
Diese wurde 1639 durch Richelieu auf der Place royale in Paris er-
richtet und ist 1793 zerstört worden. (Mil. Anm. Vasari VII, S. 68.)
Von Michelangelos Betheiligung an dieser Arbeit ist uns weder
durch Zeichnungen noch durch Modelle eine Vorstellung vergönnt.
XIV
Angebliche Restaurirung antiker Statuen durch Michelangelo
und einige Urtheile des Meisters über die Antike
Kein sicheres Zeugniss über solche Ergänzungen liegt vor, und
auf die bis zum XVII. Jahrhundert (Boissard u. A.) zurückgehenden
Traditionen, welche von Restaurirung einer Anzahl Statuen: des
sterbenden Fechters , des Laokoon , des Marsyas (in den Uffizicn),
der Gruppe von Pferd und Löwe (im Kapitolinischen Museum) u. A.
sprechen , ist Nichts zu geben. Nirgends tritt uns die Art des
Meisters erkenntlich entgegen. Nur bei einer einzigen Figur: dem
Flussgott im Museo Pio Clementino (Nr. 600) tragen die ergänzten
Theile: der Kopf, die linke Hand mit dem Zweig und der rechte
Arm mit der Urne, in deren Öffnung man auch eine Maske seines
Stiles gewahrt, ausgesprochen Michelangelo'schen Charakter. Der
Kopf mit den schmerzlich zusammengezogenen Augenbrauen , der
Mund und der verknotete Bart rufen das Haupt des Moses in Er-
innerung. Es wäre nicht unbegreiflich, wenn einmal die Behauptung
neu aufgestellt würde, er habe hier wirklich selbst Hand angelegt;
302 Statuen und Entwürfe zu solchen
in der That aber bleibt die wiederholt geäusserte Meinung, Montor-
soli sei der Restaurator, bestehen. Erzählt doch Vasari, dass auf
Empfehlung Michelangelos der Frate von Clemens VII. — wie später
Guglielmo della Porta von den Farnese, — den Auftrag erhielt, die
Statuen im Belvedere (erwähnt werden der Apollo , der Laokoon
und der Herkules) zu ergänzen. Und im Belvedere befand sich
auch der Flussgott, der sogenannte Tigris, für den Michelangelo die
Nische zeichnete (Vasari I, 114).
Nicht allein Vasari und Condivi , sondern auch andere Zeit-
genossen würden gewiss eine solche Thätigkeit des Meisters, hätte
sie wirklich stattgefunden , nicht unerwähnt gelassen haben. Ich
denke in Sonderheit an Aldovrandi, der wiederholt das von Michel-
angelo einzelnen Antiken gespendete Lob (Torso des Herkules, die
Amazone beim Kardinal di Cesis) verzeichnet. Die einzige ältere
Notiz, die sich auf eine Restaurirungsfrage bezieht, von Lomazzo
gegeben, sagt : Michelangelo habe die Hand des Adonis vom Campo
di Fiore, der sich im Besitze des Bischofs von Norcia befand, nicht
ergänzen wollen. Lomazzo meint, ,,weil er geboren gewesen, starke
Männer, nicht Adonisgestalten zu machen" (Trattato. Rom 1844. II, 81).
Hätte R. Kautzsch mit einer im Repert. f. Kunstw. 1899, XXII,
S. 182 ff. geäusserten Ansicht Recht, so wäre uns freilich, wenn
auch nicht eine wirkliche, so doch eine ideelle Rekonstruktion einer
Antike durch Michelangelo bekannt. In seiner Dissertation : Marc-
anton und sein Stil (Leipzig 1898) hatte H. Hirth die Behauptung
aufgestellt, in dem Stiche Raimondis : Mars, Venus und Amor (B. 345)
sei die Figur des Mars nach einer, vermuthlich für den Karton der
Schlacht von Pisa bestimmten Zeichnung Michelangelos gegeben
(Reproduktion bei Kautzsch). Mars , den rechten Ellenbogen auf
das rechte Knie gestützt, sitzt halb nach links gewandt und wendet
sich nach rechts zur stehenden Venus, die er an der rechten Schulter
fasst. Dieses Fassen ist so wenig natürlich, dass man daraus wohl
zu schliessen berechtigt ist, Mars sei nicht für die Komposition ge-
schaffen, sondern in ihr nur verwendet worden. Nun glaubt Kautzsch
in der Haltung der Figur eine so nahe Verwandtschaft mit dem
Torso des Belvedere zu finden, dass er jene vorausgesetzte Zeichnung
Michelangelos als nach diesem angefertigt und ihn rekonstruirend
auffasste. Ja, er ging weiter und vermuthete, in der Zeichnung sei
die Figur vielleicht schon zu einer weiblichen, wenn auch nur
flüchtig skizzirten, die Marcanton dann selbständig ausgestaltet habe,
in Beziehung gesetzt gewesen. Michelangelo habe also den Torso
schon in der Weise interpretirt, wie es auch in der neueren Forschung
(Visconti : Hebe) geschehen sei : nämlich als die eine Gestalt einer
Gruppe, deren andere eine Frau war. Er habe die Antike, die
damals im Besitze der Colonna beim Ouirinal war — erst nach dem
Angebliche Restaurirung antiker Statuen durch Michelangelo 303
Sacco di Roma brachte Clemens VII. sie in das Belvedere — ver-
muthlich schon bei seinem ersten Aufenthalte in Rom kennen ge-
lernt, da die Zeichnung, nach dem Stich zu schliessen, seiner
früheren Schaffenszeit angehöre.
Wohl wissen wir durch Aldovrandi , durch Lomazzo , welcher
sagt: il torso fu da lui continuamento seguitato (Trattato II, 381)
und durch G. B. Paggi, der berichtet, Michelangelo habe sich einen
Schüler des von ihm eifrig studirten Torso genannt (um 1590;
Bottari VI, 90), wie sehr der Meister das antike Werk bewundert
hat, und mit Recht hat man neuerdings in mancher seiner Skulpturen
die Nachwirkung des Eindruckes, den es auf ihn gemacht, be-
stimmter nachzuweisen versucht — jenen Stich aber möchte ich
nicht als einen weiteren Beleg hierfür gelten lassen. Denn halte
ich es auch mit Hirth für wahrscheinlich, dass Marcantonio eine
Zeichnung Michelangelos in der Art der Studien für den Karton
vorlag, so kann ich doch nicht glauben, dass in ihr eine Rekon-
struktion des Torso zu erkennen ist. Ein Anklang an denselben,
das gebe ich zu, ist zu gewahren, aber die Drehung des Oberkörpers
ist eine stärkere , die mehr geschlossene Stellung der Beine eine
andere, als in der Antike, und es fällt mir schwer anzunehmen,
dass Michelangelo den rechten Arm so, mit dem Ellenbogen auf
das Knie gestützt, ergänzt haben sollte. Man vergleiche für die
gespreizte Beinstellung die älteste Reproduktion des Herkules in
einem dem Giovanni Antonio da Brescia zugeschriebenen Stiche
(Bd. XIII, p. 100, n. 5), von dem Paul Kristeller im Archivio storico
deir Arte (1891, V. S. 476 ff.) gehandelt hat. Hier sehen wir die
Statue noch in besser erhaltenem Zustande mit den Beinen , die
vermuthlich erst in den Kriegsjahren des Sacco di Roma und
der Revolte der Colonna gegen den Papst abgeschlagen wor-
den sind.
Dass eine früher Michelangelo zugeschriebene Zeichnung nach
dem Torso in Oxford (Nr. 66) nicht von ihm herrührt, ist heute
die wohl einstimmige Ansicht aller Forscher.
Gelegentlich der Betonung der Belehrung, welche der Künstler
von dem Werke des Apollonius empfing, möchte ich auf einen Aus-
spruch Canovas aufmerksam machen, welcher, in einem Briefe an
Cicognara enthalten, lautet : Michelangelo habe mehr, als vom Torso,
von der Gruppe des Herkules mit Antäus im Cortile des Palazzo Pitti
gelernt (Bottari VIII, 205). Dieselbe befand sich früher im Belvedere
des Vatikan, wo sie von Julius IL, zusammen mit dem Apollo, dem
Laokoon, dem sogenannten Tigris und der Klcopatra-Ariadne auf-
gestellt worden ist. Auch sie soll , nach einer unbestimmten Tra-
dition, von Michelangelo restaurirt worden sein. (Abb. Maffel :
Raccolta Taf. XLIII. Soldini : R. Giardino di Boboli Taf. II. Vgl.
304 Statuen und Entwürfe zu solchen
Michaelis: Jahrb. d. archäol. Institutes 1890, V und oben II, S. 293 ff.
den Exivurs über die Entwürfe zu Herkules mit Antäus.)
Auf eine Beeinflussung des Meisters durch antike Malereien
deutet eine Behauptung Francesco Albanis hin. Was an ihr ist,
lässt sich nicht mehr feststellen. Dieser sagt : ,,auch der grosse
Michelangelo — dies ist die Wahrheit — wurde von gewissen grossen
Figuren inspirirt, die man zu seiner Zeit noch in einem gewissen
grossen Thurm gemalt sah. Heute sind sie von der Zeit verzehrt
und ich, der sie in meinen Tagen noch gesehen, kann dies be-
zeugen". (Malvasia: Felsina pitt. II, 167.)
Von den vergeblichen Versuchen des Meisters, die von Ascanio
Colonna dem Papst Julius III. geschenkte grosse Porphyrschale zu
restauriren — erst Francesco del Tadda entdeckte das Geheimniss,
den Porphyr zu behandeln — , erzählt Vasari (I, 114).
An dieser Stelle mögen auch noch einige glaubwürdig be-
zeugte Urtheile Michelangelos über antike Werke ihren Platz finden.
1. Das bekannte über den Laokoon. Als die Gruppe im
Frühjahr l 506 entdeckt worden war, gehörte Michelangelo, der
in Begleitung Giuliano da San Gallos hineilte, zu den Ersten,
die sie sahen und anstaunten. (C. Fea: Miscell. filologica etc.
Rom 1790. I, 329.) Plinius behauptet, sie wäre aus einem Stück
gemacht, aber Gian Cristoforo Romano und Michelangelo,
,, welche die ersten Bildhauer Roms sind, leugnen dies und
weisen etwa vier Fugen nach , doch sind diese an so ver-
borgener Stelle und so gut verkittet und ausgefüllt, dass sie,
ausser von sehr in dieser Kunst erfahrenen Personen, nur
schwer erkannt werden können Daher habe Plinius, sagen
sie, sich geirrt, oder habe Andere täuschen wollen, um das
Werk noch bewundernswürdiger zu machen." (Brief des Ce-
sare Trivulzio an Pomponio Trivulzio. Bottari III, 475.'*
2. Über die Rossebändiger von Montecavallo. ,, Michel-
angelo hat sie gemessen und gefunden, dass ihre Köpfe um so
viel grösser sind, als sie, von unten in solcher Höhe gesehen,
verlieren; und so käme es, dass sie dem Auge durchaus ver-
hältnissmässig erscheinen." (Lomazzo : Trattato I, 45.)
3. Über die Reiterstatue des Mark Aurel. Der Gesandte
des Herzogs Francesco Maria von Urbino, della Porta, erzählt
in einem Schreiben an Diesen, wie Paul III. gegen den Wunsch
der Canonici und des Kardinals von Trani, unter dem Vorwand,
die Römer wollten es, die Statue von S. Giovanni in Laterano
nach dem Kapitol habe bringen lassen. Er, Porta, habe sich
darum bemüht, dass ausser dem Namen Pauls III. auch der
Sistus' IV., der sich auf dem alten Postament befand, auf dem
neuen angebracht werde, doch befürchtet er, dass es nicht
Unausgeführte Aufträge 305
geschehen werde. „Michelangelo hat, wie er mir sagt, sehr
dagegen gekämpft, dass das Reiterbildniss vom alten Stand-
ort weggebracht würde , da es ihm schien , es stünde besser
dort, und dass der Papst, wenn er ihm nicht so sehr davon
abgeredet hätte , auch die beiden Rossebändiger mit ihren
Pferden vom Montecavallo entführt hätte." (1538. G.Gronau:
Jahrb. d. k. pr. Kunsts. XXVII, Beiheft S. 9.)
4. Über die Aufstellung des Farnesischen Stieres.
,, Michelangelo gab den Rath, die Gruppe in den zweiten Hof
des Palazzo Farnese zu bringen und dort in der Weise zu
restauriren, dass sie entsprechend ihrer alten Bestimmung (als
Fontäne) Wasser ausströmen lasse." (Vasari VII, 224.)
5. Über das Pantheon. Viele Künstler und in Sonderheit
Michelangelo sind der Meinung gewesen, dass die Rotonda von
drei Architekten erbaut worden sei. Der erste habe sie bis
zum Gesims über den Säulen emporgeführt; der zweite vom
Gesims an, wo jene Fenster von anmuthigcrer Bildung sind;
der dritte habe den Portikus errichtet. (Vasari : Leben des
Andrea Sansovino IV, 512.)
6. Über das Kolosseum. ,,Man liest, dass der Kardinal
Farnese eines Tages beim Kolosseum dem Meister begegnete.
Er frug ihn, wohin er bei solchem Schnee ginge, und Jener
antwortete : ich gehe noch in die Schule , um zu lernen."
(Lomazzo : Idea del tempio, Bologna 1785, S. 100.)
XV
Unausgeführte Aufträge
1. Auftrag auf eine Madonna (vermuthlich eine Statue)
seitens des Kardinals Fiesco 1522.
Auf einen solchen deuten folgende Zeilen im Briefe Leonardo
Sellajos an Michelangelo, 23. Mai 1522 hin:
,,Metello e stato chol chardinale di fiescho (Niccolo) e vuole,
io gli vada a parlarc per fare quella Nostra Donna ; c per sapere
lanimo vostro del prego e del tcmpo, v'o schritte prima gli parllj.
Vorei, piu presto posete voi mi rispondessi, a chausa possa fermare
overo dirgli, voi non posete." (Frey: Briefe S, 192.)
2. Auftrag auf den Koloss für die Piazza di S. Lo-
renzo seitens Clemens' VII.
Am 14. Oktober 1525 theilt Fattucci des Papstes Wunsch dem
Künstlers mit :
,,Et piu mi disse che volcva, che si facesse uno colosso , alto
quanto sono e mcrli della casa sua, cioe metterla in sul canto dirim-
1* 20
3o6 Statuen und Entwürfe zu solchen: Unausgeführte Aufträge
petto a messere Luigi della Stufa et al incontro del barbiere ; et
per essere si grande , vole , si facia di pezi. Et vi dico , come
dämme, che c' sarebbe da pensarvi et fare venire il marmo senza
dire niente." (Frey: Briefe S. 261.)
Michelangelo antwortet auf diese absurde Zumuthung nicht,
worüber der Papst sich wundert (ebenda 262). Am 10. November
berichtet Fattucci wieder von einem Gespräch mit dem Papst, der
gesagt :
,,Voglio che e' pensi al colosso , che io voglio fare in sulla
piazza di S. Lorenzo, come ti dissi ; et dissemi che io velo scrivessi,
et vole, che sia tanto grande, che egli avanzi e merli di casa sua
o almanco al pari. Et vorrebbe, se e' vi paressi, che e' volgessi le
rene alla casa di messer Luigi della Stufa et il viso volgessi alla casa
sua; et perche gli pare cosa grande, dice, Io facciate di pezzi, "(S. 266)
Michelangelo schweigt wieder, und der Papst ist erstaunt
(S. 268). In der That hatte der Meister schon im Oktober jenen
ironisch humoristischen , nicht abgesandten Brief vcrfasst , den ich
im I. Bande meines Werkes S. 170 mitgetheilt und in dem er vor-
schlug, unten in der Statue einen Laden, im Kopfe aber einen
Taubenschlag oder eine Glockenstube anzubringen.
Auf das Drängen hin bemerkt er am 2. Dezember, der Koloss
sei doch nur ein Scherz, worauf Pier Polo Marzi am 23. erwidert:
,,dice N. S. vi facci intendere, che gli e la veritä e non burla, et
desidera, si facci se '1 ci sara tempo et per Sua Santita et per voi
ad possere dare la perfectione al tucto" (S. 271).
Später verlautet Nichts mehr über die Angelegenheit.
3. Auftrag auf eine Statue Andrea Dorias seitens
des Senates von Genua 1523.
Über ihn berichten Notizen (im Archive Buonarroti) von dem
jüngeren Michelangelo Buonarroti. Der Senat habe 300 Dukaten
für die Statue bestimmt und Girolamo Doria, der sich in Rom
aufhielt, mit den Verhandlungen beauftragt. Hiervon sei die Rede
in einem Briefe dieses Doria an Luigi Alamanni vom 17. November
1527, den der jüngere Michelangelo gesehen (Gotti I, 177)-
4. Auftrag auf eine Büste Cosimo Medicis 1544.
Dass er einen solchen erhalten , geht aus einem Briefe an
seinen Neffen Lionardo vom 29. März 1 544 hervor :
,,A messer Giovan PVancesco ö risposto circa la testa del duca
che io non vi posso attendere, come e vero che io non possa per
le noje che ö, ma piü per la vechiezza, perche non veggo lume."
(Lett. S. 173.)
XI
GEMÄLDE, ZEICHNUNGEN UND
ENTWÜRFE
MYTHOLOGISCHEN, ALLEGORISCHEN
UND PROFANEN INHALTES
I
Die Porträts der Söhne Urbinos
Die liebevolle Sorge, welche Michelangelo für seine Mündel, die
zwei Söhne seines getreuen Francesco Urbino : Michelangiolo
und Giovanfrancesco nach Dessen Tode 1555 getragen hat, ist uns
aus den Briefen der Witwe Urbinos, Cornelia Colonelli , die 1556
nach Casteldurante gezogen war, wohl bekannt. (Neunundzwanzig
Briefe; vgl. Frey: Briefe S. 351 ff., 360 ff. , 372 ff. , 384 ff.) Im
Jahre 1557 nun hat sich der Herzog Guidobaldo von Urbino von
Cornelia zwei Gemälde , die Francesco hinterlassen hatte , erbeten.
Dies erfahren wir aus zwei Briefen des Herzogs, welche Prof. Egidio
Calzini in Ascoli Piceno „per le Nozze Bianchi-Fonti" (26. April
1902) aus dem Kommunalarchiv in Urbino veröffentlicht hat. Sie
sind an den Commissario di Massa gerichtet und lauten :
,,Commissario. Mandiamo Ippolito nostro Portiero presente La-
tore, perche insieme con voi facci opera con la Cornelia giä moglie
di Francesco allevato di Michelangelo Bonarota, il quäle Francesco
fu figliolo di Guido di Colonello di Castel Durante, che si contenti
mandarmi li due quadri, che gli lasciö suo Marito, acciö li potiamo
vedere , assicurandola che se gli restituiranno , come a Lei pia-
cerä, talche non se gli farä violenza alcuna, che perö mandi uno
suo con essi , il quäle venghi in compagnia di esso Ipolito con li
detti quadri, e li porti in modo che non si guastino in modo alcuno,
e voi opratevi tanto, ch' ella ne H mandi si che li potiamo solamente
vedere, e State sano. — Di Pesaro il XII di Novembre MDLVII."
Der andere :
,, Commissario. Direte a quella Donna Cornelia che li quadri
ne sono piacuti, perche in vero ne sono bellissimi, e che di Lei siamo
molto satisfatti , havendo rispetto ?lla cortesia ch' ella ne ha fatta
di essi, che ne sono carissimi ; aggiungendogli che saremo sempre
pronti ad ogni benefitio suo, e delli suoi figlioli. E vogliamo che
voi nella sua lite usiate secondo la giustizia. E perche abbiamo da
3IO Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
parlare con voi verrete qui e State sano. — Di Pesaro il di XVIII
di Novembre del MDLVII."
Nähere Angaben über die beiden Bilder, ausser dass sie „sehr
schön" seien, sind in diesen Briefen nicht gemacht. Der Maler wird
nicht genannt.
In einer Notiz über die Calzini'sche Publikation in der Kunst-
chronik (1903. N. F. XIV, 326) bemerkt E. Steinmann: „Leider
war Calzini nicht bekannt, dass auch im schwer zugänglichen Archivio
Buonarroti ein Dokument über diese Gemälde erhalten ist, welche
die beiden Söhne Urbinos darstellten, von Michelangelo gemalt
wurden und endlich für hundert Golddukaten in den Besitz des
Herzogs von Urbino übergingen. Hoffentlich giebt die werthvolle
Publikation Calzinis den Anstoss zur Veröffentlichung des wichtigen
Dokumentes, das uns noch immer ungebührlicher Weise vorent-
halten wird."
Da es bis jetzt nicht bekannt gemacht worden ist, lässt sich
über die merkwürdige Thatsache nichts Weiteres sagen. Handelt
es sich wirklich um Bilder von Michelangelos Hand, der doch sonst
niemals Porträts geschaffen? Giovanfrancesco ist erst nach dem
Tode Urbinos geboren worden, also muss er als ganz kleines Kind
dargestellt gewesen sein ! Und waren diese von Guidobaldo er-
worbenen Gemälde Werke des Meisters, wie erklärt es sich, dass
wir gar keine sonstige Nachricht über sie besitzen.?
n
Das Porträt Cavalieris
,, Ritrasse Michelagnolo messer Tommaso in un cartone, grande
di naturale, che ne prima ne poi di nessuno fece il ritratto, perche
aboriva il fare somigliare il vivo, se non era d'infinita bellezza."
So berichtet Vasari. (VII, 27 1 .) In einer Randnotiz in der Vasari-
ausgabe von 1 568 in der Corsiniana (29 E 6), deren Angabe Bottari
in seiner Vasariausgabe von 1760 kurz wiedergegeben hat, ist zu
lesen: ,,Questo disegno e in mano del Cardinal Farnese che ha
tutti i disegni di detto messer Tommaso comperi per prezzo di
scudi 500 — e r ho visto insieme con il signor Lodovico CigoH e '1
signor Piero Abati e stupimmo ä vedere la diligentia usata da
Michelagnolo nel ritratto di detto Messer Tommaso fatto di matita
nera e tratteggiato divinamente , che pare di mano d' un Angelo,
con quei begli occhi, e bocca e naso, vestito all' antica, e in mano
tiene un ritratto o medaglia, che si sia; sbarbato e in somma da
spaurire ogni gagliardo ingegno. Vedemmo anco altri disegni comc
sopra." (Steinmann-Pogatscher : Rep. f. Kunstw. 1906, XXIX, S. 506.)
Die Leda 31 1
Dass dieser Karton sich nicht erhalten hat, ist nicht genug zu
beklagen. An anderer Stelle (II, S. 56) sprach ich zögernd die Ver-
muthung aus, Michelangelo habe das Porträt vielleicht für den einen
Apostel (Thomas?) im Jüngsten Gericht verwerthet.
III
Die Leda
Geschichtliches.
Die erste Begegnung Michelangelos mit Alfonso I., Herzog von
Ferrara, fällt in das Jahr 15 12. Am 4. Juli kam Alfonso nach
Rom, wo er bis zum 19. verweilte. An einem der Tage seines
Aufenthaltes besuchte er den Meister in der Sixtinischen Kapelle.
Grossino berichtet darüber an Isabella d'Este Folgendes. (Alessandro
Luzio: Federigo Gonzaga ostaggio alla corte di Giulio II in: Archivio
della R. Societä Romana di storia patria 1886. vol. IX, 540. Stein-
mann, Sixt. Kapelle II, 729.)
,, Seine Exellenz wünschte sehr die Decke der grossen
Kapelle zu sehen, die von Michelangelo ausgemalt wird, und Herr
Federico erreichte es durch Vermittlung Mondovis, dass man im Auf-
trage des Papstes den Meister um Erlaubniss bat. Mit mehreren
Personen stieg der Herzog zum Gewölbe hinauf; nach und nach
stieg ein Begleiter nach dem anderen wieder hinab, und der Herzog
blieb mit Michelangelo allein und konnte sich an jenen Figuren
nicht satt sehen und bewies ihm grosse Liebenswürdigkeiten,
sprach auch seinen Wunsch , er möge ihm ein Gemälde machen,
aus, machte ihn reden und bot ihm Geld an, und Michelangelo hat
versprochen, es ihm zu machen."
Welchen Vorwurf dieses Gemälde behandeln sollte, erfahren
wir nicht. Jedenfalls wurde es nicht ausgeführt. Als Michelangelo
im Herbst 1529 in Ferrara sich aufhielt, wiederholte Alfonso seinen
Wunsch und gab ihm den Auftrag auf eine Leda, mit deren Aus-
führung sich der Künstler während seiner Thätigkeit als Festungs-
baumeister beschäftigte. Als das Bild fertig war, gab er durch
Guarini, früheren Gesandten in Florenz, dem Herzog Nachricht.
Dieser sendet am 22. Oktober 1530 einen Jacopo Laschi, gen. il
Pisanello, nach Florenz, das Werk abzuholen, mit folgendem, aus
Venedig an Michelangelo gerichteten Brief:
„Theuerster Freund. — Messer Alessandro Guarini, früher mein
Gesandter in Florenz, hat mich wissen lassen, was Ihr ihm bezüg-
lich des für mich angefertigten Bildes sagen liesset, und ich habe
mich sehr darüber gefreut. Und da ich schon so lange Zeit, wie
ich Euch mündlich gesagt, den Wunsch gehegt, eines Eurer Werke
312 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
in meinem Hause zu haben, dünkt mich, bis ich dieses sehen kann,
jede Stunde ein Jahr. Und so sende ich vorsätzHch den Über-
bringer dieses, meinen Diener, genannt den Pisanello , und bitte
Euch, es durch ihn mir zu senden und ihm Rath und Weisung zu
ertheilen, wie es sicher transportirt werden kann. Und nehmt
keinen Anstoss daran, dass ich Euch heute durch den Boten noch
nicht die Bezahlung sende, denn ich habe weder von Euch gehört,
was Ihr verlangt, noch kann ich den Werth selbst beurtheilen, da
ich es noch nicht gesehen. Wohl aber verspreche ich Euch, dass
Ihr die Mühe, die Ihr mir zur Liebe auf Euch genommen, nicht
verloren habt und Ihr würdet mir die grösste Freude machen,
wolltet Ihr mir schreiben, wie viel Ihr wünscht, dass ich Euch
sende, denn ich bin Eures Urtheiles bei der Abschätzung viel
sicherer, als des meinigen. Und ich versichere Euch, dass ich, ganz
abgesehen von der Bezahlung Eurer Arbeit , immer den Wunsch
haben werde. Euch Freude und Annehmlichkeit zu bereiten, sowie
es nach meiner Meinung Euer hoher Werth und Eure seltene
Begabung verdient, und inzwischen und allezeit biete ich mich
von Herzen Euch in Allem an, was ich Euch Willkommenes zu
thun im Stande bin." (Campori : Atti e Mem. della Dep. di storia
patria dell' Emilia 1881. N. S. VI, p. I.)
Wie die Ungeschicklichkeit des Abgesandten, Michelangelos
Stolz empörend, Diesen veranlasste, das Gemälde, statt es dem
Herzog zu senden, später seinem Schüler Antonio Mini zu schenken,
ist bekannt (s. meinen I. Band S. 112). Dies geschah im Herbst
1531. Zugleich mit dem Bilde erhielt, für welche Vorgänge
Clemens VII. sich interessirte (Frey: Briefe 313), Mini auch den
Karton zu demselben. Beide wurden dem, mit grossen Hoffnungen
auf den König nach Frankreich Reisenden, der sich in Gesellschaft
eines jungen Malers Benedetto del Bene befand , nach Lyon nach-
geschickt. Am 23. Dezember schreibt Antonio seinem Meister von
dort, dass er, von Francesco Tedaldi freundlich aufgenommen, in
Lyon bleiben werde , bis die Leda eingetroffen sei , die er dem
König zu verkaufen gedenkt. An diesem Gedanken hält er fest,
obgleich auch in Lyon ihm Anerbietungen gemacht werden. Am
II. Januar 1532 ist die Tafel, die per Schiff gesandt wird, noch
nicht eingetroffen. Dann aber am 9. März theilt er Michelangelo
mit, dass er den Auftrag hat, nach dem Karton drei Gemälde der
Leda anzufertigen (Frey: Briefe 315 ff.). Über eine Kopie, die
Benedetto del Bene gemacht hat, haben wir bestimmte Nachrichten.
(Tedaldis Brief vom 11. Februar 1532 bei Gotti I, 202 und dann
seinen Ricordo ebendaselbst S. 201.) Im Sommer 1532 begab er
sich mit dem Original und der Kopie nach Paris , wo er zweimal
je zwei Monate sich aufhielt (bis März 1533), seine Hoffnungen aber
Die Leda " ^ I ^
enttäuscht sah, da der König sich nicht dort befand. Bevor er im
März 1533 nach Lyon zurückkehrte, deponirte er die Bilder bei
einem GiuHano Bonaccorsi , der ihn um dieselben betrogen hat.
Vergeblich suchte er, im Mai wieder nach Paris gehend, sein Recht,
und ist Ende 1533, durch diese und andere Enttäuschungen ge-
brochen , gestorben.
Auf welche Art Antonio um seinen Besitz gekommen, sagt
uns ausführlich ein am l. Juli 1540 in Lyon geschriebener Ricordo
Tedaldis, welch' letzterer durch Darlehen an Mini zum Mitbesitzer
des Michelangelo'schen Gemäldes (der Hälfte des Werthes) geworden
war (Gotti I, 201). Er lautet:
,,Ich erinnere mich, wie im August oder besser in der Mitte
des Jahres 1532 Antonio Mini, auf seiner Heimkehr von Nantes in
der Bretagne, nach Paris in das Haus des Giuliano Bonaccorsi ein
Gemälde mit der Darstellung der Leda von der Hand Michelangelos,
an dem ich halben Antheil hatte, brachte : auch brachte er aus ge-
nanntem Orte ein anderes, das er hier in Lyon von einem seiner
Gehülfen, Namens Bettino del Bcne, als Kopie ausführen Hess; und
er brachte sie in das Haus des Giuliano, als seines Freundes. Dann,
etwa ein Jahr später, wollte Mini die beiden Ledabilder fortnehmen,
oder besser gesagt, .sie dem Hause jenes Bonaccorsi entführen, um
ein Geschäft damit zu machen. Bonaccorsi aber wollte sie ihm
nicht geben und behauptete. Nichts von ihm erhalten zu haben;
jene Leden hätte ihm auf Wunsch des Königs Luigi Alamanni ins
Haus gebracht. Hiergegen erhob Mini am 6. August 1533 Protest
und forderte die Herausgabe der beiden Leden, Klage auf allen
Schaden und alle hieraus entstehenden Kosten erhebend. Giuliano
antwortete hierauf vor zwei Notaren, wie ich gesagt : nämlich dass
er Nichts von Mini erhalten, und Messer Luigi Alemanni auf Wunsch
des Königs die beiden Leden in sein Haus hätte bringen lassen.
Das war eine Lüge; denn nach dem Tode Antonio Minis erhielt
ich einen Brief, den besagter Messer Luigi am 26. Januar 1534 an
Giuliano gerichtet hat und in dem er sagt, nicht er, sondern Mini
habe die Leden in sein Haus gebracht, wie Mini im Protest es ge-
sagt. Diesen Brief habe ich absichtlich von Messer Luigi schreiben
lassen, um zu beweisen, dass Jener falsch ausgesagt. Den Protest,
von zwei Notaren ausgefertigt , sandte ich zusammen mit Luigis
Brief am .... nach Florenz an Giov. ßattista Mini, Antonios Onkel,
um den Versuch zu machen, ob man von dort aus zu seinem Eigen-
thum gelangen könne ; den Empfang bestätigte mir ein Brief Gio-
van Battistas vom 23. Februar 1539. Und da ich den halben An-
theil an der Leda Michelangelos behaupte, habe- ich diesen Ricordo
gemacht, damit mein Erbe, falls ich ihn nicht selber früher geltend
gemacht, ihn geltend mache, wenn er in Florenz, wo man summa-
214 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
risch Gerechtigkeit übt, zu seinem Eigenthum gelangen kann ; denn
hier (in Lyon) würde man damit in hundert Jahren nicht zum Ziele
kommen. Diese Leda, oder besser gesagt der halbe Antheil an ihr,
kostete mich zuerst, als ich ihn meinem Bruder Papi Tedaldi ab-
kaufte, 140 Golddukaten, wie meine Bücher ausweisen. Dann aber
sind soviel Kosten dazu gekommen, dass sie bis Nantes tür meinen
Theil 210 Dukaten machen" u. s. w. Er giebt weiter den Werth des
Bildes auf 1000 Dukaten an und schliesst den Ricordo : ,, Viele
sagen, Bonaccorsi habe das Gemälde dem König zum Geschenk ge-
macht und er habe eine grosse Belohnung hierfür empfangen ; man
sagt: ein Sekretariat, das 2000 Dukaten, nach Anderen noch viel
mehr, werth sei."
Für die Folgen der Handelsspekulationen, die mit seinem Werke
getrieben worden sind, sich zu interessiren, ist Michelangelo selbst
zugemuthet worden. Giovan Battista Mini hat ihn , wie aus einem
Briefe Ruberto Nasis an den Meister vom i. Juli 5536 hervorgeht
(Frey : Briefe 340) , belästigt , indem er für sich und die Erben
Antonios den halben Antheil an der Leda, falls der Prozess ge-
wonnen wird, erstrebte.
Das Gemälde kam nach Fontainebleau und blieb dort bis zur
Zeit Ludwigs XIII. Nach Roger de Piles (Abrege de la vie des
peintres, 1699, p. 221) hätte es der Minister Desnoyers wegen der
Laszivität aus Gewissensgründen verbrennen lassen. Dies wäre also
vor dem lo. April 1643, an welchem Tage Desnoyers den Hof des
Königs verliess, geschehen. Florent de Comte (Cabinet des singu-
laritez, 1702, II, p. 29) wiederholt diese Angabe. In einer Rand-
bemerkung zu einem ,,Inventaire des tableaux et dessins du Roy" von
Honasse 1691 heisst es: die Königin Mutter habe das Bild verbrennen
lassen (Fernand Engerand : Chronique des arts 1898, i. Okt.). Ma-
riette (Observ. 74) sagt: ,, nachdem das Bild sehr ruinirt worden, sagt
man, hätte der Minister Befehl gegeben, es zu verbrennen, dieser
sei aber nicht ausgeführt worden". In einem sehr zerstörten Lein-
wandbilde, das er in Paris sah und das dann, durch einen mittel-
mässigen Maler restaurirt , nach England verkauft wurde , glaubte
Mariette das Original zu erkennen.
Der Karton zur Leda kam mit anderen Zeichnungen aus dem
Besitze Minis nach Florenz zurück, wo er von Bernardo Vecchietti
erworben und in seiner Villa aufbewahrt wurde (Vasari. Borghini :
Riposo, 1584, S. 13). Noch zu Goris Zeiten gehörte er der Familie
Vecchietti (Not. stör. 1 1 1 ; Fanfari 99). Bald darauf, in den Tagen
Bottaris, ward er von einem Mr. Lock (WiUiara Locke) gekauft
und nach London (vgl. Stendhal : Peint. en Italic, Paris, Calman Levi
S- 350) gebracht, wo man ihn heute in der Royal Academy wieder-
zuerkennen glaubt. — Zu beachten aber ist, dass Ende des
Die Leda 315
XVII. Jahrhunderts in den Inventaren der Sammlung des Königs von
Frankreich (von Le Brun 1683 und von Honasse 1691, vgl. Chronique
des arts 1898, i. Okt.) ein Karton der Leda von Michelangelo,
sechs Fuss neun Zoll lang, mit schwarzer Kreide auf weisses Papier
gezeichnet, erwähnt wird.
2. Das Gemälde. Zeichnungen zmd Kopien.
Die Fragen, um die es sich handelt, sind diese : ist der Original-
karton, ist das Gemälde Michelangelos erhalten.?
Vernehmen wir zunächst, was die alten Zeugnisse berichten.
Vasari in der I. Auflage der Vite sagt: ,,una Leda in tavola,
lavorata a tempera, che era divina." Condivi : ,,principiö un quadrone
da sala, rappresentando il concubito del Cygno con Leda et appresso
il parto del uova , di che nacquer Castore e Polluce , secondo che
nella favola delli antichi scritto si legge". Diese Angabe übernimmt
Vasari 1 568 , der auch die Geschichte vom Gesandten Alfonsos
Condivi nacherzählt: ,,la Leda che abbraccio il Cigno, et Castore et
Polluce, che uscivano dell' uovo, in certo quadron grande dipinto a
tempera col fiato" — ebenso Varchi.
Von Vasari erfahren wir weiter, dass Enea Vico die Leda
Michelangelos gestochen (V, 427) und dass er selbst, Vasari, nach
dem Karton ein Gemälde für Ottaviano de' Medici (zugleich mit dem
der Venus) ausgeführt habe (VII, 669). In einem Briefe vom 20. Juli
1541 an Francesco Leoni , der sich in Venedig befand, spricht er
von seiner Absicht, in der nächsten Woche die zwei Bilder der Leda
und der Venus ihm zu senden. Offenbar sind dies die beiden Rir
Ottaviano angefertigten Bilder ; es könnte sich aber auch um Wieder-
holungen handeln (VIII, 283). Anstatt sie zu senden, hat er sie dann
selbst nach Venedig, wo er sich 1 542 aufhielt, gebracht und sie an
Don Diego de Mendoza für 200 Goldskudi verkauft (VII, 670, wo
wieder erwähnt wird, dass sie nach Michelangelos Karton angefertigt
waren).
Wir erfahren also von zwei oder drei gemalten Kopien der
Leda : eine oder zwei von Vasari, eine vor Benedetto del Bene, und
von dem Stich Enea Vicos. Die Benedetto'sche Kopie kam nach
Paris, die eine von Vasari höchst wahrscheinlicher Weise durch
Mendoza nach Spanien. Vielleicht ist sie später nach Italien zurück-
gekehrt , denn in einem Verzeichniss der ,,quadri mandati dalla
Spagna a Parma arrivati 22. Aprile 1722" (Le Gallerie nazionali 1902,
V, 289), finde ich unter Nr. i, freilich wie bei allen diesen Bildern
ohne Angabe des Malers : ,,una tavola grande che rappresenta la
favola di Leda con Giove trasformato in Cigno."
Zu bemerken ist, dass auch Annibale Caro , der Vasari 1548
um ein Gemälde bat, Diesem vorschlug, falls er ihm nicht Venus
3l6 ]\Iythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
und Adonis malen wolle, die Leda zu wählen : ,,se non voleste far
piü di una figura : la Leda, e spezialmentc quella di Michel Angelo
mi diletta oltre modo" (Lett. Padua, 1763, I, S. 300). Es ist aber
bei der ersten Idee : Venus und Adonis geblieben.
Nach Condivis Angabe zeigte das Gemälde neben der Haupt-
gruppe die Geburt der Dioskuren aus dem Ei. Man brauchte hierauf
kein entscheidendes Gewicht zu legen, wiederholte Vasari diese
Aussage nicht, er, der, wenn auch nicht das Bild, so doch den
Karton kannte, ja kopirt hat! Wäre Condivi im Irrthume gewesen,
würde Vasari ihn doch korrigirt haben — diese Annahme ist die
zunächst naheliegende.
Wir gehen nunmehr zu der Betrachtung der erhaltenen Leda-
darstellungen , die in Beziehung zu Michelangelos Werk stehen,
über. Und hier habe ich an erster Stelle zwei bisher nicht beachtete,
unzweifelhaft ächte Zeichnungen des Meisters anzuführen.
A. Originalstudien zur Leda.
I. Paris, Louvre Nr. 775. Kleine Rötheistudie. Thode 479. Im
Wesentlichen entspricht die Darstellung den später zu be-
sprechenden Gemäldekopien. Abweichend ist die Haltung
des vorderen linken Armes, der, etwas im Ellenbogen ge-
krümmt, sich mit der Hand auf den Boden aufstützt. Die
Haltung des Kopfes, an dem schon ein diademartiger Kopf-
putz angedeutet ist, ist fast aufrecht, das linke Bein noch
nicht so stark in die Höhe gezogen und nach hinten gedreht :
die Lage ist gestreckter. Die Stellung des Schwanes ist noch
nicht ganz fixirt, der hintere Flügel noch nicht erhoben, son-
dern an seiner Stelle sieht man den gekrümmten Körper des
Vogels. Auch liegt dessen Hals noch nicht fest an der Frauen-
brust, sondern hebt sich über dieselbe in einem sanften Bogen.
Im Rücken der Leda ist das Gewand kissenartig emporge-
zogen.
II. Paris, Louvre 815. Thode 500. Röthel. Eine grossartige
Skizze, die sich den Gemäldekopien schon sehr nähert, denn
die Haltung des Kopfes, der Beine und auch des linken Armes
entspricht ihnen ganz. Das Gewand im Rücken wirkt hier
ballenartig. An Stelle des Diadems trägt der Kopf ein
Tuch. Die Stellung des Schwanes ist noch nicht die defini-
tive, auch hier sind die Flügel nicht ausgespannt, was Hnks
eine Leere in der Komposition zur Folge hat.
Auf beiden Zeichnungen fehlt jede Andeutung der Dioskuren.
Sie bereiten unmittelbar die definitive Komposition vor. Ganz an-
derer Art ist
Die Leda 3 17
in. Florenz, Uffizien 1476, 18737. Thode 226. Jacobsen und
Ferri Taf. XV. Letztere sehen mit Recht in dieser Studie
einen ersten, dann aufgegebenen Gedanken zum Gemälde.
Leda liegt in üppigster Stellung mit dem Oberkörper auf dem
Schwan, der von hinten den Kopf über sie erhebt und sie in
die Brust beisst. Ihr Kopf und ihr rechter Arm sinkt herab,
das eine Bein ist über das andere geschlagen (hier ist ein Pen-
timento).
Wenn Jacobsen und Ferri auch in einer kleinen, undeutlichen
Skizze auf dem Blatte in den Uffizien (140, 613), welches ein erster
Entwurf zum Karton von Pisa ist, eine Leda erkennen wollen, kann
ich ihnen nicht Recht geben : es ist ohne Zweifel eine sitzende
Figur, die auf ihrem rechten Beine ein stehendes, sie umhalsendes
Kind hält. (S. oben I, S. 100.)
B. Kartons.
IV. Der Karton in der Royal Academy in London. Thode 553.
Die sehr grossen Verhältnisse entsprechen dem Condivi'schen
Ausdruck : quadrone. Die Komposition der Gruppe entspricht
genau den Gemäldekopien, und zwar zeigt das den ganzen
Hintergrund verkleidende grosse Tuch speziell das Gemälde
in der Nationalgalerie. Daran zu zweifeln, dass dies der bei
Vecchietti befindliche, von Vasari und Borghini als acht be-
zeichnete Karton, den Locke nach England brachte, Hegt kein
Grund vor und ich sehe nicht ein , warum Passavant (Kunst-
reise S. 33) und Waagen (Works of art and artists III, S. 344)
die Ächtheit in Frage stellten. Es ist ein Werk von höchster
Vollendung und grösster Herrlichkeit, von geradezu über-
wältigender Wirkung.
Zu bemerken ist nun aber eine bisher unbeachtete, wichtige
Thatsache. Rosinis Reproduktion dieses Kartons (IL Aufl. V, S. 65)
zeigt links unter dem Schwanenflügel ein schräg liegendes Ei, in
dem ein liegendes Kind angedeutet ist, und dahinter gewahrt man
die zwei sich vorbeugenden und auf das Ei herabschauenden,
knieenden Dioskurenknäblein. Diese Figuren sind heute nicht mehr
zu sehen. Der Karton scheint hier beschnitten worden zu sein.
Ein anderer Karton befand sich, wie oben bereits gesagt, noch
1691 im Cabinet du Roy (F. Engerand in der Chronique des arts,
1898, I. Oktober). Er wird im ,,Inventaire des tableaux" von Le Brun
1683 mit folgenden Worten erwähnt: ,,un dessin de Michelange
representant une Leyda, large de 6 pieds 9 poulccs." Dabei Rand-
bemerkung: veu ä Paris 8 aoust 1690. Und in dem Inventaire von
Honasse 1691 heisst es: un dessin de Michelange representant une
Leyda, lequel dessin est ä la pierre noire sur du papier blanc.
3i8 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Engerand meint, dass auch die Zeichnung auf den Befehl Lud-
wigs XIV. verbrannt worden sein dürfte.
C. Gemälde.
V. London, National Gallery. Nicht ausgestellt. Kleine Abbildung
bei MichaeHs. Die Abbildung bei Knapp S. 163, angeblich
das Londoner Bild wiedergebend, ist nicht eine Reproduktion
desselben, sondern der Dresdner Kopie. Es wurde 1838
vom Herzog von Northumberland der Galerie geschenkt. Es
bheb unbeachtet, bis Sir W. Boxall es 1868 reinigen Hess
(Baron de Triqueti, Gaz. d. b. a., 1869, I, 160). Burton und
Reiset erklärten sich für die Ächtheit (Gaz. d, b. a., 1877,
XV, 246 ff. und Chronique des arts 1877, S. 235), nachdem
der Baron de Triqueti die Vermuthung, es sei von Daniele
da Volterra, aufgestellt. Für die Ächtheit haben sich Michaelis
und Woermann, gegen sie J. P. Richter und Berenson aus-
gesprochen. — Das Bild war arg beschädigt und von einem
Stümper mit Ölfarbe übermalt worden, wobei das rothe Ge-
wand in ein blaues verwandelt wurde. Der Restaurator Pinti
entfernte die Ölschicht, und die alte Tempera kam zum
Vorschein. Nach Burtons Zeugniss hatte Pinti nur am Kopf
einige Kleinigkeiten zu retuschiren begonnen, um dann sofort
von Boxall an der Fortsetzung gehindert zu werden (nach
Michaelis). Meine eigene Untersuchung gab mir die Über-
zeugung, dass auch diese Temperamalerei in früherer Zeit schon
— sowohl der Körper in seiner bläulichen Modellirung, als
das rothe Tuch — übermalt worden ist. Von Ursprüng-
lichem konnte ich kaum noch Etwas gewahren. Und dennoch
ist die Gesamtwirkung noch grossartig. Wie in dem Karton
bildet den Hintergrund ein aufgehängtes Tuch. Die Erschei-
nung des nackten Körpers vor demselben muss dereinst
wundervoll gewesen sein. Auffallender Weise ist auch das
Gemälde links, genau so wie der Karton in der Academy,
verkürzt, und es fehlen die Kinder und das Ei.
Sollen wir annehmen, dass das Gemälde (schon frühzeitig, etwa
durch jenen ersten Restaurator) beschnitten ward , und dem ent-
sprechend dann (in London) auch der Karton } Dass das Bild iden-
tisch ist mit dem, welches Mariette sah, darf mit Sicherheit an-
genommen werden. Es bleibt aber die Frage offen, ob es das
Original oder Benedettos Kopie ist. Es hat zu sehr gelitten , als
dass man ihm selbst die Beantwortung entnehmen könnte. Ein
bestimmtes Urtheil ist unmöglich. Gegen die Originalität spricht
die Thatsache , dass es auf Leinwand gemalt ist , während das
Original ,,una tavola" genannt wird, also aus Holz war. Auch sind
Die Leda
319
Mariettes Aussagen unsicher. Wenn er annimmt, das Original sei
nicht verbrannt worden, so widersprechen dem doch die oben an-
geführten positiven Aussagen. Mariette wusste Nichts davon, dass
sich früher auch eine Kopie, die des del Bene, in Paris befunden
habe. Als ihm jenes zerstörte Exemplar vor Augen kam, dachte
er daher sogleich an das Original und wurde durch den Wunsch,
es wiederzufinden, zu der Annahme verleitet, es sei nicht verbrannt
worden (vgl. auch die Bedenken von Mantz, Gaz. d. b. a, 1876,
XIII, 159.)
Ich meine, man darf nicht daran zweifeln, dass Michelangelos
Werk wirklich der Prüderie zum Opfer gefallen ist, und muss es
für wahrscheinlich halten, dass das Londoner Exemplar die Kopie
von Benedetto del Bene ist, bleibt es auch nicht ausgeschlossen,
dass es sich um eine andere alte Kopie handelt. In den folgenden
Gemälden ist Leda genau wie im Karton und im Londoner Bilde
wiedergegeben.
VI. Berlin, K. Schloss. Dargestellt ist nur die Leda. Ei und
Kinder fehlen.
VII. Venedig, Museo Correr. Stammt aus dem Besitze des
Antiquars Cav. Favenza, bei dem es bis vor einigen Jahren
sich befand. Jacobsen glaubt, die Kopie sei von einem Nach-
ahmer Correggios angefertigt worden. (Rep. f. Kunstw. 1899.
XXir, 28.) Mir scheint vielmehr: von einem Nachahmer des
Andrea del Sarto, vielleicht Pontormo. Die malerischen Quali-
täten sind bedeutender Art. Auch hier fehlen Ei und Kinder.
VIII. Dresden, K. Gemäldegalerie Nr. 71. 1723 aus der
Sammlung Wrzowecz in Prag. Auch hier fehlen die Kinder
und das Ei. Doch ist zu bemerken, dass der Platz für die-
selben vorhanden wäre, das Gemälde hat also die gleiche
unverkürzte Figur wie der Karton in der Rosini'schen Ab-
bildung. Doch sehen wir hier eine Landschaft im Hinter-
grunde, und zwar ist sie unverkennbar niederländischen Cha-
rakters. Der Hübner'sche Katalog sagte: „vielleicht von Rubens
Hand." Hiergegen erklärte sich J. P. Richter, der die Land-
schaft mehr in der Art des Heemskcrk fand und die Annahme,
die Gruppe sei eine Kopie der Michelangelo'schen, zurückwies.
Es wäre nicht glaubhaft, dass der Meister sich selbst kopirt,
nämlich die ,, Nacht" für die Leda benutzt habe. (Z. f b. K.
1877. XII, S. 228.) Woermann sagt: die Landschaft zeigt
die Hand eines Niederländers der ersten Hälfte des XVII.
Jahrhunderts. Es sei, wie auch Bode meine, nicht unmöglich,
dass Rubens selbst der Autor sei, der das Original um 1620
in Fontainebleau könnte kopirt haben. (Rep. XVIII, 405 f.
und Katalog der Dresdener Galerie.)
320 Mythol. und allcgor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Gegen die Autorschaft Rubens' scheint mir freilich die unan-
genehm wirkende Härte in den Tönen des Inkarnates : blaugrünliche
Schatten, kühlgelbliches Licht, rothc Flcischparthieen zu sprechen.
Aber der Kopist gehört jener Zeit und Richtung an.
Was aus einer Kopie geworden ist, die nach der ,, Presse"
(Juni 1853) von einem Herrn J. Baissas aufgefunden worden war,
weiss ich nicht. Sollte sie das Exemplar sein, das später Favenza
in Venezia besass, also Nr. VII.? (Vgl. Zitat bei Jacobsen a. a. O.)
Erhalten sind also : die Kopie des Benedetto del Bene (ver-
muthlich) in London, eine Kopie in der Art des Pontormo, der
übrigens ja, wie wir wissen, einen anderen Karton Michelangelos,
die Venus, kopirt hat, in Venedig, die Kopie eines Niederländers
aus dem Anfang des XVII. Jahrhunderts in Dresden und die Ber-
liner Kopie. Sollte diese letztere die von Vasari ausgeführte sein.-*
Sehr auffallend ist es nun, dass alle vier nicht nur, wie be-
greiflich , in der Gestalt der Leda , sondern auch darin überein-
stimmen, dass das Ei und die Kinder nicht dargestellt sind.
D. Kupferstiche.
IX. Enea Vico. B. XV. p. 294. N. 26. Bez. Aen. V. P. MDXLVI.
Woermann hebt die Verschiedenheiten in der Komposition von
den Gemäldekopien richtig hervor; ,,Ledas Kopf zeigt eine
andere Gestalt und eine andere Haltung; auch fehlen ihm das
Diadem und die Flechten ; Ledas vorderer Arm ist nicht, wie
auf den Gemälden, im Ellenbogen rechtwinkelig zurückgebeugt,
sondern hängt, ebenfalls etwas zurückgebeugt, gerade her-
unter; die Schwingen des Schwanes sind kleiner und nüch-
terner behandelt; vor allen Dingen aber schmiegt sein Hals sich
nicht, wie in den Gemälden, fest an den Leib und die Brust
der Leda an, sondern entfernt sich im Bogen von ihrer Brust;
und nur sein Schnabel berührt, wie auf den Gemälden, zum
Kuss ihre Lippen." Woermann, dem Vasaris bestimmte Aus-
sage über Vico entgangen ist, schlicsst nun aus diesen Ab-
weichungen, dass Enea Vico gar nicht nach Michelangelo,
sondern vermuthlich nach einem antiken Relief gezeichnet
habe. Er drückt sich aber vorsichtig aus : ,,oder nach einer
anderen Zeichnung Michelangelos". Nun : dies letztere ist der
Fall. Vicos Leda stimmt ganz mit dem Entwürfe des Meisters
im Louvre I. Dass er eine solche Zeichnung besessen und ge-
stochen hat, ist nicht befremdlich — wir wissen von mehreren
ähnlichen Fällen. Er scheint geradezu darauf ausgegangen zu
sein, Entwürfe berühmter Werke zu erhalten.
Drei andere Stiche hat Woermann in dem Rep. f. Kunstw. 1885.
VIII, S. 405 ff. bekannt gemacht. Früher erwähnt waren sie nur
Die Leda ^21
von Heinecken (Nachr. von Künstlern und Kunstsachen 1 76^ I, 402)
worden. Alle drei zeigen das Ei und die beiden Knaben, und
zwar, wie ich gleich bemerken muss, in genau derselben Weise,
wie die Rosini'sche Abbildung nach dem Karton.
X, Cornelius Bos. Heinecken la. Die Komposition im Gegen-
sinne zu den Gemälden. Bez. Michael Angelus Inventur und
C. B. (im C noch ein kleines J). Eine Inschrift besagt:
Formosa haec Leda est, cignus fit Juppiter, illam
Comprimit, hoc geminum quis credat parturit Ovum.
Ex illo gemini pollux cum castore fratres
Ex isto erumpens Helena pulcherrima prodit.
Nach J. E. Wessely von Cornelius Bos, welcher Ansicht sich
Woermann angeschlossen hat.
XI. Kopie nach Bos. Heinecken i. Im Sinne der Gemälde.
Bez. Michael Angelus inv. Heinecken hielt das Blatt für das
Original, das der Stecher von X kopirt habe, und meint, es
könne von Marcanton sein. Woermann meint in X das
Original zu erkennen.
XII. Et. Delaunes. Dumesnil 307. Heinecken ib. Im Sinne
der Gemälde. Kleiner und roher, als XI. Bez.S., was Heinecken
auf Etienne Delaunes (Stephanus) deutete. Mit Recht. Das
Blatt wird von Robert Dumesnil in dem Werk Etienne
Delaunes' IX p. 93. Nr. 307 beschrieben. (J. Janitsch: Rep. f.
K. IX, 247. Woermann ebd. S. 360.)
Da XI und XII Kopien sind , hat nur der Stich des Cornelius
von Bos (oder Bosch) beweisende Kraft für die Frage nach dem
Original der Leda, und Woermann hat dieselbe Michaelis gegenüber
geltend gemacht. Bos hat den grössten Theil seines Lebens in
Rom zugebracht, wo er (bis etwa 1571) vornehmlich nach Raphael
und Giulio Romano arbeitete. Ob er auch in Paris gewesen und
dort das Original gesehen, ob er nach dem Karton in Florenz ge-
stochen oder eine Zeichnung nach dem Karton als Vorlage gehabt,
ist nicht zu sagen.
E. Skulpturen.
XIII. BartolommeoAmmanati. Kleine Marmorkopie der Gruppe
im Museo nazionale zu Florenz Nr. 132. Sie kam durch eine
Erbschaft der Vittoria della Rovere an das Mediceische Haus.
Am 22. Januar 1780 wurde sie von Poggio Imperiale in die
Galerie gebracht.
Unter den mir bekannt gewordenen älteren italienischen Pla-
ketten findet sich keine Kopie der Komposition. Zumeist ist Leda
stehend dargestellt, einmal sitzend (Berlin, Beschreib. Taf. LXIII,
%*
322 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Nr. 824). Nur eine liegende kenne ich in einem kleinen Bleiguss
(ebd. Nr. 825), doch ist die Stellung eine andere als bei Michel-
angelo. Die von Molinier Nr. 587 in der Coli. Dreifuss erwähnte blieb
mir unbekannt. Zu bemerken ist, dass in den meisten Plaketten
die Dioskurenknaben dargestellt sind. So auch in einer Plakette
des Giov. Bernardi da Castelbolognese im Museo nazionale zu
Neapel, die wohl nicht ohne Kenntniss der Michelangelo'schen Kom-
position, wenn auch in freier Gestaltung, entstanden ist. (Abb.:
Le Gall. naz. IV. Taf. V, 124. Hier auch die Kinder Helena und
Klytämnestra.) Auch in Peter Flötners Plakette (Abb. F. F. Leit-
schuh: Flötnerstudien, i. Das Plakettenwerk, Taf. X, 72), darf
man, obgleich Leda sitzend, den Schwan auf dem Schoosse, dar-
gestellt ist, wohl einen Anklang an Michelangelo gewahren. Deut-
licher tritt Dessen Einfluss in den folgenden drei Darstellungen
hervor.
XIV. Plakette, Bleiguss aus dem Ende des XVI. Jahr-
hunderts. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum. Abb. Die ita-
lienischen Bronzen Taf. LXXVI, 1340. Leda ist hier in halb
sitzender Stellung mit aufgestütztem rechtem Arme gegeben.
Die allgemeine Anordnung und das Diadem verrathen die
Benutzung des Werkes.
XV. Bronzerelief, an We rke Germain Pilons erinnernd.
Paris, Louvre. Sammlung Thiers 94. Freie Benutzung. Der
Schwan windet hier den Kopf um den Hals der Leda herum.
XVI. Medaille des XVI. Jahrhunderts. Berlin, Münzkabinet.
Bez. Transilvania capta. Eine bei Trophäen liegende Frau mit
einer Krone in der ausgestreckten Linken. Freie Benutzung.
j. Älichelangelos Vorbild.
In überzeugender Weise hat Ad. Michaelis in einem Aufsatz
des Strassburger Festgrusses an Anton Springer (Berlin 1885, S. 33)
dargelegt, dass Michelangelo an eine antike Komposition angeknüpft
und derselben das Motiv seiner Gruppe entlehnt hat. Vielleicht
war es das Sarkophagrelief, das um die Mitte des XVI. Jahrhunderts
„in domo Corneliorum" (auf dem Quirinal) sich befand und im Codex
Pighianus der Berliner Bibliothek (auch in der Koburger Hand-
schrift) abgezeichnet ist. (Abb. Michaelis S. 41. Robert: Die an-
tiken Sarkophagreliefs Taf. II, 3.) Doch giebt es auch ein anderes
Rehef, in der Sammlung Cassiano dal Pozzos in Windsor, und
Gemmen, welche in ganz ähnlicher Weise die gelagerte Leda
zeigen. (Robert: a. a. O. II, 4, vgl. dort auch II, 6, Relief in Rom,
Palazzo Corsetti, das freilich erst 1726 gefunden ward, den gleichen
Typus.) Von sklavischer Nachahmung kann bei Michelangelo natür-
lich nicht die Rede sein, ,,In den antiken Darstellungen breiten
Die Leda 323
sich die Flügel wie Arme aus und dienen der ganzen Gruppe als
Hintergrund ; auf dem Gemälde entsprechen sie der Bewegung des
Thieres und verstärken den Eindruck des stürmischen Andranges.
Von den Armen Ledas dient dort der eine in bequemer Haltung
als Stütze des Körpers, der andere ist entweder gar nicht sichtbar
oder es ist ihm kein besonderes Motiv zugetheilt ; bei Michelangelo
ist der eine Arm in höchst charakteristischer Bewegung zurück-
geworfen, der andere dient nicht bloss die Gestalt Ledas selbst,
sondern die ganze Gruppe fester zusammenzuschliessen. Ebenso
hat das auf den Sarkophagen ausgestreckte Bein bei Michelangelo
durch die veränderte Bewegung neue Bedeutung gewonnen ; zugleich
ist dadurch der Vortheil erzielt, die ganze Komposition erheblich
zu kürzen und besser abzurunden." Durch die aufrechte Haltung
des Schwanes in den Antiken, die im Gemälde in die anschmiegende
verwandelt wird, ergiebt sich die freie Bewegung des Halses, dessen
Kopf Ledas Munde zustrebt. Der Antike entnommen ist auch das
Gewandstück und die polsterartige Rückenlehne.
Jeder Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung Michaelis' er-
scheint ausgeschlossen. Gäbe es aber einen solchen, so würde er
definitiv durch den von mir aufgefundenen ersten Entwurf zum Ge-
mälde im Louvre Nr. I beseitigt. Denn hier tritt die Beziehung zu
der Antike in dem vorderen Arm der Leda und in der Hals-
bewegung des Schwanes noch deutlicher hervor.
Wenn Michaelis weitergeht und die Ähnlichkeit der ,, Nacht"
und der ,,Leda" daraus erklärt, dass auch für die ,, Nacht" Michel-
angelo schon das Ledarelief vorgeschwebt hat, so wird dagegen
kaum Ernstliches einzuwenden sein.
./. Zusammenfassendes.
Aus dem Karton und dem Gemälde in London, sowie aus dem
Stiche Enea Vicos zog Michaelis den Schluss , auf dem Gemälde
sei die Geburt der Dioskuren nicht dargestellt gewesen. Condivis
und Vasaris Aussagen seien auf das Missverständniss eines Beiden
zu Ohren gekommenen Berichtes zurückzuführen. Die dem Künstler
von ihnen zugemuthete Prolepsis sei eine Geschmacklosigkeit. Dieser
Meinung widersprach Woermann, indem er auf den Stich des C. Bos
und die beiden Kopien hinwies , welche das Ei und die Dioskuren
zeigen, Enea Vicos Komposition als unabhängig von Michelangelo
hinstellte und eine Verkürzung des Londoner Bildes als möglich
annahm. Unsere weitergehende Untersuchung bestätigt Woermanns
Urtheil. Die Rosini'sche Abbildung des Kartons Nr. IV zeigt, dass
auch auf ihm die Kinder dargestellt waren ; Vicos Stich erwies sich
als die Kopie eines Entwurfes zu dem Gemälde ; die Glaubwürdig-
keit Vasaris wurde durch die Thatsache, dass er selbst den Karton
324 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
gekannt und kopirt hat, ausser Frage gestellt; und endlich zeigen
fast alle nach Michelangelo entstandenen Plaketten jene Prolepsis,
vor der übrigens auch Correggio nicht zurückgescheut ist. Michel-
angelos Komposition enthielt die hinter Ledas linkem
Fusse knieenden zwei Knaben, die auf ein vorne
schräg liegendes Ei schauen, in dem der Embryo eines
dritten Kindes, der Helena, zu gewahren ist. Sowohl
Condivis Ausdruck : ,,il parto dell' uova, di che nacquero Castore e
Polluce", sowie Vasaris Angabe: ,, Castore e Polluce che uscivano
dell'uovo", erklären sich, wenn sie auch nicht präzise sind, aus der
Darstellung.
Zu erklären bleibt nur, wie die Verfertiger der Gemäldekopien
in Berlin , Dresden und Venedig dazu kamen , sich auf die Haupt-
gruppe zu beschränken. Die Übereinstimmung in diesem Weglassen
des Eies und der Knaben ist überraschend. Dass die nach dem
Originalgemälde in Paris angefertigten Kopien, wie die Dresdener,
die Zuthat nicht zeigen, Hesse sich allenfalls daraus erklären, dass
auf dem Original schon frühzeitig das Ei und die Kinder als an-
stössig entfernt worden sind. Dies geschah vermuthlich auch auf
der de! Bene'schen Kopie : auf dem Bilde in London. Und dies
würde uns veranlassen , auch die Bilder in Berlin und Venedig für
Kopien nach dem Pariser Bilde, nicht nach dem Karton zu halten.
Denn dieser zeigte, wie Rosini beweist, die Geburt aus dem Ei
noch in der Mitte des XIX. Jahrhunderts. Getilgt worden kann
sie auf ihm erst später sein, wie man annehmen muss : im Hinblick
auf das Gemälde in der National Gallery. Noch fehlt uns der
Nachweis des einzigen sicher nach dem Karton angefertigten Bildes,
nämlich des Vasari'schen. In ihm müssen wir die Geburt aus dem
Ei voraussetzen. Oder hat Vasari, wie vielleicht auch andere Ko-
pisten des Kartons (etwa der Verfertiger des Gemäldes in Venedig),
aus ähnlichen Rücksichten, wie der Hof in Paris, die Anstoss er-
regenden Schwanenkinder bei Seite gelassen.? Dies ist nicht sehr
wahrscheinlich : auf den Plaketten wurden sie doch dargestellt ! Wir
bleiben hierüber noch im Dunkel.
IV
Der Karton zu Venus und Amor
Schon in der ersten Ausgabe erwähnt Vasari den auch vom
Anonymus Magliabecchianus angeführten Karton einer Venus, ,,sehr
fein in Kohle ausgeführt, den Michelangelo dem Bartolommeo Bettini
schenkte". In der zweiten bezeichnet er die Komposition etwas
näher: „eine Venus mit dem Kupido, der sie küsst, ein göttliches
Der Karton zu Venus und Amor 325
Werk, das heute bei den Erben Bettinis sich befindet." Hier wird
auch erwähnt , dass er für Diesen den Karton anfertigte : „fece e
donö." Dies muss, wie aus dem Folgenden hervorgeht, Anfang der
dreissiger Jahre geschehen sein. Das Gemälde nach dem Karton
zu machen, wurde Jacopo Pontormo beauftragt, der kurz zuvor das
,,Noli me tangere" Michelangelos für Alfonso Davalos als Bild aus-
geführt hatte.
,,Da man sah, wie sehr Michelangelo Pontormo schätzte und mit
welcher Sorgfalt und Vollkommenheit Pontormo die Zeichnungen
und Kartons des Meisters in Farben ausführte, erreichte Bart. Bettini
es, dass der ihm sehr befreundete Buonarroti ihm den Karton einer
nackten Venus mit einem Kupido, der sie küsst, anfertigte, um ihn
als Gemälde von Pontormo ausführen zu lassen und als Mittelstück
in einem seiner Räume anzubringen, in deren Lunetten er vom
Bronzino Dante, Petrarca und Boccaccio malen zu lassen begonnen
hatte, in der Absicht, auch die anderen Dichter, die in Versen und
in toskanischer Prosa die Liebe besungen haben, dort darzu-
stellen. Und Jacopo, nachdem er den Karton erhalten, führte ihn
mit Müsse als Gemälde aus, in jener seiner Art, die, ohne dass ich
sie zu loben brauchte, aller Welt bekannt ist." ,, Inzwischen hatte
Jacopo die Venus nach dem Karton Bettinis vollendet und ein
wunderbares Werk geschaffen. Doch wurde sie nicht dem Bettini
für den verabredeten Preis übergeben, sondern von einigen Diebs-
gesellen, um Bettino zu kränken, fast gewaltsam dem Jacopo aus
den Händen genommen und dem Herzog Alessandro gegeben.
Bettini erhielt nur seinen Karton zurück. Als dies Michelangelo
erfuhr , ärgerte er sich aus Liebe zu seinem Freund , dem er den
Karton gemacht, und zürnte Jacopo. Man kann aber, obgleich
Dieser vom Herzog 50 Skudi erhielt , nicht sagen , dass er Bettino
betrogen, denn er gab die Venus auf Befehl Dessen, der sein Herr
war, her." (Vasari VI, 276 f)
Auch Vasari hat nach dem Karton ein Gemälde, und zwar für
Ottaviano de' Medici — zugleich mit der Leda — angefertigt. Wie
die Leda (siehe oben), hat er auch die Venus 1542 nach Venedig
gebracht und dort an Don Diego de Mendoza verkauft (Vas. VII,
669, 670. VIII, 283). Ein zweites Gemälde der Venus ,,col disegno
di Michelagnolo" führte er 1544 für Bindo Altoviti aus (Vas. VII,
672). Und, wie es scheint, zu gleicher Zeit ein drittes Exemplar,
falls es sich nicht um das eben erwähnte handelt, denn in einem
Briefe an Francesco Lioni in Venedig vom 21. Juli 1544 sagt er: ,,la
nuda Venere o per me o prima forsc, sarä portata; che ha auto tante
fortune, che l'esercito di Dario non n'ebbe tanti. L'e viva ed e
ancor vergine, contuttoche per esser buona roba ci sia stato voluto
far il bordello ; tamen la madre l'ha auta in custodia di sorte, che
326 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
e libera dal puttancsimo per mia mani. Ouando sarä con voi, biso-
gnerä ci aviate cura, che per esscr di morbida maniera, non vi fussi
levata sü." (VIII, 291) Auch diese Kopie scheint also nach Venedig
gelangt zu sein — oder handelt es sich hier um eine Original-
komposition Vasaris?
Erwähnt finde ich in der älteren Litteratur folgende Kopien:
A. 1635 ini Inventar des Palastes in Turin (Vesme in: Le Gall.
naz. ital. III, 52, Nr. 437). „Venere nuda stesa in terra con
Amore che la bacia et alcune mascare con arco e saette, in
tavola, D. M. A. Buonarroti. Singolarissimo e de'migliori.
A. p. 2. 2^/2- L. p. 3^/2- Vesme fügt hinzu, das Bild sei von
Carlo Emanuele III. verbrannt worden.
B. 1685 in dem Verzeichniss der Gemäldesammlung des Heidel-
berger Schlosses (Thode und Zangemeister : Mitth. des Heidelb.
Schlossvereins III, S. 197. Nr. 230) eine ,, Venus et Cupido,
durch Angeli Bonarota".
C. 1791. Ein Exemplar in der Galerie Giustiniani in Rom (Vasi :
Itin. istrutivo di Roma. S. 429).
Ein antikes Wandgemälde , das von Vielen für Michelangelo
gehalten wurde, führt Titi in seiner Descrizione di Roma (1763,
S. 333) im Palazzo Barberini an: ,,una Venere giacente, dipinta sul
muro, pittura antica, che ha molto della maniera del Bonarroti, onde
alcuni la credono di sua mano." (Vgl. Crozat: Recueil d'Estam-
pes. Paris 1720. I, pl. i.)
In der Mitte des XIX. Jahrhunderts befanden sich — die Pon-
tormo'sche nicht mitgerechnet — in Florenz selbst noch vier Ko-
pien. (Comentario zur Vita Pontormos VI, 295.)
D. Eine, die damals nach ausserhalb von Toskana verkauft ward.
Auf Holz gemalt in der Grösse des Originales, ohne die Em-
bleme.
E. In der R. Guardaroba ein Exemplar, Grösse des Originales,
in der Art des Angelo Bronzino. Ein Restaurator hat die
Venus mit einem Gewand bekleidet.
F. Ebendaselbst : eine viel kleinere Tafel , von schwacher Hand.
Der Kopist selbst hat hier das Gewand hinzugefügt.
G. Bei den Erben des Händlers Luigi Riccieri, auf Holz gemalt,
ein Drittel kleiner als das Original, aber ganz mit ihm über-
einstimmend. Aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts.
Hinzuzufügen, wenn nicht identisch mit D, ist
H. Ein Exemplar, das sich im Besitze von Edmond Blanc in
Paris befand.
Der Karton zu Venus und Amor 527
Nachweisbare Studien und der Karton.
I. Originalentwurf zur Komposition, eine flüchtige Feder-
skizze in London, British Museum 1859 — 6 — 25 553. Thode
295. Fagan LH. Ber. 1504. Fagan erkannte die Beziehung
zur Venus. Berenson gab diese zu, meinte aber, einen
Entwurf zu Samson und Delila zu erkennen. In der That
ist die vorne liegende Figur, die in der Stellung — auf-
gestützter linker, ausgestreckter rechter Arm, ausgestrecktes
linkes gekrümmtes Bein — lebhaft an die Venus erinnert,
männlich. Aber an Simson ist nicht zu denken, da die links
hinter des Mannes rechtem Bein stehende Figur, viel zu
klein für eine Delila, zweifellos ein Kind darstellt, das, von
halb hinten gesehen, die Arme nach rechts bewegt. Un-
willkürlich denkt man an Amor, und zwar, wie er im Begriff
ist, zu schliessen. Es kann mir nicht zweifelhaft sein, dass
es sich in der That um einen flüchtigen Entwurf für das
Venusbild handelt. Die Studie zur Venus selbst ist nach
einem männlichen Modell gemacht. Fagan meint: Amor
richte den Pfeil auf die Mutter selbst, die ihn mit der rechten
Hand abwehre. Das ist nicht bestimmt zu sagen. Man
könnte auch denken, die Mutter gebe dem Knaben einen
Auftrag und weise ihn auf ein Ziel hin. Das Motiv des Um-
halsens scheint also erst später eingetreten zu sein.
II. Der Karton im Museo zu Neapel. Er zeigt die aus
den Kopien bekannte Gruppe, links den Altar mit den zwei
Masken und den Bogen. Vermuthlich befand sich ursprünglich
auf dem Altar auch die Schale mit den Blumen. Sie ist heute
nicht mehr erkennbar. Ich sehe keinen Grund, die Originahtät
der Zeichnung zu bezweifeln.
Kopien.
III. Pontormos Kopie in denUffizien 1284. Die mächtige
Gestalt der Venus, vor dem Pfeile haltenden Amor, der, von
hinten mit dem linken Bein auf ihr rechtes steigend, sie um-
halst und küsst, liegt auf blauem Tuch. Mit dem Hnken Arm,
dessen Hand den Zeigefinger in weisender Bewegung hält,
stützt sie sich auf und streckt den rechten , einen von Amor
aus dem Köcher gezogenen Pfeil berührend, nach links aus;
das mit einem Band durchflochtcne Haar ist mit einem wulst-
förmigen Diadem aus Stoff bekrönt und hinten in einen Knoten
gebunden. Das linke Bein ist ausgestreckt, das rechte nach
hinten scharf gekrümmt. Links steht ein altarartiger Tisch,
mit einem Tuch bedeckt. Auf ihm liegen Pfeile und steht eine
928 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
mit Rosen gefällte Schale. Um diese zieht sich ein Riemen,
an dem zwei Masken herabhängen : die eine einen Satyr
darstellend , die andere das ernste Gesicht eines Jünglings.
Hinter den Masken lehnt ein grosser Bogen an dem Altar, und
in dessen kastenartiger Öffnung unten sieht man die kleine
Figur eines zu Boden gestürzten Jünglings. Im Hintergrund
bergige Landschaft.
Das Gemälde wurde 1850 in der R. Guardaroba entdeckt.
Nachdem das Gewand, mit dem ein Restaurator Venus bekleidet,
von Ulisse Forni entfernt worden war, ward das Bild in die Aka-
demie gebracht, von wo es 1861 in die Üffizien gelangte (Kommentar
zu Pontormos Leben, Vas. VI, 291).
rV. Hamptoncourt , Galerie 6 16. Genau die gleiche Komposition.
Dem kalten Ton und der porzellanartigen Behandlung des Flei-
sches nach dem Bronzino oder Salviati zuzuschreiben. Das Bild
ward 1734 nach England gebracht und in Essex House am
Strand ausgestellt. Es sollte am 16. Dezember 1734 in einer
Lotterie verloost werden, doch kam es nicht dazu, da die Königin
Karoline es für L. 1000 ankaufte (Duppa, S. 329; Jameson,
a handbook to the public galleries of art, London 1842,
n, 360; Fagan, S. 143). Hogarth hat es in seiner ,,Analysis of
Beauty" satyrisirt (F. G. Stephens, Cat. of Satirical prints in the
British Mus., Vol. III, p. II, S. 871, Nr. 3217). Er wollte es
aus dem Palast von Kensington, wo es sich damals und noch
zu Passavants Zeiten (Kunstreise, S. 46) befand, hinausgeworfen
wissen. Ist dies das einst in Heidelberg befindliche Exem-
plar B.?
V. Hildesheim, Museum. Eine Kopie, die 1884 aus dem Vor-
rath der Berliner Galerie dorthin kam (Verzeichniss der ab-
gegebenen Gemälde, 1886, Nr. 233). Hier fehlt der Altar
mit den Symbolen, der Kopf der Venus ist nicht im Profil,
sondern etwas dem Beschauer zugewandt, ein Stück des rothen
(nicht blauen) Gewandes ist über den Schooss gezogen und
ein Lorbeerstrauch bildet den Hintergrund.
Das Gemälde befand sich im Besitze des Prof d'Alton in Bonn,
der es aus dem Nachlass eines Geistlichen erstand und für Michel-
angelos eigenes Werk hielt und radirte (A. W. v. Schlegel : Vor-
erinnerung zu dem Verzeichniss von d'Altons Gemäldesammlung
1840. Sämtliche Werke, hrsg. von Böcking IX, S. 375; vgl. auch
Kugler im Kunstblatt 1842, S. 42 ; Kleine Schriften 11, 358). Es
wurde 1841 für die Berliner Galerie erworben. Kugler hielt es für
Pontormo , doch ist es nur die Kopie eines Unbekannten nach
Diesem.
Der Karton zu Venus und Amor 329
VI. Neapel, Museum. Dies Exemplar, dem Bronzino zuge-
schrieben, zeigt auch die Kälte und Glätte der Farben-
behandlung wie IV. Es könnte von Salviati sein.
VII. Rom, Palazzo Colonna. Kopie nach Pontormo, wie die
gleiche Landschaft verräth. Venus ist hier aber bekleidet. Sie
trägt ein gegürtetes , gestreiftes , ärmelloses Hemd und das
Gewand, auf dem sie liegt, ist über das linke Oberbein ge-
zogen. Ist das Bild eines der von Vasari gemalten Exemplare
oder von Salviati.?
Eine freie Umwandlung der Komposition zeigt das kleine Ge-
mälde Angelo Bronzinos in den Uffizien 1173.
Das, von einem unten mitgetheilten Sonett abgesehen, älteste
uns bekannte Urtheil über das Werk, dessen Bedeutung bisher von
den Biographen wenig geschätzt worden ist, stammt von Benedetto
Varchi, der in den ,,due lezioni" sagt: dasselbe, was der Venus
des Praxiteles widerfahren sei, dass nämlich die Menschen sich in
sie verliebt, geschah auch vor der Pontormo'schen Kopie der Michel-
angelo'schen Komposition. In neuerer Zeit äusserte sich d'Alton :
,, andere Maler haben in der Venus nur eine verliebte Göttin dar-
gestellt. Michelangelo allein zeigt uns die Göttin der Liebe. Den
Göttern sind die Gesetze der Anständigkeit eben so fremd, wie die
Sucht, zu gefallen. Die Venus und Danae des Tizian liegen, ihrer
Schönheit sich bewusst, bloss zur Schau ; hier dagegen erscheint die
Göttin in sinnvoller Bewegung. Ihre Formen sind mehr grossartig
als zierlich. Eine Fülle von Kraft und Gesundheit, wie sie nur den
Unsterblichen zukömmt, erhebt sie über die menschliche Gestalt.
Ihre Mienen, voll Hoheit, verkünden ein über das Schicksal der
Sterblichen erhabenes Gemüth." A. W. v. Schlegel fügt hinzu :
,,die Göttin erscheint hier im stolzen Bewusstsein ihrer Schönheit
ruhig und nachlässig hingelehnt ; die Leidenschaftlichkeit ist dem
Kupido allein zugetheilt, dem wilden Knaben, der, zum Ausfluge
auf zahllose Siege gerüstet, noch im letzten Augenblicke seiner
Mutter einen Kuss raubt."
Im Kommentar zu Pontormos Leben von Vasari wird bemerkt,
man denke hier nicht an die wollüstige , süsslächelnde Göttin , die
Königin von Paphos und Knidos, sondern an die Venus Urania,
Tochter des Himmels und der Erde, die Mutter der Götter und
der Menschen. Und auch Kupido sei nicht der anmuthigc, schmei-
chelnde Genius des Praxiteles, sondern ein wilder, muthwilliger
Knabe, boshaften Blickes und von robustem , fast grobem Glieder-
bau. Und doch hat Michelangelo, der das Schöne nur im Erhabenen
fasste, Venus Aphrodite, die Göttin sinnlicher Lust, gemeint. Bogen
und Pfeile bezeichnen die Wunden, welche solche Liebe schlägt, die
Rosen das Vergängliche ihrer Wonnen, die jugendliche Maske den
330 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Lug und Trug fleischlicher Freuden, die Satyrmaske die niederen
und zügellosen Begierden. Der gestürzte Knabe bedeutet vielleicht
das elende Ende Derer, welche die Vernunft den Begierden dienstbar
machen, und auf diese dunklen Seiten weist auch das Trauertuch auf
dem Altar, die trübe Luft, das blumenlose Terrain hin. Michel-
angelo habe den platonischen Gedanken, der in allen seinen Ge-
dichten sich ausspreche, formen wollen:
Voglia sfrenata e il senso, e non Amore;
Che Talma uccide. Amor puö far perfetti
Gli animi qui, ma piü perfetti in cielo.
Im Wesentlichen möchte ich diesen Auffassungen zustimmen,
im Einzelnen anders deuten. Amor, einem jungen Sturmgott ver-
gleichbar, nimmt Abschied von seiner Mutter, um, Feuerkraft von
ihren Lippen saugend , hinauszuziehen und sich Opfer zu suchen.
Auf dem Altar der Liebe blühende Rosen sinnlichen Genusses, unter
ihm das erbleichende Leben sich selbst verzehrender Sinnlichkeit.
Zugleich aber in den zwei Masken die Symbolisirung der zwei Mög-
lichkeiten der Liebe : das Herabsinken zum Thierischen und das
Sicherheben zur Idee.
Den Ausgangspunkt für die grossartige Schöpfung bildeten Dar-
stellungen der liegenden Venus, wie sie, im Zauberkreise der Dich-
tungen Polizianos und Lorenzo Medicis Botticelli und Pier di Cosimo
geschaffen hatten. Namentlich der Erstere hatte in den Zeichnungen,
die den Gemälden im Louvre und in London zu Grunde liegen, die
Richtung auf eine grosse und feierliche Auffassung der Göttin ein-
geschlagen, freilich ohne etwas an dem leichten, spielerischen, quattro-
centistischen Charakter der Eroten zu verändern. In jenen Bildern
ist auch der Korb mit Rosen zu finden, die wir übrigens als Attribut
auch in der Hand der Venus auf den zwei Bildern Tizians in den
Offizien sehen. — Von der nahen Verwandtschaft der Venus, dem
gesamten Charakter nach, mit der Venus in des Piombo ,,Tod des
Adonis" (Uffizien) spreche ich an anderer Stelle.
Am Schlüsse finde das Sonett eines Unbekannten, das von Frey
in den Dichtungen (S. 271, Nr. CLXXIX) mitgetheilt worden ist,
seinen Platz :
Sopra la miracolosa pittura de la Venere, da
Michel' Agnolo disegnata et da il Pontormo colorita
Deh, perche '1 hello et il buono, com' io vorrei,
Non posso ä pien' di te spiegare in carte!
Che la natura esser' vinta da l'arte
A Chi mai non ti vidde, mosterrei.
Die Idealbildnisse in Zeichnunsen
331
Se cosi bella in ciel Venere sei,
Come si vede qui parte per parte,
Ben puossi, et con ragion, felice Marte,
Anzi beato dir fra gli altri i dei.
Non han le rose, le viole et i gigli
Si puro, acceso, vivo, almo colore,
Ne l'oro ne i rubin si dolce ardore.
Cosa mortal non e che ti simigli,
Et che sia 'I ver; di te piagato il core,
Si Sforza, quant' ci puo, baciarti Amore.
V
Die Idealbiidnisse in Zeichnungen
Der weibliche Schönheitstypus, den Michelangelo in der Nacht,
in der Aurora , in der Leda und in der Venus geschaffen hat,
zeigt seine Kunst in reifster Entfaltung. Auch er, wie Lionardo,
Raphael und Tizian ist ein Verherrlicher der Frau gewesen und
hat, wie sie, eine höchste Aufgabe in der Gestaltung des weiblichen
Ideals gesehen. Wer sich, wie mehrfach geschehen, dieser Erkennt-
niss verschliesst , selbst angesichts aller der zahlreichen, herrlichen
Gestalten an der Sixtinischen Decke , muss von ihr durchdrungen
werden , gewahrt er den Eifer und die Sorgfalt , mit welcher der
Meister selbst in Zeichnungen Idealbildnisse zu gestalten liebt.
Über die ihm eigene Schönheitsauffassung und deren Entwicklung
von der Pietä und der Madonna in Brügge zu der Madonna in den
Jahren 1500 — 1505 und zu den Sibyllen und weiter zu den Werken
der zwanziger und dreissiger Jahre spreche ich im III. Bande meines
Werkes, wo ich auch auf die Anregungen, die der Künstler in den
Jahren 1503 — 1505 von Lionardo empfangen hat, hinweise: hier
gilt es, die bisher seltsamer Weise wenig beachteten Zeichnungen,
die uns ergänzende Winke geben, anzuführen und auf Einzelheiten
hin zu prüfen. Aus ihrer Betrachtung ergiebt sich, dass auch Michel-
angelos Phantasie, wie die der älteren BotticelH und Pier di Cosimo
und wie die Lionardos , von den dichterischen Vorstellungen des
Medicei'schen Kreises befruchtet worden ist, so gewaltig sich auch
seine Schauenskraft über den Zauber süsser Anmuth hinaus in das
erhabene Bereich heroischer Grösse und Macht erheben sollte. Es
ist der Kultus der Frau, wie ihn, aus der Durchdringung platonischer
und christlicher Elemente geformt, das ausgehende Quattrocento
dem XVI. Jahrhundert zur Schönheitsgestaltung überantwortete, dem
der grosse Plastiker den Stempel des Mystischen aufprägte — er
als der Einzige, der sich von dem süssen Zauber der Wirklichkeit
zu lösen wagte.
332 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Aus diesem, alle Realität überfliegendem Streben ergab sich,
wie die elementare Formengrösse und wie der Ausdruck geheimniss-
voller, leidenschaftlicher Seelenmacht, so auch die aller Konvention
hohnsprechende phantastische, ja bizarre Tracht. Die Anknüpfung
an die phantasievolle Ausschmückung der Kopftracht und der
Gewandung, wie sie die Florentiner im XV. Jahrhundert, vor Allem
Donatello, Botticelli und Lionardo , gebracht, ist unverkennbar.
Aber sogleich entstehen neue Vorstellungen höchst origineller Art.
Das interessante früheste Beispiel ist die ,, Madonna von Manchester".
Schon hier zeigt sich die charakteristische Entblössung der Brust,
und zwar durch Anbringung eines gesäumten Schlitzes in dem Ge-
wände, welches, herabgezogen, auch die rechte Schulter frei lässt.
Der Mantel, schräg emporgezogen, ist über der Schulter geknotet,
ein Kopftuch, diademartig in der Mitte gipfelnd, umgiebt das über
den Ohren breit frisirte Haar. So weit , wie in diesem Gemälde,
konnte der Künstler in plastischen Werken nicht gehen, doch ver-
räth sich auch in den beiden Madonnenreliefs das Streben nach
ausgewählter Tracht. In dem londoner ist das Haar der Maria
ganz von einem scharf angezogenen Tuch verhüllt, in dem floren-
tiner umspannt ein diademartiges Band , das zwischen zwei flügel-
artigen Lappen einen Kopf zeigt, die Stirn und das voll über die
Ohren hervorquellende Haar ; ein Tuch umschliesst darüber das
Haupt. In beiden Werken ist das Gewand, das einen bandförmigen
Saum hat, ausgeschnitten, das eine Mal breit, das andre Mal spitz
nach unten zulaufend. In der Madonna Doni, deren Haar als Masse
nach hinten genommen ist, ist das mit kurzen, weiten Ärmeln ver-
sehene Gewand mit einem spitz zulaufenden, zwischen den Brüsten
eingesenkten Bandbesatz versehen.
Die Erfindung eigenthümlicher Motive steigert sich in den Si-
byllen. Verhältnissmässig einfach noch ist die Tracht der Delphica:
das hoch drapirte , in der Mitte zugespitzte Kopftuch verräth eine
Wiederaufnahme der Anordnung, welche der Pietä und mehr noch
der Madonna von Brügge eigenthümlich ist; das hochgegürtete,
ärmellose Gewand ist am unteren Ende des Armelschlitzes mit einer
Agraffe geschmückt. Schlicht auch erscheint die Tracht der beiden
Alten. Kappenartig, in fester Einziehung des Haares, umgiebt ein
Tuch den Kopf der Cumaea (ähnlich die Frauen in der Ozias- und
Asastichkappe) ; bei der Persica ist in das weicher gelegte und
längere Kopftuch (mit Querlage) durch ein Loch am Nacken in
seltsamer Weise der obere Zipfel des Mantels gesteckt. Mit ganz
besonderer Kunst aber ist das Kostüm der Erithraea und Libica
ausgestaltet. Bei der ersteren erscheint wieder der mit Band, aber
reicher gesäumte Ausschnitt , der durch zwei nach unten breiter
werdende Bänder mit dem Gürtel verbunden ist. Kurze, weit herab-
Die Idealbildnisse in Zeichnungen 333
fliessende weiche Ärmel lassen die Arme frei. Der Kopfputz be-
steht aus einer mützenförmig eng anliegenden Kappe mit sich etwas
wölbendem Rand und einer kleinen dreieckigen Endigung über dem
Ohr; ein mächtiger Zopf, der im Nacken eine Schlinge bildet, ist
um die Kappe herumgelegt. Auch das Haar der Libica ist in einen
Zopf geflochten, der über dem Ohr aus einem dünnen, bandartig
die Stirne umgebenden Tuch herauskommt und sich um den Hinter
köpf legt, über den unter dem Zopf hindurch das Tuch gezogen ist.
Die Tracht ist hier am seltsamsten: das Gewand, das, breit gesäumt,
an der Seite geschlitzt ist und durch einen Tuchgürtel am Leibe
gehalten wird, reicht, oben gerade abgeschnitten, nur wenig über
die Taille empor, so dass Rücken und Arme bloss bleiben. Der
neben der Sibylle ruhende Mantel hat lange, unten geschlitzte Ärmel.
Einfachere, aber doch im Schnitt mannichfaltige Trachten finden
wir bei den Frauen in den Stichkappen : Gewänder mit Ärmeln oder
ohne solche , Mäntel von verschiedener Form (einmal mit einer
Kapuze), der Kopf mit verschiedenartig gelegten Tüchern umwunden
oder von Zöpfen umkränzt, einmal eine Erinnerung an vornehmes
römisches Bauernkostüm: gekreuztes Brusttuch.
Bald mehr an die Sibyllen, bald an diese Volkstypen werden
wir durch die zum Theil zierlich geschmückten, zum Theil einfach
gekleideten Frauen in den Lunetten erinnert. Auch hier kommt
reiche, immer neue Erfindung zum Ausdruck. Neben den schlichten
Motiven des über den Kopf gezogenen Mantels oder Tuches und
den ungekünstelten Haartrachten finden sich künstlich in Falten
über einander gelegte Tücher, die bisweilen kappenartig wirken und
wiederholt die vom Meister gern gebrachten ohrklappenartigen spitzen
Endigungen zeigen, wulstartig um den Kopf gelegte Tücher (Ezechias-
lunette), puffenartige Haarfrisur über den Ohren (Josiaslunette),
dreigetheilte Hörnerhaube (Jakoblunette). Auch die Unter- und
Obergewänder verrathen in dem verschiedenen Schnitt, in den Ver-
schiedenheiten von Ärmeln, Ausschnitten, Schlitzen und Besatz ein
Streben nach Variirung, dessen Resultate bisweilen fast ausgeklügelt
wirken.
Man darf behaupten , dass nicht zweimal die gleiche Gewan-
dung, Kopftracht oder Frisur wiederkehrt. Eine kurze Charak-
teristik der von Michelangelo an der Sixtinischen Decke beliebten
weiblichen Idealtracht lässt sich daher nicht geben; man könnte
nur Haupterscheinungen etwa wie folgt hervorheben: in der Ge-
wandung macht sich, wo es sich um geschmückte Figuren handelt,
eine Vorliebe für bandartig gesäumte Ausschnitte, Schlitze, Nestelungen
und Gürtelungen , in der Kopftracht eine Vorliebe für kunstreich
durch einander gezogene Tücher, um das Haupt gelegte Zöpfe und
eine Verflechtung von Tüchern und Zöpfen geltend.
334 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Treten wir in die Medicikapelle, so erscheint für den Eindruck
der Köpfe der Nacht und der Aurora bestimmend das Motiv des Dia-
demes, das wir zuerst in dem Florentiner Madonnenrelief gewahrten.
Bei der Nacht hat es, vorne mit der Mondsichel geschmückt, anti-
kische Form : unter ihm vorne bildet das Haar eine Welle ; hinten
ist es in einen dicken, über die rechte Schulter herabfallenden
Zopf geflochten. Von den Ohren senkt sich, an der Wange an-
liegend, die uns schon bekannte Wangenklappe. Aus zwei ein-
ander zugewandten Voluten ist der schräg über den Schläfen an-
steigende, metallene Stirnreif, hinter dem vom Kopf ein Schleier
herabsinkt, an der Aurora gebildet.
Ein dem Diadem der Nacht ähnliches, aber zierlicher durch-
brochen gearbeitetes, mit Perlen besetztes Diadem, das auf einem
querliegenden Zopfe über gescheiteltem Haare ruht, trägt die Leda,
deren Haar hinten am Kopfe in runde Zöpfe gelegt ist ; eine Locke
fällt auf den Hals herab. Bei der Venus vertritt ein wulstförmiges
Gebilde das Diadem; das leicht gewellte Haar darunter, über den
Schläfen durch ein vertikales Band gehalten und über den Ohren
voll gewellt, ist am Hinterkopf in einen Knoten gebunden. Ein
rundes Diadem mit Maskenkopf ist, wie wir gesehen haben, auch
für das kunstvoll frisirte Haar der Lea als Schmuck bestimmt, die
über der gescheitelten welligen Haarmasse zwei sie umrahmende,
zum Scheitel emporsteigende Zöpfe trägt und auch in der gerafften
und hochgegürteten Gewandung und in dem Kragen mit metallischen
Behang sich vornehm geschmückt darstellt.
In diesen zahlreichen Gestaltungen nun hat sich aber die Phan-
tasie des Meisters noch nicht erschöpft. Zeichnungen beweisen,
welche Bedeutung und welchen Reiz die Gestaltung erhabener
Frauenschönheit für ihn hatte. Wir unterscheiden zwischen Studien
und bis zur Vollkommenheit durchgebildeten Typen.
/, Studien. Das Frauenideal.
I. Florenz, Casa Buonarroti XII, 57. Thode 51. Flüchtige
Federskizze in Umrissen eines fast lionardesk wirkenden
Frauenkopfes.
II. Florenz, Uffizien 137, 599. Thode 204. Phot. Br. 188. Alin.
274. Kreide. Kopie nach Zeichnungen des Meisters. Beren-
son meint von Andrea. Morelli: von Bacchiacca. Drei Köpfe,
a) Eine Alte nach rechts gewandt, wohl Studie zu der Frau
in der Jesselunette. b) Etwas gesenkter Kopf im Profil nach
links. Der Typus erinnert an Donatello'sche Madonnenreliefs
(Madonna di Casa Pazzi). Reiche Kopftracht: über einem
Stirnband erhebt sich in 'der Mitte flammenartig ein oben ge-
bundener Haarschopf, seitwärts legt sich eine weiche Haarwelle
Die Idealbildnisse in Zeichnungen 335
über das Ohr und verschwindet in dem zierlich gebundenen,
den Hinterkopf umkleidenden Kopftuch, das durch ein Band
eingezogen in der Mitte einen Wulst bildet, oben sich, von
einem Ouerband leicht umfasst, über den Kopf zieht und unten
in zierlichen Falten am Hals herabfällt. Die Anknüpfung in
dieser Schleierdrapirung an Werke Verrocchios und seiner
Schule ist deutlich zu erkennen. Auch der flammenartige
Schopf ist auf einer Zeichnung in Windsor, die, Verrocchio
zugeschrieben, mir von der Hand des jungen Lionardo zu
sein scheint, zu finden. (Abb. Mackowsky: Verrocchio,
Künstler - Monogr. S. 93) — c) Frauenkopf im Profil nach
links. Reiches gewelltes Haar, von dessen über das Ohr sich
herabsenkendem Gelock sich ein Zopf, der auf die Brust
herabfällt, löst. Auf dem Kopf, in das Haar gebettet, ruht in
rüsselartigen Schwellungen nach oben und nach unten, eine
wulstige Haube, die am Rücken in ein mehrfach gebundenes
Ende ausläuft. Hier ist von Beziehungen zur vorhergehenden
Kunst Nichts zu gewahren, vielmehr höchst originelle Michel-
angelo'sche Erfindung. Die Originalzeichnung (c) dürfte der
Zeit der Sixtinischen Deckenmalerei angehören. Unten Schrift:
Gherardo io non o potuto oggi ve . . . . (venire .?). Dieser
Gherardo ist offenbar des Künstlers Liebling Perini. Und
es ist beachtenswerth, dass Vasari sagt, dass Michelangelo
Diesem (um 1522) drei Blätter mit einigen in Kreide gezeich-
neten ,,göttUchen" Köpfen geschenkt, die dann in den Besitz
von Don Francesco Medici kamen, der sie wie Kleinodien
werth hielt.
III. Paris, Louvre 109. Thode 460. Ber. 1728 (Bandinelli).
Phot. Br. 46. Giraudon 83. Der bekannte Faunskopf ist
über einen Frauenkopf, von dem man noch den Hals mit
zwei herabfallenden Zöpfen und die Locken an der Stirn (in
Röthel) gewahrt, hinweggezeichnet.
IV. Florenz, Uffizien 139, 603. Thode 207. Phot. Br. 185. Brogi
1784. Steinmann 654. Abb. 52. Kopie einer Originalzeichnung.
Nach Morelli: von Bacchiacca, nach Berenson: von Andrea,
nach Jacobsen: von einem Nachahmer. Kreide. Kopf einer
jungen Frau en face , nach rechts schauend. Daneben Skizze
eines nach rechts gewandten, nach links schauenden bartlosen
Männerkopfes. Es dürfte sich hier wohl um eine Studie aus
der florentinischen Zeit vor der Sixtinischen Decke handeln.
Sie bereitet gleichsam die Delphische Sibylle vor, an welche
die Kopfhaltung, der Typus und der Blick erinnert. Aber
die Kopftracht ist verschieden. Zwischen den hornartig sich
zu den Schläfen niedersenkenden zwei wulstigen Bügeln
336 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
einer Haube erhebt sich in der Mitte über schmalem Stirn-
streifen ein runder Haarknoten, Zwei schmale Haarflechten
fallen von hinten nach vorne über die Schultern. Derselbe
Kopf, aber mit anderer Frisur erscheint auf dem folgen-
den Blatte.
V. Windsor. Thode 542. Ber. 1617. Phot. Br. 112. Vorder-
seite : Phaeton. Verso : Brustbild einer etwas nach links ge-
wandten Frau, deren Kopf in Vorderansicht gehalten ist und
deren Blick nach rechts schaut. Die Brüste sind unter dem
ausgeschnittenen Gewand angegeben. Der linke Arm ist im
Ellenbogen gekrümmt: die Hand hält Etwas. Die Rechte
fasst den über die rechte Schulter fallenden Zopf. Um den
Kopf ist ein Tuch gebunden, das an der rechten Wange her-
abfällt, und über dies Tuch sind zum Scheitel empor zwei
Zöpfe gelegt. — Ist diese herrliche Studie aus der Zeit des
Phaeton oder hat Michelangelo , als er den Phaeton entwarf,
ein älteres Blatt benutzt? Das letztere scheint mir eher an-
zunehmen. — Wiederum verwandt mit diesem Blatte ist die
folgende breit hingeworfene Studie.
VI. London, British Museum 1859—6 — 25—347. Thode 289.
Fagan XXXV. Ber. 1482. Phot. Br. 21. Abb. Ber. PI. CXXXIII.
Vorderseite. Feder. Nach halb links gewandt sitzende Frau,
bis zu den Knieen angegeben, in reicher Tracht. Der Kopf
wieder en face, nach rechts blickend. Die Hände nur an-
gedeutet. Das Gewand unmittelbar unter den Brüsten ge-
gürtet, die vom Stoff fest umgränzt sind. Über die Schultern
fallen zwei Bandstreifen herab. Ein ganz kurzer Oberärmel
mit kleinen Quasten über einem langen Unterärmel. Der
reiche Kopfputz zeigt eine volle Tuchdrapirung, die, gleich ge-
scheiteltem Haar, über der Stirne sich theilt und oben auf
dem Scheitel sich ausbreitet. Aus ihr hängen, wie es scheint,
zwxi kurze Zöpfe links und rechts herab. — Offenbar eine
Kostümstudie aus der Zeit der Beschäftigung mit den Sibyllen.
So auch die folgende.
VII. Rückseite von VI. Oberkörper einer nach links gewandten
jungen Frau mit gesenktem Blicke. In einem Mieder mit
etwas emporstehendem Kragen; schlicht gelegtes Kopftuch.
Vni. Frankfurt, Staedel'sches Institut 392. Thode 247. Ber. 1669
(von Andrea). Abb. Handzeichnungen der Albertina etc. Taf.
219, als Bacchiacca. Vorderseite : Karrikaturen. Verso: neben
einem Bein und einem Knabenknopf: nach halb rechts ge-
wandter Frauenkopf in Röthel. Phantastischer Kopfputz : seit-
wärts über den Ohren stehen zwei wulstige Haubenbügel wie
Hörner nach oben. Zwischen ihnen gescheiteltes welliges Haar,
Die Idealbildnisse in Zeichnungen 237
über dem sich in der Mitte ein gebundener Schopf erhebt.
SeitHch von den Wangen scheinen Zöpfe oder Tuchenden
herabzuhängen. — Morelli erklärte das Blatt für Bacchiacca,
Berenson für Andrea. Dagegen nahm es Jacobsen für
Michelangelo selbst in Anspruch. (Kunstchronik. N. F. 1903.
XrV, S. 491 und Rep. für Kunstw. XXVII, 327.) In der That
zeigt das Wort „fiamma" neben der Figur unverkennbar des
Meisters Handschrift. Auch ich halte die Zeichnung für acht.
Die grosse Ähnlichkeit des Typus mit Nr. IV. lässt die gleiche
Zeit der Entstehung — Sixtinische Decke — annehmen.
IX. Oxford, Nr. 10. Thode 394. Ber. 1552. Abb. Phot. Br. 65.
Woodburn, Lawrence Gall. 19. Fisher II, 13. Ber. pl. CXXXI.
Colvin: Sei. drawings II part. Steinmann S. 660. Abb. 59.
Röthel, Brustbild einer nach rechts hinten gewandten Frau,
die den etwas gesenkten und nach unten schauenden Kopf
im Profil nach rechts wendet. Sie trägt einen Kopfputz mit
einer über der Stirne schräg emporstehenden diademartigen
Krampe und der bekannten kleinen Wangenklappe. Diese
wundervolle Zeichnung, die von Steinmann irrthümlich auf
die Eleazarlunette bezogen wird , ist offenbar für eine Sibylle
gedacht gewesen, und zwar zeigt sie die nächste Beziehung
zu dem Sibyllenentwurf in Venedig (Thode 519. S. oben I,
S. 256, Nr. LXII), an den die Haltung und der Ausschnitt des
Gewandes erinnert. Der Typus ist der Frau in der Ezechias-
lunette verwandt. — Eine Kopie von G. B. Franco befindet
sich in Oxford Nr. 53, eine andere in den Uffizien.
X. Oxford, Christchurch College 264. Thode 457. Ber. 1727.
Kreide. Kopie einer Zeichnung von Michelangelo, nach
Berenson von Andrea. Der anmuthige Kopf mit reichem
Kopfputz ist halb nach links gewandt.
XI. Oxford, Nr. 32. Thode 419. Phot. Br. 75. Abb. Fisher I, 17.
Springer I, S. 42. Röthel. Auf diesem Blatt finden sich nach
Michelangelo'schen Originalzeichnungen kopirte Kopfstudien.
Darunter rechts oben zweimal ein Kopf im Profil nach rechts,
das eine Mal mit einem die Stirne beschattenden einfachen,
aber kunstvoll drapirten Kopftuch, das andere Mal mit nur
leicht angedeutetem Haar und Tuch.
Diesen Studien, welche fast alle den Jahren 1503 bis 1508 und
der Zeit der Sixtinischen Decke angehören, wollen noch zwei andere
hinzugefügt sein.
XII. London, British Museum 1859—6—25 — 561. Thode 304.
Ber. 1680. Kreide. Es bleibt zweifelhaft, ob es sich um eine
Originalzeichnung oder eine Kopie — Berenson glaubt: von
Andrea — handelt. Dargestellt ist in eigenthümlicher Tracht
338 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
ein junges Mädchen in halber Figur, das einen Spinnrocken
hält, im Profil nach links. Der zarte Kopf mit dem Locken-
haar hat lionardesken Charakter und erinnert an den Jünglings-
kopf auf der Rückseite einer Zeichnung in Oxford (Nr. 22),
welche Studien für den Karton enthält. In dessen Zeit ist
auch das Londoner Blatt zu versetzen.
XIII. Paris, Louvre, 690. Thode 479. Feder. Eine mit gebeugtem
Oberkörper nach rechts schreitende Frau, ganz im Profil ge-
sehen. Sie hält, in langes Gewand gekleidet, mit der Rechten
vor der Brust ein umgenommenes Tuch, Über den gross-
artigen gesenkten Kopf ist ein Tuch gelegt, das hinter dem
Gesicht herabhängt.
Späterer Zeit gehört an
XIV. Florenz, Casa Buonarroti, Cod. XIII. Son. 40 b. Thode 199.
Abb. Frey: Dichtungen S. 385. Brustbild, im Profil, einer
älteren Frau, deren welke Brüste aus dem Gewandausschnitt
herabhängen. Sie trägt eine Kappe mit Ohrklappen und dar-
über rund gelegte Zöpfe (?) in vierfacher Windung. Am
Hals scheint eine Perlenkette angedeutet zu sein. Das Sonett
auf der Vorderseite bezieht sich auf Vittoria Colonnas Tod :
„Quand' el ministro de sospir mie tanti."
Nicht minder wie die ideale Schönheit der Frau , hat die des
jugendlichen Mannes des Künstlers Phantasie beschäftigt, ja in so
hohem Grade, dass das Verlangen, sie darzustellen, nachdem die
Typen des Giovannino, Bacchus, Eros und David geschaffen worden
waren , entscheidend für die Konzeption grösserer Werke ward.
Die Verwandlung der Engel in Jünglinge in der Madonna von
Manchester, die Belebung des Hintergrundes der hl. Familie Doni
mit solchen Gestalten, der Karton der Schlacht von Cascina, der
Entwurf der Sklaven für das Juliusdenkmal, die der Ignudi an der
Sixtinischen Decke zugewiesene Rolle sind die eindringliche und
originelle Offenbarung solcher idealen Bestrebungen. Nicht in
gleichem Grade aber, wie bei den Frauentypen, konnte hier die
Phantasie in der Trachtenbildung — man beachte die charakteristi-
schen Versuche hierzu in der Madonna von Manchester! — sich
ergehen. Sie sah sich im Wesentlichen darauf beschränkt, mit den
Haaren zu spielen. Eine Fülle von verschiedenartigen Erschei-
nungen des Gelockes bietet sich dar: die Mannichfaltigkeit zu
steigern werden Bänder oder Binden verwendet. Die einzige andere
Möglichkeit einer idealen Ausschmückung des Kopfes war in dem
Helme gegeben, und Michelangelo hat, an Werke Pollajuolos, Ver-
rocchios, Giulianos da San Gallo und wiederum in Sonderheit
Lionardos — man erinnere sich an das Scipiorelief — anknüpfend,
zur Zeit der Beschäftigung mit dem Karton Entwürfe gemacht.
Die Idealbildnisse in Zeichnungen 330
die wir vornehmlich aus Zeichnungen kennen. Sie bereiteten die
spätere Idealgestaltung des Lorenzo Medici und des sogenannten
Grafen von Canossa vor.
2. Studien. Das Jünglingsideal.
A. Köpfe mit Helmschmuck.
Nur ein solcher, im Karton ausgeführter Kopf wird uns durch
die Holkham'sche Grisaille bekannt. Der hintere in den Kampf
stürmende Krieger trägt eine Helmhaube, die zwei Wangenschutz-
klappen hat , in der Mitte mit einer Maske verziert ist und von
einem greifartigen Vogel mit ausgebreiteten Schwingen überragt
wird. Andere solche Köpfe müssen sich in den seitlichen Kampf-
szenen des Kartons befunden haben. Folgende Skizzen weisen
auf sie hin.
XV. Paris, Louvre, 727. Thode 493. Ber. 1597. Fünf Köpfe
mit Helmen und zwei Helme (ohne Kopf), vgl. oben I, S. loi
über den Karton Nr. IX. I. Jugendlicher Kopf im Profil
nach rechts. Der Helm ist in Form eines Thierkopfes
(Wolf .^) mit geöffnetem Rachen gebildet , der einen trichter-
förmigen Metallaufsatz (mit Spitze) trägt. Der Thierkopf er-
innert an den der Antike nachgebildeten Hadeskopf auf dem
späteren , soeben unter N. XIV erwähnten Skizzenblatt des
Cod. XIII in der Casa Buonarroti. 2. Jugendlicher Kopf, im
Profil nach links. Der Helm, oben rund gebildet, hat eine
weit über den Kopf vorspringende Schirmblende. Ganz lionar-
desk wie auch die folgende. 3. Kopf nach rechts im Profil.
Der Helm mit Ohrenschutzklappe niedrig; über der Stirne eine
nach oben gerichtete Spitze. 4. Kopf nach rechts im Profil.
Sehr hoher Helm mit Schirmrand , mit einem Drachen ver-
ziert, dessen Flügel am Helm anliegen und dessen Kopf vor-
springt. 5. Bärtiger, an Michelangelo selbst erinnernder Kopf
nach links im Profil. Mittelalterliche Helmform mit empor-
geschobenem Visir und Genickschutz von Kettengehänge im
Nacken. 6. Helm mittelalterlicher Form mit Backenstücken,
von einem Vogel mit ausgebreiteten Schwingen bekrönt.
7. Helm von antikischer Form, mit Figuren verziert; Bügel
mit Federn , der untere weit vorspringende Theil über der
Stirne als Thierkopf gebildet.
XVI. Hamburg, Kunsthalle, Nr. 21094. Thode 252 (vgl. oben I,
S. 102 über den Schlachtkarton Nr. XV). Feder. Nach links
gewandter jugendlicher Kopf. Flacher Helm mit weit vor-
ragender Spitze und weit nach hinten wagerecht abstehenden
Flügeln; in der Mitte oben ein kleiner Drache.
340 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Auch ein kleiner nach links gewandter, flüchtig skizzirter Kopf
in der Casa Buonarroti (XII, 59. Thode 52 a) könnte in Betracht
kommen, wäre er mit Sicherheit Michelangelo zuzuschreiben. Er
trägt eine Art Pelzkappe, von Fledermausflügeln überragt.
B. Köpfe im Lockenschmuck.
Ich sehe auch hier, wie bei den Frauenbildnissen, von den
bereits früher erwähnten Studien, welche für bestimmte Figuren in
den ausgeführten Werken gedient haben, ab.
XVII. Oxford Nr. 22 verso. Thode 406. Ber. 1561. Das Brustbild
eines Jünglings im Profil nach links (neben einzelnen anderen
Kopfstudien). Reich gelocktes Haar fällt auf die Schultern
herab. Von entzückender Schönheit und ohne Zweifel von
Lionardo inspirirt, dessen Name, abgekürzt: leardo, daneben
geschrieben ist. Aus der Zeit des Kartons. Auf der Vorder-
seite: Anna selbdritt (s. I, S. 114 über diese Nr. i). Hervor-
zuheben ist die nahe Verwandtschaft dieser Kopfstudie mit
der soeben Nr. XII erwähnten Spinnerin in London.
XVIII. Oxford. Auf demselben Blatte, wie oben Nr. XI, befindet
sich die Kopie eines ganz ähnlichen Jünglingskopfes mit
reichem, auf die Schultern fallenden Lockenschmuck im Profil.
XIX. Oxford 13. Verso. Röthel. Thode 398. Ber. 1515. Auch
hier neben einigen anderen Skizzen ein Jünglingskopf mit lang
herabwallendem Haar im Profil. Darunter eine Kopie dieses
Kopfes , die Andrea gemacht hat , und die Worte : ,, Andrea
abbi patientia A me me consolatione assai".
Aus diesen Studien idealer Frauen- und Jünglingsköpfe sind
nun einige Zeichnungen sorgsam ausgeführter Art hervorgegangen,
in denen gleichsam eine definitive Formulirung des Schönheitsideales
zu gewahren ist. Nach Vasari scheint er sie in Sonderheit für
Perini und Cavalieri eschaffen zu haben (,,teste divine").
j. Die Kleopatra.
Von einer Zeichnung Michelangelos , welche eine Kleopatra
darstellte und ,,vor nicht langer Zeit" von Tommaso Cavalieri, zu-
sammen mit einer Zeichnung von der Hand der Sofonisbe Anguis-
sola, dem Herzog Cosimo übersandt ward, spricht Vasari in dem
Leben der Propetzia de' Rossi (II. Aufl. V, 81). Diese Angabe —
freilich ohne Erwähnung des Vorwurfes der Zeichnung und des
Namens des Meisters — findet ihre Bestätigung durch den erhaltenen
Brief, mit dem Cavalieri am 20. Januar 1 562 seine Sendung begleitet.
Dessen Anfang lautet: ,,Eure Exzellenz hat sich nicht darin ge-
täuscht, wenn Sie sich Etwas von mir versprach, und zum Zeichen
dessen sende ich diese Zeichnung, die mir so werth ist, dass ich
Die Kleopatra 34 1
mich eines meiner Kinder zu berauben meine , und Niemand auf
der Welt wäre im Stande gewesen, sie meinen Händen zu ent-
reissen. Und dass dem so ist , haben Viele , die Herren von
Rom waren, erfahren und es ist ihnen nicht gelungen." Es folgt
die Erwähnung und Beschreibung der Zeichnung der Sofonisbe.
(Gualandi: Nuova raccolta III, 22. Steinmann -Pogatscher: Rep. f.
Kw. XXIX, 444.)
Es kann kein Zweifel darüber sein , dass Michelangelos Kom-
position durch drei mit einander übereinstimmende Zeichnungen,
deren schönstes Exemplar in der Casa Buonarroti aufbewahrt ist,
uns bekannt gemacht wird. Wenn Berenson gelegentHch des
florentinischen Blattes, das er seinem Andrea zuschreibt, bemerkt,
es könne nicht die von Vasari erwähnte Zeichnung sein, da diese
höchst wahrscheinlicher Weise von Michelangelo für Cavalieri an-
gefertigt ward, und das Blatt den Stil einer viel früheren Zeit zeige,
so beweist diese Argumentation gar Nichts. Cavalieri besass eine
Sammlung von Studien Michelangelos , und darunter werden sich
solche aus verschiedener Zeit befunden haben, neben jenen wenigen,
die der Künstler, wie wir wissen, besonders für ihn angefertigt hat.
Bedenkt man, dass die erhaltenen Wiederholungen bezeugen, wie
bekannt und bewundert diese Komposition war, so kann es kaum
zweifelhaft sein, dass sie Cavalieris Kleopatra wiedergiebt. Die
Originalzeichnung freilich ist nicht erhalten , denn auch das Blatt
in der Casa Buonarroti verräth in den Verhältnissen — namentlich
in der zu kurz gebildeten und daher plump wirkenden Nase —
Abweichung von Michelangelos höherer Formenauffassung. Wir
dürfen uns, worauf auch die beiden anderen Kopien deutlich hin-
weisen, den Kopf etwa so rekonstruiren , wie die grosse Madonna-
studie in der Casa Buonarroti ihn zeigt, denn in deren Zeit muss
die Kleopatra versetzt werden.
Die Zeichnung in der Casa Buonarroti (I, 2. Thode 12. Ber.
1655. Phot. Alinari 1027) ist die beste. Kleopatra, nur als Brust-
bild dargestellt, ist nach links gewandt, wendet aber den Kopf
nach rechts und senkt ihn , den Blick schwermüthig seitwärts ge-
richtet. Um ihren Oberarm windet sich eine Schlange, deren
Schwanz hinter der rechten Schulter sich in der Luft windet , und
beisst sie in die linke Brust. Eine zierliche Kopftracht schmückt
das Haupt • der Frau : das Haar ist vorne gescheitelt und gewellt,
auf dem Scheitel kreisförmig in Zöpfe gelegt, deren loses Ende
oben flammenartig in die Luft steht. Volutenförmig greift um das
Haar von hinten nach der Stirne zu über den Ohren je ein Wulst
von Stoff. Über ihn hängt vor den Ohren je ein steifes, schmales
Band an der Schläfe bis zur Wange nieder (eine besondere Form
der uns bereits bekannten Wangenklappen). Ein schmales Band
342 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
umgiebt die Stirne. In den Nacken sinkt ein Zopf herab, der um
den Hals über die linke Schulter herumgenommen ist.
Das Exemplar in der Casa Buonarroti dürfte, was die Aus-
führung betrifft, dem Original am Nächsten kommen. Von Andrea,
dessen schwächliche Handschrift wir auf der Rückseite des Blattes
mit dem Drachen in Oxford kennen lernen, ist sie nicht. Berenson,
der sie ihm zuschreibt, hat aus diesem Andrea ein gar seltsames
Künstlerwesen gemacht, einen Stümper, der unter Umständen auch
ein Genie war ! Denn er giebt ihm neben ganz schwachen Blättern,
wie sie der wirkliche Andrea angefertigt haben muss, auch solche,
die unzweifelhaft von Michelangelos Hand selbst stammen. —
Eine befangene , ängstliche Art verräth die Kopie in London,
die als Legat von Henry Vaughan in das British Museum kam
(1887 — 5 — 2 — 120. Abb. Ottley 35). Die andere in Paris (Nr. 733.
Phot. Giraudon 99) könnte von Andrea sein.
Ein nach der Zeichnung, angeblich von Sebastian© del Piombo
ausgeführtes Gemälde befand sich Mitte des XIX. Jahrhunderts im
Besitze von Domenico Campanari in London. (Dom. Campanari :
Ritratto di Vittoria Colonna. London 1850. S. 28.) Nach dem
darauf befindlichen Wappen der Colonna und den Buchstaben A. C.
wäre es für Ascanio Colonna gemalt worden. Wo es heute ist,
vermag ich nicht zu sagen,
Angelo Bronzinos Kleopatrabrustbild in der Gallerie Borghese
ist durch Michelangelos Blatt inspirirt worden.
Dass Michelangelo zu dieser Zeichnung durch Piero di Cosimos
bekanntes Porträt der Simonetta Vespucci (in Chantilly) angeregt
worden ist, scheint mir nicht zweifelhaft. Die auffallende Darstellungs-
weise der Kleopatra als Brustbild dürfte sich nur so erklären. Auch
auf jenem Idealbildniss ist eine Frau mit reichem Haarputz und
entblösster Brust dargestellt , um deren Hals eine Schlange sich
windet, nur dass diese hier nicht in die Brust beisst, sondern sich
um eine Halskette schlingt. — Diese Beziehung zu einem älteren
Werke, wie der Kopftypus, lassen das Werk als eine frühe Arbeit
des Meisters erscheinen; sie zeigt die nächste Verwandtschaft mit
den weiblichen Köpfen in den Uffizien und in Frankfurt (siehe oben
Nr, IV und VIII) und mit dem grossen Entwürfe der Madonna in
der Casa Buonarroti (XVI, 72, Thode 69), gehört also etwa in die
Jahre 1501 bis 1504,
Wie es scheint, hat das Bildniss auch einen Bildhauer zur Nach-
ahmung begeistert, denn in einem Gedichte, welches Steinmann und
Pogatscher veröffenthcht haben (Rep. f. Kw. XXIX, S. 417), hat der
Veroneser Arzt Francesco Pona (geb. 1594, starb nach 1652) eine
Marmorbüste der Kleopatra besungen, die, in seinem Besitze befind-
lich, Michelangelo selbst zugeschrieben wurde. Das Gedicht lautet:
Die sogen. Zenobia oder Vittoria Colonna 343
Per la Cleopatra di marmo, opera di Michelangelo
Bonaroti
Posseduta dairAutore
In bellezza spirante, o marmo inciso,
Deh quäl Pimmaleon cö suoi scalpelli
Fe la bocca amorosa e gli occhi belli
E tre Grazie racchiuse in un sol viso?
Ah, c' humano poter tanto non sale!
Ti scolpi sü nel Ciel la man d'Amore,
Che per levar ä fidia il primo honore
In scalpello divin cangiö lo strale.
Ti scolpi Amore e t'animö dipoi,
E lä ve'l Nilo i' suoi gran regi inchina,
D'alta beltä ti stabil! regina,
Chiara dal fosco occaso a i bianchi eoi.
Vivesti un tempo e tributarie havesti
D'ossequio le provincie e di tesoro;
E Roma ancor l'imperioso alloro
Chinar humile al tuo bei pie scorgesti.
Ma ria Fortuna, a tuoi gran fasti aversa,
La vita del tuo spirto, Antonio, uccise;
E la fe' de vassali errar permise
Fra le schiere nimiche (ahime) dispersa.
E all' hora fü, che ingiuriosa sorte
Suggeri a la tua man trä infidi fiori
In picciol angue ismisurati horrori
E in un dente minuto horrenda morte.
Hebbe forza il veleno, anzi '1 dolore
D'irrigidir le membra e pietra farne;
Ma Viva carne in marmo e marmo in carne
Mira l'occhio confuso e ammira il core.
Tu piangi, o marmo vivo ; et odo il grido,
Che da la bocca tua manda l'affanno;
E al mirar del tuo sen l'infausto danno,
Ahi, ch' anch' io per dolor mando uno strido.
Ma ahime, ch' in pietra hör mi trasformo anch' io;
E giä mortal rigor la mente opprime;
Giä col corso vital mancan le rime,
Adio Carmi, a Dio Cetra, e Lauri, a Dio.
4. Die sogenannte Zenobia oder Vittoria Colonna.
Eine in den Uffizien (138, 598. Thode 206. Ben 1626. Phot.
Br. 189) aufbewahrte Zeichnung zeigt das sorgfältig ausgeführte
Brustbild einer grossartigen Frauenerscheinung im Profil nach links
gewandt, das Auge seitwärts herausschauend. Ein hinter ihr
344 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
stehender flüchtig skizzirter Knabe , von dem nur der Oberkörper
sichtbar ist, steht hinter ihr und schmiegt sich an sie, mit der
rechten Hand ihren im Schoosse liegenden Unken Arm fassend.
Rechts hinter ihr wird ein älterer bärtiger Mann, gleichfalls flüchtig
skizzirt, sichtbar, der den Kopf mit finsterem Blick nach Hnks wendet.
Die Frau hat nackte, von hoher Gürtung emporgehobene Brüste;
ein vorne offenes Gewand mit kleinem steif emporstehenden Kragen
im Nacken und seitlich der Brust herabfallendem Tuch wird oben
an dieser durch ein Querband gehalten. Der Ärmel ist unter der
Schulter mit einem breiten Metallreif umschlossen, auch über der
Schulter scheint ein solcher als Besatz des Kleides angebracht zu sein.
Das Haar baut sich in der Mitte des Kopfes über einem Stirnband
mit Schmuckstück auf, seitwärts zieht sich nach hinten ein Zopf,
ein kleines Zopfende und eine Locke hängt über die Schläfe herab
vor dem Ohre, das einen tropfenförmigen Schmuck trägt. Auf dem
Hinterkopfe sitzt eine Haube in Gestalt eines Helmes mit einem
über dem Scheitel stehenden Schirm und einem oben und unten
volutenartig sich krümmenden , grossen , ornamentirten und durch
Perlen verzierten Bügel.
Auch dieses wundervolle Werk, das zu den eindrucksvollsten
Zeichnungen des Meisters gehört, hat, wie so manches andere be-
deutende , die neuere Forschung Michelangelo nehmen wollen.
MoreUi giebt es dem Bacchiacca, Berenson seinem fabulösen Andrea.
Als ob nicht aus jedem Striche die Gewalt und OriginaUtät des
grössten Genius spräche ! Wölfflin hat diese verspürt und, sich der
Bedenken entledigend , die Entstehung des Blattes in die Zeit der
Beschäftigung mit der Libica gesetzt (Rep. f. Kw. 1890. XIII, S. 269).
Dies ist auch meine Meinung.
Eine getreue Kopie der Zeichnung, in welcher die Züge der
Frau etwas Geschwollenes erhalten haben und die Strichführung
die Hand eines gewissenhaften, aber zaghaften Nachahmers verräth,
befindet sich in Windsor (Phot. Br. 119).
Ein Gemälde, bloss das Frauenbild (nicht der Mann und das
Kind) auf dunklem Hintergrund darstellend, befand sich in der
Sammlung von Sir Joshua Reynolds, in der es als Zenobia bezeichnet
ward. William Sharp hat 1787 einen Stich danach gemacht, der
1788 und 1799 neu herausgegeben wurde und die Frauenbrust ver-
hüllt zeigt. (W. S. Baker: W. Sharp. Philadelphia 1875 und Sa-
muel Redgrave : Dictionary of artists of the English School painters.
London 1878.) Auf der Vente Reynolds 1795 (14- März, Nr. ^J
der 4. vacation) kaufte es ein Mr. Young. Später ist es angeblich
in der Sammlung des Sir Robert Peel gewesen. 1874 erwarb es
Mr. J. F. Leturcq von einem Händler in London und pubUzirte und
besprach es in einer Brochure (Notice sur un tableau de M. A. Büste
Die sogen. Graf von Canossa und Marchesa von Pescara 345
de Zenobie. Tours 1887). Der Maler, offenbar ein vortrefflicher
Künstler des XVI. Jahrhunderts, hat sich einige geringe Verände-
rungen erlaubt. Er lässt die Frau ganz seitwärts nach unten blicken,
verhüllt ihren Busen mit einem anliegenden, durchsichtigen Schleier
und schmückt, blossen Andeutungen Michelangelos folgend, den
Helm der Haube und den Gewandbesatz mit zierlichen Ornamenten
im Groteskengeschmack.
Dass die Bezeichnung der Frau als Vittoria Colonna durchaus
^willkürlich und unrichtig, versteht sich von selbst. Aber auch der
Name Zenobia dürfte jeder Begründung entbehren. Ob Michel-
angelo überhaupt an irgend eine bestimmte mythische oder histo-
rische Persönlichkeit gedacht? Dass der Mann und das Kind Nichts
mit der Frau zu thun haben, sondern von ihr unabhängige Skizzen
sind, ist nicht wohl anzunehmen. Das Kind wenigstens ist offenbar
im Zusammenhang mit ihr gedacht. Es war also die Darstellung
einer heroischen Familie gemeint; die Kopfbedeckung des Mannes
ist undeutlich, doch scheint sie helmartig zu sein.
5. Der sogenannte Graf von Canossa, hesser : Mars.
Mit der Sammlung Malcolm gelangte in das British Museum eine
grosse, sehr ausgeführte Kreidezeichnung, die einst im Besitze von
Reynolds und Lawrence gewesen war: das Idealbildniss im Profil
eines Kriegers in noch jungen Jahren (Nr. 55. 1895—9 — 15 — 492-
Thode 343. Ber. 1688. Abb. Lawrence Gall. 22). Sie wird im Print-
room nur als ,,attributed to M." bezeichnet. Berenson meint, sein
Andrea habe sie nach einer Skizze des Meisters ausgeführt, Ch.Loeser
giebt ihr den Namen Bacchiacca. Die grossartige Konzeption lässt
jedenfalls keinen Zweifel darüber, dass sie michelangelesken Ur-
sprungs ist : das ausgebildete Resultat der uns bekannt gewordenen
kleinen Studien dieser jungen Krieger. Jede Einzelheit zeigt des
Künstlers Eigenart.
Dargestellt ist ein Mann von grossartigen Zügen mit Schnurr-
und kurzem Kinnbart, ähnhch wie die Zenobia seitwärts heraus-
schauend. Das Brusttheil seines Panzers ist mit der grossen Maske
eines schreienden Satyrs verziert, an dem Schulterstück sieht man,
als Relief gedacht, die Gruppe zweier Ringer : einen nackten Mann,
der einen andern zu Boden geworfen hat und ihn niederdrückt. Der
Helm ist vorne als Kopf eines den Rachen aufsperrenden Thieres ge-
bildet, hinten mit einem Kranze von Federn, die aus Metallbeschlag
emporwachsen und über die hinten eine längere , sich krümmende
Feder herabhängt, umkleidet und von einem Hund bekrönt, der,
auf den Vorderbeinen knieend, in den Haarbusch des Thieres beisst.
Offenbar ist es dieser Hund gewesen, der schon in alten Zeiten
zur Benennung: Graf von Canossa geführt hat — man wurde an
346 Mythol. und allegor, Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
den einen Knochen im Maul tragenden Hund im Wappen der Canossa
erinnert. Die Inschrift auf einem Stiche, den Antonio Tempesta
nach dieser Zeichnung im Gegensinne gemacht (B. 1370» sagt:
Canossiae familiae nobilissimo stipiti Michelangelus Bonarotus deli-
neabat Romae superiorum permissu Ant. T. ine. 1617 — eine Angabe,
die für meine Meinung, es handele sich um eine Schöpfung Michel-
angelos, schwer ins Gewicht fällt.
Als Pendant zu diesem Stiche hat nun Tempesta das folgende
Frauenbildniss gestochen, obgleich dessen Zeichnung im Format
etwas kleiner ist.
6. Die sogenannte Marchesa von Pescara der Malcolm' sehen
Sammlung.
Sie befindet sich heute gleichfalls im British Museum (Malcolm
Nr. 56. 1895 — 9 — 15 — 493. Thode 344. Ber. 1689. Abb. Lawrence
Gall. 17) und stammt ursprünglich aus der Casa Buonarroti (später
bei Wicar, Ottley, Lawrence). Auch dieses herrliche Blatt, obgleich
eine in derselben Sammlung befindliche Kopie (Malcolm 57. 1895 —
9 — 15 — 494) den entscheidenden Vergleich zwischen Original und
Nachahmung gestattet, wird von Berenson dem Andrea, von Loeser
dem Bacchiacca zuertheilt. Ich sehe in diesem Wunderwerk reichster
Durchführung, geistreicher Behandlung und grosser Harmonie die
Hand des Meisters, die auch in einigen kleinen Skizzen der Rück-
seite (neben Schülerversuchen) zu erkennen ist.
Wir gewahren den Kopf einer gerade vor sich hinschauenden
jugendlichen Frau im Profil nach links. Ihr Kopf trägt eine mit
Schuppen besetzte anliegende Kappe, über die sich ein voluten-
förmig endigender, vorn mit einem Cherubim besetzter Wulst nach
hinten zieht. Unter dem Cherubim hängt ein schmales ornamentirtes
Band auf die Schläfe herab. Aus der Kappe quillt vorn über die
Stirn gewelltes Haar, im Nacken eine wellige Haarmasse , aus der
sich ein um den Hals gelegter Zopf löst. Ein anderer Zopf hängt,
nach hinten in die Haarmasse gebunden, von der Schläfe über das
Ohr herab. Ein Band umzieht die Stirn, ein anderes, mit breiterem
Obertheil, das Kinn beim Halsansatz.
An vollkommener Schönheitsbildung übertrifft dieses Bildniss
die Zenobia und ist offenbar später entstanden. Ob noch in der
Zeit der Sixtinischen Deckenmalerei? Ich möchte hier schon eine
Annäherung an die Typen der späteren Periode: der Nacht und
der Leda gewahren. Auch hier, wie beim Grafen von Canossa,
ist die Namengebung irrthümlich. Es sind namen- und zeitlose
Schönheitsbilder.
Der Stich Antonio Tempestas (B. 1372) trägt keine Inschrift. —
Eine zweite Kopie befindet sich in Windsor (Phot. Br. liS).
Die Prudentia oder Veritas 347
Dass für die Entstehung dieser Idealbildnisse antike Münzen
und Gemmen mitbestimmend gewesen sind, wie solche ja in grosser
Zahl in Renaissanceplaketten nachgebildet wurden, ist ausser Zweifel.
Schon Donatello hatte sich in diesem Sinne von der Antike beein-
flussen lassen, und es ist nicht undenkbar, dass eine Plakette von
seiner Hand, wie die in Berlin befindliche, welche die Brustbilder
von Mars und Diana einander gegenüberstellt, Michelangelo bekannt
gewesen ist (Abb. in Beschreibung derBildw., Bd. II; Die ital. Bronzen,
Taf. XLIII, 633). Man vergleiche auch eine andere Plakette mit
dem Bildniss des Mars (ebenda Nr. 493), an dessen Brust sich ein
IMedaillon mit Herkules und Antäus befindet — letzteres gleichsam
ein Seitenstück zu der Ringergruppe am Ärmel des Grafen von
Canossa. Dürfen wir nicht daraufhin den Krieger Michelangelos
mit dem Namen „Mars" taufen } Mir scheint dem Nichts im Wege
zu stehen. Die Frau Diana zu benennen, dürfte hingegen doch wohl
zu gewagt sein.
VI
Die Prudentia oder Veritas
In mehreren Exemplaren erhalten ist eine Zeichnung des
Meisters, welche die Prudentia vorstellte und ihrem Stile nach, an
die Sibyllen und Lunettenkompositionen erinnernd, wohl in der Zeit
der Beschäftigung mit den Sixtinischen Deckengemälden entstanden
sein muss. Die bestimmteste Vorstellung des Vorwurfes giebt uns
eine Federzeichnung in den Offizien (142, 614; Thode 210; Ben 1637;
Phot. Br. 186; Brogi 1793; Abb. Ricci, S. 127; Müntz, Histoire de
l'art pendant la Renaissance III, p. 488), die von Morelli fälschlich
dem BandinelH, von Berenson wohl mit Recht dem Battista Franco
zugeschrieben wird (I, p. 264).
Eine mächtige Frau sitzt, den rechten Arm imSchooss, in ruhiger
Haltung nach rechts gewandt und blickt in einen Spiegel, den die
Hand ihres linken, auf das linke Bein aufgestützten Armes hält. Sie
trägt ein am Halse ausgeschnittenes Gewand mit am Ellenbogen
(über Unterärmeln) aufgekrämpelten Ärmeln; ihr Unterkörper ist
mit einem grossen Mantel umkleidet. Ihr Kopfputz mit einem Wulst
über der Stirne und kunstreich geflochtenem , das Haar umfassen-
dem Tuche, das über die Ohren herabfällt, erinnert an Sixtinische
Trachten. Drei Knaben treiben ihr Spiel um sie herum: der eine
links hat sich knieend hinter ihr versteckt, ein zweiter, an ihr linkes
Bein gelehnt, fasst nach einer grossen bärtigen, umgekehrten Maske,
mit der ihn ein von rechts heranschreitender dritter, den Kopf
hinter ihr verbergend, zu erschrecken sucht. Dieser dritte Knabe
scheint sich, um die Fremdartigkeit seiner Erscheinung zu erhöhen.
34^ Mythol. und allegor, Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
vermummt zu haben : er trägt auf dem Kopfe die hohe Mütze eines
Alten und hat einen Mantel mit herabhängender Kapuze umgehängt.
Der Zweck aber ist verfehlt : offenbar erkennt der Gespiele den Freund
ganz wohl in der Larve.
Hat diese Darstellung eine allegorische Bedeutung oder ist sie
nur ein Seitenspross der Beschäftigung mit den Familiengruppen
der Lunetten ? Traditionell wird die Frau als „Klugheit" — im Hin-
blick auf das übliche, dieser Tugend verliehene Motiv des Spiegels —
oder als „Wahrheit" bezeichnet. Für beide Deutungen Hessen sich
Gründe geltend machen. Wäre die Prudentia gemeint, dann dürfte
man in dem Kinderspiel eine Veranschaulichung ihres Gegentheiles :
der Thorheit oder Narrheit finden. Bedeutete sie die Wahrheit,
die sich rein ohne Trübung spiegelt , könnte man in dem Sich-
maskiren des einen, wie in dem Sichverstecken des anderen Knaben
die Unwahrheit, die sich versteckt oder verhehlt, repräsentirt sehen,
und in diesem Falle erschiene der an die Frau gelehnte Knabe als
deren kleiner Gehülfe, der dem Trug ein Ende macht. Gegen eine
solche Deutung, namentlich die zweite, würde sich wohl nichts Ernst-
liches einwenden lassen, bliebe es auch seltsam, dass kindlichem
Spiele ein ,,so ernster Sinn" zugemuthet würde.
Sich mit der einfachen Erklärung, es sei, wie in den Lunetten,
nur eine Genreszene gegeben, zu begnügen, wird, angesichts der
feierlichen Erscheinung der Frau, keinem Betrachter leicht fallen.
Vielleicht aber bildete für den Künstler den Ausgangspunkt doch
eine schlichte Familiendarstellung, in welcher er das schon bei seiner
Dionysosrestauration verwerthete, ihm zusagende antike Motiv des
mit einer Maske spielenden Knaben anbrachte. Hierfür könnte
Eines sprechen : neben dem Spiegel sehen wir einen Gegenstand in
Strichen angegeben, der offenbar ursprünglich an Stelle des Spiegels
von der Hand der Frau gehalten und dann durch die Schattirung
des Hintergrundes undeutlich gemacht wurde, und dieser Gegen-
stand dürfte , wie mir scheint , wohl nur als Spinnrocken zu
deuten sein.
Nur die Frau befindet sich auf der Vorderseite einer Zeich-
nung in Chantilly (Phot. Br. Exp. Ec. d. b. a. 65), die auch auf der
Rückseite die Komposition wiederholt zeigt. Berenson (Nr. 1624)
schreibt auch diese Federstudie dem Battista Franco zu; sie ist
aber sicher von anderer Hand als das Blatt in den Uffizien. Sie
könnte von Michelangelo sein (vgl. unten den Exkurs über die
Grablegung Christi in London). Es ist wohl die einst im Besitze
Mariettes befindliche, der in ihr eine Studie für eine der Figuren
auf der Plattform des Juliusdenkmales zu erkennen glaubte.
Eine andere Kopie wird in der Ambrosiana zu Mailand auf-
bewahrt (Phot. Br. 260).
Die Michelangelo zugeschriebene Fortuna 34g
VII
Die Michelangelo zugeschriebene Fortuna
Eine in drei kleinen Gemälden und einer Zeichnung erscheinende
Komposition einer Fortuna auf dem Rade wird traditionell als
Schöpfung Michelangelos bezeichnet.
I. Zeichnung in den Uffizien 146, 609. Kreide. Ber. 1633. Phot.
Br. 200. Abb. Ricci S. 107. Links und rechts beschnitten,
so dass der halbe rechte Unterarm und die halbe linke Hand
nicht mehr zu sehen sind. Der Körper sorgfältig ausgeführt,
auch das Gewand, aber in breiterer Schattirung vollendet,
die Flügel und Haare nur allgemein angelegt. Die Zeichnung
wirkt nicht wie ein Originalentwurf, sondern wie die Kopie
eines bedeutenderen Originales. An Michelangelo zu denken,
wird man durch Nichts veranlasst, wenn auch der nackte Leib
als michelangelesk in den Formen zu bezeichnen ist. Viel-
mehr wird man an Angelo Bronzino gemahnt. Dies findet
auch Berenson, der das Blatt einem Nachfolger Bronzinos
zuschreibt.
II. Gemälde in der Galerie Corsini zu Florenz. Nr. 182. Michel-
angelo zugeschrieben.
III. Gemälde in der K. K. Galerie zu Wien. Nr. 102 (früher
Nr. 307), gen.: Nach Michelangelo. Nach der Anmerkung
im Ed. von Engerth'schen Katalog 1882, I, S. 215 stammt das
Bild aus der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm.
Das Inventar von 1659 (Nr. 410) nennt es eine Kopie nach
Giulio Romano. Mechel, 1783, S. 84 schreibt es dem van
Veen zu. ,,Die Komposition zu diesem Bilde ist bekannt als
von Michelangelo herrührend und soll noch vor ein paar Jahr-
zehnten in Florenz in der Villa Candia fuori di porta S. Gallo
als Freske zu sehen gewesen sein. Ferner soll auch ein Öl-
bild nach England gegangen sein." v. Engerth hielt es für
eine italienische Kopie, v. Frimmel (Galeriestudien III. Folge
S. 374) für eine deutsche.
IV. Gemälde, jetzt in England.? Figur in halber Lebensgrösse.
Es vv^ard 1843 von Vincenzo Botti in Florenz von einem
Händler gekauft und nach der Restaurirung für ein Original-
werk Michelangelos gehalten. In einem Aufsatze (Ricoglitore
Fiorentino 1846, Nr. 11 und 12) besprach Paolo Emiliani-
Giudici es ausführlich und stellte die Behauptung auf, Dantes
Verse über die Fortuna im VII. Canto des Inferno hätten
Michelangelo inspirirt. Die beiden letzten Terzinen der
Schilderung lauten:
350 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Questa 6 colei che e tanto posta in croce
Pur da color che le dovrian dar lode
Dandole biasmo e torto a mala voce.
Ma ella s' e' beata e cio' non ode
Con r altre prime creature lieta
Volve sua spera e beata si gode.
1847 gab Vincenzo Botti eine kleine Schrift : Associazione ad
un' opera inedita di Michelangiolo B. rappresentante la Fortuna
heraus, in welcher er, zur Subskription auffordernd, einen von
Davide Testi anzufertigenden Stich nach dem Bilde ankündigt und
eine kleine Abbildung publizirt. Auf der Florentiner Ausstellung
1875 war das Bild zu sehen (Manz: Gaz. d. b. a. S. 164 nennt es eine
Nachahmung). Später scheint es nach England gekommen zu sein.
Rittlings auf einem Rade sitzend, den Kopf mit nach links
wehenden Haaren etwas zur Seite gewandt, von kräftigen bunten
Flügeln getragen , unbekleideten Oberkörpers , ein im Winde ab-
wehendes rothes Gewand um die Beine geschlungen , eilt Fortuna
durch die Lüfte. Ihrer rechten Hand entfällt ein Lorbeerkranz, ein
Szepter und eine Krone; die linke streut Dornen aus. Glanz und
Helligkeit umgiebt das Haupt, indessen in der Tiefe Dunkel herrscht.
Ist der Entwurf, der diesen Gemälden und der Zeichnung zu
Grunde liegt, von Michelangelo? Mir will es nicht so scheinen;
viel eher könnte man den Charakter der Komposition und die Art
der Bewegung raphaelesk nennen. Oder besser gesagt: es zeigt
sich eine Mischung von Einflüssen Raphaels und Michelangelos, die
auf einen Nachfolger der beiden Meister hinweist.
VIII
Der Raub des Ganymed
Vier mythologische Kompositionen hat nach Vasari Michel-
angelo für Tommaso Cavalieri geschaffen: ,,den von Zeus' Vogel
zum Himmel entführten Ganymed", Tityos, den Sturz des Phaeton
und das Kinderbacchanal. (So auch Varchi in der „Leichenrede".)
In einem Briefe vom 5. September 1533 spricht Cavalieri von den
in seinem Besitz befindlichen Zeichnungen des Tityos und Ganymed,
und so kann kein Zweifel darüber aufkommen, dass es eben diese
beiden Blätter waren, für welche er am i. Januar 1533 seinen Dank
abstattet. Sie sind demnach Ende 1532 entstanden (vgl. Frey,
Dicht. S. 513. Reg. 45. S. 522. Reg. 75. Thode, Annalen. Stein-
mann und Pogatscher, Rep. f. Kunstw. XIX S. 497 f.) Ohne
Zweifel, wie auch Berenson und Frey bemerkten, spielt Sebastiano
del Piombo auf die Zeichnung des Ganymed an , als er in dem
Der Raub des Ganymed 351
Briefe vom 17. Juli 1533, im Hinblicke auf das anzufertigende Bild
in der Laterne der Medicikapelle, scherzhaft sagt : „mir schiene es,
dass sich dort gut der Ganymed ausnehmen würde und man könnte
ihm ein Diadem machen, dass er aussähe wie S. Johannes in der
Apokalypse, wenn er in den Himmel entrückt wird." — Der Kardinal
Hippolyt Medici war von den beiden Werken so entzückt, dass er
sie von Giovanni Bernardi da Castelbolognese in Krystall schneiden
lassen wollte. Dies setzte er für den Tityos auch durch ; den Gany-
med aber rettete Tommaso davor. (Brief 5. September 1533.) Er
konnte aber nicht verhindern, dass Bernardi doch auch ihn that-
sächlich geschnitten hat und Don Giulio Clovio den Ganymed
kopirte: das ,,quadrettö" kam in den Besitz Herzogs Cosimo (Vasari
VII, 567). Francisco de HoUanda (Ausg. de Vasconcellos S. 135)
sah es 1539 in Rom: ,,da legte D. Giulio uns einen Ganymed vor,
den er nach einer Zeichnung Michelangelos illustrirt hatte, in sehr
zarter Ausführung — die erste Arbeit, durch die er sich in Rom
einen Namen verschafft hat." Im Inventario der Kunstschätze des
Herzogs von 1589 wird das Bild angeführt als: ,,quadretto di un
ratto di Ganimede, Minio, largo ^/„, alto ^Z^." Vasari erwähnt ferner
einen im Auftrage des Ant. Lafreri angefertigten Stich (V, 431) und
die Anbringung des Ganymed auf dem Gemälde der Schlacht von
Montemurlo durch Battista Franco , der damit dem jugendlichen
Herzog ein höfisches KompHment himmlischer Apotheose habe
machen wollen (VI, 575).
Da dieses Bild, sowie ein Stich von Beatrizet uns bekannt sind
und in beiden die Gruppe gleich gebildet erscheint, mit ihr aber
auch eine Zeichnung des Meisters in Windsor übereinstimmt, kann
über die definitive Komposition kein Zweifel aufkommen. Es fragt
sich nur, ob auch vorbereitende Studien erhalten sind und ob in
der Cavalieri'schen Zeichnung unten Landschaft angegeben war.
Die Originalzeichnung in Windsor (Thode 539. Ben 614.
Phot. Br. 117. Abb. Frey 18), in Kreide ausgeführt, zeigt bloss die
Gruppe des Adlers mit Ganymed , keine Landschaft. Die Arme
auf den mächtigen Schwingen ausgestreckt, die weit auseinander ge-
haltenen Beine von den Klauen umfasst, den Kopf mit dem lockigen
Haar sanft gesenkt, im Rücken ein flatterndes Tuch, wird der Jüng-
ling von dem Adler , der seinen Kopf um dessen Brust schmiegt,
sanft und sicher emporgetragen. — Ist dies die Zeichnung, die
Monsignor Bouveray in Florenz erwarb? (Vasari VII, 271. Anm. 2.)
Alte Kopien.
A. Kreidezeichnung. Paris, Louvre Nr. 734.
B. Rötheizeichnung. Ebendaselbst Nr. 'j'j'j.
C. Zeichnung. Ebendaselbst Nr. 826.
352 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
D. Kupferstich von N. Beatrizet (P. in). Bez. Ganimedes juvenis
Trojanus raptiis a Jove. — Späterer etat: Michael Ang. Bonar.
in. Phls Thomassinus exe. Romae. Hier ist unten eine grosse
Landschaft mit Bergen und Meer zu sehen. Der sitzende
verlassene Hund bellt nach oben. — Einige andere von
Heinecken (I, S. 104) erwähnte Stiche sind nur freie Nach-
bildungen.
E. Gemälde von Battista Franco: die Schlacht von Montemurlo
in Palazzo Pitti. Die Gruppe schwebt oben in der Luft. Ein
unten stehender, zwei Hunde haltender Krieger schaut ihr
nach. Burckhardt (Beiträge S. 433) deutet, wie Vasari, Gany-
med als Herzog Cosimo selbst, der von der im Adler symboli-
sirten Unterstützung Karls V. getragen wird. Unten stehen
die Anhänger des Herzogs als Ganymeds Jagdgenossen; in
der Ferne die Schlacht, in welcher einst (1537) das Heer
Cosimos über die floientiner Ausgewiesenen gesiegt hatte.
F. Grosses Gemälde in Hamptoncourt Nr. 602. Unten eine Land-
schaft mit dem sitzenden bellenden Hund , wie in Beatrizets
Stich; in der Ferne hinter Wasser Ruinen. Passavant (Kunst-
reise S 47), der es im Kensingtonpalast sah, hielt es irrthüm-
lich für die Kopie von Franco ; Waagen für eine Arbeit van
Orleys. Wenn ich letzteres auch nicht glaube, so ist es mir
doch kein Zweifel, dass es von einem vlämischen Meister ge-
malt ward.
G. Gemälde in Corshamhouse, England. Nach Waagen (Künstler
und Kunstwerke 11, 306) ein ,, besonders fleissiges und gutes
Exemplar". Ob es sich noch dort befindet, ist mir unbekannt.
H. Gemälde aus der Sammlung Val. C. Prinsep, in den neunziger
Jahren im South Kensington Museum in London ausgestellt.
(Nach V. Frimmel, Galeriestudien III. Folge S. 373.)
I. Gemälde in der Galerie von Sanssouci (Parthey S. 215).
K. Gemälde in der K. K. Galerie zu Wien. Nr. 95. Aus der
Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm. Unten Land-
schaft mit dem bellenden Hund ; Ruinen. Über die Reproduk-
tionen siehe v. Engerths Katalog I, S. 214. Nr. 306.
Im XVIII. Jahrhundert finde ich zwei Exemplare erwähnt, die
man wohl in einem oder dem anderen der erwähnten Gemälde
wiederzuerkennen hat:
I. Im Besitze des Herzogs von Orleans, der es 1722 aus der
Sammlung der Königin Christine von Schweden erwarb („Michel-
angelo Nr. 32. II famoso Ganimede, alto palmi i, o, S'^l^', largo
palmi I, o, 3"). Mariette erwähnt es im Palais royal (Obs. yy).
In der Verkaufsliste der Galerie Orleans (1792 und 1800 in London,
siehe Waagen a. a. O. I, S. 492 ff) finde ich es nicht angegeben.
Der Raub des Ganymed 353
2. Im Palazzo Giustiniani zu Rom. Vasi, Itinerario 1791, S. 429
und V. Ramdohr III, 39 erwähnen es. Ist es das Bild, das Lanzi
(Storia pitt. III. Aufl. I, 146) als bei den Colonnas befindlich an-
führt?
L. Plakette des Giovanni Bernardi da Castelbolognese (im Gegen-
sinne), im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin. (Die ital. Bronzen
Taf. LXVIII, Nr. 121 5), im South Kensington Museum, Museo
Correr und sonst (vgl. Molinier: les Plaquettes Nr. 238.) Der
Text der ,,Ital, Bronzen in Berlin" sagt: ,,nach einem be-
zeichneten, geschnittenen Stück des Giovanni Bernardi (Cades
61, 7. Tresor de numismatique et de glyptique, recueil des
bas-reliefs, Teil I, Taf. XIII, Nr. 2)." Dieser geschnittene
Krystall scheint dann für die Farnesische Kassette (siehe oben
II, S. 249) bestimmt, aber nicht verwerthet worden zu sein.
So sicher es durch alle diese Wiederholungen beglaubigt wird,
dass die Zeichnung in Windsor Michelangelos endgültige künst-
lerische Fassung des Vorwurfes der Gruppe war, so wird aber da-
mit noch Nichts über die Frage entschieden, ob der Künstler nicht
noch einen anderen Entwurf gemacht, in dem das Landschaftliche
hinzugefügt war. Ich halte dies aber für durchaus unwahrscheinlich
— die Landschaften auf den Gemälden lassen sich alle auf den
Stich Beatrizets zurückführen, und dass in ihm die Landschaft nicht
von Michelangelo herrührt, dessen bin ich gewiss. Ein so reiches
Landschaftsgebilde stünde in dem Schaffen des Meisters, der, wenn er
hierzu gezwungen war, sich auf das Geringste von Andeutungen be-
schränkte, ganz vereinzelt da. Diese Umgebung fügte Beatrizet
(oder vielleicht schon Clovio.?) hinzu, und von ihm übernahmen
sie die anderen Kopisten , sie mehr oder weniger frei variirend.
Und damit würde auch die Frage Burckhardts (Beiträge S. 432) ihre
Beantwortung finden, welche eine Beziehung zwischen Correggios
Ganymed und dem Stich in der Anordnung der Felskuppe und
dem klagend nachschauenden Hund , die in beiden Werken ,,dem
Ganzen Maassstab, Raum und Luftdistanz geben", bemerkt. Beatrizet
dürfte Correggios Bild gekannt haben. (Das Umgekehrte wäre frei-
lich auch denkbar, falls nicht Correggio, sondern Parmeggianino der
Schöpfer des Gemäldes ist.) Ich führe bei dieser Gelegenheit an,
was Burckhardt vergleichend über die Kompositionen Michelangelos
und Correggios sagt: ,, Michelangelo meldet recht glaubhaft, wie es
ein ganz riesiger Adler anfangen müsste, um einen herkulisch mus-
kulösen Menschen , zweckmässig eingeklemmt und an den Waden
angekrallt , in die Lüfte zu bringen ; bei Correggio dagegen geht
das Wunder ganz leicht vor sich."
Dass der Maler das Deckengemälde in der Galerie von Modena,
das, früher dem Correggio zugeschrieben, jetzt von Ricci für eine
%* 23
^54 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Arbeit von Lelio Orsi gehalten wird , Michelangelos Komposition
gekannt, ist wahrscheinlich : die Hauptmotive (auf den Flügeln aus-
gestreckte Arme , Ankrallen der Beine , Kopf des Adlers vor der
Brust des Knaben, im Rücken abwehendes Gewand) sind die gleichen,
nur die Seitwärtsdrehung des Ganymed , im Geiste Correggios er-
funden, ist neu. Auch Girolamo da Carpi war der Stich wohl nicht
unbekannt, als er seinen Ganymed (Dresden, Galerie Nr. 145) schuf,
entfernte er sich auch viel weiter von dem Vorbild. — Und das
Gleiche gilt von dem Gemälde aus Tizians Schule in London (Nat.
Gall. 32).
Hat aber Michelangelo selbst ein Vorbild benutzt? Es könnte
nur ein antikes in Frage kommen. Wickhoff meinte : Nein. Frey
glaubt es, und Jacobsen (Rep. f. Kw. XXIX, 28) hat auf eine be-
stimmte Arbeit: einen Cameo im Museo nazionale zu Neapel, Nr. 201,
aufmerksam gemacht. Mir scheint dies sehr zweifelhaft, und die
folgenden Ausführungen bestärken mich in solcher Ansicht.
Dass die vollkommene Lösung des schwierigen Problems, wie
sie in dem Blatte in Windsor vorliegt, sogleich von Michelangelo
sollte gefunden worden sein, ist wenig glaubhaft. Wir müssen vor-
bereitende Studien voraussetzen. Und in der That giebt es Zeich-
nungen, die Anspruch darauf erheben könnten, solche zu sein. In den
Uffizien zu Florenz befindet sich eine Rötheizeichnung, die
zu denken giebt (147, 611. Thode 216. Ber. 1634. Phot. Brogi 1791).
Berenson sagt: ,, Gewiss nicht von Michelangelo, und doch hat sie
Etwas von ihm." Frey fragt, ob sie von AUori sein könne. Auch ich
habe zuerst angenommen, sie sei eine Variation des Michelangelo-
schen Ganymed , von einem Nachahmer angefertigt. Dann aber
Hess mich die Gewalt und Grossartigkeit des Adlers , sowie die
Kühnheit und Originalität der Konzeption , auf den Gedanken
kommen, ob uns in ihr nicht die Kopie eines früheren Entwurfes des
Meisters erhalten ist. Bestärkt wurde ich in dieser Meinung durch
den hier ganz Michelangelesken Charakter des unten flüchtiger
angegebenen spärlichen Landschaftlichen: bloss Vordergrund; ein
etwas nach rechts ansteigendes Terrain, über dem sich ein dürrer,
abgehackter Baumstamm (wie in der Erschaffung Evas und im
Sündenfall neben Eva) erhebt, links ein dem Entführten nach-
schauender stehender Hund, rechts das Hirtenbündel. Und weiter
bestärkt durch eine andere von Frey angeführte Zeichnung bei
Mr. Ch. Newton Robinson in London, welche die gleiche Landschaft
mit Hund und Bündel zeigt. Leider kenne ich diesen Entwurf
nicht aus eigener Anschauung und vermag daher nicht zu beurtheilen,
ob in ihm etwa das Original des Blattes in den Uffizien zu erkennen
ist. Jedenfalls aber möchte ich auch diese Version der Ganymed-
darstellung, die in Formensprache und -behandlung (vgl. namentlich
Der Raub des Ganymed 355
den Kopf) der Tityoszeichnung in Windsor nahe kommt, für eine
Schöpfung des Meisters halten.
Sie unterscheidet sich dem Charakter nach wesentlich von der
Komposition in Windsor. Von dem leichten , spielenden Empor-
tragen und -getragenwerden ist hier noch Nichts zu sehen. Mit
mächtigem Schlag der nicht ausgebreiteten, sondern erhobenen
Schwingen emporstrebend, hat der Adler mit dem sich sträubenden
Knaben zu kämpfen. Dieser krümmt, mit der Rechten in den
rechten Flügel hineingreifend und das rechte Bein über den linken
Oberschenkel heraufziehend , den Oberleib und Kopf nach der
Seite. Der Adler packt gewaltsam mit der linken Kralle das linke
Bein, und fasst mit dem Schnabel seines über die Schulter Ganymeds
sich vorbeugenden Kopfes den linken, abwehrenden Arm. Dessen
Figur erhebt sich hier also nicht über den Adler, sondern wirkt,
von ihm ganz umklammert und so nach oben geschleppt, etwa
wie ein Thier, das der überstarke Vogel seiner Heerde entführt.
Man beachte die Kunst der Komposition : wie die Knabengestalt
ganz (bis auf das in die Luft abstehende linke Bein) einbezogen
ist in die des Adlers, dessen Erscheinung dadurch dominirend wird,
und wie durch die schräge Anordnung des Fluges die Symmetrie
zwischen dem Schwanz des Vogels und dem linken Bein des Jüng-
lings erzielt worden ist — man beachte diese Gesetzmässigkeit in
der Freiheit, und man wird begreifen, warum ich hier Michelangelos
Geist erkennen muss.
Nun giebt es aber noch eine dritte, bisher noch gar nicht be-
achtete Zeichnung, die nach meinem Dafürhalten gleichfalls An-
spruch auf Michelangelos Namen erheben darf. Sie ist in Kreide
ausgeführt und befindet sich im Kodex Vallardi im Louvre
(Thode 510; die Zeichnung ist zum Zwecke der Übertragung durch-
stochen worden). Die Gruppe, die hier ohne Landschaft gegeben
ist, steht in ihrer Komposition gleichsam zwischen der eben be-
sprochenen und der in Windsor. An die erstere wird man dadurch
erinnert, dass der Adlerkopf sich über dem Ganymed erhebt, an
die letztere durch die Frontstellung und durch die wagrecht aus-
gebreiteten Schwingen des Vogels, auch durch das Kampflosere und
Ruhigere des Emportragens und die gespreizte Beinhaltung des
Jünglings. Der Adler hält ihn, der sich mit beiden Armen an den
rechten Flügel klammert und von den Krallen am Schenkel ge-
packt wird, wie frei vor sich schwebend, in die Höhe. Gewand-
zipfel wehen seitwärts nach unten. Auch dieser Entwurf zeigt
Qualitäten, die des Meisters nicht unwürdig sind. Bedenklich
macht nur die Andeutung eines Kreises, in den die Gruppe hinein-
komponirt zu sein scheint , als wäre sie für ein Medaillon oder
einen geschnittenen Stein als Rundbild bestimmt gewesen. Doch
356 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
sagt dies schliesslich nicht viel und kann mich nicht hindern, das
Blatt dem Meister zuzuschreiben. Sollten wir in ihm etwa eine
Vorlage für Valerio Belli (s. unten) zu erkennen haben.?'
Somit muss ich in der künstlerischen Gestaltung des Vorwurfes
drei Phasen annehmen, welche uns verdeutlicht werden
1. durch die zwei Zeichnungen in denUffizien und bei Mr. Robinson,
2. durch die Zeichnung des Kodex Vallardi und
3. durch die Zeichnung in Windsor, welche die definitive Fassung
bringt.
Die Entwicklung nimmt den Weg von der Auffassung gewalt-
samer Entführung zu derjenigen selig freier Entrückung. Die Ver-
götterung des geliebten jungen Freundes, die aus den an ihn ge-
richteten Briefen und Gedichten spricht, fand so ihren leicht ver-
ständlichen bildlichen Ausdruck.
Wickhoff denkt an zwei dem Cavalieri gewidmete Sonette des
Meisters. In dem einen (Guasti XXX. Frey CIX, 19. Thode I,
161) heisst es:
Volo con le vostr' ale senza piume;
Co! vostro ingegno al ciel sempre son mosso.
In dem anderen (Guasti XXXII. Frey XLFV. Thode H, 146):
S'un anima in duo corpi e fatta eterna
Ambo levando al cielo e con pari ale.
Ein Blatt in Oxford (Nr. 57), welches Zeus, den Ganymedes
umarmend, zeigt, ist mit Recht übereinstimmend von allen neueren
Forschern aus dem Werk des Meisters ausgeschieden worden.
IX
Tityos
Wie der Raub des Ganymed, wurde auch diese Zeichnung Ende
1532 von Michelangelo für Cavalieri angefertigt. Im Auftrage des
Kardinals Hippolyt Medici — im ,, Leben des Valerio Vicentino
und Anderer", V, 374 sagt Vasari irriger Weise, der Meister habe
die Zeichnung für Hippolyt angefertigt — hat Giovanni Bernardi
1533 die Komposition in Krystall geschnitten, die auch als Kupfer-
stich im Verlag von Antonio Lafreri vervielfältigt ward (V, 43 1 ).
Die Originalzeichnung, bezüglich deren Ächtheit nur
Springer Bedenken gehabt hat, befindet sich in Windsor (Thode
540; Ber. 161 5; Phot. Br. log; Abb. Ber. PI. CXLIII; Frey 6: im
Gegensinne). Der jugendliche Titan von herkulischen Formen liegt
auf einer felsigen Bodenerhöhung, die isolirt wie das Postament
einer Statue wirkt, das rechte Bein etwas gekrümmt ausgestreckt,
das linke aufgestemmt, den zurückgebogenen linken Arm an den
Stein gefesselt, mit der Rechten den Adler zurückdrängend. Dieser,
TJtyos 357
hinter dem Jüngling mit ausgebreiteten Schwingen stehend, beugt
und senkt sich nach vorne über und hackt mit dem Schnabel nach
der Leber des Gefesselten. Rechts ein weidenartiger Baumstumpf,
dessen einer Ast in Form eines grotesken Thierkopfes gebildet ist.
Michelangelo hat sich offenbar nicht an die Schilderung Homers,
der die von Zeus über den Sohn der Gaia wegen Entehrung der
Leto verhängte Strafe durch zwei Geier vollziehen lässt (Od. XI,
576 ff,, so auch Tibull, I, 3, 75 f.), sondern an die Virgils gehalten
(Aen. VI, 595 ff.):
Necon et Tityon terre omniparentis alumnum
Cernere erat, per tota novem cui jugera corpus
Porrigitur: rostroque immanis vultur obunco
Immortale jecur tondens foecundaque poenis
Viscera, rimaturque epulis habitatque sub alto
Pectore nee fibris requies datur ulla renatis.
Nicht als ein Abbild der Kraftlosigkeit, wie Polygnot ihn malte,
sondern in voller Macht der Glieder — wie Frey bemerkt — gab
ihn der Meister, der nach meinem Dafürhalten antike Darstellungen
des liegenden Prometheus, wie uns eine in einer kleinen Berhner
Gemme (Furtwängler: Die antiken Gemmen XXXVII, 40) erhalten
ist, wohl kannte.
Eine flüchtige Kreidestudie zu der Zeichnung fanden Ferri und
Jacobsen in den Uffizien (147b, 18736. Thode 225. Abb. Ferri und
Jacobsen Taf. XIV. Phot. Brogi 141 2 B). Die Stellung ist hier noch
etwas anders: das rechte Bein und der rechte Arm sind gerade
ausgestreckt, das linke Bein ist stärker gekrümmt. Der Adler ward
nur mit wenigen Strichen angedeutet.
Eine mir unbekannt gebliebene Kopie nach der Zeichnung in
Windsor von Alessandro Allori erwähnt Frey als in den Uffizien be-
findlich (Nr. 284).
In Betracht aber kommt noch ein anderer grossartiger, kühn
skizzirter Entwurf, den man bisher nicht beachtet hat, im Musee
Wicar zu Lille (Nr. 90; Thode 273). Er zeigt Tityos nach der
anderen Seite gewandt liegend, auf den linken Arm aufgestützt, den
rechten erhebend, beide Beine ausgestreckt. Der Adler beugt sich,
die Leber fressend, von links hinten herüber. Man dürfte in der
Skizze wohl den ersten Gedanken der Komposition gewahren.
Gestochen wurde die endgültige Darstellung von Beatrizet
(D. 33 ; B. 39) im Gegensinne. Das Blatt trägt die Inschrift: Titius
Gigas Vulture diversisque penis laceratus. Mich. A. B. invenit. Ant.
Salamanca excudebat. Landschaftlicher Hintergrund hinzugefügt.
Eine Kopie im Gegensinne: Ant. Lafreri formis. Im Berliner
Kupferstichkabinet sah ich einen von Gio. Jacomo Rossi (Formis
Romae 1649 alla Pace) veranstalteten Neudruck.
;c8 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Der von Giovanni Bemardi geschnittene Krystall, später ver-
muthlich für die Farnese'sche Kassette bestimmt, aber nicht ver-
wendet, befand sich unlängst im Besitze der Strozzi zu Florenz
(Vasari V, 374, Anm. 2). Von ihm machte der Künstler einen
Ausguss, eine Plakette (Abb. in: Die ital. Bronzen im Kaiser Friedrich-
Museum zu Berlin, Taf. LXVIII, 12 14. Vgl. Molinier: Les plaquettes
Nr. 333). Sie ist bezeichnet Jovanes B.
Wie der Ganymed, hat auch der Tityos, dank vornehmlich dem
Stiche, eine bedeutende Wirkung auf andere Künstler ausgeübt.
Ich erwähne zunächst die freie kleine Nachbildung in einem Orna-
mentstich des Enea Vico im Pariser Cabinet des estampes , bez. :
E per petra maggior non manca mai. D. Z.
Ob Tizian in seinem, jetzt in Madrid befindlichen, für Philipp IL
ausgeführten Gemälde an Michelangelo angeknüpft hat, bleibe dahin-
gestellt, doch halte ich es für wahrscheinlich (vgl. auch die Zeich-
nung im Louvre 5518). Wiederholt aber hat Rubens das Motiv
verwerthet: in seinem Prometheus (Oldenburg), in der Niederlage
Sanheribs (München, Pinak.), in einer Figur des kleinen Jüngsten
Gerichtes (ebenda) und im Tod des Argus (Köln).
X
Der Sturz des Phaeton
Am 5. September 1533 schreibt Cavalieri an Michelangelo nach
Florenz: „forse tre giorni fa io ebbi il mio Fetonte, assai ben fatto,
e allo visto il papa, il cardinal de Medici, e ugnuno io non so gia
per quäl causa sia desiderato di vedere" (Frey: Dicht. S. 522, Reg. 75).
Frey (ebenda S. 521, Reg. 72) bemerkt, der Ausdruck ,,mein Phaeton"
Hesse annehmen, entweder, dass Cavalieri die Zeichnung schon vor
längerer Zeit von Michelangelo versprochen erhalten hätte, oder dass
er das Blatt bereits besessen, aber wieder zurückgegeben habe und nun
ein neues erhalte. Für das Letztere spreche die Thatsache , dass
heute noch zwei ausgeführte Zeichnungen existirten, deren eine, mit
der Malcolm'schen Sammlung in das British Museum gelangt, den
Vermerk trägt: ,,Tomao se questo scizzo non vi place ditelo a Ur-
bino" etc. und unvollkommener sei, als die andere in Windsor be-
findliche. Diese sei also die Anfang September 1533 von Tom-
maso empfangene, die frühere die Malcolm'sche , die Michelangelo
in Rom 1532/33 angefertigt haben müsse, da die Bemerkung über
Urbino auf den Aufenthalt in Rom hinweise. Diese Argumentation
ist sehr einleuchtend, und ich schliesse mich Freys Meinung an.
Auch diese Zeichnung ist von Giovanni Bernardi in Krystall
geschnitten worden (Vasari V, 374), der, wie es scheint, wie der
Der Sturz des Phaeton 359
Ganymed und Tityos, für die Farnese'sche Kassette verwendet
werden sollte, dann aber nicht an ihr angebracht worden ist. Von
einem beiLafreri erschienenen Stiche spricht Vasari (V, 431), welcher
auch erwähnt , dass F. Salviati den Phaeton in Farben ausgeführt
hat (VII, 17)-
Ovids Schilderung (Met. II, 304 — 380) Hegt der Darstellung
zu Grunde : Zeus zerschmettert mit dem Blitz den Wagen, von dem
Phaeton, des Lebens beraubt, ,, kopfüber" hinabfällt zur Erde, zum
Strom Eridanos ; in einen Schwan wird Kyknus, des Helios Töchter,
,,die Brust mit den Händen sich schlagend", werden in Bäume ver-
wandelt: die eine fühlt ihr Haar zu Laub werden, Lampetie die
Arme zu Ästen, Phaetusa die Beine zum Stamm. Dass der Künstler
auch antike Kunstwerke gekannt und von ihnen einige Anregung
(namentlich für die abstürzende Figur des Phaeton) gewonnen, ist
sicher. Wickhoff (Mitth. des österr. Inst, für Gesch. II, S. 435) machte
auf den Sarkophag der Uffizien (im Quattrocento in AraceU), neben
dem auch noch andere genannt werden könnten, aufmerksam; auch
Frey erv;ähnt ihn; daneben kommt ein Cameo in Sardonix in
Betracht (Furtwängler : Die antiken Gemmen LVIII, 2). Kannte
Michelangelo vielleicht auch die Plakette des Moderno (Berlin : Die
ital. Bronzen, LIII, 759, 760).? Zu Agostino Venezianos Stich
(B. 298) findet sich keine Beziehung. Aber solche Anlehnungen
wollen wenig bedeuten, ist doch die gesamte Konzeption eine neue
und originelle.
Die erhaltenen Studien zu der Darstellung sind in neuerer
Zeit öfters , zuletzt und ausführlich von Berenson und Frey , be-
sprochen worden. Man kann in ihnen die Herausgestaltung der Kom-
position in Windsor einigermaassen verfolgen.
I. Haarlem, Teyler Museum. (Thode 267. Ber. 1471. Abb.
V. Marcuard Taf. XXI a.) Eine Rötheiskizze, die v. Marcuard
mit Recht als Entwurf für Phaeton erkannte. Nur der untere
Theil der Komposition ist skizzirt, und zwar in einer von den
folgenden Zeichnungen abweichenden Weise. Eridanos liegt
hier rechts , links stehen die drei Heliaden in Bewegungen
des Schreckens und der Klage. Hinter Eridanos sind noch
zwei Figuren angedeutet (was Frey entging): die eine kauernd
gebeugt, die andere knieend, erschreckt nach oben schauend.
Mit ihnen können nur, Ovid entsprechend, des Gestürzten
Mutter Klymene und Kyknus, noch nicht in den Schwan ver-
wandelt, gemeint sein. Vermuthlich handelt es sich hier,
wie auch Frey meint, um einen, den folgenden vorangehenden
Entwurf.
IL London,- British Museum 1895— 9-15 — 517. Malcolm, Nr. 79.
Kreide. (Thode 363. Ber. 1535. Phot Br. 71. Abb. zuerst
360 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
in Lawrence Gall. 24, dann Galichon: Gaz. d. b. a., 1874, II,
S. 201 ff. Frey 57.) In der Höhe Zeus auf dem Adler, en
face, den Blitz nach rechts zu herabschleudernd. Darunter
der Wagen (in Form eines einfachen zweirädrigen Karrens),
von dem Phaeton nach links kopfüber hinabstürzt, indessen
drei der Pferde, in radialer Anordnung, aus einander fahren,
das vierte rechts kopfüber stürzt. Unten links Eridanos, auf
seine Urne gestützt, die Linke auf dem aufgestützten linken
Knie, ruhig nach oben schauend, neben ihm rechts zunächst
Phaetusa, deren Beine zum Stamme werden, dann Lampetie,
gleichfalls unten schon verwandelt, die Arme ausstreckend,
die sich in Äste verwandeln, und weiter die dritte Schwester,
ihr (zu Laub werdendes) Haar fassend — die beiden ersten
jammernd empor-, die dritte zur Seite schauend. Zwischen
Phaetusa und Lampetie ist, in sehr kleinen Verhältnissen —
wie er auch auf dem antiken geschnittenen Stein erscheint —
der Schwan skizzirt. War links von Eridanos noch eine kleine
Figur gegeben — etwa der Knabe, den wir auf Bernardis einer
Plakette (s. unten) gewahren.? Oder war ein Baumstumpf ge-
meint.'' — Die Bezeichnung unten ist sehr verwischt und
wäre ohne die Aufzeichnung Mariettes (Observ. ']6)), der einst
das Blatt besass, schwerlich mehr zu entziffern. Mariette las :
ser Tommaso se questo schizzo non vi place ditelo a Urbino
a cio ch'io abbi tempo da averne facto un altro .... come
vi promessi e se vi place e vogliate ch'io lo finisca. Frey,
dessen im Lesen der Michelangelo 'sehen Handschrift geübtem
Auge besonders zu vertrauen ist: er (messer) tomao se questo
scizzo non vi place, ditelo a Urbino, accio che io abbi tempo
daverne facto un altro domandassera, . . . . e (come) vi pro-
messi; e se vi place e vogliate, che io lo finisca, ditelo (oder
diretelo T) — Ob nun Cavalieri etwas auszusetzen hatte oder
der Meister selbst empfand , dass die Komposition der Ge-
schlossenheit ermangelte, es entstand ein neuer Entwurf, ver-
muthlich, wie auch Frey annimmt, der folgende. — Ahnlich
dem untersten Pferde erscheint neben anderen Studien ein
stürzendes Pferd auf einer Zeichnung in Oxford (Nr. 20.
Thode 404. Ber. 1701), die sicher nicht von Michelangelo
ist und von Berenson dem Raffaello da Montelupo zuge-
schrieben wird. Hinter dem Pferde sieht man ein zweites
und einen Wagenlenker, sie geisselnd, angedeutet. Berenson
erkannte die Ähnlichkeit und vermuthete , es könne hier die
Kopie einer verlorenen frühen Studie zum Phaeton vorliegen.
Ich möchte eher annehmen, dass die Skizze eine blosse Be-
nutzung der Komposition Michelangelos zeigt.
Der Sturz des Phaeton 36 1
III. Venedig, Akademie Nr. 180. Thode 518. Ber. 1601. Abb.
Frey 75. Kreide. Hier stürzt Phaeton nicht seitwärts, sondern
in der Mitte zwischen den Pferden herab , die , je zwei eine
geschlossene Gruppe bildend, alle mit dem Kopf nach unten
fallen. Zeus ist ähnlich, wie in II, aber ganz en face.
Eridanos, in der Mitte unten Hegend, streckt, erregten Antheil
nehmend, die Arme empor und die Heliaden, eine links, zwei
rechts, sind stärker bewegt. Berenson sieht sich durch diese
Abweichungen veranlasst, das Blatt früher als das Malcolm'sche
anzusetzen. Die auch hier befindliche Inschrift liest Frey , wie
folgt : lo ritracto el meglio che o saputo io, pero vi rimando
il vostro perche ne son {}) servo vostro , che lo ritraga un
altra volta. Danach erklärt sich Michelangelo also bereit,
noch ein drittes Mal den Vorwurf zu gestalten. Dies wäre
dann geschehen in
IV. Windsor. Thode 542. Ber. 161 7. Phot. Br. 107. Abb.
v. Marcuard : Die Zeichnungen Mich, in Haarlem zu Taf. XXI.
Ber. CXL. Frey 58 und öfters. Kreide. Die Komposition,
in einem hohen spitzen Dreieck sich aufbauend, hat hier volle
lineare Geschlossenheit erlangt. In der Höhe, in starker Be-
wegung des Oberkörpers nach hinten , Zeus auf dem Adler
den Blitz entsendend. In einer geschlossenen Gruppe ver-
bunden stürzen Phaeton und vier Pferde alle hinab ; der zwei-
rädrige Wagen darüber ist lang, trogförmig gebildet. Links
unten die mächtige, wieder ruhig gelagerte Gestalt des alten
Eridanos, der den rechten Arm hoch auf eine Urne legt, hinter
ihm ein Putto, eine Urne tragend; die drei nackten Frauen
in jammernden Gebärden nach oben schauend, zwischen den
zwei rechts , grösser gebildet , Kyknus als Schwan. — Eine
Wiederholung dieser Zeichnung im Besitze des Herrn Charles
Newton Robinson (Thode 377 b) hält deren Besitzer für das
Original, nach welchem diejenige in Windsor kopirt sei. Da
ich das Blatt nicht aus eigener Anschauung kenne, muss ich
mich des Urtheiles enthalten. Frey hält es für eine Kopie.
Drei andere, weniger gute Kopien, findet man in Paris (791,
792 und 829).
Verfolgen wir die Entwicklung, die sich in den Studien verräth,
so zeigen sich Veränderungen — von Gruppirung und Einzelmotiven
abgesehen — vornehmlich in dem unteren Theile der Komposition.
Bezüglich der Darstellung der Heliaden ergab Ovids Erzählung zwei
Möglichkeiten: die Wiedergabe des ersten Momentes, der Klage
der Schwestern, oder jene des folgenden, ihrer Verwandlung, mit
welcher die Klage zu verbinden war. Einen Augenblick hat der
Meister, im Bestreben möglichst alle Momente der Dichtung zu
362 Mythol. und allegor, Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
veranschaulichen , daran gedacht , die Verwandlung darzustellen
(Malcolm'sche Zeichnung), dann gab er dies, als unkünstlerisch, auf
und beschränkte sich auf die Klage. Auch in der Wiedergabe
der Klymene (Haarlem) zeigt sich Anfangs sein engeres Festhalten
an Ovids Schilderung, bald aber hat er die Figur fallen lassen;
und Kyknus, den er ursprünglich in menschlicher Gestalt gedacht
(Haarlem), verwandelt er, durch antike Vorbilder veranlasst, in den
Schwan. Der Knabe mit der Urne in Windsor ist eine aus dem
Bedürfniss von Raumausfüllung hervorgegangene Zuthat.
Der Kupferstich Beatrizets nach der Zeichnung in Windsor
(Dum. 31. B. 38 in gleichem Sinne) zeigt eine Landschaft mit
Meer und Bergen hinzugefügt und ist bez.: Mich. Ang. inv N.Beatrizet
Lotar. restituit. — Eine Kopie des Stiches im Gegensinne von
Michele Luchesi, bez. ML. Egregius Michelangelus Bonarotus autor,
und zwei andere anonyme.
Zwei Plaketten von Giovanni Bernardi zeigen die Verwerthung
der Michelangelo'schen Komposition und zwar sowohl der Mal-
colm'schen, wie der Windsorzeichnung. i . (Berlin : Italienische Bronzen
Taf. LXVIII, 12 19. Molinier 327.) Phaeton in der Mitte oben
zwischen den Pferden , aber in anderer Haltung als in Venedig.
Der Flussgott und die eine der sich verwandelnden Heliaden nach
Zeichnung Malcolm, drei der Pferde (aber in anderer Anordnung)
nach Zeichnung in Windsor. 2. (Berlin LXIX, 1220.) Hier alle
drei Heliaden, der Flussgott, neben dessen Rücken links ein Putto
steht, und eines der Pferde nach der Malcolmzeichnung, zwei andere
Pferde nach der Zeichnung in Windsor. Auch hier der Phaeton
oberhalb der Pferde. In beiden Plaketten fehlt, aus Raumrück-
sichten, Zeus. — In fünf anderen Plaketten (Berlin LXIX, 12 16.
XLI, 12 17. XLI, 12 18. XLI, 1222. 122 1), knüpft Bernardi nicht
an Michelangelo , sondern an die Antike an. Der Bernardi'sche
Krystall wird von Hieron. Stampa ,,fra le gemme del MafFei"
(Taf. IV, p. 151) erwähnt.
Freie Verwerthung des Michelangelo'schen Werkes dürfte
auch sonst noch mehrfach, vermuthlich in Stichen, nachzuweisen
sein. Ich erwähne nur das der Schule Andrea Sansovino's an-
gehörige Relief im Berliner Kaiser Friedrich-Museum (Abb. in ,, Be-
schreibung der Bildwerke der christlichen Epoche" in den k. Museen
Taf. XII, 227).
Wickhoff erinnert an ein Sonett des Künstlers vom Jahre 1530
(Guasti XXXIX. Frey XXXIU. Thode II, 177):
Che non riporterä dal vivo sole
Altro che morte? e non come fenice.
Ma poco giova: ch& chi cader vuole,
Non basta l'altrui man pront' e vittrice.
Das Kinderbacchanal 363
XI
Das Kinderbacchanal
Auch diese Zeichnung ist nach Vasari von Michelangelo für
Cavaheri angefertigt worden; Frey meint Ende 1534, jedenfalls in
jenen Jahren.
Sie befindet sich, in Röthel ausgeführt, in Winds or (Thode
543. Ber. 16 18. Phot. Grosvenor Gallery 33. Abb. Symonds 11, 144).
Auf felsigem Boden sehen wir drei Gruppen von nackten Knaben
vor einem hinten ausgespannten Vorhang. Links sind sieben kleine
Burschen , um einen grossen Kessel versammelt , mit Kochvor-
bereitungen beschäftigt : einer, dem ein anderer zuschaut, bläst das
Feuer an, zwei bringen ein Bündel von Holzscheiten herangeschleppt,
zwei andere rühren im heissen Wasser herum, vor dessen Hitze
sich der eine mit der Hand vor dem Kopf schützt, der siebente
scheint im Begriff, ein Ferkel in den Kessel zu werfen. Rechts
weiter hinten die zweite Gruppe , gleichfalls aus sieben Figuren
bestehend, befindet sich mehr im Hintergrund : einer füllt aus einem
Fass, in das zwei hineingucken, Wein in eine Schale, ein vierter
pissend steht daneben, der fünfte — in ähnlich kauernder Stellung,
wie der Satyr bei dem restaurirten Dionysos der Uffizien — hält dem
sechsten eine Schale empor, aus der Dieser trinkt. Ein siebenter
ist dahinter sichtbar. Die dritte Gruppe, weiter vorne in der Mitte,
besteht aus sieben Knaben, die mit grosser Anstrengung einen auf
dem Rücken liegenden Esel dem Kessel links zu schleppen. — Vor
der felsigen Erhöhung sitzt im Vordergrunde eine alte Paniske, die
wie eine Schwester des greisen Weibes auf Mantegnas „Kampf der
Tritonen" wirkt, und an deren schlaffer Brust ein Knabe Nahrung
sucht, während ein anderer, links von ihr sitzend, in Schlaf ge-
sunken ist , rechts ein Mann , mit vorgebeugtem Oberkörper , die
Arme auf einen Stein hinter seinem Rücken gestützt ; er scheint zu
schlafen oder vom Rausch überwältigt zu sein, und ein neben ihm
sitzender Knabe will wohl das im Rücken ausgebreitete Tuch über
ihn ziehen, indessen zwei andere weiter rechts sich neben einander
niedergelassen haben, der eine mit einer Schale in den Händen.
Eine Kopie nicht aller, aber der grösseren Zahl der Figuren,
eine Federzeichnung, von Berenson dem Raffaello da Montelupo
zugeschrieben, befindet sich in Oxford (Nr. 52. Ber. 17 16. Abb.
Fisher I, 24).
Als Kopie nach nur einer Figur des Bacchanals, nämlich nach
dem pissenden Knaben, fasste Berenson eine Federskizze auf einem
Blatt in den Uffizien auf (137, 621. Thode 205. Ber. 1641. Phot.
Br, 194. Brogi 1785). Ich halte die Studie, wie auf gleichem Blatt
364 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
die andere (von Berenson nicht richtig erkannte) eines gebückt
schreitenden Mannes, der einen rittlings auf seinen Schultern sitzen-
den Knaben trägt, für acht. Auch die folgende, daneben befindliche
handschriftliche Notiz ist, was Berenson übrigens zugiebt, von
Michelangelo : ,,Valle lochus chlausa toto michi nullus in orbe. Jo
vi pregho che voi non mi facciate disegnare stasera perche e non
ce el perino (einzelnes abgekürzt). Darunter: domino lodovigo
de lionardo de buonarrota simoni. Der lateinische Hexameter ist
offenbar ein Zitat (nach Petrarca?). Der Perino dürfte Niemand
anderes als der Liebling des Meisters : Gherardo Perini sein , für
den er nach Vasaris hier bestätigter Angabe, wie später für Cava-
iieri, gezeichnet hat. Die Notiz scheint an seinen Vater Lodovico
gerichtet, und zwar in Florenz selbst. Darnach wäre die Zeichnung
etwa in das Jahr 1522 zu versetzen, wenn nicht früher, da die
Notiz später, in den freigebliebenen Raum, gesetzt zu sein scheint.
Eine direkte Beziehung zum Bacchanal liegt also nicht vor: auch
ist die Stellung des Knaben eine andere.
Drei alte Stiche nach der Zeichnung sind bekannt. Der eine
ist von Beatrizet (B. 40, mit Monogramm und Lotar. f., sowie Inv,
Mich. Ang. Bonaroti bezeichnet, Kopie: Ant. Lafreri formis Romae
1553)» der zweite vom Jahre 1546 von Enea Vico (B. 48. Inv,
Mich. Ang. Bonaroti. Aene. Vic. Parm. incidebat anno MDXLVI),
der dritte anonyme, von Lafreri 1553 veröffentlicht.
Gewiss weist auch diese befremdliche Komposition, wie schon
Wickhoff bemerkte , auf Anregungen seitens der Antike hin , doch
ergiebt der Vergleich mit Sarkophagreliefs , welche Kinderspiele
darstellen, keine direkten Bezüge. Nur für die eine Gruppe , die
Vorbereitung zum Kochen des Ferkels, Hesse sich, wie ich glaube,
ein freilich ganz frei benutztes Vorbild anführen: ein Cameo der
Sammlung Beverley (Furtwängler : die antiken Gemmen L, 49),
welcher Bauern, die aber leicht als Kinder aufgefasst werden dürften,
mit dem Kochen eines Schweines bei einem Kessel beschäftigt zeigt.
Auch Hesse sich auf Puttenszenen, wie Zoan Andrea sie in einem
Stiche (B. 14, eine Opferszene), an die Antike anknüpfend, bringt,
hinweisen. Doch trägt das Werk einen ausgeprägt originellen
Charakter und macht die wohl nie zu befriedigende Neugier rege,
welchem Anlass es seine Entstehung verdankt. Denn unwillkürlich
setzt man Gespräche im Freundeskreise des Meisters , etwa bei
abendlichem Feste (man denke an den Verkehr mit Luigi del Riccio)
voraus, die den Vorwurf zu dem Bacchanal gegeben haben könnten
und die , wären sie uns bekannt , vielleicht auch den in die Aus-
gelassenheit hinein dringenden ernsten , ja schmerzlichen in der
alten Paniske erkHngenden Ton erklären würden. Der Kontrast
zwischen der abgezehrten Greisin und dem tollen jungen Leben,
Die Bogenschützen 365
in dem ein Nachklang der Puttenspiele an der Sixtinischen Decke
zu vernehmen ist , erhebt die Darstellung dem Gehalt nach in ein
höheres Gedankenbereich.
XII
Die Bogenschützen
Ob auch die „Saettatori", wie Vasari sie nennt, für Cavalieri an-
gefertigt wurden, wissen wir nicht. Man hat es angenommen. Jeden-
falls gehört die herrliche Rötheizeichnung, die in Wind so r
aufbewahrt wird (Thode 538. Ber. 161 3. Abb. Ber. Taf. CXXXIX.
Symonds I, 298. Phot. Br, in), der Behandlung nach in diese
Zeit. Das auf der Rückseite verzeichnete Datum 1530, 12. April
sagt nichts Bestimmtes über die genaue Zeit der Entstehung aus.
Dargestellt ist eine Gruppe von sechs jugendUchen nackten
Gestalten, die in lebhafter Bewegung nach rechts, theils laufend,
theils in der Luft schwebend, Pfeile abschiessen oder abgeschossen
haben (von Bögen, die der Künstler nicht ausgeführt hat), und von
drei anderen, vor ihnen befindlichen, von denen der eine kniet,
die beiden anderen auf den Boden gefallen sind. Das Ziel ist eine
Herme: der aus einem Pfeiler erwachsende Oberkörper eines schönen,
ernsten Jünglings, der über der rechten Schulter ein chlamysartiges
Gewandstück trägt und vor dem Angriff durch einen ovalen Schild
geschützt ist. In diesen sind einige Pfeile eingedrungen, ein ver-
einzelter ist, wie es scheint, in den Bauch des Jünglings gefahren.
Im Vordergrund links von der Herme liegt der geflügelte Amor
schlafend den Kopf auf ein Kissen gelegt, im Schoosse den Bogen,
vor sich den Köcher mit Pfeilen. Ganz links unter dem letzten
Bogenschützen knieen zwei flügellose Kinder: das vordere, vor-
gebeugt über ein Bündel Holz, bläst eine Flamme über Pfeilen
an, das hintere, auch ein Bündel oder einen Blasebalg in dem
Arme, scheint ihm zu helfen. Vor der Flamme vorn steht eine
antikische Schale. Zwei andere Knaben mengen sich , der eine
oben, der andere in der Mitte, in die Schaar der Schützen. Deren
Zuge folgt links oben ein Alter mit satyrhaften Zügen, der, von
einem Gewand umweht, im Begriff ist, einen Bogen zu spannen.
Die nackten Bogenschützen sind nicht alle männlich, die hinterste
schwebende Gestalt in dem Zuge ist deutlich durch die Haartracht
und Brust als Frau gekennzeichnet, und auch bezüglich der Figur
im Hintergrund oben ganz rechts könnte man im Zweifel sein, ob
sie nicht weiblich gedacht ist.
Das Blatt ist oben und rechts am Rande etwas beschnitten,
so dass man einerseits das Ende des Bogens , welchen der Alte
hält, sowie den obern Theil des Schädels der Herme und andrer-
366 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
seits den Hinterkopf und Rücken der Herme nicht sieht. Eine
alte Kopie der Zeichnung, gleichfalls in Windsor (Phot. Br. 124),
belehrt uns darüber , dass der Kopf der Herme mit einem ver-
schlungenen, im Nacken herabfallenden Tuch umwunden ist, und
dass sie keine Arme hat. Ebenso eine zweite im Staedel'schen
Institut zu Frankfurt am Main (Nr. 3979). Vielleicht haben wir in
solchen getreuen Nachbildungen Arbeiten des Bernardino Cesari, des
Bruders des Cavaliere, von dem Baglione erzählt, dass er Hand-
zeichnungen Michelangelos, die Cavalieri besass, kopirt hat, zu sehen.
Eine dritte Kopie, eine flüchtige und roh lavirte Zeichnung,
jetzt in der Brera (Phot. Montabone 3C0 als Kopie nach Raphael,
Br. 2), zeigt an Stelle des Tuches eine Binde und an Stelle der
Chlamys ein um die Hüften genommenes Schurzfell, auch ist der
Schild grösser und fehlt der Pfeil im Bauch. Die Darstellung sollte
offenbar dezenter gemacht werden. In den Händen der Schützen
sind kleine Bogenstümpfe angedeutet.
Eine vierte Kopie (im Gegensinne) ist das kleine Bild in der
Villa Borghese, das mit zwei anderen (Roxanes Hochzeit) aus der
sogenannten Villa Raphaels, später Villa Olgiati, stammt und von
einem Schüler Raphaels gemalt ist. Hier sehen wir einige geringe
Veränderungen: weggelassen ist das in der Luft schwebende Bein
der Figur ganz rechts im Hintergrund , die Entfernung zwischen
den Bogenschützen und dem Ziel ist grösser , es fehlt der Pfeil
im Bauch der Herme, und deren vom Tuch umhüUter Kopf macht,
obgleich der Körper männlich , einen weiblichen Eindruck. Die
Schützen haben hier alle Bogen in der Hand.
Zu ervvähnen ist ferner der Stich von Beatrizet (P. 116; im
Gegensinne), bez. Mich. Ang. Bonaroti inv.; Ant. Lafrerii Romae.
Späterer Abdruck: Petri de Nobilibus formis a Paulo Gratiano quesita.
Kopien einzelner Figuren finden sich in zwei Zeichnungen des
Louvre (811 und 818), Der Jüngling in der Mitte vorne ist von
Battista Franco in seiner Schlacht von Montemurlo (Palazzo Pitti)
unmittelbar unter dem Göttermahl links oben angebracht worden.
Schliesslich möchte ich auf die grosse Ähnlichkeit hinweisen,
welche der Kopf eines Knaben mit einer Binde im Haar auf einer
schon oben (S. 336) besprochenen Zeichnung im Staedel'schen
Institut zu Frankfurt am Main (Nr. 392. Thode 247. Abb. Hand-
zeichn. der Albertina Nr. 219) mit dem Knaben oben in der Mitte
des Hintergrundes hat.
Die einzige Deutung dieser wundervollen Komposition, welche
bald als: die Bogenschützen (nach Vasari: i saettatori, gli arcieri),
bald als: das Götterschiessen, il bersaglio dei Dei, bald als ,,le but"
bezeichnet wird, aus einer litterarischen Quelle ward bisher von
Alexander Conze gegeben (Jahrb. f. Kunstw. 1868, I, 359). Dieser
Die Bogenschützen 367
meinte, es handle sich um eine bildliche Veranschaulichung einer
Stelle in Lucians Nigrinus (c. 36). Sie lautet in Theodor Fischers
Übersetzung: „Ist es auch mir schon gestattet, mich über die
Reden der Philosophen zu äussern, so ist meine Ansicht hierüber
folgende. Mir scheint die Seele eines wohlgearteten Mannes einem
weichen Ziele vergleichbar. Im Leben giebt es nun viele Bogen-
schützen , deren Köcher mit verschiedenartigen , mannigfaltigen
Reden gefüllt sind, jedoch schiessen nicht alle geschickt, sondern
ein Theil spannt die Sehne zu stark an und schiesst mit über-
triebener Vehemenz. Zwar halten sie die Richtung ein, doch
bleiben ihre Pfeile nicht im Ziele, sondern sie fahren vermöge
ihrer kräftigen Bewegung durch und lassen uns eine klaffende
Wunde in der Seele zurück. Andere dagegen machen es um-
gekehrt, vor Schwäche und Mattigkeit gelangen ihre Pfeile nicht
einmal bis zum Ziele, sondern fallen oft kraftlos mitten auf dem
Wege zur Erde ; kommen sie aber auch mitunter bis dahin , so
berühren sie nur streifend die Oberfläche und machen keine tiefe
Wunde, denn sie wurden von keiner starken Kraft entsendet. Wer
aber ein guter Schütz ist und diesem gleicht, der wird zuerst das
Ziel betrachten, ob es nicht sehr weich, ob es nicht für den Pfeil
zu fest ist, denn es giebt auch unverwundbare Ziele. Wann er
sich hiervon unterrichtet hat, dann bestreicht er den Pfeil weder
mit einem Gift, wie die Skythen, noch mit dem Safte des wilden
Feigenbaumes, wie die Kureten, sondern mit einem sanft ätzenden,
lieblichen Balsam, und entsendet ihn kunstgemäss. Nun fliegt er
in angespannter Schnelle, verwundet ohne durchzufahren, bleibt
fest und verbreitet viel von dem Balsam, der, sich vertheilend, die
ganze Seele umströmt. Desshalb, wenn nun der Balsam die Seele
allmählich umläuft, freuen sie sich und weinen während des Zu-
hörens, wie es auch mir erging, so dass ich ihm gerne den Vers
zugerufen hätte: ,triff nur so fort, vielleicht dass du werdest den
Freunden ein Lichtstrahl'."
Beglaubigt schien diese Deutung zu werden durch eine Be-
merkung Wickhoffs (Mitth. des Inst. f. öst. Geschichtsf II, S. 435).
Dieser fand auf einer Medaille des Kardinals Alessandro Farnese
von 1559 (Litta, Fam. cel., Medaglie Farnesiane Taf. II, 9) die Herme
mit dem Schild nach IMichelangelos Zeichnung und die Legende :
BAAA OYTQZ, also die Anfangsworte jener von Lucian zitirten
Stelle aus Homers lUas : ,, Triff nun so" (VUI, 282). Schon zur
Zeit des Künstlers betrachtete man also die ,, Bogenschützen" als
eine Illustration jener Stelle im Nigrinus.
Das klingt allerdings überzeugend, und doch macht ein näherer
Vergleich der Komposition mit jener Schilderung sehr bedenklich,
die Conze'sche Deutung anzunehmen. Er selbst wies schon darauf
368 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
hin, dass sich der schlafende Amor freilich nicht aus dem Gleich-
niss erklären lasse. Aber nicht nur dieser , auch die anderen
Putten und die bogenschiessende Frau bleiben unverständlich.
Ich habe eine andere Deutung zu bringen, welche diesen nicht
zu umgehenden wichtigen Bestandtheilen der Darstellung, in Sonder-
heit auch der Herme, gerecht wird.
Des Cristoforo Landino Disputationes Camaldulenses beginnen
mit folgenden, auf das zu behandelnde Thema: „de summo bono"
hindeutenden Worten:
„Ex Omnibus studiis Illustrisissime federice quibus quidam variis
ac penitus inter se diversis humanum genus exercetur, id in primis
cum omnium, in quibus vel mediocris prudentia elucet, consensu
approbatur tum sapientissimorum virorum judicio veluti optimum
praefertur, in quo finem illum omnium rerum ultimum, quod
graeci Telos nuncupant, investigamus. Ad quem veluti ad
extremam curriculi metam devenientibus nobis in tuto tranquilloque
acquiescere liceat. Qui quidem nisi certus ac praefinitus a summo
deo nobis propositus sit , quid jam humana conditione miserius
excogitare possim, non reperio. Nam si cunctis aliis in rebus sive
animatae illae sint, sive anima careant, ultimum aliquid atque
postremum natura constituit: quo cum pervenerint beatae jure
dicantur , non ne iniquissime nobiscum actum esse putemus , si
solus is homo sit, quem quo gravissimos ac pene infinitos labores
suos, quo omnes cogitationes, quo denique universae vitae cursum
dirigat, nusquam inveniat. Sed profecto sicuti sagittariis
suum Signum procul expositum est, quo sagittas
collineent atque dirigant: sie homini hoc, quod dixi
ultimum ab eaquae nulla unquam in re deficit natura,
propositum est. Quod si negligat, miser semper futurus sit homo.
Sin autem omnes vivendi rationes illhuc tendant, summam simus
beatitudinem consecuturi. Quam ob rem quid nobis stultius
fingi potest? qui in rebus nihil profuturis ac potius
persaepe nocituris tam assiduas vigilias conteramus,
tarn intollerabiles labores perferamus, tam manifesta
in pericula irruamus. Earum autem rerum, quibus
solis et adversus varios fortunae impetus armari pos-
simus et quid inter illud vanum adumbr atum que et
hoc solidum atque expressum et vere bonum intersit
cognoscimus, ne minimam quidem curam ponamus."
Einem fernen Ziel, auf das die Bogenschützen ihre Pfeile richten,
wird hier das wahre, von den Menschen zu erstrebende höchste Gut,
das Glück, verglichen und die Thorheit Derer gegeisselt, die sich,
statt um dieses, um das ihnen Schaden Bringende bemühen. Sollte
nicht in diesem Gleichniss der Ausgangspunkt Michelangelos zu
Die Bogenschützen 369
finden sein? Dies anzunehmen, wäre jedenfalls naheliegend, da es
von Einem aus dem Kreise Lorenzo Medicis und aus einer be-
rühmten Schrift stammt. Doch erscheint jener Ausspruch Landinis
zu unbestimmt , als dass man aus ihm die Komposition erklären
könnte, sind auch in den folgenden Gesprächen die Definitionen
über das wahre Glück und die falschen Güter gegeben.
Nun hat aber ein anderer Schriftsteller jenes Gleichniss — wie
auch Vieles sonst in seinen Darlegungen — aus den ,,Disputationes"
übernommen: Mario Equicola in seinem ,,Libro di natura d'amore",
dessen IL Auflage vom Jahre 1531 (Vinegia, Bindoni) mir zur Ver-
fügung steht. In dem VI. und letzten Buch handelt Equicola von
dem ,,fine d'amore", dem Ziel der Liebe. Den irdischen Begierden,
deren Ziel die Wollust der Sinne ist, stellt er die himmlische Liebe
gegenüber, die nur in Gott, als dem höchsten Ziel ihre Befriedigung,
d. h. das wahre Glück findet. ,,Pervenire all' amor divino, del quäl
termine et meta e beatitudine stato perfettissimo et ultima per-
fettione dell' uomo" (S. 196 v.). Im Beginne des Kapitels spricht
er von den verschiedenen ,,t ermini" menschlichen Wollens:
,,nondimeno confessano uno solo esser nella mente estremo et ultimo
de beni ne piu oltre puo vagare l'human desio. Questo secondo
la opinione de' Philosophanti deve esser tale, che a quello (come
li Sagittarii al preposto segno) debbiamo drizzar nostro
conseglio , applicar nostro intento , tutte attioni con indissolubile
unione far concorrere" (S. 196).
Das Büchlein ward viel gelesen, sicher hat es auch Michelangelo
und seinen Freundeskreis beschäftigt, und es wird diese Stelle gewesen
sein, die, indem sie seinem Geiste ein ihn so dauernd beschäftigendes
Problem in neuer Form zuführte, zugleich seine Phantasie zu bild-
nerischer Gestaltung anregte. Die von Begierden getriebenen
Menschen als Bogenschützen — welch' ein Motiv! Nicht
als Illustrator — was bei der Unbestimmtheit der Durchführung des
Gleichnisses auch nicht möglich gewesen — , sondern, wie immer,
als Schöpfer fasste er das ihm gegebene Bild auf. Von selbst
gleichsam gestaltet sich der Terminus, das höchste Gut, als Herme
von edler Gestalt, die Verdeutlichung der irdischen Leidenschaften
wird in den flügellosen Cupidines , den Begierden , die Feuer ent-
flammen und Pfeile rüsten, und auch in der Satyrmaske des Alten
gewonnen. Die Menschheit wird dargestellt: nicht Männer allein,
sondern auch Frauen gewahren wir. Und der geflügelte Eros, die
himmlische Liebe, ,,mit deren Flügeln man zur Betrachtung der
himmlischen Dinge auffliegt" (Equicola S. 40), ist in Schlaf ver-
sunken. — Nur in Einem bleibt die Allegorie unklar, hinkt gleich-
sam ihre bildnerische Veranschaulichung. Die Herme bedeutet das
Endziel, das wahre Glück — und doch sind die Pfeile der auf
%* 24
370 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
falsches Glück zielenden Schützen auf sie gerichtet? Der Ausweg,
den der Künstler aus dem Dilemma suchte, war ein seltsamer.
Er deutet durch den Schild, der die edlen Theile der Figur, Brust
und Kopf, deckt, an, dass das höchste Gute der sinnlichen Begierde
unerreichbar ist ; nur in die unedlen Weichtheile des Bauches dringt
ein Pfeil. Nur sinnliche Wollust , nicht wahres Glück gewinnt der
vom flügellosen Amor Getriebene !
Könnte mir noch ein Zweifel an der Richtigkeit dieser Er-
klärung geblieben sein, so würde er mir durch die überraschende
Thatsache genommen werden, dass Symonds, der jene litterarischen
Quellen der Darstellung nicht kannte, bloss aus deren Betrachtung
auf die ganz gleiche Deutung geführt wurde. Er sagt, wie übrigens
ähnlich in Kürze auch Passerini (Bibliografia di M., S. 165): the
allegory seems to imply, that happiness is not to be attained as
human beings mostly strife to seize it , by the fierce force of the
carnal passions. It is the contrast between celestial love asleep in
lustful souls, and vulgär love inflaming tyrannous appetites. Und
er zitirt die letzte Strophe aus dem Sonett Michelangelos : ,,Non e
sempre di colpa aspra e mortale" (Guasti LIII. Frey LXXXXI.
Thodell, 261):
L'un tira al cielo, e l'altro in terra tira;
Neil' alma l'un, l'altro abita ne' sensi.
E l'arco tira a cose basse e vile.
Wie aber ist, so wird man fragen, mit dem Allen jenes auf
Lucian weisende Wort an der Medaille des Alessandro Farnese in
Einklang zu bringen .? Ich meine : einfach aus einer thatsächlichen,
irrthümlichen Beziehung der Michelangelo'schen Komposition auf
die Stelle im Nigrinus durch irgend einen nicht unterrichteten Er-
klärer. Oder man nehme an, was vielleicht gesucht erscheint, aber
doch sehr natürlich wäre und mir wahrscheinlich ist : das Homerische
Wort: ,, triff so" ist auf die Michelangelo'sche Darstellung ange-
wandt worden, in dem Sinne: ,, richte dein Trachten auf das höchste
Gut." Dies passt doch noch besser auf den Revers der Medaille
des Kardinals, als ein ,, triff so" in dem Sinne : ,, triff mit dem rechten
Wort die Seele des Menschen", obgleich auch dies denkbar wäre. —
Dass die nun sicher gefundene Deutung der Bogenschützen in
hohem Grade dafür spricht, dass auch diese Zeichnung für Cavalieri
bestimmt war, wird Keinem entgehen.
XIII
Die Herkulesthaten
Die herrliche Rötheizeichnung mit drei Herkulesthaten
in Windsor (Thode 536. Ber. 161 1. Phot. Br. 108. Abb. Ber.
Die Herkulesthaten ^yj
pl. CXXXVni. Frey 7) wird weder von Vasari, noch einem anderen
älteren Schriftsteller erwähnt. Sie gehört ohne Zweifel in die Zeit
der für Cavalieri angefertigten Blätter.
Links sehen wir den jugendlichen, bartlosen Herkules, wie er,
von einem Löwenfell umweht, dem zwischen seine Beine geklemmten
Löwen den Rachen aufreisst. Darüber liest man: ,,questo e el se-
condo leone che Ercole ammazzo". In der Mitte ist er dargestellt,
wie er stehend den in die Höhe gehobenen und mit abwärts ge-
senktem Oberleibe an die Brust gedrückten Antäus mit seinen
Armen, die er um die Brust des Gegners geschlungen hat, er-
drückt. Rechts kniet er, diesmal bärtig, nach rechts gewandt, mit
dem rechten Beine auf dem nach hinten gewendeten Drachenleibe
der Hydra, deren einen, zu ihm züngelnden Schlangenhals er, den
Kopf nach links wendend , mit der Rechten erfasst , indem er mit
der Linken die (nur angedeutete) Keule, die in den antiken Dar-
stellungen typisch ist, oder den Feuerbrand schwingt. Das 1er-
näische Ungethüm ist gewaltig gebildet, wie Polypenarme lösen die
Schlangenleiber sich von dem Körper : der eine Kopf beisst in den
Schenkel des Helden, ein anderer strebt seiner linken Achselhöhle
zu , zwei andere sieht man den Kopf bedrohen , nur einer , schon
getödtet, hängt herab.
Wickhoff betonte, dass die Darstellungen von formellen Re-
miniszenzen an die Antike frei seien. Diese Behauptung schränkte
Frey ein, insofern er, und, wie ich meine, mit Recht in dem Kampf
mit der Hydra den Einfluss des Laokoon erkannte (das Motiv, die
Körperwendung, sowie die Haltung des rechten Beines und Armes)
und durch die Formenbehandlung an die Antike gemahnt wurde.
Dem habe ich noch Einiges hinzuzufügen. Nicht an antike
Skulpturen, wohl aber an die seit dem Mittelalter traditionelle Ge-
staltung des Simson (ich erinnere nur an ein bekanntes Beispiel:
Dürers früher Holzschnitt, B. 2) knüpft der Meister in seinem
,, Kampf mit dem Löwen" an, und zwar, wie ich glaube, direkt an
eine Komposition Mantegnas, die Giovanni Antonio da Brescia ge-
stochen hat (B. II). Die Stellung und die Anordnung des flattern-
den Gewandes ist fast identisch — nur ist Herkules bei Man-
tegna bärtig und älter.
Das gleiche Motiv, „Ercole che sbarrava la bocca al leone"
hatte übrigens 1528 in Florenz Benvenuto Cellini in einer goldnen
Medaille, die am Barett zu tragen war, für den Sienesen Girolamo
Marretti gemacht, und Michelangelo sah diese Arbeit (Vita, lib. I,
XLI oder I, cap. VIII). Im Trattato dell' Oreficeria (cap. IX) erzählt
Cellini: , .unser grosser Michelangelo kam sogar in meine Werkstatt,
um sie zu sehen, und als er sie ehie Weile betrachtet, sagte er,
um mich zu ermuthigen : ,wäre dieses Werk gross in Marmor oder
24*
^72 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Bronze in dieser so schönen Zeichnung ausgeführt, würde es die
Welt staunen machen ; doch auch in dieser Grösse ist es so schön,
dass ich nicht glaube, die antiken Goldschmiede hätten jemals
Etwas so gut ausgeführt,' Diese Worte blieben mir im Gedächt-
niss haften und ermuthigten mich ungemein, aber nicht so sehr für
kleine Arbeiten, als indem sie mir vielmehr den Wunsch erweckten,
grosse zu machen: denn die Worte, die jener wunderbare Mann
zu sagen beliebte, hatten den Sinn, dass, hätte ich jene beiden
Figuren gross ausführen wollen, sie mir bei Weitem nicht in solcher
Güte gelungen wären, wie sie in den kleinen sich zeigte; indem
er mich einerseits ausserordentlich lobte, gab er mir andrerseits
zu verstehen, dass Einer, der so vorzüglich kleine Dinge mache,
niemals in gleicher Weise sich auf grosse verstehen würde. Und
ich bildete mir nicht etwa bloss ein, dass er diesen Gedanken ge-
habt, sondern erfuhr, dass er selbst es einem Anderen gesagt, und
diese seine Worte entflammten meinen Willen, tausendmal mehr
zu lernen, als ich damals konnte." —
Die Inschrift über dem Löwenkampf lesend, fragt Frey, der in
den Kämpfen, namentlich in dem mit der Hydra, eine Anspielung
auf des Künstlers eigene Leidensei fahrungen sieht, ,,wer war als-
dann der ,primo leone', den Michelangelo - Herkules zerrissen.^"
Gewiss dürfen wir bei dem Helden an den Künstler denken —
ob er selbst es aber gethan, bleibt mir doch sehr zweifelhaft. Jene
Aufzeichnung möchte ich mir so erklären. Michelangelo hat dem
Herkules das Löwenfell umgegeben. Er selbst mag die Prolepsis
erst nachträglich bemerkt haben oder von einem Freund darauf
aufmerksam gemacht worden sein. Und nun schreibt er, scherz-
haft sich rechtfertigend, hin: „dies ist ja (nicht der erste, sondern)
der zweite Löwe, den Herkules erschlug", so Dessen Thaten um
eine weitere bereichernd.
Was die Gruppe mit dem Antäus anbetrifft, möchte ich glauben,
dass in ihr das antike Motiv des den Löwen an sich drückenden
und erdrosselnden Herkules verwerthet ward. Die Stellung des
Herkules und das Umfassen des Löwen in geschnittenen Steinen
(z. B. Furtwängler: die antiken Gemmen XV, 75; XVII, 56 und 57;
XXI, 20; LXIII, 23) und in Reliefs (Robert: Sarkophagreliefs III,
XXXin, 120; XXXIX, 129) stimmt sehr überein. Und dass gerade
diese antike Darstellung der Renaissance lieb war, beweisen Pla-
ketten. (Berlin: Die italienischen Bronzen Taf XL, 538. 539.
LH, 767. 768. 766.) Es handelt sich also um eine interessante
Übertragung des Löwenkampfmotives auf die Antäusgruppe.
Am Originellsten erweist sich Michelangelo in der lernäischen
Hydra. Welch' ein Riesenungeheuer ist aus dem schlangenartigen
Thier der Antike, das, wie die Versucherin im Paradiese, häufig mit
Der Atlas mit der Himmelskugel 373
weiblichem Kopf versehen ist und sich um das Bein des Herkules
schlingt, geworden ! Man vergleiche den Mantegna zugeschriebenen
Stich (B. 15) und einen Stich des Giov. Ant. da Brescia in der
Albertina (non ment.), welche eine um den Arm des Helden sich
windende Schlange zeigen, um sich von der Kühnheit der Konzep-
tion zu überzeugen.
Von einer anderen Herkuleszeichnung, die Michelangelo an-
gefertigt, vernehmen wir durch Armenini: „De' veri precetti della
Pittura" (Ravenna 1587. p. 57). Der Meister habe für einen
jungen ferraresischen Künstler, der ihm beistand, eines seiner Thon-
modelle zu brennen , einen Herkules , und zwar im Verlaufe einer
halben Stunde, gezeichnet. ,,I1 quäl disegno per quanto io conosceva
all' hora, mi parve cosi ben delineato, ombrato et finito, che passava
ogni uso di minio, et era un Stupor grande a quelli che cio havevano
veduto fare in cosi poco tempo che altri vi havrebbe giudicato dentro
la fatica di un mese."
XIV
Der Atlas mit der Himmelskugel
In seiner Selbstbiographie (lib. I, XLl oder I, cap. VIII) er-
zählt Cellini :
„Ein junger Mann von hohem Geiste , Federico Ginori , der
viele Jahre in Neapel gewesen war und dort, da er von schöner
Gestalt und Gegenwart war, sich in eine Fürstin verliebt hatte,
wünschte eine Medaille angefertigt zu erhalten, auf der ein Atlas
mit der Weltkugel auf dem Rücken dargestellt sei, und bat den
grossen Michelangelo, dass er ihm eine Skizze mache. Dieser sagte
zu Federigo: ,geht und sucht einen gewissen jungen Goldschmied
auf, Namens Benvenuto ; Der wird Euch sehr gut bedienen und
bedarf sicher meiner Zeichnung nicht ; aber damit Ihr nicht glaubt,
ich scheue eine so geringe Mühe, will ich Euch gerne eine Skizze
machen. Inzwischen sprecht mit dem Benvenuto, dass auch er ein
kleines Modell anfertige und lasst dann ausführen, was von beiden
das Bessere ist'. Federigo Ginori suchte mich auf und theilte mir
seinen Wunsch mit, auch, wie sehr der wunderbare Michelangelo
mich gelobt, und dass auch ich ein kleines Wachsmodell anfertigen
solle, indessen jener bewundernswürdige Mann ihm eine Skizze zu
machen versprochen. Die Worte des grossen Künstlers gaben mir
solchen Muth, dass ich sogleich mit grösstem Eifer an besagtes
Modell mich machte , und als ich es vollendet , brachte mir ein
Michelangelo sehr befreundeter Maler , Giuliano Bugiardini , die
Zeichnung des Atlas. Ich zeigte Giuliano mein kleines Wachs-
modell, das sehr verschieden von der Zeichnung Michelangelos war,
374 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
und Federigo und auch Bugiardini entschieden sich, dass ich die
Medaille nach meinem Modell machen solle. So begann ich die
Arbeit, und der ausgezeichnete Michelangelo sah sie und lobte sie,
als ein unschätzbares Werk, hoch. Die Figur war aus Goldblech
getrieben ; sie trug auf dem Rücken den Himmel, eine Krystallkugel,
in welche der Thierkreis eingeschnitten war auf einem Grunde von
Lapislazuli. Die Gesamtwirkung mit der Figur war so schön, dass
die Arbeit unschätzbar dünkte. Unten las man das Motto : summam
tulisse juvat."
Die technische Ausführung der Medaille, die später in den
Besitz des Königs von Frankreich kam, beschreibt Cellini ausführ-
lich im XII. Kapitel seines „Trattato dell' oreficeria" und fügt hinzu,
das Motto (es muss wohl heissen : summa) bezöge sich auf jene
Liebe des Federigo. , .Einige sagen, dass der Edelmann sehr jung,
an jener Liebe, gestorben sei."
Eine sehr schöne und nach meinem Dafürhalten unbedingt
ächte Federzeichnung in der Ecole des beaux-arts zu Paris (Thode
512, Br. Exp. Ecole d. b. a. 72), die von Berenson nicht erwähnt
wird, bietet sich dar, halten wir Umschau unter des Meisters Stu-
dien nach einem Blatte, das auf jenen Auftrag des Ginori bezogen
werden könnte. Die technische Behandlung stimmt zu der Zeit,
in welcher jener Auftrag erging, nämlich 1528. Dargestellt ist ein
in leicht bewegter Stellung halb nach rechts gewandter Jüngling,
der auf den Schultern, mit beiden erhobenen Armen sie umfassend
und mit dem etwas gesenkten Kopfe sie stützend, eine grosse Kugel
trägt, welche durch die leicht auf ihr angedeutete Zeichnung einer
Selene auf ihrem Doppelgespann als Himmelsglobus gekennzeichnet
ist. Ein an den Hüften befestigtes Gewand weht von dem Rücken
ab, lockiges Haar umflattert den fast knabenhaft wirkenden Kopf.
Hinter dem rechten Arm ist ein Flügel angedeutet.
Rechts neben dieser Figur , flüchtig skizzirt , sitzt nach rechts
gewandt ein anderer etwas älterer Jüngling, der den Oberkörper
nach links dreht und beide Arme, Etwas haltend, erhebt. Auf den
ersten Blick glaubt man einen die Flöte blasenden Faun zu erkennen,
bei näherer Betrachtung aber ergiebt sich die Vermuthung, dass auch
diese Gestalt eine Sphäre über sich hält, denn die anfangs für ein
Blasinstrument gehaltene Linie erweist sich als Segment eines Kreises
und das Faunsartige des Kopfes verschwindet bei längerem Hinsehen.
Es sind also ohne Zweifel zwei Studien zu einem Atlas, die
wir vor uns haben : wer dies für die sitzende Gestalt nicht zugeben
will, muss es doch unbedingt für die stehende. Der nur leicht an-
gedeutete Flügel kann uns nicht stutzig machen: er scheint aus
künstlerischen Rücksichten, nämlich um für das Auge den Eindruck
des Gleichgevv'ichtes hervorzubringen, hinzugefügt.
Eine Verwechslung von Lionardo und Michelangelo — Der Traum 375
Mariette, in dessen Besitz sich die Zeichnung befand, hielt die
Gestalt für einen Engel, der ein bekrönender Abschluss des von
ihm willkürlich rekonstruirten Juliusdenkmal gewesen sei (Observ.
zu Condivi S. 71). Dieser Irrthum braucht nicht widerlegt zu
werden. Alles spricht dafür, dass der Entwurf der für Federigo
Ginori angefertigte ist.
XV
Eine Verwechslung von Lionardo und Michelangelo
Von einer Michelangelo zugeschriebenen Rötheizeichnung,
welche auf grossem Blatte ,,un Nettuno tirato da quattro spumanti
bizzarrissimi cavalli marini" darstellte, spricht Giacomo Carrara in
Bergamo , in dessen Besitz sie sich befand , in einem Briefe vom
19. Juni 1768 an Bottari (Lett. VI, 247). Auf dem Blatte warder
Vermerk zu lesen: ,,Questo Nettuno, disegno originale di Michel-
agnolo Bonarrota, pervenne in mano di Gio. Paolo Lomazzo: fu
poi l'anno 1578 conservato da Gio. Ambrogio Figino per essere stato
suo maestro, e finalmente dal detto Figino lasciato l'anno 1608 al
sig. Ercole Bianchi suo erede." Carrara, welcher sagt: ,,la terri-
bilitä della mossa di quella figura non puö essere piü animata ed
espressiva", meint, es sei ein Entwurf für einen Brunnen gewesen.
Es kann wohl kaum zweifelhaft sein , dass diese Zeichnung
keine andere ist, als der herrliche Entwurf Lionardos in Windsor.
XVI
Der Traum
„II Sogno" wird von Vasari eine Komposition genannt, deren
von Lafreri herausgegebene Reproduktion in Kupferstich er erwähnt.
I. Diese Zeichnung existirt noch heute, denn ich stehe nicht an,
das im Grossherzoglichen Schlosse zu Weimar aufbewahrte,
in Kreide ausgeführte Blatt (Thode 520. Phot. Br. 39), das einst
im Besitze Ottleys, dann Woodburns, Robinsons, endlich des
König Heinrichs von den Niederlanden war, für das Original
von Michelangelo zu halten, so vollkommen ist die Model-
lirung des nackten Körpers, so geistreich die Skizzirung der
Nebenfiguren und so durchaus im Stil der für Cavalieri an-
gefertigten Blätter und der ersten Gesamtstudien für das
Jüngste Gericht (Bayonne, Casa Buonarroti, London) die Be-
handlung. Man darf verwundert sein, dass es nicht längst
eingehendere Beachtung gefunden, sondern einfach als Kopie
abgethan wurde. Wenige freilich dürften es gesehen haben,
aber auch der vortrefflichen Braun'schen Photographie hätte
man ein sicheres Urtheil entnehmen können.
376 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
Auf einem kastenartig gebildeten Sitz, dessen geöffnete
Vorderseite verschiedenartige darin liegende Masken zeigt,
sitzt ein nackter Jüngling, das rechte Bein gegen den Sitz
angestemmt, die beiden Arme auf eine grosse Kugel (auf der
die in den Reproduktionen gezeichnete Erdkarte nicht an-
gegeben ist) gestützt, in grosser Bewegung des Erwachens
zu einem schlanken EngeljüngHng aufschauend, der, mit weit-
gespannten Flügeln kopfüber niederfliegend und mit einer
Tuba in sein Ohr blasend, ihn erweckt. Links und rechts
sehen wir aus Nebel auftauchend einzelne Szenen, die, wie
nicht zweifelhaft bleiben kann, die Todsünden darstellen, und
zwar so angeordnet, dass sie nur bis zur Höhe des Engel-
kopfes reichen, darüber aber und auch noch über dem Engel
freier Himmelsraum bleibt. Ich gehe in der Aufzählung von
unten nach oben. Links :
A. Eine kauernde nackte Gestalt (i) dreht bei einem Feuer einen
Bratspiess , an dem , wie es scheint, ein Vogel befestigt ist.
Dahinter ein Tisch, an dem eine nackte Figur (2), den Kopf
auf die rechte Hand gestützt, die Linke auf den Tisch gelegt,
wie auf die Mahlzeit wartend. Dicht darüber drei Köpfe sicht-
bar, ein jugendlicher bartloser links (3), ein schwer erkenn-
barer in der Mitte (4), ein bärtiger mit turbanartigem Kopf-
tuch rechts (5). Darüber ein aus einer Flasche Trinkender
(6). — Es ist die Darstellung der Schlemmer.
B. Links eine nackte Frau (7) auf einem Bett, die von einem
nackten Mann (8), der ein Tuch auf dem Kopfe trägt und
mit dem linken Bein auf ihr kniet, umhalst und geküsst wird.
Daneben rechts vom Rücken gesehen eine von dem Lager
sich erhebende Gestalt, die nur um den Unterkörper ein
Gewandstück genommen hat (9). Unmittelbar über ihr zwei
sich küssende und umschlingende Köpfe gewandeter Figuren
(10 der untere, 11 der obere Kopf). Links von ihnen Wolken.
Rechts über der Schulter von 1 1 ein nur leicht angedeuteter
Männerkopf (12). Rechts von dem sich Erhebenden 9 eine
nach rechts sich bewegende, wie es scheint, weibliche Figur
(13), die, nur mit dem Oberkörper sichtbar, einen wie er-
schreckten Blick nach links zurückwirft. Unmittelbar rechts
über ihr noch ein kleinerer Kopf (14) angedeutet. — Die
Gruppe der Wollüstigen.
Rechts :
C. Zu Unterst eine hockende Figur (15), den Kopf schlafend
zwischen die Kniee gesenkt, die linke Hand am Boden, die
rechte auf dem rechten Knie. Darüber eine sitzende, wie es
scheint, weibliche nackte Gestalt, den Kopf an den gekrümmten
Der Traum ^77
rechten Arm gelehnt, der auf eine, mit einem Tuch bedeckte
Erhöhung gestützt ist, den Unken Arm schlaff über das rechte
Bein gelegt (16). Hinter ihr rechts eine andere Gestalt nur
angedeutet (17). — Die Gruppe der Trägen.
D. Ein, mit der rechten, einen Stock (?) haltenden Hand zum
Schlage ausholender Mann (18, nur Oberkörper sichtbar),
packt einen unter ihm befindlichen, der verzweifelt die Arme
über dem Kopf kreuzt (19), am Nacken. Ein dritter links (20),
von hinten gesehen, fasst den Bedrohten am rechten Arm
und bewegt die Linke gegen den Angreifer. Daneben rechts
packt ein Jüngling (21) mit beiden Fäusten einen Alten (22)
an dem Gewand vor der Brust. — Die Gruppe der Gewalt-
thätigen. Links von ihr zwei Hände, die einen gefüllten
Beutel halten (23): der Geiz. Unmittelbar darunter, nur an-
gedeutet, Oberkörper eines wild oder scheel blickenden
Mannes , der , wie es scheint , den Zeigefinger der rechten
Hand in den Mund steckt und die Linke erhebt (24).
Vier Todsünden: der Schlemmerei und der Wollust, der Träg-
heit und dem Zorn sind, wie man sieht, die Hauptstellen zugewiesen.
Nur sie sind ausführlich geschildert. Von den anderen drei Tod-
sünden ist der Geiz deutlich in einem Motive gekennzeichnet. Den
Neid könnte man allenfalls in der scheel blickenden Figur 24 er-
kennen (auch in der seitwärts blickenden Gestalt 13?). In keiner
aber den Hochmuth.
Nur ein einziges anderes Blatt mit Studien kenne ich, das in
direktem Zusammenhange mit dem ,, Traum" steht.
II. Oxford. Univ. Gall. 69. Thode 441. Ber. 1571. Abb. Colvin:
Sei. drawings. Phot. Br. 83. Kreide. Fünf Skizzen, in kleinen
Verhältnissen , eines Mannes , der einen anderen am Boden
Liegenden bedroht, a) und b) ganz ähnlich, zeigen den Sieger,
wie er mit dem linken Bein auf dem Unterlegenen kniet,
der sich mit dem linken Arm auf den Boden stützt, die
Rechte abwehrend erhebt und mit einem Gegenstande in
der erhobenen Rechten zum Schlage ausholt. Das eine Mal
fasst er den Gegner am Kopf (a), das andere Mal an der
Gurgel (b), hier schlägt der Besiegte das rechte Bein um das
Bein des Gegners. Die Bewegung des Oberleibes des Siegers
(Kopf und Armhaltung) ist identisch mit dem Todtschläger im
Traum (18). — c) Ahnliche Bewegung des Siegers, nur steht
(oder sitzt) er mit gespreizten Beinen über dem auf den Rücken
Gefallenen. — d) Andere Komposition. Der Sieger tritt mit
dem linken Fusse auf den Gestürzten, packt ihn am Kopf
und bedroht ihn mit der Rechten. — e) Der Sieger beugt
sich über den Liegenden, der das linke Bein um sein rechtes
378 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
schlägt und packt ihn mit beiden Händen an der Gurgel.
Ausserdem eine flüchtige Skizze des am Boden Liegenden
in ähnlicher Haltung wie in a.
Robinson glaubte hier den Entwurf für einen ,,Simson im
Kampfe mit einem Philister" zu sehen und schloss aus den kleinen
Verhältnissen, dass er für ein kleines Rundrelief, vermuthlich eine
Medaille, bestimmt war. Auch Berenson nimmt eine Darstellung
Simsons an. Beide versetzen die Zeichnung mit Recht in die Zeit
der früheren Skizzen für das Jüngste Gericht. Sie ist also in der-
selben Zeit, wie der ,, Traum", entstanden, und so darf sie getrost,
da die Deutung ,,Simson" willkürlich und keinerlei Beziehung zu
den Entwürfen für die früher in Florenz geplante Statue zu finden
ist, als eine für die Allegorie angefertigte oder aus der Todt-
schlägergruppe entwickelte meisterhafte Studie betrachtet werden.
Auf eine Rötheizeichnung im Codex Vallardi im Louvre (Thode
308) möchte ich nur beiläufig aufmerksam machen : ein knieender
Mann bedroht einen neben ihm Sitzenden mit dem Messer.
Folgende alte Reproduktionen habe ich anzuführen. Ihre
Prüfung ergiebt Verschiedenheiten, theils Bereicherungen, theils Ver-
änderungen in den kleinen Szenen.
1. Stich von Beatrizet (P. 112). Bez. Michel Angelus inven.
Ausgabe von Lafreri und von Ant. Salamanca. Wir finden
hier einige Bereicherungen , wie auf dem Londoner Bilde,
und ausserdem noch zwischen der Gruppe der sich Be-
gattenden und den sich Küssenden , als Pendant zu den
Händen mit dem Beutel rechts: eine Hand, die den männ-
lichen Geschlechtstheil hält.
2. Stich von Michele Lucchesi (P. 15). Nach Beatrizet. Bez.
Egregius Michaelangelus Bonarotus autor. M. L. Cum privilegio.
3. Gemälde in London, National Gallery. Nr. 8. Phot. Hanf-
staengl 297. Es stammt aus dem Palazzo Barberini in Rom.
Die Engelsfigur ist etwas kleiner und der obere Bildrand
unmittelbar über ihr. Der Hintergrund ganz aus Wolken
gebildet. Auf dem Globus die Erdkarte. Ein Gewandzipfel
ist über die Scham des Jünglings gelegt. Die Nebenszenen
geben getreu die Weimarer Zeichnung wieder. Einige Figuren
aber sind hinzugefügt, so: drei aus den Wolken auftauchende
Köpfe über der Gruppe B (Fig. 7 und 8) und rechts ganz
oben noch eine Mordszene: ein knieender Mann, die Linke
erhebend und mit der Rechten einen Liegenden am Halse
packend. Die Figur des Neides (24) scheint etwas in der
rechten Hand Gehaltenes zu essen. Der Schlafende rechts
unten (15) scheint als Krieger gekennzeichnet zu sein, eine
Sturmhaube auf dem Kopf. — Waagens Vermuthung, das
Der Traum -yyq
Bild könne von Sebastiano del Piombo in Dessen später Zeit
gemacht sein, ist unbegründet.
4. Gemälde in Wien, k. k. Gemäldegalerie, Nr. loi (früher 305).
Phot. Löwy. Aus der Sammlung des Erzherzogs Leopold
Wilhelm. Hier ist der Engel, viel kleiner, ferner vom Jüng-
ling, in der Höhe angeordnet. Hinter dem Erwachten öffnen
sich die sonst den Hintergrund verhüllenden Wolken und lassen
den Blick auf eine Landschaft mit Ruinen frei. Die Szenen
sind höher angebracht: die untersten Figuren etwas höher
als das erhobene Bein des Jünglings. So bleibt links unten
Platz für Ruinen (die drei Säulen des Forum und Theil des
Kolosseums). Die Kugel ist als Erdkugel charakterisirt. Die
kleinen Szenen sind nicht so eng am Bildrand und bereichert.
Neben dem Mann am Bratspiess (i) ein Kopf, ebenso einer
neben dem Mann am Tisch (2). Rechts von diesem die Halb-
figur einer Frau, die in einem Mörser stampft und weiter
ein knieender Mann an einem Kessel. Über dem Paar auf
dem Bett eine in Wolken sitzende nackte Figur und hnks
vorn zwei sich Umarmende. Darüber zwei umschlungene
Liegende. Rechts der Schlafende wiederum als Krieger.
Eine weitere schlafende sitzende Gestalt links von der ruhen-
den Frau (16). Über den Händen mit dem Beutel der Ober-
körper einer verzweifelt die Hände über dem Kopf erheben-
den Frau. Höher noch: mehrere Köpfe.
5. Agnolo Bronzino. Gemälde. Florenz, Uffizien. Auf der Rück-
seite des Porträts der Bianca Capello Nr. 1227. Phot. Alin. 453.
Brogi 2555. Die Jünglingsgestalt ist hier kleiner in den
Verhältnissen, der Engel höher angebracht mit längerer Tuba
(aber nicht so klein, wie in Wien). Statt der Wolken hier
Nebel, der links und rechts eine Landschaft sehen lässt, links
mit einer Säulenrotunde. Die Kugel wieder als Erdkugel ge-
kennzeichnet. Was hier aber das besonders Bemerkenswerthe
ist, sind einige den Sinn der Darstellung verändernde Um-
wandlungen und Weglassungen. Im Allgemeinen sehen wir
die Beschränkung auf die Gruppen und Figuren der Weimarer
Zeichnung, die dem Künstler direkt vorgelegen haben muss.
Über die rechte Seite ist nur zu bemerken, dass die Szene
des Angriffs auf den Alten (21, 22) unterhalb des Todtschlages
angebracht ist und dass die Figuren Gewandung erhalten
haben. Links ist die am Tische sitzende Gestalt (2) eine
nackte Frau. Die entscheidende Veränderung betrifft das
Liebespaar auf dem Lager : an dessen Platz erscheint eine
liegende nackte Frau, die von einem links zu ihr empor-
klimmenden Knaben umhalst und geküsst wird. An Stelle
380 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
der erschreckten nackten Frau (13) erscheint ein Frauenkopf
mit einer Kappe. — Man sieht, Bronzino hat ad usum der
Bianca Capello das Anstössige ausgemerzt und durch eine
harmlose Familienszene ersetzt.
6. Gemälde, früher im Besitze von Henry F. Holt in London.
Es war 1868 auf der Kunstausstellung in Leeds zu sehen
und ward damals als ein ganz verdorbenes Temperabild, von
dem nur noch Reste zu gewahren seien, bezeichnet (Z. f b. K.
1869. IV, S. in). In einer Abhandlung in ,,The Gentleman's
Magazine" (1867 Nr. 21. Sept.) hat der Besitzer es selbst be-
sprochen. Nach der Beschreibung stimmt es am Meisten mit
Bronzinos Bild (links Landschaft mit kirchenartigem Gebäude)
überein, doch finden sich auch einige Abweichungen: neben
der schlafenden Figur (17) wird ein Mann angegeben, der
sich die Haare rauft und in einen Spiegel blickt, neben dem
Engel links ,, Michelangelo" selbst (wahrscheinlich wohl der-
selbe bärtige Kopf, der allenfalls auf den Meister zu deuten
wäre , wie bei Bronzino). Die linke Seite ist von Licht er-
hellt, die rechte im Dunkel.
7. Einige Figuren sind auf Battista Francos Schlacht von Monte-
murlo im Palazzo Pitti kopirt. Rechts unten der vom Traum
erwachende Jüngling selbst, der sich aber auf eine Erhöhung,
nicht auf die Kugel, stützt, und neben ihm der hockende
Schläfer (15). In der Gruppe eines Kriegers, der einen Ge-
fallenen bedroht, im Mittelgrunde rechts ist die Gruppe des
Todtschlägers frei benutzt.
Von neueren Stichen erwähne ich die von Francesco van den
Steen, v. Hoy, van Stoy und J. W. Ery.
Mit einer Erklärung des Vorwurfes haben sich Mehrere ab-
gegeben. Die Meisten erkannten richtig die Darstellung der Tod-
sünden. Holt in seiner erwähnten Abhandlung führt eine Anzahl
Deutungen an. Füssli sagt : der Mann entdeckt, erwacht, die Phan-
tome der Leidenschaften. Es ist eine Lehre, dass Alles eitel und
das Leben eine Farce ist. Ottley: die menschlichen Laster vor
dem Blicke eines kontemplativen Mannes, dem ein Engel durch die
Posaune verkündet, dass Gott strafen wird. Duppa : eine Allegorie,
welche die Sünden des Geizes und der Wollust zeigt als Konse-
quenzen des Strebens nach Reichthum und ungesetzmässiger Liebe ;
die Masken sind Embleme der Heuchelei. Der Engel richtet den
Jüngling auf ein besseres Leben hin. Conway glaubt, Michelangelo
sei durch einen Traum inspirirt worden ; auch Viardot spricht von
nächtlichen Gedanken zur Zeit, als der Meister das Jüngste Gericht
malte. John Landseer (Description of fifty Pictures in the Nat. Gall.,
London 1834) schreibt: ,,a painted mystery, to inform us, that after
Der Traum 2g j
this dreaming life or living dream man, who here reposes on a
slippery globe , surrounded by a sad variety of tempting and transi-
tory or visionary hopes and fears, shall awaken to mental and lasting
reality at the sound of the trumpet from above." Der Jüngling
scheine nicht zu begreifen. Die Figur des Neides verzehre ein Herz.
Die Masken werden von Mrs. Jameson (Handbook to public Galleries.
London 1842) als Embleme der nun bei Seite gelegten Illusionen
gedeutet. Die Trompete des Jüngsten Gerichtes erwecke den
Menschen aus dem Traum des Lebens und der Leidenschaften.
Charles Blanc nennt die Masken die Embleme der verschiedenen
Alter und Bedingungen des Lebens, der Leidenschaften und Eitel-
keiten. Das Leben findet er folgendermaassen geschildert : der Jüng-
ling, Tafelfreuden sich ergebend, erträumt vage Träume von Ehr-
geiz und Ruhm, dann gewinnt er die sinnlichen Freuden heb : er
liebt und minnt, ist umgeben von den Sorgen der Familie. Hierauf
fesselt ihn die Welt. Er verliert den Adel seiner Jugend und wird
unehrlich. Zuletzt geht er ins Grab und lässt Kinder zurück, den-
selben Lebenslauf zu führen. Harford betont den in des Jünglings Stel-
lung sich ausdrückenden ernsten Wunsch und festen Entschluss, indem
von oben herabstrahlenden Licht transzendenter Glorie zu wandeln.
Holt hielt es für undenkbar, dass Michelangelo nur Laster dar-
gestellt, also die Moral ausgesprochen habe : Alles ist schlecht und
keine Verzeihung ist zu erhoffen. Aus seinem Bilde — das Bron-
zino'sche in Florenz kannte er nicht — entnimmt er, der Meister
habe nicht nur die dunklen , sondern auch die hellen Seiten des
Lebens geschildert. Letztere in den Szenen hnks : Nahrung und
Schlaf in Einfachheit und Massigkeit, gesetzmässige Kindererzeugung
unter dem Schutze der Kirche, Freuden der FamiUe, Freundschaft
und Alter. Rechts: Geiz, Rache, Todtschlag, Gewaltthat, Diebstahl,
Apathie, Gewissensbisse und tödtlicher Schrecken. Der Jüngling
sei der gute Christ, der alle Masken der Heuchelei bei Seite gethan
und so wenig auf die Welt vertraut, dass die Glaskugel ungebrochen
bleibt. Ihm wird das Jüngste Gericht von dem Engel mitgetheilt,
und er ist freudig bereit, dem Rufe zu folgen.
Es ist unnöthig, näher nachzuweisen, wie falsch diese Erklärung
ist. Die Veränderungen in Bronzinos Kopie und in dem Bilde Holts
sind dem Geiste Michelangelos und seiner Komposition zuwider-
laufende Abschwächungen des unerbittlichen Gedankens, der hier
Ausdruck gefunden hat. Die Idee der Darstellung ist aus der Be-
schäftigung mit dem Jüngsten Gerichte, in Sonderheit der Tod-
sünden, hervorgegangen. Sie auf Dante zurückzuführen, wie Stein-
mann will, liegt kein Anhalt vor — ich glaube: auch nicht auf irgend
eine andere unbekannte Htterarische Quelle. Wenigstens erklärt
sich die Konzeption vollständig aus Gedanken, die dem Meister
382 Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe
bei der Gestaltung des Fresko kamen. Aus dem Traum eines in
Sünde und Schuld verstrickten, an die Erde gefesselten Lebens
wird der Mensch durch den, eine Vergeltung verkündenden Ruf
aus höherem Reiche erweckt. Heuchelei und Trug dieser Welt
verschwindet — die Masken werden abgelegt, wie Augustus in einem
schon oben (I, S. 518) zitirten Worte, den Schluss des Lebens mit
dem des Schauspiels vergleichend, gesagt hat. Über der furcht-
baren Erkenntniss des Weltenwahnes erhebt sich die Gewissheit
eines höheren Daseins.
Einzelne Beziehungen zu anderen Werken dürfen hervorge-
hoben werden, so in der Stellung des Jünglings zum Adam in der
Erschaffung und zu dem für Sebastianos Gemälde entworfenen La-
zarus, in dem hockenden Schläfer zu den Trauernden in Entwürfen
für die Medicigräber (auf dem Kranzgesims) , in dem Engel zu
dem Phaeton in der Zeichnung der Akademie zu Venedig.
XVII
Zeichnungen zu Dantes Divina Commedia, angeblich von
Michelangelo
Die Nachricht von einer Illustration Dantes taucht erst im
XVIII. Jahrhundert auf, und zwar zuerst, was bisher nicht beachtet
wurde, in einem Briefe, den Monsignore Bottari am 8. April 1747
von Rom aus an Gori, anlässlich von Dessen eben erschienener
Condiviausgabe, geschrieben hat (Fanfani, Spigolatura Michelangio-
lesca, 1876, S. 82). ,,Um zu beweisen, wie sehr Michelangelo Dante
studirt, könnte man anführen, dass er mit der Feder zu jedem Ge-
sänge in einer alten Ausgabe mit dem Kommentar des Landino, die
auf grosse Bogen mit sehr breitem Rand gedruckt ist, die Figuren
gezeichnet. Dieser unschätzbare Kodex kam in die Hände Antonio
Montautis, der ihn wie ein Kleinod von unermesslichem Werthe be-
wahrte. Und als er sich hier in Rom niedergelassen, Hess er ihn mit
aller seiner anderen Habe und einem jungen Diener hierher kommen.
Der geringeren Kosten wegen liess er Alles auf dem Meerwege
kommen, und Alles ging unter." Diese Notiz brachte Bottari dann
1760 als Anmerkung in seiner Vasariausgabe (III, p. 252), und die
Erzählung ward allgemein angenommen. Erst F. X. Kraus im
„Dante" (Berlin 1897, S. 618) äusserte sich, und zwar mit vollem
Rechte, skeptisch. Es erscheint schwer denkbar, dass weder Vasari
noch Condivi noch Varchi noch irgend ein anderer Zeitgenosse
eine so interessante und werthvolle Arbeit des Meisters hätten un-
erwähnt lassen sollen. Und zudem hat Bottari jene Zeichnungen
Zeichnungen zu Dantes Divina Commedia, angeblich von Michelangelo 383
selbst gar nicht gesehen , sondern berichtet nur , was der Besitzer
des Kodex ihm gesagt.
Auch ist keine Studie unter den Handzeichnungen bekannt, die
auf eine solche Arbeit hinweise. Berenson zwar hielt es für möglich,
dass Skizzen ,, liegender und kriechender Figuren" auf einem Blatte
im British Museum (1859—6—25 — 565; Thode 308; Fagan XVI;
Ber. 1 508 ; Phot. Br. 8) im Zusammenhange mit jenen Illustrationen
stünden und speziell auf eine Stelle im Purgatorio IV, 103 — 108
sich bezögen , aber eine bestimmte Deutung in diesem Sinne ist
gewiss nicht möglich. Die Stelle schildert ,,zur Bekehrung Träge"
und lautet :
et ivi eran persone
Che si stavano all'ombra dietro al sasso,
Come i'uom per negghienza a star si pone
Ed un di lor che mi sembrava lasso,
Sedeva ed abbracciava le ginocchia
Tenendo '1 viso giü tra esse basso.
Dargestellt auf der Zeichnung sind fünf neben einander sitzende
Figuren : links eine auf den Arm sich stützende Frau , ein Kind
neben sich , das sie nach links weist , dann vom Rücken gesehen
ein Mann mit gesenktem Haupt wie schlafend, weiter , Diesen an-
schauend, eine kleinere Figur, deren Kopf fast wie der eines Affen
wirkt, und endlich rechts ein trübsinniger oder stumpf blickender
Jüngling, den Rücken gegen eine Erhöhung gelehnt, das hnke Bein
aufgestemmt, die Arme im Schoosse.
Man sieht, es ist kein unbedingter Hinweis auf jene ,,pigri" zu
finden. Die sich in den Haltungen ausdrückende Müdigkeit und
Trauer veranlasste Steinmann zu der Meinung, es seien Studien zu
einer Stichkappe in der Sixtina (speziell der Josiasgruppe , St. 51),
aber ich wies schon früher daraufhin (I, S. 265), dass auch dies nicht
mit Sicherheit zu behaupten sei. Auch scheint mir das Blatt später
anzusetzen, in die Zeit des Jüngsten Gerichtes : man sehe den rechts
unten befindlichen Mann. Hätte dann doch Fagan Recht, wenn er
Studien für dieses Fresko hier gewahrt.? Ich halte es nicht für
wahrscheinlich : es könnte sich nur um Auferstehende handeln, und
Diesen entspricht Art und Stimmung der Komposition nicht. Ich
weiss keine Erklärung.
Beiläufig zu bemerken ist, dass K. Eitner im Deutschen Kunst-
blatt 1857, VIII, p. 373 und 385 eine den III. Gesang der Hölle
illustrirende Zeichnung, angeblich von Michelangelo, bespricht. Den
Namen des Besitzers nennt er nicht (vgl. Steinmann, S. 581, Anm. 4).
Eine solche ist heute nicht bekannt, und es ist wohl anzunehmen,
dass es sich um eines der vielen, fälschlich dem Meister zugeschrie-
benen Blätter handelt.
384 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe: Entwurf zu einer Historie
XVIII
Entwurf zu einer Historie
Auf einem schon zweimal erwähnten Blatte der Casa Buonarroti
(XXXI, 27. S. I, 151, Nr. V und II, S. 148, Nr. VIII), auf welchem
zuerst Studien für die Sklaven des Juliusdenkmales, später die Grund-
risse einer Bastion gezeichnet wurden, ist über die Sklaven hinweg,
aber bevor die Fortifikationsskizzen entstanden, eine figurenreiche
Darstellung flüchtig von Michelangelo entworfen worden. In der
Mitte der rechts verkürzten Komposition sehen wir einen nackten,
sitzenden Jüngling, der nach rechts schauend, die Hände im Schooss,
den (nicht sichtbaren) linken Arm nach rechts auszustrecken scheint,
wo ein nackter Mann einen Anderen packt und noch weiter rechts
ein Dritter einen Vierten zu fassen scheint. Links von dem Jüng-
ling kniet eine (wohl jugendliche) Figur, die, Erbarmen erflehend,
die Hände zu ihm erhebt. Hinter ihr links befindet sich eine Gruppe
sitzender Gestalten: zu der einen vorderen in gebeugter Haltung
wendet sich eine, den Arm zu ihr ausstreckend, die, dem über dem
Kopf gezogenen Mantel nach, als eine Frau aufzufassen sein dürfte.
Beide sind nach rechts gewandt. Links von der vorderen ruht mit
aufgestemmtem rechten Bein, nach links gewandt, in lässiger Haltung
ein Mann. Dahinter erscheinen Andere nach vorne bewegt.
Ich vermag die merkwürdige Szene nicht zu deuten. Auf den
ersten Blick glaubt man, der Vorgang vollziehe sich auf Wolken,
und denkt an das Jüngste Gericht. Diese Annahme erweist sich
aber sogleich als irrig: wie wären die kämpfenden Gestalten rechts
zu erklären } Auch beschäftigte sich Michelangelo in den zwanziger
Jahren noch nicht mit dem Plan des Freskos. Dann stellt sich
der Gedanke ein, da der dominirende Jüngling eine entfernte Ähn-
lichkeit mit dem Giuliano Medici hat, es könne der Entwurf für
eine Siegesszene sein , die irgendwie in der Sagrestia nuova an-
gebracht werden sollte. Hierbei könnte man aber doch nur ein
Relief voraussetzen, und diese Komposition ist offenbar nicht für ein
solches, sondern für ein Gemälde bestimmt.
Befiehlt der Jüngling eine Hinrichtung.? Sind die Gestalten
links Gefesselte, denen das gleiche Schicksal droht, wie den Ge-
packten rechts .'' Welche Rolle spielt die Frau .? (Es sieht fast so
aus , als trüge sie einen Heiligenschein , aber das ist wohl eine
Täuschung.) Ist die knieende Figur männlich oder weiblich.?
Was immer gemeint sei — die Darstellung muss, als eine für
Michelangelo sehr ungewöhnliche , unser Interesse erwecken. Das
trotzige über sie weg gezeichnete Bollwerk scheint uns die Berech-
tigung zur Annahme, dass des Künstlers Phantasie in jenen kriege-
rischen Zeiten durch kriegerische Vorstellungen bewegt ward, zu geben.
xn
GEMÄLDE, ZEICHNUNGEN UND
ENTWÜRFE
RELIGIÖSEN INHALTES
1* 25
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo
Der Antheil, den Michelangelo an dem Schaffen Sebastianos
gehabt haben soll , ist durch die neuere Forschung auf ein
sehr geringes Maass beschränkt worden. Die Studien für „die Auf-
erweckung des Lazarus" und ,,die Geisselung", welche die Tradition
Michelangelo zuschrieb, wurden Diesem genommen und Sebastiano
zugewiesen und mit ihnen eine grössere Anzahl anderer bisher für
Michelangelos Schöpfung gehaltener Zeichnungen, Die Anregung
hierzu ging von Morelli aus.
In einem Aufsatz des Jahrb. d, k. pr. Kunsts. (XX, S. 204 ff.)
stellte zuerst Franz Wickhoff die Behauptung auf, Vasaris Angabe,
Michelangelo habe dem Sebastiano seine Kompositionen entworfen,
sei nicht glaubwürdig. Vasari sei durch nach dem Tode Raphaels
kursirende Gerüchte , welche , auf Äusserungen Sebastianos sich
stützend, von der beabsichtigten Mitarbeiterschaft des Meisters mit
dem jüngeren Freunde im Vatikan sprachen, und durch den An-
blick der Zeichnungen Sebastianos selbst, die er für solche Michel-
angelos hielt, auf jene Ansicht gebracht worden. Und dass man
später des Venezianers Zeichnungen irrig Michelangelo benannt,
erkläre sich leicht, da Jener sich gewöhnt, die Hand des Meisters
nachzuahmen. Wickhoff, an Morellis Bestimmung der einen Lazarus-
zeichnung anknüpfend, nahm sieben Blätter, die bisher Michel-
angelo hiessen, für Sebastiano in Anspruch: die zwei Studien
zur Erweckung des Lazarus, die zur Geisselung Christi und die
Kreuzigung im British Museum, die Madonna mit Kind und Johannes
in Windsor, die Madonna mit Engeln in Venedig und das Porträt
Leos X. in Chatsworth.
Berenson, den so gewiesenen Weg, der auch von Sidney Colvin
im Hinblick auf einige Blätter beschritten wurde, verfolgend, ging
weiter und fügte viele andere Zeichnungen der Liste hinzu , die
von den neuesten Biographen Sebastianos : Giorgio Bernardini
(Bergamo 1908) und Pietro d'Achiardi (Rom 1908) gebilligt wird,
25*
388 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
obgleich der Erstere Vasaris Angaben allgemein doch Glauben
schenkt. D'Achiardi hat seinerseits Neues beigebracht.
Ehe wir an die Nachprüfung dieser Zuschreibungen gehen,
müssen wir die Angaben Vasaris auf ihre Glaubwürdigkeit prüfen.
/. Die Nachrichten über die Mitarbeiter schaß Michelangelos
an Gemälden Sebastianos.
Folgendes sind Vasaris Äusserungen.
A. Im Leben Michelangelos (VII, 272): ,,Queste carte (die Zeich-
nungen für Cavalieri) sono State cagione , che dilettandosi
messer Tommaso, quanto e' fa, che n'ha poi havute una
buona partita, che gia Michelagnolo fece a fra
Bastiano Vinitiano, che le messe in opere, che
sono miracolose."
B. Im Leben Sebastianos (V, 568). Nachdem die zwischen
Raphael und Michelangelo entstandene Partheiung geschildert
worden, heisst es: ,,Destatosi dunque l'animo di Michelagnolo
verso Sebastiano, perche molto gli piaceva il colorito e la
grazia di lui, lo prese in protezione; pensando che se egli
usasse l'ajuto del disegno in Sebastiano, si potrebbe
con questo mezzo, senza che egli operasse, battere coloro,
che avevano si fatta openione, ed egli, sotto ombra di terzo,
quäle di loro fusse meglio. Stando le cose in questi termini,
ed essendo molto, anzi in infinito, inalzate e lodate alcune
cose che fece Sebastiano per le lodi che a quelle dava Michel-
agnolo, oltre che erano per se belle e lodevoli; un messer
non so chi da Viterbo, molto riputato al papa, fece fare a
Sebastiano, per una capella che aveva fatta fare in S. Francesco
di Viterbo, unCristo morto con una Nostra Donna
che lo piagne. Ma perche, sebbene fu con molta diligenzia
finito da Sebastiano, che vi fece un paese tenebroso, molto
lodato, l'invenzione perö edilcartone fudi Michel-
agnolo, fu quell' opera tenuta da chiunque la vide veramente
bellissima."
C. Ebenda (V, 568 f.): „Avendo Pier Franceso Borgherini, mercante
fiorentino, preso una capella in San Piero in Montorio entrando
in chiesa a man ritta, ella fu col favor di Michelagnolo
allogata a Sebastiano, perche il Borgherino pensö come fu
vero, che Michelagnolo dovesse far egli il disegno
di tutta l'opera. Messovi dunque mano, la condusse
con tanta diligenza e studio Sebastiano , ch' ella fu tenuta
ed e bellissima pittura; e perche dal piccolo disegno
di Michelagnolo ne fece per suo comodo alcun altri
maggiori, uno fra gli altri che ne fece molto bello e di man
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo ^%q
sua nel nostro Libro. Ne tacerö, che molti credono
Michelagnolo avere non solo fatto il picciol
disegno di quest' opera, ma che il Cristo detto
che e battuto alla colonna fusse contornato da
lui,peresseregrandissimadifferenza fra labontä
di questa e quella dell'altre figure.
D. Ebendaselbst (S. 570). Über die Auferweckung des
Lazarus: „la quäle fu contraffata e dipinta con diligenza
grandissima, sotto ordine e disegno in alcune parti
di Michelagnolo."
Diese bestimmten Aussagen Vasaris sollten keinen Glauben
verdienen? Sie gingen bloss auf Gerüchte zurück? Vasari unter-
scheidet Thatsachen hier doch sehr ersichtlich von Gerüchten:
bloss als ein solches bezeichnet er die Meinung, Michelangelo habe
den gegeisselten Christus selbst auf die Wand gezeichnet. Und
Cavalieri, Tommaso Cavalieri, in Dessen Besitz Vasari die Zeich-
nungen Michelangelos überdies sah, wäre, trotz seiner Freundschaft
mit dem Meister, so schlecht unterrichtet gewesen, dass er
Sebastiano'sche Zeichnungen für Michelangelo'sche gehalten? Vasari,
der selbst eine Zeichnung Sebastianos in seinem Besitz hervorhebt,
so urtheilslos, dass er der gleichen Täuschung verfallen wäre ? Eine
so kritiklose, willkürliche Annahme von einem Lehrer der Kunst-
geschichte, wie Wickhoff, Einem, der noch dazu allein ,, wissenschaft-
liche Methode" zu besitzen sich brüstet, aussprechen zu hören,
muss befremden — doch vernehme man Weiteres !
Es kommt nämlich hinzu, dass wir, genügte auch Vasaris Zeug-
niss vollständig, aus Sebastianos eigenem und Anderer
Munde erfahren, Michelangelo habe ihm Skizzen für seine Werke
gemacht.
E. Brief Leonardo Sellajos aus Rom an Michelangelo, 9. August
15 16. (Frey: Briefe S. 31.) „Avete a mandare el disegno
a Bastiano." Am 16. August schreibt er, dass er die Zeich-
nung empfangen (Frey, S. 32), am 30. August, dass Sebastian©
in 14 Tagen die Arbeit beginnen werde (S. 34), am 1 1. Oktober,
dass er den Karton mit grossen Plänen begonnen und ein
Wachsmodell für den ,, Christus" gemacht habe (S. 37), am
8. November, dass er ,,zwei Propheten" gemacht und Ehre
einzulegen hofft (S. 42). — Um welches Werk handelt es sich
hier ? Jedenfalls um eine Christusdarstellung. Ist es die
Pietä in Viterbo? Genaues über deren Entstehungszeit weiss
man nicht. D'Achiardi verlegt sie in die Jahre 15 14 — 15 17.
Andere, zu denen ich gehöre, in spätere Zeit. — Oder hätte
Sebastian© schon damals, 151Ö, die Arbeit in der Kapelle
von S. Pietro in montorio begonnen? Dass sie erst
390 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
1525 vollendet ward, wissen wir. Vasari bemerkt, Sebastiane
habe sechs Jahre an ihr gearbeitet, das würde den Beginn in
das Jahr 15 19 ansetzen lassen. Wer weiss, ob nicht Vasaris
Angabe nur eine sehr approximative ist. In eben jenen
Briefen Sellajos ist öfters die Rede von dem Pier Francesco
Borgherini, wenn auch nicht direkt in Beziehung zu der
Kapelle, und die Bemerkung, Sebastiano habe zwei Pro-
pheten (vermuthlich im Karton) angefertigt, macht es doch
sehr wahrscheinlich, dass jene Kapelle gemeint ist, über deren
Eingang ein Prophet und eine (sehr männlich wirkende)
Sibylle sich befinden. (Von anderen Prophetendarstellungen
Sebastianos wissen wir Nichts.) Dann wäre der erwähnte
Christus, von dem der Maler ein Thonmodell — die Gewohn-
heiten und den Rath Michelangelos sich zu eigen machend —
angefertigt, der Christus an der Säule, und die von Michel-
angelo übersandte Zeichnung, nach welcher Se-
bastiano einen Karton ausführt, war offenbar
eine Studie für die Kapelle, vermuthlich für die
Geisselung. — Die Wahrscheinlichkeit wird zur Gewiss-
heit, wenn wir in einem Briefe Leonardo Sellajos vom i. März
15 17 (Frey, S. 63) lesen: ,,Bastiano a grande animo e domane
chominca la chapella. Dio gli dia vetoria." Unmittelbar
darauf ist wieder von Borgherini die Rede.
Also Michelangelo hat Sebastiano (mindestens) eine Zeichnung
für die Kapelle gemacht. — Anfang 15 17 übernimmt Sebastiano
den Auftrag auf die Auferweckung des Lazarus (Frey: Briefe S. 58),
die er im September begonnen hat (S. 79). Michelangelos Zeich-
nung, die aber in Briefen nicht erwähnt wird, muss also wohl
Anfang 15 17 entstanden sein.
F. In dem oben erwähnten Briefe Sellajos vom i. März 15 17
heisst es: ,, Pierfrancesco fece fare un quadro a quello Andrea
(del Sarto) e non e a modo suo : sta disperato. Ora Bastiano
dice, avendo uno vostro chartone, apunto gli
basterebbe l'animo di eseguire asai: siehe parendo
vi, potendo o volendo, vi si manderebbe le misure e uno
aposta per esso: siehe risponderete." — Man sieht, wie sicher
Sebastiano schon auf die Hülfe Michelangelos vertraut.
G. Als es sich nach Raphaels Tode um die Ausmalung der Sala
del Costantino handelt, möchte Sebastiano durch des Meisters
Vermittlung dort beschäftigt werden. Und zwar offenbar wieder
in dem Sinne, dass Michelangelo die Aufgabe übernehme
und die Entwürfe mache, denn schon am 3. Juli 1520 schreibt
Sebastiano: ,,quella sala non e opera da zoveni, la non e se
da vui et se guadagnaria grande honore et gran
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 391
danari se vui volesti pigliare questo assonto," (Milanesi: Les
correspondants de M. I. Seb. d. P. S. 8.) Und später, was
deutlich zeigt, dass Michelangelo die Zeichnungen machen
und er sie ausführen wollte: „et con mezo vostro far le vendete
vostre et mie a un trato et dare ad intendere a le
persone maligne che '1 c' e altri semidei che Rafael da Urbino
con e soi garzoni" (a. a. O. S. 16). Und am 15. Oktober be-
richtet er von einem Gespräch mit dem Papste: „io li riposi
che con l'ajuto vostro a me basteria l'animo di far
miracoli." (Gaye II, 489.)
H. Im Jahre 1532 war Sebastiano mit dem ihm angeblich früher
von Agostino Chigi ertheilten Auftrag der malerischen Aus-
schmückung der Kapelle Chigi in S. Maria del popolo be-
schäftigt. Auch für diese Arbeiten bittet er sich Zeichnungen
von Michelangelo aus. Er schreibt am 25. Mai (nicht 25. März,
wie Milanesi: a. a. O. S. 86 angiebt, vgl. Annalen im I. Bande
meines ,, Michelangelo") : „circha a la cossa mia pigliatela a
vostra comoditä, et quando vi viene bene, che tutto quello
place a vui piacerä a me. Arecordatevi che la vä a lume
roverso per amore de la porta de la chiesa. Cussi ancora
grandissimo apiacere me faresti de un pocco de lume de la
storia de laNativitä de Nostra Donna con un Dio Padre
de sopra con Agnoletti intorno pur al medesmo lume, facto
grosso modo , a me mi basta solamente chiarirmi come la
intenderesti vui circha l'inventione, perche fine (offenbar: sine)
tuo lumine nichil est in homine, e se io vi do troppo noja
perdonate me et sopra tutto advertite de mandarmi tal cossa
de modo che non se smarischano et che non capiti immano
de altri che in le man mie. Et se non havete messo piü che
fidato non le mandate, piü presto aspetarö in sino a la venuta
vostra et vui la le portarete, siehe io non ve dirö altro."
(a. a. O. S. 88.)
Hier handelt es sich also um zwei allgemeine (a grosso modo)
Entwürfe: den für die Geburt der Maria, und zwar wie man sieht,
für die gesamte Komposition und einen anderen, der nach der
Bemerkung über das Licht und die Nähe der Kirchenthüre gleich-
falls auf die Kapelle sich bezieht. Ausser dem Altargemälde sollte
Sebastiano hier ja auch Wandbilder malen — wir wissen nicht
welchen Vorwurfes.
I. Am 15. Juli 1532 dankt Sebastiano für die Zeichnung eines
Christus, die Michelangelo ihm gesandt. ,,Io ho ricevuto
in piü partite 3 vostre littere con el disegnio, del che vi
rengratio quanto si po rengratiare, et satisfarmi assai, perö
el Cristo da le braze et la testa in fora, e quasi similc a
392 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
quello de Sancto Pietro Montorio, ma pure io me accomoderö
meglio che potrö" (S. 98). Die hervorgehobene ÄhnUchkeit
des Christus mit dem in S. Pietro lässt mich vermuthen, dass
es sich wohl um eine Zeichnung für das Gemälde in Madrid:
Christus im Limbus handelt, da hier in der That eine
auch von d'Achiardi bemerkte Ähnlichkeit mit dem Christus
an der Säule sich geltend macht und das Madrider Bild seinem
Stil nach in diese Zeit gehört.
K. Ferner mag noch eine Bitte, die Sebastiano in demselben
Briefe ausspricht (S. 100), hier angeführt werden: ,,pregovi
arecordatovi di portarmi qualche cossa figure o ganbe o corpi
o brace che tanto tempo le ho dessiderate come vui sapete
che si prosuntuosamente, ve lo a recordo, perdonateme che
'1 grandissimo desiderio che ne ho me lo fa fare et l'amore
che io vi porto."
Endlich möchte ich den Auftrag erwähnen, den Matteo Malvezzi
in Bologna 1529 Michelangelo ertheilte, ihm, wenn nicht das Bild,
so doch eine Zeichnung (Karton) für eine Madonna mit vier Heiligen
zu machen, die dann Sebastiano ,,koloriren" solle. Obgleich es
sich ja hier nicht um eine Bestellung an Sebastiano handelt, wirft
die Thatsache doch auch Licht auf das Verhältniss der beiden
Künstler zu einander und beweist, dass es bekannt war, Michelangelo
lasse eigene Ideen durch Sebastiano malerisch verwirklichen.
Allen diesen Zeugnissen gegenüber, die Vasaris Angabe voll-
auf bestätigen, konnte Wickhoff es leugnen, dass Michelangelo
Zeichnungen für Sebastianos Gemälde angefertigt.?! Solche und
ähnliche Behauptungen des in seinem Urtheil über Fachgenossen
so anmaassenden Wiener Kunsthistorikers zu kennzeichnen , über-
lasse ich gerne Anderen.
Fassen wir kurz die Thatsachen zusammen! Für folgende
Bilder Sebastianos ist die Mitarbeiterschaft Michelangelos sicher
bezeugt :
1. Die Pietä in Viterbo. Zeichnung und Karton für die
Gruppe von Michelangelo. Die Landschaft von Sebastiano.
2. Die Geisselung in S. Pietro in montorio. Kleine
Zeichnung von Michelangelo 15 16. Ob er auch für die anderen
Fresken Entwürfe gemacht hat, bleibt dahingestellt. — Einige,
zu denen unter den Neueren d'Achiardi gehört, waren der
Meinung, der Meister habe den Christus selbst auf die Wand
gezeichnet.
3. Die Auferweckung des Lazarus in London. Nach
, Michelangelos Angaben und Zeichnung (für einige Theile).
Anfang 1517.
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 303
4. Die Geburt der Maria in S.Maria del popolo. Der
Entwurf Michelangelos umfasste vielleicht die ganze Kompo-
sition 1532.
5. Christus im Limbus in Madrid. Die Skizze zum Christus
scheint von Michelangelo 1532 angefertigt worden zu sein.
Hinzuzufügen mit einem Fragezeichen ist noch.
6. Das Gemälde für Pier Francesco Borgherini, das
sich im Jahre 15 17 „mit einem Karton des Meisters" zu machen
Sebastiano bereit erklärte und das im April 1525 vollendet ward.
Es fragt sich, in welchem der erhaltenen Bilder wir es wieder-
erkennen dürfen. Berenson meinte: in der „hl. Familie mit
dem Donator" der Londoner National Gallery. Ich halte dies
für sehr möglich. D'Achiardis Einwurf, das Bild sei dem Stile
nach früher als 1525, ist nicht stichhaltig, da es wahrschein-
lich schon 15 17 begonnen ward. Er nimmt an, mit dem 1525
erwähnten „quadro" sei die Geisselung in S. Pietro in mon-
torio, die Sebastiano ja auch für Borgherini gemalt, gemeint.
Hier wie in anderen Fällen geht d'Achiardi fehl, weil er Freys
,, Briefe an Michelangelo" nicht berücksichtigt hat. — Ausser dem
Londoner Bilde könnten in Frage kommen wohl nur: die Beweinung
Christi in Petersburg und die Madonna del Velo in Neapel.
Die Frage, ob Michelangelos Hülfe sich auf diese Gemälde
beschränkt oder nicht auch auf andere Werke Sebastianos erstreckt
habe, bleibt offen. Das letztere anzunehmen, hindert Nichts, da
aus der Summa jener Zeugnisse hervorgeht, welche Scheu der Vene-
zianer trug, sich auf sich selbst zu verlassen und sein dank des
Meisters Unterstützung gewonnenes Ansehen aufs Spiel zu setzen.
Er war sich seines Mangels an Begabung für grössere Entwürfe
wohl bewusst. Nur auf dem Gebiete des Porträts fühlte er sich
ganz sicher.
2. Die Zeichnungen zu Ge77iälde?z Sebastianos.
Suchen wir uns zunächst davon zu unterrichten, welche Er-
scheinungen in Stil und Behandlung Wickhoff und Berenson bewogen
haben, viele bisher nicht angezweifelte Zeichnungen Michelangelo
zn nehmen und Sebastiano zu geben, so treffen wir auf an sich
beachtenswerthe Momente. Das Bedenkliche ist nur dieses, dass
Beide ihre Argumentation auf sicher beglaubigte Blätter Sebastianos
nicht stützen konnten und dass jede Zuschreibung einer neuen
Zeichnung immer wieder nur auf einer anderen Zuschreibung fusste.
Nehmen wir an, dass einmal fälschlich ein ächter Michelangelo für
Sebastiano erklärt ward, so musste dies zur unabweislichen Folge
haben, dass andere ächte Michelangelos auch zu Sebastianos wurden.
Und dies geschah nach meinem Dafürhalten in weitestgehender Weise:
394 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Michelangelo ist einer Anzahl herrlicher Ideen beraubt worden.
Wohin das rollende Rad getrieben wurde, sehen wir bei d'Achiardi,
der selbst eine so unverkennbare Michelangelo'sche Studie, wie den
Christus der Pietä im Louvre, für Sebastiano erklärte. Wer kon-
sequent wäre, müsste dazu gelangen, Sebastiano überhaupt in Michel-
angelo zu verwandeln. Die Münchhausen'sche Geschichte vom Wolf,
der, das Pferd verzehrend, schliesslich an dessen Stelle im Geschirr
des Gefährtes sich befand.
Der von Morelli gegebene Ausgangspunkt war richtig, aber es
sind Irrwege eingeschlagen worden.
Es gilt zunächst, die von den beiden Forschern hervorgehobenen
für Sebastiano geltend gemachten Eigenthümlichkeiten festzustellen
und zu prüfen, ob sie ausschlaggebend sind für die Bestimmung.
Allgemeinere ästhetische Auffassungen berücksichtigen wir erst
später.
Wickhoff hebt hervor : Mangel an Geschlossenheit im Umriss
der Komposition, (Licht zwischen den Figuren im Sinne des vene-
zianischen Malers, ausgreifende Extremitäten), malerische Behand-
lung in breiten Parallelstrichen, schlecht verstandene krallige Finger,
ungeschickte Zeichnung der Fussknöchel. Berenson: malerische
Auffassung, lose Behandlung und parallele Schraffirung, prominente,
fast monströse äusserste Fingergheder, kralHge Bewegung; scharf
zugespitzte Nasen, sehr spitz unten zulaufende Beine, exkreszente
Fussknöchel, starke Einziehung des Beines über und unter dem
Knie, grosse Länge der Figuren, nur angedeutetes Haar, Hände und
Füsse häufig unausgeführt.
Nun möchte ich zunächst einmal entschieden betonen, dass
Michelangelo, wie zahlreiche Studien ergeben, in diesen die Hände
und Füsse vernachlässigt hat. Er lässt sie oft unausgeführt oder
deutet sie sehr vage an. Seltsam genug, aber es sieht so aus, als
habe er keine leichte Fertigkeit in der Zeichnung dieser Extremi-
täten besessen. Wollte ich alle Beispiele hiervon anführen, es
würde eine grosse Liste: sie nöthigen dazu, diese Vernachlässigung
als ein charakteristisches Merkmal Michelangelo 'scher Entwürfe zu
betrachten. So besagt es Nichts, wenn Wickhoff zu der einen
Skizze zur Auferweckung Lazari in London bemerkt: ,,der Künstler
hat Knöchel und Füsse immer und immer wieder gezeichnet und
sich ihr Skelett in der betreffenden Stellung und Verkürzung ver-
deutlicht. Und das soll Michelangelo sein, der sich ein Jahr vor
Raphaels Tode mit der Darstellung eines nackten Fusses abplagen
muss?"
Mit jener EigenthümUchkeit hängt nun aber Anderes zusammen,
dass wir nämlich die sogenannte krallige Hand oft in Michel-
angelo'schen Skizzen finden, sowohl die flüchtig hingeworfene Form
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 395
einer Hand mit auseinanderstehenden scharf zugespitzten Fingern,
als eine andere, welche die beiden letzten Fingerglieder scharf
gebogen zeigt. Man vergleiche z. B. nur folgende Zeichnungen:
die Darstellungen des Auferstehenden bei Malcolm und in Windsor,
die Madonna (,, Antonio disegna"), den Jonas und die zwei einen
dritten tragenden Männer im British Museum, die Anna selbdritt
und den Arm auf der Davidzeichnung im Loüvre, die Studie zum
Adam in der Casa Buonarroti, die Krieger und die Bettlerin in
Oxford. Ja, mehr als dies: die Hand mit der scharfen Biegung der
beiden letzten Fingerglieder begegnet uns häufig auch in den aus-
geführten Werken, z. B. rechte Hand des David, die Hände der
Cumaea, die Linke Daniels, die Linke des Ignudo links von Ezechiel,
die Rechte des Ignudo rechts von Libica, die Rechte der Frau in
der Ezechiasstichkappe , die Rechte des Siegers, die Rechte des
Lorenzo Medici, die Linke der Aurora, die Rechte der Madonna
im Jüngsten Gericht, die Rechte des Christus in der Florentiner
Pietä. Es handelt sich also um etwas für ]\Iichelangelos Kunst
geradezu Typisches ! Und für die stark ausgebildeten Fussknöchel
gilt das Gleiche. Ich erwähne vor Allem den Christus in der Auf-
erstehung zu Windsor, wo sie ungemein auffallend sind, die Bein-
studie für den Ignudo der Sixtina in den Uffizien, die Figuren für
den Karton von Pisa in der Albertina, Bein und Fuss im British
Museum (Br. 6) und die Studien für Haman ebendaselbst u. s. w.
Ebenso finden wir die zugespitzten Beine häufig. Man betrachte
die Studien zum Jüngsten Gericht in den Uffizien und in der Casa
Buonarroti, die Auferstehung in Windsor und die in Paris, Herkules
und Antäus und die zwei einen Dritten Tragenden im British
Museum, die Phaetonzeichnung in Haarlem, und neben manchem
Anderen vornehmlich den Tityos in den Uffizien.
Hat Sebastiano diese Formenbesonderheiten in seinen Zeich-
nungen, dann hat er sie von Michelangelo — auf sie kann es bei
einer Bestimmung nicht ankommen, wenn ich auch zugebe, dass
besonders übertriebene Bildungen genannter Art gegen Michelangelo
und für Sebastiano mitsprechen könnten. Die Beobachtungen
solcher Details durch Wickhoff und Berenson sind richtig — aber
das Interessante ist, dass diese Eigenthümlichkeiten Michelangelo'sche
sind und es sehr schwer zu beurtheilen, ob er sie nicht selbst bei
flüchtigen Entwürfen bis zum Absonderlichen gesteigert hat. Auf
einzelne lehrreiche Beispiele komme ich noch zu sprechen. Auch
auf das ,, angedeutete Haar" (vgl. den Auferstehenden, Malcolm) ist
kein Gewicht zu legen , und von loser Behandlung kann man bei
gar manchen Zeichnungen Michelangelos sprechen: z. B. der Frauen-
gruppe unter dem Kreuz im British Museum, den Ringenden im
Louvre, dem OpferAbrahams in der Casa Buonarroti, dem Tityos
390 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
in den Uffizien. Es bleiben als bedeutsam nur: die malerische, lose
Kompositionsart, die breite Schraffirung (obgleich solche bei Michel-
angelo öfters vorkommt: z. B. Sklave in Windsor, Br. 115), die zu-
gespitzte Nasenform und die Länge der Gestalten (die wir freilich in
späteren Zeichnungen des Meisters auch finden). Diese Momente
haben bei der Bestimmung mitzusprechen, für welche schliesslich
aber, angesichts der vorausgesetzten weitgehenden Imitation Michel-
angelo'scher Art durch Sebastiane, ausschlaggebend Geist, Bedeutung
und künstlerische Qualität sein muss. Im höheren Maasse auch,
als bisher geschehen , müssen die Gemälde des Venezianers zum
Vergleich herangezogen werden.
Die Auferweckung des Lazarus.
Die zwei Rötheistudien zu Lazarus mit den ihn nächst um-
gebenden Figuren sind die im British Museum befindlichen, unten
unter I und la angegebenen. Ich kann mich nicht genug darüber
verwundern, wie Wickhofif und Berenson so kurzsichtig sein konnten,
die vollständige Verschiedenheit dieser beiden Zeichnungen in Auf-
fassung, Formensprache und Behandlung zu verkennen. (Morelli,
Wickhoffs Pfadweiser, hat sich hiervor wohl gehütet !) Stehen sich
hier doch Michelangelo und Sebastiano in so ausgesprochener Weise
gegenüber, dass der Vergleich, lehrreich wie kein anderer, ent-
scheidend für alle anderen Bestimmungen werden muss. Indem sie
die herrliche, gewaltige Studie des Lazarus mit ausgestrecktem Arme
(folg. Nr. I) Sebastiano zuerkannten , betraten beide Forscher von
Vorneherein jenen Irrweg, von dem ich oben sprach. Auf sie hin
mussten zahlreiche Blätter es sich gefallen lassen, aus Michelangelos
Werkstatt in die Sebastianos verwiesen zu werden. Man vergleiche
unbeirrten Auges: in I höchste plastische Kraft der Gestaltung, in la
flacher, malerischer Schein von Körperlichkeit, in I eine lebendige
Durchbildung des Anatomischen bis in die feinsten Formbewegungen
hinein, wie wir sie nur in den Zeichnungen des Einen, Michelangelo,
finden, in la ein oberflächliches Sichbeschränken auf das All-
gemeinste, in I eine überwältigende Umittelbarkeit der Naturbeob-
achtung und eine in den Fussstudien sich äussernde rastlose Ge-
wissenhaftigkeit, in la eine ausgesprochene bequeme Manier, in I
eine sorgfältig vertreibende, jeder Form nachgehende Zeichnungs-
weise (im Lazarus), in la nur allgemeine Andeutung von Schatten
und Licht in gleichmässig durchgeführter Parallelschraffirung , in I
nachdrückliche Bestimmtheit der Konturen, in la verschwimmende
Umrisse !
I. Studie Michelangelos zur Auferweckung Lazari. Röthel. British
.Museum 1860 — 7 — 14—2. Thode 330. Ber. 2483. Phot.
Br. 7. Die Stellung des Lazarus ist im Allgemeinen schon
Zeichnungen fiir Gemälde Sebastianos del Piombo 397
die, wie im Gemälde, nur ist der Kopf mehr nach hinten
gesenkt, der rechte Arm erhoben nach links (Christo zu) aus-
gestreckt und das rechte erhobene Bein nicht an das linke
Knie gelegt, sondern gegen den Sarkophag gestemmt. Das
Leichentuch ist nur wenig sichtbar, eine Binde ist um den
Kopf geschlungen. Der Mann rechts , ganz sichtbar , kniet
neben dem Sarkophage und fasst das Leichentuch unter Lazari
linkem Bein. Über ihm ist der Kopf der zweiten Person noch
nicht zu sehen. Die im Rücken des Auferweckten stehende,
nach rechts sich herabbeugende Figur ist mit flüchtigen
Strichen angedeutet, der im Bilde entsprechend. Unten vier-
mal ein Fuss skizzirt, — für welche Gestalt ^ Nur oberflächlich
hinblickend hat man wohl gemeint: für eine der Figuren. Nein,
er stimmt zu deren keiner — vielmehr hat er uns etwas un-
gemein Wichtiges zu sagen. Es sind Studien für den
linken Fuss Christi in dem Gemälde. Also hat
Michelangelo auch den Christus entworfen. Ich muss ge-
stehen, dass mir hierüber längst kein Zweifel geblieben, lange
bevor ich diesen Zusammenhang erkannte. Diese erhabene
Erscheinung konnte nur von Einem geschaffen werden. Wir
dürfen auch getrost annehmen, dass die (verlorene) Zeichnung,
die Sebastiano benutzte, von ihm im Gemälde treu wieder-
gegeben worden ist. Mit der Lazarusgruppe aber nahm er
eine Veränderung vor, und diese zeigt uns eben seine
Zeichnung:
la. British Museum. 1860 — 7 — 14 — i. Röthel. Studie zur Auf-
erweckung. Thode 329. Ben 2484. Phot. Br. 20. Den
ausgestreckten rechten Arm des Lazarus lässt er über die
Brust nach dem Leichentuch greifen, setzt in dessen unteres
Ende den rechten Fuss vor dem linken Knie und bringt den
Kopf in gerader Profilhaltung. Den Mann rechts versetzt er
in das Innere des Sarkophages, aus dem er sich vorbeugt,
um das Tuch zu fassen. Hierdurch entsteht ein leerer Raum
zwischen dessen Kopf und dem hinteren Mann ; er wird durch
den Kopf eines Dritten ausgefüllt.
Dürfen wir diese Veränderungen billigen.^ Der Abstand zwischen
der Komposition des Meisters und der Auffassung des Schülers ist
ein grosser. Gerade herausgesagt: Sebastiano hat den grossen
Gedanken Michelangelos gar nicht gefasst, er trivialisirt ihn. Offen-
bar bewog ihn die Scheu vor der langen Linie , ' die durch die
beiden ausgestreckten Arme Lazari und Christi entstanden wäre,
und giebt er desswegen Michelangelos Motiv auf. Aber er hat eben
dessen Bedeutung, wie auch die Bedeutung der Kopfhaltung gar
nicht erkannt.
398 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Man ergänze sich zu Michelangelos Zeichnung den Christus —
und was steht vor uns? Eine neue grossartige Fassung
der Idee der Erschaffung Adams! Es ist dieselbe Kopf-
haltung, derselbe Ausdruck, wie im Adam. An diesen erinnert
auch die erste Bewegung des zum Leben Erwachenden: das auf-
gestemmte Bein und die sich nach dem Lebengebenden hinbewegende
Hand. Und wie aus Gottvaters Hand strömt aus der Christi die
Kraft aus. Wer noch nach einem Beweise dafür sucht, dass auch
der Christus von Michelangelo geschaffen wurde, hier ist er!
Nur als eine Vermuthung spreche ich es aus , dass auch der
knieende Alte, die inbrünstig aufschauende Maria und die gross-
artige, von Schrecken durchbebte Martha in den Skizzen des Meisters
gegeben waren — alle anderen Figuren dürften von Sebastiano
hinzugefügt worden sein. Da es aber auf sie nicht sehr ankommt,
stammt die Komposition in allem Wesentlichen von Michelangelo
her, nur dass er den Lazarus erhabener und seelenvoller und die
Verdeutlichung des Wunders ausdrucksvoll anschaulicher ge-
dacht hatte.
Und nun begreifen wir, warum der Eindruck dieses Werkes
zu den mächtigsten gehört , welche die Kunst jener Zeit hervor-
bringt. Nicht Sebastiano — Michelangelo hatte über Raphael ge-
siegt. Aber seien wir gerecht: er hatte einen Maler für die Ver-
wirklichung seiner Idee zur Verfügung, mit dem sich die Künstler,
welche den Entwurf Raphaels für die Transfiguration ausführten,
nicht messen konnten.
Die Geissei ung Christi.
Zwei Zeichnungen der Malcolmsammlung im British Museum
sind Studien für die Komposition. Die eine (Malcolm 366), bloss
den Christus 'darstellend , trug schon früher und trägt auch jetzt
mit Recht den Namen Sebastianos. Die andere, unter Michelangelos
Zeichnungen aufbewahrt, erhieltdurch Wickhoff die neue Benennung.
II. London. British Museum. Malcolm 63. 1895 — 9 — ^5 — 500-
Thode 349. Ber. 2487. Abb. Ben PI. CXLVI. Phot. Br.
Exp. Ecole d. b. a. 6g. Leicht in Röthel ausgeführt, zeigt
sie die ganze Komposition : Christus an der Säule von sechs
Schergen, links mehr im Mittelgrunde Pilatus auf erhöhtem
Sitze , eine sitzende Figur zu seinen Füssen , eine stehende,
den Arm erhebende hinter ihm. Die Stellung Christi ist im
Allgemeinen (nur im Gegensinne) schon die des Fresko, doch
ist die Kopfhaltung aufrecht und die Bildung jugendhcher als
im Fresko, Diesem entspricht die Stellung der beiden vor-
deren Geisselnden schon im Wesentlichen (nur greift der
rechts in die Haare Christi), die hinteren sind anders. Im
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 300
Wandbild ist eine Vereinfachung vorgenommen worden:
Pilatus mit seinen beiden Begleitern, der eine Scherge links
und der Mann mit dem Kinde rechts wurden weggelassen,
die Portikusarchitektur der Zeichnung in einen Basilikaraum
mit Säulen verwandelt.
Vielleicht hatte Wickhoff hier Recht mit seiner Benennung.
Die lockere Behandlung, die übertrieben langen Proportionen, die
Manierirtheiten in der Formensprache lassen dieselbe Künstler-
hand erkennen, wie die Sebastiano'sche Lazaruszeichnung. Zu be-
merken ist, dass eine Figur : die Christi, energischere Betonung der
Konturen und sorgfältigere, vertriebenere Durchbildung des Anato-
mischen zeigt, als die anderen, wie auch auffallender Weise rich-
tigere Verhältnisse: die Gestalt ist kürzer, gedrungener. Ich er-
kläre mir dies so, dass entweder Michelangelo sie selbst gezeichnet
und Sebastiano das Andere hinzugefügt hat, oder dass Letzterer eine
Vorlage des Meisters im Christus genau kopirte.
Vergleichen wir nun Fresko und Zeichnung, so springt in die
Augen, dass der Christus auf jenem durch Ausprägung des Leidens
im stark gesenkten Kopfe bedeutend eindrucksvoller und die in der
Studie lahme Bewegung viel energischer geworden ist. Das Ein-
greifen Michelangelos, der vermuthlich auch auf die Vereinfachung
der Komposition gedrungen haben wird, ist ersichtlich. Der Vor-
gang dürfte also derart gewesen sein : er verfertigte zuerst eine
Zeichnung des Christus in ruhigerer Haltung, den Sebastiano zum
Mittelpunkt seiner Darstellung machte, dann vereinfachte und ver-
stärkte er korrigirend die letztere und gab dem Dulder diese aus-
drucksvollere Kopfhaltung. Die grossartige, erschütternde Wirkung
des Gemäldes wird ihm, der von ihm geschaffenen Gestalt an der
Säule, verdankt.
Es war das Werk seines Meisters, dem Venusti huldigte, als
er die Kopie in der Galerie Borghese verfertigte, von dem sich
Kalvaert in dem Gemälde der Pinakothek zu Bologna (279) in-
spiriren Hess , das der Maler eines Halbfigurenbildes in S. Esu-
peranzio zu Cingoli (March. Filippo Rafifaelli: di alcuni lavori del
Buonarroti nelle Marche 1875) kopirte und ein Nachahmer in einer
Darstellung des Museo del Prado in Madrid frei verwerthete (vgl.
Abb. des Venusti und der beiden letztgenannten Werke bei
d'Achiardi Fig. 29 — 31). Sebastiano selbst hat 1525 eine Wieder-
holung angefertigt, die sich jetzt im Museo communale von Viterbo
befindet.
Eine kleine Federzeichnung Michelangelos für den Christus, die
Richardson (lU, 633) im Besitze seines Vaters erwähnt, ist heute
nicht mehr nachzuweisen. Die im Gabinetto delle Stampe zu Rom
aufbewahrte Kreidestudie zu einem Christus an der Säule (Abb.
400 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Le Call. Ital. 1896. II, Taf. XI, S. 154. D' Achiardi Fig. 28) Seba-
stiane zuweisen zu wollen , wie Ad. Venturi und d' Achiardi es
thun, scheint mir bedenklich. Die Behandlungsart ist ganz ver-
schieden von der des Künstlers. Das Blatt erscheint mir später.
Wickhoff meinte : von Palma giovane.
Eine ächte Studie Michelangelos zu dem Christus glaubte neuer-
dings d' Achiardi in einer kleinen Rötheiskizze der Casa Buo-
narroti (VII, 35) zu erkennen. Dies muss ich entschieden bestreiten.
Die Figur ist in leicht ausschreitender Bewegung, den rechten Arm
nach vorne ausgestreckt. Ich bespreche das Blatt sogleich als
Skizze für den Christus im Limbus.
Einen Stich nach dem Christus und den beiden Schergen fertigte
Adam Ghisi an (B. 2).
Christus im Limbus.
Ich bemerkte oben unter J, dass die 1532 von Michelangelo
an Sebastiano geschickte Zeichnung für das Madrider Gemälde :
,, Christus im Limbus" bestimmt war. Eine Originalstudie vermag
ich, wie schon erwähnt, nachzuweisen.
III. Florenz, Casa Buonarroti VII, 35. Flüchtige Rötheiskizze.
Thode 35. Ber. 1407. Berenson hält sie für acht, aber irriger
Weise für ganz früh, und erkennt die Darstellung nicht. Sie
kann aber nicht zweifelhaft sein. In leicht ausschreitender
Bewegung nach vorne , den rechten Arm erhoben und nach
vorne ausgestreckt , einen langen Stab (die Kreuzesfahne) an
die rechte Schulter gelehnt, bewegt Christus den linken Arm
nach einer rechts vor ihm knieenden Figur, welche die Arme
über der Brust zu kreuzen scheint.
Es ist unverkennbar ein erster Entwurf für das Bild in Madrid,
im Gegensinne. Beweisend für diese Behauptung erscheint, dass
d'Achiardi sich täuschen und sie für einen Christus an der Säule
halten konnte. Bemerkt doch Sebastiano, dass die ihm eingesandte
Zeichnung sehr ähnlich dem Christus in S. Pietro in montorio sei.
Vermuthlich war diese Zeichnung ausgeführter und unsere Skizze
nur ein erster Gedanke. Hat Michelangelo selbst noch Verände-
rungen vorgenommen : wahrscheinlich. Wohl auch Sebastiano. Die
Beziehung zur Skizze ist aber im Bilde noch deutlich in der
knieenden Figur (der eine zweite hinzugefügt ist), in dem Motiv des
verkürzt gesehenen vorgestreckten Armes und in der ausschreiten-
den Bewegung zu gewahren. Nur hat der Arm hier nicht mehr
die gleichsam energisch emporziehende, sondern eine schützende
Bewegung, und der Kreuzesstab wird von der Linken gehalten.
Auch sind die Knieenden etwas tiefer angebracht, als Christus.
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 40I
Wie man diese Veränderungen auch beurtheilen wolle, der
originelle, grossartige Gedanke auch dieses Werkes stammt von
Michelangelo !
Die Pietä in Viterbo.
Die Neuheit, Grossartigkeit und seelische Gewalt dieser Kompo-
sition würden, auch wenn wir Nichts von Michelangelos Zeichnung
und Karton wüssten, sie als seine Schöpfung erkennen lassen.
Hier äussert sich ein grösstes Genie, dasselbe, welches die Auf-
erweckung des Lazarus, den gegeisselten Christus und den Christus
im Limbus geschaffen. Die landschaftliche Stimmung war Sebastianos
Zuthat.
Nur ein Blatt mit Studien hat, und zwar von Berenson, mit
diesem Werke in Zusammenhang gebracht werden können: in der
Christchurch Library zu Oxford. (Rob. I. Thode 457, Ber. 2992.
Phot. Grosvenor Gallery, Oxford 28.) Es enthält, überarbeitet, drei
Beinstudien und einen Arm. Ich kann weder Berensons Behauptung,
die Zeichnung sei von Sebastiano , noch jener, es handle sich um
Studien für die Pietä, beistimmen, da ich sie mit Robinson für
eine frühe Zeichnung Michelangelos halte, an Dessen David der
Arm erinnert. Dieses Blatt wohl meint d'Achiardi, wenn er (S. 123
A. i) sagt: a mostrare quanto fossero strette, in questo tempo, le
relazioni fra Sebastiano e Michelangelo servono i vari disegni
eseguiti dal Buonarroti stesso dietro la tavola di Viterbo. (!) In
questi disegni, non ancora bene studiati e decifrati, noi abbiamo
rinvenuto alcuni studi interessantissimi per il David, che ci propo-
niamo di illustrare prossimamente." (In seinem Zeichnungenkatalog
giebt er freiUch das Oxforder Blatt Sebastiano.)
Die Geburt der Maria.
Eine Studie Michelangelos für dieses Bild ist nicht nachzu-
weisen. Hat er überhaupt eine solche, Sebastianos Wunsch will-
fahrend, angefertigt.? Keinesfalls für die gesamte Komposition, wohl
aber möchte ich glauben , für die Mittelgruppe der drei Frauen
unten. In keinem anderen selbständigen Werke des Venezianers
finde ich Motive , die dazu berechtigen würden , ihn für den Er-
finder einer so reich bewegten , grossartigen Gestalt, wie die Frau
mit dem Kruge es ist , zu halten , eine Gruppe von solcher Ge-
schlossenheit zu gestalten. Das konnte man nur , so lange man
den Antheil Michelangelos an den früher besprochenen Gemälden
verkannte.
D'Achiardi hält es für möglich, dass der im Louvre (Nr. 113)
befindliche Entwurf einer Frau, die mit ausgestreckten Armen ein Kind
%* 26
A02 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
hält, für das Gemälde bestimmt war. Ich besprach die Zeichnung
schon früher (I, S. 271) und erwähne sie weiter unten.
So viel über die Bilder, bezüglich deren Michelangelos Hilfe
bezeugt ist. Die Frage ist , ob Sebastiano nicht auch für andere
Gemälde Skizzen des Meisters benutzt hat. Lanzi, Rosini, Grimm
haben die Trans figuration in S. Pietro in montorio genannt.
Mir scheint, dass bei ihr Sebastiano, allgemein gesprochen, sich
älterer venezianischer Bilder erinnert hat. Giovanni Bellini hatte
den Typus geschaffen. Aber die erhabene Gestalt des Verklärten
in ihrem schwebenden Schreiten , in ihrer Kreuzeshaltung und in
ihrem entzückten Schauen scheint auch mir nur aus einer Inspira-
tion durch Michelangelo hervorgegangen sein zu können. Das ist
derselbe Geist, der aus dem Christus der Auferweckung Lazari spricht.
Dass die Madonna del Velo mit Hilfe einer Skizze Michel-
angelos angefertigt worden ist, werde ich weiter unten (s. Exkurs:
die hl. Familie, gen. das Silenzio) wahrscheinlich machen. Anders
verhält es sich mit dem Martyrium der hl. Agathe im Palazzo Pitti.
Auch hier ist der Name Michelangelos ausgesprochen worden. Ich
weiss aber nicht, ob mit Recht. Die Gestalt der Heiligen sieht
aus, als wäre der Christus der Geisselung ins Weibliche umgesetzt
worden (im Gegensinne), und auch in Bezug auf die beiden Schergen
erscheint die Komposition verwandt.
Ähnlich, möchte man sagen, hat sich aus der Pietä in Viterbo
die Beweinung in Petersburg entwickelt. Der am Boden liegende
Christus wird mit geringen Veränderungen wiederholt , und in der
Gruppe der Freunde vermag ich Nichts zu gewahren , was auf
Michelangelo deutete. Im Gegentheile scheinen mir spezielle Eigen-
thümlichkeiten des Venezianers hier sich besonders geltend zu
machen. Man beachte, im Hinblick auf die Frage der Zeichnungen,
die Gewandbehandlung, namentlich bei der Maria: diese flachen und
steifen Faltenlagen in ihrer geradlinigen, leblosen und unplastischen
Gezogenheit ! So sehen wir sie auch an der langweiligen Sibylle
in S. Pietro , in der hl. Familie in London. Letztere verleugnet
nicht ihre Herkunft aus Venedig. Bei diesen Bildern kann man,
wie bei der Heimsuchung im Louvre , wohl nur von allgemeinen
Einflüssen des Meisters, nicht von Skizzen sprechen. Und dies gilt
wohl auch von der Madonna in der Kathedrale zu Burgos , die
lange für Michelangelos eigenes Werk galt. (Abb. bei Bernardini
S. 104.) Lanzi zitirt Concas Descrizione odeporica della Spagna
(Burgos 1793. I, 24), in welcher es heisst, das Gemälde sei von
einem Florentiner Mozzi der Kathedrale geschenkt worden. Passa-
vant und Waagen (Jahrb. f Kunstw. 1868. I, 104), der es Seba-
stiano zuerkennt, gewahrten in ihm die Geistesart Michelangelos, nach
Dessen Karton es Waagen ausgeführt glaubte.
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 403
Hingegen scheint mir die Venus in dem „Tod des Adonis"
der Uffizien, die so deutlich schon auf die Leda hinweist und im
Motive an eine der Figuren auf dem Londoner Blatte mit Röthei-
studien für den Karton der Schlacht bei Cascina (s. oben I, S. 102
Nr. XIII) erinnert, von Michelangelo gezeichnet worden zu sein.
(Ich halte das Bild immer noch für Sebastiano, der in den Frauen-
figuren rechts Eindrücke von Raphaels Amor- und Psychedar-
stellungen — die drei Grazien — verwerthete.)
Wird man mir vorwerfen, ich gehe zu weit, wenn ich aber auch
noch für ein anderes Gemälde, für die Gestalt des kreuztragen-
den Christus (Madrid, Petersburg), eine der eindrucksvollsten
Schöpfungen der Renaissance, eine Zeichnung Michelangelos voraus-
setze } Ehe man den Vorwurf erhebt , bedenke man , dass wir
nicht willkürlich, sondern aufGrundganz bestimmter
Zeugnisse und Nachweise alle grossartigen, unseren
Eindruck bestimmenden Motive in den Hauptschöp-
fungen Sebastianos auf Michelangelo zurückführen
m u s s t e n : den gegeisselten Christus , die Madonna der Pietä in
Viterbo, Christus, die Frauen, die Lazarusgruppe in dem Londoner
Bilde, den Christus im Limbus und (höchst wahrscheinlicher Weise)
die Frauengruppe in der Geburt der Maria ! Man beachte , was
bleibt — und die so gewonnene Vorstellung von des Künstlers Be-
gabung wird eine sehr andere sein ! Es bleibt ihm der Ruhm des
grossen Porträtisten, des ausserordentlichen Malers, des auf Grösse
der Gestaltung ausgehenden und daher für Michelangelos Lehre
empfänglichen Zeichners — kompositionelle Gestaltungsfähigkeit in
hohem Sinne ging ihm ab, weil ihm die Kraft gesammelten inneren
Erlebens, wie das auch in seinem Wesen und Dasein zu Tage ge-
treten ist , fehlte. Wo wir erhabene Darstellung und mächtigen
Seelenausdruck in seinen Werken finden, da ist es nicht Sebastiano,
sondern Michelangelo, der, seines Pinsels sich bedienend, zu uns
redet!
j. Andere, einst Michelangelo, jetzt Sebastiano benannte
Zeichnungen.
Ich ordne sie in alphabetischer Aufeinanderfolge der Städte an.
IV. Bayonne. Coli. Bonnat. Röthel. Adam und Eva. Thode i.
Ber. 2500. Phot. Br. Ec. d. b. a. 63. Der fast en face sitzende
Adam pflückt, nach links schauend, von einem dort angedeuteten
Ast eines Feigenbaumes die Frucht. Auf seinem linken Beine
sitzt, mit der Linken sich darauf stützend, die Rechte auf
Adams Schulter legend, um den Kopf ein Tuch geschlungen,
Eva nach links gewandt und schauend. Ihr linker Fuss steht
auf dem Boden auf, ihr rechtes Bein hängt über Adams linkes
26*
404 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Oberbein. Morelli zuerst äusserte Zweifel an der Ächtheit,
Berenson nannte Sebastiane. Er stützt sich hierbei auf den
Vergleich mit Zeichnungen (Madonna im Louvre 113, Sibylle
in Venedig, Pietä in Wien), die ich alle für Arbeiten Michel-
angelos halten muss. Ich meinerseits bleibe bei der Be-
nennung: Michelangelo und weise zum Vergleich auf die
Herkulesthaten in Windsor hin: genau die gleiche Behand-
lung, die gleiche Vertheilung von Licht und Schatten, dieselbe
Art der Andeutung des Akzessorischen und überzeugend
die absolute Übereinstimmung in der Formensprache : das
rechte Bein des Adam und das linke des Herkules (mit Antäus),
der rechte und der linke Fuss der beiden Figuren, der linke
Fuss der Eva und der rechte des Herkules (mit der Hydra).
Diese Beispiele genügen : eine ausgesprochenere Verwandt-
schaft, wie die der zwei Zeichnungen, ist nicht denkbar ! Und
dazu die originelle Komposition — als ob Sebastiano jemals
auf einen solchen Gedanken gekommen wäre !
V. Chatsworth. Porträt Leos X. Ber. 2477. Phot. Br. 24. Auch
vor Wickhoff hat von den neueren Forschern wohl keiner
mehr geglaubt, dass dieses Blatt von Michelangelo sei. Man
kann die Taufe auf Sebastiano billigen.
VI. Haarlem. Teyler Museum. Röthel. Thode 266. Ber. 2480.
Abb. V. Marcuard Taf. XIX. Die Kreuzabnahme. Näheres
über die Komposition bringe ich an anderer Stelle. Wieder
war der Vergleich mit anderen Zeichnungen, die ich Michel-
angelo zuweisen muss, für Berenson entscheidend. Daneben
aber auch die Betrachtung der Rückseite. Hier sieht man
neben einer gebeugten Frauenfigur kleine Köpfe , die in der
That nicht wohl Michelangelo zugeschrieben werden können,
was ich von der Frau aber durchaus behaupten möchte.
Diese Köpfe waren zuerst auf dem Blatte, zum Theil über sie
hinweg ward die Frau gezeichnet. Ich nehme an , da es
einige andere Beispiele hierfür giebt, dass ein Lehrling des
Meisters die Köpfe gemacht (nicht Sebastiano) , und Dieser
dann das Blatt für seine Studien benutzte. Denn ich ersehe
keinen Grund, weswegen die Kreuzabnahme nicht von Michel-
angelo sein soll. Im Gegentheil : die kräftige Zeichnungs-
weise , die vollendete Sicherheit in der Formensprache , die
plastische Rundung der Gestalten sind durchaus in seiner Art
und verbieten , an Sebastiano zu denken. Man vergleiche
nur Dessen Londoner Studien zum Lazarus und zur Geisse-
lung, Dass die grossartige Komposition von Michelangelo
herrührt, muss auch Berenson zugeben. Und nun stehen
ausserdem die anderen kleinen Skizzen zu einer Pietä auf
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 405
dem Blatte in nächstem Zusammenhang mit ächten
Studien und Werken des Meisters, und Reliefs, die seit alters-
her als sein Werk gelten, gehen auf die Komposition zurück.
Wie passt denn Sebastiane in diesen Konnex von Thatsachen?
VII. London, British Museum 1860 — 6 — 16 — i. Thode 321. Ber.
2482. Abb. Ber. PI. CXLIX. Phot. Br. 9. Kreide. Maria
mit den beiden Kindern. Über die Komposition an anderer
Stelle. Berenson bringt wieder die Hinweise auf die Sibylle
in Venedig und die Pietä in der Albertina, auch auf die
Madonna in Windsor. Er muss zugeben, dass in der Ge-
schlossenheit der Komposition der Nachahmer dem Meister
besonders nahe kommt, und kann sich der Bedeutung und
dem Zauber des Blattes nicht entziehen. Aber die un-
bestimmte Haarbehandlung! Ich meine, giebt, es eine herr-
liche, in jedem Strich Michelangelo verrathende Zeichnung,
so ist es dies wundervolle Blatt, das in seiner Grösse und
feierlichen Anmuth die Sibyllen uns vor Augen ruft. Diese
vollen, gedrungenen Kinder, die in Formen, Bewegung und
Ausdruck den steinernen Putten in der Sixtina so gleichen,
dass man sie ohne Weiteres an die Decke versetzen könnte,
— ich mache auf ein acht Michelangelo'sches Bewegungs-
motiv dabei aufmerksam: das Einziehen des Rückens und
starke Vorschieben der Hinterbacken — , vergleiche man nur
mit Sebastianos Kindern auf der Madonna in London und
der Madonna del Velo, um Dessen ganz verschiedene An-
schauung zu erfassen. Man vergleiche die Fülle und Weich-
heit der Gewandung mit den früher gekennzeichneten flachen
und leblosen Bildungen des Venezianers. Und wie in ver-
triebener Modellirung, genau so wie in anderen Zeichnungen
Michelangelos, das Nackte bis in die zartesten An- und Ab-
schwellungen vom Künstler aufgefasst ward — aber, mir
scheint, jedes weitere Wort ist überflüssig! Das „Unbestimmte"
erklärt sich einfach daraus, dass die Studie sehr verrieben ist.
VIII. London, British Museum 1860 — 6 — 16 — 3. Thode 325. Ber.
2485. Phot. Br. 17. Die Kreuzigung. Über ihre Komposition
handle ich an andrer Stelle, denn auch für dies Blatt muss
ich Michelangelos Autorschaft gegenüber Wickhoff und Beren-
son behaupten, wie es übrigens auch d'Achiardi thut. Berenson
hat es nicht leicht gehabt, an Sebastiano festzuhalten, denn
er selbst erkannte den nahen Zusammenhang der Kompo-
sition mit späteren Entwürfen des Meisters. Er hilft sich,
indem er in geschraubter Weise die sehr gewagte Behauptung
ausspricht, der Nachahmer antizipire häufig die Fortschritte,
die der von ihm Nachgeahmte später mache! Auch lässt er
4o6 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
die von Michelangelo empfangene Inspiration hier besonders
gross sein. Also diese wäre so gross gewesen, dass Sebastiane
eine Komposition geschaffen, wie sie Michelangelo nur in
einer späten Zeit freiesten Könnens und intensiver Beschäfti-
gung mit dem Vorwurf erfinden konnte ! ! Und was für eine
kühne , grosse , originelle Schöpfung ist dies ! Bloss weil
einige Figuren lange Verhältnisse haben und die unteren
Gestalten mit leichten Strichen hingesetzt sind, hätte man
die Ächtheit zu bezweifeln? Wo ist denn unter den Ge-
mälden des Venezianers auch nur ein einziges zu finden, das
diese Lebendigkeit und Fülle der Motive , diesen Aufbau
zeigte ? Und sind denn die ausgeführteren Figuren Christi
und der Schacher, den Verhältnissen, der Behandlung (man
vgl. die Auferstehungsentwürfe) und den Motiven nach, nicht
durchaus Michelangelesk.?
IX. London, British Museum 1900 — 6 — 11 — i. Thode 340. Ber.
15 19. Madonna für eine Verkündigung. Erst d'Achiardi kam
auf den unglücklichen Gedanken , auch sie Sebastiano zu-
weisen zu wollen.
X. London, British Museum 1896 — 7 — lo — i. Thode 339. Ber.
2486. Abb. C. H. Metz: Imitations of ancient and modern
drawings 1798. Gaz. d. b. a. 1896. XVI, S. 337. Ber. PI. CXLVII.
Röthel. Aus der Warwicksale. Beweinung Christi. Über
diese Zeichnung hat sich Berenson ungemein ausführlich ge-
äussert. Er musste zunächst zugestehen, dass ,,the motive
is treated with an intelligence that Michelangelo himself could
scarcely have surpassed". ,,The grouping is so clear and
yet so compact, that it admirably exemplifies Michelangelos
ideal of the greatest action with the least change of position,
taking place in the smallest space that will yet leave everything
lucid and perspicuous. The Christ would be difficult to
surpass as a motive, the nude being exhibited in a way that
allows for the greatest clearness of structure and movement,
while yet remaining relaxed in complete repose. Altogether
praiseworthy again, are the figures which support the fainting
Virgin, not because mindful of her, but huddling up to her
out of sheer eagerness to get nearer to her son. Than there
is over the whole an air of noble solemn pathos not without
eagerness." (I, S. 236 f.)
Gerne unterschreibe ich diese Charakteristik, aber ich
frage auch sogleich: kennen wir irgend ein Werk Sebastianos,
dem die hier gerühmten Dinge zu eigen sind.f* Diese wunder-
bare Kunst der Komposition , diese Intensität ergreifenden
seelischen Ausdruckes.? Auch grössere, als er, haben der-
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 407
gleichen nicht schaffen können! Und wie er selbst eine Be-
weinung Christi gestaltete, das zeigt uns das Petersburger Bild.
Trotzdem aber sollen äussere Erscheinungen Sebastianos
Autorschaft beweisen. Welche?
1. „Die Behandlung ist zu locker. Es ist ein instinktives
Greifen zu malerischen Effekten von Licht und Schatten und
ein besonderer Mangel an Konturen — ich meine nicht bloss
abgränzende, sondern funktionelle, modellirende Konturen."
In der Vertheilung von Licht und Schatten sehe ich keine
anderen Erscheinungen, als sie in späteren Entwürfen Michel-
angelos vorkommen, z. B. besonders ähnlich in den beiden
Darstellungen des Gekreuzigten in Windsor. Was die Kon-
turen betrifft, so ist zu berücksichtigen, dass die Zeichnung
gelitten hat, vielfach verwischt ist, und im Übrigen zeigen
andere Blätter, wie z. B. die eben erwähnten, das Gleiche.
2. ,,Die Proportionen Christi sind von einem Künstler
gegeben , für den die menschliche Gestalt ein so wenig zu
respektirendes Objekt war, dass er nicht zögerte, sie zu be-
liebiger Länge auszuziehen." Gewiss, die Verhältnisse sind
sehr lang, aber sind sie etwa länger als bei dem Auf-
erstehenden der Sammlung Malcolm und dem anderen im
British Museum.?
3. ,,Die Beine sind an den Knieen dünn und ,spindlig'.
Es ist der Schüler Cimas, der so zeichnet." Von Cima ver-
mag ich nun freilich Nichts hier zu sehen. Wohl aber meine
ich, ist der Künstler der Pietä Rondanini und der Aufer-
stehungsentwürfe deutlich zu erkennen.
4. Die linke Hand Christi soll an die Hand auf Seba-
stianos Porträt des Andrea Doria erinnern. Ich kann da
auch nicht die mindeste Ähnlichkeit finden, nicht einmal in
der ,, spinnenartigen" Bewegung. Diese Hand Christi mit den
weichen, wie zugespitzten Fingern erinnert vielmehr an die
Hand der Madonnenstudie (,,Antonio disegna") im British
Museum und an die Hände der Krieger in Oxford (Nr. i). —
Die linke Hand aber, charakteristisch für Michelangelo auch
in der Haltung, ist fast identisch zu finden in der Handstudie
auf dem Blatt mit dem ersten Entwurf zur Sixtinischen Decke
im British Museum! Und, was noch überzeugender wirkt,
in der Gruppe des Florentiner Domes. Diese Übereinstimmung
allein würde genügen, die Ächtheit der Zeichnung zu beweisen.
5. Der Typus der Maria soll derjenige der Madonna North-
brook in London von Sebastiane sein. Ja, soweit eben dieser
letztere Michelangelesk ist. Das spezifisch Sebastiano'sche
aber: den schmalen Nasenrücken, die scharfe Nasenspitze, die
4o8 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
gerade obere Linie des Nasenflügels finden wir nicht. Will
man genau das gleiche Profil sehen, dann betrachte man die
Maria im Jüngsten Gericht und vergleiche die Lea, wie auch
die Magdalena in der Florentiner Pietä.
Zu dem Allen kommt nun aber noch , dass eine von
Berenson gar nicht beachtete herrliche Rötheizeichnung zu
einem Sklaven auf der Rückseite des Blattes sich befindet
(s. oben I, S. 151 Nr. VIII)!
Es wird bemerkt werden , dass ich überall zum Ver-
gleiche keine der Michelangelo'schen Zeichnungen heran-
gezogen habe, die Berenson Sebastiano giebt. Dass gerade
in ihnen aber mannigfache Analogieen zu finden sind, erklärt
sich daraus, dass viele von ihnen hervorragende und charak-
teristische Beispiele der späteren Kunst des Meisters sind,
welcher auch die Warwick-Pietä, und zwar als eine der be-
deutendsten Schöpfungen, angehört.
XI. London, J. P. Heseltine. Hl. Familie. Thode 374. Ber. 2489.
Flüchtige Rötheiskizze. Maria auf dem Boden knieend, nach
halb links gewandt, scheint mit der Linken den in aus-
schreitender Bewegung befindlichen Christusknaben zu halten,
der nach Etwas greift, was sie in der Rechten hat. Links
scheint noch eine andere Figur angedeutet zu sein. Ich halte
es nicht für unmöglich, dass die Skizze von Michelangelo ist,
gebe aber zu, dass man auch an Sebastiano denken kann;
ein bestimmtes Urtheil abzugeben, dürfte kaum möglich sein.
XII. London, früher Charles Robinson. Thode 375. Ber. 2490.
Studie zu einer. Kreuzigung. Ich kenne die Zeichnung an,
welcher Berenson den besonders venezianischen Charakter
hervorhebt, nicht und habe daher kein Urtheil.
Xm. Oxford, Univ. Call. 37. Thode 420. Ber. 2492. Phot. Br. -j"].
Pietä, besser: Grabtragung Christi. Diese gewaltige Kompo-
sition nimmt es mit der Warwick-Pietä auf. Ich behandle sie
später ausführlich. Das Malerische des Helldunkels soll hier
zu Gunsten Sebastianos entscheiden. Wann aber hat Dieser
jemals ein solches Helldunkel gemacht — man nenne das
Bild ! Nur weil er ein Venezianer ist, wird es angenommen.
Als ob eine solche Beleuchtung, welche in eminentem Sinne
für die plastische Wirkung der Körper berechnet ist, von
den Venezianern vor Tintoretto gebracht worden wäre. Und
Tintoretto bringt sie, weil er der Farbe der Venezianer die
plastische Form Michelangelos verbindet. Hier sehen wir
den Vorgänger Tintorettos am Werk, und Der war nicht
Sebastiano, sondern Michelangelo in seiner späteren Zeit. Es
ist dasselbe Helldunkel, dieselbe grosse neue Erscheinung,
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 409
die uns in den Entwürfen zum Christus am Kreuz entgegen-
tritt und von deren Bedeutung in dem III. Bande meines
Werkes ausführlich gehandelt wird. Wieder muss ich fragen,
wo findet sich in den Gemälden Sebastianos Etwas, was an
leidenschaftlicher Seelengewalt auch nur entfernt sich dieser
Szene an die Seite setzen Hesse ? Und diese skizzirten
Männerköpfe im Hintergrund — , was Anderes rufen sie uns
in Erinnerung, als die abozzirten Köpfe des ,, Tages" und des
Nikodemus in der Pietä des Florentiner Domes?
Aber Berenson führt wieder Einzelheiten an, die der Ge-
wissenhaftigkeit wegen berücksichtigt sein wollen, so irrelevant
auch sie Dem, der die Grösse dieser Schöpfung erkennt, er-
scheinen mögen. Auf die gleichen Eigenthümlichkeiten in
der ,, Beweinung" der Albertina hinweisend, sagt er: ,,the
arms of the dead figures are in both drawings badly attached
and in both end with the same Substitute for a hand." Was
das letztere betrifft, so wies ich schon darauf hin, dass es,
in so vielen Zeichnungen des Meisters vorkommend, charak-
teristisch gerade für ihn ist. Über das ,, badly attached" lässt
sich streiten. ,, Magdalenas draperies also are characteristic
of Sebastiano, being unfunctional, and not interpreting the
nude as of course Michelangelos would have done, but rare
and schematic, as they frequently occur in Sebastiano"
(I, S. 235). Nicht ,,of course" — ebenso ,, unfunctional und not
interpreting the nude" erscheinen die mächtigen Draperieen
aus dickem Stoff allüberall bei den Propheten und Sibyllen,
in den Lunetten und Stichkappen der Sixtinischen Decke.
Diese plastisch gerundet vortretenden, langgezogenen Falten !
Ich nenne besonders schlagende Analogieen: die Frau in der
Asa-, die in der Rehabeamstichkappe, die in der Asalunette.
Berenson hat sie übrigens selbst bemerkt — wie aber hilft
er sich: ,,wo solche Falten in den Lunetten vorkommen, be-
weisen sie, dass diese Theile nicht von Michel-
angelo selbst ausgeführt worden!! Logischer Weise
hätte Berenson dann doch weiter gehen und behaupten müssen,
Sebastiano sei Mitarbeiter Michelangelos in der Sixtina ge-
wesen I Nun lassen sich aber diese eigenartigen Falten in
des Venezianers Gemälden überhaupt nicht nachweisen — die
einzige Analogie findet sich in der Pariser Studie zur ,, Heim-
suchung."
XIV. Oxford. Christchurch Coli. Rob. 2. Thode 458. Ber. 2493.
Phot. Grosv. Gall. Oxford 27. Röthel. Eine häusliche Szene
oder eine hl. Familie. Hier bin ich ausnahmsweise der
gleichen Meinung, wie Berenson, insoferne ich Michelangelo
410 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
nicht als Autor der Zeichnung betrachten kann. Ob sie von
Sebastiane, ist eine andere Frage.
XV. Paris, Louvre 112. Thode 463. Ber. 2494. Abb. d'Achiardi,
S. 69. Phot. Br. 50. Röthel. Maria mit dem Kinde. Ich
darf mich hier darauf beschränken zu sagen, dass ich sowohl
der kühnen und eigenthümlichen ganz Michelangelesken An-
ordnung der Figuren — das von ihm früh beliebte Motiv
des zwischen den Beinen der Mutter angebrachten Kindes
(Mad. von Brügge , frühe Zeichnungen , Entwürfe für die
Medicimadonna) hat hier eine neue originelle Fassung er-
halten — als auch der Technik wegen das Blatt dem Meister
zuschreiben muss.
XVI. Paris, Louvre 113. Thode 465. Ber. 2495. Phot. Br. 52
Abb. d'Achiardi 70. Röthel. Nach Hnks gewandte Frau,
ein Kind frei auf den Armen haltend. Ich erwähnte diese
Zeichnung schon oben (I, S. 271. CXLV), als einen Entwurf
für eine Lunettendarstellung in der Sixtinischen Kapelle, und
zwar könnte man denken, dass es der erste Gedanke für die
Frau der Ezechiaslunette war. Die Beziehung zu Sixtinischen
Malereien erkannte auch Berenson, aber er spricht von einer
Nachahmung durch Sebastiano. Die Technik stimmt so genau
mit den Rötheizeichnungen dieser Zeit, das Bewegungsmotiv
(die Drehung des Oberleibes, die Einziehung des Rückens),
die Gewanddrapirung ist so durchaus Michelangelesk , dass
ich nicht begreife, wie überhaupt ein Zweifel an der Ächtheit
dieser geistvollen , von Leben sprühenden Studie , die im
Zusammenhang mit den Entwürfen für die Libica steht (man
vgl. Beinstellung und Füsse), aufkommen konnte. — Die
Rückseite (Phot. Giraudon 1391) zeigt einen herrlichen, leichten
Entwurf für eine hl. Familie mit Johannes, über den ich
später handle. Hier findet sich die charakteristische Hand
mit dem langen gebogenen Zeige finger, die wir
auf dem Londoner Blatte mit dem ersten Entwürfe für die
Deckenmalerei sahen und die, wie wir nunmehr ruhig be-
haupten können, nicht ein Kennzeichen der Seba-
stiano'schen, sondern der Michelangelo'schen
Kunst ist, in Dessen Florentiner Pietägruppe sie uns be-
gegnete. Kopf und Gewandung zeigt die engste , an sich
beweisende Beziehung zum Sibyllenentwurf im Louvre 122
verso (s. I, S. 256. LXI).
XVII. Paris, Louvre 121. Röthel. Thode 472. Ber. 2496. Phot.
Br. 56. Maria mit dem schlafenden Kinde auf dem Schoosse.
Skizze von grösster Schönheit, ebenso acht wie die eben er-
wähnten Blätter.
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 411
XVni. Paris, Louvre 125. Thode 475. Ber. 1586. Abb. Ben
CXLIV. Phot. Br. 55. Studie für Christus in einer Pietä-
darstellung. In seinem Werke hat Berenson ihr noch die
Auszeichnung verliehen, als besonders bedeutendes Spezimen
der Michelangelo'schen Kunst abgebildet zu werden. Neuer-
dings aber hat er nach d'Achiardis Aussage Diesem Recht ge-
geben, wenn er das Blatt Sebastiano zuschreibt. Wesswegen.?
doch offenbar nur, weil die Hand mit dem langen, scharf-
gebogenen Zeigefinger erscheint!! Man erschrickt, sieht man
wohin diese falsche These führen konnte! Wenn es eine un-
verkennbar ächte, einzig und allein Michelangelo und keinem
anderen Künstler der Welt zuzuschreibende Zeichnung giebt,
so ist es diese, in der Vollkommenheit und Zartheit pla-
stischer Modellirung unvergleichlich herrliche Studie — ein
Wunderwerk. Darüber ist kein Wort weiter zu verlieren.
Übrigens ist der rechts oben neben der Figur skizzirte Arm
so gut wie ein Monogramm des Meisters: er zeigt schlagend
den Stil der Studien zum Jüngsten Gerichte.
XIX. Paris, Louvre 708. Thode 483. Ber. 2498. Phot. Br. 57.
Röthel. Halbnackte sitzende Figur. Über diese Studie , die
für eine Statue der Medicigräber bestimmt war, habe ich
früher gehandelt (I, S. 480).
XX. Venedig, Akademie. Thode 519. Ber. 2501. Phot. Naya 208.
Br. 40. Kreide. Frau mit Kindern. Studie für eine Sibylle.
Auch von dieser Zeichnung und ihren Kopien in Paris und
Oxford habe ich schon früher gesprochen (I, S. 256. LXII).
Ich glaube, fände sich nicht auch hier die Hand mit dem
(besonders langen) oben gebogenen Zeigefinger — die Zu-
schreibung an Sebastiano wäre nicht erfolgt. Wie sehr man
diesen an Adel und Schönheit der Libica ebenbürtigen Ent-
wurf früh zu schätzen wusste, beweisen die sorgfältigen alten
Wiederholungen. Was hier nicht Michelangelesk, sondern
Sebastianesk sein soll, vermag ich bei bestem Willen nicht
einzusehen. Bewegung, Tracht, Gewandfalten, Typen, Einzel-
formen, Modellirung, Technik — Alles verkündet eindringlich
des Meisters Namen, Alle die Beziehungen, die Berenson in
vielen der erwähnten Zeichnungen fand und die durchaus
gutzuheissen sind, sind ebensoviele Beweise, dass jene Zeich-
nungen eben alle auch von Michelangelo herrühren.
XXI. Wien, Albertina Sc. R. 136. Thode 521. Ber. 2502. Abb.
Handzeichnungen 73. Röthel. Pietä, besser: Beweinung
Christi. Da dieser Entwurf, von dem ich später noch handle,
unzweifelhaft von derselben Hand, wie die Beweinung in Oxford
ist, darf ich mich kurz fassen: er ist ebenso sicher, wie jene,
412 Gemälde, Zeichniingen und Entwürfe religiösen Inhaltes
von Michelangelo und steht in innigem unlöslichen Zusammen-
hange mit anderen späteren Pietästudien des Meisters, wie
wir noch sehen werden. Aufmerksam machen möchte ich
nur auf die von Michelangelo so oft gebrachte Haltung des
Körpers der Frau rechts mit dem eingezogenen Rücken. Wir
können dies Bewegungsmotiv von den Sixtinischen Decken-
malereien bis in die spätere Zeit in immer neuen Variationen
verfolgen.
XXII. Wien, Albertina. Sc. R. 173. Thode 522. Ber. 2503. Abb.
Handzeichnungen 63. Röthel. Christus, für eine Gruppe der
Pietä. Eine ergreifende Studie, von grösster Zartheit in der
Behandlung , die im engsten Zusammenhange , dem Motive
und der Formenbildung nach , einerseits mit der Pietä Ron-
danini, andrerseits mit der Florentiner Pietä und endlich mit
der Warwickzeichnung in London steht. — Nur beiläufig
möchte ich bemerken, dass Sebastiano, wäre er der
Schöpfer aller der erwähnten Studien zur Be-
weinung, die gesamte, hierauf bezügliche Ideen-
■ entwicklung in Michelangelos Geist hätte ahnen
und vorwegnehmen müssen, denn der Zusammenhang
dieser Entwürfe mit jenen ausgeführten Werken des Meisters
ist ein unlöslicher.
XXUI. Windsor. Thode 551. Ber. 2506. Eine knieende Figur (für
eine Pietä). Bezüglich dieses Blattes kann ich es mir leicht
machen. Berenson selbst hält es für möglich, dass die Zeich-
nung von Michelangelo ist.
XXIV. Windsor. Thode 550. Ber. 2505. Abb. Frey 34. Kreide
und Feder. Maria mit dem Kinde. Sitzend drückt sie es an sich,
von ihm geküsst. Hier haben wir wieder einen Beweis dafür,
mit welcher Gewaltsamkeit vorgegangen werden musste, wollte
man solche Zeichnungen Michelangelo nehmen. Von Dessen
Hand geschrieben, befinden sich auf der Rückseite und auch
auf der Vorderseite Fragmente eines Gedichtes!! Frey, der
im Übrigen die Wickhoff-Berenson'sche Hypothese angenommen
zu haben scheint, gab, dem Natürlichen zu seinem Rechte
verhelfend, den in der Geschlossenheit der Komposition und in
der Empfindung bewundernswürdigen Entwurf, in dem das
Kind wie in der Medicimadonna rittlings auf dem Bein der
Mutter sitzt, seinem Schöpfer zurück.
XXV. Windsor. Thode 549. Ber. 2504. Phot. Br. loi. Maria
mit dem Kinde und dem kleinen Johannes. Die Rückseite
dieses Blattes , welche in Röthel die nach rechts gewandte
Figur der Maria (ohne Kopf) aus einer ,, Heimsuchung" (nicht
Verkündigung, wie Wickhoff sagt) darstellt, wurde für Wick-
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 413
hoff der Ausgangspunkt seiner Zuschreibungen an Sebastiane.
Nun kann in der Tliat kein Zweifel darüber sein, dass diese
Maria nicht von Michelangelo ist: die unbestimmte, kraftlose
Behandlung und die Monotonie in der Faltengebung des Ge-
wandes sprechen auf das Entschiedenste dagegen, und die
Benennung Sebastiano wird richtig sein. Aber falsch war
der hieraus gezogene Schluss, auch der sehr ausgeführte Ent-
wurf der Vorderseite sei von Diesem. Im Gegentheile lehrt
die gründliche Verschiedenheit der beiden Zeichnungen , die
Frage, mit der wir uns so ausführlich beschäftigen, am An-
schaulichsten zu beurtheilen und mit aller Entschiedenheit noch
einmal zu beantworten. Es ist ausgeschlossen anzunehmen,
dass Derselbe, der jene ausdruckslose, flache, langweiUge Ge-
wandung gemacht, die grossartige, breite, in jeder Fläche und
Falte lebendig ausdrucksvolle Draperie der Madonna auf der
Vorderseite geschaffen hat: diese acht Michelangelo'sche Ge-
staltung eines weiten , hier eng an die Beine sich legenden,
dort massig in langen, plastisch gerundeten, bewegungsreichen
Falten fallenden Mantels. Jene Gewandung findet ihre Ana-
logieen in den Werken Sebastianos, diese auch nicht entfernt
in irgend einer Weise. Und niemals hat der Zeichner der
flachen, weichen Hände auf der Rückseite Hände wie die intensiv
in den Gelenken bewegten der Vorderseite gemacht, deren
eine die uns so wohlbekannte , längst getrost als Michel-
angelesk zu bezeichnende Haltung mit gekrümmtem Zeige-
finger zeigt, deren andere mit den gleichfalls wohlbekannten
zugespitzten Fingern besonders verwandt der des ,, Jonas" in
London erscheint. Und auch hier die vollkommen geschlossen
gebildete Gruppe der hoheitvollen Mutter und des Kindes.
Wenn Johannes seitlich hinzugefügt ist — wir erinnern uns
der verschiedenen früheren Versuche in dieser Komposition —
so ist dies doch so geschehen , dass die ganze Gruppe eine
durchgebildete Dreiecksform zeigt und das Bestreben des Bild-
hauers , nirgends Raum freizulassen , sondern wie aus einem
Block zu formen, sich verräth. Wohl ist die Einheitlichkeit
nicht erreicht, aber wer sagt uns, ob nicht der Meister zuerst
bloss die Maria mit dem Kinde geschaffen und dann , da er
sah, dass der Kontur rechts ein zu schroffer war, den Johannes,
ein Dreieck herstellend , hinzufügte. Obgleich es gar nicht
nothwendig ist, dies anzunehmen, da auch in anderen ächten
Werken seiner Hand , die den gleichen Vorwurf behandeln,
die Einheitlichkeit nicht erreicht ward (vgl. z. B. die Studie
zur Medicimadonna im British Museum, wo Johannes auch rechts
hinzugefügt ist). Endlich aber zeigt das Nackte des Christus-
^I^ Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
kindes die vollkommen plastische Rundung der Körpertheile
in sanften , unmerklichen Übergängen von tiefen Schatten in
hellstes Licht — jenes tastende Nachfühlen der Formen-
schwellungen , die wir immer wieder als Michelangelos be-
sondere Kunst bewundern. Was will allen diesen überzeugen-
den Erscheinungen gegenüber ein Einwurf bedeuten, wie der
Wickhoffs : ,, dieses liebe freundliche Kindergesicht wie bei
den Engelchen, die die Assunta in Venedig umschweben, was
hat das gemein mit Michelangelos ernsten, trübsinnigen Kin-
dern?" Ja, möchte ich fragen, hat er denn immer trübselige
Kinder geschaffen ? Das ist doch eine ganz vage und dazu
unrichtige Behauptung, die sich ein auf Kenntniss der Kunst
des Meisters Anspruch erhebender Forscher wohl nicht er-
lauben sollte; denn die Sixtinische Decke müsste ihn eines
Anderen belehren. Aber selbst zugegeben, dass ein ,, freund-
liches" Christkind selten bei Jenem zu finden, warum sollte er
es nicht einmal dargestellt haben.? Und, näher zugesehen,
hat dieses Kind, das sich an die Mutter schmiegt, nicht doch
einen sehr ernsten Blick, ist ihm nicht der Ausdruck eines
bedeutungsvollen Sinnens verliehen } Ist es nicht besonders
die anmuthige Lockenzier, die den Eindruck des Freund-
lichen hervorbringt.'' Wer etwa an dieser Anstoss nehmen
sollte , der betrachte sich die Rötheizeichnung eines lächeln-
den Kinderkopfes in Oxford (Nr. 39. Phot. Br. 79), die bis
jetzt meines Wissens von Niemand, selbst von Berenson nicht,
angezweifelt worden ist, und er wird sich beruhigt sagen,
dass Michelangelo Köpfe, und zwar heitere Kinderköpfe mit
zierlichem Gelock, wie den auf dem Windsorblatte, gemacht hat.
Kurzum, auf dessen Vorderseite hat Michelangelo ge-
zeichnet und auf der Rückseite Sebastiano, in Dessen Besitz
vermuthlich jene Zeichnung, wie so manche andere des Meisters,
sich befand.
Ich stehe am Schlüsse einer Untersuchung, die an sich nicht
schwierig war, wohl aber dem Lesenden mühevoll erscheinen wird.
Wer meinen Hinweisen gewissenhaft folgt, wird, wie ich zu behaupten
wage, sich der von mir gewonnenen Überzeugung nicht zu ent-
ziehen vermögen. Diese lautet : von allen angeführten Zeich-
nungen können nur die eine Lazarusskizze, dieGeisse-
lung Christi (vom Christus abgesehen?), der Entwurf
zur Maria in der Heimsuchung auf der Rückseite der
einen Madonnenzeichnung in Windsor, die Madonna
bei Heseltine und die hl. Familie in Oxford (Christ-
church-College), letztere beide aber auch nur mit
Zeichnungen für Gemälde Sebastianos del Piombo 415
einem Fragezeichen, Sebastiano zugeschrieben
werden; alle übrigen tragen ihren traditionellen
Namen Michelangelo mit vollem Rechte, ja es befinden
sich unter ihnen Entwürfe von hö chster B edeutung.
Der Übersichtlichkeit wegen fasse ich meine Argumente zu-
sammen.
1. Die Prüfung der selbständigen, nicht auf Michelangelo'sche
Zeichnungen zurückzuführenden Gemälde Sebastianos beweist erstens,
dass ihm, wesswegen er sich eben so oft des Meisters Mithülfe er-
bat, die Fähigkeit, geschlossene, zugleich monumentale und reich
belebte Kompositionen zu schaffen, abging, und zweitens, dass ihm
die Kraft intensiven leidenschaftlichen Seelenlebens nicht verliehen
war. Alle jene Michelangelo zurückgegebenen Zeichnungen aber ver-
rathen höchste Kunst der Komposition und höchste Gefühlsmacht.
Der in ihnen sich äussernde Geist ist nicht allein durchaus ver-
schieden von dem Sebastianos, er ist ihm weitaus überlegen — es
ist derselbe Geist, der aus den Werken Michelangelos zu uns
spricht. Und Äusserlichkeiten sind wohl nachzuahmen, niemals aber
der Geist. Dies ist das vor Allem Entscheidende.
2. Der Vergleich der Zeichnungen einerseits mit den Zeich-
nungen und Werken Michelangelos, andrerseits mit den Gemälden
Sebastianos ergiebt durchweg die Übereinstimmung mit jenen und
die Verschiedenheit von diesen.
a) In der festen, engen Verbindung der Gestalten zu Gruppen
im Sinne des aus einem Marmorblock Gestaltenden (die
Madonnen, die Pietädarstellungen) bei reichster Bewegung und
Gliederung.
b) In den kühnen, komplizirten Bewegungsmotiven : den Drehungen,
Biegungen und Wendungen, durchweiche die einzelnen Körper-
theile in Richtungsverschiedenheiten und -konstraste gebracht
werden.
c) In der siegreich das Anatomische beherrschenden, plastisch bis
in alle Einzelheiten nachfühlenden und die Rundung betonen-
den Bildung der Körperformen.
d) In den, von den scharflinigen und spitzigen Sebastiano'schen
abweichenden weichen und vollen Gesichtsformen.
e) In den lebendig grosszügigen, in jedem einzelnen Falle mannich-
faltig und reich bewegten Draperieen , die von eindringlich
plastischer Wirkung sind.
f) In eigenthümlichen Bewegungen der Hände und in Sonderheit
der Finger, die, bisweilen fast manieristisch übertrieben wirkend.
Spreizungen und scharfe Biegungen in den Gelenken, nament-
lich des letzten Fingergliedes zeigen, und als deren charakte-
ristischen Typus man einerseits die Hand auf dem frühen
4l6 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Entwurf zur Sixtinischen Decke im British Museum und andrer-
seits die rechte Hand Christi in der späten Florentiner Pietä-
gruppe bezeichnen darf. So auch in den Bildungen der
Füsse und der stark betonten Fussknöchel.
g) In der, an das erste Herausmeisseln aus dem Stein gemahnen-
den Skizzirung flüchtig hingeworfener Köpfe, wie in der bis
zur Wirkung von Marmorpolitur gebrachten Modellirung im
Licht bei sorgfältig ausgeführten Gestalten.
h) In der technischen Behandlung, sowohl in der in feinsten,
unmerklichen Übergängen vertreibenden Zeichnungsweise, als
auch in den kühn suchenden, allgemein andeutenden Strichen
oder auch in den weich hingeworfenen, den Hintergrund be-
lebenden Schraffirungen.
Michelangelo, und nicht Sebastiano!
II
Die Zeichnung für Bugiardinis Martyrium der hl. Katharina
Vasari im Leben Bugiardinis (VI, 204 f, 207 f.) erzählt:
,, Messer Palla Rucellai hatte ihm den Auftrag gegeben, eine
Tafel für seinen Altar in Santa Maria novella zu machen, und Giu-
liano begann, darauf das Martyrium der hl. Jungfrau Katharina zu
malen. Aber — wahrlich eine Leistung — zwölf Jahre lang hatte
er sie unter den Händen und wurde in dieser Zeit doch nicht fertig
mit ihr, weil er keine Erfindung hatte und nicht wusste, wie er die
vielen Dinge, die bei jenem Martyrium sich ereignet haben, dar-
stellen solle. Und obgleich er immer herumging und darüber
schwätzte, wie die Räder anzubringen wären und wie er den Blitz-
strahl und das Feuer, das sie verzehrte, machen müsse, so voll-
endete er die Arbeit doch in so langer Zeit nicht, denn, was er
an einem Tage gemacht, veränderte er am anderen. Inzwischen
entschloss sich Palla Rucellai, der ihn antrieb, fertig zu werden,
eines Tages Michelangelo zu ihm zu führen, um das Bild zu sehen.
Bugiardini, nachdem er ihm erzählt, mit welcher Mühe er den Blitz
der, vom Himmel kommend, die Räder zerbricht und die sie drehen-
den Männer tödtet, und einen Sonnenstrahl, der, aus einer Wolke
dringend, die hl. Katharina vom Tode befreit, gemalt, bat freimüthig
Michelangelo, der beim Vernehmen des Missgeschickes des armen
Bugiardini das Lachen nicht verbeissen konnte, er möchte ihm
doch sagen , wie er acht oder zehn Hauptfiguren von Soldaten im
Vordergrunde, die, als Wache in einer Reihe aufgestellt, im Begriff
seien zu fliehen, niedergeschleudert, verwundet und todt, machen
solle; denn er wüsste nicht, wie sie verkürzen, so dass sie doch
Die Zeichnung für Bugiardinis Martyrium der hl. Katharina 417
Alle, wie er es sich gedacht, auf engem Raum in einer Reihe unter-
kämen. Buonarroti, um ihm gefällig zu sein und weil er Mitleid
mit dem armen Menschen hatte, näherte sich mit einem Stück Kohle
der Tafel und skizzirte in Umrissen ohne Weiteres eine Reihe
wundervoller nackter Figuren, die, in verschiedenen Bewegungen
verkürzt, der eine nach hinten, der andere nach vorne niederstürzten;
auch einige Todte und Verwundete, mit jenem sichern Urtheil und
jener Meisterschaft, die eben ihm, Michelangelo, zu eigen war. Und
nachdem er dies gemacht, ging er, von Giuliano bedankt, von
dannen. Dieser, nicht lange nachher, holte seinen guten Freund
Tribolo, damit er sehe, was Michelangelo gemacht, und erzählte
ihm Alles. Und da, wie ich sagte, Michelangelo seine Figuren nur
in Umrissen gemacht, konnte Bugiardini sie nicht ausführen, weil
weder die Schatten noch Sonstiges angegeben war. Da entschloss
sich Tribolo, ihm zu helfen und machte einige Thonmodelle von
ausgezeichneter Ausführung, denn die kühne Art der Michelangelo 'sehen
Zeichnung ahmte er mit dem Gradireisen, einem Eisen nach, so dass
sie rauh und kräftig wirkten. Und die so ausgeführten Modelle
gab er Giuliano. Da aber diese Technik Bugiardinis Sinn für
Sauberkeit und Vorstellungsart nicht gefiel, nahm er, sobald Tribolo
fortgegangen, einen Pinsel, tauchte ihn in Wasser und glättete sie
so, dass sie nach Beseitigung aller Grate höchst sauber aussahen.
So, indem er die kräftige Wirkung des Sichabheben von Licht
und Schatten vernichtete, entfernte er gerade das Gute, das sein
Werk vollkommen gemacht hätte. Als Tribolo dies von Giuliano
selbst erfuhr, lachte er über die Einfältigkeit dieses Menschen, der
schliesslich das Werk in einer Weise vollendete, dass man auch
nicht das Geringste davon spürt, dass Michelangelo es je an-
gesehen."
Die Erwähnung Tribolos lässt darauf schUessen, dass der ge-
schilderte Vorgang im Jahre 1532 oder 1533 spielte. Und auf diese
Zeit weist auch der Stil der geistreichen Kreidezeichnung hin,
welche, in der Galleria Nazionale in Rom aufbewahrt, von
Venturi in L' Arte 1898, II, S. 261 veröffentlicht wurde. (Thode 514.
Ber. 1600.)
In der leichten lebendigen Art der Skizzirung erinnert sie
sowohl an die architektonischen Entwürfe für die Libreria, wie an
die ersten Studien für das Jüngste Gericht. Wird eine Skizze des
Meisters für Bugiardinis Gemälde auch nicht von Vasari erwähnt,
so kann es doch nicht zweifelhaft sein, dass wir eine solche vor
Augen haben. In einer hohen Hallenarchitektur, in welcher man
vor einem Portal zwei Gruppen von erregt nach oben schauenden
Menschen, die rechte sehr gedrängt, gewahrt, steht in der Mitte
vorne, die Arme ergebungsvoll nach unten gesenkt, den Blick nach
%* 27
41 8 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
oben gerichtet, zwischen den zwei symmetrisch angeordneten Rädern,
die hl. Katharina. Wie vom Blitz getroffen, taumeln die zwei Schergen
am linken Rade, am rechten ist der eine auf die Kniee gesunken,
der andere sucht sich gegen den Blitz mit den Armen zu schützen.
Seitwärts flieht links ein Mann nach hinten, rechts eilen zwei Ge-
stalten aus dem Gebäude heraus. Im Vordergrunde links eine zu
Boden gesunkene Figur, rechts eine, wie es scheint, sitzende.
Die Bewegungsmotive der Schergen erinnern mehrfach an jene
Skizzen erschreckter Männer, die ich bei der Besprechung der
Fresken in der Cappella Paolina erwähnte (s. oben S. 80 Casa Buon.
V, 17, 18. VIII, 38. XIII, ^T, 68), die Katharina in der Inbrunst
ihres gläubigen Himmelanschauens an die Rahel des Juliusdenkmales.
Sehr auffallen muss es nun, dass nicht eine der Figuren in
Bugiardinis Gemälde wiederkehrt, die Zeichnung also von Jenem
nicht benutzt worden ist. Es macht demnach den Eindruck, als
habe Michelangelo, angeregt durch die Konsultation, nur sich selbst
zu Liebe sich in einem Entwürfe versucht. Hingegen stimmt die
reihenartige Anordnung der fallenden und flüchtenden Soldaten im
Vordergrunde des Bildes zu Vasaris Erzählung. Aber Letzterer
hat Recht, wenn er sagt, von Michelangelo sei Nichts mehr in ihnen
zu gewahren. Die Ausführung der vom Meister angegebenen Motive,
die man bei gutem Willen noch erkennen mag, ist, namentlich bei
den stark verkürzten Figuren, missglückt. Nur der Kultus Michel-
angelos erklärt die Äusserung Francesco Bocchis (Le bellezze della
cittä di Firenze, 1591): ,,vi sono da basso molte figure di eccessiva
bellezza, disegnate di mano di Michelagnolo Buonarroti, delle quali
alcune scortano con mirabile industria et da quelli che sono inten-
denti sono tenute in molto pregio."
Im Übrigen verlangt das Gerechtigkeitsgefühl, dass man das
auf ein hohes Ziel grosser Wirkung von Raum und Licht gerich-
tete Streben des guten Bugiardini anerkennt — es schwebte ihm,
möchte ich sagen , Etwas im Sinne der späteren Tintoretto'schen
Kunst vor Augen , und seine kleine rührende Heilige, wie der ihr
erscheinende Engel, verdient einen freundlich theilnahmvollen Blick
des Betrachters.
III
Unausgeführte Aufträge auf Gemälde
Wo es sich um Briefe handelt, in denen die Aufträge gegeben
werden, gebe ich dieselben wörtlich, weil sie, fiir den Künstler,
für die Auftraggeber und für die Zeit charakteristisch, uns auf das
Lebhafteste in die verschieden gearteten Beziehungen zwischen dem
Künstler und seinen Bewunderern einführen.
Unausgeführte Aufträge auf Gemälde 419
/. Gemälde für Pier Francesco Borgherini. 151 5.
Von diesem Auftrag erfahren wir, ohne dass freilich der Vor-
wurf des Bildes angegeben wäre , durch einen Brief Michelangelos
an seinen Bruder Buonarroto vom 20. Oktober 151 5 aus Rom.
(Lett. S. 129).
„Wisse , dass ich P. F. Borgherini in keiner Weise belästigen
möchte, da ich ihm so wenig wie nur möglich verpflichtet sein
möchte, denn ich habe für ihn eine gewisse Malerei (una certa cosa
di pittura) zu machen, und es würde so aussehen, als wünschte ich
die Bezahlung im Voraus ; und ich will ihm nicht verpflichtet sein, da
ich ihm wohl will, und ich will Nichts von ihm, sondern will ihm
aus Liebe und nicht aus Zwang zu Diensten sein: und ich werde
ihm, wenn ich kann, Heber zu Diensten sein als irgend einem
Anderen, denn er ist wahrhaftig ein vortrefflicher Jüngling, und
unter den Florentinern dort giebt es, wenn ich mich nicht täusche.
Keinen, der ihm gleich."
Am 9. und 16. August 1516 erinnert ihn Leonardo Sellajo
an den Auftrag. (Frey, Briefe S. 31, 32.) An Stelle Michelangelos
scheint diesen dann Andrea del Sarto erhalten und übernommen
zu haben , denn am 8. November desselben Jahres schreibt Buo-
narroto an den in Carrara weilenden Bruder: ,,Baccio d'Agniolo
m'a fato solicitare dua volte per tua parte uno quadro, che fa uno
Andrea pitotore (sie) a Pierfrancesco Borgherini, diciendo, che lo
s'a a te. lo l'o fato da tua parte per amore di Pierfrancescho,
perche sichondo m'a deto Bacio, non chosa ti tornj in danno nesuno ;
pure non so , se io m'o fato bene o male a solecitarllo da tua
parte, dicendo, che s'a a mandare a Roma. Benche a ogni modo
non l'a fornito questa chosa, lo debi sapere e io mi sono fidato
di Baccio." (A. a. O. S. 43.) Borgherini ist mit Andreas Gemälde
nicht zufrieden: ,,non e a modo suo." Damals bietet sich Seba-
stiano del Piombo an , ein Bild für ihn zu malen , falls Michel-
angelo ihm einen Karton mache (i. März 15 17. A. a. O. 63). Weiter
erfahren wir Nichts über die Angelegenheit.
Andrea del Sarto, Pontormo und Granacci haben für ein
Zimmer des Borgherini gelegentlich Dessen Hochzeit mit Margarita
Acciajuoli die kleinen Bilder mit Darstellungen aus dem Leben des
Joseph gemalt, deren vier jetzt im Palazzo Pitti und in den Uffizien
sich befinden.
2. Aufforderung, in der Türkei Malereien auszuführen. 1519.
Condivi erzählt, dass Michelangelo 1506, nach seiner Flucht
aus Rom , daran gedacht habe , in den Orient zu gehen , wo der
Sultan Bajazet II. von ihm eine Brücke von Konstantinopel bauen
27*
420 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
lassen und noch andere Aufträge geben wollte. Einige Mönche
waren die Überbringer des Briefes und eines Wechsels auf die
Bank der Gondi.
Am I. April 15 19 sucht ihn ein Tommaso di Tolfo in Adria-
nopel zu einem Aufenthalte in der Türkei zu bewegen. (Gotti I,
144. Frey, Briefe S. 137.)
„Theurer und geehrter Michelagnolo. In der vergangenen
Zeit habe ich Euch nicht geschrieben, weil Nichts vorgefallen ist.
Die Veranlassung zu diesem Schreiben ist , dass , als ich vor etwa
fünfzehn Jahren mich dort mit Euch einige Male im Hause des
Gianozo Salviati unterhielt, Ihr, wenn ich mich recht er-
innere, den Wunsch äussertet, hierher zu kommen und dieses Land
zu sehen; ich rieth Euch sehr davon ab, weil zu jener Zeit ein
Herr regierte , der keine Freude an Kunstwerken irgend welcher
Art hatte, vielmehr sie hasste. Das Gegentheil hiervon ist unser
jetziger erlauchtester Herr. In den vergangenen Tagen gelangte
die Statue einer nackten Frau, die liegend das Haupt auf den Arm
stützt , in seine Hände und , wie ich höre , war ihm dies
eine grosse Genugthuung. Diese Statue hatte Baldinacio degli
Allesandri in seinem Hause und ich weiss nicht, woher er sie er-
halten, doch scheint sie mir Dutzendarbeit."
,, Meine Schlussfolgerung ist nun diese : dass ich Euch , falls
Ihr noch der gleichen Gesinnung wie damals seid , rathen würde,
sogleich hierher zu kommen, denn Ihr würdet hier gerne gesehen
werden, und es geschähe ohne Verlust für Euch, vielmehr zu Eurem
Vortheil ; und dies verdient Glauben , denn wenn ich wüsste , es
wäre anders , würde ich Euch nicht davon schreiben. Und wenn
Ihr daran denkt zu kommen, so heisst es nicht Zeit verlieren,
sondern gleich nach Empfang dieses macht Euch so schnell wie
mögUch auf den Weg über Ragusa, denn dieser ist der bequemste.
Und ich verpflichte mich, Euch, bevor Ihr in Ragusa seid, einen
Befehl dieses Herrn zu senden. Denn der Befehlshaber von Chocia
wird Euch eine gute Kompagnie geben , die Euch bis hierher ge-
leiten wird; und ausserdem werde ich Euch einen Befehl ver-
schaffen, der Euch nach Eurem Belieben zu gehen oder zu bleiben
gestattet. Und so , da Euch keine Unbequemlichkeit erwächst,
ermuthige ich Euch auf alle Fälle zu kommen, denn ich weiss, dass
es von höherem Vortheil für Euch sein wird , als Ihr glaubt , und
ich sage das nicht ohne Grund. Und weil es geschehen könnte,
dass Ihr für Eure Abreise dort oder für die Kosten der Reise,
einiger Dukaten bedürftet, habe ich meinen Patronen Gondi in
Florenz geschrieben, dass sie Euch mit allem Nothwendigen ver-
sehen, obgleich ich gewiss bin, dass dies überflüssig ist, da ich
weiss, es fehlt Euch nicht an Geld. Aber ich habe es in guter
Unausgeführte Aufträge auf Gemälde 42 1
Absicht gethan und weil ich weiss, dass Euer Kommen nicht ohne
grossen Vortheil sein wird. Und falls Ihr nicht in der Lage oder
Stimmung wäret zu kommen , bitte ich Euch , Euch nach einem
anderen Maler, der zu den Besten heute in der Christenheit gehört,
umzusehen und Euch alle Mühe zu geben, ihn so schnell als mög-
lich hierher zu senden. Und es wäre gut, dass er eines seiner
besten Werke mitbrächte. Ich lasse Euch wissen , dass der Herr
Dem , der ihm jene Statue gab , 400 Golddukaten geschenkt und
seinen Rang erhöht hat , denn er ist Sekretär der Pforte des be-
sagten Herrn. Und wie ich Euch gesagt, ist die Statue nichts Aus-
gesuchtes, Verlasst Euch auf mich : mögt nun Ihr oder ein Anderer
kommen , es wird ihm nicht an Gottes Gnade fehlen. Setzt Ver-
trauen in mich ! Ich habe mir diese Freiheit mit Euch genommen,
weil ich mir sage, dass Ihr, wenn Ihr kommt, Grund mich zu loben
haben werdet und das Gleiche , wenn Ihr einen Anderen schickt.
Anderes habe ich nicht zu sagen , ausser dass ich mich Euch em-
pfehle. Gott bewahre Euch immer vor allem Übel. Euer Tommaso
di Tolfo in Adrianopel."
Wer der kunstsinnige Herr , dem Michelangelo seine Dienste
widmen sollte, war, wissen wir nicht. Frey meint, der Gedanke
an den Sultan Selim I. sei wohl ausgeschlossen ; es handle sich um
einen Grosswürdenträger , etwa um einen Pascha von Adrianopel.
j. Leonardo Sellajos Bitte um eine Zeichnung für ein Gemälde,
das ein „Gobbo" ausführen will. 1^22.
Leonardo schreibt am 29. November 1522 aus Bellosguardo
bei Florenz an Michelangelo (Frey: Briefe S. 194):
,,Perche voglo di quest' altra setimana mandare el mio Ghobo
a Montilupo e non voglo perda tenpo, vorei, voi fussi content©
di fargli uno pocho di disegno finito , che potese fare un quadro.
E chosi o fatto o fare qualche disegno , che nonne esendo presso
a Bastiano, velo rachomando; e se do troppa brigha: pazienza."
Von diesem Gobbo sagt Leonardo an anderer Stelle, von den
Bildern der Raphaelschüler in der Sala del Costantino sprechend :
„sein Gobbo würde es besser machen." (A. a. O. S. 163.)
Welch' Licht wirft diese Bitte auf die freundliche Bereitwillig-
keit Michelangelos, Anderen bei ihren Arbeiten zu helfen!
4. Auftrag des Kardinals Domenico Grimani, Patriarchen von
Aquileja, auf ein kleines Kimstiverk. 1523.
Bartolommeo Angiolini schreibt am 28. Juni 1523 aus Rom an
Michelangelo :
,,Als ich vor wenigen Tagen mit dem Kardinal Grimani zu-
sammen war, kamen wir auf Euch zu sprechen. Er bat mich, Euch
422 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
zu schreiben und zu bitten, Ihr möchtet belieben, ihm jenes kleine
Bildwerk für sein ,Studiolo' zu machen , um das er Euch schon
gebeten; und er sagt, Ihr hättet es versprochen, und überlässt Euch
die Wahl des Materiales für die , Phantasie' , sei es ein Gemälde,
oder ein gegossenes Bildwerk; was Euch bequem sei, möchtet Ihr
machen und die Bestimmung des Preises überlässt er Euch , denn
so viel Ihr verlangt, wird er Euch geben und darüber hinaus Euch
höchst verpflichtet bleiben. Darum , theurer Michelagnolo , da ich
sowohl Euch, wie ihm, einen Gefallen thun und Gutes angedeihen
lassen möchte , überlässt mir die Sorge dafür, die Bezahlung nach
Eurer Bequemlichkeit anzuordnen, denn ich werde Euch dort das
Geld auszahlen lassen," (Gotti I, 176. Frey: Dichtungen S. 505.)
Am II. Juli schreibt der Kardinal, durch seine Kunstliebe und
Sammlungen bekannt, selbst an den Künstler:
,,Mit nicht geringem Vergnügen haben wir von Messer Barto-
lommeo Angiolini vernommen, Ihr habet ihm geschrieben, dass Ihr
bereit seid, das uns gegebene Versprechen eines kleinen Kunst-
werkes (quadretto) für unser Studio zu halten. Wir danken Euch
sehr dafür ; und obgleich er sagt, Ihr fürchtet wenig Zeit zu haben
wegen anderer Verpflichtungen, so hoflen Wir doch, dass Euch
Zeit vergönnt werden wird , sich mir gefällig erweisen zu können.
Die Art des Werkes überlassen wir Euch; macht es nach Eurem
Gefallen. Wir haben mit Messer Bartolommeo gesprochen , und
er wird auf Euer Verlangen, wenn es Euch gefällt, das Werk zu
beginnen, anordnen , dass Euch fünfzig Dukaten gegeben werden ;
bezüglich der restirenden Summe wird Euch nach Eurem Wunsche
Genüge geschehen, denn angesichts Eurer Vorzüglichkeit kommt
es Uns auf den Preis nicht an. Und je schneller Wir es erhalten
werden, desto grösser wird Unsere Verpflichtung gegen Euch sein,
und wir werden es höher, als irgend etwas Anderes in unserem Be-
sitz, schätzen. Lebt wohl." (DaelH 16.)
Die Antwort giebt Michelangelo in einem Briefe an Angiolini :
,, Bartolommeo, theuerster Freund. — Ich habe, in einem Briefe
von Euch eingeschlossen, einen vom Kardinal erhalten, und habe
mich darüber gewundert, dass Ihr ihn wegen einer solchen Kleinig-
keit zum Schreiben veranlasst habt, und in solcher Eile. Ich werde
darauf nicht antworten, weil ich es nicht so entschlossen thun
kann, wie ich es wünschte. Euch aber erwiedere ich dasselbe wie
früher, nämlich dass ich das Verlangen habe. Seine Hochwürdige
Herrlichkeit zu bedienen, und mich bemühen werde so gut und
so bald ich kann."
,,Ich habe grosse Verpflichtungen und bin alt und wenig wohl.
Wenn ich einen Tag arbeite, muss ich vier ruhen ; daher traue ich
mir nicht zu, mit Entschiedenheit Etwas zu versprechen. Aber ich
Unausgeführte Aufträge auf Gemälde 423
werde mich, in jeder Weise zu Diensten .zu sein, bemühen und
zu beweisen, dass ich Eure Liebe zu mir kenne." (Lett. 420.)
Weiteres erfahren wir nicht.
5. Fra Zanobi de' Medicis Bitte um die Zeichnung einer
Madonna mit dein Erzengel Michael. 152^.
Aus San Miniato al Tedesco schreibt Fra Zanobi am 18, Mai
1525, nachdem er Michelangelo religiöse Segenswünsche ausge-
sprochen und ihn seiner beständigen Fürbitte versichert: ,,Und um
dies lebhafteren Gedenkens thun zu können, bitte ich Euch, so gut
ich weiss und kann, Ihr wollet mir auf einem ,foglio reale' mit Kohle,
so wie ich es Euch sagte, die heiligste Jungfrau und Mutter Maria
mit dem hl. Erzengel Michael machen. Und da ich weiss , dass
Ihr an Werkeltagen genug zu thun habt, so macht sie mir an
einem Festtage : das ist keine Sünde , da Ihr sie mir als Almosen
macht. Und wenn Ihr sie gemacht habt, so vertraut sie dem Über-
bringer Dieses, Giovanni Carnesechi, an, der mein zweites Ich ist,
und er wird sie mir thunlichst senden." (Frey, Briefe S. 253.)
Ob der Meister den Wunsch erfüllt habe, wissen wir nicht.
6. Der Auftrag Matteo Malvezzis in Bologna auf das Altar-
gemälde einer Madonna mit vier Heiligen. 152g.
Mit ihm machte uns zuerst Gotti (I, 203) bekannt, Frey (Briefe
S. 297 ff.) publizirte die bezüglichen Briefe. Der Prior von S. Martino
in Bologna, Fra Gianpietro Caravaggio, schreibt am 19. Juni 1529
an den Künstler :
,,In den verflossenen Tagen, mein erlauchter Herr, habe ich
eine Zeile von Eurer Signoria erwartet, durch welche Sie mir
Nachricht von Sebastiano (del Piombo) gäbe, wo er sich befindet,
ob in Rom oder in Venedig.'' Aber ich achte, Sie sei von so hohen
Aufgaben in Anspruch genommen, dass Sie sich nicht mehr der
Verhandlungen erinnert, die der Prior von S. Martino in Bologna
mit Ihr an einem Martinsonntag gepflogen hat. Der erzählte Euch,
ein Edelmann wolle ein Gemälde, auserwählt und ausgezeichnet
unter allen Bildern Italiens , anfertigen lassen und ersehne Nichts
weiter als die Zeichnung, die einzig sein wird, von Eurer Signoria;
wenn Diese aber sich herablassen wollte , auch das Gemälde aus-
zuführen , würde er es köstlich preisen. Wenn Sie es aber nicht
in Farben ausführen könnte , wie Sie es mir sagte , so wünschte
er wenigstens, dass Euer Sebastiano es malte, wovon Eure Signoria
mich zu benachrichtigen versprach. Infolgedessen hat sich der
Edelmann auf meine Worte und Eurer Signoria Versprechen ver-
lassen und die Antwort erwartet. Ich bitte Eure Signoria, uns
gütigst Antwort zukommen zu lassen, was wir zu thun haben, denn
424 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
wir werden uns nach Euren Anweisungen verhalten. Anderes
nimmt mich in Anspruch. Eure Signoria, der ich zu Befehl, ant-
worte uns bald, denn ich beabsichtige einen Meister Ihr zuzuführen,
der Sie über die Grösse und die Art und die Lage der Kirche
unterrichten soll , wie Sie es von mir erbat. Und : feliciter valeat
quotidie orationibus ad deum pulso. — Euerer Signoria grösster
Freund Gianpietro Caravagio , unwürdiger Prior von San Martino
in Bologna."
Der Edelmann, wie aus dem Weiteren hervorgeht, war Matteo
Malvezzi. Jene Begegnung, von der der Prior spricht, könnte, wie
Frey richtig bemerkt, in Bologna gelegentlich des Künstlers Durch-
reise nach Ferrara, Ende Juli oder Anfang August, stattgefunden
haben.
Der Ricordo , den Michelangelo bald darauf empfangen haben
muss, lautet:
„Messer Michelangelo, dies ist zur Erinnerung für Eure Signoria
bezüglich des für Bologna bestimmten Tafelgemäldes, von dem die
Karmeliterbrüder Euch gesprochen haben. Und zunächst, was die
Erfindung des Bildes angeht und dessen Maasse und auch das Licht
der Kapelle, für die es bestimmt ist und das Eure Signoria bei
der Arbeit berücksichtigen wird ! Die Erfindung ist nach dem
Wunsche des Patrons folgende: Seine Signoria möchte eine Madonna
mit dem Kind im Arm und vier Figuren, je zwei zu ihren Seiten;
die Art dieser Figuren ist dem Belieben Eurer Signoria überlassen,
jenachdem sie Euch am besten dünken , und ebenso Haltung und
Anordnung aller Figuren, so wie es Eurer Signoria gefällt und gut
dünkt. Die Tafel hat oben eine halbrunde Lunette und ihre Höhe
vom Scheitel der Lunette bis unten ist 8 Fuss und 4^2 Onze und
die Breite 5 Fuss und 3^2 Onze — es versteht sich nach unserem
Maass, das auf diesem Blatte abgebildet ist : nämlich ein Fuss gleich
12 Onze. Das Licht der Kapelle ist dieses: sie ist nach Osten
gelegen und empfängt das Licht von Süden." (Gotti. Frey.) Unter
der Schrift ist die Zeichnung der Tafel mit den Maassangaben.
Am 20. Juli 1529 schreibt Caravagio wieder: ,,Die tumultuösen
Kriegswirren, mein edelster (humanissimo) Herr, haben mich ver-
hindert , in Person zu Eurer Signoria zu kommen , um in Person
mit Ihr das wundervolle Kunstwerk eines Gemäldes , über welches
wir in den vergangenen Tagen mit Ihr geredet und Ihr geschrieben
haben, abschhessende Bestimmungen zu treffen. Und jetzt, auf
Antrieb des Messer Matteo Malvetij , der die erste Rolle hierbei
spielt, bitten wir, Eure Signoria wolle geneigtest Ihre Absicht hier-
über schreiben. Das Grössenmaass der Tafel und die Angabe der
auf ihr auszuführenden Malerei, die wir durch Einen unserer Väter
sandten, wird Sie haben. Habt die Huld uns mitzutheilen , was
Unausgeführte Aufträge auf Gemälde 425
Eure Signoria zu thun beliebt. Und falls Sie Nichts von Sebastiane,
Ihrem vertrauten Freunde, erfahren, möchte ich mit Verlaub dies
vertraulich Euch schreiben: falls es Eurer Signoria angenehm wäre
zur Erholung oder um den Kriegsunruhen zu entfliehen, Sich hier-
her nach Bologna in das Haus des Messer Matteo Malvetij zu be-
geben, so sei Sie gewiss Herberge, in seinem Hause zu finden: und
Sie wird von ihm so höflich und liebevoll, wie von Ihren nächsten
Freunden nach Heimkehr aus weiter Ferne, empfangen werden.
Und falls es Euch nicht Recht wäre, in jenem Haus zu wohnen,
so wollet Euch herablassen, im Kloster von S. Martino abzusteigen,
wo Ihr nicht weniger behaglich als von Euren geistlichen Freunden
verhätschelt werden sollt. Dies sei vertraulich gesagt. Ist aber
Eure Signoria von Ihrem erlauchtesten Senat in Anspruch ge-
nommen , so schreibe Sie wenigstens geneigtest ein Wort über
das oben Berührte. Ich empfehle und bringe mich Eurer Huld in
Erinnerung."
Die Angelegenheit ist ein Jahr später noch nicht fortgeschritten,
was sich aus den Unruhen der Zeit genügend erklärt, aber wohl
auch daraus, dass eine Aufgabe, wie diese, Michelangelo nicht zu
reizen vermochte. Am 21. November schreibt Malvezzi an einen
Bekannten in Florenz (Frey vermuthet : Fattucci) :
,,Erst heute Morgen habe ich den Brief Eurer Signoria er-
halten, durch den ich von den Beschäftigungen, die Michelangelo
in Anspruch nehmen, vernehme; es scheint mir sehr begreiflich,
dass er, wie Ihr schreibt, Verpflichtungen, die ihn in so vieler Hin-
sicht binden , einhält. Dass er aber , was meinen Auftrag angeht,
keine Abkunft weder bezüglich des Preises noch des Termines
treffen will, daraut vermag ich nicht einzugehen; denn es scheint
mir billig, wenigstens zu wissen, wie viel ich auszugeben und er
zu verdienen hat, sowie auch, innerhalb welcher Frist, sei es auch
nicht ein fester, sondern nur ein ungefährer Termin, die Angelegen-
heit erledigt sein könnte. Und da ich sehr verlange, mit ihr ab-
zuschliessen und die Schwierigkeiten , die aus den vielen Be-
schäftigungen dieses Mannes erwachsen , einsehe , so würde ich,
falls er sich darauf beschränkte, mir nur den Karton zu machen,
diesen von einem der talentvollen Leute , die zu haben sind , in
Farben ausführen lassen ; so wäre ich doch in der Lage, in meinem
Alter eine abschliessende Disposition bezüglich des Werkes zu
treffen. Doch möchte ich zuvor davon benachrichtigt werden, wie
viel mich der Karton kosten würde, falls er geneigt wäre, ihn zu
machen; denn, wenn er eine billige und ehrliche Forderung auf-
stellte, würde ich ihm das Geld durch eine Bank zustellen lassen."
Vermuthlich ist auch auf diesen Vorschlag weiter Nichts er-
folgt.
426 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
7. Federigo Gonzagas Bitte um ein Gemälde oder eine Skulptur
für den Palazzo dcl Te. 152'/. i^ji.
Schon 1527 hatte der Marchese den Wunsch geäussert, ein
Werk Michelangelos, und sei es auch nur ,,eine Kohlezeichnung",
für den Palazzo zu erhalten. Am 26. Mai 1531 schreibt er an
Francesco Gonzaga nach Rom :
,,Magnifico. Wir wünschen, Ihr sagtet in Unserem Auftrag in
demüthiger Form, wie es sich geziemt. Unserem Herrn (dem Papst),
dass Wir, mit einem Bau su Te beschäftigt und bemüht, ausser der
anderen Ausschmückung, für ihn Werke der Bildhauerei und Malerei
aller ausgezeichneten und berühmten , heute in Italien thätigen
Künstler zu erlangen, Verlangen tragen, unter Anderem auch ein
Werk von der Hand Michel Angelos zu erhalten und ihn hatten
ersuchen lassen, Etwas nach seinem Belieben für Uns zu machen.
Er hat geantwortet, dass er einen ausdrücklichen energischen Be-
fehl habe, nichts Anderes zu machen noch für irgend einen
Menschen der Welt Etwas zu arbeiten, bevor er nicht ein gewisses
Werk, das sich noch ein wenig in die Länge ziehen wird, für Seine
Heiligkeit vollendet hat. Daher flehen wir demüthig Seine Heilig-
keit an, Sie wolle geruhen, huldvoll zu gestatten, dass Messer
Angelo mir irgend ein Werk mit seiner Hand ausführe , und er
wird daran nur an den Festtagen arbeiten oder wenn er nicht für
Seine Heiligkeit arbeiten kann, — das wäre mir sehr erwünscht.
Seht zu, mir auf alle Weise diese Gnade zu erwirken.
,, Giovanni Borromeo , der in Unserem Auftrag mit besagtem
Michel Angelo gesprochen hat, kommt, so viel er mir schreibt,
nach Rom. Ist dem so, könnt Ihr zuerst mit ihm sprechen, da
Ihr dann besser über die Art, in der Ihr mit Unserem Herrn zu
reden habt, informirt sein würdet. Käme aber der Borromeo nicht
nach Rom, so säumt nicht zu Seiner Heiligkeit in der angedeuteten
Art zu sprechen. Wir senden Euch den Brief, den wir hierüber
an Borromei geschrieben. Gebt ihm denselben etc."
Der Papst hat den Wunsch bewilligt. Am 16. Juni schreibt
der Marchese an Francesco:
,,Magnifico. Über alles Maass willkommen ist die gütige Ant-
wort gewesen, welche Seine HeiHgkeit, auf die in Unserem Namen
bezüglich Michel Angelos ausgesprochene Bitte, Euch gegeben hat,
und Wir wünschen, dass Ihr in Unserem Namen die heiligsten
Füsse demüthig küsst und Seiner Heiligkeit sagt, Wir verlangten
und suchten Werke ausgezeichneter Männer, wie Michel Angelo
Einer ist, und zwar nicht nur Gemälde, sondern auch Skulpturen
zu erlangen; doch wäre es Uns gleich, vorausgesetzt, dass Wir nur
ein Werk von ihm erhalten, ob es nun der einen oder der anderen
Kunst angehört. Und da Seine Heiligkeit noch nicht, wie Sie
Madonnenstudien ^£7
Euch zu thun verhiess, ihm hat schreiben lassen, so seht zu, dass
ihm geschrieben wird und benachrichtigt davon, wie Ihr es zu
thun beabsichtigtet, Giovanni Borromeo." (Gaye II, 227 f.)
Man weiss, wie schwer belastet und gequält durch Verpflich-
tungen der Meister in jenen Jahren war — vermuthlich wird Clemens
ihm nicht geschrieben haben, und so sah der Marchese seinen
Wunsch nicht erfüllt. Auch später, 1538, als er durch Antonio
Maria Folengo und Meleghino sich bemühte, drei oder vier Kartons
von Michelangelo zu erhalten, fand er sich enttäuscht. (Vgl. A. Luzio:
Michelangelo e i Gonzaga. Giornale unico. Per il 5omo anniversario
degli Asili infantiU. 5 luglio 1887. Mantova. Venturi: Arch. stör,
d. Arte I, S. 6.)
8. Anerbieten eines Gemäldes für den Kardinal Salviati. i^ji.
Am I. JuH 1531 dankt der Kardinal in einem Schreiben
Michelangelo dafür, dass er sich angeboten, ihm ein Gemälde zu
machen (Gotti I, 212). Auf dieses bezieht sich der Eingang des
Briefes, den Benvenuto della Volpaja am 26. November des Jahres
dem Künstler aus Rom sendet.
„Hierdurch benachrichtige ich Euch, dass ich am letzten
Oktober gesund in Rom anlangte und, Gott sei Dank, es noch bin.
Und an demselben Abend richtete ich dem Kardinal Salviati Eure
Botschaft und Empfehlung aus, sprach ihm von Euren Quälereien
und Eurem guten Willen, und bat ihn, mit Seiner Heiligkeit, Unserem
Herrn, zu sprechen. . . . Zuerst grüsste ich Seine Heiligkeit in
Eurem Namen und empfahl Euch Ihr, indem ich Sie bat, Sie möge
Euch von Euren Quälereien befreien, und erzählte ihm Alles ohne
jede Rücksicht. Sie ärgerte sich darüber, dass Ihr angespornt
würdet, andere Arbeiten zu übernehmen und sagte : ,er hefte sich
einen Pinsel an den Fuss und mache vier Striche und sage: da
ist das fertige Bild; und an jene Angelegenheit des Bartolommeo
Valori zu denken überlasse er mir.' Und er sagte mir, dass er
Euch ein Breve gesandt, nach welchem Ihr unter Strafe der Ex-
kommunikation an nichts Anderem arbeiten dürft als an dem Werke
Seiner Heiligkeit, und frug mich, ob Euch dies als Entschuldigung
genügte.?" (Frey: Briefe S. 311.)
So kam auch der Kardinal um sein Bild.
IV
Madonnenstudien
/. Maria mit dem Kind.
Rufen wir uns die frühen Darstellungen der Maria mit dem
Kinde — die Madonna an der Treppe, die Madonna von Brügge
428 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
und die Studien jener Zeit, die im I. Bande S. iioff. behandelt
worden sind, in die Erinnerung, so treten uns als die zwei Haupt-
typen: die ihr Kind nährende Mutter (A) und Maria, das zum
Boden niedersteigende oder niedergestiegene Kind zwischen ihren
Beinen haltend (B), entgegen. Daneben Maria, das sie umhalsende
und küssende Kind an sich drückend (C) und Maria, das sitzende
oder Hegende Kind auf ihren Armen im Schooss (D). In den
Entwürfen für das Juliusdenkmal erscheint die stehende Jungfrau (E),
und eine solche gedachte Michelangelo anfangs auch an dem einen
Medicigrabe anzubringen, dann aber plant er eine sitzende und
knüpft hier zunächst an den Typus B der Jungfrau mit dem am
Boden stehenden Kinde an, um dann aber für den anderen (A)
der ihr Kind nährenden sich zu entscheiden , dessen Gestaltung,
den Ausgangspunkt von der herrlichen früheren Zeichnung in der
Casa Buonarroti nicht verleugnend , uns in Studien bekannt ge-
worden ist. (S. oben I, S. 487 ff.)
Die Zahl der noch zu besprechenden erhaltenen Studien ist
nicht gross, aber das Wenige belehrt uns in sehr fesselnder Weise
über des Meisters Festhalten an den alten Motiven und deren
Ausgestaltung, und in allen jenen früher kurz erwähnten Blättern,
die neuerdings dem Sebastiano zugeschrieben worden sind, erweist
sich der Zusammenhang mit jenen früheren Vorstellungen als ein
so unlöslich enger, dass er an sich schon beweisend für Michel-
angelos Autorschaft ist. Sebastiano für ihren Schöpfer halten,
hiesse so viel als annehmen , dass er jene älteren Werke und
Studien alle gekannt und aus ihnen, ganz im Geiste des Meisters
schöpferisch weiter gestaltend, die neuen Erscheinungen gleichsam
organisch entwickelt habe — eine widersinnige Annahme, die, wie
ich erwähnte, in gleicher Weise für die Pietäentwürfe zurück-
zuweisen ist.
A. Das Motiv der ihr Kind nährenden Mutter ward
in der Medicimadonna zu höchster plastischer Vollendung heraus-
gebildet, die anderen sehen wir in Studien behandelt.
B. Maria, das Kind zwischen ihren Beinen haltend.
I. Paris. Louvreii2. Thode463. Ber. 2494. (Seb.) Abb. d'Achiardi
(Seb. d. P.) S. 69. Phot. Br. 50. Giraudon 36. Röthel. Vgl.
oben II, S. 410. Maria, nach vorne gewandt sitzend mit über-
einandergeschlagenen Füssen, wendet den Oberkörper (im
Profil) ganz nach links und sieht auf das Kind herab, das
von ihrer Linken, in der Höhlung zwischen ihren Beinen halb
stehend, halb abwärts gleitend, gehalten wird und mit der
Rechten, wie müde, an den Kopf greift. Die Haltung des
Madonnenstudien 429
rechten erhobenen Armes der Jungfrau ist undeutlich. Die
Stellung erscheint gezwungen, und doch ist Lage und Be-
wegung des Kindes von wundervoller Natürlichkeit. Die Dar-
stellung bezeichnet gleichsam die vierte Stufe in der Ent-
wicklung des Motives zu immer grösserer Lebendigkeit. Die
erste erkennen wir in der Madonna von Brügge und der
Londoner Studie (I, S. in, Nr. 2) — Mutter und Kind in
ruhiger frontaler Haltung, — die zweite in der Bonnat'schen
Zeichnung zu Bayonne (s. I, S. 112, Nr. VIII) — Mutter und
Kind in lebhafterer Bewegung, seitwärts gesehen — , die dritte
im Entwurf für das Doppelgrabmal der Medici (s. I, 487) —
das Kind seitwärts gewandt nach dem Buch der Mutter
greifend. Und man beachte, wie überall (vom Bonnat'schen
Blatt abgesehen) der gleiche Gedanke, das Kind in die Falte
des gespannten mütterlichen Gewandes treten zu lassen,
wiederkehrt. Man vergleiche auch die Frau mit dem Kind
in der Oziaslunette und das emporsteigende Kind im Schoosse
des Josias. — Dem Motiv, den Körperverhältnissen und der
Zeichnungsweise nach dürfte das Blatt in die dreissiger Jahre
anzusetzen sein.
C. Maria und Kind in zärtlicher Umschlingung.
Zuerst erscheint das Motiv auf der Bonnat'schen Zeichnung in
Bayonne (s. I, S. 112, Nr. VII). Hier kniet das Kind auf dem Bein
der ruhig, feierlich sitzenden Mutter, umschlingt ihren Hals und
küsst sie. Es folgen Darstellungen an der Sixtinischen Decke : die
ihr Kind an sich drückende Frau in der Josiasstichkappe, die Frau
der Salmonlunette, die, mit der Hand den Kopf des Wickelkindes
umfangend, ihr Haupt an denselben schmiegt, die Frau der Zoro-
babellunette, das Kind mit beiden Armen eng umschliessend, das
stürmisch über den Rücken her die Mutter küssende Kind in der
Asalunette. Die nächste Fassung zeigt uns die Zeichnung
IL Windsor. Thode 550. Ber. 2505. (Seb.) Abb. Frey 34 (vgl.
oben II, S. 412, Nr. XXIV), Maria, etwas nach links gewandt
sitzend, umschlingt mit dem Arme das Kind, das, rittlings auf
ihrem rechten Bein sitzend — hier zeigt sich die Beziehung zu
den Studien für die Medicimadonna — den Kopf umdreht und
die Wange der Mutter küsst. Deren rechte Hand umfasst
seinen Kopf, ihr linker Arm umschlingt seinen Leib — auf
ihm ruht des Kindes linke Hand. Deutlich klingt die Salmon-
lunette nach. Mit herrlicher Kunst in grösster Schlichtheit
ist eine innigste Verbindung der beiden Gestalten erreicht.
— Die Studie, in den zwanziger Jahren entstanden, zeigt
nächste Verwandtschaft mit den Londoner Federskizzen, die
430 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
als Vorbild für Antonio Mini dienten (man vgl. in Sonderheit
auch die ganz übereinstimmenden Hände) und die ich schon
früher (I, S. 488, Nr. LH) erwähnte:
III. London, British Mus. 1859—5 — 14—818. Thode 314. Ber.
1501. Fagan XIII. Phot. Br. 24. 1524. Der eine Entwurf,
bei dem man wieder an Donatello erinnert wird, zeigt von
den Armen der Mutter gehalten das Kind, das mit der Linken
an ihrem Hals sich hält und dabei herausschaut. Der Kopf
der Maria ist im Profil. Das rechte Bein Christi ist über den
Arm der Mutter gelegt. — Die andere Skizze bringt Maria
en face herausschauend ; das Kind steigt über ihr rechtes
Knie hinüber und hält sich, abwärts schauend, an der Brust
der Mutter fest.
Eine weitere Formulirung des Themas finden wir dann in der
unten noch zu besprechenden, früher (II, S. 412, Nr. XXV) erwähnten
,, Maria mit Kind und Johannes" in Windsor. Die Anknüpfung an
die eben besprochenen Studien in London ist sehr ersichtlich. Mit
der einen vergleicht sich die Haltung der Mutter en face, mit der
anderen die Stellung des Christkindes. Auch hier greift Maria mit
dem einen Arme unter dem einen Bein des Kindes hindurch und
umspannt mit der anderen Hand , deren Finger gespreizt sind,
dessen Rücken. Auch hier umschlingt der Arm des Kindes den
Hals der Mutter — nur schmiegt es nun seine Wange an die der
Maria, ähnlich wie in der Zorobabellunette. Man sieht, wie eng
und vielverflochten der Zusammenhang zwischen allen diesen Zeich-
nungen ist.
Als letztes Glied in dieser Kette würde man zwei späte Zeich-
nungen in London und in der Casa Buonarroti zu betrachten haben,
doch sind an der Aechtheit wenigstens der einen Zweifel geltend
gemacht worden.
IV. London, Brit. Mus. 1859 — 6—25 — 562. Thode 305. Ber. 1518.
Fagan XXV. Kreide. Maria, stehend, hält auf ihrem rechten
Arm das Kind, das, sich nach hinten wendend, sie umhalst
und küsst. Hier kehrt das Motiv der Jugendzeichnung in
Bayonne wieder. Die Strichführung ist sehr leicht skizzirend,
zittrig in den Konturen und in den Schraffirungen, genau wie
in der gleichzeitigen Maria neben dem Kreuz der Malcolm-
Collection (Nr. 73.)
V. Florenz, Casa Buon. XVI, 72. Thode 64. Phot. Alinari looi.
Maria, eine Frau von mächtigen Proportionen, sitzt auf einem
Steinblock nach rechts gewandt , das linke Bein über das
rechte geschlagen, En face herausschauend, hält sie das auf
ihrem linken Beine stehende, sie mit dem rechten Arm um-
schlingende und sich an sie schmiegende Kind, das abwärts
Madonnenstudien
431
schaut. Ein um die Brust genommener Mantel liegt in grossen
Falten auf ihrem Haupt. — Die Studie ist wie in zittrigen
Zügen mit der Feder hingekritzelt, und diese Technik be-
fremdet. Vergleicht man sie aber mit der eben genannten
Londoner Zeichnung, so zeigt sich doch eine grosse Ver-
wandtschaft, berücksichtigt man die Verschiedenheit des
Materials : dort Kreide, hier Feder. Und in der Grossartigkeit
des Stiles und der Komposition ist das Blatt ganz Michel-
angelos würdig — ja, ich wüsste keinen anderen Meisternamen
zu nennen. Hier haben wir einen Nachklang der Maria mit
Kind und Johannes in Windsor — ja, diese späteste Madonnen-
studie aus den fünfziger Jahren ruft uns dem Geist nach in
ergreifender Weise die früheste Schöpfung des Jünglings: die
Madonna an der Treppe in die Erinnerung.
D. jMaria, das Kind im Schoosse haltend.
Die schon früher (I, S. 112, Nr. VI) erwähnte, der Zeit der Sixti-
nischen Deckenmalereien angehörige Zeichnung bei Mr.Heseltine er-
wähne ich hier nochmals.
VI. London, Mr. Heseltine. Thode 373. Hoheitsvoll blickt die
Jungfrau auf das Kind herab, das, von ihren beiden Händen
getragen und ihre Linke fassend, den Kopf zu ihr umdreht.
Ihr herrlicher Kopf erscheint grösser wiederholt auf einem
Blatte in Windsor und ward für die Frau der Jakoblunette
verwerthet (s. oben I, S. 268, Nr. CXI).
Vn. Paris, Louvre 121. Thode 472. Ber. 2496 (Sebastiano).
Phot. Br. 56. Röthel. Maria, etwas nach links gewandt
sitzend, mit ähnlich hoheitsvoller Haltung des Kopfes, wie in
der eben erwähnten Studie, hält das Kind im Schoosse, das,
eingeschlafen, das linke Ärmchen und den Kopf an ihre Brust
legt und das erhobene rechte Bein auf ihren rechten Arm
stützt. Eine herrliche, der Natur abgelauschte Komposition.
Wohl in die zwanziger Jahre zu versetzen. (Vgl. oben ü,
S. 410, Nr. XVII.)
E. Die stehende Madonna.
Der erste Entwurf ist der in der Beckerath'schen Zeichnung
für das Juliusdenkmal: das sitzende Kind so hoch auf den Armen
erhoben, dass sein Kopf in gleicher Höhe mit dem ihrigen erscheint,
scheint sie schwebend auf Wolken zu schreiten, ähnlich der Sixti-
nischen Madonna, und schaut abwärts. Fast übereinstimmend hier-
mit ist die Gestalt auf einem Doppelgrabentwurf der Medicidenk-
mäler (s. oben I, S. 452, Nr. XVI). Sie findet mit einigen Verände-
rungen ihre plastische Gestaltung in der Statue des Juliusdenkmales:
432 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
hier wird das Kind auf dem linken Arme getragen und spielt mit
einem Vogel. Von Zeichnungen ist nur eine einzige zu erwähnen,
der späte Entwurf in London , den ich soeben schon besprach
(Nr. IV).
2. Maria mit dein Kind und foJiannes.
In den zwei frühen Reliefs ist das Thema zuerst von Michel-
angelo behandelt worden, und zwar ward in verschiedener Weise
das Problem der Gruppe zu lösen versucht. In dem florentiner
ist Johannes, nur lose hinzugefügt, hinter dem Rücken der Maria
angebracht, in dem Londoner ist ihm eine formal der Jungfrau
fast gleichkommende Bedeutung zuerkannt. Hier sind die Kinder
im Spiel mit einander dargestellt: Christus, erschreckt von dem
flatternden Vöglein, das Johannes ihm hinhält, strebt ausweichend
nach rechts. Doch ist keine Beziehung zwischen den Kindern;
Christus, am Boden stehend gegen die Mutter gelehnt, schaut in
das Buch auf deren Schooss. Äusserlich der Hauptgruppe ver-
bunden, sitzend im Rücken Marias angebracht und von Christus
nicht bemerkt, erscheint Johannes auch auf der Bonnat'schen Zeich-
nung in Bayonne. (S. oben I, S. 112, Nr. VIII.) Und auf demselben
Blatte finden wir ihn seitwärts neben der vom Kinde umhalsten
Madonna. (Ebenda Nr. VII.) — Zwei Typen also können wir in
dieser früheren Zeit unterscheiden: die mit einander spielenden
Kinder (A) und die seitliche isolirte Stellung des Johannes (B).
A. Das Spiel der Kinder.
Durch seine mannichfachen Studien der Darstellung von Frauen
mit Kindern für die Lunetten der Sixtinischen Decke angeregt,
entwarf Michelangelo die grossartige Londoner Zeichnung:
Vm. London, Brit. Mus. 1860— 6—16— i. Thode 321. Ber. 2482
(Sebastiano). Abb. Ber. PI. CXLIX. Phot. Br. 9. Kreide.
(Vgl. oben II, S. 405, Nr. VII.) Maria, eine den Sibyllen ver-
wandte Erscheinung, sitzt nach halb links gewandt, die Rechte
im Schoosse, mit der Linken das Gewand unter der Brust
haltend. Sie blickt in liebevollem Sinnen auf die blühenden,
kräftigen Kinder (unter ihrem linken Arm) herab. Johannes
ist herbeigeeilt und umschlingt, das linke Beinchen wie kletternd
erhebend, Christus, der mit dem rechten Bein, sich in die
Gestalt der Maria einschmiegend, auf deren Bein kniet, als
wolle er sich scheu der stürmischen Liebkosung entziehen,
und grossen Blickes den Gefährten betrachtet. Hier hat also
das Motiv des Londoner Reliefs aus einer ähnlichen Auffassung
Christi neue Gestaltung gewonnen.
Madonnenstudien
433
Enger noch schliesst sich an dieses eine andere Studie an:
IX. London, Brit. Mus. 1859—6 — 25—565. Thode 308. Ber. 1508.
Fagan XVI. Phot. Br. 8. Neben andern Entwürfen, die
Steinmann auf die Stichkappen der Sixtina, Berenson auf die
Danteillustration bezog (vgl. oben I, S. 265. II, S. 383), sehen
wir eine Madonna, in deren Schooss ausgestreckt der Christus-
knabe Hegt, der, mit der Rechten nach vorne deutend, die
Linke nach dem rechts sich nähernden (undeutlich skizzirten)
Johannes ausstreckt.
B. Der isolirte Johannes.
Ich erwähnte die Zeichnung schon soeben unter Nr. II. Der
in zärtlicher Umschlingung verbundenen Gruppe von Mutter und Kind
ist rechts der sein Rohrkreuz haltende Johannes hinzugefügt, der,
die Arme über der Brust gekreuzt, zu lauschen scheint.
j. Die hl. Familie.
Seltener begegnet uns dieser Vorwurf in Zeichnungen des Meisters.
Man möchte glauben, seine Phantasie habe sich, nachdem sie die
gewaltige plastische Gruppe der Madonna Doni geschaffen, in den
Familienbildern der Stichkappen und der Lunetten der Sixtina
genug gethan. Namentlich in den ersteren war ja in ähnlicher
Weise wie in dem Vorwurf der hl. Familie der Mann nur als Neben-
figur der Frau mit dem Kinde zu gesellen, das künstlerisch formale
Problem also ein sehr verwandtes.
Nur zwei Zeichnungen habe ich zu erwähnen.
X. Paris, Louvre 113. Thode 465. Ber. 2495 (Sebastiano).
Rückseite der früher besprochenen Studie für eine Lunette
(s.1,271. CXLV. II, S.410XVI). Phot. Giraudon 1391. Röthel.
Maria, en face sitzend, umfängt mit der Rechten das auf ihrem
Schoosse sitzende, nach links gewandte Kind, das den links am
Boden knieenden, anbetenden und emporschauenden Johannes-
knaben segnet, und schaut auf diesen hinab. Ihr linker Arm ruht
rechts auf einem Sattel, der in der Höhe des Sitzes angebracht
ist. Hinter ihm rechts wird der Oberkörper des zuschauen-
den Joseph sichtbar, der in der aufgestützten Rechten einen
Stock zu halten scheint. Die leicht hingesetzte Skizze gehört
in die Zeit der Sixtinischen Deckenmalerei.
XI. London, British Museum, Pp. i — 58. Thode 341. Ber. 1993.
Fagan XIV. Kreide. Diese herrliche Studie nach dem
Nackten gehört unter jene , welche die Medicimadonna vor-
bereiten (s. oben I, 489). Das auf dem rechten Bein der
Maria sitzende, an ihrer Brust trinkende Kind ist bereits das
I* 28
4^4 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Kind in jener Gruppe. Die Mutter, etwas nach links gewandt,
nach rechts oben blickend , sitzt auf einem Stuhl , über dem
rechts flüchtig der Kopf des kleinen Johannes und höher der
auf Christus herabschauende Kopf des sich vorbeugenden
Joseph angedeutet ist. Wir dürfen die Studie zeitlich noch
in die Nähe der Sixtinischen Malereien setzen.
An diese Zeichnung: die säugende Maria, Joseph im Hintergrunde,
erinnert, aber nur ganz allgemein in der Idee, ein grösseres Bild
von einem Nachahmer Michelangelos in der Corsinigalerie zu Rom.
Hinzugefügt der hl. Familie ist auch hier der kleine Johannes, der
links auf einer Erhöhung anbetend sitzt.
Die Rötheiskizze einer Familie in Oxford, Christchurch College
(Rob. 2. Thode 458. Ber. 2493. Phot. Grosv. Gall. Oxford 27.
Abb. Sidney Colvin, Selected drawings s. oben II, S. 409, Nr. XIV),
halte ich , Berenson beistimmend , nicht für Michelangelo. Links
eine Frau mit Spindel kauernd, der Knabe steht über ihrem rechten
Knie und legt die Hand an den Mund. Von rechts, wo der Mann
auf ein Postament gestützt sitzt, nähert sich dem Kinde ein anderes
(Johannes.?). Vorne liegt in einer Wiege ein schlafendes Kind,
dem sich eine Katze naht.
Auch die Heseltine'sche Zeichnung (Thode 374. Ber. 2489,
s. oben II, S. 408, Nr. XI) , lässt sich mit Bestimmtheit schwerlich
Michelangelo zuweisen. Geplant war wohl eine hl. Familie , ob-
gleich der links unten neben Maria flüchtig angedeutete Kopf eben-
so gut der des Johannes wie der des Joseph sein kann.
Eine bestimmte, abgeschlossene Form haben die Studien zur
hl. Familie in zwei Entwürfen, deren einer der allerletzten Zeit des
Meisters angehört, gewonnen: in dem aus vielen Nachbildungen
bekannten sogenannten „Silenzio" und in dem grossen Karton der
Malcolm'schen Sammlung.
Über den Geist der Michelangelo'schen Mariendarstellungen
und die in ihnen zu findenden Beziehungen zu Savonarola hat sich
Steinmann in der Zeitschr. f. b. K. N. F. VII S. 169 ff. S. 201 ff.
ausgesprochen.
V
Die hl. Familie, gen. „II Silenzio"
Unter dem Namen „das Schweigen" bekannt ist eine in zahl-
reichen Reproduktionen erhaltene Komposition des Meisters, welche
die hl. Familie mit dem kleinen Johannes, den, wie wir sahen, der
Meister gerne der Familie gesellt, darstellt. Maria, das rechte Bein
über das linke geschlagen (wie in der Madonna Medici und in der
Die hl. Familie, gen. „II Silenzio" 435
späteren Madonnenskizze der Casa Buonarroti s. oben Nr. V), sitzt
en face auf einer Holzbank, mit der Rechten das geöffnete Buch
auf dieser haltend, die Linke in nicht leicht zu deutender Bewegung
über den Christusknaben streckend, der, den Kopf auf ihr Bein
gelegt, die Arme herabhängend, auf der Bank auf einem Tuch
schläft. Ihr Blick ist auf das Kind gerichtet, auf das auch Joseph,
der rechts von hinten auf die Lehne der Bank sich stützt und
den Kopf, ähnlich wie Jeremias, in die rechte Hand legt, und der
links sich herüberbeugende Johannes, der den linken Zeigefinger an
den Mund hält und die Rechte lauschend erhebt, herabschauen.
Hinter Maria ein baldachinförmiger Vorhang, daneben rechts eine
Säule, in dem rechten offenen Schränkchen der Bank, zu der zwei
steinerne Stufen emporführen, ein Stundenglas. Maria ist in ein
hochgegürtetes Gewand und einen um den Unterkörper gezogenen
Mantel gekleidet; Joseph, in Rock und Mantel, trägt über einem
Tuch eine enganliegende Kappe auf dem Kopf, Johannes hat um
den nackten Körper einen Mantel geschlungen.
Alte Stiche beglaubigen die Autorschaft Michelangelos.
1. Giulio Bonasone (B. 66). Bez. Michaelis Angeli Bonaro. in-
ventor. Julius Bonasonius f MDLXI. — Bonasone hat es
noch ein zweites Mal gestochen.
2. Giov. Batt. de Cavalleriis (auf dem Buche steht : Magnificat).
Bez. Mich. Ang. bonaroti inventor. 1574.
3. Der Stecher mit dem Monogramm Christi. Bez. Michaelis
Angeli Bonaroti.
4. Philipp de Soye. I. Ausgabe Ant. Lafrerij formis Romae
MDLXVI. Ne excitetis puerum. IL Ausgabe MDLXX. Bez.
Dormiente puero Jesu divina mens vigilat. Studio pictoris
immobilis erga deum Galesij Regnardi Episcopi Balneorigiensis
Pii IUI Papae Datarij D. Michael Angelus Bonarotus Florentinus
inventor. — Kopie von Meister A N (A mit Kreuzchen).
Claudii Duchetii formis Romae MDLXXIX cum privilegio.
In der Lawrence Gallery (Woodburn 1853. Taf III) be-
fand sich eine Rötheizeichnung „füll of sublime character",
die ich heute nicht mehr nachweisen kann. Hier trägt Maria einen
ganz Michelangelesken Kopfputz, über dessen seitHchen Wülsten
in der Mitte ein Seraphim angebracht ist. Johannes hat ein Fell
eines katzenartigen Thieres mit Kopf über seinem Haupt, Der
Vorhang fehlt, statt seiner sieht man flüchtig skizzirt zwei, an die
Kinder bei den Sibyllen erinnernde jugendliche Gestalten, die in
einem Zettel oder Buche zusammen zu lesen scheinen (wie die
Engel in der Madonna von Manchester). Wenn nicht um das
Original, was wohl denkbar, handelt es sich doch jedenfalls um
die alte Kopie eines solchen.
28*
436 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
In einzelnen der Reproduktionen erscheinen der Kopfputz und
das Fell des Johannes wie in der Zeichnung. Wir dürfen sie als
der Zeichnung besonders nahe kommend betrachten. Von den
zahlreichen Gemäldekopien kenne ich aus eigener Anschauung:
5. Dresden, Gemälde -Galerie Nr. 73. Hier lüftet Maria einen
Schleier von dem Kinde. Rechts ein kleiner Ausblick in
Landschaft. Wohl von einem Niederländer, (1740 aus Ham-
burg.) Phot. Bruckmann.
6. Gotha, Galerie Nr. 493. Hier trägt Johannes das Fell über
dem Kopf. Wohl von einem Florentiner aus del Sartos Schule.
7. Leipzig, Museum Nr. 271. Besonders schönes und grosses
Exemplar. Bezeichnet: Marcellus Venusto MDLXIII. Hier
trägt Maria einen Schleier auf dem Haare und lüftet einen
Schleier über dem schlafenden Kind. Rechts von der Säule
Ausblick auf einen Obelisken und ein Kuppelgebäude.
8. London, National Gallery Nr. 1227. Von Marcello Venusti.
Hier der Sitz aus Stein. Stammt aus dem Palazzo Borghese,
dann im Besitze von Herrn Deroveray in London , wo es
Passavant (Kunstreise) sah und im Hamilton Palace.
9. London, Marquis of Lansdowne. Nr. 309.
10. London, Mr. Mackenzie. Ich sah es 1881 im South Kensing-
ton Museum ausgestellt.
11. Oxford, Univ. Gallery Nr. 73. Hier lüftet Maria einen Schleier
von dem Kinde. Der Hintergrund Landschaft: links ein Baum,
rechts Ausblick.
12. Rom, Galleria nazionale (Corsini) Nr. 592. Von Marcello
Venusti.
13. Schieissheim, Galerie Nr. 971. Früher in der Düsseldorfer
Galerie.
14. Wien, K. K. Galerie, v. Engerths Katalog Nr. 303. Aus der
Kunstkammer Karls VI. Phot. Löwy.
Erwähnt finde ich ein Gemälde in der Galerie Orleans , das
bei dem Verkaufe in London in die Sammlung von Henry Hope
kam und später bei deren Auktion nach Deutschland verkauft
wurde. (Waagen: Künstler und Kunstwerke I, 476. Passavant:
Kunstreise 270.) Es ist von Pierre Beijambe für die ,, Galerie du
Palais royal'% Vol. I, Paris 1786 gestochen worden. Ferner ein
kleines Bild, das Passavant bei dem Kunsthändler Woodburn sah
(Kunstreise 112) und für eine Arbeit Sebastiano del Piombos hielt.
Ein drittes ward von demselben Kunstkenner im Besitze eines
I\Ir. Dawson in Manchester verzeichnet (a. a. O.). Dieses zeigte
lebensgrosse Figuren und war Tizianisch in der Farbe. Joseph war
der grösseren heiligen Familie des Raphael im Louvre entlehnt;
Johannes das Fell um die Lenden. Links unten ein Buch, auf dem
Die hl. Familie, gen. „II Silenzio" 437
das Lamm mit der Siegesfahne. Das Bild stammte aus Messina
und soll sich früher in der Sammlung Murats befunden haben.
Eine ausführliche Schilderung der Komposition nach dem Bilde
in Düsseldorf hat Wilhelm Heinse im August 1776 Gleim gemacht.
(SämtHche Schriften, Leipzig 1857, V, 125 ff.) Von der Mutter
und dem Kinde sagt er: „Eine Lage, die nicht reizender sein kann
und die die schönste ist , die ich je von einem schlafenden Kinde
gesehen ! Über seinem rechten Ohre hält die Mutter die Hnke
Hand zum Griffe bereit , in Besorgniss , sein Schläfchen zu unter-
brechen, das er so im Spielen erhascht, und in zarter Mutterliebe,
dass er fallen möchte, welches gar leicht geschehen könnte. Aus
ihrem schönen Gesichte leuchtet so viel Unschuld (reines Gewissen
von ehelicher Untreue, denn das ist der eigentliche Ausdruck darin),
Güte und Schönheit von innen, dass nichts Widriges und Falsches
kann entdeckt werden." Von Joseph sagt er: ,,er hat einen röth-
lichen, hier und da verschossenen Hausrock an, darüber ein gelber
Mantel hängt, als ob er ausgewesen, was bestellt hätte und wieder-
gekommen wäre. Auf dem Kopfe hat er eine rothe Kappe auf-
gesetzt und betrachtet daraus, mit einem ehrlichen, treffUchen alten
Zimmermannsgesichte, den kleinen Schlafenden, als ob er dächte:
,Sonderbar ; ja sonderbar und unbegreiflich ! und doch Alles wahr
und richtig, und kann nicht anders sein!' — Wahre Natur, wie
sie ist!"
,,Das schlafende Jesuskind ist das Schönste des Stückes, ein
Meisterstück an reizender Lage, vollkommner Zeichnung und wohl-
gegebnem Licht und Schatten; und die Einheit, die Seele des
Ganzen, worauf sich alles Andere bezieht und harmonirt, wie auf
Herrscher und Monarch. Aus seinem Gesichte dämmert Majestät
von Gottheit aus, und seinem Schläfchen sieht man's an, dass
es nur eine kurze Rast ist vom Tragen der Weltsünde.
,,Es ist zum Erstaunen, wenn man dies beinahe Unmögliche
blos in der Vorstellung, zwischen Vater, Mutter und Kind, durch
die kleinscheinende Erfindung einer nachlässigen und gefähr-
lichen Lage im Schlafe nicht allein möglich , sondern auf das
Reizendste dargestellt sieht; und wie die gewöhnliche Stille
des Menschen um ein schlafendes Kind so leise (und
unbemerkt) mit Demuth und Liebe vor Gott verpaart
(und dahinein verwandelt) worden; und das grosse Geheim-
niss, wie hervor brechen de Knospe im Thau des erst en
Morgenroths, erscheint."
Vergleicht man die verschiedenen Kopien, so ergiebt sich der
Rückschluss auf ein Vorbild, wie es die Lawrence'sche Zeichnung
zeigt. Die originelle Michelangeleske Kopftracht und das Motiv
des über den Kopf gezogenen Thierfelles bei Johannes , die in
438 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
mehreren vorkommen, sind gewiss nicht Erfindungen eines Nach-
ahmers. Wohl aber erklären sich die von einigen Malern hierin
vorgenommenen Veränderungen leicht als beabsichtigte Abweichungen.
Auch die Andeutung auf die Zukunft in dem Symbol verrinnender
Zeit, das Stundenglas, war in dem Vorbilde. Worüber man im
Zweifel sein kann, ist einzig die Bedeutung der Bewegung von Marias
linker Hand. Wiederum erweist die Übereinstimmung in mehreren
Kopien, dass in dem Original (vgl. die Zeichnung) die Hand Nichts
hielt. Wohl aber begreift man, dass einige Kopisten auf den Ge-
danken kamen, Michelangelo habe beabsichtigt, sie ein Schleiertuch
über dem Kind halten oder lüften zu lassen. War dies des Meisters
Gedanke.'' Diese Frage führt uns zu der weiteren, in welchem
Zusammenhang die Komposition mit anderen steht.
In einer der uns von betrachteten Studien (s. II, S. 431, Nr. VII)
gewahrten wir den schlafenden Knaben in Marias Schooss. Aber
nicht an sie, sondern an eine Gruppe von Bildern werden wir erinnert.
In zwei Gemälden hatte Raphael das Motiv: Maria lüftet einen Schleier
über dem Kind behandelt: in der „Madonna del Velo", wo das Kind
schlafend am Boden dargestellt ist und von der Mutter dem kleinen
Johannes gezeigt wird, und in der ,, Madonna di Loreto", in welcher
der Knabe, vorne auf einer Balustrade liegend, erwachend die
Hände zu Maria emporstreckt, hinter welcher Joseph, auf einen
Stab gestützt, zuschauend hervorblickt. Es war das letztere Gemälde,
mit dem Sebastiano in seiner ,, Madonna del Velo" (in Neapel) zu wett-
eifern suchte. Er ordnete Joseph links und rechts den kleinen sich
vorbeugend auf Christus schauenden Johannes an. Die allgemeinen
Beziehungen zwischen Sebastianos Komposition und dem ,,Silenzio"
sind nicht zu verkennen, ist auch die erstere ein Halbfigurenbild
und das Kind, wie bei Raphael, vorne auf einer Balustrade. Mehr
als dies aber: es zeigt sich auch in der Haltung des Kopfes und
des Oberkörpers, sowie des linken Armes und der Fingerbewegung
der linken Hand Marias ausgesprochene Ähnlichkeit mit Michel-
angelos Entwurf. Ein Künstler muss von dem Anderen angeregt
worden sein. Könnte es nach Allem, was wir erfahren haben,
zweifelhaft sein, wer der Gebende war? Hier wird, wie mir scheint,
ersichtlich, dass auch für seine „Madonna del Velo" Sebastiano eine
Skizze des Meisters benutzte, der dann seinerseits, von dieser Skizze
ausgehend, das ,,Silenzio" geschaffen hat. Hierbei aber bleibt es
bemerkenswerth, dass der Ausgangspunkt für die beiden Kom-
positionen Gemälde Raphaels gewesen sind in dem Sinne, dass
Sebastianos Eifer Michelangelo gleichsam zu einer Korrektur der
Schöpfung seines grossen Rivalen veranlasste.
Dies Alles erwogen, erscheint es denkbar, dass der Meister
beabsichtigt hat, das Motiv des Schleierlüftens zu bringen. Der
Der Karton „Epifania" 430
Entwurf dürfte in den zwanziger Jahren entstanden sein. In wie
ergreifender Weise er das genrehafte Motiv mit tiefem Sinne durch-
drungen hat, sagte uns Heinse. Ich möchte hinzufügen: es ist eine
Traumweissagung auf die Pietä! Eine Pietädarstellung aus der Kind-
heit Christi.
VI
Der Karton „Epifania"
In der Hinterlassenschaft des Meisters befand sich ,,un cartone
grando dove sono designate et schizzate tre figure grandi et dui
putti." (Gotti II, 151.) Mit Sicherheit ist dieser Karton zu identi-
fiziren mit einem, den Daniele da Volterra in seinem Briefe vom
17. März 1564 an Vasari anführt als: ,,raltro quello che dipigneva
Ascanio (Condivi)." (Gotti I, 357.) Der Notar, der bei der Erb-
schaftsregelung fungirte, hat ihn erhalten: Lionardo bekam alle
Kartons ,,exceptis tarnen duobus ex eis, videlicet suprascripto nuper
consignato domino Thomao de Cavaleriis , etalteromagnoin
quo sunt designate tres figure magne et duo pueri,
nuncupato Epifania, dimisso penes me notarium."
Es kann nun kein Zweifel sein , dass dieses Werk in dem
grossen Karton mit überlebensgrossen Figuren der Malcolm-
schen Sammlung im Printroom des British Museum (Thode 552.
Ber. 1537. Sidney Colvin: Guide to an exhibition of drawings 1895),
der früher im Besitze von Sir Thomas Lawrence und bei Woodburn
war (Passavant: Kunstreise 109; Waagen: Künstler und Kunst-
werke I, 440), wieder zu erkennen ist. Denn, befinden sich auch
auf diesem in der That drei Figuren mehr, so sind deren Köpfe
doch so im Hintergrunde, dass die Bezeichnung des Inventars : ,,drei
Figuren und zwei Kinder" vollständig gerechtfertig erscheint. Trotz-
dem es sehr gelitten, trägt das gewaltige Werk Michelangelos Geist,
Formensprache und Technik noch deutlich zur Schau.
Erhalten ist uns nun aber auch eine unerfreulich harte und un-
geschickte Gemäldekopie in der Casa Buonarroti, in der
,,Descrizione" der Galerie von dem jüngeren Michelangelo als ,,bozza
di mano di Michelangelo" bezeichnet (Fanfani S. 17). Ich stehe nicht
an, in dem Maler Ascanio Condivi zu erkennen, denn offenbar
handelt es sich um die von Daniele da Volterra erwähnte Kopie.
Sie entspricht dem Karton, nur enthält sie noch zwei weitere Köpfe,
so dass die Gesamtzahl der Figuren zehn ist.
Die Mitte der Darstellung nimmt die mächtige Gestalt der
Maria ein. In ein Untergewand, ein helles, an der rechten Schulter
herab gerutschtes Obergewand und einen Mantel gekleidet sitzt sie
440 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
en face , hält mit der Rechten an einem Gängelband das Christ-
kind, das, auf einem Kissen am Boden gekauert, sich zwischen
ihren Beinen einschmiegt, und berührt mit der Linken den rechts
hinter ihr stehenden Joseph, der, seitwärts gewandt, auf sie schaut,
die Arme über der Brust gekreuzt hat und den Zeigefinger der
Linken an den Bart legt. Sie schaut auf einen jugendlichen nach
vorne schreitenden Mann, der — dem Adam im Jüngsten Gericht
in der Haltung sehr ähnlich — sie anschaut , die Linke sprechend
zum Beschauer bewegt und mit der Rechten sein Gewand am rechten
Beine hält. Rechts unten vor Joseph schreitet der kleine Johannes;
auf Christus blickend weist er mit der Linken auf Maria und hält
in der erhobenen Rechten einen Stab (wohl den Kreuzesstab).
Zwischen den Köpfen der Jungfrau und des Jünglings schaut ein
älterer, in ein Tuch gehüllter Frauenkopf hervor. Hinter dem Jüng-
ling werden zwei ältere Köpfe : ein bartloser und ein bärtiger sicht-
bar. Links neben Joseph zwei bärtige Köpfe: der ältere vordere
mit einer Kappe.
Erinnert die Gruppe der Maria mit dem Kinde an das eine,
von Jugend an geliebte Hauptmotiv Michelangelo 'scher Madonnen-
darstellung und gemahnt der Joseph an das ,,Silenzio" und an die
Pariser Studie zur hl. Familie (s. oben II, S. 433, Nr. X), so zeigt
die gesamte Komposition doch einen ganz neuen, nie zuvor in der
Renaissancekunst gebrachten Gedanken. Wer sind die anderen Ge-
stalten.?' Was ist der Sinn der Darstellung.?
Sie wird ,,Epifania" genannt, dies würde die Annahme hervor-
rufen, es sei die ,, Anbetung der hl. drei Könige" gemeint. Von
einer eigentlichen Anbetung aber ist Nichts zu sehen, und es sind
nicht drei, sondern sechs Figuren ausser der hl, Familie gegeben.
Epiphania muss also hier in einem weiteren Sinne — ganz in des
Künstlers Geist, der an die Stelle des Historischen das Symbolische
setzte — aufgefasst sein, in dem alten Sinne der Offenbarung
Christi als des Gottessohnes vor den Heiden überhaupt, als deren
Vertreter im Epiphania- oder ,, Erscheinungsfest" die drei Magier
betrachtet wurden. Die Gestalten, die sich um die Madonna ver-
sammelt haben, dürften also die ,,im Dunkeln" Wandelnde sein,
denen der Stern, das Licht des Heiles, aufgeht. Wer anders könnte
dann der jugendliche Mann links, der die Handbewegung des
Propheten Ezechiel in der Sixtina macht, sein, als der Prophet des
Epiphaniasfestes, Jesajas, den man ja auch in dem frühesten Madonnen-
bilde, dem der Katakomben von Priscilla, auf den Stern weisend,
zu erkennen glaubt. Er war es, der sagte: ,,das Volk, so im
Finstern wandelt, siehet ein grosses Licht, und über die da wohnen
im finstern Lande, scheint es helle" (9, 2). Und folgen lässt:
,,denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches
Der Karton „Epifania" 441
Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heisst Wunderbar, Rath,
Kraft, Held, Ewig -Vater, Friedefürst; auf dass seine Herrschaft gross
werde, und des Friedens kein Ende, auf dem Stuhl Davids und
seinem Königreich" (9, 6. 7). Und im Anfange des 60. Kapitels:
,, Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt, und die
Herrlichkeit des Herrn gehet auf über dir. Denn siehe, Finsterniss
bedeckt das Erdreich, und Dunkel die Völker ; aber über dir gehet
auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheinet über dir. Und die
Heiden werden in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanz,
der über dir aufgehet." Und: ,,ich habe dich auch zum Licht der
Heiden gemacht" (49, 6). Und: „Es wird eine Ruthe aufgehen
von dem Stamm Isais und ein Zvi^eig aus seiner Wurzel Frucht
bringen" (11, i). Und: ,, Siehe, eine Jungfrau ist schwanger, und
wird einen Sohn gebären, den wird sie heissen Immanuel" (7, 14).
Sehen wir in dem Jüngling Jesajas, so ergiebt sich, meine ich,
die weitere Deutung. Die Einfügung des Johannes erklärt sich.
Hat doch Jesajas auch Diesen prophezeit: ,,Es ist die Stimme eines
Predigers in der Wüste: bereitet dem Herrn den Weg, machet
auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserm Gott" (40, 3), wobei
auch zu bemerken wäre, dass die Taufe Christi seit altchristlicher
Zeit als ,,Theophanie" mit der Epiphanie in nahe Beziehung ge-
setzt ward. Es erklärt sich die Bewegung der linken Hand Marias,
Berenson, der in dem Jüngling einen Evangelisten sah, meinte,
Maria wolle Joseph daran verhindern , Diesen zu unterbrechen ! !
Die Bewegung bezieht sich auf die Worte des Jesajas: sie deutet
auf die Verwirklichung der Verheissung, dass aus Davids Ge-
schlecht der Herr kommen werde. Es erklärt sich endlich all-
gemein der Charakter der hinteren Figuren: es sind Vertreter der
vorchristlichen Menschheit.
Im Einzelnen sie zu beneinnen, hat nun freihch seine Schwierig-
keit. Fassen wir den Karton in's Auge , auf dem nur drei Ge-
stalten zu sehen sind, dürfte man sicher berechtigt sein, in diesen
die drei Könige des Epiphanienfestes zu erkennen. Aber Condivis
Kopie zeigt fünf Figuren.
Hier ist nun zu sagen : Condivi fertigte sein Bild mit Wissen
Michelangelos an. Es ist als sicher anzunehmen, dass Dieser selbst
die Bereicherung, die auch aus kompositionellen Gründen wünschens-
werth erschien , angegeben hat , denn die Frau hinter Maria war
gewiss nicht des unbedeutenden Schülers Schöpfung. Demnach er-
weiterte der Meister selbst seinen ursprünglichen Gedanken, mag
er nun mit jenen drei Männern die drei Könige oder Propheten
oder Ahnen Christi gemeint haben. Die Frau kann nur Anna oder
eine Sibylle sein. Ich möchte zur letzteren Ansicht neigen, und
man könnte, falls sie richtig, an die Libica denken, der das Wort
442 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
in den Mund gelegt ward: „und es wird ihn die Jungfrau, die
Herrin der Völker, im Schoosse halten." Auf den Versuch einer
Namengebung für die vier Männer verzichtet man wohl besser, da
es bei willkürlichen Vermuthungen bliebe. Würde man, wie be-
rechtigt, willig sein, in den zwei Gestalten links und in dem Alten
rechts (die im Karton angegeben sind) die drei orientalischen
,, Magier" zu gewahren, so gelangte man vielleicht dazu, den vierten
hinter dem Alten befindlichen, der den Zügen, dem Haar und
dem Bart nach antikisch wirkt, für den Vertreter der grossen grie-
chischen Kultur zu halten.
Jedenfalls ist der Sinn der Darstellung uns nunmehr klar ge-
worden, und mit Ergriffenheit erkennen wir in dem späten Werke
eine Zusammenfassung gleichsam der Gedanken- und Gestaltenwelt
der Sixtinischen Decke. Aber was dort nur wie die Frage bangen
Sehnens und Wartens erklang, schliesst hier die Antwort in sich
ein. Inmitten von Propheten, Sibyllen, Heiden und Königen voll-
zieht sich die Epiphanie !
Der Karton gehört, in den Typen und Verhältnissen der
Figuren den Fresken der Cappella Paolina nächstverwandt, un-
zweifelhaft zu den spätesten Schöpfungen des Meisters. Er muss
in den fünfziger Jahren entstanden sein, und zwar vor 155^) ^^
Condivi in diesem Jahre des Annibale Caro Nichte, Porzia, heirathete
und Rom verliess, um in seine Heimath zurückzukehren. Freilich
wissen wir nicht genau, ob er nicht zu kürzerem Aufenthalte später
noch nach Rom zurückgekehrt ist, das Wahrscheinlichere aber
bleibt, dass er den Karton vor 1556, als er noch Hausgenosse
Michelangelos war, kopirt hat. In diesem merkwürdigen Werke
schliesst Dieser seine Beschäftigung mit dem Thema der Madonna ab.
Mit der ,, Epiphanie" stehen nun aber andere Skizzen Michel-
angelos in nahem Zusammenhang. Ich erwähnte sie schon : es
sind die Apostel- oder Prophetenfiguren, die sich auf Haarlemer
Blättern mit Skizzen für die Peterskuppel befinden und die, wie
wir annehmen mussten, für deren malerische Ausschmückung be-
stimmt waren (s. oben II, S. 167 f., Nr. I — IX). Ist es nur eine
allgemeine Verwandtschaft, welche die Studien I und IV mit dem
Jesajas des Kartons verbindet, so ist die Figur VI Diesem so ähn-
lich, dass man geradezu sagen kann, sie sei von Michelangelo,
als er den Kuppelschmuck skizzirte , dem Karton entnommen
worden. Oder benutzte er die Skizzen für den Karton ? Das wäre
nur denkbar, wenn jene Zeichnung für die Kuppel nicht, wie
V. GeymüUer annimmt, 1559, sondern schon Anfang der fünfziger
Jahre entstanden wäre. Ich halte dies nicht für undenkbar, da ich,
wie ich früher auseinandersetzte (II, S. 209), die auf dem Blatte
befindliche Portalstudie nicht als direkten Entwurf für die Porta
Das Opfer Isaaks 443
Pia, worauf v. Geymüller seine Datirung stützte, ansehen kann. — ■
Übrigens kommt auf die Entscheidung dieser Frage nicht sonderUch
viel an, —
Von Condivis künstlerischer Thätigkeit hat man bis jetzt sehr
undeutliche Vorstellungen. Bewährt sich meine Annahme, dass
er die Kopie des Kartons in der Casa Buonarroti ausgeführt hat,
so ist er auch der Verfertiger zweier Bilder, die ich in der Am-
brosiana zu Mailand fand (Ignoto Toscano). Das eine stellt Christus
mit der Weltkugel überlebensgross dar, hinter ihm die Köpfe von
zwei anbetenden Engeln, das andere Maria mit dem Kinde und
der hl. Anna. Sie verrathen das gleiche Ungeschick.
vn
Das Opfer Isaaks
Ein grossartiger Entwurf dieser Darstellung, in Kreide aus-
geführt, befindet sich in der Casa Buonarroti XIV, 70. Thode 62.
Ber. 141 7. Abb. Ricci: Michelange p. 89. Steinmann: Sixt. Kap.
II, S. 625, 30. Phot. Alin. 1012. Steinmann glaubte, er sei für das
Bronzemedaillon der Sixtina bestimmt gewesen, doch sei dann an
seine Stelle ein anderes getreten (s. oben I, S. 264, Nr. XCV). Ich
halte, wie Berenson (I, 223), die Zeichnung für später. Die Kühn-
heit und Kunst der Komposition sucht ihres Gleichen. Auf einem
viereckigen Steinaltar kniet auf dem linken Beine, das rechte über
Holzscheite gekrümmt, der Knabe mit, wie es scheint, im Rücken
gefesselten Armen. Mit dem Schmerzensausdruck eines Laokoon-
sohnes schaut er nach links oben. Über ihn beugt sich, offenbar
mit dem rechten Beine auf dem Altar knieend, das Hnke fest auf
den Boden gestellt, der langbärtige Abraham und zückt gegen
den Rücken Isaaks das Messer, indessen er mit der anderen Hand
Dessen linken Arm fasst. Ein von links heranschwebender Engel,
ihm ganz dicht in's Auge schauend, packt den Alten am Arm und
weist mit der Linken in die Höhe, von wo er die Rettungsbotschaft
empfängt. Links ist flüchtig ein Ziegenbock angedeutet. — Man
sieht förmUch, wie unter der suchenden und findenden Hand, in
die Höhlung von Abrahams Körper einbezogen, das Bewegungs-
motiv des Knaben entsteht. Der Vergleich mit dem Bronze-
medaillon, wo die zwei Figuren neben einander geordnet sind, zeigt
den bedeutendsten Fortschritt.
War es irgend ein uns unbekannter Wunsch , dem Michel-
angelo durch diese Zeichnung zu entsprechen bemüht war oder
sollte sie irgend einem begünstigten Maler zu Gute kommen? Es
wäre möglich, dass er zur Behandlung des Vorwurfes durch den
/j/j/] Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Auftrag angeregt wurde, den 1530 der ihm ja befreundete Giovanni
Battista della Palla an Andrea del Sarto ergehen Hess. Das
Opfer Abrahams , das Letzterer damals ausführte , heute in der
Dresdener Galerie, war für Franz I. bestimmt, gelangte aber nicht
an ihn , sondern ward später von Filippo Strozzi erworben. In
eben jene Zeit, nicht wie Berenson meint, in die letzte Periode
muss ich den Entwurf versetzen. Ob ihn Andrea gekannt hat.?
Auch in seinem Bilde knieen Abraham und Isaak beide auf dem
Altar, doch zeigt sich im Übrigen keine Abhängigkeit. ■ — Es hiesse
wohl zu weit gehen, wollte man die Hypothese aufstellen, Palla
habe sich zuerst, ehe er Sarto aufgefordert, mit seiner Bitte an
Michelangelo gewandt, und Dieser habe sich wenigstens durch eine
Zeichnung gefällig erweisen wollen. Der Gedanke drängt sich mir
auf, bedenke ich, dass Michelangelo, der Gönnerschaft Franz' I.
gewiss, 1529 von Venedig aus mit Palla nach Frankreich gehen
wollte.
VIII
Die Eherne Schlange
Ich habe oben gelegentlich des Freskos in der Sixtina die
figurenreichen Kompositionen einer solchen Darstellung erwähnt
(I, S. 251). Inzwischen hat Frey, der die Oxforder Zeichnung
publizirte (51), die Ansicht ausgesprochen, sie gehöre nicht in die
Zeit der Sixtinischen Deckenmalereien, sondern in jene der für
Cavalieri ausgeführten Blätter. Ich gebe ihm, nach erneuter Prüfung,
Recht und erwähne die Entwürfe nochmals an dieser Stelle, indem
ich für das Einzelne auf jene früheren Ausführungen verweise.
IX
David und Goliath
Im Besitze von Mr. Fairfax Murray in London (Thode 367a.
Frey ']6) befinden sich vier kleine Kreideskizzen zu einer Kampf-
szene, in welcher ein zu Boden gestürzter Riese von einem
hinter ihm stehenden kleineren Jüngling in gebeugter Stellung am
Halse gepackt und mit der erhobenen anderen Hand bedroht wird.
In der Haltung der Figuren sind kleine Verschiedenheiten. Auf
dem einen Blatte tritt der Jüngling mit dem rechten Beine über
das rechte des Gestürzten und packt, statt wie sonst mit der
Rechten, mit der Linken den Kopf und erhebt die Rechte zum
Schlagen. Fairfax Murray, der zwei der Skizzen in seiner ,,Selection
from the drawings of old masters", London 1904, Taf. 32 publizirte,
Simson und Dalila 445
sieht hier Entwürfe für das Fresko in der Sixtina. Frey hat dies
bestritten und sie in eine spätere Zeit verlegt , worin ich ihm,
kenne ich auch die Originale nicht , durchaus beistimmen muss.
Für verfehlt aber halte ich seine Deutung der Darstellung als des
Kampfes Simsons mit einem Philister. Wie könnte man in der
kleinen Gestalt den Herkules -Simson erkennen? Und wenn
Frey auf die sogenannten Simsonskizzen in Oxford (s. oben II,
S. 377), mit denen die Darstellung Ähnlichkeit hat, verweist, so
haben wir ja schon gesehen, dass dort nicht Simson dargestellt
ist, sondern Studien für den ,, Traum" zu gewahren sind. Ich muss
daher an der Bezeichnung: ,, David und Goliath" festhalten und
halte es für wahrscheinlich , dass die Entwürfe für Daniele da
Volterra bestimmt waren, der in seinem Bilde im Louvre Nr. 3,
das einst den Namen Michelangelos trug, den Vorgang ähnlich
dargestellt hat. Schon Mariette erklärte, es sei nicht von dem
Meister, vielleicht aber sei eine Zeichnung Desselben benutzt worden,
und erwähnt von B. Audran angefertigte Stiche. (Bottari : Racc.
II, 290.)
X
Simson und Dalila
In Oxford, Univ. Gall. Nr. 55 (Thode 434. Br. 171 8. Abb.
Fisher II, 10) wird ein Entwurf zu einer solchen Darstellung auf-
bewahrt. Berenson meint , es sei eine Skizze von Raffaello da
Montelupo oder Antonio Mini nach einer Vorlage von Michelangelo,
und es scheint in der That zweifelhaft, ob wir des Meisters eigene
Hand hier erkennen dürfen. Nach wiederholter und langer Be-
trachtung schien mir dies doch nicht ausgeschlossen. Jedenfalls ist
es eine Konzeption Michelangelos.
Mit den Armen sich auf den Boden stützend, das rechte Bein
über das linke gestellt, liegt, am Kopf der Haare beraubt, Simson,
den für die Medicigräbern geplanten Flussgöttern vergleichbar.
Auf seiner Hüfte kniet die viel kleinere nackte Gestalt des Weibes,
das sich mit dem linken Arm auf seinen Rücken aufstützt und, nach
hinten sich umdrehend , mit erhobener Hand die Philister herbei-
ruft. Die in seltsamer Weise den Riesen kennzeichnende Dar-
stellung ist von unheimlich prägnanter Wirkung. Die formale Idee
einer Gruppe von zwei in den Verhältnissen verschieden grossen
Gestalten ist auf die des ,, David und Goliath" in der Sixtina zu-
rückzuführen. Die Komposition vergleicht sich derjenigen der
,, Venus mit Amor", was Berenson zu der Ansicht verleiten konnte,
die kleine Skizze für letzteres Bild in London (1859 — 6 — 25 — 553.
Thode 295. Br. 1504. Fagan LH) als Simson und Dalila zu deuten.
446 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Hierfür spricht scheinbar der Umstand, dass die liegende Figur in
der Skizze männlich ist. Aber für die Darstellung nackter weib-
licher Figuren hat sich Michelangelo öfters eines männlichen Modelles
bedient , und , abgesehen davon , dass die Haltung des Liegenden
ganz derjenigen der Venus entspricht und in ihrer Lässigkeit für
einen Simson nicht passt, ist es unmöglich, in der Kinderfigur
hinter ihren Füssen Dalila zu erkennen.
Erwähnen möchte ich, dass Berenson in der Studie zum Unter-
körper einer Figur auf der Rückseite des Blattes mit der gross-
artigen Maske in Windsor (Thode 535. Br. 1610) Ähnhchkeit
mit dem Simson in Oxford findet.
In die gleiche Zeit, wie die Venus, möchte ich den Simson-
entwurf versetzen , auch in ihm , in der Behandlung des Problems
der liegenden Gestalt ist der Zusammenhang mit den Medicifiguren
zu gewahren. Auch in ihm offenbart sich des Künstlers Verweilen im
Bereiche des ,, Riesenheims". Die Beschäftigung mit der Gruppe des
„Simson und die Philister" mag ihn auf den Gedanken geführt haben.
XI
Das „Noli me längere" 1531
Am II. April 1531 (nach Freys zutreffender Berechnung)
schreibt Figiovanni in Florenz an den gleichfalls in Florenz befind-
lichen Michelangelo :
„Ich möchte Euch nicht lästig fallen; doch muss ich Euch
durch diesen Brief melden, dass der ehrwürdigste Erzbischof von
Capua von Neuem Euch sagen lässt, dass, wenn Ihr jenem Herrn
den Dienst erweisen wollt, der Papst ihn als ihm selbst geschehen
betrachten wird, und so bittet er Euch von Neuem, ihm den Wunsch
zu erfüllen , ohne Euch jedoch zu belästigen , und zwar auf Lein-
wand oder auf Holz nach Eurem Belieben. Entsprecht Ihr seinem
Wunsche in der Wahl des Vorwurfes, so ist er mit Allem einver-
standen , seien die Figuren gross oder klein. Nichtsdestoweniger
aber denkt daran, dass das Bild nahe gesehen sein will, sei es in
kleinem Räume oder in einem Saale oder in der Kirche . . . Und
weiter will Seine Ehrwürdigste Signoria hierüber Nichts sagen ; Alles
sei Euch überlassen. Von mir aus aber sage ich: würde es Euch
gefallen, eine Skizze in Kreide oder auf einem grünen Blatt auf-
gehöht zu machen und zu senden, so meine ich, wäre das gut . . .
Der Ehrwürdigste Capua schrieb , nachdem er von Euch das Ja-
wort erhalten, an den Marchese, dass Ihr begierig wäret, seinen
Wunsch zu erfüllen und ihm zu Eurer eigenen Genugthuung und
zu seiner Freude zu Diensten zu sein, und Seine Ehrwürden sagte :
Das „Noli me tangere" 1531 447
dies kann Michelangelo nur zu Gute kommen." (Frey, Dicht. S. 508,
Reg. 25. Figiovannis unartikulirte Briefe wörtlich zu übersetzen, ist
unmöglich, man kann, will man den Sinn verständlich machen, nur
ungefähr an den Wortlaut sich halten.)
Der Besteller des Gemäldes war Alfonso Davalos , Marchese
di Guasto, einer der Truppenführer im kaiserlichen Heere, der
Vorwurf des Bildes das ,,Noli me tangere". Dies sagt uns der
folgende Brief, aber auch Vasari im Leben des Michelangelo und
in dem des Pontormo , wo er seinerseits bemerkt , den Vermittler
habe Fra Niccolö da Magna, d. li. Nicolaus von Schomberg, Gouver-
neur von Florenz (Erzbischof von Capua) , gespielt. Figiovanni
schreibt im Spätsommer oder Herbst 1531:
,, Seine Excellenz von Capua sandte heute Morgen nach mir
und sagte mir : Seine Excellenz der Herr Marchese del Vasto wird
heute Abend oder morgen hier eintreffen. Euer Michelangelo wird
damit einverstanden sein, dass er seines heiligen Werkes Figuren
(offenbar die Medicistatuen) und das Magdalenengemälde sehe.
Ich erwiderte ihm, Ihr wünschtet nicht weniger Seiner Excellenz,
als dem Papste zu Willen zu sein , und würdet dem Befehl , die
Werke zu zeigen und ihm sein geliebtes Bild zu geben. Euch nicht
entziehen. Er beschwor mich mit aller Gewalt, ich solle ihm sagen,
ob ich wüsste, ob die Tafel der Magdalena in Farben ausgeführt
wäre. Worauf ich, bezüglich der Farben und des Geschmackes,
nichts Anderes zu erwidern wusste , als dass der Karton beendet
sei, und Michelangelo habe ein Wunder gethan, ihn so schnell aus-
zuführen und dabei so gut , dass es ein würdiges Werk sei. Ist
das, was ich gesagt. Euch recht, so macht es mir Freude; wenn
nicht, so verzeiht mir." (Frey: Dicht. S. 508. Reg. 27.)
Die direkten Verhandlungen des Künstlers mit dem Marchese
führten dazu, wie Vasari erzählt, dass auf des Ersteren Rath Davalos
den Karton von Pontormo in Farben ausführen Hess. Dass dies
in Michelangelos Atelier geschehen sollte, sagt eine Stelle in einem
Briefe Figiovannis (kurz nach dem 27. Okt., Frey S. 509. Reg. 28):
,,der ehrwürdigste Erzbischof von Capua freute sich sehr, als ich
ihm sagte , Ihr wünschtet , der Meister Maler solle die von Euch
gemachte Zeichnung in Eurem Hause ausführen."
Derselbe Pontormo fertigte nach dem Karton noch ein zweites
Gemälde an : „als Jacopo das Werk vollendet hatte, wurde es wegen
des grossen Stiles der Michelangelo'schen Zeichnung und des
Kolorites Jacopos für ein seltnes Werk gehaken. Der Herr Alessandro
Vitelli, der damals in Florenz Hauptmann der Garde war, Hess sich
daher von Jacopo ein Gemälde nach dem gleichen Karton machen,
das er nach Cittä di Castello sandte und dort in seinem Hause
aufhängen Hess." (Vasari VI, 277.)
448 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Eine dritte Kopie des Kartons, der in den Besitz des Herzogs
Cosimo gelangte, machte Battista Franco. „Da er in derselben
Guardaroba (des Herzogs) Michelangelos Karton des Noli me tangere,
den schon Pontormo gemalt hatte, sah, machte er sich daran, einen
gleichen Karton , aber mit grösseren Figuren , anzufertigen. Und
dies geschehen, malte er ein Bild, in dem er im Kolorit grosse Fort-
schritte machte. Und der Karton, den er genau nach dem des
Buonarroto zeichnete, war sehr schön und mit grosser Liebe aus-
geführt."
Keines der drei Bilder ist heute bekannt — die Hoffnung, dass
wenigstens eines sich wird wiederfinden lassen, besteht. Erst dann
wird es sich bestimmen lassen, ob Berenson und Frey Recht haben,
wenn sie zwei Studien auf einem Blatte im Besitze des Mr. G. T.
Clough in London (Thode 367. Br. 1539. Abb. Frey J^J und 78)
auf den der Magdalena erscheinenden Christus beziehen. Dargestellt
ist auf der Vorderseite ein gewandeter Jüngling, der, nach vorne,
etwas nach links, in leicht bewegter Haltung ausschreitend, den er-
hobenen rechten Arm nach links ausstreckt, die Linke sprechend
bewegt und, den Kopf fast im Profil, nach rechts schaut. Daneben
ist der linke Arm zweimal skizzirt , das eine Mal in der gleichen
Haltung: hier hat die Hand die Bewegung des Weisens mit dem
Zeigefinger — das andere Mal in gesenkterer Stellung, die Hand
geöffnet, ähnUch wie die des Jesajas in der ,,Epiphania". Dass
rechts von dieser Figur eine knieende Gestalt, wie die der Magdalena,
geplant war , dünkt mich wenig wahrscheinlich. Man ergänze sie
sich in Gedanken und man wird sehen , dass sich keine Michel-
angelos Art entsprechende Komposition ergiebt. Auch entspricht
die Bewegung der linken Hand nicht dem Vorgang: sie ist nicht
abwehrend. — Auf der Rückseite ist ein nackter, nach vorne schreiten-
der Mann dargestellt. Er neigt sich mit dem Oberkörper etwas
nach rechts , schaut , den Kopf im Profil , eben dorthin , hält die
Linke vor der Brust und streckt den erhobenen Arm nach links
aus. Daneben zweimal eine linke Hand, nach vorne mit dem Zeige-
finger deutend. Hier könnte man sich eine Magdalena wohl hinzu-
denken. Wieder aber entspricht die Handbewegung nicht dem Geist
des Vorganges.
Sprechen schon diese Bedenken gegen die Annahme der beiden
Forscher, so wird sie nach meinem Dafürhalten geradezu unmög-
lich gemacht durch den Stil der Studien. Dieser weist in der eigen-
thümlichen Weichheit der Zeichnung und Behandlung auf die
späteste Schaffenszeit des Meisters hin, auf die Entwürfe zum
Christus am Kreuz und vor Allem auf die früher besprochenen
Skizzen zur Bemalung der Kuppel von S. Peter, mit denen die
zwei Gestalten in der Bewegung und in der Haltung der Arme
Die Auferstehung Christi aaq
und Hände die allernächste Verwandtschaft zeigen. (S. oben II, 169.)
Ich halte es für sehr wahrscheinlich , dass es Entwürfe für den
Karton : „Christi Abschied von der Mutter" sind (s. unten).
In einem Gemälde des Louvre hat Angelo Bronzino das ,,Noli
me tangere" dargestellt. Es wäre wohl mögHch, dass er an Pon-
tormos Bild angeknüpft und die Hauptmotive übernommen hat.
Sehen wir von manieristischer Übertreibung ab, erscheinen die Be-
wegungen Michelangelesk.
XII
Die Auferstehung Christi
Auf das Eingehendste hat sich Michelangelo im Anfang und
Mitte der dreissiger Jahre und dann später mit einer figurenreichen
Darstellung der Auferstehung beschäftigt. Die wichtigsten Studien
in Paris, London und Windsor sind schon von Springer, dann von
Berenson zusammengestellt worden. Zwei Gruppen , und in jeder
zwei Varianten , möchte ich unterscheiden. Für die erste ist der
dem Grab entsteigende , für die zweite der schwebende Christus
charakteristisch.
Erste Gruppe: der dem Grab entsteigende Christus.
A. Christus tritt auf den Boden.
I. Paris, Louvre 112. Thode 464. Ber. 1580. Abb. Frey 40.
Phot. Br. 51. Giraudon 86. Röthel. Christus in grosser, sich
drehender Bewegung des Oberkörpers nach links , die Arme
gen Himmel streckend und nach oben schauend, steigt, von
dem Leichentuch umflattert, aus einem niedrigen Sarkophage.
Mit dem rechten Beine ist er herausgetreten, das linke ist
noch im Grabe. Auf dem Sarkophagdeckel lag ein Wächter (a),
der nun , da jener sich von selbst hebt , fallend an ihn sich
klammert , das linke Bein über ihn erhoben. Vorne liegt
ein zweiter (b) , mit den Armen aufgestützt , und schaut , aus
dem Schlaf erwachend , erstaunt zu Christus empor. Neben
ihm flüchtet ein dritter, weit ausschreitend, nach hinten (c).
Links von Christus sitzt gekauert schlafend der vierte (d) und
hinter ihm richtet sich der fünfte (e) auf. Zwei andere Figuren
sind hinter dem Grab nur allgemein angedeutet.
Diese flüchtige , aber geistvolle und energische Skizze wird in
der folgenden Zeichnung weiter ausgebildet und gelangt zu einer
so sorgfältigen, vollkommenen Ausführung, wie die Cavalieri-
zeichnungen.
%* -29
450 Gemälde, Zeichnungen und Entwürie religiösen Inhaltes
n. Windsor. Thode 537. Ber. 612. Phot. Br. 104. Röthel.
Die Komposition erscheint nach beiden Seiten bereichert. Der
aus dem Grabe steigende Erlöser ist fast genau so wie in I,
nur sind die Arme noch höher über den Kopf erhoben. Der
Wächter a ist beibehalten, doch ist seine Stellung etwas ver-
ändert. Der Liegende b ist weiter nach rechts versetzt und
im Gegensinne gegeben , so dass sein Kopf links befindlich.
Auch den Davoneilenden c finden wir. Hinzugefügt aber
sind auf der rechten Seite drei Gestalten. Die eine schlafend
liegt platt auf dem Boden längs der rechten Sarkophagwand,
die zweite neben ihr erhebt sich, nach hinten gewandt, eben
auf das rechte Knie, den Schild in der Linken. Die dritte,
rechts von dem Davoneilenden, sitzt schlafend, Hand und Kopf
auf den Schild gestützt. Im Hintergrunde ausserdem der
Oberkörper eines erschreckt Auffahrenden. Auf der von
Christus aus linken Seite sind an Stelle der zwei vier Sol-
daten gekommen : vorne ein schlafend auf dem Rücken Liegen-
der, den Kopf auf einem Stein oder Bündel, hinter ihm,
vom Rücken gesehen , der zweite Schlafende , den rechten
Arm und den Kopf auf den Schild gelehnt, ein dritter mit
dem Helm auf dem Haupt an die hintere Wand des Sarko-
phages gelehnt, und noch weiter zurück ein nach hinten Eilen-
der, den Kopf nach Christus umdrehend. Noch ein anderer
Laufender ist flüchtig angedeutet und Einer, der erschreckt
mit den Händen an den Kopf fährt. Hinter dem Sarkophag
ein emporschauender Kopf. Im Hintergrund ist Felsen an-
gedeutet. Ein Meisterwerk der Komposition, reich an herr-
lichen Motiven, ist entstanden. Zwei grossartige geschlossene
Gruppen rahmen die Hauptszene in der Mitte ein. Jede
einzelne Figur ist ein Wunderwerk plastischer Wirkung im
Helldunkel. Die Weichheit der Übergänge von Schatten zu
Licht gemahnt an die Bogenschützen und die Herkulesthaten.
Deutlich bereitet sich die reiche malerische Wirkung der
späten Pietädarstellungen vor.
B. Christus halb stehend, halb schwebend über dem Grabe.
m. Windsor. Thode 542. Ber. 1616. Abb. Ber. pl. CXLI.
Frey 8. Phot. Br. 105. Kreide. Hier ist Christus dem Grabe
fast entrückt. Sein linker Fuss entschwebt eben dem Sarko-
phag, der rechte erhobene berührt rückwärts den Deckel, der
von hinten an den Sarkophag gelehnt ist. Das Motiv der
Bewegung des Oberkörpers — der gebogene Oberleib, die
erhobenen Arme, der emporschauende Kopf, das ihn um-
flatternde Gewand — , ist noch das von I und 11. In der Los-
Die Auferstehung Christi aci
lösung der Gestalt vom Boden, in dem Übergang zum Schweben
aber zeigt sich deutlich eine gesteigerte, höhere und freiere
Fassung des Vorwurfes. Ich kann nicht anders annehmen,
als dass diese Gestaltung aus jener von I und II hervorgegangen
ist. Die Zeichnung ist sehr durchgeführt, von grösster Energie
und Herrlichkeit. — Eine dem Daniele da Volterra zu-
geschriebene Kopie befindet sich im Louvre Nr. 301.
In den beiden folgenden Zeichnungen erscheint die gleiche
Vorstellung des Sicherhebens Christi über das Grab. Michelangelo
hält an Dessen Stellung fest, doch wird dem Erlöser jetzt die
Kreuzesfahne gegeben.
IV. Oxford 49. Thode 432. Auf der Rückseite des Blattes mit
dem Grundriss der Reliquienkammer in S. Lorenz© befindet
sich eine bisher nicht beachtete Kreideskizze, die ich unbedingt
als eine Studie für den Auferstehenden ansehen und in direkten
Zusammenhang mit den beiden folgenden setzen muss. Die
Stellung des Unterkörpers ist die gleiche , aber die Haltung
des Oberkörpers aufrecht. Die erhobene linke Hand weist
nach oben, die Rechte hält senkrecht die Fahnenstange. Die
Datirung des Grundrisses auf 1531, 1532 giebt die zeitliche
Bestimmung.
V. London, British Museum. 1887 — 5 — 2 — 119 (Geschenk von
Henry Vaughan). Thode 338. Ber. 1507A. Kl. Abb. Stein-
mann: Sixtinische Kapelle II, S. 530. Frey 110. Kreide.
Christus erhebt hier die Rechte nach oben und hält , nach
unten schauend, mit der über die Brust gelegten Linken schräg
an der rechten Schulter und dem Kopf vorbei die Sieges-
fahne. Vor dem Grabe liegt schlafend ein Krieger, links
hockt, in Schlaf versenkt, ein zweiter, ein dritter, rechts hinter
dem Grab sitzend, schaut empor (hinter ihm noch ein anderer
Kopf angedeutet).
VI. Windsor. Auf der Rückseite des Blattes mit dem Tityos.
Thode 541. Ber. 161 5. Kreide. Christi Stellung ganz ähnlich
wie in III, nur im Gegensinne. Und der rechte Arm ist hier
nach unten gestreckt , indess die hoch erhobene Linke die
Fahne hält. Nur ein Wächter ist rechts angedeutet.
VU. Florenz, Casa Buonarroti XIII, 66. Thode 58. Ber. 1667.
Phot. Alinari 1048. Flüchtige Kreideskizze. Berenson leugnete,
unrichtiger Weise, die Ächtheit. Steinmann erwähnt sie ge-
legentlich des Christus des Jüngsten Gerichtes (S. 605 A) und
macht mit Recht darauf aufmerksam, dass sie an die Auf-
erstehungsdarstellungen erinnere. Es ist ohne Zweifel ein
Entwurf für den Auferstehenden, und zwar deutlich eine Vor-
29*
452 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Studie zu VII , die den Übergang von den eben erwähnten
bildet. Die Beinstellung ist einmal wie in III, IV und V, ein
anderes Mal ähnlich VII, Kopf und rechter Arm sind schon
wie in VII , der linke aber ist höher erhoben. Als ich die
Skizze früher (II, S. 9) erwähnte, bemerkte ich , die Gestalt sei
zuerst sitzend, dann stehend entworfen worden. Es sieht in
der That so aus , doch kann sich das Auge bei dem Durch-
einander der Linien auch täuschen. — Ähnlich ist eine andere
Studie der Casa Buonarroti XII, 61 (Thode 53).
C. Christus schwebend.
Den Übergang zu dieser Darstellung bezeichnet die Einzelfigur
der Malcolm'schen Sammlung.
Vni. London, British Museum 1895— 9— 15 — S^i- Malcolm 64.
Thode 350. Ber. 1523. Phot. Br. Exp. Ec. d. b. a. ^'j . Kreide.
Die Armhaltung — die Linke mit der Fahne erhoben, die
Rechte mit ausgebreiteter, wie schirmender Hand nach unten
gestreckt — ist wie in V. Die der Beine ist etwas verändert,
das rechte ist nicht so weit abgesperrt, sondern mehr nach
hinten gekrümmt. Noch berührt der rechte Fuss den flüchtig
angedeuteten Sarkophagdeckel, aber in so leichter Weise,
dass der Eindruck des Schwebens vollständig erreicht wird.
Der Kopf und Blick ist nach unten gerichtet. — Eine Kopie
der Zeichnung im Staedel'schen Institut zu Frankfurt a. Main,
Nr. 3976.
Können wir zwischen allen besprochenen Entwürfen einen
nahen Zusammenhang feststellen, so nimmt die folgende Kom-
position eine Stellung für sich ein.
IX. London, British Museum 1860— 6— 16— 133. Thode 328.
Ber. 1507. Abb. Lawrence Gallery 11. Symonds l, 288.
Ber. PI. CXLII. Frey 59. Phot. Br. 19. Kreide. Über dem
grossen , niedrigen , schräg gestellten Sarkophage schwebt
Christus , von langem Leichentuch im Rücken umwallt , die
Hände hoch über der Brust gekreuzt, sanft etwas nach rechts
oben empor. Der Blick seines nach links gewandten, zurück-
gelegten Hauptes geht in die Höhe, seine Füsse sind dicht
über dem Sarkophagrand. Vor dem Sarkophag liegt auf dem
Deckel, der am Boden ruht, ein Wächter auf dem Rücken,
mit den Armen sich anklammernd. Hinter ihm rechts längs
des Sarkophages sitzt gekauert ein zweiter, nach hinten sich
wendend, wo ein Dritter über den Grabesrand zu ihm
sich herabbeugt. Daneben steht Einer in vorwärtsschreitender
Bewegung, in der Linken den Schild, die Rechte erschreckt
Die Auferstehung Christi 453
erhebend und zu Christus aufschauend. Hinter ihm rechts
eine liegende Figur. — Links vor dem Sarkophag ein Wächter,
der erschreckt auf dem Boden wegkriecht und sich nach
Christus umschaut. Neben ihm links , nur angedeutet , ein
Sitzender mit Schild, und hinter ihm zwei nach hinten Laufende,
deren Einer sich nach der Erscheinung umsieht und die Arme
ausstreckt. — Im Hintergrund Felsen angedeutet. — Nur in
dem Forteilenden ist eine Beziehung zur Windsorkomposition
zu finden. In allem Übrigen zeigt sich eine durchaus neue
Erfindung. Jacobsen und Ferri (Neuentdeckte M. Zeichnungen
S. 33 zu Taf. XVII), machten darauf aufmerksam, dass einige
der Figuren der Skizze zur Ehernen Schlange in Florenz ent-
nommen seien. In der That zeigt der auf dem Sarkophag-
deckel liegende Wächter grosse Ähnlichkeit mit dem auf den
Rücken Gefallenen in der Skizze. Nur verwandt sind sich die
beiden stehenden, erschreckten Gestalten. Auch auf der
Oxforder Studie zur Ehernen Schlange finde ich die beiden
Motive ähnlich. — Eine Wiederholung der Zeichnung im
Staedel'schen Institut zu Frankfurt a. Main Nr. 3975.
Die von mir gegebene Anordnung der Auferstehungsentwürfe
entspricht meiner Vorstellung von deren zeitlicher Aufeinanderfolge.
Der Zusammenhang in der Entwicklung scheint mir so ganz er-
sichtlich zu sein. Aber auch die stilistischen und technischen Eigen-
thümlichkeiten sprechen dafür. Die beiden Zeichnungen der
Gruppe A gehören nach ihrer nahen Verwandtschaft mit den
Cavalieriblättern sicher in die ersten dreissiger Jahre. Die Londoner
Komposition muss, den schlanken Verhältnissen der Christusfigur
und der Behandlung nach, geraume Zeit später entstanden sein
(nicht schon 1533, wie Berenson will), und dies gilt auch von der
Einzelstudie in der Malcolm'schen Sammlung.
Die anderen Studien nehmen eine Mittelstellung ein: der Ent-
wurf des Tityos auf dem einen Blatte (V) weist noch auf die Zeit
der Cavalierizeichnungen hin ; die Oxforder Skizze, die 1532 anzusetzen
ist, bestätigt dies. Freys Ansetzung aller der Entwürfe in die Jahre
1534 bis 1536 (1538) ist daher nicht annehmbar: sie gehören nicht
alle unmittelbar zeitlich zu einander. Und er scheint mir die Motiv-
entwicklung ganz unbeachtet gelassen zu haben, als er annahm, die
Windsorkomposition II sei das Endresultat und als ihr vorangehend
so, den Motiven wie der Behandlung nach, verschiedene Blätter,
wie die Londoner Komposition mit dem emporschwebenden Christus
(VIII), die Vaughan'sche Zeichnung (IV), die Malcolm'sche (VII),
und die auf der Rückseite des Tityos in Windsor (V) anführte.
Eine alte Nachricht in Francesco Scanellis „Microcosmo" (Lib. I,
Cap. IV, p. 72) nennt ein Gemälde, das Venusti nach Michelangelos
454 Gemälde, Zeichnungen imd Entwürfe religiösen Inhaltes
Entwurf angefertigt. Es war dereinst im Stadthause zu Forli (vgl.
Passavant : Kunstreise S. 236). Ein solches Bild, nach dem späteren
Londoner Entwurf Nr. IX, befindet sich heute in der Sammlung des
Herrn Fair fax Murray in London.
Michelangelos Zeichnungen sich schon unter dem Einflüsse des
Umganges mit Vittoria Colonna entworfen zu denken, wie Frey
es möchte, geht nicht an, da sie vor dieser Zeit entstanden sind.
Man könnte höchstens annehmen , dass die Wiederaufnahme des
Themas in dem späteren Londoner Entwurf auf die Anregung
Vittorias zurückzuführen sei. Doch bleibt dies fraglich.
Xffl
Die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel
Der figurenreiche Entwurf zu dieser Darstellung befindet sich,
mit einigen für ihn dienenden Vorstudien, in London. Da es
sich um bedeutsame Veränderungen nicht handelt , genügt eine
kurze Anführung.
I. London, British Museum 1860—6 — 16 — 2 a. Thode 322. Ber.
15 17. Abb. Lawrence Gallery Taf 7. Kreide. Die ganze
Komposition in ihrer letzten Fassung. Auf der Rückseite :
einige der Figuren.
II. Ebendaselbst 1860— 6—16— 2 b. Thode 323. Ber. 1516.
Kreide. Es fehlen Gestalten des Hintergrundes und in einzelnen
Motiven zeigen sich Verschiedenheiten. Rückseite: einige
Figuren.
in. Ebendaselbst. 1860—6—16—20. Thode 324. Ber. 15 15.
Fagan. Auch hier nicht alle Figuren und einige Verschieden-
heiten. Rückseite: rechte Seite der Komposition mit an-
gedeuteter Architektur im Hintergrund: Bogen und spiral-
förmig kanellirte Säulen. Abb. Lawrence Call. 7.
Die Komposition von I kehrt fast genau in einem Bilde des
Venusti in der Nationalgalerie von London (Nr. I194)
wieder. Es befand sich einst in der Galerie Borghese, wurde bei der
französischen Invasion von einem Kommissär Rebord erworben, der
es an den Kunsthändler Woodburn verkaufte. Von Diesem erwarb
es Sir Th. Lawrence (Passavant: Kunstreise 112). Später war es
in der Hamilton Collection und wurde auf der Beckett-Denison-
Sale 1886 für die Nationalgalerie gekauft. Es zeigt im Hintergrunde
eine grosse Architektur, die Venusti aus den kleinen Andeutungen
auf III entwickelt hat. Die Geissei in der erhobenen Rechten, eilt
Christus in der Mitte nach vorne. Mit der Linken stösst er den
Die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel 455
Tisch um, an dem zwei Wechsler sitzen und vor (und neben) dem
zwei kauernde Figuren sich befinden. Dahinter sieht man nach
rechts flüchtend: eine Frau, die einen Korb mit Geflügel auf dem
Kopf trägt, zwei Männer, die einen Ochsen wegzerren, und einen
dritten. Rechts vorne eilt ein Mann, eine Last auf dem Kopfe
tragend, von dannen, ein anderer mit Gefässen ist auf den Boden
gefallen. Links von Christus flüchten vier Figuren: ein Mann, eine
Frau mit dem Korb auf dem Kopf, ein mit einer grossen Schale
auf dem Boden Knieender und ein Sichumschauender , der eine
Schale mit Gegenständen auf dem Kopf trägt. Ganz links fährt
ein Mann, der einen Beutel in der Hand, auf einem Tisch sitzt,
auf; neben ihm beugt sich ein Jüngling über den Tisch. (Diese
Beschreibung ist nach der Zeichnung gemacht.)
Die Zeichnungen sind in den vierziger Jahren entstanden; der
Gedanke , den Vorwurf zu behandeln , dürfte in Unterhaltungen,
die der Meister über die Reinigung und Reform der Kirche mit
Vittoria Colonna hatte, wurzeln.
Auf die , .Vertreibung der Wechsler" bezog Robinson eine
Federskizze in Oxford (Nr. 71. Thode 445. Ber. 1573), welche,
drei erschreckt einem Angriff ausweichende Männer zeigend, mit
Skizzen zusammengehört, die in der Casa Buonarroti sich befinden
(V, 17, 18. XIII, ^y. 68. VIII, 38). Berenson hielt es für möglich,
dass auch diese Studien für die ,, Vertreibung" seien (oder für die
Bekehrung Sauls). Ich wies oben (II, S. 80) diese Annahme mit
dem Hinweis darauf, dass die Gestalten alle von oben bedroht
werden, zurück und bemerkte, dass man an die ,, Bekehrung Sauls"
oder den ,, Engelsturz", vielleicht auch an die ,, Eherne Schlange"
denken könne.
Eher möglich erscheint es, zwei in Feder skizzirte Figuren
auf einem Blatt der Uffizien in Florenz (144, 618. Thode 213.
Ber. 1398. Phot. Br. 198) als Entwürfe für zwei Wechsler zu be-
trachten. Die eine, vom Rücken gesehen, sich duckend, scheint
im Laufe auf das Knie zu sinken, die andere, von vorne gesehen,
über einen Gegenstand am Boden gestürzt zu sein.
Auch einige Kreideskizzen in Oxford (Nr. 69. Thode 441.
Ber. 1571. Sidney Colvin: Sei. drawings. Phot. Br. 83) könnten, wie
Robinson bemerkte, für die Komposition gedient haben. Sie be-
finden sich auf einem kleinen Blatt, das in das grössere mit Studien
für den ,, Traum" (s. oben II, S. 377) eingefügt ist. Eine nach vorne
schreitende Figur hat Ähnlichkeit mit dem Christus, auch eine
zweite in etwas veränderter Haltung. Die anderen sind undeutlich.
Bekannt war die Komposition auch dem Maler eines Gemäldes
der Wiener k. k. Galerie (Nr. lOO, v. Engerth 541), das, nicht mit
Recht, dem Vasari zugeschrieben wird.
456 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
XIV
Die Verkündigung
Von zwei Gemälden , die Marcello Venusti nach Entwürfen
Michelangelos ausgeführt, berichtet Vasari: ,, Messer Tommaso Hess
von Michelangelo viele Zeichnungen für Freunde anfertigen, so für
den Kardinal di Cesis das Gemälde mit der Verkündigung des
Engels an Maria, eine Erfindung neuer Art, das dann von Marcello
Mantovano in Farben ausgeRihrt und in der Marmorkapelle, die
jener Kardinal in S. Maria della Face hatte errichten lassen, auf-
gestellt ward; wie auch eine andere Verkündigung, gleichfalls von
Marcellos Hand auf einer Tafel in S. Giovanni in Laterano aus-
geführt" (aus Versehen nannte ich in den Annalen S. 476 Clovio
statt Venusti). ,,Die Zeichnung hierfür besitzt der Herzog Cosimo
de' Medici, die nach dem Tode des Meisters von seinem Neffen Lio-
nardo Buonarroti Seine Exellenz geschenkt erhielt, und die Dieser
wie einen Christus , der im Garten von Gethsemane betet , gleich
Kleinodien schätzt" (VII, 272). Die Angabe bezüglich des Bildes
im Lateran und der Zeichnung wird von Vasari in dem ,, Leben
verschiedener italienischer Künstler" (VII, 575) wiederholt, und im
Leben Marcantons (V, 432) erwähnt er einen Stich Beatrizets nach
einer die Verkündigung darstellenden Zeichnung des Meisters. —
Die an Cosimo geschenkte Zeichnung für das Bild im Lateran wird
nach dem Tode Michelangelos angeführt, wie es scheint, mit noch
einer anderen oder mehreren des gleichen Vorwurfes: ,,certi disegni
piccoli di quelle Nuntiate et del Cristo che ora all'orto" (Danieles
Brief vom 17. März 1564. Gotti I, 358). Michelangelo hatte sie
Jacopo del Duca und Michele Alberti geschenkt, von denen sie
Lionardo erwarb.
/. Die Verkündigung in S. Giovanni in Laterano.
Das grosse Gemälde des Venusti befindet sich noch heute
dort in der Sakristei. In einem Gemach mit Bett im Hintergrunde
steht links, von vorne gesehen, die Jungfrau, den rechten Fuss
auf die Stufe des Betpultes gestellt, auf das sie den rechten Ellen-
bogen mit erstaunt erhobener rechter Hand stützt ; die Linke
streckt sie mit einer Gebärde, die halb begrüssend, halb die Bot-
schaft aufnehmend ist, nach dem Engel aus, der sie mit gesenktem
Kopf anschaut. Sie trägt ein rothes, enganliegendes Untergewand
und einen hellblauen, in einem Bausch um die Hüften gelegten
Mantel. Das Haar ist über dem Ohr in einen Zopf geflochten
und von einem grauen Tuch bedeckt, das durch einen diadem-
artigen blauen Wulst (mit dem uns aus Zeichnungen wohlbekannten
Die Verkündigung Atn
Ohrzipfel) umfasst wird. Beschwingten Laufes eilt, von rechts
hinten herkommend, der schlanke, grosse Engel mit blauen Flügeln
auf sie zu, die Rechte mit erhobenem Zeigefinger nach ihr aus-
gestreckt, die Linke an dem bauschartig um die Hüfte gelegten,
wehenden, gelb und rosa schillernden Mantel, der Brust, Arme und
Unterbeine bloss lässt. Der von kurzem blonden Haar umlockte
Kopf blickt eindringlich auf Maria. Von oben kommt in gelber
Glorie die Taube.
Der Vorgang ist von geheimnissvoller Grossartigkeit: durch
den mächtigen Leib der Jungfrau geht die erhabene Bewegung
eines Empfangens. Die Hand des stürmisch nahenden Himmels-
boten scheint Leben auszuströmen, wie die Hand Gottvaters in
der Schöpfung Adams. „Das Wort ward Fleisch." — Ob Michel-
angelo selbst hier wie in der anderen Darstellung ausnahmsweise dem
Engel Flügel gegeben hat.? Das ist wohl bestimmt anzunehmen,
da später zu erwähnende ächte Entwürfe den geflügelten Engel
zeigen.
I. Eine die zwei Figuren wiedergebende Kreidezeichnung
befindet sich in Florenz (Nr. 229. Thode 239. Ber. 1644.
Phot. Alin. 173)- Lange genoss sie des Ruhmes, das Original
von Michelangelo zu sein, da sie offenbar mit der von Lionardo
Buonarroti dem Herzog Cosimo geschenkten Zeichnung zu
identifiziren ist. Heute wird sie wohl allgemein für eine
Kopie gehalten. Sie könnte von Venusti herrühren. Dann
müsste man mit Berenson annehmen, dass schon Lionardo
sich getäuscht und das Blatt, wie auch das ,,Gethsemane", zwar
im Besitze Michelangelos sich befunden habe, beide aber von
Venustis Hand stammen. Dass diese Annahme etwas Be-
denkliches hat, wird man freilich nicht leugnen können.
Auf Michelangelos Zeichnung, nicht auf das Gemälde, geht
der Stich Beatrizets (B. 12, Dum. 5) zurück, der nicht, wie jenes,
im Hoch-, sondern im Breitformat gehalten ist und die Figuren
weiter von einander entfernt im Gegensinne zeigt. Er ist be-
zeichnet : M, Angelus invent. N. Beatricius Lotaringus incidit et
formis exe. Romae Antonio Lafrerii.
Eine kleine Wiederholung des Gemäldes befindet sich in Apsley
House in London. (Vgl. Passavant, Kunstreise S. 75. Waagen,
Kunst und Künstler II, 109.) Eine solche gehörte einst den Gon-
zagas in Mantua nach einem Stiche, bez. Petrus Barberinus delin.
Hieronymus Rossi sculp. Romae sup. perm. anno 1720, Clemens XI.
von H. C. gewidmet. (Passerini, Bibliografia S. 175.) Duppa meinte,
der Künstler sei durch Dantes Schilderung des Reliefs im X. Gesänge
des Purgatorio (v. 34 bis 45) inspirirt worden. Sie lautet:
458 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
L'angel che venne in terra col decreto
Della molt'anni lagrimata pace,
Ch'aperse il Ciel dal suo lungo divieto,
Dinanzi a noi pareva si verace
Quivi intagliato in un atto soave,
Che non sembiava imagine che tace.
Giurato si saria ch'ei dicess' Ave;
Perchfe quivi era immaginata Quella,
Ch'ad aprir l'alto amor volse la chiave,
Ed avea in atto impressa esta favella,
Ecce ancilla Dei, si propriamente,
Come figura in cera si suggella.
Die Beschreibung des Vorganges ist doch zu allgemein, als
dass man eine Beeinflussung des Künstlers durch sie annehmen
könnte. Eher möchte ich es für möglich halten, dass ein Sonett
Vittoria Colonnas ihn angeregt hat (Ed. Barbera S. 254, Nr. CIV,
vgl. auch ein anderes auf die Verkündigung S. 235, Nr. LXXXV) :
Angel beato a cui il gran padre espresse
L'antico patto, e poi con noi quel nodo
Che die la pace, la salute e '1 modo
D'osservar l'alme sue larghe promesse;
Lui ch'al pietoso ufficio pria t'elesse
Con Talma inchino, e con la mente lodo,
E dell'alta ambasciata ancora io godo,
Che'n quel virgineo cor si ben s'impresse.
Ma vorrei mi mostrasti il volto e i gesti,
L'umil risposta e quel casto timore,
L'ardente caritä, la fede viva
Della donna del cielo, e con che onesti
Desiri ascolti, accetti, onori e scriva
I divini precetti entro nel core.
Die auf das Herz Marias gerichtete Hand des Engels im Gemälde
entspricht der Schilderung, wie die göttliche Botschaft sich in das
jungfräuliche Herz eindrückt.
2. Die Verkündigung, einst in S. Maria della Pace.
Sie ist, noch von Duppa gekannt, heute verschollen. Kleine
Bilderwiederholungen giebt es. Ich stelle in den Vordergrund jenes
in der Nationalgalerie des Palazzo Corsini in Rom (Nr. 591). Maria,
in gegürtetem rothen Gewände und einem über die linke Schulter
gezogenen, um den Unterkörper geschlagenen Mantel, den Kopf
mit einem kunstvoll drapirten, durch ein blaues Band gehaltenen
Tuch bedeckt, sitzt links (vom Beschauer), etwas nach links gewandt,
neben einem altarartigen Betpult. Sie hat eben in einem Buche
gelesen, das sie in der Rechten auf dem Altar hält und wendet
Die Verkündigung m^q
sich nun, die Linke erhebend, erschrocken zu dem Engel, der von
rechts oben dicht zu ihr auf grossen Schwingen herabschwebt, die
rechte Hand nach ihrem Kopf zu ausstreckt und die Linke unter
der Brust hält. Er ist in einen violett schillernden Mantel gekleidet,
der die Brust und die Arme bloss lässt. In dem Gemache hinten
das Bett und Ausblick durch eine Thür auf ein Gebäude. Auf dem
Altar, in dessen schrankartiger Öffnung Gefässe sind, steht die
Bronzestatuette eines Moses, der mit beiden Händen die Gesetzes-
tafeln zerschmettert.
Zwei ächte Studien zu der Komposition sind erhalten,
n. London, Brit. Mus. Malcolm 78. 1895— 9— 15— 516. Thode362.
Ber. 1534. Kreide. Maria, fast unbekleidet, sitzt an dem
altarartigen Betpult, auf das sie den rechten Ellenbogen stützt.
Sie dreht sich aber hier nicht nach rechts um, sondern schaut
nach links, wo über dem Pult der Engel direkt zu ihr heran-
schwebt. Rückseite : anderer Entwurf für den Engel, der von
rechts schreitend gedacht ist (nur der Oberkörper). — Dies
war offenbar der erste, in den Motiven noch einfache Gedanke,
der einen zugleich grossen und anmuthigen Ausdruck fand.
III. London, Brit. Mus. 1900— 6—1 i—i. Thode 340. Ber. 15 19.
Der zweite Entwurf, von Berenson irrig auf die Madonna im
Lateran bezogen. Auch hier sitzt Maria etwas nach links gewandt
neben dem Betpult, doch wendet sie sich, sich neigend, nach
rechts dem (nicht angegebenen) Engel zu, die Linke gesenkt
ausstreckend, das Haupt gesenkt, mit der Rechten ein Buch
auf dem Pult haltend (zuerst war der rechte Arm tiefer nach
unten gehalten gedacht). Der Körper, durch ein dünnes
Gewand hindurch sichtbar, wirkt wie nackt. Um die Schultern
ist ein Mantel geschlungen, der um den linken Oberschenkel
gezogen ist. Auch diese Stellung befriedigte Michelangelo
nicht und er Hess nun, wie es im Gemälde zu sehen ist, die
Gestalt erschreckt auffahren und nach oben schauen.
Die definitiveGestaltung, genau wie im Gemälde, erscheint
in folgender Zeichnung.
IV. Heutiger Besitzer unbekannt. Früher in der Sammlung Law-
rence, in dessen ,,Gallery" das Blatt abgebildet ist, später bei
Charles Robinson. (Thode 377. Ber. 1696.) Die beiden
Figuren sind, und zwar sehr sorgfältig, ausgeführt, das Betpult,
die Mosesstatue und die Gefässe im Innern nur angedeutet.
Berenson glaubt, dass auch dieser Entwurf, wie der in den
Uffizien, von Venusti ist. Dies ist möglich, erscheint er auch
der Verkündigung in den Uffizien weit überlegen. Nach der
Abbildung wird man ihn jedenfalls nicht ohne Weiteres dem
Meister selbst geben dürfen.
460 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
An die Statue des Moses wurden Jacobsen und Ferri, sowie
Berenson, erinnert durch eine Kreideskizze in den Uffizien 147,
18729. (Thode 223. Ber. 1399G. Abb. Jacobsen und Ferri,
Taf. XII.) Sie stellt einen nackten älteren Mann dar, der etwas nach
links gewandt sitzt, mit der Linken ein Buch auf dem Knie hält, die
Rechte erhebt und mit ein wenig gesenktem Kopf abwärts schaut
Als Studie für Moses diente sie keinenfalls. Ich erwähnte sie oben
(I, S. 94) gelegentlich des Matthäus, weil die beiden verdienstvollen
Entdecker unbekannter Michelangelo'scher Zeichnungen anfangs
an jene Statue gedacht hatten. Sie machten weiter auf Verwandt-
schaft mit den Bobolisklaven aufmerksam, Berenson auf eine solche
mit dem Moses und dem Ezechiel, Auch ich vermag keine nähere
Bestimmung zu geben, doch meine ich, dass der Entwurf doch in
spätere Zeit anzusetzen ist, wenn auch nicht in die späteste der
Apostelentwürfe für S. Peter in Haarlem, an die man, wie schon
bemerkt worden ist, auch erinnert werden kann. —
Eine Wiederholung des Bildes sah Passavant bei dem Kunst-
händler Woodburn in London (Kunstreise S. 75), vielleicht das
Exemplar, welches von Vasi in seinem Itinerario 1791 (S. 378) im
Palazzo Borghese erwähnt ward. Eine dritte befindet sich, wenn
mein Gedächtniss nicht trügt, im Seminario zu Venedig. Vielleicht
ist sie identisch mit dem im XVIII. Jahrhundert in Venedig erwähntem
Bilde, das von Giovanni Vitalba gestochen wurde, bez. Mich. Ang.
Buonarota invenit et pinxit. Haec elaboratissima tabula extat in
celebri collectione Salvatoris Bartholomaei Orsetti cons. et adv.
Veneti. Joann. Vitalba sculp. reverenter D. A. S. 1781.
Die Zeichnung und die Kompositionsweise lassen keinen Zweifel
darüber, dass die Verkündigungsdarstellungen sehr spät, in den
fünfziger Jahren, entstanden sind.
j. Zwei aridere Enhüürfel f^.
Beide haben nichts direkt mit den Gemälden für den Lateran
und für S. Maria della Pace zu thun.
V.Florenz, Uffizien 147 F., 18723. Thode 222. Ber. 1399 F.
Jacobsen und Ferri Taf. XL Auch Rivista d'arte II, 37. Kreide-
skizze. Maria sitzt im Profil nach links gewandt, in die Höhe
schauend. Sie hat das linke Bein nach hinten gekrümmt, die
rechte Hand im Schooss und den linken Arm auf die Lehne
ihres Sitzes gelegt. Jacobsen und Ferri fragen sich, ob die
Figur für eine Verkündigung oder für eine Lünette der Sixtina
bestimmt war. Berenson meint das letztere, falls sie über-
haupt von Michelangelo gezeichnet sei. An der Achtheit
zweifle ich nicht. An eine Lunette zu denken, so gut die
Gestalt in eine solche der Komposition nach passt, hindert
Das Gebet in Gethsemane 45 1
mich der doch offenbar auf ein bestimmtes Ziel gerichtete
Blick und die Technik, die mir auf eine spätere Zeit zu deuten
scheint. Die Annahme, es sei die Maria einer Verkündigung,
dünkt mich höchst wahrscheinlich. Dann hätten wir hier den
Entwurf zu einer sehr ruhig gehaltenen Darstellung der Szene,
der Michelangelo schon in einer früheren Periode seines Lebens
(etwa in den dreissiger Jahren?) mit dem Vorwurfe be-
schäftigt zeigt.
VI. Oxford, Univ. Gall. 74. Thode 448. Br. 1575. Kreide. Die
schöne, reich behandelte Zeichnung zeigt insoferne gleichsam
eine Verbindung der Motive in den von Venusti gemalten
Kompositionen , als Maria Hnks sitzend , der Engel rechts
schreitend dargestellt sind. Maria erhebt die Rechte und
streckt die Linke aus ; der Engel bewegt die Rechte zu ihr
hin und hält die Linke vor der Brust. Sein linkes Spielbein
ist in zwei verschiedenen Stellungen skizzirt. Verglichen mit
jenen anderen Entwürfen erscheint die Handlung hier ohne
Erregung, feierlich gehalten. Von einer Notiz, die auf dem
Blatte befindlich, lese ich . . . vei . . . al pictore p. dio dio a
pasquino per (mandare.?) a chastel durante ... legnio. Berenson
schliesst mit Recht aus dem Worte Casteldurante , dass die
Zeichnung nach Urbinos Tod (3. Dez. 1555), also frühestens
1556, als Cornelia, Urbinos Gattin, nach Casteldurante ge-
zogen war , entstanden sein, muss. Auch der Stil weist auf
die späte Zeit. So wird es wahrscheinlich , dass sie eine
letzte Beschäftigung des Meisters mit dem Sujet der Ver-
kündigung verräth.
XV
Das Gebet in Gethsemane
Es wurde bereits erwähnt , dass Lionardo Buonarroti eine
Zeichnung dieses Inhaltes nach dem Tode Michelangelos von Jacopo
del Duca und Michele Alberti , denen sie der Meister gegeben,
erwarb und dem Herzog Cosimo schenkte , wovon auch Vasari
weiss (s. oben II, S. 456). Zahlreiche Gemäldekopien sind erhalten,
in denen die Landschaft, zumeist übereinstimmend, vermuthlich von
Venusti geschaffen, auf hügeligem Terrain Jerusalem mit dem Rund-
bau des Tempels und Ruinen zeigt. Nur das Figürliche giebt den
Entwurf des Meisters wieder.
Christus ist zweimal dargestellt. Einmal sehen wir ihn, ganz
en face, auf einer kleinen Bodenerhöhung knieen, die beiden Hände
vor der Brust erhoben und bewegt, die rechte wie mit einer Gebärde
462 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
der Ergebung, die linke mit einer des Sprechens ; der Blick ist ge-
senkt. Das andere Mal schreitet er hinter der Erhöhung lebhaft
nach rechts hinten gewandt zu den drei Jüngern, die Rechte mit
weisendem Zeigefinger ausgestreckt. Sein Haar fällt hier wie dort
in Locken in den Nacken. Zwei der Jünger schlafen: links
Johannes in ärmellosem Werkrock, den Mantel über den Hinterkopf
gezogen, in sitzender Stellung mit tief gebeugtem rechten Knie und
nach links niedersinkendem Oberkörper und Haupt, den rechten Arm
auf dem Bein aufgestützt, den linken schlaff gesenkt ; rechts Petrus,
sitzend gelagert mit aufgestütztem linken Bein, den Kopf mit offenem
Munde gegen den erhobenen linken Arm gelehnt, der rechte Arm
herabhängend , in Gewand mit kurzen Ärmeln und um, den Kopf
gezogenem Mantel. Hinter ihm hat sich eben Jakobus erhoben, den
Mantel über dem Haupte; er verbeugt sich, die gekreuzten Hände
über der Brust, vor Christus, auf Dessen Worte lauschend.
Folgende kleine Gemälde sind mir bekannt geworden.
A. Berlin, Kais. Friedr. Mus. Depot. Nr. 289. Aus der Samm-
lung Solly. Hintergrund Landschaft mit Jerusalem und dem
Templum Salomonis. Wohl nicht von Venusti.
B. Genua, Gall. Balbi Senarega.
C. Rom, Gall. naz. Palazzo Corsini. Landschaft mit Gebäuden.
D. Rom, Gall. Doria Nr. 420. Landschaft mit Gebäuden. Nicht
von Venusti. Daniele da Volterra.''
E. Schieissheim, K. Galerie Nr. 973. Von derselben Hand wie D.
F. Wien, K. K. Galerie Nr. 99 (v. Engerth 304). Aus dem Kunst-
besitze Karls VI.
G. Wien, Galerie Czernin. Nr. 28. Von einem vlämischen Meister.
Erwähnt werden im XVIII. Jahrhundert ein Exemplar im Palazzo
Giustiniani in Rom (v. Ramdohr III, 43) und eines in der Sammlung
des Herzogs von Orleans (Description des Tableaux du Palais royal
1727, Abb. Galerie du Palais royal I), das auf der Vente in London
für 52 Guineen verkauft ward. (Waagen: Kunst und Künstler I, 496.)
Von Zeichnungen kommen folgende in Betracht:
I. Oxford, Univ. Gall. Nr. 70, 2. Thode 443. Ben 1572A. Kreide.
Studien für die schlafenden Jünger. Keine von ihnen ist in
dem definitiven Entwürfe benutzt worden. Da sich einmal
aber auf dem Blatte eine Skizze dreier nebeneinanderhockender
Schlafender befindet, kann es nicht zweifelhaft sein, dass die
Studien für ein ,,Gethsemane" bestimmt waren, a. Von vorne
gesehen Sitzender, linker Arm vor der Brust, Kopf auf linke
Schulter gesenkt, b. Liegender, Kopf auf Arme (auf eine
Erhöhung) gelegt, c. Ganz vorgebeugt mit gesenktem Kopf
Hockender, d. Erwacht nach hinten sich Umwendender.
e. Nach halb links gewandt Sitzender, rechter Arm auf Bein,
Das Gebet in Gethsemane 463
Kopf leicht geneigt, f. Etwas nach rechts gewandt Sitzender,
erwacht, die Arme nach Hnks ausstreckend, g. Liegender,
den Oberkörper aufgestützt, von hinten gesehen, h. Drei
neben einander Schlafende: die zwei links von vorne gesehen,
den Kopf auf den Arm tief gesenkt, der rechts halb von
hinten gesehen mit gesenktem Kopf.
II. Florenz, Uffizien 230 (Cat. II). Thode 240. Br. 1645. Kreide.
Hier ist die definitive Komposition gegeben. Man hat in dem
Blatte die Zeichnung zu erkennen, die Lionardo Herzog Cosimo,
zusammen mit der Verkündigung, schenkte. Es gilt bezüglich
ihrer dasselbe, wie für die letztere. Sie scheint, wie Berenson
behauptet , eine Venusti'sche Kopie nach einem Original des
Meisters zu sein.
Ein Stich, der sich im Besitze des Geheimrath Ruland in Weimar
befand (Abb. Steinmann: Sixt. Kap. II, S. 528) und in reicher Rah-
mung den Kopf Christi mit geschlossenen Augen zeigt, giebt offen-
bar den Christuskopf des Gethsemane wieder. Er ist bez.: Michael
Angelus Bonarotus inv. und trägt in einer Kartusche die Worte :
Ego sum via, veritas et vita.
Auch diese Komposition muss , dem Stile nach , von Michel-
angelo spät , in den vierziger oder fünfziger Jahren , geschaffen
worden sein. Bemerkenswerth ist, dass er dem betenden Christus
nicht den Engel, auch nicht den Kelch erscheinen lässt, also den
Vorgang als einen rein innerlichen uns veranschaulicht. Der Schilde-
rung der Evangelien nach Matthäus und Markus, nicht der des Lukas
die Inspiration entnehmend, brach er mit der künstlerischen Tradition.
Die Maler haben das Eingreifen des Überirdischen durch einen
den heiligen Kämpfer umgebenden grossen Lichtschein angedeutet.
Unter den Sonetten Vittoria Colonnas findet man ein dem
Gebet in Gethsemane gewidmetes (Ed. Barbera S. 273, Nr. CXXIU):
Quando '1 Signor nell'orto al Padre völto
Pregö per lo mortal suo chiaro velo,
D'intorno al cor gli corse un freddo gelo
Volgendo a' cari amici il mesto volto,
E trovö ciascun d'essi esser sepolto
Nel sonno; che ogni vero ardente zelo
Dormiva in terra, e desto tutto in cielo
S'era al suo danno e nostro ben, raccolto.
Ond'allor per destar la pigra terra,
E quetar lä su il ciel, riprcse ardire,
Com'uom ch'a grande ed alta impresa aspira.
E intrando in mezzo la spietata guerra
Tolse agli amici in quel si bei morire
II grave sonno, ed al gran Padre l'ira.
464 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Gedanken, wie die hier ausgesprochenen, mögen den Meister
bewegt haben, als er neben dem Gebet das Erwecken der Jünger,
die Befreiung der Menschheit von tiefem Schlafe, darstellte.
XVI
Christus und die Samariterin
Die Angabe Vasaris, dass Michelangelo diese Darstellung für
Vittoria Colonna gemacht, findet ihre Bestätigung in einem Briefe
der Marchesa vom 20. Juli 1541. (Ferrero und Müller: Carteggio
S. 268. Frey: Dicht. S. 534.) Da heisst, es: pregando quel Signore,
del quäle con tanto ardente et humil core mi pariaste al mio par-
tir da Roma, che io vi trovi al mio ritorno con l'imagin sua si
rinovata et per vera fide viva nel'anima vostra , come ben l'avete
diposita nella mia Samaritana.
Weder die Zeichnung selbst, noch eine Studie zu derselben
ist uns erhalten (das Blatt im Louvre Nr. "^6^ ist eine Kopie).
Wir kennen den Entwurf aber aus Skizzen und Gemäldekopien.
Stiche.
1. Von Adam Ghisi. Bez. Mich. Ang. inv. A. M. F.
2. Von N. Beatrizet (B. 17). Bez. N. B. L. Mich. Ang. inv. —
Kopie A im Gegensinne : A. L. F. (Antonii Lafrerii Formis.) —
Kopie B. Im gleichen Sinne. ,,Dixit Jesus Mulieri Sama-
ritanae.*' Folgt der Spruch: qui bibit ex aqua.
3. Von Marius Kartarus (P. 29). Kopie nach Beatrizet. Bez.
Mich. Ang. inv. Ferando Bertelli exe.
4. und 5. von unbekannten Stechern, erwähnt von Portheim (Rep.
f. Kunstw. 1889. Xn, 156).
Gemälde wurden mir folgende bekannt :
6. Liverpool, Institution. Grau in grau ausgeführt. Stammt aus
der Sammlung des Königs von Neapel in Capodimonte. Ottley
brachte es nach England (Waagen: Kunst und Künstler II, 393).
7. Wien, Akademie der bildenden Künste Nr. 497. Nieder-
ländische Kopie.
8. Wien, Galerie Czernin Nr. 34.
Passavant sah ein Exemplar in Devonshirehouse (Passavant,
Kunstreise S. 71).
Auf einem Brunnen vor einem Baum sitzt rechts Christus. Er
wendet sich , die Linke auf der Brust , die Rechte sprechend aus-
gestreckt, zu der von links heranschreitenden Samariterin, die, auf
die Stufe des Brunnens tretend, in der Rechten ein Gefäss trägt
und mit der Linken in den Brunnen deutet. Dahinter Landschaft.
Christus am Kreuz 465
XVII
Christus am Kreuz
In zwei Darstellungen fand des betagten Meisters tief erregtes
religiöses Empfinden den ergreifendsten und mannichfaltigsten Aus-
druck : in der Erlösungsthat Christi am Kreuze und in seiner Be-
weinung durch die Mutter und die Freunde. Eine grössere Anzahl
erhaltener Originalzeichnungen und Kopien nach solchen verräth die
innere Nothwendigkeit. aus welcher er in den vierziger und fünfziger
Jahren das in ihm lebende Bild des Gekreuzigten in immer neuer
Gestaltung zu formen bemüht war. Jeder Entwurf zeigt die über-
mächtige Kraft seines Erlebens und es giebt nicht zwei, welche in
den Gestalten Christi, der Maria und des Johannes die gleichen
Motive brächten. Seit seiner Jugend, da er das Kruzifix für
S. Spirito schnitzte, hatte er es, in künstlerischer Scham, fast ganz
vermieden, den qualvollen Vorwurf zu behandeln. Nur eine Studie,
unsere Nr. II, ist uns bekannt. Vittoria Colonnas Bitte ist es ge-
wesen, die ihn veranlasste, sich ihm wieder zu nahen und ihm,
wenn auch nur in Zeichnungen, die unbegränzte Ausdrucksfähigkeit
seiner höchstentwickelten Kunst dienstbar zu machen. Und von
jenem Augenblicke an hat er sich von diesen Vorstellungen nicht
mehr frei machen können. Mit ihnen sich verbindend herrschten
die Bilder der Pietä in seiner Phantasie. Aber — wie bedeutungs-
voll ist dies nicht für die Erkenntniss künstlerischer Probleme ! —
nur in Zeichnungen hat er den Gekreuzigten behandelt, indessen
er die Pietä im Stein zu bilden sich getrieben sah. Und wie be-
deutungsvoll ist auch das Andere, dass er, alle Tradition durch-
brechend, in jenem ersten Crucifixus für Vittoria den furchtbaren
Todeskampf selbst, in allen folgenden Entwürfen aber die im Tod
gewonnene Erlösung dargestellt hat !
,,Er machte auch aus Liebe zur Marchesa einen Jesus Christus
am Kreuz, nicht als einen Todten, wie er gewöhnlich dargestellt
wird , sondern in der Bewegung eines Lebendigen , wie er das
Haupt zum Vater erhebt und zu rufen scheint: ,Eli, Eli!' Und so
sieht man seinen Körper, nicht wie im Tod erschlafft niedersinken,
sondern lebend und mit Bewusstsein in herbsten Qualen sich
krümmen." Auch Vasari, wie Condivi es in diesen Worten thut,
sagt, dass in dieser „göttlichen Schöpfung" Christus dargestellt sei,
wie er, das Haupt erhoben, seinen Geist dem Vater empfiehlt.
In mehreren, zwischen 1538 und 1541 von Vittoria und Michel-
angelo gewechselten Briefen ist die Rede von der Zeichnung (siehe
II. Band meines Michelangelowerkes S. 402 ff. nach Ferrero und
Müller: Carteggio di Vittoria Colonna S. 207 — 209. Lett. 515. Frey:
f * 50
466 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Dichtungen 534 f.). In dem ersten kurzen bittet die Marchesa, ,,ihr
ein wenig das Kruzifix, wenn es auch noch nicht vollendet ist, zu
schicken", denn sie möchte es den Edelleuten des Kardinals von
Mantua zeigen. Als sie es nicht erhielt, scheint sie Tommaso Cava-
lieri um seine Vermittlung gebeten zu haben, was der Meister ihr
als eine ihm zugefügte Kränkung vorwirft. Als sie die Zeichnung
erhalten hat, giebt sie ihrer Bewunderung Ausdruck: ,,ein besseres,
lebendigeres und vollendeteres Bild kann man nicht sehen , und
wahrlich, niemals könnte ich mir erklären, wie zart und wunderbar
es gemacht ist." Sie verhandelt mit ihm darüber, wer es als
Gemälde ausführen solle. In einem weiteren Briefe spricht sie
wieder von einem ,, Christus", der offenbar auf ihren Wunsch von
dem Künstler noch verbessert worden ist, und sie erwähnt den
Engel zur Rechten, der viel schöner sei. Es ist ungewiss, ob es sich
hier auch um den Gekreuzigten handelt , oder um die Zeichnung
der Pietä, auf welcher ja auch Engel neben dem Heilande an-
gebracht sind. Der Ausdruck ,, Christus" spricht freilich mehr für
den Crucifixus. Und die Frage wäre erlaubt, ob sie noch eine
zweite, diesen Vorwurf behandelnde Zeichnung erhalten hat. Wie
aus zweien ihrer Sonette (Ed. Barbera CCV und CCVI) hervorgeht,
hat sie eine solche Zeichnung dem Kardinal Pole geschenkt. Eine
Kopie nach dem Crucifixus hat Cavalieri von Marcello Venusti an-
fertigen lassen ; sie gelangte in die Farnesesammlung und mit dieser
nach Neapel (heute in Capodimonte).
Die erhaltenen Zeichnungen lassen sich in zwei Gruppen scheiden,
in die des lebenden und die des todten Christus. Die erste ist
nur durch einen Typus vertreten, die zweite umfasst verschiedene
Typen. Hiernach ist die Übersicht anzuordnen , zugleich aber zu
bemerken, dass wir drei Kompositionsformen finden: der Gekreuzigte
allein , — zwei Engel neben dem Kreuze , — Maria und Johannes
zu dessen Seiten.
A. Christus i7n Todeskampf. Vittoria Colonnas Zeichnung.
I. London, British Museum. Malcolm 6"] . 1895 — 9 — 15 — 504.
Thode 353. (Von Ber. nicht erwähnt.) Kreide. Früher in den
Sammlungen Lawrence und König von Holland. Die herrliche,
auf das Sorgfaltigste durchgeführte Originalzeichnung.
Christus, die Arme wagrecht ausgestreckt, den Oberkörper
etwas nach links gewendet, den Unterkörper etwas nach rechts
ausgebogen, erhebt das schmerzbewegte Haupt nach rechts
oben, den Leidensblick gen Himmel gerichtet, den Mund
geöffnet. Der Fuss des rechten, etwas gekrümmten Beines
ist über den linken gelegt. Um die Hüfte ist eng sich an-
schmiegend ein dünnes, schmales Tuch gezogen. Am Fusse
Christus am Kreuz
467
des Kreuzes liegt ein Schädel. Unter dem rechten Arme fliegt,
in halber Figur gesehen, ein Engel, den Kopf schmerzlich in
die rechte Hand gelegt, mit der Linken auf die Seite des
Erlösers weisend (in der die Wunde nicht angegeben ist),
unter dem linken ein anderer, zum Beschauer gerichtet,
jammernd die geballten Hände an die Wangen legend.
Eine Kopie der Zeichnung wird in Oxford bewahrt: Nr. yi.
Thode 447. Abb. Fisher II, 7. Springer II, 308. Phot. Br. 84,
eine andere im Louvre (732). Solche Kopien hat, wie es scheint,
Michelangelo unter seinen eigenen Augen anfertigen lassen. Denn
in einem jener Briefe der Vittoria befindet sich folgende Stelle, die
ich im zweiten Bande meines Michelangelowerkes (S. 403) noch
nicht richtig verstanden hatte : „per il che ho risoluta di non
volerlo di man d'altri, et perö chiaritemi, se questo e d'altri. Patientia.
Se e vostro , io in ogni modo vel torrei , ma in caso che non sia
vostro et vogliate farlo fare a quel vostro, ci parleremo prima,
perche cognoscendo io la dificultä che ce e di imitarlo, piü presto
mi resolvo che colui faccia un'altra cosa che questa; ma se e il
vostro questo, habbiate patientia che non son per tornarlo piü."
(Cart. 208.) Ich nahm früher das ,, vostro" im Sinne des Besitzes,
es bedeutet aber doch wohl : ,,von Euch selbst gefertigt". Die
Marchesa weiss nicht genau, ob die ihr zur Ansicht übersandte
Zeichnung ein Original von des Meisters Hand ist. Ist dies der
Fall , will sie sie nicht m^ehr hergeben — ist sie aber eine Kopie
und soll eine Kopie für sie von einem Schüler gemalt werden, so
verzichtet sie darauf und will lieber etwas Anderes von Diesem
ausgeführt, da sie eine Kopie, welche die Feinheit des Originales
wiedergäbe, nicht für möglich hält. —
Dürfen wir die Malcolm'sche Zeichnung oder eine der Kopien
in einem Blatte wiedererkennen, das der Padre Pittorino am 2. Fe-
bruar 1658 an Alfonso IV. d'Este nach Modena sandte.? „il famoso
Cristo di Michelangelo Buonarrotta, quäle appresso di me e stimato
uno de' piü belli disegni che ogidi si trovano ... in questo mondo
non havevo cosa piü cara moralmente ne spiritualmente." (A. Ven-
turi : La R. Galleria Estense 1882, S. 272.) Eine andere solche
Zeichnung befand sich damals im Besitze des Conte di Novellara :
,,un Cristo in croce stimato dobble 30" , und wurde vom Padre
Pittorino Alfonso am 12. Dezember 1668 als ,,disegno superbissimo"
gerühmt. (Campori : Artisti Estcnsi S. 105. Venturi a. a. O. 273).
Einen dritten ,, Cristo in croce di lapis nero stimato D. 10" finde
ich im Museo Coccapani erwähnt. (Campori S. 105.)
IL Oxford, Christchurch College. Rob. 3. Thode 456. Ber. 1578-
Kreide und Bister. Die Studie, welche Christus lebend mit
erhobenem Kopf (die Arme nicht vollendet) darstellt, wurde
30*
468 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
mit Recht von Robinson in eine frühere Zeit (die der Medici-
gräber) versetzt. Berenson meint sogar : nicht später als 1515-
An sie also hat Michelangelo angeknüpft im Motiv, als er die
Komposition für Vittoria entwarf.
Die grössere Zahl alter nach dem Crucifixus gefertigter Stiche
beweist die Berühmtheit dieses Werkes. Ich notire folgende :
1. Giulio Bonasone (B. 43). In Landschaft. Bez. rechts: in manus
tuas domine. Unten : Michelo Angelo Bonarota, fiorentino in-
ventor. Julio Bonasone f. (Heinecken I, S. 387 n. 19.)
2. Giov. Batt. Franco (B. 13, auch Kopie). Bez. Michel Angelus
Inventor Venetiis. (Heinecken 19a.)
3. Pietro Paolo Palumbo. Bez. Ho Mors ero mors tua. Palom-
bus excudebat Romae 1585. Mich. Ang. Bonaroti inv. Auf
einer Tafel längeres Gedicht von M. Antonius Muretus. —
Späterer Abdruck : Caspar Albertus successor Palumbi.
(v. Heinecken 19 d.) — Passerini (S. 195) erwähnt einen Stich,
bez. Palumbi Novarien. curabant Romae 1546. Mich. Ang.
Bonaroti inv.
4. Unbekannter Meister. Ohne Landschaft und Bezeichnung.
(Heinecken 19 b.)
5. Nach Bonasone. Bez. Nicolo van Aelst formis. Michel Angelo
invent. (Heinecken 19 c.)
Von Bildern, welche die Malcolm'sche Zeichnung wiedergeben,
kenne ich nur ein einziges.
6. Turin, Pinakothek 128. Dem Daniele daVolterra zugeschrieben.
Landschaft mit Stadt im Hintergrunde. Der Himmel dunkel
mit Wolken. Nicht von Daniele. Späte Inschrift : Buonarroti
fecit. Stammt aus dem Palast des Marchese Durazzo in
Genua (jetzt Pal. Reale). Holz. — Es ist also nicht zu identifi-
ziren mit der vom Franzosen Robert Levoyer (f in Turin 1630)
gemachten Kopie auf Kupfer, die im Inventar des Palastes zu
Turin 1635 erwähnt wird: „Nr. 46. Cristo in croce vivo, fra
due angioli in nuvole in rame. Vien da Michel Angelo, copia
di Roberto. Mediocre." (A. Vesme : Le Gal. naz. ital. III, 36-)
Ob das von Richardson (III, 307) in S. Giovanni in Laterano er-
wähnte Kruzifix auf die Zeichnung zurückzuführen ist, bleibt unklar.
Vermuthlich war das von Piero da Vinci nach einer Zeichnung
Michelangelos kopirte Relief, das Vasari (VI, 125) erwähnt, eine
Wiederholung unseres Entwurfes.
Die durch Maria und Johannes bereicherte Kom-
position.
Zahlreiche, wohl auf das oder die zuerst entstandenen Bilder
Venustis zurückzuführende kleine Gemälde beweisen, dass schon von
Christus am Kreuz
469
IVIichelangelo selbst oder mit seiner Einwilligung von Venusti dem
Kruzifix und den Engeln der Malcolm'schen Zeichnung Maria und
Johannes hinzugefügt worden sind, und zwar in den Stellungen, die
der Meister ihnen selbst in drei Zeichnungen (Johannes in Windsor,
Maria im Louvre, Johannes im Louvre) und vielleicht in einem ver-
lorenen, beide Gestalten zeigenden Entwürfe gegeben hat. Maria,
von vorne gesehen, schaut zu dem Dulder empor; sie erhebt den
linken Arm etwas, wie auf ihn weisend, und streckt den rechten
nach unten in Schmerzensbewegung aus. Johannes, in schaudern-
der, wie fröstelnder Bewegung, ganz en face, kreuzt die Arme über
der Brust und scheint mit offenem Munde laut zu klagen. Die
Windsorzeichnung , auf welcher der Johannes auch erscheint, be-
spreche ich später. Hier führe ich die Einzel Studien an.
III. Paris, Louvre 720. Thode 488. Ber. 1595. Kreide. Maria
in der angegebenen Haltung. Rückseite: dieselbe Figur, aber
ohne Gewandung, leicht skizzirt.
IV. Paris, Louvre 118. Thode 469. Ber. 1582. Kreide. Johannes.
Unter den Gemäldekopien verdient Venustis für Cavalieri
gemalte den ersten Platz. Eine Anzahl anderer habe ich notirt, doch
würde sich deren Zahl leicht vermehren lassen, da die Komposition
für häusliche Andachtszwecke besonders beliebt gewesen ist. Zu-
meist ist der Hintergrund nächtlich.
1. Neapel, Capodimonte.
2. Augsburg, Galerie. Etwa im Stile Rottenhammers.
3. Florenz, Uffizien. Nr. 12 13. Dem Alessandro Allori zu-
geschrieben. Von Gori (Not. stör. S. 118) und Volkmann
(I, 563) erwähnt.
4. Genua, Palazzo bianco. Nr. 32. Wohl von einem Niederländer.
5. Rom, Palazzo Doria. Nr. 286. Wohl von Marccllo Venusti.
6. Wien, Galerie Harrach. Nr. 190. Mit Landschaft. Bez. M.
A. B. Von einem Niederländer.?
In der älteren Litteratur werden folgende Bilder erwähnt : bei
dem Rettore des Seminario in Ravenna (Bottari: Raccolta VI, 246),
in der Sakristei von S. Peter in Rom (Chattard I, 255), im Palazzo
Albani und im Palazzo Rondini (Vasi: Itinerario 1791. S. 231. 44),
im Palazzo Borghese zu Rom (Richardson III, 107), im Palazzo
Caprara , bei Mons, Bonfigliuoli und bei den Signori Bianconi in
Bologna, bei Sig. lo Chiappini in Piacenza (Lanzi : Storia pittorica,
3. Aufl. I, 143), in Leigh Court (Waagen: Kunst und Kunstwerken, 353).
Für Heinse ist ein solches Bild die Veranlassung geworden , der
Bewunderung für Michelangelo dem abfälligen Urthcil der Zeit
gegenüber leidenschaftlichen Ausdruck zu verleihen. Seine Schilde-
rung verdient, wiedergegeben zu werden. Ardinghello erzählt (Brief
aus Rom, Oktober) :
470 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
„Ich habe vor wenig Tagen ein kleines Gemälde von ihm
gekauft, welches vorstellt Christum am Kreuz, wie der Erlöser gesagt
hat: ,Weib, siehe, das ist Dein Sohn!' und zu dem Jünger, den er
lieb hatte: , Siehe, das ist Deine Mutter!' Unten auf beiden Seiten
mit der Mutter und dem Johannes , sie rechts , dieser links ; und
an den Armen des Gekreuzigten schweben zwei Engel in einem
Gewitterhimmel voll Dunkelheit und Feuergewölk."
„Christus und die Madonna sind die erhabensten tragischen
Gestalten, die ich je in Malerei gesehen habe. Christus ist ein
leidender Alexander , Hannibal , Cäsar und was man Grosses und
Erhabenes von Menschheit kennt. Ein göttlicher Jüngling, voll
Güte für den grossen Haufen, welcher der Menge unterlag, ein
Tiberius Gracchus und die Mutter eine Cornelia, voll Geistesstärke
und Grösse."
,,0, wie verschwinden alle Madonnen und wie ist selbst Raphael,
den ich bewundere und liebe , wie den neueren Apelles , klein
dagegen und gewöhnlich ! Stellung von ihr , Blick zu ihm , zu
seinem schmerzenbändigenden scharfen Auge und hohem An-
gesicht ; herabgehaltene Rechte , voll Kraft und Zorn angehaltener
linker Arm, Daumen und Zeigefinger nach dem Jünger hin ge-
richtet ; der Wurf des blauen Mantels über das rothe Gewand :
alles harmonirt und macht ein Ganzes. Johannes sinkt vor Schmerz
zusammen mit übereinandergeschlagenen , auf die Brust gelegten
Händen."
,, Welch Meisterwerk von Zeichnung ist der Körper des Ge-
kreuzigten ! Wahrheit bis in die kleinsten Theile , und zugleich
Leben und Leiden durchaus in Einheit."
,,Man fühlt hier wirklich etwas von dem , was Vasari im All-
gemeinen sagt, der zuweilen so golden beschreibt, ob es gleich
wahr ist, dass ihn seine antike Vaterlandsliebe zu Ungerechtigkeiten
gegen die drei grossen Apostel der Kunst , Raphael , Tizian und
Correggio, verleitet: es ist, als ob ein himmlischer, kraftvoller Genius
heruntergekommen wäre und Mitleiden mit allen den Stümpern
gehabt und denselben gezeigt hätte, wie ein Christus am Kreuz
und eine Madonna und ein Johannes dabei vorzustellen sei. Er
ist bis zur Täuschung angenagelt und bewegt sich gerade dazu,
wie es sich schickte."
„Die Mutter ist ein hohes Weib, noch in unverwelkter Schön-
heit, ihres Adels bewusst, die über die Grausamkeit zürnt, welche
man an dem Sohne ausübt, sein ganzes Leiden fühlt mit dem
weinenden Feuerblick; aber in der Zerknirschung noch solche Festig-
keit und Erleuchtung hat, um erhabner als eine Niobe dabei zu
stehen und anzuschauen." —
Christus am Kreuz ^yi
Von Stichen seien die folgenden genannt:
7. Marius Kartarus. Bez. mit Monogr. 1573 und: Michel Angelo
Bona Rota inventor.
8. Philipp de Soye. Bez. peccata nostra ipse pertulit ut pec-
catis etc. Wappen mit Devise: Prudens simplicitas. Spätere
Abdrücke: Phil. Thomassinus und Rossi. (v. Heinecken I
S. 388. Bottari VI, 243.)
9. Giulio Sanuto. S. Passerini S. 235, der auch 10 und 11 :
zwei Stiche unbekannter Meister anfuhrt (S. 196 f.).
B. Christus, im Tode verblichest, gesenkten Hauptes.
Allgemein lassen sich drei Typen unterscheiden. Mehrere der
erwähnten Zeichnungen sind bisher nicht beachtet worden.
a. Christus mit wagrecht ausgestreckten Armen.
V. Paris, Louvre. 841. Thode 502. Christus ganz in Vorder-
ansicht, auch der gesenkte Kopf en face gesehen. Eine etwas
verwischte ächte Studie in Kreide, bisher nicht erwähnt.
VI. London, British Museum 1859—6 — 25 — 552. Fagan XXXIII.
Thode 294. Kleine ächte Rötheistudie. Christus ganz in
Vorderansicht, Kopf etwas nach links gewandt und nach vorne
gesenkt.
VII. Paris, Louvre 842. Thode 503. Ächte Kreideskizze. Die
Gestalt etwas von rechts gesehen. Der Kopf mit gebrochenem
Auge ist in aufrechter Haltung.
VIII. London, British Museum, Malcolm 73. 1895 — 9—15 — 510.
Thode 357. Ber. 1530. Phot. Kensington 2271. Kreide-
zeichnung. Der Körper Christi sinkt etwas herab, die Arme
sind aber fast noch wagrecht. Der Kopf ist etwas nach links
gesenkt. Links steht Maria, zum Sohne gewandt, das Haupt
und die rechte Hand an den Stamm gelegt, rechts tritt Jo-
hannes in etwas vorschreitender Bewegung an das Kreuz und
streckt, zu Christus emporschauend, die linke Hand aus. Der
spät anzusetzende, in der engen Gruppirung der dicht ans
Kreuz gedrängten Figuren eigenthümliche Entwurf zeigt eine
ähnlich zittrige Behandlung, wie die Darstellung der stehenden
Maria mit dem Kinde (s. oben II, S. 430, Nr. IV).
b. Christus mit etwas herabsinkendem Körper, die
Arme ein wenig emporgezogen.
IX. Paris, Louvre 843. Thode 504. Sehr ausgeführte Kreide-
zeichnung, wohl Kopie eines verlorenen Originales. Der Kopf
des Dulders mit der Dornenkrone ist nach vorne gesenkt,
auch der Leib ganz in der Vorderansicht.
472 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
X, Frankfurt, Staedel'sches Institut 3978. Thode 250. Kreide.
Wohl Kopie nach verlorener Zeichnung. Auch hier volle
Vorderansicht und der Kopf nach vorne gesenkt, doch hängt
der Körper tiefer herab.
XI. Ehemals in der Lawrence Gallery. Abb. in dem Woodburn-
schen Werke. Ob Original.? Christus hängt ebenso tief, wie
in X, aber der Kopf ist nach links gesenkt, ein Tuch um-
flattert die Hüfte und der linke Fuss ist über den rechten
genagelt. — Eine ähnliche Zeichnung wie diese ward wohl
von dem Künstler benutzt, der ein der Schule Bronzinos zu-
gewiesenes Bildchen in Florenz (Brogi 7828) malte. Auch
der Christus auf einem Stiche des Philipp Soye geht auf eine
solche zurück, nur sind die Figuren der Maria und des Jo-
hannes (Gruppe A) hinzugefügt. Der Stich ist bezeichnet :
Michelangelus Bonarotus inventor. Philippus Syticus fecit.
(Spätere Abdrücke : alla Face Gir. Jacomo de Rossi formis
Roma 1649.)
XII. Oxford, Univ. Gall. 72. Thode 446. Ber. 1574. Abb.FisherII,6.
Schwarze Kreide , die Pentimenti mit weisser. Hier sind die
Arme fast wagrecht, der Kopf sinkt etwas nach rechts vorne
herab (zuerst war er nach links gewandt). Die Beine (viele
Pentimenti) sind etwas nach rechts gedrängt, der linke Fuss
ist über den rechten genagelt. Nach Robinson wären hier
die Madonna rechts, Johannes links angeordnet. Ich glaube
dies nicht, denn wenn die Gestalten auch unbestimmt, wie
tastend angedeutet sind, so sieht man doch, dass die Figur
rechts einen nur bis zum Knie reichenden , gegürteten Rock
trägt. Es ist also doch Johannes gemeint, der, ganz en face
stehend, beide Hände an den etwas gesenkten Kopf legt. Maria,
in männlichen Formen gegeben, schreitet lebhaft nach vorne,
beide Arme nach unten ausstreckend. Eine grossartige, aber
noch nicht zur klaren Gestaltung gelangte Konzeption.
XIII. Windsor. Thode 548. Ber. 1622'. Phot. Br. 102. Kreide.
Auch hier ist das Haupt Christi nach rechts gesenkt. Die
Stellung der Beine (Pentimenti) erscheint noch nicht ganz
bestimmt. Auch die Arme sind in verschiedener Haltung
gegeben : zuerst waren sie wagrecht ausgestreckt , dann zog
der Künstler sie, verschiedene Versuche machend, nach oben.
Links steht in schauender Stellung Maria, den Mantel eng
um den Kopf genommen, die Arme dicht über der Brust
gekreuzt. Mit der Rechten umfängt sie Wangen und Kinn,
mit der Linken scheint sie den Mantel vor der Backe zu fassen.
Mit wunderbarer Kunst ist so dargestellt, wie sie sich im
Schmerz ganz zusammenzieht, Johannes, etwas vorschreitend,
Christus am Kreuz
473
in den Knieen geknickt, erhebt erschreckt beide Hände und
schaut, den eigenthümHch bäuerischen Kopf ganz zur Seite
gewandt, zu Christus auf.
Ein grosses Gemälde Venustis in der Galleria Borghese zu
Rom (Nr. 351) zeigt den Christus von Nr. XI. Für die Figuren
der Maria und des Johannes vermag ich in heute erhaltenen Zeich-
nungen Genaues nicht nachzuweisen. Maria, zu Christus aufschauend,
die Hände sprechend bewegt, erinnert an die Maria der Gruppe A ;
Johannes, ganz von dem Mantel verhüllt, blickt mit gesenktem Kopfe
abwärts und faltet krampfhaft die erhobenen Hände.
c. Christus, tief herabhängend, mit hoch empor-
gezogenen Armen an einem Kreuze, dessen Arme, in
Form eines V, schräg nach oben gehen.
An erster Stelle ist eine Zeichnung zu nennen, welche die tief
herabhängende Stellung Christi, aber noch nicht die schrägen Kreuz-
arme zeigt.
XrV. Paris, Louvre 120. Thode 471. Ber. 1583. Phot. Br. 45.
Kreide. Die Pentimenti in weisser Kreide. Wir finden hier
wieder, wie in V und VI, Christus ganz in Vorderansicht und
den Kopf nach vorne gesenkt. Die Arme sind, das eine Mal
höher, das andere Mal etwas niedriger emporgezogen. Links
Maria, in Bewegung, und vorne mit der Linken den über den
Kopf gezogenen Mantel vor der Brust fassend, die Rechte
nach unten ausgestreckt ; der Kopf im Profil schaut abwärts.
Johannes, nur sehr flüchtig angedeutet, senkt gleichfalls den
Kopf, gleichfalls nach vorne schreitend; die offene rechte Hand
streckt er nach unten, auch die linke.
XV. London, British Museum. Malcolm 72. 1895— 9— 15 — 509.
Thode 356. Ber. 1529. Phot. Kensington 2314. Schwarze
und weisse Kreide. Der Christus entspricht ganz dem von XIV,
doch hat das Kreuz hier, wie in den folgenden Blättern, die
schrägen Arme. Maria hat die Arme über der Brust gekreuzt,
Johannes streckt sie in Angst nach unten aus, ähnlich wie
in XIV.
XVI. Paris, Louvre 739. Thode 495. Diese wundervolle, ganz
durchgeführte Studie fand bis jetzt keine Beachtung. Der
Kopf ist en face gesenkt, die Beine erscheinen hier aber nach
links gedrängt.
XVn. Haarlem, Musee Teyler. v. Marcuard Taf XXII (auf der
Rückseite durchgezeichnet). Thode 269. Ber. 1675 (hält sie
seltsamer Weise nicht für acht). Studie in Kreide zu Christus
in der Stellung von XVI, doch ist der Kopf etwas nach rechts
gewendet. Nur bis zu den Knieen. Daneben Studien fiir Brust
474 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
und rechten Arm eines Mannes, sowie für Brust eines Mannes,
von der linken Seite gesehen. — Dieser Entwurf führt un-
mittelbar hinüber zu
XVm. Windsor. Thode 547. Ber. 1621. Phot. Br. 103. Kreide.
Die Gestalt Christi , herrlich malerisch modellirt , mit nach
rechts sinkendem Haupt. Die Beine etwas nach links ge-
drängt, das eine Mal enger geschlossen skizzirt, das andere
Mal mit weiter abstehendem rechten Beine ausgeführt. Der
rechte Fuss über den linken genagelt. Der Kreuzesstamm
auch zweimal gegeben, das eine Mal auffallender Weise schräg
nach rechts, das andere Mal schräg nach links emporsteigend.
Links undeutlich skizzirt Maria , die Hände , wie es scheint,
betend erhoben; sie schaut zu Christus empor. Johannes in
der uns bereits bekannten Stellung, wie in IV und in allen
den Gemäldekopien der Gruppe A.
XDC. Windsor. Thode 546. Nur der Gekreuzigte, ganz ähnlich
wie in XVIII, aber die Beinhaltung anders, das rechte über
das linke gelegt.
Die eigenthümliche Form des Kreuzes ist nicht von Michel-
angelo erfunden worden. Wir begegnen ihr in Italien im XIII. Jahr-
hundert, so in dem Triptychon des Berlinghieri in der Akademie
zu Florenz. Auch in seiner Zeichnung der Pietä für Vittoria Co-
lonna findet sich dieses Kreuz , und gelegentlich ihrer bemerkt
Condivi : „Das Kreuz ist ähnlich demjenigen , welches die Bianchi
zur Zeit des grossen Sterbens im Jahre 1348 in der Prozession
herumtrugen und welches dann in der Kirche S. Croce aufgestellt
wurde." Dies war wohl ein solch' alterthümliches Kreuz mit schräg
emporstehenden Armen. Freilich können wir dies durch den Augen-
schein nicht mehr feststellen, da, soweit meine Untersuchungen
gingen, jenes Kruzifix sich heute nicht mehr in S. Croce befindet.
Wir erinnern uns hierbei, dass bereits in seinem Jugendwerke, in
S. Spirito, Michelangelo an ein Kruzifix der Genossenschaft der
Bianchi, das sich in dieser Kirche befand und heute noch befindet,
anknüpfte. (Siehe oben I, S. 22.)
Zusammenfassendes.
Wer die besprochenen Entwürfe mit einander vergleicht, erhält
einen überwältigenden Eindruck zugleich von der Gewalt seelischen
Erlebens und von dem Reichthum an Formen der Gestaltung. Welche
Wahrheit und welche Verschiedenheit in der Schilderung des Leidens
in Maria und Johannes , von sich aufbäumendem Schmerze bis zu
zitterndem Sichzurückziehen in sich selbst ! Wie furchtbar die Ver-
zweiflung des zu seinem Vater aufschreienden Dulders, wie heilig
sein Versinken in die Stille des Todes ! Wie mannichfaltig die
Die Kreuzigung a7C
Versuche der Einheitsbildung in der Komposition, die bis zum
Höchsten wohl in der Louvrezeichnung XIV gesteigert ward. Lässt
sich eine genaue zeitliche Aufeinanderfolge der Entwürfe feststellen?
Über Vermuthungen kommt man nicht hinaus. Nur allgemein lässt
sich , wie auch Berenson angenommen hat , das Eine sagen , dass
die Schilderung des lebend sich abringenden Erlösers das Erste ist
und dass in der Folgezeit die Darstellung des Todesfriedens eintritt.
Die von mir gegebene Anordnung der Typen in der Gruppe B sagt
also Nichts über die Aufeinanderfolge aus. Doch möchte ich aus
der Behandlung in einigen Blättern schliessen, dass wir in den zu-
letzt erwähnten Zeichnungen mit der Gabelform des Kreuzes wohl
die spätesten Schöpfungen zu erkennen haben.
XVIII
Die Kreuzigung
Die Crucifixusdarstellung hat Michelangelo weiter geführt zu Ent-
würfen für eine solche des dramatischen Vorganges der Kreuzigung.
Einige solche (zum Theil nur in Kopien erhalten), die in den vierziger
Jahren entstanden sind, lassen sich heute noch nachweisen. Zu
ihnen gesellen sich Stiche nach verlorenen Zeichnungen. Danach
lassen sich folgende verschiedene Fassungen des Vorwurfes feststellen :
A. Zugeschriebene Entwürfe.
1. Christus zwischen den zwei Schachern.
Ein mir leider nicht aus Anschauung bekannter Stich, den
V. Heinecken erwähnt (I, S. 388). Bez.: M. A. in. und: Luca Bertelli
formis.
2. Christus zwischen den zwei Schachern, links
Maria, rechts Johannes. Im Mittelgrunde die Marien
und weiter hinten die würfelnden Soldaten.
Auch dieser grosse , auf drei Platten gegebene Stich , den
Heinecken ebendaselbst erwähnt, ist mir unbekannt geblieben. Das
Blatt ist mit dem Namen G. de Jode bezeichnet, und die sieben
Worte Jesu sind zu lesen. Von der Autorschaft Michelangelos ist
Nichts gesagt.
3. Christus zwischen den zwei Schachern, Maria,
Johannes und die das Kreuz umarmende Magdalena.
Ein dem Alberti zugeschriebener Stich eines Ignoto (in der
Marucelliana).
^y6 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
B. Erhaltene Enhvürfe.
4. Christus zwischen den zwei Schachern, Maria,
Johannes und die Frauen.
Die Komposition ist nur in einer Kopie im Louvre er-
halten (Thode 511b. Phot. Giraudon loi). Der Christus erinnert
an den Crucifixus für Vittoria Colonna, insofern er, noch lebendig,
das Haupt und den Blick nach oben richtet, doch ist er hier bartlos
und der Kopf nach der linken Seite gewandt. Die Arme sind wag-
recht ausgestreckt. Die Kreuze der Schacher sind in Verkürzung
gesehen, und zwar ist das linke so hinter Christi Kreuz angeordnet,
dass des letzteren Querbalken den Kopf des guten Schachers, der
in ganz ruhiger Haltung hängt , verdeckt. Der böse rechts , im
Profil gesehen, lässt den Kopf sinken und stemmt das linke Bein
über den Oberschenkel des auf einem Fussholz stehenden verdrehten
rechten an den Stamm. Vor Christi Kreuz unten hält der stehende
Johannes, der, sich vorneigend, den Mantel vor den Kopf zu ziehen
scheint, den an ihn gestützten Oberkörper der steif niedergesunkenen,
die Arme im Schooss kreuzenden Maria. Hinter ihm eilt mit ver-
zweifelt vor den Kopf gekrampften Händen eine schlanke Gestalt auf
Christus zu, zu ihm aufschauend. Links vom Kreuz hockt eine Frau,
die gekreuzten Arme im Schoosse und den Kopf auf sie gelegt. Eine
andere Frau steht links mit reicher Kopftracht und breit gegürtetem
Gewände und schaut, die Arme seitwärts ausstreckend, auf Maria herab.
Der Christustypus und die Motive der Freunde am Fuss des
Kreuzes lassen mir keinen Zweifel darüber, dass die Komposition
auf Michelangelo zurückzuführen ist. Und hierfür spricht eine andere
Rötheizeichnung :
Oxford, Univ. Gall. 38. Thode 421. Phot. Br. i. Auch sie
eine Kopie. Links auf dem Blatte ist der böse Schacher, rechts
die Gruppe der vier Figuren : Maria, Johannes, die hockende Frau
und die Eilende genau so wie auf dem Pariser Blatt zu finden.
Verwandt, wie es scheint, ist eine Zeichnung, die früher
bei Sir Charles Robinson sich befand (Thode 375. Ber. 2490).
Berenson schreibt sie Sebastiano zu — vermuthlich ist auch sie
von Michelangelo. Nach seiner Beschreibung wäre das Kreuz hier
auf der Seite. Christus seitwärts gesehen. Links die zusammen-
gebrochene Maria und ihre Freunde. Ausserdem Reiter und Fuss-
soldaten. Ich kenne das Blatt nicht.
5. Figurenreiche Komposition, genannt: die drei
Kreuze.
London. British Museum 1860 — 6 — 16 — 3. Thode 325. Ber.
Sebastiano del Piombo) 2485. Fagan XXXII. Abb. Lawrence
Die Kreuzigung 477
Gallery. Symonds II, 196. Phot. Br. 17. Auch diese grossartige,
in der ganzen Geschichte der Kreuzigungsdarstellungen einzig und
gesondert erscheinende Komposition, in welcher, wie die gesamte
Konzeption, so jedes einzelne Bewegungsmotiv, ja Jeder Strich, die
unvergleichliche Kühnheit des Michelangelo'schen Geistes, die alle
Traditionen durchbricht, laut verkündet, hat man, wie wir sahen
(s. oben II, S. 405), Sebastiano zuschreiben wollen. So weit gelangt
man, wenn man allein an Äusserlichkeiten , die man noch dazu
falsch sieht, haftet und die grossen geistigen Faktoren einer Kunst-
schöpfung ausser Acht lässt. Ich nannte die Darstellung unver-
gleichlich — das ist sie, weil hier eine ganz neue Erfindung, wie
sie nur einem grössten Genius zu eigen ist, überraschende Gestalt
gewonnen hat. Es ist hier im eigentlichen Sinne die Kreuzigung
wiedergegeben. Die früher und nachher typische Trennung der
zwei Vorgänge: der Kreuzannagelung und der vollzogenen Kreuzi-
gung erscheinen hier vereinigt. Auf den ersten Blick glaubt man
die Kreuzabnahme zu sehen, denn wie in deren üblicher Darstellung
sehen wir auf zwei Leitern (deren eine höhere nur angedeutet
ist) Männer mit Christus beschäftigt. Aber dieser Christus, eine
herrliche jugendliche Gestalt, die an dem uns schon bekannten
Kreuze mit den schräg emporgehenden, hier in der Höhe mit
einem Querbalken verbundenen Armen hängt, lebt : er wendet den
Kopf ganz nach der Seite rechts und blickt nach oben, wo eine
kleine schwebende Gestalt mit ausgebreiteten Armen — es kann
wohl nur die entfliehende Seele des einen Schachers sein — skizzirt
ist. Und der eine Henkersknecht , der auf dem Querbalken des
Kreuzes liegt, ist damit beschäftigt, den rechten Arm des Erlösers
zu befestigen , indessen der andere auf der niedrigeren Leiter
(flüchtig skizzirt) sich mit Dessen Füssen zu thun macht. Hoch
auch ragen die Kreuze mit den Schachern in die Luft: der
links hängt ausgestreckt en face, die Arme über das Querholz
zurückgebogen, die Beine den Balken umfassend; der rechts, gleich-
falls mit zurückgebundenen Armen , Brust und Kopf stark vor-
gebeugt, das linke Bein gerade ausgestreckt, das rechte stark ge-
krümmt gegen den Stamm gestemmt (also das gleiche Motiv, wie
in IV), schaut auf einen Schergen herab, der, auf einer Leiter
stehend, zum Schlage gegen sein Bein auszuholen scheint, indessen
ein anderer sich nach oben umschauend die Leiter hinabsteigt.
Tief unter den drei ans Kreuz Geschlagenen — was für den eigen-
thümlichen Eindruck sehr bestimmend ist — sehen wir drei
Gruppen. Links flüchtig skizzirte Reiter, rechts zwei Männer eine
hochaufragende Leiter senkend. In der Mitte die Freunde, neun
Gestalten, pyramidal aufgebaut. Vorne liegt ausgestreckt an den
Boden gesunken Maria, von einer knieenden Frau unter den Armen
478 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
gehalten ; sie wendet den Blick von unten hinauf zum Kreuze.
Hinter ihr kniet, jammernd die Arme in die Luft werfend (das
Motiv Giottos und Donatellos), eine andere, und zu ihren Füssen
steht sich beugend (ähnlich der Figur in IV) eine dritte, schmerz-
lich auf sie blickende. Eine vierte kniet hinter der Jungfrau, richtet
ihre Aufmerksamkeit aber nach hinten, wo zwei Figuren den
Kreuzesstamm umschlingen, eine fünfte mit erhobenen Armen nach
oben schaut , und eine sechste angstvoll nach vorne eilt (ähnlich
dem Johannes in dem Entwürfe für Vittoria Colonna).
Die Beziehung zu dem oben an letzter Stelle angeführten
Typus c der Crucifixusdarstellungen in der Kreuzesform ist ersicht-
lich, doch darf man die Zeichnung nicht so spät ansetzen. Manches
erinnert an die Entwürfe der dreissiger Jahre, Anderes, wie nament-
lich die Figuren unten und deren Behandlung , an spätere Studien.
So dürfte man wohl das Blatt etwa um die Wende der dreissiger
und vierziger Jahre ansetzen. Hierfür könnte auch — falls meine
später ausgesprochene Vermuthung zutrifft — sprechen, dass Daniele
da Volterra der Zeichnung die Idee der Frauengruppe in seiner
1541 entstandenen Kreuzabnahme entnahm. — Welch' eine Schöp-
fung! Nur ein Einziger, ausser Michelangelo, war im Stande, der-
gleichen zu erfinden : Tintoretto ! —
An dieser Stelle müssen nun auch einige Modelle für die
Figuren der Schacher ihre Erwähnung finden.
Modelle zu den Schachern.
Von einer plastischen Gruppe der Kreuzigung, die Michelangelo
geplant hätte, wissen wir Nichts. Doch giebt es einige Modelle,
die dem Meister zugeschrieben werden. Sie sind aber nicht beweisend
für eine solche Absicht, sondern können ihm, sind sie überhaupt
von ihm, sehr wohl auch für die Gestaltung einer Bildkomposition,
wie wir sie kennen lernten, gedient haben. Nur eine einzige ältere
Nachricht über die Existenz solcher Modelle besitzen wir, und auch
sie ist verhältnissmässig jungen Datums. In dem Praun'schen Kabinet
zu Nürnberg werden von v. Murr (Beschreibung S.462) zwei erwähnt.
In Bronzeausguss erhalten sind zwei Typen.
a. Bartloser Schacher. Fehlen die beiden Arme, das
rechte Unterbein, der linke Fuss. Die Arme waren, der linke höher,
der rechte niedriger ausgestreckt, man könnte annehmen: über den
Ouerstamm des Kreuzes zurückgebunden. Der Kopf ist nach rechts
gesenkt. Das rechte Bein war etwas gekrümmt nach unten gestreckt,
das linke, scharf gekrümmt gegen den Stamm gestemmt. Zwei
Bronzeausgüsse eines Wachsmodelles existiren: der eine im Kaiser
Friedrich Museum zu Berlin (Beschreibung: Die ital. Bronzen 258,
Taf. IX), der andere im Louvre aus der Sammlung Gatteaux (Migeon :
Die Kreuzigung 47g
Catalogue des bronzes 1904. 116. Phot. Giraudon 2148). Einen
Gypsabguss erwarb ich im florentiner Kunsthandel.
In dem angestemmten Beine könnte man eine Verwandtschaft
mit den Zeichnungen 4 und 5 finden — hierauf aber beschränkt
sich die Ähnlichkeit. Die Körperformen sind Michelangelesk, und
es ist wohl denkbar, dass es sich in der That um ein Modell des
Meisters handelt. Dann wäre dasselbe von einem anderen Künstler
für eine kleine Kr euzigungsgruppe in Bronze benutzt worden,
die sich im Museo des Castello zu Mailand befindet und die
man als Werk eines Venezianers in der Art des Alessandro Vittoria
(Migeon) oder auch eines Schülers des Michelangelo bezeichnet hat
(Phot. Fumagalli). Sie besteht aus Christus, der mit wagrechten
Armen an das Kreuz geheftet ist und den Kopf tief nach links
fallen lässt, dem erwähnten Schacher, dessen Arme und Beine ergänzt
sind, und dem guten Schacher, der, in ruhigerer Haltung, die Arme
wagrecht ausgestreckt, das linke Bein über das rechte geheftet,
gläubigen Blickes zum Heiland schaut. Den Namen des Meisters
selbst vor diesem Werke auszusprechen, ist nicht wohl möglich.
Auch sieht es so aus, als passte unser Schacher, da er, wie der
andere, nach rechts gewandt ist, nicht zu den beiden anderen Figuren,
als wäre er nicht für die Gruppe komponirt. Dies muss in der
Meinung bestärken, dass ein Bildner in der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts jenes Modell verwerthet hat.
b) Bärtiger Schacher. Der Bronzeausguss befindet sich
im Louvre als Pendant zu a. (A. a. O. Nr. 115. Phot. Giraudon
2149.) Ein anderes Exemplar kenne ich nicht. Ein Gypsabguss
im florentiner Kunsthandel aber muss, kleiner in den Verhält-
nissen, nach einem solchen angefertigt worden sein. Es fehlen die
beiden Arme und die beiden Unterbeine. Der Oberkörper ist nach
vorne gebeugt, der Kopf mit wallendem Bart gleichfalls; der rechte
Arm war gesenkt, der linke nach vorne erhoben. Das rechte Bein,
stärker gekrümmt als das andere, ist etwas nach rechts gedrängt.
Hier ist, wie ich glaube, der Gedanke an Michelangelo weniger
naheliegend (ich dachte einmal an Tribolo) und — seltsamer Weise,
obgleich es sich doch um ein Pendant zu a handelt — vermag ich
auch nicht recht einzusehen, wie diese Gestalt als Schacher am
Kreuz zu rekonstruiren wäre, da der linke Arm doch nach vorne
bewegt ist.
So lange nicht irgend welche bestimmte Beweise für Michel-
angelos Autorschaft erbracht werden, was wenigstens für den
Schacher a denkbar bleibt, haben wir uns damit zu bescheiden, nur
Dessen Einfluss, nicht aber seine Hand in dem Modell zu gewahren.
Ein Terrakottarelief, etwa eine halbe Elle hoch, mit der Dar-
stellung des bösen Schachers in „wunderbar" wiedergegebener
480 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Schmerzensverkrümmung befand sich im XVIII. Jahrhundert im Be-
sitze des Baron Stosch (Gori: Not. stör. 118.) —
In welch' innigem Zusammenhange diese künstlerische Ver-
herrlichung der Erlöserthat am Kreuze mit der geistlichen Gedanken-
beschäftigung des Meisters in den vierziger und fünfziger Jahren
steht, braucht nicht weiter dargelegt zu werden. Ich weise auf die
Gedichte im letzten Abschnitt des zweiten Bandes meines Werkes
(S. 453 und 459) und auf die dort gegebenen Ausführungen hin.
Dort auch deutete ich an, wie bedeutungsvoll für den Künstler der
„Kreuzeskultus", den Vittoria Colonna in so zahlreichen Gedichten
ausgedrückt hat, wurde. Einige derselben gab ich in Übersetzungen
(S. 405, 413), als Beispiele für viele andere.
XIX
Die Kreuzabnahme
In nahem Zusammenhange mit der Komposition der drei Kreuze
steht der Entwurf für eine figurenreiche Kreuzabnahme. Die Original-
zeichnung befindet sich in Haarleni.
I. Originalzeichnung.
Haarlem, Musee Teyler. v. Marcuard Taf. XIX. Thode 266.
Ber. (Sebastiano del Piombo) 2480. Vgl. oben II, S. 404. Röthel.
Von dem Kreuze, an das zwei Leitern angelehnt sind, wird Christi
Leichnam, dessen linker Arm bereits vom Kreuz gelöst ist, von
vier Männern heruntergelassen. Zwei befinden sich oben auf dem
Querbalken; der eine, auf der Leiter stehend, zieht den Nagel aus
der rechten Hand des Todten, der andere, sitzend, hält den Ober-
körper an einem um die Brust gezogenen Tuche. Der dritte, tiefer
auf der linken Leiter stehend und durch dieselbe hindurch greifend,
stützt Christus an der Brust, der vierte, auf der rechten Leiter, fasst
ihn unter dem linken Beine. Ein fünfter, am Boden, aber den Fuss
auf die Leiter gestellt, beschäftigt sich mit dem rechten, wie es
scheint, noch angenagelten Fuss. Links daneben Maria zu Boden
sinkend, eine sich über sie beugende Frau und eine nach oben
schauende Figur, die sie unter dem Arm fasst, rechts ein Mann in
erregter Bewegung nach oben schauend. — Auf demselben Blatte:
ein etwas anderer flüchtiger Entwurf für den Leichnam und ein
Mann, der hier dessen linkes Bein über die Schulter nimmt. Eine
Skizze für den Sitzenden oben, eine andere des Leichnams in ver-
änderter Haltung und eine vierte (nicht, wie Marcuard und v. Berenson
meinen) für eine Pietä, sondern für die zusammenbrechende Maria
in anderer Haltung: sie wird rückwärts von einer Figur unter den
Die Kreuzabnahme 481
Armen gehalten, eine Frau neben ihr, ihren Arm fassend, wendet
sich erregt emporschauend zu dem Kreuze. Eine Wiederholung
dieser letzterwähnten Skizze, gleichfalls in Röthel, fand ich im Louvre
Nr. 836. Thode 501.
Mit diesem Entwurf, der ausserordentlich und acht wie nur
irgend eine Zeichnung des Meisters und, wie die drei Kreuze, etwa
um 1 540 entstanden sein dürfte, scheint sich Dieser weiter beschäftigt
zu haben. Die Gruppirung der Figuren unten, wie das wohl be-
greiflich, befriedigte ihn nicht. Er war auf eine Verbreiterung der
Basis des Kompositionsdreiecks und auf dessen Erhöhung bedacht.
Und so entstand der Entwurf, der uns nicht aus einer Zeichnung,
wohl aber aus ReHefs bekannt ist, die, nach einer solchen geschaffen,
mit vollem Rechte seit altersher, berühmt und beliebt, den Namen
Michelangelos tragen.
II. Die Reliefs nach dem definitiven Entwurf.
Sie sind, eines in Stukko, die anderen in Wachs oder Elfenbein
oder Silber ausgeführt. Die Gruppe der den Leichnam herablassenden
Männer stimmt im Wesentlichen mit der Studie in Haarlem über-
ein; nur kleine Veränderungen sind vorgenommen: Kreuz und Leitern
wachsen höher über der unteren Gruppe heraus, rechts über dem
das Bein Christi haltenden Mann ist eine Figur hinzugefügt, die, an
der Leiter mit der Linken sich festhaltend , mit der Rechten den
sinkenden Körper am Hüftentuch hält; Christi Kopf fällt stärker
nach der linken Seite, sein rechter Arm ist eben vom Kreuz gelöst
und wird von dem Mann oben gehalten; der auf der Leiter links
Stehende stützt Christus unter dem Kopfe, der rechts Hinansteigende
steht schon auf der untersten Sprosse. — Neu ist die Anordnung
unten. Links eine grössere Anzahl von Figuren. Maria wird stehend
links von einer Frau, die schmerzlich nach unten schaut, rechts von
einem Manne, der das Haupt, nach rechts gewendet, tief senkt und
hinter der Hand verbirgt, umfangen und gestützt. Sie schaut zu
Christus empor. Dahinter Joseph von Arimathia, eine alte Frau,
Magdalena, die die Rechte ausstreckt, als wolle sie Christus em-
pfangen, und ein ganz nach hinten gewandtes Weib, in Verzweiflung
die Hand an den Hinterkopf legend und die Linke nach Christi
Fuss ausstreckend. Zwei andere Figuren hocken am Fuss der
Leiter; die vordere lässt die gekreuzten Arme und den Kopf tief
herabhängen, die hintere faltet die Hände. Rechts stehen drei
Figuren : Nikodemus, der aufschauend die Arme zum Empfang des
Leichnams ausstreckt, eine alte Frau mit gekreuzten Armen, die
emporblickt, und hinter ihr eine andere, sibyllenhafte, mit der Rechten
emporweisend. — Alle einzelnen Motive, die Gewandungen und der
482 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
intensive Ausdruck in den Köpfen weisen auf eine getreu wieder-
gegebene Vorlage von Michelangelos Hand hin. Und es ist eine
ächte Studie des Meisters, was schon Berenson erkannte,
der gleichwohl auch hier Sebastiano als Komponisten finden wollte,
erhalten.
II. London, British Museum 1860 — 6—16—4. Thode 326.
Ber. 15 14. Fagan XXVI. Abb. Lawrence Gallery. Phot. Br. 15.
Kreide. Die Gruppe der Frauen, die im definitiven Entwurf freilich
etwas verändert wurde. Maria, in etwas zusammenknickender Stellung
nach vorne schreitend, schaut nach rechts zum Kreuz empor. Sie
wird von zwei Frauen unter den Armen gehalten: die links schaut
abwärts, die rechts bedeckt mit der Linken ihr Antlitz. Dahinter
links eine Frau mit erhobenen Armen, aufwärtsschauend, und rechts
eine Gestalt nach hinten gewandt.
Bekannt wurden mir folgende Exemplare, deren Zahl sich aber
wohl vermehren Hesse. Sie zeigen unbedeutende kleine Abweichungen
von einander.
1. Stukkorelief in der Casa Buonarroti. Abb. v. Marcuard zu
Taf. XIX. Vermuthlich von einem Schüler des Meisters,
vielleicht in Dessen Atelier, verfertigt.
2. Elfenbeinrelief im Museo nazionale zu Florenz. Abb. v. Mar-
cuard zu Taf. XIX.
3. Zweites Exemplar ebendaselbst.
4. Silberrelief in Klosterneuburg, Schatzkammer des Augustiner
Chorherrenstifts. Von Hans deVos ausgeführt. Vgl. H. Modern
im Jahrb. d. Kunsts. des Allerh. Kaiserhauses XVII, 1896.
S. 315, Anm. I.
5. Wachsbossirung auf Schiefer. München, K. Residenz. Wessen-
berg: Christi. Bilder II, 532. F. A. Zettler und J. Stockbauer:
Ausgewählte Kunstwerke aus dem Schatze der reichen Kapelle
der K. Residenz in München 1874. Von späterer Hand be-
zeichnet: Mich. Ang. Bonarota f Nach der eigenhändigen
Aufzeichnung des Herzogs Maximilian vom Jahre 1623 als
Originalkomposition Michelangelos bezeichnet. Fernsicht auf
Jerusalem.
6. Elfenbeinrehef. 1836 im Besitze des Dr. Wilhelm zu Eppingen.
Vgl. Grieshaber: ,, Michelangelos Kreuzabnahme" in Schorns
Kunstblatt 1836. XVII, 113 f. Danach wäre es im Vatikan
gewesen, wo es der Künstler Feodor noch gesehen. Während
der Revolution kam es in die Hände eines Offiziers, der es
in Karlsruhe verloosen wollte. Feodor erkannte und erwarb
es. Nach seinem Tode kam es in den Besitz Dr. Wilhelms.
9^2 Zoll hoch, e^j.-, breit. — Feodor hat es gestochen.
Die Grablegung Christi, Gemälde in der National Gallery zu London 483
Ein Bild mit der Kreuzabnahme, angeblich von Michelangelo,
befand sich in der Galerie des Herzogs von Orleans (Description
des tabl. du Palais royal. Mariette : Observ. S. T"]^.
III. Danieles da Volterra Kreuzabnahme in Santa
Trinit ä.
Die Frage, ob Daniele seine Komposition nach einer Zeichnung
Michelangelos angefertigt — es war im Jahre 1541 — ist wohl
dahin zu beantworten , dass er Skizzen des Meisters gekannt und
an sie angeknüpft hat. Die Gruppe der niedergesunkenen Maria
und der sie umgebenden Frauen könnte durch jene auf den ,,Drei
Kreuzen", die allgemeine Anordnung der Männer auf den Leitern
mit dem Leichnam durch die eben erwähnte Komposition , der
Christus durch Pietädarstellungen inspirirt worden sein. So würden
sich die grossen, eindrucksvollen Züge des Werkes erklären. Immer
aber bliebe Daniele das Verdienst selbstständiger, bedeutender Ge-
staltung. Aber man vergleiche nur das , was wir sonst von ihm
kennen , um es für schwer glaublich zu halten , dass diese gross-
artige Konzeption Danieles eigenem Hirn entstamme. Und , wie
ich früher bemerkte (II, S. 445), ist auch bei einem zweiten
seiner Gemälde : David und Goliath in Paris (Nr. 3) die Mitarbeiter-
schaft Michelangelos anzunehmen. Für die Bereitwilligkeit, mit
welcher Letzterer den ihm ergebenen Künstlern durch Skizzen half,
haben wir Beispiele genug. Wenn Rubens sich durch die Kreuz-
abnahme inspiriren Hess, so war es, weil aus dieser der Geist eines
grossen Meisters zu ihm sprach.
Die Michelangelo zugeschriebene Zeichnung in der Akademie
zu Venedig (Phot. Naya 210) ist eine schwache Kopie nach dem
Christus des Gemäldes.
XX
Die Grablegung Christi, Gemälde in der National Gallery
zu London
Dies Gemälde erst hier zu besprechen , werde ich durch den
Wunsch , die Pietädarstellungen im Zusammenhang zu behandeln,
veranlasst. Es ist unvollendet und in seinen ausgeflihrten Theilen
durch Übermalung entstellt und befand sich in der Sammlung des
Kardinals Fesch (zuerst im Palazzo Falconieri , dann in der Villa
Paolina) zu Rom, wurde 1845 vom Principe di Musignano an einen
Antiquar Vito Enei verkauft , von dem es Mr. Robert Macpherson
1846 um wenige Skudi erstand. Peter von Cornelius erklärte es,
wie einige andere Kenner und Künstler in Rom , für ein Werk
484 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Michelangelos. Im Jahre 1868 wurde es für 2000 Pf. Sterling von
der Nationalgalerie erworben. Nach Schorns Kunstblatt (1846,
XXVII, 196) hätte es eine aus Blech getriebene Nummer mit den
farnesischen Lilien getragen , die darauf schliesscn Hesse , dass es
aus der Galerie Farnese stamme. Sollte es das im Inventar der
Kunstschätze des Herzogs von Parma 1697 (7. Mai) erv^^ähnte :
,,quadretto in tavola in qualche parte guasto e non finito con Nostro
Signore , S. Giovanni , tre Marie et un Apostolo , si dice esser di
Michelangelo" sein.? (Le Gall. naz. ital. 1902, V, 274.) Der Aus-
druck: quadretto stimmt allerdings nicht, wohl aber entsprechen
die anderen Angaben auffallend. Und das Wappen der Farnese !
Das führt fast dazu, ein Versehen des Inventares in dem Ausdrucke :
quadretto anzunehmen.
Die Ansichten der Forscher über den Schöpfer sind getheilt.
Grimm, Mantz, Bode, Frizzoni (Arch. stör, dell'arte 1888, I, S. 269
und Arte Italiana del Rinascimento , Mailand 1891, S. 263), Justi,
Jacobsen (Rep. 1901. XXIV, 344) und Berenson schreiben es
Michelangelo zu (Letzterer wenigstens jedenfalls die Komposition).
Heath Wilson und Symonds weisen diese Meinung zurück, die
beiden erstgenannten (wie neuerdings Knapp) dachten an Pontormo.
Springer und so auch Wölfflin meinen, es sei höchstens anzunehmen,
dass die Hauptgruppe auf einen Entwurf des Meisters zurückgehe,
mit dem Bilde habe Dieser Nichts zu thun. Knapp glaubt, es habe
ein Karton oder eine ausgeführte Kompositionsskizze Michel-
angelos vorgelegen. Robinson (Times l. September 1881) möchte
ein von Vasari erwähntes Gemälde Bandinellis darin gewahren. Für
Michelangelo werden in Sonderheit die dem Geiste eines Bildhauers
entsprechende Konzeption des von vorne gesehenen, schwebend
gehaltenen Leichnams (Justi), die Übereinstimmung des Typus des
Joseph von Arimathia mit dem Joseph in der hl. Familie Doni,
einzelne Bewegungsmotive und die Trachten geltend gemacht, gegen
ihn die Diskordanz in der Komposition: die äusserhche Anfügung
der Frauen im Vordergrunde, das Nichtssagende der links knieen-
den Figur, das Ungenügende in der Anatomie, das Gefühllose und
Hässliche der Gestalten , die ungeschickte Verwerthung Michel-
angelo'scher Eigenthümlichkeiten (z. B. die Binden) und die Land-
schaft mit dem Städtchen und den kleinen Figuren beim Sarkophage.
Gewiss sind die gerügten Mängel vorhanden, stärker aber doch
wirken auf mich die bedeutenden QuaHtäten des Werkes. Lange
bin ich schwankend gewesen, bis die auf Grund zweier Zeichnungen
vorgenommene Untersuchung und Erwägung mich bestimmt haben,
die Ächtheit des Bildes meinerseits zu behaupten.
I. Die Originalzcichnung Michelangelos in der Albertina zu Wien,
(Sc. K. 137. Thode 522. Ber. 2503: Sebastiano), welche den
Die Grablegung Christi, Gemälde in der National Gallery zu London 485
von Maria im Rücken aufrecht gehaltenen Christus zeigt. Ich
bespreche sie weiter unten (Kap. XXI, Nr. VIII). Im Gemälde
zeigen sich einige Abweichungen in dem Oberkörper: er ist
senkrechter gehalten und mehr in Verkürzung gesehen, die
rechte Schulter ist mehr erhoben, der linke Arm mehr ge-
senkt, der Kopf in Frontansicht gegeben.
II. Paris, Louvre Nr. 726. Thode 492. Ber. 1742. Phot. Giraudon.
Feder. Studie des Nackten für die links knieende Frau.
Das Haar ist hier in einem breiten Zopf um den Kopf gelegt.
In der Rechten hält sie die Dornenkrone, in der Linken Nägel,
Berenson, der die Beziehung zum Gemälde nicht erkannte,
meinte , es sei eine Zeichnung Passarottis nach einer Studie
für die Sixtinische Decke.
Auf den ersten Blick war auch ich geneigt, die Hand eines
Anderen hier zu finden. Bei einem Vergleiche genauerer Art aber
gelangte ich zur festen Überzeugung, dass es eine ächte Zeichnung
etwa aus dem Ende der florentinischen Periode (1507, 1508) oder
der Zeit der Sixtinischen Deckenmalerei ist. Genau dieselben Eigen-
thümlichkeiten der flotten, breiten Federführung in kräftigen Kreuz-
schraffirungen einerseits und in den der Rundung der Formen
folgenden Faserstrichen andrerseits finden sich
1. in den Studien zur Madonna auf dem Blatte im Berliner Kupfer-
stichkabinet. (s. oben I, S. 112, Nr. 5.)
2. In dem Oxforder Drachen (Nr, 13. U, S. 112, Nr. VI.)
3. In der Prudentia in Chantilly. (II, S. 348.)
4. In den Pariser Studien für einen Sieger des Juliusdenkmales,
Nr. 114. (I, 158, Nr. XX.)
5. In der Studie für den Sieger ebendaselbst Nr. 689. (I, S. 159,
Nr. XXII.)
6. In dem liegenden Mann in der Albertina Nr. 138. (I, S. 148,
Nr. XXXVII a.)
7. Im Kopf eines Mannes in Mütze, Oxford 2 v.
8. In dem bekannten Faunskopf in Paris, Louvre. Nun weiss ich
wohl, dass verschiedene dieser Zeichnungen, zu denen noch
weitere hinzugefügt werden könnten , von Morelli , Wickhoff
und Berenson anderen Künstlern, vornehmlich Bandinelli, zu-
gewiesen werden. Dieser Bandinelli aber scheint mir will-
kürlich konstruirt zu sein. Für die Ächtheit aller Blätter dieser
Gruppe sprechen die unangefochtenen unter i, 2 und 7 an-
geführten Zeichnungen.
Berensons Behauptung, der herrliche Rötheikopf in der Casa
Buonarroti (I, 7. Thode 16. Ber. 1401. Abb. Ber. pl. CXXIX) sei
eine Studie für diese Frau , muss ich zurückweisen. Er ist , ab-
weichend von dem im Bilde, im Gegensinne und stark gesenkt ge-
486 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
geben. Ich bezeichnete früher (I, S. 266, Nr. XCIX) das Blatt als
eine Skizze für die Frau der Ezechiaslunette in der Sixtina.
Zwei ächte Zeichnungen Michelangelos für die Grablegung also
liegen vor, und die zweite weist auf eine frühe Entstehungszeit
derselben hin.
Ehe ich die Schlussfolgerungen ziehe, muss ich aber eine
Parenthese machen. Nähmen wir an, dass die Louvrezeichnung
von Bandinelli sei, wie Berenson doch konsequent, statt Passarotti
zu nennen , sagen müsste , so scheint hierdurch Robinsons Hypo-
these eine Bestätigung zu erhalten.
Vasari erzählt von Bandinelli (VI, 151): ,,in eben jengr Zeit
(1525, 1526) hatte er übernommen, eine ziemlich grosse Altartafel
für die Kirche von Cestello zu malen und hierfür einen sehr schönen
Karton angefertigt : den todten Christus und um ihn die Marien und
Nikodemus mit anderen Figuren ; er führte die Tafel aber nicht
in Farben aus in Folge von Gründen, von denen wir später noch
sprechen werden. In dieser Zeit auch machte er den Karton für
ein Gemälde, auf dem Christus vom Kreuz genommen, in des Niko-
demus Armen gehalten, und seine stehende Mutter, die ihn beweint,
und ein Engel, der in den Händen die Nägel und die
Dornenkrone hält, zu sehen waren ; und sogleich sich daran
machend, das Bild zu malen, beendigte er es schnell und stellte es
im Mercato nuovo in dem Laden seines Freundes, des Goldschmiedes
Giovanni di Goro aus, um die Meinung der Leute und besonders,
was Michelangelo darüber sagte , zu hören. Dieser wurde vom
Goldschmied Piloto hingeführt, es zu sehen und sagte, nachdem er
es eingehend betrachtet, er wundere sich, dass Baccio, der ein so
guter Zeichner sei, eine so rohe und anmuthlose Malerei aus seinen
Händen gehen lasse ; denn jeden schlechten Maler habe er seine
Bilder besser ausführen sehen, und dies sei keine Kunst für Baccio.
Piloto überbrachte Michelangelos Urtheil dem Baccio , und Dieser,
obgleich er ihn hasste, sah ein, dass er Recht habe. Und gewiss
waren die Zeichnungen Baccios sehr schön, aber die Farbenbehand-
lung verstand er schlecht und ohne Anmuth. Daher entschloss
er sich, nicht mehr mit eigener Hand zu malen, sondern nahm
einen Jüngling, der die Farben ziemlich geschickt handhabte,
zu sich, Namens Agnolo, den Bruder des trefflichen Malers Francia-
bigio, der wenige Jahre zuvor gestorben war. Von diesem Agnolo
wünschte er die Tafel von Cestello ausführen zu lassen, aber sie
bheb unvollendet in Folge der Staatsumwälzung in Florenz im
Jahre 1527."
Wie steht es nun mit Robinsons Behauptung.? Könnte unser
Bild Bandinellis unvollendete Altartafel von Cestello sein.? Die
Beschreibung bei Vasari ist zu unbestimmt, um dies zu bejahen.
Die Grablegung Christi, Gemälde in der National Gallery zu London 487
Wäre es das andere ? Vasaris Angaben und das angeführte Ürtheil
Michelangelos, der doch sein geistiges Eigenthum wiedererkannt
haben müsste, schliessen diesen Gedanken aus. Aber es ist doch
sehr auffallend, dass hier ein Engel, der die Dornenkrone und die
Nägel hält, genannt wird — also das Motiv in der Pariser Zeich-
nung, die nach einer von uns für den Augenblick beliebten Ver-
muthung von Bandinelli herrührt. Sollte Bandinelli schon in jenem
früheren Bilde die Dornenkrone und Nägel haltende Gestalt, und
zwar nicht als Engel, sondern als eine der Marien dargestellt
haben.? Und könnte das Londoner Bild nicht doch die Tafel von
Cestello sein.?
Auch jetzt bleibt diese Annahme ganz willkürlich. Es ist wohl
nur Zweierlei anzunehmen möglich. Entweder hat der Maler des
Londoner Bildes eine Zeichnung Bandinellis verwerthet, oder Ban-
dinelli hat, wie jener Maler, für die Figur sich an ein Michel-
angelo'sches Vorbild gehalten, das schon vor 1525 entstanden wäre.
Das erstere ist nicht denkbar, weil das Bild früher entstanden sein
muss. Wäre das letztere aber der Fall , dann tauchte die Ver-
muthung auf, dass doch Michelangelo die Grablegung, und zw^ar in
früher Zeit, gemalt.
Wir kommen also zu dem gleichen Schluss, wie wenn wir die
Louvrezeichnung als Michelangelos eigene Arbeit bezeichnen. Ich
schliesse die Parenthese : das Londoner Bild ist nicht von Bandinelli.
Fast alle Forscher nun haben dasselbe früh, nämlich etwa in die
Zeit der hl. Familie Doni, angesetzt. (Bode dachte freilich sogar an
das Ende der neunziger Jahre des XV. Jahrhunderts.) Beweisend
für eine so frühe Datirung erschien vor Allem der Kopf des Joseph
von Arimathia, der in der That dem Joseph in dem Donibilde sehr
ähnlich ist, und das Landschaftliche.
Nun lassen sich aber auch die anderen Gestalten ihrem Stile
nach in die Werke aus dem Anfange des XVI. Jahrhunderts ein-
reihen. Analogieen zu den Figuren der Sixtinischen Decke sind
zu finden: in dem Johannes zu den Ignudi (man vgl. im Besonderen
den Kopf des Jünglings links über Ezechiel), in der Frau rechts,
welche den Leichnam trägt, zu einer Pariser Zeichnung für eine
Lunette (Nr. 113, s. oben I, S. 271, Nr. CXLV. Kopf und Kopf-
putz auffallend ähnlich). Und endlich zeigt die Pariser Studie den
Stil jener Zeit. Die Grablegung muss also etwa zwischen 1 505
und 15 10 entstanden sein, notabene die Zeichnung und Untermalung.
Die malerische Ausführung und die Landschaft ist nicht von Michel-
angelos Hand. Er hat vielleicht — Übermalungen machen die Ent-
scheidung schwer — den Karton oder das untermalte Bild einem
Anderen überlassen, der es aber auch nicht vollendete. An dieses
Bild aber dürfte Bandinelli in seinen Gemälden angeknüpft und ihm
488 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
die Idee seines Engels mit der Dornenkrone und den Nägeln ent-
lehnt haben. Michelangelo seinerseits aber erinnerte sich desselben,
als er die Albertinazeichnung entwarf, und benutzte für diese den
älteren Entwurf zu der Londoner Grablegung.
XXI
Die Pietä, die Beweinung und die Grablegung
Die Entwürfe zu Darstellungen dieser drei Vorgänge zusammen-
fassend zu betrachten, scheint geboten, da, wie wir sehen werden,
nahe Beziehungen und Übergänge zwischen ihnen zu gewahren sind.
Bezüglich der Zeit ihrer Entstehung gilt das Gleiche, wie von den
Entwürfen für den Gekreuzigten, Sie sind, von einigen Vorläufern
abgesehen, kennzeichnend für die im Verkehr mit Vittoria Colonna
sich steigernde und weiterhin immer mehr der Phantasie sich be-
mächtigende religiöse Erregung des alternden Künstlers, dem nur
noch die Versenkung in das Erlösungsmysterium der Passion Christi
Beschwichtigung seines tiefen Sehnens zu gewähren vermochte. Die
meisten der zu erwähnenden Zeichnungen sind in den vierziger und
fünfziger Jahren entstanden.
Wie sehr neuere Forscher den gewaltigen, mit hoher Originalität
und Leidenschaftlichkeit sich in ihnen äussernden Geist verkannten,
wenn sie diese ergreifendsten Zeugnisse übermächtiger innerer Er-
lebnisse eines grössten Genius dem Sebastiano del Piombo zu-
schrieben, habe ich bereits früher dargelegt. Im Folgenden wird
auch die nachzuweisende innige Beziehung, in welche die Motive
der einzelnen Entwürfe zu einander und zu den Pietägruppen des
Florentiner Domes und des Palazzo Rondanini stehen, die Unhalt-
barkeit jener Hypothese erkennen lassen.
Der Übersichtlichkeit halber unterscheide ich , wie bei dem
Crucifixus, Haupttypen. Deren Anordnung dürfte, wenn auch nicht
im Einzelnen, so doch im Allgemeinen, der zeitlichen Aufeinander-
folge entsprechen.
A. Christus vor der sitzenden Maria am Boden
liegend.
Der nicht erhaltene Entwurf (I) für Sebastianos del Piombo
Gemälde in Viterbo (s. oben II, S. 401). Der Leichnam liegt flach
ausgestreckt, nur den Kopf an eine Erhöhung gelehnt, auf dem
Leichentuch am Boden. Maria, die gefalteten Hände seitwärts vor
der Brust erhebend , den Mantel auf den Knieen , ein Tuch über
dem Kopfe, blickt gen Himmel. Auch hier, wie bei der Madonna
del Velo, scheint eine Komposition Raphaels , die uns in dem be-
Die Pietä, die Beweinung und die Grablegung 480
kannten Stiche des Marcantonio Raimondi (B. 34) erhalten ist, den
Ausgangspunkt für die Gestaltung gegeben zu haben. Sie zeigt
Christus auf einer niedrigen, in zwei Stufen sich erhebenden Mauer
ausgestreckt liegend , die Füsse auf dem Boden , hinter ihm die
stehende Maria, welche, die nach unten ausgestreckten Hände
schmerzlich öffnend, nach oben schaut. Das Motiv des liegenden
Christus ist aus Darstellungen der Beweinung übernommen worden.
Kompositioneil ist die Gruppe in Raphaels Zeichnung glücklicher
gestaltet, da durch die Arme Marias und die erhöhte Stellung des
Oberkörpers Christi die lineare Einheit in Dreiecksform hergestellt
ist, indess in Sebastianos Bilde die Horizontale des Leichnams und
die Vertikale der Maria unvermittelt auf einander stossen. Eine
höhere Macht der Erscheinung und Erhabenheit der Empfindung
ist dem Entwürfe Michelangelos zu eigen.
In seiner Petersburger Beweinung hat Sebastiano, in der Stel-
lung Christi sich wieder mehr Raphael nähernd, aber sein Unver-
mögen in der Komposition bedenklich offenbarend, die Grösse jener
Konzeption abgeschwächt.
Das Modell zu einem todten liegenden Christus , ,,nur eine
Skizze, aber eine der ausgezeichnetsten Sachen", befand sich in der
Sammlung Crozat und kam an Dessen Erben (Mariette : Observ. 78).
B. Christus auf einem Sitze zurückgelehnt.
Zwei originale Zeichnungen zeigen uns dieses Motiv, und zwar
die Christusgestalt allein, so dass wir im Unklaren darüber bleiben,
welche Figuren sie umgeben sollten.
IL Florenz, Casa Buonarroti XIV, 6g. Thode 61. Ber. 141 6.
Abb. Frey 15. Phot. Alinari 1013. Kreide. Der nach links
geneigte, dem Beschauer zugewendete Oberkörper eines nach
rechts gewandt sitzenden Mannes (der Kopf nicht ausgeführt).
Sein linker Arm hängt schlaff schräg nach vorne über das
rechte Bein herab, der rechte, herabfallend, scheint mit der
Hand auf dem Sitze zu ruhen. Darunter ein muskulöser rechter
Arm , der in der geschlossenen Hand einen Gegenstand hält.
Dass die Zeichnung, wie Berenson und Frey meinen, der frühen
Zeit (der Sixtinafresken) angehöre, glaube ich nicht. Der Be-
handlung nach möchte ich sie in die Zeit der Studien für das
Jüngste Gericht, in die drcissigcr Jahre, versetzen. Berenson
nennt sie mit Recht eine Studie zu der gleich zu erwähnen-
den (III) im Louvre. Frey bezweifelt, ob der Entwurf für eine
Pietä gedacht gewesen. Er findet Ähnlichkeit mit dem Jüng-
ling , der von einem Manne getragen wird , in der Mitte der
Sündfluthkomposition, was ich nicht finden kann, und bemerkt,
ein ähnliches Motiv zeige auch der Soldat rechts auf der
490 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
Zeichnung der „Auferstehung" in Windsor. An diesen er-
innert aber doch nur die Haltung des linken Armes. Be-
stimmt zu behaupten, dass hier eine Studie für einen Christus
vorliegt, ist freilich nicht möglich, aber es dünkt mich höchst
wahrscheinlich. Denn die Haltung ist offenbar die eines
willenlosen Leibes, der sich nicht selbst aufrecht erhält,
sondern in dieser Lage denkbar nur ist, wenn er gestützt
wird. Und der Einwand Freys , es sei doch ein lebender
Körper dargestellt , wird durch die Thatsache , dass Michel-
angelo Studien nach einem Modell machte, beseitigt. Man
könnte sonst bei der Skizze wohl nur an einen Entwurf für
einen noch vom Todesschlummer umfangenen Auferstehenden
im Jüngsten Gericht denken und hierfür allenfalls den auf
dem Blatte befindlichen rechten Arm geltend machen, dessen
Form und Handbewegung manche Analogieen im Fresko
findet. Unzweifelhaft aber, und dies ist das Wichtige, ward
die flüchtige Studie nach der Natur benutzt für
III. Paris, Louvre 125. Thode 475. Ber. 1586. Abb. Berenson
PI. CXLV. Frey 21. Phot. Br. 55. Giraudon 98. Kreide.
Herrliche, mit aller Sorgfalt in der Modellirung durchgeführte
Zeichnung. Der Körper hat fast genau die gleiche Stellung;
der dort nicht angegebene , aber aufrecht gedachte Kopf ist
hier — wenn auch flüchtiger als der Körper — ausgeführt,
jugendlich bartlos gebildet und mit schmerzlichem Ausdruck
nach rückwärts auf die rechte Schulter gesenkt. Die Beine
sind nur angedeutet, das rechte rechtwinklig, das linke höher
gestellt, scharf im Knie gebeugt. Der rechte Arm ist noch
einmal kleiner und in etwas veränderter Stellung (die Hand
im Profil) skizzirt. Rechts die flüchtige Skizze eines etwas
verkürzten, nach vorne bewegten rechten Armes, der einer
sich vorbeugenden Person angehört. Was Frey an dieser
letzteren meisterlichen, sicher ächten Skizze, die genau mit
Studien für das Jüngste Gericht übereinstimmt, auszusetzen
hat, verstehe ich nicht. Auch verstehe ich nicht, warum er
hier nur Schwäche der Ohnmacht, nicht eingetretenen Tod
sehen will. Dass die Glieder noch zu viel Spannung zeigten,
kann ich nicht als Argument gelten lassen ; denn auch in
manchen anderen Fällen hat der Künstler es vorgezogen, bei
der Darstellung eines eben Verstorbenen statt der Erschei-
nungen des Todes diejenigen eines gleichsam noch nach-
wirkenden Lebens zu zeigen. Hingegen sprechen die ge-
brochenen Augen und der schmerzlich offene Mund deutlich
von seiner Absicht, einen Todten darzustellen. Gerade der
von Frey angezogene Vergleich mit dem sterbenden Sklaven
Die Pietä, die Beweinung und die Grablegung 491
spricht gegen ihn. EndHch bin ich auch anderer Meinung
bezüghch der Datirung. Nach dem Sündfluthfresko und vor
dem Louvresklaven, meint Frey. Mir hingegen scheint Alles
auf die dreissiger Jahre hinzuweisen: die mächtigen Körper-
verhältnisse, der kleine Kopf, die wundervolle Helldunkel-
beleuchtung.
Muss ich nun an der Meinung, es handle sich um einen Ent-
wurf für einen todten Christus , durchaus festhalten , so kann ich
mir den Kompositionsgedanken nur nach Analogie eines in der
vorhergehenden Kunst wohlbekannten Typus deuten : Christus auf
dem Grabe sitzend und, sei es nun von Engeln, oder von Maria
und den Freunden gehalten. Für die erstere Fassung kommen
vornehraHch Donatello'sche Reliefs oder solche seiner Schule in
Betracht. Ich möchte beispielshalber nur auf eine Plakette im Kaiser
Friedrich-Museum in Berlin (Beschreibung. Die ital. Bronzen XL VI,
682) hinweisen , auf welcher Christus , zwischen zwei Engeln , in
besonders ähnlicher Haltung erscheint, oder auf die Moderno'sche
Plakette ebendaselbst (Taf. L, 743, Molinier Nr. 176). Von den
Frauen umgeben finden wir den heiligen Leichnam , und zwar
wieder mit dem gleichem Motiv der Körperhaltung , auf einer
anderen Plakette Modernos (a. a. O. Taf. L, 745. Molinier Nr. 174).
Ergänzen wir uns den Entwurf in diesem Sinne, so erscheint die
andere Studie auf unserem Blatte: der vorgreifende Arm als eine
kleine Skizze , die vermuthlich für eine den Leichnam stützende
Figur bestimmt war.
In ganz besonders enger Weise hat sich der Meister also in
diesem ergreifenden Entwürfe , für dessen Ächtheit eintreten zu
müssen, wie ich es oben (II, S. 411) gethan, wahrlich überflüssig
erscheinen sollte, an einen älteren Typus der Schmerzensdarstellung
angeschlossen. Einige andere Skizzen wollen erwähnt sein, da man
bei ihnen an eine Pietä gedacht hat.
Oxford, Univ. Gall. 12. Thode 396. Ber. 1554. Abb. Fisherl, 30.
Steinmann: Sixt. Kap, II, 601. Phot. Br. 67. Rötheiskizze eines
sitzenden , von vorne gesehenen Mannes , der die Rechte auf den
Sitz stützt. Ich erwähnte diese Studie, die fälschlich auch als
Entwurf für den Jonas betrachtet wurde, schon oben (I, S. 263).
Sie auf eine Pietä zu beziehen, ist mehr als gewagt. Das Gleiche
gilt von
London, British Museum 1859 — 6 — 25 — 568. Thode 311.
Ber. 1484. Abb. Steinmann a.a.O. 609, TJ. Verso : in Kreide.
Oberkörper eines Mannes, nach halb rechts gewendet, hinab-
schauend. Auch Steinmanns Meinung, dies sei ein Entwurf für
den Jüngling rechts über der Delphica, musstc ich zurückweisen
(s. oben I, S. 258).
492 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
London, Mr. Gathorne Hardy. Ben 1541. Studie für einen
geneigten Torso. Berenson hält es für möglich , dass sie für eine
Pietä bestimmt gewesen. Ich kenne das Blatt nicht aus eigener
Anschauung.
Haarlem , Mus6c Teyler. Taf. IV. Rückseite der Studie für
den Karton von Pisa. Thode 254. Ber. 1464. Berenson dachte
hier an den Entwurf für einen todten Christus. Dies scheint mir
ausgeschlossen : es ist eine in Aktivität begriffene knieende Figur.
Alle diese Zeichnungen kommen also nicht in Betracht. Wohl aber
IV. Windsor. Thode 534. Ber. 1609. Neben der Federskizze
eines sitzenden Mannes zwei Rötheistudien zu dem zurück-
gelehnten Oberkörper eines Mannes und ein dazu gehöriger
Kopf.
Einen Stich, den v. Heinecken (I, S. 391) erwähnt und der
bezeichnet ist : M. A. inventor und : A. Salamanca , habe ich nicht
gesehen. Er käme für unsere Komposition in Betracht , wäre es
sicher, dass er auf eine Zeichnung des Meisters zurückgeht, denn
er stellt ,,den Leichnam Christi auf einem Stein von der Mutter
und dreyen Engeln gehalten" dar.
C. Die Zeichnung für Vittoria Colon na: Christus in
sitzender Stellung amBoden, an dieBeine der sitzen-
den Maria gelehnt.
Eine allgemeine Beziehung zu der eben erwähnten Komposition
ist in dem Gedanken, Christus auf dem Boden ruhen und Maria
gen Himmel schauen zu lassen, noch zu erkennen. Aber die dort
fehlende, nahe kompositioneile Beziehung der Gestalten auf einander
ward gesucht und erreicht. Maria sitzt vor dem Kreuz , welches,
in dem verlorenen Originalentwurf, wie Condivis Aussage und die
ältesten Reproduktionen bezeugen, die uns bereits bekannte Gabel-
form des Kreuzes der Bianchi zeigte. In die Höhe schauend,
breitet sie die Oberarme wagrecht aus und erhebt die Unter-
arme nach oben. Der Oberkörper Christi, Dessen Haupt nach
vorne herabsinkt und Dessen rechtes Bein unter das liegende hnke
geschoben ist, ist gegen die Beine der Mutter gelehnt, über
Deren Knie seine beiden Arme, von je einem stehenden kleinen
Engel gehalten, hängen.
Das Engelmotiv entlehnte Michelangelo einem bestimmten
Typus der älteren Kunst: dem von Putten auf dem Grabe gehaltenen
Schmerzensmann, und zwar wirkten hierfür in Sonderheit die Ein-
drücke der Reliefs von Donatello, welcher der Darstellung ihren,
Mantegna und die Venezianer bestimmenden Charakter verliehen
hatte. Indem er diesen Typus mit dem der Pietä verband , schuf
er eine Darstellung neuer eigenthümlicher Art. Die Komposition
Die Pietä, die Beweinung und die Grablegung 493
ist mit hoher Kunst gestaltet : man beachte die gegensätzlichen Be-
wegungen des erhobenen Kopfes der Maria und des gesenkten
Christi, den erhobenen Arm der Jungfrau und den herabsinkenden
des Leichnams.
Ein Entwurf von Michelangelos Hand ist nicht erhalten. Beren-
son sagt, dass auf einem Blatte bei Mr. Gathorne Hardy in London
zwei Studien zu einer Figur, die ganz die Haltung des rechten
Engels der Pietä hat, sich befinden (s. unten Nr. XIII).
V. Folgende alte Stiche geben den Entwurf wieder.
1. Giulio Bonasone (B. 64). Die Gruppe befindet sich vor dem
Bianchikreuz, in einfacher Landschaft. Man liest die Worte :
,,non si pensa quanto sangue costa" und die Bezeichnung :
Michaelangelus Bonarotus Nobilis Florentinus inventor. Julius
Bononiensis f. MDXLVI.
2. N. Beatrizet. (B. 25). Auch hier das Bianchikreuz. Die
gleichen Worte, das Monogramm und die Bezeichnung.
M. Angelus inv. Romae 1547, Ant. Lafrerii Sequani Formis.
Eine Einrahmung.
3. Giov. Batt. de Cavalleriis. Hier das Kreuz in einfacher Form.
Bez. M. Angelus inve. Joa. Baptista de Cavalleriis inci. Ähn-
liche Einrahmung wie auf 2.
4. Marius Kartarus. (B. 9.) Bez. Michaelis Angeli Bonaroti flo.
inven. Marius Kartarus ine. Monogramm und 1566.
5. Agostino Caracci (B. 103.) Wie bei Cavalleriis. Einfaches
Kreuz, an dem zu lesen : Torcular calcavi solus. Isa. LXIII.
Monogramm. Michelangelo Bonaroti in.
6. Martino Rota. (B. 25.) Bez. Mich. Angelus Bonar. inventor.
Martinus Rota. Con privilegio.AppressoGioan. Franc. Camocio.
Ausserdem Verse : Signor, che '1 tutto etc.
7. Unbekannter Meister. (Passerini S. 199.)
Von Gemäldekopien wurden mir folgende bekannt:
8. Bremen, Kunsthalle. Niederländische Kopie.
9. Gotha, Museum. Nr. 494. Gen. Venusti, aber vielmehr nieder-
ländisch. (Thode: Arch. stör, dell'arte. 1890. III, 254.)
10. Gubbio, Museo.
11. Rom, Gal. Borghcse Nr. 422.
12. Schieissheim, Gal. Nr. 972. In der Richtung Bronzinos.
Eine späte Kopie in Rom, Pal. Barberini, von Prosp. Mallerini,
bez. mit Dessen Namen und der Jahreszahl 1800. Frei benutzt
wurde die Komposition in einer Miniatur von Clovio im Palazzo
Pitti (Nr. 241) zu Florenz, mit Hinzufügung von Johannes, Magdalena
und Nikodemus. Von einem aus Ragusa nach Berlin gesandten
494 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
und dann wieder nach Ragusa zurückgegangenen Bilde berichtete
H. Grimm, der es für ein Original von Michelangelo hielt (Künstler
und Kunstwerke II, ']']. Jahrb. f. Kunstw. 1868. I, 62).
Von Reliefnachbildungcn sind zu erwähnen:
13. Rom, Vatikanische Bibliothek. Kleines MarmorreHef. (Abb.
Steinmann: Die Sixt. Kap. II, S. 501.)
14. Rom, S. Maria in Monserrato, Sakristei. Bronzerelief. (Stein-
mann, a. a. O. S. 502).
15. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum. Art des Jacopo Sansovino.
Plakette. (Beschreibung. Die ital. Bronzen 1272. Taf. LXXI.
Molinier, les plaq. Nr. 756.)
,, Auf Wunsch dieser Dame," sagt Condivi, ,, machte er einen
vom Kreuze genommenen Christus, der, als lebloser Leichnam, zu
Füssen seiner heiligsten Mutter niedersinken würde, wenn er nicht
von zwei kleinen Engeln unter den Armen aufrecht erhalten würde.
Sie aber, thränenden und leidensvollen Antlitzes, öffnet beide Arme
und erhebt die Hände gen Himmel, mit einem Ausspruch, der am
Kreuzesstamm geschrieben zu lesen ist : ,non si pensa quanto
sangue costa'. Es folgt die Bemerkung, dass das Kreuz der croce
dei Bianchi nachgebildet sei. Vasari nennt den Entwurf einen
,,bellissimo disegno" und erwähnt den von Lafreri veröffentlichten
Kupferstich (von Beatrizet).
Dass möglicher Weise Vittoria in einem Briefe auf das Werk
anspielt, bemerkte ich oben. Die Marchesa hat es dem Kardinal
Pole geschenkt, nachdem sie sich vermuthlich eine Wiederholung
für sich erbeten hatte. Dies erfahren wir aus einem Brief, den der
Bischof von Fano am 12. Mai 1546 aus Trient an den Kardinal
Ercole Gonzaga schrieb. (A. Luzio : Rivista stör. Mant. I, 51. Frey:
Quellen und Forschungen I, 139.) ,,Monsignor Polo hat erfahren,
dass Eure Signoria diesen Christus von Michelangelos Hand wünscht
und hat mir aufgetragen, ich solle im Geheimen die Wahrheit dieses
Ihres Wunsches erkunden ; denn, wenn dem so sei, besässe er einen
Christus von der Hand des genannten Meisters selbst, den er Ihr
gerne senden würde ; aber er ist in Form einer Pietä, doch sieht
man den ganzen Körper. Er sagt, dies hiesse ihn nicht berauben,
denn von der Marchesa von Pescara könne er ein anderes Exemplar
erhalten."
Die Worte : ,, nicht denkt dort (auf der Erde) man daran,
welch' Blut es kostet", sind dem neunundzwanzigsten Gesänge des
Dante'schen Paradiso entlehnt (v. 91). Beatrice spricht sie aus, als
sie , von den falschen Meinungen über die Engel ausgehend , sich
gegen die willkürlichen Interpretationen der heiligen Schrift wendet
(82 — 126). Jeder macht sich seine Erfindungen und vom Evangelium
Die Pietä, die Beweinung und die Grablegung 495
schweigt man. Und Niemand denkt daran, welch' theures Blut es
gekostet hat, es der Welt zu bringen.
Si che laggiü non dormendo si sogna,
Credendo e non credendo dicer vero;
Ma neir uno e piü colpa e piü vergogna.
Voi non andate giü per un sentiero
Filosofando, tanto vi trasporta
L'amor dell' apparenza e il suo pensiero.
Ed ancor questo quassü si comporta
Con men disdegno, che quando e posposta
La divina Scrittura, o quando e torta.
Non vi si pensa quanto sangue costa
Seminaria nel mondo, e quanto piace
Chi umilmente con essa s'accosta.
Per apparer ciascun s'ingegna e face
Sue invenzioni, e quelle son trascorse
Da' predicanti, e il Vangelio si tace.
Un dice che la Luna si ritorse,
Nella passion di Cristo, e s'interpose,
Perche '1 lume del Sol giü non si porse:
Ed altri che la luce si nascose
Da se; perö agl' Ispani ed agl' Indi,
Com' a' giudei, tale eclissi rispose.
Non ha Firenze tanti Lapi e Bindi,
Quante si fatte favole per anno
In pergamo si gridan quinci e quindi ;
Si che le pecorelle, che non sanno,
Tornan dal pasco pasciute di vento,
E non le scusa non veder lor danno.
Non disse Cristo al suo primo convento :
Andate e predicate al mondo ciance;
Ma diede lor verace fondamento.
E quel tanto sonö nelle sue guance :
Si ch' a pugnar, per accender la fede,
Dair Evangelio fero scudi e lance.
Ora si va con motti e con iscede
A predicare ; e pur che ben si rida,
Gonfia il cappuccio, e piü non si richiede.
Ma tale uccel nel becchetto s'annida,
Che se '1 vulgo il vedesse torrebbe
La perdonanza, di che si confida;
Per cui tanta stoltezza in terra crebbe,
Che, senza pruova d'alcun testimonio
Ad ogni promission si converrebbe.
Di questo ingrassa il porco Sant' Antonio,
Ed altri assai, che son peggio che porci,
Pagando di moneta senza conio.
Wenn Hettner hierzu (Ital. Studien S. 269) , im Hinblick auf
Michelangelo und Vittoria, bemerkt, es sei ,,der feste Protest der
kathoHschen Rechtgläubigkeit gegen jegliche hoffärtige Neuerung",
so muss ich ihm widersprechen. Beide, in deren geistlichen Be-
496 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
trachtungen diese ,,Pietä" so unmittelbar einführt, wendeten in ihrer
Betonung des Glaubens Dantes Worte gegen die in der verkommenen
Kirche eingerissenen Missbräuche (Ablass !) und den in ihr herrschen-
den unevangclischen Geist an.
D. Christus im Schoosse der Maria, vondenFreun-
den beweint.
VI. London, British Museum 1896 — 7 — 10 — i. Thode 339. Ber.
2486 (Sebastiano). Abb. C. H. Metz : Imitations of ancient and
modern drawings 1798. Gaz. d. b. a. 1896. XVI, 337. Ber,
PI. CXLVII. Röthel. Die berühmte Warwickzeichnung, welche
der hochverdiente Direktor des Printroom , Sidney Colvin,
mit Recht den hohen Preis von 35000 Francs nicht scheuend,
1896 erwarb. (Über ihre Ächtheit vgl. oben II, S. 406.) Eine
höchst bedeutungs- und eindrucksvolle Komposition, in welcher
Michelangelo für die Stellung des Christus an sein Jugendwerk
in S. Peter anknüpfte. Maria ist hier aber auf dem Boden
niedergesunken. Ihr linkes Bein liegt auf der Erde, über das
aufgestemmte rechte lehnt der Oberkörper Christi, der, wie
geknickt, mit hinabsinkendem Kopf und rechtem Arme in ihrem
Schoosse sitzt. Seine linke Hand ruht auf ihrer Schulter.
Sie lehnt, von Schmerz überwältigt, das Haupt an den Kopf
einer rechts kauernden und sie stützenden Gestalt, über deren
aufgestemmtes Bein das linke Bein Christi liegt. Links von
Maria hinten zwei fiebrisch erregt auf den Leichnam schauende
Gestalten von geradezu unheimlicher Wirkung und eine dritte,
die wie verstört herumblickt. Die Gruppe enggeschlossen bei
höchster Kühnheit der Stellungen , linear zusammengehalten
durch die, die ganze Breite einnehmende liegende Hauptfigur.
Nie ist Michelangelo in der rückhaltlosen Schilderung der
Phänomene des Todes in einem Körper so weit gegangen wie
hier. Liess er uns in der Pariser Zeichnung III das entflohene
Leben noch gleichsam nachfühlen, so giebt er hier den Tod
in unerbittlicher Gestalt. Sein künstlerischer Geist kannte
alle Möglichkeiten der Auffassung. Die Warwickzeichnung
gehört zu seinen gewaltigsten , aber auch furchtbarsten
Schöpfungen.
E. Christus aufrecht von einer hinter ihm stehen-
den Gestalt gehalten.
In der Pietä Rondanini gewann dieses Motiv, das Michel-
angelo zuerst in dem früheren Gemälde der Grablegung in London
gebracht hatte , seine plastische Gestaltung und gelegentlich der
Die Pietä, die Beweinung und die Grablegung 497
Besprechung dieser Gruppe (s. oben II, S. 278 fif.) erwähnte und be-
schrieb ich bereits die sie vorbereitenden Studien :
VII. Oxford, Universitäts- Galerie 70, I. Thode 442. Ber. 1572.
Eine höher stehende Figur hält unter den Armen vor sich
den Leichnam , der in der einen Skizze von vorne , in den
beiden anderen halb von der Seite gesehen wird.
Eine andere herrliche Zeichnung bildet gleichsam den Übergang
von der Darstellung des Christus in sitzender Stellung zu diesem
frei gehaltenen :
VIII. Wien, Albertina. Sc. R. 137. Thode 522. Ber. 2503 (Seba-
stiano). Abb.: Handzeichnungen der Albertina Nr. 63. Röthel.
Hier ruht der Leichnam noch auf einem Sitze, der mit dem
Leichentuch bedeckt ist, auf, aber nur so leicht, dass seine
Gestalt, die von der links auf dem Sitze aufknieenden Maria
gestützt wird, fast ganz aufrecht erscheint. Der rechte Arm
hängt senkrecht herab , der linke , von der Mutter gehalten,
ist etwas erhoben. Der Kopf senkt sich nach rechts. Die
Beine hängen, etwas im Knie gebeugt, herab. Die Zeichnung,
für deren doch so unmittelbar ins Auge springende Ächtheit
ich früher (II, S. 412) zu kämpfen hatte, erinnert in ihrem Stil
noch an die Cavalieriblätter. — Der Christus ward, wie ich
oben (II, S. 484) schon erwähnte , durch Wiederaufnahme
des Motives im Gemälde der Grablegung in London
gebildet.
IX. Dass eine Kreidezeichnung in der Ambrosiana zu Mailand
(Phot. Br. 13) in einem Zusammenhange mit diesen Studien
steht, möchte ich beiläufig bemerken. Vielleicht geht sie auf
eine Skizze Michelangelos zurück. Sie zeigt den Oberkörper
Christi zurückgelehnt und den Kopf auf der Schulter, wie III,
doch ist der rechte Arm in der Höhe gehalten. Die Stellung
der Beine ist VIII ähnlich , und das Ganze gemahnt etwas an
die Gruppe im florentiner Dom. Die Zeichnung ist für die
unter XIV zu erwähnende Komposition verwerthet worden.
Ein aus der Sammlung des Duca Braschi in Rom stammen-
des, Daniele da Volterra zugeschriebenes Bild (zum Verkauf
1908 bei der Gesellschaft für Kunst und Litteratur in Berlin)
zeigt in der Haltung des beweinten Christus Ähnlichkeit.
Auch eine Zeichnung, Nr. III und der Pietä Rondanini ver-
wandt, in den Uffizien (Coli. Santarelli 222, Abb. Bernardini,
Seb. d. P. S. 41), dem Sebastiano zugeschrieben, will ver-
glichen sein. Sie zeigt Maria auf einer Erhöhung sitzend,
zwischen ihren Beinen den schlaff zusammengebrochenen auf-
rechten Christus.
I* 32
4Q8 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
F. Christus von den ihn beweinenden Freunden
aufrecht gehalten.
In dieser, durch eine Zeichnung in der Albertina gegebenen
Komposition vereinigen sich verschiedene der uns bekannt gewor-
denen Motive : das Stützen der Arme durch zwei Figuren und die
Einschhessung der Gestalt durch die Beine der Maria, wie die Pietä
der Vittoria Colonna (B) es zeigt, das Niedersinken der Jungfrau auf
den Boden , das wir in der Warwickzeichnung (D) fanden, die auf-
rechte Haltung der Studien E. Die verschiedenen Gedanken strömen
gleichsam in einander. Wenn ich von dem unlöslichen, für die
Ächtheit sprechenden Konnex, in dem alle diese Studien mit ein-
ander stehen, sprach — hier tritt er uns in aller Deutlichkeit vor
Augen.
X. Wien, Albertina. Sc. R. 136. Thode 521. Ber. 2502 (Seba-
stiano). Abb. : Handzeichnungen der Albertina Nr. 73. Röthel.
Christus, Dessen Beine zwischen den Knieen der ohnmächtig
rückwärts gesunkenen Maria zu Boden sinken und Dessen Leib
nach rechts sich ausbiegt, wird von vier stehenden Figuren
gehalten. Die vordere links, über Deren Haupt sein rechter
Arm hegt, stützt sein niedersinkendes Haupt, die vordere
rechts, eine Frau, an Deren linkem Oberschenkel Marias Kopf
lehnt, fasst ihn an der Brust. Unter den Armen wird er von
einem hinter ihm stehenden Manne, Nikodemus, gefasst, in-
dess ein anderer Mann rechts seinen linken Arm über der
Schulter trägt. Links vorne kniet Magdalena, den Kopf ge-
senkt ; sie umfängt mit der Linken die Hüfte des Todten und
stützt die Rechte auf Marias Knie. Über ihr beugt sich eine
Frau dem Leichnam zu. — Wieder steht man Angesichts der
Geschlossenheit der Gruppe wie vor einem Wunder. Sie ist
aus einem viereckigen Block gebildet, und zwar so, dass alle
Materie desselben in Gestalt umgesetzt ist. Nur an der linken
Seite ist die Abgränzung nicht ganz scharf.
Wie eine Vereinfachung dieses Gebildes erscheint die plastische
Gruppe im florentiner Dom. Geblieben ist der Christus
überragende Nikodemus, die Magdalena links, rechts die Madonna,
die hier aber sitzt. In der zusammengeknickten Haltung Christi
werden Motive der Colonnazeichnung und der Oxforder Skizzen
Nr. VII verw^crthet.
Von der Wiener Zeichnung aber führt der Weg andrerseits
unmittelbar weiter zu der Darstellung der eigentlichen Grabtragung,
wirkt der Vorgang in ihr doch fast so, als hätten die Freunde
Christus aus dem Schoosse der Maria erhoben, um ihn zur Ruhestätte
überzuführen, ja vcrmuthlich war dies der Gedanke des Künstlers.
Die Pictä, die Bevveinung und die Grablegung aqq
G. Die Grabtragung.
Ein erster einfacher Gedanke ist in einer Skizze gegeben auf
dem schon besprochenen Blatte :
XI. Oxford , Universitäts-Galerie 70. S. oben Nr. V. Zweimal
ist hier die kleine Skizze gegeben : zwei Männer tragen
zwischen sich den Leichnam, dessen Arme über ihren Schultern
liegen und dessen Unterkörper von ihren anderen Armen (das
eine Mal höher, das andere niedriger) getragen wird. Alle
drei Gestalten sind von vorne gesehen. Es ist eine neue
Fassung der älteren Darstellung im Londoner Gemälde. Aus
diesem schlichten Motiv wird, dank der an der Beweinungs-
szene gewonnenen Erfahrung, ein reiches und mächtiges
Gebilde :
XII. Oxford, Universitäts-Galerie Nr. 37. Thode 420. Ber. 2492
(Sebastiano). Abb. Fisher II, 9. Phot. Br. yy. Röthel.
Christus, Dessen Oberkörper und Haupt nach links sinkt,
wird in der Luft schwebend getragen. Vorne werden seine
Beine von zwei Figuren gestützt : die links, vom Rücken ge-
sehen und unter der Last einknickend, ist ein Mann in Kittel,
die rechts eine Frau, welche mit dem linken Arm den linken
Oberschenkel des Leichnams umfängt. Etwas dahinter beugt
sich ein Mann vor und fasst mit der Rechten den rechten
Arm Christi , ein anderer , kaum sichtbar , stützt die rechte
Schulter. Hinter demTodten, im Rücken helfend, zwei Männer,
ein anderer rechts hinter der Frau umfasst den linken Arm
und schmiegt trauernd seinen Kopf an ihn. Rechts von ihm,
nur flüchtig angedeutet, ein schreiender Jüngling, der die
Rechte hoch erhebt. Im Ganzen neun Figuren.
Über die künstlerische ]\Iacht dieser Schöpfung habe ich mich
zur Genüge schon geäussert (s. II, S. 408). Dass möglicher Weise
ein im Nachlasse Michelangelos erwähnter Karton einer Pietä mit
neun Figuren den Entwurf wiedergab , erwähne ich unten. Eine
andere Fassung scheint in einer Zeichnung vorzuliegen , die ich
leider nicht gesehen habe:
XIII. London, Mr. Gathorne Hardy. Thode 370. Ber. 1693.
Nach Berensons Angaben ist im Hintergrunde vor dem
Kreuz Maria sitzend mit ausgebreiteten Armen dargestellt,
davor eine Gruppe von vier Männern , die in angestrengter
Bewegung Christus tragen. Hinter ihr sind noch zwei Köpfe
angedeutet. — Auf der anderen Seite des Blattes zwei Stu-
dien zu einer Figur in der Haltung des Engels rechts auf der
Pictä der Colonna. — Da Berenson selbst sagt: a bcautiful
group of exquisitely compact mass and splendid action" und
500 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
nur durch die Behandlung veranlasst wird , das Blatt einem
Nachfolger des Meisters zu geben , möchte ich es für wahr-
scheinlich halten, dass es sich auch hier um ein von ihm ver-
kanntes Original handelt, welches, das Motiv der Maria aus
dem Colonnablatte aufnehmend, vielleicht noch später als XII
entstanden wäre, aus dem Verlangen, der Maria, die in XII
nicht vorhanden, ihre Stelle anzuweisen.
Eine dritte sehr merkwürdige Komposition ist uns in einer,
nach Michelangelo angefertigten Zeichnung erhalten:
XIV. Paris, Louvre 2716. Thode 511c. Ber. 1744. Phot. Girau-
don 1399. Kreide. Im Vordergrunde, nur in Konturen gegeben,
die Gruppe von vier Männern, welche den Leichnam tragen.
Dieser wird von zweien, über deren Schultern und Rücken
seine beiden Arme herabhängen, unter den Oberbeinen gefasst
und etwas nach rechts getragen. Der dritte von rechts vorne
herzutretend, fasst ihn an der Hüfte, der vierte folgt hinten,
mit beiden Händen an seinen Kopf fahrend. Ich weiss nicht,
ob dies dieselbe Gruppe wie XIII, wohl aber kann ich fest-
stellen, dass die Idee der Oxforder Skizzen Nr. XI hier ihre
Ausbildung erfahren hat und dass der Leichnam mit der eben
(II, S. 497) genannten Studie in der Ambrosiana zu Mailand
Nr. IX, die nächste Verwandtschaft zeigt. Hinzugefügt sind
dieser Hauptgruppe nun eine grössere Anzahl ausgefiihrter
nackter Figuren im Mittelgrund. Sechs von ihnen, Fackeln
in der Hand, bewegen sich dem Grabe links zu, das sich in
einem mit Bäumen und Büschen bewachsenen Felsen befindet.
Acht andere nahen rechts von hinten mit Gebärden der An-
betung. — Es fragt sich nun, ist dieses Leichengefolge eine
Erfindung des Meisters oder die des Kopisten, der ihr nur
die Hauptgruppe entlehnte und das Andere hinzufügte.? Die
Idee ist so überraschend neu und eigenartig, dass man wohl
das Erstere annehmen und nur das Landschaftliche als Zuthat
betrachten könnte. Doch erscheint andrerseits, neben der
straff gefiigten Gruppe im Vordergrunde die Schaar der Leid-
tragenden so lose angeordnet, dass man doch höchstens eine
ganz flüchtige Skizze des Meisters, die dem Verfertiger der
Zeichnung die Anregung gegeben hätte, voraussetzen dürfte.
Ob der Letztere, wie Berenson sich denkt, Daniele da Volterra
war, weiss ich nicht zu sagen, da ich keine Kenntniss von
Dessen Zeichnungsweise besitze. — Eine Figur ganz hinten
in hohem, runden Filzhut erinnert entfernt an Michelangelo
selbst.
Als Studien für die Träger des Leichnams in einer Grablegung
könnten die früher (II, S. 80, A) von mir erwähnten Skizzen in
Die Pietä, die Beweinung und die Grablegung cqi
Oxford, Univ. Gal. 60 in Betracht kommen. Da sich in ihnen all-
gemeine Beziehungen auch zu Gestalten in der Kreuzigung Petri
der Cappella Paolina finden, besprach ich sie schon gelegentlich
dieser. Für eine der eben erwähnten Kompositionen haben sie
jedenfalls nicht gedient.
Zweifelhaft auch bleibt es, ob eine prachtvolle Rötheistudie
im Louvre für eine Grablegung bestimmt war. Paris, Louvre 122.
Thode 473. Ber. 1584. Abb. Steinmann: Sixt. Kap. II, 44. Phot.
Br. 48. Drei kraftvolle Männer tragen auf ihren Schultern, mit den
Armen ihn umschlingend , einen , da sie auf den Beschauer zu
schreiten, in starker Verkürzung gesehenen Mann, dessen Beine
über die Schultern des vordersten herabhängen. — Die Zeichnung
gehört in die Zeit der Sixtinischen Deckenmalerei; auf der Rück-
seite ist die Studie zu einer Sibylle (s. oben I, S. 256, Nr. LXI).
Schwerlich dürfte man annehmen, dass der Getragene, in dieser An-
sicht gegeben, Christus sei. So hielt ich Steinmanns Vermuthung,
es sei ein nicht benutzter Entwurf für die Sündfluth , für ein-
leuchtend. (S. oben II, S. 247.)
Ein ,,quadretto in tavola in qualche parte guasto e non finito
con nostro Signore morto, S. Giovanni, tre Marie et un apostolo",
wird im Inventar des Palastes des Herzogs von Parma 1697 er-
wähnt (Le Gall. naz. ital. V, 1902, S. 274). S. oben: „Die Grab-
legung in London."
Zusammenfassendes.
Drei Ausgangspunkte für des Meisters Pietädarstellungen durften
wir feststellen: die Komposition Raphaels, die den am Boden liegenden
Christus darstellt, den Typus des auf dem Grab sitzenden Heilands
und jenen des im Schoosse der Mutter gebetteten Leichnams. Der
Entwurf für Sebastianos Bild in Viterbo, die Zeichnung im Louvre
Nr. III und die Warwickzeichnung in London kennzeichnen die ein-
geschlagenen Wege. In der Colonnapietä vereinigen sich die beiden
ersten, der dritte führt zu den figurenreichen Darstellungen der
Beweinung. Es entwickelt sich, indem an das frühe Gemälde der
Grablegung in London angeknüpft wird, das Motiv des von der
Maria oder den Freunden aufrecht gehaltenen Christus durch Au.s-
und Umgestaltung des Typus des sitzenden Christus. Die Beschrän-
kung auf den eigentlichen Pietägedanken führt zur Pietä Rondanini,
die Erweiterung der Gruppe zur Wiener Zeichnung Nr. X und zum
Marmorgebilde im florentiner Dom. Endlich verwandelt sich die
Beweinung der Wiener Zeichnung in die Grabtragung, die uns
in drei Fassungen: Oxford Nr. XII, Mr. Gathorne Hardy Nr. XIII,
Louvre Nr. XIV entgegentritt.
C02 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
XXII
Der Karton für eine Pieta mit neun Figuren
In Michelangelos Nachlass fand sich: ,,un cartone grando, dove
e designata una Pietä con nove figure non finite." Daniele in
seinem Briefe an Vasari vom 17. März 1564 sagt: „una Pietä ch'
egli haveva cominciata, della quäle vi s'intende solo le attitudini
delle figure, si v'e poco finimento." (Gotti I, 357.) Wie es scheint,
erhielt Lionardo mit anderen auch diesen Karton (a. a. O. II, 156),
der heute nicht mehr nachzuweisen ist. Vielleicht war die Kom-
position die der Oxforder Grabtragung (s. oben II, S. 499, Nr. XII),
welche neun Figuren zeigt.
XXIII
Christi Abschied von Maria
Ein Karton in der Hinterlassenschaft des Künstlers behandelte
diesen Vorwurf. Im Inventar heisst es bloss: , .Christus und Maria",
aber in Danieles Brief an Vasari vom 7. März wird der Gegenstand
näher bestimmt und erwähnt, dass Michelangelo den Karton Vasari
hatte schenken wollen: ,,wie unrecht war es, jenen Christus, der
von seiner Mutter scheidet, nicht anzunehmen, als er ihn Euch geben
wollte." Und weiter heisst es bezüglich des Kartons: ,,aber der
mit dem Christus ist der beste ; aber alle sind an einen Ort gekommen,
wo es Mühe kosten wird, sie zu sehen, geschweige denn, sie wieder-
zuerhalten; gleichwohl habe ich dem Kardinal Morone in Erinnerung
bringen lassen, dass er (offenbar unser Karton) auf sein Verlangen
begonnen wurde, und bot mich an, ihm eine Kopie davon zu
machen, falls man ihn wiederhaben kann," (Gotti I, 35/ f.) Am
7. April 1564 erhielt Tommaso de Cavalieri den Karton: ,,habuit a
me notario quodam magnum cartonum, plures simul sutos in se
continentem , in quo apparent imperfecte depincte sive designate
imagines Domini nostri Jesu Christi et gloriose Virginis ejus matris,
superius inter alios in preinserto Inventario annotatos, tanquam, ut
asseruit, ad eum spectantem." Und Tommaso bezeugt: ,,haver rice-
cevuto da monsignor reverendissimo Governatore di Roma, per mano
di messer Loisi de la Torre, suo notario criminale, un cartone
grande, dove stanno disegnati un Cristo et una Madonna giä di
mano di messer Michelangelo, quäle io hebbi giä in vita dal detto
messer Michelangelo." (Gotti II, S. 155 f.)
Von diesem, wie es scheint, höchst bedeutenden Werke,
bezüglich dessen Steinmann (Z, f. b. K. N. F. VII, S. 207) die er-
Der hl. Hieronymus 503
schütternde Stelle in einer Predigt Savonarolas (Prediche sopra Job
fatte in Firenze 1494. Vendig 1545. p. 375) zitirt, ist uns keine
Spur erhalten.
Oder sollten wir die zwei, von Berenson und Frey fälschlich
auf das ,,Noli me tangere" bezogenen Skizzen im Besitze des Herrn
G. T. Clough in London (Thode 367. Ber. 1539. Abb. Frey J"]
und 78, s. oben II, S. 448) als Studien für den Karton auffassen
dürfen.? Die Bewegung Christi Hesse sich eher mit diesem Vorwurf
in Einklang setzen, als mit jenem: das Fortstrebende, das Hinweisen
nach der Seite (auf den Leidensweg), die deutende Bewegung der
Hand. Ich glaube die Vermuthung aufstellen zu dürfen.
XXIV
Der hl. Hieronymus
Da alte Angaben auf Stichen Michelangelo als Erfinder von
Darstellungen des hl. Hieronymus bezeichnen, wollen diese genannt
sein. Es handelt sich um zwei verschiedene Entwürfe.
A. Der hl. Hieronymus in Meditation über das
Kreuz.
1. Sebastiano a Regibus. Bez. M. Ang. in. Marcel, pin. Seb.
a Reg. Clo. incid. Romae MDLVII con privilegio. Ant. Lafrerj.
Der Heilige sitzt bei einem Felsen und stellt seine Betrach-
tungen über ein Kreuz an, das er in den Händen hält. Der
Kardinalshut und zwei Bücher liegen vor seinen Füssen. Links
der Kopf und die Vorderpfote des Löwen. (Heinecken I,
396. Passerini S. 231.)
Da dieser Stich noch bei Lebzeiten des Meisters erschien, ver-
dienen seine Angaben Glauben. Nun befand sich ein Gemälde
Marcello Venustis, den hl. Hieronymus darstellend, auf dem Altar
der Mignanelli in S. Maria della Pace in Rom, und Titi in der
„Descrizione" von 1763 (S. 417) bemerkt: Einige glauben, es sei
nach einer Zeichnung von Michelangelo gemacht.
2. Cherubino Alberti (B. 54). Bez. Michel Angelus inven. Cum
privilegio Summi pontificis. Romae 1575- Die gleiche Dar-
stellung. Wir haben anzunehmen, dass Venusti eine Skizze
des Meisters vorlag.
Eine Zeichnung, die den knieenden Hieronymus vor der Höhle,
in der erhobenen Rechten das Kreuz, in der gesenkten Linken einen
Stein, darstellt, wird im Louvrc (Nr. 705) Michelangelo zugeschrieben,
ist aber nicht von ihm.
504 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
B. Der hl. Hieronymus schreibend, von Engeln um-
geben.
3. Unbekannter Stecher. Bez. Michel Ang. inv. — II. etat: mit
der Bezeichnung: S. Hieronymus. Noch andere Abdrücke mit
C. Vischer bez. Der Heilige schreibt sitzend in einem Buche,
das ein Putto hält. Ein anderer Knabe trägt ein Buch. Ein
dritter weist dem Studirenden einen Zettel, in dem Dieser
liest.
Es ist eine Variation der Prophetendarstellung in der Sixtina.
Ein Michelangelo zugeschriebenes Gemälde ,, Hieronymus" finde
ich in Schorns Kunstblatt erwähnt (1835, XVI, S. 91). Es befand
sich damals bei Hunter & Comp, in Paris und wurde, wie es scheint,
nach England verkauft.
ANHANG
A. DEM MEISTER IRRTHÜMLICH ZUGESCHRIEBENE
WERKE.
B. DIE KÜNSTLERISCHE VERHERRLICHUNG MICHEL-
ANGELOS NACH SEINEM TODE.
C. DIE ALTEN BILDNISSE MICHELANGELOS.
A
Dem Meister irrthümlich zugeschriebene Werke
Es handelt sich begreiflicher Weise im Folgenden um ein Ver-
zeichniss nicht aller der Werke, die dem Meister jemals ohne
sichere Begründung zugeschrieben worden sind, sondern nur jener,
die mehr oder weniger eingehende Beachtung und litterarische Be-
urtheilung gefunden haben. Auch beschränke ich mich auf kurze
Angaben.
Statuen und Büsten
I. Kruzifix in Elfenbein. In der Mitte des XIX. Jahr-
hunderts im Besitze einer Gräfin in Paris. Vgl. Courtois:
Lettre adressee ä Mad. la Comtesse de .... ä l'occasion
d'un Crucifixe en ivoire, sculpte par M. A. que possede cette
dame. Paris 1845.
II. Christus am Kreuz in Marmor. (Fehlen Arme und
Beine.) 1875 im Besitze des Architekten Prof G. B. Carducci
in Fermo. Vgl. March. Filippo Raffaelli : Di alcuni lavori dcl
Buonaroti esistenti nelle Marche. Fermo 1875. Phot. Ab-
bildung, die keinen Zweifel über die Unrichtigkeit der Be-
nennung lässt.
III. Bronze kruzi fix in der Geistlichen Schatzkammer zu Wien.
1758. Vgl. das Inventar im Jahrb. d. K.-S. des A. K. 1895.
XVI. II, S. XII. ,, Christus von metal an einem schwarzen
Creuz von ebenholz auf desgleichen mit silbernen runden
platten und engelsköpfen gezierten Fuss. Das crucifix scheinet
von Michel Angelo zu sein."
IV. Füsse einesKruzi fixes inGyps. Im XVIII. Jahrhundert
im Besitze Giacomo Carraras in Bergamo. Bottari : Racc. di
lett. VI, 246 : ,,in gcsso due picdi di crocifisso tratti di qualche
opera di M."
5o8 Anhang
V. Todter Christus, Statuette in Terrakotta. Im Be-
sitze von Sir J. C. Robinson. Nackt, in einer Stellung, welche
an den Christus der Pietä in S. Peter erinnert. Claude Philipps:
Arch. stör. deH'Arte 1888. I, S. 100, hält die Figur für die
Arbeit etwa eines spanischen Nachahmers des Meisters.
VI. Der Kopf Johannes des Täufers in der Schüssel.
In Marmor. Anfang des XVIII. Jahrhunderts im Kabinet des
Mr. Giraudon. Florent Le Comte : Cabinet de singularitez
d'Architecture, Peinture, Sculpture. Brüssel 1708.
VII. Der hl. Bartholomäus im Dom zu Mailand. Florent
Le Comte im eben zitirten Werke behauptete, die bekannte
Statue sei nach Michelangelos Modell gemacht, welches Modell
sich im Kabinet des M. Giraudon befinde.
VIII. Statue des hl. Gregor im Oratorium derhl. Barbara
bei S. Gregorio auf dem Monte Ceho in Rom. Es heisst,
der Kardinal Borromeo habe die sitzende Statue des Heiligen
aufstellen lassen: ,,in candido marmo, abbozzata daM. B. e termi-
nata da Niccolö Cordieri". Titi : Descrizione di Roma 1763.
S. 'j6. Auch Vasi: Itinerario 1791. S. 497. Sollte hieran
etwas Wahres sein.? Man könnte an den Abozzo der Peters-
statue in der Hinterlassenschaft Michelangelos denken.
IX. Holzfigur des hl. Michael, mit dem Drachen
kämpfend, im Grünen Gewölbe zu Dresden. (Julius und
Albert Erbstein: das Grüne Gewölbe zu Dresden 1884.
S. 167, Nr. 14.) Sie wurde mit dem Modell des Templum
Salomonis 1733 durch Meiners, der die Gruppe als Werk
Michelangelos (!!) bezeichnete, nach Dresden gebracht. Vgl.
Theodor Distel in der Kunstchronik 1888. XXIII, S. 347.
X. Herkuleskopf und Weiberkopf am zweiten und dritten
Mauersteine an der Ecke des Palazzo vecchio zu Florenz
hinter Bandinellis Herkules. ,,In welche Michelangelos Meister-
hand in den kräftigsten und herrlichsten Umrissen einen
Herkuleskopf und einen Weiberkopf — vielleicht während er
den David aufstellte — eingehauen hat." Dorow in Schorns
Kunstblatt 1827. VIII, S. 283.
XI. Schreiender Herkulesknabe. Bronzebüste in der Samm-
lung des Baron Michele Lazzaroni zu Paris. Ad. Venturi
(L'arte 1904. VII, S. 476, wo auch Abb.) giebt sie Michel-
angelo. Er findet die Züge , die frühreife Männlichkeit der
Putten des Meisters. ,,Esso serba la pienezza dei putti di
Bertoldo, ma assume una potenza cinquecentesca, una fierezza
che conviene solo a Michelagnolo." Der Putto sei den Kindern
in der Sixtina, auch den Knaben der Medicimadonna ver-
wandt. Die Büste stammt aus Florenz. Ich vermag, nach
Dem Meister irrthümlich zugeschriebene Werke 509
der treft'lichen Abbildung zu urtheilen — leider war es mir
nicht mehr möglich, das Original zu prüfen — der Meinung des
verdienten Historikers der italienischen Kunst nicht beizu-
stimmen. Der Typus des Kindes unterscheidet sich, sowohl
in den Gesamtverhältnissen der Züge , wie in Einzelheiten :
der Bildung der Nase, der Augen, der Haare doch wesentlich
von den Putten Michelangelos.
XII. ,,Die Häresie, von der Religion zu Boden ge-
worfen." Terrakotta. Ein schreiend am Boden liegendes
Weib, auf das eine andere Figur, von der nur die Füsse er-
halten sind, tritt. 1869 ini Besitze des Dott. Alessandro
Foresi in Florenz. Vgl. : A. Foresi : una figura in terra cotta
di Michelangelo. Firenze 1869. Mit Abbildung, die keinen
Zweifel über das Irrige der Attribution lässt.
XIII. Grosser Bronzekopf in einer Sammlung in Brescia.
Im XVIII. Jahrhundert. Pignoria erwähnt in einem Briefe
,,un testone in bronzo di mano di Michelangelo", den er in
einem Museo di Brescia gesehen. Raccolta di lettere d'uomini
illustri. Vgl. Bottari bei Fanfani: Spig. Mich. S. 10 1. Moreni
glaubte, damit sei die Medaille des Bindo Altoviti gemeint.
XIV. Unvollendete Frauenstatue in der Galerie des Gross-
herzogs zu Florenz. Von Richardson III, 87 erwähnt: ,,une
femme, qui n'est point finie." Richardson glaubte hier des
Meisters Art zu meisseln zu finden. Man sähe die grossen
Hiebe, die an einzelnen Stellen so tief seien, z. B. an den
Fersen, dass, wäre die Statue vollendet worden, man die
Ferse hätte repariren müssen. Auch Volkmann I, 551 er-
wähnt sie.
XV. Büste Lorenzo Medicis, des Magnifico. Terrakotta.
Sie befand sich im Anfang des XIX. Jahrhunderts im Besitze
des Marchese Capponi in Florenz, welcher einen Gypsabguss
dem Verfasser des Lebens Lorenzos, William Roscoe, schenkte.
Nach diesem fertigte Edw. Smith den Stich, welcher Roscoes
Werk schmückt.
XVI. Büste des Gabriello Faerno auf dem Kapitol. (Im
Kapitol. Museum?) Sie galt lange für ein Werk des Meisters.
Bottari erwähnt sie als solches. Abb. bei Vairani: Cremone-
sium Monumenta Romae cxtantia, Romae 1778, p. 61.
XVII. Die Büste Pauls III., früher im Palazzo Farnese, jetzt im
Museum zu Neapel. Grimm meinte, sie könne von Daniele
da Voltcrra sein. Heath Wilson schlug Guglielmo della
Porta vor. Neuerdings nannte Umberto Rossi den Namen
Giovanni Zacchi da Volterra, der verschiedene Medaillen des
Papstes gemacht hat. (Arch. stör, dell'artc 1890, III. S. 71.)
-lo Anhang
XVIII. Zwei Terrakottabüsten, ganz willkürlich Michelangelo
und Vittoria Colonna genannt. 1875 im Besitze des Händlers
Pietro Radicchi in Florenz. Besprochen von Domenico Rem-
badi: Sulla scoperta di due busti in terra cotta, Firenze 1874,
und von Ottavio Andreucci: Sulla scoperta di due busti in
terracotta e sopra un quadro di M. B. Firenze 1875.
2
Reliefs
An erster Stelle erwähne ich drei Arbeiten, die besondere Auf-
merksamkeit verdienen.
XIX. Das Martyrium des hl. Andreas. Im Museo nazionale
zu Florenz. Nr. 126. Es wird von Manchen noch heute für
Michelangelos Werk gehalten, und als solches mit einem Frage-
zeichen im Kataloge angeführt. Fast macht es den Eindruck,
als habe man eine gewisse Scheu gehabt, über diese unvoll-
endete Arbeit zu sprechen. Sie wird so gut wie gar nicht
erwähnt. Dass sie ausgesprochen Michelangeleske Eigen-
thümlichkeiten, auch in der Behandlung, zeigt, lässt sich nicht
leugnen. Eine gewisse Monotonie in der Komposition und
Schwäche in Charakteristik und Bewegung verbietet aber doch,
an den Meister zu denken. Auch sind die Frauenfiguren nicht
in Dessen Geist gehalten. In Allem finde ich eine solche
Übereinstimmung mit B an dinellis Werken (namentlich den
Chorschranken im Dom) , dass ich ihn für den Autor halten
muss. Gerade die Frauen auch finden bei ihm — Relief unter
der Statue Cosimos und Bronzestatuetten der Venus und Kleo-
patra im Bargello — ihre genauen Analogieen.
XX. Die Victoria oder ,, Gloria militare" im Hofe des
Palazzo Alessandri zu Florenz. Dieses bedeutende
Werk blieb in neuerer Zeit, sehr mit Unrecht, so gut wie un-
beachtet — vielleicht in Folge der Schwierigkeiten, Eintritt
in den Palazzo zu erhalten. Die Besichtigung, die mir vergönnt
war, veranlasst mich zu dem Urtheil, dass es sich hier um
eine der vortrefflichsten Skulpturen des florentinischen Cinque-
cento handelt. Es ist wohl begreiflich, dass Gori in der
Condiviausgabe, Not. stör. S. 108, sie als ein Werk Michel-
angelos ansah und in einem Stich daselbst veröffentlichte,
den 1728 Franc. Zuccherelli auf Wunsch Gaburris angefertigt
hatte. Bottari (Raccolta di lett. II, 281) publizirt einen Brief
Mariettes an Gaburri, in dem er für den ihm übersandten
Stich dankt und bemerkt: ,,senza dubbio questo grand' uomo
l'aveva cominciata per mettere su la porta della fortczza di
Dem Meister irrthümlich zugeschriebene Werke e 1 1
S. Miniato per oinato quando fu scelto a farvi le fortificazioni."
Diese Meinung hatte auch Gori geäussert, sagt aber nicht,
wo das grosse ReHef sich befand. Hierüber giebt die ,,Guida
per osservare con metodo le raritä e bellezze della cittä di
Firenze" (Florenz 1798, S. 306) Aufschluss : es schmückte das
Thor, durch welches man nach S. Francesco und S. Miniato
geht: „una porta della fortezza che intorno l'anno 1526 con
disegno di Michelangelo B. fu fatta, benche tirata a fine dal
Tribolo, di cui e lavoro la bellissima statua di macigno non
finita rappresentante una Vittoria che stä appoggiata accanto
alla detta porta." Im dem Nouveau Guide 1832 und in
Fantozzis Nuova Guida wird das Relief dort nicht mehr er-
wähnt. Marcotti führt es (S. 144) im Palazzo Alessandri mit
folgenden Worten an: „une victoire sculptee par Tribolo, qui
devait servir de support aux armes de Comc I sur un boule-
vard de la forteresse de S. Giorgio."
Dass die Benennung „Tribolo" richtig, glaube ich. Doch
ist zu vermuthen, dass die Figur schon zu Zeiten des
Alessandro Medici, unter dem eifrig an den Befestigungen
gearbeitet worden ist, entstand. Antonio San Gallo machte
1535 die Zeichnungen für die Fortezza da basso zwischen
der Porta il prato und der Porta San Gallo. Raffaello da
Montelupo und Tribolo werden beschäftigt. Sie fertigen die
Wappen an, darunter wird eines mit Viktorien erwähnt.
(Vasari V, 462. 544. VI, 66. Bottari: Racc. III, S. 3 29 ff.)
Die Gestalt, in Hochrelief gearbeitet, überlebensgross,
trägt ganz antikischen Charakter; man kann an Figuren des
Pergamenischen Altars durch sie erinnert werden. Sie wirkt
gigantisch, aber nicht gewaltsam. Auf Trophäen stehend,
stützt sie die Linke auf eine einfach gerahmte viereckige
Tafel ; der zurückgelehnte Kopf ist etwas zur Seite gewendet.
In feinen Falten liegt das zarte Gewand weich an den runden
Formen an. Der rechte Arm, der erhoben gedacht ist, ist
abgeschnitten, ebenso die herrlich gebildeten Flügel. — Ein
darunter befindliches Relief mit Trophäen ist offenbar von
derselben Hand gearbeitet, vielleicht auch der im Hofe des
Palastes gegenüber in die Mauer eingefügte Adler.
XXI. Hochrelief der Pietä, in der Kirche des Albergo
de' Poveri in Genua. Die als Michelangelo bekannte Dar-
stellung in Brustbildern: Maria das Haupt zu dem Christi
senkend, den sie mit den Händen umfängt. Neuerdings mit
Recht von Suida als Werk des Montorsoli in seiner Mono-
graphie über Genua (Berühmte Kunststätten, Leipzig 1906)
besprochen.
512 Anhang
XXII. Der Adler am Palazzo communale zu Bologna.
Abb. Knapp unter den „zweifelhaften Werken" S. 155. Fälsch-
lich für ein Werk des jungen Michelangelo aus der Zeit seines
Aufenthaltes in Bologna ausgegeben.
XXIII. Die kleine Bronzethüre im Museo nazionale zu
Florenz Nr. 53. Längere Zeit für Michelangelos Arbeit
gehalten, heute dem Vincenzo Danti zuerkannt. Cicog-
nara publizirte sie Taf. LVI. (S. 278.)
XXIV. Relief in Gyps: die Sund fluth. In Goris hinterlassenen
Notizen erwähnt. (Fanfani: Spigol. Mich. S. 313.)
XXV. Relief: die Madonna mit Christus, Johannes dem
Täufer, Anna und Joachim. 1749 ^^ der Imperiale villa
dell'Ambrogiana, angeblich nach alten Katalogen ein Werk
des Meisters (ebenda S. 314.)
XXVI. Relief einer Pietä. Im Besitze von Pietro Tosi di Cris-
pino. 1838. Vgl. Attendolo Bolognini (conte G. G.): Alcuni
cenni sopra un bassorilievo di M. B. Milano 1838.
XXVII. Stukkorelief:derToddesGrafenUgolino. Florenz,
Museo nazionale Nr. 117. H. Grimm machte es, nach einem
Abguss in der mittelalterlichen Sammlung zu Basel, 1865 in
,,Über Künstler und Kunstwerke" I, 72 bekannt. In II, 79
berichtet er von einem Stiche des Gaetano Vascellini 1782
(in Dresden: Kupferstichkabinet) , auf dem die Komposition
als Werk Michelangelos bezeichnet wird. Heute ist sie dem
Pierino da Vinci zuerkannt.
XXVIII. Terrakotta. Modell zu einem Relief: der Sturz
eines Giganten. Dieser klemmt sich, stürzend, mit den
Händen an einem Felsen an. Es befand sich in Goris Besitz,
der es vom Canonico Pandolfo Ricasoli erwarb. (Not. stör.
S. 103.)
XXIX. Relief im Besitze Wicars. Gegenstand.^ In einem
Briefe an Pietro Benvenuti in Florenz theilt Wicar 1826 mit,
dass ein Abguss des Reliefs für die Akademie in Florenz
zur Verfügung stehe.
XXX. Die Medaille des Bindo Altoviti. Eine ausführliche
Abhandlung über sie von Domenico Moreni: Illustrazione
storico - critica di una rarissima medaglia rappresentante
Biondo Altoviti opera di Michelangelo B. Firenze 1826.
Moreni knüpft an eine Erzählung Baldinuccis in der ,,vita
di Guido Reni" an, nach welcher Monsignore Altoviti dem
Maler die ,,stupenda", von Michelangelo angefertigte Medaille
gezeigt habe.
Dem Meister irrthümlich zugeschriebene Werke c j 7^
3
Architektonisches und Kunstgewerbliches
Das hier in Betracht Kommende habe ich bereits früher in den
betreffenden Abschnitten über die Bauten in Florenz und in Rom
und über Grabdenkmäler und Gebrauchsgegenstände angeführt.
Nachzutragen hätte ich nur
XXXI. Tisch im Palazzo Farnese zu Rom, erwähnt von Titi
in seiner Descrizione S. 1 1 1 : una tavola di porta santa e
verde antico con piedistallo scolpito dal Buonarroti.
XXXII. Anderer Tisch ebendaselbst. Titi S. 112: una gran
tavola di varie pietre orientali co' piedistalli scolpiti da Michel-
angelo.
XXXIII. Die Grabmäler des Angelo und der Frances-
china Cesi in S. Maria della Face. Michelangelo zu-
geschrieben bei Litta: Famiglie celebri. Die Cesi.
4
Gemälde und Entwürfe
Noch mehr wie im Vorangehenden muss ich mich hier be-
schränken. Es wäre zwecklos, alle willkürlich in älteren Katalogen
von Galerien, Privatsammlungen und Versteigerungen Michelangelo
zugeschriebenen Werke anzuführen. — Das Madonnenbild in der
Wiener Akademie erwähnte ich schon Bd. I, S. 62.
XXXIV. Gemälde: Maria mit demKinde. Mailand, Samm-
lung Cavaliere Crespi. Das Bild ist neuerdings als ein
Jugendwerk Michelangelos betrachtet worden. Ein unfreund-
licher Zufall wollte es, dass ich wegen Abwesenheit des Be-
sitzers bei wiederholtem Aufenthalt in Mailand es nicht sehen
konnte. Doch genügen die Abbildungen (bei Knapp S. 156,
Steinmann: Sixt. Kap. II, S. 366) davon zu überzeugen, dass
jene Annahme unhaltbar ist. Es giebt, wie Knapp bemerkte,
getreu ein Donatelleskes Madonnenrclief (Exemplar in Pietra
serena im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin. Abb. Bode und
V. Tschudi: Beschreib, der Bildw. der christl. Periode Taf. III,
Nr. 52) wieder, ohne in der Interpretation für Michelangelo
charakteristische Formen zu verrathen.
XXXV. Gemälde: Maria mit Kind und Johannes. Ein
solches wurde 1829 von den Malern Francesco Sabatelli und
Tommaso Minardi in Florenz dem Meister irrig zugeschrieben.
Vgl. Antologia di Firenze XXXV, Sept. 1829, p. 92. Nach
der Abb. aus der Schule Andrea del Sartos.
%* 33
514 Anhang
XXXVI. Gemälde: die hl. Familie. Halbe Figuren in Lebens-
grösse. Maria umarmt stehend das Kind, dabei der verehrende
Joseph. Im Besitze des Königs von Frankreich. Mariette,
der es erwähnt, ist nicht sicher, ob es ein Original. (Observ.
S. TJ^ Zwischen 1790 und 1792 ist es aus Versailles fort-
gekommen. (Waagen: K. und K. III, 769.)
XXXVII. Gemälde: Maria mit dem Kinde. Befand sich in
der Sammlung des Herzog von Orleans. (Mariette: Observ. 77.)
XXXVIII. Gemälde: Judith und Holofernes. 1868 im Studio
des Feiice de Tivoli in London ausgestellt. Judith hält stehend
das Haupt, das eine Magd im Begriffe ist, in einem Tuch zu
empfangen. Holofernes im Todeskampf. Vgl. Prof. V. de
Tivoli : Judith, a lecture on a picture by Michelangelo. London
1868.
XXXIX. Fresko der Verkündigung an einemPalazzo in
Venedig. Hiervon spricht Ridolfi in seinen Meraviglie delF-
Arte 1648, I, S. 102. Der Ruhm der Fassadenfresken, welche
Pordenone am Hause des Vlamen Martino d'Anna in der
Parrochie San Benedetto gemalt, sei, so sagt Ridolfi, zu Michel-
angelos Ohren gedrungen und habe ihn veranlasst nach Venedig
zu kommen „e nel capitello posto nell' angolo della medesima
casa colori l'Annunziata, la quäle essendosi guasta, fü ritocca
da Matteo Jngoli giä non molto tempo."
XL. Entwürfe zu den Glasfenstern in der Kapelle des
hl. Antonius von Padua inS. Petronio zu Bologna.
Acht Apostelfiguren werden ihm ohne jeden Grund hier zu-
geschrieben. Es ist die Kapelle mit den Fresken von Giro-
lamo da Treviso.
XLI. Fresko einer Pietä zwischen zwei heiligen Mär-
tyrern in der Chiesa Priorale von Marcialla an der
Strasse von Florenz nach Pisa bei Tavernelle. Gori, der es
erwähnt (Not. stör. S. 106), erhielt die Mittheilung über die
Tradition, Michelangelo habe es gelegentlich eines Aufenthaltes
in der Villa der Herren Serragli (in der Nähe jener Kirche)
als Jüngling gemacht, von dem Archäologen Francesco Pitto-
reggi.
XLII. Gemälde, Apollo darstellend, in Turin. Kopie von
Robert Levoyer, Maler am Savoyischen Hof (f zu Turin 1630),
nach Michelangelo. Erwähnt 1635 in dem „Inventario de'quadri
di pittura del Palazzo di Torino". (AI. Vesme in „Le Gallerie
nazionaH Ital." 1897. III, S. 37-)
XLIII. Gemälde: die drei Parzen im Palazzo Pitti. Es
galt, wie bekannt, lange, bis auf die neuere Zeit, für eine
Schöpfung des Meisters. Als solches wird es von CinelU:
Dem Meister irrthiimlich zugeschriebene Werke r j r
,,le Bellezze di Firenze" 1677 in der Casa des Cav. Alesso
Rimbotti, vom Abbe Richard (Description de 1' Ital. III, 69)
in der Grossh. Galerie erwähnt. Giovanbattista Niccolini
widmete ihm eine Betrachtung (Opere edite ed inedite, racc.
da Corrado Gargiolli, Milano 1870, VII, 519). Die neuere
Forschung, nachdem schon Blanc (Gaz. d. b. a. 1859. I, 262)
es für eine schwache Arbeit erklärt, strich den Namen des
Meisters, an dessen Stelle zuletzt Jacobsen den des Pontormo
zu setzen vorschlug. (Z. f. b. K. 1898. IX. S. 118. Rep. f.
Kunstw. XXVII, S. 258: Zeichnung Pontormos zur Parze links
in den Uffizien Nr. 6564.)
XLIV. Porträts von Paul III. und Karl V. im Belvedere
des Vatikan (wo heute der Torso steht). Die Tradition
hiervon geht bis auf das XVI. Jahrhundert zurück. Lanciani,
Storia degU scavi di Roma I, 156: ,,hinc est fons rusticus in
quo dii et monstra marina expressa. Hie et effigies principum
variorum, in his Pauli III. p. m. et CaroH V., imp. Michaelis
Angeli manu depictae." Vgl. Steinmann (Sixt. Kap. II, 483,
A. i), der die Behauptung auch bei Schott, Itinerarium Italiae
1610. II, p. 86 findet und Boissard anführt (Topographia urbis
Romae I, 8), w'elcher diese Porträts in die Sixtinische Kapelle
versetzt: ante deambulacra de quibus dictum est superius
sacellum est illustre picturis Michaelis Angeli, in quo expressi
sunt vultus multorum Principum ut Pauli III. P. M., Caroli V.
Imp. et aliorum."
XLV. Porträt des Mondelli in der Galleria Estense zu
M o d e n a. Das Porträt eines kahlköpfigen Alten mit grauem
Bart von Michelangelo wird es von Campori in den ,,Artisti
ital. e stranieri negli stati Estensi" ((Modena 1855, S. I05)
genannt. Ad. Venturi in der ,,R. Galleria Estense" S. 234
zitirt den Brief des Paolo Francesco Forni, durch den es
am 10. Juli 1654 für 500 duchatoni d'argento dem Herzog
zum Kaufe angeboten wird. Es befand sich im Besitz des
Brescianers Cav. Mondelli und wird bezeichnet als Bildniss eines
,,gentiluomo di Carlo V.": Mondelli, Bruders des ,,difensore
della fede Cattolica" Lodovico Mondelli.
XLVI. Porträt einer Dame in der Grossh. Sammlung zu Florenz,
wird von Richardson (III, 113) erwähnt: fort bien peint.
XLVII. Der grosse Kopf al fresco im Saale der Farne-
sina zu Rom. Die Geschichte, Michelangelo sei ohne
Wissen Raphaels zur Essenszeit in die Villa gegangen und
habe den Kopf gemalt, dessen Autor der Urbinate dann so-
gleich erkannt, wurde im XVIII. Jahrhundert erzählt (Bottari).
5l6 Anhang
Kiipf ersticke und Holzschnitte.
XLVIII. Agostino Veneziano: Die drei Marien zum Grabe
gehend. B. XIV, S. 39, Nr. 33.
XLIX. Agostino Veneziano: B. 426. II Stregozzo. Die Hexe
auf dem Skelett, von nackten Männern geleitet. Lomazzo
sagte: von Michelangelo. Die eine Figur nach Karton von
Pisa.
L. Nie. Beatrizct. Ein Alter in einem Buche lesend. B. XV,
S. 261. Nr. 42. Erster etat: bez. Anaximenis Alexandri Magni
praeceptor. Zweiter etat: S. Paulus.
LI. Giorgio Ghisi. Der sogen. Traum Raphaels oder die
Melancholie Michelangelos. B. XV, S. 413, Nr. ^-j.
LH. Cherubino Albert i. Prometheus an einen Baum gebunden.
B. XVII, S. 80, Nr. 92.
LIII. Jacopo Caraglio. Ixion Juno umarmend. B. XV, S. 99,
App. Nr. I. Symonds (I, 269) stellte die Vermuthung auf,
nicht Perino del Vaga, sondern Michelangelo habe die Kom-
position gezeichnet.
LIV. Fernando Bertelli. 1566. Christus, den Paralytischen
heilend. (Passerini S. 169.)
LV. Anonym. Die Geburt Christ. Mit dem Namen Michel-
angelos bezeichnet. Nativitas Jesu Christ. Verso: hunc
puerum etc. Dem Kardinal Clement Monilian dedizirt. Es
giebt Abdrücke mit: Palumbi Novarien. curabant Romae 1564.
Heinecken I, S. 383, Nr. 11.
LVI. Anonymer Holzschnitt. Zwei nackte Frauen, welche
Wasser in einem Gefäss schöpfen, um sich zu baden. Von
Mariette in einem Brief an Gabburri erwähnt (Bottari II, 291):
,,non ho visto mai cosa piü bella e io non dubito punto
ch'ella non sia disegnata da M. medesimo."
Zcichnunge7i.
Aus der grossen Zahl fälschlich Michelangelo zugeschriebener
Zeichnungen hebe ich nur einige früher berühmte hervor.
LVII. II concilio degli Dei „disegno in carta turchina ad
aquarello". Befand sich einst in der Galleria Estense. Campori:
Artisti negli Stati Estensi S. 105.
LVIII. „Michelangelo und Antonio dellaTorre, einen
Leichnam sezirend." In Oxford, Univ. Gall. Rob. 50.
Ber. 17 14. Phot. Br. 80. Abb. Vv^oodburn, Lawrence Gall.
Einst bei Crozat und Mariette. Die Benennung gab Wood-
burn. Wickhoff schreibt das Blatt Bartolommeo Manfrcdi zu.
Die künstlerische Veriierrlichung des Meisters nach seinem Tode 517
LIX. Jupiter, Ganymed oder Amor umarmend. Oxford,
Univ. Gall. 57. Ber. 1720. Berenson denkt an Raffaello da
Montelupo.
LX. Die Hand Michelangelos. Paris 717. Ber. 1740. Die
vielgefeierte Mariette'sche Zeichnung, die aus den Sammlungen
Bourdaloue, Crozat kam und vom Comte de Caylus gestochen
wurde. Schon Ottley erkannte, dass sie nicht von dem
Meister (sondern Caracci). Wickhoff giebt sie dem Passarotti.
Vgl. Steinmann in der Festschrift für Friedrich Schneider: er
hält das Thonmodell einer Hand im South Kensington Museum
(41 14 — 54. Phot. Kensington) für Michelangelos Arbeit, worin
ich ihm nicht beistimmen kann.
LXI. Herkules und Kakus. Weigel'sche Sammlung. Abb.
Handz. ber. Meister der Weigel'schen S. Leipzig 1854. Er-
innert mehr an Tintorettos Art.
B
Die künstlerische Verherriichung des Meisters nacli
seinem Tode
Die Leichenfeier in S. Lorenzo
Noch ehe die von Rom gesandte Leiche Michelangelos in
Florenz eintraf, beschloss auf Veranlassung des Präsidenten
Vincenzo Borghini die neu begründete florentinische Akademie,
durch eine grosse Feier das Andenken ihres ,,primo academico e
capo di tutti loro" zu ehren. Als Leiter der Veranstaltung wurden
gewählt : Agnolo Bronzino, Giorgio Vasari, Bartolommeo Ammanati
und Benvenuto Cellini, an welch' Letzteren Stelle dann aber, da er
,,indisposto" war und zu keiner der Sitzungen kam, der Bildhauer
Zanobi Lastricati als Proveditore trat. Alle Künstler, junge und
alte, boten ihre Dienste an. Man erbittet, wie dies Alles ausführlich
von Vasari geschildert wird, vom Herzog Cosimo die Erlaubniss,
die Exequien in S. Lorenzo feiern zu dürfen, sowie finanzielle
Hülfe, und bestimmt Benedetto Varchi mit Cosimos Einwilligung
zum Trauerredner. Am 10. März 1564 trifft der Sarg mit der
Leiche, in einem Waarenballen verheimlicht, in Florenz ein. Vasari
lässt ihn auf der Dogana versiegeln. Am 11. wird die Leiche in
die Compagnia dell'Assunta bei San Piero Maggiore übergeführt.
,,Am folgenden Tage, dem Sonntag der zweiten Woche in
den Fasten, versammelten sich alle Maler, Bildhauer und Archi-
tekten heimlich rings um S. Piero, wohin sie nichts Anderes, nur
5 1 8 Anhang
eine mit Gold ausstaffirtc und gesteppte Sammetdecke gebracht
hatten, welche den Sarg, auf dem ein Kruzifix lag, und die ganze
Bahre bedeckte. Gegen Mitternacht, Alle eng um die Leiche sich
schaarend, ergriffen plötzlich die ältesten und ausgezeichnetsten
Künstler eine grosse Menge von Fackeln , die ihnen gebracht
wurden, und die Jüngeren erfasstcn mit so grossem Eifer die Bahre,
als priese sich Jeder glückselig sich ihr nähern und sie auf die
Schulter nehmen zu dürfen, um sich in kommenden Zeiten rühmen
zu können : ich habe die Gebeine des grösten Mannes , den es
jemals in unserer Kunst gab , getragen. Das Gerücht von der
Übertragung verbreitet sich , und eine so grosse Menschenmenge
eilte herbei und füllte die Kirche S. Croce so, dass der Sarg nur
unter grössten Schwierigkeiten in die Sakristei gebracht werden
konnte. Dort entschloss sich der Präsident der Akademie, um
Vielen sich gefällig zu erv;eisen und auch, wie er selbst gestand,
aus dem Wunsche, den Mann, den er lebend nicht oder in einem
Alter, das ihm keine Erinnerung gelassen, gesehen, wenigstens todt
zu sehen , den Sarg öffnen zu lassen. Und , als dies geschehen,
sahen wir den Leichnam, den er und wir Alle schon verwest und
zerstört zu finden erwarteten, da er schon 25 Tage todt und 22 in
dem Sarge war, in allen seinen Theilen unversehrt und ohne jeden
üblen Geruch, so dass wir glaubten, er ruhe vielmehr in einem
süssen, ruhigen Schlafe. Nicht allein, dass seine Gesichtszüge noch
ganz wie im Leben waren, ausser dass die Farbe ein wenig die
eines Todten war, auch keines seiner Glieder war beschädigt oder
zeigte irgend etwas Abstossendes. Und das Haupt und die Wangen
rührten sich nicht anders an, als sei der Tod nur wenige Stunden
vorher eingetreten".
,,Er war in einen Rock von schwarzem Damast geldeidet, trug
an den Beinen Stiefel und Sporen, und auf dem Kopf einen alt-
modischen Seidenhut mit langen schwarzen Filzhaaren", heisst es
in den ,,Memorie fiorentine inedite". (Gaye III, 133.)
Der Sarg wurde in der Kirche beim Altar der Cavälcanti in
einer Grabstätte vorläufig beigesetzt und die Stätte am nächsten
Tage durch zahlreiche Gedichte geehrt. Am 16. März beschliessen
in einer Sitzung die Akademiker, die Exequien feierlich in S. Lorenzo
zu begehen und v/eiter am 9. Mai, dass einstweilen, da der Herzog
noch kein Geld gesandt, Ammanati auf seine Kosten die Ausgaben
für die Gemälde, welche die Leichenfeier verherrlichen sollen, über-
nehme. (Mil. Prosp. Cron. 402, 403.)
,,Man kam zu dem Beschlüsse , nicht etwas Prunkhaftes und
Kostspieliges, sondern vielmehr etwas durch die Erfindung der
Kunst Würdiges zu machen" — so erzählen die kleine, 1564 bei
den Giunti erschienene Schrift : ,,Esequie del divino Michelagnolo"
Die künstlerische Verherrlichung des Meisters nach seinem Tode 51g
und Vasari , der in der Hauptsache und zumeist wörtlich sich an
sie hält. ,,Denn, sagten die Deputirten und ihre Proveditore, da
ein Mann wie Michelangelo geehrt werden soll, und zwar von
Männern seines Berufes, die reicher an Talenten, als an Geldmitteln
sind, muss man dies nicht mit königlichem Pomp oder eitlen Äusser-
lichkeiten, sondern mit geistigen Erfindungen und geistreichen, an-
muthigen Werken, die dem Wissen und der Geschicklichkeit unsrer
Künstler verdankt werden, thun und so die Kunst durch die Kunst
ehren." ,, Dessen ungeachtet aber zeigte es sich schliessHch, dass die
Pracht der Veranstaltung den Werken, die aus den Händen der
genannten Akademiker hervorgingen, entsprach, und dass die Ehrung
wahrhaftig nicht weniger prächtig als geistreich und voll von rühm-
lichen Einfällen und Erfindungen war."
Der Katafalk, 28 Ellen hoch, 11 lang und 9 breit, wurde im
Mittelschiff zwischen den zwei seitwärts in das Kloster und in
das Freie führenden Thüren errichtet. Er erhob sich auf einem
zwei Ellen hohen Postament in zwei Stockwerken, deren unteres,
5^/2 Ellen hoch, deren oberes, schmäler gebildet, 4 Ellen hoch war.
Auf dem zweiten stieg eine 9 Ellen hohe Pyramide empor, die in
eine Kugel endigte. Auf der Kugel schwebte , als Bekrönung des
Ganzen, eine Fama. In der Ottley 'sehen Sammlung befand sich
eine Federskizze , die uns offenbar den ersten , dann veränderten
Entwurf Lastricatis zeigt. (Abb. in William Roscoes Life of
Lorenzo de' Medici. Heidelberger Ausgabe 1826. IV, S. 1^1.5.)
Hier erscheint der Katafalk, schon zweigeschossig, in eine Architektur
hineingestellt und mit der hinteren Schmalseite an die Wand ge-
lehnt. Wir sehen auf dem Postament vor dem unteren Geschoss
die zwei Flussgötter, die dann ausgeführt wurden, am zweiten Ge-
schoss ein Relief und seitwärts je eine Statue mit Siegeszweig,
welche auf Unterworfene : links eine kauernde Figur , rechts ein
Skelett tritt, angeordnet. Auf der Plattform ist statt der späteren
Pyramide die Bahre mit dem aufrecht sitzenden Todten zwischen
zwei sitzenden Frauengestalten angeordnet. Über ihr schwebt
Posaunen blasend die Fama. In dieser Anbringung der Bahre oben
und in den Vittoriengestalten darf man wohl eine beabsichtigte
Reminiszenz an die frühen Pläne zum Juliusdenkmal
gewahren, in den Flussgöttern an jene fürdieMedici-
gr aber.
In der Ausführung gestaltete sich das Ganze nun, wie folgt.
An der Front des Katafalkes, welche man, durch das Hauptportal
der Kirche eingetreten, vor sich hatte, lagerten auf dem Postament
zwei Flussgötterstatuen.
I. Die Statuen des Arno und des Tiber. ,,Der Arno
hatte ein Füllhorn mit Blumen und Früchten, als Symbol der
520 Anhang
von Florenz in den Künsten hervorgebrachten Früchte , die
so reich und so beschaffen sind, dass sie die Welt und in
Sonderheit Rom mit ungewöhnlicher Schönheit erfüllt haben.
Was zu gelungener Verdeutlichung in dem anderen Flussgott,
dem Tiber, gelangte, denn dieser, einen Arm ausstreckend,
hatte die Hände voll von Blättern und Früchten, die er aus
dem Füllhorn des seitHch ihm gegenüber befindlichen Arno
empfangen. Indem er sich der Früchte des Arno erfreute,
wurde darauf angespielt, dass Michelangelo einen grossen
Theil seines Lebens in Rom zugebracht und dort die Wunder
geschaffen hat, welche die Welt staunen machen. Der Arno
hatte als Sinnbild den Löwen und der Tiber die Wölfin
mit den kleinen Romulus und Remus. Und beide waren
Kolosse von ausserordentlicher Grösse und Schönheit und
wirkten wie aus Marmor." Den Tiber hatte ein Schüler
Bandinellis: Giovanni da Castello gen. Bandini, den Arno
Ammanatis Schüler : Battista da Benedetto , gen, Fiammeri
angefertigt.
Die Wände des ersten Stockwerkes waren mit grau in grau
ausgeführten Gemälden geschmückt :
II. An der Front über den Flüssen. Lorenzo Magnifico
nimmt den Knaben Michelangelo in seinen Garten
auf. Lorenzo empfängt huldvoll den Knaben und übergiebt
ihn einigen Meistern zur Lehre. Gemalt von den Freunden:
Battista del Cavalcatore, gen. Mirabello (oder Mirabello di
Antonio Cavalori gen. Salincorno) , ein Schüler Ridolfo del
Ghirlandajos, und Girolamo delCrucifissajo, Schüler des Michele
di Ridolfo del Ghirlandajo.
III. An der Seite rechts. Papst Clemens beschäftigt
Michelangelo an der Sagrestia nuova und an der
Libreria. Michelangelo zeigt dem Papst den Grundriss
der Sakristei. Hinter ihm bringen einige Putten und andere
Figuren die Modelle der Libreria, der Sakristei und der in
dieser ausgefiihrten Statuen. Gemalt von Federigo Flamingo,
Sohn des Lambert Sustris.
IV. An der Hinterseite gegenüber dem Altare das von Pier Vettori
verfasste Epitaphium, von zwei weinenden und die Fackel
verlöschenden Putten gehalten :
Collegium pictorum, statuariorum, architectorum, auspicio
opeque sibi prompta Cosmi ducis, auctoris suorum commo-
dorum , suspiciens singularem virtutem Michaelis Angeli
Bonarrotae , intelligensque quanto sibi auxilio semper fuerint
praeclara ipsius opera, studuit se gratum erga illum ostendere,
summum omnium , qui unquam fuerint , P. S. A. , ideoque
Die künstlerische Verherrlichung des Meisters nach seinem Tode 521
monumentum hoc suis manibus extructum , magno animi
ardore ipsius memoriae dedicavit.
V. An der Seite links : Michelangelo befestigtdenHügel
von San Miniato. Gemalt von Lorenzo Sciorini (oder:
dello Sciorina), einem Schüler des Bronzino.
Auf den vier Ecken des Untergeschosses waren überlebensgrosse
Statuen aufgestellt, jede als Sieger über einen Unterworfenen.
VI. Rechts vorne : deringegno, dieIgnoranzazuFüssen.
Der Ingegno, als schlanker, ganz vergeistigter, lebendiger
Jüngling mit kleinen Flügeln an den Schläfen, wie sie dem
Merkur gegeben werden. Die Unwissenheit mit Eselsohren.
Von Vincenzo Danti angefertigt.
VII. An der hinteren Ecke rechts : die Pietä als Siegerin
über das Laster. Die Pietä als Inbegriff aller Tugenden,
welche die Christen als die theologischen, die Heiden als die
moralischen bezeichnen. Von Valerio Cioli von Settignano.
VIII. An der hinteren Ecke links : Minerva oder die Kunst,
dieinvidia zu ihren Füssen. Um zu sagen, dass Michel-
angelo nicht allein Ehre und Vermögen, sondern so hohen
Ruhm geerndtet habe, wie Andere nur nach dem Tode ihn
gewinnen; und dass er den Neid so überwunden, dass ihm
einstimmig die Ehre höchster Auszeichnung zuerkannt ward.
Der Neid war als alte, dürre und aufgezehrte Frau mit Viper-
augen dargestellt so, als sprühten alle ihre Züge nur Gift aus.
Von dem jungen Lazzaro Calamech von Carrara.
IX. Links vorne : das Studium, die Faulheit überwindend.
Das Studium, auf Michelangelos unermüdliche Arbeit deutend,
war ein stolzer, kühner Jüngling, mit kleinen Flügeln an den
Armen dicht über den Händen. Die Trägheit eine schwer-
fällige, müde, schläfrige Frau. Von Andrea Calamech.
Auch das zweite Stockwerk war mit Gemälden geschmückt,
welche die vier Thätigkeiten des Meisters verdeutlichten : und auf
den vier Ecken waren diese in sitzenden Statuen dargestellt.
X. An der vorderen Seite : Michelangelo mit dem Modell
der Peterskuppel vor PiusIV. Von Pierfrancesco
Jacopo di Domenico Toschi.
XI. An der Seite rechts: Michelangelo malt das Jüngste
Gericht. Von Schülern des Michele di Ridolfo.
XII. An der Altarseite: Michelangelo beräth sich mit der
als Frau dargestellten Skulptur. Er war umgeben von
seinen schönsten Bildhauerwerken, und die Skulptur hielt eine
Tafel mit des Boethius Worten: ,,simili sub imagine formans".
Von Andrea dcl Minga, einem Schüler des Ridolfo del
Ghirlandajo.
522 Anhang
XIII. An der Seite links: Michelangelo als Dichter, schrei-
bend, dem der bekränzte Apollo, die Leier in der
Hand und von den Musen umgeben, einen Kranz
auf das Haupt zu setzen im Begriff ist. Von Giovan-
maria Butteri, Schüler des Bronzino.
Die vier Statuen waren
XIV. Die Architektur von Giovanni di Benedetto da Castello.
XV. Die Malerei von Batista del Cavaliere.
XVI. Die Skulptur von Antonio di Gino Lorenzi.
XVII. Die Poesie von Domenico Poggini,
An der Pyramide befanden sich
XVIII. Zwei Reliefbildnisse Michelangelos von Santi
Buglioni.
XIX. Die Fama auf der Spitze, fliegend dargestellt, blies eine drei-
fache Posaune. Zanobi Lastricati hatte sie angefertigt.
Weiteren künstlerischen Schmuck zeigte die schwarz verhangene
Kirche. Acht grosse Gemälde waren : vier im Chor, vier im Längs-
hause, angebracht.
XX. Michelangelo in den Elyseischen Gefilden, Zu
seiner Rechten die berühmten antiken Maler und Bildhauer,
Jeder durch ein Attribut gekennzeichnet: Praxiteles durch den
Satyr der Vigna Julius' III., Apelles durch das Bildniss Alexan-
ders des Grossen, Zeuxis durch ein Gemälde mit der Traube,
welche die Vögel täuschte, Parrasius durch das Gemälde
mit dem täuschenden Vorhang, und so die Anderen. Links
sah man die neueren Meister : Giotto mit dem Bildniss Dantes
(wie er es in Santa Croce gemalt), Donatello mit seinem
„Zuccone", Brunelleschi mit seiner Domkuppel; ferner, ohne
Attribute : Fra Filippo , Taddeo Gaddi , Paolo Uccello , Fra
Giovanni, Pontormo, Francesco Salviati u. A. Der Gedanke
war Dantes Schilderung vom Empfang des Virgil durch die
Dichter entlehnt; sein Vers: ,,tutti l'ammiran, tutti onor gli
fanno" war auf einem Zettel zu lesen, den der zu Füssen
Michelangelos liegende Arno hielt. Ausgeführt hatte das Ge-
mälde Alessandro AUori.
XXI. Michelangelo, umgeben von der ganzen Schule der
Künstler, von Kindern, Knaben und Jünglingen jeden Alters
bis zu 24 Jahren. Wie einem Heiligen und Geweihten bringen
sie ihm die Erstlinge ihrer Arbeit: Gemälde, Skulpturen und
Modelle dar, und er empfängt diese freundlich und belehrt
die mit gespannter Aufmerksamkeit ihm Lauschenden. Das
Bild war ein Werk von Pontormos Schüler, Battista Naldini.
XXII. Michelangelo, durch Julius III. in Dessen Vigna
zum Sitzen genöthigt, unterhält sich mit dem
Die künstlerische Verherrlichung des Meisters nach seinem Tode 523
Papste, im Kreise der stehenden Kardinäle, Bischöfe und
anderer Hofleute. Ausgeführt von Vasaris Schüler, Jacopo
Zucchi.
XXIII. Michelangelo empfängt im Hause auf der Giu-
decca zu Venedig die Edelleute, die der Doge, ihn
zu begrüssen, gesandt hat. Von dem Vlamen Giovanni Strada.
XXIV. Don Francesco de'Medici, zu Besuch in Rom,
erhebt sich beim Nahen Michelangelos von seinem
Sitze, auf den er ihn Platz zu nehmen bittet, indessen er
selbst mit Ehrfurcht, wie ein Sohn vor seinem Vater, vor ihm
stehend , ihm zuhört. Zu den Füssen des von einigen Sol-
daten umgebenen Fürsten befand sich ein Knabe mit dem
Herzogshute. Gemalt von Santi di Tito.
XXV. Die drei Haupt flüsse der Welt: der Nil mit dem
Krokodil, der Ganges mit einem Greif und einem Diadem von
Edelsteinen, der Po mit einem Schwan und schwarzer Ambra-
krone, von der fliegenden Fama geleitet, suchen den Arno
auf, um mit ihm den Verlust Michelangelo s zu be-
klagen. Der Arno war mit Cypressen gekränzt, hielt in der
einen Hand ein leeres Gefäss, in der anderen einen Cypressen-
zweig und hatte unter sich einen Löwen. Oben schwang sich
des Meisters Seele in Gestalt eines Engelchens im Glorien-
schein gen Himmel auf mit dem Verse : ,,vivus orbe peto
laudibus aethera". Zu den Seiten waren zwei Gestalten,
die einen Vorhang von dem Gemälde zurückzogen : Vulkan
mit einer Fackel, unter sich den sich abringenden ,,Hass" mit
den Worten: ,, Surgere quid properas, Odium crudele? Jaceto",
und Vulkans Gattin, eine der Grazien: Aglaja mit einer Lilie,
unter sich die ,,Sproporzione" mit einem Affen und dem
Verse : ,,Vivus et extinctus docuit sie sternere turpe". Unter
den Flüssen las man :
Venimus, Arne, tuo confixa in vulnere moesta
Flumina, ut ereptum mundo ploremus honorem.
Das Bild war von Bernardo Buontalenti.
XXVI. Michelangelo, als Gesandter von Florenz, bei
Julius II. in Bologna. Von Maso di San Friano.
XXVII. Michelangelo sitzt im Gespräch mit Herzog
Cosimo. Von Bronzinos Schüler, Stefano Pieri.
Im Übrigen sah man überall Todesdarstellungen, Embleme und
Devisen. Eine von Alessandro Allori , mit den Worten : „Coegit
dura necessitas" zeigte auf einer Erdkugel eine in der Mitte ab-
gebrochene Lilie mit drei Blüthen. Vasari stellte die Ewigkeit mit
einer Palme in der Hand dar, wie sie den Fuss auf ein Skelett
524 Anhang
setzt (also ähnlich wie die eine Statue auf Lastricatis Entwurf) und
verächtlich zu sagen scheint: trotz deiner wird Michelangelo ewig
leben. Das Motto besagte : Vicit inclyta virtus. „Überall waren
die drei ineinander geflochtenen Kreise oder Kränze
zusehen, die Michelangelo als Symbol anwandte, sei es weil
er damit sagen wollte, dass die drei Künste : Skulptur, Malerei und
Architektur so mit einander verwoben sind, dass eine von der an-
deren Vortheil und Zierde gewinnt und sie nicht von einander ge-
trennt werden können und dürfen, sei es dass er, als ein Mann
von hohem Geist, irgend einen anderen subtilen Gedanken dabei
hatte. Aber die Akademiker in Anbetracht dessen, dass er in allen
diesen drei Künsten vollkommen gewesen und durch die eine die
andere gefördert und verschönert hat, verwandelten die drei Kreise
in drei verflochtene Kränze mit dem Motto: „ter geminis tollit
honoribus", um damit zu sagen, dass ihm mit Recht in allen drei
Künsten der Kranz höchster Vollkommenheit gebührt."
Die Kanzel Donatellos, von welcher Varchi seine Leichenrede
hielt, war im Hinblick auf dieses Meisters Reliefs nicht verkleidet.
Aber an der anderen, die nicht fertig aufgestellt war, sah man ein
Gemälde :
XXVIII. Die Fama oder die Ehre, ein schöner Jüngling
mit einer Posaune in derHand, tritt aufdie Figuren
der Zeit und des Todes. Von Vincenzo Danti.
In die so geschmückte Kirche, die voll von Volk war, trat der
Trauerzug : voran der Präsident der Akademie , vom Hauptmann
und den Hellebardieren der Wache des Herzogs begleitet ; es folgten
die Konsuln, die Akademiker und sämtliche Maler, Bildhauer und
Architekten von Florenz. Empfangen von unzähligen Herren und
Edelleuten Hessen sie sich zwischen dem Katafalk und dem Hoch-
altar nieder. Dann wurde eine feierliche Todtenmesse abgehalten
mit Musik, worauf Varchi die Feierrede hielt. Dem Verlangen des
Volkes zu entsprechen, blieb der ganze Apparat viele Wochen lang
in der Kirche, und man strömte herbei, ihn zu sehen.
Die Gemälde sind dann, nach Beschluss vom 18. Oktober 1564,
in das Refektorium der Innocenti gebracht worden, wo sie zum Ver-
kaufe an den Wänden aufgehangen wurden. Eines erhielt der Arzt
der Akademie, Alessandro Menchi, statt seines Salärs, ein anderes
wurde Vincenzo Borghini gegeben (das Michelangelo und Julius III. in
der Vigna darstellende). 1571 waren von den 25 Bildern, die er-
wähnt werden, nur noch 18 vorhanden. Die Skulpturen wurden in
die Loggia des Hauses eines Battista Nelli von San Lorenzo ge-
bracht und dort, in beschädigtem Zustande, im Oktober 1566 ver-
kauft. Eine der Statuen, die besonders gut war, erhielt Borghini
zum Geschenk. (Vasari VII, 315. Anm. 2.)
Die künstlerische Verherrlichung des Meisters nach seinem Tode 525
Der Zyklus von Darstellungen aus dem Leben Michelangelos
in der Casa Buonarroti
Etwa sechzig Jahre nach dieser ersten halb historischen halb
allegorischen künstlerischen Verherrlichung des Meisters, um 1620,
Hess Dessen Grossneffe Michelangelo d. J. in dem dritten Räume
der Casa Buonarroti , der sogenannten Galerie , von den besten
florentiner Künstlern seiner Zeit einen Zyklus von Gemälden aus-
führen, deren Gegenstand nach Inschriften er selbst angegeben hat.
(Seine ,,Descrizione della Galleria Buonarroti" bei Fanfani : Spig.
Mich. S. 3 ff.) Es sind zehn grössere Gemälde und sechs kleine
Chiaroscuros historischen Inhaltes und 15 Deckenbilder zumeist
allegorischer Art.
A. Die grösseren Wandbilder.
I.Michelangelo als Gesandter von Florenz vor
Julius n. in Bologna. Von Anastasio Fontebuoni. In-
schrift: Michaelis Angeli reditus ad Julium II. Patria legatione
insignis, eo illustrior fit, quo diu a Pontefice expetitus vix
tandem impetratur. Ouum hoc habeat praeclara virtus, ut se
ipsa noscat, et quam sit admirabilis inteliigat.
II. Michelangelo, mit Soderini sich berathend, lehnt
die durch Franziskanermönche überbrachte Ein-
ladung des Sultans Soliman, dieBrücke vonKon-
stantinopel nach Pera zu bauen, ab. Von Giovanni
Biliverti. Inschrift: Praestantis ingenii fama adeo celebris,
vel in barbaros, pervagatur, ut ad Pontem Bosphoro imponen-
dum quo Chalcedonem Byzantio, imo Asiam Europae, con-
jungeret, Solimano Turcarum Imperatore, evocetur.
III. Michelangelo überreicht Leo X. Zeichnung und
Modell derLibreria und derFassadevonS.Lorcnzo.
Von Jacopo da Empoli. Inschrift: In Di vi Laurentii Aedium
fronte Leonis X . exornanda , in Mediceo Sacello et Biblio-
theca , jussu Clementis , extruendis tam venustatis formam
arte manuque exoressit quam nullus unquam cogitatione vel
mente concepit.
IV. Michelangelo ordnet dieBefestigungen desHügels
von San Miniato an. Von Matteo Rosselli. Inschrift:
Mirificis molibus Patriae aditum contra Pontificia Caesariana-
que arma pari studio ac pietate munit.
V. Michelangelo wird inVenedig vom DogcnAndrea
Griti empfangen, der ihn bittet, die Rialtobrücke
zu entwerfen. Von Valerie Marucelli. Inschrift: Vcnetias
526 Anhang;
advenienti, pracipui honores Andrcae Griti Sapientissimi Prin-
cipis clarissimorumque Scnatorum judicio studioque referuntur:
oblatis praemiis si admirabilem uibem haud operibus vel aedi-
ficiis, sed sola praesentia mirabiliorem cfficeret.
VI. Michelangelo empfängt den Besuch Pauls IIl., der
ihn veranlasst, das Juliusgrabmal auf die Hälfte
einzuschränken, und ihm den Auftrag auf das
Jüngste Gericht, sowie die Oberaufsicht der
Befestigungen und des Peterbaues giebt. Von
Filippo Tarchiani. Inschrift: Domi Paulum III. Pont. ]\Iax.
cum amplissimo Cardinalium comitatu excipit, cujus jussu et
auspicio urbem operum magnitudine, Vaticani templi ampli-
tudinem Picturarumque praestantia muniendam , illustrandam
atque exornandam suscipit.
VII. Michelangelo, in Gegenwart der stehenden Kardi-
näle neben Julius III. in der Vigna sitzend, über-
reichtDiesem das Modell des Palazzo per la Ruota.
Von Fabrizio Boschi. Inschrift: Romanae Curiae formam
Julio III. ostendit, ad cujus latus, ceteris stantibus, sedit, id
honoris clarissimae virtutis, clarissimo exemplo praebente
Pontifice.
VIII. Michelangelo überreicht Paul IV. das Modell der
Peterskuppel. Von Domenico Passignano. Inschrift: Illius
Templi structurae quo verae Religionis sedem Sacrique Imperii
majestatem universus veneratur orbis solum Bonarrotae in-
genium par quod praeter aedificii decorem et Magnificentiam
Paulus IV. Pont, admiratur.
IX. Michelangelo, dichtend, in Gegenwart einiger
ihm befreundeten Litteraten. Von Cristofano Allori
angefangen, von Zanobi Rossi, seinem Schüler, vollendet. In-
schrift: Picturae et Sculpturae Poesim adjunxit, non mores
hominum imitandi studio, quasi ad ejus Ingenium fugeret, cum
optime penicillo animos pinxerat scalproque sensus omnes
expresserit.
X. Michelangelo, von D. Francesco de' Medici geehrt,
der, sich erhebend, ihn sitzen lässt. Von Cosimo
Gamberucci. Inschrift: Franciscus Etruriae Princeps, Michaeli
Angelo ad se venienti adsurgit, sedenti adstat, haud majestatis
immemor, sed ne egregia virtus egregio careret testimonio.
B. Die kleinen Chiarosciiri.
XI. Michelangelo in Poggibonsi weigert sich, mit den
von Julius II. gesandten Kurieren nach Rom zurück-
zukehren. Von Jacopo Vignali.
Die künstlerische Verherrlichung des Meisters nach seinem Tode 527
XII. Karl V. erhebtsichbeidemBesuche Michelangelos
mit den Worten, esgäbe wohlandere Kaiser, aber
Keinen, der ihm gleich wäre. Von Jacopo Vignali.
XIII. Michelangelo wird bei seiner Heimkehr von den
PriorenderRepublikFlorenz festlichempfangen.
Von Matteo Rosselli.
XIV. Michelangelo studirend; neben ihm die Klugheit.
Von Matteo Rosselli.
XV. Michelangelo sendet das ihm für S. Peter ge-
gebene Honorar Paul III. zurück. Von Francesco Furini.
XVI. Michelangelo unterrichtet Jünglinge und Edel-
leute. Von Francesco Furini.
XVII. Auf dem Wege nach Caprese fällt Michelangelos
Mutter, mit ihm schwanger, vom Pferde, ohne
sich zu verletzen. Von Francesco Furini.
XVIII. Michelangelos Tod. Von Francesco Furini.
C. Die Deckenbilder.
a) Die kleineren.
XIX. L'Ingegno, ein Jüngling mit Flügeln an den Schläfen, in
der einen Hand den Bogen, in der anderen Pfeile. Von Fran-
cesco Bianchi.
XX. Die Tolleranza, eine kräftige, schlicht gekleidete, halb-
nackte Frau, die einen Stein auf dem Rücken trägt. Von
Girolamo Buratti.
XXI. Zwei fliegende Putten halten Michelangelos ,,Im-
presa": die vier Kränze. Von Giovanni da San Giovanni.
XXII. Die Liebe zum Vaterlande, ein Jüngling, der unter
seinen Flügeln Putten schützt, in der Hand ein Schwert, auf
dem Kopfe einen Eichenkranz (in dem neuen Führer: il genio
della Pittura genannt.) Von Jacopo Vignali.
XXIII. Die Pietä Cristiana, eine zum Himmel blickende Frau,
in der Hand eine Flamme, zu den Füssen einen Storch.
XXIV. Die Ehre, ein Jünghng, den Helm auf dem Kopf, das
Schwert in der Hand. Von Giov. Batt., il Bigio.
XXV. Die Mässigung, eine Frau, zur Sonne schauend, ein Loth
in der Hand. Von Domenico Pugliani.
XXVI. Zwei fliegende Putten mit der Imprcsa, wie XXI.
Von Giovanni da San Giovanni.
XXVII. Das Studium, ein Jüngling mit geflügelten Händen mit
Büchern, einer Sphäre, einem Modell und einem Grundriss.
Von Zanobi Rossi.
528 Anhang
XXVIII. Die Neigung (inclinazionc), eine Frau, einen Stern an
der Stirne, in den Händen einen Kompass, zu den Füssen
zwei Zugwinden. Von Artemisia Gentilcschi.
b) Die grösseren.
XXIX. Die Leichenfeier für Michelangelo in S. L o r e n z o.
Von Agostino Ciampelli. Inschrift: Exequiae regio cultu auctae,
regia Francisci Principis praesentia decorantur, nee immerito,
cui enim ob virtutem adscensus in coelum patct, Hcet maxima
in terris, debito tarnen minora, tribuantur.
XXX. Maler, Bildhauer und Architekten studiren
MichelangelosWerke. Von Nicodemo Ferrucci. Inschrift:
Non unius artis unum Canona ut Polycletus sed quot opera
Picturae Sculpturae atque Architecturae Canones Posteritati
exhibuit.
XXXI. Michelangelo wird von den Künsten und der
Poesie bekränzt. Von Gismondi Coccapani. Inschrift:
Eximiis artibus Bonarrotam ad coelum haud evectum credas:
illas potius divino ipsius ingenio excultas eo secum elatas
existima.
XXXII. Der Ruhm erhebt Michelangelo zur Unsterblich-
keit. Von Francesco Curradi. Inschrift: Qui in pingendo
sculpendo atque architectando antiquitus excelluere omnibus
fama unum opponit ac praefert.
XXXIII. Lionardo lässt Michelangelo das Denkmal in
S. Croce errichten. Von Tiberio di Santi di Tito. In-
schrift: Lionardi Bonarrotae Pietas magnifico sumptu Patruo
sepulchrum ponit, ejus tamen operum quam cinerumpraeclarius
monumentum.
In der Galerie befindet sich ausserdem das Gemälde der ,,Epi-
phania", Kopie nach Michelangelos Karton, die Statue des Meisters
von Antonio Novelli (s. weiter unten: ,,die Bildnisse") und die
zwei Statuen des kontemplativen und des aktiven Lebens von
Domenico Pieratti.
3
Das Grabdenkmal Michelangelos in S. Croce
Des Meisters eigener Gedanke ist es, wie Vasari sagt, zu einer
Zeit gewesen, in S. Maria maggiore zu Rom bestattet zu werden,
und er hatte, ehe er sie verschenkte, daran gedacht, die Gruppe
der Pietä, die heute im Dom zu Florenz steht, an demselben an-
zubringen. Später hat er, nach Lionardos Aussage, den Wunsch
gehabt, seine Ruhestätte zu Florenz in S. Croce zu finden. (Gaye III,
Die künstlerische Verherrlichung des Meisters nach seinem Tode 529
131.) Hier soll er sich so viel Raum von den Padri und Operaj
ausgebeten haben, um eine Kapelle und ein Grabmal für sich zu
machen, die er mit Gemälden und Skulpturen hätte ausschmücken
wollen. Die Padri wären einverstanden gewesen, die Operaj aber
hätten es verweigert. (Manni: Annot. S. 65 in Goris Condiviaus-
gabe, nach Ben. Varchi.) Über das fälschlich für ein Grabmal des
Meisters in S. Apostoli zu Rom gehaltene Denkmal siehe die An-
nalen im I. Band meines Werkes S. 481.
Als die Leiche nach Florenz überführt wurde, machen Lionardo
und Daniele da Volterra von Rom aus den Vorschlag eines in
S. Croce zu errichtenden Denkmales, für welches die ,, Viktoria"
und die im Atelier der Via Mozza befindlichen Blöcke benutzt
werden sollten, Daniele hat sich angeboten, die Zeichnung anzu-
fertigen. Vasari erwiderte darauf am 10. März, er habe diese Vor-
schläge an den Herzog geschrieben und bittet Daniele, zwei Ent-
würfe, einen mit der Figur und einen ohne dieselbe, zu machen.
(Vasari VIII, 376.) Im Stillen aber scheint er andere Gedanken zu
hegen, denn am 18. März schreibt er zwar, der Herzog sei ein-
verstanden und Lionardo möge seinen Plan fassen und ihn Daniele
zur Ausführung übertragen, wünscht aber, dass auch einige floren-
tiner Künstler beschäftigt würden und schlägt vor, die Pietä von
Pier Antonio Bandini sich zu verschaffen und die Viktoria, die ja nicht
für das Denkmal passe, und die anderen Blöcke Cosimo zu über-
lassen. (Daelli Nr. 32, 33. Vasari VIII, 377.) Um sich dem Herzog
gefällig zu erweisen, giebt Lionardo die Absicht, die Viktoria und die
Blöcke am Grabmal zu verwerthen, welchen Gedanken Daniele, nicht
er, gehabt, auf und schenkt sie Cosimo. (22. Mai. Gaye III, 136.
Vasari VIII, 380.) Zugleich schreibt er an Daniele, er wolle die
Sache nicht beeilen, was Dieser gutheisst. (ii. Juni.) Nun schiebt
Vasari im Stillen Daniele, der sich Jacopo del Duca zum Mit-
arbeiter erkoren, bei Seite und bietet an, selbst den Entwurf zu
machen, den er im Oktober Cosimo vorlegt. Lionardo berichtet
darauf von der Wendung der Dinge nach Rom, lässt es aber noch
unbestimmt, wie er entscheiden werde. Daniele und Jacopo halten
ihr Versprechen aufrecht, zweifeln aber nicht daran, dass es in
Florenz Künstler gebe, welche den Auftrag ehrenvoll ausführen
würden. Nun wird die Arbeit in Florenz wirklich in Angriff ge-
nommen. Vielleicht noch Ende 1564 theilt Lionardo Jenen diese
Thatsache und den von ihm gefassten Entschluss mit und erklärt
denselben damit, dass er es den florentiner Künstlern, welche sich in
so begeisterter Weise an der Feier der Exequien betheiligt hätten,
nicht versagen könne, das Grabmal auszuführen. Daniele und Jacopo
finden sich (9. Februar und 15. März) in sehr vornehmer Weise in
diese Sachlage. (Vgl. Annalen im I. Bande meines Werkes S. 482 f.)
%* 34
530 Anhang
Vasaris Entwurf ist von Cosimo gebilligt worden. Bei der
Wahl der Mitarbeiter für die Ausführung wird Borghini zu Rathc
gezogen. (Brief Vasaris an Cosimo, 5. November. Vasari VIII, 383.)
Beigelegt war Vasaris Brief ein Brief Vincenzo Borghinis, welcher
vorschlägt, eine der drei Figuren, die geplant sind, von Battista di
Lorenzo del Cavaliere und Giovanni Bandini, die zweite von Battista
di Benedetto , die dritte auch von jenem Battista del Cavaliere
machen zu lassen. (Gaye III, 151.) Am 12. November erklärt sich
Cosimo hiermit einverstanden. (Ebenda 152, 154.) Am 23, November
meldet Vasari, dass die Arbeit angefangen ist. (Ebenda 156.
Vasari VIII, 386.) Am 29. Dezember berichten Borghini und Vasari,
der Ort für das Denkmal in S. Croce sei bestimmt. An Stelle des
Battista del Benedetto, den Ammanato gebraucht, muss ein Anderer
treten. Borghini schlägt Valerio Cioli oder Domenico Poggini vor.
(Gaye III, 163.) Valerio Cioli wird gewählt. (Vasari VII, 317.)
Battista Lorenzi soll auch die Architektur und Ornamentik, sowie
die Büste Michelangelos nach Vasaris Modell machen. Da in der
Via Mozza, wenn die Statuen dort herausgenommen sind, wenig
Marmor ist, muss solcher aus Carrara beschafft werden. Lionardo
will die anderen Kosten tragen, falls ihm die Stücke gegeben werden,
Vasari meint, der Herzog mache damit ein gutes Geschäft, da er
ja so viele vollendete und unvollendete Statuen aus der Via Mozza
erhalte. (Gaye III, 164. Vasari VIII, 388.)
Bezüglich der Inschriften wendet man sich nach Rom , von
wo Diomede Leoni schreibt, dass die römischen Gelehrten ge-
übter darin seien, als die florentinischen. (Daelli Nr. 36.) Am
21. April erinnert Leoni Lionardo an die Inschrift des Epitaphs.
Es ist eine solche in Rom gemacht worden, doch bleibt es
zweifelhaft, ob nicht eine in Florenz angefertigte bestimmt wird.
Paelli Nr. 38.)
Auch am 8. September und 6. Oktober schreibt Leoni in der
Angelegenheit der Inschrift an Lionardo. (Gotti I, 37 1-) Dann
hört man lange Nichts. Am 14. August 1568 schickt Leoni an
Lionardo eine Inschrift ein. (Gotti I, 372.) Weitere sendet er am
5. März 1569 (Daelli Nr. 44). Dann wieder am 13. Mai, und zwar
von Paolo Manuzio und Marcantonio Mureto, die er, in der Furcht,
sie seien verloren gegangen, am 6. Juli nochmals einsendet. (Stein-
mann und Pogatscher: Rep. f Kunstw. XXIX. S. 410 ff.) Auch
im Brief Leonis vom 17. September 1569 wird darauf Bezug ge-
nommen; das Denkmal scheint dazumal nahezu fertig. (Daelli Nr. 45.)
Am 10. April 1570 fragt Leoni an, wann es aufgerichtet werde
und mit welchem Epitaph. Er, Leoni, finde immer noch, dass es
kein besseres als das von Paolo Manuzio geben könne , welches
begönne : unus ex omni memoria. (Daelli Nr. 46.)
Die künstlerische Verherrlichung des Meisters nach seinem Tode 531
Was wir sonst erfahren, beschränkt sich im Wesentlichen auf
Zahlungen an die Künstler: am 23. März 1566 (Vasari VIII, 399),
am 12. April 1567 (Steinmann und Pogatscher a. a. O. S. 408), am
21. Juni 1567 (Vasari VIII, 422), am 22. November 1567 (Stein-
mann und Pogatscher S. 408), am 2. April 1568 (Vasari VIII, 433),
an Battista Lorenzi. Damals heisst es, dass in der nächsten Zeit das
Grabmal in S. Croce errichtet werden soll. Am 15. Oktober 1568
erhält Giovanni Bandini eine Zahlung. (Vasari VIII, 436.) Noch
am 18. Januar 1572 bittet Battista Lorenzi um Abschätzung seiner
Arbeit an der Architektur des Denkmales und Bezahlung, damit er
das Ganze fertig machen könne (ebenda 462, 463; eine Restzahlung
erhält er erst am 27. Januar 1575. Steinmann und Pogatscher
S. 408). Damals macht Vasari ein Gemälde der Pietä für Lionardo,
das für das Grabmal bestimmt ist (ebenda 473 , 478 , 482 vom
5. Dezember 1572). Doch ward das Bild von Matteo Naldini ge-
malt, für den Battista Naldini am 27. Juni 1578 eine Zahlung erhält.
(Steinmann und Pogatscher S. 408.)
Der architektonische Entwurf Vasaris zeigt eine schlichte Wandver-
kleidung mit breiten seitlichen Pilastern, einer Attika und einem
mittleren fensterartigen, von Voluten gestützten Aufsatz mit Segment-
giebel. Auf hohem Postament steht davor in der Mitte der nach
dem Muster der Medicigräber gebildete Sarkophag. Vor ihm sind
drei sitzende , weibliche Statuen angebracht : die in der Mitte , in
kauernder Stellung: die Skulptur mit Hammer und Meissel, die zur
Rechten mit Zirkel und Richtmaass : die Architektur, die zur Linken
in der Hand ein Modell (eines Sklaven) haltend , zu den Füssen
Pinsel und Malutensilien, die Malerei darstellend.
Die Skulptur ist das Werk des Valerio Cioli, die Architektur
von Giovanni Bandini dell' Opera, die Malerei von Battista Lorenzi
del Cavaliere. Die Erklärung für die seltsame Erscheinung, dass
die Malerei ein Modell hält, giebt Raffaele Borghini in seinem
,,Riposo" (1584, S. 108). „Anfangs wurde von Don Vincenzo
Borghini angeordnet, dass die Malerei in die Mitte gesetzt werden
solle, und dort, wo jetzt die Statue von Battista del Cavalieri ist,
die Skulptur ; und so wurden die Statuen in Auftrag gegeben. Und
Battista war der Erste, der den Marmor zu bearbeiten begann und
hatte seine Statue schon weit gefördert und ihr das Modell , das
man jetzt sieht, in die Hand gegeben, als die Erben Michelangelos
den Grossherzog um die Erlaubniss baten, die Skulptur in die Mitte
setzen zu dürfen, sowohl weil Michelangelo in dieser Kunst sich
mehr als in den anderen ausgezeichnet, als auch weil er sie immer
höher geachtet und geschätzt hatte, l^nd Seine Hoheit bewilligte
ihnen ihre Bitte. Daraufhin sah sich Battista, der schon seine Figur
für jene Ecke, wo sie heute zu sehen ist, berechnet und sie nicht
34*
532
Anhang
in die Mitte versetzen konnte, genöthigt, seine Statue, die er als
,, Skulptur" gedacht, in die ,, Malerei" zu verwandeln und that dies
mit Hülfe jener Attribute, die man zu ihren Füssen sieht. Und er
wollte ihr nicht das Modell nehmen, ganz mit Recht, um nicht
seine Figur, der er schon die Stellung gegeben, der Anmuth zu
berauben, indessen die Anderen, die mit ihren Statuen noch weit
zurück waren, leicht sich dem, was Noth that, anbequemen konnten."
Über der Mitte des Sarkophages vor der Attika, von zwei Konsolen
gerahmt , steht die Büste des Meisters von Battista Lorenzi , über
die ich weiter unten noch spreche. In den Feldern links und rechts
von ihr ist das Emblem der drei Kränze angebracht, an den Pilastern
das Buonarroti'sche Wappen. In dem Aufsatz sieht man das Ge-
mälde der Pietä von Naldini, der auch den Vorhang mit den Putten
über dem Denkmal an die Wand gemalt hat.
Die Inschrift vorne am Postament lautet:
MICHAELI ANGELO BONAROTIO
E VETVSTA SIMONIORVM FAMILIA
SCVLPTORI PICTORI ET ARCHITECTO
FAMA OMNIBVS NOTISSIMO
LEONARD VS PATRVO AMANTISS. ET DE SE OPTIMO MERITO
TRANSLATIS ROMA EIVS OSSIBVS ATOVE IN HOC TEMPLO
MAIORVM
SVORVM SEPVLCRO CONDITIS COHORTANTE SERENISS.
COSMO MED.
MAGNO HETRVRIAE DVCE
ANN. SAL. MDLXX
VIXIT ANN. LXXXVIII M. XI. D XV.
Die alten Bildnisse Michelangelos
Vier ausführlichere Untersuchungen über die Porträts, welche
im XVI. Jahrhundert nach dem Meister angefertigt wurden, besitzen
wir. Die erste von C. D. E. Fortnum : ,,on the original portrait
of Michel Angelo by Leo Leoni" erschien 1875 in dem Archaeo-
logical Journal Bd. XXXII, Nr. 125; einen Nachtrag veröffentUchte
derselbe Forscher in dergleichen Zeitschrift XXXIII, 1876. Gleich-
zeitig veröffentlichte Gaetano Milanesi eine Abhandlung : Dei ritratti
di Michelangelo im „Ricordo al popolo Italiano", Firenze 1875,
S. XIV ff., die dann in seiner Vasariausgabe (VII, S. 130 ff.) Auf-
nahme fand. Es folgten Symonds, der 1893 in seiner Biographie
des Künstlers (II, S. 258) den Bildnissen eine Betrachtung widmete.
Die alten Bildnisse Michelangelos r^s
und Gaetano Guasti, der im gleichen Jahre, gelegentlich eines neuen
Fundes, die Gemälde behandelte: ,,I1 ritratto migliore e autentico
di M. Buonaroti", Firenze. Andere kleinere Aufsätze, die im
Folgenden zitirt werden, haben dies oder jenes einzelne Werk ge-
würdigt. Eine erneute Zusammenfassung, Sichtung und Bereicherung
des Materiales gebe ich im Folgenden, zu neuen Schlüssen ge-
langend.
In dem Leben des Meisters erwähnt Vasari vier Porträts. ,,Es
giebt nur zwei gemalte Bildnisse Michelangelos : das eine von
Bugiardini , das andere von Jacopo del Conte , und eine Bronze-
büste, von Daniello Ricciarelli angefertigt, und diese Medaille von
Cavaliere Leone. Von diesen Werken sind so viel Kopien ge-
macht worden, dass ich ihrer, an vielen Orten in und ausserhalb
Italiens, eine grosse Anzahl gesehen habe" (VII, 258). Drei weitere
Porträts werden von dem Aretiner an anderer Stelle angeführt:
ein kleines in einem Stuckrelief in der Kirche der Trinitä in Rom
(VII, 53), eines, das er selbst in einem Fresko der Cancellaria,
nach der Natur angefertigt, malte (VII, 679), und ein drittes, das
er in der Sala di Giovanni im Palazzo Vecchio in der Darstellung
der von Leo X. vollzogenen Kardinalswahl neben den Figuren
Lionardos und der Herzöge Giuliano und Lorenzo Medici an-
brachte. (VIII, 159.)
I
Büsten
A. Danieles da Voltcrra Bronzen.
Über deren Entstehung sind wir durch Briefe, die nach des
Meisters Tode von Rom aus nach Florenz an Lionardo Buonarroti
gesandt wurden, näher unterrichtet. (Vgl. die Annalen in dem
I. Bande meines Werkes S. 483.)
Am II. Juni 1564 schreibt Daniele da Volterra an Lionardo:
„quanto ai ritratti di metallo fino aqui io ne ho formata una cera;
si va facendo, quanto si puo in tal caso e non si mancherä con
la debita diligenzia condurli a fine con quella piü prestezza che
sarä possibile." Am 9. September meldet Diomede Leoni: ,,le
due vostre teste di quella bona memoria sono a buon termine e
certo che vi sodisfaceranno , perche vi e stata usata la debita
diligentia." Um den 9. Februar 1565 scheint Daniele selbst Nach-
richt gegeben zu haben. Leoni schreibt an diesem Tage: „vi
renderä conto de le due teste de la felice memoria di vostro zio,
che hanno mosso me a volerne anche una, per goderlo con li ochi
si come lo vedrö sempre con l'animo et col core : e tutte tre si
534 ^"*^2
trovano a tcrmine che noii mancha sc non gettarlc : et benche
Messer Daniello non habbia di bisogno di sprone per farvi questo
et ogni altro servizio prontissimamente, io nondimeno per interesse
mio privato anchora saro diligente sollecitatore, che siano quanto
prima gettate si come lo spero presto." (DaelH 34, 35, 36.) Am
8. September: ,,le vostre teste similmente sono venute bene: et al
ritorno suo si rinetterrano." Daniele war für vierzehn Tage in das
Bad von S. Fihppo gegangen. Am 6. Oktober : ,,gli ricorderö
(a Daniello) egli dice, le vostre due teste, e troverä la mia a buon
termine, che gli farä venir voglia di fare rinettare le vostre, tanto
piü presto." (Gotti II, 147. I, 372.)
Noch immer aber verzögert sich die Sendung. Am 9. März
1566 berichtet Leoni : ,, tanto huomo, del quäle io haverö presto
la effigie finita, che mi fa sperare, che le due vostre anchora siano
per piacere. Non haverei creduto mai, che fussi andato tanto tempo
a rinettarla, ve tanta spesa: e vero, che non ho fatto risparmiare
a ogni possibile diligentia." Am 4. April 1566 stirbt Daniele.
Leoni schreibt am 4. Juni: ,,Ie due teste di quella bona memoria
erano in essere al partir mio di Roma ma non rinettate : penso
haverete dato ordine che pervenghino in vostre mani : et quanto
al farle rinettare, se cosi vi parrä potrete differire al ritorno
mio lä, che allora si faranno passare per le mani di uno, che ha
rinettata la mia molto bene." (Daelli 40. 41.)
Schon am 18. April hatte Jacopo del Duca, der sich selbst
anbietet, die Büsten zu ziseliren, über sie berichtet : ,, circa le teste
de mitallo, messer Daniello gli ha gettati, ma sono in modo, che
hormai se hanno da fare de novo con ciselli et lime, si che non
so se saranno a proposito per V. S. : fate voi. Io per me vorrei
havesti il ritratto della bona memoria de missere, non d'un altro.
V. S. faze Lei ; commetta a qualcheduno che vi ragguaglia meglio
di me. So quel che dico , dico per amor che vi porto, et forse,
essendo vivo Daniello, l'arebbe fatte condurre a un modo, che
questi soi genti non so quel che faranno." An demselben Tage
schreibt Michele Alberti : ,, messer Jacomo vostro compare mi ä
detto che V. S. vorrebbe sapere in che termine sono le teste di
bronzo de la bona memoria di messer Michelangelo. Vi dico
che sono gettate, e che se reneterranno in termine di un mese o
pocho piü, che V. S. le poträ avere. Si che V. S. stia di bona
voglia, che sarä servita presto e bene." (Gotti I, S. 373-)
Drei Bronzebüsten also sind nach dem Modell Danieles an-
gefertigt worden. Die eine war im Besitz Diomede Leonis, die
beiden anderen, im Auftrage Lionardo Buonarrotis angefertigt,
dürften im Jahre 1566 in Dessen Hände gelangt sein. Bestimmt
lässt sich aber das Datum nicht sagen.
Die alten Bildnisse Michelangelos 535
Nun wird aber weiter eine Bronzebüste genannt, die sich im
Besitze eines Dieners Michelangelos, des Antonio del Francese,
befand. Dieser schenkt sie, wie aus seinem Briefe am 26. August
1570 hervorgeht, wie auch eine Mosesstatuette, dem Herzog von
Ürbino. ,,Der Kopf, von dem mir Eure Excellenz in Ihrer Güte
schreiben lässt, ist das wahre Bildniss meines einstigen Herrn,
Michelangelo Buonarrotis, und ist aus Bronze, von ihm selbst
gezeichnet. Ich habe es hier in Rom und mache es Eurer
Excellenz zum Geschenk und schon habe ich es Ihrem Gesandten
gesagt, er solle danach schicken und für die Übersendung Sorge
tragen. Ich flehe Eure Exellenz an, Sie wolle geruhen es gerne
anzunehmen, wie ich es gerne gebe, da ich es einer würdigeren
Person nach meinem Urtheil nicht widmen könnte." (Gotti I, 173.
G. Gronau: Jahrb. d. k. pr. Kunsts. XXVII Beiheft S. 11.)
Wir müssen wohl annehmen, dass dies ein viertes Exemplar
des Daniele'schen Werkes war, das der Antonio für sich anfertigen
Hess — nicht ganz ausgeschlossen aber bleibt die Annahme, dass
Lionardo nur ein Exemplar von den zwei bestellten empfangen habe
und das andere in den Besitz Antonios gelangt sei. Auffällig und nicht
sicher glaubhaft, immerhin aber doch beachtenswerth bleibt die An-
gabe dieses Dieners, sein Meister habe das Bildniss selbst gezeichnet.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die nach Urbino gesandte
Büste identisch mit der jetzt im Museo nazionale zu Florenz be-
findlichen, denn sie kommt 1637 im Inventar der Guardaroba des
Grossherzogs Ferdinand IL, Gemahles der Vittoria della Rovere,
vor. Und da die Bronze des Bargello mit jener in der Casa
Buonarroti — welche vermuthlich das eine der von Leoni an
Lionardo gesandten zwei Exemplare ist, — sowie mit einigen
anderen übereinstimmt, ist nicht zu bezweifeln, dass Milanesi und
Fortnum Recht haben, wenn sie in diesen Werken Bronzen nach
dem Modell des Daniele da Volterra erkennen. Folgende Exemplare,
schon von Fortnum zusammengestellt, im Kopfe mit einander
übereinstimmend, aber in dem Material, in der Gestaltung der dem
Kopf hinzugefügten Büste und in der Ziselirung verschieden, sind
zu erwähnen,
I. Bronzebüste im Museo nazionale zu Florenz. Nr. ZI- Aus
Urbino. Sie befand sich offenbar eine Zeit lang in der Villa
La Petraja der Medici. Steinmann und Pogatschcr veröffent-
lichten ein Epigramm: „A una testa di Michelagnolo Buonarroti
di bronzo in sala alla Pietraja. Sat magnum Tua sola loco
decus addit imago." (Rep. f. K. XXIX, 418.)
II. Bronzebüste in der Akademie zu Florenz, mangelhaft bearbeitet.
Sollte dies das zweite der an Lionardo gesandten Exemplan*
sein '^.
536 Anhang
III. Bronzebüste in der Casa Buonarroti zu Florenz. Irrthümlich
von Michelangelo d. J. dem Giovanni da Bologna zugeschrieben.
IV. Bronzebüste im Konservatorenpalast zu Rom. Auf Marmor
bigio morato befestigt. Als Geschenk des Antiquario Antonio
Borioni wurde sie von Clemens XII. dort aufgestellt und vom
Abate Ridolfino Venuti in Borionis Collectanea Antiquitatum
Romanarum verherrlicht. Die damals verfertigte Inschrift
lautet: Michaelis Angeli Bonarrotii Caput aeneum sub felici
pontificatu SS. D. N. PP. Clem. XII. A. D. MDCCXXX.
Antonio Cardello Virgil. March. Crescentio Cons. Nicol.
Planca incoronato felice. com. de Aptis. C. R. P. Antonius
Borionus Capitolio et S. P. Q. R. d. d. (Gori : Ccndivis Vita
1746. Pref. XX ff.) Ich möchte annehmen, dass dies das
Exemplar des Diomede Leoni ist, welches vielleicht dauernd
in Rom geblieben war. Abbildung in : Righetti : il Campi-
doglio Tav. CCXLVIII
Dass Daniele nach einer Todtenmaske, nicht nach dem Leben
gearbeitet hat, behauptete Santarelli, und Fortnum stimmt ihm zu.
Ich kann mich hierfür nicht erklären, da drei erhaltene Bronzen,
die bloss den Kopf zeigen und das Modell unmittelbarer, als die
genannten, wiedergeben, den Eindruck hervorbringen, als seien
sie nach dem Leben angefertigt. Und dass sie zu den früher er-
wähnten ziselirten Bildnissen in naher Beziehung stehen, hob schon
Fortnum hervor.
V. Bronzekopf im Louvre zu Paris. Legat von Eugene Piot.
(Stich in der Gaz. d. b. a. 1878. S. 596. Phot. Giraudon
2146. 2147.) Sehr schöner, unziselirter Abguss des Modelles.
Er war auf der Exposition retrospective im Trocadero 1878
ausgestellt (s. Bode in der Kunstchronik 1878. XIII, S. 753).
Piot erwarb ihn aus Privatbesitz in Bologna. Genau derselbe
dreifache Rockkragen wie in der Büste des Konservatoren-
palastes.
VI, Bronzekopf im Castello Sforzesco in Mailand. (Phot. Fuma-
galli 35.) Unziselirter Abguss eines Wachsmodelles. Er
stammt aus der Sammlung Giuseppe Bossi in Mailand.
VII. Bronzekopf (auf moderne Gypsbüste gesetzt) in Oxford, Univ.
Gall. Robinson Nr. 90. Geschenk von W. Woodburn. Ab-
guss eines Wachsmodelles.
Eine Gypsmaske wurde von v. Ramdohr (II, 1 54) in der Acca-
demia di S. Luca in Rom erwähnt.
Verschieden von diesem Modell ist
Vin. Kleinere Bronzebüste in der Sammlung Simon in Berlin. Sie
kam aus dem Besitze des Mr. Beurdelet (Gaz. d. b. a. 1865.
XIX, 331) in die des Mr. Maurice Cottier, dann nach Berlin.
Die alten Bildnisse Michelangelos 537
Merkwürdige. Unregelmässigkeiten in der Bildung des Schädels
und einzelner Gesichtsformen aufweisend, ist sie doch un-
gemein ausdrucksvoll. Der Kopf ist gesenkt, wie in entrückter
Stimmung. Die Kleidung besteht in einem vorne geknöpften
Rock mit Klappkragen. Nicht von der Hand Danieles, sondern
von einem anderen Künstler.
B. Marmorbüsten.
IX. Die Büste am Grabmal Michelangelos in S. Croce
zu Florenz. Sie ist nach Vasari (VII, 316) von Battista di
Domenico Lorenzi angefertigt worden. Die Büste , welche
eine ähnliche Draperie, wie jene in der Casa Buonarroti, den
Kopf aber ganz en face zeigt, ist nicht, wie wohl angenommen
worden ist, nach der Todtenmaske, sondern offenbar nach
einer der in Lionardos Besitze befindlichen Bronzen Danieles
ausgeführt worden. Der Rockkragen hat die gleiche Form,
wie diese.
X. Marmorbüste desMusee Bonnat inBayonne. Abb.
bei Louis Gonse : les chefs-d'oeuvre des Musees de France.
Sculpture. Paris 1904. S. 98. Auch hier ist der Kopf ganz
in Vorderansicht. Die Draperie scheint mir aus dem XVII. Jahr-
hundert zu stammen. Sie wurde nicht nach Danieles Werk,
sondern nach der kleineren Simon'schen Bronze Nr. VIII
ausgeführt; wir finden dieselbe Unregelmässigkeit und den
gleichen Rock. Der Künstler gehört dem Kreise der Schüler
des Meisters an.
XI. Marmorbüste im Besitze derDuchessa Josephine
Melzi in der Villa Melzi am Comersee. Abb. in
,,Capi d'arte appartenenti a S. E. la duchessa Josephine Melzi
d'Eril Barbi descritti dal dott. Giulio Carotti 1901. Bergamo.
Wilhelm Suida sprach mir die Vermuthung aus, sie könne
von Guglielmo della Porta sein. Ich habe sie nicht gesehen.
Späterer Zeit gehört die sitzende Marmorstatue in der Casa
Buonarroti an, die, 1620 von dem jüngeren Michelangelo gestiftet,
den Künstler in kurzem Rock, in der Linken eine Rolle, zeigt.
Die Inschrift lautet : D. O. M. Michaeli Angelo Bonarrotae pingendi
sculpendi atque architectandi praestantia novum divinum adepto
non ut mercedem gloriae qua magna pater familiam illustravit
rependeret neve ad ejus laudem aliquid conferret sed ut inter summos
honores peractae vitae cursus gentilium animos intra domcsticos
parietes proprius vehemcntiusque ad virtutem accenderet Mich. Ang.
Buonarrota Leonardi F, Statuam p. plnacothecam a sc extructam
atque ornatam d. A. D. MDCXX.
538 Anhang
Die Reliefs am Katafalk des Meisters hatte Santi Buglioni an-
gefertigt. (Vasari VII, 306.)
XII. Marmorrelief in ovaler Form im Besitze des
Herrn A. von Decke rath zu Berlin. Vermuthlich von
Bart. Ammanati. Kopf im Profil nach rechts. Es ist offen-
bar nach Bonasones Stich angefertigt. Abb. bei Mackowski :
Michelangelo.
XIII. Auf dem Relief der „Erneuerung Pisas durch
Cosimo I." im Museo Pio Clementino des Vatikan ist unter
den Figuren im Hintergrund links das Porträt Michelangelos
im Profil gegeben (Massi : Kat. des Museo 1792 p. 45. Stein-
mann: Monatshefte für Kunstw. I, S. 3 f., wo auch Abb.).
Steinmann schreibt das Relief Ammanati zu.
Zwei kleine Stuckreliefs von Daniele da Volterra in der Capeila
Orsini in S. Trinitä in monte zu Rom zeigten Michelangelo. In
ihnen rechtfertigte Daniele sich gleichsam vor seinen Neidern, in-
dem er sich als Schüler des Meisters und Sebastianos del Piombo
hinstellte. ,,In una di queste storiette fece molte figure di satiri,
che a una stadera pesano ganbe, braccia et altre membra di figure
per ridurre al netto quelle che sono a giusto peso e stanno bene
e per dare le cattive a Michel Agnolo e fra Bastiano, che le vanno
conferendo. Nell'altra e Michel Agnolo, che si guarda in uno
specchio, di che il significato e chiarissimo." (Vasari VII, 55.)
2
Medaillen
XIV. Die Medaille Leone Leonis.
Im Sommer 1560 war Leone in Rom. ,,Und in jener Zeit
porträtirte der Cavaliere Leone Michelangelo sehr lebendig in einer
Medaille und machte, aus Gefälligkeit für Diesen, auf dem Revers
einen Blinden, der von einem Hunde geführt wird, mit folgender
Inschrift: docebo iniquos vias tuas et impii ad te convertentur ;
und da ihm die Medaille sehr gefiel, schenkte Michelangelo ihm
das Wachsmodell eines Herkules, der den Antäus erdrückt, und
einige Zeichnungen." (Vasari VII, 257 f.)
Die Medaille ist in zahlreichen Exemplaren: in Gold (BerUn),
Silber (Florenz und Kensington Museum), Bronze und Blei auf uns
gekommen. Auf der Vorderseite liest man : MICHAEL ANGEL VS
BONARROTVS FLOR. AET. S. ANN. 88. Auf der Rückseite:
DOCEBO INIQVOS V. T. ET IMPII AD TE CONVER.
Die Angabe des Lebensalters ist irrig, denn 1561 empfing
Michelangelo die Medaille aus Mailand. Es müsste lauten: 85 oder
86. Der Meister ist im Profil nach rechts gewandt , ein Gewand-
Die alten Bildnisse Michelangelos 530
stück ist in reichen Falten um seine Brust drapirt. Die Darstellung
auf dem Revers zeigt einen alten Bettler, dem Michelangelos Züge,
wie es scheint, verliehen sind. Ein Gewandstück, das den Ober-
körper halb nackt lässt, umhüllt sein rechtes Bein und weht vom
linken Arm ab ; auf dem Kopf trägt er eine kapuzenartige Mütze.
Schwerfälligen Ganges schreitet er, von einem Hund geführt, in der
ausgestreckten rechten Hand einen Stab , am Arm eine Kürbis-
flasche, dahin. Die Inschrift ist dem 51. Psalm, v. 15 entnommen:
,,denn ich will die Übertreter deine Wege lehren, dass sich die
Sünder zu dir bekehren." Es ist der Psalm , welcher beginnt :
„Gott sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge meine Sünden
nach deiner grossen Barmherzigkeit. Wasche mich wohl von meiner
Missethat und reinige mich von meinen Sünden." Und weiter
(v. 12 — 14): ,, Schaffe in mir, Gott ein rein Herz, und gieb mir einen
neuen gewissen Geist. Verwirf mich nicht vor deinem Angesicht
und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Tröste mich wieder
mit deiner Hülfe, und der freudige Geist enthalte mich." Und auf
V. 15 folgt: ,, Errette mich von den Blutschulden, Gott, der du
mein Gott und Heiland bist, dass meine Zunge deine Gerechtig-
keit rühme. Herr, thue meine Lippen auf, dass mein Mund
deinen Ruhm verkündige. Denn du hast nicht Lust zum Opfer,
ich wollte dir's sonst wohl geben; und Brandopfer gefallen dir
nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist;
ein geängstet und zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten"
(v. 16 — 19).
Dies die Stimmung, aus welcher heraus Michelangelo den Revers
anordnete. Nicht ohne Weiteres erklärt sich aus der Schriftstelle
die Darstellung. Bottari zwar meinte, diese wäre eine Satire auf
den am Petersbau Beschäftigten. Die Worte also richteten sich
gegen die Feinde, die ihn gerade in jenen Jahren durch ihre Intri-
guen besonders belästigten und empörten. Doch scheint mir hier-
durch die Bettlerszene nicht erklärt zu werden; auch dünkt es
wenig glaubhaft, dass der Meister jene elenden Vorgänge habe ver-
ewigen wollen. Eine andere Meinung, dass nämlich der arme Pilger
Tobias sei, hat mit Recht schon Fortnum zurückgewiesen. Der
Sinn der Allegorie ist wohl allgemeiner zu fassen. Will der Meister
unseren Erdenwandel als die Pilgerschaft von Blinden und Bedürftigen
kennzeichnen oder stellt er sich selbst als den im Dunkel seinen
Weg tastenden „Armen Christi" dar.?
Eine spätere Gestaltung der Medaille bringt an Stelle dieses
Reverses die Darstellung der Geburt Christi in einem Gebäude. In
Gaetanis Museum Mazzuchellianum, Venedig 1761, wird eine Medaille
erwähnt, die den Bettler auf dem Revers, auf der Vorderseite aber
Giuliano della Rovere statt Michelangelos zeigt.
540 Anhang
Ein Wachsmodcll des Kopfes in kleineren Verhältnissen, das
Fortnum von einer Mrs. N. Hibbert in Munden erhielt und in
seinem Aufsatz publizirt hat, wird von ihm und vielleicht nicht mit
Unrecht als das nach der Natur angefertigte Originalmodell be-
trachtet. Die Draperie ist etwas anders, sie ist um den Rock mit
dem kleinen umgebogenen Kragen, den wir auch in Danieles Büsten
finden, gezogen. Auf der Rückseite befindet sich ein Papier, auf
dem in einer Schrift (wohl des XVII. Jahrhunderts) zu lesen ist :
Ritratto di Michelangiolo Buonaroti fatto dal naturale da Leone
Aretino suo amico. Nach diesem Modell hätte dann Leone das
grössere für die Medaille angefertigt.
Alle anderen Medaillen sind späteren Datums : eine von Jean
Varin (lebte 1604 bis 1672), eine zweite von Herard oder Gerard
1673, eine dritte von A. S. (Antonio Selvi) mit den drei Schwester-
künsten auf dem Revers, eine vierte von Santarelli 18 12, eine fünfte:
Durand edidit 1821. (Vgl. Litta: Fam. cel. Ital. unter: Buonarroti.
Fagan: The art of M. B. in the British Mus. 1883. S. 159. Fort-
num a. a. O.)
Von den geschnittenen Steinen ist keiner in frühe Zeit zu ver-
setzen. Auch nicht das ,,vetro di colore di smeraldo", das Gori
von Luigi Syries erhielt und nach dem er die Vignette zu dem Vor-
wort seiner Condiviausgabe von 1746 (S. VIT) entwarf
3
Stiche und Holzschnitte
Mit den Stichen besonders haben sich beschäftigt : Fagan
(a. a. O. S. 151 ff.) und Passerini: BibHografia S. 311 ff. An Holz-
schnitten wird sich gewiss Manches noch nachweisen lassen. Ich
habe dem nicht nachgehen können.
A. Michelangelo als füngling.
XV. Anonymer Kupferstich im British Museum (Fagan
S. 1 56, Nr. XXV). Michelangelo, als junger Mann, in ganzer
Figur. Er sitzt in einen grossen Mantel gehüllt an einem
offenen Fenster, wie schlafend das Haupt auf die Hand des
am Fensterbrett aufgestützten rechten Armes gelehnt , den
linken Arm verborgen im Mantel, den linken Fuss auf einen
Schemel gestellt. Rechts von ihm ein Vorhang. Nur wenig
Bart ist angedeutet. Bez. Micha. Ange. bonarotanus Floren-
tinus sculptor optimus anno aetatis sue 23. Das merkwürdige
Blatt, das einen schwermüthig stimmungsvollen Eindruck her-
vorbringt, ist beträchtlich später gestochen, als die durch das
Die alten Bildnisse Michelangelos 541
Alter bezeichnete Jahreszahl 1498 angeben würde. Benutzte
der Stecher eine alte Zeichnung, die irgend ein künstlerischer
Genosse des Meisters angefertigt? Oder ist es eine Phantasie-
schöpfung ? Man möchte das erstere annehmen, da die ersicht-
liche Porträtähnlichkeit schwerlich aus einer blossen Phantasie-
rekonstruktion zu erklären sein dürfte. Abb. bei Steinmann :
Sixt. Kap. II, S. 136.
B. Michelangelo in der Medicikapelle.
XVI. Holzschnitt von J. C. in Sigismondo Fantis ,,Triompho
di Fortuna", welcher 1527 bei Agostino da Portese in Venedig
erschien. Im ,, Frankfurter Bücherfreund, Mittheilungen aus
dem Antiquariate von Joseph Baer & Co." (Fr. a. M. 1908
Nr. 2) hat Dr. Leo Baer auf dieses interessante Blatt zum ersten
Male aufmerksam gemacht. Auf Seite XXXVIII ist „der Bild-
hauer" dargestellt. Nur mit einem Lendenschurz bekleidet,
kniet der Künstler mit dem linken Beine auf einem grossen
Steinblock und schwingt, den Meissel ansetzend, mit gewaltiger
Bewegung, die seine Haare flattern macht, den Hammer. Die
Statue, deren Oberkörper schon einigermaassen aus dem
Stein herausgearbeitet ist, ist die einer liegenden Frau.
Rechts steht eine Herme, links die Statue einer stehenden,
ihr Gewand haltenden Frau. Eine Bezeichnung: Michael
fiorentino" beweist, dass dem Illustrator das Bild des Meisters
vorgeschwebt hat. Und zwar muss man mit Baer annehmen,
dass er einen persönlich von Dessen Erscheinung und Arbeit
gewonnenen Eindruck wiedergiebt. Die Ähnlichkeit ist be-
greiflicher Weise nur eine allgemeine , aber die liegende
Gestalt ist offenbar , wie Baer bemerkte , die Aurora. Der
Illustrator dürfte also etwa 1526 in der Werkstatt von
S. Lorenzo gewesen sein. Ob wir in ihm, wie Baer ver-
muthet, den Bildhauer Jacopo Colonna zu sehen haben,
bleibe dahingestellt.
C. a. Das Proßlbildniss von Bonasone. 1545, ^54^.
XVII. Kupferstich (von G. Bonasone }). Brustbild, Profil nach rechts,
in eng am Hals anliegendem Umhang. Bez.
MICHAELANGELVS BVONAROTVS NOBILIS
FLORENTINVS AN AKT SVE LXXI
QVI SIM NOMEN HABES SATQ EST NAM OAETERA CVI NON
SVNT NOTA AVT MENTEM NON HABET AVT OCVLOS
MDXLV.
542 • Anhang
Es ist derselbe Kopf, wie im folgenden. Eine Kopie, in der
statt OAETERA CAETERA steht und P. S. F. (In den Uffizien
ein Abdruck mit : Giovanni Orlandi fo. roma.)
XVIII. Kupferstich von Giulio Bonasone. B. 345. Gleiche Dar-
stellung im Profil wie in XV. Bez.
MICHAEL ANGELVS BONAROTVS PATRICIVS
FLORENTINVS AN AGENS LXXII.
OVANTVM IN NATURA ARS NATVRAOVE POSSIT IN ARTE
HIC QVI NATVRAE PAR FVIT ARTE DOCET
MDXLVI.
Unten : JVLIO B. F. —
Abdruck der abgenutzten Platte in Goris Condiviausgabe 1746.
C. b. Das Proßlbildniss von einem Unbekannten. 1^46.
XIX. Kupferstich (1546), anonym. DruguHn 2418. Brustbild
ohne Hände, Kopf mit reich gelocktem Haar und Bart im
Profil nach hnks. Rock mit Kragen, Mantel um ihn drapirt.
Medaillenartig in rundem Medaillon, das auf viereckigem,
reich mit Ornamenten geschmücktem Blatte angebracht ist.
Auch medaillenartig umlaufende Schrift:
MICHELANGELVS BONAROTVS NOBILIS
FLORENTINVS ANNO AET. SVE LXXI.
Eine Abb. nach dem Exemplar im Besitze des verstorbenen
Geheimrath Ruland in Weimar bei Steinmann : Sixtinische Kapelle II,
S. 465. — Einen späteren Etat fand ich in den Uffizien. Hier ist
die Altersangabe verändert in LXXXVIII (irrige Angabe) und am
Rande des Medaillons innen hinzugefügt die Jahreszahl MDLXI.
Die Eigenthümlichkeiten des Kopfes sind hier in fataler Weise
übertrieben, namentlich die Einziehung der Stirne in der Mitte,
und die Haare sind viel mehr gekräuselt, als bei Bonasone und
Daniele. Es ist nicht wohl denkbar, dass der Stich nach der Natur
gemacht sei.
D. Das Porträt halb en face mit Filzhut von Bonasojie. 1548.
J549- ^55^-
XX. Kupferstich von Bonasone. In einem Oval, halb nach
rechts gewandt, in lang anHegendem gemustertem Gewand,
darüber Mantel, auf dem Kopfe ein topfartig geformter Pelz-
oder Filzhut mit schmalem Rand. Über dem Ohr kommt
das Ende einer anliegenden Kappe zum Vorschein. — Dies
Bildniss kommt in Exemplaren mit verschiedenen Altersangaben
vor. In dem ovalen Rahmen:
Die alten Bildnisse Michelangelos 1^4:^
MICHAEL ANGELVS BONAROTVS PATRICIVS
FLORENTINVS AN. AGENS (folgt Alterszahl).
a. Mit der Alterszahl LXXIV. Mir nur in einer Kopie bekannt,
die der bekannten Serie von Stichen Adam Ghisis nach den
Sixtinischen Deckenbildern in der späten Ausgabe beigegeben
und vorangestellt ist. Bez. Christophorus Blancus faciebat 161 2.
Im Gegensinne.
b. Mit der Alterszahl LXXV. Stich in der Sammlung des ver-
storbenen Geheimrath Ruland in Weimar. Abb. unter den
Tafeln des Steinmann 'sehen Werkes über die Sixtina IL
c. Mit der Alterszahl LXXXI und der Bezeichnung J. B. Stich
im British Museum (Fagan S. 155, XXIII).
Hiernach das Porträt in der „Nuova et ultima aggiunta delle
porte d'Architettura di M. A." Siena 1635. Von Pietro Marchetti.
Hier ist die Alterszahl LXXIII.
E. Das Porträt halb en face von Giorgio Ghisi.
XXI. Kupferstich von Giorgio Ghisi. B. 71. Der Kopf
etwas nach rechts gewandt, in einem Oval mit ornamentalem
Rahmen. Bez. :
MICHAEL ANGELVS BONAROTA
TVSCORVM FLOS DELIBATVS
DVARVM ARTIVM PVLCHERRIMARVM
HVMANAE VITAE VICARIARVM
PICTVRAE STATVARIAEOVE
SVO PENITVS SAECVLO EXTINCTARVM
ALTER INVENTUR FACIEBAT
G. M. F.
Eine Kopie im Gegensinne hiervon ist eine Radirung im
Berliner K. Kupferstichkabinet, welche Wessely für ein Selbstporträt
Michelangelos hielt. (Z. f. b. K. 1876, XI, S. 64, wo auch Ab-
bildung.) Bez. : Michael AngelusBonaroti Tuscorum flos dclibatus. —
Frei nach dem Stiche entworfen das Bildniss in der Mailänder
Vasariausgabe von 1 8 1 1 . Bd. XIV.
F. Porträt halb en face nacJi Vasari.
XXII. Holzschnitt in den Vite Vasari s.
G. Kleines Bildniss in Medaillon in Sficlicji des füngstoi Ge-
richtes oben an der Gewölbekappe.
In den meisten Stichen findet es sich. Es handelt sich hier
aber nicht um originale nach der Natur, sondern nach anderen
Stichen gemachte Darstellungen. Und zwar kehrt zumeist die
544 Anhang
Bonasone'sche mit der Pelzkappe (D) wieder. Ich erwähne nur
die hauptsächhchen und verweise auf Steinmann : a. a. O. II,
S. 789 ff.
Niccolö della Casa. Im I. etat: Antonio Salamanca 1543
findet es sich nicht, erst im II. etat.
Giorgio Ghisi. B. 25.
G, B. de Cavalleriis 1567.
Martin Rota. B. 28, 1569. Abb. bei Steinmann : II, S. 555.
Ivlarius Kartarus. B. 18.
Anonym. 1576. Venezia. Appresso Niccolo Face a l'arca
di Noe, Steinmann II, 792. Nr. 16.
Ambr. Brambilla 1589.
Anonym. 1593. Romae apud eredes Claudii Duchettii.
4
Zeichnungen
XXIII. Röthelzeiclinung in den Offizien. Abb. Steinmann
II, S. 160, Nr. 70 als Daniele da Volterra.? Michelangelo, in
ganzer Figur gesehen, sitzt etwas nach links gewandt, den
linken Arm auf ein aufrecht stehendes Buch gestützt. Die
Rechte legt er, in der Haltung des Lorenzo Medici, auf das
rechte Bein und schaut nach links. Auch die Beinstellung
erinnert an den Lorenzo. Gekleidet ist er in Tricots, einen
kurzen Rock mit Ärmeln und in einen ärmellosen, schürzenartigen
faltenreichen Umhang. Eine vortreffliche Zeichnung, die den
Künstler etwa als Vierzigjährigen oder etwas jünger darstellt,
offenbar von einem Florentiner, den näher zu bestimmen ich
nicht wage.
XXIV. Francisco de Hollanda: in seinen Dialogen. Kleines
Rundbild. Halbe Figur im Profil nach links gewandt, den
grossen Filzhut, der hier breitere Krampe und Ohrklappen hat,
auf dem Kopfe, in eng anliegendem Rock mit emporstehen-
dem Kragen und einfachem Mantel. In der Linken hält er
einen Stab, die Rechte fasst den Gürtel (.?). Links von ihm
ein Rosen-, rechts ein Lorbeerkranz. Umschrift: MICHAEL
ANGEL VS PICTOR. Unter dem Medaillon : nacque Michael
Angelus negli Anni MCCCCLXXIIII E se ne passo di cotesta
vita a XVII di febrajo l'anno MDLXIII Etati sue LXXXVIIII.
Man würde nun annehmen, das Bildniss sei während des Auf-
enthaltes in Rom von Francisco gemacht worden. Das ist
aber undenkbar, denn der Meister ist uralt. Francisco muss
sich eine Skizze aus den spätesten Lebensjahren Michelangelos
verschafft haben. — Abb.: Arte en Espana II, 1863. Gaz.
Die alten Bildnisse Michelangelos cj^c
d. b. a. 1882, p. 397. Frey, Dichtungen S. 278. Müntz : la
fin de la Renaissance S. 407. Yriarte : Florence p. 295.
XXV. Giorgio Vasari, Federzeichnung. Offizien. 528, 3950.
Das nach halb rechts gewandte Brustbild des Meisters in ein-
fachem Rock ist in ein von zwei Putten gehaltenes Oval ge-
setzt, inmitten einer grossen architektonischen Umrahmung.
Es ist das Titelblatt zu Vasaris Zeichnungensammlung: ,,Disegni
di diversi Pittori etc." Die Zeichnung diente für den Holz-
schnitt in den Vite 1568. Die nächste Verwandtschaft zeigt
der Kopf mit dem Bilde der Kapitolinischen Sammlung.
XXVI. Federzeichnung von Passarotti im Grossherzog-
lichen Schloss zu Weimar. Etwas nach rechts ge-
wandter Kopf Rock mit dreifach gefaltetem Kragen, wie in
einigen Exemplaren der Daniele'schen Büste. — Eine rohe
Arbeit.
Die Zahl der Zeichnungen dürfte sich unschwer vermehren
lassen. Manche sind mir früher in den Sammlungen begegnet, von
denen ich mir, da sie mir nicht wichtig genug erschienen, keine
Notizen gemacht habe.
5
Gemälde
,,Es giebt nur zwei gemalte Bildnisse Michelangelos : das eine
von Bugiardini, das andere von Jacopo del Conte" , sagt Vasari.
Ueber das letztere äussert er sich nicht weiter; bezüglich des an-
deren aber erzählt er im Leben des Bugiardini (VI, 206) die heitere
Geschichte von der Sitzung, wie Dieser die Kritik des Meisters, er
habe sein Auge zu hoch in die Schläfe gerückt, nach redlichem
Sichabmühen damit beantwortet habe, es sei in Wirklichkeit so,
worauf Jener bemerkt , so sei es ein Fehler der Natur (vgl. mein
Werk I, 189 f). Dort auch giebt Vasari an, Ottaviano de' Medici
habe das Bild vertraulich bei Bugiardini bestellt und zugleich mit
Sebastianos del Piombo Porträt des Papstes Clemens erhalten.
Danach wäre Bugiardinis Gemälde etwa 1531 anzusetzen.
Dies sind die einzigen alten Nachrichten. Zu bemerken ist,
dass Vasari schon von vielen Wiederholungen spricht, denen er
ausdrücklich jene beiden Porträts als die einzigen authentischen
gegenüberstellt. Neben der oben erwähnten neueren Litteratur
kommen insbesondere noch in Betracht: Antonio Zobi, Discorso
sopra un ritratto ad olio rappresentante Michelangiolo Buonarroti,
Firenze 1842 (zuerst 1842 als Discorso storico artistico erschienen)
und Gaetano Guasti : il ritratto migliore e autentico di M. Buonarroti,
Firenze 1893.
JL* 35
546 Anhang
Es empfiehlt sich, im Folgenden die eigentlichen selbständigen
Porträts von den in Historienbildern nebenbei angebrachten zu
unterscheiden.
A. Porträtgemälde.
Erster Typus: mit turbanartigem weissen Kopf-
tuch, in mittleren Jahren.
XXVI. Gemälde in der Casa Buonarroti zu Florenz. Phot.
Alinari 4564. Der Kopf ist etwas nach links gewandt; die
Augen blicken nach rechts heraus. Das Haar ist ganz ver-
steckt unter einem verschlungenen weissen Tuch, dessen Ende
mit kleinen Fransen oben emporsteht. Einfacher dunkler Rock.
Dunkler Hintergrund. Kalt im Tone, hart in der Behandlung
wirkt das Bildniss nicht angenehm. Namentlich der Mund mit
der etwas vorgeschobenen Unterlippe und dem spärlichen
Schnurrbart erscheint gezwungen. Der linke Oberaugenknochen
steht zu hoch. Dies letztere lässt Einen unwillkürlich an die
von Michelangelo gerügte Verzeichnung in Bugiardinis Bild
denken. Aber nicht dies allein. Mir scheint Dessen Art über-
haupt in dem Gemälde sich deutlich auszusprechen : so die
Blässe der Inkarnates, die scharfe Konturirung der Augen, die
Aufhöhung der Lichter im Barte. Doch scheint es nicht
wohl denkbar, dass ein Mann hoch in den fünfziger Jahren
dargestellt sei. Man würde sagen : einer in den Vierzigern.
Und hierfür spricht folgendes andere Gemälde :
XXVII. Paris, Louvre 1649. Genau dasselbe Kopftuch, auch hier
der stark seitwärts gewandte Blick, auch hier der einfache
schwarze Rock. Der Kopf aber mehr en face gegeben, und
nicht gesenkt, sondern ganz gerade gehalten. Unten eine
sorgfältig ausgeführte Inschrift: MICHA. ANGE. BONARO-
TANVS FLORENTINVS SCVLPTOR OPTIMVS ANNO
AETATIS SVE 47. — Farbe und technische Behandlung sind
ganz verschieden von XXVI. Das Inkarnat ist branstig roth,
was die fast brutale Wirkung des Ganzen mitbestimmt. Der
Farbe nach am Ersten von einem Schüler aus dem Kreise
des Andrea del Sarto, aber nicht auf der Höhe der Kunst
etwa eines Pontormo. Das Bild wäre also 1522 in Florenz
gemalt worden — und in diese Zeit etwa möchte man auch
das ebengenannte XXVI versetzen. Die auffallende Überein-
stimmung in der Tracht legt den Gedanken nahe, dass es mit
Benutzung von XXVI, nicht nach der Natur entstanden sei,
also als eine freie Wiederholung jenes. Beachtenswerth ist
andrerseits die Übereinstimmung der ja seltsamen Inschrift
Die alten Bildnisse Michelangelos 547
mit jener auf dem Stiche XV, welcher den Künstler im Alter
von 23 Jahren darstellt. Entlehnte der Maler sie dem Stiche
oder umgekehrt? Das Erstere ist das Wahrscheinlichere. —
Das Bild stammt aus der Sammlung Louis XIV.
Es fragt sich nun, ob wir an der Benennung ,,Bugiardini" für
das Gemälde der Casa Buonarroti festhalten können. Ich glaube:
ja — trotz der Datirung. Vielleicht ist Vasari ungenau. Es ist
nicht absolut nothwendig anzunehmen, dass Bugiardini das Bild
1531 gemalt hat. Nur das Eine steht fest, dass Ottaviano Medici
es 1531 erhielt. Entscheidend für mich ist, dass unter allen er-
haltenen Porträts dem Stile nach nur dies eine mit dem Maler in
Beziehung gesetzt werden kann.
Zweiter Typus: halb nach rechts gewandter Kopf,
mit Filzhut.
XXVIII. ImBesitze desMarchesedellaStufa zuFlorenz.
Milanesi, der es zuerst erwähnt und glaubt, es könne das
Bugiardini'sche Porträt sein, sagt, es stelle den Künstler im
Alter von etwa 55 Jahren dar. Guasti meint: etwa sechzig-
jährig, vielleicht Kopie nach Bugiardini. Eine kleine Kopie
sei im Palazzo Pitti.
XXIX. Palazzo Pitti, Florenz. Miniatur in Medaillon. Im
Miniaturenraum 178. Rohe Kopie des eben erwähnten Bildes.
XXX. Wien, K. K. Kunstsammlungen. Porträtsammlung des
Erzherzogs Ferdinand von Tyrol. Abb. bei Kenner: Jahrb.
d. Kunsts. des Allerh. Kaiserhauses 1897. XVIII, S. 234.
Taf. XXVIII, loi. Bez. Michael Angelus. Kenner bemerkt,
das Original, vermuthlich das Bugiardinis, sei in den Kupfer-
stichen der jjNuova et ultima aggiunta delle porte d'Architett.
di M. A. B." wiedergegeben. Es ist trefflich gemalt und er-
weckt durch den Leidensausdruck besonders stark die Theil-
nahme.
An ein Original von Bugiardini zu denken, verbietet schon das
nach meiner Meinung höhere Alter des Dargestellten; auch weist
Nichts auf Dessen Stil hin. Ich glaube vielmehr, dass es sich um
Nachbildungen des Bonasone'schen Stiches, siehe oben Nr. XX (aus
den Jahren 1548 und 1549) handelt.
Dritter Typus: ohne Kopfbedeckung, der etwas
geneigte herausschauende Kopf ein wenig nach rechts
gewandt.
XXXI. Rom, Kapitolinische Gemäldegalerie. Phot. Ander-
son 932. Abb. im I. Bande meines Werkes und sonst. Grauer
Hintergrund. Schwarzer Damastrock mit hoch am Hals an-
35*
548 Anhang
liegendem Kragen. Es wird dem Marcello Vcnusti zugeschrieben.
V. Ramdohr hielt es für ein Selbstporträt. Von allen mir
bekannten Bildnissen der künstlerischen Qualität nach das
beste. Auch stimmt es am Meisten mit Danieles Büste und
Ghisis Stich. Wie ich weiter unten darlege, dürfte es das von
Jacopo del Conte ausgeführte Porträt sein. Etwa zwischen
1535 und 1540.
Als Kopien dieses Gemäldes sind mehrere andere zu be-
zeichnen.
XXXII. Früher Florenz, Torre del Gallo (Villa Galetti).
Das von Guasti in seiner erwähnten Schrift behandelte Gemälde.
Der Conte Galetti verkaufte es an Don Giovanni del Drago
in Rom. Phot. Brogi 8217. Es zeigt alle Eigenthümlich-
keiten von XXXI, nur ist die Zeichnung und ModeUirung viel
härter.
XXXIII. Florenz, Casa Buonarroti. Dem Marcello Venusti
zugeschrieben.
XXXIV. Florenz, Uffizien. In der Porträtsammlung des Korri-
dors zwischen Uffizien und Palazzo Pitti Nr. 778. Gute Kopie.
XXXV. Hamptoncourt Nr. 735. Rohe und spätere Wiederholung.
XXXVI. Hannover, Provinzial-Museum Nr. 230.
XXXVII. London, Earl ofWemyss. Abb. in Symonds Life
of Michelangelo I. Band.
Vierter Typus: In halber Figur, sitzend. Kopf wie
im dritten Typus, nur gerade gehalten, der rechte Arm im Schoosse
ruhend, die linke Hand über ihn herabhängend. Einfache Nischen-
architektur im Hintergrund.
XXXVIII. Paris, Sammlung Chaix d'Estampes. Stich von
Alphonse Frangois. Abb. von Baron Joseph du Teil, ,,Les Arts"
1907, Juli. Steinmann: Monatshefte für Kunstw. I, il. Es
scheint identifizirt werden zu müssen mit dem Bilde, das ein
Chevalier Alquier 1817 in Neapel erwarb und nach Frankreich
brachte. (De Romanis: Memorie di M. Rom 1823. Dom
Moreni: Illustrazione storico critica di una medaglia rappr.
Bindo Altoviti. Florenz 1824. Hier Wicars Urtheil angeführt.)
Wicar erklärte es für das schönste Porträt des Meisters, auch
Ingres äusserte sich enthusiastisch. Milanesi sprach die Ver-
muthung aus, es könne das unter XL genannte Bild sein.
Ich kenne es nur aus den Reproduktionen. Diese aber lassen
keinen Zweifel darüber, dass nach ihm das folgende Porträt
angefertigt wurde.
XXXIX. Florenz, Uffizien, Nr. 290. Genau dieselbe Darstellung,
nur in sehr roher Ausführung. Phot. Alinari 488.
Die alten Bildnisse Michelangelos caq
XL. Einst Florenz, Casa Bracci. Es wird erwähnt in der
Vasariausgabe 1772, VI, S. 302 als auf Leinwand gemalt, im Be-
sitze des Onofrio Bracci in via de' Ginori. Abgebildet wurde es
um 1770 in den ,,Elogi e ritratti degli uomini illustri". Danach
der Kopf im I. Bande der Gotti'schen Biographie. Man hielt
es für eine Arbeit des Francesco Salviati. — Cavaliere Zobi
glaubte es wiederzuerkennen in einem Bilde, das sich bei
einem Signore Fedi befand und dann zu Dessen Erben Luisa
Casaglia und Antonietta Baldi della Scarperia in Florenz kam.
Sein Versuch, es als das Bugiardini'sche hinzustellen, war ein
verfehlter.
XLI. Florenz, im Besitze der Strozzi. Ich kenne es nicht
aus eigner Anschauung. Milanesi und Guasti besprachen es.
(Abb. in den Serie degli uomini illustri 1776.) Ersterer nahm
an, es sei das von Jacopo del Conte. Wahrscheinlich habe
Dieser es für die Söhne des Filippo Strozzi gemalt und es
sei später mit den Strozzi nach Florenz zurückgekehrt. Guasti
vermuthete, es sei eine Kopie des eben erwähnten Fcdi'schen
Gemäldes.
Hinzuzufügen ist dieser Gruppe, obgleich nur als Brustbild
gegeben, das Bildniss
XLII. London, Dr. Ludwig Mond. Fünf Porträts sind hier,
durch Pilaster gesondert, auf einer Leinwand gegeben. In der
Mitte Michelagniolo, zu den Seiten Giotto und Donatello,
Raffael und Brunellesco. Ich kenne das Bildniss nur aus der
von Steinmann (Monatshefte I, S. 13) gegebenen Abbildung.
Der Typus ist demjenigen der eben erwähnten verwandt, nur
ist der Künstler in jüngeren Jahren geschildert: der Knochen-
bau tritt nicht so scharf hervor. Es wird dem Francesco
Salviati zugeschrieben.
Das jetzt in der Florentiner Akademie befindliche spätere
Bildniss des Meisters in ganzer Figur, mit dem Torso des Fluss-
gottes, geht auf diesen Typus zurück.
Handelt es sich bei einem dieser Gemälde um ein nach der
Natur angefertigtes Porträt.^ Ich glaube nicht. Die Übereinstim-
mung des Kopfes mit dem Stiche Ghisis lässt mich annehmen, dass
der Typus auf diesen zurückzuführen ist. Die Kopfform ist länger
und schmäler als im dritten Typus.
Unbekannt blieben mir folgende, heute noch nachzuweisende
Bilder :
XLIII. Graz, Museum.
XLIV. Lord Dover. Von Fortnum erwähnt. Abb. in Charles
Knights Gallery of Portraits I, pl. 2. Dem Vinccnzo Campi von
Verona zugeschrieben.
5 50 Anhang
XLV. Mr. Drury Lowe in Locke Park. Vgl. Catalogue von
J. B. Richter Nn 66.
Von früher erwähnten, heute nicht mehr sicher zu identi-
fizirenden Bildnissen erwähne ich :
a) In der „Galleria des Cavaliere di Giovanbatista Marino".
Venezia p. 231. Gefeiert durch ein Madrigal: Michel che vinse
in guerra.
b) Im Palast zu Turin. Im Inventar von 1635 (Vesme in: Le
Gallerie nazionali III, 52). ,,Ritratto picciolo in tavola. Ordi-
nario."
c) Im Palazzo Caprara zu Bologna. Ende des XVIII. Jahrhunderts.
Von Lanzi: Storia pitt. III. Aufl. I, 147 erwähnt.
d) Bei dem Eminentissimo Zelada in Rom. Ebendort erwähnt.
e) Angeblich von Sebastiane del Piombo, in der Sammlung des
Herzogs von Orleans im Palais royal. Vgl. la Galerie du
Palais royal. Paris 1786. Galerie historique des hommes les
plus celebres de tous les siecles, t. VIII.
B. In anderen Darstellu7igen angebrachte Bildnisse,
XLVI. Giorgio Vasari. Fresko in der Cancelleria, Sala de'
cento giorni. Es stellt Paul III., wie er Benefizien ertheilt,
dar und wurde 1545 gemalt. Michelangelo erscheint mit
Sadolet, Pole, Bembo, Contarini und Giovio zusammen. Abb.
des Kopfes bei Steinmann, Sixt. Kap. II, S. 484. Der Kopf,
nur etwas stärker geneigt, entspricht in der Ansicht und in
den Zügen durchaus dem Kapitolinischen Porträt. Alles
erscheint etwas vergröbert und vereinfacht (so namentlich die
Falten auf der Stirne), aber dies erklärt sich aus der Fresko-
technik, Ich fühle mich, vergleiche ich Vasaris Zeichnung
in den Uffizien, zu der Meinung gedrängt, Vasari habe sich,
obgleich er es für alle jene Bildnisse behauptet, nicht an die
Natur, sondern an jenes Gemälde, das in eben jener Zeit ent-
standen sein muss, gehalten. Das Umgekehrte ist nicht wahr-
scheinlich, da in dem Porträt auf dem Kapitol Feinheiten,
die nur aus dem direkten Studium des Modells zu erklären
sind, sich finden. Und man wird nicht leugnen können, dass
Vasaris Kopf gröber wirkt, ja einen unangenehmen Zug hat,
welcher, gewiss dem Meister nicht zu eigen, in jenem Bilde
und in der Daniele'schen Büste fehlt.
XL VII. Giorgio Vasari, in dem Gemälde der Kardinals-
kreation LeosX. im Palazzo vecchio zu Florenz. Ich
habe leider keine Abbildung oder Skizze zur Hand, um be-
stimmen zu können , auf welche Darstellung der hier ange-
brachte Kopf Michelangelos zurückzuRihren wäre.
Die alten Bildnisse Michelangelos cqi
XL VIII. Marcello Venusti in der 1549 gemalten Kopie
des JüngstenGerichtesim Neapeler Museum. Des
Meisters Kopf ist, halb en face gesehen, links hinter dem
Ezechiel in der linken Ecke unten angebracht, aber zu klein,
als dass ihm Bestimmtes entnommen werden könnte.
XLIX. Daniele da Volterra in der Himmelfahrt der
Maria in S. Trinitä de' Monti in Rom. Abbildung des
ergreifend geneigten, abwärts schauenden Kopfes, mit schmerz-
umflorten Zügen bei Steinmann: Sixt. Kap. II, S. 526. Die
Züge sind nicht scharf ausgeprägt; es ist gleichsam nur ein
allgemeiner, aber ungemein ausdrucksvoller Eindruck der
Greisenerscheinung.
L. AlessandroAllori in seinem Jüngsten Gericht der
Kapelle Montauti inS. Annunziata zu Florenz.
Der Kopf befindet sich links über der Gruppe des Jünglings,
der den Alten unter den Armen fasst und emporzieht. Eine
gute Darstellung, von milderem Ausdruck, als er sonst ge-
wöhnlich erscheint. Es wird schon von Baldinucci (IX, 522)
erwähnt. Durch die Anbringung des Porträts bezeigte der
Maler dem Genius , dessen Werk er die Ideen des seinigen
verdankte, seine Erkenntlichkeit.
LI. AscanioCondiviineinerKreuzabnahmeinS. Maria
del Carmine bei Ripatransone. C. Grigioni erkennt
in einer Figur Michelangelo, vor dem Ascanio stehe. (Rassegna
bibhographica dell' arte italiana 1901. IV, S. 12.) Über die
Richtigkeit dieser Behauptung habe ich kein Urtheil.
Ob, wie neuerdings von verschiedenen Seiten behauptet worden
ist, in einem Kopfe ganz links auf der Pontormo'schen Anbetung
der hl. drei Könige im Palazzo Pitti (Nr. 379) wirklich ein Bildniss
Michelangelos zu erkennen sei, dünkt mich sehr zweifelhaft. Eine
gewisse Ähnlichkeit lässt sich nicht leugnen, aber die Züge erscheinen
mir zu plump. Eine Zeichnung Andrea del Sartos zu dem Kopfe
ist in den Offizien. (Jacobsen : Rep. f. Kunstw. XXVII, 259.)
Noch weniger vermag ich Steinmanns Behauptung zu unter-
schreiben, der in einem Kopfe (ganz links) einer Verkündigung
des Zacharias von Jacopo del Contc im Oratorium von S. Giovanni
Decollato zu Rom den Meister zu erkennen glaubt. (Monatshefte f.
Kunstw. I, S. 8 ff. Abb. ebenda zu S. 652.) Die Formen des Kopfes,
der Nase und der Stirn scheinen mir ganz verschieden ; auch fehlen
die charakteristischen Falten auf der Stirne und an den Wangen.
Auf welches Bildniss ein Stich Jakob Mathams von 1630 (B. III,
p. 142, Nr. 28) zurückzuführen ist, welcher den Kopf, mit einer
Kappe, fast en face darstellt, weiss ich nicht zu sagen. Er trägt die
Bezeichnung: Michael Angelus Buonarrotus Florcntinus Pictor,
552 Anhang
Caelator et Architectus incomparabilis ad vivum delineatus prout est
Romae in monte Trinitatis, perenni memoriae sacratur a Matham,
6
Zusammenfassendes
Überblicken wir nunmehr alle uns bekannt gewordenen Bild-
nisse, so ergiebt es sich, dass eine verhältnissmässig nur kleine An-
zahl direkt nach dem Leben angefertigt worden und daher von
Werth für uns sind. Es entspricht ganz des Künstlers Wesen, dass
er eine Abneigung dagegen hatte, porträtirt zu werden. Nur aus
Gefälligkeit hat er ausnahmsweise einmal eine Sitzung bewilligt.
Und es ist kennzeichnend, dass es bescheidene, der Unterstützung
bedürftige Talente, wie Bugiardini und Jacopo del Conte, nicht,
den Medailleur Leoni ausgenommen, anerkannte Meister des Porträts
waren, denen er solch eine Gunst gewährte. Traurig freilich für
uns! Was würden wir darum geben, besässen wir ein Bildniss von
Sebastiano — selbst einem ihm so nahe stehenden Manne scheint
er Nein gesagt zu haben — , von Pontormo, von Bronzino an-
gefertigt! Von Tizian, der mit ihm in Rom ja verkehrt hat, ganz
zu schweigen! Im Interesse der Pietät für den grossen Meister
wäre es zu wünschen, dass die meisten Bildnisse, alle die geistlosen
und zum Theil erschreckend rohen Wiederholungen einiger wenigen
besseren Originale nicht vorhanden wären. Welche Vorstellung von
ihm muss z. B. der Besucher der Porträtsammlung in den Uffizien
gewinnen? Doch eine geradezu abschreckende ! Um so wichtiger ist
es, die besseren und die zuverlässigeren Darstellungen hervorzuheben.
Dass die Berücksichtigung der Authentizität neben der Güte die Er-
wähnung auch einiger künstlerisch recht mittelmässigen Dinge mit
sich bringt, erklärt sich aus den soeben berührten Umständen.
Ehe ich diese Liste gebe, habe ich aber noch die Frage zu
berücksichtigen, wie es sich mit den beiden Gemäldeporträts, welche
Vasari als die einzigen originalen anführt, verhält. Denn dass
Dieser wohl unterrichtet gewesen ist, ergiebt sich aus allen oben
gegebenen Darlegungen. Die Prüfung erwies, dass nur zwei Bilder
Anspruch darauf erheben können, als Originalporträts aufgefasst
zu werden: das Bildniss mit dem Kopftuch in der Casa Buonarroti
und jenes in der kapitoHnischen Sammlung. Alle anderen erschienen
als Kopien nach diesen beiden, in Sonderheit des kapitolinischen,
und nach Stichen. Dass das Bugiardini'sche in jenem der Casa
Buonarroti zu erkennen sei, sprach ich schon aus. Es ist das
einzige unter allen erhaltenen Bildern, das den Werken des Künstlers
verwandt erscheint und auch zeitlich, da es Michelangelo in jüngeren
Jahren, als die anderen, darstellt, auf ihn hinweist. Unwillkürlich
Die alten Bildnisse Michelangelos cca
Stellt sich dann aber die Vermuthung ein, das kapitolinische Bild-
niss sei nicht von Marcello Venusti, dem es ohne irgend welche
sichere Begründung zugeschrieben wird, sondern das von Vasari
genannte Werk Jacopos del Conte. Gewiss hätte Vasari davon
Kenntniss gehabt, wenn Venusti Michelangelo porträtirt hätte, denn
er ist über Dessen Arbeiten nach Michelangelo'schen Zeichnungen
doch sehr wohl unterrichtet. Verrathen nun seine eigenen Michel-
angelobildnisse (in der Cancelleria und in der Uffizienzeichnung)
die Kenntniss, ja vielleicht mehr als dies: die Benutzung des
kapitolinischen Porträts und zeigt die grosse Zahl der Kopien, die
überhaupt nach diesem angefertigt worden sind, dass man es als
ein authentisches Werk allgemein anerkannte und hoch schätzte,
so scheint mir der Schluss sehr nahe zu liegen : der Künstler des
Bildes im Kapitol ist Conte. Eine definitive Entscheidung hierüber
würde erst der von mir nicht angestellte Vergleich mit Contes be-
glaubigten Werken ergeben. Vasari theilt uns mit, dass er, aus
der Schule des Andrea del Sarto hervorgegangen, unter Paul III.
nach Rom kam und dort der Porträtmaler des päpstlichen Hofes
ward. (Vasari VII, 575 ff. Baglione, Ausg. 1649. S. 75.) Das früher
erwähnte Fresko der Verkündigung des Zacharias in S. Giovanni
decollato ist in den Jahren 1535 oder 1536 gemacht worden. Nicht
sehr lange nachher, etwa Ende der dreissiger oder Anfang der
vierziger Jahre, dürfte er Michelangelo porträtirt haben. Dass das
Bildniss nicht von Venusti gemalt, scheint mir der Vergleich mit
dem Porträt auf Dessen Jüngstem Gericht in Neapel zu ergeben. —
Bemerken möchte ich, dass der Meister in dem schwarzen
Damastrock und in dem Seidenfilzhut „all' antica", die wir in
Porträts kennen lernten, bestattet worden ist. An den Füssen trug
er Stiefel mit Sporen. (Gaye III, 138. Vgl. oben II, S. 518.)
Verzeichniss der authentischen Porträts in zeit-
licher Anordnung.
1. 1498. Anonymer Kupferstich im British INIuseum , unsere
Nr. XV. Der am Fenster schlafende Jüngling. Ich nenne
den Stich, weil es möglich, dass er nach einer Zeichnung aus
jenem Jahre angefertigt ist.
2. Um 1520 etwa (oder früher.?). Die fälschlich Daniele da
Volterra zugeschriebene Rötheizeichnung in den Offizien
Nr. XXIII.
3. 1522? Gemälde von Bugiardini in der Casa Buonarroti.
Nr. XXVI. Mit dem Kopftuch. Wiederholung im Louvre.
4. 1527. Holzschnitt in Fantis Triompho di Fortuna. Nr. XVI.
Ich erwähne ihn, obgleich kein Porträt, wegen des in ihm
wiedergegebenen allgemeinen Eindruckes von des Künstlers
Persönlichkeit und Arbeit.
554 Anhang
5. Etwa 1535 — 1540. Gemälde von Jacopo del Conte auf dem
Kapitol. Nr. XXXI. — Wiederholungen in der Casa Buonarroti,
im Korridor der Uffizien, bei Don Giovanni del Drago in Rom,
in Hamptoncourt, beim Earl of Wemyss, in Hannover. Benutzt
von Vasari in der Cancelleria und in der Zeichnung der Uffizien.
6. 1545. Stich von Giulio Bonasone. Profil. Nr. XVII. — Be-
nutzt im Relief der Sammlung von Beckerath in Berlin.
7. 1546. Stich von Giulio Bonasone. Nr. XX. Mit dem Filz-
hut. — Hiernach die Gemälde in der Casa Stufa in Florenz,
im Palazzo Pitti und in Wien; der Stich in der Nuova et
ultima aggiunta delle porte d'Architettura.
8. Um 1550. Stich von Giorgio Ghisi. Nr. XXI, Verwandt-
schaft mit Contes Gemälde. Verwerthet (von Salviati.?) in den
Gemälden der Sammlungen Mond (London), Chaix (Paris),
Strozzi (Florenz) und den Uffizien; in der Radirung in Berlin.
9. 1549. Im Neapeler Gemälde des Jüngsten Gerichtes von
Marcello Venusti.
10. Letzte Lebenszeit. In dem Gemälde der Himmelfahrt Mariae
von Daniele da Volterra in S. Trinitä de' Monti.
11. Letzte Lebenszeit. Bronzebüste der Sammlung Simon in
Berlin. Verwandt die Marmorbüste in Bayonne.
12. Letzte Lebenszeit. Bronzebüste des Daniele da Volterra.
Unziselirte Abgüsse des Modelles : im Louvre (Nr. V), im
Castello zu Mailand (Nr. VI) und in Oxford: Univ. Gall. (Nr. VII).
Ziselirte und mit Drapirung versehene Exemplare : im Bargello
(Nr. I), in der Akademie (Nr. II) und in der Casa Buonarroti
(Nr. III) zu Florenz und im Konservatorenpalast zu Rom
(Nr. IV). — Verwerthet in der Marmorbüste am Grabmal
Michelangelos.
13. 1560. Die Medaille Leone Leonis. Modellirt 1560. Profil.
Nr. XIII.
14. Letzte Lebenszeit. Miniatur Franciscos de Hollanda. Nr. XXIV.
So verschieden die künstlerischen Qualitäten dieser Darstellungen
— Eines ist ihnen fast allen, als erschütternd charakteristisch für
die Erscheinung des grossen Mannes, gemeinsam: ein den Zügen
in tiefen, allmählich versteinernden Furchen eingeprägter und dem
umflorten Blick der Augen innewohnender Ausdruck unendlichen,
bis zur beängstigenden Qual sich steigernden Leidens. Sich ihnen
nähern, heisst schmerzensvollen Mitleides in ein furchtbar tragisches
Geheimniss sich versenken! Keinen überzeugenderen Beweis für
die Richtigkeit des meinem Werke zu Grunde gelegten Satzes: dass,
um den Meister und sein Schaffen zu verstehen, man sein Leiden
verstehen müsse, giebt es, als die von ihm erhaltenen Bildnisse!
VERZEICHNISS
DER BESPROCHENEN ZEICHNUNGEN
Basel. Stadt. Kunst s. 1,267.11,76.
Bayonue. Musee Bonnat. I, iiif.
116. 245. II, 6. II. 403.
Berlin. K. Kupferstichkabinet.
I, 112. i46f. i73ff. 481. II, 170.
190. 485.
Budapest. Kupferstichkabinet.
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Cambridge. Rugby School. I, 263.
11,91, Trinity College. I, 47.
242.
Cliaiitilly. I, 3. 64. II, 348.
Chatsworth. I, 263. 269. II, 18. 404.
Cremona. Pinakothek. I, 265.
Dresden. K. Kupfersti chkabinet.
I, 263. II, 81.
Düsseldorf. Akademie. I, 251. 252.
485. II, 444-
Florenz. Casa Buonarroti.
/, /. I, 118. Madonna Doni.
/, 2. II, 341. Kleopatra.
/, ß. I, 255. Alter Frauenkopf.
/, 4- II, 15. Studie. Jüngstes
Gericht.
/, 5. I, 260. Diomedesrelief.
/, 7. I, 265. 266. II, 485. Frau,
Ezechiaslunette.
//, g. I, loi. Karton von Pisa.
//, 12. I, 250. Haman.
///, 73. n, 208. Portal.
///, 104. I, 476. Grundriss,
///, 106. II, 209. Portal.
///, 12^. I, 478. II, 218. S. Giovan-
nino.
///, 124. I, 145. 477. n, 182. S. Gio-
vannino.
/F, 24. I, 267. Frau, Naason-
lunette.
Florenz. Casa Buonarroti.
y, 14 (im Text Druckfehler V, 64).
II, 15. J. Gericht.
V, 17. II, 76. 80. 418. 455- Flüch-
tende Männer.
V, 18. II, 76. 80. 418. 455- Flüch-
tende Männer.
V, ig. I, 167. 464. II, 12. 129.
Medicigrab. Libreria.
r, 20. II, 13. Kopie. J. Gericht.
FI, 27. II, 12. 16. J. Gericht.
VI, 2g. I, 150. Sklave.
VI, 31. II, 14. J. Gericht.
VI, ß2. II, 14 f J. Gericht.
VI, ßj. I, 260. Ignudo.
VII, ß4. II, 287. Apollo-David.
VII, ßß. II, 400. Christus im Limbus.
VII, ß6 (im Text Druckfehler VII, 7).
II, 10. J. Gericht.
VII, 97. I, 252. II, 444- Eherne
Schlange.
VIII, j8. II, 76. 80. 418. 455. Flüch-
tende Männer.
VIII, 4ß. I, 499. Grotesker Kopf
IX. II, 89. Fassade S.Lorenzo.
X, 44. I, 245. Sitzende Figur.
X, 45. I, 245. Adam.
X, 47. I, 265. Manneskopf
X, 4g. I, 260. Ignudo.
X, 5/. I, 158. Siegesdämon.
XI, ß2. I, 258. Ignudo.
XI, 5^. II, 293. Herkules und An-
täus.
XI, s4. II, IS- J- Gericht.
XI, ß^. I, 160. Sieger.
XII, S7- II, 334- Frauenkopf
XII, 58. I, 64. Drei Figuren.
XII, 59. II, 340. Kopf.
XII, 61. II, 10. 452. Christus.
558
Verzeichniss der besprochenen Zeichnungen
Florenz. Casa Buonarroti.
XII, 63. II, 297. Herkules.
XII, 64. I, 245. Adam.
XIII, 65. II, 6. J. Gericht.
XIII, 66. II, 9. 451. Christus.
XIII, 67. II, 76. 80. 418. 455-
Flüchtende Männer.
XIV, 6g. II, 489. Pietä.
XIF, jo. I, 264. II, 443- Opfer
Isaaks.
XV, 7/. I, 113. Madonna.
XVI, 72. II, 430. Madonna.
XVII, 75. I, 102. 258. 259. 262.
Ignudi.
XVIII, 4g. I, 445. 447- Medici-
grab.
XVIII, ^0. II, 139. Domkuppel-
gesims.
XVIII, 5/. U, 99. Fassade S. Lo-
renzo.
XVIII, 52. I, 474. Medicigrab.
XIX, 59. I, 458. 500. Medici-
grab.
XIX, 61. I, 500. Medicigrab.
XXI. I, 478. Päpstegrab.
XXI, 126. II, 135. Decke der Li-
breria.
XXII, I. II, 221. Arch. Details.
XXII, 2. n, 199. 222. Arch. De-
tails.
XXIII, ^. II, 199. 222. Arch. De-
tails.
XXIII, 4. II, 199. 223. Arch. De-
tails.
XXIV, 5. II, 199, 224. Arch. De-
tails.
XXIV, 6. II, 112. Adler.
XXIV, 7. II, 127. Libreria.
XXV, Iß. II, 148. Fortifikation.
XXVI, jj. n, 148. Fortifikation.
XXVI, 18. II, 148. Fortifikation.
XXVII, ig. II, 148. Fortifikation.
XXVII, 20. n, 148. Fortifikation.
XXVIII, 46. I, 479- Medicigrab.
XXVIII, 48. II, 124. Libreria.
XXIX, 47. n, 92. Fassade S.Lo-
renzo.
XXIX, 4g. II, 92. Fassade S.Lo-
renzo.
XXX, 21. n, 148. Fortifikation.
XXX, 22. II, 148. Fortifikation.
XXXI, 27. I, 151. II, 149, 384.
Fortifikation. Sklave. Historie.
Floreuz. Casa Buonarroti.
XXX/I, 28. II, 149. Fortifikation.
XXXII, 2g. II, 149. Fortifikation.
XXX ri, 90. II, 149. Fortifikation.
XXXIII, 32. II, 143. Terrain Via
Mozzi.
XXXIII, ßß. II, 140. Hausgrundriss.
XXXIII, 35. n, 163. Peterskuppel.
XXXIII, ß6. I, 477. S.Giovannino.
XXXIII, 37. II, 126. Libreria.
XXXIV, ßg. II, 124. 126. Libreria.
XXXIV, 40. I, 445- II, 137. Cibo-
rium.
XXXV, 55. II, 130. 135. Libreria.
XXXV, 54. II, 100. Fassade S.Lo-
renzo. Säule.
XXXV, 55. II, 106. Kapitale.
XXXV, 56. II, 106. Kapitale.
XXXV, S7- n, 93. FassadeS.Lo-
renzo. Profil.
XXXVI, 64. 11, 99. Fassade S. Lo-
renz©. Säule.
XXXVI, 65. II, 126. Libreria.
Fenster.
XXXVI, 66. II, 139. Domkuppel.
XXXVII, 6g. II, 93. 95. Fassade
S. Lorenzo.
XXXVII, 71. I, 145. 445- 450- Me-
dicigrab.
XXXVII, 72. I, 469. Medicigrab.
XXXIX, 62. n, 127. Libreria.
XXXIX, 107. I, 479. Medicigrab.
XL, 105. II, 109. Medicikapelle.
XLI, 76. n, 105. 109. Ciborium
S. Lorenzo.
XLI, 77. II, 127. Libreria.
XLI, 78. II, 127. Libreria.
XLII, 88. I, 445. 448. Medici-
grab.
XLII, 8g. II, 121. 123. Libreria.
XLII, go. II. 201. PalazzoFamese.
XLII, gr. II, 91. Fassade S. Lo-
renzo.
XLII, g2. II, 126. 127. 129. Libre-
ria.
XLII, gß. I, 446. Medicigrab.
XLII, g4. II, 136. Libreria.
XLIII, 7g. II, 121. Libreria.
XLI II, 80. II, 120. Libreria.
XLIII, 81. II, 120. Libreria.
XL/II, 82. II, 106. Kapitale.
XLIII, 8ß. n, 106. Kapitale.
XLIII, 84- II, 209. Portal.
Verzeichniss der besprochenen Zeichnungen
559
Florenz. Casa Buonarroti.
XLIII, 86. II, io6. Kapitale.
XL/II, 8j. II, io6. Kapitale.
XL/V, p5. II, 127. Libreria.
XL/V, g6. n, 125. Libreria.
XLIV, gj. n, 126, 208. Libreria.
XLIV, gS. II, 126. Libreria.
XLIV, gg. H, 208. Portal.
XLV, wo. II, 218. 232. Wandver-
kleidung.
XLV, loi. II, 136. 219. Altar.
XLV, 102. II, 208. Portal.
XLV, lOß. I, 145. 474. Medici-
grab.
XLVI, jog. I, 145. 476. Medici-
grab.
XLVI, 110. 1,448.11,107.229.231.
Reliquienbehälter.
XLVI, in. II, 162. S. Peter.
XLVI, 112. n, 146. 219. Nische.
XLVII, iij. II, 93. 99. Fassade
S. Lorenzo.
XLVII, 114. II, 218. 227.23I.Grund-
riss.
XL VIII, 31. II, 161. S. Peter.
XLIX, 14. II, 149. Fortifikation.
L, 25. II, 149. Fortifikation.
L, 26. II, 149. Fortifikation.
LI, 2ß. n, 149. Fortifikation.
LI, 24. II, 149. Fortifikation.
LH, 75. II, 149. Fortifikation.
LH, 16. II, 149. Fortifikation.
LIV, in. II, 140. Palazzo Alto-
pascio.
LI V, 118. II, 140. Palazzo Alto-
pascio.
LIV, iig. II, 142. 145. 146. Grund-
riss.
LV, 120. I, 145. 477- n, 187.
S. Giovannino.
LV,i2i. I, 145. 475. II, 182.
S. Giovannino.
LV,i22. n, 217. Gnindriss.
LVI, 41- 11, 95. Fassade S. Lo-
renzo.
LVI, 42. n, 124. Libreria.
LVI, 43. I, 161. II, 94. Fassade
S. Lorenzo.
LVII, II. II, 149. Fortifikation.
LVII, 12. II, 149. Fortifikation.
LVIII, 8. n, 109. 223. Medici-
kapelle. Triumphbogen.
LVIII, g. I, 500. Medicigrab.
Florenz, Casa Buonarroti.
LVIII, 10. I, 500. Medicigrab.
Cod. XIII. Som. 40 b. 11,338. Köpfe.
Florenz. U f f i z i e n.
170. II, 7, J. Gericht.
20^. II, 97. (Ignoto.) Fassade
S. Lorenzo.
22g. II, 457, Verkündigung.
2ßO. II, 463. Gethsemane.
^33^- I. 93- 102. III. 112. 113. 247.
II, 112. Madonna. Matthäus.
236 F. I, 104. (Daniele da Volterra.)
Karton von Pisa.
259. I, 481. (Heemskerk.) Giuliano
Medici.
238. I, 457. Medicigrab.
284. II, 357- (Allori.) Tityos.
3950. n, 545. (Vasari.) Bildniss
Michelangelos.
53g. 11,171. (Peruzzir?) S.Peter.
^45- n, 76. (Bronzino.) Engel-
sturz.
S46- II, 76. (Bronzino.) Jüngstes
Gericht.
59/. I, 104- (Daniele da Volterra.)
Karton von Pisa.
5g4- 11, 253. Kandelaber.
59S. n, 343. Sogen. Zenobia.
599- II> 334- Frauenköpfe.
601. n, 16. Schreiender Kopf.
603. I, 265. II, 335. Frauenkopf.
604. I, 263. Kopie Ignudo.
603. I, 255. Kopie.
606. I, 251. (Aristotele da San
Gallo.) Eherne Schlange.
607. I, 452. 498. (Aristotele da
San Gallo.) Medicigrab.
608. I, 147. Juliusdenkmal.
60g. II, 349, Fortuna.
611. II, 354. Ganymed.
G13. I, ICD. n, 317. Karton von
Pisa.
614. II, 347. Prudentia.
6/5. II, 81. Kopie Sixtina.
616. II, 16. Teufel.
617. I, 246. Sündfluth.
618. II, 455. Vertreibung der
Wechsler.
620. I, 93. Feldherr.
621. II, 363. Studien. Putto.
6ys- I, 104. (Pontormo.) Karton
von Pisa.
56o
Verzeichniss der besprochenen Zeichnungen
Florenz. Uffizien.
8i6A. II, 129. (Ant. da San Gallo.)
Libreria.
1032. II, 172. (Giov. Balducci.)
S. Peter.
1232. I, 488. (Raff, da Montelupo.)
Medicimadonna.
1416- II, 297. (Pietro Tacca.) Fon-
täne.
1464. II, 130. (Ant. da San Gallo.)
Libreria.
ij4iA. I, 162. (Aristotele da San
Gallo.) Juliusgrab.
1841. I, 481. (Tintoretto.) Giuliano
Medici.
2318. I, 254. (Heemskerk.) Kopie
Sibylle.
^%. II, 98. (Batt. Nelli.) Fassade
S. Lorenzo.
6^48. I, 485. (Pontormo.) Cre-
pusculo.
6g6o. I, 151. (Bandinelli.) Sklave.
i2yf)4. I, 104. (Dom. Campagnola?)
Karton von Pisa.
i2gi4. I, 486. (Tizian .>) Der Tag.
13045. II, 298. (Tintoretto.) Simson.
13046. II, 298. (Tintoretto.) Simson.
14412. II, 81. Reiter.
14750. I, 149. (Aristotele da San
Gallo.) Juliusdenkmal.
14778. I, 486. (Bronzino.) Der Tag.
15002. II, 298. (Tintoretto.) Simson.
15003, II, 298. (Tintoretto.) Simson.
15308. I, 104. (Ignoto.) Karton von
Pisa.
^5309- I, 104- (Ignoto.) Karton von
Pisa.
16077. Ii 103- Karton von Pisa.
i6g83. I, 486. Ignoto. Der Tag.
i6g84' I, 485. Ignoto. Crepusculo.
17133. II, 298. (Tintoretto.) Simson.
17134- II, 298. (Tintoretto.) Simson.
^37^- I> 251. (Gabbiani.)
17377. n, II. 12. 13. 17. J.Gericht.
17378. I, 241. 268. II, 10 1. Mann
mit Buch. Sixtina.
17379- I. 241. 268. n, loi. Mann
mit Buch. Sixtina.
17381. I, 246. Sündfluth.
17386. I, 269. (Passarotti.) Kopie.
1738g. I, 603. Karton von Pisa.
17390. n, 298. (Tintoretto.) Simson.
17393- ^> 267. (Passarotti.) Kopie.
Kopie.
Florenz. Uffizien.
^7754. I, 485. Kopie.
1820g. I, 482.
Medici.
18558. I, 64.
18634. I, 102.
Kopie.
18718. I, 162. 261.
1871g. I, 487.
18720
18721
Aurora.
Lorenzo
Kopie. Marsyas.
Karton von Pisa.
Medaillon.
Die Nacht.
I, 258. 259. Ignudo.
I, 151. 162. 250. 264. Eherne
Schlange. Sklave.
18722. I, 243. 248. 258. 260. Ignudo.
18723. II, 460. Verkündigung.
1872g. I, 94. II, 10 1. 460. Sitzen-
der Mann.
18/30. I, 64. Torso.
^^735- I. 246. 263. II, 10. Sündfluth.
18736. II, 357. Tityos.
^^737- I. 265. n, 317. Drei Figuren.
Dosio. Archit.gi.25'^5.4345. n, 170. 171.
Bacchus, nach dem. I, 48.
Bandinelli. Madonna. I, 12.
Daniele da VoUerra? Bildniss Michel-
angelos. II, 544.
Frankfurt a. M. Staedel'sches In-
stitut.
Kopie. J. Gericht,
n, 16. 336. Groteske
Kopie. Lunette.
Kopie. Auferstehung.
Kopie. Ignudo.
Christus am Kreuz.
Bogenschützen.
Kopie. J. Gericht.
Genua. Palazzo bianco. 1,244.263.
Haarlem. Musee Teyler.
/. (v. Marcuard Taf.) I, 103.
Karton von Pisa.
//. I, 103. Karton von Pisa.
39^-
II,
17-
392-
1,
499-
Köpfe
3974.
I,
269.
3975-
11,
453-
.3977-
I,
263.
397^-
II,
472.
3979-
11,
366.
39^2-
II,
17-
///. I,
247. Judith.
IV I,
102. II, 492. Karton von
Pisa.
F. I,
262. Ignudo.
VI I,
243. Erschaffung Adams.
VII I,
243. 262. Erschaffung
Adams. Ignudo.
VIII I,
243. Erschaffung Adams.
IX. I,
250. Haman.
X. I,
486. Der Tag.
XI. I,
481. 486. Der Tag. Giuliano.
XII II,
122. 123. Libreria.
Verzeichniss der besprochenen Zeichnungen
561
Uaaiicm. Mus^e Teyler.
XIII. U, 10. Laurentius. J. Ge-
richt.
XIV. II, 16 f. J. Gericht.
XV. II, 14. Teufel. J. Gericht.
XVI. n, 160, 167. 209. 210. 442.
S. Peter.
XVII. II, 442. S. Peter. Figuren.
XVIII. II, 161. 167 f. 442. S. Peter.
Figuren.
XIX. II, 404. 480. Kreuzabnahme.
XX. II, 404.
XXI. II, 295. 298. 359. Herkules.
XXII. II, 473-
XXV. I, 3. Studien nach altem
Meister.
Hamburg. Kunsthalle.
2iog4. I, 102. II, 339-
2/5//. II, 171.
Lille. Musee Wicar.
go. II, 203. 205. 357- Palast. Tityos.
g^. II, 161. S. Peter.
g4. II, 91. 203. Tabernakel.
P5. I, 499. II, 16. Grotesken.
gj. II, 14. J. Gericht.
g8. I, 244. Bettlerin.
gg. n, 15. J. Gericht.
104. II, 17. J. Gericht.
Battista da San Gallo. II, 90. 122. 204.
London. British Museum.
1854— 5—13— I. I, 158. 494. Fluss-
gott.
18^4—6—28—1. I, 261. (Bandi-
nelli.) Mann.
1856-5—10—11'/^. II, II. J.Gericht.
185g— 5— 14— 818. I, 488. II, 430.
Madonna.
185g— 5— 14— 820. I, 249. Haman.
185g— 5— 14— 822. I, 449. 451. Me-
dicigrab.
i8sg—5—i4—82^. I, 160.464.11,244.
Medicigrab.
185g— 5— 14— 824. I, 149- Julius-
denkmal.
185g— 6—25— ß47- n, 336. Frauen-
kopf.
185g— 6— 25— 534. I, 453- 454- Me-
dicigrab.
iS5g—6—25—54s. I, 244- 444- 448.
449. Medicigrab.
185g— 6— 25— 546. I, 450. Medici-
grab.
%*
London. British Museum.
185g — 6 — 25-547. I, 257. Kostüm-
studie. Sibylle.
185g — 6 — 25—548. II, 224. Arch. De-
tails.
185g— 6— 25— 54g. II, 224. Arch. De-
tails.
185g— 6— 25-550. II, 135- Libreria.
1850 — 6 — 25^551. I, 260. Ignudo.
185g — 6 — 25—552. II, 471. Christus
am Kreuz.
185g— 6— 25-553. 11, 327- 445- Venus.
185g— 6— 25— 555. I, 249. Haman.
185g— 6— 25— 557. I, 499. II, 16. 294.
Masken. Herkules.
185g— 6 — 25— 55g. 1, 446. Medicigrab.
185g — 6 — 25—560. II, 100. 199. 220.
221. Arch. Details.
185g — 6—25—561. II, 337. Frau mit
Spindel.
185g— 6— 25— 562. II, 430. Madonna.
185g— 6— 25— 563. I, 103. 245. Kar-
ton von Pisa.
185g— 6— 25— 564. I, 60. III. 116.
251. Putten. Madonna.
185g— 6— 25— 565. 1,265.11,383.433-
Studien. Madonna.
185g — 6—25—566. I, loi. Karton
von Pisa.
185g — 6 — 25 — 56/. 1, 240. 244. 262.
Sixtinische Decke.
185g— 6 — 25—568. I, 258. 260, 261.
II, 491. Ignudi.
185g— 6— 25— 56g. I, 495. Flussgott.
1860—6—16—1. II, 405. 432. Maria
mit Kind und Johannes.
1860—6—16—2. II, 454. Vertrei-
bung der Wechsler.
jS6o—6—i6—3- II, 405. 477 f. Die
drei Kreuze.
1860—6—16—4. II, 482. Frauen
unterm Kreuz.
1860—6—16—5. II, II. 12. J. Ge-
richt.
1860—6—16—133. II, 452. Auferste-
hung.
1860—7—14—1. II, 397- Lazarus.
1860—7—14—2. II, 396- Lazarus.
iS85—5—g—i8g3. II, 12. J. Gericht.
i885—5-g—i8g4' H, M- J- Gericht.
1886— 5— 13— 5. II, 13- J- Gericht.
i8gü—7—io—i. I, 151.11,406.496-
Beweinung Christi.
30
502
Verzeichniss der besprochenen Zeichnungen
Loudou. British Museum.
1887—5—2—115. I, 255. Jesajas.
1887—5—2—116. I, 52 f. 102. 103.
Karton von Pisa.
1887 — 5 — 2 — 117. I, loi. 113. Kar-
ton von Pisa.
1887—5 — 2 — 118. I, 241. 254. Sixti-
nische Decke.
1887—5 — 2 — iig. II, 451. Auferste-
hung.
1887— 5— 2— 120. II, 343- Kopie.
igoo — 6 — // — /. II, 406. 459. Ver-
kündigung.
Pp. 1—58. I, 113. 489. Madonna.
Pp. I— 61. I, 244. Liegender Mann.
Pp. 2 — 123. I, 253. Jonas.
London. British Museum. Samml.
Malcolm.
55. I, 482. II, 545. Graf Canossa.
56. II, 347. Frauenkopf.
57. n, 346. Frauenkopf.
59. I, 93. 102. II, 112. Karton von
Pisa. Apostel.
60. I, 249. Haman.
61. I, 3. 243. 261. Astrolog.
62. I, 123. Autor? Paul III.
6j. II, 398. Geisselung.
64. II, 452. Auferstandener.
65. II, 12. 206. J. Gericht.
66. II, 295. Herkules und Antäus.
67. n, 466. Christus am Kreuz.
68. II, 14. Kopie. Wollust.
70. II, 122. Libreria.
71. I, 500. II, 124. Arch. Details,
72. II, 473. Christus am Kreuz.
7^. II, 471. Christus am Kreuz.
74. II, 10. Bartholomäus.
75. n, 17. J. Gericht.
76. II, 17. 112. J. Gericht. Drache.
78. II, 459. Verkündigung.
79. II, 359. Phaeton.
80. n, 8. 14. 17. J. Gericht.
Karton „Epiphania". II, 439 ff-
London. British Museum. Biblio-
thek.
Ms. 21 907. I, 486.
London. Royal Academy.
Karton der Leda. II, 317.
London. South Kensington Mus.
Dyce Coli. I, 104.
London. Mr. G. T. Clough. II, 169,
448. 503.
London. Mr. Fair fax Murr ay. 11,444.
London. Mr. Gat hörne Hardy.
II, 80. 492. 493. 499-
London. Mr. J. P. Heseltine. I, 3.
II. 12. 112. 269. II, 268.408.431.
434.
London. Einst Th. Lawrence, II,
435- 459- 472.
London. Mr. E. J. Poynter. II, 18.
London. Einst Sir Charles Ro-
binson, n, 13. 408. 476.
London. Mr. Ch. Newton Robin-
son. II, 354-
Madrid. Don Aureliano de Be-
ruete. I, 254.
Mailand. Ambrosiana. I, 242. 245.
250. 252. II, 18. 348. 443-
Mailand. Brera. II, 366.
Mailand. Stadt. Archiv. Samml.
Bianconi. ü, 96.
München. K. Kupferstichkabinet.
I, 4. 247. 257. 263. 457- 466. II, 89.
96.
Neapel. Museo.
Karton der Venus. II, 327.
Karton für die Bekehrung Sauls. II, 8 1 .
Oxford. Univ. Gall.
/. I, 264. Des Feldherrn Auftrag.
2. I, 264. II, 485. Alter und Junger.
ß. I, 64. Kopie. Venus.
I, 78. Studien.
I, 264. 494. Flussgott.
I, 494. Der Tag.
I, 247. 258. Studien.
I, 266. Kopf.
I, 257. II, 337. Frauenkopf. Si-
bylle.
I, 265. Schreiender Kopf.
I, 253. II, 491. Sitzender Mann.
Grotesken.
II, 112. 341. 485. Drache.
I, 256. Entwurf. Sibylle.
I, iQi. 113. Karton von Pisa.
I, loi. Karton von Pisa.
Karton von Pisa.
Karton von Pisa.
Karton von Pisa.
Pferd (Phaeton?).
22. I, 114. II, 340. Anna selbdritt.
2ß. I, 151. 254. Libica. Sklaven.
24. 25. I, 242. 254. 263. 266. 267. 268.
269. 270. 271. Skizzenbuch.
9-
10.
II.
12.
'3-
14.
^5-
16.
18.
I, lOI.
I, lOI.
ig. I, loi.
20. II, 360.
Verzeichniss der besprochenen Zeichnungen
563
Oxford. Univ. Gail.
2-^. I, 267. Joram.
2g. I, 251. II, 444, Eherne Schlange.
30. I, 255. Kopie. Sibylle.
y. I, 245. Kopie. Bettlerin.
^2. I, 247- 262. II, 337. 340. Köpfe.
24. I, 244. Kopie. Adam.
35- I> 253. Kopie. Jonas.
36. I, 24 1. Kopie. Sixtinische Decke.
^7. II, 408 f. 499. Grablegung.
^8. n, 476. Kreuzigung.
40. I, 455- 11, 218. Medicigrab.
41. I, 457. Medicigrab.
42. I, 86. 159. 473. Medicigrab.
42a. I, 64. Knabe.
43. I, 482. 485. Lorenzo Medici.
45- I, 487. n, 294. Studien. Her-
kules.
46' I, 485. 486. Kopie. Der Abend.
47' I, 487- Kopie. Die Nacht.
4g- II, 106. 451. Reliquientribüne.
SO. II, 516. Sezirung des Leichnams.
52. II, 363. Kopie. Bacchanal.
53- n. 337- Kopie. Frauenkopf.
53a.\\, 112. Drache.
55- I, 268. II, 445. SimsonundDalila.
57- II, 356. 517- Jupiter und Ganymed.
58. II, 13. J. Gericht.
60. II, 14. 18. 80. Erschreckte Männer.
II, \\
n, li
II, i{
Kopie.
Kopie,
Kopie.
Kopie.
II, 303-
J. Gericht.
J. Gericht.
J. Gericht.
J. Gericht.
Nach Torso.
%• II, 17.
66. I, 64.
6g. II, 18. 297. 377. 455. Gruppe: der
Todtschlag.
70, I. II, 279. 497. 499. Pietä,
70. 2. II, 462. Gethsemane.
70,2- n, 12. J. Gericht.
71. II, 80. 455. Vertreibung der Wechs-
ler .>
72. II, 472. Christus am Kreuz.
73. II, 467. Christus am Kreuz.
74. 11, 461. Verkündigung.
75. I, 500. Frauenkopf.
76. I, 64. Faun.
77- II, 79. Kap. Paolina.
80. II, 201. Palazzo Farnese.
81. II, 162. 201. S. Peter.
82. II, 162. S. Peter.
83. II, 18. J. Gericht.
Oxford. Christchurch College.
/. II, 401. Studien.
Oxford. Christchurch College.
2. n, 409. 434, Familie.
3. n, 467. Christus am Kreuz.
4- I, 457- Medicigrab.
264. II, 337- Frauenkopf.
Architektur. I, 458.
Tintoretto. I, 481.
Paris. Louvre.
log. I, 63. II, 335. 485. Faunskopf.
no. I, 78. 114. 265. Anna selbdritt.
ni. I, 153. 455. 467. Sklave. Me-
dicigrab.
112. II, 410. 428 f 449. MariamitKind.
113. II, 401. 410. 433- VrsM mit Kind.
114. I, 158. II, 485. Sieger.
115. I, 256. Sibyllen.
116. I, 153. Sklave.
117. I, 65. Faun.
118. II, 469. Johannes.
"9- I. 153- Sklave.
120. n, 473. Christus am Kreuz.
121. I, 431. 11,410. MariamitKind.
122. I, 247. 256. 11,501. Sündfluth.
123. I, 79. 86. 87. 247. 261. David.
124. I, 488. Medicimadonna.
125. II, 411. 490. Pietä.
134- II, 93- (A. da San Gallo.)
210. I, 487. Kopie.
212. I, 486. Kopie.
688. I, 153. Sklave.
68g. I, 159. n, 485. Sieger.
6go. II, 338. Frau.
702. I, 94. Mann.
706. I, 4. Männer nach Giotto.
707. I, 100. II, 14. Karton von Pisa.
708. I, 480. II, 411. Medicigrab.
70g. II, 295. Die Ringer.
712. I, 103. 159. Karton von Pisa.
713- I. 104.
717. II, 517. Die Hand.
718. I, 251. Zwei Männer tragen
einen Dritten.
71g. I, 499. Maria unter Kreuz.
720. II, 469. Maria.
726. 11, 485. Magdalena.
72-/. I, loi. 11,339. Karton von Pisa.
730. I, 266. Kopie. Sixtina.
733- II. 342. Kopie. Kleopatra.
7H4. II, 351- Kopie. Ganymed.
73^' II, 18. Kopie. J. Gericht.
737. I, 468. Medicigrab.
738. 11, 18. Kopie. J. Gericht.
73g. II, 268, 473- Christus am Kreuz.
36^
564
Verzeichniss der besprochenen Zeichnungen
Paris
740
742
744.
745-
746.
747-
748
75^-
75^-
753-
754-
763-
766.
768.
769-
771.
771.
774-
775-
777-
780.
783-
784.
787.
788.
789-
790.
79^'
793-
794-
795-
797-
798-
799-
800.
806.
808.
810.
811.
813.
815.
817.
818.
819.
820.
821.
824.
826.
829.
830.
831-
833-
, Louv
I> 255-
. I, 253.
II, 18.
I, 267.
I, 265.
I, 254.
I, 246.
I, 486.
I, 244-
I, 254.
-762. I,
I, 104.
II, 464.
I. 253.
I, 252.
I, 486.
772. I,
I, 249.
II, 317.
II, 351-
781. I,
n, 18.
785- I,
I, 58.
I, 263.
i> 457.
II, 18.
792. II,
i, 255.
I, 245.
II, 18.
n, 18.
I, 252.
I, 482.
I, 245-
n, 18.
II, 18.
I, 104.
n, 366.
I, 265.
n, 316.
II, 18.
II, 366.
II, 18.
I, 255.
II, 18.
II, 18.
11, 351-
11, 361.
II, 18.
1, 249.
I, 263.
II, 18. Kopie. J.Gericht.
Kopie. Sixtina.
Kopie. J. Gericht.
Kopie. Sixtina.
Kopie. Sixtina.
Kopie. Sixtina.
Opfer Noahs.
Kopie. Tag.
Kopie. Sixtina.
Kopie. Sixtina.
257. Kopie. Sixtina.
Kopie. Karton.
Kopie. Samariterin.
487. Kopie. Sixtina.
Kopie. Sixtina.
487. Kopie. Tag. Nacht.
257. Kopie. Sixtina.
Kopie. Sixtina.
Leda.
Ganymed.
257. Kopie. Sixtina.
Kopie. J. Gericht.
263. Kopie. Sixtina.
Kopie. Pietä. S. Peter.
Kopie. Sixtina.
Medicigrab.
Kopie. J. Gericht.
361. Kopie. Phaeton.
Kopie. Sixtina.
Kopie. Sixtina.
Kopie. J. Gericht.
Kopie. J. Gericht.
Kopie. Sixtina.
Penseroso.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Leda.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Kopie.
Sixtina.
J. Gericht.
J. Gericht.
Karton von Pisa.
Bogenschützen.
Sixtina.
J. Gericht.
Bogenschützen.
J. Gericht.
Sixtina.
J. Gericht.
J. Gericht.
Ganymed.
Phaeton.
J. Gericht.
Sixtina.
Sixtina.
Paris. Louvre.
8ß4. II, 17. Kopie. J. Gericht.
(S36". II, 481. Kreuzabnahme.
841. II, 471. Christus am Kreuz.
S42. II, 471. Christus am Kreuz.
843- 11, 471. Christus am Kreuz.
844- I, 145- 244. 245. 262. Sklave.
Juliusdenkmal.
846- I, 80. Jüngling.
851. I, 263. Kopie. Sixtina.
860. I, 259. Ignudo.
861. I, 263. Kopie. Sixtina.
864. 1, 263. Kopie. Sixtina.
1972. I, 65. Hermes.
1973. I, 489. Madonna.
1974- I, 246. 249. 258. Noah.
2716. II, 500. Grabtragung.
Kreuzigung II, 476.
Codex Vallardi I, 267. II, iS. 243.
355- 378.
Paris. Ec. des beaux-arts. II, 374.
Paris. Mr. Valton. I, 154.
Rom. Corsiniana. II, 18. 298. 399 f.
417.
Rom. Vatikanische Bibl. II, 18.
127. 133-
Rowfant. Crawley. Mrs. Locker-Samp-
son. I, 244. 262.
Sieua. Biblioteca comunale. II,
122.
Stockliolm. K. Museum. I, 253.
Stuttgart. K. K u p f e r s t i c h k a b i n e t.
II, 194.
Yenedig. Accademia. I, 104. 242.
244. 256. II, 18. 337. 361. 41 1. 483.
Weimar. Gross h. Schloss. I, 254.
255. II, 18. 375. 545-
Wien. Albertina.
100. Sc. Rom. I, 252. Kopie. Sixtina.
125. I, 104. Kopie. Karton von Pisa.
126, I, 104. Kopie. Karton von Pisa.
755. I, 255. Kopie. Delphica.
Jß6. II, 411. 498. Grablegung.
iß7 (im Text Druckfehler: 173). II,
412. 484. 497. Pietä.
iß8. I, 57. 248. II, 485. Liegender
Mann.
iß9. II, 18. Kopie. J. Gericht.
14^. I, 466. Medicigrab.
I, 457. Medicigrab.
1, 4. Nach Masaccio.
146.
^50
152
I, loi. 489. Maria mit Kind.
Verzeichniss der besprochenen Zeichnungen
565
Wien. Albertina.
755. I, 262. Ignudo.
iß6a.l, 100 ff. 106 ff. Karton von Pisa.
757. I, 103. Karton von Pisa.
75^. II, 79. Bekehrung Sauls.
Karton von Pisa.
Kopie. Bacchus.
Kopie. Sixtina.
Kopie. Sixtina.
Kopie. LorenzoMedici.
Hofbibliothek. I, 458.
TVindsor.
Sklave. I, 79. 154.
Frauenkopf. I, 268.
Pietä. II, 492.
Grotesker Kopf. I, 499. 536.
Herkulesthaten. II, 295. 370 f.
Auferstehung. II, 450.
Bogenschützen. 11, 365 ff.
167.
I, 105.
168.
I, 47-
igi.
I, 263.
204.
I, 265.
450.
I, 482.
6g i.
I. 255.
Wien.
Hofb
Windsor.
Ganymed. II, 351 ff.
Tityos. II, 356 ff. 451.
Auferstehender Christus. II, 450.
Phaeton. II, 336. 361 ff.
Bacchanal. II, 363.
Verdammter. II, 16.
Jüngstes Gericht. II, 9. 13.
Christus am Kreuz. II, 474.
Christus am Kreuz, Maria, Johannes.
n, 472.
Christus am Kreuz, Maria, Johannes.
n, 474.
Maria mit Kind. I, 550. II, 412.
Maria mit Kind und Joh. II, 412. 429.
Knieende Frau. II, 412.
Kopien. I, 39. 65. 250. 266. 269.
II, 344. 346. 366.
Sixtinische Decke. I, 241.
Lionardo. Neptun. II, 375.
Das Verzeichniss der Personen und der Kunstwerke wird in den Gesamt-
registern am Schluss des III. Bandes des Werkes: , .Michelangelo und das Ende
der Renaissance" gegeben werden.
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