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Full text of "Michelangelo; kritische Untersuchungen über seine Werke. Als Anhang zu dem Werke: Michelangelo und das Ende der Renaissance, dessen 4.[-6.] Band"

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MICHELANGELO 

KRITISCHE  UNTERSUCHUNGEN 

ÜBER 

SEINE  WERKE 


VON 


HENRY  THODE 


IL  BAND 

ALS  ANHANG  ZU  DEM  WERKE: 

MICHELANGELO   UND   DAS  ENDE   DER   RENAISSANCE, 

DESSEN   V.  BAND 


BERLIN 

G.  GROTE'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG 

1908 


ÜBERSETZUNGSRECHT  UND  ALLE  ANDEREN  RECHTE  VORBEHALTEN 


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DRUCK  VON  FISCHER  &  WITTIG  IN  LEIPZIG. 


Seite 


INHALTSVERZEICHNISS 

DES  11.  BANDES 

VI.  DAS   JÜNGSTE   GERICHT,    DER   ENGELSTURZ   UND 

DIE  FRESKEN  IN  DER  CAPPELLA  PAOLINA    ...  i 

A.  Das  Jüngste  Gericht 3 

I.  Geschichtliches 3 

II.  Zeichnungen S 

1.  Gesamtentwürfe 6 

2.  Entwürfe  für  Einzelnes 9 

m.  Kopien 17 

1.  Zeichnungen 17 

2.  Gemälde 19 

IV.  Die  Komposition  und  ihre  Quellen 20 

I.  Die  Verwerthung  älterer  künstlerischer  Motive 21 

II.  Die  Inspiration  durch  die  Bibel 24 

III.  Die  Inspiration  durch  Dante? 40 

V.  Deutung  einzelner  Figuren 49 

1.  Die  Gruppenbildung 50 

2.  Die  einzelnen  Gestalten 52 

1.  Der  Chor  der  Patriarchen 53 

2.  Der  Chor  der  Apostel 55 

3.  Die  Chöre  der  Propheten  und  der  Confessores  ....  56 

4.  Die  Chöre  der  Sibyllen  und  Virgines 60 

5.  Der  Chor  der  Märtyrer 62 

Die  mittlere  Zone 62 

Die  untere  Zone 63 

VI.  Die  Urtheile  über  das  Jüngste  Gericht 64 

B.  Der  Engelstur^ 75 

C  Die  Fresken  der  Cappella  Paolina 77 

I.  Geschichtliches 77 

II.  Zeichnungen 79 


IV  Inhaltsvcrzeichniss 


Seite 

VII.  DIE  BAUTEN  IN  FLORENZ 83 

I.  Die  Fassade  von  S.  Lorenzo 85 

1.  Geschichtliches 85 

2.  Zeichnungen  und  Modelle 88 

a)  Fassade  mit  einfacher  Säulenordnung 88 

b)  Fassade  mit  Attika 91 

c)  Fassade  von  einheitlicher  Höhe 93 

3.  Der  plastische  Schmuck 10 1 

1.  Die  Statuen loi 

2.  Die  Reliefs 102 

n.  Das  Ciborium  und  die  Tribüne  in  S,  Lorenzo 102 

1.  Geschichtliches 102 

2.  Zeichnungen 105 

m.  Die  Medicikapelle 107 

1.  Geschichtliches 107 

2.  Zeichnungen 109 

3.  Der  malerische  Schmuck 109 

4.  Der  Altar  und  die  Kandelaber iii 

IV.  Die  Libreria  di  S.  Lorenzo 113 

1.  Geschichtliches 113 

2.  Die  Zeichnungen 120 

A.  Gesamtanlage      .     .     .   • 120 

B.  Die  kleine  Libreria 120 

C.  Der  Ricetto  oder  das  Vestibül 121 

D.  Der  Bibliotheksaal i35 

V.  Die  Fenster  am  Palazzo  Riccardi 136 

VI.  Das  Portal  und  der  Hochaltar  von  S.  Apollonia 137 

VII.  Das  Modell  für  das  Gesims  der  Domkuppel 139 

VIII.  Der  Entwurf  zu  einem  Palazzo  dell' Altopascio 140 

IX.  Entwurf  für  ein  Haus  des  Baccio  Valori 141 

X.  Michelangelos  Haus  in  der  Via  Mozza i43 

XI.  Dem  Meister  zugeschriebene  Villen  bei  Florenz 143 

1.  Die  Villa  dei  Collazzi i43 

2.  Die  Villa  Aloisi  oder  del  Trebbio 145 

3.  Die  Villa  Mazzei,  früher  Macchiavelli 145 

4.  Die  Villa  Liccioli  alla  Ruffina 146 

XII.  Entwurf  für  eine  Villa  des  Marchese  di  Mantova 146 

XIII.  Auftrag  auf  eine  Kirche  und  Brücke  in  Igno  .     .     .     .   •.     .     .     •  146 

XIV.  Die  Fortifikationsarbeiten  1529 »47 

XV.  Der  Entwurf  für  die  Rialtobrücke  in  Venedig 149 

Vm.  DIE  BAUTEN  IN  ROM 151 

A.  Kirchliche  Bauten iS3 

I.  S.  Peter I53 

1.  Nachrichten  über  Michelangelos  Thätigkeit 153 

2,  Zeichnungen  und  Stiche 160 


Inhaltsverzeichniss  V 


Seite 

IL  S.  Giovanni  dei  Fiorentini 178 

Geschichtliches 178 

Modell  und  Entwürfe 180 

ni.  S.  Maria  degli  Angeli 183 

IV.  Die  Cappella  Sforza  in  S.  Maria  maggiore 185 

V.  Die  Kirche  del  Gesü 187 

VI.  Einige  zugeschriebene  kirchliche  Bauten 187 

1.  Die  Cappella  Strozzi  in  Andrea  della  Valle 187 

2.  S.  Anna  de'  Palafrenieri 188 

3.  Die  Ornamente  in  Cap.  Cesi  in  S.  Maria  della  Face  .     .     .  188 

4.  Der  Brunnen  von  S.  Susanna 189 

5.  S.  Maria  dell'  Orto 189 

5.  Die  Holzdecke  in  S.  Giovanni  in  Laterano 189 

B.  Profanbauten 190 

I.  Das  Kapitol 190 

Geschichtliches 190 

Michelangelos  Entwurf 193 

II.  Der  Palazzo  Farnese 195 

Geschichtliches i95 

Das  Kranzgesims i97 

Das  Mittelfenster  und  Wappen 200 

Das  Erdgeschoss 200 

Das  zweite  Geschoss  des  Hofes 200 

Das  oberste  Geschoss  des  Hofes 200 

III.  Die  Arbeiten  im  Belvedere  des  Vatikan 202 

1.  Treppe  vor  der  grossen  Nische 202 

2.  Die  Nische  für  den  Flussgott 202 

3.  Entwurf  für  einen  Brunnen 202 

IV.  Entwurf  für  den  Palast  Julius'  EI 202 

V.  Kleine  Kapellenfassade  im  Castel  S.  Angelo 204 

VI.  Entwurf  zum  Collegio  della  Sapienza 204 

VII.  Entwurf  für  den  Palast  des  Kardinals  von  Santiquattro   .     .  205 
Vni.  Entwurf  für  den  Neubau  eines  Palastes 206 

IX.  Antheil  am  Bau  der  Vigna  Julius'  III 206 

X.  Die  Porta  Pia 207 

XI.  Die  Porta  del  Popolo 209 

XII.  Andere  zugeschriebene  Portale 210 

XIII.  Die  Brücke  S.  Maria 211 

XIV.  Die  Befestigung  von  Rom 213 

XV.  Michelangelos  Haus  am  Macello  de'  Corvi 216 

XVI.  Erhaltene  unbestimmte  Entwürfe 217 

XVII.  Studien  nach  antiken  Architekturtheilen 219 

IX.  ENTWÜRFE  FÜR  GRABDENKMÄLER  UND  FÜR  KIRCH- 
LICHE UND  PROFANE  GEBRAUCHSGEGENSTÄNDE  225 

A.  Entwürfe  für  Grabdenkmäler 227 

I.  Entwurf  für  ein  Wandnischengrab  1517 227 

II.  Altar  und  Denkmäler  in  S.  Silvestro  15 18 228 


VI  Inhaltsverzeichniss 


Seite 

III.  Das  Grabmal  des  Francesco  Gonzaga  15 19 229 

IV.  Das  Grabmal  des  B.  Barbazza  in  Bologna .  230 

V.  Auftrag  des  Kardinals  Cibo  auf  ein  Grabmal  1531   .     .     .     .  231 

VI.  Zeichnungen  für  Grabmäler  Leos  X.  und  Clemens'  VII.   .     .  232 

VII.  Das  Grabmal  Cecchino  Braccis  1544 232 

VIII.  Rath  für  ein  Grabmal  des  Herzogs  von  Suessa 234 

IX,  Rath  für  ein  Grabmal  des  Prinzen  von  Orange 235 

X.  Mitwirkung  am  Grabmal  Pauls  III 235 

XI.  Grabmal  des  Zanobi  Montaguti 238 

XII.  Grabmal  des  IMarchese  von  Marignano  in  Mailand  ....  239 

XIII.  Zugeschriebene  Epitaphien  Pius'  IV.  und  Kardinals  Serbelloni  241 

B.  Enuvürfe  für  kirchliche  und  profane  Gebrauchsgegenstände     .     .    .  242 

XIV.  Auftrag  des  Aldobrandini  auf  einen  Dolch  1506 242 

XV.  Valerio  Bellis  Bitte  um  eine  Zeichnung 243 

XVI,  Die  Kandelaber  der  Medicikapelle 243 

XVII.  Der  Vaso  des  Domenico  Naldini  1521 244 

XVm.  Salzfass  für  den  Herzog  von  Urbino  1537 244 

XIX.  Bronzepferd  für  den  Herzog  von  Urbino  1537 245 

XX.  Der  farnesische  Schrein  1540 247 

XXI.  Das  farnesische  Ciborium  in  Neapel 250 

XXII.  Das  farnesische  Salzfass 252 

XXni.  Die  zugeschriebenen  Kandelaber  in  S.  Pietro 252 

XXIV.  Die  Erzählung  von  dem  Mörser 253 

X.  STATUEN  UND  ENTWÜRFE  ZU  SOLCHEN 255 

A.  Religiöses 257 

I.  Der  Christus  in  S.  Maria  sopra  Minerva 257 

1.  Geschichtliches 257 

2.  Studien  und  Reproduktionen 267 

3.  Urtheile  über  das  Werk 270 

II.  Kleine  Statue  eines  kreuztragenden  Christus 272 

III.  Die  Pietä  im  Dom  zu  Florenz 273 

IV.  Die  Pietä  im  Palazzo  Rondanini 278 

V.  Die  Pietä  im  Palazzo  Barberini  zu  Palestrina 281 

VI.  Entwurf  zu  einer  Petrusstatue 283 

VII.  Karton  zu  einer  Statue  in  S.  Peter 284 

B.  Mythologisches 284 

Vin.  Der  Kauernde  in  Petersburg 284 

IX.  Der  Apollo  oder  David  für  B.  Valori 285 

X.  Die  Brutusbüste 287 

XI.  Entwnirfe  zur  Kolossalstatue  der  Piazza 288 

1.  Geschichliches 288 

2.  Entwürfe:  Herkules  und  Antäus.     Kakus.     Simson    .     .     .  295 

XII.  Entwurf  zur  Entführung  eines  Weibes 298 

XIII.  Modell  zur  Reiterstudie  Henris  II 299 

XIV.  Angebliche  Restaurirung  antiker  Statuen 301 


Inhaltsverzeichniss  VII 


Seite 

XV.  Unausgeführte  Aufträge 305 

1.  Madonna  für  Kardinal  Fiesco  1522 305 

2.  Koloss  für  Piazza  S.  Lorenzo 305 

3.  Auftrag  auf  eine  Statue  Andrea  Dorias 306 

4.  Auftrag  auf  eine  Büste  Cosimo  Medicis 306 

XI.  GEMÄLDE,  ZEICHNUNGEN  UND  ENTWÜRFE  MYTHO- 

LOGISCHEN,  ALLEGORISCHEN   UND    PROFANEN 

INHALTES 307 

I.  Die  Porträts  der  Söhne  Urbinos 309 

n.  Das  Porträt  Cavalieris 310 

III.  Die  Leda 311 

1.  Geschichtliches 311 

2.  Das  Gemälde.     Zeichnungen  und  Kopien 315 

3.  Michelangelos  Vorbild 322 

4.  Zusammenfassendes 323 

IV.  Der  Karton  zu  Venus  und  Amor 324 

V.  Die  Idealbildnisse  in  Zeichnungen 331 

1.  Das  Frauenideal 334 

2.  Das  Jünglingsideal 339 

3.  Die  Kleopatra 340 

4.  Die  sogen.  Zenobia  oder  Colonna 343 

5.  Der  sogen.  Graf  von  Canossa 345 

6.  Die  sogen.  Marchesa  von  Pescara 346 

VI.  Die  Prudentia  oder  Veritas 347 

VII.  Die  zugeschriebene  Fortuna 349 

Vin.  Der  Raub  des  Ganymed 350 

IX.  Der  Tityos 356 

X.  Der  Sturz  des  Phaeton 358 

XI.  Das  Kinderbacchanal 363 

XII.  Die  Bogenschützen 365 

XIII.  Die  Herkulesthaten 370 

XIV.  Der  Atlas  mit  Himmelskugel 373 

XV.  Verwechslung  von  Lionardo  und  Michelangelo 375 

XVI.  Der  Traum 375 

XVII.  Zeichnungen  zur  Divina  Commedia 382 

XVIII.  Entwurf  zu  einer  Historie 384 

XII.  GEMÄLDE,    ZEICHNUNGEN  UND  ENTWÜRFE  RELI- 

GIÖSEN INHALTES 385 

I.  Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo 387 

1.  Die  Nachrichten 388 

2.  Zeichnungen  zu  Gemälden 395 

Die  Auferweckung  des  Lazarus 396 

Die  Geisselung  Christi 398 

Christus  im  Limbus 400 

Die  Pietä  in  Viterbo 401 

Die  Geburt  der  Maria 401 

3.  Andere  Zeichnungen 403 


VllI  .  Inhaltsverzeichniss 


Seite 

II.  Zeichnung  für  Bugiardinis  hl.  Katharina 416 

III.  Unausgeführte  Aufträge  auf  Gemälde 418 

1.  Gemälde  für  P.  F.  Borgherini  1515 .  419 

2.  Aufforderung  nach  der  Türkei  1519 419 

3.  Sellajos  Bitte  um  einen  Entwurf  1522 421 

4.  Auftrag  des  Kardinals  Dom.  Grimani   1523 421 

5.  Fra  Zanobi  de'  Medicis  Bitte  1525 423 

6.  Der  Auftrag  Malvezzis  in  Bologna  1526 423 

7.  Federigo  Gonzagas  Bitte  1527 426 

8.  Anerbieten  für  Kardinal  Salviati  1531 427 

IV.  Madonnenstudien 427 

1.  INIaria  mit  Kind 427 

2.  Maria  mit  Kind  und  Johannes 432 

3.  Die  hl.  Familie 433 

V.  Die  hl.  Familie,  „il  Silenzio" 434 

VI.  Der  Karton  der  „Epifania" 439 

Vn.  Das  Opfer  Isaaks 443 

VIII.  Die  eherne  Schlange 444 

IX.  David  und  Goliath 444 

X.  Simson  und  Dalila 445 

XI.  Das  „Noli  me  tangere"  1531 446 

XII.  Die  Auferstehung 449 

XIII.  Die  Vertreibung  der  Wechsler 454 

XIV.  Die  Verkündigung 456 

1.  In  S.  Giovanni  in  Laterano 456 

2.  In  S.  Maria  della  Face 458 

3.  Zwei  andere  Entwürfe 460 

XV.  Das  Gebet  in  Gethsemane 461 

XVT.  Christus  und  die  Samariterin 464 

XVII.  Christus  am  Kreuz 465 

1.  Christus  im  Todeskampf 466 

2.  Christus  im  Tod  verbuchen 471 

XVIII.  Die  Kreuzigung 475 

A.  Zugeschriebene  Entwürfe 475 

B.  Erhaltene  Entwürfe 476 

Modelle  zu  den  Schachern 478 

XIX.  Die  Kreuzabnahme 480 

XX.  Die  Grablegung  in  London 483 

XXI.  Die  Pietä,  Beweinung  und  Grablegung 488 

A.  Christus  am  Boden  liegend 488 

B.  Christus  auf  einem  Sitze 489 

C.  Zeichnung  für  Vittoria  Colonna 492 

D.  Christus  im  Schoosse  der  Maria  beweint 496 

E.  Christus  von  einer  Gestalt  gehalten 496 

F.  Christus  von  den  Freunden  gehalten 498 

G.  Die  Grabtragung 499 

XXII.  Der  Karton  für  die  Pietä  mit  neun  Figuren 502 

XXin,  Christi  Abschied  von  Maria 502 

XXIV.  Der  hl.  Hieronymus 503 


Inhaltsverzeichniss  IX 


Seite 

ANHANG:  DEM  MEISTER  IRRTHÜMLICH  ZUGESCHRIE- 
BENE WERKE,  DIE  VERHERRLICHUNG  MICHEL- 
ANGELOS  NACH   SEINEM   TODE   UND   DIE   ALTEN 

BILDNISSE  MICHELANGELOS     . 505 

A.  Irrthümlich  zugeschriebene  Werke 507 

1.  Statuen  und  Büsten 507 

2.  Reliefs 510 

3.  Architektonisches  und  Kunstgewerbliches 513 

4.  Gemälde  und  Entwürfe 513 

B.  Die  künstlerische  Verherrlichung  des  Meisters  nach  seinem   Tode      .  517 

1.  Die  Leichenfeier  in  S.  Lorenzo 517 

2.  Die  Darstellungen  des  Lebens  in  der  Casa  Buonarroti  ....  525 

3.  Das  Grabdenkmal  in  S.  Croce 528 

C.  Die  alten  Bildnisse  Michelangelos 532 

1.  Büsten 533 

2.  Medaillen 538 

3.  Stiche  und  Holzschnitte 54o 

4.  Zeichnungen 544 

5.  Gemälde 545 

6.  Zusammenfassendes 55^ 

VERZEICHNISS  DER  BESPROCHENEN  ZEICHNUNGEN    .    .  555 


VI 


DAS  JÜNGSTE  GERICHT, 

DER  ENGELSTURZ  UND  DIE  FRESKEN  IN  DER 
CAPPELLA  PAOLINA 


A.  Das  Jüngste  Gericht 


I 

Geschichtliches 

Während  seines  Aufenthaltes  in  Rom  vom  Herbst  1533  bis  zum 
Frühjahr  1534  hat  Michelangelo  von  Clemens  VII.  den  Auf- 
trag erhalten,  an  der  Altarwand  der  Sixtinischen  Kapelle  das  Jüngste 
Gericht,  an  der  Eingangswand  den  Sturz  der  Engel  zu  malen.  Er 
gab  an,  sich  an  die  Kartons  zu  machen,  beschäftigte  sich  aber  mit 
dem  Juliusdenkmal.  Am  26.  September  starb  der  Papst.  Sein 
Nachfolger,  Paul  III.,  nimmt  den  Gedanken  auf  Der  Meister  muss 
sich  fügen  und  erhält  den  Auftrag,  den  Plan  und  Entwurf  so,  wie 
er  ihn  für  Clemens  gemacht,  auszuführen.  Am  16.  April  1535  em- 
pfängt der  Zimmermeister  Perino  del  Capitano  25  Dukaten  für  den 
Bau  des  Gerüstes  und  sonstige  Auslagen.  (Hier ,  wie  in  einigen 
anderen  Fällen,  habe  ich  von  mir  übersehene  oder  erst  neuerdings 
veröffentlichte  Angaben  für  die  Annalen  des  I.  Bandes  nachzutragen. 
Rossi:  Giornale  di  erudizione  artistica  1877,  VI,  209.  Pogatscher  bei 
Steinmann  II,  766,  i .)  Die  Vorbereitungen  der  Wand  nahmen  längere 
Zeit  in  Anspruch.  Die  Fenster  wurden  zugemauert,  die  Gesimse 
herabgeschlagen,  die  älteren  Gemälde  Peruginos  und  die  zwei  von 
Michelangelo  gemalten  Lunetten  beseitigt  und  die  Wand,  wie  Vasari 
berichtet,  zur  Vermeidung  des  Haftens  von  Staub  in  der  Weise  neu 
hergerichtet,  dass  sie  etwas  abgeschrägt  ward  und  so  oben  weiter 
vorsprang  als  unten.  Erst  zwischen  10.  April  und  18.  Mai  1536 
ist  Michelangelo  an  die  Arbeit  gegangen  (Leon  Dorez :  Comptes 
rendus  de  l'academie  des  inscriptions  et  belles-lettres.  Mars-Avril 
1905  nach  Dokumenten  im  Besitze  des  M.  de  Navenne).  Demnach 
bezieht  sich  die  Angabe  in  Pauls  III.  Breve  vom  i.  September  1535 
von  dem  ,, begonnenen  Werk"  nur  auf  die  Thätigkeit  an  den  Kartons. 
Die  Verzögerung  scheint  aber  auch  noch  durch  einen  anderen  Um- 
stand   veranlasst   worden    zu    sein.      Sebastiano    del    Piombo    hatte 


Das  Jüngste  Gericht 


dem  Papst  die  Idee  nahegelegt,  das  Gemälde  in  Öl  ausfuhren 
zu  lassen.  Michelangelo  sagte  weder  Ja  noch  Nein  und  enthielt 
sich,  da  die  Wand  nach  dem  Willen  Sebastianos  hergerichtet  wurde, 
einige  Monate  der  Arbeit.  Dann  aber  sagte  er,  gedrängt,  endlich : 
er  wolle  das  Gemälde  nur  al  fresco  ausführen ;  die  Ölmalerei  sei 
eine  Kunst  für  Weiber  und  träge  und  bequeme  Personen,  wie  Fra 
Bastiano  eine  sei.  Er  Hess  den  Bewurf  herunterschlagen  und  die 
Mauer  für  Freskomalerei  bereiten  (Vasari  V,  584.  Vgl.  auch  Stein- 
mann: ,, Altes  und  Neues  aus  der  Sixtinischen  Kapelle".  Allgemeine 
Zeitung  1897,  Nr.  149,  Beilage  S.  2).  Am  4.  Februar  1537  suchte 
der  Papst  den  Meister,  den  er  beständig  drängte  (nach  Brief  Giov. 
Maria  della  Portas  an  Herzog  Francesco  Maria  21.  Januar  1537, 
s.  Gronau,  J.  d.  k.  pr.  K.  XXVII,  Beiheft  S.  8),  bei  seiner  Arbeit 
auf  (Leon  Dorez  a.  a.  O.),  der  in  diesem  Jahr  sein  Werk  sehr  ge- 
fördert haben  muss,  denn  im  September  antwortet  er  auf  den  Brief, 
in  dem  Aretino  seine  Phantasievorstellung  von  einer  Darstellung 
des  Jüngsten  Gerichtes  entwickelt  hatte,  er  bedauere  diese  Ge- 
danken nicht  für  das  Gemälde  verwerthen  zu  können,  da  dieses 
zum  grossen  Theile  vollendet  sei.  Auch  in  einem  Brief  della 
Portas  an  den  Herzog  von  Ürbino  heisst  es,  der  Künstler  sei  con- 
tinuamente  occupato  alla  pictura  della  Capeila  (Gronau  a.  a.  O. 
S.  9).  Dies  war  freilich  eine  absichtliche  Übertreibung,  wie  Stein- 
mann richtig  bemerkt :  wir  dürfen  uns  aber  den  Eifer ,  mit  dem 
Michelangelo  an's  Werk  ging,  gross  denken.  Vermuthlich  durch 
mancherlei  andere  Arbeiten  und  Präokkupationen :  die  Angelegen- 
heiten des  Juliusdenkmales,  die  Pläne  für  die  Neugestaltung  des 
Kapitols,  auch  durch  seinen  Fall  vom  Gerüst  wiederholt  unter- 
brochen, wurde  er  mit  dem  grösseren  oberen  Theile  Ende  1540 
fertig,  denn  wir  erfahren,  dass  am  15.  Dezember  dieses  Jahres  der 
Zimmermeister  Ludovico  Bezahlung  für  das  Niedrigermachen  des 
Gerüstes  erhielt.  Im  Oktober  1541  war  die  grosse  Schöpfung  voll- 
endet und  wurde  am  31.  des  Monats  enthüllt.  So  sagt  das  Dia- 
rium des  Petrus  Paulus  Gualterius  (St.  S.  'J'J^.,  2).  Nach  Vasaris 
freilich  unbestimmter  Angabe  hätte  die  Enthüllung  zu  Weihnachten 
stattgefunden.  Urbino ,  der  seinem  Meister  als  Farbenreiber  Ge- 
hülfendienste  geleistet,  erhielt  vom  Papst  ein  Geschenk  von  60  Skudi 
(18.  November)  und  bald  darauf  (26.  Oktober  1543)  das  Amt  eines 
Mundator  picturarum  capellarum  palatii  apostolici  (St.,  Pogatscher, 
S.  770,   II   und  757,  7). 

Michelangelo  musste  es  selbst  noch  erleben,  dass  Veränderungen 
mit  seinem  Werke  vorgenommen  wurden.  Der  finstere  Caraffa, 
der  1555  Papst  wurde,  war  nur  mit  Mühe  von  dem  Befehl,  das 
Fresko  herabzuschlagen,  abzuhalten.  Daniele  da  Volterra  erhielt 
den  Auftrag ,    die    nackten  Gestalten  zu  bekleiden ,    und  veränderte 


Zeichnungen  c 

die  als  anstössig  betrachtete  Haltung  der  Heiligen  Katharina  und 
Blasius.  Ein  Girolamo  da  Fano  setzte  auf  Befehl  Pius'  V.,  den  der 
Kardinal  Rusticucci  hierzu  bewog,  und  unter  Herbeiziehung  des 
Modenesen  Domenico  Carnevali  die  unselige  Thätigkeit  des  ,,bra- 
chettone"  fort  und  vollendete  sie  (Vasari  und  Bottaris  Notiz  in  der 
Vasariausgabe  von  1760).  Fast  wäre  es  dann  unter  Gregor  XIII. 
doch  zur  völligen  Zerstörung  gekommen.  Dieser  Papst  wollte  an 
Stelle  derMichelangelo'schen  „Obszönitäten"  ein  Paradies  von  seinem 
Maler  Lorenzino  Sabbatini  ausgeführt  sehen,  (Baglioni  in  Malvasia: 
Felsina  pittrice  I,  184.)  Nochmals  gerettet,  hatte  das  Fresko,  das, 
wie  die  anderen  Fresken,  1625  von  Simone  Laghi  und  dann  wieder 
um  171 2  nach  den  Vorschlägen  des  Agostino  Taja  gereinigt  wurde 
(Pogatscher  bei  Steinmann  S.  783  ,  Nr.  7  und  8) ,  nochmals  unter 
Clemens  XIII.  unter  einer  Übermalung  zu  leiden.  Im  Jahre  1762 
hat  der  Abbe  Richard  sehr  mittelmässige  Künstler  die  schönsten 
nackten  Figuren  des  Altargemäldes  und  der  Decke  (dies  letztere 
muss ,  wie  Steinmann  bemerkt ,  ein  Irrthum  sein)  mit  Gewändern 
bedecken  sehen.  (Description  de  l'Italie  1769,  V,  p.  375.)  Chattard 
(Nuova  descrizione  del  Vaticano  1766,  II,  p.  41)  nennt  als  Restaurator 
den  Stefano  Pozzi. 

Eine  Festigung  des  durch  Mauerrisse  bedrohten  Gemäldes  an 
der  Altarwand ,  wie  der  Deckenbilder ,  wurde ,  von  Leo  XIII.  an- 
geordnet, in  den  Jahren  1903  bis  1905  unter  Leitung  des  Prof. 
L.  Seitz  von  Cecconi  Principi  und  Giovanni  Cingolani  ausgeführt. 
(Pogatscher  a.  a.  O.  S.  784,  9.  Steinmann  in  der  Kunstchronik 
1902/03  und   1903/04  an  verschiedenen  Stellen.) 

Der  Zustand,  in  dem  das  Riesenwerk  auf  uns  gekommen,  ist 
ein  so  gänzlich  entstellter,  dass  ein  Urtheil  über  die  malerischen 
Qualitäten  gar  nicht  mehr  möglich  ist. 


II 

Zeichnungen 

Die  Zahl  der  erhaltenen  Entwürfe  und  Einzelstudien  für  das 
Jüngste  Gericht  ist  eine  verhältnissmässig  kleine.  Michelangelo  selbst 
scheint  fast  alle  seine  Vorarbeiten  zerstört  zu  haben.  Dass  er  eine 
Zeichnung  wie  die  der  hl.  Katharina  —  vermuthlich  war  es  die 
Studie  für  die  Gestalt  im  Fresko  —  an  Pietro  Aretino  (1535,  Bottari 
III,  190)  verschenkte,  ist  eine  Ausnahme  gewesen.  Nichts  erfahren 
wir  über  die  Kartons ,  denn  selbst  der  einzige ,  bei  dem  man,  wie 
Scheffler  gethan ,  an  das  Fresko  denken  könnte ,  nämlich  der  in 
seiner  Hinterlassenschaft  erwähnte  und  an  Cavalieri  vermachte,  der 
im  Inventar  als :  ,, Christus  und  Maria"  bezeichnet  wird,  stellte,  wie 


Das  Jüngste  Gericht 


sich  aus  Danieles  da  Volterra  Brief  an  Vasari  (Gotti  II,  358)  ergiebt, 
nicht  die  Gestalten  des  Gerichtes ,  sondern  Christi  Abschied  von 
der  Mutter  dar.  —  Die  im  Folgenden  mit  St.  angegebenen  Nummern 
beziehen  sich  auf  das  Verzeichniss  der  Zeichnungen  im  Anhang  I 
des  Steinmann'schen  Werkes  über  die  Sixtinische  Kapelle,  II.  Band. 


Gesamtentwürfe 
für  das   Fresko   oder   für    einzelne   Gruppen 

I.  Die  Hauptgruppe.  Bayonne,  Musee  Bonnat.  Thode  2. 
St.  64.  Abb.  Woodburn:  Lawrence  Gallery  14.  St.  S.  665,  64. 
Kreide.  Christus  mit  erhobener  rechter  Hand,  die  Linke  vor  der 
Seitenwunde,  den  Blick  nach  unten  gerichtet,  sitzt  in  der  Mitte. 
Seine  Haltung  ist  ungefähr  schon  die  im  Fresko  gegebene.  Nur 
ist  in  der  Zeichnung  das  linke  Bein  weiter  ausgestreckt,  das 
rechte  nicht  ganz  so  gekrümmt.  In  unmittelbarer  Nähe  rechts 
neben  ihm  scheinen  eine  oder  zwei  Figuren  angedeutet.  Etwas 
unter  ihm ,  mit  den  Köpfen  etwa  die  Höhe  seiner  Kniee  er- 
reichend, sitzen  links  und  rechts,  in  schräger  Vertiefung  an- 
geordnet, je  sechs  Figuren  (doch  kann  man  auch  sieben  zählen, 
wenn  man  einen  ganz  flüchtig  skizzirten  Kopf  mit  rechnet). 
Und  hinter  diesen  zwei  besonders  hervorgehobenen  Gruppen 
schliessen  sich,  kreisförmig  angeordnet,  eine  grosse  Anzahl  von 
nur  leicht  skizzirten  Personen  an.  Die  Stimmung  der  Christus 
umgebenden  Gestalten  ist ,  verglichen  mit  der  Erregung  der 
Figuren  im  Fresko ,  eine  verhältnissmässig  ruhige.  Nur  die 
beiden  hintersten  fahren  mit  Bewegungen  des  Schreckens  auf, 
eine  andere  rechts  sucht  sich  zu  verkriechen,  und  die  vorderste 
links  hebt  wie  flehend  ihre  Arme  zu  Christus  empor.  Diese 
letztgenannte  nennt  Steinmann  Maria.  Es  ist  möglich,  dass 
die  Madonna  hier  gemeint  ist,  sicher  aber  ist  es,  dass  in  den 
zwei  Gruppen  vorne  die  zwölf  Apostel  zu  erkennen  sind. 
Michelangelo  knüpft  also  zunächst,  so  lebendig  bei  ihm 
auch  Alles  wird,  an  die  Tradition  an,  welche  die  Apostel  als 
Beisitzer  zeigt.  Bedenkt  man  dies,  so  wird  es  wahrscheinlich, 
dass  auch  Maria  und  Johannes  als  Pendants  von  ihm  beab- 
sichtigt waren,  und  dann  käme  man  darauf,  die  vorderste 
Figur  links  als  Maria  und  die  rechts  in  ruhigem  Anschauen 
versunkene  als  Johannes  zu  bezeichnen.  In  diesem  Falle,  der 
mir  sehr  wahrscheinlich  dünkt ,  hätte  man  links  und  rechts 
je  sieben  Figuren  zu  zählen. 

II.  Entwurf  für  das  ganze  Fresko.  Florenz,  Casa 
Buonarroti    XIII,   65.      Thode  57.     Ber.   1143.     St.  65.     Abb. 


Zeichnungen  7 

St.  S.  666,  65.  Alinari  1014.  Kreide.  In  der  Mitte  oben 
Christus  in  stärker  bewegter  Haltung,  das  linke  Bein  hoch 
aufgestemmt,  das  rechte  ausgestreckt.  Mit  der  Linken  greift 
er  hier  nicht  an  die  Wunde,  sondern  scheint  sein  Gewand 
von  ihr  wegzureissen.  Von  links  nähert  sich  ihm  Maria  mit 
weit  ausgestreckten  Armen,  um  Erbarmen  flehend.  Links 
neben  ihr  eine  Gruppe  von  bewegten  Gestalten,  deren  einige 
bemüht  sind ,  nackte  wie  kletternd  sich  nahende  Erlöste 
heraufzuziehen.  Diesen  folgen  im  Fluge  von  unten  herauf 
andere  Auserwählte,  unter  denen  eine  knieende  klimmende 
Figur  skizzirt  ist,  die  im  Entwurf  und  später  im  Fresko  rechts 
unter  den  Stürzenden  erscheint.  Rechts  von  Christus  eine 
Gruppe  lebhaft  bewegter  Menschen.  Der  mittlere  Theil  der 
Komposition  zeigt  rechts  und  in  der  Mitte  eine  Lücke.  Die 
rechte  Ecke  unten  enthält  den  Sturz  verzweifelt  kämpfender 
Verdammter.  Keines  der  später  im  Fresko  gegebenen  Motive 
lässt  sich  erkennen.  Links  unten  einige  aus  Gräbern  Auf- 
erstehende und  eine  nach  oben  schauende,  stehende  Figur.  — 
Man  sieht,  der  Meister  ist  sich  über  die  Ausfüllung  der  Mitte 
noch  nicht  klar.  Er  denkt  sich  nur  ein  Aufschweben  der 
Geretteten  links,  den  Sturz  der  Verfluchten  rechts.  Noch 
fehlt  der  Charonsnachen  und  Minos.  Doch  verräth  sich  in 
der  oberen  Gruppe  eine  Befreiung  von  dem  Traditionellen, 
insofern  die  Apostel  als  Beisitzer  verschwunden  sind  und 
Maria,  losgelöst  von  den  Anderen,  in  lebhafter  Aktion  Christus 
nahe  gebracht  wird.  Die  einzig  bekleidete,  links  unten 
stehende  Figur,  die  nach  oben  schaut,  giebt  zu  denken. 
III.  Entwurf  für  Christus  und  Maria  und  für  die 
Märtyrergruppe.  Florenz, Uffizien,  170 (147 H).  Coli.  Santa- 
relli.  Thode  235.  Ber.  1654.  St.  66.  Abb.  Jacobsen  und 
Ferri  XXIV.  St.  667,  66.  Brogi  1410B.  Die  Gruppe  links 
auf  dem  Blatte  zeigt  Christus  in  gleicher  Stellung,  wie  auf  II, 
nur  ist  hier  die  Beinhaltung  wieder  ähnlicher  I :  das  rechte 
Bein  ist  zurückgezogen,  das  linke  tiefer  aufgestellt  (die  nächste 
Veränderung  scheint  dann  das  Fresko  selbst  zu  zeigen,  in  dem 
das  zu  stark  Geschwungene  der  Haltung  gemässigt  und  das 
früheste  Motiv  der  auf  die  Wunde  weisenden  Hand  wieder 
aufgenommen  wird).  Maria  ist  höher  und  Christus  näher  ge- 
rückt, so  dass  sie  knieend  sich  in  den  leeren  Raum  unter 
Christi  rechtem  Arm  einschmiegt.  Im  Fresko  bleibt  sie  dann 
an  demselben  Ort,  aber  aus  einer  Knieenden  wird  eine  Sitzende, 
und  das  Motiv  des  Flehens  um  Mitleid  wird  aufgegeben.  — 
Rechts  eine  Gruppe  von  knieenden  und  vornüber  sich  neigen- 
den Gestalten,  darunter  sind  zwei  Kreuzträger:  der  eine  ahn- 


Das  Jüngste  Gericht 


lieh  demjenigen  auf  dem  Fresko  hält  es  hinter  dem  Rücken, 
der  andere  weist  es,  etwa  wie  Katharina  später  ihr  Rad.  Eine 
nach  unten  langende  Figur  ist  später  im  Fresko  auf  die  linke 
Seite  des  Gemäldes  versetzt  worden.  —  Es  ist  also  jetzt  die 
Gruppe  der  mittleren  Schicht  des  Gemäldes  konzipirt,  noch 
aber  scheinen  die  Figuren  nicht  als  Märtyrer  gedacht,  denn 
man  sieht  keine  bestimmten  Attribute. 
IV.  Entwurf  für  die  Gruppe  der  Märtyrer  und  für 
die  zur  Hölle  Hinabgerissenen.  London,  British 
Museum  1895 — 9—^5  —  5 18.  Malcolm  80.  Thode  364. 
Ber.  1536.  St.  75.  Abb.  Ottley  33.  Ber.  CXLIV.  St.  675,  75. 
Die  Gruppe  der  Märtyrer  zeigt  nur  in  den  zwei  Figuren  ganz 
rechts  und  im  Kreuzträger  Beziehung  zur  eben  besprochenen 
Zeichnung.  Schon  treten  drei  Gestalten  des  Freskos :  Laurentius, 
der  Kreuzträger,  der  aber  das  Kreuz  etwas  anders  hält,  und 
Simon  deutlich  in  der  Stellung  auf.  Die  Gruppe  der  Stürzen- 
den ist  ausgebildet,  sie  zieht  sich  aber  mehr  nach  der  Tiefe 
zu,  als  auf  dem  Wandgemälde,  was  darauf  schliessen  lässt, 
dass  die  Charonsgruppe  noch  nicht  geplant  war,  sondern  wie 
auf  dem  Entwurf  II  der  Sturz  bis  in  die  untere  rechte  Ecke 
sich  erstrecken  sollte.  Beibehalten  von  den  hier  gegebenen 
Gestalten  werden  im  Fresko  nur  zwei :  die  von  hinten 
gesehene  auf  dem  rechten  Bein  knieende  (im  Gegensinne) 
und  der  Engel  rechts  über  ihr.  Ein  zerrender  Teufel  er- 
innert schon  allgemein  an  denjenigen  unter  der  ,, Wollust".  — 
Auf  dem  Blatte  sind  noch  andere  Einzelstudien.  Eine  Gruppe 
von  drei  erschreckt  aus  einander  Stiebenden  ist  nicht  in  das 
Fresko  übergegangen.  Die  Studie  eines  nach  vorne  Schweben- 
den (Brust  und  Arme)  war  wohl  für  einen  Engel  bestimmt, 
der  einen  Verdammten  verdrängt:  sein  linker  Arm  mit  der 
geballten  Faust  ist  noch  einmal  gezeichnet.  Eine  sitzende 
Figur,  mit  dem  rechten  Arm  hinablangend,  scheint  für  die 
Märtyrergruppe  bestimmt  gewesen  zu  sein.  Noch  einmal  er- 
scheint der  Kreuzträger ,  das  Kreuz  noch  so  haltend  wie 
auf  UI.  Der  Rücken  des  Knieenden.  Zwei  kleine  Skizzen 
bringen  einen  seitwärts  zerrenden  Teufel ,  eine  andere  den 
Oberkörper  eines  Verdammten,  der  die  Hand  vor  den  Kopf 
hält  (hier  taucht  also  das  Motiv  des  von  Teufeln  und  Schlangen 
Umstrickten  im  Fresko  auf).  Ferner  sehen  wir  einen  Sitzenden, 
den  Kopf  mit  dem  Arme  schützend,  einen  rücklings  hinunter 
Gestossenen,  einen  Knieenden,  der  die  rechte  Hand  ans  Haupt 
legt  und  einen  nach  vorne  Fhegenden,  der  verzweiflungsvoll 
beide  Fäuste  vor  das  Gesicht  hält.  —  Auf  der  Rückseite  der 
Zeichnung  (Abb.  St.  S.  6^6,  76)  einige  jetzt  undeutlich  skizzirte 


Zeichnungen  n 

Figuren    für    die    gleichen  Gruppen    und    ein  zweimal  wieder- 
holter Kopf  (s.  unten). 
V.  Entwurf  für  die  Auferstehenden,  die  linke  untere 
Hälfte  des  Gemäldes.    Windsor.    Thode  545.    Ber.  1620. 
St.  80  B.    Abb.  St.  S.  682,  83.    Kreide.    Rückseite  eines  Blattes 
mit  Einzelstudien  (s.  unten  Nr.  XXIII,  XXIV).     Links  aus  der 
Erde  Emporsteigende :   hier  erscheinen  neben  anderen  später 
nicht   beibehaltenen  Figuren    bereits    der  von   hinten  gesehen 
sich    auf  beide  Arme  Stützende    und    der  nach  vorn  Heraus- 
steigende, der  die  Arme  aufstützt.    Weiter  rechts,  bereits  fast 
wie  im  Fresko,  die  am  Boden  Liegenden  und  darüber  die  zwei 
von  Engeln  Emporgezogenen.    Der  mit  dem  Kopf  nach  unten 
Emporgetragene    erscheint    daneben    noch    zweimal    skizzirt, 
und  zwar  sieht  man  in  der  einen  Skizze  mehrere  Engel  hülf- 
reich mit    ihm    beschäftigt.     Zwei    andere  Studien    zeigen  ab- 
weichende, nach  oben  getragene  Gestalten. 
Die    fünf    beschriebenen   Entwürfe    gestatten    einen    nicht    un- 
wichtigen Einblick   in  die    allmähliche  Ausgestaltung    der  gesamten 
Komposition.    Anfangs  verwerthet  Michelangelo  offenbar  seine  Ge- 
danken für  den  Engelsturz,  den  er  an  der  Eingangswand  der  Kapelle 
hatte    schildern   sollen.     Hierbei  wird    im  Auffliegen   links    und    im 
Abstürzen  rechts  eine   grosse  Einheit  von  unten  nach  oben   bis  zu 
der   Gerichtsszene    gewahrt.      Erst    später   tritt    eine    streifenartige 
Theilung  durch  die  Einschiebung   der  Märtyrergruppen  (und  wahr- 
scheinlich der  entsprechenden  links)  ein,  und  ganz  am  Schlüsse  erst 
gewinnt  die  Auferstehungsszene  und  die  Charonsgruppe  als  unterste 
Streifenschicht  ihre  Ausgestaltung. 


Entwürfe  für  Einzelnes 

A.  Die  Hauptgruppe. 
Christus. 

Durch  zwei  Kreideskizzen  in  der  Casa  Buonarroti  könnte  man 
an  Christus  erinnert  werden.  Die  eine  (XIII,  66.  Thode  58.  Ber.  1667) 
zeigt  eine  Figur  mit  hoch  erhobenem  linken  Arm  und  gesenktem 
rechten  in  zwei  Stellungen :  einmal  sitzend,  das  andere  Mal  stehend 
mit  erhobenem  rechten  Beine.  Berenson  sieht  hier  eine  Schüler- 
hand und  eine  Variation  des  Christus.  Ich  halte  das  Blatt  für 
acht  und  aus  der  Zeit  des  Jüngsten  Gerichtes,  möchte  aber  Stein- 
manns Hinweis  (S.  605  A.)  auf  die  Ähnlichkeit  mit  den  Studien 
zum  ,, auferstehenden  Christus"  beachtenswerth  finden.  Freilich  gilt 
dies  nur  für  den  Entwurf  der  stehenden,  nicht  der  sitzenden  Figur. 


lO  Das  Jüngste  Gericht 


Die  andere  Skizze  (XII,  6i,  Thode  53),  welche  eine  sitzende,  ab- 
wärts schauende  Figur,  den  linken  Arm  erhoben,  den  rechten  auf- 
gestützt, bringt,  hat  sicher  keine  Beziehung  zu  dem  Christus,  und 
es  ist  mir  auch  zweifelhaft,  ob  sie  von  Michelangelo  herrührt. 

Maria. 

Von  Jacobsen  und  Ferri  (Abb.  XIII)  ist  eine  flüchtige  Kreide- 
skizze nach  dem  Nackten  eines  vollen  weiblichen,  nach  halb  rechts 
hinten  gewandten  Körpers  auf  die  Maria,  und  zwar  auf  die  Maria, 
wie  sie  in  den  Entwürfen  II  und  III  erscheint,  bezogen  worden. 
Sie  befindet  sich  in  den  Uffizien  (18735,  Thode  224).  Eine  grosse 
Ähnlichkeit  in  der  Haltung  lässt  sich  nicht  ableugnen,  doch  dünkt 
es  mir  wahrscheinlicher,  dass  die  Studie  für  die  den  Baum  hinauf- 
kletternde Figur  in  der  „Sündfluth"  diente  (s.  oben  S.  246  Nr.  XXXII). 
Eine  Rötheizeichnung  in  der  Casa  Buonarroti  (VII,  7),  die  Gestalt 
des  Fresko  im  Gegensinne  zeigend,  dürfte  Schülerarbeit  sein. 

Der    hl.  Laurentius. 

VI.  Die  ganze  Figur,  der  Kopf  nur  angedeutet.  Der  Rost  fehlt. 
Der  Kopf  daneben  besonders  gezeichnet.  Haarlem,  Teyler 
Museum.  Kreide.  Thode  261.  Ber.  1468.  St.  71  A.  Abb. 
Marcuard  XIII.     St.  S.  671,  71. 

Der   hl.  Bartholomäus. 

VII.  Nach  halb  links  gewandter  bärtiger  kahler  Kopf.  In  grossen 
Verhältnissen.  Kreide.  London,  British  Museum.  Malcolm  74. 
1895 — 9—15—511-  Thode  358.  Ber.  1692.  St.  73.  Abb. 
Ottley  34.  St.  S.  67 T,,  73.  Seit  Ottley  erhielt  sich  die  An- 
nahme, dies  sei  eine  ausgeführte  Studie  für  den  Bartholomäus. 
Berenson  bestritt  dies  sowohl,  als  auch  die  Autorschaft  Michel- 
angelos. Steinmann  Hess  beides  zweifelhaft.  Niemand  wird  be- 
streiten, dass  der  Kopf  unangenehm  wirkt,  aber  das  liegt  in  dem 
Ausdruck,  der  ihm  gegeben  ist  und  dem  Ähnliches  wir  ja  im 
Jüngsten  Gericht  genug  gewahren.  In  der  Technik  aber  — 
es  handelt  sich  um  eine  Kartonzeichnung  —  ist  Nichts  zu 
finden,  was  gegen  die  Autorschaft  des  Meisters  spräche,  dem 
ich  die  Rötheistudien  auf  der  Rückseite  bestimmt  zuschreiben 
möchte.  Man  betrachte  den  Kopf  nur  etwas  aus  der  Ferne, 
um  seine  Grossartigkeit  zu  gewahren.  Aber  mit  dem  Bartho- 
lomäus stimmt  die  Zeichnung  nicht.  Die  Haltung  nicht  allein, 
sondern  auch  der  Ausdruck  sind  ganz  verschieden.  Man 
müsste  annehmen,  dass  es  sich  um  einen  früheren,  dann  auf- 
gegebenen Entwurf  handelt.  Und  dies  würde  wahrscheinlich 
durch  die  Bemerkung,  dass  ein  anderer  dieser  Zeichnung  ent- 


Zeichnungen  1 1 

sprechender   Kopf   sich   im    Fresko    nicht   vorfindet.      So    ist 
eine  bestimmte  Entscheidung  unmöglich. 

Der   gute    Schacher. 

VIII.  Der  gute  Schacher ,  wie  im  Fresko ,  links  neben  ihm  aber 
andere  Figuren,  deren  eine,  nach  rechts  gewandt,  ihn,  wie  es 
scheint,  bei  der  Schulter  fasst.  Kreide.  Bayonne,  Musee 
Bonnat.  Thode  3  a.  St.  6^ .  Abb.  St.  S.  668,  67.  Gleich 
neben  der  Gruppe  rechts  eine  nach  vorne  schreitende  und 
abwärts  schauende  Figur,  vor  der  eine  andere  am  Boden 
liegt.  Sie  erinnert  in  der  Bewegung  an  den  nackten  Jüngling 
über  dem  Schacher. 

Der  junge   Heilige    über   Bartholomäus. 

IX.  Studie  zu  seinem  rechten  Arme.  London,  British  Museum 
1856 — 5 — 10 — 1173.  Thode  283.  Ber.  1512.  St.  72.  Kreide. 
Ich  folge  in  dieser  Bestimmung  Steinmann ;  ganz  sicher  ist 
sie  nicht. 

B.  Die  Engelgruppen. 

Der   Engel    der    rechten    Gruppe,    rechts   in    der 
Mitte    über    der    Säule. 

X.  Die  ganze  Gestalt  (der  Kopf  nur  angedeutet).  Der  rechte 
Arm  wiederholt  daneben.  Kreide.  London,  British  Museum 
1860— 6— 16— 5.  Thode  327.  Ber.  1684.  St.  63  A.  Abb. 
St.  S.  663,  62.  Phot.  Br.  18.  Die  Zeichnung  wurde  von 
Berenson  als  nicht  acht  betrachtet.  Ich  halte  sie,  wie  eine 
Anzahl  verwandter,  unbedingt  für  acht. 

XI.  Dieselbe  Figur.  Flüchtigere  Studien.  Kreide.  Rückseite 
von  X.     St.  63  B.     Abb.  St.  S.  664,  ^i. 

Der  Engel  der  rechten  Gruppe,  derknieend,  von 
hinten   gesehen,    die    Säule    umfängt. 

XII.  Studie  für  das  linke  Bein.  Kreide.  Florenz,  Uffizien  17377. 
Thode  237.  (Nicht  ausgestellt,  in  der  ,,Raccolta".)  Diese 
Zeichnung  ist  bisher  nicht  beachtet  worden.  Sie  gehört  zu 
einer  Reihe  nach  meiner  Ansicht  ächter,  in  breitester  Weise 
ausgeführter  Studien,  als  deren  charakteristisches  Beispiel  die 
oben   genannte   X   genannt  werden  kann   (vgl.  auch  XXXIII). 

Der  Engel    zu    oberst   der   rechten  Gruppe,    mit 
dem    Gewand. 

XIII.  Zwei  Studien.  Kreide.  Auf  dem  Blatt  XI.  Die  Armhaltung 
hier  noch  anders,  dem  linken  Arm  ist  die  Funktion  (des  Um- 


12  Das  Jüngste  Gericht 


schlingens)  gegeben,  die  auf  dem  Fresko  der  rechte  Arm  hat, 
und  die  Rechte  ist  sprechend  bewegt.  Von  Steinmann  fälsch- 
hch  auf  den  Engel  mit  dem  Essigschwamm  bezogen. 

Entwurf  für  einen  (nicht  ausgeführten)  Engel. 
XIV.  Oberkörper  eines  fliegenden  Engels  en  face  mit  gekreuzten 
Armen.  Kreide.  Auf  dem  Blatte  X.  Die  rechte  Hand 
wiederholt.  Steinmann  meint  irrig,  es  wäre  vielleicht  eine 
Studie  für  eine  Frau  oberhalb  der  sich  Umarmenden  in  der 
Heiligenschaar  rechts. 

C.  Die  Gruppe  der  Emporschwehenden. 

Der   knieend   Hinablangende. 

XV.  Entwurf  der  Figur,  der  linke  Arm  in  zwei  Haltungen  skizzirt. 
London,  British  Museum,  Malcolm  65.  Thode  351.  St.  68. 
Abb.  St.  669,  68.  Ich  stimme  Steinmanns  Meinung  bei,  welcher 
die  Zeichnung  Michelangelo  giebt. 

XVI.  Entwurf,  welcher  die  Haltung  des  linken  Armes  in  definitiver 
Weise  gegeben  zeigt.  Florenz,  Casa  Buonarroti  VI,  27. 
Thode  28  a.     St.  69.     Abb.  St.  S.  669,  69. 

Der    ein    Paar    am   Rosenkranz    Emporziehende. 

XVII.  Skizze  auf  einem  Blatt  mit  Studien  für  die  Medicidenkmäler. 
Florenz,  Casa  Buonarroti  V,  19.  Thode  75.  Ber.  1660. 
St.  70.  Abb.  St.  S.  670,  70.  Von  Steinmann  auf  die  Figur 
bezogen.  Haltung  des  Oberkörpers  und  des  rechten  Armes 
ist  allerdings  verwandt,  aber  der  Jüngling  ist  auf  der  Zeich- 
nung sitzend  dargestellt  und  der  linke  (nicht  ausgeführte) 
Arm  war  aufgestützt  gedacht.  Dies  ergiebt  sich  aus  der 
gleichen  Figur  auf 

XVni.  Oxford  70,  3.  Thode  444.  Ber.  1572B.  Eine  ähnliche 
Figur  findet  sich  in  der  Gruppe  der  Märtyrer  auf  Londoner 
Zeichnung  IV. 

Der     Emporschwebende,     dem     die     Hand     ent- 
gegengereicht  wird. 
XIX.  Florenz,  Uffizien   17 177 .     Thode  237.     Das  linke  Bein. 

Entwürfe  für  (nicht  ausgeführte)  Schwebende. 
XX.  Mit  erhobenen  Armen  fliegende  Gestalt.  Flüchtige  Skizze. 
London,  British  Museum  1885 — 5— 9— 1893-  Thode  331. 
Ber.  15 10.  Von  Steinmann  nicht  erwähnt.  Berenson  erkannte 
mit  Recht  hier  eine  Studie  für  das  Jüngste  Gericht.  Auf  dem 
Entwurf  in  London  aber  (s.  oben  IV),  wie  er  meint,  findet 
sie  sich  nicht. 


Zeichnungen  I  -t 

XXI.  Zwei  aufwärts  fliegende  nackte  Gestalten.  Früher  bei  Sir 
Charles  Robinson,  London.     Thode  376.     Ber.  1542. 

XXII.  Florenz,  Uffizien  17377.  Thode  237.  Nicht  ausgestellt: 
nach  oben  fliegende  Gestalt  mit  erhobenen  Armen,  zurück- 
gelegtem Kopf,  von  hinten  gesehen. 

D.  Die  Gritppe  der  Aufersiehenden. 

Der   vom   Engel    aufrecht   Emporgetragene. 

XXIII.  Studie  zu  den  Beinen  und  zum  rechten  Arm.  Kreide. 
Windsor.  Thode  545.  Ber.  1620.  St.  80 A.  Abb.  St.  681, 
82.    Daneben  auch  die  rechte  Hand  des  ihn  zerrenden  Teufels. 

Der  vom  Engel   an  den  Beinen  Emporgezogene. 

XXIV.  Flüchtige  Studie  zu  dem  Engel.  Kreide.  Auf  demselben 
Blatt  XXIII.     Von  Steinmann  nicht  erkannt. 

Der   vom   Rücken    gesehene,   mit   beiden  Armen 
sich   aufstützende   Auferstehende. 

XXV.  Studie.  Der  Kopf  nur  angedeutet.  London,  British  Museum 
1886— 5— 13— 5.  Thode  333.  Ber.  1683.  St.  81  A.  Abb. 
Lawrence  Gallery  15.  St.  S.  683,  84.  Entgegen  Berensons 
Meinung  halte  ich,  wie  Steinmann,  die  Zeichnung  für  sicher 
acht.  —  Eine  Kopie  in  Röthel  von  Daniele  da  Volterra  in 
den  Uffizien  238. 

Der   Eingehüllte,    Erwachende    ganz   links. 

XXVI.  Studie  zum  Oberkörper  und  rechten  Arm.  Auf  der  Rück- 
seite von  XXV.     Abb.  St.  S.  684,  85.) 

Ezechiel. 

XXVII.  Studie  zu  beiden  Armen.  Gleichfalls  auf  der  Rückseite 
von  XXV.     Abb.  St.  S.  684,  85. 

Der    unter    dem   Fels   Hervorkriechende. 
XXVin.  Studie  zu  der  Figur.     Oxford  58.     Thode  435.     Berenson 
1721  hält  es  für  eine  Zeichnung  nach    dem  Fresko,    so,    wie 
es  scheint,  auch  Steinmann,  der  die  Zeichnung  nicht  erwähnt. 
Ich  halte  sie  für  acht. 

Die    zwei    am    Boden   liegenden  Figuren   rechts. 
Eine  Rötheistudie  in  der  Casa  Buonarroti   (V,  20)  ist  offenbar 
eine  Zeichnung  nach  dem  Fresko. 

Entwurf    für    einen    (nicht    ausgeführten)    Auf- 
erstehenden. 

XXIX.  Ein  nach  rechts  gewandt  sitzender,  mit  beiden  Händen  nach 
links  sich  aufstützender  Mann  (Kopf  nicht  angegeben).  Florenz, 


14  Das  Jüngste  Gericht 


Casa  Buonarioti  VI,  32.  Thode  32.  Röthel.  Von  Berenson 
(1406)  richtig  als  eine  Studie  für  das  Jüngste  Gericht  be- 
zeichnet, von  Steinmann  nicht  erwähnt. 

XXX.  Studie  eines  männlichen,  bartlosen  Kopfes  en  face.  Florenz, 
Casa  Buonarroti  VI,  31.  Thode  30.  St.  82.  Abb.  St.  S.  608,  5. 
Kreide.  Steinmann  meint,  was  möglich,  aber  nicht  bestimmt 
zu  sagen :  Entwurf  für  einen  Auferstehenden. 

E.  Die  Gruppe  der  Märtyrer. 

Entwurf  für   eine    nicht    ausgeführte   Figur. 

XXXI.  Ein  etwas  nach  links  gewandt  sitzender  Mann,  der  sich  mit 
der  Linken  aufstützt,  die  Rechte  hinabstreckt,  offenbar,  um 
einem  Anderen  zu  helfen.  Auf  dem  unter  Nr.  IV  genannten 
Blatt.  In  Kreide.  Könnte  auch ,  ähnlich  wie  XV ,  für  die 
Gruppe  der  Emporschwebenden  bestimmt  gewesen  sein. 

Der  Todtenkopf  in  Oxford  (60,  4.    Abb.  Fisher  II,  4)  ist  Kopie. 

F.  Die  Gruppe  der  stürzenden  Sünder. 

Der  mit  dem  rechten  Bein  knieende,  von  hinten 
gesehene  Verdammte. 

XXXII.  Entwurf  der  ganzen  Figur.  Kreide.  Paris,  Louvre  707. 
Thode  482.  Ber.  1591,  der  aber  die  Beziehung  nicht  erkannte. 
Von  Steinmann  nicht  erwähnt.  Die  Stellung  ist  im  Fresko 
etwas  verändert. 

Der    Teufel    mit    der    Seele    über    demCharons- 
nachen. 

XXXIII.  Studie  zu  dem  Teufel,  auf  anderem  Blatte :  dessen  linker 
Arm  und  die  linke  Schulter.  Kreide.  Haarlem ,  Teyler 
Museum.  Thode  262.  Ber.  1673.  St.  'J^.  Abb.  v.  Marcuard  XVa 
und  XV  b.  St.  S.  6"]^,  yj  u.  78.  Schon  v.  Marcuard  erkannte 
hier  einen  Entwurf  zu  einer  Figur  im  Gericht.  Steinmann 
bestimmte  sie  mit  Recht  näher  als  eine  an  Signorellis  ,,anima 
damnata"  anknüpfende  Vorstudie  zu  dem  Teufel.  Die  Zeich- 
nung gehört  zu  einer  ganzen  Gruppe  von  Entwürfen ,  die 
Berenson  alle  mit  Unrecht  Michelangelo  nimmt,  und  ist  ganz 
besonders  beweisend  für  die  Ächtheit  aller  dieser  Blätter 
(s.  Nr.  XII).  —  Eine  alte  Kopie  nach  der  ganzen  Gruppe  in 
Lille.     Ber.  1677.     Abb.  Br.  33. 

Die    Zeichnung    der   Figur   der    ,, Wollust"    im  British  Museum 
1895 — 9 — 15 — 505,  Malcolm  68,  ist  Kopie. 

Entwürfe    für   (nicht    ausgeführte)    Figuren. 

XXXIV.  Kopfüber  abwärts  stürzende  Figur.  Zwei  Skizzen.  Kreide. 
London,    British   Museum    1885 — 5—9 — 1894.      Thode    332. 


Zeichnungen  j  c 

Ber.  151 1.  Von  Steinmann  nicht  erwähnt.  Berenson  erkannte 
die  Beziehung  zum  Jüngsten  Gericht.  Ich  finde  die  Gestalt 
auf  dem  Londoner  Entwurf  IV  in  der  Mitte. 

XXXV.  Nach  vorne  schwebende  Figur,  das  linke  Bein  knieend 
(offenbar  auf  Wolken),  mit  dem  rechten  Arm  einen  rund  ge- 
bildeten Gegenstand  (vielleicht  eine  andere  Figur })  umfangend, 
in  den  Zügen  der  Ausdruck  des  Schreckens.  Der  linke  Arm 
ist  nicht  sichtbar.  Lille,  Musee  Wicar  99.  Thode  278. 
Ber.  1678.  St.  78.  Abb.  St.  S.  679,  80.  Br.  37.  Von  Morelli 
(Kunstchronik  1892,  S.  377),  dessen  Meinung  ich  bin,  für  acht, 
von  Berenson  und  Steinmann  nur  für  Kopie  einer  Zeichnung 
Michelangelos  gehalten.  Steinmann  meint,  es  sei  eine  Studie 
für  einen  Verdammten ,  der  mit  vorgebeugtem  Oberkörper 
aus  Charons  Kahn  springt.  Dies  kann  ich  nicht  zugeben. 
Die  Stellung  ist  ganz  verschieden ,  die  Gestalt  ist  nicht  in 
springender  Bewegung,  sondern  schwebt  in  der  Luft.  Sie  war 
offenbar  für  die  Gruppe  der  stürzenden  Verdammten  bestimmt. 
Vielleicht  trat  an  ihre  Stelle  der  von  Teufeln  und  Schlangen 
Umwundene. 

XXXVI.  Brust  und  Arme  (der  Kopf  nur  angedeutet)  eines  Nackten 
in  verzweifelter  Bewegung.  Er  legt  die  Linke  an  den  Hinter- 
kopf, die  Rechte  vorne  an  das  Gesicht.  Der  rechte  Arm  ist 
in  etwas  anderer  Haltung  nochmals  gezeichnet.  Auf  dem  eben 
erwähnten  Blatte.  Steinmann  berücksichtigt  diese  Skizze  nicht. 
Auch  sie  war  für  einen  Verdammten  bestimmt.  Ähnliche 
Schreckensgebärde  macht  eine  Gestalt  in  Charons  Kahn  auf 
dem  Fresko,  doch  ist  die  Bewegung  eine  ganz  andere. 

XXXVII.  Eine  nach  hinten  gewandt  knieende  Figur,  welche  die 
Arme  etwas  nach  rechts  erhebt.  Kreide.  Florenz,  Casa 
Buonarroti  XI,  54.  Thode  49.  St.  74.  Abb.  St.  S.  674,  74. 
Album  Michelangiolesco  VI. 

XXXVIII.  Halbe  Figur  eines  nach  halb  rechts  gewandten,  abwärts 
schauenden  Mannes,  der  die  Hände  abwehrend  nach  links 
hinten  bewegt,  ähnlich  wie  der  Adam  in  der  Vertreibung  aus 
dem  Paradiese.  Florenz,  Casa  Buonarroti  V,  64.  Thode  24. 
Ob  die  Skizze  von  Michelangelo.?'  Ich  glaube  es,  jedenfalls 
geht  sie  auf  ihn  zurück.  Darüber  verkürzter  Kopf,  nach 
einem  Kopf  ganz  links  unten  im  Jüngsten  Gericht. 

XXXIX.  Von  vorne  gesehener  Mann,  das  linke  Bein  wie  knieend, 
die  Rechte  erhoben,  die  Linke  nach  links  unten  greifend, 
wohin  auch  der  Kopf  blickt.  Flüchtige  Rötheiskizze.  Florenz, 
Casa  Buonarroti  I,  4.  Thode  14,  Wohl  Studie  für  einen  der 
Engel. 


l5  Das  Jüngste  Gericht 


XL.  Halb  nach  links  gewandter  Kopf  eines  in  Verzweiflung 
schreienden  bartlosen  Mannes.  Ein  Gewandstück  umflattert 
ihn.  Kreide.  Windsor.  Thode  544.  Ber.  1619.  St.  ']T. 
Abb.  St.  S.  678,  79.  Phot.  Br.  114.  Eine  Kopie  in  den 
Uffizien  137,  601.  Phot.  Br.  182.  Diese  gewaltige,  berühmte 
Zeichnung  war  wohl   eine  Studie  für  einen  der  Verdammten. 

G.  Die  Charonsgritppc. 

Der     vordere    an    einem    Eisenhaken    ziehende 
Teu  fei. 

XLI.  Grossartige  Studie  auf  der  Rückseite  des  eben  erwähnten 
Blattes  XL.  Phot.  Br.  106.  Kohle.  Die  Stellung  der  Beine 
ist  schon  ähnlich,  aber  der  Oberkörper  ist  nach  links  gesenkt, 
der  thierische  Kopf  nach  rechts  gewendet  und  die  Hände 
zerren  links  den  (nicht  angegebenen)  Kahn. 

Der    Schreiende    im    Kahn,    der    die    Hände    an 
den    Kopf  legt. 

XLII.  Skizze  des  Oberkörpers  mit  Kopf  und  Armen.  Auf  dem 
Blatt  der  Casa  Buonarroti,  s.  oben  Nr.  XVI. 

Der    die  Auferstehenden    belauernde  Teufel   in 

der   Höhle. 

XLIII.  Kopie  einer  Originalzeichnung  in  Florenz,  Uffizien  144,  616. 
Thode  212.  Offenbar  eine  Studie  für  die  Figur,  da  die  an- 
gezogene Stellung  des  rechten  Beines  von  der  des  Fresko 
abweicht    und    die  Füsse    noch    nicht   die  Krallenform  haben. 

Teufelsfratzen. 
XLIV.  Drei  groteske  Köpfe.  Röthel.  London,  British  Museum 
1859 — 6 — 25 — 557.  Thode  299.  Ber.  1490.  St.  79.  Abb. 
St.  S.  680,  81.  Br.  Der  eine  ist  für  den  Teufel  links  unten 
neben  Minos  verwendet,  ein  anderer  vielleicht  für  den  Kopf 
rechts  unten  neben  Minos  —  wie  auch  Steinmann  annimmt. 
Ich  glaube  aber,  dass  diese  Fratzen  bereits  früher,  in  der 
Zeit  der  Arbeit  an  den  Medicigräbern ,  entstanden  sind ,  in 
der  gleichen  Zeit  wie  die  Maskenköpfe  in  Lille  (Br.  35),  die 
ich,  trotz  Steinmanns  Einspruch,  mit  Berenson  für  acht  halte 
—  die  in  der  Casa  Buonarroti  sind  eine  Kopie  und  so  auch 
eine  Zeichnung  in  Frankfurt  a.  Main,  Städel'sches  Institut  392, 
wo  übrigens  der  untere  Kopf  des  Londoner  Blattes  wieder- 
holt ist.     (Vgl.  oben  Exkurs  über  die  Medicigräber  I,  499.) 

H.  Nicht  näher  zzi  bestimmende  Entwürfe. 
XLV.  Ein   nach    rechts    hinten    ausschreitender    Mann 
von    mächtigen    Formen ;    nur    der   Unterkörper    ausgeführt. 


Kopien  1 7 

Auf  der  Rückseite  der  Studie  zum  hl.  Laurentius.  S.  oben 
Nr.  VI.  Steinmann  71  B.  Abb.  v.  Marcuard  XIV.  St.  S.  672,  72. 
Steinmann  meint:  vielleicht  Rir  den  Verdammten  ganz  links 
in  der  Gruppe  der  sieben  Hauptsünden.  Diese  Vermuthung 
kann  ich,  da  es  sich  um  ein  ganz  anderes  Motiv  handelt, 
nicht  theilen.  Die  Figur  ist  im  Fresko  nicht  verwerthet 
worden. 

XL  VI.  Aktstudie  desOberkörpers  einesjungenMannes, 
der,  die  Arme  gesenkt,  sich  halb  nach  links  wendet  und  nach 
links  hinten  aufwärts  schaut.  Kreide.  Lille,  Musee  Wicar  104. 
Thode  279.  Weder  von  Steinmann  noch  von  Berenson  er- 
wähnt. Nach  meiner  Ansicht  eine  schöne  ächte  Studie  für 
einen  Auserwählten. 

XL VII.  Nach  hinten  schreitender  Mann,  der  sich  etwas 
nach  links  wendet  und  den  linken  Arm  nach  der  Seite  aus- 
streckt. Leichte  Kreideskizze.  London,  British  Museum. 
Malcolm  75.  Thode  395.  Ber.  1531.  Schon  von  Robinson 
auf  das  Jüngste  Gericht  bezogen. 

XL VIII.  Stehender  Mann  en  face,  nach  rechts  schauend,  die 
Rechte  gesenkt,  die  Linke  über  die  Brust  gelegt.  Flüchtige 
Kreideskizze.  London,  British  Museum.  Malcolm  "/Q.  Thode 
360.     Ber.   1532. 

XLIX.  Anatomische  Studie  eines  Oberkörpers  von  hinten 
gesehen.  Kreide.  Florenz,  Uffizien  17377.  Nicht  ausgestellt. 
Auf  demselben  Blatt  wie  oben  Nr.  XIX.  Rückseite.  Daneben 
undeutliche  bewegte  Figur,  von  vorne  gesehen. 
L.  Nach  rechts  gesenkter  unbärtiger  Kopf  eines 
Mannes.  Auf  der  Rückseite  des  Londoner  Entwurfes  für 
den  Sturz  der  Verdammten,  S.  oben  IV.  St.  75  B.  Abb. 
St.  S.  ^T^,  76.  Steinmann  sieht  in  ihm  eine  Studie  für  den 
Heiligen    links    neben    dem   Kreuzträger.      Dies    muss    dahin- 


gestellt bleiben. 


Zeichnungen. 


III 

Kopien 


Deren  Anzahl  ist  eine  so  grosse ,  dass  ich  auf  ein  genaues 
Verzeichniss  verzichten  muss.  Ich  erwähne  alte  Zeichnungen,  welche 
die  gesamte  Komposition  wiedergeben,  in  Oxford  65  (Abb.  Fisher 
II,  2)  und  in  Paris  (834) ,  eine  Nachzeichnung  der  rechten  Seite 
im  Städel'schen  Institut  zu  Frankfurt  a.  M.  (Nr.  3982,  danach  ein 
Umrissstich  im  Gegensinne  ebendaselbst),  wo  auch  eine  Kopie  der 
zwei  Engel  rechts  oben  neben  der  Säule  bewahrt  wird  (Nr.  391),  des 
I*  2 


Das  Jüngste  Gericht 


Sturzes  der  Verdammten  bei  E.  J.  Poynter  (Abb.  Symonds  II,  48). 
Eine  „besonders  kunstvoll  ausgeführte  Zeichnung",  181 1  von  Tom- 
maso  Minardi  angefertigt,  ist  in  der  Vatikanischen  Bibliothek  (St. 
S.  518,  A.  i).  Eine  von  Alexandre  Charles  Guillemot,  um  18 12 
entstanden,  im  Louvre.  Von  Kopien  einzelner  Figuren  findet  sich 
eine  besonders  grosse  Anzahl  im  Louvre  (die  Nrn.  736,  738,  740, 
744,  783,  790,  795,  797,808,817,  819,821,824,  830),  in  Mailand  (Phot. 
Br.  10,  II,  12,  19,  20,  22)  und  in  Oxford  (60,  4.  61.  62.  63.  69. 
83,  bis  auf  83  alle  bei  Fisher  abgebildet).  In  Photographieen  sind  zu- 
gänglich drei  Zeichnungen  in  dem  Grossherzoglichen  Schlosse  zu 
Weimar  (Br.  112,  113,  114),  wo  auch  eine  Kopie  der  Madonna  auf- 
bewahrt wird,  in  Venedig  (Br.  18,  20),  in  der  Albertina  zu  Wien 
(Br.  45,  46),  wo  ausserdem  auch  ein  posaunenblasender  Engel 
(Nr.  139)  zu  finden  ist,  in  Chatsworth  (Br.  23),  in  der  Casa  Buo- 
narroti  (Alinari   10 10  und   1066). 

Wohin  die  Zeichnungen ,  die  Daniele  da  Volterra  für  die  Ge- 
wänder entworfen,  dereinst  in  der  Sammlung  Cicciaporci,  gelangt  sind, 
vermag  ich  nicht  zu  sagen  (Fanfani :  Spigolatura  Michelangiolesca 
S.  98).  Auch  ist  nicht  mehr  nachzuweisen,  wohin  die  Zeichnungen, 
die  nach  Vasari  (VI,  578)  Battista  Franco  von  dem  ganzen  Gemälde 
gemacht  hat ,  wohin  die  drei  Blätter  mit  den  sieben  Hauptsünden, 
die  Vasari  gleich  nach  Enthüllung  des  Fresko  anfertigte  (V,  553) 
und  an  Giulio  Romano  nach  Mantua  sandte,  gekommen.  Drei  Zeich- 
nungen, darunter  eine  aquarellirt ,  werden  im  Inventar  von  Parma 
erwähnt,  1662  (Venturi:  Le  Gallerie  nazionali  1902.  V,  269,  270,  282). 

In  wiefern  eine  Kreidestudie  Sebastianos  del  Piombo  (?)  für  seinen 
,, Christus  an  der  Säule"  in  S.  Pietro  in  montorio,  im  Kupferstich- 
kabinet  Pal.  Corsini  aufbewahrt  (Abb.  Venturi :  Gallerie  Italiane 
1896.  II,  Taf.  XI,  S.  154,  d'Achiardi:  Seb.  del  Piombo,  Fig.  28),  mit 
Benutzung  des  Kreuzträgers  in  der  Gruppe  der  Heiligen  —  so 
meint  Steinmann  (S.  538,  Anm.)  —  entstanden  sein  könnte,  be- 
greife ich  nicht.  Sebastianos  Geisselung  war  doch  schon  1525  fertig. 
Siehe  hierfür  den  Exkurs  über  Michelangelo  und  Sebastiano. 

Zum  Schluss  sei,  als  nicht  unwichtige  Belehrung  für  den  Be- 
urtheiler  der  Zeichnungen  Michelangelos,  eine  bei  Malvasia  (Felsina 
pittrice  1841.  I,  197)  berichtete  Geschichte  mitgetheilt.  Der  Kar- 
dinal Alessandro  d'Este  zeigte  dem  D.  Kalvaert  seine  schöne  Zeich- 
nungensammlung. Kalvaert  erkannte  alle  die  Künstler,  welche  die 
Blätter  verfertigt.  Aber  als  sie  zu  einem  Nackten  Michelangelos 
aus  dem  Jüngsten  Gerichte  und  zu  zwei  Figuren  Raphaels  aus  der 
Schule  von  Athen  kamen,  unterrichtete  Kalvaert  den  Kardinal  da- 
von ,  dass  es  nicht  Originale  seien ,  sondern  Kopien ,  die  er  nach 
den  Gemälden  selbst  verfertigt,  und  zwar  indem  er  die  Figuren 
an    einigen  Stellen    veränderte.     Denn   so  war  es  ihm  von 


Kopien  ig 

einem  gewissen  Pomponio ,  der  ihm  den  Auftrag  gab ,  befohlen 
worden.  Und  eben  Dieser  sei  es  gewesen,  der,  nachdem  das  Pa- 
pier angeräuchert  und  hier  und  da  dünner  gemacht  worden  war, 
die  Zeichnungen  dann  als  Originale  dem  Kardinal  verkauft  hatte. 
Solchen  Thatsachen  gegenüber  wird  selbst  der  geübte  Kenner 
sich  bescheiden  müssen ,  die  Möglichkeit ,  dass  auch  er  sich  bis- 
weilen irre,  zuzugeben. 

2.   Gemälde. 
Ich  erwähne : 

1.  Die  wichtige  Kopie  von  Marcello  Venusti  im  Museum 
zu  Neapel,  welche,  1 549  für  den  Kardinal  Alessandro  Farnese 
ausgeführt,  das  Gemälde  vor  der  Thätigkeit  Danieles  da  Vol- 
terra  zeigt  —  cosa  rara  e  condotta  ottimamente  (VasariVII,  575). 
Noch  1638  in  Rom  (von  Caspare  Celio  in  der  ,, Memoria"  über 
die  Gemälde  Roms)  angeführt,  vgl.  St.  S.  517.  S.  A.  Bertolotti : 
Speserie  segrete  e  pubbliche  di  papa  Paolo  III  in  Atti  e  me- 
morie  della  dep.  di  st.  p.  per  le  prov.  dell'Emilia  N.  S.  III, 
Mod.  1878,  p.  211.  Lanciani :  Storia  degli  scavi  di  Roma  1903, 
II,  160.  Zwei  Zeichnungen  Venustis  zu  dieser  Kopie  werden 
im  Inventar  des  Pal.  ducale  von  Mantua  1627  erwähnt.  (Carlo 
d'Arco  :  delle  Arti  e  degli  Artefici  di  Mantova  1859.  II,  161 
und  166.)  — Abb.  bei  St.  Taf.  LXVI.  —  Die  meisten  gestochenen 
Reproduktionen  des  XVI.  Jahrhunderts  und  alten  gemalten 
Kopien  gehen  auf  Venustis  Bild  zurück. 

2.  Kopie  des  Venusti '  sehen  Bildes  von  Robert  le 
Voyer  aus  Orleans.  Vgl.  St.  S.  517.  1570  entstanden. 
Der  Künstler  erhielt  daraufhin  das  römische  Bürgerrecht. 
Jetzt  im  Museum  von  Montpellier.  (C.  Jarry  :  Document  inedit 
sur  un  jugement  dernier  de  M.  A.  in  ,,Reunion  des  societes 
des  beaux-arts  des  departements".  Paris  1895,  p.  616.  Abb. 
PI.  XX.     Vgl.  auch  Schorns  Kunstblatt   1837,  XVIII,  418.) 

3.  Kopie  von  Francesco  Dandi  da  Forli.  Florenz, 
Palazzo  Corsini. 

4.  Kopie  in  Padua,  Museo  civico  (auch  ohne  die  Ge- 
wänder) ,  von  einem  Venezianer  der  zweiten  Hälfte  des 
XVI.  Jahrhunderts. 

5.  Kopie  einzelner  Hauptgruppen  von  Alessandro 
Allori  in  seinem  Altargemälde  der  Kapelle  Montaguti  in 
S.  Annunziata  zu  Florenz.  (Vasari  VII,  606.  Baldinucci 
IX,   522.) 

6.  Kopie  bei  Vicomte  de  Castex,  erwähnt  von  L. L.  Chapon 
(Le  Jugement  dernier  de  M.  A.,  Paris   1892). 

2* 


20  Das  Jüngste  Gericht 


Angeführt  werden  in  der  älteren  Litteratur  Kopien  in  S.  Eligio 
zu  Neapel  (von  O.  Boni  bei  Freart :  Idea  della  perfezione  della 
pittura,  Firenze  1809,  App.  p.  31),  bei  Antonio  Cocchi  in  Florenz 
(bemalter  Stich,  Gori :  Notizie  in  Ausgabe  Condivi  von  1746  p.  116), 
beim  Connetabile  Colonna  in  Rom  (Brief  des  Giacomo  Carrara  vom 
19.  Juni  1768  in  Bottari :  Lett.  Pitt.  VI,  237),  in  der  k.  Sammlung 
in  Neapel  (auf  Kupfer ,  s.  Bottari  ebendaselbst) ,  in  Palermo  (In-, 
ventar  1807.  Bei  Venturi :  Le  Gallerie  nazionali  1902,  V,  320)  und 
1820  bei  M.  Daval  (A.  Lenoir :  Annales  frangaises  des  Arts,  des 
Sciences  et  des  Lettres  1820,  VI).  —  In  der  Ecole  des  beaux-arts 
in  Paris  befindet  sich  die  1833  bis  1836  von  Sigalon  angefertigte 
Kopie  in  Originalgrösse,  für  die  einstige  Kapelle  der  Petits-Augustins 
bestimmt.  —  Vgl.  Steinmann,  S.  518,  Anm.  i.  —  Für  eine  Original- 
studie zum  Fresko  v^^urde  ein  grau  in  grau  ausgeführtes  Bild  in 
der  Gallerie  des  Principe  di  Colobrano  in  Neapel  ausgegeben.  Es 
zeigte  viele  Varianten  in  den  Figurengruppen.  (Napoli  e  i  luoghi 
celebri  delle  sue  vicinanze,  Napoli   1845,  II>  32  5-) 

Von  Aquarellkopien,  die  Bury  und  Lips  für  den  Grafen  Friess 
anfertigten ,  erzählt  Goethe  in  der  Italienischen  Reise  (August) : 
,, Sorgfältige  Durchzeichnungen  der  unteren  Köpfe  und  Figuren  des 
Altarbildes,  die  man  mit  der  Leiter  erreichen  konnte,  wurden  ge- 
fertigt, erst  mit  weisser  Kreide  auf  schwarze  Florrahmen,  dann  mit 
Röthel  auf  grossen  Papierbogen  durchgezeichnet." 

Von  einer  sonderbaren  Gemäldekopie  eines  Seligen,  der  aber 
als  Ketzer  ins  Feuer  gestellt  ist,  aus  der  Gall.  Buckingham  171 8  in 
die  Prager  Gallerie,  von  dort  1749  nach  Dresden  gelangt,  erfahren 
wir  durch  Claude  Philipps  (The  Gallery  of  pictures  of  Charles  I., 
I,  S.  60)  und  Karl  Woermann  (Galleriekatalog  Nr.  74). 


IV 

Die  Komposition  und  ihre  Quellen 

Über  das  Verhältniss  des  Meisters  zu  seinen  Vorgängern  ist 
des  Öfteren  gehandelt  worden,  und  jede  Untersuchung  hat  die  ge- 
waltige Originalität  seiner  Schöpfung  erwiesen.  So  gewiss  Ein- 
drücke von  älteren  Kunstwerken  bei  der  Konzeption  mitgewirkt 
haben,  so  neu  gestaltend  ist  doch  das  Schauen  des  gesamten  Vor- 
ganges in  einem  dramatisch  einheitlichen  Sinne  und  die  im  Ein- 
zelnen sich  bewährende  Erfindung.  Erst  neuerdings  ist,  nachdem 
schon  seitens  Colombs  de  Batines  (Bibliografia  Dantesca,  Prato 
1845,  I)  301 — 338)  und  in  einem  Aufsatz:  Cenno  intorno  al  Giudi- 
zio    universale    di  Giuseppe  Velasquez    e    a    quello    della  Sistina  di 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  21 

Michelangelo  (Faro  di  Messina  II,  368 — 373)  die  Inspiration  des 
Meisters  durch  die  Divina  Commedia  hervorgehoben  worden  war, 
durch  Wolfgang  Kailab  (in  den  ,, Beiträgen  zur  Kunstgeschichte, 
Franz  Wickhoff  gewidmet",  Wien  1903)  und  Ernst  Steinmann  in 
seinem  Werke  über  die  Sixtinische  Kapelle  die  Bedeutung  des  Ein- 
flusses, welchen  Dantes  Dichtung  auf  das  Jüngste  Gericht  gehabt  habe, 
näher  erörtert  worden.  Es  gilt  zu  untersuchen ,  in  wie  weit  diese 
Behauptung  begründet  ist,  und  zu  diesem  Behufe  heisst  es,  erstens 
zunächst  scharf  hervorzuheben,  welche  Elemente  in  Michelangelos 
Werk  schon  der  vorhergehenden  Kunst  zu  eigen  waren  und  daher 
unmittelbar  aus  dieser  zu  erklären  sind,  und  zweitens,  welche  Vor- 
stellungen er  dem  Studium  der  Bibel,  deren  eifriger  Leser  er  ge- 
wesen ist,  verdanken  konnte.  Erst  Das,  was  nicht  auf  diese  beiden 
Quellen  zurückzuführen  ist,  kann  als  ein  der  Anregung  durch  Dante 
Verdanktes  in  Frage  kommen.  Es  will  mich  bedünken,  als  habe 
man  die  Hauptquelle  der  Inspiration,  die  Bibel,  bisher  zu  wenig  be- 
rücksichtigt. 

I.  Die  Verwerthung  älterer  künstlerischer  Motive. 

Aus  dem  Zusammenhang  der  Erscheinungen  ergiebt  sich,  dass 
unter  den  früheren  Darstellungen  des  Gerichtes  diejenigen  von 
Giotto,  im  Camposanto  zu  Pisa,  von  Signorelli  und  auf  dem  Revers 
der  Medaille  Filippos  Strozzis  von  Bertoldo  es  waren,  die  auf  Michel- 
angelo den  stärksten  Eindruck  hervorgebracht,  in  geringerem  Grade 
die  Skulpturen  Niccolö  und  Giovanni  Pisanos,  die  Bilder  Fra  Gio- 
vannis und  das  Fresko  Fra  Bartolommeos.  Die  Beziehungen  zeigen 
sich  in  Folgendem: 

1.  Das  Gesamtschema  seinen  Grundzügen  nach:  Christus  in 
Mandorla  in  der  Höhe,  umgeben  von  Heiligen,  links  unten 
die  Seligen,  rechts  die  Verdammten  ist  das  Traditionelle.  Die 
Anordnung  der  Posaunen  blasenden  Engel  in  der  Mitte  unter 
Christus  und  des  Engels,  welche  die  Marterwerkzeuge  tragen, 
in  der  Höhe  über  ihm  links  und  rechts  geht  auf  das  Fresko 
in  Pisa  als  Vorbild  zurück. 

2.  Die  Auffassung  Christi  als  des  im  Zorn  mit  erhobener  Hand 
die  Verdammten  in  den  Abgrund  Schmetternden  ist  die  gleiche, 
wie  auf  dem  Pisaner  Gemälde. 

3.  Die  Leidenswerkzeuge:  Säule,  Kreuz,  Stab  mit  Ysopschwamm, 
Dornenkrone  hatte  Michelangelo  in  Signorellis  Deckenbild  in 
Orvieto,  welches  die  Engelgruppe  zeigt  (signa  Judicium  in- 
dicantia),  gesehen.  Auch  auf  der  Medicimedaille,  auf  welcher 
ein  Engel  mit  dem  Kreuz,  ein  anderer  mit  der  Säule  erscheint, 
also  eine  ähnliche  Gegenüberstellung  gebracht  ist. 


2  2  Das  Jüngste  Gericht 


4.  Die  Erweiterung  des  Tribunals  der  Apostel  durch  Hinzu- 
fügung von  Heiligen  war  schon  von  Fra  Giovanni  Angelico 
vorgenommen  worden. 

5.  In  Gruppen  gegliedert  erscheinen  diese  Heiligen  bereits  an 
den  Deckengewölben  der  Orvietaner  Kapelle.  Und  zwar  sind 
CS  die  Chöre  der  Patriarchen,  Propheten,  Apostel,  Kirchen- 
väter, Märtyrer  und  heiligen  Jungfrauen. 

6.  Besonders  grossartige  Darstellungen  der  die  Posaunen  blasen- 
den Engel  hatten  ausser  dem  Meister  im  Camposanto  besonders 
Giovanni  Pisano  an  der  Kanzel  in  S.  Andrea  zu  Pistoja,  deren 
starke  Wirkung  auf  Michelangelos  Phantasie  auch  in  den 
Sibyllen  nachzuweisen  ist,  und  Signorelli  in  Orvieto  gegeben. 

7.  Die  Nacktheit  der  auferweckten  Erlösten  und  Verdammten 
war  durch  Signorelli  zur  höchsten  künstlerischen  Wirkung 
gesteigert  worden. 

8.  Der  Kampf  von  Engel  und  Teufel  um  eine  Seele  ist  ein  altes 
Motiv.  Es  erscheint  an  Niccolö  Pisanos  Kanzel  in  Pisa  und 
spielt  eine  bedeutende  Rolle  in  dem  Triumph  des  Todes  im 
Camposanto. 

9.  Das  Emporsteigen  der  Auferweckten  aus  der  Erde  hatte  in 
Sonderheit  durch  Signorelli  seine  drastische  Verdeutlichung 
gewonnen. 

10.  Die  Abwehr  der  zum  Himmel  Emporstrebenden  durch  Engel 
und  ihr  durch  das  Eingreifen  von  Teufeln  beschleunigter  Sturz 
war  von  Signorelli  dargestellt  worden.  Schon  Giotto  hatte 
in  grosser  Mannigfaltigkeit  der  Motive  diesen  Sturz  (im  Feuer- 
strom) geschildert. 

11.  Das  Vorbild  der  menschlich  gebildeten,  aber  gehörnten  Teufel 
ist  gleichfalls  bei  Signorelli  zu  finden. 

12.  Ebenso  der  eine  Seele  auf  den  Schultern  tragende  Teufel. 
Das  Motiv  wird  schon  von  Niccolö  Pisano  gebracht. 

13.  Dass  die  Sünder  durch  Teufel  mit  Haken  in  die  Hölle  ge- 
zerrt werden,  finden  wir  bei  Fra  Giovanni. 

14.  Charon  in  seinem  Nachen  (aber  ohne  Ladung)  ist  von  Signo- 
relli auf  dem  einen  Schmalbilde  in  Orvieto  dargestellt  worden, 
auf  dem 

15.  auch  der  schlangenumwundene  Minos  erscheint. 

Fragen  wir  nunmehr  nach  Feststellung  dieser  Beziehungen  zur 
vorhergehenden  Kunst,  was  das  Neue  in  Michelangelos  Schöpfung 
ist,  so  zeigt  sich  dies  zunächst  und  vor  Allem,  allgemein  gefasst,  in 
der  einheitlichen  dramatischen  Konzeption  der  momentanen  Wir- 
kung des  Verdammungsurtheiles ,  das  nicht  allein  die  Sünder, 
sondern  auch  die  himmlischen  Heerschaaren ,  die  in  den  älteren 
Darstellungen  ein  feierlich  theilnahmsloses  Tribunal  gebildet  hatten, 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  23 

in  Schrecken  und  leidenschaftliche  Erregung  versetzt.  Zweitens  in 
der  Mitwirkung  der  Märtyrer  an  dem  Racheakt  und  drittens  in  der 
Vorstellung,  dass  die  Erlösten  ihren  Flug  durch  die  Lüfte  nach 
oben  nehmen  und  die  Verdammten,  die  den  Himmel  stürmen 
wollen,  von  Engeln  hinabgeschmettert  werden.  Aus  dieser  neuen 
Konzeption  ergaben  sich  nun  folgende  Erscheinungen: 

1.  Die  Eintheilung  in  drei  Zonen,  die  ganz  allgemein  an  Giottos 
Komposition  gemahnt. 

2.  Die  erregte  Bewegung  der  Heiligen. 

3.  Das  Mitwirken  der  Märtyrer  bei  dem  Urtheil. 

4.  Der  Aufflug  der  Seligen.  '  Motiv :  Emporstreben  und  Empor- 
gezogenwerden.  Ein  Engel  zieht  zwei  Gestalten,  einen  Mann 
und  eine  Frau,  am  Rosenkranz  aufwärts. 

5.  Der  Absturz  der  Verdammten.  Motiv:  Engel  schmettern  sie 
mit  den  Fäusten  hinab,  Teufel  zerren  sie,  Andere  stürzen 
sich  im  Flug  nach  unten. 

Hierzu  kommen  folgende  weitere  Neuerungen : 

6.  Die  Gliederung  der  Engel  mit  den  Leidenswerkzeugen  in  zwei 
stark  bewegte  Gruppen. 

7.  Die  bisher  beschränkte  Zahl  der  Heiligen  hat  einer  unzähligen 
Menge  Platz  gemacht. 

8.  Die  Gliederung  der  Heiligen  in  vier  (respektive)  fünf  Gruppen, 
a.  die  Christus  im  Kranz  umgebende,  die  sich  in  zwei  zer- 
legen lässt,  nämlich  in  eine  links  und  eine  rechts  von  ihm 
befindliche,  b.  die  seitliche  Gruppe  von  Frauen  links,  c.  die 
seitliche  Gruppe  von  Männern  rechts  und  unter  der  letzteren 
d.  der  Chor  der  Märtyrer.  Es  fragt  sich,  in  wie  weit  diese 
Gliederung   den  von  Signorelli  gebrachten  Chören  entspricht. 

9.  Die  Heiligen  thronen  nicht  mehr,  wie  früher,  sondern  stehen 
und  sitzen  auf  kompakten  Wolken.  Motive :  erschrecktes 
Schauen  und  Lauschen,  Gespräch,  Umarmungen.  Petrus  weist 
seinen  Schlüssel,  Bartholomäus  sein  Messer.  Eine  Frau  um- 
fängt eine  zu  ihr  sich  flüchtende  jüngere. 

10.  Die  Heiligen  sind  nackt  dargestellt,  nur  verhältnissmässig 
wenige  durch  Attribute  gekennzeichnet. 

11.  Christus  ist  bartlos,  in  einer  Bewegung  des  Sicherhebens  ge- 
geben. 

12.  Maria  schmiegt  sich,  auf  die  Erlösten  schauend,  an  seine  Seite. 

13.  Die  Engel  sind  nicht  beflügelt. 

14.  Die  Posaunen  blasenden  Engel  sind  in  grösserer  Anzahl  gegeben. 

15.  Zwei  Engel  dieser  Gruppe  halten,  der  eine  ein  kleines  Buch 
nach  der  Seite  der  Gerechten,  der  andere  ein  grosses  nach 
jener  der  Ungerechten. 


24  Das  Jüngste  Gericht 


i6.  Die  Auferstehenden  befinden  sich  zum  Theil  in  Klüften  und 
unter  Steinplatten.  Motive :  Emporsteigen  aus  der  Erde, 
Hervorkriechen,  Liegen,  Sichemporrichten,  Engel  entführen 
Teufeln  Seelen  in  die  Luft.  Einzelne  Gerippe,  einer  mit 
Todtenkopf. 

17.  Ein  stehender  älterer  bärtiger  Mann  wendet  sich  zu  einem 
eben  Erwachenden,  der  in  Leichentücher  gehüllt  ist,  und  scheint 
ihm  theilnahmsvoll  Muth  zuzusprechen. 

18.  Charons  Nachen  ist  mit  Verdammten  beladen,  die  von  ihm 
mit  einer  Keule  herausgetrieben  und  von  Teufeln  heraus- 
gezerrt werden.     Feuerschein  der  Hölle  im  Hintergrund. 

Fragen  wir  nun,  in  wie  weit  für  diese  Neuerungen  die  Bibel 
oder  die  Divina  Commedia  bestimmend  gewesen !  Als  rein  aus  der 
freischöpferischen  künstlerischen  Anschauung  des  Meisters  hervor- 
gegangen dürfen  wir  von  Vorneherein  betrachten:  die  Gliederung 
der  Engel  mit  den  Leidenswerkzeugen  in  zwei  Gruppen  (6) ,  die 
grosse  Anzahl  der  Heiligen  (7),  das  freie  Sichbewegen  der  Hei- 
ligen (9),  die  nackte  Darstellung  derselben  (10),  den  bartlosen  Typus 
Christi  (11),  die  Flügellosigkeit  der  Engel  (13),  die  grössere  Anzahl 
der  Posaunenengel  (14).  Auch  ist  es  nicht  zweifelhaft,  dass  Charon 
und  Minos  Signorelli  resp.  Dante  entnommen  sind.  Es  bleibt  also 
die  Prüfung  folgender  Momente  übrig:  das  dominirende  Grundmotiv 
des  entsetzlichen  Racheaktes,  durch  welches  das  Verhalten  der  Hei- 
ligen und  der  Maria  bestimmt  wird,  die  Mitwirkung  der  Märtyrer, 
die  Heiligenschaar  und  Kennzeichnung  Einzelner,  der  Aufflug  der 
Seligen,  der  Absturz  der  Verdammten,  das  Motiv  der  Bücher,  die 
Auferstehung  und   die  Gestalt  des  Priesters  bei  den  Auferstehenden. 

II.  Die    Inspiration    durch    die    Bibel. 

Ich  gebe  im  Folgenden  alle  wichtigen  biblischen  Stellen,  die 
vom  Jüngsten  Gerichte  handeln  oder  auf  dasselbe  bezogen  werden 
konnten,  und  fassen  für  Einzelnes  bedeutungsvolle  die  Resultate 
zum  Schluss  zusammen.  Und  zwar  wähle  ich  die  Luther'sche  Über- 
setzung, um  dem  Geist  der  Zeit  gerecht  zu  werden. 

A.  Das  Alte  Testament. 

I.  Samuelis  2,  6.  Der  Herr  tödtet  und  machet  leben- 
dig, führt  in  die  Hölle  und  wieder  heraus.  —  2,  9.  10.  Er  wird  be- 
hüten die  Füsse  seiner  Heiligen ,  aber  die  Gottlosen  müssen 
zu  nichte  werden  in  Finster niss.  Die  mit  dem  Herrn 
hadern,  müssen  zu  Grunde  gehen ;  über  ihnen  wird  er  donnern 
im  Himmel.  Der  Herr  wird  richten  der  Welt  Enden 
und  wird  Macht  geben  seinem  Könige  und  erhöhen  das  Hörn 
seines  Gesalbten. 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  25 

I.  Könige  2,  19.  Micha  sagt:  ich  sähe  den  Herrn  sitzen  auf 
seinem  Stuhl  und  alles  himmlische  Heer  neben  ihm  stehen 
zu  seiner  Rechten  und  Linken  (so  auch  II.  Chron.   18,   18). 

Hiob  19,  25.  26.  Aber  ich  weiss,  dass  mein  Erlöser  lebet; 
und  er  wird  mich  hernach  aus  der  Erde  auferwecken; 
und  werde  darnach  mit  dieser  meiner  Haut  umgeben  werden,  und 
werde  in  meinem  Fleische  Gott  sehen. 

Hiob  21,  30.  Denn  der  Böse  wird  behalten  auf  den  Tag 
des  Verderbens,  und  auf  den  Tag  des  Grimmes  bleibet  er. 

Hiob  24,  19.  Die  Hölle  nimmt  weg,  die  da  sündigen,  wie 
die  Hitze  und  Dürre  das  Schneewasser  verzehrt. 

Psalm  2,  5.  Er  wird  einst  mit  ihnen  reden  in  seinem 
Zorn  und  mit  seinem  Grimm  wird   er   sie   erschrecken. 

Psalm  9,  8.  Der  Herr  aber  bleibet  ewiglich,  er  hat  seinen 
Stuhl  bereitet  zum  Gericht. 

Psalm  10,  12.  Stehe  auf,  Herr  Gott,  erhebe  Deine 
Hand;  vergiss  der  Elenden  nicht! 

Psalm  11,6.  Er  wird  regnen  lassen  über  die  Gottlosen  Blitz, 
Feuer  und  Schwefel,  und  wird  ihnen  ein  Wetter  zum  Lohn  geben. 

Psalm  17,  7.  Beweise  Deine  wunderliche  Güte,  Du  Heiland 
Derer,  die  Dir  vertrauen,  wider  Die,  so  sich  wider  deine 
rechte  Hand  setzen. 

Psalm  18,  5.  Denn  es  umfingen  mich  des  Todes  Bande  und 
die  Böcke  Belials  erschreckten  mich.  6.  Der  Hölle  Bande  umfingen 
mich  und  des  Todes  Stricke  überwältigten  mich.  —  8.  Die  Erde 
bebete  und  ward  bewegt  und  die  Grund vesten  der 
Erde  regeten  sich  und  bebeten,  da  er  zornig  war.  9.  Dampf 
ging  auf  von  seiner  Nase  und  verzehrend  Feuer  von 
seinem  Munde,  dass  es  davon  blitzete.  —  11.  Und  er 
fuhr  auf  dem  Cherub  und  flog  daher,  er  schwebete  auf  den  Fittigen 
des  Windes.  12.  Sein  Gezelt  um  ihn  her  war  finster  und  schwarze 
dicke  Wolken,  darinnen  er  verborgen  war.     Etc. 

Psalm  30,  4.  Herr,  Du  hast  meine  Seele  aus  der  Hölle  ge- 
führt; Du  hast  mich  lebendig  behalten,  da  Die  in  die 
Hölle  fuhren. 

Psalm  40,  3.  Und  zog  mich  aus  der  grausamen 
Grube  und  aus  dem  Schlamm,  und  stellte  meine  Füsse  auf 
einen  Fels,  dass  ich  gewiss  treten  kann. 

Psalm  49,  15.  Sie  liegen  in  der  Hölle  wie  Schafe, 
der  Tod  naget  sie;  aber  die  Frommen  werden  gar  bald  über  sie 
herrschen,  und  ihr  Trotz  muss  vergehen,  in  der  Hölle  müssen  sie 
bleiben.  16.  Aber  Gott  wird  meine  Seele  erlösen  aus  der  Höllen 
Gewalt ;  denn  er  hat  mich  angenommen.     Sela, 


26  Das  Jüngste  Gericht 


Psalm  55,  i6.  Der  Tod  übereile  sie  und  müssen  lebendig 
in  die  Hölle  fahren;  denn  es  ist  eitel  Bosheit  unter  ihrem 
Herzen.  —  24.  Aber,  Gott,  Du  wirst  sie  hinunterstossen 
in  die  tiefe  Grube. 

Psalm  50,  I.  Gott,  der  Herr,  der  Mächtige  redet  und 
ruft  der  Welt  vom  Aufgang  der  Sonne  bis  zum  Niedergang. 
2.  Aus  Zion  bricht  an  der  schöne  Glanz  Gottes.  3.  Unser  Gott 
kommt  und  schweiget  nicht,  fressend  Feuer  geht  vor  ihm  her,  und 
um  ihn  her  ein  gross  Wetter.  4.  Er  ruft  Himmel  und  Erde, 
dass  er  sein  Volk  richte.  5.  Versammelt  mir  meine  Heiligen, 
die  den  Bund  mehr  achten,  denn  Opfer.  6.  Und  die  Himmel 
werden  seine  Gerechtigkeit  verkünden ;  denn  Gott  ist  Richter. 

Psalm  96,  13.  Denn  er  kommt,  denn  er  kommt  zu 
richten  das  Erdreich.  Er  wird  den  Erdboden  richten  mit 
Gerechtigkeit  und  die  Völker  mit  seiner  Wahrheit. 

Sprüche  4,  4.  Gut  hilft  nicht  am  Tage  des  Zorns,  aber 
Gerechtigkeit  errettet  vom  Tode. 

Prediger  12,  14.  Denn  Gott  wird  alle  Werke  vor  Ge- 
richt bringen,  das  verborgen  ist,  es  sei  gut  oder  böse. 

Jesajas  2,  19.  Da  wird  man  in  der  Felsen  Höhlen  gehen 
und  in  der  Erde  Klüften,  vor  der  Furcht  des  Herrn  und 
seiner  herlichen  Majestät,  wenn  er  sich  aufmachen 
wird,  zu  schrecken  die  Erde. 

Jesajas  3,  13.  Aber  der  Herr  stehet  da  zu  rechten  und  ist 
aufgetreten,  die  Völker  zu  richten.  14.  Und  der  Herr  kommt 
zum  Gericht  mit  den  Ältesten  seines  Volkes  und  mit 
seinen  Fürsten. 

Jesajas  5,  14.  Daher  hat  die  Hölle  die  Seele  weit 
aufgesperrt  und  den  Rachen  weit  aufgethan  ohne  alle 
Maassen,  dass  hinunterfahren  Beide,  ihre  Herrlichen  und  Pöbel, 
Beide,  ihre  Reichen  und  Fröhlichen. 

Jesajas  5,  25.  Darum  ist  der  Zorn  des  Herrn  er- 
grimmet über  sein  Volk  und  reckt  seine  Hand  über  sie 
und  schlägt  sie,  dass  die  Berge  beben;  und  ihr  Leichnam  ist 
wie  Koth  auf  den  Gassen.  Und  in  dem  Allen  lässt  sein  Zorn  nicht 
ab,  seine  Hand  ist  noch  ausgereckt. 

Jesajas  9,  17.  Seine  Hand  ist  noch  ausgereckt  (so 
auch  Jes.   10,  4). 

Jesajas  13,  6.  Heulet,  denn  des  Herrn  Tag  ist  nahe;  er 
kommt  wie  eine  Verwüstung  vom  Allmächtigen.  7.  Darum  werden 
alle  Hände  lassund  aller  Menschen  Herz  wird  feige  sein.  8.  Schrecken, 
Angst  und  Schmerzen  wird  sie  ankommen;  es  wird  ihnen  bange 
sein  wie  einer  Gebärerin ,  Einer  wird  sich  vor  dem  Anderen  ent- 
setzen, feuerroth  werden  ihre  Angesichter  sein.    9.  Denn  siehe,   des 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  27 


Herrn  Tag  kommt  grausam,  zornig,  grimmig,  das 
Land  zu  verstören  und  die  Sünden  daraus  zu  ver- 
tu <^en.  10.  Denn  die  Sterne  am  Himmel  und  sein  Orion  scheinen 
nicht  helle;  die  Sonne  gehet  finster  auf  und  der  Mond  scheinet 
dunkel.  11.  Ich  will  den  Erdboden  heimsuchen  um  seiner  Bosheit 
willen,  und  die  Gottlosen  um  ihrer  Untugend  willen  und  will  des 
Hochmuthes    der    Stolzen    ein   Ende    machen   und    die   Hoffart    der 

Gewaltigen  demüthigen .    13.  Dann  will  ich  den  Himmel 

bewegen,  dass  die  Erde  beben  soll  von  ihrer  Stätte 
durch  den  Grimm  des  Herrn  Zebaoth  und  durch  den 
Tag  seines  Zornes. 

Jesajas  14,  26.  Das  ist  die  ausgereckte  Hand  über 
alle  Heiden.  27.  Und  seine  Hand  ist  ausgereckt;  wer  will  sie 
wenden } 

Jesajas  22,  5.  Denn  es  ist  ein  Tag  des  Getümmels  und 
der  Zertretung  und  der  Verwirrung  vom  Herrn  Zebaoth. 

Jesajas  26,  19.  Aber  deine  Todten  werden  leben 
und  mit  dem  Leichnam  auferstehen.  Wachet  auf  und 
rühmet,  die  ihr  liegt  unter  der  Erde;  denn  dein  Thau  ist  ein 
Thau  des  grünen  Feldes. 

Jesajas  29,  18.  Denn  zur  selbigen  Zeit  werden  die  Tauben 
hören  dieWorte  desBuchs  und  dieAugen  derBlinden 
werden  aus  dem  Dunkel  und  Finsterniss  sehen. 

Jesajas  30,  27.  Siehe  des  Herrn  Name  kommt  von  ferne,  sein 
Zorn  brennet  und  ist  sehr  schwer,    seine  Lippen   sind 

voll  Grimms  und  seine  Zunge  wie  ein  verzehrend  Feuer . 

30.  Und  der  Herr  wird  seine  herrliche  Stimme  schallen  lassen, 
dass  man  sehe  seinen  ausgerecktenArmmitzornigem 
Drohen  und  mit  Flammen  des  verzehrenden  Feuers. 

Jesajas  30,  30.  Und  der  Herr  wird  seine  herrliche 
Stimme  schallen  lassen,  dass  man  sehe  seinen  ausge- 
reckten Arm  mit  zornigem  Drohen  und  mit  Flammen 
des  verzehrenden  Feuers,  mit  Strahlen,  mit  starkem  Regen  und  mit 
Hagel  (bezieht  sich  auf  Assurs  Vernichtung). 

Jesajas  35,  4.  Sehet,  euer  Gott,  der  kommt  zur  Rache; 
Gott,  der  da  vergilt,  kommt  und  wird  euch  helfen. 

Jesajas  35,  10.  Die  Erlöseten  des  Herrn  werden 
wiederkommen,  und  gen  Zion  kommen  mit  Jauchzen;  ewige 
Freude  wird  über  ihrem  Haupte  sein;  Freude  und  Wonne  werden 
sie  ergreifen,  und  Schmerz  und  Seufzen  wird  weg  müssen. 

Jesajas  63,  4.  Denn  ich  habe  einen  Tag  der  Rache  mir 
vorgenommen. 

Jesajas  66,  14.  Da  wird  man  erkennen  die  Hand  des 
Herrn    an   seinen   Knechten    und    den   Zorn    an    seinen   Feinden. 


Das  Jüngste  Gericht 


15.  Denn  siehe,  der  Herr  wird  kommen  mit  Feuer,  und  seine 
Wagen  wie  ein  Wetter,  dass  er  vergelte  im  Grimme  seines 
Zornes  und  sein  Schelten  in  Feuerflammen. 

Hesekiel  7,  8.  Nun  will  ich  bald  meinen  Grimm  über  dich 
schütten  und  meinen  Zorn  an  dir  vollenden;  und  will  dich  richten, 
wie  du  verdient  hast. 

Hesekiel  Z7 ^  i-  Und  des  Herrn  Hand  kam  über  mich  und 
führete  mich  hinaus  im  Geist  des  Herrn,  und  stellete  mich  auf  ein 
Feld,  das  voller  Gebeine  lag.  2.  Und  er  führte  mich  allenthalben 
dadurch.  Und  siehe  des  Gebeines  lag  sehr  viel  auf  dem  Felde ; 
und  siehe  sie  waren  sehr  verdorret.  3.  Und  er  sprach  zu  mir:  Du 
Menschenkind,  meinest  du  auch,  dass  diese  Beine  wieder  lebendig 
werden.?  Und  ich  sprach:  Herr,  Herr,  das  weisst  Du  wohl.  4.  Und 
er  sprach  zu  mir :  Weissage  von  diesen  Beinen  und  sprich  zu  ihnen : 
Ihr  verdorreten  Beine,  höret  des  Herren  Wort!  5.  So  spricht  der 
Herr  Herr  von  diesen  Gebeinen:  Siehe,  Ich  will  einen  Odem  in  euch 
bringen,  dass  ihr  sollt  lebendig  werden.  6.  Ich  will  euch  Adern 
geben,  und  Fleisch  lassen  über  euch  wachsen,  und 
mitHaut  überziehen;  und  will  euch  Odem  geben,  dass 
ihr  wieder  lebendig  werdet;  und  sollt  erfahren,  dass  Ich  der 
Herr  bin.  7.  Und  ich  weissagte,  wie  mir  befohlen  war ;  und  siehe, 
da  rauschte  es,  als  ich  weissagte,  und  siehe,  es  regte  sich ;  und  die 
Gebeine  kamen  wieder  zusammen,  ein  jegliches  zu  seinem  Gebeine. 
8.  Und  ich  sähe,  und  siehe,  es  wuchsen  Adern  und  Fleisch  darauf, 
und  er  überzog  sie  mit  Haut ;  es  war  aber  noch  kein  Odem  in 
ihnen.  9.  Und  er  sprach  zu  mir :  Weissage  zum  Winde ;  weissage, 
du  Menschenkind ,  und  sprich  zum  Winde :  so  spricht  der  Herr 
Herr:  Wind,  komm  herzu  aus  den  vier  Winden  und  blase  diese 
Getödteten  an,  dass  sie  wieder  lebendig  werden!  10.  Und  ich  weis- 
sagte, wie  er  mir  befohlen  hatte.  Da  kam  Odem  in  sie,  und  sie 
wurden  wieder  lebendig  und  richteten  sich  auf  ihre  Füsse.  Und 
ihrer  war  ein  sehr  gross  Heer. 

Daniel  7,  13.  Ich  sähe  in  diesem  Gesicht  des  Nachts,  und 
siehe ,  es  kam  Einer  in  des  Himmels  Wolken  wie  eines 
Menschen  Sohn  bis  zu  dem  Alten  und  ward  vor  Denselbigen 
gebracht.  14.  Der  gab  ihm  Gewalt,  Ehre  und  Reich,  dass  ihm  alle 
Völker,  Leute  und  Zungen  dienen  sollten. 

Daniel  12,  2.  Und  Viele,  so  unter  der  Erde  schlafen 
liegen,  werden  aufwachen;  Etliche  zum  ewigen  Leben,  Et- 
liche zur  ewigen  Schmach  und  Schande.  Die  Lehrer  aber  werden 
leuchten  wie  des  Himmels  Glanz ;  und  Die ,  so  Viele  zur  Gerech- 
tigkeit weisen,  wie  die  Sterne  immer  und  ewigHch.  —  —  13.  Du 
aber,  Daniel,  gehe  hin,  bis  das  Ende  komme;  und  ruhe, 
dass  du  aufstehest  in  deinem  Theil  am  Ende  der  Tage. 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  29 

Joel  I,  15.  O  wehe  des  Tages !  Denn  der  Tag  des  Herrn 
ist  nahe  und  kommt  wie  ein  Verderben  vom  Allmäch- 
tigen. 

Joel  2,  I.  Blaset  mit  den  Posaunen  zu  Zion,  rufet  auf  meinem 
heiligen  Berge ;  denn  der  Tag  des  Herrn  kommt  und  ist  nahe. 

10.  Vor  ihm  erzittert  das  Land  und  bebet  der  Himmel ;  Sonne 

und  Mond  werden  finster  und  die  Sterne  verhalten  ihren  Schein. 
II.  Denn  der  Herr  wird  seinen  Donner  vor  seinem  Heer  lassen 
hergehen:  denn  sein  Heer  ist  sehr  gross  und  mächtig, 
welches  seinen  Befehl  wird  ausrichten;  denn  der  Tag  des 
Herrn  ist  gross  und  sehr  erschrecklich:  wer  kann  ihn  leiden? 

Joel  2,4.  Der  grosse  und  schreckliche  Tag  des  Herrn. 

Joel  3,  19.  Denn  des  Herrn  Tag  ist  nahe  im  Thal  des 
Urtheils.  20.  Sonne  und  Mond  werden  verfinstert  und  die  Sterne 
werden  ihren  Schein  verhalten.  21.  Und  der  Herr  wird  aus  Zion 
brüllen  und  aus  Jerusalem  seine  Stimme  lassen  hören,  dass 
Himmel  und  Erde  beben  wird. 

Sacharja  14,  5.  Da  wird  dann  kommen  derHerr,  mein 
Gott,  und  alle  Heilige  mit  Dir.  6.  In  der  Zeit  wird  kein 
Licht  sein,  sondern  Kälte  und  Frost.  7.  Und  wird  ein  Tag  sein, 
der  dem  Herrn  bekannt  ist,  weder  Tag  noch  Nacht  u.  s.  w. 

Maleachi  4,  5.  Siehe  ich  will  euch  senden  den  Propheten 
Elia,  ehe  denn  da  komme  der  grosse  und  schreckliche 
Tag  des  Herrn. 

Weisheit  Salomonis  5,  2.  Wenn  dieselbigen  dann  solches  sehen, 
werden  sie  grausam  erschrecken  vor  solcher  Selig- 
keit, der  sie  sich  nicht  versehen  hätten.  3.  Und  werden  unter 
einander  reden  mit  Reue  und  vor  Angst  des  Geistes  seufzen :  das 
ist  Der,  welchen  wir  etwa  für  einen  Spott  hatten  und  für  ein  höhnisch 
Beispiel. 

Weisheit  5,  16.  Aber  die  Gerechten  werden  ewiglich  leben; 
und  der  Herr  ist  ihr  Lohn,  und  der  Höchste  sorget  für  sie.  17.  Dar- 
um werden  sie  empfangen  ein  herrliches  Reich  und  eine  schöne 
Krone  von  der  Hand  des  Herrn.  Denn  er  wird  sie  mit  seiner 
Rechten  beschirmen  und  mit  seinem  Arm  vertheidigen.  18.  Er 
wird  seinen  Eifer  nehmen  zum  Harnisch  und  wird  die  Kreatur 
rüsten  zur  Rache  über  die  Feinde.  19.  Er  wird  Gerechtigkeit  an- 
ziehen zum  Krebs  und  wird  das  ernste  Gesicht  aufsetzen  zum  Helm. 

20.  Er    wird    Heiligkeit    nehmen    zum    unüberwindlichen    Schilde. 

21.  Er  wird  den  strengen  Zorn  wetzen  zum  Schwert, 
und  die  Welt  wird  mit  ihm  zum  Streit  ausziehen  wider  die  Un- 
weisen. 22.  Die  Geschosse  der  Blitze  werden  gleich  zu- 
treffen und  werden  aus  den  Wolken,  als  von  einem  hartgespannten 
Bogen,  fahren  zum  Ziel. 


30  Das  Jüngste  Gericht 


Weisheit  6,  6.  Er  wird  gar  greulich  und  kurz  über  euch 
kommen  und  es  wird  gar  ein  scharf  Gericht  geben  über  die  Ober- 
herren. 7.  Denn  dem  Geringen  widerfährt  Gnade;  aber  die  Ge- 
waltigen werden  gewaltigHch  bestraft  werden. 

Sirach  18,  24.  Gedenke  an  den  Zorn,  der  am  Ende  kommen 
wird,  und  an  die  Rache,  wenn  du  davon  musst. 

Sirach  21,  2.  Fliehe  vor  der  Sünde,  wie  vor  einer 
Schlange:  denn  so  du  ihr  zu  nahe  kommst,  sticht  sie  dich. 

B.  Das  Neue  Testament. 

Matth.  7,  22.  Es  werden  Viele  zu  mir  sagen  an  jenem  Tage: 
Herr,  Herr,  haben  wir  nicht  in  Deinem  Namen  geweissaget }  Haben 
wir  nicht  in  Deinem  Namen  Teufel  ausgetrieben }  Haben  wir  nicht 
in  Deinem  Namen  viele  Thaten  gethan.?  23.  Dann  werde  ich 
ihnen  bekennen:  ich  habe  euch  noch  nie  erkannt, 
weichet  Alle  von  mir,  ihrÜbelthäter  (so  auch  Luk.  13,  27). 

Matth.  8,  II.  Aber  ich  sage  euch:  Viele  werden  kommen  vom 
Morgen  und  vom  Abend  und  mit  Abraham  und  Isaak  und 
Jakob  im  Himmelreich  sitzen.  12.  Aber  die  Kinder 
des  Reichs  werden  ausgestossen  in  die  äusserste 
P^insterniss  hinaus,  da  wird  sein  Heulen  und  Zähneklappen 
(^vgl.  Luk.  13,  28:   Abraham,  Isaak,  Jakob  und  alle  Propheten). 

Matth,  10,  15.  Wahrlich,  ich  sage  euch:  dem  Lande  der  So- 
domer  und  Gomorrer  wird  es  erträglicher  ergehen  am  Jüngsten 
Gericht,  denn  solcher  Stadt  (vgl.  Mark.  6,   11.     Luk.  10,   12). 

Matth.  II,  23.  Und  du,  Kapernaum ,  die  du  bist  erhoben  an 
den  Himmel,  du  wirst  bis  in  die  Hölle  hinuntergestossen 
werden  (so  auch  Luk.  10,   15). 

Matth.  12,  36.  Ich  sage  euch  aber,  dass  die  Menschen  müssen 
Rechenschaft  geben  am  Jüngsten  Gericht  von  einem  jeg- 
lichen unnützen  Wort,  das  sie  geredet  haben. 

Matth.  12,  41.  Die  Leute  von  Ninive  werden  auftreten 
am  Jüngsten  Gericht  mit  diesem  Geschlecht  und  werden  es  ver- 
dammen; denn  sie  thaten  Busse  nach  der  Predigt  Jonas.  Und 
siehe,  hier  ist  mehr  denn  Jonas.  42.  Die  Königin  von  Mittag 
wird  auftreten  am  Jüngsten  Gericht  mit  diesem  Geschlecht  und 
wird  es  verdammen ;  denn  sie  kam  vom  Ende  der  Erde ,  Salomos 
Weisheit  zu  hören.  Und  siehe ,  hier  ist  mehr ,  denn  Salomo  (so 
auch  Luk.  11,  31). 

Matth.  13,  37.  Des  Menschen  Sohn  ist  es,  der  da  guten  Samen 
säet.  38.  Der  Acker  ist  die  Welt.  Der  gute  Same  sind  die  Kinder 
des  Reichs.  Das  Unkraut  sind  die  Kinder  der  Bosheit.  39.  Der 
Feind,  der  sie  säet,  ist  der  Teufel.  Die  Ernte  ist  das  Ende 
der  Welt.     Die  Schnitter   sind    die  Engel.     40.  Gleichwie 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  3 1 

man  nun  das  Unkraut  ausjätet  und  mit  Feuer  verbrennt:  so  wird 
es  auch  am  Ende  dieser  Welt  gehen.  41.  Des  Menschen  Sohn 
wird  seine  Engel  senden;  und  sie  werden  sammeln  aus  seinem 
Reich  alle  Ärgernisse  und  die  da  Unrecht  thun.  42.  Und  wer- 
den sie  in  den  Feuerofen  werfen:  da  wird  sein  Heulen  und 
Zähneklappen.  43.  Dann  werden  die  Gerechten  leuchten 
wie    die    Sonne   in    ihres    Vaters   Reich. 

Matth.  13,  49.  Also  wird  es  auch  am  Ende  der  Welt  gehen. 
Die  Engel  werden  ausgehen  und  die  Bösen  von  den 
Gerechten  scheiden.  50.  Und  werden  sie  in  den  Feuerofen 
werfen,  da  wird  Heulen  und  Zähneklappen  sein. 

Matth.  16,  27.  Denn  es  wird  ja  geschehen,  dass  des  Men- 
schen Sohn  komme  in  der  Herrlichkeit  seines  Vaters, 
mit  seinen  Engeln  (so  auch  Mark.  8,  38);  und  alsdann  wird  er  einem 
Jeglichen  vergelten  nach  seinen  Werken.  28.  Wahrlich,  ich  sage 
euch :  es  stehen  Etliche  hier,  die  nicht  schmecken  werden  den  Tod, 
bis  dass  sie  des  Menschen  Sohn  kommen  sehen  in  seinem  Reich 
(dasselbe  Mark.  9,   i.     Luk.  9,  27). 

Matth.  18,  34.  Und  sein  Herr  ward  zornig  und  überantwortete 
ihn  den  Peinigern,  bis  dass  er  bezahlete  Alles,  was  er  ihm  schuldig 
war.  35.  Also  wird  euch  mein  himmlischer  Vater  auch  thun,  so 
ihr  nicht  vergebet  von  euren  Herzen,  ein  Jeghcher  seinem  Bruder 
seine  Fehler. 

Matth.  19,  28.  WahrHch,  ich  sage  euch,  dass  ihr,  die  ihr  mir 
seid  nachgefolget  in  der  Wiedergeburt,  da  des  Menschen  Sohn 
wird  sitzen  auf  dem  Stuhle  seiner  Herrlichkeit, 
werdet  ihr  auch  sitzen  auf  zwölf  Stühlen  und  richten 
die  zwölf  Geschlechter  Israels  (vgl.  das  Sitzen  zur  Rechten 
und  Linken  20,  23 ;  auch  bei  Luk.  22,  30). 

Matth.  22,  30.  In  der  Auferstehung  werden  sie  weder 
freien  noch  sich  freien  lassen ;  sondern  sie  sind  gleichwie 
die    Engel    Gottes    im   Himmel. 

Matth.  23,  19.  Denn  ich  sage  euch:  ihr  werdet  mich  von  jetzt 
an  nicht  sehen,  bis  ihr  sprechet :  Gelobet  sei,  der  da  kommt 
im  Namen  des  Herrn  (so  auch  Luk.  13,  25). 

Matth.  23,  35.  Auf  dass  über  euch  komme  alle  das 
gerechte  Blut,  das  vergossen  ist  auf  Erden,  von  dem  Blut  an 
des  gerechten  Abel  bis  auf's  Blut  Zacharias ,  Barachias  Sohn 
(vgl.  Luk.  II,  49:  Aller  Propheten  Blut). 

Matth.  24,  3 — 27.  Die  Vorereignisse  -des  Jüngsten  Gerichtes. 
27.  Denn  gleichwie  der  Blitz  aufgehet  vom  Aufgang 
und  scheinet  bis  zum  Niedergang;  also  wird  auch  sein  die 
Zukunft  des  Menschensohnes.  —  29.  Bald  aber  nach  der  Trüb- 
sal   derselbigen    Zeit   werden    Sonne    und    Mond    ihren  Schein    ver- 


32  Das  Jüngste  Gericht 


Heren,  und  die  Sterne  werden  vom  Himmel  fallen  und  die  Kräfte 
der  Himmel  werden  sich  bewegen.  30.  Und  alsdann  wird  er- 
scheinen das  Zeichen  des  Menschensohnes  im  Himmel.  Und  als- 
dann werden  heulen  alle  Geschlechter  auf  Erden,  und 
werden  sehen  kommen  des  Menschen  Sohn  in  den 
Wolken  des  Himmels,  mit  grosser  Kraft  und  Herrlich- 
keit. 31.  Und  er  wird  senden  seine  Engel  mit  hellen 
Posaunen;  und  sie  werden  sammeln  seine  Auserwählten  von  den 
vier  Winden ,  von  einem  Ende  des  Himmels  zu  dem  anderen.  — 
36.  Von  dem  Tage  aber  und  der  Stunde  weiss  Niemand,  auch  die 
Engel  nicht  im  Himmel,  sondern  allein  mein  Vater  (vgl.  Mark.  13, 
5  —  27;  Luk.  21,  8 — 28). 

Matth.  25,  30.  Und  den  unnützen  Knecht  werfet  in 
die  äusserste  Finsterniss  hinaus,  da  wird  sein  Heulen  und 
Zähneklappen. 

Matth.  25,  31.  Wenn  aber  des  Menschen  Sohn  kommen  wird 
in  seiner  Herrlichkeit,  und  alle  heilige  Engel  mit  ihm,  dann  wird 
er  sitzen  auf  dem  Stuhl  seiner  Herrlichkeit;  32.  und  werden  vor 
ihm  alle  Völker  versammlet  werden.  Und  er  wird  sie  von  ein- 
ander scheiden,  gleich  als  ein  Hirte  die  Schafe  von  den  Böcken 
scheidet;  33.  und  wird  die  Schafe  zu  seiner  Rechten  stellen  und 
die  Böcke  zu  seiner  Linken.  34.  Da  wird  dann  der  König  sagen 
zu  Denen  zu  seiner  Rechten:  kommet  her,  ihr  Gesegneten 
meines  Vaters,  ererbet  das  Reich,  das  euch  bereitet  ist 
von  Anbeginn  der  Welt.  —  —  41.  Dann  wird  er  auch  sagen  zu 
Denen  zur  Linken:  Gehet  hin  von  mir,  ihr  Verfluchten, 
in  das  ewige  Feuer,  das  bereitet  ist  dem  Teufel  und  seinen 
Engeln.  —  —  46.  Und  sie  werden  in  die  ewige  Pein  gehen,  aber 
die  Gerechten  in  das  ewige  Leben. 

Matth.  26,  64.  Doch  sage  ich  euch:  von  nun  an  wird  es  ge- 
schehen ,  dass  ihr  sehen  werdet  des  Menschen  Sohn  sitzen  zur 
Rechten  der  Kraft  und  kommen  in  den  Wolken  des  Him- 
mels (so  auch  Mark.  14,  62). 

Matth.  27,  52.  Und  die  Erde  erbebte  und  die  Felsen  zer- 
rissen und  die  Gräber  thaten  sich  auf  und  standen  auf 
viele  Leiber  der  Heiligen,  die  da  schliefen. 

Matth.  28,  18.  Mir  ist  gegeben  alle  Gewalt  im  Him- 
mel  und    auf  Erden. 

Mark.  9,  43,  44.  Und  fahrest  in  die  Hölle,  in  das 
ewige  Feuer,  da  ihr  Wurm  nicht  stirbt  und  ihr  Feuer 
nicht    verlöscht. 

Luk.  3,  17.  Und  er  wird  seine  Tenne  fegen  und  wird 
den  Weizen  in  seine  Scheuer  sammeln,  und  die  Spreu  wird 
er   mit    ewigem  Feuer   verbrennen. 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  33 

Luk.  9,  26.  Wann  er  kommen  wird  in  seiner  Herrlichkeit  und 
seines  Vaters  und  der  hl.  Engel. 

Luk.  10,  18.  Ich  sehe  wohl  den  Satanas  vom  Himmel 
fallen   als    einen    Blitz. 

Luk.  12,  8.  Wer  mich  bekennt  vor  den  Menschen,  Den  wird 
auch  des  Menschen  Sohn  bekennen  vor  den  Engeln  Gottes.  9.  Wer 
mich  aber  verleugnet  vor  den  Menschen,  Der  wird  verleugnet  werden 
vor  den  Engeln  Gottes. 

Luk.  21,  28.  Wenn  aber  Dieses  anfängt  zu  geschehen,  so 
sehet  auf  und  hebet  eure  Häupter  auf  darum,  dass  sich 
eure  Erlösung  nahet. 

Luk.  21,  35.  Denn  wie  ein  Fallstrick  wird  er  (der  Tag) 
kommen  über  Alle,  die  auf  Erden  wohnen. 

Luk.  23,  29.  Denn  siehe  es  wird  die  Zeit  kommen,  in  welcher 
man  sagen  wird :  Selig  sind  die  Unfruchtbaren  und  die  Leiber,  die 
nicht  geboren  haben  und  die  Brüste ,  die  nicht  gesäugt  haben. 
30.  Dann  werden  sie  anfangen  zu  sagen  zu  den  Bergen: 
fallet   über    uns!    und    zu    den   Hügeln:    decket    uns! 

Luk.  23,  40 — 43.     Der    gute    Schacher. 

Luk.  24,  49.  Bis  dass  ihr  angethan  werdet  mit  Kraft 
aus    der   Höhe. 

Joh.  3,  19.  Das  ist  aber  das  Gericht,  dass  das  Licht 
in  die  Welt  gekommen  ist;  und  die  Menschen  liebten  die 
Finsterniss  mehr ,  denn  das  Licht.     Denn  ihre  Werke  waren  böse. 

Joh.  3,    31.     Der    von    oben    her   kommt,    ist    über   Alle. 

Joh.  3,  36.  Wer  dem  Sohne  nicht  glaubet,  der  wird  das  Leben 
nicht  sehen,  sondern  der  Zorn  Gottes  bleibt  über  ihm. 

Joh.  5,  22.  Denn  der  Vater  richtet  Niemand,  sondern  alles 
Gericht   hat    er    dem    Sohne    gegeben. 

Joh.  5,  25.  Wahrlich,  wahrlich,  ich  sage  euch:  Es  kommt  die 
Stunde  und  ist  schon  jetzt,  dass  die  Todten  werden  die 
Stimme  des  Sohnes  Gottes  hören;  und  Die  sie  hören 
werden,  Die  werden  leben.  —  27.  (Der  Vater)  hat  ihm  Macht  ge- 
geben, auch  das  Gericht  zu  halten,  darum,  dass  er  des  Menschen 
Sohn  ist.  28.  Verwundert  euch  dess  nicht,  denn  es  kommt  die 
Stunde,  in  welcher  Alle,  die  in  den  Gräbern  sind,  werden 
seine  Stimme  hören  und  werden  hervorgehen,  die  da  Gutes 
gethan  haben,  zur  Auferstehung  des  Lebens,  die  aber  Übels  gethan 
haben,  zur  Auferstehung  des  Gerichts. 

Joh.  5,  45.  Ihr  sollt  nicht  meinen,  dass  ich  euch  vor  dem 
Vater  verklagen  werde.  Es  ist  Einer,  der  euch  verklagt, 
der  Moses,  auf  welchen  ihr  hoffet. 

Joh.  6,  39.  Das  ist  aber  der  Wille  des  Vaters,  der  mich  ge- 
sandt  hat,    dass    ich    Nichts    verliere    von    Allem,    das    er   mir    ge- 


34  Das  Jüngste  Gericht 


geben  hat,    sondern   dass  ich    es   auferwecke  am  Jüngsten 
Tage. 

Joh.  12,  48.  Wer  mich  verachtet  und  nimmt  meine  Worte 
nicht  auf,  Der  hat  schon,  der  ihn  richtet;  das  Wort,  welches  ich 
geredet  habe,  wird  ihn  richten  am  Jüngsten  Tage. 

Joh.  14,  3.  Und  ob  ich  hinginge,  euch  die  Stätte  zu  bereiten, 
will  ich  doch  wiederkommen  und  euch  zu  mir  nehmen, 
auf  dass    ihr    seid,    wo    ich    bin. 

Joh.  14,  19.  Es  ist  noch  um  ein  Kleines,  so  wird  mich  die 
Welt  nicht  mehr  sehen.  Ihr  aber  sollt  mich  sehen,  denn  ich  lebe, 
und  ihr  sollt  auch  leben. 

Joh.  15,  7.  So  ich  aber  hingehe,  will  ich  ihn  (den  Tröster)  zu 
euch  senden.  8.  Und  wenn  Derselbe  kommt,  der  wird  die 
Welt  strafen  um  die  Sünde  und  um  die  Gerechtigkeit 
und    um    das   Gericht. 

Apost.  2,  20.  —  ehe  denn  der  grosse  und  offenbar- 
liche   Tag    des    Herrn    kommt. 

Apost.  2,  27.  David  spricht:  „denn  Der  wird  meine  Seele 
nicht  in  der  Hölle  lassen,  auch  nicht  zugeben,  dass  dein 
Heiliger    die  Verwesung    sehe." 

Apost.  10,  42.  Und  er  hat  uns  geboten  zu  predigen  dem  Volk, 
und  zu  zeugen,  dass  er  ist  verordnet  von  Gott  ein  Richter 
der    Lebendigen    und    der    Todten. 

Apost.  17,  31.  Darum,  dass  er  einen  Tag  gesetzt  hat,  auf 
welchen  er  richten  will  den  Kreis  des  Erdbodens  mit  Gerechtigkeit 
durch  einen  Mann,  in  welchem  er  es  beschlossen  hat,  und  Jeder- 
mann vorhält  den  Glauben,  nachdem  er  ihn  hat  von  den  Todten 
auferweckt. 

Apost.  24,  15.  Und  habe  die  Hoffnung  zu  Gott,  auf  welche 
auch  sie  selbst  (die  Väter)  warten,  dass  zukünftig  sei  die  Auf- 
erstehung der  Todten,  beides  der  Gerechten  und  Un- 
gerechten. 

Rom.  I,  18.  Denn  Gottes  Zorn  vom  Himmel  wird  ge- 
offenbaret über  alles  gottlose  Wesen  und  Ungerechtigkeit  der 
Menschen,  die  die  Wahrheit  in  Ungerechtigkeit  aufhalten. 

Rom.  2,  5.  Du  aber  nach  deinem  verstockten  und  unbuss- 
fertigen  Herzen  häufest  dir  selbst  den  Zorn  auf  den  Tag  des 
Zornes  und  de  r  Offenbarung  des  gerechten  Gerichtes 
Gottes,  6.  welcher  geben  wird  einem  Jeglichen  nach  seinen 
Werken:  7.  Nämlich  Preis  und  Ehre  und  unvergängliches  Wesen 
Denen,  die  mit  Geduld  in  guten  Werken  trachten  nach  dem  ewigen 
Leben;  8.  aber  Denen,  die  zänkisch  sind  und  der  Wahrheit  nicht 
gehorchen,  gehorchen  aber  dem  Ungerechten,  Ungnade  und  Zorn; 
9.  Trübsal  und  Angst  über  alle  Seelen  der  Menschen,  die  da  Böses 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  35 

thun,  vornehmlich  der  Juden  und  auch  der  Griechen;  10.  Preis 
aber  und  Ehre  und  Friede  allen  Denen,  die  da  Gutes  thun,  vor- 
nehmlich den  Juden  und  auch  den  Griechen.  —  16.  Auf  den  Tag, 
da  Gott  das  Verborgene  der  Menschen  durch  Jesum  Christum 
richten  wird,  laut  meines  Evangelii. 

Rom.  4.  Über  Abraham,  der  durch  den  Glauben  gerecht- 
fertigt ward.  17.  Wie  geschrieben  stehet:  Ich  habe  dich  gesetzt 
zum  Vater  vieler  Heiden,  vor  Gott,  dem  du  geglaubet  hast,  der 
da  lebendig  macht  die  Todten  und  ruft  dem,  das  nicht  ist, 
dass  es  sei. 

Rom.  5,  14.  Wie  Adam,  welcher  ist  ein  Bild  Dess,  der  zu- 
künftig war. 

Rom.  14,  10.  Wir  werden  Alle  vor  dem  Richterstuhl  Christi 
dargestellet  werden. 

I.  Kor.  6,  2.  Wisset  ihr  nicht,  dass  die  Heiligen  die 
Welt  richten  werden.''  So  denn  nun  die  Welt  soll  von  euch 
gerichtet  werden ;  seid  ihr  denn  nicht  gut  genug,  geringere  Sachen 
zu  richten } 

I.  Kor.  15.  Das  Kapitel  über  die  Auferstehung.  21.  Sinte- 
malen durch  einen  Menschen  der  Tod  und  durch  einen  Menschen 
die  Auferstehung  der  Todten  kommt.  22.  Denn  gleichwie  sie  in 
Adam  Alle  sterben;  also  werden  sie  in  Christo  Alle  lebendig  ge- 
macht werden.  23.  Ein  Jeglicher  aber  in  seiner  Ordnung.  Der 
Erstling  Christus.  Danach,  die  Christo  angehören,  wenn  er  kommen 
wird.  24.  Danach  das  Ende ,  wenn  er  das  Reich  Gott  und  dem 
Vater  überantworten  wird,  wenn  er  aufheben  wird  alle  Herrschaft 
und  alle  Obrigkeit  und  alle  Gewalt.  25.  Er  muss  aber  herrschen, 
bis  dass  er  alle  seine  Feinde  unter  seine  Füsse  lege.  26.  Der 
letzte  Feind,  der  aufgehoben  wird,  ist  der  Tod. 

1.  Kor.  15,  35.  Möchte  aber  Jemand  sagen:  wie  werden 
die  Todten  auferstehen.'^  Und  mit  welcherlei  Leibe  werden 
sie  kommen.?'  36.  Du  Narr,  das  du  säest,  wird  nicht  lebendig,  es 
sterbe  denn  u.  s.  w.  44.  Es  wird  gesäet  ein  natürlicher  Leib  und 
wird  auferstehen  ein  geisthcher  Leib.  —  49.  Und  wie  wir  getragen 
haben  das  Bild  des  irdischen:  also  werden  wir  auch  tragen  das 
Bild  des  himmlischen.  —  51.  Siehe  ich  sage  euch  ein  Geheimniss: 
Wir  werden  nicht  Alle  entschlafen,  wir  werden  aber  Alle  verwandelt 
werden:  52  und  dasselbe  plötzlich  in  einem  Augenblick  zu  der  Zeit 
der  letzten  Posaune.  Denn  es  wird  die  Posaune  schallen  und  die 
Todten  werden  auferstehen  unverweslich  und  wir  werden  verwandelt 
werden. 

2.  Kor.  5,  10.  Denn  wir  müssen  Alle  offenbar  werden  vor 
dem  Richterstuhl  Christi,  auf  dass  ein  Jeglicher  empfange, 
nach  dem  er  gehandelt  hat  bei  Leibes  Leben,  es  sei  gut  oder  böse. 

3* 


36  Das  Jüngste  Gericht 


I.  Thess.  4,  16.  Denn  er  selbst,  derHerr,wird  mit  einem 
Feldgeschrei  und  Stimme  des  Erzengels  und  mit  der 
Posaune  Gottes  hernieder  kommen  vom  Himmel,  und  die 
Todten  in  Christo  werden  auferstehen  zuerst.  17.  Darnach  wir, 
die  wir  leben  und  überbleiben,  werden  zugleich  mit  Den- 
selbigen  hingerückt  werden  in  den  Wolken  dem  Herrn 
entgegen  in  der  Luft,  und  werden  also  bei  dem  Herrn  sein 
allezeit. 

1.  Thess.  5,  2.  Denn  ihr  selbst  wisst  gewiss,  dass  der  Tag 
des    Herrn    wird    kommen,    wie    ein  Dieb    in  der  Nacht. 

2.  Thess.  I,  7.  Euch  aber,  die  ihr  Trübsal  leidet,  Ruhe  mit 
uns,  wenn  nun  der  Herr  Jesus  wird  ge offenbart  werden 
vom  Himmel  samt  den  Engeln  seiner  Kraft;  8.  Und  mit 
Feuerflammen,  Rache  zu  üben  über  Die,  so  Gott  nicht  erkennen 
und  über  Die,  so  nicht  gehorsam  sind  dem  Evangelio  unsres  Herrn 
Jesus  Christus.  9.  Welche  werden  Pein  erleiden,  das 
ewige  Verderben  von  dem  Angesicht  des  Herrn  und 
von  seiner  herrlichen  Macht.  10.  Wenn  er  kommen  wird, 
dass  er  herrlich  erscheine  mit  seinen  Heiligen  und 
wunderbar  mit  allen  Gläubigen. 

2.  Thess.  2,  3.  Denn  er  kommt  nicht,  es  sei  denn,  dass  zuvor 
der  Abfall  komme  und  geoffenbart  werde  der  Mensch  der  Sünde 
und  das  Kind  des  Verderbens.  —  8.  Und  alsdann  wird  der  Bos- 
haftige geoffenbart  werden ,  welchen  der  Herr  umbringen 
wird  mit  dem  Geist  seines  Mundes,  und  wird  seiner  ein 
Ende  machen  durch  die  Erscheinung  seiner  Zukunft. 

1.  Petri  2,  9.  Der  Herr  weiss  die  Gottseligen  aus  der  Ver- 
suchung zu  erlösen,  die  Ungerechten  aber  zu  behalten  zum  Tage 
des  Gerichts  zu  peinigen. 

2.  Petri  3,  7.  Also  auch  der  Himmel  jetzund  und  die  Erde 
werden  durch  sein  Wort  gesparet ,  dass  sie  zum  Feuer  behalten 
werden  am  Tage  des  Gerichts  und  Verdammniss  der  gott- 
losen Menschen. 

2.  Petri  3,  10.  Es  wird  aber  des  Herrn  Tag  kommen  als  ein 
Dieb  in  der  Nacht,  in  welchem  die  Himmel  zergehen 
werden  mit  grossem  Krachen,  die  Elemente  aber  werden 
von  Hitze  zerschmelzen  und  die  Erde  und  die  Werke,  die  darinnen 
sind,  werden  verbrennen.  —  13.  Wir  warten  aber  eines  neuen 
Himmels  und  einer  neuen  Erde,  nach  seiner  Verheissung,  in  welcher 
Gerechtigkeit  wohnet. 

Ebr.  II,  17  ff.  Wird  die  Liste  der  Gläubigen  gegeben:  Abraham, 
Isaak,  Jakob,  Joseph,  Moses,  Rah  ab,  Gideon,  Barak, 
Simson,  Jephtah,  Daniel,  Samuel,  die  Propheten. 

Ebr.   12,  23.     (Ihr  seid  gekommen)  zu  der  Gemeine   der  Erst- 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  37 

geborenen,  die  im  Himmel  angeschrieben  sind,  und  zu  Gott,  dem 
Richter  über  Alle ,  und  zu  den  Geistern  der  vollkommenen 
Gerechten  und  zu  dem  Mittler  des  Neuen  Testamentes  Jesu. 

Judä  14.  Es  hat  aber  auch  von  Solchen  geweissaget  Enoch , 
der  siebente  von  Adam,  und  gesprochen:  Siehe,  der  Herr 
kommt  mit  vielen  tausend  Heiligen,  15.  Gericht  zu  halten 
über  Alle  und  zu  strafen  alle  ihre  Gottlosen,  um  alle  Werke  ihres 
gottlosen  Wandels,  damit  sie  gottlos  gewesen  sind,  und  um  all 
das  Harte,  das  die  gottlosen  Sünder  wider  ihn  geredet  haben. 

Apok.  I,  7.  Siehe,  er  kommt  mit  den  Wolken;  und  es 
werden  ihn  sehen  alle  Augen,  und  die  ihn  gestochen  haben ;  u  n  d 
werden  heulen  alle  Geschlechter  der  Erde. 

Apok.  Passim :  das  Buch  des  Lebens. 

Apok.  6,  16.  Und  sprechen  zu  den  Bergen:  fallet 
auf  uns  und  verberget  uns  vor  dem  Angesicht  Dess,  der 
auf  dem  Stuhl  sitzt,  und  vor  dem  Zorn  des  Lammes.  17.  Denn 
er  ist  gekommen  der  grosse  Tag  seines  Zornes  und  wer  kann 
bestehen } 

Apok.  8,  2.  Und  ich  sähe  sieben  Engel,  die  da  traten  vor 
Gott;  und  ihnen  wurden  sieben  Posaunen  gegeben.  —  13.  Und 
ich  sah  und  hörte  einen  Engel  fliegen  mitten  durch  den  Himmel 
und  sagen  mit  grosser  Stimme:  Wehe,  wehe,  wehe  Denen,  die  auf 
Erden  wohnen. 

Apok.  II,  13.  (Die  zween  Zeugen.)  Und  sie  höreten  eine 
grosse  Stimme  vom  Himmel  zu  ihnen  sagen :  Steiget  herauf.  Und 
sie  stiegen  auf  in  den  Himmel  in  einer  Wolke. 

Apok.  II,  18.  Und  es  ist  gekommen  Dein  Zorn  und 
die  Zeit  derTodten,  zu  richten  und  zu  geben  den  Lohn  Deinen 
Knechten,  den  Propheten  und  den  Heiligen,  und  Denen, 
die  Deinen  Namen  fürchten,  den  Kleinen  und  den  Grossen;  und  zu 
verderben,  die  die  Erde  verderbet  haben. 

Apok.  12,  7  ff.  Der  Streit  Michaels  und  seiner  Engel  mit  dem 
Drachen  (Satanas).  9.  Und  ward  geworfen  auf  die  Erde, 
und  seine  Engel  wurden  auch  dahin    geworfen. 

Apok.  14,  6.  Und  ich  sähe  einen  Engel  fliegen  mitten 
durch  den  Himmel,  der  hatte  ein  ewig  Evangelium,  zu  ver- 
kündigen Denen ,  die  auf  Erden  sitzen  und  wohnen ,  und  allen 
Heiden  und  allen  Geschlechtern  und  Sprachen  und  Völkern,  7.  und 
sprach  mit  grosser  Stimme :  Fürchtet  Gott  und  gebet  ihm  die  Ehre, 
denn  die  Zeit  seines  Gerichtes  ist  gekommen. 

Apok.  16,  14.  Und  sind  Geister  der  Teufel;  die  thun 
Zeichen  und  gehen  aus  zu  den  Königen  auf  Erden  und  auf  den 
ganzen  Kreis  der  Welt,  sie  zu  versammeln  in  den  Streit  auf 
jenen  grossen  Tag  Gottes  des  Allmächtigen. 


38  Das  Jüngste  Gericht 


Apok.  20,  4.  Und  ich  sähe  Stühle,  und  sie  setzten  sich  dar- 
auf, und  ihnen  ward  gegeben  das  Gericht. 

Apok.  20,  12,  Und  ich  sähe  die  Todten,  beide,  gross  und 
klein,  stehen  vor  Gott;  und  die  Bücher  wurden  aufgethan 
und  ein  ander  Buch  ward  aufgethan,  welches  ist  des 
Lebens.  Und  die  Todten  wurden  gerichtet  nach  der 
Schrift  in  den  Büchern,  nach  ihren  Werken.  13.  Und  das 
Meer  gab  die  Todten,  die  darinnen  waren;  und  der  Tod  und  die 
Hölle  gaben  die  Todten,  die  darinnen  waren :  und  wir  werden  ge- 
richtet werden,  ein  Jeglicher  nach  seinen  Werken.  14.  Und  der 
Tod  und  die  Hölle  wurden  geworfen  in  den  feurigen  Pfuhl.  Das 
ist  der  andere  Tod.  15.  Und  so  Jemand  nicht  ward  erfunden  ge- 
schrieben in  dem  Buch  des  Lebens,  der  ward  geworfen  in  den 
feurigen  Pfuhl. 

Selbst  bei  einem  flüchtigen  Überblick  über  diese  Stellen  wird 
es  Jedem  sofort  erkenntlich,  wie  unmittelbar  Michelangelo  sich  von 
der  Bibel  hat  inspiriren  lassen  und  wie  genau  er  alle  wichtigen  auf 
das  Jüngste  Gericht  bezüglichen  Stellen  gekannt  hat.  Erkenntlich 
aber  auch,  wie  für  seine  Konzeption  in  Sonderheit  das  Alte  Testa- 
ment maassgebend  gewesen  ist.  So  wie  er  ihn  darstellt,  hatte 
Jesajas  den  königlichen  Richter  am  Tage  des  Zornes  und  Grimmes 
und  der  Rache  erschaut  mit  dem  in  furchtbarem  Drohen  ausgereckten 
Arm:  den  Heerführer  mit  seinem  grossen  und  mächtigen  himm- 
lischen Heer  (l.  Kön.  22,  19.  Joel  2,  i.),  der  seine  starken  Engel 
zum  Kampfe  aussendet.  Es  ist  ein  Kriegszug,  der  auf  dunklen 
Wolken,  dem  Gezelte  des  Königs  (Ps.  18,  5),  unter  Donner  und 
Blitzen  furchtbar  herannaht,  von  Posaunen  und  von  Feldgeschrei 
umdröhnt,  nicht  die  Gerichtssitzung,  welche  in  den  Evangelien  und 
Episteln  jener  aus  dem  Alten  Testament  genommenen  Vorstellung 
gesellt  wird.  Michelangelo  kehrt  zu  der  Uranschauung  zurück :  das 
Gericht  als  kriegerisch  gewaltsamen  Vernichtungsakt.  Die  nicht  mit- 
kämpfenden, aber  miterlebenden  Gefolgsleute  sind  die  Altesten  seines 
Volkes  und  seine  Fürsten  (Jes.  3,  14),  sind  die  Heiligen  (Ps.  50,  5), 
alle  Heiligen  (Sach.  14,  5),  —  die  Heiligen  und  Gläubigen,  wie  es 
2.  Thess.  I,  10  heisst.  Aus  vielen  Tausenden  besteht  ihre  Zahl 
(Judae  14).  Und  sie  werden  mit  richten  (i.  Kor.  6,  2),  sie  werden 
verdamrnen  —  werden  doch  selbst  die  Leute  von  Ninive  und  die 
Königin  von  Mittag  am  Jüngsten  Gericht  auftreten  und  verdammen 
(Matth.  12,  41).  Es  war  aus  dieser  Stelle  und  aus  der  anderen 
(Matth.  23,  35):  ,,auf  dass  über  euch  komme  alle  das  gerechte 
Blut,  das  vergossen  ist  auf  Erden"  und  aus  der  Erwähnung  des 
Moses  ,,als  Verkläger"  bei  Joh.  5,  45,  dass  Michelangelo  das  Motiv 
seiner  in  die  Handlung  mit  eingreifenden  Märtyrer  gewann. 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  -in 


Auch  die  anderen  entscheidenden  Momente  der  Komposition 
aber  sind  auf  die  unmittelbare  Anregung  seitens  der  Bibel  zurück- 
zuführen. So  der  Sturz  der  Verdammten  —  ,,du  wirst  sie  hinunter- 
stossen  in  die  tiefe  Grube"  heisst  es  Ps.  55,  24,  „du  wirst  bis  in 
die  Hölle  hinunter  gestossen  werden"  bei  Matth.  8,  1 1  —  und  das 
Emporschweben  der  Erlösten:  „sie  werden  hingerückt  werden  in 
den  Wolken  dem  Herrn  entgegen  in  der  Luft"  (i.  Thess.  4,  16, 
vgl.  Apok.  II,  12:  „sie  stiegen  auf  in  den  Himmel  in  einer  Wolke"). 
Vielleicht  dass  Michelangelo  auch  ein  Hymnus  bekannt  war,  wie 
der  von  Daniel  (Thesaurus  hymnologicus  I,  S.  137,  CV)  publizirte 
,,in  exequiis  defunctorum",  in  dem  es  heisst  (17): 

Quae  pigra  cadavera  pridem 
Tumulis  putrefacta  jacebant, 
Volucres  rapientur  in  auras 
Animas  comitata  priores. 

Für  die  Schilderung  der  Auferstehung  geben,  abgesehen  von 
der  bekannten  Vision  Ezechiels  (37),  Stellen  die  Bestimmung  wie 
Ps.  40,  3 :  ,,und  zog  mich  aus  der  grausamen  Grube  und  stellte 
meine  Füsse  auf  einen  Fels",  Hiob  19,  25:  „und  er  wird  mich  her- 
nach aus  der  Erde  auferwecken  und  werde  darnach  mit  dieser 
meiner  Haut  umgeben  werden",  Jes.  26,  19:  ,,aber  deine  Todten 
Vv'erden  leben  und  mit  dem  Leichnam  auferstehen",  Ps.  18,  5  :  „die 
Erde  bebete  und  ward  bewegt  und  die  Grundvesten  der  Erde 
regeten  sich",  Jes.  2,  19:  „da  wird  man  in  der  Felsen  Höhlen 
gehen  und  in  der  Erde  Klüften",  Matth.  27,  52:  ,,  und  die  Felsen 
zerrissen  und  die  Gräber  thaten  sich  auf",  Luk.  21,  28:  „so  sehet 
auf  und  hebet  eure  Häupter  auf",  Luk.  23,  30:  „dann  werden  sie 
anfangen  zu  sagen  zu  den  Bergen:  fallet  über  uns!  und  zu  den 
Hügeln:  decket  uns!",  Joh.  5.  28:  „Alle,  die  in  den  Gräbern  sind, 
werden  seine  Stimme  hören". 

Die  Siebenzahl  der  posaunenblasenden  Engel  —  statt  der  Vier- 
zahl in  den  älteren  Darstellungen  —  entnahm  der  Künstler,  wie 
schon  Vasari  und  Condivi  bemerkten,  der  Apokalypse  (8,  2),  die 
auch  in  ihrer  an  alttestamentarische  Stellen  (Buch  der  Lebendigen, 
2.  Mos,  32,  32;  Ps.  69,  29;  Dan.  12,  i  ;  vgl.  Luk.  10,  20;  Phil.  4,  3; 
Offenb.  passim)  anschliessenden  Erwähnung  der  Bücher,  nach  denen 
gerichtet  wird,  bestimmend  für  seine  Darstellung  von  zwei  Büchern 
ward  (Offenb.  20,  12:  und  die  Bücher  wurden  aufgethan ,  und  ein 
ander  Buch  ward  aufgethan,  welches  ist  das  Buch  des  Lebens.  Und 
die  Todten  wurden  gerichtet  nach  der  Schrift  in  den  Büchern). 

Nächst  der  Bibel  kommt  als  Quelle  der  Inspiration  für  den 
Künstler  vielleicht  des  hl.  Hieronymus  Gedicht  von  den   1 5  Zeichen 


40 


Das  Jüngste  Gericht 


des  Jüngsten  Tages  (s.  hierüber  A.  Springer:  Rep.  f.  Kunstw.  VII, 
378)  in  Betracht,  in  welchem  Christus  so  zornig  geschildert  wird, 
.,dass  die  eigene  Mutter  Heber  der  Hölle  Pein  ertragen  möchte, 
als  sein  Antlitz".  In  höherem  Grade  aber  des  Thomas  a  Celano 
Hymnus  —  ein  anderer  (Daniel:  Thes.  I.,  S.  194,  CLXI)  hält  sich 
getreu  an  die  biblischen  Stellen  — ,  der  Hymnus  :  Dies  irae,  dies  illa. 


Dies  irae,  dies  illa 
Solvet  saeclum  in  favilla 
Teste  David  cum  Sibylla. 

Ouantus  tremor  est  futurus, 
Quando  judex  est  venturus, 
Cuncta  stricte  discussurus? 

Tuba  mirum  spargens  sonum 
Per  sepulcra  regionum, 
Coget  omnes  ante  tlironum. 

Mors  stupebit  et  natura, 
Cum  resurget  creatura, 
ludicanti  responsura. 

Liber  scriptus  proferetur, 
In  quo  totum  continetur, 
Unde  mundus  judicetur. 

Judex  ergo  cum  sedebit, 
Quidquid  latet,  apparebit, 
Nil  inultum  remanebit. 

Quid  sum  miser  tunc  dicturus, 
Quem  patronum  rogaturus, 
Cum  vix  justus  sit  securus  ? 

Rex  tremendae  majestatis, 
Qui  salvandos  salvas  gratis, 
Salve  me  fons  pietatis. 


Recordare,  Jesu  pie 

Quod  sum  causa  tuae  viae: 

Ne  me  perdas  illa  die. 

Quaerens  me  sedisti  lassus, 
Redemisti  crucem  passus: 
Tantus  labor  non  sit  cassus. 

Juste  judex  ultionis 
Donum  fac  remissionis 
Ante  diem  rationis. 

Ingemisco  tanquam  reus, 
Culpa  rubet  vultus  meus : 
Supplicanti  parce  Deus. 

Qui  Mariam  absolvisti. 
Et  latronem  exaudisti, 
Mihi  quoque  spem  dedisti. 

Preces  meae  non  sunt  dignae, 
Sed  tu  bonus  fac  benigne, 
Ne  perenni  cremer  igne. 

Inter  oves  locum  praesta 
Et  ab  hoedis  me  sequestra, 
Statuens  in  parte  dextra. 

Confutatis  maledictis, 
Flammis  acribus  addictis; 
Voca  me  cum  benedictis. 


Oro  supplex  et  acclinis 
Con  contritum  quasi  cinis: 
Gere  curam  neci  finis. 

Lacrimosa  dies  illa. 
Qua  resurget  ex  favilla 
ludicandus  homo  reus : 
Huic  ergo  parce  Deus ! 
Pie  Jesu  Domine 
Dona  eis  requiem.     Amen. 

III.    Die    Inspiration    durch    Dante? 

Wie  weit  nun  ist  neben  den  entscheidenden  Einflüssen  seitens 
der  Bibel,  zu  denen  sich  die  der  Hymnen  gesellen  mögen,  auch  Dante 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  41 

für  die  Gestaltung  der  Komposition  maassgebend  geworden  ?  In 
wie  weit  darf  man,  des  Dichters  allgemeine  Einwirkung  auf  den- 
Künstler,  wie  es  sich  von  selbst  versteht,  zugegeben,  direkte  An- 
lehnungen im  Einzelnen  feststellen  ?  Es  gilt,  Kailabs  und  Steinmanns 
Behauptungen  zu  prüfen. 

/.   Christus  tind  die  Heiligen. 

1.  Dass,  wie  Steinmann  will,  für  die  Auffassung  Christi  als 
des  furchtbaren  Rächers  zwei  Stellen  im  Paradiso 
(XXI,  140;  XXII,  13)  mitgewirkt,  scheint  mir  ganz  ausge- 
schlossen. Was  v/ill  die  kurze  Erwähnung  der  ,, Vendetta" 
in  ihnen  bedeuten  neben  allen  biblischen  Stellen } 

2.  Die  Anordnung  der  Heiligen  in  konzentrischen 
Kreisen.  Von  Steinmann  auf  Par.  XXXI,  i  und  2  zurück- 
geführt : 

In  forma  adunque  di  Candida  rosa 
Mi  si  mostrava  la  miüzia  santa. 

Diese  Beziehung  darf  man  allenfalls  gelten  lassen,  obgleich 
die  Anordnung  sich  aus  rein  künstlerischen  Gründen  und, 
wie  wir  sehen  werden,  aus  der  Feststellung  der  ,, Chöre"  von 
selbst  ergeben  musste. 

3.  Die  bedeutungsvolle  Gegenüberstellung  von  Adam 
und  Petrus  wird  von  Kailab  und  Steinmann  aus  Par.  XXXII, 
121  — 126  erklärt,  wo  sie  links  und  rechts  von  Maria  erscheinen. 
Die  Anlehnung  ist  wohl  denkbar. 

4.  Das  allgemeine  Schema:  zur  Rechten  Marias  die 
Heiligen  des  Alten  Bundes,  zur  Linken  die  des 
Neuen  Bundes  könnte,  wie  Kailab  bemerkt,  aus  der 
allgemeinen  Sonderung,  die  im  XXXII.  Gesänge  des  Para- 
diso angegeben  wird ,  hervorgegangen  sein.  Aber  freilich 
sehen  wir  hier  Maria  und  Johannes  d.  T.  sich  gegenüber- 
gestellt. 

5.  Das  Motiv  des  er  zur  nten  Petrus.  Kailab  lässt  Michel- 
angelo hier  inspirirt  sein  durch  Par.  XXVII,  16 — 27,  wo 
Petrus  seinen  Zorn  über  die  Verderbtheit  der  Päpste  aus- 
lässt.  Ich  halte  die  Annahme  einer  solchen  Beziehung '  für 
möglich,  nicht  aber  für  nothwendig.  Es  ist  der  Pförtner  des 
Himmels ,  der  ebenso  wie  Bartholomäus  und  die  anderen 
Märtyrer,  seine  Stimme  gegen  die  Sünder  geltend  macht. 

6.  Die  Frau,  zu  der  eine  andere  sich  flüchtet,  wird 
von  Kailab  als  Beatrice,  christliche  Theologie  (nach  Lan- 
dino),  gedeutet,  unter  deren  schützendem  Arm  Rachel,  die 
Vita  contemplativa,  sich  birgt.    Wie  Dante  an  seine  himmlische 


42  Das  Jüngste  Gericht 


Führerin  sich  wende  (Par.  XXIII,  22),  so  hier  Rachel.  Diese 
ganz  willkürliche  Deutung  muss  ich  ebenso,  wie  die  Stein- 
manns auf  Anna  und  Maria,  zurückweisen.  Näheres  darüber 
unten. 

7.  Die  zwei  Frauen  hinter  Adam  und  der  alte  Mann 
mit  Kappe  werden  von  Steinmann  Beatrice,  Rahel  und 
Bernhard  vonClairvaux  genannt.  Beatrice  weise  Bern- 
hard auf  den  unten  auferstehenden  Dante  hin  und  gebe  ihm 
die  Weisung,  Diesen  zu  geleiten,  Rahel  bekräftige  diesen  Auf- 
trag. Der  einzige  Stützpunkt  für  diese  Hypothese  ist  die 
Thatsache,  dass  bei  Dante  (Par.  XXXII,  8  und  9)  Rahel  und 
Beatrice  in  der  ,, himmlischen  Rose"  bei  einander  sitzen.  Alles 
Andere  Fiktion.  Die  angebliche  Beatrice  schaut  gar  nicht  auf 
den  sogenannten  Bernhard  und  weist  ihn  daher  auch  nicht, 
ebensowenig  wie  die  Rahel  Genannte,  auf  die  Auferstehenden 
hin.  Der  Alte  ist  in  keiner  Weise  als  Bernhard,  sondern  als 
ein  Patriarch  gekennzeichnet.  Und  endlich,  wie  später  zu 
erwähnen,  ist  der  Auferstehende  unten  nicht  Dante. 

8.  Die  zwei  Bücher  des  Gerichtes.  Steinmann  hält  für 
möglich ,  dass  Michelangelo  nicht  nur  durch  die  Stelle  der 
Apokalypse,  sondern  auch  durch  die  Verse  Par.  XIX,  113 
und  114: 

Com'  e'  vedranno  quel  volume  aperto, 
Nel  quäl  si  scrivon  tutt'  i  suoi  dispregi.!" 

bestimmt  worden  sei.  Möglich ,  aber  die  Bibelstelle  genügt 
als  Quelle  vollständig. 

2.  Die    Verdarnniten. 

9.  Der  Sturz  der  Sünder  erinnert  Kailab  und  Steinmann 
allgemein  an  den  Gigantenkampf.  Das  ist  richtig,  aber  die 
Verse  (Purg.  XII,  28 ff.),  die  den  zu  Boden  geschmetterten 
Briareus  nennen,  haben  keine  Anregung  gegeben. 

10.  Der  Höllenbrodem  dreht  und  reisst  sie  abwärts, 
so  beschreibt  Kailab  die  Bewegungen  der  Stürzenden  und  findet 
die  Beziehung  zu  Inf.  V,  31 — 33.  Hier  werden  die  Lussuriosi 
geschildert ,  die  rastlos  hierhin  und  dorthin ,  nach  oben  und 
nach  unten  vom  Winde  getrieben  werden.  Was  hat  damit 
der  Kampf  und  Sturz  der  Verdammten  bei  Michelangelo  zu 
thun  ?  Es  handelt  sich  ja  um  ganz  andere  Motive  der  Be- 
wegung. Nur  durch  einige,  nach  unten  Getriebene,  darunter 
zwei  Figuren,  die  Steinmann  Paolo  und  Francesca  da  Rimini 
nennt,  kann  man  an  Dante  erinnert  werden. 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  43 


1 1 .  Dass  die  seh  lange  numwundenenFurien  (Inf.  IX,  34 — 60) 
Einfluss  auf  Michelangelos  Gruppen  gehabt  (die  schlangen- 
umwundenen Sünder  entnahm  er  der  älteren  Kunst),  dass  er 
durch  das  Gleichniss  der  wie  Hunde  sich  auf  die  Seelen 
stürzenden  Teufel  (Inf.  XXI,  65  ff.)  angeregt  worden  sei, 
vermag  ich  nicht  einzusehen.  Ebensowenig  dass ,  wie  Stein- 
mann will,  die  Szenen  der  Umwandlung  von  Mensch  in 
Schlange  (Inf.  XXV,   5  8  ff.  75  ff.)  Motive  abgegeben  haben. 

12.  Der  Sünder  mit  dem  Kopf  zwischen  den  Beinen 
gegen  Engel  kämpfend  wird  von  Kailab  als  Illustration 
von  Inf.  VII,  HO — 114  aufgefasst.  Hier  werden  die  Jähzornigen 
im  Kampfe  mit  einander  geschildert,  wie  sie  nicht  nur  mit  den 
Händen,  sondern  mit  Kopf,  Brust  und  Füssen  sich  stossen. 
Hier,  wie  in  einigen  anderen  Figuren  der  Gruppe  des  Freskos 
könnte  man  wohl  eine  Ähnlichkeit  finden.  Aber  ergaben 
sich  solche  Motive  nicht  von  selbst  aus  der  plastischen  Phan- 
tasie des  Malers } 

13.  Der  Stürzende  mit  Schlüssel  und  Beutel  wird  von 
Kailab  und  Steinmann  als  Nikolaus  III.  gedeutet  (Inf.  XIX, 
13—87).  Das  erscheint  mir  doch  sehr  zweifelhaft.  Durch 
den  Beutel  als  Geizige  Charakterisirte  sind  typische  Figuren 
der  älteren  Höllendarstellungen.  Die  Schlüssel  brauchen  nicht 
auf  die  kirchliche  Würde ,  sondern  können  einfach  auf  den 
verschlossenen  Geldkasten  gedeutet  werden.  Bei  Dante  steckt 
der  Papst  kopfüber  im  Brunnen.  Der  Sturz  kopfüber  kann 
aus  bloss  künstlerischen  Rücksichten  dargestellt  worden  sein. 

14.  Der  von  Schlangen  umwundene  nach  unten  Ge- 
zerrte soll  nach  Kailab  frei  nach  den  Versen  Inf  XXIV,  112  ff. 
geschaffen  worden  sein.  Der  Vanni  Fucci  Pistojese,  der  hier  ge- 
schildert wird ,  gehört  zu  den  Dieben ,  die ,  von  Schlangen 
gebissen ,  verbrennen  und  dann  wieder  neu  erstehen.  Wo 
ist  hier  die  Beziehung.''  Der  Schlangenbiss  sagt  doch  Nichts: 
das  ist ,  wie  schon  erwähnt ,  ein  altes  Motiv  auf  Höllendar- 
stellungen.    Und  die  angeführte  Stelle, 

E  quäl  e  quei  che  cade,  e  non  sa  como, 
Per  forza  di  demon  ch'a  terra  il  tira, 
O  d'altra  oppilazion  che  lega  l'uono 

ist  von  Kailab  ja  ganz  missverstanden  worden ! !  Es  handelt 
sich  hier  um  einen  Epileptischen  (vom  Dämon  Besessenen), 
der  zu  Boden  stürzt  und  dann,  wieder  zum  Bewusstsein 
kommend,  in  Verwirrung  seufzt !  — 

15.  DerTeufel,  den  Sünder  auf  der  Schulter  tragend. 
Hier   kommen    wir    endlich    zu   einem  Fall,    wo    wir   eine  be- 


44  ^^s  Jüngste  Gericht 


stimmte  Analogie  haben.  So  schildert  Dante  (Inf.  XXI,  29—38) 
Malebranche,  der  den  Rathsherrn  von  Lucca  entführt.  Aber 
—  Michelangelo  illustrirte  auch  hier  offenbar  nicht  Dante, 
sondern  bildete  seine  Gruppe  der  Signorellis  nach. 

16.  Die  zwei  Gestalten  hinten  in  weissen  Kutten 
sollen  nach  Kailab  die  Heuchler  mit  Bleikappen  (Inf.  XXIII,  58 
bis  Gy)  wiedergeben.     Der  Beweis  .f" 

17.  Auch  für  die  Gestalt  des  schlangenumwundenen 
Minos  hatte  Michelangelo  ein  Vorbild  in  der  bildenden 
Kunst,  nämhch  bei  Signorelli.  Bei  Dante  umwickelt  sich 
Minos  mit  seinem  Schwänze,  im  Fresko  ist  er  von  einer 
Schlange  umringelt.  Immerhin  ist  die  allgemeine  Beziehung 
zu  Dante,  dem  auch  Belcari  in  seiner  Rappresentazione  folgt, 
hier  deutlich.  So  auch,  wie  es  schon  Vasari  und  Condivi 
aufgefallen,  bei 

18.  Charon,  der  die  Lässigen  mit  dem  Ruder  schlägt.  Auchhieraber 
war  Signorelli  Michelangelo  in  der  Entlehnung  vorangegangen. 
Und  es  ist  zu  bemerken,  dass  sich  Michelangelo  nicht  an 
Dantes  Schilderung  des  Greises  hält,  sondern  Charon  jünger 
und  bartlos  darstellt,  ja,  dass  er  ihn  zu  einem  Teufel  macht. 
Statt  Dantes  Einfluss  zu  betonen,  muss  man  vielmehr  die 
absichtlich  auffallend  andere  Charakteristik  der  Gestalt  hervor- 
heben. Als  Teufel  erinnert  dieser  Führer  der  Verdammten 
viel  mehr  an  den  Calcabrin  des  Belcari  (s.  unten). 

19.  Das  Herauszerren  der  Verdammten  aus  dem  Kahn 
mitHaken  undHarken  bringt  die  Motive  im  XXI.  Gesänge 
des  Inferno  in  Erinnerung.  Hingegen  auch  das  Heulen  und 
Jammern  der  Seelen  daraus  (V,  34 — 36;  VI,  19 — 21;  XVII, 
46  ff.)  erklären  zu  wollen,  erscheint  doch  sehr  überflüssig. 

20.  Der  den  Kopf  eines  Anderen  Bewegende  rechts 
neben  Minos.  Zuerst  Guattani,  dann  Chapon  und  Steinmann 
sahen  hier  Ugolino  und  Ruggiero  (Inf.  XXXII,  124).  Dies  ist 
nicht  denkbar,  denn  der  beissende  Kopf  ist  deutlich  der  thierische 
Kopf  eines  Teufels.  Das  Motiv  könnte  Psalm  49,  15  entnommen 
sein :    sie  liegen  in  der  Hölle  wie  Schafe,  der  Tod  naget  sie. 

j.  Die  Aiiferstehendefi  und  Emporschwebenden. 

2 1 .  In  den  zwei  vorn  liegenden  Gestalten  die  Seelen 
der  Geizigen  und  Verschwender  zu  sehen  auf  Grund 
von  Purg.  XIX,  70 — 75,  Hegt  gar  keine  Nothwendigkeit  vor. 
In  der  Dichtung  sind  es  Weinende,  die  ,,tutti  volti  in  giuso" 
am  Boden  liegen  und  ausrufen:  adhaesit  pavimento  anima 
mea  (Ps.  118,  25).  Bei  Michelangelo  sind  es  doch  mühsam 
von  der  Erde  sich  Emporhebende. 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  45 

22.  Kampf    von    Engeln    und    Teufeln    um    die    Seele. 
Hierfür    giebt    es    allerdings    in  Purg.  V,   100 — 108    eine  Ana- 


logie : 


L' Angel  di  Dio  mi  prese,  e  quel  d'inferno 
Gridava:  O  tu  dal  ciel,  perche  mi  privi? 


Aber  auch  hier  wird  nicht  Dante  der  Gebende  gewesen  sein, 
sondern  die  bildende  Kunst  (Niccolö  Pisano ,  Camposanto  in 
Pisa)  hatte  Michelangelo  vorgearbeitet. 

23.  Auffliegende  Gestalten  im  Hintergrunde.  Hier 
wird  Kailab  an  die  den  Hymnus  ,,Te  Lucis  ante"  Singende  er- 
innert (Purg.  VIII,  10 — 12),  die  gen  Osten  schaut.  Ich  sehe  hier 
nur  verwandte  Sehnsuchtsstimmung  im  Gedicht  und  im  Fresko, 
aber  keine  direkte  Beziehung. 

24.  Blinde  in  schlichtem  Bussgewand.  Hier  weist  Kailab 
auf  die  Neidischen  im  Purg.  XIII,  5  8  ff.  hin,  deren  Augen  ge- 
schlossen sind ;  sie  stehen  auf  einander  gelehnt.  Ich  halte  auch 
diese  Beziehung  auf  Dante  für  ganz  irrig.  Denn  wir  finden 
solche  Blinde  sowohl  unter  den  Auferstehenden,  als  unter  den 
Emporschwebenden  (mehrfach).  Michelangelo  drückt  offenbar 
dasselbe  aus,  was  Goethe  in  die  Worte  fasst :  ,,noch  blendet 
ihn  der  neue  Tag." 

25.  Das  am  Rosenkranz  emporgezogene  Paar.  Kailab 
meint,  dass  ]\Iichelangelo  hier  vielleicht  an  die  frommen  Ge- 
bete, durch  welche  Nella  ihren  Gatten  Forese  ins  Purgatorio 
verholfen,  gedacht  (Pur.  XXIII,  85 — 89).     Dies   wäre  denkbar. 

26.  Der  zusammengekauert  Fliegende.  Nach  Kailab 
hätte  dem  Künstler  Purg.  XIII,  100 — 102  vorgeschwebt.  Ge- 
schildert wird  einer  der  Neidischen  mit  zugenähten  Augen, 
der  nach  Blinden  Art  das  Kinn  erhob ,  eine  Antwort  er- 
wartend. Die  Bewegung  ist  in  der  Michelangelo'schen  Figur 
wohl  zu  sehen ,  sie  ist  aber  ganz  anders  motivirt :  nämlich 
durch  sehnendes  Aufwärtsstreben. 

27.  Das  Steigen  von  Wolke  zu  Wolke  in  Sehnsucht. 
Die  von  Kailab  zitirte  Stelle  (Purg.  V,  28 — 33):  ,,con  l'ali  snelle 
e  con  le  piume  del  gran  disio",  nach  kurzer  Schilderung 
mühsamer  Bergbesteigung.  Mehr  als  eine  leicht  begreifliche 
Ähnlichkeit  in  Dantes  Schilderung  und  in  Michelangelos  Dar- 
stellung ist  nicht  zu  finden. 

Man  sieht,  auf  wie  Weniges  sich  bei  näherer  Prüfung  die 
angeblich  aus  Dante  gewonnenen  Inspirationen  reduziren:  nämlich 
etwa  auf  das  allgemeine  Schema  der  Anordnung  der  Heiligen,  auf 
die  Adam  und  Petrus  zugewiesene  Stellung ,  auf  Charon ,  Minos 
und  den  die  Seele  tragenden  Teufel   (die    alle  drei  aber  schon  bei 


46  Das  Jüngste  Gericht 


Signorelli  vorkommen)  und  vielleicht  die  Idee  zur  Gruppe  der  am 
Rosenkranz  Emporgezogenen.  Statt  die  vielfache  Abhängig- 
keit der  Phantasie  Michelangelos  von  Dante  zu  ge- 
wahren, lernt  man  vielmehr  bei  einem  genauen  Vergleich  mit 
immer  wachsendem  Staunen  bei  dem  Künstler,  diesem  grossen 
Kenner  des  Dichters,  die  unbeirrbare  schöpferische 
Selbstständigkeit  bewundern ,  die  ihn  statt  zu  einem  Nach- 
folger, zu  einem  Rivalen  des  Sängers  der  Göttlichen  Komödie 
machte.  Der  Bildner,  weil  er  den  Gesetzen  seiner  Kunst  folgte, 
hielt  sich  frei  von  der  Nachahmung  des  Dichters.  Dies  hob  richtig 
schon  der  Rezensent  des  Harford'schen  Buches  in  der  Quarterly 
Review  1858  (Bd.  103,  460)  hervor:  ,,No  stronger  evidence  can  be 
given  of  the  distinctness  between  the  materials  suitable  to  Pain- 
ting  and  Poetry  than  the  instinct  with  which  Michael  Angelo 
avoided  embodying  any  ofthose  fearful  details  which  impart 
such  pitiless  reality  to  the  pages  of  Dante."  Ältere  Motive  der 
Kunst  verwerthend,  aber  zu  den  ursprünglichen  Quellen  der  In- 
spiration, den  biblischen  Schriften,  zurückkehrend,  setzte  er,  ,,a  guisa 
d'un  Dante  pittore",  wie  Lomazzo  (Idea  98)  trefflich  sagt,  an  Stelle 
des  Traditionellen  ein  gewaltiges,  ganz  ihm  eigenes  Neues. 

Hierbei  mag,  wie  es  schon  Kailab  gethan,  darauf  hingewiesen 
werden,  dass  die  furchtbare  Betonung  der  Rache,  die  der  zürnende 
Gott  nimmt,  im  Geiste  der  Savonarola'schen  Predigten  lag  und 
auch  bei  Bernardino  Ochino  sich  geltend  macht.  Auch  möchte  ich 
an  ein  volksthümliches  Drama  der  Zeit,  die  ,,Rappresentazione  del 
dl  del  giudizio"  Feo  Belcaris  erinnern.  Einiges  in  dieser  Dich- 
tung erscheint  beachtenswerth,  weil  mit  dem  Fresko  übereinstimmend 
(Feo    Belcari:    Le   Rappresentazioni ,    Florenz    1833,    S.   119 — 155)- 

Nachdem  ein  Engel  einen  Prolog  gesprochen,  erweckt  durch 
dreimaligen  Posaunenruf  der  Engel  die  Todten ,  und  Minos ,  der 
den  Teufeln  befiehlt,  bereit  zu  sein,  schickt  Einen,  den  Calcabrin 
(Dante  entlehnt),   aus,  die  Verdammten  zu  holen. 

Dunque  tu,  Calcabrin,  senza  dimoro 
Muoviti,  e  va'  lä  dove  e'  maladetti 
Dal  sommo  Padre  del  superno  coro 
Si  troveran  partiti  dagli  eletti, 
E  sia  la  guida  di  tutti  costoro 
A  qui  condurre  i  malvagi  capretti, 
De'  qua'  faremo  asprissimo  governo 
Con  varie  pene  dentro  al  fuoco  eterno. 

Hierauf  befiehlt  Christus  den  Engeln,  die  Scheidung  vor- 
zunehmen. Der  Erzengel  Michael,  der  den  Befehl  ausgeführt  hat, 
weist  nach  einer  Diskussion  einen  Heuchler  aus,  um  dann,  im  Streit 
mit    einem  Teufel ,    den  Kaiser  Trajan   zu    den    Seligen    zu    führen. 


Die  Komposition  und  ihre  Quellen  47 

Wir  hören  Zwiegespräche  zweier  Väter  mit  ihren  Söhnen ,  deren 
einer  verdammt,  der  andere  aufgenommen  wird.  Vergeblich  sucht 
Salomon  Michael  zu  Mitleid  zu  bewegen.  Es  folgt  die  Zurück- 
weisung pharisäischer  Geistlicher  durch  den  „erzürnten"  Petrus, 
gottloser  Bettler  durch  den  hl.  Franz,  betrügerischer  Kaufleute  durch 
den  hl.  Nikolaus ,  heuchlerischer  Disciplinati  durch  den  hl.  Hiero- 
nymus ,  lasziver  Frauen  durch  Magdalena.  Alle  Sünder  insgesamt 
flehen  Maria  um  ihre  Fürsprache  an;  sie  antwortet: 

El  mio  figliuol  tanto  turbato  veggio 
Verso  di  voi  che  pregar  non  lo  voglio ; 
Oggi  e  quei  di  ch'n  suo  tribunal  seggio 
Delibera  punir  vostro  rigoglio: 
Passate  e  '1  tempo :  che  mai  piü  non  chieggio 
Veruna  grazia  per  voi  com'  io  soglio, 
Perche  ne'  vostri  orechi  al  mondo  avesti 
Questo  di  de!  giudicio,  e  nol  temesti. 

Worauf  Christus  ,,mit  erzürntem  Antlitz  und  schrecklicher  Stimme" 
den  Verdammten  ihre  Sünden  vorwirft.  Die  folgende  Szene  stellt 
die  sieben  Todsünden  den  Tugenden  gegenüber.  In  Wechsel- 
gesprächen treten  auf  der  Hochmüthige  und  der  Demüthige ,  der 
Neidische  und  der  Barmherzige,  der  Zornige  und  der  Sanftmüthige, 
der  Träge  und  der  zum  Guten  Eifrige,  der  Geizige  und  der  Wohl- 
thätige ,  der  Schlemmer  und  der  Enthaltsame ,  der  Wollüstige  und 
der  Keusche.  Ein  Engel  gebietet  San  Bernardino,  diesen  Sündern 
ihre  Laster  vorzuhalten.  Zum  Schluss  ruft  Christus  die  Gesegneten 
mit  den  Worten  der  Bibel  zu  sich  und  sendet  die  Gottlosen  in 
das  ewige  Feuer.     Calcabrin  bringt  die  letzteren  zu  Minos : 

Ecco,  o  Minos,  el  maledetto  seme 
Che  vinto  dalle  nostre  tentazioni 
Vengono  a  star  dove  sempre  si  geme 
In  pianti,  martir,  duoli  e  passioni ; 
E  noi  con  loro  abiteremo  insieme: 
Ouesti  trovammo  spartiti  da'  buoni, 
Giudica  tu  il  luogo  ov'  hanno  a  stare 
Secondo  le  cagion  de!  lor  peccare. 

Minos  übergiebt  sie  den  Dämonen,  die  jedem  der  durch  Todsünden 
Schuldigen  seinen  Platz  verkündigen ,  worauf  der  Engel  mit  einem 
Epilog  die  Zuschauer  entlässt. 

Eine  direkte  Beeinflussung  Michelangelos  durch  das  Gedicht 
anzunehmen  ist  nicht  geboten,  wohl  aber,  die  Analogieen  mit  dem 
Gemälde  hervorzuheben : 

1.  Die  Stellung,  die  Belcari,  an  Dante  anknüpfend,  dem  Minos 
ertheilt  hat. 

2.  Dessen  Auftrag  an  Calcabrin. 


48  Das  Jüngste  Gericht 


3.  Die  Schilderung  der,    in  Furcht   vor  Christus  beben- 
den   Maria. 

4.  Die  Personifikation  der  sieben  Todsünden. 

Der  Kuriosität  halber  möge  schliesslich  das  Phantasiebild,  das 
sich  Pietro  Aretino  von  dem  Jüngsten  Gerichte  machte  und  das  er  in 
einem  Briefe  am  15.  Dezember  1537  dem  mit  seinem  Werke  be- 
schäftigten Meister  entwarf,  Platz  finden  (Bottari,  Mailand  1822,  III, 
S.  86.     Steinmann:  Rep.  für  Kunstw.  XXIX,  S.  425): 

,,Ich  sehe  in  Mitten  der  Schaaren  den  Antichrist  in  einer  Er- 
scheinung, wie  nur  Ihr  sie  erdenken  könnt.  Ich  sehe  den  Schrecken 
auf  den  Stirnen  der  Lebendigen ;  ich  sehe  die  Zeichen ,  welche 
Sonne,  Mond  und  Sterne  durch  ihre  Verdunklung  geben;  ich  sehe 
Feuer,  Luft,  Wasser  und  Erde  gleichsam  ihren  Geist  aushauchen; 
ich  sehe  seitwärts  die  Natur,  in  die  Unfruchtbarkeit  des  Greisen- 
alters verfallen;  ich  sehe  eingefallen  und  zitternd  die  Zeit,  die,  zu 
ihrem  Ende  gelangt,  auf  einem  dürren  Baumstumpf  sitzt:  und  in- 
dessen ich  vernehme,  wie  die  Posaunen  der  Engel  in  jeglichem 
Busen  das  Herz  erschüttern,  sehe  ich  Leben  und  Tod  von  Schrecken 
und  Verwirrung  überwältigt,  denn  jenes  müht  sich  ab,  die  Todten 
wieder  aufzurichten ,  und  dieser  ist  darauf  bedacht ,  die  Lebenden 
niederzuwerfen;  ich  sehe  die  Hoffnung  und  die  Verzweiflung, 
welche  die  Schaaren  der  Guten  und  die  Schwärme  der  Bösen 
führen ;  ich  sehe  den  Schauplatz  der  Wolken,  die  von  den  aus  den 
reinen  Feuern  des  Himmels  ausgehenden  Strahlen  gefärbt  werden, 
und  auf  ihnen  inmitten  seiner  Heerschaaren ,  von  Glanz  und 
Schrecken  umgeben,  Christus;  ich  sehe  sein  Antlitz  widerleuchten, 
wie  er  Flammen,  theils  heiteren,  theils  schrecklichen  Lichtes 
sprühend,  die  Gutgeborenen  mit  Freudigkeit,  die  Schlechtgeborenen 
mit  Furcht  erfüllt.  Und  ich  sehe  zugleich  die  Diener  des  Ab- 
grundes ,  die ,  schaurig  zu  sehen ,  zum  Ruhme  der  Märtyrer  und 
der  Heiligen  Cäsar  und  die  Alexanders  verhöhnen,  denn  ein  Anderes 
ist  es ,  sich  selbst ,  als  die  Welt  zu  besiegen ;  ich  sehe  den  Ruhm 
mit  seinen  Kränzen  und  Palmen  unter  den  Füssen  niedergeschmettert 
unter  die  Räder  seiner  Wagen ;  und  endlich  sehe  ich  aus  dem 
Munde  des  Gottessohnes  den  grossen  Richterspruch  hervorgehen, 
in  Form  von  zwei  Pfeilen ,  einen  des  Heiles  und  den  anderen  der 
Verdammniss ,  und  wie  ich  sie  niederfahren  sehe ,  fühle  ich  seinen 
Zorn  auf  den  Bau  der  Elemente  stossen,  und  unter  fürchterlichem 
Donner  ihn  zerstören  und  in  Nichts  auflösen ;  ich  sehe  die  Lichter 
des  Paradieses  und  die  Öfen  der  Hölle,  welche  das  auf  des  Äthers 
Antlitz  gesunkene  Dunkel  durchbrechen  —  und  der  Gedanke,  der 
mir  das  Bild  von  dem  Verderben  des  Jüngsten  Tages  vorführt, 
sagt  mir:    zittert  man  in  Furcht  so  beim  Anblick  des  Werkes  des 


Deutung  einzelner  Figuren  49 

Buonarroti,  in  welcher  Furcht  wird  man  zittern,  wenn  wir  uns  von 
Dem  gerichtet  sehen,  der  uns  richten  soll?" 

Mit  welcher  Verbindlichkeit  Michelangelo  diese  ausschweifen- 
den Phantasieen  des  geschwätzigen  Mannes  beantwortet,  habe  ich 
im  ersten  Bande  meines  ,, Michelangelo"  (S.  93)  mitgetheilt. 


V 

Deutung  einzelner  Figuren 

Nur  wenige  Gestalten  sind  von  Vasari  (schon  in  der  I.  Auflage) 
benannt.  Er  sagt,  Christus  sei  von  Aposteln  und  Propheten  um- 
geben, und  hebt  Adam,  Petrus,  Bartholomäus  und  Lorenzo  hervor. 
Die  Gruppe  der  stürzenden  Verdammten  bezeichnet  er  als  die  der 
sieben  Todsünden,  die  als  Teufel  dargestellt  seien  (von  ihnen  führt 
er  an  die  Invidiosi,  Superbi,  Avari  und  Lussuriosi)  und  nennt  Charon. 
Condivi  erwähnt  von  den  Christus  Umgebenden  Johannes  den  Täufer 
(doppo  Maria) ,  die  zwölf  Apostel  und  ,,i  santi  e  sante  de  Iddio". 
Unter  ihnen  die  Märtyrer:  Andreas,  Bartholomäus,  Lorenzo,  Se- 
bastian, Biagio  und  Katharina.  Spricht  er  auch  nicht  direkt  von 
den  sieben  Todsünden,  so  sagt  er  doch,  dass  die  Sünder  von  den 
Teufeln  nach  unten  gezogen  werden,  ein  jeder  an  dem  Körpertheil, 
mit  dem  er  sündigte :  1  superbi  per  i  capegli ,  i  lussuriosi  per  le 
parti  vergognose.  Er  nennt  Charon  und  Minos  und  bemerkt,  die 
Auferstehung  sei  dargestellt,  wie  Ezechiel  sie  geschildert. 

Von  den  neueren  Schriftstellern  haben  nur  Wenige  den  Versuch 
gemacht,  ausser  jenen  von  Vasari  und  Condivi  bezeichneten,  leicht 
zu  benennenden  Figuren  andere  mit  einem  Namen  zu  versehen. 
Nur  L.  L.  Chapon,  der  Stecher  des  Werkes,  hat  in  seiner  Schrift: 
Le  jugement  dernier  de  M.  Ange  (Paris  1892)  auf  Grund  von  Mit- 
theilungen des  Abbe  Rouvier  eine  ausführliche  Deutung  gegeben. 
Nach  ihm  haben  wir  in  der  Gruppe  links  zunächst  Christus:  die 
Vorfahren  und  Typen  Christi,  in  jener  rechts:  Johannes,  Apostel 
und  Märtyrer  zu  gewahren.  Die  Versammlung  ganz  links  stelle 
das  heidnische  Alterthum  (darunter  alle  Sibyllen) ,  diejenige  ganz 
rechts  das  jüdische  (Patriarchen,  Moses,  Daniel,  unten  die  ersten 
Bekehrten :  guter  Schacher  und  Magdalena)  dar.  Des  Weiteren  be- 
nennt er  dann  die  einzelnen  Figuren  in  jeder  Gruppe : 

I.  Gruppe  links  von  Christus:  Adam,  neben  ihm  Abel.  Da- 
hinter Noah,  Abraham,  Isaak.  Darüber  Rahel  und  Lea. 
Dann  die  Richter :  Gideon  und  seine  Söhne,  Simson,  Samuel, 
Judith ,  Melchisedek.  Dann  eine  Menge  von  Erwählten ,  in 
der  Ferne  die  drei  Könige ,  Saloraon  und  seine  Frau  (mit 
Diadem). 
I*  4 


50  Das  Jüngste  Gericht 


2.  Gruppe  rechts  von  Christus:  Petrus,  Stephanus,  Johannes  d.T., 
EHsabeth  ,  Matthäus ,  Simon ,  Anna ,  Paulus ,  Lukas ,  Markus, 
Johannes  Ev.,  Bartholomäus,  Martha,  Laurentius,  Andreas. 

3.  Gruppen  ganz  links:  Eva  mit  einer  ihrer  Töchter,  Persische, 
Erythräische,  Delphische,  Libische,  Kumäische  Sibylle,  Hagar 
und  Ismael,  die  Tochter  Pharaos,  Mutter  und  Schwester  des 
Moses.  Hinten:  Äakus,  Minos,  Rhadamantys  und  Virgil,  der 
das  Echo  der  ersten  Offenbarung  hört. 

4.  Gruppen  ganz  rechts:  Jakob,  Esau,  Benjamin,  Kaleb,  Josua, 
Moses,  Hiob,  Tobias,  David,  Mutter  der  Makkabäer,  Magda- 
lena, Veronika,  Simon  von  Kyrene,  Joseph  von  Arimathia.  — 
Darunter  die  Märtyrer. 

Es  fragt  sich  nun  vor  Allem ,  in  wie  weit  der  Versuch  einer 
solchen  Einzelbenennung  berechtigt  ist.  Hat  Michelangelo  selbst 
bei  jeder  einzelnen  Figur  an  eine  bestimmte  Persönlichkeit  gedacht.?' 
Daran,  dass  er  den  einzelnen  Gruppen  einen  besonderen  Charakter 
verlieh ,  dass  er ,  wie  ich  meine ,  an  die  traditionellen  „Chöre" 
der  Heiligen  anknüpfte ,  ist  nicht  einen  Augenblick  zu  zweifeln. 
Aber  auch  daran  nicht,  dass  er  bei  den  hauptsächlicheren  Gestalten 
seine  Gedanken  gehabt  haben  muss.  Denn  so  sehr  ihn  auch  die 
formalen  Motive  beschäftigten  und  für  die  Anordnung  und  die  Be- 
wegungen maassgebend  waren  —  er  hatte  die  Gesellschaft  der 
„Alleheiligen"  zu  schildern,  und  dies  war  ohne  unmittelbar  sich  ein- 
stellende Vorstellungen  bestimmter  Persönlichkeiten  nicht  denkbar. 
Aber  gilt  dies  ohne  Ausnahme  für  jede  Figur.?  Dazu  war  Michel- 
angelo doch  ein  zu  sehr  auf  die  Darstellung  des  allgemein  Mensch- 
lichen bedachter  Künstler  und,  da  er  als  solcher  die  Kennzeichnung 
durch  Attribute  und  Trachten  möglichst  vermieden  hat,  erhebt  er 
selbst  dort,  wo  er  an  historische  Einzelerscheinungen  gedacht,  das 
Individuelle  zu  Typischem.  Hierdurch  wird  zumeist  der  Nachweis  der 
Individualitäten  sehr  erschwert  oder  unmöglich  gemacht.  Rouvier 
und  Chapon  sind  zu  weit  gegangen,  und  wir  müssen  uns  hüten, 
ihnen  zu  folgen ,  aber  wenn  wir  bemüht  sind ,  Michelangelos  Ge- 
danken und  Intentionen  uns  möglichst  klar  zu  machen,  ergiebt  sich 
doch  unbestreitbar  das  Eine ,  dass  der  Künstler  bei  den  meisten 
Figuren  biblische  Charaktere  im  Auge  gehabt ! 


Die  Gruppenbildung 

In  fünf  Gruppen  hat  Michelangelo  Alle  Heiligen  angeordnet. 
Wenn  man  will,  kann  man  zwei  Gruppen,  nämlich  die  äussersten 
links  und  rechts,  jede  noch  einmal  theilen,.  in  welchem  Falle  wir 
also  sieben  Gruppen  anzunehmen  hätten.    Nach  mittelalterhch  kirch- 


Deutung  einzelner  Figuren  51 


lieber  Anschauung  werden  nun  folgende  Chöre  unterschieden: 
Patriarchen,  Propheten,  Apostel,  Confessores,  Märtyrer,  Mönche  und 
Jungfrauen.  Man  vergleiche  die  kurze  Zusammenfassung  in  Hymnen 
,,de  Omnibus  sanctis"  : 

Jesu  salvator  saeculi,  Baptista  Christi  praevius 

Redemptis  ope  subveni,  Et  clavige  aethereus 

Et  pia  Dei  genitrix  Cum  ceteris  apostolis 

Salutem  posce  miseris.  Nos  solvant  nexu  criminis. 

Coetus  omnes  angelici,  Chorus  sacratus  martyrum 

Patriarcharum  cunei,  Confessio  sacerdotum 

Et  Prophetarum  merita  Et  virginalis  castitas 

Nobis  precentur  veniam.  Nos  a  peccatis  abluant. 

Monachorum  suffragia 
Omnesque  cives  coelici, 
Annuant  votis  supplicum 
Et  vitae  poscant  praemium. 

(Daniel:  Thesaurus  hymnologicus  I,  297. 
Im  Breviarium  Romanum.) 
Oder: 

Christe  redemptor  omnium,  Vates  aeterni  judicis 

Conserva  tuos  famulos,  Apostolique  domini, 

Beatae  semper  virginis  Suppliciter  exposcimus 

Placatus  sanctis  precibus.  Salvari  vestris  precibus. 

Beata  quoque  agmina  Martyres  Dei  inclyti 

Coelestium  spirituum,  Confessoresque  lucidi, 

Praeterita,  praesentia  Vestris  orationibus 

Futura  mala  pellite.  Nos  ferte  in  coelestibus. 

Chorus  sanctarum  virginum 
Monachorumque  omnium, 
Simul  cum  sanctis  omnibus 
Consortes  Christi  facit. 

(Ebenda  I,  256.     Im  Breviarium  Romanum.) 

Auch  in  einem  dritten  Hymnus  (ebenda  II,  26),  wo  noch  die 
,,Viduae  sanctae"  hinzugefügt  werden. 

Die  Michelangelo  bekannte  Darstellung  in  der  Capella  Brizio 
zu  Orvieto  zeigt  sechs  Chöre:  die  Patriarchen,  Propheten,  Apostel, 
Kirchenväter,  Märtyrer  und  Jungfrauen.  Hier  sind  die  Mönche  den 
Kirchenvätern  (Confessores)  gesellt.  Dass  diese  Eintheilung  in  Chöre 
auch  in  Michelangelos  Fresko  vorliegt,  ist  unmittelbar  ersichtlich: 
der  Chor  der  Märtyrer  (martyrum  candidatus  exercitus,  wie  es  in 
Orvieto  heisst)  ist  deutlich  gekennzeichnet.  Sehen  wir  nun  in  der 
Gruppe  rechts  von  Christus  als  Hauptfigur  Petrus,  unten  Bartholo- 
mäus ,  so  dürfen  wir  wohl  annehmen ,  dass  hier  die  Apostel  ver- 
einigt seien,  und  ebenso,  wenn  wir  den  schon  von  Vasari  bezeich- 
neten Adam  und  die  Besonderheit  der  Trachten  links  von  Christus 


52  Das  Jüngste  Gericht 


gewahren,  werden  wir  auf  die  Ansicht,  hier  handle  es  sich  um 
die  Patriarchen  (nobilis  patriarcharum  coetus),  geführt.  Es  bleiben 
die  Propheten,  Confessores  (und  Mönche)  und  Jungfrauen  zu  suchen. 
Wenden  wir  zunächst  den  Blick  auf  die  Schaar  von  Gestalten  ganz 
rechts ,  so  sehen  wir  bei  näherer  Betrachtung ,  dass  ein  Unter- 
schied zwischen  den  hinteren  Figuren  und  der  vorderen  Gruppe  zu 
machen  ist.  Nicht  allein  der  Greis,  der  am  meisten  von  den  hinteren 
vortritt,  ist  als  Blinder  geschildert,  sondern  die  Blindheit  fällt  bei 
noch  mehreren  anderen ,  ebenso  wie  öfters  ein  gewisses  wildes 
Wesen,  auf.  Mir  scheint  die  Annahme,  dass  hier  die  noch  im 
Dunkel  wandelnden  Propheten  gemeint  seien,  unzweifelhaft  zu  werden, 
wenn  wir  ganz  rechts,  durch  den  mächtigen  Bart  deutlich  gekenn- 
zeichnet, Moses  finden.  Ungezwungen  aber  ergiebt  sich  dann  für 
die  vorderen,  freier  sich  Bewegenden  und  Schauenden  der  Name: 
Confessores. 

Und  nun  erklärt  sich  auch  die  Frauenschaar  ganz  links.  Die 
obere  Gruppe  von  Gestalten,  durch  phantastische  Trachten  und 
Typen  ausgestattet,  erschien  mir  nie  zweifelhaft:  es  können  nur 
die  Sibyllen  dargestellt  sein,  die  also  den  Propheten  auf  der  anderen 
Seite  entsprechen.  Vor  ihnen  aber  haben  wir  dann  die  Versamm- 
lung der  christlichen  ,,Virgines"  zu  erkennen. 

Eine  höchst  geistreiche  neue  Gestaltung  des  alten  Gedankens 
also  ist  es,  die  uns  so  vor  Augen  tritt,  hervorgegangen  aus  der 
Durchdringung  von  künstlerischen  Nothwendigkeiten,  die  in  sym- 
metrischen Bezügen  gegeben  waren ,  mit  sinnvollen  Deutungen. 
Christus  unmittelbar  umgeben  von  den  Patriarchen  links  und  den 
Aposteln  rechts.  Links  die  Schaar  der  Virgines ,  in  vorchristliche 
(Sibyllen)  und  nachchristUche  (Heilige),  rechts  die  Confessores,  in 
Propheten  und  christliche  geschieden.  Dazu  die  Märtyrer!  Man 
begreift  nun,  wie  Michelangelo,  die  Idee  der  Chöre  dem  himmlischen 
Heer  zu  Grunde  legend  und  genöthigt,  auch  die  Märtyrer  in  eine 
Gruppe  zusammenzufassen ,  Diesen  einen  direkten  Antheil  an  der 
Handlung  zuzuweisen  sich  gedrungen  sah. 

Gehen  wir  mit  so  gewonnener  allgemeiner  Anschauung  zum 
Einzelnen  über,  so  dürfte  manche  Bestimmung  für  die  Persönlich- 
keiten gewonnen,  zugleich  aber  durch  diese  wiederum  unsere  Auf- 
fassung der  Chöre  vollauf  gerechtfertigt  werden. 

2 

Die  einzelnen  Gestalten 

A.  Die  obere  Zoiie. 

Ich  erinnere  an  das  oben  Gesagte,  dass,  nach  der  Bonnat'schen 
Zeichnung  in  Bayonne   zu  schliessen,  Michelangelo   zuerst  sich   an 


Deutung  einzelner  Figuren  53 

die  Tradition  hielt,  indem  er  die  Apostel  im  Kreise  um  Christus, 
und  zwar  in  sitzender  Stellung  anordnete  und  erst  im  Hintergrunde 
andere  Gestalten  brachte. 

I.  Der   Chor    der    Patriarchen. 

Zwei  biblische  Stellen  haben  wir  zunächst  zu  berücksichtigen: 
„Da  wird  sein  Heulen  und  Zähneklappen,  wenn  ihr  sehen  werdet 
Abraham  und  Isaak  und  Jakob  (vgl.  auch  Matth.  8,  11: 
Abraham,  Isaak  und  Jakob  im  Himmelreich),  und  alle  Propheten 
im  Reich  Gottes,  euch  aber  hinausgestossen"  (Luk.  13,  28),  und 
das  elfte  Ebräerkapitel,  welches  die  ,,ohne  Verheissung  Gläubigen" 
des  Alten  Bundes,  denen  ,,Gott  eine  Stadt  zubereitet  hat  und  welche 
die  Auferstehung  erlangen",  aufzählt:  Abel,  Enoch,  der  den 
Tod  nicht  sah,  Noah,  Abraham,  Sarah,  Isaak,  Jakob, 
Joseph,  Moses,  Rahab,  Gideon,  Barak,  Simson,  Jephtah, 
David,  Samuel  und  die  Propheten.  In  Gedanken  dürfen 
wir  die  von  Dante  im  Paradiso  gefeierten  Lea  und  Rahel,  die  beide 
das  Haus  Israel  gebaut  haben  (Ruth  4,  11)  und  Andere  hinzufügen, 

Bemerkenswerth  —  um  nur  das  Wichtigste  hervorzuheben  — 
ist  weiter  Dantes  Aufzählung  der  von  Christus  aus  dem  Limbus 
Befreiten  und  Seliggemachten :  Adam,  Abel,  Noah,  Abraham, 
Isaak,  Jakob,  Moses,  David,  Rahel  (Inf.  IV,  5  5  ff.),  zu  denen 
wir  den  auf  mittelalterlichen  Darstellungen  der  Szene  immer  ge- 
brachten guten  Schacher  gesellen  müssen.  Die  dreizehn,  von 
Signorelli  gemalten  Patriarchen  haben  leider  keine  namentliche  Be- 
zeichnung. 

Mit  Bestimmtheit  ist  in  der  Gestalt  in  der  Mitte  vorne  mit 
ihrem  im  Rücken  herabfallenden  Felle  Adam  (Platner  meinte: 
Johannes  d.  T.)  zu  erkennen,  ,, welcher  ist  ein  Bild  Dess,  der  zu- 
künftig war".  „Wie  nur  durch  Eines  Sünde  die  Verdammniss  über 
alle  Menschen  gekommen  ist:  also  ist  auch  durch  Eines  Gerechtig- 
keit die  Rechtfertigung  des  Lebens  über  alle  Menschen  gekommen" 
(Rom.  5,  14.  18).  Die  jugendliche,  nach  vorne  schreitende,  Adam 
am  Arm  fassende  Figur,  wird  zumeist  Eva  genannt.  Trotz  der 
eigenthümlichen  Haartracht  vermag  ich  aber  hier  nicht  eine  Frau 
zu  erkennen  —  man  vergleiche  den  Oberkörper  mit  dem  der  Frauen 
daneben!  —  sondern  einen  Jüngling,  und  die  nahe  Beziehung  zu 
Adam  weist  darauf  hin,  dass,  wie  auch  Chapon  bemerkt,  Abel 
gemeint  sei.  Abel,  der,  als  erstes  Opfer  frevler  Sündenthat,  hier 
durchaus  an  der  Stelle  erscheint.  Der  bärtige  hinter  Adam  liegende 
Mann  dürfte  Noah  sein,  der  „ererbet  hat  die  Gerechtigkeit,  die 
durch  den  Glauben  kommt"  (Ebr.  11,  7)  oder  Henoch,  von  dem  es 
heisst  (i.  Mos.  5,  24):  ,,dieweil  er  ein  göttlich  Leben  führte,  nahm 
ihn  Gott  hinweg,  und  ward  nicht  mehr  gesehen."    Oder  ist  Henoch 


54  Das  Jüngste  Gericht 


in  der  wenig  sichtbaren  Figur  links  unten  neben  Abel  dargestellt? 
Der  bärtige  Mann,  der  hinten  zwischen  Adam  und  Abel  erscheint, 
mit  einer  Kappe  auf  dem  Kopf,  kann ,  da  wir  eine  historische 
Reihenfolge  in  dem  Aufbau  der  Gestalten  nach  hinten  finden, 
Niemand  Anderes  als  Abraham  sein.  Die  Deutung  auf  Bernhard 
von  Clairvaux  durch  Steinmann  ist  ganz  willkürlich,  und  auch  die- 
jenige Kallabs,  der  von  Moses  spricht,  ausgeschlossen,  da  wir  Moses 
an  einer  anderen  Stelle  finden.  Neben  Abraham  wird  links  der 
Kopf  Sarahs  sichtbar.  Die  zwei  Frauen  darüber,  die  eine  Gruppe 
für  sich  bilden  und  sich  umschlingen,  können  nur  als  Lea  und 
Rahel  aufgefasst  werden,  und  zwar  muss  die  mit  nackten  Armen, 
welche  Abraham  auf  Adam  hinweist,  Lea  (vita  activa),  die  andere, 
welche  feierlich  wie  lehrend  die  Hand  erhebt,  Rahel  sein.  Es  folgt 
weiter  hinten  eine  Gruppe  von  fünf  jugendUchen  Männern  (nicht 
Frauen,  wie  Kailab  sagt),  unter  denen  zwei  besonders  hervortreten. 
Die  vordere  unmittelbar  über  Lea  dürfte  Jakob,  die  hintere 
Joseph  sein.  Oder  soll  man  sie  Isaak  und  Jakob  nennen.?  Hier 
wird  die  Bestimmung  unsicher.  In  den  anderen  Jünglingen  könnte 
man  Esau,  Benjamin,  respektive  auch  Joseph  voraussetzen,  in  der 
Frau  rechts  neben  Joseph  R  a  h  a  b  ?  in  dem  Alten  mit  dem  priester- 
lichen Kopftuch  hinter  ihr  Aaron.? 

Die  hintersten  Figuren,  wieder  theil weise  durch  geschlossene 
Augen  als  Vertreter  des  Alten  Bundes  gekennzeichnet,  fliegen  über 
Christus  hinweg  nach  der  Apostelseite  rechts.  Da  der  Künstler 
nicht  alle  alttestamentarischen  Gestalten  links  anbringen  konnte, 
hat  er  sich  in  der  Weise  geholfen,  dass  er  deren  Zug  sich  von 
hinten  bis  ganz  nahe  an  die  Apostel  herandrängen  lässt.  Er  macht 
so,  wie  auch  bei  den  Propheten  und  Confessores,  den  unmittel- 
baren Zusammenhang  zwischen  dem  Alten  und  dem  Neuen  Bunde 
anschaulich.  Dass  wir  hinter  den  Aposteln  alttestamentarische 
Figuren  zu  gewahren  haben,  macht  eine  genaue  Prüfung  unzweifel- 
haft. Denn  erstens  haben  wir  wieder  Mehrere  mit  geschlossenen 
Augen  vor  uns,  und  zweitens  sind  zwei  Gestalten  mit  phantastischen 
Kopftrachten  auf  das  Deutlichste  als  Juden  charakterisirt.  Aber 
nur  für  Einige  darf  man  vermuthungsweise  Namen  vorschlagen, 
wobei  zu  beobachten,  dass  es  sich  hier  um  zeitlich  späte  Persön- 
lichkeiten handeln  muss. 

Ganz  oben  würde  man  Josua,  Gideon,  Simson,  Barak,  Ruth  zu 
finden  glauben.  Ausgezeichnet  erscheint  eine  jugendliche  Gestalt 
mit  einer  helmartigen  Bedeckung  —  bei  ihr  könnte  man  an  Gideon 
oder  Josua  oder  Simson  denken.  Bei  dem  Alten  rechts  mit 
dem  priesterlich  wirkenden  Hut  an  Samuel  und  bei  seinem  Nach- 
bar mit  prononzirter  jüdischer  Physiognomie  und  einer  Art  Pelzhut 
etwa  an  Kaleb  oder  Nathan.     Chapon  irrt  sicher,  wenn  er  hier  die 


Deutung  einzelner  Figuren  c  c 

Gruppe  der  hl.  drei  Könige  sieht.  Der  Frauenkopf  in  umittelbarer 
Nähe  dürfte  wohl  nur  auf  Judith  zu  beziehen  sein.  Doch  das 
ist  Alles  nur  allgemein  richtig,  im  Einzelnen  fraglich,  auch  ob  der 
Jüngling  mit  antikischer  Kappe  in  der  untersten  Reihe  unmittelbar 
über  den  Aposteln  als  Judas  Makkabäus  zu  denken  ist.  Be- 
stimmt gekennzeichnet  durch  die  Krone  ist  nur  die  Frau  links 
hinter  dieser  Figur  als  Königin  von  Saba,  was  auch  von 
Chapon  richtig  erkannt  ward. 

Vermögen  wir  nun  auch  nicht,  jede  einzelne  Figur  heute  noch 
zu  bestimmen  —  Eines  geht  schon  aus  dieser  ersten  Betrachtung 
mit  Sicherheit  hervor,  dass  Michelangelo  doch  bei  den  Meisten  an 
eine  historische  Persönlichkeit  gedacht  hat.  Wen  aber  hat  er  mit 
der  von  uns  noch  nicht  erwähnten  Gestalt  des  Kreuzträgers  rechts 
von  Adam  gemeint.''  Gemeinhin  spricht  man,  durch  die  eigenthüm- 
liche  Form  des  Kreuzes  verleitet,  von  Andreas.  Wie  aber  käme 
Dieser  hierher  zu  den  Patriarchen.''  Auch  hier  dürfen  wir  doch 
einen  aus  dem  Limbus  Befreiten  voraussetzen!  Es  ist  der  gute 
Schacher,  dem  das  Wort  erklang:  ,, heute  noch  wirst  du  mit  mir 
im  Paradiese  sein",  und  der  in  Darstellungen  sowohl  des  Besuches 
Christi  in  der  Unterwelt  als  auch  des  Jüngsten  Gerichts  eine  Rolle 
spielt !  Indem  er  unmittelbar  neben  Adam  und  nach  hinten  ge- 
wandt erscheint,  wird  in  den  beiden  Gestalten  gleichsam  der  ganze 
Zeitraum  des  Alten  Bundes  zusammengefasst.  Mit  Condivi  (,,dopo 
Maria")  Johannes  d.  T.  anzunehmen,  wäre  wohl  denkbar,  da  er  an 
dieser  Stelle  nicht  unangebracht  erschiene,  doch  wäre  es  befremdend, 
hätte  Michelangelo  alle  traditionelle  Charakteristik  vermieden  und 
ihm  zudem  auch  noch  ein  so  grosses  Kreuz  verliehen.  Dass  die 
hinter  Lorenzo  nur  mit  ihrem  Kopfe  sichtbar  werdende  Frau  als 
Anna  gedacht,  könnte  man  aus  der  Nähe  der  Maria  schliessen. 

2.  Der    Chor  der   Apostel. 

Ohne  Weiteres  an  ihren  Attributen  erkenntlich  sind  Bartho- 
lomäus und  Petrus.  Von  auffallender  ausgeprägter  Individualität 
erscheint  der  langbärtige  mächtige,  halbbekleidete  Mann  mit  dem 
üppigen  Haar  links  hinter  Petrus.  Es  ist  wohl  kein  Anderer  als 
Johannes    der   Täufer    in  ihm  zu  gewahren. 

Wir  dürfen  nun  weiter  erwarten ,  Johannes  dem  Evan-, 
gellsten  eine  hervortretende  Stelle  zugewiesen  zu  sehen.  Es 
dürfte  der  nackte,  Christo  am  meisten  angenäherte  Jüngling  über 
Bartholomäus  sein.  Sonst  finden  wir  nur  noch  vier  —  resp.  wenn 
wir  den  früher  Judas  Makkabäus  genannten  und  seinen  Nachbarn 
mit  dazu  rechnen  wollten:  sechs  —  als  Apostel  zu  deutende  Figuren: 
eine  jugendliche  und  eine  bärtige  Gestalt  in  der  Höhe  —  die  jugend- 
liche vielleicht  Matthäus .^^  die   bärtige  Jakobus    der  Ältere.?  —  eine 


56  Das  Jüngste  Gericht 


jugendliche    knieende    Gestalt    hinter    Petrus    und    die   jugendliche 
betende  Gestalt  unmittelbar  hinter  Bartholomäus. 

Die  letztere  spielt  eine  besondere  Rolle.  Wie  schon  Kailab 
richtig  bemerkt  hat,  zeigt  der  Kopf  Porträtzüge.  Ein  Porträt  von 
Michelangelo,  der  niemals  Bildnisse  anfertigte,  und  an  dieser  Stelle, 
in  unmittelbarster  Nähe  Christi ,  in  Anbetung  versunken  ^  Wer 
anders ,  als  der  Besteller  des  Werkes ,  der  Papst  oder  allenfalls 
Michelangelo  selbst,  wäre  hier  zu  denken.?  Es  ist  das  Antlitz  weder 
des  Einen  noch  des  Anderen :  dargestellt  ist  eine  bartlose  Physio- 
gnomie von  kräftigen ,  fast  derben  Zügen ,  mit  hoher ,  zurück- 
weichender Stirne,  vollem,  nach  hinten  gewelltem,  kurzem  Haar.  Ein 
kuttenartiger  Mantel  umgiebt  die  Schultern.  Aber  der  Kopf  ist  ganz 
übermalt :  auf  der  Venusti'schen  Kopie  in  Neapel  erscheint  er  aus- 
nehmend fein  gebildet,  von  edelster  Harmonie  der  Verhältnisse, 
jünger,  ein  altrömischer  Typus  von  grösster  Schönheit.  Aufmerksam 
geworden  glaubt  man  durch  die  Übermalung  hindurch  diesen  Kopf 
im  Fresko  noch  zu  erkennen.  Vor  Venustis  Kopie  sagte  ich  mir; 
diese  Figur  ist  der  Apostel  Thomas,  und  Michelangelo  hat  ihm 
die  Züge  seines  geliebten  jüngeren  Freundes,  des  Tommaso  Cavalieri 
—  des  Einzigen,  den  er,  wie  wir  wissen ,  in  einer  Zeichnung  por- 
trätirt  hat  —  verliehen !  —  War  etwa  jene  Zeichnung ,  von  der 
an  anderer  Stelle  die  Rede  ist,  von  Michelangelo  im  Hinblick  auf 
das  Fresko  gemacht  worden  ? 

Es  bleiben  vier  Frauen  zu  betrachten  übrig,  die  der  Meister 
offenbar  aus  künstlerischen  Rücksichten,  um  eine  Analogie  mit  der 
Patriarchenseite  herzustellen,  den  Aposteln  gesellt  hat.  Man  dürfte 
hier  Elisabeth ,  Johannes'  Mutter  (die  Alte  gleich  über  Johannes 
dem  Evangelisten }),  Martha,  dieSamariterin  (die  zwei  jüngeren 
Frauen :  die  eine,  mit  kranzartigem  Kopfputz,  links  vom  Kopf  des 
Paulus,  die  andere  über  Anna)  oder  auch  die  eine  oder  andere 
der  Marien  erwarten.     Aber  es  lässt  sich   nichts  Bestimmtes  sagen. 

3.    Die  Chöre  der  Propheten    und    der  Confessores. 

Sie  sind  zu  einer  Gesamtgruppe  von  zahlreichen  Figuren  ver- 
bunden, derart,  dass  vorne  die  Confessores,  hinten  die  Propheten  an- 
gebracht sind.  In  zwei  Paaren  sich  umschlingender  und  küssender 
Gestalten  dürfte  die  freudige  Verbindung  ahnenden  Prophetenthums 
und  wissender  Kirchengelehrsamkeit  dargestellt  sein,  wie  auch  durch 
die  Bewegung  des  jugendlichen  Propheten,  der  die  Hand  eines  zu 
ihm  sich  wendenden  Confessor  erfasst,  die  gleiche  Einswerdung 
ausgedrückt  wird.  Mehrere  Greisenfiguren  in  der  hinteren  Gruppe 
sind  blind  dargestellt.  Eine  tiefe  Erregung  geht  durch  alle  alt- 
testamentarischen, nach  vorwärts  drängenden  Gestalten :  ein  athem- 
loses  Lauschen,  ein  erschrecktes,  bisweilen  fast  zweifelndes  Schauen, 


Deutung  einzelner  Figuren  57 

ein  gewaltsames  Verarbeiten  des  Eindruckes ,  eine  ekstatische  Be- 
geisterung. Dem  gegenüber  verrathen  die  Gebärden  der  zumeist 
sitzenden  Confessores  die  freudige  Sicherheit  des  Wissens. 

Auch  nur  die  Hauptfiguren  der  hinteren  Gruppe ,  welche  den 
Propheten  sich  gesellende  andere  Erscheinungen  in  sich  schliesst, 
bestimmt  mit  Namen  bezeichnen  zu  wollen,  würde  ein  bedenkHches 
Unterfangen  sein.  Nur  Moses,  der  auch  in  Orvieto  bei  den  Pro- 
pheten erscheint,  glaube  ich  in  dem  Alten  mit  dem  auffallend 
mächtigen  Barte  rechts  hinten  über  dem  Kreuzesträger  erkennen 
zu  dürfen.  Für  die  beiden  leidenschaftlich  vordrängenden  Jünglinge, 
welche  in  direkte  Beziehungen  zu  den  vorne  sitzenden  nackten 
Jünglingen  treten,  liegt  es  nahe,  wegen  einiger  Verwandtschaft  mit 
den  Gestalten  an  der  Sixtinischen  Decke  die  Namen  Daniel  (für 
den  unteren)  und  Jesajas  (für  den  oberen)  in  Vorschlag  zu 
bringen,  und  da  es  ferner  erwünscht,  auch  Jeremias  eine  Haupt- 
stelle zuerkannt  zu  sehen ,  Hesse  sich  denken ,  dass  er  mit  der 
Hauptfigur  links,  dem  greisen  Blinden,  gemeint  ist.  Oder  wäre  es 
H  i  o  b  ?  Hinter  Diesem  gewahrt  man  einen  Mann  ,  der  durch  eine 
kronenartige  Kopfbedeckung  ausgezeichnet  ist  —  David?  Unter 
den  wenigen  eingefügten  Frauenfiguren  wird  man  Hannah,  vielleicht 
auch  Elisabeth  suchen  dürfen.  Wer  aber  ist  jene  vom  Kopftuch 
halb  verhüllte,  wie  von  Leidenschaft  verzehrte  eindrucksvolle  Er- 
scheinung über  dem  sich  küssenden  Paare  rechts.^  Auffallend  ist 
die  Kennzeichnung  dreier  Jünglinge  (ganz  hinten  rechts)  durch 
phrygische  Mützen  —  sollte  man  sie ,  da  ja  neben  den  Propheten 
andere  alttestamentarische  Persönlichkeiten  auftreten,  als  ,,die  drei 
Jünglinge  im  feurigen  Ofen"  auffassen  dürfen.? 

Die  Schaar  der  Doctores,  deren  Bestimmung  durch  das  Fehlen 
jeder  Kennzeichnung  der  Trachten  ungemein  erschwert  wird,  ist 
auf  eine  sehr  kleine  Zahl  von  Persönlichkeiten  beschränkt.  Diese 
Wenigen  müssen  besonders  wichtiger  und  bekannter  Art  sein.  Vor 
Allem  erwartet  man  die  Kirchenväter  zu  finden.  Aber  nur  zwei 
Erscheinungen  könnten  auf  Diese  hinweisen :  nämlich  der  wild  aus- 
sehende Greis  rechts,  der  das  Kreuz  fasst,  auf  Hieronymus  und  der 
kräftige,  bärtige,  sitzende  auf  Augustinus.  Doch  wäre  auch  Paulus, 
den  wir  unter  den  Aposteln  vergeblich  suchen,  hier  denkbar.  Und 
an  wen  hat  Michelangelo  gedacht ,  als  er  die  beiden  herrlichen, 
sitzenden  Jünglinge  im  Vordergrunde  schuf-f*  Bezeichnend  ist  die 
intime  Beziehung  der  Jünglinge  zu  Jesajas  und  Daniel:  wären  hier 
unter  die  Confessores  zwei  Evangelisten  aufgenommen  worden  ? 
Und  weiter,  wer  ist  die  ganz  von  Gewandung  verhüllte  schräg 
sitzende  weibliche  Gestalt.?  Sollte  es,  unmittelbar  unter  der  von 
mir  Augustinus  genannten  Figur  angebracht.  Dessen  Mutter,  die 
hl.  Monika  sein.?     Dies  Alles  bleibt  ungewiss. 


58 


Das  Jüngste  Gericht 


Endlich  die  Frage :  wer  ist  der  athletische  Jüngling ,  der  das 
Kreuz  auf  sich  nimmt?  Man  hat  in  ihm  den  guten  Schacher  oder 
Simon  von  Kyrene  oder  auch  Simeon,  Bischof  von  Jerusalem  (Platner), 
sehen  wollen.  Letzteres  erscheint  mir  undenkbar.  Der  von  mir 
Augustinus  Genannte  weist  auf  ihn  hin,  als  sagte  er :  nur  in  solcher 
Nachfolge  Christi  beruht  alles  Heil  und  alles  Wissen.  Die  Gestalt 
gehört  zu  den  am  meisten  ausgezeichneten.  Da  Andreas  in  der 
Märtyrergruppe  und  der  gute  Schacher  bei  den  Patriarchen  an- 
gebracht ist,  erscheint  dieser  dritte  Kreuzträger  unerklärlich.  Man 
könnte  etwa  sagen :  der  angebliche  gute  Schacher  ist  Johannes  der 
Täufer,  der  angebliche  Johannes  der  Täufer  Paulus  und  dieser  Träger 
des  Kreuzes  der  gute  Schacher,  und  hierfür  könnte  die  Gegenüber- 
stellung des  guten  Schachers  und  der  Magdalena  in  ,,Dies  irae, 
dies  illa"  geltend  gemacht  werden,  da,  wie  wir  sehen  werden,  die 
dem  Kreuzträger  etwa  an  Bedeutung  entsprechende  Figur  links  im 
Fresko  Magdalena  genannt  werden  muss.  Aber  der  gute  Schacher 
bei  den  Confessores  und  so  in  den  Vordergrund  gebracht  und  als 
Träger  des  Kreuzes .?  Und  ist  jene  Umdeutung  des  Paulus  und 
Johannes  nicht  unmöglich.?'  Auch  diese  Deutung  will  nicht  ein- 
leuchten. Welche  andere  aber  giebt  es }  Zwei  Möglichkeiten  bieten 
sich  mir  dar. 

Die  erste  führt  zu  der  freilich  sehr  gewagten  Vermuthung,  dass 
wir  hier  den  hl.  Sixtus,  der  an  so  hervorragender  Stelle  in  der 
Sixtinischen  Kapelle  wohl  am  Platze  wäre ,  vor  uns  sehen.  Diese 
Vermuthung,  obgleich  die  übliche  Darstellung  des  greisen  Papstes, 
so  wohl  aus  Raphaels  Werk  bekannt ,  sie  auszuschliessen  scheint, 
könnte  sich  aus  dem  mittelalterlichen  Hymnus  auf  Sixtus  (Daniel, 
Thesaurus  I,  S.  102  Nr.  XCI)  ergeben. 


Magni  palmam  certaminis 
Invicta  fides  contulit; 
Pro  Christo  dimicantibus 
De  caelo  datur  calculus. 

Sic  fortis  Xystus  athleta 
Petri  sequens  martyrium, 
Ornavit  mox  ecclesiam 
Confessionis  titulo. 


Nam  carnifex  tyrannidis 
Fremens  ut  leo  rabiens 
Advectans  secum  martyres 
Abdon  et  Semen  perimit. 

Dein  ad  Xystum  properans 
Vincia,  catenas,  carcerem 
Minatur,  interneciem 
Gladioli  sententia. 


Ortus  Athenis  et  altus 
Philosophorum  studiis, 
Mutavit  artem  artium 
Praeceptor  apostolicus. 


Tunc  pius  ille  pontifex 
Accersiens  Laurentium 
Levitae  fideiissimo 
Commendavit  ecclesiam. 


Uterque  consecuti  sunt 
Agonis  sui  bravium 
Ensis  et  craticulae 
Coronam  dedit  passio. 


Deutung  einzelner  Figuren  59 

Bedenkt  man,  wie  frei  von  der  Tradition  Michelangelo  in  der 
Gestaltung  der  Heiligen  bei  der  Schöpfung  des  Jüngsten  Gerichtes 
vorging,  so  erschiene  es  wohl  nicht  unmöglich,  dass  er  aus  diesem 
Hymnus  eine  Vorstellung  von  dem  Heiligen ,  w^ie  die  des  Kreuz- 
trägers ,  gewonnen  habe.  Der  Athlet  (man  beachte  die  Binde  im 
Haar!),  der  zugleich  ein  Praeceptor  apostolicus !  Als  letzterer  fügt 
er  sich  in  die  Gruppe  der  Doctores  und  Confessores  ein.  Und  lag 
nicht  in  den  Worten  Petri  ,,sequens  martyrium"  ein  Hinweis  auf  die 
Kreuzigung  —  so  deutet  auch  Thomasius  die  Stelle  im  Hymnario 
— ,  welcher  die  spätere  Mittheilung  von  dem  Martyrium  durch  das 
Schwert  übersehen  oder  absichtlich  ignoriren  liess.f" 

Aber  die  Deutung  ist  zu  gewagt!  Und  ich  lasse  sie,  indem  ich 
sie  angebe,  fallen.  Die  Umwandlung  des  greisen  Papstes  in  den 
nackten  Jüngling  bleibt  schwer  denkbar. 

Eine  andere  Hypothese  dürfte  mehr  Glaubwürdigkeit  für  sich 
haben,  obgleich  auch  an  ihr  Anstoss  genommen  werden  kann.  Be- 
achten wir  zunächst ,  dass  Michelangelo  seinen  Doctores  keinerlei 
Zeichen  kirchlichen  Ranges,  keinerlei  kirchliche  Tracht  giebt !  Wir 
dürfen  uns  also  nicht  daran  stossen ,  sonst  traditionell  in  Priester- 
gewänder oder  Kutten  gekleidete  Heilige :  Päpste,  Bischöfe,  Mönche 
ohne  jede  Kennzeichnung  ihres  Standes,  nackt  oder  wenig  bekleidet 
dargestellt  zu  finden.  Unter  den  Doctores  erscheinen  nun  aber 
immer  neben  den  Kirchenvätern  heilige  Mönche:  Bernhard,  Franz, 
Dominicus  und  Andere.  Fragen  wir  uns,  wer  unter  den  Confessores 
als  Christus  nachfolgender  Kreuzesträger  charakterisirt  werden  kann, 
so  ist  dies  nur  ein  Einziger:  Franz  von  Assis i.  Man  beachte, 
dass  die  Gestalt  im  Fresko  das  Kreuz  auf  sich  lädt:  es  ist  nicht 
das  Martyrium  am  Kreuze,  sondern  die  Kreuzesnachfolge,  die  hier- 
durch bezeichnet  wird.  Als  ein  Christus  nächster  Nachfolger  hatte 
Franz  die  Wundenmale  von  dem  Gekreuzigten  selbst  empfangen. 
Es  ist  der  Kultus  des  Kreuzes,  den  er,  wie  kein  Zweiter,  gepredigt 
und  gefördert  hat  (vgl.  meinen  ,, Franz  von  Assisi",  II.  Aufl.  S.  543), 
das  Kreuz  in  der  Hand,  wird  er  von  der  Kunst  verherrlicht.  Ja, 
man  schilderte  ihn  als  Kreuzträger:  so  folgt  er  auf  dem  Titelblatt 
der  ,,Conformitates"  des  Bartholomäus  Pisanus  dem  kreuztragenden, 
ihm  voranschreitenden  Herrn  (a.  a.  O.  S.  554).  Und  weiter  ein  ,,ath- 
leta  Christi"  war  auch  er;  ein  Feldherr  himmlischer  Heerschaaren, 
ein  Fahnenträger  Christi,  wie  er  auf  dem  Triumphbilde  in  Assisi 
verbildlicht  ist  mit  dem  Kreuz  auf  der  Standarte,  der  neue  Michael, 
dem  der  verlassene  Himmelsthron  Luzifers  zu  Theil  geworden  war 
(a.  a.  O.  S,  97,   538).     Als  Kämpfer    im  Krieg    gegen   den  Drachen, 

welcher  ..         ^^    , 

nititur  attrahere 

maximam  partem  syderum 

ad  damnatorum  numerum 


6o  Das  Jüngste  Gericht 


wird  er  in  einem  Hymnus  von  Gregor  IX.  gefeiert : 

verum  de  Christi  latere 
novus  legatus  mittitur 
in  cujus  sacro  corpore 
vexillum  crucis  cernitur 
Franciscus  princeps  inclytus 
Signum  reale  bajulat. 

Und  ähnlich  von  Jacopone  da  Todi  in  seinem  Liede :  O  Francesco 
da  Dio  amato.  Es  ist  diese  heroische  Auffassung,  die  sich  Michel- 
angelo zu  eigen  machte.  Wie  allgemein  sie  auch  in  seiner  Zeit 
war,  zeigt  ein  Sonett  Vittoria  Colonnas  (Ausg.  Barbera  CXX) : 

Dietro  al  divino  tuo  gran  capitano 
Seguendo  l'orma  bella,  ardito  entrasti 
Fra  perigUose  insidie,  aspri  contrasti 
Con  l'arme  sol  dell'umiltade  in  mano. 

Mentre  il  mondo  sprezzando  e  nudo  e  piano 
Solo  della  tua  croce  ricco  andasti 
Per  deserti  selvaggi,  a  noi  mostrasti 
Ouanto  puö  con  la  grazia  un  core  umano. 

Fasst  man  Alles  zusammen  —  auch  dies  beachtend ,  dass  Franz 
jugendlich  dargestellt  ward  —  so  wird,  wie  mir  scheint,  mag  auch 
zuerst  die  Behauptung  befremdlich  kUngen,  die  Annahme  glaub- 
haft, dass  der  Kreuzträger  in  der  Gruppe  der  Doctores  der  hl. 
Franz  ist. 

4.    Die   Chöre   der   Sibyllen   und   Virgines. 

Dass  in  der  hinteren  Gruppe  links,  wie  Chapon  schon  bemerkte, 
eine  Versammlung  der  Sibyllen ,  dre  gedanklich  der  Schaar  der 
Propheten  rechts  entspricht,  zu  erkennen  ist,  darüber  kann  meines 
Erachtens  kein  Zweifel  sein.  Die  eigenthümlichen  Trachten,  der 
Charakter  und  die  Gebärdensprache  der  Gestalten  beweisen  es. 
So  gewiss  Michelangelo  bei  den  Hauptfiguren  bestimmte  Sibyllen 
in  Gedanken  gehabt  hat  —  auch  die  Königin  von  Saba  (Matth. 
12,  41,  Luk.  II,  31)  könnte  man  hier  erwarten  — ,  so  unmöglich 
dürfte  es  aber  sein ,  Namen  anzugeben ,  denn  die  blossen  Alters- 
unterschiede geben  keinen  Anhalt  hierfür.  Und  das  Gleiche  gilt 
von  den  heiligen  Frauen  des  Neuen  Bundes  im  Vordergrunde  — 
man  wäre  auf  blosses  Rathen  angewiesen.  Wieder  wie  bei  den 
Propheten  und  Confessores  ist  auch  hier  die  Unterscheidung  der 
beiden  Schaaren  deutlich  durch  die  Stimmung  gegeben.  Die  vor- 
christlichen Frauen  sind  von  Erregung,  von  Staunen ,  Erschrecken 
durchbebt,  die  nachchristlichen  verharren  in  seliger  Ruhe.  Selbst 
die  mächtige  Frau  im  Vordergrunde,  an  die  sich  hülfesuchend  eine 


Deutung  einzelner  Figuren  6l 


jüngere  schmiegt,  ist  in  Anschauung  versunken.  Verzichtet  man  aber 
gerne  bezüglich  der  übrigen  auf  Namen  —  hier  angesichts  dieser 
so  ausgezeichneten,  isoHrten  Gruppe  drängt  sich  die  Frage  doch 
auf,  wen  Michelangelo  gemeint  habe.  Es  ist  undenkbar,  dass  er 
nicht  bestimmte  Persönlichkeiten  zu  schildern  beabsichtigt  hat. 

Der  Abbe  Rouvier  giebt  der  Gruppe  die  Benennung:  Eva  mit 
einer  ihrer  Töchter.  Steinmann  sieht  Anna  mit  Maria  (wie  wäre 
es  denkbar,  dass  Maria  zweimal  im  Fresko  dargestellt  sei.?*).  Kailab, 
eine  symbolische  Deutung  suchend,  will  Beatrice  erkennen,  welche 
Rahel  umschlingt,  d.  h.  die  Vita  contemplativa,  welche  sich  zur 
christlichen  Theologie  ,,colla  gratia  perficiente"  (Landino)  flüchtet. 
„Wehrlos  ist  auch  die  tiefste  Erkenntniss  Gottes,  wenn  ihr  nicht 
göttliche  Wissenschaft  und  Gnade  zu  Hülfe  kommt."  Wie  Dante 
sich  an  seine  himmlische  Führerin  wende ,  so  hier  Rahel  —  pa- 
reami  che  il  suo  viso  ardesse  tutto  (Par.  23,  v.  22).  Michelangelo 
habe  in  den  beiden  Gestalten  den  Grundgedanken  der  Divina 
Commedia  zusammengefasst.  Die  Erklärung  ist  zu  gesucht,  als 
dass  sie  einleuchten  könnte.  Eine  Allegorie  anzunehmen,  wider- 
spricht dem  im  gesamten  Kunstwerke  sich  äussernden  Geiste. 

Ungezwungen,  so  will  es  mich  bedünken,  ergiebt  sich  die  Er- 
klärung der  herrlichen  Gruppe,  wenn  wir  an  unserer  grundlegenden 
Auffassung  der  Chöre  festhalten.  Dann  gehört  die  mächtige,  ganz 
in  liebende  Anschauung  Christi  versunkene  Frau  zu  den  Virgines. 
Und  unter  Diesen  —  welche  dürfte  eine  so  ausgezeichnete  Stellung 
beanspruchen  dürfen,  als  Magdalena,  die  Liebende.?  Und  für 
sie  spricht,  wie  die  sinnlich  schöne  Bildung  des  Körpers,  so  auch 
die  bei  ihr  Zuflucht  suchende  Frau  —  ist  doch  Magdalena  die 
Patronin  der  Büsserinnen.  Es  erscheint  nicht  unangebracht 
an  die  zwei  Sonette  zu  erinnern  (CXIV  und  CLVII  der  Barbera'schen 
Ausgabe),  welche  Vittoria  in  ihrem  besonderen  Kultus  für  die  Heilige 
Dieser  widmete.  Das  eine,  die  Macht  der  Frauenliebe  verherr- 
lichend, lautet: 

La  bella  donna  a  cui  dolente  preme 
Quel  gran  desio  che  sgombra  ogni  paura, 
Di  notte,  sola,  inerme,  umile  e  pura, 
Armata  sol  di  viva  ardente  speme. 

Entra  dentro  '1  sepolcro  e  piange  e  gerne; 
Gli  angeli  lascia  e  piü  di  se  non  cura: 
Ma  a'  piedi  del  Signor  cade  secura, 
Che  '1  cor  ch'arde  d'amor  di  nulla  teme. 

Ed  agli  uomini,  eletti  a  grazie  tante, 
Forti,  insieme  rinchiusi,  il  lume  vero 
Per  timor  parve  nudo  spirto  ed  ombra. 


62  Das  Jüngste  Gericht 


Onde  sc  '1  ver  dal  falso  non  s'adombra, 
Convien  dare  alle  donne  il  pregio  intero, 
D'aver  il  cor  piü  acceso  e  piü  costante. 

Und  das  andere  endigt  : 

In  tal  pensier  da  vil  nodo  mi  scioglio, 
Pregando  lei  con  voce  ardita  e  balda 
M'impetri  dal  Signor  appo  se  loco. 

Die  „lebendig  glühende  Hoffnung",  ,,das  von  Liebe  entbrannte 
Herz"  —  das  ist  es ,  was ,  ja  auch  Kailabs  Deutung  bestimmend, 
diese  Gestalt  vor  allen  anderen  Frauen  in  dem  Gemälde  auszeichnet. 

5.    Der    Chor    der    Märtyrer. 

Die  Bestimmung  der  Hauptfiguren  ist  durch  die  Attribute  ge- 
sichert. Wir  gewahren  Sebastian  mit  den  Pfeilen,  Katharina 
mit  dem  Rade,  Blasius  mit  der  Hechel,  Andreas  mit  dem  Kreuz 
(Platner  meinte:  Philippus)  und  Simon  mit  der  Säge.  Andere 
Gestalten  sind  nicht  gekennzeichnet. 

Als  Märtyrer  dargestellt  sind  auch  die  beiden,  unmittelbar  unter 
Christus  auf  Wolken  sitzenden  Heiligen  Laurentius  und  Bar- 
tholomäus. Dass  der  erstere,  in  Rom  besonders  verehrt,  eine  so 
ausgezeichnete  Stellung  erhielt,  erklärt  sich  leicht.  Die  Wahl  des 
Bartholomäus  mag  aus  künstlerischen  Gründen  hervorgegangen 
sein :  als  Gegenstück  zu  Lorenzo  sollte  ein  Märtyrer  aus  dem 
Kreise  der  Apostel  angebracht  werden.  Den  Aposteln  selbst  wurde 
Laurentius  gleichgestellt : 

Apostolorum  supparem 
Laurentium  Archidiaconum 
Pari  Corona  martyrum 
Romana  sacravit  fides 

heisst  es  in  einem  Hymnus  (Daniel:  Thes.  hymn.  I,  S  103,  Nr.  XCII) ; 
die  grösste  Verehrung  unter  den  Märtyrern  nächst  Stephanus  ward 
ihm  zu  Theil. 

B.  Die  mittlere  Zone. 

Die  gen  Himmel  Aufsteigenden  und  die  Posaunenengel  be- 
dürfen keiner  weiteren  Deutung.  Wohl  aber  verlangt  Vasaris  An- 
gabe ,  die  Gruppe  der  von  Engeln  in  den  Abgrund  Gestossenen 
oder,  näher  präzisirt,  die  Teufel  in  dieser  Gruppe  stellten  die  sieben 
Todsünden  dar,  eine  Prüfung.  Vasari  erwähnt  die  Individiosi,  die 
Superbi,  die  Avari  und  die  Lussuriosi.  Condivi  bemerkt,  wie  er- 
wähnt ,  dass  die  Sünder  von  den  Teufeln  nach  unten  gezogen 
würden,  ein  Jeder  an  dem  Körpertheil,  mit  dem  er  gesündigt,  und 


Deutung  einzelner  Figuren  63 

führt  als  Beispiele  an:  die  Hochmüthigen  an  den  Haaren,  die 
Lussuriosi  an  den  Schamtheilen. 

Nun  ist  zunächst  zu  betonen,  dass  diese  Behauptung  allgemein 
nicht  zutrifft:  nur  das  eine  letztgenannte  Motiv  (durch  Daniele  da 
Volterra  verändert)  findet  sich.  Die  Teufel  greifen  zu,  wo  sie  eben 
können.  Wie  aber  verhält  es  sich  mit  Vasaris  Aussage.?'  Wir 
sehen  in  der  That  sieben  Hauptfiguren  der  Verdammten.  Deren 
eine  ist  durch  den  Schlüssel  und  den  Beutel  als  Geizhals  charak- 
terisirt ;  eine  andere  mit  widerlich  thierischem  Gesicht,  den  Finger 
in  den  Mund  steckend ,  als  Schlemmer  und  durch  das  eben  er- 
wähnte Motiv  des  Zugreifen  des  Teufels  zugleich  als  Wollüstiger. 
Den  Zorn  könnte  man  in  dem  über  diesem  befindlichen ,  sich 
Wehrenden  erkennen.  Vergeblich  aber  wäre  es ,  in  den  anderen 
vier  Verdammten  die  Personifikation  von  Hochmuth ,  Neid ,  Träg- 
heit und  Wollust  bestimmt  nachweisen  zu  wollen.  Liesse  sich 
allenfalls  der  auf  Wolken  Aufwärtssteigende  als  Repräsentant  des 
Hochmuthes  ansehen ,  so  wäre  es  immer  die  Frage ,  ob  mit  dem 
Schlangenumwundenen  der  Neid  gemeint  sei.  Entschiede  man  sich, 
vielleicht  in  Rücksicht  auf  den  Blick,  der  aber  doch  wohl  nur  Ent- 
setzen, nicht  Scheelsucht  ausdrückt,  hierfür,  so  bliebe  kaum  etwas 
Anderes  übrig,  als  den  rechts  mit  dem  Engel  Ringenden  ,, Trägheit" 
zu  nennen.  Für  die  siebente  Figur,  die  abwärts  fliegende  ver- 
zweifelte Frauengestalt ,  gäbe  es  keine  Erklärung.  Wir  bleiben  also 
willkürlich  in  der  Interpretation. 

Immerhin,  da  wenigstens  zwei,  respektive  drei  Laster  deutlich 
gekennzeichnet  sind,  dürfen  wir  an  Vasaris  Behauptung,  Michel- 
angelo habe  bei  der  Gestaltung  dieser  Gruppe  die  Vorstellung  der 
Todsünden,  wie  sie  ja  auch  bei  Belcari  uns  scharf  ausgeprägt  be- 
gegnet, vorgeschwebt,  festhalten. 

Was  die  Engel  betrifft,  so  scheint  die  Zahl  vier  darauf  hin- 
zuweisen, dass  ausser  dem  Kampfe  Michaels  und  seiner  Schaar  mit 
dem  Teufel  auch  die  apokalyptische  Vision  der  vier  Engel  vom 
Euphrat  des  Künstlers  Phantasie  beeinflusste.  Michael  in  dem 
siegreichen  Bekämpfer  des  Geizigen  zu  erkennen,  dürfte  naheliegen. 

C.  Die  untere  Zone. 

Über  Charon  und  Minos  ist  dem  früher  Gesagten  nichts  Wesent- 
liches hinzuzufügen.  Zu  bemerken  wäre  nur,  dass  Rouvier-Chapon 
—  wie  mir  scheint,  ungerechtfertigter  Weise  —  diese  Deutung  der 
beiden  Gestalten  im  Sinne  Dantes  ablehnen  und  behaupten,  die 
Barke  werde  nicht  von  Charon ,  sondern  vom  Satan  geführt.  Es 
handle  sich  um  den  Gegensatz  zu  dem  Gedanken  der  von  Petrus 
geleiteten  Barke  der  Kirche.  Zu  bemerken  ist  allerdings,  wie  oben 
schon  erwähnt,  dass  Michelangelo  Charon  zu  einem  Teufel  gemacht 


64  Das  Jüngste  Gericht 


hat,  indem  er  ihm  Krallen  und  Fledermausohren  gab.  Hat  er  an 
den  Calcabrin  Belcaris  gedacht  und  Diesen  an  Stelle  des  Dante- 
schen  Charon  gesetzt?  So  scheint  es,  denn  die  Abweichung  von 
Dante  ist  zu  auffallend,  als  dass  hier  nicht  eine  bestimmte  Absicht 
vorläge.  Ob  Minos  die  Porträtzüge  des  Zeremonienmeisters  Biagio 
trägt,  scheint  mir,  wie  Kailab,  sehr  zweifelhaft.  Bezüglich  des  an- 
geblichen Ugolino  rechts  in  der  Ecke  habe  ich  meine  Meinung 
schon  oben  geäussert. 

Unter  den  Auferstehenden  ist  es  nur  eine  Figur ,  die  eine 
Deutung  herausfordert ,  da  es  sich  sonst  um  Namenlose  handelt : 
der  gewandete  ältere  Mann ,  der  —  kein  Auferstehender  —  sich 
sprechend  an  einen  eben  erwachenden,  in  Leichentüchern  Gehüllten 
richtet.  Steinmanns  Annahme,  es  sei  Virgil,  der  sich  zu  Dante 
wende ,  habe  ich  schon  zurückgewiesen.  Ich  bin  der  Meinung 
Kaliabs,  dass  Hesekiel  dargestellt  ist,  auf  dessen  Vision  schon 
Condivi  die  Konzeption  der  ganzen  Szene  zurückführt.  Wollte  man 
dem  Erwachenden  einen  Namen  geben,  was  mir  aber  nicht  geboten 
erscheint,  so  könnte  es  nur  der  Daniels  sein,  von  dem  es  heisst: 
,,Du  aber,  Daniel,  gehe  hin,  bis  das  Ende  komme ;  und  ruhe,  dass 
du    aufstehest   in    deinem  Theil    am  Ende  der  Tage"  (Dan.  12,  2). 

VI 

Die  Urtheile  über  das  Jüngste  Gericht 

Noch    während    seiner   Thätigkeit   an    dem    Gemälde    vernahm 
Michelangelo    die    ersten    sein  Werk   verurtheilenden   Worte.      Der 
Zeremonienmeister  Biagio  da  Cesena    sprach  jene  Bedenken  gegen 
die  Nacktheit  der  Figuren  aus ,    welche    später  unter  Paul  IV.  und 
Pius  V.  die  Übermalung   durch  Daniele   da  Volterra  und  Girolamo 
da   Fano    veranlassen    sollten.      Sie    werden    von    Vielen    getheilt 
worden  sein  nach  Enthüllung  des  Freskos,  so  gross  das  allgemeine 
Staunen  und  die  glühende  Bewunderung  der  Künstler  und  Kenner 
war,  und  Pietro  Aretino  schreibt   1545  jenen  infamen  Brief,  in  dem 
er,    seiner    Wuth    über    erbetene    und    nicht    erhaltene    Geschenke 
freien  Lauf  lassend,  dem  Meister  selbst  gegenüber  in  seiner  schwül- 
stigen Weise  frech  sich  zum  Anwalt  jener  Meinung  macht. 
„Mein  Herr!" 
,,Erst    beim  Anblick    der  Gesamtskizze  Eueres  Jüngsten  Ge- 
richtes   sind    mir   die  Augen    aufgegangen    für  die  erlauchte  An- 
muth,  die  Raphael  in  der  wohlgefäUigen  Schönheit  seiner  Erfindung 
zu    eigen    ist.     Als  ein  christlich  Getaufter  schäme  ich  mich  der 
unerlaubten   Freiheit,    die    sich   Euer    Geist    beim  Ausdruck   der 
Ideen  von  jener  letzten  Entscheidung,  nach  welcher  unser  wahr- 


Die  Urtheile  über  das  Jüngste  Gericht  65 

haftigster  Glaube  mit  allen  Sinnen  strebt ,  herausgenommen  hat. 
Wie?     Michelangelo,  staunenswerth  durch  seinen  Ruhm,  Michel- 
angelo ,    ausgezeichnet    durch    seine  Besonnenheit ,    Michelangelo, 
der  Bewundernswürdige ,    hat    der  Welt   nicht  weniger  irreUgiöse 
Gottlosigkeit,  als  Vollkommenheit  in  der  Malerei  zeigen  wollen? 
Ist  es  möglich,  dass  Ihr,  der  Ihr,  als  ein  Göttlicher,  den  Verkehr 
mit  Menschen  verschmäht,  Etwas  dergleichen  im  grössten  Gottes- 
tempel  verfertigt    habt?     Über   dem    ersten  Altar  Jesu?     In    der 
grössten  Kapelle  der  Welt?     In  der  die  Thürangeln  der  Kirche, 
die    ehrwürdigen   Priester ,    der    Stellvertreter  Christi    mit    katho- 
lischen Zeremonien,   mit  heiligen  Funktionen  und  göttlichen  Ge- 
beten sich  zu  Seinem  Leib,  Seinem  Fleisch  und  Blut  bekennen, 
es  in  Anschauung  vertieft  anbeten  ?    Wäre  es  nicht  ruchlos,  Ver- 
gleiche   zu    ziehen ,    so  würde  ich ,    meine  weise  Vorsicht  Eurem 
indiskreten  Gewissen  vorziehend,  mich  meiner  Güte  rühmen,  wie 
ich  sie  im  Traktat  der  Nanna  bewiesen,  denn  obgleich  der  Gegen- 
stand lasziv  und  unkeusch ,    bediene    ich  mich  vorbedachter  und 
gesitteter  Worte,  ja  spreche  in  untadeliger  und  keuscher  Weise; 
Ihr  aber  in  der  Gestaltung  eines  so  hohen  Vorwurfes  zeigt  Engel 
und  Heilige,  die  Heiligen  baar  jedes  irdischen  Anstandes  und  die 
Engel  jedes  himmlischen  Schmuckes  beraubt.    Selbst  die  Heiden, 
wenn    sie ,    ich    spreche    gar  nicht   von    der    bekleideten    Diana, 
die  nackte  Venus  meisseln,  lassen  sie  mit  den  Händen  die  Körper- 
theile  verdecken ,    die  man  nicht  enthüllt ,    und  ein  Christ ,  bloss 
weil  er  die  Kunst  höher  achtet  als  den  Glauben,   macht  sowohl 
Mangel    an  Schicklichkeit    in    den  Märtyrern    und  Jungfrauen  als 
auch    die    Geste ,    dass   Einer    an    den    Geschlechtstheilen   hinab- 
gezogen wird,    zum  öffentlichen  Schauspiel,    Etwas,  was  nicht  zu 
sehen    man    selbst   im   Bordell   die    Augen   verschliessen    würde. 
Einem  wollüstigen  Baderaum,  nicht  einem  vornehmsten  Kirchen- 
chor  ist   solch'  Euer  Vorgehen    angemessen.     Es    wäre    weniger 
sündhaft ,    hättet  Ihr    überhaupt    keinen  Glauben ,    als   mit   einem 
solchen  Glauben    den  Anderer   zu   vermindern.     Nicht  ungestraft 
aber    bleibt    die    Vortrefflichkeit    so    waghalsiger    Wunderdinge, 
denn  das  Wunder ,    das    sie   selbst  bewirken ,    ist  der  Tod  Eures 
Ruhmes.     Wollt  Ihr  diesen  wieder  erwecken ,  so  thut  es ,  indem 
Ihr    durch  Feuerflammen    die  Schamtheile    der  Verdammten  und 
durch  Sonnenstrahlen    die    der  Seligen   verhehlt,    oder  ahmt  die 
florentinische  Züchtigkeit  nach,  welche  jene  des  schönen  Kolosses 
unter  goldenen  Blättern  verbirgt ;    und  der  steht  dort  auf  öffent- 
lichem Platze    und    nicht    an   geweihtem  Ort.     So   verzeihe  Euch 
Gott ,    als    ich    dies    nicht    etwa   aus  Zorn    über  die  gewünschten 
Dinge  sage ;  denn  Euerer  Verpflichtung,  sie  mir  zu  senden,  hättet 
Ihr   mit    allem  Eifer    nachkommen    sollen ,    da   Ihr   hierdurch  die 


66  Das  Jüngste  Gericht 


neidischen  Zungen  zum  Schweigen  gebracht ,  welche  behaupten, 
nur  die  Gherardos  und  Thomasse  könnten  über  solche  Gaben 
verfügen.  Aber  wenn  selbst  der  Schatz,  den  Euch  Giulio  hinter- 
licss ,  damit  seine  irdischen  Reste  in  einem  von  Euch  skulpirten 
Grabmal  untergebracht  würden ,  nicht  genügte ,  Euch  Euer  Ver- 
sprechen halten  zu  machen ,  was  kann  ich  erhoffen  ?  Obgleich 
nicht  Eure  Undankbarkeit,  grosser  Maler,  nicht  Euer  Geiz  trägt 
die  Schuld  daran,  sondern  die  Huld  und  Würde  des  höchsten 
Hirten.  Gott  will,  dass  Dessen  ewiger  Ruhm,  ihm  selbst  nur 
verdankt ,  in  einem  einfachen  Grabe  weiterlebe  und  nicht  durch 
Eure  Kunst  in  einem  hochfahrenden  Grabgebäude.  Immerhin 
wird  Euch  als  Diebstahl  angerechnet,  dass  Ihr  Eure  Verpflichtung 
nicht  erfüllt.  Da  aber  unsere  Seelen  mehr  danach  verlangen, 
zur  Devotion  gestimmt,  als  durch  die  Kunst  der  Zeichnung  be- 
eindruckt zu  werden,  so  gebe  Gott  Seiner  Heiligkeit  dem  Papst 
Paul  das  Gleiche  ein,  wie  er  es  Gregor  eingab,  der  lieber  Rom 
des  Schmuckes  seiner  stolzen  Gottesstatuen  berauben ,  als  die 
Verehrung  der  bescheidenen  Heiligenbilder  durch  jene  beein- 
trächtigen lassen  wollte.  Zum  Schlüsse  sage  ich:  hättet  Ihr  Euch 
bei  der  Komposition  des  Weltalls,  der  Hölle  und  des  Paradieses 
und  bei  der  Schilderung  der  Glorie,  der  Ehrenbezeugungen  und 
der  Schrecken  von  meinem  Brief,  den  dieses  Jahrhundert  liest, 
von  seiner  Belehrung,  seinem  Beispiel  und  seiner  Weisheit  be- 
rathen  lassen ,  so  würden ,  dies  erkühne  ich  mich  zu  behaupten, 
nicht  nur  die  Natur  und  all  der  günstige  Sterneneinfluss  es  nicht 
bereuen.  Euch  jenen  leuchtenden  Intellekt  gegeben  zu  haben, 
der  die  Menschen  heute  bewegt ,  Euch  zu  einem  Wunderbilde 
höchster  Tugend  zu  machen,  nein  auch  die  Vorsehung,  die  Alles 
sieht,  würde  auch  für  ein  solches  Werk  Sorge  tragen,  so  lange 
die  Ordnung  im  Sphärenwalten  sich  erhält." 

,,Euer  Diener,  der  Aretiner." 
, Jetzt  da  ich  meine  Wuth  über  die  Grausamkeit,  mit  der  Ihr 
meine  Ergebenheit  behandelt,  ausgelassen,  und  es  mich  dünkt,  ich 
habe  Euch  gezeigt,  dass,  wenn  Ihr  göttlich  seid,  ich  auch  nicht 
von  Wasser  bin,  zerfetzt  dies  Schreiben,  denn  auch  ich  habe  es 
in  Stücke  zerrissen,  und  entschliesst  Euch  nun,  denn  ich  bin  Einer, 
dessen  Briefe  selbst  Könige  und  Kaiser  beantworten."  (Gaye  11, 
S.  332.     Steinm.ann,  Rep.  f.  Kunstw.  XXIX,  S.  491.) 

Fast  wörtlich  erscheint  dieser  hämische  Erguss  in  einem  anderen 
Briefe,  den  Pietro  1547  an  Alessandro  Corvino  richtete  (Lettere. 
Paris  IV,  S.  86.    Steinmann,  Rep.  f  Kunstw.  XIX,  S.  494). 

AnEneaVico,  der  das  Gemälde  stach,  schrieb  er  im  Januar  1546: 
,,so  befleissigt  Euch  nun  der  Vollendung  eines  so  heiligen  und 
lobenswürdigen  Unternehmens;    denn  der  Skandal,  den  die  Zügel- 


Die  Urtheile  über  das  Jüngste  Gericht  ^J 

losigkeit  der  Kunst  Michelangelos  bei  den  Lutheranern  wegen  des 
mangelnden  Respektes  vor  dem  natürlichen  Schamgefühl,  in  den 
Figuren  der  Hölle  wie  des  Himmels  zu  Tage  tretend,  erregen 
könnte,  nimmt  Euch  Nichts  von  der  Ehre,  die  Ihr  verdient,  indem 
Ihr  die  Ursache  seid,  dass  Jeder  sich  an  dem  Werke  freuen  könne." 
(Lettere.    Paris  II,  S.  328.     Bottari  III,  S.  112.     Steinmann  a.  a.  O. 

S.  433-) 

In  seinem  ,, Dialogo  della  Pittura"  (Florenz  1733,  S.  244)  lässt 
Lodovico  Dolce  Aretino  auf  den  Einwurf:  ,,die  Erfindung  sei  höchst 
geistreich  und  von  Wenigen  verstanden",  antworten:  „wenn  Michel- 
angelo will,  dass  seine  Erfindungen  nur  von  wenigen  Gelehrten  ver- 
standen werden,  so  überlasse  ich  seine  Gedanken  ihm  selbst,  da 
ich  nicht  zu  diesen  wenigen  Gelehrten  gehöre." 

Es  klingt  wie  eine  Antwort  auf  solche  Kritik,  der  sich  Lodovico 
Dolce  angeschlossen  hat,  wenn  Michelangelo  Biondo  1549  das 
Jüngste  Gericht  „das  schönste  und  ruhmvollste,  das  glorreichste 
Werk"  nennt,  welches  je  in  der  Welt  von  irgend  einem  Maler 
gemacht  wurde  (Quellenschriften  für  Kunstgeschichte  V,  38).  Und 
gleich  darauf,  1550,  offenbar  in  Kenntniss  des  Aretino'schen  Briefes, 
ergreift  Vasari  in  der  ersten  Ausgabe  seiner  Vite  das  Wort.  Nach- 
dem er  die  Terribilitä  und  Grösse  des  Werkes,  die  Wahrhaftigkeit 
im  Ausdruck  aller  menschlichen  Affekte ,  das  Dekorum  im  Aus- 
sehen und  in  den  Bewegungen  aller  Figuren,  die  unendliche  Mannig- 
faltigkeit und  Neuheit  der  Motive,  den  philosophischen  Geist,  die 
Kunst  der  Verkürzungen  und  der  Modellirung  in  höchsten  Tönen 
gepriesen,  ruft  er  aus : 

„Dies  ist  in  unserer  Kunst  das  Muster  grosser  Malerei,  das 
von  Gott  den  Menschen  auf  Erden  gesandt  ward,  damit  sie  ge- 
wahren, was  das  Schicksal  thut,  wenn  die  Geister  von  höchstem 
Sitze  »herab  auf  die  Erde  steigen  und  ihnen  die  Gnade  und  die 
Göttlichkeit  des  Wissens  eingehaucht  wird.  Dieses  Werk  macht 
Alle,  die  sich  einbilden.  Etwas  von  Kunst  zu  wissen,  zu  Gefangenen, 
und  jeder  gewaltige  Geist,  er  sei  so  reich  begabt  in  der  Zeichnung 
wie  er  wolle,  geräth  in  Furcht  und  Zittern,  sieht  er  die  Striche, 
mit  denen  die  Umrisse  von  was  immer  es  sei  gezeichnet  sind. 
Und  indem  man  die  Mühen  dieser  seiner  Schöpfung  gewahrt,  ver- 
wirren sich  die  Sinne  beim  blossen  Gedanken,  was  andere  Gemälde, 
die  wetteifernd  mit  diesem  entstehen  oder  entstehen  werden,  sein 
können!  Glücklich  wahrUch  darf  sich  die  Zeit  nennen  und  glück- 
lichen Gedenkens ,  wer  dies  staunenswerthe  Wunder  unsres  Jahr- 
hunderts gesehen!  Glückselig  und  vom  Schicksal  begünstigt  bist 
du,  Paul  III,  da  Gott  es  zugiebt,  dass  unter  deiner  Protektion  sich 
der  Ruhm  berge,  den  seinem  und  deinem  Andenken  die  Federn 
der  Schriftsteller  verleihen  werden.     Wie  viel  gewinnen  deine  Ver- 


6g  Das  Jüngste  Gericht 


dienste  durch  seine  Fähigkeiten?  Das  ist  gewiss,  ein  guter  Stern 
ward  durch  seine  Geburt  den  Künstlern  in  diesem  Jahrhundert 
beschieden,  da  sie  den  Vorhang  zerrissen  sahen,  und  durch  die 
von  ihm  geschaffenen  Malereien  und  Skulpturen  und  Architekturen 
alle  Schwierigkeiten  behoben ,  zu  entwerfen  und  gestalten ,  was 
man  will." 

Zwei  Jahre  später  äussert  sich  der  Litterat  Lodovico  Domenichi 
in  seiner  Schrift:  „Nobiltä  delle  Donne"  (Venedig,  Giolito  1552) 
gelegentlich  der  Erwähnung  des  Nackten  in  der  Antike:  ,,In  seinem 
wunderbaren  Gemälde  in  der  Kapelle  zu  Rom  hat  Michelangelo 
es  mit  lebhafter  Kraft  wieder  in  Gebrauch  bringen  wollen,  was  ihm 
viel  grösseres  Lob  von  den  Kunstverständigen  eingetragen  hat,  als 
Tadel  von  einigen  Ignoranten  und  Betbrüdern  (ignoranti  spigolistri), 
die  sich  schämen,  schönste,  dem  einen  und  dem  anderen  Geschlecht 
eigene  Körpertheile  anzusehen." 

Aber  die  Meinungen  bleiben  getheilt.  Ausführlich  werden  die 
Mängel  des  Werkes  in  einem  Dialog  des  Gilio  da  Fabriano  be- 
sprochen,  auf  den  schon  Borghini  in  seinem  Riposo  (S.  53)  auf- 
merksam macht.  (Due  dialoghi  di  M.  Giovanni  Andrea  Gilio  da 
Fabriano.  Camerino  1564,  S.  69 ff.  Bei  Steinmann:  Sixt  Kap.  II,  554 
ein  Auszug.)  Auf  die  Nacktheit  wird  jetzt  kein  solches  Gewicht 
mehr  gelegt;  inzwischen  hatte  Daniele  da  Volterra  ja  schon  das 
hierin  Anstössige  beseitigt.  Der  Tadel  des  sprechend  eingeführten 
Kanonikus  Ruggiero  Coradini  trifft  die  der  Andacht  und  Ehrfurcht 
widersprechende  Verletzung  des  Theologisch-Historischen.  Die  zum 
Theil  sehr  kindisch  vertheidigten  Bedenken  betreffen  die  Bartlosig- 
keit  Christi,  die  Furchtsamkeit  der  Madonna,  die  als  willenseinig 
mit  ihrem  Sohne  doch  den  gleichen  Abscheu  vor  den  Verdammten 
zeigen  müsse,  die  Flügellosigkeit  der  Engel  und  die  fehlerhafte 
Charakteristik  der  Teufel,  die  keine  Schwänze  und  Hörner  hätten, 
die  Verschiedenartigkeit  im  Zustande  der  Auferstehenden,  den  Flug 
der  Auserwählten  gen  oben,  die  Anbringung  des  Charon.  Ja  er 
will,  obgleich  er  aus  der  Bibel  direkt  widerlegt  wird,  selbst  die 
beiden  Bücher  nicht  gelten  lassen,  da  nur  das  Gewissen  am  Jüngsten 
Tage  entschuldige  oder  verklage.  Selbst  ein  Bewunderer  Michel- 
angelos darf  in  diesen  Gesprächen  sich  empört  über  die  unschick- 
lichen, gewaltsamen  Bewegungen  der  Engel  mit  den  Marterwerk- 
zeugen äussern. 

Wie  der  Kanonikus,  der  Alles  für  ,,favoloso  e  vano"  hielt,  be- 
zeichnete nach  Lomazzo  (Idea  S.  98)  ein  Schüler  des  Camillo 
Boccaccino  die  ,, Wunder  dieses  Werkes"  als  ,, Träume  und  Chimären". 
Michelangelo  habe  beabsichtigt,  der  Dante  unter  den  Malern  zu 
sein.  Man  sieht,  es  hatten  sich  Schlagworte  gebildet.  Dem  gegen- 
über   sprach    Lomazzo    es    mit   Nachdruck   aus :    das    Gemälde    sei 


Die  Urtheile  über  das  Jüngste  Gericht  69 

„das  edelste  und  ausgezeichnetste,  das  man  auf  Erden  finden  könne" 
(Idea  S.  42).  Er  rühmt  die  unendliche  Fülle  der  Motive,  die  sichere 
Charakteristik  der  Dämonen,  erklärt  die  bedeutendere  Grösse  der 
oberen  Figuren  aus  der  Nothwendigkeit  eines  gleichmässigen  Ein- 
druckes, nur  bezüglich  der  Heiligen,  meint  er,  habe  der  Künstler 
nicht  das  Dekorum  gewahrt ,  da  er  sie  zu  robust  dargestellt 
(Trattato  I,  31.   179.  207.  206). 

Wie  die  Künstler,  hat  Michelangelo  auch  die  künstlerisch  fühlen- 
den Dichter  für  sich  gehabt.  Noch  bevor  er  das  Gemälde  ent- 
hüllt, scheint  ihm  Francesco  Maria  Molza  folgendes  Sonett  (Poesie. 
Bergamo   1747.     Son.  CXLIV.  S.  75)  gesandt  zu  haben: 

Angiol  terren,  che  PoUcleto  e  Apelle 

A  l'etä  nostra  desiar  non  lasci, 

E  dai  spirar  si  dolcemente  a  i  sassi, 

Ch'  opre  il  mondo  non  vede  altre  piü  belle. 

Se  le  voglie  contempli  inique  e  feile, 
Di  che  '1  secolo  ripieno  ogn'or  piü  fassi, 
Non  fu  mai  di  virtü  spirti  si  cassi, 
Ne  gente  di  pietä  tanto  rubelle. 

Tu  sol  (perche  non  scopri  il  bei  lavoro) 
Puoi  con  effetti  di  lodi  alti  e  chiari 
II  mondo  richiamar  a  l'antic'oro. 

Si  che  a  prieghi  si  desti  omai  piu  rari, 
E  '1  Ciel  mirando,  e  di  Cocito  il  coro 
Amar  or  l'uno,  or  temer  l'altro  impari. 

Und  Niccolo  Martelli ,  der  gleich  nach  Enthüllung  in  einem 
Briefe  an  Michelangelo  seiner  schrankenlosen  Begeisterung  über 
das  ,, göttliche  Werk"  Ausdruck  gegeben  hatte,  grüsst  den  Meister 
mit  folgenden  Strophen  (Frey:  Die  Dichtungen  des  M.  B.  S.  265, 
CLXXIII): 

Se  Prassitel,  del  marmo  etterno  honore, 
E  il  grande  Apelle,  a  cui  diede  la  cura 
Ritrar'  sol  di  se  stesso  la  figura 
Colui,  ch'al  mondo  die  briga  et  terrore. 

Non  fusser    d'esta  nostra  vita  fuore, 
Non  sdegnierien  chiamarvi  lor'  fattura, 
Michelangel,  piü  ch'huom  di  cui  natura 
Piü  bello  ancor'  non  hebbe  imitatore. 

Come  veder'  si  puo  nel  sacro  tempio 

Del  Vatican'  dal'  alta  fantasia 

Vostra  sculpito  il  Di  grande  et  tremendo, 

Che  perch'  ai  gesti  et  moti  han'  vivo  essempio, 
L'occhio  s'inganna  et  l'udir'  non  udendo, 
Tra  l'uno  et  altro  par'  discordi  sia. 


70  Das  Jüngste  Gericht 


Worte,  welche  die  unerhört  lebensvolle  Wirkung  der  Gestalten 
ähnlich  verherrlichen,  wie  ein  Ausspruch  Sebastiano  del  Piombos, 
den  Pietro  Aretino  in  seiner  Komödie  La  Talanta  (Akt  II,  Sz.  3) 
mittheilt:  ,,es  ist  schwer  einzusehen,  wer  lebendiger  sei:  die  Leute, 
welche  die  gemalten  Figuren  bewundern,  oder  die  Figuren,  die 
von  den  Leuten  bewundert  werden." 

An  Vasaris  überschwänglichen  Ausruf  erinnert  der  Schluss 
eines  Sonettes  von  Gandolfo  Porrino  von  Modena  (Frey:  Dicht. 
S.  272,  CLXXX): 

Se  del  figliol  di  Dio  l'almo  sembiante, 
Che  Veronica  impresse  nel  bei  velo, 
Tal  ch'e  giä  stanco  et  ha  cangiato  il  pelo, 
Tira  del  Tebro  ä  queste  rive  sante, 

Ho  per  mirar  diverse  cose  tante 
Et  tutta  la  militia  alta  del  cielo 
Dritto  e,  se  di  la  sü  lo  scalda  il  zelo, 
Ch'ale  doppio  disio  giunga  ä  le  plante. 

Quivi  appar  di  Maria  la  forma  vera, 
E  quel  fia  nel  gran  di  reterno  Sire, 
Scacciando  i  pravi  e  ä  se  chiamando  i  giusti, 

O  Sacra  Roma,  homai  tu  puoi  ben  dire: 
Mai  non  mi  fe  di  tal  trionfo  altera 
Cesare  o  gli  altri  miei  famosi  Augusti. 

Die  Vorwürfe,  die  Michelangelo  im  XVI.  Jahrhundert  gemacht 
wurden,  bezogen  sich  im  Wesentlichen  auf  Geist  und  Auffassung 
des  Werkes,  nicht  auf  die  künstlerische  Gestaltung.  Diese  wurde 
als  ein  wahres  Wunder  betrachtet.  Erst  aus  dem  Anfang  des 
XVII.  Jahrhunderts  vernehmen  wir,  im  Nachklang  derjenigen  Lodo- 
vico  Dolces,  Stimmen,  die  auch  an  ihr  auszusetzen  finden,  und 
zwar  sind  es,  was  leicht  erklärlich,  solche  bolognesischer  Künstler. 
Annibale  Caracci  vergleicht  die  Deckengemälde  der  Sixtina  und  das 
Jüngste  Gericht  und  zieht  die  ersteren  vor ,  da  die  Figuren  im 
Gericht  zu  anatomisch  seien  (Bellori:  Vite  S.  44).  Francesco 
Albani,  der  Michelangelo  in  der  Komposition  der  Verdammten  im 
Charonsnachen  von  Raphael  beeinflusst  glaubt,  tadelt  die  Perspek- 
tive: auch  die  oberen  Gestalten  hätten  von  unten,  also  von  einem 
tiefen  Gesichtspunkt  aus  gesehen  werden  sollen ;  er  findet  viele 
Figuren  überflüssig  und  wünscht,  Michelangelo  habe  für  die  An- 
ordnung der  Christus  umgebenden  Personen  sich  des  Vorbildes 
Raphael'scher  Kompositionen  bedient  (Malvasia:  Felsina  pittrice,  ed. 
Zanotti  U,  169).  Damit  beginnt  eine  Kritik,  die,  schon  vor  1672 
von  Felibien  in  seinen  „Entretiens"  bekämpft,  sich  im  XVIII.  Jahr- 
hundert   bis    zu  Verdammungsurtheilen    steigert.     Auf  Mengs'schen 


Die  Urtheile  über  das  Jüngste  Gericht  71 

Spuren  gehend,  sieht  d'Azara  in  der  Michelangelo'schen  Kunst,  als 
deren  Beispiel  er  das  Jüngste  Gericht  zitirt,  keine  Schönheit, 
sondern  nur  die  Absicht,  ,,pompa  del  suo  sapere"  zu  machen,  ge- 
waltsame Bewegungen,  einzig  bestimmt,  die  anatomischen  Kennt- 
nisse zur  Schau  zu  tragen,  einen  groben  und  schwerfälligen  Stil 
(Mengs:  Opere  publ.  da  G.  N.  d'Azara.  Parma  1780,  I,  115).  Die 
abfälligen  Urtheile  Frearts  und  Milizias  sind  bekannt.  Richardson 
(III,  496  ff)  rede  von  ,,Improprietes,  Indecences,  Absurdites",  findet 
das  Ganze  ohne  Harmonie,  sehr  unangenehm  und  aus  dem  Wunsche 
des  Künstlers,  Parade  mit  seinen  Kenntnissen  zu  machen,  hervor- 
gegangen. Volkmann  spricht  von  ,, wildem  Getümmel",  mangelnder 
Verbindung  der  Gruppen,  fehlendem  Anstand,  Monotonie  im  Aus- 
druck, verfehlter  Charakteristik  der  Maria,  die  dreist,  hochmüthig, 
ja  beinahe  schrecklich  wirke,  und  rühmt  nur  die  Kraft,  die  Kühn- 
heit und  Grösse  der  Zeichnung  (11,  108).  Ramdohr  geht  so  weit, 
das  Gemälde  ein  Beispiel  schlechten  Geschmackes  zu  nennen.  Die 
Gestaltung  oben  sei  symmetrisch,  die  unten  unordentlich,  der  Aus- 
druck allenthalben  übertrieben  und  oft  gemein,  viele  Gedanken 
seien  sogar  ekelhaft  (der  hl.  Bartholomäus,  der  Wollüstige).  Es 
zeige  sich  ein  Mangel  an  Haltung  und  Kolorit  (I,  179).  Von 
Quatremere  de  Ouincy  wird  dargethan,  wie  der  gelehrte  Prunk  der 
Anatomie  der  Mannigfaltigkeit  des  moralischen  Eindruckes  schade. 
Nirgends  finde  man  eine  solche  Nichtigkeit  des  moralischen  oder 
Gefühlseffektes.  Am  Weitesten  in  der  Verurtheilung  der  Kompo- 
sitionsweise ist  Speth  in  seiner  ,, Kunst  in  Italien"  gegangen:  er 
sieht  nur  ein  ,, gräuliches  Gewirr". 

Inzwischen  ist  auch  die  Anklage,  die  das  Nackte  betrifft,  nicht 
ganz  verstummt.  In  einer  Satire  über  die  Malerei  (S.  Rosa :  Satire, 
Liriche,  Lettere.  Milano,  Sonzogno  1892.  S.  118  f.)  geisselt  Salvator 
Rosa  den  Hochmuth  der  Künstler  und  bringt  als  Beispiel  Michel- 
angelo : 

Ma  tutta  l'albagia  non  credo  ch'abbia 
Un  fatto  piü  superbo  e  piü  bestiale 
Di  quel  ch'ora  mi  viene  in  sulle  labia. 

Scoperse  il  suo  Giudizio  Universale 
Michel'Angelo  al  Papa;  e  ognun  che  v'era 
Lo  celebrava  un'  opera  immortale. 

Solo  un  tal  cavalier  con  faccia  austera, 
E  con  parole  di  rigor  ripiene 
Favellö  col  pittore  in  tal  maniera: 

Questo  vostro  Giudizio  espresso  b  bene, 
Perche  si  vedon  chiare  in  questo  loco 
Della  vita  d'ognun  le  parti  oscene. 


72  Das  Jüngste  Gericht 


Michel'Angelo  mio,  non  parlo  in  gioco ; 
Questo  che  dipingete  e  un  gran  Giudizio, 
Ma  del  giudizio  voi  n'avete  poco. 

10  non  vi  tasso  intorno  aH'artifizio, 
Ma  parlo  del  costume,  in  cui  mi  pare, 
Che  il  vostro  gran  saper  si  cangi  in  vizio. 

Dovevi  pur  distinguere  e  pensare, 

Che  dipingevi  in  chiesa ;  in  quanto  a  me 

Sembra  una  stufa  questo  vostro  altare. 

Sapevi  pur  che  il  figlio  di  Noe, 
Perche  scoperse  le  vergogne  al  padre, 
Tirö  l'ira  di  Dio  sovra  di  se : 

E  voi  senza  temer  Cristo  e  la  Madre 
Fate  che  mostrin  le  vergogne  aperte 
Infin  dei  santi  qui  l'intiere  squadre. 

Dunque  lä  dove  al  ciel  porgendo  Offerte 

11  sovrano  Pastore  i  voti  scioglie, 
S'hanno  a  veder  l'oscenitä  scoperte? 

Dove  la  terra,  e  il  ciel  lega  e  discioglie 
II  Vicario  di  Dio,  staranno  esposte 
E  natiche,  e  cotali,  e  culi  e  coglie? 

In  udire  il  pittor  queste  proposte, 
Divenuto  di  rabbia  e  rossor  nero, 
Non  pote  proferir  le  sue  risposte : 

Ne  potendo  di  lui  l'orgoglio  altero 
Sfogar  il  suo  furor  per  altre  bände, 
Dipinse  nell'inferno  il  cavaliero. 

E  pur  era  un  error  si  brutto  e  grande, 
Che  Daniele  dipoi  fece  da  sarto 
In  quel  Giudizio  a  lavorar  mutande. 

Männer  wie  Bottari  und  Mariette  waren  im  XVIII.  Jahrhundert 
der  gleichen  Meinung,  wie  Salvator  Rosa:  auch  für  sie  war  das 
Nackte  ein  „error  brutto  e  grande". 

Eine  Wendung  zu  verständnissvollerer  Betrachtung  des  Werkes, 
die  Wilhelm  Heinse  (1782  s.  Ardinghello)  und  Goethe,  bereits  während 
seines  römischen  Aufenthaltes,  anstellten,  trat  erst  im  XIX.  Jahr- 
hundert ein.  Man  beginnt  sich  eingehender  mit  ihm  zu  beschäf- 
tigen, so  Duppa  (A  dissertation  on  the  picture  of  the  last  jugdment 
and  a  life  of  Raffaello.  London  1801)  und  Alexander  Lenoir 
(Observations  sur  le  genie  de  M.  A.  et  son  tableau  representant  le 


Die  Urtheile  über  das  Jüngste  Gericht  72 

Jugement  dernier.  Paris  1820.  Annales  Frangaises  des  Arts,  Bd.  VI). 
In  Italien  macht  Antonio  Mezzanottes  Cantica  sul  finale  Giudizio 
dipinto  da  M.  (Perugia  1804)  von  sich  reden  und  ruft  Besprechungen 
hervor:  Pietro  Bagnolis  Articolo  critico  sulla  cantica  di  M.  (Nuovo 
Giornale  dei  Letterati.  Pisa  1825.  X,  3 — 13),  Vincenzo  Salvagnolis 
Articolo  bibliografico  sopra  la  cantica  del  prof.  M.  (in  Giornale 
Arcadico  di  scienze,  lettere  ed  arti.  Roma  1825.  XXV,  331 — 338). 
Aber  zu  unbedingter  Anerkennung  kamen  doch  auch  jetzt  nur 
Wenige,  unter  denen  Eugene  Delacroix,  der  es  j.l'ouvrage  le  plus 
colossal  que  les  arts  aient  produit  chez  les  modernes"  nennt,  an 
erster  Stelle  anzuführen  ist  (1837.  Rev.  d.  d.  m.  IV.  ser,  tom.  XI, 
S.  337  ff.),  und  unter  den  neuesten  Berthold  Haendcke  (Kunst- 
chronik 1903  N.  F.  XIV.  S.  57  ff.).  Was  zu  wohl  allgemeiner  Würdi- 
gung gelangt,  ist  die  hohe  Kunst  der  Anordnung,  auf  welche  Be- 
trachter, wie  Montegut,  Manz,  Springer  und  Carl  Justi  mit  be- 
sonderem Nachdruck  die  Aufmerksamkeit  lenkten.  Burckhardt  und 
Springer  werden  vorzugsweise  durch  die  unvergleichliche  Kraft  der 
in  den  einzelnen  Gruppen  ausgedrückten  poetischen  Gedanken  ge- 
fesselt. Auch  die  vollendete  Technik,  welche  Heath  Wilson  zu 
näheren  Untersuchungen  veranlasst,  wird  erkannt.  Aber  die  alten  Be- 
denken werden,  wenn  auch  in  gemässigterer  Form,  wieder  laut.  So 
weit  wie  Ruskin,  der  jene  früheren  Behauptungen,  es  sei  Michelangelo 
nur  um  Schaustellung  seiner  Fertigkeit  und  anatomischen  Kennt- 
nisse zu  thun  gewesen,  erneut,  geht  freilich  nur  ein  Anderer:  Heath 
Wilson ,  der  das  Gemälde  eine  für  die  Marterkammer  der  Inqui- 
sition passende  Dekoration  nennt,  darin  Verstösse  gegen  allen  Ge- 
schmack und  alles  religiöse  Gefühl,  ja  ,,Irreverence"  findet.  Aber 
immer  wieder  kehrt  der  Vorwurf  der  grausamen  Einseitigkeit  der 
Schreckensschilderung,  des  Unterdrückens  aller  seelischen  Züge  von 
Liebe,  Dankbarkeit,  Sympathie,  der  Tilgung  aller  Stimmung  von 
Heiligkeit  und  Seligkeit  in  den  himmlischen  Heerschaaren,  der  Ver- 
nachlässigung des  richtigen  Ausdrucks  zu  Gunsten  der  Anbringung 
von  Verkürzungen  —  letzteres  wird  besonders  in  Platners  Be- 
schreibung von  Rom  (II,  S.  275  ff.)  bezüglich  der  Engel  mit  den 
Marterwerkzeugen  geltend  gemacht.  Sehr  scharf  hat  Burckhardt 
im  Cicerone  das  Urtheil  formulirt: 

,,Der  grosse  Hauptfehler  dieser  gewaltigen  Schöpfung,  die  schon 
durch  die  schlechte  Erhaltung  ungünstig  wirkt,  kam  tief  aus  Michel- 
angelos Wesen  hervor.  Da  er  längst  gebrochen  hatte  mit  Allem,  was 
kirchlicher  Typus,  was  religiöser  Gemüthsanklang  heisst,  da  er  den 
Menschen  —  gleichviel  welchen  —  immer  und  durchgängig  mit  er- 
höhter physischer  Macht  bildete,  zu  deren  Äusserung  die  Nacktheit 
wesentlich  gehört,  so  existirt  gar  kein  kenntlicher  Unterschied 
zwischen  Heiligen,    Seligen  und  Verdammten.     Die  Bildungen    der 


74  Das  Jüngste  Gericht 


oberen  Gruppen  sind  nicht  idealer,  ihre  Bewegungen  nicht  edler 
als  die  unten.  Umsonst  sucht  man  nach  jener  ruhigen  Glorie  von 
Engeln,  Aposteln  und  Heiligen,  die  in  anderen  Bildern  dieses  In- 
halts schon  durch  ihr  blosses  symmetrisches  Dasein  die  Haupt- 
gestalt, den  Richter,  so  sehr  heben,  vollends  aber  bei  Orcagna  und 
Fiesole  mit  ihrem  wunderbaren  Seelenausdruck  einen  geistigen 
Nimbus  um  ihn  ausmachen.  Nackte  Gestalten ,  wie  Michelangelo 
sie  wollte,  können  eine  solche  Stimmung  gar  nicht  als  Träger  ver- 
dienen ;  sie  verlangen  Gesten,  Bewegung  und  eine  ganz  andere  Ab- 
stufung von  Motiven.  Auf  die  letzteren  hatte  es  der  Meister  eigent- 
lich abgesehen."  Er  führt  dann  nach  höchster  Anerkennung  der 
poetischen  Kraft  aus ,  dass  doch  wohl  die  malerischen  Gedanken 
im  Ganzen  das  Bestimmende  gewesen  seien.  ,,Vom  malerischen 
Gesichtspunkte  aus  ist  denn  auch  sein  Werk  einer  ewigen  Bewun- 
derung sicher.  Es  wäre  unnütz,  die  Motive  einzeln  aufzählen  zu 
wollen ;  kein  Theil  der  ganzen  grossen  Komposition  ist  in  dieser 
Beziehung  vernachlässigt ;  überall  darf  man  nach  dem  Warum }  und 
Wie.?  der  Stellung  fragen  und  man  wird  Antwort  erhalten."  Und 
die  Betrachtung  schliesst:  „immer  noch  bleibt  das  Ganze  einzig 
auf  Erden." 

Erst  in  dieser  neueren  Zeit  versucht  man  sich  über  die  geistigen 
Vorbedingungen  und  den  Gedankengehalt  klar  zu  werden.  Hettner, 
dessen  Auffassung  im  Wesentlichen  von  Justi  getheilt  wird,  erklärt 
das  Werk  aus  der  Gegenreformation :  es  zwänge  sich  wieder  in  die 
Schranken  der  überlieferten  Dogmatik.  Carriere  (in  der  Zeitschr.  f. 
bild.  Kunst  1869,  IV,  S.  334)  sieht  von  solchem  Zwange  Nichts.  Er 
erfasst  Michelangelo  hier  als  den  Maler  des  Gewissens,  wie  Shake- 
speare dessen  Dichter  sei.  Der  Künstler  halte  Gericht  über  die 
Schlechtigkeit  der  Welt,  wie  Shakespeare  im  Timon  und  im  Lear. 
Es  sei  eine  reformatorische  Predigt,  in  Michelangelo  rege  sich  das 
Puritanerthum,  das  durch  Milton  seine  Sprache  finden  sollte.  Mon- 
tegut  bezeichnet  das  Gemälde  als  eine  höchste  abstrakte  Kon- 
zeption. Es  führe  in  die  ontologischen  Sphären  des  Christenthums, 
in  denen  die  Sensibilität,  das  Mitleid,  die  Zärtlichkeit  Nichts  zu  thun 
haben.  ,, Christus  ist  gross ,  nicht  weil  er  vorübergehende  Leiden 
erfahren,  sondern  weil  er  der  Vollzieher  eines  vom  Urbeginn  der 
Zeiten  an  gefassten  Rathschlusses  ist."  Haendcke  erkennt  in  dem 
Schöpfer  des  Werkes ,  in  dem  man  durchaus  nicht  nur  die  Schil- 
derung des  Dies  irae,  sondern  stets  von  Neuem  das  Hervorbrechen 
der  Seligkeit  gewahre  und  mit  dem  gluthvollen  Glauben  des  supra- 
naturalistischen Mittelalters  die  Verherrlichung  des  Menschen  im 
Sinne  der  Renaissance  verbunden  finde,  den  Mann,  ,,der  beide 
Weltansichten,  die  sich  damals  trafen,  mit  sicherster  Hand  zu  ver- 
einigen verstand". 


Der  Engelsturz  75 


B.   Der  Engelsturz 

Gleichzeitig  mit  dem  Gedanken  des  Jüngsten  Gerichtes  für 
die  Aharwand  der  Sixtinischen  Kapelle  fasste  kurz  vor  seinem 
Tode  Clemens  VII.  jenen,  an  der  Eingangswand  den  Sturz  Luzifers 
und  der  Engel  von  Michelangelo  malen  zu  lassen.  Das  Einzige, 
was  wir  hierüber  erfahren ,  findet  sich  in  der  zweiten  Ausgabe 
Vasaris.  ,,Und  an  der  anderen  Wand  gegenüber  über  dem  Haupt- 
eingang hatte  er  ihm  Auftrag  gegeben ,  darzustellen ,  wie  Luzifer 
wegen  seines  Hochmuthes  aus  dem  Himmel  verjagt  ward  und  zu- 
gleich mit  in  die  Tiefe  der  Hölle  alle  jene  Engel,  die  mit  ihm  ge- 
sündigt, hinabgestürzt  wurden.  Wie  sich  erwies,  hatte  Michelangelo, 
es  ist  schon  viele  Jahre  her ,  für  diese  Komposition  Skizzen  und 
verschiedene  Zeichnungen  angefertigt,  deren  eine  dann  von  einem 
sizilianischen  Maler,  der  viele  Monate  lang  Michelangelo  als  Farben- 
reiber  diente,  in  der  Kirche  der  Trinitä  in  Rom  ausgeführt  worden 
ist.  Dieses  Werk  befindet  sich  im  Querschiff  der  Kirche ,  in  der 
Kapelle  des  hl.  Gregorius,  in  Fresko  gemalt,  und  obgleich  es  schlecht 
in  der  Behandlung  ist ,  gewahrt  man  doch  etwas  grossartig  Ge- 
waltsames (terribile)  und  grosse  Mannigfaltigkeit  in  den  Stellungen 
und  Gruppen  der  nackten  Gestalten,  die  vom  Himmel  herab  regnen, 
und  der  in  die  Tiefe  der  Erde  Gestürzten,  die  in  verschiedenartige 
bizarre ,  von  Schrecken  erfasste  Teufelsgestalten  verwandelt  sind ; 
und  eine  kapriziöse  Phantasie  ist  es  wahrhaftig." 

Zwei  spätere  Zeugnisse  führt  Steinmann  (Sixt.  Kap.  S.  524)  an. 
Im  Codex  Capp.  Vat.  231,  p.  27  des  Giulio  Mancini  heisst  es: 
,,dicono  alcuni ,  che  la  caduta  di  Lucifero  dentro  in  chiesa  sia  di 
Jacomo  da  Pontormo".  Und  in  Caspare  CeUos  „Memorie  dei  nomi 
delU  artefici ,  delle  pitture  che  sono  in  alcune  chiese ,  facciate  e 
palazzi  di  Roma",  Napoli  1638  (Handschrift  im  Archäol.  Institut  in 
Rom):  ,,da  capo  incontro  alla  Assunta  di  Federico  vi  e  la  pittura 
della  caduta  degh  AngioU  con  alcuni  Profeti  e  Sibille  con  la  sua 
invetriata;  il  tutto  e  disegno  di  M.  A. ;  di  chi  li  habbia  coloriti 
l'opinione  e  incerta,  si  dice  che  fu  un  N.  Siciliano,  che  mori  subito 
dopo,  alti  dicono  che  furno  quelli  due  che  fece  venire  il  Buonarroti 
da  Firenze  per  cominciare  la  volta;  puo  essere  che  gli  tre  insieme 
la  pingessero  essa  opera,  poiche  si  va  vedendo,  che  la  volta  non  e 
simile  del  tutto  al  restante  quanto  colorito." 

Bei  Filippo  Titi :  Studio  di  pittura,  Rom  1674,  p.  408  findet 
sich  nur  eine  kurze  Wiederholung   der  Vasari'schen  Angaben.     Im 


76  Der  Engelsturz 


Ritratto  di  Roma  moderna,  Rom  1689,  p.  344  liest  man:  ,,il  giu- 
dizio  nella  croce  della  chiesa  e  d'un  Siciliano  che  serviva  il  Buo- 
narroti  et  e  uno  de'disegni  fatti  per  il  Giuditio  nel  Vaticano." 

Später  wurde  das  Fresko  zerstört,  als  man  eine  Kapelle  des 
hl.  Franz  dort  baute  (Titi:  Ausgabe  von   1763,  p.  377). 

Haben  wir  irgend  eine  Möglichkeit,  das  Gemälde  zu  rekon- 
struiren  ?  Ein  Entwurf  Michelangelos  für  die  gesamte  Komposition 
ist  nicht  erhalten.  Wie  ich  bei  Karl  Köpl :  ,, Urkunden,  Acta  u.  s.  w. 
aus  dem  k.  k.  Statthalterei-Archiv  in  Prag"  (Jahrb.  der  kunsthist. 
Sammlungen  des  Allerhl.  Kaiserhauses  l88g,  X,  S.  CXXXVIII)  finde, 
befand  sich  im  XVIII.  Jahrhundert  in  der  Kaiserl.  Kunstkammer 
(Inventare  von  17 18  und  1737)  unter  Nr.  453  ein  Bild:  ,,Die  Ver- 
treibung Luzifers  aus  dem  Himmel",  das  als  Kopie  des  Originales 
von  Michelangelo  betrachtet  wurde.  Ist  dieses  Bild  noch  heute  er- 
halten } 

Beachtenswerth  scheint  mir  eine  ausgeführte  Zeichnung  von 
Angelo  Bronzino  in  den  Uffizien  (ausgestellt  545,  4982  F)  zu  sein. 
Sie  könnte,  ja  dürfte  wahrscheinlich  von  Michelangelos  Werk  in- 
spirirt ,  gewiss  aber  nicht  als  eine  Kopie  aufzufassen  sein.  Sie 
zeigt  in  der  Höhe  auf  Wolken  stehend  den  hl.  Michael,  in  der  Linken 
den  Schild ,  in  der  Rechten  das  Schwert.  Links  und  rechts  von 
ihm  über  Wolken  anbetende  Engel.  Darunter  der  Sturz  zahlreicher, 
in  zwei  Reihen  über  einander  angeordneter  nackter  Figuren.  Unten 
auf  der  Erde  verzweifelt  laufende ,  hockende ,  die  Hände  ringende 
Gestalten.  Rechts  der  Abgrund  mit  Flammen.  Es  dürfte  sich  diese 
Komposition  ähnlich  zu  der  des  Meisters  verhalten ,  wie  Bronzinos 
Entwurf  zu  einem  Jüngsten  Gericht  (Uffizien  546)  zu  dem  der  Six- 
tinischen  Kapelle.  In  Hauptzügen  hält  sich  Bronzino  hier  an  das 
grosse  Vorbild,  verändert  es  aber  doch  sehr  frei. 

Die  Mittelgruppe  unten :  erschreckte ,  eilende  Männer  mit  ab- 
wehrenden Bewegungen  ruft  uns  die  kleinen  Skizzen  der  Casa 
Buonarroti,  die  je  drei  solche  Figuren  zeigen  und  gelegentlich  der 
,, Bekehrung  Sauls"  von  mir  angeführt  werden,  in  Erinnerung: 
V,   17,   18;  VIII,  38;  XIII,  67,  68  (Thode  27,  28,  36,  59,  60). 

Dass  Rubens  das  Gemälde  in  S.  Trinitä  gekannt  und  ihm  An- 
regungen für  seine  Darstellungen  des  Engelssturzes  und  auch  des 
Sturzes  der  Verdammten  in  München  entnommen,  ist  mit  Sicherheit 
anzunehmen. 

Auf  einen  kuriosen  Entwurf  des  Engelssturzes  von  Hans  Bock, 
der  lauter  vereinzelte  Stürzende  in  kühnen  Verkürzungen  zeigt, 
möchte  ich  nur  beiläufig  hinweisen  (Basel:  Öff.  Kunsts.  Nr.  4,  85). 


Die  Fresken  der  Cappella  Paolina:  Geschichtliches  77 


C.   Die  Fresken  der  Cappella  Paolina 

I 

Geschichtliches 

In  der  ersten  Ausgabe  der  Vite  erwähnt  Vasari  die  Fresken  ganz 
kurz:  „und  nachdem  diese  (Sixtinische)  Kapelle  vollendet,  wurde 
ihm  eine  andere ,  wo  das  Sakrament  sich  befinden  wird ,  gen.  die 
Paulina,  in  Arbeit  gegeben.  In  ihr  malte  er  zwei  Geschichten,  eine 
vom  hl.  Petrus,  die  andere  vom  hl.  Paulus;  die  eine,  wie  Christus 
dem  Petrus  die  Schlüssel  giebt,  die  andere  die  schreckenvolle  Be- 
kehrung Sauls."  Damals,  also  1550,  lässt  Vasari  den  Meister  noch 
mit  den  Fresken  beschäftigt  sein. 

Condivi  schreibt:  ,,SchliessHch  wünschte  Papst  Paul,  der  in 
demselben  Stockwerk  wie  die  Kapelle  des  Sixtus  eine  Kapelle  ge- 
baut hatte,  diese  auch  mit  Erinnerungen  an  den  Künstler  zu 
schmücken  und  Hess  ihn  zwei  grosse  Gemälde  an  den  Seitenwänden 
malen ;  in  dem  einen  ist  die  Geschichte  dargestellt ,  wie  S.  Paulus 
durch  die  Erscheinung  Jesu  Christi  bekehrt  wird,  in  dem  anderen 
die  Kreuzigung  Petri,  beide  staunenswerth  sowohl  im  Ganzen  der 
Darstellung,  als  auch  in  jeder  einzelnen  Figur.  Und  dies  ist  das 
letzte  Werk  der  Malerei,  das  er  bis  zum  heutigen  Tage  geschaffen, 
und  er  vollendete  es  im  Alter  von  75  Jahren."  Das  heisst  also 
im  Jahre   1550. 

Eine  ausführlichere  Beschreibung  der  Fresken  giebt  Vasari  in 
der  zweiten  Auflage,  in  welcher  er  erwähnt,  dass  Antonio  da  San 
Gallo  die  Kapelle  nach  dem  Muster  derjenigen  von  Nikolaus  V. 
gebaut  habe,  und  fährt  fort:  ,, Immer  ist  Michelangelo,  wie  schon 
an  anderer  Stelle  gesagt  wurde,  nur  auf  die  Vervollkommnung  der 
Kunst  bedacht  gewesen ;  in  der  Landschaft  sieht  man  weder  Bäume 
noch  Häuser  noch  andere  anmuthige  Spielereien  der  Kunst,  denn 
niemals  war  er  auf  solche  bedacht  als  Einer ,  der  seinen  grossen 
Geist  nicht  mit  Dergleichen  erniedrigen  wollte.  Dies  waren  seine 
letzten  Gemälde;  er  führte  sie  im  Alter  von  75  Jahren  aus,  und 
zwar,  wie  er  mir  sagte,  mit  grosser  Mühe,  da  die  Malerei  und 
namentlich  die  Arbeit  in  Fresko ,  ist  man  über  ein  gewisses  Alter 
hinaus,  nicht  eine  Kunst  der  Greise  ist.  Michelangelo  ordnete  an, 
dass  nach  seinen  Zeichnungen  Perino  del  Vaga,  ein  ausgezeichneter 
Maler,    das  Gewölbe   mit  Stuck  und  mannigfaltigen  Malereien  aus- 


78  Die  Fresken  der  Cappella  Paolina 

schmücke;  und  dies  war  auch  der  Wille  Pauls  III.,  doch  wurde  die 
Sache  auf  die  lange  Bank  geschoben  und  man  machte  Nichts  davon. 
So  bleiben  viele  Dinge  unvollendet,  bisweilen  durch  die  Schuld 
unentschlossener  Künstler,  bisweilen  durch  die  von  Fürsten,  welche 
zu  wenig  bemüht  sind,  sie  anzuspornen." 

Folgendes  sind  die  uns  erhaltenen  näheren  Angaben  über  die 
Ausführung  der  Fresken.  Im  Herbst  1541  sind  diese  beschlossene 
Sache.  Der  Kardinal  Ascanio  Parisani  schreibt  am  23.  November 
an  den  Herzog  von  Urbino  (Gaye  II,  290) : 

,,Da  unser  Herr  den  Wunsch  hat  und  entschlossen  ist,  dass 
Michelangelo  Hand  anlege,  seine  neue  Kapelle  im  Palast  auszumalen, 
aber  die  Verpflichtung,  die  er  bezüglich  des  Grabmales  des  Papstes 
Julius  E.  Exzellenz  gegenüber  hat,  und  Euer  Interesse  in  dieser 
Sache  kennt,  hat  er  mit  mir  davon  gesprochen  und  mir  aufgetragen, 
ich  solle  Euch  schreiben  und  Euch  ermahnen ,  es  so  einzurichten, 
dass  besagter  Michelangelo  mit  entlasteterem  Gemüth  Seiner  Heilig- 
keit dienen  könne.  Er  wies  darauf  hin ,  dass  er ,  mit  der  Aus- 
malung der  Kapelle  beschäftigt ,  nicht  an  dem  Grabmal  arbeiten 
könne;  alt  und  hinfälHg  werde  er,  nach  Vollendung  der  Kapelle, 
falls  er  noch  lebe,  nicht  weiter  mehr  arbeiten  können,  und  da  jene 
drei  oder  vier  Jahre  in  Anspruch  nehmen  werde,  so  sei  es  nöthig, 
für  das  Grabmal  in  anderer  Weise  Sorge  zu  tragen." 

Am  20.  Juli  1542  ist  die  Arbeit  im  Gange,  sie  wird  in  einem 
Briefe  Vittoria  Colonnas  erwähnt.  Am  16.  November  1542  erhält 
Urbino  eine  Provision  für  Farbenreiben  in  der  Kapelle.  Aus  den 
Jahren  1543  (22.  Februar)  und  1544  (15.  November)  erfahren  wir, 
dass  der  Meister  malt.  Am  12.  Juli  1545  besichtigt  Paul  III.  die 
Malereien :  Interim  papa  ivit  ad  videndum  capellam  seu  picturas 
factas  per  dominum  Michaelem  angelum  (Steinmann  u.  Pogatscher, 
S.  399).  Verbinden  wir  diese  Nachricht  mit  der  anderen :  dass 
Urbino  am  10.  August  für  Zurichtung  der  einen  Wand  bezahlt  wird, 
so  erscheint  der  Schluss  berechtigt,  dass  damals  eines  der  beiden 
Gemälde  vollendet  ist  und  das  andere  vorbereitet  wird.  In  diesem 
Jahre  1545  ist  ein  Theil  der  Decke  der  Kapelle  durch  Brand  zer- 
stört worden.  Das  zweite  Gemälde  wird  im  März  1546  begonnen: 
am  26.  erhält  Jacomo  Meleghino  Zahlung  für  Ultramarin ,  am  29. 
Urbino  für  die  Gerüstkosten.  Auch  am  i.  Mai  1546  erhält  Me- 
leghino Geld  für  blaue  Farbe.  Weitere  Nachrichten  über  die  Arbeit 
bis  zum  Herbst  1549  fehlen.  Damals  ist  sie  nahe  der  Vollendung. 
Am  13.  Oktober  schreibt  Cosimos  Gesandter  Serristori  über  das 
Wohlbefinden  und  die  Rüstigkeit  des  Papstes:  ,, Seine  Heiligkeit 
ist  so  frisch,  dass  Sie  diesen  Morgen  eine  Sprossenleiter  von  zehn 
oder  zwölf  Stufen  hinaufstieg ,  um  die  Malereien  zu  sehen ,  welche 
Buonarroti  in  der  Kapelle,  die  Seine  Heiligkeit  von  ihm  ausführen 


Zeichnungen  79 


lässt,  gemacht  hat"  (Gronau:  Rep.  f.  Kunstw.  XXX,  194).  1550  war 
das  Werk  abgeschlossen. 

Der  übrige  malerische  Schmuck  der  Kapelle  wurde  von 
Fed.  Zuccaro  und  Lor.  Sabbatini  ausgeführt;  die  Stuckengel  in 
den  Ecken  sind  das  Werk  P.  Brescianos. 

Nach  Volkmann  (II,  112)  sahen  die  Fresken  im  XVIII.  Jahr- 
hundert aus,  ,,als  wenn  sie  mit  Russ  gemalt  wären".  Von  der 
ausserordentlichen  Sorgfalt  der  technischen  Behandlung  spricht 
Heath  Wilson,  der  sie  vor  der  Reinigung  im  Jahre  1842  auf  einer 
Leiter  genau  untersuchte.  Er  stellte  eine  frühere  Restaurirung  fest. 
Diese  ist  nach  meinen  Untersuchungen  eine  so  weitgehende,  dass 
der  ursprüngliche  Farbencharakter  fast  ganz  verschwunden  ist.  Die 
Farbe  wirkt  jetzt  unangenehm ,  fast  hässUch.  Zu  bemerken  aber 
ist,  dass  fast  alle  Beurtheiler  nur  nach  Stichen  geurtheilt  haben, 
auf  denen  die  Muskulatur  der  Körper,  vergleicht  man  die  Originale, 
sehr  übertrieben  ist.  Lernt  man  nur  bei  der  Betrachtung  von  der 
Entstellung  durch  die  Übermalung  absehen,  so  gewahrt  man  auch 
hier,  in  diesen  kaum  bekannten  Werken,  mit  wachsender  Bewunde- 
rung die  herrlichsten  und  grossartigsten  Gestalten  und  Motive. 


II 

Zeichnungen 

Von  Skizzen  des  Meisters ,  die  auf  die  beiden  Fresken  mit 
Sicherheit  zu  beziehen  sind ,  kenne  ich  nur  zwei ,  eine  schon  von 
Robinson  bemerkte  Zeichnung  in 

I.Oxford.  Univ.  Gall.  77.  Thode  450.  Ber.  1577.  Abb.  Fisher  I, 
12.  Phot.  Br.  85.  Kreide.  Rechts  zwei  nach  hinten  gewandte 
Kriegergestalten ,  auf  stufenartige  Erhöhung  steigend ,  die 
vordere  mit  einem  Stab.  —  Links  zwei  andere ,  eine  nach 
rechts  gewandt  auf  Stab  gestützt ,  die  andere  nach  hinten 
schreitend  mit  erhobener  Rechten,  einen  Helm  auf  dem  Kopf. 
Die  Studien,  deren  Entstehung  Berenson  ein  Jahrzehnt  früher 
als  das  Fresko  ansetzt,  haben  offenbar  für  die  Figuren  links 
vorne  in  der  Kreuzigung  Petri  gedient ;  freilich  wurden  sie  in 
der  Stellung  verändert. 
II.  Wien.  Albertina  158.  Thode  529.  Studie  zu  den  zwei  nach 
hinten  Laufenden  ganz  links  auf  der  Bekehrung  Sauls.  Sie 
unterscheidet  sich  in  Einzelheiten  von  dem  Fresko.  Der 
Mann  links  hat  den  Kopf  nach  links  gerichtet  und  streckt 
den  rechten  Arm  aus.  Handelt  es  sich  hier  nicht  um  eine 
Originalzeichnung,  so  gewiss  um  die  Kopie  einer  solchen. 


8o  Die  Fresken  der  Cappella  Paolina 

Die  folgenden  Blätter  kommen  in  Betracht: 
A.  Oxford.  Univ.  Gall.  60.  Thode  436—438.  Ber.  1569.  Drei 
Blätter  mit  Kreideskizzen,  i.  Ein  drapirter,  nach  vorne  aus- 
schreitender Mann ,  der  mit  dem  rechten  Arm  nach  rechts 
greift  und  den  linken  etwas  erhoben  ausstreckt  (a).  Rückseite : 
eine  nach  vorne  ausschreitende  nackte  weibliche  Figur,  die 
mit  dem  linken  Arm  nach  links  ausgreift,  den  rechten,  wie  es 
scheint,  erhebt  (b).  —  2.  Die  Figur  b,  wiederholt.  —  3.  Die 
Figur  a ,  nur  unbekleidet ,  und  die  Figur  b ,  nur  drapirt.  — 
Es  handelt  sich  also  um  mehrere  Studien  für  zwei  Gestalten, 
die  offenbar  als  Träger  irgend  einer  Last  gedacht  sind. 
Berenson  deutete  auf  die  Möglichkeit  einer  Grablegung  hin ; 
hielt  aber  eine  Beziehung  zu  den  Fresken  der  Paulina  für 
wahrscheinlicher.  Ich  würde  es  für  denkbar  halten,  dass 
hier  Skizzen  zu  zwei  Schergen  der  Kreuzigung  Petri  vor- 
liegen, zu  dem  Bärtigen  links,  der  mit  der  Rechten  das 
Kreuz  fasst ,  und  zu  dem  das  Kreuz  Fassenden  rechts  (frei- 
lich sind  die  Stellungen  etwas  verändert  worden).  Bedenk- 
lich an  dieser  Bestimmung  macht  nur  die  Thatsache ,  dass 
Figur  ib  deutlich  weiblich  ist.  So  handelt  es  sich  doch 
wohl  um  Skizzen  zu  einer  Kreuzabnahme.  Dass  die  Blätter 
in  diese  späte  Zeit  gehören,  erkannte  schon  Robinson. 

B.  London,  A.  E.  Gathorne-Hardy.  Thode  368.  Ber.  1540. 
Kreide.  Mann  in  ähnlicher  Haltung,  wie  die  eben  be- 
sprochenen, und  offenbar  in  der  gleichen  Zeit  skizzirt.  Beren- 
son findet  am  ersten  Ähnlichkeit  mit  dem  Mannesengel  rechts 
oben  in  der  Bekehrung  Sauls.  Bestimmtes  lässt  sich  nicht 
sagen. 

C.  Florenz,  Casa  Buon.  V,  17,  18.  Thode  27,  28.  XIII,  67,68. 
Thode  59,  60.  Ber.  1402,  1403,  1414,  1415.  Dazu  auch 
noch  VIII,  38.  Thode  37.  Ber.  1409.  Federskizzen.  Jede 
enthält  drei  aufgeregt  flüchtende  Figuren,  welche  abwehrende 
Bewegungen  gegen  eine  von  der  Höhe  drohende  Gefahr 
machen.  Berenson,  der  mit  Recht  auf  eine  ähnliche  Studie, 
gleichfalls  von  drei  Figuren,  in  Oxford  Nr.  71  (Thode  445) 
aufmerksam  machte ,  vermuthet ,  dass  die  Skizzen  entweder 
für  die  Vertreibung  der  Wechsler  aus  dem  Tempel ,  auf 
welche  Robinson  das  Oxforder  Blatt  bezogen  hatte,  oder 
für  die  Bekehrung  Sauls  bestimmt  waren.  Ähnliche  Mo- 
tive kommen  allerdings  in  der  letzteren  vor.  Gegen  eine 
Darstellung  der  Vertreibung  aus  dem  Tempel  sprechen  die 
entschieden  gegen  eine  Bedrohung  von  oben  gerichteten 
Schreckensgesten.  Wie  oben  erwähnt,  wäre  es  denkbar, 
dass  diese  Skizzen  für    den    ,,  Engelsturz "    bestimmt    waren. 


Zeichnungen  8 1 

Erinnert   wird    man    auch    an    die   Motive    in    der    ,,  Ehernen 
Schlange  ". 
D.  Florenz,    Uffizien    147 E,    144 12.     Thode  217.     Ber.  1399A. 
Jacobsen  u.  Ferri   Taf.  II.    Röthel.     Ein   nach  hinten  galop- 
pirender  Reiter ,    der    sich   nach  rechts  zurückbeugt  und  die 
Linke  hoch  erhebt  (mit  Schild  ?).    Jacobsen  und  Ferri  werden 
an    das   Pferd    in    der  Bekehrung  Sauls    erinnert.     Die  Ähn- 
Hchkeit    beschränkt   sich    darauf,    dass   in   beiden  Fällen  ein 
nach    hinten    springendes    Pferd    dargestellt   ist.      Eine   Ver- 
werthung    der    Zeichnung,    die    sicher    in    viel    frühere    Zeit, 
nämlich  etwa  Ende  der  zwanziger  Jahre,  anzusetzen  ist,  für 
das  Fresko  anzunehmen ,    liegt  kein  Grund  vor.     Das  Motiv 
ist  ein  ganz  anderes:  ein  Reiter  wehrt  sich  gegen  einen  von 
links  erfolgenden  Angriff. 
Wir  sind  also  nicht  berechtigt,  von  irgend  einer  dieser  Studien, 
Nr.  I  und  II  ausgenommen,  zu  behaupten,  dass  sie  für  die  Gemälde 
der  Kapelle  Paolina  verwerthet  worden  seien.    Eine  Federzeichnung 
und    eine   Kreidezeichnung  mit  Studien   für    einzelne   Figuren ,    die 
im    Besitze    des    alten    Richardson    waren ,    sind    nicht    mehr   nach- 
zuweisen (Richardson  III,  506).    Hingegen  ist  uns  ein  Originalkarton 
erhalten. 
III.  Karton    im    Kupferstichkabinet     des    Museums    zu    Neapel 
(Thode    554).     Die  drei  nach   hinten  eilenden  Krieger,    über- 
lebensgross ,    in    der  Ecke    hnks    unter   der  Bekehrung   Sauls. 
Die  Schönheit  der  Zeichnung  berechtigt  dazu,   Michelangelos 
eigene  Hand  hier  zu  erkennen. 
Von  alten  Zeichnungen  nach  Figuren  der  Fresken  erwähne  ich: 
den  Petrus,  in  Röthel,  Dresden,  Kupferstichkabinet  (Br.  18),  Skizze 
nach  dem  Petrus  auf  einem  Blatte  mit  allerhand  Studien  nach  den 
Jünglingen  der  Sixtinischen  Decke  in  den  Uffizien  (137,  615.    Phot. 
Brogi   1789.     Br.  187),    nach  einem  Schergen  und  dem  Kopf  eines 
die  Treppe  hinabschreitenden  Mannes  auf  einem  von  H.  Brockhaus 
erwähnten  nicht  ausgestellten  Blatte  in  derselben  Sammlung  (Nr.  257. 
Rep.  f  Kunstw.  1884,  VII,  443). 

Von  alten  Stichen  sind  zu  nennen  die  Reproduktionen  der 
beiden  Kompositionen  von  J.  B.  de  Cavalleriis,  der  Bekehrung  Sauls 
von  Beatrizet  (B.  33)  und  Enea  Vico. 


J* 


vn 
DIE  BAUTEN  IN  FLORENZ 


I 
Die  Fassade  von  S.  Lorenzo 

I 

Geschichtliches 

Der  Aufenthalt  Leos  X.  in  Florenz  Ende  Dezember  1 5 1 5  brachte 
den  wahrscheinlich  schon  im  Juni  aufgetauchten  Plan  zur 
näheren  Verhandlung.  Nach  Vasari  kam  es  zu  einer  Konkurrenz 
verschiedener  Künstler ;  von  Entwürfen  sind  uns  die  sechs  Zeich- 
nungen Giuliano  da  San  Gallos  erhalten.  Im  September  15 16  bietet 
Michelangelo  sich  an,  die  Fassade  zu  machen;  es  wird  ihm  der 
Auftrag,  mit  Baccio  d'Agnolo  ein  Modell  anzufertigen.  Am  7.  Ok- 
tober drückt  er  den  Wunsch  aus ,  dass  Baccio  die  Angelegenheit 
mit  dem  Papst  ordne.  Dieser  erklärt  sich  (3.  November)  damit  ein- 
verstanden ,  dass  der  Meister  nur  die  Hauptstatuen  ausführe ,  die 
anderen  nach  seinen  Modellen  ausführen  lasse,  und  wünscht  die 
V^erwerthung  von  Marmor  aus  Pietrasanta.  Schon  damals  also 
muss  Michelangelo  einen  Entwurf  gemacht  haben.  Noch  Ende 
November  ist  Nichts  entschieden.  Am  5,  Dezember  macht  er  eine 
Zeichnung  für  die  Fassade  und  erhält  den  Auftrag,  Marmor  zu 
brechen.  Im  Ganzen  sollen  zehn  Statuen  angebracht 
werden:  im  ersten  Stock  Lorenzo  (am  Canto  della  Paglia), 
Johannes  der  Täufer,  Petrus  (in  der  Mitte)  und  Paulus 
(beim  Canto  alle  Macine) ,  im  zweiten  die  vier  Evangelisten 
sitzend  (Lukas  über  Lorenzo,  Johannes  über  Johannes  Baptista,  Markus 
über  Paulus);  ganz  oben  Kosmas  und  Damianus.  Ausser- 
dem Bronzereliefs.  Noch  im  Dezember  erhält  Baccio  den 
Auftrag,  das  Modell  anzufertigen  und  die  Fundamente  zu  unter- 
suchen. Es  stellt  sich  die  Nothwendigkeit,  neu  zu  fundiren,  heraus. 
Michelangelo,  in  Pietrasanta,  ist  für  Carraramarmor.  Im  Februar 
kommt  er  wegen  des  Modelles  nach  Florenz,  wo  er  in  Beziehung 
zu  Jacopo  Sansovino  tritt.  Am  12.  Februar  wird  ein  Vertrag  mit 
Lionardo  Cagione  bezüglich    der  Ausbeutung    einer  Steingrube    für 


86  Die  Bauten  in  Florenz 


die  Fassade  geschlossen ,  am  6.  März  ein  Vertrag  mit  Matteo 
Cuccarello  über  Lieferung  zweier  Säulen.  Unbefriedigt  von  Baccios 
Arbeit,  die  er  kindisch  nennt,  hat  er  selbst  ein  Modell  begonnen 
(13.  März);  Francesco  di  Giovanni  gen.  Grassa  soll  nach  einer 
Zeichnung  ein  kleines  Modell  ausführen  (20.  März).  Kurz  zuvor 
wird  ein  Vertrag  mit  Lionardo  Cagione  über  zwei  fünf  Ellen  hohe, 
vier  eine  Elle  hohe  Marmorfiguren  und  zwei  Säulen  abgeschlossen. 
Michelangelo  hegt  Verdacht  gegen  Baccio,  als  habe  Dieser  sich  mit 
seinen  Feinden  eingelassen;  Baccio  vertheidigt  sich  und  Buonarroto 
räth  dem  Bruder,  doch  Baccio  und  nicht  den  unfähigen  Grassa  das 
Modell  machen  zu  lassen.  Ende  April  hat  der  Meister  ein  kleines 
Thonmodell  in  Carrara  anfertigen  lassen.  Am  3.  Mai  und 
15.  Juni  drängen  der  Papst  und  Giulio ,  dass  die  Fundamente  ge- 
legt würden ,  und  wünschen  das  Modell  zu  erhalten.  Daraufhin 
ordnet  er,  während  einiger  Tage  (19.,  20.  Juni)  in  Florenz,  die  Fun- 
damentirung  an.  Er  erklärt  sich  damals  gegen  Sansovinos  Mit- 
arbeit (die  Bronzereliefs) ,  dem  der  Papst  früher  Versprechungen 
gemacht,  und  zieht  ihm  Bandinelli  vor.  Andrea  Ferrucci  leitet  die 
Fundamentirungsarbeiten  (8.  Juli).  Baccio  d'Agnolo  und  Baccio 
Bigio  sollen  wegen  Strassenbau  nach  Pietrasanta  gesandt  werden. 
Von  Neuem  drängt  man  am  12.  Juli  um  das  Modell.  Michelangelo 
verlangt  Entscheidung  durch  einen  Vertrag  und  berechnet  die 
Kosten  auf  35  000  Dukaten.  Er  geht  am  20.  August  nach  Florenz, 
um  selbst  das  Modell  zu  machen  und  führt  es  mit  Ur- 
bano  im  September  aus;  die  Figuren  aus  Wachs 
bildet  er  selber.  Nach  einer  Erkrankung  vollendet 
eres  Mitte  Dezember  und  sendet  es  durch  Urbano 
nach  Rom,  wo  Papst  und  Kardinal  es  sehen.  Am  19. 
und  29.  Dezember  findet  die  Abrechnung  mit  Andrea  Ferrucci  und 
die  Bezahlung  der  beiden  Modelle,  dessen  von  Baccio  und 
seines  eigenen,  statt. 

Am  19.  Januar  15 18  wird  der  Vertrag  mit  dem  Papste 
abgeschlossen.  Es  werden  40000  Dukaten  stipulirt,  die  Arbeits- 
frist auf  acht  Jahre  angesetzt.  Das  durch  acht  Säulen  (11  braccia 
hoch)  gegliederte  Erdgeschoss  soll  drei  Portale  und  vier  Statuen 
(5  Ellen  hoch),  sowie  Reliefs,  an  der  Seite  aber  je  eine  Statue  zwischen 
zwei  Säulen  erhalten.  Das  zweite  Stockwerk  wird  durch  Pilaster 
(6 — 7  Ellen  hoch)  gegliedert  und  mit  vier  sitzenden  Bronzestatuen 
(4^/.3  Ellen  hoch)  geschmückt  —  an  der  Seite  je  eine.  Das  dritte 
Stockwerk  erhält  vier  Tabernakel  mit  Marmorstatuen  (5^/2  Ellen 
hoch)  —  an  der  Seite  je  ein  Tabernakel.  Über  den  Tabernakeln 
je  eine  sitzende  lebensgrosse  Figur  in  Hochrelief,  ausserdem  sollen 
in  dem  Stockwerk  sieben  Marmorreliefs :  zwei  runde  und  fünf  vier- 
eckige   mit  Historien   angebracht   werden.      Ein    Giebel    bildet    den 


Die  Fassade  von  S.  Lorenzo 


Abschluss.  —  Es  folgt  am  2.  Februar  der  Befehl,  den  Marmor  in 
Pietrasanta  zu  brechen.  Die  Streitigkeiten  mit  den  Carraresen  brechen 
aus.  Nach  Uneinigkeit  über  die  Leitung  des  Strassenbaues  wird 
dieser  unter  Donato  Benti  in  Angriff  genommen.  Am  16.  September 
ist  er  so  gut  wie  fertig.  Der  am  14.  Juli  gemachte  Ankauf  eines 
Terrains  in  der  Via  Mozza  wird  am  24.  Oktober  abgeschlossen.  Am 
29.  Oktober  wird  mit  Domenico  Bertini  ein  Vertrag  über  Lieferung 
von  Säulen,  Thürpfosten  und  Architraven  gemacht ,  im  November 
und  Dezember  das  Atelier  auf  der  Piazza  di  S.  Lorenzo  errichtet. 
Der  Papst  möchte  einige  der  Reliefs  sehen.  Am  18.  Dezember  ein 
Vertrag  wegen  einer  Marmorsäule.  Am  4.  Januar  15 19  erklärt  er 
sich  bereit,  Modelle  der  Figuren  für  den  Papst  anzufertigen ,  und 
erhält  die  Erlaubniss,  drei  Säulen  in  Carrara  ausführen  zu  lassen. 
Ricordi  vom  14. —  21.  Februar  (Steinmann  und  Pogatscher  S.  390) 
verzeichnen  Zahlungen  an  den  Topolino  und  an  Andrea  del  Lucche- 
sino :  erwähnt  werden  Domenico  Zara,  Capo,  Pietro  Urbano,  Donato 
Benci  und  Andrea  da  Fiesole.  Am  26.  März  sind  sechs  Säulen  in 
Pietrasanta  bereit  zum  Transport.  Im  April  zerbricht  eine  Säule, 
drei  Blöcke  treffen  in  Florenz  ein.  Acht  weitere  Blöcke  werden 
in  Carrara  in  Auftrag  gegeben  (13.  April).  Im  September  und 
Oktober  kommen  Marmorsendungen  in  Florenz  an.  Aus  dem 
Anfang  des  Jahres  1520  vernehmen  wir  ausser  von  einigen  Zahlungen 
in  Seravezza  Nichts  über  die  Arbeit ;  es  beginnen  die  Verhandlungen 
über  die  Lösung  des  Vertrages.  Die  Domopera  nimmt  die  Blöcke 
für  den  Boden  des  Domes  in  Anspruch.  Giulio  fordert  Rechenschafts- 
ablage, um  den  Vertrag  zu  lösen.  Am  10.  März  kommt  es  hierzu. 
Aus  späterer  Zeit  (1555)  vernehmen  wir,  dass  Cosimo  Medici 
bei  einem  Besuche  des  Michelangelo'schen  Hauses  die  beiden  Mo- 
delle der  Fassade  betrachtet  habe  und  sie  gerne  besässe.  Darauf- 
hin befiehlt  am  28.  September  der  Meister  seinem  Neffen ,  sie  Co- 
simo zu  schenken.  Ob  dies  geschehen.?  Es  scheint  nicht,  denn 
am  22.  Februar  1559  deutet  Cosimo  Ammanati  an,  ob  nicht  die 
Zeichnung  der  Decke  der  Libreria  und  das  Modell  der  Fassade  zu 
erhalten  sei.  (Die  Belege  für  Alles  in  den  Annalen  des  I.  Bandes 
meines  ,, Michelangelo".) 

Aus  diesen  Notizen  ergiebt  sich,  kurz  zusammengefasst,  Folgendes. 

I.  Im  September    und  Oktober   15 16    wohl    erste    Entwürfe. 

II.  Zeichnung     vom     5.  Dezember    151 6.       Zehn    Statuen 

und   Bronzereliefs.      Danach    macht    Baccio    ein    Modell ,    das 

Michelangelo  nicht  befriedigt. 

III.  Zeichnung    vom    20.    März    1517,    nach    der    Grassa    ein 

kleines  Modell   ausführen  soll.     Michelangelo    hat    aber  selbst 

auch  eines  am   13.  März  begonnen.     Es  ist  wohl  dieses,    das 

er  Ende  April  in  Carrara  in  Thon  hat  ausführen  lassen. 


gg  Die  Bauten  in  Florenz 


IV.  Modell,  das  er  selbst  von  August  bis  Dezember   15 17  aus- 
geführt und  durch  Urbino  nach  Rom  sendet.    Daraufhin  wird 
der  Vertrag  gemacht :  unten  sechs  Statuen,  Säulen ;  im  zweiten 
Stockwerk    sechs    Bronzestatuen ,    Pilaster ;    im    dritten :    sechs 
Marmorstatuen  in  Tabernakeln.     Ganz    oben    sieben  Marmor- 
reliefs. 
Es  fragt  sich  nun,  wie  viele  Entwürfe  anzunehmen  sind.     Vier 
oder,  falls  die  unter  III  genannten  Modelle   verschiedenartig  waren, 
fünf.^     Oder    bloss    zwei,    falls   nämlich  die  Modelle  III  und  IV  den 
gleichen  Entwurf  behandelten,  nur  III  in  kleinen,  und  IV  in  grossen 
Verhältnissen.     Die  Antwort    hierauf  ist    nur    aus  den  Zeichnungen 
zu  gewinnen,  und  es  liegen  hier  Heinrich  von  Geymüllers  sorgfältige 
Untersuchungen  vor,  die  überraschend  reiche  Aufschlüsse  über  die 
bis   dahin  fast  vollständig    dunkle  Geschichte    der  Entwicklung  und 
Gestaltung    des  Planes    gebracht    haben.      Auf  seinen   Darlegungen 
fussend,  aber  von  Neuem  eine  gründliche  Prüfung  vornehmend,  bin 
ich  dazu   gelangt,    die  Plauptergebnisse    seiner  Forschungen  zu   be- 
stätigen, aber  bezüglich  der  Datirung  und  Reihenfolge  der  Entwürfe 
und  Modelle    theilweise  andere  und,    wie    ich    glaube,    bestimmtere 
Resultate  zu  gewinnen. 


Zeichnungen  und  Modelle 

Das  gesamte  Material  von  Zeichnungen,  die  in  Betracht  kommen, 
Originalstudien  und  Kopien,  ist,  nachdem  schon  Gotti  die  Skizzen 
in  der  Casa  Buonarroti  gekennzeichnet,  in  dem  Werke  Heinrich 
V.  Geymüllers  zur  Verwerthung  und  grösstentheils  auch  zur  Ver- 
öffentlichung gelangt.  Er  unterscheidet  zwei  Perioden :  die  Periode 
des  ersten  Entwurfes  (I.  Modell)  und  die  des  zweiten  mit  seinen 
Varianten  (Phase  der  Modelle  II  und  III,  Phase  der  Modelle  IV 
und  V).  Der  Übersichtlichkeit  wegen  ziehe  ich  eine  Eintheilung 
in  drei  Gruppen  vor,  deren  erste  beide  in  Geymüllers  Periode  des 
ersten  Entwurfes  zusammengefasst  sind. 

a.  Fassade  mit  einfacher  Säulenordnung-  ohne  Attika. 
Ein  oberes  Geschoss  mit  Giebel  nur  am  Mittelschiff  (Primo  disegno) 

Durch  inschriftliche  Notiz  auf  zwei  Zeichnungen  (II  und  III)  wird 
dieser  Entwurf  (von  GeymüUer  als  A  ausgeführt)  als  primo  di- 
segno  Michelangelos  für  die  Fassade  bezeichnet.  Es  ist  nun  aber 
wohl  zu  beachten,  dass  zwei  Varianten  hier  vorUegen:  die  erste 
ist  durch  die  zuerst  zu  nennenden  zwei  Zeichnungen,  die  andere 
durch  die  dritte  vertreten. 


Die  Fassade  von  S.  Lorenzo  89 

Erster  Entwurf.  Gemeinsam  ist  den  beiden  Zeichnungen  die 
gesamte  Anordnung.  Der  Mittelbau  ist  durch  vier  jonische  Säulen, 
die  auf  sehr  hohen  Postamenten  stehen ,  sein  zweites  Geschoss 
durch  entsprechende  Pilaster  gegliedert.  An  den  beiden  Endpfeilern 
der  Fassade  ist  über  hohen  lisenenartigen  Postamenten  je  ein  Taber- 
nakel mit  Segmentgiebel  angeordnet.  Die  drei  Thüren  sind  mit 
geradem  Gesims  geschlossen.  Alle  Flächen  sind  mit  Statuen 
und  Reliefs  geschmückt.  Die  Vermittlung  zwischen  dem  Mittel- 
schiffaufsatz und  dem  horizontalen  Abschluss  der  Seitenschiffe  ist 
durch  sich  anlehnende  Statuen  (nicht  durch  Voluten)  versucht.  Je 
zwei  andere  Statuen  erheben  sich  krönend  über  den  Tabernakeln. 
So  weit  die  Übereinstimmung.  Im  Einzelnen  zeigen  sich  Ver- 
schiedenheiten, die  keinen  Zweifel  darüber  lassen,  dass  die  Zeich- 
nung n  später  als  I  ist. 

I.  Florenz,  Casa  Buonarroti  IX.  Thode  76.  Grosse  lavirte  Zeich- 
nung ,  sorgfältig  mit  dem  Lineal  ausgeführt.  Abb.  v.  Gey- 
müller  Bl.  i.  v.  GeymüUer  hält  sie  für  eigenhändig,  was 
ich  nicht  zugeben  kann.  Sie  ist  offenbar  nach  einer  Skizze 
des  Meisters  von  einem  Anderen  (etwa  Baccio  d'Agnolo?) 
angefertigt  worden.  Nur  die  linke  Seite  ist  ganz  ausgeführt. 
Hier  sehen  wir  in  dem  Tabernakel  eine  stehende  männliche 
Statue ,  im  Feld  darunter  eine  Gruppe  von  zwei  Männern, 
einem  alten  und  einem  jungen ,  auch  als  Statuen  gedacht, 
über  der  Thür  zwei  Reliefs :  das  oblonge  unten  das  Mar- 
tyrium des  hl.  Laurentius ,  das  grössere  quadratische  oben 
den  gefangenen  Heiligen  vor  dem  römischen  Kaiser  darstellend. 
Auf  dem  Kranzgesims  über  dem  Tabernakel  zwei  feston- 
haltende,  lebhaft  bewegte  Jünglinge,  an  den  Mittelschiffaufsatz 
gelehnt  ein  stehender  Mann.  Welcher  Art  der  plastische 
Schmuck  des  Mittelbaues  sein  sollte,  ist  nicht  angegeben. 
Zwischen  den  Säulen  links  und  rechts  vom  Hauptportal  ist 
eine  Nische  in  der  Höhe  des  durchgeführten  Gurtgesimses 
angebracht.  Das  Kranzgesims  ist  durch  das  obere  Mittel- 
geschoss  durchgeführt. 
IL  München,  Kupferstichkabinet.  Thode  385.  Kopie  eines 
Michelangelo'schen  Entwurfes  von  Aristotele  da  San  Gallo. 
Abb.  V.  GeymüUer  Fig.  2  (auf  demselben  Blatt  die  Zeichnung 
nach  dem  Medicigrab).  Wir  sehen  hier  eine  Verbesserung 
von  Nr.  I.  Die  Anordnung  der  Tabernakel  stand  dort  in 
keinem  Verhältniss  zur  Säulenordnung  des  Mittelbaues.  Ein 
solches  wird  jetzt  erstrebt ,  indem  einerseits  die  Säulen  auf 
noch  höhere  Postamente  gestellt  und  dadurch  verkürzt,  an- 
dererseits die  Tabernakel,  welche  nun  rundbogige  Nischen 
einschliessen,  höher  gebildet  werden  (so  dass   das  Feld  unter 


90 


Die  Bauten  in  Florenz 


ihnen   jetzt    quadratisch  wird).     Hierdurch    wird    eine   höhere 
Einheitlichkeit    des    Eindruckes    erreicht.      Hierzu    trägt    die 
grössere   Höhe    der   Thüren ,    über    denen  Segmentgiebel    an- 
gedeutet werden,  bei,  auch  die  Vereinfachung  des  plastischen 
Schmuckes :    über    den  Thüren    befindet    sich   jetzt    nur  noch 
ein  Relief  und  an  die  Stelle  der  Statuengruppe  im  Feld  unter 
den  Tabernakeln  tritt  ein  quadratisches  Relief.     Die  Gesimse 
sind  nicht  mehr  durchgeführt,  was  der  einheitlichen  Gestaltung 
des  Obergeschosses  zu  Gute  kommt.  —  Der  plastische  Schmuck 
besteht  nur  aus  je    einer  Gruppe    von   zwei  Statuen    (seltsam 
gepresst    und   überschlank   im   engen  Räume)  in  den  Nischen 
neben    dem   Hauptportal ,   je    einer    gleichen    Gruppe    in    den 
Tabernakeln ,    und  je    einer  Statue    in  den  Seitennischen  des 
oberen    Geschosses ,    in    dessen    Mitte    ein    rundes    Medaillon 
(ohne  Relief)  angebracht  ist,  weiter  aus  drei  Reliefs  über  den 
Thüren    und    zwei   unter    den  Tabernakeln ,    endlich    aus  vier 
stehenden ,    einen   stabartigen  Gegenstand    haltenden   Statuen 
auf  dem  Kranzgesims    über    den   Tabernakeln    und    aus    zwei 
an  das  Mittelschiff  angelehnten ,  volutenartigen,  sitzenden  Fi- 
guren   (hinter    der    rechts    erscheint    eine    zweite    stehende). 
Also  fünf  Reliefs,  vier  Statuengruppen  in  Nischen  unten,  zwei 
Statuen    in   Nischen    oben ,    und    sechs  (resp.  sieben)  Statuen 
auf  dem  Kranzgesims. 
Die  unschöne,    kleinlich  unruhige  Postamentenanordnung  muss 
Michelangelo  missfallen  haben.     Die    nächste  Zeichnung   zeigt   eine 
grosse  wirkungsvolle  weitere  Vereinfachung,    v.  Geymüller  nimmt  an, 
dass  unsere  Nr.  II  dem  Baccio'schen,  von  Michelangelo  verurtheilten 
Modell    entsprochen    habe.      Das   entscheidend  Neue   in    Nr.  III    ist 
die  gleichmässige  Durchführung  der  Säulenordnung  an  der  Fassade, 
indem  die  Tabernakel  durch  die  gleichen  Säulen,  wie  sie  am  Mittel- 
bau vorhanden  sind,  eingerahmt  werden.    Dies  bedingte  eine  Rück- 
kehr zu  den  niedrigeren  Postamenten  von  I. 

III.  Lille,  Musee  Wicar.  Thode  280.  Kopie  eines  Michelangelo'- 
schen  Entwurfes  von  Battista  da  San  Gallo,  wie  v.  Geymüller 
nachgewiesen  hat.  Abb.  G.  Fig.  3.  Bez.:  Primo  disegno  che  si 
fe  pella  facciata  di  san  Lorenzo.  Es  fehlt  in  der  Zeichnung  die 
linke  Seite  der  Fassade.  Sie  zeigt  die  befriedigendste  Lösung 
des  Problems ;  nur  sind  die  Tabernakelnischen  hier  sehr  hoch 
geworden,  was  die  Anbringung  von  Kolossalstatuen  auf  hohen 
Postamenten  mit  sich  führte.  Die  Statuengruppen  sind  auch 
in  den  Nischen  neben  dem  Hauptportal  aufgegeben  und  ein- 
fache, flüchtig  skizzirte  Figuren  an  ihre  Stelle  getreten.  Die 
Portale  tragen  jetzt  den  ausgebildeten  Segmentgiebel ,  wie 
dort,  aber  einen  kleinen,  in  das  Tympanon  ragenden  Aufsatz 


Die  Fassade  von  S.  Lorenzo  91 


über  dem  Gesims.     Das  Relief  über  dem  Hauptportal  enthält 
einen  Knieenden,  neben  dem  zwei  Figuren  stehen,  vor  einem 
thronenden  Mann.    In  dem  Relief  über  dem  Seitenportal  sind 
zwei    Figuren    skizzirt.      Die   Kolossalstatue    zeigt   einen   aus- 
schreitenden Mann,  der  die  Rechte  hoch  erhebt  und  die  Linke 
vor    die   Brust    legt.      Das    Mittelschiffstockwerk    ist    niedriger 
gehalten:    drei    verschieden    hohe    Giebel    sind   versucht.      In 
der  Mitte  bleibt  das  Medaillon,  in  den  Seitennischen  ist  eine 
stehende    Figur    angedeutet.      Die    Statuen    auf    dem   Kranz- 
gesims haben  Kandelabern  und  kleinen  Voluten  Platz  gemacht. 
Wir  verzeichnen  hier  sechs  Statuen  und  nur  drei  Reliefs,  da 
unter  den  Tabernakeln  für  Reliefs  kein  Platz  mehr  ist. 
III  a.  Cambridge,  Rugby  School.     Kopie    desselben    Entwurfes  von 
Aristotele      da     San     Gallo ,     wie     v.     GeymüUer     nachwies. 
Schmarsow,    der    zuerst    auf    das    Blatt    aufmerksam    machte, 
hielt  es  für  die  Originalzeichnung  Michelangelos  (Abb.  Jahrb. 
d.  k.  pr.  Kunsts.  IX,   134).     Nur  unbedeutende  Abweichungen 
sind  zu  finden :    es    ist   nur   ein  Giebel,  nämlich  der  höchste, 
angegeben ;    der    erhobene   Arm    der  Kolossalstatue    ist   nicht 
sichtbar;  die  in  das  Tympanon  hineinragenden  Aufsätze  über 
dem  Gesims  der  Thüren  sind  weggelassen. 
Bei  einer  Zeichnung  in  Lille,  Musee  Wicar  Nr.  94,  Thode  274, 
welche  in   einem   Tabernakel    eine    stehende    Statue    zeigt ,    könnte 
man  an  einen  Entwurf  für  den  primo  disegno  der  Fassade  denken, 
doch  glaube  ich,  dass  sie  mit  mehr  Recht  auf  eine  andere  in  Lille 
erhaltene    Studie    für    einen    Palast   bezogen    werden    muss.      Siehe 
darüber  weiter  unten  bei  Besprechung  des  Entwurfes  für  den  Palast 

juHus'  m. 

Vergleichen  wir  nun  diese  Entwürfe  mit  den  Angaben  über 
die  erste  Zeichnung  vom  5.  Dezember  15 16,  nach  welcher  Baccio 
das  Modell  anfertigte,  so  zeigt  sich  keine  Übereinstimmung.  Jene 
Zeichnung  muss  einen  zweistöckigen  Bau  mit  je  vier  Statuen  in 
jedem  Stockwerk,  und  darüber  vermuthlich  noch  den  Mittelschiff- 
aufsatz mit  zwei  Statuen  gezeigt  haben.  Unser  primo  disegno,  der, 
wie  wir  sehen  werden,  nach  dem  5.  Dezember  15  16  nicht  angesetzt 
werden  kann,  muss  demnach  früher  datirt  werden.  Hierüber  später 
Näheres. 

b.  Fassade  mit  Attika  über  dem  Unterg-eschoss  und  darüber  hinaus 
ragendem  Mittelsehiffgeschoss 

Nur  drei  kleine  Skizzen  kommen  hier  in  Betracht. 
IV.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLII,  91.  Thode  137.  Abb.  Frey  96a. 
Sehr  flüchtige  Rötheiskizze,  die  von  Geymüller  erwähnt,  aber 
nicht    abbildet.      Ein    seltsamer   Entwurf:    über    dem    unteren 


92 


Die  Bauten  in  Florenz 


Stockwerk  in  voller  Breite  und  ungefähr  gleicher  Höhe  wie 
dieses  eine  Attika,  die  vom  Mittelschiffgeschoss  überragt 
wird.  Die  untere  Säulenordnung  erhebt  sich  unmittelbar  vom 
Boden. 

V.  Ebendaselbst  XXIX,  49.  Thode  99.  v.  Geymüller:  Studie  B. 
Abb.  Bl.  2,  6.  Frey  29.  Auch  hier  die  Säulenordnung  auf  dem 
Boden,  aber  die  Attika  nur  etwa  halb  so  hoch  als  das  untere 
Geschoss,  das  Mittelschiffgeschoss  in  niedrigerer  und  höherer 
Form  versucht.  Versuch  eines  Spitzgiebels  über  den  vier 
Säulen  in  der  Mitte.  Die  Attika  endigt  links  und  rechts  in 
einem  Tabernakel,  das  den  Gedanken  der  ersten  Gruppe  auf- 
genommen zeigt.  Das  Mittelschiffgeschoss  hat  vier  Pilaster. 
Notizen,  die  H.  v.  Geymüller  nicht  beachtet,  geben  einen 
Anhaltspunkt  für  die  Datirung  dieses  Blattes,  i.  der  sauber 
geschriebene  Anfang  eines  Briefes  an  Domenico  (Buoninsegni) : 
Messere  domenicho  a  questi  di  e  stato  Jachopo  Salviati  a 
pietrasanta  pare.  2.  Della  grassa-di  gian  Francesco  scultore-e 
nomi  de  santi-de  fondamenti  -  de  danari  (unter  einander  ver- 
zeichnete flüchtige  Gedenknotizen).  3.  o  a  cinque  o  a  sei  di 
giennajo  da  bentivoglio  in  carrara.  Die  Erwähnung  Grassas 
weist  auf  die  Zeit  des  Zusammenarbeitens  mit  Diesem  :  Anfang 
1517  hin;  auch  um  die  Fundamentirung  handelte  es  sich 
damals.  In  den  ersten  Monaten  15 17  ist  er  in  Carrara,  wo 
Salviati  Mitte  Januar  war.  Der  Briefanfang  ist  früher,  als  die 
Skizzen,  denn  diese  wurden  auf  das  Blatt  gezeichnet  erst,  als 
Michelangelo  es  für  den  Brief  zu  verwenden  aufgegeben  hatte. 
Wir  müssen  die  Notizen  2  und  3  also  in  den  Anfang  15 17 
(ob  Januar,  oder  März,  April,  also  in  die  Zeit,  da  Grassa  am 
Modell  beschäftigt  wird  ^)  setzen.  Wie  ich  sehe ,  thut  dies 
auch  Frey.  Zu  beachten  ist,  dass  er  sich  damals  über  die 
Heiligen,  die  an  der  Fassade  dargestellt  werden  sollen,  ver- 
gewissern will.  —  Auf  demselben  Blatte:  Durchschnitt  eines 
Säulenschaftes ,  Grundriss  des  Mittelbaues ,  eine  Herme ,  die 
offenbar ,  wie  die  rechteckige  Form  der  Nische  neben  ihr 
zeigt,  nicht  für  das  Juliusdenkmal,  sondern  für  die  Tabernakel 
gedacht  war,  ein  Postament  für  zwei  Säulen  und  Profile. 

VI.  Ebendaselbst  XXIX,  47.  Thode  98.  Röthel.  H.  v.  Geymüller 
StudieC.  Abb.  Bl.  2,Fig.  I.  Frey  96b.  Der  Gedankeist  weiterent- 
wickelt. Das  Untergeschoss  wie  in  V,  aber  kein  Giebel,  sondern 
gerades,  durchlaufendes  Gebälk  über  den  Säulen;  das  Haupt- 
portal mit  Segmentgiebel,  die  Seitenportale  mit  spitzem;  vier 
rundbogige  Statuennischen.  Die  Attika  mit  den  Tabernakeln, 
wie  in  V,  nur  erhebt  sich  hier  das  obere  Mittelgeschoss  nicht 
auf  dieser,  sondern,  sie  durchbrechend,  unmittelbar  auf  dem 


Die  Fassade  von  S.  Lorenzo 


93 


üntergeschoss :    zwischen    den    Pilastern    drei    untere   Felder, 

oben  vier  rundbogige  Nischen  (zwei  in  der  Mitte). 
VII.  Ebendaselbst  XXXV,   57.     Thodeii2.     Röthel.    Linkes  Profil 

der  Fassade.    Es  scheint  mir  einzig  auf  diesen  secondo  disegno 

bezogen  werden  zu  können. 
Zwei  andere  Studien  in  der  Casa  Buonarroti  (XXXVII,  69  und 
XLVII,  113):  seitlicher  Theil  der  Attika  und  flüchtiger  Grundriss 
der  Fassade,  bezieht  v.  GeymüUer  auf  diese  Entwürfe  —  ich  be- 
spreche sie  erst  später,  da  sie  mir  einer  weiteren  Phase  des  Planes 
anzugehören  scheinen. 

Unsere  drei  kleinen  Skizzen  gehören,  wie  wir  sahen,  der  Zeit 
Anfang  15  17  an,  d.h.  der  Periode,  in  welcher  Michelangelo  seine  erste 
Zeichnung  dem  Papst  eingereicht  und  Baccio  danach  das  Modell 
zu  arbeiten  anfing.  Wie  verhalten  sie  sich  nun  zu  dieser  Zeichnung.? 
Sie  zeigen,  es  kurz  zu  sagen,  unter  allen  Skizzen  die  einzige  Mög- 
lichkeit, vier  stehende  Statuen  unten,  vier  sitzende  darüber  und 
weitere   zw^ei   Statuen    im    obersten    Geschoss    anzubringen.      Wäre 

V  nicht  zu  datiren,  ich  glaube,  wir  würden  ohne  Weiteres  annehmen, 
dass  jene  Zeichnung  vom  5.  Dezember  15 16  ähnlich  VI  gewesen. 

Nun  sind  aber  die  Studien  V  und  VI  später,  als  jene  Zeich- 
nung entstanden.  Sie  bezeichnen  also  eine  Entwicklung  über  diese 
hinaus,  die  wir  uns  also  wohl  etwa  wie  IV,  nur  in  ausgebildeterer 
Form  denken  dürfen.  Der  Entwurf  vom  5.  Dezember  ist  vielleicht 
zwischen  IV   und  V   entstanden    zu    denken.     Da   nun  IV,    V  und 

VI  deutlich  eine  weitere  Entwicklung  des  Gedankens  der  ersten 
Gruppe  zeigen,  sind  die  Entwürfe  des  primo  disegno  früher  an- 
zusetzen —  vielleicht  schon  Anfang  15 16,  zur  Zeit  der  ,, Konkur- 
renz" oder  etwa  im  September  15 16.  Ich  bezeichne  den  Entwurf 
unsrer  Gruppe  als  secondo  disegno. 

c.  Fassade  von  einheitlicher  Höhe  mit  ünterg-esehoss,  Attika,  Obergeschoss 

und  Mittelg-iebel 

Zwei  Gruppen  von  Entwürfen  lassen  sich  unterscheiden. 

A.  Terzo  disegno.  Zwischen  der  oberen  und  unteren 
Ordnung  ist  eine  Attika  des  Untergeschosses  und  ein 
dieser  fast  gleich  hoher  Sockel  des  Obergeschosses 
eingeschoben.  Dies  bringt  den  nicht  glücklichen  Eindruck 
einer  doppelten  Attika  hervor.  Wie  Michelangelo  auf  diesen  Ge- 
danken gekommen,  wird  uns  vielleicht  durch  eine  Federzeichnung 
im  Louvre  ersichtlich. 

VIII.  Paris,  Louvre  Nr.  134.  Thode  476.  Bandinelli  zugeschrieben, 
von  Geymüller  für  Aristotele  da  San  Gallo  gehalten.  Schema 
in  Fig.  13  bei  v.  Geymüller.    Das  Üntergeschoss  höher,  als  in 


94 


Die  Bauten  in  Florenz 


der  zweiten  Gruppe,  da  die  korinthischen  Säulen  auf  hohe  Posta- 
mente   gestellt    sind ;    hierdurch    ergiebt    sich    eine    grössere 
Wandfläche    über    den   Thüren :    nur    über    der    mittleren    ist 
ein  grösseres  Relief  angegeben.     Zwischen  den  Säulen  stehen 
Statuen  auf  Sockeln.     In  der  Attika ,  die   durch    lisenenartige 
Pilaster    gegliedert    ist ,    sind    vier    sitzende    Statuen    und    drei 
Reliefs    angedeutet.      Darüber     der    unverzierte    Sockel    des 
zweiten    Geschosses ,    das    zwischen    den    mittelsten   Pilastern 
ein  Fenster   mit  Spitzgiebel ,    ganz   links    und    rechts   je    eine 
Statuennische     und     in     den     angrenzenden     Feldern    Rund- 
medaillons zeigt. 
Entscheidend  für  die  Beurtheilung  und  zeitliche  Ansetzung  der 
Skizze    ist    der   plastische   Schmuck,    der    den   Abmachungen   vom 
Dezember  1516,  also  der  zweiten  Gruppe  entspricht;  die  vier  Statuen 
unten,  vier  sitzende  darüber,  zwei  oben  (man  beachte,  dass  in  der 
That,    obgleich  Platz   für  vier  Nischen  gewesen  wäre,  nur  zwei  an- 
gegeben   sind),    sechs  viereckige  Reliefs  (statt  fünf,   weil  sich  eben 
unten    noch  Platz    ergab),   zwei    Rundreliefs !     Dieser  Entwurf,   der 
demnach  zu  den  folgenden  und  der  Neugestaltung    hinüber    leitet, 
ist  entstanden  offenbar  aus  derErkenntniss,  dass  der  secondo  disegno 
noch   keine    glückliche  Lösung   sei.     Das  obere  Geschoss   erschien 
zu  hoch  und  ohne  Vermittlung  mit  den  Seitentheilen  der  Fassade, 
die  Attika  nicht  organisch  in  das  Ganze  einbezogen.     Die  Einheit- 
lichkeit war    nur   zu    erreichen,    wenn    das  obere    Geschoss   in    der 
vollen   Breite    des    unteren    ausgedehnt    wurde ,    dies    aber    machte 
wieder   höhere  Verhältnisse    des    unteren    Stockwerkes    wünschens- 
werth,  was  zur  Wiederaufnahme  der  im  primo  disegno  gegebenen 
hohen  Sockel  der  Säulen  führte.     Nun  erhielten  die  vier   sitzenden 
Statuen    ihre    Stelle    an    der    Attika ,    die    ihrethalben    beibehalten 
werden  musste. 

Auch    dieser  Versuch    aber   war    unbefriedigend :    die   Fassade 
war  zu  hoch  gerathen  und  es  entstanden  Leeren  in  der  Wandfläche. 
In  dem  folgenden  wird  das  untere  Stockwerk  wieder  niedriger  ge- 
bildet,   indem    die  Säulenordnung   unmittelbar    auf  den  Boden  ge- 
stellt wird. 
IX.  Florenz,  Casa  Buonarroti  LVI,  43.    Thode  174.    Rötheiskizze, 
mit    der  Feder    übergangen,     v.  Geymüller.     Studie  F.  Bl.  2, 
Fig.  2.     Eine  feste  und  verhältnissmässige  Gliederung  ist  hier 
gewonnen.     Im  unteren  Geschoss  die  Mittelthür  mit  geradem 
Gesims ,    die   Seitenthüren    mit   Segmentgiebeln  (wie  in  VIII). 
Die  Statuennischen  sind  nicht  angegeben.     Auch  die  Statuen 
in    der  Attika    sind    nicht    angedeutet,    wir    haben    aber    auch 
sie   vorauszusetzen.     Im    Obergeschoss    in    der    Mitte  Fenster 
mit   Segmentgiebel,    zwischen    den    Säulenpaaren   vier    runde 


Die  Fassade  von  S.  Lorenzo 


95 


Statuennischen,    in    den  Feldern  dazwischen   zwei  Medaillons, 

über  denen  oblonge  Felder  sind.    Als  Akroterien  des  Giebels 

hohe  Kandelaber,  kleinere  über  den  Seitenpfeilern  der  Fassade. 

Wir  sehen,  wie  diese   neue  Anordnung,  indem  sie  die  in  VIII 

noch   nicht    gebrachten    Konsequenzen   zieht ,    die  Anbringung  von 

vier  (statt  zwei)  stehenden  Statuen  oben  zur  Folge  hat. 

Etwa  in  diesem  Stadium  der  Entwicklung  scheinen  mir  nun  zwei 
Blätter  entstanden: 

X.  Florenz,  Casa  Buonarroti  LVI,  41.  Thode  172.  Feder.  Phot. 
Alin.  1019,  V.  GeymüUer  Bl.  2,  4.  Frey  30.  Die  linke  Hälfte  des 
Untergeschosses  mit  der  Attika.  Die  Thüren  hier  mit  Spitz- 
giebeln, die  Statuennischen,  ziemlich  hoch  angebracht,  niedrig, 
mit  Muschelwölbung,  über  und  unter  ihnen  ein  viereckiges 
Feld.  Die  Säulen  korinthisch  gedacht. 
XI.  Ebendaselbst  XXXVII,  69.  Thode  120.  Feder.  Abb.  v.  Gey- 
müUer Bl.  2,  Fig.  8.  Seitlicher  Theil  des  Obergeschosses: 
zwei  Pilaster  auf  Sockeln.  An  der  Wand  dahinter  durch- 
laufendes Gurtgesims.  Das  letztere  weist  auf  nächste  Be- 
ziehung zu  einem  Entwurf  in  der  Art  von  Nr.  VII  hin. 
V.  Geymüller  meinte,  es  könne  sich  hier  nur  um  den  seit- 
lichen Theil  einer  Attika  handeln ,  da  die  Höhe  nach  an- 
gegebenen Maassen  nur  etwa  6  braccia  betrage.  Die  An- 
ordnung aber  stimmt  nicht  zu  irgend  einem  Attikaentwurfe, 
wohl  aber,  wie  gesagt,  zu  der  Obergeschosseintheilung  in  VII 
und  IX.  Auch  scheint  mir  v.  Geymüller  die  Maasse  nicht  ganz 
richtig  gelesen  zu  haben :  nach  meiner  Berechnung  betrüge 
die  Höhe  etwa  9  braccia.  Und  Das  entspräche  etwa  der  Höhe 
des  obersten  Stockwerkes.  —  Auf  der  Zeichnung  befindet 
sich  eine  von  v.  Geymüller  nicht  beachtete  Notiz :  richordo 
chome  oggi  questo  di  venti  uno  di  gennajo  mille  Cinquecento 
sedici  lasciai  aserbo  a  maestro  Domenicho  schultore  da  ssetti- 
gnano  in  charrara  duchati  mille  d'oro  largi  e  ducati  quaranta 
tre  pur  d'oro  largi  e  son  di  diciasette  per  tanto  ch'io  tornassi 
da  firenze  o  io  o  altri  per  me.  —  Die  Notiz  ist,  nach  unsrer 
Zeitrechnung,  am  21.  Januar  15 17  geschrieben.  Auch  aus 
anderen  wissen  wir,  dass  er  an  diesem  Tage  von  Carrara 
nach  Florenz  ging.  Eine  ungefähre  Zeitbestimmung  also, 
wenn  auch  keine  ganz  genaue,  für  die  Entstehung  der  Skizze 
gewinnen  wir:  sagen  wir  Anfang  1517.  Und  dies  bestätigt 
meine  Annahme,  die  Entwürfe  VIII  und  IX  seien  bald  nach 
dem  secondo  disegno  entstanden. 
Im  März  15 17  hat  er,  wie  wir  wissen,  unbefriedigt  von  Baccios 
Modell,  selbst  ein  kleines  Modell  entworfen.  Dieses  Modell,  das 
Ende  April  in  Carrara  ausgeführt  ist,  scheint  in  den  drei  folgenden 


gö  Die  Bauten  in  Florenz 


Zeichnungen  wiedergegeben  zu  sein.  Hier  treffen  meine  Bestim- 
mungen ganz  mit  denen  v.  Geymüllers  zusammen,  der  als  Vorlage 
jenes  piccolo  modello  annimmt. 

XII a.  Mailand,  Stadt.  Archiv.  Samml.  Bianconi  vol.  IV,  p.  35. 
Thode  379.  Zuerst  von  Luca  Beltrami  in  der  Rassegna  d'arte 
1901.  I,  S.  68 ,  als  Original  Michelangelos  veröffentlicht. 
P.  N.  Ferri  (Arte  e  storia  1901,  Nr.  16,  p.  98)  und  v.  Geymüller 
(Rassegna  d'arte  a.  a.  O.  S.  184)  erkannten  die  Hand  des  Ari- 
stotele  da  San  Gallo.  Abb.  v.  Geymüller,  Fig.  6.  Die  Kompo- 
sition ist  keine  andere  als  die  der  Originalskizze  Nr.  IX.  Die 
Verhältnisse  sind  aber  durchweg  zu  schlank  und  hoch  ge- 
rathen ,  was  Aristotele  in  mehreren  hinzugefügten  Notizen 
selbst  angiebt.  Zu  unterst  befindet  sich  derGrundriss  der  linken 
Seite  der  Fassade ;  hinter  ihr  giebt  er  eine  Säule  des  Kirchen- 
inneren, bemerkt  aber  dazu:  non  so  come  stia  la  pianta  di 
Santo  Lorenzo  questa  e  la  faccata  maestro  michelagnolo  fioren- 
tino.  —  Unter  der  linken  Thüre  steht,  bezüglich  der  Distanz  der 
Säulen :  da  pilastro  a  pilastro  piu  largho  cioe  da  cholonna 
a  colonna  acio  la  porta  abbia  piu  ispatio.  Daneben  unter 
den  zwei  Säulen  links  vom  Hauptportal :  fatta  a  discretione. 
Links  neben  dem  Gebälk  der  unteren  Säulen :  di  questi  sono 
lunghi  per  I'altro  verso.  Links  neben  der  Attika:  quaggiu  si 
e  piu  bislunghi  chosi  —  dies  bezieht  sich,  wie  v.  Geymüller 
richtig  bemerkte,  auf  die  Füllungen  der  Attika,  welche  also 
länglicher  im  Modell,  als  in  der  Zeichnung  sind.  In  den 
grösseren  Füllungen  der  Attika  sind  ,,storie"  angegeben. 
Links  neben  dem  Piedestal  des  Obergeschosses :  tra  zocholo 
e  zocholo  non  e  istorie  cioe  di  questo.  Dies  bezieht  sich 
also  auf  die  Füllungen  des  Piedestals.  Diese  sind  irrthüm- 
licher  Weise  in  der  Zeichnung  angegeben :  in  den  kleinen 
Füllungen  steht:  piano,  in  der  grossen:  niente  non  e  qui  piano. 
In  dem  mittleren  Piedestalfelde  rechts  neben  dem  Pilaster- 
sockel:  piu  vano  zocholo.  Über  der  Basis  des  Piedestales : 
corre  il  regolone  di  mezo  per  tutto  non  risalta  se  non  la 
cimasa,  d.h.  nach  Geymüller:  die  Basis  geht  durch,  nur  das 
Gesims  ist  verkröpft.  Neben  dem  Fenster  oben :  questa 
finestra  non  ha  membretti  da  canto  solamente  di  drento  e  vole 
essere  piu  larga  di  vano  a  proportione.  Im  Fenster :  abaso. 
XII b.  München,  Kupferstichkabinet.  Arch.  Fol.  34.  Thode  386. 
Abb.  V.  Geymüller,  Fig.  7.  Wie  Letzterer  nachgewiesen  hat, 
ist  dies  eine  zweite  Zeichnung  von  Aristotele,  welcher  alle 
die  in  XII  a  angegebenen  Fehler  verbessert  hat :  Alles  ist  hier 
verbreitert.  Immer  noch  sind  Einzelheiten  nicht  genau.  Unten 
w'ieder    der    Grundriss    und    wieder    die    Bemerkung:      questa 


Die  Fassade  von  S.  Lorenzo  97 

pianta  non  so  chome  si  stia  di  drento.  (Daneben :  in  botte, 
bezieht  sich  auf  das  Gewölbe  im  linken  Seitenschiff.)  Die 
linke  Ecke  des  Grundrisses  ist  nicht  richtig  wiedergegeben : 
istä  male  und:  male.  Daher  wiederholt  Aristotele  die  Ecke 
noch  einmal  rechts  unten  auf  dem  Blatte:  chosi  istä  questo  canto. 
Auf  den  Sockel  der  Nische  zwischen  den  beiden  Säulen  links 
vom  Hauptportale  bezieht  sich  die  Notiz :  questo  zocholetto 
esce  in  fora  insino  a  mezo  la  basa  chome  vedi.  Links  unten 
vom  Erdgeschoss:  li  zocholi  piü  alti.  Unter  dem  Segment- 
giebel der  linken  Seitenthüre :  questi  piü  alti ;  und  auf  sie  be- 
züglich :  frontone  della  porta  piu  alta  dove  vedi  quei  punti 
(die  angegeben  sind).  In  der  Füllung  der  Attika  über  Seiten- 
portal :  storie.  An  dem  Piedestal  des  oberen  Stockwerkes 
sind  hier  keine  Füllungen.  In  den  Füllungen  am  zweiten 
Stockwerk  oben :  sono  pichole  queste  storie  piü  alte  la  metä, 
d.  h.,  wie  v.  Geymüller  richtig  sagt,  diese  Füllungen  sind  zu 
klein  gezeichnet,  müssen  höher  sein.  Neben  dem  Fenster: 
questo  frontone  e  troppo  alto.  Oben  eine  Bemerkung  in 
Bezug  auf  das  zu  klein  gezeichnete  Medaillon :  el  tondo  tanto 
grande  che  vengha  al  pari  de  nichi.  Er  zeichnet  diese  Parthie 
oben  noch  einmal :  chosi  grande  a  chonperatione. 
Nimmt  man  nun  auch  diese  Verbesserungen  noch  vor,  so  er- 
giebt  sich  ein  Entwurf,  wie  er  sich  findet  auf  der  folgenden  Zeich- 
nung. 

XII  c.  Florenz,  Uffizien  Nr.  205.     Thode  242.  v.  Geymüller,  Fig.  8. 

Lavirte    Federzeichnung    von   unbekannter    Hand ,    sorgfältig 

ausgeführt.     Der  Bau   erhebt   sich   hier    auf  drei  Stufen.     Er 

entspricht    ganz    der    Originalskizze    Nr.  IX.      In    der    Nische 

rechts  oben  ist  die  Statue  eines  langbärtigen  Mannes,  der  im 

Buch  liest:  offenbar  Paulus. 

Zu  bemerken  ist,  dass  in  diesem  Modell    kein  Platz   mehr  für 

die  sitzenden  Bronzestatuen    war :    die  Attika   ist  zu    niedrig.     Hier 

waren    nur    acht    stehende    Figuren    in    das    Auge    gefasst   an    der 

Vorderseite  der  Fassade ;    an    den    schmalen  Seiten    derselben  vier. 

Fünf  grössere  Historienreliefs.     Zwei  Medaillonreliefs. 

B.  Quartodisegno.   Genau  dieselbe  Gliederung  des 
unteren  und  des  oberen  Geschosses,  aber  Attika  und 
Piedestal    des    Obergeschosses    sind    hier    Eines    ge- 
worden.    Also    keine  doppelte,  sondern  einfache  Vermittlung  der 
beiden  Geschosse.     Die  Attika  ist  jetzt  etwas   höher,  als  die  in  A. 
Xni.    Das  Holzmodell  in  der  Akademie.    Thode  580.    Abb.  v.  Gey- 
müller,   Fig.   12    und    Details   Fig.  4,  5,  9,   10.     Phot,  Brogi 
3694.     Es    befand  sich    früher   im    Vestibül    von    S.  Lorenzo. 
%*  7 


g8  Die  Bauten  in  Florenz 


Baldinucci  (VII,  508)  erwähnt  es.  Gori  (Not.  stör.  108)  meint, 
es  sei  nicht  von  Michelangelo.  Bottari  (bei  Fanfani  S.  81) 
erwidert  darauf,  Alle  hätten  es  bisher  für  eine  Arbeit  des 
Meisters  gehalten.  Auch  lasse  sich  die  Tradition  auf  etwa 
100  Jahre  zurückverfolgen.  In  neuerer  Zeit  ist  Goris  Ansicht 
allgemein  angenommen  worden ,  und  Viele  hielten  es  für 
das  Modell  von  Baccio  d'Agnolo.  Unsere  Darlegung  beweist, 
dass  diese  Annahme  ausgeschlossen  ist,  da  Baccios  Modell 
ganz  anderer  Art  gewesen  sein  muss.  v.  Geymüllers  Eintreten 
für  die  Ächtheit  ist  durchaus  begründet.  Nicht  allein  die 
Übereinstimmung  mit  dem  terzo  disegno  und  Nr.  XIV,  sondern 
auch  mit  einer  unten  zu  nennenden  ächten  Profilstudie 
schliesst  jeden  Zweifel  daran  aus ,  dass  uns  in  dem  Modell 
der  definitive  Entwurf  für  die  Fassade  vor  Augen  steht.  Ob 
Michelangelo  selbst  oder  nicht  vielmehr  ein  Anderer  nach 
seinen  Angaben  es  ausgeführt,  ist  eine  andere  Frage.  Es  ist 
offenbar  eines  der  beiden  Modelle,  die  der  Meister  1555  seinem 
Neffen  dem  Cosimo  zu  schenken  befiehlt.  Das  andere  ist  nicht 
erhalten,  aber  eine  Zeichnung  danach  existirt: 
XrV.  Giov.  Battista  Nellis  Zeichnung  nach  dem  verlorenen  Modell 
mit  Wachsfiguren.  Florenz,  Offizien  Nr.  3697.  Thode  243. 
Abb.  v.  Geymüller,  Fig.  11.  Nelli  fertigte  diese  Zeichnung, 
neben  anderen,  für  den  Ferdinando,  principe  di  Toscana,  1687 
an.  In  seinem  Widmungsschreiben  sagt  er:  I  bassi  rilievi 
delle  due  Medaglie,  il  martirio  di  S.  Lorenzo,  i  festoni  e  l'arme, 
CO  Putti ,  si  vedono  abbozzate  con  cera  in  un  altro ,  quasi 
simile  modello  di  esso  Michel  Angelo;  ma  piu  piccolo ,  che 
sta  serrato  nella  stanza,  detta  de'  modelli  prossimo  al  Palazzo 
di  S.  A.  e  nel  medesimo  si  vedono  pure  abbozzati  i  due 
bassirilievi  sopra  le  porte  laterali ,  che  per  essere  consumati 
dal  tempo  non  s'e  potuto  conoscere  quello  che  rappresentano 
e  perö  si  e  supplito  d'invenzione  con  rappresentarvi  altre 
azzioni  di  S.  Lorenzo.  Nelle  nicchie  non  si  veggono  statue, 
ma  qui  vi  sono  disegnati,  accio  non  restino  vote. 
Nellis  Zeichnung  nun  stimmt  bis  auf  ganz  unwesentliche  Kleinig- 
keiten architektonisch  mit  dem  Holzmodell  überein.  Michelangelo 
hat  also  ein  kleines  Modell  mit  dem  plastischen  Schmuck  angefertigt 
und  danach  offenbar  das  grössere  der  Akademie,  vermuthlich  von 
Urbano,  ausführen  lassen. 

Es  fragt  sich  nun:  ist  das  Nelli'sche  Modell  jenes,  welches 
Michelangelo  mit  Urbano  im  September  15 17  ausführte  (die  Figuren 
aus  Wachs  machte  er  selber)  und  durch  Diesen  nach  Rom  an  den 
Papst  sandte  —  eben  jenes  Modell,  auf  Grund  dessen  dann  der 
Vertrag  am   19.  Januar   15 18  abgeschlossen  wurde  .f* 


Die  Fassade  von  S.  Lorenzo 


99 


Von  Nelli  rekonstruirt  wurden  die  vier  Statuen  und  die  zwei 
Seitenreliefs  mit  Legenden  des  hl.  Laurentius.  Das  Andere  war 
vorhanden :  nämlich 

1.  die  vier  quadratischen  Felder  oben  mit  aufgehängten  Kränzen. 

2.  Die  zwei  oblongen  Reliefs  oben :  je  zwei  Putten,  einen  Feston 
haltend. 

3.  Die  Reliefs  in  den  zwei  Medaillons.  Eine  genauere  Unter- 
suchung der  Zeichnung  ergiebt,  dass  das  links  die  Kreuzi- 
gung Petri,   das  rechts  die  B  e  kehr  u  ng  Sau Is  darstellte. 

4.  Das  grosse  mittlere  Relief :  das  Martyrium  des  Lauren- 
tius. Die  genauere  Betrachtung  ergiebt  eine  ähnliche,  aber 
figurenreichere  Komposition  wie  in  I. 

5.  In  den  vier  schmalen  Kompartimenten  der  Attika:  je  ein 
Mediciwappen    mit    der  Papsttiara,  von  zwei  Putten  gehalten. 

In  dem  unteren  Stockwerk  sind  auch  von  Nelli  weder  Statuen, 
noch  Reliefs  angegeben.  Wir  dürfen  aber  sicher  annehmen,  dass 
in  den  grösseren  viereckigen  Nischen  Statuen  von  Michelangelo 
geplant  waren ,  sind  auch  die  Nischen  hier ,  wie  im  Holzmodell, 
flach  gehalten. 

Vergleichen  wir  nun  die  Angaben  des  Kontraktes  vom 
19.  Januar  15 18,  so  entspricht  wohl  die  Angabe  von  je  sechs 
Statuen  im  unteren  und  im  oberen  Geschoss  und  von  zwei  Rundreliefs 
dem  Modell ,  eine  Verschiedenheit  aber  zeigt  sich  darin ,  dass  der 
Kontrakt  die  vier  sitzenden  Statuen  in  der  Attika  angiebt,  an  deren 
Stelle  im  Nelli'schen  Modell  die  Papstwappen  sich  befinden.  Und 
weiter  sind  in  diesem  nur  drei  Historienreliefs  angegeben,  während 
der  Kontrakt  fünf  erwähnt. 

Die  Erklärung  ergiebt  sich  unschwer :  der  Papst  und  der 
Kardinal  werden  nach  Besichtigung  des  Modelies  den  Wunsch  ge- 
äussert haben ,  die  vier  Evangelisten  möchten  doch ,  wie  es  im 
ersten  Vertrag  vorgesehen  war,  auch  noch  an  Stelle  der  Wappen 
angebracht  und  zwei  Reliefs  an  den  leeren  Flächen  über  den 
Seitenportalen  hinzugefügt  werden.  Und  mit  dieser  Modifikation 
wurde   das  Modell    gutgeheissen    und    der  Kontrakt    abgeschlossen. 

Einige  Einzelstudien  zu  dem  definitiven  Entwurf  sind  erhalten: 

XV.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XVIII,   51.      Thode  79.     Das   linke 

Fassadenprofil.     Es    stimmt   genau    mit    dem  Modell   überein. 

XVI.  Ebendaselbst  XL VII,  113.  Thode  163.  Eine  Federskizze 
des  Fassadengrundrisses.  Vor  der  Fassade  ist  ein  Podest  an- 
gedeutet.    Auf  der  Rückseite  Maassangaben  des  Grundrisses. 

XVII.  Ebendaselbst  XXXVI,  64.  Thode  11 5.  Frey  53.  Säulenschaft  ohne 
Kapital.  Mit  Notizen :  lunga  braccia  dieci  grossa  un  braccio  e 
terzo  senza  el  chollarino.  Grossa  un  braccio  e  terzo  senza  el 

7* 


100  Die  Bauten  in  Florenz 


regolino  da  pie.  Es  war  eine  der  an  Matteo  Cuccarello 
(Vertrag  6.  März  15 17)  gesandten  Zeichnungen,  wie  die  Notiz 
besagt :  questo  ha  el  terzo  che  maestro  Michel  Angelo  hae 
dessignato  et  dato  a  matteo  di  cucarello  et  aUi  suoi  compagni. 
—  Nicht  von  v.  Geymüller  erwähnt. 

XVIII.  Ebendaselbst  XXXV,  54.  Thode  109.  Eine  korinthische 
Säule.  —  Nicht  erwähnt. 

XIX.  London:  British  Museum  1859— 6— 25— 560a.  Thode  302. 
Rückseite:  linkes  Fassadenprofil,  eine  korinthische  Säule  mit 
Gebälk,  Kapital  mit  Gebälk,  Grundriss  eines  kannellirten 
Pilasters.  —  Auf  der  Vorderseite  Studien  zu  Kranzgesims  und 
Säule,  die  Nichts  mit  der  Fassade  zu  thun  haben.  —  Nicht 
erwähnt. 

Zusammen  fassendes. 

Wir  haben  vier  Hauptphasen  in  der  Entwicklung  der  Projekte 
der  Fassade  festzustellen,  entsprechend  den  Thatsachen ,  die  wir 
den  litterarischen  Quellen  entnehmen  konnten.  Diese  werden  durch 
die  enthaltenen  Entwürfe  bestätigt  und  erläutert. 

I.  Früheste  Entwürfe,  die  im  September  und  Oktober  15 16  ent- 
standen. Erste  Gruppe :  Primo  disegno.  Fassade  mit  einfacher 
Säulenordnung,  ohne  Attika,  und  mit  Mittelschiffstockwerk. 
Man  sieht,  wie  der  Meister  hier  an  Giuliano  da  San  Gallo  an- 
knüpft. Triumphbogenmotiv  des  Mittelbaues.  Seitentaber- 
nakel. Jonische  Säulenordnung.  Der  plastische  Schmuck  in 
den  verschiedenen  Studien  verschieden.  In  den  letzten  ver- 
einfacht :  zwei  Kolossalstatuen  in  den  Eckrisaliten,  zwei  kleinere 
in  den  Nischen  neben  dem  Mittelportal.  Ein  grösseres  und 
zwei  kleinere  ReUefs  über  den  Thüren. 

II.  Der  Entwurf  vom  5.  Dezember  15 16,  auf  Grund  dessen  Baccio 
das  Modell  entwirft.  Secondo  disegno.  Fassade  mit  Attika 
über  dem  Erdgeschoss  und  darüber  hinausragendem  Mittel- 
schiffgeschoss.     Zehn  Statuen  und  Bronzereliefs. 

III.  Anfang  15 17.  Modell  April  15 17.  Terzo  disegno.  Fassade 
von  einheitlicher  Höhe.  Zwischen  unterem  und  oberem  Ge- 
schoss  Doppelzone  von  Attika  und  Piedestal  des  Oberge- 
schosses. Nur  acht  Statuen  (die  sitzenden  fortgelassen)  an 
der  Front,  vier  an  den  Seitentheilen  der  Fassade.  Fünf  recht- 
eckige, zwei  runde  Rehefs. 

IV.  September  15 17.  Plolzmodell  der  Akademie  und  verlorenes 
Modell  mit  Wachsfiguren.  Ouarto  disegno.  Wie  III,  aber 
nicht  mehr  Doppelzone  in  der  Mitte,  sondern  einfache  Attika. 
Statuen  und  Reliefs  wie  in  III.  Vier  Mediciwappen  in  der 
Attika.  —  Auf  Wunsch    des   Papstes    an    Stelle    der  Wappen 


Die  Fassade  von  S.  Lorenzo  loi 


die  vier  sitzenden  Statuen.     So  dann  der  definitive  Kontrakt 

vom  19.  Januar  15 18  abgeschlossen. 
In  den  Uffizien  befindet  sich  (Nr.  1923)  eine  Zeichnung  (Abb. 
v.  Geymüller,  Fig.  i),  die  angeblich  nach  Michelangelo  ist  und 
eine  Fassade  mit  drei,  der  Grösse  nach  abnehmenden  Stockwerken, 
die  durch  gekuppelte  Säulen  undPilaster  gegUedertsind,  darstellt.  Ich 
glaube  nicht,  dass  es  sich  hier  um  eine  Michelangelo'sche  Idee 
(es  müsste  denn  eine  ganz  frühe  sein!)  handelt. 


Der  plastische  Schmuck 

I.    Die    Statuen. 

Wir  sahen,  wie  verschiedenartig  die  frühen  Entwürfe  in  Bezug 
auf  den  plastischen  Schmuck  erscheinen.  Charakteristisch  für  den 
primo  disegno  sind  die  Statuengruppen,  bestehend  aus  zwei  Figuren 
(Nr.  I  und  II).  Wir  können  sie  ebensowenig  mit  Namen  benennen, 
wie  die  dann  geplanten  zwei  Kolossalstatuen  (Nr.  III).  Ein  festes 
Programm :  Lorenzo ,  Johannes  d.  T. ,  Petrus ,  Paulus  —  die  vier 
Evangelisten  — ,  Kosmas  und  Damianus,  wird  am  5.  Dezember  15  16 
aufgestellt.  Und  an  diesem  ward  im  Wesentlichen  wohl  auch  später 
am  19.  Januar  15 18  festgehalten,  nur  dass  noch  sechs  andere,  nicht 
näher  bezeichnete  Statuen  hinzukommen. 

Im  Modell  mit  den  Wachsfiguren  waren  diese  skizzirt,  wir 
wissen  aber  nicht  wie ,  da  sie  zu  Nellis  Zeit  schon  zerstört  waren. 
Nur  eine  einzige:  der  Paulus  mit  langem  Bart,  zur  Seite  gewandt 
lesend,  wird  uns  durch  die  Zeichnung  in  den  Uffizien  (Nr.  XII c) 
einigermaassen  veranschaulicht  —  die  Skizzen  auf  der  Louvrezeich- 
nung  Nr.  VIII  sind  zu  flüchtig,  als  dass  sie  etwas  sagten.  Und 
doch  möchte  man  annehmen,  dass  Michelangelo  Entwürfe  gemacht 
habe,  denn  am  4.  Januar  15 19  erklärt  er  sich  bereit,  Modelle  der 
Figuren  für  den  Papst  zu  entwerfen.  Aber  meine  Nachforschungen 
nach  Zeichnungen  für  die  Statuen  haben  kein  einziges  Blatt  er- 
geben, das  mit  Bestimmtheit  auf  diese  bezogen  werden  könnte. 
Vielleicht  könnte  Jemand  die  Vermuthung  aussprechen ,  dass  die 
Federskizzen  zweier  sitzender  Männer,  die  geöffnete  Bücher  halten, 
in  den  Uffizien  (147 H.  Nr.  17379  u.  17380.  Thode  227,  228. 
Jacobsen  u.  Ferri,  Taf  XVI)  für  die  Evangelistenstatuen  bestimmt 
gewesen  seien ;  doch  bleibe  ich  bei  der  Meinung,  es  seien  Entwürfe 
für  die  erste  Lunette  der  Sixtinischen  Decke  (s.I,  268,  CIX.).  Und  ich 
möchte  es  auch  nicht  für  wahrscheinlich  halten ,  dass  die  Kreide- 
studie eines  sitzenden  Mannes  (Apostels .?  Evangelisten .?)  mit  einem 
Buche    auf   dem    Schoosse    (Uffizien    147 H,     18729.      Thode    223. 


I02  Die  Bauten  in  Florenz 


Jacobsen  u.  Ferri,  Taf.  XII)  aus  der  Zeit  der  Beschäftigung  mit  der 
Fassade  stammt.  Eher  wäre  die  Möglichkeit  gegeben,  die  gross- 
artige Rötheistudie  eines  Mannes  in  Herrscherpose,  der  einen  Stab 
gegen  seine  Hüfte  stemmt,  in  den  Uffizien  (145,  620)  für  einen 
Entwurf  zu  einer  Fassadenstatue  zu  halten.  Sie  dürfte ,  obgleich 
Berenson  sie  für  früher  hält  und  in  ihr  eine  Studie  für  den 
Matthäus  sehen  möchte,  in  diese  Zeit  anzusetzen  sein  —  sogleich 
aber  stellt  sich  die  bedenkliche  Frage  ein :  wen  soll  die  Figur  dar- 
stellen?    Doch  unmöglich  einen  Heiligen.? 

2.    Die   Reliefs. 

Wie  es  scheint,  hat  Michelangelo  nicht  ins  Auge  gefasst,  die- 
selben selbst  auszuführen.  Zuerst  ist  an  Jacopo  Sansovino ,  dann 
an  Bandinelli  gedacht  worden.  Ende  15  18  wünschte  der  Papst  einige 
derselben  zu  sehen. 

Das  Programm  scheint  von  Vorneherein  festgestanden  zu  haben, 
dass  es  Darstellungen  aus  der  Legende  des  hl.  Laurentius  sein 
sollten.  In  Nr.  I  bereits  erscheint  das  Martyrium ,  das  schliesslich 
die  Hauptstelle  über  dem  Mittelportal  erhielt,  und  ,, Laurentius  vor 
dem  Kaiser".  Sonst  wissen  wir  nichts  Näheres,  da  in  Nellis  Mo- 
dell die  Reliefs  über  den  Seitenportalen  nicht  die  Originalskizzen 
Michelangelos  wiedergeben.  Auch  hat  sich  keine  sonstige  Skizze 
erhalten. 

Dass  in  den  Medaillons  die  Kreuzigung  Petri  und  die  Be- 
kehrung Sauls  dargestellt  werden  sollte,  lehrte  uns  Nellis  Zeichnung. 

II 

Das  Ciborium  und  die  Reliquientribüne  in  S.  Lorenzo 

I 

Geschichtliches 

Am  14.  Oktober  1525  drückte  Clemens  VII.  den  Wunsch  aus, 
Michelangelo  solle  an  ein  Ciborium  über  dem' Altar  von  S.  Lorenzo 
auf  vier  Säulen  denken.  In  dieses  wolle  er  alle  die  Mediceischen 
Gefässe  aus  dem  Besitze  des  älteren  Lorenzo  mit  vielen  schönen 
Reliquien  stellen;  und  man  solle  darum  herumgehen  können,  um 
die  Reliquien  dem  Volke  zu  zeigen.  Fattucci  erhält  in  Rom  den 
Auftrag,  sich  nach  vier  Porphyrsäulen  umzusehen  und  zwei  schöne 
Säulen  aus  orientalischem  Granit  bei  den  Tre  Fontane  zu  messen. 
Michelangelo  geht  zunächst  nicht  darauf  ein ,  worüber  sich  der 
Papst  am  30.  Oktober  verwundert  ausspricht.  Am  10.  November 
schreibt  Fattucci  in  Dessen  Auftrag,  die  Säulen  seien  gefunden  und 


Das  Ciborium  und  die  Reliquientribüne  in  S.  Lorenzo  103 

die  Arbeit  solle  womöglich  noch  in  diesem  Winter  begonnen 
werden.  Die  Säulen  sollen  auf  Sockel  gestellt  werden  und,  da  der 
Altarraum  gross,  einen  Bronzearchitrav  erhalten,  aber  einen  dünnen, 
damit  es  ihm  nicht  ergehe  wie  der  Bronzestatue  des  Papstes  Julius, 
die  zum  Guss  einer  Kanone  verwendet  wurde ,  und  zwar  Bronze 
mit  einem  Kern  von  Eisen,  damit  sie  den  Aufsatz  trage.  Hierauf 
(29.  November)  kommt  Clemens  auf  den  Gedanken ,  man  könne 
das  Ciborium  auch  über  der  Mittelthüre,  falls  es  tiefer  anzubringen 
sei,  oder  über  der  Thüre  der  Neuen  Sakristei  machen,  wobei  dann 
aber  für  einen  Raum  zur  Unterbringung  der  Gefässe  zu  sorgen  sei. 
Entschlösse  sich  Michelangelo  jedoch  für  den  Altar,  so  solle  der  Zu- 
gang nur  vermittelst  einer  hölzernen  Leiter,  und  nicht  anders,  ge- 
macht werden  (offenbar,  um  die  Gefässe  vor  Diebstahl  zu  schützen). 
(Frey:  Briefe  260,  265,  267). 

Am  4.  Februar  15  26  schickt  Michelangelo  Zeichnungen  ein.  Deren 
eine:  das  Ciborium  über  dem  Hochaltar,  gefällt  dem  Papste  höch- 
lich. Nur  wünscht  er,  dass  der  Blick  in  den  Chorraum,  den  er 
ausmalen  lassen  wolle,  nicht  gehindert  werde.  Es  heisst  dann  in 
dem  Briefe  weiter:  ,,dipoi  considerato  la  porta  et  misurato ,  dice, 
che  le  v'ando  gli  stipiti  et  il  cardinale;  et  movendo  di  terra  dua 
pilastri  et  sopra  fra  uno  pilastro  et  l'autro  non  passando  l'alteza 
di  detto  cardinale,  et  facendovi  bechategli  che  isportassino  in  fuora 
uno  braccio  o  piü,  secondo  che  a  voi  paressi,  et  il  resto  nella 
grossezza  del  muro  ,  pargli,  che  fra  la  cornice  di  sopra  et  il  car- 
dinale sia  bracia  5.  Et  essendo  cosi  senza  altre  colonne,  vedete, 
se  si  puo  fare  cosa  bella ;  et  parendo  a  voi ,  che  si  possa  fare 
niente  che  sia  al  proposito  in  questa  alteza  ne  passandola,  datene 
aviso."  (Frey:  Briefe  272.  Cardinale  steht  natürlich  für  cardine). 
Ausser  dem  Entwurf  für  das  Ciborium  hatte  der  Meister  also  auch 
einen  solchen  für  den  ,,pergamo"  über  einer  Thüre  eingesandt. 

Am  23.  Februar  wiederholt  Fattucci ,  dem  Papste  gefalle  der 
Gedanke  des  Ciboriums  über  dem  Altare  sehr.  Er  habe  an  eine 
andere  Stelle  gedacht  nur,  weil  er  die  Aussicht  auf  den  Chor  nicht 
gestört  haben  wolle,  in  dem  Michelangelo  vielleicht  eines  Tages 
Gemälde  ausführen  werde.  Michelangelo  möge  doch  ein  grosses 
oder  kleines  Modell  anfertigen.  Am  10.  März  wird  dem  Meister 
seine  Zeichnung  zurückgesandt  mit  dem  Bemerken,  er  solle  das 
Ciborium  erst  ausführen ,  wenn  es  ihm  passe  und  jetzt  bei  den 
Figuren  der  Medicigräber  bleiben.  Auch  am  3.  April  heisst  es: 
er  solle  das  Modell  machen  lassen ,  wann  es  ihm  gut  dünke  und 
er  nicht  mehr  so  viel  zu  thun  habe.  Dann  sollte  er  Angaben  be- 
züglich der  Säulen  machen,  die  in  Porto  behauen  werden  könnten. 
Am  23.  November  heisst  es  weiter,  das  Ciborium,  für  welches 
der  Papst    die  Reliquien    schicken    werde ,    solle    zunächst  in  voller 


I04 


Die  Bauten  in  Florenz 


Grösse  in  Holz  ausgeführt  und  bemalt  werden,  zu  welchem  Zweck 
Michelangelo  den  Altar  und  die  Stufen  nach  seinem  Gutdünken 
verändern  könne.  Später  solle  es  dann  in  Marmor  ausgeführt 
werden.  Als  Fattucci  keine  Nachricht  erhält ,  beklagt  er  sich  am 
8.  Dezember:  die  Reliquien  und  Gefässe  seien  bereit  zum  Ab- 
senden. Nun  erklärt  sich  Michelangelo,  obgleich  er  das  Geschwätz 
fürchtet,  bereit,  das  Modell,  das  einfach  und  fest,  mit  Gesims  ver- 
sehen sein  soll,  auszuführen.     (Frey:  Briefe  274,  279,  291,  292). 

Dann  erfahren  wir  nichts  weiter  bis  Ende  Oktober  1531.  Da- 
mals ist  das  Ciborium  aufgegeben  und  an  seine  Stelle  der  Plan 
der  Tribüne  über  dem  Hauptportal  getreten.  Der  Papst,  einver- 
standen, wünscht  zu  wissen,  aus  welchem  Stein  es  gemacht  werden 
solle ;  Figiovanni  hat  ihm  erwidert ,  aus  Macigno ,  wie  die  Kirche, 
aussen  aber  aus  Marmor,  um  die  Einheitlichkeit  mit  der  Fassade 
herzustellen,  falls  diese  einmal  ausgeführt  werde.  Unter  der  Tribüne 
und  über  dem  Portal  beabsichtigt  Michelangelo  das  päpstliche 
Wappen  nach  altem  Stile  in  „Pferdekopfform"  zu  machen,  und  zwar 
so  schön,  dass  es  der  ganzen  Kirche  zum  Schmucke  gereiche.  Es 
ist  damals  in  der  Arbeit.  Der  Papst  aber  will  nicht  das  päpst- 
liche ,  sondern  das  einfache  Mediciwappen ,  wie  es  sonst  in  der 
Kirche  vorkomme.  Figiovanni  bittet  Michelangelo ,  es  doch  noch 
zu  ändern ,  d.  h.  Tiara  und  Schlüssel  wegzulassen.  Ein  Jahr  ver- 
geht: am  7.  Oktober  1532  hören  wir  von  der  Arbeit  an  Ort  und 
Stelle.  Michelangelo  ist  in  Rom  und  hat  sich  die  Maasse  aus- 
gebeten ,  welche  maestro  Bernardo  ihm  durch  Figiovanni  sendet 
mit  der  Bitte  um  die  sehnsüchtig  erwartete  Zeichnung.  Bernardo 
hat  die  zwei  Säulen  mit  ihren  Kapitalen  errichtet:  am  folgenden 
Tage  soll  das  Gebälk  aufgesetzt  und  dann  das  Wappen  angebracht 
werden.  Das  Loch,  das  in  die  Fassade  hat  gemacht  werden  müssen, 
ist  so   gross,  dass  es  wieder  zuzumauern  einen  Monat  dauern  wird. 

Michelangelo  sendet  nun  eine  Zeichnung  (die  zweite)  und  es 
entstehen  Schwierigkeiten  bezüglich  der  Tiefenausdehnung  der  Tri- 
büne. Michelangelo  hat  in  dieser  Zeichnung  die  Thüren  innerhalb 
der  breiten ,  das  Ganze  abgränzenden  Pilaster  angeordnet.  Figio- 
vanni, der  Grundriss  und  Aufriss  von  Bernardo  einsendet,  bemerkt, 
dass  dann  die  intaglirten  Pilaster  selbst  weggelassen  werden  müssten 
und  räth,  es  beim  Alten  bewenden  zu  lassen.  Alles  Wichtige  ist 
zur  Aufmauerung  bereit  und  es  wird  nur  noch  Michelangelos  Ent- 
scheidung, auch  über  die  Balustrade,  abgewartet.  Noch  am  23.  No- 
vember wird  an  der  Tribüne  gearbeitet.  Am  4.  Dezember  treffen 
die  Reliquien  in  Florenz  ein  und  werden  am  13.  nach  S.  Lorenz© 
gebracht,  am  15.  ausgestellt.  Am  19.  Juli  1533  schreibt  der  Meister 
selbst,  der  „pergamo"  sei  sehr  schön  ausgefallen.  (Frey:  Briefe  309. 
331-  332.  334.     Dicht.   511.     Milanesi:   Les  corresp.    108.) 


Das  Ciborium  und  die  Reliquientribüne  in  S.  Lorenzo  105 


Zeichnungen 

I .    Früher    Entwurf. 

Heinrich  v.  Geymüller  hat  einen  Entwurf  für  die  Tribüne  nach- 
gewiesen : 

I.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLI,  ^6.    Thode  131.    Abb.  v.  Gey- 
müller Bl.  2,   Fig.  5.     Frey  68.  69.     Rückseite:  Frontansicht: 
zwei   Säulen    mit    Gebälk   und  Gesims    schliessen   eine  Wand 
ein,  die  fast  ganz  durch  eine  Thüre  durchbrochen  wird.    Über 
der  Thüre,  von  zwei  Konsolen  getragen,  läuft  balkonartig  ein 
Gang  mit  Säulchenbalustrade,   auf  den  von  innen  eine  Thüre 
herausführt.    Daneben  Skizze  des  Balkons  im  Profil,  von  einer 
anders  geformten  Volute  getragen,  und  drei  Säulchenkapitäle. 
Das  eine ,    ausgeführt ,    hat  Voluten    (deren  Rosettenmitte  da- 
neben detaillirt   ist) ;  der  Hals  zeigt  zwei  Reihen  von  Kanne- 
luren  über  einander  und  zwei  Kränze.    Das  zweite  zeigt  keine 
Voluten ,    sondern    nur    zwei   Kränze    angedeutet ,    das    dritte 
Spiralen.  —  Die  Vorderseite,  die  v.  Geymüller  nicht  beachtet, 
bringt    den    Grundriss    eines    Altares    mit    seiner  Architektur- 
umgebung; die  Breite  desselben  ist  auf  9^/^  Ellen  angegeben. 
Auch  andere  Maassangaben,  auf  den  Altartisch,  das  Ciborium, 
die  Stufen  u.  A.  bezüglich,  sind  verzeichnet  und  weiter  Notizen : 
l'altare    e    alto  b  2d,    la  chapella  braccia   19  e  dua  terzi  per 
ogni  verso  el  vivo.    Und  ferner:  a  di  8  febrajo   1525  (id  est: 
1526)  dichati  6  e  3  lire  Antonio  a  portato  a  chambiare  a  oro. 
Die  Zeichnungen    sind  offenbar  Studien  für  die  am  4.  Februar 
1526  dem  Papste  eingesandten  Entwürfe,    die  eine  für  die  Wand- 
tribüne, die  andere  für  den  Altar  mit  dem  Ciborium  im  Chor  von 
S.  Lorenzo,    welch'    letzterer  ja   von  Fattucci   ,,la  capella"  genannt 
wird    rFrey    S.  274).      Die    angegebene    Breite     der    Kapelle    von 
19^/2  Ellen  auf  der  Skizze  der  Vorderseite  entspricht  der  Breite  des 
Chores:    11,60  m  (s.  Grundriss  von  S.  Lorenzo  in  der  Arch.  d.  Ren. 
in  Toskana,    Brunellesco    S.  11,  Fig.  i).     Der  Künstler  dachte  sich 
den  Altar  mit  seinen  vier  (angegebenen)  Säulen  nahe  an  die  Rück- 
wand des  Chores  gestellt  und  plante,  wie  es  scheint,  eine  Belebung 
der    Seitenwände    durch    Pilaster   in    der  Axe    der  Vorderseite    des 
Ciboriums. 

Frey  lässt  seltsamer  Weise  die  doch  ganz  überzeugende  Be- 
ziehung der  Skizze  der  Rückseite  auf  die  Tribüne  über  der  Thüre 
nicht  gelten  und  behauptet  irrig,  der  Altarentwurf  sei  für  den  Chor 
der  Medicisakristei  bestimmt  gewesen.  Dieser  Chorraum  ist  aber 
doch  4,55  m  tief  und  breit  —  Verhältnisse  und  Form  des  Ent- 
wurfes passen  nicht  zu  ihm,  der  Altar  wäre  viel  zu  gross.    Weiter 


Io6  Die  Bauten  in  Florenz 


ist  doch  deutlich  ein  Ciborium  mit  vier  Stützen  angegeben,  und 
wir  wissen  Nichts  davon ,  dass  ein  solches  für  die  Medicikapelle 
geplant  war.  Endlich  wird  letztere  in  den  Notizen  und  der  Korre- 
spondenz nicht  „chapella",  sondern  „sagrestia"  (nuova)  genannt  — 
und  das  Datum  8.  Februar  1526  stimmt  zu  der  Nachricht  von  den 
am  4.  Februar  übersandten  Entwürfen. 

Vier  andere  Blätter  mit  Kapitälstudien  möchte  ich,  wegen  deren 
nahen  Verwandtschaft  mit  den  eben  erwähnten  Kapitalen,  auch  auf 
den  Reliquienbau  beziehen,  nicht  auf  die  Fassade  von  S.  Lorenzo, 
wie  Frej^  meint. 

II.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXXV,  55.  Thode  t  10.  Abb. 
Frey  107  e.  Kreide.  Kapital  mit  kannelirtem  Hals  und  Spi- 
ralen, und  Kapital  mit  tief  sich  senkenden  Voluten  und  Kranz. 

III.  Ebendaselbst  XXXV,  56.  Thode  in.  Abb.  Frey  107 d. 
Kreide.  Kapital  ganz  ähnlich  dem  ausgeführten  auf  Nr.  I. 
Voluten,  Eierstab,  kannelirter  Hals  mit  Kränzen. 

IV.  Ebendaselbst  XLIII,  82.  Thode  144.  Abb.  Frey  107  a.  Kreide. 
Kapital  mit  Voluten,  der  Hals  in  drei  Zonen  gegliedert. 

V.  Ebendaselbst    XLIII,     83.      Thode     145.      Abb.    Frey     107b. 
Kreide.     Kapital  mit  Voluten,  von  denen  ein  einfacher  Kranz 
vor  kannelirtem  Hals  niederfällt. 
VI.  Ebendaselbst  XLIII,  86.    Thode  148.    Abb.  Frey  107  f.    Kreide. 

Nur  flüchtig  angedeutet  (links  Volute). 

Vli.  Ebendaselbst  XLIII,  87.    Thode  149.   Abb.  Frey  107  c.    Kreide. 

Volutenkapitäl  mit  kannelirtem  Hals. 

Haben  wir  hier  Studien  für    frühere  Entwürfe    vor  Augen ,    so 

wird,  was  v.  Geymüller  nicht  bemerkt,  aber  schon  Robinson  richtig 

gesehen  hat,  in  Oxford  eine  Zeichnung  für  den  späteren  aufbewahrt. 

2.    Späterer   Entwurf. 

VIII.  Oxford,    Univ.  Call.  49.      Thode    432.     Lav.  Federzeichnung. 

Grundriss  der  jetzigen  Anlage  der  Reliquienkammer  innerhalb 

der  Fassadenmauer.     In  der  Mitte  die   schmale ,    oblonge ,    in 

zwei  kleinere  Apsiden  endigende  Kammer,  zu  der  eine  Treppe 

von  rechts  (stehen   wir  im  Innern  der  Kirche)   führt:  el  vano 

nella   grossezza   del   muro    per   le   relique.     Nach   der  Kirche 

zu  die  Tribüne:    el  vano  del  pergamo  di  dentro,  nach  aussen 

an  der  Fassade :   el  vano  del  pergamo  di  fuora. 

Hier  erhalten  wir  die  Bestätigung  dafür,  dass  ein  Balkon,  um 

die  Reliquien  zu  zeigen,  auch  aussen  an  der  Fassade    geplant  war. 

Ich  halte  die  Zeichnung,  die  von  Berenson  willkürlich  dem  Monte- 

lupo  zugewiesen  wird,  für  acht.     Es   ist    die  Schrift  Michelangelos, 

nur  besonders    sorgfältig.     Offenbar    wurde    das  Blatt    dem   Papste 

eingeschickt. 


Die  Medicikapelle  lO/" 


Studien  für  die  Thüren,  für  die  Balustrade  und  für  die  breiten 
Pilaster  mit  ihren  schweren  Gehängen  von  Festons,  die  aus  Lorbeer, 
Wein  und  Eiche  gebildet  sind  (der  links  ist  an  den  drei  Ringen 
der  Medici  aufgehängt),  kann  ich  nicht  nachweisen.  Auch  nicht  für 
das  Wappen,  das  in  der  That  die  Form  eines  Pferdeschädels  hat 
und  bei  dem  die  Papstinsignien  weggelassen  worden  sind.  —  Die 
Zeichnung  Casa  Buonarroti  XLVI,  iio,  einen  Reliquienbehälter  dar- 
stellend, die  von  Frey  73  auf  das  Ciborium  bezogen  wird,  beziehe 
ich  auf  eine  andere  Arbeit  für  S.  Silvestro  in  Rom,  s.  weiter  unten. 


III 

Die  Medicikapelle 
I 

Geschichtliches 

Alles  Wichtige  ist  gelegentlich  der  Medicigräber  schon  an- 
gegeben worden.  Ich  fasse  kurz  die  Hauptdaten,  von  denen  v.  Gey- 
müUer  S.  10  nur  einen  Theil  verzeichnet  hat,  zusammen.  Am 
23.  November  1520  sendet  Michelangelo  den  Entwurf  der  Kapelle. 
Die  Arbeit  ist  vor  dem  25.  März  1521  begonnen.  Am  10.  April 
wird  während  der  Abwesenheit  des  Meisters  der  Miniator  Stefano 
di  Tom.  Lunetti  Leiter  des  Baues.  Es  wird  an  der  Kapelle  ge- 
baut und  der  Marmor  in  Carrara  gebrochen.  Zwischen  Stefano 
und  Buoninsegni  entstehen  Streitigkeiten  über  die  Art  des  Ein- 
ganges. Über  das  Fortschreiten  des  Baues  erhalten  wdr  keine 
näheren  Nachrichten.  Erst  im  Januar  1524  ist  die  Laterne  der 
Kuppel,  d.  h.  also  der  ganze  Bau  im  Wesentlichen  vollendet  — 
und  damals,  wie  wir  sahen,  geht  nun  der  Meister  an  die  definitive 
Gestaltung  der  Denkmäler.  Der  Papst  wünscht  (18.  Januar)  die 
Dekoration  der  Kuppel  in  Stuck  durch  Stefano ;  alle  neuen  Zeich- 
nungen für  die  Kassettirung  sollen  eingesendet  werden  (21.  Januar). 
Dies  geschieht :  Michelangelos  Entwurf,  mit  dem  zugleich  er  Zeich- 
nungen einer  Thüre  und  eines  Tabernakels  einschickt,  gefällt 
(9.  Februar) ;  Michelangelo  soll  Vitruv  studiren ,  dem  auch  Gio- 
vanni da  Udine  seine  Kunst  verdanke.  Es  wird  das  Gerüst  er- 
richtet und  Stuck  angefertigt  (Februar).  Am  21.  März  wird  das 
Gerüst  mit  Brettern  bedeckt,  damit  die  Arbeit  beginne.  Um  Licht 
für  ein  Fenster  über  dem  Lavamani  bei  der  Treppe  zu  gewinnen, 
schlägt  Michelangelo  den  Ankauf  und  das  Niederreissen  einiger 
Häuser  vor  (Mitte  Juni).  Im  Herbst  (29.  Oktober  und  9.  November, 
Ricordi)  werden  die  Fenster  der  Sakristei  und  der  Laterne  mit 
Papier  überspannt.    Anfang  Januar  1525  soll  er  die  ,,Porticelle"  der 


lo8  Die  Bauten  in  Florenz 


Kapelle  machen  (offenbar  die  Thürrahmungen) ;  es  hat  damit 
Schwierigkeiten,  an  denen  Stefano  die  Schuld  trägt  (28.  Januar). 
Sie  entstehen  wohl  (wie  vielleicht  auch  die  darüber  befindlichen 
Tabernakel)  in  der  Folgezeit,  denn  wir  hören  Nichts  mehr  von 
ihnen.  Im  April  1526  fasst  der  Meister  den  Gedanken,  die  Kuppel 
durch  Giovanni  'da  Udine  verzieren  zu  lassen.  Dieser  soll  auf  des 
Papstes  Wunsch  nur  Das  machen ,  was  Michelangelo  ihm  angebe. 
Im  Juni  (6.)  erwartet  Fattucci  noch  diesbezügUche  Nachricht.  In- 
dessen das  zweite  Grabmal  aufgemauert  wird,  könne,  so  meint 
Michelangelo,  die  Kuppel  geschmückt  werden ;  dies  sei,  stelle  man 
viele  Leute  an,  in  zwei  oder  in  drei  Monaten  möglich  (17.  Juni). 
Dann  heisst  es,  dass  Giovanni  erst  im  Frühjahr  kommen  könne. 
Hierauf  tritt  die  lange  Pause  ein.  Mitte  Dezember  1531  denkt 
Michelangelo  wieder  an  Giovanni,  dem  er  die  Zeichnung  der  Ka- 
pelle sendet.  Giovanni  antwortet  am  25.  Dezember,  der  Papst 
habe  ihm  befohlen,  die  Mosaiken  im  Sommer  auszuführen.  Er 
habe  keine  geübten  Gehülfen,  auch  sei  es  nicht  seine  Sache,  grosse 
Historien ,  wie  der  Papst  angedeutet  habe ,  auszuführen.  Er 
bittet  um  genauere  Angabe  über  die  Art  des  Werkes  und  die 
Feldereintheilung.  Daraufhin  wolle  er  eine  Zeichnung  anfertigen. 
Gleich  nach  dem  4.  Oktober  1532  ist  Giovanni  an  die  Arbeit  ge- 
gangen (Vasari,  Milanesi  VI,  S.  560  Anm.  3);  er  sendet  am  7.  Ok- 
tober dem  in  Rom  befindUchen  Michelangelo  Grüsse.  Am  16.  No- 
vember 1532  wird  von  einer  Reparatur  an  der  Laterne,  die  durch 
eindringendes  Wasser  nöthig  wurde ,  berichtet.  Wir  hören  am 
23.  November  von  Giovannis  Arbeit  in  der  Sakristei,  mit  der  sich 
Michelangelo  am  17.  Juli  1533  zufrieden  erklärt.  Der  Papst  hin- 
gegen wünscht ,  dass  Giovanni  die  Wölbung  farbiger ,  in  der  Art, 
wie  die  Villa  Madama,  verziere  und  dauerhafte  Farben  nehme. 
Michelangelo  solle  den  wasserdichten  Abschluss  der  Kuppel  machen 
und  die  Verzierung  der  Wölbung  der  Laterne  selbständig  bestimmen 
(17.  Juli).  Der  Meister  macht  am  28,  JuH  Vorschläge  über  die  An- 
bringung von  Wasserröhren  an  der  Laterne,  womit  der  Papst  sich 
einverstanden  erklärt,  der  auch  Giovannis  Gesuch  um  Urlaub  unter 
der  Bedingung,  dass  er  zur  Zeit  zurückkehre,  seine  Arbeit  zu  voll- 
enden,  gewährt.  Vasari  (VI,  561)  berichtet,  Giovanni  sei  fast  mit 
der  Arbeit  fertig  gewesen ,  er  hätte  höchstens  noch  vierzehn  Tage 
zu  thun  gehabt,  als  er  auf  die  Nachricht  von  Clemens'  Tode  sie  im 
im  Stiche  gelassen  und  nach  Rom  gegangen  sei.  Wir  erfahren 
darüber  weiter  Nichts.  (Die  Belege  für  diese  Angaben  s.  in  den 
Annalen  meines  I.  Bandes  Michelangelo). 

Als  später  Cosimo  die  endgültige  Ausschmückung  der  Kapelle 
wünscht,  fragt  Vasari  bei  Michelangelo  an,  ob  er  noch  Skizzen  für 
diese  Ausgestaltung  habe;  beabsichtigt    sind  damals  auch  Gemälde 


Die  Medicikapelle  109 


an    den   Bögen   und   Wänden    der   Kapelle ,    sowie  Statuen   in    den 
Tabernakeln  über  den  Thüren. 

Was   wir   bestimmt   erfahren ,    beschränkt    sich    also    auf  Fol- 
gendes : 

1.  Bau  der  Kapelle.  Beginn  Anfang  1521.  Vollendung 
Januar   1524.     Bauleiter  ist  Stefano. 

2.  Ausschmückung.  Die  Porticelle  entstehen  1525. — Januar 
bis  März  1 524  wird  die  Kassettirung  der  Kuppel  in  Stuck  berathen, 
wofür  das  Gerüst  am  21.  März  in  Stand  gesetzt  wird.  —  Vom 
4.  Oktober  1532  bis  Ende  Juli  1533  oder  September  1534 
arbeitet  Giovanni  da  Udine  an  dem  Schmuck  der  Kuppel  und 
Laterne.  —  Die  Kugel  auf  der  Laterne  wurde  nach  Vasari 
(VII,  362)  vom  Goldschmied  Piloto  angefertigt. 


Zeichnungen 

In  der  Studie  v.  Geymüllers  wird  keine  einzige  genannt ,  und 
auch  ich  vermag  nur  zwei  Blätter,  die  direkte  Beziehung  zur  Archi- 
tektur der  Kapelle  besitzen,  anzuführen :  nämlich  zwei  Studien  für 
die  eigenthümlichen,  sich  verjüngenden  Fenster  der  Lunetten,  beide 
in  der  Casa  Buonarroti.  Die  eine  (LVIII,  8.  Thode  175)  zeigt 
den  Entwurf  eines  Fensters  nach  der  Antike,  aber  ohne  Rundgiebel, 
die  andere  (XL,  105.  Thode  129)  das  Fenster  mit  dem  Segment- 
giebel, fast  identisch  mit  dem  der  Kapelle.  —  Die  Zeichnung  Casa 
Buon,  XLI,  ']6,  die  Frey  auf  die  Kapelle  bezieht,  ist  von  mir  oben 
als  Entwurf  für  das  Ciborium  in  S.  Lorenzo  nachgewiesen  worden. 

3 
Der  malerische  Schmuck 

Dass  Michelangelo  einen  farbigen  Schmuck  der  Kapelle  ins 
Auge  gefasst  hatte,  beweist  seine  Berufung  Giovannis  da  Udine, 
der  die  Kuppel  mit  später  übertünchten,  bis  auf  die  letzte  Spur 
vertilgten  Malereien  und  Stuckverzierungen  versehen  hat.  Auch 
die  leeren  Wandflächen  sollten  mit  Gemälden  geschmückt  werden. 
Dies  geht  aus  zwei  Mittheilungen  hervor. 

1.  Aus  dem  Briefe  Giovannis  vom  25.  Dezember  1531  (Frey 
S.  320),  in  dem  es  heisst:  perche  giä  una  volta  me  parlo 
Nostro  Signore  che'l  ci  era  da  fare  storie  grande  da  una 
banda(.?).    Er  lehnt  dies  ab,  da  es  nicht  seine  Profession  sei. 

2.  Aus  Vasaris  Brief  an  Michelangelo  vom  17.  März  1563  (Mil. 
VIII,  367):  e  il  medesimo  faccino  i  pittori  la  cappella,  e  archi 
e    facciate,    come    si    vede    che    la    Signoria    Vostra 


I  lo  Die  Bauten  in  Florenz 


aveva  ordinato  perlepitture,  e  dove  vanno  gli  stucchi 
e  le  altre  fantasie  d'ornamenti  e  pavimenti.  Er  bittet  sich 
den  „concetto  e  invenzione  delle  pitture"  aus. 

Mit  Recht  hat  v.  GeymüUcr  darauf  hingewiesen ,  welche  Be- 
deutung für  den  gesamten  Eindruck  der  Kapelle  diese  Bemalung 
gehabt  haben  würde  und  wie  wenig  deren  heutiger  Anblick  der 
Intention  des  Meisters  entspricht.  Wir  dürfen  uns  das  beabsichtigte 
Verhältniss  von  Farbe ,  Architektur  und  Plastik  wohl  nach  dem 
Muster  der  Sixtinischen  Decke  vorstellen.  Aber  wir  haben  keinerlei 
Anhalt,  um  uns  von  dem  „concetto"  und  der  „invenzione"  auch  nur 
die  geringste  Vorstellung  zu  machen.  Eine  solche  gewinnen  wir 
aber  wenigstens  von  Giovannis  Kuppelverzierung.  Vasari  erzählt 
in  des  Künstlers  Leben  (VI,  S.  560):  ,,er  hatte  die  Ornamente  der 
Tribuna  (Kuppel)  zu  machen.  Diese  ist  mit  Kassetten,  die  nach 
der  Mitte  oben  zu  allmählich  kleiner  werden,  ausgefüllt.  Mit  Hülfe 
vieler  seiner  Gesellen  führte  Giovanni  es  auf  das  Beste  aus :  mit 
schönstem  Blattwerk,  Rosetten  und  anderen  Ornamenten  in  Stuck 
und  Gold.  Nur  in  Bezug  auf  Eines  Hess  er  es  an  Urtheil  fehlen : 
in  den  Friesstreifen  nämlich ,  die  durch  die  Rippen  der  Wölbung 
und  durch  die  umlaufenden  Bänder,  welche  die  Kassetten  umrahmen, 
entstehen,  machte  er  Blattwerk,  Vögel,  Masken  und  Figuren,  die  man 
wegen  der  Entfernung,  so  schön  sie  sind,  und  wegen  der  abgetönten 
Farben  nicht  sehen  kann ;  hätte  er  sie  farbig  gehalten ,  wären  sie 
ohne  Weiteres  sichtbar  gewesen  und  das  ganze  Werk  hätte  einen 
reicheren  und  heitereren  Eindruck  gemacht." 

Das  war  ja  auch  des  Papstes  Ansicht  gewesen.  Sebastiano 
schreibt  am   17.  Juli   1533: 

,, Unser  Herr  begnügt  sich  damit,  wenn  Euch  die  Kuppel  Messer 
Joannis  da  Udine  gefällt  und  hat  mir  ausdrücklich  aufgetragen,  Ihr 
solltet  im  Namen  Seiner  Heiligkeit  Messer  Joanni  sagen,  viele  Per- 
sonen hätten  ihm  berichtet,  dass  die  Kuppel  sehr  arm  an  Farben 
ausfiele ,  und  solche  Weisse  gefalle  ihm  nicht ,  und  Seine  Heilig- 
keit wünsche ,  die  Kuppel  solle  viel  mehr  der  Wölbung  in  seiner 
Vigna  als  jener  des  Baldassare  da  Pescia  gleichen.  Und  vor 
Allem  ermahne  er  Messer  Joanni,  dauerhafte  Farben  anzuwenden, 
so  dauerhaft  als  miöglich :  er  solle  vor  Allem  das  deutsche  Blau 
und  das  grüne  Azur  und  andere  abbleichende  Farben  ver- 
meiden." 

Da  Giovanni  sich  Michelangelos  Wünschen  zu  fügen  hatte,  wie 
wir  hörten,  ist  Dieser  für  die  gerügte  Farblosigkeit  verantwortlich 
zu  machen,  und  v.  GeymüUer  bemerkt  richtig,  dass  wir  in  diesen 
Bestimmungen  den  Geschmack  des  Malers  der  Sixtinischen  Decke 
erkennen,  der  die  starken  Farben  vermied  und  auf  sanfte,  einheit- 
liche Stimmung  in  grauem  Tone  ausging. 


Die  Medicikapelle  1 1 1 


Was  in  der  Wölbung  der  Laterne  von  ihm  angeordnet  wurde, 
wissen  wir  nicht.  Der  Papst  überliess  ihm  die  freie  Wahl.  Es  war 
natürlich  ein  blosser  Scherz,  wenn  Sebastiane  sagt:  „mir  schiene 
es,  dass  dort  gut  der  Ganymed  sich  ausnehmen  würde  und  man 
könnte  ihm  ein  Diadem  machen,  dass  er  aussähe  wie  Sankt  Johannes 
in  der  Apokalypse,  wenn  er  in  den  Himmel  entrückt  wird." 

4 
Der  Altar  und  die  Kandelaber 

Von  einem  Altar  ist  nur  ein  einziges  Mal  die  Rede,  in  einem 
Briefe  Fattuccis  an  den  Meister  vom  21.  Dezember  1526:  per  tanto 
fate  a  vostro  modo  et  mutate  l'altare  et  fate,  come  se  l'avessi  affare 
di  marmo  (Frey  S.  293).  Es  ist  aber  sehr  die  Frage,  ob  es  sich 
hier  um  den  Altar  der  Kapelle  und  nicht  vielmehr,  wie  ich  be- 
stimmt glaube,  um  den  Altar  der  Kirche  S.  Lorenzo  handelt,  denn 
in  demselben  Briefe  ist  die  Rede  vom  Ciborium  und  das  ,,mutare" 
weist  auf  die  Veränderung  eines  schon  vorhandenen  Altares  hin. 
So  wissen  wir  nichts  Bestim.mtes  darüber ,  ob  der  Altartisch  auf 
einen  Entwurf  Michelangelos  zurückzuführen  ist.  Die  Inschrift 
lautet:  Paulus  V.  Pont.  Max.  cuique  sacerdoti  qui  ad  hoc  altare 
pro  defunctis  litaverit  animam  supremis  poenis  liberari  perpetuo 
an.  MDCX  concessit  pro  salute  aeterna  Ferdinandi  I.  M.  Etr.  D. 
a  Christianis  ad  deum  fieri  preces  liortatus. 

Die  Frage  nach  der  Gestaltung  des  Altars  hängt  mit  der  nach 
der  Entstehung  der  reich  ornamentirten  Kandelaber,  die  auf  seinen 
Seitenwangen  stehen,  zusammen.  Die  Tradition  bezeichnet  sie  als 
Schöpfungen  Michelangelos;  und  Gori,  der  diese  Ansicht  vertritt, 
erwähnt,  der  eine,  zerbrochen  und  ruinirt,  sei  auf  Anordnung  der 
Kurfürstin  von  der  Pfalz  um  1741  von  Ticciati  restaurirt  worden 
(Not.  stör,  zu  Condivi  S.  iio).  Hierzu  bemerkt  Bottari  (Fanfani: 
Spigolatura  Michelangiolesca  S.  81),  der  von  Ticciati  bearbeitete 
Kandelaber  sei  nicht  ruinirt,  sondern  in  abozzirtem  Zustande  gewesen. 

Beide  Kandelaber  haben  die  gleiche  Form.  Auf  viereckigem 
Postament,  dessen  Felder  je  einen  langgestreckten  Meerdrachen 
zeigen,  steht  ein  viereckiger,  in  sanfter  Schweifung  nach  oben  sich 
verjüngender  Aufsatz,  der,  antiken  Altären  nachgeahmt,  den  schlanken, 
vasenförmigen,  mit  flachen  Akanthusblättern  umkleideten  Leuchter 
trägt.  Der  altarartige  Aufsatz  ruht  auf  Löwenfüssen,  von  denen 
Akanthusblätter ,  die  Ecken  einfassend ,  nach  oben  gehen  und 
zvv^ischen  denen  Muscheln  angebracht  sind.  Die  oberen  Ecken 
werden  durch  Widderköpfe,  zwischen  deren  Hörnern  Festons  hängen, 
bezeichnet.  An  den  mittleren ,  von  einfacher  Sima  umrahmten 
Füllungen  sind  verschiedenartige  Ornamente : 


1 1 2  Die  Bauten  in  Florenz 


1.  am  Kandelaber  links:  a)  vorne:  ein  Pelikan,  der  drei  Jungen 
seine  Brust  öffnet ;  b)  rechts :  eine  Vase  mit  Früchten  zwischen 
zwei  Delphinen  und  über  zwei  Masken  mit  verschlungenen 
Hörnern;  c)  hinten:  eine  Maske  mit  Widderhörnern,  darüber 
eine  Tafel  mit  zwei  Delphinen  und  über  dieser  zwei  Reiher, 
die  sich  am  Fusse  jucken;  d)  links:  ein  Adler. 

2.  am  Ticciati'schen  Kandelaber:  a)  vorne:  ein  brennender  Kande- 
laber zwischen  zwei  in  Ranken  ausgehenden  Drachen;  b)  rechts: 
ein  Korb  mit  Früchten  über  einer  Maske;  c)  hinten:  zwei 
Drachen  an  einer  Vase;  d)  links:  über  einer  verhüllten  Maske 
ein  Gefäss,  auf  dem  zwei  Vögel  sitzen. 

Dass  hier  Michelangelo'scher  Geist  zu  erkennen  ist,  steht 
mir  ausser  aller  Frage.  Die  Entwürfe  wenigstens  stammen  sicher 
von  ihm,  ja  man  darf  sich  fragen,  ob  der  mit  erstaunlicher  Weich- 
heit, wie  in  Wachs  gestaltete  Kandelaber  links  nicht  von  ihm  selbst 
ausgeführt  worden ,  bescheidet  sich  aber  besser  damit ,  die  Hand 
eines  geschickten  Mitarbeiters  —  Silvio  Cosini.?  —  anzunehmen. 

Beweisend  für  Michelangelos  geistige  Autorschaft  ist  der  Ver- 
gleich der  Ornamente,  für  welche  die  Masken,  die  Drachen,  Vögel- 
paare und  Vasen  charakteristisch  sind,  mit  jenen  am  Juliusdenkmal 
und  mit  einigen  Zeichnungen.  Man  sehe  für  die  Vögelpaare  die 
Zeichnungen 

I.  London,  Malcolm  Nr.  59  verso,  Thode  346:  zwei  reiherartige 
Vögel  mit  verschlungenen  nach  unten  gestreckten  Köpfen ; 
Vögel  mit  Fischschwanz  an  einem  Kandelaber  befestigt. 

II.  Florenz,  Uffizien  147,  233  F.  Thode  215.  Zwei  schwanen- 
artige  Vögel  neben  Kandelaber  mit  Maske. 

Für  die  Drachen : 

III.  London,  British  Museum  Malcolm  ']6.  Thode  361,  Lang- 
gestreckter Drache  mit  hundartigem  Leib,  langem  Hals. 

IV.  Oxford,   53  a.     Ahnliches    liegendes  Thier    mit   spitzem  Kopf. 
V.  London,    Malcolm    1895 — 9 — 15 — 1501.      Groteskes,    hunde- 
artiges gelagertes  Thier. 

VI.  Oxford,  13.  Thode  433.  Der  Drache  mit  Vogelleib  und 
langem  Schlangenschwanz  (Kopie  im  Louvre  693). 

Für  den  Adler: 
VII.  Florenz,   Casa   Buonarroti  XXIV,  6.     Thode  94.     Auf  einem 
Blatt  mit  Entwürfen   aus  der  Zeit  der  Beschäftigung  mit  den 
Medicigräbern. 
Vor  Allem  aber  kommen  die  Seedrachen  über  den  Tabernakeln 
des  Lorenzograbmales,  die  eine  durchaus  verwandte  Erfindung  ver- 
rathen,  und    die  Festons   sowie  die  Masken   an   den  Kapitalen   der 
Grabmäler  in  Vergleich. 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo  1 1 3 

In  den  Kandelabern  haben  wir  also  wichtigste  Zeugnisse  für 
die  Dekorationskunst  Michelangelos  vor  Augen.  Sind  sie  sein  Werk, 
dann  ist  aber  auch  der  Altar,  für  den  sie  bestimmt  waren,  von 
ihm.  Die  Form  der  das  mittlere  Feld  flankirendcn,  nach  oben 
anschwellenden  Baluster  entspricht  ganz  dem  Geschmack,  der  sich 
in  den  Thronen  der  Grabmäler  äussert. 


IV 

Die  Libreria  di  S.  Lorenzo 
I 

Geschichtliches 

Im  Herbst  1523  nach  der  Wahl  GiuUos  zum  Papste  dürften 
die  ersten  Verhandlungen  über  den  Bau  in  Rom  stattgefunden 
haben.  Ende  Dezember  hat  Fattucci  eine,  von  Stefano  di  Tommaso 
nach  des  Meisters  Angaben  angefertigte  Zeichnung  erhalten,  die 
dem  Papst  vorgelegt  werden  soll.  Jacopo  Salviati  wünscht  eine 
andere,  die  Michelangelo  selbst  ausführen  solle.  In  ihr  sollen  die 
Maasse  beider  Librerien,  der  lateinischen  und  der  griechischen 
(welch  letztere  in  der  ersten  Zeichnung  fehlten)  angegeben  sein ; 
und  er  solle  dafür  sorgen,  dass  bei  dem  Eingang  ein  wenig  Licht 
sei  (2.  Januar  1524).  Michelangelo  antwortet,  er  sei  noch  gar  nicht 
unterrichtet  über  die  Libreria;  Stefano  habe  wohl  davon  gesprochen, 
er  habe  aber  nicht  darauf  geachtet.  Sobald  Jener  von  Carrara 
zurück  sei,  wolle  er  sich  von  ihm  unterrichten  lassen.  Eine  solche 
Arbeit  sei  aber  nicht  seine  Profession.  Am  21.  Januar  1524  schickt 
er  einen  Grundriss  ein.  Der  Papst  entscheidet  sich  für  die 
nach  Süden  gelegenen  Räume,  wünscht  aber  nochmals  den  Grund- 
riss des  unteren  Stockwerkes,  um  zu  wissen,  wie  viel  Räume  sich 
dort  befinden.  Diese  mussten  erhalten  bleiben  der  Fundamente 
wegen.  Das  obere  und  untere  Stockwerk  solle ,  um  Feuergefahr 
zu  vermeiden,  gewölbt  und  Fenster  sollen  so  viele  als  möglich  an- 
gebracht werden.  Vermuthlich  auf  den  neuen  eingesendeten 
Grundriss  hin  wünscht  der  Papst,  da  nach  diesem  Plan  das 
halbe  Kloster  zerstört  werden  müsste ,  die  Wahl  eines  anderen 
Platzes.  Er  denkt  an  die  Räume,  die  nach  der  Piazza  und  nach  dem 
Borgo  di  S.  Lorenzo  zu  liegen.  Michelangelo  soll  sich  erkundigen, 
wie  viele  von  den  Zimmern  und  von  den  Botteghe  und  Häusern  dort 
zu  kaufen  und  niederzulegen  wären  und  wie  viel  es  kosten  würde. 
Am  18.  Februar  sendet  Fattuci  die  Zeichnung  zurück  und  stellt 
nochmals  die  Fragen.  Hierauf  hat  Michelangelo  geantwortet,  aber 
vergessen  die  Zahl  der  Klosterräume  anzugeben,  die  zerstört  werden 

%*  8 


114  ^^^  Bauten  in  Florenz 


müssen ,  auch  die  Zahl  der  Ellen ,  um  die  die  Piazza  erweitert 
werden  soll.  Anfang  März  sendet  der  Meister  zwei  neue  Pläne  ein. 
Der  Papst  entscheidet  sich  für  die  Anlage  nach  der 
Piazza  zu,  d.  h.  die  längere  von  96  Ellen.  Er  hat  Bedenken 
wegen  der  Treppe,  die  6  Ellen  hoch  steigt  und  wünscht  die 
Zimmer  unten  eingewölbt,  was  wohl  leicht  möglich  sei.  Die  Holz- 
d  e  c  k  e  soll  schön  werden,  aber  nicht  kassettirt,  sondern  von  neuer 
Erfindung  und  nicht  stärker  als  zwei  oder  drei  Finger  breit  ver- 
tieft. Am  Ende  der  Libreria  gegenüber  dem  Eingang  sollen  zu 
Seiten  des  Fensters  zwei  ,,studietti"  für  die  geheimsten  Bücher 
angebracht  werden ,  wie  die  zwei  zu  Seiten  der  Thüre. 
Auch  wolle  er  wissen,  wohin  jenes  Fenster  schaue,  ob  auf  Gärten, 
Dächer  oder  Stallungen.  Die  Häuser,  die  nach  der  via  della  Stufa 
zu  liegen,  sollen  niedergerissen  werden.  Michelangelo  wird  gebeten 
einen  neuen  Entwurf  zu  senden ,  in  dem  es  namentlich  ersichtlich 
sei,  wie  die  Treppe  angelegt  werde,  um  die  Höhe  von  6  Ellen 
zu  erreichen.  Fast  alle  diese  Wünsche  werden  am  3.  April  noch 
einmal  wiederholt,  da  Michelangelo  den  vorhergehenden  Brief  ver- 
legt hat.  Dessen  Plan  —  heisst  es  hier  —  in  Rücksicht  auf 
die  Fassade  von  S.  Lorenzo  die  Libreria  doch  zu  bauen, 
wo  die  Räume  nach  der  Sagrestia  vecchia  zu  sich  befinden, 
wird  gutgeheissen,  auch  die  ,,crociera  col  graticolato".  Nun  schickt 
der  Künstler  wieder  Zeichnungen  ein ,  mit  deren  Ausführung 
Clemens  (13.  April)  einverstanden  ist,  falls  nicht  der  Bau  neu 
fundirt  werden  müsse;  er  billigt  es,  dass  9  Ellen  vom  Hofe 
dazugenommen  werden.  Auch  die  Zeichnung  der  Holzdecke 
gefällt  ihm,  nur  möchte  er  deren  Eintheilung  der  unteren  im  Saale 
entsprechend  wissen,  so  nämlich,  dass  jenes  Feld  mit  den  kleinen 
Figuren,  welche  das  figürlich  ausgeschmückte  Medaillon  halten,  in 
der  Grösse  dem  Gang  unten  entspreche  und  so  auch  alles  Übrige. 
Auch  geschähe  ihm  ein  Gefallen,  wenn  an  der  Decke  etwas  Emble- 
matisches  (fantasia  o  livrea  sua),  wie  es  Giovanni  da  Udine  in 
seinem  Zimmer  gemacht,  angebracht  würde. 

Von  Neuem  schickt  Michelangelo ,  der  Baccio  Bigio  flir  den 
Bau  engagirt  hat,  Zeichnungen  ein:  seine  Vorschläge  bezüglich 
der  Wölbung  des  Erdgeschosses  und  der  Anlage  einer  Doppel- 
treppe werden  gebilligt;  nur  sollen  die  Mauern  nicht  dicker  als 
eine  Elle  werden,  woraufhin  die  Fundamente  zu  untersuchen  sind. 
Der  Papst  wünscht  Näheres  über  die  Crociera,  den  Querbau,  zu 
erfahren,  da  die  Zahl  der  Bücher  so  gross  ist,  dass  sie  nicht  in 
eine  gehen  würden.  Ein  Modell  brauche  nicht  angefertigt  zu 
werden  (29.  April).  Michelangelo  erwidert,  es  habe  Schwierigkeit, 
die  Mauern  zu  verstärken;  er  wolle  Alles  niederreissen  und  mit 
Pilastern  innen  und  aussen  aufbauen.    Fattucci  meint:  nach  Baccio 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo  j  i  c 


Bigios  Vorschlag  würde  es  genügen,  die  Mauern  auf  beiden  Seiten 
um  ein  Viertel  über  den  Gewölben  zu  verstärken,  da  ja  oben  nur 
das  Dach  zu  tragen  sei  und  das  Balkenwerk  die  Mauern  wie  mit 
Ketten  hielte  (13.  Mai).  Der  Papst  äussert  sich  zunächst  nicht,  ist 
aber  mit  einer  Zeichnung,  die  Pilaster  zeigt,  einverstanden, 
vorausgesetzt,  dass  sie  genügende  Sicherheit  geben  und,  nachdem 
noch  einmal  Anfang  Juli  eine  Zeichnung  der  Pilaster  eingesandt 
worden  ist,  giebt  Clemens  den  Auftrag,  nun  an  die  Arbeit  zu 
gehen,  zu  fundiren  und  die  Steine  kommen  zu  lassen.  Die  kleinen 
Häuschen  der  Nelli  sollen  gekauft  und  abgerissen  werden.  Fattucci 
räth,  den  Marmor  in  Carrara  zu  bestellen  und,  mit  Übergehung 
aller  schlechten  Stücke,  nur  die  guten  zu  nehmen.  Damit  weniger 
Zeit  verloren  werde,  solle  die  Arbeit  Männern  von  Ansehen  in  ihrem 
Fach  übertragen  werden  (9.  Juli).  Am  21.  Juli  bittet  sich  der  Papst 
den  Kostenanschlag  aus,  den  der  Meister  gleich  darauf  schickt.  Ein 
Ricordo  Mil.  S.  597  bezieht  sich  offenbar  darauf:  in  ihm  werden  die 
100  Ellen  langen,  16  Ellen  hohen  und  eine  Elle  starken  Mauern 
auf  430  Dukaten,  die  ,,Croce",  welche  auf  beiden  Seiten  je  18  Ellen 
beträgt,  auf  193  Dukaten  berechnet.  Clemens  ist  einverstanden, 
wünscht  aber,  dass  die  Arbeit  schnell  in  Angriff  genommen  und 
gefördert  werde.  Die  Crociera  soll  einstweilen  nicht  gemacht,  je- 
doch soll  auf  die  Möglichkeit  ihrer  späteren  Anbringung  Rücksicht 
genommen  werden.  Die  Gesamtmaasse  werden  gewünscht  und 
die  Angabe  der  Zahl  der  ,,banchi"  und  ihrer  Distanz  von  einander, 
die  der  in  der  Bibliothek  von  S.  Marco  entsprechen  soll,  auch  die 
Zahl  der  Bücher  per  Bank  (2.  August).  —  Nun  wird,  mit  Einwilligung 
des  Papstes,  Baccio  Bigio  Oberaufseher  der  Arbeiten  an 
der  Libreria,  für  deren  Ausführung  Michelangelo  aber  die  Verant- 
wortung trägt.  Der  Künstler  erfährt  Belästigungen  durch  den  Prior 
des  Klosters  Figiovanni,  der  herumschwätzt,  die  Libreria  werde 
ein  Taubenhaus,  und  Schwierigkeiten  mit  seiner  Wohnung  macht. 
Am  3.  Apriri52  5  erfahren  wir  von  einer  Bezahlung  Bernardino 
Bassos  für  die  Blechpatronen  derProfile  der  Fenster  aussen 
an  der  Libreria.  Der  Papst  erklärt  sich  zufrieden  mit  den  Fenstern 
innen  und  aussen,  auch  mit  den  Tabernakeln  innen  über  den 
Fenstern;  an  Stelle  der  Doppeltreppe  im  Ricetto  (Vestibül) 
wünscht  er  aber  lieber  eine  einzige  in  der  vollen  Breite  der 
Vorhalle.  Die  Räume  am  Ende  der  Libreria  sollen  nicht 
Kapellen,  sondern  für  die  werthvollsten  Bücher  bestimmt  sein.  Die 
Holzdecke  soll  sehr  schön  werden;  ihre  Zeichnung  erbittet  Fattucci 
nochmals  (12.  April).  —  Am  10.  November  berichtet  Fattucci,  Spina 
habe  gewisse  Zeichnungen  der  kleinen  Libreria  eingesandt; 
der  Papst  will,  dass  sie  ausgeführt  werde,  wie  Michelangelo  sie 
gezeichnet  habe,  und  ist  bereit,    das  Haus   des  Larione  Martelli  zu 


jl5  Die  Bauten  in  Florenz 


kaufen.  Am  29.  November  wird  der  Freude  Ausdruck  gegeben, 
dass  Michelangelo  sich  entschlossen  habe,  den  Ricetto  zubauen. 
Auf  den  Vorschlag,  Glasfenster  (occhi)  in  der  Holzdecke  und  darüber 
Lichter  im  Dach  zu  machen,  eine  so  schöne  und  neue  Erfindung 
das  sei,  geht  der  Papst  nicht  ein,  weil  zu  viel  Staub  dadurch  in 
die  Libreria  komme  und  dann  zwei  Frati  dazu  angestellt  werden 
müssten,  diese  rein  zu  halten.  Auf  eine  Nachricht  des  Künstlers 
(2.  Dezember),  dass  die  Wölbung  des  Kapitels  niedriger  gemacht 
werden  müsse,  wolle  der  Papst,  so  schreibt  Fattucci  am  5.  Dezember, 
sich  noch  äussern,  ebenso  über  die  Fenster.  Der  Rath  Michel- 
angelos, jenes  Haus  zu  kaufen,  davon  zu  verwenden,  was  nöthig, 
und  das  Übrige  zu  vermiethen,  scheine  der  beste.  Am  23.  Dezember 
kommt  der  Papst,  der  eine  Zeichnung  ,,a  piedi  della  Li- 
breria" von  Michelangelo  erhalten  hat,  die  ihm  gefällt,  auf  die 
Deckenfenster  zurück.  Er  hält  sie  nicht  für  praktisch  aus  angege- 
benen Gründen  und  befürchtet,  dass  die  dazu  nöthige  Erhöhung  der 
Mauer  um  2  Ellen  gefährlich  für  den  Bau  sei.  Doch  überlässt  er 
Alles  dem  Meister,  der  es  besser  verstehe.  —  Erst  am  3.  April  1526 
vernehmen  wir  wieder  Etwas  über  den  Bau.  Der  Papst  wünscht, 
die  Holzdecke  solle  die  gleiche  Eintheilung  haben,  wie  unten 
die  Bänke,  die  ja  durch  die  drei  Gänge  in  zwei  Reihen  geschieden 
würden.  Es  soll  Nussbaumholz  für  die  Bänke  genommen  werden. 
Was  die  kleine  Libreria  anbetreffe,  solle  Michelangelo  bei  der  An- 
lage der  Scheidewand  zwischen  Ricetto  und  Libreria  so  verfahren, 
als  wäre  die  kleine  Libreria,  die  nach  Vollendung  des  Ricetto 
ausgeführt  werden  soll,  schon  gemacht.  Die  Spesen  bis  zu  diesem 
Tage  belaufen  sich  auf  lire  59615.  16.  12  (Moreni :  Descrizione  S.  36). 
Die  bald  darauf  vom  Künstler  eingesandte  Zeichnung  der 
Libreriathüre  gefällt  dem  Papst  ausnehmend;  Dieser  giebt  dem 
Datario  und  Paolo  Giovio  den  Auftrag,  verschiedene  Epitaphien 
für  sie  zu  entwerfen,  denn  ein  solches  (mit  der  Zahl  der  Buch- 
staben) ist  von  Michelangelo  auf  der  Zeichung  angegeben  worden. 
Wären  die  Epitaphien  nicht  nach  seinem  Geschmack,  so  werde  er 
selber  den  Gedanken  angeben.  Am  20.  April  bittet  der  Prior 
Francesco  Campano,  der  durch  den  Bau  seiner  Wohnung  beraubt 
ist,  um  Herrichtung  einer  anderen.  Am  6.  Juni  sendet  Fattucci 
die  Zeichnung  der  Thüre  zurück  mit  Inschriften,  die  dem  Papste 
bis  auf  eine  nicht  gefallen.  Die  Gelehrten  in  Florenz,  vornehmlich 
ein  Notar  oder  Cancelliere  der  Signoria,  sollen  welche  entwerfen. 
Gott  und  allen  Heiligen  soll  darin  die  Ehre  gegeben  werden.  Es 
wird  wieder  empfohlen,  Nussbaumholz  für  die  Bänke  zu  nehmen. 
Am  17.  Juni  1526  giebt  der  Meister  Bericht  über  den  Stand 
der  Arbeit:  vier  Säulen  im  Vestibül  sind,  nachdem  schon 
eine  fertig  war,  aufgemauert  worden.   Mit  den  Taber- 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo 


117 


nakeln  will  es  noch  etwas  Zeit  haben,  doch  hofft  er, 
dass  die  Ausstattung  in  vier  Monaten  fertigseinwird. 
Mit  der  Holzdecke  wurde  jetzt  begonnen,  aber  das 
Lindenholz  ist  noch  nicht  trocken.  In  der  folgenden  Zeit 
aber  treten  auf  Wunsch  des  Papstes  die  Medicigräber  in  den  Vor- 
dergrund. Für  sie  soll  alles  Geld  verwendet  werden ,  für  die 
Libreria  nur  wenig  (17.  Juli);  an  der  Decke  soll  jetzt  nicht  ge- 
arbeitet werden  (16.  Oktober)  —  so  wünschte  der  Papst.  Dann 
tritt  die  lange  Pause  ein. 

Erst  am  25.  November  1530  hören  wir  wieder  Etwas  von  der 
Arbeit.  Michelangelo  soll  genöthigt  werden,  „vigilante  alla  fabrica" 
zu  sein,  nachdem  am  21.  November  das  Breve,  betreffend  ,,die 
Werke  in  Florenz"  ergangen  ist. 

Die  Arbeit  aber  schreitet  in  den  folgenden  Jahren  wenig  vor- 
wärts. Am  19.  Juni  1532  schreibt  Michelangelo,  nach  der  Rückkehr 
von  seinem  Aufenthalt  in  Rom ,  dass  die  Maestranza  verdoppelt 
werde.  Wieder  vergeht  ein  Jahr  und  wir  erfahren ,  dass  nun  erst 
die  Bänke  gemacht  werden  sollen  (17.  Juli  1533).  Abermals  be- 
tont der  Papst,  dass  sie  aus  Nussholz  angefertigt  werden  sollen, 
ohne  zu  sparen,  und  zwar  ,,a  la  cosimesca",  d.  h.  den  Werken  des 
Cosimo  magnifico  (es  wird  wohl  an  die  in  S.  Marco  gedacht)  ähn- 
lich. Bezüglich  der  Decke  bleibe  die  Entscheidung  Michelangelo 
überlassen.  Es  wird  darüber  weiter  verhandelt;  und  Clemens  er- 
klärt sich  einverstanden  damit,  dass  die  Bänke  aus  Tannen-  oder 
Kiefernholz  gemacht  und  nur  mit  Nussholz  ausgeschmückt  würden. 
Die  Arbeit  an  ihnen  und  an  der  Decke  soll  an  den  Geschicktesten 
verdingt  werden  (3.  August).  Hierauf  kommt  der  Meister  zurück 
und  bittet,  um  für  den  Winter  nach  Rom  gehen  zu  können,  ausser 
den  Bänken  und  der  Decke  auch  die  Figuren  (!)  und  die  Treppen 
verdingen  zu  dürfen,  was  bewilligt  wird.  Weiter  hören  wir  Nichts 
mehr.  Auch  dieses  Unternehmen  bleibt  unvollendet,  als  der  Künstler 
1534  nach  Rom  übersiedelt. 

Über  die  späteren  Vorgänge  erfahren  wir  Folgendes.  Ende 
1 549  sendet  Cosimo  Tribolo  zu  Michelangelo,  mit  der  Bitte  um  An- 
gaben über  den  Bau  der  Treppe,  von  der  viele  Steine  ge- 
macht (auch  einige  Thonskizzen)  und  Spuren  in  der  Erde  sich  fanden, 
aber  kein  Modell  existirte.  (Vasari.)  Daraufhin  hat  Dieser  einen 
Brief  über  die  Treppe  an  Fattucci  geschrieben,  der  nicht  erhalten 
ist  (29.  Januar  1550).  In  dem  Briefe  des  Lelio  Torelli  heisst  es, 
dass  ,,beim  Tode  des  Ansuino  (Andrea  Sansovino)  in  jenen  Räumen 
das  Modell  der  Treppe  sich  befand,  und  ich  vernehme,  dass  alle 
Steine  bearbeitet  waren,  mit  Ausnahme  der  ersten  Stufe".  1552 
und  1553  führte  Santi  detto  de'  Buglioni  das  Paviment  nach  der 
Zeichnung  von  Tribolo  aus.     (Mil.  Vasari  VI,  88,  n.  i.)     Fünf  Jahre 


Il8  Die  Bauten  in  Florenz 


später  (September  1555)  fragt  Cosimo  durch  Vasari  von  Neuem, 
wie  sich  Michelangelo  die  Treppe,  die  Vasari  ausführen  soll ,  ge- 
dacht. Dieser  schreibt  am  28.  September  an  Vasari:  er  erinnere 
sich  nur  noch  wie  im  Traum  an  die  Treppe,  wolle  es  aber  an- 
geben. Vasari  solle  sich  ovale  Schachteln,  einen  Palmo  hoch,  aber 
von  verschiedener  Länge  und  Breite  denken,  und  diese  nach  ihrer 
abnehmenden  Grösse  stufenbildend  aufeinander  legen  bis  zur  Thür 
der  Libreria,  deren  Öffnung  die  letzte  Schachtel  in  der  Breite  ent- 
spreche. Und  diese  Haupttreppe,  für  den  Herzog  bestimmt,  habe 
zwei  Flügeltreppen  mit  geraden,  nicht  ovalen  Stufen.  Es  folgen 
einige  weitere  Angaben,  über  die  unten  Näheres.  Diese  Aussagen 
waren  nicht  genügend :  von  Neuem  fragt,  im  Auftrage  des  Herzogs, 
Ammanati  im  Dezember  1558  an,  worauf  der  Meister  ein  kleines 
Thonmodell  anfertigt  und  am  13.  Januar  15  59  an  Ammanati  schickt. 
Zugleich  giebt  er  einige  Erläuterungen  brieflich  und  meint,  man 
sollte  die  Treppe  nicht  aus  Stein ,  sondern  in  Harmonie  mit  den 
Bänken,  der  Decke  und  der  Thüre  in  schönem  Nussholz  ausführen. 

Das  Modell  wird  Cosimo  nach  Pisa  überbracht  (19.,  20.  Februar), 
der  die  Ausführung  in  Stein  anordnet  und  zugleich  andeutet,  ob 
nicht  auch  die  Zeichnung  für  die  Decke  des  Ricetto  zu  erlangen  wäre. 

Was  wir  zu  diesen  authentischen  Daten  noch  ergänzend  von 
Vasari  erfahren,  beschränkt  sich  auf  die  Erwähnung,  dass  die  Holz- 
decke nach  des  Meisters  Zeichnung  von  Antonio  di  Marco  di  Giano 
gen.  Carota  und  T a s s  o  angefertigt  und  die  Bänke  von  Bat t ist a 
del  Cinque  und  Ciappino  gearbeitet  wurden.  Zu  bemerken 
ist  hierzu,  dass  nach  Baldinucci  (VII,  605)  auch  der  Maler  Fran- 
cesco Pagani  mit  dem  Intagliator  di legname C r o  c i n i,  Schwieger- 
sohn Tassos,  nach  Angaben  Michelangelos  die  Intagli  der  Libreria 
angefertigt.  (Anfang  50er  Jahre.)  Die  farbigen  Fenster  wurden 
durch  verschiedene  Glasmaler  von  1558  bis  1568,  angeblich  nach 
Giovanni  da  Udines  Zeichnungen,  ausgeführt. 

Zusammenfassendes: 

I.  Stadium.     Ende   1523  bis  Anfang   1524. 

Plan  A:  Anlage  an  der  Südseite  des  Klosters:  zwei  Bibliotheken, 
die  lateinische  und  die  griechische,  d.  h.  für  die  lateinischen  und 
für  die  griechischen  Manuskripte,  nicht,  wie  v.  GeymüUer  meint,  in 
lateinischer  oder  griechischer  Form :  ,,sia  le  misure  a  tutte  a  dua 
le  librerie,  cioe  alla  latina  et  alla  grecha."  Michelangelo  fertigt  zwei 
Grundrisse  an. 

Plan  B:  Anlage  nach  Osten  zu,  an  der  Piazza  und  am  Borgo 
di  S.  Lorenzo  (Piazza  muss  der  Platz  vor  S.  Lorenzo  sein,  es  kann 
damit  nicht,  wie  v.  Geymüller  es  vermuthet,  der  Chiostro  des 
Klosters    gemeint   sein).     Der    Bau    hat    eine   Länge    von  96  Ellen. 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo  119 


Die  unteren  Räume  gewölbt ,  die  oberen  mit  einer  schönen  Holz- 
decke. Zwei  kleine  Studienräume  am  Südende ,  zwei  andere  zu 
Seiten  der  Eingangsthüre.  Die  Häuser,  die  nach  der  Via  della  Stufa 
Hegen,  sollen  niedergerissen  werden. 

Plan  C:  Anlage  an  der  Westseite  des  Chiostro,  in  dem  Trakt 
des  Klosters,  der  an  die  Sakristei  von  S.  Lorenzo,  also  an  das 
Querschiff  der  Kirche  anstösst.  Dieser  Plan  wird  definitiv  ange- 
nommen (3.  April).  Der  Künstler  schickt  Zeichnungen,  darunter 
eine  der  Holzdecke  ein,  die  auf  Wunsch  des  Papstes  eine  der  An- 
ordnung der  Gänge  zwischen  den  Bänken  entsprechende  Eintheilung 
und  Embleme  erhalten  soll.  Ein  Querhaus,  das  beiderseits  18  Ellen 
vorspringt,  ist  ins  Auge  gefasst  und  eine  Doppeltreppe.  Nachdem 
auch  noch  Zeichnungen,  welche  die  Verstärkung  der  Mauer  durch 
Pilaster  zeigen,  eingesandt  sind,  wird  der  Beginn  der  Arbeit  an- 
geordnet. Die  ,,Crociera"  soll  vorläufig  nicht  ausgeführt,  aber  es  soll 
Bedacht  auf  sie  genommen  werden.  Baccio  Bigio  wird  Oberauf- 
seher des  Baues,  der  im  August  begonnen  wird. 

II.  Stadium.  Bauthätigkeit  vom  August  1524  bis  Juni  1526. 
Bis  zum  April  1525  ist  der  Bau  so  weit  vorgerückt,  dass  die  Arbeit 
an  den  Fenstern  vorgenommen  wird.  Bestimmungen  über  Einzel- 
heiten werden  getroffen  :  der  Papst  ist  einverstanden  mit  den  Fenstern 
und  den  Tabernakeln  innen  über  denselben.  An  Stelle  der  Doppel- 
treppe aber  soll  eine  einfache  kommen.  An  den  Studietti  am  Süd- 
ende wird  festgehalten.  Die  Zeichnung  der  Holzdecke  wird  noch 
einmal  erbeten.  —  Im  November  entschliesst  sich  Michelangelo,  das 
Vestibül  auszuführen.  Sein  Vorschlag,  Oberlichter  anzubringen, 
wird  nicht  angenommen.  Der  Plan  einer  kleinen  Libreria  — 
dieser  Gedanke  tritt  wohl  an  Stelle  des  früheren  eines  Querbaues 
—  an  der  Westseite  der  grossen ,  für  welche  der  Erwerb  eines 
dort  befindlichen  Hauses  ins  Auge  gefasst  wird,  gefällt,  wird  aber 
später  wieder  fallen  gelassen.  Im  Dezember  schickt  Michelangelo 
wieder  einen  disegno  a  piedi  della  libreria  ein.  —  Bis  zum  April 
1526  ist  das  Ganze  so  weit  gediehen,  dass  nun  die  innere  Aus- 
stattung und  Bedeckung  näher  ins  Auge  gefasst  wird:  die  Holz- 
decke ,  die  Bücherbänke ,  die  Eingangsthüre  mit  Epitaph ,  deren 
Zeichnung  der  Papst  biUigt.  Bis  zum  17.  Juni  sind  fünf  Säulen  im 
Vestibül  aufgemauert ,  dessen  Ausstattung  in  etwa  vier  Monaten 
fertig  sein  kann.  Die  Holzdecke  ist  noch  nicht  begonnen.  Die 
Pause  tritt  ein. 

III.  Stadium.  Wiederaufnahme  der  Arbeit  Ende  1530  bis 
September  1534.  Damals  ist  die  Wandausstattung  wohl  voll- 
endet worden.  Im  Juli  1533  finden  neue  Verhandlungen  betreffend 
die  Bücherbänke  und  die  Decke  statt.  Kurze  Zeit  darauf  wird  er 
die  Arbeit  der  Bänke  an  Battista  del  Cinque  und  Ciappino,  die  der 


I20  Die  Bauten  in  Florenz 


Decke  an  Tasso  und  Carota  verdingt  haben.  Unausgeführt  bleibt 
die  Treppe  und  die  Decke  des  Vestibüls. 

IV.  Stadium.  Vollendung  155  5  bis  1568.  1550  soll  die  Treppe 
mit  Hülfe  von  Michelangelos  Rath  durch  Tribolo  angefertigt  werden. 
Es  kommt  aber  nicht  dazu.  Nach  Tribolos  Zeichnung  macht  Santi 
Buglioni  1552  und  1553  das  Paviment.  1555  soll  Vasari  die  Treppe 
nach  Anweisung  Michelangelos  vollenden ;  es  kommt  wieder  nicht 
dazu.  1558  beginnt  die  Ausführung  der  Glasmalereien.  Ende 
dieses  Jahres  fertigt  Michelangelo  für  Ammanati  ein  kleines  Thon- 
modell  an,  mit  dessen  Hülfe  1560  die  Treppe  offenbar  von  Amma- 
nati, nicht,  wie  allgemein  angenommen  wird,  von  Vasari  ausgeführt 
wurde.     1 568  wird  der  Schmuck  mit  farbigen  Fenstern  beendet. 

Von  Publikationen  sind  zu  erwähnen:  Carlo  Faucci:  Bibliothecae 
Mediceo  —  Laurentianae  porta,  vestibulum  et  fenestrae,  tabulis  aeneis 
expressae.  Firenze  1756.  —  Giov.  Ign.  Rossi:  la  Libreria  Mediceo- 
Laurenziana,  disegnata  e  illustrata.  Firenze  1739.  II.  bereicherte 
Ausgabe  1755-  —  Man  vgl.  auch  Dom.  Moreni:  Continuazione  delle 
Memorie  istoriche  di  S.  Lorenzo.  Firenze  18 16.  —  Ruggieri,  Ferdi- 
nando:  Scelta  di  arch.  ant.  e  mod.  d.  cittä  di  Firenze   1755. 


Zeichnungen 

Auch  hier  verdanken  wir  v.  Geymüller  grundlegende  Unter- 
suchungen, die  im  Folgenden  aber  bereichert  und  zum  Theil  be- 
richtigt werden  durften. 

A.  Die  Gesamtanlage 

Nur  eine  einzige  auf  sie  bezügliche,  bereits  von  Gotti  erwähnte 
Skizze  kenne  ich. 

I.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLIII,  81.  Thode  143.  Röthel: 
Der  Plan  der  an  die  Westseite  der  Libreria  anstossenden 
Häuser ,  deren  Besitzer  verzeichnet  werden  und  zwar  von 
Norden  an  wie  folgt :  l'osteria,  di  San  Lorenzo,  meser  Andrea 
martelli ,  una  capella  in  Santo  Stefano ,  del  bechuto ,  di  san 
Lorenzo,  del  bechuto,  san  Lorenzo. 

B.  Die  nicht  ausgeführte  kleine  Libreria, 

die  nach  Westen  zu  in  der  Nische  des  Vestibüls  auf  dem  Grund- 
stück des  Larione  Martelli  gebaut  werden  sollte.  Ich  erkenne  ihren 
Grundriss  in  zwei  Federzeichnungen,  welche  v.  Geymüller  irrthüm- 
lich  als  Entwürfe  für  die  grosse  Libreria  betrachtet. 

II.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLIII,  80.  Thode  142.  Dreieckiger 
Grundriss  mit  reicher  Wandgliederung :    halbrunde    und  vier- 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo  12 1 

eckige  Nischen.  Die  Rundnischen  in  den  drei  Ecken  sind 
durch  Säulen  flankirt.  Der  Eingang  von  der  alten  Libreria 
aus  ist  in  der  Mitte  der  einen  Seite.  Die  Anordnung  der 
Bücherbänke  in  drei  Reihen  entspricht  der  Dreiecksform  des 
Raumes:  an  der  Eingangsseite  werden  die  Reihen  durch- 
brochen durch  eine  runde  Bank  (bancho  tondo).  Die  Dreieck- 
seite rechts,  vom  Eingang  aus  gesehen,  gränzt  an  das  Haus 
des  MartelU  (el  muro  d'Ilarione  Martelli);  die  Seite  links 
an  Terrain,  das  S.  Lorenzo  gehört  (di  qua  si  puo  fare  quello 
che  piace  perche  e  de  preti).  Rechts  die  Notiz :  la  chasa  di 
larion  martelli,  riducesi  in  modi  di  sopra  e  tucti  e  lumi  si 
piglion  della  volta  perche  non  si  posson  aver  daltrove.  Auch 
sonst  finden  wir  verzeichnet:  lumi  per  di  sopra. 

III.  Ebendaselbst  XLIII,  79.  Thode  141.  Derselbe  dreieckige 
Grundriss,  aber  andere  Wandeintheilung :  in  den  drei  Ecken 
halbrunde  Nischen  mit  je  zwei  vor  sie  tretenden  Säulen,  die 
Eingangswand  mit  zwei,  die  beiden  anderen  Wände  mit  drei 
flachen,  rechteckigen  Wandnischen  zwischen  Pilastern.  Die 
Bankreihen,  mit  einem  Zwischengang,  parallel  zu  den  zwei 
Wänden  angeordnet.  Daneben  kleiner  Grundriss  mit  Angabe 
der  den  Raum  bedeckenden  Kuppel  und  eine  Wandtravee  mit 
Wölbung  darüber,  in  welcher  Rundfenster.  —  Ein  Ricordo 
auf  der  Rückseite  betreffend  den  Eintritt  eines  Niccolö  da 
Pescia  in  die  Werkstatt  am  3.  August  1525  und  Zahlungen 
an  denselben  bis  zum  28.  Januar  1526,  stimmt,  wie  man  sieht, 
wohl  zu  den  Daten  über  die  Beschäftigung  mit  der  kleinen 
Libreria,  die  im  Herbst   1525  eintritt. 

C.  Der  Ricetto  oder  das  Vestibül 
I.  Grundriss. 

IV.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLII,  89.  Thode  135.  Rückseite. 
Feder.  Bisher  nicht  beachteter  Entwurf  (a).  Zwei  seitliche 
Treppen  führen  zu  einem  breiten  Podest ,  der  von  vier 
zwischen  ihnen  angebrachten  Säulen  getragen  werden  sollte. 
Ein  Kreuzgewölbe  soll,  wie  es  scheint,  das  Vestibül  bedecken. 
Wir  finden  die  gleiche  Doppeltreppe  auf  einem  Entwurf  des 
Vestibüls  in  Haarlem.  S.  unten,  Nr.  XI.  —  Wir  dürfen  die 
Zeichnung  April  1525  datiren ,  da  Michelangelo  damals  dem 
Papst  einen  solchen  Entwurf  einsendet;  Dieser  aber  will  die 
Doppeltreppe  nicht.  Daneben  flüchtigeSkizze(b)  einer  Abtheilung 
der  Decke  im  Saal  und  Notizen  von  Ausgaben  an  die  am 
Bau  Beschäftigten:  Bernardino  di  disidero  venti  soldi  el  di, 
Betto    da  rovezzano    nebbe   venti  quattro ,  Sandro    di  bertino 


122  Die  Bauten  in  Florenz 


di  bertino  venti  soldi  el  di ,  per  quadro  si  dette  soldi  sedici 
a  dua  grossi.  —  Die  Zeichnung  der  Vorderseite  dieses  Blattes 
bezog  V.  Geymüller  irrig  auf  ein  Projekt  der  Fassade  von 
S.  Spirito ;  sie  ist  ein  früher  Entwurf  für  die  Wandgliederung 
des  Ricetto.  S.  unten.  Nr.  X.  —  Frey  (Taf.  71)  äussert  sich, 
wie  ich  nachträglich  hinfüge ,  bezüglich  b :  „für  die  Kapelle 
Medici",  was  irrig,  bezüglich  a:  ,, nicht  zu  entscheiden,  ob  für 
den  Altarraum  der  Kapelle  oder  für  den  ricetto",  was  gleich- 
falls irrig. 
V.  Haarlem,  Teyler  Museum.  Thode  260.  v.  Marcuard  Taf.  XII. 
Auf  einem  noch  unten  zu  erwähnenden  Blatte:  Flüchtiger 
Grundriss,  welcher  eine  schmale  gerade  Mitteltreppe  andeutet. 
VI.  Ebendaselbst.    Grundriss  ohne  Treppe,  der  nur  die  Eintheilung 

der  Wandtraveen  andeutet. 
VII.  Ebendaselbst.  Grundriss  mit  halbrunder  Treppe  in  der  Mitte. 
Konzentrisch  in  das  Quadrat  eingezeichnete  Kreise  lassen  an- 
nehmen, dass  hier  der  Meister  eine  Kuppel  über  dem  Vestibül 
plante,  auf  welche  auch  die  flüchtige  Skizze  einer  Wandtravee, 
über  den  Bogen  ansetzend,  hinweist. 

Villa.  Lille,  Musee  Wicar.  Thode  281.  Im  sog.  Michelangelo'schen 
Skizzenbuch  Battista  da  San  Gallos.  Kopie  einer  ächten 
Zeichnung.  Abb.  v.  Geymüller,  S.  47,  Fig.  37.  Wie  in  Nr.  VII 
führt  eine  dreigetheilte  halbrunde  konvexe  Treppe  zu  einem 
ovalen  Podest.  Von  diesem  aus  führen  noch  konkav  angelegte 
Stufen  durch  die  Thüre  in  den  Saal.  Die  Zeichnung  ist 
später  als  VII,  denn  die  WandgUederung  zeigt  schon  die  ein- 
gelassenen Doppelsäulen.  Über  der  Treppe  ist  zu  lesen : 
questo  vano  qua  su  e  tanto  quanto  el  sodo  a  rinchontro  e  di 
qui  s'entra  nella  libreria.  Bei  der  Eingangsthüre  im  Vestibül: 
,,un  bilicho  serava",  was  nach  v.  Geymüller  besagt :  eine  Thür- 
angel,  ein  Gleichgewicht  machte  zu.  Unten :  queste  el  ricetto 
di  S.  Lorenzo  und :  di  mano  di  michelagnolo  buon. 

VIII  b.  Siena,  Bibl.  comunale.  Skizzenbuch  des  Oreste  Vannocci 
S.  VI,  I.  Fol.  30 V.  Von  Geymüller  erwähnt,  Kopie  des 
gleichen  Originals,  wie  Villa. 

II.  Wandeint  heil  ung. 

Wir  haben  hier  frühere  Entwürfe,  die  noch  nicht  die  ge- 
kuppelten Säulen  zeigen,  von  späteren  zu  unterscheiden,  und  zwar 
sehen  wir,  dass  zuerst  eine  durchgehende  Säulenordnung 
die  Einheitlichkeit  der  ganzen  Wand  herstellt,  dann  zwei  gesonderte 
Stockwerke  unterschieden  werden. 
IX.  London,  British  Museum.  Malcolm  70.  Thode  354.  Schon 
von  Robinson  als  Entwurf  für  das  Vestibül  erkannt,  von  Gey- 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo  I23 

müller  nicht  erwähnt.  Eine  breite  Mitteltravee  mit  vier  durch- 
gehenden Säulen  dominirt ;  sie  besteht  aus  breitem  Mittelfelde 
und  schmäleren,  von  je  zwei  Säulen  eingerahmten,  vortreten- 
den Seitentheilen,  die  eine  hohe  untere  und  niedrigere  obere 
Nische  enthalten.  Die  schmalen  Seitentraveen,  von  Ecksäulen 
begränzt,  zeigen  eine  hohe  Nische.  Die  Ordnung  erhebt  sich 
über  einem  Wandunterbau ,  der  offenbar  in  der  Höhe  des 
Treppenpodestes  abschliesst.  —  Eine  zweite  Skizze  wiederholt 
den  Seitentheil  der  Mitteltravee  mit  den  Säulen ;  daneben  der 
Grundriss  hierfür. 

X.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLII,  89.  Thode  135.  Vorderseite 
des  unter  IV  angeführten  Blattes,  v.  GeymüUer  glaubte  hier 
den  —  übrigens  in  keiner  Weise  beglaubigten  —  Entwurf 
zur  Fassade  von  S.  Spirito  zu  erkennen.  Die  Rückseite  lässt 
aber  keinen  Zweifel  darüber,  dass  es  ein  Entwurf  für  die 
Vestibülwand  ist.  Diese  ist  hier  über  dem  hohen  Unterbau 
durch  durchgehende  Säulen  in  drei  Traveen  gegliedert.  Im 
unteren  Stockwerk  sehen  wir  Säulen ,  zwischen  denen  hohe 
Nischen  mit  kleinen  viereckigen  Füllungen  darüber  angebracht 
sind.  Und  zwar  enthält  die  Mitteltravee  zwei  Nischen  zwischen 
drei  Säulen ,  jede  Seitentravee  eine  zwischen  zwei  Säulen. 
Im  oberen  Stockwerk  sind  den  Säulen  entsprechende  Pilaster 
angedeutet  und  hohe  rundbogige  Fenster.  —  Eine  flüchtige 
Skizze  daneben  bringt  die  Mitteltravee  mit  verändertem  Ober- 
geschoss :  statt  der  zwei  Fenster  ist  hier  eine  breite  oblonge 
Füllung  gegeben  —  offenbar  wollte  der  Künstler  hierdurch 
die  unglückliche  Theilung  der  Mitteltravee  gut  machen, 
indem  er  die  Einheit  wenigstens  oben  betonte.  —  Auch  Frey 
(72)  erkennt  hier  den  Ricetto. 

An  diese  Gliederung  knüpft  Michelangelo  nun  in  der  folgenden 
Zeichnung  an,  giebt  aber  die  durchgehenden  Säulen  auf. 

XI.  Haarlem,  Museum  Teyler.  v.  Marcuard  Taf.  XII.  Ich  erwähnte 
die  Grundrisse  auf  diesem  Blatte  schon  oben  (Nr.  V — VII). 
v.  Marcuard  meinte  Studien  zu  der  Sagrestia  nuova  hier  zu 
finden,  v.  GeymüUer  stellte  fest ,  dass  sie  für  den  Ricetto 
dienten.  Obere  Skizze:  die  Eintheilung  der  Wand  durch 
Säulen,  wie  in  X.  Auch  hier  die  unglückliche  Zweitheilung 
der  Mitteltravee.  Die  Nischen  (ohne  Felder  darüber)  hier 
aber  reich  gerahmt.  Das  Eckfenster  mit  weit  herabgehenden 
Ohren  und  einem  durchbrochenen  Spitzgiebel,  über  dem  ein 
kranzartiger  Aufsatz.  Die  Nischen  der  Mitteltravee  rundbogig 
in  viereckigem  Rahmen  mit  geradem  Gesims ;  zwischen  Bogen 
und  Gesims  oblonge  Füllung.  —  Eine  zweite  Skizze,  welche 
die  gerade  Doppeltreppe  zeigt  (vgl.  oben  Nr.  IV).  wiederholt 


124 


Die  Bauten  in  Florenz 


die  Wandeintheilung,  ohne  die  Füllungen  anzugeben.  —  Ein 
Entwurf  auf  der  anderen  Hälfte  des  Blattes  zeigt  eine  Seiten- 
travee  mit  niedrigem  zweiten  Stockwerk,  von  welchem  Bogen 
ausgehen. 
Der  nun  folgende  Schritt  in  der  Entwicklung  führt  zur  gleich- 
massigen  Dreitheilung  der  Wand  und  Anordnung  ge- 
kuppelter Säulen  zwischen  Mauerpfeilern. 
XII.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXVIII,  48.  Thode  97.  Abb.  v.  Gey- 
müller  Bl.  4,  5.  Auch  hier  die  hintere  Wand  gegenüber  dem 
Eingange.  Über  dem  Unterbau ,  in  dem  rechts  schon  die 
Thüre  angegeben  ist,  sehen  wir  drei  breite  Mauerpfeiler  vor- 
treten, welche  von  Säulen  mit  Gebälk  gerahmt  sind  und  mit 
Tabernakeln:  das  in  der  Mitte  mit  spitzem,  die  anderen  mit 
Segmentgiebel,  geschmückt  sind.  Zwischen  den  Pfeilern  sind 
gekuppelte  Säulen  von  gleicher  Höhe  wie  jene  in  die  Wand 
eingelassen.  Über  der  Ordnung  ist  eine  Art  Attika  mit  vier- 
eckigen Füllungen  oberhalb  der  Mauerpfeiler,  runden  ober- 
halb der  gekuppelten  Säulen.  Drei  Skizzen  daneben  geben 
die  Säulenanlage  im  Grundriss,  eine  andere  den  Giebel  des 
Mitteltabernakels.  Die  Häufung  der  Säulen  neben  einander 
bringt  eine  sehr  unerfreuliche  Wirkung  hervor. 

XIII.  Ebendaselbst  LVI,  42.  Thode  173.  Abb.  v.  Geymüller  BI.4,  6. 
Hier  tritt  gleichsam  eine  Vertauschung  der  Stellen  zwischen 
den  Tabernakeln  und  den  gekuppelten  Säulen  ein.  Letztere, 
wie  in  XII  in  enger  Stellung,  werden  zwischen  die  Säulen  der 
Wandpfeiler  eingesenkt  und  die  Tabernakel  an  den  zwischen 
den  Pfeilern  befindlichen  zurücldiegenden  Wandflächen  an- 
gebracht. Die  Tabernakel  erheben  sich  auf  Postamenten  und 
sind  über  seitlich  angesetzten  Konsolen  mit  einem  Segment- 
giebel abgeschlossen.  Statt  der  Attika  befindet  sich  hier  ein 
Obergeschoss    mit  Pilastern    und    spitzgiebligen   Tabernakeln. 

Auch  diese  Lösung  befriedigt  nicht.  Es  tritt  die  Vereinfachung 
ein ,  indem  die  Säulen  der  Wandpfeiler  weggelassen  und  nur  die 
gekuppelten  Säulen  zwischen  den  schmäler  gebildeten  Pfeilern  ge- 
lassen werden. 

XIV.  Ebendaselbst  XXXIV,  39.  Thode  106.  Ein  solcher  schmaler 
Wandpfeiler,  neben  dem  die  gekuppelten  Säulen  rechts  an- 
gegeben sind.  Am  Pfeiler  über  einem  Postament  ein  Taber- 
nakel mit  Volutenstützen  unter  auskragendem,  ohrenförmig 
gebildetem  Gesims,  über  dem  ein  eigenthümlicher  Aufsatz. 
(Eine  Variante  des  Tabernakels  auf  der  Rückseite  des  Blattes.) 

XV.  London,  Brit.  Museum.  Malcolm  71.  Thode  355.  Als  Studie 
für  das  Vestibül  bereits  von  Robinson  erkannt,  von  Geymüller 
nicht  beachtet.    Auch  hier  der  schmale  Wandpfeiler  mit  Taber- 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo  125 

nakel  (Segmentgiebel)  neben  dem  Säulenpaar.    Mit  besonderer 
Sorgfalt    der   Unterbau    behandelt:    unter    dem   Mauerpfeiler 
sauber   gerahmter   und    profilirter   Sockel,    unter    den  Säulen 
die    grossen  Konsolen ,   deren    eine    daneben  in  Seitenansicht 
gegeben    ist.  —  Wir   stehen    hier    dicht  vor   dem  definitiven, 
ausgeführten    Entwürfe ,    in    dem    nur   der   Wandpfeiler    eine 
grössere  Breite    und   dessen  Sockel  eine  einfachere  Form  er- 
halten  wird,    wie    sie    übrigens   auf  unserem  Blatte  in  einem 
Profil  schon  angedeutet  ist. 
Im    definitiven  Entwürfe    wird   über   dem  Tabernakel  noch  ein 
quadratisches  Blindfenster  angebracht,  dessen  Rahmen  mit  den  senk- 
rechten Ohren    (zwischen  denen  Guirlanden  hängen)    aus  den  Auf- 
sätzen   in   Nr.  XIV    hervorgegangen    ist.     Für  die  Entwicklung  des 
Obergeschosses  seit  dem  Entwurf  XIII  aber  fehlt  uns  die  Anschauung 
aus  Zeichnungen.     Die   Idee    der  Fenster  in  XIII  geht  einen  Kom- 
promiss    mit  jener    der  Rundfenster    in  XII    ein ,    indem   nun   diese 
über  den  Fenstern  angebracht  werden.    An  die  Stelle  der  einfachen 
Pilaster  treten  den  Säulen  unten  entsprechend  gekuppelte.    So  ist 
das  seltsame  Gebilde  dieser  Wandgliederung  gewor- 
den: es  entsteht  aus  dem  gleich  Anfangs  ins  Auge  ge- 
fassten  Mauerpfeiler,  dessen  Entwicklungsgeschichte 
in  der  immer  enger  werdenden  Beziehung  naher  Säu- 
len    bis     zur    seltsamen    Nebeneinanderordnung    der 
zwei    Säulen    in    der   Wand    geführt    hat.      Die    unter- 
geordneten,   gleichsam    überflüssigen    Säulen    haben 
die   Hauptsäulen    überwunden    und    schliesslich    ganz 
verdrängt. 

III.    Tabernakel   und   Fenster. 

Eine  Anzahl  von  Entwürfen,  die,  zum  Theil  sorgfältig  aus- 
geführt, der  definitiven  Gestaltung  vorangehen,  ist  erhalten.  Be- 
stimmtere Bildungen  treten  uns  in  den  Gesamtentwürfen  schon  in 
XI  entgegen.  In  XII  ist  das  allgemeine  Schema  für  die  grossen 
Tabernakel :  in  der  Mitte  Spitzgiebel,  auf  den  Seiten  Segmentgiebel 
schon  bestimmt.  Ja  hier  erscheint  an  dem  einen  Tabernakel  schon 
die  Hermenform  als  Träger  des  Gesimses.  In  diese  Zeit  möchte 
ich  versetzen 

XVI.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLIV,  96.  Thode  151.  Phot. 
Alin.  1033.  V.  GeymüUer  Bl.  4,  Fig.  3.  Ein  den  Tabernakeln 
der  Medicikapelle  verwandtes  Gebilde.  Einfacher  viereckiger 
Rahmen,  Segmentgiebel  über  Volutenkonsolen,  oblonger  Auf- 
satz über  dem  Gesims  im  Giebel.  —  Auf  der  Rückseite  vier 
ähnliche  Entwürfe  in  Röthel.  Verschiedenartige  Bildung  des 
Segmentgiebels ,    einmal    der   Rahmen    mit    Ohren    über    den 


126  Diß  Bauten  in  Florenz 


Voluten.  Diese  letztere  Form  erinnert  schon  an  die  Form 
in  XIV. 
XVn.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXXIV,  39.  Thode  106.  Rück- 
seite von  XIV.  Der  Rahmen  mit  seitlich  angesetzten  Voluten, 
das  Gesims  mit  Ohren,  die  nach  der  Seite  und  nach  oben 
auskragen. 

XVIII.  Ebendaselbst  XXXIII,  37.  Thode  104.  Tabernakel  von  fast 
genau  der  gleichen  Form  wie  XVII.  Daneben  Skizze  des 
oberen  Theiles  eines  Tabernakels,  dessen  Giebel,  wie  es 
scheint,  oben  durchbrochen  gedacht  ist. 

XIX.  Ebendaselbst  XLIV,  97.  Thode  152.  Phot.  Alin.  1035. 
V.  GeymüUer  Bl.  2 ,  3.  Einfach  gebildetes  Fenster  mit  Spitz- 
giebel, darüber  oblonge  Füllung,  v.  GeymüUer  meint,  eine 
Studie  für  die  Fenster  des  inneren  Raumes  der  Libreria.  Da 
die  Form  doch  verschieden ,  glaube  ich  eher :  ein  Entwurf 
für  das  Mitteltabernakel  im  Vestibül,  so  wie  es  im  Entwurf  XII 
erscheint. 

Ich  reihe  einen  verwandten  Entwurf  an ,  ohne  ihn  doch  mit 
voller  Sicherheit  auf  die  Tabernakel  des  Vestibüles  beziehen  zu 
können. 

XX.  Florenz,    Casa   Buonarroti   XXXVI,    65.     Thode    116.     Phot. 

Alin.  1036.     Fenster   mit  Segmentgiebel,    in    dem    ein   Kranz 

aufgehangen  ist.     Darüber  schmale  rechteckige  Wandfüllung. 

Die  Verwandtschaft  mit  verschieden  früher  erwähnten  Studien 

veranlasst,  auch  hier  an  die  Libreria  zu  denken. 

Für  die  ausgeführten  Tabernakel,  die  oberen  Fenster  und  die 

Wandfüllungen  vermag  ich  keine  Studien  nachzuweisen.     Nur  eine 

einzige  kleine  Skizze  ist  zu  bemerken. 

XXI.  Ebendaselbst  XLII,  92.  Thode  138.  Neben  Studien  zur 
Treppe  findet  sich  hier  eine  kleine  Wandfüllung  skizzirt,  die 
für  den  Mauerpfeilersockel  in  XV  bestimmt  war. 

IV.    Die   Thüren. 

Für    die   Hauptthüre,    welche    von   dem  Vestibül    in    den  Saal 

führt   und    auf  der   Tafel    die   Inschrift   trägt:    Deo  praesidibusque 

famiUae    divis   Clemens  VII   Medices   Pont.   Max.   libris    opt.    studio 

majorum    et    suo    undique  conquisitis  bibliothecam  ad  ornamentum 

patriae  ac  civium  suorum  utilitatem  D.  D. ,    wies  v.  GeymüUer  eine 

ausgeführte  Studie  in  der  Casa  Buonarroti  nach: 

XXn.  Florenz,    Casa   Buonarroti   XLIV,    98.      Thode    153.      Phot. 

Ahn.  1030.     V.  GeymüUer  Bl.  4,  2.     Diese  Zeichnung,  welche 

bis    auf  unwesentliche   Unterschiede    dieselbe   Form    wie    die 

Hauptthüre  zeigt,  war,  dem  unteren  Theile  des  Rahmens  nach 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo 


127 


zu  schliessen,  ursprünglich  wohl  für  ein  Tabernakel  geplant, 
wurde  aber  für  die  Thüre  verwerthet.  Es  ist  vermuthlich 
die  im  April  1526  dem  Papste  eingesandte  Zeichnung.  — 
Man  hat,  ganz  mit  Unrecht,  daran  gezweifelt,  dass  die  Thüre 
von  Michelangelo  selbst  entworfen  sei. 
In    einer    anderen    Zeichnung    derselben    Sammlung     erkennt 

V.  GeymüUer  den  ausgeführten  Entwurf  für  die  Eingangsthür  in  das 

Vestibül ,    der    aber    nicht    ausgeführt    ward.     (Die   jetzige  Thür  ist 

von  M.  P.  Baldi.) 

XXin.  Ebendaselbst  XLIV,  95.  Thode  150.  Phot.  Alin.  1029. 
V.  GeymüUer  Bl.  4,  i.  Der  Rahmen  mit  den  Lisenen  und 
dem  seitwärts  ein  Stück  heruntergezogenen  Gesims,  sowie  der 
Segmentgiebel  darüber  (über  Fries)  erscheinen  der  Ordnung 
der  Aussenfenster  am  Vestibül  so  nahe  verwandt,  dass  v.  Gey- 
müllers  Behauptung  gerechtfertigt  erscheint. 

V.  Die    Säulen    und   Pilaster. 

XXIV.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLII,  92.  Thode  138.  Säulenbasis 
neben  Skizzen  für  die  Treppe.  Wohl  für  das  Vestibül  ge- 
dacht, aber  nicht  in  dieser  Form  ausgeführt. 

XXV.  Ebendaselbst  XXIV,  7.  Thode  95.  Alin.  XXIV,  7.  Feder. 
Das  Kapital  für  die  Pilaster  des  oberen  Stockes,  das  übrigens 
ebenso  an  den  Pilastern  des  Saales  wiederkehrt.  Ein  anderes 
ähnliches  Kapital.  Die  Säulenbasis  ähnlich ,  aber  nicht  ganz 
gleich,  wie  die  ausgeführten  Basen. 

XXVI.  Ebendaselbst  XLI,  78.  Thode  133.  Durchschnitt  des 
Säulenkapitäles. 

XXVII.  Ebendaselbst  XLI,  TJ.  Thode  132.  Derselbe  in  ein  Qua- 
drat eingezeichnet.     Rückseite  das  gleiche. 

Zwei  Skizzen  im  Vatikanischen  Kodex  der  Gedichte  Michel- 
angelos (Fol.  89  u.  90.  Thode  515),  die  zwei  grosse  Säulen  mit 
Maassangaben  darstellen,  1555  entstanden,  werden  von  Frey  auf 
das  Vestibül  bezogen,  über  dessen  Treppe  Michelangelo  ja  1555 
an  Ammanati  schreibt  (Dicht.  S.  493).     Dies  ist  zweifelhaft. 

VI.  Gesimse. 

Ich  finde  nur  ein  einziges  Blatt  mit  Studien,  die  mit  Bestimmt- 
heit auf  das  Vestibül  zu  beziehen  sind: 

XXVIII.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXXIX,  62.  Thode  127.  a)  Zwei 
Profile  des  Gesimses  über  den  Pilastern  des  oberen  Stock- 
werkes. Das  eine  ist  genau  so  ausgeführt,  b)  Drei  Entwürfe 
im  Profil  des  Gesimses  über  den  Säulen  des  unteren  Stock- 
werkes, davon  der  eine  genau  so  ausgeführt  ist. 


128  Die  Bauten  in  Florenz 


XXIX.  Auf  dem  unter  Nr.  XXV  erwähnten  Blatte  ein  Gesimsprofil, 
das  offenbar  für  das  Vestibül  bestimmt  war ,  das  ich  aber 
nicht  nachzuweisen  vermag. 

VII.    Die   Treppe. 

Dass  diese,  wie  wir  sie  heute  sehen,  nicht  der  ursprünglichen 
Idee  des  Meisters  entspricht ,  darüber  kann  kein  Zweifel  obwalten. 
Die  schärfste  Verurtheilung  hat  sie  durch  v.  GeymüUer  erfahren, 
der  ,,den  gänzlichen  Mangel  an  Zusammengehörigkeit  und  archi- 
tektonischer Verbindung  zwischen  der  Treppe  und  ihrem  Gehäuse" 
darlegt.  Die  ,,ganz  niedrige,  fast  beweglich  erscheinende  Treppe 
sei  wie  herbeigeholt  und  so  gut  als  möglich  vor  die  höher  liegende 
Saalthür  geschoben".  ,,Fast  lächerHch  wirkt  auf  dem  breiten  Unter- 
theile  mit  seinen  drei  an  einander  gereihten  Läufen  der  einzige, 
schmale  Oberlauf,  der  etwa  wie  eine  Zugbrücke  vor  der  Thür 
liegt."  „Der  Gedanke  (1555),  dass  der  Mittellauf  für  den  Fürsten 
bestimmt  sei,  ist  vernichtet."  ,, Jetzt  ist  dies  grosse  Treppenhaus 
nur  für  diese  winzig  kleine  Treppe  da.  Nicht  nur  wirkt  sie  kurios, 
fast  wie  ein  Zwerg,  sondern  ihr  gegenüber  stehen  die  Wände  öde 
und  leer  und  wie  über  ihre  eigene  Form  verlegen  da"  (S.  27). 

Derselbe  ausgezeichnete  Beurtheiler  unterscheidet  drei  ver- 
schiedene Anordnungen,  die  Michelangelo  selbst  gegeben  habe. 

A.  Die  ursprüngliche ,  für  welche  Michelangelo  vor  seiner  Über- 
siedlung nach  Rom  viele  Theile  hatte  herstellen  lassen.  Sie 
wird  uns  einigermaassen  bekannt  durch  die  Zeichnung  des 
Battista  da  San  Gallo  in  Lille  (s.  unsere  Nr.  VIII)  und  zwei 
Zeichnungen  des  Antonio  da  San  Gallo  d.  J.  in  den  Uffizien. 

B.  Die  Anordnung,  die  im  Briefe  vom  28.  September  1555  (v.  Gey- 
müUer giebt  noch  das  fälschliche  Datum  IS58)  an  Vasari  ge- 
geben ist  und  dem  ersten  Prospekt  noch  am  nächsten  komme. 

C.  Die  1559  Ammanati  mitgetheilte  Anordnung,  welcher  die 
jetzige  entspreche. 

Wir  unterziehen  die  Frage  einer  erneuten  Prüfung,  da  v.  Gey- 
müUer einige  wichtige  Entwürfe  nicht  gekannt  hat. 

A.   Ursprüngliches  Projekt. 

Bereits  erwähnt  wurden  die  frühesten  Entwürfe,  i.  Doppel- 
treppe,  die  an  den  zwei  Wandseiten  gerade  zu  dem  Podest  empor- 
führt, der  die  volle  Breite  der  zum  Saale  führenden  Wand  einnimmt 
(Nr,  IV  und  XI).  —  2.  Schmale  gerade  Mitteltreppe,  die 
direkt  zur  Thüre  zu  führen  scheint  (Nr.  V).  —  3.  Halbrunde 
Treppe  mit  ovalem  Podest  vor  der  Thüre  (Nr.  VII  und  VIII). 
Dies  sind  die  ersten  Versuche,  an  deren  Stelle  nun  der  Plan  einer 
von    Flügelläufen    begleiteten    Mitteltreppe    tritt,    also 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo  j2q 


eine  Verschmelzung  der  Idee  einer  geraden  Doppeltreppe  mit  jener 
der  einfachen  halbrunden  Mitteltreppe.  Ein  Blatt  mit  verschie- 
denen interessanten  Skizzen,  das  von  Gotti  und  Frey  erwähnt  wird, 
V.  GeymüUer  aber  entgangen  ist,  zeigt  die  Entwicklung  des  Ge- 
dankens. 

XXX.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLII,  92.  Thode  138.  Röthel. 
a)  Zwei  sechsstufige  Treppen  führen,  schräg  angeordnet,  zu 
einem  Podest  vor  der  Thüre.  Die  Idee  der  Doppeltreppe 
taucht  hier  also  in  neuer  Form  auf  —  b)  Grundriss.  Eine 
sechsstufige  halbrunde  Mitteltreppe,  deren  Stufen  seitlich  in 
gerade,  nach  oben  sich  verbreiternde  Stufen  übergehen.  Also 
eine  nach  oben  sich  erweiternde  Treppe.  —  c)  Grundriss. 
Dieselbe  Anlage ,  nur ,  wie  es  scheint ,  auf  die  ganze  Breite 
des  Raumes  ausgedehnt  und  mit  breitem  Podest  vor  der  Thüre. 
—  d)  Dreifache  Treppe  mit  geraden  Stufen,  nach  oben  sich 
verbreiternd;  der  Übergang  von  den  niedrigen  Seitentreppen 
zur  höheren  Mitteltreppe  vermittelt  durch  eingefügte  würfel- 
förmige Stufen,  die  als  Zwischenstufen  zwischen  den  Stufen 
der  Seitentreppe  und  jenen  der  Haupttreppe  dienen. 

XXXI.  Ebendaselbst   V,    19.      Thode    75.     Auf    einem    Blatte    mit 
Entwürfen    für    die  Medicigräber :  Skizze   einer  Doppeltreppe 
ähnlich  wie  XXXa.  ' 

XXXII.  Florenz,    Uffizien  816A.     Thode    244.     Abb.    v.  Geymüller 
S.  49,  Fig-  38.    Studien  des  Antonio  da  San  Gallo  d.  J.  nach 
Entwürfen  Michelangelos.     Vier  Skizzen.     Unter  der  grössten 
(a)  steht:  Schala  della  libreria  che  aordinata  michelagniolo  quäle 
Chi  sale  ne  mezi  sale  uno  tertio  alla  volta  e  chi  sale  nelli  angoli 
sale  i/ß  e  tutti  li  schaloni  sono  simili  alti  uno  tertio  di  bracio 
acieto  lo  primo  di  mezo  quäle  i/^,  di  braci.  —  a)  Anlage  mit 
rundem  Mitteltheil  und  geraden  Seiten  ähnlich  wie  XXX  b ;  nur 
gehen    die  Mittelstufen    nicht  in  gleicher  Höhe  in  die  Seiten- 
stufen  über,    sondern    die    runden  Mittelstufen  greifen  in  die 
geraden  Seitenstufen  und  verlaufen  an  deren  vertikaler  Fläche  : 
die  Mittelstufen  (V^  braccio  hoch)  sind  also  V«  braccio  höher^ 
als  die  Seitenstufen.     Der  Ausgleich    der  Höhe  wird  dadurch 
erreicht,  dass  die  unterste  Mittelstufe  (und,  wie  v.  Geymüller 
richtig   hinzufügte,    die    oberste    Seitenstufe)    nur    ^^    braccio 
hoch   ist.     Steigt    man    in    den  Ecken    zwischen    Mitteltreppe 
und  Seitentreppe  hinauf,  so  hat  man,  von  Seitenstufe  zu  Mittel- 
stufe und  von  Mittelstufe  zu  Seitenstufc  u.  s.  f  steigend,  immer 
nur   Stufen   von  7^,  Elle  Höhe   zu    steigen.     Wir    sehen   hier 
also,  anknüpfend  an  XXX  d  eine  raffinirtere  Anlage  des  Über- 
ganges   von    der    Seitentreppe   zur    Mitteltreppe    gestaltet    — 

9 


I30 


Die  Bauten  in  Florenz 


Nun  scheint  aber  noch  etwas  Weiteres,  was  v.  Geymüller 
nicht  berücksichtigte,  geplant:  nämlichdie  Anlage  zweier  schräger 
Flügel  mit  konkaven  Stufen  links  und  rechts,  in  welche,  nach 
der  Podestwand  sich  ziehend ,  die  geraden  Stufen  verlaufen. 
Hierdurch  gewinnen  die  Seitentheile  neben  der  runden  Mittel- 
treppe im  Grundriss  thatsächlich  eine  vollständige  Ähnlichkeit 
mit  ausgebreiteten  Vogelflügeln,  und  man  hätte  einen  geraden 
Mittelaufstieg  und  zwei  schräge  Seitenaufstiege  gehabt,  zwischen 
ihnen  einen  Eckaufstieg  auf  halben  Stufen,  also  ein  sehr  eigen- 
thümliches ,  ausgeklügeltes  Schema !  —  b)  Grundriss  dieser 
Anlage,  aber  ohne  die  konkaven  Flügel.  Der  Podest,  der 
offenbar  die  volle  Breite  der  Wand  einnahm ,  ist  verzeichnet, 
wie  auch  die  Thüre  in  die  Sala.  —  c)  Nochmals  der  gleiche 
Grundriss,  aber  schärfer  gezeichnet.  —  d)  Theil  der  obersten 
Stufenanlage.  —  e)  Die  dem  Prinzip  nach  gleiche  Anlage : 
aber  der  Mittellauf  nicht  rund,  sondern  viereckig,  daher  auch 
der  vorspringende  Theil  des  Podestes  nicht  halbrund,  sondern 
rechteckig. 

XXXIII.  Florenz,  Uffizien  1464.  Thode  244  a.  Gleichfalls  von  An- 
tonio da  San  Gallo  d.  J.,  nach  v.  Geymüllers  Angabe:  perspek- 
tivischer Aufbau  der  eben  beschriebenen  Anlage  (Nr.  XXXII), 
bez.  als  schala  Tonda  und  daneben  Skizze  der  rechtwinkligen 
Anlage :  scala  a  faccie.  Die  unterste  Stufe  von  halber  Höhe 
ist  hier  nicht  in  der  Mitte,  sondern  im  Seitentheil  ange- 
ordnet. 

XXXIV.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXXV,  53.  Thode  108.  Abb. 
V.  Geymüller  El.  4,  Fig.  4.  Neben  Zeichnungen  von  Gesims- 
profilen für  Thüren  eine  Zeichnung  des  Profils  der  Stufen :  e 
modani  degli  scaglioni  dati  a  cecchone. 

Hier  bleibt  nun  Manches  räthselhaft.  Zunächst  einmal  was  die 
Höhe  der  Treppe  anbetrifft.  In  den  Studien  auf  XXX  und  auf 
XXXII  ist  die  Treppe  auf  sechs  oder  fünf  Stufen  Höhe  ange- 
geben, und  zwar,  wie  es  scheint,  als  ein  Abgeschlossenes  (XXX c 
sagt,  als  flüchtig  andeutend,  hierüber  Nichts,  und  XXX d  mit  vier 
Stufen  deutet  die  Fortsetzung  nach  oben  an).  Wenn  nun  die  Stufe 
^/g  Elle  hoch  ist,  so  käme  die  ganze  Treppe  auf  zwei  Ellen  Höhe. 
Die  zu  erreichende  Höhe  beträgt  in  der  That  aber  2,725  m  (nach 
V.  Geymüller),  und  die  ausgeführte  Treppe  besteht  aus  15  Stufen. 
Da  das  Niveau  des  Saales  der  Libreria  durch  die  darunter  befind- 
lichen Räume  und  ebenso  das  Niveau  des  Vestibüls  von  Vorneherein 
gegeben  war,  so  bleiben  nur  zwei  Annahmen  möglich.  Entweder : 
nur  das  Schema  ist  in  unseren  Skizzen  gegeben ,  es  sagt  über  die 
Zahl  der  Stufen  Nichts  aus.    Wir  können  also  ebensowohl  etwa  zwölf 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo 


131 


Stufen  annehmen.  Dann  würden  wir  ein  Gebilde  seltsamer  Art 
erhalten :  die  ja  nach  unten  sich  verbreiternde  Mitteltreppe  mit  den 
runden  Stufen  würde  unten  eine  solche  Breite  haben,  dass  die  Seiten- 
theile  ganz  verdrängt  würden.  Das  erscheint  unglaublich.  Oder 
aber:  die  sechsstufige  Treppe  führt  nur  zu  einem  Podest,  der  in 
halber  Höhe  angeordnet  wäre ,  und  von  diesem  Podest  aus  führte 
dann  eine  obere  Treppe  nach  der  Thüre  empor.  Hiervon  ist  frei- 
lich in  den  Skizzen  gar  Nichts  angedeutet ,  ja  jene ,  welche  Podest 
und  Thür  angiebt  (Nr.  XXXII b),  spricht  direkt  gegen  die  Annahme. 
Halten  wir  aber  an  ihr  fest,  so  könnte  der  Podest  unmöglich  die 
ganze  Breite  des  Raumes  einnehmen.  Wie  hätten  wir  uns  dann 
die  seitliche  Begränzung  der  Nebentreppen  zu  denken }  Offenbar 
etwa  wie  in  XXXd,  oder  sagen  wir,  um  es  anschaulicher  zu 
machen,  etwa  wie  die  heutige  Treppe,  mit  welcher  das  ganze  Ge- 
bilde sehr  verwandt  erscheinen  würde,  nur  dass  Mitteltheil  und 
Seitentreppen  nicht  durch  eine  Balustrade  geschieden  gewesen 
wären ,  sondern  in  einander  übergegriffen  hätten ,  und  der  Mittel- 
treppe eine  vollere  Abrundung  und  eine  grössere  Breitenausdehnung 
gegeben  wäre. 

Es  bleibt  bei  unbestimmten  Vermuthungen :  die  Skizzen  geben 
uns  keine  gewisse  Auskunft  über  den  ursprünglichen  Entwurf.  Sie 
weisen  nur  auf  die  allgemeine  Idee :  dreigetheilte  Treppe  mit 
rundem  Mitteltheil  hin.     Hören  war  nun  den  Meister  selbst. 

B.  Michelafigelos  Aussage  im  Jahre  ISSS- 

Das  Erste  ist  ganz  deutlich :  der  Vergleich  mit  den  ovalen,  auf 
einander  gelegten  Schachteln,  die  nach  oben  immer  schmäler  werden, 
so  dass  die  Breite  der  letzten  der  Breite  der  Thüre  entspricht,  lässt 
uns  sogleich  die  Anlage  erkennen,  die  wir  in  unseren  Skizzen  fanden. 
Und  zwar  wird  ausdrücklich  gesagt :  dass  die  Treppe  in  dieser 
Weise  vom  Fussboden  des  Vestibüls  bis  zur  Thüre  emporsteigt. 
Auch  das  Folgende  weist  auf  die  Skizzen  hin :  ,, diese  ovale  Treppe 
habe  zwei  Flügel ,  den  einen  auf  der  einen ,  den  andern  auf  der 
andern  Seite,  und  zwar  sollen  sich  die  Stufen  in  gleicher  Weise 
folgen,  nur  gerade,  nicht  oval."  Nun  aber  folgt  das  Dunkle :  questi 
pe'  servi  e  '1  mezzo  pel  signore,  dal  mezzo  in  su  di  detta  scala;  le 
rivolte  di  dette  alie  ritornino  al  muro ;  dal  mezzo  in  giü  in  sino  sul 
pavimento,  si  dicostino  con  tutta  la  scala  dal  muro  circa  tre  palmi, 
in  modo  che  l'imbasamento  del  Ricetto  non  sia  occupato  in  luogo 
nessuno  et  resti  libera  ogni  faccia.  Auf  was  bezieht  sich  das:  ,,dal 
mezzo  in  su  di  detta  scala ,  und  was  bedeutet  der  Satz :  le  rivolte 
u.  s.  w.  ?  Die  Antwort  auf  die  erste  Frage  erhalten  wir  durch  einen 
Entwurf  zu  diesem  Briefe,    den  Frey  publizirt  hat  (Jahrb.  d.  K.  p. 


132 


Die  Bauten  in  Florenz 


Kunsts.  IV,  S.  41):  la  di  mezzo  aovata  intendo  per  el  signior  le 
parte  da  canto  pe  servi  andando  a  veder  la  liberria  le  rivolte  di 
decte  alia  dalmezzo  in  su  insino  al  riposo  di  decta  scala  sappichano 
col  muro  dal  mezzo  in  giu  insino  in  sul  pavimento  decta  scala  si 
discosta  dal  muro  circa  quattro  palmi  in  modo  che  l'inbasamento 
del  ricecto  non  e  offeso  in  luogo  nessuno  e  atorno  actorno  resta 
libero. 

Das:  dal  mezzo  in  su  gehört  also  zu  dem  Satz:  le  rivolte. 
Die  rivolte  der  Flügeltreppen  kehren  von  der  Mitte  der  Treppe  an 
zur  Mauer  zurück,  heisst  es  das  eine  Mal,  das  andere  Mal:  sie 
schliessen  sich  bis  hinauf  zum  riposo  (d.  h.  bis  zu  einem  oberen 
Podest?)  an  die  Mauer  an. 

Was  sich  zunächst  als  unzweifelhaft  ergiebt,  ist  dies,  dass  in 
halber  Höhe  ein  Podest  sich  befand.  Bis  zu  diesem  steigen  die 
ovale  Mitteltreppe  und  die  geraden  Seitentreppen  mit  und  neben 
einander  an,  und  zwar  bleibt  zwischen  den  Seitentreppen  und  den 
Wänden  etwa  eine  Elle  Raum  frei.  Vom  Podest  steigt  die  Mittel- 
treppe gerade  weiter  zur  Thüre  auf  dem  oberen  Podest.  Was  wird 
nun  aber  aus  den  Seitentreppen .^  Frey  nimmt  an,  sie  begleiteten 
auch  fernerhin  die  Mitteltreppe  und  führten  gleichfalls  zur  Thüre 
(Mauer):  rivolte  bedeute  die  schrägere  Richtung,  die  sie  auf  die 
Thüre  zu  nähmen.  Wir  müssten  dann  annehmen,  dass  sie  in  einer 
Spitze  an  der  Thüre  ausliefen,  v.  GeymüUer  sagt :  ,,die  Seiten- 
läufe wenden  sich  vom  mittleren  Podest  rechtwinklig  nach  aussen, 
steigen  längs  der  durchgehenden  oberen  Podestmauer  hinauf  und 
münden  je  auf  ein  quadratisches  Podest,  welches  an  den  beiden 
Enden  des  Tribünenpodestes  vorspringt."  Das  „ritornano  al  muro", 
wie  das  ,,s'appiccano  col  muro",  wie  auch  der  Ausdruck:  ,, riposo", 
den  man  fast  genöthigt  ist,  als  „oberen  Podest"  zu  deuten,  scheinen 
sehr  für  diese  Meinung  zu  sprechen.  Und  doch  kann  man  sich 
grosser  Bedenken  nicht  erwehren.  Ein  oberer  Podest  und  noch 
dazu  mit  vorspringenden  quadratischen  Podesten,  würde  doch  den 
imbasamento ,  d.  h.  die  Dekoration  der  unteren  Theile  an  der 
Treppenwand  und  an  den  angränzenden  zwei  Seitenwänden  bis 
hin  zu  dem  ersten  Paar  der  gekuppelten  Säulen  verdeckt  haben  — 
und  Michelangelo  legt  ja  ausdrückliches  Gewicht  darauf,  dass  der 
imbasamento  nirgends  verdeckt,  sondern  jede  Wandseite  voll  sicht- 
bar sei!  Diesem  Einwand  könnte  freihch  mit  der  Bemerkung  er- 
widert werden,  dass  ein  „ritornare  al  muro"  oder  ,,appiccare  al 
muro"  ja  nicht  denkbar  sei  ohne  das  Verdecken  eines  Theiles  des 
Imbasamento.  Aber  auch  räumlich  erscheint  mir  die  Anlage  un- 
möglich: ein  solcher  vorspringender  Podest  mit  einer  zu  ihm  auf- 
steigenden Treppe  hat  gar  keinen  Platz,  es  sei  denn,  dass  er,  wie 
die   Treppe,    in   kümmerlichen  Verhältnissen    gebildet    werde,    die 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo 


133 


eine  ästhetische  Wirkung,  wie  sie  der  hochverdiente  Kenner  der 
Renaissancearchitektur  anzunehmen  geneigt  ist,  schwerlich  hervor- 
bringen würde. 

Also  hätte  doch  Frey  Recht:  jene  rivolta  der  Flügehreppen 
bezeichnet  ihr  sich  Wenden  schräg  nach  der  Thüre  zu,  deren 
Schwelle  mit  dem  Riposo  gemeint  wäre?  Einer  der  von  mir  be- 
sprochenen Entwürfe  (Nr.  XXXIIa)  scheint  mir  hierfür  zu  sprechen, 
ja  könnte  uns  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  verständlich  werden. 
Wir  fanden  in  ihm  schräg  von  der  Seite  nach  der  Mitte  zu  auf- 
steigende konkave  Stufen  angedeutet.  Von  diesen  konnte  man  in 
der  That  sagen:  sie  kehren  in  einer  Wendung  zur  Mauer  zurück 
oder  heften  sich  an  die  Mauer:  und  das  künstliche  Schema  der 
ineinandergreifenden  Stufen  des  Mitteltheiles  und  der  Seitentheile 
erklärte  sich  auch,  denn  eine  trennende  Balustrade  wäre  natürlich 
an  dieser  oberen  Treppe  nicht,  wie  an  der  unteren,  denkbar.  Die 
Konsolen  unter  den  Säulenpaaren  neben  der  Thüre  freilich  wären 
verdeckt  worden.  —  Wollen  wir  aber  jene  absonderliche  Anlage 
der  konkaven  seitlichen  Stufen  nur  als  einen  Versuch  der  Lösung, 
nicht  als  die  Lösung  selbst  betrachten,  so  können  wir  uns  die 
Seitentreppen  vom  Podest  an ,  in  dreieckigem  Grundriss ,  spitz  zu 
dem  Thürpfosten  verlaufend,  denken.  Auch  für  diese  Form  wären 
die  Ausdrücke  ritornare  und  appiccarsi  al  muro  denkbar.  Und  für 
diese  Annahme  entscheide  ich  mich ,  die  Hypothese  Freys  zur 
meinigen  machend,  da  sie  mit  der  Aussage  Michelangelos  im  Jahre 
1559  im  Einklänge  steht. 

Dass    Baldinuccis   Meinung,    die   Flügelthüren    seien    von   der 
Wand  der  Eingangsthür  in  den  ricetto  ausgegangen  (VII,   506),  un- 
haltbar ist,  wird  durch  alles  Vorhergehende  erwiesen. 
XXXV.  Zwei   kleine  Federskizzen    der  Treppe,   von  vorn   und  von 
der  Seite,  erwähnt  Frey  als  auf  dem  Briefentwurf  des  Kodex 
der  Vaticana  Nr.  321 1,  LXXXVII,  6  (Thode  515  b.)  befindlich. 

C.  Michelangelos  Aussage  155g. 

Im  Brief  an  Ammanati  heisst  es  bezüglich  des  übersandten 
kleinen  Modelles :  e  per  esser  cosa  piccola  non  ho  potuto  fare  se 
non  l'invenzione,  ricordandamiche  quello  che  giä  ordinal,  era  isolato 
e  non  s'appoggiava  se  non  alla  porta  della  Libreria. 
Sommi  ingegnato  teuere  il  medesimo  modo,  e  le  scale  che  mettono 
in  mezzo  la  principale,  non  vorrei  che'avessin  nella  stremitä  balaustri, 
come  la  principale,  ma  fra  ogni  due  gradi  un  sedere,  come  e 
accennato  dagli  adornamenti. 

Hier  ist  die  Angabe  so  deutlich  —  die  Treppe  ist  ganz  isolirt 
und  berührt  die  Wand  nur  unter  der  Thüre  — ,   dass  v.  Geymüller 


134  ^^^  Bauten  in  Florenz 


bei  seiner  Interpretation  der  Angaben  von  1555  nichts  Anderes 
übrig  blieb,  als  die  Annahme:  Michelangelo  habe  nunmehr  eine 
andere  und  viel  weniger  befriedigende  Anordnung  angegeben,  als 
früher.  Diese  Annahme  erscheint  aber  ausgeschlossen ,  da  der 
Meister  sagt:  er  erinnere  sich,  die  Treppe  isolirt  geplant  zu 
haben.  Man  vernimmt  hier  deutlich  die  Antwort  auf  eine  Frage 
Ammanatis.  Und  diese  Frage  ist  dieselbe,  welche  wir  uns  beim 
Lesen  des  Briefes  von  1555  stellen  mussten.  Wie  uns,  so  war 
es  auch  Vasari  und  Ammanati  unklar  geblieben ,  wie  sich  Michel- 
angelo die  oberen  Seitentreppen  denke.  Auch  sie  waren  offen- 
bar, wie  V.  Geymüller,  auf  die  Idee  einer  seitlichen  Wendung 
nach  aussen  gekommen.  Nun  werden  sie  eines  Anderen  belehrt, 
und  zwar  in  einem  Sinne,  der  Freys  Annahme  als  die  richtige  er- 
kennen lässt. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  Michelangelo  in  seinem  Modell  noch  die 
oberen  Seitentreppen  beibehalten  oder  selber  sie  aufgegeben  hat. 
In  letzterem  Falle  entspräche  die  gesamte  jetzige  Treppenanlage 
seiner  definitiven  Idee,  im  anderen  hätte  Ammanati  aus  eigener 
Machtbefugniss  sich  für  die  einfache  obere  Treppe  entschieden. 
Hierüber  ist  Bestimmtes  nicht  zu  sagen,  doch  möchte  ich  glauben, 
Ammanati  habe  auch  hierin  sich  an  des  Meisters  Weisung  gehalten. 
Denn  wir  sehen,  dass  er  ihm  sonst:  nämlich  in  der  Anordnung  von 
Balustraden  an  der  Mitteltreppe  und  von  derjenigen  eines  ,,sedere 
fra  ogni  due  gradi"  (rechteckige  Sockel)  an  den  Seitentreppen 
gefolgt  ist.  In  wie  weit  auch  in  Form  und  Profilirung  der  Stufen, 
in  den  Voluten,  die  den  Podest  abgränzen,  bleibt  dahingestellt,  da 
wir  nicht  genau  wissen,  was  ihm  an  Mustern  hierfür  in  den  Resten 
aus  der  Periode  der  frühen  Arbeit  an  der  Treppe  vorlag.  Ver- 
muthUch  musste  er  in  den  Details  selbständig  vorgehen ,  denn 
Michelangelo  schreibt  ihm:  base,  cimase  a  quei  zoccoli  ed  altre 
cornicie  non  bisogna  che  io  ve  ne  parli  perche  siete  valente.  Sicher 
ist,  dass  das  Profil  der  jetzigen  Stufen  ein  anderes  ist,  als  das  in 
XXXIV  vom  Meister  selbst  entworfene. 

Von  dem  Briefe  von  1559  aus  also  fällt  Licht  zu- 
rück auf  die  früheren  Ideen  des  Meisters,  und  es 
geht  aus  allen  unseren  Darlegungen  hervor,  dass  die 
heutige  Treppe  im  Wesentlichen  den  ursprünglichen 
Entwurf  ausgeführt  zeigt,  nur  dass  die  Seitenläufe 
der  oberen  Treppe  —  vielleicht  auf  Michelangelos 
eigene  spätere  Entscheidung  —  weggelassen  worden 
sind.  Dass  dies  dem  ästhetischen  Eindruck  zu  Gute  gekommen 
ist,  möchte  ich  glauben.  Im  Übrigen  wird  man  sich  mit  der  That- 
sache  abfinden  müssen,  dass  dieses  seltsame  Treppengebilde  eine 
Schöpfung  Michelangelos  ist. 


Die  Libreria  di  S.  Lorenzo  j-ic 


D.  Der  Bibliotheksaal. 

Die    Eingangsthüre    in    der   Sala. 

XXXVI.  London,  British  Museum  1859 — 6 — 25 — 550.  Thode  292. 
Vier  mit  der  Feder  ausgeführte  Entwürfe:  Thüren  und  Fenster, 
die  schon  Fagan  als  solche  für  die  Libreria  bezeichnete.  Der 
erst  zu  erwähnende  könnte  für  die  Thür  in  der  Sala  bestimmt 
gewesen  sein:  a)  Tabernakelartig  mit  Segmentgiebel,  über 
dem  ein  Spitzgiebel  hinzugefügt  ist,  auf  seitlich  den  Rahmen 
flankirenden  Säulen.  Der  Rahmen  oben  in  senkrechten  Ohren 
endigend,  zwischen  denen  eine  oblonge  Füllung  angebracht 
ist.  Vor  dem  Giebel  und  ihn  überragend  grosses  Papst- 
wappen. Die  Gesamtanlage  zeigt  nahe  Verwandtschaft  mit 
der  Thüre.  Das  Weglassen  des  Wappens  erklärt  sich  aus 
dem  Wunsche  des  Papstes.  —  b)  Fenster  mit  Spitzgiebel,  an 
dem  das  Mediciwappen  angebracht.  Wohl  auch  Entwurf  für 
die  Sala.  —  c)  Kleinere  Skizzen  eines  Fensters  mit  Segment- 
giebel. —  Dito  mit  geradem  Gesims.  —  Die  Rahmung  von 
a)  erinnert  sehr  an  die  Tabernakel  der  Medicikapelle ;  doch 
kann  der  Entwurf  des  Wappens  wegen  kaum  auf  diese  be- 
zogen werden.  Man  könnte  wohl  eher  vermuthen ,  dass  er 
für  das  Mittelfenster  oben  an  der  Fassade  von  S.  Lorenzo 
bestimmt  gewesen.  Hiergegen  aber  spricht  die  durchweg 
einfache  Rahmung,  die  diesem  Fenster  in  den  Skizzen  für 
die  Fassade  gegeben  ist.  Auch  weist  die  kompHzirte,  reiche 
Bildung  auf  die  spätere  Zeit. 

XXXVII.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXXV,  53.  Thode  108.  Abb. 
V.  Geymüller  Bl.  4,  Fig.  4  (vgl.  Details  der  Thüre,  Bl.  8). 
Frey  49.  50.  Profile,  a)  de  modani  la  copia  della  cornice 
delle  porte  della  liberria,  date  a  ccechone.  Die  Zeichnung 
stimmt  mit  dem  ausgeführten  Gesims  überein.  —  b)  el  modanS 
dato  a  ccechone  degU  stiti  delle  decte  porte  della  Hberria. 
Ist  das  Profil  des  Thürrahmens.  —  c)  e  modani  degli  scagHoni 
dati  accechone.  —  d)  Rückseite:  modano  delle  decte  porte 
del  frontone  tondo  dirieto.  —  e)  frontispizio  el  modano  del 
frontone  delle  decte  porte  cioe  del  dinanzi. 

Die   Decke. 

XXXVIII.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXI,  126.  Thode  86.  Skizze 
für  ein  Mittelfeld  und  die  zwei  angränzenden  Seitenfelder. 
Die  Gesamteintheilung  entsprechend  der  ausgeführten;  auch 
smd  die  Widderköpfe  mit  den  Lorbeerkränzen  angegeben 
In  den  Ecken  des  Mittelfeldes  aber  sind  statt  der  Dreiecke 
mit  den  Delphinen  noch  kleine  Rechtecke  entworfen. 


jqö  Di^  Bauten  in  Florenz 


Für  die  einzelnen  Ornamente  habe  ich  keine  Studien  gefunden ; 
eine  viereckige  Füllung  mit  Akanthusornament  auf  Blatt  XXIV,  6 
(Thode  94)  der  Casa  Buonarroti  lässt  zuerst  an  die  Decke  oder 
an  die  Bänke  denken,  erweist  sich  aber  bei  näherer  Betrachtung 
als  stilistisch  ganz  verschieden  von  deren  Ornamenten. 

Die    Buche rbänke. 

XXXIX.  Ebendaselbst  XLII,  94.  Thode  140.  Flüchtige  Skizze  für 
die  Bank,  auf  der  eine  sitzende  Figur  angedeutet,  und  den 
Bücherständer  davor.  Die  Form  noch  etwas  anders:  keine 
Voluten  als  Stützen;  der  Träger  am  Bücherständer  vielmehr 
ausgeschweift. 

V 

Die  Fenster  am  Palazzo  Riccardi 

Vasari  berichtet :  ,,und  damals  machte  er  für  den  Palazzo  Medici 
ein  Modell  der  finestre  inginocchiate  in  jenen  Zimmern  an  der 
Ecke,  wo  Giovanni  da  Udine  einen  Raum  mit  Stuck  und  Malereien 
verzierte,  und  Hess  nach  seiner  Anweisung  vom  Goldschmied  Piloto 
jene  Fensterläden  aus  durchbrochenem  Kupfer  machen ,  die  ein 
bewundernswerthes  Ding  sind"  (VII,  191).  Im  Leben  des  Giovanni 
da  Udine  sagt  er:  ,,jene  Loggia  an  der  Ecke  des  Palastes  war  nach 
einer  Zeichnung  Michelangelos  geschlossen  und  zu  einem  Zimmer 
mit  zwei  finestre  inginocchiate,  welche  die  ersten  dieser  Art,  mit 
Eisen  vergittert,  aussen  an  einem  Palaste  waren,  gemacht"  (VI,  557). 
Dies  geschah  nach  Vasaris  ungefährer  Zeitangabe  zur  Zeit  der  Be- 
schäftigung mit  der  Fassade  von  S.  Lorenzo ,  also  etwa  15 17, 
womit  eine  Angabe  über  Giovannis  Arbeit:  ,,noch  zur  Zeit  Leos  X." 
(VIII ,  249)  stimmt.  Vasari  war  darüber  wohl  unterrichtet ,  denn 
er    vollendete    als   Jüngling    1535    Giovannis    Malereien    (VII,    656. 

Vni,  249). 

Den  Ausdruck:  inginocchiata  hat  v.  Geymüller  in  Rom  auf 
Fenster  des  Erdgeschosses  angewendet  gesehen,  ,, deren  Brüstungen 
seitwärts  in  ganzer  Höhe  von  Konsolen  begleitet  sind ,  um  die 
Fenstergewände  oder  deren  begleitende  Halbsäulen  zu  tragen" 
(S.  32,  A.  2). 

Eine  Studie  zu  diesen  Fenstern  fand  ich  nicht.  Die  von  Gotti 
in  den  Uffizien  angeführte  Zeichnung,  auf  der  ein  Fenster  und 
Profile  mit  Maassangaben  sich  befinden,  ist  nicht  von  dem  Meister. 
Auf  die  Verwandtschaft  mit  der  Originalzeichnung  eines  Altar- 
tabernakels in  der  Casa  Buonarroti  (XLV,  10 1.  Thode  156)  möchte 
ich  aufmerksam  machen.    Aufnahmen  finden  sich  in  Donato  Cellesis 


Das  Portal  und  der  Hochaltar  von  S.  Apollonia  I37 

Sei  fabbriche  di  Firenze.  Florenz  1851.  Taf.  XXIV.  Phot.  Brogi 
4893.  Vgl.  Luigi  Biadi:  Notizie  sulle  ant.  fabbriche  di  Firenze. 
Florenz   1824.     S.  231. 

VI 

Das  Portal  und  der  Hochaltar  von  S.  Apollonia 

Der    Altar. 

In  Leben  Francesco  Granaccis  (V,  344)  sagt  Vasari,  der  schon 
in  seiner  I.  Auflage  (S.  987,  Frey  S.  174)  die  Architekturzeichnungen 
für  Apollonia  erwähnt  hatte:  „da  Michelangelo,  der  eine  Nichte 
als  Nonne  in  S.  Apollonia  hatte,  Dieser  zulieb  das  Ornament  und 
die  Zeichnung  der  Tafel  und  des  Hochaltars  gemacht,  malte  Granacci 
dort  einige  Darstellungen  in  kleinen  Figuren  in  Öl  und  einige 
grosse,  welche  die  Nonnen  und  auch  die  Maler  sehr  befriedigten." 

Hochaltar  und  Altartafel  sind  nicht  erhalten.  Granaccis  Bilder 
sind  theils  in  der  Akademie :  Szenen  aus  dem  Leben  der  hl.  Apol- 
lonia und  Engel  mit  Lilien,  theils  in  München:  Tafel  mit  Heiligen. 

Die  Guiden  geben  uns  wenig  Aufschluss.  Cinelli  in  Bocchis: 
Le  bellezze  della  cittä  di  Firenze  1678,  S.  516:  la  tavola  posta 
all'altare  maggiore  di  questa  chiesa  e  di  mano  di  Francesco  Granacci 
quäle  e  tenuta  in  gran  pregio  da  gl'intendenti,  perö  che  il  disegno 
e  di  Michelagnolo,  come  anche  la  porta  di  essa  chiesa.  —  Richa : 
Chiese  VIII,  S.  312,  sagt  über  den  Altar:  la  Tribuna,  sotto  della 
quäle  in  eminenza  risiede  l'Altare  ricco  di  un  Ciborio  vaghissimo, 
con  alcune  Storiette  nella  predellina  dipinte  da  Francesco  Granacci, 
il  quäle  come  amico  del  Buonarroti  e  poi  divenuto  parente,  sino 
della  fanciullezza  per  compiacerlo,  dipinse  quivi  due  Tavole,  una 
delle  quali  bruciö,  e  l'altra  che  era  all'altar  maggiore,  fu  transferito 
in  Monastero. 

War  das  Ciborio  vaghissimo  von  Michelangelo.^  An  Vasaris 
Aussagen  zu  zweifeln  liegt  kein  Grund  vor,  denn  das  Kloster  war 
die  Stiftung  eines  Buonarroti  (1339),  und  es  sieht  dem  auf  seine 
Familie  stolzen  Meister  ganz  ähnlich,  dass  er  es  künstlerisch  ge- 
schmückt habe.  Der  Entwurf  zu  einem  Ciborium ,  auf  den  ich, 
ohne  eine  Vermuthung  aussprechen  zu  wollen,  hinweisen  möchte, 
ist  uns  in  einer  Kreidezeichnung  der  Casa  Buonarroti  (XXXIV,  40, 
Thode  107)  erhalten,  die  uns  die  Vorderansicht  (in  zwei  verschie- 
denen Höhen)  eines  eleganten  Baues  mit  einem  Spitzgiebel  über 
dem  Gebälk  je  zwei  gekuppelter,  auf  hohem  Postament  stehender 
Säulen  zeigt  und  Bedenken  hinsichtlich  der  Bestimmung  als  Altar- 
baldachin nur  durch  die  Anlage  eines  Sockels,  auf  dem  die  Säulen 
stehen,  erregt. 


138 


Die  Bauten  in  Florenz 


Das    Portal. 

Vasari  erwähnt  es  nicht.  Der  Erste,  der  es  Michelangelo  zu- 
schreibt, ist  nach  v.  Geymüller  (S.  33,  A.  i)  der  französische  Archi- 
tekt DEV,  dessen  Studienalbiim  in  der  Sammlung  Destailleur 
in  Paris  sich  befand.  Auf  Fol.  16  ist  die  Zeichnung  der  Thüre 
gegeben,  mit  der  Angabe:  Porta  di  Sta.  Appolonia  Monasterio  in 
Fiorenza  di  Michael  Angello  161 6  DEV.  Es  handelt  sich  also  um 
eine  alte  und,  wie  mir  scheint,  aus  oben  angegebenem  Grunde 
glaubhafte  Tradition,  die  uns  auch  bei  CinelU  begegnet.  Richa 
(a.  a.  O.)  sagt:  l'esteriore  ornamento  della  facciata  consiste  in  una 
svelta  e  proporzionata  Porta,  alzandosi  da  i  lati  due  mezze  colonne 
Doriche ,  sulle  quali  posano  fregio  ed  architrave ,  finendo  con 
frontispizio  di  figura  angolare.  Debbo  pero  qui  riportare  un 
lamento  di  moderno  e  dotto  Scrittore  e  Prelato  in  Roma,  che  riporta 
in  un  suo  libro  stampato  in  Lucca,  dicendo  di  questa  Porta,  come 
segue:  ,,fino  una  bellissima  porta,  che  egli  (il  Buonarroti)  fece  in 
Firenze  alle  monache  di  S.  Apollonia,  gli  e  stata  stroppiata  strana- 
mente,  poiche  essendosi  rotta  la  soglia  e  stata  rifatta  con  una  si 
sconcia  modinatura,  che  scompagna  da  tutto  il  resto  e  fa  pietä  a 
vederla".  —  Aus  der  Zeit  Richas  stammt  die  Abbildung  der  Thüre 
in  Ruggieris  Scelta  (1755). 

Gesamtform  und  Details  der  Thüre,  die  heute  noch  erhalten 
ist  (Via  di  S.  Gallo),  spricht  durchaus  für  die  Richtigkeit  der  Tradi- 
tion. Die  toskanischen  Säulenkapitäle  erinnern  lebhaft  an  die  im 
Vestibül  der  Libreria:  auch  hier  ist  in  der  Mitte  des  Abakus  eine 
Maske  (löwenartig).  Am  Fries  über  den  Säulen  ein  von  Helm- 
schmuck bekröntes,  von  Strahlen  umgebenes  Wappen. 

Richa  schreibt  dem  Meister  auch  den  farbig  mit  Arabesken  ver- 
zierten Plafond  zu,  der  von  Suor  Aurelia  Magalotti,  Schwester  der 
Donna  Gostanza  Barberini,  Verwandten  Urbans  VIII.,  gestiftet  worden 
sei.  Und  seit  dem  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  sagen  die  meisten 
Guiden  kurzweg :  die  ganze  Kirche  sei  nach  einer  Zeichnung 
Michelangelos  erbaut. 

Zugeschrieben,  ohne  zureichenden  Grund,  wurde  Michelangelo 
auch  die  Seitenthüre  von  S.  Gesü  Pellegrino  (detta  dei 
Pretoni),  in  der  Via  degli  Arazzieri  (Ecke  der  Via  di  San  Gallo): 
mit  einem  Segmentgiebel,  der  auf  den  Gesimsen  zweier  Konsolen 
aufsitzt,  in  kräftigen  einfachen  Formen,  Die  Thüre,  von  Ruggieri  ab- 
gebildet, ist  vergrössert  in  dem  Portal  des  benachbarten  Hauses 
nachgebildet  worden.  —  Könnte  man  hier  noch  an  Michelangelo 
glauben,  so  bleibt  es  ganz  unerfindUch,  wie  die  kleine  unbedeutende 
Fassade  des  Kirchleins  S.  Maria  della  Neve  in  der  Via  S. 
Giuliano ,   jetzt   in    ein    militärisches    Gefängniss   eingemauert ,    dem 


Das  Modell  für  das  äussere  Gesims  der  Domkuppel  13g 


Meister  zugeschrieben  werden  konnte  (bei  Ruggieri).  Sie  enthält 
ein  Portal  mit  Spitzgiebel ,  darüber  ein  rechteckiges  Fenster  in 
Rahmen  mit  Ohren,  links  und  rechts  kleinere  Thüren  mit  Segment- 
giebeln. 

VII 

Das  Modell  für  das  äussere  Gesims  der  Domkuppel 

Vasari  erzählt  von  ihm  im  Leben  des  Baccio  d'Agnolo(V,S.  353). 
Dieser  hatte  das  Gesims  an  der  einen  Seite  ausgeführt:  „aber 
Michelangelo,  der  bei  seiner  Rückkehr  von  Rom  gewahrte,  dass  bei 
der  Ausführung  dieser  Arbeit  die  vorkragenden  Steine,  die  Filippo 
Brunelleschi  nicht  ohne  Absicht  hatte  stehen  lassen,  weggeschnitten 
worden  waren,  machte  solchen  Lärm,  dass  man  von  der  Arbeit  ab- 
stand ;  er  sagte,  es  komme  ihm  vor,  als  habe  Baccio  einen  Grillen- 
käfig gemacht.  Dieses  so  grosse  Bauwerk  verlange  Etwas  grösseren 
Stiles  und  von  andrer  Kunst  und  Anmuth  der  Zeichnung,  als  sie 
Baccios  Entwurf  zeige.  Er  wolle  es  zeigen,  wie  man  es  zu  machen 
habe.  Als  Michelangelo  nun  ein  Modell  gemacht,  wurde  die  Sache 
lange  von  vielen  Künstlern  und  kundigen  Bürgern  vor  dem  Kardinal 
Giulio  de'Medici  verhandelt;  und  schliesslich  wurde  weder  das  eine 
noch  das  andere  Modell  ausgeführt." 

Eine  Studie  zu  dem  Modell  hat  v.  GeymüUer  in  einer  Zeichnung 
der  Casa  Buonarroti  (XVIII,  50.  Thode  78)  zu  finden  geglaubt 
(S.  34).  Ich  lasse  ihm  das  Wort:  ,,die  Ecken  des  Tambours  sind 
durch  gebrochene  breite  korinthisirende  Pilaster  mit  verkröpftem 
Gebälk  gegliedert.  Darüber  eine  Attika,  durch  deren  ebensoviel 
wie  die  Pilaster  vortretenden  Ecken  die  Verbindungsthür  des  Um- 
ganges auf  dem  Gesims  führt.  Eine  Figur  oder  Kandelaber  be- 
krönt den  Eckpfeiler  der  Attika  und  dahinter  beginnt  die  Kurve  der 
Kuppel.  An  der  Achteckseite  des  Tambours  sind  zwei  konzentrische 
Kreislinien,  vermuthlich  die  Rundfenster,  angedeutet.  Michelangelo 
suchte  einfachere  Formen ,  als  die  begonnene  Arkade  B.  d'Agno- 
los  zeigt." 

H.  V.  Geymüllers  Meinung  leuchtet  mir  durchaus  ein.  Ich 
möchte  bemerken,  dass  die  Zeichnung  selbst  die  Berücksichtigung 
jener  vorkragenden  Steine  unter  dem  Gebälk  und  unter  dem  Um- 
gang deutlich  gewahren  lässt. 

Hinzufügen  aber  möchte  ich  weiter  eine  zweite  schöne  Zeich- 
nung, in  Röthel  ausgeführt,  in  der  Casa  Buonarroti  (XXXVI,  66, 
Thode  117),  die  sich  auch  sicher  auf  das  Projekt  zu  beziehen 
scheint :  es  ist  die  eine  Seite  des  Tambours  dargestellt  mit  Angabe 
der  Rundfenster  und  der  Füllungen  zu   dessen  Seiten.     Auch   hier 


I40 


Die  Bauten  in  Florenz 


haben  wir  Pilaster  an  den  Ecken  mit  gleichem  Gebälk,  wie  in  dem 
anderen  Entwurf.  Ein  Umgang  darüber  aber  ist  uns  nicht  an- 
gedeutet. —  Eine  ungefähre  Zeitbestimmung  ist  hier  gegeben,  denn 
auf  der  Rückseite  befindet  sich  der  Entwurf  zu  dem  Brief,  den 
Michelangelo  im  Juni  1520  an  den  Kardinal  Bibbiena  betreffend 
Sebastiane  del  Piombo  schrieb. 


VIII 

Der  Entwurf  zu  einem  Palazzo  dell 'Altopascio 

Ein  Blatt  der  Casa  Buonarroti  (LIV,  117.  Thode  166)  zeigt 
den  Grundriss  eines  Hauses  und  von  des  Meisters  Hand  geschrieben : 
l'alto  pascio.  H,  v.  Geymüller  hat  die  wohl  nicht  anzufechtende 
Meinung  geäussert,  es  sei  ein  Entwurf  ,,für  eine  Persönlichkeit  mit 
dieser  Bezeichnung  in  Florenz,  deren  Wohnung  der  Palazzo  del- 
l'Altopascio  auf  der  Piazza  S.  Annunziata  ist". 

Das  Haus  wird  durch  ein  durchgehendes  Vestibül  in  zwei 
Hälften  geschieden,  deren  jede  in  der  Mitte  eine  Doppeltreppe  hat. 
Zu  beiden  Seiten  des  Einganges  eine  Bottega,  dahinter  Camera; 
an  der  hinteren  Seite  links  und  rechts  vom  Vestibül  je  eine  Küche 
und  eine  Camera.  Auf  demselben  Blatt  der  Rahmen  eines  Por- 
tales mit  Spitzgiebel  über  Fries,  der  Rahmen  mit  wagerechten 
Ohren. 

Ein  zweites  Blatt  (LIV,  118.  Thode  167),  zeigt  dasselbe  Haus, 
aber  einen  anderen  Grundriss ;  v.  Geymüller  meint,  es  sei  der  des 
zweiten  Stockwerkes ,  dem  widersprechen  aber  einige  der  Raum- 
bezeichnungen (Bottega  disocto,  Camera  di  sopra).  Ich  halte  es 
für  einen  anderen  Entwurf.  Durch  einen  ,,ricecto",  neben  dem  links 
und  rechts  zunächst  ein  kleinerer  Raum ,  dann  eine  Bottega  sich 
befindet,  gelangt  man  in  einen  „salocto"  in  der  Mitte  des  Hauses, 
von  dem  links  eine  Doppeltreppe,  rechts  Räume  („camera  di  sopra"). 
Die  hinteren  Räume  bestehen  links  aus  ,,cucina",  „camera", 
„studiolo",  rechts  ,,cucina",  „camera";  in  der  Mitte  an  den  salocto 
anschUessend  ,,giardino"  mit  ,,pozzo".  —  Auf  der  Rückseite  des 
Blattes  Gesimsstudien  und  oberer  Theil  eines  Fensters.  Mir  scheint: 
auch  der  weniger  detaillirte,  aber  in  der  Haupteintheilung  ähnliche 
Grundriss  auf  dem  Blatt  XXXIII,  33,  Thode  looa  der  Casa  Buonar- 
roti, ist  für  denselben  Bau  bestimmt  gewesen. 

Geymüller  erinnert  daran,  dass  Francesco  da  San  Gallo  einen 
Entwurf  für  eine  Villa  in  Altopascio  bei  Lucca  gemacht  (publ.  in 
dem  gleichen  grossen  Toskanawerke  unter  den  Villen  Bl.  6,  Fig.  2), 
mit  dem  aber  der  unsrige  keine  Beziehung  aufweise.  Dies  letztere 
ist  nicht  ganz  richtig:    wohl  handelt  es  sich  um  eine  grössere  An- 


Entwurf  für  ein  Haus  des  Baccio  Valori  I41 

läge,  da  an  der  Hinterseite  zwischen  zwei  Flügeln  eine  Loggia  an- 
gebracht ist,  aber  eine  Ähnlichkeit  zeigt  sich  in  den  doppelten 
Treppen,  die  in  der  Mitte  des  Gebäudes  und  links  und  rechts  vom 
Vestibül  ausgehen.  Aber  bei  den  sonstigen  Verschiedenheiten  will 
dies  doch  Nichts  sagen,  zumal  Michelangelos  Entwurf  wohl  einem 
Stadthaus  (,,botteghe"),  nicht  einer  Villa  gilt.  Ein  anderes  aber 
muss  man  bemerken,  dass  es  nämlich  ein  Hospital  dell'  Altopascio 
gab,  und  dass  der  Palast  auf  der  Piazza  dell'  Annunziata  so  genannt 
wurde,  weil  sein  Besitzer  und  Erbauer:  Ugolino  Grifoni  Verwalter 
dieses  Hospitales  war.  Es  liegt  nun  wohl  am  Nächsten  anzunehmen, 
dass  eben  dieser  Grifoni  Michelangelo  um  einen  Entwurf  für  seinen 
Palast  gebeten  hat,  den  dann  Ammanati,  im  Untergeschosse  die 
Michelangelo 'sehen  Fenster  des  Palazzo  Riccardi  nachahmend,  baute. 
Unlängst  war  er  im  Besitze  der  Antinori ,  jetzt  in  dem  der  Gattai- 
Budini  (vgl.  J.  Marcotti:  Guide  souvenir  de  Florence  S.  165.  Abb. 
Toskanawerk:  Ammanati  Bl.  4).  —  Die  einzigen  Zeugnisse  für  die 
Beschäftigung  Michelangelos  mit  diesem  Palaste  sind  die  zwei 
Zeichnungen. 

IX 

Entwurf  für  ein  Haus  des  Baccio  Valori 

Ein  Brief  des  Valori  vom  Februar  1531,  an  Michelangelo  ge- 
richtet, setzt  uns  von  einem  solchen  Plan  in  Kenntniss.  (Frey: 
Briefe,  S.  323.) 

,,Ich  bin  im  Besitze  Eures  Briefes  vom  23.  des  letzten 
Monats,  den  mir  Cechone  del  Luchesino  überbrachte,  in  Eurem 
Auftrag  hierhergekommen ;  es  konnte  mir  Nichts  willkommener 
sein,  sowohl  der  Brief  als  auch  der  ausführlichere  Bericht,  den  mir 
Cechone  in  Eurem  Namen  abstattete.  Ich  weiss,  Ihr  habt  Recht, 
wenn  Ihr  sagt,  man  könne  nichts  Gutes  machen:  ich  warte,  wie 
Ihr  sagt.  Der  Hof  würde  ohne  das  Haus  des  Bancho  sehr  klein 
im  Verhältniss  zu  den  anderen  Theilen;  und  ich  habe  desswegen 
genanntem  Cechone  den  Auftrag  gegeben,  er  solle  von  der  Sache 
sprechen  und  sie  betreiben,  um  zu  sehen,  ob  sich  mit  jenem 
Bancho  ein  Abkommen  treffen  lässt.  Und  es  wäre  mir  sehr 
lieb,  fändet  Ihr  Mittel  und  Wege  und  übernähmet  für  mich  diese 
Mühe  und  trachtetet,  wie  gesagt,  danach,  ein  Abkommen  zu  treffen; 
und  seht  Ihr,  dass  dies  nicht  zu  erreichen ,  so  möchte  es  Euch 
auf  alle  Fälle  gefallen,  den  Entwurf  mit  dem  Terrain  (.^panno !)  so 
wie  es  ist  nach  Eurem  besten  Gutdünken  festzustellen ,  und  in 
Allem  verlasse  ich  mich  auf  Euch.  Und  da  ich,  wie  Cechone  es 
Euch  mündlich  besser  aus  einander  setzen  kann,  wünschte,  dass 


142 


Die  Bauten  in  Florenz 


jener  Theil  (des  Gebäudes)  an  der  Ecke ,  wo  messer  Piero  da 
Filicaja  wohnte,  zuerst  gemacht  würde,  so  wäre  es  mir  lieb,  Ihr 
gäbet  der  Zeichnung ,  für  die  Ihr  Euch  entschliesst ,  die  Maasse 
für  jenen  Theil  bei,  damit  man  damit  beginnen  könne,  die  Steine 
zu  brechen  und  die  Arbeit  anzufangen.  Und  könnten  in  der 
Zwischenzeit,  solange  die  Entscheidung  über  das  Haus  des  Bancho 
noch  aussteht  und  man  sich  mit  dem  Stück  begnügt,  das  wir 
besitzen,  die  Maasse  der  Thüren  gegeben  werden ,  damit  keine 
Zeit  verloren  geht,  so  wäre  mir  dies  angenehm ;  und  ich  meine, 
Euch  wird  das  ja  keine  Schwierigkeiten  machen ;  gleichwohl  über- 
lasse ich  es  Euch  Alles,  wie  ich  oben  sagte.  Übrigens  will  ich 
meinerseits  Euch  nicht  antreiben,  da  ich  dessen  ganz  gewiss,  es 
bedürfe  bei  der  Zuneigung,  die  Ihr  mir  schenkt,  keines  solchen 
Antreibens.  Ich  bringe  Euch  in  Erinnerung,  dass  ich  Nichts  weiss, 
was  ich  zur  Befriedigung  meines  Gemüthes  mehr  wünschte ,  als 
dieses.  Und  gebraucht  Ihr  Geld  oder  irgend  etwas  Anderes,  von 
dem  Ihr  annehmt,  dass  es  in  meinem  Vermögen  steht,  so  benach- 
richtigt mich ,  denn  ich  werde  es  an  Nichts  fehlen  lassen ;  und 
liebt  Ihr  mich,  wie  ich  mich  überzeugt  halte ,  so  wendet  Euch 
vorkommenden  Falles  an  keinen  Anderen ,  als  an  mich :  ich 
werde  es  nie  an  mir  fehlen  lassen,  und  es  wird  mir  besonderste 
Freude  sein. 

,,Es  bleibt  mir  nur  noch  zu  sagen,  dass,  wenn  Ihr  Euch  ent- 
schliesst, nach  Rom  zu  gehen,  Ihr  nicht  verfehlt  diesen  Weg  zu 
nehmen ;  und  lasst  es  mich  vorher  wissen,  damit  ich  Euch  Ge- 
sellschaft verschaffen  kann  und  Ihr  unter  der  Reise  nicht  zu 
leiden  habt.  —  Euer  gegenwärtiger  Bartolommeo  Valori." 

Es  ist  derselbe  Valori,  der  nach  den  Kriegszeiten  in  Florenz 
als  Bevollmächtigter  des  Papstes  Dessen  Versöhnung  mit  dem 
Künstler  zu  vermitteln  hatte  und  für  den  Michelangelo  eine  Statue 
des  Apollo  arbeitete.  Von  wo  aus  er  den  Brief  geschrieben,  bleibt 
ungewiss;  das  ,,presente"  deutet  auf  Florenz,  der  Schluss  des 
Briefes  aber  auf  irgend  einen  Ort  zwischen  Florenz  und  Rom.  Im 
Ungewissen  auch  sind  wir  über  die  Stadt,  wo  das  Haus  gebaut 
werden  sollte.  Die  Erwähnung  des  Messer  Pietro  da  Filicaja  — 
mit  Leuten  dieses  Namens  stand  er  zur  Zeit  der  Beschäftigung  mit 
der  Fassade  von  S.  Lorenzo  in  Beziehung  —  und  die  Bitte, 
Michelangelo  möge  selbst  die  Angelegenheit  des  Hausankaufes  be- 
treiben, lässt  auf  Florenz  schliessen. 

Dass  der  Meister  wenigstens  eine  Zeichnung  gemacht,  ist 
wohl  anzunehmen.  Der  später  noch  zu  erwähnende  Grundriss  eines 
Hauses  in  der  Casa  Buonarroti  LIV,  119  (Thode  168),  kann  aber 
nicht  gut  in  Betracht  kommen,  da  hier  der  Hof  eine  besonders 
grosse  Ausdehnung  hat. 


Michelangelos  Haus  in  der  Via  Mozza  und  Villen  bei  Florenz         143 

X 

Michelangelos  Haus  in  der  Via  Mozza 

Am  14.  Juli  15 18  kaufte  der  Meister  in  der  Via  Mozza  (jetzt 
Via  S.  Zenobi  55 — 57)  vom  Domkapitel  das  Terrain,  auf  dem  er 
sein  Haus  baute.  Er  zahlte  300  Dukaten  dafür,  was  ihm  zu  theuer 
erschien.  Am  15.  Juli  bat  er  den  Kardinal  Giulio  zu  vermitteln, 
dass  ihm  kostenfrei  ein  anstossendes  Stück  Land  überlassen  werde. 
Der  Ankauf  wurde  am  24.  November  abgeschlossen,  und  in  den 
folgenden  Monaten  beginnt  Michelangelo  den  Bau ,  von  dem  wir 
Weiteres  aus  Ricordi  vom  17.  Februar  bis  28.  März  15 19  (Stein- 
mann und  Pogatscher  S.  392),  und  dann  weiter  im  Mai  und  Juni 
15 19  erfahren. 

Eine  Federskizze  des  Terrains  ist  in  der  Casa  Buonarroti 
(XXXIII,  32.  Thode  100.  Abb.  Frey  108)  erhalten;  mit  den  Notizen: 
el  terreno  ch'io  o  comperato  dal  capitolo  di  santa  maria  del  fiore. 
An  drei  Seiten  sind  die  Maasse  verzeichnet:  novanta  secte  braccia; 
cento  quatro  braccia ;  cento  quaranta  quatro  braccia.  An  der  vierten 
Seite:  strada  che  va  lunga  le  mura.  Unter  der  Schmalseite :  strada 
che  va  in  via  di  San  Gallo.  Ausserdem  noch  eine  verstümmelte 
Notiz :  di  santa  cate(rina). 

XI 

Dem  Meister  zugeschriebene  Villen  bei  Florenz 

I.  Die  Villa  dei  Collazzi,  ursprünglich  Dini,  jetzt 
Bombicci-Pomi  bei  Giogoli  hinter  der  Certosa.  Wir  besitzen 
eine  sie  behandelnde  Publikation  mit  zahlreichen  Aufnahmen  von 
Giulio  Bellotti,  Firenze  1893,  und  eine  Würdigung  seitens  H.  v. 
Geymüllers  in  dem  Werke  über  die  Toskanische  Architektur  (Abth. 
„Villen"  mit  Abb.  Bl.  i   und  8). 

Nach  G.  Carocci  (lUustratore  fiorentino)  hiess  die  Villa  im 
XV.  Jahrhundert  il  Castello  und  war  1427  im  Besitze  eines  Piere 
di  Bonaventura ,  von  dem  sie  bald  nachher  die  Dini ,  gen.  della 
Libertä,  erwarben.  Nach  einem  ,,antico  ricordo"  hätten  Baccio 
und  Agostino  nach  einer  Zeichnung  Michelangelos  den  Neubau 
aufgeführt,  der  von  Santi  di  Tito  ausgeschmückt  worden  ist.  Der 
hintere  linke  Seitentheil  und  ein  Theil  der  Fassade  links  ward  nicht 
vollendet,  da  hier  einige  Wirthschaftsgebäude  erhalten  blieben. 

Man  hat  nun  zwischen  einem  ersten  Entwurf,  der  uns  in  des 
jüngeren  Giorgio  Vasari  Sammlung  von  Villengrundrissen  in  den 
Uffizien  erhalten    blieb ,   und  dem  Gebäude    selbst  einen  Vergleich. 


144 


Die  Bauten  in  Florenz 


Der  Vasari'sche  Grundriss  (Abb.  v.  Geymüller  Bl.  i),  der  be- 
zeichnet ist:  ,,questa  pianta  fu  fatta  per  fare  il  Palazzo  di  signori 
Dini  a  Giogoli  ma  non  fu  messa  in  opera",  zeigt  ein  rechteckiges, 
dem  Quadrat  sich  näherndes  Gebäude  mit  zwei  grossen ,  hinter 
einander  angeordneten  Räumen  in  der  Mitte ,  je  fünf  kleineren 
hinter  einander  angeordneten  Räumen  links  und  rechts ,  von 
denen,  an  verschiedenen  Stellen  vertheilt,  im  Ganzen  fünf  schmale 
Treppen  in  den  oberen  Stock  führen.  Der  vordere  grosse  Raum 
ist  als  Vestibül  mit  Säulenumgang  gebildet  (6:4),  der  hintere  ist 
ein  Saal. 

Das  ausgeführte  Gebäude  zeigt  zwischen  vorspringenden  Flügeln 
einen  offenen  Hof,  zu  dem  vom  vorderen  Garten  eine  Doppeltreppe 
mit  kräftig  gebildeten  Balustraden  emporsteigt.  Eine  Säulenloggia 
mit  sieben  Rundbogen  zieht  sich  vor  dem  Mitteltrakt  hin ;  ihr  ent- 
spricht eine  gleiche  Loggia  im  ersten  Geschoss ,  die  sich  auch  auf 
die  Flügel  herüberzieht ,  indessen  hier  im  Erdgeschoss  nur  Blend- 
arkaturen  zu  sehen  sind.  Die  Zimmereintheilung  in  den  Seiten- 
theilen  des  Gebäudes  erinnert  an  den  Vasari'schen  Grundriss,  nur 
dass  sie  bereichert  sind  im  Erdgeschoss  durch  Räume ,  die  nach 
dem  Hof  zu  gehen  (links  die  Kapelle) ;  statt  der  grossen  breiten 
Mittelsala  aber  finden  wir  eine  schmälere  (in  der  Breite  von  drei 
Arkaden  der  Loggia),  die  von  bedeutender  Höhe  ist,  da  sie  durch 
beide  Geschosse  durchgeht,  und  mit  einem  Tonnengewölbe  bedeckt 
ist.  Zwischen  sie  und  die  Seitentrakte  sind  noch  je  zwei  Räume 
eingeschoben,  in  deren  linkem  die  Treppe  zu  einer  nach  dem 
hinteren  Garten  sich  öffnenden  Loggietta  mit  drei  Bogen  auf  ge- 
kuppelten Säulen  führt  (eine  gleiche  Loggietta  auf  der  anderen  Seite 
der  Sala).  Von  der  Sala  steigt  man  auf  halbrunder  Doppeltreppe 
in  den  hinteren  Garten  hinab. 

Die  herrliche  Anlage  und  die  grossartigen  Verhältnisse  gestatten 
gewiss,  an  Michelangelo  als  Architekten  zu  denken  —  auch  er- 
innern Einzelheiten,  wie  die  Formen  der  toskanischen  Ordnung 
der  Loggien,  die  grossen  Erdgeschossfenster  mit  den  Spitzgiebeln, 
die  oberen  auf  Konsolen  sich  erhebenden  Fenster  mit  geradem 
Gesims  an  die  Werke  seiner  florentinischen  Zeit,  sobald  wir  aber 
das  Hauptportal,  die  Tabernakel  und  die  Fenster  im  Hof,  auch  die 
anderen  Portale  auf  die  Details  hin  prüfen,  kommen  uns  schwerste 
Bedenken.  Ich  kann  in  der  Dekoration  des  Meisters  Geist  nicht  ge- 
wahren: nirgends  finde  ich  in  beglaubigten  Werken  und  Zeichnungen, 
weder  in  der  florentinischen  noch  in  der  späten  römischen  Periode, 
Formen  wie,  um  nur  die  wichtigsten  zu  nennen,  die  verschieden- 
artigen Voluten,  die  Baluster,  die  Wappen  hier.  Man  hat  dies 
auch  richtig  gefühlt,  als  man  die  Ausführung  der  Einzelheiten  dem 
Santi  di  Tito  zuschrieb. 


Dem  Meister  zugeschriebene  Villen  bei  Florenz  14c 


Auf  Michelangelos  Zeichnung  zurückzuführen,  wäre  nur  die 
Gesamtanlage,  die  Säulenordnung  der  Hofloggia  und  die  Fenster 
an  der  Aussenseite  des  Gebäudes  (mit  Ausschluss  der  Fenster  wie 
der  Thüren  im  Hofe).  Etwas  Bestimmtes  ist  aber  auch  hierüber 
nicht  zu  sagen ;  die  Möglichkeit,  an  einen  anderen  Architekten,  der 
Michelangelo'sche  Elemente  verwerthet ,  zu  denken ,  bleibt.  Hin- 
weisen möchte  ich  auf  einen  flüchtigen  Grundriss  in  der  Casa 
Buonarroti  (LIV,  119.  Thode  168),  der  einen  ähnlichen  Säulen- 
hof (4:3)  mit  ihn  umgebenden  Räumlichkeiten  zeigt,  wie  der 
Vasari'sche. 

2.  Die  Villa  Aloisi  oder  del  Trebbio  di  Pisignano 
bei  S.  Casciano  in  Val  di  Pesa. 

Nach  G.  Carocci  (II  Comune  di  S.  Casciano  in  Val  di  Pesa, 
Firenze  1892,  S.  168)  wurde  sie  1529  von  Filippo  Alemanni  er- 
worben und  von  ihm  und  seinen  Söhnen  Giovanni  und  Galeazzo 
neu  erbaut.     Vgl.  v.  Geymüller:  S.  12. 

Der  Grundriss  ist  ein  Rechteck,  die  Eintheilung  regelmässig. 
Die  mittleren  Räume  —  nach  dem  Garten  zu  der  Saal,  vor  dem 
eine  gleich  breite  Loggia  liegt  —  sind  etwa  doppelt  so  breit  als 
die  seitlichen  (drei  auf  jeder  Seite).  H.  v.  Geymüller  sagt:  ,,die 
Bogen  der  Loggia  sind  leicht  gespannt  und  fest  und  fein  profilirt, 
die  dorischen  Säulen  mit  Rosetten  im  Hals  haben  nichts  Schweres. 
Die  Profilirung  ist  mit  Verstand  gezeichnet,  eher  einfach,  aber 
nirgends  arm.  Die  Architekturformen  sind  aus  einer  Steingattung 
(Pietra  forte) ,  deren  braune  Farbe  und  feine ,  aber  sehr  feste  Pro- 
filirung dazu  beitragen,  dieselbe  wie  aus  Bronze  gegossen  erscheinen 
zu  lassen,  wie  dieses  auch  bei  einigen  Gebäuden  der  Söhne  von 
Baccio  d  'Agnolo  der  Fall  ist.  Die  Konsolen  der  Fensterbänke  und 
Gesimse  sind  seitlich  glatt  ohne  Profile ,  und  vorn  sind  die  Profile 
in  der  ganzen  Breite  glatt.  Die  Schlusssteine  der  Loggia  sind  auch 
als  Konsolen  gebildet,  aber  dagegen  mit  vielen  zum  Theil  feinen 
Gliedern  profilirt,  bei  welchen  eine  Erinnerung  an  die  Konsolen 
Michelangelos  in  der  Laurenziana  und  der  Medicäerkapelle  allen- 
falls denkbar  wäre." 

Die  Entscheidung  über  die  Urheberschaft  fällt  mit  jener  be- 
züglich der  zwei  folgenden,  die  den  gleichen  Stil  zeigen,  zusammen, 
wie  Carocci  und  v.  Geymüller  betont  haben. 

3.  Die  Villa  Mazzei,  früher  Macchiavelli,  in  S.  An- 
drea bei  Casciano,  1645  vom  Kardinal  Francesco  Macchiavelli  an 
den  Senator  Mazzeo  Mazzei  verkauft  (Carocci  S.  Sy).  Nur  zur 
Hälfte  ausgeführt.  Der  ursprüngliche  Grundriss  in  Vasaris  d.  J. 
Sammlung,  Abb.  v.  Geymüller  Bl.  i. 

Ein  grösserer  rechteckiger  Bau:  auf  jeder  Schmalseite  zwischen 
vorspringenden  Flügeln  eine  Loggia,  die  sich  mit  drei  Bogen  öffnet. 


I4t) 


Die  Bauten  in  Florenz 


An  der  Fassade  zwischen  je  zwei  Zimmern  ein  „Ricetto  scoperto", 
von  dem  aus  man  in  den  grossen  Mittelraum  des  Gebäudes,  den 
Salone,  gelangt.  Von  den  Seitenloggien  führt  in  diesen  je  ein  Gang, 
neben  dem  zwei  Zimmer.  Im  hinteren  Trakt  gleichfalls  ein  Mittel- 
gang, neben  dem  je  zwei  Räume.  —  Da  nur  die  eine  Hälfte  aus- 
geführt ward ,  ist  der  Salone  jetzt  Hof  H.  v.  GeymüUer  weist  auf 
die  Ähnlichkeit  der  Anlage  mit  Francesco  da  San  Gallos  Villa  für 
Altopascio  bei  Lucca  hin. 

4.  Die  Villa  Liccioli  alla  Ruffina  im  unteren  Sievethal. 


xn 

Entwurf  für  eine  Villa  des  Marchese  Federigo  di  Mantova 

in  Marmirolo 

Der  öfters  mit  Wünschen  an  den  Künstler  herantretende  Gonzaga 
erhielt  die  Bitte  um  einen  Entwurf  für  eine  Villa  erfüllt.  Am 
16.  Juni  1523  überbrachte  Baldassare  da  Castiglione  ihm  aus  Rom 
eine  Zeichnung  einer  Villa  mit  Garten,  die  als  sehr  schön  gepriesen 
wird  (Mil.:   Prosp.  cron.  S.  364). 

Wir  haben  keinerlei  Anhalt  für  die  Beantwortung  der  Frage, 
welcher  Art  der  Entwurf  gewesen  sei.  Man  könnte  auch  hier,  wie 
gelegentlich  der  Villa  dei  Collazzi,  auf  einen  Grundriss  in  der  Casa 
Buonarroti  hinweisen  (LIV,  119.  Thode  168),  der  ein  rechteckiges 
Gebäude  mit  Säulenhof  zeigt,  vielleicht  auch  auf  eine  von  jonischen 
Säulen  flankirte  Rundnische  mit  Spitzgiebel,  die,  auf  einem  Blatt 
derselben  Sammlung  (XL VI,  112.  Thode  162)  erhalten,  sehr  wohl 
für  einen  Garten  bestimmt  sein  könnte  und  die  um  jene  Zeit  ent- 
standen sein  dürfte,  da  sich  auf  der  Rückseite  ein  Briefentwurf  vom 
26.  Januar  1524  befindet.  Aber  selbst  eine  blosse  diesbezügliche 
Vermuthung  aufzustellen,  wäre  viel  zu  gewagt. 


XIII 

Auftrag  auf  eine  Kirche  und  eine  Briäcke  in  Igno 

Am  27.  August  1533  schreibt  der  Bischof  von  Pistoja,  Kardinal 
Lorenzo  Pucci,  an  Michelangelo  und  ersucht  ihn,  nach  seiner  Villa 
Igno  zu  kommen  und  einen  Entwurf  für  eine  Steinbrücke  und  eine 
Kirche,  die  der  Lieblichkeit  jenes  Ortes  entspräche,  anzufertigen 
(Mil.:  Prosp.  cron.  381).  Ob  der  Meister  Zeichnungen  gemacht,, 
wissen  wir  nicht. 


Die  Fortifikationsarbeiten  1529  I47 

XIV 

Die  Fortifikationsarbeiten  1529 

Über  die  Befestigungen  des  Hügels  von  S.  Miniato,  die  Michel- 
angelo zu  seiner  Hauptaufgabe  gemacht,  werden  wir  am  Besten 
durch  eines  militärischen  Unbekannten  „Breve  Istorietta  deU'assedio 
di  Firenze"  (Cod.  Magliabecchiano  Nr.  622,  Cl.  XXV,  c.  5—6),  die  von 
Gotti  zitirt  wurde,  unterrichtet.  ,,Und  auf  die  erste  Besichtigung 
hin  machte  er  sich  daran,  den  Hügel  von  S.  Miniato  und  S.  Fran- 
cesco zu  befestigen ,  und  da  ihm ,  bei  der  Form  der  von  den 
Medici  1526  und  1527  errichteten  Bastionen,  die  Kosten,  um  auch 
Giramonte  mit  einzuschliessen ,  zu  gross  erschienen ,  Hess  er  seine 
Bastionen  beim  ersten  Thurm  ausserhalb  der  Porta  di  San  Miniato 
gegen  San  Giorgio  zu  beginnen,  in  jener  Anlage,  die,  später  besser 
befestigt ,  noch  bis  auf  unsere  Zeit  fortdauert ;  mit  wunderbarer 
Geschwindigkeit  schloss  er  durch  zur  Arbeit  kommandirte  Bauern 
den  Hügel  mit  Wällen  ab,  deren  äussere  Schale  er  mit  rohen  Back- 
steinen aus  gestampftem  Thon,  mit  gehacktem  Werg  gemischt"  — 
man  sieht :  er  wendet  hier  seine  Erfahrungen  als  Bildner  von 
grossen  Thonmodellen  an  —  ,, bekleidete  und  die  er  innen  immer 
aus  Erde  und  Reisig  machte.  Alle  Gebäude  ausserhalb  der  Stadt 
wurden  zerstört ;  und  so  bereitete  sich  die  Stadt,  die  in  den  Jahren 
1527  und  1528  eine  grosse  Pest  durchgemacht,  auf  einen  sehr 
grossen  und  gefährlichen  Krieg  vor.  Von  Einigen  ist  es  Michel- 
angelo als  Fehler  vorgeworfen  worden,  dass  er  so  viele  Ecken  und 
Schiessscharten  in  seinen  Schutzwehren  gemacht,  was  er  doch,  von 
den  Bedingungen  der  Örtlichkeit  genöthigt,  gethan :  aber  ob  dies 
ein  Fehler  war,  und  was  grössere  Gefahr  mit  sich  bringe:  viele 
Ecken  und  viele  Schiessscharten  an  Festungen,  oder  wenige,  wird 
Einer,  der  Kenntnisse  davon  besitzt,  sehr  leicht  beurtheilen  können. 
Was  die  Aufgabe  eines  guten  Baumeisters  ist,  nämlich  den  Grund- 
riss  gut  anzulegen  und  die  Schutzwehren  der  Örtlichkeit  anzupassen, 
das  hat  er,  auch  hierin  der  tüchtigste  von  Allen,  wunderbar  ge- 
than. Zu  erkennen ,  von  welcher  Seite  aus  die  Schutzwehren  an- 
gegriffen oder  wie  vertheidigt  werden  können,  und  welche  Wirkung 
in  ihnen  die  Ecken  und  die  Schiessscharten  haben,  das  ist  nicht 
Aufgabe  des  Baumeisters,  sondern  des  praktisch  geschulten,  tüch- 
tigen Soldaten,  der  über  Festungen  nicht  nur  spekulirt,  sondern 
sie  vertheidigt.  Wenn  es  sich  da  um  einen  Fehler  handelte,  so 
beging  ihn  Derjenige,  der  nicht  dafür  sorgte,  ihm  solche  Männer 
zur  Seite  zu  geben.  Aber  was  können  blosse  Kaufleute  denn  vom 
Krieg  verstehen,  der  eben  so  viel  Übung  verlangt,  als  alle  anderen 
Künste  ?  Und  um  so  grössere  Erfahrung,  je  edler  und  gefährlicher 
dies  Handwerk  ist!" 


lA^  Die  Bauten  in  Florenz 


War  Bottari  richtig  unterrichtet,  so  hat  Vauban,  der  Michel- 
angelos Befestigungen  zum  Gegenstand  von  Studien  machte,  diesem 
wackeren  Anwalt  des  Meisters  Recht  gegeben. 

Die  in  der  Casa  Buonarroti  befindlichen  Zeichnungen  in  lavirter 
Feder  und  in  Röthel  für  die  Befestigungen,  die  uns  Michelangelo 
nicht  allein  bei  S.  Miniato,  sondern  auch  an  anderen  Seiten  der 
Stadt  thätig  zeigen,  sind  von  Gotti  (II,  S.  185  ff.)  verzeichnet  worden. 
Ich  führe  sie  nach  der  Ziffernfolge  der  Aufstellung  an.  Es  handelt 
sich  durchweg  um  Bastionen. 

I.  XXV,  13.  Thode  178.  Lavirte  Feder.  Grundriss  von  Ba- 
stionen. In  Röthel  die  Geschossrichtungen  angegeben.  Notizen: 
Porticciola  —  fossa  che  mette  drento :  bastioni  —  fosso  — 
fosso  dove  oggi  e  mugnione  —  porta  al  prato  —  mura  della 
terra  —  prato  d'ognisanti  —  arno  —  Mugnione  fuor  del  lecto 
suo  —  argina.  Verso:  Studien.  Notizen:  Arno  —  al  canto 
del  prato  —  pleno. 

II.  XXVI,  17.  Thode  179.  Federskizzen.  Rückseite  ähnliche 
Skizzen.  Notizen :  dua  bambini  ducati  24  —  tre  uomini 
ducati  72  —  dua  fante  ducati  48  —  una  fanciulla  ducati  25  — 
in  coraune  ducati  50  —  mio  padre  ducati  20  —  Antonio 
ducati  20  —  Interessante  Notizen:  vertheilt  er  zur  Aufbewah- 
rung sein  baares  Geld.^"  Der  Antonio  ist  offenbar  sein  Ge- 
hülfe Mini.  —  Anderes  nur  fragmentarisch:  dodici  grossoni 
e  cinque  .  .  .  ö  prestato  a  Francesco  inge  .  .  .  Antonio  alla 
fanta.?  oggi  .  .  .  di  settembre   15 18  (1528.?). 

III.  XXVI,   18.     Thode   180.     Bastion.     Ohne  schriftliche  Notizen. 

IV.  XXVII,  19.  Thode  181.  Befestigung  bei  der  Porta  alla 
Giustizia  zur  Seite  der  Porta  di  S.  Niccolö.  Notizen:  Arno  — 
muro  d'arno  —  tempio  —  peschaja  d'arno  —  le  mura  vecchie  — 
el  sodo  della  terra  —  fossi.  —  la  porta  alla  justitia. 

V.  XXVII,  20.  Thode  182.  Notizen:  fosso  —  terra.  Verso: 
anderes  Projekt.     Notizen:  venti. 

VI.  XXX,    21.      Thode    183.      Befestigungen    von    einem    Thore. 
Notizen:    nota    sotterra    —    in    sul    fondo    della    —    disotto 
porta. 
VII.  XXX,  22.    Thode  184.    Bastionen.    Notizen:  porta  —  fossi  — 

ponte.  Verso:  Studien  für  dieselbe  Bastion. 
VIII.  XXXI,  27.  Thode  67.  Grosse  Zeichnung.  Mehrere  Bastionen. 
Notizen:  fosso  —  muro  di  sotto  —  terra  all'altezza  de'  fossi 
sottile  -j-  per  consumare  altri  -{-  all'altezza  de'fossi  -[-  sottile 
perche  non  puo  essere  bactuto.  Darunter  Studie  eines  Mannes. 
Verso :  über  den  Studien  zweier  Männer  (Sklaven)  und  einer 
Historie  ein  Bollwerk.     Notiz:  terra  (S.   oben  I,  S.  158). 


Der  Entwurf  für  die  Rialtobrücke  in  Venedig  149 

IX.  XXXII,  28.    Thode  185.    Bastion  bei  einem  „fosso".    Verso  : 
el  bastione  —  porta  —  fosso  —  strada,  ora  — 

X.  XXXII,  29.     Thode   186.     Skizzen. 
XI.  XXXII,  30.     Thode   187.     Skizzen. 

XII.  XLIX,  14.  Thode  188.  Grosse  Zeichnung.  Befestigung  der 
Porta  al  prato.  Richtungen  der  Geschosse  mit  Röthel  an- 
gegeben. Notizen :  fosso  —  terra  —  le  mura  della  cittä  — 
la  pianta  —  Mugnione.  —  Porta  al  prato.  Maassstab  von 
braccia  dieci. 

XIII.  L,  25.     Thode  189.     Ohne  Bezeichnung. 

XIV.  L,  26.     Thode   190.     Ebenso. 

XV.  LI,  23.  Thode  191.  Notizen:  volta  tanto  disotto  quanto 
disoprä  —  ponte  —  terra  —  fosso. 

XVI.  LI,  24.     Thode  192.     Ohne  Bezeichnung. 

XVII.  LH,  15.  Thode  193.  Grosse  Zeichnung.  Notizen:  Arno  — 
prato  d'ognisanti  —  mugnione. 

XVIII.  LIII,  16.  Thode  194.  Mehrere  Bastionen.  Notizen:  Mug- 
none  —  fosso  —  fosso  fatto  —  bastione  —  porticciola  — 
e  bastioni  non  facti. 

XIX.  LVII,  II.  Thode  195.  Mauerbefestigung.  Notizen:  Trecento 
40  al  mezzo  della  torre.  Dalla  torre  del  miracolo  insino  al 
bastione  di  San  Piero  Gattolini  duemila  novecento  cinquanta. 
Die  Porta  S.  Piero  ist  die  heutige  Porta  Romana. 

(XX.)  LVII,  12.  Thode  196.  Der  Schrift  nach  nicht  von  Michel- 
angelo. Gotti  meint:  vielleicht  von  Antonio  da  San  Gallo. 
Befestigungen  bei  San  Gallo.  Notizen:  la  via  nova  in  via  de 
San  Gallo  —  la  via  nuova  lunga  le  mura  —  lungho  delle 
mura. 

XV 

Der  Entwurf  für  die  Rialtobrücke  in  Venedig 

Condivi  sagt :  er  machte  die  Zeichnung  einer  Brücke  über  den 
Canal  grande  von  Venedig  in  neuer  und  noch  nie  gesehener  Form 
und  Art;  Vasari,  offenbar  Condivi  folgend:  ,,man  sagt,  dass  er 
damals  (1529),  auf  Bitten  des  Dogen  Griti,  für  Venedig  eine  Zeich- 
nung der  Rialtobrücke  machte,  eine  Zeichnung  von  seltenster  Er- 
findung und  künstlerischer  Wirkung." 

Ich  bemerkte  schon  in  den  Annalen  meines  Werkes,  dass  im 
Jahre  1529  Pietro  Lando  Doge  war.  Andrea  Gritti  ist  1528  ge- 
storben. Condivi  erwähnt  den  Dogen  nicht  und  auch  nicht,  dass 
der  Auftrag  an  den  Meister  gelegentlich  seines  Aufenthaltes  in 
Venedig  ergangen  sei.    Wohl  aber  nennt  Varchi  in  seiner  Leichen- 


I  CO    Die  Bauten  in  Florenz :  Der  Entwurf  für  die  Rialtobrücke  in  Venedig 

rede  unter  den  Freunden  des  Meisters  Andrea  Gritti.  Vasaris  An- 
gabe wird  also  eine  Kombination  von  Condivis  und  Varchis  Aus- 
sagen sein ;  und  wir  werden  anzunehmen  haben,  dass  in  der  That 
nicht  während  seines  Aufenthaltes  in  Venedig,  sondern  früher  durch 
Andrea  Gritti  an  ihn  die  Aufforderung  ergangen  ist,  einen  Entwurf 
für  den  Ponte  di  Rialto  anzufertigen. 

Weiteres  wissen  wir  über  diesen  nicht;  und  auch  meine  Be- 
mühungen, irgend  welche  Nachrichten  in  Venedig  zu  entdecken, 
blieben  resultatlos. 


VIII 

DIE  BAUTEN  IN  ROM 


A.  Kirchliche  Bauten 

I 
S.  Peter 


Nachrichten  über  Michelangelos  Thätigkeit 

Trotz  seiner  Weigerung,  eine  so  grosse  Aufgabe  zu  übernehmen, 
wurde  der  Meister  nach  dem  Tode  Antonio  da  San  Gallos  dazu 
vom  Papst  Paul  III.  gezwungen.  Er  verurtheilte  das  Modell  Antonios 
und  verfertigte  selbst  im  Jahre  1546  in  vierzehn  Tagen  eines,  dessen 
Kosten  sich  auf  25  Skudi  beliefen  (Vasari).  Daraufhin  wurde  er 
am  I.Januar  1547  (oder  nach  dem  von  Steinmann  und  Pogatscher 
S.  400  publizirten  Text  des  Breves  erst  am  5.  Oktober  1549.^)  durch 
ein  Breve  mit  vollster  Machtbefugniss  als  Bauleiter  von  S.  Pietro 
bestellt.  Er  darf,  wie  es  ihm  gut  scheint,  das  Bestehende  zerstören, 
verändern,  verbessern,  erweitern  oder  beschränken  und  hat  die  freie 
Bestimmung  in  Wahl  und  Anstellung  aller  Arbeiter,  Meister  und 
Vorgesetzten.  Neid  und  Feindschaft  der  Anhänger  San  Gallos  streut 
Verleumdungen  aus.  Nanni  di  Baccio  Bigio  macht  in  Florenz  das 
Modell  schlecht.  Die  Annahme  von  Steinmann  und  Pogatscher, 
dass  in  dem  Breve  von  einem  zweiten  Modell  die  Rede  sei,  das 
Michelangelo  1549  gemacht,  scheint  mir  irrig.  Das  ,,neue"  bezieht 
sich  in  dem  Dokument  nicht  auf  ein  neues  Modell,  sondern  eben 
auf  den  neuen  Entwurf,  den  Michelangelo  an  die  Stelle  des  alten 
von  San  Gallo  gesetzt.  Hierin  also  wäre  kein  Argument  für  die 
Ansetzung  des  Breves  ins  Jahr  1 549  zu  finden !  Im  Juli  bittet 
Michelangelo  seinen  Neffen ,  ihm  durch  Fattucci  die  Maasse  der 
Kuppel  von  S.  Maria  del  Fiore :  die  gesamte  Höhe  vom  Fussboden 
bis  zum  Ansatz  der  Laterne  und  die  Höhe  der  Laterne,  zu  ver- 
schaffen.    Über  seinen  Plan  berichtet  Vasari: 

„Er  fand,  dass  die  vier  von  Bramante  gemachten  und  von  An- 
tonio   unverändert    gelassenen    Hauptpfeiler,    welche    die    Last   der 


154 


Die  Bauten  in  Rom 


Kuppel  zu  tragen  hatten,  schwach  waren;  so  füllte  er  (den  inneren) 
Theil  aus  und  legte  seitwärts  zwei  schrauben-  oder  schneckenförmige 
eben  ansteigende  Treppen  an,  auf  denen  die  Lastthiere  alles  Material 
bis  oben  hinauf  tragen  und  auch  Leute  zu  Pferde  bis  zur  Höhe 
des  Bogenansatzes  reiten  können.  Er  bildete  aus  Travertin  das 
erste  runde  Gesims  über  den  Bögen,  das,  wunderbar  anmuthig,  von 
allen  anderen  abweicht  und  nicht  besser  in  seiner  Art  gemacht 
werden  könnte.  Er  begann  die  zwei  grossen  Nischen  des  Quer- 
schiffes und  dort,  wo  nach  dem  Campo  santo  zu,  von  Bramante, 
Baldassare  und  Raphael  acht  Tabernakel  angeordnet  wurden,  die 
auch  San  Gallo  in  seinen  Plan  aufnahm,  begnügte  sich  Michelangelo 
mit  dreien  und  drei  Kapellen;  und  wölbte  sie  mit  Travertin  ein  und 
gab  ihnen  lichtreiche  Fenster  von  verschiedener  Form  und  gewaltiger 
Grösse;  ich  brauche  sie,  wie  auch  die  von  San  Gallo,  da  man  sie 
sieht  und  sie  im  Stich  herausgegeben  wurden,  es  also  unnöthig 
wäre,  nicht  zu  beschreiben.  Genug,  mit  aller  Genauigkeit  Hess  er 
überall  dort  arbeiten,  wo  der  Bau  im  Hinblick  auf  grösste  Festig- 
keit verändert  werden  musste,  so  dass  er  niemals  mehr  von  Anderen 
verändert  werden  könnte." 

Bis  1551  vernehmen  wir  Nichts  von  dem  Bau,  ausser  was  den 
von  Michelangelo  zurückgewiesenen  Plan,  das  Grabmal  Pauls  in. 
unter  dem  ersten  Bogen  der  Kuppel  anzubringen,  betrifft.  Anfang 
1551  muss  er  sich  vor  dem  Papst  und  einer  Versammlung  der 
Deputati  am  Bau  wegen  eines  Vorwurfes  rechtfertigen,  den 
die  Feinde  äussern :  er  versehe  die  Kirche  nicht  mit  genügend 
Licht,  denn  in  der  Königsnische,  wo  die  drei  Kapellen  seien,  habe 
er  nur  drei  obere  Fenster  angebracht.  Michelangelo  erwiderte:  er 
beabsichtige  in  der  Wölbung,  die  er  aus  Travertin  machen  werde, 
drei  weitere  Fenster  anzubringen.  Am  23.  Januar  1552  bestätigt 
Julius  III.  das  Breve  Pauls  III.  Die  nächste  Nachricht  vom  li.  Mai 
1555  berichtet,  dass  er  bald  so  weit  sei,  an  die  Wölbung  der  Kuppel 
zu  gehen. 

In  demselben  Jahre  schreibt  er  an  Ammanati  den  berühmten 
Brief,  in  dem  er  Bramantes  Projekt  rühmt  und  das  Antonio  San 
Gallos  verurtheilt- 

„Man  kann  nicht  leugnen,  dass  Bramante  in  der  Architektur 
so  bedeutend  war  wie  kein  Anderer  seit  der  Antike.  Er  entwarf 
den  ersten  Plan  von  S.  Pietro,  frei  von  jeder  Verwirrung,  klar  und 
einfach,  licht  und  ringsum  isolirt,  so  dass  er  in  keiner  Weise  dem 
Palast  (des  Vatikan)  Schaden  that,  und  er  wurde  für  ein  schönes 
Werk  gehalten,  wie  auch  heute  noch  offenkundig  ist,  so  dass  Jeder, 
der  sich  von  besagtem  Gedanken  Bramantes  entfernt  hat,  wie  z.  B. 
San  Gallo,  sich  von  der  Wahrheit  entfernt  hat.  Und  dass  es  so 
ist,    kann  Jeder,    dem  die  Leidenschaft  nicht  die  Augen  trübt,    an 


S.  Peter  155 

seinem  Modell  sehen.  Denn  erstlich  nimmt  er  mit  jenem  Umgang 
aussen  dem  Bau  Bramantes  alles  Licht ;  aber  nicht  allein  dies,  auch 
für  seinen  eigenen  hat  er  keines ;  und  dann  so  viele  dunkle  Schlupf- 
winkel oben  und  unten,  die  es  endlosen  Schurkereien  sehr  bequem 
machen ,  als  da  sind :  heimlicher  Aufenthalt  Verbannter ,  Falsch- 
münzerei ,  Schwängern  von  Nonnen  und  Anderes ;  da  würde  man 
Abends,  wenn  die  Kirche  geschlossen  wird,  25  Leute  noth wendig 
haben,  um  die  sich  Versteckenden  zu  suchen  und  alle  Mühe 
haben,  sie  zu  finden.  Auch  wäre  da  noch  dieser  andere  Übelstand, 
dass,  wenn  man  den  Umgang,  den  das  Modell  Bramantes  Kom- 
position hinzufügt ,  ausführte ,  man  gezwungen  wäre ,  die  Kapelle 
Pauls,  die  Stanza  del  Piombo ,  die  Ruota  und  viele  andere  Räume 
niederzureissen;  selbst  die  Sixtinische  Kapelle,  glaube  ich,  würde  nicht 
unberührt  bleiben.  Was  die  Behauptung  betrifft,  dass  dieser  äussere 
Umgang  100 000  Skudi  kostete,  so  ist  das  nicht  wahr,  denn  mit 
10 000  könnte  man  ihn  machen,  und  es  ginge  wenig  verloren,  wenn 
man  ihn  zerstörte ,  denn  die  Steine ,  die  zu  den  Fundamenten  an- 
gewandt wurden ,  könnten  nicht  gelegener  kommen  und  der  Bau 
würde  um  200 ooo  Skudi  billiger  und  300  Jahre  früher  fertig  werden. 
Da  habt  Ihr  meine  Meinung  und  ohne  Leidenschaft;  siegten  sie, 
hiesse  dies  für  mich  grösster  Verlust.  Und  könnt  Ihr  den  Papst 
dies  wissen  lassen,  so  thut  Ihr  mir  einen  Gefallen,  denn  ich  fühle 
mich  nicht  wohl.  —  Euer  M.  —  Hält  man  sich  an  San  Gallos 
Modell,  so  folgt  auch  dies  noch :  dass  nämlich  Alles,  was  zu  meinen 
Zeiten  gemacht  worden  ist,  niedergerissen  wird,  was  allergrösster 
Schaden  wäre." 

Man  sieht  aus  diesem  Schreiben,  dass  die  Gegner  wieder  Alles 
daran  setzten,  San  Gallos  Projekten  zum  Siege  zu  verhelfen.  Es 
spielen  damals  wohl  auch  Pirro  Ligorios  Intriguen. 

Dann  hören  wir  zunächst  am  13.  Februar  1557  wieder  Etwas 
von  dem  Bau.  Er  bittet  den  Herzog  Cosimo,  ihn  in  Rom  zu  lassen: 
„denn  würde  mir  die  Komposition  dieses  Baues  verändert,  wie  es 
der  Neid  zu  thun  versucht,  so  würde  es  mir  vorkommen,  als  hätte 
ich  bis  zu  dieser  Stunde  überhaupt  noch  Nichts  gethan."  Damals, 
vielleicht  schon  länger,  scheint  aus  Mangel  an  Geld  eine  Stockung 
in  die  Thätigkeit  gekommen  zu  sein.  ,,Dass  der  Bau  eingestellt 
wäre,  ist  nicht  wahr,  denn,  wie  man  sieht,  arbeiten  noch  60  Leute : 
Steinmetzen,  Maurer  und  Handlanger  dort;  und  es  ist  Hoffnung, 
dass  fortgefahren  werden  kann."  Am  8.  Mai  schreibt  Vasari:  ,,von 
Vielen,  die  von  Rom  kommen,  vernahm  ich,  dass  der  Bau  von 
S.  Peter  fast  stille  steht."  Auf  solche  Nachrichten  hin ,  die  vor- 
nehmlich Bastiano  Malenotti  verbreitet  hatte,  setzte  Cosimo  eben 
Alles  daran,  den  Künstler  wieder  für  sich  zu  gewinnen.  Anfang 
des  Jahres  versuchen  unter  diesen  Umständen  der  Kardinal  vonCarpi, 


156  Die  Bauten  in  Rom 


Donato  Giannotti,  Francesco  Bandini,  Tommaso  Cavalieri  und  Giov. 
Francesco  Lottini  ihn  zu  bewegen,  ein  Holzmodell  der  Kuppel  an- 
zufertigen. ,,Dazu  kommt,  dass  ich  gezwungen  bin,  ein  grosses 
Holzmodell  der  Kuppel  und  Laterne  anzufertigen,  um  damit  die 
Bestimmung  zu  hinterlassen,  in  welcher  Weise  der  Bau  ganz  voll- 
endet werden  soll ;  und  ganz  Rom  bittet  mich  hierum,  insonderheit 
aber  der  Ehrwürdigste  Kardinal  von  Carpi :  so  glaube  ich,  dass  ich, 
um  dieses  Nöthige  zu  erledigen ,  nicht  weniger  als  ein  Jahr  noch 
hier  bleiben  muss."  (13.  Februar.)  Er  scheint  sich  erst  1558  dazu 
entschlossen  zu  haben  und  hat  dann  bis  1 560  an  diesem  Modell 
gearbeitet. 

Vasari  berichtet  darüber:  ,,es  war  so  weit  gekommen  (1557), 
dass  Michelangelo,  welcher  sah,  dass  im  Peter  es  wenig  vorwärts 
ging,  nachdem  schon  ein  grosser  Theil  des  Frieses  über  den  Fenstern 
im  Innern  und  den  Doppelsäulen  aussen,  die  auf  dem  grossen  runden 
Gesims  (um  den  Tambour)  herum  laufen,  ausgeführt  war,  dass  seine 
besten  Freunde  (die  erwähnten)  ihn  ermahnten  und  drängten,  er 
möchte  doch,  da  er  sehe,  wie  sich  das  Wölben  der  Kuppel  ver- 
zögere, wenigstens  ein  Modell  machen.  Viele  Monate  Hess  er  ver- 
gehen, ohne  sich  zu  entschliessen :  endlich  aber  begann  er  es  und 
fertigte  allmählich  ein  kleines  Thonmodell  an,  nach  dessen  Muster 
er  dann,  mit  Hilfe  der  Grundrisse  und  Profile,  die  er  gezeichnet, 
ein  grösseres  aus  Holz  anfertigen  lassen  konnte.  Nachdem  er  dieses 
angefangen,  liess  er  es  in  wenig  mehr  denn  einem  Jahre  von  Maestro 
Giovanni  Franzese ,  grosse  Mühe  und  Sorgfalt  darauf  verwendend, 
ausführen.  Und  er  machte  es  in  solcher  Grösse,  dass  die  kleinen 
Maasse  und  Verhältnisse,  auf  den  antiken  römischen  Palmo  be- 
rechnet, im  grossen  Werke  mit  vollkommener  Treue  wiederkehrten; 
denn  mit  Sorgfalt  führte  er  alle  Glieder  von  Säulen,  Basen,  Kapi- 
talen, Thüren,  Fenstern,  Gesimsen  und  Vorsprüngen  aus,  wissend, 
dass  man  für  ein  solches  Werk  nicht  weniger  thun  dürfe,  damit 
unter  den  Christen,  ja  in  der  ganzen  Welt  sich  kein  Bau,  herrUcher 
geschmückt  und  grösser  als  dieser,  finde."  Vasari  giebt  dann,  um 
der  Zukunft  keinen  Zweifel  über  die  Intentionen  des  Meisters  zu 
lassen,  falls  das  Modell  nicht  erhalten  bliebe,  eine  genaue  Be- 
schreibung desselben. 

In  eben  jenem  Frühjahr  1557  hatte  der  greise  Meister  ärger- 
liche Erfahrungen  zu  machen.  Es  war  ein  Fehler  bei  dem  Bau 
der  Kapelle  des  Königs  von  Frankreich  d.  h.  der  südlichen  Tribuna 
geschehen.  ,,Ich  habe  mehr  Mühe  und  Ärger  mit  dem  Bau,"  schreibt 
er  an  Herzog  Cosimo  (Ende  Mai),  ,,denn  je :  bei  der  Wölbung  der 
Kapelle  des  Königs  von  Frankreich,  die  sehr  kunstreich  ist  und 
bisher  nicht  angewandt  wurde,  entstand,  weil  ich  alt  bin  und  nicht 
oft  genug  hingehen  kann,  ein  Fehler,  der  mich  zwingt,  zum  grossen 


S.  Peter  157 

Theil  das,  was  schon  gemacht  war,  wieder  zu  zerstören.  Und  was 
das  für  eine  Kapelle  ist,  kann  Bastiane  da  San  Gimignano  be- 
richten, der  hier  Oberaufseher  war,  auch  von  welcher  Bedeutung 
sie  für  den  ganzen  übrigen  Bau  ist.  Und  wenn  der  Fehler  gut 
gemacht,  so  wird  die  Kapelle,  glaube  ich,  bis  Ende  des  Sommers 
vollendet  werden  können:  und  mir  bleibt  dann  Nichts  weiter  zu 
thun  übrig,  als  das  Modell  des  Ganzen  hier  zu  lassen  —  —  und 
nach  Florenz  zurückzukehren." 

An  Vasari  schreibt  er  zu  gleicher  Zeit:  ,, hätte  man  fortgefahren 
an  dem  Bau  zu  arbeiten,  wie  im  Anfang,  so  wäre  ich  jetzt  so  weit 
mit  ihm ,  wie  ich  gewünscht ,  um  nach  Florenz  zurückzukehren : 
aber  die  Bauthätigkeit  hat  sich,  in  Folge  nachlassender  Arbeit,  ver- 
langsamt, und  zwar  verlangsamt  sie  sich  im  Augenblick,  da  der 
mühsamste  und  schwierigste  Theil  der  Arbeit  beginnt ;  so  dass, 
wenn  ich  sie  jetzt  aufgeben  würde,  dies  hiesse,  zu  meiner  grössten 
Schande,  den  Lohn  aller  m.einer  Mühen,  die  ich  aus  Liebe  zu  Gott 
zehn  Jahre  lang  erduldet,  aufgeben.  —  —  (Ginge  ich  fort),  so 
geschähe  dies  gewissen  Dieben  sehr  zu  Gefallen,  und  ich  würde 
die  Ursache  des  Ruins  des  Baues ,  ja  dieser  würde  vielleicht  für 
immer  eingestellt." 

Am  I.  Juli  drückt  er  sich  ähnlich  Lionardo  gegenüber  aus:  ,,da 
es  an  Geld  und  Leuten  fehlte,  gelang  es  mir  noch  nicht,  so  weit 
zu  kommen"  (dass  an  dem  Plan  des  Baues  Nichts  mehr  verdorben 
oder  verändert  werden  kann),  und  sendet  Vasari  eine  nähere  Mit- 
theilung über  das  in  der  Kapelle  geschehene  Versehen,  das  durch 
eine  Zeichnung  und  am  17.  August  noch  durch  weitere  Angaben 
erläutert  wird.  Der  Fehler,  der  geschah,  obgleich  Michelangelo  wie 
für  Alles,  so  auch  hierfür  ein  Modell  gemacht,  lag  an  einem  un- 
geeigneten Gerüst,  und  die  Wölbung,  die,  aus  Travertin  gebildet, 
bis  zur  Höhe  der  oberen  Rundung  gelangt  war,  musste  wieder 
abgetragen  werden.  Auch  im  Septemt)er  klagte  er  über  die  Nach- 
lässigkeit oder  Böswilligkeit  der  capomaestri;  und  ein  Zeugniss 
der  fortwährenden  kleinen  Verdriesslichkeiten  liegt  in  einem  Briefe 
eines  Arbeiters  Cristoforo  Marsili  (28.  März   1558)  vor. 

In  den  Jahren  1558  und  1559  arbeitet  er  am  Modell,  das  zu 
vollenden  er  noch  viele,  viele  Monate  brauchen  wird,  schreibt  Lottini 
am  7.  Juli  1559  an  Cosimo.  Sonst  erfahren  wir  nichts  Näheres  über 
die  Fortschritte  des  Baues ;  der  Meister,  von  Alter  beschwert,  kann 
ihn  nur  selten  noch  besuchen.  Im  Dezember  1559  bestätigt  Pius  IV. 
ihn  als  Leiter  des  Baues.  Auf  die  Nachricht  hin,  der  Kardinal  von 
Carpi  habe  geäussert,  es  könne  nicht  schlechter  um  den  Bau  stehen, 
als  es  stehe,  antwortet  er  am  13.  September  1560:  ,,ich  glaube, 
wenn  ich  mich  nicht  täusche,  in  Wahrheit  versichern  zu  können, 
dass  die  Arbeit,  wie  sie  augenblicklich  betrieben  wird,  nicht  besser 


158 


Die  Bauten  in  Rom 


sein  könnte."  Da  aber  sein  eigenes  Interesse  und  sein  Altern  ihn 
täuschen  und  hieraus  Schaden  für  den  Bau  entstehen  könnte,  bittet 
er,  ihn  von  der  Last  dieser  Aufgabe,  die  er  17  Jahre  getragen, 
zu  befreien. 

In  den  zwei  folgenden  Jahren  spielen  zunehmende  Intriguen 
seitens  Nannis  di  Baccio  Bigio,  welcher  i  562  so  weit  geht,  Cosimos 
Interesse  für  seine  eigene  Beförderung  zum  Leiter  des  Baues  zu 
erbitten.  Im  August  1 563  kommt  es  zum  offenen  Konflikt.  Die 
Deputati,  welche  die  Parthei  Nannis  ergreifen,  jagen  Michelangelos 
Werkmeister  Pierluigi  Gaeta  fort  und  wollen  diesen  Posten  Nanni 
übergeben.  Darüber  empört,  will  Michelangelo  nicht  mehr  nach 
S.  Feter  kommen.  Einer  der  Deputati,  der  Bischof  Ferratino,  sagt 
dem  Kardinal  Carpi,  Michelangelo  habe  geäussert,  er  wolle  sich  nicht 
mehr  um  den  Bau  bekümmern.  Der  Meister  sendet  Daniele  da 
Volterra  zum  Bischof  mit  der  Botschaft,  es  sei  nicht  wahr.  Der 
Bischof  beklagt  sich ,  dass  Michelangelo  seinen  Bauplan  nicht  mit- 
theile und  meint,  es  sei  Zeit,  dass  er  einen  Stellvertreter  bestelle. 
Ferratino  schlägt  Daniele  vor.  Damit  ist  Michelangelo  einverstanden. 
Ferratino  beruft  die  Deputati  und  stellt  ihnen  als  Stellvertreter  des 
Meisters  nicht  Daniele,  sondern  Nanni  vor,  der  auch  sogleich  An- 
ordnungen für  den  Bau  giebt.  Daraufliin  sucht  Michelangelo  sofort 
den  Papst  auf,  den  er  auf  dem  Kapitol  findet,  beschwert  sich  und 
sagt,  er  verlasse  Rom  und  gehe  nach  Florenz.  Der  Papst  beruft  eine 
Versammlung  der  Deputati,  der  Michelangelo  beiwohnt.  Diese 
erklären,  der  Bau  sei  in  Gefahr  und  es  würden  Fehler  begangen. 
Pius,  welcher  diese  Lüge  durchschaut,  sendet  als  Bevollmächtigten 
Gabrio  Scierbellone  nach  S.  Peter,  dem  Nanni  die  Fehler  zeigen 
soll.  Gabrio  sieht,  dass  es  Alles  nur  Bosheit  ist,  und  Nanni,  dem 
der  Papst  seine  Unfähigkeit  vorwirft,  wird  mit  Schande  fortgejagt. 
Provisionszahlungen  an  Michelangelo  für  Gaeta  am  20.  August, 
27.  November  und  24.  Dezember  beweisen  den  Sieg. 

Dies  ist  das  Letzte,  was  wir  vernehmen.  Über  die  Vorgänge 
nach  Michelangelos  Tode  giebt  uns  Vasari  kurzen  Bericht.  Pius  IV. 
befahl  den  Deputati,  Nichts  an  dem  zu  ändern,  was  Michelangelo 
angeordnet,  und  in  gleichem  Sinne  erUess  Pius  V.  seine  Befehle  an 
die  zwei  Architekten,  die  des  Meisters  Nachfolger  wurden,  nicht 
Nanni,  der  eine  Supplik  einreichte  (Repert.  f  Kunst,  1879,  II,  419), 
sondern  Pirro  Ligorio  und  Vignola.  Als  Pirro,  mit  25  Dukaten  monat- 
lich angestellt,  anmaassliche  Veränderungen  vornehmen  wollte,  wurde 
er  seiner  Stellung  entsetzt,  und  Vignola  wurde  allein  Leiter  des 
Baues,  nachdem  Galeazzo  Alessi  eine  Berufung  abgelehnt  (Redten- 
bacher:  Die  Arch.  der  ital.  Ren.  S.  245).  Als  Vasari  1565  und  1566 
beim  Papste  ist,  ist  das  gewissenhafte  Festhalten  an  Michelangelos 
Plan    Gegenstand    ihrer   Gespräche.     Der  Papst   weist   ihn   an    den 


S.  Peter 


159 


Bischof  Ferratino,  der  Vasari  auf  einen  Vortrag  hin  verspricht,  nach 
den  hinterlassenen  Anweisungen  und  Zeichnungen  den  Bau  fortführen 
zu  lassen  und  ,,ein  Beschützer,  Vertheidiger  und  Erhalter  der  Be- 
mühungen eines  so  grossen  Mannes  zu  sein".  —  Auf  Vignola  (f  1573) 
folgte  Giacomo  della  Porta,  der  in  den  Jahren  (15.  Juli)  1588  bis 
(14.  Mai)  1590  mit  Domenico  Fontana  die  Kuppel  nach  Michel- 
angelos Modell  bis  zur  Laterne  ausführte;  die  Laterne  mit  der  Palla 
und  dem  Kreuz,  sowie  die  äusseren  Bleiverkleidungen  waren  Ende 
Dezember  1590  durch  Fontana  vollendet.  Schon  vorher,  nämlich 
1585,  in  welchem  Jahre  der  alte  provisorische  Bau  Bramantes  nieder- 
gerissen wurde,  ist  die  Haupttribuna  begonnen  und  vermuthlich 
bis  1588  vollendet  worden.  Giacomo  Hess  unter  Clemens  VIII. 
(1592 — 1605)  die  Kuppel  mit  Mosaiken  schmücken,  die  Wölbungen 
mit  Stuck  verzieren  und  das  Marmorpaviment  ausführen;  auch  baute 
er  die  Kapellen  Gregoriana  und  Clementina  —  d.  h.  die  östlichen 
Eckräume  der  Zentralanlage  mit  Kuppeln ,  entsprechend  Michel- 
angelos Plan.  Mit  Carlo  Maderna  1605  trat  dann  dessen  Verände- 
rung durch  die  Hinzufügung  des  dreijochigen  Längsschiffes  mit 
seiner  Fassade  ein. 

Die  Kosten  des  Baues  waren  folgende:  Vom  I.Januar  1547 
bis  8.  Mai  1551:  Dukaten  121,  554,  16.  Vom  8.  Mai  1551  bis 
19.  April  1555:  Dukaten  62,  911.  Vom  19.  April  1555  bis  6.  Juni 
1561:  105,  115,  12.  Vom  6.  Juni  1561  bis  6.  September  1571: 
Dukaten   147,  778,  82. 

Zusammenfassendes: 

Auf  Grund  eines  1546  angefertigten  Modelles  beginnt  Michel- 
angelo am  I.  Januar  1547  die  Arbeit,  die  in  den  ersten  Jahren  eine 
eifrige  ist.  Ein  Theil  derselben  besteht  in  der  Verstärkung  der 
Bramante'schen  Kuppelpfeiler,  die  mit  ihren  Bögen  bereits  in  die 
Luft  ragten,  durch  Ausfüllung,  womit  die  Anlage  von  Treppen  im 
Innern  im  Zusammenhang  steht,  ein  anderer  in  der  Gestaltung  der 
Chortheile  und  in  den  Apsiden  des  Querschiffes.  Anfang  1551  ist 
die  südliche  Tribuna,  die  Kapelle  des  Königs  von  Frankreich,  bis 
zur  Höhe  des  Kuppelansatzes  aufgemauert.  Bis  zum  Frühjahr  1555 
muss  er  mit  dem  Tambour  der  Kuppel  schon  weit  vorgeschritten 
sein,  da  er  ,,bald  so  weit  ist,  an  die  Wölbung  der  Kuppel  zu 
gehen".  Damals  und  in  den  folgenden  Jahren  aber  rückt,  wie 
auch  die  Ausgaben  erweisen,  die  Arbeit  nicht  so  schnell  vorwärts. 
Anfang  1557  droht  sie  überhaupt  eingestellt  zu  werden,  und  in 
Folge  dessen  taucht  der  Gedanke  eines  genauen  Modells  auf  Der 
Tambour  nähert  sich  seiner  Vollendung  (Fries  über  den  Fenstern, 
Doppelsäulen  zum  grossen  Theil  ausgeführt).  Die  Wölbung  der 
Kapelle  des  Königs  von  Frankreich  ist  fast  fertig,  muss  aber  wieder 


l5o  Die  Bauten  in  Rom 


abgetragen  werden ;  die  neue  Wölbung  ist  vermuthlich  nicht  vor 
Frühjahr  1558  vollendet.  Bis  1560  scheint  die  Arbeit  nicht  grosse 
Fortschritte  zu  machen,  will  man  dem  Kardinal  von  Carpi  Glauben 
schenken ;  die  ausgegebenen  Summen  sprechen  aber  doch  für 
stärkeren  Betrieb.  Der  Meister  selbst  ist  bis  1 560  mit  dem  Modell 
beschäftigt.  Von  1560  bis  1564  gar  keine  Nachrichten  über  die 
Fortschritte  des  Baues. 

Dies  ist  sehr  spärliche  Kunde.  Was  war  fertig,  als  der  Meister 
starb?  Bestimmt  wissen  wir  nur,  dass  der  Mittelbau  im  Wesent- 
lichen bis  zum  Ansatz  der  Kuppel  gediehen,  also  der  Tambour  so 
gut  wie  vollendet  war.  Wie  weit  die  beiden  Seitenkapellen  der 
Chortribuna  gekommen  waren,  ist  ungewiss.  Jene  Hauptapsis  aber 
ist  nach  v.  GeymüUers  Nachweisen,  dass  der  von  Bramante 
provisorisch  errichtete  Chor  erst  1585  beseitigt  wurde,  noch  nicht 
erbaut  gewesen.  Von  den  Tribünen  des  Querschiffs  ist  die  eine 
von  ihm  in  Travertin  eingewölbt  worden  (Vasari  I,  123),  offenbar 
die  südliche  (des  Königs  von  Frankreich).  Nicht  ausgeführt  waren 
die  Gregorische  und  die  Clementinische  Kapelle. 

Nähere  Bestimmungen  müssen  wir  also  anderen  Zeugnissen : 
Zeichnungen  und  Stichen  entnehmen. 


Zeichnungen  und  Stiche 
A.   Originalstudien. 

Im  Nachlass  des  Meisters  werden  genannt:  der  Grundriss  von 
S.  Peter,  nach  welcher  Zeichnung  vielleicht  Du  Perrac  seinen  Stich 
angefertigt  hat,  und  ein  Fenster  (noch  ein  anderes  Fenster  wird 
genannt,  aber  ohne  Hinzufügung:  für  S.  Peter);  daneben  noch 
Antonio  San  Gallos  Grundriss.  Die  Zahl  der  erhaltenen  Studien 
ist  eine  verschwindend  kleine.  Man  möchte  fast  annehmen,  dass 
der  Meister,  als  er  sein  Modell,  das  bis  ins  Einzelne  seine  Ge- 
danken definitiv  gestaltete,  vollendet,  alle  seine  Skizzen  und  Ent- 
würfe selbst  vernichtet  hat.  Ich  vermag  nur  folgende  Blätter  zu 
nennen. 

I.  Haarlem,  Museum  Teyler.  Thode  264.  v.  Marcuard  Taf.  XVI. 
Ber.  1469.  V.  Geymüller  S.  39.  a)  Querschnitt  der  Kuppel. 
Über  der  Kuppel  nur  eine  Kuppelschale,  auf  welcher  un- 
mittelbar die  Laterne  aufsetzt.  Wie  v.  Geymüller  nachgewiesen 
hat,  entsprechen  die  Verhältnisse  der  zwei  KuppeUinien  fast 
genau  dem  Modell,  nur  fehlt  die  in  diesem  gegebene  zweite 
höhere  Schale.  Wir  haben  also  hier  einen  Entwurf,  in  welchem 
die  Kuppel  noch  nicht  die  bestimmende  äussere  Gestalt  er- 
halten   hat.      Auch    die   Laterne    hat    dementsprechend    noch 


S.  Peter  i6l 

eine  niedrigere  Form;  die  Voluten  unten  und  oben  sind 
bereits  angegeben,  an  Stelle  der  gekuppelten  Säulen  sind  noch 
einfache  angeordnet,  der  obere  Aufsatz  mit  den  Kandelabern 
fehlt,  das  Dach  ist  niedrig  und  konvex.  Diese  niedrige  Form 
der  Laterne  befriedigt  ihn  aber  nicht.  Er  macht  zwei  andere 
Entwürfe  von  höheren  Dimensionen,  b)  Die  Laterne.  Höherer 
Leib,  da  die  Säulen  auf  hohe  Sockel  gestellt  sind;  dazwischen 
hohe  Nischen  mit  Muschelwölbung  und  darüber  kleine  Rund- 
fenster ;  bekrönende  Balustrade  mit  angedeuteten  Kande- 
labern {});  hoch  ansteigendes  konkaves  Dach,  c)  Laterne,  etwas 
niedriger  in  den  Verhältnissen:  jetzt  Doppelsäulen,  zwischen 
welchen  gleiche  Nischen,  wie  in  b.  Auch  hier  Balustrade. 
Annäherung  an  die  Form  des  Modells,  d)  Detail  zu  b :  die 
Säulen  mit  den  hohen  Nischen  dazwischen,  e)  Grundriss : 
Kuppel  und  Laterne  in  zwei  Kreisen  angegeben.  Figuren.  — 
Rückseite :  f)  ein  Stück  Kuppelgrundriss  mit  Angabe  einfacher 
Füllungen.  Figuren.  —  Da  auf  demselben  Blatte  eine  Skizze 
für  die  Porta  Pia  ist,  datirte  v.  Geymüller  es  1559  oder  1560. 
Es  könnte  aber  früher  sein,  da  jene  Studie  nicht  direkt  für 
die  Porta  diente. 
II.  Ebendaselbst,  v.  Marcuard  Taf.  XVIII  a.  Thode  265.  Flüch- 
tiger Entwurf  für  die  Gliederung  der  Laterne :  Säulen  und 
Nischen.  Profil  eines  Gesimses.  —  Entwurf  einer  Figur. 
ni.  Ebendaselbst.  Taf.XVIlIb.  Thode  265.  Wandfüllung:  Grösseres 
Mittelfeld,  schmäleres  Seitenfeld  mit  Nische  und  Füllung  dar- 
über.    Einige  Gesimsprofile. 

IV.  Lille:  Musee  Wicar.  93  (Rückseite  von  91).  Thode  274. 
v.  Geymüller  S.  39.  a)  Aussenansicht  des  Tambours  mit  An- 
gabe der  Kuppel  und  ihrer  Schale  darüber.  Die  Höhen- 
verhältnisse der  Kuppel  und  Schale  entsprechen  la  und  dem 
Modell,  wie  v.  Geymüller  in  Maassen  nachwies.  Die  Säulen 
des  Tambours  sind  toskanischer  Ordnung;  die  Fenster  in 
Füllungen  noch  Rundfenster,  also  inspirirt  von  der  Florentiner 
Domkuppel.  An  der  Attika  schon  die  Kränze  angegeben. 
Statuen  auf  Sockeln  über  der  Attika,  nicht  wie  im  Modell  vor 
den  Voluten  der  Attika.  Die  Laterne  noch  niedrig  gebildet.  — 
b)  Skizze  für  zwei  Seiten  der  Attika,  wie  es  scheint;  und 
zwar  ist  hier  Füllung  der  Wand  gedacht  und  der  Eckpfeiler 
einmal  als  breiter  Pilaster,  das  andere  Mal  als  Säulenpaar 
auf  hohem  Sockel  gestaltet.  —  c)  Grundriss  eines  Säulen- 
paares vom  Tambour  mit  gegenüberliegendem  Wandtheil. 

V.  Florenz:  Casa  Buon.  XL VIII,  31.  Thode  165.  Grundriss  eines 
Säulenpaares  am  Tambour  und  der  gegenüberliegenden  Wand. 
Ahnlich  wie  VI  c,  aber  später,  in  der  definitiven  Gestaltung  des 

l--^  '  II 


102  I^iß  Bauten  in  Rom 


Modells.     Notiz:  ,,la  porta  dell'  andito"  zwischen  Säulen  und 
Wand;  andere,  bezüglich  auf  die  Wandmaasse  rechts:  „questa 
porta   che    resta    bianca    e    la    faccia ,    dove    anno  a  esser  gli 
ochi".    Darf  man  aus  letzterem  Ausdruck  schliessen,  dass  zur 
Zeit  der  Entstehung  dieser  Studie  noch  Rundfenster  im  Tam- 
bour geplant  waren? 
VI.  Oxford,    Univ.  Gall.    82.     Thode  454.     a)    Flüchtige   Kreide- 
skizze   für   die  Laterne    über   der  Endigung   der  Kuppel   und 
ihrer  Schale.     Nach   der  Kuppelform  und  der  niederen  Höhe 
der  Laterne    aus    der  Zeit  von  Nr.  I.     Entwurf  eines  Briefes : 
„Messer  francesco  signior  mio  caro  circa  al  modello  che  s'a  a 
fare  e  mi  pare  che  col  cardinale  si  sia  facto  una  figura  senza 
capo".    Robinson  erkannte  schon,  dass  es  sich  hier  um  Bandini 
und   den    Kardinal    von    Carpi   handelte.     Die    Zeichnung   ist 
also    in    den   Anfang  1557    (oder   Ende  1556.?)   zu   versetzen. 
Damals   ist ,    wie   wir   sehen ,    noch   nicht   die    dritte   äussere 
erhöhte    Kuppelschale    geplant.    —    Auf   Rückseite :  b)  Zwei 
flüchtige  kleine  Grundrisse  der  Kirche.  —  c)  Flüchtiger  Auf- 
riss  einer  der  Tribunen  (unten  die  drei  Nischen  angegeben).  — 
d)    Flüchtige   Skizze    einer   Travee    des    Untergeschosses    der 
Tribuna:    in    ihr    unten    mehrere    schmale    hohe    Nischen    an- 
gedeutet,   darüber   oblonge  Füllung    (vgl.  f.).  —    e)  Flüchtige 
Skizze  einer  Mittelnische  in  der  Tribuna  (oder  eines  Fensters 
im  Obergeschoss  ?).  —  f)  Wandeintheilung  der  mittleren  Travee 
einer  Tribuna:  unten  drei  Nischen,  darüber  oblonge  Füllung; 
in  der  Höhe  Lunette.  —  g)  Durchschnitt  einer  Gewölbetravee 
mit    anstossender  Apsis.  —  h)  Grundriss    einer  Kuppel  (wohl 
für  die  Eckkapelle)  mit  rosettenförmiger  Feldereintheilung. 
Bestimmte  Schlüsse  aus  diesen  kleinen  Skizzen  zu  ziehen,  wäre 
wohl  gewagt.    Nur  so  viel  zu  sagen  erlauben  sie,  dass  Michelangelo, 
als   er   sie   zeichnete    —    und    sie    können   ja   viel   früher,    als    die 
Zeichnung  auf  der  Vorderseite  (1557),  entstanden  sein  —  sich  über 
die  Art  der  Gestaltung  der  Tribunen  noch  nicht  im  Klaren  war;  wie 
es  scheint,  dachte  er  damals  noch,  anknüpfend  an  Bramantes  Grund- 
riss,  an  eine  grössere  Anzahl  von  Nischen  in  ihnen  und  versuchte 
er  unter  Anderem   auch   niedrige   Apsiden   dem  Bau   anzugliedern. 
Die  ausgeführte  Zeichnung  eines  reichen  Fensters  mit  Segment- 
giebeln auf  toskanischen  Säulen  in  der  Casa  Buonarroti  XLVI,   in, 
Thode   161,    erinnert  allgemein  an  die  Fenster  aussen  an  den  Tri- 
bunen von  S.  Peter. 

Vielleicht  sind  auch  einige  Skizzen  auf  der  Rückseite  eines 
Blattes  in  Oxford  (Nr.  81,  Thode  453),  dessen  Vorderseite  eine 
Fensterstudie  für  den  Palazzo  Farnese  zeigt,  auf  S.  Peter  zu  be- 
ziehen:    die    flüchtige     Angabe    einer    Wandtravee    mit     Tonnen- 


S.  Peter  163 

gewölbe  darüber,  eine  Säulenbasis  und  ein  kleiner  unklarer  Grund- 
riss  einer  Wand  mit  vorgelagertem  gekuppelten  Säulenpaar. 

Nicht  von  Michelangelo  selbst  ist  der  Schnitt  der  Kuppel  in 
der  Casa  Buonarroti  XXXIII,  35,  der  Grundriss  in  der  Coli.  Santa- 
relli  der  Uffizien  und  eine  andere  Zeichnung  mit  Schnitten  des 
Kreuzschiffes  und  der  Kuppeln  ebendaselbst. 

B.   Das    Modell   der   Kuppel. 

Das  in  S.  Peter  aufbewahrte  Modell,  das  von  1558  bis  1560 
durch  Giovanni  Franzese  ausgeführt  wurde,  ist  5,40  m  hoch, 
3,86  m  breit.  Der  Forschung  zugänglich  gemacht  wurde  es  erst 
durch  Gotti,  der  in  seiner  Biographie  (II,  136)  Zeichnungen,  die  der 
Cavaliere  Cesare  Castelli  anfertigte,  reproduzirte.  Auf  ihnen  fussend 
wies  Heath  Wilson  die  Unterschiede  nach,  die  zwischen  dem  Bau 
und  dem  Modell  sich  zeigen.  Den  Behauptungen  Letarouillys, 
Garniers  und  Anderer  (auch  C.  Gurlitt  in  der  Geschichte  des  Barock 
S.  66)  gegenüber ,  denen  zu  Folge  die  herrliche  äussere  Kuppel 
nicht  eine  Erfindung  Michelangelos,  sondern  Giacomo  della  Portas 
sei,  wies  Josef  Durm  (Die  Domkuppel  in  Florenz  und  die  Kuppel  in 
der  Peterskirche  in  Rom,  Berlin  1887)  nach,  dass  das  Modell  sie 
zeige,  und  v.  Geymüller  S.  39  bewies  die  Ausführung  des  Modells 
durch  Michelangelo,  die  auch  bezweifelt  worden  war,  durch  die 
ächten  Zeichnungen  in  Haarlem  (Nr.  I)  und  Lille  (Nr.  IV). 

Zu  mancherlei  Erwägungen  nun  hat  die  Thatsache  Anlass 
gegeben,  dass  im  Modell  drei  Wölbungen  (nicht  wie  im  Bauwerk 
nur  zwei)  ausgeführt  worden  sind,  deren  äusserste  und  mittlere  un- 
gefähr den  jetzigen  beiden  entsprechen,  deren  innerste  im  Halbkreis 
gebildet  ist.  Nach  Durm  sind  die  beiden  äusseren  aus  einem  Stück 
Holz  geformt,  die  innere  ist  aus  einem  anderen  Stück  eingefügt. 
Heath  Wilson  sieht  in  der  inneren  halbrunden  Kuppel  die  Nach- 
ahmung des  Pantheon,  v.  Geymüller  das  Festhalten  an  Bramantes 
Gedanken.  Der  Erstere  nimmt  an,  dass  erst  die  Nachfolger  Michel- 
angelos sie  aufgegeben  hätten.  Symonds  hingegen,  dass  der 
Meister  selbst  von  ihrer  Ausführung  abgesehen  habe.  v.  Geymüller 
theilt  Wilsons  Ansicht  und  giebt,  nachdem  er  sich  schon  in  seinem 
grossen  Werke  über  ,,die  Entwürfe  zu  S.  Peter"  geäussert,  in  seiner 
Publikation  über  Michelangelo  derselben  Meinung  mit  folgenden 
Worten  Ausdruck :  „Innen  dagegen,  wo  die  Verstümmelungen  zwar 
den  Zauber  der  Lichteffekte  und  Gliederungen  der  Masse  (Bramantes) 
beseitigten,  nicht  aber  deren  Hauptverhältnisse  berührten,  fühlte 
Michelangelo  wohl,  dass  er  die  Scheitelhöhe  der  Kuppel  Bramantes 
beibehalten  müsse.  Um  den  grossen  Abstand  zwischen  den  innen 
und  aussen  nothwendigen  Verhältnissen  der  Kuppel  zu  vermitteln, 
projektirte    er    eine    dritte    mittlere  Kuppelschale  zu  rein   konstruk- 


164  ^^^  Bauten  in  Rom 


tiven  Zwecken.  Bei  der  Ausführung  wurde  jedoch  die  unterste 
Schale  aufgegeben,  und  der  Innenraum,  nicht  zum  Vortheil  der 
Verhältnisse,  um  so  viel  höher.  Diese  Thatsache ,  verbunden  mit 
der  niedrigeren  Kuppellinie  der  Stiche  Du  Perracs  von  1569,  haben 
wohl  die  Meinung  aufgebracht,  die  jetzige  äussere  Kuppellinie  sei 
nicht  das  Verdienst  Michelangelos,  sondern  Giacomo  della  Portas." 
Welche  Behauptung  hat  Recht?  Mir  scheint:  diejenige  Wilsons 
und  v.  Geymüllers,  doch  stellt  sich  mir  die  Entwicklungsgeschichte 
etwas  anders  dar.     Ich  hebe  die  Hauptthatsachen  hervor. 

1.  Zwei  Originalzeichnungen  in  Haarlem  und  Lille  zeigen  uns 
die  doppelte  Wölbung,  und  zwar  in  der  überhöhten  Form. 

2.  Mit  ihnen  stimmt  die  Bildung  der  mittleren  und  äusseren 
Schale  im  Modell  im  Allgemeinen,  wenn  sie  auch  etwas 
höher  ist,  überein.    Beide  sind  aus  einem  Stück  Holz  gebildet. 

3.  Die  innere  halbrunde  Kuppel  des  Modells  ist  eingefügt. 

4.  Der  Stich  Du  Perracs  1569  (s.  Abb.  in  Letarouilly:  Les  edifices 
modernes  PI.  24,  wo  daraufhin  Rekonstruktion  der  Seiten- 
ansicht des  gesamten  Kirchenplanes  Michelangelos  gegeben 
ist)  zeigt  die  halbrunde  Form  in  der  inneren,  eine  wenig  über- 
höhte in  der  äusseren  Wölbung.j 

5.  Vasari  spricht  anscheinend  nur  von  zwei  Wölbungen ;  die 
Fenster  der  äusseren  geben  den  Treppen,  die  über  der  innern 
ansteigen,  Licht.  Die  innere  Wölbung  bezeichnet  er  als 
„primo  mezzo  tondo".  Seine  Beschreibung  bedarf  aber  der 
Interpretation. 

Eines  geht  nun  wohl  aus  diesen  Datis  hervor:  dass  das 
frühere  Projekt  dasjenige  mit  den  zwei  überhöhten 
Wölbungen  ist.  Hierfür  spricht  doch  auch  der  auffallende  Um- 
stand selbst,  dass  in  dem  Modell  drei  Wölbungen  angegeben  sind. 
Zwar  nimmt  v.  GeymüUer  an,  dass  die  mittlere  Schale  aus  kon- 
struktiven Zwecken  eingeschoben  sei:  diese  Nothwendigkeit  leuchtet 
aber  nicht  ohne  Weiteres  ein;  und  er  vergass  bei  dieser  Hypothese 
die  Zeichnungen  zu  berücksichtigen.  Fasst  man  hingegen  den  Vor- 
gang so  auf,  dass  die  innere  halbrunde  Kuppel  eine  spätere  Kor- 
rektur ist,  also  unter  der  bereits  vorhandenen,  ursprünglich  be- 
standenen eingezogen  wurde,  so  erklärt  sich  die  dreifache  Wölbung 
ohne  Weiteres. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  Michelangelo  diese  Korrektur  selbst  vor- 
genommen hat.  Hiergegen  scheint  Vasaris  Beschreibung  zu  sprechen, 
insofern  sie  ja  nur  zwei  Wölbungen  zu  nennen  scheint.  Aber 
diese  Beschreibung  ist  undeutlich:  will  man  ihr  eine  Anschauung 
entnehmen,  so  sieht  man  sich  schliesslich  doch  gezwungen,  drei 
Wölbungen  anzunehmen.    Er  bestimmt  drei  Zentren,  von  denen  aus 


S.  Peter 165 

die  Bögen  geschlagen  werden,  Vom  ersten  aus  „il  primo  mezzo 
tondo  della  tribuna" ;  vom  zweiten  „la  parte  di  drento  dell'altra 
volta";  vom  dritten  die  „parte  di  fuori".  Hier  sitzt  die  Schwierig- 
keit. Was  ist  diese  parte  di  fuori?  Dem  Wortlaut  nach,  und  da 
gleich  darauf  von  zwei  Wölbungen  (la  volta  di  fuori  und  la  volta 
di  drento)  gesprochen  wird ,  nimmt  man  an :  die  Aussenseite  der 
zweiten  Wölbung.  Warum  aber  wird  dann  für  diese  , .parte  di 
fuori"  ein  anderes  (drittes)  Zentrum  bestimmt?  Das  Modell  zeigt 
doch  die  äussere  Linie  der  zweiten  Kuppel  von  dem  gleichen 
Zentrum  aus  geschlagen.  Dieses  dritte  Zentrum  lässt  doch  vielmehr 
auf  eine  dritte  Wölbung  schliessen.  Und  auf  diese  deutet  doch 
auch  die  später  erwähnte :  ,, volta  della  banda  dove  va  il  tetto" ! 
Freilich  heisst  es  gleich  darauf  wieder:  die  Fenster  dieser  volta 
seien  bestimmt  ,,per  dar  luce  al  vano  di  mezzo,  dove  e  la  salita 
delle  Scale  fra  le  due  volte".  Ich  finde  keine  andere  Lösung 
dieser  Widersprüche,  als  die  Annahme,  dass  Vasari,  als  er  die 
Beschreibung  anfertigte,  zwischen  der  Vorstellung  zweier  und  der- 
jenigen dreier  Wölbungen  hin-  und  herschwankte.  Zweierlei  aber 
scheint  mir  beweisend  dafür,  dass  er  am  Modell  die  innere,  etwas 
über  halbrunde  Kuppel  gesehen  hat :  erstens  der  Ausdruck :  ,,il 
primo  mezzo  tondo",  und  zweitens  die  zutreffende  Beschreibung 
der  Füllungen  des  Gewölbes,  welche  im  Modell  sich  ja  an  dieser 
inneren  Kuppel  befinden, 

Michelangelo  hat  also  offenbar  während  der  Ar- 
beit am  Modell  die  innere  Kuppel  hinzugefügt.  Er 
war  zuerst  unter  dem  Einfluss  der  Florentiner  Kuppel,  dann  scheint 
er  eingesehen  zu  haben,  dass  eine  halbrunde  Kuppel  innen,  wie  sie 
das  Pantheon  und  Bramantes  Entwurf  für  S.  Peter  zeigten ,  einen 
schöneren  Eindruck  hervorbringe.  Und  ich  meine,  nur  so  erklärt 
sich  auch  die  auffallende  Erscheinung,  dass  der  Stich  Du  Perracs 
die  halbrunde,  hingegen  die  ausgeführte  Kuppel  die  überhöhte 
Wölbung  zeigt. 

Die  Nachfolger  Michelangelos  nämlich  standen  vor  der  Frage: 
welche  der  beiden  im  Modell  gegebenen  Lösungen  ist  zu  befolgen  ? 
Sie  erkannten,  so  gut  wie  wir  heute,  dass  das  Modell  zwei  ver- 
schiedene Projekte  in  sich  birgt:  die  überflüssige  mittlere  Kuppel 
verrieth  dies. 

Der  Stich  Du  Perracs  von  1569  zeigt,  dass  man  sich  —  doch 
wahrscheinlich  auf  Vignolas  Autorität  hin  —  zunächst  für  das  Bei- 
behalten der  halbrunden  Kuppel,  also  für  die  von  Michelangelo 
vorgenommene  Korrektur  entschied.  Man  glaubte  sich  berechtigt, 
die  Konsequenzen  dieser  Korrektur  zu  ziehen  und  statt  der  über- 
höhten äusseren  Kuppel  nun  eine  der  inneren  entsprechende,  nur 
wenig  über  das  Halbrunde  erhöhte  zu  gestalten. 


l66  Die  Bauten  in  Rom 


Giacomo  della  Porta  brachte  dann  die  andere 
Form,  d.h.  im  Wesentlichen  das  erste  Proj  ekt  Michel- 
angelos zum  Siege.  Er  behielt  die  hohe  äussere 
Kuppel  bei  und  gab  der  inneren  die  überhöhte  Form 
der  mittleren  Schale  des  Modells.  Und  hierbei  nahm  er 
noch  eine  gewisse  Veränderung  mit  dem  Modell  vor,  indem  er 
den  Vertikalismus  dadurch  steigerte,  dass  er  zunächst  die  Wölbung 
unten  mehr  senkrecht  emporsteigen  liess ,  den  Bogen  also  dem 
Charakter  des  Gestelzten  annäherte.  Hierin,  wie  in  dem  Weglassen 
der  Volutenstützen  und  Statuen  am  Umgang  der  Kuppel ,  hat  sich 
Giacomo  Abweichungen  vom  Modell  erlaubt ;  wie  wir  solche  auch 
m  den  Füllungen  der  Kuppel  innen  am  unteren  Theil  gewahren, 
wo  die  Rundfüllungen  einer  Anordnung  von  Lunetten  und  leeren 
Feldern  Platz  machen  mussten. 

Eine  andere  Veränderung  hat  Michelangelo  wohl  noch  selbst 
vorgenommen.  Im  Modell  hatte  er  die  Fenstergiebel  im  Tambour 
alle  im  Segment,  aussen  alle  dreieckig  geformt.  Die  Ausführung 
zeigt  innen  und  aussen  abwechselnd  den  Segment-  und  den  Spitz- 
giebel. Michelangelo  bestimmte  dies ,  denn  Vasari  sagt  in  seiner 
Beschreibung  von  den  Fenstern,  dass  sie  aussen  ,,ornati  di  architravi 
vari"  waren  und  innen  ,,similmente  con  ordine  vario  con  suoi 
frontispizi  e  quarti  tondi",  und  Du  Perrac  zeichnet  sie  so.  Wenn  auf 
einigen  kleinen  Ansichten  des  Tambours  aus  der  Zeit  der  Bau- 
thätigkeit  unter  Michelangelo  die  äusseren  Fenster,  wie  im  Modell, 
durchweg  den  Spitzgiebel  zeigen  —  auch  solche,  auf  denen  der 
Tambour  vollendet  erscheint  — ,  so  müssen  wir  hier  eine  Nach- 
lässigkeit der  Zeichner  annehmen. 

Die  von  Michelangelo  geplante  Mauerdicke  unter  der  Kuppel, 
die  nur  13  palmi  betrage,  wird  von  Nanni  in  seiner  Supplik  an 
die  Deputati  nach  dem  Tode  Michelangelos  (Rep.  f.  K.  II,  419)  für 
zu  gering  erachtet,  das  Gewicht  der  Kuppel  zu  tragen :  die  Floren- 
tiner Mauer  sei  30  palmi,  die  der  Rotonda  40  palmi  dick. 

C,   Der    Gesamtplan   von   S.   Peter, 

Für  dessen  Kenntniss  kommen  vor  Allem  die  Stiche  Du  Perracs, 
daneben  einige  alte  Abbildungen  in  Betracht, 

I.  Der  Grundriss,  Er  ist  uns  aus  dem  Kupferstiche  Du  Perracs 
vom  Jahre  I5f9  (in  Lafreris  Speculum  Romanae  magnifi- 
centiae)  bekannt,  welcher  die  Inschrift  trägt:  Ichnographia 
templi  divi  Petri  Romae  in  Vaticano,  Ex  exemplari  Michaelis 
Angeli  Bonaroti  Florentini  a  Stephano  Duperac  Parisiensi  in 
hanc  formam  cum  suis  modulis  accurate  proportionateque 
delineata  et  in  lucem  aedita.     Anno  domini  MDLXIX. 


S.  Peter  167 

2.  Äussere  Ansicht.  In  zwei  Blättern.  Ebenda.  Bezeichnet: 
Orthographia  partis  exterioris  templi  divi  Petri  in  Vaticano.  — 
Michael  Angelus  Bonarota  invenit.    Stephanus  du  Perac  fecit. 

3.  Das  Innere.  In  2  Blättern.  Ebenda.  Orthographia  partis 
interioris  templi  divi  Petri  in  Vaticano.  —  Michael  Angelus 
Bonarota  invenit.     Stephanus  du  Perac  fecit. 

4.  Das  Gerüst  für  die  Kuppelwölbungen  1561.  Ebenda.  In- 
schrift, rechts :  Sara  utile  a  quäl  si  voglia  persona  haver  messe 
nella  presente  carta  le  misure  antiche  e  moderne  quäl  sono 
tolte  da  quelle  stesse  di  campidoglio  servono  a  architetti 
muratori  e  falegnami  et  a  mercanti  et  ad  altri  artieri  che 
esercitano  le  misure  appartenenti  alla  loro  perfessione.  Links* 
la  presente  figura  dimostra  una  armadura  o  vero  Incavallatura 
delle  volte  di  S.  Pietro  di  Roma  fatta  da  Maestro  Antonio 
da  Sangallo  et  ancora  messa  in  opera  da  Michael  Ang. 
Buonaroto  pur  nelle  medesima  volte  fatte  da  lui  e  volendo 
sapere  la  sua  misura  disotto  a  detta  ve  la  Canna  Romana 
partito  in  parte  10  detti  palmi.  —  Antonio  Lafreri  Sequani 
formis  Roma  1561.  R.  Jacobus  Bossiers  Belga  summa  dili- 
gentia circino  excepit  in  aesque  incidit. 

5.  Die  Fassade.  Dargestellt  in  dem  bekannten  Fresko  in  einem 
Räume  der  Vatikanischen  Bibliothek,  welches  die  Gesamtansicht 
der  Kirche  von  vorne  gesehen  giebt.  (Abb.  Bonanni,Temp.Vatic. 
Hist.  tab.  19.  Letarouilly:  Le  Vatican.  Projets  divers  PI.  23). 
Springer  giebt  eine  hiervon  etwas  verschiedene  Reproduktion 
eines  alten  Stiches. 

D.   Der   Statuen-    und    Gemäldeschmuck. 

Statuen  waren,  wie  das  Modell  zeigt,  auf  den  Sockeln  des 
Kuppelumganges  über  dem  Tambour  geplant.  Das  Vatikanische 
Fresko  zeigt  sie  auch  rings  auf  den  um  die  ganze  Kirche  laufenden 
Balustraden  über  dem  Kranzgesims  und  in  den  zahlreichen  Nischen 
der  Aussenseite. 

Es  fragt  sich,  ob  Studien  von  Michelangelo  für  den  figürlichen 
Schmuck  wenigstens  der  Hauptkuppel  erhalten  sind,  und  hier  kann 
man  nicht  umhin,  die  Figuren  in  Betracht  zu  ziehen,  die  auf  den 
oben  besprochenen  Blättern  in  Haarlem  Nr.  I — III  zu  sehen  sind. 
Folgende  Entwürfe  sind  zu  verzeichnen : 

I.  Ein  stehender  Mann,  etwas  nach  vorn  gebeugt,  mit  beiden 
Händen  ein  Buch  (man  sollte  meinen :  auf  einem  Pult  oder 
Tisch  aufgestützt)  haltend.  Thode  264.  v.  Marcuard  Taf  XVI. 
Sehr  undeutlich. 
n.  Sitzender  Mann  mit  Buch.  Auf  demselben  Blatt.  Kaum  zu 
erkennen. 


l68  Die  Bauten  in  Rom 


III.  Männliche  Figur.  Auf  demselben  Blatte.  Motiv  nicht  zu  er- 
kennen. 

IV.  Ein  leicht  nach  vorne  ausschreitender  junger  Mann,  Mantel 
über  den  Schultern,  nach  halb  rechts  schauend,  ein  Buch  (.?) 
in  den  erhobenen  Händen.  Die  Figur  befindet  sich  in  einem 
nischenartigen  rechteckigen  Felde.  Thode  264.  v.  Marcuard 
Taf.  XVII.  Zwei  andere  Skizzen  auf  demselben  Blatte  zeigen 
dieselbe  Gestalt.     Schöne  lebendige  Bewegung. 

V.  Älterer  sitzender  Mann,  das  gesenkte  Haupt  auf  den  rechten 
Arm,    der    auf  das  Knie  (Brust .'^)    gestützt  ist,    lehnend;    den 
linken    Arm    im    Schooss.      Gleichfalls    in    einem    viereckigen 
nischenartigen,    aber  etwas  breiteren  Feld.     Das  tiefe  Sinnen 
meisterhaft  im  Motiv  ausgedrückt.     Auf  demselben  Blatte. 
VI.  Im  gleich  breiten  Felde  darunter :  Jüngling,  stehend  oder  vom 
Sitze    sich    erhebend,  wie   in    lebhaftem  Gespräch    den  Ober- 
körper  und  Kopf  nach    rechts  vorne  streckend.     Mantel    um 
Schulter  und  Beine.     Ähnlich  Nr.  IV. 
VII.  Ein    stehender  Alter,    ein    offenes  Buch  in  den  Händen,    sich 
in  der  Lektüre  unterbrechend,  nach  rechts  schauend,  mit  vor- 
gebeugtem Oberkörper.     Den    rechten  Fuss    hat    er   auf  eine 
Erhöhung  gestellt.   Am  Boden  liegt,  undeutlich  erkennbar,  eine 
Figur.    Es  ist  aber  fraglich,  ob  sie  zu  ihm  gehört.    Thode  265. 
V.  Marcuard  Taf  XVIII  a.     Der  Oberkörper    noch   einmal  ge- 
geben. 
VIII.  Ein  lebhaft  nach  vorne  ausschreitender  Jüngling,  der  in  grosser 
Bewegung  nach  rechts  himmelwärts  blickt  und  mit  den  Händen 
Etwas  von  einem,   an  ihn  sich  haltenden  Knaben  zu  nehmen 
scheint.    Thode  265.    v.  Marcuard  Taf  XVIII  b.    Von  grösster 
Wirkung. 
IX.  Zwei  Figuren:    die  eine,    wie  es  scheint,  liegend,  die  andere 
dahinter  stehend.     Sehr  undeutlich.     Auf  demselben  Blatt. 
Herr  v.  Marcuard    stellte    die  Vermuthung  auf,    dass  diese  be- 
deutenden Entwürfe  für  die  malerische  Ausschmückung  der  Kuppel- 
schale   gedacht   waren.     Ich   stimme    ihm    bei.     Dass    es  sich  nicht 
um  Statuen  handelt,  zeigen  die  Motive  und  die  Feldereinrahmungen 
bei    einigen   von    ihnen.      Es    sind    aber   nicht,    wie    er    sagt,    bloss 
stehende,    sondern    auch  sitzende  Gestalten:    offenbar  Apostel  und 
Evangelisten.    Bei  VIII  dürfte  man  an  Matthäus  denken.    Die  Form 
der   Felder   wäre    mit  Kuppelkompartimenten  vereinbar.     In    einem 
Falle :  V  und  VI  könnte  man  eine  absichtliche  Übereinanderordnung 
der  zwei  Figuren  annehmen. 

Andere  bestimmte  Zeugnisse  für  diese  Idee  einer  Kuppel- 
bemalung,  die  vermuthlich,  nachdem  sie  aufgetaucht,  bald  wieder 
aufgegeben,  wenigstens  nicht  weiter  verfolgt  ward,  kenne  ich  nicht, 


S.  Peter  169 

doch  scheint  mir,  könnten  zwei  Studien  zu  einer  leicht  ausschrei- 
tenden Gestalt,  die  (einmal  bekleidet,  das  andere  Mal  nackt)  nach 
rechts  schauend  den  rechten  Arm  ausstreckt  und  die  Linke  sprechend 
oder  deutend  bewegt,  in  die  Reihe  jener  Entwürfe  eingereiht  werden, 
da  sie  diesen  in  der  Technik  und  in  den  Motiven  nahe  verwandt 
sind.  Berenson  und  Frey  beziehen  sie,  ohne  genügenden  Grund 
auf  das  für  d'Avalos  entworfene  Noli  me  tangere.  Das  Blatt,  auf 
dessen  Vorderseite  und  Rückseite  sie  sich  neben  einem  Gesims- 
profil befinden ,  ist  im  Besitze  von  I\Ir.  G.  T.  Clough  in  London 
(Thode  367.     Ben  1539.     Abb.  Frey  "jy  und  78). 

Entwürfe  für  die  Statuen  an  der  Kuppel  sind  mir  nicht  bekannt 
geworden. 

E.  Ansichten  des  Baues  aus  und  kurz  nach  der  Bau- 
zeit  1547  bis   1564. 

In  seinem  Werke  über  die  ursprünglichen  Entwürfe  zu  S.  Peter 
hat  H.  V.  Geymüller  mehrere  Ansichten,  welche  uns  über  die  frühere 
Bauthätigkeit  Aufschluss  geben,  veröffentlicht :  einen  Kupferstich  in 
Basel,  der  vielleicht  schon  vor  15 19  entstanden  ist  und  die  vier 
Kuppelpfeiler  mit  ihren  Bögen  (ohne  Abdachung)  zeigt  (PI.  48,  Fig.  6), 
einen  Stich  des  H.  Cock  in  der  Bibliothek  Barberini  (PI.  49,  Fig.  2), 
den  Einblick  in  den  Kuppelraum  von  der  alten  Basilika  aus  auf 
einer  Zeichnung  im  Soane-Museum  zu  London  (PI.  24),  deren  Original 
imHeemskerk'schen  zweiten  Skizzenbuch  zu  finden  ist  (Blatt  52  v.)  und 
drei  Zeichnungen  von  M.  Heemskerk  in  Dessen  erstem  Skizzenbuch  in 
Berlin  (PI.  52).  Sämtliche  Zeichnungen  des  zweiten  Buches,  die  S.Peter 
darstellen ,  neun  im  Ganzen ,  hat  Jaro  Springer  besprochen  (Jahrb. 
d.  k.  preuss.  Kunsts.  1891.  XII,  S.  118  ff.).  Aus  diesen  Darstellungen, 
denen  eine  Ansicht  auf  einem  Fresko  Vasaris  im  Palazzo  der  Can- 
celleria  von  1546  hinzuzufügen  ist,  gewinnen  wir  eine  Anschauung 
des  Zustandes ,  in  welchem  Michelangelo  den  Bau  fand.  Die  vier 
Kuppelpfeiler  mit  ihren  Bögen,  welche  hintermauert  und  abgedacht 
sind ,  ragen  hinter  dem  erhaltenen  Längshause  der  alten  Basilika 
hoch  empor.  In  der  Vierung  befindet  sich  ein  Altargehäuse  in 
dorischem  Stile,  welches  von  Bramante  errichtet  und,  wie  es  heisst, 
von  Peruzzi  vollendet  wurde.  Im  Westen  schliesst  sich  der  von 
Bramante  erbaute  provisorische  Chor  mit  seiner  dorischen  Ordnung 
an.  Das  Südkreuz  ist  begonnen,  östlich  von  der  Vierung,  also  am 
Ende  des  Basilikafragmentes,  sind  Pfeiler  begonnen.  Nördlich  sind 
zwei  Arkadenpfeiler  mit  Nische  bis  zur  Höhe  des  ersten  Stockwerkes 
gediehen. 

Diesen  Ansichten  folgen  nun  andere  aus  der  Zeit  der  Thätig- 
keit  Michelangelos,  die  von  Letarouilly,  C.  v.  Fabriczy  und  in  Sonder- 
heit von  P.  N.  Ferri  (Rassegna  d'arte  IV,  S.  90)  zusammengestellt. 


J70  I^ie  Bauten  in  Rom 


aber  noch  nicht  genügend  für  die  uns  beschäftigenden  Fragen  ver- 
werthet  worden  sind.  Einiges  habe  ich  hinzuzufügen.  Im  Wesent- 
lichen handelt  es  sich  um  Darstellungen  des  Tambours  der  Kuppel, 
in  einigen  wenigen  aber  gewahren  wir  auch  andere  Theile  des 
Baues.  Die  geringere  oder  grössere  Vollendung  des  Tambours  er- 
laubt eine  allgemeine  zeitliche  Anordnung. 

1.  Skuze  von  Giov.  Antonio  Dosio  in  den  Uffizien.  Nr.  4345 
(Archit.).  Ferri  Abb.  F.  Blick  von  Südost.  Vorne  der  Rundbau 
der  Madonna  della  Febbre,  neben  dem  rechts  der  Obelisk  steht. 
Wir  haben  den  schrägen  Einblick  in  das  schon  vor  Michel- 
angelos Zeit  vollendete  Tonnengewölbe  der  südlichen 
Tribuna,  dessen  Pfeiler  ja  bereits  von  Bramante  begründet 
worden  waren  (vgl.  v.  GeymüUer :  die  ursp.  Entwürfe  PI.  45) 
und  durch  die<^es  in  das  Tonnengewölbe  des  Kreuzschiffes. 
Auch  der  Bogen  zwischen  dem  südwestlichen  Kuppelpfeiler 
und  der  Südwand  ist  bereits  fertig:  unser  Blick  trifft  auf  die 
südliche  Nische  in  diesem  Pfeiler.  An  der  Apsis  wird  gebaut: 
die  Umfassungsmauer  ist  nur  zum  Theil  bis  zur  oberen  Höhe 
der  Fenster  gediehen,  deren  eines  mit  Spitzgiebel  ausgeführt 
ist.  Die  zwei  Bogen ,  die  ">'om  Kreuzarm  und  vom  Mittel- 
schiff in  die  spätere  Cappella  Clementina  führen,  sind  vollendet. 
Der  Tambour  der  Kuppel  hat  erst  die  Höhe  erreicht, 
wo  die  Säulenordnung  aufsetzen  soll.  —  Die  Zeichnung  gehört 
also  in  die  erste  Periode  der  Thätigkeit,  wie  wir  sehen 
werden,  etwa  in  das  Jahr  1549- 

2.  Im  zweiten  Skizzenbuch  des  Heemskerk  in  Berlin  Bl.  60  v. 
(J.  Springer  a.  a.  O.  S.  121)  Blick  von  Norden.  Vom  nörd- 
lichen Querhaus  sind  die  Pilaster  und  die  untersten 
Fenster  fertig.  Durch  den  Vierungsraum  sieht  man  bis  zur 
Apsis  des  südlichen  Querhauses,  das  schon  höher 
gediehen  ist,  als  das  nördliche.  Am  Tambour,  an  dem 
gearbeitet  wird,  nur  der  Sockel  vollendet.  Es  handelt  sich 
hier,  wie  bei  3,  um  spätere  Zeichnungen,  die  den  früheren 
Blättern  des  Skizzenbuches  (1536 — 1538)  hinzugefügt  sind,  was 
Springer  entging.  Das  Blatt  ist  von  grosser  Wichtigkeit  für 
die  Baugeschichte;  denn  es  zeigt,  dass  gleichzeitig  mit  der 
Südtribuna  auch  die  nördliche  Tribuna  schon  in  An- 
griff genommen,  wenn  auch  nicht  so  weit  gefördert  war. 
Wie  wir  unten  sehen  werden,  ist  unser  Blatt  etwa  1550 
anzusetzen. 

3.  Ebendaselbst  60  v.  Blick  vom  Süden.  Der  Tambour  ist 
weiter  vorgerückt  im  Bau.  Die  südliche  Apsis  ist  bis  zur 
zweiten  Fensterreihe  gediehen.  Die  Pilaster  bis  zu  den  Kapi- 
talen  sind    fertig.     Etwas    später    als   Nr.  2    anzusetzen.     Der 


S.  Peter  j-j 

südliche  Tribunenbau  etwa  in  dem  Zustande,  wie  die  Dosio'sche 
Zeichnung  Nr.  5   ihn  darstellt. 

4.  Ausgeführte  Zeichnung  von  Dosio.Uffizien  Nr.  91  (Archit).  Abb. 
(nicht  getreu)  Heath  Wilson  S.  514,  pl.  19.  Ferri  E.  Blick 
vom  Süden  in  die  Vierung.  Links  Einblick  in  die  Arkade 
zwischen  südwestlichem  Kuppelpfeiler,  an  dem  das  Tabernakel 
zu  sehen,  und  Südwand.  Es  wird  am  Tambour  gearbeitet, 
der  nördlich  noch  sehr  niedrig,  westlich  bis  zur  vollen  Höhe 
der  Säulen  aufgemauert  ist.  In  der  Mitte  des  Raumes  das 
Altargehäuse  Bramantes.  Die  Zeichnung  ist,  dem  Tambour 
nach  zu  schliessen,  etwas  später  als  die  vorige. 

5.  Zeichnung  Dosios  in  den  Offizien  Nr.  2535  (Archit).    Blick  von 
Osten  auf  die  Südtribuna  (nicht  auf  den  Chor,  wie  Ferri 
meint).     Wir  sehen  den  Obelisk,  dahinter  die  Madonna  della 
Febbre  und  darüber,  wie   auch  über  kleinen  Häusern  rechts, 
den  Rohbau   des  Treppenthurmes    im  Eckpfeiler,    neben    ihm 
rechts  den  Bogen,  der  vom  Kreuzarm  in  die  spätere  Cappella 
Clementina  führt,  links  die  Südapsis  im  Rohbau,  der  etwa  in 
der  Höhe  des  Attikaansatzes  abschliesst.    Vom  Tonnengewölbe 
des  Kreuzarmes,  das,  dem  früheren  Bau  angehörig,  auf  Nr.  i 
sichtbar  war,  ist  Nichts  zu  sehen;  wir  müssen  annehmen,  dass 
es  inzwischen  abgerissen  wurde.    Die  ein  wenig  zum  Vorschein 
kommende   südliche  Seite  des  Tambours  ist   fertig.  —  Be- 
fremdlich  ist  die  Erscheinung  der  Südapsis.     Man  würde  bei 
flüchtigem  Blick  annehmen,  es  handle  sich  um  eine  Apsis  mit 
Umgang,  da  der  untere  Theil  des  Mauerwerkes,  an  dem    die 
Pilaster  (etwa  in  ihrer  zweidrittel  Höhe)  ausgeführt  sind,  vor- 
springt.    In    der  zurückliegenden  Mauer  oben  sehen  wir  seit- 
wärts   rechts    und   in  der  Mitte  eine  in  die  Tribuna  führende 
rundbogige  Öffnung.     Die  Erklärung  kann  keine  andere  sein, 
als  dass  die  Mauer  oben  noch  nicht  zu  ihrer  ja  sehr  beträcht- 
lichen Dicke  gebracht  ist,    sondern  dort  abschliesst,    wo  der 
Umgang  innerhalb  dieser  Mauer  beginnt.    Die  Öffnungen  sind 
die    Fenster    mit    dem    Entlastungsbogen.      Die    Skizze    muss, 
wie    wir  sehen  werden,    Mitte  der  fünfziger  Jahre  entstanden 
sein. 

6.  Dem  B.  Peruzzi  zugeschriebene  Skizze  in  den  Uffizien  Nr.  539 
(Coli.  Santarelli).  Abb.  Ferri  A.  Blick  aus  der  Via  di  Borgo 
nuovo  auf  den  Petersplatz.  Hinten  der  Tambour,  thetl- 
weise  fast  bis  zum  Säulenarchitrav  gelangt.  Nur  flüchtig  an- 
gedeutet. Wie  man  sieht,  kann  von  Baldassares  Autoiihaft 
nicht  die  Rede  sein,  —  er  stirbt   1536! 

7.  Stich  eines  Turnieres  im  Hofe  des  Belvedere  unter  Pius  IV. 
1565.     Von  Jakob  Bink  in  Lafreris  Speculum  Romanae  magni- 


172 


Die  Bauten  in  Rom 


ficentiae.  Abb.  Letarouilly  (Le  Vatican ,  cour  du  Belvedere 
PI.  7).  Ferri  L.  Dies  Blatt,  welches  die  Thatsache  von  Nr.  2 
bestätigt,  ist  von  grosser  Wichtigkeit,  da  es  zeigt,  wie  weit 
der  Bau  von  Michelangelo  geführt  wurde.  Der  Blick  auf  den 
Bau  ist  von  Nordosten.  Die  östliche  Seite  des  Tambours 
ist  bis  zum  Kreuzgesims  vollendet ;  im  Norden  und  Westen 
fehlt  noch  das  Gebälk  auf  den  Säulen.  Die  Fenster  zeigen 
abwechselnd  Segment-  und  Spitzgiebel.  Das  Tonnen- 
gewölbe des  nördlichen  Kreuzarmes  ist  ausgeführt, 
ebenso  die  beiden  Arkaden,  die  vom  Nordtransept  und  vom 
Mittelschiff  in  die  spätere  Cappella  Gregoriana  führen.  Die 
nördliche  Tribuna  ist  bis  zur  halben  Höhe  der  Attika 
gediehen:  wir  sehen  Fenster  und  Nischen  genau  so,  wie  sie 
heute  sind. 

8.  Skizze  im  Stuttgarter  Skizzenbuch.  Abb.  und  Besprechung 
auf  Grund  H.  v.  GeymüUer'scher  Angaben  von  C.  v.  Fabriczy 
im  Archivio  stör,  dell'  Arte  1903,  IV,  S.  113  und  125.  Man 
schaut  von  Nordwest  auf  den  Bau,  also  auf  den  Bramante'schen 
provisorischen  Chor,  der  hier  mit  einem  Dache  bedeckt  ist, 
und  auf  das  nördliche  Querschiff,  dessen  Tribuna  hier 
ganz,  bis  zum  Kranzgesims  vollendet  ist  (also  innen  auch  die 
Wölbung  fertig).  Die  Kapelle  zwischen  Chor  und 
Nordschiff  ist  nun  begonnen:  die  Mauern  erheben  sich 
ganz  niedrig  über  der  Erde,  und  man  sieht  durch  den  grossen 
Bogen  in  das  QuerschifF.  Auch  der  Mauerbau  der  anderen 
Kapelle  zwischen  Chor  und  Südschiff  ist  angefangen,  und 
zwar  höher  (etwa  bis  zur  halben  Höhe)  aufgeführt.  —  Das 
Skizzenbuch  wird  von  Fabriczy  zwischen  die  Jahre  1568  und 
1579  angesetzt.  Ich  möchte  annehmen,  dass  die  Zeichnung 
etwa  Anfang  der  siebziger  Jahre  entstand. 

9.  La  virte  Federzeichnung  in  der  Kunsthalle  zu  Hamburg  Nr.  2 131 1. 
Bisher  nicht  beachtet.  Einblick  von  der  alten  Basilika  aus  in 
den  Kuppelraum  —  also  dieselbe  Vedute  wie  in  der 
früheren  Zeichnung  im  zweiten  Heemskerk'schen  Skizzenbuch 
und  im  Soane-Museum  in  London.  Im  Kuppelraum  steht 
noch  der  provisorische  Altarbau  Bramantes.  Der  Tambour 
ist  fertig.  Bezeichnet :  questo  e  ritratto  di  santo  Pietro  dalla 
porta  della  chiesa  vecchia  acanto  all'organo  verso  la  testa 
della  croce  di  bramante. 

Die  folgenden  Ansichten,  die  alle  den  Tambour  vollendet 
zeigen,  sagen  uns  nichts  Besonderes. 

10.  Zeichnung  von  Giov.  Balducci  gen.  il  Cosci  in  den  Uffizien 
Nr.  1052  (in  cartella).  Abb.  Ferri  B.  Darstellung  eines  Wunders. 
Im  Hintergrund  S.  Peter. 


S.  Peter  173 

11.  Stich  von  Mario  Kartaro  1575.  Ferri  J.  Ansicht  von  S.  Peter 
und  Vatikan  von  der  Piazza  aus. 

12.  Zeichnung  von  G.  B.  Dosio.  Uffizien  Nr,  2555.  (Archit.) 
Ferri  C.  Piazza  mit  Blick  auf  die  (rekonstruirte)  alte  Basilika, 
dahinter  der  Neubau.  Rechts  sieht  man  die  vollendete  nörd- 
liche Tribuna  vorragen. 

13.  Stich  des  G.  B.  de  Cavalieri,  das  Jubiläum  von  1575  auf  der 
Piazza  darstellend.  Die  Architektur  ist  eine  Reproduktion  der 
Zeichnung  Nr,  10,     Abb.  Ferri  K. 

14.  Stich  in  der  Bibliothek  zu  Genf.  Abb.  bei  Letarouilly  (Vatican, 
Ancienne  Basilique  de  S.  Pierre  PI,  9,  2).  Die  nördliche  Tri- 
buna ist  angedeutet,  die  südliche  nicht. 

15.  Fresko  von  Paris  Nogari  im  dritten  Stock  der  Loggien  des 
Vatikan,  darstellend  die  Prozession  Gregors  XIII.  1580.  Abb. 
Corrado  Ricci  in  der  ,,Lettura",  April  1903,  Der  Tambour 
vollendet,  auch  der  Tambour  der  kleineren  Kuppel  rechts. 

16.  Ebendaselbst.  Anderes  Fresko,  den  Petersplatz  darstellend. 
Tambour  vollendet.  Ein  kleines  Werkhäuschen  steht  auf  ihm. 
Die  Darstellung  betrifft  den  Bau  der  Akademie  durch  Gregor  XIII. 

17.  Ansicht  von  ,,S.  Petri  templum  Romae".  Stich:  Henri  Cliven 
inv.     Philipp  Galle  excud.     Bei  Letarouilly  (a.  a.  O.  PI.  9). 

18.  Fresko   im  grossen  Saal  der  Vatikanischen  Bibliothek,      1588. 

19.  Im  kleineren  (zweiten  Räume)  ebendaselbst  Fresko,  die  Er- 
richtung des  Obelisken  auf  der  Piazza   1586  darstellend, 

20.  Radirung  in  Dom.  Fontana:  Della  trasportatione  dell'  obe- 
lisco  vaticano.     Rom   1590,  p.  8, 

Erst  die  Kenntniss  einiger  dieser  Zeichnungen  (Nr.  i,  2,  3  und  5) 
setzt  uns  in  die  Lage,  die  Beantwortung  der  Frage,  welche  Bau- 
geschichte die  südliche  Tribuna  gehabt,  zu  versuchen. 

F,  Die  südliche  Tribuna,  gen.  die  Kapelle  des 
Königs  von  Frankreich. 

An  dieser  Stelle  befand  sich  ein  der  hl.  Petronilla  geweihter 
Rundbau ,  welcher  von  Bramante  abgerissen  wurde.  Die  Bezeich- 
nung: Kapelle  des  Königs  von  Frankreich  erhielt  dieser  Bau,  weil 
Ludwig  XI.  ihn  hatte  restauriren  und  mit  zwei  ,,Cappellanie"  versehen 
lassen.  H.  v.  Geymüller  wies  nach,  dass  Bramante  in  der  That, 
wie  Vasari  sagt,  die  Tribuna  hier  begonnen  und  bezweifelt  Vasaris 
Angabe,  Peruzzi  habe  Veränderungen  mit  ihr  vorgenommen  (a.a.O. 
S,  297),  Dargestellt  sind  diese  Bauanfänge  (ein  begonnener  Mittel- 
pfeiler und  Wandnischen  im  Umgang)  auf  der  einen  Zeichnung  des 
Heemskerk,  auf  welcher  wir  rechts  den  westlichen  Eckpfeiler  dieser 


I74  I^ic  Bauten  in  Rom 


Tribuna  (von  Bramante  begründet,  von  Raphael  und  Antonio  da 
San  Gallo  ausgeführt)  gewahren  (PI.  52,  Fig.  i),  und  auf  Zeich- 
nungen des  Berliner  zweiten  Skizzenbuches  (Bl.  i  v.,  7  v.,  5  1  v.  Abb. 
a.a.O.  S.  120,  54  V.),  welche  deutlich  in  wenig  über  die  Erde 
herausgewachsenen  Mauern  den  Bramante'schen  Nischenkranz  der 
Apsis  erkennen  lassen.  Michelangelo  bei  seiner  Verkürzung  der 
Tribuna  musste  diese  Anlage  vernichten. 

Den  Beginn  seines  Neubaues  zeigt  die  Dosio'sche  Skizze  Nr.  i. 
Wir  dürfen  sie  etwa  in  das  Jahr  1549  versetzen,  denn  Anfang  1551 
sind  schon  die  Fenster  des  zweiten  Geschosses  vollendet,  ist  die 
Arbeit  also  etwa  bis  zum  Ansatz  der  Wölbung  gediehen.  Zwischen 
1549  und  1551  ist  die  Hetmskerk'sche  Zeichnung  Nr.  2 ,  die  den 
Tambour  noch  wie  auf  Nr,  1,  die  Apsis  aber  höher  aufgeführt  zeigt, 
anzusetzen.  Eine  ähnliche  Phase  des  Baues  etwa  1551  zeigt  die 
Heemskerk'sche  Skizze  Nr.  3 :  er  ist  bis  zur  zweiten  Fensterreihe 
gelangt,  die  Pilaster  bis  zu  den  Kapitalen  sind  fertig;  der  Tambour 
ist  weiter  fortgeschritten  als  in  Nr.  2.  Dann  scheint  die  Arbeit  hier 
zunächst  aufgegeben  worden  zu  sein,  denn  erst  1557  vernehmen 
wir  von  der  Wölbung,  und  zwar,  dass  sie  missglückt  ist  und 
wieder  abgetragen  werden  muss. 

In  den  hierauf  bezüglichen  zwei  Briefen  an  Vasari  im  Juli  und 
August  wird  die  Wölbung  genau  so  beschrieben,  wie  wir  sie  heute 
in  den  Apsiden  ausgeführt  sehen. 

,,Dipoi  come  si  cominciö  appressare  al  mezzo  tondo,  che  e 
nel  colmo  di  detta  volta,  s'accorse  dell'  errore  che  facea  detta  cen- 
tina,  come  si  vede  qui  nel  disegno,  che  con  una  centina  sola  si  gover- 
nava ,  dove  anno  a  essere  infinite,  come  son  qui  nel  disegno  le 
segnate  di  nero.  Con  questo  errore  e  ita  la  volta  tanto  innanzi, 
et  s'ä  disfare  un  gran  numero  di  pietre,  perche  in  detta  volta  non 
ci  va  nulla  di  muro ,  ma  tulto  travertino ;  e  il  diametro  de'  tondi 
senza  la  cornice  che  gli  recigne  e  ventidue  palmi."     Und: 

,, Perche  sia  meglio  inteso  la  difficultä  della  volta  ch'io  mandai 
disegnata,  ve  ne  mando  la  pianta,  che  non  la  mandai  allora,  cioe 
detta  volta,  per  osservare  il  nascimento  suo  insino  di  terra.  E  stato 
forza  dividerle  in  tre  volte,  in  luogo  delle  finestre  da  basso  divise 
da  pilastri,  come  vedete  che  vanno  piramidati  al  mezzo  tondo  del 
colmo  della  volta,  come  fa  il  fondo  e'  lati  della  volta.  Ancora  e' 
bisognia  governarle  con  un  numero  infinito  di  centine  e  tanto  fanno 
mutazione  e  per  tanti  versi  di  punto  in  punto,  che  non  ci  si  puö 
tener  regola  ferma ;  e'  tondi  e'  quadri  che  vengono  nel  mezzo  de' 
loro  fondi,  anno  a  diminuire  e  acrescere  per  tanti  versi  e  andare 
per  tanti  punti,  che  e  difficil  cosa  a  trovarne  il  modo  vero.  Non- 
dimeno  avendo  il  modello ,  com'  io  fo  di  tutte  le  cose ,  non  si 
doveva  mai  pigliare  si  grande  errore  di  volere  con  una  centina  sola 


S.  Peter 


175 


governare  tutt'  a  tre  que'  gusci ;  onde  n'e  nato,  ch'e  bisogniato  con 
vergognia  e  danno  disfare :  e  disfassene  ancora  un  gran  numero  di 
pietre.  La  volta  e'  conci  e'  vani  e  tutta  di  trevertino,  come  l'altre 
cose  da  basso :  cosa  non  usata  a  Roma."     (Lett.  546.  547.) 

Das  fast  vollendete  Gewölbe  ist  also  1557  wieder  abgetragen 
worden ;  ward  es,  wie  Michelangelo  beabsichtigt,  damals  von  Neuem 
aufgeführt  und  beendigt?  Wir  dürfen  es  voraussetzen.  In  der 
freilich  etwas  befremdenden  perspektivischen  Ansicht  des  Stuttgarter 
Zeichners  sieht  man  nur  das  Profil  (Säulenordnung  und  Attika),  aber 
doch  deutlich  genug,  um  die  Vollendung  der  Tribuna  annehmen 
zu  lassen. 

Welches  Stadium  der  Thätigkeit  an  dieser  Tribuna  aber  wird 
durch  die  Dosio'sche  Zeichnung  Nr.  5  bezeichnet.?  Es  ist  schwierig, 
über  diese  sich  klar  zu  werden.  Ich  erwähnte,  dass  wir  den  Roh- 
bau vor  uns  haben  mit  dem  Treppenthurm  an  der  Ecke,  der  später 
durch  die  schräge  Wand  verkleidet  werden  sollte.  Der  Bau  ist  zu 
viel  grösserer  Höhe  (Architravhöhe  der  Säulen)  aufgestiegen,  als  in 
Nr.  I,  der  obere  Theil  der  Mauer  ist  noch  nicht  in  voller  Dicke 
ausgeführt,  die  Pilaster  sind  nur  bis  zu  etwa  zweidrittel  Höhe  gelangt. 
Es  ist  dieselbe  Phase  dargestellt,  wie  in  den  Heemskerk'schen  Skizzen 
2  und  3.  Es  ist  eine  Pause  in  der  Arbeit  eingetreten,  denn  die 
Mauern  sind  oben  abgedacht.  Was  nun  aber  überrascht  ist  dies, 
dass  hier  Nichts  mehr  von  den  Pfeilern  und  dem  Tonnengewölbe  des 
Kreuzarmes  zu  sehen  ist,  den  wir  auf  Nr.  i  gewahren.  Dieser  Be- 
standtheil  des  älteren  Bramante'schen  Baues  ist  inzwischen  abgetragen 
worden. 

Auch  die  Datirung  des  Blattes  begegnet  Schwierigkeiten.  Einer- 
seits müssen  wir  uns  nämlich  daran  erinnern,  dass  schon  1551  das 
Bauwerk  bis  zur  Attika  aufgeführt  war,  andrerseits  sehen  wir  an 
dem  Stück  Tambour  rechts  die  Säulen  schon  ganz  ausgeführt.  Ihr 
abfälliges  Urtheil  über  die  Fensteranlage  konnten  die  Kritiker  schon 
aussprechen,  als  der  Bau  in  dem  Zustande  war,  wie  wir  ihn  hier 
sehen.  Es  stände  Nichts  im  Wege,  die  Zeichnung  etwa  in  das  Jahr 
1551  zu  versetzen,  also  in  dieselbe  Zeit,  wie  die  Heemskerk'sche 
Skizze  Nr.  3.  Aber  der  Tambour.?  Dieser  ist  in  Nr.  3  ja  noch 
nicht  so  weit  wie  hier !  Ich  glaube,  wir  kommen  aus  dem  Dilemma 
nur  heraus,  wenn  wir  annehmen,  die  Apsis  war  1551  schon  so  weit 
gediehen,  wie  der  Zeichner  sie  giebt.  Dann  aber  trat  eine  längere 
Unterbrechung  der  Arbeit  ein,  wie  sie  sich  auch  aus  unserer  Prüfung 
der  Dosio'schen  Skizze  Nr.  1  ergab,  und  indess  der  Tambour  in- 
zwischen an  der  Südseite  bis  zur  vollen  Höhe  gediehen  war,  blieb 
die  Tribuna  im  alten  Zustand.  Da  sie  1557  eingewölbt  wurde, 
dürfte  die  Arbeit  an  ihr  1556  (vielleicht  schon  1555)  von 
Neuem  betrieben  worden  sein,    1555  nun  sagt  ja  Michelangelo,  dass 


1/6 


Die  Bauten  in  Rom 


er  schon  bald  an  die  Wölbung  der  Hauptkuppel  gehen  könne;  der 
Tambour  war  also  an  einzelnen  Stellen  schon  vollendet  oder  der 
Vollendung  nahe.  Die  Stellen,  wo  dies  zuerst  der  Fall  war,  waren 
im  Norden  und  im  Süden,  wie  sich  dies  aus  mehreren  Ansichten 
ergiebt.  Also  dürfen  wir  uns  unsere  Zeichnung  etwa  1554  ent- 
standen denken,  vielleicht  auch  schon  etwas  früher. 

1558  wird  die  Tribuna  dann  zum  zweiten  Male  gewölbt.  Wann 
das  angränzende  Tonnengewölbe,  das  zerstört  worden  war,  neu 
ausgeführt  ward,  ist  mit  Bestimmtheit  nicht  zu  sagen,  vermuthlich 
1555  und  1556. 

G.    Zusammenfassendes. 

Die  sehr  allgemeinen  Resultate,  welche  unsere  Prüfung  der 
litterarischen  Nachrichten  ergab,  erfahren  durch  die  der  Zeichnungen, 
wie  wir  sehen,  doch  mehrfach  eine  nähere  Bestimmung. 

Im  Jahre  1547  hat  er  zuerst  die  Ausfüllung  der  Kuppelpfeiler 
vorgenommen  und  dann  nach  Vollendung  der  Zwickel  den  Tambour 
begonnen,  dessen  unterer  Sockeltheil  1549  vermuthUch  vollendet 
wurde.  In  eben  dieser  Zeit  beginnt  die  Thätigkeit  am  nördlichen 
Kreuzarm  und  dessen  Tribuna  und,  nach  Wegräumung  der  älteren 
Bautheile  der  Bramante'schen  Apsis,  der  Bau  der  Südtribuna,  der 
rascher  vorausschreitend,  als  die  nördliche  Tribuna,  I551  bis  zur 
Höhe  des  Pilasterarchitraves  gelangt,  ohne  dass  es  aber  in  den 
oberen  Theilen  aussen  schon  zur  Vollendung  und  Bekleidung  käme. 
Die  Treppenthürme  zur  Seite  der  Tribuna  sind  bis  zu  gleicher  Höhe 
gelangt,  aber  noch  nicht  durch  die  äussere  schräge  Mauer  verdeckt. 
Das  Bramante-San  Gallo'sche  Tonnengewölbe  im  linken  Kreuzarm 
wird  abgetragen.  Dann  bleibt  die  Arbeit  an  dieser  Tribuna  mehrere 
Jahre  stehen.  Am  Tambour  wird  gearbeitet,  vermuthlich  auch  am 
nördlichen  Ouerarm  und  der  angränzenden  Tribuna.  1555  sind 
Theile  des  Tambours  im  Süden  und  Osten  schon  bis  zur  Höhe 
des  Säulenarchitraves  gelangt  —  die  Theile  im  Norden  und  Westen 
bleiben  im  Rückstand.  1555  und  1556  ist  man  am  südlichen  Kreuz- 
arm und  der  Tribuna  daselbst  thätig.  1557  wird  die  letztere 
gewölbt.  Das  Gewölbe  wird  wieder  abgebrochen  und  1558  neu 
gemacht.  In  den  folgenden  Jahren  scheint  vornehmhch  an  der 
Nordtribuna  gebaut  worden  zu  sein,  vielleicht  damals,  (wenn  nicht 
schon  früher),  auch  an  den  beiden  Kapellen  zu  Seiten  des  Chores. 
Der  Tambour  macht  geringe  Fortschritte. 

Als  Michelangelo  stirbt,  ist  der  Tambour  noch 
nicht  ganz  vollendet,  Südarm  und  Südtribuna  voll- 
endet, die  Nordtribuna  fast  bis  zur  Wölbung  ge- 
diehen,   die   Kapellen    am   Chor   zeigen,    die    eine   das 


S.  Peter 


177 


Mauerwerk  noch  ganz  niedrig,  die  andere  bis  zur 
halben  Höhe  gelangt.  An  Bramantes  provisorischen 
Chor  ist  die  Hand  noch  nicht  gelegt. 

Vignolas  nächste  Aufgabe  ist  die  Vollendung  des  Tambours 
und  der  Nordtribuna  mit  dem  anstossenden  Gewölbe,  wie  es  heisst, 
auch  der  Kapellen  neben  dem  Chor  und  der  kleineren  Kuppeln 
(Gurlitt:  Geschichte  des  Barock  S.  52).  Giacomo  della  Porta  hatte 
vielleicht  noch  an  diesen  zu  thun  und  wird  dann  die  Einwölbung 
der  Cappella  Gregoriana,  auf  deren  Altar  bereits  1578  das  alte  Bild 
der  ,, Madonna  del  soccorso"  überführt  wurde,  vorgenommen  haben. 
Von  1585  an  beschäftigt  ihn  der  Bau  der  Chortribuna,  nach  deren 
Vollendung  er  1588  bis  1590  die  Kuppel  wölbte.  SchUesslich  führte 
er  den  Kuppelraum  der  Cappella  Clementina  aus. 

Umfassender,  als  man  gemeinhin  annimmt,  stellt  sich  bei  solcher 
Prüfung  Michelangelos Thätigkeit  heraus.  Das  gesamte  Äussere 
des  Kreuzschiffes  undChores,  bis  in  alleDetails  hin- 
ein —  wenn  auch  nicht  Alles  von  ihm  selbst  ausgeführt  —  ist 
seine  Schöpfung;  nicht  allein  die  Kuppel,  die  bis  auf 
eine  etwas  stärkere,  von  Porta  vorgenommene  Aus- 
bauchung in  den  unteren  Theilen,  mit  seinem  Modelle 
übereinstimmt.  Zu  ergänzen  in  Gedanken  haben  wir 
nur  die  auf  dem  Kranzgesims  ringsumlaufenden 
Balustraden  mit  Statuen  und  vor  der  Attika  der 
Kuppel  die  Volutenstützen  und  Statuen.  Auch  die  bei- 
den niedrigeren  Kuppelthürme  möchte  ich  nicht  anstehen,  auf  des 
Meisters  Zeichnung  zurückzuführen.  Hierüber  aber  haben  wir  keine 
Sicherheit. 

Auch  die  architektonische  Gestaltung  und  Deko- 
ration im  Innern  aber,  lassen  wir  nur  Bramante  den 
entscheidend  bedeutungsvollenRuhm  dergrundlegen- 
den  Raumrhythmisirung,  ist  im  Wes  entlichen  Michel- 
angelos Werk.  Die  Pilasterordnung  und  die  Kassettirungen  der 
Norm  bildenden  Tonnengewölbe  freilich  sind  von  Bramante  und 
seinen  Nachfolgern  gegeben  worden,  aber  die  Fensler-  und  Nischen- 
bildungen sind  von  Michelangelo.  Mit  nicht  minderer  Sicherheit 
ist  ihm  die  Gestaltung  der  kleineren  Kuppeln  zuzuschreiben,  denn 
wenn  er  selbst  auch  keine  derselben  ausgeführt  hat ,  so  hielt  sich 
Giacomo  della  Porta  doch  gewiss  an  seine  Zeichnungen,  Seinen 
Geist,  wir  mögen  nun  dessen  Äusserungen  ästhetisch  zustimmen 
oder  nicht,  hat  er  dem  Inneren,  wenn  auch  nicht  in  so  unabhängiger 
Weise  wie  dem  Äusseren,  aufgeprägt.  Nur  die  Kuppel  hat 
nicht  die  von  ihm  definitiv  beabsichtigte  halbrunde, 
sondern  die  überhöhte  Form  des  früheren  Entwurfes 
im  Innern  erhalten. 

t*  12 


178  Die  Bauten  in  Rom 


n 
S.  Giovanni  dei  Fiorentini 

Geschichtliches. 

Im  Frühjahr  1550  ward  Vasari  von  Julius  III.  nach  Rom  be- 
rufen und  machte  für  Diesen  die  Entwürfe  zu  den  Grabdenkmälern 
der  Verwandten  des  Papstes :  Antonio  Kardinal  de'  Monti  und 
Fabiane,  in  S.  Pietro  a  montorio.  Vasari  bittet ,  dass  Michelangelo 
die  Oberleitung  auf  sich  nähme.  Die  von  Vasari  für  die  Ausführung 
vorgeschlagenen  Mosca  und  Raffaello  da  Montelupo  will  Michel- 
angelo nicht  beschäftigt  sehen,  dagegen  ist  er  damit  zufrieden,  dass 
Ammanati  die  Arbeit  übernähme.  Vasari  reist  ab  und  überlässt 
dem  Meister,  die  Kapelle  zu  fundiren.  Da  macht  Bindo  Altoviti 
den  Vorschlag,  die  Gräber  in  S.  Giovanni  dei  Fiorentini  unter- 
zubringen und  zu  diesem  Behufe  diese  Kirche,  die  Jacopo  Sanso- 
vino  unter  dem  Protektorat  Leos  X.  zu  nahe  am  Tiber  angelegt 
und  deren  Bau  von  Antonio  da  San  Gallo  fortgeführt ,  dann  aber 
aufgegeben  worden  war,  vollenden  zu  lassen.  Der  Papst  solle  den 
Chor  bauen,  sechs  Kapellen  würden  die  Florentiner  Kaufleute  errichten. 
Am  I.  August  berichtet  Michelangelo  an  Vasari  über  die  Angelegen- 
heit: ,, gestern  Morgen,  als  der  Papst  nach  Montorio  gegangen  war, 
sandte  er  nach  mir.  Ich  kam  nicht  zur  Zeit  und  traf  ihn  heim- 
kehrend auf  der  Brücke.  Ich  hatte  eine  längere  Verhandlung  mit 
ihm  über  die  dort  in  Auftrag  gegebenen  Grabmäler,  und  zuletzt 
sagte  er  mir,  er  wäre  entschlossen,  sie  nicht  dort  oben  zu  errichten, 
sondern  in  der  Kirche  der  Florentiner,  und  batmichum  meine  Ansicht 
und  eine  Zeichnung;  und  ich  bestärkte  ihn  sehr  darin,  in  der 
Meinung,  dass  auf  diesem  Wege  die  Kirche  zur  Vollendung  kommen 
werde."  —  Am  22.  August  meldet  er,  dass  er  Ammanati  besucht 
und  mit  Dessen  Arbeit  an  Vasaris  Werk  (den  Grabmälern)  sehr  zu- 
frieden sei.  Der  Gedanke  an  den  Neubau  von  S.  Giovanni  ist  wieder 
in  den  Hintergrund  getreten,  da  das  Geld  nicht  aufzubringen  ist. 
Es  soll  nun  doch  in  S.  Pietro  in  montorio  fundirt  werden  und  Michel- 
angelo bestimmt  einen  an  S.  Pietro  dei  Vaticano  beschäftigten 
Maurer  dafür.  Da  aber  der  sich  in  Alles  mischende  Bischof  Aliotti, 
„il  Tantecose" ,  seinerseits  einen  Maurer  designirt,  zieht  sich  der 
Meister  von  der  ganzen  Angelegenheit  zurück.  In  dem  Briefe  heisst 
es:  ,, genug,  an  die  Kirche  der  Florentiner,  scheint  mir,  hat  man 
nicht  weiter  zu  denken." 

Im  JuU  1559  wird  der  Plan  aber  wieder  aufgenommen.  Die 
Florentiner  haben  Geld  für  den  Bau  gesammelt;  die  Konsuln  und 
Räthe  der  ,,nazione  fiorentina"  beschliessen ,  dass  auf  den  alten 
Fundamenten  ein  neues  Gebäude  errichtet  werde,  erwählen  Francesco 


S.  Giovanni  dei  Fiorentini 


179 


Bandini,  Uberto  Ubaldini  und  Tommaso  de'  Bardi  als  Prokuratoren 
und  wenden  sich  mit  der  dringenden  Bitte  an  Michelangelo,  er  möge 
dem  Bau  sich  widmen.  Er  antwortet,  dass  er,  ohne  Einwilligung 
des  Herzogs  Cosimo,  nicht  eine  andere  Arbeit,  als  die  an  S.  Peter 
übernehmen  könne.  Am  10.  August  übernimmt  auf  Bitten  der 
Florentiner  Herzog  Cosimo  das  Protektorat.  Am  19.  Oktober  danken 
die  Florentiner  für  Dessen  Interesse  und  theilen  ihm  mit,  dass  sie 
sich  wegen  des  Modelies  der  Kirche,  damit  dieselbe  würdig  werde, 
an  Michelangelo  gewandt  hätten.  Dieser  habe  eine  Zeichnung  be- 
gonnen. Der  Herzog  wird  ersucht,  an  den  Meister  zu  schreiben 
und  ihm  den  Bau  empfehlen  zu  wollen.  Er  erfüllt  diese  Bitte 
am  26.  Oktober  und  drückt,  Leos  X.  gedenkend,  Michelangelo  den 
Wunsch  der  Ausführung  eines  Kirchenmodells  aus.  Dieser  erwidert 
am  I.  November,  der  Wunsch  sei  ihm  Befehl  und  erklärt  sich  bereit, 
sich  der  Kirche  anzunehmen,  obgleich  er  bei  seinem  Alter  ja  wenig 
mehr  versprechen  könne.  Er  hat  fünf  Zeichnungen  gemacht, 
deren  auch  nach  seiner  Meinung  würdigste  und  reichste  von  den 
Prokuratoren  gewählt  worden  ist.  Er  lässt  sie  von  Tiberio  Calcagni, 
da  ihm  das  Zeichnen  schwer  fällt ,  sauber  ausführen ;  sie  wird  am 
2.  Dezember  an  den  Herzog  gesandt,  der  am  22.  Dezember  seiner  Be- 
wunderung Ausdruck  giebt.  Der  Meister  selbst  sagt:  niemals,  auch 
zur  Zeit  der  Griechen  und  Römer  nicht,  sei  Dergleichen  gemacht 
worden.  Calcagni  verfertigt  nun  auch  die  Zeichnungen  für  die  Profile 
und  führt  ein  Modell  nach  den  Anweisungen  in  der  Grösse  von 
8  Palmi  aus,  nach  welchem  das  Holzmodell,  das  Vasari  im  floren- 
tinischen  Konsulat  sah,  gearbeitet  wird.  Calcagni  überbringt  im  April 
dem  Herzog,  der  über  des  Meisters  Eifer  erfreut  ist,  die  Zeichnungen 
nach  Pisa.  Auf  die  schmeichelhaften  Dinge,  die  ihm  gesagt  werden, 
erwidert  Michelangelo,  er  bedaure  nur  so  alt  und  dem  Tode  nahe 
zu  sein  (25.  April).  Am  30.  April  erhält  er  vom  Herzog,  der  zugleich 
auch  an  die  Prokuratoren  schreibt,  einen  Brief,  in  dem  es  heisst : 
,,Wir  sind  so  verliebt  in  Eure  Zeichnung  für  die  Kirche  der  Nation, 
dass  Wir  bedauern,  sie  nicht  vollendet  sehen  zu  können,  zur  Zierde 
und  zum  Ruhm  unsrer  Stadt,  und  auch  zu  Eurem  ewigen  Gedächtniss, 
das  Ihr  wohl  verdient;  so  helft,  sie  zu  verwirklichen."  Kurze  Zeit 
darauf  kehrt  Calcagni  heim  (2.  Mai).  Dies  ist  die  letzte  Nachricht. 
Die  Ausführung  des  grossartigen  Planes  scheitert ,  nachdem  5000 
Skudi  ausgegeben  worden  waren,  aus  Mangel  an  Mitteln.  Erst 
später,  1588,  wird  der  Gedanke  von  Neuem  aufgenommen.  Giacomo 
della  Porta  wird  auch  hier  des  Meisters  Nachfolger.  Er  baut  die 
Kirche,  deren  Chor  durch  Maderna  ausgeschmückt  ward  und  deren 
Fassade  Clemens  XII.  durch  Alessandro  Galilei  errichten  Hess.  (Be- 
lege in  den  Annalen  des  I.  Bandes  meines  Werkes  unter  den  be- 
treffenden Daten.) 


i8q  Die  Bauten  in  Rom 


Modell  und  Entwürfe. 


Auf  den  alten  Fundamenten  sollte  ein  neuer  Bau  errichtet  werden, 
so  lautete  der  Beschluss  der  Deputati.  Welcher  Art  war  dieser 
ältere  Plan,  der  nicht  zur  Ausführung  gelangt  war?  In  den  Vite 
des  Jacopo  Sansovino  (VII,  498)  und  Antonio  da  San  Gallos  (V,  454) 
giebt  Vasari  darüber  ziemlich  eingehende  Auskunft. 

In  den  letzten  Lebensjahren  Leos  X.  wird  der  Bau,  der  an  Herr- 
lichkeit, Grösse,  Kosten,  Schmuck  und  Gestalt  alle  anderen  damals 
entstehenden  Nationalkirchen  überbieten  soll,  beschlossen.  Die  Sorge 
für  ihn  übernimmt  der  Konsul  der  Florentiner,  Lodovico  Capponi. 
Raphael ,  Antonio  da  San  Gallo ,  Peruzzi  und  Jacopo  Sansovino 
fertigen  Entwürfe.  Der  Papst  entscheidet  sich  für  den  Sansovinos: 
einen  Zentralbau  mit  vier  Tribunen  (Kuppeln)  an  den  Ecken  und 
einer  grösseren  Kuppel  in  der  Mitte  (ähnlich  wie  der  Plan  in  Serlios 
II.  Buch).  Da  durch  die  Strasse  im  Osten  die  Ausdehnung  beengt 
wird,  beschliesst  man  im  Westen  die  Fundamente  in  den  Tiber  vor- 
zuschieben. Man  gab  für  diesen  unsinnigen  Gedanken ,  eine  so 
grosse  Kirche  in  einem  so  wilden  Flusse  fundiren  zu  wollen,  40000 
Skudi  aus  (im  Leben  des  San  Gallo  sagt  Vasari:  12000).  Bei  der 
Thätigkeit  thut  Sansovino  einen  Sturz  und  begiebt  sich  zur  Er- 
holung nach  Florenz.  Er  überlässt  die  weiteren  Fundamentirungs- 
arbeiten  Antonio  da  San  Gallo,  der  sie  in  sehr  schöner  und  fester 
Weise  ausführt  und  ein  Modell  von  solcher  Schönheit  anfertigt, 
dass  die  Kirche  ,,stupendissima"  geworden  wäre  (Zeichnungen  in  den 
Uffizien,  Vasari  V,  483).  Leos  Tod  veranlasst  eine  Unterbrechung 
in  der  Thätigkeit,  die  unter  Clemens  VII.  von  Sansovino  wieder  auf- 
genommen, dann  aber  durch  den  Sacco  di  Roma  unterbrochen  wird. 
Die  Fundamente  waren  mehrere  Ellen  hoch  über  das  Wasser  empor- 
geführt. Mosca  hatte  für  Antonio  einige  Kapitale,  Basen  und  Friese, 
auch  Wappen,  deren  eines  mit  der  florentinischen  Lilie  Vasari  sehr 
rühmt,  gearbeitet. 

Michelangelo  hatte  also,  da  er  die  alten  Fundamente  benutzen 
musste,  einen  Entwurf  zentraler  Art  zu  machen ,  und  wir  erfahren 
denn  auch,  dass  das  Modell  eine  Rotonda  darstellte  (Ritratto  di 
Roma  moderna.  Rom  1689,  S.  248).  Dies  Modell  befand  sich  in 
dem  Oratorio  der  Kirche.  So  sagt  der  ,, Ritratto"  und  Titi  (Descri- 
zione  di  Roma  1763,  S.  422).  Letzterer  fügt  hinzu:  bis  1720;  dann 
sei  es  zu  Grunde  gegangen.  Welche  Angabe  durch  Bottari  bestätigt 
wird,  der  1747  schreibt,  er  habe  es  vor  20  Jahren  noch  gesehen; 
jetzt  existire  es  nicht  mehr  (Fanfani:  Spigol.  Mich.  S.  84  und  86). 
Was  aus  den  fünf  Entwürfen  geworden ,  wissen  wir  nicht.  Ein 
Grundriss  und  eine  Zeichnung,  welche  die  Fassade  und  den  Schnitt 
zeigt ,    wurde   von  J.  von    Sandrart   in    seiner  Teutschen  Akademie 


S.  Giovanni  dei  Fiorentini  igl 


I.  Hauptth.  I.  Bd.  Nr.  46  und  47,  und  von  Marietti  in  seiner  Vignola- 
ausgabe,  Amsterdam  1668  (PI.  4  und  16)  gebracht,  und  von  Leta- 
rouilly  im  Textband  zu  seinen  Edifices  modernes  S.  541  reproduzirt 
(Grundriss  der  Giacomo  della  Porta'schen  Längskirche  in  den  Edi- 
fices III,  Fl.  255). 

Jener  Grundriss  entspricht  unseren  Erwartungen  und  ist  daher 
nicht  anzuzweifeln.  Wir  sehen  einen  Zentralbau  mit  vier  runden 
(etwas  ovalen)  Tribunen,  deren  jede  fünf  Wandnischen  (für  Altäre) 
zeigt,  an  den  Ecken  in  den  Diagonalaxen.  In  den  Hauptaxen 
zwischen  den  Tribunen,  etwas  nach  aussen  vortretend,  oblonge  recht- 
eckige Räume,  an  deren  Schmalseiten  je  eine  Wandnische  ein- 
gelassen ist ;  drei  von  ihnen  haben  in  der  Mitte  einen  Eingang,  die 
vierte,  der  Chorraum,  ist  geschlossen.  Die  Mauern  der  Kapellen 
verbreitern  sich  an  den  Ecken,  wo  dieTribuna  ans  Rechteck  stösst,  zu 
Pfeilern,  die,  durch  Nischen  belebt  und  mit  zwei  Säulen  belegt,  die 
Kuppel  tragen. 

Der  Schnitt  zeigt  im  unteren  Geschosse  toskanische  Ordnung: 
die  Säulen  und  die  in  den  Kapellen  die  Wände  gliedernden  Pilaster 
stehen  auf  Sockeln.  Das  fortlaufende  Gebälk  dient  als  Kämpfer 
für  die  Arkaden.  Die  Gewölbe  sind  Tonnen.  Die  Nischen  haben 
Rahmen  mit  Spitzgiebeln.  Das  zweite  Geschoss,  den  Rhythmus  der 
grösseren  und  kleineren  Intervalle  fortsetzend,  dient  als  Tambour. 
Die  Säulen  vor  den  Pfeilern,  Fenster  mit  oberer  Lichtzufuhr  ein- 
schliessend,  die  Segmentgiebel  tragen,  sind  jonisch.  Das  untere 
Geschoss  greift  durch  seine  Arkaden,  über  denen  oblonge  Füllungen 
angebracht  sind,  in  den  Tambour  ein.  Darüber  erhebt  sich  die 
genau  halbrunde  Kuppel ;  ihre  Gliederung  in  schmälere  und  breitere 
Streifen  entspricht  derjenigen  des  unteren  Geschosses  und  Tambours. 
In  den  drei  Zonen  alterniren  runde  und  rechteckige  Füllungen. 
Eine  Laterne  bekrönt  das  Ganze. 

Das  Äussere  hat  dorische  Wandpilaster,  im  unteren  Geschosse 
Fenster  mit  geradem  Gesims  und  Rahmung  mit  Ohren,  im  oberen 
einfach  gerahmte.  Die  Portale  haben  spitzen  Giebel.  Der  Tam- 
bour beginnt  begreiflicher  Weise  in  grösserer  Höhe,  über  den 
Arkaden  und  Tribunengewölben,  und  erhebt  sich,  durch  ein  Gesims 
abgeschlossen  und  durch  zwei  Stufen  darüber  in  die  Kuppel  über- 
gehend, höher.  Hierdurch  erhält  die  verkürzte  Kuppelform  aussen 
etwas  breit  Gedrücktes.  Wie  denn  überhaupt  das  ganze  Gebäude 
etwas  breit  und  schwerfällig  sich  Lagerndes  hat. 

Es  fragt  sich  nun:  ist  dieser  Entwurf,  der  Verwandtschaft  mit 
Serlios  Zentralbauten  nicht  verkennen  lässt,  der  definitiv  zur  Aus- 
führung bestimmte.?  Man  wäre  doch  einigermaassen  verwundert, 
wenn  auf  ihn  der  Ausspruch  Michelangelos,  der,  wie  Vasari  sagt, 
sonst   Dergleichen    nie    zu   sagen    pflegte,    bezogen    werden    sollte: 


l82  Die  Bauten  in  Rom 


,, weder  Griechen  noch  Römer  hätten  ihm  Gleiches  geschaffen".  Die 
schöne  Einheit  der  unteren  und  oberen  Hälfte  des  Kuppelraumes 
und  die  lebendig  pulsirende  Wirkung  der  rhythmischen  Traveen  seien, 
so  meint  H.  v.  GeymüUer,  die  einzigen  Elemente,  welche  etwa 
Michelangelos  hohe  Befriedigung  erklären  könnten.  Die  Kuppel 
erhebt  sich  gleichsam  von  unten,  da  alle  Linien  durchgeführt  sind. 
Es  Hesse  sich  bestreiten,  ob  dies  Motiv,  das  wir  übrigens  bereits  in 
der  Capeila  di  S.  Giovanni  im  Dom  zu  Siena  am  Anfang  des 
Jahrhunderts  finden ,  ästhetisch  sehr  befriedigend  gewirkt  hätte  — 
ich  finde  hier  Das,  was  einmal  gelegentlich  der  Peterskuppel  v.  Gey- 
müUer geistvoll  als  gothisches  Element  in  Michelangelos  Architektur 
bezeichnet. 

Wir  müssen  die  Frage  offen  lassen,  ob  dieser  Entwurf  der  zur 
Ausführung  bestimmte  gewesen.  Eine  andere  ist  von  GeymüUer 
aufgeworfen  worden.  Er  meint,  die  Einfachheit  der  Formen  lege 
die  Vermuthung  nahe,  die  Zeichnung  sei  nicht  1559,  sondern  schon 
gelegentlich  jener  Konkurrenz  zu  Leos  X.  Lebzeiten  angefertigt 
worden.  Auch  zeige  sie  Verwandtschaft  mit  einem  jener  Entwürfe 
für  einen  Zentralbau,  die  er  auf  das  erste  Stadium  des  Juliusdenkmals 
bezieht  und  die  ich  als  Entwürfe  für  S.  Giovannino  in  Florenz  be- 
zeichnet habe  (s.  oben  I,  475).  Dies  ist  unzweifelhaft  richtig,  ja,  ich 
selbst  habe  längere  Zeit  geschwankt,  ob  nicht  jene  Grundrisse  eines 
Zentralbaues  überhaupt  für  S.  Giovanni  dei  Fiorentini  angefertigt 
wurden.  Doch  ist  die  Annahme  unhaltbar,  weil,  wie  ich  nachwies, 
gerade  auf  dem  besonders  in  Frage  kommenden  Blatte  (unsere 
Nr.  XXXVII  der  Medicizeichnungen  s.  oben  I,  S.  4/7)  unleugbare  Be- 
ziehungen zu  den  Medicigräbern  vorhanden  sind.  Und  dann  haben 
wir  in  jenen  Studien,  welche  eine  Mittelstellung  von  Säulen  zeigen, 
offenbar  Pläne  für  einen  viel  kleineren  Bau,  als  es  die  riesige  Kirche 
in  Rom  werden  sollte.  (Nr.  XXXIV  dürfte  übrigens  gar  nicht  in 
Betracht  kommen,  da  die  an  S.  Stefano  erinnernde  Grundrissanlage 
nicht  mit  den  Fundamenten  von  S.  Giovanni  dei  Fiorentini  in  Ein- 
klang gebracht  werden  könnte.)  Die  Wahrheit  scheint  mir  Dieses 
zu  sein:  Michelangelo  hat  im  Jahre  1559  jene  älteren 
Entwürfe  für  einen  Zentralbau  sich  wieder  in  Erinne- 
rung   gebracht    und    an    einen    derselben    angeknüpft. 

Jene  Einfachheit  aber  scheint  mir  der  Datirung  des  Entwurfes 
in  die  späte  Zeit  des  Meisters  nicht  zu  widersprechen.  Durch  seine 
Beschäftigung  mit  den  Problemen  von  S.  Peter  ist  er  Architekt 
geworden  —  in  der  früheren  Zeit  bleibt  er  immer  der  Bildhauer, 
selbst  dort  wo  er  einfache  Formen  anwendet.  Nie  auch  würde  er 
damals  auf  plastischen  Schmuck  verzichtet  haben,  wie  er  es  hier  in 
auffallender  Weise  thut.  Nirgends  aussen  mehr  eine  Nische  für  eine 
Statue!     Nur  durch  sich  selbst,    durch  Verhältnisse  und  Kräfteaus- 


S.  Maria  degli  Angeli  183 


druck  soll  die  Architektur  wirken.  Und  vielleicht  war  es  gerade 
das  Bewusstsein  solcher  erreichten  Klarheit  und  Bestimmtheit  des 
architektonischen  Stiles,  verbunden  mit  dem  anderen,  gewaltigste 
Raumverhältnisse  in  Einfachheit  zu  gestalten,  was  ihn  sein  Werk 
mit  Stolz  den  grössten  der  Antike  vergleichen  liess. 

ni 

S.  Maria  degli  Angeli 

Zwei  Grafen  aus  dem  Hause  Orsini,  Niccolö  und  Napoleone, 
sollen  die  Ersten  gewesen  sein,  welche  den  Gedanken  gehabt,  in  dem 
Tepidario  der  Diokletianischen  Thermen  eine  Kirche  und  für  die 
Karthäuser  ein  Kloster  daneben  zu  begründen.  Aber  ihr  Plan  ver- 
wirklichte sich  nicht.  In  Jahre  1527  kam  ein  Priester  Antonio  del 
Duca,  Rettore  der  chiesa  di  Sant'  Angelo  in  Palermo,  nach  Rom  und 
erreichte  nach  vielen  Bemühungen  die  Einführung  des  besonderen 
Kultus  der  sieben  Engel,  der  durch  die  Auffindung  eines  Bildes 
der  sieben  Engel  in  seiner  Palermitaner  Kirche  entstanden  war. 
Der  Kultus  erhielt  seine  Stätte  in  den  Thermen,  wo  jener  Antonio 
auch  begraben  worden  ist.  Am  5.  August  1561  weihte  Pius  IV.  die 
Thermen  der  Maria  (es  war  der  Tag  des  Schneewunders)  und  den 
Engeln,  verlieh  der  Kirche  den  Kardinalstitel  und  siedelte  die  Kar- 
thäuser aus  S.  Croce  in  Gerusalemme  hier  an.  Der  Papst  liess  ver- 
schiedene Zeichnungen  für  die  Umwandlung  der  antiken  Kirche  von 
ausgezeichneten  Architekten  machen,  wie  Vasari  erzählt,  und  gab 
derjenigen  Michelangelos,  welcher  für  die  Bedürfnisse  der  Kart- 
häuser in  schönster  Weise  Sorge  trug  und  die  vorhandenen  Bau- 
bestandteile mit  feinem  Urtheil  verwerthete,  den  Vorzug.  ,,So  ent- 
stand eine  Kirche  von  grösster  Schönheit  mit  einem  Eingang,  der 
alle  Ideen  der  Architektur  übertraf,  und  der  Meister  trug  grossen 
Ruhm  und  Ehren  davon."  Zur  Zeit  als  Vasari  schrieb  (gegen  1568), 
hatten  die  Karthäuser  den  Bau  (offenbar  auch  des  Klosters)  fast 
vollendet.  Für  die  Kirche  entwarf  Michelangelo  im  Auftrage  des 
Papstes  ein  Sakramentsciborium,  welches  von  dem  Sizilianer  Jacopo 
del  Duca,  vermuthlich  einem  Verwandten  jenes  Antonio,  1565  ,,zum 
grossen  Theile"  in  Bronze  gegossen  wurde,  obgleich  er  nach  des 
Meisters  Tode  keine  Aussicht  hatte,  es  für  die  Kirche  erwerben 
zu  sehen.    (S.  den  Exkurs  über  das  Ciborium  weiter  unten.) 

Das  Paviment  wurde  unter  Gregor  XIII  ausgeführt.  1701  fertigte 
auf  ihm  der  Prälat  Francesco  Bianchini  die  Meridianlinie  mit  den 
Zeichen  des  Zodiakus  an.  In  der  zweiten  Hälfte  des  XVII.  Jahr- 
hunderts wurde  unter  Leitung  des  Padre  Alessandro  Montecatini 
die  Kirche    restaurirt.     Damals  wurden  die  Öffnungen,  welche  den 


184  ^is  Bauten  in  Rom 


Eingang  zu  den  vier  Kapellen  bildeten,  durch  den  Architekten 
Orlandini  zugemauert.  (Nach  Memoiren  des  Vanvitelli  in  der  Aka- 
demie von  San  Luca,  zitirt  von  Letarouilly,  S.  658.)  Eine  voll- 
ständige Umgestaltung  fand  1749  statt,  als  man  dem  Bau  eine 
Kapelle  für  den  beato  Niccolö  Albergati  hinzufügen  vvoUte.  Luigi 
Vanvitelli  veränderte  den  Plan,  indem  er  das  bisherige  Michel- 
angelo'sche  Schiff  zum  Querschiff  machte,  worüber  weiter  unten 
Näheres. 

Der  antike  oblonge  Raum  des  Tepidario  mit  seinen  drei  Kreuz- 
gewölben, den  Michelangelo  für  die  Kirche  herrichtete,  hatte  an 
jeder  Seite  einen  Raum  vorliegen,  in  dessen  einen  Michelangelo 
das  Hauptportal,  das  er  in  reichem  griechischen  Geschmack  aus 
Travertin  ausführte,  verlegte  und  in  dessen  anderen  er  den  Haupt- 
altar versetzte.  Vier  vor  die  Wand  tretende  antike  Syenitsäulen 
tragen  die  drei  grossen  Querbögen.  Die  mittlere  Travee  öffnete 
sich  links  in  einen  langen  Korridor,  an  dessen  Ende  in  einer  halb- 
runden Nische  ein  kleiner  Altar  der  Madonna  sich  befand,  rechts 
in  eine  Rotunda  (ähnlich  wie  die  der  benachbarten,  gleichfalls  in 
den  Thermen  befindlichen  Kirche  S.  Bernardo) ,  in  welche  die 
meist  benutzte  Seitenthüre  der  Kirche  führte.  Die  vier  anderen 
Wandfelder  öffneten  sich  in  vier  Seitenräume,  die  von  Michelangelo 
roh  gelassen  wurden ,  aber  als  Kapellen  ins  Auge  gefasst  waren. 
(Nach  dem  Abbate  Titi.) 

Die  von  Vanvitelli  vorgenommene  Veränderung  bestand  in 
Folgendem.  Das  Hauptportal  wurde  zugemauert  und  hier  der  Altar 
des  beato  Niccolö  errichtet.  Die  Seitenthüre  wurde  zum  Haupt- 
eingang und  der  Altar  der  Madonna  zum  Hauptaltar  gemacht,  so 
dass  nun  Rotunda,  Mitteljoch  und  Korridor  zum  Längsschiff  wurden, 
das  aber  begreiflicher  Weise  unausgebildet  und  viel  schmäler  ist, 
als  der  grossartige,  zum  Querschiff  degradirte  Raum.  Die  im  nun- 
mehrigen Längsschiff  angebrachten  Säulen  wurden  aus  Backstein 
aufgemauert  und  in  Imitation  von  Granit  bemalt,  was  zur  Folge 
hatte,    dass    auch  die  Syenitsäulen  eine  solche  Bemalung  erhielten. 

Da  es  sich  hier  nur  um  die  Adaptirung  einer  grandiosen  antiken 
Anlage  handelte  und  das  Portal  verschwunden  ist,  kann  von  einer 
Michelangelo'schen  Architektur  doch  nur  in  sehr  bedingter  Weise 
geredet  werden.  In  der  Gestaltung  der  vier  Kompositsäulen  (mittlere 
Travee)  und  der  vier  korinthischen  (in  den  Ecken),  der  entsprechen- 
den Pilaster  des  sehr  reichen  und  feinen  Gebälkes  und  Gesimses 
hat  sich  der  Meister  ganz  an  die  Antike  gehalten.  Der  Fries  ist 
mit  Fruchtkränzen  geschmückt  (die  an  den  Schmalseiten  sind  in 
derberer,  stärker  reliefirter  Weise  offenbar  von  Vanvitelli  nach  dem 
Muster  der  von  Michelangelo  an  den  Längswänden  nachgebildet 
worden). 


Die  Capeila  Sforza  in  S.  Maria  maggiore  ige 

Bezüglich  der  Seitenräume,  die  von  Vanvitelli  zum  Hauptschiff 
gemacht  wurden ,  ist  Folgendes  zu  bemerken :  die  unmittelbar  an 
das  grosse  Michelangelo'sche  Schiff  anstossenden  korridorartigen 
Räume  und  die  Rotunda,  durch  welche  man  heute  eintritt,  waren 
schon  in  der  Michelangelo'schen  Anlage,  erhielten  ihre  aufgemauerten 
Säulen  und  die  damit  zusammenhängende  Ausgestaltung  aber  erst 
durch  Vanvitelli.  Auf  die  Zeit  von  Michelangelo  (die  Pilaster  in 
den  Ecken !)  weist  die  eine  Kapelle  der  hl.  Magdalena  in  der 
Rotunda  hin,  die  dann  1574  durch  Gonsalvus  Alberus,  wie  eine 
Inschrift  besagt,  ausgeschmückt  und  mit  Grabmälern  seiner  Familie 
ausgestattet  ward.  In  eben  diesem  Jahre  1574,  also  unter  Gregor  XIII., 
sind  die  vier  Kapellen  in  den  Korridorräumen  angelegt  worden:  in 
einer  derselben  befindet  sich  eine  so  datirte  Inschrift.  Die  archi- 
tektonische Einrahmung :  Rundbogen  zwischen  jonischen  Pilastern, 
welche  Spitzgiebel  tragen,  dürfte  wohl  von  Giacomo  della  Porta 
herrühren  —  und  ebenso  die  ihr  genau  entsprechende  Wand- 
verkleidung in  der  Rotunda.  1574  also  haben  diese  Räume  ihre 
Ausschmückung  erhalten.  — 

Unabhängiger  als  in  dem  Kircheninnern  tritt  uns  in  der  Riesen- 
anlage des  angränzenden  Karthäuserklosterhofes  mit  seinen  hundert 
Travertinsäulen  Michelangelos  Architektur  vor  Augen,  hat  der  Meister 
auch,  wie  Letarouilly  richtig  bemerkt,  für  die  Gesamtanlage  die 
Certosa  bei  Florenz  als  Vorbild  benutzt.  Auch  für  die  Anordnung 
der  einzelnen  Zellen  mit  ihren  Gärten  gilt  dies.  Nur  ist  jeder 
Komplex  einer  Zelle  etwas  reicher  gestaltet,  indem  von  dem  kleinen 
Korridor  aus  eine  kleine  Loggia  nach  dem  Garten  sich  öffnet. 
Die  Säulenordnung  des  Hofes  ist  toskanisch,  die  Gewölbe  haben 
Stichkappen.  Das  Attikageschoss  zeigt  abwechselnd  breite  vier- 
eckige und  ovale  Fenster,  um  deren  Rahmen  die  von  oben  herab- 
steigenden Linien  der  Felderfüllung  als  äussere  Begrenzung  mit 
Ohren  an  den  vier  Ecken  sich  herumziehen. 

Die  Thüren  und  kleinen  Fenster  der  Zellen  haben  gleichfalls 
Umrahmungen  mit  Ohren,  die  zwei  aneinandergelehnte  kleine 
Voluten  in  sich  schliessen.  Das  Kranzgesims,  auf  dem  das  Dach 
unmittelbar  aufsitzt,  wird  durch  schlichte  Pilaster  getragen.  (Abb. : 
Grundriss  der  gesamten  Anlage,  Blick  in  den  Hof  und  einige  Zellen 
bei  Letarouilly  III,  316  und  317.) 


IV 

Die  Capeila  Sforza  in  S.  Maria  maggiore 

Vasari  sagt :  fece  allogare  a  Tiberio  (Calcagni),  con  suo  ordine, 
a  Santa  Maria   maggiore    una    cappella   cominciata  per  il  cardinale 


l85  Die  Bauten  in  Rom 


di  Santa  Fiore,  lestata  imperfetta  per  la  morte  di  quel  cardinale, 
e  di  Michelagnolo  e  di  Tiberio,  che  fu  di  quel  giovane  grandissimo 
danno. 

Der  Kardinal  war  Ascanio  Guido  Sforza,  camerlingo  di  Santa 
Chiesa.  Vollendet  wurde  die  Kapelle  —  es  ist  die  zweite  im  linken 
Seitenschiff,  jetzt  Pallavicini-Sforza  genannt  —  durch  Giacomo  della 
Porta.  Sie  genoss  im  XVII.  Jahrhundert  als  Schöpfung  Michelangelos 
eine  grosse  Berühmtheit,  solange  nämlich  ihre  Fassade  erhalten  war. 
Joachim  von  Sandrart  im  „Anderen  Theil  des  grossen  Schauplatzes 
von  dem  alten  und  neuen  Rom",  1694,  bildete  ihren  Prospekt  und 
eine  Seite  ab.  (II,  Tav.  IX  u.  X.)  Vgl.  auch  P.  de  Angelis :  Basi- 
licae  S.  M.  Majoris  descriptio  et  delineatio,     Rom   1621. 

Bottari  in  einem  Briefe  (Fanfani:  Spigol.  90  f)  schreibt  1748: 
sie  sei  nicht  aus  Marmor,  sondern  aus  Travertin  und  zeige  „una 
semplicitä  magnifica,  una  novitä  bizzara,  un  grande,  un  terribile  ■ — 
sembra  un'  idea  astratta  e  figurata  col  pensiero  o  veduta  in  sogno". 
Sie  sei  aber  vernachlässigt,  weil  die  zwei  anderen  reich  aus- 
geschmückten Kapellen  Sixtus'  V.  und  Pauls  V.  den  Blick  auf  sich 
zögen.  Die  „superbissima  facciata  d'una  maestä  e  sodezza  am- 
mirabile"  mit  einer  „cancellata  di  ferro"  wolle  man  jetzt  bei  der 
Restauration  wegnehmen,  weil  sie  die  Symmetrie  der  Kirche  störe. 
Kurze  Zeit  darauf,  im  Juni,  ist  diese  Barbarei  wirklich  geschehen. 
Bottari  berichtet  es  am  20.  Juli  (a.  a.  O.  S.  95)  und  sagt,  er  habe 
vorher  eine  Zeichnung  mit  Maassangaben  anfertigen  lassen. 

Dachte  Michelangelo,  als  er  sein  Grabmal  für  S.  Maria  maggiore 
bestimmte  und  hierfür  die  Pietä  ausführte  (Vasari  VI,  189),  an 
diese  Kapelle.'' 

Die  Anlage  ist  eine  seltsame.  Der  Hauptraum  besteht  aus 
einem  kuppligen  Gewölbe,  das  von  vier  schräggestellten,  antikischen 
Kompositsäulen  getragen  wird.  Links  und  rechts  schliesst  sich  in 
flacher,  segmentförmiger  Rundung  je  eine  Art  Apsis  an,  und  zwar 
nicht  in  der  Breite  der  Säulendistanz,  sondern  breiter:  zwischen 
der  Vierungssäule  und  dem  seitlichen  Apsisabschluss  tritt  in  die 
Ecke  vermittelnd  eine  Säule.  Zwei  Pilaster  gliedern  die  Wand 
der  Apsis,  die  mit  segmentförmigem  Gewölbe  versehen  ist.  Der 
viereckige  Chor  ist  mit  einem  Tonnengewölbe  bedeckt.  Die  Mittel- 
fenster der  Apsiden  zeigen  Michelangeleske  Formen :  nach  unten 
sich  verbreiternd  (und  zwar  stärker  wie  in  der  Sakristei  von 
S.  Lorenzo)  sind  sie  mit  einem  Segmentgiebel,  der  einen  spitzen 
in  sich  schliesst,  abgeschlossen.  Der  Spitzgiebel  steht  auf,  dem 
Rahmen  entsprechend,  schräg  gestellten  Konsolen  mit  seltsam  ge- 
formtem Zahnschnitt  und  Tropfen  und  ist  mit  einer  geflügelten 
Maske  geschmückt.  In  den  Apsiden  befinden  sich  die  Grabdenk- 
mäler   der  Guido  Ascanio  Sforza  und   des  Alessandro  Sforza.     Die 


Die  Kirche  del  Gesü  —  Dem  Meister  zugeschriebene  kirchliche  Bauten    187 

Inschriften  belehren  uns  darüber,  dass  Guido  zu  seinen  Lebzeiten 
(vor  1564)  die  Kapelle  zu  bauen  begann  und  Alexander  sie  1573 
vollendete  und  ausschmückte. 

Sie  lauten : 

Guido  Ascanius  Sfortia  Diacon.  card.  S.  Florae  S.  R.  E. 
Camerarius  hujus  basilicae  archipresbyter  sacellum  hoc  pietatis  suae 
monumentum  a  se  dum  viveret  inchoatum  moriens  legata  haeredibus 
pecunia  absolvi  testamento  jussit  Anno  MDLXIV. 

Alexander  Sfortia  S.  R.  E.  Presbyter  Card,  hujus  basilicae 
archipresbyter  sacellum  a  Guidone  Ascanio  fratre  inchoatum  divisque 
Florae  et  Lucillae  gentis  suae  patronis  a  se  dicatum  bonis  ad  sacra 
facienda  auxit  ornavitque  anno  MDLXXIII. 

Die  bizarre,  wenig  glückliche  Anlage  des  Ganzen  dürfte  dem- 
nach wohl  auf  Skizzen  Michelangelos  zurückgehen.  Ich  mache 
darauf  aufmerksam,  dass  in  dem  einen  Entwurf  für  S.  Giovannino 
in  Florenz  (s.  oben  I,  S.  477  Nr.  XXXVI)  eine  ähnliche  seltsame 
Form  der  Apsiden  geplant  ist:  Zeichnung  der  Casa  Buonarroti 
LV,   120. 

V 

Die  Kirche  del  Gesü 

Wir  verdanken  Klaczko  (Jules  II,  S.  ^37,  A.  2)  den  Hinweis 
auf  einen  Brief  Loyolas  an  den  Grafen  de  Melito  vom  21.  Juli 
1554,  in  dem  berichtet  wird,  dass  Michelangelo  die  Oberleitung 
des  beabsichtigten  Baues  von  Gesü,  der  freilich  dann  erst  1 568  von 
Vignola  begonnen  wurde,  übernehmen  wolle. 

Die  Stelle  lautet:  ,,La  iglesia  ira  ahora  mas  adelante  ... 
tomando  cargo  de  la  obra  el  mas  celebre  hombre  che  por  acä  se 
sabe ,  que  es  Michel-Ange  (que  tambien  tene  la  de  San  Pedro), 
y  por  devocion  sola,  sin  interes  alguno  se  emplea  en  ella.  (Cartas 
de  San  Ignacio  de  Loyola;  Madrid   1874  ff.  IV,  p.  228.  229.) 


VI 

Einige  dem  Meister  zugeschriebene  kirchliche  Bauten 

I.  Die  Cappella  Strozzi  in  S.  Andrea  della  Valle. 
Es  ist  die  zweite  rechts ,  welche  in  reicher  Wandverkleidung  an 
der  Altarwand  die  Bronzekopien  der  Pietä  und  der  Rahel  und  Lea 
(am  Juliusdenkmal)  zeigt.  Joachim  von  Sandrart  im  ,, Anderen 
Theil  des  grossen  Schauplatzes  von  Rom"  (II,  Tav.  IV  u.  V)  hat 
den  Prospekt  und  eine  Seite  der  Kapelle  abgebildet.  Filippo  Titi 
sagt,  man  glaube  mit  Recht,  dass  sie  nach  einer  Zeichnung  Michel- 


l88  Die  Bauten  in  Rom 

angelos  angefertigt  sei.  v.  Ramdohr  (III,  254)  äussert  sich  begeistert 
über  sie. 

In  der  That  zeichnet  sich  die  gesamte  architektonische  Aus- 
schmückung durch  grosse  Feinheit,  Geschmack  und  edles  Marmor- 
material aus.  Die  Altarwand  und  die  beiden  Seitenwände  haben 
die  gleiche  reiche  Gliederung  —  nur  zeigt  sich  an  der  Altarwand 
eine  mittlere  Bekrönung  durch  einen  spitzen  Giebel  —  erhalten. 
Über  einem  hohen  Sockel,  vor  dem  an  den  Seitenwänden  je  zwei 
Sarkophage  stehen,  erheben  sich  vier  schön  gebildete,  kannelUrte 
Kompositsäulen,  die  zierlich  und  fein  geformtes  Architrav,  Fries 
und  Gesims  tragen  und  ein  etwas  breiteres  Mittelfeld  und  schmale 
Seitenfelder  einschliessen.  Auf  dem  Gesims  als  Abschluss  vier 
Michelangeleske  Volutenkonsolen.  In  der  Lunette  darüber  das 
Wappen  der  Strozzi.  Die  Sarkophage  aus  schwarzem  Marmor  haben 
die  Form  der  Mediceischen.  An  der  Altarwand  sind  in  der  Mitte 
die  Pietä,  seitlich  Rahel  und  Lea  in  Bronzekopien  angebracht,  über 
letzteren  zwei  Reliefs :  die  Kreuzabnahme  und  Christus  im  Limbus. 
Der  Altar,  aus  weissem  Marmor,  ist  schwer  in  der  Form,  die  an 
einen  Sarkophag  erinnert. 

In  den  Sarkophagen  bestattet  sind  die  Söhne  des  Filippo 
Strozzi:  Roberto,  Pietro  (Marschall  Heinrichs  IL),  Lorenzo  Kardinal 
und  Leo. 

In  der  Kapelle  auf  dem  Boden  aufgestellt  sind  zwei  prachtvolle 
Bronzekandelaber. 

Die  Pietät  und  Bewunderung  der  Strozzi  für  den  grossen 
Künstler,  welcher  der  Freund  ihres  Hauses  war,  hat  hier  ein  rühren- 
des Zeugniss  gefunden.  Sie  wollten  im  Tode  von  Gestalten  und 
Formen  Michelangelos  umgeben  sein.  Es  wäre  von  Interesse  zu 
erfahren ,  wem  sie  den  Auftrag  gaben ,  diese  Komposition  aus 
Motiven  und  Reminiscenzen  von  Dessen  Kunst  zu  schaffen  und  wer 
sich  dieser  Aufgabe  mit  solchem  Geschick  entledigte. 

2.  Die  Kirche  S.  Anna  de'  Palafrenieri.  Sie  wurde 
1575  von  Giacinto  Barozzi  nach  einer  Zeichnung  seines  Vaters 
Giacomo  erbaut.  ,, Viele  aber  sagen,  sie  sei  von  Michelangelo  ent- 
worfen worden." 

3.  DieOrnamente  in  der  Cappella  Cesi  in  S.Maria 
della  Pace. 

Es  ist  die  zweite  Kapelle  rechts,  welche  an  die  mit  Raphaels 
Sibyllen  verzierte  sich  anschliesst.  Kein  Anderer  als  Goethe 
spricht  angesichts  der  Ornamente  dieses  Raumes  von  Michelangelo. 
(Ital.  Reise.  II.  röm.  Aufenthalt,  Dez.)  „Die  zwote  Kapelle  ist  nach 
des  Michael  Angelo  Zeichnungen  mit  Arabesken  geziert,  die  hoch 
geschätzt  werden,  aber  nicht  simpel  genug  sind."  Sie  rühren  von 
Simone  Mosca  her. 


Einige  dem  Meister  zugeschriebene  kirchliche  Bauten  igo 

4.  Der  Brunnen  im  Garten  von  S.  Susanna.  Von 
diesem  weiss  Titi  Folgendes  zu  berichten :  nel  fondo  del  giardino 
di  questo  monastero  e  una  cisterna,  la  cui  sponda  e  tutta  di  marmo 
adorna  di  pilastri,  che  reggono  un  architrave,  e  dalle  scritture  di 
esso  monastero  si  raccoglie,  che  e  opera  del  Buonarroti  non  solo 
quanto  al  disegno,    ma    anche    quanto    all'    esecuzione  e  al  lavoro. 

Da  das  Werk  nicht  mehr  erhalten  und  mir  keine  Abbildungen 
bekannt    geworden    sind ,    vermag   ich   mir   kein   Urtheil   zu  bilden. 

5.  S.  Maria  de  11'  Orto.  Der  Bau  dieser  Kirche  wird  von 
Martinello  (Roma  la  etica  sacra  1653  S.  219)  willkürlich  Michel- 
angelo zugeschrieben.  Bei  Sandrart:  Deutsche  Ak.  (I.  Hauptt. 
I.  Band  Tav.  65)  werden  als  Architekten  Martino  Longo  senior  und 
Giacomo  della  Porta  genannt.  Filippo  Titi  lässt  sie  von  Giulio 
Romano  bauen ;  die  Fassade  sei  von  Longo ,  der  Hochaltar 
von  Porta. 

6.  Die  Holzdecke  des  Hauptschiffes  von  S.  Gio- 
vanni in  Lateran o.  Sie  wurde  von  Pius  IV.  gestiftet  und  ist  von 
den  Einen  Michelangelo ,  von  Anderen  dem  Giacomo  della  Porta 
zugeschrieben  worden. 

Sie  zerfällt  in  drei  Hauptabtheilungen,  deren  Mittelfelder  (vom 
Ouerschiff  an  gezählt)  die  Wappen  Pius'  V.,  Plus'  IV.  und  Pius'  VI. 
enthalten.  Die  Hauptbalken  sind  alle  mit  Doppelmäander,  die 
Rahmungen  der  vertieften  Felder  sehr  reich  und  schön  mit  Konsolen, 
Flechtband ,  Perlenschnur  und  Sima  verziert.  Am  reichsten  die 
grossen  Felder  der  Mitte ,  deren  Rahmenstreifen  Masken ,  Putten 
und  Festons  zeigt.  Jede  Hauptabtheilung  enthält  ein  oblonges 
Mittelfeld  (mit  dem  Wappen),  das  von  vier  grossen  Eck-  und  vier 
kreuzförmig  angelegten  kleineren  Mittelfeldern  umgeben  ist.  Die- 
selben sind  mit  den  Leidenswerkzeugen  und  kirchlichen  Utensilien 
in  Relief  geschmückt.  Zwischen  den  Hauptabtheilungen  befindet 
sich  ein  Streifen  mit  drei  Feldern ,  welche  gleiche  Embleme  auf- 
weisen. Der  Grund  der  Felder  ist  abwechselnd  blau ,  roth  und 
grün ;  die  Reliefdarstellungen  sind  golden.  Für  die  Zuschreibung 
der  Decke  an  Michelangelo  giebt  es  keinen  Anhalt. 


igo 


Die  Bauten  in  Rom 

B.  Profanbauten 

I 

Das  Kapitol 

Geschichtliches. 

Emsiger  Forschung  verdanken  wir  eine  genaue  Kenntniss  der 
Geschichte  des  Kapitols  auch  in  der  neueren  Zeit.  Grundlegend 
wurde  der  Aufsatz  von  A.  Michaelis:  Michelangelos  Plan  zum  Kapitol 
(Zeitschrift  f  bild.  Kunst  189 1,  N.  F.  II,  S.  184 ff.).  Es  folgten  Christian 
Hülsens  „Bilder  aus  der  Geschichte  des  Kapitols",  Rom  1899  und 
das  Werk  E.  Rodocanachis :  Le  Capitole  romain ,  Paris  1904.  Ich 
darf,  auf  diese  Arbeiten  verweisend,  mich  auf  die  kurze  Erwähnung 
der  Hauptthatsachen  beschränken. 

Im  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts  zeigt  der  Senatorenpalast 
noch  die  vier  ungleichen  Eckthürme,  einen  hohen  Campanile,  an 
der  Fassade  rechts  eine  Loggia  (lovium)  in  zwei  Etagen ,  zu  der 
eine  gerade  Treppe  hinaufführt,  links  eine  an  die  Mauer  sich  an- 
lehnende unvollendete  Treppe  über  drei  Wölbungen.  Der  Konser- 
vatorenpalast ,  vernachlässigten  Eindruck  machend ,  enf hält  rund- 
bogige  Arkaden  im  Erdgeschoss,  unter  denen  der  Kolossalkopf 
Domitians  aufgestellt  ist  und  deren  mittlerer  Eingang  durch  zwei 
Flussgötter  flankirt  wird  (Zeichnungen  von  Heemskerk.  Michaelis 
S.  685,  Fig.  I  und  2.  Rodocanachi  S.  60,  Fig.  22;  S.  35,  Fig.  9). 
Links  die  Kirche  S.  Maria  in  Araceli,  zu  deren  Querschiff  eine 
breite  Treppe  führt;  rechts  von  dieser  der  Obelisk.  (Heemskerk. 
Michaelis  S.  187,  Fig.  3.  Rodocanachi  S.  31,  Fig.  6).  1520  ordnete 
der  Senator  Pietro  Squarcialupi  Arbeiten  am  Konservatorenpalast 
an,  die,  in  einer  Wiederherstellung  der  Arkaden  und  in  der  Anlage 
einer  Reihe  gleichmässiger  Fenster  mit  geraden  Gesimsen  bestehend, 
uns  durch  den  Stich  des  Hier.  Kock  von  1562  (Abb.  Michaelis  S.  189, 
Fig.  5.     Rodocanachi  S.  63,  Fig.  24)  bekannt  sind. 

Karls  V.  Besuch  in  Rom  1536  veranlasst  Pläne  einer  Ver- 
schönerung des  Platzes ,  mit  dessen  durch  Jahrzehnte  sich  hin- 
ziehenden Ausgestaltung  und  Ausschmückung  man  damals  beginnt. 
Offenbar  wird  Michelangelos  Gutachten  eingefordert.  Am  l  O.  Dezember 
1537  erhält  er  das  Römische  Bürgerrecht.  Trotz  des  Einspruches, 
den  das  Kapitel  der  Lateranskirche  erhebt  (28.  November  1537 
und  9.  Januar  1538),  wird  im  Frühjahr  1538  die  Reiterstatue  des 
Marc  Aurel  vom  Lateransplatz  überführt  und  das  Material  für  ihr  Posta- 


Das  Kapitol  191 

ment  dem  Forum  Trajans  entnommen.  Ein  Theil  der  Kosten  wird 
vom  Consiglio  comunale  aufgebracht;  der  Beschluss  vom  22,.  März 
1538  besagt:  quod  dicta  summa  erogari  debeat  in  reformatione 
Statue  M.  Antonii  in  platea  Capitolii  secundum  Judicium 
Michaelis  Angeli  sculptoris. 

Nicht  die  Kleriker  allein,  auch  Michelangelo  war  gegen  die 
Übertragung  der  Statue.  Diese  interessante  Thatsache  erfahren  wir 
aus  einem  Briefe  des  Giovan  Maria  della  Porta  an  den  Herzog 
Francesco  Maria  von  Urbino,  den  Georg  Gronau  publizirt  hat  (Bei- 
heft zum  Jahrb.  d.  k.  pr.  Kunsts.  XXVII,  S.  9) :  Michelangelo  con- 
trastö  assai,  per  quanto  lui  mi  dice,  che  questo  cavallo  non  se 
levasse,  parendogli  che  '1  stesse  meglio  dove  l'era,  et  che  se  lui 
non  havesse  tanto  disuaso  il  Papa  che  S.  Sta.  voleva  similmente 
levare  gli  dui  cavalli  e  statue  di  Montecavallo.  Hiernach  scheint 
es,  dass  Paul  III.  auch  die  letzteren  auf  das  Kapitol  bringen  wollte, 
wohin  statt  ihrer  später  das  andere  Paar  der  Dioskuren  kam. 
Übrigens  heisst  es  in  diesem  Briefe :  Porta  habe  ,,cautamente  a  chi 
ha  cura  di  farvi  la  nova  basa"  empfohlen ,  die  alte  Inschrift 
Sixtus' IV.  wieder  anzubringen.  Diese  Umschreibung  —  kurz 
darauf  wird  Michelangelo  genannt  —  zeigt,  dass  Dieser  nicht 
der  Verfertiger  d  es  Postament  es  gewesen  ist:  er  scheint 
höchstens    allgemeine   Bestimmungen    darüber    getroffen    zu    haben. 

Hat  er  damals  schon  Pläne  für  die  Gesamtgestaltung  desKapitols 
gemacht.?  Dies  wissen  wir  nicht.  1541  und  1542  werden  Repara- 
turen im  Senatorenpalast  vorgenommen.  Mangel  an  Geld  nöthigt, 
von  Neubauten  abzusehen  und  sich  bloss  auf  die  Verschönerung 
des  Platzes  zu  beschränken.  1543  werden  Mittel  beschafft  für  die 
Via  Capitolina.  Nach  Aussagen  des  später  bei  der  Bauleitung  be- 
schäftigten Prospero  Boccapaduli,  der  1568  die  ganze  Bauzeit  auf 
22  Jahre  angiebt,  beginnt  man  mit  dem  Neubau  1546  (M.  Ubaldo 
Bicci :  Notizie  della  Famiglia  Boccapaduli.  Rom  1762,  S.  131).  Und 
für  Diesen  fertigt  Michelangelo  damals  sicher  die  Entwürfe  an,  denn 
Vasari  sagt  im  Leben  des  Aristotele  da  San  Gallo  (VI,  S.  449), 
der  Meister  habe  beabsichtigt  sich  seiner  ,,bei  dem  Bau ,  den  die 
Römer  auf  dem  Kapitol  auszuRihren  gedenken",  zu  bedienen,  aber 
Aristotele  sei  damals  nach  Florenz  zurückgekehrt  —  und  diese  Rück- 
kehr fand   1547  statt! 

Das  Erste,  was  geschieht,  ist  eine  Umwandlung  der  Fassade 
des  Senatorenpalastes.  Die  Loggia  rechts  und  die  Treppe  wird 
entfernt.  Die  Mitteltreppe  mit  dem  Mittelportal  wird  errichtet  und 
durch  die  beiden  Flussgötter  geschmückt.  Deren  Erwähnung  durch 
Aldovrandi  (1550)  beweist,  dass  diese  Neuerungen  Ende  der  vier- 
ziger Jahre  vorgenommen  wurden.  Des  Hieronymus  Kock  Stich 
von   1562  giebt,    wie  Michaelis  richtig  bemerkt,    eine  ältere  Zeich- 


192 


Die  Bauten  in  Rom 


nung  des  Zustandes  vor  i  547  wieder :  die  ältere  Anlage  einer  halben 
Treppe,  die  hier  sichtbar  (bereits  mit  dem  einen  Flussgott),  musste 
der  neueren  weichen.  Zwischen  1550  und  1555  wurden  die  breiten 
Treppen  nach  Araceli  und  nach  dem  tarpejischen  Felsen  durch  Vi- 
gnola  neu  gebaut  und  mit  Loggien  bekrönt.  Nach  1555  aber  war, 
wie  ein  Stadtplan  aus  diesem  Jahre  (Abb.  Letarouilly  Text  S.  720) 
zeigt,  der  Platz  nach  Norden  zu  in  noch  keiner  Weise  gestaltet. 
Prospero  Boccapaduli  erhielt  1555  die  Aufsicht  über  die  Bauten  des 
Kapitols,  aber  es  fehlte  an  Geld,  und  andere  Ämter,  zumTheil  ausser- 
halb Roms,  hielten  ihn  von  dieser  Aufgabe  ferne.  Erst  1 560  unter 
Pius  IV,  beginnt  regeres  Leben.  1561  müssen  die  Consiglieri  auf 
Geldbeschaffung  bedacht  sein.  In  den  folgenden  Jahren  wird  der 
Platz  durch  Balustraden  abgeschlossen  (Gamucci:  Antichitä  della 
cittä  di  Roma  1565)  und  der  breite  Hauptaufgang  wird  geschaffen. 
1563  hatte  ein  Architekt  Guidetti  es  übernommen,  Michelangelos 
Pläne  auszuführen ,  doch  erfahren  wir  Nichts  von  seiner  Thätigkeit 
(Bicci  a.  a.  O.  S.  114,   132,  Anm.  a). 

Als  Michelangelo  starb,  war  ausser  der  Treppe  am  Senatoren- 
palast also  noch  Nichts  von  seinem  Plan  der  Paläste  verwirklicht. 
Ein  Stich  in  Lafreris  Speculum  von  1565  zeigt  uns  den  Senatoren- 
palast und  den  der  Konservatoren  noch  unverändert.  Links  nach 
Araceli  zu  wird  der  Platz  durch  eine  Mauer  abgeschlossen  (Abb. 
Michaelis  S.  191,  Fig.  6,  Letarouilly  S.  721.  Rodonachi  S.93,  Fig.40). 
In  demselben  Jahre  aber  erhalten  Boccapaduli  und  Tommaso  Cava- 
lieri  den  Auftrag,  des  Meisters  Plan  auszuführen  (Bicci  S.  114,  129). 
1 568 ,  als  Vasari  schrieb ,  wurde  am  Konservatorenpalast  noch 
gebaut:  zwei  Inschriften  wurden  zu  Seiten  des  Hauptportales  ein- 
gelassen: 

S.  P.  Q.  R.  Majorum  suorum  praestantiam  ut  animo  sie  re 
quantum  licuit  imitatus  deformatum  injuria  temporum  Capitolium 
restituit  Prospere  Buccapadulio  Thoma  Cavalerio  Curatoribus  Anno 
post  urbem  conditam  CXD  CXD  CCCXX. 

S.  P.  Q.  R.  Capitolium  praecipue  Jovi  olim  commendatum  nunc 
Deo  vero  cunctarum  bonorum  auctori  Jesu  Christo  cum  salute 
comuni  supplex  tuendum  tradit  Anno  post  salutis  initium  MDLXVIII. 

Ein  Jahr  später  1569  wurde  von  Lafreri  in  seinem  Speculum 
mahnend  Michelangelos  gesamter  Entwurf  in  einem  Stiche  Du 
Perracs  veröffentlicht.  PiusV.  schenkt  dreissig  Statuen  zum  Schmucke 
der  Bauten  aus  der  Statuensammlung,  die  Pius  IV.  im  Vatikan  ver- 
einigt hatte.  Sie  wurden  aber  zum  Theil  in  das  Innere  gebracht. 
Unter  Gregor  XIII.  wird  fleissig  weiter  gearbeitet.  Als  Architekten 
sind  Giacomo  della  Porta  und  Martino  Lunghi  thätig,  deren  Zeich- 
nungen zur  grossen  Aufgangstreppe  den  Sieg  über  Entwürfe  vieler 
anderer   Baumeister    davongetragen   hatten.     i577    wird    die    Nivel- 


Das  Kapitol  I93 

lirung  des  Platzes  vorgenommen.  Zwischen  1578  und  1580  wird 
nach  Entwurf  Lunghis  der  alte  Thurm  des  Senatorenpalastes,  und 
zwar  mit  doppelten  Geschossen  errichtet.  Die  Nische  an  der  Treppe 
erhält  1582,  statt  des  Jupiters,  den  Michelangelo  geplant,  eine  Statue 
der  Minerva,  an  deren  Stelle  dann  1592  eine  kleinere  derselben 
Göttin  kam.  1583,  nachdem  schon  unter  Plus  IV.  die  zwei  bei 
S.  Maria  sopra  Minerva  gefundenen  Sphingen  (jetzt  durch  Kopien 
ersetzt)  auf  die  Treppe  gebracht  worden  waren,  wurden  die  beiden 
Dioskuren,  die  beim  Ghetto  entdeckt  wurden,  aufgestellt ;  1584  der 
alte  Meilenzeiger  von  der  Via  Appia.  1588  ordnet  der  Architekt 
Matteo  di  Castello  die  Brunnenschale  zwischen  den  beiden  Flüssen 
an.  1 590  erhalten  die  Trophäen  des  Marius  ihre  Aufstellung.  Unter 
Clemens  VIII.  wird  1592  bis  1598  nach  den  Plänen  Giacomos  della 
Porta  durch  den  Architekten  Girolamo  Rinaldi  die  Umwandlung  des 
Senatorenpalastes  vorgenommen  (Passeri:  Vite  de'  pittori,  17/2, 
S.  272):  Inschrift  über  der  Hauptthür  (Forcella  I,  104).  Giacomo 
del  Duca  vergrössert  das  Mittelfenster  am  Konservatorenpalast 
(Baglione).  1594  wird  der  Marforio  an  der  Mauer  nach  AraceU  zu 
in  einer  von  Porta  gestalteten  Brunnennische  angebracht  (Abb. 
Andrea  della  Vaccaria:  Ornamenti  e  fabbriche  di  Roma,  1600, 
Taf.  15.  Stich  Marcuccis  von  1625  bei  Michaelis  S.  102,  Fig.  8). 
Unter  Clemens  VIII.  werden  auch  die  Fundamente  zum  dritten 
Palast,  den  aber  erst  Innocenz  X.  1644  durch  den  betagten  Rinaldi 
nach  dem  Muster  des  Konservatorenpalastes  ausführen  Hess ,  ge- 
legt (Passeri  S.  272.  Justi:  Velasquez  II,  194).  Vollendet  hat  ihn 
Alexander  VII.  Die  Statuen  des  Konstantin  und  Konstanzius 
wurden  1653  von  der  Aracelitreppe  auf  die  Haupttreppe  übergeführt. 
1692  erhielt  der  Meilenzeiger  sein  Gegenstück.  1709  ward  die 
grosse  Strasse  zum  Forum  angelegt. 

MichelangelosEntwurf 

Der  Kapitolplatz  mit  seinen  Gebäuden  ist  des  Meisters  Schöpfung. 
Etienne  du  Peracs  Stich  vom  Jahre  1569,  welcher  die  Bezeichnung 
trägt:  Capitolii  Sciographia  ex  ipso  exemplari  Michaelis  Angeli 
Bonaroti  a  Stephano  du  Perac  Parisiensi  accurate  delineata  et  in 
lucem  aedita.  Romae  anno  salutis  MDLXIX,  lässt  keinen  Zweifel 
darüber  (Abb.  Michaelis  S.  188,  Fig.  4.  Rodocanachi  S.  64,  Fig.  25). 
In  allem  Wesentlichen  haben  sich  Giacomo  della  Porta  und  Dessen 
Nachfolger  an  Michelangelos  Zeichnung  gehalten.  Die  Abweichungen 
von  derselben  beschränken  sich  auf  Folgendes. 

I.  Der   niedrige    eingeschossige    Thurm    des   Senatorenpalastes 
mit  den  einfachen  Pilastern  in  den  Ecken  ist  in  einen  höheren, 
zweigeschossigen     mit     gekuppelten     Pilastern     umgewandelt 
worden. 
%*  13 


194 


Die  Bauten  in  Rom 


2.  An  die  Stelle  der  grossen  Fenster  im  oberen  Gcschoss  des 
Senatorenpalastes,  welche  von  Michelangelo  in  gleicher  Grösse 
und  Form ,  wie  die  unteren ,  geplant  waren ,  sind  kleine  vier- 
eckige gesetzt  worden. 

3.  Die  Fenster  wurden  reicher  gerahmt  und  die  Balustraden  vor 
ihnen  weggelassen. 

4.  Die  von  einem  Balkon  mit  Statuen  bekrönte  kleine  Säulen- 
vorhalle auf  dem  Mittelpodest  der  Treppe  des  Palastes  wurde 
weggelassen.  An  ihre  Stelle  trat  ein  grosses  Portal  und  an 
die  des  oberen  Fensters  daselbst  eine  Inschrifttafel. 

5.  Die  Statuen  auf  den  Balustraden  der  Treppen  wurden  nicht 
aufgestellt. 

6.  Nicht  Jupiter,  sondern  Minerva,  und  zwar  bei  der  späteren 
Vertauschung  die  kleine,  als  Roma  bezeichnete,  wurde  in  der 
Mittelnische  angebracht. 

7.  An  Stelle  der  einfachen  kleinen  Fenster  im  Erdgeschoss  wurden 
grössere  verzierte  gegeben. 

8.  Vor  der  Nische  wurde  eine,  von  Michelangelo  nicht  angegebene 
Brunnenschale  aufgestellt. 

9.  Im  Konservatorenpalast  wurde  —  offenbar  aus  Lichtbedürf- 
nissen des  Inneren  —  ein  breites  Mittelfenster   angeordnet. 

10.  Die  Dioskuren  am  Ende  der  grossen  Treppe  sind  von  Michel- 
angelo in  Seitenansicht  gegeben.  Offenbar  dachte  er  damals 
doch  an  eine  Übertragung  der  Gruppen  vom  Montecavallo, 
so  bedenklich  diese  auch  für  den  Marc  Aurel  geworden  wäre. 
Die  später  angebrachten  Gruppen  sind  in  Vorderansicht  auf- 
gestellt. 

11.  Im  Übrigen  hat  er  auf  der  Balustrade  nur  die  zwei  Kaiser- 
statuen anbringen  wollen.  Man  verwirklichte  bei  deren  Über- 
führung später  seinen  Gedanken. 

Dass  bei  dem  Bau  des  Konservatorenpalastes  der  ältere  Bau 
benutzt  wurde  und  die  schräge  Anordnung  auf  diesen  zurückzuführen 
ist,  hat  Michaelis  nachgewiesen.  BezügUch  des  Postamentes  des 
Marc  Aurel  verweise  ich  auf  das  oben  Gesagte.  Giovan  Maria  della 
Porta  deutet  auf  einen  anderen  Verfertiger  hin ;  und  so  hat  die  von 
Bottari  bekämpfte  Angabe  Sovranis  (Vite  dei  pittori  genovesi 
S.  55):  Leonardo  Sormani  habe  das  Piedestal  ausgeführt,  doch  viel- 
leicht Recht  (Bottari  1748  bei  Fanfani :  Spig.  S.  93). 

Zeichnungen  des  Meisters  für  Einzelheiten  sind  nicht  nach- 
zuweisen. Zwei  unter  seinem  Namen  im  Stuttgarter  Kupferstich- 
kabinet  befindliche  Kapitälstudien  sind  offenbar  nach  den  jonischen 
Kapitalen    im   Erdgeschoss    des   Konservatorenpalastes    angefertigt. 

Von  älteren  Aufnahmen  nenne  ich  die  bei  Daviler  (Cours 
d'Architecturel,  S.  284  ff.  Details:  Fenster,  Thüren,  Jonisches  Kapital, 


Der  Palazzo  Farnese  195 


Profil  und  Aufriss  des  Konservatorenpalastes),  Joachim  von  Sandrart 
(Deutsche  Akad.  IL,  I.  Haupttheil ,  IL  Band,  Taf.  XXXII  und 
XXXIII)  und  Pietro  Ferrerio  (Palazzi  di  Roma.  Ohne  Ort  und 
Datum.  Prospekt).  Man  vgl.  Letarouilly  III,  Taf.  352 — 354  und 
Strack:  Baudenkmäler  Roms,  Bl.  63 — 67. 

n 
Der  Palazzo  Farnese 

Geschichtliches. 

Im  Jahre  1493  kaufte  Alessandro  Farnese,  der  damals  Kardinal 
wurde,  das  grosse  Terrain  am  Campo  de'  fiori,  auf  dem  Antonio 
da  San  Gallo  wahrscheinlich  schon  vor  1 5 1 1  für  ihn  baute  (Fernand 
de  Navenne:  les  origines  du  palais  Farnese.  Revue  des  deux  mondes 
t.  131,  sept.  1895,  P-  352-  G.  Clausse:  Les  San  Gallo,  Paris,  II, 
^'] — 103).  15 15  erhielt  der  Kardinal  das  Recht,  aus  S.  Lorenzo 
fuori  le  mura  Material:  Kapitale,  Säulen,  Ornamente  zu  entführen. 
Über  Plan  und  Fortschritte  des  Baues  sind  wir  nicht  näher  unter- 
richtet. Als  Alessandro  im  Jahre  1534  Papst  wurde,  war  ein  Theil 
des  ersten  Geschosses  (primo  finestrato)  der  Fassade,  der  Saal  innen 
und  eine  Seite  des  Hofes  begonnen;  damals  entschloss  sich  Antonio, 
die  Anlage  zu  vergrössern,  ,, einen  Papstpalast  statt  eines  Kardinal- 
palastes" zu  machen.  Einige  benachbarte  Häuser  wurden  nieder- 
gerissen, die  alten  Treppen  in  sanfter  ansteigende  verwandelt,  der 
Hof  nach  allen  Seiten  verbreitert ,  grössere  Säle  und  zahlreichere 
Zimmer,  die  reich  mit  Holzschnitzereien  ausgeschmückt  wurden, 
angelegt.  Für  einige  Arbeiten  verwerthete  Antonio  die  Dekorations- 
kunst Moscas  (Vasari  VI,  298).  Über  Antonios  Zeichnungen,  auf 
die  ich  nicht  näher  eingehe,  vergleiche  das  zitirte  Werk  von  Clausse 
und  Ferri:  Indice  Geografico-analitico  dei  disegni  di  Architettura 
nella  r.  Gall.  d.  Uffizi,  Florenz.  Ende  1545  war  die  Fassade  bis 
zum  Kranzgesims  gediehen ;  da  forderte  Paul  III. ,  der  dieses  be- 
sonders schön  und  reich  wünschte,  vermuthlich  mit  dem  Entwürfe 
Antonios  unzufrieden  und  durch  ein  abfälliges,  uns  erhaltenes  Gut- 
achten, das  er  sich  offenbar  von  Michelangelo  erbeten,  bestärkt, 
die  besten  Architekten  in  Rom  auf,  Entwürfe  zu  machen.  Der 
beste  sollte  dann  von  Antonio  ausgeführt  werden.  „Und  so  eines 
Morgens  (Ende  1 545  oder  Anfang  1 546),  als  er  im  Belvedere  früh- 
stückte, wurden  in  Anwesenheit  Antonios  alle  die  Zeichnungen  vor 
ihn  gebracht;  sie  waren  ausgeführt  von  Perino  del  Vaga,  Fra 
Bastiano  del  Piombo,  Michclagnolo  und  Giorgio  Vasari,  der  damals 
ein  Jüngling  war  und  dem  Kardinal  Farnese  diente,  in  Dessen  und 
des  Papstes  Auftrag  er  nicht  allein  eine,  sondern  zwei  verschiedene 


Iq6  Die  Bauten  in  Rom 


Zeichnungen  für  das  Gesims  gemacht  hatte.  In  Wahrheit  brachte 
Buonarroti  übrigens  die  seine  nicht  selbst,  sondern  sandte  sie 
durch  Giorgio  Vasari ,  dem  er  sie  übergab ,  als  er  kam,  ihm  seine 
Zeichnungen  zu  zeigen  und  seine  freundschaftliche  Meinung  zu  er- 
bitten. Vasari  erhielt  den  Auftrag,  dem  Papst  den  Entwurf  zu  über- 
bringen und  Michelangelos  persönliches  Fernbleiben  damit  zu  ent- 
schuldigen ,  dass  er  sich  nicht  wohl  fühle.  Seine  Heiligkeit  be- 
trachtete alle  ihm  präsentirten  Zeichnungen  lange  und  lobte  sie  als 
geistreich  und  sehr  schön ;  aber  die  des  göttlichen  Michelangelo 
über  alle." 

Es  war  eine  schwere  Kränkung  für  Antonio,  als  Michelangelo 
daraufhin  beauftragt  wurde ,  ein  Modell  des  Kran^gesimses  zu 
machen,  das,  in  der  natürlichen  Grösse  von  sechs  Ellen,  auf  einer 
Ecke  des  Palastes  aufgestellt,  die  Bewunderung  des  Papstes  und 
aller  Römer  erregte.  Am  3.  Oktober  desselben  Jahres  1546  starb 
San  Gallo  und  Michelangelo  wurde  an  seiner  Stelle  Architekt  des 
Palastes.  Er  vollendete  1 547  das  Kranzgesims ,  das  von  Nanni 
di  Baccio  schlecht  gemacht  ward  (14.  Mai).  Vasari  nennt  es  das 
schönste  und  belebteste  aller ,  die  man  je  gesehen ,  antiker  oder 
moderner.  Über  die  von  Michelangelo  ausgeführten  Arbeiten,  die 
1549  von  Bartolommeo  Baronino  geleitet  wurden  (A.  Bertolotti: 
Artisti  subalpini  in  Roma,  1884,  S.  30),  äussert  sich  Vasari 
wie  folgt. 

,,Er  machte  über  dem  Hauptportal  des  Palastes  das  grosse 
Fenster  mit  schönsten  gesprenkelten  Säulen  und  mit  einem  grossen, 
sehr  schönem  Wappen  Pauls  III.  in  buntem  Marmor.  Im  Innern  fuhr 
er  in  dem  von  Antonio  Begonnenen  fort,  indem  er  über  der  ersten  Ord- 
nung im  Hofe  die  anderen  zwei  mit  den  schönsten  verschiedenartigen, 
anmuthigen  Fenstern ,  Ornamenten  und  Kranzgesims ,  die  man  je 
gesehen,  ausführte;  so  dass  dank  dem  Geist  und  den  Bemühungen 
dieses  Mannes  der  Hof  der  schönste  von  ganz  Europa  geworden. 
Er  verbreiterte  und  vergrösserte  den  grossen  Saal  und  ordnete  das 
Vestibül  davor  an,  dessen  Gewölbe  er  in  lebendig  neuer  Art  in 
Form  eines  halben  Eirund  ausführen  liess ;  und  da  in  jenem  Jahre 
( 1 546)  in  den  Antonianischen  Thermen  eine  Marmorgruppe,  in  der 
Grösse  von  sieben  Ellen  auf  jeder  Seite,  aufgefunden  worden  war, 
welche,  von  antiker  Hand  gemeisselt,  Herkules  darstellt  wie  er,  von 
einem  Anderen  unterstützt  und  rings  am  Berge  von  verschiedenen 
Gestalten,  von  Hirten,  Nymphen  und  Thieren  umgeben,  den  Stier 
bei  den  Hörnern  fasst  —  ein  Werk  von  ausserordentlicher  Schönheit, 
denn  es  zeigt  vollkommene  Gestalten  ohne  Anstückelung  aus  einem 
Marmorblock  gebildet,  und  war,  wie  man  urtheilt,  für  einen  Brunnen 
bestimmt  —  so  gab  Michelangelo  den  Rath,  man  solle  es  in  den 
zweiten  Hof  bringen  und  dort  so  wiederherstellen,  dass  es  Wasser 


Der  Palazzo  Farnese  107 


ausströme,  welcher  Gedanke  Zustimmung  fand.  Und  so  haben  es 
jene  Herren  Farnese  sorgfältig  für  diese  Bestimmung  seither  restau- 
riren  lassen.  Michelangelo  aber  ordnete  an,  dass  man  in  der  Axe 
des  Palastes  eine  Brücke  über  den  Tiber  bauen  solle ,  um  vom 
Palaste  aus  nach  Trastevere  zu  einem  andern  Palast  und  Garten 
der  Farnese  gehen  zu  können  und  in  gerader  Linie  vom  Haupt- 
portal am  Campo  di  fiore  mit  einem  Blicke  den  Hof,  den  Brunnen, 
die  strada  Julia ,  die  Brücke ,  die  Schönheit  des  anderen  Gartens 
bis  hin  zum  anderen  Thore,  welches  auf  die  Strasse  von  Trastevere 
mündet,  zu  gewahren.  Eine  Anlage  seltener  Art,  würdig  jenes 
Papstes  und  würdig  des  Talentes,  Urtheiles  und  der  Kunst  Michel- 
angelos." Dem  Fra  Guglielmo  della  Porta  verschaffte  er  den  Auf- 
trag der  Wiederherstellung  jener  antiken  Gruppe ;  derselbe  Künstler 
restaurirte  auch  den  Herkules  Farnese,  und  zwar  nach  Michelangelos 
Urtheil  so  glücklich,  dass,  als  1560  die  antiken  Beine  der  Statue 
aufgefunden  wurden ,  man  die  von  Guglielmo  ergänzten  neuen  an 
der  Figur  liess. 

An  anderer  Stelle  (I,  123)  bemerkt  Vasari,  dass  Michelangelo 
die  dekorativen  Elemente  im  Cortile :  Fenster,  Masken,  Konsolen 
und  die  sonstigen  ,,Bizarrerieen"  aus  Travertin  habe  anfertigen  lassen, 
der  wie  Marmor  bearbeitet  worden  sei.  Das  Staunenswertheste 
aber  sei  das  grosse  Kranzgesims  der  vorderen  Fassade  des  Palastes, 
dem  an  Schönheit  und  Vornehmheit  Nichts  an  die  Seite  zu 
stellen  sei. 

Nach  Michelangelos  Tode  hat  Vignola,  der  von  dem  Meister 
schon  am  Bau  beschäftigt  worden  war ,  die  Arbeiten  fortgeführt 
und  Giacomo  della  Porta  den  Mitteltheil  der  hinteren  Fassade  mit 
den  Loggien,  welche  das  System  des  Hofes  wiederholen,  ausgeführt. 
1589  war  das  Ganze  vollendet,  wie  die  Inschrift  bezeugt:  Alex. 
Card.  Farnesius  Vice  Can.  Episcopus  Ostiensis  aedes  a  Paulo  III. 
Pont.  max.  ante  Pontificatum  inchoatas  perfecit  an.  MDXXCIX. 

Das  Kranzgesims. 

Wie  San  Gallos  Kranzgesims  gebildet  gewesen,  wissen  wir 
nicht.  Eine  Zeichnung  des  Künstlers ,  die  zuerst  Letarouilly 
(Text  S.  289)  publizirte ,  zeigt  uns  zwar  eine  Ansicht  der  beiden 
oberen  Stockwerke  mit  dem  Gesims ,  aber  sie  stellt  einen  ersten 
Entwurf  der  Fassade  mit  einem  korinthischen  Eckpilaster,  der  durch 
beide  Stockwerke  geht,  dar,  und  die  Form  des  Gesimses  erscheint 
durch  diesen  Pilaster  bedingt.  Der  spätere  definitive  Entwurf  muss 
ein  anderes  Kranzgesims  gehabt  haben  —  auch  passen  Michelangelos 
kritische  Bemerkungen  nicht  auf  jenes  in  der  Zeichnung,  das,  wenn 
auch  nicht  gerade  besonders  glücklich,  doch  gute  antikische  Formen 
etwa  in    der  Art   derer   in    den  Thermen    des  Agrippa    zeigt.     Wir 


198 


Die  Bauten  in  Rom 


sind  also  auf  unsere  Phantasie  angewiesen,  lesen  wir  Michelangelos 
scharf  San  Gallos  Modell  verurtheilenden  Brief  an  den  Papst,  den 
Gotti  (I,  293)  publiziert  hat. 

Bcatissimo  patrc.  Come  quella  ä  'nteso  per  el  capitolo  di 
Vetruvio,  l'architettura  non  e  altro  che  ordinatione,  et  dispositione, 
et  una  bella  spetie  et  un  conveniente  consenso  de'membri  dell'  opera 
et  convenevolezza  et  distribuitione. 

Et  prima :  qui  non  e  ordinatione  nessuna :  perche  l'ordinatione 
e  una  piccola  comoditä  de'membri  dell'opera  separatamente  et  uni- 
versalmentc  posti,  di  consenso  apparecchiati;  anzi  c'e  tutto  disordine 
dentro ;  perche  li  membri  di  detta  cornice  sono  sproportionati  infra 
loro,  ne  anno  convenienza  l'uno  all'  altro. 

Seconda:  qui  non  e  dispositione  alcuna.  La  dispositione  e 
una  certa  collocatione  elegantemente  composta,  secondo  la  qualitä 
e  effetto  dell'opera.  Qui  non  e  qualitä  nessuna  per  l'opera  fatta, 
e  fatta  secondo  le  regole  di  Vetruvio :  et  questa  cornice  accusa 
piü  presto  qualitä  barbara  o  altrimenti. 

Terza :  una  bella  spetie  della  comoditä  della  composizione  de' 
membri.  In  aspetto,  in  questa  non  si  vede  comoditä  nessuna,  anzi 
tutte  scomoditä:  la  prima  scomoditä  si  e,  che  la  minaccia  una 
grossa  spesa  da  non  finire  mai  detta  opera;  seconda  scomoditä  e, 
che  la  minaccia  tirare  quella  facciata  del  palazzo  a  terra :  appresso 
tre  sono  le  spetie  della  cornice,  doriche,  ioniche  e  corinthie.  Questa 
non  e  di  nessuna  di  queste  tre  generationi,  ma  e  bastarda. 

Quarta :  e  dell'opera  e  de'  membri  un  conveniente  consenso 
che  le  parti  separatamente  rispondino  all'universa  spetie  della  figura 
con  la  rata  parte :  in  essa  cornice  non  c'e  membro  nessuno ,  che 
risponda  con  la  rata  parte  al  tutto  della  cornice,  perche  le  mensole 
son  piccole  e  rare  a  simile  grandezza,  el  fregio  e  piccolo  a  si  gran 
capassa;  e  '1  bastone  da  basso  e  piccolissimo  a  tanto  volume. 

Quinta :  e  el  decoro ,  e  uno  amendato  aspetto  nell'opera : 
provar  le  cose  composte  con  alturitä,  decto  convenevolezza.  In 
questa  cornice  non  e  convenevolezza  alcuna,  anzi  vi  e  tutta  scon- 
venevolezza :  prima  aparisce  quel  gran  capo  sun  una  piccola  facciata, 
e  maggiore  el  capo  ch'el  resto,  et  non  conviene  si  gran  capo  a  si 
poca  altezza:  l'altra  la  mana  del  modano  non  accompagna  colla 
mano  del  morto :  e  un  altro  fare. 

Sesta:  distributione.  La  distribuzione  e  secondo  l'abondantia 
delle  cose,  de'  loci  una  comoda  dispensatione.  Qui  si  vede  non 
esser  ben  dispensato  niente,  ma  dispensato  ogni  cosa  a  caso,  e 
secondo  el  Capriccio  che  gli  e  tocco ;  in  un  lato  e  stato  largo  a 
dispensare,  et  in  un  altro  loco  e  stato  parco.  Questo  e  quanto 
m'occorre,  circa  a  questo,    dire   a  Vostra  Santitä,    alle  quäle  umil- 


Der  Palazzo  Farnese 


199 


mente  i'  bacio  e  piedi;  e  se  non  mi  fo  vedere  inanzi  a  Vostra 
Santitä  n'e  causa  el  mal  mio,  che  quante  volle  sono  uscito,  sempre 
son  ricascato. 

Egli  e  un  altro  grado  di  distribuitione  quando  l'opera  sarä  fatta 
secondo  l'uso  del  padre  della  famiglia;  et  secondo  l'abundantia  de' 
danari,  et  secondo  la  elegantia  et  dengnitä  sua,  li  edificii  sieno  ordinati 
alti;  imperocche  altrimenti  si  vede  che  bisogna  constituire  le  case 
della  cittä,  et  altrimenti  quelle  delle  possessioni  rustice,  dove  si 
ripongono  li  frutti :  non  al  medesimo  modo  alli  usurai ,  altrimenti 
alli  ricchi  et  dilicati  e  potenti ;  e'  quali  con  le  loro  cogitatione 
governano  la  republica :  atte  a  quell'uso  sieno  collocate.  Le  dis- 
tribuitione dein  edificii,  senza  manco ,  son  da  fare  che  sieno  atte 
secondo  el  grado  di  tutte  le  persone. 

Der  strenge  Richter,  der  sich  genöthigt  sah,  durch  eigene  That 
sein  Urtheil  zu  rechtfertigen,  hat  sich  in  diesem  Werke  einer  stili- 
stischen Strenge  beflissen,  wie  sonst  nie.  Diese  Reinheit  antikischer 
Formen  ist  so  ausgesprochen,  dass  Letarouilly  geneigt  war,  das 
wesentliche  Verdienst  an  der  Gestaltung  nicht  dem  Meister,  sondern 
Vignola  zuzuerkennen ,  den  er  sich  überhaupt  als  den  eigentlich 
ausführenden  Architekten  unter  Michelangelos  Oberleitung  dachte. 
Diese  Annahme  ist  unhaltbar ;  ihr  widerspricht  das  Zeugniss  des 
miterlebenden  Vasari  auf  das  Entschiedenste.  Mit  vollem  Bewusst- 
sein  hat  sich  in  diesem  Falle  Michelangelo ,  welcher  dem  Antonio 
Unkenntniss  des  Gesetzmässigen  vorwarf,  bewogen  gesehen,  die 
Vorschriften  der  Antike  zu  respektiren.  Und  wie  gründlich  seine 
Studien  gewesen  sind,  beweisen  uns  eine  Anzahl  erhaltener  Zeich- 
nungen, die,  freilich  wohl  in  früheren  Zeiten  und  auf  seinen  Wunsch 
von  einem  Schüler  in  Röthel  ausgeführt,  seine  Bemühungen,  ge- 
wissenhafte Kenntniss  der  antiken  Form,  sowohl  der  korinthischen, 
als  auch  der  dorischen,  zu  gewinnen,  verrathen. 

Ich  erwähne ,  ein  Verzeichniss  auf  später  verschiebend ,  hier 
nur  die  Blätter,  welche,  Gesimse  nach  antiken  Vorbildern  zeigend, 
in  Betracht  kommen : 

Florenz,  Casa  Buonarroti  XXII,  2;  XXffl,  3;  XXIII,  4;  XXIV,  5 
und  London,  British  Museum  1859 — 6 — 25 — 560,  erstes  und 
zweites  Blatt. 

Von  antiken  Bauten,  die  besonders  maassgcbend  für  das 
Gesims  wurden,  nenne  ich  das  Pantheon,  die  Thermen  des  Agrippa, 
die  Reste  des  Dioskurentempels,  das  Forum  des  Ncrva,  den  Titus- 
bogen  und  den  Tempel  des  Vespasian.  Aus  genauer  Kenntniss 
solcher  Formen  schuf  der  Meister  sein  antikisches  Gebilde,  etwa  in 
ähnlicher  Weise,  wie  Vignola  sich  aus  Verbindung  der  Elemente 
verschiedener  Bauten  Typen  gestaltete,  was  Letarouillys  Meinung, 
wenn  sie  auch  unrichtig  ist,  doch  verständlich  macht.     In  der  Ver- 


200  I^i^  Bauten  in  Rom 


werthung  der  Lilien  der  Farnese    als  Friesornament    folgte  Michel- 
angelo dem  Vorgange  San  Gallos. 

Das    Mittel fenster    und    das   Wappen. 

Studien  hierzu  habe  ich  nicht  gefunden.  Das  Wappen  ist  mit 
Delphinköpfen,  Masken  und  Fruchtkränzen  geschmückt  und  reicher 
und  voller  gebildet  als  das  Mediciwappen  in  S.  Lorenzo. 

DasErdgeschoss. 

Hier  hat  Michelangelo  den  San  Gallo'schen  Thüren  vier  weitere 
Thüren  und  Fenster  hinzugefügt,  welche  die  von  ihm  beliebte  nach 
unten  sich  verbreiternde  Form  und  oberen  Ohren  am  Rahmen  zeigen. 

Das    zweite    Geschoss    des   Hofes. 

Dass  das  zweite  Geschoss  mit  der  .jonischen  Ordnung  die 
Schöpfung  Antonios,  wenn  auch  die  Ausführung  zum  Theil  in  die 
folgende  Bauperiode  fällt,  ist  schon  von  Letarouilly  endgültig  ent- 
schieden worden,  welcher  mit  Recht  die  zwei  unter  Ranuzzo  Farnese 
ausgeführten  Thüren  in  den  Arkaden  dieses  Stockwerkes  dem  Vi- 
gnola  zuschreibt.  Sie  entsprechen  in  ihren  zarten ,  fast  dürftigen 
Formen  der  Lisenen  und  der  Konsolen  der  Thüre  des  Saales ,  die 
in  Vignolas  Regola  abgebildet  ist  (Letarouilly  PI.  134).  Die  Zeich- 
nung der  Fenster  mit  dem  spitzen  Giebel  hingegen  (Abb.  ebenda) 
stammt  von  Michelangelo. 

Das    oberste    Geschoss    des   Hofes. 

Es  ist  durchweg  Michelangelos  Werk,  der  in  willkürlicher  und 
den  Gesamteindruck  des  Hofes  störender  Weise  sich  von  San  Gallos 
Entwurf  entfernt.  Man  staunt  über  die  Willkür,  mit  welcher  der 
Meister  vorgegangen  ist.  Er,  der  so  unerbittlich  Antonios  Gesims 
wegen  Mangels  an  Organismus  und  Stil  im  Sinne  der  antiken  Ord- 
nungen verurtheilt  hatte,  schafft  hier  selbst  ein  ,, bizarres"  Gebilde, 
dorische  Elemente  in  die  korinthische  Ordnung  einmischend.  Man 
sehe  das  Architrav  der  Säulen:  die  drei  Glieder  springen  in  starker 
Schräge  vor  und  sind  durch  Rundstäbe  (der  oben  mit  Eierstab) 
getrennt.  Das  zweite  ist  mit  Masken  geschmückt,  das  dritte  mit 
Triglyphen  und  Rosetten.  Der  Fries  aber  ist  unverziert!  Auch 
die  Fenster  mit  Segmentgiebeln,  in  denen  Kränze  an  einem  Stier- 
schädel aufgehängt  sind ,  zeigen  seltsame  spielende  Verwerthung 
von  dorischen  Triglyphenbruchstücken ,  sowohl  am  Fries ,  als  auch 
an  den  rahmenden  Lisenen,  an  denen  wir  in  der  Höhe  Löwenköpfe 
mit  Ringen  und  über  einer  Triglyphe  ein  Feld  mit  Schuppen  ge- 
wahren. Zudem  haben  sie  eine  nach  unten  sich  etwas  verschmä- 
lernde Form. 


Der  Palazzo  Farnese  20 1 


Nahe  Verwandtschaft  mit  den  Fenstern  zeigen  zwei  sauber 
ausgeführte  Rötheizeichnungen : 

X.  Oxford,  Univ.  Gall.  81.  Thode  453.  Abb.  Fisher  31.  V/ir 
dürfen  diesen  Entwurf  als  direkte  Vorstudie  für  den  Pal. 
Farnese  betrachten.  Die  Form  und  Dekoration  entspricht  in 
den  oberen  Theilen  fast  genau.  Nur  sind  hier  die  unteren 
Endigungen  der  Lisenen  mit  Todtenköpfen ,  zwischen  denen 
sich  Kränze,  an  einem  Widderkopf  aufgehängt,  hinziehen, 
verziert. 
XI.  Ebendaselbst  80.  Thode  452.  Abb.  Fisher  32.  Gleiche  Zeit 
wie  das  vorige  Blatt.  Andere  Form.  Ein  Spitzgiebel  in  einen 
Segmentgiebel  einbezogen,  wie  an  der  Thüre  des  Saales  der 
Laurenziana.  Am  Fries  in  der  Mitte  eine  Tafel  mit  der  In- 
schrift :  Chi  non  vuol  delle  foglie  non  ci  venga  di  maggio 
(Guasti  verzeichnet  diese  Worte  unter  den  Epigrammen :  IV, 
S.  4.  Frey,  Dicht.  CXXXVIII).  Der  Rahmen  mit  Ohren  ist 
in  der  Höhe ,  links  und  rechts ,  mit  einer  einfachen  Konsole 
geschmückt. 

Allgemeine  Ähnlichkeit  mit  dem  Gesims  zeigt: 
XII.  Florenz,    Casa  Buonarroti    XLII,    90.      Thode    136.     Röthei- 
skizze: Gesims  mit  einfachen  Konsolen  undTriglyphe  am  Fries. 

Die  frühesten  Abbildungen  der  Fassade  und  des  Hofes  finden 
sich  in  Lafreris  Speculum  Romanae  magnificentiae : 

Nie.  Beatrizets  Stich  von  1 549 :  die  Fassade.  Bez. :  Exterior 
orthographiae  frontis  Farnesianae  domus :  quam  Romae  et  magnis 
impensis  et  servatis  architecturae  praeceptis  Paulus  tertius  Pontifex 
Maximus  a  fundamentis  memoriae  causa  sibi  posterisque  suis 
erexit.  —  Monogramm  des  Beatrizet.  Antonii  Lafrerii  Sequani 
Formis  MDXLIX.     2  Blätter. 

Der  Hof  1560.  Bez.:  Palatii  Farnesii  Romae  non  procul  a 
reliquiis  theatri  Pompeji  olim  e  soUdissimo  Tiburtino  lapide  non 
minore  architecture  comendatione  ab  Antonio  Sangallo  inchoati 
quam  stupendo  artificio  per  Michaelem  Angclum  omnibus  numeris 
consumati  quantum  artificio  diligentia  assequi  potuit  interioris  partis 
expressio  atquc  in  intimo  ejus  ambulacro  duarum  Herculis  sta- 
tuarum  icones.     Formis  Antonii  Lafrerii  Sequani  MDLX. 

Von  sonstigen  älteren  Publikationen  vergleiche  man  Joh.  Jacobi 
de  Sandrart :  Palatiorum  romanorum  a  celeberrimis  sui  aevi 
architectis  erectorum  pars  prima,  Nürnberg  (1694)  tav.  15,  und 
Pietro  Ferrerio :  Palazzi  di  Roma  de'  piü  celebri  architetti.  Taf.  IV 
('Kranzgesims)  und  V  (Hof).  —  Letarouilly  hat  dem  Palast 
25  Tafeln  seines  Werkes  gewidmet  (II,  115 — 139.  Text  S.  259 
bis  319). 


202  Die  Bauten  in  Rom 


III 

Die  Arbeiten  im  Belvedere  des  Vatikan 

1.  Die  Treppe   vor   der   grossen    Nische. 
Bramante    hatte    dieselbe    in    runder   Form    ausgeführt.     Auf 

Julius'  III.  Wunsch  fertigte  1550  Michelangelo  eine  Zeichnung,  nach 
welcher  er  die  jetzt  sichtbare  „coi  balaustri  di  peperigno"  ausführte 
(Vasari).  Zwei  Treppen  von  je  sechs  Stufen  führen,  seitlich  an- 
gelegt ,  zum  Podest ,  auf  dem ,  flankirt  von  zwei  Pfauen ,  zwischen 
zwei  horizontalen  Balustraden  der  grosse  Pinienapfel  aufgestellt  ist. 
In  der  Füllung  des  Mittelfeldes,  das  von  je  zwei  gekuppelten  breiten 
Lisenen  oder  Pilastern  (auf  der  Attika  über  ihnen  die  beiden  Pfauen) 
gerahmt  wird,  eine  Maske ,  die  in  ein  rundes  Becken  Wasser  speit 
(Abb.  Letarouilly  -  Simil :   le  Vatican,    cour  du  Belvedere  PI.  9,   13;. 

2.  Die    Nische    für    den    Flussgott. 

„Di  questa  pietra  (cipollaccio)  e  una  fönte  in  Roma  in  Bel- 
vedere ,  cioe  una  nicchia  in  un  canto  del  giardino ,  dove  sono  le 
Statue  del  Nilo  e  Tevere  :  la  quäl  nicchia  fece  far  papa  Clemente  VII. 
col  disegno  di  Michelagnolo  per  ornamento  d'un  fiume  antico,  accio 
in  questo  campo  fatto  a  guisa  di  scogli  apparisca,  come  veramente 
fa,  molto  hello." 

Nähere  Angaben  fehlen  uns.  Der  Flussgott  war  wohl  der  so- 
genannte Tigris,  dessen  Ergänzung  man  dem  Meister  zugeschrieben 
hat  (jetzt  im  Museo  Pio  Clementino,  s.  weiter  unten). 

3.  Entwurf  für  einen  Brunnen  ,,in  testa  al  corridore  di 
Belvedere".  Auf  Julius'  III.  Wunsch  fertigte  Michelangelo  einen 
Entwurf,  in  dem  ein  Moses  zu  sehen  war,  der  Wasser  aus  dem 
Felsen  schlug.  Der  Papst  war  damit  aber  nicht  zufrieden,  da  die 
Ausführung  zu  viel  Zeit  in  Anspruch  nehmen  würde.  Vasari  schlug 
vor,  die  Statue  der  Cleopatra  dort  anzubringen.  Auf  Michelangelos 
Vermittlung  hin  erhielt  Daniele  da  Volterra  den  Auftrag,  für  sie 
eine  Grotte  in  Stuck  zu  machen,  die  er  aber  nicht  vollendet  hat 
(Vasari  VII,   56). 

Nach  Condivi  hätte  Julius  III.  nicht  nur  im  Belvedere,  sondern 
auch  im  Palast  des  Vatikan  Werke  von  Michelangelo  ausführen 
lassen,  bezeichnet  sie  aber  nicht  näher. 

IV 

Entwurf  für  den  Palast  Julius'  III. 

,,Auch  machte  Michelangelo  auf  Ersuchen  seiner  Heiligkeit," 
sagt  Condivi,  ,,die  Fassade  eines  Palastes,  welchen  Sie  in  Rom  zu 


Entwurf  für  den  Palast  Julius'  III.  203 

bauen  beabsichtigte ;  ein  Werk  ganz  ungewohnter  und  neuer  Art,  das 
keinem  Stil  oder  Gesetz  weder  der  Antike  noch  der  Moderne  sich 
fügt."  Vasari  erzählt:  „Seine  Heiligkeit  hess  ihn  das  Modell  einer 
Fassade  für  einen  Palast  machen,  den  Sie  neben  S.  Rocco  bauen 
wollte,  mit  Verwerthung  der  anstossenden  Mauern  des  Mausoleum 
des  Augustus;  man  kann  als  Fassadenentwurf  nichts  Mannigfaltigeres, 
reicher  Geschmücktes,  in  Stil  und  Anordnung  gleich  Ungewöhn- 
liches sehen,  wie  es  denn  in  allen  seinen  Werken  sich  zeigt,  dass 
er  niemals  einem  alten  oder  neuen  Gesetze  der  Architektur  sich 
hat  fügen  wollen,  als  Einer,  dessen  Geist  immer  fähig  war,  neue 
und  lebendige,  und  wahrlich  nicht  minder  schöne  Dinge  zu  erfinden. 
Dies  Modell  befindet  sich  heute  im  Besitz  des  Herzogs  Cosimo 
Medici,  der  es  von  Pius  IV.,  als  er  nach  Rom  kam,  geschenkt  er- 
hielt und  es  zu  seinen  theuersten  Schätzen  zählt." 

Michelangelo  hat  das  Modell  von  Bastiano  Malenotti,  der  Ober- 
aufseher an  dem  Bau  von  S.  Pietro  war,  ausführen  lassen  im 
Oktober  1551  (B.  Podestä:  Doc.  inediti  relativi  a  M.  B.  II  Buonarroti 
April   1875). 

In  dem  Nachlass  des  Meisters  wird  ein  kleiner  Karton :  die 
Fassade  eines  Palastes  erwähnt;  sehr  wahrscheinlicher  Weise  die 
für  Julius  angefertigte  Zeichnung. 

Vielleicht  giebt  uns  eine  bisher  nicht  beachtete  Skizze  im 
Musee  Wicar  zu  Lille  (Nr.  90,  Thode  273,  Rückseite)  eine  Vor- 
stellung von  dem  Entwürfe.  Sie  stellt  die  linke  Hälfte  eines  Palastes 
mit  mächtigem  Rustikaerdgeschoss  und  einem  durch  gekuppelte 
Säulen  gegliederten  Obergeschoss  dar.  In  der  Mitte  ein  einfaches 
rundbogiges  Portal,  über  dem  sitzende  Figuren  angebracht  sind, 
links  über  hohem  Sockel  eine  Nische  mit  Segmentgiebel,  in  welcher 
eine  Statue  angebracht  ist.  Oben  in  jedem  Wandtheil  ein  grosses 
Fenster  zwischen  zwei  kleineren  schmalen  Nischen.  —  Condivis  und 
Vasaris  Bemerkungen  über  das  Neue  und  Eigenartige  der  Konzep- 
tion würden  dieser  Zeichnung  gegenüber  berechtigt  erscheinen. 
Nur  macht  die  Schmalheit  der  Fassade  bedenklich,  ob  es  sich  hier 
wirklich  um  den  Palast  des  Papstes  handelt,  oder  nicht  vielmehr, 
was  auch  denkbar  ist,  um  einen  Entwurf  für  den  andern  zu  er- 
wähnenden Palast  des  Kardinals  von  Santiquattro. 

Eine  Detailzeichnung  für  das  eine  Tabernakel  mit  einer  Nische 
ist  uns  möglicher  Weise  erhalten  in  Lille,  Musee  Wicar  Nr.  94. 
Thode  274.  Tabernakel  mit  Segmentgiebel,  darin  die  Statue 
eines  stehenden  Mannes,  der  das  rechte  Bein  über  das  linke  setzt, 
die  erhobene  Rechte,  wie  es  scheint,  hinter  den  etwas  geneigten 
Kopf  legt  und  die  Linke  gesenkt  hat.  Die  Zeichnung  ist  in 
der  Zeit  der  Beschäftigung  mit  der  Peterskuppel  (s.  Rückseite)  ent- 
standen. 


204 


Die  Bauten  in  Rom 


Eine  Verwechslung  dieses  Projektes  mit  einem  anderen  des 
Papstes  Julius  II.  gab  Anlass  zu  einer  der  Darstellungen  aus  dem 
Leben  Michelangelos  in  der  Casa  Buonarroti ,  die  der  jüngere 
Michelangelo  anbringen  Hess.  Ein  von  Fabrizio  Boschi  ausgeführtes 
Gemälde  wird  bezeichnet:  Romanae  Curiae  formam  Julio  III  ostendit, 
ad  cujus  latus,  ceteris  stantibus,  sedit,  id  honoris  clarissimae  virtutis, 
clarissimo  exemplo  praebente  Pontifice  (vgl.  auch  Baldinucci  Ausg. 
Mailand  X,  S.  147).  Die  ,, Curia  Romana",  auch  Palazzo  della  Ruota, 
oder  (von  Vasari)  Palast  bei  S.  Biagio  genannt,  war  das  päpstliche 
Gerichtsgebäude,  das  Julius  II.  von  Bramante  erbauen  lassen  wollte 
und  dessen  Sockel ,  in  mächtigen  Rustikaquadern  nur  wenig  über 
die  Erde  emporgeführt,  noch  heute  im  Erdgeschoss  von  Häusern 
der  Via  Giulia  zu  gewahren  ist.  Statt  Curia  Romana  müsste  es 
also  in  jener  Inschrift  heissen:  palatium  Julii  III. 

V 

Kleine  Kapellenfassade  im  Castel  S.  Angelo 

H.  v.  GeymüUer  (S.  38)  hat  auf  eine  Zeichnung  des  Battista 
da  San  Gallo  im  Musee  Wicar  zu  Lille  (Skizzenbuch  Nr.  435)  auf- 
merksam gemacht,  welche  die  Bezeichnung  trägt:  Queste  in  chastello 
di  Roma,  di  mano  di  michelagnolo  di  traverti  .  .  .  Dargestellt  ist 
eine  Brunnenschale  vor  einer  Wandarchitektur.  Die  letztere,  nur 
in  der  Form  der  oberen  Fensteröffnungen  (in  der  Zeichnung  rund, 
in  Wirklichkeit  viereckig)  abweichend,  ist  heute  noch  in  dem  kleinen, 
nach  dem  Vatikan  zu  gelegenen  Hof  oben  auf  dem  Castello,  dem 
cortile  delle  Palle,  erhalten  (Abb.  Ricci:  Michelangelo  S.  197)- 
Toskanische  Pilaster  gliedern  sie  in  einen  breiten  Mitteltheil,  zwei 
schmale  Seitentheile.  Ersterer  enthält,  von  toskanischen  Halbsäulen, 
die  über  Gebälk  und  Fries  einen  breitlagernden  Spitzgiebel  tragen, 
gerahmt  ein  viergetheiltes  Fenster  oder  besser  gesagt  vier  Fenster, 
die  unteren  durch  einen  Pilaster,  die  oberen  durch  eine  Konsole 
getrennt.  In  den  unteren  sind  überaus  schlanke  dünne  Baluster. 
In  den  Seitentheilen  je  eine  Rundnische,  darüber  eine  Tafel,  von 
einem  Löwenkopf  getragen.  Im  Giebel  der  Mediciring  mit  durch- 
gezogenen Bändern.  —  Eine  besonders  harmonische  architektonische 
Schöpfung  des  Meisters,  die  er  unter  Leo  X.  ausgeführt  hat,  dessen 
Wappen  im  Innern  der  Kapelle  zu  sehen  ist. 

VI 

Entwurf  zum  Collegio  della  Sapienza 

Authentische  alte  Nachrichten  über  Michelangelos  Entwurf  zu 
diesem  Bau  besitzen  wir  nicht.  Alexander  VI.  hatte  den  Neubau 
der  Universität  begonnen : 


Entwurf  für  die  Fassade  eines  Palastes  des  Kardinals  von  Santiquattro    20  5 

Haec  loca  Alexander  renovavit  sextus  et  auxit 
Atria  porticibus  designans  ampla  superbis 

(Andr.  Fulvius:  de  Antiquitatibus  Urbis  Carm. 
illust.  Poet.  Ital.  V,  229.) 

Unter  Pius  III.  und  Julius  IL,  dessen  Wappen  an  der  Eingangsseite 
im  ersten  Geschoss  zu  finden  ist,  wurde  er  fortgeführt.  Es  heisst 
nun,  dass  Leo  X  den  Bau  nach  einer  Zeichnung  unseres  Meisters 
habe  erweitern  lassen ;  wir  wissen  von  der  Errichtung  einer  Kapelle 
durch  diesen  Papst,  die  am  20.  September  15 14  verfügt  wurde 
(Pastor:  Gesch.  d.  Päpste,  IV.  Bd.  S.  485),  und  dass  er  auch  sonst 
für  die  Ausgestaltung  des  Baues  sorgte : 

inceptumque  opus  intermissaque  moles, 
et  loca  Gymrasii  perfecto  fine  jubentur 
protinus  absolvi,  divo  imperitante  Leone. 

(Andr.  Fulvius  1513.) 

Die  Loggien  des  Hofes  wurden  erst  IS/S  unter  Gregor  XIII.  durch 
Giacomo  della  Porta  begonnen.  Der  Bau  wurde  unter  Sixtus  V., 
unter  Clemens  VIII.  und  Paul  V.,  Innocenz  X.  fortgeführt  und  unter 
Alexander  VII.  vollendet. 

Ob  und  inwieweit  Michelangelo  Antheil  an  ihm  gehabt,  bleibt 
in  Dunkel  gehüllt, 

VII 

Entwurf  für  die  Fassade  eines  Palastes  des  Kardinals 
von  Santiquattro 

Am  28.  Januar  1525  fragt  Fattucci  an,  ob  der  Meister  dem 
Kardinal  wohl  einen  Gefallen  erweisen  wolle  und  erklärt  sich  hier- 
über näher  am  8.  Februar:  ,,Was  Santiquattro  betrifft,  so  theile 
ich  Euch  mit,  dass  es  in  Eurem  Belieben  steht,  ob  Ihr  ihm  dienen 
wollt,  denn  er  weiss  nicht,  dass  ich  Euch  geschrieben  hatte.  Was 
er  wünscht,  ist  Dieses :  er  möchte  die  Fassade  seines  Palastes  machen 
und  beabsichtigt  sie  bis  zum  ersten  Stockwerk  in  Rustika  auszu- 
führen oder  wie  es  am  Besten  sich  macht.  Könntet  Ihr  ihm  eine 
kleine  Zeichnung  machen ,  so  meine  ich ,  wäre  das  eine  schöne 
Sache  und  würde  ihm  sehr  lieb  sein.  Macht  ein  Portal  in  der 
Mitte  der  Fassade  mit  zwei  eisenvergitterten  Fenstern ,  und  zwei 
andere  darüber  in  zwei  Stockwerken,  mit  einem  Kranzgesims  nach 
Eurem  Gutdünken.  Ich  sage  Euch  dies,  weil  er  in  Gedanken  hat, 
etwas  Schönes  zu  machen." 

Ob  Michelangelo  den  Wunsch  erfüllt  hat ,  wissen  wir  nicht. 
Vielleicht  ist  die  oben  gelegentlich  des  Palastes  für  Julius  III.  er- 
wähnte, bisher  nicht  beachtete  Skizze  im  Musee  Wicar  zu  Lille 
(Nr.  90  Rückseite,  Thodc  273)  auf  diesen  Auftrag  zu  beziehen. 


2o6  Die  Bauten  in  Rom 


Auf  der  Vorderseite  des  Blattes  ist  die  Studie  zu  einem 
Prometheus,  die  freilich  auf  eine  spätere  Zeit  hinweist. 

Ein  kleiner  Karton  „con  disegno  di  una  facciata  d'un  palazzo" 
wird  im  Inventar  des  Meisters   1564  erwähnt. 

VIII 

Entwurf  für  den  Neubau  eines  Palastes 

Die  Rückseite  einer  Zeichnung  der  Malcolm'schen  Sammlung 
Nr.  65  im  British  Museum  1895 — 9 — 15 — 502,  Thode  351,  zeigt 
in  flüchtigen  Linien  den  oberen  Theil  einer  Thüre  mit  einem  Vo- 
lutenaufsatz und  unvollständige  Schriftzeilen,  denen  man  aber  doch 
so  viel  entnehmen  kann,  dass  sie  sich  auf  einen  Auftrag,  den  Um- 
oder  Neubau  eines  Palastes  vorzunehmen,  beziehen.     Zu  lesen  ist : 

certo    modo    del    ricomporre    tutto    il    palazzo    come nonne 

basta    l'animo    perche    non    sono    architecto  —  —  rte   et   in  modo 

che  io  possa  sapere  le  comodita  di .     (Sonst  liest  man  noch 

an  anderer  Stelle:  8  iuli  c  7  baioch.) 

Die  Datirung  der  Zeichnung  wird  durch  die  Vorderseite,  auf 
welcher  sich  die  Studie  zu  einer  Figur  des  Jüngsten  Gerichtes 
(s.  den  Exkurs  hierüber  Nr.  XV  oben  II,  S.  12)  befindet,  etwa  auf 
die  Jahre   1534  bis   1540  bestimmt. 

IX 

Antheil  am  Bau  der  Vigna  Julius'  III. 

An  diesem  hatte  Michelangelo  1550  nur  eine  berathende 
Stimme.  An  drei  Stellen  spricht  Vasari  davon.  Zuerst  sagt  er 
allgemein,  auch  in  der  Vigna  habe  der  Papst  Nichts  ohne  des 
Meisters  Rath  gethan  (VII,  228) ;  dann  erzählt  er  von  einem  Spazier- 
gang, den  Julius  mit  Michelangelo  und  Vasari  nach  der  Vigna  gemacht, 
wo  es  zu  vielen  Erwägungen  mit  dem  Meister  gekommen  sei,  denen 
der  Bau,  so  wie  er  ist,  seine  Schönheit  im  Wesentlichen  verdanke 
(VII,  233).  Endlich  heisst  es  in  dem  Leben  Vasaris:  „ich  war  der 
Erste,  der  den  Entwurf  und  die  Erfindung  der  Vigna  Julia  machte, 
die  der  Papst  dann  mit  unglaublichen  Kosten  bauen  liess.  Wurde 
sie  dann  auch  von  Anderen  ausgeführt,  so  war  ich  es  doch,  der 
immer  die  Einfälle  des  Papstes  in  Zeichnungen  brachte ,  die  dann 
Michelangelo  zur  Prüfung  und  Korrektur  übergeben  wurden.  Und 
Jacopo  Barozzi  da  Vignola  machte  dann  viele  Zeichnungen,  nach 
denen  er  die  Zimmer,  Säle  und  viele  andere  Ornamente  jener  Villa 
ausführte ;  aber  der  untere  Brunnen  wurde  von  mir  und  von 
Ammanato,    der   dann  dort   blieb,    angeordnet   und  Dieser  machte 


Die  Porta  Pia  207 

die  Loggia  oberhalb  des  Brunnens.  Aber  bei  dieser  Arbeit  konnte 
man  nicht  zeigen,  was  man  weiss,  noch  irgend  Etwas  ordnungs- 
gemäss machen;  denn  dem  Papste  kamen  unaufhörlich  neue  Ein- 
fälle, die  man  verwirklichen  musste,  gemäss  den  täglichen  Angaben 
des  Bischof  von  Forli,  Messer  Giovanni  Aliotti." 

Wir  brauchen  auf  den  Bau,  an  dem  Vignola  den  Löwenantheil 
hatte,  nicht  einzugehen,  da  offenbar  in  dessen  Gestaltung  weder  im 
Ganzen  noch  im  Einzelnen  Michelangelo  eingegriffen  hat. 

X 

Die  Porta  Pia 

Vasari  sagt:  ,,um  diese  Zeit  (1561)  wurde  Michelangelo  vom 
Papst  (Pius  IV.)  ersucht,  eine  Zeichnung  für  die  Porta  Pia  zu 
machen ;  er  fertigte  drei,  alle  seltsam  ungewöhnlich  und  sehr  schön, 
an,  von  denen  der  Papst  die  am  billigsten  auszuführende  wählte, 
so  wie  sie  heute,  sehr  zu  seinem  Ruhme,  aufgemauert  ist"  (VII,  260). 
Der  Kontrakt,  der  mit  den  Maurermeistern  Legrantes  qu.  magistri 
Joannis  Fontana  de  Cadme  vallis  Lugani  und  Albertus  qu.  Rai- 
mundus  de  Lucarno  de  Lacu  majori  am  2.  Juli  1561  abgeschlossen 
wird,  ist  uns  erhalten  (Gotti  II,  160).  Er  enthält  eingehende  Be- 
stimmungen über  ihre  Arbeit,  deren  Prüfung  ,,dem  Architekten*', 
d.  h.  dem  soprastante  Pietro  Luigi  Gaeta  obliegt.  Dieser  wird  in 
einer  Bezahlung  vom  24.  Mai  und  öfters  genannt.  Später  als 
soprastanti :  Bartolomeo  del  Verme  und  Tommaso  Sorice.  Sotto- 
architetto  ist  Paolo  del  Borgo  scarpelhno.  Ein  Scultore  Giov.  Fe- 
derigo  da  Parma  erhält  an  demselben  Tage  20  Skudi  für  72  Bronzc- 
medaillen  (darunter  zv/ölf  vergoldete),  die  in  das  Fundament  gelegt 
worden  sind  (Gotti  II,  162,  aus  dem  Libro  dei  Maestri  di  strada 
1549  bis  1568,  f.  61  bis  68;  Bertolotti :  Artisti  subalpini  S.  40). 
Michelangelo,  der  in  jenem  Kontrakt  am  Schluss  genannt  wird  als 
entscheidend  für  die  Bestimmung  einer  am  Schluss  zu  zahlenden 
Summe,  ist  Ende  August  mit  den  Zeichnungen  für  die  Aussenseite 
des  Thores  beschäftigt.  1562  werden  die  Bildhauer  Jacomo  del 
Duca  und  Luca  beschäftigt.  Sie  erhalten  am  15.  Mai  20  Skudi  für 
das  Marmorwappen  an  der  Aussenseitc  der  Porta.  Eine  weitere 
Zahlung  am  5.  November  an  Jacomo  und  andere  folgen.  Am 
24.  Dezember  1562  und  am  25.  Juli  1565  erhält  Maestro  Gerolamo 
Valperga,  maestro  di  strada,  Bezahlung  (Bertolotti  a.  a.  O.  S.  41). 
Gotti  verzeichnet  auch  eine  Gesamtabrechnung:  Entrata  8525,07; 
Uscita  8518,36  Skudi. 

Der  Bau  blieb  unvollendet  und  wurde  erst  von  Pius  IX.  1853 
zum  Abschluss  gebracht  (Hinzufügung  des  Aufsatzes  in  der  Mitte) 
und  restaurirt. 


2o8  ^i^  Bauten  in  Rom 


Das  gewaltige  Portal  selbst  ist  von  Michelangelo ,  sicher  sind 
auch  die  beiden  grossen  unteren  Fenster  nach  Zeichnungen  von 
ihm,  was  bei  den  kleineren  Blendfenstern  nicht  so  bestimmt  zu  be- 
haupten, aber  wahrscheinlich  ist.  Wer  für  die  Medaillons  mit  den 
Bändern  an  der  Attika  verantwortlich  gemacht  werden  muss,  wissen 
wir  nicht. 

Das  Wappen  oben  ist,  w'ie  wir  hörten,  von  Jacomo  del  Duca. 
Die  Inschrift  lautet:  Pius  IV  Pont.  Max.  Portam  Piam  sublata 
Numentana  extruxit  Viam  Piam  aequata  alta  semita  duxit.  Der 
Thorbau  stand  im  Zusammenhange  mit  der  Anlage  der  Strasse  vom 
Ouirinal  aus. 

Verschiedene  Zeichnungen  kommen  in  Betracht.  Ich  will  nicht 
etwa  sagen,  dass  sie  alle  für  die  Porta  Pia  als  Vorstudien  gedient 
haben,  doch  zeigen  sie  interessante  Vorstufen. 

I.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XLV,  99.  Thode  154.  Kreide. 
Mit  wenigen  kräftigen  Strichen  ausgeführt.  Breite  Thür  mit 
Spitzgiebel,  das  Thürgewände  oben  ähnlich  geradlinig  abge- 
schrägt wie  an  der  Porta  Pia.  Dahinter  Mauern  angedeutet 
mit  Attikaaufsatz  in  der  Mitte,  in  dem  zwei  kleine  Fenster 
flüchtig  angedeutet  sind. 

II.  Ebendaselbst  XLIV,  97.  Thode  152.  Vorderseite:  Nischen- 
entwurf für  die  Libreria.  Rückseite  Thor  mit  Säulen  von 
zurückliegenden  Pilastern,  welche  sich  verkröpfende  Gesimse 
tragen ;  der  Thüreingang  mit  geradliniger  Abschrägung  oben 
in  Rustika  gedacht.  Attika  mit  Lunette  in  der  Mitte.  Diese 
Skizze  sieht  wie  eine  die  Porta  Pia  direkt  vorbereitende  Studie 
aus.  Auch  die  flüchtigen  Skizzen  eines  Pilasters,  der  von 
glatter  Triglyphe  mit  Tropfen  bekrönt  ist  und  Spitzgiebel 
trägt,  zeigen  nahe  Verwandtschaft. 

III.  Ebendaselbst  III,  73  bis.  Thode  68.  Phot.  Alin.  1031.  Portal 
mit  Rundbogen  von  toskanischen  Säulen  mit  vollem  Gebälk, 
das  Spitzgiebel  trägt,  gerahmt.  Anfangs  war  bei  niedrigerer 
Anlage  ein  Segmentgiebel  geplant.  Hier  haben  wir  keine 
Beziehung  zur  Porta  Pia,  aber  eine  solche  zur  folgenden 
Zeichnung. 

IV.  Ebendaselbst  XLV,  102.  Thode  157.  Vor  zurückliegenden 
Pilastern  toskanische  Säulen  mit  hohem  Fries.  Spitzgiebel, 
in  den  Segmentgiebel  eingeschrieben  ist.  Thürlaibung  oben 
abgeschrägt.  Im  Fries  eine  oblonge  Füllung,  die  aber  ver- 
bessert ist  in  einen  Entlastungsbogen  (wie  an  der  Porta  Pia). 
Über  dem  Giebel  vor  einer  Attika,  die  in  der  vollen  Breite 
des  Portals  gehalten  ist  und  zwei  kleine  viereckige  Fenster 
zeigt,  ein  von  zwei  Voluten  gestütztes  Wappen.  H.  v.  Gey- 
müller   erwähnt    die  Zeichnung  (S.  40)    und   hält    sie    für  viel 


Die  Porta  del  Popolo  20Q 


früher  als  die  Porta  Pia.  Dies  glaube  ich  auch,  aber  jedenfalls 
ist  sie  für  diese  benutzt  worden. 
V.  Ebendaselbst  III,  106.  Thode  70.  Phot.  Alin.  1037.  In  den 
vorhergehenden  Zeichnungen  fanden  wir  die  grossen  Voluten 
des  gebrochenen  Giebels  nicht:  in  diesem  Blatte  treten  sie, 
und  zwar  in  den  unteren  Enden  auch  gerollt,  auf.  Sie  schliessen 
ein  Oval  über  einer  Inschrifttafel  zwischen  sich  ein.  Der  Fries 
und  das  kräftige  Gesims  (über  toskanischen  Halbsäulen) ,  die 
abgeschrägten  Rustikagewände  der  Thür  entsprechen  der 
Porta  Pia.  Nur  ist  der  Fries  hier  nicht  so  hoch,  und  die 
Thüröffnung  erhebt  sich  höher ,  so  dass  die  Entlastungs- 
lunette  wegfällt.  Die  Porta  Pia  erscheint  wie  eine  Verbindung 
von  IV  und  V. 
VI.  Haarlem,  Museum  Teyler.  Thode  264.  v.  Marcuard,  Taf.  XVI. 
Auf  dem  Blatte  mit  Studien  für  die  Peterskuppel  eine  kräftige 
kleine  Skizze  eines  Portales.  Diese  ist  die  einzige,  die  man  bis- 
her als  Studie  für  die  Porta  Pia  auffasste,  und  gerade  hier  muss 
ich  es  bezweifeln,  wenn  auch  entschiedene  Ähnlichkeiten  vor- 
handen. Diese  bestehen  in  der  Thoröffnung  und  in  der  Ent- 
lastungslunette,  aber  statt  der  Pilaster  sehen  wir  in  Quadern 
gegliederte  Halbsäulen ,  die  uns  an  Serlio'sche  Entwürfe  er- 
innern, und  geraden  Gesimsabschluss ,  auf  dem  in  der  Mitte 
ein  Wappen  und  zu  dessen  beiden  Seiten  nach  aussen  ge- 
richtete Füllhörner  sich  befinden.  Der  Entwurf  scheint  eher 
für  ein  Gartenportal  geplant  zu  sein. 
VII.  Ich  reihe  eine  Zeichnung  an,  die  keine  Beziehung  zur  Porta 
Pia  hat,  aber  doch  in  das  Bereich  der  grösseren  Portalent- 
würfe gehört.  Sie  befindet  sich  in  der  Casa  Buonarroti 
XLIII,  84,  Thode  146,  und  ist  in  Kreide  ausgeführt.  Sie 
zeigt  einen  Thüreingang  mit  Spitzgiebel ,  der  eingerahmt  ist 
von  Pilastern  (oder  Säulen),  die  einen  Segmentgiebel  mit  In- 
schrifttafel tragen. 
Eine  alte  Abbildung  des  Portales  findet  sich  in  Vignolas  Regola. 
Eine  spätere  in  den  ,, Porte  di  Roma  nuovamente  ed  esattamentc 
disegnate  ed  intagliate" :  Bologna  1787.  Vgl.  Abb.  bei  Strack: 
Baudenkmäler  Roms  Bl.   55. 

XI 

Die  Porta  del  Popolo 

Über  diese  im  Besonderen  sagt  Vasari  Nichts,  er  bemerkt  nur : 
,,und  da  Michelangelo  den  Wunsch  des  Papstes,  er  solle  die  anderen 
Thore   Roms   restauriren ,    erkannte ,    machte    er   ihm    viele    andere 
%*  14 


2IO  Die  Bauten  in  Rom 


Zeichnungen."  Nach  der  Inschrift :  Pius  IV  portam  in  hanc  ampli- 
tudinem  extulit  viam  Flaminiam  stravit  anno  III ,  ward  die  Aussen- 
seite  ■ —  und  nur  um  diese  handelt  es  sich  —  1 563  begonnen. 
Bertolotti  (Artisti  subalpini  S.  41)  entnahm  dem  Archivio  dei  maestri 
di  strada  die  Notizen :  am  4.  Mai  1 563  erhielt  mastro  Girolamo 
Valperga  acht  Skudi  „per  sue  fatiche  et  misure  fatte  di  detta  fabrica" 
und  am  16.  Juni  1564  sechs  Skudi.  Das  Wappen  arbeitete  Nardo 
de  Rossi.  Die  Säulen  wurden  von  S.  Pietro  hingebracht.  Soprastante 
war  Giov.  Allegri.  Die  von  Nanni  di  Baccio  Bigio  gezeichnete  In- 
schrift führten  Maestro  G.  B.  Palatino  und  G.  B.  Romano,  Maler, 
aus,  und  vergoldeten  sie.  Die  Statuen  der  hl.  Petrus  und  Paulus 
sind  von  Francesco  Mochi. 

In  Davilers  Ausgabe  der  Vignola'schen  Regola  wird  das  Thor, 
d.  h.  der  heutige  Mitteltheil :  der  Rundbogen  zwischen  je  zwei  ge- 
kuppelten toskanischen  Säulen  und  darüber  die  Attika  mit  dem 
Papstwappen  und  den  Füllhörnern  als  Werk  Michelangelos  ab- 
gebildet. Dessen  Autorschaft  ist  nicht  ausgeschlossen ,  so  durch- 
aus sich  die  strenge  Ordnung  und  das  Unpersönliche  hier  von  der 
Porta  Pia  unterscheidet.  Die  Idee  kommt  von  ihm ;  die  Zeichnung 
mag  danach  Vignola  ausgeführt  haben,  der  nach  Baglione  (Vite  1649, 
S.  8)  das  Thor  vollendet  hat.  Die  Seitentheile  mit  ihren  gekuppelten 
Säulen  wurden  erst  1878  hinzugefügt,  als  man  die  Thürme,  die 
früher  das  Portal  flankirten  (um  1472  erbaut)  niederriss. 

Zeichnungen  für  das  Portal  fand  ich  nicht.  Doch  ist  darauf 
hinzuweisen,  dass  auf  der  soeben  unter  Nr.  VI  angeführten  Haar- 
lemer  Skizze  das  Motiv  der  Füllhörner  sich  findet.  Abbildungen 
in  den  „Porte  di  Roma"  1787,  bei  Letarouilly  III,  232  (wo  auch  der 
ältere  Bau  mit  den  Thürmen)  und  Strack  Bl.  53.  Die  Innenseite 
wurde   1655  von  Bernini  gemacht. 

Dass  die  Beschäftigung  Nannis  an  dem  Thore  1563  und  1565 
ein  neuer  Beweis  gegen  die  Attribution  desselben  an  Michelangelo 
sei,  wie  C.  v.  Fabriczy  meint  (Rep.  f.  Kunstw.  1887,  X,  112),  ist 
nicht  zuzugeben.  Nanni  wird  auch  an  Befestigungsarbeiten  der 
Porta  Pia  beschäftigt. 

XII 

Andere  dem  Meister  irrthümlich  zugeschriebene  Portale 

In  A.  C.  Davilers  neuer  Ausgabe  des  Vignola  (Cours  d'Archi- 
tecture   1691,  I.  Band)  sind  als  Werke  Michelangelos  bezeichnet: 

I.  Portal  der  Vigna  des  Antonio  Grimani  in  der 
Nähe  der  Porta  Pia  (Daviler  S.  273,  PI.  76).  Rustikabau  mit  rund- 
bogigem  Eingang,  der  durch  Rustikakeilsteine  gebildet  wird ,  und 
vorgelegten  toskanischen  Säulen ,  die  auf  eigenthümlich  profilirten, 


Die  Brücke  S.  Maria  2 1 1 


bassinartigen  Sockeln  stehen  und  volles  Gebälk  tragen.  Vier  kon- 
vexe Stufen  (in  der  Höhe  jener  Sockel)  führen  zum  Eingang  empor. 
Auf  dem  geraden  Gesims  an  den  Ecken  über  den  Säulen  gleich 
Akroterien  altarförmige  Pfeilerchen,  die  Vasen  mit  Flammen  tragen ; 
in  der  Mitte ,  von  Voluten  gestützt ,  eine  Attika  mit  Inschrifttafel : 
Antonius  Grimanus  D.  V.,  deren  Endigung,  in  der  Form  der  Me- 
dicisarkophage ,  auf  abwärts  gekrümmten  Voluten  zwei  sitzende 
Jünglinge  zeigt,  die  das  Wappen  halten. 

Das  Portal  gehört  schon  dem  XVII.  Jahrhundert  an.  Antonio 
Grimani,  geboren  1558,  wurde   1622  Patriarch. 

2.  Portal  der  Vigna  des  Kardinals  Sermoneta. 
Gleichfalls  einst  in  der  Nähe  von  Porta  Pia  (S.  277.  PI.  78).  In 
Rustikaquadern  und  mit  korinthischen  Säulen  aus  Rustikatrommeln 
aufgeführt,  zeigt  es  in  den  grossen  Voluten  des  durchbrochenen 
Giebels  die  Nachahmung  der  Porta  Pia,  in  den  seitlichen  Voluten 
eine  solche  des  unter  Nr.  3  zu  nennenden  Portals. 

Auch  hier  handelt  es  sich  um  ein  späteres  Werk. 

3.  Portal  zu  den  Horti  Pii  Carpenses  (Vigna  del  Duca 
Sforza)  bei  S.  Maria  del  popolo  (S.  279.  PI.  79).  Rundbogen  mit 
Rustikakeilsteinen ,  von  toskanischen  Pilastern  aus  Rustikaquadern 
und  je  einer  Triglyphe  am  Fries  darüber  gerahmt;  zurückliegende 
Seitenpfeiler  mit  Voluten.  Attika  mit  Relief:  zwei  Adler,  die  Feston 
halten  und  Inschrift;  Horti  Pii  Carpenses.  Als  Akroterien  Pinien- 
äpfel. Der  Zeit  nach  könnte  Michelangelo  in  Betracht  kommen 
und  auch  den  Beziehungen  nach,  die  er  mit  dem  Begründer  der 
Vigna,  dem  Kardinal  von  Carpi,  hatte,  doch  finde  ich  keine  In- 
dizien, die  eine  Zuschreibung  an  Michelangelo  rechtfertigen  würden. 


XIII 

Die  Brücke  S.  Maria 

Vasari  berichtet  (VII,  234):  ,,Es  hatte  Michelangelo  in  den 
Zeiten  Pauls  III. ,  auf  Dessen  Befehl  hin ,  begonnen ,  die  Brücke 
S.  Maria  di  Roma,  die  in  Folge  des  beständigen  Wasscrandranges 
und  ihres  Alters  schwach  geworden  war  und  einzubrechen  drohte, 
neu  zu  fundiren.  Er  ordnete  die  Fundirung  mittelst  Kästen  und 
sorgfältiger  Ausbesserung  der  Pfeiler  an;  und  hatte  einen  grossen 
Theil  schon  fertig  gestellt  und  zum  Besten  des  Werkes  grosse  Aus- 
gaben in  Holz  und  Travertinsteinen  gemacht,  da  wurde  unter 
Julius  III.  in  einer  Versammlung  der  Kleriker  di  Camera,  die  über 
die  Vollendung  berieth ,  Nanni  di  Baccio  Bigio  in  Vorschlag  ge- 
bracht, der,  falls  ihm  die  Arbeit  in  Akkord  gegeben  würde,  sie  in 
kurzer   Zeit   und    mit   wenig    Geld    beendigen    werde.      Unter   dem 

14* 


212  Die  Bauten  in  Rom 


Schein  der  Rücksicht  gaben  sie  vor,  Michelangelo  zu  entlasten,  der 
alt  sei  und  sich  nicht  um  die  Sache  bekümmere,  so  dass,  wie  die 
Dinge  lägen ,  man  niemals  zu  einem  Abschluss  kommen  werde. 
Der  Papst,  der  möglichst  wenige  Ungelegenheiten  wollte  und  nicht 
daran  dachte ,  was  daraus  entstehen  könnte ,  gab  den  Klerikern  di 
Camera  die  Machtbefugniss,  für  die  Angelegenheit  als  eine,  die  sie 
anginge ,  Sorge  zu  tragen.  Da  übertrugen  sie  diese ,  ohne  dass 
Michelangelo  Etwas  davon  erfuhr,  mit  freiem  Vertrag  und  allem 
Material  dem  Nanni.  Dieser  Hess  die  Befestigungen,  die  zum  Fun- 
diren nöthig  waren ,  ausser  Acht  und  entlastete  die  Brücke  von 
einer  grossen  Anzahl  Travertinquadern ,  um  diese  zu  verkaufen; 
gerade  diese  Steine  aber,  mit  denen  vor  Alters  die  Brücke  seitlich 
gestützt  und  befestigt  worden  war,  machten  sie  durch  ihre  Be- 
schwerung stark  und  sicher  und  tüchtiger.  An  ihre  Stelle  nun 
brachte  er  Kies  und  Mörtel,  so  dass  man  den  inneren  Defekt  nicht 
sah,  und  aussen  brachte  er  Brustwehren  und  Anderes  an;  auf  den 
ersten  Blick  schien  Alles  erneuert.  Aber  da  die  Brücke  vollständig 
schwach  geworden  und  Alles  verdünnt  war ,  kam  es  dann  fünf 
Jahre  später,  bei  der  Überschwemmung  im  Jahre  1557  (15.  Sep- 
tember), dazu,  dass  sie  derartig  zusammenbrach,  dass  man  erkannte, 
wie  wenig  Urtheilskraft  die  Kleriker  bewiesen  und  welchen  Schaden 
Rom  davon  hatte,  dass  man  den  Rathschlägen  Michelangelos  nicht 
gefolgt  war.  Oft  hat  Dieser  seinen  Freunden  den  Einbruch  voraus- 
gesagt und  auch  mir,  denn  ich  erinnere  mich,  wie  er  mir,  als 
wir  einst  über  sie  ritten,  sagte:  »Giorgio,  diese  Brücke  zittert  unter 
uns ;  reiten  wdr  schnell  zu ,  damit  sie  nicht  einbricht,  so  lange  wir 
noch  auf  ihr  sind.«" 

Einige  nähere  archivalische  Data  verdanken  wir  Bart.  Podestä 
(Fanfani:  Spigol.  S.  126  ff.).  Danach  wurden  die  Kosten  des  Baues 
aus  einer  Taxe  bestritten ,  deren  Depositar  der  Banquier  Bindo 
Altoviti  war.  Die  erste  Zahlung  findet  am  5.  Oktober  1548  statt, 
und  zwar  a  conto  an  den  von  Michelangelo  deputirten  Maestro 
Andrea  Seimone.  Am  13.  Oktober  eine  Zahlung  an  Zimmerleute, 
die  vom  7.  Oktober  an  ununterbrochen  Tag  und  Nacht  gearbeitet 
haben.  Weitere  von  Michelangelo  angewiesene  Zahlungen  werden 
am  27.  Oktober,  3.  Dezember  und  22.  Januar  1549  für  verschie- 
denerlei Arbeiten  verzeichnet.  Der  Tod  Pauls  III.  scheint  die  Thätig- 
keit  gelähmt  zu  haben.  Am  3.  Juli  1551  wird  der  erwähnte  Kon- 
trakt mit  Nanni  abgeschlossen ,  in  dem  die  Fundirung  des  Pfeilers 
und  Ausbesserung  der  zwei  Bögen  stipulirt  wird.  Am  13.  Juni 
1552  verdingt  Nanni  die  Arbeiten  an  mehrere  florentiner  Meister. 
Die  Kosten  wurden  durch  eine  den  Kurtisanen  Roms  auferlegte 
Abgabe  bestritten  (Bertolotti,  s.  C.  von  Fabriczy,  Rep.  f.  K.  X,  112). 
Er  schreibt  am   17.  März   1553  an  den  Herzog  von  Parma,  Ottavio 


Die  Befestigung  von  Rom  213 

Farnese :  „in  diesem  Jahr  habe  ich  mir  2000  Skudi  in  14  Tagen 
verdient  und  dies  ist,  wie  Eure  Excellenz  wissen,  so  viel  als  Michel- 
angelo und  Boccaccio  für  den  Ponte  santo  ausgegeben  haben;  so 
dass  Alle  in  diesem  Jahre  erstaunt  sein  werden.  Sie  gaben  das 
Werk  als  verzweifelt  auf  und  ich  übernahm  es  und  brachte  es  mit 
anderen  Hülfsmitteln  in  1 5  Tagen  zu  wege,  so  dass  ganz  Rom  dar- 
über erstaunte;  die  geschehenen  Irrthümer  kamen  mir  so  zu  Gute" 
(C.  Ronchini :  Atti  e  memorie  delle  prov.  Modenesi  e  Parmensi  VIII, 
S.  357,  wo  der  Brief  1552  datirt  ist). 

Ein  Augenzeuge  der  Überschwemmung  im  Jahre  1557  schreibt 
in  einem  Brief:  ,,der  Tiber  hat  die  Hälfte  der  Brücke  von  S.  Maria 
abgebrochen  und  fortgeführt,  und  zugleich  auch  die  schöne  kleine 
Kapelle  Julius'  III.,  die  auf  der  Mitte  mit  so  viel  Kunst  und  Kosten 
gebaut  worden  war."  (Avviso  della  Face  tra  la  Sant.  di  N.  S.  Papa 
Paulo  III  e  la  Maestä  del  Re  Filippo.  E  del  diluvio  che  e  stato 
in  Roma.     In  Roma  Ant.  Blado  1557.) 

Unter  Gregor  VIII.  wurde  die  Brücke  wieder  hergestellt,  aber 
1598  von  Neuem  zerstört  und  trug  seitdem  den  Namen  Ponte  rotto. 
Heute  überschreitet  man  den  Tiber  dort  auf  der  Eisenbrücke  Ponte 
Palatino. 

XIV 

Die  Befestigung  von  Rom 

Hören  wir  zuerst  Vasaris  Angaben. 

,,Es  hatte  Papst  Paul  III.  angefangen  den  Borgo  zu  befestigen 
und  viele  Herren  mit  Antonio  da  San  Gallo  zu  einer  Sitzung  be- 
rufen: er  wollte,  dass  auch  Michelangelo  daran  theilnehme,  da  er 
wusste,  dass  die  Fortifikationen  am  Hügel  von  S.  Miniato  von  ihm 
angeordnet  worden  waren.  Und  nach  langem  Disput  wurde  auch 
er  um  seine  Meinung  gefragt.  Im  Widerspruch  zu  derjenigen 
San  Gallos  und  vieler  Anderen  äusserte  er  sie  freimüthig;  da  er- 
widerte ihm  San  Gallo,  seine  Kunst  sei  die  Skulptur  und  die  Malerei, 
nicht  aber  die  Befestigungen.  Michelangelo  antwortete :  von  jenem 
verstehe  er  wenig;  aber  vom  Befestigen  glaube  er,  dank  der 
vielen  Gedanken,  die  er  darauf  gewandt,  und  der  Erfahrungen,  die 
er  gemacht,  mehr  zu  verstehen,  als  Antonio  und  Alle  die  von  Dessen 
Familie;  und  bewies  ihm  in  Gegenwart  Aller,  dass  er  viele  Fehler 
gemacht.  Und  da  ein  Wort  das  andere  gab,  sah  sich  der  Papst 
genöthigt,  Schweigen  zu  gebieten.  Und  nicht  lange  nachher  brachte 
er  einen  Entwurf  der  gesamten  Befestigung  des  Borgo,  der  die 
Augen  öffnete  für  Alles,  was  dann  später  angeordnet  und  ausgeführt 
wurde;  und  er  wurde  die  Veranlassung,  dass  das  Thor  von  S.  Spi- 
rito,  welches,  von  Antonio  angeordnet,  schon  nahe  dem  Abschluss 
war,  unvollendet  blieb."    (VII,  216.) 


214 


Die  Bauten  in  Rom 


Zu  Zeiten  Pauls  IV.  wurde  er  an  mehreren  Stellen  bei  den  Be- 
festigungen Roms  beschäftigt;  auch  von  Salustio  Peruzzi,  dem  jener 
Papst  das  Thor  vom  Kastell  S.  Angelo,  das  heute  halb  zerstört  ist, 
in  Auftrag  gegeben  hatte.  Er  übernahm  die  Aufgabe,  die  Statuen 
an  diesem  Werk  anzuordnen  und  die  Modelle  der  Bildhauer  zu 
prüfen  und  korrigiren  (VII,  241). 

Nähere  Kenntnisse  verdanken  wir  einem  Briefe  Michelangelos 
und  den  Forschungen  von  A.  Guglielmotti :  Storia  delle  Fortificazioni 
della  Spiaggia  Romana  S.  319 — 368,  und  von  A.  Ronchini :  II  Monte- 
melino  da  Perugia  im  Giornale  d'erudizione  artistica  1872.  I,  168. 
Vgl.  auch  Gotti  I,  295  ff. 

Schon  1 534  war  Antonio  da  San  Gallo  d.  J.  mit  den  Fortifikations- 
arbeiten  beschäftigt.  Nach  einer  Unterbrechung  nahm  er  sie  1542 
wieder  auf.  Seit  Anfang  1545  handelte  es  sich  um  die  Befestigung 
des  Borgo ,  über  welche  sehr  verschiedene  Ansichten  sich  geltend 
gemacht  hatten ,  bei  denen  Berathungen  in  Pier  Luigi  Farnese 
präsidirte.  Zu  einer  Sitzung  am  25.  Februar  war  neben  Giov.  Fran- 
cesco Montemellino,  einem  im  Kriegswesen  erfahrenen  Manne,  und 
Anderen  Michelangelo  zugezogen  worden.  Er  formulirt  seine  An- 
sicht ,  die  mit  der  eines  Jacopo  Castriotto  im  Einklang  stand ,  in 
dem  Schreiben    an    den  Kastellan  von  Rom    am  26.  Februar  (Lett. 

S.  499)- 

,,Monsignore  Castellano.  —  Bezüglich  des  Modelles,  über  das 
gestern  disputirt  wurde,  sagte  ich  nicht  voll  meine  Meinung,  um 
die  ich  von  Eurer  Signoria  ersucht  wurde,  weil  ich  jene  Personen, 
für  die  ich  die  grösste  Zuneigung  hege,  zu  sehr  zu  kränken  fürch- 
tete. Und  zwar  meine  ich  den  Capitano  Giovanni  Francesco,  mit 
dem  ich  in  einigen  Dingen  nicht  übereinstimme ;  denn  mich  dünkt, 
dass  die  begonnenen  Bastionen  mit  Vernunftgründen  und  mit  Kraft 
sich  vertheidigen  und  fortführen  lassen.  Und  thut  man  es  nicht, 
so  fürchte  ich,  macht  man  viel  Schlimmeres ;  denn  mir  scheint,  alle 
diese  Gutachten  und  verschiedenen  Modelle  haben  den  Papst  in 
grosse  Verwirrung  gesetzt  und  ihm  solchen  Überdruss  bereitet,  dass, 
wenn  man  sich  zu  Nichts  entschliesst ,  man  weder  in  dieser  Weise 
fortfahren  kann,  noch  in  jener  anderen  es  ausführen,  was  sehr  übel 
wäre  und  wenig  zur  Ehre  Seiner  Heiligkeit.  Darum,  wie  ich  gesagt, 
halte  ich  es  für  richtig  fortzufahren,  ich  sage  nicht  in  Dem,  was 
angefangen  ist,  sondern  in  der  Befestigung  des  Hügels,  indem  man 
Einiges,  ohne  Beschädigung  des  Ausgeführten,  mit  Hülfe  des  Rathes 
des  Capitano  Giovanni  Francesco  verbessert  und  die  Gelegenheit 
benutzt,  die  jetzige  Leitung  zu  beseitigen,  wenn  es  so  ist,  wie  man 
sagt,  und  an  ihre  Stelle  den  Capitano,  den  ich  für  tüchtig  und  vor- 
trefflich in  allen  Dingen  halte,  zu  setzen.  Und  geschieht  dies,  so 
biete   ich    mich    dem  Papste    zu  Ehren    an,    denn   mehreremale  hat 


Die  Befestigung  von  Rom  2 1 5 


man  mich  nicht  wie  einen  Mitarbeiter,  sondern  als  wäre  ich  in 
allen  den  Dingen  ein  Kind,  aufgefordert.  —  Von  den  Spinegli  bis 
zum  Castro  würde  ich  nur  einen  Graben  machen,  denn  der  Lauf- 
gang genügt,  wenn  er  ordentlich  hergerichtet  wird." 

Montemellino,  der  ein  Memorandum  und  eine  Zeichnung  dem 
Papste  einreichte,  war,  wie  Pier  Luigi  Farnese,  der  Meinung,  man 
müsse  die  Befestigungslinie  verengen,  nicht  erweitern.  Mochi, 
Kommissar  an  den  Befestigungen,  schreibt  an  Letzteren,  der  Herzog 
von  Parma  geworden  ist,  am  7.  September  1 545  :  fast  alle  Arbeit 
ist  aufgegeben,  ausser  die  an  dem  sehr  schönen  und  stolzen  mili- 
tärischen Thor  von  S.  Spirito  in  dorischem  Stil  mit  dem  Mauer- 
flügel, der  sich  zum  Flusse  zieht.  Und  am  4.  Januar  1 546  wieder- 
holt er  diese  Angaben  und  fügt  hinzu:  bis  Ende  April,  hoffe  er, 
werde  das  Thor  bis  zur  vollen  Höhe  gediehen  sein.  „Und  es  wird 
sehr  stolz  und  in  dorischem  Stile  verziert,  nämlich  mit  grossen  Ge- 
simsen (regoloni)  und  Pyramiden,  mit  Kapitalen,  Friesen,  Archi- 
traven,  Säulen  und  Nischen,  mit  grossen  Statuen  zu  beiden  Seiten 
der  Thüre.  Diese  Statuen  sind  sehr  gross,  über  Lebensgrösse ;  die 
obere  Endigung  von  stolzestem  Charakter  ist  in  neuer  Art  mit  dem 
Wappen  des  Papstes  gebildet.  Es  wird  ein  wehrhafter  Kriegsbau 
mit  seinen  Geschützen  vorne  und  zu  beiden  Seiten.  Die  Zugbrücke 
ist,  wie  sie  sagen,  sehr  gut  angelegt  mit  zwei  Ausfallsthüren ,  die 
eine  eben  am  Ende  der  Courtine  nach  dem  Flusse  zu  für  Reiter 
und  Fussvolk,  die  andere  unmittelbar  unter  dem  Thore  unten  im 
Graben,  wo  oben  die  Zugbrücke  ist,  gleichfalls  für  Reiter  und  Fuss- 
volk. Die  Stelle,  die  bis  jetzt  eine  der  schwächsten  war,  wird 
eine  der  stärksten  sein ;  sicher  ein  Werk ,  zu  ewigem  Gedächtniss 
des  erlauchtesten  Hauses  Farnese." 

Kurze  Zeit  darauf  starb  Antonio  da  San  Gallo,  und  nun  wurde 
Michelangelo  neben  dem  Meleghini  eine  entscheidende  Stellung 
zuerkannt.  Wir  erfahren  hierüber  Näheres  aus  einem  Briefe  des 
Mochi  an  Pier  Luigi  vom  2.  März  1547:  „Was  die  Fortifikation  des 
Borgo  betrifft,  so  ist  das  Thor  von  S.  Spirito  abgeschlossen,  und 
man  beschäftigt  sich  beständig  damit,  sie  auch  im  oberen  Theil  zu 
beendigen ;  es  ist  ein  schönes  und  kräftiges  dorisches  Thor ,  das 
verdient  haben  würde,  an  ehrenvollerem  Platz  nach  S.  Peter  zu 
zu  stehen,  dort,  wo  alle  Gesandten  der  Christenheit  einziehen. 
Doch  hoffen  wir,  dass  Seine  Heiligkeit  auch  dieses  machen  wird. 
Bei  den  SpinelH  ist  man  augenblicklich  dabei ,  die  Courtine  nach 
dem  Thurm  Nicolaus'  V.  heiligen  Angedenkens  aufzuführen.  Wir 
arbeiten  an  der  Seite ;  und  da  Meister  Michelangelo  die  Stellung 
San  Gallos  zugleich  mit  dem  Meleghino  erhalten  hat,  und  nunmehr 
in  Dienst  getreten  ist  und  Seine  Heiligkeit  uns  befohlen  hat ,  was 
die  Zeichnung  anbetrifft,  Michelangelo  und  keinem  Anderen  zu  ge- 


2i6  Die  Bauten  in  Rom 


horchen,  er  aber  Dem,  was  zu  machen  beschlossen  worden  war, 
entgegen  ist,  so  ist  die  Entscheidung  auf  die  Ankunft  des  Herrn 
Alessandro  Vitelli  verlegt,  denn  so  hat  es  Seine  Heiligkeit  befohlen. 
Michelangelos  Meinung  ist  etwa  diese :  wo  die  schon  angeordnete 
Seite  der  Courtinc  von  S.  Nicola  sich  nähert,  möchte  er  sie  über 
die  Bastion  hinausziehen  und  dazwischen  eine  zweiseitige  spitze 
Bastion  oder  kleines  Bollwerk  oder  Plattform  mit  acht  Schiess- 
scharten, auf  jeder  Seite  vier,  oben  und  unten,  machen;  auf  der 
einen  Seite  wäre  die  Schiessrichtung  nach  dem  Thor  der  Courtine 
alli  Spinelli,  auf  der  anderen  nach  dem  ersten  Schiessstand  gegen 
Nicola  zu.  Er  behauptet,  dass  zuvor  der  Schiessstand  gegen  uns 
selbst  sich  richtete  und  dass  ein  einziger  Schiessstand  wegen  der 
grossen  Distanz  nicht  genügte,  die  Ecke  der  Spinelli  zu  vertheidigen. 
Das  Bollwerk  von  Gallinare  ist  auf  zwei  Seiten  niedergelegt :  sie 
denken  daran  es  mit  Kalk  zu  verkleiden  und  sich  seiner  als  Erd- 
wall zu  bedienen." 

Als  dann  nach  dem  Tode  Pier  Luigis  und  der  Einnahme  Pia- 
cenzas  durch  die  Kaiserlichen  die  Gefahr  einer  Belagerung  Roms 
drohender  wurde,  vertraute  Paul  III.  die  beschleunigte  Befestigungs- 
thätigkeit  dem  Jacopo  Fusto  Castriotto  von  Urbino  an  —  Ende  1 547 
wurde  die  Bastion  am  Belvedere  begonnen  — ,  der  die  Befestigungen 
statt  in  der  Ebene  des  Borgo,  wie  Michelangelo  verlangt  hatte,  auf 
den  Höhen  anlegte,  und  Michelangelo  zog  sich  zurück. 

Über  Dessen  Thätigkeit  als  Kriegsbaumeister  unter  Paul  IV. 
und  Pius  IV.  erfahren  wir,  ausser  jenen  Angaben  Vasaris  über  seine 
Überwachung  der  Skulpturen  am  Thor  des  Castello  S.  Angelo, 
nichts  Weiteres.  P.  Guglielmotti  führte  den  Nachweis ,  dass  der 
,,Torrione  Sanmichele  sulla  foce  del  Tevere",  der  1560  von  Pius  IV. 
errichtet  ward,  nach  einer  Zeichnung  des  Meisters  ausgeführt  wor- 
den ist.  In  den  folgenden  Jahren  sehen  wir  vielfach  Nanni  di 
Baccio  Bigio  an  den  Fortifikationen  sich  bethätigen. 


XV 

Michelangelos  Haus  am  Macello  de'  Corvi 

In  seinem  Aufsatz:  ,, Wohnung  und  Werkstatt  Michelangelos 
in  Rom"  (Deutsche  Rundschau  1902,  Mai,  S.  279  ff.)  hat  Ernst 
Steinmann  zusammengestellt,  was  sich  aus  Briefen  vmd  Kontrakten 
über  diese  Niederlassung  ergiebt  (vgl.  auch  Gori :  la  casa  di  M.  e 
quella  di  Raffaello  im  ,,Archivio  storico  artistico  archeologico  e 
letterario  della  cittä  e  provincia  di  Roma"  1875.  I-  S.  661  ff.).  Er 
bezog  es  am  6.  Mai  1 5 1 3 ,  bekam  es  im  Kontrakt  mit  den  Testa- 
mentsvollstreckern Julius'  II.    am    8.  Juli    15 16    R\r  neun   Jahre    zu- 


Erhaltene  unbestimmte  Entwürfe 


217 


gesichert,  dann  wieder  am  10.  März  1524  und  erhielt  es  1542  zu 
eigen.  Es  wird  im  Kontrakt  von  15 16  beschrieben:  „ein  Haus  mit 
Holzdecken,  Sälen,  Kammern,  Grundstück,  Garten,  Brunnen  und 
Nebenwohnungen."  In  dem  Miethsvertrag,  der  nach  des  Meisters 
Tode  von  Daniele  da  Volterra  mit  Lionardo  Buonarroti  abge- 
schlossen wird,  ist  die  Rede  von  einem  Thurm,  Stallungen,  zwei 
Nebenwohnungen,  einem  geräumigen  Hof  und  einem  Obstgarten. 
Das  Haus,  von  dem  Nichts  mehr  erhalten,  lag  im  Vicolo  de'  Fornari 
ein  wenig  hinter  S.  Maria  di  Loreto ;  der  Garten  stiess  an  die 
Piazza  Venezia  (früher  Piazza  di  S.  Marco). 

In  seinem  Werke  über  die  Sixt.  Kapelle  II,  S.  469,  publizirt 
Steinmann  einen  Stich  von  L.  Rossini  (in  der  Corsiniana,  vgl. 
Hermanin:  Le  Gallerie  nazionali  italiane  IV,  S.  XLIV  n.  10),  welcher, 
1809  angefertigt,  angeblich  das  Vestibül  mit  der  Treppe  des 
Hauses  wiedergiebt.  Es  ist  Steinmann  entgangen,  dass  Letarouilly 
in  seinen  Edifices  (III,  326),  wohl  nicht  ohne  Kenntniss  des  Stiches, 
dies  Vestibül  mit  der  Treppe  dargestellt  hat,  es  mit  einigen  Figuren 
und  Statuen,  auch  einem  Kandelaber  bereichernd.  In  seinem  Text 
(1860)  spricht  er  von  dem  Gebäude  als  einem  noch  vorhandenen 
und  bemerkt,  dass  die  Gewölbemalereien  sehr  zerstört  seien.  Unter 
seiner  Abbildung  ist  zu  lesen:  situee  au  pied  du  Capitole  via  d'Araceli. 
Es  war  das  Haus  unmittelbar  unter  dem  Kapitol  in  der  via  delle  tre 
pile  Nr.  2 ,  welches  die  Inschrift  trägt :  Parva  sed  apta  summo 
pictori  sculptori  poetae  architecto.  Eine  irrige  Tradition  verlegte 
hierher  die  Wohnung  des  Meisters.  Die  Abbildungen  Rossinis  und 
Letarouillys  geben  also  nicht  das  Haus  des  Meisters ,  sondern  ein 
ihm  willkürlich  zugeschriebenes  wieder  und  sind  daher  werthlos. 
Von  jenem  ist  uns  keine  Abbildung  erhalten. 

XVI 

Erhaltene  unbestimmte  Entwürfe 

Hier  seien  noch  einige  Zeichnungen  angeführt,  die  mit  keinem 
der  uns  bekannten  Werke  eine  Beziehung  haben. 

A.    Grundrisse. 

I.  Grundriss  einer  Kirche.  Florenz,  Casa  Buonarroti  LV,  122. 
Thode  171.  Chor  und  angränzender  Theil  des  Längshauses, 
das  kein  Ouerschiff  hat.  Der  Chor,  tief,  rechteckig,  erweitert 
sich  kurz  vor  dem  Längsschiff  um  Etwas.  Altar  vor  ihm  an- 
gedeutet, mit  zwei  seitlichen  Treppen,  die  aus  dem  Mittel- 
schiff emporsteigen.  Engstehende  Säulen  links  in  diesem,  im 
rechten  Seitenschiff  weitstehendc,  denen  Säulen  an  der  Wand 
entsprechen ;  eine  eingebaute  Kapelle.     Maassangaben. 


2i8  Die  Bauten  in  Rom 


2.  Theil  des  Grundrisses  einer  Zentralanlage.  Ebenda  III,  123. 
Thode  72.  Gedacht  (aber  nur  die  Hälfte  gezeichnet)  ist  ein 
Viereck  mit  Apsiden,  die  in  der  Mitte  von  dessen  drei  Seiten 
vorspringen ;  an  der  vierten  Seite  der  Eingang.  Die  Vierung 
ist  durch  vier  Pfeiler,  welche  wohl  eine  Kuppel  tragen,  be- 
zeichnet; die  Querarme  hat  man  sich  mit  Tonnen  gedeckt  zu 
denken.  In  den  Eckquadraten  zwischen  den  Tribünen  ist  eine 
seltsame  Anordnung  von  je  zwei  Säulen,  die,  der  Ecke  ge- 
nähert, vor  die  Wände  treten.  Fritz  Burger  (Rep.  f.  K.  XXXI. 
loi  ff.)  spricht  von  einem  1505  angefertigten  Entwurf  einer 
Kapelle  für  das  Juliusgrab,  die  als  Anbau  an  S.  Peter  gedacht 
worden  sei.    Von  einer  solchen  Kapelle  wissen  wir  gar  Nichts. 

3.  Schwer  verständlicher  Grundriss.  Ebenda  XLVII,  114.  Thode 
164.  Vorne  eine  Mauerflucht  mit  zwei  durch  einen  Pfeiler 
getheilten  Eingängen.  Der  eine  dieser  Eingänge  führt  durch 
einen  kleinen  Vorraum  in  einen  breiteren  Raum,  der  sich  seiner- 
seits durch  einen  dreigetheilten  Eingang  in  einen,  wie  es  scheint, 
oblong  gedachten  Raum  mit  einem  schmäleren  Seitenschiff 
(darin  Altar  angedeutet  i^)  auf  der  einen  Seite,  einem  Anbau  auf 
der  anderen  öffnet.  In  jenem  ersteren  breiten  Raum,  der 
Breite  nach  wie  ein  Narthex  vor  dem  oblongen  angeordnet, 
eine  Reihe  von  sechs  Säulen.  Auf  der  Rückseite  Entwürfe 
für  Grabmal  und  eine  Notiz :  a  di  secte  di  giennajo  parti  da 
Firenze  per  pietrasanta  usw.,  was  bestimmt  auf  das  Jahr  1517 
hinweist.  Also  aus  der  Zeit  der  Beschäftigung  mit  der  Fassade 
von  S.  Lorenzo.     (Vgl.  unten  Grabdenkmäler  I.) 

B.  Wandverkleidungen. 

4.  Ein  durch  zwei  korinthische  kannellirte  Säulen,  die  volles  Ge- 
bälk tragen ,  gerahmtes  Wandfeld  mit  viereckiger  Nische, 
welche  eine  stehende  Statue  enthält,  über  einem  Sockel.  Fein 
in  Röthel  ausgeführte  Zeichnung  in  der  Casa  Buonarroti  XLV, 
100.  Thode  155.  Daneben  Grundriss,  der  auf  eine  reiche 
Anlage  eines  Monumentes  mit  vorspringendem  Mitteltheil  und 
Schmalseite  —  jedes  Feld  mit  zwei  Säulen  —  hinweist.  — 
Ein  Grabmonument?  Dürfte  man  an  jenes  der  Päpste  Leo  X 
und  Clemens  VII.  denken  ?  (S.  unten :  Entwürfe  zu  Grabdenk- 
mälern V.) 

5.  Dreigetheiite  Wandverkleidung  mit  Attika.  Im  mittleren  Felde : 
ein  altarartiges  Postament  und  Nische  mit  Muschel  (in  der 
Attika)  darüber.  Im  Seitenfelde  ein  viereckiger  Rahmen  mit 
Ohren  (auch  als  Nische  gedacht!^)  Links  kleine  Skizze  des  Auf- 
baues. Federzeichnung  in  Oxford  Nr.  40.  Thode  423.  Es  könnte 
gedacht  sein  für  die  Reliquienunterbringung  in  S.  Silvestro. 


Studien  nach  antiken  Architekturtheilen  219 

C.    Nischen. 

6.  Altar.  Die  Rahmung  mit  Spitzgiebel  auf  Volutenkonsolen. 
Im  Innern  rechteckige  Nische  über  einem  altarartigen  Posta- 
ment mit  zwei  Volutenkonsolen.  In  der  Formensprache  an 
die  Fenster  des  Palazzo  Riccardi  erinnernd.  Federzeichnung 
in  der  Casa  Buonarroti  XLV,   10 1.     Thode   156. 

7.  Halbrunde  Nische  mit  Muschelwölbung ,  eingerahmt  von  zwei 
jonischen  (korinthischen .?)  Säulen,  über  deren  Gebälk  ein  Spitz- 
giebel sich  erhebt.  Zu  dessen  Seiten  Akroterien  angedeutet. 
Daneben  nochmals  flüchtiger  Entwurf  des  Giebels.  Röthei- 
zeichnung in  der  Casa  Buonarroti  XL  VI,  112.  Thode  162. 
Auf  der  Rückseite  Brief konzept  vom  26.  Januar  1523.  Ich 
stellte  oben  die  Frage,  ob  es  sich  um  eine  Nische  für  den 
Garten  des  Herzogs  von  Mantua  handele.  —  Dies  bleibt  aber 
durchaus  ungewiss.     (S.  oben  II,  S.  146.) 

XVII 

Studien  nach  antiken  Architekturtheilen 

Im  British  Museum  und  in  der  Casa  Buonarroti  befinden  sich 
eine  Anzahl  von  Rötheizeichnungen  nach  antiken  Bautheilen,  die, 
wenn  auch  nicht  alle  im  Format  übereinstimmend,  doch  der  Be- 
handlung und  den  Vorwürfen  nach  zusammengehören.  Die  Auf- 
nahmen sind  nicht  nach  den  Bauwerken  selbst,  sondern  zweifellos 
nach  Vorlagen  angefertigt.  Letztere  glaubte  Fagan,  was  die  Lon- 
doner Blätter  anbetrifft,  in  Serlios  1537  erschienener  Regola  zu 
finden,  und  Einiges  Hesse  sich  wohl  auch  ungezwungen  auf  diese 
beziehen,  doch  wurde  der  viel  schlagendere  und  umfänglichere  Zu- 
sammenhang mit  einem  Skizzenbuch  im  Soane  Museum  in  London, 
bezeichnet  als:  ,,Architectura  Civilis  Andrea  Coneri"  neuerdings 
von  T.  Ashby  junior  nachgewiesen,  welcher  es  in  den  ,,Papers  of 
the  British  School  at  Rome"  vol.  II,  1904  publizirte.  Es  enthält  eine 
grosse  Anzahl  sauber  mit  der  Feder  gezeichneter  antiker  Architekturen 
und  Bautheile  (auch  einige  der  Renaissance),  denen  häufig  Angaben 
über  die  Originale  und  Maasse,  sowie  Annotationen  beigegeben  sind. 
Zwei  Künstlerhände  sind  zu  unterscheiden.  Der  ältere  Meister,  der 
für  uns  allein  in  Betracht  kommt,  muss  um  1 5 1 5  seine  Zeichnungen 
angefertigt  haben.  Ob  er  der  ,,clericus  Bambergensis  diocesis" 
Andreas  Concr,  von  dem  sich  ein  am  i.  September  15 13  an  Ber- 
nardo  Rucellai  in  Florenz  gerichteter  Brief  (in  Kopie)  in  dem  Buche 
befindet,  war,  erscheint  mehr  als  zweifelhaft.  Das  erhaltene  Inventar 
dieses  sonst  unbekannten  Mannes,  der  1527  in  Rom  gestorben  ist, 
lässt  ihn  als  einen  Alterthumsliebhaber  erkennen.    Das  Wahrschein- 


220  Die  Bauten  in  Rom 


liehe  ist,  dass  er  sich  die  Aufnahme  von  einem  italienischen  Künstler 
machen  Hess,  der  vielleicht  Giuliano  da  San  Gallos  Skizzenbücher 
gekannt  hat  oder  aus  der  gleichen  Quelle ,  wie  Dieser ,  in  einigen 
Fällen,  wo  er  Gebäude  ausserhalb  Roms  wiedergab,  schöpfte. 

Ashbys  Nachweise  lassen  nun  keinen  Zweifel  darüber,  dass  die 
Michelangelo  zugeschriebenen  Zeichnungen  von  denen  in  Coners 
Skizzenbuch  abhängig  sind  —  nicht  etwa  die  Coner'schen  von 
denen  Michelangelos  —  und  er  hält  es  auf  Grund  des  Vergleiches 
für  undenkbar,  dass  der  Meister  selbst  der  Kopist  gewesen,  da  die 
Studien  in  London  und  Florenz  zu  schüchtern  und  unbedeutend 
und  die  Vorlagen  wiederholt  missverstanden  seien,  auch  die  Maass- 
angaben fehlten.  Es  könne  sich  nur  um  einen  Schüler  Michel- 
angelos handeln.  Dem  hat  Frey  neuerdings  widersprochen.  Er 
glaubte,  dass  sowohl  Coners  als  Michelangelos  Zeichnungen  auf 
ein  älteres  Skizzenbuch  zurückzuführen  sind  und  der  Letztere  als 
Jüngling  bei  seinem  ersten  Aufenthalte  in  Rom  durch  diese  Kopien 
sich  eine  Kenntniss  der  antiken  Architektur  zu  verschaffen  bemüht 
gewesen  ist. 

Nehmen  wir  eine  Nachprüfung  der  sorgfältigen  Untersuchungen 
Ashbys  vor,  so  müssen  wir  einige  der  von  ihm  angeführten  Blätter, 
als   nicht   zu    der  Serie    gehörig,    ausscheiden,    nämlich   die  beiden 
Federzeichnungen    in  der  Casa  Buonarroti  XXIV,   5  und  7  (für  die 
Libreria  s.  oben  II,  127),  sowie  die  auf  die  Medicigräber  bezüglichen 
ebendaselbst  LVill,  9  und  10.    (Vgl.  oben  I,  S.  500.    Nr.  LXIII  und 
LXIV.)    Auch  London  1859 — 6 — 25 — 549,  in  dem  sich  auch  keine 
Beziehung  zu  Coner  findet,  lasse  ich  vorläufig  bei  Seite.    Im  Übrigen 
folge    ich    der   von   Ashby   (App.  II,  S.  80)    gegebenen   Anordnung 
und  Bezeichnung  und  lasse  bei  der  Besprechung  der  verschiedenen 
Studien  auf  einem  Blatte,  dieselben,  wie  er,  aufeinanderfolgen,  in- 
dem ich  von  links  oben,  wie  beim  Lesen  einer  Seite,  ausgehe. 
I.  London,  British  Museum   1859 — 6 — 25 — 560  (i).    Thode  302. 
Ber.  1506.    Abb,  Frey  85.    Gebälk  mit  darunter  angegebenem 
Säulenkopf  und  mit  Kranzgesims  vom  Marcellustheater.    Coner 
"z^.     Die   gleiche  Ansicht.     Die  Triglyphe  links  ist  nicht  aus- 
geführt, links  nicht  die  Ecke  des  Gebäudes  angegeben,  sondern 
das  Gebälk  fortlaufend  gedacht.  —  Verso.    Abb.  Ashby  PL  A. 
Frey  86.     Zehn  Kapitale,  an  denen  das  Ornamentale  nur  an- 
gedeutet ist,   wie  dies  auch  in  den  folgenden  Studien  oft  der 
Fall.    Aus  S.  Maria  maggiore.    a)  Weniger  von  unten  gesehen 
als  bei  Coner  119  a.  —  b)  Von  S.  Niccolo  in  Carcere.    Nicht, 
wie  bei  Coner  119  b  von  unten  gesehen  und  der  Durchschnitt 
gegeben,  sondern  einfache  Gesamtansicht.  —  c)  Unbekanntes 
Vorbild.      Blosses   Profil,    v^ährend    bei    Coner    122b    Durch- 
schnitt.   —   d)  Vom  Monte  Cavallo.      Mit  Coner  119  c   über- 


Studien  nach  antiken  Architekturtheilen  221 

einstimmend.  —  e)  Im  Barberini'schen  Skizzenbuch  Giuliano 
da  San  Gallos  14  v :  in  Trastevere.  Nicht  wie  bei  Coner 
iigd  von  unten  gesehen  und  mit  Durchschnitt,  sondern  ein- 
fache Ansicht.  —  f)  Im  Palast  des  Kardinals  von  S.  Giorgio 
(Cancelleria).  Nicht  wie  bei  Coner  iige  von  unten  gesehen 
und  mit  Durchschnitt,  sondern  einfache  Ansicht.  —  g)  Bei 
S.  Matteo.  Coner  120  b.  Dieselbe  Verschiedenheit.  —  h)  Vom 
Kapitol.  Coner  i2od.  Dieselbe  Verschiedenheit.  —  i)  Im 
Hause  Valle.  Coner  120  a.  Dieselbe  Verschiedenheit.  —  j)  Bei 
S.  Prassede.     Profil.     Übereinstimmend  mit  Coner   122  f 

II.  London,  British  Museum  1859 — 6 — 25 — 560(2).  Thode  303. 
Ber.  1505.  Abb.  Ashby  PI.  B.  Verschiedene  architektonische 
Details.  a)  Kranzgesims  des  Konstantinsbogens.  Wie  bei 
Coner  88  a.  —  b)  Profil  des  Kranzgesimses  am  Rundtempel 
von  Tibur.  Bei  Coner  92  a.  Kapital ,  Architrav ,  Fries  und 
Kranzgesims  gegeben.  —  c)  Profil  des  Architraves  eines  bei 
Coner  89  a  ganz  gegebenen  Gebälkes  von  der  Torre  delle 
Milizie.  —  d)  Profil  des  Architraves  vom  Forum  Transitorium 
(Le  Colonnacce).  Bei  Coner  89  b  das  ganze  Gebälk.  — 
e)  Säulenbau  (nur  ein  Drittel)  vom  Konstantinsbogen.  Bei 
Coner  87  a  die  Hälfte  der  Basis  und  Durchschnitt.  —  f)  Detail. 
Nach  Coner  49.  —  g)  Profil  des  oberen  Gesimses  am  Marcellus- 
theater.  Bei  Coner  93  a  schräge  Ansicht  des  Gebälkes  selbst. 
—  Verso.  In  den  Skizzen  hier  wies  ich  früher  Studien  für 
die  Fassade  von  S.  Lorenzo  nach.    (II,   loo  Nr.  XIX.) 

III.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXn,  i.  Thode  89.  Linke  Hälfte 
des  Blattes.  Phot.  Alin.  1006.  Abb.  Frey  82.  a)  Profil 
des  Piedestals  des  Titusbogens.  Coner  137  f.  —  b)  Profil  einer 
Plinthe  vom  Marcellustheater.  Coner  137  e.  —  c)  Schluss- 
steinkonsole vom  Bogen  des  Sept.  Severus.  Bei  Coner  147  a 
ausgeführt,  hier  nur  im  Umriss.  —  d)  Korinthisches  Kapital. 
Woher?  Übereinstimmend  mit  Coner  140a.  —  e)  Kapital. 
Woher.''  Übereinstimmend  mit  Coner  140b.  —  f)  Kapitale. 
Von  S.  Giovanni  in  Laterano.  Die  Kapitale  bei  Coner  144  b 
und  d  halbirt  aneinandergefügt.  —  g)  Kapital.  Erinnert  an 
Kapitale  in  S.  Maria  in  Trastevere.  Coner  148  a.  —  h)  Kapital. 
Coner  148  c.  —  Rechte  Hälfte  des  Blattes.  Phot. 
Alin.  1004.  Abb.  FreySi.  a)  Kapital.  Aus  Tibur.  Coner  123. — 
b)  Basis.  Aus  Tibur,  Coner  124  a.  —  c)  Basis.  Bei  dem  Mar- 
cellustheater. (Giulianos  Skizzenbuch.  Barberini  7 1  v.)  Coner 
124  c.  —  d)  Basis.  S.  Anastasia.  Coner  I24d.  —  e)  Basis.  In 
S.  Bartolommeo.  Coner  125  b.  (Codex  Escur.  ed.  Egger  fol. 
23,  b.)  —  f)  Basis.  Bei  den  Santa  Croce.  Coner  125  a.  — 
g)  Basis.     ,,In  domo  Campolinis".     Coner  126  b.  —  h)  Basis. 


222  Die  Bauten  in  Rom 


Woher?  Coner  131a.  —  i)  Basis.  Woher?  Coner  131b. — 
j)  Basis.  Baptisterium  des  Lateran.  Coner  132  a.  —  k)  Basis. 
S.  Croce  in  Gerusalemme.     Coner   132  b. 

Rückseite  der  linken  Hälfte  des  Blattes,  a)  Renais- 
sancekapitäl.  Coner  138  f.  —  b)  Kapital  aus  S.  Croce  in 
Gerusalemme.  Coner  138  h.  —  c)  Pilasterprofil  aus  dem  unteren 
Hof  des  Belvedere.  Coner  117c.  —  d)  Gesims.  Woher? 
Coner  ii6h.  —  e)  Säulenplinthe  aus  unterem  Hof  des  Belve- 
dere. Coner  117  a.  —  f)  Dito.  Coner  117  b.  —  g)  Kapital 
aus  S.  Croce  in  Gerusalemme.  Coner  138!.  —  h)  Nicht  be- 
stimmbar. —  i)  Gesims  von  S.  Maria  della  Consolazione. 
Coner  115  f.  —  k)  Gesims,  bez.  „Antonii"  (Antonio  da  San 
Gallo).  Coner  115  c. —  1)  Gesims  „Antonii".  Coner  Ii6i.  — 
m)  Basis.  Aus  unterem  Hof  des  Belvedere.  Coner  Il7d.  — 
Rückseite  der  rechten  Hälfte  des  Blattes,  a)  Bra- 
mante'sches  Gesims  ,,circum  aram  S.  petri".  Coner  Ii6b. — 
b)  Gesims  beim  Vespasiansbogen.  Coner  ii6c.  —  c)  Gesims. 
„Antonii"  (Antonio  da  San  Gallo).  Coner  Il6e.  —  d)  Säulen 
aus  erstem  Geschoss  des  Hofes  der  Cancelleria.  Coner  68  c.  — 
e)  Säule.     Bei  S.  Prassede.     Coner  68  a. 

IV.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXII,  2.  Thode  90.  Linke  Hälfte 
des  Blattes.  Phot.  Alin.  1002.  Frey  Abb.  83.  a)  Kranz- 
gesims. Beim  Marcellustheater.  Coner  84  a.  —  b)  Kranz- 
gesims bei  S.  Lorenzo  in  Miranda.  Coner  84b.  ■ —  Rechte 
Hälfte  des  Blattes.  Phot.  Alin.  1003.  Frey  Abb.  84. 
Gebälk  der  Basilica  Aemilia.     Coner  ']'j. 

Rückseite  der  linken  Hälfte  des  Blattes,  a)  Ge- 
sims. Vom  Ponte  molle.  Coner  112  a.  —  b)  Gesims.  Woher? 
Coner  113  c.  —  c)  Plinthe.  Coner  113  c.  —  d)  Gesims  vom 
Colosseum.  Coner  113  d.  —  Rückseite  der  rechten 
Hälfte,  a)  und  b)  Fassadenreste  vom  Mausoleum  der  Plautii 
beim  Ponte  Lucano.     Coner  49  a  und  b. 

V.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXIII,  3.  Thode  91.  Phot.  AHn.  1016. 
Abb.  Frey  101.  a)  Pilasterbasis  vom  Templum  Solls  Aureliani  ij). 
Coner  81  b.  —  b)  Dorisches  Gebälk  ,, Antonii"  (Antonio  da  San 
Gallo).  Coner  82.  —  c)  Kranzgesims  von  S.  Maria  in  Prassede. 
Coner  83  e.  —  d)  Gesims  aus  der  Cancelleria.  Coner  83  c 
(nicht,  wie  bei  Coner  verdruckt:  83  d).  —  e)  Gebälk  eines  Grab- 
mals an  der  Via  Nomentana.  Coner  75.  —  Rückseite  der 
linken  Hälfte  des  Blattes.  Phot.  Alin.  1003  (Coner 
sagt:  1035).  Frey  102.  a)  Gebälk  vom  Palatium  Mecenatis 
(Templum  Solls  Aureliani).  Coner  81  a.  —  b)  Gesims.  Woher? 
Coner  83  b.  —  c)  Kranzgesims  vom  Kapitol.  Coner  83  d.  — 
Rückseite    der    rechten   Hälfte,     a)  Kapital   vom  Mar- 


Studien  nach  antiken  Architekturth eilen  223 

cellustheater.  Coner  "/^  (wo  das  ganze  Gebälk).  —  b)  Gesims 
vom  Cortile  des  Belvedere.  Coner  78. 
VI.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXIII,  4.  Thode  92.  Linke  Hälfte 
des  Blattes.  Phot.  Alin.  1005.  a)  Gesims  ,,apud  Colum- 
nam  Trajanam.  Coner  109  d.  —  b)  Gebälk  vom  Tempel  des 
Kastor  und  Pollux.  Coner  85.  —  c)  Gesims  nicht  bestimm- 
bar. —  d)  Gesims,  ,,in  s.  petro".  Coner  90a.  —  Rechte 
Hälfte  des  Blattes.  Phot.  Alin.  1007.  a)  Gesims,  bei 
S.  Marco  gefunden.  Coner  73  a.  —  b.  Dorisches  Kapital. 
Woher  .^  Coner  74.  —  c)  Gesims.  Woher  .^  Coner  109  c.  — 
d)  Gesims.     Vom  Tempel  der  Minerva.     Coner  109  a. 

Rückseite  der  linken  Hälfte  des  Blattes,  a)  Ge- 
sims. Von  den  Quattro  santi  Coronati.  Coner  109  b.  —  b)  Ge- 
sims. Bei  S.  Paolo  fuori.  Coner  iioc.  —  c)  Gesims.  Bei 
S.  Maria  nuova.  Coner  iiod.  —  d)  Gebälk  der  Nischen  des 
Pantheon.  Coner  1 1 1  b.  —  e)  Architrav,  unbestimmt.  —  Rück- 
seite der  rechten  Hälfte  des  Blattes,  a)  Gesims, 
unbestimmt.    Coner  72  a.  —  b)  Gebälk.   Woher  .^    Coner  72  b. — 

c)  Dorisches  Gebälk  ,, circa  ecclesiam  S.  Petri".    Coner  71b.  — 

d)  Gesims.     Bei  S.  Marco.     Coner  73  b. 

Vn.  Florenz,   Casa  Buonarroti  LVin,  8.     Thode   175.     Ber.    1457. 
a)  Thüre  des  Tempels  von  Tibur.     Coner  32  b.  —  b)  Fenster 
des  Tempels  von  Tibur.     Coner  32  a.  — •  c)  Linke  Hälfte  des 
Konstantinsbogens,  etwas  von  rechts  gesehen.     Coner  53.  — 
d)  und  e)  Profil  von  Säulenbasen.  —  f)  Kapital,  nicht  bestimmt 
bei  Coner  nachzuweisen. 
Sind   diese   Zeichnungen  von  Michelangelos  Hand.?     Ich   muss, 
wie  Ashby,  diese  Frage  verneinen.    (Berenson  ist  nicht  konsequent, 
wenn   er   die  Studien    in  London    dem    Meister   zuerkennt,    die   in 
Florenz   nicht.)     Die    unbestimmte   weichliche  Art  der  Behandlung, 
die  Kraftlosigkeit  der  Linienführung,  die  Unsicherheit  im  Perspek- 
tivischen, der  Mangel  an  plastischer  Prägnanz  sprechen  entschieden 
gegen  den  Meister,     Einzelne  Blätter  wirken    zwar   auf  den   ersten 
Blick    wohl    etwas    besser   und    kräftiger ,    als    die    Mehrzahl :    bei 
näherer    Betrachtung    erweisen    sie    sich    aber    doch   auch   als   von 
derselben  Hand.     Frey,    der    an  die   Ächtheit    glaubt,  sah  sich  ge- 
nöthigt,  eine  frühe  Entstehung  in  den  neunziger  Jahren  des  XV.  und 
Anfang    des  XVI.  Jahrhunderts    anzunehmen.     Das    ist   aber   schon 
aus  dem  Grunde   unzulässig,  dass    mehrfach  Kopien    nach  Antonio 
da  San  Gallo  dem  Jüngeren  sowie  einiger  anderer  Renaissancearbeiten 
vorkommen,  welche    die  Annahme,    ein    so  altes  Musterbuch    habe 
Michelangelo ,    wie    Coner    vorgelegen ,    ausschliessen.      Die    Nach- 
bildungen können  nicht  vor  15 15,  als  dem  Datum  des  Coner'schen 
Buches,    entstanden    sein.     Übrigens   würde    ich,    selbst   wenn    die 


224 


Die  Bauten  in  Rom 


Dinge  nicht  so  lägen,  auch  dem  jungen  Michelangelo  die  energie- 
losen Zeichnungen  nicht  zuschreiben  können.  —  Nun  kommt  aber 
weiter  dazu,  dass  auf  der  Rückseite  des  Blattes  II,  und  zwar 
von  den  Zeichnungen  der  Vorderseite  dem  Charakter  nach  unter- 
schieden, ächte  Studien  zur  Fassade  von  S.  Lorenzo  sich  befinden 
(15 17);  dies  lässt  auf  die  Entstehung  der  Kopien  nach  Coner  in  dieser 
Zeit,  was  vortrefflich  mit  der  Entstehung  des  antikischen  Skizzen- 
buchs stimmt,  schliessen.  In  eben  jenen  Tagen,  da  der  Meister 
die  erste  grosse  architektonische  Aufgabe  mit  der  Fassade  über- 
nimmt und  auf  Belehrung  bedacht  sein  muss,  bietet  sich  ein  Hilfs- 
mittel in  Coners  Kollektion  von  Reproduktionen  antiker  Bautheile, 
die  ihm  bekannt  geworden  sein  muss,  dar.  Er  benutzt  es,  aber 
nicht,  indem  er  selbst  sich  Kopien  anfertigt,  sondern  indem  er 
sich  dieselben  von  einem  Bekannten  oder  Schüler  anfertigen  lässt. 
So  scheint  sich  mir  der  Vorgang  auf  das  Natürlichste  zu  erklären. 
Er  hat  diese  Blätter  in  seinem  Atelier  und  setzt  auf  die  Rückseite 
eines  derselben  eigene  Studien.  Wenn  Frey  für  Michelangelos 
Autorschaft  geltend  macht,  dass  auf  einigen  die  Handschrift  des 
Meisters  sich  befinde,  so  gilt  diese  Behauptung  nur  von  der  er- 
wähnten Rückseite  von  11.  Das  Argument  hat  also  keine  be- 
weisende Kraft. 

Man  vergleiche  die  ächten  Architekturzeichnungen  aus  der 
Periode  der  Arbeit  an  S.  Lorenzo ,  der  Medicikapelle  und  der 
Libreria,  die  ich  an  den  betreffenden  Stellen  namhaft  gemacht 
habe,  um  über  ihre  gründliche  Verschiedenheit  von  unseren  Röthei- 
zeichnungen nicht  im  Zweifel  zu  bleiben.  Einige  andere  Blätter 
mit  verwandten  Studien,  die  aber  doch  nicht  zu  der  erwähnten 
Gruppe  gehören  und  die  ich  Michelangelo  selbst  zuschreiben  möchte, 
führe  ich  hier  an. 

VIII.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XXIV,  5.  Thodegs.  Feder.  Kapitale, 
Gesimse.  Auch  diese  sind  Studien  nach  der  Antike,  aber 
nicht  nach  Coner'schen  Zeichnungen. 
IX.  London,  British  Museum  1859—6—25—548.  Thode  289. 
Fagan  XIX.  Feder.  Kapitale  und  Basen.  Drei  Renaissance- 
kapitale ,  in  der  Art  der  bei  Coner  138  gezeichneten,  aber 
nicht  Wiederholungen.  Das  vierte  ähnlich  dem  Kapital  aus 
S.  Croce  in  Gerusalemme  bei  Coner  81. 
X.  London,  British  Museum  1859—6  —  25  —  549.  Thode  290. 
Fagan  XX.  Röthel.  Jonisches  Kapital  mit  kanellirtem  Hals 
und  einige  kleine  Gesimsstudien. 


IX 


ENTWÜRFE  FÜR  GRABDENKMÄLER 

UND  FÜR  KIRCHLICHE  UND 
PROFANE  GEBRAUCHSGEGENSTÄNDE 


■s 


A.  Entwürfe  für  Grabdenkmäler 


Entwurf  für  ein  Wandnischengrab  1517 

A  uf  der  Rückseite  eines  Blattes  in  der  Casa  Buonarroti  XLVII,  114 
X^  (Thode  164)  befinden  sich  vier  Skizzen  zu  einem  einfachen 
Wandnischengrab,  alle  ohne  figürlichen  Schmuck,  i.  In  einer  von 
Pilastern  mit  geradem  Gesims  eingerahmten  hohen  Nische  steht  auf 
hohem  Untersatz  mit  Füssen  der  Sarkophag,  der  spitzen  Deckel  trägt. 
Das  Schema  ist  etwa  das  von  Benedetto  da  Rovezzanos  Grabmal  des 
Altoviti  (gest.  1 507)  in  S.  Apostoli  zu  Florenz,  aber  ohne  Ornamentik 
(Abb.  167  in  Burgers  Gesch.  des  Flor.  Grabmales  S.  280).  —  2.  In 
einem  viereckig  gerahmten  Wandfeld,  dessen  untere  Hälfte  leer 
gelassen  ist,  steht  oben  in  rundbogiger  Nische  der  Sarkophag.  Es 
ist,  nur  vereinfacht,  der  Typus  des  Grabmales  Gianozzo  Pandolfinis 
von  Desiderio  da  Settignano  in  der  Badia  zu  Florenz  (Abb.  97  auf 
S.  188  bei  Burger).  —  3.  In  quadratischem  Wandfeld  eingezeich- 
netes Rund,  in  dem  der  Sarkophag  steht.  —  4.  In  quadratischem 
Felde  unten  ein  Rund  mit  Sarkophag,  darüber  eine  Inschrifttafel. 
Vorläufer  für  die  Rundform  in  3  und  4,  in  welcher  der  Arcosolien- 
typus  eine  seltsamste  Umwandlung  findet,  kenne  ich  nicht.  Neben 
den  Skizzen  befindliche  Notizen  besagen :  ,,a  di  secte  di  giennajo 
parti  da  firenze  per  pietrasanta  e  portal  sessantuno  duchato  meco. 
Per  le  pianelle  ducati  cinque.  A  meo  fondatore  ducati  sei  e  a 
scrivere."  Wir  gewinnen  hieraus  eine  ungefähre  Datirung,  denn 
wir  wissen,  dass  Michelangelo  im  Jahre  15 17  am  7.  Januar  nach 
Pietrasanta  reiste.  Von  einem  Auftrage  auf  ein  Grabmal  in  dieser 
Zeit  wissen  wir  aber  Nichts.  Ein  Florentiner,  der  vcrmuthlich  be- 
stimmte Wünsche  im  Sinne  einer  traditionellen  Form  des  Denk- 
males äusserte,  dürfte  der  Besteller  gewesen  sein.  Auf  der  Vorder- 
seite des  Blattes  ist  der  Grundriss  eines  eigenthümlichen  Gebäudes 
(Haus?  Kirche.?)  mit  einem  Vorhof  (s.  oben  II,  S.  218.  Unbestimmte 
Entwürfe  Nr.  3). 

15* 


228  Entwürfe  für  Grabdenkmäler 


II 

Altar  des  Hauptes  Johannes  des  Täufers  und  Grabdenkmäler 
in  S.  Silvestro  in  Capite  1518 

Aus  einem  Briefe  Piero  Rosseliis  an  Michelangelo  vom  8.  Mai 
1518  geht  hervor,  dass  Piero  Soderini  in  Rom  den  Gedanken  ge- 
fasst,  eine  Marmorbüste  des  Täufers  in  die  Kirche  S.  Silvestro  in 
Capite  zu  stiften,  in  der  sich  die  Reliquie  des  Hauptes  Johannes  des 
Täufers  befindet.  Rosselli  erbittet  des  Meisters  Rath.  Dann  er- 
weitern sich  Soderinis  Pläne,  und  er  schreibt  am  7.  Juni  an  Michel- 
angelo : 

,,Theuerster  Michelangelo!  Da  ich  sehe,  dass  das  Haupt  des 
glorreichen  Johannes  Baptista,  des  Schirmherrn  und  Sachwalters 
unserer  Nation,  nicht  so,  wie  es  einem  so  grossen  Heiligen  gebührt, 
verwahrt  wird,  ist  mir  der  Gedanke  gekommen,  für  dasselbe  einen 
Altar  und  schmuckreiche  Einfassung,  sowie  eine  Stätte  für  zwei 
Gräber  zu  machen,  wie  Ihr  von  dem  Überbringer  Dieses  erfahren 
werdet,  und  500  Dukaten  dafür  auszugeben.  Alles  aber  will  ich 
nach  Eurem  Rath,  Anordnung  und  Entwurf  machen.  Auch  über- 
lasse ich  Euch  die  Bestimmung  des  Honorars  für  die  Arbeiten. 
Es  scheint  mir  nicht  richtig,  etwas  Anderes  als  Halbreliefs  zu  machen, 
denn  ich  sehe,  dass  hier  in  Rom  mit  der  Zeit  Figuren  und  Statuen 
weggenommen  werden.  Möchte  es  Euch  gefallen.  Euch  hierum, 
meinem  Vertrauen  zu  Euch  entsprechend,  zu  bemühen  und  mJr 
Antwort  zu  geben.  Und  diese  Dinge,  die  aus  Devotion  gethan 
werden,  wollen,  wie  Ihr  wisst,  geheim  gehalten  sein.  Möge  Gott 
Euch  seine  Gnade  schenken!  Mit  einem  solchen  Dienst  könnt  Ihr 
mich  zur  grössten  Dankbarkeit  verpflichten." 

Der  Meister  hat  hierauf  entgegenkommend  geantwortet,  nur 
gebeten,  die  Arbeit  in  Florenz  ausführen  zu  können.  Soderini 
bittet  darauf  hin,  ihm  ein  Modell,  d.  h.  eine  Zeichnung  zu  senden, 
Marmor  zu  beschaffen  und  ihn  von  zwei  oder  vier  Gehülfen  bear- 
beiten zu  lassen.  Die  Figuren  —  offenbar  hat  Michelangelo  doch 
Statuen  in  Vorschlag  gebracht  —  könne  er  ja  dann  in  aller  Be- 
quemlichkeit selbst  ausführen  oder  an  Andere  verdingen  (24.  Juli  15 18). 
Michelangelo  sendet  eine  Zeichnung  ein,  die  Soderini  gefällt;  nur 
wäre  es  Diesem  erwünscht,  dass  der  Meister  selbst  nach  Rom  käme 
und  die  Anordnung  träfe.  An  Frizzi ,  der  Michelangelo  für  die 
Ausführung  empfohlen  hat,  will  sich  Soderini  wenden  (30.  Oktober). 
Er  zieht  auch  den  Bildhauer  Antonio  di  Filippo  del  Tanghero 
heran,  der  am  26.  November  an  Michelangelo  schreibt :  die  Zeich- 
nung gefalle  auch  ihm  sehr,  und  es  würde  ,, etwas  Reiches  und 
Schönes"    werden;    nur    sehe    sie    unglückHcher   Weise    eine   Höhe 


Das  Grabmal  des  Franzesco  Gonzaga  1519  229 

von  70  Palmi  vor ;  höher  wie  50  Palmi  aber  könne  man  nicht 
gehen  und  es  scheine  ihm,  dass  der  Entwurf  eine  solche  Verkleine- 
rung nicht  vertrage  (26.  November). 

Der  Plan,  von  dem  diese  Briefe,  die  Frey  (S.  10 1  ff.)  veröffent- 
lichte, berichten,  ist  nicht  zur  Verwirklichung  gelangt.  Es  fragt 
sich,  ob  uns  ein  Entwurf  für  ihn  erhalten  ist.  Ich  glaube :  ja.  In 
Betracht  scheint  mir  eine  Zeichnung  in  derCasa  Buonarroti 
(XL VI,  HO.  Thode  160.  Ber.  1454)  zu  kommen,  welche  neben  ein- 
ander erstens  den  Entwurf  eines  zierlichen  Reliquienbehälters  (a), 
zweitens  den  Entwurf  eines  Sarkophages  (b),  drittens  einen  flüch- 
tigen früheren,  weniger  glücklichen  Entwurf  für  das  Ciborium  (c) 
und  viertens  eine  gleichfalls  frühere  Skizze  für  den  Sarkophag  (d) 
unter  a  zeigt.  Der  Reliquienbehälter  a  hat  über  einem  geschwungenen 
Fuss  ein  achtseitiges,  mit  kuppeiförmigem  Dach  bedecktes  Ge- 
häuse ,  an  dessen  vier  vorspringenden  Hauptseiten  kleine  Nischen, 
abwechselnd  mit  Spitz-  und  mit  Segmentgiebel,  an  den  anderen  Seiten 
je   eine   viereckige   und  darüber   eine   runde  Füllung   sich  befinden. 

Das  Nebeneinander  eines  Reliquienbehälters  und  eines  Sarko- 
phages scheint  mir  die  Beziehung  dieser  Studien  auf  Soderinis  Ent- 
wurf wahrscheinlich  zu  machen.  Für  die  Datirung  gewinnen  wir 
aus  den  Ricordi  auf  der  Rückseite  des  Blattes  einen  ungefähren 
Anhalt  (Gotti  II,  185.  Lett.  567).  Sie  fassen  kurz  die  Geschichte  der 
Fassade  von  S.  Lorenzo  vom  5.  Dezember  15 16  bis  zum  25.  Februar 
15 18  zusammen.  Wie  so  oft  hat  er  auch  hier  die  Rückseite  eines 
Zeichnungsblattes  benutzt,  seine  Gedanken  zu  skizziren  —  die 
Datirung  der  Skizzen  auf  15 18  ist,  wenn  auch  nicht  sicher,  so  doch 
wahrscheinlich.  Mit  den  Medicigräbern,  an  die  man  ja  auch  denken 
könnte,  haben  sie  Nichts  zu  thun.  Die  Meinung  Freys  (73)  —  nur 
auf  eine  künstliche  Datirung  gestützt  — ,  es  handle  sich  um  das 
Ciborium  von  S.  Lorenzo  und  das  Grabmal  des  Barbazza,  wies  ich 
schon  (n,   107)  zurück.     Das  erstere  war  ganz  anders  geplant. 

m 
Das  Grabmal  des  Francesco  Gonzaga  1519 

Am  28.  Mai  15 19  schrieb  der  Marchese  Federico  Gonzaga  an 
Baldassare  Castiglionc  in  Rom:  ,,da  wir  daran  denken,  ein  ehren- 
volles Grabmal  für  unseren  erlauchtesten  Herrn  Vater  seligen  An- 
gedenkens machen  zu  lassen,  wollet  vier  oder  sechs  schöne  Grab- 
malentwürfe von  Michelangelo,  Raphael  und  von  anderen  tüchtigen 
Künstlern,  die  sich  in  Rom  befinden,  anfertigen  lassen  und  schickt 
sie  uns".  (Ad.  Venturi:  Arch.  stör,  dell'artc  1888  I,  S.  6,  A.  4  und 
Campori :  Note  e  doc.  per  la  vita  di  G.  Santi  e  Raffacllo). 

Da  Michelangelo  nicht  in  Rom  war,  erhielt  Raphael  den  Auftrag. 


2^0  Entwürfe  für  Grabdenkmäler 


IV 

Das  Grabmal  des  Bartolommeo  Barbazza  in  Bologna 

Im  Leben  des  Tribolo  (VI,  S.  59)  erzählt  Vasari,  wie  der 
Bolognesische  Edelmann,  der  Kanonikus  Bartolommeo  Barbazza  den 
jungen  Tribolo  von  Florenz  nach  Bologna  brachte  und  ihm  dort 
den  Auftrag  der  Skulpturen  an  der  Fassade  von  S.  Petronio  ver- 
schaffte. Während  der  Pest  1525  kehrte  der  Künstler  nach  Florenz 
zurück  und  kam  dann  wieder  nach  Bologna,  „wo  Messer  Bartolommeo 
ihn  davon  abhielt,  irgend  Etwas  an  der  Fassade  zu  thun  und  sich, 
da  viele  seiner  Freunde  und  Verwandten  gestorben  waren,  ent- 
schloss,  für  sich  und  für  sie  ein  Grabmal  machen  zu  lassen.  Und 
so,  nachdem  er  ein  Modell  angefertigt,  das  Messer  Bartolommeo, 
bevor  er  irgend  etwas  Anderes  mache,  ausgeführt  haben  wollte, 
ging  Tribolo  selbst  nach  Carrara,  um  den  Marmor  an  Ort  und 
Stelle  zu  bearbeiten  und  die  Blöcke  leichter  zu  machen,  in  der 
Absicht,  so  einerseits  den  Transport  dadurch  bequemer  und  andrer- 
seits die  Statuen  grösser  zu  machen.  Und  so,  um  keine  Zeit  zu 
verlieren,  abbozzirte  er  zwei  grosse  Putten  aus  Marmor,  die  mit 
allen  übrigen  Werkstücken,  unvollendet  wie  sie  waren,  nach  Bologna 
gebracht,  und  als  plötzlich  Messer  Bartolommeo  starb  (was  Tribolo 
in  solchen  Schmerz  versetzte,  dass  er  nach  Florenz  heimkehrte), 
mit  anderen  Marmorblöcken  in  eine  Kapelle  von  S.  Petronio  ge- 
stellt wurden,  wo  sie  noch  heute  sind." 

Dies  Modell  Tribolos  ist  nach  einer  Zeichnung  Michelangelos 
angefertigt  worden.  Milanesi  wies  auf  einen  Brief  Barbazzas  vom 
3.  Oktober  1525  hin,  den  Frey  veröffentlicht  hat  (S.  259).    Er  lautet: 

„An  den  ausgezeichnetsten  Architekten  und  einzigsten  Maler, 
den  wie  ein  Bruder  verehrten  Messer  Michelangelo  in  Florenz.  In 
Eurer  Güte  und  Menschenfreundlichkeit  habt  Ihr  mir  vor  einigen 
Jahren  eine  Zeichnung  ftir  das  Grabmal  meines  Vaters  guten  An- 
gedenkens gemacht  und  durch  den  verehrungswürdigsten  Messer 
Hieronymo  Massaino  gesandt.  Nun,  da  ich  im  Begriff  bin  sie  ganz 
ausführen  zu  lassen,  meinen  Einige,  dass  das  Grabmal  weiter  von 
der  Mauer  vorspringe,  als  es  die  Zeichnung  zeigt.  Ich  habe  es 
unserm  Niccolö  Tribolo  und  Solosmeo,  den  talentvollen  Florentinern, 
die  an  der  Kirche  unsres  heiligen  Petronius  zu  arbeiten  begonnen 
haben,  gezeigt,  und  sie  senden  Euch  eine  Kopie  Eurer  Zeichnung. 
Es  wäre  mir  sehr  lieb,  wolltet  Ihr  sie  über  ihren  Zweifel  auf- 
klären; ich  würde  Euch  dafür  sehr  verpflichtet  sein  und  nenne 
mich  Euren  Schuldner.  Befehlt  über  mich  in  Allem,  was  ich  ver- 
mag und  kann.  Sie  senden  Euch  auch  die  Maasse  der  Breite  und 
Höhe  der  Kapelle.     Lebt  wohl." 


Auftrag  des  Kardinals  Cibo  auf  den  Entwurf  eines  Grabmales  1531     231 

Michelangelo  erfüllt  die  Bitte.  Am  29.  Oktober  dankt  ihm 
Barbazza;  „ich  habe  Euer  Schreiben  mit  dem  Grundriss  und  dem 
Profil  des  Grabmales  und  mit  den  Angaben,  wie  weit  es  vor  die 
Mauer  treten  solle,  empfangen  und  bin  Euch  sehr  verbunden  dafür. 
Tribolo  und  Solosmeo  sollen  in  Allem,  was  ich  vermag,  aus  Liebe 
zu  Euch  erfahren,  dass  Eure  Empfehlungen  Befehle  für  mich  sind. 
Und  mit  diesem  sende  ich  Euch  sechs  unserer  grossen  Würste ; 
möchtet  Ihr  Genuss  daran  finden.  Und  ohne  Unterlass  empfehle 
ich  mich.     Lebt  wohl!" 

Auch  Tribolo  giebt,  zugleich  in  Solosmeos  Namen,  seiner  Dank- 
barkeit Ausdruck :  ,,wir  haben  Eure  Zeichnung  empfangen,  um  die 
wir  gebeten  hatten.  Ihr  habt  uns  einen  solchen  Dienst  erwiesen, 
dass  wir  Euch  für  immer  verpflichtet  sind.  Habt  Dank.  Wir  haben 
uns  zu  viel  mit  Euch  herausgenommen.  Sind  wir  Euch  zu  lästig 
gefallen,  so  verzeiht  uns   und  nehmt   unsere  Entschuldigungen  an." 

Das  Grabmal,  das  also  schon  einige  Jahre  vor  1525  von 
Michelangelo  entworfen  worden  war,  ist  nicht  zur  Ausführung  ge- 
langt. An  die  vier  Entwürfe  eines  Wandnischengrabes  auf  dem 
Blatt  XL VII,  114  in  der  Casa  Buonarroti  (s.  I,  227)  zu  denken,  ist 
nicht  möglich,  da  nach  Vasaris  Schilderung  das  Grabmal  Statuen, 
und  zwar  in  grossen  Verhältnissen,  enthalten  sollte  und  bezüglich 
der  Ausführung  einer  dieser  Skizzen  die  Frage,  wie  weit  es  vor  die 
Wand  vorspringen  solle,  keine  Rolle  gespielt  hätte.  Über  Freys 
von  mir  zurückgewiesene  Annahme,  der  Sarkophag  auf  der  Zeich- 
nung Casa  Buonarroti  XL  VI,  iio  sei  für  das  Denkmal  bestimmt 
gewesen,  s.  oben  S.  229. 

V 

Auftrag  des  Kardinals  Cibo  auf  den  Entwurf  eines 
Grabmales  1531 

Im  November  1530  befand  sich  der  Kardinal  Cibo  in  Florenz. 
Am  17.  schickt  Giovanbattista  Figiovanni  früh  eine  Zeile  an  Michel- 
angelo in  Dessen  Wohnung:  ,,der  verehrungswürdigste  Kardinal 
Cibo,  Neffe  Seiner  HeiHgkeit,  ist  auf  dem  Wege  nach  Rom  in 
Florenz.  Er  wünscht  erstens  wegen  einer  Angelegenheit,  die  ihm 
sehr  am  Herzen  liegt,  mit  Euch  zu  sprechen  und  dann,  wenn  es 
Euch  gefällig,  mit  einigen  Personen  heute  Morgen  Euer  lobens- 
werthes  Werk  zu  sehen,  um,  wie  es  seine  Pflicht,  Seiner  Heiligkeit 
Nachricht  davon  zu  geben.  So  möge  es  Euch  gefällig  sein,  heute 
Morgen  nicht  gleich  an  die  Arbeit  zu  gehen,  damit  er  in  seinem 
Hause,  wo  er  zu  finden  ist,  oder  bei  Euch  mit  Euch  über  die  An- 
gelegenheit und  seine  Wünsche  sprechen  und  dann,  wenn  Ihr  es 
wollt,  die  Statuen  sehen  könne."     (Frey:  Briefe  S.  306.) 


232 


Entwürfe  für  Grabdenkmäler 


Die  „Angelegenheit"  wird  wohl  nichts  Anderes  gewesen  sein, 
als  der  Auftrag  auf  das  Grabmal,  das  der  Kardinal  sich  zu  er- 
richten wünschte.  Denn  am  4.  Dezember  1531  ist  hiervon  die 
Rede.  Cibo  bittet  damals  Michelangelo,  ihm  die  Zeichnung  oder 
das  Modell  für  sein  Grabmal  zu  machen,  für  das  er  1800  bis 
2000  Dukaten  ausgeben  will.  Der  Meister  solle  es  nicht  selbst 
ausführen,  sondern  nur  den  Entwurf  machen  und  einen  oder  mehrere 
Schüler,  die  ihn  ausführen,  senden.    (Gotti  I,  212.) 


VI 

Zeichnungen  für  die  Grabmäler  Leos  X.  und  Clemens  VIl. 
in  Rom  1534,  1535 

Nach  dem  Tode  Clemens'  VII.  erhielt  Alfonso  Lombardi  vom 
Kardinal  Hippolyt  Medici  den  Auftrag,  die  Grabdenkmäler,  die 
zuerst  für  S.  Maria  Maggiore ,  dann  für  den  Chor  von  S.  Maria 
sopra  Minerva  bestimmt  wurden,  anzufertigen.  Er  macht  ,,nach  einigen 
Skizzen  von  Michelangelo"  ein  Modell  mit  Wachsfiguren,  das  für 
sehr  schön  gehalten  wurde  (Vasari  V,  90).  Dann  aber  bringt 
Bandinelli,  wie  ausführlich  von  Vasari  (VI,  163  ff.)  erzählt  wird,  den 
Auftrag  an  sich,  und  der  Kontrakt  wird  am  25.  März  1536  mit  ihm 
abgeschlossen.  Er  Hess  die  Arbeit  1 540  aber  im  Stich ,  und  die 
Statuen  der  Päpste  wurden:  Leo  von  Raffaello  da  Montelupo, 
Clemens  von  Nanni  di  Baccio  Bigio  ausgeführt.  Eine  Zeichnung, 
die  möglicher  Weise  für  Alfonso  Lombardi  bestimmt  war,  habe 
ich  bereits  gelegentlich  der  Entwürfe  für  die  Medicigräber  (s.  oben  I, 
S.  478  f  unter  Nr.  XL,  XLI  und  XLII)  ausführlich  besprochen.  Ob 
man  etwa  auch  bei  der  fein  in  Röthel  ausgeführten  Studie  zu  einer 
Wanddekoration  in  der  Casa  Buonarroti  XLV,  100  (Thode  155,  s. 
oben  II,  S.  218  Unbestimmte  Entwürfe  Nr.  4)  an  die  Denkmäler 
Leos  und  Clemens'  denken  dürfte,  lasse  ich  dahingestellt. 

VII 

Das  Grabmal  Cecchino  Braccis  1544 

In  der  I.  Ausgabe  seiner  Vite  (S.  987,  Frey  S.  174)  sagt  Vasari: 
für  Luigi  del  Riccio ,  seinen  vertrauten  Freund,  das  Grabmal  des 
Cecchino  Bracci.  Einiges  Weitere  erfahren  wir  aus  Briefen.  Am 
12.  Januar  1544  schreibt  Luigi  an  Giannotti :  „Messer  Michelagnolo 
macht  mir  die  Zeichnung  eines  schicklichen  Grabmales  aus  Marmor, 
und  Ihr  werdet  geruhen,  das  Epitaph  zu  machen  und  es  mir  mit 
einem  Trostbriefe   zu    senden."     Im  Dezember   1545    theilt   Michel- 


Das  Grabmal  Cecchino  Braccis  1544  233 

angelo  Riccio,  der  in  Lyon  ist,  mit:  ,,Ürbino  hat  mit  Messer  Aurelio 
gesprochen  und  wird  nochmals  mit  ihm  sprechen;  und  nach  dem, 
was  er  mir  sagt,  werdet  Ihr  den  von  Euch  gewünschten  Platz  für 
das  Grabmal  Cecchinos  erhalten :  und  besagtes  Grabmal  nähert  sich 
der  Vollendung  und  wird  schön  ausfallen." 

Das  Denkmal  befindet  sich  in  S.  Maria  in  Araceli  an  der  linken 
Wand  des  Einganges,  der  vom  Kapitol  her  in  die  Kirche  führt, 
und  trägt  das  Epitaph :  Francisco  Braccio  Florentino  nobili  adoles- 
centi  immatura  morte  praerepto  anno  agenti  XVI.  die  VIII.  Januarii 
MDXLim.,  sowie  die  Inschrift :  M.  M.  V.  Alvisius  del  Riccio  affini 
et  alumno  dulciss.  P.  Invida  fata  puer  mihi  te  rapuere  sed  ipse 
do  tumulum  et  lachrymas  quae  dare  debueras  (P.  F.  Casimiro : 
Mem.  stör,  della  Chiesa  di  S.  M.  in  AraceH.  Rom  1736.  Forcella, 
Iscrizioni  I,  S.   167,  Nr.  632). 

Das  merkwürdiger  Weise  bisher  ganz  unbeachtet  gebliebene 
Grabmal  verräth  auch  durch  seine  Anlage ,  dass  es  nach  einer 
Zeichnung  des  Meisters  ausgeführt  worden  ist.  Sehr  einfach  und  klar 
in  der  Disposition,  wie  geschreinert,  erhebt  sich  über  vier  kräftigen 
kurzen  Volutenkonsolen,  deren  zwei  mittlere  über  zwei  eine  flache 
Tafel  einschliessenden  Masken  von  Männerköpfen  ansetzen,  eine 
Wandarchitektur :  ein  Hauptgeschoss ,  das  von  zwei  lisenenartigen 
Pilastern  eingerahmt  wird,  und  darüber  eine  Attika.  Der  einfach 
profilirte,  auf  kräftigen  kannellirten  Trägern  stehende  Sarkophag, 
dessen  Deckel  durch  zwei  abwärtsgehende,  einen  Mohnkranz  ein- 
schliessende  Voluten  gebildet  wird ,  nimmt  die  volle  Breite  der 
flachen  Nische  ein.  In  der  Mitte  über  ihm  befindet  sich  eine  kleine 
viereckige  Nische,  in  welcher  die  Büste  Cecchinos  steht.  Über  ihr 
tritt  auf  kräftigen  Volutenkonsolen  ein  Segmentgiebel  hervor,  der 
in  die  Attika  emporragt.  Links  und  rechts  von  der  Nische :  das 
redende  Wappen  des  Bracci  (ein  erhobener  Arm)  und  darunter  je 
eine  Inschrifttafel.  Auf  dem  Kranzgesims  links  und  rechts  ein 
kleiner  Kandelaber,  in  der  Mitte  von  zwei  sich  anschmiegenden 
Voluten  eingerahmt  ein  Postament  mit  Kranz.  Die  wenigen  Orna- 
mente, die  vorkommen,  bestehen  nur  aus  Masken. 

Wie  die  Ausführung  der  Architektur,  ist  auch  die  Büste,  die 
den  Jüngling  mit  leicht  gelocktem  Haar,  länglichen  Gesichtszügen, 
hellen  offenen  Augen  in  einem  schlichten  Rock  mit  Kragen  ein 
wenig  nach  links  gewandt  zeigt,  nicht  von  Michelangelo,  sondern 
von  Urbino. 

Der  hier  geschaffene  einfache  Typus  eines  architektonischen 
Wandgrabes ,  dessen  einziger  plastischer  Schmuck  die  Büste  des 
Verstorbenen  ist  —  allgemeine  Anregungen  nach  dieser  Seite  hin 
hatte  besonders  Mino  da  Fiesole  gegeben,  der  in  seinem  Salutati- 
denkmal ja  auch  nur  die  Büste  bringt  —  hat  reiche  Nachfolge  ge- 


234 


Entwürfe  für  Grabdenkmäler 


funden.  Als  eine  direkte  Nachahmung  des  Braccidenkmales  ist 
dasjenige  Raphael  Riarios  im  Chor  von  S.  Apostoli  zu  Rom  zu 
bezeichnen.  In  S.  Maria  in  Araceli  selbst  aber  vermag  man  zu  ver- 
folgen, wie  der  neue  Gedanke  aufgenommen  vjard  (z.  B.  Grabmal 
des  Gentilis  Delphinius,  1560,  des  Michel  Antonio  Marchione  1575, 
des  Julius  Castelvetro   1588). 


VIII 

Rath  bezüglich  des  Grabmales  des  Herzogs 
von  Suessa  1525 

Leonardo  Sellajo  theilt  am  5.  Januar  1525  Michelangelo 
Folgendes  mit  (Frey:  Briefe  S.  244):  „Der  Maler  Bastiano  ist  bei 
mir  gewesen  und  sagt  mir,  der  Herzog  von  Suessa  wolle  ein  Grab-  - 
denkmal  für  sich  und  seine  Gattin  machen  und  er  habe  ihm  seinen 
Wunsch  ausgedrückt,  Ihr  solltet  es  machen.  Er  erwiderte,  dies 
sei  nicht  möglich,  da  Ihr  Unserem  Herrn  verpflichtet  seid.  Nun 
wünschte  er  aber  wenigstens  auf  alle  Fälle  Euren  Rath  und  eine 
kleine  Skizze  von  Euch;  er  beabsichtigt  bis  zu  4000  Dukaten  aus- 
zugeben. Und  da  Baco  di  Michelangelo  (Bandinelli)  den  Auftrag 
auf  das  Werk  wünscht  und  so  auch  jene  Schüler  Raphaels  von 
Urbino  für  ich  weiss  nicht  welchen  ihrer  Freunde ,  so  möchte 
Bastiano,  da  er  weiss,  was  Baccio  gegen  Euch  gethan  hat  und  Jene 
gegen  ihn  selbst,  die  Gelegenheit  benützen,  sich  zu  rächen.  Er 
hat  den  Sansovino  vorgeschlagen  und  wünschte,  falls  es  Euch  gut- 
dünkt, Ihr  sagtet  Eure  Meinung,  dass  er  so  gut  wie  ein  Anderer 
sich  eignet.  Und  dies  möchtet  Ihr  Bastiano  und  nicht  dem  Herzog 
schreiben,  denn  Bastiano  will  nicht,  dass  Jene  den  Auftrag  erhalten. 
Und  ich  meinerseits  glaube,  dass  der  Sansovino,  nämlich  Jacopo, 
es  gut  machen  würde,  namentlich  wenn  Bastiano  ihm  zur  Seite 
stünde".  Michelangelo  ist  auf  diesen  Gedanken  eingegangen  und 
hat  Jacopo  Sansovino  empfohlen,  der  ihm  am  22.  Februar  dankt: 
„durch  Euer  Schreiben  an  den  Maler  Sebastiane  vernahm  ich  von 
der  Gunst,  die  Ihr  mir  bei  dem  Herzog  von  Suessa  erwiesen  habt, 
wofür  ich  Euch  danke,  so  gut  ich  es  nur  weiss  und  kann"  (Frey 
S.  248). 

Der  Plan  kam  aber  nicht  zur  VerwirkUchung,  denn  der  Herzog, 
der  als  kaiserlicher  Gesandter  am  päpstlichen  Hofe  die  Interessen 
Karls  V.  vertrat,  gab  ihn  im  Hinblick  auf  die  sich  immer  mehr  ver- 
wirrenden politischen  Zustände  auf  Er  sagte  zu  Sebastiano :  che 
bisognava  atendere  a  le  armi  et  non  a  marmi  addesso  (Brief 
Sebastianos  vom   22.  April   1525.     Mil.  Les  Correspondants  S.  32). 


Rath  bezüglich  eines  Denkmales  für  den  Prinzen  von  Orange         235 

IX 

Rath  bezüglich  eines  Denl^males  für  den  Prinzen 
von  Orange  1531 

Ein  Orlando  Dei  schreibt  am  29.  Januar  1531  aus  Lyon  an 
den  Meister: 

„Verehrter  Michelangelo,  ich  empfehle  mich  Euch  so  viel  ich 
kann.  In  der  vergangenen  Zeit  hatte  ich  keine  Veranlassung,  Euch 
zu  schreiben;  Gegenwärtiges  sende  ich  nun,  um  Euch  zu  benach- 
richtigen davon,  dass  der  Bildhauer  Giovanbattista,  den  Ihr,  wie  ich 
weiss,  gut  kennt,  vornehmlich  seines  Talentes  wegen,  dann  aber 
auch  dank  der  Vermittlung  eines  Eurer  Freunde  von  Madame, 
der  Prinzessin  von  Orange,  den  Auftrag  erhalten  hat,  das  Grabmal 
ihres  Sohnes,  des  Prinzen  von  Orange,  zu  machen.  Und  diesen 
Brief  erhaltet  Ihr  aus  seiner  Hand ;  und  ich  will  Euch  nicht  lang- 
weilen, er  wird  Euch  mündlich  Alles  Nähere  über  diesen  Plan  mit- 
theilen. Vertrauensvoll  möchte  ich  Euch  bitten,  Ihr  wollet  in  jeder 
Hinsicht,  wie  Ihr  es  gewohnt,  ihm  Eure  Güte  bezeugen  und  in 
Allem  berathen,  damit  er,  ein  Kind  Eurer  Stadt,  leichter  sich  und 
ihr  Ruhm  und  Ehre  verschaffen  könne,  um  so  mehr,  als  Meister 
Giovanbattista  grosse  Hoffnungen  bei  vielen  anderen  Meistern  und 
bei  Madame,  der  Prinzessin,  erweckt  hat."     (Frey  S.  307.) 

Der  Prinz  von  Orange ,  dessen  Andenken  durch  das  Denkmal 
geehrt  werden  sollte ,  war  der  letzte  der  provenzalischen  Oranier, 
der  bei  Pistoja  1530  im  Kampfe  gegen  Ferrucci  gefallene  Feldherr 
der  kaiserlichen  Armee,  nach  Dessen  Tod  die  Nassau  das  Fürsten- 
thum  erbten.  Wer  der  Bildhauer  Giovanni  Battista  aus  Florenz  ist, 
weiss  ich  nicht  zu  sagen. 

X 

Mitwirkung  an  Guglielmo  della  Portas  Modell  für  das 
Grabmal  Pauls  III.  1551 

Nach  dem  Tode  Pauls  III.  beschloss  der  Kardinal  Farnese,  ihm 
ein  grosses  Denkmal  in  S.  Pietro  zu  errichten.  Marcello  Cervini, 
Kardinal  von  Santa  Croce,  erhielt,  wie  es  scheint,  die  Oberleitung 
des  Unternehmens  und  machte  Annibale  Caro  zu  seinem  Berather. 
Dieser  schreibt  ihm  im  Jahre  1551  (Lett.  fam.  Padua  1763.  II,  S.  3): 
,,Ich  sende  Eurer  Hochwürden  zwei  Entwürfe  für  das  Grabmal 
Pauls  III.  seligen  Angedenkens.  Der  farbige  giebt  das  Modell  wieder, 
welches  Fra  Guglielmo  angefertigt  und,  wie  er  sagt,  mit  Michel- 
angelo berathen  hat;  das  andere  in  Aquarell  skizzirte  ist  von 


236  Entwürfe  für  Grabdenkmäler 


einem  anderen  wackeren  Manne,  dem  es  nicht  darauf  ankommt, 
genannt  zu  werden,  da  er  sich  aus  Bescheidenheit  nicht  in  die  An- 
gelegenheiten Anderer  mischen  will,  doch  hat  er  es  auf  Drängen 
des  Kardinals  Farnese  gemacht.  Der  Entwurf  des  Frate  gefällt 
fast  Allen,  die  ihn  gesehen,  nur  stört  es  Einige,  dass  man,  obgleich 
im  Inneren  ein  so  grosser  Raum  in  Form  eines  kleinen  Tempels  ist 
und  darin  der  sehr  schöne  Sarkophag  mit  dem  Leichnam  stehen 
soll,  nicht  daran  gedacht  hat,  ihn  durch  einen  Eingang  zugäng- 
lich zu  machen,  zumal  der  Raum  sich  nicht  eignet,  mit  Stuck- 
ornamenten, Malereien  und  Mosaik  verziert  zu  werden ;  denn  anfangs 
gedachten  sie  (Porta  und  Michelangelo)  bloss  einen  Würfel  ohne 
irgend  welchen  Eingang  zu  machen.  Von  diesen  Bedenken  in 
Kenntniss  gesetzt,  haben  sie  dann  die  Thüre,  die  man  jetzt  auf  der 
Zeichnung  sieht,  hinzugefügt ;  aber  es  scheint  freilich,  als  habe  sie 
nicht  die  Majestät,  die  dem  Werke  entspräche  und  von  der  Archi- 
tektur gefordert  wird,  insofern  namentlich,  als  man  von  aussen  hinab-, 
und  von  innen  emporsteigt.  Hiervon  abgesehen  erscheinen,  da  der 
Leichnam  des  Papstes  sich  im  Innern  befindet,  die  zwei  Sarkophage 
aussen  überflüssig,  und  dass  sie  das  Gesims  durchbrechen,  missfallt. 
Auch  wirkt  es  nicht  glücklich,  dass  die  beiden  Kartuschen  (cartelle), 
auf  welche  die  anderen  Figuren  gestellt  sind,  die  Piedestale,  welche 
die  Pfeiler  tragen,  durchbrechen  und  über  den  Bau  hinausragen. 
Der  andere  Entwurf  scheint  Allem  gerecht  zu  werden  und  nicht  viel 
mehr  zu  kosten,  obgleich  er  vier  Statuen  mehr  enthält;  es  gehen 
die  acht  Pfeiler  ab ,  welche  in  jener  ersten  Zeichnung  sind.  Euer 
Hochwürden  hat  zu  entscheiden,  welcher  von  beiden  feineres  Ver- 
ständniss  zeigt,  und  zu  sagen,  welche  weiteren  Wünsche  Sie  hat. 
So  viel  bezüglich  der  Architektur.  Was  die  anzubringenden  Statuen 
betrifft,  so  hatte  mir  Fra  Guglielmo  gesagt,  zu  Lebzeiten  des  Papstes 
sei  beschlossen  worden,  die  vier  Jahreszeiten  und  die  vier  Tugenden, 
die  auf  dem  anderen  Blatt  verzeichnet  sind,  darzustellen;  obgleich 
mich  die  Jahreszeiten  nicht  ganz  befriedigten,  hatte  ich  mich  dem 
Beschlüsse  und  dem  Wunsche  des  Bildhauers  gefügt,  entsprechend 
Dem,  was  man  auf  dem  Blatte  sieht.  Nach  einer  Berathung  aber 
mit  dem  Bischof  von  Spoleto,  der  die  vier  Jahreszeiten  nicht  billigt 
und  auch  nicht  zugiebt,  dass  sich  der  Papst  dafür  entschliesse, 
dünkt  es  mich  gut,  sie  wegzulassen.  An  ihrer  Stelle  scheinen  mir 
angebracht,  wie  Eure  Herrlichkeit  meint,  erstens  „die  Beständigkeit", 
und  zweitens  „die  Religion" ;  aber  bezüglich  des  „guten  Ausgangs" 
(buono  evento)  bin  ich  im  Zweifel,  denn  man  könnte  dem  Etwas 
entgegenhalten,  und  die  Minerva  könnte  man,  da  darunter  „die 
Klugheit"  kommt,  für  zu  viel  erachten.  An  Stelle  dieser  beiden 
könnte  man  zwei  andere  passendere  setzen ;  woran  zu  denken  noch 
Zeit   ist.     Dass    ,,die    Gerechtigkeit",    ,,die  Klugheit",    ,,der  Friede" 


Mitwirkung  an  Guglielmo  della  Portas  Modell  für  das  Grabmal  Pauls  IE.    237 

und  „der  Überfluss"  dargestellt  werden  sollen,  darüber  herrscht  ein- 
stimmiger Beschluss.  Euer  Hochwürden  geruhe  auf  Grund  der  Be- 
schreibungen zu  erwägen ,  welche  Darstellungsweise  einer  jeden 
Gestalt  am  Meisten  zu  entsprechen  scheine,  denn  es  sind  ver- 
schiedene Gestaltungsmöglichkeiten,  alle  nach  guten  Autoren,  an- 
gegeben. Freihch  heisst  es  sich  der  Skulptur  anbequemen,  welche, 
verbi  grazia,  an  diesem  Orte  nicht  erlaubt,  dass  vor  dem  ,, Frieden" 
Ochsen  und  ein  Ackersmann,  wie  der  Bischof  möchte,  angebracht 
werden.  Um  aber  zu  einem  festen  Entschluss  bezüglich  der  Statuen 
zu  gelangen,  muss  erst  die  Form  der  Architektur,  in  welcher  sie 
vertheilt  werden  sollen,  bestimmt  sein.  Sollte  der  zweite  Ent- 
wurf gefallen,  so  hiesse  es  an  vier  weitere  Statuen  denken,  die 
hinzukommen,  und  an  ihre  Darstellungsweise,  was  später  noch 
Zeit  ist.  Wir  erwarten  über  Alles  das  weise  Urtheil  Eurer  hoch- 
würdigen Herrlichkeit,  der  ich  ehrerbietigst  die  Hände  küsse. 
Sie  wolle  auch  entscheiden ,  ob  Ihr  die  Mischung  des  Materiales 
gefällt  oder  ob  Sic  Alles  aus  Marmor  wünscht ;  für  die  Felder 
der  Marmorfiguren  und  für  die  Gesimse  würde  sie  sich  sehr  gut 
machen  und  reich  ausnehmen ;  auch  macht  es  keine  grossen 
Kosten.  Ihre  Antwort  hierüber  erwartend,  empfehle  ich  mich  un- 
begränzt." 

Guglielmos  Entwurf  wurde  gewählt.  Ergänzende  Mittheilungen 
über  ihn  giebt  uns  Vasari  in  Dessen  Vita  (VII,  546).  Der  Künstler 
verwerthete,  aber  mit  Verbesserungen,  für  den  Schmuck  des  Grab- 
males die  Reliefs ,  sowie  die  theologischen  und  Kardinaltugenden, 
die  er  für  das  Denkmal  des  Bischofs  de  Solls  gemacht  hatte.  Das 
Ganze  war  als  viereckiger  Freibau  gedacht :  auf  den  Ecken  waren 
vier  Putten  und  vier  Kartuschen  (mettendo  in  su'  canti  quattro 
putti  in  quattro  tramezzi,  e  quattro  cartelle).  Ausserdem  wurden 
Statuen  angebracht :  Vasari  erwähnt  nur  vier  (und  zwar  in  liegender 
Stellung) ,  deren  Erfindung  Annibale  Caro  verdankt  ward :  „die 
Gerechtigkeit,  die  Klugheit,  den  Überfluss  und  den  Frieden".  Ein 
Relief  stellte,  nach  Angaben  Caros,  zwei  Flüsse  dar:  der  eine  einen 
See,  der  andere  einen  Fluss  der  farnesischen  Besitzungen  bedeutend. 
Ein  von  Lilien  bedeckter  Hügel  mit  einem  Regenbogen  spielte  auf 
das  Wappen  an. 

Die  Bronzestatue  des  Papstes  hat  Vasari  entstehen  sehen :  sie 
war  zu  seiner  Zeit  unter  dem  ersten  Bogen  der  Tribuna  von  S.  Peter 
aufgestellt,  aber  das  Freigrab  kam  nicht  zur  Ausführung.  Hierüber 
spricht  Vasari  im  Leben  Michelangelos  (VII,  225).  ,,Es  sollte  seine 
Aufstellung  vor  der  Tribuna  finden.  Hiergegen  war  aber  Michelangelo 
aus  sehr  begreiflichen  Gründen,  was  ihm  die  Feindschaft  Guglielmos 
zuzog,  obgleich  ihm  Dieser  verdankte,  wenn  er  im  Uffizio  del  Piombo 
Nachfolger  Sebastianos  ward."     Erst  später  erhielt  das  Grabmal  in 


238 


Entwürfe  für  Grabdenkmäler 


verkürzter  Form  seine  Aufstellung  in  der  Nische,  wo  wir  es  heute 
gewahren.  Nur  „die  Gerechtigkeit"  und  „die  Klugheit"  wurden 
angebracht;  „der  Überfluss"  und  „der  Friede"  kamen  in  den 
Palazzo  Farnese. 

Die  Rekonstruktion  des  ursprünglichen  Planes  wäre  nicht  ohne 
Interesse,  und  es  ist  glaubhaft,  dass  Michelangelo  bei  seiner  Ent- 
stehung mitgewirkt,  entspricht  der  Entwurf  doch  im  Allgemeinen 
dem  ersten  Plane  des  Juliusdenkmales  als  Freibau,  der 
in  einfacherer  Gestaltung  hier  wieder  aufgenommen  worden  wäre. 
Offenbar  aber  wurde  die  von  Caro  dargelegte  Idee  vereinfacht  und 
vermuthlich  schon  damals  die  Grabkammer  und  der  Sarkophag 
auf  der  Plattform  aufgegeben.  Waren  Anfangs  an  jeder  Seite  des 
Monumentes  zwei  Statuen  gedacht,  so  begnügte  man  sich  nun  mit 
vier  Figuren,  von  denen  wohl  zwei  an  der  Vorder-,  zwei  an  der 
Rückseite  angebracht  werden  sollten.  Der  Aufsatz  mit  den  vier 
Putten  an  den  Ecken  und  den  Kartuschen  in  der  Mitte  dürfte  dem 
jetzigen  entsprochen  haben,  was  auch  eine  ähnliche  Aufstellung  der 
Papststatuen  voraussetzen  lässt,  —  Eine  zweite  Vereinfachung  durch 
Aufgeben  des  Freibaues  und  Beschränkung  auf  eine  Vorderansicht 
mit  zwei  Figuren  führte  dann  zur  definitiven  Gestaltung  und  Auf- 
stellung in  der  Nische. 

Der  starke  Einfluss  Michelangelo'scher  Ideen  sowohl  in  den 
Figuren  auf  den  Voluten,  als  in  der  Architektur,  wird  Keinem  ent- 
gehen, ohne  dass  man  doch  direkte  Benutzung  von  Skizzen  des 
Meisters  anzunehmen  hätte.  Wie  beachtenswerth  für  die  Deutung 
der  Flussgötter  in  der  Medicikapelle  die  Kennzeichnung  der  Fluss- 
götter in  dem  Relief  als  Symbole  des  Landbesitzes  und  der  Herr- 
schaft ist,  bemerkte  ich  früher  (I,  S.  542). 


XI 

Das  Grabmal  des  Zanobi  Montaguti 

In  der  ersten  Ausgabe  seiner  Vite  (S.  987,  Frey  S.  174)  sagt 
Vasari :  ,,er  machte  die  Zeichnung  für  das  Grabmal  des  Zanobi 
Montaguti,  damit  Urbino  es  ausführe."  Mit  einem  Mitgliede  des 
Bankhauses  der  Montaguti:  Hieronymo  stand  Michelangelo  schon 
1526  in  Beziehung,  und  später  war  er  in  geschäftlichem  Verkehr 
mit  ihnen.  Sie  wurden  Nachfolger  des  Bankhauses  Bartolommeo 
Bettini  e  compagni  in  der  Einziehung  der  Einkünfte  der  Cancellaria 
in  Rimini  (Frey:  Briefe  S.  349).  Über  Zanobi  und  das  Denkmal 
mal  ist  nichts  Näheres  bekannt. 


Das  Grabmal  des  Marchese  von  Marignano  im  Dom  zu  Mailand       239 

xn 

Das  Grabmal  des  Marchese  von  Marignano  im  Dom 
zu  Mailand  1560 

Am  8.  Oktober  1555  war  Gian  Giacomo  de'  Medici,  Marchese 
von  Melegnano  oder  Marignano  gestorben.  Im  Jahre  1 560  beschloss 
Pius  IV.  dem  Bruder  ein  Denkmal  zu  errichten.  Es  ward  am 
12.  September  ein  Vertrag  mit  Leone  Leoni  abgeschlossen,  bei 
dem  als  Vertreter  des  Papstes  der  Kardinal  Morone  und  Gabrio 
Serbelloni  fungirten.  Am  26.  August  1 562  berichtet  der  Künstler 
über  den  Stand  der  Arbeit  an  Michelangelo  (Frey:  Briefe  S.  389): 
„Auch  will  ich  nicht  bei  dieser  Gelegenheit  verfehlen,  Euch  zu 
sagen,  dass  ich  trotz  aller  Widrigkeiten  mein  Werk  im  Dom  zur 
Hälfte  aufgemauert  habe,  den  ,manti  Esperi  et  mar'  fortunosi'  zum 
Trotz  und  zur  grossen  Befriedigung  Seiner  Heiligkeit,  soweit  ich 
durch  Dessen  Abgeordnete  hier  erfahre;  und  zudem  habe  ich  bei  den 
guten  Zeiten  in  diesem  Sommer  die  Hände  so  rüstig  geregt,  dass 
ich  alle  die  Figuren,  die  noch  zu  giessen  sind,  schon  bei  dem  Ofen 
habe  und  darauf  rechne,  gefallt  es  Gott,  am  ersten  September  Das, 
was  übrig  bleibt,  zu  thun.  Ich  glaube  Ehre  damit  einzulegen,  denn 
ich  bin  nicht  geizig  gewesen,  sondern  habe  Alles  noch  bereichert." 
Am  16.  Januar  1563  erhielt  Leone  eine  Zahlung  von  1422  Skudi, 
am  10.  März  1564  die  Restzahlung  von  3200  Goldskudi.  Das  ge- 
samte Honorar  belief  sich  auf  7800  Skudi. 

Nun  erzählt  Vasari  an  zwei  Stellen  seiner  Vite,  dass  Michel- 
angelo die  Zeichnungen  für  das  Monument  angefertigt  habe.  Im 
Leben  Michelangelos  sagt  er :  ,,im  Besonderen  bediente  sich  der 
Papst  seiner,  ihm  eine  Zeichnung  für  das  Grabmal  seines  Bruders 
des  Marchese  Marignano  zu  machen,  das  von  Seiner  Heiligkeit  an 
den  Cavaliere  Leone  Leoni  verdingt  wurde."  Im  Leben  des  Leoni 
(VII,  S.  539)  lesen  wir:  ,,es  ist  ganz  aus  carrarischem  Marmor  und 
mit  vier  Säulen  geschmückt,  schwarz  und  weissen,  die,  als  eine 
Seltenheit ,  vom  Papst  von  Rom  nach  Mailand  gesandt  wurden ; 
und  zwei  andere  grössere  aus  gesprenkeltem  Steine ,  dem  Jaspis 
ähnlich.  Alle  vier  sind  unter  demselben  Gesims  in  sehr  künstlicher, 
noch  nicht  gesehener  Weise  unter  einander  in  Einklang  gesetzt, 
wie  es  der  Papst  wollte,  der  Alles  nach  der  Anordnung  Michel- 
angelos machen  Hess;  ausgenommen  jedoch  die  fünf  Bronze- 
statuen, die  von  der  Hand  Liones  sind."  Es  sind  die  Statuen  des 
Marchese,  der  Pace,  der  Virtü  militare,  der  Providenza  und  der 
Fama.  Die  zwei  grösseren  Säulen  wurden  der  Bauhütte  in  dem 
Palaste,  den  Pius  IV.  gegenüber  S.  Maria  di  Brera  errichtete,  ent- 
nommen. 


240 


Entwürfe  für  Grabdenkmäler 


Diesen  bestimmten  Behauptungen  Vasaris  und  einer  Äusserung 
Leones  in  einem  Brief  an  den  Papst:  er  habe  für  den  architektonischen 
Theil  die  Mitarbeiterschaft  Michelangelos  erbeten,  stehen  andere 
gegenüber.  Paolo  Moriggia  (II  duomo  di  Milano  1 597,  S.  46)  sagt  von 
dem  Denkmal :  „erfunden  und  ausgeführt  von  Leone  Leoni" ,  und 
Celio  Malespini  in  den  Dugento  novelle  (Venedig  1609,  Nov.  LXXXV) 
erzählt:  der  Papst  theilte  Michelangelo  seinen  Plan  mit  und  wollte 
ihm  den  Auftrag  geben.  „Dieser  aber,  der  einsah,  dass  das  Werk 
lange  Zeit  gebrauchen  würde,  und  so  alt  wie  er  war  (er  hatte  85 
Jahre)  ungerne  von  Rom  fortgegangen  wäre,  sagte  und  that  so  viel, 
dass  er  dem  Papst  in  den  Sinn  setzte,  er  solle  sich  hierfür  des 
Cavaliere  Leone  Aretino  bedienen,  den  er  für  durchaus  fähig  und 
geeigneter,  zumal  er  in  Mailand  wohnte,  hielt." 

Aus  Malespinis  Aussage,  wie  Carlo  dell'  Acqua  und  Luca  Bel- 
trami  es  gethan,  den  Schluss  zu  ziehen,  Michelangelo  habe  keinen 
Antheil  an  dem  Werke,  scheint  mir  nicht  gerechtfertigt.  Diese  An- 
nahme verträgt  sich  ja  ganz  gut  mit  Malespinis  Mittheilung,  und 
die  Zeugnisse  Vasaris  und  Leones  haben  doch  ein  grosses  Ge- 
wicht. Auch  die  Vermuthung,  Leone  habe  durch  die  Behauptung 
jener  angeblichen  Mitarbeiterschaft  Michelangelos  für  sein  Interesse 
gesorgt,  indem  er  sich  selber  eine  Deckung  gegen  die  Kritik  ver- 
schaffte, hat  wohl,  ist  sie  auch  an  und  für  sich  zulässig,  der  be- 
stimmten Angabe  Vasaris  gegenüber  einen  schweren  Stand.  Nur, 
wenn  die  Architektur  des  Grabmales  gegen  Michelangelos  Autor- 
schaft aussagte,  hätten  wir  ein  Recht,  Vasari  eines  Irrthumes  zu 
zeihen.  Und  dies  ist  nach  meiner  Überzeugung  nicht  der  Fall. 
Im  Gegentheil  scheinen  mir  im  Ganzen  wie  im  Einzelnen  spezifisch 
Michelangeleske  Eigenthümlichkeiten ,  nicht  solche  eines  blossen 
Nachahmers,  deutlich  in  dem  Werke  sich  zu  zeigen. 

Vor  Allem  ist,  wie  Vasari  richtig  bemerkt,  die  Lösung  des 
Problems,  die  ungleich  hohen  Säulen  unter  ein  Gesims  zu  bringen, 
indem  er  sie  nämlich  seitwärts  anbrachte  und  Architrav  und  Fries 
über  ihnen  wegliess,  ganz  im  Geiste  des  Meisters.  Wir  werden  an 
das  Vestibül  der  Libreria  erinnert.  Auch  die  seltsame  architrav- 
artige  Dreitheilung  des  Sockels  unter  den  Pilastern  der  Attika  er- 
scheint ganz  wie  eine  seiner  ,,Bizarrerieen" ;  desgleichen  die  Profi- 
lirung  des  Architravs  über  den  Säulen.  Für  deren  Kapitale 
haben  wir  in  ächten  Zeichnungen  ausgesprochene  Analogieen. 
Und  recht  Michelangelesk  ist  auch  die  Nischeneinrahmung  hinter 
der  Statue  des  Marchese,  man  sehe  die  seltsame  Gesimsbildung: 
die  über  den  Rahmen  hinauskragenden  und  dort  durch  kleine 
Voluten  gestützten  Verkröpfungen  dieses  Gesimses  in  Form  von 
Pilasterkapitälen.  Die  Giebelbildung  und  die  das  Wappen  halten- 
den Figuren  erinnern   an  Michelangelos  Portalentwürfe    der   späten 


Fälschlich  zugeschriebene  Epitaphien  Pius'  IV.  und  des  Kard.  Serbelloni  24 1 


Zeit.  Nur  die  Form  der  oben  in  menschlicher  Gestalt  endigenden 
Voluten  scheint  mir  mehr  auf  Leone  als  auf  Michelangelo  hin- 
zuweisen. Hier  dürfte  Leone  eine  blosse  Andeutung  des  Meisters 
selbständig  gestaltet  haben. 

Plöns  Meinung,  das  Monument  sei  verändert  worden  durch 
Hinweglassung  eines  im  Modell  vorgesehenen  Postamentes,  ist  mit 
entscheidenden  Gründen  von  Beltrami  entkräftet  worden.  Letzterer 
hat  seinerseits  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  der  Sarkophag 
vor  dem  mittleren,  jetzt  leeren  Felde  der  Attika  hatte  angebracht 
werden  sollen,  dieser  Gedanke  aber  in  Folge  der  Bestimmungen  des 
Konzils  von  Trient  ,,de  sepulturis"  (1564)  aufgegeben  wurde.  Hier- 
für spricht  die  Erwähnung  eines  Sarkophages  auf  Bronzelöwenfüssen 
im  Kontrakt  und  die  Aussage  des  Giussano  in  der  Vita  di  S.  Carlo 
Borromeo  (Rom  1610  p.  91):  ,, volle  nondimeno  che  fosse  levata 
l'arca  o  sia  deposito  di  bronzo  del  Marchese  di  Melegnano,  suo  zio, 
fratello  di  Pio  IV,  e  ciö  per  dar  buon  esempio  in  questa  parte." 
Denken  v/ir  uns  den  Sarkophag  an  jener  Stelle,  so  zeigt  sich  in 
dem  Ganzen  eine  dem  Juliusdenkmal  in  S.  Pietro  in  Vincoli  ver- 
wandte Anlage. 

Vgl.  von  neuerer  Literatur :  Gaetano  Franchetti :  II  duomo  di 
Milano.  Mailand  1821.  —  Bertolotti :  Artisti  Lombardi  a  Roma. 
Mailand  1881.  p.  261  —  269;  298 — 301.  —  Carlo  Casati:  Ricerche 
intorno  a  Leone  Leoni.  Mailand  1884  (hier  der  Kontrakt).  — 
Eugene  Plön:  Leone  et  Pompeo  Leoni.  Paris  1887.  —  Carlo  del- 
l'Acqua:  Del  luogo  di  nascita  di  Leone  Leoni.  Arch.  stör,  dell'  arte 
1889.  II,  TJ.  —  Luca  Beltrami:  II  monumento  funerario  di  G.  Gia- 
como  Medici  in  der  Rassegna  d'Arte   1904,  IV,  S.  i  ff. 


xni 

Die  fälschlich  dem  Michelangelo  zugeschriebenen  Epitaphien 

Pius'  IV.  und  des  Kardinals 

Giov.  Antonio  Serbelloni  in  S.  Maria  degli  Angeli 

Titi  in  seiner  Descrizione  bemerkt :  si  dicono  discgno  dal  Bonar- 
roti.  Es  sind  reich  mit  Anwendung  verschiedenfarbigen  Marmors 
gerahmte  Inschrifttafeln.  Die  Motive  des  Rahmens  (Konsolen, 
Voluten,  Lisenen,  Wappen)  sind  Michelangelesk.  Ein  dem  Meister 
nahestehender  Künstler  muss  sie  entworfen  haben.  Das  Epitaph 
Pius'  IV.  ist  laut  Umschrift  von  Serbelloni  und  Anderen  nach  dem 
Tode  des  Papstes  (1565)  gestiftet  worden.  Das  Epitaph  des  Ser- 
belloni ward  nach  dessen  Tode  1591  als  eine  Kopie  des  anderen 
ausgeführt. 

I*  16 


242  Entwürfe  für  Gebrauchsgegenstände 

B.  Entwürfe  für  kirchliche  und  profane 
Gebrauchsgegenstände 

XIV 

Auftrag  des  Pietro  Aldobrandini  auf  einen  Dolch  1506 

Am  19.  Dezember  1506  schreibt  Michelangelo  aus  Bologna  an 
seinen  Bruder  Buonarroto : 

„Heute  am  19.  Dezember  habe  ich  deinen  Brief  empfangen, 
durch  den  du  mir  Pietro  Orlandini  (Aldobrandini)  empfiehlst,  dass 
ich  ihm  in  Dem,  was  er  von  mir  verlangt,  zu  Diensten  sei.  Wisse, 
dass  er  mir  schreibt,  ich  solle  ihm  eine  Dolchklinge  machen,  und 
zwar  so,  dass  es  eine  wunderbare  Arbeit  sei.  Nun  weiss  ich  aber 
einstweilen  nicht,  wie  ich  in  der  Lage  sein  werde,  ihn  gut  und 
schnell  zu  bedienen,  denn  einerseits  ist  das  nicht  meine  Profession 
und  andrerseits  habe  ich  keine  Zeit,  mich  damit  zu  beschäftigen. 
Doch  werde  ich  mich  darum  bemühen,  dass  er  im  Verlaufe  eines 
Monats,  so  gut  ich  es  nur  vermag,  bedient  wird." 

Am  22.  Januar  1507  giebl  er  Nachricht:  ,,sage  Pietro  Aldo- 
brandini, dass  ich  seine  Klinge  von  dem  besten  Meister,  den  es  für 
derartige  Arbeiten  hier  giebt,  machen  lasse  und  dass  er  mir  gesagt 
hat,  ich  würde  sie  in  der  kommenden  Woche  erhalten.  Und  wenn 
ich  sie  habe  und  sie  mir  gut  erscheint,  werde  ich  sie  senden;  wenn 
nicht,  sie  nochmals  machen  lassen,  und  sag'  ihm,  er  solle  sich  nicht 
wundern,  wenn  ich  ihn  nicht  so  schnell,  wie  es  sich  gebührte,  bediene, 
denn  ich  habe  so  wenig  Zeit,  dass  ich  nichts  Anderes  machen  kann." 

Demnach  hat  er  die  Arbeit  ganz  einem  Goldschmied  über- 
tragen. Es  ist  schwerlich  anzunehmen,  dass  er  auch  nur  den  Ent- 
wurf angefertigt  hat. 

Am  I.  Februar  theilt  er  mit,  dass  er,  sobald  er  ausgehen 
könne,  nach  einer  Vertrauensperson  sich  umsehen  werde,  durch 
die  er  die  Klinge  sende.  Am  24.  Februar :  er  habe  zum  Gold- 
schmied geschickt,  um  zu  sehen,  ob  sie  gemacht  sei.  Dieser  habe 
sie  noch  zu  vergolden.  Die  Verzögerung  sei  durch  viele  Aufträge, 
die  er  von  den  Hofleuten  empfangen,  verursacht  worden.  Binnen 
wenigen  Tagen  werde  Aldobrandini  sie  erhalten.  Es  tritt  aber 
wieder  eine  Verzögerung  ein  und  Michelangelo  antwortet  am  6.  März 
auf  drängende  Briefe  des  Bruders  und  des  Bestellers,  der  sich  be- 
klagt: er  habe  gethan,  was  er  thun  könne.  Auch  er  sei  von  Un- 
geduld zerrissen,  aber  der  Goldschmied  habe  eben  so  viel  zu  thun 
gehabt.  Nun  aber  habe  er  die  Klinge  endlich  erhalten  und  sende 
sie.  Wenn  sie  Pietro  nicht  gefalle,  wolle  er  eine  andere  machen 
lassen.     Sie  gefällt  nun  Jenem   in  der  That   nicht,    der    behauptet, 


Valerio  Bellis  Bitte  um  die  Zeichnung  für  einen  zu  schneidenden  Stein   243 

sie  habe  nicht  das  richtige  Maass.  Der  Meister  schreibt  an  den 
Bruder  (26.  März) :  „wisse,  dass  die  KHnge  die  ich  gesandt  habe 
und  die  Du  empfingst,  nach  dem  richtigen  Maass,  das  Pietro  ge- 
gegeben hat ,  angefertigt  wurde ;  denn  er  sandte  ein  Muster  aus 
Papier  in  einem  Brief  und  schrieb  mir,  ich  solle  sie  genau  so 
machen,  und  so  that  ich.  Und  wenn  er  einen  Dolch  wollte,  so 
durfte  er  mir  nicht  die  Maasse  eines  Stossdegens  senden.  Aber 
ich  will  dir  hiermit  schreiben,  was  ich  nicht  mehr  schreiben  wollte: 
nämlich  dass  du  nicht  mit  ihm  verkehrst,  denn  es  ist  kein  Verkehr 
für  dich.  Basta !  Und  käme  er  wegen  der  Klinge  zu  dir,  so  gieb 
sie  ihm  auf  keinen  Fall ;  mach'  ihm  ein  freundliches  Gesicht  und 
sag'  ihm,  ich  hätte  sie  einem  meiner  Freunde  geschenkt.  Basta! 
Wisse,  dass  sie  mir  hier  19  Carlini  und  13  Quattrini  Zoll  kostete." 
Das  Letzte  hören  wir  aus  einem  Schreiben  vom  3 1 .  März : 
,,Du  benachrichtigst  mich  davon,  dass  Pietro  den  Dolch  nicht  ge- 
wollt hat.  Das  freut  mich  sehr,  dass  er  ihn  nicht  gewollt  hat  und 
er  ihm  nicht  gefallen  hat,  denn  es  sollte  sein  Schicksal  nicht  sein, 
dass  Jener  ihn  am  Gürtel  trüge,  um  so  weniger,  als  der  Dolch  von 
ganz  anderen  Leuten,  als  er  Einer  ist,  nämlich  von  Filippo  Strozzi 
erbeten  worden  ist.  Siehst  du,  dass  er  Diesem  gefällt,  so  mache 
ihm  ein  Geschenk  deinerseits  damit  und  sag'  ihm  nicht,  was  er 
kostet.  Wisse,  dass  ich  die  Klinge  nicht  gesehen  habe:  daher 
wenn  sie  nicht  anständig  gelungen,  gieb  sie  ihm  nicht,  damit  er 
dich  nicht  für  eine  Bestie  hält,  denn  ihm  gebührt  etwas  Anderes, 
als  dem  Pietro."     (Lett.  S.  61.  63.  6^ .  69.  70.  71.  73.) 

XV 

Valerio  Bellis  Bitte  um  die  Zeichnung  für  einen  zu 
schneidenden  Stein  1521 

Im  Jahre  1521  scheint  Michelangelo  dem  Belli  eine  Zeichnung 
versprochen  zu  haben.  Belli  bittet  ihn  um  dieselbe,  da  er  einen 
schönen  grossen  Stein  besitze  und,  falls  er  die  Zeichnung  erhalte, 
damit  Ehre  einlegen  werde  (Gotti  I,  145).  Wir  wissen  nicht,  ob 
sein  Wunsch  erfüllt  ward.  Auch  später  hat  er  sich  mit  solchen 
an  den  Meister  gewandt.  —  Vielleicht  war  für  einen  geschnittenen 
Stein  eine  Zeichnung  des  Ganymed  im  Codex  Vallardi  im  Louvre 
bestimmt,  die  in  einen  Kreis  hineinkomponirt  ist  (s.  unten  den 
Exkurs  über  ,, Ganymed"). 

XVI 

Die  Kandelaber  der  Medicikapelle 

Über  sie  habe  ich  bereits  früher  gelegentlich  der  Besprechung 
der  Architektur  der  Kapelle  gehandelt  (II,  S.  in). 

16* 


2AA  Entwürfe  für  Gebrauchsgegenstände 

XVII 
Der  Vaso  des  Domenico  Naldini  1521 

Domenico  Naldini  wird  uns  von  Vasari  als  ein  angesehener 
florentiner  Bürger  bekannt  gemacht,  der  die  Begabung  des  Knaben 
Francesco  Salviati  erkannte  und  Dessen  Vater  bewog,  ihn  Künstler 
werden  zu  lassen.  Dieser  Domenico  schreibt  am  21.  April  1521 
an  den  ihm  befreundeten  Michelangelo ,  der  in  Carrara  sich  auf- 
hält :  „Wie  Ihr  wisst ,  beauftragte  ich  jene  Eure  Steinmetzen  in 
Carrara,  den  Vaso  zu  machen.  Wie  Ihr  wisst,  versprachen  sie,  dass 
unter  allen  Umständen  Mitte  oder  Ende  April  der  Vaso  auf  der 
Marina  sein  solle ;  und  nun  bitte  ich  Euch,  benachrichtigt  mich  da- 
von, ob  ich  betrogen  worden  bin,  denn  sie  dürfen  es  an  Nichts 
fehlen  lassen;  thun  sie  dies,  so  werde  ich  sie  durch  einen  Brief 
des  verehrungswürdigsten  Kardinals  die  Strafe  und  Alles  zahlen 
machen."  Auch  Fattucci  spricht  dem  Meister  diesen  Wunsch  am 
21.  April  aus:  ,, Domenico  Naldini  bittet  Euch,  Ihr  möchtet,  wenn 
möglich  bewirken ,  dass  sein  ,Piatto'  unter  allen  Umständen  nach 
Pisa  gebracht  werde."     (Frey:  Briefe  S.   173,   174.) 

Der  „Vaso"  oder  ,,Piatto"  dürfte  wohl  eine  Brunnenschale  ge- 
wesen sein.  Ob  Naldini  hierfür  eine  Zeichnung  von  Michelangelo 
erhalten,  darüber  sind  wir  nicht  unterrichtet.  Es  wäre  aber  wohl 
denkbar.  Ein  Entwurf  zu  einer  Brunnenschale  von  Michelangelos 
Hand  ist  uns  erhalten:  in  der  Casa  Buonarroti  XXXVII,  73.  (Thode 
124.)  Wir  finden  auf  dem  Blatte  drei  Federskizzen,  a)  Brunnen: 
auf  viereckigem  Postament  eine  flache,  runde,  nach  unten  abgerundete 
Schale,  in  deren  Mitte  ein  vasenförmiger  Aufsatz.  —  b)  Eine  blosse, 
in  drei  Zonen  gegliederte,  unten  flache  Schale  auf  niedrigem  Fuss. 
—  c)  Rechte  Hälfte  einer  unten  abgerundeten,  oben  ausgeschwun- 
genen Schale. 

Ich  erwähne  bei  dieser  Gelegenheit  zwei  Skizzen  zu  einem 
amphoraartigen  Gefäss,  die  eine  mit  Ohrenhenkeln,  die  andere  nur 
mit  Henkelansätzen,  auf  der  Rückseite  des  Blattes  im  British  Museum 
1859 — 5  — 14 — 823.  Etwa  1524  anzusetzen,  da  auf  der  Vorderseite 
Studien  zu  den  Medicigräbern  befindlich. 

xvm 

Das  Salzfass  für  den  Herzog  Francesco  Maria 
von  Urbino  1537 

Von  dem  Modell,  welches  nach  Michelangelos  Zeichnung  an- 
gefertigt ward,  berichtet  ein  Brief  des  Hieronymo  Staccoli  vom 
4.  Juli  1537.  Der  Agent  des  Herzogs,  der  in  den  Verhandlungen 
über  das  Juliusdenkmal  eine  Rolle  spielt,  schreibt: 


Das  Bronzepferd  für  den  Herzog  von  Urbino  1537  245 

„Mein  erlauchtester  Herr !  In  Beantwortung  eines  Schreibens 
Eurer  Herrlichkeit  vom  22.  des  verflossenen  Monates  melde  ich, 
dass  schon  vor  mehreren  Monaten  das  Modell  des  Salzfasses  in 
plastischer  Form  vollendet  worden  ist  und  in  Silber  angefangen 
einige  Thiertatzen ,  auf  die  das  Gefass  gestellt  werden  soll ,  und 
rings  um  das  Gefäss  laufen  Festons  mit  einigen  Masken,  und  auf 
dem  Deckel  befindet  sich  eine  Figur  in  freier  Plastik  mit  einigem 
Blattwerk,  so  wie  es  Michelangelo  anordnete  und  wie  es  in  dem 
oben  genannten  vollendeten  Modell  erscheint.  Da  ich  sehe,  dass 
es  sich  um  höhere  Kosten  als  acht  oder  zehn  Dukaten  für  die 
Ausführung  handelt  und  eine  höhere  Summe  als  diese  daraufgeht, 
habe  ich  nicht  ohne  Wissen  und  Erlaubniss  Eurer  Herrlichkeit 
weiter  vorgehen  wollen.  Doch  theile  ich  Ihnen  mit,  dass  hier 
Silber  vorhanden  ist ,  genügend ,  um  das  Gewünschte  zu  bewerk- 
stelligen; und  sollten  vier  oder  sechs  Unzen  fehlen,  werde  ich  sie 
besorgen.  Für  die  Ausführung  des  Salzfasses  verlangen  die  Meister, 
welche  früher  Euren  Herrn  Vater  bedient  haben ,  dreissig  Skudi 
und  zwölf  portugiesische  Golddukaten  für  die  Vergoldung;  solche, 
in  richtiger  Valuta,  haben  sich  hier  gefunden;  und  sie  verlangen  eine 
Drittelunze  ,,di  callo"  für  das  Pfund  Silber.  Aber  Eure  Herrlich- 
keit versteht  sich  besser  auf  Alles,  was  diese  Salzfassangelegenheit 
betrifft."     (Gotti  II,  S.   125.) 

Der  Entwurf  dieser  Zeichnung  war,  wie  die  Anfertigung  des 
gleich  zu  erwähnenden  Bronzepferdes,  eine  Gefälligkeit,  die  Michel- 
angelo den  Erben  Julius'  II.  erwies. 

Nach  J.  C.  Robinson  befand  sich  auf  der  Versteigerung  der 
Fontaine'schen  Handzeichnungensammlung  1884  ein  in  Kreide  aus- 
geführter Entwurf  eines  Salzfasses,  ganz  übereinstimmend  mit  dieser 
Beschreibung.  Robinson ,  der  die  Zeichnung  erwarb  und  in  den 
Times  vom  29.  September  1884  darüber  berichtete,  meinte  die 
Hand  Michelangelos  in  ihr  zu  erkennen.  (Vgl.  Kunstchronik  1885, 
XX,  S.  58;  C.  V.  Fabriczy:  Arch.  stör,  dell'arte  VII,  151.)  Es  ist 
mir  nicht  gelungen,  zu  erfahren,  wohin  diese  Zeichnung  gelangt  ist. 

Kam  das  Salzfass  durch  die  Erbschaft  163 1  nach  Florenz.^ 
Von  einem  anderen  Salzfass  für  Alessandro  Farnese  spreche  ich 
weiter  unten. 

XIX 

Das  Bronzepferd  für  den  Herzog  von  Urbino  1537 

Wir  verdanken  G.  Gronau  nähere  Mittheilungen  über  diese 
bisher  nur  aus  einer  einzigen  Notiz  bekannte  Arbeit.  (,,Die  Kunst- 
bestrebungen der  Herzöge  von  Urbino"  im  Beihefte  des  Jahrb.  der 
k.  preuss.  Kunsts.  XXVII,  S.  ^  ff.) 


2A<ß  Entwürfe  für  Gebrauchsgegenstände 

Am  21.  Januar  1537  schreibt  der  Gesandte  Gio van  Maria  della 
Porta  an  Francesco  Maria :  „Michelangelo  hat  mir  versprochen, 
unter  allen  Umständen  das  Pferd ,  um  welches  E.  H.  ihn  bittet, 
binnen  vierzehn  Tagen  zu  machen,  trotzdem  ihn  der  Papst  be- 
ständig zur  Arbeit  an  dem  Gemälde  in  der  Kapelle  drängt."  Am 
2.  Februar  berichtet  er,  dass  Michelangelo  „Hand  an  das  Pferd 
gelegt  habe".  Im  Herbst  wird  der  Guss  dem  Herzog  gesandt,  der 
am  12.  Oktober  schreibt:  „Wir  haben  jenes  Bronzepferd,  das  Ihr 
uns  gesandt  habt,  gesehen;  da  es  uns  scheint,  dass  der  Guss  nicht 
gut  gelungen,  meinen  wir,  dass  es  für  den  Zweck,  für  den  es  er- 
beten wurde,  nicht  gut  passen  wird,  und  dass  es  besser  wäre,  wenn 
möglich,  das  von  der  Hand  Michelangelos  angefertigte  Wachsmodell 
zu  erhalten.  Daher  sucht  zu  erfahren,  ob  es  zu  haben  ist,  und, 
wenn  dies  der  Fall,  so  sucht  es  auf  die  Weise,  die  hierfür  nöthig, 
zu  erhalten;  und  habt  Ihr  es,  so  sendet  es  uns."  Hierauf  ant- 
wortet der  Gesandte  am  24.  Oktober :  ,,ich  habe  von  dem  Wunsche 
E.  H.,  das  Pferd  in  Wachs  von  Michelangelo  zu  erhalten,  Kenntniss 
genommen  und  werde  Alles  thun,  ihn  zu  erfüllen,  aber  ich  erinnere 
mich,  dass  er  mir  sagte,  er  sei,  nachdem  er  es  in  Wachs  begonnen, 
genöthigt  gewesen,  es  aufzugeben,  da  er  bei  der  Schwäche  seiner 
Augen  es  nicht  gut  in  seiner  Weise  habe  ausführen  können,  und 
es  in  Bronze  gegossen  habe  (lo  ridusse  in  metallo).  Nun  weiss  ich 
nicht,  was  mehr  zu  erhoffen  ist,  um  so  weniger,  als  er  glaubt,  Euch 
auf  diese  Weise  besser  bedient  zu  haben;  jedoch  ich  werde  es, 
wie  gesagt,  nicht  an  Eifer  fehlen  lassen."  Offenbar  gelingt  es 
Porta,  das  Modell  ,,di  metallo"  zu  erhalten,  denn  am  28.  Oktober 
schreibt  er:  ,,wenn  E.  H.  das  Pferd,  welches  ich  Ihr  von  Michel- 
angelo sandte,  erhalten  haben  wird ,  wäre  es  mir  sehr  erwünscht, 
dass  E.  H.  ihm  durch  ein  Schreiben  besonderen  Dank  sagte."  Und 
am  26.  November:  ,,ich  benutzte  Zeit  und  Gelegenheit,  mit  Michel- 
angelo, dessen  man  schwer  habhaft  werden  kann,  da  er  beständig 
mit  dem  Gemälde  der  Sixtinischen  Kapelle  beschäftigt  ist ,  zu 
sprechen  und  sagte  ihm ,  wie  sehr  ihm  E.  H.  für  das  übersandte 
Pferd  danke,  denn  so  müsse  man  es  machen,  solle  es  seinem 
Zweck  genügen,  und  theilte  ihm  den  Wunsch  E.  H.  mit,  das  Wachs- 
modell zu  besitzen,  da  er  bezweifle ,  ob  man  sich  des  übersandten 
bedienen  könne.  Er  sagte  mir,  seine  Kurzsichtigkeit  hindere  ihn  an 
minutiösen  Arbeiten  und  die  Arbeit  in  Wachs  verlange  noch  schärferes 
Sehen,  doch  diene  jenes  Pferd  aus  Bronze  vortrefflich  als  Modell, 
wolle  E.  H.  es  zu  einem  solchen  Zwecke  gebrauchen.  Nichtsdesto- 
weniger, werde  es  aus  Wachs  gewünscht,  so  werde  er  trotz  so 
grossem  Mangel  an  Zeit  nicht  verfehlen,  sich  zu  zwingen,  E.  H. 
zu  dienen,  aber  mit  grösserem  Werk  und  mit  Zeit,  bei  dem  grossen 
Mangel,  den  er  an  beidem  Nöthigen  habe.    Ich  nahm  das  Anerbieten, 


Der  Farnesische  Schrein  1540  247 

wie  es  ist,  an  und  bat  ihn,  sich  zu  zwingen ,  Euch  so  gut  und  so 
schnell  wie  möglich  zu  bedienen,  obgleich  meine  Hoffnung,  das 
Ende  zu  sehen,  sehr  gering  ist,  ich  vielmehr  die  Frist  für  weit 
hinausgeschoben  erachte.  Gleichwohl  werde  ich,  ist  es  so  der 
Wunsch  E.  H,,  nicht  verfehlen,  ihn  so  weit,  als  es  bei  einer  solchen 
Natur  möglich  ist,  anzuspornen." 

Aus  diesen  Mittheilungen  geht,  was  Gronau  nicht  beachtet  hat, 
hervor,  dass  in  der  That  zwei  Exemplare  des  Pferdes,  nämlich 
der  nicht  gelungene  Bronzeguss  und  der  erste  Bronzeabguss ,  in 
den  Besitz  des  Herzogs  gelangt  sind.  Weder  der  eine  noch  der 
andere  sind  heute  in  den  florentinischen  Sammlungen,  die  Gronau 
daraufhin  untersuchte,  nachzuweisen.  Auch  sonst  aber  in  anderen 
Museen  ist  meinem  suchenden  Blicke  unter  den  Bronzepferden 
keines  begegnet,  bei  dem  Michelangelos  Name  genannt  werden 
könnte.  Im  Jahre  1603  war  ein  solches  Bronzepferd  im  Besitz  der 
Rovere :  ,,Cavallo  uno  di  bronzo."  Und  163 1  findet  sich  im 
Inventar  unter  Nr.  183:  ,,Item  un  cavallo  piccolo  di  bronzo 
appoggiato  con  le  zampe  di  dietro  sopra  un  trepiede  di  bronzo 
con  le  zampe  dinanzi  in  Aria  et  sotto  la  sinistra  zampa  vi  e  una 
lumaca  di  bronzo."  Unter  den  nach  Florenz  gesandten  Bronzen 
finden  wir  ,,un  cavallo  di  bronzo  con  pie  rotto  verniciato"  oder, 
wie  es  in  einem  anderen  Verzeichniss  heisst :  ,,un  cavallo  con  un 
piede  rotto  dentro  a  un  foglio  con  briglia  di  raso  rosso"  ange- 
führt.   Auch  ein  Tintenfass  aus  Kristall  mit  einem  Pferd  ist  erwähnt. 

Dass  das  Pferd  für  einen  solchen  Gebrauchsgegenstand  bestimmt 
war,  geht  aus  den  Briefen  hervor,  und  dieselben  lassen  auch  keinen 
Zweifel  darüber ,  wie  peinlich  diese  ihm  zugemuthete  Kleinarbeit 
dem  Meister  war. 

XX 

Der  Farnesische  Schrein  1540 

Über  die  im  Museum  von  Neapel  aufbewahrte  Silberkassette 
mit  Reliefs  in  Kristall ,  welche  vom  Goldschmied  Manno  und  von 
Giovanni  Bernardo  da  Castelbolognese  zum  Theil  angeblich  nach 
Entwürfen  Michelangelos  angefertigt  wurde,  haben  wir  nähere  Nach- 
richten (Abb.  Müntz ;   La  fin  de  la  Renaissance  S.  239). 

In  dem  Leben  des  Giov.  Bernardi  (V,  S.  373)  sagt  Vasari : 
„Derselbe  Kardinal  (Alessandro)  Farnese ,  der  eine  sehr  reiche 
Silberkassette,  anfertigen  lassen  wollte  und  die  Arbeit  dem  floren- 
tinischen Goldschmied  Manno ,  wovon  an  anderer  Stelle  die  Rede 
sein  wird,  übertragen  hatte,  beauftragte  Giovanni,  alle  die  Felder 
aus  Kristall  zu  machen.  Dieser  füllte  sie  mit  Darstellungen  an  und 
fugte  auch  Marmorreliefs  hinzu ;  die  Silberfiguren  und    die    frei  er- 


248  Entwürfe  für  Gebrauchsgegenstände 


habene  Ornamentik  führte  er  (?)  mit  solcher  Sorgfalt  aus,  dass  nie- 
mals ein  anderes  Werk  in  gleich  grosser  Vollkommenheit  gemacht 
worden  ist.  An  den  Wänden  dieser  Kassette  sind  in  ovalen  Feldern 
folgende  Geschichten  von  Giovanni  mit  wunderbarer  Kunst  intaglirt 
worden :  Meleagers'  Jagd  und  der  Kalydonische  Eber,  Bacchantinnen 
und  eine  Seeschlacht,  weiter  der  Kampf  des  Herkules  mit  den 
Amazonen,  und  andere  sehr  schöne  Phantasieen  des  Kardinals ,  der 
hierfür  durchgeführte  Zeichnungen  von  Perino  del  Vaga  und  anderen 
Meistern  anfertigen  Hess."  (Weiter  werden  als  hiervon  unabhängige 
Arbeiten  Giovannis  Kristallintagli  nach  Michelangelos  Zeichnungen 
des  Tityos  und  des  Phaeton  erwähnt.) 

Die  Kassette  war  1540  in  Arbeit,  nach  einem  nicht  in  allen 
Ausgaben  enthaltenen  Briefe  Annibale  Caros  an  Giovanni  Cesari 
(Ausg.  der  Lettere,  Mailand  1807,  II,  p.  345).  Im  Februar  dieses 
Jahres  hatte  Bernardi  schon  viel  Arbeit  daran  gethan.  Am  2.  Mai 
1543  bemerkt  Claudio  Tolomei  in  einem  Brief  an  Bernardi:  ,,ich 
denke,  Ihr  würdet  eine  sehr  schöne  Gelegenheit  haben,  ihn  (Pier 
Luigi),  wenn  er  Faenza  passirt,  zu  sprechen  und  ihm  die  Kristalle 
zu  zeigen ;  dass  diese  so  schön  gelungen  sind,  freut  mich  sehr,  ob- 
gleich man  Anderes  von  Eurem  Talente  gar  nicht  erwarten  kann." 
(A.  Ronchini:  s.  u.  VII,  S.  134.)  Am  17.  November  1543  schreibt 
Bernardi  an  den  Kardinal  Farnese :  ,,ich  wollte  nach  Rom  kommen, 
habe  aber  bei  den  seltsamen  Zeiten  nicht  den  Muth  gehabt.  Euch 
alle  Dinge,  die  ich  vollendet  habe,  zu  bringen :  nämlich  das  Taber- 
nakel und  die  Quadrigen.  Ihr  werdet  Etwas  sehen,  was  Euch  ge- 
fallen wird ;  doch  verzögere  ich  es  noch ,  bis  Alles  vollendet  ist, 
nämlich  alle  Stücke  der  Kassette."  (A.  Ronchini  IV,  S.  17.)  Dann 
am  21.  April  1544:  ,,ich  wünschte  nach  Rom  zu  kommen  und 
Euch  das  Tabernakel  und  die  vier  grossen  Stücke  der  Kassette, 
nämlich :  den  Cirkus  der  Quadrigen,  den  Triumph  des  Bacchus  und 
des  Silen,  eine  Seeschlacht  und  die  Schlacht  bei  Tunis,  die  Euch 
staunen  machen  werden,  zu  bringen."  Und  am  4.  April  1546:  ,,ich 
habe  alle  Eure  Werke  vollendet  und  sende  Euch  die  Dreiecke  der 
Kassette  aus  schwarzem  Kristall."  1 547  wurde  sie  dem  Kardinal 
Alessandro  Farnese  übergeben  (Liverani,  Maestro  Giov.  Bernardi 
da  Castelbolognese,  Faenza  1870,  S.  28  und  33). 

Näheres  über  die  Vorgänge  erfahren  wir  aus  einem  früheren 
Briefe  Claudio  Tolomeis  an  Apollonio  Filareto  (Lettere,  Ausg.  Ve- 
nezia  1596,  S.  182;  Bottari,  Racc.  di  lettere,  Mailand  1822, 
IV,  S.  6) : 

,,Ich  finde  Schwierigkeit,  zu  erreichen,  dass  Meister  Perino 
(del  Vaga)  jene  Zeichnung  für  die  Kassette  unseres  Herrn  Herzogs 
(Pier  Luigi  Farnese)  anfertige.  Ich  sandte  ihn  zu  dem  Goldschmied, 
um  jene  drei  zu  sehen,  welche  schon  gemacht  sind;  als  er  sie  sah 


Der  Farnesische  Schrein  1540  249 

und  vernahm,  dass  sie  von  Michelangelo  sind,  zog  er  sich  im  Hin- 
blick auf  die  Vorzüglichkeit  und  wunderbare  Kunst  des  Meisters 
und  des  Werkes  zurück.  Und  zwar  so ,  dass  er  mir  gestern 
seinen  Entschluss,  die  Hand  nicht  daran  legen  zu  wollen,  mittheilte ; 
er  führte  zwei  Gründe  an.  Erstens,  weil  er  weder  in  Gegensatz 
noch  in  Vergleich  zu  Michelangelo  gesetzt  werden  will,  wobei  er, 
wie  er  sicher  weiss,  den  Kürzeren  ziehen  und  nur  Schimpf  davontragen 
würde ;  er  fügte  hinzu,  er  wolle  nicht  durch  zu  kühnes  Unterfangen, 
wie  Phaeton,  der  in  einem  der  Kristalle  dargestellt  sei ,  zu  Falle 
kommen.  Zweitens,  weil  Michelangelo  es  als  eine  Beleidigung  auf- 
fassen würde ,  wenn  er  an  einem  seiner  Werke  Theil  hätte ;  und 
er  wolle  Nichts  thun,  was  sein  Gemüth  in  irgend  einer  Weise  ver- 
letzen könne.  Denn  er,  wie  alle  Maler,  verehren  ihn  als  Meister, 
Fürsten,  ja  als  Gott  der  Zeichnung.  So  scheint  mir,  begegnet 
diesem  Werke  das  Gleiche,  was  der  Kölschen  Venus  geschah, 
die,  von  Apelles  begonnen,  aber  nicht  vollendet,  niemals  einen 
Meister  fand,  der  den  Muth  gehabt,  sie  zu  vollenden.  Ich  meiner- 
seits antwortete  ihm  mit  mannigfachen  Gründen  und  verschiedenen 
Argumenten  und  strengte  mich  an,  den  ganzen  Quell  meiner  Be- 
redtsamkeit  in  diese  Sache  strömen  zu  lassen,  aber  es  hat  Nichts 
genützt,  so  viel  vermag  die  Ehrfurcht,  die  er  vor  Michelangelo  hat, 
über  ihn.  Nur  dazu  habe  ich  ihn  beredet,  mir  die  Skizzen  zu  jenen 
Darstellungen,  die  ich  ihm  angegeben,  zu  machen,  aber  er  will  sie 
nicht  ausführen,  auch  nicht,  dass  sie  Meister  Giovanni  übersandt 
werden.  Daraufhin  habe  ich  mich  entschieden ,  mich  an  Michel- 
angelo zu  wenden  und  Alles  zu  versuchen,  was  ich  kann.  Ich  weiss 
nicht,  was  es  nützen  wird.  Ihr  könnt  hierüber  mit  dem  Herrn 
Herzog  reden,  falls  es  Euch  gut  dünkt;  schickt  mir  ein  Schreiben 
für  Michelangelo ,  in  dem  er  liebreich  gebeten  werde ,  dieses  von 
ihm  begonnene  Werk  zu  vollenden,  und  ich  werde  mir  alle  mögliche 
Mühe  geben." 

Was  aus  diesen  Mittheilungen  nicht  deutlich  hervorgeht,  wird 
durch  das  Studium  der  wundervollen  Kassette ,  die  im  Neapeler 
Museum  aufbewahrt  wird,  zur  vollen  Klarheit  gebracht.  Michel- 
angelo war  damit  einverstanden  gewesen,  dass  Kristalle,  die  Ber- 
nardi  nach  seinen  Zeichnungen  angefertigt  hatte,  für  die  Kassette 
verwendet  würden.  Eine  dieser  Zeichnungen  war  der  Phaeton 
—  die  anderen  beiden  vermuthlich  der  Tityos  und  der  Phaeton. 
Claudio  Tolomei  bemühte  sich  nun,  für  die  weitere  Arbeit  Perino 
del  Vaga  zu  gewinnen.  Dessen  Entschuldigungen  haben  wir  ver- 
nommen. Als  daraufhin  Tolomei  mit  Michelangelo  sprach,  hat 
Dieser  offenbar  veranlasst,  dass  auf  die  Kristalle  nach  seinen  Zeich- 
nungen verzichtet  und  Perino  freies  Feld  gelassen  ward.  In  der 
That   sind    die  Michelangelo'schen  Kompositionen   an   der  Kassette 


2  CO  Entwürfe  für  Gebrauchsgegenstände 


nicht  verwerthet  worden.  Die  an  derselben  befindlichen  Darstel- 
lungen :  die  Amazonenschlacht,  der  Kampf  der  Lapithen  und  Ken- 
tauern,  die  Naumachie  des  Xerxes,  das  Wettrennen  von  Quadrigen, 
die  Eberjagd  Meleagers  und  der  Bacchuszug  sind  ohne  Zweifel  zu- 
meist nach  Zeichnungen  Perinos  gemacht.  (Man  vergleiche  einen 
ganz  ähnlichen  Kassettenentwurf  von  Perino  in  der  Zeichnungen- 
sammlung der  Uffizien   192.    Nr.  1603.) 

Über  den  Phaeton    und  Tityos    handle    ich    an    anderer  Stelle. 

(Vgl.  über  Manno :  A.  Ronchini:  „Manno,  orefice  fiorentino"  in 
den  Atti  e  Memorie  delle  R.  Deputazioni  di  Storia  patria  per  le 
provincie  Modenesi  e  Parmenesi  1874,  VII.  Bd.  —  Über  Bernardi 
Ronchini  ebenda  Bd.  IV.  —  C.  von  Fabriczy ;  Arch.  stör.  dell'Arte 
1899-    VU,   I49-) 

XXI 

Das  Farnesische  Ciborium  in  Neapel 

„Wie  er  auch  Seiner  Heiligkeit  (Pius  IV.)  für  diesen  Ort 
(S.  Maria  degli  Angeli)  ein  Sakramentsciborium  in  Bronze  zeichnete, 
das  zum  grossen  Theile  von  Meister  JacopoSiciliano,  ausgezeichnetem 
Bronzegiesser,  gegossen  wurde,  welcher  es  erreicht,  dass  der  Guss 
sehr  zart,  ohne  Grate,  gelingt  und  daher  nur  geringer  Ziselirung 
bedarf,  da  er  ein  in  dieser  Kunst  selten  erfahrener  Meister  ist. 
Und  es  gefiel  Michelangelo  sehr."  (Vasari  VII,  261) 

1568  also  war  das  Ciborium  noch  nicht  fertig,  obgleich  Jacomo 
Duca  nach  dem  Tode  Michelangelos  es  sich  zur  Ehrenaufgabe  ge- 
macht, es  zu  Dessen  Gedächtniss  zu  vollenden.  Denn  so  schreibt 
er  am   15.  März  1565  an  Lionardo  Buonarroti : 

,,Und  da  ich  nicht  davon  ablassen  kann  noch  will,  die  Wunder- 
werke Messer  Michelangelos  zu  offenbaren,  habe  ich  mich  daran 
gemacht,  das  zwanzig  Palmen  grosse  Bronzetabernakel  nach  seinem 
Modell,  das  E.  H.  in  Rom  sah,  auszuführen  und  gegenwärtig  ist  es 
bis  fast  zur  Hälfte  gediehen.  Ich  bin  Keinem  hierin  verpflichtet 
und  mache  es  auf  meine  Kosten.  Doch  hoffe  ich  es,  wenn  es  voll- 
endet, zu  verkaufen,  und  schon  sind  Leute  dahinter  her,  aber  ich 
kümmere  mich  nicht  darum,  denn  ich  will  es  nach  meinem  Sinne 
vollenden  und  später  werde  ich  thun,  was  Gott  mir  eingiebt.  Und 
so,  da  ich  keine  Gelegenheit  habe,  mich  bei  der  Anfertigung  seines 
Grabmales  auszuthun,  habe  ich  mir  vorgesetzt,  ihn  auf  diese  Weise 
zu  ehren  und  zu  verherrlichen ;  denn  aller  Ruhm  an  diesem  Werke 
soll,  wie  Inschriften  sagen  werden,  ihm  zufallen,  und  E.  H.  weiss  ja, 
dass  es  ein  staunenswürdiges  und  kostspieliges  Werk  wird.  Im 
Hinblick  auf  das  Geld,  was  ich  habe,  und  andere  Unterstützung 
hoffe  ich  es,  und  zwar  binnen  Kurzem,  zu  beenden.    Vielleicht  schon 


Das  Farnesische  Ciborium  in  Neapel  25 1 

im  Monat  August  wird  ein  grosser  Theil  gemacht  sein.  Und  so 
werde  ich  zweierlei  erreichen :  ich  werde  Messere  (Michelangelo) 
verherrlichen  und  hoffe  zugleich  einigen  Nutzen  davon  zu  haben, 
und  so  werde  ich,  lebend  und  todt,  Alles  Gute  von  Gott  dank  seiner 
Vermittlung  empfangen.  Ich  schäme  mich  zu  sagen,  dass  ich  Etwas 
bin  und  bin  doch  Nichts  und  weiss  Nichts,  aber  das  Wenige,  für  das 
ich  von  meinen  Bekannten  in  Rom  gehalten  werde,  habe  ich,  weil 
ich  unter  dem  Schatten  meines  Herrn  gelebt  habe." 

Erworben  wurde  das  Werk,  dem  Giovanni  Bernardi  die  ge- 
schnittenen Steine  hinzufügte,  durch  den  Kardinal  Alessandro  Far- 
nese,  Pierluigis  Sohn,  und  befindet  sich  heute,  aber  jener  Steine  und 
der  Säulchen  aus  Lapis  Lapuli  beraubt,  im  Museum  zu  Neapel. 
(Vgl.  Liverani:  Maestro  Giovanni  Bernardi,  Faenza  1870,  S.  28.  — 
C.  V.  Fabriczy:  ,,Disegni  di  Michelangelo  per  lavori  di  oreficeria" 
im  Arch.  stör.  dell'Arte  1894.    VII,  S.  151.) 

Der  Aufbau  des  stattlichen  achtseitigen  Bronzewerkes  lässt  sich 
in  drei  Theile  zerlegen:  Untersatz,  Postament  und  tempeiförmiger 
Aufbau. 

1.  Der  Untersatz.  Er  besteht  aus  dem  geschweiften  achtseitigen 
Fuss :  jedes  Feld  ist  mit  einem  Seraphimkopf,  über  dem  eine 
Muschel  sich  befindet,  geschmückt :  die  Eckstreifen  dazwischen 
zeigen  eine  Blüthenkette.  In  den  Feldern  des  nach  oben  aus- 
ladenden Gliedes  über  dem  Fuss  waren  in  Medaillons  die 
geschnittenen  Steine  Bernardis  angebracht;  unterhalb  der 
Medaillons  ist  ein  Ornament  von  zwei  Voluten  mit  Mittel- 
palmette. Auch  in  den  Eckstreifen ,  die  oben  eine  herab- 
sinkende Muschel  mit  Palmettenblatt  zeigen,  waren  je  ein 
kleiner  und  ein  grösserer  Stein  eingelegt. 

2.  Das  Postament.  Es  besteht  aus  drei  Gliedern.  Das  unterste 
enthält  Konsolen ,  die  mit  Spiralen  und  Zweigen  ornamentirt 
sind.  Das  mittlere  ist  mit  Spiralenpaaren,  in  deren  Mitte  sich 
Blätter  erheben,  verziert.  Das  oberste  ist  durch  kleine 
Postamente  gegliedert ;  die  Felder  dazwischen  tragen  Kränze. 

3.  Das  Tempelchen,  durch  ornamentirte  Pilaster  (ohne  Kapitale) 
gegliedert,  welche  einen  mit  Palmetten  gemusterten  Architrav, 
und  ein  Gesims  auf  viereckigen  Konsolen  tragen,  über  dem 
sich  das  mit  Blättern  belegte  Kuppeldach  erhebt.  In  den 
Feldern  zwischen  den  Pilastern  sind  folgende  Reliefs  angebracht : 
Abendmahl,  Gethsemane,  Geisselung,  Kreuztragung,  Christus 
am  Kreuz  zwischen  Maria  und  Johannes,  Kreuzabnahme,  Be- 
weinung, Auferstehung. 

Es  kann  kein  Zweifel  sein,  dass  nur  der  allgemeine  Entwurf 
des  Ganzen  von  Michelangelo  herrührt.  Die  Ornamentik,  von  seiner 
Art   verschieden,    ist    die    anmuthige  Erfindung  Jacopos,    und   von 


252  Entwürfe  für  Gebrauchsgegenstände 


Diesem  rühren  auch  die  Passionsdarstellungen  her,  die  nur  hier  und 
da  Anklänge  an  Michelangelo'sche  Kompositionen  (Geisselung, 
Christus  am  Kreuz)  zeigen. 

XXII 

Das  Farnesische  Salzfass 

Die  Nachrichten  hierüber  verdanken  wir  A.  Ronchini  in  dem 
unter  XX  zitirten  Aufsatz :  Manno,  orefice  fiorentino  (vgl.  auch  den 
von  C.  V.  Fabriczy  an  soeben  erwähnter  Stelle  gegebenen  Bericht). 

Manno  sandte  dem  Kardinal  Alessandro  Farnese  am  23.  August 
1567  zwei  Entwürfe  für  ein  Salzfass:  eine  Zeichnung,  deren  Autor 
nicht  genannt  wird,  und  ein  Thonmodell  von  Michelangelo.  Briefe 
vom  Grafen  Lodovico  Tedeschi,  Tommaso  de'  Cavalieri  und  Manno 
behandeln  die  Angelegenheit.  Manno  sagt  von  dem  Modell,  es  sei 
von  der  Hand  Michelangelos ;  ,,aber  es  fehlt  die  Figur,  die  auf  die 
Spitze  gehört ,  wo  die  vier  Schildkröten  sind ;  und  diese  werden 
oberhalb  der  Nischen  an  dem  Gewände,  darauf  die  Figur  steht, 
eingefügt".  Tedeschi  meint :  ,,an  dem  Michelangelo'schen  Modell 
müsse  Viel  beseitigt  und  Anderes  hinzugefügt  werden;  die  Kosten 
würden  sich  auf  ungefähr  300  Skudi  belaufen."  Cavalieri  schreibt: 
,,da  mir  der  Graf  Lodovico  mittheilte,  dass  E.H.  den  Wunsch  auf 
Anfertigung  eines  schönen  Salzfasses  habe,  Hessen  wir  viele  Zeich- 
nungen anfertigen  und  sahen  sie  an.  Und  wir  entschlossen  uns  für 
diese  beiden,  die  uns  sehr  schön  erscheinen.  Und  um  meine 
Meinung  zu  sagen,  so  wird  die  Zeichnung  Effekt  machen,  nament- 
lich auf  Personen,  die  sich  nicht  sehr  darauf  verstehen,  denn,  ehr- 
lich gesagt,  ist  die  Komposition  nicht  allzu  schön.  Aber  das  Modell 
ist  von  herrlichster  Erfindung  und  wurde  nach  Angaben  Michel- 
angelos gemacht."  Er  fährt  dann  fort:  es  sei  nöthig,  einige  Dinge 
zu  verbessern,  die  Michelangelo  nicht  genügt  hätten,  wie  z.  B.  die 
Schildkröten  oben,  die  sich  dort  nicht  gut  ausnehmen.  ,,Und  auf 
die  Spitze  kommt  eine  kleine  Figur  und  gewisse  andere  Zierdinge, 
die,  wie  ich  glaube,  sehr  schön  ausfallen  werden."  (Steinmann- 
Pogatscher:  Rep.  f.  Kw.  XXIX,  S.  445.) 

Ob  das  Salzfass  ausgeführt  worden,  und,  wenn  dies  der  Fall, 
ob  nach  dem  Michelangelo'schen  Modelle,  wissen  wir  nicht. 

xxin 

Die  fälschlich  Michelangelo  zugeschriebenen  Kandelaber 

in  der  Sakristei  von  S.  Pietro 

Wir  haben  keinerlei  Zeugniss  dafür,  dass  Michelangelo  Zeich- 
nungen  für  Kandelaber   des  Hochaltars  von  S.  Pietro,   die  jetzt  in 


Die  Erzählung  von  dem  Mörser  253 

der  Sakristei  aufbewahrt  werden,  angefertigt  habe.  Grimm  erwähnt 
zwar  solche,  die  er  1531  für  den  Kardinal  Farnese  gemacht  (II,  186), 
aber  es  handelt  sich  hier  um  keine  beglaubigte  Thatsache.  Eine 
Tradition  hatte  sich  im  XVIII.  Jahrhundert  herausgebildet,  dass  die 
bei  Festen  am  Hochaltar  verwendeten  grossen  goldenen  Leuchter 
Werke  des  Meisters  seien:  wir  finden  sie  unter  Anderem  in  einem 
Briefe  Wilhelm  Heinses  an  Gleim  vom  30.  Juni  1782  (Sämtliche 
Schriften,  Leipzig  1857,  V,  S.  338):  ,, sieben  grosse  Leuchter  nach 
Michel  Angelo,  wie  man  behauptet  aus  reinem  gediegenem  Golde, 
vortrefflich  gearbeitet."  Was  wir  wissen,  ist  dies,  dass  im  Jahre  1581 
der  Kardinal  Alessandro  Farnese  zwei  vergoldete  Silberkandelaber 
(gemeinhin  für  goldene  gehalten)  mit  Kristallreliefs  von  Giovanni 
Bernardi  (Vasari  V,  273)  und  ein  Kreuz,  von  der  Hand  des  Antonio 
Faventino  gearbeitet,  der  Basilika  schenkte.  Vier  andere  grössere 
kamen  als  Geschenk  des  Kardinals  Francesco  Barberini  1680  hinzu. 
(Die  anderen  Leuchter  sind  Geschenke  Gregors  XIII.,  Urbans  VIII., 
der  Panfilis  etc.  Vgl.  Chattard ;  Nuova  Descriz.  del  Vaticano  I., 
S.  231.  240  u.  A.) 

Willkürlich  auch  ist  die  Bezeichnung  der  zwei  von  Letarouilly 
(Le  Vatican.  Bas.  de  St.  Pierre  PI.  38)  abgebildeten  Leuchter,  des 
einen  mit  dem  Namen  Michelangelos,  des  anderen  mit  dem  Raphaels. 
Sie  wären  angeblich  von  Cellini  ausgeführt  und  im  XVIII.  Jahrhundert 
unter  Pius  VI.  eingeschmolzen  worden  (publ.  zuerst  von  Charles 
Normand:  Deux  candelabres  composes  par  R.  et  M.,  Paris,  1803 
nach  einer  1778  angefertigten  Zeichnung.  —  Ital.  Ausgabe  von 
Pietro  Narducci.  Mailand  1823).  Das  Gleiche  gilt  von  der  Zu- 
schreibung  der  Kandelaber  in  der  Kapelle  Strozzi  in  S.  Andrea 
della  Valle  in  Rom  an  Michelangelo  (S.  o.  II,  S.  188). 

In  den  Uffizien  wird  die  Federzeichnung  eines  auf  einer  Säule 
angebrachten  ziemlich  einfachen  Kandelabers  (530,  Nr.  594)  mit 
einem  berechtigten  Fragezeichen  dem  Michelangelo  zugewiesen. 


XXIV 

Die  Erzählung  von  dem  Mörser 

In  einem  Briefe  des  hochgebildeten  Kunstfreundes  und  Sammlers 
Vincenzo  Giustiniani  an  den  Advokaten  Teodoro  Amideni  (Ende 
des  XVI.  Jahrhunderts,  Bottari  VI,  133)  lesen  wir  folgende  Künstler- 
anekdote : 

,,Ich  habe  einen  Mörser,  von  der  Hand  Buonarrotis,  des  ersten 
Bildhauers,  Malers  und  Architekten  unsres  Jahrhunderts,  gearbeitet 
gesehen,  mit  vielen  Arabesken,  Blattwerk  und  Masken,  Grotesken 
und  anderen  anmuthigen  Einfällen,  mehr  der  Art  eines  Intagliators 


2CA  Entwürfe:  Die  Erzählung  von  dem  Mörser 

als  eines  Bildhauers  entsprechend,  so  fein  in  der  Zeichnung  und 
so  anmuthig  in  der  Erfindung  und  sauberen  Arbeit,  dass  dieser 
Küchengegenstand  mir  ein  würdiger  Schmuck  für  das  Zimmer  eines 
Königs  zu  sein  schien.  Und  Der  es  mir  zeigte,  erzählte  mir  einen 
Vorfall,  der,  wenn  er  nicht  wahr  ist,  doch  nicht  unwahrscheinHch 
dünkt.  .  .  Ein  Mann,  Familienvater,  hatte  einen  Mörser  für  häus- 
lichen Bedarf  nöthig.  Er  nahm  seine  Zuflucht  zu  einem  Bildhauer, 
den  er  täglich  mit  dem  Meissel  in  Marmor  arbeiten  sah,  und  er- 
suchte ihn,  ohne  jede  böse  Absicht,  er  möchte  so  gut  sein,  ihm 
einen  zu  machen.  Der  Bildhauer,  bedenklich  ob  das  nicht  irgend 
ein  Streich  eines  bösartigen  Kollegen  sei,  dachte  ein  wenig  nach  und 
sagte  dann:  ,ich  pflege  nicht  Mörser  zu  machen,  aber  hier  nebenan 
ist  Einer,  der  ein  Gewerbe  daraus  macht  (auf  das  Haus  Buonarrotis 
weisend).  Ihr  könnt  Euch  an  ihn  wenden,  denn  er  wird  Euch 
gerne  bedienen'.  Jener  ging  und  brachte  Buonarroti  sein  Anliegen, 
ihm  einen  Mörser  zu  machen,  vor.  Dieser  kam  auf  denselben 
Verdacht,  wie  der  andere  Bildhauer,  und  frug  Jenen,  wer  ihn  zu 
seinem  Hause  gewiesen.  Er  antwortete:  ,Der  da,  der  mit  dem 
Meissel  in  Marmor  arbeitet',  und  wies  ihm  das  Haus.  Da  sah 
Michelangelo,  dass  diese  Handlungsweise  des  Nachbarn  aus  Wett- 
bewerb, ja  aus  Neid  hervorging,  und  übernahm  es,  den  Mörser  für 
den  Preis  zu  machen,  auf  den  er  geschätzt  werden  würde.  Jener 
nahm  die  Bedingung  an  und  ging  davon.  Buonarroti  machte  den 
Mörser  dann  von  jener  Güte  und  mit  den  erwähnten  Ornamenten 
und  gab  ihn  dem  Auftraggeber  und  sagte  ihm :  ,geh  zu  dem  Meister, 
der  dich  zu  mir  schickte  und  sag'  ihm,  er  solle  ihn  abschätzen, 
was  er  werth  ist,  und  du  zahlst  ihn  dann  nach  deiner  Bequemlich- 
keit'. Jener  ging,  und  als  der  Bildhauer  den  Mörser  sah,  gab  es 
ihm  einen  Stoss  ins  Herz,  denn  er  erkannte,  dass  Buonarroti  durch 
die  Vorzüglichkeit  des  Werkes,  ohne  sich  auf  Worte  einzulassen, 
seiner  Absicht  entsprochen  habe,  und  sah  sich  genöthigt,  dem  Über- 
bringer des  Mörsers  zu  sagen :  geh,  gieb  den  Mörser  Dem  zurück, 
der  ihn  gemacht  hat,  und  sag'  ihm  von  mir,  er  sei  nicht  gut  für 
deinen  Zweck  und  er  solle  dir  einen  anderen  gewöhnlichen,  glatten 
Mörser  machen  lassen  und  diesen  für  sich  behalten,  denn  er  passt 
besser  in  seine  Hände  als  in  die  deinen."  Bottari  wies  auf  einen 
kleinen  Marmormörser  im  Palazzo  RospigHosi  a  Montecavallo  hin, 
der  wie  der  beschriebene  gearbeitet  sei,  sowie  auf  einen  danach 
in  Bronze  gegossenen,  und  fügt  hinzu,  man  sage,  er  sei  von  Michel- 
angelo. Dass  dieser  Mörser  der  von  Giustiniani  gesehene  war,  ist 
denkbar  —  dass  er  aber  ein  Werk  Michelangelos  gewesen,  dies 
anzunehmen,    verlangte   wohl    einen   hohen  Grad    von    Gläubigkeit. 


X 


STATUEN   UND  ENTWÜRFE  ZU 
SOLCHEN 


A.  Religiöses 

I 

Der  Christus  in  S.  Maria  sopra  Minerva 

/.   Geschichtliches. 

Am  14.  Juni  15 14  geben  Bernardo  Cencio ,  Kanonikus  von 
L  S.  Pietro,  maestro  Maria  Scapucci  und  Metello  Vari  Michelangelo 
die  Statue  für  S.  Maria  sopra  Minerva  für  200  Golddukaten  und 
mit  dem  Termin  von  vier  Jahren  in  Auftrag.  Sie  soll  in  Lebens- 
grösse ,  nackt,  stehend,  ein  Kreuz  im  Arm,  in  einer  Stellung,  wie 
sie  dem  Meister  gut  dünken  wird ,  ausgeführt  werden.  Den  Ort 
in  der  Kirche  werden  Cencio  und  Scapucci  wählen  und  die 
Kosten  von  dessen  Ausschmückung  tragen ;  Michelangelo  ver- 
pflichtet sich  nur  die  ,,gocciola  dove  posi  detta  figura",  also  die 
Konsole,  auf  seine  Kosten  zu  machen.  Er  soll  sogleich  1 50  Gold- 
dukaten erhalten ,  die  anderen  50  nach  Vollendung  der  Arbeit, 
bevor  sie  an  Ort  und  Stelle  gebracht  wird,  und  zwar  zahlt  Vari 
von  ihnen  25,  die  anderen  25  für  Scapucci  der  Kastellan  Pietro 
Paolo.  —  Michelangelo  hat,  ohne  Geld  zu  erhalten,  die  Statue  be- 
gonnen, sie  aber  aufgegeben,  da  sich  Flecken  im  Stein  zeigten. 
Er  lässt  sie  in  Rom  zurück,  als  er  15 16  nach  Florenz  geht.  Im 
September  15 17  mahnt  ihn  Vari,  und  daraufhin  bittet  er  am 
26.  September  Leonardo  Sellajo  um  die  Anweisung  von  igoSkudi 
seitens  Varis.  Er  erhält  dieselben  und  am  13.  Dezember  folgende 
Zeilen  von  Vari:  ,, Dieses,  um  Euch  zu  benachrichtigen,  wie  ich 
Euch  schon  vor  vielen  Tagen  auf  dem  Wege  über  Siena  wissen 
Hess ,  dass ,  in  Anbetracht  der  Wichtigkeit  meines  Antheils  an  der 
Angelegenheit  der  Kapelle  der  Minerva,  es  Zeit,  ja  mehr  als  Zeit 
sei.  Darauf  erhielt  ich  keine  Antwort.  Jüngst  habe  ich  nun  Geld 
geschickt  und  ich  habe  es  Euch ,  um  meiner  Verpflichtung  zu  ge- 
nügen ,  geben  lassen,  und  immer  habe  ich  an  Eurem  Gesuch  vom 
ersten  Tage  an  festgehalten  und  dennoch  vernehme  ich  Nichts  über 
I*  17 


258  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

meine  Angelegenheit.  Mir  scheint,  es  wäre  schicklich  gewesen, 
Ihr  hättet  mich  im  Verlaufe  der  drei  Jahre  und  sieben  Monate 
wenigstens  mit  einer  Zeile  wissen  lassen,  ob  Ihr  wünschtet,  dass  ich 
noch  auf  die  Statue  eines  nackten  Christus  rechne.  Und  da  Ihr 
nicht  schreibt,  glaubte  ich,  es  wäre  so,  denn,  wenn  das  Werk  an- 
gefertigt wurde ,  bedurfte  es  keiner  weiteren  Briefe.  Inzwischen 
habe  ich  es  Tag  für  Tag  erwartet,  und  da  es  nicht  kam,  habe  ich 
Euch,  des  grossen  Interesses  wegen,  das  ich  an  der  Erbschaft 
nehme,  diesen  Brief  geschrieben  und  bitte  Euch  dringend :  lasst  mich 
unverzüglich  wissen,  wann  das  Werk  eintreffen  wird,  denn  es  liegt 
mir  Viel  daran,  wie  ich  Euch  geschrieben.  Nichts  Anderes ;  Christus 
behüte  Euch  vor  dem  Übel."     (Frey:  Briefe  S.  85.) 

Es  scheint  im  Januar  15 18  bei  der  Anwesenheit  Michelangelos 
in  Rom  zu  bestimmten  Abmachungen  gekommen  zu  sein.  Auf  sie 
und  folgende  Briefe  spielt  Vari  in  einem  Schreiben  vom  26.  Juli  an, 
in  dem  er  von  der  glücklichen  Erledigung  der  schwierigen  und  zu 
seinem  Nachtheil  ausgefallenen  Erbschaftsangelegenheit  Nachricht 
giebt  und  den  Meister  bittet ,  die  Vollendung  der  Statue  zu  be- 
treiben ,  sei  es  auch  durch  Mithülfe  eines  Schülers ;  er  solle  dann 
nur  die  letzte  vollendende  Hand  anlegen.  (Ebenda  S.  107.)  Der 
Kardinal  Giulio  Medici  hat  auf  eine  Bittschrift  hin  den  Termin  der 
Ablieferungsfrist  verlängert.  Am  24.  November  drängt  Vari ,  der 
noch  keine  Nachricht  erhalten  hat,  von  Neuem,  da  die  Frist  Ostern, 
d.  h.  Mai   1519  abläuft.     (Ebenda  S.  125.   142) 

Michelangelos  Schreiben  an  Lionardo  Sellajo  am  21.  Dezember 
enthält  den  Grund,  warum  er  schweigt.  Er  befindet  sich  in  furcht- 
barer Bedrängniss  wegen  des  Juliusdenkmales  und  im  Konflikt 
mit  den  Carraresen.  ,,Auch  werde  ich  von  Metello  Vari  wegen 
seiner  Statue  gedrängt ;  und  die  befindet  sich  in  Pisa  und  wird 
mit  diesen  ersten  Barken  kommen.  Ich  habe  ihm  niemals  ge- 
antwortet und  will  auch  Euch  nicht  mehr  davon  schreiben,  bis 
ich  nicht  zu  arbeiten  begonnen  habe;  denn  ich  sterbe  vor 
Schmerz  und  ich  komme  mir  wie  ein  Schwindler  vor  wider  meinen 
Willen." 

Ein  weiterer  Brief  Varis  vom  19.  März  15 19  (ebenda  S.  136) 
wirft  helleres  Licht  auf  den  gesamten  Vorgang.  Michelangelo  hat 
seinerzeit  die  zuerst  angefangene  Statue  in  Rom  gelassen  —  wir 
hören  später,  warum  —  und  hat  sich  nun,  um  die  Figur  noch  ein- 
mal zu  machen,  einen  neuen  Block  kommen  lassen.  ,,Und  wenn 
Ihr  die  Figur  dort  nicht  gemacht  habt,  so  lasst  doch  wenigstens 
die  in  Rom  vollenden."  Im  Nothfall  solle  er  irgend  eine  andere 
Figur,  die  sich  eigne,  senden.  Michelangelo  schweigt,  und  Vari 
wiederholt  am  6.  und  7.  April  seine  Bitten;  könne  Michelangelo 
nicht  bis  zum  Mai  fertig  werden ,    so  möge  er  doch  vom  Kardinal 


Der  Christus  in  S.  Maria  sopra  Minerva  259 

Medici    sich    eine  weitere  Verlängerung  der  Frist  um  einen  Monat 
oder  mehr  ausbitten.     (Ebenda  S.  142.) 

In  der  zweiten  Hälfte  15 19  ist  der  Künstler  an  der  Arbeit. 
Am  13.  Januar  1520  schreibt  Vari:  „Vor  einigen  Tagen  brachte 
mir  Messer  Lionardo  die  Kunde,  dass  Ihr  die  Statue  so  gut  wie 
vollendet  habt.  Das  war  mir  sehr  lieb,  in  Anbetracht  dessen,  dass 
der  Termin  gekommen.  Nun  habt  die  Gewogenheit,  sie  zu  vollen- 
den und  auch  die  von  Euch  geplante  Einfassung  (ornamento)  zu 
beendigen."     (Ebenda  S.  148.) 

Den  Auftrag,  dies  Tabernakel  auszuführen,  ertheilt  der  Meister 
Federigo  Frizzi  in  Rom,  der  am  10.  März  15 19  hierfür  dankt  und 
von  den  Berathungen ,  die  bezüglich  der  Aufstellung  der  Statue 
stattgefunden  haben,  berichtet.     (Ebenda  S.  154.) 

,,Theuerster  Freund.  Ich  benachrichtige  Euch  davon,  dass 
Messer  Bernardo  Cenci  mir  Euren  Brief  gezeigt  hat ,  in  dem  Ihr 
mittheilt,  man  solle  sich  wegen  des  Tabernakels  der  Statue,  die 
Ihr  gemacht  habt,  an  mich  wenden.  Ich  danke  Euch  tausendmal 
hierfür  und  bitte  Euch,  da  ich  in  jeder  Hinsicht  Euch  zu  Diensten 
bin  und  immer  sein  werde ,  Ihr  wollet  über  mich  befehlen ,  denn 
ich  könnte  keine  grössere  Freude  in  der  ganzen  Welt  haben,  als 
Etwas  zu  thun,  was  Euch  lieb  ist." 

,, Messer  Bernardo  zeigte  mir  die  Maasse  der  Statue ,  nämlich 
ihrer  Höhe :  eine  gewisse  Linie  siebenmal,  das  macht  neun  Palmen 
römischen  Maasses,  das  Postament,  das  vier  Finger  hoch  ist,  mit 
eingerechnet.  Die  gesamte  Statue  mit  dem  Postament  ist  neun 
Palmen  hoch.  Und  der  Bischof  von  Porchari,  Messer  Bernardo, 
und  Metello  Porchari  sind  zusammen  in  die  Minerva  gegangen  und 
haben  mir  die  Stelle  gezeigt,  wo  sie  die  Statue  aufgemauert  wün- 
schen, nämlich  an  der  Kirchenwand  bei  der  Thür,  die  in  den 
Klosterhof  führt.  Dort  ist  aber  schlechtes  Licht.  Desswegen  habe 
ich  ihnen  davon  abgeredet  und  gerathen,  sie  möchten  sie  an  eine 
der  Säulen  oder  Pilaster  im  Mittelschiff  bringen,  da  dort  gutes  Licht 
ist;  und  sie  sind  damit  einverstanden,  noch  ist  aber  Nichts  end- 
gültig über  die  Form  des  Tabernakels  beschlossen.  Ich  habe  ihnen 
eines  entworfen  und  versprochen ,  noch  andere  zu  entwerfen ,  und 
habe  den  Gedanken,  die  Nische  des  Tabernakels  vier  Palmen  breit 
zu  machen,  da  ich  glaube,  dass  dies  genügt.  Und  damit  man  die 
Statue  besser  sehe,  beabsichtigte  ich  die  Nische  ziemlich  flach  zu 
halten.  Messer  Metello  Porchari  hat  mir  mehrere  Male  gesagt,  ich 
solle  Euch  davon  benachrichtigen,  und  dass  er  sich  sehr  freuen 
würde  zu  erfahren ,  wann  die  Statue  in  Rom  sein  wird.  Daher 
bitte  ich  Euch:  theilt  mir  mit,  ob  die  Breite  von  vier  Palmen  für 
das  Tabernakel  genügt  und  ob  es  Euch  recht  ist,  wenn  es  geringe 
Tiefe  in  der  Rundung  hat." 

17* 


26o  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


Gegen  den  20.  April  1520  meldet  Michelangelo  Vari  und 
Cencio,  dass  die  Statue  fertig  ist  und  bittet  um  die  Restzahlung 
von  50  Dukaten.  Vari  verspricht  am  24.  April,  diese  zu  leisten, 
obgleich  der  Kastellan  Pier  Paolo  gestorben  ist  und  Dessen  Wittwe 
augenblicklich  nicht  in  der  Lage ,  seinen  Antheil  zu  zahlen.  Der 
Testamentsvollstrecker  verlangt ,  dem  Kontrakt  entsprechend ,  der 
übrigens  von  Michelangelo,  was  die  Zeit  der  Ablieferung  anbetrifft, 
nicht  eingehalten  worden  sei,  dass  die  Statue  zuvor  nach  Rom  ge- 
sandt werde.  Vari  verbürgt  sich  dann  für  die  Zahlung.  (Ebenda 
S.  156.  157.)  Darauf  ist  der  Meister,  wie  es  scheint,  nicht  ein- 
gegangen. Er  beauftragt  im  Oktober  den  Maler  Giovanni  da 
Reggio,  die  Sache  mit  Cencio  und  Metello  Porchari  zu  besprechen. 
Dieser  theilt  ihm  am  26.  Oktober  mit,  das  Geld  werde  gesandt 
werden.  (Ebenda  S.  160.)  Giovanni  benimmt  sich  aber  ungeschickt. 
Darüber  berichtet  Sebastiano  del  Piombo  am  9.  November  (Milanesi : 
Les  Correspondants  S.  22): 

,,Ich  habe  Messer  Zovanni  getroffen :  ich  habe  ihn  gescholten, 
er  solle  ein  wenig  maassvoller  vorgehen.  Er  sagte  mir,  er  habe 
nichts  Anderes  gethan  als  auf  das  Geld  für  die  Christusstatue  ge- 
drängt ,  und  er  hat  nur  gesagt ,  die  Sache  sei  nicht  in  Ordnung 
und  Ihr  solltet  die  Statue  nicht  senden ,  bevor  Ihr  nicht  das  Geld 
habt.  In  dieser  Sache  hat  er  sich  also  gut  benommen ;  was  mir 
aber  missfällt,  ist  dies,  dass  er  sagt :  nicht  Ihr  hättet  die  Figur  ge- 
macht, sondern  Pier  Urbano.  Gebt  Acht,  denn  es  ist  nothwendig, 
dass  sie  als  von  Eurer  Hand  gemacht  erscheine,  damit  die  Faulenzer 
und  Schwätzer  krepiren."  Auch  Sellajo  schreibt  (i.  und  15.  Dezem- 
ber) und  bittet  Michelangelo,  die  Figur  nicht  zu  senden,  bevor  nicht 
Vari  das  Geld  geschickt.  Am  30.  Januar  geschieht  es ;  Vari  und 
Cencio  geben  dem  Künstler  Nachricht  davon.  (Frey  S.  162 — 164.) 
Am  17.  Februar  nimmt  Sellajo  an,  Michelangelo  habe  die  Statue 
schon  beendet  und  nach  Signa  gesandt;  sei  dies  nicht  der  Fall, 
so  solle  er  sich  eilen ;  er  hofft,  er  komme  selbst  nach  Rom. 

Anfang  März  wird  die  Figur  abgeschickt.  Urbano  ist  nach 
Rom  gegangen,  um  sie  dort  aufzustellen.  Sellajo  wird  sie  in  Em- 
pfang nehmen.  Frizzi  empfiehlt  sich  und  ist  bereit ,  Alles  für  den 
Meister  zu  thun.  (10.  März.  Ebenda  S.  165.  166.)  Am  22.  März 
schreibt  Sellajo ,  dass  Urbano  angekommen ,  aber  noch  nicht  die 
Statue;  und  am.  31.  März  Urbano  selbst:  „ich  benachrichtige  Euch, 
dass  ich  gesund  bin ,  und  von  der  Statue  habe  ich  gewisse  Nach- 
richt, dass  sie  in  Sancta  Severa  (bei  Civitavecchia)  ist;  da  aber  das 
Meer  unruhig,  ist  es  nicht  möglich,  in  die  Mündung  des  Tiber  ein- 
zuschiffen ;  so  warte  ich  in  Ergebenheit.  Täglich  habe  ich  mit 
Messer  Metello  und  Messer  Bernardo  Cenci  und  mit  dem  Bischof 
und    mit  Antonino  Porchari   und    allen  jenen  Porchari  gesprochen ; 


Der  Christus  in  S.Maria  sopra  Minerva  26 1 

und  am  Ostersonnabend  haben  sie  sich  für  das  Tabernakel  ent- 
schieden in  Anwesenheit  Frizzis  und  sind  sich  einig  über  das 
Tabernakel."  (Ebenda  S.  167.)  Bis  Mitte  April  ist  die  Statue  noch 
nicht  eingetroffen.     (S.  168 — 170.) 

Im  Juni  (Juli  r)  berichtet  Urbano :  „ich  habe  die  Statue  von  der 
Ripa  geholt  und  hatte  viel  Verdruss  damit,  aber  ich  habe  sie  ge- 
holt. Ich  habe  protestirt,  dass  falls  in  acht  Tagen  .  .  .,  wohin 
sie  zu  bringen,  ich  nach  Florenz  heimkehren  werde.  Denn  sie  wollten, 
Christus  solle  Eingangszoll  in  Rom  zahlen.  Und  diese  Schelme  von 
Frati  wollen  sie  nicht  in  der  Kirche  aufnehmen,  wenn  sie  nicht  ein 
zweites  Mal  gezahlt  werden.  Sie  haben  eine  Zahlung,  nun  möchten 
sie  noch  eine  zweite.  Euer  Fra  Ruberto  kann  Euch  davon  be- 
richten ,  welche  Mühe  ich  gehabt  habe.  Ich  wünschte,  Ihr  liesset 
einen  Brief  vom  Kardinal  kommen ,  dass  es  nicht  erlaubt  sei,  Zoll 
zu  schinden,  und  zwar  schnell."  (S.  176.)  Im  Juli  und  Anfang 
August  beschäftigt  sich  Urbano  mit  der  Statue.  Er  schreibt:  ,,ich 
werde  Euch  die  Empfangsbescheinigung  der  Statue  in  der  kommen- 
den Woche  senden ;  und  betreffend  die  Figur  des  Frischo  (Fiescho .?) 
werde  ich  Euch  schreiben,  was  er  dafür  geben  will.  Am  Montag 
stelle  ich  die  Statue  auf;  früher  war  es  nicht  möglich."  Bald 
darauf:  ,,ich  habe  die  Statue  aufgestellt;  ich  musste  warten,  bis 
ich  hatte,  worauf  sie  stellen.  Ihr  müsst  bis  Sonnabend  Geduld 
haben,  denn  er  (Metello?)  will  sie  ganz  vollendet  sehen,  bevor  er 
mir  die  Empfangsbescheinigung  giebt,  und  er  hat  mir  Sicherheit 
von  300  Dukaten  gegeben.  Samstag  sende  ich  sie  Euch  durch 
Lionardo  und  dann  werdet  Ihr  sie  gleich  empfangen.  Inzwischen 
habe  ich  eifrig  gearbeitet  und  gezeichnet." 

Und  wieder  etwas  später:  ,,in  der  kommenden  Woche  hoffe 
ich  die  Statue  zu  vollenden."  Dann:  ,,wisst,  dass  die  Statue  voll- 
endet ist  und  Mitte  August  am  Tage  der  hl.  Maria  enthüllt  werden 
wird."  Zugleich  bittet  er  um  eine  Zeile;  der  Kardinal  wolle  nicht, 
dass  Michelangelo  den  Zoll  zahle.  Bald  darauf  ist  Urbano ,  der 
in  leichtfertiges  Leben  gerathen  war,  von  Michelangelo  seiner  Arbeit 
enthoben  worden ,  hat  sich  dann  verborgen  gehalten,  ist  aus  Rom 
nach  Neapel  geflohen  und  von  dort  nach  Spanien  gegangen.  Vari 
schreibt  am  14.  August:  ,,Pietro  ist  ohne  Erlaubniss  und  ohne  be- 
stimmten Zweck ,  ich  weiss  nicht  wesswegen ,  flüchtig  geworden ; 
und  sie  warten  immer  noch  darauf,  dass  er  die  Figur  vollende. 
Ich  sah,  dass  sich  die  Sache  in  die  Länge  zog  und  frug  nach 
ihm;  da  kam  Einer  und  sagte:  Pietro  ist  fort  und  hat  einen  Ring 
im  Werthe  von  40  Dukaten  mitgenommen."    (Ebenda  S.  176 — 178.) 

Die  Arbeit  abzuschliessen,  wird  nun  Federigo  Frizzi  von  Michel- 
angelo beauftragt.  Frizzi  schreibt  am  7.  Dezember  (S.  178):  „Ich 
theile  Euch  mit,  dass  Meister  Giovanni  da  Reggio  mir  Euren  Brief 


202  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


zeigte ,  in  welchem  Ihr  sagt ,  ich  solle  das  Wenige ,  was  noch  zu 
thun  ist,  vollenden.  Ich  werde  es  sehr  gerne  thun ;  doch  wünschte 
ich ,  dass  sie  sähen ,  was  Pietro  gearbeitet  hat ,  und  so  gingen 
Sebastiano  Veneziano  und  Giovanni  da  Reggio  und  ich  hin ,  und 
uns  Allen  dünkte,  dass  er  an  allen  Stellen,  die  er  retuschirt  hat,  sehr 
ungeschickt  vorgegangen  ist:  erstens  an  dem  Fuss,  der  vorgestellt 
ist ,  dann  an  beiden  Händen ,  die  er  so  ungleichmässig  behandelt 
hat,  dass  sie  wie  aus  Papiermache  gemacht  zu  sein  scheinen,  und 
endUch  am  Bart,  nämlich  am  Kinnbacken  der  rechten  Wange ;  so 
dass  es  mir  sehr  lieb  war,  dass  Jene  es  sähen,  um  mich  von  der 
Verantwortung  zu  entlasten.  Nun  weiss  ich  nicht,  was  Ihr  wünscht, 
dass  ich  thun  solle,  nämlich  ob  ich  mich  daran  machen  soll,  auch 
jene  Stellen,  wo  er  gearbeitet  hat,  zu  bearbeiten  oder  nur  jene,  an 
denen  er  nicht  gearbeitet.  Ich  werde  sie  so  gut  und  mit  so  grosser 
Sorgfalt  als  ich  nur  kann,  vollenden ;  und  Ende  dieses  Monats  wird 
Alles  fertig  sein :  die  Figur  und  das  Tabernakel  und  Alles.  Es 
wäre  mir  lieb,  Ihr  liesset  mich  wissen,  ob  ich  die  von  Piero  be- 
arbeiteten Stellen  retuschiren  soll." 

Noch  eingehender  äussert  sich  Sebastiano  in  einem  Briefe  am 
6.  September  (Milanesi:  Les  Corresp.  S.  28): 

,,Ich  glaube,  Ihr  seid  es  müde,  Nachrichten  von  Eurem  Pietro 
Urbano  zu  empfangen,  und  so  schreibe  ich  Euch  nicht  von  den 
Dingen ,  die  Euch  nicht  berühren ,  denn  es  ist  nicht  meine  Pro- 
fession, über  Jemanden  schlecht  zu  sprechen,  namentlich  nicht  über 
Solche,  die  mir  Nichts  zu  Leide  gethan.  Da  er  Euch  aber  Schande 
gemacht  und  wenig  Rücksicht  auf  Euch  genommen ,  zwingt  mich 
die  Liebe,  die  ich  für  Euch  habe.  Euch  Mittheilung  von  seinem 
unrühmlichen  Verhalten  zu  machen." 

,, Zuerst  dies !  Ihr  hattet  ihn  nach  Rom  geschickt  mit  der 
Statue ,  damit  er  sie  vollende  und  aufstelle.  Was  er  mit  ihr  an- 
gefangen und  in  wie  verfehlter  Weise,  wisst  Ihr.  Aber  ich  thue 
Euch  zu  wissen ,  dass  er  Alles ,  woran  er  gearbeitet ,  verstümmelt 
hat.  Vornehmhch  hat  er  den  rechten ,  ganz  sichtbaren  Fuss  an 
den  Zehen,  die  er  abgehauen  hat,  verkürzt,  auch  hat  er  die  Finger 
der  Hände,  namenthch  der  rechten,  das  Kreuz  haltenden,  verkürzt, 
so  dass  Frizzi  sagt,  sie  seien  wie  von  Bretzelbäckern  gemacht,  denn 
sie  wirken  nicht  wie  aus  Marmor,  sondern  als  wären  sie  aus  Teig 
gemacht,  so  schwerfällig  sind  sie :  hiervon  verstehe  ich  Nichts,  denn 
ich  weiss  nicht ,  wie  man  in  Marmor  arbeitet ;  wohl  aber  sage  ich 
Euch,  dass  mir  die  Finger  sehr  abgehackt  erscheinen;  auch  dies, 
dass  man  deutlich  gewahrt ,  wie  er  den  Bart  bearbeitet  hat :  ich 
glaube,  mein  Lehrjunge  würde  es  mit  mehr  Verständniss  gemacht 
haben,  es  sieht  aus,  als  habe  er  den  Bart  mit  einem  Messer  ohne 
Spitze    bearbeitet.     Aber    das    lässt  sich   leicht  wieder  gut  machen. 


Der  Christus  in  S.  Maria  sopra  Minerva  263 

Auch  hat  er  den  einen  Nasenflügel  verstümmelt;  ein  v^^enig  mehr 
und  die  Nase  war  so  verdorben ,  dass  nur  Gott  sie  wieder  hätte 
herstellen  können.  Ich  glaube,  Gott  war  es,  der  es  Euch  eingab, 
jenen  letzten  Brief  an  Giovanni  da  Reggio ,  meinen  Gevatter,  zu 
schreiben ,  denn ,  blieb  die  Statue  in  den  Händen  Pietros ,  so  ver- 
darb er  sie  ohne  jeden  Zweifel." 

,, Weiter !  Ich  habe  es  Messer  Metello  wissen  lassen  und  ihm 
gesagt,  dass  er  sie  unter  keinen  Umständen  in  den  Händen  Pietros 
lasse,  da  es  leicht  geschehen  könnte,  dass  er  sie  aus  Trotz  ruinirte 
und  Euch  noch  grössere  Schande  anthäte  als  die,  welche  er  Euch 
schon  angethan ;  denn  Pietro  zeigt  sich  sehr  bösartig,  um  so  mehr 
als  er  sich  von  Euch  ganz  verbannt  sieht ;  mir  scheint ,  er  nimmt 
weder  auf  Euch  noch  auf  irgend  einen  Menschen  Rücksicht  und 
glaubt  ein  grosser  Meister  zu  sein.  Aber  sein  eigenes  Thun  wird 
ihn  darüber  belehren,  was  er  ist;  und  ich  glaube,  der  Arme  wird 
niemals  mehr  erfahren,  was  es  heisst,  solche  Figuren  zu  machen, 
so  ganz  wird  er  die  Kunst  vergessen ;  denn  die  Kniee  dieser  Statue 
sind  mehr  werth,  als  ganz  Rom." 

„Gevatter,  im  Auftrag  Giovanni  da  Reggios  und  aus  Liebe  zu 
Euch  habe  ich  Euch  geschrieben  und  mitgetheilt,  was  Pietro  gethan 
hat,  und  in  Eurem  Letzten  habt  Ihr  mir  geschrieben,  falls  es  Frizzi 
übernehmen  wolle,  die  Statue  zu  vollenden,  man  sie  ihm  übergeben 
solle.  Er  ist  zu  mir  gekommen  und  wir  sind  mit  Eurem  Brief  zu 
Messer  Metello  gegangen,  und  Dieser  hat  sich  damit  einverstanden 
erklärt,  und  ich  glaube,  dass  Frizzi  Euch  mit  Liebe  dienen  wird, 
denn  er  scheint  mir  ein  guter  Mensch  zu  sein,  und  ich  habe  ihn 
gebeten,  er  solle  so  wenig  als  möghch  die  Statue  berühren.  Und 
wir  sind  übereingekommen,  dass  er  sie  um  einen  Palmo  niedriger 
stelle,  denn  man  sieht  die  Füsse  nicht.  Mir  scheint,  Pietro  stellte 
sie  sehr  hoch  auf  Und  so,  glaube  ich,  werdet  Ihr  gut  bedient 
werden,  denn  Frizzi  wird  sehr  beflissen  sein,  und  Ihr  habt  es  mit 
Einem  zu  thun ,  der  für  Eure  Ehre  besorgt  ist.  Wundert  Euch 
nicht,  dass  Messer  Giovanni  Euch  schrieb :  Pietro  sei  auf  und  davon, 
denn  er  hielt  sich  längere  Zeit  hier  auf,  ohne  dass  er  gesehen 
wurde,  denn  er  floh  den  Hof  und  ich  bin  gewiss,  es  wird  ein 
schlechtes  Ende  mit  ihm  nehmen." 

Urbano  befindet  sich  nach  einem  Briefe  Frizzis  vom  14.  Dezem- 
ber (S.  179)  noch  immer  in  Rom.  Frizzi  will  das  Wenige,  was 
zu  thun  ist,  ohne  Bezahlung  machen.  Auf  die  Nachricht,  Michel- 
angelo wolle  zu  Allerheiligen  nach  Rom  kommen,  schreibt  Vari 
an  ihn,  sie  hätten  bei  dieser  Aussicht  es  aufgeschoben,  die  Statue 
zu  enthüllen,  aufzustellen  und  zu  vollenden,  und  bitten  den  Meister, 
schon  acht  Tage  früher  zu  kommen.  Auf  Dessen  erneute  Anfrage, 
was  Federigo    für  seine  Arbeit  verlange ,    erbittet  Dieser  sich ,    ob- 


264  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

gleich  es  ihm  eine  Schande  dünkt,  überhaupt  Etwas  für  die  geringe 
Arbeit  zu  fordern ,  um  nur  nicht  hartköpfig  zu  erscheinen ,  vier 
Dukaten  (die  ihm  dann  am  26.  Oktober  geschickt  worden  sind) 
und  fügt  hinzu : 

„Ich  habe  die  Statue  in  der  Nähe  des  Hochaltares ,  d.  h.  der 
grossen  Kapelle  aufgestellt,  zwischen  dem  Sakrament  und  der  Figur 
in  einem  der  Pfeiler ,  welche  die  Wölbung  der  Kapelle  tragen. 
Und  sie  hat  nicht  das  Licht,  wie  ich  wünschte.  An  jenem  Pfeiler 
des  Mittelschiffes,  von  dem  ich  Euch  schrieb,  war  gutes  Licht.  Da 
sie  sie  aber  nicht  dorthin  stellen  wollten ,  thue  ich  es  nicht.  Ich 
wollte  sie  in  einer  gewissen  Höhe ,  nämlich  so ,  dass  die  Füsse 
in  Augenhöhe  des  Betrachters  kämen ,  aufstellen ;  und  so  machte 
ich  eine  Art  Predella  als  Postament ,  hatte  die  Statue  aber  nicht 
gesehen  und  dachte,  sie  wäre  so  gross,  wie  Pietro  mir  gesagt,  der 
mir  sagte ,  sie  sei  so  gross  wie  die  Kiste.  Dann  aber  als  ich  sie 
in  der  Minerva  sah  und  die  Höhe  des  Stückes  unter  den  Füssen, 
das  Ihr  kennt ,  kam  sie  ein  wenig  höher  als  in  Augenhöhe  zu 
stehen.  Um  sie  nun  in  die  von  mir  gewünschte  Höhe  zu  bringen, 
werde  ich  in  das  Steinpostament,  das  aus  einem  grossen  Stein  be- 
steht, ein  Loch  machen  und  in  dieses  die  unter  den  Füssen  an 
der  Statue  befindliche  Steinbasis  einlassen :  so  wird  sie  sicher  stehen 
und  der  Augenhöhe  entsprechen.  Auch  Bastian©  Veneziano  gefiel 
es  so,  und  sie  gaben  mir  den  Muth,  es  zu  thun.  Die  Ausstattung, 
die  ich  mache ,  ist  sehr  einfach,  ohne  irgend  welches  Schnitzwerk, 
nur  mit  der  Inschrift  und  dem  Wappen,  da  Metello  kein  Geld 
ausgeben  will;  und  er  wollte  mich  überreden,  sie  aus  Travertin  zu 
machen  oder  sie  zu  bemalen ,  doch  mache  ich  sie  aus  Marmor 
saligno.  Und  an  Allerheiligen ,  so  es  Gott  will ,  wird  sie  enthüllt 
werden."     (Frey  S.  181  f.) 

Am  2.  November  ist  sie  aber  noch  nicht  enthüllt,  da,  wie 
Frizzi  schreibt,  Metello  sie  nicht  enthüllen  will,  bevor  das  ,, Orna- 
ment" vollendet.  Frizzi  aber  weigert  sich  ,  es  aufzumauern ,  ehe 
er  nicht  bezahlt  ist.     (S.  182.) 

Kurze  Zeit  darauf  hat  Michelangelo ,  besorgt ,  die  Statue  sei 
nicht  so  vollkommen  ausgefallen ,  wie  er  es  gewünscht ,  in  seinem 
hohen  Ehrgefühl  Vari  das  Anerbieten,  eine  neue  Statue  anzufertigen, 
gemacht.  Vari  erwidert,  er  sei  ihm  für  dieses  Zeugniss  seiner 
grossen  Liebe  höchlich  verpflichtet.  ,,Es  verräth  Euren  hohen  Sinn 
und  Eure  Grossherzigkeit ,  dass  Ihr  mir  ein  Werk ,  wie  es  besser 
nicht  sein  kann  und  seinesgleichen  nicht  hat,  durch  ein  noch 
besseres  ersetzen  wollt."  Seinen  Dank  zu  beweisen,  schenkt  er 
dem  Meister  ein  Pferd.  (Gotti  I,  143.)  Einem  folgenden  Schreiben 
Varis  entnehmen  wir  nun  die  Kunde  von  der  ersten  Statue,  die 
Michelangelo    begonnen  und  dann  aufgegeben  hatte,    ,,weil  gerade 


Der  Christus  in  S.  Maria  sopra  Minerva  265 

im  Gesicht  des  Christus  eine  schwarze  Ader  im  Marmor  hervorge- 
treten war".  (Ebenda:  13.  Dezember.)  Durch  Sellajo  —  und  auch 
durch  Briefe  Varis  —  erfahren  wir,  am  14.  Dezember,  dass  Vari 
jene  ältere  Figur  haben  will.  ,,Frizzi  sagt  mir,  Metello  wolle  jenen 
begonnenen  Christus ,  der  in  Eurem  Hause  ist ;  ich  würde  Euch 
rathen,  ihn  nicht  zu  geben,  denn  man  müsste  ihn  vollenden  lassen, 
es  handelte  sich  um  unsere  Ehre,  und  Euch  würde  es  zu  viel  Zeit 
kosten ,  ihn  zu  vollenden.  Nun  wenn  Ihr  ihm  schreibt ,  thut ,  was 
Euch  gut  dünkt ;  mir  scheint  es  so ,  wie  ich  Euch  gesagt  und  so 
rathe  ich  es  Euch."  (Frey  S.  184.)  In  eben  jener  Zeit  hatte  Vari 
Michelangelo  um  seine  Meinung  betreffend  eine  Statue ,  die  er  im 
Hofe  seines  Hauses  aufstellen  wollte,  befragt.  Der  Meister,  willig 
entgegenkommend,  bittet,  ihm  die  Maasse  zu  senden  und  ihm  das 
Weitere  zu  überlassen.  Aber  Vari  nahm  das  Anerbieten  nicht  an: 
er  wolle  ihn  nicht  unbilHg  belästigen.  Ihm  genüge  jene  Statue,  die 
ihm  zur  grössten  Ehre  gereiche ,  als  sei  sie  aus  Gold.  Sie  reiche 
hin,  Buonarrotis  Grossherzigkeit  und  Güte  zu  zeigen  und  wie  er 
ihm  nicht  für  Geld,  sondern  aus  Liebe  einen  solchen  Dienst  er- 
wiesen ,  was  die  bösen  Zungen  ,  die  über  ihn ,  Vari ,  und  Michel- 
angelo bezüglich  des  Werkes  sich  geäussert,  zum  Schweigen  bringen 
müsse.     (Gotti  I,   143.) 

Am  27.  Dezember  1521  meldet  Sellajo:  ,,die  Statue  ist 
enthüllt  und  gefällt." 

Anfang  Januar  T522  will  Michelangelo  Vari  jene  ältere  Statue 
schenken,  ja  mehr  als  dies,  er  will  ihm  eine  andere  machen.  Sellajo 
giebt  den  betreffenden  Brief  des  Meisters  vorläufig  nicht  an  Vari 
ab.     Er  schreibt  am  4.  Januar : 

,,Ihm  die  abbozzirte  Statue  zu  geben,  darauf  kommt  nicht 
Viel  an,  aber  in  diesem  Briefe  verpflichtet  Ihr  Euch,  ihm  eine  zu 
machen,  und  das  scheint  mir  nicht  richtig ;  denn  Ihr  wisst,  was  für 
Leute  die  Römer  sind  und  namentlich  Dieser.  Desswegen  scheint 
es  mir  in  keiner  Weise  richtig.  —  —  Einstweilen  gebe  ich  den 
Brief  nicht,  ich  erwarte  Eure  Antwort  und  weiss,  Ihr  werdet,  denkt 
Ihr  darüber  nach  und  bedenkt  Ihr  die  Art  dieser  Menschen,  Eure 
Ansicht  ändern."  (Frey  S.  186.)  Und  weiter  am  12.  Januar  (S.  187): 
,,da  es  Euer  Wille  ist,  ihm  die  Statue  zu  schenken,  werde  ich  sie 
ihm  geben,  aber  ich  gebe  ihm  Euren  Brief  nicht,  um  Euch  nicht 
in  die  Verpflichtung  zu  setzen ,  eine  andere  Statue  zu  machen. 
Wollt  Ihr,  dass  ich  ihn  übergebe,  so  benachrichtigt  mich,  denn 
dann  werde  ich  es  thun.  Morgen  suche  ich  ihn  auf  und  gebe  ihm 
die  Statue.  —  —  Die  Statue  ist  enthüllt,  wie  ich  Euch  sagte,  und 
macht  einen  sehr  guten  Eindruck.  Gleichwohl  habe  ich,  wo  immer 
es  mir  angebracht  erschien,  gesagt  und  sagen  lassen,  dass  sie  nicht 
von  Eurer  Hand  ausgeführt  ist.     Obgleich  es  wahr  ist,  dass  Ihr  sie 


266  'Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

an  einigen  Stellen ,  wo  Pietro  sie  verstümmelt  hatte ,  retuschirt 
habt.  So  seid  in  jeder  Weise  getrost  und  macht  Euch  keine  Ge- 
danken darüber."  Am  22.  Januar  berichtet  er:  „ich  habe  die  Statue 
INIetello  übergeben,  in  Gegenwart  so  Vieler,  dass  es  genügt;  und 
dann  Euren  Brief;  und  er  empfiehlt  sich  Euch  und  es  genügt,  dass 
er  Euch  bisher  an  Höflichkeit  nicht  besiegt  hat."     (S.  188.) 

Wie  es  scheint,  fasst  Vari  dann  den  Gedanken,  eine  Madonna 
bei  Michelangelo  zu  bestellen ,  die  aber  später  Frizzi  in  Auftrag 
gegeben  wurde.  ,,Metello  empfiehlt  sich  Euch  und  sagt,  er  schreibe 
Euch  nicht,  weil  er  mit  Thaten  schreiben  wolle,  wie  Ihr  es  mit  ihm 
gethan."  (16.  Februar.)  ,,Mit  Metello  werde  ich  es  bewirken,  dass 
Ihr  Recht  behaltet."  (8.  März.)  ,, Metello  ist  mit  dem  Kardinal 
Fiescho  zusammen  gewesen  und  will,  dass  ich  hingehe  und  die  An- 
fertigung der  Madonna  bespreche.  Und  um  Eure  Meinung  über 
Preis  und  Zeit  zu  erfahren,  habe  ich  Euch  geschrieben,  bevor  ich 
ihn  spreche.  Ich  wollte,  Ihr  antwortet  mir  so  schnell  wie  möglich, 
damit  ich  der  Sache  Einhalt  thun  kann,  d.  h.  ihm  sagen ,  dass  Ihr 
nicht  könnt.  Metello  wünschte ,  Ihr  gäbet  ihm  eine  Empfangsbe- 
scheinigung über  die  Gelder,  die  Ihr  für  den  Christus  erhalten ;  er  will 
sie  irgend  einem  Römer,  der  an  der  Sache  festhält,  sagt  er,  zeigen. 
Ihr  könnt  es  thun  und  angeben,  von  wem  Ihr  die  Gelder  em- 
pfangen und  auf  wessen  Rechnung,  nämlich  als  Bezahlung  der 
Statue,  denn  so  wart  Ihr  übereingekommen."     (23.  Mai;  S.  192.) 

Michelangelo  geht  darauf  nicht  ein.  Am  4.  IMärz  1523  richtet 
Vari  selbst  die  Bitte  an  ihn,  da  er  Rechnungen  mit  den  Erben  des 
Kastellans  Pietro  Paolo  zu  regeln  habe ;  er  wünscht  eine  Empfangs- 
bescheinigung über  175  Dukaten.  Der  Wunsch  wird  am  27.  Juni 
und  27.  Juli  wiederholt  —  und  dann  später  am  7.  April  1526,  am 
I.  Juni,  am  5.  und  13.  Juli  und  am  2.  August  1532.  (Frey  S.  196.) 
Am  I.  Juni  bescheinigt  Vari  seinerseits  Michelangelo,  dass 
er  die  Statue,  welche  ,,die  Auferstehung  Christi"  darstellt,  em- 
pfangen habe,  und  in  Allem  zufrieden  gestellt  sei.  (Gotti  I,  143.) 
Offenbar  traute  Michelangelo  den  Dingen  nicht,  wie  denn  trotz  aller 
Freundschaftsbezeugungen  in  den  Geldangelegenheiten  dieser  Sache 
von  ihm  und  den  Freunden  in  Rom  wohl  aus  guten  Gründen  — 
denn  gleich  Anfangs  hat  Michelangelo  die  bedungenen  1 50  Dukaten 
nicht    erhalten !  —  mit    grosser  Vorsicht   vorgegangen    worden    ist. 

Auch  dieses  Werk  also  hat  eine  lange  und  verwickelte  Ge- 
schichte gehabt,  die  von  15 14  bis  1532  spielte.  Wir  entnehmen 
den  zahlreichen  Korrespondenzen  die  Thatsachen : 

Die  Statue,  in  ihrer  Art  von  vorneherein  be- 
stimmt, ward  am  15.  Juni  1514  in  Auftrag  gegeben. 
Michelangelo  hat  sie  begonnen,  dann  aber,  da  eine 
schwarze   Ader    im  Gesicht   sich   zeigte,    aufgegeben. 


Der  Christus  in  S.  Maria  sopra  Minerva  207 

Dieses  unvollendete  erste  Exemplar  blieb  in  seinem 
römischen  Hause,  als  er  1516  nach  Florenz  über- 
siedelte, und  wurde  von  ihm  1522  dem  Metello  Vari 
geschenkt,  in  dessen  Hause  (in  einer  corticella  overo orticello) 
Aldovrandi  (Statue)  sie  1556  erwähnt:  non  fornito  per 
rispetto  d'una  vena  che  si  scoperse  nel  marmo  della 
faccia.  1517  erinnert  Vari  den  Meister  an  seine  Ver- 
pflichtung, der  damals  noch  nicht  die  verabredete 
erste  Zahlung  von  150  Dukaten  erhalten  hat!  Michel- 
angelo bestellt  1518  einen  neuen  Marmorblock  und 
bearbeitet  ihn  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1519 
und  Anfang  1520.  Die  Übersendung  der  nicht  ganz 
fertigen  Statue,  für  deren  Aufstellung  undUmgebung 
Frizzi  sorgen  soll,  verzögert  sich,  da  das  Geld  nicht 
gesandt  wird.  Erst  Anfang  März  1521  wird  sie  ab- 
geschickt auf  dem  Meerwege,  erst  imJunivonUrbano 
in  Rom  in  Empfang  genommen.  Urbanos  Arbeit  an 
ihr  im  Juli  und  August:  am  Fuss,  an  den  Händen  und 
am  Bart  ist  schlecht;  Frizzi  verbessert  die  Fehler, 
vollendet  sie  und  stellt  sie  auf.  Zu  Weihnachten  15 21 
wird  sie  enthüllt. 

Die  Inschrift  wird  von  Aldovrandi  (S.  245)  verzeichnet:  Metel- 
lus  Varus  et  Paul.  Castellanus  Romani  Martiae  Portiae  testamento 
hoc  altare  erexerunt  cum  tertia  parte  impensarum  et  dotis  quam 
Metellus  de  suo  supplens  Deo  Opt.  Max.  dicavit. 

In  wie  weit  Michelangelo  die  Statue  selbst  ausgeführt  oder  sich 
auch  in  Florenz  schon  der  Hülfe  Urbanos  bedient  hat,  ergiebt  sich 
aus  den  schriftlichen  Quellen  nicht.  Sellajos  Bemerkung  am 
12.  Januar  1522  könnte  die  Vermuthung  nahelegen,  dass  der  Meister 
in  der  That  selbst  wenig  an  ihr  gethan,  doch  muss  man  bedenken, 
dass  er  dies  Gerücht  aussprengt,  um  dem  Geschwätz  zu  begegnen, 
und  das  Werk  selbst  lässt  wohl  keinen  Zweifel  daran  aufkommen,  dass 
es  sich  im  Wesentlichen  doch  um  eine  Arbeit  Michelangelos  handelt. 

Wenn  Varchi  in  seiner  Leichenrede  von  ,, einem  anderen,  ganz 
nackten  Christus,  aber  in  einer  von  dem  anderen  abweichenden 
Manier"  spricht,  den  Michelangelo  an  Vittoria  Colonna  schenkte, 
so  liegt  hier  wohl,  da  wir  sonst  gar  Nichts  von  einer  solchen  Statue 
wissen,  ein  Irrthum,  vermuthlich  eine  Verwechslung  mit  dem  Vari 
geschenkten  Christus  vor. 

2.  Studien  tmd  Reproduktio7ien. 

Mariette  (Observ.  S.  73)  behauptete,  im  Besitze  mehrerer  Studien 
für  die  Figur  zu  sein,  in  denen  man  des  Künstlers  Art  zu  zeichnen: 
zunächst  das  Skelett,  dann  die  Muskeln,  gewahren  könne.    Nur  ein 


268  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


Blatt  ist  heute  bekannt,  das  die  vorbereitende  Beschäftigung  mit 
der  Statue  zeigt: 

London,  Samml.  Heseltine.  Thode  371.  Ber.  1543.  Abb. 
Symonds  I,  360.  Frey  Taf.  36  und  37.  Vorder-  und  Rückseite  ent- 
halten in  Röthel  gezeichnete,  zum  Theil  mit  der  Feder  übergangene 
verschiedenartige  Versuche,  die  Stellung  der  Figur  zu  bestimmen. 
Wir  unterscheiden: 

I.  Sie  ist  ausschreitend  gedacht.  Nur  die  Beine  sind  skizzirt. 
Einmal  sehen  wir  diese  so  von  der  Seite  dargestellt,  dass  der  rechte 
Fuss  vorgesetzt,  der  linke  schreitend  ist,  das  andere  Mal  in  ruhigerer 
Bewegung  von  vorne :  linkes  Standbein ,  rechtes  etwas  zurück  und 
seitwärts  gestelltes  Spielbein.  (Rückseite.)  Ähnlich  der  letzteren 
Fassung  auf  der  Vorderseite:  das  linke  Standbein,  von  vorne  gesehen. 
(Daneben  ein  linkes  Bein ,  von  der  Seite  gesehen ,  in  gestreckter 
Stellung,  nur  die  Fussspitze  den  Boden  berührend.)  —  2.  Sie  ist 
ruhig  stehend  gedacht.  Hier  ist  der  Oberkörper  gegeben.  Einmal 
(Rückseite)  fast  die  ganze  Figur  dargestellt.  Die  Haltung  des  Ober- 
körpers ähnlich  wie  in  der  Statue ,  nur  der  Kopf  tiefer  gesenkt, 
der  linke  Arm  gerader  ausgestreckt.  Die  Stellung  der  Beine  ist 
seltsam  verdreht:  das  Standbein  mehr  nach  links  gedreht,  das  Spiel- 
bein wie  in  kreisender  Bewegung.  Das  andere  Mal  (Vorderseite) 
die  Figur  bis  zum  halben  Oberschenkel  sichtbar,  (Das  Kreuz  ist 
in  beiden  Skizzen  nicht  angegeben.)  Hier  scheint  die  Beinhaltung 
geschlossener  gedacht,  sie  nähert  sich,  ebenso  wie  die  der  Arme, 
mehr  der  Statue.  Doch  wird  die  gesenkte  Stellung  des  Kopfes 
beibehalten.  Vielleicht  hat  Michelangelo  diese  in  der  ersten  Statue, 
für  welche  diese  Studien  dienten,  gebracht. 

Eine  alte  Zeichnung  nach  der  Statue  befindet  sich  im  Louvre 
Nr.  739. 

Eine  kleine  Bronzekopie,  welche  die  Gestalt  mit  einem  über  der 
rechten  Hüfte  geknüpften  Lendentuch  leichter  ausschreitend  dar- 
stellt, ist  im  Museo  Nazionale  zu  Florenz. 

Einen  Gipsabguss  anfertigen  lassen  zu  dürfen,  erbat  sich  Franz  I. 
am  8.  Februar  1546  durch  den  nach  Italien  entsandten  Primaticcio. 
Eine  Marmorkopie,  von  der  Hand  Taddeo  Landinis,  befindet  sich  in 
reicher  Altareinrahmung  auf  dem  zweiten  Altar  Hnks  in  S.  Spirito 
zu  Florenz.  Eine  Inschrift  besagt :  D.  O.  M.  Hanc  aram  nobili  lapide 
exornatam  Gulielmus  Riccius  Christo  Servatori  resurrectionis  auctori 
dicavit  sepulcrumque  ubi  in  resurrectionis  diem  ipse  et  posteri  ipsius 
requiescant  construxit  kalendis  Junii  MDLXXIX.  Die  Statue  zeigt, 
in  Marmor  ausgeführt,  ein  schmales,  um  die  Hüften  gelegtes  Tuch. 
Von  einer  im  XVIII.  Jahrhundert  angefertigten  und  ,, jüngst"  nach 
Frankreich  gesandten  Marmorkopie  spricht  Bottari  1767  (Fanfani : 
Spig.  S.  325). 


Der  Christus  in  S.  Maria  sopra  Minerva  269 

Von  Stichen  erwähne  ich  die  beiden  ältesten. 

1.  Nicolaus  Beatrizet  B.  23.  Im  Gegensinne.  Bez.:  Hie  de 
marmorea  Christi  statua  Michaelis  Angeli  Bonaroti  manu  sculpta 
quae  in  aede  divae  Mariae  supra  Minervam  visitur  effigiatus  est. 
Nicolaus  Beatrizetus  Lotaringus  incidit  et  formis  suis  exe.  Romae.  — 
Im  IL  etat:  Petri  de  Nobilibus  formis.  Die  Gestalt  ist  ohne  Heiligen- 
schein und  mit  einem  schmalen ,  hinten  herabfallenden  Hüftentuch 
dargestellt. 

2.  Jakob  Matham.  B.  82.  Im  Gegensinne,  vor  einer  Pfeiler- 
mauer. Bez.  Michelagnolo  Buonarroti  fecit  Romae.  Ex  Candida 
marmorea  statua  sie  J.  Maetham  effigiavit  sculpsit  et  excudit.  Henrico 
de  Keiser  sculptori  et  architecto  urbis  Amstelodamensis  eximio 
Jacobus  Maetham  merito  lubens  D.  D.  Das  hinten  niederfallende 
Hüftentuch  hier  breit.     Der  Heiligenschein  angegeben. 

Diese  alten  Reproduktionen  kommen  für  die  Frage ,  wie  die 
Statue  aussah ,  bevor  sie  mit  dem  grossen  Bronzetuch  umkleidet 
ward,  in  Betracht.  Die  Florentiner  Marmorkopie  und  Beatrizets  Stich 
zeigen  dasselbe  schmale  Tuch. 

Was  das  Motiv  der  Statue :  das  Halten  des  Kreuzes  betrifft, 
so  ist  dasselbe  kein  neues,  wenn  es  auch  nicht  gerade  häufig  in  der 
Kunst  vorkommt.  Ich  weise  auf  ein  Relief  des  Andrea  della  Robbia 
im  Kaiser  Friedrich -Museum  zu  Berlin  (Nr.  120)  und  auf  Lorenzo 
Vecchiettas  Bronzestatue  in  der  Scala  in  Siena  hin.  Bereits  früher 
aber  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  erscheint,  namentlich  in  der 
norditalienischen  Malerei,  der  nackte  kreuztragende  Christus,  freihch 
zumeist  als  der  den  Gläubigen,  einem  Engel  oder  einem  Heiligen 
aus  dem  Seitenmale  Blut  spendende  Erlöser  (vgl.  auch  eine  Statuette 
des  Giovanni  della  Robbia  im  Bargello).  Dies  ist  eine  besondere 
typische  Vorstellung  des  Schmerzensmannes.  Und  dass  im  All- 
gemeinen Michelangelo  sich  an  dieselbe  angeschlossen  hat,  geht 
daraus  hervor ,  dass  er  seinem  Christus  ausser  dem  Kreuze  auch 
das  Rohr  mit  dem  Schwamm  und  dem  Stricke  gegeben  hat. 

Hinter  dem  linken  Bein  steht  als  Stütze  des  Gesässes  ein  Ge- 
wandstück, das  nicht  recht  motivirt  ist.  Von  der  Seite  betrachtet 
sieht  es  aus,  als  wäre  es  über  ein  Postament  gelegt  gedacht.  Die 
Basis  der  Statue  ist  auf  eine,  als  Felsboden  gebildete,  gesetzt.  Das 
Postament,  ohne  Inschrift,  ist  aus  weissem  und  grauem  Marmor 
gemacht.  Wie  weit  die  Hände  von  Urbano  bearbeitet  sind ,  ver- 
mochte ich  bei  der  Entfernung  und  Dunkelheit  nicht  zu  beurtheilen. 

Dass  die  Statue  für  das  Christusideal  des  Rubens  von  Bedeu- 
tung gewesen,  erscheint  mir  sicher.  In  einer  von  Egbert  van  Rän- 
deren gestochenen  Komposition :  ,, Marias  Intervention"  findet  sich 
eine  direkte  Verwerthung  des  Michelangelo'schen  Werkes  (vgl.  Roo- 
ses:  L'oeuvre  de  Rubens  II,  PI.  132). 


270 


Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


j.   Urtheile  über  das   Werk. 

Wie  nicht  anders  zu  erwarten,  sind  die  Urtheile  in  der  zweiten 
Hälfte  des  XVIII.  Jahrhunderts  abfällige.  So  weit  wie  Milizia, 
der  die  Gestalt  einem  Scharfrichter  (manigoldo)  verglich,  sind  die 
Anderen  zwar  nicht  gegangen ,  aber  ähnlich  klingt  es  doch ,  wenn 
V.  Ramdohr  sagt:  ,,er  ist  von  gemeiner  Natur,  sowohl  was  Kopf 
als  Körper  anbetrifft ;  er  trägt  einen  Stutzbart,  die  Beine  sind  schwer- 
fällig, die  Hände  unnatürlich;  die  ganze  Stellung  ist  verdreht  und 
unedel,  die  Muskeln  sind  viel  zu  stark  gegeben.  Inzwischen  ist  die 
Kenntniss  des  Knochen-  und  Muskelbaues  und  die  Behandlung  des 
Marmors  unsrer  Aufmerksamkeit  werth."  Auch  Volkmann  hat 
Manches  auszusetzen,  doch  findet  er  Figur  und  Stellung  ,,edel 
und  simpel".  Stendhal  begnügt  sich  mit  den  Worten:  ,, dieser 
Christus  ist  nichts  weiter  als  ein  Athlet,  als  ein  durch  seine  physische 
Kraft  bemerkenswerther  Mensch ,  wie  der  Held  der  ,,fair  maid  of 
Perth."  Cicognara  sagt,  die  Statue  gäbe  Einem  nicht  die  Idee 
des  Sohnes  des  ewigen  Vaters ,  auch  nicht  des  ,,speciosus  forma 
prae  filiis  hominum".  Man  bewundere  nur  die  anatomischen  Kennt- 
nisse, nur  die  Kunstfertigkeit:  Das,  was  bloss  Mittel  zum  Zweck  sei. 

Hingegen  gewinnt  Burckhar dt  gerade  diesem  Werke  gegen- 
über den  Standtpunkt  höherer  Bewunderung :  „es  ist  eines  seiner 
Hebenswürdigsten  Werke ;  Kreuz  und  Rohr  sind  zu  der  nackten 
Gestalt  geschickt  geordnet,  der  Oberleib  eines  der  schönsten  Motive 
der  neueren  Kunst;  der  sanfte  Ausdruck  und  die  Bildung  des  Kopfes 
mag  so  wenig  dem  Höchsten  genügen,  als  irgend  ein  Christus,  und 
doch  wird  man  diesen  milden  Blick  des  , Siegers  über  den  Tod' 
auf  die  Gemeinde  der  Gläubigen  schön  und  tief  gefühlt  nennen 
müssen."  Den  ruhigen  und  würdevollen  Ausdruck,  die  anatomische 
Wahrheit  und  die  hohe  Vollendung  erkennt  Harford  an,  aber, 
meint  er,  ,,soll  hier  der  auferstandene  Erlöser  gemeint  sein,  so  fehlt 
der  erhabene,  hohe  und  zarte  Ausdruck,  der  einem  solchen  Vor- 
wurf entspräche.  Weit  entfernt,  die  Vorstellung  eines  vergeistigten 
Körpers  zu  erwecken ,  entfaltet  er  vielmehr  alle  die  Muskelstärke 
und  -energie,  durch  welche  sich  der  Künstler  so  sehr  auszeichnete, 
die  aber  hier  ganz  unangebracht  sind.  Auch  können  wir  nicht  um- 
hin, den  Mangel  an  aller  Draperie  als  eine  unehrerbietige  Ver- 
letzung alles  m  der  christlichen  Kunst  Hergebrachten  zu  verurtheilen." 
Grimm,  der  etwas  kriegerisch  Heldenhaftes  in  der  Stellung  findet, 
fasst  sein  Urtheil  in  den  Worten  zusammen:  ,, als  Darstellung  eines 
männlichen  Körpers  in  seiner  schönsten  Blüthe  ein  bewunderns- 
würdiges Werk,  als  Bild  Christi  manierirt."  Gegen  diese  Auf- 
fassung wendet  sichLübke  und  nennt  sie  ungerecht:  so  rein  und 
schön  sei  das  Werk  empfunden.    „Es  ist  eine  vollendet  edle,  freilich 


Der  Christus  in  S.Maria  sopra  Minerva  271 

mehr  im  Geiste  der  Antike,  vielleicht  zu  elegant  aufgefasste  nackte 
Gestalt." 

Zu  einer  tieferen  Auffassung  des  Problemes,  das  in  der  plasti- 
schen Gestaltung  Christi  und  im  Besondern  eines  nackten  Christus 
liegt,  gelangte  Springer.  „Ein  nackter  Leib  hilft  Nichts  dazu, 
die  Geistesrichtung  und  den  Charakter  einer  Persönlichkeit  an- 
schaulicher zu  gestalten.  Die  Antike  hat  diese  Gränzen  erweitert, 
doch  nicht  gänzlich  vernichtet,  in  der  neueren  Kunst  dagegen  be- 
sitzen sie  vollständige  Geltung.  Michelangelo  handelte  also  weise, 
indem  er  in  seiner  Christusstatue  die  physische  Thätigkeit  hervor- 
hob, selbst  im  Kopfe  sich  auf  den  Ausdruck  mildernster  Würde 
einschränkte.  Eine  schärfere  Individualisirung,  die  Andeutung  des 
Lehrens  und  Segnens  etwa  durch  eine  emporgehobene  Hand,  hätte 
den  Widerspruch  verstärkt.  Befremdend  wird  Michelangelos  Christus- 
bild immer  wirken.  Es  verschuldet  nicht  die  Nacktheit  diesen  Ein- 
druck. Wer  behauptet ,  dass  der  fromme  Sinn  dieselbe  anstössig 
finden  musste,  vergisst,  dass  der  Volksglauben  die  Heiligung  eines 
Gegenstandes  nicht  immer  von  seiner  Ehrwürdigkeit  abhängig 
machte.  Wenn  es  wahr  ist,  dass  nur  die  Umhüllung  mit  einem 
Bronzeschuh  den  Marmorfuss  der  Statue  vor  dem  Schicksale  be- 
wahrte, von  andächtigen  Lippen  schliesslich  ganz  weggeküsst  zu 
werden,  so  liegt  ein  giltiges  Zeugniss  vor,  wie  wenig  die  Nacktheit 
den  Kultus  störte." 

Dies  klingt  wie  eine  Abwehr  der  Behauptung  Heath  Wil- 
sons, das  Werk  sei  ohne  Gleichen  in  seiner  Ehrfurchtslosigkeit. 
Nur,  w^enn  man  vergesse,  wen  es  darstelle,  könne  man  die  männ- 
liche Schönheit  und  Anmuth  bewundern.  Aber  Springers  Darlegungen 
haben  auch  Symonds  nicht  überzeugen  können;  er  vermisst  jede 
rehgiöse  Auffassung.  ,,Man  hätte  doch  die  geistige  Natur  seines 
Sieges,  die  Idealität  einer  göttlichen  Seele  erwarten  sollen.  Nichts 
davon  aber  sei  zu  finden.  ,, Setze  an  Stelle  des  Kreuzes  eine 
Leiter  und  wir  haben  einen  ,life-guardsman'  vor,  uns  in  Pose  für 
irgend  ein  klassisches  Schlachtenstück.  Hübsche,  aber  gewöhnliche 
Gesichtszüge ,  ein  von  einem  Friseurgesellen  gekräuselter  und 
pomadisirter  Bart".  ,,Indecent  and  unnatural  bulk  of  the  abdomen." 
Gleichwohl  ,,a  kind  of  fascination  in  the  figure."  Symonds  erinnert 
an  Vidas  Christiade,  in  welcher  Jesus  ähnlich  als  Heros  geschildert 
wird. 

Man  vergleiche  mit  einer  solchen  Auffassung  diejenige  M  o  n  - 
teguts!  Er  sieht  in  dieser  Gestalt  den  souveränen  Typus  jener 
Aristokratie,  die  sich  durch  ihre  Kenntniss  ewiger  Gesetze  über  die 
Irrthümer,  Leidenschaften  und  Feigheiten  der  Sinnlichkeit  erhebt, 
die  sich  über  Nichts  erstaunt  und  erregt,  weil  sie  Beleidigungen 
und  Gefahren  als  die  noth wendigen  Züge  in  dem  grossen  Welten- 


272 


Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


spiel  voraussieht.  Kein  Zeichen  des  Leidens  ist  diesem  Christus 
verliehen ;  er  ist  ernst,  aber  nicht  traurig.  Er  hält  sein  Kreuz  wie 
ein  Heerführer  seine  Fahne.  Er  ist  ein  Theil  der  metaphysischen 
Gesetze  der  Welt,  seine  Leiden  sind  ein  Theil  seines  Ruhmes. 
Wie  weit  sind  wir  entfernt  von  dem  pathetischen  Christus  des 
Rubens ,  von  dem  Armen  Rembrandts ,  von  dem  Erdenwesen 
Dürers ! 

Müntz  und  Boito  wurden  durch  die  ,, Eleganz"  der  Er- 
scheinung befremdet.  Der  Letztere  geht  so  weit,  von  einem  ,, faden 
Stutzer"  zu  sprechen ;  Müntz  findet  den  Kopf  zu  klein,  die  Bewegung 
gezwungen,  die  Haltung  geziert,  den  Torso  atrophisch.  Ricci  nennt 
die  Figur  manierirt.  Knapp,  der  das  Würdevolle  in  der  ruhigen, 
vornehmen  Haltung  und  einfachen  Geste  anerkennt,  findet  das  Ver- 
letzende in  der  Art,  wie  der  Körper  gebildet  ist.  ,,Das  ist  der 
volle  weiche  Leib  eines  schönen,  im  Wohlleben  hingehenden  Mannes, 
nicht  der  Märtyrerleib  des  Erlösers.  Wie  edel  hatte  einst  der 
Künstler  den  Körper  Christi  auf  dem  Schoosse  der  jungfräulichen 
Maria  geformt !  Welche  Entwicklung,  welcher  Rückschritt  in  kaum 
zwei  Jahrzehnten !  Gegenüber  jener  herben  Eckigkeit,  dem  klaren, 
strengen  Linienflusse  jenes  edeln  Leibes  und  im  Vergleich  zu  jener 
noch  im  Tode  straffen  Muskulatur  erscheint  die  Bewegung  hier 
süsslich  und  dieser  schon  im  Leben  schlaffe  Körper  mit  der  kraft- 
los, in  Wellenlinien  hinfliessenden  Silhouette  weichlich.  An  Stelle 
des  seelenvollen  Ausdrucks  überstandenen  Leides  dort  ist  ein 
lässiges  Sichumschauen  getreten.  Freilich  ist  der  Mangel  an  Aus- 
druck im  Gesicht  nicht  dem  Michelangelo  allein,  sondern  eher  seinem 
Gehülfen  Urbano  zum  Vorwurf  zu  machen.  Ein  andrer  Bildhauer, 
Frizzi,  musste  das  von  diesem  Verdorbene  nothdürftig  ausbessern. 
Natürlich  hat  gerade  diese  schwächliche ,  aber  im  Raffinement  der 
Oberflächenbehandlung  vorzügliche  Gestalt  den  äusserlichen  Barock- 
meistern imponirt."  —  Meine  Ansicht  äussere  ich  im  III.  Bande 
meines  Werkes, 

II 

Kleine  Statue  eines  kreuztragenden  Christus 

In  dem  Nachlass  des  Meisters  befand  sich  ,,una  statua  picco- 
lina,  per  un  Cristo  con  la  croce  in  spalla ,  et  non  finita"  (Gotti 
II,  150).  In  seinem  Briefe  vom  17.  März  1564  an  Vasari  sagt 
Daniele  da  Volterra  von  dieser  Statuette,  die  in  Marmor  gearbeitet 
war:  „ein  Christus,  welcher  das  Kreuz  im  Arme  hält,  wie  der  in 
der  Minerva,  aber  klein  und  von  jenem  verschieden." 

Was  aus  ihr  geworden,  wissen  wir  nicht. 


Die  Pietä  im  Dom  zu  Florenz 


273 


ni 
Die  Pietä  im  Dom  zu  Florenz 

Die  Gruppe  wird  zuerst  von  Vasari  in  seiner  ersten  Ausgabe 
erwähnt:  „auch  befindet  sich  in  seinem  Hause  abozzirt  ein  Marmor 
mit  vier  Figuren,  unter  denen  ein  Christus  vom  Kreuze  genommen 
ist,  ein  Werk,  von  dem  man  glauben  möchte,  käme  es  vollendet 
auf  die  Nachwelt,  würde  es  alle  seine  anderen  Werke  in  der 
schwierigen  Kunst,  aus  diesem  Steine  eine  so  vollkommene  Gruppe 
zu  gestalten,  übertreffen." 

Die  Arbeit  ist  demnach  vor  1550  begonnen  worden.  Es  war 
offenbar  das  Werk,  an  dem  Blaise  de  Vigenere  1550  den  Meister 
so  furios  arbeiten  sah.  Im  Jahre  1553  ist  er  mit  ihm  beschäftigt, 
denn  Condivi  erzählt : 

,, Augenblicklich  hat  er  ein  Marmorwerk  unter  den  Händen, 
das  er  zu  seiner  eigenen  Freude  macht,  als  Einer,  der  so  voll  an 
Einfällen  und  Kraft  ist,  dass  jeder  Tag  Etwas  gebiert.  Dies  ist  eine 
Gruppe  von  überlebensgrossen  Figuren ,  nähmlich  ein  vom  Kreuz 
genommener  Christus,  der  todt  von  seiner  Mutter  aufrecht  erhalten 
wird.  Man  sieht,  wie  sie  in  wunderbarer  Bewegung  mit  ihrer  Brust, 
den  Armen  und  den  Knieen  den  Leichnam  umschmiegt,  unter  der 
Beihülfe  des  Nikodemus ,  der,  aufrecht  und  fest  auf  der  Füssen 
stehend,  mit  starker  Kraft  ihn  unter  den  Armen  hält,  und  der  einen 
der  Marien  auf  der  linken  Seite.  Diese,  so  grosses  Leid  sie  ver- 
räth,  widmet  sich  doch  jenem  Dienst,  den  vor  äusserstem  Leid  die 
Mutter  nicht  erfüllen  kann.  Christus  kraftlos ,  alle  Glieder  gelöst, 
sinkt  nieder,  aber  in  einer  Stellung,  die  von  derjenigen,  welche 
Michelangelo  in  dem  Werke  für  die  Marchesa  von  Pescara  gab,  und 
von  der  Madonna  della  Febbre  (Pietä  in  S.  Peter)  sehr  verschieden 
ist.  Die  Schönheit  und  die  Affekte,  die  man  in  den  leidensvollen, 
traurigen  Angesichtern,  vor  Allem  der  bekümmerten  Mutter  gewahrt, 
zu  schildern,  ist  unmöglich;  darum  genug  hiervon.  Sagen  aber 
muss  ich,  dass  das  Werk  zu  den  seltensten  und  mühevollsten  ge- 
hört, die  er  bisher  gemacht,  namentlich  weil  alle  Figuren  deutlich 
zu  sehen  sind,  obgleich  sich  die  Gewänder  der  einen  mit  denen  der 
anderen  vermengen." 

Über  die  weiteren  Schicksale  des  Werkes  unterrichtet  uns 
Vasari,  der  seine  Beschreibung  Condivi  entnimmt  und  über  die  Ver- 
anlassung nur  hinzufügt,  der  Meister  habe  die  Arbeit  unternommen, 
weil  er  Nichts  zu  malen  hatte  und  behauptete,  die  körperliche  An- 
strengung des  Meisseins  erhalte  seinen  Körper  gesund.  Er  habe 
die  Gruppe  für  sein  eigenes  Grabmal ,  das  er ,  wie  wir  später  ver- 
nehmen ,  für  S.  Maria  Maggiore  bestimmte ,  unterhalb  des  Altares 
%*  18 


274  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


geplant.  „Fast  täglich  arbeitete  Michelangelo  zu  seinem  Zeitvertreib 
an  jenem  Marmor  mit  den  vier  Figuren,  von  dem  ich  schon  sprach; 
'damals  (wohl  1555)  zerschlug  er  ihn  aus  dem  Grunde,  weil  der 
Stein  viel  Schmergel  enthielt  und  so  hart  war,  dass  der  Meissel 
häufig  Feuer  aus  ihm  herausschlug,  vielleicht  auch,  weil  seine  Selbst- 
kritik so  gross  war,  dass  er  sich  niemals  genügen  Hess  an  Dem,  was 
er  machte."  ,, Diese  zerbrochene  Pietä  gab  er  dem  Francesco 
Bandini.  Es  war  nämlich  in  dieser  Zeit  der  Florentiner  Bildhauer 
Tiberio  Calcagni  durch  Vermittlung  Francesco  Bandinis  und  Donato 
Giannottis  mit  Michelangelo  sehr  befreundet  geworden.  Und  als  er 
eines  Tages  in  Dessen  Haus,  wo  die  zerbrochene  Pietä  war ,  sich 
aufhielt,  frug  er  ihn  nach  längerer  Unterhaltung,  wesswegen  er  eine 
so  wunderbare  Arbeit  zerbrochen  und  ruinirt  habe.  Jener  ant- 
wortete ,  daran  trage  sein  Diener  Urbino  Schuld ,  der  ihn  täglich 
belästigt  und  gedrängt  habe,  sie  zu  vollenden,  und  unter  Anderem 
sei  es  ihm  zugestossen,  ein  Stück  des  einen  Ellenbogens  der  Madonna 
abzuschlagen.  Schon  vorher  aber  habe  er  einen  Hass  gegen  sie 
gefasst  und  viel  Missgeschick  mit  einem  Riss,  der  im  Marmor  war, 
gehabt.  Da  sei  ihm  die  Geduld  gerissen,  er  hätte  sie  zerbrochen 
und  in  der  That  beabsichtigt,  sie  ganz  zu  zerstören,  hätte  nicht  sein 
Diener  Antonio  sich  ihm  empfohlen  und  ihn  gebeten ,  sie  so ,  wie 
sie  sei,  ihm  zu  schenken.  Als  Tiberio  dies  vernommen,  sprach  er 
mit  Bandini,  der  Etwas  von  des  Meisters  Hand  zu  besitzen  wünschte, 
und  Bandino  liess  durch  Tiberio  dem  Antonio  200  Guldskudi  ver- 
sprechen und  bat  Michelangelo,  er  wolle  erlauben,  dass  mit  Hülfe 
seines  Modelles  Tiberio  sie  Rir  ihn,  Bandino,  vollende ;  dann  wäre 
doch  so  viele  Mühe  nicht  vergeblich  verschwendet  worden.  Michel- 
angelo war  damit  einverstanden  und  machte  sie  ihnen  zum  Ge- 
schenk. Sogleich  fortgetragen,  wurde  sie  von  Tiberio  wieder  zu- 
sammengefügt und  in  ich  weiss  nicht  wie  vielen  Stücken  restaurirt, 
doch  blieb  sie  in  Folge  des  Ablebens  Bandinis,  Michelangelos  und 
Tiberios  unvollendet." 

Die  Gruppe  kam  dann  in  den  Besitz  des  Pierantonio  Bandini, 
Sohns  des  Francesco,  der  sie  in  seiner  Vigna  auf  dem  Montecavallo 
aufstellte.  Einen  Augenblick  tauchte  der  Gedanke  auf,  sie  für  das 
Grabmal  Michelangelos  in  S.  Croce  zu  verwerthen.  Vasari  legte 
am  18.  März  1564  dem  in  Rom  befindlichen  Lionardo  diesen  Plan 
vor.  ,,Und  da  ich  in  Erv/ägung  zog,  dass  Michelangelo,  wie  ich  es 
gehört  und  wie  es  auch  Messer  Daniello,  Tomaso  dei  Cavalieri  und 
viele  andere  seiner  Freunde  wissen,  die  Pietä  mit  den  fünf  Figuren, 
die  er  zerbrach,  für  sein  eigenes  Grabmal  machte  und  dass,  ab- 
gesehen davon,  dass  er  sie  selbst  entworfen,  er  sich  selbst  in  dem  Greise 
porträtirt,  würde  ich  mich  bemühen,  sie  zu  erlangen  und  mich  ihrer 
für  das  Grabmal  zu  bedienen.  Und  Seine  Exzellenz  (Herzog  Cosimo) 


Die  Pietä  im  Dom  zu  Florenz 


275 


befahl  mir,  falls  Gunstbezeugungen  oder  sonst  eine  Hülfe  nöthig 
seien,  sie  zu  erlangen.  Euch  zu  schreiben,  da  er  bewirken  wird, 
dass  Ihr  Alles  erreicht.  Und  so  würde  ich  Euch  aufmuntern,  auf 
jede  Weise  es  zu  versuchen,  sie  zu  erlangen,  denn  ich  weiss,  dass 
Pierantonio  Bandini  durchaus  verbindlich  ist  und  Euch  Alles  geben 
wird.  Denn  thut  Ihr  es,  so  erreicht  Ihr  Mehreres  zu  gleicher  Zeit. 
Einmal :  Ihr  gäbet  Michelangelo  zurück,  was  er  sich  selbst  für  sein 
Grabmal  bestimmt ;  weiter :  Ihr  Überliesset  Seiner  Exzellenz  jene 
Werke,  die  in  der  Via  Mozza  sind  und  erhieltet  dafür  vom  Herzog 
so  viel,  die  Kosten  des  Denkmals  zu  decken,  und  endlich  brächtet 
Ihr  am  Grabmal  etwas  Sinnentsprechendes  und  nicht  jene  Viktoria 
mit  dem  Gefangenen  darunter ,  von  der  ich  nicht  wüsste ,  was  sie 
bedeuten  sollte,  denn  Michelangelo  war  niemals  ein  Soldat,  der  Je- 
mand besiegt  hätte,  wenn  er  auch  mit  seinem  Geiste  die  Kunst  be- 
siegte und  den  Neid  und  andere  tief  unter  einem  so  hohen  In- 
genium liegende  Dinge  überwand."     (Vasari  VIII,  378.) 

Leider  kam  der  würdige  Plan  nicht  zur  Ausführung.  Die  Gruppe 
blieb  in  Bandinis  Besitz,  in  dem  sie  Vasari  1568  noch  verzeichnet. 
Die  Bemerkung,  dass  Michelangelo  seine  Grabstätte  in  S.  Maria 
Maggiore  mit  der  Pietä  habe  schmücken  wollen,  findet  sich  bei  Vasari 
gelegentlich  der  Erwähnung  der  Pietä,  die  Bandinelli,  Michelangelos 
Vorgang  folgend  und  auch  seinerseits  im  Nikodemus  sein  eigenes 
Porträt  gebend ,  für  sein  Grabmal  (in  S.  Annunziata  in  Florenz) 
anfertigte. 

Wann  die  Gruppe  von  Rom  nach  Florenz  gebracht  worden  ist, 
wissen  wir  nicht.  Aus  der  Inschrift  geht  nicht  deutlich  hervor,  ob 
dies  auf  Veranlassung  Cosimos  in.  geschah.  Jedenfalls  befand  sie 
sich,  bevor  sie  1722  hinter  dem  Hochaltar  des  Domes  an  Stelle 
der  Bandinelli'schen  Gruppe :  Adam  und  Eva  aufgestellt  wurde ,  in 
dem  Raum,  in  welchem  der  Marmor  für  die  neue  Kapelle  (der  Medici) 
in  S.  Lorenzo  aufbewahrt  wurde. 

Die  vom  Senator  Filippo  Buonarroti  verfasste  Inschrift  lautet: 

Postremum  Michaelis  Angeli  opus 

Quamvis  ab  artifice  ob  vitium  marmoris  neglectum 

Eximium  tarnen  artis  canona 

Cosmus  III.  Magn.  Dux  Etruriae 

Roma  jam  advectum  hie  p.  i.  anno  MDCCXXII. 

(Vgl.  Gori:  Not.  stör.   119.     Vasari  VII,  244,  A.) 

Die  bei  verschiedenen  Biographen  gegebene  Notiz,  Michelangelo 
habe  die  Gruppe  aus  einem  der  acht  grossen  Kapitale  des  Temp- 
lum  Pacis  des  Vespasian  gemacht,  stammt  aus  Blaise  de  Vigenere: 
Les  Images  des  deux  Philostrates,  Paris  1614  (S.  853 — 855).  Es  ist 
aber  zu  bemerken,  dass  hier  nicht   von    einer  Pietä,    sondern    von 

18* 


276  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


einer  Kreuzigung  die  Rede  ist,  die  aus  zehn  bis  zwölf  Figuren  be- 
standen habe  und  an  deren  Vollendung  der  Meister  durch  den  Tod 
gehindert  worden  sei.  (Vgl.  über  den  Zusammenhang  der  Gruppe 
mit  den  Pietäcntwürfcn  das  Kapitel:  „Religiöse  Entwürfe".) 

/.  Stildien  tmd  Reproduktionen. 

Eine  bestimmt  auf  die  Gruppe  zu  beziehende  Zeichnung  kenne 
ich  nicht. 

Das  Wachsmodell  früher  im  Besitze  des  Cav. 
Ottavio  Gigli. 

In  "Le  Arti  del  disegno",  5.  Januar  1856  wurde  von  A.  M.  Mig- 
liarini  ein  kleines  Wachsmodell  bekannt  gemacht.  (Notizie  storiche 
intorno  ad  un  bozzetto  in  cera  di  M.  B.  rapp.  la  Deposizione  di  Croce. 
Firenze  1856.)  Cav.  Ottavio  Gigli  erwarb  es  und  veröffentlichte, 
nachdem  er  es  1872  vergeblich  der  Casa  Buonarroti  zum  Kaufe  an- 
geboten, die  ,,Documenti  relativi  al  bozzetto  in  cera  della  Pietä  di 
M.  B."  Florenz  1873.  Er  suchte  die  Ächtheit  zu  beweisen,  indem 
er  darauf  hinwies,  dass  in  dem  Modell  das  linke  Bein  nicht  durch 
Hüfte  und  Kniee  der  Mutter  verdeckt  wurde,  sondern,  wie  in  dem 
Stiche  des  Cherubino  Alberti,  zum  Vorschein  komme,  auch  viele 
kleine  Verschiedenheiten  in  den  Bewegungen,  Gewändern  und 
Köpfen  sich  zeigten,  welche  dem  Modell  den  künstlerischen  Vorzug 
vor  der  Marmorgruppe  gäben.  Giovanni  Dupre  erklärte  sich  auch 
entschieden  für  Michelangelos  Autorschaft.  Mir  ist  nicht  bekannt 
geworden,  wohin  das  Modell  gelangt  ist;  da  ich  es  nicht  gesehen, 
habe  ich  kein  Urtheil. 

Der  Kupferstich  des  Cherubino  Alberti  (B.  23.  M.  24)  stellt 
die  Gruppe  im  Gegensinne  in  einer  Landschaft  dar.  Bez.  Mich. 
Angeli  Bonaroti  Florentini  manu  sculpta  Romae.  Cum  privilegio 
D.  Greg.  XIII. 

Eine  freie  Nachbildung  zeigt  ein  kleines  Bild  des  Daniele  da 
Volterra  in  der  Gallerie  Czernin  zu  Wien  (Nr.  16).  Hier  befindet 
sich  die  Gruppe  unter  dem  Kreuz. 

2.   Kritische  Bemerkungen. 

Suchen  wir  zunächst  die  gewaltsame  Verstümmelung,  die  Michel- 
angelo selbst  an  seinem  Werke  vornahm,  festzustellen,  so  ergiebt 
die  genaue  Betrachtung  Folgendes : 

I.  Der  linke  Arm  Christi  ist  über  dem  Ellenbogen  abgehauen 
worden.  Man  erkennt  deutlich ,  dass  der  Unterarm  - —  also 
von  Calcagni  —  ergänzt  worden  ist.  Die  linke  Hand  am  Knie 
der  Maria  aber  ist  die  alte,  vom  Meister  selbst  angefertigte. 
Das  Stück  Arm  ist  also  eingesetzt  worden. 


Die  Pietä  im  Dom  zu  Florenz 


277 


2.  An  der  linken  Brustwarze  ist  ein  Stück  herausgeschlagen 
worden,  und  der  Hammerstreich  hat  die  Finger  der  Hand 
Marias  mit  fortgenommen,  die  ebenso,  wie  das  Stück  an  der 
Brust,  ungeschickt  ergänzt  worden  sind. 

3.  Der  rechte  Unterarm  Christi  (vom  Ellenbogen  bis  zur  Hand) 
ist  eingesetzt.  (In  dieser  Hand  hat  der  Marmor  schwarze 
Flecken.) 

Ausser  jenen  Ergänzungen  kann  Calcagni  nicht  Viel  an  der 
Gruppe  gethan  haben.  An  Maria  und  Joseph  von  Arimathia  dürfte 
er  die  Hand  nicht  gelegt  haben.  Eher  wäre  dies  denkbar  an  dem 
im  Wesentlichen  vollendeten  und  polirten  Christuskörper,  obgleich 
es  mir  doch  wahrscheinlich  dünkt,  dass  er  von  Michelangelo  her- 
rührt. Mit  der  Magdalena,  die  in  der  Hauptsache  ausgeführt  ist, 
mag  sich  Calcagni  beschäftigt  haben.  Alles  Wesentliche  aber  weist 
auch  hier  auf  Michelangelos  Hand  hin :  die  nahe  Verwandtschaft 
des  Kopfes  und  der  Gewandbehandlung  mit  der  Lea  lässt  nach 
meinem  Dafürhalten  keinen  Zweifel  hierüber. 

Die  Motive  sind  folgende.  Nikodemus  vorgebeugt,  so  dass  sein 
Kopf  in  eine  Fläche  mit  Christi  Kopfe  kommt,  fasst  mit  der  Rechten 
unter  Christi  Arm  und  umschlingt  mit  der  Linken  Maria.  Maria, 
eine  schräge  Fläche  über  das  Eck  des  Blockes  bildend ,  sitzt  auf 
niedriger  Erhöhung,  greift  mit  dem  linken  Arm  unter  Christi  Arm 
und  umfängt  mit  dem  nicht  sichtbaren  rechten  offenbar  den  Rücken 
des  Leichnams.  Christus ,  im  Herabsinken  so  gehalten ,  ruht  wohl 
zum  Theil  auf  dem  nicht  sichtbaren  rechten  Bein  der  Maria  auf. 
Sein  linkes  Bein  ist  nicht  zu  sehen,  sein  rechtes  sinkt  geknickt  auf 
den  Boden  herab.  Der  linke  Arm  hängt  schlaff  mit  umgedrehter 
Hand  hernieder ;  der  rechte,  von  Marias  Kopf  gestützt,  berührt  mit 
der  Hand  Deren  Schulter.  Das  niedergesunkene  Haupt  ruht  an 
Marias  Kopf,  deren  Mund  die  fallenden  Locken  berührt.  Magdalena 
kniet  mit  etwas  vorgestelltem  linken  Bein.  Mit  der  Rechten  stützt 
sie  Christi  Bein  und  berührt  mit  der  Linken  Dessen  Rücken. 

Versuchen  wir  es  nun ,  uns  die  Kritik ,  welche  den  Meister 
veranlasste,  sein  Werk  zerstören  zu  wollen,  verständlich  zu  machen. 
Er  wird  sich  Folgendes  gesagt  haben. 

I,  Von  vorne  gesehen  ergiebt  die  Gruppe  keinen  geschlossenen 
Eindruck,  da  die  drei  Figuren  rechts  eine  kompakte  Masse 
bilden  und  die  Magdalena  dieser,  ohne  Herstellung  eines 
Gleichgewichtes,  nur  lose  angefügt  ist.  Die  gerade  Vertikale 
der  Schulter  und  der  rechten  Seite  Christi  durchschneidet  das 
Ganze.  —  Einen  geschlossenen  Eindruck  erhält  man  nur,  wenn 
man  sie  von  halb  links  her  betrachtet.  Einer  solchen  Auf- 
stellung aber  widerspricht  die  Blockform,  und  dann  verschwindet 


278  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

Maria  zu  sehr.  Aber  auch  für  eine  Ansicht  von  rechts  her 
ist  die  Gruppe  nicht  berechnet,  da  dann  Magdalena  nicht  in 
der  Fläche  bleibt,  sondern,  gleichsam  perspektivisch  gesehen, 
hinter  Christus  verschwindet.  Die  Komposition  war  also  ihrer 
Anlage  nach  nicht  gelungen,  und  hieran  war  im  Verlaufe  der 
Arbeit  Nichts  mehr  zu  ändern. 

2.  Magdalena  ist  in  viel  kleineren  Verhältnissen  als  die  anderen 
Figuren  gegeben. 

3.  Es  bleibt  eine  Unklarheit  in  den  Bewegungen.  Sowohl  das 
rechte  Bein,    als    der   rechte  Arm   der  Maria  sind  unsichtbar. 

4.  Für  das  linke  Bein  Christi  ist  gar  kein  Platz  vorhanden;  es 
müsste  durch  den  Schooss  der  Maria  hindurchgehen.  Die  ein- 
zige Möglichkeit,  es  anzubringen,  wäre  die  gewesen,  es  vorne 
über  Marias  Bein  herunterhängen  zu  lassen.  Man  sieht,  in 
welche  Verlegenheit  der  Künstler  versetzt  war :  in  der  That 
ist  von  dem  Bein  nur  ein  kurzer  Stumpf  sichtbar.  Ein  Loch 
in  dessen  Mitte  verräth,  dass  der  Künstler  wohl  an  den  Aus- 
weg gedacht,  ein  über  Marias  Schenkel  herabhängendes  Bein 
einzusetzen.  Dies  hätte  aber  eine  nicht  nur  unschöne,  sondern 
unmögliche  Stellung  ergeben.  Unschön,  denn  das  Bein,  der 
Arm  der  Maria  und  der  Arm  Christi  hätten  in  ihrer  Zusammen- 
drängung den  Eindruck  des  Gehäuften  und  in  den  Linien 
Verwirrten  hervorgebracht. 

So  begreift  man  die  Verzweiflung  des  Künstlers  an  der  Voll- 
endung des  Werkes  und  steht  zugleich  staunend  vor  dem  Wunder- 
baren stille,  dass  trotz  aller  dieser  Fehler  der  Eindruck  ein  gewaltiger 
und  erschütternder  ist.  Vasaris  Angabe,  dass  der  Künstler  Niko- 
demus  seine  eigenen  Züge  habe  verleihen  wollen,  zu  bezweifeln, 
sehe  ich  keinen  Grund.  Eine  begreiflicher  Weise  nur  allgemeine 
Ähnlichkeit  ist  zu  finden. 

Eine  kleine  Marmorfigur ,  wundervoll  gearbeitet ,  den  todten 
Christus  in  den  Armen  des  Nikodemus  (oder  Joseph  von  Arimathia) 
darstellend ,  wurde  im  XVIII.  Jahrhundert  im  Palazzo  Giustiniani 
als  Werk  Michelangelos  gezeigt  (Richardson  III,  257.  Volkmann  II, 
467). 

rv 
Die  Pietä  im  Palazzo  Rondanini 

Eine  zweite  Gruppe  der  Pietä  wird  von  Vasari  erwähnt,  nach- 
dem er  die  Schicksale  der  ersten  erzählt.  ,,Und  um  zu  Michel- 
angelo zurückzukehren,  so  sah  sich  Dieser,  um  täglich  Zeit  mit 
Meissein   zu   verbringen ,  genöthigt ,    eine  andere  Arbeit  in  Marmor 


Die  Pietä  im  Palazzo  Rondanini 


279 


vorzunehmen,  und  stellte  einen  anderen  Marmorblock  auf,  in  dem 
er  schon  früher  eine  Pietä  abbozzirt  hatte,  verschieden  von  jener 
und  viel  kleiner." 

Vermuthlich  ist  dies  dieselbe  Gruppe,  an  welcher  Michelangelo 
noch  acht  Tage  vor  seinem  Tode  arbeitete.  Hierüber  berichtet 
Daniele  da  Volterra  an  Leonardo  Buonarroti  mit  der  Bitte,  es,  als 
einen  Nachtrag  zu  früheren  Notizen ,  Vasari  für  seine  Vita  mitzu- 
theilen.  ,,Ich  erinnere  mich  nicht,  ob  ich  unter  Allem  dem,  was 
ich  schrieb,  auch  erwähnte,  dass  Michelangelo  den  ganzen  Samstag 
vor  Karnevalssonntag  (12.  Februar  1564)  stehend  arbeitete,  mit  jenem 
Leichnam  der  Pietä  beschäftigt"  (Daelli  Nr.  34).  In  seinen  an  Vasari 
gerichteten  Angaben  über  den  Nachlass  des  Meisters  nennt  Daniele 
eine  Marmorstatue :  ,,una  Pietä  in  braccio  alla  Nostra  Donna" 
(17.  März  1564.  Gotti  I,  358).  Im  Inventar  vom  19.  Februar 
wird  sie  bezeichnet  als:  ,,un'altra  statua  principata  per  un  Cristo 
ed  un'altra  figura  di  sopra ,  attaccata  insieme ,  sbozzata  et  non 
finita". 

Was  später  aus  dem  Werke  geworden,  wissen  wir  nicht.  Jenen 
Angaben  aber  entspricht  die  bloss  abbozzirte  und  verhauene  Mar- 
morgruppe des  Palazzo  Rondanini,  die  zweifellos  von  Michelangelo 
ist,  so  durchaus,  dass  wir  in  ihr  das  von  ihm  hinterlassene  Werk  zu 
erkennen  haben.  Über  die  Provenienz  dieser  Gruppe  giebt  uns 
C.  Rogers  in  seinen  „Facsimiles  of  ancient  drawings"  (S.  21)  einigen 
Aufschluss.  Dieser  zitirt  einen  ,,Trattato  della  Pittura  da  un  Theo- 
logo e  da  un  Pittore",  welcher  (S.  210)  zwei  unvollendete  Gruppen 
der  Pietä  von  Michelangelo  erwähnt  und  sagt :  die  eine  befand  sich 
in  Bandinos  Garten  in  Rom ;  ,,die  andere  wurde  in  einem  unter- 
irdischen Raum  gefunden  und  war  um  1650  in  einem  Laden  in  Rom 
öffentlich  zu  sehen".  Vermuthlich  ist  diese  damals  erworben  und 
in  den  Palazzo  Rondanini  gebracht  worden.  (Vgl.  J.  C.  Robinson : 
a  critical  account  S.  337.) 

Schon  Robinson  (S.  81)  wies  darauf  hin,  dass  auf  einem  Blatte 
in  Oxford  (N.  70,  i  Thode  442.  Ber.  1572.)  eine  Kreide- 
studie zu  der  Gruppe  sich  befindet.  Wir  sehen  hier  zweimal 
eine  Gruppe  von  zwei  Männern ,  die  den  Leichnam  zwischen  sich 
tragen,  und  zwar,  indem  sie  ihn  unter  den  Armen,  die  über  ihre 
Schulter  hängen  und  unter  den  Oberschenkel  fassen  (a,  b).  Drei 
andere  Skizzen  zeigen  eine  stehende  Gestalt,  die  vor  sich  den  zu- 
sammenknickenden Leichnam  unter  den  Achselhöhlen  hält ;  und 
zwar  stimmt  die  Haltung  des  Leichnams  in  zweien  (c  und  d)  über- 
ein, nur  der  Träger  (in  der  einen  Skizze  in  zwei  Kopfhaltungen 
gegeben)  ist  verschieden.  Die  dritte  (c)  zeigt  den  Leichnam  nicht 
so  nach  der  Seite  links,  sondern  nach  vorne  zu  sinkend.  In  c  und 
e  steht  die  tragende  Figur,  wie  in  der  Statue  Rondanini,  auf  einer 


28o  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

Bodenerhöhung.  Im  Marmor  hat  der  Künstler  die  geknickte  Stellung 
des  Leichnams  mit  dem  herabsinkenden  Kopf  aufgegeben,  die  Figur 
erscheint  fast  aufrecht,  wodurch  erreicht  ist,  dass  der  Kopf  der 
Maria  den  Kopf  Christi  berührt. 

Robinson,  dem  Springer  folgt,  glaubt,  Michelangelo  habe  zu- 
erst, etwa  1541  oder  1542,  die  Rondaninigruppe  begonnen,  dann 
sie  zur  Seite  gestellt  und  die  andere  grössere  Gruppe  angefangen; 
erst  später  sei  er  zur  ersten  zurückgekehrt.  Der  Stil  der  Zeichnung 
und  Vasaris  Aussage  sprechen  für  diese  Annahme.  Weiter  behauptet 
Robinson,  der  Meister  habe,  als  er  den  Marmor  wieder  vornahm,  eine 
Reduktion  der  Grössenverhältnisse  vorgenommen,  ohne  sie  aber 
ganz  durchzuführen.  ,, Zuerst  scheint  er  die  Figur  der  Jungfrau  fast 
durchweg  auf  die  kleineren  Verhältnisse  reduzirt  zu  haben ,  bevor 
er  sich  mit  Christus  beschäftigte.  Dann  begann  er  an  Diesem  zu 
arbeiten ,  und  zwar  in  unregelmässiger  Weise ,  indem  er  einzelne 
Theile  verkleinerte,  andere  unverändert  Hess ;  die  Glieder,  in  Sonder- 
heit den  einen  Arm ,  liess  er ,  wie  sie  waren ,  und  sie  sind  da- 
her unendlich  viel  zu  gross  für  den  Kopf  und  den  Körper.  Der 
allgemeine  Eindruck  ist  in  Folge  dessen  bizarr  und  auf  den 
ersten  Blick  unerklärlich ;  die  Jungfrau  scheint  einen  Giganten  zu 
halten." 

Ist  diese  Erklärung  richtig. ?•  Es  handelt  sich  in  der  That  um 
Erscheinungen  schwer  begreiflicher  Art.  Ausgeführt  sind  nur  die 
Beine  Christi,  mit  denen  verglichen  Oberkörper  und  Kopf  sehr 
klein  erscheinen.  Wie  ist  das  gesamte  Motiv.?  Wem  gehört  der 
seitwärts  freistehende  Arm  an,  dessen  Oberarm  fehlt :  Christus  oder 
Maria.?  Robinson  meint:  Christus.  Das  ist  aber  der  Stellung  nach 
undenkbar.  Ich  glaube  deutlich  zu  sehen,  dass  die  beiden  Arme 
Christi  nach  hinten  zurückgenommen  sind.  Ebenso  undenkbar  ist 
er  als  Arm  der  Maria.  Ich  kann  mir  nur  vorstellen,  dass  ursprünglich 
die  Stellung  der  Figuren  anders  geplant  ward,  dass  nämlich,  wie  es 
in  den  Oxforder  Skizzen  der  Fall,  Christi  Körper  stärker  zur  Seite 
geneigt  und  nach  vorne  gesenkt  gedacht  war :  dann  wäre  der  Arm 
als  sein  rechter  denkbar.  Hierauf  aber  verhaute  Michelangelo  den 
Block  an  dem  rechten  Oberarm  und  sah  sich  nun  gezwungen, 
wollte  er  noch  Etwas  aus  dem  Block  zu  machen  versuchen,  den 
Leichnam  aufrechter  zu  geben,  und  es  blieb  jener  Arm  als  Rudi- 
ment der  ersten  Idee  stehen.  Nun  drückt  Maria  den  Leichnam 
eng  an  ihre  Brust,  was  eine  Zurückdrängung  der  Arme  Christi  nach 
hinten  zur  Folge  hatte,  zugleich  aber  auch  dies,  dass  die  Arme 
thatsächlich  nicht  wohl  auszuführen  waren  und  auch  Marias  rechter 
Arm  keine  Stelle  mehr  fand. 

Und  trotz  aller  dieser  Verstümmelung,  welch'  ein  Eindruck, 
den  diese  Gruppe  hervorbringt ! 


Die  Pietä  im  Palazzo  Barberini  zu  Palestrina  28 1 

V 

Die  Pietä  im  Palazzo  Barberini  zu  Palestrina 

Die  Entdeckung  eines  bisher  unbekannten  Werkes  von  Michel- 
angelo erregte  vor  Kurzem  die  allgemeine  Aufmerksamkeit.  A.  Grenier 
fand  in  der  zweiten  Seitenkapelle  des  Oratoriums  der  hl.  Rosalie 
im  Palazzo  Barberini  zu  Palestrina  eine  nicht  vollendete  Pietä,  die 
er  als  ein  Werk  des  Meisters,  entstanden  in  der  Zeit  zwischen  der 
Gruppe  im  Florentiner  Dom  und  der  Pietä  Rondanini,  gegen  1550, 
bekannt  machte  (Gaz.  d.  b.  a.  III.  Per.  XXXVII,  S.  177  ff.,   1907). 

Die  Gruppe  scheint  unmittelbar  aus  dem  Felsen ,  an  den  die 
Kapelle  angebaut  ist,  reliefartig  herausgearbeitet  zu  sein  —  jeden- 
falls ist  sie  aus  einer  Art  Marmorstein  von  Palestrina  und  muss 
an  Ort  und  Stelle  gearbeitet  sein.  Ähnlich  wie  in  der  Pietä  Ron- 
danini ist  Maria  dargestellt,  die  vor  sich  den  zusammengebrochenen 
Leichnam  (mit  der  rechten  Hand  unter  dessen  Achsel)  hält,  dessen 
zur  Seite  gesunkenes  Haupt  ihr  Kopf  in  unmittelbarer  Nähe  an- 
schaut. Rechts  stützt  Magdalena,  wie  zum  Knieen  sich  nieder- 
lassend ,  den  Kopf  zum  Beschauer  gewandt ,  mit  beiden  Armen, 
unter  dem  Rücken  und  unter  dem  linken  Bein ,  des  Heilands  Ge- 
stalt. Am  meisten  ausgeführt  ist  der  todte  nackte  Körper,  um 
dessen  Brust  sich  ein  Band  und  um  dessen  Hüften  sich  ein  schmales 
Tuch  zieht.  Die  beiden  Frauen  sind  nur  aus  dem  Rohen  gearbeitet. 
Erinnert  die  allgemeine  Anordnung,  namentlich  der  Magdalena,  an 
die  Gruppe  in  Florenz ,  das  Hauptmotiv  an  die  Rondanini  und  an 
die  Skizzen  in  Oxford ,  so  zeigt  die  Haltung  des  Leichnams  (das 
seitliche  Sichstauen  der  Beine  auf  dem  Boden)  die  nächste  Ver- 
wandtschaft mit  dem  Christus  im  Londoner  Gemälde  der  Grab- 
legung. Im  Besonderen  Michelangelesk  ist  das  Brustband  und  das 
Hüftentuch.  Die  durchgeführte  Anatomie  des  Oberkörpers,  der  im 
Verhältniss  zu  den  Beinen  sehr  stark  gebildet  ist,  findet  ihre  Ana- 
logieen  namentlich  in  Gestalten  des  Jüngsten  Gerichtes. 

Leider  war  es  mir  nicht  vergönnt,  das  Original  zu  sehen. 
Die  Abbildungen  im  Grenier'schen  Aufsatz  lassen  über  den  Michel- 
angelesken Charakter  der  Gruppe  keinen  Zweifel.  Befremdend 
wirkt  die  unverhältnissmässige,  zwergenhafte  Kürze  der  Gestalt  der 
Madonna,  die  man  sich  doch  stehend,  nicht  sitzend  denken  muss,  und 
die  plumpe  Form  ihres  Kopfes.  Es  wird  sich  nicht  leugnen  lassen, 
dass  die  Konzeption  des  Werkes  dem  Geiste  des  Künstlers  ent- 
spricht und  im  nächsten  Zusammenhange  mit  Dessen  erwähnten 
Werken  steht.  Wollte  man  einen  Nachahmer  annehmen,  so  hätte 
Dieser  Motive  der  Florentiner  Gruppe,  der  Pietä  Rondanini  und 
des  Gemäldes  der  Grablegung  verquickt:  dies  ist  nicht  undenkbar. 


282  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


Man  müsste  dann  an  einen  Michelangelo  sehr  nahe  stehenden,  in 
Dessen  Werkstatt  verkehrenden  Künstler,  wie  etwa  Tiberio  Calcagni 
oder  Daniele  da  Volterra,  denken.  Ein  bestimmtes  Urtheil  muss 
ich  verschieben,  bis  ich  das  Werk  selbst  kennen  gelernt. 

Die  Traditionen  desselben,  die  Grenier  anführt,  sind  kärgliche. 
Palestrina  gehörte  den  Colonna.  In  dem  Kriege  zwischen  Diesen 
und  Paul  III.,  der  1541  ausbrach,  bemächtigte  sich  Pier  Luigi  Far- 
nese  des  Ortes,  der  erst  1550  von  Julius  III.  den  Colonna  zurück- 
gegeben wurde.  Grenier  nimmt  an,  dass  ein  Farnese  Michelangelo 
kurz  vor  1550  bewogen,  jene  Gruppe  zu  schaffen.  1630  erwarben  die 
Barberini  Palestrina  von  den  Colonna.  Sie  Hessen  gegen  1670  durch 
den  Architekten  Contini  das  Oratorium  bauen  und  ausschmücken. 
Bernini  führte  mehrere  Grabdenkmäler  für  Mitglieder  der  Familie 
in  der  ersten  Seitenkapelle  aus. 

Die  älteste  Erwähnung  der  Pietä  findet  sich  bei  Cecconi : 
Storia  di  Palestrina,  Ascoli  1756,  p.  iio:  ,,man  bewundert  ausser- 
dem in  der  inneren  Kapelle  eine  Statue  der  Addolorata  mit  dem 
todten  Christus  an  ihrem  Busen,  eine  Skizze  des  berühmten  Buo- 
narroti."  Anders  lautet  die  Aussage  des  Pier  Antonio  Petrini, 
,,Memorie  Prenestine  disposte  in  forma  di  Annali";  Roma  1795, 
p.  259:  ,,das  Werk  blieb  in  skizzenhaftem  Zustande.  Man  sagt, 
es  sei  in  einen  Block  gearbeitet,  der  an  dieser  Stelle  aus  der  Berg- 
wand vorsprang.  Die  Arbeit  ist  so  bewundernswürdig,  dass  man 
sie  gemeinhin  dem  Gian  Lorenzo  Bernini  oder  dem  Nicolo  Menghini, 
einem  berühmten  Bildhauer  in  jener  Zeit  und  Klienten  der  Familie 
Barberini  zuschreibt."  Petrini  beruft  sich  hierfür  auf  Suaresius : 
Praenestis  antiquae  libri  II,  Romae  1655,  p.  259.  Dieser  Suaresius 
sagt  aber  Nichts  von  der  Pietä,  sondern  erzählt  nur,  dass  der  Bild- 
hauer Menghini  um  1650  im  Berg  von  Palestrina  einen  dem  Mar- 
mor ähnlichen  harten  röthlichen  Stein  entdeckt  und  ihn  für  deko- 
rative Skulpturen  des  Palazzo  verwerthet  habe.  Er  fährt  dann 
fort :  ,, Joannes  insuper  Laurentius  Berninus ,  eques  ingeniosissimus 
et  celeberrimus  architectus,  effinxit  illo  e  lapide  cranium  seu  calva- 
riam ,  quae  naturam  ipsam  exsuperat ,  et  pulvinari ,  quod  heraclio 
e  silici  concinnarat,  imposuit." 

Cecconi  hat  diese  Stelle  missverstanden :  das  Wort  calvariam 
(Todtenschädel)  als  calvarium  (Schädelstätte)  gelesen  und  daraufhin, 
sowie  auf  die  Angaben  von  der  allgemeinen  Thätigkeit  Menghinis 
hin,  die  Pietä  dem  Bernini  oder  dem  Menghini  zugeschrieben.  Sein 
Zeugniss  hat  also  keine  Bedeutung,  so  wenig  wie  dasjenige  Abbates 
(Guida  della  Provincia  di  Roma  II,  p.  353):  ,,man  schreibt  die  Pietä 
Michelangelo  zu,  sie  ist  aber  vielmehr  von  Bernini." 

Die  einzige  zu  beachtende  ältere  Tradition  spricht  also  von 
Michelangelo. 


Entwurf  zu  einer  Petrusstatue  in  S.  Pietro  283 

VI 

Entwurf  zu  einer  Petrusstatue  in  S.  Pietro 

In  dem  Inventar  der  Hinterlassenschaft  des  Meisters  wird  er- 
wähnt: „una  statua  principiata  per  uno  santo  Pietro,  sbozzata  et 
non  finita."  Daniele  in  seinem  Briefe  vom  17.  März  1564  (Gotti  II, 
S.  358)  führt  sie  gleichfalls  an :  ,,un  San  Pietro  in  abito  di  Papa, 
in  sul  quäle"  (hier  fehlt  offenbar  Etwas  im  Text  oder  bezieht  sich 
dies  auf  die  gleich  darauf  erwähnte  Pietä  Rondanini,  die  danach 
oberhalb  des  Petrus  im  Studio  angebracht  gewesen  wäre?). 

Sie  kam  in  den  Besitz  Lionardos,  und  Dieser  gab  bei  seiner 
Abreise  von  Rom  den  Freunden  den  Auftrag,  sie  zu  verkaufen. 
Dies  geht  aus  einem  Briefe  des  Giacomo  del  Duca  an  Lionardo  vom 
14.  Februar  1566  hervor.  Er  hat  vom  Papste  Pius  V.  den  Auftrag 
erhalten ,  eine  Zeichnung  für  das  Grabmal  Pauls  IV  zu  machen 
und  beabsichtigt,  die  angefangene  Statue  Michelangelos  für  die  des 
sitzenden  Papstes  zu  verwerthen.  Im  Falle  Lionardo  hiermit  ein- 
verstanden sei,  sollen  zwei  Sachverständige  den  Preis  festsetzen. 
Am  9.  März  berichtet  Diomede  Leoni,  es  sei  noch  Nichts  darüber 
festgestellt,  ob  die  Statue  für  das  Grabmal  Pauls  IV.  oder  für  ein 
anderes  bestimmt  werde ;  aber  man  behalte  die  Sache  im  Aucre, 
sowohl  im  Hinblick  darauf,  dass  die  Figur  verdiene  ans  Licht  ge- 
zogen zu  werden ,  als  auch  im  Interesse  Lionardos.  Für  dieses 
würden  Jacopo  und  Daniele  sorgen  (Daelli  Nr.  39.  40).  Am 
28.  März  wiederholt  er,  dass  er  für  die  Statue  bedacht  sein  werde, 
vAe  für  sein  Eigenthum,  Er  hoffe,  Pius  V.  werde  an  seinem  Ent- 
schlüsse ,  sie  zu  verwerthen ,  festhalten  (Steinmann  und  Pogatscher 
S.  409).  Noch  1572  ist  sie  aber  nicht  verkauft,  denn  Vasari 
schreibt  am  18.  Januar  aus  Rom  an  Lionardo:  ,,noch  habe  ich 
keinen  Weg  für  den  Verkauf  Eures,  in  Marmor  abozzirten  Papstes 
gefunden:  ich  werde  aber  nicht  vergessen,  daran  zu  denken"  (Va- 
sari Vffl,  465). 

Ich  habe  in  den  Annalen  die  Frage  aufgeworfen,  ob  diese 
Statue  die  am  24.  Juni  1508  erwähnte  „Statue  Seiner  Heiligkeit", 
nämlich  Julius'  IL,  die  aus  dem  Groben  zugehauen  war,  sei.  Sie 
wurde  damals  mit  drei  anderen  Statuen  von  Carrara  nach  Rom 
gesandt.  Die  Frage  ist  schwerlich  zu  bejahen.  Man  muss  doch 
annehmen,  dass  mit  der  ,, Statue  Julius'  II."  nur  die  liegende  Sar- 
kophagfigur gemeint  sein  könne,  da  wir  von  einer  sitzenden  Papst- 
statue am  Juliusdenkmal  (I.  Entwurf)  Nichts  wissen. 

Für  welchen  Zweck  ist  aber  dann  jene  in  der  Hinterlassenschaft 
Michelangelos  gefundene  Papststatue  bestimmt  gewesen,  deren  end- 
gültiges  Schicksal    uns    unbekannt   bleibt.?     Stellte   sie    doch    einen 


284  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


Petrus  dar  und  wäre  sie  dann  für  S.  Peter  entworfen  worden  und 
in  der  späteren  Zeit  des  Meisters  entstanden?  Dies  wäre  wohl 
denkbar,  denn,  wie  die  folgende  Nummer  zeigt,  plante  Michelangelo 
eine  Statue  für  die  Kirche. 

VII 

Karton  zu  einer  Statue  in  S.  Peter 

Im  Inventar  von  1 564  erwähnt :  un  altro  cartone  grando,  dove 
e  designato  et  schizzato  una  figura  grande  sola.  Von  diesem 
Karton  sagt  Daniele  da  Volterra  in  seinem  Briefe :  uno  Apostolo,  il 
quäle  disegnava,  per  farlo  di  marmo  in  San  Pietro. 

Nichts  Weiteres  über  diesen  Plan  ist  uns  bekannt,  und  der 
Karton  ist  heute  nicht  mehr  nachzuweisen. 


B.  Mythologisches 

VIII 

Der  Kauernde  in  der  Petersburger  Eremitage 

Keinerlei  Nachricht  ist  uns  über  dieses  Werk  erhalten.  Auch 
seine  Provenienz  ist  unbekannt.  Die  Forschung  hat  sich  wenig 
mit  ihm  beschäftigt.  Man  fand  sich  mit  ihm  ab ,  indem  man  die 
allgemeine  Vermuthung  aufstellte,  er  sei  für  das  Juliusdenkmal  be- 
stimmt gewesen ,  und  zwar  für  eine  der  Viktoriengruppen.  Diese 
Ansicht  widerlegte  Carl  Justi  (S.  289)  mit  Recht.  Er  meint,  viel- 
leicht sei  die  Gestalt  durch  den  Dornauszieher  angeregt  worden, 
als  eine  Variante  in  Michelangelos  Geschmack.  Sie  sei  aber  nicht 
als  Genrebild,  sondern  als  Experiment  stärkster  Biegung  der  Knie- 
gelenke aufzufassen.  Die  Authentie  werde  durch  G.  B.  Francos  Bild 
der  Schlacht  bei  Montemurlo  (Pitti  144)  bewiesen.  Dies  halte  ich 
nicht  für  zutreffend :  die  hockende  Figur  in  diesem  Gemälde  ist 
nicht  der  Statue  nachgebildet,  sondern  dem  ,, Traum"  entnommen. 
Hingegen  dürfte  das  Motiv  der  Statue  der  am  Bratspiess  kauernden 
Figur  links  in  letzterem  Werke  verglichen  werden. 

Eine  Genrefigur  hatte  sie  Wölfflin  genannt,  der  das  Motiv  dahin 
deutet,  der  Knabe  putze  sich  die  Füsse.  ,,Das  Werk  sieht  aus,  wie 
die  Lösung  einer  bestimmten  Aufgabe;  als  ob  es  ihm  wirklich  darum 
zu  thun    gewesen   sei,    einmal  mit  dem  mindesten  Maass  von  Auf- 


Der  Apollo  oder  David  für  Baccio  Valori  285 

lockerung  und  Zerstückelung  des  Volumens  eine  möglichst  reiche 
Figur  herauszubringen.  So  würde  Michelangelo  den  Dornauszieher 
nach  seinem  Sinn  gemacht  haben."  Eine  ausführlichere  Würdigung 
widmete  Carl  Frey  der  Statue  (Allgemeine  Zeitung  1905,  Nr.  276, 
277,  Beilage.  Italienische  Übersetzung  von  Aldo  Foratti :  di  una 
statua  di  M.;  Padova  1906.  Biogr.  Mich.  I,  S.  3 14  ff.).  Er  setzt  sie 
in  die  Zeit  des  römischen  Aufenthaltes  1497,  noch  vor  den  Bacchus 
und  die  Pietä:  es  sei  vielleicht  die  Figur,  die  Michelangelo  „zu 
seinem  eigenen  Vergnügen"  machte  (Brief  19.  August  1497).  Doch 
sei  auch  1500  denkbar.  Auch  er  glaubt,  dass  der  ,, Dornauszieher" 
den  Künstler  angeregt  habe.  Der  Knabe  habe  offenbar  einen  starken 
Schmerz  empfunden  und  bemühe  sich,  dessen  Ursache  zu  beseitigen. 
Die  auch  mögliche  Auffassung,  er  versuche  sich  zu  erheben  und 
die  Sandale  anzulegen,  bleibe  willkürlich,  da  die  unausgeführte  Parthie 
das  Motiv  nicht  erkennen  lasse.  Den  Gedanken,  die  Gestalt  sei 
vielleicht  als  Brunnenfigur  gedacht,  hat  Frey  neuerdings  aufgegeben. 
Der  zeitlichen  Ansetzung  des  Werkes  durch  Frey  vermag  ich 
nicht  beizustimmen.  Die  mächtige  Formensprache  und  die  Intensität 
der  Bewegung  scheint  mir  auf  eine  spätere  Zeit  hinzudeuten.  Ob 
auf  die  ganz  späte,  wie  Knapp  will,  oder  etwa  die  der  Medici- 
gräber,  scheint  mir  unmöglich  zu  bestimmen.  Ich  glaube  das 
letztere.  Knapp  hält  es  für  denkbar,  dass  Michelangelo  durch  den 
1538  gefundenen  ,, Schleifer"  ,,zu  diesem  Bravourstück  animirt 
worden  sei".     Dies  dünkt  mich  wenig  wahrscheinlich. 


IX 

Der  Apollo  oder  David  für  Baccio  Valori 

,,Um  sich  Baccio  Valori  zum  Freund  zu  machen,  begann  Michel- 
angelo eine  Marmorfigur,  drei  Ellen  hoch,  nämlich  einen  Apollo, 
der  einen  Pfeil  aus  dem  Köcher  zieht ,  und  machte  sie  fast  fertig ; 
heute  befindet  sie  sich  im  Zimmer  des  Herzogs  von  Florenz ,  ein 
Werk  von  seltener  Schönheit,  obgleich  es  nicht  ganz  vollendet  ist." 
(Vasari,  II.  Auflage.)  In  der  ersten  Auflage  nannte  Vasari  die 
Statue  eine  ,,figuretta",  ohne  anzugeben,  dass  sie  im  Besitze  Cosi- 
mos  sei.  Michelangelo  hat  sich  im  Herbst  1530  mit  der  Arbeit 
beschäftigt.  Sie  wird  in  einem  Briefe  Valoris  an  den  Meister  er- 
wähnt (Datum  ungewiss:  Frey  glaubt  April  1532,  ich  nehme  an: 
Februar  1531).  ,, Bezüglich  meiner  Figur  will  ich  Euch  nicht  drängen, 
denn  ich  bin  dessen  ganz  gewiss :  bei  der  Liebe,  die  Ihr  für  mich 
habt,  bedarf  es  keines  Drängens."     (Frey:  Briefe,  S.  324.) 

In  dem  Inventar  der  Kunstschätze  Cosimos  I.,  das  Cosimo  Conti 
publizirt   hat    (La    prima  Reggia    di  Cosimo,    Florenz   1893.    I.  35)» 


286  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

wird  die  Statue  in  dem  vierten  Räume  zusammen  mit  dem  Bacchus 
des  Bandinelli ,  dem  Bacchus  des  Sansovino  und  einem  antiken 
Putto  angeführt,  und  zwar  als  „Davit  dcl  Buonarroto".  Milanesi 
thcilt  mit,  dass  sie  viele  Jahre  unerkannt  in  einer  Nische  des  Theaters 
im  Boboligarten  gestanden.  Von  dort  kam  sie  in  die  Galerie  der 
Offizien  und  neuerdings  in  das  Museo  nazionale. 

Nur  die  letzte  Bearbeitung  fehlt  der  Statue,  deren  Verwandt- 
schaft mit  den  Sklaven  wiederholt  hervorgehoben  worden  ist.  Wenn 
Symonds  sogar  annahm ,  sie  sei  ursprünglich  als  Sklave  gedacht 
und  für  das  Juliusdenkmal  bestimmt  gewesen,  so  widersprechen  dem 
die  Grössenverhältnisse. 

Stellt  sie  einen  Apollo  oder  einen  David  dar.?  Welche  der  beiden 
älteren  Aussagen:  die  Vasaris  oder  die  des  Inventares  hat  Recht.? 
Knapp  hat  sich,  dem  Katalog  des  Museo  nazionale  folgend,  neuer- 
dings für  die  Benennung:  David  entschieden.  Und  hierfür  scheint 
die  kugelförmige  Erhöhung,  auf  welche  der  rechte  Fuss  gesetzt  ist, 
in  der  That  zu  sprechen.  Der  Katalog  bezeichnet  sie  kurzweg  als 
Haupt  des  Goliath,  seltsamer  Weise  aber  meint  er,  die  Hand  greife 
an  die  Haare,  statt  das  Motiv,  wie  sehr  nahe  liegt,  als  Halten  der 
Schleuder  zu  kennzeichnen.  Denn  sehr  wohl  könnte  man  mit  dem 
roh  gelassenen  Stück  im  Rücken  sich  eine  Schleuder  beabsichtigt 
denken.  Und  dann  läge  es  weiter  nahe,  in  dem  undeutlichen  Gegen- 
stand, der  von  der  rechten  Hand  gehalten  wird  und  nicht  das  Ende 
eines  Gewandstückes  sein  kann,  einen  Stein  zu  erkennen. 

Die  Bezeichnung:  ,, David"  hat  ohne  Zweifel  viel  für  sich.  Bei 
näherer  Prüfung  aber  wird  man  wieder  stutzig.  Was  soll  dieses 
Fassen  der  Schleuder,  da  Goliath  ja  bereits  getödtet.?  Nach  der 
Stellung  der  Finger  kann  der  Gegenstand  in  der  rechten  Hand  nicht 
wohl  ein  Stein  sein.  Und  das  in  Form  und  Bewegung  sich  aus- 
sprechende milde,  gelinde  Wesen  will  zu  einem  von  Michelangelo 
gebildeten  David  nicht  recht  passen.  Der  Gegenstand  im  Rücken 
kann  ebensowohl  einen  Köcher,  wie  eine  Schleuder  bedeuten,  ja 
die  Stellung  spricht  mehr  für  den  ersteren :  aus  ihm  würde  der 
Jüngling  (freilich  nicht  bloss  mit  Daumen  und  Zeigefinger,  sondern 
mit  der  ganzen  Hand)  einen  Pfeil  ziehen.  Sollte  Vasari ,  dessen 
Angabe  sehr  beachtenswerth  bleibt,  nicht  das  Richtige  angegeben 
haben .? 

Nun  stellen  sich  aber  auch  hier  wieder  Bedenken  ein.  Die 
Gestalt  hat,  wie  schon  Wickhoff  hervorhob,  so  gar  nichts  Apolli- 
nisches, dass  wir  ohne  Vasaris  Angabe  schwerlich  auf  den  Gedanken, 
Apollo  sei  dargestellt,  kommen  würden.  Man  müsste  dann  doch  in 
der  Rechten  einen  Bogen  annehmen :  das  ist  aber  der  Stellung  der 
Hand  nach  nicht  wohl  möglich.  Und  unerklärlich  bliebe  auch  der 
runde  Gegenstand  am  Boden. 


Die  Brutusbüste  287 


In  dem  Kampf  der  Argumente  scheinen  mir  schliesslich  die  flir 
David  sprechenden  die  stärkeren  zu  bleiben. 

Auf  die  Verwandtschaft  einer  Zeichnung  in  der  Casa 
Buonarroti  (VII,  34.  Thode  34.  Ber.  1662)  mit  der  Statue  machte 
Berenson  aufmerksam,  der  sie  dem  Antonio  Mini  zuschreibt.  Auch 
ich  kann  sie  nicht  für  Michelangelo  in  Anspruch  nehmen,  glaube 
aber,  dass  ihr  eine  Originalstudie  des  Meisters  zu  Grunde  liegt, 
und  diese  dürfte  in  der  That  den  ersten  Gedanken  zu  der  Statue 
enthalten.  Die  Stellung  des  Kopfes  und  des  linken  über  die  Schulter 
langenden  Armes  ist  schon  fixirt,  doch  steht  die  Figur  noch  mit 
leicht  über  das  linke  gelegtem,  etwas  erhobenem  rechten  Beine,  und 
der  rechte  nach  unten  gestreckte  Arm  ist  nicht  an  den  Schenkel  gelegt. 

Ein  Wachsmodell  im  South  Kensington  Museum  (Thode  603) 
zeigt  wohl  in  der  Haltung  der  Arme ,  nicht  aber  in  der  Stellung 
und  Kopfbewegung,  Verwandtschaft  mit  der  Statue. 

X 

Die  Brutusbüste 

Die  einzige  alte  Nachricht,  die  wir  über  sie  besitzen,  findet 
sich  in  Vasaris  zweiter  Auflage.  Von  Calcagni  sprechend,  fährt  er 
fort :  ,,aus  Liebe  zu  ihm  hatte  ihm  Michelangelo,  wie  erwähnt  ward, 
die  zerbrochene  Marmorgruppe  der  Pietä  zu  vollenden  gegeben, 
und  dazu  eine  überlebensgrosse  Marmorbüste  des  Brutus,  damit  er 
sie  vollende ,  denn  nur  der  Kopf  war  mit  gewissen  sehr  feinen 
Gradireisen  von  ihm  ausgeführt  worden.  Diese  Büste  hatte  er  nach 
einem  Bildniss  des  Brutus  auf  einem  antiken,  sehr  alten  Cornolin, 
der  sich  im  Besitze  des  Herrn  Giuliano  Ceserino  befand,  entworfen, 
und  zwar  fertigte  er  sie  auf  Bitten  seines  vertrauten  Freundes 
Donato  Giannotti  für  den  Kardinal  Ridolfi  an,  ein  seltenes  Werk." 

Wir  erinnern  uns  der  Dialoge  Giannottis,  in  denen  Michel- 
angelo sich  über  Brutus  äussert  (s.  Band  I  meines  Michelangelo, 
S.  122  ff.).  Das  Gedenken  an  Lorenzino  de'  Medici,  der  nach  der 
Errnordung  Alessandros  1536  allgemein  als  Brutus  gefeiert  wurde, 
war  im  Kreise  der  florentinischen  Verbannten  lebendig.  Es  wird 
die  Veranlassung  zur  Entstehung  der  Büste  gegeben  haben,  die  für 
einen  Florentiner  bestimmt  war.  (Vgl.  hierzu  Fried.  Portheim : 
Rep.  für  Kunstw.  1889,  XII,  S.  151  ff.).  Von  irgend  welcher  Absicht, 
Lorenzino  zu  porträtiren,  kann  aber  natürlich  gar  keine  Rede  sein. 

Die  Inschrift,  als  deren  Verfasser  man  im  XVIII.  Jahrhundert 
(Richardson,  Volkmann)  Bembo  nannte,  lautet: 

Dum  Bruti  effigiem  sculptor  de  marmore  ducit, 
In  mentem  sceleris  venit  et  abstinuit. 


288  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

Volkmann  bemerkt  (I,  554):  ein  Engländer  (der  Earl  of  Sand- 
wich), der  ersichtlich  vom  Geist  der  Freiheit  eingenommen  war, 
veränderte  dieses  Distychon  in  folgendes : 

Brutum  effecisset  sculptor,  sed  mente  recursat 
Tanta  viri  virtus;  sistit  et  abstinuit. 

Wohl  nicht  auf  die  Büste,  sondern  auf  eine  antike  Statue,  be- 
ziehen sich  Verse  des  F.  M.  Molza,  die  ich  des  allgemeinen  Inter- 
esses wegen  anführe  (Poesie  volgari  e  latine,  Bergamo  1747,  II,  182). 

Ad  Bruti  statuam  Romae 
Ultorem  venerare  virum,  quo  vindice  Roma 
Sustulit,  exactis  regibus,  ante  Caput. 
Viveret  effigies  haec  marmore  ficta,  liceret, 
Extincta,  Bruto  vivere  si,  Patria. 

Über  die  früheren  Schicksale  des  Werkes  sind  wir  nicht  unter- 
richtet. Im  XVII.  Jahrhundert  befand  es  sich  im  Cortile  der  Medici- 
villa  La  Petraja.  (Steinmann  und  Pogatscher:  Rep.  für  Kunstw. 
XIX,  S.  418).  Im  XVIII.  Jahrhundert  in  der  Grossherzoglichen 
Sammlung,  wo  es  in  der  Sala  delle  Iscrizioni  aufbewahrt  ward. 
Von  dort  kam  es  in  das  Museo  nazionale. 

Die  Richtigkeit  der  Angabe  Vasaris,  Michelangelo  habe  sich  an 
einen  antiken  Intaglio  gehalten ,  ward  von  Springer  und  Portheim 
bezweifelt,  da  sich  keinerlei  Verwandtschaft  mit  antiken  Darstel- 
lungen des  Brutus  zeigt.  Sie  tritt  aber  doch  so  bestimmt  auf,  dass 
wenn  auch  nicht  der  geschnittene  Kopf  eines  Brutus,  so  doch  einer 
anderen  Persönlichkeit  dem  Meister  vorgelegen  haben  dürfte.  Mir 
scheint,  dass  Michelangelo  auch  von  Büsten  des  Caracalla  inspirirt 
worden  ist.  Dass  Calcagni  pietätvoll  davon  abgestanden  ist,  das 
Werk  zu  berühren,  scheint  gewiss:  die  Handschrift  Michelangelos 
ist  in  der  subtilen,  ungemein  lebendigen  Behandlung  des  Marmors, 
so  wie  es  Vasari  sagt,  durchweg  zu  erkennen.  Bezüglich  der 
elementaren  Gewalt  der  Charakteristik  sind  sich  alle  Betrachter  einig. 
Guillaume  vergleicht  sie  der  Shakespeare'schen  Kunst,  der  Eindruck 
sei  der  eines  leidenschaftlichen  Redners.  Nicht  ein  Politiker,  nicht 
ein  Patrizier,  sondern  ein  Tribun,  ein  Rienzi  sei  dargestellt,  Klazcko 
findet  die  Züge  des  gefesselten  Sklaven  wieder. 

XI 

Entwürfe  zu  einer  Kolossalstatue  für  die  Piazza: 
Herkules  und  Antäus,  Herkules   und  Kakus,  Simson   und 

zwei  Philister 

/.   Geschichtliches. 

Am  10.  Mai  1508  bat  Pier  Soderini  den  Marchese  von  Massa, 
Alberigo  Malaspina,  einen  Marmorblock  zu  reserviren,  aus  dem  man 


Entwürfe  zu  einer  Kolossal statue  für  die  Piazza  289 

in  Florenz  eine  Statue  für  die  Piazza  machen  wolle.  Im  August 
bittet  der  Marchese,  den  Block  holen  zu  lassen.  Er  erhält  darauf 
am  4.  September  folgende  Antwort:  ,, Michelangelo ,  von  einem 
guten  Sterne,  wie  wir  sagen  möchten,  zum  Bildhauer  bestimmt,  ist 
noch  nicht  hier  gewesen,  thut  uns  aber  kund,  dass  er  binnen 
Kurzem  kommen  wird,  und  sogleich  nach  seiner  Ankunft  werde  ich 
ihn  nach  dort  senden ,  mit  dem  Auftrag,  den  Block  zu  verkleinern 
und  ihn  derart  zuzurichten,  dass  er  leichter  gehoben  und  transpor- 
tirt  werden  kann."     (Gaye  II,  97.) 

Am  16.  Dezember  schreibt  Soderini  an  Malaspina:  ,,Man  hat 
noch  nicht  nach  dort  geschickt,  den  Marmor  behauen  zu  lassen, 
weil  Unser  Herr  der  Papst  dem  Meister  Michelangelo,  unserem  Mit- 
bürger, noch  nicht  die  Erlaubniss  gegeben  hat,  sich  hierher  zu  be- 
geben, auch  nicht  für  25  Tage.  Und  da  es  in  Italien  Keinen  giebt, 
der  im  Stande  wäre,  ein  Werk  von  solcher  Art  zu  Ende  zu  führen, 
ist  es  nothwendig,  dass  nur  er,  und  kein  Anderer,  nach  dort  komme, 
den  Block  zu  sehen  und  aus  dem  Groben  zu  arbeiten,  denn  jeder 
Andere,  der  seine  Phantasieabsicht  nicht  kennt,  könnte  ihn  ver- 
derben. Daher  können  wir,  solange  er  nicht  kommt,  was,  wie  wir 
hoffen ,  aber  bald  der  Fall  sein  wird ,  weder  unsern ,  noch  Eurer 
Signoria  Wunsch  befriedigen."  Ein  anderes  Bruchstück  eines 
Briefes  lautet:  ,,Und  da  Sie  so  grosse  Geduld  gehabt  haben,  wolle 
es  Ihnen  genehm  sein ,  dass  wir  in  die  Lage  versetzt  werden,  von 
diesem  Meister  Michelangelo  eine  Statue  solcher  Art  machen  zu 
lassen,  dass  wir  uns  vor  den  antiken  nicht  zu  schämen  brauchen. 
Und  der  Marmor  wird  gut  bezahlt  werden."     (Gaye  II,   107.) 

Was  die  Statue  darstellen  sollte,  erfahren  wir  nicht.  Wir 
dürfen  vermuthen,  dass  man  schon  damals  an  einen  Herkules  dachte, 
der  auf  dem  Siegel  der  florentinischen  Republik  zu  sehen  war. 
(Mil.  Anm.  Vasari  VI,  148,  nach  Manni :  Sigilli  antichi  I,  p.  38.) 
Längere  Zeit  vergeht.  Als  im  Jahre  1515  auf  dem  Wege  nach 
Bologna  Leo  X.  durch  Florenz  kam,  Hess  die  Stadt,  so  erzählt 
Vasari  im  Leben  des  Bandinelli  (VI,  S.  141),  ihm  zu  Ehren  neben 
anderer  festlicher  Ausschmückung,  in  der  Loggia  dei  Lanzi  unter 
einem  Bogen  nahe  beim  Palazzo  von  Bandinelli  die  Kolossalstatue 
eines  Herkules,  9^^  Ellen  hoch,  errichten.  Den  Verheissungen 
Baccios  nach  erwartete  man  Etwas,  was  Michelangelos  David  über- 
treffe, wurde  aber  enttäuscht,  was  dem  Ansehen  des  Künstlers  sehr 
schadete.  Offenbar  handelte  es  sich  bei  dieser  Arbeit  um  eine  Art 
von  Projekt  für  jene  Marmorstatue,  die  man  1508  auf  der  Piazza 
zu  errichten  beschlossen  hatte.  Die  Grösse :  9V.2  Ellen  stimmt  mit 
der  Grösse  des  Blockes,  von  dem  Vasari  im  Folgenden  spricht. 

,, Schon  zu  Zeiten  Leos  X.,"  so  liest  man  weiter  in  Bandi- 
nellis  Biographie,  ,,war  zugleich  mit  den  Marmorblöcken  für  die 
f  *  19 


290 


Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


Fassade  von  S.  Lorenzo  ein  grosser  Block,  9^/^  Ellen  hoch  und 
unten  5  Ellen  breit,  aus  dem  Steinbruch  gefördert  worden."  (Ver- 
muthlich  ist  es  kein  anderer,  als  jener  1508  erwähnte,  eben  weil 
Bandinelli  ja  schon  151 5  sein  Herkulesmodell  in  dieser  Grösse,  also 
im  Hinblick  auf  den  Block,  anfertigte.)  ,,Aus  diesem  Block  hatte 
Michelangelo  den  Gedanken  gefasst,  einen  Giganten  in  Gestalt  des 
Herkules,  welcher  den  Kakus  tödtet,  zu  machen,  um  ihn  auf  der 
Piazza  neben  dem  früher  von  ihm  gemachten  Giganten  David  auf- 
zustellen, Beide,  den  David  und  den  Herkules,  als  Embleme  des 
Palastes.  Und  er  hatte  mehrere  Zeichnungen  und  verschiedene 
Modelle  angefertigt  und  versucht,  die  Gunst  des  Papstes  Leo  und 
des  Kardinals  Giulio  hierfür  zu  gewinnen;  denn  er  sagte,  jener 
David  habe  viele  Fehler,  die  vom  Bildhauer  Andrea  (muss  heissen : 
Bartolommeo)  verschuldet  waren ,  der  ihn  zuerst  bekam  und  ruinirt 
habe.  Aber  in  Folge  des  Todes  Leos  X.  blieb  damals  die  Fassade 
und  dieser  Marmorblock  liegen." 

Vasari  erzählt  nun  weiter,  wie  Domenico  Boninsegni,  zum  Feinde 
Michelangelos  geworden,  dem  Papste  Clemens  VII.  gerathen  habe, 
die  Fassade  von  S.  Lorenzo  aufzugeben,  die  Sakristei  zu  bauen 
und  Bandinelli  den  Block  übergeben  zu  lassen,  was  Clemens  gethan. 
Diese  Verknüpfung  der  Thatsachen  ist  offensichtlich  eine  falsche. 
Wahr  aber  wohl  dies,  dass  1525  Baccio  vom  Papst  ausersehen  war 
für  das  Werk  und  sein  erstes  Modell  wohl  damals  schon  ange- 
fertigt hatte. 

Was  wir  nun  sicher  wissen,  ist,  dass  am  20.  Juli  1525  die 
Kommune  von  Florenz  den  Block,  der  jetzt  auf  8^/„  Ellen  Höhe 
und  2^/2  Ellen  Breite  angegeben  wird,  nach  Florenz  bringen  liess. 
(Gaye  II,  464.  Contratti  700.)  Nach  Vasari  hätte  Bandinelli  ihn 
geholt ;  acht  Meilen  vor  Florenz  sei  der  Marmor  ins  Wasser  gefallen 
und  von  Pietro  Roselli  gehoben  worden.  Dieser  Vorfall  gab  zu 
Spottversen  Anlass ;  darunter  war,  nach  Vasari,  einer,  welcher  be- 
sagte :  der  Marmor  habe  sich,  verzweifelt  über  die  Aussicht  von 
Bandinelli  verstümmelt  zu  werden,  in  den  Arno  geworfen.  Die 
öffentliche  Meinung  und  der  allgemeine  Wunsch  nun  ist,  dass 
Michelangelo  die  Statue  anfertige.  Er  selbst  äussert  sich  hier- 
über  in  einem  Briefe  (Okt.  1525.   Lett.  425)  an  Fattucci  in  Rom  : 

,,Piero  Gondi  hat  mir  einen  Brief  von  Euch  gezeigt,  der  eine 
Antwort  ist  auf  einen,  den  er  Euch  vor  einigen  Tagen  geschrieben 
hat ;  und  wie  ich  aus  ihm  sehe,  wünschtet  Ihr  zu  erfahren,  von  wem 
ich  gebeten  worden  bin,  wie  Euch  Piero  schrieb,  der  die  Wahrheit 
geschrieben  hat.  Ich  bin  von  mehreren  Personen  gebeten  worden, 
und  zwar  von  Denen,  denen  es  zukommt;  Lorenzo  Morelli  ist  einer 
von  Jenen,  die  meine  Meinung  erfahren  wollten,  und  zwar  in  folgen- 
der Weise.     Francesco  da  San  Gallo  kam  zu    mir   und    sagte   mir, 


Entwürfe  zu  einer  Kolossalstatue  für  die  Piazza 


291 


es  wäre  besagtem  Lorenzo  lieb  zu  wissen,  ob  ich  bereit  sei  ihm  zu 
dienen,  wenn  er  die  Sache  unternähme;  ich  antwortete,  dass  an- 
gesichts ihres  und  des  ganzen  Volkes  Wohlwollen  ich  mir  dasselbe 
verdienen  könne  nur,  indem  ich  die  Statue  mache,  und  zwar,  wozu 
ich  verpflichtet,  als  Geschenk,  falls  es  dem  Papste  genehm  sei ;  denn 
ohne  seine  Erlaubniss,  da  ich  ihm  verpflichtet  bin,  kann  ich  nichts 
Anderes  übernehmen  als  seine  Aufträge.  Messer  Luigi  della  Stufa 
hat  mich  noch  mehrmals  um  das  Gleiche  angegangen ,  und  ich 
habe  dieselbe  Antwort  gegeben.  Niemals  habe  ich  mich  anders 
geäussert  und  hätte  auch  nicht  zuerst  gesprochen ;  aber  da  ich  ge- 
fragt wurde,  war  ich  genöthigt,  zu  antworten.  Noch  in  diesen 
Tagen  haben  von  Neuem  mir  gewisse  Leute  gesagt,  dass  die  Vor- 
steher der  Domopera  sich  veranlasst  gesehen  haben,  sich  dahin  zu 
äussern :  vorausgesetzt,  dass  ich  sie  mache,  würde  es  sie  nicht  be- 
kümmern, zwei  oder  drei  Jahre  zu  warten,  bis  ich  dem  Papst  gegen- 
über meine  Verpflichtungen  gelöst." 

Diese  Angaben  werden  durch  die  Chronik  Cambis  bestätigt 
(Gaye  11,  464) :  ,,und  wir  hatten  damals  in  Florenz  einen  Bildhauer 
und  Maler,  den  florentinischen  Bürger  Michelangelo,  den  besten 
Meister,  von  dem  man  zu  seiner  Zeit  Kunde  hatte.  Daher  ver- 
langte das  Volk,  er  solle  die  Statue  arbeiten,  da  er  schon  den 
Giganten  gemacht.  —  —  —  Denn  sie  hofften,  er  werde  ein  grosses, 
würdiges  Werk  schaffen :  einen  Herkules,  der  den  Giganten  Antäus 
erdrückt.  Da  er  aber  die  Medicigräber,  die  Clemens  VII.  machen 
Hess,  arbeitete,  bestimmte  besagter  Papst,  dass  ein  anderer  floren- 
tiner  Bildhauer  die  Statue  mache,  damit  die  Grabdenkmäler  nicht 
unvollendet  blieben." 

Der  Brief  Fattuccis ,  der  von  dieser  Anordnung  des  Papstes 
spricht,  ist  uns  bekannt.  (10.  November  1525.  Frey:  Briefe  S.  266.) 
,,Dann  sprach  ich  mit  Seiner  Heiligkeit  über  die  Statue,  welche  für 
die  Piazza  bestimmt  ist.  Er  gab  mir  die  gleiche  Antwort  und 
sagte  dann:  sag'  ihm,  dass  ich  ihn  ganz  für  mich  will  und  nicht 
will,  dass  er  an  öffentliche  Angelegenheiten  und  die  Anderer  denke, 
sondern  an  die  meinigen  und  an  die  des  Julius."  An  Stelle  der 
Herkulesstatue  muthet  der  Papst  dem  Künstler  jenen  unsinnigen 
Koloss  auf  der  Piazza  di  S.  Lorenzo  zu. 

Auf  Wunsch  des  Papstes  wird  der  Block  wieder  Bandinelli 
überwiesen.  Dieser  macht  —  nach  Vasari  wäre  dies  schon  früher, 
vor  der  Überführung  des  Blockes  nach  Florenz,  geschehen  —  ein 
grosses  Wachsmodell  eines  Herkules  und  Kakus,  das  Vasari  später 
in  Herzog  Cosimos  Garderobe  sah  und  folgendermaassen  beschreibt: 
,, Herkules,  der  den  Kopf  des  Kakus  mit  einem  Knie  zwischen 
zwei  Felsen  zwängt,  umklammert  Dessen  Leib  gewaltsam  mit  dem 
linken  Arm,  indem  er  ihn  in  gequälter  Stellung  zusammengeschmiegt 

19* 


292  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

zwischen  den  Beinen  hält.  Gesenkten  Kopfes,  die  Zähne  fletschend, 
erhebt  er  den  rechten  Arm  und  versetzt  dem  Unterhegenden  einen 
zerschmetternden  Schlag  auf  den  Kopf." 

Hiernach  wäre  BandinelHs  Plan  von  Vorneherein  die  Gruppe 
des  Herkules  und  Kakus  gewesen ,  und  dies  wird  bestätigt  durch 
den  späteren  Kontrakt  vom  Jahre  1528,  worin  es  heisst:  ,,der  Mar- 
mor, den  wir  vor  etwa  drei  Jahren  aus  Carrara  kommen  Hessen, 
um  das  Bildwerk  des  Kakus  zu  machen."  Dieser  urkundlichen  Aus- 
sage steht  die  oben  erwähnte  des  Chronisten  Cambi  gegenüber, 
welcher  von  Herkules  und  Antäus ,  freilich  mit  Bezug  auf  Michel- 
angelos Plan,  spricht.  Löst  sich  der  scheinbare  Widerspruch  dadurch, 
dass  Michelangelo  den  Antäus,  Bandinelli  den  Kakus  plante.''  Die 
später  zu  besprechenden  Zeichnungen  lassen  keinen  Zweifel  hierüber. 

Wie  Vasari  fortfährt,  sieht  Bandinelli  die  Unmöglichkeit  ein, 
jenes  Modell  in  dem  Marmor  auszuführen.  So  macht  er  und  über- 
bringt er  dem  Papste  andere  Modelle,  unter  denen  eines  gewählt 
wird,  welches  den  Herkules  zeigt,  wie  er  Kakus  zwischen  seinen 
Beinen  an  den  Haaren ,  wie  einen  Gefangenen ,  gefasst  hält.  Ban- 
dinelli habe  dann  ein  Modell  in  der  vollen  Grösse  ausgeRihrt 
und  den  Marmor  zu  bearbeiten  angefangen.  ,,Zu  abbozziren", 
sagt  Vasari  im  Leben  Michelangelos ,  in  dem  Baccios :  er  legte 
die  Figur  ringsum  frei  bis  zum  Nabel  ,,scoprendo  le  membra 
dinanzi".  Dann  tritt  eine  Unterbrechung  ein,  und  am  22.  August 
1528  beschliessen  die  Signori  feierlich,  dass  der  Block  Michel- 
angelo übergeben  wird,  ,,der  aus  ihm  eine  Figur  mit  einer 
anderen  verbunden  machen  soll ,  was  und  wie  es  ihm  gut  dünke" 
(Gaye  II,  98).  Dies  der  Wortlaut  des  Dokumentes,  mit  dem  Vasaris 
Angabe  in  Einklang  steht :  ,,es  wurde  Michelangelo  der  Marmor 
gezeigt,  in  der  Absicht,  dass  er,  falls  der  Marmor  nicht  schon  zu 
tief  bearbeitet  sei,  ihn  nähme  und  zwei  Figuren  nach  seinem  Gut- 
dünken daraus  mache.  Michelangelo,  nachdem  er  den  Block  geprüft, 
dachte  an  eine  andere  verschiedene  Erfindung ,  gab  Herkules  und 
Kakus  auf  und  wählte  Simson  mit  zwei  Philistern  unter  sich,  die 
er  niedergeschlagen,  den  einen  todt,  den  anderen  noch  am  Leben, 
den  er,  einen  Eselskinnbacken  schwingend,  zu  tödten  trachtet.  Aber, 
wie  es  häufig  geschieht,  dass  menschliche  Gedanken  sich  Etwas  vor- 
nehmen ,  dessen  Gegentheil  von  der  Weisheit  Gottes  beschlossen 
ist,  so  geschah  es  auch  hier:  denn  als  der  Krieg  gegen  die  Stadt 
Florenz  entbrannte,  hatte  Michelangelo  an  Anderes  zu  denken,  als 
an  das  Glätten  von  Marmor,  und  musste  .Mch  aus  Furcht  vor  den 
Bürgern  aus  der  Stadt  entfernen.  Und  als  der  Krieg  zu  Ende  und 
der  Vertrag  geschlossen,  veranlasste  Clemens  Michelangelo,  die  Sa- 
kristei von  S.  Lorenzo  zu  vollenden,  und  gab  Baccio  den  Befehl, 
den  Giganten  zu  vollenden."    Bandinelli   beendete  sein  Werk  1534. 


Entwürfe  zu  einer  Kolossalstatue  für  die  Piazza 


293 


Baccio  d'Agnolo  und  der  ältere  Antonio  da  San  Gallo  leiteten  die 
Überführung  der  Statue  auf  den  Platz.  Ihre  Enthüllung  wurde  zum 
grossen  Ereigniss  und  rief  zahlreiche  Epigramme,  denen  dann  durch 
den  Herzog  Alessandro  ein  Ende  gemacht  wurde,  hervor. 

Dass  nach  Michelangelos  Modell  zum  Herkules  und  Antäus  im 
Auftrage  Herzog  Cosimos  Montorsoli  eine  Statue  zu  arbeiten  be- 
gonnen, erfahren  wir  durch  Vasari.  Als  Bandinelli  1544  durch 
Cosimo  viele  Marmorblöcke  Michelangelos  aus  Dessen  einstiger 
Werkstatt  erhielt,  fand  er  in  dem  Räume  von  S.  Lorenzo  einen 
Marmorblock  mit  zwei  Figuren:  den  Herkules  und  Antäus,  die,  von 
Montorsoli  ausgeführt,  schon  weit  gediehen  waren.  Baccio  sagte 
dem  Herzog,  der  Block  sei  verhauen  und  zerschlug  ihn  in  viele 
Stücke  (VI,  S.  168).  Wir  dürfen  dieser  Nachricht  wohl  Glauben 
schenken :  die  Erinnerung  an  die  einstige  leidenschaftliche  Be- 
schäftigung mit  dem  gleichen  Auftrag  entflammte  den  Rivalen  Michel- 
angelos zur  Vertilgung  jeder  Erinnerung  an  Dessen  Entwürfe  für 
die  Kolossalstatue.  Vermuthlich  hatten  Montorsoli  und  andere 
Freunde  des  Meisters  Gedanken  retten  und  in  einer,  wenn  auch 
kleineren  Statue,  dem  Werke  Bandinellis  entgegenhalten  wollen. 

Zusammenfassendes: 

Welche  Absichten  Michelangelo  1 508  bezüglich  des  Blockes 
gehabt,  vermuthen  wir.  Schon  damals  handelte  es  sich  um  einen 
Herkules.  Im  Jahre  1525  plant  er  einen  Herkules  mit  Antäus  (den 
später  Montorsoli  auszuführen  begann),  nicht,  wie  Bandinelli,  einen 
Herkules  mit  Kakus.  Ob  er  1528  einen  Augenblick  an  die  letztere 
Gruppe  gedacht,  da  sie  schon  von  Bandinelli  begonnen  war,  ist 
nicht  bestimmit  zu  sagen ,  doch  sprechen  hierfür  die  unten  zu  er- 
wähnenden Modelle.  Jedenfalls  liess  er  diesen  Plan  schnell  fahren 
und  entwarf  Modelle  zu  einem  Simson  mit  zwei  Philistern. 

2.  Entwürfe. 

A.    Herkules    und    Antäus. 

Dass  Michelangelo  ein  Wachsmodell  für  die  Gruppe  angefertigt, 
erfahren   wir    durch  Vasari,    der   berichtet,    dass    der  Meister    dem 
Leone  Leoni  zum  Dank  für  Dessen  Medaille  ein  solches  geschenkt 
habe.    Dieses  Modell  ist  heute  nicht  mehr  nachzuweisen,  wohl  aber 
besitzen  wir   einige  Studien    zu    der  Komposition ,    die    bereits  von 
Springer   und  Berenson  (I,  S.  213)    zusammengestellt  worden   sind. 
I.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XI,  53.    Thode  48.    Ber.  1664.    Neben 
mehreren  anderen  Studien  findet  sich  hier  eine  flüchtige,  un- 
deutliche Skizze  zu  der  Gruppe.    Herkules,  nach  links  gewandt, 
hat  Antäus    um  den  Leib  gefasst,    der,    wie  es  scheint,    sein 
rechtes  Bein  um  das  linke  des  Herkules  schlägt  und  mit  dem 


294  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

linken  Arme  Dessen  Kopf  wegzudrängen  versucht.  Seine  Ge- 
stalt überragt  die  des  Herkules  um  ein  Beträchtliches.  —  Nicht 
Originalskizze  des  Meisters,  sondern  Kopie  nach  einer  solchen. 
II.  London,  British  Museum  1859 — 6 — 25 — 557.  Thode  299. 
Ber.  1490.  Phot.  Br.  13.  Abb.  Ber.  PI.  CXXXVII.  Auf  dem 
Blatte  mit  Masken :  Rötheiskizze.  Herkules  nach  links  gewandt, 
das  linke  Bein  vorgestellt  und  in  den  Knieen  etwas  geknickt, 
hält  Antäus  um  den  Leib,  der  sich  mit  dem  linken  Bein  an 
sein  linkes  anklammert ,  den  Oberkörper  nach  rechts  hinten 
dreht  und  mit  der  Rechten  Herkules'  Kopf  zurückdrängt. 

III.  London,  British  Museum.  Malcolm  66.  Thode  352.  Ber.  1526. 
Vorderseite:  Brief  des  Meisters  vom  18.  Oktober  1524.  Verso: 
neben  anderer  Studie  Herkules,  der  hier,  nach  links  gewandt, 
Antäus  unter  dem  rechten  Arme  umfasst  und  die  Rechte  zum 
Schlage  erhebt.  Antäus  umklammert  mit  dem  rechten  Bein 
das  linke  des  Herkules;  sein  rechtes  ist  gekrümmt  eingeklammert 
zwischen  Dessen  Beinen.  Hier  ist  also  Antäus  nicht  so  hoch 
in  die  Luft  gehoben,  sondern  man  hat  mehr  den  Eindruck 
des  Ringkampfes. 

IV.  Oxford,  Nr.  45.  Thode  428.  Ber.  1712.  Letzterer  bezweifelt 
die  Ächtheit  der  Skizze,  die  für  mich  ausser  Zweifel  ist.  Die 
Verse  auf  demselben  Blatt  verlegt  Frey  (Dicht.,  S.  332)  in  die 
Jahre  1532,  1533.  Verso:  neben  anderen  Studien  zweimal  die 
Gruppe.  Antäus  umklammert  mit  den  Beinen  die  Hüften  des  nach 
links  gewandt  stehenden  Herkules  und  stemmt  sich  mit  den  Hän- 
den gegen  Dessen  Kopf,  von  des  Herkules'  Armen  umschlungen. 

Drei  dieser  Studien :  I,  II  und  IV,  stimmen  darin  überein,  dass 
Antäus  hoch  emporgehoben  ist,  wie  in  dem  Bilde  Antonio  Polla- 
juolos  und  in  Dessen  Bronzestatuette  (Bargello).  An  diese  Werke 
erinnert  auch,  allgemein  genommen,  der  krampfhafte  Versuch,  durch 
Stemmen  der  Hand  gegen  des  Siegers  Kopf  sich  zu  befreien,  und  die 
Stellung  des  Herkules  mit  etwas  gekrümmten  Knieen  und  zurück- 
gelehntem Oberkörper.  Während  aber  bei  Pollajuolo  die  Beine 
des  Antäus  in  die  Luft  abstehen,  umklammert  das  eine  bei  Michel- 
angelo die  Beine  des  Herkules.  Hierdurch  wird  die  grössere  sta- 
tuarische Geschlossenheit  der  Gruppe  erreicht,  die  sich  im  Übrigen 
auch  in  der  Armhaltung  geltend  macht.  Diese  Umklammerung  ist 
allen  drei  Skizzen  eigenthümlich,  die  Unterschiede  beschränken  sich 
auf  die  Haltung  des  Oberkörpers. 

Auch  in  III  sehen  wir  die  Beinumklammerung,  doch  berührt 
hier  der  linke  Fuss  des  Antäus  fast  noch  die  Erde  und  erscheinen 
die  beiden  Köpfe  in  gleicher  Höhe,  während  dort  der  des  Antäus 
emporragt.  Die  Lösung  des  Problems  ist  in  III  noch  weniger  ge- 
glückt, am  besten  wohl  in  IV. 


Entwürfe  zu  einer  Kolossalstatue  für  die  Piazza  295 

Nun  fügt  Berenson  noch  zwei  weitere  Zeichnungen  hinzu.  Die 
eine  in  Röthel ,  im  Louvre  Nr.  709  (Thode  484.  Ber.  1593),  zeigt 
zwei  mit  einander  Ringende.  Beide  stehen  auf  dem  Boden.  Der 
eine,  den  Anderen  mit  dem  Arme  umfangend,  sucht  ihn  zum  Fall 
zu  bringen,  indem  er  sein  Hnkes  Bein  um  das  rechte  des  Gegners 
schlägt.  Dieser  greift  mit  dem  rechten  Arme  unter  und  wird  ver- 
suchen ,  Jenen  emporzuheben.  Mir  scheint  der  Gedanke  an  einen 
Herkules  und  Antäus  hier  ausgeschlossen.  Es  wäre  doch  höchstens 
der  Anfang  des  Kampfes  geschildert,  und  dieser  ist  für  eine  solche 
Gruppe  unwesentlich,  bei  der  es  ja  auf  das  Erdrücken  des  An- 
täus in  der  Luft  ankommt.  —  Die  andere  Zeichnung  befindet  sich 
im  Musee  Teyler  in  Haarlem  (v.  Marcuard  XXI  b  u.  XXI  c.  Thode  268. 
Ber.  1472).  Hier  sehen  wir  auf  der  Vorderseite  eine  flüchtige 
Konturskizze  (in  Kreide)  eines  starken  Mannes,  der  in  seinen  Armen 
schwebend  eine  sich  wehrende ,  das  Bein  gegen  ihn  anstemmende 
Figur  hält,  auf  der  Rückseite  dieselbe  Gruppe  durchgezeichnet  und 
mehr  ausgeführt  und  schattirt.  Wie  Berenson,  bezeichnet  auch 
V.  Marcuard  sie  als  die  des  Herakles  mit  Antäus.  Nun  ist  aber  in 
beiden  Skizzen  die  in  der  Luft  gehaltene  Figur  deutlich  als  Weib 
gekennzeichnet  (auch  durch  die  kleineren  Körperverhältnisse) —  nicht 
nur  auf  der  Rückseite,  wie  v.  Marcuard,  eine  irrige  Interpretation  der 
Vorderseite  annehmend ,  bemerkt.  Wohl  steht  diese  Studie  in 
kompositionellem  Zusammenhang  mit  der  Antäusgruppe,  aber  der 
Vorwurf  ist  ein  neuer.  Man  kann  nur  entweder  an  den  Raub  einer 
Sabinerin  oder  an  die  Entführung  der  Proserpina  denken.  Ich  be- 
spreche die  Zeichnung  noch  gesondert. 

Eine  kleine  im  Museum  zu  Budapest  unter  dem  Namen  Michel- 
angelos aufbewahrte  Studie  zu  Herkules  und  Antäus  hat  Nichts  mit 
dem  Meister  zu  thun. 

Die  Datirung  unserer  Entwürfe  ist  annähernd  bestimmt  durch 
das  Datum  auf  Nr.  III:  18.  Oktober  1524  und  durch  die  Thatsache, 
dass  Michelangelo  1525  sich  mit  der  Aufgabe  beschäftigte.  In 
späterer  Zeit,  auf  der  Röthclzcichnung  mit  den  Herkulesthaten  in 
Windsor  (Thode  536.  Ber.  161 1.  Phot.  Br.  108)  hat  der  Meister 
noch  einmal,  nun  aber  nicht  im  Hinblick  auf  eine  Statue,  den 
Gegenstand  behandelt.  Herkules  erscheint  in  ähnlicher  Stel- 
lung, doch  hat  er  den  Antäus  so  mit  den  Armen  gefasst,  dass 
er  ihn ,  den  Kopf  nach  unten ,  an  die  Brust  drückt.  (S.  weiter 
unten.) 

Die  Wahl  gerade  der  Antäusdarstellung  mag  sich  mit  aus  dem 
Eindruck  der  antiken  Gruppe  erklären,  die  damals  im  Belvedere 
des  Vatikan  sich  befand  und  später  in  den  Hof  des  Palazzo  Pitti 
gelangte  (Abb.  Maffci  Raccolta).  Über  die  Tradition,  dass  Michel- 
angelo sie  restaurirt  habe,  spreche  ich  weiter  unten. 


296  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

B.    Herkules  und  Kakus. 

Die  schriftlichen  Traditionen  ergaben  nichts  Bestimmtes  dar- 
über, ob  Michelangelo  einen  Entwurf  auch  für  diese  Gruppe  ge- 
macht, und  es  ist  neuerdings  bezweifelt  worden.  Zeichnungen  sind 
mir  auch  nicht  bekannt  geworden.  Wohl  aber  existiren  zwei  kleine 
Modelle,  die,  sicher  einen  Gedanken  Michelangelos  wiedergebend,  ja 
von  Dessen  eigener  Hand,  kaum  anders  zu  deuten  sind. 

I.  Florenz,    Casa  Buonarroti  Nr.  3.     Thode  583.      Abb.     Bode- 
Bruckmann    Taf.   531.      Knapp  S.  97.     Stuck.     Fehlen   Arme 
und  Kopf   des  Herkules ,  sowie  der  Kopf  und  rechter  Unter- 
arm.   In  mächtiger  Bewegung,  den  rechten  Fuss  nach  rückwärts 
auf  eine  Erhöhung  gestellt,  die  Linke  hoch  zum  Schlage  aus- 
holend  und  sich  vorneigend   packt  Herkules    mit    der  Linken 
den  Hals  des  Kakus,  der,    mit    dem    rechten    Beine    auf  dem 
Boden  knieend,  mit  dem  linken  das  linke  Bein  und  mit  dem 
linken  Arme  den  rechten  Oberschenkel  des  Siegers  umklammert. 
Mit  der  Rechten  sucht  er ,  wie  das  folgende  Modell  zeigt,  die 
linke  Hand  des  Feindes  wegzuzerren. 
n.  London,  South  Kensington  Museum  4108.    Robinson:  Italian 
sculpture  etc.  A  descriptive  Catalogue,  London   1862,  p.  141. 
Thode  604.      Phot.    Kensington  563.     Abb.  Symonds  I,  438. 
Knapp  S.  96.     Wachs.     Genau  dieselbe  Gruppe,  nur    ist  hier 
der  Kopf  und  rechte  Unterarm  des  Kakus  erhalten. 
Dieser  grossartige  Entwurf,  bei  dem  man  sich  gerne  den  ersten 
Versuch  solcher  Gruppenbildung  in  des  Meisters  Jugendwerke:   dem 
restaurirten  Dionysos,  in  Erinnerung  ruft,    ist  dem  Geiste   und  der 
Formensprache  (den    schlanken  Körperverhältnissen)    nach  so  nahe 
dem  Sieger  verwandt,   dass  wir  die  beiden  Werke  einander  zeitlich 
ganz  nahe  rücken  müssen.     In  Betracht  kommt  entweder  das  Jahr 
1525   oder   1528.     Für  das    erstere   und  gegen  das  letztere    könnte 
die  Erwägung  sprechen,   dass  Michelangelo  aus  dem   von  Bandinelli 
schon  behauenen  Block  schwerlich  diese  Gestalt  hätte  herausarbeiten 
können.      Aber    die    Angaben    darüber,    wie    weit   Bandinelli    seine 
Figur  schon  freigelegt,  sind  doch  nicht  sicher  genug,  als  dass  man 
Gewisses    aussagen    könnte.      Dem    Vertrag    von    1528  nach    waren 
Michelangelo  doch  noch  weitgehende  Möglichkeiten  gelassen. 

Ist  dieser  Sieger  nun  Herkules  oder  Simson.?  Knapp  nennt 
seltsamer  Weise ,  obgleich  beide  Modelle  ganz  mit  einander  über- 
einstimmen, das  eine  in  London  Herkules,  das  andere  Simson ! 
Da  in  dem  weiter  zu  besprechenden  Entwürfe  Simson  mit  zwei 
Philistern  dargestellt  und  die  Mehrzahl  der  Gegner  für  Simson 
charakteristisch  ist,  dürfen  wir  unsere  Gruppe  von  zwei  Figuren 
getrost  Herkules  und  Kakus  nennen,  und  sei  es  auch  nur,  um  sie 
deutlich  von  der  Simsongruppe  zu  unterscheiden.  Nicht  ausgeschlossen 


Entwürfe  zu  einer  Kolossalstatue  für  die  Piazza 


297 


freilich  bleibt  die  Möglichkeit,  dass ,  wie  Springer  ausfuhrt,  das 
Modell  für  eine  Siegerstatue  am  Juliusdenkmal  gedient  hat.  — 
Pictro  Tacca  hat  das  Kakusmodell  als  Krönung  für  eine  Fontäne 
benutzt.  (Zeichnung  in  den  Offizien  436,  1416.  Vgl.  Jacobsen, 
Mise.  d'Arte  1903  I,  S.  104,  der  auch  daselbst  drei  Zeichnungen: 
18524,   18665  und   1866  nach  dem  Modell  erwähnt.) 

Zwei  originale  Skizzen,  die  ich  auf  die  Gruppe  beziehen  möchte, 
fand  ich  in  der  Casa  Buonarroti  (XII,  63.  Thode  55.  Ber.  141 2). 
Die  eine  stellt  (nur  angedeutet)  einen  stehenden  Mann  dar,  der  mit 
der  Rechten  zum  Schlage  gegen  eine  zwischen  seinen  Beinen  ge- 
kauerte Figur  ausholt.  Die  andere  diesen  Gekauerten ,  der  vom 
Rücken  gesehen  und,  sich   nach  links  wendend,   die  Arme    erhebt. 

j.  Simson  und  zwei  Philister. 

Die  Beschreibung,  welche  Vasari  von  diesem  Entwurf  gemacht, 
zeigt,  das  er  ihn  gesehen.  Er  erwähnt  ihn  auch  an  anderer  Stelle 
(VI,  128);  Luca  Martini  sandte  den  Piero  Vinci  nach  Carrara,  um 
einen  Block,  5  Ellen  hoch,  3  Ellen  breit,  zu  beschaffen.  ,,Aus 
diesem  beschloss  Vinci,  der  schon  einige  Skizzen  Michelangelos  zu 
einem  Simson,  welcher  einen  Philister  mit  dem  Eselskinnbacken  er- 
schlägt, gesehen  hatte,  diesen  Vorwurf  nach  seiner  Phantasie  in 
zwei  Figuren  zu  gestalten." 

Studien  oder  Modelle  des  Meisters  zu  der  Gruppe  sind  nicht 
erhalten  —  denn  die  Skizzen  auf  einem  Oxforder  Blatte  (69.  Thode 
441.  Ber.  1571.  Phot.  Br.  83),  welche,  angeblich  Simson  dar- 
stellend, einen  Mann  zeigen,  der  auf  einem  anderen  am  Boden 
liegenden  kniet ,  haben  natürlich  gar  nichts  mit  der  Gruppe  zu 
schaffen  und  stellen  auch  nicht  Simson  dar,  sondern  sind  eine 
Studie  für  eine  der  Szenen  im  ,, Traum".  Hingegen  ist  uns  in 
einer  kleinen  Bronzegruppe,  die  in  mehreren  Exemplaren  auf  uns 
gekommen  ist,  ohne  Zweifel  Michelangelos  Entwurf  erhalten.  Ich 
kenne  folgende  Exemplare : 

I.  Berlin,  Kaiser  Friedrich -Museum   260.    (Abb.:  Beschreib,    der 

italienischen  Bronzen.    Taf.  IX.) 
II.  Florenz,    Museo  nazionale.     Phot.  Alinari   3485.      Abb.  Mise. 

d'Arte  I,  S.  41. 

III.  Florenz,  Museo  nazionale.     Anderes  Exemplar. 

IV.  Paris,  Louvre.      Samml.  Thiers   106. 

V.  London,  Vente  Bardini    1899  (mit   17680  Fr.  bezahlt). 

Eine  alte  Abbildung  der  Bronze  fand  ich  auf  einem  vlämischen 
Bilde  des  XVII.  Jahrhunderts  im  Haag  (Mauritshuis  266),  welches 
das  Atelier  des  Apclles  darstellt.  Daniele  da  Voltcrra  verwerthete 
sie,  den  knieenden  Philister  in  eine  Frau  verwandelnd,  in  seinem 
Bethlehemitischen  Kindermord  in  den  Uffizien    (Abb.  Mise.  d'Arte 


298  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


S.  41).  Schon  Bottari  wies  darauf  hin,  dass  hier  eine  Benutzung  des 
Michelangelo'schen  Modellcs  vorliege.  (Eine  von  Rud.  Weigel : 
Handzeichnungen  berühmter  Meister,  Leipzig  1854.  Taf.  XXVI 
publizirte  Zeichnung,  vielleicht  von  Tintoretto,  hat  keine  direkte 
Beziehung  zur  Gruppe.)  Eine  grössere  Anzahl  von  Studien  nach 
der  Gruppe  in  den  Uffizien  (13045,  13046,  15002,  15003,  17 133, 
17 134,  17390.  Coli.  Santarelli  1069,  1070)  machte  Ferri  bekannt 
(Mise.  d'Arte  I,  S.  64),  der  sie  für  Arbeiten  Daniele  da  Volterras 
hielt.  Jacobsen  fügte  ein  weiteres  Blatt  im  Palazzo  Corsini  in  Rom 
hinzu  und  bezeichnete  mit  Recht  als  den  Verfertiger  aller  dieser 
Zeichnungen  Tintoretto  (Rep.  f.  Kunstw.  XIX,  28.  325  f.). 

Die  Bronze  ist  früher  bald  Michelangelo ,  bald  Giovanni  da 
Bologna  zugeschrieben  worden.  Supino  (Mise.  d'Arte  I,  41)  hielt, 
auf  Grund  des  Bildes  in  den  Uffizien,  Daniele  da  Volterra  für  den 
Schöpfer.  Jacobsen  wies  dies  als  irrig  nach  und  nahm ,  wie 
Ferri,  an,  dass  die  Komposition  auf  Michelangelo  zurückgehe,  und 
zwar  speziell  auf  Dessen  Kakusmodell  in  der  Casa  Buonarroti,  was 
auch  im  Berliner  Katalog  irrig  behauptet  wird. 

Mir  scheint  es  unzweifelhaft,  dass  die  Bronze  das  verloren  ge- 
gangene Modell  Michelangelos  zum  Simson  getreu  wiedergiebt.  (Im 
Pariser  Exemplar  hält  die  erhobene  Hand  deutlich  erkennbar  den 
Eselskinnbacken.)  Die  Komposition,  in  welcher  er  Motive  seines 
Kakus  verwerthet,  ist  ein  Meisterwerk  und  als  solches  von  Tinto- 
retto auf  das  Gründlichste  studirt  worden.  Eine  originelle  Schöpfung 
des  Meisters  von  grösster  Bedeutung  steht  uns  vor  Augen.  Mit 
wunderbarer  Kunst  ist  die  Komposition  gebildet.  Simson,  dem  der 
Kopftypus  des  Herkules  verliehen  ist,  erhebt,  in  stark  in  den 
Knieen  gebeugter  Stellung,  die  Linke  auf  den  linken  Schenkel 
stützend,  sich  seitwärts  drehend,  die  Rechte  gegen  den  einen  Philister, 
der,  zwischen  seinen  Beinen  knieend,  den  Gegner  umklammert.  Ein 
zweiter  Philister  liegt  todt  zwischen  den  Beinen  des  Genossen ;  auf 
seinen  Kopf  tritt  Simsons  rechter  Fuss.  Die  Darstellung  entspricht 
der  kurzen  Beschreibung  Vasaris. 

XII 

Entwurf  zur  Entführung  eines  Weibes 

Als  eine  Studie  zu  einem  Herkules  und  Antäus  wurde  bisher 
eine  Skizze  angesehen ,  die  im  Musee  Teyler  zu  Haarlem  auf- 
bewahrt wird.  (v.  IMarcuard  XXI  b  und  XXI  c.  Thode  268.  Ber. 
1472)  Vorderseite:  flüchtige  Kreideskizze  in  Konturen.  Ein  herku- 
lischer Mann,  ausschreitend  nach  links  gewandt,  hält  in  der  Luft 
schwebend  eine  Frau  um  den  Leib  gefasst,  die  in  leidenschaftlicher 
Bewegung,  das   linke  Bein  gegen  sein  linkes  gestemmt,  den  Ober- 


Das  Modell  für  die  Reiterstatue  Henris  II. 


299 


körper  herumdreht,  die  Linke  gegen  den  Kopf  des  Entführers 
stemmt  und  mit  der  Rechten  Dessen  Hnken  Oberarm  fasst.  Nicht 
angegeben  ist  das  rechte  Bein  des  Mannes,  das  rechte  Bein  und 
der  Kopf  der  Frau.  Die  Skizze  ist  auf  der  Rückseite  durchge- 
zeichnet, doch  ist  der  hier  zurückgeworfene  Kopf  des  Weibes,  ihr 
Bein  und  das  Hnke  ausschreitende  des  Mannes  ausgeführt  und  Alles 
schattirt.  Ein  grosses  Gewandstück  ruht  im  Rücken  des  Mannes. 
Die  Beziehung  zu  den  Antäusstudien  ist  deutlich ,  aber  die 
emporgehobene  Figur  ist  unzweifelhaft  weiblich.  Dachte  Michel- 
angelo hier,  Giovanni  da  Bologna  den  Weg  bereitend,  an  den  Raub 
einer  Sabinerin  (man  vergleiche  auch  die  Bronze  vom  Meister  D.  C, 
Berlin,  Beschreib,  der  italienischen  Bronzen  302.  Taf.  XIII)  oder, 
als  Vorgänger  Berninis,  an  den  Raub  der  Proserpina.? 

xm 

Das  Modell  für  die  Reiterstatue  Henris  IL 

Am  14.  November  1559  wandte  sich  Caterina  Medici  mit  folgen- 
den Zeilen  an  den  Meister: 

,,Nach  dem  herben  Schicksalsschlag,  der  den  Allerchristlichsten 
und  Erlauchtesten  König,  meinen  Herrn  und  Gemahl,  getroffen, 
blieb  mir  —  ausser  dem  Verlangen  nach  ihm,  das  vergeblich  ist  — 
kein  sehnlicherer  Wunsch,  als  der,  seinem  Namen  und  meiner  ein- 
stigen ehelichen  Liebe  und  meinem  ihn  nun  folgenden  Leid  Leben 
zu  verleihen ;  und  neben  den  anderen  Werken,  die  hierfür  bestimmt 
sind,  habe  ich  beschlossen,  inmitten  des  Hofes  eines  meiner  Schlösser 
meinem  Herrn  ein  Reiterstandbild  aus  Bronze  zu  setzen,  in  der  dem 
Hofe  entsprechenden  Grösse.  Und  da  ich ,  wie  alle  Welt ,  weiss, 
wie  gross  Ihr  in  dieser  Kunst  seid ,  mehr  ausgezeichnet  als  irgend 
Einer  in  diesem  Jahrhundert  und  zugleich  von  Altersher  meinem 
Hause  zugethan,  wovon,  von  dem  einen  wie  dem  anderen,  die  einzig- 
artigen Werke  Eurer  Hand  an  dem  Grabdenkmal  der  Meinigen  in 
Florenz  leuchtendes  Zcugniss  ablegen,  bitte  ich  Euch,  diese  Auf- 
gabe zu  übernehmen.  Und  obgleich  ich  weiss,  dass  Ihr  Euch  mit 
Euren  hohen  Jahren  bei  einer  anderen  Person  entschuldigen  könntet, 
so  glaube  ich ,  dass  Ihr  Euch  mir  gegenüber  nicht  einer  solchen 
Entschuldigung  bedienen  wollt,  sondern  es  wenigstens  übernehmen 
werdet,  die  Zeichnung  zu  besagtem  Werke  anzufertigen  und  es  von 
den  besten  Meistern,  die  Ihr  dort  finden  könnt,  giessen  und  ziscliren 
zu  lassen.  Und  ich  versichere  Euch ,  dass  weder  Ihr  noch  irgend 
Jemand  mir  einen  grösseren  Gefallen  thun  könnte ,  für  den  ich 
meine  Dankbarkeit  in  frcigicbigstcr  Weise  zu  bezeugen  wünsche.  Und 
da  ich  zugleich  meinem  Vetter,  Herrn  Ruberto,  schreibe,  sage  ich 
Euch  Nichts  mehr  hiervon ,  sondern    verweise  auf  das ,    was    er    in 


300  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

meinem  Auftrag  Euch  sagen  wird.  Und  ohne  mehr  hinzuzufügen, 
bitte  ich  Gott,  dass  er  Euch  glücklich  erhalte." 

,,Rubcrto  Strozzi,  nach  Rom  gekommen,"  erzählt  Vasari  (VII, 
66) ,  ,, verhandelte  hierüber  ausführlich  mit  Michelangelo ,  welcher, 
wegen  seines  Alters  unfähig,  das  Werk  selbst  zu  übernehmen,  dem 
Roberto  rieth,  es  dem  Daniele  da  Volterra  zu  übergeben,  welchem 
Rath  und  Beistand,  so  viel  er  vermöge,  zu  geben  er  nicht  ermangeln 
würde.  Auf  dieses  Anerbieten  grossen  Werth  legend,  beschloss, 
nach  reiflichen  Überlegungen  darüber,  was  zu  machen  sei,  Strozzi, 
dass  Daniello  ein  Bronzepferd  aus  einem  Stücke,  20  Palmen  vom 
Kopf  bis  zu  den  Füssen  hoch  und  etwa  40  lang,  giesse  und  darauf 
die  Statue  des  gerüsteten  Königs  Henri,  gleichfalls  aus  Bronze,  ge- 
setzt werde.  Nachdem  Daniello  ein  kleines  Thonmodell,  dem  Rath 
und  Urtheil  Michelangelos  gemäss,  angefertigt  und  dieses  dem  Herrn 
Ruberto  sehr  gefallen,  wurde  über  Alles  nach  Frankreich  berichtet 
und  zwischen  ihm  und  Daniele  über  die  Art  der  Ausführung,  über 
Zeit,  Preis  und  alles  Andere  ein  Vertrag  abgeschlossen." 

Am  24.  Oktober  1560  schreibt  Roberto  Strozzi  an  Michel- 
angelo :  da  er  selbst  noch  in  Paris  zurückgehalten  werde,  werde  der 
Überbringer  seines  Briefes,  Simone  Guiducci,  alle  Sorge  für  die  An- 
gelegenheit, die  Auszahlung  der  Gelder  und  das  Miethen  des  Hauses 
übernehmen.  Michelangelo  solle  in  allen  vorkommenden  Fällen  dem 
Simon  Anweisungen  in  Sonderheit  auch  über  das  zum  Guss  zu  ver- 
wendende Metall  geben.  Die  Königin  habe  für  alle  im  Vertrag 
vorgesehenen  Kosten  Provision  gegeben  und  verlange  sehnlich,  dass 
das  Werk  so  bald  wie  möglich  ausgeführt  werde.  (Gotti  II,  144.)  — 
Am  30.  Oktober  theilt  die  Königin  Michelangelo  selbst  aus  Orleans 
mit,  dass  sie  6000  Goldskudi  bei  Giambatista  Gondi  habe  depo- 
niren  lassen,  und  bittet  dringlich  um  Beförderung  der  Arbeit.  Auch 
ertheilt  sie  am  gleichen  Tage  dem  Guiducci  ihren  Auftrag  (ebenda 
146).  Nähere  Anweisungen  giebt  in  ihrem  Namen  am  gleichen 
Tage  Bartolommeo  del  Bene  dem  Meister  (S.  145) : 

,, Nachdem  heute  Morgen  Ihre  Majestät  die  Königin  Mutter 
den  Brief  an  Euch  unterschrieben,  befahl  sie  mir.  Euch  wissen  zu 
lassen:  sie  wünsche,  Ihr  möchtet  anordnen,  dass  der  Kopf  der 
Statue  des  Königs  keine  Locken  erhalte  und  dem  Bildniss  so  ähn- 
lich wie  möglich  werde.  Die  Rüstung  wünscht  sie  in  schöner 
moderner  Fa^on  imd  so  auch  das  Zaumzeug  des  Pferdes.  Im 
Übrigens  verlasse  sie  sich  ganz  auf  Michelangelos  UrtheiL" 

Noch  einmal  am  25.  Februar  1561  hat  sich  Strozzi  an  Diesen 
gewandt  und  im  Namen  der  Königin  ihn  gebeten ,  Deren  Ab- 
gesandten Giuliano  über  Alles,  was  das  Werk  angeht,  zu  informiren 
und  dafür  zu  sorgen,  dass  es  in  Vollkommenheit  ausgeführt  werde 
(ebenda  S.   147). 


Angebliche  Restaurirung  antiker  Statuen  durch  Michelangelo  30 1 

Der  Guss  des  Pferdes,  auf  dessen  Modell  Daniele  allen  Fleiss 
angewandt  hatte,  wurde  bis  zum  Jahre  1564  verzögert.  (Andrea 
Fulvio,  Antichitä  di  Roma  Hb.  V,  der  die  Länge  des  Pferdes  nicht 
auf  40,  sondern  auf  20  Palmi  und  die  Kosten  auf  6500  Skudi 
angiebt.)  Er  misslang  das  erste  Mal  und  wurde  dann  wiederholt. 
Am  8.  September  1565  schreibt  Leoni  an  Lionardo,  dass  er  sehr  gut 
geglückt  sei  (Gotti  II,  147).  Die  erduldeten  Mühen  sollen  mit  an  dem 
1566  eintretenden  Tode  Danieles  Schuld  gewesen  sein.  Seine  Erben: 
Michele  degli  Alberti  und  Feliciano  da  San  Vito  boten  sich  dem 
französischen  Gesandten  an,  das  Pferd  zu  vollenden  und  die  Figur 
des  Reiters,  die  von  Daniele  nicht  ausgeführt  worden  war,  zu  ver- 
fertigen. Die  Bürgerkriege  in  Frankreich  aber  Hessen  die  Angelegen- 
heit 22  Jahre  lang  in  Vergessenheit  gerathen.  Dann  überwies 
Henri  III.  das  Pferd  dem  Orazio  Ruccllai,  wohl  als  Entgelt  für  die 
von  Diesem  vorgeschossenen  Summen,  und  Rucellai  Hess  es  1586 
in  seinem  Palast  am  Corso  auf  einem  Piedestale  aufstellen.  Antonio 
Tempesta  fertigte  einen  Stich  davon  an,  den  er  dem  Kardinal  Charles 
von  Lorraine  dedizirte,  und  fügte  in  ihm  den  Reiter  hinzu.  Später 
wurde  es  für  die  Reiterstatue  Ludwig  XIII.,  die  Biard  goss,  verwendet. 
Diese  wurde  1639  durch  Richelieu  auf  der  Place  royale  in  Paris  er- 
richtet und  ist  1793  zerstört  worden.    (Mil.  Anm.  Vasari  VII,  S.  68.) 

Von  Michelangelos  Betheiligung  an  dieser  Arbeit  ist  uns  weder 
durch  Zeichnungen  noch  durch  Modelle  eine  Vorstellung  vergönnt. 

XIV 

Angebliche  Restaurirung  antiker  Statuen  durch  Michelangelo 
und  einige  Urtheile  des  Meisters  über  die  Antike 

Kein  sicheres  Zeugniss  über  solche  Ergänzungen  liegt  vor,  und 
auf  die  bis  zum  XVII.  Jahrhundert  (Boissard  u.  A.)  zurückgehenden 
Traditionen,  welche  von  Restaurirung  einer  Anzahl  Statuen:  des 
sterbenden  Fechters ,  des  Laokoon ,  des  Marsyas  (in  den  Uffizicn), 
der  Gruppe  von  Pferd  und  Löwe  (im  Kapitolinischen  Museum)  u.  A. 
sprechen ,  ist  Nichts  zu  geben.  Nirgends  tritt  uns  die  Art  des 
Meisters  erkenntlich  entgegen.  Nur  bei  einer  einzigen  Figur:  dem 
Flussgott  im  Museo  Pio  Clementino  (Nr.  600)  tragen  die  ergänzten 
Theile:  der  Kopf,  die  linke  Hand  mit  dem  Zweig  und  der  rechte 
Arm  mit  der  Urne,  in  deren  Öffnung  man  auch  eine  Maske  seines 
Stiles  gewahrt,  ausgesprochen  Michelangelo'schen  Charakter.  Der 
Kopf  mit  den  schmerzlich  zusammengezogenen  Augenbrauen ,  der 
Mund  und  der  verknotete  Bart  rufen  das  Haupt  des  Moses  in  Er- 
innerung. Es  wäre  nicht  unbegreiflich,  wenn  einmal  die  Behauptung 
neu  aufgestellt  würde,  er  habe  hier  wirklich  selbst  Hand  angelegt; 


302  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 


in  der  That  aber  bleibt  die  wiederholt  geäusserte  Meinung,  Montor- 
soli  sei  der  Restaurator,  bestehen.  Erzählt  doch  Vasari,  dass  auf 
Empfehlung  Michelangelos  der  Frate  von  Clemens  VII.  —  wie  später 
Guglielmo  della  Porta  von  den  Farnese,  —  den  Auftrag  erhielt,  die 
Statuen  im  Belvedere  (erwähnt  werden  der  Apollo ,  der  Laokoon 
und  der  Herkules)  zu  ergänzen.  Und  im  Belvedere  befand  sich 
auch  der  Flussgott,  der  sogenannte  Tigris,  für  den  Michelangelo  die 
Nische  zeichnete  (Vasari  I,    114). 

Nicht  allein  Vasari  und  Condivi ,  sondern  auch  andere  Zeit- 
genossen würden  gewiss  eine  solche  Thätigkeit  des  Meisters,  hätte 
sie  wirklich  stattgefunden ,  nicht  unerwähnt  gelassen  haben.  Ich 
denke  in  Sonderheit  an  Aldovrandi,  der  wiederholt  das  von  Michel- 
angelo einzelnen  Antiken  gespendete  Lob  (Torso  des  Herkules,  die 
Amazone  beim  Kardinal  di  Cesis)  verzeichnet.  Die  einzige  ältere 
Notiz,  die  sich  auf  eine  Restaurirungsfrage  bezieht,  von  Lomazzo 
gegeben,  sagt :  Michelangelo  habe  die  Hand  des  Adonis  vom  Campo 
di  Fiore,  der  sich  im  Besitze  des  Bischofs  von  Norcia  befand,  nicht 
ergänzen  wollen.  Lomazzo  meint,  ,,weil  er  geboren  gewesen,  starke 
Männer,  nicht  Adonisgestalten  zu  machen"  (Trattato.  Rom  1844.  II,  81). 

Hätte  R.  Kautzsch  mit  einer  im  Repert.  f.  Kunstw.  1899,  XXII, 
S.  182  ff.  geäusserten  Ansicht  Recht,  so  wäre  uns  freilich,  wenn 
auch  nicht  eine  wirkliche,  so  doch  eine  ideelle  Rekonstruktion  einer 
Antike  durch  Michelangelo  bekannt.  In  seiner  Dissertation :  Marc- 
anton und  sein  Stil  (Leipzig  1898)  hatte  H.  Hirth  die  Behauptung 
aufgestellt,  in  dem  Stiche  Raimondis :  Mars,  Venus  und  Amor  (B.  345) 
sei  die  Figur  des  Mars  nach  einer,  vermuthlich  für  den  Karton  der 
Schlacht  von  Pisa  bestimmten  Zeichnung  Michelangelos  gegeben 
(Reproduktion  bei  Kautzsch).  Mars ,  den  rechten  Ellenbogen  auf 
das  rechte  Knie  gestützt,  sitzt  halb  nach  links  gewandt  und  wendet 
sich  nach  rechts  zur  stehenden  Venus,  die  er  an  der  rechten  Schulter 
fasst.  Dieses  Fassen  ist  so  wenig  natürlich,  dass  man  daraus  wohl 
zu  schliessen  berechtigt  ist,  Mars  sei  nicht  für  die  Komposition  ge- 
schaffen, sondern  in  ihr  nur  verwendet  worden.  Nun  glaubt  Kautzsch 
in  der  Haltung  der  Figur  eine  so  nahe  Verwandtschaft  mit  dem 
Torso  des  Belvedere  zu  finden,  dass  er  jene  vorausgesetzte  Zeichnung 
Michelangelos  als  nach  diesem  angefertigt  und  ihn  rekonstruirend 
auffasste.  Ja,  er  ging  weiter  und  vermuthete,  in  der  Zeichnung  sei 
die  Figur  vielleicht  schon  zu  einer  weiblichen,  wenn  auch  nur 
flüchtig  skizzirten,  die  Marcanton  dann  selbständig  ausgestaltet  habe, 
in  Beziehung  gesetzt  gewesen.  Michelangelo  habe  also  den  Torso 
schon  in  der  Weise  interpretirt,  wie  es  auch  in  der  neueren  Forschung 
(Visconti :  Hebe)  geschehen  sei :  nämlich  als  die  eine  Gestalt  einer 
Gruppe,  deren  andere  eine  Frau  war.  Er  habe  die  Antike,  die 
damals  im  Besitze  der  Colonna  beim  Ouirinal  war  —  erst  nach  dem 


Angebliche  Restaurirung  antiker  Statuen  durch  Michelangelo  303 

Sacco  di  Roma  brachte  Clemens  VII.  sie  in  das  Belvedere  —  ver- 
muthlich  schon  bei  seinem  ersten  Aufenthalte  in  Rom  kennen  ge- 
lernt, da  die  Zeichnung,  nach  dem  Stich  zu  schliessen,  seiner 
früheren  Schaffenszeit  angehöre. 

Wohl  wissen  wir  durch  Aldovrandi ,  durch  Lomazzo ,  welcher 
sagt:  il  torso  fu  da  lui  continuamento  seguitato  (Trattato  II,  381) 
und  durch  G.  B.  Paggi,  der  berichtet,  Michelangelo  habe  sich  einen 
Schüler  des  von  ihm  eifrig  studirten  Torso  genannt  (um  1590; 
Bottari  VI,  90),  wie  sehr  der  Meister  das  antike  Werk  bewundert 
hat,  und  mit  Recht  hat  man  neuerdings  in  mancher  seiner  Skulpturen 
die  Nachwirkung  des  Eindruckes,  den  es  auf  ihn  gemacht,  be- 
stimmter nachzuweisen  versucht  —  jenen  Stich  aber  möchte  ich 
nicht  als  einen  weiteren  Beleg  hierfür  gelten  lassen.  Denn  halte 
ich  es  auch  mit  Hirth  für  wahrscheinlich,  dass  Marcantonio  eine 
Zeichnung  Michelangelos  in  der  Art  der  Studien  für  den  Karton 
vorlag,  so  kann  ich  doch  nicht  glauben,  dass  in  ihr  eine  Rekon- 
struktion des  Torso  zu  erkennen  ist.  Ein  Anklang  an  denselben, 
das  gebe  ich  zu,  ist  zu  gewahren,  aber  die  Drehung  des  Oberkörpers 
ist  eine  stärkere ,  die  mehr  geschlossene  Stellung  der  Beine  eine 
andere,  als  in  der  Antike,  und  es  fällt  mir  schwer  anzunehmen, 
dass  Michelangelo  den  rechten  Arm  so,  mit  dem  Ellenbogen  auf 
das  Knie  gestützt,  ergänzt  haben  sollte.  Man  vergleiche  für  die 
gespreizte  Beinstellung  die  älteste  Reproduktion  des  Herkules  in 
einem  dem  Giovanni  Antonio  da  Brescia  zugeschriebenen  Stiche 
(Bd.  XIII,  p.  100,  n.  5),  von  dem  Paul  Kristeller  im  Archivio  storico 
deir  Arte  (1891,  V.  S.  476  ff.)  gehandelt  hat.  Hier  sehen  wir  die 
Statue  noch  in  besser  erhaltenem  Zustande  mit  den  Beinen ,  die 
vermuthlich  erst  in  den  Kriegsjahren  des  Sacco  di  Roma  und 
der  Revolte  der  Colonna  gegen  den  Papst  abgeschlagen  wor- 
den sind. 

Dass  eine  früher  Michelangelo  zugeschriebene  Zeichnung  nach 
dem  Torso  in  Oxford  (Nr.  66)  nicht  von  ihm  herrührt,  ist  heute 
die  wohl  einstimmige  Ansicht  aller  Forscher. 

Gelegentlich  der  Betonung  der  Belehrung,  welche  der  Künstler 
von  dem  Werke  des  Apollonius  empfing,  möchte  ich  auf  einen  Aus- 
spruch Canovas  aufmerksam  machen,  welcher,  in  einem  Briefe  an 
Cicognara  enthalten,  lautet :  Michelangelo  habe  mehr,  als  vom  Torso, 
von  der  Gruppe  des  Herkules  mit  Antäus  im  Cortile  des  Palazzo  Pitti 
gelernt  (Bottari  VIII,  205).  Dieselbe  befand  sich  früher  im  Belvedere 
des  Vatikan,  wo  sie  von  Julius  IL,  zusammen  mit  dem  Apollo,  dem 
Laokoon,  dem  sogenannten  Tigris  und  der  Klcopatra-Ariadne  auf- 
gestellt worden  ist.  Auch  sie  soll ,  nach  einer  unbestimmten  Tra- 
dition, von  Michelangelo  restaurirt  worden  sein.  (Abb.  Maffel : 
Raccolta  Taf.  XLIII.     Soldini :    R.  Giardino  di  Boboli   Taf.  II.    Vgl. 


304  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen 

Michaelis:  Jahrb.  d.  archäol.  Institutes  1890,  V  und  oben  II,  S.  293  ff. 
den  Exivurs  über  die  Entwürfe  zu  Herkules  mit  Antäus.) 

Auf  eine  Beeinflussung  des  Meisters  durch  antike  Malereien 
deutet  eine  Behauptung  Francesco  Albanis  hin.  Was  an  ihr  ist, 
lässt  sich  nicht  mehr  feststellen.  Dieser  sagt :  ,,auch  der  grosse 
Michelangelo  —  dies  ist  die  Wahrheit  —  wurde  von  gewissen  grossen 
Figuren  inspirirt,  die  man  zu  seiner  Zeit  noch  in  einem  gewissen 
grossen  Thurm  gemalt  sah.  Heute  sind  sie  von  der  Zeit  verzehrt 
und  ich,  der  sie  in  meinen  Tagen  noch  gesehen,  kann  dies  be- 
zeugen".    (Malvasia:  Felsina  pitt.  II,    167.) 

Von  den  vergeblichen  Versuchen  des  Meisters,  die  von  Ascanio 
Colonna  dem  Papst  Julius  III.  geschenkte  grosse  Porphyrschale  zu 
restauriren  —  erst  Francesco  del  Tadda  entdeckte  das  Geheimniss, 
den  Porphyr  zu  behandeln  — ,  erzählt  Vasari  (I,    114). 

An  dieser  Stelle  mögen  auch  noch  einige  glaubwürdig  be- 
zeugte Urtheile  Michelangelos  über  antike  Werke  ihren  Platz  finden. 

1.  Das  bekannte  über  den  Laokoon.  Als  die  Gruppe  im 
Frühjahr  l  506  entdeckt  worden  war,  gehörte  Michelangelo,  der 
in  Begleitung  Giuliano  da  San  Gallos  hineilte,  zu  den  Ersten, 
die  sie  sahen  und  anstaunten.  (C.  Fea:  Miscell.  filologica  etc. 
Rom  1790.  I,  329.)  Plinius  behauptet,  sie  wäre  aus  einem  Stück 
gemacht,  aber  Gian  Cristoforo  Romano  und  Michelangelo, 
,, welche  die  ersten  Bildhauer  Roms  sind,  leugnen  dies  und 
weisen  etwa  vier  Fugen  nach ,  doch  sind  diese  an  so  ver- 
borgener Stelle  und  so  gut  verkittet  und  ausgefüllt,  dass  sie, 
ausser  von  sehr  in  dieser  Kunst  erfahrenen  Personen,  nur 
schwer  erkannt  werden  können  Daher  habe  Plinius,  sagen 
sie,  sich  geirrt,  oder  habe  Andere  täuschen  wollen,  um  das 
Werk  noch  bewundernswürdiger  zu  machen."  (Brief  des  Ce- 
sare  Trivulzio  an  Pomponio  Trivulzio.     Bottari  III,  475.'* 

2.  Über  die  Rossebändiger  von  Montecavallo.  ,, Michel- 
angelo hat  sie  gemessen  und  gefunden,  dass  ihre  Köpfe  um  so 
viel  grösser  sind,  als  sie,  von  unten  in  solcher  Höhe  gesehen, 
verlieren;  und  so  käme  es,  dass  sie  dem  Auge  durchaus  ver- 
hältnissmässig  erscheinen."     (Lomazzo  :  Trattato  I,  45.) 

3.  Über  die  Reiterstatue  des  Mark  Aurel.  Der  Gesandte 
des  Herzogs  Francesco  Maria  von  Urbino,  della  Porta,  erzählt 
in  einem  Schreiben  an  Diesen,  wie  Paul  III.  gegen  den  Wunsch 
der  Canonici  und  des  Kardinals  von  Trani,  unter  dem  Vorwand, 
die  Römer  wollten  es,  die  Statue  von  S.  Giovanni  in  Laterano 
nach  dem  Kapitol  habe  bringen  lassen.  Er,  Porta,  habe  sich 
darum  bemüht,  dass  ausser  dem  Namen  Pauls  III.  auch  der 
Sistus'  IV.,  der  sich  auf  dem  alten  Postament  befand,  auf  dem 
neuen    angebracht  werde,    doch    befürchtet  er,    dass   es  nicht 


Unausgeführte  Aufträge  305 

geschehen  werde.  „Michelangelo  hat,  wie  er  mir  sagt,  sehr 
dagegen  gekämpft,  dass  das  Reiterbildniss  vom  alten  Stand- 
ort weggebracht  würde ,  da  es  ihm  schien ,  es  stünde  besser 
dort,  und  dass  der  Papst,  wenn  er  ihm  nicht  so  sehr  davon 
abgeredet  hätte ,  auch  die  beiden  Rossebändiger  mit  ihren 
Pferden  vom  Montecavallo  entführt  hätte."  (1538.  G.Gronau: 
Jahrb.  d.  k.  pr.  Kunsts.  XXVII,  Beiheft  S.  9.) 

4.  Über  die  Aufstellung  des  Farnesischen  Stieres. 
,, Michelangelo  gab  den  Rath,  die  Gruppe  in  den  zweiten  Hof 
des  Palazzo  Farnese  zu  bringen  und  dort  in  der  Weise  zu 
restauriren,  dass  sie  entsprechend  ihrer  alten  Bestimmung  (als 
Fontäne)  Wasser  ausströmen  lasse."    (Vasari  VII,  224.) 

5.  Über  das  Pantheon.  Viele  Künstler  und  in  Sonderheit 
Michelangelo  sind  der  Meinung  gewesen,  dass  die  Rotonda  von 
drei  Architekten  erbaut  worden  sei.  Der  erste  habe  sie  bis 
zum  Gesims  über  den  Säulen  emporgeführt;  der  zweite  vom 
Gesims  an,  wo  jene  Fenster  von  anmuthigcrer  Bildung  sind; 
der  dritte  habe  den  Portikus  errichtet.  (Vasari :  Leben  des 
Andrea  Sansovino  IV,   512.) 

6.  Über  das  Kolosseum.  ,,Man  liest,  dass  der  Kardinal 
Farnese  eines  Tages  beim  Kolosseum  dem  Meister  begegnete. 
Er  frug  ihn,  wohin  er  bei  solchem  Schnee  ginge,  und  Jener 
antwortete :  ich  gehe  noch  in  die  Schule ,  um  zu  lernen." 
(Lomazzo :  Idea  del  tempio,  Bologna   1785,  S.  100.) 

XV 

Unausgeführte  Aufträge 

1.  Auftrag  auf  eine  Madonna  (vermuthlich  eine  Statue) 
seitens    des   Kardinals   Fiesco   1522. 

Auf  einen  solchen  deuten  folgende  Zeilen  im  Briefe  Leonardo 
Sellajos  an  Michelangelo,  23.  Mai   1522  hin: 

,,Metello  e  stato  chol  chardinale  di  fiescho  (Niccolo)  e  vuole, 
io  gli  vada  a  parlarc  per  fare  quella  Nostra  Donna ;  c  per  sapere 
lanimo  vostro  del  prego  e  del  tcmpo,  v'o  schritte  prima  gli  parllj. 
Vorei,  piu  presto  posete  voi  mi  rispondessi,  a  chausa  possa  fermare 
overo  dirgli,  voi  non  posete."     (Frey:  Briefe  S,  192.) 

2.  Auftrag  auf  den  Koloss  für  die  Piazza  di  S.  Lo- 
renzo    seitens    Clemens'  VII. 

Am  14.  Oktober  1525  theilt  Fattucci  des  Papstes  Wunsch  dem 
Künstlers  mit : 

,,Et  piu  mi  disse  che  volcva,  che  si  facesse  uno  colosso ,  alto 
quanto  sono  e  mcrli  della  casa  sua,  cioe  metterla  in  sul  canto  dirim- 
1*  20 


3o6  Statuen  und  Entwürfe  zu  solchen:  Unausgeführte  Aufträge 


petto  a  messere  Luigi  della  Stufa  et  al  incontro  del  barbiere ;  et 
per  essere  si  grande ,  vole ,  si  facia  di  pezi.  Et  vi  dico ,  come 
dämme,  che  c'  sarebbe  da  pensarvi  et  fare  venire  il  marmo  senza 
dire  niente."     (Frey:  Briefe  S.  261.) 

Michelangelo  antwortet  auf  diese  absurde  Zumuthung  nicht, 
worüber  der  Papst  sich  wundert  (ebenda  262).  Am  10.  November 
berichtet  Fattucci  wieder  von  einem  Gespräch  mit  dem  Papst,  der 
gesagt : 

,,Voglio  che  e'  pensi  al  colosso ,  che  io  voglio  fare  in  sulla 
piazza  di  S.  Lorenzo,  come  ti  dissi ;  et  dissemi  che  io  velo  scrivessi, 
et  vole,  che  sia  tanto  grande,  che  egli  avanzi  e  merli  di  casa  sua 
o  almanco  al  pari.  Et  vorrebbe,  se  e'  vi  paressi,  che  e'  volgessi  le 
rene  alla  casa  di  messer  Luigi  della  Stufa  et  il  viso  volgessi  alla  casa 
sua;  et  perche  gli  pare  cosa  grande,  dice,  Io  facciate  di  pezzi,  "(S.  266) 

Michelangelo  schweigt  wieder,  und  der  Papst  ist  erstaunt 
(S.  268).  In  der  That  hatte  der  Meister  schon  im  Oktober  jenen 
ironisch  humoristischen ,  nicht  abgesandten  Brief  vcrfasst ,  den  ich 
im  I.  Bande  meines  Werkes  S.  170  mitgetheilt  und  in  dem  er  vor- 
schlug, unten  in  der  Statue  einen  Laden,  im  Kopfe  aber  einen 
Taubenschlag  oder  eine  Glockenstube  anzubringen. 

Auf  das  Drängen  hin  bemerkt  er  am  2.  Dezember,  der  Koloss 
sei  doch  nur  ein  Scherz,  worauf  Pier  Polo  Marzi  am  23.  erwidert: 
,,dice  N.  S.  vi  facci  intendere,  che  gli  e  la  veritä  e  non  burla,  et 
desidera,  si  facci  se  '1  ci  sara  tempo  et  per  Sua  Santita  et  per  voi 
ad  possere  dare  la  perfectione  al  tucto"  (S.  271). 

Später  verlautet  Nichts  mehr  über  die  Angelegenheit. 

3.  Auftrag  auf  eine  Statue  Andrea  Dorias  seitens 
des  Senates  von  Genua   1523. 

Über  ihn  berichten  Notizen  (im  Archive  Buonarroti)  von  dem 
jüngeren  Michelangelo  Buonarroti.  Der  Senat  habe  300  Dukaten 
für  die  Statue  bestimmt  und  Girolamo  Doria,  der  sich  in  Rom 
aufhielt,  mit  den  Verhandlungen  beauftragt.  Hiervon  sei  die  Rede 
in  einem  Briefe  dieses  Doria  an  Luigi  Alamanni  vom  17.  November 
1527,  den  der  jüngere  Michelangelo  gesehen  (Gotti  I,   177)- 

4.  Auftrag  auf  eine  Büste  Cosimo  Medicis   1544. 

Dass  er  einen  solchen  erhalten ,  geht  aus  einem  Briefe  an 
seinen  Neffen  Lionardo  vom  29.  März   1 544  hervor : 

,,A  messer  Giovan  PVancesco  ö  risposto  circa  la  testa  del  duca 
che  io  non  vi  posso  attendere,  come  e  vero  che  io  non  possa  per 
le  noje  che  ö,  ma  piü  per  la  vechiezza,  perche  non  veggo  lume." 
(Lett.  S.  173.) 


XI 


GEMÄLDE,  ZEICHNUNGEN  UND 

ENTWÜRFE 

MYTHOLOGISCHEN,  ALLEGORISCHEN 

UND  PROFANEN  INHALTES 


I 
Die  Porträts  der  Söhne  Urbinos 

Die  liebevolle  Sorge,  welche  Michelangelo  für  seine  Mündel,  die 
zwei  Söhne  seines  getreuen  Francesco  Urbino :  Michelangiolo 
und  Giovanfrancesco  nach  Dessen  Tode  1555  getragen  hat,  ist  uns 
aus  den  Briefen  der  Witwe  Urbinos,  Cornelia  Colonelli ,  die  1556 
nach  Casteldurante  gezogen  war,  wohl  bekannt.  (Neunundzwanzig 
Briefe;  vgl.  Frey:  Briefe  S.  351  ff.,  360  ff. ,  372  ff. ,  384  ff.)  Im 
Jahre  1557  nun  hat  sich  der  Herzog  Guidobaldo  von  Urbino  von 
Cornelia  zwei  Gemälde ,  die  Francesco  hinterlassen  hatte ,  erbeten. 
Dies  erfahren  wir  aus  zwei  Briefen  des  Herzogs,  welche  Prof.  Egidio 
Calzini  in  Ascoli  Piceno  „per  le  Nozze  Bianchi-Fonti"  (26.  April 
1902)  aus  dem  Kommunalarchiv  in  Urbino  veröffentlicht  hat.  Sie 
sind  an  den  Commissario  di  Massa  gerichtet  und  lauten : 

,,Commissario.  Mandiamo  Ippolito  nostro  Portiero  presente  La- 
tore,  perche  insieme  con  voi  facci  opera  con  la  Cornelia  giä  moglie 
di  Francesco  allevato  di  Michelangelo  Bonarota,  il  quäle  Francesco 
fu  figliolo  di  Guido  di  Colonello  di  Castel  Durante,  che  si  contenti 
mandarmi  li  due  quadri,  che  gli  lasciö  suo  Marito,  acciö  li  potiamo 
vedere ,  assicurandola  che  se  gli  restituiranno ,  come  a  Lei  pia- 
cerä,  talche  non  se  gli  farä  violenza  alcuna,  che  perö  mandi  uno 
suo  con  essi ,  il  quäle  venghi  in  compagnia  di  esso  Ipolito  con  li 
detti  quadri,  e  li  porti  in  modo  che  non  si  guastino  in  modo  alcuno, 
e  voi  opratevi  tanto,  ch'  ella  ne  H  mandi  si  che  li  potiamo  solamente 
vedere,  e  State  sano.  —  Di  Pesaro  il  XII  di  Novembre  MDLVII." 

Der  andere : 

,, Commissario.  Direte  a  quella  Donna  Cornelia  che  li  quadri 
ne  sono  piacuti,  perche  in  vero  ne  sono  bellissimi,  e  che  di  Lei  siamo 
molto  satisfatti ,  havendo  rispetto  ?lla  cortesia  ch'  ella  ne  ha  fatta 
di  essi,  che  ne  sono  carissimi ;  aggiungendogli  che  saremo  sempre 
pronti  ad  ogni  benefitio  suo,  e  delli  suoi  figlioli.  E  vogliamo  che 
voi  nella  sua  lite  usiate  secondo  la  giustizia.    E  perche  abbiamo  da 


3IO  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 


parlare  con  voi  verrete  qui  e  State  sano.  —  Di  Pesaro  il  di  XVIII 
di  Novembre  del  MDLVII." 

Nähere  Angaben  über  die  beiden  Bilder,  ausser  dass  sie  „sehr 
schön"  seien,  sind  in  diesen  Briefen  nicht  gemacht.  Der  Maler  wird 
nicht  genannt. 

In  einer  Notiz  über  die  Calzini'sche  Publikation  in  der  Kunst- 
chronik (1903.  N.  F.  XIV,  326)  bemerkt  E.  Steinmann:  „Leider 
war  Calzini  nicht  bekannt,  dass  auch  im  schwer  zugänglichen  Archivio 
Buonarroti  ein  Dokument  über  diese  Gemälde  erhalten  ist,  welche 
die  beiden  Söhne  Urbinos  darstellten,  von  Michelangelo  gemalt 
wurden  und  endlich  für  hundert  Golddukaten  in  den  Besitz  des 
Herzogs  von  Urbino  übergingen.  Hoffentlich  giebt  die  werthvolle 
Publikation  Calzinis  den  Anstoss  zur  Veröffentlichung  des  wichtigen 
Dokumentes,  das  uns  noch  immer  ungebührlicher  Weise  vorent- 
halten wird." 

Da  es  bis  jetzt  nicht  bekannt  gemacht  worden  ist,  lässt  sich 
über  die  merkwürdige  Thatsache  nichts  Weiteres  sagen.  Handelt 
es  sich  wirklich  um  Bilder  von  Michelangelos  Hand,  der  doch  sonst 
niemals  Porträts  geschaffen?  Giovanfrancesco  ist  erst  nach  dem 
Tode  Urbinos  geboren  worden,  also  muss  er  als  ganz  kleines  Kind 
dargestellt  gewesen  sein !  Und  waren  diese  von  Guidobaldo  er- 
worbenen Gemälde  Werke  des  Meisters,  wie  erklärt  es  sich,  dass 
wir  gar  keine  sonstige  Nachricht  über  sie  besitzen.? 

n 
Das  Porträt  Cavalieris 

,, Ritrasse  Michelagnolo  messer  Tommaso  in  un  cartone,  grande 
di  naturale,  che  ne  prima  ne  poi  di  nessuno  fece  il  ritratto,  perche 
aboriva  il  fare  somigliare  il  vivo,  se  non  era  d'infinita  bellezza." 
So  berichtet  Vasari.  (VII,  27 1 .)  In  einer  Randnotiz  in  der  Vasari- 
ausgabe  von  1 568  in  der  Corsiniana  (29  E  6),  deren  Angabe  Bottari 
in  seiner  Vasariausgabe  von  1760  kurz  wiedergegeben  hat,  ist  zu 
lesen:  ,,Questo  disegno  e  in  mano  del  Cardinal  Farnese  che  ha 
tutti  i  disegni  di  detto  messer  Tommaso  comperi  per  prezzo  di 
scudi  500 —  e  r  ho  visto  insieme  con  il  signor  Lodovico  CigoH  e  '1 
signor  Piero  Abati  e  stupimmo  ä  vedere  la  diligentia  usata  da 
Michelagnolo  nel  ritratto  di  detto  Messer  Tommaso  fatto  di  matita 
nera  e  tratteggiato  divinamente ,  che  pare  di  mano  d'  un  Angelo, 
con  quei  begli  occhi,  e  bocca  e  naso,  vestito  all'  antica,  e  in  mano 
tiene  un  ritratto  o  medaglia,  che  si  sia;  sbarbato  e  in  somma  da 
spaurire  ogni  gagliardo  ingegno.  Vedemmo  anco  altri  disegni  comc 
sopra."    (Steinmann-Pogatscher :  Rep.  f.  Kunstw.  1906,  XXIX,  S.  506.) 


Die  Leda  31 1 

Dass  dieser  Karton  sich  nicht  erhalten  hat,  ist  nicht  genug  zu 
beklagen.  An  anderer  Stelle  (II,  S.  56)  sprach  ich  zögernd  die  Ver- 
muthung  aus,  Michelangelo  habe  das  Porträt  vielleicht  für  den  einen 
Apostel  (Thomas?)  im  Jüngsten  Gericht  verwerthet. 


III 

Die  Leda 


Geschichtliches. 


Die  erste  Begegnung  Michelangelos  mit  Alfonso  I.,  Herzog  von 
Ferrara,  fällt  in  das  Jahr  15 12.  Am  4.  Juli  kam  Alfonso  nach 
Rom,  wo  er  bis  zum  19.  verweilte.  An  einem  der  Tage  seines 
Aufenthaltes  besuchte  er  den  Meister  in  der  Sixtinischen  Kapelle. 
Grossino  berichtet  darüber  an  Isabella  d'Este  Folgendes.  (Alessandro 
Luzio:  Federigo  Gonzaga  ostaggio  alla  corte  di  Giulio  II  in:  Archivio 
della  R.  Societä  Romana  di  storia  patria  1886.  vol.  IX,  540.  Stein- 
mann, Sixt.  Kapelle  II,  729.) 

,, Seine  Exellenz  wünschte  sehr  die  Decke  der  grossen 
Kapelle  zu  sehen,  die  von  Michelangelo  ausgemalt  wird,  und  Herr 
Federico  erreichte  es  durch  Vermittlung  Mondovis,  dass  man  im  Auf- 
trage des  Papstes  den  Meister  um  Erlaubniss  bat.  Mit  mehreren 
Personen  stieg  der  Herzog  zum  Gewölbe  hinauf;  nach  und  nach 
stieg  ein  Begleiter  nach  dem  anderen  wieder  hinab,  und  der  Herzog 
blieb  mit  Michelangelo  allein  und  konnte  sich  an  jenen  Figuren 
nicht  satt  sehen  und  bewies  ihm  grosse  Liebenswürdigkeiten, 
sprach  auch  seinen  Wunsch ,  er  möge  ihm  ein  Gemälde  machen, 
aus,  machte  ihn  reden  und  bot  ihm  Geld  an,  und  Michelangelo  hat 
versprochen,  es  ihm  zu  machen." 

Welchen  Vorwurf  dieses  Gemälde  behandeln  sollte,  erfahren 
wir  nicht.  Jedenfalls  wurde  es  nicht  ausgeführt.  Als  Michelangelo 
im  Herbst  1529  in  Ferrara  sich  aufhielt,  wiederholte  Alfonso  seinen 
Wunsch  und  gab  ihm  den  Auftrag  auf  eine  Leda,  mit  deren  Aus- 
führung sich  der  Künstler  während  seiner  Thätigkeit  als  Festungs- 
baumeister beschäftigte.  Als  das  Bild  fertig  war,  gab  er  durch 
Guarini,  früheren  Gesandten  in  Florenz,  dem  Herzog  Nachricht. 
Dieser  sendet  am  22.  Oktober  1530  einen  Jacopo  Laschi,  gen.  il 
Pisanello,  nach  Florenz,  das  Werk  abzuholen,  mit  folgendem,  aus 
Venedig  an  Michelangelo  gerichteten  Brief: 

„Theuerster  Freund.  —  Messer  Alessandro  Guarini,  früher  mein 
Gesandter  in  Florenz,  hat  mich  wissen  lassen,  was  Ihr  ihm  bezüg- 
lich des  für  mich  angefertigten  Bildes  sagen  liesset,  und  ich  habe 
mich  sehr  darüber  gefreut.  Und  da  ich  schon  so  lange  Zeit,  wie 
ich  Euch  mündlich  gesagt,  den  Wunsch  gehegt,  eines  Eurer  Werke 


312  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

in  meinem  Hause  zu  haben,  dünkt  mich,  bis  ich  dieses  sehen  kann, 
jede  Stunde  ein  Jahr.  Und  so  sende  ich  vorsätzHch  den  Über- 
bringer dieses,  meinen  Diener,  genannt  den  Pisanello ,  und  bitte 
Euch,  es  durch  ihn  mir  zu  senden  und  ihm  Rath  und  Weisung  zu 
ertheilen,  wie  es  sicher  transportirt  werden  kann.  Und  nehmt 
keinen  Anstoss  daran,  dass  ich  Euch  heute  durch  den  Boten  noch 
nicht  die  Bezahlung  sende,  denn  ich  habe  weder  von  Euch  gehört, 
was  Ihr  verlangt,  noch  kann  ich  den  Werth  selbst  beurtheilen,  da 
ich  es  noch  nicht  gesehen.  Wohl  aber  verspreche  ich  Euch,  dass 
Ihr  die  Mühe,  die  Ihr  mir  zur  Liebe  auf  Euch  genommen,  nicht 
verloren  habt  und  Ihr  würdet  mir  die  grösste  Freude  machen, 
wolltet  Ihr  mir  schreiben,  wie  viel  Ihr  wünscht,  dass  ich  Euch 
sende,  denn  ich  bin  Eures  Urtheiles  bei  der  Abschätzung  viel 
sicherer,  als  des  meinigen.  Und  ich  versichere  Euch,  dass  ich,  ganz 
abgesehen  von  der  Bezahlung  Eurer  Arbeit ,  immer  den  Wunsch 
haben  werde.  Euch  Freude  und  Annehmlichkeit  zu  bereiten,  sowie 
es  nach  meiner  Meinung  Euer  hoher  Werth  und  Eure  seltene 
Begabung  verdient,  und  inzwischen  und  allezeit  biete  ich  mich 
von  Herzen  Euch  in  Allem  an,  was  ich  Euch  Willkommenes  zu 
thun  im  Stande  bin."  (Campori :  Atti  e  Mem.  della  Dep.  di  storia 
patria  dell'  Emilia   1881.     N.  S.  VI,  p.  I.) 

Wie  die  Ungeschicklichkeit  des  Abgesandten,  Michelangelos 
Stolz  empörend,  Diesen  veranlasste,  das  Gemälde,  statt  es  dem 
Herzog  zu  senden,  später  seinem  Schüler  Antonio  Mini  zu  schenken, 
ist  bekannt  (s.  meinen  I.  Band  S.  112).  Dies  geschah  im  Herbst 
1531.  Zugleich  mit  dem  Bilde  erhielt,  für  welche  Vorgänge 
Clemens  VII.  sich  interessirte  (Frey:  Briefe  313),  Mini  auch  den 
Karton  zu  demselben.  Beide  wurden  dem,  mit  grossen  Hoffnungen 
auf  den  König  nach  Frankreich  Reisenden,  der  sich  in  Gesellschaft 
eines  jungen  Malers  Benedetto  del  Bene  befand ,  nach  Lyon  nach- 
geschickt. Am  23.  Dezember  schreibt  Antonio  seinem  Meister  von 
dort,  dass  er,  von  Francesco  Tedaldi  freundlich  aufgenommen,  in 
Lyon  bleiben  werde ,  bis  die  Leda  eingetroffen  sei ,  die  er  dem 
König  zu  verkaufen  gedenkt.  An  diesem  Gedanken  hält  er  fest, 
obgleich  auch  in  Lyon  ihm  Anerbietungen  gemacht  werden.  Am 
II.  Januar  1532  ist  die  Tafel,  die  per  Schiff  gesandt  wird,  noch 
nicht  eingetroffen.  Dann  aber  am  9.  März  theilt  er  Michelangelo 
mit,  dass  er  den  Auftrag  hat,  nach  dem  Karton  drei  Gemälde  der 
Leda  anzufertigen  (Frey:  Briefe  315  ff.).  Über  eine  Kopie,  die 
Benedetto  del  Bene  gemacht  hat,  haben  wir  bestimmte  Nachrichten. 
(Tedaldis  Brief  vom  11.  Februar  1532  bei  Gotti  I,  202  und  dann 
seinen  Ricordo  ebendaselbst  S.  201.)  Im  Sommer  1532  begab  er 
sich  mit  dem  Original  und  der  Kopie  nach  Paris ,  wo  er  zweimal 
je  zwei  Monate  sich  aufhielt  (bis  März  1533),  seine  Hoffnungen  aber 


Die  Leda  "  ^  I  ^ 

enttäuscht  sah,  da  der  König  sich  nicht  dort  befand.  Bevor  er  im 
März  1533  nach  Lyon  zurückkehrte,  deponirte  er  die  Bilder  bei 
einem  GiuHano  Bonaccorsi ,  der  ihn  um  dieselben  betrogen  hat. 
Vergeblich  suchte  er,  im  Mai  wieder  nach  Paris  gehend,  sein  Recht, 
und  ist  Ende  1533,  durch  diese  und  andere  Enttäuschungen  ge- 
brochen ,  gestorben. 

Auf  welche  Art  Antonio  um  seinen  Besitz  gekommen,  sagt 
uns  ausführlich  ein  am  l.  Juli  1540  in  Lyon  geschriebener  Ricordo 
Tedaldis,  welch'  letzterer  durch  Darlehen  an  Mini  zum  Mitbesitzer 
des  Michelangelo'schen  Gemäldes  (der  Hälfte  des  Werthes)  geworden 
war  (Gotti  I,  201).     Er  lautet: 

,,Ich  erinnere  mich,  wie  im  August  oder  besser  in  der  Mitte 
des  Jahres  1532  Antonio  Mini,  auf  seiner  Heimkehr  von  Nantes  in 
der  Bretagne,  nach  Paris  in  das  Haus  des  Giuliano  Bonaccorsi  ein 
Gemälde  mit  der  Darstellung  der  Leda  von  der  Hand  Michelangelos, 
an  dem  ich  halben  Antheil  hatte,  brachte :  auch  brachte  er  aus  ge- 
nanntem Orte  ein  anderes,  das  er  hier  in  Lyon  von  einem  seiner 
Gehülfen,  Namens  Bettino  del  Bcne,  als  Kopie  ausführen  Hess;  und 
er  brachte  sie  in  das  Haus  des  Giuliano,  als  seines  Freundes.  Dann, 
etwa  ein  Jahr  später,  wollte  Mini  die  beiden  Ledabilder  fortnehmen, 
oder  besser  gesagt,  .sie  dem  Hause  jenes  Bonaccorsi  entführen,  um 
ein  Geschäft  damit  zu  machen.  Bonaccorsi  aber  wollte  sie  ihm 
nicht  geben  und  behauptete.  Nichts  von  ihm  erhalten  zu  haben; 
jene  Leden  hätte  ihm  auf  Wunsch  des  Königs  Luigi  Alamanni  ins 
Haus  gebracht.  Hiergegen  erhob  Mini  am  6.  August  1533  Protest 
und  forderte  die  Herausgabe  der  beiden  Leden,  Klage  auf  allen 
Schaden  und  alle  hieraus  entstehenden  Kosten  erhebend.  Giuliano 
antwortete  hierauf  vor  zwei  Notaren,  wie  ich  gesagt :  nämlich  dass 
er  Nichts  von  Mini  erhalten,  und  Messer  Luigi  Alemanni  auf  Wunsch 
des  Königs  die  beiden  Leden  in  sein  Haus  hätte  bringen  lassen. 
Das  war  eine  Lüge;  denn  nach  dem  Tode  Antonio  Minis  erhielt 
ich  einen  Brief,  den  besagter  Messer  Luigi  am  26.  Januar  1534  an 
Giuliano  gerichtet  hat  und  in  dem  er  sagt,  nicht  er,  sondern  Mini 
habe  die  Leden  in  sein  Haus  gebracht,  wie  Mini  im  Protest  es  ge- 
sagt. Diesen  Brief  habe  ich  absichtlich  von  Messer  Luigi  schreiben 
lassen,  um  zu  beweisen,  dass  Jener  falsch  ausgesagt.  Den  Protest, 
von  zwei  Notaren  ausgefertigt ,  sandte  ich  zusammen  mit  Luigis 
Brief  am  ....  nach  Florenz  an  Giov.  ßattista  Mini,  Antonios  Onkel, 
um  den  Versuch  zu  machen,  ob  man  von  dort  aus  zu  seinem  Eigen- 
thum  gelangen  könne ;  den  Empfang  bestätigte  mir  ein  Brief  Gio- 
van  Battistas  vom  23.  Februar  1539.  Und  da  ich  den  halben  An- 
theil an  der  Leda  Michelangelos  behaupte,  habe-  ich  diesen  Ricordo 
gemacht,  damit  mein  Erbe,  falls  ich  ihn  nicht  selber  früher  geltend 
gemacht,  ihn  geltend  mache,  wenn  er  in  Florenz,  wo  man  summa- 


214  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

risch  Gerechtigkeit  übt,  zu  seinem  Eigenthum  gelangen  kann ;  denn 
hier  (in  Lyon)  würde  man  damit  in  hundert  Jahren  nicht  zum  Ziele 
kommen.  Diese  Leda,  oder  besser  gesagt  der  halbe  Antheil  an  ihr, 
kostete  mich  zuerst,  als  ich  ihn  meinem  Bruder  Papi  Tedaldi  ab- 
kaufte, 140  Golddukaten,  wie  meine  Bücher  ausweisen.  Dann  aber 
sind  soviel  Kosten  dazu  gekommen,  dass  sie  bis  Nantes  tür  meinen 
Theil  210  Dukaten  machen"  u.  s.  w.  Er  giebt  weiter  den  Werth  des 
Bildes  auf  1000  Dukaten  an  und  schliesst  den  Ricordo :  ,, Viele 
sagen,  Bonaccorsi  habe  das  Gemälde  dem  König  zum  Geschenk  ge- 
macht und  er  habe  eine  grosse  Belohnung  hierfür  empfangen ;  man 
sagt:  ein  Sekretariat,  das  2000  Dukaten,  nach  Anderen  noch  viel 
mehr,  werth  sei." 

Für  die  Folgen  der  Handelsspekulationen,  die  mit  seinem  Werke 
getrieben  worden  sind,  sich  zu  interessiren,  ist  Michelangelo  selbst 
zugemuthet  worden.  Giovan  Battista  Mini  hat  ihn ,  wie  aus  einem 
Briefe  Ruberto  Nasis  an  den  Meister  vom  i.  Juli  5536  hervorgeht 
(Frey :  Briefe  340) ,  belästigt ,  indem  er  für  sich  und  die  Erben 
Antonios  den  halben  Antheil  an  der  Leda,  falls  der  Prozess  ge- 
wonnen wird,  erstrebte. 

Das  Gemälde  kam  nach  Fontainebleau  und  blieb  dort  bis  zur 
Zeit  Ludwigs  XIII.  Nach  Roger  de  Piles  (Abrege  de  la  vie  des 
peintres,  1699,  p.  221)  hätte  es  der  Minister  Desnoyers  wegen  der 
Laszivität  aus  Gewissensgründen  verbrennen  lassen.  Dies  wäre  also 
vor  dem  lo.  April  1643,  an  welchem  Tage  Desnoyers  den  Hof  des 
Königs  verliess,  geschehen.  Florent  de  Comte  (Cabinet  des  singu- 
laritez,  1702,  II,  p.  29)  wiederholt  diese  Angabe.  In  einer  Rand- 
bemerkung zu  einem  ,,Inventaire  des  tableaux  et  dessins  du  Roy"  von 
Honasse  1691  heisst  es:  die  Königin  Mutter  habe  das  Bild  verbrennen 
lassen  (Fernand  Engerand :  Chronique  des  arts  1898,  i.  Okt.).  Ma- 
riette  (Observ.  74)  sagt:  ,, nachdem  das  Bild  sehr  ruinirt  worden,  sagt 
man,  hätte  der  Minister  Befehl  gegeben,  es  zu  verbrennen,  dieser 
sei  aber  nicht  ausgeführt  worden".  In  einem  sehr  zerstörten  Lein- 
wandbilde, das  er  in  Paris  sah  und  das  dann,  durch  einen  mittel- 
mässigen  Maler  restaurirt ,  nach  England  verkauft  wurde ,  glaubte 
Mariette  das  Original  zu  erkennen. 

Der  Karton  zur  Leda  kam  mit  anderen  Zeichnungen  aus  dem 
Besitze  Minis  nach  Florenz  zurück,  wo  er  von  Bernardo  Vecchietti 
erworben  und  in  seiner  Villa  aufbewahrt  wurde  (Vasari.  Borghini : 
Riposo,  1584,  S.  13).  Noch  zu  Goris  Zeiten  gehörte  er  der  Familie 
Vecchietti  (Not.  stör.  1 1 1  ;  Fanfari  99).  Bald  darauf,  in  den  Tagen 
Bottaris,  ward  er  von  einem  Mr.  Lock  (WiUiara  Locke)  gekauft 
und  nach  London  (vgl.  Stendhal :  Peint.  en  Italic,  Paris,  Calman  Levi 
S-  350)  gebracht,  wo  man  ihn  heute  in  der  Royal  Academy  wieder- 
zuerkennen   glaubt.    —    Zu    beachten    aber     ist,    dass    Ende    des 


Die  Leda  315 

XVII.  Jahrhunderts  in  den  Inventaren  der  Sammlung  des  Königs  von 
Frankreich  (von  Le  Brun  1683  und  von  Honasse  1691,  vgl.  Chronique 
des  arts  1898,  i.  Okt.)  ein  Karton  der  Leda  von  Michelangelo, 
sechs  Fuss  neun  Zoll  lang,  mit  schwarzer  Kreide  auf  weisses  Papier 
gezeichnet,  erwähnt  wird. 

2.  Das  Gemälde.     Zeichnungen  zmd  Kopien. 

Die  Fragen,  um  die  es  sich  handelt,  sind  diese :  ist  der  Original- 
karton, ist  das  Gemälde  Michelangelos  erhalten.? 

Vernehmen  wir  zunächst,  was  die  alten  Zeugnisse  berichten. 

Vasari  in  der  I.  Auflage  der  Vite  sagt:  ,,una  Leda  in  tavola, 
lavorata  a  tempera,  che  era  divina."  Condivi :  ,,principiö  un  quadrone 
da  sala,  rappresentando  il  concubito  del  Cygno  con  Leda  et  appresso 
il  parto  del  uova ,  di  che  nacquer  Castore  e  Polluce ,  secondo  che 
nella  favola  delli  antichi  scritto  si  legge".  Diese  Angabe  übernimmt 
Vasari  1 568 ,  der  auch  die  Geschichte  vom  Gesandten  Alfonsos 
Condivi  nacherzählt:  ,,la  Leda  che  abbraccio  il  Cigno,  et  Castore  et 
Polluce,  che  uscivano  dell'  uovo,  in  certo  quadron  grande  dipinto  a 
tempera  col  fiato"  —  ebenso  Varchi. 

Von  Vasari  erfahren  wir  weiter,  dass  Enea  Vico  die  Leda 
Michelangelos  gestochen  (V,  427)  und  dass  er  selbst,  Vasari,  nach 
dem  Karton  ein  Gemälde  für  Ottaviano  de'  Medici  (zugleich  mit  dem 
der  Venus)  ausgeführt  habe  (VII,  669).  In  einem  Briefe  vom  20.  Juli 
1541  an  Francesco  Leoni ,  der  sich  in  Venedig  befand,  spricht  er 
von  seiner  Absicht,  in  der  nächsten  Woche  die  zwei  Bilder  der  Leda 
und  der  Venus  ihm  zu  senden.  Offenbar  sind  dies  die  beiden  Rir 
Ottaviano  angefertigten  Bilder ;  es  könnte  sich  aber  auch  um  Wieder- 
holungen handeln  (VIII,  283).  Anstatt  sie  zu  senden,  hat  er  sie  dann 
selbst  nach  Venedig,  wo  er  sich  1 542  aufhielt,  gebracht  und  sie  an 
Don  Diego  de  Mendoza  für  200  Goldskudi  verkauft  (VII,  670,  wo 
wieder  erwähnt  wird,  dass  sie  nach  Michelangelos  Karton  angefertigt 
waren). 

Wir  erfahren  also  von  zwei  oder  drei  gemalten  Kopien  der 
Leda :  eine  oder  zwei  von  Vasari,  eine  vor  Benedetto  del  Bene,  und 
von  dem  Stich  Enea  Vicos.  Die  Benedetto'sche  Kopie  kam  nach 
Paris,  die  eine  von  Vasari  höchst  wahrscheinlicher  Weise  durch 
Mendoza  nach  Spanien.  Vielleicht  ist  sie  später  nach  Italien  zurück- 
gekehrt ,  denn  in  einem  Verzeichniss  der  ,,quadri  mandati  dalla 
Spagna  a  Parma  arrivati  22.  Aprile  1722"  (Le  Gallerie  nazionali  1902, 
V,  289),  finde  ich  unter  Nr.  i,  freilich  wie  bei  allen  diesen  Bildern 
ohne  Angabe  des  Malers :  ,,una  tavola  grande  che  rappresenta  la 
favola  di  Leda  con  Giove  trasformato  in  Cigno." 

Zu  bemerken  ist,  dass  auch  Annibale  Caro ,  der  Vasari  1548 
um  ein  Gemälde  bat,  Diesem  vorschlug,  falls   er  ihm    nicht  Venus 


3l6  ]\Iythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

und  Adonis  malen  wolle,  die  Leda  zu  wählen :  ,,se  non  voleste  far 
piü  di  una  figura :  la  Leda,  e  spezialmentc  quella  di  Michel  Angelo 
mi  diletta  oltre  modo"  (Lett.  Padua,  1763,  I,  S.  300).  Es  ist  aber 
bei  der  ersten  Idee :  Venus  und  Adonis  geblieben. 

Nach  Condivis  Angabe  zeigte  das  Gemälde  neben  der  Haupt- 
gruppe die  Geburt  der  Dioskuren  aus  dem  Ei.  Man  brauchte  hierauf 
kein  entscheidendes  Gewicht  zu  legen,  wiederholte  Vasari  diese 
Aussage  nicht,  er,  der,  wenn  auch  nicht  das  Bild,  so  doch  den 
Karton  kannte,  ja  kopirt  hat!  Wäre  Condivi  im  Irrthume  gewesen, 
würde  Vasari  ihn  doch  korrigirt  haben  —  diese  Annahme  ist  die 
zunächst  naheliegende. 

Wir  gehen  nunmehr  zu  der  Betrachtung  der  erhaltenen  Leda- 
darstellungen ,  die  in  Beziehung  zu  Michelangelos  Werk  stehen, 
über.  Und  hier  habe  ich  an  erster  Stelle  zwei  bisher  nicht  beachtete, 
unzweifelhaft  ächte  Zeichnungen  des  Meisters  anzuführen. 

A.    Originalstudien    zur   Leda. 

I.  Paris,  Louvre  Nr.  775.  Kleine  Rötheistudie.  Thode  479.  Im 
Wesentlichen  entspricht  die  Darstellung  den  später  zu  be- 
sprechenden Gemäldekopien.  Abweichend  ist  die  Haltung 
des  vorderen  linken  Armes,  der,  etwas  im  Ellenbogen  ge- 
krümmt, sich  mit  der  Hand  auf  den  Boden  aufstützt.  Die 
Haltung  des  Kopfes,  an  dem  schon  ein  diademartiger  Kopf- 
putz angedeutet  ist,  ist  fast  aufrecht,  das  linke  Bein  noch 
nicht  so  stark  in  die  Höhe  gezogen  und  nach  hinten  gedreht : 
die  Lage  ist  gestreckter.  Die  Stellung  des  Schwanes  ist  noch 
nicht  ganz  fixirt,  der  hintere  Flügel  noch  nicht  erhoben,  son- 
dern an  seiner  Stelle  sieht  man  den  gekrümmten  Körper  des 
Vogels.  Auch  liegt  dessen  Hals  noch  nicht  fest  an  der  Frauen- 
brust, sondern  hebt  sich  über  dieselbe  in  einem  sanften  Bogen. 
Im  Rücken  der  Leda  ist  das  Gewand  kissenartig  emporge- 
zogen. 
II.  Paris,  Louvre  815.  Thode  500.  Röthel.  Eine  grossartige 
Skizze,  die  sich  den  Gemäldekopien  schon  sehr  nähert,  denn 
die  Haltung  des  Kopfes,  der  Beine  und  auch  des  linken  Armes 
entspricht  ihnen  ganz.  Das  Gewand  im  Rücken  wirkt  hier 
ballenartig.  An  Stelle  des  Diadems  trägt  der  Kopf  ein 
Tuch.  Die  Stellung  des  Schwanes  ist  noch  nicht  die  defini- 
tive, auch  hier  sind  die  Flügel  nicht  ausgespannt,  was  Hnks 
eine  Leere  in  der  Komposition  zur  Folge  hat. 
Auf  beiden  Zeichnungen  fehlt  jede  Andeutung  der  Dioskuren. 
Sie  bereiten  unmittelbar  die  definitive  Komposition  vor.  Ganz  an- 
derer Art  ist 


Die  Leda  3  17 

in.  Florenz,    Uffizien    1476,    18737.     Thode    226.     Jacobsen    und 

Ferri   Taf.  XV.     Letztere   sehen   mit   Recht   in    dieser  Studie 

einen    ersten,    dann   aufgegebenen    Gedanken    zum    Gemälde. 

Leda  liegt  in  üppigster  Stellung  mit  dem  Oberkörper  auf  dem 

Schwan,  der  von  hinten  den  Kopf  über  sie  erhebt  und  sie  in 

die  Brust  beisst.     Ihr  Kopf  und  ihr  rechter  Arm  sinkt  herab, 

das  eine  Bein  ist  über  das  andere  geschlagen  (hier  ist  ein  Pen- 

timento). 

Wenn  Jacobsen  und  Ferri    auch  in  einer  kleinen,  undeutlichen 

Skizze  auf  dem  Blatte  in  den  Uffizien  (140,  613),  welches  ein  erster 

Entwurf  zum  Karton  von  Pisa  ist,  eine  Leda  erkennen  wollen,  kann 

ich    ihnen    nicht   Recht    geben :    es    ist    ohne    Zweifel    eine    sitzende 

Figur,  die  auf  ihrem  rechten  Beine  ein  stehendes,   sie  umhalsendes 

Kind  hält.     (S.  oben  I,  S.    100.) 

B.    Kartons. 

IV.  Der  Karton  in  der  Royal  Academy   in  London.     Thode  553. 
Die  sehr  grossen  Verhältnisse  entsprechen  dem  Condivi'schen 
Ausdruck  :  quadrone.    Die  Komposition  der  Gruppe  entspricht 
genau    den    Gemäldekopien,    und   zwar   zeigt   das  den  ganzen 
Hintergrund    verkleidende    grosse  Tuch    speziell  das  Gemälde 
in  der  Nationalgalerie.     Daran   zu  zweifeln,  dass  dies  der  bei 
Vecchietti  befindliche,  von  Vasari  und  Borghini    als    acht  be- 
zeichnete Karton,  den  Locke  nach  England  brachte,  Hegt  kein 
Grund  vor  und  ich    sehe  nicht  ein ,  warum  Passavant  (Kunst- 
reise S.  33)  und  Waagen  (Works  of  art  and  artists  III,  S.  344) 
die  Ächtheit  in  Frage  stellten.     Es  ist  ein  Werk  von  höchster 
Vollendung    und    grösster   Herrlichkeit,    von   geradezu    über- 
wältigender Wirkung. 
Zu    bemerken   ist   nun    aber  eine  bisher   unbeachtete,  wichtige 
Thatsache.     Rosinis  Reproduktion  dieses  Kartons  (IL  Aufl.  V,  S.  65) 
zeigt   links    unter    dem  Schwanenflügel    ein  schräg  liegendes  Ei,    in 
dem  ein  liegendes  Kind  angedeutet  ist,  und  dahinter  gewahrt  man 
die    zwei    sich    vorbeugenden    und    auf    das    Ei    herabschauenden, 
knieenden  Dioskurenknäblein.    Diese  Figuren  sind  heute  nicht  mehr 
zu  sehen.     Der  Karton  scheint  hier  beschnitten  worden  zu  sein. 

Ein  anderer  Karton  befand  sich,  wie  oben  bereits  gesagt,  noch 
1691  im  Cabinet  du  Roy  (F.  Engerand  in  der  Chronique  des  arts, 
1898,  I.  Oktober).  Er  wird  im  ,,Inventaire  des  tableaux"  von  Le  Brun 
1683  mit  folgenden  Worten  erwähnt:  ,,un  dessin  de  Michelange 
representant  une  Leyda,  large  de  6  pieds  9  poulccs."  Dabei  Rand- 
bemerkung: veu  ä  Paris  8  aoust  1690.  Und  in  dem  Inventaire  von 
Honasse  1691  heisst  es:  un  dessin  de  Michelange  representant  une 
Leyda,    lequel    dessin   est  ä   la   pierre    noire    sur    du   papier  blanc. 


3i8  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Engerand    meint,    dass   auch    die   Zeichnung   auf  den    Befehl   Lud- 
wigs XIV.  verbrannt  worden  sein  dürfte. 

C.    Gemälde. 

V.  London,  National  Gallery.    Nicht  ausgestellt.    Kleine  Abbildung 
bei   MichaeHs.     Die   Abbildung    bei    Knapp  S.  163,    angeblich 
das  Londoner  Bild  wiedergebend,  ist  nicht  eine  Reproduktion 
desselben,    sondern    der    Dresdner   Kopie.      Es    wurde    1838 
vom  Herzog  von  Northumberland  der  Galerie  geschenkt.    Es 
bheb    unbeachtet,    bis    Sir   W.  Boxall    es   1868    reinigen   Hess 
(Baron  de  Triqueti,  Gaz.  d.  b.  a.,   1869,  I,   160).    Burton  und 
Reiset    erklärten    sich    für    die    Ächtheit    (Gaz.    d,  b.  a.,    1877, 
XV,  246  ff.    und   Chronique    des    arts   1877,  S.  235),    nachdem 
der  Baron   de  Triqueti  die  Vermuthung,    es    sei  von  Daniele 
da  Volterra,  aufgestellt.    Für  die  Ächtheit  haben  sich  Michaelis 
und  Woermann,    gegen  sie  J.  P.  Richter    und   Berenson    aus- 
gesprochen. —  Das  Bild  war   arg  beschädigt   und  von  einem 
Stümper  mit  Ölfarbe  übermalt  worden,   wobei  das  rothe  Ge- 
wand in  ein  blaues  verwandelt  wurde.    Der  Restaurator  Pinti 
entfernte    die    Ölschicht,    und    die   alte    Tempera   kam    zum 
Vorschein.     Nach  Burtons  Zeugniss  hatte  Pinti   nur  am  Kopf 
einige  Kleinigkeiten  zu  retuschiren  begonnen,  um  dann  sofort 
von    Boxall    an   der   Fortsetzung   gehindert   zu   werden    (nach 
Michaelis).      Meine    eigene    Untersuchung   gab    mir   die   Über- 
zeugung, dass  auch  diese  Temperamalerei  in  früherer  Zeit  schon 
—  sowohl  der  Körper   in   seiner   bläulichen  Modellirung,    als 
das    rothe    Tuch    —    übermalt    worden    ist.      Von    Ursprüng- 
lichem konnte  ich  kaum  noch  Etwas  gewahren.    Und  dennoch 
ist  die  Gesamtwirkung  noch  grossartig.     Wie  in  dem  Karton 
bildet  den  Hintergrund  ein  aufgehängtes  Tuch.     Die  Erschei- 
nung   des    nackten    Körpers    vor    demselben    muss    dereinst 
wundervoll    gewesen   sein.     Auffallender  Weise    ist   auch    das 
Gemälde    links,    genau    so    wie    der  Karton  in  der  Academy, 
verkürzt,  und  es  fehlen  die  Kinder  und  das  Ei. 
Sollen  wir  annehmen,  dass  das  Gemälde  (schon  frühzeitig,  etwa 
durch  jenen  ersten  Restaurator)    beschnitten   ward ,   und    dem    ent- 
sprechend dann  (in  London)  auch  der  Karton }     Dass  das  Bild  iden- 
tisch   ist  mit  dem,    welches  Mariette  sah,    darf  mit  Sicherheit    an- 
genommen  werden.     Es    bleibt    aber   die  Frage    offen,    ob    es    das 
Original  oder  Benedettos  Kopie  ist.     Es  hat   zu  sehr    gelitten ,    als 
dass    man   ihm    selbst   die    Beantwortung   entnehmen    könnte.     Ein 
bestimmtes  Urtheil    ist  unmöglich.     Gegen    die  Originalität   spricht 
die   Thatsache ,    dass    es    auf  Leinwand    gemalt   ist ,    während    das 
Original  ,,una  tavola"  genannt  wird,  also  aus  Holz  war.    Auch  sind 


Die  Leda 


319 


Mariettes  Aussagen  unsicher.  Wenn  er  annimmt,  das  Original  sei 
nicht  verbrannt  worden,  so  widersprechen  dem  doch  die  oben  an- 
geführten positiven  Aussagen.  Mariette  wusste  Nichts  davon,  dass 
sich  früher  auch  eine  Kopie,  die  des  del  Bene,  in  Paris  befunden 
habe.  Als  ihm  jenes  zerstörte  Exemplar  vor  Augen  kam,  dachte 
er  daher  sogleich  an  das  Original  und  wurde  durch  den  Wunsch, 
es  wiederzufinden,  zu  der  Annahme  verleitet,  es  sei  nicht  verbrannt 
worden    (vgl.    auch    die  Bedenken   von   Mantz,  Gaz.  d.  b.  a,   1876, 

XIII,  159.) 

Ich  meine,  man  darf  nicht  daran  zweifeln,  dass  Michelangelos 
Werk  wirklich  der  Prüderie  zum  Opfer  gefallen  ist,  und  muss  es 
für  wahrscheinlich  halten,  dass  das  Londoner  Exemplar  die  Kopie 
von  Benedetto  del  Bene  ist,  bleibt  es  auch  nicht  ausgeschlossen, 
dass  es  sich  um  eine  andere  alte  Kopie  handelt.  In  den  folgenden 
Gemälden  ist  Leda  genau  wie  im  Karton  und  im  Londoner  Bilde 
wiedergegeben. 
VI.  Berlin,  K.  Schloss.     Dargestellt  ist  nur  die  Leda.     Ei  und 

Kinder  fehlen. 
VII.  Venedig,  Museo  Correr.  Stammt  aus  dem  Besitze  des 
Antiquars  Cav.  Favenza,  bei  dem  es  bis  vor  einigen  Jahren 
sich  befand.  Jacobsen  glaubt,  die  Kopie  sei  von  einem  Nach- 
ahmer Correggios  angefertigt  worden.  (Rep.  f.  Kunstw.  1899. 
XXir,  28.)  Mir  scheint  vielmehr:  von  einem  Nachahmer  des 
Andrea  del  Sarto,  vielleicht  Pontormo.  Die  malerischen  Quali- 
täten sind  bedeutender  Art.  Auch  hier  fehlen  Ei  und  Kinder. 
VIII.  Dresden,  K.  Gemäldegalerie  Nr.  71.  1723  aus  der 
Sammlung  Wrzowecz  in  Prag.  Auch  hier  fehlen  die  Kinder 
und  das  Ei.  Doch  ist  zu  bemerken,  dass  der  Platz  für  die- 
selben vorhanden  wäre,  das  Gemälde  hat  also  die  gleiche 
unverkürzte  Figur  wie  der  Karton  in  der  Rosini'schen  Ab- 
bildung. Doch  sehen  wir  hier  eine  Landschaft  im  Hinter- 
grunde, und  zwar  ist  sie  unverkennbar  niederländischen  Cha- 
rakters. Der  Hübner'sche  Katalog  sagte:  „vielleicht  von  Rubens 
Hand."  Hiergegen  erklärte  sich  J.  P.  Richter,  der  die  Land- 
schaft mehr  in  der  Art  des  Heemskcrk  fand  und  die  Annahme, 
die  Gruppe  sei  eine  Kopie  der  Michelangelo'schen,  zurückwies. 
Es  wäre  nicht  glaubhaft,  dass  der  Meister  sich  selbst  kopirt, 
nämlich  die  ,, Nacht"  für  die  Leda  benutzt  habe.  (Z.  f  b.  K. 
1877.  XII,  S.  228.)  Woermann  sagt:  die  Landschaft  zeigt 
die  Hand  eines  Niederländers  der  ersten  Hälfte  des  XVII. 
Jahrhunderts.  Es  sei,  wie  auch  Bode  meine,  nicht  unmöglich, 
dass  Rubens  selbst  der  Autor  sei,  der  das  Original  um  1620 
in  Fontainebleau  könnte  kopirt  haben.  (Rep.  XVIII,  405  f. 
und  Katalog  der  Dresdener  Galerie.) 


320  Mythol.  und  allcgor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Gegen  die  Autorschaft  Rubens'  scheint  mir  freilich  die  unan- 
genehm wirkende  Härte  in  den  Tönen  des  Inkarnates :  blaugrünliche 
Schatten,  kühlgelbliches  Licht,  rothc  Flcischparthieen  zu  sprechen. 
Aber  der  Kopist  gehört  jener  Zeit  und  Richtung  an. 

Was  aus  einer  Kopie  geworden  ist,  die  nach  der  ,, Presse" 
(Juni  1853)  von  einem  Herrn  J.  Baissas  aufgefunden  worden  war, 
weiss  ich  nicht.  Sollte  sie  das  Exemplar  sein,  das  später  Favenza 
in  Venezia  besass,  also  Nr.  VII.?     (Vgl.  Zitat  bei  Jacobsen  a.  a.  O.) 

Erhalten  sind  also :  die  Kopie  des  Benedetto  del  Bene  (ver- 
muthlich)  in  London,  eine  Kopie  in  der  Art  des  Pontormo,  der 
übrigens  ja,  wie  wir  wissen,  einen  anderen  Karton  Michelangelos, 
die  Venus,  kopirt  hat,  in  Venedig,  die  Kopie  eines  Niederländers 
aus  dem  Anfang  des  XVII.  Jahrhunderts  in  Dresden  und  die  Ber- 
liner Kopie.     Sollte  diese  letztere  die  von  Vasari  ausgeführte  sein.-* 

Sehr  auffallend  ist  es  nun,  dass  alle  vier  nicht  nur,  wie  be- 
greiflich ,  in  der  Gestalt  der  Leda ,  sondern  auch  darin  überein- 
stimmen, dass  das  Ei  und  die  Kinder  nicht  dargestellt  sind. 

D.    Kupferstiche. 

IX.  Enea  Vico.  B.  XV.  p.  294.  N.  26.  Bez.  Aen.  V.  P.  MDXLVI. 
Woermann  hebt  die  Verschiedenheiten  in  der  Komposition  von 
den  Gemäldekopien  richtig  hervor;  ,,Ledas  Kopf  zeigt  eine 
andere  Gestalt  und  eine  andere  Haltung;  auch  fehlen  ihm  das 
Diadem  und  die  Flechten  ;  Ledas  vorderer  Arm  ist  nicht,  wie 
auf  den  Gemälden,  im  Ellenbogen  rechtwinkelig  zurückgebeugt, 
sondern  hängt,  ebenfalls  etwas  zurückgebeugt,  gerade  her- 
unter; die  Schwingen  des  Schwanes  sind  kleiner  und  nüch- 
terner behandelt;  vor  allen  Dingen  aber  schmiegt  sein  Hals  sich 
nicht,  wie  in  den  Gemälden,  fest  an  den  Leib  und  die  Brust 
der  Leda  an,  sondern  entfernt  sich  im  Bogen  von  ihrer  Brust; 
und  nur  sein  Schnabel  berührt,  wie  auf  den  Gemälden,  zum 
Kuss  ihre  Lippen."  Woermann,  dem  Vasaris  bestimmte  Aus- 
sage über  Vico  entgangen  ist,  schlicsst  nun  aus  diesen  Ab- 
weichungen, dass  Enea  Vico  gar  nicht  nach  Michelangelo, 
sondern  vermuthlich  nach  einem  antiken  Relief  gezeichnet 
habe.  Er  drückt  sich  aber  vorsichtig  aus :  ,,oder  nach  einer 
anderen  Zeichnung  Michelangelos".  Nun :  dies  letztere  ist  der 
Fall.  Vicos  Leda  stimmt  ganz  mit  dem  Entwürfe  des  Meisters 
im  Louvre  I.  Dass  er  eine  solche  Zeichnung  besessen  und  ge- 
stochen hat,  ist  nicht  befremdlich  —  wir  wissen  von  mehreren 
ähnlichen  Fällen.  Er  scheint  geradezu  darauf  ausgegangen  zu 
sein,  Entwürfe  berühmter  Werke  zu  erhalten. 
Drei  andere  Stiche  hat  Woermann  in  dem  Rep.  f.  Kunstw.  1885. 
VIII,    S.   405  ff.   bekannt    gemacht.     Früher  erwähnt  waren  sie  nur 


Die  Leda  ^21 

von  Heinecken  (Nachr.  von  Künstlern  und  Kunstsachen  1 76^  I,  402) 
worden.  Alle  drei  zeigen  das  Ei  und  die  beiden  Knaben,  und 
zwar,  wie  ich  gleich  bemerken  muss,  in  genau  derselben  Weise, 
wie  die  Rosini'sche  Abbildung  nach  dem  Karton. 

X,  Cornelius  Bos.  Heinecken  la.  Die  Komposition  im  Gegen- 
sinne zu  den  Gemälden.  Bez.  Michael  Angelus  Inventur  und 
C.  B.  (im  C  noch  ein  kleines  J).     Eine  Inschrift  besagt: 

Formosa  haec  Leda  est,  cignus  fit  Juppiter,  illam 
Comprimit,  hoc  geminum  quis  credat  parturit  Ovum. 
Ex  illo  gemini  pollux  cum  castore  fratres 
Ex  isto  erumpens  Helena  pulcherrima  prodit. 

Nach  J.  E.  Wessely  von  Cornelius  Bos,  welcher  Ansicht  sich 
Woermann  angeschlossen  hat. 
XI.  Kopie   nach  Bos.     Heinecken   i.     Im  Sinne    der  Gemälde. 
Bez.  Michael  Angelus  inv.    Heinecken  hielt  das  Blatt  für  das 
Original,  das  der  Stecher  von  X  kopirt  habe,   und  meint,    es 
könne     von    Marcanton    sein.      Woermann    meint    in    X    das 
Original  zu  erkennen. 
XII.  Et.    Delaunes.     Dumesnil  307.      Heinecken  ib.     Im  Sinne 
der  Gemälde.  Kleiner  und  roher,  als  XI.  Bez.S.,  was  Heinecken 
auf  Etienne  Delaunes  (Stephanus)    deutete.     Mit  Recht.     Das 
Blatt    wird    von    Robert    Dumesnil    in    dem    Werk    Etienne 
Delaunes'  IX  p.  93.  Nr.  307  beschrieben.  (J.  Janitsch:  Rep.  f. 
K.  IX,  247.     Woermann  ebd.     S.  360.) 
Da  XI  und  XII  Kopien    sind ,   hat  nur  der  Stich  des  Cornelius 
von  Bos  (oder  Bosch)    beweisende  Kraft   für    die  Frage  nach    dem 
Original  der  Leda,  und  Woermann  hat  dieselbe  Michaelis  gegenüber 
geltend    gemacht.     Bos    hat    den    grössten    Theil    seines  Lebens    in 
Rom  zugebracht,  wo  er  (bis  etwa   1571)  vornehmlich  nach  Raphael 
und  Giulio  Romano  arbeitete.     Ob  er    auch   in  Paris  gewesen  und 
dort  das  Original  gesehen,  ob  er  nach  dem  Karton  in  Florenz  ge- 
stochen oder  eine  Zeichnung  nach  dem  Karton  als  Vorlage  gehabt, 
ist  nicht  zu  sagen. 

E.    Skulpturen. 

XIII.  BartolommeoAmmanati.  Kleine  Marmorkopie  der  Gruppe 
im  Museo  nazionale  zu  Florenz  Nr.   132.     Sie  kam  durch  eine 
Erbschaft   der  Vittoria  della  Rovere  an  das  Mediceische  Haus. 
Am  22.  Januar   1780  wurde   sie  von  Poggio  Imperiale    in  die 
Galerie  gebracht. 
Unter  den  mir  bekannt   gewordenen    älteren  italienischen  Pla- 
ketten findet  sich  keine  Kopie  der  Komposition.     Zumeist  ist  Leda 
stehend    dargestellt,   einmal    sitzend  (Berlin,    Beschreib.  Taf.  LXIII, 
%* 


322  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Nr.  824).  Nur  eine  liegende  kenne  ich  in  einem  kleinen  Bleiguss 
(ebd.  Nr.  825),  doch  ist  die  Stellung  eine  andere  als  bei  Michel- 
angelo. Die  von  Molinier  Nr.  587  in  der  Coli.  Dreifuss  erwähnte  blieb 
mir  unbekannt.  Zu  bemerken  ist,  dass  in  den  meisten  Plaketten 
die  Dioskurenknaben  dargestellt  sind.  So  auch  in  einer  Plakette 
des  Giov.  Bernardi  da  Castelbolognese  im  Museo  nazionale  zu 
Neapel,  die  wohl  nicht  ohne  Kenntniss  der  Michelangelo'schen  Kom- 
position, wenn  auch  in  freier  Gestaltung,  entstanden  ist.  (Abb.: 
Le  Gall.  naz.  IV.  Taf.  V,  124.  Hier  auch  die  Kinder  Helena  und 
Klytämnestra.)  Auch  in  Peter  Flötners  Plakette  (Abb.  F.  F.  Leit- 
schuh: Flötnerstudien,  i.  Das  Plakettenwerk,  Taf.  X,  72),  darf 
man,  obgleich  Leda  sitzend,  den  Schwan  auf  dem  Schoosse,  dar- 
gestellt ist,  wohl  einen  Anklang  an  Michelangelo  gewahren.  Deut- 
licher tritt  Dessen  Einfluss  in  den  folgenden  drei  Darstellungen 
hervor. 

XIV.  Plakette,  Bleiguss  aus  dem  Ende  des  XVI.  Jahr- 
hunderts. Berlin,  Kaiser  Friedrich-Museum.  Abb.  Die  ita- 
lienischen Bronzen  Taf.  LXXVI,  1340.  Leda  ist  hier  in  halb 
sitzender  Stellung  mit  aufgestütztem  rechtem  Arme  gegeben. 
Die  allgemeine  Anordnung  und  das  Diadem  verrathen  die 
Benutzung  des  Werkes. 
XV.  Bronzerelief,  an  We rke  Germain  Pilons  erinnernd. 
Paris,  Louvre.  Sammlung  Thiers  94.  Freie  Benutzung.  Der 
Schwan  windet  hier  den  Kopf  um  den  Hals  der  Leda  herum. 
XVI.  Medaille  des  XVI.  Jahrhunderts.  Berlin,  Münzkabinet. 
Bez.  Transilvania  capta.  Eine  bei  Trophäen  liegende  Frau  mit 
einer  Krone  in  der  ausgestreckten  Linken.     Freie  Benutzung. 

j.  Älichelangelos   Vorbild. 

In  überzeugender  Weise  hat  Ad.  Michaelis  in  einem  Aufsatz 
des  Strassburger  Festgrusses  an  Anton  Springer  (Berlin  1885,  S.  33) 
dargelegt,  dass  Michelangelo  an  eine  antike  Komposition  angeknüpft 
und  derselben  das  Motiv  seiner  Gruppe  entlehnt  hat.  Vielleicht 
war  es  das  Sarkophagrelief,  das  um  die  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts 
„in  domo  Corneliorum"  (auf  dem  Quirinal)  sich  befand  und  im  Codex 
Pighianus  der  Berliner  Bibliothek  (auch  in  der  Koburger  Hand- 
schrift) abgezeichnet  ist.  (Abb.  Michaelis  S.  41.  Robert:  Die  an- 
tiken Sarkophagreliefs  Taf.  II,  3.)  Doch  giebt  es  auch  ein  anderes 
Rehef,  in  der  Sammlung  Cassiano  dal  Pozzos  in  Windsor,  und 
Gemmen,  welche  in  ganz  ähnlicher  Weise  die  gelagerte  Leda 
zeigen.  (Robert:  a.  a.  O.  II,  4,  vgl.  dort  auch  II,  6,  Relief  in  Rom, 
Palazzo  Corsetti,  das  freilich  erst  1726  gefunden  ward,  den  gleichen 
Typus.)  Von  sklavischer  Nachahmung  kann  bei  Michelangelo  natür- 
lich nicht    die  Rede    sein,     ,,In    den    antiken  Darstellungen    breiten 


Die  Leda  323 

sich  die  Flügel  wie  Arme  aus  und  dienen  der  ganzen  Gruppe  als 
Hintergrund ;  auf  dem  Gemälde  entsprechen  sie  der  Bewegung  des 
Thieres  und  verstärken  den  Eindruck  des  stürmischen  Andranges. 
Von  den  Armen  Ledas  dient  dort  der  eine  in  bequemer  Haltung 
als  Stütze  des  Körpers,  der  andere  ist  entweder  gar  nicht  sichtbar 
oder  es  ist  ihm  kein  besonderes  Motiv  zugetheilt ;  bei  Michelangelo 
ist  der  eine  Arm  in  höchst  charakteristischer  Bewegung  zurück- 
geworfen, der  andere  dient  nicht  bloss  die  Gestalt  Ledas  selbst, 
sondern  die  ganze  Gruppe  fester  zusammenzuschliessen.  Ebenso 
hat  das  auf  den  Sarkophagen  ausgestreckte  Bein  bei  Michelangelo 
durch  die  veränderte  Bewegung  neue  Bedeutung  gewonnen ;  zugleich 
ist  dadurch  der  Vortheil  erzielt,  die  ganze  Komposition  erheblich 
zu  kürzen  und  besser  abzurunden."  Durch  die  aufrechte  Haltung 
des  Schwanes  in  den  Antiken,  die  im  Gemälde  in  die  anschmiegende 
verwandelt  wird,  ergiebt  sich  die  freie  Bewegung  des  Halses,  dessen 
Kopf  Ledas  Munde  zustrebt.  Der  Antike  entnommen  ist  auch  das 
Gewandstück  und  die  polsterartige  Rückenlehne. 

Jeder  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Behauptung  Michaelis'  er- 
scheint ausgeschlossen.  Gäbe  es  aber  einen  solchen,  so  würde  er 
definitiv  durch  den  von  mir  aufgefundenen  ersten  Entwurf  zum  Ge- 
mälde im  Louvre  Nr.  I  beseitigt.  Denn  hier  tritt  die  Beziehung  zu 
der  Antike  in  dem  vorderen  Arm  der  Leda  und  in  der  Hals- 
bewegung des  Schwanes  noch  deutlicher  hervor. 

Wenn  Michaelis  weitergeht  und  die  Ähnlichkeit  der  ,, Nacht" 
und  der  ,,Leda"  daraus  erklärt,  dass  auch  für  die  ,, Nacht"  Michel- 
angelo schon  das  Ledarelief  vorgeschwebt  hat,  so  wird  dagegen 
kaum  Ernstliches  einzuwenden  sein. 

./.  Zusammenfassendes. 

Aus  dem  Karton  und  dem  Gemälde  in  London,  sowie  aus  dem 
Stiche  Enea  Vicos  zog  Michaelis  den  Schluss ,  auf  dem  Gemälde 
sei  die  Geburt  der  Dioskuren  nicht  dargestellt  gewesen.  Condivis 
und  Vasaris  Aussagen  seien  auf  das  Missverständniss  eines  Beiden 
zu  Ohren  gekommenen  Berichtes  zurückzuführen.  Die  dem  Künstler 
von  ihnen  zugemuthete  Prolepsis  sei  eine  Geschmacklosigkeit.  Dieser 
Meinung  widersprach  Woermann,  indem  er  auf  den  Stich  des  C.  Bos 
und  die  beiden  Kopien  hinwies ,  welche  das  Ei  und  die  Dioskuren 
zeigen,  Enea  Vicos  Komposition  als  unabhängig  von  Michelangelo 
hinstellte  und  eine  Verkürzung  des  Londoner  Bildes  als  möglich 
annahm.  Unsere  weitergehende  Untersuchung  bestätigt  Woermanns 
Urtheil.  Die  Rosini'sche  Abbildung  des  Kartons  Nr.  IV  zeigt,  dass 
auch  auf  ihm  die  Kinder  dargestellt  waren ;  Vicos  Stich  erwies  sich 
als  die  Kopie  eines  Entwurfes  zu  dem  Gemälde ;  die  Glaubwürdig- 
keit Vasaris  wurde  durch  die  Thatsache,  dass  er  selbst  den  Karton 


324  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

gekannt  und  kopirt  hat,  ausser  Frage  gestellt;  und  endlich  zeigen 
fast  alle  nach  Michelangelo  entstandenen  Plaketten  jene  Prolepsis, 
vor  der  übrigens  auch  Correggio  nicht  zurückgescheut  ist.  Michel- 
angelos  Komposition  enthielt  die  hinter  Ledas  linkem 
Fusse  knieenden  zwei  Knaben,  die  auf  ein  vorne 
schräg  liegendes  Ei  schauen,  in  dem  der  Embryo  eines 
dritten  Kindes,  der  Helena,  zu  gewahren  ist.  Sowohl 
Condivis  Ausdruck :  ,,il  parto  dell'  uova,  di  che  nacquero  Castore  e 
Polluce",  sowie  Vasaris  Angabe:  ,, Castore  e  Polluce  che  uscivano 
dell'uovo",  erklären  sich,  wenn  sie  auch  nicht  präzise  sind,  aus  der 
Darstellung. 

Zu  erklären  bleibt  nur,  wie  die  Verfertiger  der  Gemäldekopien 
in  Berlin ,  Dresden  und  Venedig  dazu  kamen ,  sich  auf  die  Haupt- 
gruppe zu  beschränken.  Die  Übereinstimmung  in  diesem  Weglassen 
des  Eies  und  der  Knaben  ist  überraschend.  Dass  die  nach  dem 
Originalgemälde  in  Paris  angefertigten  Kopien,  wie  die  Dresdener, 
die  Zuthat  nicht  zeigen,  Hesse  sich  allenfalls  daraus  erklären,  dass 
auf  dem  Original  schon  frühzeitig  das  Ei  und  die  Kinder  als  an- 
stössig  entfernt  worden  sind.  Dies  geschah  vermuthlich  auch  auf 
der  de!  Bene'schen  Kopie :  auf  dem  Bilde  in  London.  Und  dies 
würde  uns  veranlassen ,  auch  die  Bilder  in  Berlin  und  Venedig  für 
Kopien  nach  dem  Pariser  Bilde,  nicht  nach  dem  Karton  zu  halten. 
Denn  dieser  zeigte,  wie  Rosini  beweist,  die  Geburt  aus  dem  Ei 
noch  in  der  Mitte  des  XIX.  Jahrhunderts.  Getilgt  worden  kann 
sie  auf  ihm  erst  später  sein,  wie  man  annehmen  muss :  im  Hinblick 
auf  das  Gemälde  in  der  National  Gallery.  Noch  fehlt  uns  der 
Nachweis  des  einzigen  sicher  nach  dem  Karton  angefertigten  Bildes, 
nämlich  des  Vasari'schen.  In  ihm  müssen  wir  die  Geburt  aus  dem 
Ei  voraussetzen.  Oder  hat  Vasari,  wie  vielleicht  auch  andere  Ko- 
pisten des  Kartons  (etwa  der  Verfertiger  des  Gemäldes  in  Venedig), 
aus  ähnlichen  Rücksichten,  wie  der  Hof  in  Paris,  die  Anstoss  er- 
regenden Schwanenkinder  bei  Seite  gelassen.?  Dies  ist  nicht  sehr 
wahrscheinlich :  auf  den  Plaketten  wurden  sie  doch  dargestellt !  Wir 
bleiben  hierüber  noch  im  Dunkel. 


IV 

Der  Karton  zu  Venus  und  Amor 

Schon  in  der  ersten  Ausgabe  erwähnt  Vasari  den  auch  vom 
Anonymus  Magliabecchianus  angeführten  Karton  einer  Venus,  ,,sehr 
fein  in  Kohle  ausgeführt,  den  Michelangelo  dem  Bartolommeo  Bettini 
schenkte".  In  der  zweiten  bezeichnet  er  die  Komposition  etwas 
näher:  „eine  Venus  mit  dem  Kupido,  der  sie  küsst,  ein  göttliches 


Der  Karton  zu  Venus  und  Amor  325 

Werk,  das  heute  bei  den  Erben  Bettinis  sich  befindet."  Hier  wird 
auch  erwähnt ,  dass  er  für  Diesen  den  Karton  anfertigte :  „fece  e 
donö."  Dies  muss,  wie  aus  dem  Folgenden  hervorgeht,  Anfang  der 
dreissiger  Jahre  geschehen  sein.  Das  Gemälde  nach  dem  Karton 
zu  machen,  wurde  Jacopo  Pontormo  beauftragt,  der  kurz  zuvor  das 
,,Noli  me  tangere"  Michelangelos  für  Alfonso  Davalos  als  Bild  aus- 
geführt hatte. 

,,Da  man  sah,  wie  sehr  Michelangelo  Pontormo  schätzte  und  mit 
welcher  Sorgfalt  und  Vollkommenheit  Pontormo  die  Zeichnungen 
und  Kartons  des  Meisters  in  Farben  ausführte,  erreichte  Bart.  Bettini 
es,  dass  der  ihm  sehr  befreundete  Buonarroti  ihm  den  Karton  einer 
nackten  Venus  mit  einem  Kupido,  der  sie  küsst,  anfertigte,  um  ihn 
als  Gemälde  von  Pontormo  ausführen  zu  lassen  und  als  Mittelstück 
in  einem  seiner  Räume  anzubringen,  in  deren  Lunetten  er  vom 
Bronzino  Dante,  Petrarca  und  Boccaccio  malen  zu  lassen  begonnen 
hatte,  in  der  Absicht,  auch  die  anderen  Dichter,  die  in  Versen  und 
in  toskanischer  Prosa  die  Liebe  besungen  haben,  dort  darzu- 
stellen. Und  Jacopo,  nachdem  er  den  Karton  erhalten,  führte  ihn 
mit  Müsse  als  Gemälde  aus,  in  jener  seiner  Art,  die,  ohne  dass  ich 
sie  zu  loben  brauchte,  aller  Welt  bekannt  ist."  ,, Inzwischen  hatte 
Jacopo  die  Venus  nach  dem  Karton  Bettinis  vollendet  und  ein 
wunderbares  Werk  geschaffen.  Doch  wurde  sie  nicht  dem  Bettini 
für  den  verabredeten  Preis  übergeben,  sondern  von  einigen  Diebs- 
gesellen, um  Bettino  zu  kränken,  fast  gewaltsam  dem  Jacopo  aus 
den  Händen  genommen  und  dem  Herzog  Alessandro  gegeben. 
Bettini  erhielt  nur  seinen  Karton  zurück.  Als  dies  Michelangelo 
erfuhr ,  ärgerte  er  sich  aus  Liebe  zu  seinem  Freund ,  dem  er  den 
Karton  gemacht,  und  zürnte  Jacopo.  Man  kann  aber,  obgleich 
Dieser  vom  Herzog  50  Skudi  erhielt ,  nicht  sagen ,  dass  er  Bettino 
betrogen,  denn  er  gab  die  Venus  auf  Befehl  Dessen,  der  sein  Herr 
war,  her."   (Vasari  VI,  276  f) 

Auch  Vasari  hat  nach  dem  Karton  ein  Gemälde,  und  zwar  für 
Ottaviano  de'  Medici  —  zugleich  mit  der  Leda  —  angefertigt.  Wie 
die  Leda  (siehe  oben),  hat  er  auch  die  Venus  1542  nach  Venedig 
gebracht  und  dort  an  Don  Diego  de  Mendoza  verkauft  (Vas.  VII, 
669,  670.  VIII,  283).  Ein  zweites  Gemälde  der  Venus  ,,col  disegno 
di  Michelagnolo"  führte  er  1544  für  Bindo  Altoviti  aus  (Vas.  VII, 
672).  Und,  wie  es  scheint,  zu  gleicher  Zeit  ein  drittes  Exemplar, 
falls  es  sich  nicht  um  das  eben  erwähnte  handelt,  denn  in  einem 
Briefe  an  Francesco  Lioni  in  Venedig  vom  21.  Juli  1544  sagt  er:  ,,la 
nuda  Venere  o  per  me  o  prima  forsc,  sarä  portata;  che  ha  auto  tante 
fortune,  che  l'esercito  di  Dario  non  n'ebbe  tanti.  L'e  viva  ed  e 
ancor  vergine,  contuttoche  per  esser  buona  roba  ci  sia  stato  voluto 
far  il  bordello ;  tamen  la  madre  l'ha  auta  in  custodia  di  sorte,  che 


326  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

e  libera  dal  puttancsimo  per  mia  mani.  Ouando  sarä  con  voi,  biso- 
gnerä  ci  aviate  cura,  che  per  esscr  di  morbida  maniera,  non  vi  fussi 
levata  sü."  (VIII,  291)  Auch  diese  Kopie  scheint  also  nach  Venedig 
gelangt  zu  sein  —  oder  handelt  es  sich  hier  um  eine  Original- 
komposition Vasaris? 

Erwähnt    finde    ich  in  der  älteren  Litteratur    folgende  Kopien: 

A.  1635  ini  Inventar  des  Palastes  in  Turin  (Vesme  in:  Le  Gall. 
naz.  ital.  III,  52,  Nr.  437).  „Venere  nuda  stesa  in  terra  con 
Amore  che  la  bacia  et  alcune  mascare  con  arco  e  saette,  in 
tavola,  D.  M.  A.  Buonarroti.  Singolarissimo  e  de'migliori. 
A.  p.  2.  2^/2-  L.  p.  3^/2-  Vesme  fügt  hinzu,  das  Bild  sei  von 
Carlo  Emanuele  III.  verbrannt  worden. 

B.  1685  in  dem  Verzeichniss  der  Gemäldesammlung  des  Heidel- 
berger Schlosses  (Thode  und  Zangemeister :  Mitth.  des  Heidelb. 
Schlossvereins  III,  S.  197.  Nr.  230)  eine  ,, Venus  et  Cupido, 
durch  Angeli  Bonarota". 

C.  1791.  Ein  Exemplar  in  der  Galerie  Giustiniani  in  Rom  (Vasi : 
Itin.  istrutivo  di  Roma.    S.  429). 

Ein  antikes  Wandgemälde ,  das  von  Vielen  für  Michelangelo 
gehalten  wurde,  führt  Titi  in  seiner  Descrizione  di  Roma  (1763, 
S.  333)  im  Palazzo  Barberini  an:  ,,una  Venere  giacente,  dipinta  sul 
muro,  pittura  antica,  che  ha  molto  della  maniera  del  Bonarroti,  onde 
alcuni  la  credono  di  sua  mano."  (Vgl.  Crozat:  Recueil  d'Estam- 
pes.  Paris   1720.    I,  pl.  i.) 

In  der  Mitte  des  XIX.  Jahrhunderts  befanden  sich  —  die  Pon- 
tormo'sche  nicht  mitgerechnet  —  in  Florenz  selbst  noch  vier  Ko- 
pien.    (Comentario  zur  Vita  Pontormos  VI,  295.) 

D.  Eine,  die  damals  nach  ausserhalb  von  Toskana  verkauft  ward. 
Auf  Holz  gemalt  in  der  Grösse  des  Originales,  ohne  die  Em- 
bleme. 

E.  In  der  R.  Guardaroba  ein  Exemplar,  Grösse  des  Originales, 
in  der  Art  des  Angelo  Bronzino.  Ein  Restaurator  hat  die 
Venus  mit  einem  Gewand  bekleidet. 

F.  Ebendaselbst :  eine  viel  kleinere  Tafel ,  von  schwacher  Hand. 
Der  Kopist  selbst  hat  hier  das  Gewand  hinzugefügt. 

G.  Bei  den  Erben  des  Händlers  Luigi  Riccieri,  auf  Holz  gemalt, 
ein  Drittel  kleiner  als  das  Original,  aber  ganz  mit  ihm  über- 
einstimmend.    Aus  dem  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts. 

Hinzuzufügen,  wenn  nicht  identisch  mit  D,  ist 

H.  Ein  Exemplar,  das  sich  im  Besitze  von  Edmond  Blanc  in 
Paris  befand. 


Der  Karton  zu  Venus  und  Amor  527 


Nachweisbare    Studien   und    der   Karton. 

I.  Originalentwurf  zur  Komposition,    eine    flüchtige  Feder- 
skizze in  London,  British  Museum  1859 — 6 — 25 553.    Thode 

295.    Fagan  LH.     Ber.   1504.     Fagan    erkannte    die  Beziehung 
zur   Venus.      Berenson    gab    diese    zu,    meinte    aber,    einen 
Entwurf  zu    Samson   und   Delila    zu    erkennen.     In    der  That 
ist    die    vorne    liegende   Figur,     die   in    der  Stellung   —    auf- 
gestützter  linker,  ausgestreckter  rechter  Arm,  ausgestrecktes 
linkes    gekrümmtes   Bein   —  lebhaft    an    die   Venus    erinnert, 
männlich.     Aber  an  Simson  ist  nicht  zu  denken,  da  die  links 
hinter    des   Mannes   rechtem    Bein    stehende    Figur,    viel    zu 
klein  für  eine  Delila,    zweifellos  ein  Kind  darstellt,  das,   von 
halb    hinten   gesehen,     die  Arme    nach    rechts    bewegt.      Un- 
willkürlich denkt  man  an  Amor,  und  zwar,  wie  er  im  Begriff 
ist,    zu  schliessen.     Es   kann  mir  nicht  zweifelhaft  sein,    dass 
es    sich   in    der   That    um    einen    flüchtigen   Entwurf  für    das 
Venusbild    handelt.      Die    Studie    zur   Venus    selbst   ist   nach 
einem    männlichen    Modell    gemacht.      Fagan    meint:    Amor 
richte  den  Pfeil  auf  die  Mutter  selbst,  die  ihn  mit  der  rechten 
Hand    abwehre.      Das    ist    nicht    bestimmt    zu    sagen.      Man 
könnte    auch    denken,    die    Mutter   gebe    dem    Knaben    einen 
Auftrag  und  weise  ihn  auf  ein  Ziel  hin.     Das  Motiv  des  Um- 
halsens  scheint  also  erst  später  eingetreten  zu  sein. 
II.  Der  Karton   im    Museo    zu    Neapel.     Er   zeigt  die  aus 
den  Kopien    bekannte  Gruppe,  links  den  Altar  mit  den  zwei 
Masken  und  den  Bogen.    Vermuthlich  befand  sich  ursprünglich 
auf  dem  Altar  auch  die  Schale  mit  den  Blumen.    Sie  ist  heute 
nicht  mehr  erkennbar.    Ich  sehe  keinen  Grund,  die  Originahtät 
der  Zeichnung  zu  bezweifeln. 

Kopien. 

III.  Pontormos  Kopie  in  denUffizien  1284.  Die  mächtige 
Gestalt  der  Venus,  vor  dem  Pfeile  haltenden  Amor,  der,  von 
hinten  mit  dem  linken  Bein  auf  ihr  rechtes  steigend,  sie  um- 
halst und  küsst,  liegt  auf  blauem  Tuch.  Mit  dem  Hnken  Arm, 
dessen  Hand  den  Zeigefinger  in  weisender  Bewegung  hält, 
stützt  sie  sich  auf  und  streckt  den  rechten ,  einen  von  Amor 
aus  dem  Köcher  gezogenen  Pfeil  berührend,  nach  links  aus; 
das  mit  einem  Band  durchflochtcne  Haar  ist  mit  einem  wulst- 
förmigen  Diadem  aus  Stoff  bekrönt  und  hinten  in  einen  Knoten 
gebunden.  Das  linke  Bein  ist  ausgestreckt,  das  rechte  nach 
hinten  scharf  gekrümmt.  Links  steht  ein  altarartiger  Tisch, 
mit  einem  Tuch  bedeckt.    Auf  ihm  liegen  Pfeile  und  steht  eine 


928  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

mit  Rosen  gefällte  Schale.  Um  diese  zieht  sich  ein  Riemen, 
an  dem  zwei  Masken  herabhängen :  die  eine  einen  Satyr 
darstellend ,  die  andere  das  ernste  Gesicht  eines  Jünglings. 
Hinter  den  Masken  lehnt  ein  grosser  Bogen  an  dem  Altar,  und 
in  dessen  kastenartiger  Öffnung  unten  sieht  man  die  kleine 
Figur  eines  zu  Boden  gestürzten  Jünglings.  Im  Hintergrund 
bergige  Landschaft. 

Das  Gemälde  wurde  1850  in  der  R.  Guardaroba  entdeckt. 
Nachdem  das  Gewand,  mit  dem  ein  Restaurator  Venus  bekleidet, 
von  Ulisse  Forni  entfernt  worden  war,  ward  das  Bild  in  die  Aka- 
demie gebracht,  von  wo  es  1861  in  die  Üffizien  gelangte  (Kommentar 
zu  Pontormos  Leben,  Vas.  VI,  291). 

rV.  Hamptoncourt ,  Galerie  6 16.  Genau  die  gleiche  Komposition. 
Dem  kalten  Ton  und  der  porzellanartigen  Behandlung  des  Flei- 
sches nach  dem  Bronzino  oder  Salviati  zuzuschreiben.  Das  Bild 
ward  1734  nach  England  gebracht  und  in  Essex  House  am 
Strand  ausgestellt.  Es  sollte  am  16.  Dezember  1734  in  einer 
Lotterie  verloost  werden,  doch  kam  es  nicht  dazu,  da  die  Königin 
Karoline  es  für  L.  1000  ankaufte  (Duppa,  S.  329;  Jameson, 
a  handbook  to  the  public  galleries  of  art,  London  1842, 
n,  360;  Fagan,  S.  143).  Hogarth  hat  es  in  seiner  ,,Analysis  of 
Beauty"  satyrisirt  (F.  G.  Stephens,  Cat.  of  Satirical  prints  in  the 
British  Mus.,  Vol.  III,  p.  II,  S.  871,  Nr.  3217).  Er  wollte  es 
aus  dem  Palast  von  Kensington,  wo  es  sich  damals  und  noch 
zu  Passavants  Zeiten  (Kunstreise,  S.  46)  befand,  hinausgeworfen 
wissen.  Ist  dies  das  einst  in  Heidelberg  befindliche  Exem- 
plar B.? 

V.  Hildesheim,  Museum.  Eine  Kopie,  die  1884  aus  dem  Vor- 
rath  der  Berliner  Galerie  dorthin  kam  (Verzeichniss  der  ab- 
gegebenen Gemälde,  1886,  Nr.  233).  Hier  fehlt  der  Altar 
mit  den  Symbolen,  der  Kopf  der  Venus  ist  nicht  im  Profil, 
sondern  etwas  dem  Beschauer  zugewandt,  ein  Stück  des  rothen 
(nicht  blauen)  Gewandes  ist  über  den  Schooss  gezogen  und 
ein  Lorbeerstrauch  bildet  den  Hintergrund. 

Das  Gemälde  befand  sich  im  Besitze  des  Prof  d'Alton  in  Bonn, 
der  es  aus  dem  Nachlass  eines  Geistlichen  erstand  und  für  Michel- 
angelos eigenes  Werk  hielt  und  radirte  (A.  W.  v.  Schlegel :  Vor- 
erinnerung zu  dem  Verzeichniss  von  d'Altons  Gemäldesammlung 
1840.  Sämtliche  Werke,  hrsg.  von  Böcking  IX,  S.  375;  vgl.  auch 
Kugler  im  Kunstblatt  1842,  S.  42 ;  Kleine  Schriften  11,  358).  Es 
wurde  1841  für  die  Berliner  Galerie  erworben.  Kugler  hielt  es  für 
Pontormo ,  doch  ist  es  nur  die  Kopie  eines  Unbekannten  nach 
Diesem. 


Der  Karton  zu  Venus  und  Amor  329 

VI.  Neapel,    Museum.      Dies    Exemplar,    dem    Bronzino    zuge- 
schrieben,   zeigt    auch    die    Kälte    und    Glätte    der   Farben- 
behandlung wie  IV.     Es  könnte  von  Salviati  sein. 
VII.  Rom,  Palazzo  Colonna.     Kopie  nach  Pontormo,  wie  die 
gleiche  Landschaft  verräth.    Venus  ist  hier  aber  bekleidet.    Sie 
trägt   ein    gegürtetes ,    gestreiftes ,    ärmelloses  Hemd   und   das 
Gewand,  auf  dem  sie  liegt,    ist   über    das  linke  Oberbein  ge- 
zogen.   Ist  das  Bild  eines  der  von  Vasari  gemalten  Exemplare 
oder  von  Salviati.? 
Eine  freie  Umwandlung  der  Komposition   zeigt  das  kleine  Ge- 
mälde Angelo  Bronzinos  in  den  Uffizien   1173. 

Das,  von  einem  unten  mitgetheilten  Sonett  abgesehen,  älteste 
uns  bekannte  Urtheil  über  das  Werk,  dessen  Bedeutung  bisher  von 
den  Biographen  wenig  geschätzt  worden  ist,  stammt  von  Benedetto 
Varchi,  der  in  den  ,,due  lezioni"  sagt:  dasselbe,  was  der  Venus 
des  Praxiteles  widerfahren  sei,  dass  nämlich  die  Menschen  sich  in 
sie  verliebt,  geschah  auch  vor  der  Pontormo'schen  Kopie  der  Michel- 
angelo'schen  Komposition.  In  neuerer  Zeit  äusserte  sich  d'Alton : 
,, andere  Maler  haben  in  der  Venus  nur  eine  verliebte  Göttin  dar- 
gestellt. Michelangelo  allein  zeigt  uns  die  Göttin  der  Liebe.  Den 
Göttern  sind  die  Gesetze  der  Anständigkeit  eben  so  fremd,  wie  die 
Sucht,  zu  gefallen.  Die  Venus  und  Danae  des  Tizian  liegen,  ihrer 
Schönheit  sich  bewusst,  bloss  zur  Schau ;  hier  dagegen  erscheint  die 
Göttin  in  sinnvoller  Bewegung.  Ihre  Formen  sind  mehr  grossartig 
als  zierlich.  Eine  Fülle  von  Kraft  und  Gesundheit,  wie  sie  nur  den 
Unsterblichen  zukömmt,  erhebt  sie  über  die  menschliche  Gestalt. 
Ihre  Mienen,  voll  Hoheit,  verkünden  ein  über  das  Schicksal  der 
Sterblichen  erhabenes  Gemüth."  A.  W.  v.  Schlegel  fügt  hinzu : 
,,die  Göttin  erscheint  hier  im  stolzen  Bewusstsein  ihrer  Schönheit 
ruhig  und  nachlässig  hingelehnt ;  die  Leidenschaftlichkeit  ist  dem 
Kupido  allein  zugetheilt,  dem  wilden  Knaben,  der,  zum  Ausfluge 
auf  zahllose  Siege  gerüstet,  noch  im  letzten  Augenblicke  seiner 
Mutter  einen  Kuss  raubt." 

Im  Kommentar  zu  Pontormos  Leben  von  Vasari  wird  bemerkt, 
man  denke  hier  nicht  an  die  wollüstige ,  süsslächelnde  Göttin ,  die 
Königin  von  Paphos  und  Knidos,  sondern  an  die  Venus  Urania, 
Tochter  des  Himmels  und  der  Erde,  die  Mutter  der  Götter  und 
der  Menschen.  Und  auch  Kupido  sei  nicht  der  anmuthigc,  schmei- 
chelnde Genius  des  Praxiteles,  sondern  ein  wilder,  muthwilliger 
Knabe,  boshaften  Blickes  und  von  robustem ,  fast  grobem  Glieder- 
bau. Und  doch  hat  Michelangelo,  der  das  Schöne  nur  im  Erhabenen 
fasste,  Venus  Aphrodite,  die  Göttin  sinnlicher  Lust,  gemeint.  Bogen 
und  Pfeile  bezeichnen  die  Wunden,  welche  solche  Liebe  schlägt,  die 
Rosen  das  Vergängliche  ihrer  Wonnen,  die  jugendliche  Maske  den 


330  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Lug  und  Trug  fleischlicher  Freuden,  die  Satyrmaske  die  niederen 
und  zügellosen  Begierden.  Der  gestürzte  Knabe  bedeutet  vielleicht 
das  elende  Ende  Derer,  welche  die  Vernunft  den  Begierden  dienstbar 
machen,  und  auf  diese  dunklen  Seiten  weist  auch  das  Trauertuch  auf 
dem  Altar,  die  trübe  Luft,  das  blumenlose  Terrain  hin.  Michel- 
angelo habe  den  platonischen  Gedanken,  der  in  allen  seinen  Ge- 
dichten sich  ausspreche,  formen  wollen: 

Voglia  sfrenata  e  il  senso,  e  non  Amore; 
Che  Talma  uccide.  Amor  puö  far  perfetti 
Gli  animi  qui,  ma  piü  perfetti  in  cielo. 

Im  Wesentlichen  möchte  ich  diesen  Auffassungen  zustimmen, 
im  Einzelnen  anders  deuten.  Amor,  einem  jungen  Sturmgott  ver- 
gleichbar, nimmt  Abschied  von  seiner  Mutter,  um,  Feuerkraft  von 
ihren  Lippen  saugend ,  hinauszuziehen  und  sich  Opfer  zu  suchen. 
Auf  dem  Altar  der  Liebe  blühende  Rosen  sinnlichen  Genusses,  unter 
ihm  das  erbleichende  Leben  sich  selbst  verzehrender  Sinnlichkeit. 
Zugleich  aber  in  den  zwei  Masken  die  Symbolisirung  der  zwei  Mög- 
lichkeiten der  Liebe :  das  Herabsinken  zum  Thierischen  und  das 
Sicherheben  zur  Idee. 

Den  Ausgangspunkt  für  die  grossartige  Schöpfung  bildeten  Dar- 
stellungen der  liegenden  Venus,  wie  sie,  im  Zauberkreise  der  Dich- 
tungen Polizianos  und  Lorenzo  Medicis  Botticelli  und  Pier  di  Cosimo 
geschaffen  hatten.  Namentlich  der  Erstere  hatte  in  den  Zeichnungen, 
die  den  Gemälden  im  Louvre  und  in  London  zu  Grunde  liegen,  die 
Richtung  auf  eine  grosse  und  feierliche  Auffassung  der  Göttin  ein- 
geschlagen, freilich  ohne  etwas  an  dem  leichten,  spielerischen,  quattro- 
centistischen  Charakter  der  Eroten  zu  verändern.  In  jenen  Bildern 
ist  auch  der  Korb  mit  Rosen  zu  finden,  die  wir  übrigens  als  Attribut 
auch  in  der  Hand  der  Venus  auf  den  zwei  Bildern  Tizians  in  den 
Offizien  sehen.  —  Von  der  nahen  Verwandtschaft  der  Venus,  dem 
gesamten  Charakter  nach,  mit  der  Venus  in  des  Piombo  ,,Tod  des 
Adonis"  (Uffizien)  spreche  ich  an  anderer  Stelle. 

Am  Schlüsse  finde  das  Sonett  eines  Unbekannten,  das  von  Frey 
in  den  Dichtungen  (S.  271,  Nr.  CLXXIX)  mitgetheilt  worden  ist, 
seinen  Platz : 

Sopra  la   miracolosa  pittura   de   la  Venere,    da 
Michel' Agnolo   disegnata   et  da  il   Pontormo   colorita 

Deh,  perche  '1  hello  et  il  buono,  com'  io  vorrei, 
Non  posso  ä  pien'  di  te  spiegare  in  carte! 
Che  la  natura  esser'  vinta  da  l'arte 
A  Chi  mai  non  ti  vidde,  mosterrei. 


Die  Idealbildnisse  in  Zeichnunsen 


331 


Se  cosi  bella  in  ciel  Venere  sei, 
Come  si  vede  qui  parte  per  parte, 
Ben  puossi,  et  con  ragion,  felice  Marte, 
Anzi  beato  dir  fra  gli  altri  i  dei. 

Non  han  le  rose,  le  viole  et  i  gigli 
Si  puro,  acceso,  vivo,  almo  colore, 
Ne  l'oro  ne  i  rubin  si  dolce  ardore. 

Cosa  mortal  non  e  che  ti  simigli, 

Et  che  sia  'I  ver;  di  te  piagato  il  core, 

Si  Sforza,  quant'  ci  puo,  baciarti  Amore. 

V 
Die  Idealbiidnisse  in  Zeichnungen 

Der  weibliche  Schönheitstypus,  den  Michelangelo  in  der  Nacht, 
in  der  Aurora ,  in  der  Leda  und  in  der  Venus  geschaffen  hat, 
zeigt  seine  Kunst  in  reifster  Entfaltung.  Auch  er,  wie  Lionardo, 
Raphael  und  Tizian  ist  ein  Verherrlicher  der  Frau  gewesen  und 
hat,  wie  sie,  eine  höchste  Aufgabe  in  der  Gestaltung  des  weiblichen 
Ideals  gesehen.  Wer  sich,  wie  mehrfach  geschehen,  dieser  Erkennt- 
niss  verschliesst ,  selbst  angesichts  aller  der  zahlreichen,  herrlichen 
Gestalten  an  der  Sixtinischen  Decke ,  muss  von  ihr  durchdrungen 
werden ,  gewahrt  er  den  Eifer  und  die  Sorgfalt ,  mit  welcher  der 
Meister  selbst  in  Zeichnungen  Idealbildnisse  zu  gestalten  liebt. 
Über  die  ihm  eigene  Schönheitsauffassung  und  deren  Entwicklung 
von  der  Pietä  und  der  Madonna  in  Brügge  zu  der  Madonna  in  den 
Jahren  1500 — 1505  und  zu  den  Sibyllen  und  weiter  zu  den  Werken 
der  zwanziger  und  dreissiger  Jahre  spreche  ich  im  III.  Bande  meines 
Werkes,  wo  ich  auch  auf  die  Anregungen,  die  der  Künstler  in  den 
Jahren  1503 — 1505  von  Lionardo  empfangen  hat,  hinweise:  hier 
gilt  es,  die  bisher  seltsamer  Weise  wenig  beachteten  Zeichnungen, 
die  uns  ergänzende  Winke  geben,  anzuführen  und  auf  Einzelheiten 
hin  zu  prüfen.  Aus  ihrer  Betrachtung  ergiebt  sich,  dass  auch  Michel- 
angelos Phantasie,  wie  die  der  älteren  BotticelH  und  Pier  di  Cosimo 
und  wie  die  Lionardos ,  von  den  dichterischen  Vorstellungen  des 
Medicei'schen  Kreises  befruchtet  worden  ist,  so  gewaltig  sich  auch 
seine  Schauenskraft  über  den  Zauber  süsser  Anmuth  hinaus  in  das 
erhabene  Bereich  heroischer  Grösse  und  Macht  erheben  sollte.  Es 
ist  der  Kultus  der  Frau,  wie  ihn,  aus  der  Durchdringung  platonischer 
und  christlicher  Elemente  geformt,  das  ausgehende  Quattrocento 
dem  XVI.  Jahrhundert  zur  Schönheitsgestaltung  überantwortete,  dem 
der  grosse  Plastiker  den  Stempel  des  Mystischen  aufprägte  —  er 
als  der  Einzige,  der  sich  von  dem  süssen  Zauber  der  Wirklichkeit 
zu  lösen  wagte. 


332  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Aus  diesem,  alle  Realität  überfliegendem  Streben  ergab  sich, 
wie  die  elementare  Formengrösse  und  wie  der  Ausdruck  geheimniss- 
voller, leidenschaftlicher  Seelenmacht,  so  auch  die  aller  Konvention 
hohnsprechende  phantastische,  ja  bizarre  Tracht.  Die  Anknüpfung 
an  die  phantasievolle  Ausschmückung  der  Kopftracht  und  der 
Gewandung,  wie  sie  die  Florentiner  im  XV.  Jahrhundert,  vor  Allem 
Donatello,  Botticelli  und  Lionardo ,  gebracht,  ist  unverkennbar. 
Aber  sogleich  entstehen  neue  Vorstellungen  höchst  origineller  Art. 
Das  interessante  früheste  Beispiel  ist  die  ,, Madonna  von  Manchester". 
Schon  hier  zeigt  sich  die  charakteristische  Entblössung  der  Brust, 
und  zwar  durch  Anbringung  eines  gesäumten  Schlitzes  in  dem  Ge- 
wände, welches,  herabgezogen,  auch  die  rechte  Schulter  frei  lässt. 
Der  Mantel,  schräg  emporgezogen,  ist  über  der  Schulter  geknotet, 
ein  Kopftuch,  diademartig  in  der  Mitte  gipfelnd,  umgiebt  das  über 
den  Ohren  breit  frisirte  Haar.  So  weit ,  wie  in  diesem  Gemälde, 
konnte  der  Künstler  in  plastischen  Werken  nicht  gehen,  doch  ver- 
räth  sich  auch  in  den  beiden  Madonnenreliefs  das  Streben  nach 
ausgewählter  Tracht.  In  dem  londoner  ist  das  Haar  der  Maria 
ganz  von  einem  scharf  angezogenen  Tuch  verhüllt,  in  dem  floren- 
tiner  umspannt  ein  diademartiges  Band ,  das  zwischen  zwei  flügel- 
artigen Lappen  einen  Kopf  zeigt,  die  Stirn  und  das  voll  über  die 
Ohren  hervorquellende  Haar ;  ein  Tuch  umschliesst  darüber  das 
Haupt.  In  beiden  Werken  ist  das  Gewand,  das  einen  bandförmigen 
Saum  hat,  ausgeschnitten,  das  eine  Mal  breit,  das  andre  Mal  spitz 
nach  unten  zulaufend.  In  der  Madonna  Doni,  deren  Haar  als  Masse 
nach  hinten  genommen  ist,  ist  das  mit  kurzen,  weiten  Ärmeln  ver- 
sehene Gewand  mit  einem  spitz  zulaufenden,  zwischen  den  Brüsten 
eingesenkten  Bandbesatz  versehen. 

Die  Erfindung  eigenthümlicher  Motive  steigert  sich  in  den  Si- 
byllen. Verhältnissmässig  einfach  noch  ist  die  Tracht  der  Delphica: 
das  hoch  drapirte ,  in  der  Mitte  zugespitzte  Kopftuch  verräth  eine 
Wiederaufnahme  der  Anordnung,  welche  der  Pietä  und  mehr  noch 
der  Madonna  von  Brügge  eigenthümlich  ist;  das  hochgegürtete, 
ärmellose  Gewand  ist  am  unteren  Ende  des  Armelschlitzes  mit  einer 
Agraffe  geschmückt.  Schlicht  auch  erscheint  die  Tracht  der  beiden 
Alten.  Kappenartig,  in  fester  Einziehung  des  Haares,  umgiebt  ein 
Tuch  den  Kopf  der  Cumaea  (ähnlich  die  Frauen  in  der  Ozias-  und 
Asastichkappe) ;  bei  der  Persica  ist  in  das  weicher  gelegte  und 
längere  Kopftuch  (mit  Querlage)  durch  ein  Loch  am  Nacken  in 
seltsamer  Weise  der  obere  Zipfel  des  Mantels  gesteckt.  Mit  ganz 
besonderer  Kunst  aber  ist  das  Kostüm  der  Erithraea  und  Libica 
ausgestaltet.  Bei  der  ersteren  erscheint  wieder  der  mit  Band,  aber 
reicher  gesäumte  Ausschnitt ,  der  durch  zwei  nach  unten  breiter 
werdende  Bänder  mit  dem  Gürtel  verbunden  ist.    Kurze,  weit  herab- 


Die  Idealbildnisse  in  Zeichnungen  333 

fliessende  weiche  Ärmel  lassen  die  Arme  frei.  Der  Kopfputz  be- 
steht aus  einer  mützenförmig  eng  anliegenden  Kappe  mit  sich  etwas 
wölbendem  Rand  und  einer  kleinen  dreieckigen  Endigung  über  dem 
Ohr;  ein  mächtiger  Zopf,  der  im  Nacken  eine  Schlinge  bildet,  ist 
um  die  Kappe  herumgelegt.  Auch  das  Haar  der  Libica  ist  in  einen 
Zopf  geflochten,  der  über  dem  Ohr  aus  einem  dünnen,  bandartig 
die  Stirne  umgebenden  Tuch  herauskommt  und  sich  um  den  Hinter 
köpf  legt,  über  den  unter  dem  Zopf  hindurch  das  Tuch  gezogen  ist. 
Die  Tracht  ist  hier  am  seltsamsten:  das  Gewand,  das,  breit  gesäumt, 
an  der  Seite  geschlitzt  ist  und  durch  einen  Tuchgürtel  am  Leibe 
gehalten  wird,  reicht,  oben  gerade  abgeschnitten,  nur  wenig  über 
die  Taille  empor,  so  dass  Rücken  und  Arme  bloss  bleiben.  Der 
neben  der  Sibylle  ruhende  Mantel  hat  lange,  unten  geschlitzte  Ärmel. 

Einfachere,  aber  doch  im  Schnitt  mannichfaltige  Trachten  finden 
wir  bei  den  Frauen  in  den  Stichkappen :  Gewänder  mit  Ärmeln  oder 
ohne  solche ,  Mäntel  von  verschiedener  Form  (einmal  mit  einer 
Kapuze),  der  Kopf  mit  verschiedenartig  gelegten  Tüchern  umwunden 
oder  von  Zöpfen  umkränzt,  einmal  eine  Erinnerung  an  vornehmes 
römisches  Bauernkostüm:  gekreuztes  Brusttuch. 

Bald  mehr  an  die  Sibyllen,  bald  an  diese  Volkstypen  werden 
wir  durch  die  zum  Theil  zierlich  geschmückten,  zum  Theil  einfach 
gekleideten  Frauen  in  den  Lunetten  erinnert.  Auch  hier  kommt 
reiche,  immer  neue  Erfindung  zum  Ausdruck.  Neben  den  schlichten 
Motiven  des  über  den  Kopf  gezogenen  Mantels  oder  Tuches  und 
den  ungekünstelten  Haartrachten  finden  sich  künstlich  in  Falten 
über  einander  gelegte  Tücher,  die  bisweilen  kappenartig  wirken  und 
wiederholt  die  vom  Meister  gern  gebrachten  ohrklappenartigen  spitzen 
Endigungen  zeigen,  wulstartig  um  den  Kopf  gelegte  Tücher  (Ezechias- 
lunette),  puffenartige  Haarfrisur  über  den  Ohren  (Josiaslunette), 
dreigetheilte  Hörnerhaube  (Jakoblunette).  Auch  die  Unter-  und 
Obergewänder  verrathen  in  dem  verschiedenen  Schnitt,  in  den  Ver- 
schiedenheiten von  Ärmeln,  Ausschnitten,  Schlitzen  und  Besatz  ein 
Streben  nach  Variirung,  dessen  Resultate  bisweilen  fast  ausgeklügelt 
wirken. 

Man  darf  behaupten ,  dass  nicht  zweimal  die  gleiche  Gewan- 
dung, Kopftracht  oder  Frisur  wiederkehrt.  Eine  kurze  Charak- 
teristik der  von  Michelangelo  an  der  Sixtinischen  Decke  beliebten 
weiblichen  Idealtracht  lässt  sich  daher  nicht  geben;  man  könnte 
nur  Haupterscheinungen  etwa  wie  folgt  hervorheben:  in  der  Ge- 
wandung macht  sich,  wo  es  sich  um  geschmückte  Figuren  handelt, 
eine  Vorliebe  für  bandartig  gesäumte  Ausschnitte,  Schlitze,  Nestelungen 
und  Gürtelungen ,  in  der  Kopftracht  eine  Vorliebe  für  kunstreich 
durch  einander  gezogene  Tücher,  um  das  Haupt  gelegte  Zöpfe  und 
eine  Verflechtung  von  Tüchern  und  Zöpfen  geltend. 


334  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Treten  wir  in  die  Medicikapelle,  so  erscheint  für  den  Eindruck 
der  Köpfe  der  Nacht  und  der  Aurora  bestimmend  das  Motiv  des  Dia- 
demes,  das  wir  zuerst  in  dem  Florentiner  Madonnenrelief  gewahrten. 
Bei  der  Nacht  hat  es,  vorne  mit  der  Mondsichel  geschmückt,  anti- 
kische Form :  unter  ihm  vorne  bildet  das  Haar  eine  Welle ;  hinten 
ist  es  in  einen  dicken,  über  die  rechte  Schulter  herabfallenden 
Zopf  geflochten.  Von  den  Ohren  senkt  sich,  an  der  Wange  an- 
liegend, die  uns  schon  bekannte  Wangenklappe.  Aus  zwei  ein- 
ander zugewandten  Voluten  ist  der  schräg  über  den  Schläfen  an- 
steigende,  metallene  Stirnreif,  hinter  dem  vom  Kopf  ein  Schleier 
herabsinkt,  an  der  Aurora  gebildet. 

Ein  dem  Diadem  der  Nacht  ähnliches,  aber  zierlicher  durch- 
brochen gearbeitetes,  mit  Perlen  besetztes  Diadem,  das  auf  einem 
querliegenden  Zopfe  über  gescheiteltem  Haare  ruht,  trägt  die  Leda, 
deren  Haar  hinten  am  Kopfe  in  runde  Zöpfe  gelegt  ist ;  eine  Locke 
fällt  auf  den  Hals  herab.  Bei  der  Venus  vertritt  ein  wulstförmiges 
Gebilde  das  Diadem;  das  leicht  gewellte  Haar  darunter,  über  den 
Schläfen  durch  ein  vertikales  Band  gehalten  und  über  den  Ohren 
voll  gewellt,  ist  am  Hinterkopf  in  einen  Knoten  gebunden.  Ein 
rundes  Diadem  mit  Maskenkopf  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  auch 
für  das  kunstvoll  frisirte  Haar  der  Lea  als  Schmuck  bestimmt,  die 
über  der  gescheitelten  welligen  Haarmasse  zwei  sie  umrahmende, 
zum  Scheitel  emporsteigende  Zöpfe  trägt  und  auch  in  der  gerafften 
und  hochgegürteten  Gewandung  und  in  dem  Kragen  mit  metallischen 
Behang  sich  vornehm  geschmückt  darstellt. 

In  diesen  zahlreichen  Gestaltungen  nun  hat  sich  aber  die  Phan- 
tasie des  Meisters  noch  nicht  erschöpft.  Zeichnungen  beweisen, 
welche  Bedeutung  und  welchen  Reiz  die  Gestaltung  erhabener 
Frauenschönheit  für  ihn  hatte.  Wir  unterscheiden  zwischen  Studien 
und  bis  zur  Vollkommenheit  durchgebildeten  Typen. 

/,  Studien.     Das  Frauenideal. 

I.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XII,  57.  Thode  51.  Flüchtige 
Federskizze  in  Umrissen  eines  fast  lionardesk  wirkenden 
Frauenkopfes. 

II.  Florenz,  Uffizien  137,  599.  Thode  204.  Phot.  Br.  188.  Alin. 
274.  Kreide.  Kopie  nach  Zeichnungen  des  Meisters.  Beren- 
son  meint  von  Andrea.  Morelli:  von  Bacchiacca.  Drei  Köpfe, 
a)  Eine  Alte  nach  rechts  gewandt,  wohl  Studie  zu  der  Frau 
in  der  Jesselunette.  b)  Etwas  gesenkter  Kopf  im  Profil  nach 
links.  Der  Typus  erinnert  an  Donatello'sche  Madonnenreliefs 
(Madonna  di  Casa  Pazzi).  Reiche  Kopftracht:  über  einem 
Stirnband  erhebt  sich  in  'der  Mitte  flammenartig  ein  oben  ge- 
bundener Haarschopf,  seitwärts  legt  sich  eine  weiche  Haarwelle 


Die  Idealbildnisse  in  Zeichnungen  335 

über  das  Ohr  und  verschwindet  in  dem  zierlich  gebundenen, 
den  Hinterkopf  umkleidenden  Kopftuch,  das  durch  ein  Band 
eingezogen  in  der  Mitte  einen  Wulst  bildet,  oben  sich,  von 
einem  Ouerband  leicht  umfasst,  über  den  Kopf  zieht  und  unten 
in  zierlichen  Falten  am  Hals  herabfällt.  Die  Anknüpfung  in 
dieser  Schleierdrapirung  an  Werke  Verrocchios  und  seiner 
Schule  ist  deutlich  zu  erkennen.  Auch  der  flammenartige 
Schopf  ist  auf  einer  Zeichnung  in  Windsor,  die,  Verrocchio 
zugeschrieben,  mir  von  der  Hand  des  jungen  Lionardo  zu 
sein  scheint,  zu  finden.  (Abb.  Mackowsky:  Verrocchio, 
Künstler  -  Monogr.  S.  93)  —  c)  Frauenkopf  im  Profil  nach 
links.  Reiches  gewelltes  Haar,  von  dessen  über  das  Ohr  sich 
herabsenkendem  Gelock  sich  ein  Zopf,  der  auf  die  Brust 
herabfällt,  löst.  Auf  dem  Kopf,  in  das  Haar  gebettet,  ruht  in 
rüsselartigen  Schwellungen  nach  oben  und  nach  unten,  eine 
wulstige  Haube,  die  am  Rücken  in  ein  mehrfach  gebundenes 
Ende  ausläuft.  Hier  ist  von  Beziehungen  zur  vorhergehenden 
Kunst  Nichts  zu  gewahren,  vielmehr  höchst  originelle  Michel- 
angelo'sche  Erfindung.  Die  Originalzeichnung  (c)  dürfte  der 
Zeit  der  Sixtinischen  Deckenmalerei  angehören.  Unten  Schrift: 
Gherardo  io  non  o  potuto  oggi  ve  .  .  .  .  (venire .?).  Dieser 
Gherardo  ist  offenbar  des  Künstlers  Liebling  Perini.  Und 
es  ist  beachtenswerth,  dass  Vasari  sagt,  dass  Michelangelo 
Diesem  (um  1522)  drei  Blätter  mit  einigen  in  Kreide  gezeich- 
neten ,,göttUchen"  Köpfen  geschenkt,  die  dann  in  den  Besitz 
von  Don  Francesco  Medici  kamen,  der  sie  wie  Kleinodien 
werth  hielt. 

III.  Paris,  Louvre  109.  Thode  460.  Ber.  1728  (Bandinelli). 
Phot.  Br.  46.  Giraudon  83.  Der  bekannte  Faunskopf  ist 
über  einen  Frauenkopf,  von  dem  man  noch  den  Hals  mit 
zwei  herabfallenden  Zöpfen  und  die  Locken  an  der  Stirn  (in 
Röthel)  gewahrt,  hinweggezeichnet. 

IV.  Florenz,  Uffizien  139,  603.  Thode  207.  Phot.  Br.  185.  Brogi 
1784.  Steinmann  654.  Abb.  52.  Kopie  einer  Originalzeichnung. 
Nach  Morelli:  von  Bacchiacca,  nach  Berenson:  von  Andrea, 
nach  Jacobsen:  von  einem  Nachahmer.  Kreide.  Kopf  einer 
jungen  Frau  en  face ,  nach  rechts  schauend.  Daneben  Skizze 
eines  nach  rechts  gewandten,  nach  links  schauenden  bartlosen 
Männerkopfes.  Es  dürfte  sich  hier  wohl  um  eine  Studie  aus 
der  florentinischen  Zeit  vor  der  Sixtinischen  Decke  handeln. 
Sie  bereitet  gleichsam  die  Delphische  Sibylle  vor,  an  welche 
die  Kopfhaltung,  der  Typus  und  der  Blick  erinnert.  Aber 
die  Kopftracht  ist  verschieden.  Zwischen  den  hornartig  sich 
zu     den    Schläfen    niedersenkenden    zwei    wulstigen    Bügeln 


336  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 


einer  Haube  erhebt  sich  in  der  Mitte  über  schmalem  Stirn- 
streifen ein  runder  Haarknoten,  Zwei  schmale  Haarflechten 
fallen  von  hinten  nach  vorne  über  die  Schultern.  Derselbe 
Kopf,  aber  mit  anderer  Frisur  erscheint  auf  dem  folgen- 
den Blatte. 
V.  Windsor.  Thode  542.  Ber.  1617.  Phot.  Br.  112.  Vorder- 
seite :  Phaeton.  Verso :  Brustbild  einer  etwas  nach  links  ge- 
wandten Frau,  deren  Kopf  in  Vorderansicht  gehalten  ist  und 
deren  Blick  nach  rechts  schaut.  Die  Brüste  sind  unter  dem 
ausgeschnittenen  Gewand  angegeben.  Der  linke  Arm  ist  im 
Ellenbogen  gekrümmt:  die  Hand  hält  Etwas.  Die  Rechte 
fasst  den  über  die  rechte  Schulter  fallenden  Zopf.  Um  den 
Kopf  ist  ein  Tuch  gebunden,  das  an  der  rechten  Wange  her- 
abfällt, und  über  dies  Tuch  sind  zum  Scheitel  empor  zwei 
Zöpfe  gelegt.  —  Ist  diese  herrliche  Studie  aus  der  Zeit  des 
Phaeton  oder  hat  Michelangelo ,  als  er  den  Phaeton  entwarf, 
ein  älteres  Blatt  benutzt?  Das  letztere  scheint  mir  eher  an- 
zunehmen. —  Wiederum  verwandt  mit  diesem  Blatte  ist  die 
folgende  breit  hingeworfene  Studie. 
VI.  London,  British  Museum  1859—6 — 25—347.  Thode  289. 
Fagan  XXXV.  Ber.  1482.  Phot.  Br.  21.  Abb.  Ber.  PI.  CXXXIII. 
Vorderseite.  Feder.  Nach  halb  links  gewandt  sitzende  Frau, 
bis  zu  den  Knieen  angegeben,  in  reicher  Tracht.  Der  Kopf 
wieder  en  face,  nach  rechts  blickend.  Die  Hände  nur  an- 
gedeutet. Das  Gewand  unmittelbar  unter  den  Brüsten  ge- 
gürtet, die  vom  Stoff  fest  umgränzt  sind.  Über  die  Schultern 
fallen  zwei  Bandstreifen  herab.  Ein  ganz  kurzer  Oberärmel 
mit  kleinen  Quasten  über  einem  langen  Unterärmel.  Der 
reiche  Kopfputz  zeigt  eine  volle  Tuchdrapirung,  die,  gleich  ge- 
scheiteltem Haar,  über  der  Stirne  sich  theilt  und  oben  auf 
dem  Scheitel  sich  ausbreitet.  Aus  ihr  hängen,  wie  es  scheint, 
zwxi  kurze  Zöpfe  links  und  rechts  herab.  —  Offenbar  eine 
Kostümstudie  aus  der  Zeit  der  Beschäftigung  mit  den  Sibyllen. 
So  auch  die  folgende. 
VII.  Rückseite  von  VI.  Oberkörper  einer  nach  links  gewandten 
jungen  Frau  mit  gesenktem  Blicke.  In  einem  Mieder  mit 
etwas  emporstehendem  Kragen;  schlicht  gelegtes  Kopftuch. 
Vni.  Frankfurt,  Staedel'sches  Institut  392.  Thode  247.  Ber.  1669 
(von  Andrea).  Abb.  Handzeichnungen  der  Albertina  etc.  Taf. 
219,  als  Bacchiacca.  Vorderseite :  Karrikaturen.  Verso:  neben 
einem  Bein  und  einem  Knabenknopf:  nach  halb  rechts  ge- 
wandter Frauenkopf  in  Röthel.  Phantastischer  Kopfputz :  seit- 
wärts über  den  Ohren  stehen  zwei  wulstige  Haubenbügel  wie 
Hörner  nach  oben.  Zwischen  ihnen  gescheiteltes  welliges  Haar, 


Die  Idealbildnisse  in  Zeichnungen  237 


über  dem  sich  in  der  Mitte  ein  gebundener  Schopf  erhebt. 
SeitHch  von  den  Wangen  scheinen  Zöpfe  oder  Tuchenden 
herabzuhängen.  —  Morelli  erklärte  das  Blatt  für  Bacchiacca, 
Berenson  für  Andrea.  Dagegen  nahm  es  Jacobsen  für 
Michelangelo  selbst  in  Anspruch.  (Kunstchronik.  N.  F.  1903. 
XrV,  S.  491  und  Rep.  für  Kunstw.  XXVII,  327.)  In  der  That 
zeigt  das  Wort  „fiamma"  neben  der  Figur  unverkennbar  des 
Meisters  Handschrift.  Auch  ich  halte  die  Zeichnung  für  acht. 
Die  grosse  Ähnlichkeit  des  Typus  mit  Nr.  IV.  lässt  die  gleiche 
Zeit  der  Entstehung  —  Sixtinische  Decke  —  annehmen. 

IX.  Oxford,  Nr.  10.  Thode  394.  Ber.  1552.  Abb.  Phot.  Br.  65. 
Woodburn,  Lawrence  Gall.  19.  Fisher  II,  13.  Ber.  pl.  CXXXI. 
Colvin:  Sei.  drawings  II  part.  Steinmann  S.  660.  Abb.  59. 
Röthel,  Brustbild  einer  nach  rechts  hinten  gewandten  Frau, 
die  den  etwas  gesenkten  und  nach  unten  schauenden  Kopf 
im  Profil  nach  rechts  wendet.  Sie  trägt  einen  Kopfputz  mit 
einer  über  der  Stirne  schräg  emporstehenden  diademartigen 
Krampe  und  der  bekannten  kleinen  Wangenklappe.  Diese 
wundervolle  Zeichnung,  die  von  Steinmann  irrthümlich  auf 
die  Eleazarlunette  bezogen  wird ,  ist  offenbar  für  eine  Sibylle 
gedacht  gewesen,  und  zwar  zeigt  sie  die  nächste  Beziehung 
zu  dem  Sibyllenentwurf  in  Venedig  (Thode  519.  S.  oben  I, 
S.  256,  Nr.  LXII),  an  den  die  Haltung  und  der  Ausschnitt  des 
Gewandes  erinnert.  Der  Typus  ist  der  Frau  in  der  Ezechias- 
lunette  verwandt.  —  Eine  Kopie  von  G.  B.  Franco  befindet 
sich  in  Oxford  Nr.  53,  eine  andere  in  den  Uffizien. 

X.  Oxford,  Christchurch  College  264.  Thode  457.  Ber.  1727. 
Kreide.  Kopie  einer  Zeichnung  von  Michelangelo,  nach 
Berenson  von  Andrea.  Der  anmuthige  Kopf  mit  reichem 
Kopfputz  ist  halb  nach  links  gewandt. 

XI.  Oxford,  Nr.  32.    Thode  419.    Phot.  Br.  75.    Abb.  Fisher  I,  17. 

Springer  I,  S.  42.     Röthel.     Auf  diesem  Blatt  finden  sich  nach 

Michelangelo'schen  Originalzeichnungen    kopirte   Kopfstudien. 

Darunter  rechts  oben  zweimal  ein  Kopf  im  Profil  nach  rechts, 

das    eine  Mal   mit  einem  die  Stirne  beschattenden  einfachen, 

aber  kunstvoll    drapirten  Kopftuch,    das    andere  Mal  mit  nur 

leicht  angedeutetem  Haar  und  Tuch. 

Diesen  Studien,  welche  fast  alle  den  Jahren  1503  bis  1508  und 

der  Zeit  der  Sixtinischen  Decke  angehören,  wollen  noch  zwei  andere 

hinzugefügt  sein. 

XII.  London,    British   Museum    1859—6—25 — 561.      Thode  304. 

Ber.   1680.     Kreide.     Es  bleibt  zweifelhaft,  ob  es  sich  um  eine 

Originalzeichnung  oder  eine  Kopie  —  Berenson  glaubt:  von 

Andrea  —  handelt.     Dargestellt  ist  in  eigenthümlicher  Tracht 


338  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

ein  junges  Mädchen  in  halber  Figur,  das  einen  Spinnrocken 
hält,  im  Profil  nach  links.  Der  zarte  Kopf  mit  dem  Locken- 
haar hat  lionardesken  Charakter  und  erinnert  an  den  Jünglings- 
kopf auf  der  Rückseite  einer  Zeichnung  in  Oxford  (Nr.  22), 
welche  Studien  für  den  Karton  enthält.  In  dessen  Zeit  ist 
auch  das  Londoner  Blatt  zu  versetzen. 

XIII.  Paris,  Louvre,  690.  Thode  479.  Feder.  Eine  mit  gebeugtem 
Oberkörper  nach  rechts  schreitende  Frau,  ganz  im  Profil  ge- 
sehen. Sie  hält,  in  langes  Gewand  gekleidet,  mit  der  Rechten 
vor  der  Brust  ein  umgenommenes  Tuch,  Über  den  gross- 
artigen gesenkten  Kopf  ist  ein  Tuch  gelegt,  das  hinter  dem 
Gesicht  herabhängt. 

Späterer  Zeit  gehört  an 

XIV.  Florenz,  Casa  Buonarroti,  Cod.  XIII.  Son.  40  b.  Thode  199. 
Abb.  Frey:  Dichtungen  S.  385.  Brustbild,  im  Profil,  einer 
älteren  Frau,  deren  welke  Brüste  aus  dem  Gewandausschnitt 
herabhängen.  Sie  trägt  eine  Kappe  mit  Ohrklappen  und  dar- 
über rund  gelegte  Zöpfe  (?)  in  vierfacher  Windung.  Am 
Hals  scheint  eine  Perlenkette  angedeutet  zu  sein.  Das  Sonett 
auf  der  Vorderseite  bezieht  sich  auf  Vittoria  Colonnas  Tod : 
„Quand'  el  ministro  de  sospir  mie  tanti." 

Nicht  minder  wie  die  ideale  Schönheit  der  Frau ,  hat  die  des 
jugendlichen  Mannes  des  Künstlers  Phantasie  beschäftigt,  ja  in  so 
hohem  Grade,  dass  das  Verlangen,  sie  darzustellen,  nachdem  die 
Typen  des  Giovannino,  Bacchus,  Eros  und  David  geschaffen  worden 
waren ,  entscheidend  für  die  Konzeption  grösserer  Werke  ward. 
Die  Verwandlung  der  Engel  in  Jünglinge  in  der  Madonna  von 
Manchester,  die  Belebung  des  Hintergrundes  der  hl.  Familie  Doni 
mit  solchen  Gestalten,  der  Karton  der  Schlacht  von  Cascina,  der 
Entwurf  der  Sklaven  für  das  Juliusdenkmal,  die  der  Ignudi  an  der 
Sixtinischen  Decke  zugewiesene  Rolle  sind  die  eindringliche  und 
originelle  Offenbarung  solcher  idealen  Bestrebungen.  Nicht  in 
gleichem  Grade  aber,  wie  bei  den  Frauentypen,  konnte  hier  die 
Phantasie  in  der  Trachtenbildung  —  man  beachte  die  charakteristi- 
schen Versuche  hierzu  in  der  Madonna  von  Manchester!  —  sich 
ergehen.  Sie  sah  sich  im  Wesentlichen  darauf  beschränkt,  mit  den 
Haaren  zu  spielen.  Eine  Fülle  von  verschiedenartigen  Erschei- 
nungen des  Gelockes  bietet  sich  dar:  die  Mannichfaltigkeit  zu 
steigern  werden  Bänder  oder  Binden  verwendet.  Die  einzige  andere 
Möglichkeit  einer  idealen  Ausschmückung  des  Kopfes  war  in  dem 
Helme  gegeben,  und  Michelangelo  hat,  an  Werke  Pollajuolos,  Ver- 
rocchios,  Giulianos  da  San  Gallo  und  wiederum  in  Sonderheit 
Lionardos  —  man  erinnere  sich  an  das  Scipiorelief  —  anknüpfend, 
zur   Zeit    der   Beschäftigung    mit    dem   Karton   Entwürfe    gemacht. 


Die  Idealbildnisse  in  Zeichnungen  330 

die  wir  vornehmlich  aus  Zeichnungen  kennen.  Sie  bereiteten  die 
spätere  Idealgestaltung  des  Lorenzo  Medici  und  des  sogenannten 
Grafen  von  Canossa  vor. 

2.  Studien.     Das  Jünglingsideal. 
A.   Köpfe  mit  Helmschmuck. 

Nur  ein  solcher,  im  Karton  ausgeführter  Kopf  wird  uns  durch 
die  Holkham'sche  Grisaille  bekannt.  Der  hintere  in  den  Kampf 
stürmende  Krieger  trägt  eine  Helmhaube,  die  zwei  Wangenschutz- 
klappen  hat ,  in  der  Mitte  mit  einer  Maske  verziert  ist  und  von 
einem  greifartigen  Vogel  mit  ausgebreiteten  Schwingen  überragt 
wird.  Andere  solche  Köpfe  müssen  sich  in  den  seitlichen  Kampf- 
szenen des  Kartons  befunden  haben.  Folgende  Skizzen  weisen 
auf  sie  hin. 

XV.  Paris,  Louvre,  727.  Thode  493.  Ber.  1597.  Fünf  Köpfe 
mit  Helmen  und  zwei  Helme  (ohne  Kopf),  vgl.  oben  I,  S.  loi 
über  den  Karton  Nr.  IX.  I.  Jugendlicher  Kopf  im  Profil 
nach  rechts.  Der  Helm  ist  in  Form  eines  Thierkopfes 
(Wolf  .^)  mit  geöffnetem  Rachen  gebildet ,  der  einen  trichter- 
förmigen Metallaufsatz  (mit  Spitze)  trägt.  Der  Thierkopf  er- 
innert an  den  der  Antike  nachgebildeten  Hadeskopf  auf  dem 
späteren ,  soeben  unter  N.  XIV  erwähnten  Skizzenblatt  des 
Cod.  XIII  in  der  Casa  Buonarroti.  2.  Jugendlicher  Kopf,  im 
Profil  nach  links.  Der  Helm,  oben  rund  gebildet,  hat  eine 
weit  über  den  Kopf  vorspringende  Schirmblende.  Ganz  lionar- 
desk  wie  auch  die  folgende.  3.  Kopf  nach  rechts  im  Profil. 
Der  Helm  mit  Ohrenschutzklappe  niedrig;  über  der  Stirne  eine 
nach  oben  gerichtete  Spitze.  4.  Kopf  nach  rechts  im  Profil. 
Sehr  hoher  Helm  mit  Schirmrand ,  mit  einem  Drachen  ver- 
ziert, dessen  Flügel  am  Helm  anliegen  und  dessen  Kopf  vor- 
springt. 5.  Bärtiger,  an  Michelangelo  selbst  erinnernder  Kopf 
nach  links  im  Profil.  Mittelalterliche  Helmform  mit  empor- 
geschobenem Visir  und  Genickschutz  von  Kettengehänge  im 
Nacken.  6.  Helm  mittelalterlicher  Form  mit  Backenstücken, 
von  einem  Vogel  mit  ausgebreiteten  Schwingen  bekrönt. 
7.  Helm  von  antikischer  Form,  mit  Figuren  verziert;  Bügel 
mit  Federn ,  der  untere  weit  vorspringende  Theil  über  der 
Stirne  als  Thierkopf  gebildet. 
XVI.  Hamburg,  Kunsthalle,  Nr.  21094.  Thode  252  (vgl.  oben  I, 
S.  102  über  den  Schlachtkarton  Nr.  XV).  Feder.  Nach  links 
gewandter  jugendlicher  Kopf.  Flacher  Helm  mit  weit  vor- 
ragender Spitze  und  weit  nach  hinten  wagerecht  abstehenden 
Flügeln;  in  der  Mitte  oben  ein  kleiner  Drache. 


340  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Auch  ein  kleiner  nach  links  gewandter,  flüchtig  skizzirter  Kopf 
in  der  Casa  Buonarroti  (XII,  59.  Thode  52  a)  könnte  in  Betracht 
kommen,  wäre  er  mit  Sicherheit  Michelangelo  zuzuschreiben.  Er 
trägt  eine  Art  Pelzkappe,  von  Fledermausflügeln  überragt. 

B.    Köpfe  im  Lockenschmuck. 

Ich  sehe  auch  hier,  wie  bei  den  Frauenbildnissen,  von  den 
bereits  früher  erwähnten  Studien,  welche  für  bestimmte  Figuren  in 
den  ausgeführten  Werken  gedient  haben,  ab. 

XVII.  Oxford  Nr.  22  verso.  Thode  406.  Ber.  1561.  Das  Brustbild 
eines  Jünglings  im  Profil  nach  links  (neben  einzelnen  anderen 
Kopfstudien).  Reich  gelocktes  Haar  fällt  auf  die  Schultern 
herab.  Von  entzückender  Schönheit  und  ohne  Zweifel  von 
Lionardo  inspirirt,  dessen  Name,  abgekürzt:  leardo,  daneben 
geschrieben  ist.  Aus  der  Zeit  des  Kartons.  Auf  der  Vorder- 
seite: Anna  selbdritt  (s.  I,  S.  114  über  diese  Nr.  i).  Hervor- 
zuheben ist  die  nahe  Verwandtschaft  dieser  Kopfstudie  mit 
der  soeben  Nr.  XII  erwähnten  Spinnerin  in  London. 

XVIII.  Oxford.  Auf  demselben  Blatte,  wie  oben  Nr.  XI,  befindet 
sich  die  Kopie  eines  ganz  ähnlichen  Jünglingskopfes  mit 
reichem,  auf  die  Schultern  fallenden  Lockenschmuck  im  Profil. 

XIX.  Oxford  13.  Verso.  Röthel.  Thode  398.  Ber.  1515.  Auch 
hier  neben  einigen  anderen  Skizzen  ein  Jünglingskopf  mit  lang 
herabwallendem  Haar  im  Profil.  Darunter  eine  Kopie  dieses 
Kopfes ,  die  Andrea  gemacht  hat ,  und  die  Worte :  ,,  Andrea 
abbi  patientia  A  me  me  consolatione  assai". 

Aus  diesen  Studien  idealer  Frauen-  und  Jünglingsköpfe  sind 
nun  einige  Zeichnungen  sorgsam  ausgeführter  Art  hervorgegangen, 
in  denen  gleichsam  eine  definitive  Formulirung  des  Schönheitsideales 
zu  gewahren  ist.  Nach  Vasari  scheint  er  sie  in  Sonderheit  für 
Perini  und  Cavalieri  eschaffen  zu  haben  (,,teste  divine"). 

j.  Die  Kleopatra. 

Von  einer  Zeichnung  Michelangelos ,  welche  eine  Kleopatra 
darstellte  und  ,,vor  nicht  langer  Zeit"  von  Tommaso  Cavalieri,  zu- 
sammen mit  einer  Zeichnung  von  der  Hand  der  Sofonisbe  Anguis- 
sola,  dem  Herzog  Cosimo  übersandt  ward,  spricht  Vasari  in  dem 
Leben  der  Propetzia  de'  Rossi  (II.  Aufl.  V,  81).  Diese  Angabe  — 
freilich  ohne  Erwähnung  des  Vorwurfes  der  Zeichnung  und  des 
Namens  des  Meisters  —  findet  ihre  Bestätigung  durch  den  erhaltenen 
Brief,  mit  dem  Cavalieri  am  20.  Januar  1 562  seine  Sendung  begleitet. 
Dessen  Anfang  lautet:  ,,Eure  Exzellenz  hat  sich  nicht  darin  ge- 
täuscht, wenn  Sie  sich  Etwas  von  mir  versprach,  und  zum  Zeichen 
dessen    sende    ich  diese  Zeichnung,  die  mir  so  werth  ist,  dass  ich 


Die  Kleopatra  34 1 

mich  eines  meiner  Kinder  zu  berauben  meine ,  und  Niemand  auf 
der  Welt  wäre  im  Stande  gewesen,  sie  meinen  Händen  zu  ent- 
reissen.  Und  dass  dem  so  ist ,  haben  Viele ,  die  Herren  von 
Rom  waren,  erfahren  und  es  ist  ihnen  nicht  gelungen."  Es  folgt 
die  Erwähnung  und  Beschreibung  der  Zeichnung  der  Sofonisbe. 
(Gualandi:  Nuova  raccolta  III,  22.  Steinmann -Pogatscher:  Rep.  f. 
Kw.  XXIX,  444.) 

Es  kann  kein  Zweifel  darüber  sein ,  dass  Michelangelos  Kom- 
position durch  drei  mit  einander  übereinstimmende  Zeichnungen, 
deren  schönstes  Exemplar  in  der  Casa  Buonarroti  aufbewahrt  ist, 
uns  bekannt  gemacht  wird.  Wenn  Berenson  gelegentHch  des 
florentinischen  Blattes,  das  er  seinem  Andrea  zuschreibt,  bemerkt, 
es  könne  nicht  die  von  Vasari  erwähnte  Zeichnung  sein,  da  diese 
höchst  wahrscheinlicher  Weise  von  Michelangelo  für  Cavalieri  an- 
gefertigt ward,  und  das  Blatt  den  Stil  einer  viel  früheren  Zeit  zeige, 
so  beweist  diese  Argumentation  gar  Nichts.  Cavalieri  besass  eine 
Sammlung  von  Studien  Michelangelos ,  und  darunter  werden  sich 
solche  aus  verschiedener  Zeit  befunden  haben,  neben  jenen  wenigen, 
die  der  Künstler,  wie  wir  wissen,  besonders  für  ihn  angefertigt  hat. 
Bedenkt  man,  dass  die  erhaltenen  Wiederholungen  bezeugen,  wie 
bekannt  und  bewundert  diese  Komposition  war,  so  kann  es  kaum 
zweifelhaft  sein,  dass  sie  Cavalieris  Kleopatra  wiedergiebt.  Die 
Originalzeichnung  freilich  ist  nicht  erhalten ,  denn  auch  das  Blatt 
in  der  Casa  Buonarroti  verräth  in  den  Verhältnissen  —  namentlich 
in  der  zu  kurz  gebildeten  und  daher  plump  wirkenden  Nase  — 
Abweichung  von  Michelangelos  höherer  Formenauffassung.  Wir 
dürfen  uns,  worauf  auch  die  beiden  anderen  Kopien  deutlich  hin- 
weisen, den  Kopf  etwa  so  rekonstruiren ,  wie  die  grosse  Madonna- 
studie in  der  Casa  Buonarroti  ihn  zeigt,  denn  in  deren  Zeit  muss 
die  Kleopatra  versetzt  werden. 

Die  Zeichnung  in  der  Casa  Buonarroti  (I,  2.  Thode  12.  Ber. 
1655.  Phot.  Alinari  1027)  ist  die  beste.  Kleopatra,  nur  als  Brust- 
bild dargestellt,  ist  nach  links  gewandt,  wendet  aber  den  Kopf 
nach  rechts  und  senkt  ihn ,  den  Blick  schwermüthig  seitwärts  ge- 
richtet. Um  ihren  Oberarm  windet  sich  eine  Schlange,  deren 
Schwanz  hinter  der  rechten  Schulter  sich  in  der  Luft  windet ,  und 
beisst  sie  in  die  linke  Brust.  Eine  zierliche  Kopftracht  schmückt 
das  Haupt  •  der  Frau :  das  Haar  ist  vorne  gescheitelt  und  gewellt, 
auf  dem  Scheitel  kreisförmig  in  Zöpfe  gelegt,  deren  loses  Ende 
oben  flammenartig  in  die  Luft  steht.  Volutenförmig  greift  um  das 
Haar  von  hinten  nach  der  Stirne  zu  über  den  Ohren  je  ein  Wulst 
von  Stoff.  Über  ihn  hängt  vor  den  Ohren  je  ein  steifes,  schmales 
Band  an  der  Schläfe  bis  zur  Wange  nieder  (eine  besondere  Form 
der   uns    bereits    bekannten  Wangenklappen).     Ein    schmales   Band 


342  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

umgiebt  die  Stirne.  In  den  Nacken  sinkt  ein  Zopf  herab,  der  um 
den  Hals  über  die  linke  Schulter  herumgenommen  ist. 

Das  Exemplar  in  der  Casa  Buonarroti  dürfte,  was  die  Aus- 
führung betrifft,  dem  Original  am  Nächsten  kommen.  Von  Andrea, 
dessen  schwächliche  Handschrift  wir  auf  der  Rückseite  des  Blattes 
mit  dem  Drachen  in  Oxford  kennen  lernen,  ist  sie  nicht.  Berenson, 
der  sie  ihm  zuschreibt,  hat  aus  diesem  Andrea  ein  gar  seltsames 
Künstlerwesen  gemacht,  einen  Stümper,  der  unter  Umständen  auch 
ein  Genie  war !  Denn  er  giebt  ihm  neben  ganz  schwachen  Blättern, 
wie  sie  der  wirkliche  Andrea  angefertigt  haben  muss,  auch  solche, 
die  unzweifelhaft  von  Michelangelos  Hand   selbst   stammen.  — 

Eine  befangene ,  ängstliche  Art  verräth  die  Kopie  in  London, 
die  als  Legat  von  Henry  Vaughan  in  das  British  Museum  kam 
(1887 — 5 — 2 — 120.  Abb.  Ottley  35).  Die  andere  in  Paris  (Nr.  733. 
Phot.  Giraudon  99)  könnte  von  Andrea  sein. 

Ein  nach  der  Zeichnung,  angeblich  von  Sebastian©  del  Piombo 
ausgeführtes  Gemälde  befand  sich  Mitte  des  XIX.  Jahrhunderts  im 
Besitze  von  Domenico  Campanari  in  London.  (Dom.  Campanari : 
Ritratto  di  Vittoria  Colonna.  London  1850.  S.  28.)  Nach  dem 
darauf  befindlichen  Wappen  der  Colonna  und  den  Buchstaben  A.  C. 
wäre  es  für  Ascanio  Colonna  gemalt  worden.  Wo  es  heute  ist, 
vermag  ich  nicht  zu  sagen, 

Angelo  Bronzinos  Kleopatrabrustbild  in  der  Gallerie  Borghese 
ist  durch  Michelangelos  Blatt  inspirirt  worden. 

Dass  Michelangelo  zu  dieser  Zeichnung  durch  Piero  di  Cosimos 
bekanntes  Porträt  der  Simonetta  Vespucci  (in  Chantilly)  angeregt 
worden  ist,  scheint  mir  nicht  zweifelhaft.  Die  auffallende  Darstellungs- 
weise der  Kleopatra  als  Brustbild  dürfte  sich  nur  so  erklären.  Auch 
auf  jenem  Idealbildniss  ist  eine  Frau  mit  reichem  Haarputz  und 
entblösster  Brust  dargestellt ,  um  deren  Hals  eine  Schlange  sich 
windet,  nur  dass  diese  hier  nicht  in  die  Brust  beisst,  sondern  sich 
um  eine  Halskette  schlingt.  —  Diese  Beziehung  zu  einem  älteren 
Werke,  wie  der  Kopftypus,  lassen  das  Werk  als  eine  frühe  Arbeit 
des  Meisters  erscheinen;  sie  zeigt  die  nächste  Verwandtschaft  mit 
den  weiblichen  Köpfen  in  den  Uffizien  und  in  Frankfurt  (siehe  oben 
Nr,  IV  und  VIII)  und  mit  dem  grossen  Entwürfe  der  Madonna  in 
der  Casa  Buonarroti  (XVI,  72,  Thode  69),  gehört  also  etwa  in  die 
Jahre   1501   bis   1504, 

Wie  es  scheint,  hat  das  Bildniss  auch  einen  Bildhauer  zur  Nach- 
ahmung begeistert,  denn  in  einem  Gedichte,  welches  Steinmann  und 
Pogatscher  veröffenthcht  haben  (Rep.  f.  Kw.  XXIX,  S.  417),  hat  der 
Veroneser  Arzt  Francesco  Pona  (geb.  1594,  starb  nach  1652)  eine 
Marmorbüste  der  Kleopatra  besungen,  die,  in  seinem  Besitze  befind- 
lich, Michelangelo  selbst  zugeschrieben  wurde.    Das  Gedicht  lautet: 


Die  sogen.  Zenobia  oder  Vittoria  Colonna  343 


Per  la  Cleopatra  di  marmo,  opera  di  Michelangelo 

Bonaroti 

Posseduta  dairAutore 
In  bellezza  spirante,  o  marmo  inciso, 
Deh  quäl  Pimmaleon  cö  suoi  scalpelli 
Fe  la  bocca  amorosa  e  gli  occhi  belli 
E  tre  Grazie  racchiuse  in  un  sol  viso? 

Ah,  c'  humano  poter  tanto  non  sale! 
Ti  scolpi  sü  nel  Ciel  la  man  d'Amore, 
Che  per  levar  ä  fidia  il  primo  honore 
In  scalpello  divin  cangiö  lo  strale. 

Ti  scolpi  Amore  e  t'animö  dipoi, 

E  lä  ve'l  Nilo  i'  suoi  gran  regi  inchina, 

D'alta  beltä  ti  stabil!  regina, 

Chiara  dal  fosco  occaso  a  i  bianchi  eoi. 

Vivesti  un  tempo  e  tributarie  havesti 
D'ossequio  le  provincie  e  di  tesoro; 
E  Roma  ancor  l'imperioso  alloro 
Chinar  humile  al  tuo  bei  pie  scorgesti. 

Ma  ria  Fortuna,  a  tuoi  gran  fasti  aversa, 
La  vita  del  tuo  spirto,  Antonio,  uccise; 
E  la  fe'  de  vassali  errar  permise 
Fra  le  schiere  nimiche  (ahime)  dispersa. 

E  all'  hora  fü,  che  ingiuriosa  sorte 
Suggeri  a  la  tua  man  trä  infidi  fiori 
In  picciol  angue  ismisurati  horrori 
E  in  un  dente  minuto  horrenda  morte. 

Hebbe  forza  il  veleno,  anzi  '1  dolore 
D'irrigidir  le  membra  e  pietra  farne; 
Ma  Viva  carne  in  marmo  e  marmo  in  carne 
Mira  l'occhio  confuso  e  ammira  il  core. 

Tu  piangi,  o  marmo  vivo ;  et  odo  il  grido, 
Che  da  la  bocca  tua  manda  l'affanno; 
E  al  mirar  del  tuo  sen  l'infausto  danno, 
Ahi,  ch'  anch'  io  per  dolor  mando  uno  strido. 

Ma  ahime,  ch'  in  pietra  hör  mi  trasformo  anch'  io; 
E  giä  mortal  rigor  la  mente  opprime; 
Giä  col  corso  vital  mancan  le  rime, 
Adio  Carmi,  a  Dio  Cetra,  e  Lauri,  a  Dio. 

4.  Die  sogenannte  Zenobia  oder   Vittoria  Colonna. 

Eine  in  den  Uffizien  (138,  598.  Thode  206.  Ben  1626.  Phot. 
Br.  189)  aufbewahrte  Zeichnung  zeigt  das  sorgfältig  ausgeführte 
Brustbild  einer  grossartigen  Frauenerscheinung  im  Profil  nach  links 
gewandt,    das    Auge    seitwärts    herausschauend.      Ein    hinter    ihr 


344  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

stehender  flüchtig  skizzirter  Knabe ,  von  dem  nur  der  Oberkörper 
sichtbar  ist,  steht  hinter  ihr  und  schmiegt  sich  an  sie,  mit  der 
rechten  Hand  ihren  im  Schoosse  liegenden  Unken  Arm  fassend. 
Rechts  hinter  ihr  wird  ein  älterer  bärtiger  Mann,  gleichfalls  flüchtig 
skizzirt,  sichtbar,  der  den  Kopf  mit  finsterem  Blick  nach  Hnks  wendet. 
Die  Frau  hat  nackte,  von  hoher  Gürtung  emporgehobene  Brüste; 
ein  vorne  offenes  Gewand  mit  kleinem  steif  emporstehenden  Kragen 
im  Nacken  und  seitlich  der  Brust  herabfallendem  Tuch  wird  oben 
an  dieser  durch  ein  Querband  gehalten.  Der  Ärmel  ist  unter  der 
Schulter  mit  einem  breiten  Metallreif  umschlossen,  auch  über  der 
Schulter  scheint  ein  solcher  als  Besatz  des  Kleides  angebracht  zu  sein. 
Das  Haar  baut  sich  in  der  Mitte  des  Kopfes  über  einem  Stirnband 
mit  Schmuckstück  auf,  seitwärts  zieht  sich  nach  hinten  ein  Zopf, 
ein  kleines  Zopfende  und  eine  Locke  hängt  über  die  Schläfe  herab 
vor  dem  Ohre,  das  einen  tropfenförmigen  Schmuck  trägt.  Auf  dem 
Hinterkopfe  sitzt  eine  Haube  in  Gestalt  eines  Helmes  mit  einem 
über  dem  Scheitel  stehenden  Schirm  und  einem  oben  und  unten 
volutenartig  sich  krümmenden ,  grossen ,  ornamentirten  und  durch 
Perlen  verzierten  Bügel. 

Auch  dieses  wundervolle  Werk,  das  zu  den  eindrucksvollsten 
Zeichnungen  des  Meisters  gehört,  hat,  wie  so  manches  andere  be- 
deutende ,  die  neuere  Forschung  Michelangelo  nehmen  wollen. 
MoreUi  giebt  es  dem  Bacchiacca,  Berenson  seinem  fabulösen  Andrea. 
Als  ob  nicht  aus  jedem  Striche  die  Gewalt  und  OriginaUtät  des 
grössten  Genius  spräche !  Wölfflin  hat  diese  verspürt  und,  sich  der 
Bedenken  entledigend ,  die  Entstehung  des  Blattes  in  die  Zeit  der 
Beschäftigung  mit  der  Libica  gesetzt  (Rep.  f.  Kw.  1890.  XIII,  S.  269). 
Dies  ist  auch  meine  Meinung. 

Eine  getreue  Kopie  der  Zeichnung,  in  welcher  die  Züge  der 
Frau  etwas  Geschwollenes  erhalten  haben  und  die  Strichführung 
die  Hand  eines  gewissenhaften,  aber  zaghaften  Nachahmers  verräth, 
befindet  sich  in  Windsor  (Phot.  Br.   119). 

Ein  Gemälde,  bloss  das  Frauenbild  (nicht  der  Mann  und  das 
Kind)  auf  dunklem  Hintergrund  darstellend,  befand  sich  in  der 
Sammlung  von  Sir  Joshua  Reynolds,  in  der  es  als  Zenobia  bezeichnet 
ward.  William  Sharp  hat  1787  einen  Stich  danach  gemacht,  der 
1788  und  1799  neu  herausgegeben  wurde  und  die  Frauenbrust  ver- 
hüllt zeigt.  (W.  S.  Baker:  W.  Sharp.  Philadelphia  1875  und  Sa- 
muel Redgrave :  Dictionary  of  artists  of  the  English  School  painters. 
London  1878.)  Auf  der  Vente  Reynolds  1795  (14-  März,  Nr.  ^J 
der  4.  vacation)  kaufte  es  ein  Mr.  Young.  Später  ist  es  angeblich 
in  der  Sammlung  des  Sir  Robert  Peel  gewesen.  1874  erwarb  es 
Mr.  J.  F.  Leturcq  von  einem  Händler  in  London  und  pubUzirte  und 
besprach  es  in  einer  Brochure  (Notice  sur  un  tableau  de  M.  A.  Büste 


Die  sogen.  Graf  von  Canossa  und  Marchesa  von  Pescara  345 

de  Zenobie.  Tours  1887).  Der  Maler,  offenbar  ein  vortrefflicher 
Künstler  des  XVI.  Jahrhunderts,  hat  sich  einige  geringe  Verände- 
rungen erlaubt.  Er  lässt  die  Frau  ganz  seitwärts  nach  unten  blicken, 
verhüllt  ihren  Busen  mit  einem  anliegenden,  durchsichtigen  Schleier 
und  schmückt,  blossen  Andeutungen  Michelangelos  folgend,  den 
Helm  der  Haube  und  den  Gewandbesatz  mit  zierlichen  Ornamenten 
im  Groteskengeschmack. 

Dass  die  Bezeichnung  der  Frau  als  Vittoria  Colonna  durchaus 
^willkürlich  und  unrichtig,  versteht  sich  von  selbst.  Aber  auch  der 
Name  Zenobia  dürfte  jeder  Begründung  entbehren.  Ob  Michel- 
angelo überhaupt  an  irgend  eine  bestimmte  mythische  oder  histo- 
rische Persönlichkeit  gedacht?  Dass  der  Mann  und  das  Kind  Nichts 
mit  der  Frau  zu  thun  haben,  sondern  von  ihr  unabhängige  Skizzen 
sind,  ist  nicht  wohl  anzunehmen.  Das  Kind  wenigstens  ist  offenbar 
im  Zusammenhang  mit  ihr  gedacht.  Es  war  also  die  Darstellung 
einer  heroischen  Familie  gemeint;  die  Kopfbedeckung  des  Mannes 
ist  undeutlich,  doch  scheint  sie  helmartig  zu  sein. 

5.   Der  sogenannte  Graf  von   Canossa,  hesser :  Mars. 

Mit  der  Sammlung  Malcolm  gelangte  in  das  British  Museum  eine 
grosse,  sehr  ausgeführte  Kreidezeichnung,  die  einst  im  Besitze  von 
Reynolds  und  Lawrence  gewesen  war:  das  Idealbildniss  im  Profil 
eines  Kriegers  in  noch  jungen  Jahren  (Nr.  55.  1895—9 — 15 — 492- 
Thode  343.  Ber.  1688.  Abb.  Lawrence  Gall.  22).  Sie  wird  im  Print- 
room  nur  als  ,,attributed  to  M."  bezeichnet.  Berenson  meint,  sein 
Andrea  habe  sie  nach  einer  Skizze  des  Meisters  ausgeführt,  Ch.Loeser 
giebt  ihr  den  Namen  Bacchiacca.  Die  grossartige  Konzeption  lässt 
jedenfalls  keinen  Zweifel  darüber,  dass  sie  michelangelesken  Ur- 
sprungs ist :  das  ausgebildete  Resultat  der  uns  bekannt  gewordenen 
kleinen  Studien  dieser  jungen  Krieger.  Jede  Einzelheit  zeigt  des 
Künstlers  Eigenart. 

Dargestellt  ist  ein  Mann  von  grossartigen  Zügen  mit  Schnurr- 
und kurzem  Kinnbart,  ähnhch  wie  die  Zenobia  seitwärts  heraus- 
schauend. Das  Brusttheil  seines  Panzers  ist  mit  der  grossen  Maske 
eines  schreienden  Satyrs  verziert,  an  dem  Schulterstück  sieht  man, 
als  Relief  gedacht,  die  Gruppe  zweier  Ringer :  einen  nackten  Mann, 
der  einen  andern  zu  Boden  geworfen  hat  und  ihn  niederdrückt.  Der 
Helm  ist  vorne  als  Kopf  eines  den  Rachen  aufsperrenden  Thieres  ge- 
bildet, hinten  mit  einem  Kranze  von  Federn,  die  aus  Metallbeschlag 
emporwachsen  und  über  die  hinten  eine  längere ,  sich  krümmende 
Feder  herabhängt,  umkleidet  und  von  einem  Hund  bekrönt,  der, 
auf  den  Vorderbeinen  knieend,  in  den  Haarbusch  des  Thieres  beisst. 

Offenbar  ist  es  dieser  Hund  gewesen,  der  schon  in  alten  Zeiten 
zur  Benennung:  Graf  von  Canossa   geführt    hat   —  man  wurde  an 


346  Mythol.  und  allegor,  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

den  einen  Knochen  im  Maul  tragenden  Hund  im  Wappen  der  Canossa 
erinnert.  Die  Inschrift  auf  einem  Stiche,  den  Antonio  Tempesta 
nach  dieser  Zeichnung  im  Gegensinne  gemacht  (B.  1370»  sagt: 
Canossiae  familiae  nobilissimo  stipiti  Michelangelus  Bonarotus  deli- 
neabat  Romae  superiorum  permissu  Ant.  T.  ine.  1617  —  eine  Angabe, 
die  für  meine  Meinung,  es  handele  sich  um  eine  Schöpfung  Michel- 
angelos, schwer  ins  Gewicht  fällt. 

Als  Pendant  zu  diesem  Stiche  hat  nun  Tempesta  das  folgende 
Frauenbildniss  gestochen,  obgleich  dessen  Zeichnung  im  Format 
etwas  kleiner  ist. 

6.  Die  sogenannte  Marchesa  von  Pescara  der  Malcolm' sehen 
Sammlung. 

Sie  befindet  sich  heute  gleichfalls  im  British  Museum  (Malcolm 
Nr.  56.  1895 — 9 — 15 — 493.  Thode  344.  Ber.  1689.  Abb.  Lawrence 
Gall.  17)  und  stammt  ursprünglich  aus  der  Casa  Buonarroti  (später 
bei  Wicar,  Ottley,  Lawrence).  Auch  dieses  herrliche  Blatt,  obgleich 
eine  in  derselben  Sammlung  befindliche  Kopie  (Malcolm  57.  1895 — 
9 — 15 — 494)  den  entscheidenden  Vergleich  zwischen  Original  und 
Nachahmung  gestattet,  wird  von  Berenson  dem  Andrea,  von  Loeser 
dem  Bacchiacca  zuertheilt.  Ich  sehe  in  diesem  Wunderwerk  reichster 
Durchführung,  geistreicher  Behandlung  und  grosser  Harmonie  die 
Hand  des  Meisters,  die  auch  in  einigen  kleinen  Skizzen  der  Rück- 
seite (neben  Schülerversuchen)  zu  erkennen  ist. 

Wir  gewahren  den  Kopf  einer  gerade  vor  sich  hinschauenden 
jugendlichen  Frau  im  Profil  nach  links.  Ihr  Kopf  trägt  eine  mit 
Schuppen  besetzte  anliegende  Kappe,  über  die  sich  ein  voluten- 
förmig  endigender,  vorn  mit  einem  Cherubim  besetzter  Wulst  nach 
hinten  zieht.  Unter  dem  Cherubim  hängt  ein  schmales  ornamentirtes 
Band  auf  die  Schläfe  herab.  Aus  der  Kappe  quillt  vorn  über  die 
Stirn  gewelltes  Haar,  im  Nacken  eine  wellige  Haarmasse ,  aus  der 
sich  ein  um  den  Hals  gelegter  Zopf  löst.  Ein  anderer  Zopf  hängt, 
nach  hinten  in  die  Haarmasse  gebunden,  von  der  Schläfe  über  das 
Ohr  herab.  Ein  Band  umzieht  die  Stirn,  ein  anderes,  mit  breiterem 
Obertheil,  das  Kinn  beim  Halsansatz. 

An  vollkommener  Schönheitsbildung  übertrifft  dieses  Bildniss 
die  Zenobia  und  ist  offenbar  später  entstanden.  Ob  noch  in  der 
Zeit  der  Sixtinischen  Deckenmalerei?  Ich  möchte  hier  schon  eine 
Annäherung  an  die  Typen  der  späteren  Periode:  der  Nacht  und 
der  Leda  gewahren.  Auch  hier,  wie  beim  Grafen  von  Canossa, 
ist  die  Namengebung  irrthümlich.  Es  sind  namen-  und  zeitlose 
Schönheitsbilder. 

Der  Stich  Antonio  Tempestas  (B.  1372)  trägt  keine  Inschrift.  — 
Eine  zweite  Kopie  befindet  sich  in  Windsor  (Phot.  Br.  liS). 


Die  Prudentia  oder  Veritas  347 

Dass  für  die  Entstehung  dieser  Idealbildnisse  antike  Münzen 
und  Gemmen  mitbestimmend  gewesen  sind,  wie  solche  ja  in  grosser 
Zahl  in  Renaissanceplaketten  nachgebildet  wurden,  ist  ausser  Zweifel. 
Schon  Donatello  hatte  sich  in  diesem  Sinne  von  der  Antike  beein- 
flussen lassen,  und  es  ist  nicht  undenkbar,  dass  eine  Plakette  von 
seiner  Hand,  wie  die  in  Berlin  befindliche,  welche  die  Brustbilder 
von  Mars  und  Diana  einander  gegenüberstellt,  Michelangelo  bekannt 
gewesen  ist  (Abb.  in  Beschreibung  derBildw.,  Bd.  II;  Die  ital.  Bronzen, 
Taf.  XLIII,  633).  Man  vergleiche  auch  eine  andere  Plakette  mit 
dem  Bildniss  des  Mars  (ebenda  Nr.  493),  an  dessen  Brust  sich  ein 
IMedaillon  mit  Herkules  und  Antäus  befindet  —  letzteres  gleichsam 
ein  Seitenstück  zu  der  Ringergruppe  am  Ärmel  des  Grafen  von 
Canossa.  Dürfen  wir  nicht  daraufhin  den  Krieger  Michelangelos 
mit  dem  Namen  „Mars"  taufen }  Mir  scheint  dem  Nichts  im  Wege 
zu  stehen.  Die  Frau  Diana  zu  benennen,  dürfte  hingegen  doch  wohl 
zu  gewagt  sein. 

VI 
Die  Prudentia  oder  Veritas 

In  mehreren  Exemplaren  erhalten  ist  eine  Zeichnung  des 
Meisters,  welche  die  Prudentia  vorstellte  und  ihrem  Stile  nach,  an 
die  Sibyllen  und  Lunettenkompositionen  erinnernd,  wohl  in  der  Zeit 
der  Beschäftigung  mit  den  Sixtinischen  Deckengemälden  entstanden 
sein  muss.  Die  bestimmteste  Vorstellung  des  Vorwurfes  giebt  uns 
eine  Federzeichnung  in  den  Offizien  (142,  614;  Thode  210;  Ben  1637; 
Phot.  Br.  186;  Brogi  1793;  Abb.  Ricci,  S.  127;  Müntz,  Histoire  de 
l'art  pendant  la  Renaissance  III,  p.  488),  die  von  Morelli  fälschlich 
dem  BandinelH,  von  Berenson  wohl  mit  Recht  dem  Battista  Franco 
zugeschrieben  wird  (I,  p.  264). 

Eine  mächtige  Frau  sitzt,  den  rechten  Arm  imSchooss,  in  ruhiger 
Haltung  nach  rechts  gewandt  und  blickt  in  einen  Spiegel,  den  die 
Hand  ihres  linken,  auf  das  linke  Bein  aufgestützten  Armes  hält.  Sie 
trägt  ein  am  Halse  ausgeschnittenes  Gewand  mit  am  Ellenbogen 
(über  Unterärmeln)  aufgekrämpelten  Ärmeln;  ihr  Unterkörper  ist 
mit  einem  grossen  Mantel  umkleidet.  Ihr  Kopfputz  mit  einem  Wulst 
über  der  Stirne  und  kunstreich  geflochtenem ,  das  Haar  umfassen- 
dem Tuche,  das  über  die  Ohren  herabfällt,  erinnert  an  Sixtinische 
Trachten.  Drei  Knaben  treiben  ihr  Spiel  um  sie  herum:  der  eine 
links  hat  sich  knieend  hinter  ihr  versteckt,  ein  zweiter,  an  ihr  linkes 
Bein  gelehnt,  fasst  nach  einer  grossen  bärtigen,  umgekehrten  Maske, 
mit  der  ihn  ein  von  rechts  heranschreitender  dritter,  den  Kopf 
hinter  ihr  verbergend,  zu  erschrecken  sucht.  Dieser  dritte  Knabe 
scheint  sich,  um  die  Fremdartigkeit  seiner  Erscheinung  zu  erhöhen. 


34^  Mythol.  und  allegor,  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

vermummt  zu  haben :  er  trägt  auf  dem  Kopfe  die  hohe  Mütze  eines 
Alten  und  hat  einen  Mantel  mit  herabhängender  Kapuze  umgehängt. 
Der  Zweck  aber  ist  verfehlt :  offenbar  erkennt  der  Gespiele  den  Freund 
ganz  wohl  in  der  Larve. 

Hat  diese  Darstellung  eine  allegorische  Bedeutung  oder  ist  sie 
nur  ein  Seitenspross  der  Beschäftigung  mit  den  Familiengruppen 
der  Lunetten  ?  Traditionell  wird  die  Frau  als  „Klugheit"  —  im  Hin- 
blick auf  das  übliche,  dieser  Tugend  verliehene  Motiv  des  Spiegels  — 
oder  als  „Wahrheit"  bezeichnet.  Für  beide  Deutungen  Hessen  sich 
Gründe  geltend  machen.  Wäre  die  Prudentia  gemeint,  dann  dürfte 
man  in  dem  Kinderspiel  eine  Veranschaulichung  ihres  Gegentheiles : 
der  Thorheit  oder  Narrheit  finden.  Bedeutete  sie  die  Wahrheit, 
die  sich  rein  ohne  Trübung  spiegelt ,  könnte  man  in  dem  Sich- 
maskiren des  einen,  wie  in  dem  Sichverstecken  des  anderen  Knaben 
die  Unwahrheit,  die  sich  versteckt  oder  verhehlt,  repräsentirt  sehen, 
und  in  diesem  Falle  erschiene  der  an  die  Frau  gelehnte  Knabe  als 
deren  kleiner  Gehülfe,  der  dem  Trug  ein  Ende  macht.  Gegen  eine 
solche  Deutung,  namentlich  die  zweite,  würde  sich  wohl  nichts  Ernst- 
liches einwenden  lassen,  bliebe  es  auch  seltsam,  dass  kindlichem 
Spiele  ein  ,,so  ernster  Sinn"  zugemuthet  würde. 

Sich  mit  der  einfachen  Erklärung,  es  sei,  wie  in  den  Lunetten, 
nur  eine  Genreszene  gegeben,  zu  begnügen,  wird,  angesichts  der 
feierlichen  Erscheinung  der  Frau,  keinem  Betrachter  leicht  fallen. 
Vielleicht  aber  bildete  für  den  Künstler  den  Ausgangspunkt  doch 
eine  schlichte  Familiendarstellung,  in  welcher  er  das  schon  bei  seiner 
Dionysosrestauration  verwerthete,  ihm  zusagende  antike  Motiv  des 
mit  einer  Maske  spielenden  Knaben  anbrachte.  Hierfür  könnte 
Eines  sprechen :  neben  dem  Spiegel  sehen  wir  einen  Gegenstand  in 
Strichen  angegeben,  der  offenbar  ursprünglich  an  Stelle  des  Spiegels 
von  der  Hand  der  Frau  gehalten  und  dann  durch  die  Schattirung 
des  Hintergrundes  undeutlich  gemacht  wurde,  und  dieser  Gegen- 
stand dürfte ,  wie  mir  scheint ,  wohl  nur  als  Spinnrocken  zu 
deuten  sein. 

Nur  die  Frau  befindet  sich  auf  der  Vorderseite  einer  Zeich- 
nung in  Chantilly  (Phot.  Br.  Exp.  Ec.  d.  b.  a.  65),  die  auch  auf  der 
Rückseite  die  Komposition  wiederholt  zeigt.  Berenson  (Nr.  1624) 
schreibt  auch  diese  Federstudie  dem  Battista  Franco  zu;  sie  ist 
aber  sicher  von  anderer  Hand  als  das  Blatt  in  den  Uffizien.  Sie 
könnte  von  Michelangelo  sein  (vgl.  unten  den  Exkurs  über  die 
Grablegung  Christi  in  London).  Es  ist  wohl  die  einst  im  Besitze 
Mariettes  befindliche,  der  in  ihr  eine  Studie  für  eine  der  Figuren 
auf  der  Plattform  des  Juliusdenkmales  zu  erkennen  glaubte. 

Eine  andere  Kopie  wird  in  der  Ambrosiana  zu  Mailand  auf- 
bewahrt (Phot.  Br.  260). 


Die  Michelangelo  zugeschriebene  Fortuna  34g 

VII 

Die  Michelangelo  zugeschriebene  Fortuna 

Eine  in  drei  kleinen  Gemälden  und  einer  Zeichnung  erscheinende 
Komposition  einer  Fortuna  auf  dem  Rade  wird  traditionell  als 
Schöpfung  Michelangelos  bezeichnet. 

I.  Zeichnung  in  den  Uffizien  146,  609.  Kreide.  Ber.  1633.  Phot. 
Br.  200.  Abb.  Ricci  S.  107.  Links  und  rechts  beschnitten, 
so  dass  der  halbe  rechte  Unterarm  und  die  halbe  linke  Hand 
nicht  mehr  zu  sehen  sind.  Der  Körper  sorgfältig  ausgeführt, 
auch  das  Gewand,  aber  in  breiterer  Schattirung  vollendet, 
die  Flügel  und  Haare  nur  allgemein  angelegt.  Die  Zeichnung 
wirkt  nicht  wie  ein  Originalentwurf,  sondern  wie  die  Kopie 
eines  bedeutenderen  Originales.  An  Michelangelo  zu  denken, 
wird  man  durch  Nichts  veranlasst,  wenn  auch  der  nackte  Leib 
als  michelangelesk  in  den  Formen  zu  bezeichnen  ist.  Viel- 
mehr wird  man  an  Angelo  Bronzino  gemahnt.  Dies  findet 
auch  Berenson,  der  das  Blatt  einem  Nachfolger  Bronzinos 
zuschreibt. 
II.  Gemälde  in  der  Galerie  Corsini  zu  Florenz.  Nr.  182.  Michel- 
angelo zugeschrieben. 

III.  Gemälde  in  der  K.  K.  Galerie  zu  Wien.  Nr.  102  (früher 
Nr.  307),  gen.:  Nach  Michelangelo.  Nach  der  Anmerkung 
im  Ed.  von  Engerth'schen  Katalog  1882,  I,  S.  215  stammt  das 
Bild  aus  der  Sammlung  des  Erzherzogs  Leopold  Wilhelm. 
Das  Inventar  von  1659  (Nr.  410)  nennt  es  eine  Kopie  nach 
Giulio  Romano.  Mechel,  1783,  S.  84  schreibt  es  dem  van 
Veen  zu.  ,,Die  Komposition  zu  diesem  Bilde  ist  bekannt  als 
von  Michelangelo  herrührend  und  soll  noch  vor  ein  paar  Jahr- 
zehnten in  Florenz  in  der  Villa  Candia  fuori  di  porta  S.  Gallo 
als  Freske  zu  sehen  gewesen  sein.  Ferner  soll  auch  ein  Öl- 
bild nach  England  gegangen  sein."  v.  Engerth  hielt  es  für 
eine  italienische  Kopie,  v.  Frimmel  (Galeriestudien  III.  Folge 
S.  374)  für  eine  deutsche. 

IV.  Gemälde,  jetzt  in  England.?  Figur  in  halber  Lebensgrösse. 
Es  vv^ard  1843  von  Vincenzo  Botti  in  Florenz  von  einem 
Händler  gekauft  und  nach  der  Restaurirung  für  ein  Original- 
werk Michelangelos  gehalten.  In  einem  Aufsatze  (Ricoglitore 
Fiorentino  1846,  Nr.  11  und  12)  besprach  Paolo  Emiliani- 
Giudici  es  ausführlich  und  stellte  die  Behauptung  auf,  Dantes 
Verse  über  die  Fortuna  im  VII.  Canto  des  Inferno  hätten 
Michelangelo  inspirirt.  Die  beiden  letzten  Terzinen  der 
Schilderung  lauten: 


350  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Questa  6  colei  che  e  tanto  posta  in  croce 
Pur  da  color  che  le  dovrian  dar  lode 
Dandole  biasmo  e  torto  a  mala  voce. 

Ma  ella  s'  e'  beata  e  cio'  non  ode 
Con  r  altre  prime  creature  lieta 
Volve  sua  spera  e  beata  si  gode. 

1847  gab  Vincenzo  Botti  eine  kleine  Schrift :  Associazione  ad 
un'  opera  inedita  di  Michelangiolo  B.  rappresentante  la  Fortuna 
heraus,  in  welcher  er,  zur  Subskription  auffordernd,  einen  von 
Davide  Testi  anzufertigenden  Stich  nach  dem  Bilde  ankündigt  und 
eine  kleine  Abbildung  publizirt.  Auf  der  Florentiner  Ausstellung 
1875  war  das  Bild  zu  sehen  (Manz:  Gaz.  d.  b.  a.  S.  164  nennt  es  eine 
Nachahmung).    Später  scheint  es  nach  England  gekommen  zu  sein. 

Rittlings  auf  einem  Rade  sitzend,  den  Kopf  mit  nach  links 
wehenden  Haaren  etwas  zur  Seite  gewandt,  von  kräftigen  bunten 
Flügeln  getragen ,  unbekleideten  Oberkörpers ,  ein  im  Winde  ab- 
wehendes rothes  Gewand  um  die  Beine  geschlungen ,  eilt  Fortuna 
durch  die  Lüfte.  Ihrer  rechten  Hand  entfällt  ein  Lorbeerkranz,  ein 
Szepter  und  eine  Krone;  die  linke  streut  Dornen  aus.  Glanz  und 
Helligkeit  umgiebt  das  Haupt,  indessen  in  der  Tiefe  Dunkel  herrscht. 

Ist  der  Entwurf,  der  diesen  Gemälden  und  der  Zeichnung  zu 
Grunde  liegt,  von  Michelangelo?  Mir  will  es  nicht  so  scheinen; 
viel  eher  könnte  man  den  Charakter  der  Komposition  und  die  Art 
der  Bewegung  raphaelesk  nennen.  Oder  besser  gesagt:  es  zeigt 
sich  eine  Mischung  von  Einflüssen  Raphaels  und  Michelangelos,  die 
auf  einen  Nachfolger  der  beiden  Meister  hinweist. 

VIII 

Der  Raub  des  Ganymed 

Vier  mythologische  Kompositionen  hat  nach  Vasari  Michel- 
angelo für  Tommaso  Cavalieri  geschaffen:  ,,den  von  Zeus'  Vogel 
zum  Himmel  entführten  Ganymed",  Tityos,  den  Sturz  des  Phaeton 
und  das  Kinderbacchanal.  (So  auch  Varchi  in  der  „Leichenrede".) 
In  einem  Briefe  vom  5.  September  1533  spricht  Cavalieri  von  den 
in  seinem  Besitz  befindlichen  Zeichnungen  des  Tityos  und  Ganymed, 
und  so  kann  kein  Zweifel  darüber  aufkommen,  dass  es  eben  diese 
beiden  Blätter  waren,  für  welche  er  am  i.  Januar  1533  seinen  Dank 
abstattet.  Sie  sind  demnach  Ende  1532  entstanden  (vgl.  Frey, 
Dicht.  S.  513.  Reg.  45.  S.  522.  Reg.  75.  Thode,  Annalen.  Stein- 
mann und  Pogatscher,  Rep.  f.  Kunstw.  XIX  S.  497  f.)  Ohne 
Zweifel,  wie  auch  Berenson  und  Frey  bemerkten,  spielt  Sebastiano 
del  Piombo   auf  die  Zeichnung   des  Ganymed   an ,    als    er   in   dem 


Der  Raub  des  Ganymed  351 


Briefe  vom  17.  Juli  1533,  im  Hinblicke  auf  das  anzufertigende  Bild 
in  der  Laterne  der  Medicikapelle,  scherzhaft  sagt :  „mir  schiene  es, 
dass  sich  dort  gut  der  Ganymed  ausnehmen  würde  und  man  könnte 
ihm  ein  Diadem  machen,  dass  er  aussähe  wie  S.  Johannes  in  der 
Apokalypse,  wenn  er  in  den  Himmel  entrückt  wird."  —  Der  Kardinal 
Hippolyt  Medici  war  von  den  beiden  Werken  so  entzückt,  dass  er 
sie  von  Giovanni  Bernardi  da  Castelbolognese  in  Krystall  schneiden 
lassen  wollte.  Dies  setzte  er  für  den  Tityos  auch  durch ;  den  Gany- 
med aber  rettete  Tommaso  davor.  (Brief  5.  September  1533.)  Er 
konnte  aber  nicht  verhindern,  dass  Bernardi  doch  auch  ihn  that- 
sächlich  geschnitten  hat  und  Don  Giulio  Clovio  den  Ganymed 
kopirte:  das  ,,quadrettö"  kam  in  den  Besitz  Herzogs  Cosimo  (Vasari 
VII,  567).  Francisco  de  HoUanda  (Ausg.  de  Vasconcellos  S.  135) 
sah  es  1539  in  Rom:  ,,da  legte  D.  Giulio  uns  einen  Ganymed  vor, 
den  er  nach  einer  Zeichnung  Michelangelos  illustrirt  hatte,  in  sehr 
zarter  Ausführung  —  die  erste  Arbeit,  durch  die  er  sich  in  Rom 
einen  Namen  verschafft  hat."  Im  Inventario  der  Kunstschätze  des 
Herzogs  von  1589  wird  das  Bild  angeführt  als:  ,,quadretto  di  un 
ratto  di  Ganimede,  Minio,  largo  ^/„,  alto  ^Z^."  Vasari  erwähnt  ferner 
einen  im  Auftrage  des  Ant.  Lafreri  angefertigten  Stich  (V,  431)  und 
die  Anbringung  des  Ganymed  auf  dem  Gemälde  der  Schlacht  von 
Montemurlo  durch  Battista  Franco ,  der  damit  dem  jugendlichen 
Herzog  ein  höfisches  KompHment  himmlischer  Apotheose  habe 
machen  wollen  (VI,  575). 

Da  dieses  Bild,  sowie  ein  Stich  von  Beatrizet  uns  bekannt  sind 
und  in  beiden  die  Gruppe  gleich  gebildet  erscheint,  mit  ihr  aber 
auch  eine  Zeichnung  des  Meisters  in  Windsor  übereinstimmt,  kann 
über  die  definitive  Komposition  kein  Zweifel  aufkommen.  Es  fragt 
sich  nur,  ob  auch  vorbereitende  Studien  erhalten  sind  und  ob  in 
der  Cavalieri'schen  Zeichnung  unten  Landschaft  angegeben  war. 

Die  Originalzeichnung  in  Windsor  (Thode  539.  Ben  614. 
Phot.  Br.  117.  Abb.  Frey  18),  in  Kreide  ausgeführt,  zeigt  bloss  die 
Gruppe  des  Adlers  mit  Ganymed ,  keine  Landschaft.  Die  Arme 
auf  den  mächtigen  Schwingen  ausgestreckt,  die  weit  auseinander  ge- 
haltenen Beine  von  den  Klauen  umfasst,  den  Kopf  mit  dem  lockigen 
Haar  sanft  gesenkt,  im  Rücken  ein  flatterndes  Tuch,  wird  der  Jüng- 
ling von  dem  Adler ,  der  seinen  Kopf  um  dessen  Brust  schmiegt, 
sanft  und  sicher  emporgetragen.  —  Ist  dies  die  Zeichnung,  die 
Monsignor  Bouveray  in  Florenz  erwarb?   (Vasari  VII,  271.  Anm.  2.) 


Alte  Kopien. 

A.  Kreidezeichnung.     Paris,  Louvre  Nr.  734. 

B.  Rötheizeichnung.     Ebendaselbst  Nr.  'j'j'j. 

C.  Zeichnung.     Ebendaselbst  Nr.  826. 


352  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

D.  Kupferstich  von  N.  Beatrizet  (P.  in).  Bez.  Ganimedes  juvenis 
Trojanus  raptiis  a  Jove.  —  Späterer  etat:  Michael  Ang.  Bonar. 
in.  Phls  Thomassinus  exe.  Romae.  Hier  ist  unten  eine  grosse 
Landschaft  mit  Bergen  und  Meer  zu  sehen.  Der  sitzende 
verlassene  Hund  bellt  nach  oben.  —  Einige  andere  von 
Heinecken  (I,  S.  104)  erwähnte  Stiche  sind  nur  freie  Nach- 
bildungen. 

E.  Gemälde  von  Battista  Franco:  die  Schlacht  von  Montemurlo 
in  Palazzo  Pitti.  Die  Gruppe  schwebt  oben  in  der  Luft.  Ein 
unten  stehender,  zwei  Hunde  haltender  Krieger  schaut  ihr 
nach.  Burckhardt  (Beiträge  S.  433)  deutet,  wie  Vasari,  Gany- 
med  als  Herzog  Cosimo  selbst,  der  von  der  im  Adler  symboli- 
sirten  Unterstützung  Karls  V.  getragen  wird.  Unten  stehen 
die  Anhänger  des  Herzogs  als  Ganymeds  Jagdgenossen;  in 
der  Ferne  die  Schlacht,  in  welcher  einst  (1537)  das  Heer 
Cosimos    über    die    floientiner   Ausgewiesenen    gesiegt   hatte. 

F.  Grosses  Gemälde  in  Hamptoncourt  Nr.  602.  Unten  eine  Land- 
schaft mit  dem  sitzenden  bellenden  Hund ,  wie  in  Beatrizets 
Stich;  in  der  Ferne  hinter  Wasser  Ruinen.  Passavant  (Kunst- 
reise S  47),  der  es  im  Kensingtonpalast  sah,  hielt  es  irrthüm- 
lich  für  die  Kopie  von  Franco ;  Waagen  für  eine  Arbeit  van 
Orleys.  Wenn  ich  letzteres  auch  nicht  glaube,  so  ist  es  mir 
doch  kein  Zweifel,  dass  es  von  einem  vlämischen  Meister  ge- 
malt ward. 

G.  Gemälde  in  Corshamhouse,  England.  Nach  Waagen  (Künstler 
und  Kunstwerke  11,  306)  ein  ,, besonders  fleissiges  und  gutes 
Exemplar".     Ob  es  sich  noch  dort  befindet,  ist  mir  unbekannt. 

H.  Gemälde  aus  der  Sammlung  Val.  C.  Prinsep,  in  den  neunziger 
Jahren  im  South  Kensington  Museum   in  London  ausgestellt. 
(Nach  V.  Frimmel,  Galeriestudien  III.  Folge  S.  373.) 
I.  Gemälde  in  der  Galerie  von  Sanssouci  (Parthey  S.  215). 
K.  Gemälde    in    der  K.  K.  Galerie   zu  Wien.     Nr.  95.     Aus  der 
Sammlung   des    Erzherzogs  Leopold  Wilhelm.     Unten   Land- 
schaft mit  dem  bellenden  Hund  ;  Ruinen.     Über  die  Reproduk- 
tionen siehe  v.  Engerths  Katalog  I,  S.  214.     Nr.  306. 
Im  XVIII.  Jahrhundert  finde  ich  zwei  Exemplare  erwähnt,  die 
man    wohl    in    einem   oder  dem    anderen    der    erwähnten    Gemälde 
wiederzuerkennen  hat: 

I.  Im  Besitze  des  Herzogs  von  Orleans,  der  es  1722  aus  der 
Sammlung  der  Königin  Christine  von  Schweden  erwarb  („Michel- 
angelo Nr.  32.  II  famoso  Ganimede,  alto  palmi  i,  o,  S'^l^',  largo 
palmi  I,  o,  3").  Mariette  erwähnt  es  im  Palais  royal  (Obs.  yy). 
In  der  Verkaufsliste  der  Galerie  Orleans  (1792  und  1800  in  London, 
siehe  Waagen  a.  a.  O.  I,    S.  492  ff)  finde    ich    es    nicht    angegeben. 


Der  Raub  des  Ganymed  353 


2.  Im  Palazzo  Giustiniani  zu  Rom.  Vasi,  Itinerario  1791,  S.  429 
und  V.  Ramdohr  III,  39  erwähnen  es.  Ist  es  das  Bild,  das  Lanzi 
(Storia  pitt.  III.  Aufl.  I,  146)  als  bei  den  Colonnas  befindlich  an- 
führt? 

L.  Plakette  des  Giovanni  Bernardi  da  Castelbolognese  (im  Gegen- 
sinne), im  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin.   (Die  ital.  Bronzen 
Taf.  LXVIII,  Nr.  121 5),  im  South  Kensington  Museum,  Museo 
Correr  und  sonst  (vgl.  Molinier:  les  Plaquettes  Nr.  238.)    Der 
Text    der  ,,Ital,    Bronzen    in   Berlin"    sagt:    ,,nach    einem   be- 
zeichneten, geschnittenen  Stück  des  Giovanni  Bernardi  (Cades 
61,  7.     Tresor  de  numismatique  et  de  glyptique,    recueil  des 
bas-reliefs,    Teil  I,   Taf.  XIII,    Nr.  2)."      Dieser    geschnittene 
Krystall  scheint  dann  für  die  Farnesische  Kassette  (siehe  oben 
II,  S.  249)  bestimmt,    aber    nicht    verwerthet  worden  zu  sein. 
So  sicher  es  durch  alle  diese  Wiederholungen  beglaubigt  wird, 
dass    die    Zeichnung    in   Windsor    Michelangelos    endgültige   künst- 
lerische Fassung  des  Vorwurfes  der  Gruppe  war,  so  wird  aber  da- 
mit noch  Nichts  über  die  Frage  entschieden,  ob  der  Künstler  nicht 
noch  einen  anderen  Entwurf  gemacht,  in  dem  das  Landschaftliche 
hinzugefügt  war.    Ich  halte  dies  aber  für  durchaus  unwahrscheinlich 
—  die  Landschaften    auf  den  Gemälden    lassen    sich    alle    auf  den 
Stich  Beatrizets  zurückführen,  und  dass  in  ihm  die  Landschaft  nicht 
von  Michelangelo  herrührt,  dessen  bin  ich  gewiss.     Ein  so  reiches 
Landschaftsgebilde  stünde  in  dem  Schaffen  des  Meisters,  der,  wenn  er 
hierzu  gezwungen  war,  sich  auf  das  Geringste  von  Andeutungen  be- 
schränkte,   ganz   vereinzelt    da.      Diese    Umgebung    fügte   Beatrizet 
(oder   vielleicht    schon  Clovio.?)   hinzu,    und  von    ihm    übernahmen 
sie    die    anderen  Kopisten ,    sie    mehr    oder   weniger   frei  variirend. 
Und  damit  würde  auch  die  Frage  Burckhardts  (Beiträge  S.  432)  ihre 
Beantwortung   finden,  welche    eine  Beziehung  zwischen  Correggios 
Ganymed    und    dem  Stich    in    der  Anordnung   der  Felskuppe   und 
dem  klagend  nachschauenden  Hund ,    die  in   beiden  Werken  ,,dem 
Ganzen  Maassstab,  Raum  und  Luftdistanz  geben",  bemerkt.    Beatrizet 
dürfte  Correggios  Bild  gekannt  haben.     (Das  Umgekehrte  wäre  frei- 
lich auch  denkbar,  falls  nicht  Correggio,  sondern  Parmeggianino  der 
Schöpfer   des  Gemäldes   ist.)     Ich  führe  bei  dieser  Gelegenheit  an, 
was  Burckhardt  vergleichend  über  die  Kompositionen  Michelangelos 
und  Correggios  sagt:  ,, Michelangelo  meldet  recht  glaubhaft,  wie  es 
ein  ganz  riesiger  Adler  anfangen  müsste,  um  einen  herkulisch  mus- 
kulösen Menschen ,    zweckmässig  eingeklemmt  und  an   den  Waden 
angekrallt ,    in    die  Lüfte    zu   bringen ;  bei  Correggio  dagegen  geht 
das  Wunder  ganz  leicht  vor  sich." 

Dass  der  Maler  das  Deckengemälde  in  der  Galerie  von  Modena, 
das,  früher  dem  Correggio  zugeschrieben,  jetzt  von  Ricci   für  eine 
%*  23 


^54  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Arbeit  von  Lelio  Orsi  gehalten  wird ,  Michelangelos  Komposition 
gekannt,  ist  wahrscheinlich :  die  Hauptmotive  (auf  den  Flügeln  aus- 
gestreckte Arme ,  Ankrallen  der  Beine ,  Kopf  des  Adlers  vor  der 
Brust  des  Knaben,  im  Rücken  abwehendes  Gewand)  sind  die  gleichen, 
nur  die  Seitwärtsdrehung  des  Ganymed ,  im  Geiste  Correggios  er- 
funden, ist  neu.  Auch  Girolamo  da  Carpi  war  der  Stich  wohl  nicht 
unbekannt,  als  er  seinen  Ganymed  (Dresden,  Galerie  Nr.  145)  schuf, 
entfernte  er  sich  auch  viel  weiter  von  dem  Vorbild.  —  Und  das 
Gleiche  gilt  von  dem  Gemälde  aus  Tizians  Schule  in  London  (Nat. 
Gall.  32). 

Hat  aber  Michelangelo  selbst  ein  Vorbild  benutzt?  Es  könnte 
nur  ein  antikes  in  Frage  kommen.  Wickhoff  meinte :  Nein.  Frey 
glaubt  es,  und  Jacobsen  (Rep.  f.  Kw.  XXIX,  28)  hat  auf  eine  be- 
stimmte Arbeit:  einen  Cameo  im  Museo  nazionale  zu  Neapel,  Nr.  201, 
aufmerksam  gemacht.  Mir  scheint  dies  sehr  zweifelhaft,  und  die 
folgenden  Ausführungen  bestärken  mich  in  solcher  Ansicht. 

Dass  die  vollkommene  Lösung  des  schwierigen  Problems,  wie 
sie  in  dem  Blatte  in  Windsor  vorliegt,  sogleich  von  Michelangelo 
sollte  gefunden  worden  sein,  ist  wenig  glaubhaft.  Wir  müssen  vor- 
bereitende Studien  voraussetzen.  Und  in  der  That  giebt  es  Zeich- 
nungen, die  Anspruch  darauf  erheben  könnten,  solche  zu  sein.  In  den 
Uffizien  zu  Florenz  befindet  sich  eine  Rötheizeichnung,  die 
zu  denken  giebt  (147,  611.  Thode  216.  Ber.  1634.  Phot.  Brogi  1791). 
Berenson  sagt:  ,, Gewiss  nicht  von  Michelangelo,  und  doch  hat  sie 
Etwas  von  ihm."  Frey  fragt,  ob  sie  von  AUori  sein  könne.  Auch  ich 
habe  zuerst  angenommen,  sie  sei  eine  Variation  des  Michelangelo- 
schen  Ganymed ,  von  einem  Nachahmer  angefertigt.  Dann  aber 
Hess  mich  die  Gewalt  und  Grossartigkeit  des  Adlers ,  sowie  die 
Kühnheit  und  Originalität  der  Konzeption ,  auf  den  Gedanken 
kommen,  ob  uns  in  ihr  nicht  die  Kopie  eines  früheren  Entwurfes  des 
Meisters  erhalten  ist.  Bestärkt  wurde  ich  in  dieser  Meinung  durch 
den  hier  ganz  Michelangelesken  Charakter  des  unten  flüchtiger 
angegebenen  spärlichen  Landschaftlichen:  bloss  Vordergrund;  ein 
etwas  nach  rechts  ansteigendes  Terrain,  über  dem  sich  ein  dürrer, 
abgehackter  Baumstamm  (wie  in  der  Erschaffung  Evas  und  im 
Sündenfall  neben  Eva)  erhebt,  links  ein  dem  Entführten  nach- 
schauender stehender  Hund,  rechts  das  Hirtenbündel.  Und  weiter 
bestärkt  durch  eine  andere  von  Frey  angeführte  Zeichnung  bei 
Mr.  Ch.  Newton  Robinson  in  London,  welche  die  gleiche  Landschaft 
mit  Hund  und  Bündel  zeigt.  Leider  kenne  ich  diesen  Entwurf 
nicht  aus  eigener  Anschauung  und  vermag  daher  nicht  zu  beurtheilen, 
ob  in  ihm  etwa  das  Original  des  Blattes  in  den  Uffizien  zu  erkennen 
ist.  Jedenfalls  aber  möchte  ich  auch  diese  Version  der  Ganymed- 
darstellung,  die  in  Formensprache  und  -behandlung  (vgl.  namentlich 


Der  Raub  des  Ganymed  355 


den  Kopf)  der  Tityoszeichnung  in  Windsor  nahe  kommt,  für  eine 
Schöpfung  des  Meisters  halten. 

Sie  unterscheidet  sich  dem  Charakter  nach  wesentlich  von  der 
Komposition  in  Windsor.  Von  dem  leichten ,  spielenden  Empor- 
tragen und  -getragenwerden  ist  hier  noch  Nichts  zu  sehen.  Mit 
mächtigem  Schlag  der  nicht  ausgebreiteten,  sondern  erhobenen 
Schwingen  emporstrebend,  hat  der  Adler  mit  dem  sich  sträubenden 
Knaben  zu  kämpfen.  Dieser  krümmt,  mit  der  Rechten  in  den 
rechten  Flügel  hineingreifend  und  das  rechte  Bein  über  den  linken 
Oberschenkel  heraufziehend ,  den  Oberleib  und  Kopf  nach  der 
Seite.  Der  Adler  packt  gewaltsam  mit  der  linken  Kralle  das  linke 
Bein,  und  fasst  mit  dem  Schnabel  seines  über  die  Schulter  Ganymeds 
sich  vorbeugenden  Kopfes  den  linken,  abwehrenden  Arm.  Dessen 
Figur  erhebt  sich  hier  also  nicht  über  den  Adler,  sondern  wirkt, 
von  ihm  ganz  umklammert  und  so  nach  oben  geschleppt,  etwa 
wie  ein  Thier,  das  der  überstarke  Vogel  seiner  Heerde  entführt. 
Man  beachte  die  Kunst  der  Komposition :  wie  die  Knabengestalt 
ganz  (bis  auf  das  in  die  Luft  abstehende  linke  Bein)  einbezogen 
ist  in  die  des  Adlers,  dessen  Erscheinung  dadurch  dominirend  wird, 
und  wie  durch  die  schräge  Anordnung  des  Fluges  die  Symmetrie 
zwischen  dem  Schwanz  des  Vogels  und  dem  linken  Bein  des  Jüng- 
lings erzielt  worden  ist  —  man  beachte  diese  Gesetzmässigkeit  in 
der  Freiheit,  und  man  wird  begreifen,  warum  ich  hier  Michelangelos 
Geist  erkennen  muss. 

Nun  giebt  es  aber  noch  eine  dritte,  bisher  noch  gar  nicht  be- 
achtete Zeichnung,  die  nach  meinem  Dafürhalten  gleichfalls  An- 
spruch auf  Michelangelos  Namen  erheben  darf.  Sie  ist  in  Kreide 
ausgeführt  und  befindet  sich  im  Kodex  Vallardi  im  Louvre 
(Thode  510;  die  Zeichnung  ist  zum  Zwecke  der  Übertragung  durch- 
stochen worden).  Die  Gruppe,  die  hier  ohne  Landschaft  gegeben 
ist,  steht  in  ihrer  Komposition  gleichsam  zwischen  der  eben  be- 
sprochenen und  der  in  Windsor.  An  die  erstere  wird  man  dadurch 
erinnert,  dass  der  Adlerkopf  sich  über  dem  Ganymed  erhebt,  an 
die  letztere  durch  die  Frontstellung  und  durch  die  wagrecht  aus- 
gebreiteten Schwingen  des  Vogels,  auch  durch  das  Kampflosere  und 
Ruhigere  des  Emportragens  und  die  gespreizte  Beinhaltung  des 
Jünglings.  Der  Adler  hält  ihn,  der  sich  mit  beiden  Armen  an  den 
rechten  Flügel  klammert  und  von  den  Krallen  am  Schenkel  ge- 
packt wird,  wie  frei  vor  sich  schwebend,  in  die  Höhe.  Gewand- 
zipfel wehen  seitwärts  nach  unten.  Auch  dieser  Entwurf  zeigt 
Qualitäten,  die  des  Meisters  nicht  unwürdig  sind.  Bedenklich 
macht  nur  die  Andeutung  eines  Kreises,  in  den  die  Gruppe  hinein- 
komponirt  zu  sein  scheint ,  als  wäre  sie  für  ein  Medaillon  oder 
einen   geschnittenen  Stein   als  Rundbild  bestimmt  gewesen.     Doch 


356  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

sagt  dies  schliesslich  nicht  viel  und  kann  mich  nicht  hindern,  das 
Blatt  dem  Meister  zuzuschreiben.  Sollten  wir  in  ihm  etwa  eine 
Vorlage  für  Valerio  Belli  (s.  unten)  zu  erkennen  haben.?' 

Somit  muss  ich  in  der  künstlerischen  Gestaltung  des  Vorwurfes 
drei  Phasen  annehmen,  welche  uns  verdeutlicht  werden 

1.  durch  die  zwei  Zeichnungen  in  denUffizien  und  bei  Mr.  Robinson, 

2.  durch  die  Zeichnung  des  Kodex  Vallardi  und 

3.  durch  die  Zeichnung  in  Windsor,  welche  die  definitive  Fassung 
bringt. 

Die  Entwicklung  nimmt  den  Weg  von  der  Auffassung  gewalt- 
samer Entführung  zu  derjenigen  selig  freier  Entrückung.  Die  Ver- 
götterung des  geliebten  jungen  Freundes,  die  aus  den  an  ihn  ge- 
richteten Briefen  und  Gedichten  spricht,  fand  so  ihren  leicht  ver- 
ständlichen bildlichen  Ausdruck. 

Wickhoff  denkt  an  zwei  dem  Cavalieri  gewidmete  Sonette  des 
Meisters.  In  dem  einen  (Guasti  XXX.  Frey  CIX,  19.  Thode  I, 
161)  heisst  es: 

Volo  con  le  vostr'  ale  senza  piume; 

Co!  vostro  ingegno  al  ciel  sempre  son  mosso. 

In  dem  anderen  (Guasti  XXXII.     Frey  XLFV.     Thode  H,   146): 

S'un  anima  in  duo  corpi  e  fatta  eterna 
Ambo  levando  al  cielo  e  con  pari  ale. 

Ein  Blatt  in  Oxford  (Nr.  57),  welches  Zeus,  den  Ganymedes 
umarmend,  zeigt,  ist  mit  Recht  übereinstimmend  von  allen  neueren 
Forschern    aus    dem   Werk    des    Meisters    ausgeschieden   worden. 

IX 

Tityos 

Wie  der  Raub  des  Ganymed,  wurde  auch  diese  Zeichnung  Ende 

1532  von  Michelangelo  für  Cavalieri  angefertigt.  Im  Auftrage  des 
Kardinals  Hippolyt  Medici  —  im  ,, Leben  des  Valerio  Vicentino 
und  Anderer",  V,  374  sagt  Vasari  irriger  Weise,  der  Meister  habe 
die  Zeichnung   für  Hippolyt    angefertigt  —  hat   Giovanni    Bernardi 

1533  die  Komposition  in  Krystall  geschnitten,  die  auch  als  Kupfer- 
stich  im  Verlag   von   Antonio   Lafreri    vervielfältigt  ward  (V,  43 1 ). 

Die  Originalzeichnung,  bezüglich  deren  Ächtheit  nur 
Springer  Bedenken  gehabt  hat,  befindet  sich  in  Windsor  (Thode 
540;  Ber.  161 5;  Phot.  Br.  log;  Abb.  Ber.  PI.  CXLIII;  Frey  6:  im 
Gegensinne).  Der  jugendliche  Titan  von  herkulischen  Formen  liegt 
auf  einer  felsigen  Bodenerhöhung,  die  isolirt  wie  das  Postament 
einer  Statue  wirkt,  das  rechte  Bein  etwas  gekrümmt  ausgestreckt, 
das  linke  aufgestemmt,  den  zurückgebogenen  linken  Arm  an  den 
Stein  gefesselt,  mit  der  Rechten  den  Adler  zurückdrängend.    Dieser, 


TJtyos 357 

hinter  dem  Jüngling  mit  ausgebreiteten  Schwingen  stehend,  beugt 
und  senkt  sich  nach  vorne  über  und  hackt  mit  dem  Schnabel  nach 
der  Leber  des  Gefesselten.  Rechts  ein  weidenartiger  Baumstumpf, 
dessen  einer  Ast  in  Form  eines  grotesken  Thierkopfes  gebildet  ist. 
Michelangelo  hat  sich  offenbar  nicht  an  die  Schilderung  Homers, 
der  die  von  Zeus  über  den  Sohn  der  Gaia  wegen  Entehrung  der 
Leto  verhängte  Strafe  durch  zwei  Geier  vollziehen  lässt  (Od.  XI, 
576  ff,,  so  auch  Tibull,  I,  3,  75  f.),  sondern  an  die  Virgils  gehalten 
(Aen.  VI,  595 ff.): 

Necon  et  Tityon  terre  omniparentis  alumnum 
Cernere  erat,  per  tota  novem  cui  jugera  corpus 
Porrigitur:  rostroque  immanis  vultur  obunco 
Immortale  jecur  tondens  foecundaque  poenis 
Viscera,  rimaturque  epulis  habitatque  sub  alto 
Pectore  nee  fibris  requies  datur  ulla  renatis. 

Nicht  als  ein  Abbild  der  Kraftlosigkeit,  wie  Polygnot  ihn  malte, 
sondern  in  voller  Macht  der  Glieder  —  wie  Frey  bemerkt  —  gab 
ihn  der  Meister,  der  nach  meinem  Dafürhalten  antike  Darstellungen 
des  liegenden  Prometheus,  wie  uns  eine  in  einer  kleinen  Berhner 
Gemme  (Furtwängler:  Die  antiken  Gemmen  XXXVII,  40)  erhalten 
ist,  wohl  kannte. 

Eine  flüchtige  Kreidestudie  zu  der  Zeichnung  fanden  Ferri  und 
Jacobsen  in  den  Uffizien  (147b,  18736.  Thode  225.  Abb.  Ferri  und 
Jacobsen  Taf.  XIV.  Phot.  Brogi  141 2  B).  Die  Stellung  ist  hier  noch 
etwas  anders:  das  rechte  Bein  und  der  rechte  Arm  sind  gerade 
ausgestreckt,  das  linke  Bein  ist  stärker  gekrümmt.  Der  Adler  ward 
nur  mit  wenigen  Strichen  angedeutet. 

Eine  mir  unbekannt  gebliebene  Kopie  nach  der  Zeichnung  in 
Windsor  von  Alessandro  Allori  erwähnt  Frey  als  in  den  Uffizien  be- 
findlich (Nr.  284). 

In  Betracht  aber  kommt  noch  ein  anderer  grossartiger,  kühn 
skizzirter  Entwurf,  den  man  bisher  nicht  beachtet  hat,  im  Musee 
Wicar  zu  Lille  (Nr.  90;  Thode  273).  Er  zeigt  Tityos  nach  der 
anderen  Seite  gewandt  liegend,  auf  den  linken  Arm  aufgestützt,  den 
rechten  erhebend,  beide  Beine  ausgestreckt.  Der  Adler  beugt  sich, 
die  Leber  fressend,  von  links  hinten  herüber.  Man  dürfte  in  der 
Skizze  wohl  den  ersten  Gedanken  der  Komposition  gewahren. 

Gestochen  wurde  die  endgültige  Darstellung  von  Beatrizet 
(D.  33  ;  B.  39)  im  Gegensinne.  Das  Blatt  trägt  die  Inschrift:  Titius 
Gigas  Vulture  diversisque  penis  laceratus.  Mich.  A.  B.  invenit.  Ant. 
Salamanca  excudebat.  Landschaftlicher  Hintergrund  hinzugefügt. 
Eine  Kopie  im  Gegensinne:  Ant.  Lafreri  formis.  Im  Berliner 
Kupferstichkabinet  sah  ich  einen  von  Gio.  Jacomo  Rossi  (Formis 
Romae   1649  alla  Pace)  veranstalteten  Neudruck. 


;c8  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 


Der  von  Giovanni  Bemardi  geschnittene  Krystall,  später  ver- 
muthlich  für  die  Farnese'sche  Kassette  bestimmt,  aber  nicht  ver- 
wendet, befand  sich  unlängst  im  Besitze  der  Strozzi  zu  Florenz 
(Vasari  V,  374,  Anm.  2).  Von  ihm  machte  der  Künstler  einen 
Ausguss,  eine  Plakette  (Abb.  in:  Die  ital.  Bronzen  im  Kaiser  Friedrich- 
Museum  zu  Berlin,  Taf.  LXVIII,  12 14.  Vgl.  Molinier:  Les  plaquettes 
Nr.  333).     Sie  ist  bezeichnet  Jovanes  B. 

Wie  der  Ganymed,  hat  auch  der  Tityos,  dank  vornehmlich  dem 
Stiche,  eine  bedeutende  Wirkung  auf  andere  Künstler  ausgeübt. 
Ich  erwähne  zunächst  die  freie  kleine  Nachbildung  in  einem  Orna- 
mentstich des  Enea  Vico  im  Pariser  Cabinet  des  estampes ,  bez. : 
E  per  petra  maggior  non  manca  mai.     D.  Z. 

Ob  Tizian  in  seinem,  jetzt  in  Madrid  befindlichen,  für  Philipp  IL 
ausgeführten  Gemälde  an  Michelangelo  angeknüpft  hat,  bleibe  dahin- 
gestellt, doch  halte  ich  es  für  wahrscheinlich  (vgl.  auch  die  Zeich- 
nung im  Louvre  5518).  Wiederholt  aber  hat  Rubens  das  Motiv 
verwerthet:  in  seinem  Prometheus  (Oldenburg),  in  der  Niederlage 
Sanheribs  (München,  Pinak.),  in  einer  Figur  des  kleinen  Jüngsten 
Gerichtes  (ebenda)  und  im  Tod  des  Argus  (Köln). 

X 

Der  Sturz  des  Phaeton 

Am  5.  September  1533  schreibt  Cavalieri  an  Michelangelo  nach 
Florenz:  „forse  tre  giorni  fa  io  ebbi  il  mio  Fetonte,  assai  ben  fatto, 
e  allo  visto  il  papa,  il  cardinal  de  Medici,  e  ugnuno  io  non  so  gia 
per  quäl  causa  sia  desiderato  di  vedere"  (Frey:  Dicht.  S.  522,  Reg.  75). 
Frey  (ebenda  S.  521,  Reg.  72)  bemerkt,  der  Ausdruck  ,,mein  Phaeton" 
Hesse  annehmen,  entweder,  dass  Cavalieri  die  Zeichnung  schon  vor 
längerer  Zeit  von  Michelangelo  versprochen  erhalten  hätte,  oder  dass 
er  das  Blatt  bereits  besessen,  aber  wieder  zurückgegeben  habe  und  nun 
ein  neues  erhalte.  Für  das  Letztere  spreche  die  Thatsache ,  dass 
heute  noch  zwei  ausgeführte  Zeichnungen  existirten,  deren  eine,  mit 
der  Malcolm'schen  Sammlung  in  das  British  Museum  gelangt,  den 
Vermerk  trägt:  ,,Tomao  se  questo  scizzo  non  vi  place  ditelo  a  Ur- 
bino"  etc.  und  unvollkommener  sei,  als  die  andere  in  Windsor  be- 
findliche. Diese  sei  also  die  Anfang  September  1533  von  Tom- 
maso  empfangene,  die  frühere  die  Malcolm'sche ,  die  Michelangelo 
in  Rom  1532/33  angefertigt  haben  müsse,  da  die  Bemerkung  über 
Urbino  auf  den  Aufenthalt  in  Rom  hinweise.  Diese  Argumentation 
ist  sehr  einleuchtend,  und  ich  schliesse  mich  Freys  Meinung  an. 

Auch  diese  Zeichnung  ist  von  Giovanni  Bernardi  in  Krystall 
geschnitten  worden  (Vasari  V,  374),    der,    wie    es  scheint,  wie  der 


Der  Sturz  des  Phaeton  359 


Ganymed  und  Tityos,  für  die  Farnese'sche  Kassette  verwendet 
werden  sollte,  dann  aber  nicht  an  ihr  angebracht  worden  ist.  Von 
einem  beiLafreri  erschienenen  Stiche  spricht  Vasari  (V,  431),  welcher 
auch  erwähnt ,  dass  F.  Salviati  den  Phaeton  in  Farben  ausgeführt 
hat  (VII,   17)- 

Ovids  Schilderung  (Met.  II,  304 — 380)  Hegt  der  Darstellung 
zu  Grunde :  Zeus  zerschmettert  mit  dem  Blitz  den  Wagen,  von  dem 
Phaeton,  des  Lebens  beraubt,  ,, kopfüber"  hinabfällt  zur  Erde,  zum 
Strom  Eridanos ;  in  einen  Schwan  wird  Kyknus,  des  Helios  Töchter, 
,,die  Brust  mit  den  Händen  sich  schlagend",  werden  in  Bäume  ver- 
wandelt: die  eine  fühlt  ihr  Haar  zu  Laub  werden,  Lampetie  die 
Arme  zu  Ästen,  Phaetusa  die  Beine  zum  Stamm.  Dass  der  Künstler 
auch  antike  Kunstwerke  gekannt  und  von  ihnen  einige  Anregung 
(namentlich  für  die  abstürzende  Figur  des  Phaeton)  gewonnen,  ist 
sicher.  Wickhoff  (Mitth.  des  österr.  Inst,  für  Gesch.  II,  S.  435)  machte 
auf  den  Sarkophag  der  Uffizien  (im  Quattrocento  in  AraceU),  neben 
dem  auch  noch  andere  genannt  werden  könnten,  aufmerksam;  auch 
Frey  erv;ähnt  ihn;  daneben  kommt  ein  Cameo  in  Sardonix  in 
Betracht  (Furtwängler :  Die  antiken  Gemmen  LVIII,  2).  Kannte 
Michelangelo  vielleicht  auch  die  Plakette  des  Moderno  (Berlin :  Die 
ital.  Bronzen,  LIII,  759,  760).?  Zu  Agostino  Venezianos  Stich 
(B.  298)  findet  sich  keine  Beziehung.  Aber  solche  Anlehnungen 
wollen  wenig  bedeuten,  ist  doch  die  gesamte  Konzeption  eine  neue 
und  originelle. 

Die  erhaltenen  Studien  zu  der  Darstellung  sind  in  neuerer 
Zeit  öfters ,  zuletzt  und  ausführlich  von  Berenson  und  Frey ,  be- 
sprochen worden.  Man  kann  in  ihnen  die  Herausgestaltung  der  Kom- 
position in  Windsor  einigermaassen  verfolgen. 

I.  Haarlem,  Teyler  Museum.  (Thode  267.  Ber.  1471.  Abb. 
V.  Marcuard  Taf.  XXI  a.)  Eine  Rötheiskizze,  die  v.  Marcuard 
mit  Recht  als  Entwurf  für  Phaeton  erkannte.  Nur  der  untere 
Theil  der  Komposition  ist  skizzirt,  und  zwar  in  einer  von  den 
folgenden  Zeichnungen  abweichenden  Weise.  Eridanos  liegt 
hier  rechts ,  links  stehen  die  drei  Heliaden  in  Bewegungen 
des  Schreckens  und  der  Klage.  Hinter  Eridanos  sind  noch 
zwei  Figuren  angedeutet  (was  Frey  entging):  die  eine  kauernd 
gebeugt,  die  andere  knieend,  erschreckt  nach  oben  schauend. 
Mit  ihnen  können  nur,  Ovid  entsprechend,  des  Gestürzten 
Mutter  Klymene  und  Kyknus,  noch  nicht  in  den  Schwan  ver- 
wandelt, gemeint  sein.  Vermuthlich  handelt  es  sich  hier, 
wie  auch  Frey  meint,  um  einen,  den  folgenden  vorangehenden 
Entwurf. 
IL  London,- British  Museum  1895— 9-15  — 517.  Malcolm,  Nr.  79. 
Kreide.     (Thode  363.     Ber.  1535.     Phot  Br.  71.     Abb.  zuerst 


360  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

in  Lawrence  Gall.  24,  dann  Galichon:  Gaz.  d.  b.  a.,  1874,  II, 
S.  201  ff.  Frey  57.)  In  der  Höhe  Zeus  auf  dem  Adler,  en 
face,  den  Blitz  nach  rechts  zu  herabschleudernd.  Darunter 
der  Wagen  (in  Form  eines  einfachen  zweirädrigen  Karrens), 
von  dem  Phaeton  nach  links  kopfüber  hinabstürzt,  indessen 
drei  der  Pferde,  in  radialer  Anordnung,  aus  einander  fahren, 
das  vierte  rechts  kopfüber  stürzt.  Unten  links  Eridanos,  auf 
seine  Urne  gestützt,  die  Linke  auf  dem  aufgestützten  linken 
Knie,  ruhig  nach  oben  schauend,  neben  ihm  rechts  zunächst 
Phaetusa,  deren  Beine  zum  Stamme  werden,  dann  Lampetie, 
gleichfalls  unten  schon  verwandelt,  die  Arme  ausstreckend, 
die  sich  in  Äste  verwandeln,  und  weiter  die  dritte  Schwester, 
ihr  (zu  Laub  werdendes)  Haar  fassend  —  die  beiden  ersten 
jammernd  empor-,  die  dritte  zur  Seite  schauend.  Zwischen 
Phaetusa  und  Lampetie  ist,  in  sehr  kleinen  Verhältnissen  — 
wie  er  auch  auf  dem  antiken  geschnittenen  Stein  erscheint  — 
der  Schwan  skizzirt.  War  links  von  Eridanos  noch  eine  kleine 
Figur  gegeben  —  etwa  der  Knabe,  den  wir  auf  Bernardis  einer 
Plakette  (s.  unten)  gewahren.?  Oder  war  ein  Baumstumpf  ge- 
meint.'' —  Die  Bezeichnung  unten  ist  sehr  verwischt  und 
wäre  ohne  die  Aufzeichnung  Mariettes  (Observ.  ']6)),  der  einst 
das  Blatt  besass,  schwerlich  mehr  zu  entziffern.  Mariette  las : 
ser  Tommaso  se  questo  schizzo  non  vi  place  ditelo  a  Urbino 
a  cio  ch'io  abbi  tempo  da  averne  facto  un  altro  ....  come 
vi  promessi  e  se  vi  place  e  vogliate  ch'io  lo  finisca.  Frey, 
dessen  im  Lesen  der  Michelangelo 'sehen  Handschrift  geübtem 
Auge  besonders  zu  vertrauen  ist:  er  (messer)  tomao  se  questo 
scizzo  non  vi  place,  ditelo  a  Urbino,  accio  che  io  abbi  tempo 
daverne  facto  un  altro  domandassera,  .  .  .  .  e  (come)  vi  pro- 
messi; e  se  vi  place  e  vogliate,  che  io  lo  finisca,  ditelo  (oder 
diretelo  T)  —  Ob  nun  Cavalieri  etwas  auszusetzen  hatte  oder 
der  Meister  selbst  empfand ,  dass  die  Komposition  der  Ge- 
schlossenheit ermangelte,  es  entstand  ein  neuer  Entwurf,  ver- 
muthlich,  wie  auch  Frey  annimmt,  der  folgende.  —  Ahnlich 
dem  untersten  Pferde  erscheint  neben  anderen  Studien  ein 
stürzendes  Pferd  auf  einer  Zeichnung  in  Oxford  (Nr.  20. 
Thode  404.  Ber.  1701),  die  sicher  nicht  von  Michelangelo 
ist  und  von  Berenson  dem  Raffaello  da  Montelupo  zuge- 
schrieben wird.  Hinter  dem  Pferde  sieht  man  ein  zweites 
und  einen  Wagenlenker,  sie  geisselnd,  angedeutet.  Berenson 
erkannte  die  Ähnlichkeit  und  vermuthete ,  es  könne  hier  die 
Kopie  einer  verlorenen  frühen  Studie  zum  Phaeton  vorliegen. 
Ich  möchte  eher  annehmen,  dass  die  Skizze  eine  blosse  Be- 
nutzung der  Komposition  Michelangelos  zeigt. 


Der  Sturz  des  Phaeton  36 1 


III.  Venedig,  Akademie  Nr.  180.  Thode  518.  Ber.  1601.  Abb. 
Frey  75.  Kreide.  Hier  stürzt  Phaeton  nicht  seitwärts,  sondern 
in  der  Mitte  zwischen  den  Pferden  herab ,  die ,  je  zwei  eine 
geschlossene  Gruppe  bildend,  alle  mit  dem  Kopf  nach  unten 
fallen.  Zeus  ist  ähnlich,  wie  in  II,  aber  ganz  en  face. 
Eridanos,  in  der  Mitte  unten  Hegend,  streckt,  erregten  Antheil 
nehmend,  die  Arme  empor  und  die  Heliaden,  eine  links,  zwei 
rechts,  sind  stärker  bewegt.  Berenson  sieht  sich  durch  diese 
Abweichungen  veranlasst,  das  Blatt  früher  als  das  Malcolm'sche 
anzusetzen.  Die  auch  hier  befindliche  Inschrift  liest  Frey ,  wie 
folgt :  lo  ritracto  el  meglio  che  o  saputo  io,  pero  vi  rimando 
il  vostro  perche  ne  son  {})  servo  vostro ,  che  lo  ritraga  un 
altra  volta.  Danach  erklärt  sich  Michelangelo  also  bereit, 
noch  ein  drittes  Mal  den  Vorwurf  zu  gestalten.  Dies  wäre 
dann  geschehen  in 
IV.  Windsor.  Thode  542.  Ber.  161 7.  Phot.  Br.  107.  Abb. 
v.  Marcuard :  Die  Zeichnungen  Mich,  in  Haarlem  zu  Taf.  XXI. 
Ber.  CXL.  Frey  58  und  öfters.  Kreide.  Die  Komposition, 
in  einem  hohen  spitzen  Dreieck  sich  aufbauend,  hat  hier  volle 
lineare  Geschlossenheit  erlangt.  In  der  Höhe,  in  starker  Be- 
wegung des  Oberkörpers  nach  hinten ,  Zeus  auf  dem  Adler 
den  Blitz  entsendend.  In  einer  geschlossenen  Gruppe  ver- 
bunden stürzen  Phaeton  und  vier  Pferde  alle  hinab ;  der  zwei- 
rädrige Wagen  darüber  ist  lang,  trogförmig  gebildet.  Links 
unten  die  mächtige,  wieder  ruhig  gelagerte  Gestalt  des  alten 
Eridanos,  der  den  rechten  Arm  hoch  auf  eine  Urne  legt,  hinter 
ihm  ein  Putto,  eine  Urne  tragend;  die  drei  nackten  Frauen 
in  jammernden  Gebärden  nach  oben  schauend,  zwischen  den 
zwei  rechts ,  grösser  gebildet ,  Kyknus  als  Schwan.  —  Eine 
Wiederholung  dieser  Zeichnung  im  Besitze  des  Herrn  Charles 
Newton  Robinson  (Thode  377  b)  hält  deren  Besitzer  für  das 
Original,  nach  welchem  diejenige  in  Windsor  kopirt  sei.  Da 
ich  das  Blatt  nicht  aus  eigener  Anschauung  kenne,  muss  ich 
mich  des  Urtheiles  enthalten.  Frey  hält  es  für  eine  Kopie. 
Drei  andere,  weniger  gute  Kopien,  findet  man  in  Paris  (791, 
792  und  829). 

Verfolgen  wir  die  Entwicklung,  die  sich  in  den  Studien  verräth, 
so  zeigen  sich  Veränderungen  —  von  Gruppirung  und  Einzelmotiven 
abgesehen  —  vornehmlich  in  dem  unteren  Theile  der  Komposition. 
Bezüglich  der  Darstellung  der  Heliaden  ergab  Ovids  Erzählung  zwei 
Möglichkeiten:  die  Wiedergabe  des  ersten  Momentes,  der  Klage 
der  Schwestern,  oder  jene  des  folgenden,  ihrer  Verwandlung,  mit 
welcher  die  Klage  zu  verbinden  war.  Einen  Augenblick  hat  der 
Meister,    im  Bestreben    möglichst    alle    Momente    der   Dichtung   zu 


362  Mythol.  und  allegor,  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

veranschaulichen ,  daran  gedacht ,  die  Verwandlung  darzustellen 
(Malcolm'sche  Zeichnung),  dann  gab  er  dies,  als  unkünstlerisch,  auf 
und  beschränkte  sich  auf  die  Klage.  Auch  in  der  Wiedergabe 
der  Klymene  (Haarlem)  zeigt  sich  Anfangs  sein  engeres  Festhalten 
an  Ovids  Schilderung,  bald  aber  hat  er  die  Figur  fallen  lassen; 
und  Kyknus,  den  er  ursprünglich  in  menschlicher  Gestalt  gedacht 
(Haarlem),  verwandelt  er,  durch  antike  Vorbilder  veranlasst,  in  den 
Schwan.  Der  Knabe  mit  der  Urne  in  Windsor  ist  eine  aus  dem 
Bedürfniss  von  Raumausfüllung  hervorgegangene  Zuthat. 

Der  Kupferstich  Beatrizets  nach  der  Zeichnung  in  Windsor 
(Dum.  31.  B.  38  in  gleichem  Sinne)  zeigt  eine  Landschaft  mit 
Meer  und  Bergen  hinzugefügt  und  ist  bez.:  Mich.  Ang.  inv  N.Beatrizet 
Lotar.  restituit.  —  Eine  Kopie  des  Stiches  im  Gegensinne  von 
Michele  Luchesi,  bez.  ML.  Egregius  Michelangelus  Bonarotus  autor, 
und  zwei  andere  anonyme. 

Zwei  Plaketten  von  Giovanni  Bernardi  zeigen  die  Verwerthung 
der  Michelangelo'schen  Komposition  und  zwar  sowohl  der  Mal- 
colm'schen,  wie  der  Windsorzeichnung.  i .  (Berlin :  Italienische  Bronzen 
Taf.  LXVIII,  12 19.  Molinier  327.)  Phaeton  in  der  Mitte  oben 
zwischen  den  Pferden ,  aber  in  anderer  Haltung  als  in  Venedig. 
Der  Flussgott  und  die  eine  der  sich  verwandelnden  Heliaden  nach 
Zeichnung  Malcolm,  drei  der  Pferde  (aber  in  anderer  Anordnung) 
nach  Zeichnung  in  Windsor.  2.  (Berlin  LXIX,  1220.)  Hier  alle 
drei  Heliaden,  der  Flussgott,  neben  dessen  Rücken  links  ein  Putto 
steht,  und  eines  der  Pferde  nach  der  Malcolmzeichnung,  zwei  andere 
Pferde  nach  der  Zeichnung  in  Windsor.  Auch  hier  der  Phaeton 
oberhalb  der  Pferde.  In  beiden  Plaketten  fehlt,  aus  Raumrück- 
sichten, Zeus.  —  In  fünf  anderen  Plaketten  (Berlin  LXIX,  12 16. 
XLI,  12 17.  XLI,  12 18.  XLI,  1222.  122 1),  knüpft  Bernardi  nicht 
an  Michelangelo ,  sondern  an  die  Antike  an.  Der  Bernardi'sche 
Krystall  wird  von  Hieron.  Stampa  ,,fra  le  gemme  del  MafFei" 
(Taf.  IV,  p.   151)  erwähnt. 

Freie  Verwerthung  des  Michelangelo'schen  Werkes  dürfte 
auch  sonst  noch  mehrfach,  vermuthlich  in  Stichen,  nachzuweisen 
sein.  Ich  erwähne  nur  das  der  Schule  Andrea  Sansovino's  an- 
gehörige  Relief  im  Berliner  Kaiser  Friedrich-Museum  (Abb.  in  ,, Be- 
schreibung der  Bildwerke  der  christlichen  Epoche"  in  den  k.  Museen 
Taf.  XII,  227). 

Wickhoff  erinnert  an  ein  Sonett  des  Künstlers  vom  Jahre  1530 
(Guasti  XXXIX.     Frey  XXXIU.     Thode  II,   177): 

Che  non  riporterä  dal  vivo  sole 
Altro  che  morte?  e  non  come  fenice. 
Ma  poco  giova:  ch&  chi  cader  vuole, 
Non  basta  l'altrui  man  pront'  e  vittrice. 


Das  Kinderbacchanal  363 


XI 
Das  Kinderbacchanal 

Auch  diese  Zeichnung  ist  nach  Vasari  von  Michelangelo  für 
Cavaheri  angefertigt  worden;  Frey  meint  Ende  1534,  jedenfalls  in 
jenen  Jahren. 

Sie  befindet  sich,  in  Röthel  ausgeführt,  in  Winds or  (Thode 
543.  Ber.  16 18.  Phot.  Grosvenor  Gallery  33.  Abb.  Symonds  11,  144). 
Auf  felsigem  Boden  sehen  wir  drei  Gruppen  von  nackten  Knaben 
vor  einem  hinten  ausgespannten  Vorhang.  Links  sind  sieben  kleine 
Burschen ,  um  einen  grossen  Kessel  versammelt ,  mit  Kochvor- 
bereitungen beschäftigt :  einer,  dem  ein  anderer  zuschaut,  bläst  das 
Feuer  an,  zwei  bringen  ein  Bündel  von  Holzscheiten  herangeschleppt, 
zwei  andere  rühren  im  heissen  Wasser  herum,  vor  dessen  Hitze 
sich  der  eine  mit  der  Hand  vor  dem  Kopf  schützt,  der  siebente 
scheint  im  Begriff,  ein  Ferkel  in  den  Kessel  zu  werfen.  Rechts 
weiter  hinten  die  zweite  Gruppe ,  gleichfalls  aus  sieben  Figuren 
bestehend,  befindet  sich  mehr  im  Hintergrund :  einer  füllt  aus  einem 
Fass,  in  das  zwei  hineingucken,  Wein  in  eine  Schale,  ein  vierter 
pissend  steht  daneben,  der  fünfte  —  in  ähnlich  kauernder  Stellung, 
wie  der  Satyr  bei  dem  restaurirten  Dionysos  der  Uffizien  —  hält  dem 
sechsten  eine  Schale  empor,  aus  der  Dieser  trinkt.  Ein  siebenter 
ist  dahinter  sichtbar.  Die  dritte  Gruppe,  weiter  vorne  in  der  Mitte, 
besteht  aus  sieben  Knaben,  die  mit  grosser  Anstrengung  einen  auf 
dem  Rücken  liegenden  Esel  dem  Kessel  links  zu  schleppen.  —  Vor 
der  felsigen  Erhöhung  sitzt  im  Vordergrunde  eine  alte  Paniske,  die 
wie  eine  Schwester  des  greisen  Weibes  auf  Mantegnas  „Kampf  der 
Tritonen"  wirkt,  und  an  deren  schlaffer  Brust  ein  Knabe  Nahrung 
sucht,  während  ein  anderer,  links  von  ihr  sitzend,  in  Schlaf  ge- 
sunken ist ,  rechts  ein  Mann ,  mit  vorgebeugtem  Oberkörper ,  die 
Arme  auf  einen  Stein  hinter  seinem  Rücken  gestützt ;  er  scheint  zu 
schlafen  oder  vom  Rausch  überwältigt  zu  sein,  und  ein  neben  ihm 
sitzender  Knabe  will  wohl  das  im  Rücken  ausgebreitete  Tuch  über 
ihn  ziehen,  indessen  zwei  andere  weiter  rechts  sich  neben  einander 
niedergelassen    haben,  der    eine    mit  einer  Schale   in   den  Händen. 

Eine  Kopie  nicht  aller,  aber  der  grösseren  Zahl  der  Figuren, 
eine  Federzeichnung,  von  Berenson  dem  Raffaello  da  Montelupo 
zugeschrieben,  befindet  sich  in  Oxford  (Nr.  52.  Ber.  17 16.  Abb. 
Fisher  I,  24). 

Als  Kopie  nach  nur  einer  Figur  des  Bacchanals,  nämlich  nach 
dem  pissenden  Knaben,  fasste  Berenson  eine  Federskizze  auf  einem 
Blatt  in  den  Uffizien  auf  (137,  621.  Thode  205.  Ber.  1641.  Phot. 
Br,  194.     Brogi  1785).     Ich  halte  die  Studie,  wie  auf  gleichem  Blatt 


364  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

die  andere  (von  Berenson  nicht  richtig  erkannte)  eines  gebückt 
schreitenden  Mannes,  der  einen  rittlings  auf  seinen  Schultern  sitzen- 
den Knaben  trägt,  für  acht.  Auch  die  folgende,  daneben  befindliche 
handschriftliche  Notiz  ist,  was  Berenson  übrigens  zugiebt,  von 
Michelangelo :  ,,Valle  lochus  chlausa  toto  michi  nullus  in  orbe.  Jo 
vi  pregho  che  voi  non  mi  facciate  disegnare  stasera  perche  e  non 
ce  el  perino  (einzelnes  abgekürzt).  Darunter:  domino  lodovigo 
de  lionardo  de  buonarrota  simoni.  Der  lateinische  Hexameter  ist 
offenbar  ein  Zitat  (nach  Petrarca?).  Der  Perino  dürfte  Niemand 
anderes  als  der  Liebling  des  Meisters :  Gherardo  Perini  sein ,  für 
den  er  nach  Vasaris  hier  bestätigter  Angabe,  wie  später  für  Cava- 
iieri,  gezeichnet  hat.  Die  Notiz  scheint  an  seinen  Vater  Lodovico 
gerichtet,  und  zwar  in  Florenz  selbst.  Darnach  wäre  die  Zeichnung 
etwa  in  das  Jahr  1522  zu  versetzen,  wenn  nicht  früher,  da  die 
Notiz  später,  in  den  freigebliebenen  Raum,  gesetzt  zu  sein  scheint. 
Eine  direkte  Beziehung  zum  Bacchanal  liegt  also  nicht  vor:  auch 
ist  die  Stellung  des  Knaben  eine  andere. 

Drei  alte  Stiche  nach  der  Zeichnung  sind  bekannt.  Der  eine 
ist  von  Beatrizet  (B.  40,  mit  Monogramm  und  Lotar.  f.,  sowie  Inv, 
Mich.  Ang.  Bonaroti  bezeichnet,  Kopie:  Ant.  Lafreri  formis  Romae 
1553)»  der  zweite  vom  Jahre  1546  von  Enea  Vico  (B.  48.  Inv, 
Mich.  Ang.  Bonaroti.  Aene.  Vic.  Parm.  incidebat  anno  MDXLVI), 
der  dritte  anonyme,  von  Lafreri   1553  veröffentlicht. 

Gewiss  weist  auch  diese  befremdliche  Komposition,  wie  schon 
Wickhoff  bemerkte ,  auf  Anregungen  seitens  der  Antike  hin ,  doch 
ergiebt  der  Vergleich  mit  Sarkophagreliefs ,  welche  Kinderspiele 
darstellen,  keine  direkten  Bezüge.  Nur  für  die  eine  Gruppe ,  die 
Vorbereitung  zum  Kochen  des  Ferkels,  Hesse  sich,  wie  ich  glaube, 
ein  freilich  ganz  frei  benutztes  Vorbild  anführen:  ein  Cameo  der 
Sammlung  Beverley  (Furtwängler :  die  antiken  Gemmen  L,  49), 
welcher  Bauern,  die  aber  leicht  als  Kinder  aufgefasst  werden  dürften, 
mit  dem  Kochen  eines  Schweines  bei  einem  Kessel  beschäftigt  zeigt. 
Auch  Hesse  sich  auf  Puttenszenen,  wie  Zoan  Andrea  sie  in  einem 
Stiche  (B.  14,  eine  Opferszene),  an  die  Antike  anknüpfend,  bringt, 
hinweisen.  Doch  trägt  das  Werk  einen  ausgeprägt  originellen 
Charakter  und  macht  die  wohl  nie  zu  befriedigende  Neugier  rege, 
welchem  Anlass  es  seine  Entstehung  verdankt.  Denn  unwillkürlich 
setzt  man  Gespräche  im  Freundeskreise  des  Meisters ,  etwa  bei 
abendlichem  Feste  (man  denke  an  den  Verkehr  mit  Luigi  del  Riccio) 
voraus,  die  den  Vorwurf  zu  dem  Bacchanal  gegeben  haben  könnten 
und  die ,  wären  sie  uns  bekannt ,  vielleicht  auch  den  in  die  Aus- 
gelassenheit hinein  dringenden  ernsten ,  ja  schmerzlichen  in  der 
alten  Paniske  erkHngenden  Ton  erklären  würden.  Der  Kontrast 
zwischen    der    abgezehrten  Greisin  und   dem    tollen  jungen  Leben, 


Die  Bogenschützen  365 


in  dem  ein  Nachklang  der  Puttenspiele  an  der  Sixtinischen  Decke 
zu  vernehmen  ist ,  erhebt  die  Darstellung  dem  Gehalt  nach  in  ein 
höheres  Gedankenbereich. 

XII 

Die  Bogenschützen 

Ob  auch  die  „Saettatori",  wie  Vasari  sie  nennt,  für  Cavalieri  an- 
gefertigt wurden,  wissen  wir  nicht.  Man  hat  es  angenommen.  Jeden- 
falls gehört  die  herrliche  Rötheizeichnung,  die  in  Wind  so  r 
aufbewahrt  wird  (Thode  538.  Ber.  161 3.  Abb.  Ber.  Taf.  CXXXIX. 
Symonds  I,  298.  Phot.  Br,  in),  der  Behandlung  nach  in  diese 
Zeit.  Das  auf  der  Rückseite  verzeichnete  Datum  1530,  12.  April 
sagt  nichts  Bestimmtes   über   die   genaue  Zeit  der  Entstehung  aus. 

Dargestellt  ist  eine  Gruppe  von  sechs  jugendUchen  nackten 
Gestalten,  die  in  lebhafter  Bewegung  nach  rechts,  theils  laufend, 
theils  in  der  Luft  schwebend,  Pfeile  abschiessen  oder  abgeschossen 
haben  (von  Bögen,  die  der  Künstler  nicht  ausgeführt  hat),  und  von 
drei  anderen,  vor  ihnen  befindlichen,  von  denen  der  eine  kniet, 
die  beiden  anderen  auf  den  Boden  gefallen  sind.  Das  Ziel  ist  eine 
Herme:  der  aus  einem  Pfeiler  erwachsende  Oberkörper  eines  schönen, 
ernsten  Jünglings,  der  über  der  rechten  Schulter  ein  chlamysartiges 
Gewandstück  trägt  und  vor  dem  Angriff  durch  einen  ovalen  Schild 
geschützt  ist.  In  diesen  sind  einige  Pfeile  eingedrungen,  ein  ver- 
einzelter ist,  wie  es  scheint,  in  den  Bauch  des  Jünglings  gefahren. 
Im  Vordergrund  links  von  der  Herme  liegt  der  geflügelte  Amor 
schlafend  den  Kopf  auf  ein  Kissen  gelegt,  im  Schoosse  den  Bogen, 
vor  sich  den  Köcher  mit  Pfeilen.  Ganz  links  unter  dem  letzten 
Bogenschützen  knieen  zwei  flügellose  Kinder:  das  vordere,  vor- 
gebeugt über  ein  Bündel  Holz,  bläst  eine  Flamme  über  Pfeilen 
an,  das  hintere,  auch  ein  Bündel  oder  einen  Blasebalg  in  dem 
Arme,  scheint  ihm  zu  helfen.  Vor  der  Flamme  vorn  steht  eine 
antikische  Schale.  Zwei  andere  Knaben  mengen  sich ,  der  eine 
oben,  der  andere  in  der  Mitte,  in  die  Schaar  der  Schützen.  Deren 
Zuge  folgt  links  oben  ein  Alter  mit  satyrhaften  Zügen,  der,  von 
einem  Gewand  umweht,  im  Begriff  ist,  einen  Bogen  zu  spannen. 
Die  nackten  Bogenschützen  sind  nicht  alle  männlich,  die  hinterste 
schwebende  Gestalt  in  dem  Zuge  ist  deutlich  durch  die  Haartracht 
und  Brust  als  Frau  gekennzeichnet,  und  auch  bezüglich  der  Figur 
im  Hintergrund  oben  ganz  rechts  könnte  man  im  Zweifel  sein,  ob 
sie  nicht  weiblich  gedacht  ist. 

Das  Blatt  ist  oben  und  rechts  am  Rande  etwas  beschnitten, 
so  dass  man  einerseits  das  Ende  des  Bogens ,  welchen  der  Alte 
hält,  sowie  den  obern  Theil  des  Schädels  der  Herme  und  andrer- 


366  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

seits  den  Hinterkopf  und  Rücken  der  Herme  nicht  sieht.  Eine 
alte  Kopie  der  Zeichnung,  gleichfalls  in  Windsor  (Phot.  Br.  124), 
belehrt  uns  darüber ,  dass  der  Kopf  der  Herme  mit  einem  ver- 
schlungenen, im  Nacken  herabfallenden  Tuch  umwunden  ist,  und 
dass  sie  keine  Arme  hat.  Ebenso  eine  zweite  im  Staedel'schen 
Institut  zu  Frankfurt  am  Main  (Nr.  3979).  Vielleicht  haben  wir  in 
solchen  getreuen  Nachbildungen  Arbeiten  des  Bernardino  Cesari,  des 
Bruders  des  Cavaliere,  von  dem  Baglione  erzählt,  dass  er  Hand- 
zeichnungen Michelangelos,  die  Cavalieri  besass,  kopirt  hat,  zu  sehen. 

Eine  dritte  Kopie,  eine  flüchtige  und  roh  lavirte  Zeichnung, 
jetzt  in  der  Brera  (Phot.  Montabone  3C0  als  Kopie  nach  Raphael, 
Br.  2),  zeigt  an  Stelle  des  Tuches  eine  Binde  und  an  Stelle  der 
Chlamys  ein  um  die  Hüften  genommenes  Schurzfell,  auch  ist  der 
Schild  grösser  und  fehlt  der  Pfeil  im  Bauch.  Die  Darstellung  sollte 
offenbar  dezenter  gemacht  werden.  In  den  Händen  der  Schützen 
sind  kleine  Bogenstümpfe  angedeutet. 

Eine  vierte  Kopie  (im  Gegensinne)  ist  das  kleine  Bild  in  der 
Villa  Borghese,  das  mit  zwei  anderen  (Roxanes  Hochzeit)  aus  der 
sogenannten  Villa  Raphaels,  später  Villa  Olgiati,  stammt  und  von 
einem  Schüler  Raphaels  gemalt  ist.  Hier  sehen  wir  einige  geringe 
Veränderungen:  weggelassen  ist  das  in  der  Luft  schwebende  Bein 
der  Figur  ganz  rechts  im  Hintergrund ,  die  Entfernung  zwischen 
den  Bogenschützen  und  dem  Ziel  ist  grösser ,  es  fehlt  der  Pfeil 
im  Bauch  der  Herme,  und  deren  vom  Tuch  umhüUter  Kopf  macht, 
obgleich  der  Körper  männlich ,  einen  weiblichen  Eindruck.  Die 
Schützen  haben  hier  alle  Bogen  in  der  Hand. 

Zu  ervvähnen  ist  ferner  der  Stich  von  Beatrizet  (P.  116;  im 
Gegensinne),  bez.  Mich.  Ang.  Bonaroti  inv.;  Ant.  Lafrerii  Romae. 
Späterer  Abdruck:  Petri  de  Nobilibus  formis  a  Paulo  Gratiano  quesita. 

Kopien  einzelner  Figuren  finden  sich  in  zwei  Zeichnungen  des 
Louvre  (811  und  818),  Der  Jüngling  in  der  Mitte  vorne  ist  von 
Battista  Franco  in  seiner  Schlacht  von  Montemurlo  (Palazzo  Pitti) 
unmittelbar  unter  dem  Göttermahl    links  oben   angebracht  worden. 

Schliesslich  möchte  ich  auf  die  grosse  Ähnlichkeit  hinweisen, 
welche  der  Kopf  eines  Knaben  mit  einer  Binde  im  Haar  auf  einer 
schon  oben  (S.  336)  besprochenen  Zeichnung  im  Staedel'schen 
Institut  zu  Frankfurt  am  Main  (Nr.  392.  Thode  247.  Abb.  Hand- 
zeichn.  der  Albertina  Nr.  219)  mit  dem  Knaben  oben  in  der  Mitte 
des  Hintergrundes  hat. 

Die  einzige  Deutung  dieser  wundervollen  Komposition,  welche 
bald  als:  die  Bogenschützen  (nach  Vasari:  i  saettatori,  gli  arcieri), 
bald  als:  das  Götterschiessen,  il  bersaglio  dei  Dei,  bald  als  ,,le  but" 
bezeichnet  wird,  aus  einer  litterarischen  Quelle  ward  bisher  von 
Alexander  Conze  gegeben  (Jahrb.  f.  Kunstw.   1868,  I,  359).     Dieser 


Die  Bogenschützen  367 


meinte,  es  handle  sich  um  eine  bildliche  Veranschaulichung  einer 
Stelle  in  Lucians  Nigrinus  (c.  36).  Sie  lautet  in  Theodor  Fischers 
Übersetzung:  „Ist  es  auch  mir  schon  gestattet,  mich  über  die 
Reden  der  Philosophen  zu  äussern,  so  ist  meine  Ansicht  hierüber 
folgende.  Mir  scheint  die  Seele  eines  wohlgearteten  Mannes  einem 
weichen  Ziele  vergleichbar.  Im  Leben  giebt  es  nun  viele  Bogen- 
schützen ,  deren  Köcher  mit  verschiedenartigen ,  mannigfaltigen 
Reden  gefüllt  sind,  jedoch  schiessen  nicht  alle  geschickt,  sondern 
ein  Theil  spannt  die  Sehne  zu  stark  an  und  schiesst  mit  über- 
triebener Vehemenz.  Zwar  halten  sie  die  Richtung  ein,  doch 
bleiben  ihre  Pfeile  nicht  im  Ziele,  sondern  sie  fahren  vermöge 
ihrer  kräftigen  Bewegung  durch  und  lassen  uns  eine  klaffende 
Wunde  in  der  Seele  zurück.  Andere  dagegen  machen  es  um- 
gekehrt, vor  Schwäche  und  Mattigkeit  gelangen  ihre  Pfeile  nicht 
einmal  bis  zum  Ziele,  sondern  fallen  oft  kraftlos  mitten  auf  dem 
Wege  zur  Erde ;  kommen  sie  aber  auch  mitunter  bis  dahin ,  so 
berühren  sie  nur  streifend  die  Oberfläche  und  machen  keine  tiefe 
Wunde,  denn  sie  wurden  von  keiner  starken  Kraft  entsendet.  Wer 
aber  ein  guter  Schütz  ist  und  diesem  gleicht,  der  wird  zuerst  das 
Ziel  betrachten,  ob  es  nicht  sehr  weich,  ob  es  nicht  für  den  Pfeil 
zu  fest  ist,  denn  es  giebt  auch  unverwundbare  Ziele.  Wann  er 
sich  hiervon  unterrichtet  hat,  dann  bestreicht  er  den  Pfeil  weder 
mit  einem  Gift,  wie  die  Skythen,  noch  mit  dem  Safte  des  wilden 
Feigenbaumes,  wie  die  Kureten,  sondern  mit  einem  sanft  ätzenden, 
lieblichen  Balsam,  und  entsendet  ihn  kunstgemäss.  Nun  fliegt  er 
in  angespannter  Schnelle,  verwundet  ohne  durchzufahren,  bleibt 
fest  und  verbreitet  viel  von  dem  Balsam,  der,  sich  vertheilend,  die 
ganze  Seele  umströmt.  Desshalb,  wenn  nun  der  Balsam  die  Seele 
allmählich  umläuft,  freuen  sie  sich  und  weinen  während  des  Zu- 
hörens,  wie  es  auch  mir  erging,  so  dass  ich  ihm  gerne  den  Vers 
zugerufen  hätte:  ,triff  nur  so  fort,  vielleicht  dass  du  werdest  den 
Freunden  ein  Lichtstrahl'." 

Beglaubigt  schien  diese  Deutung  zu  werden  durch  eine  Be- 
merkung Wickhoffs  (Mitth.  des  Inst.  f.  öst.  Geschichtsf  II,  S.  435). 
Dieser  fand  auf  einer  Medaille  des  Kardinals  Alessandro  Farnese 
von  1559  (Litta,  Fam.  cel.,  Medaglie  Farnesiane  Taf.  II,  9)  die  Herme 
mit  dem  Schild  nach  IMichelangelos  Zeichnung  und  die  Legende : 
BAAA  OYTQZ,  also  die  Anfangsworte  jener  von  Lucian  zitirten 
Stelle  aus  Homers  lUas :  ,, Triff  nun  so"  (VUI,  282).  Schon  zur 
Zeit  des  Künstlers  betrachtete  man  also  die  ,, Bogenschützen"  als 
eine  Illustration  jener  Stelle  im  Nigrinus. 

Das  klingt  allerdings  überzeugend,  und  doch  macht  ein  näherer 
Vergleich  der  Komposition  mit  jener  Schilderung  sehr  bedenklich, 
die  Conze'sche  Deutung  anzunehmen.     Er  selbst  wies  schon  darauf 


368  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

hin,  dass  sich  der  schlafende  Amor  freilich  nicht  aus  dem  Gleich- 
niss  erklären  lasse.  Aber  nicht  nur  dieser ,  auch  die  anderen 
Putten  und  die  bogenschiessende  Frau  bleiben  unverständlich. 

Ich  habe  eine  andere  Deutung  zu  bringen,  welche  diesen  nicht 
zu  umgehenden  wichtigen  Bestandtheilen  der  Darstellung,  in  Sonder- 
heit auch  der  Herme,  gerecht  wird. 

Des  Cristoforo  Landino  Disputationes  Camaldulenses  beginnen 
mit  folgenden,  auf  das  zu  behandelnde  Thema:  „de  summo  bono" 
hindeutenden  Worten: 

„Ex  Omnibus  studiis  Illustrisissime  federice  quibus  quidam  variis 
ac  penitus  inter  se  diversis  humanum  genus  exercetur,  id  in  primis 
cum  omnium,  in  quibus  vel  mediocris  prudentia  elucet,  consensu 
approbatur  tum  sapientissimorum  virorum  judicio  veluti  optimum 
praefertur,  in  quo  finem  illum  omnium  rerum  ultimum,  quod 
graeci  Telos  nuncupant,  investigamus.  Ad  quem  veluti  ad 
extremam  curriculi  metam  devenientibus  nobis  in  tuto  tranquilloque 
acquiescere  liceat.  Qui  quidem  nisi  certus  ac  praefinitus  a  summo 
deo  nobis  propositus  sit ,  quid  jam  humana  conditione  miserius 
excogitare  possim,  non  reperio.  Nam  si  cunctis  aliis  in  rebus  sive 
animatae  illae  sint,  sive  anima  careant,  ultimum  aliquid  atque 
postremum  natura  constituit:  quo  cum  pervenerint  beatae  jure 
dicantur ,  non  ne  iniquissime  nobiscum  actum  esse  putemus ,  si 
solus  is  homo  sit,  quem  quo  gravissimos  ac  pene  infinitos  labores 
suos,  quo  omnes  cogitationes,  quo  denique  universae  vitae  cursum 
dirigat,  nusquam  inveniat.  Sed  profecto  sicuti  sagittariis 
suum  Signum  procul  expositum  est,  quo  sagittas 
collineent  atque  dirigant:  sie  homini  hoc,  quod  dixi 
ultimum  ab  eaquae  nulla  unquam  in  re  deficit  natura, 
propositum  est.  Quod  si  negligat,  miser  semper  futurus  sit  homo. 
Sin  autem  omnes  vivendi  rationes  illhuc  tendant,  summam  simus 
beatitudinem  consecuturi.  Quam  ob  rem  quid  nobis  stultius 
fingi  potest?  qui  in  rebus  nihil  profuturis  ac  potius 
persaepe  nocituris  tam  assiduas  vigilias  conteramus, 
tarn  intollerabiles  labores  perferamus,  tam  manifesta 
in  pericula  irruamus.  Earum  autem  rerum,  quibus 
solis  et  adversus  varios  fortunae  impetus  armari  pos- 
simus  et  quid  inter  illud  vanum  adumbr  atum  que  et 
hoc  solidum  atque  expressum  et  vere  bonum  intersit 
cognoscimus,    ne    minimam    quidem    curam    ponamus." 

Einem  fernen  Ziel,  auf  das  die  Bogenschützen  ihre  Pfeile  richten, 
wird  hier  das  wahre,  von  den  Menschen  zu  erstrebende  höchste  Gut, 
das  Glück,  verglichen  und  die  Thorheit  Derer  gegeisselt,  die  sich, 
statt  um  dieses,  um  das  ihnen  Schaden  Bringende  bemühen.  Sollte 
nicht   in    diesem   Gleichniss    der   Ausgangspunkt   Michelangelos    zu 


Die  Bogenschützen  369 


finden  sein?  Dies  anzunehmen,  wäre  jedenfalls  naheliegend,  da  es 
von  Einem  aus  dem  Kreise  Lorenzo  Medicis  und  aus  einer  be- 
rühmten Schrift  stammt.  Doch  erscheint  jener  Ausspruch  Landinis 
zu  unbestimmt ,  als  dass  man  aus  ihm  die  Komposition  erklären 
könnte,  sind  auch  in  den  folgenden  Gesprächen  die  Definitionen 
über  das  wahre  Glück  und  die  falschen  Güter  gegeben. 

Nun  hat  aber  ein  anderer  Schriftsteller  jenes  Gleichniss  —  wie 
auch  Vieles  sonst  in  seinen  Darlegungen  —  aus  den  ,,Disputationes" 
übernommen:  Mario  Equicola  in  seinem  ,,Libro  di  natura  d'amore", 
dessen  IL  Auflage  vom  Jahre  1531  (Vinegia,  Bindoni)  mir  zur  Ver- 
fügung steht.  In  dem  VI.  und  letzten  Buch  handelt  Equicola  von 
dem  ,,fine  d'amore",  dem  Ziel  der  Liebe.  Den  irdischen  Begierden, 
deren  Ziel  die  Wollust  der  Sinne  ist,  stellt  er  die  himmlische  Liebe 
gegenüber,  die  nur  in  Gott,  als  dem  höchsten  Ziel  ihre  Befriedigung, 
d.  h.  das  wahre  Glück  findet.  ,,Pervenire  all'  amor  divino,  del  quäl 
termine  et  meta  e  beatitudine  stato  perfettissimo  et  ultima  per- 
fettione  dell'  uomo"  (S.  196  v.).  Im  Beginne  des  Kapitels  spricht 
er  von  den  verschiedenen  ,,t ermini"  menschlichen  Wollens: 
,,nondimeno  confessano  uno  solo  esser  nella  mente  estremo  et  ultimo 
de  beni  ne  piu  oltre  puo  vagare  l'human  desio.  Questo  secondo 
la  opinione  de'  Philosophanti  deve  esser  tale,  che  a  quello  (come 
li  Sagittarii  al  preposto  segno)  debbiamo  drizzar  nostro 
conseglio ,  applicar  nostro  intento ,  tutte  attioni  con  indissolubile 
unione  far  concorrere"  (S.  196). 

Das  Büchlein  ward  viel  gelesen,  sicher  hat  es  auch  Michelangelo 
und  seinen  Freundeskreis  beschäftigt,  und  es  wird  diese  Stelle  gewesen 
sein,  die,  indem  sie  seinem  Geiste  ein  ihn  so  dauernd  beschäftigendes 
Problem  in  neuer  Form  zuführte,  zugleich  seine  Phantasie  zu  bild- 
nerischer Gestaltung  anregte.  Die  von  Begierden  getriebenen 
Menschen  als  Bogenschützen  —  welch'  ein  Motiv!  Nicht 
als  Illustrator  —  was  bei  der  Unbestimmtheit  der  Durchführung  des 
Gleichnisses  auch  nicht  möglich  gewesen  — ,  sondern,  wie  immer, 
als  Schöpfer  fasste  er  das  ihm  gegebene  Bild  auf.  Von  selbst 
gleichsam  gestaltet  sich  der  Terminus,  das  höchste  Gut,  als  Herme 
von  edler  Gestalt,  die  Verdeutlichung  der  irdischen  Leidenschaften 
wird  in  den  flügellosen  Cupidines ,  den  Begierden ,  die  Feuer  ent- 
flammen und  Pfeile  rüsten,  und  auch  in  der  Satyrmaske  des  Alten 
gewonnen.  Die  Menschheit  wird  dargestellt:  nicht  Männer  allein, 
sondern  auch  Frauen  gewahren  wir.  Und  der  geflügelte  Eros,  die 
himmlische  Liebe,  ,,mit  deren  Flügeln  man  zur  Betrachtung  der 
himmlischen  Dinge  auffliegt"  (Equicola  S.  40),  ist  in  Schlaf  ver- 
sunken. —  Nur  in  Einem  bleibt  die  Allegorie  unklar,  hinkt  gleich- 
sam ihre  bildnerische  Veranschaulichung.  Die  Herme  bedeutet  das 
Endziel,  das  wahre  Glück  —  und  doch  sind  die  Pfeile  der  auf 
%*  24 


370  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

falsches  Glück  zielenden  Schützen  auf  sie  gerichtet?  Der  Ausweg, 
den  der  Künstler  aus  dem  Dilemma  suchte,  war  ein  seltsamer. 
Er  deutet  durch  den  Schild,  der  die  edlen  Theile  der  Figur,  Brust 
und  Kopf,  deckt,  an,  dass  das  höchste  Gute  der  sinnlichen  Begierde 
unerreichbar  ist ;  nur  in  die  unedlen  Weichtheile  des  Bauches  dringt 
ein  Pfeil.  Nur  sinnliche  Wollust ,  nicht  wahres  Glück  gewinnt  der 
vom  flügellosen  Amor  Getriebene ! 

Könnte  mir  noch  ein  Zweifel  an  der  Richtigkeit  dieser  Er- 
klärung geblieben  sein,  so  würde  er  mir  durch  die  überraschende 
Thatsache  genommen  werden,  dass  Symonds,  der  jene  litterarischen 
Quellen  der  Darstellung  nicht  kannte,  bloss  aus  deren  Betrachtung 
auf  die  ganz  gleiche  Deutung  geführt  wurde.  Er  sagt,  wie  übrigens 
ähnlich  in  Kürze  auch  Passerini  (Bibliografia  di  M.,  S.  165):  the 
allegory  seems  to  imply,  that  happiness  is  not  to  be  attained  as 
human  beings  mostly  strife  to  seize  it ,  by  the  fierce  force  of  the 
carnal  passions.  It  is  the  contrast  between  celestial  love  asleep  in 
lustful  souls,  and  vulgär  love  inflaming  tyrannous  appetites.  Und 
er  zitirt  die  letzte  Strophe  aus  dem  Sonett  Michelangelos :  ,,Non  e 
sempre  di  colpa  aspra  e  mortale"  (Guasti  LIII.  Frey  LXXXXI. 
Thodell,  261): 

L'un  tira  al  cielo,  e  l'altro  in  terra  tira; 

Neil'  alma  l'un,  l'altro  abita  ne'  sensi. 

E  l'arco  tira  a  cose  basse  e  vile. 

Wie  aber  ist,  so  wird  man  fragen,  mit  dem  Allen  jenes  auf 
Lucian  weisende  Wort  an  der  Medaille  des  Alessandro  Farnese  in 
Einklang  zu  bringen .?  Ich  meine :  einfach  aus  einer  thatsächlichen, 
irrthümlichen  Beziehung  der  Michelangelo'schen  Komposition  auf 
die  Stelle  im  Nigrinus  durch  irgend  einen  nicht  unterrichteten  Er- 
klärer. Oder  man  nehme  an,  was  vielleicht  gesucht  erscheint,  aber 
doch  sehr  natürlich  wäre  und  mir  wahrscheinlich  ist :  das  Homerische 
Wort:  ,, triff  so"  ist  auf  die  Michelangelo'sche  Darstellung  ange- 
wandt worden,  in  dem  Sinne:  ,, richte  dein  Trachten  auf  das  höchste 
Gut."  Dies  passt  doch  noch  besser  auf  den  Revers  der  Medaille 
des  Kardinals,  als  ein  ,, triff  so"  in  dem  Sinne :  ,, triff  mit  dem  rechten 
Wort  die  Seele  des  Menschen",  obgleich  auch  dies  denkbar  wäre.  — 

Dass  die  nun  sicher  gefundene  Deutung  der  Bogenschützen  in 
hohem  Grade  dafür  spricht,  dass  auch  diese  Zeichnung  für  Cavalieri 
bestimmt  war,  wird  Keinem  entgehen. 

XIII 

Die  Herkulesthaten 

Die  herrliche  Rötheizeichnung  mit  drei  Herkulesthaten 
in  Windsor  (Thode  536.     Ber.   161 1.     Phot.  Br.   108.     Abb.  Ber. 


Die  Herkulesthaten  ^yj 


pl.  CXXXVni.  Frey  7)  wird  weder  von  Vasari,  noch  einem  anderen 
älteren  Schriftsteller  erwähnt.  Sie  gehört  ohne  Zweifel  in  die  Zeit 
der  für  Cavalieri  angefertigten  Blätter. 

Links  sehen  wir  den  jugendlichen,  bartlosen  Herkules,  wie  er, 
von  einem  Löwenfell  umweht,  dem  zwischen  seine  Beine  geklemmten 
Löwen  den  Rachen  aufreisst.  Darüber  liest  man:  ,,questo  e  el  se- 
condo  leone  che  Ercole  ammazzo".  In  der  Mitte  ist  er  dargestellt, 
wie  er  stehend  den  in  die  Höhe  gehobenen  und  mit  abwärts  ge- 
senktem Oberleibe  an  die  Brust  gedrückten  Antäus  mit  seinen 
Armen,  die  er  um  die  Brust  des  Gegners  geschlungen  hat,  er- 
drückt. Rechts  kniet  er,  diesmal  bärtig,  nach  rechts  gewandt,  mit 
dem  rechten  Beine  auf  dem  nach  hinten  gewendeten  Drachenleibe 
der  Hydra,  deren  einen,  zu  ihm  züngelnden  Schlangenhals  er,  den 
Kopf  nach  links  wendend ,  mit  der  Rechten  erfasst ,  indem  er  mit 
der  Linken  die  (nur  angedeutete)  Keule,  die  in  den  antiken  Dar- 
stellungen typisch  ist,  oder  den  Feuerbrand  schwingt.  Das  1er- 
näische  Ungethüm  ist  gewaltig  gebildet,  wie  Polypenarme  lösen  die 
Schlangenleiber  sich  von  dem  Körper :  der  eine  Kopf  beisst  in  den 
Schenkel  des  Helden,  ein  anderer  strebt  seiner  linken  Achselhöhle 
zu ,  zwei  andere  sieht  man  den  Kopf  bedrohen ,  nur  einer ,  schon 
getödtet,  hängt  herab. 

Wickhoff  betonte,  dass  die  Darstellungen  von  formellen  Re- 
miniszenzen an  die  Antike  frei  seien.  Diese  Behauptung  schränkte 
Frey  ein,  insofern  er,  und,  wie  ich  meine,  mit  Recht  in  dem  Kampf 
mit  der  Hydra  den  Einfluss  des  Laokoon  erkannte  (das  Motiv,  die 
Körperwendung,  sowie  die  Haltung  des  rechten  Beines  und  Armes) 
und    durch    die  Formenbehandlung   an  die  Antike  gemahnt  wurde. 

Dem  habe  ich  noch  Einiges  hinzuzufügen.  Nicht  an  antike 
Skulpturen,  wohl  aber  an  die  seit  dem  Mittelalter  traditionelle  Ge- 
staltung des  Simson  (ich  erinnere  nur  an  ein  bekanntes  Beispiel: 
Dürers  früher  Holzschnitt,  B.  2)  knüpft  der  Meister  in  seinem 
,, Kampf  mit  dem  Löwen"  an,  und  zwar,  wie  ich  glaube,  direkt  an 
eine  Komposition  Mantegnas,  die  Giovanni  Antonio  da  Brescia  ge- 
stochen hat  (B.  II).  Die  Stellung  und  die  Anordnung  des  flattern- 
den Gewandes  ist  fast  identisch  —  nur  ist  Herkules  bei  Man- 
tegna  bärtig  und  älter. 

Das  gleiche  Motiv,  „Ercole  che  sbarrava  la  bocca  al  leone" 
hatte  übrigens  1528  in  Florenz  Benvenuto  Cellini  in  einer  goldnen 
Medaille,  die  am  Barett  zu  tragen  war,  für  den  Sienesen  Girolamo 
Marretti  gemacht,  und  Michelangelo  sah  diese  Arbeit  (Vita,  lib.  I, 
XLI  oder  I,  cap.  VIII).  Im  Trattato  dell'  Oreficeria  (cap.  IX)  erzählt 
Cellini:  , .unser  grosser  Michelangelo  kam  sogar  in  meine  Werkstatt, 
um  sie  zu  sehen,  und  als  er  sie  ehie  Weile  betrachtet,  sagte  er, 
um  mich  zu  ermuthigen :  ,wäre  dieses  Werk  gross  in  Marmor  oder 

24* 


^72  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Bronze  in  dieser  so  schönen  Zeichnung  ausgeführt,  würde  es  die 
Welt  staunen  machen ;  doch  auch  in  dieser  Grösse  ist  es  so  schön, 
dass  ich  nicht  glaube,  die  antiken  Goldschmiede  hätten  jemals 
Etwas  so  gut  ausgeführt,'  Diese  Worte  blieben  mir  im  Gedächt- 
niss  haften  und  ermuthigten  mich  ungemein,  aber  nicht  so  sehr  für 
kleine  Arbeiten,  als  indem  sie  mir  vielmehr  den  Wunsch  erweckten, 
grosse  zu  machen:  denn  die  Worte,  die  jener  wunderbare  Mann 
zu  sagen  beliebte,  hatten  den  Sinn,  dass,  hätte  ich  jene  beiden 
Figuren  gross  ausführen  wollen,  sie  mir  bei  Weitem  nicht  in  solcher 
Güte  gelungen  wären,  wie  sie  in  den  kleinen  sich  zeigte;  indem 
er  mich  einerseits  ausserordentlich  lobte,  gab  er  mir  andrerseits 
zu  verstehen,  dass  Einer,  der  so  vorzüglich  kleine  Dinge  mache, 
niemals  in  gleicher  Weise  sich  auf  grosse  verstehen  würde.  Und 
ich  bildete  mir  nicht  etwa  bloss  ein,  dass  er  diesen  Gedanken  ge- 
habt, sondern  erfuhr,  dass  er  selbst  es  einem  Anderen  gesagt,  und 
diese  seine  Worte  entflammten  meinen  Willen,  tausendmal  mehr 
zu  lernen,  als  ich  damals  konnte."  — 

Die  Inschrift  über  dem  Löwenkampf  lesend,  fragt  Frey,  der  in 
den  Kämpfen,  namentlich  in  dem  mit  der  Hydra,  eine  Anspielung 
auf  des  Künstlers  eigene  Leidensei  fahrungen  sieht,  ,,wer  war  als- 
dann der  ,primo  leone',  den  Michelangelo  -  Herkules  zerrissen.^" 
Gewiss  dürfen  wir  bei  dem  Helden  an  den  Künstler  denken  — 
ob  er  selbst  es  aber  gethan,  bleibt  mir  doch  sehr  zweifelhaft.  Jene 
Aufzeichnung  möchte  ich  mir  so  erklären.  Michelangelo  hat  dem 
Herkules  das  Löwenfell  umgegeben.  Er  selbst  mag  die  Prolepsis 
erst  nachträglich  bemerkt  haben  oder  von  einem  Freund  darauf 
aufmerksam  gemacht  worden  sein.  Und  nun  schreibt  er,  scherz- 
haft sich  rechtfertigend,  hin:  „dies  ist  ja  (nicht  der  erste,  sondern) 
der  zweite  Löwe,  den  Herkules  erschlug",  so  Dessen  Thaten  um 
eine  weitere  bereichernd. 

Was  die  Gruppe  mit  dem  Antäus  anbetrifft,  möchte  ich  glauben, 
dass  in  ihr  das  antike  Motiv  des  den  Löwen  an  sich  drückenden 
und  erdrosselnden  Herkules  verwerthet  ward.  Die  Stellung  des 
Herkules  und  das  Umfassen  des  Löwen  in  geschnittenen  Steinen 
(z.  B.  Furtwängler:  die  antiken  Gemmen  XV,  75;  XVII,  56  und  57; 
XXI,  20;  LXIII,  23)  und  in  Reliefs  (Robert:  Sarkophagreliefs  III, 
XXXin,  120;  XXXIX,  129)  stimmt  sehr  überein.  Und  dass  gerade 
diese  antike  Darstellung  der  Renaissance  lieb  war,  beweisen  Pla- 
ketten. (Berlin:  Die  italienischen  Bronzen  Taf  XL,  538.  539. 
LH,  767.  768.  766.)  Es  handelt  sich  also  um  eine  interessante 
Übertragung  des  Löwenkampfmotives  auf  die  Antäusgruppe. 

Am  Originellsten  erweist  sich  Michelangelo  in  der  lernäischen 
Hydra.  Welch'  ein  Riesenungeheuer  ist  aus  dem  schlangenartigen 
Thier  der  Antike,  das,  wie  die  Versucherin  im  Paradiese,  häufig  mit 


Der  Atlas  mit  der  Himmelskugel  373 

weiblichem  Kopf  versehen  ist  und  sich  um  das  Bein  des  Herkules 
schlingt,  geworden !  Man  vergleiche  den  Mantegna  zugeschriebenen 
Stich  (B.  15)  und  einen  Stich  des  Giov.  Ant.  da  Brescia  in  der 
Albertina  (non  ment.),  welche  eine  um  den  Arm  des  Helden  sich 
windende  Schlange  zeigen,  um  sich  von  der  Kühnheit  der  Konzep- 
tion zu  überzeugen. 

Von  einer  anderen  Herkuleszeichnung,  die  Michelangelo  an- 
gefertigt, vernehmen  wir  durch  Armenini:  „De'  veri  precetti  della 
Pittura"  (Ravenna  1587.  p.  57).  Der  Meister  habe  für  einen 
jungen  ferraresischen  Künstler,  der  ihm  beistand,  eines  seiner  Thon- 
modelle  zu  brennen  ,  einen  Herkules ,  und  zwar  im  Verlaufe  einer 
halben  Stunde,  gezeichnet.  ,,I1  quäl  disegno  per  quanto  io  conosceva 
all'  hora,  mi  parve  cosi  ben  delineato,  ombrato  et  finito,  che  passava 
ogni  uso  di  minio,  et  era  un  Stupor  grande  a  quelli  che  cio  havevano 
veduto  fare  in  cosi  poco  tempo  che  altri  vi  havrebbe  giudicato  dentro 
la  fatica  di  un  mese." 

XIV 

Der  Atlas  mit  der  Himmelskugel 

In  seiner  Selbstbiographie  (lib.  I,  XLl  oder  I,  cap.  VIII)  er- 
zählt Cellini : 

„Ein  junger  Mann  von  hohem  Geiste ,  Federico  Ginori ,  der 
viele  Jahre  in  Neapel  gewesen  war  und  dort,  da  er  von  schöner 
Gestalt  und  Gegenwart  war,  sich  in  eine  Fürstin  verliebt  hatte, 
wünschte  eine  Medaille  angefertigt  zu  erhalten,  auf  der  ein  Atlas 
mit  der  Weltkugel  auf  dem  Rücken  dargestellt  sei,  und  bat  den 
grossen  Michelangelo,  dass  er  ihm  eine  Skizze  mache.  Dieser  sagte 
zu  Federigo:  ,geht  und  sucht  einen  gewissen  jungen  Goldschmied 
auf,  Namens  Benvenuto ;  Der  wird  Euch  sehr  gut  bedienen  und 
bedarf  sicher  meiner  Zeichnung  nicht ;  aber  damit  Ihr  nicht  glaubt, 
ich  scheue  eine  so  geringe  Mühe,  will  ich  Euch  gerne  eine  Skizze 
machen.  Inzwischen  sprecht  mit  dem  Benvenuto,  dass  auch  er  ein 
kleines  Modell  anfertige  und  lasst  dann  ausführen,  was  von  beiden 
das  Bessere  ist'.  Federigo  Ginori  suchte  mich  auf  und  theilte  mir 
seinen  Wunsch  mit,  auch,  wie  sehr  der  wunderbare  Michelangelo 
mich  gelobt,  und  dass  auch  ich  ein  kleines  Wachsmodell  anfertigen 
solle,  indessen  jener  bewundernswürdige  Mann  ihm  eine  Skizze  zu 
machen  versprochen.  Die  Worte  des  grossen  Künstlers  gaben  mir 
solchen  Muth,  dass  ich  sogleich  mit  grösstem  Eifer  an  besagtes 
Modell  mich  machte ,  und  als  ich  es  vollendet ,  brachte  mir  ein 
Michelangelo  sehr  befreundeter  Maler ,  Giuliano  Bugiardini ,  die 
Zeichnung  des  Atlas.  Ich  zeigte  Giuliano  mein  kleines  Wachs- 
modell, das  sehr  verschieden  von  der  Zeichnung  Michelangelos  war, 


374  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

und  Federigo  und  auch  Bugiardini  entschieden  sich,  dass  ich  die 
Medaille  nach  meinem  Modell  machen  solle.  So  begann  ich  die 
Arbeit,  und  der  ausgezeichnete  Michelangelo  sah  sie  und  lobte  sie, 
als  ein  unschätzbares  Werk,  hoch.  Die  Figur  war  aus  Goldblech 
getrieben ;  sie  trug  auf  dem  Rücken  den  Himmel,  eine  Krystallkugel, 
in  welche  der  Thierkreis  eingeschnitten  war  auf  einem  Grunde  von 
Lapislazuli.  Die  Gesamtwirkung  mit  der  Figur  war  so  schön,  dass 
die  Arbeit  unschätzbar  dünkte.  Unten  las  man  das  Motto :  summam 
tulisse  juvat." 

Die  technische  Ausführung  der  Medaille,  die  später  in  den 
Besitz  des  Königs  von  Frankreich  kam,  beschreibt  Cellini  ausführ- 
lich im  XII.  Kapitel  seines  „Trattato  dell'  oreficeria"  und  fügt  hinzu, 
das  Motto  (es  muss  wohl  heissen :  summa)  bezöge  sich  auf  jene 
Liebe  des  Federigo.  , .Einige  sagen,  dass  der  Edelmann  sehr  jung, 
an  jener  Liebe,  gestorben  sei." 

Eine  sehr  schöne  und  nach  meinem  Dafürhalten  unbedingt 
ächte  Federzeichnung  in  der  Ecole  des  beaux-arts  zu  Paris  (Thode 
512,  Br.  Exp.  Ecole  d.  b.  a.  72),  die  von  Berenson  nicht  erwähnt 
wird,  bietet  sich  dar,  halten  wir  Umschau  unter  des  Meisters  Stu- 
dien nach  einem  Blatte,  das  auf  jenen  Auftrag  des  Ginori  bezogen 
werden  könnte.  Die  technische  Behandlung  stimmt  zu  der  Zeit, 
in  welcher  jener  Auftrag  erging,  nämlich  1528.  Dargestellt  ist  ein 
in  leicht  bewegter  Stellung  halb  nach  rechts  gewandter  Jüngling, 
der  auf  den  Schultern,  mit  beiden  erhobenen  Armen  sie  umfassend 
und  mit  dem  etwas  gesenkten  Kopfe  sie  stützend,  eine  grosse  Kugel 
trägt,  welche  durch  die  leicht  auf  ihr  angedeutete  Zeichnung  einer 
Selene  auf  ihrem  Doppelgespann  als  Himmelsglobus  gekennzeichnet 
ist.  Ein  an  den  Hüften  befestigtes  Gewand  weht  von  dem  Rücken 
ab,  lockiges  Haar  umflattert  den  fast  knabenhaft  wirkenden  Kopf. 
Hinter  dem  rechten  Arm  ist  ein  Flügel  angedeutet. 

Rechts  neben  dieser  Figur ,  flüchtig  skizzirt ,  sitzt  nach  rechts 
gewandt  ein  anderer  etwas  älterer  Jüngling,  der  den  Oberkörper 
nach  links  dreht  und  beide  Arme,  Etwas  haltend,  erhebt.  Auf  den 
ersten  Blick  glaubt  man  einen  die  Flöte  blasenden  Faun  zu  erkennen, 
bei  näherer  Betrachtung  aber  ergiebt  sich  die  Vermuthung,  dass  auch 
diese  Gestalt  eine  Sphäre  über  sich  hält,  denn  die  anfangs  für  ein 
Blasinstrument  gehaltene  Linie  erweist  sich  als  Segment  eines  Kreises 
und  das  Faunsartige  des  Kopfes  verschwindet  bei  längerem  Hinsehen. 

Es  sind  also  ohne  Zweifel  zwei  Studien  zu  einem  Atlas,  die 
wir  vor  uns  haben :  wer  dies  für  die  sitzende  Gestalt  nicht  zugeben 
will,  muss  es  doch  unbedingt  für  die  stehende.  Der  nur  leicht  an- 
gedeutete Flügel  kann  uns  nicht  stutzig  machen:  er  scheint  aus 
künstlerischen  Rücksichten,  nämlich  um  für  das  Auge  den  Eindruck 
des  Gleichgevv'ichtes  hervorzubringen,  hinzugefügt. 


Eine  Verwechslung  von  Lionardo  und  Michelangelo  —  Der  Traum     375 

Mariette,  in  dessen  Besitz  sich  die  Zeichnung  befand,  hielt  die 
Gestalt  für  einen  Engel,  der  ein  bekrönender  Abschluss  des  von 
ihm  willkürlich  rekonstruirten  Juliusdenkmal  gewesen  sei  (Observ. 
zu  Condivi  S.  71).  Dieser  Irrthum  braucht  nicht  widerlegt  zu 
werden.  Alles  spricht  dafür,  dass  der  Entwurf  der  für  Federigo 
Ginori  angefertigte  ist. 

XV 

Eine  Verwechslung  von  Lionardo  und  Michelangelo 

Von  einer  Michelangelo  zugeschriebenen  Rötheizeichnung, 
welche  auf  grossem  Blatte  ,,un  Nettuno  tirato  da  quattro  spumanti 
bizzarrissimi  cavalli  marini"  darstellte,  spricht  Giacomo  Carrara  in 
Bergamo ,  in  dessen  Besitz  sie  sich  befand ,  in  einem  Briefe  vom 
19.  Juni  1768  an  Bottari  (Lett.  VI,  247).  Auf  dem  Blatte  warder 
Vermerk  zu  lesen:  ,,Questo  Nettuno,  disegno  originale  di  Michel- 
agnolo  Bonarrota,  pervenne  in  mano  di  Gio.  Paolo  Lomazzo:  fu 
poi  l'anno  1578  conservato  da  Gio.  Ambrogio  Figino  per  essere  stato 
suo  maestro,  e  finalmente  dal  detto  Figino  lasciato  l'anno  1608  al 
sig.  Ercole  Bianchi  suo  erede."  Carrara,  welcher  sagt:  ,,la  terri- 
bilitä  della  mossa  di  quella  figura  non  puö  essere  piü  animata  ed 
espressiva",  meint,  es  sei  ein  Entwurf  für  einen  Brunnen  gewesen. 

Es  kann  wohl  kaum  zweifelhaft  sein ,  dass  diese  Zeichnung 
keine  andere  ist,  als  der  herrliche  Entwurf  Lionardos   in  Windsor. 

XVI 

Der  Traum 

„II  Sogno"  wird  von  Vasari  eine  Komposition  genannt,  deren 
von  Lafreri  herausgegebene  Reproduktion  in  Kupferstich  er  erwähnt. 
I.  Diese  Zeichnung  existirt  noch  heute,  denn  ich  stehe  nicht  an, 
das  im  Grossherzoglichen  Schlosse  zu  Weimar  aufbewahrte, 
in  Kreide  ausgeführte  Blatt  (Thode  520.  Phot.  Br.  39),  das  einst 
im  Besitze  Ottleys,  dann  Woodburns,  Robinsons,  endlich  des 
König  Heinrichs  von  den  Niederlanden  war,  für  das  Original 
von  Michelangelo  zu  halten,  so  vollkommen  ist  die  Model- 
lirung  des  nackten  Körpers,  so  geistreich  die  Skizzirung  der 
Nebenfiguren  und  so  durchaus  im  Stil  der  für  Cavalieri  an- 
gefertigten Blätter  und  der  ersten  Gesamtstudien  für  das 
Jüngste  Gericht  (Bayonne,  Casa  Buonarroti,  London)  die  Be- 
handlung. Man  darf  verwundert  sein,  dass  es  nicht  längst 
eingehendere  Beachtung  gefunden,  sondern  einfach  als  Kopie 
abgethan  wurde.  Wenige  freilich  dürften  es  gesehen  haben, 
aber  auch  der  vortrefflichen  Braun'schen  Photographie  hätte 
man  ein  sicheres  Urtheil  entnehmen  können. 


376  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

Auf  einem  kastenartig  gebildeten  Sitz,  dessen  geöffnete 
Vorderseite  verschiedenartige  darin  liegende  Masken  zeigt, 
sitzt  ein  nackter  Jüngling,  das  rechte  Bein  gegen  den  Sitz 
angestemmt,  die  beiden  Arme  auf  eine  grosse  Kugel  (auf  der 
die  in  den  Reproduktionen  gezeichnete  Erdkarte  nicht  an- 
gegeben ist)  gestützt,  in  grosser  Bewegung  des  Erwachens 
zu  einem  schlanken  EngeljüngHng  aufschauend,  der,  mit  weit- 
gespannten Flügeln  kopfüber  niederfliegend  und  mit  einer 
Tuba  in  sein  Ohr  blasend,  ihn  erweckt.  Links  und  rechts 
sehen  wir  aus  Nebel  auftauchend  einzelne  Szenen,  die,  wie 
nicht  zweifelhaft  bleiben  kann,  die  Todsünden  darstellen,  und 
zwar  so  angeordnet,  dass  sie  nur  bis  zur  Höhe  des  Engel- 
kopfes reichen,  darüber  aber  und  auch  noch  über  dem  Engel 
freier  Himmelsraum  bleibt.  Ich  gehe  in  der  Aufzählung  von 
unten  nach  oben.     Links  : 

A.  Eine  kauernde  nackte  Gestalt  (i)  dreht  bei  einem  Feuer  einen 
Bratspiess ,  an  dem ,  wie  es  scheint,  ein  Vogel  befestigt  ist. 
Dahinter  ein  Tisch,  an  dem  eine  nackte  Figur  (2),  den  Kopf 
auf  die  rechte  Hand  gestützt,  die  Linke  auf  den  Tisch  gelegt, 
wie  auf  die  Mahlzeit  wartend.  Dicht  darüber  drei  Köpfe  sicht- 
bar, ein  jugendlicher  bartloser  links  (3),  ein  schwer  erkenn- 
barer in  der  Mitte  (4),  ein  bärtiger  mit  turbanartigem  Kopf- 
tuch rechts  (5).  Darüber  ein  aus  einer  Flasche  Trinkender 
(6).  —  Es  ist  die  Darstellung  der  Schlemmer. 

B.  Links  eine  nackte  Frau  (7)  auf  einem  Bett,  die  von  einem 
nackten  Mann  (8),  der  ein  Tuch  auf  dem  Kopfe  trägt  und 
mit  dem  linken  Bein  auf  ihr  kniet,  umhalst  und  geküsst  wird. 
Daneben  rechts  vom  Rücken  gesehen  eine  von  dem  Lager 
sich  erhebende  Gestalt,  die  nur  um  den  Unterkörper  ein 
Gewandstück  genommen  hat  (9).  Unmittelbar  über  ihr  zwei 
sich  küssende  und  umschlingende  Köpfe  gewandeter  Figuren 
(10  der  untere,  11  der  obere  Kopf).  Links  von  ihnen  Wolken. 
Rechts  über  der  Schulter  von  1 1  ein  nur  leicht  angedeuteter 
Männerkopf  (12).  Rechts  von  dem  sich  Erhebenden  9  eine 
nach  rechts  sich  bewegende,  wie  es  scheint,  weibliche  Figur 
(13),  die,  nur  mit  dem  Oberkörper  sichtbar,  einen  wie  er- 
schreckten Blick  nach  links  zurückwirft.  Unmittelbar  rechts 
über  ihr  noch  ein  kleinerer  Kopf  (14)  angedeutet.  —  Die 
Gruppe  der  Wollüstigen. 

Rechts : 

C.  Zu  Unterst  eine  hockende  Figur  (15),  den  Kopf  schlafend 
zwischen  die  Kniee  gesenkt,  die  linke  Hand  am  Boden,  die 
rechte  auf  dem  rechten  Knie.  Darüber  eine  sitzende,  wie  es 
scheint,  weibliche  nackte  Gestalt,  den  Kopf  an  den  gekrümmten 


Der  Traum  ^77 

rechten  Arm  gelehnt,  der  auf  eine,  mit  einem  Tuch  bedeckte 
Erhöhung  gestützt  ist,  den  Unken  Arm  schlaff  über  das  rechte 
Bein  gelegt  (16).     Hinter  ihr  rechts  eine    andere  Gestalt  nur 
angedeutet  (17).  —  Die  Gruppe  der  Trägen. 
D.  Ein,  mit  der    rechten,   einen  Stock  (?)   haltenden  Hand    zum 
Schlage    ausholender    Mann   (18,     nur   Oberkörper   sichtbar), 
packt  einen  unter  ihm  befindlichen,  der  verzweifelt  die  Arme 
über  dem  Kopf  kreuzt  (19),  am  Nacken.    Ein  dritter  links  (20), 
von    hinten    gesehen,    fasst   den  Bedrohten   am    rechten  Arm 
und  bewegt  die  Linke  gegen  den  Angreifer.     Daneben  rechts 
packt  ein  Jüngling  (21)  mit  beiden  Fäusten   einen  Alten  (22) 
an  dem  Gewand   vor    der  Brust.  —  Die  Gruppe  der  Gewalt- 
thätigen.      Links    von    ihr    zwei  Hände,    die    einen    gefüllten 
Beutel  halten  (23):  der  Geiz.     Unmittelbar  darunter,  nur   an- 
gedeutet,    Oberkörper    eines    wild    oder    scheel    blickenden 
Mannes ,  der ,   wie    es    scheint ,    den    Zeigefinger    der    rechten 
Hand  in  den  Mund  steckt  und  die  Linke  erhebt  (24). 
Vier  Todsünden:  der  Schlemmerei  und  der  Wollust,  der  Träg- 
heit und  dem  Zorn  sind,  wie  man  sieht,  die  Hauptstellen  zugewiesen. 
Nur  sie   sind  ausführlich  geschildert.     Von  den   anderen  drei  Tod- 
sünden ist  der  Geiz  deutlich  in  einem  Motive  gekennzeichnet.     Den 
Neid   könnte   man  allenfalls   in  der  scheel   blickenden  Figur  24  er- 
kennen (auch   in  der   seitwärts   blickenden  Gestalt   13?).     In  keiner 
aber  den  Hochmuth. 

Nur  ein   einziges  anderes  Blatt  mit  Studien  kenne  ich,  das  in 
direktem  Zusammenhange  mit  dem  ,, Traum"  steht. 

II.  Oxford.  Univ.  Gall.  69.  Thode  441.  Ber.  1571.  Abb.  Colvin: 
Sei.  drawings.  Phot.  Br.  83.  Kreide.  Fünf  Skizzen,  in  kleinen 
Verhältnissen ,  eines  Mannes ,  der  einen  anderen  am  Boden 
Liegenden  bedroht,  a)  und  b)  ganz  ähnlich,  zeigen  den  Sieger, 
wie  er  mit  dem  linken  Bein  auf  dem  Unterlegenen  kniet, 
der  sich  mit  dem  linken  Arm  auf  den  Boden  stützt,  die 
Rechte  abwehrend  erhebt  und  mit  einem  Gegenstande  in 
der  erhobenen  Rechten  zum  Schlage  ausholt.  Das  eine  Mal 
fasst  er  den  Gegner  am  Kopf  (a),  das  andere  Mal  an  der 
Gurgel  (b),  hier  schlägt  der  Besiegte  das  rechte  Bein  um  das 
Bein  des  Gegners.  Die  Bewegung  des  Oberleibes  des  Siegers 
(Kopf  und  Armhaltung)  ist  identisch  mit  dem  Todtschläger  im 
Traum  (18).  —  c)  Ahnliche  Bewegung  des  Siegers,  nur  steht 
(oder  sitzt)  er  mit  gespreizten  Beinen  über  dem  auf  den  Rücken 
Gefallenen.  —  d)  Andere  Komposition.  Der  Sieger  tritt  mit 
dem  linken  Fusse  auf  den  Gestürzten,  packt  ihn  am  Kopf 
und  bedroht  ihn  mit  der  Rechten.  —  e)  Der  Sieger  beugt 
sich  über  den  Liegenden,  der  das  linke  Bein  um  sein  rechtes 


378  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

schlägt   und   packt   ihn    mit   beiden  Händen    an    der   Gurgel. 

Ausserdem    eine    flüchtige    Skizze    des    am   Boden  Liegenden 

in  ähnlicher  Haltung  wie  in  a. 
Robinson  glaubte  hier  den  Entwurf  für  einen  ,,Simson  im 
Kampfe  mit  einem  Philister"  zu  sehen  und  schloss  aus  den  kleinen 
Verhältnissen,  dass  er  für  ein  kleines  Rundrelief,  vermuthlich  eine 
Medaille,  bestimmt  war.  Auch  Berenson  nimmt  eine  Darstellung 
Simsons  an.  Beide  versetzen  die  Zeichnung  mit  Recht  in  die  Zeit 
der  früheren  Skizzen  für  das  Jüngste  Gericht.  Sie  ist  also  in  der- 
selben Zeit,  wie  der  ,, Traum",  entstanden,  und  so  darf  sie  getrost, 
da  die  Deutung  ,,Simson"  willkürlich  und  keinerlei  Beziehung  zu 
den  Entwürfen  für  die  früher  in  Florenz  geplante  Statue  zu  finden 
ist,  als  eine  für  die  Allegorie  angefertigte  oder  aus  der  Todt- 
schlägergruppe  entwickelte  meisterhafte  Studie  betrachtet  werden. 
Auf  eine  Rötheizeichnung  im  Codex  Vallardi  im  Louvre  (Thode 
308)  möchte  ich  nur  beiläufig  aufmerksam  machen :  ein  knieender 
Mann  bedroht  einen  neben  ihm  Sitzenden  mit  dem  Messer. 

Folgende  alte  Reproduktionen  habe  ich  anzuführen.  Ihre 
Prüfung  ergiebt  Verschiedenheiten,  theils  Bereicherungen,  theils  Ver- 
änderungen in  den  kleinen  Szenen. 

1.  Stich  von  Beatrizet  (P.  112).  Bez.  Michel  Angelus  inven. 
Ausgabe  von  Lafreri  und  von  Ant.  Salamanca.  Wir  finden 
hier  einige  Bereicherungen ,  wie  auf  dem  Londoner  Bilde, 
und  ausserdem  noch  zwischen  der  Gruppe  der  sich  Be- 
gattenden und  den  sich  Küssenden ,  als  Pendant  zu  den 
Händen  mit  dem  Beutel  rechts:  eine  Hand,  die  den  männ- 
lichen Geschlechtstheil  hält. 

2.  Stich  von  Michele  Lucchesi  (P.  15).  Nach  Beatrizet.  Bez. 
Egregius  Michaelangelus  Bonarotus  autor.  M.  L.  Cum  privilegio. 

3.  Gemälde  in  London,  National  Gallery.  Nr.  8.  Phot.  Hanf- 
staengl  297.  Es  stammt  aus  dem  Palazzo  Barberini  in  Rom. 
Die  Engelsfigur  ist  etwas  kleiner  und  der  obere  Bildrand 
unmittelbar  über  ihr.  Der  Hintergrund  ganz  aus  Wolken 
gebildet.  Auf  dem  Globus  die  Erdkarte.  Ein  Gewandzipfel 
ist  über  die  Scham  des  Jünglings  gelegt.  Die  Nebenszenen 
geben  getreu  die  Weimarer  Zeichnung  wieder.  Einige  Figuren 
aber  sind  hinzugefügt,  so:  drei  aus  den  Wolken  auftauchende 
Köpfe  über  der  Gruppe  B  (Fig.  7  und  8)  und  rechts  ganz 
oben  noch  eine  Mordszene:  ein  knieender  Mann,  die  Linke 
erhebend  und  mit  der  Rechten  einen  Liegenden  am  Halse 
packend.  Die  Figur  des  Neides  (24)  scheint  etwas  in  der 
rechten  Hand  Gehaltenes  zu  essen.  Der  Schlafende  rechts 
unten  (15)  scheint  als  Krieger  gekennzeichnet  zu  sein,  eine 
Sturmhaube    auf  dem   Kopf.   —  Waagens   Vermuthung,    das 


Der  Traum  -yyq 

Bild  könne  von  Sebastiano  del  Piombo  in  Dessen  später  Zeit 
gemacht  sein,  ist  unbegründet. 

4.  Gemälde  in  Wien,  k.  k.  Gemäldegalerie,  Nr.  loi  (früher  305). 
Phot.  Löwy.  Aus  der  Sammlung  des  Erzherzogs  Leopold 
Wilhelm.  Hier  ist  der  Engel,  viel  kleiner,  ferner  vom  Jüng- 
ling, in  der  Höhe  angeordnet.  Hinter  dem  Erwachten  öffnen 
sich  die  sonst  den  Hintergrund  verhüllenden  Wolken  und  lassen 
den  Blick  auf  eine  Landschaft  mit  Ruinen  frei.  Die  Szenen 
sind  höher  angebracht:  die  untersten  Figuren  etwas  höher 
als  das  erhobene  Bein  des  Jünglings.  So  bleibt  links  unten 
Platz  für  Ruinen  (die  drei  Säulen  des  Forum  und  Theil  des 
Kolosseums).  Die  Kugel  ist  als  Erdkugel  charakterisirt.  Die 
kleinen  Szenen  sind  nicht  so  eng  am  Bildrand  und  bereichert. 
Neben  dem  Mann  am  Bratspiess  (i)  ein  Kopf,  ebenso  einer 
neben  dem  Mann  am  Tisch  (2).  Rechts  von  diesem  die  Halb- 
figur einer  Frau,  die  in  einem  Mörser  stampft  und  weiter 
ein  knieender  Mann  an  einem  Kessel.  Über  dem  Paar  auf 
dem  Bett  eine  in  Wolken  sitzende  nackte  Figur  und  hnks 
vorn  zwei  sich  Umarmende.  Darüber  zwei  umschlungene 
Liegende.  Rechts  der  Schlafende  wiederum  als  Krieger. 
Eine  weitere  schlafende  sitzende  Gestalt  links  von  der  ruhen- 
den Frau  (16).  Über  den  Händen  mit  dem  Beutel  der  Ober- 
körper einer  verzweifelt  die  Hände  über  dem  Kopf  erheben- 
den Frau.     Höher  noch:  mehrere  Köpfe. 

5.  Agnolo  Bronzino.  Gemälde.  Florenz,  Uffizien.  Auf  der  Rück- 
seite des  Porträts  der  Bianca  Capello  Nr.  1227.  Phot.  Alin.  453. 
Brogi  2555.  Die  Jünglingsgestalt  ist  hier  kleiner  in  den 
Verhältnissen,  der  Engel  höher  angebracht  mit  längerer  Tuba 
(aber  nicht  so  klein,  wie  in  Wien).  Statt  der  Wolken  hier 
Nebel,  der  links  und  rechts  eine  Landschaft  sehen  lässt,  links 
mit  einer  Säulenrotunde.  Die  Kugel  wieder  als  Erdkugel  ge- 
kennzeichnet. Was  hier  aber  das  besonders  Bemerkenswerthe 
ist,  sind  einige  den  Sinn  der  Darstellung  verändernde  Um- 
wandlungen und  Weglassungen.  Im  Allgemeinen  sehen  wir 
die  Beschränkung  auf  die  Gruppen  und  Figuren  der  Weimarer 
Zeichnung,  die  dem  Künstler  direkt  vorgelegen  haben  muss. 
Über  die  rechte  Seite  ist  nur  zu  bemerken,  dass  die  Szene 
des  Angriffs  auf  den  Alten  (21,  22)  unterhalb  des  Todtschlages 
angebracht  ist  und  dass  die  Figuren  Gewandung  erhalten 
haben.  Links  ist  die  am  Tische  sitzende  Gestalt  (2)  eine 
nackte  Frau.  Die  entscheidende  Veränderung  betrifft  das 
Liebespaar  auf  dem  Lager :  an  dessen  Platz  erscheint  eine 
liegende  nackte  Frau,  die  von  einem  links  zu  ihr  empor- 
klimmenden Knaben    umhalst   und    geküsst    wird.     An  Stelle 


380  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 

der  erschreckten  nackten  Frau  (13)  erscheint  ein  Frauenkopf 
mit  einer  Kappe.  —  Man  sieht,  Bronzino  hat  ad  usum  der 
Bianca  Capello  das  Anstössige  ausgemerzt  und  durch  eine 
harmlose  Familienszene  ersetzt. 

6.  Gemälde,  früher  im  Besitze  von  Henry  F.  Holt  in  London. 
Es  war  1868  auf  der  Kunstausstellung  in  Leeds  zu  sehen 
und  ward  damals  als  ein  ganz  verdorbenes  Temperabild,  von 
dem  nur  noch  Reste  zu  gewahren  seien,  bezeichnet  (Z.  f  b.  K. 
1869.  IV,  S.  in).  In  einer  Abhandlung  in  ,,The  Gentleman's 
Magazine"  (1867  Nr.  21.  Sept.)  hat  der  Besitzer  es  selbst  be- 
sprochen. Nach  der  Beschreibung  stimmt  es  am  Meisten  mit 
Bronzinos  Bild  (links  Landschaft  mit  kirchenartigem  Gebäude) 
überein,  doch  finden  sich  auch  einige  Abweichungen:  neben 
der  schlafenden  Figur  (17)  wird  ein  Mann  angegeben,  der 
sich  die  Haare  rauft  und  in  einen  Spiegel  blickt,  neben  dem 
Engel  links  ,, Michelangelo"  selbst  (wahrscheinlich  wohl  der- 
selbe bärtige  Kopf,  der  allenfalls  auf  den  Meister  zu  deuten 
wäre ,  wie  bei  Bronzino).  Die  linke  Seite  ist  von  Licht  er- 
hellt, die  rechte  im  Dunkel. 

7.  Einige  Figuren  sind  auf  Battista  Francos  Schlacht  von  Monte- 
murlo  im  Palazzo  Pitti  kopirt.  Rechts  unten  der  vom  Traum 
erwachende  Jüngling  selbst,  der  sich  aber  auf  eine  Erhöhung, 
nicht  auf  die  Kugel,  stützt,  und  neben  ihm  der  hockende 
Schläfer  (15).  In  der  Gruppe  eines  Kriegers,  der  einen  Ge- 
fallenen bedroht,  im  Mittelgrunde  rechts  ist  die  Gruppe  des 
Todtschlägers  frei  benutzt. 

Von  neueren  Stichen  erwähne  ich  die  von  Francesco  van  den 
Steen,  v.  Hoy,  van  Stoy  und  J.  W.  Ery. 

Mit  einer  Erklärung  des  Vorwurfes  haben  sich  Mehrere  ab- 
gegeben. Die  Meisten  erkannten  richtig  die  Darstellung  der  Tod- 
sünden. Holt  in  seiner  erwähnten  Abhandlung  führt  eine  Anzahl 
Deutungen  an.  Füssli  sagt :  der  Mann  entdeckt,  erwacht,  die  Phan- 
tome der  Leidenschaften.  Es  ist  eine  Lehre,  dass  Alles  eitel  und 
das  Leben  eine  Farce  ist.  Ottley:  die  menschlichen  Laster  vor 
dem  Blicke  eines  kontemplativen  Mannes,  dem  ein  Engel  durch  die 
Posaune  verkündet,  dass  Gott  strafen  wird.  Duppa :  eine  Allegorie, 
welche  die  Sünden  des  Geizes  und  der  Wollust  zeigt  als  Konse- 
quenzen des  Strebens  nach  Reichthum  und  ungesetzmässiger  Liebe ; 
die  Masken  sind  Embleme  der  Heuchelei.  Der  Engel  richtet  den 
Jüngling  auf  ein  besseres  Leben  hin.  Conway  glaubt,  Michelangelo 
sei  durch  einen  Traum  inspirirt  worden ;  auch  Viardot  spricht  von 
nächtlichen  Gedanken  zur  Zeit,  als  der  Meister  das  Jüngste  Gericht 
malte.  John  Landseer  (Description  of  fifty  Pictures  in  the  Nat.  Gall., 
London  1834)  schreibt:  ,,a  painted  mystery,  to  inform  us,  that  after 


Der  Traum  2g  j 

this  dreaming  life  or  living  dream  man,  who  here  reposes  on  a 
slippery  globe ,  surrounded  by  a  sad  variety  of  tempting  and  transi- 
tory  or  visionary  hopes  and  fears,  shall  awaken  to  mental  and  lasting 
reality  at  the  sound  of  the  trumpet  from  above."  Der  Jüngling 
scheine  nicht  zu  begreifen.  Die  Figur  des  Neides  verzehre  ein  Herz. 
Die  Masken  werden  von  Mrs.  Jameson  (Handbook  to  public  Galleries. 
London  1842)  als  Embleme  der  nun  bei  Seite  gelegten  Illusionen 
gedeutet.  Die  Trompete  des  Jüngsten  Gerichtes  erwecke  den 
Menschen  aus  dem  Traum  des  Lebens  und  der  Leidenschaften. 
Charles  Blanc  nennt  die  Masken  die  Embleme  der  verschiedenen 
Alter  und  Bedingungen  des  Lebens,  der  Leidenschaften  und  Eitel- 
keiten. Das  Leben  findet  er  folgendermaassen  geschildert :  der  Jüng- 
ling, Tafelfreuden  sich  ergebend,  erträumt  vage  Träume  von  Ehr- 
geiz und  Ruhm,  dann  gewinnt  er  die  sinnlichen  Freuden  heb :  er 
liebt  und  minnt,  ist  umgeben  von  den  Sorgen  der  Familie.  Hierauf 
fesselt  ihn  die  Welt.  Er  verliert  den  Adel  seiner  Jugend  und  wird 
unehrlich.  Zuletzt  geht  er  ins  Grab  und  lässt  Kinder  zurück,  den- 
selben Lebenslauf  zu  führen.  Harford  betont  den  in  des  Jünglings  Stel- 
lung sich  ausdrückenden  ernsten  Wunsch  und  festen  Entschluss,  indem 
von  oben  herabstrahlenden  Licht  transzendenter  Glorie  zu  wandeln. 

Holt  hielt  es  für  undenkbar,  dass  Michelangelo  nur  Laster  dar- 
gestellt, also  die  Moral  ausgesprochen  habe :  Alles  ist  schlecht  und 
keine  Verzeihung  ist  zu  erhoffen.  Aus  seinem  Bilde  —  das  Bron- 
zino'sche  in  Florenz  kannte  er  nicht  —  entnimmt  er,  der  Meister 
habe  nicht  nur  die  dunklen ,  sondern  auch  die  hellen  Seiten  des 
Lebens  geschildert.  Letztere  in  den  Szenen  hnks :  Nahrung  und 
Schlaf  in  Einfachheit  und  Massigkeit,  gesetzmässige  Kindererzeugung 
unter  dem  Schutze  der  Kirche,  Freuden  der  FamiUe,  Freundschaft 
und  Alter.  Rechts:  Geiz,  Rache,  Todtschlag,  Gewaltthat,  Diebstahl, 
Apathie,  Gewissensbisse  und  tödtlicher  Schrecken.  Der  Jüngling 
sei  der  gute  Christ,  der  alle  Masken  der  Heuchelei  bei  Seite  gethan 
und  so  wenig  auf  die  Welt  vertraut,  dass  die  Glaskugel  ungebrochen 
bleibt.  Ihm  wird  das  Jüngste  Gericht  von  dem  Engel  mitgetheilt, 
und  er  ist  freudig  bereit,  dem  Rufe  zu  folgen. 

Es  ist  unnöthig,  näher  nachzuweisen,  wie  falsch  diese  Erklärung 
ist.  Die  Veränderungen  in  Bronzinos  Kopie  und  in  dem  Bilde  Holts 
sind  dem  Geiste  Michelangelos  und  seiner  Komposition  zuwider- 
laufende Abschwächungen  des  unerbittlichen  Gedankens,  der  hier 
Ausdruck  gefunden  hat.  Die  Idee  der  Darstellung  ist  aus  der  Be- 
schäftigung mit  dem  Jüngsten  Gerichte,  in  Sonderheit  der  Tod- 
sünden, hervorgegangen.  Sie  auf  Dante  zurückzuführen,  wie  Stein- 
mann will,  liegt  kein  Anhalt  vor  —  ich  glaube:  auch  nicht  auf  irgend 
eine  andere  unbekannte  Htterarische  Quelle.  Wenigstens  erklärt 
sich    die  Konzeption  vollständig    aus   Gedanken,    die    dem   Meister 


382  Mythol.  und  allegor.  Gemälde,  Zeichnungen,  Entwürfe 


bei  der  Gestaltung  des  Fresko  kamen.  Aus  dem  Traum  eines  in 
Sünde  und  Schuld  verstrickten,  an  die  Erde  gefesselten  Lebens 
wird  der  Mensch  durch  den,  eine  Vergeltung  verkündenden  Ruf 
aus  höherem  Reiche  erweckt.  Heuchelei  und  Trug  dieser  Welt 
verschwindet  —  die  Masken  werden  abgelegt,  wie  Augustus  in  einem 
schon  oben  (I,  S.  518)  zitirten  Worte,  den  Schluss  des  Lebens  mit 
dem  des  Schauspiels  vergleichend,  gesagt  hat.  Über  der  furcht- 
baren Erkenntniss  des  Weltenwahnes  erhebt  sich  die  Gewissheit 
eines  höheren  Daseins. 

Einzelne  Beziehungen  zu  anderen  Werken  dürfen  hervorge- 
hoben werden,  so  in  der  Stellung  des  Jünglings  zum  Adam  in  der 
Erschaffung  und  zu  dem  für  Sebastianos  Gemälde  entworfenen  La- 
zarus, in  dem  hockenden  Schläfer  zu  den  Trauernden  in  Entwürfen 
für  die  Medicigräber  (auf  dem  Kranzgesims) ,  in  dem  Engel  zu 
dem  Phaeton  in  der  Zeichnung  der  Akademie  zu  Venedig. 


XVII 

Zeichnungen  zu  Dantes  Divina  Commedia,   angeblich  von 

Michelangelo 

Die  Nachricht  von  einer  Illustration  Dantes  taucht  erst  im 
XVIII.  Jahrhundert  auf,  und  zwar  zuerst,  was  bisher  nicht  beachtet 
wurde,  in  einem  Briefe,  den  Monsignore  Bottari  am  8.  April  1747 
von  Rom  aus  an  Gori,  anlässlich  von  Dessen  eben  erschienener 
Condiviausgabe,  geschrieben  hat  (Fanfani,  Spigolatura  Michelangio- 
lesca,  1876,  S.  82).  ,,Um  zu  beweisen,  wie  sehr  Michelangelo  Dante 
studirt,  könnte  man  anführen,  dass  er  mit  der  Feder  zu  jedem  Ge- 
sänge in  einer  alten  Ausgabe  mit  dem  Kommentar  des  Landino,  die 
auf  grosse  Bogen  mit  sehr  breitem  Rand  gedruckt  ist,  die  Figuren 
gezeichnet.  Dieser  unschätzbare  Kodex  kam  in  die  Hände  Antonio 
Montautis,  der  ihn  wie  ein  Kleinod  von  unermesslichem  Werthe  be- 
wahrte. Und  als  er  sich  hier  in  Rom  niedergelassen,  Hess  er  ihn  mit 
aller  seiner  anderen  Habe  und  einem  jungen  Diener  hierher  kommen. 
Der  geringeren  Kosten  wegen  liess  er  Alles  auf  dem  Meerwege 
kommen,  und  Alles  ging  unter."  Diese  Notiz  brachte  Bottari  dann 
1760  als  Anmerkung  in  seiner  Vasariausgabe  (III,  p.  252),  und  die 
Erzählung  ward  allgemein  angenommen.  Erst  F.  X.  Kraus  im 
„Dante"  (Berlin  1897,  S.  618)  äusserte  sich,  und  zwar  mit  vollem 
Rechte,  skeptisch.  Es  erscheint  schwer  denkbar,  dass  weder  Vasari 
noch  Condivi  noch  Varchi  noch  irgend  ein  anderer  Zeitgenosse 
eine  so  interessante  und  werthvolle  Arbeit  des  Meisters  hätten  un- 
erwähnt  lassen   sollen.     Und    zudem    hat  Bottari  jene  Zeichnungen 


Zeichnungen  zu  Dantes  Divina  Commedia,  angeblich  von  Michelangelo    383 

selbst  gar  nicht  gesehen ,    sondern  berichtet  nur ,   was  der  Besitzer 
des  Kodex  ihm  gesagt. 

Auch  ist  keine  Studie  unter  den  Handzeichnungen  bekannt,  die 
auf  eine  solche  Arbeit  hinweise.  Berenson  zwar  hielt  es  für  möglich, 
dass  Skizzen  ,, liegender  und  kriechender  Figuren"  auf  einem  Blatte 
im  British  Museum  (1859—6—25 — 565;  Thode  308;  Fagan  XVI; 
Ber.  1 508 ;  Phot.  Br.  8)  im  Zusammenhange  mit  jenen  Illustrationen 
stünden  und  speziell  auf  eine  Stelle  im  Purgatorio  IV,  103 — 108 
sich  bezögen ,  aber  eine  bestimmte  Deutung  in  diesem  Sinne  ist 
gewiss  nicht  möglich.  Die  Stelle  schildert  ,,zur  Bekehrung  Träge" 
und  lautet : 

et  ivi  eran  persone 

Che  si  stavano  all'ombra  dietro  al  sasso, 

Come  i'uom  per  negghienza  a  star  si  pone 

Ed  un  di  lor  che  mi  sembrava  lasso, 

Sedeva  ed  abbracciava  le  ginocchia 

Tenendo  '1  viso  giü  tra  esse  basso. 

Dargestellt  auf  der  Zeichnung  sind  fünf  neben  einander  sitzende 
Figuren :  links  eine  auf  den  Arm  sich  stützende  Frau ,  ein  Kind 
neben  sich ,  das  sie  nach  links  weist ,  dann  vom  Rücken  gesehen 
ein  Mann  mit  gesenktem  Haupt  wie  schlafend,  weiter ,  Diesen  an- 
schauend, eine  kleinere  Figur,  deren  Kopf  fast  wie  der  eines  Affen 
wirkt,  und  endlich  rechts  ein  trübsinniger  oder  stumpf  blickender 
Jüngling,  den  Rücken  gegen  eine  Erhöhung  gelehnt,  das  hnke  Bein 
aufgestemmt,  die  Arme  im  Schoosse. 

Man  sieht,  es  ist  kein  unbedingter  Hinweis  auf  jene  ,,pigri"  zu 
finden.  Die  sich  in  den  Haltungen  ausdrückende  Müdigkeit  und 
Trauer  veranlasste  Steinmann  zu  der  Meinung,  es  seien  Studien  zu 
einer  Stichkappe  in  der  Sixtina  (speziell  der  Josiasgruppe ,  St.  51), 
aber  ich  wies  schon  früher  daraufhin  (I,  S.  265),  dass  auch  dies  nicht 
mit  Sicherheit  zu  behaupten  sei.  Auch  scheint  mir  das  Blatt  später 
anzusetzen,  in  die  Zeit  des  Jüngsten  Gerichtes :  man  sehe  den  rechts 
unten  befindlichen  Mann.  Hätte  dann  doch  Fagan  Recht,  wenn  er 
Studien  für  dieses  Fresko  hier  gewahrt.?  Ich  halte  es  nicht  für 
wahrscheinlich :  es  könnte  sich  nur  um  Auferstehende  handeln,  und 
Diesen  entspricht  Art  und  Stimmung  der  Komposition  nicht.  Ich 
weiss  keine  Erklärung. 

Beiläufig  zu  bemerken  ist,  dass  K.  Eitner  im  Deutschen  Kunst- 
blatt 1857,  VIII,  p.  373  und  385  eine  den  III.  Gesang  der  Hölle 
illustrirende  Zeichnung,  angeblich  von  Michelangelo,  bespricht.  Den 
Namen  des  Besitzers  nennt  er  nicht  (vgl.  Steinmann,  S.  581,  Anm.  4). 
Eine  solche  ist  heute  nicht  bekannt,  und  es  ist  wohl  anzunehmen, 
dass  es  sich  um  eines  der  vielen,  fälschlich  dem  Meister  zugeschrie- 
benen Blätter  handelt. 


384      Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe:  Entwurf  zu  einer  Historie 

XVIII 

Entwurf  zu  einer  Historie 

Auf  einem  schon  zweimal  erwähnten  Blatte  der  Casa  Buonarroti 
(XXXI,  27.  S.  I,  151,  Nr.  V  und  II,  S.  148,  Nr.  VIII),  auf  welchem 
zuerst  Studien  für  die  Sklaven  des  Juliusdenkmales,  später  die  Grund- 
risse einer  Bastion  gezeichnet  wurden,  ist  über  die  Sklaven  hinweg, 
aber  bevor  die  Fortifikationsskizzen  entstanden,  eine  figurenreiche 
Darstellung  flüchtig  von  Michelangelo  entworfen  worden.  In  der 
Mitte  der  rechts  verkürzten  Komposition  sehen  wir  einen  nackten, 
sitzenden  Jüngling,  der  nach  rechts  schauend,  die  Hände  im  Schooss, 
den  (nicht  sichtbaren)  linken  Arm  nach  rechts  auszustrecken  scheint, 
wo  ein  nackter  Mann  einen  Anderen  packt  und  noch  weiter  rechts 
ein  Dritter  einen  Vierten  zu  fassen  scheint.  Links  von  dem  Jüng- 
ling kniet  eine  (wohl  jugendliche)  Figur,  die,  Erbarmen  erflehend, 
die  Hände  zu  ihm  erhebt.  Hinter  ihr  links  befindet  sich  eine  Gruppe 
sitzender  Gestalten:  zu  der  einen  vorderen  in  gebeugter  Haltung 
wendet  sich  eine,  den  Arm  zu  ihr  ausstreckend,  die,  dem  über  dem 
Kopf  gezogenen  Mantel  nach,  als  eine  Frau  aufzufassen  sein  dürfte. 
Beide  sind  nach  rechts  gewandt.  Links  von  der  vorderen  ruht  mit 
aufgestemmtem  rechten  Bein,  nach  links  gewandt,  in  lässiger  Haltung 
ein  Mann.     Dahinter  erscheinen  Andere  nach  vorne  bewegt. 

Ich  vermag  die  merkwürdige  Szene  nicht  zu  deuten.  Auf  den 
ersten  Blick  glaubt  man,  der  Vorgang  vollziehe  sich  auf  Wolken, 
und  denkt  an  das  Jüngste  Gericht.  Diese  Annahme  erweist  sich 
aber  sogleich  als  irrig:  wie  wären  die  kämpfenden  Gestalten  rechts 
zu  erklären }  Auch  beschäftigte  sich  Michelangelo  in  den  zwanziger 
Jahren  noch  nicht  mit  dem  Plan  des  Freskos.  Dann  stellt  sich 
der  Gedanke  ein,  da  der  dominirende  Jüngling  eine  entfernte  Ähn- 
lichkeit mit  dem  Giuliano  Medici  hat,  es  könne  der  Entwurf  für 
eine  Siegesszene  sein ,  die  irgendwie  in  der  Sagrestia  nuova  an- 
gebracht werden  sollte.  Hierbei  könnte  man  aber  doch  nur  ein 
Relief  voraussetzen,  und  diese  Komposition  ist  offenbar  nicht  für  ein 
solches,  sondern  für  ein  Gemälde  bestimmt. 

Befiehlt  der  Jüngling  eine  Hinrichtung.?  Sind  die  Gestalten 
links  Gefesselte,  denen  das  gleiche  Schicksal  droht,  wie  den  Ge- 
packten rechts .''  Welche  Rolle  spielt  die  Frau .?  (Es  sieht  fast  so 
aus ,  als  trüge  sie  einen  Heiligenschein ,  aber  das  ist  wohl  eine 
Täuschung.)     Ist  die  knieende  Figur  männlich  oder  weiblich.? 

Was  immer  gemeint  sei  —  die  Darstellung  muss,  als  eine  für 
Michelangelo  sehr  ungewöhnliche ,  unser  Interesse  erwecken.  Das 
trotzige  über  sie  weg  gezeichnete  Bollwerk  scheint  uns  die  Berech- 
tigung zur  Annahme,  dass  des  Künstlers  Phantasie  in  jenen  kriege- 
rischen Zeiten  durch  kriegerische  Vorstellungen  bewegt  ward,  zu  geben. 


xn 


GEMÄLDE,  ZEICHNUNGEN  UND 

ENTWÜRFE 

RELIGIÖSEN  INHALTES 


1*  25 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo 

Der  Antheil,  den  Michelangelo  an  dem  Schaffen  Sebastianos 
gehabt  haben  soll ,  ist  durch  die  neuere  Forschung  auf  ein 
sehr  geringes  Maass  beschränkt  worden.  Die  Studien  für  „die  Auf- 
erweckung  des  Lazarus"  und  ,,die  Geisselung",  welche  die  Tradition 
Michelangelo  zuschrieb,  wurden  Diesem  genommen  und  Sebastiano 
zugewiesen  und  mit  ihnen  eine  grössere  Anzahl  anderer  bisher  für 
Michelangelos  Schöpfung  gehaltener  Zeichnungen,  Die  Anregung 
hierzu  ging  von  Morelli  aus. 

In  einem  Aufsatz  des  Jahrb.  d,  k.  pr.  Kunsts.  (XX,  S.  204 ff.) 
stellte  zuerst  Franz  Wickhoff  die  Behauptung  auf,  Vasaris  Angabe, 
Michelangelo  habe  dem  Sebastiano  seine  Kompositionen  entworfen, 
sei  nicht  glaubwürdig.  Vasari  sei  durch  nach  dem  Tode  Raphaels 
kursirende  Gerüchte ,  welche ,  auf  Äusserungen  Sebastianos  sich 
stützend,  von  der  beabsichtigten  Mitarbeiterschaft  des  Meisters  mit 
dem  jüngeren  Freunde  im  Vatikan  sprachen,  und  durch  den  An- 
blick der  Zeichnungen  Sebastianos  selbst,  die  er  für  solche  Michel- 
angelos hielt,  auf  jene  Ansicht  gebracht  worden.  Und  dass  man 
später  des  Venezianers  Zeichnungen  irrig  Michelangelo  benannt, 
erkläre  sich  leicht,  da  Jener  sich  gewöhnt,  die  Hand  des  Meisters 
nachzuahmen.  Wickhoff,  an  Morellis  Bestimmung  der  einen  Lazarus- 
zeichnung anknüpfend,  nahm  sieben  Blätter,  die  bisher  Michel- 
angelo hiessen,  für  Sebastiano  in  Anspruch:  die  zwei  Studien 
zur  Erweckung  des  Lazarus,  die  zur  Geisselung  Christi  und  die 
Kreuzigung  im  British  Museum,  die  Madonna  mit  Kind  und  Johannes 
in  Windsor,  die  Madonna  mit  Engeln  in  Venedig  und  das  Porträt 
Leos  X.  in  Chatsworth. 

Berenson,  den  so  gewiesenen  Weg,  der  auch  von  Sidney  Colvin 
im  Hinblick  auf  einige  Blätter  beschritten  wurde,  verfolgend,  ging 
weiter  und  fügte  viele  andere  Zeichnungen  der  Liste  hinzu ,  die 
von  den  neuesten  Biographen  Sebastianos :  Giorgio  Bernardini 
(Bergamo   1908)   und  Pietro   d'Achiardi  (Rom   1908)   gebilligt   wird, 

25* 


388  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

obgleich    der  Erstere    Vasaris    Angaben    allgemein    doch    Glauben 
schenkt.     D'Achiardi  hat  seinerseits  Neues  beigebracht. 

Ehe    wir    an    die   Nachprüfung    dieser   Zuschreibungen    gehen, 
müssen  wir   die  Angaben  Vasaris  auf  ihre  Glaubwürdigkeit  prüfen. 

/.  Die  Nachrichten    über  die  Mitarbeiter  schaß  Michelangelos 
an   Gemälden  Sebastianos. 

Folgendes  sind  Vasaris  Äusserungen. 

A.  Im  Leben  Michelangelos  (VII,  272):  ,,Queste  carte  (die  Zeich- 
nungen für  Cavalieri)  sono  State  cagione ,  che  dilettandosi 
messer  Tommaso,  quanto  e'  fa,  che  n'ha  poi  havute  una 
buona  partita,  che  gia  Michelagnolo  fece  a  fra 
Bastiano  Vinitiano,  che  le  messe  in  opere,  che 
sono  miracolose." 

B.  Im  Leben  Sebastianos  (V,  568).  Nachdem  die  zwischen 
Raphael  und  Michelangelo  entstandene  Partheiung  geschildert 
worden,  heisst  es:  ,,Destatosi  dunque  l'animo  di  Michelagnolo 
verso  Sebastiano,  perche  molto  gli  piaceva  il  colorito  e  la 
grazia  di  lui,  lo  prese  in  protezione;  pensando  che  se  egli 
usasse  l'ajuto  del  disegno  in  Sebastiano,  si  potrebbe 
con  questo  mezzo,  senza  che  egli  operasse,  battere  coloro, 
che  avevano  si  fatta  openione,  ed  egli,  sotto  ombra  di  terzo, 
quäle  di  loro  fusse  meglio.  Stando  le  cose  in  questi  termini, 
ed  essendo  molto,  anzi  in  infinito,  inalzate  e  lodate  alcune 
cose  che  fece  Sebastiano  per  le  lodi  che  a  quelle  dava  Michel- 
agnolo, oltre  che  erano  per  se  belle  e  lodevoli;  un  messer 
non  so  chi  da  Viterbo,  molto  riputato  al  papa,  fece  fare  a 
Sebastiano,  per  una  capella  che  aveva  fatta  fare  in  S.  Francesco 
di  Viterbo,  unCristo  morto  con  una  Nostra  Donna 
che  lo  piagne.  Ma  perche,  sebbene  fu  con  molta  diligenzia 
finito  da  Sebastiano,  che  vi  fece  un  paese  tenebroso,  molto 
lodato,  l'invenzione  perö  edilcartone  fudi  Michel- 
agnolo, fu  quell'  opera  tenuta  da  chiunque  la  vide  veramente 
bellissima." 

C.  Ebenda  (V,  568  f.):  „Avendo  Pier  Franceso  Borgherini,  mercante 
fiorentino,  preso  una  capella  in  San  Piero  in  Montorio  entrando 
in  chiesa  a  man  ritta,  ella  fu  col  favor  di  Michelagnolo 
allogata  a  Sebastiano,  perche  il  Borgherino  pensö  come  fu 
vero,  che  Michelagnolo  dovesse  far  egli  il  disegno 
di  tutta  l'opera.  Messovi  dunque  mano,  la  condusse 
con  tanta  diligenza  e  studio  Sebastiano ,  ch'  ella  fu  tenuta 
ed  e  bellissima  pittura;  e  perche  dal  piccolo  disegno 
di  Michelagnolo  ne  fece  per  suo  comodo  alcun  altri 
maggiori,  uno  fra  gli  altri  che  ne  fece  molto  bello  e  di  man 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  ^%q 

sua  nel  nostro  Libro. Ne  tacerö,  che  molti  credono 

Michelagnolo  avere  non  solo  fatto  il  picciol 
disegno  di  quest'  opera,  ma  che  il  Cristo  detto 
che  e  battuto  alla  colonna  fusse  contornato  da 
lui,peresseregrandissimadifferenza  fra  labontä 
di  questa  e  quella  dell'altre  figure. 

D.  Ebendaselbst  (S.  570).  Über  die  Auferweckung  des 
Lazarus:  „la  quäle  fu  contraffata  e  dipinta  con  diligenza 
grandissima,  sotto  ordine  e  disegno  in  alcune  parti 
di  Michelagnolo." 

Diese  bestimmten  Aussagen  Vasaris  sollten  keinen  Glauben 
verdienen?  Sie  gingen  bloss  auf  Gerüchte  zurück?  Vasari  unter- 
scheidet Thatsachen  hier  doch  sehr  ersichtlich  von  Gerüchten: 
bloss  als  ein  solches  bezeichnet  er  die  Meinung,  Michelangelo  habe 
den  gegeisselten  Christus  selbst  auf  die  Wand  gezeichnet.  Und 
Cavalieri,  Tommaso  Cavalieri,  in  Dessen  Besitz  Vasari  die  Zeich- 
nungen Michelangelos  überdies  sah,  wäre,  trotz  seiner  Freundschaft 
mit  dem  Meister,  so  schlecht  unterrichtet  gewesen,  dass  er 
Sebastiano'sche  Zeichnungen  für  Michelangelo'sche  gehalten?  Vasari, 
der  selbst  eine  Zeichnung  Sebastianos  in  seinem  Besitz  hervorhebt, 
so  urtheilslos,  dass  er  der  gleichen  Täuschung  verfallen  wäre  ?  Eine 
so  kritiklose,  willkürliche  Annahme  von  einem  Lehrer  der  Kunst- 
geschichte, wie  Wickhoff,  Einem,  der  noch  dazu  allein  ,, wissenschaft- 
liche Methode"  zu  besitzen  sich  brüstet,  aussprechen  zu  hören, 
muss  befremden  —  doch  vernehme  man  Weiteres ! 

Es  kommt  nämlich  hinzu,  dass  wir,  genügte  auch  Vasaris  Zeug- 
niss  vollständig,  aus  Sebastianos  eigenem  und  Anderer 
Munde  erfahren,  Michelangelo  habe  ihm  Skizzen  für  seine  Werke 
gemacht. 

E.  Brief  Leonardo  Sellajos  aus  Rom  an  Michelangelo,  9.  August 
15 16.  (Frey:  Briefe  S.  31.)  „Avete  a  mandare  el  disegno 
a  Bastiano."  Am  16.  August  schreibt  er,  dass  er  die  Zeich- 
nung empfangen  (Frey,  S.  32),  am  30.  August,  dass  Sebastian© 
in  14  Tagen  die  Arbeit  beginnen  werde  (S.  34),  am  1 1.  Oktober, 
dass  er  den  Karton  mit  grossen  Plänen  begonnen  und  ein 
Wachsmodell  für  den  ,, Christus"  gemacht  habe  (S.  37),  am 
8.  November,  dass  er  ,,zwei  Propheten"  gemacht  und  Ehre 
einzulegen  hofft  (S.  42).  —  Um  welches  Werk  handelt  es  sich 
hier  ?  Jedenfalls  um  eine  Christusdarstellung.  Ist  es  die 
Pietä  in  Viterbo?  Genaues  über  deren  Entstehungszeit  weiss 
man  nicht.  D'Achiardi  verlegt  sie  in  die  Jahre  15 14 — 15 17. 
Andere,  zu  denen  ich  gehöre,  in  spätere  Zeit.  —  Oder  hätte 
Sebastian©  schon  damals,  151Ö,  die  Arbeit  in  der  Kapelle 
von  S.  Pietro    in    montorio    begonnen?      Dass    sie    erst 


390  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

1525  vollendet  ward,  wissen  wir.     Vasari  bemerkt,  Sebastiane 
habe  sechs  Jahre  an  ihr  gearbeitet,  das  würde  den  Beginn  in 
das  Jahr  15 19  ansetzen  lassen.     Wer  weiss,  ob  nicht  Vasaris 
Angabe    nur    eine    sehr    approximative    ist.      In    eben    jenen 
Briefen  Sellajos   ist   öfters  die  Rede  von   dem  Pier  Francesco 
Borgherini,    wenn    auch    nicht    direkt    in   Beziehung    zu    der 
Kapelle,    und    die  Bemerkung,   Sebastiano    habe  zwei  Pro- 
pheten (vermuthlich  im  Karton)  angefertigt,  macht  es  doch 
sehr  wahrscheinlich,  dass  jene  Kapelle  gemeint  ist,  über  deren 
Eingang    ein    Prophet    und    eine    (sehr    männlich    wirkende) 
Sibylle   sich   befinden.     (Von  anderen  Prophetendarstellungen 
Sebastianos    wissen    wir    Nichts.)      Dann    wäre    der   erwähnte 
Christus,  von  dem  der  Maler  ein  Thonmodell  —  die  Gewohn- 
heiten und  den  Rath  Michelangelos  sich  zu  eigen  machend  — 
angefertigt,  der  Christus  an  der  Säule,  und  die  von  Michel- 
angelo  übersandte  Zeichnung,   nach  welcher  Se- 
bastiano   einen    Karton     ausführt,    war    offenbar 
eine  Studie   für  die  Kapelle,   vermuthlich  für  die 
Geisselung.  —  Die    Wahrscheinlichkeit   wird    zur    Gewiss- 
heit, wenn  wir  in  einem  Briefe  Leonardo  Sellajos  vom  i.  März 
15 17  (Frey,  S.  63)  lesen:  ,,Bastiano  a  grande  animo  e  domane 
chominca    la    chapella.      Dio    gli    dia    vetoria."      Unmittelbar 
darauf  ist  wieder  von  Borgherini  die  Rede. 
Also  Michelangelo  hat  Sebastiano  (mindestens)  eine  Zeichnung 
für   die  Kapelle    gemacht.  —  Anfang    15 17    übernimmt  Sebastiano 
den  Auftrag  auf  die  Auferweckung  des  Lazarus  (Frey:  Briefe  S.  58), 
die   er  im  September   begonnen   hat  (S.  79).     Michelangelos  Zeich- 
nung,   die    aber   in   Briefen   nicht   erwähnt   wird,    muss    also    wohl 
Anfang  15 17  entstanden  sein. 

F.  In  dem  oben  erwähnten  Briefe  Sellajos  vom  i.  März  15 17 
heisst  es:  ,, Pierfrancesco  fece  fare  un  quadro  a  quello  Andrea 
(del  Sarto)  e  non  e  a  modo  suo :  sta  disperato.  Ora  Bastiano 
dice,  avendo  uno  vostro  chartone,  apunto  gli 
basterebbe  l'animo  di  eseguire  asai:  siehe  parendo 
vi,  potendo  o  volendo,  vi  si  manderebbe  le  misure  e  uno 
aposta  per  esso:  siehe  risponderete."  —  Man  sieht,  wie  sicher 
Sebastiano  schon  auf  die  Hülfe  Michelangelos  vertraut. 

G.  Als  es  sich  nach  Raphaels  Tode  um  die  Ausmalung  der  Sala 
del  Costantino  handelt,  möchte  Sebastiano  durch  des  Meisters 
Vermittlung  dort  beschäftigt  werden.  Und  zwar  offenbar  wieder 
in  dem  Sinne,  dass  Michelangelo  die  Aufgabe  übernehme 
und  die  Entwürfe  mache,  denn  schon  am  3.  Juli  1520  schreibt 
Sebastiano:  ,,quella  sala  non  e  opera  da  zoveni,  la  non  e  se 
da  vui et  se  guadagnaria  grande  honore  et  gran 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  391 

danari  se  vui  volesti  pigliare  questo  assonto,"    (Milanesi:  Les 
correspondants  de  M.   I.  Seb.  d.  P.  S.  8.)     Und    später,    was 
deutlich    zeigt,    dass    Michelangelo    die   Zeichnungen   machen 
und  er  sie  ausführen  wollte:  „et  con  mezo  vostro  far  le  vendete 
vostre    et    mie    a    un    trato    et    dare    ad    intendere    a   le 
persone  maligne  che  '1  c'  e  altri  semidei  che  Rafael  da  Urbino 
con  e  soi  garzoni"  (a.  a.  O.  S.  16).    Und  am  15.  Oktober  be- 
richtet er  von  einem  Gespräch  mit  dem  Papste:  „io  li  riposi 
che    con    l'ajuto    vostro    a    me    basteria   l'animo    di    far 
miracoli."     (Gaye  II,  489.) 
H.  Im  Jahre   1532   war  Sebastiano  mit  dem  ihm  angeblich  früher 
von  Agostino   Chigi  ertheilten  Auftrag    der   malerischen  Aus- 
schmückung   der   Kapelle  Chigi    in    S.  Maria   del  popolo    be- 
schäftigt.   Auch  für  diese  Arbeiten  bittet  er  sich  Zeichnungen 
von  Michelangelo  aus.    Er  schreibt  am  25.  Mai  (nicht  25.  März, 
wie  Milanesi:  a.  a.  O.  S.  86  angiebt,  vgl.  Annalen  im  I.  Bande 
meines  ,, Michelangelo") :    „circha   a    la   cossa  mia  pigliatela  a 
vostra   comoditä,    et  quando  vi  viene  bene,    che  tutto  quello 
place    a  vui   piacerä   a  me.     Arecordatevi   che    la    vä   a   lume 
roverso    per   amore    de    la   porta   de  la  chiesa.     Cussi  ancora 
grandissimo    apiacere  me  faresti    de  un  pocco  de  lume  de  la 
storia  de  laNativitä  de  Nostra  Donna  con  un  Dio  Padre 
de  sopra  con  Agnoletti  intorno  pur  al  medesmo  lume,    facto 
grosso    modo ,    a    me    mi    basta  solamente  chiarirmi  come  la 
intenderesti  vui  circha  l'inventione,  perche  fine  (offenbar:  sine) 
tuo    lumine    nichil   est  in  homine,    e  se  io  vi  do  troppo  noja 
perdonate  me  et  sopra  tutto  advertite  de  mandarmi  tal  cossa 
de   modo  che  non  se  smarischano  et  che  non  capiti  immano 
de  altri  che  in  le  man  mie.    Et  se  non  havete  messo  piü  che 
fidato  non  le  mandate,  piü  presto  aspetarö  in  sino  a  la  venuta 
vostra   et   vui   la   le  portarete,    siehe    io    non    ve    dirö  altro." 
(a.  a.  O.  S.  88.) 
Hier  handelt  es  sich  also  um  zwei  allgemeine  (a  grosso  modo) 
Entwürfe:  den  für  die  Geburt  der  Maria,  und  zwar  wie  man  sieht, 
für    die    gesamte   Komposition    und    einen    anderen,    der   nach    der 
Bemerkung  über  das  Licht  und  die  Nähe  der  Kirchenthüre  gleich- 
falls auf  die  Kapelle  sich  bezieht.     Ausser  dem  Altargemälde  sollte 
Sebastiano    hier  ja   auch    Wandbilder    malen    —    wir   wissen    nicht 
welchen  Vorwurfes. 

I.  Am  15.  Juli  1532  dankt  Sebastiano  für  die  Zeichnung  eines 
Christus,  die  Michelangelo  ihm  gesandt.  ,,Io  ho  ricevuto 
in  piü  partite  3  vostre  littere  con  el  disegnio,  del  che  vi 
rengratio  quanto  si  po  rengratiare,  et  satisfarmi  assai,  perö 
el  Cristo    da   le    braze    et    la   testa    in  fora,   e  quasi  similc  a 


392  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

quello  de  Sancto  Pietro  Montorio,  ma  pure  io  me  accomoderö 

meglio    che   potrö"  (S.  98).     Die    hervorgehobene  ÄhnUchkeit 

des  Christus  mit  dem  in  S.  Pietro  lässt  mich  vermuthen,  dass 

es  sich  wohl  um  eine  Zeichnung  für  das  Gemälde  in  Madrid: 

Christus    im  Limbus    handelt,    da   hier  in  der  That  eine 

auch   von  d'Achiardi    bemerkte  Ähnlichkeit  mit  dem  Christus 

an  der  Säule  sich  geltend  macht  und  das  Madrider  Bild  seinem 

Stil  nach  in  diese  Zeit  gehört. 

K.  Ferner  mag   noch    eine   Bitte,    die    Sebastiano  in    demselben 

Briefe    ausspricht  (S.  100),    hier   angeführt   werden:    ,,pregovi 

arecordatovi  di  portarmi  qualche  cossa  figure  o  ganbe  o  corpi 

o    brace    che  tanto  tempo  le  ho  dessiderate  come  vui  sapete 

che  si  prosuntuosamente,  ve  lo  a  recordo,    perdonateme  che 

'1    grandissimo    desiderio  che  ne  ho  me  lo  fa  fare  et  l'amore 

che  io  vi  porto." 

Endlich  möchte  ich  den  Auftrag  erwähnen,  den  Matteo  Malvezzi 

in  Bologna  1529  Michelangelo  ertheilte,   ihm,  wenn  nicht  das  Bild, 

so  doch  eine  Zeichnung  (Karton)  für  eine  Madonna  mit  vier  Heiligen 

zu    machen,    die    dann  Sebastiano   ,,koloriren"    solle.     Obgleich    es 

sich  ja  hier  nicht  um  eine  Bestellung  an  Sebastiano  handelt,   wirft 

die   Thatsache    doch    auch   Licht   auf  das   Verhältniss    der    beiden 

Künstler  zu  einander  und  beweist,  dass  es  bekannt  war,  Michelangelo 

lasse  eigene  Ideen  durch  Sebastiano  malerisch  verwirklichen. 

Allen  diesen  Zeugnissen  gegenüber,  die  Vasaris  Angabe  voll- 
auf bestätigen,  konnte  Wickhoff  es  leugnen,  dass  Michelangelo 
Zeichnungen  für  Sebastianos  Gemälde  angefertigt.?!  Solche  und 
ähnliche  Behauptungen  des  in  seinem  Urtheil  über  Fachgenossen 
so  anmaassenden  Wiener  Kunsthistorikers  zu  kennzeichnen ,  über- 
lasse ich  gerne  Anderen. 

Fassen  wir  kurz  die  Thatsachen  zusammen!  Für  folgende 
Bilder  Sebastianos  ist  die  Mitarbeiterschaft  Michelangelos  sicher 
bezeugt : 

1.  Die  Pietä  in  Viterbo.  Zeichnung  und  Karton  für  die 
Gruppe   von   Michelangelo.     Die   Landschaft    von    Sebastiano. 

2.  Die  Geisselung  in  S.  Pietro  in  montorio.  Kleine 
Zeichnung  von  Michelangelo  15 16.  Ob  er  auch  für  die  anderen 
Fresken  Entwürfe  gemacht  hat,  bleibt  dahingestellt.  —  Einige, 
zu  denen  unter  den  Neueren  d'Achiardi  gehört,  waren  der 
Meinung,  der  Meister  habe  den  Christus  selbst  auf  die  Wand 
gezeichnet. 

3.  Die  Auferweckung   des  Lazarus   in   London.     Nach 
,     Michelangelos    Angaben    und   Zeichnung    (für    einige   Theile). 

Anfang  1517. 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  303 

4.  Die  Geburt  der  Maria  in  S.Maria  del  popolo.  Der 
Entwurf  Michelangelos  umfasste  vielleicht  die  ganze  Kompo- 
sition  1532. 

5.  Christus  im  Limbus  in  Madrid.  Die  Skizze  zum  Christus 
scheint  von  Michelangelo   1532  angefertigt  worden  zu  sein. 

Hinzuzufügen  mit  einem  Fragezeichen  ist  noch. 

6.  Das  Gemälde  für  Pier  Francesco  Borgherini,  das 
sich  im  Jahre  15 17  „mit  einem  Karton  des  Meisters"  zu  machen 
Sebastiano  bereit  erklärte  und  das  im  April  1525  vollendet  ward. 
Es  fragt  sich,  in  welchem  der  erhaltenen  Bilder  wir  es  wieder- 
erkennen dürfen.  Berenson  meinte:  in  der  „hl.  Familie  mit 
dem  Donator"  der  Londoner  National  Gallery.  Ich  halte  dies 
für  sehr  möglich.  D'Achiardis  Einwurf,  das  Bild  sei  dem  Stile 
nach  früher  als  1525,  ist  nicht  stichhaltig,  da  es  wahrschein- 
lich schon  15 17  begonnen  ward.  Er  nimmt  an,  mit  dem  1525 
erwähnten  „quadro"  sei  die  Geisselung  in  S.  Pietro  in  mon- 
torio,  die  Sebastiano  ja  auch  für  Borgherini  gemalt,  gemeint. 

Hier  wie  in  anderen  Fällen  geht  d'Achiardi  fehl,  weil  er  Freys 
,, Briefe  an  Michelangelo"  nicht  berücksichtigt  hat.  —  Ausser  dem 
Londoner  Bilde  könnten  in  Frage  kommen  wohl  nur:  die  Beweinung 
Christi  in  Petersburg  und  die  Madonna  del  Velo  in  Neapel. 

Die  Frage,  ob  Michelangelos  Hülfe  sich  auf  diese  Gemälde 
beschränkt  oder  nicht  auch  auf  andere  Werke  Sebastianos  erstreckt 
habe,  bleibt  offen.  Das  letztere  anzunehmen,  hindert  Nichts,  da 
aus  der  Summa  jener  Zeugnisse  hervorgeht,  welche  Scheu  der  Vene- 
zianer trug,  sich  auf  sich  selbst  zu  verlassen  und  sein  dank  des 
Meisters  Unterstützung  gewonnenes  Ansehen  aufs  Spiel  zu  setzen. 
Er  war  sich  seines  Mangels  an  Begabung  für  grössere  Entwürfe 
wohl  bewusst.  Nur  auf  dem  Gebiete  des  Porträts  fühlte  er  sich 
ganz  sicher. 

2.  Die  Zeichnungen  zu   Ge77iälde?z  Sebastianos. 

Suchen  wir  uns  zunächst  davon  zu  unterrichten,  welche  Er- 
scheinungen in  Stil  und  Behandlung  Wickhoff  und  Berenson  bewogen 
haben,  viele  bisher  nicht  angezweifelte  Zeichnungen  Michelangelo 
zn  nehmen  und  Sebastiano  zu  geben,  so  treffen  wir  auf  an  sich 
beachtenswerthe  Momente.  Das  Bedenkliche  ist  nur  dieses,  dass 
Beide  ihre  Argumentation  auf  sicher  beglaubigte  Blätter  Sebastianos 
nicht  stützen  konnten  und  dass  jede  Zuschreibung  einer  neuen 
Zeichnung  immer  wieder  nur  auf  einer  anderen  Zuschreibung  fusste. 
Nehmen  wir  an,  dass  einmal  fälschlich  ein  ächter  Michelangelo  für 
Sebastiano  erklärt  ward,  so  musste  dies  zur  unabweislichen  Folge 
haben,  dass  andere  ächte  Michelangelos  auch  zu  Sebastianos  wurden. 
Und  dies  geschah  nach  meinem  Dafürhalten  in  weitestgehender  Weise: 


394  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


Michelangelo  ist  einer  Anzahl  herrlicher  Ideen  beraubt  worden. 
Wohin  das  rollende  Rad  getrieben  wurde,  sehen  wir  bei  d'Achiardi, 
der  selbst  eine  so  unverkennbare  Michelangelo'sche  Studie,  wie  den 
Christus  der  Pietä  im  Louvre,  für  Sebastiano  erklärte.  Wer  kon- 
sequent wäre,  müsste  dazu  gelangen,  Sebastiano  überhaupt  in  Michel- 
angelo zu  verwandeln.  Die  Münchhausen'sche  Geschichte  vom  Wolf, 
der,  das  Pferd  verzehrend,  schliesslich  an  dessen  Stelle  im  Geschirr 
des  Gefährtes  sich  befand. 

Der  von  Morelli  gegebene  Ausgangspunkt  war  richtig,  aber  es 
sind  Irrwege  eingeschlagen  worden. 

Es  gilt  zunächst,  die  von  den  beiden  Forschern  hervorgehobenen 
für  Sebastiano  geltend  gemachten  Eigenthümlichkeiten  festzustellen 
und    zu    prüfen,    ob   sie  ausschlaggebend  sind  für  die  Bestimmung. 
Allgemeinere     ästhetische    Auffassungen    berücksichtigen    wir    erst 
später. 

Wickhoff  hebt  hervor :  Mangel  an  Geschlossenheit  im  Umriss 
der  Komposition,  (Licht  zwischen  den  Figuren  im  Sinne  des  vene- 
zianischen Malers,  ausgreifende  Extremitäten),  malerische  Behand- 
lung in  breiten  Parallelstrichen,  schlecht  verstandene  krallige  Finger, 
ungeschickte  Zeichnung  der  Fussknöchel.  Berenson:  malerische 
Auffassung,  lose  Behandlung  und  parallele  Schraffirung,  prominente, 
fast  monströse  äusserste  Fingergheder,  kralHge  Bewegung;  scharf 
zugespitzte  Nasen,  sehr  spitz  unten  zulaufende  Beine,  exkreszente 
Fussknöchel,  starke  Einziehung  des  Beines  über  und  unter  dem 
Knie,  grosse  Länge  der  Figuren,  nur  angedeutetes  Haar,  Hände  und 
Füsse  häufig  unausgeführt. 

Nun  möchte  ich  zunächst  einmal  entschieden  betonen,  dass 
Michelangelo,  wie  zahlreiche  Studien  ergeben,  in  diesen  die  Hände 
und  Füsse  vernachlässigt  hat.  Er  lässt  sie  oft  unausgeführt  oder 
deutet  sie  sehr  vage  an.  Seltsam  genug,  aber  es  sieht  so  aus,  als 
habe  er  keine  leichte  Fertigkeit  in  der  Zeichnung  dieser  Extremi- 
täten besessen.  Wollte  ich  alle  Beispiele  hiervon  anführen,  es 
würde  eine  grosse  Liste:  sie  nöthigen  dazu,  diese  Vernachlässigung 
als  ein  charakteristisches  Merkmal  Michelangelo 'scher  Entwürfe  zu 
betrachten.  So  besagt  es  Nichts,  wenn  Wickhoff  zu  der  einen 
Skizze  zur  Auferweckung  Lazari  in  London  bemerkt:  ,,der  Künstler 
hat  Knöchel  und  Füsse  immer  und  immer  wieder  gezeichnet  und 
sich  ihr  Skelett  in  der  betreffenden  Stellung  und  Verkürzung  ver- 
deutlicht. Und  das  soll  Michelangelo  sein,  der  sich  ein  Jahr  vor 
Raphaels  Tode  mit  der  Darstellung  eines  nackten  Fusses  abplagen 
muss?" 

Mit  jener  EigenthümUchkeit  hängt  nun  aber  Anderes  zusammen, 
dass  wir  nämlich  die  sogenannte  krallige  Hand  oft  in  Michel- 
angelo'schen  Skizzen  finden,  sowohl  die  flüchtig  hingeworfene  Form 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  395 

einer  Hand  mit  auseinanderstehenden  scharf  zugespitzten  Fingern, 
als  eine  andere,  welche  die  beiden  letzten  Fingerglieder  scharf 
gebogen  zeigt.  Man  vergleiche  z.  B.  nur  folgende  Zeichnungen: 
die  Darstellungen  des  Auferstehenden  bei  Malcolm  und  in  Windsor, 
die  Madonna  (,, Antonio  disegna"),  den  Jonas  und  die  zwei  einen 
dritten  tragenden  Männer  im  British  Museum,  die  Anna  selbdritt 
und  den  Arm  auf  der  Davidzeichnung  im  Loüvre,  die  Studie  zum 
Adam  in  der  Casa  Buonarroti,  die  Krieger  und  die  Bettlerin  in 
Oxford.  Ja,  mehr  als  dies:  die  Hand  mit  der  scharfen  Biegung  der 
beiden  letzten  Fingerglieder  begegnet  uns  häufig  auch  in  den  aus- 
geführten Werken,  z.  B.  rechte  Hand  des  David,  die  Hände  der 
Cumaea,  die  Linke  Daniels,  die  Linke  des  Ignudo  links  von  Ezechiel, 
die  Rechte  des  Ignudo  rechts  von  Libica,  die  Rechte  der  Frau  in 
der  Ezechiasstichkappe ,  die  Rechte  des  Siegers,  die  Rechte  des 
Lorenzo  Medici,  die  Linke  der  Aurora,  die  Rechte  der  Madonna 
im  Jüngsten  Gericht,  die  Rechte  des  Christus  in  der  Florentiner 
Pietä.  Es  handelt  sich  also  um  etwas  für  ]\Iichelangelos  Kunst 
geradezu  Typisches !  Und  für  die  stark  ausgebildeten  Fussknöchel 
gilt  das  Gleiche.  Ich  erwähne  vor  Allem  den  Christus  in  der  Auf- 
erstehung zu  Windsor,  wo  sie  ungemein  auffallend  sind,  die  Bein- 
studie für  den  Ignudo  der  Sixtina  in  den  Uffizien,  die  Figuren  für 
den  Karton  von  Pisa  in  der  Albertina,  Bein  und  Fuss  im  British 
Museum  (Br.  6)  und  die  Studien  für  Haman  ebendaselbst  u.  s.  w. 
Ebenso  finden  wir  die  zugespitzten  Beine  häufig.  Man  betrachte 
die  Studien  zum  Jüngsten  Gericht  in  den  Uffizien  und  in  der  Casa 
Buonarroti,  die  Auferstehung  in  Windsor  und  die  in  Paris,  Herkules 
und  Antäus  und  die  zwei  einen  Dritten  Tragenden  im  British 
Museum,  die  Phaetonzeichnung  in  Haarlem,  und  neben  manchem 
Anderen  vornehmlich  den  Tityos  in  den  Uffizien. 

Hat  Sebastiano  diese  Formenbesonderheiten  in  seinen  Zeich- 
nungen, dann  hat  er  sie  von  Michelangelo  —  auf  sie  kann  es  bei 
einer  Bestimmung  nicht  ankommen,  wenn  ich  auch  zugebe,  dass 
besonders  übertriebene  Bildungen  genannter  Art  gegen  Michelangelo 
und  für  Sebastiano  mitsprechen  könnten.  Die  Beobachtungen 
solcher  Details  durch  Wickhoff  und  Berenson  sind  richtig  —  aber 
das  Interessante  ist,  dass  diese  Eigenthümlichkeiten  Michelangelo'sche 
sind  und  es  sehr  schwer  zu  beurtheilen,  ob  er  sie  nicht  selbst  bei 
flüchtigen  Entwürfen  bis  zum  Absonderlichen  gesteigert  hat.  Auf 
einzelne  lehrreiche  Beispiele  komme  ich  noch  zu  sprechen.  Auch 
auf  das  ,, angedeutete  Haar"  (vgl.  den  Auferstehenden,  Malcolm)  ist 
kein  Gewicht  zu  legen ,  und  von  loser  Behandlung  kann  man  bei 
gar  manchen  Zeichnungen  Michelangelos  sprechen:  z.  B.  der  Frauen- 
gruppe unter  dem  Kreuz  im  British  Museum,  den  Ringenden  im 
Louvre,  dem  OpferAbrahams     in  der  Casa  Buonarroti,  dem  Tityos 


390  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

in  den  Uffizien.  Es  bleiben  als  bedeutsam  nur:  die  malerische,  lose 
Kompositionsart,  die  breite  Schraffirung  (obgleich  solche  bei  Michel- 
angelo öfters  vorkommt:  z.  B.  Sklave  in  Windsor,  Br.  115),  die  zu- 
gespitzte Nasenform  und  die  Länge  der  Gestalten  (die  wir  freilich  in 
späteren  Zeichnungen  des  Meisters  auch  finden).  Diese  Momente 
haben  bei  der  Bestimmung  mitzusprechen,  für  welche  schliesslich 
aber,  angesichts  der  vorausgesetzten  weitgehenden  Imitation  Michel- 
angelo'scher  Art  durch  Sebastiane,  ausschlaggebend  Geist,  Bedeutung 
und  künstlerische  Qualität  sein  muss.  Im  höheren  Maasse  auch, 
als  bisher  geschehen ,  müssen  die  Gemälde  des  Venezianers  zum 
Vergleich  herangezogen  werden. 

Die  Auferweckung  des  Lazarus. 

Die  zwei  Rötheistudien  zu  Lazarus  mit  den  ihn  nächst  um- 
gebenden Figuren  sind  die  im  British  Museum  befindlichen,  unten 
unter  I  und  la  angegebenen.  Ich  kann  mich  nicht  genug  darüber 
verwundern,  wie  Wickhofif  und  Berenson  so  kurzsichtig  sein  konnten, 
die  vollständige  Verschiedenheit  dieser  beiden  Zeichnungen  in  Auf- 
fassung, Formensprache  und  Behandlung  zu  verkennen.  (Morelli, 
Wickhoffs  Pfadweiser,  hat  sich  hiervor  wohl  gehütet !)  Stehen  sich 
hier  doch  Michelangelo  und  Sebastiano  in  so  ausgesprochener  Weise 
gegenüber,  dass  der  Vergleich,  lehrreich  wie  kein  anderer,  ent- 
scheidend für  alle  anderen  Bestimmungen  werden  muss.  Indem  sie 
die  herrliche,  gewaltige  Studie  des  Lazarus  mit  ausgestrecktem  Arme 
(folg.  Nr.  I)  Sebastiano  zuerkannten ,  betraten  beide  Forscher  von 
Vorneherein  jenen  Irrweg,  von  dem  ich  oben  sprach.  Auf  sie  hin 
mussten  zahlreiche  Blätter  es  sich  gefallen  lassen,  aus  Michelangelos 
Werkstatt  in  die  Sebastianos  verwiesen  zu  werden.  Man  vergleiche 
unbeirrten  Auges:  in  I  höchste  plastische  Kraft  der  Gestaltung,  in  la 
flacher,  malerischer  Schein  von  Körperlichkeit,  in  I  eine  lebendige 
Durchbildung  des  Anatomischen  bis  in  die  feinsten  Formbewegungen 
hinein,  wie  wir  sie  nur  in  den  Zeichnungen  des  Einen,  Michelangelo, 
finden,  in  la  ein  oberflächliches  Sichbeschränken  auf  das  All- 
gemeinste, in  I  eine  überwältigende  Umittelbarkeit  der  Naturbeob- 
achtung und  eine  in  den  Fussstudien  sich  äussernde  rastlose  Ge- 
wissenhaftigkeit, in  la  eine  ausgesprochene  bequeme  Manier,  in  I 
eine  sorgfältig  vertreibende,  jeder  Form  nachgehende  Zeichnungs- 
weise (im  Lazarus),  in  la  nur  allgemeine  Andeutung  von  Schatten 
und  Licht  in  gleichmässig  durchgeführter  Parallelschraffirung ,  in  I 
nachdrückliche  Bestimmtheit  der  Konturen,  in  la  verschwimmende 
Umrisse ! 

I.  Studie  Michelangelos  zur  Auferweckung  Lazari.  Röthel.  British 
.Museum  1860 — 7 — 14—2.  Thode  330.  Ber.  2483.  Phot. 
Br.  7.     Die   Stellung    des    Lazarus    ist   im  Allgemeinen   schon 


Zeichnungen  fiir  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  397 

die,    wie   im   Gemälde,    nur   ist  der  Kopf  mehr    nach  hinten 
gesenkt,  der  rechte  Arm  erhoben  nach  links  (Christo  zu)  aus- 
gestreckt  und    das  rechte    erhobene  Bein    nicht  an  das  linke 
Knie  gelegt,  sondern  gegen  den  Sarkophag  gestemmt.     Das 
Leichentuch    ist   nur    wenig  sichtbar,    eine  Binde  ist  um  den 
Kopf  geschlungen.     Der  Mann    rechts ,    ganz    sichtbar ,    kniet 
neben  dem  Sarkophage  und  fasst  das  Leichentuch  unter  Lazari 
linkem  Bein.     Über  ihm  ist  der  Kopf  der  zweiten  Person  noch 
nicht  zu  sehen.     Die  im  Rücken  des  Auferweckten  stehende, 
nach    rechts    sich    herabbeugende    Figur    ist    mit   flüchtigen 
Strichen  angedeutet,  der  im  Bilde  entsprechend.    Unten  vier- 
mal ein  Fuss  skizzirt,  —  für  welche  Gestalt  ^   Nur  oberflächlich 
hinblickend  hat  man  wohl  gemeint:  für  eine  der  Figuren.  Nein, 
er  stimmt  zu   deren  keiner  —  vielmehr  hat  er  uns  etwas  un- 
gemein Wichtiges    zu  sagen.     Es  sind  Studien    für    den 
linken    Fuss    Christi    in    dem    Gemälde.      Also    hat 
Michelangelo    auch    den    Christus    entworfen.      Ich    muss    ge- 
stehen, dass  mir  hierüber  längst  kein  Zweifel  geblieben,  lange 
bevor   ich   diesen  Zusammenhang    erkannte.     Diese    erhabene 
Erscheinung  konnte  nur  von  Einem  geschaffen  werden.     Wir 
dürfen  auch  getrost  annehmen,  dass  die  (verlorene)  Zeichnung, 
die  Sebastiano  benutzte,    von    ihm  im  Gemälde  treu  wieder- 
gegeben   worden    ist.     Mit  der  Lazarusgruppe    aber  nahm  er 
eine   Veränderung    vor,    und    diese    zeigt    uns    eben    seine 
Zeichnung: 
la.  British  Museum.      1860 — 7 — 14 — i.     Röthel.     Studie  zur  Auf- 
erweckung.      Thode   329.      Ben   2484.     Phot.    Br.  20.     Den 
ausgestreckten    rechten    Arm    des  Lazarus   lässt    er   über    die 
Brust  nach  dem  Leichentuch  greifen,  setzt  in  dessen  unteres 
Ende  den  rechten  Fuss  vor  dem  linken  Knie  und  bringt  den 
Kopf  in  gerader  Profilhaltung.     Den  Mann  rechts  versetzt  er 
in    das  Innere    des  Sarkophages,    aus  dem    er  sich   vorbeugt, 
um  das  Tuch  zu  fassen.     Hierdurch  entsteht  ein  leerer  Raum 
zwischen  dessen  Kopf  und  dem  hinteren  Mann ;  er  wird  durch 
den  Kopf  eines  Dritten  ausgefüllt. 
Dürfen  wir  diese  Veränderungen  billigen.^    Der  Abstand  zwischen 
der  Komposition  des  Meisters  und  der  Auffassung  des  Schülers  ist 
ein    grosser.      Gerade    herausgesagt:    Sebastiano    hat    den    grossen 
Gedanken  Michelangelos  gar  nicht  gefasst,  er  trivialisirt  ihn.     Offen- 
bar  bewog   ihn    die  Scheu    vor    der   langen    Linie ,  '  die    durch    die 
beiden    ausgestreckten  Arme   Lazari   und  Christi    entstanden   wäre, 
und  giebt  er  desswegen  Michelangelos  Motiv  auf.    Aber  er  hat  eben 
dessen  Bedeutung,   wie    auch    die  Bedeutung  der  Kopfhaltung  gar 
nicht  erkannt. 


398  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Man  ergänze  sich  zu  Michelangelos  Zeichnung  den  Christus  — 
und  was  steht  vor  uns?  Eine  neue  grossartige  Fassung 
der  Idee  der  Erschaffung  Adams!  Es  ist  dieselbe  Kopf- 
haltung, derselbe  Ausdruck,  wie  im  Adam.  An  diesen  erinnert 
auch  die  erste  Bewegung  des  zum  Leben  Erwachenden:  das  auf- 
gestemmte Bein  und  die  sich  nach  dem  Lebengebenden  hinbewegende 
Hand.  Und  wie  aus  Gottvaters  Hand  strömt  aus  der  Christi  die 
Kraft  aus.  Wer  noch  nach  einem  Beweise  dafür  sucht,  dass  auch 
der  Christus  von  Michelangelo  geschaffen  wurde,  hier  ist  er! 

Nur  als  eine  Vermuthung  spreche  ich  es  aus ,  dass  auch  der 
knieende  Alte,  die  inbrünstig  aufschauende  Maria  und  die  gross- 
artige, von  Schrecken  durchbebte  Martha  in  den  Skizzen  des  Meisters 
gegeben  waren  —  alle  anderen  Figuren  dürften  von  Sebastiano 
hinzugefügt  worden  sein.  Da  es  aber  auf  sie  nicht  sehr  ankommt, 
stammt  die  Komposition  in  allem  Wesentlichen  von  Michelangelo 
her,  nur  dass  er  den  Lazarus  erhabener  und  seelenvoller  und  die 
Verdeutlichung  des  Wunders  ausdrucksvoll  anschaulicher  ge- 
dacht hatte. 

Und  nun  begreifen  wir,  warum  der  Eindruck  dieses  Werkes 
zu  den  mächtigsten  gehört ,  welche  die  Kunst  jener  Zeit  hervor- 
bringt. Nicht  Sebastiano  —  Michelangelo  hatte  über  Raphael  ge- 
siegt. Aber  seien  wir  gerecht:  er  hatte  einen  Maler  für  die  Ver- 
wirklichung seiner  Idee  zur  Verfügung,  mit  dem  sich  die  Künstler, 
welche  den  Entwurf  Raphaels  für  die  Transfiguration  ausführten, 
nicht  messen  konnten. 

Die  Geissei ung  Christi. 

Zwei    Zeichnungen    der   Malcolmsammlung  im  British  Museum 
sind  Studien    für  die  Komposition.     Die  eine  (Malcolm  366),  bloss 
den  Christus  'darstellend ,    trug   schon    früher  und   trägt  auch  jetzt 
mit  Recht  den  Namen  Sebastianos.     Die  andere,  unter  Michelangelos 
Zeichnungen  aufbewahrt,  erhieltdurch  Wickhoff  die  neue  Benennung. 
II.  London.     British   Museum.     Malcolm  63.     1895 — 9 — ^5 — 500- 
Thode  349.     Ber.  2487.     Abb.  Ben     PI.  CXLVI.     Phot.    Br. 
Exp.  Ecole  d.  b.  a.  6g.      Leicht   in  Röthel    ausgeführt,    zeigt 
sie  die  ganze  Komposition :  Christus  an  der  Säule  von  sechs 
Schergen,    links    mehr   im  Mittelgrunde  Pilatus  auf  erhöhtem 
Sitze ,    eine   sitzende  Figur  zu  seinen  Füssen ,  eine    stehende, 
den  Arm  erhebende  hinter  ihm.     Die  Stellung  Christi   ist  im 
Allgemeinen  (nur  im  Gegensinne)  schon  die  des  Fresko,  doch 
ist  die  Kopfhaltung  aufrecht  und  die  Bildung  jugendhcher  als 
im  Fresko,     Diesem   entspricht  die  Stellung   der  beiden  vor- 
deren   Geisselnden   schon   im    Wesentlichen     (nur    greift   der 
rechts  in    die  Haare  Christi),    die    hinteren    sind    anders.     Im 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  300 

Wandbild    ist    eine    Vereinfachung    vorgenommen     worden: 
Pilatus  mit  seinen  beiden  Begleitern,  der  eine  Scherge   links 
und    der  Mann    mit   dem  Kinde    rechts    wurden    weggelassen, 
die  Portikusarchitektur   der  Zeichnung   in  einen  Basilikaraum 
mit  Säulen  verwandelt. 
Vielleicht   hatte    Wickhoff  hier   Recht    mit   seiner   Benennung. 
Die  lockere  Behandlung,  die  übertrieben  langen  Proportionen,  die 
Manierirtheiten    in    der    Formensprache    lassen    dieselbe   Künstler- 
hand erkennen,  wie  die  Sebastiano'sche  Lazaruszeichnung.     Zu  be- 
merken ist,  dass  eine  Figur :  die  Christi,  energischere  Betonung  der 
Konturen  und  sorgfältigere,  vertriebenere  Durchbildung  des  Anato- 
mischen zeigt,  als  die  anderen,    wie  auch  auffallender  Weise  rich- 
tigere  Verhältnisse:    die  Gestalt   ist  kürzer,    gedrungener.     Ich    er- 
kläre mir  dies  so,  dass  entweder  Michelangelo  sie  selbst  gezeichnet 
und  Sebastiano  das  Andere  hinzugefügt  hat,  oder  dass  Letzterer  eine 
Vorlage  des  Meisters  im  Christus  genau  kopirte. 

Vergleichen  wir  nun  Fresko  und  Zeichnung,  so  springt  in  die 
Augen,  dass  der  Christus  auf  jenem  durch  Ausprägung  des  Leidens 
im  stark  gesenkten  Kopfe  bedeutend  eindrucksvoller  und  die  in  der 
Studie  lahme  Bewegung  viel  energischer  geworden  ist.  Das  Ein- 
greifen Michelangelos,  der  vermuthlich  auch  auf  die  Vereinfachung 
der  Komposition  gedrungen  haben  wird,  ist  ersichtlich.  Der  Vor- 
gang dürfte  also  derart  gewesen  sein :  er  verfertigte  zuerst  eine 
Zeichnung  des  Christus  in  ruhigerer  Haltung,  den  Sebastiano  zum 
Mittelpunkt  seiner  Darstellung  machte,  dann  vereinfachte  und  ver- 
stärkte er  korrigirend  die  letztere  und  gab  dem  Dulder  diese  aus- 
drucksvollere Kopfhaltung.  Die  grossartige,  erschütternde  Wirkung 
des  Gemäldes  wird  ihm,  der  von  ihm  geschaffenen  Gestalt  an  der 
Säule,  verdankt. 

Es  war  das  Werk  seines  Meisters,  dem  Venusti  huldigte,  als 
er  die  Kopie  in  der  Galerie  Borghese  verfertigte,  von  dem  sich 
Kalvaert  in  dem  Gemälde  der  Pinakothek  zu  Bologna  (279)  in- 
spiriren  Hess ,  das  der  Maler  eines  Halbfigurenbildes  in  S.  Esu- 
peranzio  zu  Cingoli  (March.  Filippo  Rafifaelli:  di  alcuni  lavori  del 
Buonarroti  nelle  Marche  1875)  kopirte  und  ein  Nachahmer  in  einer 
Darstellung  des  Museo  del  Prado  in  Madrid  frei  verwerthete  (vgl. 
Abb.  des  Venusti  und  der  beiden  letztgenannten  Werke  bei 
d'Achiardi  Fig.  29 — 31).  Sebastiano  selbst  hat  1525  eine  Wieder- 
holung angefertigt,  die  sich  jetzt  im  Museo  communale  von  Viterbo 
befindet. 

Eine  kleine  Federzeichnung  Michelangelos  für  den  Christus,  die 
Richardson  (lU,  633)  im  Besitze  seines  Vaters  erwähnt,  ist  heute 
nicht  mehr  nachzuweisen.  Die  im  Gabinetto  delle  Stampe  zu  Rom 
aufbewahrte   Kreidestudie  zu    einem   Christus   an   der  Säule  (Abb. 


400  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Le  Call.  Ital.  1896.  II,  Taf.  XI,  S.  154.  D' Achiardi  Fig.  28)  Seba- 
stiane zuweisen  zu  wollen ,  wie  Ad.  Venturi  und  d'  Achiardi  es 
thun,  scheint  mir  bedenklich.  Die  Behandlungsart  ist  ganz  ver- 
schieden von  der  des  Künstlers.  Das  Blatt  erscheint  mir  später. 
Wickhoff  meinte :  von  Palma  giovane. 

Eine  ächte  Studie  Michelangelos  zu  dem  Christus  glaubte  neuer- 
dings d'  Achiardi  in  einer  kleinen  Rötheiskizze  der  Casa  Buo- 
narroti  (VII,  35)  zu  erkennen.  Dies  muss  ich  entschieden  bestreiten. 
Die  Figur  ist  in  leicht  ausschreitender  Bewegung,  den  rechten  Arm 
nach  vorne  ausgestreckt.  Ich  bespreche  das  Blatt  sogleich  als 
Skizze  für  den  Christus  im  Limbus. 

Einen  Stich  nach  dem  Christus  und  den  beiden  Schergen  fertigte 
Adam  Ghisi  an  (B.  2). 

Christus  im  Limbus. 

Ich   bemerkte   oben    unter  J,    dass  die   1532  von  Michelangelo 
an   Sebastiano    geschickte   Zeichnung   für   das    Madrider    Gemälde : 
,, Christus  im  Limbus"    bestimmt    war.     Eine  Originalstudie  vermag 
ich,  wie  schon  erwähnt,  nachzuweisen. 
III.  Florenz,    Casa    Buonarroti  VII,   35.      Flüchtige   Rötheiskizze. 
Thode  35.    Ber.  1407.    Berenson  hält  sie  für  acht,  aber  irriger 
Weise  für  ganz  früh,  und  erkennt  die  Darstellung  nicht.    Sie 
kann    aber   nicht   zweifelhaft    sein.     In    leicht   ausschreitender 
Bewegung   nach  vorne ,    den  rechten  Arm  erhoben  und  nach 
vorne  ausgestreckt ,  einen  langen  Stab  (die  Kreuzesfahne)  an 
die  rechte  Schulter  gelehnt,  bewegt  Christus  den  linken  Arm 
nach  einer  rechts  vor  ihm  knieenden  Figur,  welche  die  Arme 
über  der  Brust  zu  kreuzen  scheint. 
Es  ist  unverkennbar  ein  erster  Entwurf  für  das  Bild  in  Madrid, 
im  Gegensinne.     Beweisend    für   diese  Behauptung   erscheint,    dass 
d'Achiardi   sich   täuschen    und   sie  für  einen  Christus  an  der  Säule 
halten  konnte.    Bemerkt  doch  Sebastiano,  dass  die  ihm  eingesandte 
Zeichnung  sehr  ähnlich  dem  Christus  in  S.  Pietro  in  montorio  sei. 
Vermuthlich   war   diese  Zeichnung  ausgeführter  und  unsere  Skizze 
nur  ein    erster  Gedanke.     Hat  Michelangelo    selbst  noch  Verände- 
rungen vorgenommen :  wahrscheinlich.    Wohl  auch  Sebastiano.    Die 
Beziehung    zur   Skizze    ist    aber    im    Bilde    noch    deutlich    in    der 
knieenden  Figur  (der  eine  zweite  hinzugefügt  ist),  in  dem  Motiv  des 
verkürzt  gesehenen  vorgestreckten  Armes  und  in  der  ausschreiten- 
den Bewegung   zu    gewahren.     Nur   hat    der  Arm   hier  nicht  mehr 
die    gleichsam    energisch   emporziehende,    sondern  eine  schützende 
Bewegung,    und    der   Kreuzesstab   wird    von    der  Linken    gehalten. 
Auch  sind  die  Knieenden  etwas  tiefer  angebracht,  als  Christus. 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  40I 

Wie  man  diese  Veränderungen  auch  beurtheilen  wolle,  der 
originelle,  grossartige  Gedanke  auch  dieses  Werkes  stammt  von 
Michelangelo ! 

Die  Pietä  in  Viterbo. 

Die  Neuheit,  Grossartigkeit  und  seelische  Gewalt  dieser  Kompo- 
sition würden,  auch  wenn  wir  Nichts  von  Michelangelos  Zeichnung 
und  Karton  wüssten,  sie  als  seine  Schöpfung  erkennen  lassen. 
Hier  äussert  sich  ein  grösstes  Genie,  dasselbe,  welches  die  Auf- 
erweckung  des  Lazarus,  den  gegeisselten  Christus  und  den  Christus 
im  Limbus  geschaffen.  Die  landschaftliche  Stimmung  war  Sebastianos 
Zuthat. 

Nur  ein  Blatt  mit  Studien  hat,  und  zwar  von  Berenson,  mit 
diesem  Werke  in  Zusammenhang  gebracht  werden  können:  in  der 
Christchurch  Library  zu  Oxford.  (Rob.  I.  Thode  457,  Ber.  2992. 
Phot.  Grosvenor  Gallery,  Oxford  28.)  Es  enthält,  überarbeitet,  drei 
Beinstudien  und  einen  Arm.  Ich  kann  weder  Berensons  Behauptung, 
die  Zeichnung  sei  von  Sebastiano ,  noch  jener,  es  handle  sich  um 
Studien  für  die  Pietä,  beistimmen,  da  ich  sie  mit  Robinson  für 
eine  frühe  Zeichnung  Michelangelos  halte,  an  Dessen  David  der 
Arm  erinnert.  Dieses  Blatt  wohl  meint  d'Achiardi,  wenn  er  (S.  123 
A.  i)  sagt:  a  mostrare  quanto  fossero  strette,  in  questo  tempo,  le 
relazioni  fra  Sebastiano  e  Michelangelo  servono  i  vari  disegni 
eseguiti  dal  Buonarroti  stesso  dietro  la  tavola  di  Viterbo.  (!)  In 
questi  disegni,  non  ancora  bene  studiati  e  decifrati,  noi  abbiamo 
rinvenuto  alcuni  studi  interessantissimi  per  il  David,  che  ci  propo- 
niamo  di  illustrare  prossimamente."  (In  seinem  Zeichnungenkatalog 
giebt  er  freiUch  das  Oxforder  Blatt  Sebastiano.) 

Die  Geburt  der  Maria. 

Eine  Studie  Michelangelos  für  dieses  Bild  ist  nicht  nachzu- 
weisen. Hat  er  überhaupt  eine  solche,  Sebastianos  Wunsch  will- 
fahrend, angefertigt.?  Keinesfalls  für  die  gesamte  Komposition,  wohl 
aber  möchte  ich  glauben ,  für  die  Mittelgruppe  der  drei  Frauen 
unten.  In  keinem  anderen  selbständigen  Werke  des  Venezianers 
finde  ich  Motive ,  die  dazu  berechtigen  würden ,  ihn  für  den  Er- 
finder einer  so  reich  bewegten ,  grossartigen  Gestalt,  wie  die  Frau 
mit  dem  Kruge  es  ist ,  zu  halten ,  eine  Gruppe  von  solcher  Ge- 
schlossenheit zu  gestalten.  Das  konnte  man  nur ,  so  lange  man 
den  Antheil  Michelangelos  an  den  früher  besprochenen  Gemälden 
verkannte. 

D'Achiardi  hält  es  für  möglich,  dass  der  im  Louvre  (Nr.  113) 
befindliche  Entwurf  einer  Frau,  die  mit  ausgestreckten  Armen  ein  Kind 
%*  26 


A02  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

hält,    für  das  Gemälde  bestimmt  war.     Ich  besprach  die  Zeichnung 
schon  früher  (I,  S.  271)  und  erwähne  sie  weiter  unten. 

So  viel  über  die  Bilder,  bezüglich  deren  Michelangelos  Hilfe 
bezeugt  ist.  Die  Frage  ist ,  ob  Sebastiano  nicht  auch  für  andere 
Gemälde  Skizzen  des  Meisters  benutzt  hat.  Lanzi,  Rosini,  Grimm 
haben  die  Trans figuration  in  S.  Pietro  in  montorio  genannt. 
Mir  scheint,  dass  bei  ihr  Sebastiano,  allgemein  gesprochen,  sich 
älterer  venezianischer  Bilder  erinnert  hat.  Giovanni  Bellini  hatte 
den  Typus  geschaffen.  Aber  die  erhabene  Gestalt  des  Verklärten 
in  ihrem  schwebenden  Schreiten ,  in  ihrer  Kreuzeshaltung  und  in 
ihrem  entzückten  Schauen  scheint  auch  mir  nur  aus  einer  Inspira- 
tion durch  Michelangelo  hervorgegangen  sein  zu  können.  Das  ist 
derselbe  Geist,  der  aus  dem  Christus  der  Auferweckung  Lazari  spricht. 

Dass  die  Madonna  del  Velo  mit  Hilfe  einer  Skizze  Michel- 
angelos angefertigt  worden  ist,  werde  ich  weiter  unten  (s.  Exkurs: 
die  hl.  Familie,  gen.  das  Silenzio)  wahrscheinlich  machen.  Anders 
verhält  es  sich  mit  dem  Martyrium  der  hl.  Agathe  im  Palazzo  Pitti. 
Auch  hier  ist  der  Name  Michelangelos  ausgesprochen  worden.  Ich 
weiss  aber  nicht,  ob  mit  Recht.  Die  Gestalt  der  Heiligen  sieht 
aus,  als  wäre  der  Christus  der  Geisselung  ins  Weibliche  umgesetzt 
worden  (im  Gegensinne),  und  auch  in  Bezug  auf  die  beiden  Schergen 
erscheint  die  Komposition  verwandt. 

Ähnlich,  möchte  man  sagen,  hat  sich  aus  der  Pietä  in  Viterbo 
die  Beweinung  in  Petersburg  entwickelt.  Der  am  Boden  liegende 
Christus  wird  mit  geringen  Veränderungen  wiederholt ,  und  in  der 
Gruppe  der  Freunde  vermag  ich  Nichts  zu  gewahren ,  was  auf 
Michelangelo  deutete.  Im  Gegentheile  scheinen  mir  spezielle  Eigen- 
thümlichkeiten  des  Venezianers  hier  sich  besonders  geltend  zu 
machen.  Man  beachte,  im  Hinblick  auf  die  Frage  der  Zeichnungen, 
die  Gewandbehandlung,  namentlich  bei  der  Maria:  diese  flachen  und 
steifen  Faltenlagen  in  ihrer  geradlinigen,  leblosen  und  unplastischen 
Gezogenheit !  So  sehen  wir  sie  auch  an  der  langweiligen  Sibylle 
in  S.  Pietro ,  in  der  hl.  Familie  in  London.  Letztere  verleugnet 
nicht  ihre  Herkunft  aus  Venedig.  Bei  diesen  Bildern  kann  man, 
wie  bei  der  Heimsuchung  im  Louvre ,  wohl  nur  von  allgemeinen 
Einflüssen  des  Meisters,  nicht  von  Skizzen  sprechen.  Und  dies  gilt 
wohl  auch  von  der  Madonna  in  der  Kathedrale  zu  Burgos ,  die 
lange  für  Michelangelos  eigenes  Werk  galt.  (Abb.  bei  Bernardini 
S.  104.)  Lanzi  zitirt  Concas  Descrizione  odeporica  della  Spagna 
(Burgos  1793.  I,  24),  in  welcher  es  heisst,  das  Gemälde  sei  von 
einem  Florentiner  Mozzi  der  Kathedrale  geschenkt  worden.  Passa- 
vant und  Waagen  (Jahrb.  f  Kunstw.  1868.  I,  104),  der  es  Seba- 
stiano zuerkennt,  gewahrten  in  ihm  die  Geistesart  Michelangelos,  nach 
Dessen  Karton  es  Waagen  ausgeführt  glaubte. 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  403 

Hingegen  scheint  mir  die  Venus  in  dem  „Tod  des  Adonis" 
der  Uffizien,  die  so  deutlich  schon  auf  die  Leda  hinweist  und  im 
Motive  an  eine  der  Figuren  auf  dem  Londoner  Blatte  mit  Röthei- 
studien für  den  Karton  der  Schlacht  bei  Cascina  (s.  oben  I,  S.  102 
Nr.  XIII)  erinnert,  von  Michelangelo  gezeichnet  worden  zu  sein. 
(Ich  halte  das  Bild  immer  noch  für  Sebastiano,  der  in  den  Frauen- 
figuren rechts  Eindrücke  von  Raphaels  Amor-  und  Psychedar- 
stellungen —  die  drei  Grazien  —  verwerthete.) 

Wird  man  mir  vorwerfen,  ich  gehe  zu  weit,  wenn  ich  aber  auch 
noch  für  ein  anderes  Gemälde,  für  die  Gestalt  des  kreuztragen- 
den Christus  (Madrid,  Petersburg),  eine  der  eindrucksvollsten 
Schöpfungen  der  Renaissance,  eine  Zeichnung  Michelangelos  voraus- 
setze }  Ehe  man  den  Vorwurf  erhebt ,  bedenke  man ,  dass  wir 
nicht  willkürlich,  sondern  aufGrundganz  bestimmter 
Zeugnisse  und  Nachweise  alle  grossartigen,  unseren 
Eindruck  bestimmenden  Motive  in  den  Hauptschöp- 
fungen Sebastianos  auf  Michelangelo  zurückführen 
m  u  s  s  t  e  n :  den  gegeisselten  Christus ,  die  Madonna  der  Pietä  in 
Viterbo,  Christus,  die  Frauen,  die  Lazarusgruppe  in  dem  Londoner 
Bilde,  den  Christus  im  Limbus  und  (höchst  wahrscheinlicher  Weise) 
die  Frauengruppe  in  der  Geburt  der  Maria !  Man  beachte ,  was 
bleibt  —  und  die  so  gewonnene  Vorstellung  von  des  Künstlers  Be- 
gabung wird  eine  sehr  andere  sein !  Es  bleibt  ihm  der  Ruhm  des 
grossen  Porträtisten,  des  ausserordentlichen  Malers,  des  auf  Grösse 
der  Gestaltung  ausgehenden  und  daher  für  Michelangelos  Lehre 
empfänglichen  Zeichners  —  kompositionelle  Gestaltungsfähigkeit  in 
hohem  Sinne  ging  ihm  ab,  weil  ihm  die  Kraft  gesammelten  inneren 
Erlebens,  wie  das  auch  in  seinem  Wesen  und  Dasein  zu  Tage  ge- 
treten ist ,  fehlte.  Wo  wir  erhabene  Darstellung  und  mächtigen 
Seelenausdruck  in  seinen  Werken  finden,  da  ist  es  nicht  Sebastiano, 
sondern  Michelangelo,  der,  seines  Pinsels  sich  bedienend,  zu  uns 
redet! 

j.  Andere,  einst  Michelangelo,  jetzt  Sebastiano  benannte 
Zeichnungen. 

Ich  ordne  sie  in  alphabetischer  Aufeinanderfolge  der  Städte  an. 
IV.  Bayonne.  Coli.  Bonnat.  Röthel.  Adam  und  Eva.  Thode  i. 
Ber.  2500.  Phot.  Br.  Ec.  d.  b.  a.  63.  Der  fast  en  face  sitzende 
Adam  pflückt,  nach  links  schauend,  von  einem  dort  angedeuteten 
Ast  eines  Feigenbaumes  die  Frucht.  Auf  seinem  linken  Beine 
sitzt,  mit  der  Linken  sich  darauf  stützend,  die  Rechte  auf 
Adams  Schulter  legend,  um  den  Kopf  ein  Tuch  geschlungen, 
Eva  nach  links  gewandt  und  schauend.  Ihr  linker  Fuss  steht 
auf  dem  Boden  auf,  ihr  rechtes  Bein  hängt  über  Adams  linkes 

26* 


404  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Oberbein.  Morelli  zuerst  äusserte  Zweifel  an  der  Ächtheit, 
Berenson  nannte  Sebastiane.  Er  stützt  sich  hierbei  auf  den 
Vergleich  mit  Zeichnungen  (Madonna  im  Louvre  113,  Sibylle 
in  Venedig,  Pietä  in  Wien),  die  ich  alle  für  Arbeiten  Michel- 
angelos halten  muss.  Ich  meinerseits  bleibe  bei  der  Be- 
nennung: Michelangelo  und  weise  zum  Vergleich  auf  die 
Herkulesthaten  in  Windsor  hin:  genau  die  gleiche  Behand- 
lung, die  gleiche  Vertheilung  von  Licht  und  Schatten,  dieselbe 
Art  der  Andeutung  des  Akzessorischen  und  überzeugend 
die  absolute  Übereinstimmung  in  der  Formensprache :  das 
rechte  Bein  des  Adam  und  das  linke  des  Herkules  (mit  Antäus), 
der  rechte  und  der  linke  Fuss  der  beiden  Figuren,  der  linke 
Fuss  der  Eva  und  der  rechte  des  Herkules  (mit  der  Hydra). 
Diese  Beispiele  genügen :  eine  ausgesprochenere  Verwandt- 
schaft, wie  die  der  zwei  Zeichnungen,  ist  nicht  denkbar !  Und 
dazu  die  originelle  Komposition  —  als  ob  Sebastiano  jemals 
auf  einen  solchen  Gedanken  gekommen  wäre ! 
V.  Chatsworth.  Porträt  Leos  X.  Ber.  2477.  Phot.  Br.  24.  Auch 
vor  Wickhoff  hat  von  den  neueren  Forschern  wohl  keiner 
mehr  geglaubt,  dass  dieses  Blatt  von  Michelangelo  sei.  Man 
kann  die  Taufe  auf  Sebastiano  billigen. 
VI.  Haarlem.  Teyler  Museum.  Röthel.  Thode  266.  Ber.  2480. 
Abb.  V.  Marcuard  Taf.  XIX.  Die  Kreuzabnahme.  Näheres 
über  die  Komposition  bringe  ich  an  anderer  Stelle.  Wieder 
war  der  Vergleich  mit  anderen  Zeichnungen,  die  ich  Michel- 
angelo zuweisen  muss,  für  Berenson  entscheidend.  Daneben 
aber  auch  die  Betrachtung  der  Rückseite.  Hier  sieht  man 
neben  einer  gebeugten  Frauenfigur  kleine  Köpfe ,  die  in  der 
That  nicht  wohl  Michelangelo  zugeschrieben  werden  können, 
was  ich  von  der  Frau  aber  durchaus  behaupten  möchte. 
Diese  Köpfe  waren  zuerst  auf  dem  Blatte,  zum  Theil  über  sie 
hinweg  ward  die  Frau  gezeichnet.  Ich  nehme  an ,  da  es 
einige  andere  Beispiele  hierfür  giebt,  dass  ein  Lehrling  des 
Meisters  die  Köpfe  gemacht  (nicht  Sebastiano) ,  und  Dieser 
dann  das  Blatt  für  seine  Studien  benutzte.  Denn  ich  ersehe 
keinen  Grund,  weswegen  die  Kreuzabnahme  nicht  von  Michel- 
angelo sein  soll.  Im  Gegentheil :  die  kräftige  Zeichnungs- 
weise ,  die  vollendete  Sicherheit  in  der  Formensprache ,  die 
plastische  Rundung  der  Gestalten  sind  durchaus  in  seiner  Art 
und  verbieten ,  an  Sebastiano  zu  denken.  Man  vergleiche 
nur  Dessen  Londoner  Studien  zum  Lazarus  und  zur  Geisse- 
lung,  Dass  die  grossartige  Komposition  von  Michelangelo 
herrührt,  muss  auch  Berenson  zugeben.  Und  nun  stehen 
ausserdem   die    anderen   kleinen   Skizzen    zu    einer  Pietä   auf 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  405 

dem  Blatte  in  nächstem  Zusammenhang  mit  ächten 
Studien  und  Werken  des  Meisters,  und  Reliefs,  die  seit  alters- 
her  als  sein  Werk  gelten,  gehen  auf  die  Komposition  zurück. 
Wie  passt  denn  Sebastiane  in  diesen  Konnex  von  Thatsachen? 
VII.  London,  British  Museum  1860 — 6 — 16 — i.  Thode  321.  Ber. 
2482.  Abb.  Ber.  PI.  CXLIX.  Phot.  Br.  9.  Kreide.  Maria 
mit  den  beiden  Kindern.  Über  die  Komposition  an  anderer 
Stelle.  Berenson  bringt  wieder  die  Hinweise  auf  die  Sibylle 
in  Venedig  und  die  Pietä  in  der  Albertina,  auch  auf  die 
Madonna  in  Windsor.  Er  muss  zugeben,  dass  in  der  Ge- 
schlossenheit der  Komposition  der  Nachahmer  dem  Meister 
besonders  nahe  kommt,  und  kann  sich  der  Bedeutung  und 
dem  Zauber  des  Blattes  nicht  entziehen.  Aber  die  un- 
bestimmte Haarbehandlung!  Ich  meine,  giebt,  es  eine  herr- 
liche, in  jedem  Strich  Michelangelo  verrathende  Zeichnung, 
so  ist  es  dies  wundervolle  Blatt,  das  in  seiner  Grösse  und 
feierlichen  Anmuth  die  Sibyllen  uns  vor  Augen  ruft.  Diese 
vollen,  gedrungenen  Kinder,  die  in  Formen,  Bewegung  und 
Ausdruck  den  steinernen  Putten  in  der  Sixtina  so  gleichen, 
dass  man  sie  ohne  Weiteres  an  die  Decke  versetzen  könnte, 
—  ich  mache  auf  ein  acht  Michelangelo'sches  Bewegungs- 
motiv dabei  aufmerksam:  das  Einziehen  des  Rückens  und 
starke  Vorschieben  der  Hinterbacken  — ,  vergleiche  man  nur 
mit  Sebastianos  Kindern  auf  der  Madonna  in  London  und 
der  Madonna  del  Velo,  um  Dessen  ganz  verschiedene  An- 
schauung zu  erfassen.  Man  vergleiche  die  Fülle  und  Weich- 
heit der  Gewandung  mit  den  früher  gekennzeichneten  flachen 
und  leblosen  Bildungen  des  Venezianers.  Und  wie  in  ver- 
triebener Modellirung,  genau  so  wie  in  anderen  Zeichnungen 
Michelangelos,  das  Nackte  bis  in  die  zartesten  An-  und  Ab- 
schwellungen  vom  Künstler  aufgefasst  ward  —  aber,  mir 
scheint,  jedes  weitere  Wort  ist  überflüssig!  Das  „Unbestimmte" 
erklärt  sich  einfach  daraus,  dass  die  Studie  sehr  verrieben  ist. 
VIII.  London,  British  Museum  1860 — 6 — 16 — 3.  Thode  325.  Ber. 
2485.  Phot.  Br.  17.  Die  Kreuzigung.  Über  ihre  Komposition 
handle  ich  an  andrer  Stelle,  denn  auch  für  dies  Blatt  muss 
ich  Michelangelos  Autorschaft  gegenüber  Wickhoff  und  Beren- 
son behaupten,  wie  es  übrigens  auch  d'Achiardi  thut.  Berenson 
hat  es  nicht  leicht  gehabt,  an  Sebastiano  festzuhalten,  denn 
er  selbst  erkannte  den  nahen  Zusammenhang  der  Kompo- 
sition mit  späteren  Entwürfen  des  Meisters.  Er  hilft  sich, 
indem  er  in  geschraubter  Weise  die  sehr  gewagte  Behauptung 
ausspricht,  der  Nachahmer  antizipire  häufig  die  Fortschritte, 
die  der  von  ihm  Nachgeahmte  später  mache!     Auch  lässt  er 


4o6  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

die  von  Michelangelo  empfangene  Inspiration  hier  besonders 
gross  sein.  Also  diese  wäre  so  gross  gewesen,  dass  Sebastiane 
eine  Komposition  geschaffen,  wie  sie  Michelangelo  nur  in 
einer  späten  Zeit  freiesten  Könnens  und  intensiver  Beschäfti- 
gung mit  dem  Vorwurf  erfinden  konnte ! !  Und  was  für  eine 
kühne ,  grosse ,  originelle  Schöpfung  ist  dies !  Bloss  weil 
einige  Figuren  lange  Verhältnisse  haben  und  die  unteren 
Gestalten  mit  leichten  Strichen  hingesetzt  sind,  hätte  man 
die  Ächtheit  zu  bezweifeln?  Wo  ist  denn  unter  den  Ge- 
mälden des  Venezianers  auch  nur  ein  einziges  zu  finden,  das 
diese  Lebendigkeit  und  Fülle  der  Motive ,  diesen  Aufbau 
zeigte  ?  Und  sind  denn  die  ausgeführteren  Figuren  Christi 
und  der  Schacher,  den  Verhältnissen,  der  Behandlung  (man 
vgl.  die  Auferstehungsentwürfe)  und  den  Motiven  nach,  nicht 
durchaus  Michelangelesk.? 
IX.  London,  British  Museum  1900 — 6 — 11  —  i.  Thode  340.  Ber. 
15 19.  Madonna  für  eine  Verkündigung.  Erst  d'Achiardi  kam 
auf  den  unglücklichen  Gedanken ,  auch  sie  Sebastiano  zu- 
weisen zu  wollen. 
X.  London,  British  Museum  1896 — 7 — lo — i.  Thode  339.  Ber. 
2486.  Abb.  C.  H.  Metz:  Imitations  of  ancient  and  modern 
drawings  1798.  Gaz.  d.  b.  a.  1896.  XVI,  S.  337.  Ber.  PI.  CXLVII. 
Röthel.  Aus  der  Warwicksale.  Beweinung  Christi.  Über 
diese  Zeichnung  hat  sich  Berenson  ungemein  ausführlich  ge- 
äussert. Er  musste  zunächst  zugestehen,  dass  ,,the  motive 
is  treated  with  an  intelligence  that  Michelangelo  himself  could 
scarcely  have  surpassed".  ,,The  grouping  is  so  clear  and 
yet  so  compact,  that  it  admirably  exemplifies  Michelangelos 
ideal  of  the  greatest  action  with  the  least  change  of  position, 
taking  place  in  the  smallest  space  that  will  yet  leave  everything 
lucid  and  perspicuous.  The  Christ  would  be  difficult  to 
surpass  as  a  motive,  the  nude  being  exhibited  in  a  way  that 
allows  for  the  greatest  clearness  of  structure  and  movement, 
while  yet  remaining  relaxed  in  complete  repose.  Altogether 
praiseworthy  again,  are  the  figures  which  support  the  fainting 
Virgin,  not  because  mindful  of  her,  but  huddling  up  to  her 
out  of  sheer  eagerness  to  get  nearer  to  her  son.  Than  there 
is  over  the  whole  an  air  of  noble  solemn  pathos  not  without 
eagerness."     (I,  S.  236  f.) 

Gerne  unterschreibe  ich  diese  Charakteristik,  aber  ich 
frage  auch  sogleich:  kennen  wir  irgend  ein  Werk  Sebastianos, 
dem  die  hier  gerühmten  Dinge  zu  eigen  sind.f*  Diese  wunder- 
bare Kunst  der  Komposition ,  diese  Intensität  ergreifenden 
seelischen   Ausdruckes.?     Auch    grössere,    als  er,   haben    der- 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  407 

gleichen  nicht  schaffen  können!     Und  wie  er  selbst  eine  Be- 
weinung Christi  gestaltete,  das  zeigt  uns  das  Petersburger  Bild. 
Trotzdem  aber  sollen  äussere  Erscheinungen  Sebastianos 
Autorschaft  beweisen.     Welche? 

1.  „Die  Behandlung  ist  zu  locker.  Es  ist  ein  instinktives 
Greifen  zu  malerischen  Effekten  von  Licht  und  Schatten  und 
ein  besonderer  Mangel  an  Konturen  —  ich  meine  nicht  bloss 
abgränzende,  sondern  funktionelle,  modellirende  Konturen." 
In  der  Vertheilung  von  Licht  und  Schatten  sehe  ich  keine 
anderen  Erscheinungen,  als  sie  in  späteren  Entwürfen  Michel- 
angelos vorkommen,  z.  B.  besonders  ähnlich  in  den  beiden 
Darstellungen  des  Gekreuzigten  in  Windsor.  Was  die  Kon- 
turen betrifft,  so  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  Zeichnung 
gelitten  hat,  vielfach  verwischt  ist,  und  im  Übrigen  zeigen 
andere  Blätter,  wie  z.  B.  die  eben  erwähnten,  das  Gleiche. 

2.  ,,Die  Proportionen  Christi  sind  von  einem  Künstler 
gegeben ,  für  den  die  menschliche  Gestalt  ein  so  wenig  zu 
respektirendes  Objekt  war,  dass  er  nicht  zögerte,  sie  zu  be- 
liebiger Länge  auszuziehen."  Gewiss,  die  Verhältnisse  sind 
sehr  lang,  aber  sind  sie  etwa  länger  als  bei  dem  Auf- 
erstehenden der  Sammlung  Malcolm  und  dem  anderen  im 
British  Museum.? 

3.  ,,Die  Beine  sind  an  den  Knieen  dünn  und  ,spindlig'. 
Es  ist  der  Schüler  Cimas,  der  so  zeichnet."  Von  Cima  ver- 
mag ich  nun  freilich  Nichts  hier  zu  sehen.  Wohl  aber  meine 
ich,  ist  der  Künstler  der  Pietä  Rondanini  und  der  Aufer- 
stehungsentwürfe deutlich  zu  erkennen. 

4.  Die  linke  Hand  Christi  soll  an  die  Hand  auf  Seba- 
stianos Porträt  des  Andrea  Doria  erinnern.  Ich  kann  da 
auch  nicht  die  mindeste  Ähnlichkeit  finden,  nicht  einmal  in 
der  ,, spinnenartigen"  Bewegung.  Diese  Hand  Christi  mit  den 
weichen,  wie  zugespitzten  Fingern  erinnert  vielmehr  an  die 
Hand  der  Madonnenstudie  (,,Antonio  disegna")  im  British 
Museum  und  an  die  Hände  der  Krieger  in  Oxford  (Nr.  i).  — 
Die  linke  Hand  aber,  charakteristisch  für  Michelangelo  auch 
in  der  Haltung,  ist  fast  identisch  zu  finden  in  der  Handstudie 
auf  dem  Blatt  mit  dem  ersten  Entwurf  zur  Sixtinischen  Decke 
im  British  Museum!  Und,  was  noch  überzeugender  wirkt, 
in  der  Gruppe  des  Florentiner  Domes.  Diese  Übereinstimmung 
allein  würde  genügen,  die  Ächtheit  der  Zeichnung  zu  beweisen. 

5.  Der  Typus  der  Maria  soll  derjenige  der  Madonna  North- 
brook  in  London  von  Sebastiane  sein.  Ja,  soweit  eben  dieser 
letztere  Michelangelesk  ist.  Das  spezifisch  Sebastiano'sche 
aber:  den  schmalen  Nasenrücken,  die  scharfe  Nasenspitze,  die 


4o8  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

gerade  obere  Linie  des  Nasenflügels  finden  wir  nicht.  Will 
man  genau  das  gleiche  Profil  sehen,  dann  betrachte  man  die 
Maria  im  Jüngsten  Gericht  und  vergleiche  die  Lea,  wie  auch 
die  Magdalena  in  der  Florentiner  Pietä. 

Zu  dem  Allen  kommt  nun  aber  noch ,  dass  eine  von 
Berenson  gar  nicht  beachtete  herrliche  Rötheizeichnung  zu 
einem  Sklaven  auf  der  Rückseite  des  Blattes  sich  befindet 
(s.  oben  I,  S.  151  Nr.  VIII)! 

Es  wird  bemerkt  werden ,  dass  ich  überall  zum  Ver- 
gleiche keine  der  Michelangelo'schen  Zeichnungen  heran- 
gezogen habe,  die  Berenson  Sebastiano  giebt.  Dass  gerade 
in  ihnen  aber  mannigfache  Analogieen  zu  finden  sind,  erklärt 
sich  daraus,  dass  viele  von  ihnen  hervorragende  und  charak- 
teristische Beispiele  der  späteren  Kunst  des  Meisters  sind, 
welcher  auch  die  Warwick-Pietä,  und  zwar  als  eine  der  be- 
deutendsten Schöpfungen,  angehört. 
XI.  London,  J.  P.  Heseltine.  Hl.  Familie.  Thode  374.  Ber.  2489. 
Flüchtige  Rötheiskizze.  Maria  auf  dem  Boden  knieend,  nach 
halb  links  gewandt,  scheint  mit  der  Linken  den  in  aus- 
schreitender Bewegung  befindlichen  Christusknaben  zu  halten, 
der  nach  Etwas  greift,  was  sie  in  der  Rechten  hat.  Links 
scheint  noch  eine  andere  Figur  angedeutet  zu  sein.  Ich  halte 
es  nicht  für  unmöglich,  dass  die  Skizze  von  Michelangelo  ist, 
gebe  aber  zu,  dass  man  auch  an  Sebastiano  denken  kann; 
ein  bestimmtes  Urtheil  abzugeben,  dürfte  kaum  möglich  sein. 
XII.  London,  früher  Charles  Robinson.  Thode  375.  Ber.  2490. 
Studie  zu  einer.  Kreuzigung.  Ich  kenne  die  Zeichnung  an, 
welcher  Berenson  den  besonders  venezianischen  Charakter 
hervorhebt,  nicht  und  habe  daher  kein  Urtheil. 
Xm.  Oxford,  Univ.  Call.  37.  Thode  420.  Ber.  2492.  Phot.  Br.  -j"]. 
Pietä,  besser:  Grabtragung  Christi.  Diese  gewaltige  Kompo- 
sition nimmt  es  mit  der  Warwick-Pietä  auf.  Ich  behandle  sie 
später  ausführlich.  Das  Malerische  des  Helldunkels  soll  hier 
zu  Gunsten  Sebastianos  entscheiden.  Wann  aber  hat  Dieser 
jemals  ein  solches  Helldunkel  gemacht  —  man  nenne  das 
Bild !  Nur  weil  er  ein  Venezianer  ist,  wird  es  angenommen. 
Als  ob  eine  solche  Beleuchtung,  welche  in  eminentem  Sinne 
für  die  plastische  Wirkung  der  Körper  berechnet  ist,  von 
den  Venezianern  vor  Tintoretto  gebracht  worden  wäre.  Und 
Tintoretto  bringt  sie,  weil  er  der  Farbe  der  Venezianer  die 
plastische  Form  Michelangelos  verbindet.  Hier  sehen  wir 
den  Vorgänger  Tintorettos  am  Werk,  und  Der  war  nicht 
Sebastiano,  sondern  Michelangelo  in  seiner  späteren  Zeit.  Es 
ist    dasselbe   Helldunkel,    dieselbe    grosse    neue  Erscheinung, 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  409 


die  uns  in  den  Entwürfen  zum  Christus  am  Kreuz  entgegen- 
tritt und  von  deren  Bedeutung  in  dem  III.  Bande  meines 
Werkes  ausführlich  gehandelt  wird.  Wieder  muss  ich  fragen, 
wo  findet  sich  in  den  Gemälden  Sebastianos  Etwas,  was  an 
leidenschaftlicher  Seelengewalt  auch  nur  entfernt  sich  dieser 
Szene  an  die  Seite  setzen  Hesse  ?  Und  diese  skizzirten 
Männerköpfe  im  Hintergrund  — ,  was  Anderes  rufen  sie  uns 
in  Erinnerung,  als  die  abozzirten  Köpfe  des  ,, Tages"  und  des 
Nikodemus  in  der  Pietä  des  Florentiner  Domes? 

Aber  Berenson  führt  wieder  Einzelheiten  an,  die  der  Ge- 
wissenhaftigkeit wegen  berücksichtigt  sein  wollen,  so  irrelevant 
auch  sie  Dem,  der  die  Grösse  dieser  Schöpfung  erkennt,  er- 
scheinen mögen.  Auf  die  gleichen  Eigenthümlichkeiten  in 
der  ,, Beweinung"  der  Albertina  hinweisend,  sagt  er:  ,,the 
arms  of  the  dead  figures  are  in  both  drawings  badly  attached 
and  in  both  end  with  the  same  Substitute  for  a  hand."  Was 
das  letztere  betrifft,  so  wies  ich  schon  darauf  hin,  dass  es, 
in  so  vielen  Zeichnungen  des  Meisters  vorkommend,  charak- 
teristisch gerade  für  ihn  ist.  Über  das  ,, badly  attached"  lässt 
sich  streiten.  ,, Magdalenas  draperies  also  are  characteristic 
of  Sebastiano,  being  unfunctional,  and  not  interpreting  the 
nude  as  of  course  Michelangelos  would  have  done,  but  rare 
and  schematic,  as  they  frequently  occur  in  Sebastiano" 
(I,  S.  235).  Nicht  ,,of  course"  —  ebenso  ,, unfunctional  und  not 
interpreting  the  nude"  erscheinen  die  mächtigen  Draperieen 
aus  dickem  Stoff  allüberall  bei  den  Propheten  und  Sibyllen, 
in  den  Lunetten  und  Stichkappen  der  Sixtinischen  Decke. 
Diese  plastisch  gerundet  vortretenden,  langgezogenen  Falten ! 
Ich  nenne  besonders  schlagende  Analogieen:  die  Frau  in  der 
Asa-,  die  in  der  Rehabeamstichkappe,  die  in  der  Asalunette. 
Berenson  hat  sie  übrigens  selbst  bemerkt  —  wie  aber  hilft 
er  sich:  ,,wo  solche  Falten  in  den  Lunetten  vorkommen,  be- 
weisen sie,  dass  diese  Theile  nicht  von  Michel- 
angelo selbst  ausgeführt  worden!!  Logischer  Weise 
hätte  Berenson  dann  doch  weiter  gehen  und  behaupten  müssen, 
Sebastiano  sei  Mitarbeiter  Michelangelos  in  der  Sixtina  ge- 
wesen I  Nun  lassen  sich  aber  diese  eigenartigen  Falten  in 
des  Venezianers  Gemälden  überhaupt  nicht  nachweisen  —  die 
einzige  Analogie  findet  sich  in  der  Pariser  Studie  zur  ,, Heim- 
suchung." 
XIV.  Oxford.  Christchurch  Coli.  Rob.  2.  Thode  458.  Ber.  2493. 
Phot.  Grosv.  Gall.  Oxford  27.  Röthel.  Eine  häusliche  Szene 
oder  eine  hl.  Familie.  Hier  bin  ich  ausnahmsweise  der 
gleichen  Meinung,   wie  Berenson,   insoferne   ich  Michelangelo 


410  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

nicht  als  Autor  der  Zeichnung  betrachten  kann.  Ob  sie  von 
Sebastiane,  ist  eine  andere  Frage. 
XV.  Paris,  Louvre  112.  Thode  463.  Ber.  2494.  Abb.  d'Achiardi, 
S.  69.  Phot.  Br.  50.  Röthel.  Maria  mit  dem  Kinde.  Ich 
darf  mich  hier  darauf  beschränken  zu  sagen,  dass  ich  sowohl 
der  kühnen  und  eigenthümlichen  ganz  Michelangelesken  An- 
ordnung der  Figuren  —  das  von  ihm  früh  beliebte  Motiv 
des  zwischen  den  Beinen  der  Mutter  angebrachten  Kindes 
(Mad.  von  Brügge ,  frühe  Zeichnungen ,  Entwürfe  für  die 
Medicimadonna)  hat  hier  eine  neue  originelle  Fassung  er- 
halten —  als  auch  der  Technik  wegen  das  Blatt  dem  Meister 
zuschreiben  muss. 

XVI.  Paris,  Louvre  113.  Thode  465.  Ber.  2495.  Phot.  Br.  52 
Abb.  d'Achiardi  70.  Röthel.  Nach  Hnks  gewandte  Frau, 
ein  Kind  frei  auf  den  Armen  haltend.  Ich  erwähnte  diese 
Zeichnung  schon  oben  (I,  S.  271.  CXLV),  als  einen  Entwurf 
für  eine  Lunettendarstellung  in  der  Sixtinischen  Kapelle,  und 
zwar  könnte  man  denken,  dass  es  der  erste  Gedanke  für  die 
Frau  der  Ezechiaslunette  war.  Die  Beziehung  zu  Sixtinischen 
Malereien  erkannte  auch  Berenson,  aber  er  spricht  von  einer 
Nachahmung  durch  Sebastiano.  Die  Technik  stimmt  so  genau 
mit  den  Rötheizeichnungen  dieser  Zeit,  das  Bewegungsmotiv 
(die  Drehung  des  Oberleibes,  die  Einziehung  des  Rückens), 
die  Gewanddrapirung  ist  so  durchaus  Michelangelesk ,  dass 
ich  nicht  begreife,  wie  überhaupt  ein  Zweifel  an  der  Ächtheit 
dieser  geistvollen ,  von  Leben  sprühenden  Studie ,  die  im 
Zusammenhang  mit  den  Entwürfen  für  die  Libica  steht  (man 
vgl.  Beinstellung  und  Füsse),  aufkommen  konnte.  —  Die 
Rückseite  (Phot.  Giraudon  1391)  zeigt  einen  herrlichen,  leichten 
Entwurf  für  eine  hl.  Familie  mit  Johannes,  über  den  ich 
später  handle.  Hier  findet  sich  die  charakteristische  Hand 
mit  dem  langen  gebogenen  Zeige finger,  die  wir 
auf  dem  Londoner  Blatte  mit  dem  ersten  Entwürfe  für  die 
Deckenmalerei  sahen  und  die,  wie  wir  nunmehr  ruhig  be- 
haupten können,  nicht  ein  Kennzeichen  der  Seba- 
stiano'schen,  sondern  der  Michelangelo'schen 
Kunst  ist,  in  Dessen  Florentiner  Pietägruppe  sie  uns  be- 
gegnete. Kopf  und  Gewandung  zeigt  die  engste ,  an  sich 
beweisende  Beziehung  zum  Sibyllenentwurf  im  Louvre  122 
verso  (s.  I,  S.  256.  LXI). 

XVII.  Paris,  Louvre  121.  Röthel.  Thode  472.  Ber.  2496.  Phot. 
Br.  56.  Maria  mit  dem  schlafenden  Kinde  auf  dem  Schoosse. 
Skizze  von  grösster  Schönheit,  ebenso  acht  wie  die  eben  er- 
wähnten Blätter. 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  411 

XVni.  Paris,  Louvre  125.  Thode  475.  Ber.  1586.  Abb.  Ben 
CXLIV.  Phot.  Br.  55.  Studie  für  Christus  in  einer  Pietä- 
darstellung.  In  seinem  Werke  hat  Berenson  ihr  noch  die 
Auszeichnung  verliehen,  als  besonders  bedeutendes  Spezimen 
der  Michelangelo'schen  Kunst  abgebildet  zu  werden.  Neuer- 
dings aber  hat  er  nach  d'Achiardis  Aussage  Diesem  Recht  ge- 
geben, wenn  er  das  Blatt  Sebastiano  zuschreibt.  Wesswegen.? 
doch  offenbar  nur,  weil  die  Hand  mit  dem  langen,  scharf- 
gebogenen Zeigefinger  erscheint!!  Man  erschrickt,  sieht  man 
wohin  diese  falsche  These  führen  konnte!  Wenn  es  eine  un- 
verkennbar ächte,  einzig  und  allein  Michelangelo  und  keinem 
anderen  Künstler  der  Welt  zuzuschreibende  Zeichnung  giebt, 
so  ist  es  diese,  in  der  Vollkommenheit  und  Zartheit  pla- 
stischer Modellirung  unvergleichlich  herrliche  Studie  —  ein 
Wunderwerk.  Darüber  ist  kein  Wort  weiter  zu  verlieren. 
Übrigens  ist  der  rechts  oben  neben  der  Figur  skizzirte  Arm 
so  gut  wie  ein  Monogramm  des  Meisters:  er  zeigt  schlagend 
den  Stil  der  Studien  zum  Jüngsten  Gerichte. 

XIX.  Paris,  Louvre  708.  Thode  483.  Ber.  2498.  Phot.  Br.  57. 
Röthel.  Halbnackte  sitzende  Figur.  Über  diese  Studie ,  die 
für  eine  Statue  der  Medicigräber  bestimmt  war,  habe  ich 
früher  gehandelt  (I,  S.  480). 
XX.  Venedig,  Akademie.  Thode  519.  Ber.  2501.  Phot.  Naya  208. 
Br.  40.  Kreide.  Frau  mit  Kindern.  Studie  für  eine  Sibylle. 
Auch  von  dieser  Zeichnung  und  ihren  Kopien  in  Paris  und 
Oxford  habe  ich  schon  früher  gesprochen  (I,  S.  256.  LXII). 
Ich  glaube,  fände  sich  nicht  auch  hier  die  Hand  mit  dem 
(besonders  langen)  oben  gebogenen  Zeigefinger  —  die  Zu- 
schreibung  an  Sebastiano  wäre  nicht  erfolgt.  Wie  sehr  man 
diesen  an  Adel  und  Schönheit  der  Libica  ebenbürtigen  Ent- 
wurf früh  zu  schätzen  wusste,  beweisen  die  sorgfältigen  alten 
Wiederholungen.  Was  hier  nicht  Michelangelesk,  sondern 
Sebastianesk  sein  soll,  vermag  ich  bei  bestem  Willen  nicht 
einzusehen.  Bewegung,  Tracht,  Gewandfalten,  Typen,  Einzel- 
formen, Modellirung,  Technik  —  Alles  verkündet  eindringlich 
des  Meisters  Namen,  Alle  die  Beziehungen,  die  Berenson  in 
vielen  der  erwähnten  Zeichnungen  fand  und  die  durchaus 
gutzuheissen  sind,  sind  ebensoviele  Beweise,  dass  jene  Zeich- 
nungen eben  alle  auch  von  Michelangelo  herrühren. 

XXI.  Wien,  Albertina  Sc.  R.  136.  Thode  521.  Ber.  2502.  Abb. 
Handzeichnungen  73.  Röthel.  Pietä,  besser:  Beweinung 
Christi.  Da  dieser  Entwurf,  von  dem  ich  später  noch  handle, 
unzweifelhaft  von  derselben  Hand,  wie  die  Beweinung  in  Oxford 
ist,  darf  ich  mich  kurz  fassen:  er  ist  ebenso  sicher,  wie  jene, 


412  Gemälde,  Zeichniingen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

von  Michelangelo  und  steht  in  innigem  unlöslichen  Zusammen- 
hange mit  anderen  späteren  Pietästudien  des  Meisters,  wie 
wir  noch  sehen  werden.  Aufmerksam  machen  möchte  ich 
nur  auf  die  von  Michelangelo  so  oft  gebrachte  Haltung  des 
Körpers  der  Frau  rechts  mit  dem  eingezogenen  Rücken.  Wir 
können  dies  Bewegungsmotiv  von  den  Sixtinischen  Decken- 
malereien bis  in  die  spätere  Zeit  in  immer  neuen  Variationen 
verfolgen. 

XXII.  Wien,  Albertina.  Sc.  R.  173.  Thode  522.  Ber.  2503.  Abb. 
Handzeichnungen  63.  Röthel.  Christus,  für  eine  Gruppe  der 
Pietä.  Eine  ergreifende  Studie,  von  grösster  Zartheit  in  der 
Behandlung ,  die  im  engsten  Zusammenhange ,  dem  Motive 
und  der  Formenbildung  nach ,  einerseits  mit  der  Pietä  Ron- 
danini, andrerseits  mit  der  Florentiner  Pietä  und  endlich  mit 
der  Warwickzeichnung  in  London  steht.  —  Nur  beiläufig 
möchte  ich  bemerken,  dass  Sebastiano,  wäre  er  der 
Schöpfer  aller  der  erwähnten  Studien  zur  Be- 
weinung, die  gesamte,  hierauf  bezügliche  Ideen- 

■  entwicklung  in  Michelangelos  Geist   hätte  ahnen 

und  vorwegnehmen  müssen,  denn  der  Zusammenhang 
dieser  Entwürfe  mit  jenen  ausgeführten  Werken  des  Meisters 
ist  ein  unlöslicher. 

XXUI.  Windsor.  Thode  551.  Ber.  2506.  Eine  knieende  Figur  (für 
eine  Pietä).  Bezüglich  dieses  Blattes  kann  ich  es  mir  leicht 
machen.  Berenson  selbst  hält  es  für  möglich,  dass  die  Zeich- 
nung von  Michelangelo  ist. 

XXIV.  Windsor.  Thode  550.  Ber.  2505.  Abb.  Frey  34.  Kreide 
und  Feder.  Maria  mit  dem  Kinde.  Sitzend  drückt  sie  es  an  sich, 
von  ihm  geküsst.  Hier  haben  wir  wieder  einen  Beweis  dafür, 
mit  welcher  Gewaltsamkeit  vorgegangen  werden  musste,  wollte 
man  solche  Zeichnungen  Michelangelo  nehmen.  Von  Dessen 
Hand  geschrieben,  befinden  sich  auf  der  Rückseite  und  auch 
auf  der  Vorderseite  Fragmente  eines  Gedichtes!!  Frey,  der 
im  Übrigen  die  Wickhoff-Berenson'sche  Hypothese  angenommen 
zu  haben  scheint,  gab,  dem  Natürlichen  zu  seinem  Rechte 
verhelfend,  den  in  der  Geschlossenheit  der  Komposition  und  in 
der  Empfindung  bewundernswürdigen  Entwurf,  in  dem  das 
Kind  wie  in  der  Medicimadonna  rittlings  auf  dem  Bein  der 
Mutter  sitzt,  seinem  Schöpfer  zurück. 

XXV.  Windsor.  Thode  549.  Ber.  2504.  Phot.  Br.  loi.  Maria 
mit  dem  Kinde  und  dem  kleinen  Johannes.  Die  Rückseite 
dieses  Blattes ,  welche  in  Röthel  die  nach  rechts  gewandte 
Figur  der  Maria  (ohne  Kopf)  aus  einer  ,, Heimsuchung"  (nicht 
Verkündigung,  wie  Wickhoff  sagt)  darstellt,  wurde  für  Wick- 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  413 

hoff  der  Ausgangspunkt  seiner  Zuschreibungen  an  Sebastiane. 
Nun  kann  in  der  Tliat  kein  Zweifel  darüber  sein,  dass  diese 
Maria  nicht  von  Michelangelo  ist:  die  unbestimmte,  kraftlose 
Behandlung  und  die  Monotonie  in  der  Faltengebung  des  Ge- 
wandes sprechen  auf  das  Entschiedenste  dagegen,  und  die 
Benennung  Sebastiano  wird  richtig  sein.  Aber  falsch  war 
der  hieraus  gezogene  Schluss,  auch  der  sehr  ausgeführte  Ent- 
wurf der  Vorderseite  sei  von  Diesem.  Im  Gegentheile  lehrt 
die  gründliche  Verschiedenheit  der  beiden  Zeichnungen ,  die 
Frage,  mit  der  wir  uns  so  ausführlich  beschäftigen,  am  An- 
schaulichsten zu  beurtheilen  und  mit  aller  Entschiedenheit  noch 
einmal  zu  beantworten.  Es  ist  ausgeschlossen  anzunehmen, 
dass  Derselbe,  der  jene  ausdruckslose,  flache,  langweiUge  Ge- 
wandung gemacht,  die  grossartige,  breite,  in  jeder  Fläche  und 
Falte  lebendig  ausdrucksvolle  Draperie  der  Madonna  auf  der 
Vorderseite  geschaffen  hat:  diese  acht  Michelangelo'sche  Ge- 
staltung eines  weiten ,  hier  eng  an  die  Beine  sich  legenden, 
dort  massig  in  langen,  plastisch  gerundeten,  bewegungsreichen 
Falten  fallenden  Mantels.  Jene  Gewandung  findet  ihre  Ana- 
logieen  in  den  Werken  Sebastianos,  diese  auch  nicht  entfernt 
in  irgend  einer  Weise.  Und  niemals  hat  der  Zeichner  der 
flachen,  weichen  Hände  auf  der  Rückseite  Hände  wie  die  intensiv 
in  den  Gelenken  bewegten  der  Vorderseite  gemacht,  deren 
eine  die  uns  so  wohlbekannte ,  längst  getrost  als  Michel- 
angelesk  zu  bezeichnende  Haltung  mit  gekrümmtem  Zeige- 
finger zeigt,  deren  andere  mit  den  gleichfalls  wohlbekannten 
zugespitzten  Fingern  besonders  verwandt  der  des  ,, Jonas"  in 
London  erscheint.  Und  auch  hier  die  vollkommen  geschlossen 
gebildete  Gruppe  der  hoheitvollen  Mutter  und  des  Kindes. 
Wenn  Johannes  seitlich  hinzugefügt  ist  —  wir  erinnern  uns 
der  verschiedenen  früheren  Versuche  in  dieser  Komposition  — 
so  ist  dies  doch  so  geschehen ,  dass  die  ganze  Gruppe  eine 
durchgebildete  Dreiecksform  zeigt  und  das  Bestreben  des  Bild- 
hauers ,  nirgends  Raum  freizulassen ,  sondern  wie  aus  einem 
Block  zu  formen,  sich  verräth.  Wohl  ist  die  Einheitlichkeit 
nicht  erreicht,  aber  wer  sagt  uns,  ob  nicht  der  Meister  zuerst 
bloss  die  Maria  mit  dem  Kinde  geschaffen  und  dann ,  da  er 
sah,  dass  der  Kontur  rechts  ein  zu  schroffer  war,  den  Johannes, 
ein  Dreieck  herstellend ,  hinzufügte.  Obgleich  es  gar  nicht 
nothwendig  ist,  dies  anzunehmen,  da  auch  in  anderen  ächten 
Werken  seiner  Hand ,  die  den  gleichen  Vorwurf  behandeln, 
die  Einheitlichkeit  nicht  erreicht  ward  (vgl.  z.  B.  die  Studie 
zur  Medicimadonna  im  British  Museum,  wo  Johannes  auch  rechts 
hinzugefügt  ist).     Endlich  aber  zeigt  das  Nackte  des  Christus- 


^I^  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

kindes  die  vollkommen  plastische  Rundung  der  Körpertheile 
in  sanften ,  unmerklichen  Übergängen  von  tiefen  Schatten  in 
hellstes  Licht  —  jenes  tastende  Nachfühlen  der  Formen- 
schwellungen ,  die  wir  immer  wieder  als  Michelangelos  be- 
sondere Kunst  bewundern.  Was  will  allen  diesen  überzeugen- 
den Erscheinungen  gegenüber  ein  Einwurf  bedeuten,  wie  der 
Wickhoffs :  ,, dieses  liebe  freundliche  Kindergesicht  wie  bei 
den  Engelchen,  die  die  Assunta  in  Venedig  umschweben,  was 
hat  das  gemein  mit  Michelangelos  ernsten,  trübsinnigen  Kin- 
dern?" Ja,  möchte  ich  fragen,  hat  er  denn  immer  trübselige 
Kinder  geschaffen  ?  Das  ist  doch  eine  ganz  vage  und  dazu 
unrichtige  Behauptung,  die  sich  ein  auf  Kenntniss  der  Kunst 
des  Meisters  Anspruch  erhebender  Forscher  wohl  nicht  er- 
lauben sollte;  denn  die  Sixtinische  Decke  müsste  ihn  eines 
Anderen  belehren.  Aber  selbst  zugegeben,  dass  ein  ,, freund- 
liches" Christkind  selten  bei  Jenem  zu  finden,  warum  sollte  er 
es  nicht  einmal  dargestellt  haben.?  Und,  näher  zugesehen, 
hat  dieses  Kind,  das  sich  an  die  Mutter  schmiegt,  nicht  doch 
einen  sehr  ernsten  Blick,  ist  ihm  nicht  der  Ausdruck  eines 
bedeutungsvollen  Sinnens  verliehen }  Ist  es  nicht  besonders 
die  anmuthige  Lockenzier,  die  den  Eindruck  des  Freund- 
lichen hervorbringt.''  Wer  etwa  an  dieser  Anstoss  nehmen 
sollte ,  der  betrachte  sich  die  Rötheizeichnung  eines  lächeln- 
den Kinderkopfes  in  Oxford  (Nr.  39.  Phot.  Br.  79),  die  bis 
jetzt  meines  Wissens  von  Niemand,  selbst  von  Berenson  nicht, 
angezweifelt  worden  ist,  und  er  wird  sich  beruhigt  sagen, 
dass  Michelangelo  Köpfe,  und  zwar  heitere  Kinderköpfe  mit 
zierlichem  Gelock,  wie  den  auf  dem  Windsorblatte,  gemacht  hat. 
Kurzum,  auf  dessen  Vorderseite  hat  Michelangelo  ge- 
zeichnet und  auf  der  Rückseite  Sebastiano,  in  Dessen  Besitz 
vermuthlich  jene  Zeichnung,  wie  so  manche  andere  des  Meisters, 
sich  befand. 

Ich  stehe  am  Schlüsse  einer  Untersuchung,  die  an  sich  nicht 
schwierig  war,  wohl  aber  dem  Lesenden  mühevoll  erscheinen  wird. 
Wer  meinen  Hinweisen  gewissenhaft  folgt,  wird,  wie  ich  zu  behaupten 
wage,  sich  der  von  mir  gewonnenen  Überzeugung  nicht  zu  ent- 
ziehen vermögen.  Diese  lautet :  von  allen  angeführten  Zeich- 
nungen können  nur  die  eine  Lazarusskizze,  dieGeisse- 
lung  Christi  (vom  Christus  abgesehen?),  der  Entwurf 
zur  Maria  in  der  Heimsuchung  auf  der  Rückseite  der 
einen  Madonnenzeichnung  in  Windsor,  die  Madonna 
bei  Heseltine  und  die  hl.  Familie  in  Oxford  (Christ- 
church-College),    letztere    beide    aber    auch    nur   mit 


Zeichnungen  für  Gemälde  Sebastianos  del  Piombo  415 

einem  Fragezeichen,  Sebastiano  zugeschrieben 
werden;  alle  übrigen  tragen  ihren  traditionellen 
Namen  Michelangelo  mit  vollem  Rechte,  ja  es  befinden 
sich  unter  ihnen  Entwürfe  von  hö  chster  B  edeutung. 
Der  Übersichtlichkeit  wegen  fasse  ich  meine  Argumente  zu- 
sammen. 

1.  Die  Prüfung  der  selbständigen,  nicht  auf  Michelangelo'sche 
Zeichnungen  zurückzuführenden  Gemälde  Sebastianos  beweist  erstens, 
dass  ihm,  wesswegen  er  sich  eben  so  oft  des  Meisters  Mithülfe  er- 
bat, die  Fähigkeit,  geschlossene,  zugleich  monumentale  und  reich 
belebte  Kompositionen  zu  schaffen,  abging,  und  zweitens,  dass  ihm 
die  Kraft  intensiven  leidenschaftlichen  Seelenlebens  nicht  verliehen 
war.  Alle  jene  Michelangelo  zurückgegebenen  Zeichnungen  aber  ver- 
rathen  höchste  Kunst  der  Komposition  und  höchste  Gefühlsmacht. 
Der  in  ihnen  sich  äussernde  Geist  ist  nicht  allein  durchaus  ver- 
schieden von  dem  Sebastianos,  er  ist  ihm  weitaus  überlegen  —  es 
ist  derselbe  Geist,  der  aus  den  Werken  Michelangelos  zu  uns 
spricht.  Und  Äusserlichkeiten  sind  wohl  nachzuahmen,  niemals  aber 
der  Geist.     Dies  ist  das  vor  Allem  Entscheidende. 

2.  Der  Vergleich  der  Zeichnungen  einerseits  mit  den  Zeich- 
nungen und  Werken  Michelangelos,  andrerseits  mit  den  Gemälden 
Sebastianos  ergiebt  durchweg  die  Übereinstimmung  mit  jenen  und 
die  Verschiedenheit  von  diesen. 

a)  In  der  festen,  engen  Verbindung  der  Gestalten  zu  Gruppen 
im  Sinne  des  aus  einem  Marmorblock  Gestaltenden  (die 
Madonnen,  die  Pietädarstellungen)  bei  reichster  Bewegung  und 
Gliederung. 

b)  In  den  kühnen,  komplizirten  Bewegungsmotiven :  den  Drehungen, 
Biegungen  und  Wendungen,  durchweiche  die  einzelnen  Körper- 
theile  in  Richtungsverschiedenheiten  und  -konstraste  gebracht 
werden. 

c)  In  der  siegreich  das  Anatomische  beherrschenden,  plastisch  bis 
in  alle  Einzelheiten  nachfühlenden  und  die  Rundung  betonen- 
den Bildung  der  Körperformen. 

d)  In  den,  von  den  scharflinigen  und  spitzigen  Sebastiano'schen 
abweichenden  weichen  und  vollen  Gesichtsformen. 

e)  In  den  lebendig  grosszügigen,  in  jedem  einzelnen  Falle  mannich- 
faltig  und  reich  bewegten  Draperieen ,  die  von  eindringlich 
plastischer  Wirkung  sind. 

f)  In  eigenthümlichen  Bewegungen  der  Hände  und  in  Sonderheit 
der  Finger,  die,  bisweilen  fast  manieristisch  übertrieben  wirkend. 
Spreizungen  und  scharfe  Biegungen  in  den  Gelenken,  nament- 
lich des  letzten  Fingergliedes  zeigen,  und  als  deren  charakte- 
ristischen  Typus    man    einerseits    die  Hand   auf  dem    frühen 


4l6  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


Entwurf  zur  Sixtinischen  Decke  im  British  Museum  und  andrer- 
seits die  rechte  Hand  Christi  in  der  späten  Florentiner  Pietä- 
gruppe  bezeichnen  darf.  So  auch  in  den  Bildungen  der 
Füsse  und  der  stark  betonten  Fussknöchel. 

g)  In  der,  an  das  erste  Herausmeisseln  aus  dem  Stein  gemahnen- 
den Skizzirung  flüchtig  hingeworfener  Köpfe,  wie  in  der  bis 
zur  Wirkung  von  Marmorpolitur  gebrachten  Modellirung  im 
Licht  bei  sorgfältig  ausgeführten  Gestalten. 

h)  In  der  technischen  Behandlung,  sowohl  in  der  in  feinsten, 
unmerklichen  Übergängen  vertreibenden  Zeichnungsweise,  als 
auch  in  den  kühn  suchenden,  allgemein  andeutenden  Strichen 
oder  auch  in  den  weich  hingeworfenen,  den  Hintergrund  be- 
lebenden Schraffirungen. 
Michelangelo,  und  nicht  Sebastiano! 

II 

Die  Zeichnung  für  Bugiardinis  Martyrium  der  hl.  Katharina 

Vasari  im  Leben  Bugiardinis  (VI,  204 f,  207  f.)  erzählt: 
,, Messer  Palla  Rucellai  hatte  ihm  den  Auftrag  gegeben,  eine 
Tafel  für  seinen  Altar  in  Santa  Maria  novella  zu  machen,  und  Giu- 
liano  begann,  darauf  das  Martyrium  der  hl.  Jungfrau  Katharina  zu 
malen.  Aber  —  wahrlich  eine  Leistung  —  zwölf  Jahre  lang  hatte 
er  sie  unter  den  Händen  und  wurde  in  dieser  Zeit  doch  nicht  fertig 
mit  ihr,  weil  er  keine  Erfindung  hatte  und  nicht  wusste,  wie  er  die 
vielen  Dinge,  die  bei  jenem  Martyrium  sich  ereignet  haben,  dar- 
stellen solle.  Und  obgleich  er  immer  herumging  und  darüber 
schwätzte,  wie  die  Räder  anzubringen  wären  und  wie  er  den  Blitz- 
strahl und  das  Feuer,  das  sie  verzehrte,  machen  müsse,  so  voll- 
endete   er    die  Arbeit  doch  in  so  langer  Zeit  nicht,    denn,    was  er 

an  einem  Tage  gemacht,  veränderte  er  am  anderen. Inzwischen 

entschloss  sich  Palla  Rucellai,  der  ihn  antrieb,  fertig  zu  werden, 
eines  Tages  Michelangelo  zu  ihm  zu  führen,  um  das  Bild  zu  sehen. 
Bugiardini,  nachdem  er  ihm  erzählt,  mit  welcher  Mühe  er  den  Blitz 
der,  vom  Himmel  kommend,  die  Räder  zerbricht  und  die  sie  drehen- 
den Männer  tödtet,  und  einen  Sonnenstrahl,  der,  aus  einer  Wolke 
dringend,  die  hl.  Katharina  vom  Tode  befreit,  gemalt,  bat  freimüthig 
Michelangelo,  der  beim  Vernehmen  des  Missgeschickes  des  armen 
Bugiardini  das  Lachen  nicht  verbeissen  konnte,  er  möchte  ihm 
doch  sagen ,  wie  er  acht  oder  zehn  Hauptfiguren  von  Soldaten  im 
Vordergrunde,  die,  als  Wache  in  einer  Reihe  aufgestellt,  im  Begriff 
seien  zu  fliehen,  niedergeschleudert,  verwundet  und  todt,  machen 
solle;    denn    er  wüsste  nicht,    wie  sie  verkürzen,    so  dass  sie  doch 


Die  Zeichnung  für  Bugiardinis  Martyrium  der  hl.  Katharina  417 

Alle,  wie  er  es  sich  gedacht,  auf  engem  Raum  in  einer  Reihe  unter- 
kämen. Buonarroti,  um  ihm  gefällig  zu  sein  und  weil  er  Mitleid 
mit  dem  armen  Menschen  hatte,  näherte  sich  mit  einem  Stück  Kohle 
der  Tafel  und  skizzirte  in  Umrissen  ohne  Weiteres  eine  Reihe 
wundervoller  nackter  Figuren,  die,  in  verschiedenen  Bewegungen 
verkürzt,  der  eine  nach  hinten,  der  andere  nach  vorne  niederstürzten; 
auch  einige  Todte  und  Verwundete,  mit  jenem  sichern  Urtheil  und 
jener  Meisterschaft,  die  eben  ihm,  Michelangelo,  zu  eigen  war.  Und 
nachdem  er  dies  gemacht,  ging  er,  von  Giuliano  bedankt,  von 
dannen.  Dieser,  nicht  lange  nachher,  holte  seinen  guten  Freund 
Tribolo,  damit  er  sehe,  was  Michelangelo  gemacht,  und  erzählte 
ihm  Alles.  Und  da,  wie  ich  sagte,  Michelangelo  seine  Figuren  nur 
in  Umrissen  gemacht,  konnte  Bugiardini  sie  nicht  ausführen,  weil 
weder  die  Schatten  noch  Sonstiges  angegeben  war.  Da  entschloss 
sich  Tribolo,  ihm  zu  helfen  und  machte  einige  Thonmodelle  von 
ausgezeichneter  Ausführung,  denn  die  kühne  Art  der  Michelangelo 'sehen 
Zeichnung  ahmte  er  mit  dem  Gradireisen,  einem  Eisen  nach,  so  dass 
sie  rauh  und  kräftig  wirkten.  Und  die  so  ausgeführten  Modelle 
gab  er  Giuliano.  Da  aber  diese  Technik  Bugiardinis  Sinn  für 
Sauberkeit  und  Vorstellungsart  nicht  gefiel,  nahm  er,  sobald  Tribolo 
fortgegangen,  einen  Pinsel,  tauchte  ihn  in  Wasser  und  glättete  sie 
so,  dass  sie  nach  Beseitigung  aller  Grate  höchst  sauber  aussahen. 
So,  indem  er  die  kräftige  Wirkung  des  Sichabheben  von  Licht 
und  Schatten  vernichtete,  entfernte  er  gerade  das  Gute,  das  sein 
Werk  vollkommen  gemacht  hätte.  Als  Tribolo  dies  von  Giuliano 
selbst  erfuhr,  lachte  er  über  die  Einfältigkeit  dieses  Menschen,  der 
schliesslich  das  Werk  in  einer  Weise  vollendete,  dass  man  auch 
nicht  das  Geringste  davon  spürt,  dass  Michelangelo  es  je  an- 
gesehen." 

Die  Erwähnung  Tribolos  lässt  darauf  schUessen,  dass  der  ge- 
schilderte Vorgang  im  Jahre  1532  oder  1533  spielte.  Und  auf  diese 
Zeit  weist  auch  der  Stil  der  geistreichen  Kreidezeichnung  hin, 
welche,  in  der  Galleria  Nazionale  in  Rom  aufbewahrt,  von 
Venturi  in  L' Arte  1898,  II,  S.  261  veröffentlicht  wurde.  (Thode  514. 
Ber.  1600.) 

In  der  leichten  lebendigen  Art  der  Skizzirung  erinnert  sie 
sowohl  an  die  architektonischen  Entwürfe  für  die  Libreria,  wie  an 
die  ersten  Studien  für  das  Jüngste  Gericht.  Wird  eine  Skizze  des 
Meisters  für  Bugiardinis  Gemälde  auch  nicht  von  Vasari  erwähnt, 
so  kann  es  doch  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  wir  eine  solche  vor 
Augen  haben.  In  einer  hohen  Hallenarchitektur,  in  welcher  man 
vor  einem  Portal  zwei  Gruppen  von  erregt  nach  oben  schauenden 
Menschen,  die  rechte  sehr  gedrängt,  gewahrt,  steht  in  der  Mitte 
vorne,  die  Arme  ergebungsvoll  nach  unten  gesenkt,  den  Blick  nach 
%*  27 


41 8  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

oben  gerichtet,  zwischen  den  zwei  symmetrisch  angeordneten  Rädern, 
die  hl.  Katharina.  Wie  vom  Blitz  getroffen,  taumeln  die  zwei  Schergen 
am  linken  Rade,  am  rechten  ist  der  eine  auf  die  Kniee  gesunken, 
der  andere  sucht  sich  gegen  den  Blitz  mit  den  Armen  zu  schützen. 
Seitwärts  flieht  links  ein  Mann  nach  hinten,  rechts  eilen  zwei  Ge- 
stalten aus  dem  Gebäude  heraus.  Im  Vordergrunde  links  eine  zu 
Boden  gesunkene  Figur,  rechts  eine,  wie  es  scheint,  sitzende. 

Die  Bewegungsmotive  der  Schergen  erinnern  mehrfach  an  jene 
Skizzen  erschreckter  Männer,  die  ich  bei  der  Besprechung  der 
Fresken  in  der  Cappella  Paolina  erwähnte  (s.  oben  S.  80  Casa  Buon. 
V,  17,  18.  VIII,  38.  XIII,  ^T,  68),  die  Katharina  in  der  Inbrunst 
ihres  gläubigen  Himmelanschauens  an  die  Rahel  des  Juliusdenkmales. 

Sehr  auffallen  muss  es  nun,  dass  nicht  eine  der  Figuren  in 
Bugiardinis  Gemälde  wiederkehrt,  die  Zeichnung  also  von  Jenem 
nicht  benutzt  worden  ist.  Es  macht  demnach  den  Eindruck,  als 
habe  Michelangelo,  angeregt  durch  die  Konsultation,  nur  sich  selbst 
zu  Liebe  sich  in  einem  Entwürfe  versucht.  Hingegen  stimmt  die 
reihenartige  Anordnung  der  fallenden  und  flüchtenden  Soldaten  im 
Vordergrunde  des  Bildes  zu  Vasaris  Erzählung.  Aber  Letzterer 
hat  Recht,  wenn  er  sagt,  von  Michelangelo  sei  Nichts  mehr  in  ihnen 
zu  gewahren.  Die  Ausführung  der  vom  Meister  angegebenen  Motive, 
die  man  bei  gutem  Willen  noch  erkennen  mag,  ist,  namentlich  bei 
den  stark  verkürzten  Figuren,  missglückt.  Nur  der  Kultus  Michel- 
angelos erklärt  die  Äusserung  Francesco  Bocchis  (Le  bellezze  della 
cittä  di  Firenze,  1591):  ,,vi  sono  da  basso  molte  figure  di  eccessiva 
bellezza,  disegnate  di  mano  di  Michelagnolo  Buonarroti,  delle  quali 
alcune  scortano  con  mirabile  industria  et  da  quelli  che  sono  inten- 
denti  sono  tenute  in  molto  pregio." 

Im  Übrigen  verlangt  das  Gerechtigkeitsgefühl,  dass  man  das 
auf  ein  hohes  Ziel  grosser  Wirkung  von  Raum  und  Licht  gerich- 
tete Streben  des  guten  Bugiardini  anerkennt  —  es  schwebte  ihm, 
möchte  ich  sagen ,  Etwas  im  Sinne  der  späteren  Tintoretto'schen 
Kunst  vor  Augen ,  und  seine  kleine  rührende  Heilige,  wie  der  ihr 
erscheinende  Engel,  verdient  einen  freundlich  theilnahmvollen  Blick 
des  Betrachters. 

III 

Unausgeführte  Aufträge  auf  Gemälde 

Wo  es  sich  um  Briefe  handelt,  in  denen  die  Aufträge  gegeben 
werden,  gebe  ich  dieselben  wörtlich,  weil  sie,  fiir  den  Künstler, 
für  die  Auftraggeber  und  für  die  Zeit  charakteristisch,  uns  auf  das 
Lebhafteste  in  die  verschieden  gearteten  Beziehungen  zwischen  dem 
Künstler  und  seinen  Bewunderern  einführen. 


Unausgeführte  Aufträge  auf  Gemälde  419 

/.   Gemälde  für  Pier  Francesco  Borgherini.     151 5. 

Von  diesem  Auftrag  erfahren  wir,  ohne  dass  freilich  der  Vor- 
wurf des  Bildes  angegeben  wäre ,  durch  einen  Brief  Michelangelos 
an  seinen  Bruder  Buonarroto  vom  20.  Oktober  151 5  aus  Rom. 
(Lett.  S.   129). 

„Wisse ,  dass  ich  P.  F.  Borgherini  in  keiner  Weise  belästigen 
möchte,  da  ich  ihm  so  wenig  wie  nur  möglich  verpflichtet  sein 
möchte,  denn  ich  habe  für  ihn  eine  gewisse  Malerei  (una  certa  cosa 
di  pittura)  zu  machen,  und  es  würde  so  aussehen,  als  wünschte  ich 
die  Bezahlung  im  Voraus ;  und  ich  will  ihm  nicht  verpflichtet  sein,  da 
ich  ihm  wohl  will,  und  ich  will  Nichts  von  ihm,  sondern  will  ihm 
aus  Liebe  und  nicht  aus  Zwang  zu  Diensten  sein:  und  ich  werde 
ihm,  wenn  ich  kann,  Heber  zu  Diensten  sein  als  irgend  einem 
Anderen,  denn  er  ist  wahrhaftig  ein  vortrefflicher  Jüngling,  und 
unter  den  Florentinern  dort  giebt  es,  wenn  ich  mich  nicht  täusche. 
Keinen,  der  ihm  gleich." 

Am  9.  und  16.  August  1516  erinnert  ihn  Leonardo  Sellajo 
an  den  Auftrag.  (Frey,  Briefe  S.  31,  32.)  An  Stelle  Michelangelos 
scheint  diesen  dann  Andrea  del  Sarto  erhalten  und  übernommen 
zu  haben ,  denn  am  8.  November  desselben  Jahres  schreibt  Buo- 
narroto an  den  in  Carrara  weilenden  Bruder:  ,,Baccio  d'Agniolo 
m'a  fato  solicitare  dua  volte  per  tua  parte  uno  quadro,  che  fa  uno 
Andrea  pitotore  (sie)  a  Pierfrancesco  Borgherini,  diciendo,  che  lo 
s'a  a  te.  lo  l'o  fato  da  tua  parte  per  amore  di  Pierfrancescho, 
perche  sichondo  m'a  deto  Bacio,  non  chosa  ti  tornj  in  danno  nesuno ; 
pure  non  so ,  se  io  m'o  fato  bene  o  male  a  solecitarllo  da  tua 
parte,  dicendo,  che  s'a  a  mandare  a  Roma.  Benche  a  ogni  modo 
non  l'a  fornito  questa  chosa,  lo  debi  sapere  e  io  mi  sono  fidato 
di  Baccio."  (A.  a.  O.  S.  43.)  Borgherini  ist  mit  Andreas  Gemälde 
nicht  zufrieden:  ,,non  e  a  modo  suo."  Damals  bietet  sich  Seba- 
stiano  del  Piombo  an ,  ein  Bild  für  ihn  zu  malen ,  falls  Michel- 
angelo ihm  einen  Karton  mache  (i.  März  15 17.  A.  a.  O.  63).  Weiter 
erfahren  wir  Nichts  über  die  Angelegenheit. 

Andrea  del  Sarto,  Pontormo  und  Granacci  haben  für  ein 
Zimmer  des  Borgherini  gelegentlich  Dessen  Hochzeit  mit  Margarita 
Acciajuoli  die  kleinen  Bilder  mit  Darstellungen  aus  dem  Leben  des 
Joseph  gemalt,  deren  vier  jetzt  im  Palazzo  Pitti  und  in  den  Uffizien 
sich  befinden. 

2.   Aufforderung,  in  der  Türkei  Malereien  auszuführen.    1519. 

Condivi  erzählt,  dass  Michelangelo  1506,  nach  seiner  Flucht 
aus  Rom ,  daran  gedacht  habe ,  in  den  Orient  zu  gehen  ,  wo  der 
Sultan  Bajazet  II.    von  ihm  eine  Brücke  von  Konstantinopel  bauen 

27* 


420  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

lassen  und  noch  andere  Aufträge  geben  wollte.  Einige  Mönche 
waren  die  Überbringer  des  Briefes  und  eines  Wechsels  auf  die 
Bank  der  Gondi. 

Am  I.  April  15 19  sucht  ihn  ein  Tommaso  di  Tolfo  in  Adria- 
nopel zu  einem  Aufenthalte  in  der  Türkei  zu  bewegen.  (Gotti  I, 
144.     Frey,  Briefe  S.  137.) 

„Theurer  und  geehrter  Michelagnolo.  In  der  vergangenen 
Zeit  habe  ich  Euch  nicht  geschrieben,  weil  Nichts  vorgefallen  ist. 
Die  Veranlassung  zu  diesem  Schreiben  ist ,  dass ,  als  ich  vor  etwa 
fünfzehn  Jahren  mich  dort  mit  Euch  einige  Male  im  Hause  des 
Gianozo  Salviati  unterhielt,  Ihr,  wenn  ich  mich  recht  er- 
innere, den  Wunsch  äussertet,  hierher  zu  kommen  und  dieses  Land 
zu  sehen;  ich  rieth  Euch  sehr  davon  ab,  weil  zu  jener  Zeit  ein 
Herr  regierte ,  der  keine  Freude  an  Kunstwerken  irgend  welcher 
Art  hatte,  vielmehr  sie  hasste.  Das  Gegentheil  hiervon  ist  unser 
jetziger  erlauchtester  Herr.  In  den  vergangenen  Tagen  gelangte 
die  Statue  einer  nackten  Frau,  die  liegend  das  Haupt  auf  den  Arm 
stützt ,  in  seine  Hände  und ,  wie  ich  höre ,  war  ihm  dies 
eine  grosse  Genugthuung.  Diese  Statue  hatte  Baldinacio  degli 
Allesandri  in  seinem  Hause  und  ich  weiss  nicht,  woher  er  sie  er- 
halten, doch  scheint  sie  mir  Dutzendarbeit." 

,, Meine  Schlussfolgerung  ist  nun  diese :  dass  ich  Euch ,  falls 
Ihr  noch  der  gleichen  Gesinnung  wie  damals  seid ,  rathen  würde, 
sogleich  hierher  zu  kommen,  denn  Ihr  würdet  hier  gerne  gesehen 
werden,  und  es  geschähe  ohne  Verlust  für  Euch,  vielmehr  zu  Eurem 
Vortheil ;  und  dies  verdient  Glauben ,  denn  wenn  ich  wüsste ,  es 
wäre  anders ,  würde  ich  Euch  nicht  davon  schreiben.  Und  wenn 
Ihr  daran  denkt  zu  kommen,  so  heisst  es  nicht  Zeit  verlieren, 
sondern  gleich  nach  Empfang  dieses  macht  Euch  so  schnell  wie 
mögUch  auf  den  Weg  über  Ragusa,  denn  dieser  ist  der  bequemste. 
Und  ich  verpflichte  mich,  Euch,  bevor  Ihr  in  Ragusa  seid,  einen 
Befehl  dieses  Herrn  zu  senden.  Denn  der  Befehlshaber  von  Chocia 
wird  Euch  eine  gute  Kompagnie  geben ,  die  Euch  bis  hierher  ge- 
leiten wird;  und  ausserdem  werde  ich  Euch  einen  Befehl  ver- 
schaffen, der  Euch  nach  Eurem  Belieben  zu  gehen  oder  zu  bleiben 
gestattet.  Und  so ,  da  Euch  keine  Unbequemlichkeit  erwächst, 
ermuthige  ich  Euch  auf  alle  Fälle  zu  kommen,  denn  ich  weiss,  dass 
es  von  höherem  Vortheil  für  Euch  sein  wird ,  als  Ihr  glaubt ,  und 
ich  sage  das  nicht  ohne  Grund.  Und  weil  es  geschehen  könnte, 
dass  Ihr  für  Eure  Abreise  dort  oder  für  die  Kosten  der  Reise, 
einiger  Dukaten  bedürftet,  habe  ich  meinen  Patronen  Gondi  in 
Florenz  geschrieben,  dass  sie  Euch  mit  allem  Nothwendigen  ver- 
sehen, obgleich  ich  gewiss  bin,  dass  dies  überflüssig  ist,  da  ich 
weiss,    es   fehlt  Euch   nicht    an  Geld.     Aber   ich    habe   es  in  guter 


Unausgeführte  Aufträge  auf  Gemälde  42 1 

Absicht  gethan  und  weil  ich  weiss,  dass  Euer  Kommen  nicht  ohne 
grossen  Vortheil  sein  wird.  Und  falls  Ihr  nicht  in  der  Lage  oder 
Stimmung  wäret  zu  kommen ,  bitte  ich  Euch ,  Euch  nach  einem 
anderen  Maler,  der  zu  den  Besten  heute  in  der  Christenheit  gehört, 
umzusehen  und  Euch  alle  Mühe  zu  geben,  ihn  so  schnell  als  mög- 
lich hierher  zu  senden.  Und  es  wäre  gut,  dass  er  eines  seiner 
besten  Werke  mitbrächte.  Ich  lasse  Euch  wissen ,  dass  der  Herr 
Dem ,  der  ihm  jene  Statue  gab ,  400  Golddukaten  geschenkt  und 
seinen  Rang  erhöht  hat ,  denn  er  ist  Sekretär  der  Pforte  des  be- 
sagten Herrn.  Und  wie  ich  Euch  gesagt,  ist  die  Statue  nichts  Aus- 
gesuchtes, Verlasst  Euch  auf  mich :  mögt  nun  Ihr  oder  ein  Anderer 
kommen ,  es  wird  ihm  nicht  an  Gottes  Gnade  fehlen.  Setzt  Ver- 
trauen in  mich !  Ich  habe  mir  diese  Freiheit  mit  Euch  genommen, 
weil  ich  mir  sage,  dass  Ihr,  wenn  Ihr  kommt,  Grund  mich  zu  loben 
haben  werdet  und  das  Gleiche ,  wenn  Ihr  einen  Anderen  schickt. 
Anderes  habe  ich  nicht  zu  sagen ,  ausser  dass  ich  mich  Euch  em- 
pfehle. Gott  bewahre  Euch  immer  vor  allem  Übel.  Euer  Tommaso 
di  Tolfo  in  Adrianopel." 

Wer  der  kunstsinnige  Herr ,  dem  Michelangelo  seine  Dienste 
widmen  sollte,  war,  wissen  wir  nicht.  Frey  meint,  der  Gedanke 
an  den  Sultan  Selim  I.  sei  wohl  ausgeschlossen ;  es  handle  sich  um 
einen  Grosswürdenträger ,    etwa   um  einen  Pascha  von  Adrianopel. 

j.  Leonardo  Sellajos  Bitte  um  eine  Zeichnung  für  ein  Gemälde, 
das  ein  „Gobbo"  ausführen  will.     1^22. 

Leonardo  schreibt  am  29.  November  1522  aus  Bellosguardo 
bei  Florenz  an  Michelangelo  (Frey:  Briefe  S.  194): 

,,Perche  voglo  di  quest'  altra  setimana  mandare  el  mio  Ghobo 
a  Montilupo  e  non  voglo  perda  tenpo,  vorei,  voi  fussi  content© 
di  fargli  uno  pocho  di  disegno  finito ,  che  potese  fare  un  quadro. 
E  chosi  o  fatto  o  fare  qualche  disegno ,  che  nonne  esendo  presso 
a  Bastiano,   velo  rachomando;    e  se  do  troppa  brigha:    pazienza." 

Von  diesem  Gobbo  sagt  Leonardo  an  anderer  Stelle,  von  den 
Bildern  der  Raphaelschüler  in  der  Sala  del  Costantino  sprechend : 
„sein  Gobbo  würde  es  besser  machen."     (A.  a.  O.  S.  163.) 

Welch'  Licht  wirft  diese  Bitte  auf  die  freundliche  Bereitwillig- 
keit Michelangelos,  Anderen  bei  ihren  Arbeiten  zu  helfen! 

4.  Auftrag  des  Kardinals  Domenico  Grimani,  Patriarchen  von 
Aquileja,  auf  ein  kleines  Kimstiverk.     1523. 

Bartolommeo  Angiolini  schreibt  am  28.  Juni  1523  aus  Rom  an 
Michelangelo : 

,,Als  ich  vor  wenigen  Tagen  mit  dem  Kardinal  Grimani  zu- 
sammen war,  kamen  wir  auf  Euch  zu  sprechen.    Er  bat  mich,  Euch 


422  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

zu  schreiben  und  zu  bitten,  Ihr  möchtet  belieben,  ihm  jenes  kleine 
Bildwerk  für  sein  ,Studiolo'  zu  machen ,  um  das  er  Euch  schon 
gebeten;  und  er  sagt,  Ihr  hättet  es  versprochen,  und  überlässt  Euch 
die  Wahl  des  Materiales  für  die  , Phantasie' ,  sei  es  ein  Gemälde, 
oder  ein  gegossenes  Bildwerk;  was  Euch  bequem  sei,  möchtet  Ihr 
machen  und  die  Bestimmung  des  Preises  überlässt  er  Euch ,  denn 
so  viel  Ihr  verlangt,  wird  er  Euch  geben  und  darüber  hinaus  Euch 
höchst  verpflichtet  bleiben.  Darum ,  theurer  Michelagnolo ,  da  ich 
sowohl  Euch,  wie  ihm,  einen  Gefallen  thun  und  Gutes  angedeihen 
lassen  möchte ,  überlässt  mir  die  Sorge  dafür,  die  Bezahlung  nach 
Eurer  Bequemlichkeit  anzuordnen,  denn  ich  werde  Euch  dort  das 
Geld  auszahlen  lassen,"     (Gotti  I,   176.     Frey:  Dichtungen  S.  505.) 

Am  II.  Juli  schreibt  der  Kardinal,  durch  seine  Kunstliebe  und 
Sammlungen  bekannt,  selbst  an  den  Künstler: 

,,Mit  nicht  geringem  Vergnügen  haben  wir  von  Messer  Barto- 
lommeo  Angiolini  vernommen,  Ihr  habet  ihm  geschrieben,  dass  Ihr 
bereit  seid,  das  uns  gegebene  Versprechen  eines  kleinen  Kunst- 
werkes (quadretto)  für  unser  Studio  zu  halten.  Wir  danken  Euch 
sehr  dafür ;  und  obgleich  er  sagt,  Ihr  fürchtet  wenig  Zeit  zu  haben 
wegen  anderer  Verpflichtungen,  so  hoflen  Wir  doch,  dass  Euch 
Zeit  vergönnt  werden  wird ,  sich  mir  gefällig  erweisen  zu  können. 
Die  Art  des  Werkes  überlassen  wir  Euch;  macht  es  nach  Eurem 
Gefallen.  Wir  haben  mit  Messer  Bartolommeo  gesprochen ,  und 
er  wird  auf  Euer  Verlangen,  wenn  es  Euch  gefällt,  das  Werk  zu 
beginnen,  anordnen ,  dass  Euch  fünfzig  Dukaten  gegeben  werden ; 
bezüglich  der  restirenden  Summe  wird  Euch  nach  Eurem  Wunsche 
Genüge  geschehen,  denn  angesichts  Eurer  Vorzüglichkeit  kommt 
es  Uns  auf  den  Preis  nicht  an.  Und  je  schneller  Wir  es  erhalten 
werden,  desto  grösser  wird  Unsere  Verpflichtung  gegen  Euch  sein, 
und  wir  werden  es  höher,  als  irgend  etwas  Anderes  in  unserem  Be- 
sitz, schätzen.     Lebt  wohl."     (DaelH  16.) 

Die  Antwort  giebt  Michelangelo  in  einem  Briefe  an  Angiolini : 

,, Bartolommeo,  theuerster  Freund.  —  Ich  habe,  in  einem  Briefe 
von  Euch  eingeschlossen,  einen  vom  Kardinal  erhalten,  und  habe 
mich  darüber  gewundert,  dass  Ihr  ihn  wegen  einer  solchen  Kleinig- 
keit zum  Schreiben  veranlasst  habt,  und  in  solcher  Eile.  Ich  werde 
darauf  nicht  antworten,  weil  ich  es  nicht  so  entschlossen  thun 
kann,  wie  ich  es  wünschte.  Euch  aber  erwiedere  ich  dasselbe  wie 
früher,  nämlich  dass  ich  das  Verlangen  habe.  Seine  Hochwürdige 
Herrlichkeit  zu  bedienen,  und  mich  bemühen  werde  so  gut  und 
so  bald  ich  kann." 

,,Ich  habe  grosse  Verpflichtungen  und  bin  alt  und  wenig  wohl. 
Wenn  ich  einen  Tag  arbeite,  muss  ich  vier  ruhen ;  daher  traue  ich 
mir  nicht  zu,  mit  Entschiedenheit  Etwas  zu  versprechen.     Aber  ich 


Unausgeführte  Aufträge  auf  Gemälde  423 

werde  mich,  in  jeder  Weise  zu  Diensten  .zu  sein,  bemühen  und 
zu  beweisen,  dass  ich  Eure  Liebe  zu  mir  kenne."  (Lett.  420.) 
Weiteres  erfahren  wir  nicht. 

5.  Fra  Zanobi  de'  Medicis  Bitte  um  die  Zeichnung  einer 
Madonna  mit  dein  Erzengel  Michael.     152^. 

Aus  San  Miniato  al  Tedesco  schreibt  Fra  Zanobi  am  18,  Mai 
1525,  nachdem  er  Michelangelo  religiöse  Segenswünsche  ausge- 
sprochen und  ihn  seiner  beständigen  Fürbitte  versichert:  ,,Und  um 
dies  lebhafteren  Gedenkens  thun  zu  können,  bitte  ich  Euch,  so  gut 
ich  weiss  und  kann,  Ihr  wollet  mir  auf  einem  ,foglio  reale'  mit  Kohle, 
so  wie  ich  es  Euch  sagte,  die  heiligste  Jungfrau  und  Mutter  Maria 
mit  dem  hl.  Erzengel  Michael  machen.  Und  da  ich  weiss ,  dass 
Ihr  an  Werkeltagen  genug  zu  thun  habt,  so  macht  sie  mir  an 
einem  Festtage :  das  ist  keine  Sünde ,  da  Ihr  sie  mir  als  Almosen 
macht.  Und  wenn  Ihr  sie  gemacht  habt,  so  vertraut  sie  dem  Über- 
bringer Dieses,  Giovanni  Carnesechi,  an,  der  mein  zweites  Ich  ist, 
und  er  wird  sie  mir  thunlichst  senden."  (Frey,  Briefe  S.  253.) 
Ob  der  Meister  den  Wunsch  erfüllt  habe,  wissen  wir  nicht. 

6.  Der  Auftrag  Matteo  Malvezzis  in  Bologna  auf  das  Altar- 
gemälde einer  Madonna  mit  vier  Heiligen.     152g. 

Mit  ihm  machte  uns  zuerst  Gotti  (I,  203)  bekannt,  Frey  (Briefe 
S.  297  ff.)  publizirte  die  bezüglichen  Briefe.  Der  Prior  von  S.  Martino 
in  Bologna,  Fra  Gianpietro  Caravaggio,  schreibt  am  19.  Juni  1529 
an  den  Künstler : 

,,In  den  verflossenen  Tagen,  mein  erlauchter  Herr,  habe  ich 
eine  Zeile  von  Eurer  Signoria  erwartet,  durch  welche  Sie  mir 
Nachricht  von  Sebastiano  (del  Piombo)  gäbe,  wo  er  sich  befindet, 
ob  in  Rom  oder  in  Venedig.''  Aber  ich  achte,  Sie  sei  von  so  hohen 
Aufgaben  in  Anspruch  genommen,  dass  Sie  sich  nicht  mehr  der 
Verhandlungen  erinnert,  die  der  Prior  von  S.  Martino  in  Bologna 
mit  Ihr  an  einem  Martinsonntag  gepflogen  hat.  Der  erzählte  Euch, 
ein  Edelmann  wolle  ein  Gemälde,  auserwählt  und  ausgezeichnet 
unter  allen  Bildern  Italiens ,  anfertigen  lassen  und  ersehne  Nichts 
weiter  als  die  Zeichnung,  die  einzig  sein  wird,  von  Eurer  Signoria; 
wenn  Diese  aber  sich  herablassen  wollte ,  auch  das  Gemälde  aus- 
zuführen ,  würde  er  es  köstlich  preisen.  Wenn  Sie  es  aber  nicht 
in  Farben  ausführen  könnte ,  wie  Sie  es  mir  sagte ,  so  wünschte 
er  wenigstens,  dass  Euer  Sebastiano  es  malte,  wovon  Eure  Signoria 
mich  zu  benachrichtigen  versprach.  Infolgedessen  hat  sich  der 
Edelmann  auf  meine  Worte  und  Eurer  Signoria  Versprechen  ver- 
lassen und  die  Antwort  erwartet.  Ich  bitte  Eure  Signoria,  uns 
gütigst  Antwort  zukommen  zu  lassen,  was  wir  zu  thun  haben,  denn 


424  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

wir  werden  uns  nach  Euren  Anweisungen  verhalten.  Anderes 
nimmt  mich  in  Anspruch.  Eure  Signoria,  der  ich  zu  Befehl,  ant- 
worte uns  bald,  denn  ich  beabsichtige  einen  Meister  Ihr  zuzuführen, 
der  Sie  über  die  Grösse  und  die  Art  und  die  Lage  der  Kirche 
unterrichten  soll ,  wie  Sie  es  von  mir  erbat.  Und :  feliciter  valeat 
quotidie  orationibus  ad  deum  pulso.  —  Euerer  Signoria  grösster 
Freund  Gianpietro  Caravagio ,  unwürdiger  Prior  von  San  Martino 
in  Bologna." 

Der  Edelmann,  wie  aus  dem  Weiteren  hervorgeht,  war  Matteo 
Malvezzi.  Jene  Begegnung,  von  der  der  Prior  spricht,  könnte,  wie 
Frey  richtig  bemerkt,  in  Bologna  gelegentlich  des  Künstlers  Durch- 
reise nach  Ferrara,  Ende  Juli  oder  Anfang  August,  stattgefunden 
haben. 

Der  Ricordo ,  den  Michelangelo  bald  darauf  empfangen  haben 
muss,  lautet: 

„Messer  Michelangelo,  dies  ist  zur  Erinnerung  für  Eure  Signoria 
bezüglich  des  für  Bologna  bestimmten  Tafelgemäldes,  von  dem  die 
Karmeliterbrüder  Euch  gesprochen  haben.  Und  zunächst,  was  die 
Erfindung  des  Bildes  angeht  und  dessen  Maasse  und  auch  das  Licht 
der  Kapelle,  für  die  es  bestimmt  ist  und  das  Eure  Signoria  bei 
der  Arbeit  berücksichtigen  wird !  Die  Erfindung  ist  nach  dem 
Wunsche  des  Patrons  folgende:  Seine  Signoria  möchte  eine  Madonna 
mit  dem  Kind  im  Arm  und  vier  Figuren,  je  zwei  zu  ihren  Seiten; 
die  Art  dieser  Figuren  ist  dem  Belieben  Eurer  Signoria  überlassen, 
jenachdem  sie  Euch  am  besten  dünken ,  und  ebenso  Haltung  und 
Anordnung  aller  Figuren,  so  wie  es  Eurer  Signoria  gefällt  und  gut 
dünkt.  Die  Tafel  hat  oben  eine  halbrunde  Lunette  und  ihre  Höhe 
vom  Scheitel  der  Lunette  bis  unten  ist  8  Fuss  und  4^2  Onze  und 
die  Breite  5  Fuss  und  3^2  Onze  —  es  versteht  sich  nach  unserem 
Maass,  das  auf  diesem  Blatte  abgebildet  ist :  nämlich  ein  Fuss  gleich 
12  Onze.  Das  Licht  der  Kapelle  ist  dieses:  sie  ist  nach  Osten 
gelegen  und  empfängt  das  Licht  von  Süden."  (Gotti.  Frey.)  Unter 
der  Schrift  ist  die  Zeichnung  der  Tafel  mit  den  Maassangaben. 

Am  20.  Juli  1529  schreibt  Caravagio  wieder:  ,,Die  tumultuösen 
Kriegswirren,  mein  edelster  (humanissimo)  Herr,  haben  mich  ver- 
hindert ,  in  Person  zu  Eurer  Signoria  zu  kommen ,  um  in  Person 
mit  Ihr  das  wundervolle  Kunstwerk  eines  Gemäldes ,  über  welches 
wir  in  den  vergangenen  Tagen  mit  Ihr  geredet  und  Ihr  geschrieben 
haben,  abschhessende  Bestimmungen  zu  treffen.  Und  jetzt,  auf 
Antrieb  des  Messer  Matteo  Malvetij ,  der  die  erste  Rolle  hierbei 
spielt,  bitten  wir,  Eure  Signoria  wolle  geneigtest  Ihre  Absicht  hier- 
über schreiben.  Das  Grössenmaass  der  Tafel  und  die  Angabe  der 
auf  ihr  auszuführenden  Malerei,  die  wir  durch  Einen  unserer  Väter 
sandten,    wird  Sie    haben.     Habt    die  Huld    uns    mitzutheilen ,    was 


Unausgeführte  Aufträge  auf  Gemälde  425 

Eure  Signoria  zu  thun  beliebt.  Und  falls  Sie  Nichts  von  Sebastiane, 
Ihrem  vertrauten  Freunde,  erfahren,  möchte  ich  mit  Verlaub  dies 
vertraulich  Euch  schreiben:  falls  es  Eurer  Signoria  angenehm  wäre 
zur  Erholung  oder  um  den  Kriegsunruhen  zu  entfliehen,  Sich  hier- 
her nach  Bologna  in  das  Haus  des  Messer  Matteo  Malvetij  zu  be- 
geben, so  sei  Sie  gewiss  Herberge,  in  seinem  Hause  zu  finden:  und 
Sie  wird  von  ihm  so  höflich  und  liebevoll,  wie  von  Ihren  nächsten 
Freunden  nach  Heimkehr  aus  weiter  Ferne,  empfangen  werden. 
Und  falls  es  Euch  nicht  Recht  wäre,  in  jenem  Haus  zu  wohnen, 
so  wollet  Euch  herablassen,  im  Kloster  von  S.  Martino  abzusteigen, 
wo  Ihr  nicht  weniger  behaglich  als  von  Euren  geistlichen  Freunden 
verhätschelt  werden  sollt.  Dies  sei  vertraulich  gesagt.  Ist  aber 
Eure  Signoria  von  Ihrem  erlauchtesten  Senat  in  Anspruch  ge- 
nommen ,  so  schreibe  Sie  wenigstens  geneigtest  ein  Wort  über 
das  oben  Berührte.  Ich  empfehle  und  bringe  mich  Eurer  Huld  in 
Erinnerung." 

Die  Angelegenheit  ist  ein  Jahr  später  noch  nicht  fortgeschritten, 
was  sich  aus  den  Unruhen  der  Zeit  genügend  erklärt,  aber  wohl 
auch  daraus,  dass  eine  Aufgabe,  wie  diese,  Michelangelo  nicht  zu 
reizen  vermochte.  Am  21.  November  schreibt  Malvezzi  an  einen 
Bekannten  in  Florenz  (Frey  vermuthet :    Fattucci) : 

,,Erst  heute  Morgen  habe  ich  den  Brief  Eurer  Signoria  er- 
halten, durch  den  ich  von  den  Beschäftigungen,  die  Michelangelo 
in  Anspruch  nehmen,  vernehme;  es  scheint  mir  sehr  begreiflich, 
dass  er,  wie  Ihr  schreibt,  Verpflichtungen,  die  ihn  in  so  vieler  Hin- 
sicht binden ,  einhält.  Dass  er  aber ,  was  meinen  Auftrag  angeht, 
keine  Abkunft  weder  bezüglich  des  Preises  noch  des  Termines 
treffen  will,  daraut  vermag  ich  nicht  einzugehen;  denn  es  scheint 
mir  billig,  wenigstens  zu  wissen,  wie  viel  ich  auszugeben  und  er 
zu  verdienen  hat,  sowie  auch,  innerhalb  welcher  Frist,  sei  es  auch 
nicht  ein  fester,  sondern  nur  ein  ungefährer  Termin,  die  Angelegen- 
heit erledigt  sein  könnte.  Und  da  ich  sehr  verlange,  mit  ihr  ab- 
zuschliessen  und  die  Schwierigkeiten ,  die  aus  den  vielen  Be- 
schäftigungen dieses  Mannes  erwachsen ,  einsehe ,  so  würde  ich, 
falls  er  sich  darauf  beschränkte,  mir  nur  den  Karton  zu  machen, 
diesen  von  einem  der  talentvollen  Leute ,  die  zu  haben  sind ,  in 
Farben  ausführen  lassen ;  so  wäre  ich  doch  in  der  Lage,  in  meinem 
Alter  eine  abschliessende  Disposition  bezüglich  des  Werkes  zu 
treffen.  Doch  möchte  ich  zuvor  davon  benachrichtigt  werden,  wie 
viel  mich  der  Karton  kosten  würde,  falls  er  geneigt  wäre,  ihn  zu 
machen;  denn,  wenn  er  eine  billige  und  ehrliche  Forderung  auf- 
stellte, würde  ich  ihm  das  Geld  durch  eine  Bank  zustellen  lassen." 

Vermuthlich  ist  auch  auf  diesen  Vorschlag  weiter  Nichts  er- 
folgt. 


426  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

7.  Federigo  Gonzagas  Bitte  um  ein  Gemälde  oder  eine  Skulptur 
für  den  Palazzo  dcl  Te.     152'/.    i^ji. 

Schon  1527  hatte  der  Marchese  den  Wunsch  geäussert,  ein 
Werk  Michelangelos,  und  sei  es  auch  nur  ,,eine  Kohlezeichnung", 
für  den  Palazzo  zu  erhalten.  Am  26.  Mai  1531  schreibt  er  an 
Francesco  Gonzaga  nach  Rom : 

,,Magnifico.  Wir  wünschen,  Ihr  sagtet  in  Unserem  Auftrag  in 
demüthiger  Form,  wie  es  sich  geziemt.  Unserem  Herrn  (dem  Papst), 
dass  Wir,  mit  einem  Bau  su  Te  beschäftigt  und  bemüht,  ausser  der 
anderen  Ausschmückung,  für  ihn  Werke  der  Bildhauerei  und  Malerei 
aller  ausgezeichneten  und  berühmten ,  heute  in  Italien  thätigen 
Künstler  zu  erlangen,  Verlangen  tragen,  unter  Anderem  auch  ein 
Werk  von  der  Hand  Michel  Angelos  zu  erhalten  und  ihn  hatten 
ersuchen  lassen,  Etwas  nach  seinem  Belieben  für  Uns  zu  machen. 
Er  hat  geantwortet,  dass  er  einen  ausdrücklichen  energischen  Be- 
fehl habe,  nichts  Anderes  zu  machen  noch  für  irgend  einen 
Menschen  der  Welt  Etwas  zu  arbeiten,  bevor  er  nicht  ein  gewisses 
Werk,  das  sich  noch  ein  wenig  in  die  Länge  ziehen  wird,  für  Seine 
Heiligkeit  vollendet  hat.  Daher  flehen  wir  demüthig  Seine  Heilig- 
keit an,  Sie  wolle  geruhen,  huldvoll  zu  gestatten,  dass  Messer 
Angelo  mir  irgend  ein  Werk  mit  seiner  Hand  ausführe ,  und  er 
wird  daran  nur  an  den  Festtagen  arbeiten  oder  wenn  er  nicht  für 
Seine  Heiligkeit  arbeiten  kann,  —  das  wäre  mir  sehr  erwünscht. 
Seht  zu,  mir  auf  alle  Weise  diese  Gnade  zu  erwirken. 

,, Giovanni  Borromeo ,  der  in  Unserem  Auftrag  mit  besagtem 
Michel  Angelo  gesprochen  hat,  kommt,  so  viel  er  mir  schreibt, 
nach  Rom.  Ist  dem  so,  könnt  Ihr  zuerst  mit  ihm  sprechen,  da 
Ihr  dann  besser  über  die  Art,  in  der  Ihr  mit  Unserem  Herrn  zu 
reden  habt,  informirt  sein  würdet.  Käme  aber  der  Borromeo  nicht 
nach  Rom,  so  säumt  nicht  zu  Seiner  Heiligkeit  in  der  angedeuteten 
Art  zu  sprechen.  Wir  senden  Euch  den  Brief,  den  wir  hierüber 
an  Borromei  geschrieben.     Gebt  ihm  denselben  etc." 

Der  Papst  hat  den  Wunsch  bewilligt.  Am  16.  Juni  schreibt 
der  Marchese  an  Francesco: 

,,Magnifico.  Über  alles  Maass  willkommen  ist  die  gütige  Ant- 
wort gewesen,  welche  Seine  HeiHgkeit,  auf  die  in  Unserem  Namen 
bezüglich  Michel  Angelos  ausgesprochene  Bitte,  Euch  gegeben  hat, 
und  Wir  wünschen,  dass  Ihr  in  Unserem  Namen  die  heiligsten 
Füsse  demüthig  küsst  und  Seiner  Heiligkeit  sagt,  Wir  verlangten 
und  suchten  Werke  ausgezeichneter  Männer,  wie  Michel  Angelo 
Einer  ist,  und  zwar  nicht  nur  Gemälde,  sondern  auch  Skulpturen 
zu  erlangen;  doch  wäre  es  Uns  gleich,  vorausgesetzt,  dass  Wir  nur 
ein  Werk  von  ihm  erhalten,  ob  es  nun  der  einen  oder  der  anderen 
Kunst   angehört.      Und    da   Seine    Heiligkeit    noch    nicht,    wie    Sie 


Madonnenstudien  ^£7 


Euch  zu  thun  verhiess,  ihm  hat  schreiben  lassen,  so  seht  zu,  dass 
ihm  geschrieben  wird  und  benachrichtigt  davon,  wie  Ihr  es  zu 
thun  beabsichtigtet,  Giovanni  Borromeo."    (Gaye  II,  227  f.) 

Man  weiss,  wie  schwer  belastet  und  gequält  durch  Verpflich- 
tungen der  Meister  in  jenen  Jahren  war  —  vermuthlich  wird  Clemens 
ihm  nicht  geschrieben  haben,  und  so  sah  der  Marchese  seinen 
Wunsch  nicht  erfüllt.  Auch  später,  1538,  als  er  durch  Antonio 
Maria  Folengo  und  Meleghino  sich  bemühte,  drei  oder  vier  Kartons 
von  Michelangelo  zu  erhalten,  fand  er  sich  enttäuscht.  (Vgl.  A.  Luzio: 
Michelangelo  e  i  Gonzaga.  Giornale  unico.  Per  il  5omo  anniversario 
degli  Asili  infantiU.  5  luglio  1887.  Mantova.  Venturi:  Arch.  stör, 
d.  Arte  I,  S.  6.) 

8.  Anerbieten  eines  Gemäldes  für  den  Kardinal  Salviati.  i^ji. 

Am  I.  JuH  1531  dankt  der  Kardinal  in  einem  Schreiben 
Michelangelo  dafür,  dass  er  sich  angeboten,  ihm  ein  Gemälde  zu 
machen  (Gotti  I,  212).  Auf  dieses  bezieht  sich  der  Eingang  des 
Briefes,  den  Benvenuto  della  Volpaja  am  26.  November  des  Jahres 
dem  Künstler  aus  Rom  sendet. 

„Hierdurch  benachrichtige  ich  Euch,  dass  ich  am  letzten 
Oktober  gesund  in  Rom  anlangte  und,  Gott  sei  Dank,  es  noch  bin. 
Und  an  demselben  Abend  richtete  ich  dem  Kardinal  Salviati  Eure 
Botschaft  und  Empfehlung  aus,  sprach  ihm  von  Euren  Quälereien 
und  Eurem  guten  Willen,  und  bat  ihn,  mit  Seiner  Heiligkeit,  Unserem 
Herrn,  zu  sprechen.  .  .  .  Zuerst  grüsste  ich  Seine  Heiligkeit  in 
Eurem  Namen  und  empfahl  Euch  Ihr,  indem  ich  Sie  bat,  Sie  möge 
Euch  von  Euren  Quälereien  befreien,  und  erzählte  ihm  Alles  ohne 
jede  Rücksicht.  Sie  ärgerte  sich  darüber,  dass  Ihr  angespornt 
würdet,  andere  Arbeiten  zu  übernehmen  und  sagte :  ,er  hefte  sich 
einen  Pinsel  an  den  Fuss  und  mache  vier  Striche  und  sage:  da 
ist  das  fertige  Bild;  und  an  jene  Angelegenheit  des  Bartolommeo 
Valori  zu  denken  überlasse  er  mir.'  Und  er  sagte  mir,  dass  er 
Euch  ein  Breve  gesandt,  nach  welchem  Ihr  unter  Strafe  der  Ex- 
kommunikation an  nichts  Anderem  arbeiten  dürft  als  an  dem  Werke 
Seiner  Heiligkeit,  und  frug  mich,  ob  Euch  dies  als  Entschuldigung 
genügte.?"     (Frey:  Briefe  S.  311.) 

So  kam  auch  der  Kardinal  um  sein  Bild. 

IV 

Madonnenstudien 

/.  Maria  mit  dem  Kind. 

Rufen  wir  uns  die  frühen  Darstellungen  der  Maria  mit  dem 
Kinde  —  die  Madonna  an   der  Treppe,   die  Madonna  von  Brügge 


428  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

und  die  Studien  jener  Zeit,  die  im  I.  Bande  S.  iioff.  behandelt 
worden  sind,  in  die  Erinnerung,  so  treten  uns  als  die  zwei  Haupt- 
typen:  die  ihr  Kind  nährende  Mutter  (A)  und  Maria,  das  zum 
Boden  niedersteigende  oder  niedergestiegene  Kind  zwischen  ihren 
Beinen  haltend  (B),  entgegen.  Daneben  Maria,  das  sie  umhalsende 
und  küssende  Kind  an  sich  drückend  (C)  und  Maria,  das  sitzende 
oder  Hegende  Kind  auf  ihren  Armen  im  Schooss  (D).  In  den 
Entwürfen  für  das  Juliusdenkmal  erscheint  die  stehende  Jungfrau  (E), 
und  eine  solche  gedachte  Michelangelo  anfangs  auch  an  dem  einen 
Medicigrabe  anzubringen,  dann  aber  plant  er  eine  sitzende  und 
knüpft  hier  zunächst  an  den  Typus  B  der  Jungfrau  mit  dem  am 
Boden  stehenden  Kinde  an,  um  dann  aber  für  den  anderen  (A) 
der  ihr  Kind  nährenden  sich  zu  entscheiden ,  dessen  Gestaltung, 
den  Ausgangspunkt  von  der  herrlichen  früheren  Zeichnung  in  der 
Casa  Buonarroti  nicht  verleugnend ,  uns  in  Studien  bekannt  ge- 
worden ist.     (S.  oben  I,  S.  487  ff.) 

Die  Zahl  der  noch  zu  besprechenden  erhaltenen  Studien  ist 
nicht  gross,  aber  das  Wenige  belehrt  uns  in  sehr  fesselnder  Weise 
über  des  Meisters  Festhalten  an  den  alten  Motiven  und  deren 
Ausgestaltung,  und  in  allen  jenen  früher  kurz  erwähnten  Blättern, 
die  neuerdings  dem  Sebastiano  zugeschrieben  worden  sind,  erweist 
sich  der  Zusammenhang  mit  jenen  früheren  Vorstellungen  als  ein 
so  unlöslich  enger,  dass  er  an  sich  schon  beweisend  für  Michel- 
angelos Autorschaft  ist.  Sebastiano  für  ihren  Schöpfer  halten, 
hiesse  so  viel  als  annehmen ,  dass  er  jene  älteren  Werke  und 
Studien  alle  gekannt  und  aus  ihnen,  ganz  im  Geiste  des  Meisters 
schöpferisch  weiter  gestaltend,  die  neuen  Erscheinungen  gleichsam 
organisch  entwickelt  habe  —  eine  widersinnige  Annahme,  die,  wie 
ich  erwähnte,  in  gleicher  Weise  für  die  Pietäentwürfe  zurück- 
zuweisen ist. 

A.  Das  Motiv  der  ihr  Kind  nährenden  Mutter  ward 
in  der  Medicimadonna  zu  höchster  plastischer  Vollendung  heraus- 
gebildet, die  anderen  sehen  wir  in  Studien  behandelt. 

B.  Maria,  das  Kind  zwischen  ihren  Beinen  haltend. 

I.  Paris.  Louvreii2.  Thode463.  Ber.  2494.  (Seb.)  Abb.  d'Achiardi 
(Seb.  d.  P.)  S.  69.  Phot.  Br.  50.  Giraudon  36.  Röthel.  Vgl. 
oben  II,  S.  410.  Maria,  nach  vorne  gewandt  sitzend  mit  über- 
einandergeschlagenen  Füssen,  wendet  den  Oberkörper  (im 
Profil)  ganz  nach  links  und  sieht  auf  das  Kind  herab,  das 
von  ihrer  Linken,  in  der  Höhlung  zwischen  ihren  Beinen  halb 
stehend,  halb  abwärts  gleitend,  gehalten  wird  und  mit  der 
Rechten,  wie    müde,    an    den  Kopf  greift.     Die  Haltung   des 


Madonnenstudien  429 


rechten  erhobenen  Armes  der  Jungfrau  ist  undeutlich.  Die 
Stellung  erscheint  gezwungen,  und  doch  ist  Lage  und  Be- 
wegung des  Kindes  von  wundervoller  Natürlichkeit.  Die  Dar- 
stellung bezeichnet  gleichsam  die  vierte  Stufe  in  der  Ent- 
wicklung des  Motives  zu  immer  grösserer  Lebendigkeit.  Die 
erste  erkennen  wir  in  der  Madonna  von  Brügge  und  der 
Londoner  Studie  (I,  S.  in,  Nr.  2)  —  Mutter  und  Kind  in 
ruhiger  frontaler  Haltung,  —  die  zweite  in  der  Bonnat'schen 
Zeichnung  zu  Bayonne  (s.  I,  S.  112,  Nr.  VIII)  —  Mutter  und 
Kind  in  lebhafterer  Bewegung,  seitwärts  gesehen  — ,  die  dritte 
im  Entwurf  für  das  Doppelgrabmal  der  Medici  (s.  I,  487)  — 
das  Kind  seitwärts  gewandt  nach  dem  Buch  der  Mutter 
greifend.  Und  man  beachte,  wie  überall  (vom  Bonnat'schen 
Blatt  abgesehen)  der  gleiche  Gedanke,  das  Kind  in  die  Falte 
des  gespannten  mütterlichen  Gewandes  treten  zu  lassen, 
wiederkehrt.  Man  vergleiche  auch  die  Frau  mit  dem  Kind 
in  der  Oziaslunette  und  das  emporsteigende  Kind  im  Schoosse 
des  Josias.  —  Dem  Motiv,  den  Körperverhältnissen  und  der 
Zeichnungsweise  nach  dürfte  das  Blatt  in  die  dreissiger  Jahre 
anzusetzen  sein. 

C.  Maria  und  Kind  in  zärtlicher  Umschlingung. 

Zuerst  erscheint  das  Motiv  auf  der  Bonnat'schen  Zeichnung  in 
Bayonne  (s.  I,  S.  112,  Nr.  VII).  Hier  kniet  das  Kind  auf  dem  Bein 
der  ruhig,  feierlich  sitzenden  Mutter,  umschlingt  ihren  Hals  und 
küsst  sie.  Es  folgen  Darstellungen  an  der  Sixtinischen  Decke :  die 
ihr  Kind  an  sich  drückende  Frau  in  der  Josiasstichkappe,  die  Frau 
der  Salmonlunette,  die,  mit  der  Hand  den  Kopf  des  Wickelkindes 
umfangend,  ihr  Haupt  an  denselben  schmiegt,  die  Frau  der  Zoro- 
babellunette,  das  Kind  mit  beiden  Armen  eng  umschliessend,  das 
stürmisch  über  den  Rücken  her  die  Mutter  küssende  Kind  in  der 
Asalunette.     Die  nächste  Fassung  zeigt  uns  die  Zeichnung 

IL  Windsor.  Thode  550.  Ber.  2505.  (Seb.)  Abb.  Frey  34  (vgl. 
oben  II,  S.  412,  Nr.  XXIV),  Maria,  etwas  nach  links  gewandt 
sitzend,  umschlingt  mit  dem  Arme  das  Kind,  das,  rittlings  auf 
ihrem  rechten  Bein  sitzend  —  hier  zeigt  sich  die  Beziehung  zu 
den  Studien  für  die  Medicimadonna  —  den  Kopf  umdreht  und 
die  Wange  der  Mutter  küsst.  Deren  rechte  Hand  umfasst 
seinen  Kopf,  ihr  linker  Arm  umschlingt  seinen  Leib  —  auf 
ihm  ruht  des  Kindes  linke  Hand.  Deutlich  klingt  die  Salmon- 
lunette nach.  Mit  herrlicher  Kunst  in  grösster  Schlichtheit 
ist  eine  innigste  Verbindung  der  beiden  Gestalten  erreicht. 
—  Die  Studie,  in  den  zwanziger  Jahren  entstanden,  zeigt 
nächste  Verwandtschaft  mit  den  Londoner  Federskizzen,  die 


430  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

als  Vorbild  für  Antonio  Mini  dienten  (man  vgl.  in  Sonderheit 
auch  die  ganz  übereinstimmenden  Hände)  und  die  ich  schon 
früher  (I,  S.  488,  Nr.  LH)  erwähnte: 

III.  London,  British  Mus.  1859—5 — 14—818.  Thode  314.  Ber. 
1501.  Fagan  XIII.  Phot.  Br.  24.  1524.  Der  eine  Entwurf, 
bei  dem  man  wieder  an  Donatello  erinnert  wird,  zeigt  von 
den  Armen  der  Mutter  gehalten  das  Kind,  das  mit  der  Linken 
an  ihrem  Hals  sich  hält  und  dabei  herausschaut.  Der  Kopf 
der  Maria  ist  im  Profil.  Das  rechte  Bein  Christi  ist  über  den 
Arm  der  Mutter  gelegt.  —  Die  andere  Skizze  bringt  Maria 
en  face  herausschauend ;  das  Kind  steigt  über  ihr  rechtes 
Knie  hinüber  und  hält  sich,  abwärts  schauend,  an  der  Brust 
der  Mutter  fest. 

Eine  weitere  Formulirung  des  Themas  finden  wir  dann  in  der 
unten  noch  zu  besprechenden,  früher  (II,  S.  412,  Nr.  XXV)  erwähnten 
,, Maria  mit  Kind  und  Johannes"  in  Windsor.  Die  Anknüpfung  an 
die  eben  besprochenen  Studien  in  London  ist  sehr  ersichtlich.  Mit 
der  einen  vergleicht  sich  die  Haltung  der  Mutter  en  face,  mit  der 
anderen  die  Stellung  des  Christkindes.  Auch  hier  greift  Maria  mit 
dem  einen  Arme  unter  dem  einen  Bein  des  Kindes  hindurch  und 
umspannt  mit  der  anderen  Hand ,  deren  Finger  gespreizt  sind, 
dessen  Rücken.  Auch  hier  umschlingt  der  Arm  des  Kindes  den 
Hals  der  Mutter  —  nur  schmiegt  es  nun  seine  Wange  an  die  der 
Maria,  ähnlich  wie  in  der  Zorobabellunette.  Man  sieht,  wie  eng 
und  vielverflochten  der  Zusammenhang  zwischen  allen  diesen  Zeich- 
nungen ist. 

Als  letztes  Glied  in  dieser  Kette  würde  man  zwei  späte  Zeich- 
nungen in  London  und  in  der  Casa  Buonarroti  zu  betrachten  haben, 
doch  sind  an  der  Aechtheit  wenigstens  der  einen  Zweifel  geltend 
gemacht  worden. 

IV.  London,  Brit.  Mus.  1859 — 6—25 — 562.  Thode  305.  Ber.  1518. 
Fagan  XXV.  Kreide.  Maria,  stehend,  hält  auf  ihrem  rechten 
Arm  das  Kind,  das,  sich  nach  hinten  wendend,  sie  umhalst 
und  küsst.  Hier  kehrt  das  Motiv  der  Jugendzeichnung  in 
Bayonne  wieder.  Die  Strichführung  ist  sehr  leicht  skizzirend, 
zittrig  in  den  Konturen  und  in  den  Schraffirungen,  genau  wie 
in  der  gleichzeitigen  Maria  neben  dem  Kreuz  der  Malcolm- 
Collection  (Nr.  73.) 

V.  Florenz,  Casa  Buon.  XVI,  72.  Thode  64.  Phot.  Alinari  looi. 
Maria,  eine  Frau  von  mächtigen  Proportionen,  sitzt  auf  einem 
Steinblock  nach  rechts  gewandt ,  das  linke  Bein  über  das 
rechte  geschlagen,  En  face  herausschauend,  hält  sie  das  auf 
ihrem  linken  Beine  stehende,  sie  mit  dem  rechten  Arm  um- 
schlingende  und  sich  an  sie  schmiegende  Kind,    das  abwärts 


Madonnenstudien 


431 


schaut.  Ein  um  die  Brust  genommener  Mantel  liegt  in  grossen 
Falten  auf  ihrem  Haupt.  —  Die  Studie  ist  wie  in  zittrigen 
Zügen  mit  der  Feder  hingekritzelt,  und  diese  Technik  be- 
fremdet. Vergleicht  man  sie  aber  mit  der  eben  genannten 
Londoner  Zeichnung,  so  zeigt  sich  doch  eine  grosse  Ver- 
wandtschaft, berücksichtigt  man  die  Verschiedenheit  des 
Materials :  dort  Kreide,  hier  Feder.  Und  in  der  Grossartigkeit 
des  Stiles  und  der  Komposition  ist  das  Blatt  ganz  Michel- 
angelos würdig  —  ja,  ich  wüsste  keinen  anderen  Meisternamen 
zu  nennen.  Hier  haben  wir  einen  Nachklang  der  Maria  mit 
Kind  und  Johannes  in  Windsor  —  ja,  diese  späteste  Madonnen- 
studie aus  den  fünfziger  Jahren  ruft  uns  dem  Geist  nach  in 
ergreifender  Weise  die  früheste  Schöpfung  des  Jünglings:  die 
Madonna  an  der  Treppe  in  die  Erinnerung. 

D.  jMaria,  das  Kind  im  Schoosse  haltend. 

Die  schon  früher  (I,  S.  112,  Nr.  VI)  erwähnte,  der  Zeit  der  Sixti- 
nischen  Deckenmalereien  angehörige  Zeichnung  bei  Mr.Heseltine  er- 
wähne ich  hier  nochmals. 
VI.  London,    Mr.  Heseltine.     Thode  373.     Hoheitsvoll    blickt  die 
Jungfrau    auf  das  Kind  herab,  das,  von  ihren  beiden  Händen 
getragen   und  ihre  Linke  fassend,   den  Kopf  zu  ihr  umdreht. 
Ihr   herrlicher   Kopf  erscheint    grösser    wiederholt    auf  einem 
Blatte    in  Windsor   und   ward    für    die  Frau   der  Jakoblunette 
verwerthet  (s.  oben  I,  S.  268,  Nr.  CXI). 
Vn.  Paris,    Louvre    121.      Thode   472.      Ber.    2496    (Sebastiano). 
Phot.    Br.    56.      Röthel.      Maria,    etwas    nach    links    gewandt 
sitzend,  mit  ähnlich  hoheitsvoller  Haltung  des  Kopfes,  wie  in 
der  eben  erwähnten  Studie,  hält  das  Kind  im  Schoosse,  das, 
eingeschlafen,  das  linke  Ärmchen  und  den  Kopf  an  ihre  Brust 
legt   und   das    erhobene    rechte  Bein    auf  ihren    rechten  Arm 
stützt.     Eine   herrliche,    der  Natur  abgelauschte  Komposition. 
Wohl   in    die    zwanziger   Jahre    zu    versetzen.      (Vgl.   oben  ü, 
S.  410,  Nr.  XVII.) 

E.  Die  stehende  Madonna. 

Der  erste  Entwurf  ist  der  in  der  Beckerath'schen  Zeichnung 
für  das  Juliusdenkmal:  das  sitzende  Kind  so  hoch  auf  den  Armen 
erhoben,  dass  sein  Kopf  in  gleicher  Höhe  mit  dem  ihrigen  erscheint, 
scheint  sie  schwebend  auf  Wolken  zu  schreiten,  ähnlich  der  Sixti- 
nischen  Madonna,  und  schaut  abwärts.  Fast  übereinstimmend  hier- 
mit ist  die  Gestalt  auf  einem  Doppelgrabentwurf  der  Medicidenk- 
mäler  (s.  oben  I,  S.  452,  Nr.  XVI).  Sie  findet  mit  einigen  Verände- 
rungen ihre  plastische  Gestaltung  in  der  Statue  des  Juliusdenkmales: 


432  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

hier  wird  das  Kind  auf  dem  linken  Arme  getragen  und  spielt  mit 
einem  Vogel.  Von  Zeichnungen  ist  nur  eine  einzige  zu  erwähnen, 
der    späte   Entwurf   in   London ,    den   ich    soeben   schon   besprach 

(Nr.  IV). 

2.   Maria  mit  dein  Kind  und  foJiannes. 

In  den  zwei  frühen  Reliefs  ist  das  Thema  zuerst  von  Michel- 
angelo behandelt  worden,  und  zwar  ward  in  verschiedener  Weise 
das  Problem  der  Gruppe  zu  lösen  versucht.  In  dem  florentiner 
ist  Johannes,  nur  lose  hinzugefügt,  hinter  dem  Rücken  der  Maria 
angebracht,  in  dem  Londoner  ist  ihm  eine  formal  der  Jungfrau 
fast  gleichkommende  Bedeutung  zuerkannt.  Hier  sind  die  Kinder 
im  Spiel  mit  einander  dargestellt:  Christus,  erschreckt  von  dem 
flatternden  Vöglein,  das  Johannes  ihm  hinhält,  strebt  ausweichend 
nach  rechts.  Doch  ist  keine  Beziehung  zwischen  den  Kindern; 
Christus,  am  Boden  stehend  gegen  die  Mutter  gelehnt,  schaut  in 
das  Buch  auf  deren  Schooss.  Äusserlich  der  Hauptgruppe  ver- 
bunden, sitzend  im  Rücken  Marias  angebracht  und  von  Christus 
nicht  bemerkt,  erscheint  Johannes  auch  auf  der  Bonnat'schen  Zeich- 
nung in  Bayonne.  (S.  oben  I,  S.  112,  Nr.  VIII.)  Und  auf  demselben 
Blatte  finden  wir  ihn  seitwärts  neben  der  vom  Kinde  umhalsten 
Madonna.  (Ebenda  Nr.  VII.)  —  Zwei  Typen  also  können  wir  in 
dieser  früheren  Zeit  unterscheiden:  die  mit  einander  spielenden 
Kinder  (A)  und  die  seitliche  isolirte  Stellung  des  Johannes  (B). 

A.    Das   Spiel    der   Kinder. 

Durch  seine  mannichfachen  Studien  der  Darstellung  von  Frauen 
mit  Kindern  für  die  Lunetten  der  Sixtinischen  Decke  angeregt, 
entwarf  Michelangelo  die  grossartige  Londoner  Zeichnung: 
Vm.  London,  Brit.  Mus.  1860— 6—16— i.  Thode  321.  Ber.  2482 
(Sebastiano).  Abb.  Ber.  PI.  CXLIX.  Phot.  Br.  9.  Kreide. 
(Vgl.  oben  II,  S.  405,  Nr.  VII.)  Maria,  eine  den  Sibyllen  ver- 
wandte Erscheinung,  sitzt  nach  halb  links  gewandt,  die  Rechte 
im  Schoosse,  mit  der  Linken  das  Gewand  unter  der  Brust 
haltend.  Sie  blickt  in  liebevollem  Sinnen  auf  die  blühenden, 
kräftigen  Kinder  (unter  ihrem  linken  Arm)  herab.  Johannes 
ist  herbeigeeilt  und  umschlingt,  das  linke  Beinchen  wie  kletternd 
erhebend,  Christus,  der  mit  dem  rechten  Bein,  sich  in  die 
Gestalt  der  Maria  einschmiegend,  auf  deren  Bein  kniet,  als 
wolle  er  sich  scheu  der  stürmischen  Liebkosung  entziehen, 
und  grossen  Blickes  den  Gefährten  betrachtet.  Hier  hat  also 
das  Motiv  des  Londoner  Reliefs  aus  einer  ähnlichen  Auffassung 
Christi  neue  Gestaltung  gewonnen. 


Madonnenstudien 


433 


Enger  noch  schliesst  sich  an  dieses  eine  andere  Studie  an: 
IX.  London,  Brit.  Mus.  1859—6 — 25—565.  Thode  308.  Ber.  1508. 
Fagan  XVI.  Phot.  Br.  8.  Neben  andern  Entwürfen,  die 
Steinmann  auf  die  Stichkappen  der  Sixtina,  Berenson  auf  die 
Danteillustration  bezog  (vgl.  oben  I,  S.  265.  II,  S.  383),  sehen 
wir  eine  Madonna,  in  deren  Schooss  ausgestreckt  der  Christus- 
knabe Hegt,  der,  mit  der  Rechten  nach  vorne  deutend,  die 
Linke  nach  dem  rechts  sich  nähernden  (undeutlich  skizzirten) 
Johannes  ausstreckt. 

B.  Der  isolirte  Johannes. 

Ich  erwähnte  die  Zeichnung  schon  soeben  unter  Nr.  II.  Der 
in  zärtlicher  Umschlingung  verbundenen  Gruppe  von  Mutter  und  Kind 
ist  rechts  der  sein  Rohrkreuz  haltende  Johannes  hinzugefügt,  der, 
die  Arme  über  der  Brust  gekreuzt,  zu  lauschen  scheint. 

j.  Die  hl.  Familie. 

Seltener  begegnet  uns  dieser  Vorwurf  in  Zeichnungen  des  Meisters. 
Man  möchte  glauben,  seine  Phantasie  habe  sich,  nachdem  sie  die 
gewaltige  plastische  Gruppe  der  Madonna  Doni  geschaffen,  in  den 
Familienbildern  der  Stichkappen  und  der  Lunetten  der  Sixtina 
genug  gethan.  Namentlich  in  den  ersteren  war  ja  in  ähnlicher 
Weise  wie  in  dem  Vorwurf  der  hl.  Familie  der  Mann  nur  als  Neben- 
figur der  Frau  mit  dem  Kinde  zu  gesellen,  das  künstlerisch  formale 
Problem  also  ein  sehr  verwandtes. 

Nur  zwei  Zeichnungen  habe  ich  zu  erwähnen. 
X.  Paris,  Louvre  113.  Thode  465.  Ber.  2495  (Sebastiano). 
Rückseite  der  früher  besprochenen  Studie  für  eine  Lunette 
(s.1,271.  CXLV.  II,  S.410XVI).  Phot.  Giraudon  1391.  Röthel. 
Maria,  en  face  sitzend,  umfängt  mit  der  Rechten  das  auf  ihrem 
Schoosse  sitzende,  nach  links  gewandte  Kind,  das  den  links  am 
Boden  knieenden,  anbetenden  und  emporschauenden  Johannes- 
knaben segnet,  und  schaut  auf  diesen  hinab.  Ihr  linker  Arm  ruht 
rechts  auf  einem  Sattel,  der  in  der  Höhe  des  Sitzes  angebracht 
ist.  Hinter  ihm  rechts  wird  der  Oberkörper  des  zuschauen- 
den Joseph  sichtbar,  der  in  der  aufgestützten  Rechten  einen 
Stock  zu  halten  scheint.  Die  leicht  hingesetzte  Skizze  gehört 
in  die  Zeit  der  Sixtinischen  Deckenmalerei. 
XI.  London,  British  Museum,  Pp.  i  —  58.  Thode  341.  Ber.  1993. 
Fagan  XIV.  Kreide.  Diese  herrliche  Studie  nach  dem 
Nackten  gehört  unter  jene ,  welche  die  Medicimadonna  vor- 
bereiten (s.  oben  I,  489).  Das  auf  dem  rechten  Bein  der 
Maria  sitzende,  an  ihrer  Brust  trinkende  Kind  ist  bereits  das 
I*  28 


4^4  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Kind  in  jener  Gruppe.     Die  Mutter,  etwas  nach  links  gewandt, 

nach   rechts  oben  blickend ,  sitzt  auf  einem  Stuhl ,  über  dem 

rechts  flüchtig  der  Kopf  des  kleinen  Johannes  und  höher  der 

auf  Christus    herabschauende   Kopf   des    sich   vorbeugenden 

Joseph  angedeutet  ist.     Wir    dürfen  die  Studie   zeitlich   noch 

in    die  Nähe  der  Sixtinischen  Malereien  setzen. 

An  diese  Zeichnung:  die  säugende  Maria,  Joseph  im  Hintergrunde, 

erinnert,  aber  nur    ganz  allgemein  in    der  Idee,  ein  grösseres  Bild 

von  einem  Nachahmer  Michelangelos  in  der  Corsinigalerie  zu  Rom. 

Hinzugefügt   der  hl.  Familie  ist  auch  hier  der  kleine  Johannes,  der 

links  auf  einer  Erhöhung  anbetend  sitzt. 

Die  Rötheiskizze  einer  Familie  in  Oxford,  Christchurch  College 
(Rob.  2.  Thode  458.  Ber.  2493.  Phot.  Grosv.  Gall.  Oxford  27. 
Abb.  Sidney  Colvin,  Selected  drawings  s.  oben  II,  S.  409,  Nr.  XIV), 
halte  ich ,  Berenson  beistimmend ,  nicht  für  Michelangelo.  Links 
eine  Frau  mit  Spindel  kauernd,  der  Knabe  steht  über  ihrem  rechten 
Knie  und  legt  die  Hand  an  den  Mund.  Von  rechts,  wo  der  Mann 
auf  ein  Postament  gestützt  sitzt,  nähert  sich  dem  Kinde  ein  anderes 
(Johannes.?).  Vorne  liegt  in  einer  Wiege  ein  schlafendes  Kind, 
dem  sich  eine  Katze  naht. 

Auch  die  Heseltine'sche  Zeichnung  (Thode  374.  Ber.  2489, 
s.  oben  II,  S.  408,  Nr.  XI) ,  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  schwerlich 
Michelangelo  zuweisen.  Geplant  war  wohl  eine  hl.  Familie ,  ob- 
gleich der  links  unten  neben  Maria  flüchtig  angedeutete  Kopf  eben- 
so gut  der  des  Johannes  wie  der  des  Joseph  sein  kann. 

Eine  bestimmte,  abgeschlossene  Form  haben  die  Studien  zur 
hl.  Familie  in  zwei  Entwürfen,  deren  einer  der  allerletzten  Zeit  des 
Meisters  angehört,  gewonnen:  in  dem  aus  vielen  Nachbildungen 
bekannten  sogenannten  „Silenzio"  und  in  dem  grossen  Karton  der 
Malcolm'schen  Sammlung. 

Über  den  Geist  der  Michelangelo'schen  Mariendarstellungen 
und  die  in  ihnen  zu  findenden  Beziehungen  zu  Savonarola  hat  sich 
Steinmann  in  der  Zeitschr.  f.  b.  K.  N.  F.  VII  S.  169  ff.  S.  201  ff. 
ausgesprochen. 

V 

Die  hl.  Familie,  gen.  „II  Silenzio" 

Unter  dem  Namen  „das  Schweigen"  bekannt  ist  eine  in  zahl- 
reichen Reproduktionen  erhaltene  Komposition  des  Meisters,  welche 
die  hl.  Familie  mit  dem  kleinen  Johannes,  den,  wie  wir  sahen,  der 
Meister  gerne  der  Familie  gesellt,  darstellt.  Maria,  das  rechte  Bein 
über  das  linke  geschlagen  (wie  in  der  Madonna  Medici  und  in  der 


Die  hl.  Familie,  gen.  „II  Silenzio"  435 

späteren  Madonnenskizze  der  Casa  Buonarroti  s.  oben  Nr.  V),  sitzt 
en  face  auf  einer  Holzbank,  mit  der  Rechten  das  geöffnete  Buch 
auf  dieser  haltend,  die  Linke  in  nicht  leicht  zu  deutender  Bewegung 
über  den  Christusknaben  streckend,  der,  den  Kopf  auf  ihr  Bein 
gelegt,  die  Arme  herabhängend,  auf  der  Bank  auf  einem  Tuch 
schläft.  Ihr  Blick  ist  auf  das  Kind  gerichtet,  auf  das  auch  Joseph, 
der  rechts  von  hinten  auf  die  Lehne  der  Bank  sich  stützt  und 
den  Kopf,  ähnlich  wie  Jeremias,  in  die  rechte  Hand  legt,  und  der 
links  sich  herüberbeugende  Johannes,  der  den  linken  Zeigefinger  an 
den  Mund  hält  und  die  Rechte  lauschend  erhebt,  herabschauen. 
Hinter  Maria  ein  baldachinförmiger  Vorhang,  daneben  rechts  eine 
Säule,  in  dem  rechten  offenen  Schränkchen  der  Bank,  zu  der  zwei 
steinerne  Stufen  emporführen,  ein  Stundenglas.  Maria  ist  in  ein 
hochgegürtetes  Gewand  und  einen  um  den  Unterkörper  gezogenen 
Mantel  gekleidet;  Joseph,  in  Rock  und  Mantel,  trägt  über  einem 
Tuch  eine  enganliegende  Kappe  auf  dem  Kopf,  Johannes  hat  um 
den  nackten  Körper  einen  Mantel  geschlungen. 

Alte  Stiche  beglaubigen   die  Autorschaft  Michelangelos. 

1.  Giulio  Bonasone  (B.  66).  Bez.  Michaelis  Angeli  Bonaro.  in- 
ventor.  Julius  Bonasonius  f  MDLXI.  —  Bonasone  hat  es 
noch  ein  zweites  Mal  gestochen. 

2.  Giov.  Batt.  de  Cavalleriis  (auf  dem  Buche  steht :  Magnificat). 
Bez.  Mich.  Ang.  bonaroti  inventor.      1574. 

3.  Der  Stecher  mit  dem  Monogramm  Christi.  Bez.  Michaelis 
Angeli  Bonaroti. 

4.  Philipp  de  Soye.  I.  Ausgabe  Ant.  Lafrerij  formis  Romae 
MDLXVI.  Ne  excitetis  puerum.  IL  Ausgabe  MDLXX.  Bez. 
Dormiente  puero  Jesu  divina  mens  vigilat.  Studio  pictoris 
immobilis  erga  deum  Galesij  Regnardi  Episcopi  Balneorigiensis 
Pii  IUI  Papae  Datarij  D.  Michael  Angelus  Bonarotus  Florentinus 
inventor.  —  Kopie  von  Meister  A  N  (A  mit  Kreuzchen). 
Claudii  Duchetii  formis  Romae  MDLXXIX  cum  privilegio. 

In  der  Lawrence  Gallery  (Woodburn  1853.  Taf  III)  be- 
fand sich  eine  Rötheizeichnung  „füll  of  sublime  character", 
die  ich  heute  nicht  mehr  nachweisen  kann.  Hier  trägt  Maria  einen 
ganz  Michelangelesken  Kopfputz,  über  dessen  seitHchen  Wülsten 
in  der  Mitte  ein  Seraphim  angebracht  ist.  Johannes  hat  ein  Fell 
eines  katzenartigen  Thieres  mit  Kopf  über  seinem  Haupt,  Der 
Vorhang  fehlt,  statt  seiner  sieht  man  flüchtig  skizzirt  zwei,  an  die 
Kinder  bei  den  Sibyllen  erinnernde  jugendliche  Gestalten,  die  in 
einem  Zettel  oder  Buche  zusammen  zu  lesen  scheinen  (wie  die 
Engel  in  der  Madonna  von  Manchester).  Wenn  nicht  um  das 
Original,  was  wohl  denkbar,  handelt  es  sich  doch  jedenfalls  um 
die  alte  Kopie  eines  solchen. 

28* 


436  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


In  einzelnen  der  Reproduktionen  erscheinen  der  Kopfputz  und 
das  Fell  des  Johannes  wie  in  der  Zeichnung.  Wir  dürfen  sie  als 
der  Zeichnung  besonders  nahe  kommend  betrachten.  Von  den 
zahlreichen  Gemäldekopien  kenne  ich  aus  eigener  Anschauung: 

5.  Dresden,  Gemälde -Galerie  Nr.  73.  Hier  lüftet  Maria  einen 
Schleier  von  dem  Kinde.  Rechts  ein  kleiner  Ausblick  in 
Landschaft.  Wohl  von  einem  Niederländer,  (1740  aus  Ham- 
burg.)    Phot.  Bruckmann. 

6.  Gotha,  Galerie  Nr.  493.  Hier  trägt  Johannes  das  Fell  über 
dem  Kopf.    Wohl  von  einem  Florentiner  aus  del  Sartos  Schule. 

7.  Leipzig,  Museum  Nr.  271.  Besonders  schönes  und  grosses 
Exemplar.  Bezeichnet:  Marcellus  Venusto  MDLXIII.  Hier 
trägt  Maria  einen  Schleier  auf  dem  Haare  und  lüftet  einen 
Schleier  über  dem  schlafenden  Kind.  Rechts  von  der  Säule 
Ausblick  auf  einen  Obelisken  und  ein  Kuppelgebäude. 

8.  London,  National  Gallery  Nr.  1227.  Von  Marcello  Venusti. 
Hier  der  Sitz  aus  Stein.  Stammt  aus  dem  Palazzo  Borghese, 
dann  im  Besitze  von  Herrn  Deroveray  in  London ,  wo  es 
Passavant  (Kunstreise)  sah  und  im  Hamilton  Palace. 

9.  London,  Marquis  of  Lansdowne.    Nr.  309. 

10.  London,  Mr.  Mackenzie.  Ich  sah  es  1881  im  South  Kensing- 
ton  Museum  ausgestellt. 

11.  Oxford,  Univ.  Gallery  Nr.  73.  Hier  lüftet  Maria  einen  Schleier 
von  dem  Kinde.  Der  Hintergrund  Landschaft:  links  ein  Baum, 
rechts  Ausblick. 

12.  Rom,  Galleria  nazionale  (Corsini)  Nr.  592.  Von  Marcello 
Venusti. 

13.  Schieissheim,  Galerie  Nr.  971.  Früher  in  der  Düsseldorfer 
Galerie. 

14.  Wien,  K.  K.  Galerie,  v.  Engerths  Katalog  Nr.  303.  Aus  der 
Kunstkammer  Karls  VI.     Phot.  Löwy. 

Erwähnt  finde  ich  ein  Gemälde  in  der  Galerie  Orleans ,  das 
bei  dem  Verkaufe  in  London  in  die  Sammlung  von  Henry  Hope 
kam  und  später  bei  deren  Auktion  nach  Deutschland  verkauft 
wurde.  (Waagen:  Künstler  und  Kunstwerke  I,  476.  Passavant: 
Kunstreise  270.)  Es  ist  von  Pierre  Beijambe  für  die  ,, Galerie  du 
Palais  royal'%  Vol.  I,  Paris  1786  gestochen  worden.  Ferner  ein 
kleines  Bild,  das  Passavant  bei  dem  Kunsthändler  Woodburn  sah 
(Kunstreise  112)  und  für  eine  Arbeit  Sebastiano  del  Piombos  hielt. 

Ein  drittes  ward  von  demselben  Kunstkenner  im  Besitze  eines 
I\Ir.  Dawson  in  Manchester  verzeichnet  (a.  a.  O.).  Dieses  zeigte 
lebensgrosse  Figuren  und  war  Tizianisch  in  der  Farbe.  Joseph  war 
der  grösseren  heiligen  Familie  des  Raphael  im  Louvre  entlehnt; 
Johannes  das  Fell  um  die  Lenden.     Links  unten  ein  Buch,  auf  dem 


Die  hl.  Familie,  gen.  „II  Silenzio"  437 

das  Lamm  mit  der  Siegesfahne.  Das  Bild  stammte  aus  Messina 
und  soll  sich  früher  in  der  Sammlung  Murats  befunden  haben. 

Eine  ausführliche  Schilderung  der  Komposition  nach  dem  Bilde 
in  Düsseldorf  hat  Wilhelm  Heinse  im  August  1776  Gleim  gemacht. 
(SämtHche  Schriften,  Leipzig  1857,  V,  125  ff.)  Von  der  Mutter 
und  dem  Kinde  sagt  er:  „Eine  Lage,  die  nicht  reizender  sein  kann 
und  die  die  schönste  ist ,  die  ich  je  von  einem  schlafenden  Kinde 
gesehen !  Über  seinem  rechten  Ohre  hält  die  Mutter  die  Hnke 
Hand  zum  Griffe  bereit ,  in  Besorgniss ,  sein  Schläfchen  zu  unter- 
brechen, das  er  so  im  Spielen  erhascht,  und  in  zarter  Mutterliebe, 
dass  er  fallen  möchte,  welches  gar  leicht  geschehen  könnte.  Aus 
ihrem  schönen  Gesichte  leuchtet  so  viel  Unschuld  (reines  Gewissen 
von  ehelicher  Untreue,  denn  das  ist  der  eigentliche  Ausdruck  darin), 
Güte  und  Schönheit  von  innen,  dass  nichts  Widriges  und  Falsches 
kann  entdeckt  werden."  Von  Joseph  sagt  er:  ,,er  hat  einen  röth- 
lichen,  hier  und  da  verschossenen  Hausrock  an,  darüber  ein  gelber 
Mantel  hängt,  als  ob  er  ausgewesen,  was  bestellt  hätte  und  wieder- 
gekommen wäre.  Auf  dem  Kopfe  hat  er  eine  rothe  Kappe  auf- 
gesetzt und  betrachtet  daraus,  mit  einem  ehrlichen,  treffUchen  alten 
Zimmermannsgesichte,  den  kleinen  Schlafenden,  als  ob  er  dächte: 
,Sonderbar ;  ja  sonderbar  und  unbegreiflich !  und  doch  Alles  wahr 
und  richtig,  und  kann  nicht  anders  sein!'  —  Wahre  Natur,  wie 
sie  ist!" 

,,Das  schlafende  Jesuskind  ist  das  Schönste  des  Stückes,  ein 
Meisterstück  an  reizender  Lage,  vollkommner  Zeichnung  und  wohl- 
gegebnem Licht  und  Schatten;  und  die  Einheit,  die  Seele  des 
Ganzen,  worauf  sich  alles  Andere  bezieht  und  harmonirt,  wie  auf 
Herrscher  und  Monarch.  Aus  seinem  Gesichte  dämmert  Majestät 
von  Gottheit  aus,  und  seinem  Schläfchen  sieht  man's  an,  dass 
es   nur    eine    kurze  Rast   ist  vom  Tragen  der  Weltsünde. 

,,Es  ist  zum  Erstaunen,  wenn  man  dies  beinahe  Unmögliche 
blos  in  der  Vorstellung,  zwischen  Vater,  Mutter  und  Kind,  durch 
die  kleinscheinende  Erfindung  einer  nachlässigen  und  gefähr- 
lichen Lage  im  Schlafe  nicht  allein  möglich ,  sondern  auf  das 
Reizendste  dargestellt  sieht;  und  wie  die  gewöhnliche  Stille 
des  Menschen  um  ein  schlafendes  Kind  so  leise  (und 
unbemerkt)  mit  Demuth  und  Liebe  vor  Gott  verpaart 
(und  dahinein  verwandelt)  worden;  und  das  grosse  Geheim- 
niss,  wie  hervor  brechen  de  Knospe  im  Thau  des  erst  en 
Morgenroths,  erscheint." 

Vergleicht  man  die  verschiedenen  Kopien,  so  ergiebt  sich  der 
Rückschluss  auf  ein  Vorbild,  wie  es  die  Lawrence'sche  Zeichnung 
zeigt.  Die  originelle  Michelangeleske  Kopftracht  und  das  Motiv 
des    über   den    Kopf  gezogenen    Thierfelles    bei   Johannes ,    die   in 


438  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

mehreren  vorkommen,  sind  gewiss  nicht  Erfindungen  eines  Nach- 
ahmers. Wohl  aber  erklären  sich  die  von  einigen  Malern  hierin 
vorgenommenen  Veränderungen  leicht  als  beabsichtigte  Abweichungen. 
Auch  die  Andeutung  auf  die  Zukunft  in  dem  Symbol  verrinnender 
Zeit,  das  Stundenglas,  war  in  dem  Vorbilde.  Worüber  man  im 
Zweifel  sein  kann,  ist  einzig  die  Bedeutung  der  Bewegung  von  Marias 
linker  Hand.  Wiederum  erweist  die  Übereinstimmung  in  mehreren 
Kopien,  dass  in  dem  Original  (vgl.  die  Zeichnung)  die  Hand  Nichts 
hielt.  Wohl  aber  begreift  man,  dass  einige  Kopisten  auf  den  Ge- 
danken kamen,  Michelangelo  habe  beabsichtigt,  sie  ein  Schleiertuch 
über  dem  Kind  halten  oder  lüften  zu  lassen.  War  dies  des  Meisters 
Gedanke.''  Diese  Frage  führt  uns  zu  der  weiteren,  in  welchem 
Zusammenhang  die  Komposition  mit  anderen  steht. 

In  einer  der  uns  von  betrachteten  Studien  (s.  II,  S.  431,  Nr.  VII) 
gewahrten  wir  den  schlafenden  Knaben  in  Marias  Schooss.  Aber 
nicht  an  sie,  sondern  an  eine  Gruppe  von  Bildern  werden  wir  erinnert. 
In  zwei  Gemälden  hatte  Raphael  das  Motiv:  Maria  lüftet  einen  Schleier 
über  dem  Kind  behandelt:  in  der  „Madonna  del  Velo",  wo  das  Kind 
schlafend  am  Boden  dargestellt  ist  und  von  der  Mutter  dem  kleinen 
Johannes  gezeigt  wird,  und  in  der  ,, Madonna  di  Loreto",  in  welcher 
der  Knabe,  vorne  auf  einer  Balustrade  liegend,  erwachend  die 
Hände  zu  Maria  emporstreckt,  hinter  welcher  Joseph,  auf  einen 
Stab  gestützt,  zuschauend  hervorblickt.  Es  war  das  letztere  Gemälde, 
mit  dem  Sebastiano  in  seiner  ,, Madonna  del  Velo"  (in  Neapel)  zu  wett- 
eifern suchte.  Er  ordnete  Joseph  links  und  rechts  den  kleinen  sich 
vorbeugend  auf  Christus  schauenden  Johannes  an.  Die  allgemeinen 
Beziehungen  zwischen  Sebastianos  Komposition  und  dem  ,,Silenzio" 
sind  nicht  zu  verkennen,  ist  auch  die  erstere  ein  Halbfigurenbild 
und  das  Kind,  wie  bei  Raphael,  vorne  auf  einer  Balustrade.  Mehr 
als  dies  aber:  es  zeigt  sich  auch  in  der  Haltung  des  Kopfes  und 
des  Oberkörpers,  sowie  des  linken  Armes  und  der  Fingerbewegung 
der  linken  Hand  Marias  ausgesprochene  Ähnlichkeit  mit  Michel- 
angelos Entwurf.  Ein  Künstler  muss  von  dem  Anderen  angeregt 
worden  sein.  Könnte  es  nach  Allem,  was  wir  erfahren  haben, 
zweifelhaft  sein,  wer  der  Gebende  war?  Hier  wird,  wie  mir  scheint, 
ersichtlich,  dass  auch  für  seine  „Madonna  del  Velo"  Sebastiano  eine 
Skizze  des  Meisters  benutzte,  der  dann  seinerseits,  von  dieser  Skizze 
ausgehend,  das  ,,Silenzio"  geschaffen  hat.  Hierbei  aber  bleibt  es 
bemerkenswerth,  dass  der  Ausgangspunkt  für  die  beiden  Kom- 
positionen Gemälde  Raphaels  gewesen  sind  in  dem  Sinne,  dass 
Sebastianos  Eifer  Michelangelo  gleichsam  zu  einer  Korrektur  der 
Schöpfung  seines  grossen  Rivalen  veranlasste. 

Dies  Alles  erwogen,  erscheint  es  denkbar,  dass  der  Meister 
beabsichtigt   hat,    das   Motiv    des  Schleierlüftens   zu   bringen.     Der 


Der  Karton  „Epifania"  430 


Entwurf  dürfte  in  den  zwanziger  Jahren  entstanden  sein.  In  wie 
ergreifender  Weise  er  das  genrehafte  Motiv  mit  tiefem  Sinne  durch- 
drungen hat,  sagte  uns  Heinse.  Ich  möchte  hinzufügen:  es  ist  eine 
Traumweissagung  auf  die  Pietä!  Eine  Pietädarstellung  aus  der  Kind- 
heit Christi. 


VI 

Der  Karton  „Epifania" 

In  der  Hinterlassenschaft  des  Meisters  befand  sich  ,,un  cartone 
grando  dove  sono  designate  et  schizzate  tre  figure  grandi  et  dui 
putti."  (Gotti  II,  151.)  Mit  Sicherheit  ist  dieser  Karton  zu  identi- 
fiziren  mit  einem,  den  Daniele  da  Volterra  in  seinem  Briefe  vom 
17.  März  1564  an  Vasari  anführt  als:  ,,raltro  quello  che  dipigneva 
Ascanio  (Condivi)."  (Gotti  I,  357.)  Der  Notar,  der  bei  der  Erb- 
schaftsregelung fungirte,  hat  ihn  erhalten:  Lionardo  bekam  alle 
Kartons  ,,exceptis  tarnen  duobus  ex  eis,  videlicet  suprascripto  nuper 
consignato  domino  Thomao  de  Cavaleriis ,  etalteromagnoin 
quo  sunt  designate  tres  figure  magne  et  duo  pueri, 
nuncupato  Epifania,  dimisso  penes  me  notarium." 

Es  kann  nun  kein  Zweifel  sein ,  dass  dieses  Werk  in  dem 
grossen  Karton  mit  überlebensgrossen  Figuren  der  Malcolm- 
schen  Sammlung  im  Printroom  des  British  Museum  (Thode  552. 
Ber.  1537.  Sidney  Colvin:  Guide  to  an  exhibition  of  drawings  1895), 
der  früher  im  Besitze  von  Sir  Thomas  Lawrence  und  bei  Woodburn 
war  (Passavant:  Kunstreise  109;  Waagen:  Künstler  und  Kunst- 
werke I,  440),  wieder  zu  erkennen  ist.  Denn,  befinden  sich  auch 
auf  diesem  in  der  That  drei  Figuren  mehr,  so  sind  deren  Köpfe 
doch  so  im  Hintergrunde,  dass  die  Bezeichnung  des  Inventars :  ,,drei 
Figuren  und  zwei  Kinder"  vollständig  gerechtfertig  erscheint.  Trotz- 
dem es  sehr  gelitten,  trägt  das  gewaltige  Werk  Michelangelos  Geist, 
Formensprache  und  Technik  noch  deutlich  zur  Schau. 

Erhalten  ist  uns  nun  aber  auch  eine  unerfreulich  harte  und  un- 
geschickte Gemäldekopie  in  der  Casa  Buonarroti,  in  der 
,,Descrizione"  der  Galerie  von  dem  jüngeren  Michelangelo  als  ,,bozza 
di  mano  di  Michelangelo"  bezeichnet  (Fanfani  S.  17).  Ich  stehe  nicht 
an,  in  dem  Maler  Ascanio  Condivi  zu  erkennen,  denn  offenbar 
handelt  es  sich  um  die  von  Daniele  da  Volterra  erwähnte  Kopie. 
Sie  entspricht  dem  Karton,  nur  enthält  sie  noch  zwei  weitere  Köpfe, 
so  dass  die  Gesamtzahl  der  Figuren  zehn  ist. 

Die  Mitte  der  Darstellung  nimmt  die  mächtige  Gestalt  der 
Maria  ein.  In  ein  Untergewand,  ein  helles,  an  der  rechten  Schulter 
herab  gerutschtes  Obergewand  und  einen  Mantel  gekleidet  sitzt  sie 


440  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

en  face ,  hält  mit  der  Rechten  an  einem  Gängelband  das  Christ- 
kind, das,  auf  einem  Kissen  am  Boden  gekauert,  sich  zwischen 
ihren  Beinen  einschmiegt,  und  berührt  mit  der  Linken  den  rechts 
hinter  ihr  stehenden  Joseph,  der,  seitwärts  gewandt,  auf  sie  schaut, 
die  Arme  über  der  Brust  gekreuzt  hat  und  den  Zeigefinger  der 
Linken  an  den  Bart  legt.  Sie  schaut  auf  einen  jugendlichen  nach 
vorne  schreitenden  Mann,  der  —  dem  Adam  im  Jüngsten  Gericht 
in  der  Haltung  sehr  ähnlich  —  sie  anschaut ,  die  Linke  sprechend 
zum  Beschauer  bewegt  und  mit  der  Rechten  sein  Gewand  am  rechten 
Beine  hält.  Rechts  unten  vor  Joseph  schreitet  der  kleine  Johannes; 
auf  Christus  blickend  weist  er  mit  der  Linken  auf  Maria  und  hält 
in  der  erhobenen  Rechten  einen  Stab  (wohl  den  Kreuzesstab). 
Zwischen  den  Köpfen  der  Jungfrau  und  des  Jünglings  schaut  ein 
älterer,  in  ein  Tuch  gehüllter  Frauenkopf  hervor.  Hinter  dem  Jüng- 
ling werden  zwei  ältere  Köpfe :  ein  bartloser  und  ein  bärtiger  sicht- 
bar. Links  neben  Joseph  zwei  bärtige  Köpfe:  der  ältere  vordere 
mit  einer  Kappe. 

Erinnert  die  Gruppe  der  Maria  mit  dem  Kinde  an  das  eine, 
von  Jugend  an  geliebte  Hauptmotiv  Michelangelo 'scher  Madonnen- 
darstellung und  gemahnt  der  Joseph  an  das  ,,Silenzio"  und  an  die 
Pariser  Studie  zur  hl.  Familie  (s.  oben  II,  S.  433,  Nr.  X),  so  zeigt 
die  gesamte  Komposition  doch  einen  ganz  neuen,  nie  zuvor  in  der 
Renaissancekunst  gebrachten  Gedanken.  Wer  sind  die  anderen  Ge- 
stalten.?'    Was  ist  der  Sinn  der  Darstellung.? 

Sie  wird  ,,Epifania"  genannt,  dies  würde  die  Annahme  hervor- 
rufen, es  sei  die  ,, Anbetung  der  hl.  drei  Könige"  gemeint.  Von 
einer  eigentlichen  Anbetung  aber  ist  Nichts  zu  sehen,  und  es  sind 
nicht  drei,  sondern  sechs  Figuren  ausser  der  hl,  Familie  gegeben. 
Epiphania  muss  also  hier  in  einem  weiteren  Sinne  —  ganz  in  des 
Künstlers  Geist,  der  an  die  Stelle  des  Historischen  das  Symbolische 
setzte  —  aufgefasst  sein,  in  dem  alten  Sinne  der  Offenbarung 
Christi  als  des  Gottessohnes  vor  den  Heiden  überhaupt,  als  deren 
Vertreter  im  Epiphania-  oder  ,, Erscheinungsfest"  die  drei  Magier 
betrachtet  wurden.  Die  Gestalten,  die  sich  um  die  Madonna  ver- 
sammelt haben,  dürften  also  die  ,,im  Dunkeln"  Wandelnde  sein, 
denen  der  Stern,  das  Licht  des  Heiles,  aufgeht.  Wer  anders  könnte 
dann  der  jugendliche  Mann  links,  der  die  Handbewegung  des 
Propheten  Ezechiel  in  der  Sixtina  macht,  sein,  als  der  Prophet  des 
Epiphaniasfestes,  Jesajas,  den  man  ja  auch  in  dem  frühesten  Madonnen- 
bilde, dem  der  Katakomben  von  Priscilla,  auf  den  Stern  weisend, 
zu  erkennen  glaubt.  Er  war  es,  der  sagte:  ,,das  Volk,  so  im 
Finstern  wandelt,  siehet  ein  grosses  Licht,  und  über  die  da  wohnen 
im  finstern  Lande,  scheint  es  helle"  (9,  2).  Und  folgen  lässt: 
,,denn  uns  ist  ein  Kind  geboren,  ein  Sohn  ist  uns  gegeben,  welches 


Der  Karton  „Epifania"  441 


Herrschaft  ist  auf  seiner  Schulter;  und  er  heisst  Wunderbar,  Rath, 
Kraft,  Held,  Ewig -Vater,  Friedefürst;  auf  dass  seine  Herrschaft  gross 
werde,  und  des  Friedens  kein  Ende,  auf  dem  Stuhl  Davids  und 
seinem  Königreich"  (9,  6.  7).  Und  im  Anfange  des  60.  Kapitels: 
,, Mache  dich  auf,  werde  Licht;  denn  dein  Licht  kommt,  und  die 
Herrlichkeit  des  Herrn  gehet  auf  über  dir.  Denn  siehe,  Finsterniss 
bedeckt  das  Erdreich,  und  Dunkel  die  Völker ;  aber  über  dir  gehet 
auf  der  Herr,  und  seine  Herrlichkeit  erscheinet  über  dir.  Und  die 
Heiden  werden  in  deinem  Lichte  wandeln  und  die  Könige  im  Glanz, 
der  über  dir  aufgehet."  Und:  ,,ich  habe  dich  auch  zum  Licht  der 
Heiden  gemacht"  (49,  6).  Und:  „Es  wird  eine  Ruthe  aufgehen 
von  dem  Stamm  Isais  und  ein  Zvi^eig  aus  seiner  Wurzel  Frucht 
bringen"  (11,  i).  Und:  ,, Siehe,  eine  Jungfrau  ist  schwanger,  und 
wird  einen  Sohn  gebären,  den  wird  sie  heissen  Immanuel"   (7,  14). 

Sehen  wir  in  dem  Jüngling  Jesajas,  so  ergiebt  sich,  meine  ich, 
die  weitere  Deutung.  Die  Einfügung  des  Johannes  erklärt  sich. 
Hat  doch  Jesajas  auch  Diesen  prophezeit:  ,,Es  ist  die  Stimme  eines 
Predigers  in  der  Wüste:  bereitet  dem  Herrn  den  Weg,  machet 
auf  dem  Gefilde  eine  ebene  Bahn  unserm  Gott"  (40,  3),  wobei 
auch  zu  bemerken  wäre,  dass  die  Taufe  Christi  seit  altchristlicher 
Zeit  als  ,,Theophanie"  mit  der  Epiphanie  in  nahe  Beziehung  ge- 
setzt ward.  Es  erklärt  sich  die  Bewegung  der  linken  Hand  Marias, 
Berenson,  der  in  dem  Jüngling  einen  Evangelisten  sah,  meinte, 
Maria  wolle  Joseph  daran  verhindern ,  Diesen  zu  unterbrechen ! ! 
Die  Bewegung  bezieht  sich  auf  die  Worte  des  Jesajas:  sie  deutet 
auf  die  Verwirklichung  der  Verheissung,  dass  aus  Davids  Ge- 
schlecht der  Herr  kommen  werde.  Es  erklärt  sich  endlich  all- 
gemein der  Charakter  der  hinteren  Figuren:  es  sind  Vertreter  der 
vorchristlichen  Menschheit. 

Im  Einzelnen  sie  zu  beneinnen,  hat  nun  freihch  seine  Schwierig- 
keit. Fassen  wir  den  Karton  in's  Auge ,  auf  dem  nur  drei  Ge- 
stalten zu  sehen  sind,  dürfte  man  sicher  berechtigt  sein,  in  diesen 
die  drei  Könige  des  Epiphanienfestes  zu  erkennen.  Aber  Condivis 
Kopie  zeigt  fünf  Figuren. 

Hier  ist  nun  zu  sagen :  Condivi  fertigte  sein  Bild  mit  Wissen 
Michelangelos  an.  Es  ist  als  sicher  anzunehmen,  dass  Dieser  selbst 
die  Bereicherung,  die  auch  aus  kompositionellen  Gründen  wünschens- 
werth  erschien ,  angegeben  hat ,  denn  die  Frau  hinter  Maria  war 
gewiss  nicht  des  unbedeutenden  Schülers  Schöpfung.  Demnach  er- 
weiterte der  Meister  selbst  seinen  ursprünglichen  Gedanken,  mag 
er  nun  mit  jenen  drei  Männern  die  drei  Könige  oder  Propheten 
oder  Ahnen  Christi  gemeint  haben.  Die  Frau  kann  nur  Anna  oder 
eine  Sibylle  sein.  Ich  möchte  zur  letzteren  Ansicht  neigen,  und 
man  könnte,  falls  sie  richtig,  an  die  Libica  denken,  der  das  Wort 


442  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

in  den  Mund  gelegt  ward:  „und  es  wird  ihn  die  Jungfrau,  die 
Herrin  der  Völker,  im  Schoosse  halten."  Auf  den  Versuch  einer 
Namengebung  für  die  vier  Männer  verzichtet  man  wohl  besser,  da 
es  bei  willkürlichen  Vermuthungen  bliebe.  Würde  man,  wie  be- 
rechtigt, willig  sein,  in  den  zwei  Gestalten  links  und  in  dem  Alten 
rechts  (die  im  Karton  angegeben  sind)  die  drei  orientalischen 
,, Magier"  zu  gewahren,  so  gelangte  man  vielleicht  dazu,  den  vierten 
hinter  dem  Alten  befindlichen,  der  den  Zügen,  dem  Haar  und 
dem  Bart  nach  antikisch  wirkt,  für  den  Vertreter  der  grossen  grie- 
chischen Kultur  zu  halten. 

Jedenfalls  ist  der  Sinn  der  Darstellung  uns  nunmehr  klar  ge- 
worden, und  mit  Ergriffenheit  erkennen  wir  in  dem  späten  Werke 
eine  Zusammenfassung  gleichsam  der  Gedanken-  und  Gestaltenwelt 
der  Sixtinischen  Decke.  Aber  was  dort  nur  wie  die  Frage  bangen 
Sehnens  und  Wartens  erklang,  schliesst  hier  die  Antwort  in  sich 
ein.  Inmitten  von  Propheten,  Sibyllen,  Heiden  und  Königen  voll- 
zieht sich  die  Epiphanie ! 

Der  Karton  gehört,  in  den  Typen  und  Verhältnissen  der 
Figuren  den  Fresken  der  Cappella  Paolina  nächstverwandt,  un- 
zweifelhaft zu  den  spätesten  Schöpfungen  des  Meisters.  Er  muss 
in  den  fünfziger  Jahren  entstanden  sein,  und  zwar  vor  155^)  ^^ 
Condivi  in  diesem  Jahre  des  Annibale  Caro  Nichte,  Porzia,  heirathete 
und  Rom  verliess,  um  in  seine  Heimath  zurückzukehren.  Freilich 
wissen  wir  nicht  genau,  ob  er  nicht  zu  kürzerem  Aufenthalte  später 
noch  nach  Rom  zurückgekehrt  ist,  das  Wahrscheinlichere  aber 
bleibt,  dass  er  den  Karton  vor  1556,  als  er  noch  Hausgenosse 
Michelangelos  war,  kopirt  hat.  In  diesem  merkwürdigen  Werke 
schliesst  Dieser  seine  Beschäftigung  mit  dem  Thema  der  Madonna  ab. 

Mit  der  ,, Epiphanie"  stehen  nun  aber  andere  Skizzen  Michel- 
angelos in  nahem  Zusammenhang.  Ich  erwähnte  sie  schon :  es 
sind  die  Apostel-  oder  Prophetenfiguren,  die  sich  auf  Haarlemer 
Blättern  mit  Skizzen  für  die  Peterskuppel  befinden  und  die,  wie 
wir  annehmen  mussten,  für  deren  malerische  Ausschmückung  be- 
stimmt waren  (s.  oben  II,  S.  167  f.,  Nr.  I — IX).  Ist  es  nur  eine 
allgemeine  Verwandtschaft,  welche  die  Studien  I  und  IV  mit  dem 
Jesajas  des  Kartons  verbindet,  so  ist  die  Figur  VI  Diesem  so  ähn- 
lich, dass  man  geradezu  sagen  kann,  sie  sei  von  Michelangelo, 
als  er  den  Kuppelschmuck  skizzirte ,  dem  Karton  entnommen 
worden.  Oder  benutzte  er  die  Skizzen  für  den  Karton  ?  Das  wäre 
nur  denkbar,  wenn  jene  Zeichnung  für  die  Kuppel  nicht,  wie 
V.  GeymüUer  annimmt,  1559,  sondern  schon  Anfang  der  fünfziger 
Jahre  entstanden  wäre.  Ich  halte  dies  nicht  für  undenkbar,  da  ich, 
wie  ich  früher  auseinandersetzte  (II,  S.  209),  die  auf  dem  Blatte 
befindliche    Portalstudie    nicht   als   direkten   Entwurf  für    die   Porta 


Das  Opfer  Isaaks  443 


Pia,  worauf  v.  Geymüller  seine  Datirung  stützte,  ansehen  kann.  — ■ 
Übrigens  kommt  auf  die  Entscheidung  dieser  Frage  nicht  sonderUch 
viel  an,  — 

Von  Condivis  künstlerischer  Thätigkeit  hat  man  bis  jetzt  sehr 
undeutliche  Vorstellungen.  Bewährt  sich  meine  Annahme,  dass 
er  die  Kopie  des  Kartons  in  der  Casa  Buonarroti  ausgeführt  hat, 
so  ist  er  auch  der  Verfertiger  zweier  Bilder,  die  ich  in  der  Am- 
brosiana zu  Mailand  fand  (Ignoto  Toscano).  Das  eine  stellt  Christus 
mit  der  Weltkugel  überlebensgross  dar,  hinter  ihm  die  Köpfe  von 
zwei  anbetenden  Engeln,  das  andere  Maria  mit  dem  Kinde  und 
der  hl.  Anna.     Sie  verrathen  das  gleiche  Ungeschick. 


vn 

Das  Opfer  Isaaks 

Ein  grossartiger  Entwurf  dieser  Darstellung,  in  Kreide  aus- 
geführt, befindet  sich  in  der  Casa  Buonarroti  XIV,  70.  Thode  62. 
Ber.  141 7.  Abb.  Ricci:  Michelange  p.  89.  Steinmann:  Sixt.  Kap. 
II,  S.  625,  30.  Phot.  Alin.  1012.  Steinmann  glaubte,  er  sei  für  das 
Bronzemedaillon  der  Sixtina  bestimmt  gewesen,  doch  sei  dann  an 
seine  Stelle  ein  anderes  getreten  (s.  oben  I,  S.  264,  Nr.  XCV).  Ich 
halte,  wie  Berenson  (I,  223),  die  Zeichnung  für  später.  Die  Kühn- 
heit und  Kunst  der  Komposition  sucht  ihres  Gleichen.  Auf  einem 
viereckigen  Steinaltar  kniet  auf  dem  linken  Beine,  das  rechte  über 
Holzscheite  gekrümmt,  der  Knabe  mit,  wie  es  scheint,  im  Rücken 
gefesselten  Armen.  Mit  dem  Schmerzensausdruck  eines  Laokoon- 
sohnes  schaut  er  nach  links  oben.  Über  ihn  beugt  sich,  offenbar 
mit  dem  rechten  Beine  auf  dem  Altar  knieend,  das  Hnke  fest  auf 
den  Boden  gestellt,  der  langbärtige  Abraham  und  zückt  gegen 
den  Rücken  Isaaks  das  Messer,  indessen  er  mit  der  anderen  Hand 
Dessen  linken  Arm  fasst.  Ein  von  links  heranschwebender  Engel, 
ihm  ganz  dicht  in's  Auge  schauend,  packt  den  Alten  am  Arm  und 
weist  mit  der  Linken  in  die  Höhe,  von  wo  er  die  Rettungsbotschaft 
empfängt.  Links  ist  flüchtig  ein  Ziegenbock  angedeutet.  —  Man 
sieht  förmUch,  wie  unter  der  suchenden  und  findenden  Hand,  in 
die  Höhlung  von  Abrahams  Körper  einbezogen,  das  Bewegungs- 
motiv des  Knaben  entsteht.  Der  Vergleich  mit  dem  Bronze- 
medaillon, wo  die  zwei  Figuren  neben  einander  geordnet  sind,  zeigt 
den  bedeutendsten  Fortschritt. 

War  es  irgend  ein  uns  unbekannter  Wunsch ,  dem  Michel- 
angelo durch  diese  Zeichnung  zu  entsprechen  bemüht  war  oder 
sollte  sie  irgend  einem  begünstigten  Maler  zu  Gute  kommen?  Es 
wäre   möglich,   dass   er  zur  Behandlung   des  Vorwurfes   durch   den 


/j/j/]  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Auftrag  angeregt  wurde,  den  1530  der  ihm  ja  befreundete  Giovanni 
Battista  della  Palla  an  Andrea  del  Sarto  ergehen  Hess.  Das 
Opfer  Abrahams ,  das  Letzterer  damals  ausführte ,  heute  in  der 
Dresdener  Galerie,  war  für  Franz  I.  bestimmt,  gelangte  aber  nicht 
an  ihn ,  sondern  ward  später  von  Filippo  Strozzi  erworben.  In 
eben  jene  Zeit,  nicht  wie  Berenson  meint,  in  die  letzte  Periode 
muss  ich  den  Entwurf  versetzen.  Ob  ihn  Andrea  gekannt  hat.? 
Auch  in  seinem  Bilde  knieen  Abraham  und  Isaak  beide  auf  dem 
Altar,  doch  zeigt  sich  im  Übrigen  keine  Abhängigkeit.  ■ —  Es  hiesse 
wohl  zu  weit  gehen,  wollte  man  die  Hypothese  aufstellen,  Palla 
habe  sich  zuerst,  ehe  er  Sarto  aufgefordert,  mit  seiner  Bitte  an 
Michelangelo  gewandt,  und  Dieser  habe  sich  wenigstens  durch  eine 
Zeichnung  gefällig  erweisen  wollen.  Der  Gedanke  drängt  sich  mir 
auf,  bedenke  ich,  dass  Michelangelo,  der  Gönnerschaft  Franz'  I. 
gewiss,  1529  von  Venedig  aus  mit  Palla  nach  Frankreich  gehen 
wollte. 

VIII 

Die  Eherne  Schlange 

Ich  habe  oben  gelegentlich  des  Freskos  in  der  Sixtina  die 
figurenreichen  Kompositionen  einer  solchen  Darstellung  erwähnt 
(I,  S.  251).  Inzwischen  hat  Frey,  der  die  Oxforder  Zeichnung 
publizirte  (51),  die  Ansicht  ausgesprochen,  sie  gehöre  nicht  in  die 
Zeit  der  Sixtinischen  Deckenmalereien,  sondern  in  jene  der  für 
Cavalieri  ausgeführten  Blätter.  Ich  gebe  ihm,  nach  erneuter  Prüfung, 
Recht  und  erwähne  die  Entwürfe  nochmals  an  dieser  Stelle,  indem 
ich  für  das  Einzelne  auf  jene  früheren  Ausführungen  verweise. 

IX 

David  und  Goliath 

Im  Besitze  von  Mr.  Fairfax  Murray  in  London  (Thode  367a. 
Frey  ']6)  befinden  sich  vier  kleine  Kreideskizzen  zu  einer  Kampf- 
szene, in  welcher  ein  zu  Boden  gestürzter  Riese  von  einem 
hinter  ihm  stehenden  kleineren  Jüngling  in  gebeugter  Stellung  am 
Halse  gepackt  und  mit  der  erhobenen  anderen  Hand  bedroht  wird. 
In  der  Haltung  der  Figuren  sind  kleine  Verschiedenheiten.  Auf 
dem  einen  Blatte  tritt  der  Jüngling  mit  dem  rechten  Beine  über 
das  rechte  des  Gestürzten  und  packt,  statt  wie  sonst  mit  der 
Rechten,  mit  der  Linken  den  Kopf  und  erhebt  die  Rechte  zum 
Schlagen.  Fairfax  Murray,  der  zwei  der  Skizzen  in  seiner  ,,Selection 
from  the  drawings  of  old  masters",  London  1904,  Taf.  32  publizirte, 


Simson  und  Dalila  445 


sieht  hier  Entwürfe  für  das  Fresko  in  der  Sixtina.  Frey  hat  dies 
bestritten  und  sie  in  eine  spätere  Zeit  verlegt ,  worin  ich  ihm, 
kenne  ich  auch  die  Originale  nicht ,  durchaus  beistimmen  muss. 
Für  verfehlt  aber  halte  ich  seine  Deutung  der  Darstellung  als  des 
Kampfes  Simsons  mit  einem  Philister.  Wie  könnte  man  in  der 
kleinen  Gestalt  den  Herkules -Simson  erkennen?  Und  wenn 
Frey  auf  die  sogenannten  Simsonskizzen  in  Oxford  (s.  oben  II, 
S.  377),  mit  denen  die  Darstellung  Ähnlichkeit  hat,  verweist,  so 
haben  wir  ja  schon  gesehen,  dass  dort  nicht  Simson  dargestellt 
ist,  sondern  Studien  für  den  ,, Traum"  zu  gewahren  sind.  Ich  muss 
daher  an  der  Bezeichnung:  ,, David  und  Goliath"  festhalten  und 
halte  es  für  wahrscheinlich ,  dass  die  Entwürfe  für  Daniele  da 
Volterra  bestimmt  waren,  der  in  seinem  Bilde  im  Louvre  Nr.  3, 
das  einst  den  Namen  Michelangelos  trug,  den  Vorgang  ähnlich 
dargestellt  hat.  Schon  Mariette  erklärte,  es  sei  nicht  von  dem 
Meister,  vielleicht  aber  sei  eine  Zeichnung  Desselben  benutzt  worden, 
und  erwähnt  von  B.  Audran  angefertigte  Stiche.  (Bottari :  Racc. 
II,  290.) 

X 

Simson  und  Dalila 

In  Oxford,  Univ.  Gall.  Nr.  55  (Thode  434.  Br.  171 8.  Abb. 
Fisher  II,  10)  wird  ein  Entwurf  zu  einer  solchen  Darstellung  auf- 
bewahrt. Berenson  meint ,  es  sei  eine  Skizze  von  Raffaello  da 
Montelupo  oder  Antonio  Mini  nach  einer  Vorlage  von  Michelangelo, 
und  es  scheint  in  der  That  zweifelhaft,  ob  wir  des  Meisters  eigene 
Hand  hier  erkennen  dürfen.  Nach  wiederholter  und  langer  Be- 
trachtung schien  mir  dies  doch  nicht  ausgeschlossen.  Jedenfalls  ist 
es  eine  Konzeption  Michelangelos. 

Mit  den  Armen  sich  auf  den  Boden  stützend,  das  rechte  Bein 
über  das  linke  gestellt,  liegt,  am  Kopf  der  Haare  beraubt,  Simson, 
den  für  die  Medicigräbern  geplanten  Flussgöttern  vergleichbar. 
Auf  seiner  Hüfte  kniet  die  viel  kleinere  nackte  Gestalt  des  Weibes, 
das  sich  mit  dem  linken  Arm  auf  seinen  Rücken  aufstützt  und,  nach 
hinten  sich  umdrehend ,  mit  erhobener  Hand  die  Philister  herbei- 
ruft. Die  in  seltsamer  Weise  den  Riesen  kennzeichnende  Dar- 
stellung ist  von  unheimlich  prägnanter  Wirkung.  Die  formale  Idee 
einer  Gruppe  von  zwei  in  den  Verhältnissen  verschieden  grossen 
Gestalten  ist  auf  die  des  ,, David  und  Goliath"  in  der  Sixtina  zu- 
rückzuführen. Die  Komposition  vergleicht  sich  derjenigen  der 
,, Venus  mit  Amor",  was  Berenson  zu  der  Ansicht  verleiten  konnte, 
die  kleine  Skizze  für  letzteres  Bild  in  London  (1859  —  6 — 25 — 553. 
Thode  295.    Br.  1504.    Fagan  LH)  als  Simson  und  Dalila  zu  deuten. 


446  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


Hierfür  spricht  scheinbar  der  Umstand,  dass  die  liegende  Figur  in 
der  Skizze  männlich  ist.  Aber  für  die  Darstellung  nackter  weib- 
licher Figuren  hat  sich  Michelangelo  öfters  eines  männlichen  Modelles 
bedient ,  und ,  abgesehen  davon ,  dass  die  Haltung  des  Liegenden 
ganz  derjenigen  der  Venus  entspricht  und  in  ihrer  Lässigkeit  für 
einen  Simson  nicht  passt,  ist  es  unmöglich,  in  der  Kinderfigur 
hinter  ihren  Füssen  Dalila  zu  erkennen. 

Erwähnen  möchte  ich,  dass  Berenson  in  der  Studie  zum  Unter- 
körper einer  Figur  auf  der  Rückseite  des  Blattes  mit  der  gross- 
artigen Maske  in  Windsor  (Thode  535.  Br.  1610)  Ähnhchkeit 
mit  dem  Simson  in  Oxford  findet. 

In  die  gleiche  Zeit,  wie  die  Venus,  möchte  ich  den  Simson- 
entwurf  versetzen ,  auch  in  ihm ,  in  der  Behandlung  des  Problems 
der  liegenden  Gestalt  ist  der  Zusammenhang  mit  den  Medicifiguren 
zu  gewahren.  Auch  in  ihm  offenbart  sich  des  Künstlers  Verweilen  im 
Bereiche  des  ,, Riesenheims".  Die  Beschäftigung  mit  der  Gruppe  des 
„Simson  und  die  Philister"  mag  ihn  auf  den  Gedanken  geführt  haben. 

XI 

Das  „Noli  me  längere"  1531 

Am  II.  April  1531  (nach  Freys  zutreffender  Berechnung) 
schreibt  Figiovanni  in  Florenz  an  den  gleichfalls  in  Florenz  befind- 
lichen Michelangelo : 

„Ich  möchte  Euch  nicht  lästig  fallen;  doch  muss  ich  Euch 
durch  diesen  Brief  melden,  dass  der  ehrwürdigste  Erzbischof  von 
Capua  von  Neuem  Euch  sagen  lässt,  dass,  wenn  Ihr  jenem  Herrn 
den  Dienst  erweisen  wollt,  der  Papst  ihn  als  ihm  selbst  geschehen 
betrachten  wird,  und  so  bittet  er  Euch  von  Neuem,  ihm  den  Wunsch 
zu  erfüllen ,  ohne  Euch  jedoch  zu  belästigen ,  und  zwar  auf  Lein- 
wand oder  auf  Holz  nach  Eurem  Belieben.  Entsprecht  Ihr  seinem 
Wunsche  in  der  Wahl  des  Vorwurfes,  so  ist  er  mit  Allem  einver- 
standen ,  seien  die  Figuren  gross  oder  klein.  Nichtsdestoweniger 
aber  denkt  daran,  dass  das  Bild  nahe  gesehen  sein  will,  sei  es  in 
kleinem  Räume  oder  in  einem  Saale  oder  in  der  Kirche  .  .  .  Und 
weiter  will  Seine  Ehrwürdigste  Signoria  hierüber  Nichts  sagen ;  Alles 
sei  Euch  überlassen.  Von  mir  aus  aber  sage  ich:  würde  es  Euch 
gefallen,  eine  Skizze  in  Kreide  oder  auf  einem  grünen  Blatt  auf- 
gehöht zu  machen  und  zu  senden,  so  meine  ich,  wäre  das  gut  .  .  . 
Der  Ehrwürdigste  Capua  schrieb ,  nachdem  er  von  Euch  das  Ja- 
wort erhalten,  an  den  Marchese,  dass  Ihr  begierig  wäret,  seinen 
Wunsch  zu  erfüllen  und  ihm  zu  Eurer  eigenen  Genugthuung  und 
zu  seiner  Freude  zu  Diensten  zu  sein,  und  Seine  Ehrwürden  sagte : 


Das  „Noli  me  tangere"  1531  447 

dies  kann  Michelangelo  nur  zu  Gute  kommen."  (Frey,  Dicht.  S.  508, 
Reg.  25.  Figiovannis  unartikulirte  Briefe  wörtlich  zu  übersetzen,  ist 
unmöglich,  man  kann,  will  man  den  Sinn  verständlich  machen,  nur 
ungefähr  an  den  Wortlaut  sich  halten.) 

Der  Besteller  des  Gemäldes  war  Alfonso  Davalos ,  Marchese 
di  Guasto,  einer  der  Truppenführer  im  kaiserlichen  Heere,  der 
Vorwurf  des  Bildes  das  ,,Noli  me  tangere".  Dies  sagt  uns  der 
folgende  Brief,  aber  auch  Vasari  im  Leben  des  Michelangelo  und 
in  dem  des  Pontormo ,  wo  er  seinerseits  bemerkt ,  den  Vermittler 
habe  Fra  Niccolö  da  Magna,  d.  li.  Nicolaus  von  Schomberg,  Gouver- 
neur von  Florenz  (Erzbischof  von  Capua) ,  gespielt.  Figiovanni 
schreibt  im  Spätsommer  oder  Herbst   1531: 

,, Seine  Excellenz  von  Capua  sandte  heute  Morgen  nach  mir 
und  sagte  mir :  Seine  Excellenz  der  Herr  Marchese  del  Vasto  wird 
heute  Abend  oder  morgen  hier  eintreffen.  Euer  Michelangelo  wird 
damit  einverstanden  sein,  dass  er  seines  heiligen  Werkes  Figuren 
(offenbar  die  Medicistatuen)  und  das  Magdalenengemälde  sehe. 
Ich  erwiderte  ihm,  Ihr  wünschtet  nicht  weniger  Seiner  Excellenz, 
als  dem  Papste  zu  Willen  zu  sein ,  und  würdet  dem  Befehl ,  die 
Werke  zu  zeigen  und  ihm  sein  geliebtes  Bild  zu  geben.  Euch  nicht 
entziehen.  Er  beschwor  mich  mit  aller  Gewalt,  ich  solle  ihm  sagen, 
ob  ich  wüsste,  ob  die  Tafel  der  Magdalena  in  Farben  ausgeführt 
wäre.  Worauf  ich,  bezüglich  der  Farben  und  des  Geschmackes, 
nichts  Anderes  zu  erwidern  wusste ,  als  dass  der  Karton  beendet 
sei,  und  Michelangelo  habe  ein  Wunder  gethan,  ihn  so  schnell  aus- 
zuführen und  dabei  so  gut ,  dass  es  ein  würdiges  Werk  sei.  Ist 
das,  was  ich  gesagt.  Euch  recht,  so  macht  es  mir  Freude;  wenn 
nicht,  so  verzeiht  mir."     (Frey:  Dicht.  S.  508.     Reg.  27.) 

Die  direkten  Verhandlungen  des  Künstlers  mit  dem  Marchese 
führten  dazu,  wie  Vasari  erzählt,  dass  auf  des  Ersteren  Rath  Davalos 
den  Karton  von  Pontormo  in  Farben  ausführen  Hess.  Dass  dies 
in  Michelangelos  Atelier  geschehen  sollte,  sagt  eine  Stelle  in  einem 
Briefe  Figiovannis  (kurz  nach  dem  27.  Okt.,  Frey  S.  509.  Reg.  28): 
,,der  ehrwürdigste  Erzbischof  von  Capua  freute  sich  sehr,  als  ich 
ihm  sagte ,  Ihr  wünschtet ,  der  Meister  Maler  solle  die  von  Euch 
gemachte  Zeichnung  in  Eurem  Hause  ausführen." 

Derselbe  Pontormo  fertigte  nach  dem  Karton  noch  ein  zweites 
Gemälde  an :  „als  Jacopo  das  Werk  vollendet  hatte,  wurde  es  wegen 
des  grossen  Stiles  der  Michelangelo'schen  Zeichnung  und  des 
Kolorites  Jacopos  für  ein  seltnes  Werk  gehaken.  Der  Herr  Alessandro 
Vitelli,  der  damals  in  Florenz  Hauptmann  der  Garde  war,  Hess  sich 
daher  von  Jacopo  ein  Gemälde  nach  dem  gleichen  Karton  machen, 
das  er  nach  Cittä  di  Castello  sandte  und  dort  in  seinem  Hause 
aufhängen  Hess."     (Vasari  VI,  277.) 


448  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Eine  dritte  Kopie  des  Kartons,  der  in  den  Besitz  des  Herzogs 
Cosimo  gelangte,  machte  Battista  Franco.  „Da  er  in  derselben 
Guardaroba  (des  Herzogs)  Michelangelos  Karton  des  Noli  me  tangere, 
den  schon  Pontormo  gemalt  hatte,  sah,  machte  er  sich  daran,  einen 
gleichen  Karton ,  aber  mit  grösseren  Figuren ,  anzufertigen.  Und 
dies  geschehen,  malte  er  ein  Bild,  in  dem  er  im  Kolorit  grosse  Fort- 
schritte machte.  Und  der  Karton,  den  er  genau  nach  dem  des 
Buonarroto  zeichnete,  war  sehr  schön  und  mit  grosser  Liebe  aus- 
geführt." 

Keines  der  drei  Bilder  ist  heute  bekannt  —  die  Hoffnung,  dass 
wenigstens  eines  sich  wird  wiederfinden  lassen,  besteht.  Erst  dann 
wird  es  sich  bestimmen  lassen,  ob  Berenson  und  Frey  Recht  haben, 
wenn  sie  zwei  Studien  auf  einem  Blatte  im  Besitze  des  Mr.  G.  T. 
Clough  in  London  (Thode  367.  Br.  1539.  Abb.  Frey  J^J  und  78) 
auf  den  der  Magdalena  erscheinenden  Christus  beziehen.  Dargestellt 
ist  auf  der  Vorderseite  ein  gewandeter  Jüngling,  der,  nach  vorne, 
etwas  nach  links,  in  leicht  bewegter  Haltung  ausschreitend,  den  er- 
hobenen rechten  Arm  nach  links  ausstreckt,  die  Linke  sprechend 
bewegt  und,  den  Kopf  fast  im  Profil,  nach  rechts  schaut.  Daneben 
ist  der  linke  Arm  zweimal  skizzirt ,  das  eine  Mal  in  der  gleichen 
Haltung:  hier  hat  die  Hand  die  Bewegung  des  Weisens  mit  dem 
Zeigefinger  —  das  andere  Mal  in  gesenkterer  Stellung,  die  Hand 
geöffnet,  ähnUch  wie  die  des  Jesajas  in  der  ,,Epiphania".  Dass 
rechts  von  dieser  Figur  eine  knieende  Gestalt,  wie  die  der  Magdalena, 
geplant  war ,  dünkt  mich  wenig  wahrscheinlich.  Man  ergänze  sie 
sich  in  Gedanken  und  man  wird  sehen ,  dass  sich  keine  Michel- 
angelos Art  entsprechende  Komposition  ergiebt.  Auch  entspricht 
die  Bewegung  der  linken  Hand  nicht  dem  Vorgang:  sie  ist  nicht 
abwehrend. —  Auf  der  Rückseite  ist  ein  nackter,  nach  vorne  schreiten- 
der Mann  dargestellt.  Er  neigt  sich  mit  dem  Oberkörper  etwas 
nach  rechts ,  schaut ,  den  Kopf  im  Profil ,  eben  dorthin ,  hält  die 
Linke  vor  der  Brust  und  streckt  den  erhobenen  Arm  nach  links 
aus.  Daneben  zweimal  eine  linke  Hand,  nach  vorne  mit  dem  Zeige- 
finger deutend.  Hier  könnte  man  sich  eine  Magdalena  wohl  hinzu- 
denken. Wieder  aber  entspricht  die  Handbewegung  nicht  dem  Geist 
des  Vorganges. 

Sprechen  schon  diese  Bedenken  gegen  die  Annahme  der  beiden 
Forscher,  so  wird  sie  nach  meinem  Dafürhalten  geradezu  unmög- 
lich gemacht  durch  den  Stil  der  Studien.  Dieser  weist  in  der  eigen- 
thümlichen  Weichheit  der  Zeichnung  und  Behandlung  auf  die 
späteste  Schaffenszeit  des  Meisters  hin,  auf  die  Entwürfe  zum 
Christus  am  Kreuz  und  vor  Allem  auf  die  früher  besprochenen 
Skizzen  zur  Bemalung  der  Kuppel  von  S.  Peter,  mit  denen  die 
zwei   Gestalten   in    der   Bewegung   und   in    der  Haltung   der  Arme 


Die  Auferstehung  Christi  aaq 


und  Hände  die  allernächste  Verwandtschaft  zeigen.  (S.  oben  II,  169.) 
Ich  halte  es  für  sehr  wahrscheinlich ,  dass  es  Entwürfe  für  den 
Karton :  „Christi  Abschied  von  der  Mutter"  sind  (s.  unten). 

In  einem  Gemälde  des  Louvre  hat  Angelo  Bronzino  das  ,,Noli 
me  tangere"  dargestellt.  Es  wäre  wohl  mögHch,  dass  er  an  Pon- 
tormos  Bild  angeknüpft  und  die  Hauptmotive  übernommen  hat. 
Sehen  wir  von  manieristischer  Übertreibung  ab,  erscheinen  die  Be- 
wegungen Michelangelesk. 


XII 

Die  Auferstehung  Christi 

Auf  das  Eingehendste  hat  sich  Michelangelo  im  Anfang  und 
Mitte  der  dreissiger  Jahre  und  dann  später  mit  einer  figurenreichen 
Darstellung  der  Auferstehung  beschäftigt.  Die  wichtigsten  Studien 
in  Paris,  London  und  Windsor  sind  schon  von  Springer,  dann  von 
Berenson  zusammengestellt  worden.  Zwei  Gruppen ,  und  in  jeder 
zwei  Varianten ,  möchte  ich  unterscheiden.  Für  die  erste  ist  der 
dem  Grab  entsteigende ,  für  die  zweite  der  schwebende  Christus 
charakteristisch. 

Erste  Gruppe:  der  dem  Grab  entsteigende  Christus. 

A.   Christus  tritt  auf  den  Boden. 

I.  Paris,  Louvre   112.     Thode  464.     Ber.   1580.     Abb.  Frey  40. 

Phot.  Br.  51.     Giraudon  86.    Röthel.    Christus  in  grosser,  sich 

drehender  Bewegung  des  Oberkörpers  nach  links ,   die  Arme 

gen  Himmel  streckend  und  nach  oben  schauend,  steigt,    von 

dem  Leichentuch  umflattert,  aus  einem  niedrigen  Sarkophage. 

Mit    dem    rechten  Beine    ist    er  herausgetreten,    das  linke  ist 

noch  im  Grabe.    Auf  dem  Sarkophagdeckel  lag  ein  Wächter  (a), 

der  nun ,    da  jener  sich  von  selbst  hebt ,   fallend  an  ihn  sich 

klammert ,    das    linke   Bein    über   ihn    erhoben.      Vorne    liegt 

ein  zweiter  (b) ,  mit  den  Armen  aufgestützt ,  und  schaut ,  aus 

dem  Schlaf  erwachend ,    erstaunt  zu  Christus  empor.     Neben 

ihm  flüchtet  ein  dritter,    weit  ausschreitend,  nach  hinten  (c). 

Links  von  Christus  sitzt  gekauert  schlafend  der  vierte  (d)  und 

hinter  ihm  richtet  sich  der  fünfte  (e)  auf.    Zwei  andere  Figuren 

sind  hinter  dem  Grab  nur  allgemein  angedeutet. 

Diese  flüchtige ,  aber  geistvolle  und  energische  Skizze  wird  in 

der   folgenden  Zeichnung  weiter  ausgebildet  und  gelangt   zu    einer 

so    sorgfältigen,     vollkommenen    Ausführung,    wie     die    Cavalieri- 

zeichnungen. 

%*  -29 


450  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürie  religiösen  Inhaltes 


n.  Windsor.  Thode  537.  Ber.  612.  Phot.  Br.  104.  Röthel. 
Die  Komposition  erscheint  nach  beiden  Seiten  bereichert.  Der 
aus  dem  Grabe  steigende  Erlöser  ist  fast  genau  so  wie  in  I, 
nur  sind  die  Arme  noch  höher  über  den  Kopf  erhoben.  Der 
Wächter  a  ist  beibehalten,  doch  ist  seine  Stellung  etwas  ver- 
ändert. Der  Liegende  b  ist  weiter  nach  rechts  versetzt  und 
im  Gegensinne  gegeben ,  so  dass  sein  Kopf  links  befindlich. 
Auch  den  Davoneilenden  c  finden  wir.  Hinzugefügt  aber 
sind  auf  der  rechten  Seite  drei  Gestalten.  Die  eine  schlafend 
liegt  platt  auf  dem  Boden  längs  der  rechten  Sarkophagwand, 
die  zweite  neben  ihr  erhebt  sich,  nach  hinten  gewandt,  eben 
auf  das  rechte  Knie,  den  Schild  in  der  Linken.  Die  dritte, 
rechts  von  dem  Davoneilenden,  sitzt  schlafend,  Hand  und  Kopf 
auf  den  Schild  gestützt.  Im  Hintergrunde  ausserdem  der 
Oberkörper  eines  erschreckt  Auffahrenden.  Auf  der  von 
Christus  aus  linken  Seite  sind  an  Stelle  der  zwei  vier  Sol- 
daten gekommen :  vorne  ein  schlafend  auf  dem  Rücken  Liegen- 
der, den  Kopf  auf  einem  Stein  oder  Bündel,  hinter  ihm, 
vom  Rücken  gesehen ,  der  zweite  Schlafende ,  den  rechten 
Arm  und  den  Kopf  auf  den  Schild  gelehnt,  ein  dritter  mit 
dem  Helm  auf  dem  Haupt  an  die  hintere  Wand  des  Sarko- 
phages  gelehnt,  und  noch  weiter  zurück  ein  nach  hinten  Eilen- 
der, den  Kopf  nach  Christus  umdrehend.  Noch  ein  anderer 
Laufender  ist  flüchtig  angedeutet  und  Einer,  der  erschreckt 
mit  den  Händen  an  den  Kopf  fährt.  Hinter  dem  Sarkophag 
ein  emporschauender  Kopf.  Im  Hintergrund  ist  Felsen  an- 
gedeutet. Ein  Meisterwerk  der  Komposition,  reich  an  herr- 
lichen Motiven,  ist  entstanden.  Zwei  grossartige  geschlossene 
Gruppen  rahmen  die  Hauptszene  in  der  Mitte  ein.  Jede 
einzelne  Figur  ist  ein  Wunderwerk  plastischer  Wirkung  im 
Helldunkel.  Die  Weichheit  der  Übergänge  von  Schatten  zu 
Licht  gemahnt  an  die  Bogenschützen  und  die  Herkulesthaten. 
Deutlich  bereitet  sich  die  reiche  malerische  Wirkung  der 
späten  Pietädarstellungen  vor. 

B.   Christus  halb  stehend,  halb  schwebend  über  dem   Grabe. 

m.  Windsor.  Thode  542.  Ber.  1616.  Abb.  Ber.  pl.  CXLI. 
Frey  8.  Phot.  Br.  105.  Kreide.  Hier  ist  Christus  dem  Grabe 
fast  entrückt.  Sein  linker  Fuss  entschwebt  eben  dem  Sarko- 
phag, der  rechte  erhobene  berührt  rückwärts  den  Deckel,  der 
von  hinten  an  den  Sarkophag  gelehnt  ist.  Das  Motiv  der 
Bewegung  des  Oberkörpers  —  der  gebogene  Oberleib,  die 
erhobenen  Arme,  der  emporschauende  Kopf,  das  ihn  um- 
flatternde Gewand  — ,  ist  noch  das  von  I  und  11.     In  der  Los- 


Die  Auferstehung  Christi  aci 


lösung  der  Gestalt  vom  Boden,  in  dem  Übergang  zum  Schweben 
aber  zeigt  sich  deutlich  eine  gesteigerte,  höhere  und  freiere 
Fassung  des  Vorwurfes.  Ich  kann  nicht  anders  annehmen, 
als  dass  diese  Gestaltung  aus  jener  von  I  und  II  hervorgegangen 
ist.  Die  Zeichnung  ist  sehr  durchgeführt,  von  grösster  Energie 
und  Herrlichkeit.  —  Eine  dem  Daniele  da  Volterra  zu- 
geschriebene Kopie  befindet  sich  im  Louvre  Nr.  301. 

In  den  beiden  folgenden  Zeichnungen  erscheint  die  gleiche 
Vorstellung  des  Sicherhebens  Christi  über  das  Grab.  Michelangelo 
hält  an  Dessen  Stellung  fest,  doch  wird  dem  Erlöser  jetzt  die 
Kreuzesfahne  gegeben. 
IV.  Oxford  49.  Thode  432.  Auf  der  Rückseite  des  Blattes  mit 
dem  Grundriss  der  Reliquienkammer  in  S.  Lorenz©  befindet 
sich  eine  bisher  nicht  beachtete  Kreideskizze,  die  ich  unbedingt 
als  eine  Studie  für  den  Auferstehenden  ansehen  und  in  direkten 
Zusammenhang  mit  den  beiden  folgenden  setzen  muss.  Die 
Stellung  des  Unterkörpers  ist  die  gleiche ,  aber  die  Haltung 
des  Oberkörpers  aufrecht.  Die  erhobene  linke  Hand  weist 
nach  oben,  die  Rechte  hält  senkrecht  die  Fahnenstange.  Die 
Datirung  des  Grundrisses  auf  1531,  1532  giebt  die  zeitliche 
Bestimmung. 
V.  London,  British  Museum.  1887 — 5 — 2 — 119  (Geschenk  von 
Henry  Vaughan).  Thode  338.  Ber.  1507A.  Kl.  Abb.  Stein- 
mann: Sixtinische  Kapelle  II,  S.  530.  Frey  110.  Kreide. 
Christus  erhebt  hier  die  Rechte  nach  oben  und  hält ,  nach 
unten  schauend,  mit  der  über  die  Brust  gelegten  Linken  schräg 
an  der  rechten  Schulter  und  dem  Kopf  vorbei  die  Sieges- 
fahne. Vor  dem  Grabe  liegt  schlafend  ein  Krieger,  links 
hockt,  in  Schlaf  versenkt,  ein  zweiter,  ein  dritter,  rechts  hinter 
dem  Grab  sitzend,  schaut  empor  (hinter  ihm  noch  ein  anderer 
Kopf  angedeutet). 
VI.  Windsor.  Auf  der  Rückseite  des  Blattes  mit  dem  Tityos. 
Thode  541.  Ber.  161 5.  Kreide.  Christi  Stellung  ganz  ähnlich 
wie  in  III,  nur  im  Gegensinne.  Und  der  rechte  Arm  ist  hier 
nach  unten  gestreckt ,  indess  die  hoch  erhobene  Linke  die 
Fahne  hält.  Nur  ein  Wächter  ist  rechts  angedeutet. 
VU.  Florenz,  Casa  Buonarroti  XIII,  66.  Thode  58.  Ber.  1667. 
Phot.  Alinari  1048.  Flüchtige  Kreideskizze.  Berenson  leugnete, 
unrichtiger  Weise,  die  Ächtheit.  Steinmann  erwähnt  sie  ge- 
legentlich des  Christus  des  Jüngsten  Gerichtes  (S.  605  A)  und 
macht  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  dass  sie  an  die  Auf- 
erstehungsdarstellungen erinnere.  Es  ist  ohne  Zweifel  ein 
Entwurf  für  den  Auferstehenden,  und  zwar  deutlich  eine  Vor- 

29* 


452  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Studie  zu  VII ,  die  den  Übergang  von  den  eben  erwähnten 
bildet.  Die  Beinstellung  ist  einmal  wie  in  III,  IV  und  V,  ein 
anderes  Mal  ähnlich  VII,  Kopf  und  rechter  Arm  sind  schon 
wie  in  VII ,  der  linke  aber  ist  höher  erhoben.  Als  ich  die 
Skizze  früher  (II,  S.  9)  erwähnte,  bemerkte  ich ,  die  Gestalt  sei 
zuerst  sitzend,  dann  stehend  entworfen  worden.  Es  sieht  in 
der  That  so  aus ,  doch  kann  sich  das  Auge  bei  dem  Durch- 
einander der  Linien  auch  täuschen.  —  Ähnlich  ist  eine  andere 
Studie  der  Casa  Buonarroti  XII,  61   (Thode  53). 

C.   Christus  schwebend. 

Den  Übergang  zu  dieser  Darstellung  bezeichnet  die  Einzelfigur 
der  Malcolm'schen  Sammlung. 

Vni.  London,  British  Museum  1895— 9— 15 — S^i-  Malcolm  64. 
Thode  350.  Ber.  1523.  Phot.  Br.  Exp.  Ec.  d.  b.  a.  ^'j .  Kreide. 
Die  Armhaltung  —  die  Linke  mit  der  Fahne  erhoben,  die 
Rechte  mit  ausgebreiteter,  wie  schirmender  Hand  nach  unten 
gestreckt  —  ist  wie  in  V.  Die  der  Beine  ist  etwas  verändert, 
das  rechte  ist  nicht  so  weit  abgesperrt,  sondern  mehr  nach 
hinten  gekrümmt.  Noch  berührt  der  rechte  Fuss  den  flüchtig 
angedeuteten  Sarkophagdeckel,  aber  in  so  leichter  Weise, 
dass  der  Eindruck  des  Schwebens  vollständig  erreicht  wird. 
Der  Kopf  und  Blick  ist  nach  unten  gerichtet.  —  Eine  Kopie 
der  Zeichnung  im  Staedel'schen  Institut  zu  Frankfurt  a.  Main, 
Nr.  3976. 
Können  wir  zwischen  allen  besprochenen  Entwürfen  einen 
nahen  Zusammenhang  feststellen,  so  nimmt  die  folgende  Kom- 
position eine  Stellung  für  sich  ein. 
IX.  London,  British  Museum  1860— 6— 16— 133.  Thode  328. 
Ber.  1507.  Abb.  Lawrence  Gallery  11.  Symonds  l,  288. 
Ber.  PI.  CXLII.  Frey  59.  Phot.  Br.  19.  Kreide.  Über  dem 
grossen ,  niedrigen ,  schräg  gestellten  Sarkophage  schwebt 
Christus ,  von  langem  Leichentuch  im  Rücken  umwallt ,  die 
Hände  hoch  über  der  Brust  gekreuzt,  sanft  etwas  nach  rechts 
oben  empor.  Der  Blick  seines  nach  links  gewandten,  zurück- 
gelegten Hauptes  geht  in  die  Höhe,  seine  Füsse  sind  dicht 
über  dem  Sarkophagrand.  Vor  dem  Sarkophag  liegt  auf  dem 
Deckel,  der  am  Boden  ruht,  ein  Wächter  auf  dem  Rücken, 
mit  den  Armen  sich  anklammernd.  Hinter  ihm  rechts  längs 
des  Sarkophages  sitzt  gekauert  ein  zweiter,  nach  hinten  sich 
wendend,  wo  ein  Dritter  über  den  Grabesrand  zu  ihm 
sich  herabbeugt.  Daneben  steht  Einer  in  vorwärtsschreitender 
Bewegung,  in  der  Linken  den  Schild,  die  Rechte    erschreckt 


Die  Auferstehung  Christi  453 


erhebend   und   zu    Christus    aufschauend.     Hinter   ihm   rechts 
eine  liegende  Figur.  —  Links  vor  dem  Sarkophag  ein  Wächter, 
der    erschreckt    auf   dem    Boden    wegkriecht    und    sich   nach 
Christus   umschaut.     Neben   ihm    links ,    nur   angedeutet ,    ein 
Sitzender  mit  Schild,  und  hinter  ihm  zwei  nach  hinten  Laufende, 
deren  Einer  sich  nach  der  Erscheinung  umsieht  und  die  Arme 
ausstreckt.  —  Im  Hintergrund  Felsen   angedeutet.  —  Nur  in 
dem  Forteilenden  ist  eine  Beziehung  zur  Windsorkomposition 
zu  finden.     In  allem  Übrigen    zeigt  sich    eine    durchaus  neue 
Erfindung.     Jacobsen  und  Ferri  (Neuentdeckte  M.  Zeichnungen 
S.  33  zu  Taf.  XVII),  machten  darauf  aufmerksam,  dass  einige 
der  Figuren  der  Skizze  zur  Ehernen  Schlange  in  Florenz  ent- 
nommen seien.     In  der  That   zeigt    der    auf  dem  Sarkophag- 
deckel liegende  Wächter  grosse  Ähnlichkeit  mit  dem  auf  den 
Rücken  Gefallenen  in  der  Skizze.     Nur  verwandt  sind  sich  die 
beiden    stehenden,    erschreckten    Gestalten.      Auch    auf  der 
Oxforder  Studie    zur  Ehernen  Schlange   finde  ich  die  beiden 
Motive    ähnlich.   —   Eine   Wiederholung    der   Zeichnung    im 
Staedel'schen  Institut  zu  Frankfurt  a.  Main  Nr.  3975. 
Die  von  mir  gegebene  Anordnung   der  Auferstehungsentwürfe 
entspricht  meiner  Vorstellung  von  deren  zeitlicher  Aufeinanderfolge. 
Der  Zusammenhang   in    der  Entwicklung   scheint   mir   so    ganz  er- 
sichtlich zu  sein.     Aber  auch  die  stilistischen  und  technischen  Eigen- 
thümlichkeiten     sprechen     dafür.      Die    beiden     Zeichnungen     der 
Gruppe  A    gehören    nach    ihrer    nahen    Verwandtschaft    mit    den 
Cavalieriblättern  sicher  in  die  ersten  dreissiger  Jahre.   Die  Londoner 
Komposition    muss,    den    schlanken  Verhältnissen  der  Christusfigur 
und    der    Behandlung    nach,    geraume   Zeit   später    entstanden    sein 
(nicht  schon   1533,  wie  Berenson  will),  und  dies  gilt  auch  von  der 
Einzelstudie  in  der  Malcolm'schen  Sammlung. 

Die  anderen  Studien  nehmen  eine  Mittelstellung  ein:  der  Ent- 
wurf des  Tityos  auf  dem  einen  Blatte  (V)  weist  noch  auf  die  Zeit 
der  Cavalierizeichnungen  hin  ;  die  Oxforder  Skizze,  die  1532  anzusetzen 
ist,  bestätigt  dies.  Freys  Ansetzung  aller  der  Entwürfe  in  die  Jahre 
1534  bis  1536  (1538)  ist  daher  nicht  annehmbar:  sie  gehören  nicht 
alle  unmittelbar  zeitlich  zu  einander.  Und  er  scheint  mir  die  Motiv- 
entwicklung ganz  unbeachtet  gelassen  zu  haben,  als  er  annahm,  die 
Windsorkomposition  II  sei  das  Endresultat  und  als  ihr  vorangehend 
so,  den  Motiven  wie  der  Behandlung  nach,  verschiedene  Blätter, 
wie  die  Londoner  Komposition  mit  dem  emporschwebenden  Christus 
(VIII),  die  Vaughan'sche  Zeichnung  (IV),  die  Malcolm'sche  (VII), 
und  die  auf  der  Rückseite  des  Tityos  in  Windsor  (V)  anführte. 

Eine  alte  Nachricht  in  Francesco  Scanellis  „Microcosmo"  (Lib.  I, 
Cap.  IV,  p.  72)  nennt  ein  Gemälde,  das  Venusti  nach  Michelangelos 


454  Gemälde,  Zeichnungen  imd  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Entwurf  angefertigt.  Es  war  dereinst  im  Stadthause  zu  Forli  (vgl. 
Passavant :  Kunstreise  S.  236).  Ein  solches  Bild,  nach  dem  späteren 
Londoner  Entwurf  Nr.  IX,  befindet  sich  heute  in  der  Sammlung  des 
Herrn  Fair  fax  Murray  in  London. 

Michelangelos  Zeichnungen  sich  schon  unter  dem  Einflüsse  des 
Umganges  mit  Vittoria  Colonna  entworfen  zu  denken,  wie  Frey 
es  möchte,  geht  nicht  an,  da  sie  vor  dieser  Zeit  entstanden  sind. 
Man  könnte  höchstens  annehmen ,  dass  die  Wiederaufnahme  des 
Themas  in  dem  späteren  Londoner  Entwurf  auf  die  Anregung 
Vittorias  zurückzuführen  sei.     Doch  bleibt  dies  fraglich. 


Xffl 

Die  Vertreibung  der  Wechsler  aus  dem  Tempel 

Der  figurenreiche  Entwurf  zu  dieser  Darstellung  befindet  sich, 
mit  einigen  für  ihn  dienenden  Vorstudien,  in  London.  Da  es 
sich  um  bedeutsame  Veränderungen  nicht  handelt ,  genügt  eine 
kurze  Anführung. 

I.  London,  British  Museum  1860—6 — 16  — 2  a.    Thode  322.   Ber. 
15 17.      Abb.  Lawrence  Gallery   Taf  7.     Kreide.     Die    ganze 
Komposition   in   ihrer   letzten   Fassung.     Auf  der   Rückseite : 
einige  der  Figuren. 
II.  Ebendaselbst      1860— 6—16— 2  b.      Thode    323.      Ber.    1516. 
Kreide.  Es  fehlen  Gestalten  des  Hintergrundes  und  in  einzelnen 
Motiven    zeigen    sich    Verschiedenheiten.      Rückseite:    einige 
Figuren. 
in.  Ebendaselbst.      1860—6—16—20.      Thode   324.      Ber.    15 15. 
Fagan.    Auch  hier  nicht  alle  Figuren  und  einige  Verschieden- 
heiten.     Rückseite:    rechte    Seite    der   Komposition    mit    an- 
gedeuteter   Architektur    im   Hintergrund:    Bogen   und    spiral- 
förmig kanellirte  Säulen.     Abb.  Lawrence  Call.  7. 
Die  Komposition  von  I  kehrt  fast  genau  in  einem  Bilde  des 
Venusti    in    der    Nationalgalerie   von  London  (Nr.  I194) 
wieder.    Es  befand  sich  einst  in  der  Galerie  Borghese,  wurde  bei  der 
französischen  Invasion  von  einem  Kommissär  Rebord  erworben,  der 
es  an  den  Kunsthändler  Woodburn  verkaufte.    Von  Diesem  erwarb 
es  Sir  Th.  Lawrence  (Passavant:   Kunstreise   112).     Später  war   es 
in   der  Hamilton   Collection    und   wurde    auf  der    Beckett-Denison- 
Sale  1886  für  die  Nationalgalerie  gekauft.    Es  zeigt  im  Hintergrunde 
eine  grosse  Architektur,  die  Venusti  aus  den  kleinen  Andeutungen 
auf  III  entwickelt  hat.     Die  Geissei   in  der  erhobenen  Rechten,  eilt 
Christus   in   der  Mitte   nach   vorne.     Mit   der  Linken   stösst  er  den 


Die  Vertreibung  der  Wechsler  aus  dem  Tempel  455 

Tisch  um,  an  dem  zwei  Wechsler  sitzen  und  vor  (und  neben)  dem 
zwei  kauernde  Figuren  sich  befinden.  Dahinter  sieht  man  nach 
rechts  flüchtend:  eine  Frau,  die  einen  Korb  mit  Geflügel  auf  dem 
Kopf  trägt,  zwei  Männer,  die  einen  Ochsen  wegzerren,  und  einen 
dritten.  Rechts  vorne  eilt  ein  Mann,  eine  Last  auf  dem  Kopfe 
tragend,  von  dannen,  ein  anderer  mit  Gefässen  ist  auf  den  Boden 
gefallen.  Links  von  Christus  flüchten  vier  Figuren:  ein  Mann,  eine 
Frau  mit  dem  Korb  auf  dem  Kopf,  ein  mit  einer  grossen  Schale 
auf  dem  Boden  Knieender  und  ein  Sichumschauender ,  der  eine 
Schale  mit  Gegenständen  auf  dem  Kopf  trägt.  Ganz  links  fährt 
ein  Mann,  der  einen  Beutel  in  der  Hand,  auf  einem  Tisch  sitzt, 
auf;  neben  ihm  beugt  sich  ein  Jüngling  über  den  Tisch.  (Diese 
Beschreibung  ist  nach  der  Zeichnung  gemacht.) 

Die  Zeichnungen  sind  in  den  vierziger  Jahren  entstanden;  der 
Gedanke ,  den  Vorwurf  zu  behandeln ,  dürfte  in  Unterhaltungen, 
die  der  Meister  über  die  Reinigung  und  Reform  der  Kirche  mit 
Vittoria  Colonna  hatte,  wurzeln. 

Auf  die  , .Vertreibung  der  Wechsler"  bezog  Robinson  eine 
Federskizze  in  Oxford  (Nr.  71.  Thode  445.  Ber.  1573),  welche, 
drei  erschreckt  einem  Angriff  ausweichende  Männer  zeigend,  mit 
Skizzen  zusammengehört,  die  in  der  Casa  Buonarroti  sich  befinden 
(V,  17,  18.  XIII,  ^y.  68.  VIII,  38).  Berenson  hielt  es  für  möglich, 
dass  auch  diese  Studien  für  die  ,, Vertreibung"  seien  (oder  für  die 
Bekehrung  Sauls).  Ich  wies  oben  (II,  S.  80)  diese  Annahme  mit 
dem  Hinweis  darauf,  dass  die  Gestalten  alle  von  oben  bedroht 
werden,  zurück  und  bemerkte,  dass  man  an  die  ,, Bekehrung  Sauls" 
oder  den  ,, Engelsturz",  vielleicht  auch  an  die  ,, Eherne  Schlange" 
denken  könne. 

Eher  möglich  erscheint  es,  zwei  in  Feder  skizzirte  Figuren 
auf  einem  Blatt  der  Uffizien  in  Florenz  (144,  618.  Thode  213. 
Ber.  1398.  Phot.  Br.  198)  als  Entwürfe  für  zwei  Wechsler  zu  be- 
trachten. Die  eine,  vom  Rücken  gesehen,  sich  duckend,  scheint 
im  Laufe  auf  das  Knie  zu  sinken,  die  andere,  von  vorne  gesehen, 
über  einen  Gegenstand  am  Boden  gestürzt  zu  sein. 

Auch  einige  Kreideskizzen  in  Oxford  (Nr.  69.  Thode  441. 
Ber.  1571.  Sidney  Colvin:  Sei.  drawings.  Phot.  Br.  83)  könnten,  wie 
Robinson  bemerkte,  für  die  Komposition  gedient  haben.  Sie  be- 
finden sich  auf  einem  kleinen  Blatt,  das  in  das  grössere  mit  Studien 
für  den  ,, Traum"  (s.  oben  II,  S.  377)  eingefügt  ist.  Eine  nach  vorne 
schreitende  Figur  hat  Ähnlichkeit  mit  dem  Christus,  auch  eine 
zweite  in  etwas  veränderter  Haltung.    Die  anderen  sind  undeutlich. 

Bekannt  war  die  Komposition  auch  dem  Maler  eines  Gemäldes 
der  Wiener  k.  k.  Galerie  (Nr.  lOO,  v.  Engerth  541),  das,  nicht  mit 
Recht,  dem  Vasari  zugeschrieben  wird. 


456  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

XIV 
Die  Verkündigung 

Von  zwei  Gemälden ,  die  Marcello  Venusti  nach  Entwürfen 
Michelangelos  ausgeführt,  berichtet  Vasari:  ,, Messer  Tommaso  Hess 
von  Michelangelo  viele  Zeichnungen  für  Freunde  anfertigen,  so  für 
den  Kardinal  di  Cesis  das  Gemälde  mit  der  Verkündigung  des 
Engels  an  Maria,  eine  Erfindung  neuer  Art,  das  dann  von  Marcello 
Mantovano  in  Farben  ausgeRihrt  und  in  der  Marmorkapelle,  die 
jener  Kardinal  in  S.  Maria  della  Face  hatte  errichten  lassen,  auf- 
gestellt ward;  wie  auch  eine  andere  Verkündigung,  gleichfalls  von 
Marcellos  Hand  auf  einer  Tafel  in  S.  Giovanni  in  Laterano  aus- 
geführt" (aus  Versehen  nannte  ich  in  den  Annalen  S.  476  Clovio 
statt  Venusti).  ,,Die  Zeichnung  hierfür  besitzt  der  Herzog  Cosimo 
de'  Medici,  die  nach  dem  Tode  des  Meisters  von  seinem  Neffen  Lio- 
nardo  Buonarroti  Seine  Exellenz  geschenkt  erhielt,  und  die  Dieser 
wie  einen  Christus ,  der  im  Garten  von  Gethsemane  betet ,  gleich 
Kleinodien  schätzt"  (VII,  272).  Die  Angabe  bezüglich  des  Bildes 
im  Lateran  und  der  Zeichnung  wird  von  Vasari  in  dem  ,, Leben 
verschiedener  italienischer  Künstler"  (VII,  575)  wiederholt,  und  im 
Leben  Marcantons  (V,  432)  erwähnt  er  einen  Stich  Beatrizets  nach 
einer  die  Verkündigung  darstellenden  Zeichnung  des  Meisters.  — 
Die  an  Cosimo  geschenkte  Zeichnung  für  das  Bild  im  Lateran  wird 
nach  dem  Tode  Michelangelos  angeführt,  wie  es  scheint,  mit  noch 
einer  anderen  oder  mehreren  des  gleichen  Vorwurfes:  ,,certi  disegni 
piccoli  di  quelle  Nuntiate  et  del  Cristo  che  ora  all'orto"  (Danieles 
Brief  vom  17.  März  1564.  Gotti  I,  358).  Michelangelo  hatte  sie 
Jacopo  del  Duca  und  Michele  Alberti  geschenkt,  von  denen  sie 
Lionardo  erwarb. 

/.  Die    Verkündigung  in  S.   Giovanni  in  Laterano. 

Das  grosse  Gemälde  des  Venusti  befindet  sich  noch  heute 
dort  in  der  Sakristei.  In  einem  Gemach  mit  Bett  im  Hintergrunde 
steht  links,  von  vorne  gesehen,  die  Jungfrau,  den  rechten  Fuss 
auf  die  Stufe  des  Betpultes  gestellt,  auf  das  sie  den  rechten  Ellen- 
bogen mit  erstaunt  erhobener  rechter  Hand  stützt ;  die  Linke 
streckt  sie  mit  einer  Gebärde,  die  halb  begrüssend,  halb  die  Bot- 
schaft aufnehmend  ist,  nach  dem  Engel  aus,  der  sie  mit  gesenktem 
Kopf  anschaut.  Sie  trägt  ein  rothes,  enganliegendes  Untergewand 
und  einen  hellblauen,  in  einem  Bausch  um  die  Hüften  gelegten 
Mantel.  Das  Haar  ist  über  dem  Ohr  in  einen  Zopf  geflochten 
und  von  einem  grauen  Tuch  bedeckt,  das  durch  einen  diadem- 
artigen blauen  Wulst  (mit  dem  uns  aus  Zeichnungen  wohlbekannten 


Die  Verkündigung  Atn 


Ohrzipfel)  umfasst  wird.  Beschwingten  Laufes  eilt,  von  rechts 
hinten  herkommend,  der  schlanke,  grosse  Engel  mit  blauen  Flügeln 
auf  sie  zu,  die  Rechte  mit  erhobenem  Zeigefinger  nach  ihr  aus- 
gestreckt, die  Linke  an  dem  bauschartig  um  die  Hüfte  gelegten, 
wehenden,  gelb  und  rosa  schillernden  Mantel,  der  Brust,  Arme  und 
Unterbeine  bloss  lässt.  Der  von  kurzem  blonden  Haar  umlockte 
Kopf  blickt  eindringlich  auf  Maria.  Von  oben  kommt  in  gelber 
Glorie  die  Taube. 

Der  Vorgang  ist  von  geheimnissvoller  Grossartigkeit:  durch 
den  mächtigen  Leib  der  Jungfrau  geht  die  erhabene  Bewegung 
eines  Empfangens.  Die  Hand  des  stürmisch  nahenden  Himmels- 
boten scheint  Leben  auszuströmen,  wie  die  Hand  Gottvaters  in 
der  Schöpfung  Adams.  „Das  Wort  ward  Fleisch."  —  Ob  Michel- 
angelo selbst  hier  wie  in  der  anderen  Darstellung  ausnahmsweise  dem 
Engel  Flügel  gegeben  hat.?  Das  ist  wohl  bestimmt  anzunehmen, 
da  später  zu  erwähnende  ächte  Entwürfe  den  geflügelten  Engel 
zeigen. 

I.  Eine  die  zwei  Figuren  wiedergebende  Kreidezeichnung 
befindet  sich  in  Florenz  (Nr.  229.  Thode  239.  Ber.  1644. 
Phot.  Alin.  173)-  Lange  genoss  sie  des  Ruhmes,  das  Original 
von  Michelangelo  zu  sein,  da  sie  offenbar  mit  der  von  Lionardo 
Buonarroti  dem  Herzog  Cosimo  geschenkten  Zeichnung  zu 
identifiziren  ist.  Heute  wird  sie  wohl  allgemein  für  eine 
Kopie  gehalten.  Sie  könnte  von  Venusti  herrühren.  Dann 
müsste  man  mit  Berenson  annehmen,  dass  schon  Lionardo 
sich  getäuscht  und  das  Blatt,  wie  auch  das  ,,Gethsemane",  zwar 
im  Besitze  Michelangelos  sich  befunden  habe,  beide  aber  von 
Venustis  Hand  stammen.  Dass  diese  Annahme  etwas  Be- 
denkliches hat,  wird  man  freilich  nicht  leugnen  können. 

Auf  Michelangelos  Zeichnung,  nicht  auf  das  Gemälde,  geht 
der  Stich  Beatrizets  (B.  12,  Dum.  5)  zurück,  der  nicht,  wie  jenes, 
im  Hoch-,  sondern  im  Breitformat  gehalten  ist  und  die  Figuren 
weiter  von  einander  entfernt  im  Gegensinne  zeigt.  Er  ist  be- 
zeichnet :  M,  Angelus  invent.  N.  Beatricius  Lotaringus  incidit  et 
formis  exe.  Romae  Antonio  Lafrerii. 

Eine  kleine  Wiederholung  des  Gemäldes  befindet  sich  in  Apsley 
House  in  London.  (Vgl.  Passavant,  Kunstreise  S.  75.  Waagen, 
Kunst  und  Künstler  II,  109.)  Eine  solche  gehörte  einst  den  Gon- 
zagas  in  Mantua  nach  einem  Stiche,  bez.  Petrus  Barberinus  delin. 
Hieronymus  Rossi  sculp.  Romae  sup.  perm.  anno  1720,  Clemens  XI. 
von  H.  C.  gewidmet.  (Passerini,  Bibliografia  S.  175.)  Duppa  meinte, 
der  Künstler  sei  durch  Dantes  Schilderung  des  Reliefs  im  X.  Gesänge 
des  Purgatorio  (v.  34  bis  45)  inspirirt  worden.     Sie  lautet: 


458  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

L'angel  che  venne  in  terra  col  decreto 

Della  molt'anni  lagrimata  pace, 

Ch'aperse  il  Ciel  dal  suo  lungo  divieto, 
Dinanzi  a  noi  pareva  si  verace 

Quivi  intagliato  in  un  atto  soave, 

Che  non  sembiava  imagine  che  tace. 
Giurato  si  saria  ch'ei  dicess'  Ave; 

Perchfe  quivi  era  immaginata  Quella, 

Ch'ad  aprir  l'alto  amor  volse  la  chiave, 
Ed  avea  in  atto  impressa  esta  favella, 

Ecce  ancilla  Dei,  si  propriamente, 

Come  figura  in  cera  si  suggella. 

Die  Beschreibung  des  Vorganges  ist  doch  zu  allgemein,  als 
dass  man  eine  Beeinflussung  des  Künstlers  durch  sie  annehmen 
könnte.  Eher  möchte  ich  es  für  möglich  halten,  dass  ein  Sonett 
Vittoria  Colonnas  ihn  angeregt  hat  (Ed.  Barbera  S.  254,  Nr.  CIV, 
vgl.  auch   ein  anderes  auf  die  Verkündigung  S.  235,  Nr.  LXXXV) : 

Angel  beato  a  cui  il  gran  padre  espresse 
L'antico  patto,  e  poi  con  noi  quel  nodo 
Che  die  la  pace,  la  salute  e  '1  modo 
D'osservar  l'alme  sue  larghe  promesse; 

Lui  ch'al  pietoso  ufficio  pria  t'elesse 
Con  Talma  inchino,  e  con  la  mente  lodo, 
E  dell'alta  ambasciata  ancora  io  godo, 
Che'n  quel  virgineo  cor  si  ben  s'impresse. 

Ma  vorrei  mi  mostrasti  il  volto  e  i  gesti, 
L'umil  risposta  e  quel  casto  timore, 
L'ardente  caritä,  la  fede  viva 

Della  donna  del  cielo,  e  con  che  onesti 
Desiri  ascolti,  accetti,  onori  e  scriva 
I  divini  precetti  entro  nel  core. 

Die  auf  das  Herz  Marias  gerichtete  Hand  des  Engels  im  Gemälde 
entspricht  der  Schilderung,  wie  die  göttliche  Botschaft  sich  in  das 
jungfräuliche  Herz  eindrückt. 

2.  Die    Verkündigung,  einst  in  S.  Maria  della  Pace. 

Sie  ist,  noch  von  Duppa  gekannt,  heute  verschollen.  Kleine 
Bilderwiederholungen  giebt  es.  Ich  stelle  in  den  Vordergrund  jenes 
in  der  Nationalgalerie  des  Palazzo  Corsini  in  Rom  (Nr.  591).  Maria, 
in  gegürtetem  rothen  Gewände  und  einem  über  die  linke  Schulter 
gezogenen,  um  den  Unterkörper  geschlagenen  Mantel,  den  Kopf 
mit  einem  kunstvoll  drapirten,  durch  ein  blaues  Band  gehaltenen 
Tuch  bedeckt,  sitzt  links  (vom  Beschauer),  etwas  nach  links  gewandt, 
neben  einem  altarartigen  Betpult.  Sie  hat  eben  in  einem  Buche 
gelesen,    das    sie   in    der  Rechten   auf  dem  Altar   hält  und  wendet 


Die  Verkündigung  m^q 


sich  nun,  die  Linke  erhebend,  erschrocken  zu  dem  Engel,  der  von 
rechts  oben  dicht  zu  ihr  auf  grossen  Schwingen  herabschwebt,  die 
rechte  Hand  nach  ihrem  Kopf  zu  ausstreckt  und  die  Linke  unter 
der  Brust  hält.  Er  ist  in  einen  violett  schillernden  Mantel  gekleidet, 
der  die  Brust  und  die  Arme  bloss  lässt.  In  dem  Gemache  hinten 
das  Bett  und  Ausblick  durch  eine  Thür  auf  ein  Gebäude.  Auf  dem 
Altar,  in  dessen  schrankartiger  Öffnung  Gefässe  sind,  steht  die 
Bronzestatuette  eines  Moses,  der  mit  beiden  Händen  die  Gesetzes- 
tafeln zerschmettert. 

Zwei  ächte  Studien  zu  der  Komposition  sind  erhalten, 
n.  London,  Brit.  Mus.  Malcolm  78.  1895— 9— 15— 516.    Thode362. 
Ber.   1534.     Kreide.      Maria,    fast   unbekleidet,    sitzt   an    dem 
altarartigen  Betpult,  auf  das  sie  den  rechten  Ellenbogen  stützt. 
Sie  dreht  sich  aber  hier  nicht  nach  rechts  um,  sondern  schaut 
nach  links,  wo  über  dem  Pult  der  Engel  direkt  zu  ihr  heran- 
schwebt.    Rückseite :  anderer  Entwurf  für  den  Engel,  der  von 
rechts  schreitend  gedacht  ist  (nur  der  Oberkörper).    —   Dies 
war  offenbar  der  erste,  in  den  Motiven  noch  einfache  Gedanke, 
der    einen   zugleich   grossen   und   anmuthigen  Ausdruck  fand. 
III.  London,  Brit.  Mus.   1900— 6—1  i—i.    Thode  340.    Ber.   15 19. 
Der  zweite  Entwurf,  von  Berenson  irrig  auf  die  Madonna  im 
Lateran  bezogen.    Auch  hier  sitzt  Maria  etwas  nach  links  gewandt 
neben  dem  Betpult,  doch  wendet  sie  sich,  sich  neigend,  nach 
rechts  dem  (nicht  angegebenen)  Engel  zu,  die  Linke  gesenkt 
ausstreckend,    das  Haupt  gesenkt,  mit  der  Rechten  ein  Buch 
auf  dem  Pult  haltend  (zuerst  war  der  rechte  Arm  tiefer  nach 
unten    gehalten    gedacht).      Der   Körper,    durch    ein    dünnes 
Gewand  hindurch  sichtbar,  wirkt  wie  nackt.    Um  die  Schultern 
ist  ein  Mantel  geschlungen,  der  um  den  linken  Oberschenkel 
gezogen    ist.      Auch    diese    Stellung   befriedigte    Michelangelo 
nicht  und  er  Hess  nun,  wie  es  im  Gemälde  zu  sehen  ist,  die 
Gestalt  erschreckt  auffahren  und  nach  oben  schauen. 
Die  definitiveGestaltung,  genau  wie  im  Gemälde,  erscheint 
in  folgender  Zeichnung. 
IV.  Heutiger  Besitzer  unbekannt.     Früher  in  der  Sammlung  Law- 
rence, in  dessen  ,,Gallery"  das  Blatt  abgebildet  ist,  später  bei 
Charles    Robinson.      (Thode    377.      Ber.    1696.)     Die    beiden 
Figuren  sind,  und  zwar  sehr  sorgfältig,  ausgeführt,  das  Betpult, 
die  Mosesstatue    und    die  Gefässe    im  Innern    nur  angedeutet. 
Berenson  glaubt,    dass  auch  dieser  Entwurf,   wie  der  in  den 
Uffizien,  von  Venusti  ist.    Dies  ist  möglich,  erscheint  er  auch 
der  Verkündigung  in  den  Uffizien  weit  überlegen.     Nach  der 
Abbildung  wird  man  ihn  jedenfalls  nicht  ohne  Weiteres  dem 
Meister  selbst  geben  dürfen. 


460  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

An  die  Statue  des  Moses  wurden  Jacobsen  und  Ferri,  sowie 
Berenson,  erinnert  durch  eine  Kreideskizze  in  den  Uffizien  147, 
18729.  (Thode  223.  Ber.  1399G.  Abb.  Jacobsen  und  Ferri, 
Taf.  XII.)  Sie  stellt  einen  nackten  älteren  Mann  dar,  der  etwas  nach 
links  gewandt  sitzt,  mit  der  Linken  ein  Buch  auf  dem  Knie  hält,  die 
Rechte  erhebt  und  mit  ein  wenig  gesenktem  Kopf  abwärts  schaut 
Als  Studie  für  Moses  diente  sie  keinenfalls.  Ich  erwähnte  sie  oben 
(I,  S.  94)  gelegentlich  des  Matthäus,  weil  die  beiden  verdienstvollen 
Entdecker  unbekannter  Michelangelo'scher  Zeichnungen  anfangs 
an  jene  Statue  gedacht  hatten.  Sie  machten  weiter  auf  Verwandt- 
schaft mit  den  Bobolisklaven  aufmerksam,  Berenson  auf  eine  solche 
mit  dem  Moses  und  dem  Ezechiel,  Auch  ich  vermag  keine  nähere 
Bestimmung  zu  geben,  doch  meine  ich,  dass  der  Entwurf  doch  in 
spätere  Zeit  anzusetzen  ist,  wenn  auch  nicht  in  die  späteste  der 
Apostelentwürfe  für  S.  Peter  in  Haarlem,  an  die  man,  wie  schon 
bemerkt  worden  ist,  auch  erinnert  werden  kann.  — 

Eine  Wiederholung  des  Bildes  sah  Passavant  bei  dem  Kunst- 
händler Woodburn  in  London  (Kunstreise  S.  75),  vielleicht  das 
Exemplar,  welches  von  Vasi  in  seinem  Itinerario  1791  (S.  378)  im 
Palazzo  Borghese  erwähnt  ward.  Eine  dritte  befindet  sich,  wenn 
mein  Gedächtniss  nicht  trügt,  im  Seminario  zu  Venedig.  Vielleicht 
ist  sie  identisch  mit  dem  im  XVIII.  Jahrhundert  in  Venedig  erwähntem 
Bilde,  das  von  Giovanni  Vitalba  gestochen  wurde,  bez.  Mich.  Ang. 
Buonarota  invenit  et  pinxit.  Haec  elaboratissima  tabula  extat  in 
celebri  collectione  Salvatoris  Bartholomaei  Orsetti  cons.  et  adv. 
Veneti.  Joann.  Vitalba  sculp.  reverenter  D.  A.  S.  1781. 

Die  Zeichnung  und  die  Kompositionsweise  lassen  keinen  Zweifel 
darüber,  dass  die  Verkündigungsdarstellungen  sehr  spät,  in  den 
fünfziger  Jahren,  entstanden  sind. 

j.  Zwei  aridere  Enhüürfel  f^. 

Beide  haben  nichts  direkt  mit  den  Gemälden  für  den  Lateran 
und  für  S.  Maria  della  Pace  zu  thun. 

V.Florenz,  Uffizien  147  F.,  18723.  Thode  222.  Ber.  1399  F. 
Jacobsen  und  Ferri  Taf.  XL  Auch  Rivista  d'arte  II,  37.  Kreide- 
skizze. Maria  sitzt  im  Profil  nach  links  gewandt,  in  die  Höhe 
schauend.  Sie  hat  das  linke  Bein  nach  hinten  gekrümmt,  die 
rechte  Hand  im  Schooss  und  den  linken  Arm  auf  die  Lehne 
ihres  Sitzes  gelegt.  Jacobsen  und  Ferri  fragen  sich,  ob  die 
Figur  für  eine  Verkündigung  oder  für  eine  Lünette  der  Sixtina 
bestimmt  war.  Berenson  meint  das  letztere,  falls  sie  über- 
haupt von  Michelangelo  gezeichnet  sei.  An  der  Achtheit 
zweifle  ich  nicht.  An  eine  Lunette  zu  denken,  so  gut  die 
Gestalt   in    eine    solche  der  Komposition  nach  passt,   hindert 


Das  Gebet  in  Gethsemane  45 1 


mich  der  doch  offenbar  auf  ein  bestimmtes  Ziel  gerichtete 
Blick  und  die  Technik,  die  mir  auf  eine  spätere  Zeit  zu  deuten 
scheint.  Die  Annahme,  es  sei  die  Maria  einer  Verkündigung, 
dünkt  mich  höchst  wahrscheinlich.  Dann  hätten  wir  hier  den 
Entwurf  zu  einer  sehr  ruhig  gehaltenen  Darstellung  der  Szene, 
der  Michelangelo  schon  in  einer  früheren  Periode  seines  Lebens 
(etwa  in  den  dreissiger  Jahren?)  mit  dem  Vorwurfe  be- 
schäftigt zeigt. 
VI.  Oxford,  Univ.  Gall.  74.  Thode  448.  Br.  1575.  Kreide.  Die 
schöne,  reich  behandelte  Zeichnung  zeigt  insoferne  gleichsam 
eine  Verbindung  der  Motive  in  den  von  Venusti  gemalten 
Kompositionen ,  als  Maria  Hnks  sitzend ,  der  Engel  rechts 
schreitend  dargestellt  sind.  Maria  erhebt  die  Rechte  und 
streckt  die  Linke  aus ;  der  Engel  bewegt  die  Rechte  zu  ihr 
hin  und  hält  die  Linke  vor  der  Brust.  Sein  linkes  Spielbein 
ist  in  zwei  verschiedenen  Stellungen  skizzirt.  Verglichen  mit 
jenen  anderen  Entwürfen  erscheint  die  Handlung  hier  ohne 
Erregung,  feierlich  gehalten.  Von  einer  Notiz,  die  auf  dem 
Blatte  befindlich,  lese  ich  .  .  .  vei  .  .  .  al  pictore  p.  dio  dio  a 
pasquino  per  (mandare.?)  a  chastel  durante  ...  legnio.  Berenson 
schliesst  mit  Recht  aus  dem  Worte  Casteldurante ,  dass  die 
Zeichnung  nach  Urbinos  Tod  (3.  Dez.  1555),  also  frühestens 
1556,  als  Cornelia,  Urbinos  Gattin,  nach  Casteldurante  ge- 
zogen war ,  entstanden  sein,  muss.  Auch  der  Stil  weist  auf 
die  späte  Zeit.  So  wird  es  wahrscheinlich ,  dass  sie  eine 
letzte  Beschäftigung  des  Meisters  mit  dem  Sujet  der  Ver- 
kündigung verräth. 

XV 

Das  Gebet  in  Gethsemane 

Es  wurde  bereits  erwähnt ,  dass  Lionardo  Buonarroti  eine 
Zeichnung  dieses  Inhaltes  nach  dem  Tode  Michelangelos  von  Jacopo 
del  Duca  und  Michele  Alberti ,  denen  sie  der  Meister  gegeben, 
erwarb  und  dem  Herzog  Cosimo  schenkte ,  wovon  auch  Vasari 
weiss  (s.  oben  II,  S.  456).  Zahlreiche  Gemäldekopien  sind  erhalten, 
in  denen  die  Landschaft,  zumeist  übereinstimmend,  vermuthlich  von 
Venusti  geschaffen,  auf  hügeligem  Terrain  Jerusalem  mit  dem  Rund- 
bau des  Tempels  und  Ruinen  zeigt.  Nur  das  Figürliche  giebt  den 
Entwurf  des  Meisters  wieder. 

Christus  ist  zweimal  dargestellt.  Einmal  sehen  wir  ihn,  ganz 
en  face,  auf  einer  kleinen  Bodenerhöhung  knieen,  die  beiden  Hände 
vor  der  Brust  erhoben  und  bewegt,  die  rechte  wie  mit  einer  Gebärde 


462  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

der  Ergebung,  die  linke  mit  einer  des  Sprechens ;  der  Blick  ist  ge- 
senkt. Das  andere  Mal  schreitet  er  hinter  der  Erhöhung  lebhaft 
nach  rechts  hinten  gewandt  zu  den  drei  Jüngern,  die  Rechte  mit 
weisendem  Zeigefinger  ausgestreckt.  Sein  Haar  fällt  hier  wie  dort 
in  Locken  in  den  Nacken.  Zwei  der  Jünger  schlafen:  links 
Johannes  in  ärmellosem  Werkrock,  den  Mantel  über  den  Hinterkopf 
gezogen,  in  sitzender  Stellung  mit  tief  gebeugtem  rechten  Knie  und 
nach  links  niedersinkendem  Oberkörper  und  Haupt,  den  rechten  Arm 
auf  dem  Bein  aufgestützt,  den  linken  schlaff  gesenkt ;  rechts  Petrus, 
sitzend  gelagert  mit  aufgestütztem  linken  Bein,  den  Kopf  mit  offenem 
Munde  gegen  den  erhobenen  linken  Arm  gelehnt,  der  rechte  Arm 
herabhängend ,  in  Gewand  mit  kurzen  Ärmeln  und  um,  den  Kopf 
gezogenem  Mantel.  Hinter  ihm  hat  sich  eben  Jakobus  erhoben,  den 
Mantel  über  dem  Haupte;  er  verbeugt  sich,  die  gekreuzten  Hände 
über  der  Brust,  vor  Christus,  auf  Dessen  Worte  lauschend. 
Folgende  kleine  Gemälde  sind  mir  bekannt  geworden. 

A.  Berlin,  Kais.  Friedr.  Mus.  Depot.  Nr.  289.  Aus  der  Samm- 
lung Solly.  Hintergrund  Landschaft  mit  Jerusalem  und  dem 
Templum  Salomonis.     Wohl  nicht  von  Venusti. 

B.  Genua,  Gall.  Balbi  Senarega. 

C.  Rom,  Gall.  naz.  Palazzo  Corsini.     Landschaft   mit    Gebäuden. 

D.  Rom,  Gall.  Doria  Nr.  420.  Landschaft  mit  Gebäuden.  Nicht 
von  Venusti.     Daniele  da  Volterra.'' 

E.  Schieissheim,  K.  Galerie  Nr.  973.    Von  derselben  Hand  wie  D. 

F.  Wien,  K.  K.  Galerie  Nr.  99  (v.  Engerth  304).  Aus  dem  Kunst- 
besitze Karls  VI. 

G.  Wien,  Galerie  Czernin.   Nr.  28.    Von  einem  vlämischen  Meister. 
Erwähnt  werden  im  XVIII.  Jahrhundert  ein  Exemplar  im  Palazzo 

Giustiniani  in  Rom  (v.  Ramdohr  III,  43)  und  eines  in  der  Sammlung 

des  Herzogs  von  Orleans  (Description  des  Tableaux  du  Palais  royal 

1727,  Abb.  Galerie  du  Palais  royal  I),  das  auf  der  Vente  in  London 

für  52  Guineen  verkauft  ward.    (Waagen:  Kunst  und  Künstler  I,  496.) 

Von  Zeichnungen  kommen  folgende  in  Betracht: 

I.  Oxford,  Univ.  Gall.  Nr.  70,  2.    Thode  443.  Ben  1572A.  Kreide. 

Studien    für   die  schlafenden  Jünger.     Keine  von  ihnen  ist  in 

dem    definitiven  Entwürfe    benutzt   worden.     Da   sich   einmal 

aber  auf  dem  Blatte  eine  Skizze  dreier  nebeneinanderhockender 

Schlafender  befindet,  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  die 

Studien  für  ein  ,,Gethsemane"  bestimmt  waren,    a.  Von  vorne 

gesehen  Sitzender,  linker  Arm  vor  der  Brust,  Kopf  auf  linke 

Schulter    gesenkt,     b.  Liegender,    Kopf  auf  Arme    (auf  eine 

Erhöhung)    gelegt,     c.  Ganz  vorgebeugt  mit  gesenktem  Kopf 

Hockender,      d.    Erwacht    nach     hinten    sich    Umwendender. 

e.  Nach  halb  links  gewandt  Sitzender,  rechter  Arm  auf  Bein, 


Das  Gebet  in  Gethsemane  463 

Kopf  leicht  geneigt,     f.  Etwas  nach  rechts  gewandt  Sitzender, 
erwacht,    die  Arme    nach   Hnks    ausstreckend,     g.  Liegender, 
den    Oberkörper   aufgestützt,    von    hinten   gesehen,      h.  Drei 
neben  einander  Schlafende:  die  zwei  links  von  vorne  gesehen, 
den  Kopf  auf  den  Arm   tief  gesenkt,    der    rechts    halb    von 
hinten  gesehen  mit  gesenktem  Kopf. 
II.  Florenz,  Uffizien  230  (Cat.  II).    Thode  240.    Br.  1645.    Kreide. 
Hier  ist  die  definitive  Komposition  gegeben.    Man  hat  in  dem 
Blatte  die  Zeichnung  zu  erkennen,  die  Lionardo  Herzog  Cosimo, 
zusammen  mit  der  Verkündigung,  schenkte.    Es  gilt  bezüglich 
ihrer  dasselbe,  wie  für  die  letztere.    Sie  scheint,  wie  Berenson 
behauptet ,    eine  Venusti'sche  Kopie  nach  einem  Original  des 
Meisters  zu  sein. 
Ein  Stich,  der  sich  im  Besitze  des  Geheimrath  Ruland  in  Weimar 
befand  (Abb.  Steinmann:  Sixt.  Kap.  II,  S.  528)  und  in  reicher  Rah- 
mung den  Kopf  Christi  mit  geschlossenen  Augen  zeigt,  giebt  offen- 
bar den  Christuskopf  des  Gethsemane  wieder.    Er  ist  bez.:  Michael 
Angelus  Bonarotus  inv.    und   trägt    in    einer  Kartusche    die  Worte : 
Ego  sum  via,  veritas  et  vita. 

Auch  diese  Komposition  muss ,  dem  Stile  nach ,  von  Michel- 
angelo spät ,  in  den  vierziger  oder  fünfziger  Jahren ,  geschaffen 
worden  sein.  Bemerkenswerth  ist,  dass  er  dem  betenden  Christus 
nicht  den  Engel,  auch  nicht  den  Kelch  erscheinen  lässt,  also  den 
Vorgang  als  einen  rein  innerlichen  uns  veranschaulicht.  Der  Schilde- 
rung der  Evangelien  nach  Matthäus  und  Markus,  nicht  der  des  Lukas 
die  Inspiration  entnehmend,  brach  er  mit  der  künstlerischen  Tradition. 
Die  Maler  haben  das  Eingreifen  des  Überirdischen  durch  einen 
den  heiligen  Kämpfer  umgebenden  grossen  Lichtschein  angedeutet. 
Unter  den  Sonetten  Vittoria  Colonnas  findet  man  ein  dem 
Gebet  in  Gethsemane  gewidmetes  (Ed.  Barbera  S.  273,  Nr.  CXXIU): 

Quando  '1  Signor  nell'orto  al  Padre  völto 
Pregö  per  lo  mortal  suo  chiaro  velo, 
D'intorno  al  cor  gli  corse  un  freddo  gelo 
Volgendo  a'  cari  amici  il  mesto  volto, 

E  trovö  ciascun  d'essi  esser  sepolto 
Nel  sonno;  che  ogni  vero  ardente  zelo 
Dormiva  in  terra,  e  desto  tutto  in  cielo 
S'era  al  suo  danno  e  nostro  ben,  raccolto. 

Ond'allor  per  destar  la  pigra  terra, 
E  quetar  lä  su  il  ciel,  riprcse  ardire, 
Com'uom  ch'a  grande  ed  alta  impresa  aspira. 

E  intrando  in  mezzo  la  spietata  guerra 
Tolse  agli  amici  in  quel  si  bei  morire 
II  grave  sonno,  ed  al  gran  Padre  l'ira. 


464  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Gedanken,  wie  die  hier  ausgesprochenen,  mögen  den  Meister 
bewegt  haben,  als  er  neben  dem  Gebet  das  Erwecken  der  Jünger, 
die  Befreiung  der  Menschheit  von  tiefem  Schlafe,  darstellte. 


XVI 

Christus  und  die  Samariterin 

Die  Angabe  Vasaris,  dass  Michelangelo  diese  Darstellung  für 
Vittoria  Colonna  gemacht,  findet  ihre  Bestätigung  in  einem  Briefe 
der  Marchesa  vom  20.  Juli  1541.  (Ferrero  und  Müller:  Carteggio 
S.  268.  Frey:  Dicht.  S.  534.)  Da  heisst,  es:  pregando  quel  Signore, 
del  quäle  con  tanto  ardente  et  humil  core  mi  pariaste  al  mio  par- 
tir  da  Roma,  che  io  vi  trovi  al  mio  ritorno  con  l'imagin  sua  si 
rinovata  et  per  vera  fide  viva  nel'anima  vostra ,  come  ben  l'avete 
diposita  nella  mia  Samaritana. 

Weder  die  Zeichnung  selbst,  noch  eine  Studie  zu  derselben 
ist  uns  erhalten  (das  Blatt  im  Louvre  Nr.  "^6^  ist  eine  Kopie). 
Wir   kennen    den    Entwurf  aber   aus  Skizzen    und  Gemäldekopien. 

Stiche. 

1.  Von  Adam  Ghisi.      Bez.  Mich.  Ang.  inv.  A.  M.  F. 

2.  Von  N.  Beatrizet  (B.  17).  Bez.  N.  B.  L.  Mich.  Ang.  inv.  — 
Kopie  A  im  Gegensinne :  A.  L.  F.  (Antonii  Lafrerii  Formis.)  — 
Kopie  B.  Im  gleichen  Sinne.  ,,Dixit  Jesus  Mulieri  Sama- 
ritanae.*'     Folgt  der  Spruch:  qui  bibit  ex  aqua. 

3.  Von  Marius  Kartarus  (P.  29).  Kopie  nach  Beatrizet.  Bez. 
Mich.  Ang.  inv.  Ferando  Bertelli  exe. 

4.  und  5.  von  unbekannten  Stechern,  erwähnt  von  Portheim  (Rep. 
f.  Kunstw.   1889.     Xn,   156). 

Gemälde  wurden  mir  folgende  bekannt : 

6.  Liverpool,  Institution.  Grau  in  grau  ausgeführt.  Stammt  aus 
der  Sammlung  des  Königs  von  Neapel  in  Capodimonte.  Ottley 
brachte  es  nach  England  (Waagen:  Kunst  und  Künstler  II,  393). 

7.  Wien,  Akademie  der  bildenden  Künste  Nr.  497.  Nieder- 
ländische Kopie. 

8.  Wien,  Galerie  Czernin  Nr.  34. 

Passavant  sah  ein  Exemplar  in  Devonshirehouse  (Passavant, 
Kunstreise  S.  71). 

Auf  einem  Brunnen  vor  einem  Baum  sitzt  rechts  Christus.  Er 
wendet  sich ,  die  Linke  auf  der  Brust ,  die  Rechte  sprechend  aus- 
gestreckt, zu  der  von  links  heranschreitenden  Samariterin,  die,  auf 
die  Stufe  des  Brunnens  tretend,  in  der  Rechten  ein  Gefäss  trägt 
und  mit  der  Linken  in  den  Brunnen  deutet.     Dahinter  Landschaft. 


Christus  am  Kreuz  465 


XVII 
Christus  am  Kreuz 

In  zwei  Darstellungen  fand  des  betagten  Meisters  tief  erregtes 
religiöses  Empfinden  den  ergreifendsten  und  mannichfaltigsten  Aus- 
druck :  in  der  Erlösungsthat  Christi  am  Kreuze  und  in  seiner  Be- 
weinung durch  die  Mutter  und  die  Freunde.  Eine  grössere  Anzahl 
erhaltener  Originalzeichnungen  und  Kopien  nach  solchen  verräth  die 
innere  Nothwendigkeit.  aus  welcher  er  in  den  vierziger  und  fünfziger 
Jahren  das  in  ihm  lebende  Bild  des  Gekreuzigten  in  immer  neuer 
Gestaltung  zu  formen  bemüht  war.  Jeder  Entwurf  zeigt  die  über- 
mächtige Kraft  seines  Erlebens  und  es  giebt  nicht  zwei,  welche  in 
den  Gestalten  Christi,  der  Maria  und  des  Johannes  die  gleichen 
Motive  brächten.  Seit  seiner  Jugend,  da  er  das  Kruzifix  für 
S.  Spirito  schnitzte,  hatte  er  es,  in  künstlerischer  Scham,  fast  ganz 
vermieden,  den  qualvollen  Vorwurf  zu  behandeln.  Nur  eine  Studie, 
unsere  Nr.  II,  ist  uns  bekannt.  Vittoria  Colonnas  Bitte  ist  es  ge- 
wesen, die  ihn  veranlasste,  sich  ihm  wieder  zu  nahen  und  ihm, 
wenn  auch  nur  in  Zeichnungen,  die  unbegränzte  Ausdrucksfähigkeit 
seiner  höchstentwickelten  Kunst  dienstbar  zu  machen.  Und  von 
jenem  Augenblicke  an  hat  er  sich  von  diesen  Vorstellungen  nicht 
mehr  frei  machen  können.  Mit  ihnen  sich  verbindend  herrschten 
die  Bilder  der  Pietä  in  seiner  Phantasie.  Aber  —  wie  bedeutungs- 
voll ist  dies  nicht  für  die  Erkenntniss  künstlerischer  Probleme !  — 
nur  in  Zeichnungen  hat  er  den  Gekreuzigten  behandelt,  indessen 
er  die  Pietä  im  Stein  zu  bilden  sich  getrieben  sah.  Und  wie  be- 
deutungsvoll ist  auch  das  Andere,  dass  er,  alle  Tradition  durch- 
brechend, in  jenem  ersten  Crucifixus  für  Vittoria  den  furchtbaren 
Todeskampf  selbst,  in  allen  folgenden  Entwürfen  aber  die  im  Tod 
gewonnene  Erlösung  dargestellt  hat ! 

,,Er  machte  auch  aus  Liebe  zur  Marchesa  einen  Jesus  Christus 
am  Kreuz,  nicht  als  einen  Todten,  wie  er  gewöhnlich  dargestellt 
wird ,  sondern  in  der  Bewegung  eines  Lebendigen ,  wie  er  das 
Haupt  zum  Vater  erhebt  und  zu  rufen  scheint:  ,Eli,  Eli!'  Und  so 
sieht  man  seinen  Körper,  nicht  wie  im  Tod  erschlafft  niedersinken, 
sondern  lebend  und  mit  Bewusstsein  in  herbsten  Qualen  sich 
krümmen."  Auch  Vasari,  wie  Condivi  es  in  diesen  Worten  thut, 
sagt,  dass  in  dieser  „göttlichen  Schöpfung"  Christus  dargestellt  sei, 
wie  er,  das  Haupt  erhoben,  seinen  Geist  dem  Vater  empfiehlt. 

In  mehreren,  zwischen  1538  und  1541  von  Vittoria  und  Michel- 
angelo gewechselten  Briefen  ist  die  Rede  von  der  Zeichnung  (siehe 
II.  Band  meines  Michelangelowerkes  S.  402  ff.  nach  Ferrero  und 
Müller:  Carteggio  di  Vittoria  Colonna  S.  207 — 209.  Lett.  515.  Frey: 
f  *  50 


466  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Dichtungen  534  f.).  In  dem  ersten  kurzen  bittet  die  Marchesa,  ,,ihr 
ein  wenig  das  Kruzifix,  wenn  es  auch  noch  nicht  vollendet  ist,  zu 
schicken",  denn  sie  möchte  es  den  Edelleuten  des  Kardinals  von 
Mantua  zeigen.  Als  sie  es  nicht  erhielt,  scheint  sie  Tommaso  Cava- 
lieri  um  seine  Vermittlung  gebeten  zu  haben,  was  der  Meister  ihr 
als  eine  ihm  zugefügte  Kränkung  vorwirft.  Als  sie  die  Zeichnung 
erhalten  hat,  giebt  sie  ihrer  Bewunderung  Ausdruck:  ,,ein  besseres, 
lebendigeres  und  vollendeteres  Bild  kann  man  nicht  sehen ,  und 
wahrlich,  niemals  könnte  ich  mir  erklären,  wie  zart  und  wunderbar 
es  gemacht  ist."  Sie  verhandelt  mit  ihm  darüber,  wer  es  als 
Gemälde  ausführen  solle.  In  einem  weiteren  Briefe  spricht  sie 
wieder  von  einem  ,, Christus",  der  offenbar  auf  ihren  Wunsch  von 
dem  Künstler  noch  verbessert  worden  ist,  und  sie  erwähnt  den 
Engel  zur  Rechten,  der  viel  schöner  sei.  Es  ist  ungewiss,  ob  es  sich 
hier  auch  um  den  Gekreuzigten  handelt ,  oder  um  die  Zeichnung 
der  Pietä,  auf  welcher  ja  auch  Engel  neben  dem  Heilande  an- 
gebracht sind.  Der  Ausdruck  ,, Christus"  spricht  freilich  mehr  für 
den  Crucifixus.  Und  die  Frage  wäre  erlaubt,  ob  sie  noch  eine 
zweite,  diesen  Vorwurf  behandelnde  Zeichnung  erhalten  hat.  Wie 
aus  zweien  ihrer  Sonette  (Ed.  Barbera  CCV  und  CCVI)  hervorgeht, 
hat  sie  eine  solche  Zeichnung  dem  Kardinal  Pole  geschenkt.  Eine 
Kopie  nach  dem  Crucifixus  hat  Cavalieri  von  Marcello  Venusti  an- 
fertigen lassen ;  sie  gelangte  in  die  Farnesesammlung  und  mit  dieser 
nach  Neapel  (heute  in  Capodimonte). 

Die  erhaltenen  Zeichnungen  lassen  sich  in  zwei  Gruppen  scheiden, 
in  die  des  lebenden  und  die  des  todten  Christus.  Die  erste  ist 
nur  durch  einen  Typus  vertreten,  die  zweite  umfasst  verschiedene 
Typen.  Hiernach  ist  die  Übersicht  anzuordnen ,  zugleich  aber  zu 
bemerken,  dass  wir  drei  Kompositionsformen  finden:  der  Gekreuzigte 
allein ,  —  zwei  Engel  neben  dem  Kreuze ,  —  Maria  und  Johannes 
zu  dessen  Seiten. 

A.  Christus  i7n  Todeskampf.     Vittoria  Colonnas  Zeichnung. 

I.  London,  British  Museum.  Malcolm  6"] .  1895 — 9 — 15 — 504. 
Thode  353.  (Von  Ber.  nicht  erwähnt.)  Kreide.  Früher  in  den 
Sammlungen  Lawrence  und  König  von  Holland.  Die  herrliche, 
auf  das  Sorgfaltigste  durchgeführte  Originalzeichnung. 
Christus,  die  Arme  wagrecht  ausgestreckt,  den  Oberkörper 
etwas  nach  links  gewendet,  den  Unterkörper  etwas  nach  rechts 
ausgebogen,  erhebt  das  schmerzbewegte  Haupt  nach  rechts 
oben,  den  Leidensblick  gen  Himmel  gerichtet,  den  Mund 
geöffnet.  Der  Fuss  des  rechten,  etwas  gekrümmten  Beines 
ist  über  den  linken  gelegt.  Um  die  Hüfte  ist  eng  sich  an- 
schmiegend ein  dünnes,  schmales  Tuch  gezogen.     Am  Fusse 


Christus  am  Kreuz 


467 


des  Kreuzes  liegt  ein  Schädel.    Unter  dem  rechten  Arme  fliegt, 

in  halber  Figur  gesehen,  ein  Engel,  den  Kopf  schmerzlich  in 

die   rechte  Hand    gelegt,    mit    der  Linken   auf  die  Seite   des 

Erlösers    weisend    (in   der   die   Wunde    nicht   angegeben   ist), 

unter    dem    linken    ein    anderer,    zum    Beschauer    gerichtet, 

jammernd  die  geballten  Hände  an  die  Wangen  legend. 

Eine   Kopie    der   Zeichnung   wird    in   Oxford   bewahrt:  Nr.  yi. 

Thode  447.      Abb.  Fisher  II,    7.      Springer  II,    308.     Phot.  Br.  84, 

eine  andere  im  Louvre  (732).     Solche  Kopien  hat,  wie  es  scheint, 

Michelangelo   unter  seinen  eigenen  Augen  anfertigen  lassen.     Denn 

in  einem  jener  Briefe  der  Vittoria  befindet  sich  folgende  Stelle,  die 

ich    im    zweiten   Bande    meines   Michelangelowerkes   (S.  403)    noch 

nicht    richtig   verstanden    hatte :    „per    il    che    ho    risoluta    di    non 

volerlo  di  man  d'altri,  et  perö  chiaritemi,  se  questo  e  d'altri.  Patientia. 

Se  e  vostro ,    io  in  ogni  modo  vel  torrei ,   ma  in  caso  che  non  sia 

vostro    et   vogliate    farlo    fare   a   quel  vostro,    ci   parleremo  prima, 

perche  cognoscendo  io  la  dificultä  che  ce  e  di  imitarlo,  piü  presto 

mi   resolvo    che    colui  faccia  un'altra   cosa  che  questa;    ma  se  e  il 

vostro    questo,    habbiate    patientia  che  non  son  per  tornarlo  piü." 

(Cart.  208.)     Ich    nahm    früher  das  ,, vostro"  im  Sinne  des  Besitzes, 

es    bedeutet   aber    doch    wohl :    ,,von   Euch   selbst    gefertigt".      Die 

Marchesa   weiss    nicht   genau,    ob    die   ihr   zur  Ansicht   übersandte 

Zeichnung   ein   Original    von    des  Meisters  Hand   ist.     Ist   dies   der 

Fall ,    will    sie   sie   nicht  m^ehr  hergeben  —  ist  sie  aber  eine  Kopie 

und  soll  eine  Kopie  für  sie  von  einem  Schüler  gemalt  werden,    so 

verzichtet    sie    darauf  und    will    lieber   etwas   Anderes    von  Diesem 

ausgeführt,    da  sie  eine  Kopie,    welche  die  Feinheit  des  Originales 

wiedergäbe,  nicht  für  möglich  hält.  — 

Dürfen  wir  die  Malcolm'sche  Zeichnung  oder  eine  der  Kopien 
in  einem  Blatte  wiedererkennen,  das  der  Padre  Pittorino  am  2.  Fe- 
bruar 1658  an  Alfonso  IV.  d'Este  nach  Modena  sandte.?  „il  famoso 
Cristo  di  Michelangelo  Buonarrotta,  quäle  appresso  di  me  e  stimato 
uno  de'  piü  belli  disegni  che  ogidi  si  trovano  ...  in  questo  mondo 
non  havevo  cosa  piü  cara  moralmente  ne  spiritualmente."  (A.  Ven- 
turi :  La  R.  Galleria  Estense  1882,  S.  272.)  Eine  andere  solche 
Zeichnung  befand  sich  damals  im  Besitze  des  Conte  di  Novellara : 
,,un  Cristo  in  croce  stimato  dobble  30" ,  und  wurde  vom  Padre 
Pittorino  Alfonso  am  12.  Dezember  1668  als  ,,disegno  superbissimo" 
gerühmt.  (Campori :  Artisti  Estcnsi  S.  105.  Venturi  a.  a.  O.  273). 
Einen  dritten  ,, Cristo  in  croce  di  lapis  nero  stimato  D.  10"  finde 
ich  im  Museo  Coccapani  erwähnt.     (Campori  S.  105.) 

IL  Oxford,  Christchurch  College.  Rob.  3.  Thode  456.  Ber.  1578- 
Kreide  und  Bister.  Die  Studie,  welche  Christus  lebend  mit 
erhobenem  Kopf  (die  Arme  nicht  vollendet)  darstellt,    wurde 

30* 


468  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


mit  Recht  von  Robinson  in  eine  frühere  Zeit  (die  der  Medici- 
gräber)  versetzt.  Berenson  meint  sogar :  nicht  später  als  1515- 
An  sie  also  hat  Michelangelo  angeknüpft  im  Motiv,  als  er  die 
Komposition  für  Vittoria  entwarf. 
Die  grössere  Zahl  alter  nach  dem  Crucifixus  gefertigter  Stiche 
beweist  die  Berühmtheit  dieses  Werkes.     Ich  notire  folgende : 

1.  Giulio  Bonasone  (B.  43).  In  Landschaft.  Bez.  rechts:  in  manus 
tuas  domine.  Unten :  Michelo  Angelo  Bonarota,  fiorentino  in- 
ventor.     Julio  Bonasone  f.     (Heinecken  I,  S.  387  n.  19.) 

2.  Giov.  Batt.  Franco  (B.  13,  auch  Kopie).  Bez.  Michel  Angelus 
Inventor  Venetiis.     (Heinecken  19a.) 

3.  Pietro  Paolo  Palumbo.  Bez.  Ho  Mors  ero  mors  tua.  Palom- 
bus  excudebat  Romae  1585.  Mich.  Ang.  Bonaroti  inv.  Auf 
einer  Tafel  längeres  Gedicht  von  M.  Antonius  Muretus.  — 
Späterer  Abdruck  :  Caspar  Albertus  successor  Palumbi. 
(v.  Heinecken  19  d.)  —  Passerini  (S.  195)  erwähnt  einen  Stich, 
bez.  Palumbi  Novarien.  curabant  Romae  1546.  Mich.  Ang. 
Bonaroti  inv. 

4.  Unbekannter  Meister.  Ohne  Landschaft  und  Bezeichnung. 
(Heinecken  19  b.) 

5.  Nach  Bonasone.  Bez.  Nicolo  van  Aelst  formis.  Michel  Angelo 
invent.     (Heinecken   19  c.) 

Von  Bildern,  welche  die  Malcolm'sche  Zeichnung  wiedergeben, 
kenne  ich  nur  ein  einziges. 

6.  Turin,  Pinakothek  128.  Dem  Daniele  daVolterra  zugeschrieben. 
Landschaft  mit  Stadt  im  Hintergrunde.  Der  Himmel  dunkel 
mit  Wolken.  Nicht  von  Daniele.  Späte  Inschrift :  Buonarroti 
fecit.  Stammt  aus  dem  Palast  des  Marchese  Durazzo  in 
Genua  (jetzt  Pal.  Reale).  Holz.  —  Es  ist  also  nicht  zu  identifi- 
ziren  mit  der  vom  Franzosen  Robert  Levoyer  (f  in  Turin  1630) 
gemachten  Kopie  auf  Kupfer,  die  im  Inventar  des  Palastes  zu 
Turin  1635  erwähnt  wird:  „Nr.  46.  Cristo  in  croce  vivo,  fra 
due  angioli  in  nuvole  in  rame.  Vien  da  Michel  Angelo,  copia 
di  Roberto.     Mediocre."    (A.  Vesme :  Le  Gal.  naz.  ital.  III,  36-) 

Ob  das  von  Richardson  (III,  307)  in  S.  Giovanni  in  Laterano  er- 
wähnte Kruzifix  auf  die  Zeichnung  zurückzuführen  ist,  bleibt  unklar. 

Vermuthlich  war  das  von  Piero  da  Vinci  nach  einer  Zeichnung 
Michelangelos  kopirte  Relief,  das  Vasari  (VI,  125)  erwähnt,  eine 
Wiederholung  unseres  Entwurfes. 

Die  durch  Maria  und  Johannes  bereicherte  Kom- 
position. 

Zahlreiche,  wohl  auf  das  oder  die  zuerst  entstandenen  Bilder 
Venustis  zurückzuführende  kleine  Gemälde  beweisen,  dass  schon  von 


Christus  am  Kreuz 


469 


IVIichelangelo  selbst  oder  mit  seiner  Einwilligung  von  Venusti  dem 
Kruzifix  und  den  Engeln  der  Malcolm'schen  Zeichnung  Maria  und 
Johannes  hinzugefügt  worden  sind,  und  zwar  in  den  Stellungen,  die 
der  Meister  ihnen  selbst  in  drei  Zeichnungen  (Johannes  in  Windsor, 
Maria  im  Louvre,  Johannes  im  Louvre)  und  vielleicht  in  einem  ver- 
lorenen, beide  Gestalten  zeigenden  Entwürfe  gegeben  hat.  Maria, 
von  vorne  gesehen,  schaut  zu  dem  Dulder  empor;  sie  erhebt  den 
linken  Arm  etwas,  wie  auf  ihn  weisend,  und  streckt  den  rechten 
nach  unten  in  Schmerzensbewegung  aus.  Johannes,  in  schaudern- 
der, wie  fröstelnder  Bewegung,  ganz  en  face,  kreuzt  die  Arme  über 
der  Brust  und  scheint  mit  offenem  Munde  laut  zu  klagen.  Die 
Windsorzeichnung ,  auf  welcher  der  Johannes  auch  erscheint,  be- 
spreche ich  später.     Hier  führe  ich  die  Einzel  Studien  an. 

III.  Paris,  Louvre  720.  Thode  488.  Ber.  1595.  Kreide.  Maria 
in  der  angegebenen  Haltung.  Rückseite:  dieselbe  Figur,  aber 
ohne  Gewandung,  leicht  skizzirt. 

IV.  Paris,  Louvre  118.    Thode  469.    Ber.  1582.    Kreide.    Johannes. 
Unter  den  Gemäldekopien  verdient  Venustis   für  Cavalieri 

gemalte  den  ersten  Platz.  Eine  Anzahl  anderer  habe  ich  notirt,  doch 
würde  sich  deren  Zahl  leicht  vermehren  lassen,  da  die  Komposition 
für  häusliche  Andachtszwecke  besonders  beliebt  gewesen  ist.  Zu- 
meist ist  der  Hintergrund  nächtlich. 

1.  Neapel,  Capodimonte. 

2.  Augsburg,  Galerie.     Etwa  im  Stile  Rottenhammers. 

3.  Florenz,  Uffizien.  Nr.  12 13.  Dem  Alessandro  Allori  zu- 
geschrieben. Von  Gori  (Not.  stör.  S.  118)  und  Volkmann 
(I,   563)  erwähnt. 

4.  Genua,  Palazzo  bianco.    Nr.  32.   Wohl  von  einem  Niederländer. 

5.  Rom,    Palazzo   Doria.     Nr.  286.     Wohl  von  Marccllo  Venusti. 

6.  Wien,  Galerie  Harrach.  Nr.  190.  Mit  Landschaft.  Bez.  M. 
A.  B.     Von  einem  Niederländer.? 

In  der  älteren  Litteratur  werden  folgende  Bilder  erwähnt :  bei 
dem  Rettore  des  Seminario  in  Ravenna  (Bottari:  Raccolta  VI,  246), 
in  der  Sakristei  von  S.  Peter  in  Rom  (Chattard  I,  255),  im  Palazzo 
Albani  und  im  Palazzo  Rondini  (Vasi:  Itinerario  1791.  S.  231.  44), 
im  Palazzo  Borghese  zu  Rom  (Richardson  III,  107),  im  Palazzo 
Caprara ,  bei  Mons,  Bonfigliuoli  und  bei  den  Signori  Bianconi  in 
Bologna,  bei  Sig.  lo  Chiappini  in  Piacenza  (Lanzi :  Storia  pittorica, 
3.  Aufl.  I,  143),  in  Leigh  Court  (Waagen:  Kunst  und  Kunstwerken,  353). 
Für  Heinse  ist  ein  solches  Bild  die  Veranlassung  geworden ,  der 
Bewunderung  für  Michelangelo  dem  abfälligen  Urthcil  der  Zeit 
gegenüber  leidenschaftlichen  Ausdruck  zu  verleihen.  Seine  Schilde- 
rung verdient,  wiedergegeben  zu  werden.  Ardinghello  erzählt  (Brief 
aus  Rom,  Oktober) : 


470  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

„Ich  habe  vor  wenig  Tagen  ein  kleines  Gemälde  von  ihm 
gekauft,  welches  vorstellt  Christum  am  Kreuz,  wie  der  Erlöser  gesagt 
hat:  ,Weib,  siehe,  das  ist  Dein  Sohn!'  und  zu  dem  Jünger,  den  er 
lieb  hatte:  , Siehe,  das  ist  Deine  Mutter!'  Unten  auf  beiden  Seiten 
mit  der  Mutter  und  dem  Johannes ,  sie  rechts ,  dieser  links ;  und 
an  den  Armen  des  Gekreuzigten  schweben  zwei  Engel  in  einem 
Gewitterhimmel  voll  Dunkelheit  und  Feuergewölk." 

„Christus  und  die  Madonna  sind  die  erhabensten  tragischen 
Gestalten,  die  ich  je  in  Malerei  gesehen  habe.  Christus  ist  ein 
leidender  Alexander ,  Hannibal ,  Cäsar  und  was  man  Grosses  und 
Erhabenes  von  Menschheit  kennt.  Ein  göttlicher  Jüngling,  voll 
Güte  für  den  grossen  Haufen,  welcher  der  Menge  unterlag,  ein 
Tiberius  Gracchus  und  die  Mutter  eine  Cornelia,  voll  Geistesstärke 
und  Grösse." 

,,0,  wie  verschwinden  alle  Madonnen  und  wie  ist  selbst  Raphael, 
den  ich  bewundere  und  liebe ,  wie  den  neueren  Apelles ,  klein 
dagegen  und  gewöhnlich !  Stellung  von  ihr ,  Blick  zu  ihm ,  zu 
seinem  schmerzenbändigenden  scharfen  Auge  und  hohem  An- 
gesicht ;  herabgehaltene  Rechte ,  voll  Kraft  und  Zorn  angehaltener 
linker  Arm,  Daumen  und  Zeigefinger  nach  dem  Jünger  hin  ge- 
richtet ;  der  Wurf  des  blauen  Mantels  über  das  rothe  Gewand : 
alles  harmonirt  und  macht  ein  Ganzes.  Johannes  sinkt  vor  Schmerz 
zusammen  mit  übereinandergeschlagenen ,  auf  die  Brust  gelegten 
Händen." 

,, Welch  Meisterwerk  von  Zeichnung  ist  der  Körper  des  Ge- 
kreuzigten !  Wahrheit  bis  in  die  kleinsten  Theile ,  und  zugleich 
Leben  und  Leiden  durchaus  in  Einheit." 

,,Man  fühlt  hier  wirklich  etwas  von  dem ,  was  Vasari  im  All- 
gemeinen sagt,  der  zuweilen  so  golden  beschreibt,  ob  es  gleich 
wahr  ist,  dass  ihn  seine  antike  Vaterlandsliebe  zu  Ungerechtigkeiten 
gegen  die  drei  grossen  Apostel  der  Kunst ,  Raphael ,  Tizian  und 
Correggio,  verleitet:  es  ist,  als  ob  ein  himmlischer,  kraftvoller  Genius 
heruntergekommen  wäre  und  Mitleiden  mit  allen  den  Stümpern 
gehabt  und  denselben  gezeigt  hätte,  wie  ein  Christus  am  Kreuz 
und  eine  Madonna  und  ein  Johannes  dabei  vorzustellen  sei.  Er 
ist  bis  zur  Täuschung  angenagelt  und  bewegt  sich  gerade  dazu, 
wie  es  sich  schickte." 

„Die  Mutter  ist  ein  hohes  Weib,  noch  in  unverwelkter  Schön- 
heit, ihres  Adels  bewusst,  die  über  die  Grausamkeit  zürnt,  welche 
man  an  dem  Sohne  ausübt,  sein  ganzes  Leiden  fühlt  mit  dem 
weinenden  Feuerblick;  aber  in  der  Zerknirschung  noch  solche  Festig- 
keit und  Erleuchtung  hat,  um  erhabner  als  eine  Niobe  dabei  zu 
stehen  und  anzuschauen."  — 


Christus  am  Kreuz  ^yi 


Von  Stichen  seien  die  folgenden  genannt: 

7.  Marius  Kartarus.  Bez.  mit  Monogr.  1573  und:  Michel  Angelo 
Bona  Rota  inventor. 

8.  Philipp  de  Soye.  Bez.  peccata  nostra  ipse  pertulit  ut  pec- 
catis  etc.  Wappen  mit  Devise:  Prudens  simplicitas.  Spätere 
Abdrücke:  Phil.  Thomassinus  und  Rossi.  (v.  Heinecken  I 
S.  388.     Bottari  VI,  243.) 

9.  Giulio  Sanuto.  S.  Passerini  S.  235,  der  auch  10  und  11  : 
zwei  Stiche  unbekannter  Meister  anfuhrt  (S.  196  f.). 

B.   Christus,  im   Tode  verblichest,  gesenkten  Hauptes. 

Allgemein  lassen  sich  drei  Typen  unterscheiden.     Mehrere  der 
erwähnten  Zeichnungen  sind  bisher  nicht  beachtet  worden. 

a.  Christus    mit    wagrecht    ausgestreckten   Armen. 
V.  Paris,   Louvre.     841.     Thode  502.     Christus  ganz  in  Vorder- 
ansicht, auch  der  gesenkte  Kopf  en  face  gesehen.    Eine  etwas 
verwischte  ächte  Studie  in  Kreide,  bisher  nicht  erwähnt. 

VI.  London,  British  Museum  1859—6 — 25 — 552.  Fagan  XXXIII. 
Thode  294.  Kleine  ächte  Rötheistudie.  Christus  ganz  in 
Vorderansicht,  Kopf  etwas  nach  links  gewandt  und  nach  vorne 
gesenkt. 
VII.  Paris,  Louvre  842.  Thode  503.  Ächte  Kreideskizze.  Die 
Gestalt  etwas  von  rechts  gesehen.  Der  Kopf  mit  gebrochenem 
Auge  ist  in  aufrechter  Haltung. 
VIII.  London,  British  Museum,  Malcolm  73.  1895 — 9—15 — 510. 
Thode  357.  Ber.  1530.  Phot.  Kensington  2271.  Kreide- 
zeichnung. Der  Körper  Christi  sinkt  etwas  herab,  die  Arme 
sind  aber  fast  noch  wagrecht.  Der  Kopf  ist  etwas  nach  links 
gesenkt.  Links  steht  Maria,  zum  Sohne  gewandt,  das  Haupt 
und  die  rechte  Hand  an  den  Stamm  gelegt,  rechts  tritt  Jo- 
hannes in  etwas  vorschreitender  Bewegung  an  das  Kreuz  und 
streckt,  zu  Christus  emporschauend,  die  linke  Hand  aus.  Der 
spät  anzusetzende,  in  der  engen  Gruppirung  der  dicht  ans 
Kreuz  gedrängten  Figuren  eigenthümliche  Entwurf  zeigt  eine 
ähnlich  zittrige  Behandlung,  wie  die  Darstellung  der  stehenden 
Maria  mit  dem  Kinde  (s.  oben  II,  S.  430,  Nr.  IV). 

b.  Christus  mit  etwas  herabsinkendem  Körper,  die 
Arme    ein    wenig   emporgezogen. 

IX.  Paris,  Louvre  843.  Thode  504.  Sehr  ausgeführte  Kreide- 
zeichnung, wohl  Kopie  eines  verlorenen  Originales.  Der  Kopf 
des  Dulders  mit  der  Dornenkrone  ist  nach  vorne  gesenkt, 
auch  der  Leib  ganz  in  der  Vorderansicht. 


472  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

X,  Frankfurt,  Staedel'sches  Institut  3978.  Thode  250.  Kreide. 
Wohl  Kopie  nach  verlorener  Zeichnung.  Auch  hier  volle 
Vorderansicht  und  der  Kopf  nach  vorne  gesenkt,  doch  hängt 
der  Körper  tiefer  herab. 
XI.  Ehemals  in  der  Lawrence  Gallery.  Abb.  in  dem  Woodburn- 
schen  Werke.  Ob  Original.?  Christus  hängt  ebenso  tief,  wie 
in  X,  aber  der  Kopf  ist  nach  links  gesenkt,  ein  Tuch  um- 
flattert die  Hüfte  und  der  linke  Fuss  ist  über  den  rechten 
genagelt.  —  Eine  ähnliche  Zeichnung  wie  diese  ward  wohl 
von  dem  Künstler  benutzt,  der  ein  der  Schule  Bronzinos  zu- 
gewiesenes Bildchen  in  Florenz  (Brogi  7828)  malte.  Auch 
der  Christus  auf  einem  Stiche  des  Philipp  Soye  geht  auf  eine 
solche  zurück,  nur  sind  die  Figuren  der  Maria  und  des  Jo- 
hannes (Gruppe  A)  hinzugefügt.  Der  Stich  ist  bezeichnet : 
Michelangelus  Bonarotus  inventor.  Philippus  Syticus  fecit. 
(Spätere  Abdrücke :  alla  Face  Gir.  Jacomo  de  Rossi  formis 
Roma  1649.) 
XII.  Oxford,  Univ.  Gall.  72.  Thode  446.  Ber.  1574.  Abb.FisherII,6. 
Schwarze  Kreide ,  die  Pentimenti  mit  weisser.  Hier  sind  die 
Arme  fast  wagrecht,  der  Kopf  sinkt  etwas  nach  rechts  vorne 
herab  (zuerst  war  er  nach  links  gewandt).  Die  Beine  (viele 
Pentimenti)  sind  etwas  nach  rechts  gedrängt,  der  linke  Fuss 
ist  über  den  rechten  genagelt.  Nach  Robinson  wären  hier 
die  Madonna  rechts,  Johannes  links  angeordnet.  Ich  glaube 
dies  nicht,  denn  wenn  die  Gestalten  auch  unbestimmt,  wie 
tastend  angedeutet  sind,  so  sieht  man  doch,  dass  die  Figur 
rechts  einen  nur  bis  zum  Knie  reichenden ,  gegürteten  Rock 
trägt.  Es  ist  also  doch  Johannes  gemeint,  der,  ganz  en  face 
stehend,  beide  Hände  an  den  etwas  gesenkten  Kopf  legt.  Maria, 
in  männlichen  Formen  gegeben,  schreitet  lebhaft  nach  vorne, 
beide  Arme  nach  unten  ausstreckend.  Eine  grossartige,  aber 
noch  nicht  zur  klaren  Gestaltung  gelangte  Konzeption. 
XIII.  Windsor.  Thode  548.  Ber.  1622'.  Phot.  Br.  102.  Kreide. 
Auch  hier  ist  das  Haupt  Christi  nach  rechts  gesenkt.  Die 
Stellung  der  Beine  (Pentimenti)  erscheint  noch  nicht  ganz 
bestimmt.  Auch  die  Arme  sind  in  verschiedener  Haltung 
gegeben :  zuerst  waren  sie  wagrecht  ausgestreckt ,  dann  zog 
der  Künstler  sie,  verschiedene  Versuche  machend,  nach  oben. 
Links  steht  in  schauender  Stellung  Maria,  den  Mantel  eng 
um  den  Kopf  genommen,  die  Arme  dicht  über  der  Brust 
gekreuzt.  Mit  der  Rechten  umfängt  sie  Wangen  und  Kinn, 
mit  der  Linken  scheint  sie  den  Mantel  vor  der  Backe  zu  fassen. 
Mit  wunderbarer  Kunst  ist  so  dargestellt,  wie  sie  sich  im 
Schmerz  ganz  zusammenzieht,    Johannes,  etwas  vorschreitend, 


Christus  am  Kreuz 


473 


in  den  Knieen  geknickt,    erhebt  erschreckt  beide  Hände  und 
schaut,    den   eigenthümHch   bäuerischen  Kopf  ganz   zur  Seite 
gewandt,  zu  Christus  auf. 
Ein    grosses    Gemälde    Venustis    in   der   Galleria   Borghese   zu 
Rom    (Nr.  351)    zeigt    den   Christus    von   Nr.  XI.     Für   die    Figuren 
der  Maria  und  des  Johannes  vermag  ich  in  heute  erhaltenen  Zeich- 
nungen Genaues  nicht  nachzuweisen.   Maria,  zu  Christus  aufschauend, 
die  Hände  sprechend  bewegt,  erinnert  an  die  Maria  der  Gruppe  A ; 
Johannes,  ganz  von  dem  Mantel  verhüllt,  blickt  mit  gesenktem  Kopfe 
abwärts  und  faltet  krampfhaft  die  erhobenen  Hände. 

c.  Christus,  tief  herabhängend,  mit  hoch  empor- 
gezogenen Armen  an  einem  Kreuze,  dessen  Arme,  in 
Form    eines  V,    schräg   nach    oben    gehen. 

An  erster  Stelle  ist  eine  Zeichnung  zu  nennen,  welche  die  tief 
herabhängende  Stellung  Christi,  aber  noch  nicht  die  schrägen  Kreuz- 
arme zeigt. 

XrV.  Paris,  Louvre  120.  Thode  471.  Ber.  1583.  Phot.  Br.  45. 
Kreide.  Die  Pentimenti  in  weisser  Kreide.  Wir  finden  hier 
wieder,  wie  in  V  und  VI,  Christus  ganz  in  Vorderansicht  und 
den  Kopf  nach  vorne  gesenkt.  Die  Arme  sind,  das  eine  Mal 
höher,  das  andere  Mal  etwas  niedriger  emporgezogen.  Links 
Maria,  in  Bewegung,  und  vorne  mit  der  Linken  den  über  den 
Kopf  gezogenen  Mantel  vor  der  Brust  fassend,  die  Rechte 
nach  unten  ausgestreckt ;  der  Kopf  im  Profil  schaut  abwärts. 
Johannes,  nur  sehr  flüchtig  angedeutet,  senkt  gleichfalls  den 
Kopf,  gleichfalls  nach  vorne  schreitend;  die  offene  rechte  Hand 
streckt  er  nach  unten,  auch  die  linke. 
XV.  London,  British  Museum.  Malcolm  72.  1895— 9— 15 — 509. 
Thode  356.  Ber.  1529.  Phot.  Kensington  2314.  Schwarze 
und  weisse  Kreide.  Der  Christus  entspricht  ganz  dem  von  XIV, 
doch  hat  das  Kreuz  hier,  wie  in  den  folgenden  Blättern,  die 
schrägen  Arme.  Maria  hat  die  Arme  über  der  Brust  gekreuzt, 
Johannes  streckt  sie  in  Angst  nach  unten  aus,  ähnlich  wie 
in  XIV. 
XVI.  Paris,  Louvre  739.  Thode  495.  Diese  wundervolle,  ganz 
durchgeführte  Studie  fand  bis  jetzt  keine  Beachtung.  Der 
Kopf  ist  en  face  gesenkt,  die  Beine  erscheinen  hier  aber  nach 
links  gedrängt. 
XVn.  Haarlem,  Musee  Teyler.  v.  Marcuard  Taf  XXII  (auf  der 
Rückseite  durchgezeichnet).  Thode  269.  Ber.  1675  (hält  sie 
seltsamer  Weise  nicht  für  acht).  Studie  in  Kreide  zu  Christus 
in  der  Stellung  von  XVI,  doch  ist  der  Kopf  etwas  nach  rechts 
gewendet.    Nur  bis  zu  den  Knieen.    Daneben  Studien  fiir  Brust 


474  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

und  rechten  Arm  eines  Mannes,  sowie  für  Brust  eines  Mannes, 
von   der   linken    Seite    gesehen.    —    Dieser  Entwurf  führt  un- 
mittelbar hinüber  zu 
XVm.  Windsor.      Thode   547.      Ber.   1621.     Phot.  Br.  103.     Kreide. 
Die    Gestalt    Christi ,    herrlich    malerisch    modellirt ,    mit   nach 
rechts    sinkendem    Haupt.      Die    Beine   etwas    nach   links    ge- 
drängt,   das   eine  Mal   enger  geschlossen  skizzirt,    das  andere 
Mal    mit   weiter   abstehendem  rechten  Beine  ausgeführt.     Der 
rechte    Fuss   über   den   linken   genagelt.      Der   Kreuzesstamm 
auch  zweimal  gegeben,  das  eine  Mal  auffallender  Weise  schräg 
nach  rechts,  das  andere  Mal  schräg  nach  links  emporsteigend. 
Links   undeutlich    skizzirt  Maria ,    die  Hände ,    wie  es  scheint, 
betend  erhoben;    sie  schaut  zu  Christus  empor.     Johannes  in 
der   uns    bereits    bekannten  Stellung,    wie  in  IV  und  in  allen 
den  Gemäldekopien  der  Gruppe  A. 
XDC.  Windsor.     Thode  546.      Nur   der    Gekreuzigte,    ganz    ähnlich 
wie    in  XVIII,  aber    die  Beinhaltung  anders,    das  rechte  über 
das  linke  gelegt. 
Die    eigenthümliche   Form    des  Kreuzes   ist   nicht    von  Michel- 
angelo erfunden  worden.    Wir  begegnen  ihr  in  Italien  im  XIII.  Jahr- 
hundert,   so    in  dem  Triptychon  des  Berlinghieri  in  der  Akademie 
zu  Florenz.     Auch    in   seiner  Zeichnung  der  Pietä  für  Vittoria  Co- 
lonna    findet    sich    dieses    Kreuz ,    und    gelegentlich   ihrer   bemerkt 
Condivi :    „Das  Kreuz   ist  ähnlich  demjenigen ,    welches  die  Bianchi 
zur   Zeit   des    grossen   Sterbens   im   Jahre   1348    in    der  Prozession 
herumtrugen   und  welches   dann  in   der  Kirche  S.  Croce  aufgestellt 
wurde."    Dies  war  wohl  ein  solch'  alterthümliches  Kreuz  mit  schräg 
emporstehenden  Armen.    Freilich  können  wir  dies  durch  den  Augen- 
schein   nicht   mehr    feststellen,    da,    soweit   meine    Untersuchungen 
gingen,  jenes  Kruzifix  sich  heute  nicht  mehr  in  S.  Croce  befindet. 
Wir  erinnern  uns  hierbei,    dass  bereits  in  seinem  Jugendwerke,   in 
S.  Spirito,    Michelangelo    an    ein   Kruzifix    der   Genossenschaft    der 
Bianchi,  das  sich  in  dieser  Kirche  befand  und  heute  noch  befindet, 
anknüpfte.     (Siehe  oben  I,  S.  22.) 

Zusammenfassendes. 

Wer  die  besprochenen  Entwürfe  mit  einander  vergleicht,  erhält 
einen  überwältigenden  Eindruck  zugleich  von  der  Gewalt  seelischen 
Erlebens  und  von  dem  Reichthum  an  Formen  der  Gestaltung.  Welche 
Wahrheit  und  welche  Verschiedenheit  in  der  Schilderung  des  Leidens 
in  Maria  und  Johannes ,  von  sich  aufbäumendem  Schmerze  bis  zu 
zitterndem  Sichzurückziehen  in  sich  selbst !  Wie  furchtbar  die  Ver- 
zweiflung des  zu  seinem  Vater  aufschreienden  Dulders,  wie  heilig 
sein   Versinken   in   die   Stille    des  Todes !      Wie    mannichfaltig    die 


Die  Kreuzigung  a7C 

Versuche  der  Einheitsbildung  in  der  Komposition,  die  bis  zum 
Höchsten  wohl  in  der  Louvrezeichnung  XIV  gesteigert  ward.  Lässt 
sich  eine  genaue  zeitliche  Aufeinanderfolge  der  Entwürfe  feststellen? 
Über  Vermuthungen  kommt  man  nicht  hinaus.  Nur  allgemein  lässt 
sich ,  wie  auch  Berenson  angenommen  hat ,  das  Eine  sagen ,  dass 
die  Schilderung  des  lebend  sich  abringenden  Erlösers  das  Erste  ist 
und  dass  in  der  Folgezeit  die  Darstellung  des  Todesfriedens  eintritt. 
Die  von  mir  gegebene  Anordnung  der  Typen  in  der  Gruppe  B  sagt 
also  Nichts  über  die  Aufeinanderfolge  aus.  Doch  möchte  ich  aus 
der  Behandlung  in  einigen  Blättern  schliessen,  dass  wir  in  den  zu- 
letzt erwähnten  Zeichnungen  mit  der  Gabelform  des  Kreuzes  wohl 
die  spätesten  Schöpfungen  zu  erkennen  haben. 


XVIII 

Die  Kreuzigung 

Die  Crucifixusdarstellung  hat  Michelangelo  weiter  geführt  zu  Ent- 
würfen für  eine  solche  des  dramatischen  Vorganges  der  Kreuzigung. 
Einige  solche  (zum  Theil  nur  in  Kopien  erhalten),  die  in  den  vierziger 
Jahren  entstanden  sind,  lassen  sich  heute  noch  nachweisen.  Zu 
ihnen  gesellen  sich  Stiche  nach  verlorenen  Zeichnungen.  Danach 
lassen  sich  folgende  verschiedene  Fassungen  des  Vorwurfes  feststellen : 

A.    Zugeschriebene  Entwürfe. 

1.  Christus    zwischen    den    zwei    Schachern. 

Ein  mir  leider  nicht  aus  Anschauung  bekannter  Stich,  den 
V.  Heinecken  erwähnt  (I,  S.  388).  Bez.:  M.  A.  in.  und:  Luca  Bertelli 
formis. 

2.  Christus  zwischen  den  zwei  Schachern,  links 
Maria,  rechts  Johannes.  Im  Mittelgrunde  die  Marien 
und    weiter   hinten   die   würfelnden    Soldaten. 

Auch  dieser  grosse ,  auf  drei  Platten  gegebene  Stich ,  den 
Heinecken  ebendaselbst  erwähnt,  ist  mir  unbekannt  geblieben.  Das 
Blatt  ist  mit  dem  Namen  G.  de  Jode  bezeichnet,  und  die  sieben 
Worte  Jesu  sind  zu  lesen.  Von  der  Autorschaft  Michelangelos  ist 
Nichts  gesagt. 

3.  Christus  zwischen  den  zwei  Schachern,  Maria, 
Johannes    und    die    das   Kreuz    umarmende  Magdalena. 

Ein  dem  Alberti  zugeschriebener  Stich  eines  Ignoto  (in  der 
Marucelliana). 


^y6  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

B.   Erhaltene  Enhvürfe. 

4.  Christus  zwischen  den  zwei  Schachern,  Maria, 
Johannes    und    die   Frauen. 

Die  Komposition  ist  nur  in  einer  Kopie  im  Louvre  er- 
halten (Thode  511b.  Phot.  Giraudon  loi).  Der  Christus  erinnert 
an  den  Crucifixus  für  Vittoria  Colonna,  insofern  er,  noch  lebendig, 
das  Haupt  und  den  Blick  nach  oben  richtet,  doch  ist  er  hier  bartlos 
und  der  Kopf  nach  der  linken  Seite  gewandt.  Die  Arme  sind  wag- 
recht ausgestreckt.  Die  Kreuze  der  Schacher  sind  in  Verkürzung 
gesehen,  und  zwar  ist  das  linke  so  hinter  Christi  Kreuz  angeordnet, 
dass  des  letzteren  Querbalken  den  Kopf  des  guten  Schachers,  der 
in  ganz  ruhiger  Haltung  hängt ,  verdeckt.  Der  böse  rechts ,  im 
Profil  gesehen,  lässt  den  Kopf  sinken  und  stemmt  das  linke  Bein 
über  den  Oberschenkel  des  auf  einem  Fussholz  stehenden  verdrehten 
rechten  an  den  Stamm.  Vor  Christi  Kreuz  unten  hält  der  stehende 
Johannes,  der,  sich  vorneigend,  den  Mantel  vor  den  Kopf  zu  ziehen 
scheint,  den  an  ihn  gestützten  Oberkörper  der  steif  niedergesunkenen, 
die  Arme  im  Schooss  kreuzenden  Maria.  Hinter  ihm  eilt  mit  ver- 
zweifelt vor  den  Kopf  gekrampften  Händen  eine  schlanke  Gestalt  auf 
Christus  zu,  zu  ihm  aufschauend.  Links  vom  Kreuz  hockt  eine  Frau, 
die  gekreuzten  Arme  im  Schoosse  und  den  Kopf  auf  sie  gelegt.  Eine 
andere  Frau  steht  links  mit  reicher  Kopftracht  und  breit  gegürtetem 
Gewände  und  schaut,  die  Arme  seitwärts  ausstreckend,  auf  Maria  herab. 

Der  Christustypus  und  die  Motive  der  Freunde  am  Fuss  des 
Kreuzes  lassen  mir  keinen  Zweifel  darüber,  dass  die  Komposition 
auf  Michelangelo  zurückzuführen  ist.  Und  hierfür  spricht  eine  andere 
Rötheizeichnung : 

Oxford,  Univ.  Gall.  38.  Thode  421.  Phot.  Br.  i.  Auch  sie 
eine  Kopie.  Links  auf  dem  Blatte  ist  der  böse  Schacher,  rechts 
die  Gruppe  der  vier  Figuren :  Maria,  Johannes,  die  hockende  Frau 
und  die  Eilende  genau  so  wie  auf  dem  Pariser  Blatt  zu  finden. 

Verwandt,  wie  es  scheint,  ist  eine  Zeichnung,  die  früher 
bei  Sir  Charles  Robinson  sich  befand  (Thode  375.  Ber.  2490). 
Berenson  schreibt  sie  Sebastiano  zu  —  vermuthlich  ist  auch  sie 
von  Michelangelo.  Nach  seiner  Beschreibung  wäre  das  Kreuz  hier 
auf  der  Seite.  Christus  seitwärts  gesehen.  Links  die  zusammen- 
gebrochene Maria  und  ihre  Freunde.  Ausserdem  Reiter  und  Fuss- 
soldaten.     Ich  kenne  das  Blatt  nicht. 

5.  Figurenreiche  Komposition,  genannt:  die  drei 
Kreuze. 

London.  British  Museum  1860 — 6 — 16 — 3.  Thode  325.  Ber. 
Sebastiano    del    Piombo)    2485.      Fagan   XXXII.      Abb.    Lawrence 


Die  Kreuzigung  477 


Gallery.  Symonds  II,  196.  Phot.  Br.  17.  Auch  diese  grossartige, 
in  der  ganzen  Geschichte  der  Kreuzigungsdarstellungen  einzig  und 
gesondert  erscheinende  Komposition,  in  welcher,  wie  die  gesamte 
Konzeption,  so  jedes  einzelne  Bewegungsmotiv,  ja  Jeder  Strich,  die 
unvergleichliche  Kühnheit  des  Michelangelo'schen  Geistes,  die  alle 
Traditionen  durchbricht,  laut  verkündet,  hat  man,  wie  wir  sahen 
(s.  oben  II,  S.  405),  Sebastiano  zuschreiben  wollen.  So  weit  gelangt 
man,  wenn  man  allein  an  Äusserlichkeiten ,  die  man  noch  dazu 
falsch  sieht,  haftet  und  die  grossen  geistigen  Faktoren  einer  Kunst- 
schöpfung ausser  Acht  lässt.  Ich  nannte  die  Darstellung  unver- 
gleichlich —  das  ist  sie,  weil  hier  eine  ganz  neue  Erfindung,  wie 
sie  nur  einem  grössten  Genius  zu  eigen  ist,  überraschende  Gestalt 
gewonnen  hat.  Es  ist  hier  im  eigentlichen  Sinne  die  Kreuzigung 
wiedergegeben.  Die  früher  und  nachher  typische  Trennung  der 
zwei  Vorgänge:  der  Kreuzannagelung  und  der  vollzogenen  Kreuzi- 
gung erscheinen  hier  vereinigt.  Auf  den  ersten  Blick  glaubt  man 
die  Kreuzabnahme  zu  sehen,  denn  wie  in  deren  üblicher  Darstellung 
sehen  wir  auf  zwei  Leitern  (deren  eine  höhere  nur  angedeutet 
ist)  Männer  mit  Christus  beschäftigt.  Aber  dieser  Christus,  eine 
herrliche  jugendliche  Gestalt,  die  an  dem  uns  schon  bekannten 
Kreuze  mit  den  schräg  emporgehenden,  hier  in  der  Höhe  mit 
einem  Querbalken  verbundenen  Armen  hängt,  lebt :  er  wendet  den 
Kopf  ganz  nach  der  Seite  rechts  und  blickt  nach  oben,  wo  eine 
kleine  schwebende  Gestalt  mit  ausgebreiteten  Armen  —  es  kann 
wohl  nur  die  entfliehende  Seele  des  einen  Schachers  sein  —  skizzirt 
ist.  Und  der  eine  Henkersknecht ,  der  auf  dem  Querbalken  des 
Kreuzes  liegt,  ist  damit  beschäftigt,  den  rechten  Arm  des  Erlösers 
zu  befestigen ,  indessen  der  andere  auf  der  niedrigeren  Leiter 
(flüchtig  skizzirt)  sich  mit  Dessen  Füssen  zu  thun  macht.  Hoch 
auch  ragen  die  Kreuze  mit  den  Schachern  in  die  Luft:  der 
links  hängt  ausgestreckt  en  face,  die  Arme  über  das  Querholz 
zurückgebogen,  die  Beine  den  Balken  umfassend;  der  rechts,  gleich- 
falls mit  zurückgebundenen  Armen ,  Brust  und  Kopf  stark  vor- 
gebeugt, das  linke  Bein  gerade  ausgestreckt,  das  rechte  stark  ge- 
krümmt gegen  den  Stamm  gestemmt  (also  das  gleiche  Motiv,  wie 
in  IV),  schaut  auf  einen  Schergen  herab,  der,  auf  einer  Leiter 
stehend,  zum  Schlage  gegen  sein  Bein  auszuholen  scheint,  indessen 
ein  anderer  sich  nach  oben  umschauend  die  Leiter  hinabsteigt. 
Tief  unter  den  drei  ans  Kreuz  Geschlagenen  —  was  für  den  eigen- 
thümlichen  Eindruck  sehr  bestimmend  ist  —  sehen  wir  drei 
Gruppen.  Links  flüchtig  skizzirte  Reiter,  rechts  zwei  Männer  eine 
hochaufragende  Leiter  senkend.  In  der  Mitte  die  Freunde,  neun 
Gestalten,  pyramidal  aufgebaut.  Vorne  liegt  ausgestreckt  an  den 
Boden  gesunken  Maria,  von  einer  knieenden  Frau  unter  den  Armen 


478  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

gehalten ;  sie  wendet  den  Blick  von  unten  hinauf  zum  Kreuze. 
Hinter  ihr  kniet,  jammernd  die  Arme  in  die  Luft  werfend  (das 
Motiv  Giottos  und  Donatellos),  eine  andere,  und  zu  ihren  Füssen 
steht  sich  beugend  (ähnlich  der  Figur  in  IV)  eine  dritte,  schmerz- 
lich auf  sie  blickende.  Eine  vierte  kniet  hinter  der  Jungfrau,  richtet 
ihre  Aufmerksamkeit  aber  nach  hinten,  wo  zwei  Figuren  den 
Kreuzesstamm  umschlingen,  eine  fünfte  mit  erhobenen  Armen  nach 
oben  schaut ,  und  eine  sechste  angstvoll  nach  vorne  eilt  (ähnlich 
dem  Johannes  in  dem  Entwürfe  für  Vittoria  Colonna). 

Die  Beziehung  zu  dem  oben  an  letzter  Stelle  angeführten 
Typus  c  der  Crucifixusdarstellungen  in  der  Kreuzesform  ist  ersicht- 
lich, doch  darf  man  die  Zeichnung  nicht  so  spät  ansetzen.  Manches 
erinnert  an  die  Entwürfe  der  dreissiger  Jahre,  Anderes,  wie  nament- 
lich die  Figuren  unten  und  deren  Behandlung ,  an  spätere  Studien. 
So  dürfte  man  wohl  das  Blatt  etwa  um  die  Wende  der  dreissiger 
und  vierziger  Jahre  ansetzen.  Hierfür  könnte  auch  —  falls  meine 
später  ausgesprochene  Vermuthung  zutrifft  —  sprechen,  dass  Daniele 
da  Volterra  der  Zeichnung  die  Idee  der  Frauengruppe  in  seiner 
1541  entstandenen  Kreuzabnahme  entnahm.  —  Welch'  eine  Schöp- 
fung! Nur  ein  Einziger,  ausser  Michelangelo,  war  im  Stande,  der- 
gleichen zu  erfinden  :  Tintoretto !  — 

An  dieser  Stelle  müssen  nun  auch  einige  Modelle  für  die 
Figuren  der  Schacher  ihre  Erwähnung  finden. 

Modelle  zu  den  Schachern. 

Von  einer  plastischen  Gruppe  der  Kreuzigung,  die  Michelangelo 
geplant  hätte,  wissen  wir  Nichts.  Doch  giebt  es  einige  Modelle, 
die  dem  Meister  zugeschrieben  werden.  Sie  sind  aber  nicht  beweisend 
für  eine  solche  Absicht,  sondern  können  ihm,  sind  sie  überhaupt 
von  ihm,  sehr  wohl  auch  für  die  Gestaltung  einer  Bildkomposition, 
wie  wir  sie  kennen  lernten,  gedient  haben.  Nur  eine  einzige  ältere 
Nachricht  über  die  Existenz  solcher  Modelle  besitzen  wir,  und  auch 
sie  ist  verhältnissmässig  jungen  Datums.  In  dem  Praun'schen  Kabinet 
zu  Nürnberg  werden  von  v.  Murr  (Beschreibung  S.462)  zwei  erwähnt. 
In  Bronzeausguss  erhalten  sind  zwei  Typen. 

a.  Bartloser  Schacher.  Fehlen  die  beiden  Arme,  das 
rechte  Unterbein,  der  linke  Fuss.  Die  Arme  waren,  der  linke  höher, 
der  rechte  niedriger  ausgestreckt,  man  könnte  annehmen:  über  den 
Ouerstamm  des  Kreuzes  zurückgebunden.  Der  Kopf  ist  nach  rechts 
gesenkt.  Das  rechte  Bein  war  etwas  gekrümmt  nach  unten  gestreckt, 
das  linke,  scharf  gekrümmt  gegen  den  Stamm  gestemmt.  Zwei 
Bronzeausgüsse  eines  Wachsmodelles  existiren:  der  eine  im  Kaiser 
Friedrich  Museum  zu  Berlin  (Beschreibung:  Die  ital.  Bronzen  258, 
Taf.  IX),  der  andere  im  Louvre  aus  der  Sammlung  Gatteaux  (Migeon : 


Die  Kreuzigung  47g 

Catalogue    des    bronzes   1904.    116.     Phot.  Giraudon  2148).     Einen 
Gypsabguss  erwarb  ich  im  florentiner  Kunsthandel. 

In  dem  angestemmten  Beine  könnte  man  eine  Verwandtschaft 
mit  den  Zeichnungen  4  und  5  finden  —  hierauf  aber  beschränkt 
sich  die  Ähnlichkeit.  Die  Körperformen  sind  Michelangelesk,  und 
es  ist  wohl  denkbar,  dass  es  sich  in  der  That  um  ein  Modell  des 
Meisters  handelt.  Dann  wäre  dasselbe  von  einem  anderen  Künstler 
für  eine  kleine  Kr euzigungsgruppe  in  Bronze  benutzt  worden, 
die  sich  im  Museo  des  Castello  zu  Mailand  befindet  und  die 
man  als  Werk  eines  Venezianers  in  der  Art  des  Alessandro  Vittoria 
(Migeon)  oder  auch  eines  Schülers  des  Michelangelo  bezeichnet  hat 
(Phot.  Fumagalli).  Sie  besteht  aus  Christus,  der  mit  wagrechten 
Armen  an  das  Kreuz  geheftet  ist  und  den  Kopf  tief  nach  links 
fallen  lässt,  dem  erwähnten  Schacher,  dessen  Arme  und  Beine  ergänzt 
sind,  und  dem  guten  Schacher,  der,  in  ruhigerer  Haltung,  die  Arme 
wagrecht  ausgestreckt,  das  linke  Bein  über  das  rechte  geheftet, 
gläubigen  Blickes  zum  Heiland  schaut.  Den  Namen  des  Meisters 
selbst  vor  diesem  Werke  auszusprechen,  ist  nicht  wohl  möglich. 
Auch  sieht  es  so  aus,  als  passte  unser  Schacher,  da  er,  wie  der 
andere,  nach  rechts  gewandt  ist,  nicht  zu  den  beiden  anderen  Figuren, 
als  wäre  er  nicht  für  die  Gruppe  komponirt.  Dies  muss  in  der 
Meinung  bestärken,  dass  ein  Bildner  in  der  zweiten  Hälfte  des 
XVI.  Jahrhunderts  jenes  Modell  verwerthet  hat. 

b)  Bärtiger  Schacher.  Der  Bronzeausguss  befindet  sich 
im  Louvre  als  Pendant  zu  a.  (A.  a.  O.  Nr.  115.  Phot.  Giraudon 
2149.)  Ein  anderes  Exemplar  kenne  ich  nicht.  Ein  Gypsabguss 
im  florentiner  Kunsthandel  aber  muss,  kleiner  in  den  Verhält- 
nissen, nach  einem  solchen  angefertigt  worden  sein.  Es  fehlen  die 
beiden  Arme  und  die  beiden  Unterbeine.  Der  Oberkörper  ist  nach 
vorne  gebeugt,  der  Kopf  mit  wallendem  Bart  gleichfalls;  der  rechte 
Arm  war  gesenkt,  der  linke  nach  vorne  erhoben.  Das  rechte  Bein, 
stärker  gekrümmt  als  das  andere,  ist  etwas  nach  rechts  gedrängt. 
Hier  ist,  wie  ich  glaube,  der  Gedanke  an  Michelangelo  weniger 
naheliegend  (ich  dachte  einmal  an  Tribolo)  und  —  seltsamer  Weise, 
obgleich  es  sich  doch  um  ein  Pendant  zu  a  handelt  —  vermag  ich 
auch  nicht  recht  einzusehen,  wie  diese  Gestalt  als  Schacher  am 
Kreuz  zu  rekonstruiren  wäre,  da  der  linke  Arm  doch  nach  vorne 
bewegt  ist. 

So  lange  nicht  irgend  welche  bestimmte  Beweise  für  Michel- 
angelos Autorschaft  erbracht  werden,  was  wenigstens  für  den 
Schacher  a  denkbar  bleibt,  haben  wir  uns  damit  zu  bescheiden,  nur 
Dessen  Einfluss,  nicht  aber  seine  Hand  in  dem  Modell  zu  gewahren. 

Ein  Terrakottarelief,  etwa  eine  halbe  Elle  hoch,  mit  der  Dar- 
stellung    des    bösen    Schachers    in    „wunderbar"    wiedergegebener 


480  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Schmerzensverkrümmung  befand  sich  im  XVIII.  Jahrhundert  im  Be- 
sitze des  Baron  Stosch  (Gori:  Not.   stör.   118.)  — 

In  welch'  innigem  Zusammenhange  diese  künstlerische  Ver- 
herrlichung der  Erlöserthat  am  Kreuze  mit  der  geistlichen  Gedanken- 
beschäftigung des  Meisters  in  den  vierziger  und  fünfziger  Jahren 
steht,  braucht  nicht  weiter  dargelegt  zu  werden.  Ich  weise  auf  die 
Gedichte  im  letzten  Abschnitt  des  zweiten  Bandes  meines  Werkes 
(S.  453  und  459)  und  auf  die  dort  gegebenen  Ausführungen  hin. 
Dort  auch  deutete  ich  an,  wie  bedeutungsvoll  für  den  Künstler  der 
„Kreuzeskultus",  den  Vittoria  Colonna  in  so  zahlreichen  Gedichten 
ausgedrückt  hat,  wurde.  Einige  derselben  gab  ich  in  Übersetzungen 
(S.  405,  413),  als  Beispiele  für  viele  andere. 

XIX 

Die  Kreuzabnahme 

In  nahem  Zusammenhange  mit  der  Komposition  der  drei  Kreuze 
steht  der  Entwurf  für  eine  figurenreiche  Kreuzabnahme.  Die  Original- 
zeichnung befindet  sich  in  Haarleni. 

I.  Originalzeichnung. 

Haarlem,  Musee  Teyler.  v.  Marcuard  Taf.  XIX.  Thode  266. 
Ber.  (Sebastiano  del  Piombo)  2480.  Vgl.  oben  II,  S.  404.  Röthel. 
Von  dem  Kreuze,  an  das  zwei  Leitern  angelehnt  sind,  wird  Christi 
Leichnam,  dessen  linker  Arm  bereits  vom  Kreuz  gelöst  ist,  von 
vier  Männern  heruntergelassen.  Zwei  befinden  sich  oben  auf  dem 
Querbalken;  der  eine,  auf  der  Leiter  stehend,  zieht  den  Nagel  aus 
der  rechten  Hand  des  Todten,  der  andere,  sitzend,  hält  den  Ober- 
körper an  einem  um  die  Brust  gezogenen  Tuche.  Der  dritte,  tiefer 
auf  der  linken  Leiter  stehend  und  durch  dieselbe  hindurch  greifend, 
stützt  Christus  an  der  Brust,  der  vierte,  auf  der  rechten  Leiter,  fasst 
ihn  unter  dem  linken  Beine.  Ein  fünfter,  am  Boden,  aber  den  Fuss 
auf  die  Leiter  gestellt,  beschäftigt  sich  mit  dem  rechten,  wie  es 
scheint,  noch  angenagelten  Fuss.  Links  daneben  Maria  zu  Boden 
sinkend,  eine  sich  über  sie  beugende  Frau  und  eine  nach  oben 
schauende  Figur,  die  sie  unter  dem  Arm  fasst,  rechts  ein  Mann  in 
erregter  Bewegung  nach  oben  schauend.  —  Auf  demselben  Blatte: 
ein  etwas  anderer  flüchtiger  Entwurf  für  den  Leichnam  und  ein 
Mann,  der  hier  dessen  linkes  Bein  über  die  Schulter  nimmt.  Eine 
Skizze  für  den  Sitzenden  oben,  eine  andere  des  Leichnams  in  ver- 
änderter Haltung  und  eine  vierte  (nicht,  wie  Marcuard  und  v.  Berenson 
meinen)  für  eine  Pietä,  sondern  für  die  zusammenbrechende  Maria 
in  anderer  Haltung:   sie  wird  rückwärts  von  einer  Figur  unter  den 


Die  Kreuzabnahme  481 


Armen  gehalten,  eine  Frau  neben  ihr,  ihren  Arm  fassend,  wendet 
sich  erregt  emporschauend  zu  dem  Kreuze.  Eine  Wiederholung 
dieser  letzterwähnten  Skizze,  gleichfalls  in  Röthel,  fand  ich  im  Louvre 
Nr.  836.     Thode  501. 

Mit  diesem  Entwurf,  der  ausserordentlich  und  acht  wie  nur 
irgend  eine  Zeichnung  des  Meisters  und,  wie  die  drei  Kreuze,  etwa 
um  1 540  entstanden  sein  dürfte,  scheint  sich  Dieser  weiter  beschäftigt 
zu  haben.  Die  Gruppirung  der  Figuren  unten,  wie  das  wohl  be- 
greiflich, befriedigte  ihn  nicht.  Er  war  auf  eine  Verbreiterung  der 
Basis  des  Kompositionsdreiecks  und  auf  dessen  Erhöhung  bedacht. 
Und  so  entstand  der  Entwurf,  der  uns  nicht  aus  einer  Zeichnung, 
wohl  aber  aus  ReHefs  bekannt  ist,  die,  nach  einer  solchen  geschaffen, 
mit  vollem  Rechte  seit  altersher,  berühmt  und  beliebt,  den  Namen 
Michelangelos  tragen. 

II.  Die  Reliefs  nach  dem  definitiven  Entwurf. 

Sie  sind,  eines  in  Stukko,  die  anderen  in  Wachs  oder  Elfenbein 
oder  Silber  ausgeführt.  Die  Gruppe  der  den  Leichnam  herablassenden 
Männer  stimmt  im  Wesentlichen  mit  der  Studie  in  Haarlem  über- 
ein; nur  kleine  Veränderungen  sind  vorgenommen:  Kreuz  und  Leitern 
wachsen  höher  über  der  unteren  Gruppe  heraus,  rechts  über  dem 
das  Bein  Christi  haltenden  Mann  ist  eine  Figur  hinzugefügt,  die,  an 
der  Leiter  mit  der  Linken  sich  festhaltend ,  mit  der  Rechten  den 
sinkenden  Körper  am  Hüftentuch  hält;  Christi  Kopf  fällt  stärker 
nach  der  linken  Seite,  sein  rechter  Arm  ist  eben  vom  Kreuz  gelöst 
und  wird  von  dem  Mann  oben  gehalten;  der  auf  der  Leiter  links 
Stehende  stützt  Christus  unter  dem  Kopfe,  der  rechts  Hinansteigende 
steht  schon  auf  der  untersten  Sprosse.  —  Neu  ist  die  Anordnung 
unten.  Links  eine  grössere  Anzahl  von  Figuren.  Maria  wird  stehend 
links  von  einer  Frau,  die  schmerzlich  nach  unten  schaut,  rechts  von 
einem  Manne,  der  das  Haupt,  nach  rechts  gewendet,  tief  senkt  und 
hinter  der  Hand  verbirgt,  umfangen  und  gestützt.  Sie  schaut  zu 
Christus  empor.  Dahinter  Joseph  von  Arimathia,  eine  alte  Frau, 
Magdalena,  die  die  Rechte  ausstreckt,  als  wolle  sie  Christus  em- 
pfangen, und  ein  ganz  nach  hinten  gewandtes  Weib,  in  Verzweiflung 
die  Hand  an  den  Hinterkopf  legend  und  die  Linke  nach  Christi 
Fuss  ausstreckend.  Zwei  andere  Figuren  hocken  am  Fuss  der 
Leiter;  die  vordere  lässt  die  gekreuzten  Arme  und  den  Kopf  tief 
herabhängen,  die  hintere  faltet  die  Hände.  Rechts  stehen  drei 
Figuren :  Nikodemus,  der  aufschauend  die  Arme  zum  Empfang  des 
Leichnams  ausstreckt,  eine  alte  Frau  mit  gekreuzten  Armen,  die 
emporblickt,  und  hinter  ihr  eine  andere,  sibyllenhafte,  mit  der  Rechten 
emporweisend.  —  Alle  einzelnen  Motive,  die  Gewandungen  und  der 


482  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


intensive  Ausdruck  in  den  Köpfen  weisen  auf  eine  getreu  wieder- 
gegebene Vorlage  von  Michelangelos  Hand  hin.  Und  es  ist  eine 
ächte  Studie  des  Meisters,  was  schon  Berenson  erkannte, 
der  gleichwohl  auch  hier  Sebastiano  als  Komponisten  finden  wollte, 
erhalten. 

II.  London,  British  Museum  1860 — 6—16—4.  Thode  326. 
Ber.  15 14.  Fagan  XXVI.  Abb.  Lawrence  Gallery.  Phot.  Br.  15. 
Kreide.  Die  Gruppe  der  Frauen,  die  im  definitiven  Entwurf  freilich 
etwas  verändert  wurde.  Maria,  in  etwas  zusammenknickender  Stellung 
nach  vorne  schreitend,  schaut  nach  rechts  zum  Kreuz  empor.  Sie 
wird  von  zwei  Frauen  unter  den  Armen  gehalten:  die  links  schaut 
abwärts,  die  rechts  bedeckt  mit  der  Linken  ihr  Antlitz.  Dahinter 
links  eine  Frau  mit  erhobenen  Armen,  aufwärtsschauend,  und  rechts 
eine  Gestalt  nach  hinten  gewandt. 

Bekannt  wurden  mir  folgende  Exemplare,  deren  Zahl  sich  aber 
wohl  vermehren  Hesse.  Sie  zeigen  unbedeutende  kleine  Abweichungen 
von  einander. 

1.  Stukkorelief  in  der  Casa  Buonarroti.  Abb.  v.  Marcuard  zu 
Taf.  XIX.  Vermuthlich  von  einem  Schüler  des  Meisters, 
vielleicht  in  Dessen  Atelier,  verfertigt. 

2.  Elfenbeinrelief  im  Museo  nazionale  zu  Florenz.  Abb.  v.  Mar- 
cuard zu  Taf.  XIX. 

3.  Zweites  Exemplar  ebendaselbst. 

4.  Silberrelief  in  Klosterneuburg,  Schatzkammer  des  Augustiner 
Chorherrenstifts.  Von  Hans  deVos  ausgeführt.  Vgl.  H.  Modern 
im  Jahrb.  d.  Kunsts.  des  Allerh.  Kaiserhauses  XVII,  1896. 
S.  315,  Anm.  I. 

5.  Wachsbossirung  auf  Schiefer.  München,  K.  Residenz.  Wessen- 
berg:  Christi.  Bilder  II,  532.  F.  A.  Zettler  und  J.  Stockbauer: 
Ausgewählte  Kunstwerke  aus  dem  Schatze  der  reichen  Kapelle 
der  K.  Residenz  in  München  1874.  Von  späterer  Hand  be- 
zeichnet: Mich.  Ang.  Bonarota  f  Nach  der  eigenhändigen 
Aufzeichnung  des  Herzogs  Maximilian  vom  Jahre  1623  als 
Originalkomposition  Michelangelos  bezeichnet.  Fernsicht  auf 
Jerusalem. 

6.  Elfenbeinrehef.  1836  im  Besitze  des  Dr.  Wilhelm  zu  Eppingen. 
Vgl.  Grieshaber:  ,, Michelangelos  Kreuzabnahme"  in  Schorns 
Kunstblatt  1836.  XVII,  113  f.  Danach  wäre  es  im  Vatikan 
gewesen,  wo  es  der  Künstler  Feodor  noch  gesehen.  Während 
der  Revolution  kam  es  in  die  Hände  eines  Offiziers,  der  es 
in  Karlsruhe  verloosen  wollte.  Feodor  erkannte  und  erwarb 
es.  Nach  seinem  Tode  kam  es  in  den  Besitz  Dr.  Wilhelms. 
9^2  Zoll  hoch,  e^j.-,  breit.  —  Feodor  hat  es  gestochen. 


Die  Grablegung  Christi,  Gemälde  in  der  National  Gallery  zu  London     483 

Ein  Bild  mit  der  Kreuzabnahme,  angeblich  von  Michelangelo, 
befand  sich  in  der  Galerie  des  Herzogs  von  Orleans  (Description 
des  tabl.  du  Palais  royal.    Mariette :  Observ.    S.  T"]^. 

III.  Danieles  da  Volterra  Kreuzabnahme  in  Santa 
Trinit  ä. 

Die  Frage,  ob  Daniele  seine  Komposition  nach  einer  Zeichnung 
Michelangelos  angefertigt  —  es  war  im  Jahre  1541  —  ist  wohl 
dahin  zu  beantworten ,  dass  er  Skizzen  des  Meisters  gekannt  und 
an  sie  angeknüpft  hat.  Die  Gruppe  der  niedergesunkenen  Maria 
und  der  sie  umgebenden  Frauen  könnte  durch  jene  auf  den  ,,Drei 
Kreuzen",  die  allgemeine  Anordnung  der  Männer  auf  den  Leitern 
mit  dem  Leichnam  durch  die  eben  erwähnte  Komposition ,  der 
Christus  durch  Pietädarstellungen  inspirirt  worden  sein.  So  würden 
sich  die  grossen,  eindrucksvollen  Züge  des  Werkes  erklären.  Immer 
aber  bliebe  Daniele  das  Verdienst  selbstständiger,  bedeutender  Ge- 
staltung. Aber  man  vergleiche  nur  das ,  was  wir  sonst  von  ihm 
kennen ,  um  es  für  schwer  glaublich  zu  halten ,  dass  diese  gross- 
artige Konzeption  Danieles  eigenem  Hirn  entstamme.  Und ,  wie 
ich  früher  bemerkte  (II,  S.  445),  ist  auch  bei  einem  zweiten 
seiner  Gemälde :  David  und  Goliath  in  Paris  (Nr.  3)  die  Mitarbeiter- 
schaft Michelangelos  anzunehmen.  Für  die  Bereitwilligkeit,  mit 
welcher  Letzterer  den  ihm  ergebenen  Künstlern  durch  Skizzen  half, 
haben  wir  Beispiele  genug.  Wenn  Rubens  sich  durch  die  Kreuz- 
abnahme inspiriren  Hess,  so  war  es,  weil  aus  dieser  der  Geist  eines 
grossen  Meisters  zu  ihm  sprach. 

Die  Michelangelo  zugeschriebene  Zeichnung  in  der  Akademie 
zu  Venedig  (Phot.  Naya  210)  ist  eine  schwache  Kopie  nach  dem 
Christus  des  Gemäldes. 

XX 

Die   Grablegung  Christi,    Gemälde  in  der  National  Gallery 

zu  London 

Dies  Gemälde  erst  hier  zu  besprechen ,  werde  ich  durch  den 
Wunsch ,  die  Pietädarstellungen  im  Zusammenhang  zu  behandeln, 
veranlasst.  Es  ist  unvollendet  und  in  seinen  ausgeflihrten  Theilen 
durch  Übermalung  entstellt  und  befand  sich  in  der  Sammlung  des 
Kardinals  Fesch  (zuerst  im  Palazzo  Falconieri ,  dann  in  der  Villa 
Paolina)  zu  Rom,  wurde  1845  vom  Principe  di  Musignano  an  einen 
Antiquar  Vito  Enei  verkauft ,  von  dem  es  Mr.  Robert  Macpherson 
1846  um  wenige  Skudi  erstand.  Peter  von  Cornelius  erklärte  es, 
wie    einige    andere    Kenner   und    Künstler    in    Rom ,    für   ein  Werk 


484  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Michelangelos.  Im  Jahre  1868  wurde  es  für  2000  Pf.  Sterling  von 
der  Nationalgalerie  erworben.  Nach  Schorns  Kunstblatt  (1846, 
XXVII,  196)  hätte  es  eine  aus  Blech  getriebene  Nummer  mit  den 
farnesischen  Lilien  getragen ,  die  darauf  schliesscn  Hesse ,  dass  es 
aus  der  Galerie  Farnese  stamme.  Sollte  es  das  im  Inventar  der 
Kunstschätze  des  Herzogs  von  Parma  1697  (7.  Mai)  erv^^ähnte : 
,,quadretto  in  tavola  in  qualche  parte  guasto  e  non  finito  con  Nostro 
Signore ,  S.  Giovanni ,  tre  Marie  et  un  Apostolo ,  si  dice  esser  di 
Michelangelo"  sein.?  (Le  Gall.  naz.  ital.  1902,  V,  274.)  Der  Aus- 
druck: quadretto  stimmt  allerdings  nicht,  wohl  aber  entsprechen 
die  anderen  Angaben  auffallend.  Und  das  Wappen  der  Farnese ! 
Das  führt  fast  dazu,  ein  Versehen  des  Inventares  in  dem  Ausdrucke : 
quadretto  anzunehmen. 

Die  Ansichten  der  Forscher  über  den  Schöpfer  sind  getheilt. 
Grimm,  Mantz,  Bode,  Frizzoni  (Arch.  stör,  dell'arte  1888,  I,  S.  269 
und  Arte  Italiana  del  Rinascimento ,  Mailand  1891,  S.  263),  Justi, 
Jacobsen  (Rep.  1901.  XXIV,  344)  und  Berenson  schreiben  es 
Michelangelo  zu  (Letzterer  wenigstens  jedenfalls  die  Komposition). 
Heath  Wilson  und  Symonds  weisen  diese  Meinung  zurück,  die 
beiden  erstgenannten  (wie  neuerdings  Knapp)  dachten  an  Pontormo. 
Springer  und  so  auch  Wölfflin  meinen,  es  sei  höchstens  anzunehmen, 
dass  die  Hauptgruppe  auf  einen  Entwurf  des  Meisters  zurückgehe, 
mit  dem  Bilde  habe  Dieser  Nichts  zu  thun.  Knapp  glaubt,  es  habe 
ein  Karton  oder  eine  ausgeführte  Kompositionsskizze  Michel- 
angelos vorgelegen.  Robinson  (Times  l.  September  1881)  möchte 
ein  von  Vasari  erwähntes  Gemälde  Bandinellis  darin  gewahren.  Für 
Michelangelo  werden  in  Sonderheit  die  dem  Geiste  eines  Bildhauers 
entsprechende  Konzeption  des  von  vorne  gesehenen,  schwebend 
gehaltenen  Leichnams  (Justi),  die  Übereinstimmung  des  Typus  des 
Joseph  von  Arimathia  mit  dem  Joseph  in  der  hl.  Familie  Doni, 
einzelne  Bewegungsmotive  und  die  Trachten  geltend  gemacht,  gegen 
ihn  die  Diskordanz  in  der  Komposition:  die  äusserhche  Anfügung 
der  Frauen  im  Vordergrunde,  das  Nichtssagende  der  links  knieen- 
den Figur,  das  Ungenügende  in  der  Anatomie,  das  Gefühllose  und 
Hässliche  der  Gestalten ,  die  ungeschickte  Verwerthung  Michel- 
angelo'scher  Eigenthümlichkeiten  (z.  B.  die  Binden)  und  die  Land- 
schaft mit  dem  Städtchen  und  den  kleinen  Figuren  beim  Sarkophage. 
Gewiss  sind  die  gerügten  Mängel  vorhanden,  stärker  aber  doch 
wirken  auf  mich  die  bedeutenden  QuaHtäten  des  Werkes.  Lange 
bin  ich  schwankend  gewesen,  bis  die  auf  Grund  zweier  Zeichnungen 
vorgenommene  Untersuchung  und  Erwägung  mich  bestimmt  haben, 
die  Ächtheit  des  Bildes  meinerseits  zu  behaupten. 

I.  Die  Originalzcichnung  Michelangelos  in  der  Albertina  zu  Wien, 
(Sc.  K.  137.    Thode  522.     Ber.  2503:  Sebastiano),  welche  den 


Die  Grablegung  Christi,  Gemälde  in  der  National  Gallery  zu  London     485 

von  Maria  im  Rücken  aufrecht  gehaltenen  Christus  zeigt.    Ich 
bespreche  sie  weiter  unten  (Kap.  XXI,  Nr.  VIII).    Im  Gemälde 
zeigen  sich  einige  Abweichungen   in  dem  Oberkörper:    er  ist 
senkrechter   gehalten   und   mehr  in  Verkürzung  gesehen,    die 
rechte  Schulter   ist   mehr    erhoben,    der  linke  Arm  mehr  ge- 
senkt, der  Kopf  in  Frontansicht  gegeben. 
II.  Paris,  Louvre  Nr.  726.    Thode  492.    Ber.  1742.  Phot.  Giraudon. 
Feder.      Studie    des    Nackten    für    die    links    knieende   Frau. 
Das  Haar  ist  hier  in  einem  breiten  Zopf  um  den  Kopf  gelegt. 
In  der  Rechten  hält  sie  die  Dornenkrone,  in  der  Linken  Nägel, 
Berenson,    der    die  Beziehung   zum  Gemälde   nicht   erkannte, 
meinte ,    es    sei   eine  Zeichnung  Passarottis  nach  einer  Studie 
für  die  Sixtinische  Decke. 
Auf  den    ersten  Blick   war   auch   ich  geneigt,    die  Hand  eines 
Anderen  hier  zu  finden.     Bei  einem  Vergleiche  genauerer  Art  aber 
gelangte  ich  zur  festen  Überzeugung,  dass  es  eine  ächte  Zeichnung 
etwa   aus  dem  Ende  der  florentinischen  Periode  (1507,   1508)  oder 
der  Zeit  der  Sixtinischen  Deckenmalerei  ist.    Genau  dieselben  Eigen- 
thümlichkeiten  der  flotten,  breiten  Federführung  in  kräftigen  Kreuz- 
schraffirungen    einerseits   und    in    den   der    Rundung    der   Formen 
folgenden  Faserstrichen  andrerseits  finden  sich 

1.  in  den  Studien  zur  Madonna  auf  dem  Blatte  im  Berliner  Kupfer- 
stichkabinet.    (s.  oben  I,  S.  112,  Nr.  5.) 

2.  In  dem  Oxforder  Drachen  (Nr,  13.    U,  S.  112,  Nr.  VI.) 

3.  In  der  Prudentia  in  Chantilly.     (II,  S.  348.) 

4.  In  den  Pariser  Studien  für  einen  Sieger  des  Juliusdenkmales, 
Nr.  114.    (I,   158,  Nr.  XX.) 

5.  In  der  Studie  für  den  Sieger  ebendaselbst  Nr.  689.  (I,  S.  159, 
Nr.  XXII.) 

6.  In  dem  liegenden  Mann  in  der  Albertina  Nr.  138.  (I,  S.  148, 
Nr.  XXXVII  a.) 

7.  Im  Kopf  eines  Mannes  in  Mütze,  Oxford  2  v. 

8.  In  dem  bekannten  Faunskopf  in  Paris,  Louvre.  Nun  weiss  ich 
wohl,  dass  verschiedene  dieser  Zeichnungen,  zu  denen  noch 
weitere  hinzugefügt  werden  könnten ,  von  Morelli ,  Wickhoff 
und  Berenson  anderen  Künstlern,  vornehmlich  Bandinelli,  zu- 
gewiesen werden.  Dieser  Bandinelli  aber  scheint  mir  will- 
kürlich konstruirt  zu  sein.  Für  die  Ächtheit  aller  Blätter  dieser 
Gruppe  sprechen  die  unangefochtenen  unter  i,  2  und  7  an- 
geführten Zeichnungen. 

Berensons  Behauptung,  der  herrliche  Rötheikopf  in  der  Casa 
Buonarroti  (I,  7.  Thode  16.  Ber.  1401.  Abb.  Ber.  pl.  CXXIX)  sei 
eine  Studie  für  diese  Frau ,  muss  ich  zurückweisen.  Er  ist ,  ab- 
weichend von  dem  im  Bilde,  im  Gegensinne  und  stark  gesenkt  ge- 


486  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

geben.     Ich  bezeichnete  früher  (I,    S.  266,  Nr.  XCIX)  das  Blatt  als 
eine  Skizze  für  die  Frau  der  Ezechiaslunette  in  der  Sixtina. 

Zwei  ächte  Zeichnungen  Michelangelos  für  die  Grablegung  also 
liegen  vor,  und  die  zweite  weist  auf  eine  frühe  Entstehungszeit 
derselben  hin. 

Ehe  ich  die  Schlussfolgerungen  ziehe,  muss  ich  aber  eine 
Parenthese  machen.  Nähmen  wir  an,  dass  die  Louvrezeichnung 
von  Bandinelli  sei,  wie  Berenson  doch  konsequent,  statt  Passarotti 
zu  nennen ,  sagen  müsste ,  so  scheint  hierdurch  Robinsons  Hypo- 
these eine  Bestätigung  zu  erhalten. 

Vasari  erzählt  von  Bandinelli  (VI,  151):  ,,in  eben  jengr  Zeit 
(1525,  1526)  hatte  er  übernommen,  eine  ziemlich  grosse  Altartafel 
für  die  Kirche  von  Cestello  zu  malen  und  hierfür  einen  sehr  schönen 
Karton  angefertigt :  den  todten  Christus  und  um  ihn  die  Marien  und 
Nikodemus  mit  anderen  Figuren ;  er  führte  die  Tafel  aber  nicht 
in  Farben  aus  in  Folge  von  Gründen,  von  denen  wir  später  noch 
sprechen  werden.  In  dieser  Zeit  auch  machte  er  den  Karton  für 
ein  Gemälde,  auf  dem  Christus  vom  Kreuz  genommen,  in  des  Niko- 
demus Armen  gehalten,  und  seine  stehende  Mutter,  die  ihn  beweint, 
und  ein  Engel,  der  in  den  Händen  die  Nägel  und  die 
Dornenkrone  hält,  zu  sehen  waren ;  und  sogleich  sich  daran 
machend,  das  Bild  zu  malen,  beendigte  er  es  schnell  und  stellte  es 
im  Mercato  nuovo  in  dem  Laden  seines  Freundes,  des  Goldschmiedes 
Giovanni  di  Goro  aus,  um  die  Meinung  der  Leute  und  besonders, 
was  Michelangelo  darüber  sagte ,  zu  hören.  Dieser  wurde  vom 
Goldschmied  Piloto  hingeführt,  es  zu  sehen  und  sagte,  nachdem  er 
es  eingehend  betrachtet,  er  wundere  sich,  dass  Baccio,  der  ein  so 
guter  Zeichner  sei,  eine  so  rohe  und  anmuthlose  Malerei  aus  seinen 
Händen  gehen  lasse ;  denn  jeden  schlechten  Maler  habe  er  seine 
Bilder  besser  ausführen  sehen,  und  dies  sei  keine  Kunst  für  Baccio. 
Piloto  überbrachte  Michelangelos  Urtheil  dem  Baccio ,  und  Dieser, 
obgleich  er  ihn  hasste,  sah  ein,  dass  er  Recht  habe.  Und  gewiss 
waren  die  Zeichnungen  Baccios  sehr  schön,  aber  die  Farbenbehand- 
lung verstand  er  schlecht  und  ohne  Anmuth.  Daher  entschloss 
er  sich,  nicht  mehr  mit  eigener  Hand  zu  malen,  sondern  nahm 
einen  Jüngling,  der  die  Farben  ziemlich  geschickt  handhabte, 
zu  sich,  Namens  Agnolo,  den  Bruder  des  trefflichen  Malers  Francia- 
bigio,  der  wenige  Jahre  zuvor  gestorben  war.  Von  diesem  Agnolo 
wünschte  er  die  Tafel  von  Cestello  ausführen  zu  lassen,  aber  sie 
bheb  unvollendet  in  Folge  der  Staatsumwälzung  in  Florenz  im 
Jahre   1527." 

Wie  steht  es  nun  mit  Robinsons  Behauptung.?  Könnte  unser 
Bild  Bandinellis  unvollendete  Altartafel  von  Cestello  sein.?  Die 
Beschreibung  bei  Vasari  ist  zu  unbestimmt,    um    dies    zu    bejahen. 


Die  Grablegung  Christi,  Gemälde  in  der  National  Gallery  zu  London     487 


Wäre  es  das  andere  ?  Vasaris  Angaben  und  das  angeführte  Ürtheil 
Michelangelos,  der  doch  sein  geistiges  Eigenthum  wiedererkannt 
haben  müsste,  schliessen  diesen  Gedanken  aus.  Aber  es  ist  doch 
sehr  auffallend,  dass  hier  ein  Engel,  der  die  Dornenkrone  und  die 
Nägel  hält,  genannt  wird  —  also  das  Motiv  in  der  Pariser  Zeich- 
nung, die  nach  einer  von  uns  für  den  Augenblick  beliebten  Ver- 
muthung  von  Bandinelli  herrührt.  Sollte  Bandinelli  schon  in  jenem 
früheren  Bilde  die  Dornenkrone  und  Nägel  haltende  Gestalt,  und 
zwar  nicht  als  Engel,  sondern  als  eine  der  Marien  dargestellt 
haben.?  Und  könnte  das  Londoner  Bild  nicht  doch  die  Tafel  von 
Cestello  sein.? 

Auch  jetzt  bleibt  diese  Annahme  ganz  willkürlich.  Es  ist  wohl 
nur  Zweierlei  anzunehmen  möglich.  Entweder  hat  der  Maler  des 
Londoner  Bildes  eine  Zeichnung  Bandinellis  verwerthet,  oder  Ban- 
dinelli hat,  wie  jener  Maler,  für  die  Figur  sich  an  ein  Michel- 
angelo'sches  Vorbild  gehalten,  das  schon  vor  1525  entstanden  wäre. 
Das  erstere  ist  nicht  denkbar,  weil  das  Bild  früher  entstanden  sein 
muss.  Wäre  das  letztere  aber  der  Fall ,  dann  tauchte  die  Ver- 
muthung  auf,  dass  doch  Michelangelo  die  Grablegung,  und  zw^ar  in 
früher  Zeit,  gemalt. 

Wir  kommen  also  zu  dem  gleichen  Schluss,  wie  wenn  wir  die 
Louvrezeichnung  als  Michelangelos  eigene  Arbeit  bezeichnen.  Ich 
schliesse  die  Parenthese :  das  Londoner  Bild  ist  nicht  von  Bandinelli. 

Fast  alle  Forscher  nun  haben  dasselbe  früh,  nämlich  etwa  in  die 
Zeit  der  hl.  Familie  Doni,  angesetzt.  (Bode  dachte  freilich  sogar  an 
das  Ende  der  neunziger  Jahre  des  XV.  Jahrhunderts.)  Beweisend 
für  eine  so  frühe  Datirung  erschien  vor  Allem  der  Kopf  des  Joseph 
von  Arimathia,  der  in  der  That  dem  Joseph  in  dem  Donibilde  sehr 
ähnlich  ist,  und  das  Landschaftliche. 

Nun  lassen  sich  aber  auch  die  anderen  Gestalten  ihrem  Stile 
nach  in  die  Werke  aus  dem  Anfange  des  XVI.  Jahrhunderts  ein- 
reihen. Analogieen  zu  den  Figuren  der  Sixtinischen  Decke  sind 
zu  finden:  in  dem  Johannes  zu  den  Ignudi  (man  vgl.  im  Besonderen 
den  Kopf  des  Jünglings  links  über  Ezechiel),  in  der  Frau  rechts, 
welche  den  Leichnam  trägt,  zu  einer  Pariser  Zeichnung  für  eine 
Lunette  (Nr.  113,  s.  oben  I,  S.  271,  Nr.  CXLV.  Kopf  und  Kopf- 
putz auffallend  ähnlich).  Und  endlich  zeigt  die  Pariser  Studie  den 
Stil  jener  Zeit.  Die  Grablegung  muss  also  etwa  zwischen  1 505 
und  15 10  entstanden  sein,  notabene  die  Zeichnung  und  Untermalung. 
Die  malerische  Ausführung  und  die  Landschaft  ist  nicht  von  Michel- 
angelos Hand.  Er  hat  vielleicht  —  Übermalungen  machen  die  Ent- 
scheidung schwer  —  den  Karton  oder  das  untermalte  Bild  einem 
Anderen  überlassen,  der  es  aber  auch  nicht  vollendete.  An  dieses 
Bild  aber  dürfte  Bandinelli  in  seinen  Gemälden  angeknüpft  und  ihm 


488  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


die  Idee  seines  Engels  mit  der  Dornenkrone  und  den  Nägeln  ent- 
lehnt haben.  Michelangelo  seinerseits  aber  erinnerte  sich  desselben, 
als  er  die  Albertinazeichnung  entwarf,  und  benutzte  für  diese  den 
älteren  Entwurf  zu  der  Londoner  Grablegung. 

XXI 

Die  Pietä,  die  Beweinung  und  die  Grablegung 

Die  Entwürfe  zu  Darstellungen  dieser  drei  Vorgänge  zusammen- 
fassend zu  betrachten,  scheint  geboten,  da,  wie  wir  sehen  werden, 
nahe  Beziehungen  und  Übergänge  zwischen  ihnen  zu  gewahren  sind. 
Bezüglich  der  Zeit  ihrer  Entstehung  gilt  das  Gleiche,  wie  von  den 
Entwürfen  für  den  Gekreuzigten,  Sie  sind,  von  einigen  Vorläufern 
abgesehen,  kennzeichnend  für  die  im  Verkehr  mit  Vittoria  Colonna 
sich  steigernde  und  weiterhin  immer  mehr  der  Phantasie  sich  be- 
mächtigende religiöse  Erregung  des  alternden  Künstlers,  dem  nur 
noch  die  Versenkung  in  das  Erlösungsmysterium  der  Passion  Christi 
Beschwichtigung  seines  tiefen  Sehnens  zu  gewähren  vermochte.  Die 
meisten  der  zu  erwähnenden  Zeichnungen  sind  in  den  vierziger  und 
fünfziger  Jahren  entstanden. 

Wie  sehr  neuere  Forscher  den  gewaltigen,  mit  hoher  Originalität 
und  Leidenschaftlichkeit  sich  in  ihnen  äussernden  Geist  verkannten, 
wenn  sie  diese  ergreifendsten  Zeugnisse  übermächtiger  innerer  Er- 
lebnisse eines  grössten  Genius  dem  Sebastiano  del  Piombo  zu- 
schrieben, habe  ich  bereits  früher  dargelegt.  Im  Folgenden  wird 
auch  die  nachzuweisende  innige  Beziehung,  in  welche  die  Motive 
der  einzelnen  Entwürfe  zu  einander  und  zu  den  Pietägruppen  des 
Florentiner  Domes  und  des  Palazzo  Rondanini  stehen,  die  Unhalt- 
barkeit  jener  Hypothese  erkennen  lassen. 

Der  Übersichtlichkeit  halber  unterscheide  ich ,  wie  bei  dem 
Crucifixus,  Haupttypen.  Deren  Anordnung  dürfte,  wenn  auch  nicht 
im  Einzelnen,  so  doch  im  Allgemeinen,  der  zeitlichen  Aufeinander- 
folge  entsprechen. 

A.  Christus  vor  der  sitzenden  Maria  am  Boden 
liegend. 

Der  nicht  erhaltene  Entwurf  (I)  für  Sebastianos  del  Piombo 
Gemälde  in  Viterbo  (s.  oben  II,  S.  401).  Der  Leichnam  liegt  flach 
ausgestreckt,  nur  den  Kopf  an  eine  Erhöhung  gelehnt,  auf  dem 
Leichentuch  am  Boden.  Maria,  die  gefalteten  Hände  seitwärts  vor 
der  Brust  erhebend ,  den  Mantel  auf  den  Knieen ,  ein  Tuch  über 
dem  Kopfe,  blickt  gen  Himmel.  Auch  hier,  wie  bei  der  Madonna 
del  Velo,  scheint  eine  Komposition  Raphaels ,  die  uns  in  dem  be- 


Die  Pietä,  die  Beweinung  und  die  Grablegung  480 

kannten  Stiche  des  Marcantonio  Raimondi  (B.  34)  erhalten  ist,  den 
Ausgangspunkt  für  die  Gestaltung  gegeben  zu  haben.  Sie  zeigt 
Christus  auf  einer  niedrigen,  in  zwei  Stufen  sich  erhebenden  Mauer 
ausgestreckt  liegend ,  die  Füsse  auf  dem  Boden ,  hinter  ihm  die 
stehende  Maria,  welche,  die  nach  unten  ausgestreckten  Hände 
schmerzlich  öffnend,  nach  oben  schaut.  Das  Motiv  des  liegenden 
Christus  ist  aus  Darstellungen  der  Beweinung  übernommen  worden. 
Kompositioneil  ist  die  Gruppe  in  Raphaels  Zeichnung  glücklicher 
gestaltet,  da  durch  die  Arme  Marias  und  die  erhöhte  Stellung  des 
Oberkörpers  Christi  die  lineare  Einheit  in  Dreiecksform  hergestellt 
ist,  indess  in  Sebastianos  Bilde  die  Horizontale  des  Leichnams  und 
die  Vertikale  der  Maria  unvermittelt  auf  einander  stossen.  Eine 
höhere  Macht  der  Erscheinung  und  Erhabenheit  der  Empfindung 
ist    dem  Entwürfe  Michelangelos  zu  eigen. 

In  seiner  Petersburger  Beweinung  hat  Sebastiano,  in  der  Stel- 
lung Christi  sich  wieder  mehr  Raphael  nähernd,  aber  sein  Unver- 
mögen in  der  Komposition  bedenklich  offenbarend,  die  Grösse  jener 
Konzeption  abgeschwächt. 

Das  Modell  zu  einem  todten  liegenden  Christus ,  ,,nur  eine 
Skizze,  aber  eine  der  ausgezeichnetsten  Sachen",  befand  sich  in  der 
Sammlung  Crozat  und  kam  an  Dessen  Erben  (Mariette :  Observ.    78). 

B.    Christus    auf  einem    Sitze   zurückgelehnt. 

Zwei  originale  Zeichnungen  zeigen  uns  dieses  Motiv,  und  zwar 
die  Christusgestalt  allein,  so  dass  wir  im  Unklaren  darüber  bleiben, 
welche  Figuren  sie  umgeben  sollten. 

IL  Florenz,  Casa  Buonarroti  XIV,  6g.  Thode  61.  Ber.  141 6. 
Abb.  Frey  15.  Phot.  Alinari  1013.  Kreide.  Der  nach  links 
geneigte,  dem  Beschauer  zugewendete  Oberkörper  eines  nach 
rechts  gewandt  sitzenden  Mannes  (der  Kopf  nicht  ausgeführt). 
Sein  linker  Arm  hängt  schlaff  schräg  nach  vorne  über  das 
rechte  Bein  herab,  der  rechte,  herabfallend,  scheint  mit  der 
Hand  auf  dem  Sitze  zu  ruhen.  Darunter  ein  muskulöser  rechter 
Arm ,  der  in  der  geschlossenen  Hand  einen  Gegenstand  hält. 
Dass  die  Zeichnung,  wie  Berenson  und  Frey  meinen,  der  frühen 
Zeit  (der  Sixtinafresken)  angehöre,  glaube  ich  nicht.  Der  Be- 
handlung nach  möchte  ich  sie  in  die  Zeit  der  Studien  für  das 
Jüngste  Gericht,  in  die  drcissigcr  Jahre,  versetzen.  Berenson 
nennt  sie  mit  Recht  eine  Studie  zu  der  gleich  zu  erwähnen- 
den (III)  im  Louvre.  Frey  bezweifelt,  ob  der  Entwurf  für  eine 
Pietä  gedacht  gewesen.  Er  findet  Ähnlichkeit  mit  dem  Jüng- 
ling ,  der  von  einem  Manne  getragen  wird ,  in  der  Mitte  der 
Sündfluthkomposition,  was  ich  nicht  finden  kann,  und  bemerkt, 
ein    ähnliches    Motiv    zeige    auch    der    Soldat   rechts    auf  der 


490  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

Zeichnung  der  „Auferstehung"  in  Windsor.  An  diesen  er- 
innert aber  doch  nur  die  Haltung  des  linken  Armes.  Be- 
stimmt zu  behaupten,  dass  hier  eine  Studie  für  einen  Christus 
vorliegt,  ist  freilich  nicht  möglich,  aber  es  dünkt  mich  höchst 
wahrscheinlich.  Denn  die  Haltung  ist  offenbar  die  eines 
willenlosen  Leibes,  der  sich  nicht  selbst  aufrecht  erhält, 
sondern  in  dieser  Lage  denkbar  nur  ist,  wenn  er  gestützt 
wird.  Und  der  Einwand  Freys ,  es  sei  doch  ein  lebender 
Körper  dargestellt ,  wird  durch  die  Thatsache ,  dass  Michel- 
angelo Studien  nach  einem  Modell  machte,  beseitigt.  Man 
könnte  sonst  bei  der  Skizze  wohl  nur  an  einen  Entwurf  für 
einen  noch  vom  Todesschlummer  umfangenen  Auferstehenden 
im  Jüngsten  Gericht  denken  und  hierfür  allenfalls  den  auf 
dem  Blatte  befindlichen  rechten  Arm  geltend  machen,  dessen 
Form  und  Handbewegung  manche  Analogieen  im  Fresko 
findet.  Unzweifelhaft  aber,  und  dies  ist  das  Wichtige,  ward 
die  flüchtige  Studie  nach  der  Natur  benutzt  für 
III.  Paris,  Louvre  125.  Thode  475.  Ber.  1586.  Abb.  Berenson 
PI.  CXLV.  Frey  21.  Phot.  Br.  55.  Giraudon  98.  Kreide. 
Herrliche,  mit  aller  Sorgfalt  in  der  Modellirung  durchgeführte 
Zeichnung.  Der  Körper  hat  fast  genau  die  gleiche  Stellung; 
der  dort  nicht  angegebene ,  aber  aufrecht  gedachte  Kopf  ist 
hier  —  wenn  auch  flüchtiger  als  der  Körper  —  ausgeführt, 
jugendlich  bartlos  gebildet  und  mit  schmerzlichem  Ausdruck 
nach  rückwärts  auf  die  rechte  Schulter  gesenkt.  Die  Beine 
sind  nur  angedeutet,  das  rechte  rechtwinklig,  das  linke  höher 
gestellt,  scharf  im  Knie  gebeugt.  Der  rechte  Arm  ist  noch 
einmal  kleiner  und  in  etwas  veränderter  Stellung  (die  Hand 
im  Profil)  skizzirt.  Rechts  die  flüchtige  Skizze  eines  etwas 
verkürzten,  nach  vorne  bewegten  rechten  Armes,  der  einer 
sich  vorbeugenden  Person  angehört.  Was  Frey  an  dieser 
letzteren  meisterlichen,  sicher  ächten  Skizze,  die  genau  mit 
Studien  für  das  Jüngste  Gericht  übereinstimmt,  auszusetzen 
hat,  verstehe  ich  nicht.  Auch  verstehe  ich  nicht,  warum  er 
hier  nur  Schwäche  der  Ohnmacht,  nicht  eingetretenen  Tod 
sehen  will.  Dass  die  Glieder  noch  zu  viel  Spannung  zeigten, 
kann  ich  nicht  als  Argument  gelten  lassen ;  denn  auch  in 
manchen  anderen  Fällen  hat  der  Künstler  es  vorgezogen,  bei 
der  Darstellung  eines  eben  Verstorbenen  statt  der  Erschei- 
nungen des  Todes  diejenigen  eines  gleichsam  noch  nach- 
wirkenden Lebens  zu  zeigen.  Hingegen  sprechen  die  ge- 
brochenen Augen  und  der  schmerzlich  offene  Mund  deutlich 
von  seiner  Absicht,  einen  Todten  darzustellen.  Gerade  der 
von  Frey  angezogene  Vergleich  mit  dem  sterbenden  Sklaven 


Die  Pietä,  die  Beweinung  und  die  Grablegung  491 


spricht    gegen    ihn.     EndHch    bin    ich    auch    anderer   Meinung 
bezüghch   der  Datirung.     Nach  dem  Sündfluthfresko  und  vor 
dem  Louvresklaven,  meint  Frey.     Mir  hingegen  scheint  Alles 
auf  die   dreissiger   Jahre  hinzuweisen:    die   mächtigen  Körper- 
verhältnisse,   der   kleine    Kopf,    die    wundervolle   Helldunkel- 
beleuchtung. 
Muss  ich  nun  an  der  Meinung,    es  handle  sich  um  einen  Ent- 
wurf für   einen  todten  Christus ,    durchaus  festhalten ,    so   kann  ich 
mir    den    Kompositionsgedanken    nur   nach   Analogie   eines    in   der 
vorhergehenden  Kunst   wohlbekannten  Typus    deuten :    Christus  auf 
dem  Grabe   sitzend  und,    sei  es  nun  von  Engeln,    oder  von  Maria 
und    den    Freunden    gehalten.     Für   die    erstere    Fassung   kommen 
vornehraHch    Donatello'sche   Reliefs    oder    solche    seiner   Schule    in 
Betracht.    Ich  möchte  beispielshalber  nur  auf  eine  Plakette  im  Kaiser 
Friedrich-Museum  in  Berlin  (Beschreibung.    Die  ital.  Bronzen  XL  VI, 
682)    hinweisen ,    auf  welcher    Christus ,    zwischen    zwei  Engeln ,    in 
besonders   ähnlicher  Haltung  erscheint,    oder  auf  die  Moderno'sche 
Plakette    ebendaselbst    (Taf.  L,  743,    Molinier   Nr.   176).      Von    den 
Frauen    umgeben    finden    wir    den    heiligen    Leichnam ,    und    zwar 
wieder    mit    dem    gleichem    Motiv    der   Körperhaltung ,    auf    einer 
anderen  Plakette  Modernos  (a.  a.  O.  Taf.  L,  745.     Molinier  Nr.  174). 
Ergänzen   wir  uns    den  Entwurf  in  diesem  Sinne,   so   erscheint  die 
andere  Studie  auf  unserem  Blatte:    der  vorgreifende  Arm    als  eine 
kleine    Skizze ,    die    vermuthlich    für    eine    den  Leichnam   stützende 
Figur  bestimmt  war. 

In  ganz  besonders  enger  Weise  hat  sich  der  Meister  also  in 
diesem  ergreifenden  Entwürfe ,  für  dessen  Ächtheit  eintreten  zu 
müssen,  wie  ich  es  oben  (II,  S.  411)  gethan,  wahrlich  überflüssig 
erscheinen  sollte,  an  einen  älteren  Typus  der  Schmerzensdarstellung 
angeschlossen.  Einige  andere  Skizzen  wollen  erwähnt  sein,  da  man 
bei  ihnen  an  eine  Pietä  gedacht  hat. 

Oxford,  Univ.  Gall.  12.  Thode  396.  Ber.  1554.  Abb.  Fisherl,  30. 
Steinmann:  Sixt.  Kap,  II,  601.  Phot.  Br.  67.  Rötheiskizze  eines 
sitzenden ,  von  vorne  gesehenen  Mannes ,  der  die  Rechte  auf  den 
Sitz  stützt.  Ich  erwähnte  diese  Studie,  die  fälschlich  auch  als 
Entwurf  für  den  Jonas  betrachtet  wurde,  schon  oben  (I,  S.  263). 
Sie  auf  eine  Pietä  zu  beziehen,  ist  mehr  als  gewagt.  Das  Gleiche 
gilt  von 

London,  British  Museum  1859  —  6 — 25  —  568.  Thode  311. 
Ber.  1484.  Abb.  Steinmann  a.a.O.  609,  TJ.  Verso :  in  Kreide. 
Oberkörper  eines  Mannes,  nach  halb  rechts  gewendet,  hinab- 
schauend. Auch  Steinmanns  Meinung,  dies  sei  ein  Entwurf  für 
den  Jüngling  rechts  über  der  Delphica,  musstc  ich  zurückweisen 
(s.  oben  I,  S.  258). 


492  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

London,  Mr.  Gathorne  Hardy.  Ben  1541.  Studie  für  einen 
geneigten  Torso.  Berenson  hält  es  für  möglich ,  dass  sie  für  eine 
Pietä  bestimmt  gewesen.  Ich  kenne  das  Blatt  nicht  aus  eigener 
Anschauung. 

Haarlem ,    Mus6c  Teyler.     Taf.  IV.     Rückseite    der    Studie    für 
den   Karton   von   Pisa.     Thode  254.     Ber.   1464.     Berenson   dachte 
hier    an    den  Entwurf  für  einen  todten  Christus.     Dies  scheint  mir 
ausgeschlossen :   es   ist  eine   in  Aktivität   begriffene  knieende  Figur. 
Alle  diese  Zeichnungen  kommen  also  nicht  in  Betracht.  Wohl  aber 
IV.  Windsor.     Thode  534.      Ber.   1609.      Neben    der   Federskizze 
eines   sitzenden  Mannes    zwei  Rötheistudien    zu    dem    zurück- 
gelehnten Oberkörper   eines  Mannes    und    ein  dazu  gehöriger 
Kopf. 
Einen    Stich,    den    v.   Heinecken    (I,  S.  391)    erwähnt    und    der 
bezeichnet  ist :  M.  A.  inventor  und :  A.  Salamanca ,    habe  ich  nicht 
gesehen.     Er   käme   für   unsere  Komposition   in  Betracht ,    wäre  es 
sicher,    dass  er  auf  eine  Zeichnung  des  Meisters  zurückgeht,    denn 
er   stellt   ,,den  Leichnam  Christi   auf  einem  Stein   von    der  Mutter 
und  dreyen  Engeln  gehalten"  dar. 

C.  Die  Zeichnung  für  Vittoria  Colon  na:  Christus  in 
sitzender  Stellung  amBoden,  an  dieBeine  der  sitzen- 
den Maria  gelehnt. 

Eine  allgemeine  Beziehung  zu  der  eben  erwähnten  Komposition 
ist  in  dem  Gedanken,  Christus  auf  dem  Boden  ruhen  und  Maria 
gen  Himmel  schauen  zu  lassen,  noch  zu  erkennen.  Aber  die  dort 
fehlende,  nahe  kompositioneile  Beziehung  der  Gestalten  auf  einander 
ward  gesucht  und  erreicht.  Maria  sitzt  vor  dem  Kreuz ,  welches, 
in  dem  verlorenen  Originalentwurf,  wie  Condivis  Aussage  und  die 
ältesten  Reproduktionen  bezeugen,  die  uns  bereits  bekannte  Gabel- 
form des  Kreuzes  der  Bianchi  zeigte.  In  die  Höhe  schauend, 
breitet  sie  die  Oberarme  wagrecht  aus  und  erhebt  die  Unter- 
arme nach  oben.  Der  Oberkörper  Christi,  Dessen  Haupt  nach 
vorne  herabsinkt  und  Dessen  rechtes  Bein  unter  das  liegende  hnke 
geschoben  ist,  ist  gegen  die  Beine  der  Mutter  gelehnt,  über 
Deren  Knie  seine  beiden  Arme,  von  je  einem  stehenden  kleinen 
Engel  gehalten,  hängen. 

Das  Engelmotiv  entlehnte  Michelangelo  einem  bestimmten 
Typus  der  älteren  Kunst:  dem  von  Putten  auf  dem  Grabe  gehaltenen 
Schmerzensmann,  und  zwar  wirkten  hierfür  in  Sonderheit  die  Ein- 
drücke der  Reliefs  von  Donatello,  welcher  der  Darstellung  ihren, 
Mantegna  und  die  Venezianer  bestimmenden  Charakter  verliehen 
hatte.  Indem  er  diesen  Typus  mit  dem  der  Pietä  verband ,  schuf 
er   eine  Darstellung    neuer   eigenthümlicher  Art.     Die  Komposition 


Die  Pietä,  die  Beweinung  und  die  Grablegung  493 

ist  mit  hoher  Kunst  gestaltet :  man  beachte  die  gegensätzlichen  Be- 
wegungen des  erhobenen  Kopfes  der  Maria  und  des  gesenkten 
Christi,  den  erhobenen  Arm  der  Jungfrau  und  den  herabsinkenden 
des  Leichnams. 

Ein  Entwurf  von  Michelangelos  Hand  ist  nicht  erhalten.  Beren- 
son  sagt,  dass  auf  einem  Blatte  bei  Mr.  Gathorne  Hardy  in  London 
zwei  Studien  zu  einer  Figur,  die  ganz  die  Haltung  des  rechten 
Engels  der  Pietä  hat,  sich  befinden  (s.  unten  Nr.  XIII). 

V.  Folgende  alte  Stiche  geben  den  Entwurf  wieder. 

1.  Giulio  Bonasone  (B.  64).  Die  Gruppe  befindet  sich  vor  dem 
Bianchikreuz,  in  einfacher  Landschaft.  Man  liest  die  Worte : 
,,non  si  pensa  quanto  sangue  costa"  und  die  Bezeichnung : 
Michaelangelus  Bonarotus  Nobilis  Florentinus  inventor.  Julius 
Bononiensis  f.  MDXLVI. 

2.  N.  Beatrizet.  (B.  25).  Auch  hier  das  Bianchikreuz.  Die 
gleichen  Worte,  das  Monogramm  und  die  Bezeichnung. 
M.  Angelus  inv.  Romae  1547,  Ant.  Lafrerii  Sequani  Formis. 
Eine  Einrahmung. 

3.  Giov.  Batt.  de  Cavalleriis.  Hier  das  Kreuz  in  einfacher  Form. 
Bez.  M.  Angelus  inve.  Joa.  Baptista  de  Cavalleriis  inci.  Ähn- 
liche Einrahmung  wie  auf  2. 

4.  Marius  Kartarus.  (B.  9.)  Bez.  Michaelis  Angeli  Bonaroti  flo. 
inven.  Marius  Kartarus  ine.    Monogramm  und   1566. 

5.  Agostino  Caracci  (B.  103.)  Wie  bei  Cavalleriis.  Einfaches 
Kreuz,  an  dem  zu  lesen :  Torcular  calcavi  solus.  Isa.  LXIII. 
Monogramm.     Michelangelo  Bonaroti  in. 

6.  Martino  Rota.  (B.  25.)  Bez.  Mich.  Angelus  Bonar.  inventor. 
Martinus  Rota.  Con  privilegio.AppressoGioan.  Franc.  Camocio. 
Ausserdem  Verse :  Signor,  che  '1  tutto  etc. 

7.  Unbekannter  Meister.     (Passerini  S.  199.) 

Von  Gemäldekopien  wurden  mir  folgende  bekannt: 

8.  Bremen,  Kunsthalle.     Niederländische  Kopie. 

9.  Gotha,  Museum.  Nr.  494.  Gen.  Venusti,  aber  vielmehr  nieder- 
ländisch.    (Thode:  Arch.  stör,  dell'arte.     1890.     III,  254.) 

10.  Gubbio,  Museo. 

11.  Rom,  Gal.  Borghcse  Nr.  422. 

12.  Schieissheim,  Gal.  Nr.  972.     In  der  Richtung  Bronzinos. 
Eine  späte  Kopie  in  Rom,  Pal.  Barberini,  von  Prosp.  Mallerini, 

bez.  mit  Dessen  Namen  und  der  Jahreszahl  1800.  Frei  benutzt 
wurde  die  Komposition  in  einer  Miniatur  von  Clovio  im  Palazzo 
Pitti  (Nr.  241)  zu  Florenz,  mit  Hinzufügung  von  Johannes,  Magdalena 
und    Nikodemus.     Von    einem    aus    Ragusa    nach    Berlin  gesandten 


494  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

und  dann  wieder  nach  Ragusa  zurückgegangenen  Bilde  berichtete 
H.  Grimm,  der  es  für  ein  Original  von  Michelangelo  hielt  (Künstler 
und  Kunstwerke  II,   ']'].    Jahrb.  f.  Kunstw.   1868.     I,  62). 

Von  Reliefnachbildungcn  sind  zu  erwähnen: 

13.  Rom,  Vatikanische  Bibliothek.  Kleines  MarmorreHef.  (Abb. 
Steinmann:   Die  Sixt.  Kap.  II,  S.  501.) 

14.  Rom,  S.  Maria  in  Monserrato,  Sakristei.  Bronzerelief.  (Stein- 
mann, a.  a.  O.  S.  502). 

15.  Berlin,  Kaiser  Friedrich-Museum.  Art  des  Jacopo  Sansovino. 
Plakette.  (Beschreibung.  Die  ital.  Bronzen  1272.  Taf.  LXXI. 
Molinier,  les  plaq.     Nr.  756.) 

,, Auf  Wunsch  dieser  Dame,"  sagt  Condivi,  ,, machte  er  einen 
vom  Kreuze  genommenen  Christus,  der,  als  lebloser  Leichnam,  zu 
Füssen  seiner  heiligsten  Mutter  niedersinken  würde,  wenn  er  nicht 
von  zwei  kleinen  Engeln  unter  den  Armen  aufrecht  erhalten  würde. 
Sie  aber,  thränenden  und  leidensvollen  Antlitzes,  öffnet  beide  Arme 
und  erhebt  die  Hände  gen  Himmel,  mit  einem  Ausspruch,  der  am 
Kreuzesstamm  geschrieben  zu  lesen  ist :  ,non  si  pensa  quanto 
sangue  costa'.  Es  folgt  die  Bemerkung,  dass  das  Kreuz  der  croce 
dei  Bianchi  nachgebildet  sei.  Vasari  nennt  den  Entwurf  einen 
,,bellissimo  disegno"  und  erwähnt  den  von  Lafreri  veröffentlichten 
Kupferstich  (von  Beatrizet). 

Dass  möglicher  Weise  Vittoria  in  einem  Briefe  auf  das  Werk 
anspielt,  bemerkte  ich  oben.  Die  Marchesa  hat  es  dem  Kardinal 
Pole  geschenkt,  nachdem  sie  sich  vermuthlich  eine  Wiederholung 
für  sich  erbeten  hatte.  Dies  erfahren  wir  aus  einem  Brief,  den  der 
Bischof  von  Fano  am  12.  Mai  1546  aus  Trient  an  den  Kardinal 
Ercole  Gonzaga  schrieb.  (A.  Luzio :  Rivista  stör.  Mant.  I,  51.  Frey: 
Quellen  und  Forschungen  I,  139.)  ,,Monsignor  Polo  hat  erfahren, 
dass  Eure  Signoria  diesen  Christus  von  Michelangelos  Hand  wünscht 
und  hat  mir  aufgetragen,  ich  solle  im  Geheimen  die  Wahrheit  dieses 
Ihres  Wunsches  erkunden ;  denn,  wenn  dem  so  sei,  besässe  er  einen 
Christus  von  der  Hand  des  genannten  Meisters  selbst,  den  er  Ihr 
gerne  senden  würde ;  aber  er  ist  in  Form  einer  Pietä,  doch  sieht 
man  den  ganzen  Körper.  Er  sagt,  dies  hiesse  ihn  nicht  berauben, 
denn  von  der  Marchesa  von  Pescara  könne  er  ein  anderes  Exemplar 
erhalten." 

Die  Worte :  ,, nicht  denkt  dort  (auf  der  Erde)  man  daran, 
welch'  Blut  es  kostet",  sind  dem  neunundzwanzigsten  Gesänge  des 
Dante'schen  Paradiso  entlehnt  (v.  91).  Beatrice  spricht  sie  aus,  als 
sie ,  von  den  falschen  Meinungen  über  die  Engel  ausgehend ,  sich 
gegen  die  willkürlichen  Interpretationen  der  heiligen  Schrift  wendet 
(82 — 126).    Jeder  macht  sich  seine  Erfindungen  und  vom  Evangelium 


Die  Pietä,  die  Beweinung  und  die  Grablegung  495 

schweigt  man.     Und  Niemand  denkt  daran,  welch'  theures  Blut  es 
gekostet  hat,  es  der  Welt  zu  bringen. 

Si  che  laggiü  non  dormendo  si  sogna, 

Credendo  e  non  credendo  dicer  vero; 

Ma  neir  uno  e  piü  colpa  e  piü  vergogna. 
Voi  non  andate  giü  per  un  sentiero 

Filosofando,  tanto  vi  trasporta 

L'amor  dell'  apparenza  e  il  suo  pensiero. 
Ed  ancor  questo  quassü  si  comporta 

Con  men  disdegno,  che  quando  e  posposta 

La  divina  Scrittura,  o  quando  e  torta. 
Non  vi  si  pensa  quanto  sangue  costa 

Seminaria  nel  mondo,  e  quanto  piace 

Chi  umilmente  con  essa  s'accosta. 
Per  apparer  ciascun  s'ingegna  e  face 

Sue  invenzioni,  e  quelle  son  trascorse 

Da'  predicanti,  e  il  Vangelio  si  tace. 
Un  dice  che  la  Luna  si  ritorse, 

Nella  passion  di  Cristo,  e  s'interpose, 

Perche  '1  lume  del  Sol  giü  non  si  porse: 
Ed  altri  che  la  luce  si  nascose 

Da  se;  perö  agl'  Ispani  ed  agl'  Indi, 

Com'  a'  giudei,  tale  eclissi  rispose. 
Non  ha  Firenze  tanti  Lapi  e  Bindi, 

Quante  si  fatte  favole  per  anno 

In  pergamo  si  gridan  quinci  e  quindi ; 
Si  che  le  pecorelle,  che  non  sanno, 

Tornan  dal  pasco  pasciute  di  vento, 

E  non  le  scusa  non  veder  lor  danno. 
Non  disse  Cristo  al  suo  primo  convento : 

Andate  e  predicate  al  mondo  ciance; 

Ma  diede  lor  verace  fondamento. 
E  quel  tanto  sonö  nelle  sue  guance : 

Si  ch'  a  pugnar,  per  accender  la  fede, 

Dair  Evangelio  fero  scudi  e  lance. 
Ora  si  va  con  motti  e  con  iscede 

A  predicare ;  e  pur  che  ben  si  rida, 

Gonfia  il  cappuccio,  e  piü  non  si  richiede. 
Ma  tale  uccel  nel  becchetto  s'annida, 

Che  se  '1  vulgo  il  vedesse  torrebbe 

La  perdonanza,  di  che  si  confida; 
Per  cui  tanta  stoltezza  in  terra  crebbe, 

Che,  senza  pruova  d'alcun  testimonio 

Ad  ogni  promission  si  converrebbe. 
Di  questo  ingrassa  il  porco  Sant'  Antonio, 

Ed  altri  assai,  che  son  peggio  che  porci, 

Pagando  di  moneta  senza  conio. 

Wenn  Hettner  hierzu  (Ital.  Studien  S.  269) ,  im  Hinblick  auf 
Michelangelo  und  Vittoria,  bemerkt,  es  sei  ,,der  feste  Protest  der 
kathoHschen  Rechtgläubigkeit  gegen  jegliche  hoffärtige  Neuerung", 
so    muss    ich  ihm  widersprechen.     Beide,    in  deren  geistlichen  Be- 


496  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


trachtungen  diese  ,,Pietä"  so  unmittelbar  einführt,  wendeten  in  ihrer 
Betonung  des  Glaubens  Dantes  Worte  gegen  die  in  der  verkommenen 
Kirche  eingerissenen  Missbräuche  (Ablass  !)  und  den  in  ihr  herrschen- 
den unevangclischen  Geist  an. 

D.  Christus  im  Schoosse  der  Maria,  vondenFreun- 
den  beweint. 

VI.  London,  British  Museum  1896 — 7 — 10 — i.  Thode  339.  Ber. 
2486  (Sebastiano).  Abb.  C.  H.  Metz :  Imitations  of  ancient  and 
modern  drawings  1798.  Gaz.  d.  b.  a.  1896.  XVI,  337.  Ber, 
PI.  CXLVII.  Röthel.  Die  berühmte  Warwickzeichnung,  welche 
der  hochverdiente  Direktor  des  Printroom ,  Sidney  Colvin, 
mit  Recht  den  hohen  Preis  von  35000  Francs  nicht  scheuend, 
1896  erwarb.  (Über  ihre  Ächtheit  vgl.  oben  II,  S.  406.)  Eine 
höchst  bedeutungs-  und  eindrucksvolle  Komposition,  in  welcher 
Michelangelo  für  die  Stellung  des  Christus  an  sein  Jugendwerk 
in  S.  Peter  anknüpfte.  Maria  ist  hier  aber  auf  dem  Boden 
niedergesunken.  Ihr  linkes  Bein  liegt  auf  der  Erde,  über  das 
aufgestemmte  rechte  lehnt  der  Oberkörper  Christi,  der,  wie 
geknickt,  mit  hinabsinkendem  Kopf  und  rechtem  Arme  in  ihrem 
Schoosse  sitzt.  Seine  linke  Hand  ruht  auf  ihrer  Schulter. 
Sie  lehnt,  von  Schmerz  überwältigt,  das  Haupt  an  den  Kopf 
einer  rechts  kauernden  und  sie  stützenden  Gestalt,  über  deren 
aufgestemmtes  Bein  das  linke  Bein  Christi  liegt.  Links  von 
Maria  hinten  zwei  fiebrisch  erregt  auf  den  Leichnam  schauende 
Gestalten  von  geradezu  unheimlicher  Wirkung  und  eine  dritte, 
die  wie  verstört  herumblickt.  Die  Gruppe  enggeschlossen  bei 
höchster  Kühnheit  der  Stellungen ,  linear  zusammengehalten 
durch  die,  die  ganze  Breite  einnehmende  liegende  Hauptfigur. 
Nie  ist  Michelangelo  in  der  rückhaltlosen  Schilderung  der 
Phänomene  des  Todes  in  einem  Körper  so  weit  gegangen  wie 
hier.  Liess  er  uns  in  der  Pariser  Zeichnung  III  das  entflohene 
Leben  noch  gleichsam  nachfühlen,  so  giebt  er  hier  den  Tod 
in  unerbittlicher  Gestalt.  Sein  künstlerischer  Geist  kannte 
alle  Möglichkeiten  der  Auffassung.  Die  Warwickzeichnung 
gehört  zu  seinen  gewaltigsten ,  aber  auch  furchtbarsten 
Schöpfungen. 

E.  Christus  aufrecht  von  einer  hinter  ihm  stehen- 
den Gestalt  gehalten. 

In  der  Pietä  Rondanini  gewann  dieses  Motiv,  das  Michel- 
angelo zuerst  in  dem  früheren  Gemälde  der  Grablegung  in  London 
gebracht   hatte ,    seine    plastische    Gestaltung    und    gelegentlich   der 


Die  Pietä,  die  Beweinung  und  die  Grablegung  497 

Besprechung  dieser  Gruppe  (s.  oben  II,  S.  278  fif.)  erwähnte  und  be- 
schrieb ich  bereits  die  sie  vorbereitenden  Studien : 

VII.  Oxford,  Universitäts- Galerie  70,  I.  Thode  442.  Ber.  1572. 
Eine  höher  stehende  Figur  hält  unter  den  Armen  vor  sich 
den  Leichnam ,  der  in  der  einen  Skizze  von  vorne ,  in  den 
beiden  anderen  halb  von  der  Seite  gesehen  wird. 

Eine  andere  herrliche  Zeichnung  bildet  gleichsam  den  Übergang 
von  der  Darstellung  des  Christus  in  sitzender  Stellung  zu  diesem 
frei  gehaltenen : 

VIII.  Wien,  Albertina.  Sc.  R.  137.  Thode  522.  Ber.  2503  (Seba- 
stiano).  Abb.:  Handzeichnungen  der  Albertina  Nr.  63.  Röthel. 
Hier  ruht  der  Leichnam  noch  auf  einem  Sitze,  der  mit  dem 
Leichentuch  bedeckt  ist,  auf,  aber  nur  so  leicht,  dass  seine 
Gestalt,  die  von  der  links  auf  dem  Sitze  aufknieenden  Maria 
gestützt  wird,  fast  ganz  aufrecht  erscheint.  Der  rechte  Arm 
hängt  senkrecht  herab ,  der  linke ,  von  der  Mutter  gehalten, 
ist  etwas  erhoben.  Der  Kopf  senkt  sich  nach  rechts.  Die 
Beine  hängen,  etwas  im  Knie  gebeugt,  herab.  Die  Zeichnung, 
für  deren  doch  so  unmittelbar  ins  Auge  springende  Ächtheit 
ich  früher  (II,  S.  412)  zu  kämpfen  hatte,  erinnert  in  ihrem  Stil 
noch  an  die  Cavalieriblätter.  —  Der  Christus  ward,  wie  ich 
oben  (II,  S.  484)  schon  erwähnte ,  durch  Wiederaufnahme 
des  Motives  im  Gemälde  der  Grablegung  in  London 
gebildet. 

IX.  Dass  eine  Kreidezeichnung  in  der  Ambrosiana  zu  Mailand 
(Phot.  Br.  13)  in  einem  Zusammenhange  mit  diesen  Studien 
steht,  möchte  ich  beiläufig  bemerken.  Vielleicht  geht  sie  auf 
eine  Skizze  Michelangelos  zurück.  Sie  zeigt  den  Oberkörper 
Christi  zurückgelehnt  und  den  Kopf  auf  der  Schulter,  wie  III, 
doch  ist  der  rechte  Arm  in  der  Höhe  gehalten.  Die  Stellung 
der  Beine  ist  VIII  ähnlich ,  und  das  Ganze  gemahnt  etwas  an 
die  Gruppe  im  florentiner  Dom.  Die  Zeichnung  ist  für  die 
unter  XIV  zu  erwähnende  Komposition  verwerthet  worden. 
Ein  aus  der  Sammlung  des  Duca  Braschi  in  Rom  stammen- 
des, Daniele  da  Volterra  zugeschriebenes  Bild  (zum  Verkauf 
1908  bei  der  Gesellschaft  für  Kunst  und  Litteratur  in  Berlin) 
zeigt  in  der  Haltung  des  beweinten  Christus  Ähnlichkeit. 
Auch  eine  Zeichnung,  Nr.  III  und  der  Pietä  Rondanini  ver- 
wandt, in  den  Uffizien  (Coli.  Santarelli  222,  Abb.  Bernardini, 
Seb.  d.  P.  S.  41),  dem  Sebastiano  zugeschrieben,  will  ver- 
glichen sein.  Sie  zeigt  Maria  auf  einer  Erhöhung  sitzend, 
zwischen  ihren  Beinen  den  schlaff  zusammengebrochenen  auf- 
rechten Christus. 
I*  32 


4Q8  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

F.  Christus  von  den  ihn  beweinenden  Freunden 
aufrecht  gehalten. 

In  dieser,  durch  eine  Zeichnung  in  der  Albertina  gegebenen 
Komposition  vereinigen  sich  verschiedene  der  uns  bekannt  gewor- 
denen Motive :  das  Stützen  der  Arme  durch  zwei  Figuren  und  die 
Einschhessung  der  Gestalt  durch  die  Beine  der  Maria,  wie  die  Pietä 
der  Vittoria  Colonna  (B)  es  zeigt,  das  Niedersinken  der  Jungfrau  auf 
den  Boden ,  das  wir  in  der  Warwickzeichnung  (D)  fanden,  die  auf- 
rechte Haltung  der  Studien  E.  Die  verschiedenen  Gedanken  strömen 
gleichsam  in  einander.  Wenn  ich  von  dem  unlöslichen,  für  die 
Ächtheit  sprechenden  Konnex,  in  dem  alle  diese  Studien  mit  ein- 
ander stehen,  sprach  —  hier  tritt  er  uns  in  aller  Deutlichkeit  vor 
Augen. 

X.  Wien,  Albertina.     Sc.  R.   136.    Thode  521.    Ber.  2502  (Seba- 
stiano).    Abb. :  Handzeichnungen  der  Albertina  Nr.  73.    Röthel. 
Christus,  Dessen  Beine  zwischen  den  Knieen    der  ohnmächtig 
rückwärts  gesunkenen  Maria  zu  Boden  sinken  und  Dessen  Leib 
nach   rechts  sich  ausbiegt,    wird    von  vier  stehenden  Figuren 
gehalten.     Die  vordere  links,  über  Deren  Haupt  sein  rechter 
Arm   hegt,    stützt    sein    niedersinkendes   Haupt,    die    vordere 
rechts,  eine  Frau,  an  Deren  linkem  Oberschenkel  Marias  Kopf 
lehnt,  fasst  ihn  an  der  Brust.     Unter  den  Armen  wird  er  von 
einem  hinter  ihm  stehenden  Manne,  Nikodemus,  gefasst,  in- 
dess   ein  anderer  Mann   rechts    seinen   linken   Arm    über   der 
Schulter  trägt.     Links  vorne  kniet  Magdalena,  den  Kopf  ge- 
senkt ;  sie  umfängt  mit  der  Linken  die  Hüfte  des  Todten  und 
stützt  die  Rechte  auf  Marias  Knie.     Über  ihr  beugt  sich  eine 
Frau  dem  Leichnam  zu.  —  Wieder  steht  man  Angesichts  der 
Geschlossenheit  der  Gruppe  wie  vor  einem  Wunder.     Sie  ist 
aus  einem  viereckigen  Block  gebildet,  und  zwar  so,  dass  alle 
Materie  desselben  in  Gestalt  umgesetzt  ist.     Nur  an  der  linken 
Seite  ist  die  Abgränzung  nicht  ganz  scharf. 
Wie  eine  Vereinfachung  dieses  Gebildes  erscheint  die  plastische 
Gruppe    im    florentiner   Dom.      Geblieben   ist   der    Christus 
überragende  Nikodemus,  die  Magdalena  links,  rechts  die  Madonna, 
die    hier    aber   sitzt.    In    der   zusammengeknickten   Haltung    Christi 
werden    Motive    der    Colonnazeichnung   und    der  Oxforder  Skizzen 
Nr.  VII  verw^crthet. 

Von  der  Wiener  Zeichnung  aber  führt  der  Weg  andrerseits 
unmittelbar  weiter  zu  der  Darstellung  der  eigentlichen  Grabtragung, 
wirkt  der  Vorgang  in  ihr  doch  fast  so,  als  hätten  die  Freunde 
Christus  aus  dem  Schoosse  der  Maria  erhoben,  um  ihn  zur  Ruhestätte 
überzuführen,  ja  vcrmuthlich  war  dies  der  Gedanke  des  Künstlers. 


Die  Pictä,  die  Bevveinung  und  die  Grablegung  aqq 

G.  Die  Grabtragung. 

Ein  erster  einfacher  Gedanke    ist  in  einer  Skizze  gegeben    auf 
dem  schon  besprochenen  Blatte : 
XI.  Oxford ,    Universitäts-Galerie  70.      S.  oben   Nr.  V.      Zweimal 
ist   hier    die    kleine    Skizze    gegeben :    zwei    Männer    tragen 
zwischen  sich  den  Leichnam,  dessen  Arme  über  ihren  Schultern 
liegen  und  dessen  Unterkörper  von  ihren  anderen  Armen  (das 
eine  Mal  höher,    das  andere   niedriger)    getragen   wird.     Alle 
drei    Gestalten    sind    von    vorne    gesehen.     Es   ist    eine   neue 
Fassung  der  älteren  Darstellung  im  Londoner  Gemälde.     Aus 
diesem  schlichten  Motiv  wird,  dank    der  an  der  Beweinungs- 
szene    gewonnenen   Erfahrung,     ein    reiches    und     mächtiges 
Gebilde  : 
XII.  Oxford,  Universitäts-Galerie  Nr.  37.      Thode  420.    Ber.  2492 
(Sebastiano).      Abb.    Fisher   II,    9.       Phot.    Br.  yy.       Röthel. 
Christus,  Dessen    Oberkörper    und   Haupt    nach    links    sinkt, 
wird  in  der  Luft  schwebend   getragen.     Vorne  werden   seine 
Beine  von   zwei  Figuren  gestützt :  die  links,  vom  Rücken  ge- 
sehen und  unter  der  Last  einknickend,  ist  ein  Mann  in  Kittel, 
die  rechts  eine  Frau,  welche  mit  dem  linken  Arm  den  linken 
Oberschenkel  des  Leichnams  umfängt.     Etwas  dahinter  beugt 
sich    ein  Mann    vor   und    fasst  mit  der  Rechten    den    rechten 
Arm  Christi ,    ein    anderer ,    kaum    sichtbar ,    stützt  die  rechte 
Schulter.    Hinter  demTodten,  im  Rücken  helfend,  zwei  Männer, 
ein    anderer  rechts  hinter   der  Frau  umfasst  den    linken  Arm 
und  schmiegt  trauernd  seinen  Kopf  an  ihn.     Rechts  von  ihm, 
nur    flüchtig   angedeutet,    ein   schreiender   Jüngling,    der    die 
Rechte  hoch  erhebt.     Im  Ganzen  neun  Figuren. 
Über  die  künstlerische  ]\Iacht  dieser  Schöpfung  habe  ich  mich 
zur  Genüge  schon  geäussert  (s.  II,  S.  408).     Dass  möglicher  Weise 
ein    im  Nachlasse  Michelangelos    erwähnter  Karton   einer  Pietä  mit 
neun   Figuren    den  Entwurf  wiedergab ,    erwähne  ich    unten.     Eine 
andere   Fassung    scheint   in    einer    Zeichnung   vorzuliegen ,    die    ich 
leider  nicht  gesehen  habe: 

XIII.  London,  Mr.  Gathorne  Hardy.  Thode  370.  Ber.  1693. 
Nach  Berensons  Angaben  ist  im  Hintergrunde  vor  dem 
Kreuz  Maria  sitzend  mit  ausgebreiteten  Armen  dargestellt, 
davor  eine  Gruppe  von  vier  Männern ,  die  in  angestrengter 
Bewegung  Christus  tragen.  Hinter  ihr  sind  noch  zwei  Köpfe 
angedeutet.  —  Auf  der  anderen  Seite  des  Blattes  zwei  Stu- 
dien zu  einer  Figur  in  der  Haltung  des  Engels  rechts  auf  der 
Pictä  der  Colonna.  —  Da  Berenson  selbst  sagt:  a  bcautiful 
group  of  exquisitely  compact  mass  and  splendid  action"  und 


500  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 


nur  durch  die  Behandlung  veranlasst  wird ,  das  Blatt  einem 
Nachfolger  des  Meisters  zu  geben ,  möchte  ich  es  für  wahr- 
scheinlich halten,  dass  es  sich  auch  hier  um  ein  von  ihm  ver- 
kanntes Original  handelt,  welches,  das  Motiv  der  Maria  aus 
dem  Colonnablatte  aufnehmend,  vielleicht  noch  später  als  XII 
entstanden  wäre,  aus  dem  Verlangen,  der  Maria,  die  in  XII 
nicht  vorhanden,  ihre  Stelle  anzuweisen. 
Eine  dritte  sehr  merkwürdige  Komposition  ist  uns  in  einer, 
nach  Michelangelo  angefertigten  Zeichnung  erhalten: 
XIV.  Paris,  Louvre  2716.  Thode  511c.  Ber.  1744.  Phot.  Girau- 
don  1399.  Kreide.  Im  Vordergrunde,  nur  in  Konturen  gegeben, 
die  Gruppe  von  vier  Männern,  welche  den  Leichnam  tragen. 
Dieser  wird  von  zweien,  über  deren  Schultern  und  Rücken 
seine  beiden  Arme  herabhängen,  unter  den  Oberbeinen  gefasst 
und  etwas  nach  rechts  getragen.  Der  dritte  von  rechts  vorne 
herzutretend,  fasst  ihn  an  der  Hüfte,  der  vierte  folgt  hinten, 
mit  beiden  Händen  an  seinen  Kopf  fahrend.  Ich  weiss  nicht, 
ob  dies  dieselbe  Gruppe  wie  XIII,  wohl  aber  kann  ich  fest- 
stellen, dass  die  Idee  der  Oxforder  Skizzen  Nr.  XI  hier  ihre 
Ausbildung  erfahren  hat  und  dass  der  Leichnam  mit  der  eben 
(II,  S.  497)  genannten  Studie  in  der  Ambrosiana  zu  Mailand 
Nr.  IX,  die  nächste  Verwandtschaft  zeigt.  Hinzugefügt  sind 
dieser  Hauptgruppe  nun  eine  grössere  Anzahl  ausgefiihrter 
nackter  Figuren  im  Mittelgrund.  Sechs  von  ihnen,  Fackeln 
in  der  Hand,  bewegen  sich  dem  Grabe  links  zu,  das  sich  in 
einem  mit  Bäumen  und  Büschen  bewachsenen  Felsen  befindet. 
Acht  andere  nahen  rechts  von  hinten  mit  Gebärden  der  An- 
betung. —  Es  fragt  sich  nun,  ist  dieses  Leichengefolge  eine 
Erfindung  des  Meisters  oder  die  des  Kopisten,  der  ihr  nur 
die  Hauptgruppe  entlehnte  und  das  Andere  hinzufügte.?  Die 
Idee  ist  so  überraschend  neu  und  eigenartig,  dass  man  wohl 
das  Erstere  annehmen  und  nur  das  Landschaftliche  als  Zuthat 
betrachten  könnte.  Doch  erscheint  andrerseits,  neben  der 
straff  gefiigten  Gruppe  im  Vordergrunde  die  Schaar  der  Leid- 
tragenden so  lose  angeordnet,  dass  man  doch  höchstens  eine 
ganz  flüchtige  Skizze  des  Meisters,  die  dem  Verfertiger  der 
Zeichnung  die  Anregung  gegeben  hätte,  voraussetzen  dürfte. 
Ob  der  Letztere,  wie  Berenson  sich  denkt,  Daniele  da  Volterra 
war,  weiss  ich  nicht  zu  sagen,  da  ich  keine  Kenntniss  von 
Dessen  Zeichnungsweise  besitze.  —  Eine  Figur  ganz  hinten 
in  hohem,  runden  Filzhut  erinnert  entfernt  an  Michelangelo 
selbst. 
Als  Studien  für  die  Träger  des  Leichnams  in  einer  Grablegung 
könnten    die    früher    (II,  S.  80,  A)  von   mir   erwähnten  Skizzen   in 


Die  Pietä,  die  Beweinung  und  die  Grablegung  cqi 

Oxford,  Univ.  Gal.  60  in  Betracht  kommen.  Da  sich  in  ihnen  all- 
gemeine Beziehungen  auch  zu  Gestalten  in  der  Kreuzigung  Petri 
der  Cappella  Paolina  finden,  besprach  ich  sie  schon  gelegentlich 
dieser.  Für  eine  der  eben  erwähnten  Kompositionen  haben  sie 
jedenfalls  nicht  gedient. 

Zweifelhaft  auch  bleibt  es,  ob  eine  prachtvolle  Rötheistudie 
im  Louvre  für  eine  Grablegung  bestimmt  war.  Paris,  Louvre  122. 
Thode  473.  Ber.  1584.  Abb.  Steinmann:  Sixt.  Kap.  II,  44.  Phot. 
Br.  48.  Drei  kraftvolle  Männer  tragen  auf  ihren  Schultern,  mit  den 
Armen  ihn  umschlingend ,  einen ,  da  sie  auf  den  Beschauer  zu 
schreiten,  in  starker  Verkürzung  gesehenen  Mann,  dessen  Beine 
über  die  Schultern  des  vordersten  herabhängen.  —  Die  Zeichnung 
gehört  in  die  Zeit  der  Sixtinischen  Deckenmalerei;  auf  der  Rück- 
seite ist  die  Studie  zu  einer  Sibylle  (s.  oben  I,  S.  256,  Nr.  LXI). 
Schwerlich  dürfte  man  annehmen,  dass  der  Getragene,  in  dieser  An- 
sicht gegeben,  Christus  sei.  So  hielt  ich  Steinmanns  Vermuthung, 
es  sei  ein  nicht  benutzter  Entwurf  für  die  Sündfluth ,  für  ein- 
leuchtend.    (S.  oben  II,  S.  247.) 

Ein  ,,quadretto  in  tavola  in  qualche  parte  guasto  e  non  finito 
con  nostro  Signore  morto,  S.  Giovanni,  tre  Marie  et  un  apostolo", 
wird  im  Inventar  des  Palastes  des  Herzogs  von  Parma  1697  er- 
wähnt (Le  Gall.  naz.  ital.  V,  1902,  S.  274).  S.  oben:  „Die  Grab- 
legung in  London." 

Zusammenfassendes. 

Drei  Ausgangspunkte  für  des  Meisters  Pietädarstellungen  durften 
wir  feststellen:  die  Komposition  Raphaels,  die  den  am  Boden  liegenden 
Christus  darstellt,  den  Typus  des  auf  dem  Grab  sitzenden  Heilands 
und  jenen  des  im  Schoosse  der  Mutter  gebetteten  Leichnams.  Der 
Entwurf  für  Sebastianos  Bild  in  Viterbo,  die  Zeichnung  im  Louvre 
Nr.  III  und  die  Warwickzeichnung  in  London  kennzeichnen  die  ein- 
geschlagenen Wege.  In  der  Colonnapietä  vereinigen  sich  die  beiden 
ersten,  der  dritte  führt  zu  den  figurenreichen  Darstellungen  der 
Beweinung.  Es  entwickelt  sich,  indem  an  das  frühe  Gemälde  der 
Grablegung  in  London  angeknüpft  wird,  das  Motiv  des  von  der 
Maria  oder  den  Freunden  aufrecht  gehaltenen  Christus  durch  Au.s- 
und  Umgestaltung  des  Typus  des  sitzenden  Christus.  Die  Beschrän- 
kung auf  den  eigentlichen  Pietägedanken  führt  zur  Pietä  Rondanini, 
die  Erweiterung  der  Gruppe  zur  Wiener  Zeichnung  Nr.  X  und  zum 
Marmorgebilde  im  florentiner  Dom.  Endlich  verwandelt  sich  die 
Beweinung  der  Wiener  Zeichnung  in  die  Grabtragung,  die  uns 
in  drei  Fassungen:  Oxford  Nr.  XII,  Mr.  Gathorne  Hardy  Nr.  XIII, 
Louvre  Nr.  XIV  entgegentritt. 


C02  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

XXII 

Der  Karton  für  eine  Pieta  mit  neun  Figuren 

In  Michelangelos  Nachlass  fand  sich:  ,,un  cartone  grando,  dove 
e  designata  una  Pietä  con  nove  figure  non  finite."  Daniele  in 
seinem  Briefe  an  Vasari  vom  17.  März  1564  sagt:  „una  Pietä  ch' 
egli  haveva  cominciata,  della  quäle  vi  s'intende  solo  le  attitudini 
delle  figure,  si  v'e  poco  finimento."  (Gotti  I,  357.)  Wie  es  scheint, 
erhielt  Lionardo  mit  anderen  auch  diesen  Karton  (a.  a.  O.  II,  156), 
der  heute  nicht  mehr  nachzuweisen  ist.  Vielleicht  war  die  Kom- 
position die  der  Oxforder  Grabtragung  (s.  oben  II,  S.  499,  Nr.  XII), 
welche  neun  Figuren  zeigt. 

XXIII 

Christi  Abschied  von  Maria 

Ein  Karton  in  der  Hinterlassenschaft  des  Künstlers  behandelte 
diesen  Vorwurf.  Im  Inventar  heisst  es  bloss:  , .Christus  und  Maria", 
aber  in  Danieles  Brief  an  Vasari  vom  7.  März  wird  der  Gegenstand 
näher  bestimmt  und  erwähnt,  dass  Michelangelo  den  Karton  Vasari 
hatte  schenken  wollen:  ,,wie  unrecht  war  es,  jenen  Christus,  der 
von  seiner  Mutter  scheidet,  nicht  anzunehmen,  als  er  ihn  Euch  geben 
wollte."  Und  weiter  heisst  es  bezüglich  des  Kartons:  ,,aber  der 
mit  dem  Christus  ist  der  beste  ;  aber  alle  sind  an  einen  Ort  gekommen, 
wo  es  Mühe  kosten  wird,  sie  zu  sehen,  geschweige  denn,  sie  wieder- 
zuerhalten; gleichwohl  habe  ich  dem  Kardinal  Morone  in  Erinnerung 
bringen  lassen,  dass  er  (offenbar  unser  Karton)  auf  sein  Verlangen 
begonnen  wurde,  und  bot  mich  an,  ihm  eine  Kopie  davon  zu 
machen,  falls  man  ihn  wiederhaben  kann,"  (Gotti  I,  35/ f.)  Am 
7.  April  1564  erhielt  Tommaso  de  Cavalieri  den  Karton:  ,,habuit  a 
me  notario  quodam  magnum  cartonum,  plures  simul  sutos  in  se 
continentem ,  in  quo  apparent  imperfecte  depincte  sive  designate 
imagines  Domini  nostri  Jesu  Christi  et  gloriose  Virginis  ejus  matris, 
superius  inter  alios  in  preinserto  Inventario  annotatos,  tanquam,  ut 
asseruit,  ad  eum  spectantem."  Und  Tommaso  bezeugt:  ,,haver  rice- 
cevuto  da  monsignor  reverendissimo  Governatore  di  Roma,  per  mano 
di  messer  Loisi  de  la  Torre,  suo  notario  criminale,  un  cartone 
grande,  dove  stanno  disegnati  un  Cristo  et  una  Madonna  giä  di 
mano  di  messer  Michelangelo,  quäle  io  hebbi  giä  in  vita  dal  detto 
messer  Michelangelo."     (Gotti  II,  S.  155  f.) 

Von  diesem,  wie  es  scheint,  höchst  bedeutenden  Werke, 
bezüglich   dessen  Steinmann  (Z,  f.  b.  K.  N.  F.  VII,  S.  207)  die  er- 


Der  hl.  Hieronymus  503 


schütternde  Stelle  in  einer  Predigt  Savonarolas  (Prediche  sopra  Job 
fatte  in  Firenze  1494.  Vendig  1545.  p.  375)  zitirt,  ist  uns  keine 
Spur  erhalten. 

Oder  sollten  wir  die  zwei,  von  Berenson  und  Frey  fälschlich 
auf  das  ,,Noli  me  tangere"  bezogenen  Skizzen  im  Besitze  des  Herrn 
G.  T.  Clough  in  London  (Thode  367.  Ber.  1539.  Abb.  Frey  J"] 
und  78,  s.  oben  II,  S.  448)  als  Studien  für  den  Karton  auffassen 
dürfen.?  Die  Bewegung  Christi  Hesse  sich  eher  mit  diesem  Vorwurf 
in  Einklang  setzen,  als  mit  jenem:  das  Fortstrebende,  das  Hinweisen 
nach  der  Seite  (auf  den  Leidensweg),  die  deutende  Bewegung  der 
Hand.     Ich  glaube  die  Vermuthung  aufstellen  zu  dürfen. 


XXIV 

Der  hl.  Hieronymus 

Da  alte  Angaben  auf  Stichen  Michelangelo  als  Erfinder  von 
Darstellungen  des  hl.  Hieronymus  bezeichnen,  wollen  diese  genannt 
sein.     Es  handelt  sich  um  zwei  verschiedene  Entwürfe. 

A.  Der  hl.  Hieronymus  in  Meditation  über  das 
Kreuz. 

1.  Sebastiano  a  Regibus.  Bez.  M.  Ang.  in.  Marcel,  pin.  Seb. 
a  Reg.  Clo.  incid.  Romae  MDLVII  con  privilegio.  Ant.  Lafrerj. 
Der  Heilige  sitzt  bei  einem  Felsen  und  stellt  seine  Betrach- 
tungen über  ein  Kreuz  an,  das  er  in  den  Händen  hält.  Der 
Kardinalshut  und  zwei  Bücher  liegen  vor  seinen  Füssen.  Links 
der  Kopf  und  die  Vorderpfote  des  Löwen.  (Heinecken  I, 
396.     Passerini  S.  231.) 

Da  dieser  Stich  noch  bei  Lebzeiten  des  Meisters  erschien,  ver- 
dienen seine  Angaben  Glauben.  Nun  befand  sich  ein  Gemälde 
Marcello  Venustis,  den  hl.  Hieronymus  darstellend,  auf  dem  Altar 
der  Mignanelli  in  S.  Maria  della  Pace  in  Rom,  und  Titi  in  der 
„Descrizione"  von  1763  (S.  417)  bemerkt:  Einige  glauben,  es  sei 
nach  einer  Zeichnung  von  Michelangelo  gemacht. 

2.  Cherubino  Alberti  (B.  54).  Bez.  Michel  Angelus  inven.  Cum 
privilegio  Summi  pontificis.  Romae  1575-  Die  gleiche  Dar- 
stellung. Wir  haben  anzunehmen,  dass  Venusti  eine  Skizze 
des  Meisters  vorlag. 

Eine  Zeichnung,  die  den  knieenden  Hieronymus  vor  der  Höhle, 
in  der  erhobenen  Rechten  das  Kreuz,  in  der  gesenkten  Linken  einen 
Stein,  darstellt,  wird  im  Louvrc  (Nr.  705)  Michelangelo  zugeschrieben, 
ist  aber  nicht  von  ihm. 


504  Gemälde,  Zeichnungen  und  Entwürfe  religiösen  Inhaltes 

B.  Der  hl.  Hieronymus  schreibend,  von  Engeln  um- 
geben. 

3.  Unbekannter  Stecher.     Bez.  Michel  Ang.  inv.  —  II.  etat:  mit 

der  Bezeichnung:  S.  Hieronymus.    Noch  andere  Abdrücke  mit 

C.  Vischer  bez.    Der  Heilige  schreibt  sitzend  in  einem  Buche, 

das  ein  Putto  hält.     Ein  anderer  Knabe  trägt  ein  Buch.     Ein 

dritter   weist    dem    Studirenden   einen  Zettel,    in   dem  Dieser 

liest. 

Es  ist  eine  Variation  der  Prophetendarstellung  in  der  Sixtina. 

Ein  Michelangelo  zugeschriebenes  Gemälde  ,, Hieronymus"  finde 

ich   in   Schorns  Kunstblatt   erwähnt  (1835,  XVI,  S.  91).    Es  befand 

sich  damals  bei  Hunter  &  Comp,  in  Paris  und  wurde,  wie  es  scheint, 

nach  England  verkauft. 


ANHANG 


A.  DEM    MEISTER    IRRTHÜMLICH    ZUGESCHRIEBENE 
WERKE. 

B.  DIE  KÜNSTLERISCHE  VERHERRLICHUNG  MICHEL- 
ANGELOS  NACH   SEINEM  TODE. 

C.  DIE   ALTEN   BILDNISSE   MICHELANGELOS. 


A 
Dem  Meister  irrthümlich  zugeschriebene  Werke 

Es  handelt  sich  begreiflicher  Weise  im  Folgenden  um  ein  Ver- 
zeichniss  nicht  aller  der  Werke,  die  dem  Meister  jemals  ohne 
sichere  Begründung  zugeschrieben  worden  sind,  sondern  nur  jener, 
die  mehr  oder  weniger  eingehende  Beachtung  und  litterarische  Be- 
urtheilung  gefunden  haben.  Auch  beschränke  ich  mich  auf  kurze 
Angaben. 


Statuen  und  Büsten 

I.  Kruzifix  in  Elfenbein.  In  der  Mitte  des  XIX.  Jahr- 
hunderts im  Besitze  einer  Gräfin  in  Paris.  Vgl.  Courtois: 
Lettre  adressee  ä  Mad.  la  Comtesse  de  ....  ä  l'occasion 
d'un  Crucifixe  en  ivoire,  sculpte  par  M.  A.  que  possede  cette 
dame.  Paris  1845. 
II.  Christus  am  Kreuz  in  Marmor.  (Fehlen  Arme  und 
Beine.)  1875  im  Besitze  des  Architekten  Prof  G.  B.  Carducci 
in  Fermo.  Vgl.  March.  Filippo  Raffaelli :  Di  alcuni  lavori  dcl 
Buonaroti  esistenti  nelle  Marche.  Fermo  1875.  Phot.  Ab- 
bildung, die  keinen  Zweifel  über  die  Unrichtigkeit  der  Be- 
nennung lässt. 

III.  Bronze kruzi fix  in  der  Geistlichen  Schatzkammer  zu  Wien. 
1758.  Vgl.  das  Inventar  im  Jahrb.  d.  K.-S.  des  A.  K.  1895. 
XVI.  II,  S.  XII.  ,, Christus  von  metal  an  einem  schwarzen 
Creuz  von  ebenholz  auf  desgleichen  mit  silbernen  runden 
platten  und  engelsköpfen  gezierten  Fuss.  Das  crucifix  scheinet 
von  Michel  Angelo  zu  sein." 

IV.  Füsse  einesKruzi  fixes  inGyps.  Im  XVIII.  Jahrhundert 
im  Besitze  Giacomo  Carraras  in  Bergamo.  Bottari :  Racc.  di 
lett.  VI,  246 :  ,,in  gcsso  due  picdi  di  crocifisso  tratti  di  qualche 
opera  di  M." 


5o8  Anhang 

V.  Todter  Christus,  Statuette  in  Terrakotta.  Im  Be- 
sitze von  Sir  J.  C.  Robinson.  Nackt,  in  einer  Stellung,  welche 
an  den  Christus  der  Pietä  in  S.  Peter  erinnert.  Claude  Philipps: 
Arch.  stör.  deH'Arte  1888.  I,  S.  100,  hält  die  Figur  für  die 
Arbeit  etwa  eines  spanischen  Nachahmers  des  Meisters. 

VI.  Der  Kopf  Johannes  des  Täufers  in  der  Schüssel. 
In  Marmor.  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts  im  Kabinet  des 
Mr.  Giraudon.  Florent  Le  Comte :  Cabinet  de  singularitez 
d'Architecture,  Peinture,  Sculpture.  Brüssel  1708. 
VII.  Der  hl.  Bartholomäus  im  Dom  zu  Mailand.  Florent 
Le  Comte  im  eben  zitirten  Werke  behauptete,  die  bekannte 
Statue  sei  nach  Michelangelos  Modell  gemacht,  welches  Modell 
sich  im  Kabinet  des  M.  Giraudon  befinde. 
VIII.  Statue  des  hl.  Gregor  im  Oratorium  derhl.  Barbara 
bei  S.  Gregorio  auf  dem  Monte  Ceho  in  Rom.  Es  heisst, 
der  Kardinal  Borromeo  habe  die  sitzende  Statue  des  Heiligen 
aufstellen  lassen:  ,,in  candido  marmo,  abbozzata  daM.  B.  e  termi- 
nata  da  Niccolö  Cordieri".  Titi :  Descrizione  di  Roma  1763. 
S.  'j6.  Auch  Vasi:  Itinerario  1791.  S.  497.  Sollte  hieran 
etwas  Wahres  sein.?  Man  könnte  an  den  Abozzo  der  Peters- 
statue in  der  Hinterlassenschaft  Michelangelos  denken. 

IX.  Holzfigur  des  hl.  Michael,  mit  dem  Drachen 
kämpfend,  im  Grünen  Gewölbe  zu  Dresden.  (Julius  und 
Albert  Erbstein:  das  Grüne  Gewölbe  zu  Dresden  1884. 
S.  167,  Nr.  14.)  Sie  wurde  mit  dem  Modell  des  Templum 
Salomonis  1733  durch  Meiners,  der  die  Gruppe  als  Werk 
Michelangelos  (!!)  bezeichnete,  nach  Dresden  gebracht.  Vgl. 
Theodor  Distel  in  der  Kunstchronik  1888.  XXIII,  S.  347. 
X.  Herkuleskopf  und  Weiberkopf  am  zweiten  und  dritten 
Mauersteine  an  der  Ecke  des  Palazzo  vecchio  zu  Florenz 
hinter  Bandinellis  Herkules.  ,,In  welche  Michelangelos  Meister- 
hand in  den  kräftigsten  und  herrlichsten  Umrissen  einen 
Herkuleskopf  und  einen  Weiberkopf  —  vielleicht  während  er 
den  David  aufstellte  —  eingehauen  hat."  Dorow  in  Schorns 
Kunstblatt  1827.     VIII,  S.  283. 

XI.  Schreiender  Herkulesknabe.  Bronzebüste  in  der  Samm- 
lung des  Baron  Michele  Lazzaroni  zu  Paris.  Ad.  Venturi 
(L'arte  1904.  VII,  S.  476,  wo  auch  Abb.)  giebt  sie  Michel- 
angelo. Er  findet  die  Züge ,  die  frühreife  Männlichkeit  der 
Putten  des  Meisters.  ,,Esso  serba  la  pienezza  dei  putti  di 
Bertoldo,  ma  assume  una  potenza  cinquecentesca,  una  fierezza 
che  conviene  solo  a  Michelagnolo."  Der  Putto  sei  den  Kindern 
in  der  Sixtina,  auch  den  Knaben  der  Medicimadonna  ver- 
wandt.    Die   Büste   stammt  aus   Florenz.     Ich    vermag,    nach 


Dem  Meister  irrthümlich  zugeschriebene  Werke  509 

der  treft'lichen  Abbildung  zu  urtheilen  —  leider  war  es  mir 
nicht  mehr  möglich,  das  Original  zu  prüfen  —  der  Meinung  des 
verdienten  Historikers  der  italienischen  Kunst  nicht  beizu- 
stimmen. Der  Typus  des  Kindes  unterscheidet  sich,  sowohl 
in  den  Gesamtverhältnissen  der  Züge ,  wie  in  Einzelheiten : 
der  Bildung  der  Nase,  der  Augen,  der  Haare  doch  wesentlich 
von  den  Putten  Michelangelos. 
XII.  ,,Die  Häresie,  von  der  Religion  zu  Boden  ge- 
worfen." Terrakotta.  Ein  schreiend  am  Boden  liegendes 
Weib,  auf  das  eine  andere  Figur,  von  der  nur  die  Füsse  er- 
halten sind,  tritt.  1869  ini  Besitze  des  Dott.  Alessandro 
Foresi  in  Florenz.  Vgl. :  A.  Foresi :  una  figura  in  terra  cotta 
di  Michelangelo.  Firenze  1869.  Mit  Abbildung,  die  keinen 
Zweifel  über  das  Irrige  der  Attribution  lässt. 

XIII.  Grosser  Bronzekopf  in  einer  Sammlung  in  Brescia. 
Im  XVIII.  Jahrhundert.  Pignoria  erwähnt  in  einem  Briefe 
,,un  testone  in  bronzo  di  mano  di  Michelangelo",  den  er  in 
einem  Museo  di  Brescia  gesehen.  Raccolta  di  lettere  d'uomini 
illustri.  Vgl.  Bottari  bei  Fanfani:  Spig.  Mich.  S.  10 1.  Moreni 
glaubte,    damit  sei   die  Medaille   des   Bindo  Altoviti   gemeint. 

XIV.  Unvollendete  Frauenstatue  in  der  Galerie  des  Gross- 
herzogs zu  Florenz.  Von  Richardson  III,  87  erwähnt:  ,,une 
femme,  qui  n'est  point  finie."  Richardson  glaubte  hier  des 
Meisters  Art  zu  meisseln  zu  finden.  Man  sähe  die  grossen 
Hiebe,  die  an  einzelnen  Stellen  so  tief  seien,  z.  B.  an  den 
Fersen,  dass,  wäre  die  Statue  vollendet  worden,  man  die 
Ferse  hätte  repariren  müssen.  Auch  Volkmann  I,  551  er- 
wähnt sie. 

XV.  Büste  Lorenzo  Medicis,  des  Magnifico.  Terrakotta. 
Sie  befand  sich  im  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  im  Besitze 
des  Marchese  Capponi  in  Florenz,  welcher  einen  Gypsabguss 
dem  Verfasser  des  Lebens  Lorenzos,  William  Roscoe,  schenkte. 
Nach  diesem  fertigte  Edw.  Smith  den  Stich,  welcher  Roscoes 
Werk  schmückt. 

XVI.  Büste  des  Gabriello  Faerno  auf  dem  Kapitol.  (Im 
Kapitol.  Museum?)  Sie  galt  lange  für  ein  Werk  des  Meisters. 
Bottari  erwähnt  sie  als  solches.  Abb.  bei  Vairani:  Cremone- 
sium  Monumenta  Romae  cxtantia,  Romae   1778,  p.  61. 

XVII.  Die  Büste  Pauls  III.,  früher  im  Palazzo  Farnese,  jetzt  im 
Museum  zu  Neapel.  Grimm  meinte,  sie  könne  von  Daniele 
da  Voltcrra  sein.  Heath  Wilson  schlug  Guglielmo  della 
Porta  vor.  Neuerdings  nannte  Umberto  Rossi  den  Namen 
Giovanni  Zacchi  da  Volterra,  der  verschiedene  Medaillen  des 
Papstes  gemacht  hat.     (Arch.  stör,  dell'artc   1890,  III.   S.  71.) 


-lo  Anhang 

XVIII.  Zwei  Terrakottabüsten,  ganz  willkürlich  Michelangelo 
und  Vittoria  Colonna  genannt.  1875  im  Besitze  des  Händlers 
Pietro  Radicchi  in  Florenz.  Besprochen  von  Domenico  Rem- 
badi:  Sulla  scoperta  di  due  busti  in  terra  cotta,  Firenze  1874, 
und  von  Ottavio  Andreucci:  Sulla  scoperta  di  due  busti  in 
terracotta  e  sopra  un  quadro  di  M.  B.  Firenze   1875. 

2 
Reliefs 

An  erster  Stelle  erwähne  ich  drei  Arbeiten,  die  besondere  Auf- 
merksamkeit verdienen. 

XIX.  Das  Martyrium  des  hl.  Andreas.  Im  Museo  nazionale 
zu  Florenz.  Nr.  126.  Es  wird  von  Manchen  noch  heute  für 
Michelangelos  Werk  gehalten,  und  als  solches  mit  einem  Frage- 
zeichen im  Kataloge  angeführt.  Fast  macht  es  den  Eindruck, 
als  habe  man  eine  gewisse  Scheu  gehabt,  über  diese  unvoll- 
endete Arbeit  zu  sprechen.  Sie  wird  so  gut  wie  gar  nicht 
erwähnt.  Dass  sie  ausgesprochen  Michelangeleske  Eigen- 
thümlichkeiten,  auch  in  der  Behandlung,  zeigt,  lässt  sich  nicht 
leugnen.  Eine  gewisse  Monotonie  in  der  Komposition  und 
Schwäche  in  Charakteristik  und  Bewegung  verbietet  aber  doch, 
an  den  Meister  zu  denken.  Auch  sind  die  Frauenfiguren  nicht 
in  Dessen  Geist  gehalten.  In  Allem  finde  ich  eine  solche 
Übereinstimmung  mit  B an dinellis  Werken  (namentlich  den 
Chorschranken  im  Dom) ,  dass  ich  ihn  für  den  Autor  halten 
muss.  Gerade  die  Frauen  auch  finden  bei  ihm  —  Relief  unter 
der  Statue  Cosimos  und  Bronzestatuetten  der  Venus  und  Kleo- 
patra  im  Bargello  —  ihre  genauen  Analogieen. 

XX.  Die  Victoria  oder  ,, Gloria  militare"  im  Hofe  des 
Palazzo  Alessandri  zu  Florenz.  Dieses  bedeutende 
Werk  blieb  in  neuerer  Zeit,  sehr  mit  Unrecht,  so  gut  wie  un- 
beachtet —  vielleicht  in  Folge  der  Schwierigkeiten,  Eintritt 
in  den  Palazzo  zu  erhalten.  Die  Besichtigung,  die  mir  vergönnt 
war,  veranlasst  mich  zu  dem  Urtheil,  dass  es  sich  hier  um 
eine  der  vortrefflichsten  Skulpturen  des  florentinischen  Cinque- 
cento handelt.  Es  ist  wohl  begreiflich,  dass  Gori  in  der 
Condiviausgabe,  Not.  stör.  S.  108,  sie  als  ein  Werk  Michel- 
angelos ansah  und  in  einem  Stich  daselbst  veröffentlichte, 
den  1728  Franc.  Zuccherelli  auf  Wunsch  Gaburris  angefertigt 
hatte.  Bottari  (Raccolta  di  lett.  II,  281)  publizirt  einen  Brief 
Mariettes  an  Gaburri,  in  dem  er  für  den  ihm  übersandten 
Stich  dankt  und  bemerkt:  ,,senza  dubbio  questo  grand'  uomo 
l'aveva   cominciata    per  mettere  su    la  porta   della  fortczza  di 


Dem  Meister  irrthümlich  zugeschriebene  Werke  e  1 1 

S.  Miniato  per  oinato  quando  fu  scelto  a  farvi  le  fortificazioni." 
Diese  Meinung  hatte  auch  Gori  geäussert,  sagt  aber  nicht, 
wo  das  grosse  ReHef  sich  befand.  Hierüber  giebt  die  ,,Guida 
per  osservare  con  metodo  le  raritä  e  bellezze  della  cittä  di 
Firenze"  (Florenz  1798,  S.  306)  Aufschluss :  es  schmückte  das 
Thor,  durch  welches  man  nach  S.  Francesco  und  S.  Miniato 
geht:  „una  porta  della  fortezza  che  intorno  l'anno  1526  con 
disegno  di  Michelangelo  B.  fu  fatta,  benche  tirata  a  fine  dal 
Tribolo,  di  cui  e  lavoro  la  bellissima  statua  di  macigno  non 
finita  rappresentante  una  Vittoria  che  stä  appoggiata  accanto 
alla  detta  porta."  Im  dem  Nouveau  Guide  1832  und  in 
Fantozzis  Nuova  Guida  wird  das  Relief  dort  nicht  mehr  er- 
wähnt. Marcotti  führt  es  (S.  144)  im  Palazzo  Alessandri  mit 
folgenden  Worten  an:  „une  victoire  sculptee  par  Tribolo,  qui 
devait  servir  de  support  aux  armes  de  Comc  I  sur  un  boule- 
vard  de  la  forteresse  de  S.  Giorgio." 

Dass  die  Benennung  „Tribolo"  richtig,  glaube  ich.  Doch 
ist  zu  vermuthen,  dass  die  Figur  schon  zu  Zeiten  des 
Alessandro  Medici,  unter  dem  eifrig  an  den  Befestigungen 
gearbeitet  worden  ist,  entstand.  Antonio  San  Gallo  machte 
1535  die  Zeichnungen  für  die  Fortezza  da  basso  zwischen 
der  Porta  il  prato  und  der  Porta  San  Gallo.  Raffaello  da 
Montelupo  und  Tribolo  werden  beschäftigt.  Sie  fertigen  die 
Wappen  an,  darunter  wird  eines  mit  Viktorien  erwähnt. 
(Vasari  V,  462.  544.    VI,  66.    Bottari:  Racc.  III,  S.  3  29  ff.) 

Die  Gestalt,  in  Hochrelief  gearbeitet,  überlebensgross, 
trägt  ganz  antikischen  Charakter;  man  kann  an  Figuren  des 
Pergamenischen  Altars  durch  sie  erinnert  werden.  Sie  wirkt 
gigantisch,  aber  nicht  gewaltsam.  Auf  Trophäen  stehend, 
stützt  sie  die  Linke  auf  eine  einfach  gerahmte  viereckige 
Tafel ;  der  zurückgelehnte  Kopf  ist  etwas  zur  Seite  gewendet. 
In  feinen  Falten  liegt  das  zarte  Gewand  weich  an  den  runden 
Formen  an.  Der  rechte  Arm,  der  erhoben  gedacht  ist,  ist 
abgeschnitten,  ebenso  die  herrlich  gebildeten  Flügel.  —  Ein 
darunter  befindliches  Relief  mit  Trophäen  ist  offenbar  von 
derselben  Hand  gearbeitet,  vielleicht  auch  der  im  Hofe  des 
Palastes  gegenüber  in  die  Mauer  eingefügte  Adler. 
XXI.  Hochrelief  der  Pietä,  in  der  Kirche  des  Albergo 
de'  Poveri  in  Genua.  Die  als  Michelangelo  bekannte  Dar- 
stellung in  Brustbildern:  Maria  das  Haupt  zu  dem  Christi 
senkend,  den  sie  mit  den  Händen  umfängt.  Neuerdings  mit 
Recht  von  Suida  als  Werk  des  Montorsoli  in  seiner  Mono- 
graphie über  Genua  (Berühmte  Kunststätten,  Leipzig  1906) 
besprochen. 


512  Anhang 

XXII.  Der  Adler  am  Palazzo  communale  zu  Bologna. 
Abb.  Knapp  unter  den  „zweifelhaften  Werken"  S.  155.  Fälsch- 
lich für  ein  Werk  des  jungen  Michelangelo  aus  der  Zeit  seines 
Aufenthaltes  in  Bologna  ausgegeben. 

XXIII.  Die  kleine  Bronzethüre  im  Museo  nazionale  zu 
Florenz  Nr.  53.  Längere  Zeit  für  Michelangelos  Arbeit 
gehalten,  heute  dem  Vincenzo  Danti  zuerkannt.  Cicog- 
nara  publizirte  sie  Taf.  LVI.  (S.  278.) 

XXIV.  Relief  in  Gyps:  die  Sund fluth.  In  Goris  hinterlassenen 
Notizen  erwähnt.     (Fanfani:  Spigol.  Mich.  S.  313.) 

XXV.  Relief:  die  Madonna  mit  Christus,  Johannes  dem 
Täufer,  Anna  und  Joachim.  1749  ^^  der  Imperiale  villa 
dell'Ambrogiana,  angeblich  nach  alten  Katalogen  ein  Werk 
des  Meisters  (ebenda  S.  314.) 

XXVI.  Relief  einer  Pietä.  Im  Besitze  von  Pietro  Tosi  di  Cris- 
pino.  1838.  Vgl.  Attendolo  Bolognini  (conte  G.  G.):  Alcuni 
cenni  sopra  un  bassorilievo  di  M.  B.     Milano   1838. 

XXVII.  Stukkorelief:derToddesGrafenUgolino.  Florenz, 
Museo  nazionale  Nr.  117.  H.  Grimm  machte  es,  nach  einem 
Abguss  in  der  mittelalterlichen  Sammlung  zu  Basel,  1865  in 
,,Über  Künstler  und  Kunstwerke"  I,  72  bekannt.  In  II,  79 
berichtet  er  von  einem  Stiche  des  Gaetano  Vascellini  1782 
(in  Dresden:  Kupferstichkabinet) ,  auf  dem  die  Komposition 
als  Werk  Michelangelos  bezeichnet  wird.  Heute  ist  sie  dem 
Pierino  da  Vinci  zuerkannt. 

XXVIII.  Terrakotta.  Modell  zu  einem  Relief:  der  Sturz 
eines  Giganten.  Dieser  klemmt  sich,  stürzend,  mit  den 
Händen  an  einem  Felsen  an.  Es  befand  sich  in  Goris  Besitz, 
der  es  vom  Canonico  Pandolfo  Ricasoli  erwarb.  (Not.  stör. 
S.  103.) 

XXIX.  Relief  im  Besitze  Wicars.  Gegenstand.^  In  einem 
Briefe  an  Pietro  Benvenuti  in  Florenz  theilt  Wicar  1826  mit, 
dass  ein  Abguss  des  Reliefs  für  die  Akademie  in  Florenz 
zur  Verfügung  stehe. 

XXX.  Die  Medaille  des  Bindo  Altoviti.  Eine  ausführliche 
Abhandlung  über  sie  von  Domenico  Moreni:  Illustrazione 
storico  -  critica  di  una  rarissima  medaglia  rappresentante 
Biondo  Altoviti  opera  di  Michelangelo  B.  Firenze  1826. 
Moreni  knüpft  an  eine  Erzählung  Baldinuccis  in  der  ,,vita 
di  Guido  Reni"  an,  nach  welcher  Monsignore  Altoviti  dem 
Maler  die  ,,stupenda",  von  Michelangelo  angefertigte  Medaille 
gezeigt  habe. 


Dem  Meister  irrthümlich  zugeschriebene  Werke  c  j  7^ 


3 
Architektonisches  und  Kunstgewerbliches 

Das  hier  in  Betracht  Kommende  habe  ich  bereits  früher  in  den 
betreffenden  Abschnitten  über  die  Bauten  in  Florenz  und  in  Rom 
und  über  Grabdenkmäler  und  Gebrauchsgegenstände  angeführt. 
Nachzutragen  hätte  ich  nur 

XXXI.  Tisch  im  Palazzo  Farnese  zu  Rom,  erwähnt  von  Titi 
in  seiner  Descrizione  S.  1 1 1 :  una  tavola  di  porta  santa  e 
verde  antico  con  piedistallo  scolpito  dal  Buonarroti. 

XXXII.  Anderer  Tisch  ebendaselbst.  Titi  S.  112:  una  gran 
tavola  di  varie  pietre  orientali  co'  piedistalli  scolpiti  da  Michel- 
angelo. 

XXXIII.  Die  Grabmäler  des  Angelo  und  der  Frances- 
china Cesi  in  S.  Maria  della  Face.  Michelangelo  zu- 
geschrieben bei  Litta:  Famiglie  celebri.  Die  Cesi. 

4 
Gemälde  und  Entwürfe 

Noch  mehr  wie  im  Vorangehenden  muss  ich  mich  hier  be- 
schränken. Es  wäre  zwecklos,  alle  willkürlich  in  älteren  Katalogen 
von  Galerien,  Privatsammlungen  und  Versteigerungen  Michelangelo 
zugeschriebenen  Werke  anzuführen.  —  Das  Madonnenbild  in  der 
Wiener  Akademie  erwähnte  ich  schon  Bd.  I,  S.  62. 

XXXIV.  Gemälde:  Maria  mit  demKinde.  Mailand, Samm- 
lung Cavaliere  Crespi.  Das  Bild  ist  neuerdings  als  ein 
Jugendwerk  Michelangelos  betrachtet  worden.  Ein  unfreund- 
licher Zufall  wollte  es,  dass  ich  wegen  Abwesenheit  des  Be- 
sitzers bei  wiederholtem  Aufenthalt  in  Mailand  es  nicht  sehen 
konnte.  Doch  genügen  die  Abbildungen  (bei  Knapp  S.  156, 
Steinmann:  Sixt.  Kap.  II,  S.  366)  davon  zu  überzeugen,  dass 
jene  Annahme  unhaltbar  ist.  Es  giebt,  wie  Knapp  bemerkte, 
getreu  ein  Donatelleskes  Madonnenrclief  (Exemplar  in  Pietra 
serena  im  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin.  Abb.  Bode  und 
V.  Tschudi:  Beschreib,  der  Bildw.  der  christl.  Periode  Taf.  III, 
Nr.  52)  wieder,  ohne  in  der  Interpretation  für  Michelangelo 
charakteristische  Formen  zu  verrathen. 

XXXV.  Gemälde:  Maria  mit  Kind  und  Johannes.  Ein 
solches  wurde  1829  von  den  Malern  Francesco  Sabatelli  und 
Tommaso  Minardi  in  Florenz  dem  Meister  irrig  zugeschrieben. 
Vgl.  Antologia  di  Firenze  XXXV,  Sept.  1829,  p.  92.  Nach 
der  Abb.  aus  der  Schule  Andrea  del  Sartos. 

%*  33 


514  Anhang 

XXXVI.  Gemälde:  die  hl.  Familie.  Halbe  Figuren  in  Lebens- 
grösse.  Maria  umarmt  stehend  das  Kind,  dabei  der  verehrende 
Joseph.  Im  Besitze  des  Königs  von  Frankreich.  Mariette, 
der  es  erwähnt,  ist  nicht  sicher,  ob  es  ein  Original.  (Observ. 
S.  TJ^  Zwischen  1790  und  1792  ist  es  aus  Versailles  fort- 
gekommen.    (Waagen:  K.  und  K.  III,  769.) 

XXXVII.  Gemälde:  Maria  mit  dem  Kinde.  Befand  sich  in 
der  Sammlung  des  Herzog  von  Orleans.    (Mariette:  Observ.  77.) 

XXXVIII.  Gemälde:  Judith  und  Holofernes.  1868  im  Studio 
des  Feiice  de  Tivoli  in  London  ausgestellt.  Judith  hält  stehend 
das  Haupt,  das  eine  Magd  im  Begriffe  ist,  in  einem  Tuch  zu 
empfangen.  Holofernes  im  Todeskampf.  Vgl.  Prof.  V.  de 
Tivoli :  Judith,  a  lecture  on  a  picture  by  Michelangelo.  London 
1868. 

XXXIX.  Fresko  der  Verkündigung  an  einemPalazzo  in 
Venedig.  Hiervon  spricht  Ridolfi  in  seinen  Meraviglie  delF- 
Arte  1648,  I,  S.  102.  Der  Ruhm  der  Fassadenfresken,  welche 
Pordenone  am  Hause  des  Vlamen  Martino  d'Anna  in  der 
Parrochie  San  Benedetto  gemalt,  sei,  so  sagt  Ridolfi,  zu  Michel- 
angelos Ohren  gedrungen  und  habe  ihn  veranlasst  nach  Venedig 
zu  kommen  „e  nel  capitello  posto  nell'  angolo  della  medesima 
casa  colori  l'Annunziata,  la  quäle  essendosi  guasta,  fü  ritocca 
da  Matteo  Jngoli  giä  non  molto  tempo." 

XL.  Entwürfe  zu  den  Glasfenstern  in  der  Kapelle  des 
hl.  Antonius  von  Padua  inS.  Petronio  zu  Bologna. 
Acht  Apostelfiguren  werden  ihm  ohne  jeden  Grund  hier  zu- 
geschrieben. Es  ist  die  Kapelle  mit  den  Fresken  von  Giro- 
lamo  da  Treviso. 

XLI.  Fresko  einer  Pietä  zwischen  zwei  heiligen  Mär- 
tyrern in  der  Chiesa  Priorale  von  Marcialla  an  der 
Strasse  von  Florenz  nach  Pisa  bei  Tavernelle.  Gori,  der  es 
erwähnt  (Not.  stör.  S.  106),  erhielt  die  Mittheilung  über  die 
Tradition,  Michelangelo  habe  es  gelegentlich  eines  Aufenthaltes 
in  der  Villa  der  Herren  Serragli  (in  der  Nähe  jener  Kirche) 
als  Jüngling  gemacht,  von  dem  Archäologen  Francesco  Pitto- 
reggi. 

XLII.  Gemälde,  Apollo  darstellend,  in  Turin.  Kopie  von 
Robert  Levoyer,  Maler  am  Savoyischen  Hof  (f  zu  Turin  1630), 
nach  Michelangelo.  Erwähnt  1635  in  dem  „Inventario  de'quadri 
di  pittura  del  Palazzo  di  Torino".  (AI.  Vesme  in  „Le  Gallerie 
nazionaH  Ital."   1897.     III,  S.  37-) 

XLIII.  Gemälde:  die  drei  Parzen  im  Palazzo  Pitti.  Es 
galt,  wie  bekannt,  lange,  bis  auf  die  neuere  Zeit,  für  eine 
Schöpfung   des    Meisters.     Als    solches    wird    es    von    CinelU: 


Dem  Meister  irrthiimlich  zugeschriebene  Werke  r  j  r 

,,le  Bellezze  di  Firenze"  1677  in  der  Casa  des  Cav.  Alesso 
Rimbotti,  vom  Abbe  Richard  (Description  de  1'  Ital.  III,  69) 
in  der  Grossh.  Galerie  erwähnt.  Giovanbattista  Niccolini 
widmete  ihm  eine  Betrachtung  (Opere  edite  ed  inedite,  racc. 
da  Corrado  Gargiolli,  Milano  1870,  VII,  519).  Die  neuere 
Forschung,  nachdem  schon  Blanc  (Gaz.  d.  b.  a.  1859.  I,  262) 
es  für  eine  schwache  Arbeit  erklärt,  strich  den  Namen  des 
Meisters,  an  dessen  Stelle  zuletzt  Jacobsen  den  des  Pontormo 
zu  setzen  vorschlug.  (Z.  f.  b.  K.  1898.  IX.  S.  118.  Rep.  f. 
Kunstw.  XXVII,  S.  258:  Zeichnung  Pontormos  zur  Parze  links 
in  den  Uffizien  Nr.  6564.) 

XLIV.  Porträts  von  Paul  III.  und  Karl  V.  im  Belvedere 
des  Vatikan  (wo  heute  der  Torso  steht).  Die  Tradition 
hiervon  geht  bis  auf  das  XVI.  Jahrhundert  zurück.  Lanciani, 
Storia  degU  scavi  di  Roma  I,  156:  ,,hinc  est  fons  rusticus  in 
quo  dii  et  monstra  marina  expressa.  Hie  et  effigies  principum 
variorum,  in  his  Pauli  III.  p.  m.  et  CaroH  V.,  imp.  Michaelis 
Angeli  manu  depictae."  Vgl.  Steinmann  (Sixt.  Kap.  II,  483, 
A.  i),  der  die  Behauptung  auch  bei  Schott,  Itinerarium  Italiae 
1610.  II,  p.  86  findet  und  Boissard  anführt  (Topographia  urbis 
Romae  I,  8),  w'elcher  diese  Porträts  in  die  Sixtinische  Kapelle 
versetzt:  ante  deambulacra  de  quibus  dictum  est  superius 
sacellum  est  illustre  picturis  Michaelis  Angeli,  in  quo  expressi 
sunt  vultus  multorum  Principum  ut  Pauli  III.  P.  M.,  Caroli  V. 
Imp.  et  aliorum." 

XLV.  Porträt  des  Mondelli  in  der  Galleria  Estense  zu 
M  o  d  e  n  a.  Das  Porträt  eines  kahlköpfigen  Alten  mit  grauem 
Bart  von  Michelangelo  wird  es  von  Campori  in  den  ,,Artisti 
ital.  e  stranieri  negli  stati  Estensi"  ((Modena  1855,  S.  I05) 
genannt.  Ad.  Venturi  in  der  ,,R.  Galleria  Estense"  S.  234 
zitirt  den  Brief  des  Paolo  Francesco  Forni,  durch  den  es 
am  10.  Juli  1654  für  500  duchatoni  d'argento  dem  Herzog 
zum  Kaufe  angeboten  wird.  Es  befand  sich  im  Besitz  des 
Brescianers  Cav.  Mondelli  und  wird  bezeichnet  als  Bildniss  eines 
,,gentiluomo  di  Carlo  V.":  Mondelli,  Bruders  des  ,,difensore 
della  fede  Cattolica"  Lodovico  Mondelli. 

XLVI.  Porträt  einer  Dame  in  der  Grossh.  Sammlung  zu  Florenz, 
wird  von  Richardson  (III,  113)  erwähnt:  fort  bien  peint. 

XLVII.  Der  grosse  Kopf  al  fresco  im  Saale  der  Farne- 
sina zu  Rom.  Die  Geschichte,  Michelangelo  sei  ohne 
Wissen  Raphaels  zur  Essenszeit  in  die  Villa  gegangen  und 
habe  den  Kopf  gemalt,  dessen  Autor  der  Urbinate  dann  so- 
gleich erkannt,  wurde  im  XVIII.  Jahrhundert  erzählt  (Bottari). 


5l6  Anhang  

Kiipf ersticke  und  Holzschnitte. 

XLVIII.  Agostino  Veneziano:  Die  drei  Marien  zum  Grabe 
gehend.     B.  XIV,  S.  39,  Nr.  33. 

XLIX.  Agostino  Veneziano:  B.  426.  II  Stregozzo.  Die  Hexe 
auf  dem  Skelett,  von  nackten  Männern  geleitet.  Lomazzo 
sagte:  von  Michelangelo.  Die  eine  Figur  nach  Karton  von 
Pisa. 
L.  Nie.  Beatrizct.  Ein  Alter  in  einem  Buche  lesend.  B.  XV, 
S.  261.  Nr.  42.  Erster  etat:  bez.  Anaximenis  Alexandri  Magni 
praeceptor.  Zweiter  etat:  S.  Paulus. 
LI.  Giorgio    Ghisi.      Der   sogen.    Traum    Raphaels    oder    die 

Melancholie  Michelangelos.     B.  XV,  S.  413,  Nr.  ^-j. 
LH.  Cherubino  Albert i.    Prometheus  an  einen  Baum  gebunden. 

B.  XVII,  S.  80,  Nr.  92. 
LIII.  Jacopo  Caraglio.     Ixion  Juno  umarmend.     B.  XV,  S.  99, 
App.  Nr.   I.     Symonds    (I,  269)    stellte    die  Vermuthung   auf, 
nicht  Perino  del  Vaga,  sondern  Michelangelo  habe  die  Kom- 
position gezeichnet. 

LIV.  Fernando  Bertelli.  1566.  Christus,  den  Paralytischen 
heilend.  (Passerini  S.  169.) 
LV.  Anonym.  Die  Geburt  Christ.  Mit  dem  Namen  Michel- 
angelos bezeichnet.  Nativitas  Jesu  Christ.  Verso:  hunc 
puerum  etc.  Dem  Kardinal  Clement  Monilian  dedizirt.  Es 
giebt  Abdrücke  mit:  Palumbi  Novarien.  curabant  Romae  1564. 
Heinecken  I,  S.  383,  Nr.   11. 

LVI.  Anonymer  Holzschnitt.  Zwei  nackte  Frauen,  welche 
Wasser  in  einem  Gefäss  schöpfen,  um  sich  zu  baden.  Von 
Mariette  in  einem  Brief  an  Gabburri  erwähnt  (Bottari  II,  291): 
,,non  ho  visto  mai  cosa  piü  bella  e  io  non  dubito  punto 
ch'ella  non  sia  disegnata  da  M.  medesimo." 

Zcichnunge7i. 

Aus    der  grossen  Zahl  fälschlich  Michelangelo   zugeschriebener 
Zeichnungen  hebe  ich  nur  einige  früher  berühmte  hervor. 
LVII.  II    concilio    degli    Dei    „disegno    in    carta    turchina   ad 

aquarello".   Befand  sich  einst  in  der  Galleria  Estense.    Campori: 

Artisti  negli  Stati  Estensi  S.   105. 
LVIII.  „Michelangelo    und  Antonio    dellaTorre,    einen 

Leichnam    sezirend."      In    Oxford,    Univ.   Gall.   Rob.   50. 

Ber.   17 14.      Phot.  Br.  80.    Abb.    Vv^oodburn,    Lawrence    Gall. 

Einst  bei    Crozat  und  Mariette.     Die  Benennung   gab  Wood- 

burn.     Wickhoff  schreibt  das  Blatt  Bartolommeo  Manfrcdi  zu. 


Die  künstlerische  Veriierrlichung  des  Meisters  nach  seinem  Tode       517 


LIX.  Jupiter,  Ganymed  oder  Amor  umarmend.  Oxford, 
Univ.  Gall.  57.  Ber.  1720.  Berenson  denkt  an  Raffaello  da 
Montelupo. 
LX.  Die  Hand  Michelangelos.  Paris  717.  Ber.  1740.  Die 
vielgefeierte  Mariette'sche  Zeichnung,  die  aus  den  Sammlungen 
Bourdaloue,  Crozat  kam  und  vom  Comte  de  Caylus  gestochen 
wurde.  Schon  Ottley  erkannte,  dass  sie  nicht  von  dem 
Meister  (sondern  Caracci).  Wickhoff  giebt  sie  dem  Passarotti. 
Vgl.  Steinmann  in  der  Festschrift  für  Friedrich  Schneider:  er 
hält  das  Thonmodell  einer  Hand  im  South  Kensington  Museum 
(41 14 — 54.  Phot.  Kensington)  für  Michelangelos  Arbeit,  worin 
ich  ihm  nicht  beistimmen  kann. 

LXI.  Herkules  und  Kakus.  Weigel'sche  Sammlung.  Abb. 
Handz.  ber.  Meister  der  Weigel'schen  S.  Leipzig  1854.  Er- 
innert mehr  an  Tintorettos  Art. 


B 

Die  künstlerische  Verherriichung  des  Meisters  nacli 
seinem  Tode 


Die  Leichenfeier  in  S.  Lorenzo 

Noch  ehe  die  von  Rom  gesandte  Leiche  Michelangelos  in 
Florenz  eintraf,  beschloss  auf  Veranlassung  des  Präsidenten 
Vincenzo  Borghini  die  neu  begründete  florentinische  Akademie, 
durch  eine  grosse  Feier  das  Andenken  ihres  ,,primo  academico  e 
capo  di  tutti  loro"  zu  ehren.  Als  Leiter  der  Veranstaltung  wurden 
gewählt :  Agnolo  Bronzino,  Giorgio  Vasari,  Bartolommeo  Ammanati 
und  Benvenuto  Cellini,  an  welch'  Letzteren  Stelle  dann  aber,  da  er 
,,indisposto"  war  und  zu  keiner  der  Sitzungen  kam,  der  Bildhauer 
Zanobi  Lastricati  als  Proveditore  trat.  Alle  Künstler,  junge  und 
alte,  boten  ihre  Dienste  an.  Man  erbittet,  wie  dies  Alles  ausführlich 
von  Vasari  geschildert  wird,  vom  Herzog  Cosimo  die  Erlaubniss, 
die  Exequien  in  S.  Lorenzo  feiern  zu  dürfen,  sowie  finanzielle 
Hülfe,  und  bestimmt  Benedetto  Varchi  mit  Cosimos  Einwilligung 
zum  Trauerredner.  Am  10.  März  1564  trifft  der  Sarg  mit  der 
Leiche,  in  einem  Waarenballen  verheimlicht,  in  Florenz  ein.  Vasari 
lässt  ihn  auf  der  Dogana  versiegeln.  Am  11.  wird  die  Leiche  in 
die    Compagnia    dell'Assunta   bei    San  Piero  Maggiore   übergeführt. 

,,Am  folgenden  Tage,  dem  Sonntag  der  zweiten  Woche  in 
den  Fasten,  versammelten  sich  alle  Maler,  Bildhauer  und  Archi- 
tekten  heimlich   rings  um  S.  Piero,  wohin   sie  nichts  Anderes,  nur 


5  1 8  Anhang 

eine  mit  Gold  ausstaffirtc  und  gesteppte  Sammetdecke  gebracht 
hatten,  welche  den  Sarg,  auf  dem  ein  Kruzifix  lag,  und  die  ganze 
Bahre  bedeckte.  Gegen  Mitternacht,  Alle  eng  um  die  Leiche  sich 
schaarend,  ergriffen  plötzlich  die  ältesten  und  ausgezeichnetsten 
Künstler  eine  grosse  Menge  von  Fackeln ,  die  ihnen  gebracht 
wurden,  und  die  Jüngeren  erfasstcn  mit  so  grossem  Eifer  die  Bahre, 
als  priese  sich  Jeder  glückselig  sich  ihr  nähern  und  sie  auf  die 
Schulter  nehmen  zu  dürfen,  um  sich  in  kommenden  Zeiten  rühmen 
zu  können :  ich  habe  die  Gebeine  des  grösten  Mannes ,  den  es 
jemals  in  unserer  Kunst  gab ,  getragen.  Das  Gerücht  von  der 
Übertragung  verbreitet  sich ,  und  eine  so  grosse  Menschenmenge 
eilte  herbei  und  füllte  die  Kirche  S.  Croce  so,  dass  der  Sarg  nur 
unter  grössten  Schwierigkeiten  in  die  Sakristei  gebracht  werden 
konnte.  Dort  entschloss  sich  der  Präsident  der  Akademie,  um 
Vielen  sich  gefällig  zu  erv;eisen  und  auch,  wie  er  selbst  gestand, 
aus  dem  Wunsche,  den  Mann,  den  er  lebend  nicht  oder  in  einem 
Alter,  das  ihm  keine  Erinnerung  gelassen,  gesehen,  wenigstens  todt 
zu  sehen ,  den  Sarg  öffnen  zu  lassen.  Und ,  als  dies  geschehen, 
sahen  wir  den  Leichnam,  den  er  und  wir  Alle  schon  verwest  und 
zerstört  zu  finden  erwarteten,  da  er  schon  25  Tage  todt  und  22  in 
dem  Sarge  war,  in  allen  seinen  Theilen  unversehrt  und  ohne  jeden 
üblen  Geruch,  so  dass  wir  glaubten,  er  ruhe  vielmehr  in  einem 
süssen,  ruhigen  Schlafe.  Nicht  allein,  dass  seine  Gesichtszüge  noch 
ganz  wie  im  Leben  waren,  ausser  dass  die  Farbe  ein  wenig  die 
eines  Todten  war,  auch  keines  seiner  Glieder  war  beschädigt  oder 
zeigte  irgend  etwas  Abstossendes.  Und  das  Haupt  und  die  Wangen 
rührten  sich  nicht  anders  an,  als  sei  der  Tod  nur  wenige  Stunden 
vorher  eingetreten". 

,,Er  war  in  einen  Rock  von  schwarzem  Damast  geldeidet,  trug 
an  den  Beinen  Stiefel  und  Sporen,  und  auf  dem  Kopf  einen  alt- 
modischen Seidenhut  mit  langen  schwarzen  Filzhaaren",  heisst  es 
in  den  ,,Memorie  fiorentine  inedite".     (Gaye  III,    133.) 

Der  Sarg  wurde  in  der  Kirche  beim  Altar  der  Cavälcanti  in 
einer  Grabstätte  vorläufig  beigesetzt  und  die  Stätte  am  nächsten 
Tage  durch  zahlreiche  Gedichte  geehrt.  Am  16.  März  beschliessen 
in  einer  Sitzung  die  Akademiker,  die  Exequien  feierlich  in  S.  Lorenzo 
zu  begehen  und  v/eiter  am  9.  Mai,  dass  einstweilen,  da  der  Herzog 
noch  kein  Geld  gesandt,  Ammanati  auf  seine  Kosten  die  Ausgaben 
für  die  Gemälde,  welche  die  Leichenfeier  verherrlichen  sollen,  über- 
nehme.    (Mil.  Prosp.  Cron.  402,  403.) 

,,Man  kam  zu  dem  Beschlüsse ,  nicht  etwas  Prunkhaftes  und 
Kostspieliges,  sondern  vielmehr  etwas  durch  die  Erfindung  der 
Kunst  Würdiges  zu  machen"  —  so  erzählen  die  kleine,  1564  bei 
den  Giunti  erschienene  Schrift :  ,,Esequie  del  divino  Michelagnolo" 


Die  künstlerische  Verherrlichung  des  Meisters  nach  seinem  Tode       51g 


und  Vasari ,  der  in  der  Hauptsache  und  zumeist  wörtlich  sich  an 
sie  hält.  ,,Denn,  sagten  die  Deputirten  und  ihre  Proveditore,  da 
ein  Mann  wie  Michelangelo  geehrt  werden  soll,  und  zwar  von 
Männern  seines  Berufes,  die  reicher  an  Talenten,  als  an  Geldmitteln 
sind,  muss  man  dies  nicht  mit  königlichem  Pomp  oder  eitlen  Äusser- 
lichkeiten,  sondern  mit  geistigen  Erfindungen  und  geistreichen,  an- 
muthigen  Werken,  die  dem  Wissen  und  der  Geschicklichkeit  unsrer 
Künstler  verdankt  werden,  thun  und  so  die  Kunst  durch  die  Kunst 
ehren."  ,, Dessen  ungeachtet  aber  zeigte  es  sich  schliessHch,  dass  die 
Pracht  der  Veranstaltung  den  Werken,  die  aus  den  Händen  der 
genannten  Akademiker  hervorgingen,  entsprach,  und  dass  die  Ehrung 
wahrhaftig  nicht  weniger  prächtig  als  geistreich  und  voll  von  rühm- 
lichen Einfällen  und  Erfindungen  war." 

Der  Katafalk,  28  Ellen  hoch,  11  lang  und  9  breit,  wurde  im 
Mittelschiff  zwischen  den  zwei  seitwärts  in  das  Kloster  und  in 
das  Freie  führenden  Thüren  errichtet.  Er  erhob  sich  auf  einem 
zwei  Ellen  hohen  Postament  in  zwei  Stockwerken,  deren  unteres, 
5^/2  Ellen  hoch,  deren  oberes,  schmäler  gebildet,  4  Ellen  hoch  war. 
Auf  dem  zweiten  stieg  eine  9  Ellen  hohe  Pyramide  empor,  die  in 
eine  Kugel  endigte.  Auf  der  Kugel  schwebte ,  als  Bekrönung  des 
Ganzen,  eine  Fama.  In  der  Ottley 'sehen  Sammlung  befand  sich 
eine  Federskizze ,  die  uns  offenbar  den  ersten ,  dann  veränderten 
Entwurf  Lastricatis  zeigt.  (Abb.  in  William  Roscoes  Life  of 
Lorenzo  de'  Medici.  Heidelberger  Ausgabe  1826.  IV,  S.  1^1.5.) 
Hier  erscheint  der  Katafalk,  schon  zweigeschossig,  in  eine  Architektur 
hineingestellt  und  mit  der  hinteren  Schmalseite  an  die  Wand  ge- 
lehnt. Wir  sehen  auf  dem  Postament  vor  dem  unteren  Geschoss 
die  zwei  Flussgötter,  die  dann  ausgeführt  wurden,  am  zweiten  Ge- 
schoss ein  Relief  und  seitwärts  je  eine  Statue  mit  Siegeszweig, 
welche  auf  Unterworfene :  links  eine  kauernde  Figur ,  rechts  ein 
Skelett  tritt,  angeordnet.  Auf  der  Plattform  ist  statt  der  späteren 
Pyramide  die  Bahre  mit  dem  aufrecht  sitzenden  Todten  zwischen 
zwei  sitzenden  Frauengestalten  angeordnet.  Über  ihr  schwebt 
Posaunen  blasend  die  Fama.  In  dieser  Anbringung  der  Bahre  oben 
und  in  den  Vittoriengestalten  darf  man  wohl  eine  beabsichtigte 
Reminiszenz  an  die  frühen  Pläne  zum  Juliusdenkmal 
gewahren,  in  den  Flussgöttern  an  jene  fürdieMedici- 
gr  aber. 

In  der  Ausführung  gestaltete  sich  das  Ganze  nun,  wie  folgt. 
An  der  Front  des  Katafalkes,  welche  man,  durch  das  Hauptportal 
der  Kirche  eingetreten,  vor  sich  hatte,  lagerten  auf  dem  Postament 
zwei  Flussgötterstatuen. 

I.  Die    Statuen    des    Arno    und    des    Tiber.     ,,Der  Arno 
hatte  ein  Füllhorn  mit  Blumen  und  Früchten,  als  Symbol  der 


520  Anhang 

von  Florenz  in  den  Künsten  hervorgebrachten  Früchte ,  die 
so  reich  und  so  beschaffen  sind,  dass  sie  die  Welt  und  in 
Sonderheit  Rom  mit  ungewöhnlicher  Schönheit  erfüllt  haben. 
Was  zu  gelungener  Verdeutlichung  in  dem  anderen  Flussgott, 
dem  Tiber,  gelangte,  denn  dieser,  einen  Arm  ausstreckend, 
hatte  die  Hände  voll  von  Blättern  und  Früchten,  die  er  aus 
dem  Füllhorn  des  seitHch  ihm  gegenüber  befindlichen  Arno 
empfangen.  Indem  er  sich  der  Früchte  des  Arno  erfreute, 
wurde  darauf  angespielt,  dass  Michelangelo  einen  grossen 
Theil  seines  Lebens  in  Rom  zugebracht  und  dort  die  Wunder 
geschaffen  hat,  welche  die  Welt  staunen  machen.  Der  Arno 
hatte  als  Sinnbild  den  Löwen  und  der  Tiber  die  Wölfin 
mit  den  kleinen  Romulus  und  Remus.  Und  beide  waren 
Kolosse  von  ausserordentlicher  Grösse  und  Schönheit  und 
wirkten  wie  aus  Marmor."  Den  Tiber  hatte  ein  Schüler 
Bandinellis:  Giovanni  da  Castello  gen.  Bandini,  den  Arno 
Ammanatis  Schüler :  Battista  da  Benedetto ,  gen,  Fiammeri 
angefertigt. 
Die  Wände  des  ersten  Stockwerkes  waren  mit  grau  in  grau 
ausgeführten  Gemälden  geschmückt : 

II.  An  der  Front  über  den  Flüssen.  Lorenzo  Magnifico 
nimmt  den  Knaben  Michelangelo  in  seinen  Garten 
auf.  Lorenzo  empfängt  huldvoll  den  Knaben  und  übergiebt 
ihn  einigen  Meistern  zur  Lehre.  Gemalt  von  den  Freunden: 
Battista  del  Cavalcatore,  gen.  Mirabello  (oder  Mirabello  di 
Antonio  Cavalori  gen.  Salincorno) ,  ein  Schüler  Ridolfo  del 
Ghirlandajos,  und  Girolamo  delCrucifissajo,  Schüler  des  Michele 
di  Ridolfo  del  Ghirlandajo. 

III.  An  der  Seite  rechts.  Papst  Clemens  beschäftigt 
Michelangelo  an  der  Sagrestia  nuova  und  an  der 
Libreria.  Michelangelo  zeigt  dem  Papst  den  Grundriss 
der  Sakristei.  Hinter  ihm  bringen  einige  Putten  und  andere 
Figuren  die  Modelle  der  Libreria,  der  Sakristei  und  der  in 
dieser  ausgefiihrten  Statuen.  Gemalt  von  Federigo  Flamingo, 
Sohn  des  Lambert  Sustris. 

IV.  An  der  Hinterseite  gegenüber  dem  Altare  das  von  Pier  Vettori 
verfasste  Epitaphium,  von  zwei  weinenden  und  die  Fackel 
verlöschenden  Putten  gehalten : 

Collegium  pictorum,  statuariorum,  architectorum,  auspicio 
opeque  sibi  prompta  Cosmi  ducis,  auctoris  suorum  commo- 
dorum ,  suspiciens  singularem  virtutem  Michaelis  Angeli 
Bonarrotae ,  intelligensque  quanto  sibi  auxilio  semper  fuerint 
praeclara  ipsius  opera,  studuit  se  gratum  erga  illum  ostendere, 
summum    omnium ,    qui    unquam    fuerint ,    P.  S.  A. ,    ideoque 


Die  künstlerische  Verherrlichung  des  Meisters  nach  seinem  Tode       521 

monumentum    hoc    suis    manibus    extructum ,    magno    animi 
ardore  ipsius  memoriae  dedicavit. 
V.  An  der  Seite  links :  Michelangelo  befestigtdenHügel 
von   San   Miniato.      Gemalt   von  Lorenzo  Sciorini    (oder: 
dello  Sciorina),  einem  Schüler  des  Bronzino. 
Auf  den  vier  Ecken  des  Untergeschosses  waren  überlebensgrosse 
Statuen  aufgestellt,  jede  als  Sieger  über  einen  Unterworfenen. 
VI.  Rechts  vorne :  deringegno,  dieIgnoranzazuFüssen. 
Der   Ingegno,    als    schlanker,    ganz    vergeistigter,    lebendiger 
Jüngling   mit   kleinen  Flügeln   an  den  Schläfen,    wie  sie  dem 
Merkur   gegeben   werden.     Die  Unwissenheit   mit  Eselsohren. 
Von  Vincenzo  Danti  angefertigt. 
VII.  An    der   hinteren   Ecke    rechts :    die    Pietä   als    Siegerin 
über  das  Laster.     Die  Pietä  als  Inbegriff  aller  Tugenden, 
welche  die  Christen  als  die  theologischen,  die  Heiden  als  die 
moralischen   bezeichnen.      Von  Valerio  Cioli   von  Settignano. 
VIII.  An    der   hinteren  Ecke  links :    Minerva  oder  die  Kunst, 
dieinvidia  zu  ihren  Füssen.    Um  zu  sagen,  dass  Michel- 
angelo   nicht    allein  Ehre  und  Vermögen,    sondern  so  hohen 
Ruhm   geerndtet  habe,    wie  Andere  nur  nach  dem  Tode  ihn 
gewinnen;    und    dass    er    den  Neid  so  überwunden,  dass  ihm 
einstimmig    die  Ehre  höchster  Auszeichnung  zuerkannt  ward. 
Der  Neid  war  als  alte,  dürre  und  aufgezehrte  Frau  mit  Viper- 
augen dargestellt  so,  als  sprühten  alle  ihre  Züge  nur  Gift  aus. 
Von  dem  jungen  Lazzaro  Calamech  von  Carrara. 
IX.  Links  vorne :  das  Studium,  die  Faulheit  überwindend. 
Das  Studium,  auf  Michelangelos  unermüdliche  Arbeit  deutend, 
war  ein  stolzer,  kühner  Jüngling,  mit  kleinen  Flügeln  an  den 
Armen    dicht   über    den  Händen.     Die  Trägheit   eine  schwer- 
fällige, müde,  schläfrige  Frau.     Von  Andrea  Calamech. 
Auch    das    zweite    Stockwerk   war   mit  Gemälden   geschmückt, 
welche  die    vier   Thätigkeiten  des  Meisters  verdeutlichten :  und  auf 
den  vier  Ecken  waren  diese  in  sitzenden  Statuen  dargestellt. 

X.  An  der  vorderen  Seite :  Michelangelo  mit  dem  Modell 
der    Peterskuppel    vor    PiusIV.       Von    Pierfrancesco 
Jacopo  di  Domenico  Toschi. 
XI.  An  der  Seite   rechts:  Michelangelo  malt   das  Jüngste 

Gericht.  Von  Schülern  des  Michele  di  Ridolfo. 
XII.  An  der  Altarseite:  Michelangelo  beräth  sich  mit  der 
als  Frau  dargestellten  Skulptur.  Er  war  umgeben  von 
seinen  schönsten  Bildhauerwerken,  und  die  Skulptur  hielt  eine 
Tafel  mit  des  Boethius  Worten:  ,,simili  sub  imagine  formans". 
Von  Andrea  dcl  Minga,  einem  Schüler  des  Ridolfo  del 
Ghirlandajo. 


522  Anhang 

XIII.  An  der  Seite  links:  Michelangelo  als  Dichter,  schrei- 
bend, dem  der  bekränzte  Apollo,  die  Leier  in  der 
Hand  und  von  den  Musen  umgeben,  einen  Kranz 
auf  das  Haupt  zu  setzen  im  Begriff  ist.  Von  Giovan- 
maria  Butteri,  Schüler  des  Bronzino. 

Die  vier  Statuen  waren 

XIV.  Die  Architektur  von  Giovanni   di  Benedetto  da  Castello. 
XV.  Die  Malerei  von  Batista  del  Cavaliere. 

XVI.  Die  Skulptur  von  Antonio  di  Gino  Lorenzi. 

XVII.  Die  Poesie  von  Domenico  Poggini, 
An  der  Pyramide  befanden  sich 

XVIII.  Zwei  Reliefbildnisse  Michelangelos  von  Santi 
Buglioni. 

XIX.  Die  Fama  auf  der  Spitze,  fliegend  dargestellt,  blies  eine  drei- 
fache Posaune.     Zanobi  Lastricati  hatte  sie  angefertigt. 

Weiteren  künstlerischen  Schmuck  zeigte  die  schwarz  verhangene 
Kirche.  Acht  grosse  Gemälde  waren :  vier  im  Chor,  vier  im  Längs- 
hause, angebracht. 

XX.  Michelangelo  in  den  Elyseischen  Gefilden,  Zu 
seiner  Rechten  die  berühmten  antiken  Maler  und  Bildhauer, 
Jeder  durch  ein  Attribut  gekennzeichnet:  Praxiteles  durch  den 
Satyr  der  Vigna  Julius'  III.,  Apelles  durch  das  Bildniss  Alexan- 
ders des  Grossen,  Zeuxis  durch  ein  Gemälde  mit  der  Traube, 
welche  die  Vögel  täuschte,  Parrasius  durch  das  Gemälde 
mit  dem  täuschenden  Vorhang,  und  so  die  Anderen.  Links 
sah  man  die  neueren  Meister :  Giotto  mit  dem  Bildniss  Dantes 
(wie  er  es  in  Santa  Croce  gemalt),  Donatello  mit  seinem 
„Zuccone",  Brunelleschi  mit  seiner  Domkuppel;  ferner,  ohne 
Attribute :  Fra  Filippo ,  Taddeo  Gaddi ,  Paolo  Uccello ,  Fra 
Giovanni,  Pontormo,  Francesco  Salviati  u.  A.  Der  Gedanke 
war  Dantes  Schilderung  vom  Empfang  des  Virgil  durch  die 
Dichter  entlehnt;  sein  Vers:  ,,tutti  l'ammiran,  tutti  onor  gli 
fanno"  war  auf  einem  Zettel  zu  lesen,  den  der  zu  Füssen 
Michelangelos  liegende  Arno  hielt.  Ausgeführt  hatte  das  Ge- 
mälde Alessandro  AUori. 

XXI.  Michelangelo,  umgeben  von  der  ganzen  Schule  der 
Künstler,  von  Kindern,  Knaben  und  Jünglingen  jeden  Alters 
bis  zu  24  Jahren.  Wie  einem  Heiligen  und  Geweihten  bringen 
sie  ihm  die  Erstlinge  ihrer  Arbeit:  Gemälde,  Skulpturen  und 
Modelle  dar,  und  er  empfängt  diese  freundlich  und  belehrt 
die  mit  gespannter  Aufmerksamkeit  ihm  Lauschenden.  Das 
Bild  war  ein  Werk  von  Pontormos  Schüler,  Battista  Naldini. 

XXII.  Michelangelo,  durch  Julius  III.  in  Dessen  Vigna 
zum    Sitzen    genöthigt,    unterhält    sich    mit    dem 


Die  künstlerische  Verherrlichung  des  Meisters  nach  seinem  Tode       523 

Papste,  im  Kreise  der  stehenden  Kardinäle,  Bischöfe  und 
anderer  Hofleute.  Ausgeführt  von  Vasaris  Schüler,  Jacopo 
Zucchi. 

XXIII.  Michelangelo  empfängt  im  Hause  auf  der  Giu- 
decca  zu  Venedig  die  Edelleute,  die  der  Doge,  ihn 
zu  begrüssen,  gesandt  hat.    Von  dem  Vlamen  Giovanni  Strada. 

XXIV.  Don  Francesco  de'Medici,  zu  Besuch  in  Rom, 
erhebt  sich  beim  Nahen  Michelangelos  von  seinem 
Sitze,  auf  den  er  ihn  Platz  zu  nehmen  bittet,  indessen  er 
selbst  mit  Ehrfurcht,  wie  ein  Sohn  vor  seinem  Vater,  vor  ihm 
stehend ,  ihm  zuhört.  Zu  den  Füssen  des  von  einigen  Sol- 
daten umgebenen  Fürsten  befand  sich  ein  Knabe  mit  dem 
Herzogshute.     Gemalt  von  Santi  di  Tito. 

XXV.  Die  drei  Haupt flüsse  der  Welt:  der  Nil  mit  dem 
Krokodil,  der  Ganges  mit  einem  Greif  und  einem  Diadem  von 
Edelsteinen,  der  Po  mit  einem  Schwan  und  schwarzer  Ambra- 
krone, von  der  fliegenden  Fama  geleitet,  suchen  den  Arno 
auf,  um  mit  ihm  den  Verlust  Michelangelo  s  zu  be- 
klagen. Der  Arno  war  mit  Cypressen  gekränzt,  hielt  in  der 
einen  Hand  ein  leeres  Gefäss,  in  der  anderen  einen  Cypressen- 
zweig  und  hatte  unter  sich  einen  Löwen.  Oben  schwang  sich 
des  Meisters  Seele  in  Gestalt  eines  Engelchens  im  Glorien- 
schein gen  Himmel  auf  mit  dem  Verse :  ,,vivus  orbe  peto 
laudibus  aethera".  Zu  den  Seiten  waren  zwei  Gestalten, 
die  einen  Vorhang  von  dem  Gemälde  zurückzogen :  Vulkan 
mit  einer  Fackel,  unter  sich  den  sich  abringenden  ,,Hass"  mit 
den  Worten:  ,, Surgere  quid  properas,  Odium  crudele?  Jaceto", 
und  Vulkans  Gattin,  eine  der  Grazien:  Aglaja  mit  einer  Lilie, 
unter  sich  die  ,,Sproporzione"  mit  einem  Affen  und  dem 
Verse :  ,,Vivus  et  extinctus  docuit  sie  sternere  turpe".  Unter 
den  Flüssen  las  man : 

Venimus,  Arne,  tuo  confixa  in  vulnere  moesta 
Flumina,  ut  ereptum  mundo  ploremus  honorem. 

Das  Bild  war  von  Bernardo  Buontalenti. 

XXVI.  Michelangelo,  als  Gesandter  von  Florenz,  bei 
Julius  II.  in  Bologna.     Von  Maso  di  San  Friano. 

XXVII.  Michelangelo  sitzt  im  Gespräch  mit  Herzog 
Cosimo.     Von  Bronzinos  Schüler,  Stefano  Pieri. 

Im  Übrigen  sah  man  überall  Todesdarstellungen,  Embleme  und 
Devisen.  Eine  von  Alessandro  Allori ,  mit  den  Worten :  „Coegit 
dura  necessitas"  zeigte  auf  einer  Erdkugel  eine  in  der  Mitte  ab- 
gebrochene Lilie  mit  drei  Blüthen.  Vasari  stellte  die  Ewigkeit  mit 
einer  Palme  in    der  Hand    dar,    wie    sie    den  Fuss    auf  ein  Skelett 


524  Anhang 

setzt  (also  ähnlich  wie  die  eine  Statue  auf  Lastricatis  Entwurf)  und 
verächtlich  zu  sagen  scheint:  trotz  deiner  wird  Michelangelo  ewig 
leben.  Das  Motto  besagte :  Vicit  inclyta  virtus.  „Überall  waren 
die  drei  ineinander  geflochtenen  Kreise  oder  Kränze 
zusehen,  die  Michelangelo  als  Symbol  anwandte,  sei  es  weil 
er  damit  sagen  wollte,  dass  die  drei  Künste :  Skulptur,  Malerei  und 
Architektur  so  mit  einander  verwoben  sind,  dass  eine  von  der  an- 
deren Vortheil  und  Zierde  gewinnt  und  sie  nicht  von  einander  ge- 
trennt werden  können  und  dürfen,  sei  es  dass  er,  als  ein  Mann 
von  hohem  Geist,  irgend  einen  anderen  subtilen  Gedanken  dabei 
hatte.  Aber  die  Akademiker  in  Anbetracht  dessen,  dass  er  in  allen 
diesen  drei  Künsten  vollkommen  gewesen  und  durch  die  eine  die 
andere  gefördert  und  verschönert  hat,  verwandelten  die  drei  Kreise 
in  drei  verflochtene  Kränze  mit  dem  Motto:  „ter  geminis  tollit 
honoribus",  um  damit  zu  sagen,  dass  ihm  mit  Recht  in  allen  drei 
Künsten  der  Kranz  höchster  Vollkommenheit  gebührt." 

Die  Kanzel  Donatellos,  von  welcher  Varchi  seine  Leichenrede 
hielt,  war  im  Hinblick  auf  dieses  Meisters  Reliefs  nicht  verkleidet. 
Aber  an  der  anderen,  die  nicht  fertig  aufgestellt  war,  sah  man  ein 
Gemälde : 

XXVIII.  Die  Fama  oder  die  Ehre,  ein  schöner  Jüngling 
mit  einer  Posaune  in  derHand,  tritt  aufdie  Figuren 
der  Zeit  und  des  Todes.     Von  Vincenzo  Danti. 

In  die  so  geschmückte  Kirche,  die  voll  von  Volk  war,  trat  der 
Trauerzug :  voran  der  Präsident  der  Akademie ,  vom  Hauptmann 
und  den  Hellebardieren  der  Wache  des  Herzogs  begleitet ;  es  folgten 
die  Konsuln,  die  Akademiker  und  sämtliche  Maler,  Bildhauer  und 
Architekten  von  Florenz.  Empfangen  von  unzähligen  Herren  und 
Edelleuten  Hessen  sie  sich  zwischen  dem  Katafalk  und  dem  Hoch- 
altar nieder.  Dann  wurde  eine  feierliche  Todtenmesse  abgehalten 
mit  Musik,  worauf  Varchi  die  Feierrede  hielt.  Dem  Verlangen  des 
Volkes  zu  entsprechen,  blieb  der  ganze  Apparat  viele  Wochen  lang 
in   der  Kirche,  und  man  strömte  herbei,  ihn  zu  sehen. 

Die  Gemälde  sind  dann,  nach  Beschluss  vom  18.  Oktober  1564, 
in  das  Refektorium  der  Innocenti  gebracht  worden,  wo  sie  zum  Ver- 
kaufe an  den  Wänden  aufgehangen  wurden.  Eines  erhielt  der  Arzt 
der  Akademie,  Alessandro  Menchi,  statt  seines  Salärs,  ein  anderes 
wurde  Vincenzo  Borghini  gegeben  (das  Michelangelo  und  Julius  III.  in 
der  Vigna  darstellende).  1571  waren  von  den  25  Bildern,  die  er- 
wähnt werden,  nur  noch  18  vorhanden.  Die  Skulpturen  wurden  in 
die  Loggia  des  Hauses  eines  Battista  Nelli  von  San  Lorenzo  ge- 
bracht und  dort,  in  beschädigtem  Zustande,  im  Oktober  1566  ver- 
kauft. Eine  der  Statuen,  die  besonders  gut  war,  erhielt  Borghini 
zum  Geschenk.     (Vasari  VII,  315.     Anm.  2.) 


Die  künstlerische  Verherrlichung  des  Meisters  nach  seinem  Tode       525 


Der  Zyklus  von  Darstellungen  aus  dem  Leben  Michelangelos 
in  der  Casa  Buonarroti 

Etwa  sechzig  Jahre  nach  dieser  ersten  halb  historischen  halb 
allegorischen  künstlerischen  Verherrlichung  des  Meisters,  um  1620, 
Hess  Dessen  Grossneffe  Michelangelo  d.  J.  in  dem  dritten  Räume 
der  Casa  Buonarroti ,  der  sogenannten  Galerie ,  von  den  besten 
florentiner  Künstlern  seiner  Zeit  einen  Zyklus  von  Gemälden  aus- 
führen, deren  Gegenstand  nach  Inschriften  er  selbst  angegeben  hat. 
(Seine  ,,Descrizione  della  Galleria  Buonarroti"  bei  Fanfani :  Spig. 
Mich.  S.  3  ff.)  Es  sind  zehn  grössere  Gemälde  und  sechs  kleine 
Chiaroscuros  historischen  Inhaltes  und  15  Deckenbilder  zumeist 
allegorischer  Art. 

A.  Die  grösseren    Wandbilder. 

I.Michelangelo  als  Gesandter  von  Florenz  vor 
Julius  n.  in  Bologna.  Von  Anastasio  Fontebuoni.  In- 
schrift: Michaelis  Angeli  reditus  ad  Julium  II.  Patria  legatione 
insignis,  eo  illustrior  fit,  quo  diu  a  Pontefice  expetitus  vix 
tandem  impetratur.  Ouum  hoc  habeat  praeclara  virtus,  ut  se 
ipsa  noscat,  et  quam  sit  admirabilis  inteliigat. 

II.  Michelangelo,  mit  Soderini  sich  berathend,  lehnt 
die  durch  Franziskanermönche  überbrachte  Ein- 
ladung des  Sultans  Soliman,  dieBrücke  vonKon- 
stantinopel  nach  Pera  zu  bauen,  ab.  Von  Giovanni 
Biliverti.  Inschrift:  Praestantis  ingenii  fama  adeo  celebris, 
vel  in  barbaros,  pervagatur,  ut  ad  Pontem  Bosphoro  imponen- 
dum  quo  Chalcedonem  Byzantio,  imo  Asiam  Europae,  con- 
jungeret,  Solimano  Turcarum  Imperatore,  evocetur. 

III.  Michelangelo  überreicht  Leo  X.  Zeichnung  und 
Modell  derLibreria  und  derFassadevonS.Lorcnzo. 
Von  Jacopo  da  Empoli.  Inschrift:  In  Di  vi  Laurentii  Aedium 
fronte  Leonis  X .  exornanda ,  in  Mediceo  Sacello  et  Biblio- 
theca ,  jussu  Clementis ,  extruendis  tam  venustatis  formam 
arte  manuque  exoressit  quam  nullus  unquam  cogitatione  vel 
mente  concepit. 

IV.  Michelangelo  ordnet  dieBefestigungen  desHügels 
von  San  Miniato  an.  Von  Matteo  Rosselli.  Inschrift: 
Mirificis  molibus  Patriae  aditum  contra  Pontificia  Caesariana- 
que  arma  pari  studio  ac  pietate  munit. 
V.  Michelangelo  wird  inVenedig  vom  DogcnAndrea 
Griti  empfangen,  der  ihn  bittet,  die  Rialtobrücke 
zu  entwerfen.     Von  Valerie  Marucelli.     Inschrift:  Vcnetias 


526  Anhang; 

advenienti,  pracipui  honores  Andrcae  Griti  Sapientissimi  Prin- 
cipis  clarissimorumque  Scnatorum  judicio  studioque  referuntur: 
oblatis  praemiis  si  admirabilem  uibem  haud  operibus  vel  aedi- 
ficiis,  sed  sola  praesentia  mirabiliorem  cfficeret. 
VI.  Michelangelo  empfängt  den  Besuch  Pauls  IIl.,  der 
ihn  veranlasst,  das  Juliusgrabmal  auf  die  Hälfte 
einzuschränken,  und  ihm  den  Auftrag  auf  das 
Jüngste  Gericht,  sowie  die  Oberaufsicht  der 
Befestigungen  und  des  Peterbaues  giebt.  Von 
Filippo  Tarchiani.  Inschrift:  Domi  Paulum  III.  Pont.  ]\Iax. 
cum  amplissimo  Cardinalium  comitatu  excipit,  cujus  jussu  et 
auspicio  urbem  operum  magnitudine,  Vaticani  templi  ampli- 
tudinem  Picturarumque  praestantia  muniendam ,  illustrandam 
atque  exornandam  suscipit. 
VII.  Michelangelo,  in  Gegenwart  der  stehenden  Kardi- 
näle neben  Julius  III.  in  der  Vigna  sitzend,  über- 
reichtDiesem  das  Modell  des  Palazzo  per  la  Ruota. 
Von  Fabrizio  Boschi.  Inschrift:  Romanae  Curiae  formam 
Julio  III.  ostendit,  ad  cujus  latus,  ceteris  stantibus,  sedit,  id 
honoris  clarissimae  virtutis,  clarissimo  exemplo  praebente 
Pontifice. 
VIII.  Michelangelo  überreicht  Paul  IV.  das  Modell  der 
Peterskuppel.  Von  Domenico  Passignano.  Inschrift:  Illius 
Templi  structurae  quo  verae  Religionis  sedem  Sacrique  Imperii 
majestatem  universus  veneratur  orbis  solum  Bonarrotae  in- 
genium  par  quod  praeter  aedificii  decorem  et  Magnificentiam 
Paulus  IV.  Pont,  admiratur. 
IX.  Michelangelo,  dichtend,  in  Gegenwart  einiger 
ihm  befreundeten  Litteraten.  Von  Cristofano  Allori 
angefangen,  von  Zanobi  Rossi,  seinem  Schüler,  vollendet.  In- 
schrift: Picturae  et  Sculpturae  Poesim  adjunxit,  non  mores 
hominum  imitandi  studio,  quasi  ad  ejus  Ingenium  fugeret,  cum 
optime  penicillo  animos  pinxerat  scalproque  sensus  omnes 
expresserit. 
X.  Michelangelo,  von  D.  Francesco  de'  Medici  geehrt, 
der,  sich  erhebend,  ihn  sitzen  lässt.  Von  Cosimo 
Gamberucci.  Inschrift:  Franciscus  Etruriae  Princeps,  Michaeli 
Angelo  ad  se  venienti  adsurgit,  sedenti  adstat,  haud  majestatis 
immemor,    sed    ne    egregia  virtus  egregio  careret   testimonio. 

B.  Die  kleinen  Chiarosciiri. 

XI.  Michelangelo  in  Poggibonsi  weigert  sich,  mit  den 
von  Julius  II.  gesandten  Kurieren  nach  Rom  zurück- 
zukehren.    Von  Jacopo  Vignali. 


Die  künstlerische  Verherrlichung  des  Meisters  nach  seinem  Tode       527 

XII.  Karl  V.  erhebtsichbeidemBesuche  Michelangelos 
mit  den  Worten,  esgäbe  wohlandere  Kaiser, aber 
Keinen,  der  ihm  gleich  wäre.     Von  Jacopo  Vignali. 

XIII.  Michelangelo  wird  bei  seiner  Heimkehr  von  den 
PriorenderRepublikFlorenz  festlichempfangen. 
Von  Matteo  Rosselli. 

XIV.  Michelangelo  studirend;  neben  ihm  die  Klugheit. 
Von  Matteo  Rosselli. 

XV.  Michelangelo  sendet  das  ihm  für  S.  Peter  ge- 
gebene Honorar  Paul  III.  zurück.   Von  Francesco  Furini. 

XVI.  Michelangelo  unterrichtet  Jünglinge  und  Edel- 
leute.     Von  Francesco  Furini. 

XVII.  Auf  dem  Wege  nach  Caprese  fällt  Michelangelos 
Mutter,  mit  ihm  schwanger,  vom  Pferde,  ohne 
sich  zu  verletzen.     Von  Francesco  Furini. 

XVIII.  Michelangelos  Tod.     Von  Francesco  Furini. 

C.  Die  Deckenbilder. 

a)  Die  kleineren. 

XIX.  L'Ingegno,  ein  Jüngling  mit  Flügeln  an  den  Schläfen,  in 
der  einen  Hand  den  Bogen,  in  der  anderen  Pfeile.  Von  Fran- 
cesco Bianchi. 

XX.  Die  Tolleranza,  eine  kräftige,  schlicht  gekleidete,  halb- 
nackte Frau,  die  einen  Stein  auf  dem  Rücken  trägt.  Von 
Girolamo  Buratti. 

XXI.  Zwei  fliegende  Putten  halten  Michelangelos  ,,Im- 
presa":  die  vier  Kränze.    Von  Giovanni  da  San  Giovanni. 

XXII.  Die  Liebe  zum  Vaterlande,  ein  Jüngling,  der  unter 
seinen  Flügeln  Putten  schützt,  in  der  Hand  ein  Schwert,  auf 
dem  Kopfe  einen  Eichenkranz  (in  dem  neuen  Führer:  il  genio 
della  Pittura  genannt.)     Von  Jacopo  Vignali. 

XXIII.  Die  Pietä  Cristiana,  eine  zum  Himmel  blickende  Frau, 
in  der  Hand  eine  Flamme,  zu  den  Füssen  einen  Storch. 

XXIV.  Die  Ehre,  ein  Jünghng,  den  Helm  auf  dem  Kopf,  das 
Schwert  in  der  Hand.     Von  Giov.  Batt.,  il  Bigio. 

XXV.  Die  Mässigung,  eine  Frau,  zur  Sonne  schauend,  ein  Loth 
in  der  Hand.     Von  Domenico  Pugliani. 

XXVI.  Zwei  fliegende  Putten  mit  der  Imprcsa,  wie  XXI. 
Von  Giovanni  da  San  Giovanni. 

XXVII.  Das  Studium,  ein  Jüngling  mit  geflügelten  Händen  mit 
Büchern,  einer  Sphäre,  einem  Modell  und  einem  Grundriss. 
Von  Zanobi  Rossi. 


528  Anhang 

XXVIII.  Die  Neigung  (inclinazionc),  eine  Frau,  einen  Stern  an 
der  Stirne,  in  den  Händen  einen  Kompass,  zu  den  Füssen 
zwei  Zugwinden.     Von  Artemisia  Gentilcschi. 

b)  Die  grösseren. 

XXIX.  Die  Leichenfeier  für  Michelangelo  in  S.  L o  r  e n z o. 
Von  Agostino  Ciampelli.  Inschrift:  Exequiae  regio  cultu  auctae, 
regia  Francisci  Principis  praesentia  decorantur,  nee  immerito, 
cui  enim  ob  virtutem  adscensus  in  coelum  patct,  Hcet  maxima 
in  terris,  debito  tarnen  minora,  tribuantur. 

XXX.  Maler,  Bildhauer  und  Architekten  studiren 
MichelangelosWerke.  Von  Nicodemo  Ferrucci.  Inschrift: 
Non  unius  artis  unum  Canona  ut  Polycletus  sed  quot  opera 
Picturae  Sculpturae  atque  Architecturae  Canones  Posteritati 
exhibuit. 

XXXI.  Michelangelo  wird  von  den  Künsten  und  der 
Poesie  bekränzt.  Von  Gismondi  Coccapani.  Inschrift: 
Eximiis  artibus  Bonarrotam  ad  coelum  haud  evectum  credas: 
illas  potius  divino  ipsius  ingenio  excultas  eo  secum  elatas 
existima. 

XXXII.  Der  Ruhm  erhebt  Michelangelo  zur  Unsterblich- 
keit. Von  Francesco  Curradi.  Inschrift:  Qui  in  pingendo 
sculpendo  atque  architectando  antiquitus  excelluere  omnibus 
fama  unum  opponit  ac  praefert. 

XXXIII.  Lionardo  lässt  Michelangelo  das  Denkmal  in 
S.  Croce  errichten.  Von  Tiberio  di  Santi  di  Tito.  In- 
schrift: Lionardi  Bonarrotae  Pietas  magnifico  sumptu  Patruo 
sepulchrum  ponit,  ejus  tamen  operum  quam  cinerumpraeclarius 
monumentum. 

In  der  Galerie  befindet  sich  ausserdem  das  Gemälde  der  ,,Epi- 
phania",  Kopie  nach  Michelangelos  Karton,  die  Statue  des  Meisters 
von  Antonio  Novelli  (s.  weiter  unten:  ,,die  Bildnisse")  und  die 
zwei  Statuen  des  kontemplativen  und  des  aktiven  Lebens  von 
Domenico  Pieratti. 

3 
Das  Grabdenkmal  Michelangelos  in  S.  Croce 

Des  Meisters  eigener  Gedanke  ist  es,  wie  Vasari  sagt,  zu  einer 
Zeit  gewesen,  in  S.  Maria  maggiore  zu  Rom  bestattet  zu  werden, 
und  er  hatte,  ehe  er  sie  verschenkte,  daran  gedacht,  die  Gruppe 
der  Pietä,  die  heute  im  Dom  zu  Florenz  steht,  an  demselben  an- 
zubringen. Später  hat  er,  nach  Lionardos  Aussage,  den  Wunsch 
gehabt,  seine  Ruhestätte  zu  Florenz  in  S.  Croce  zu  finden.    (Gaye  III, 


Die  künstlerische  Verherrlichung  des  Meisters  nach  seinem  Tode       529 

131.)  Hier  soll  er  sich  so  viel  Raum  von  den  Padri  und  Operaj 
ausgebeten  haben,  um  eine  Kapelle  und  ein  Grabmal  für  sich  zu 
machen,  die  er  mit  Gemälden  und  Skulpturen  hätte  ausschmücken 
wollen.  Die  Padri  wären  einverstanden  gewesen,  die  Operaj  aber 
hätten  es  verweigert.  (Manni:  Annot.  S.  65  in  Goris  Condiviaus- 
gabe,  nach  Ben.  Varchi.)  Über  das  fälschlich  für  ein  Grabmal  des 
Meisters  in  S.  Apostoli  zu  Rom  gehaltene  Denkmal  siehe  die  An- 
nalen  im  I.  Band  meines  Werkes  S.  481. 

Als  die  Leiche  nach  Florenz  überführt  wurde,  machen  Lionardo 
und  Daniele  da  Volterra  von  Rom  aus  den  Vorschlag  eines  in 
S.  Croce  zu  errichtenden  Denkmales,  für  welches  die  ,, Viktoria" 
und  die  im  Atelier  der  Via  Mozza  befindlichen  Blöcke  benutzt 
werden  sollten,  Daniele  hat  sich  angeboten,  die  Zeichnung  anzu- 
fertigen. Vasari  erwiderte  darauf  am  10.  März,  er  habe  diese  Vor- 
schläge an  den  Herzog  geschrieben  und  bittet  Daniele,  zwei  Ent- 
würfe, einen  mit  der  Figur  und  einen  ohne  dieselbe,  zu  machen. 
(Vasari  VIII,  376.)  Im  Stillen  aber  scheint  er  andere  Gedanken  zu 
hegen,  denn  am  18.  März  schreibt  er  zwar,  der  Herzog  sei  ein- 
verstanden und  Lionardo  möge  seinen  Plan  fassen  und  ihn  Daniele 
zur  Ausführung  übertragen,  wünscht  aber,  dass  auch  einige  floren- 
tiner  Künstler  beschäftigt  würden  und  schlägt  vor,  die  Pietä  von 
Pier  Antonio  Bandini  sich  zu  verschaffen  und  die  Viktoria,  die  ja  nicht 
für  das  Denkmal  passe,  und  die  anderen  Blöcke  Cosimo  zu  über- 
lassen. (Daelli  Nr.  32,  33.  Vasari  VIII,  377.)  Um  sich  dem  Herzog 
gefällig  zu  erweisen,  giebt  Lionardo  die  Absicht,  die  Viktoria  und  die 
Blöcke  am  Grabmal  zu  verwerthen,  welchen  Gedanken  Daniele,  nicht 
er,  gehabt,  auf  und  schenkt  sie  Cosimo.  (22.  Mai.  Gaye  III,  136. 
Vasari  VIII,  380.)  Zugleich  schreibt  er  an  Daniele,  er  wolle  die 
Sache  nicht  beeilen,  was  Dieser  gutheisst.  (ii.  Juni.)  Nun  schiebt 
Vasari  im  Stillen  Daniele,  der  sich  Jacopo  del  Duca  zum  Mit- 
arbeiter erkoren,  bei  Seite  und  bietet  an,  selbst  den  Entwurf  zu 
machen,  den  er  im  Oktober  Cosimo  vorlegt.  Lionardo  berichtet 
darauf  von  der  Wendung  der  Dinge  nach  Rom,  lässt  es  aber  noch 
unbestimmt,  wie  er  entscheiden  werde.  Daniele  und  Jacopo  halten 
ihr  Versprechen  aufrecht,  zweifeln  aber  nicht  daran,  dass  es  in 
Florenz  Künstler  gebe,  welche  den  Auftrag  ehrenvoll  ausführen 
würden.  Nun  wird  die  Arbeit  in  Florenz  wirklich  in  Angriff  ge- 
nommen. Vielleicht  noch  Ende  1564  theilt  Lionardo  Jenen  diese 
Thatsache  und  den  von  ihm  gefassten  Entschluss  mit  und  erklärt 
denselben  damit,  dass  er  es  den  florentiner  Künstlern,  welche  sich  in 
so  begeisterter  Weise  an  der  Feier  der  Exequien  betheiligt  hätten, 
nicht  versagen  könne,  das  Grabmal  auszuführen.  Daniele  und  Jacopo 
finden  sich  (9.  Februar  und  15.  März)  in  sehr  vornehmer  Weise  in 
diese  Sachlage.     (Vgl.  Annalen  im  I.  Bande  meines  Werkes  S.  482  f.) 

%*  34 


530  Anhang 

Vasaris  Entwurf  ist  von  Cosimo  gebilligt  worden.  Bei  der 
Wahl  der  Mitarbeiter  für  die  Ausführung  wird  Borghini  zu  Rathc 
gezogen.  (Brief  Vasaris  an  Cosimo,  5.  November.  Vasari  VIII,  383.) 
Beigelegt  war  Vasaris  Brief  ein  Brief  Vincenzo  Borghinis,  welcher 
vorschlägt,  eine  der  drei  Figuren,  die  geplant  sind,  von  Battista  di 
Lorenzo  del  Cavaliere  und  Giovanni  Bandini,  die  zweite  von  Battista 
di  Benedetto ,  die  dritte  auch  von  jenem  Battista  del  Cavaliere 
machen  zu  lassen.  (Gaye  III,  151.)  Am  12.  November  erklärt  sich 
Cosimo  hiermit  einverstanden.  (Ebenda  152,  154.)  Am  23, November 
meldet  Vasari,  dass  die  Arbeit  angefangen  ist.  (Ebenda  156. 
Vasari  VIII,  386.)  Am  29.  Dezember  berichten  Borghini  und  Vasari, 
der  Ort  für  das  Denkmal  in  S.  Croce  sei  bestimmt.  An  Stelle  des 
Battista  del  Benedetto,  den  Ammanato  gebraucht,  muss  ein  Anderer 
treten.  Borghini  schlägt  Valerio  Cioli  oder  Domenico  Poggini  vor. 
(Gaye  III,  163.)  Valerio  Cioli  wird  gewählt.  (Vasari  VII,  317.) 
Battista  Lorenzi  soll  auch  die  Architektur  und  Ornamentik,  sowie 
die  Büste  Michelangelos  nach  Vasaris  Modell  machen.  Da  in  der 
Via  Mozza,  wenn  die  Statuen  dort  herausgenommen  sind,  wenig 
Marmor  ist,  muss  solcher  aus  Carrara  beschafft  werden.  Lionardo 
will  die  anderen  Kosten  tragen,  falls  ihm  die  Stücke  gegeben  werden, 
Vasari  meint,  der  Herzog  mache  damit  ein  gutes  Geschäft,  da  er 
ja  so  viele  vollendete  und  unvollendete  Statuen  aus  der  Via  Mozza 
erhalte.     (Gaye  III,   164.     Vasari  VIII,  388.) 

Bezüglich  der  Inschriften  wendet  man  sich  nach  Rom ,  von 
wo  Diomede  Leoni  schreibt,  dass  die  römischen  Gelehrten  ge- 
übter darin  seien,  als  die  florentinischen.  (Daelli  Nr.  36.)  Am 
21.  April  erinnert  Leoni  Lionardo  an  die  Inschrift  des  Epitaphs. 
Es  ist  eine  solche  in  Rom  gemacht  worden,  doch  bleibt  es 
zweifelhaft,  ob  nicht  eine  in  Florenz  angefertigte  bestimmt  wird. 
Paelli  Nr.  38.) 

Auch  am  8.  September  und  6.  Oktober  schreibt  Leoni  in  der 
Angelegenheit  der  Inschrift  an  Lionardo.  (Gotti  I,  37 1-)  Dann 
hört  man  lange  Nichts.  Am  14.  August  1568  schickt  Leoni  an 
Lionardo  eine  Inschrift  ein.  (Gotti  I,  372.)  Weitere  sendet  er  am 
5.  März  1569  (Daelli  Nr.  44).  Dann  wieder  am  13.  Mai,  und  zwar 
von  Paolo  Manuzio  und  Marcantonio  Mureto,  die  er,  in  der  Furcht, 
sie  seien  verloren  gegangen,  am  6.  Juli  nochmals  einsendet.  (Stein- 
mann und  Pogatscher:  Rep.  f  Kunstw.  XXIX.  S.  410  ff.)  Auch 
im  Brief  Leonis  vom  17.  September  1569  wird  darauf  Bezug  ge- 
nommen; das  Denkmal  scheint  dazumal  nahezu  fertig.  (Daelli Nr. 45.) 
Am  10.  April  1570  fragt  Leoni  an,  wann  es  aufgerichtet  werde 
und  mit  welchem  Epitaph.  Er,  Leoni,  finde  immer  noch,  dass  es 
kein  besseres  als  das  von  Paolo  Manuzio  geben  könne ,  welches 
begönne :  unus  ex  omni  memoria.     (Daelli  Nr.  46.) 


Die  künstlerische  Verherrlichung  des  Meisters  nach  seinem  Tode       531 

Was  wir  sonst  erfahren,  beschränkt  sich  im  Wesentlichen  auf 
Zahlungen  an  die  Künstler:  am  23.  März  1566  (Vasari  VIII,  399), 
am  12.  April  1567  (Steinmann  und  Pogatscher  a.  a.  O.  S.  408),  am 
21.  Juni  1567  (Vasari  VIII,  422),  am  22.  November  1567  (Stein- 
mann und  Pogatscher  S.  408),  am  2.  April  1568  (Vasari  VIII,  433), 
an  Battista  Lorenzi.  Damals  heisst  es,  dass  in  der  nächsten  Zeit  das 
Grabmal  in  S.  Croce  errichtet  werden  soll.  Am  15.  Oktober  1568 
erhält  Giovanni  Bandini  eine  Zahlung.  (Vasari  VIII,  436.)  Noch 
am  18.  Januar  1572  bittet  Battista  Lorenzi  um  Abschätzung  seiner 
Arbeit  an  der  Architektur  des  Denkmales  und  Bezahlung,  damit  er 
das  Ganze  fertig  machen  könne  (ebenda  462,  463;  eine  Restzahlung 
erhält  er  erst  am  27.  Januar  1575.  Steinmann  und  Pogatscher 
S.  408).  Damals  macht  Vasari  ein  Gemälde  der  Pietä  für  Lionardo, 
das  für  das  Grabmal  bestimmt  ist  (ebenda  473 ,  478 ,  482  vom 
5.  Dezember  1572).  Doch  ward  das  Bild  von  Matteo  Naldini  ge- 
malt, für  den  Battista  Naldini  am  27.  Juni  1578  eine  Zahlung  erhält. 
(Steinmann  und  Pogatscher  S.  408.) 

Der  architektonische  Entwurf  Vasaris  zeigt  eine  schlichte  Wandver- 
kleidung mit  breiten  seitlichen  Pilastern,  einer  Attika  und  einem 
mittleren  fensterartigen,  von  Voluten  gestützten  Aufsatz  mit  Segment- 
giebel. Auf  hohem  Postament  steht  davor  in  der  Mitte  der  nach 
dem  Muster  der  Medicigräber  gebildete  Sarkophag.  Vor  ihm  sind 
drei  sitzende ,  weibliche  Statuen  angebracht :  die  in  der  Mitte ,  in 
kauernder  Stellung:  die  Skulptur  mit  Hammer  und  Meissel,  die  zur 
Rechten  mit  Zirkel  und  Richtmaass :  die  Architektur,  die  zur  Linken 
in  der  Hand  ein  Modell  (eines  Sklaven)  haltend ,  zu  den  Füssen 
Pinsel  und  Malutensilien,  die  Malerei  darstellend. 

Die  Skulptur  ist  das  Werk  des  Valerio  Cioli,  die  Architektur 
von  Giovanni  Bandini  dell'  Opera,  die  Malerei  von  Battista  Lorenzi 
del  Cavaliere.  Die  Erklärung  für  die  seltsame  Erscheinung,  dass 
die  Malerei  ein  Modell  hält,  giebt  Raffaele  Borghini  in  seinem 
,,Riposo"  (1584,  S.  108).  „Anfangs  wurde  von  Don  Vincenzo 
Borghini  angeordnet,  dass  die  Malerei  in  die  Mitte  gesetzt  werden 
solle,  und  dort,  wo  jetzt  die  Statue  von  Battista  del  Cavalieri  ist, 
die  Skulptur ;  und  so  wurden  die  Statuen  in  Auftrag  gegeben.  Und 
Battista  war  der  Erste,  der  den  Marmor  zu  bearbeiten  begann  und 
hatte  seine  Statue  schon  weit  gefördert  und  ihr  das  Modell ,  das 
man  jetzt  sieht,  in  die  Hand  gegeben,  als  die  Erben  Michelangelos 
den  Grossherzog  um  die  Erlaubniss  baten,  die  Skulptur  in  die  Mitte 
setzen  zu  dürfen,  sowohl  weil  Michelangelo  in  dieser  Kunst  sich 
mehr  als  in  den  anderen  ausgezeichnet,  als  auch  weil  er  sie  immer 
höher  geachtet  und  geschätzt  hatte,  l^nd  Seine  Hoheit  bewilligte 
ihnen  ihre  Bitte.  Daraufhin  sah  sich  Battista,  der  schon  seine  Figur 
für  jene  Ecke,  wo  sie  heute  zu  sehen  ist,  berechnet  und  sie  nicht 

34* 


532 


Anhang 


in  die  Mitte  versetzen  konnte,  genöthigt,  seine  Statue,  die  er  als 
,, Skulptur"  gedacht,  in  die  ,, Malerei"  zu  verwandeln  und  that  dies 
mit  Hülfe  jener  Attribute,  die  man  zu  ihren  Füssen  sieht.  Und  er 
wollte  ihr  nicht  das  Modell  nehmen,  ganz  mit  Recht,  um  nicht 
seine  Figur,  der  er  schon  die  Stellung  gegeben,  der  Anmuth  zu 
berauben,  indessen  die  Anderen,  die  mit  ihren  Statuen  noch  weit 
zurück  waren,  leicht  sich  dem,  was  Noth  that,  anbequemen  konnten." 
Über  der  Mitte  des  Sarkophages  vor  der  Attika,  von  zwei  Konsolen 
gerahmt ,  steht  die  Büste  des  Meisters  von  Battista  Lorenzi ,  über 
die  ich  weiter  unten  noch  spreche.  In  den  Feldern  links  und  rechts 
von  ihr  ist  das  Emblem  der  drei  Kränze  angebracht,  an  den  Pilastern 
das  Buonarroti'sche  Wappen.  In  dem  Aufsatz  sieht  man  das  Ge- 
mälde der  Pietä  von  Naldini,  der  auch  den  Vorhang  mit  den  Putten 
über  dem  Denkmal  an  die  Wand  gemalt  hat. 
Die  Inschrift  vorne  am  Postament  lautet: 

MICHAELI  ANGELO  BONAROTIO 

E  VETVSTA  SIMONIORVM  FAMILIA 

SCVLPTORI  PICTORI  ET  ARCHITECTO 

FAMA  OMNIBVS  NOTISSIMO 

LEONARD VS  PATRVO  AMANTISS.  ET  DE  SE  OPTIMO  MERITO 

TRANSLATIS  ROMA  EIVS  OSSIBVS  ATOVE  IN  HOC  TEMPLO 

MAIORVM 
SVORVM  SEPVLCRO  CONDITIS  COHORTANTE  SERENISS. 

COSMO  MED. 
MAGNO  HETRVRIAE  DVCE 
ANN.  SAL.  MDLXX 
VIXIT  ANN.  LXXXVIII  M.  XI.  D  XV. 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos 

Vier  ausführlichere  Untersuchungen  über  die  Porträts,  welche 
im  XVI.  Jahrhundert  nach  dem  Meister  angefertigt  wurden,  besitzen 
wir.  Die  erste  von  C.  D.  E.  Fortnum :  ,,on  the  original  portrait 
of  Michel  Angelo  by  Leo  Leoni"  erschien  1875  in  dem  Archaeo- 
logical  Journal  Bd.  XXXII,  Nr.  125;  einen  Nachtrag  veröffentUchte 
derselbe  Forscher  in  dergleichen  Zeitschrift  XXXIII,  1876.  Gleich- 
zeitig veröffentlichte  Gaetano  Milanesi  eine  Abhandlung :  Dei  ritratti 
di  Michelangelo  im  „Ricordo  al  popolo  Italiano",  Firenze  1875, 
S.  XIV  ff.,  die  dann  in  seiner  Vasariausgabe  (VII,  S.  130  ff.)  Auf- 
nahme fand.  Es  folgten  Symonds,  der  1893  in  seiner  Biographie 
des  Künstlers  (II,  S.  258)  den  Bildnissen  eine  Betrachtung  widmete. 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  r^s 

und  Gaetano  Guasti,  der  im  gleichen  Jahre,  gelegentlich  eines  neuen 
Fundes,  die  Gemälde  behandelte:  ,,I1  ritratto  migliore  e  autentico 
di  M.  Buonaroti",  Firenze.  Andere  kleinere  Aufsätze,  die  im 
Folgenden  zitirt  werden,  haben  dies  oder  jenes  einzelne  Werk  ge- 
würdigt. Eine  erneute  Zusammenfassung,  Sichtung  und  Bereicherung 
des  Materiales  gebe  ich  im  Folgenden,  zu  neuen  Schlüssen  ge- 
langend. 

In  dem  Leben  des  Meisters  erwähnt  Vasari  vier  Porträts.  ,,Es 
giebt  nur  zwei  gemalte  Bildnisse  Michelangelos :  das  eine  von 
Bugiardini ,  das  andere  von  Jacopo  del  Conte ,  und  eine  Bronze- 
büste, von  Daniello  Ricciarelli  angefertigt,  und  diese  Medaille  von 
Cavaliere  Leone.  Von  diesen  Werken  sind  so  viel  Kopien  ge- 
macht worden,  dass  ich  ihrer,  an  vielen  Orten  in  und  ausserhalb 
Italiens,  eine  grosse  Anzahl  gesehen  habe"  (VII,  258).  Drei  weitere 
Porträts  werden  von  dem  Aretiner  an  anderer  Stelle  angeführt: 
ein  kleines  in  einem  Stuckrelief  in  der  Kirche  der  Trinitä  in  Rom 
(VII,  53),  eines,  das  er  selbst  in  einem  Fresko  der  Cancellaria, 
nach  der  Natur  angefertigt,  malte  (VII,  679),  und  ein  drittes,  das 
er  in  der  Sala  di  Giovanni  im  Palazzo  Vecchio  in  der  Darstellung 
der  von  Leo  X.  vollzogenen  Kardinalswahl  neben  den  Figuren 
Lionardos  und  der  Herzöge  Giuliano  und  Lorenzo  Medici  an- 
brachte.    (VIII,   159.) 


I 

Büsten 

A.  Danieles  da    Voltcrra  Bronzen. 

Über  deren  Entstehung  sind  wir  durch  Briefe,  die  nach  des 
Meisters  Tode  von  Rom  aus  nach  Florenz  an  Lionardo  Buonarroti 
gesandt  wurden,  näher  unterrichtet.  (Vgl.  die  Annalen  in  dem 
I.  Bande  meines  Werkes  S.  483.) 

Am  II.  Juni  1564  schreibt  Daniele  da  Volterra  an  Lionardo: 
„quanto  ai  ritratti  di  metallo  fino  aqui  io  ne  ho  formata  una  cera; 
si  va  facendo,  quanto  si  puo  in  tal  caso  e  non  si  mancherä  con 
la  debita  diligenzia  condurli  a  fine  con  quella  piü  prestezza  che 
sarä  possibile."  Am  9.  September  meldet  Diomede  Leoni:  ,,le 
due  vostre  teste  di  quella  bona  memoria  sono  a  buon  termine  e 
certo  che  vi  sodisfaceranno ,  perche  vi  e  stata  usata  la  debita 
diligentia."  Um  den  9.  Februar  1565  scheint  Daniele  selbst  Nach- 
richt gegeben  zu  haben.  Leoni  schreibt  an  diesem  Tage:  „vi 
renderä  conto  de  le  due  teste  de  la  felice  memoria  di  vostro  zio, 
che  hanno  mosso  me  a  volerne  anche  una,  per  goderlo  con  li  ochi 
si  come    lo  vedrö   sempre   con   l'animo   et   col   core :  e  tutte   tre  si 


534  ^"*^2 

trovano  a  tcrmine  che  noii  mancha  sc  non  gettarlc :  et  benche 
Messer  Daniello  non  habbia  di  bisogno  di  sprone  per  farvi  questo 
et  ogni  altro  servizio  prontissimamente,  io  nondimeno  per  interesse 
mio  privato  anchora  saro  diligente  sollecitatore,  che  siano  quanto 
prima  gettate  si  come  lo  spero  presto."  (DaelH  34,  35,  36.)  Am 
8.  September:  ,,le  vostre  teste  similmente  sono  venute  bene:  et  al 
ritorno  suo  si  rinetterrano."  Daniele  war  für  vierzehn  Tage  in  das 
Bad  von  S.  Fihppo  gegangen.  Am  6.  Oktober :  ,,gli  ricorderö 
(a  Daniello)  egli  dice,  le  vostre  due  teste,  e  troverä  la  mia  a  buon 
termine,  che  gli  farä  venir  voglia  di  fare  rinettare  le  vostre,  tanto 
piü  presto."     (Gotti  II,   147.  I,  372.) 

Noch  immer  aber  verzögert  sich  die  Sendung.  Am  9.  März 
1566  berichtet  Leoni :  ,, tanto  huomo,  del  quäle  io  haverö  presto 
la  effigie  finita,  che  mi  fa  sperare,  che  le  due  vostre  anchora  siano 
per  piacere.  Non  haverei  creduto  mai,  che  fussi  andato  tanto  tempo 
a  rinettarla,  ve  tanta  spesa:  e  vero,  che  non  ho  fatto  risparmiare 
a  ogni  possibile  diligentia."  Am  4.  April  1566  stirbt  Daniele. 
Leoni  schreibt  am  4.  Juni:  ,,Ie  due  teste  di  quella  bona  memoria 
erano  in  essere  al  partir  mio  di  Roma  ma  non  rinettate :  penso 
haverete  dato  ordine  che  pervenghino  in  vostre  mani :  et  quanto 
al  farle  rinettare,  se  cosi  vi  parrä  potrete  differire  al  ritorno 
mio  lä,  che  allora  si  faranno  passare  per  le  mani  di  uno,  che  ha 
rinettata  la  mia  molto  bene."     (Daelli  40.  41.) 

Schon  am  18.  April  hatte  Jacopo  del  Duca,  der  sich  selbst 
anbietet,  die  Büsten  zu  ziseliren,  über  sie  berichtet :  ,, circa  le  teste 
de  mitallo,  messer  Daniello  gli  ha  gettati,  ma  sono  in  modo,  che 
hormai  se  hanno  da  fare  de  novo  con  ciselli  et  lime,  si  che  non 
so  se  saranno  a  proposito  per  V.  S. :  fate  voi.  Io  per  me  vorrei 
havesti  il  ritratto  della  bona  memoria  de  missere,  non  d'un  altro. 
V.  S.  faze  Lei ;  commetta  a  qualcheduno  che  vi  ragguaglia  meglio 
di  me.  So  quel  che  dico ,  dico  per  amor  che  vi  porto,  et  forse, 
essendo  vivo  Daniello,  l'arebbe  fatte  condurre  a  un  modo,  che 
questi  soi  genti  non  so  quel  che  faranno."  An  demselben  Tage 
schreibt  Michele  Alberti :  ,, messer  Jacomo  vostro  compare  mi  ä 
detto  che  V.  S.  vorrebbe  sapere  in  che  termine  sono  le  teste  di 
bronzo  de  la  bona  memoria  di  messer  Michelangelo.  Vi  dico 
che  sono  gettate,  e  che  se  reneterranno  in  termine  di  un  mese  o 
pocho  piü,  che  V.  S.  le  poträ  avere.  Si  che  V.  S.  stia  di  bona 
voglia,  che  sarä  servita  presto  e  bene."     (Gotti  I,  S.  373-) 

Drei  Bronzebüsten  also  sind  nach  dem  Modell  Danieles  an- 
gefertigt worden.  Die  eine  war  im  Besitz  Diomede  Leonis,  die 
beiden  anderen,  im  Auftrage  Lionardo  Buonarrotis  angefertigt, 
dürften  im  Jahre  1566  in  Dessen  Hände  gelangt  sein.  Bestimmt 
lässt  sich  aber  das  Datum  nicht  sagen. 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  535 

Nun  wird  aber  weiter  eine  Bronzebüste  genannt,  die  sich  im 
Besitze  eines  Dieners  Michelangelos,  des  Antonio  del  Francese, 
befand.  Dieser  schenkt  sie,  wie  aus  seinem  Briefe  am  26.  August 
1570  hervorgeht,  wie  auch  eine  Mosesstatuette,  dem  Herzog  von 
Ürbino.  ,,Der  Kopf,  von  dem  mir  Eure  Excellenz  in  Ihrer  Güte 
schreiben  lässt,  ist  das  wahre  Bildniss  meines  einstigen  Herrn, 
Michelangelo  Buonarrotis,  und  ist  aus  Bronze,  von  ihm  selbst 
gezeichnet.  Ich  habe  es  hier  in  Rom  und  mache  es  Eurer 
Excellenz  zum  Geschenk  und  schon  habe  ich  es  Ihrem  Gesandten 
gesagt,  er  solle  danach  schicken  und  für  die  Übersendung  Sorge 
tragen.  Ich  flehe  Eure  Exellenz  an,  Sie  wolle  geruhen  es  gerne 
anzunehmen,  wie  ich  es  gerne  gebe,  da  ich  es  einer  würdigeren 
Person  nach  meinem  Urtheil  nicht  widmen  könnte."  (Gotti  I,  173. 
G.  Gronau:  Jahrb.  d.  k.  pr.  Kunsts.  XXVII  Beiheft  S.  11.) 

Wir  müssen  wohl  annehmen,  dass  dies  ein  viertes  Exemplar 
des  Daniele'schen  Werkes  war,  das  der  Antonio  für  sich  anfertigen 
Hess  —  nicht  ganz  ausgeschlossen  aber  bleibt  die  Annahme,  dass 
Lionardo  nur  ein  Exemplar  von  den  zwei  bestellten  empfangen  habe 
und  das  andere  in  den  Besitz  Antonios  gelangt  sei.  Auffällig  und  nicht 
sicher  glaubhaft,  immerhin  aber  doch  beachtenswerth  bleibt  die  An- 
gabe dieses  Dieners,  sein  Meister  habe  das  Bildniss  selbst  gezeichnet. 
Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  die  nach  Urbino  gesandte 
Büste  identisch  mit  der  jetzt  im  Museo  nazionale  zu  Florenz  be- 
findlichen, denn  sie  kommt  1637  im  Inventar  der  Guardaroba  des 
Grossherzogs  Ferdinand  IL,  Gemahles  der  Vittoria  della  Rovere, 
vor.  Und  da  die  Bronze  des  Bargello  mit  jener  in  der  Casa 
Buonarroti  —  welche  vermuthlich  das  eine  der  von  Leoni  an 
Lionardo  gesandten  zwei  Exemplare  ist,  —  sowie  mit  einigen 
anderen  übereinstimmt,  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  Milanesi  und 
Fortnum  Recht  haben,  wenn  sie  in  diesen  Werken  Bronzen  nach 
dem  Modell  des  Daniele  da  Volterra  erkennen.  Folgende  Exemplare, 
schon  von  Fortnum  zusammengestellt,  im  Kopfe  mit  einander 
übereinstimmend,  aber  in  dem  Material,  in  der  Gestaltung  der  dem 
Kopf  hinzugefügten  Büste  und  in  der  Ziselirung  verschieden,  sind 
zu  erwähnen, 

I.  Bronzebüste  im  Museo  nazionale  zu  Florenz.  Nr.  ZI-  Aus 
Urbino.  Sie  befand  sich  offenbar  eine  Zeit  lang  in  der  Villa 
La  Petraja  der  Medici.  Steinmann  und  Pogatschcr  veröffent- 
lichten ein  Epigramm:  „A  una  testa  di  Michelagnolo  Buonarroti 
di  bronzo  in  sala  alla  Pietraja.  Sat  magnum  Tua  sola  loco 
decus  addit  imago."  (Rep.  f.  K.  XXIX,  418.) 
II.  Bronzebüste  in  der  Akademie  zu  Florenz,  mangelhaft  bearbeitet. 
Sollte  dies  das  zweite  der  an  Lionardo  gesandten  Exemplan* 
sein  '^. 


536  Anhang 

III.  Bronzebüste  in  der  Casa  Buonarroti  zu  Florenz.  Irrthümlich 
von  Michelangelo  d.  J.  dem  Giovanni  da  Bologna  zugeschrieben. 

IV.  Bronzebüste  im  Konservatorenpalast  zu  Rom.  Auf  Marmor 
bigio  morato  befestigt.  Als  Geschenk  des  Antiquario  Antonio 
Borioni  wurde  sie  von  Clemens  XII.  dort  aufgestellt  und  vom 
Abate  Ridolfino  Venuti  in  Borionis  Collectanea  Antiquitatum 
Romanarum  verherrlicht.  Die  damals  verfertigte  Inschrift 
lautet:  Michaelis  Angeli  Bonarrotii  Caput  aeneum  sub  felici 
pontificatu  SS.  D.  N.  PP.  Clem.  XII.  A.  D.  MDCCXXX. 
Antonio  Cardello  Virgil.  March.  Crescentio  Cons.  Nicol. 
Planca  incoronato  felice.  com.  de  Aptis.  C.  R.  P.  Antonius 
Borionus  Capitolio  et  S.  P.  Q.  R.  d.  d.  (Gori :  Ccndivis  Vita 
1746.  Pref.  XX ff.)  Ich  möchte  annehmen,  dass  dies  das 
Exemplar  des  Diomede  Leoni  ist,  welches  vielleicht  dauernd 
in  Rom  geblieben  war.  Abbildung  in :  Righetti :  il  Campi- 
doglio  Tav.  CCXLVIII 

Dass  Daniele  nach  einer  Todtenmaske,  nicht  nach  dem  Leben 
gearbeitet  hat,  behauptete  Santarelli,  und  Fortnum  stimmt  ihm  zu. 
Ich  kann  mich  hierfür  nicht  erklären,  da  drei  erhaltene  Bronzen, 
die  bloss  den  Kopf  zeigen  und  das  Modell  unmittelbarer,  als  die 
genannten,  wiedergeben,  den  Eindruck  hervorbringen,  als  seien 
sie  nach  dem  Leben  angefertigt.  Und  dass  sie  zu  den  früher  er- 
wähnten ziselirten  Bildnissen  in  naher  Beziehung  stehen,  hob  schon 
Fortnum  hervor. 

V.  Bronzekopf  im  Louvre  zu  Paris.  Legat  von  Eugene  Piot. 
(Stich  in  der  Gaz.  d.  b.  a.  1878.  S.  596.  Phot.  Giraudon 
2146.  2147.)  Sehr  schöner,  unziselirter  Abguss  des  Modelles. 
Er  war  auf  der  Exposition  retrospective  im  Trocadero  1878 
ausgestellt  (s.  Bode  in  der  Kunstchronik  1878.  XIII,  S.  753). 
Piot  erwarb  ihn  aus  Privatbesitz  in  Bologna.  Genau  derselbe 
dreifache  Rockkragen  wie  in  der  Büste  des  Konservatoren- 
palastes. 

VI,  Bronzekopf  im  Castello  Sforzesco  in  Mailand.  (Phot.  Fuma- 
galli  35.)  Unziselirter  Abguss  eines  Wachsmodelles.  Er 
stammt  aus  der  Sammlung  Giuseppe  Bossi  in  Mailand. 

VII.  Bronzekopf  (auf  moderne  Gypsbüste  gesetzt)  in  Oxford,  Univ. 
Gall.  Robinson  Nr.  90.  Geschenk  von  W.  Woodburn.  Ab- 
guss eines  Wachsmodelles. 

Eine  Gypsmaske  wurde  von  v.  Ramdohr  (II,  1 54)  in  der  Acca- 
demia  di  S.  Luca  in  Rom  erwähnt. 

Verschieden  von  diesem  Modell  ist 
Vin.  Kleinere  Bronzebüste  in  der  Sammlung  Simon  in  Berlin.    Sie 
kam  aus  dem  Besitze  des  Mr.  Beurdelet  (Gaz.  d.  b.  a.   1865. 
XIX,  331)  in  die  des  Mr.  Maurice  Cottier,  dann  nach  Berlin. 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  537 

Merkwürdige.  Unregelmässigkeiten  in  der  Bildung  des  Schädels 
und  einzelner  Gesichtsformen  aufweisend,  ist  sie  doch  un- 
gemein ausdrucksvoll.  Der  Kopf  ist  gesenkt,  wie  in  entrückter 
Stimmung.  Die  Kleidung  besteht  in  einem  vorne  geknöpften 
Rock  mit  Klappkragen.  Nicht  von  der  Hand  Danieles,  sondern 
von  einem  anderen  Künstler. 

B.  Marmorbüsten. 

IX.  Die  Büste  am  Grabmal  Michelangelos  in  S.  Croce 
zu  Florenz.  Sie  ist  nach  Vasari  (VII,  316)  von  Battista  di 
Domenico  Lorenzi  angefertigt  worden.  Die  Büste ,  welche 
eine  ähnliche  Draperie,  wie  jene  in  der  Casa  Buonarroti,  den 
Kopf  aber  ganz  en  face  zeigt,  ist  nicht,  wie  wohl  angenommen 
worden  ist,  nach  der  Todtenmaske,  sondern  offenbar  nach 
einer  der  in  Lionardos  Besitze  befindlichen  Bronzen  Danieles 
ausgeführt  worden.  Der  Rockkragen  hat  die  gleiche  Form, 
wie  diese. 

X.  Marmorbüste  desMusee  Bonnat  inBayonne.  Abb. 
bei  Louis  Gonse :  les  chefs-d'oeuvre  des  Musees  de  France. 
Sculpture.  Paris  1904.  S.  98.  Auch  hier  ist  der  Kopf  ganz 
in  Vorderansicht.  Die  Draperie  scheint  mir  aus  dem  XVII.  Jahr- 
hundert zu  stammen.  Sie  wurde  nicht  nach  Danieles  Werk, 
sondern  nach  der  kleineren  Simon'schen  Bronze  Nr.  VIII 
ausgeführt;  wir  finden  dieselbe  Unregelmässigkeit  und  den 
gleichen  Rock.  Der  Künstler  gehört  dem  Kreise  der  Schüler 
des  Meisters  an. 

XI.  Marmorbüste  im  Besitze  derDuchessa  Josephine 

Melzi    in    der    Villa    Melzi    am    Comersee.      Abb.    in 

,,Capi  d'arte  appartenenti  a  S.  E.  la  duchessa  Josephine  Melzi 

d'Eril  Barbi  descritti  dal  dott.  Giulio  Carotti  1901.    Bergamo. 

Wilhelm    Suida   sprach   mir  die  Vermuthung   aus,    sie   könne 

von  Guglielmo  della  Porta  sein.     Ich  habe  sie  nicht  gesehen. 

Späterer  Zeit    gehört    die   sitzende    Marmorstatue    in   der  Casa 

Buonarroti  an,  die,   1620  von  dem  jüngeren  Michelangelo  gestiftet, 

den   Künstler   in   kurzem   Rock,    in    der  Linken   eine  Rolle,    zeigt. 

Die  Inschrift  lautet :  D.  O.  M.    Michaeli  Angelo  Bonarrotae  pingendi 

sculpendi    atque    architectandi    praestantia    novum    divinum    adepto 

non    ut    mercedem    gloriae    qua    magna    pater   familiam   illustravit 

rependeret  neve  ad  ejus  laudem  aliquid  conferret  sed  ut  inter  summos 

honores    peractae  vitae   cursus    gentilium   animos    intra    domcsticos 

parietes  proprius  vehemcntiusque  ad  virtutem  accenderet  Mich.  Ang. 

Buonarrota  Leonardi   F,  Statuam   p.  plnacothecam   a   sc   extructam 

atque  ornatam  d.  A.  D.  MDCXX. 


538  Anhang 

Die  Reliefs  am  Katafalk  des  Meisters  hatte  Santi  Buglioni  an- 
gefertigt.    (Vasari  VII,  306.) 
XII.  Marmorrelief    in     ovaler    Form     im    Besitze     des 
Herrn  A.  von  Decke rath  zu  Berlin.     Vermuthlich  von 
Bart.  Ammanati.     Kopf  im   Profil  nach  rechts.     Es  ist  offen- 
bar nach  Bonasones  Stich  angefertigt.     Abb.  bei  Mackowski : 
Michelangelo. 
XIII.  Auf    dem    Relief    der    „Erneuerung    Pisas     durch 
Cosimo  I."  im  Museo  Pio  Clementino  des  Vatikan  ist  unter 
den  Figuren  im  Hintergrund  links   das  Porträt  Michelangelos 
im  Profil  gegeben  (Massi :  Kat.  des  Museo   1792  p.  45.    Stein- 
mann:   Monatshefte    für   Kunstw.    I,    S.  3  f.,    wo    auch   Abb.). 
Steinmann  schreibt  das  Relief  Ammanati  zu. 
Zwei  kleine  Stuckreliefs  von  Daniele  da  Volterra  in  der  Capeila 
Orsini  in  S.  Trinitä  in   monte    zu    Rom   zeigten  Michelangelo.      In 
ihnen  rechtfertigte  Daniele   sich   gleichsam  vor  seinen  Neidern,  in- 
dem er  sich  als  Schüler   des  Meisters  und  Sebastianos  del  Piombo 
hinstellte.     ,,In  una   di   queste   storiette   fece  molte  figure  di   satiri, 
che  a  una  stadera  pesano  ganbe,  braccia  et  altre  membra  di  figure 
per  ridurre   al  netto  quelle   che  sono  a  giusto  peso  e  stanno   bene 
e  per  dare  le  cattive  a  Michel  Agnolo  e  fra  Bastiano,  che  le  vanno 
conferendo.      Nell'altra   e    Michel    Agnolo,    che   si    guarda    in   uno 
specchio,  di  che  il  significato  e  chiarissimo."     (Vasari  VII,  55.) 

2 
Medaillen 

XIV.  Die  Medaille  Leone  Leonis. 

Im  Sommer  1560  war  Leone  in  Rom.  ,,Und  in  jener  Zeit 
porträtirte  der  Cavaliere  Leone  Michelangelo  sehr  lebendig  in  einer 
Medaille  und  machte,  aus  Gefälligkeit  für  Diesen,  auf  dem  Revers 
einen  Blinden,  der  von  einem  Hunde  geführt  wird,  mit  folgender 
Inschrift:  docebo  iniquos  vias  tuas  et  impii  ad  te  convertentur ; 
und  da  ihm  die  Medaille  sehr  gefiel,  schenkte  Michelangelo  ihm 
das  Wachsmodell  eines  Herkules,  der  den  Antäus  erdrückt,  und 
einige  Zeichnungen."     (Vasari  VII,  257  f.) 

Die  Medaille  ist  in  zahlreichen  Exemplaren:  in  Gold  (BerUn), 
Silber  (Florenz  und  Kensington  Museum),  Bronze  und  Blei  auf  uns 
gekommen.  Auf  der  Vorderseite  liest  man :  MICHAEL  ANGEL VS 
BONARROTVS  FLOR.  AET.  S.  ANN.  88.  Auf  der  Rückseite: 
DOCEBO  INIQVOS  V.  T.  ET  IMPII  AD  TE  CONVER. 

Die  Angabe  des  Lebensalters  ist  irrig,  denn  1561  empfing 
Michelangelo  die  Medaille  aus  Mailand.  Es  müsste  lauten:  85  oder 
86.     Der  Meister   ist   im  Profil  nach  rechts  gewandt ,    ein  Gewand- 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  530 


stück  ist  in  reichen  Falten  um  seine  Brust  drapirt.  Die  Darstellung 
auf  dem  Revers  zeigt  einen  alten  Bettler,  dem  Michelangelos  Züge, 
wie  es  scheint,  verliehen  sind.  Ein  Gewandstück,  das  den  Ober- 
körper halb  nackt  lässt,  umhüllt  sein  rechtes  Bein  und  weht  vom 
linken  Arm  ab ;  auf  dem  Kopf  trägt  er  eine  kapuzenartige  Mütze. 
Schwerfälligen  Ganges  schreitet  er,  von  einem  Hund  geführt,  in  der 
ausgestreckten  rechten  Hand  einen  Stab ,  am  Arm  eine  Kürbis- 
flasche, dahin.  Die  Inschrift  ist  dem  51.  Psalm,  v.  15  entnommen: 
,,denn  ich  will  die  Übertreter  deine  Wege  lehren,  dass  sich  die 
Sünder  zu  dir  bekehren."  Es  ist  der  Psalm ,  welcher  beginnt : 
„Gott  sei  mir  gnädig  nach  deiner  Güte  und  tilge  meine  Sünden 
nach  deiner  grossen  Barmherzigkeit.  Wasche  mich  wohl  von  meiner 
Missethat  und  reinige  mich  von  meinen  Sünden."  Und  weiter 
(v.  12 — 14):  ,, Schaffe  in  mir,  Gott  ein  rein  Herz,  und  gieb  mir  einen 
neuen  gewissen  Geist.  Verwirf  mich  nicht  vor  deinem  Angesicht 
und  nimm  deinen  heiligen  Geist  nicht  von  mir.  Tröste  mich  wieder 
mit  deiner  Hülfe,  und  der  freudige  Geist  enthalte  mich."  Und  auf 
V.  15  folgt:  ,, Errette  mich  von  den  Blutschulden,  Gott,  der  du 
mein  Gott  und  Heiland  bist,  dass  meine  Zunge  deine  Gerechtig- 
keit rühme.  Herr,  thue  meine  Lippen  auf,  dass  mein  Mund 
deinen  Ruhm  verkündige.  Denn  du  hast  nicht  Lust  zum  Opfer, 
ich  wollte  dir's  sonst  wohl  geben;  und  Brandopfer  gefallen  dir 
nicht.  Die  Opfer,  die  Gott  gefallen,  sind  ein  geängsteter  Geist; 
ein  geängstet  und  zerschlagen  Herz  wirst  du,  Gott,  nicht  verachten" 
(v.   16 — 19). 

Dies  die  Stimmung,  aus  welcher  heraus  Michelangelo  den  Revers 
anordnete.  Nicht  ohne  Weiteres  erklärt  sich  aus  der  Schriftstelle 
die  Darstellung.  Bottari  zwar  meinte,  diese  wäre  eine  Satire  auf 
den  am  Petersbau  Beschäftigten.  Die  Worte  also  richteten  sich 
gegen  die  Feinde,  die  ihn  gerade  in  jenen  Jahren  durch  ihre  Intri- 
guen  besonders  belästigten  und  empörten.  Doch  scheint  mir  hier- 
durch die  Bettlerszene  nicht  erklärt  zu  werden;  auch  dünkt  es 
wenig  glaubhaft,  dass  der  Meister  jene  elenden  Vorgänge  habe  ver- 
ewigen wollen.  Eine  andere  Meinung,  dass  nämlich  der  arme  Pilger 
Tobias  sei,  hat  mit  Recht  schon  Fortnum  zurückgewiesen.  Der 
Sinn  der  Allegorie  ist  wohl  allgemeiner  zu  fassen.  Will  der  Meister 
unseren  Erdenwandel  als  die  Pilgerschaft  von  Blinden  und  Bedürftigen 
kennzeichnen  oder  stellt  er  sich  selbst  als  den  im  Dunkel  seinen 
Weg  tastenden  „Armen  Christi"  dar.? 

Eine  spätere  Gestaltung  der  Medaille  bringt  an  Stelle  dieses 
Reverses  die  Darstellung  der  Geburt  Christi  in  einem  Gebäude.  In 
Gaetanis  Museum  Mazzuchellianum,  Venedig  1761,  wird  eine  Medaille 
erwähnt,  die  den  Bettler  auf  dem  Revers,  auf  der  Vorderseite  aber 
Giuliano  della  Rovere  statt  Michelangelos  zeigt. 


540  Anhang 

Ein  Wachsmodcll  des  Kopfes  in  kleineren  Verhältnissen,  das 
Fortnum  von  einer  Mrs.  N.  Hibbert  in  Munden  erhielt  und  in 
seinem  Aufsatz  publizirt  hat,  wird  von  ihm  und  vielleicht  nicht  mit 
Unrecht  als  das  nach  der  Natur  angefertigte  Originalmodell  be- 
trachtet. Die  Draperie  ist  etwas  anders,  sie  ist  um  den  Rock  mit 
dem  kleinen  umgebogenen  Kragen,  den  wir  auch  in  Danieles  Büsten 
finden,  gezogen.  Auf  der  Rückseite  befindet  sich  ein  Papier,  auf 
dem  in  einer  Schrift  (wohl  des  XVII.  Jahrhunderts)  zu  lesen  ist : 
Ritratto  di  Michelangiolo  Buonaroti  fatto  dal  naturale  da  Leone 
Aretino  suo  amico.  Nach  diesem  Modell  hätte  dann  Leone  das 
grössere  für  die  Medaille  angefertigt. 

Alle  anderen  Medaillen  sind  späteren  Datums :  eine  von  Jean 
Varin  (lebte  1604  bis  1672),  eine  zweite  von  Herard  oder  Gerard 
1673,  eine  dritte  von  A.  S.  (Antonio  Selvi)  mit  den  drei  Schwester- 
künsten auf  dem  Revers,  eine  vierte  von  Santarelli  18 12,  eine  fünfte: 
Durand  edidit  1821.  (Vgl.  Litta:  Fam.  cel.  Ital.  unter:  Buonarroti. 
Fagan:  The  art  of  M.  B.  in  the  British  Mus.  1883.  S.  159.  Fort- 
num a.  a.  O.) 

Von  den  geschnittenen  Steinen  ist  keiner  in  frühe  Zeit  zu  ver- 
setzen. Auch  nicht  das  ,,vetro  di  colore  di  smeraldo",  das  Gori 
von  Luigi  Syries  erhielt  und  nach  dem  er  die  Vignette  zu  dem  Vor- 
wort seiner  Condiviausgabe  von  1746  (S.  VIT)  entwarf 

3 
Stiche  und  Holzschnitte 

Mit  den  Stichen  besonders  haben  sich  beschäftigt :  Fagan 
(a.  a.  O.  S.  151  ff.)  und  Passerini:  BibHografia  S.  311  ff.  An  Holz- 
schnitten wird  sich  gewiss  Manches  noch  nachweisen  lassen.  Ich 
habe  dem  nicht  nachgehen  können. 

A.  Michelangelo  als  füngling. 

XV.  Anonymer  Kupferstich  im  British  Museum  (Fagan 
S.  1 56,  Nr.  XXV).  Michelangelo,  als  junger  Mann,  in  ganzer 
Figur.  Er  sitzt  in  einen  grossen  Mantel  gehüllt  an  einem 
offenen  Fenster,  wie  schlafend  das  Haupt  auf  die  Hand  des 
am  Fensterbrett  aufgestützten  rechten  Armes  gelehnt ,  den 
linken  Arm  verborgen  im  Mantel,  den  linken  Fuss  auf  einen 
Schemel  gestellt.  Rechts  von  ihm  ein  Vorhang.  Nur  wenig 
Bart  ist  angedeutet.  Bez.  Micha.  Ange.  bonarotanus  Floren- 
tinus  sculptor  optimus  anno  aetatis  sue  23.  Das  merkwürdige 
Blatt,  das  einen  schwermüthig  stimmungsvollen  Eindruck  her- 
vorbringt, ist  beträchtlich  später  gestochen,  als  die  durch  das 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  541 


Alter  bezeichnete  Jahreszahl  1498  angeben  würde.  Benutzte 
der  Stecher  eine  alte  Zeichnung,  die  irgend  ein  künstlerischer 
Genosse  des  Meisters  angefertigt?  Oder  ist  es  eine  Phantasie- 
schöpfung ?  Man  möchte  das  erstere  annehmen,  da  die  ersicht- 
liche Porträtähnlichkeit  schwerlich  aus  einer  blossen  Phantasie- 
rekonstruktion zu  erklären  sein  dürfte.  Abb.  bei  Steinmann : 
Sixt.  Kap.  II,  S.  136. 

B.  Michelangelo  in  der  Medicikapelle. 

XVI.  Holzschnitt  von  J.  C.  in  Sigismondo  Fantis  ,,Triompho 
di  Fortuna",  welcher  1527  bei  Agostino  da  Portese  in  Venedig 
erschien.  Im  ,, Frankfurter  Bücherfreund,  Mittheilungen  aus 
dem  Antiquariate  von  Joseph  Baer  &  Co."  (Fr.  a.  M.  1908 
Nr.  2)  hat  Dr.  Leo  Baer  auf  dieses  interessante  Blatt  zum  ersten 
Male  aufmerksam  gemacht.  Auf  Seite  XXXVIII  ist  „der  Bild- 
hauer" dargestellt.  Nur  mit  einem  Lendenschurz  bekleidet, 
kniet  der  Künstler  mit  dem  linken  Beine  auf  einem  grossen 
Steinblock  und  schwingt,  den  Meissel  ansetzend,  mit  gewaltiger 
Bewegung,  die  seine  Haare  flattern  macht,  den  Hammer.  Die 
Statue,  deren  Oberkörper  schon  einigermaassen  aus  dem 
Stein  herausgearbeitet  ist,  ist  die  einer  liegenden  Frau. 
Rechts  steht  eine  Herme,  links  die  Statue  einer  stehenden, 
ihr  Gewand  haltenden  Frau.  Eine  Bezeichnung:  Michael 
fiorentino"  beweist,  dass  dem  Illustrator  das  Bild  des  Meisters 
vorgeschwebt  hat.  Und  zwar  muss  man  mit  Baer  annehmen, 
dass  er  einen  persönlich  von  Dessen  Erscheinung  und  Arbeit 
gewonnenen  Eindruck  wiedergiebt.  Die  Ähnlichkeit  ist  be- 
greiflicher Weise  nur  eine  allgemeine ,  aber  die  liegende 
Gestalt  ist  offenbar ,  wie  Baer  bemerkte ,  die  Aurora.  Der 
Illustrator  dürfte  also  etwa  1526  in  der  Werkstatt  von 
S.  Lorenzo  gewesen  sein.  Ob  wir  in  ihm,  wie  Baer  ver- 
muthet,  den  Bildhauer  Jacopo  Colonna  zu  sehen  haben, 
bleibe  dahingestellt. 

C.  a.  Das  Proßlbildniss  von  Bonasone.     1545,  ^54^. 

XVII.  Kupferstich  (von  G.  Bonasone }).    Brustbild,  Profil  nach  rechts, 
in  eng  am  Hals  anliegendem  Umhang.     Bez. 

MICHAELANGELVS  BVONAROTVS  NOBILIS 

FLORENTINVS  AN  AKT  SVE  LXXI 

QVI  SIM  NOMEN  HABES  SATQ  EST  NAM  OAETERA  CVI  NON 

SVNT  NOTA  AVT  MENTEM  NON  HABET  AVT  OCVLOS 

MDXLV. 


542  •  Anhang 

Es  ist  derselbe  Kopf,  wie  im  folgenden.  Eine  Kopie,  in  der 
statt  OAETERA  CAETERA  steht  und  P.  S.  F.  (In  den  Uffizien 
ein  Abdruck  mit :  Giovanni  Orlandi  fo.  roma.) 

XVIII.  Kupferstich  von  Giulio  Bonasone.  B.  345.  Gleiche  Dar- 
stellung im  Profil  wie  in  XV.     Bez. 

MICHAEL  ANGELVS  BONAROTVS  PATRICIVS 

FLORENTINVS  AN  AGENS  LXXII. 

OVANTVM  IN  NATURA  ARS  NATVRAOVE  POSSIT  IN  ARTE 

HIC  QVI  NATVRAE  PAR  FVIT  ARTE  DOCET 

MDXLVI. 

Unten :  JVLIO  B.  F.  — 

Abdruck  der  abgenutzten  Platte  in  Goris  Condiviausgabe  1746. 

C.  b.  Das  Proßlbildniss  von  einem   Unbekannten.  1^46. 

XIX.  Kupferstich  (1546),  anonym.  DruguHn  2418.  Brustbild 
ohne  Hände,  Kopf  mit  reich  gelocktem  Haar  und  Bart  im 
Profil  nach  hnks.  Rock  mit  Kragen,  Mantel  um  ihn  drapirt. 
Medaillenartig  in  rundem  Medaillon,  das  auf  viereckigem, 
reich  mit  Ornamenten  geschmücktem  Blatte  angebracht  ist. 
Auch  medaillenartig  umlaufende  Schrift: 

MICHELANGELVS  BONAROTVS  NOBILIS 
FLORENTINVS  ANNO  AET.  SVE  LXXI. 

Eine  Abb.  nach  dem  Exemplar  im  Besitze  des  verstorbenen 
Geheimrath  Ruland  in  Weimar  bei  Steinmann :  Sixtinische  Kapelle  II, 
S.  465.  —  Einen  späteren  Etat  fand  ich  in  den  Uffizien.  Hier  ist 
die  Altersangabe  verändert  in  LXXXVIII  (irrige  Angabe)  und  am 
Rande  des  Medaillons  innen  hinzugefügt  die  Jahreszahl  MDLXI. 

Die  Eigenthümlichkeiten  des  Kopfes  sind  hier  in  fataler  Weise 
übertrieben,  namentlich  die  Einziehung  der  Stirne  in  der  Mitte, 
und  die  Haare  sind  viel  mehr  gekräuselt,  als  bei  Bonasone  und 
Daniele.  Es  ist  nicht  wohl  denkbar,  dass  der  Stich  nach  der  Natur 
gemacht  sei. 

D.  Das  Porträt  halb  en  face  mit  Filzhut  von  Bonasojie.   1548. 

J549-     ^55^- 

XX.  Kupferstich  von  Bonasone.  In  einem  Oval,  halb  nach 
rechts  gewandt,  in  lang  anHegendem  gemustertem  Gewand, 
darüber  Mantel,  auf  dem  Kopfe  ein  topfartig  geformter  Pelz- 
oder Filzhut  mit  schmalem  Rand.  Über  dem  Ohr  kommt 
das  Ende  einer  anliegenden  Kappe  zum  Vorschein.  —  Dies 
Bildniss  kommt  in  Exemplaren  mit  verschiedenen  Altersangaben 
vor.     In  dem  ovalen  Rahmen: 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  1^4:^ 


MICHAEL  ANGELVS  BONAROTVS  PATRICIVS 

FLORENTINVS  AN.  AGENS     (folgt  Alterszahl). 

a.  Mit  der  Alterszahl  LXXIV.  Mir  nur  in  einer  Kopie  bekannt, 
die  der  bekannten  Serie  von  Stichen  Adam  Ghisis  nach  den 
Sixtinischen  Deckenbildern  in  der  späten  Ausgabe  beigegeben 
und  vorangestellt  ist.  Bez.  Christophorus Blancus  faciebat  161 2. 
Im  Gegensinne. 

b.  Mit  der  Alterszahl  LXXV.  Stich  in  der  Sammlung  des  ver- 
storbenen Geheimrath  Ruland  in  Weimar.  Abb.  unter  den 
Tafeln  des  Steinmann 'sehen  Werkes  über  die  Sixtina  IL 

c.  Mit  der  Alterszahl  LXXXI  und  der  Bezeichnung  J.  B.  Stich 
im  British  Museum  (Fagan  S.  155,  XXIII). 

Hiernach  das  Porträt  in  der  „Nuova  et  ultima  aggiunta  delle 
porte  d'Architettura  di  M.  A."  Siena  1635.  Von  Pietro  Marchetti. 
Hier  ist  die  Alterszahl  LXXIII. 

E.  Das  Porträt  halb  en  face  von   Giorgio  Ghisi. 

XXI.  Kupferstich  von  Giorgio  Ghisi.  B.  71.  Der  Kopf 
etwas  nach  rechts  gewandt,  in  einem  Oval  mit  ornamentalem 
Rahmen.     Bez. : 

MICHAEL  ANGELVS  BONAROTA 
TVSCORVM  FLOS  DELIBATVS 
DVARVM   ARTIVM  PVLCHERRIMARVM 
HVMANAE  VITAE  VICARIARVM 
PICTVRAE  STATVARIAEOVE 
SVO  PENITVS  SAECVLO  EXTINCTARVM 
ALTER  INVENTUR  FACIEBAT 
G.  M.  F. 
Eine   Kopie    im    Gegensinne    hiervon    ist     eine    Radirung    im 
Berliner  K.  Kupferstichkabinet,  welche  Wessely  für  ein  Selbstporträt 
Michelangelos    hielt.      (Z.  f.  b.  K.   1876,  XI,  S.  64,    wo    auch   Ab- 
bildung.) Bez. :  Michael  AngelusBonaroti  Tuscorum  flos  dclibatus.  — 
Frei   nach    dem    Stiche    entworfen    das    Bildniss   in    der    Mailänder 
Vasariausgabe  von  1 8 1 1 .     Bd.  XIV. 

F.  Porträt  halb  en  face  nacJi    Vasari. 

XXII.  Holzschnitt  in  den  Vite  Vasari s. 

G.  Kleines  Bildniss  in  Medaillon  in  Sficlicji  des  füngstoi  Ge- 
richtes oben  an  der  Gewölbekappe. 

In  den  meisten  Stichen  findet  es  sich.  Es  handelt  sich  hier 
aber  nicht  um  originale  nach  der  Natur,  sondern  nach  anderen 
Stichen    gemachte   Darstellungen.      Und    zwar    kehrt    zumeist    die 


544  Anhang 

Bonasone'sche  mit  der  Pelzkappe  (D)  wieder.  Ich  erwähne  nur 
die  hauptsächhchen  und  verweise  auf  Steinmann :  a.  a.  O.  II, 
S.  789  ff. 

Niccolö  della  Casa.  Im  I.  etat:  Antonio  Salamanca  1543 
findet  es  sich  nicht,  erst  im  II.  etat. 

Giorgio  Ghisi.     B.  25. 

G,  B.  de  Cavalleriis  1567. 

Martin  Rota.     B.  28,   1569.    Abb.  bei  Steinmann :  II,  S.  555. 

Ivlarius  Kartarus.     B.   18. 

Anonym.  1576.  Venezia.  Appresso  Niccolo  Face  a  l'arca 
di  Noe,     Steinmann  II,  792.     Nr.   16. 

Ambr.  Brambilla   1589. 

Anonym.      1593.     Romae  apud  eredes  Claudii  Duchettii. 

4 
Zeichnungen 

XXIII.  Röthelzeiclinung  in  den  Offizien.  Abb.  Steinmann 
II,  S.  160,  Nr.  70  als  Daniele  da  Volterra.?  Michelangelo,  in 
ganzer  Figur  gesehen,  sitzt  etwas  nach  links  gewandt,  den 
linken  Arm  auf  ein  aufrecht  stehendes  Buch  gestützt.  Die 
Rechte  legt  er,  in  der  Haltung  des  Lorenzo  Medici,  auf  das 
rechte  Bein  und  schaut  nach  links.  Auch  die  Beinstellung 
erinnert  an  den  Lorenzo.  Gekleidet  ist  er  in  Tricots,  einen 
kurzen  Rock  mit  Ärmeln  und  in  einen  ärmellosen,  schürzenartigen 
faltenreichen  Umhang.  Eine  vortreffliche  Zeichnung,  die  den 
Künstler  etwa  als  Vierzigjährigen  oder  etwas  jünger  darstellt, 
offenbar  von  einem  Florentiner,  den  näher  zu  bestimmen  ich 
nicht  wage. 

XXIV.  Francisco  de  Hollanda:  in  seinen  Dialogen.  Kleines 
Rundbild.  Halbe  Figur  im  Profil  nach  links  gewandt,  den 
grossen  Filzhut,  der  hier  breitere  Krampe  und  Ohrklappen  hat, 
auf  dem  Kopfe,  in  eng  anliegendem  Rock  mit  emporstehen- 
dem Kragen  und  einfachem  Mantel.  In  der  Linken  hält  er 
einen  Stab,  die  Rechte  fasst  den  Gürtel  (.?).  Links  von  ihm 
ein  Rosen-,  rechts  ein  Lorbeerkranz.  Umschrift:  MICHAEL 
ANGEL VS  PICTOR.  Unter  dem  Medaillon :  nacque  Michael 
Angelus  negli  Anni  MCCCCLXXIIII  E  se  ne  passo  di  cotesta 
vita  a  XVII  di  febrajo  l'anno  MDLXIII  Etati  sue  LXXXVIIII. 
Man  würde  nun  annehmen,  das  Bildniss  sei  während  des  Auf- 
enthaltes in  Rom  von  Francisco  gemacht  worden.  Das  ist 
aber  undenkbar,  denn  der  Meister  ist  uralt.  Francisco  muss 
sich  eine  Skizze  aus  den  spätesten  Lebensjahren  Michelangelos 
verschafft   haben.    —   Abb.:    Arte    en  Espana  II,   1863.     Gaz. 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  cj^c 

d.  b.  a.   1882,  p.  397.     Frey,  Dichtungen   S.  278.     Müntz :  la 
fin  de  la  Renaissance  S.  407.     Yriarte :  Florence  p.  295. 

XXV.  Giorgio  Vasari,  Federzeichnung.  Offizien.  528,  3950. 
Das  nach  halb  rechts  gewandte  Brustbild  des  Meisters  in  ein- 
fachem Rock  ist  in  ein  von  zwei  Putten  gehaltenes  Oval  ge- 
setzt, inmitten  einer  grossen  architektonischen  Umrahmung. 
Es  ist  das  Titelblatt  zu  Vasaris  Zeichnungensammlung:  ,,Disegni 
di  diversi  Pittori  etc."  Die  Zeichnung  diente  für  den  Holz- 
schnitt in  den  Vite  1568.  Die  nächste  Verwandtschaft  zeigt 
der  Kopf  mit  dem  Bilde  der  Kapitolinischen  Sammlung. 

XXVI.  Federzeichnung  von  Passarotti  im  Grossherzog- 
lichen Schloss  zu  Weimar.  Etwas  nach  rechts  ge- 
wandter Kopf  Rock  mit  dreifach  gefaltetem  Kragen,  wie  in 
einigen  Exemplaren  der  Daniele'schen  Büste.  —  Eine  rohe 
Arbeit. 

Die  Zahl  der  Zeichnungen  dürfte  sich  unschwer  vermehren 
lassen.  Manche  sind  mir  früher  in  den  Sammlungen  begegnet,  von 
denen  ich  mir,  da  sie  mir  nicht  wichtig  genug  erschienen,  keine 
Notizen  gemacht  habe. 

5 
Gemälde 

,,Es  giebt  nur  zwei  gemalte  Bildnisse  Michelangelos :  das  eine 
von  Bugiardini,  das  andere  von  Jacopo  del  Conte" ,  sagt  Vasari. 
Ueber  das  letztere  äussert  er  sich  nicht  weiter;  bezüglich  des  an- 
deren aber  erzählt  er  im  Leben  des  Bugiardini  (VI,  206)  die  heitere 
Geschichte  von  der  Sitzung,  wie  Dieser  die  Kritik  des  Meisters,  er 
habe  sein  Auge  zu  hoch  in  die  Schläfe  gerückt,  nach  redlichem 
Sichabmühen  damit  beantwortet  habe,  es  sei  in  Wirklichkeit  so, 
worauf  Jener  bemerkt ,  so  sei  es  ein  Fehler  der  Natur  (vgl.  mein 
Werk  I,  189  f).  Dort  auch  giebt  Vasari  an,  Ottaviano  de'  Medici 
habe  das  Bild  vertraulich  bei  Bugiardini  bestellt  und  zugleich  mit 
Sebastianos  del  Piombo  Porträt  des  Papstes  Clemens  erhalten. 
Danach  wäre  Bugiardinis  Gemälde  etwa   1531   anzusetzen. 

Dies  sind  die  einzigen  alten  Nachrichten.  Zu  bemerken  ist, 
dass  Vasari  schon  von  vielen  Wiederholungen  spricht,  denen  er 
ausdrücklich  jene  beiden  Porträts  als  die  einzigen  authentischen 
gegenüberstellt.  Neben  der  oben  erwähnten  neueren  Litteratur 
kommen  insbesondere  noch  in  Betracht:  Antonio  Zobi,  Discorso 
sopra  un  ritratto  ad  olio  rappresentante  Michelangiolo  Buonarroti, 
Firenze  1842  (zuerst  1842  als  Discorso  storico  artistico  erschienen) 
und  Gaetano  Guasti :  il  ritratto  migliore  e  autentico  di  M.  Buonarroti, 
Firenze  1893. 

JL*  35 


546  Anhang 

Es  empfiehlt  sich,  im  Folgenden  die  eigentlichen  selbständigen 
Porträts  von  den  in  Historienbildern  nebenbei  angebrachten  zu 
unterscheiden. 

A.  Porträtgemälde. 

Erster  Typus:  mit  turbanartigem  weissen  Kopf- 
tuch, in  mittleren  Jahren. 

XXVI.  Gemälde  in  der  Casa  Buonarroti  zu  Florenz.  Phot. 
Alinari  4564.  Der  Kopf  ist  etwas  nach  links  gewandt;  die 
Augen  blicken  nach  rechts  heraus.  Das  Haar  ist  ganz  ver- 
steckt unter  einem  verschlungenen  weissen  Tuch,  dessen  Ende 
mit  kleinen  Fransen  oben  emporsteht.  Einfacher  dunkler  Rock. 
Dunkler  Hintergrund.  Kalt  im  Tone,  hart  in  der  Behandlung 
wirkt  das  Bildniss  nicht  angenehm.  Namentlich  der  Mund  mit 
der  etwas  vorgeschobenen  Unterlippe  und  dem  spärlichen 
Schnurrbart  erscheint  gezwungen.  Der  linke  Oberaugenknochen 
steht  zu  hoch.  Dies  letztere  lässt  Einen  unwillkürlich  an  die 
von  Michelangelo  gerügte  Verzeichnung  in  Bugiardinis  Bild 
denken.  Aber  nicht  dies  allein.  Mir  scheint  Dessen  Art  über- 
haupt in  dem  Gemälde  sich  deutlich  auszusprechen :  so  die 
Blässe  der  Inkarnates,  die  scharfe  Konturirung  der  Augen,  die 
Aufhöhung  der  Lichter  im  Barte.  Doch  scheint  es  nicht 
wohl  denkbar,  dass  ein  Mann  hoch  in  den  fünfziger  Jahren 
dargestellt  sei.  Man  würde  sagen :  einer  in  den  Vierzigern. 
Und  hierfür  spricht  folgendes  andere  Gemälde : 

XXVII.  Paris,  Louvre  1649.  Genau  dasselbe  Kopftuch,  auch  hier 
der  stark  seitwärts  gewandte  Blick,  auch  hier  der  einfache 
schwarze  Rock.  Der  Kopf  aber  mehr  en  face  gegeben,  und 
nicht  gesenkt,  sondern  ganz  gerade  gehalten.  Unten  eine 
sorgfältig  ausgeführte  Inschrift:  MICHA.  ANGE.  BONARO- 
TANVS  FLORENTINVS  SCVLPTOR  OPTIMVS  ANNO 
AETATIS  SVE  47.  —  Farbe  und  technische  Behandlung  sind 
ganz  verschieden  von  XXVI.  Das  Inkarnat  ist  branstig  roth, 
was  die  fast  brutale  Wirkung  des  Ganzen  mitbestimmt.  Der 
Farbe  nach  am  Ersten  von  einem  Schüler  aus  dem  Kreise 
des  Andrea  del  Sarto,  aber  nicht  auf  der  Höhe  der  Kunst 
etwa  eines  Pontormo.  Das  Bild  wäre  also  1522  in  Florenz 
gemalt  worden  —  und  in  diese  Zeit  etwa  möchte  man  auch 
das  ebengenannte  XXVI  versetzen.  Die  auffallende  Überein- 
stimmung in  der  Tracht  legt  den  Gedanken  nahe,  dass  es  mit 
Benutzung  von  XXVI,  nicht  nach  der  Natur  entstanden  sei, 
also  als  eine  freie  Wiederholung  jenes.  Beachtenswerth  ist 
andrerseits    die    Übereinstimmung   der  ja   seltsamen   Inschrift 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  547 

mit  jener  auf  dem  Stiche  XV,  welcher  den  Künstler  im  Alter 
von  23  Jahren  darstellt.     Entlehnte  der  Maler  sie  dem  Stiche 
oder  umgekehrt?     Das  Erstere  ist  das  Wahrscheinlichere.  — 
Das  Bild  stammt  aus  der  Sammlung  Louis  XIV. 
Es  fragt  sich  nun,  ob  wir  an  der  Benennung  ,,Bugiardini"  für 
das  Gemälde    der  Casa  Buonarroti   festhalten  können.     Ich  glaube: 
ja   —   trotz    der  Datirung.     Vielleicht   ist  Vasari   ungenau.     Es   ist 
nicht    absolut   nothwendig    anzunehmen,    dass    Bugiardini    das    Bild 
1531   gemalt  hat.     Nur  das  Eine  steht  fest,    dass  Ottaviano  Medici 
es    1531    erhielt.     Entscheidend    für   mich   ist,    dass  unter  allen  er- 
haltenen Porträts    dem  Stile   nach  nur  dies  eine  mit  dem  Maler  in 
Beziehung  gesetzt  werden  kann. 

Zweiter  Typus:  halb  nach  rechts  gewandter  Kopf, 
mit  Filzhut. 

XXVIII.  ImBesitze  desMarchesedellaStufa  zuFlorenz. 
Milanesi,  der  es  zuerst  erwähnt  und  glaubt,  es  könne  das 
Bugiardini'sche  Porträt  sein,  sagt,  es  stelle  den  Künstler  im 
Alter  von  etwa  55  Jahren  dar.  Guasti  meint:  etwa  sechzig- 
jährig, vielleicht  Kopie  nach  Bugiardini.  Eine  kleine  Kopie 
sei  im  Palazzo  Pitti. 

XXIX.  Palazzo  Pitti,  Florenz.  Miniatur  in  Medaillon.  Im 
Miniaturenraum  178.    Rohe  Kopie  des  eben  erwähnten  Bildes. 

XXX.  Wien,  K.  K.  Kunstsammlungen.  Porträtsammlung  des 
Erzherzogs  Ferdinand  von  Tyrol.  Abb.  bei  Kenner:  Jahrb. 
d.  Kunsts.  des  Allerh.  Kaiserhauses  1897.  XVIII,  S.  234. 
Taf.  XXVIII,  loi.  Bez.  Michael  Angelus.  Kenner  bemerkt, 
das  Original,  vermuthlich  das  Bugiardinis,  sei  in  den  Kupfer- 
stichen der  jjNuova  et  ultima  aggiunta  delle  porte  d'Architett. 
di  M.  A.  B."  wiedergegeben.  Es  ist  trefflich  gemalt  und  er- 
weckt durch  den  Leidensausdruck  besonders  stark  die  Theil- 
nahme. 

An  ein  Original  von  Bugiardini  zu  denken,  verbietet  schon  das 
nach  meiner  Meinung  höhere  Alter  des  Dargestellten;  auch  weist 
Nichts  auf  Dessen  Stil  hin.  Ich  glaube  vielmehr,  dass  es  sich  um 
Nachbildungen  des  Bonasone'schen  Stiches,  siehe  oben  Nr.  XX  (aus 
den  Jahren   1548  und   1549)  handelt. 

Dritter  Typus:  ohne  Kopfbedeckung,  der  etwas 
geneigte  herausschauende  Kopf  ein  wenig  nach  rechts 
gewandt. 

XXXI.  Rom,  Kapitolinische  Gemäldegalerie.  Phot. Ander- 
son 932.  Abb.  im  I.  Bande  meines  Werkes  und  sonst.  Grauer 
Hintergrund.     Schwarzer  Damastrock    mit   hoch   am  Hals  an- 

35* 


548  Anhang 

liegendem  Kragen.  Es  wird  dem  Marcello  Vcnusti  zugeschrieben. 
V.  Ramdohr  hielt  es  für  ein  Selbstporträt.  Von  allen  mir 
bekannten  Bildnissen  der  künstlerischen  Qualität  nach  das 
beste.  Auch  stimmt  es  am  Meisten  mit  Danieles  Büste  und 
Ghisis  Stich.  Wie  ich  weiter  unten  darlege,  dürfte  es  das  von 
Jacopo  del  Conte  ausgeführte  Porträt  sein.  Etwa  zwischen 
1535  und  1540. 
Als  Kopien  dieses  Gemäldes  sind  mehrere  andere  zu  be- 
zeichnen. 

XXXII.  Früher  Florenz,  Torre  del  Gallo  (Villa  Galetti). 
Das  von  Guasti  in  seiner  erwähnten  Schrift  behandelte  Gemälde. 
Der  Conte  Galetti  verkaufte  es  an  Don  Giovanni  del  Drago 
in  Rom.  Phot.  Brogi  8217.  Es  zeigt  alle  Eigenthümlich- 
keiten  von  XXXI,  nur  ist  die  Zeichnung  und  ModeUirung  viel 
härter. 

XXXIII.  Florenz,  Casa  Buonarroti.  Dem  Marcello  Venusti 
zugeschrieben. 

XXXIV.  Florenz,  Uffizien.  In  der  Porträtsammlung  des  Korri- 
dors zwischen  Uffizien  und  Palazzo  Pitti  Nr.  778.    Gute  Kopie. 

XXXV.  Hamptoncourt  Nr.  735.    Rohe  und  spätere  Wiederholung. 

XXXVI.  Hannover,    Provinzial-Museum  Nr.  230. 

XXXVII.  London,  Earl  ofWemyss.  Abb.  in  Symonds  Life 
of  Michelangelo  I.  Band. 

Vierter  Typus:  In  halber  Figur,  sitzend.  Kopf  wie 
im  dritten  Typus,  nur  gerade  gehalten,  der  rechte  Arm  im  Schoosse 
ruhend,  die  linke  Hand  über  ihn  herabhängend.  Einfache  Nischen- 
architektur im  Hintergrund. 

XXXVIII.  Paris,  Sammlung  Chaix  d'Estampes.  Stich  von 
Alphonse  Frangois.  Abb.  von  Baron  Joseph  du  Teil,  ,,Les  Arts" 
1907,  Juli.  Steinmann:  Monatshefte  für  Kunstw.  I,  il.  Es 
scheint  identifizirt  werden  zu  müssen  mit  dem  Bilde,  das  ein 
Chevalier  Alquier  1817  in  Neapel  erwarb  und  nach  Frankreich 
brachte.  (De  Romanis:  Memorie  di  M.  Rom  1823.  Dom 
Moreni:  Illustrazione  storico  critica  di  una  medaglia  rappr. 
Bindo  Altoviti.  Florenz  1824.  Hier  Wicars  Urtheil  angeführt.) 
Wicar  erklärte  es  für  das  schönste  Porträt  des  Meisters,  auch 
Ingres  äusserte  sich  enthusiastisch.  Milanesi  sprach  die  Ver- 
muthung  aus,  es  könne  das  unter  XL  genannte  Bild  sein. 
Ich  kenne  es  nur  aus  den  Reproduktionen.  Diese  aber  lassen 
keinen  Zweifel  darüber,  dass  nach  ihm  das  folgende  Porträt 
angefertigt  wurde. 

XXXIX.  Florenz,  Uffizien,  Nr.  290.  Genau  dieselbe  Darstellung, 
nur  in  sehr  roher   Ausführung.     Phot.  Alinari  488. 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  caq 

XL.  Einst  Florenz,  Casa  Bracci.  Es  wird  erwähnt  in  der 
Vasariausgabe  1772,  VI,  S.  302  als  auf  Leinwand  gemalt,  im  Be- 
sitze des  Onofrio  Bracci  in  via  de'  Ginori.  Abgebildet  wurde  es 
um  1770  in  den  ,,Elogi  e  ritratti  degli  uomini  illustri".  Danach 
der  Kopf  im  I.  Bande  der  Gotti'schen  Biographie.  Man  hielt 
es  für  eine  Arbeit  des  Francesco  Salviati.  —  Cavaliere  Zobi 
glaubte  es  wiederzuerkennen  in  einem  Bilde,  das  sich  bei 
einem  Signore  Fedi  befand  und  dann  zu  Dessen  Erben  Luisa 
Casaglia  und  Antonietta  Baldi  della  Scarperia  in  Florenz  kam. 
Sein  Versuch,  es  als  das  Bugiardini'sche  hinzustellen,  war  ein 
verfehlter. 
XLI.  Florenz,  im  Besitze  der  Strozzi.  Ich  kenne  es  nicht 
aus  eigner  Anschauung.  Milanesi  und  Guasti  besprachen  es. 
(Abb.  in  den  Serie  degli  uomini  illustri  1776.)  Ersterer  nahm 
an,  es  sei  das  von  Jacopo  del  Conte.  Wahrscheinlich  habe 
Dieser  es  für  die  Söhne  des  Filippo  Strozzi  gemalt  und  es 
sei  später  mit  den  Strozzi  nach  Florenz  zurückgekehrt.  Guasti 
vermuthete,  es  sei  eine  Kopie  des  eben  erwähnten  Fcdi'schen 
Gemäldes. 
Hinzuzufügen  ist  dieser  Gruppe,  obgleich  nur  als  Brustbild 
gegeben,  das  Bildniss 

XLII.  London,    Dr.  Ludwig    Mond.     Fünf  Porträts    sind    hier, 
durch  Pilaster  gesondert,  auf  einer  Leinwand  gegeben.    In  der 
Mitte    Michelagniolo,    zu    den    Seiten    Giotto    und   Donatello, 
Raffael  und  Brunellesco.     Ich  kenne  das  Bildniss  nur  aus  der 
von  Steinmann  (Monatshefte  I,    S.  13)    gegebenen  Abbildung. 
Der  Typus  ist  demjenigen  der  eben  erwähnten  verwandt,  nur 
ist  der  Künstler  in  jüngeren  Jahren  geschildert:  der  Knochen- 
bau  tritt    nicht    so    scharf  hervor.     Es    wird    dem   Francesco 
Salviati  zugeschrieben. 
Das    jetzt    in    der    Florentiner   Akademie    befindliche    spätere 
Bildniss    des  Meisters   in  ganzer  Figur,    mit  dem  Torso  des  Fluss- 
gottes, geht  auf  diesen  Typus  zurück. 

Handelt  es  sich  bei  einem  dieser  Gemälde  um  ein  nach  der 
Natur  angefertigtes  Porträt.^  Ich  glaube  nicht.  Die  Übereinstim- 
mung des  Kopfes  mit  dem  Stiche  Ghisis  lässt  mich  annehmen,  dass 
der  Typus  auf  diesen  zurückzuführen  ist.  Die  Kopfform  ist  länger 
und  schmäler  als  im  dritten  Typus. 

Unbekannt  blieben  mir  folgende,  heute  noch  nachzuweisende 
Bilder : 

XLIII.  Graz,    Museum. 

XLIV.  Lord  Dover.  Von  Fortnum  erwähnt.  Abb.  in  Charles 
Knights  Gallery  of  Portraits  I,  pl.  2.  Dem  Vinccnzo  Campi  von 
Verona  zugeschrieben. 


5  50  Anhang 

XLV.  Mr.  Drury  Lowe   in  Locke  Park.     Vgl.  Catalogue  von 
J.  B.  Richter  Nn  66. 
Von    früher    erwähnten,    heute    nicht    mehr    sicher    zu    identi- 
fizirenden  Bildnissen  erwähne  ich : 

a)  In  der  „Galleria  des  Cavaliere  di  Giovanbatista  Marino". 
Venezia  p.  231.  Gefeiert  durch  ein  Madrigal:  Michel  che  vinse 
in  guerra. 

b)  Im  Palast  zu  Turin.  Im  Inventar  von  1635  (Vesme  in:  Le 
Gallerie  nazionali  III,  52).  ,,Ritratto  picciolo  in  tavola.  Ordi- 
nario." 

c)  Im  Palazzo  Caprara  zu  Bologna.  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts. 
Von  Lanzi:  Storia  pitt.  III.  Aufl.  I,   147  erwähnt. 

d)  Bei   dem  Eminentissimo  Zelada    in  Rom.     Ebendort  erwähnt. 

e)  Angeblich  von  Sebastiane  del  Piombo,  in  der  Sammlung  des 
Herzogs  von  Orleans  im  Palais  royal.  Vgl.  la  Galerie  du 
Palais  royal.  Paris  1786.  Galerie  historique  des  hommes  les 
plus  celebres  de  tous  les  siecles,  t.  VIII. 

B.  In  anderen  Darstellu7igen  angebrachte  Bildnisse, 

XLVI.  Giorgio  Vasari.  Fresko  in  der  Cancelleria,  Sala  de' 
cento  giorni.  Es  stellt  Paul  III.,  wie  er  Benefizien  ertheilt, 
dar  und  wurde  1545  gemalt.  Michelangelo  erscheint  mit 
Sadolet,  Pole,  Bembo,  Contarini  und  Giovio  zusammen.  Abb. 
des  Kopfes  bei  Steinmann,  Sixt.  Kap.  II,  S.  484.  Der  Kopf, 
nur  etwas  stärker  geneigt,  entspricht  in  der  Ansicht  und  in 
den  Zügen  durchaus  dem  Kapitolinischen  Porträt.  Alles 
erscheint  etwas  vergröbert  und  vereinfacht  (so  namentlich  die 
Falten  auf  der  Stirne),  aber  dies  erklärt  sich  aus  der  Fresko- 
technik, Ich  fühle  mich,  vergleiche  ich  Vasaris  Zeichnung 
in  den  Uffizien,  zu  der  Meinung  gedrängt,  Vasari  habe  sich, 
obgleich  er  es  für  alle  jene  Bildnisse  behauptet,  nicht  an  die 
Natur,  sondern  an  jenes  Gemälde,  das  in  eben  jener  Zeit  ent- 
standen sein  muss,  gehalten.  Das  Umgekehrte  ist  nicht  wahr- 
scheinlich, da  in  dem  Porträt  auf  dem  Kapitol  Feinheiten, 
die  nur  aus  dem  direkten  Studium  des  Modells  zu  erklären 
sind,  sich  finden.  Und  man  wird  nicht  leugnen  können,  dass 
Vasaris  Kopf  gröber  wirkt,  ja  einen  unangenehmen  Zug  hat, 
welcher,  gewiss  dem  Meister  nicht  zu  eigen,  in  jenem  Bilde 
und  in  der  Daniele'schen  Büste  fehlt. 

XL VII.  Giorgio  Vasari,  in  dem  Gemälde  der  Kardinals- 
kreation LeosX.  im  Palazzo  vecchio  zu  Florenz.  Ich 
habe  leider  keine  Abbildung  oder  Skizze  zur  Hand,  um  be- 
stimmen zu  können ,  auf  welche  Darstellung  der  hier  ange- 
brachte Kopf  Michelangelos  zurückzuRihren  wäre. 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  cqi 

XL VIII.  Marcello    Venusti   in    der    1549   gemalten  Kopie 
des  JüngstenGerichtesim  Neapeler  Museum.     Des 
Meisters  Kopf  ist,    halb    en    face    gesehen,    links  hinter  dem 
Ezechiel  in  der  linken  Ecke  unten  angebracht,  aber  zu  klein, 
als  dass  ihm  Bestimmtes  entnommen  werden  könnte. 
XLIX.  Daniele     da    Volterra    in    der    Himmelfahrt    der 
Maria  in  S.  Trinitä  de'  Monti  in  Rom.     Abbildung  des 
ergreifend  geneigten,  abwärts  schauenden  Kopfes,  mit  schmerz- 
umflorten Zügen   bei  Steinmann:    Sixt.  Kap.  II,  S.  526.     Die 
Züge    sind  nicht  scharf  ausgeprägt;    es  ist  gleichsam  nur  ein 
allgemeiner,    aber    ungemein    ausdrucksvoller    Eindruck    der 
Greisenerscheinung. 
L.  AlessandroAllori  in  seinem  Jüngsten  Gericht  der 
Kapelle    Montauti    inS.    Annunziata    zu    Florenz. 
Der  Kopf  befindet  sich  links  über  der  Gruppe  des  Jünglings, 
der  den  Alten  unter  den  Armen  fasst  und  emporzieht.     Eine 
gute  Darstellung,    von    milderem  Ausdruck,    als  er  sonst  ge- 
wöhnlich erscheint.     Es  wird   schon  von  Baldinucci  (IX,   522) 
erwähnt.     Durch    die  Anbringung    des  Porträts    bezeigte    der 
Maler    dem  Genius ,    dessen  Werk    er    die  Ideen   des  seinigen 
verdankte,  seine  Erkenntlichkeit. 
LI.  AscanioCondiviineinerKreuzabnahmeinS.  Maria 
del    Carmine   bei   Ripatransone.      C.  Grigioni  erkennt 
in  einer  Figur  Michelangelo,  vor  dem  Ascanio  stehe.    (Rassegna 
bibhographica   dell'  arte  italiana  1901.     IV,  S.  12.)    Über  die 
Richtigkeit  dieser  Behauptung  habe  ich  kein  Urtheil. 
Ob,  wie  neuerdings  von  verschiedenen  Seiten  behauptet  worden 
ist,    in  einem  Kopfe  ganz  links  auf  der  Pontormo'schen  Anbetung 
der  hl.  drei  Könige  im  Palazzo  Pitti  (Nr.  379)  wirklich  ein  Bildniss 
Michelangelos  zu  erkennen  sei,  dünkt  mich  sehr   zweifelhaft.     Eine 
gewisse  Ähnlichkeit  lässt  sich  nicht  leugnen,  aber  die  Züge  erscheinen 
mir  zu  plump.     Eine  Zeichnung  Andrea  del  Sartos  zu  dem  Kopfe 
ist  in  den  Offizien.     (Jacobsen :  Rep.  f.  Kunstw.  XXVII,  259.) 

Noch  weniger  vermag  ich  Steinmanns  Behauptung  zu  unter- 
schreiben, der  in  einem  Kopfe  (ganz  links)  einer  Verkündigung 
des  Zacharias  von  Jacopo  del  Contc  im  Oratorium  von  S.  Giovanni 
Decollato  zu  Rom  den  Meister  zu  erkennen  glaubt.  (Monatshefte  f. 
Kunstw.  I,  S.  8  ff.  Abb.  ebenda  zu  S.  652.)  Die  Formen  des  Kopfes, 
der  Nase  und  der  Stirn  scheinen  mir  ganz  verschieden ;  auch  fehlen 
die  charakteristischen  Falten  auf  der  Stirne  und  an  den  Wangen. 
Auf  welches  Bildniss  ein  Stich  Jakob  Mathams  von  1630  (B.  III, 
p.  142,  Nr.  28)  zurückzuführen  ist,  welcher  den  Kopf,  mit  einer 
Kappe,  fast  en  face  darstellt,  weiss  ich  nicht  zu  sagen.  Er  trägt  die 
Bezeichnung:    Michael     Angelus     Buonarrotus     Florcntinus    Pictor, 


552  Anhang 

Caelator  et  Architectus  incomparabilis  ad  vivum  delineatus  prout  est 
Romae  in  monte  Trinitatis,    perenni  memoriae  sacratur  a  Matham, 

6 
Zusammenfassendes 

Überblicken  wir  nunmehr  alle  uns  bekannt  gewordenen  Bild- 
nisse, so  ergiebt  es  sich,  dass  eine  verhältnissmässig  nur  kleine  An- 
zahl direkt  nach  dem  Leben  angefertigt  worden  und  daher  von 
Werth  für  uns  sind.  Es  entspricht  ganz  des  Künstlers  Wesen,  dass 
er  eine  Abneigung  dagegen  hatte,  porträtirt  zu  werden.  Nur  aus 
Gefälligkeit  hat  er  ausnahmsweise  einmal  eine  Sitzung  bewilligt. 
Und  es  ist  kennzeichnend,  dass  es  bescheidene,  der  Unterstützung 
bedürftige  Talente,  wie  Bugiardini  und  Jacopo  del  Conte,  nicht, 
den  Medailleur  Leoni  ausgenommen,  anerkannte  Meister  des  Porträts 
waren,  denen  er  solch  eine  Gunst  gewährte.  Traurig  freilich  für 
uns!  Was  würden  wir  darum  geben,  besässen  wir  ein  Bildniss  von 
Sebastiano  —  selbst  einem  ihm  so  nahe  stehenden  Manne  scheint 
er  Nein  gesagt  zu  haben  — ,  von  Pontormo,  von  Bronzino  an- 
gefertigt! Von  Tizian,  der  mit  ihm  in  Rom  ja  verkehrt  hat,  ganz 
zu  schweigen!  Im  Interesse  der  Pietät  für  den  grossen  Meister 
wäre  es  zu  wünschen,  dass  die  meisten  Bildnisse,  alle  die  geistlosen 
und  zum  Theil  erschreckend  rohen  Wiederholungen  einiger  wenigen 
besseren  Originale  nicht  vorhanden  wären.  Welche  Vorstellung  von 
ihm  muss  z.  B.  der  Besucher  der  Porträtsammlung  in  den  Uffizien 
gewinnen?  Doch  eine  geradezu  abschreckende !  Um  so  wichtiger  ist 
es,  die  besseren  und  die  zuverlässigeren  Darstellungen  hervorzuheben. 
Dass  die  Berücksichtigung  der  Authentizität  neben  der  Güte  die  Er- 
wähnung auch  einiger  künstlerisch  recht  mittelmässigen  Dinge  mit 
sich  bringt,  erklärt  sich  aus  den  soeben  berührten  Umständen. 

Ehe  ich  diese  Liste  gebe,  habe  ich  aber  noch  die  Frage  zu 
berücksichtigen,  wie  es  sich  mit  den  beiden  Gemäldeporträts,  welche 
Vasari  als  die  einzigen  originalen  anführt,  verhält.  Denn  dass 
Dieser  wohl  unterrichtet  gewesen  ist,  ergiebt  sich  aus  allen  oben 
gegebenen  Darlegungen.  Die  Prüfung  erwies,  dass  nur  zwei  Bilder 
Anspruch  darauf  erheben  können,  als  Originalporträts  aufgefasst 
zu  werden:  das  Bildniss  mit  dem  Kopftuch  in  der  Casa  Buonarroti 
und  jenes  in  der  kapitoHnischen  Sammlung.  Alle  anderen  erschienen 
als  Kopien  nach  diesen  beiden,  in  Sonderheit  des  kapitolinischen, 
und  nach  Stichen.  Dass  das  Bugiardini'sche  in  jenem  der  Casa 
Buonarroti  zu  erkennen  sei,  sprach  ich  schon  aus.  Es  ist  das 
einzige  unter  allen  erhaltenen  Bildern,  das  den  Werken  des  Künstlers 
verwandt  erscheint  und  auch  zeitlich,  da  es  Michelangelo  in  jüngeren 
Jahren,   als  die  anderen,  darstellt,    auf  ihn  hinweist.     Unwillkürlich 


Die  alten  Bildnisse  Michelangelos  cca 


Stellt  sich  dann  aber  die  Vermuthung  ein,  das  kapitolinische  Bild- 
niss  sei  nicht  von  Marcello  Venusti,  dem  es  ohne  irgend  welche 
sichere  Begründung  zugeschrieben  wird,  sondern  das  von  Vasari 
genannte  Werk  Jacopos  del  Conte.  Gewiss  hätte  Vasari  davon 
Kenntniss  gehabt,  wenn  Venusti  Michelangelo  porträtirt  hätte,  denn 
er  ist  über  Dessen  Arbeiten  nach  Michelangelo'schen  Zeichnungen 
doch  sehr  wohl  unterrichtet.  Verrathen  nun  seine  eigenen  Michel- 
angelobildnisse (in  der  Cancelleria  und  in  der  Uffizienzeichnung) 
die  Kenntniss,  ja  vielleicht  mehr  als  dies:  die  Benutzung  des 
kapitolinischen  Porträts  und  zeigt  die  grosse  Zahl  der  Kopien,  die 
überhaupt  nach  diesem  angefertigt  worden  sind,  dass  man  es  als 
ein  authentisches  Werk  allgemein  anerkannte  und  hoch  schätzte, 
so  scheint  mir  der  Schluss  sehr  nahe  zu  liegen :  der  Künstler  des 
Bildes  im  Kapitol  ist  Conte.  Eine  definitive  Entscheidung  hierüber 
würde  erst  der  von  mir  nicht  angestellte  Vergleich  mit  Contes  be- 
glaubigten Werken  ergeben.  Vasari  theilt  uns  mit,  dass  er,  aus 
der  Schule  des  Andrea  del  Sarto  hervorgegangen,  unter  Paul  III. 
nach  Rom  kam  und  dort  der  Porträtmaler  des  päpstlichen  Hofes 
ward.  (Vasari  VII,  575  ff.  Baglione,  Ausg.  1649.  S.  75.)  Das  früher 
erwähnte  Fresko  der  Verkündigung  des  Zacharias  in  S.  Giovanni 
decollato  ist  in  den  Jahren  1535  oder  1536  gemacht  worden.  Nicht 
sehr  lange  nachher,  etwa  Ende  der  dreissiger  oder  Anfang  der 
vierziger  Jahre,  dürfte  er  Michelangelo  porträtirt  haben.  Dass  das 
Bildniss  nicht  von  Venusti  gemalt,  scheint  mir  der  Vergleich  mit 
dem  Porträt  auf  Dessen  Jüngstem  Gericht  in  Neapel  zu  ergeben.  — 

Bemerken  möchte  ich,  dass  der  Meister  in  dem  schwarzen 
Damastrock  und  in  dem  Seidenfilzhut  „all'  antica",  die  wir  in 
Porträts  kennen  lernten,  bestattet  worden  ist.  An  den  Füssen  trug 
er  Stiefel  mit  Sporen.     (Gaye  III,   138.    Vgl.  oben  II,  S.  518.) 

Verzeichniss  der  authentischen  Porträts  in  zeit- 
licher Anordnung. 

1.  1498.  Anonymer  Kupferstich  im  British  INIuseum ,  unsere 
Nr.  XV.  Der  am  Fenster  schlafende  Jüngling.  Ich  nenne 
den  Stich,  weil  es  möglich,  dass  er  nach  einer  Zeichnung  aus 
jenem  Jahre  angefertigt  ist. 

2.  Um  1520  etwa  (oder  früher.?).  Die  fälschlich  Daniele  da 
Volterra  zugeschriebene  Rötheizeichnung  in  den  Offizien 
Nr.  XXIII. 

3.  1522?  Gemälde  von  Bugiardini  in  der  Casa  Buonarroti. 
Nr.  XXVI.     Mit    dem    Kopftuch.     Wiederholung   im    Louvre. 

4.  1527.  Holzschnitt  in  Fantis  Triompho  di  Fortuna.  Nr.  XVI. 
Ich  erwähne  ihn,  obgleich  kein  Porträt,  wegen  des  in  ihm 
wiedergegebenen  allgemeinen  Eindruckes  von  des  Künstlers 
Persönlichkeit  und  Arbeit. 


554  Anhang 

5.  Etwa  1535  — 1540.  Gemälde  von  Jacopo  del  Conte  auf  dem 
Kapitol.  Nr.  XXXI.  —  Wiederholungen  in  der  Casa  Buonarroti, 
im  Korridor  der  Uffizien,  bei  Don  Giovanni  del  Drago  in  Rom, 
in  Hamptoncourt,  beim  Earl  of  Wemyss,  in  Hannover.  Benutzt 
von  Vasari  in  der  Cancelleria  und  in  der  Zeichnung  der  Uffizien. 

6.  1545.  Stich  von  Giulio  Bonasone.  Profil.  Nr.  XVII.  —  Be- 
nutzt im  Relief  der  Sammlung  von  Beckerath  in  Berlin. 

7.  1546.  Stich  von  Giulio  Bonasone.  Nr.  XX.  Mit  dem  Filz- 
hut. —  Hiernach  die  Gemälde  in  der  Casa  Stufa  in  Florenz, 
im  Palazzo  Pitti  und  in  Wien;  der  Stich  in  der  Nuova  et 
ultima  aggiunta  delle  porte  d'Architettura. 

8.  Um  1550.  Stich  von  Giorgio  Ghisi.  Nr.  XXI,  Verwandt- 
schaft mit  Contes  Gemälde.  Verwerthet  (von  Salviati.?)  in  den 
Gemälden  der  Sammlungen  Mond  (London),  Chaix  (Paris), 
Strozzi  (Florenz)  und  den  Uffizien;  in  der  Radirung  in  Berlin. 

9.  1549.  Im  Neapeler  Gemälde  des  Jüngsten  Gerichtes  von 
Marcello  Venusti. 

10.  Letzte  Lebenszeit.  In  dem  Gemälde  der  Himmelfahrt  Mariae 
von  Daniele  da  Volterra  in  S.  Trinitä  de'  Monti. 

11.  Letzte  Lebenszeit.  Bronzebüste  der  Sammlung  Simon  in 
Berlin.     Verwandt  die  Marmorbüste  in  Bayonne. 

12.  Letzte  Lebenszeit.  Bronzebüste  des  Daniele  da  Volterra. 
Unziselirte  Abgüsse  des  Modelles :  im  Louvre  (Nr.  V),  im 
Castello  zu  Mailand  (Nr.  VI)  und  in  Oxford:  Univ.  Gall.  (Nr.  VII). 
Ziselirte  und  mit  Drapirung  versehene  Exemplare  :  im  Bargello 
(Nr.  I),  in  der  Akademie  (Nr.  II)  und  in  der  Casa  Buonarroti 
(Nr.  III)  zu  Florenz  und  im  Konservatorenpalast  zu  Rom 
(Nr.  IV).  —  Verwerthet  in  der  Marmorbüste  am  Grabmal 
Michelangelos. 

13.  1560.  Die  Medaille  Leone  Leonis.  Modellirt  1560.  Profil. 
Nr.  XIII. 

14.  Letzte  Lebenszeit.    Miniatur  Franciscos  de  Hollanda.  Nr.  XXIV. 
So  verschieden  die  künstlerischen  Qualitäten  dieser  Darstellungen 

—  Eines  ist  ihnen  fast  allen,  als  erschütternd  charakteristisch  für 
die  Erscheinung  des  grossen  Mannes,  gemeinsam:  ein  den  Zügen 
in  tiefen,  allmählich  versteinernden  Furchen  eingeprägter  und  dem 
umflorten  Blick  der  Augen  innewohnender  Ausdruck  unendlichen, 
bis  zur  beängstigenden  Qual  sich  steigernden  Leidens.  Sich  ihnen 
nähern,  heisst  schmerzensvollen  Mitleides  in  ein  furchtbar  tragisches 
Geheimniss  sich  versenken!  Keinen  überzeugenderen  Beweis  für 
die  Richtigkeit  des  meinem  Werke  zu  Grunde  gelegten  Satzes:  dass, 
um  den  Meister  und  sein  Schaffen  zu  verstehen,  man  sein  Leiden 
verstehen   müsse,   giebt   es,   als   die  von   ihm    erhaltenen  Bildnisse! 


VERZEICHNISS 
DER  BESPROCHENEN  ZEICHNUNGEN 


Basel.    Stadt.  Kunst s.    1,267.11,76. 
Bayonue.    Musee   Bonnat.    I,  iiif. 

116.  245.  II,  6.  II.  403. 
Berlin.     K.    Kupferstichkabinet. 

I,  112.  i46f.    i73ff.   481.    II,  170. 

190.  485. 
Budapest.     Kupferstichkabinet. 

n,  295. 
Cambridge.    Rugby  School.   I,  263. 

11,91,    Trinity  College.  I,  47. 

242. 
Cliaiitilly.    I,  3.  64.    II,  348. 
Chatsworth.    I,  263.  269.  II,  18.  404. 
Cremona.    Pinakothek.    I,  265. 
Dresden.    K.  Kupfersti  chkabinet. 

I,  263.    II,  81. 
Düsseldorf.   Akademie.    I,  251.  252. 

485.     II,   444- 

Florenz.     Casa  Buonarroti. 

/,       /.    I,  118.     Madonna  Doni. 
/,      2.   II,  341.     Kleopatra. 
/,      ß.     I,  255.    Alter  Frauenkopf. 
/,      4-  II,     15.     Studie.    Jüngstes 

Gericht. 
/,      5.     I,  260.     Diomedesrelief. 
/,       7.     I,  265.  266.   II,  485.   Frau, 

Ezechiaslunette. 
//,      g.    I,  loi.     Karton  von  Pisa. 
//,     12.    I,  250.     Haman. 
///,     73.  n,  208.     Portal. 
///,  104.     I,  476.     Grundriss, 
///,  106.  II,  209.     Portal. 
///,  12^.    I,  478.  II,  218.    S.  Giovan- 

nino. 
///,  124.    I,  145.  477.  n,  182.  S.  Gio- 

vannino. 
/F,    24.    I,  267.    Frau,    Naason- 
lunette. 


Florenz.     Casa   Buonarroti. 

y,  14  (im  Text  Druckfehler  V,  64). 

II,  15.    J.  Gericht. 
V,  17.   II,  76.  80.  418.  455-   Flüch- 
tende Männer. 
V,  18.   II,  76.  80.  418.  455-  Flüch- 
tende Männer. 
V,  ig.    I,  167.   464.     II,    12.    129. 

Medicigrab.     Libreria. 
r,  20.   II,  13.    Kopie.    J.  Gericht. 
FI,  27.   II,  12.  16.     J.  Gericht. 
VI,  2g.    I,  150.     Sklave. 
VI,  31.  II,     14.    J.  Gericht. 
VI,  ß2.   II,     14  f     J.  Gericht. 
VI,  ßj.     I,  260.     Ignudo. 
VII,  ß4.   II,  287.     Apollo-David. 
VII,  ßß.   II,  400.  Christus  im  Limbus. 
VII,  ß6  (im  Text  Druckfehler  VII,  7). 

II,  10.    J.  Gericht. 
VII,  97.    I,  252.     II,  444-     Eherne 

Schlange. 
VIII,  j8.  II,  76.  80.  418.  455.   Flüch- 
tende Männer. 
VIII,  4ß.     I,  499.     Grotesker  Kopf 
IX.  II,  89.    Fassade  S.Lorenzo. 

X,  44.    I,  245.     Sitzende  Figur. 
X,  45.     I,  245.     Adam. 
X,  47.     I,  265.     Manneskopf 
X,  4g.    I,  260.     Ignudo. 
X,  5/.    I,  158.     Siegesdämon. 
XI,  ß2.     I,  258.     Ignudo. 
XI,  5^.   II,  293.     Herkules  und  An- 

täus. 
XI,  s4.  II,     IS-     J-  Gericht. 
XI,  ß^.     I,  160.     Sieger. 
XII,  S7-   II,  334-     Frauenkopf 
XII,  58.    I,     64.     Drei  Figuren. 
XII,  59.   II,  340.     Kopf. 
XII,  61.   II,   10.  452.     Christus. 


558 


Verzeichniss  der  besprochenen  Zeichnungen 


Florenz.     Casa  Buonarroti. 

XII,     63.   II,  297.     Herkules. 

XII,    64.    I,  245.     Adam. 
XIII,    65.   II,       6.     J.  Gericht. 
XIII,    66.  II,       9.  451.     Christus. 

XIII,  67.  II,     76.     80.    418.    455- 
Flüchtende  Männer. 

XIV,  6g.  II,  489.     Pietä. 

XIF,    jo.     I,  264.  II,  443-     Opfer 

Isaaks. 
XV,     7/.     I,   113.     Madonna. 
XVI,    72.  II,  430.     Madonna. 
XVII,    75.     I,  102.    258.    259.    262. 

Ignudi. 
XVIII,    4g.     I,  445.     447-     Medici- 

grab. 
XVIII,    ^0.  II,  139.      Domkuppel- 
gesims. 
XVIII,     5/.   U,     99.   Fassade  S.  Lo- 

renzo. 
XVIII,    52.     I,  474.     Medicigrab. 
XIX,    59.     I,  458.     500.      Medici- 
grab. 
XIX,    61.     I,  500.     Medicigrab. 
XXI.  I,  478.     Päpstegrab. 

XXI,  126.  II,  135.     Decke  der  Li- 

breria. 
XXII,      I.   II,  221.     Arch.  Details. 
XXII,      2.   n,  199.  222.  Arch.  De- 
tails. 
XXIII,     ^.   II,  199.  222.  Arch.  De- 
tails. 

XXIII,  4.   II,  199.  223.  Arch.  De- 
tails. 

XXIV,  5.   II,  199,  224.  Arch.  De- 
tails. 

XXIV,      6.  II,  112.     Adler. 
XXIV,      7.   II,  127.     Libreria. 
XXV,    Iß.  II,  148.     Fortifikation. 
XXVI,     jj.  n,  148.     Fortifikation. 
XXVI,     18.   II,  148.     Fortifikation. 
XXVII,     ig.  II,  148.     Fortifikation. 
XXVII,    20.  n,  148.     Fortifikation. 
XXVIII,    46.    I,  479-     Medicigrab. 
XXVIII,    48.   II,  124.     Libreria. 
XXIX,    47.  n,     92.     Fassade  S.Lo- 

renzo. 
XXIX,    4g.   II,     92.     Fassade  S.Lo- 
renzo. 
XXX,     21.   n,   148.     Fortifikation. 
XXX,     22.   II,  148.     Fortifikation. 
XXXI,     27.     I,  151.     II,     149,    384. 
Fortifikation.    Sklave.   Historie. 


Floreuz.     Casa  Buonarroti. 

XXX/I,    28.   II,  149.  Fortifikation. 

XXXII,    2g.   II,  149.  Fortifikation. 

XXX ri,     90.  II,  149.  Fortifikation. 

XXXIII,    32.   II,  143.  Terrain    Via 

Mozzi. 

XXXIII,    ßß.   II,  140.  Hausgrundriss. 

XXXIII,    35.  n,  163.  Peterskuppel. 

XXXIII,    ß6.    I,  477.  S.Giovannino. 

XXXIII,    37.   II,  126.  Libreria. 

XXXIV,    ßg.  II,  124.  126.     Libreria. 

XXXIV,    40.    I,  445-  II,  137.     Cibo- 

rium. 

XXXV,    55.   II,  130.  135.   Libreria. 

XXXV,    54.  II,  100.  Fassade  S.Lo- 

renzo.     Säule. 

XXXV,    55.   II,   106.  Kapitale. 

XXXV,    56.   II,  106.  Kapitale. 

XXXV,    S7-  n,    93.  FassadeS.Lo- 
renzo.    Profil. 

XXXVI,  64.  11,     99.  Fassade S. Lo- 
renz©.   Säule. 

XXXVI,    65.   II,  126.  Libreria. 

Fenster. 

XXXVI,    66.   II,  139.  Domkuppel. 

XXXVII,  6g.  II,  93.  95.     Fassade 
S.  Lorenzo. 

XXXVII,     71.     I,   145.  445-  450-     Me- 
dicigrab. 

XXXVII,    72.    I,  469.  Medicigrab. 

XXXIX,    62.  n,  127.  Libreria. 

XXXIX,  107.    I,  479.  Medicigrab. 

XL,  105.  II,  109.  Medicikapelle. 

XLI,     76.   n,  105.  109.    Ciborium 

S.  Lorenzo. 

XLI,    77.  II,  127.  Libreria. 

XLI,    78.  II,  127.  Libreria. 
XLII,    88.    I,   445.    448.     Medici- 
grab. 

XLII,    8g.  II,  121.  123.    Libreria. 
XLII,    go.   II.  201.  PalazzoFamese. 

XLII,    gr.  II,  91.  Fassade  S.  Lo- 
renzo. 

XLII,    g2.   II,  126.  127.  129.  Libre- 
ria. 

XLII,    gß.    I,  446.  Medicigrab. 

XLII,    g4.   II,  136.  Libreria. 

XLIII,     7g.   II,  121.  Libreria. 

XLI II,     80.   II,   120.  Libreria. 

XLIII,     81.   II,  120.  Libreria. 

XL/II,    82.  II,  106.  Kapitale. 

XLIII,    8ß.   n,  106.  Kapitale. 

XLIII,    84-  II,  209.  Portal. 


Verzeichniss  der  besprochenen  Zeichnungen 


559 


Florenz.     Casa   Buonarroti. 
XLIII,    86.   II,  io6.     Kapitale. 
XL/II,    8j.   II,   io6.     Kapitale. 
XL/V,    p5.   II,  127.     Libreria. 
XL/V,    g6.   n,  125.    Libreria. 
XLIV,    gj.   n,  126,  208.     Libreria. 
XLIV,    gS.   II,  126.     Libreria. 
XLIV,    gg.  H,  208.     Portal. 
XLV,  wo.  II,  218.  232.  Wandver- 
kleidung. 
XLV,   loi.   II,  136.  219.    Altar. 
XLV,  102.   II,  208.     Portal. 
XLV,  lOß.    I,  145.   474.     Medici- 

grab. 
XLVI,  jog.    I,  145.  476.     Medici- 

grab. 
XLVI,    110.     1,448.11,107.229.231. 

Reliquienbehälter. 
XLVI,    in.   II,  162.     S.  Peter. 
XLVI,    112.   n,  146.  219.     Nische. 
XLVII,    iij.   II,     93.     99.    Fassade 

S.  Lorenzo. 
XLVII,    114.   II,  218.  227.23I.Grund- 
riss. 
XL  VIII,     31.   II,  161.     S.  Peter. 
XLIX,    14.   II,  149.    Fortifikation. 
L,   25.   II,  149.    Fortifikation. 
L,    26.  II,  149.    Fortifikation. 
LI,    2ß.   n,  149.     Fortifikation. 
LI,   24.   II,  149.     Fortifikation. 
LH,    75.   II,  149.     Fortifikation. 
LH,    16.  II,  149.     Fortifikation. 
LIV,  in.   II,  140.      Palazzo   Alto- 
pascio. 
LI V,  118.   II,  140.      Palazzo    Alto- 
pascio. 
LIV,  iig.  II,  142.  145.  146.  Grund- 

riss. 
LV,  120.     I,    145.   477-     n,    187. 

S.  Giovannino. 
LV,i2i.     I,    145.   475.     II,    182. 

S.  Giovannino. 
LV,i22.  n,  217.     Gnindriss. 
LVI,   41-  11,  95.     Fassade  S.  Lo- 
renzo. 
LVI,  42.   n,  124.     Libreria. 
LVI,  43.    I,  161.  II,  94.    Fassade 

S.  Lorenzo. 
LVII,    II.  II,  149.     Fortifikation. 
LVII,    12.   II,  149.     Fortifikation. 
LVIII,     8.  n,  109.  223.        Medici- 

kapelle.     Triumphbogen. 
LVIII,     g.    I,  500.     Medicigrab. 


Florenz,     Casa  Buonarroti. 
LVIII,    10.     I,  500.     Medicigrab. 
Cod.  XIII.  Som.  40  b.   11,338.   Köpfe. 
Florenz.     U  f  f  i  z  i  e  n. 

170.    II,       7,     J.  Gericht. 

20^.     II,     97.     (Ignoto.)       Fassade 

S.  Lorenzo. 
22g.     II,  457,    Verkündigung. 
2ßO.     II,  463.     Gethsemane. 
^33^-   I.  93-   102.  III.  112.  113.  247. 

II,  112.     Madonna.     Matthäus. 
236 F.  I,  104.   (Daniele  da  Volterra.) 

Karton  von  Pisa. 
259.      I,  481.  (Heemskerk.)  Giuliano 

Medici. 
238.      I,  457.     Medicigrab. 
284.     II,  357-     (Allori.)     Tityos. 
3950.  n,  545.       (Vasari.)      Bildniss 

Michelangelos. 
53g.     11,171.    (Peruzzir?)    S.Peter. 
^45-     n,     76.      (Bronzino.)      Engel- 
sturz. 
S46-     II,     76.     (Bronzino.)   Jüngstes 

Gericht. 
59/.      I,  104-  (Daniele  da  Volterra.) 

Karton  von  Pisa. 
5g4-     11,  253.     Kandelaber. 
59S.     n,  343.     Sogen.  Zenobia. 
599-     II>  334-     Frauenköpfe. 
601.     n,     16.     Schreiender  Kopf. 

603.  I,  265.    II,  335.    Frauenkopf. 

604.  I,  263.     Kopie  Ignudo. 
603.      I,  255.     Kopie. 

606.  I,  251.     (Aristotele     da    San 
Gallo.)     Eherne  Schlange. 

607.  I,  452.  498.      (Aristotele    da 
San  Gallo.)     Medicigrab. 

608.  I,  147.     Juliusdenkmal. 
60g.     II,  349,     Fortuna. 

611.     II,  354.     Ganymed. 

G13.      I,  ICD.    n,  317.     Karton  von 

Pisa. 
614.     II,  347.     Prudentia. 
6/5.     II,     81.     Kopie  Sixtina. 

616.  II,     16.     Teufel. 

617.  I,  246.     Sündfluth. 

618.  II,  455.      Vertreibung      der 
Wechsler. 

620.  I,     93.     Feldherr. 

621.  II,  363.     Studien.     Putto. 
6ys-      I,  104.     (Pontormo.)    Karton 

von  Pisa. 


56o 


Verzeichniss  der  besprochenen  Zeichnungen 


Florenz.     Uffizien. 

8i6A.  II,  129.     (Ant.  da  San  Gallo.) 

Libreria. 
1032.     II,  172.    (Giov.  Balducci.) 

S.  Peter. 
1232.      I,  488.    (Raff,  da  Montelupo.) 

Medicimadonna. 
1416-     II,  297.     (Pietro  Tacca.)   Fon- 
täne. 
1464.     II,  130.     (Ant.  da  San  Gallo.) 

Libreria. 
ij4iA.  I,  162.     (Aristotele     da    San 

Gallo.)    Juliusgrab. 
1841.      I,  481.    (Tintoretto.)  Giuliano 

Medici. 
2318.      I,  254.    (Heemskerk.)    Kopie 

Sibylle. 
^%.     II,     98.    (Batt.  Nelli.)  Fassade 

S.  Lorenzo. 
6^48.      I,  485.     (Pontormo.)       Cre- 

pusculo. 
6g6o.      I,  151.   (Bandinelli.)     Sklave. 
i2yf)4.      I,  104.     (Dom.  Campagnola?) 

Karton  von  Pisa. 
i2gi4.      I,  486.     (Tizian  .>)     Der  Tag. 

13045.  II,  298.    (Tintoretto.)  Simson. 

13046.  II,  298.    (Tintoretto.)  Simson. 
14412.     II,     81.     Reiter. 

14750.      I,  149.      (Aristotele    da    San 

Gallo.)    Juliusdenkmal. 
14778.      I,  486.    (Bronzino.)    Der  Tag. 

15002.  II,  298.    (Tintoretto.)  Simson. 

15003,  II,  298.    (Tintoretto.)  Simson. 
15308.      I,  104.     (Ignoto.)  Karton  von 

Pisa. 
^5309-      I,   104-     (Ignoto.)  Karton  von 

Pisa. 
16077.      Ii  103-     Karton  von  Pisa. 
i6g83.      I,  486.    Ignoto.    Der  Tag. 
i6g84'      I,  485.    Ignoto.    Crepusculo. 
17133.     II,  298.    (Tintoretto.)  Simson. 
17134-     II,  298.    (Tintoretto.)  Simson. 
^37^-      I>  251.     (Gabbiani.) 

17377.  n,     II.  12.  13.  17.  J.Gericht. 

17378.  I,  241.  268.     II,  10 1.     Mann 
mit  Buch.     Sixtina. 

17379-      I.  241.  268.     n,  loi.      Mann 

mit  Buch.     Sixtina. 
17381.      I,  246.     Sündfluth. 
17386.      I,  269.     (Passarotti.)     Kopie. 
1738g.      I,  603.    Karton  von  Pisa. 
17390.     n,  298.    (Tintoretto.)  Simson. 
17393-      ^>  267.     (Passarotti.)     Kopie. 


Kopie. 


Florenz.    Uffizien. 
^7754.      I,  485.     Kopie. 
1820g.      I,  482. 

Medici. 
18558.      I,     64. 
18634.      I,  102. 

Kopie. 
18718.      I,  162.  261. 
1871g.      I,  487. 
18720 
18721 


Aurora. 
Lorenzo 


Kopie.     Marsyas. 
Karton   von   Pisa. 


Medaillon. 
Die  Nacht. 
I,  258.  259.     Ignudo. 
I,  151.  162.  250.  264.   Eherne 


Schlange.     Sklave. 

18722.  I,  243.  248.  258.  260.    Ignudo. 

18723.  II,  460.     Verkündigung. 
1872g.      I,     94.     II,   10 1.  460.    Sitzen- 
der Mann. 

18/30.      I,     64.     Torso. 
^^735-      I.  246.  263.  II,  10.   Sündfluth. 
18736.     II,  357.     Tityos. 
^^737-      I.  265.    n,  317.  Drei  Figuren. 
Dosio.  Archit.gi.25'^5.4345.  n,  170.  171. 
Bacchus,  nach  dem.    I,  48. 
Bandinelli.     Madonna.     I,   12. 
Daniele  da  VoUerra?    Bildniss  Michel- 
angelos.    II,  544. 
Frankfurt  a.  M.  Staedel'sches  In- 
stitut. 

Kopie.    J.  Gericht, 
n,  16.  336.   Groteske 

Kopie.     Lunette. 
Kopie.  Auferstehung. 
Kopie.     Ignudo. 
Christus  am  Kreuz. 
Bogenschützen. 
Kopie.     J.  Gericht. 
Genua.   Palazzo  bianco.  1,244.263. 
Haarlem.    Musee  Teyler. 

/.     (v.    Marcuard    Taf.)     I,    103. 
Karton  von  Pisa. 
//.      I,  103.     Karton  von  Pisa. 


39^- 

II, 

17- 

392- 

1, 

499- 

Köpfe 

3974. 

I, 

269. 

3975- 

11, 

453- 

.3977- 

I, 

263. 

397^- 

II, 

472. 

3979- 

11, 

366. 

39^2- 

II, 

17- 

///.      I, 

247.     Judith. 

IV      I, 

102.     II,  492.    Karton  von 

Pisa. 

F.      I, 

262.     Ignudo. 

VI      I, 

243.     Erschaffung   Adams. 

VII      I, 

243.    262.      Erschaffung 

Adams.     Ignudo. 

VIII      I, 

243.     Erschaffung    Adams. 

IX.      I, 

250.     Haman. 

X.      I, 

486.     Der  Tag. 

XI.      I, 

481. 486.  Der  Tag.  Giuliano. 

XII     II, 

122.  123.     Libreria. 

Verzeichniss  der  besprochenen  Zeichnungen 


561 


Uaaiicm.    Mus^e  Teyler. 

XIII.  U,     10.     Laurentius.     J.   Ge- 
richt. 

XIV.  II,     16  f.     J.  Gericht. 

XV.    II,     14.     Teufel.     J.  Gericht. 
XVI.     n,  160,    167.    209.    210.    442. 

S.  Peter. 
XVII.     II,  442.     S.  Peter.     Figuren. 
XVIII.     II,  161.    167  f.   442.     S.  Peter. 
Figuren. 
XIX.    II,  404.  480.     Kreuzabnahme. 
XX.     II,  404. 

XXI.    II,  295.  298.  359.     Herkules. 
XXII.     II,  473- 

XXV.      I,       3.     Studien  nach  altem 
Meister. 
Hamburg.    Kunsthalle. 
2iog4.      I,  102.    II,  339- 
2/5//.    II,  171. 

Lille.  Musee  Wicar. 

go.  II,  203.  205.  357-  Palast.  Tityos. 

g^.  II,  161.    S.  Peter. 

g4.  II,    91.  203.    Tabernakel. 

P5.  I,  499.    II,     16.     Grotesken. 

gj.  II,     14.     J.  Gericht. 

g8.  I,  244.     Bettlerin. 

gg.  n,     15.    J.  Gericht. 

104.  II,  17.  J.  Gericht. 
Battista  da  San  Gallo.  II,  90.  122.  204. 

London.    British  Museum. 

1854— 5—13— I.         I,  158. 494.  Fluss- 
gott. 

18^4—6—28—1.         I,  261.       (Bandi- 
nelli.)    Mann. 

1856-5—10—11'/^.  II,    II.  J.Gericht. 

185g— 5— 14— 818.     I,  488.     II,   430. 
Madonna. 

185g— 5— 14— 820.     I,  249.    Haman. 

185g— 5— 14— 822.     I,  449.  451.    Me- 
dicigrab. 

i8sg—5—i4—82^.     I,  160.464.11,244. 
Medicigrab. 

185g— 5— 14— 824.     I,  149-        Julius- 
denkmal. 

185g— 6—25— ß47-    n,  336.     Frauen- 
kopf. 

185g— 6— 25— 534.     I,  453-  454-    Me- 
dicigrab. 

iS5g—6—25—54s.     I,  244-  444-  448. 
449.     Medicigrab. 

185g— 6— 25— 546.     I,  450.      Medici- 
grab. 
%* 


London.     British   Museum. 

185g — 6 — 25-547.     I,  257.    Kostüm- 
studie.   Sibylle. 

185g — 6 — 25—548.   II,  224.  Arch.  De- 
tails. 

185g— 6— 25— 54g.   II,  224.  Arch.  De- 
tails. 

185g— 6— 25-550.   II,  135-  Libreria. 

1850 — 6 — 25^551.     I,  260.  Ignudo. 

185g — 6 — 25—552.  II,  471.      Christus 
am  Kreuz. 

185g— 6— 25-553.   11,  327- 445- Venus. 

185g— 6— 25— 555.    I,  249.     Haman. 

185g— 6— 25— 557.    I,  499.  II,  16.  294. 
Masken.    Herkules. 

185g— 6 — 25— 55g.    1, 446.  Medicigrab. 

185g — 6 — 25—560.  II,  100.    199.    220. 
221.    Arch.  Details. 

185g — 6—25—561.  II,  337.    Frau  mit 
Spindel. 

185g— 6— 25— 562.  II,  430.   Madonna. 

185g— 6— 25— 563.    I,  103.  245.    Kar- 
ton von  Pisa. 

185g— 6— 25— 564.     I,  60.    III.    116. 
251.  Putten.    Madonna. 

185g— 6— 25— 565.    1,265.11,383.433- 
Studien.     Madonna. 

185g — 6—25—566.     I,    loi.      Karton 
von  Pisa. 

185g — 6 — 25 — 56/.    1,  240.   244.   262. 
Sixtinische  Decke. 

185g— 6 — 25—568.    I,  258.   260,  261. 
II,  491.     Ignudi. 

185g— 6— 25— 56g.    I,  495.  Flussgott. 

1860—6—16—1.       II,  405.  432.  Maria 
mit  Kind  und  Johannes. 

1860—6—16—2.       II,  454.      Vertrei- 
bung der  Wechsler. 

jS6o—6—i6—3-       II,  405.  477  f.   Die 
drei  Kreuze. 

1860—6—16—4.       II,  482.        Frauen 
unterm  Kreuz. 

1860—6—16—5.       II,   II.  12.    J.  Ge- 
richt. 

1860—6—16—133.   II,  452.     Auferste- 
hung. 

1860—7—14—1.       II,  397-      Lazarus. 

1860—7—14—2.      II,  396-     Lazarus. 

iS85—5—g—i8g3.  II,  12.  J.  Gericht. 

i885—5-g—i8g4'   H,  M-  J-  Gericht. 

1886— 5— 13— 5.       II,  13-   J-  Gericht. 

i8gü—7—io—i.        I,  151.11,406.496- 
Beweinung  Christi. 
30 


502 


Verzeichniss  der  besprochenen  Zeichnungen 


Loudou.    British  Museum. 

1887—5—2—115.       I,  255.    Jesajas. 

1887—5—2—116.       I,  52  f.    102.    103. 
Karton  von  Pisa. 

1887 — 5 — 2 — 117.       I,   loi.   113.   Kar- 
ton von  Pisa. 

1887—5 — 2 — 118.       I,  241.  254.  Sixti- 
nische  Decke. 

1887—5 — 2 — iig.      II,  451.  Auferste- 
hung. 

1887— 5— 2— 120.      II,  343-     Kopie. 

igoo — 6 — // — /.         II,  406.  459.  Ver- 
kündigung. 

Pp.  1—58.     I,  113.  489.  Madonna. 

Pp.  I— 61.     I,  244.    Liegender  Mann. 

Pp.  2 — 123.  I,  253.  Jonas. 
London.    British  Museum.  Samml. 
Malcolm. 

55.  I,  482.  II,  545.     Graf  Canossa. 

56.  II,  347.     Frauenkopf. 

57.  n,  346.     Frauenkopf. 

59.  I,  93.  102.   II,  112.     Karton  von 
Pisa.    Apostel. 

60.  I,  249.     Haman. 

61.  I,  3.  243.  261.     Astrolog. 

62.  I,  123.     Autor?    Paul  III. 
6j.   II,  398.     Geisselung. 

64.  II,  452.     Auferstandener. 

65.  II,  12.  206.     J.  Gericht. 

66.  II,  295.     Herkules  und  Antäus. 

67.  n,  466.     Christus  am  Kreuz. 

68.  II,  14.    Kopie.    Wollust. 

70.  II,  122.     Libreria. 

71.  I,  500.     II,  124.     Arch.  Details, 

72.  II,  473.     Christus  am  Kreuz. 
7^.   II,  471.     Christus  am  Kreuz. 

74.  II,   10.     Bartholomäus. 

75.  n,  17.     J.  Gericht. 

76.  II,  17.  112.    J.  Gericht.   Drache. 

78.  II,  459.     Verkündigung. 

79.  II,  359.     Phaeton. 

80.  n,  8.  14.  17.     J.  Gericht. 
Karton  „Epiphania".     II,  439  ff- 

London.  British  Museum.  Biblio- 
thek. 
Ms.  21  907.     I,  486. 
London.     Royal  Academy. 

Karton  der  Leda.     II,  317. 
London.     South  Kensington  Mus. 

Dyce  Coli.    I,   104. 
London.    Mr.  G.  T.  Clough.   II,  169, 
448.  503. 


London.  Mr.  Fair  fax  Murr  ay.  11,444. 
London.       Mr.     Gat  hörne     Hardy. 

II,  80.  492.  493.  499- 
London.     Mr.  J.  P.  Heseltine.     I,  3. 
II.  12.  112.  269.     II,  268.408.431. 
434. 
London.     Einst  Th.  Lawrence,    II, 

435-  459-  472. 
London.     Mr.  E.  J.  Poynter.    II,  18. 
London.     Einst    Sir    Charles   Ro- 
binson,    n,   13.  408.  476. 
London.     Mr.   Ch.   Newton  Robin- 
son.    II,  354- 
Madrid.     Don   Aureliano    de  Be- 

ruete.    I,  254. 
Mailand.    Ambrosiana.    I,  242.  245. 

250.  252.     II,  18.  348.  443- 
Mailand.    Brera.    II,  366. 
Mailand.    Stadt.  Archiv.    Samml. 

Bianconi.     ü,  96. 
München.  K.  Kupferstichkabinet. 
I,  4.  247.  257.  263.  457-  466.    II,  89. 
96. 
Neapel.    Museo. 

Karton  der  Venus.     II,  327. 
Karton  für  die  Bekehrung  Sauls.  II,  8 1 . 
Oxford.    Univ.  Gall. 

/.     I,  264.     Des   Feldherrn  Auftrag. 
2.     I,  264.  II,  485.   Alter  und  Junger. 
ß.    I,  64.     Kopie.     Venus. 
I,  78.     Studien. 
I,  264.  494.     Flussgott. 
I,  494.     Der  Tag. 
I,  247.  258.     Studien. 
I,  266.     Kopf. 

I,  257.    II,  337.     Frauenkopf.  Si- 
bylle. 

I,  265.     Schreiender  Kopf. 
I,  253.   II,  491.     Sitzender  Mann. 
Grotesken. 

II,  112.  341.  485.    Drache. 
I,  256.     Entwurf.     Sibylle. 
I,  iQi.  113.     Karton  von  Pisa. 
I,  loi.     Karton  von  Pisa. 
Karton  von  Pisa. 
Karton  von  Pisa. 
Karton  von  Pisa. 
Pferd  (Phaeton?). 
22.     I,  114.   II,  340.     Anna  selbdritt. 
2ß.     I,  151.  254.     Libica.     Sklaven. 
24.  25.     I,  242.  254.  263.  266.  267.  268. 
269.  270.  271.     Skizzenbuch. 


9- 
10. 

II. 
12. 

'3- 
14. 

^5- 
16. 


18. 


I,  lOI. 

I,  lOI. 

ig.    I,  loi. 

20.   II,  360. 


Verzeichniss  der  besprochenen  Zeichnungen 


563 


Oxford.    Univ.  Gail. 

2-^.    I,  267.    Joram. 

2g.     I,  251.   II,  444,   Eherne  Schlange. 
30.    I,  255.    Kopie.     Sibylle. 

y.    I,  245.    Kopie.     Bettlerin. 

^2.    I,  247-  262.   II,  337.  340.    Köpfe. 

24.    I,  244.    Kopie.    Adam. 

35-     I>  253.    Kopie.     Jonas. 

36.    I,  24 1.  Kopie.  Sixtinische  Decke. 

^7.   II,  408  f.  499.     Grablegung. 

^8.   n,  476.     Kreuzigung. 

40.  I,  455-    11,  218.     Medicigrab. 

41.  I,  457.     Medicigrab. 

42.  I,  86.  159.  473.     Medicigrab. 
42a.  I,  64.    Knabe. 

43.  I,  482.  485.     Lorenzo  Medici. 
45-     I,  487.     n,    294.     Studien.     Her- 
kules. 

46'    I,  485.  486.    Kopie.    Der  Abend. 

47'    I,  487-     Kopie.     Die  Nacht. 

4g-  II,  106.  451.     Reliquientribüne. 

SO.   II,  516.     Sezirung  des  Leichnams. 

52.   II,  363.     Kopie.     Bacchanal. 

53-  n.  337-     Kopie.     Frauenkopf. 

53a.\\,   112.     Drache. 

55-    I,  268.  II,  445.   SimsonundDalila. 

57-  II,  356.  517-  Jupiter  und  Ganymed. 

58.  II,  13.    J.  Gericht. 

60.  II,  14.  18.  80.  Erschreckte  Männer. 


II,  \\ 

n,  li 
II,  i{ 


Kopie. 
Kopie, 
Kopie. 
Kopie. 
II,  303- 


J.  Gericht. 
J.  Gericht. 
J.  Gericht. 
J.  Gericht. 
Nach  Torso. 


%•  II,  17. 
66.  I,  64. 
6g.  II,  18.  297.  377.  455.    Gruppe:  der 

Todtschlag. 
70,  I.  II,  279.  497.  499.     Pietä, 

70.  2.  II,  462.     Gethsemane. 
70,2-  n,  12.     J.  Gericht. 

71.  II,  80.  455.  Vertreibung  der  Wechs- 

ler .> 

72.  II,  472.     Christus  am  Kreuz. 

73.  II,  467.     Christus  am  Kreuz. 

74.  11,  461.     Verkündigung. 

75.  I,  500.     Frauenkopf. 

76.  I,  64.     Faun. 

77-   II,  79.     Kap.  Paolina. 

80.  II,  201.     Palazzo  Farnese. 

81.  II,  162.  201.    S.  Peter. 

82.  II,  162.    S.  Peter. 

83.  II,   18.     J.  Gericht. 

Oxford.     Christchurch  College. 
/.  II,  401.     Studien. 


Oxford.     Christchurch  College. 

2.  n,  409.  434,    Familie. 

3.  n,  467.     Christus  am  Kreuz. 
4-    I,  457-     Medicigrab. 

264.  II,  337-     Frauenkopf. 
Architektur.     I,  458. 
Tintoretto.     I,  481. 

Paris.    Louvre. 
log.    I,  63.    II,  335.  485.    Faunskopf. 
no.    I,  78.  114.  265.    Anna  selbdritt. 
ni.     I,  153.  455.  467.     Sklave.     Me- 
dicigrab. 

112.  II,  410.  428 f  449.  MariamitKind. 

113.  II,  401.  410.  433-  VrsM  mit  Kind. 

114.  I,  158.     II,  485.     Sieger. 

115.  I,  256.     Sibyllen. 

116.  I,  153.     Sklave. 

117.  I,  65.     Faun. 

118.  II,  469.     Johannes. 
"9-    I.  153-    Sklave. 

120.  n,  473.     Christus  am  Kreuz. 

121.  I,  431.   11,410.  MariamitKind. 

122.  I,  247.  256.    11,501.    Sündfluth. 

123.  I,     79.  86.  87.  247.  261.    David. 

124.  I,  488.     Medicimadonna. 

125.  II,  411.  490.     Pietä. 

134-   II,     93-  (A.  da  San  Gallo.) 

210.     I,  487.  Kopie. 

212.    I,  486.  Kopie. 

688.    I,  153.  Sklave. 

68g.    I,  159.  n,  485.    Sieger. 

6go.  II,  338.  Frau. 

702.     I,     94.  Mann. 

706.  I,       4.  Männer  nach  Giotto. 

707.  I,  100.  II,  14.  Karton  von  Pisa. 

708.  I,  480.  II,  411.     Medicigrab. 
70g.   II,  295.  Die  Ringer. 

712.    I,  103.  159.    Karton  von  Pisa. 
713-    I.  104. 

717.  II,  517.    Die  Hand. 

718.  I,  251.    Zwei    Männer    tragen 
einen  Dritten. 

71g.  I,  499.  Maria  unter  Kreuz. 

720.  II,  469.  Maria. 

726.  11,  485.  Magdalena. 

72-/.  I,  loi.  11,339.  Karton  von  Pisa. 

730.  I,  266.  Kopie.    Sixtina. 

733-  II.  342.  Kopie.    Kleopatra. 

7H4.  II,  351-  Kopie.    Ganymed. 

73^'  II,     18.  Kopie.    J.  Gericht. 

737.  I,  468.  Medicigrab. 

738.  11,     18.    Kopie.    J.  Gericht. 
73g.   II,  268,  473-  Christus  am  Kreuz. 


36^ 


564 


Verzeichniss  der  besprochenen  Zeichnungen 


Paris 

740 
742 
744. 
745- 
746. 

747- 
748 

75^- 
75^- 
753- 
754- 

763- 
766. 
768. 

769- 
771. 
771. 
774- 
775- 

777- 
780. 

783- 
784. 
787. 
788. 

789- 
790. 
79^' 
793- 
794- 
795- 
797- 
798- 
799- 
800. 
806. 
808. 
810. 
811. 
813. 
815. 
817. 
818. 
819. 

820. 

821. 

824. 

826. 

829. 

830. 

831- 

833- 


,    Louv 

I>  255- 

.    I,  253. 

II,     18. 

I,  267. 

I,  265. 

I,  254. 

I,  246. 

I,  486. 

I,  244- 

I,  254. 
-762.     I, 

I,  104. 
II,  464. 

I.   253. 

I,  252. 

I,  486. 
772.     I, 

I,  249. 

II,  317. 

II,  351- 
781.    I, 

n,   18. 

785-   I, 

I,   58. 

I,  263. 

i>  457. 

II,   18. 

792.   II, 

i,  255. 

I,  245. 

II,   18. 

n,    18. 

I,  252. 

I,  482. 

I,  245- 

n,    18. 

II,  18. 
I,  104. 

n,  366. 

I,  265. 
n,  316. 

II,  18. 
II,  366. 
II,  18. 
I,  255. 

II,  18. 
II,    18. 

11,  351- 

11, 361. 

II,  18. 

1,  249. 

I,  263. 


II,  18.  Kopie.  J.Gericht. 
Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    J.  Gericht. 
Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    Sixtina. 
Opfer  Noahs. 
Kopie.    Tag. 
Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    Sixtina. 
257.     Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    Karton. 
Kopie.    Samariterin. 
487.     Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    Sixtina. 
487.   Kopie.  Tag.  Nacht. 
257.     Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    Sixtina. 
Leda. 
Ganymed. 
257.     Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    J.  Gericht. 
263.     Kopie.    Sixtina. 
Kopie.  Pietä.  S.  Peter. 
Kopie.    Sixtina. 
Medicigrab. 
Kopie.    J.  Gericht. 
361.     Kopie.    Phaeton. 
Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    Sixtina. 
Kopie.    J.  Gericht. 
Kopie.    J.  Gericht. 
Kopie.    Sixtina. 
Penseroso. 


Kopie. 

Kopie. 

Kopie. 

Kopie. 

Kopie. 

Kopie. 

Leda. 

Kopie. 

Kopie. 

Kopie. 
Kopie. 
Kopie. 
Kopie. 
Kopie. 
Kopie. 
Kopie. 
Kopie. 
Kopie. 


Sixtina. 
J.  Gericht. 
J.  Gericht. 
Karton  von  Pisa. 
Bogenschützen. 
Sixtina. 

J.  Gericht. 
Bogenschützen. 
J.  Gericht. 
Sixtina. 
J.  Gericht. 
J.  Gericht. 
Ganymed. 
Phaeton. 
J.  Gericht. 
Sixtina. 
Sixtina. 


Paris.    Louvre. 
8ß4.   II,     17.     Kopie.    J.  Gericht. 
(S36".   II,  481.     Kreuzabnahme. 
841.   II,  471.     Christus  am  Kreuz. 
S42.    II,  471.     Christus  am  Kreuz. 

843-  11,  471.     Christus  am  Kreuz. 

844-  I,  145-    244.   245.   262.    Sklave. 
Juliusdenkmal. 

846-     I,     80.      Jüngling. 

851.     I,  263.     Kopie.    Sixtina. 

860.  I,  259.     Ignudo. 

861.  I,  263.     Kopie.    Sixtina. 
864.     1,  263.     Kopie.    Sixtina. 

1972.  I,    65.    Hermes. 

1973.  I,  489.     Madonna. 
1974-    I,  246.  249.  258.    Noah. 
2716.   II,  500.     Grabtragung. 

Kreuzigung  II,  476. 

Codex  Vallardi   I,   267.     II,    iS.    243. 

355-  378. 
Paris.    Ec.  des  beaux-arts.  II,  374. 
Paris.     Mr.  Valton.     I,  154. 
Rom.    Corsiniana.   II,  18.  298.  399 f. 

417. 
Rom.    Vatikanische   Bibl.     II,    18. 

127.   133- 
Rowfant.   Crawley.  Mrs.  Locker-Samp- 

son.     I,  244.  262. 
Sieua.     Biblioteca  comunale.    II, 

122. 
Stockliolm.     K.  Museum.     I,  253. 

Stuttgart.  K.  K  u  p  f  e  r  s  t  i  c  h  k  a  b  i  n  e  t. 
II,  194. 

Yenedig.    Accademia.    I,    104.  242. 

244.  256.  II,  18.  337.  361.  41 1.  483. 
Weimar.    Gross h.  Schloss.    I,  254. 

255.     II,  18.  375.  545- 
Wien.     Albertina. 

100.     Sc.  Rom.  I,  252.  Kopie.  Sixtina. 

125.  I,  104.    Kopie.  Karton  von  Pisa. 

126,  I,  104.    Kopie.  Karton  von  Pisa. 
755.     I,  255.     Kopie.     Delphica. 
Jß6.  II,  411.  498.     Grablegung. 

iß7  (im  Text  Druckfehler:    173).     II, 

412.  484.  497.     Pietä. 
iß8.     I,     57.  248.    II,  485.    Liegender 

Mann. 
iß9.   II,     18.     Kopie.     J.  Gericht. 
14^.     I,  466.     Medicigrab. 
I,  457.     Medicigrab. 
1,       4.     Nach  Masaccio. 


146. 
^50 
152 


I,  loi.  489.     Maria  mit  Kind. 


Verzeichniss  der  besprochenen  Zeichnungen 


565 


Wien.    Albertina. 
755.     I,  262.     Ignudo. 
iß6a.l,  100  ff.   106  ff.  Karton  von  Pisa. 
757.     I,  103.     Karton  von  Pisa. 
75^.   II,     79.     Bekehrung  Sauls. 

Karton  von  Pisa. 

Kopie.    Bacchus. 

Kopie.    Sixtina. 

Kopie.    Sixtina. 

Kopie.  LorenzoMedici. 
Hofbibliothek.     I,  458. 
TVindsor. 

Sklave.     I,  79.   154. 

Frauenkopf.     I,  268. 

Pietä.     II,  492. 

Grotesker  Kopf.     I,  499.  536. 

Herkulesthaten.     II,  295.  370  f. 

Auferstehung.     II,  450. 

Bogenschützen.     11,  365  ff. 


167. 

I,  105. 

168. 

I,     47- 

igi. 

I,  263. 

204. 

I,   265. 

450. 

I,  482. 

6g  i. 

I.  255. 

Wien. 

Hofb 

Windsor. 

Ganymed.     II,  351  ff. 
Tityos.     II,  356  ff.  451. 
Auferstehender  Christus.     II,  450. 
Phaeton.     II,  336.  361  ff. 
Bacchanal.     II,  363. 
Verdammter.     II,  16. 
Jüngstes  Gericht.     II,  9.  13. 
Christus  am  Kreuz.     II,  474. 
Christus  am  Kreuz,  Maria,  Johannes. 

n,  472. 
Christus  am  Kreuz,  Maria,  Johannes. 

n,  474. 

Maria  mit  Kind.     I,  550.  II,  412. 
Maria  mit  Kind  und  Joh.    II,  412.  429. 
Knieende  Frau.     II,  412. 
Kopien.     I,    39.    65.    250.    266.    269. 

II,  344.  346.  366. 
Sixtinische  Decke.    I,  241. 
Lionardo.     Neptun.     II,  375. 


Das  Verzeichniss  der  Personen  und  der  Kunstwerke  wird  in  den  Gesamt- 
registern am  Schluss  des  III.  Bandes  des  Werkes:  , .Michelangelo  und  das  Ende 
der  Renaissance"  gegeben  werden. 


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