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Full text of "Milton und seine Zeit"

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MILTOIs^ 

UND    SEINE   ZEIT. 


ERSTER  THEIL. 

1608—1649. 


T 


MILTOjN 


UND   SEINE   ZEIT. 


Von 

ALFRED  STERN. 

ansserord.  Professor  der  Gesciüchfe  a.  d.  rnkersität  Bo)i. 


ERSTER   THEIL. 

160S~ltU9. 
Erstes  Buch.    Vor  dem  Ausbruch  der  Revolution. 


LEIPZIG. 

Vi:iiLA(;  VON  DUNCKER  &  HUMBLOT. 
1»77. 


JEn<77-.n.-,/  ;-,    .V.ni  ■' liuL-h- 


fflIlLiTOH.   JÜTTAl'o.^IL. 


Das  Recht  der  Uetersetzung   wie  alle  andern   Rechte  vorbehalten    vou  der 

Verlagshuchhandluns 


V  0  r  w  0  r  t. 


Als  ich  anfieng,  mich  mit  den  Werken  John  Milton's 
bekannt  zu  machen,  lag  mir  der  Gedanke  fern,  mich  an  seiner 
Biographie  zu  versuchen.  Erst  das  genauere  Studium  vor- 
züglich seiner  prosaischen  Schriften  liess  mich  diesen  Plan 
ernstlich  in"s  Auge  fassen.  Auch  schien  mir  seine  Ausführung 
durch  frühere  deutsche  Leistungen,  welche  demselben  Gegen- 
stande gewidmet  sind,  nicht  überflüssig  gemacht  worden  zu 
sein.  Wir  besitzen  geistvolle  Essays,  wie  die  von  Treitschke 
und  Pauli,  eine  gute  Besprechung  der  prosaischen  Haupt- 
werke Milton's  von  G.  Weber,  auf  welche  neuerdings  eine 
Uebersetzung  derselben  von  Bernhardi  gefolgt  ist,  eine  fein 
ausgearbeitete  biographische  Skizze  von  Lieb  er t  u.  a.  m. 
Indessen  an  einer  umfassenden  Lebens-Beschreibung  Milton's, 
welche  sein  Werden  und  Schaffen  im  Zusammenhang  mit  der 
Geschichte  seiner  Zeit  zu  schildern  versuchte,  hat  es  uns  bis- 
jetzt  gefehlt. 

In  der  That  wird  es  immer  gewagt  erscheinen,  ein  aus- 
geführtes Bild  von  einer  der  schriftstellerischen  Grössen  einer 
fremden  Nation  zu  zeichnen,  selbst  wenn  ihm  nicht  so  manche 
unserer  Anschauung  ungewohnte  Züge  beizumischen  Avären, 
wie  es  in  diesem  Falle  nöthig  ist.  Dazu  kommt,  dass  der 
grösste  geistige  Vertreter  des  Puritanismus  in  England  selbst 
kürzlich  einen  Biographen  gefunden  hat,  mit  dem  es  kaum 
möglich  erscheint  zu  wetteifern,   weil   sein  Fleiss   und    seine 


VI  Vorwort. 

Genauigkeit  einem  jeden,  der  nach  ihm  dasselbe  Fehl  betritt, 
nur  wenig  übrig  zu  lassen  drohen.  Als  ich  mich  anschickte, 
Hand  an"s  Werk  zu  legen,  fand  ich  den  1859  erschienenen 
ersten  Band  des  Lebens  Milton."s  von  David  Masson  be- 
reits vor.  Während  ich  mit  der  Ausarbeitung  beschäftigt  war, 
wurden  zwei  weitere  Bände  desselben  Werkes  veröffentlicht,  und 
in  diesen  hat  dei"  Verfasser  die  Darstellung  beinahe  bis  zu  dem 
Punkt  geführt,  welcher  dem  ersten  Theile  meiner  Arbeit  als  Ziel 
gesteckt  war.  Nur  eine  der  wichtigsten  politischen  Schriften 
Milton's  kommt  hier  noch  zur  Behandlung,  die  dort  für  die 
Fortsetzung  aufgespart  geblieben  ist.  Fast  jede  Seite  des  ersten 
Theiles  meines  Buches  wird  Zeugnis  dafür  ablegen,  was  es  den 
Forschungen  jNIasson's  verdankt.  Nicht  minder  ist  mir  die  muster- 
hafte Ausgabe  der  poetischen  Werke  Milton's,  welche  dieselbe 
Hand  besorgt  hat,  von  grösstem  Nutzen  gewesen.  Endlich  halien 
die  manniAifachen  mündlichen  wie  schriftlichen  Belehrungen 
und  sonstige  Zeichen  der  Theilnahme,  mit  denen  H.  Masson 
meinen  Studien  zu  Hilfe  kam,  mich  zum  herzlichsten  Danke 
gegen  ihn  verpflichtet. 

Ermuthigt  durch  den  Zuspruch  von  dieser  Seite,  nahm 
ich  keinen  Anstand,  an  dem  einmal  gefassten  Plane  festzu- 
halten. Denn  immerhin  war  dem  Biographen  Milton's,  der 
zunächst  für  deutsche  Leser  schrieb,  eine  andere  Aufgabe  ge- 
stellt als  demjenigen,  welcher  ein  englisches  Publikum  im  Auge 
hatte.  Hier  mochten  die  einundzwanzighundert  Seiten,  welche 
den  ersten  viei'zig  Jahren  des  Dichters  gewidmet  sind,  nicht 
als  zu  viel  erscheinen,  dort  wird  es  fast  als  ein  Wagnis  gelten, 
der  Schilderung  desselben  Zeitabschnittes  soviel  Raum  gewährt 
zu  haben,  als  es  geschehn  ist.  Im  einen  Fall  war  die  wört- 
lidie  Mittheilung  von  Aktenstücken  und  Namens -Listen  von 
Interesse,  im  anderen  war  es  geboten  sich  mit  kurzen  Aus- 
zügen und  Andeutungen  zu  begnügen.  Beim  englischen  Leser 
lit'ss  sicii  di(^  Bekanntschaft  mit  den  wichtigsten  Milton'schen 
Werken  entw(Mler  voraussetzen  oder  durch  den  einfachen  Ab- 
druck charakteristisclier  Stellen  am  leichtesten  vermitteln,  für 
unsre  Z\veck(^  war  es  nothwendig,  die  schriftstellerischen  Erzeug- 
nisse des  Diclitcrs  wie  des  Politikers  Milton  genau  zu  analy- 


Vorwort.  VII 

siren,  um  die  Möglichkeit  ihrer  Kritik  und  ihrer  Vergleichimg 
mit  entsprechenden  Erscheinungen  seiner  Zeit  zu  gewähren. 
Mit  diesen  Erwägungen  verband  sieh  die  Hoffnung,  die  bis- 
herigen Darstellungen  hie  und  da  berichtigen  oder  ergänzen 
zu  können. 

Ein  längerer  Aufenthalt  in  England,  der  für  die  Aus- 
führung meines  Planes  unerlässlich  war,  erwies  sich  in  jeder 
Beziehung  als  lohnend.  Dank  der  Gefälligkeit,  mit  "welcher 
man  mir  in  Cambridge  wie  in  Oxford  begegnete,  war  es 
mir  im  Sommer  1871  möglich,  an  dem  einen  Ort  in  der 
Bibliothek  des  Trinity- College  den  kostbaren  Ms.  Band 
der  Milton'sehen  Gedichte  einzusehn,  au  dem  anderen  in  der 
Bodleiana  namentlich  die  Biographie  Milton's  von  Aubrey 
nach  der  Handschrift  mit  den  gemachten  Abdrücken  zu  ver- 
gleichen, sowie  die  Mss.  Aubrey's  und  Wood's  für  andere 
Zwecke  zu  verwerthen.  In  London  konnte  ich  aus  den  Re- 
gistern von  Station  er  s'  Hall  eine  Reihe  von  xVuszügen 
machen,  die  nicht  allein  für  die  genaue  Zeitbestimmung  des 
Erscheinens  einzelner  Druckwerke,  und  darunter  vieler  der 
Milton"schen,  von  Wichtigkeit  sind,  sondern  durch  die  es  auch 
möglich  sein  wird  zu  beweisen,  dass  Milton  selbst,  der  Ver- 
fasser der  Areopagitica,  eine  Zeit  lang  die  Rolle  des  Censors 
gespielt  hat.  In  der  erzbischöflichen  Bibliothek  von  Lam- 
beth  war  ein  interessanter  Sammelband  jSIilton'scher  Schriften 
zu  prüfen.  Die  Benutzung  des  Public  Record- Office, 
durch  Sir  Thomas  Duffus  Hardy  bereitwillig  gestattet 
und  durch  das  Entgegenkommen  der  Herren  H.  C.  und  W.  D. 
Hamilton  erleichtert,  erwies  sich,  von  anderem  abgesehn, 
für  die  Entstehungs-Geschichte  und  Kritik  der  Milton'schen 
Staatsbriefe  von  besonderem  Werthe.  In  erster  Linie  waren 
aber  die  Schätze  auszubeuten,  welche  die  Bibliothek  des  b  ri ti- 
sch an  Museums  in  sich  birgt.  Fühle  ich  mich  dem  Institut 
als  solchem  zum  Ausdruck  der  Dankbarkeit  verpflichtet,  so 
vorziiglich  gegenüber  H.  E.  Mann  de  Thompson,  der  mit 
einem  unermüdlichen  Eifer  meine  Kachforschungen  an  Ort  und 
Stelle  unterstützt  und  meine  späteren  Anfragen  beantwortet 
hat.     Die  reiche  Sammlung   der   „King's  Tracts"   bot  Mittel 


VJll  Vorwort. 

der  Aufklärung-  jener  ganzen  bewegten  Epoche,  der  Milton 
angehört,  wie  sie  an  keiner  Stelle  sonst  zu  finden  sein  werden. 
Mehrere  Mss.  traten  hie  und  da  zur  Ergänzung  des  Bildes 
hinzu.  Waren  die  meisten  von  ihnen  nicht  unbekannt,  so  ist 
eines,  Sloane-Ms.  649.  so  viel  ich  sehe,  bisher  noch  nicht  ge- 
bührend beachtet  worden.  Es  ist  von  Interesse  zur  Beurthei- 
lung  der  Wirksamkeit  Samuel  Hartlib's,  dessen  Anregung 
man  ]\Iilton"s  Schrift  über  die  Erziehung  verdankt.  Eben  diesem 
Ideenkreise  gehört  grossen  Theils  die  anziehende  Korrespon- 
denz zwischen  Hartlib  und  Comenius  an,  die  sich  handschrift- 
lich im  böhmischen  Museum  zu  Prag  befindet.  Von 
Gindely  bereits  benutzt,  wurde  mir  diese  Quelle  durch  die 
Güte  meines  Freundes,  des  H.  Dr.  Goll  in  Prag,  vollständig 
zugänglich  gemacht.  Auf  eine  andere  Persönlichkeit,  die  sich 
den  Bestrebungen  jener  Zeitgenossen  Milton's  anschliesst, 
John  Durie,  sowie  auf  die  auswärtige  Politik  des  Protektorats 
werden  aus  den  Materialien  des  Züricher  Staats- Archivs 
einige  Streiflichter  fallen.  Direkteren  Bezug  auf  Milton  selbst 
haben  die  xVuszüge  aus  den  Protokollen  der  flor  entin  er 
Akademie  der  Svogliati,  w' eiche  bisher  der  Aufmerk- 
samkeit entgangen  sind.  Auf  Anregung  des  H.  Dr.  K.  Hil le- 
hr and  durch  H.  Dr.  B.  Mangold  kopirt,  kamen  sie  mir 
leider  zu  spät  zu,  als  dass  sie  an  gehöriger  Stelle  hätten 
eingerückt  werden  können.  Sie  finden  sich  daher  unter  den 
Anhängen  des  zweiten  Buches  als  Nachtrag, 

Wenn  trotz  aller  Bemühungen  der  Gewinn  an  neuem  Mate- 
rial ein  bescheidener  blieb,  so  wurde  es  möglich  von  einigen 
literarischen  Erscheinungen  der  jüngsten  Zeit  nicht  geringen 
Nutzen  zu  ziehn.  Die  Sammlung  der  Calendars  of  State- 
Papers,  im  rüstigen  Fortschreiten  begriften,  dient  mehr  als 
alles  sonst  der  Erkenntnis  der  allgemeinen  Geschichte.  Die 
vor/iiglichen  Tvlitionen  älterer  englischer  Dichter  durch  A,  1>. 
(irosart  sind  für  literar-historische  Zwecke  um  so  willkom- 
mener, je  schwieriger  es  auf  dem  Festlande  nicht  selten  ist, 
sich  di(!  Original -Ausgaben  zu  verschaflen.  V(m  Milton's 
C o  u\  m  0  n  j)  1  a c  e  -  B  o  0  k  (herausgegeben  von  A,  J,  II  o  r  w  o  o  d , 
Camdcn-Society  1876),   das  eine  unmittelbare  Bedeutung   für 


Vorwort.  IX 

die  Biographie  des  Dichters  besitzt,  hat  mich  die  Gefälligkeit 
H.  S.  Rawson  Gardiner's  noch  die  Druckbogen  einsehen 
lassen,  wie  ich  denn  diesem  Gelehrten  überhaupt  für  das 
Interesse,  das  er  meiner  Arbeit  gezeigt  hat,  vielen  Dank 
schulde. 

Zum  grössten  Theile  am  Sitze  einer  Hochschule  ge- 
schrieben, deren  Mangel  an  literarischen  Hilfsmitteln  sich 
leider  nur  allzu  oft  fühlbar  macht,  hätte  sie  mit  unüberwind- 
lichen Schwierigkeiten  zu  kämpfen  gehabt,  wenn  ihr  nicht  die 
Liberalität  der  Universitäts-Bibliothek  meiner  Vaterstadt  Göt- 
tingen zu  Gute  gekommen  wäre.  Auch  so  indess  M'ar  Voll- 
ständigkeit in  Beschaffung  des  Materials  nicht  immer  zu  er- 
reichen, und  ich  werde  nicht  selten  genöthigt  sein,  mit  Piück- 
sicht  hierauf,  um  die  Nachsicht  des  Lesers  zu  bitten.  Gegen 
einen  anderen  naheliegenden  Vorwurf  hoffe  ich  durch  die 
Natur  meiner  Aufgabe  selbst  geschützt  zu  sein.  Man  wird 
vielleicht  finden,  dass  die  allgemeinen  Ereignisse  mit  unbilliger 
Ausführlichkeit  besprochen  werden,  dass  unter  ihnen  die 
kirchenpolitischen  eine  ungebührliche  Stelle  einnehmen,  und 
dass  der  Faden  der  Biographie  in  dem  bunten  Gewebe  an- 
scheinend abseits  liegender  Thatsachen  mitunter  verloren  gehe. 
Man  wolle  indessen  bedenken,  dass  sich  mehrere  der  hervor- 
ragendsten Schriften  Milton's  gar  nicht  Avürdigen  lassen  ohne 
genaueste  Kenntnis  der  Ereignisse,  die  sie  behandeln,  dass 
die  Frage  über  das  Verhältnis  von  Kirche  und  Staat  für  jene 
ganze  Zeit  und  für  Milton  besonders  eine  der  grössten, 
wenn  nicht  die  grösste  von  allen  gewesen  ist,  und  dass  die 
Vielseitigkeit  seines  Helden  auch  den  Biographen  nöthigt, 
ihm  auf  die  verschiedensten  Gebiete  zu  folgen.  Auch  müssen 
manche  Fäden  schon  zeitig  angeknüpft  werden,  deren  Wieder- 
aufnahme erst  bei  der  Schilderung  der  späteren  Lebensjahre 
des  Dichters  möglich  sein  wird.  Mein  Bestreben  war,  mir  die 
Worte  eines  unserer  ersten  Historiker  als  Norm  dienen  zu 
lassen:  „Freiheit  und  Nothwendigkeit  in  ihren  Verhältnissen, 
Collisionen  und  Wechselwirkungen  zu  zeigen,  ist  das  untrenn- 
bare Geschäft  aller  Geschichtschreibung,  und  die  Biographie, 


X  Vorwort. 

ein  Theil  derselben,  kann  unmöglich  ein  anderes  Gesetz  haben 
als  jene". 

Das  Bild,  welches  diesem  Theile  vorgesetzt  worden  ist,- 
mit  Benutzung  der  von  Macmillan  &  Co.  überlassenen  Platte, 
ist  dasjenige  des  einundzwanzigjährigen  Milton  (s.  B.  I.  S.  120). 

Der  zweite  Theil  dieser  Biographie,  welcher  sie  abzu- 
schliesseu  bestinnnt  ist,  wird  das  dritte  und  vierte  Buch  „Unter 
der  Republik  und  dem  Protektorat",  „Unter  der  Restauration" 
enthalten.  Da  mir  ein  reiches  Material  vorliegt,  und  die  Aus- 
arbeitung begonnen  hat,  hoffe  ich  ihn  dem  ersten  baldigst 
nachfolgen  lassen  zu  können. 

Göttiugen.  16..  September  1876. 

Alfred  Stern. 


Erstes   Buch. 

Vor  dem  Ausbruch  der  Revolution  1608—1639. 

Inlialts-Verzeiclinis. 


Einleitung' S.  3  — 13. 

Erstes  Kapitel. 
Elternhaus  und  Erziehung- S.  14 — 47. 

Abstammung  14,  15.  Der  Vater  16,  17.  Die  Mutter.  Geburt  Mil- 
ton's  18.  Geschwister.  Das  elterliche  Haus  19,  20.  John  Lane,  Hum- 
phrey  Lownes  21,  22.  —  Das  alte  London  23—27.  —  Thomas  Young  27—30. 
Verhältnis  zu  Young.  Die  Paul's-Schule  30.  Der  ältere  Gill  31.  Alex. 
Gill,  der  Sohn  32.  Karl  Diodati  und  seine  Familie  33.  Unterricht  in 
der  Paul's-Schule  34 — 36.  Häuslicher  Fleiss  und  Lektüre  36 — 38.  Du 
Bartas ,  Sylvester  38.  Paraphrase  der  Psalmen  114,  136.  39. 
Elegie  an  Young  40,  41.  Der  jüngere  Gill,  poetischer  Mentor  42.  — 
Verheiratung  von  Milton's  Schwester  mit  E.  Phillips  43.  Europa  und 
England  44 — 47. 

ZAveites  Kapi  tel. 
Die  Lehrjahre  auf  der  Universität  Camhridg-e  .     .     S.  48 — 122. 

Die  englischen  Universitäten.  Colleges  48 ,  49.  Tutoren.  Unter- 
schiede der  College -Genossen  50.  Terms.  Quadriennium  und  Trien- 
nium  51.  Baccalaureus,  Magister  artium  52.  Doctor.  Beamte.  Auf- 
nahme Milton's  in  das  Christ-College  53.  Christ-College.  Bainbrigge, 
Meade  54,  55.  Chappell.  Gell.  Tovey.  Power  56,  57.  Chappell, 
Milton's  Tutor  '  57.  Cambridger  Celebritäten  58.  Leben  im  College. 
Studentische  Sitten  59.  Puritanismus  und  Formenzwang  60.  Eegierungs- 
antritt  Karls  I.  Die  Pest  60,  61.  Milton's  Ode  auf  den  Tod  der 
kleinen  Phillips  62.  Gedichte  auf  Andrews,  Feiton,  Gost- 
lin,  Ridding  63.  Gedichte  auf  die  Pulververschwörung 
63,    64.   Protestantische  Befürchtungen   C5.     Briefwechsel  mit  Dio- 


XII  Inhalts- Verzeichnis. 

tlati  06.  Erste  Eleuie  67.  Siebente  Elegie  68.  Briefwechsel 
mit  YouHi;  und  Gill  69,  70.  John  Cleveland  70.  Die  Brüder  King 
71.  Gedicht:  „Natiiram  non  pati  senium"  72.  —  Allgemeine 
Universitätsereignisse  73.  Buckingham  und  die  cambridger  Kanzlerwahl 
74 — 7(}.  Buckingham's  Politik  77.  Buckingham's  Besuch  in  Cambridge. 
Der  König  in  Cambridge  78.  Scheitern  der  Expedition  nach  Rochelle. 
Petition  of  Eight  79.  Ermordung  Buckingham's.  Process  Gill's  80.  — 
Bestrafung  Milton's  in  Cambridge  81 — 83.  Tovey,  Milton's  Tutor.  Milton 
Baccalaiireus  84.  —  Elegie  auf  den  Frühling.  Elegie  an  Dio- 
dati 85.  Ode  auf  den  Morgen  von  Christi  Geburt  86.  Oden 
auf  die  Beschneidung    und  Passion  87.     Komödie    in  Cambi-idge 

87,  Holland    und    Chateauneuf  in    Cambridge.     Stubbe's  Fraus    honesta 

88.  Die  Pest  in  Cambridge  89,  90.  Gedichte  auf  Hobson.  Epi- 
taph der  Marquise  von  Winchester  90,  91.  Christoph  Milton 
im  Christ-College.  Das  Königspaar  in  Cambridge  92.  Selbstmord  des 
Vicekanzlers  Butts.  Milton  Magister  artium  93.  „At  a  solemn  mu- 
sick"  94.  —  Eückblick  auf  den  Studiengang  94 — 96.  Milton's  rhe- 
torische Essays.  Erste  College-Rede  97,  98.  Ferien-Rede 
1628  im  College.  Verhältnis  zu  den  Kommilitonen  99 — 102.  Pro- 
Insio  102 — 104.  Maske  der  aristotelischen  Prädikamente 
104,  105.  Dritte  College-Rede.  Universitäts-Rede  „Non 
dantur"  etc  106.  Univ. -Rede  über  die  Harmonie  der  Sphä- 
ren 107.  Univ. -Rede  gegen  die  Scholastik  108,  109.  Rede 
zum  Lobe  der  Wissenschaft  110,  111-  Aufklärung  und  Natur- 
wissenschaft 112.  Rückblick  auf  die  rhetorischen  Essays  113.  Milton's 
Idealismus  114.  Einfluss  des  Ramus  115.  Einfluss  Plato's  115.  Ge- 
dicht über  ,,die  platonische  Idee"  etc.  116,  117.  Einfluss 
Bacon's  118,  119.  Lebensweise  und  äussei-e  Erscheinung  120.  Milton's 
Urtheil  über  das  Universitätsleben  121.  Schluss  der  Univer- 
sitätszeit  122. 

Drittes    K  a })  i  t  e  1. 

Kinlir   niid  Slaat S.    123  —  161. 

Lebenspläne.  Brief  und  Sonett  12.'{ — 125.  Der  geistliche  Be- 
ruf 126.  —  Aussichten  für  den  Puritaner  127.  Das  göttliche  Recht  des 
Bisthums  128,  129.  Hochkirchenthum  und  Absolutismus  130 — 132. 
Land  133,  134.  Parlamentarisches  Interregnum  134.  Auswärtige  Politik 
13.">.  Innere  Politik  136  H.  Sternkamnier.  Provinziall)elir)rden  137. 
Finanzielle  Auflagen  138.  Das  kirchliche  Regiment.  Stärkung  des  Pu- 
ritanismus  138—140.  Die  Sabbathfeier  140,  141.  Arminianismus  und 
Cnlvini.snius  112,  143.  Formenzwang  144.'  Furcht  vor  Rekatholisirung 
145,  146.  Lage  der  Katholiken  147.  14S.  Kirchliche  Visitation  und 
.Jurisdiklion.    Holic   Kommission    Ms.    14!(.     Process  Leighton   150.     Vcr- 


Inhalts-Verzeichnis.  XIII 

folgung    der    Puritaner  151.     Lecturers    152.     Auswanderung    153.     Die 

Kirche     in    Schottland  154.     Die  Kirche    in  Irland    155.     Der  Hof  156, 

157.     Die   puritanische  Partei.  —  Milton    giebt    die   geistliche    Laufbahn 
auf  15S— 161. 

Viertes   Kapitel. 

Blick  auf  die  gleichzeitlgre  poetische  Literatur  Eng-- 

land's S.  162—199. 

Einleitung  162,  163.  Das  Drama.  Ben  Jonson  164.  Chapuian. 
Marston.  Dekker.  Munday.  Heywood.  Massinger.  Webster.  Ford, 
May.  Cartwright.  Kaudolph  165,  166.  Shirley,  Davenant  166,  167. 
Theater  168.  Epos  und  Lyrik.  Spenser  169,  17U.  Fairfax.  Drayton. 
Drummond  171.  Giles  und  Phineas  Fletcher  172,  173.  W.  Browne 
173^ — 175.  Reaktion  gegen  die  Spenserianer  176.  Wissenschaft  und 
Poesie  177,  178.  Davies.  Stirling.  Brooke.  John  Donne  179,  180. 
Cleveland.  Cowley  181.  Carew  182,  183.  Herbert.  Crashaw.  Quarles 
184,  185.  Veränderter  Charakter  der  Lyrik.  Suckling.  Herrick.  Ha- 
bington.  Lovelace.  Waller  186 — 188.  —  Poesie  und  Hofpartei  189.  An- 
griffe auf  den  Puritanismus  190.  Theater  und  Puritanisnius.  Prynne: 
,,Histriomastix"  191,  192.  Poesie  und  Puritnnismus  193.  Wither 
194  —  198.     Schlussbetrachtung   199. 

Fünftes  Kapitel. 
Die  Lehrjahre  in  Horton S.   200 — 261. 

Milton  in  Horton.  Studien  20ü — 202.  Besuche  von  London.  Die 
Brüder  Lawes  203.  Theater  204,  205.  Die  Gills  und  Ben  Jonson  206. 
Landleben.  Sonett  an  die  Nachtigall  207.  Mailied  208. 
L'Allegro  und  II  Penseroso  208—212.  —  Die  Gräfin  v.  Derby 
212,  213.  Milton's  Arcades  214—216.  —  Die  Familie  Bridgewater. 
Maskenspiele  216 — 220.  Aufführung  des  Comus.  Inhalt  220 — 228. 
Quellen.  Erycius  Puteanus:  Comus  229,  230.  Ben  Jonson:  Pleasure 
reconciled  to  Virtue  231.  Peele:  The  Old  Wive's  Tale  231,  232.  Flet- 
cher: The  faithful  shepherdess  232,  233.  Stil  des  Comus  234—236. 
Kritik  des  Comus  237,  238.  Leitende  Idee  239.  —  Griechische 
Uebersetzung  des  114.  Psalmes  239.  Tod  von  Milton's  Mutter 
239.  Veröftenthchung  des  Comus  240.  Briefwechsel  mit  Diodati 
2)0,  241.  Lycidas  241,  242.  Puritanische  Tendenz  242.  —  Höhe- 
punkt des  Laud'schen  Systems  243.  Processe  gegen  Prynne,  Burton, 
Bastwick  244.  Gelderpressuugen.  Schiftsgeld  245.  Wentworth  in  Ir- 
land 246 — 248.  Die  neuen  Kauones  und  das  neue  Liturgiebuch  für 
Schottland  249,  250.  Unruhen  in  Edinburg.  Covenant  250,  251.  — 
Milton  und  Shakespeare.     Gedieh*-     auf    Shakespeare     252,     253. 


XIV  Inhalts- Verzeichnis. 

Milton  und  Spenser  254.  Milton  über  Dichter  und  Dichtkunst 
255— 25S.  Sehnsucht  nach  Italien  259.  Verheiratung  von  Christoph 
Milton  259.     Sir  Henry  Wotton   259—261. 

Sechstes  Kapitel. 

Die  Waiideijahre S.  262  —  296. 

Keiseplan  262.  Paris.  Hugo  Grotius  263,  264.  Genua.  Pisa  264, 
2(i5.  Florenz  265.  Akademieen  266 — 268.  Gaddi.  Coltellini.  Dati. 
Buommattei.  Chimentelli.  Francini.  Frescobaldi.  Malatesti  269 — 273 
Brief  an  Buommattei  274,  275.  Galilei  275—280.  Rom  2S0,  281. 
F.  Barberini.  Holstenius.  Leonora  Baroui.  Doni.  Salsillus.  Selvaggi 
2S2— 287.  Neapel.  Manso  287—289.  Gedicht  für  Manso  289—291. 
Rückweg  nach  Rom  und  Florenz  291.  Bologna.  Ferrara.  Italienische 
Gedichte  292,  293.  Venedig  293.  Genf.  G.  Diodati  294,  295.  Heim- 
kehr 296. 

Anmeikuiis^eii  und  Aiihäug-e S.   297 — 348. 

Anmerkungen. 

Anhang  I. 
Die  Ulteste  Bioi?rapliie  ^lilton's S.  335— 344. 

Anhang   IL 
Die  Genealoffie  von  MiIton*s  Mutter  ...  .     S.  345  —  348. 


Erstes  Buch. 

Vor  dem  Ausbrucli  der  Eevolution. 
1608—1639. 


Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  1. 


I 


Einleitung. 


Das  Andenken  des  englischen  Dichters  und  Denkers, 
dessen  Leben  zu  schildern  ich  mir  vorgesetzt  habe ,  ist  mit 
allem,  was  sein  Vaterland  und  mit  vielem,  was  Europa  zu 
seiner  Zeit  in  Bewegung  setzte,  aufs  "engste  verknüpft.  In 
gebundener  und  ungebundener  Rede,  im  Thun  und  Leiden 
hat  er  an  mächtigen  Ereignissen  lebhaften  Antheil  genommen. 
Durch  innere  Neigung  dazu  gedrängt,  sich  vom  Geräusch  der 
Welt  in  die  stille  Werkstatt  des  Künstlers  und  Gelehrten  zu- 
rückzuziehn,  hat  er  sich  doch  nicht  enthalten  können,  in  den 
Kämpfen  des  Tages  seine  Stimme  zu  erheben,  bald  zum 
Schlachtruf,  bald  zur  Klage,  mit  den  Worten  schneidigen  Hohnes 
und  mit  dem  Pathos  heiligen  Zornes,  in  ruhiger  wissenschaft- 
licher Darlegung  und  im  Sturme  dichterischer  Begeisterung. 
Es  giebt  wenig  bedeutende  Fragen,  die,  damals  aufgeworfen, 
in  seiner  Brust  nicht  ein  Echo,  aus  seinem  Munde  nicht  eine 
Antwort  gefunden  hätten,  und  man  hat  wohl  Hecht  gehabt, 
in  seinen  Aeusserungen,  welche  das  Drama  eines  halben  Jahr- 
hunderts begleiten  und  die  sich  nicht  selten  zur  Höhe  all- 
gemeiner Gültigkeit  erheben ,  gleichsam  die  Stimme  des 
antiken  Chores  zu  erkennen.  Obwohl  sein  Leben  an  äusseren 
Wechselfällen  nicht  eben  reich  ist,  nöthigt  es  den  Diirsteller 
dennoch ,  die  grossen  geschichtlichen  Vorgänge  in  den  Kreis 
seiner  Betrachtung  zu  ziehn.  Es  kann  nicht  genügend  ver- 
standen werden,  wenn  nicht  der  historische  Hintergrund,  von 
dem  es  sich  abhebt,    einigermassen  erhellt  wird.     Und  so  ist 


4  Einleitung. 

es  uneiTässlich ,  wenigstens  mit  ein  Paar  flüchtigen  Zügen  an 
einige  Seiten  des  kirchlichen  und  politischen  Zustandes  der 
Nation,  welcher  Milton  geschenkt  wurde,  zu  erinnern. 

An  jeder  anderen  Stelle,  wo  die  Reformation  Eingang 
gefunden  hatte,  war  der  Bruch  mit  den  Ueberlieferungen  des 
Mittelalters  entschiedener  gewesen  als  in  England.  Unter 
Heinrich  VIII.  führte  sie  sich  ein  mit  der  vollständigen  Tren- 
nung von  Rom  und  der  Klöster- Aufhebung,  aber  nachdem 
sie  die  Gewissen  von  der  Despotie  des  Pa|stes  befreit  hatte, 
fand  sie  ein  neues  oberstes  und  einziges  Haupt  der  Kirche 
im  König.  Unter  Eduard  VI.  setzte  sie  sich  fort  durch  die 
energischen  Aenderungen  im  Dogma  und  Kultus,  aber  die 
Reaktion,  welche  unter  der  katholischen  Maria  eintrat,  stellte 
die  ganze  vorangegangene  Entwickelung"  wieder  in  Frage. 
Erst  nachdem  diese  Feuerprobe  überstanden  war,  wurden 
durch  die  grossen  Gesetze  Elisabeth's  die  festen  Grundlagen 
der  anglikanischen  Staatskirche  gelegt,  wie  sie  sich  nach  den 
Schwankungen  der  verflossenen  Jahre  in'  der  Folgezeit  aus- 
bildete. Indem  die  Wiederaufnahme  der  Suprematie  dem 
Königthum  auf  inner -kirchlichem  Gebiet  eine  unbeschränkte 
Herrschaft  gab ,  und  indem  die  Begründung  der  Uniformität 
alle  Glieder  der  Nation  ohne  Duldung  von  Abweichungen  dem 
Rahmen  der  einen  Staatskirche  einfügte,  war  allerdings  ein 
Zustand  geschafl'en ,  der  selbst  in  den  engsten  Kreisen  eine 
öffentliche  Fortsetzung  der  alten  Kirche  unmöglich  zu  machen 
drohte.  Auch  waren  die  dogmatischen  und  rituellen  Satzun- 
gen ,  wie  in  den  reformirten  Gebieten  des  Festlandes ,  nicht 
mehr  äusserlich  aufgezwungene  Formeln,  sondern  der  Aus- 
druck lebensvoller  Ueberzeugung  grosser  Volksniassen.  Eng- 
land war  reformirt,  und  dennoch  hatte  seine  Reformation,  in- 
mitten der  gefährlichsten  Gegensätze  durchgeführt  und  von 
einem  sehr  stai-k  ausgeprägten  fürstlichen  Willen  geleitet, 
von  den  mittelalterlichen  Formen  vieles  bewahrt.  Vor  allem 
nach  der  Seite  der  Verfassung  boten  sich  wesentliche  Unter- 
schiede von  den  Bildungen  dai',  welche  auf  deutschem,  schwei- 
zer und  schottischem  Boden  in's  Leben  getreten  waren.  Hier 
hatte   sich    dm-chweg   die   Vei-änderung  im  Kampf  mit   dem 


Einleitung.  5 

Bisthum  vollzogen,  in  England  .wurde  das  Bisthum,  das  in 
der  Geschichte  seiner  Reformation  eine  so  grosse  Rolle  ge- 
spielt hatte,  als  solches  erhalten.  Der  Anspruch  der  ununter- 
brochenen apostolischen  Succession,  an  dem  dieses  Bisthum 
festhielt,  begründete  seine  hierarchische  Stellung.  Als  Inha- 
ber des  durch  ihre  Handauflegung  wirkenden  Mysteriums  be- 
wahrten Erzbischöfe  und  Bischöfe  das  Recht  der  Ordination. 
Ihnen  verblieb,  in  Unterordnung  unter  die  königliche  Gewalt, 
kirchliche  Verwaltung  und  geistliche  Jurisdiktion  für  ein  nicht 
geringes  Geliiet  von  Civil-  und  Strafrecht.  Sie  besassen  als 
Mitglieder  des  Oberhauses  Antheil  an  der  Legislative.  Ihre 
Einkünfte  vom  Kirchengut  gewährten  ihnen  und  den  mit  ihnen 
zusammenhängenden  geistlichen  Instituten  bedeutende  mate- 
rielle Macht.  An  sich  abhängig  vom  Monarchen,  als  oberstem 
Leiter  der  Kirche,  nahmen  sie  selbst  eine  durchaus  aristo- 
kratische Stellung  über  der  Pfarr- Geistlichkeit  ein,  deren 
Verhältnisse  gleichfalls  vielfach  von  denen  anderer  protestan- 
tischer Länder  abwichen.  Zum  grösseren  Theile  in  der  Hand 
weltlicher  Patronatsherren,  denen  die  Präsentation  des  Rec- 
tors  oblag,  zum  kleineren,  mit  Bisthümern,  Kathedralkirchen, 
Colleges  u.  s.  w.  verknüpft  oder  im  Besitz  einzelner  Laien, 
durch  blosse  Vikare  für  das  Seelsorgeamt  versehen,  waren 
die  geistlichen  Stellen  ebensewenig  erwählte  Organe  der  Ge- 
meinde, für  deren  Dienst  sie  bestimmt  waren,  wie  ausser- 
ordentlich ungleichmässig  dotirt.  AVährend  der  persönlich 
wirksame  Rector  im  vollen  Genuss  der  Ländereien  und  Zehn- 
ten seiner  Pfründe  stand,  sah  sich  der  Vikar  auf  einen  Theil 
derselben  beschränkt  und  oft  nur  nothdürftig  besoldet.  Hülfs- 
geistliche,  ohne  Ausstattung  mit  Kirchengut,  auf  Gehalt  und 
Gebühren  angewiesen ,  traten  hinzu.  Das  ganze  System  ent- 
hielt die  doppelten  Gefahren  der  Pfründenhäufung  in  einer 
Hand  und  der  mangelhaften  Besetzung  der  geistlichen  Stellen, 
der  Entfremdung  von  der  Gemeinde  und  der  Abhängigkeit 
von  den  Verleihern. 

Mit  dieser  Bewahrung  kirchlicher  Verfassungsformen, 
welche  die  Reformation  an  vielen  anderen  Stellen  guten  Theils 
über  den  Haufen  geworfen  hatte,   verband   sich  die  Neigung 


ß  Einleitung. 

auch  auf  sonstigen  Gebieten  des  religiösen  Lebens  das  Alte 
wenn  nicht  zu  erhalten ,  so  doch  möglichst  wenig  zu  ver- 
ändern. Im  Dogmatischen  blieb  allerdings,  trotz  einiger 
Abweichungen  von  den  Bestimmungen  aus  der  Zeit  Eduard's, 
die  Neuerung  gründlich  genug,  aber  im  Rituellen  erinnerte 
noch  vieles  an  die  Erscheinung  der  alten  Kirche,  deren  An- 
hänger man  durch  Schonung  von  Aeusserlichkeiten  eher  zu 
versöhnen  hoffen  mochte.  Die  durch  das  allgemeine  Gebet- 
buch vorgeschriebene  Liturgie  mit  ihren  mechanischen  Re- 
sponsorien,  die  wiederholte  Kniebeugung,  der  Gebrauch  des 
Ringes  bei  der  Trauung,  die  Bezeichnung  der  Täuflinge  mit 
dem  Symbol  des  Kreuzes,  die  künstlerische  Ausschmückung 
des  Gottesdienstes  durch  die  Fülle  musikalischer  Zuthaten, 
die  Auszeichnung  des  Priesters  durch  den  üblichen  Ornat: 
Alles  dies  war  mehr  oder  weniger  nicht  ohne  Absicht  katho- 
lischem Muster  entlehnt. 

Der  Widerstand  gegen  einzelne  dieser  Reminiscenzen  an 
die  mittelalterlichen  Formen,  das  Bestreben  der  Kirche  ihre 
ursprüngliche  Reinheit  und  Einfachheit  zu  verleihen,  gieng 
bis  auf  die  Zeiten  Eduard's  VL  zurück.  In  der  anfänglichen 
Weigerung  des  zum  Bischofsitz  von  Gloucester  berufenen 
Hooper,  das  „aaronische  Priestergewand",  das  Symbol  „der 
Gemeinschaft  mit  dem  Antichrist" ,  anzulegen ,  ist  der  erste 
Keim  des  Puritanismus  zu  erkennen,  der  sich  in  den  Jahren 
des  Exils  durch  innige  Berührung  mit  den  Häuptern  der  cal- 
vinistischen  Reform  kräftigte  und  unter  Elisabeth  den  Kampf 
mit  der  Staatskirche  aufnahm.  Die  ganze  Regierungszeit  der 
grossen  Königin  war  mit  den  bitteren  Streitigkeiten  und  Ver- 
folgungen erfüllt,  zu  denen  die  puritanischen  Bestrebungen 
den  Anlass  gaben.  Nach  dem  Ceremonial  wurde  schon  die 
Verfassung  der  Kirche  Gegenstand  der  Kritik  und  des  An- 
griffs. Das  Parlament,  mit  puritanischen  Sympathieen  erfüllt, 
forderte  das  Recht  der  Initiative  auch  für  die  innere  kirch- 
liche Gesetzgebung.  Ilie  und  da  wurde  in  vereinzelter  Kühn- 
heit die  Suprematie  selbst  und  damit  das  rechtlich  bestehende 
Verhältnis  von  Kirche  und  Staat  bestritten.  —  Schon  damals 
bihleten  sich  innerhalb  des  englischen  Puritanismus,  dem  das 


Einleitung.  7 

unnach sichtliche  Gebot,  sich  den  Satzungen  der  Staatskirche 
zu  fügen,  entgegentrat,  die  Anfänge  von  zwei  Richtungen  aus, 
deren  Gegensatz  für  spätere  Zeiten  die  grösste  Bedeutung 
erlangte.  Es  war  nicht  unnatürlich,  dass  mehr  als  einer  der 
puritanischen  Bekämpfer  der  bestehenden  Kirchenformen  seine 
Blicke  nach  der  Kirche  von  Genf  lenkte ,  welche  in  dem  be- 
nachbarten nördlichen  Königreich  als  nachahmungswerthes 
Muster  betrachtet  wurde. 

In  der  That  nahm  das  System  des  Presbyterianismus, 
wie  es  sich  in  Schottland  unter  schweren  Kämpfen  durchzu- 
setzen wusste,  nicht  nur  in  den  äusseren  Formen  des  Gottes- 
dienstes die  ganze  Strenge  und  Nüchternheit  des  calvinisti- 
schen  Princips  an,  sondern  auch  der  Verfassung  der  Kirche 
wurde,  nicht  ohne  bemerkenswerthe  Eigenthümlichkeiten  in 
der  Ausprägung,  der  Stempel  desselben  Geistes  aufgedrückt. 
Auch  diese  Kirche  war  dazu  bestimmt,  unduldsam  gegen  jede 
Abweichung,  alle  Glieder  der  Nation  zu  umfassen,  aber  sie 
kannte  keinen  geistlichen  Supremat  der  Staatsmacht.  Die 
scharfe  Sonderung  der  kirchlichen  und  bürgerlichen  Gewalten 
bildete  ihren  obersten  Grundsatz,  und  doch  verlangte  sie  ein 
Zusammenwirken  beider  zu  demselben  Zweck.  Wie  sie  selbst 
eine  Unterwerfung  der  Obrigkeit  unter  ihre  Disciphn  forderte, 
so  schärfte  sie  ihr  die  Verpflichtung  ein,  ihr  für  die  Wahrung 
des  reinen  Glaubens,  die  Ausübung  ihrer  Jurisdiktion  Schutz 
und  Unterstützung  zu  leihen.  Im  Gegensatz  zur  anglikani- 
schen Kirche  gab  sie  sich  eine  demokratische  Grundlage,  in- 
dem sie  einer  Erhaltung  des  Bisthums  in  jeder  Gestalt  wider- 
strebte, die  Stelle  des  Geistlichen  wenigstens  nicht  gegen  den 
Willen  der  Gemeinde  besetzt  wissen  wollte  und  vor  allem 
den  Begriff  des  Kirchenamtes  nicht  auf  das  des  Minister,  als 
Verkündigers  des  göttlichen  Wortes,  beschränkte.  Als  eben- 
bürtige Genossen,  kraft  göttlichen  Rechtes,  traten  ihm  er- 
wählte Aelteste  aus  der  Gemeinde  zur  Seite.  Im  Ortskirchen- 
rath,  im  Presbyterium,  das  einer  grösseren  Zahl  von  Gemeinden 
in  einem  Bezirk  entsprach,  in  dei-  Provinzial- Synode,  endlich 
in  der  höchsten  Instanz,  der  General  Assembly,  fand  das  In- 
stitut der  Aeltesten   seine   Stelle   und   diente   vorzüglich  der 


g  Einleitung. 

Mitwirkung  bei  der  Erhaltung  strenger  moralischer  Zucht  und 
geistlicher  Jurisdiktion.  Noch  ehe  diese  Form  der  schottischen 
Kirche  sich  gänzlich  ausgebildet  und  die  volle  staatliche  An- 
erkennung erhalten  hatte,  war  in  England  hie  und  da  das 
leidenschaftliche  Verlangen  aufgetaucht,  über  den  Trümmern 
der  anglikanischen  Staatskirche  eine  presbyteriale  National- 
kirche aufzubauen.  Ohne  dass  man  auf  eine  Synodal -Ver- 
bindung bedacht  war,  wirkten  die  Nonkonformisten  an  vielen 
Stellen  auf  die  Errichtung  von  Presbyterien  hin,  und  die  wis- 
senschaftlichen Vorkämpfer  dieser  Partei  suchten  ihr  Ideal 
kirchlicher  Verfassung  als  einzig  schriftgemäss  und  absolut 
bindend  nachzuweisen.  Indessen  war  gegen  Ende  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  von  Robert  Browne,  nicht  ohne  Ein- 
wirkung holländischer  Emigranten,  eine  geistige  Bewegung 
ausgegangen,  die  sich  gleicher  Weise  gegen  Anglikanismus 
wie  Presbyterianismus  richtete.  Die  Brownisten  strebten 
nicht  darnach,  die  eine  kirchliche  Form,  welche  alle  Glieder 
der  Nation  zwangsweise  in  sich  schliessen  sollte,  durch  eine 
andere  zu  ersetzen.  Sie  forderten  das  Recht  der  Separation, 
das  Recht  der  Verbindung  einzelner  zu  freien  Gemeinden,  die 
weder  die  Autorität  von  Bischöfen  noch  die  von  Presbyterien 
oder  Synoden  über  sich  zu  dulden  hätten.  Aus  diesem  Grund- 
satz unbedingter  Freiwilligkeit  liessen  sich  für  die  Ausbildung 
von  Verfassung  und  Gottesdienst  der  einzelnen  Kongregation 
weitere  Folgerungen  ziehen,  durch  welche  die  Verwaltung  der 
Gemeinde- Angelegenheiten  der  Mehrheit  zugewiesen  und  die 
bindende  Vorschrift  ritueller  Formen  verworfen  ward.  So 
wenig  Browne  selbst  sich  der  Vei-theidigung  eines  grossen 
und  zukunftreichen  Principes  durchaus  würdig  zeigte,  so  bedeu- 
tend war  der  Erfolg  seiner  Lehre.  Aber  gegen  sie,  durch  welche 
die  Staatskirche  als  „Reich  des  Antichrists"  gebrandmarkt 
wurde,  schien  es  nöthig,  noch  schärfere  Mittel  anzuwenden, 
als  gegen  die  übrige  Macht  des  Puritanismus.  Dasselbe  Ge- 
schleclit,  welches  die  Ausübung  von  Messe  und  Ohrenbeichte 
juit  dem  Tode  l)estraft  sah,  sah  auch  Mitglieder  brownistischer 
Konventikel  der  Hand  des  Henkers  überliefert.  Die  Qualen 
grausamer  Haft  lichteten  ihre  Reihen,  und  schon  wurden  ein- 


Einleitung.  ■  9 

zelne  zu  dem  Entschluss  gedrängt,  den  theiiren  Boden  der 
Heimat  zu  verlassen. 

Wenn  der  englische  Puritanismus  nach  Elisabeth's  Tode 
seine  Hoffnungen  auf  einen  König  gesetzt  hatte,  der  in  Schott- 
land gross  geworden  war,  so  sah  er  sich  bald  aufs  bitterste 
enttäuscht.  Jakob  hasste  das  kirchliche  System  seiner  Hei- 
mat und  hatte  die  entschiedensten  Versuche  gemacht,  in  ihr 
auf's  neue  die  Anfänge  eines  Episkopates  zu  begründen. 
Die  grosse  Petition  puritanisch  gesinnter  Geistlicher,  die  ihm 
auf  englischem  Boden  entgegentrat,  das  Manifest  der  Pai-tei. 
welches  die  Erage  der  Verfassung  unberührt  liess,  aber  Cere- 
monieen  und  Entweihung  des  Sabbath,  die  Schäden  des  Patro- 
uats  und  die  Missbräuche  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit 
gleichzeitig  angriff',  hatte  keine  weiteren  Folgen  als  eine  er- 
gebnislose Konferenz,  welche  den  König  entschlossen  zeigte, 
die  bestehenden  Formen  aufrecht  zu  halten.  Die  hundertein- 
undvierzig  Canones  des  Jahres  1604  mit  ihren  Strafandrohun- 
gen beugten  den  Klerus  fester  als  je  unter  das  Joch  der 
Konformität,  und  der  Puritanismus  hatte  eine  neue  Periode 
des  Duldens  durchzumachen.  — 

Man  weiss,  wie  viel  die  Begründung  der  anglikanischen 
Kirche  dazu  beigetragen  hat,  dem  englischen  Königthum  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  seine  mächtige  Stellung  zu  geben. 
Unzweifelhaft  waren  die  Schwächung  des  grossen  kriegerischen 
Adels  und  die  Gewalt  socialer  Bedürfnisse  nothwendige  Vor- 
aussetzungen für  die  Erhebung  jener  „neuen  Monarchie"  ge- 
wesen ,  unter  deren  Schutz  Gentry .  Freisassen  und  Bürger 
theilweise  eine  höhere  politische  Stufe  erklimmen  konnten, 
die  arbeitenden  Klassen  in  Stadt  und  Land  eine  gewisse  Für- 
sorge fanden,  Handel,  Schiffahrt  und  Gewerbe  einen  gross- 
artigen Aufschwung  nahmen  und  glückliche  Versuche  einer 
Ausbreitung  der  wiedergeborenen  Bildung  gemacht  wurden. 
Auch  konnte,  mit  Ausnahme  der  katholischen  Maria,  die 
Persönlichkeit  der  Herrscher  aus  dem  Tudor- Geschlecht  bei 
allen  Flecken,  die  ihrem  Charakter  anhaften  mochten,  so  sehr 
als  der  Ausdruck  echt  englischer,  nationaler  Gefühle  gelten, 
dass   ihnen    schon    um  deswillen   eine  ausserordentliche  Aus- 


10  Einleitung. 

dehnung  der  königlichen  Prärogative  verziehen  ward.  Vor 
allem  der  glänzende  Zauber,  der  die  heroische  Gestalt  Elisa- 
beth's  umgab,  das  volle  Bewusstsein,  mit  ihr  und  unter  ihr 
in  der  vordersten  Reihe  eines  Weltkampfes  zu  stehn,  der 
frische  Hauch  urwüchsiger  Kraft,  der  unter  ihrem  Scepter  das 
öffentliche  und  geistige  Leben  durchdrang:  Alles,  was  ihr  An- 
denken in  den  Herzen  des  Volkes  heiligte  ,  wirkte  zusammen, 
ihr  eine  thatsächliche  Gewalt  zu  geben,  die  sehr  geeignet 
war,  den  Besitzer  zum  Missbrauch  zu  verführen.  Aber  die 
stärkste  Aufforderung,  das  Wesen  der  Verfassung  zu  Gunsten 
einer  unbeschränkten  Monarchie  zu  verändern,  lag  in  dem 
einseitigen  Zuwachs  an  Macht,  den  die  Krone  mit  dem  kirch- 
lichen Supremat  erhalten  hatte.  Inmitten  eines  Staatswesens, 
welches  durch  Parlament,  Gerichtsverfassung  und  gewisse 
Grundrechte  den  königlichen  Willen  für  die  weltliche  Seite 
der  Regierung  band,  gab  es  einen  reinen  Beamtenstaat,  durch 
welchen  auf  kirchlichem  Gebiet  alle  Unterthanen  in  absoluter 
Weise  beherrscht  werden  sollten.  Der  Oberkirchenrath  („High 
Court  of  Commission")  mit  seinen  ausserordentlichen  Gewal- 
ten, die  ihn  der  Inquisition  annäherten,  wurde  durch  geist- 
liche und  weltliche  Beamte  nach  widerruflichem  Willen  des 
Monarchen  besetzt.  Die  beiden  Häuser  der  geistlichen  Kon- 
vokation,  jene  periodische  Vereinigung  der  Prälaten  mit  den 
Vorstehern  und  Vertretern  der  Kapitel  sowie  denen  der  Pfarr- 
geistlichkeit, beibehalten  schon  zum  Zwecke  der  Besteuerung, 
waren,  ohne  die  frühere  Selbstständigkeit  gefügige  Werkzeuge 
in  der  Hand  des  neuen  Herren.  Sein  Recht,  sie  zu  berufen 
und  ihren  Beschlüssen  zuzustimmen,  erhielt  dadurch,  dass  der 
gesammte  Klerus  sich  in  eine  Art  abhängiger  Bureaukratie 
hatte  verwandeln  müssen,  erst  volle  Bedeutung.  Selbst  die 
Wahl  von  Erzbischöfen  und  Bischöfen  hieng  thatsächlich  vom 
Gutdünken  des  Monarchen  ab.  An  der  Spitze  dieser  streng 
gegliederten  Hierarchie  von  Kirchenbeamten  war  er  auch  zu 
allen  übrigen  Unterthanen ,  die  dem  Laienstande  angehörten, 
in  ein  neues  Veiliiiltnis  getreten.  YAn  grosser  Theil  in  den 
verschiedensten  Lebensstellungen  war,  wie  der  Klerus,  ver- 
pfliclitet,    den   Supremats -Eid    zu  leisten.     Allen  drohte  die 


Einleitung.  W 

Gefahr  eines  geistlichen  Ausnahmegerichtes.  Und  von  selbst 
mussten  die  Zustände  des  königlichen  Kirchenregimentes  auf 
die  gesammte  Staatsverwaltung  zurückwirken.  Ein  „Dua- 
lismus des  kirchlichen  und  weltlichen  Staates"  war  vorhanden, 
der  einer  neuen,  für  die  englische  Verfassung  gefährlichen 
Theorie  das  Leben  geben  konnte.  „Das  Königthum  hatte  die 
unabweisbare  Tendenz  erhalten,  den  Staat  zu  einer  Verwal- 
tungsordnung nach  dem  Muster  der  Kirche  umzubilden,  die 
Tendenz  zum  Absolutismus. "  (')  —  Es  begegnete  in  dieser 
Tendenz  der  Strömung,  .welche  gleichzeitig  die  grossen  Staats- 
wesen des  Festlandes  ergriffen  hatte,  und  deren  Gewalt  ein 
Glied  der  innigen  Gemeinschaft  romanisch -germanischer  Völ- 
ker sich  nicht  so  leicht  entziehen  konnte. 

Aber  wenn  es  an  anderen  Stellen  gelang,  die  ständische 
Verfassung  zu  vernichten  oder  der  Vernichtung  nahe  zu  brin- 
gen, so  ruhte  sie  jenseits  des  Kanals  auf  festeren  Grundlagen, 
die  wohl  erschüttert,  aber  nicht  zertrümmert  werden  konnten. 
Der  Geist  der  Selbstverwaltung,  der  in  diesem  Lande  gross 
geworden  war,  die  Summe  der  Gemeinde -Institutionen,  in 
denen  er  sich  ausdrückte,  waren  die  unbezwingbaren  Boll- 
werke, an  welchen  das  Streben  nach  absoluter  Herrschaft 
sich  brechen  musste,  und  hinter  welchen  der  alten  Verfassung 
des  Reiches  eine  letzte  Zuflucht  gewahrt  bheb.  Inzwischen 
hatten  eben  unter  den  Tudors  viele  Ursachen  dazu  beigetra- 
gen, einen  Zustand  vorzubereiten,  in  dem  ein  anderes  Element 
dieser  Verfassung,  das  Haus  der  Gemeinen,  sich  mit  einem 
höheren  Bewusstsein  seiner  Macht  durchdringen  konnte.  Die 
Stellung  der  weltlichen  und  geistlichen  Pairs  war  durch  die 
Rosenkriege  und  durch  die  Reformation  zu  ihren  Ungunsten 
verändert  worden.  Auch  wurde  die  Selbstständigkeit  des 
Oberhauses  zunächst  in  der  Folge  durch  die  massenhafte  Er- 
hebung in  die  Pairie  noch  mehr  geschwächt.  Das  Unterhaus 
dagegen  erhielt  erhöhte  Bedeutung,  indem  nach  dem  Ruin 
der  grossen  kriegerischen  Baronie,  beim  allmählichen  Empor- 
rücken der  Gesellschaftsklassen,  ein  neuer  politisch  berechtig- 
ter Mittelstand  in  Grafschaften  und  Städten  entstand,  der 
sich  neben  den  höheren  Klassen  durch  Ausbilduno-  des  Kirch- 


12  Einleitung. 

Spiels  zu  grösserer  Thätigkeit  im  öffentlichen  Leben  auf- 
gerufen sah,  über  die  reichen  Quellen  landwirtschaftlicher 
und  bürgerlicher  Arbeit  gebot  und  an  den  fortgeschrittenen 
Ideen  einer  gleichmässigen  Bildung  Theil  nahm.  Ein  höheres 
Selbstvertrauen  dieses  Mittelstandes  war  nicht  zu  verkennen. 
Es  inusste  nach  und  nach  auch  in  der  Persönlichkeit  seiner 
Vertreter  zum  Vorschein  kommen,  die  aus  den  Reihen  der 
reichen,  juristisch  und  politisch  geschulten,  städtischen  und 
ländlichen  Gentry  emporstiegen.  Weit  entfernt  davon,  etwas 
von  den  alten  parlamentarischen  Rechten  opfern  zu  wollen, 
erhielt  das  Haus  der  Gemeinen  die  stille  Tendenz,  sie  in  aus- 
gedehnterem Sinne  zu  deuten. 

Unter  Elisabeth  waren  zahlreiche  Anzeichen  einer  Span- 
nung im  Staatsw^esen  zu  bemerken,  aber  ein  Bruch  wurde 
jedes  Mal  vermieden.  Wenn  die  Königin  die  tieferen  Gründe 
der  langsam  wirkenden  Veränderung  nicht  erkannte,  so  Hess 
sie  ein  glücklicher  Takt  diese  Veränderung  wenigstens  em- 
pfinden. Sie  trug  Sorge,  den  Kampf  mit  einer  Versammlung 
nicht  zum  äussersten  zuzuspitzen,  in  welcher,  der  willkürlichen 
Schaffung  neuer  Wahlflecken  und  der  willkürlichen  Einwir- 
kung auf  die  Wahlen  zum  Trotz,  ein  wachsender  Geist  der 
Unaljhängigkeit  sich  Ausdruck  verschaffte.  In  wichtigen  Fra- 
gen, wie  in  der  Frage  der  Monopolien,  gab  sie  mit  gross- 
artiger  Offenheit  nach.  Der  Grundsatz  des  Rechtes  der  Steuer- 
bewilligung wurde  nicht  geläugnet.  Der  Grundsatz  des  Rechtes, 
an  der  Gesetzgebung  Theil  zu  nehmen,  wurde  nur  für  das 
kirchliche  Gebiet  bedeutend  eingeschränkt.  Niemals  wurde 
eine  Theorie  verfochten,  welche  das  Parlament  als  ein  über- 
flüssiges Glied  am  Staatskörper  bezeichnet  hätte,  und  dieses 
selbst  l)ehauptete  schrittweise  sein  Recht,  über  seine  inneren 
Angelegenheiten  das  höchste  Tribunal  zu  sein.  Aber  auch 
von  dieser  Seite  wurde  gegen  eine  Fürstin  in  einzigartige!' 
Stellung  eine  wohlbedachte  Nachgiebigkeit  geübt.  Man  er- 
schöpfte sich  in  demüthigen  Aeusserungen  und  wagte  nicht 
immer  das  freie  Wort  zu  schützen.  Man  duldete  Verordnun- 
gen, auch  wenn  sie  nicht  durch  die  Noth  des  Augenblicks  zu 
entschuldigen   waren,    und    Zwangsanlehen,    auch   wenn   ihre 


Einleitung.  |3 

EintreibuDo-  die  persönliche  Freiheit  gefährdete.  Man  verzieh 
der  Verwaltung,  in  einzelnen  Fällen  das  gemeine  Recht  zu 
durchbrechen,  und  es  gab  eine  ganze  Klasse  der  Bevölkerung 
in  deren  grausamer  Verfolgung  die  Regierung  der  protestan- 
tischen Masse,  deren  Fanatismus  aus  religiösem  Hass  und 
patriotischem  Argwohn  zusammengesetzt  war,  noch  nicht  ge- 
nug that. 

Auf  diese  Weise  war  ein  System  geschaffen,  das  wenn 
nicht  immer  die  Vortheile,  so  doch  die  thatsächlichen  Folgen 
„willkürlicher  und  konstitutioneller  Regierung"  mit  einander 
verband  (^).  Es  konnte  seiner  Natur  nach  nur  von  kurzer 
Dauer  sein.  Indem  das  fremde  Geschlecht  der  Stuarts  das 
heimische  der  Tudors  ablöste,  wurde  die  Spannung  der  kirch- 
lichen und  politischen  Verhältnisse  vergrössert,  und  der  Riss 
zwischen  den  einzelnen  Bestandtheilen  dieses  Staatswesens 
herbeigeführt.  Sobald  es  der  religiösen  Opposition  des  Puri- 
tanismus  gelang,  sich  mit  den  Ideen  politischer  Opposition 
voller  zu  durchdringen,  mussten  die  parlamentarischen  An- 
sprüche eine  doppelte  Wucht  erhalten.  Sobald  das  fremde 
Königsgeschlecht,  verführt  durch  die  theologischen  Anschauun- 
gen eines  ergebenen  Klerus,  begann,  die  Grundsätze  des  Kir- 
chenregiments auf  die  Staatsverwaltung  zu  übertragen,  musste 
sich  der  Absolutismus  zu  einer  einheitlichen  Theorie  ab- 
schliessen.  Ein  feindlicher  Zusammenstoss  der  beiden  gestei- 
gerten Gegensätze  wurde  unvermeidlich. 

Den  Jahren,  in  denen  er  sich  vorbereitete,  gehört  Mil- 
ton's  Jugend  an.  Der  Mann  fand  seine  Stelle  in  der  stürmi- 
schen Zeit  des  Kampfes,  da  neue  Gebilde  in  Kirche  und  Staat 
zu  dauerndem  Bestände  sich  durchzuringen  suchten.  Nachdem 
diese  Versuche  gescheitert,  die  früheren  Gewalten  wiederge- 
kehrt waren,  sah  der  alternde,  blinde  Dichter  mit  geistigem 
Auge  zurück  auf  die  zertrümmerten  Ideale  wie  auf  ein  ver- 
lorenes Paradies. 


Erstes  Kapitel. 
Elternhaus  und  Erziehung. 


\>  as  uns  Milton  selbst  über  seinen  Stamm  mittheilt, 
beschränkt  sich  auf  die  wenigen  Worte:  „Londini  sum  natus, 
genere  honesto."  Es  ist  möglieh,  wenn  auch  nicht  eben  wahr- 
scheinlich, dass  er  hiemit  doch  mehr  habe  andeuten  wollen, 
als  dass  er  einem  ehrbaren  bürgerlichen  Hause  entsprossen 
sei.  Alte  Familien  -  Tradition  vom  Vater  auf  den  Sohn  ver- 
erbt, mochte  auf  einen  vornehmen  Ursprung  zurückweisen. 
Ein  ehrwürdiges  Geschlecht,  die  „Miltons  von  Milton",  sollte 
vor  Menschen- Gedenken  in  Oxfordshire  gesessen  und  in  den 
Kriegen  der  weissen  und  rothen  Hose  seinen  Besitz  und  da- 
mit seinen  Glanz  eingebüsst  haben.  Der  Dichter  selbst,  wie 
wohl  schon  des  Dichters  Vater,  bediente  sich  eines  Wappens, 
das  ohne  Zweifel  den  alten  Insignien  des  Geschlechtes  ent- 
sprechen sollte.  Indess  alle  Nachforschungen,  diese  Miltons 
von  Milton  zu  entdecken,  sind  vergeblich  gewesen.  Auch  die 
von  E.  Phillips,  dem  Neflen  Milton's,  erwähnten  Familien- 
Denkmale  haben  sich  weder  in  der  Kirche  von  Milton  bei 
Abiiigdoii  noch  in  jener  des  Dorfes  Great-Milton  in  Oxfoi-dshire 
auffinden  lassen  ('). 

Allerdings  kann  man  den  Namen  Milton  in  den  Annalen 
englische)-  Gcscliichte  bis  in's  vierzehnte  Jahrhundert  hinauf 
in  nicliieren  Familien  nachweisen.  Seitdem  erscheint  er  in 
verschiedenen  Grafschaften,  wie  er  auch  vielfach  zur  Bezeich- 


Abstammung.  15 

nung  einer  Ortschaft,  eines  Dorfes  oder  Weilers  auftritt.  Immer- 
hin ist  es  möglich,  dass  zwischen  dem  Familien -Namen  und 
der  topographischen  Bezeichnung  ein  Zusammenhang  statt- 
findet der  Art,  dass  jener  die  Herkunft  aus  einem  „middle- 
town"  („mid-town,  milltown")  ausdrücken  sollte (').  Auch  in 
Oxfordshire  tauchen  lange  vor  der  Geburt  des  Dichters 
Familien  seines  Namens  auf,  vor  allem  in  einer  Gruppe  von 
Dörfern  .in  geringer  Entfernung  östlich  von  Oxford,  am  Rande 
des  königlichen  Forstes  von  Shotover  gelegen:  Beckley,  Els- 
field,  Stanton  St.  John's.-  In  dem  zuletzt  genannten  lebte  um 
die  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  ein  „Henri  Mylton", 
dieser  ohne  Zweifel  des  Dichters  Urgrossvater ,  von  dem  uns 
freilich  nichts  überliefert  ist  als  sein  Testament.  Selbst  diese 
spärliche  Quelle  genügt,  uns  über  die  nächsten  Angehörigen 
des  Erblassers  in  Kenntnis  zu  setzen.  Eine  Tochter,  Isabelle, 
erhält  ein  halbes  Malter  Gerste  und  ein  Rind,  welches  Richard, 
der  Sohn,  bis  zum  vierten  Jahre  aufziehen  soll.  Ein  gewisser 
Rowland  Mylton  und  Alice  Mylton  werden'  gleichfalls  mit  je 
einem  halben  Malter  Gerste  bedacht.  Die  Ehefrau  Agnes  soll 
zwei  Pferde,  zwei  Kühe  und  das  gesammte  Hausgerät  empfan- 
gen. Was  uns  mehr  interessirt  als  diese  einfachen  Verfü- 
gungen, die  einen  Einblick  in  den  ländlichen  Haushalt  des 
Testators  gewähren,  ist  die  Thatsache,  dass  er  sich  durch 
seine  Ausdrucksweise,  die  Erwähnung  „unserer  1.  Frau  St. 
Maria  und  der  Gemeinschaft  der  Heiligen"  unstreitig  als  Katho- 
liken kennzeichnet.  Auch  sein  Weib  Agnes  ist,  den  Worten 
ihres  Testamentes  zu  Folge,  nicht  lange  nach  ihm,  als  gläu- 
biges Glied  der  Kirche  gestorben,  welche  im  Zeitalter  Elisa- 
beth's  die  verfolgte  war  (2). 

Richard  Milton  blieb  dem  väterlichen  Glauben  treu.  Sein 
Name  findet  sich  zwei  Mal  in  den  s.  g.  Recusant- Rolls,  den 
Verzeichnissen,  in  welchen  Jahr  für  Jahr  die  Geldbussen  ein- 
getragen wurden,  die  wegen  Versäumnisses  des  anglikanischen 
Gottesdienstes  in  der  Pfarrkirche  zu  zahlen  waren.  Das  eine 
Mal  (13.  Juli  1601)  wird  er  für  den  Zeitraum  von  drei  Monaten 
mit  sechzig  i^.,  sodann,  da  sein  Widerstand  nicht  gebrochen 
wurde,  noch  ein  Mal  mit  derselben  bedeutenden  aber  gesetz- 


1(3  Der  Vater. 

liehen  Strafsumme  belastet.  Es  ist  beraerkenswerth,  dass  kein 
anderer  Milton  in  Oxfordshire  als  Anhänger  des  alten  Glau- 
bens genannt  wird ,  wiewohl  es  feststeht,  dass  gerade  in  der 
Umgegend  von  Stanton  St.  John's  das  Werk  gewaltsamer  Be- 
kehrung durchaus  nicht  überall  erfolgreich  war('). 

Die  Standesbezeichnung  des  Richard  Milton  drückt  sich 
durch  ein  dem  Namen  beigesetztes  „yeoman"  aus;  dass  er 
irgend  ein  Forstamt.  im  Walde  von  Shotover  verwaltet  habe, 
ist  urkundlich  nicht  überliefert.  Günstige  Vermögens  -  Um- 
stände, durch  einen  Steuer-Eintrag  in  den  Subsidy-Rolls  von 
1577  genugsam  bezeugt,  mögen  den  Freisassen  in  den  Stand 
gesetzt  haben,  seinem  Sohne  John  eine  Erziehung  zu  geben, 
welche  diesen  spater  dazu  befähigte,  einen  einträglichen  Lebens- 
beruf zu  ergreifen.  Die  Pfarre  Stanton  St.  John's  war  nur 
ein  Paar  englische  Meilen  von  Oxford  entfernt,  so  dass  der 
Knabe  unschwer  in  der  alten  Universitäts-Stadt  den  Jugend- 
Unterricht  empfangen  konnte.  Daraus  mag  sich  die  Sage  ge- 
l)ildet  haben,  die  in  die  erste  Biographie  seines  Sohnes,  des 
Dichters,  übergegangen  ist,  der  Vater  desselben  sei  im  College 
von  Christ-Church  zu  Oxford  gebildet  worden,  eine  Nachricht, 
die  durch  Nachforschungen  in  diesem  College  keine  Bestäti- 
gung erhalten  hat. 

So  ist  auch  jene  bekannte  Erzählung  mehr  sagenhaft  als 
geschichtlich,  welche  die  Uebersiedelung  des  älteren  John 
Milton  nach  London  berichtet.  Sein  Vater,  der  eifrige  Katholik, 
der  in  standhafter  Anhänglichkeit  an  den  alten  Glauben  eine 
zweimalige  schwere  Strafe  ertrug,  entdeckte,  so  lautet  die  Er- 
zählung, dass  sein  Sohn  der  verhassten  Lehre  des  Protestan- 
tismus zuneige.  In  seiner  Kammer  fand  er  die  Bibel  in  engli- 
scher Uebersetzung,  das  unverkennbare  Zeichen  der  Ketzerei. 
Im  Zorn  verstiess,  enterbte  er  den  Jüngling,  welcher  nun, 
um  sein  Glück  zu  suchen,  die  ländliche  Heimat  verliess  und 
sicli  der  Hauptstadt  des  Reiches  zuwandte.  Hier,  in  London, 
fand  er  bei  einem  erprobten  Freunde  liath  und  Hülfe.  Dieser 
Freund,  ein  Notar  von  Ruf,  erm(')glichte  ihm,  so  heisst  es,  die 
üblichen  sieben  Lehrjahre,  welche  zur  Vorbereitung  auf  das 
Notariat  erfordert  wurden,   zu  überspringen  und  durch   eben 


Der  Vater.  17 

diesen  Beruf  sein  Leben  zu  fristen  und  einen  glücklichen  Haus- 
halt zu  gründen  (^). 

Eine  erst  kürzlich  gemachte  Entdeckung  hat  uns  belehrt, 
dass  diese  etwas  romantische  Ueberlieferung  nicht  ganz  mit 
der  Wahrheit  übereinstimmt.  In  den  Verzeichnissen  der  lon- 
doner Scriveners"  Company  fand  sich  nämlich  ein  Eintrag  des 
Inhalts,  dass  am  27.  Februar  1599  (1600)  John  Milton,  Sohn 
des  Richard  Milton  von  Stanton,  vormals  Lehrling  bei  dem 
londoner  Bürger  und  Notar  James  Colbron ,  als  Meister  in 
die  Innung  aufgenommen  worden  sei(^). 

Aus  diesem  Eintrag  geht  hervor,  dass  der  ältere  John 
Milton  in  der  That  eine  Lehrzeit  durchgemacht  hat.  Da  diese 
nach  der  Regel  sieben  Jahre  dauerte,  James  Colbron  aber, 
wie  Nachforschungen  ergeben  haben,  selbst  erst  am  ersten 
April  1595  das  Meisterrecht  erlangte,  so  hat  man  zu  ver- 
muthen,  dass  John  Milton  schon  vorher  einige  Jahre  einem 
andern  Meister  gedient  hat.  Wenn  es  ferner  richtig  ist,  was 
mir  noch  nicht  hinlänglich  bewiesen  scheint,  dass  der  „Scri- 
vener"  in  damaliger  Zeit  nicht  über  einundzwanzig  oder  zwei- 
undzwanzig Jahre  alt  sein  durfte,  um  sein  Amt  antreten  zu 
können  (^),  so  hätte  der  Streit  mit  dem  Vater,  die  Entfernung 
aus  dem  elterlichen  Hause,  der  Uebertritt  zum  Protestan- 
tismus vor  dem  vierzehnten  Lebensjahre  des- Sohnes  stattfinden 
müssen. 

Möglich  immerhin,  dass  dieser  schon  in  so  früher  Jugend 
den  Kampf  durchzufechten  hatte  und  mit  dem  Kampfe  jene 
ernste,  puritanische  Lebensanschauung  sich  zu  eigen  machte, 
die  er  der  Seele  seines  grossen  Sohnes  einpflanzte.  Möglich 
auch,  dass  der  Verstossene  in  der  Schreibstube  eines  älteren 
Bekannten  für  einige  Jahre  als  Lehrling  Aufnahme  fand,  bis 
er  in  die  Aufsicht  James  Colbron's  übergieng.  Soviel  scheint 
sicher,  dass  der  eifrige  junge  Mann,  nachdem  er  selbstständig 
geworden  war,  durch  Klugheit,  Fleiss  und  Rechtschatienheit 
in  kurzer  Frist  zum  wohlhabenden  Bürger  wurde.  Schon 
im  Jahre  1600  oder  um  diese  Zeit  konnte  er  sich  einen  eignen 
Hausstand  gründen  (•*),  über  das  Alter  seines  Weibes  Sarah 
wissen  wir  aber  nichts  und  über  ihren  Familien-Xamen   sind 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    I.  1. '  2 


18  Die  Mutter.  —  Geburt  Milton's. 

wir  bis  heute  so  im  Unklaren,  dass  wir  nicht  mit  Sicherheit 
entscheiden  körinen,  ob  sie  eine  geborene  Bradshaw,  Haughton 
oder  Caston  gewesen  ist  (s.  d.  Anhang). 

Bei  zunehmendem  Wohlstand  erlangte  der  rührige  Ge- 
schäftsmann den  Besitz  mehrerer  Häuser,  deren  zwei  in  Bread- 
street ,  recht  im  Herzen  der  City  gelegen,  mit  Namen  genannt 
werden.  Das  eine,  das  Haus  „zur  Rose",  mag  ihm  in  den 
ersten  Jahren  seiner  Geschäftsthätigkeit  als  Bureau  gedient 
haben,  in  dem  andern,  dem  Hause  „zum  fliegenden  Adler" 
(„Spread-Eagle^')  tinden  wir  ihn  seit  1603  eingerichtet  (i).  Es 
spricht  manches  dafür,  dass  das  Haus  seinen  Namen  erst  von 
seinem  neuen  Besitzer  erhalten  und  nicht  etwa,  dass  dieser 
erst  den  schon  vorhandenen  Namen  des  Hauses  zur  Bildung 
eines  Phantasie -Wappens  benutzt  hat.  Nicht  ohne  Grund 
würde  jenes  Sinnbild  gewählt  worden  sein,  als  es  galt  nach 
der  Sitte  der  Zeit,  das  Haus  mit  einer  Devise  auszuzeichnen, 
welche,  über  derThür  befestigt,  in  jenen  Tagen  unsere  praktisch- 
prosaische Numerirung  ersetzte.  Nicht  nur,  dass  das  Wappen 
der  Scriveners"  Company  diesem  Hausschilde  einigennassen 
entsprach  (-),  sondern  eben  dieses  Sinnbild  scheint  mit  geringer 
Veränderung  für  das  Wappen  der  ritterlichen  Ahnen,  jener 
„Miltons  von  Milton"  gegolten  zu  haben.  Ein  Doppeladler 
mit  ausgespreizten  Fittichen  und  Krallen  zierte  des  Dichters 
Petschaft,  eben  dieses  Siegel  findet  sich  auf  keinem  geringeren 
Dokument  als  auf  dem  Vertrag  über  die  Veröft'entlichung  des 
„verlorenen  Paradieses"  zwischen  dem  Autor  und  dem  Buch- 
händler Simmons(^). 

In  diesem  Hause  zum  „fliegenden  Adler"  wurde  dem  Notar 
Milton  am  neunten  December  1608  um  halb  sieben  Morgens 
ein  Sohn  geT)oren,  welcher  am  20.  desselben  Monats  in  der 
Taufe  den  Namen  des  Vaters,  John,  empfieng(*).  Eine  Schwester, 
Anna,  war  vermuthlich  um  einige  Jahre  illter,  ein  Bruder, 
Christoph,  kam  erst  im  December  1615  zur  Welt.  Zwischen 
diesen  beiden  wuchs  der  Knabe  auf;  von  drei  weiteren  Ge- 
schwistern war  eines  schon  1601  gleich  nach  der  Geburt  weg- 
gerafft worden,  die  beiden  anderen  nachgeborenen  starben  im 
zartesten  Altci-.    Wahrscheinlich  gehörte  auch  die  Grossmutter 


Geschwister.  —  Das  elterliche  Haus.  19 

mütterlicher  Seits,  Ellen,  Wittwe  des  Paul  Jefferys  oder  Jeffray, 
vermiithlich  ihres  zweiten  Gatten,  bis  zu  ihrem  Tode  (Febr. 
1610 — 1)  der  kleinen  Familie  an('). 

Es  war,  das  sind  wir  anzunehmen  berechtigt,  ein  Haus, 
geschmückt  mit  allen  Tugenden  soliden  Bürgerthums ,  das 
Haus  zum  „Spread-Eagle",  in  welchem  der  junge  John  Milton 
gross  ward.  Die  Mutter,  schon  mit  dem  dreissigsten  Jahre  so 
schwachsichtig,  dass  sie  die  Brille  nicht  entbehren  konnte, 
durch  rechtschaffenen,  wohlthätigen  Sinn  in  der  Kachbarschaft 
bekannt  (-),  der  Vater,  frithe  in  der  Schule  des  Lebens  gereift, 
schon  zeitig  am  Tage  in  den  mannichfaltigen  Geschäften  uner- 
müdlich thätig,  die  sich  an  seinen  einträglichen  Beruf  knüpften. 
Dazu  ohne  Zweifel  über  dem  ganzen  Hauswesen  ein  Hauch 
puritanischer  Frömmigkeit  ausgebreitet,  die  dem  Dichter  für 
sein  Leben  als  Regel  vorschrieb,  den  Tag  mit  dem  Lesen  der 
Bibel  zu  beginnen,  und  welche  ihn  gewiss  jeden  Sonntag  den 
Weg  zu  der  nahen  Allerheiligen-Kirche  einschlagen  liess,  deren 
Kanzel  Richard  Stocke,  der  Freund  des  hervorragenden 
puritanischen  Pfarrers  von  Rotherhithe,  Thomas  Gataker's, 
zweiunddreissig  Jahre  lang  in  würdigem  Eifer  innehatte  (^). 

Aber  es  wäre  weit  gefehlt,  wenn  man  annehmen  wollte, 
das  ernste  religiöse  Element  sei  das  einzige  gewesen,  welches 
das  Leben  des  miltonschen  Hauses  beeinflusste.  In  seinen 
Räumen  ward  auch  das  Schöne  gepflegt  um  des  Schönen 
willen,  vielleicht  auch  da,  wo  der  rigorose  Puritanismus  es  als 
Zeichen  weltlicher  Lust  über  die  Schwelle  gebannt  haben 
würde.  Der  Vater  Milton  war  von  früher  Jugend  an  auf  musi- 
kahschem  Gebiet  mehr  als  ein  Dilettant.  In  einer  allgemeinen 
Biographie  älterer  englischer  Komponisten  wird  sein  Name 
nicht  vergessen  (•*).  Die  Sammlung  von  Madrigals  „The  Triumphes 
of  Oriana",  zum  Ruhme  der  jungfräulichen  Königin  Oriana- 
Elisabeth  vom  Jahre  1601,  enthält  neben  den  Gaben  der  be- 
kanntesten Tondichter  der  Zeit  auch  einen  Beitrag  des  älteren 
Milton.  Von  den  ]\Ielodieen  zu  den  „Teares  and  Lamentations 
of  a  Sorrowful  Soule",  die  William  Leighton  1614  veröffent- 
lichte ,  gehören  drei  der  Feder  des  kunstsinnigen  Notars  von 
Bread-street  an  und  in  der  ravenscroftschen  Zusammenstellung 

2* 


OQ  Das  elterliche  Haus. 

geistlicher  Melodieen  von  1621  erscheinen  zwei,  dem  Text  der 
Psalmen  5.  27.  55.  66.  102.  138  angepasst,  unter  Milton's 
Namen.  Melodieen,  welche  in  der  Kirche  wie  in  der  Familie, 
zu  Glockenspiel  und  als  Ammenliedchen  ihre  Volksthttmlich- 
keit  lange  bewahrt  haben  sollen (')•  Von  anderen  kiinstleri- 
schen  Leistungen  des  alten  Milton  hören  wir,  ohne  dass  es 
möglich  wäre  ihr  Dasein  nachzuweisen.  So  soll  er  für  den 
Landgrafen  von  Hessen  einen  Gesang  gesetzt  und  zur  Be- 
lohnung von  dem  Fürsten  eine  goldene  Medaille  erhalten 
haben.  Ein  „In  Nomine",  dem  König  von  Polen  überreicht, 
brachte  ihm  gleichfalls  neben  dem  Ruhm  eine  goldene  Denk- 
münze und  Ehrenkette  ein,  falls  nicht  etwa  die  eine  Nach- 
richt mit  der  andern  verwechselt  worden  ist(=*).  In  späteren 
Jahren  stellte  der  Sohn  dem  Talent  des  Vaters  das  beste 
Zeugnis  in  folgenden  Worten  aus:  „Du  selbst,  durch  die  Gabe 
der  Musen  beglückt,  verstehst  es  tausend  Töne  zu  richtigem 
Takt  zu  vereinigen  und  die  Singstimme  in  tausend  Melodieen 
zu  variiren,  mit  Recht  magst  du  Erbe  von  Arion's  Namen  sein"  (^). 
An  den  Segnungen  einer  so  ausgesprochenen  Anlage  musste 
die  ganze  Familie  Theil  nehmen. 

"Wenn  des  Tages  Arbeit  vorbei  war,  so  erklang  das  fried- 
liche Haus  in  Bread-street  von  Gesang  und  Spiel,  und  es  waren 
nicht  nur  die  pathetischen  Worte  des  Psalmisten,  welche  dem 
Gedächtnis  des  Kindes  für  immer  eingeprägt  wurden,  sondern 
seine  Phantasie  hatte  sich  auch  mit  Oriana  und  mit  den  „er- 
röthenden  Rosen"  und  den  Nymphen  Diana's  zu  beschäftigen. 
Soviel  ist  gewiss,  dass  Milton,  von  dem  Vater  unterrichtet 
und  selbst  mit  einer  guten  Stimme  begabt,  damals  jene  Nei- 
gung für  die  Musik  gewann,  die  ihn  sein  Leben  lang  nicht 
verlassen  hat,  ihm  die  Nacht  der  Blindheit  freundlicher  machte 
und  ihn  selbst  unter  den  Anfällen  schmerzhafter  Krankheit 
Trost  im  Liede  hnden  Hess.  In  seiner  Schrift  über  die  Er- 
ziehung der  Jugend  wies  er  „den  feierlichen  und  göttlichen 
Havmonieen  der  Musik"  eine  hohe  Stelle  an  und  pries  die 
„religiösen,  kriegerischen  und  geselligen  Lieder,  welche,  wofern 
weise  Männer  und  Propheten  nicht  gänzlich  irren,  eine  grosse 
Macht  in  sich  tragen ,  Charaktere  und  Sitten  zu  mildern  und 


John  Laue.  21 

ZU  veredeln"  (^).  An  zahlreichen  Stellen  seiner  Gedichte  finden 
sich  die  verständnisvollsten  Hindeutungen  auf  das  Reich  der 
Töne  (2),  und  schon  der  musikalische  Wohllaut  seiner  Verse 
erlaubt  den  Schluss,  dass  des  Dichters  Ohr  ein  feingebil- 
detes war. 

Von  poetischem  Talent  oder  überhaupt  literarischer  Be- 
gabung scheint  weder  die  Mutter  noch  der  Vater  etwas  auf 
den  Sohn  zu  vererben  gehabt  zu  haben.  Ueber  die  Eigen- 
schaften der  ersten  sind  wir  leider  gar  nicht  weiter  unter- 
richtet, dem  Vater  aber  hat  der  Dichter  selbst,  wenn  man  anders 
seine  Worte  so  auffassen  darf,  die  Domäne  der  Poesie  gleich- 
sam abgesprochen.  Während  er,  wie  schon  erwähnt,  seine 
musikalische  Begabung  rühmt,  fügt  er  hinzu:  „Indem  sich 
Phoebus  uns  beiden  mittheilen  wollte,  hat  er  diese  Gaben  mir 
verliehen,  jene  dir,  dem  Vater,  und  jeder  von  uns  beiden  nennt 
einen  Theil  des  Gottes  sein  eigen"  (^j.  Und  in  der  That  das ' 
einzige  Erzeugnis  der  poetischen  Laune  des  alten  Milton  lässt 
nicht  bedauern,  dass  es  das  einzige  ist.  Es  ist  ein  Sonett, 
so  platt,  prosaisch  und  geschmacklos,  wie  nur  je  eins  in  engli- 
scher Sprache  geschrieben  worden,  gerichtet  an  John  Lane, 
und  einer  Abschrift  von  dessen  Epos  Guy,  Earl  of  Warwick. 
in  der  guten  Absicht  freundschaftlicher  Schmeichelei  vorge- 
setzt (•^).  Glücklicherweise  ist  auch  dieses  Epos  der  Veröffent- 
lichung entgangen,  obschon  es  nach  der  S.  132  stehenden 
Licenz  zu  schliessen  (Jul.  13.  1617  John  Taverner  as  in  the 
original)^unzweifelhaft  dafür  bestimmt  war.  Man  urtheilt  nicht 
zu  hart,  wenn  man  versichert,  dass  der  Ton  des  ganzen  Werkes 
dem  schwunghaften  Anfang  von  Strophe  67  Canto  IV  ent- 
spricht, welcher  lautet: 

„As  whcn  oue  Standes  in  Sussex  Wincbelsy 

And  sendes  bis  sowtbeast  eye  glance  o'er  tbe  brine". 

Auch  die  sonstigen  bekannten  Ueberreste  von  John  Lane's 
Muse  „Triton's  Triumph  to  the  Twelfe  Months,  husbanded 
and  moralized",  der  kühne  Versuch  Chaucer's  unvollendete  Er- 
zählung des  Squire  fortzusetzen,  sind  der  bescheidenen  Sphäre 
handschriftlichen  Daseins  nie  entrückt  worden  (^j.  Wenn 
Edward  Phillips  dieses  Schicksal  beklagt  und  die  Ansicht  aus- 


22  John  Lane.  —  Humphrey  Lownes. 

spricht,  die  Veröffentlichung  seiner  Werke  würde  Lane  einen 
Namen  gewonnen  haben,  ,, nicht  viel  geringer  als  der  Drayton's, 
wenn  nicht  ihm  gleich  und  anderen  Spenser  Zunächststehen- 
den" ('),  so  darf  man  diesen  Mangel  an  Kritik  wohl  auf  Rech- 
nung der  Familien-Tradition  setzen,  die  Lane  als  Hausfreund 
von  Phillips  Grossvater,  als  Vertrauten  des  alten  Milton  be- 
zeichnete. In  der  That  zeigen  sowohl  dessen  holperige  Verse 
zum  Preise  Lane's,  sowie  eine  gelegentliche  rühmende  Erwäh- 
nung der  „süssen  Melodieen  Milton's"  (2)  durch  den  Dichter 
des  Guy  Warwick,  dass  sich  beide  Männer  sehr  nahe  standen. 
Mag  auch  Lane  selbst  dem  jungen  John  Milton  bei  dem  Ver- 
kehr in  dessen  väterlichen  Hause  wenig  poetische  Anregung 
gegeben  haben,  so  war  er  doch  immerhin  der  „feine,  alte 
gentleman  aus  dem  Zeitalter  der  Königin  Elisabeth",  der 
belesene  Kenner  Chaucer's,  Spenser's,  Sidney's  und  der  ganzen 
vergangenen  Epoche  der  Literatur,  endlich  wahrscheinlich  über- 
haupt der  erste  Schriftsteller,  mit  dem  der  Knabe  in  Be- 
rührung kam. 

Wer  sonst  von  Freunden  und  Nachbarn  dem  miltonschen 
Hause  nahe  stand ,  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  sagen. 
Allerdings  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  Humphrey  Lownes, 
der  Drucker  und  Buchhändler,  welcher  in  Bread-street-hill 
unter  dem  Zeichen  des  Sternes  ansässig  war,  zu  den  Bekannten 
des  gel)ildeten  Notars  gehörte  (^),  einige  der  kaufmännischen 
Nachbarn  mögen  mit  ihm  in  Verbindung  gestanden,  Lehrlinge, 
Schreiber  und  Diener,  deren  vier,  Peter  Jones.  William  Bolde, 
Thomas  Bower,  John  Hutton  uns  gelegentlich  genannt  worden 
sind(^),  werden  sein  Haus  belebt  haben. 


Verlorene  Mühe  wäre  es  heute  dieses  Haus  zu  suchen. 
Wo  sicli  gegenwärtig  das  unermüdliche  Leben  des  Tages  in 
Cheai)si(lc  drängt  und  treibt,  und  die  ewig  wechselnde  Men- 
schen-Welle auch  die  engeren  Nebenstrassen  überfluthet,  stehn 
wir  wohl  auf  demsell)en  Boden,  der  den  Dichter  getragen  hat, 
aber  die  Formen  der  Gebäude,  die  Giebel  und  Erker,  die 
Mauem  und  Tliürme,  welche  seinem  Auge  die  ersten  Eindrücke 


Das  alte  London.  23 

der  Aussenwelt  gaben,  sind  verschwunden.  Der  grosse  Brand 
von  1666,  der  hier  im  Herzen  der  City  am  heftigsten  wüthete, 
hat  alles  vernichtet.  Noch  im  Jahre  1754  erscheint  auf  der 
Karte  von  London  ein  „Black-Spread-Eagle-Court",  der  erste 
Hof  zur  Linken  auf  Bread-street,  von  Cheapside  aus  gerechnet. 
Auch  die  Bezeichnung  dieses  Hofes,  die  letzte  sichtbare  Er- 
innerung an  das  Geburtshaus  John  Milton's,  hat  modernen 
Zahlen  und  Firmen  Platz  gemacht.  Doch  dürfen  wir  annehmen, 
dass  die  Lage  der  Strasse,  wie  sie  nach  dem  Brande  wieder 
aufgerichtet  wurde,  im  ganzen  jener  vom  Anfang  des  sieb- 
zehnten Jahrhundei'ts  entsprach.  Auch  damals  erstreckte  sich 
Bread-street ,  so  genannt,  „weil  in  alter  Zeit  hier  Brot  ver- 
kauft wurde",  von  Cheapside  aus  in  südlicher  Richtung 
dem  Flusse  zu.  Wenn  der  Knabe  über  die  Schwelle  des 
väterlichen  Hauses  trat,  das  gleichsam  unter  dem  Schutze 
der  Bow-Kirche  und  ihrer  berühmten  Glocken  stand,  so  fand 
er  sich  auf  der  durch  zahlreiche  Schenken,  Gasthäuser 
und  Schauläden  reicher  Kaufherren  buntbelebten  Strasse  (^). 
Und  gerne  mögen  wir  gedenken,  dass  unter  ihren  lärmenden 
Tavernen  eine  war,  deren  Schild  nicht  gewöhnliche  Spiess- 
bürger  und  Zecher  über  die  Schwelle  lockte:  Die  historische 
Schenke  zur  ,, Seejungfrau-,  in  der  sich  die  erlauchte  Tafel- 
runde der  Shakespeare,  Ben  Jonson,  Beaumont  und  Fletcher 
zum  Spiele  unübertroffenen  Witzes  und  geistvollen  Gesprächs 
bei  Sekt  und  Taback  versammelte.  Wo  sich  Bread-street  mit 
Watheling- Street  kreuzte,  fiel  der  Blick  des  Knaben  zur  Linken 
auf  die  bekannte  Allerheiligen-Kirche,  Watheling-street  selbst 
zeigte  ihm  die  Gewölbe  der  reichen  Tuchhändler  und  Verkäufer 
von  Wollen-Stoften  aller  Art,  deren  Sitz  vorzüglich  hier  war. 
Weiter  auf  Bread-street  musste  er  an  der  Halle  der  „Einsalzer" 
vorbei,  bis  er  an  die  Pfarrkirche  St.  Mildred  the  Virgin  ge- 
langte. Vor  allem  aber  mochte  seine  Einbildungskraft  durch 
jenes  grosse  Gebäude  mit  seinen  alten  Schwibbogen  bei  der 
Einmündung  von  Basing-lane  in  Bread-street  erregt  werden, 
jene  s.  g.  „Gerrards-Hall",  an  die  sich  wundersame  Märehen 
von  dem  Riesen  Gerrard  und  seiner  langen  Stange  anknüpften. 
In  Knightrider-street  empfieng  ihn  der  Lärm  des  Fischmarktes, 


24  D^s  alte  London. 

und  hieran  schloss  sich  nach  Süden  zu  das  Wirrsal  enger, 
winkhger  Gässchen,  welche  bergab  dem  Flusse  und  seinem 
vielbewegten  Leben  zu  leiteten. 

Ein  Gang  nach  Norden  vom  väterlichen  Hause  aus  führte 
nach  Cheapside ,  dem  geräuschvollen  Durchgangspunkt  des 
grössten  Verkehrs,  in  dessen  Nähe  sich  die  stattlichsten  Ge- 
bäude unter  allen  Privat-Häusern  der  Stadt  befanden,  wo  sich 
die  gellenden  Stimmen  von  Käufer  und  Verkäufer  mischten, 
Sammt  und  Seide,  Linnen  und  Garn,  fremdes  Gewürz  und 
Geflügel  zur  Schau  lagen,  Harfenspiel,  Pfeifen,  Gesang  ertönte, 
und  über  das  Treiben  der  Strasse  emporragend  die  ehrwür- 
digen Monumente  des  reichverzierten  Stein-Schaftes  (Standard  in 
Cheap),  des  alten  „Kreuzes  von  Cheapside"  und  der  Bau  der 
Wasserkunst  das  Auge  fesselten. 

Und  überhaupt  wäre  schwer  zu  ermessen,  welchen  Ein- 
druck nicht  nur  die  nächste  Umgebung,  sondern  die  ganze 
mächtige  Stadt  auf  den  empfänglichen  Sinn  des  jungen  Milton 
machen  musste.  Obwohl .  die  Einwohnerzahl  des  damaligen 
London,  schwerlich  voll  zweimalhunderttausend,  der  von  South- 
wark,  des  kleinsten  der  Boroughs  des  heutigen  London  nicht 
gleich  kam,  so  war  es  doch  immerhin  eine  „königliche,  schöne, 
grosse,  weütbegriftene  und  lange  Stadt"  (^),  der  Mittelpunkt  des 
Welthandels,  das  Stelldichein  für  die  Vertreter  aller  Nationen 
und  Sprachen  Europa's,  ja  darüber  hinaus.  Noch  war  und 
blieb  für  lange  Zeit  London-Bridge  die  einzige  Brücke,  welche 
den  Strom  überspannte.  Auf  zwanzig  Bogen  aus  Quaderstein 
ruhte  der  Bau,  der  als  ein  Wunderwerk  betrachtet  wurde, 
auf  jeder  Seite  stand  eine  Häuser-Reihe,  so  dass  das  Ganze 
mehr  einer  Strasse  ähnlich  sah.  Von  hier  aus  mochte  die  kind- 
liche Neugier  das  Treiben  der  grossen  Wasserstrasse,  die  Be- 
wegung der  ein-  und  ausladenden  Arbeiter  auf  den  Werften, 
das  Bild  der  vor  Anker  liegenden  Schiffe  beobachten.  Und 
wie  diese  Gesanunt-Erscheinung  von  der  thätigen  Gegenwart 
redete,  so  riefen  stattliche  Bauwerke  in  der  Nähe  und  Weite 
die  Eiimierung  an  die  Vergangenheit  zurück  und  dienten  dazu, 
in  dem  Kiialten  jenen  Sinn  für  die  Geschichte  seines  Volkes 
y.u  wecken,  der  dem  Mann  in  allen  Kämpfen  und  Bestrebungen 


Das  alte  London.  25 

Waffen  zur  Abwehr  wie  zum  Angriff  geliehen  hat.  Da  sah  er 
den  Tower,  der  so  enge  mit  den  Geschicken  der  Stadt,  ja  des 
Landes  verknüpft  war,  in  seinen  Räumen  ,,die  schönen  tapezeria. 
umbheng  und  küssen",  in  seiner  Rüstkammer  ,,vül  und  man- 
cherley  altfrenkhische  Sachen,  insonderheüt  ein  grausame  an- 
zahl  pflitschpfeil  sanipt  deren  dozu  gehörigen  bogenn"(^).  Die 
■  Gildhalle  mit  ihrer  schönen  Kapelle  liess  ihn  die  Macht  und 
das  Ansehen  der  städtischen  Verwaltung  ahnen,  von  den  zahl- 
reichen geistlichen  Gebäuden  musste  ihm  die  alte  St.  Pauls- 
Kirclie  mit  ihrem  architektonischen  Gefolge  von  Schule  und 
Kreuz  die  Erinnerung  an  jene  Tage  zurückrufen,  welche  dem 
puritanischen  Sinn  als  Tage  des  Triumphes  gelten  konnten, 
da  die  durchgreifende  Hand  kühner  Reform  mit  den  prunk- 
vollen Stätten  des  alten  Glaubens  in  blinder  Zerstörung  auf- 
geräumt hatte.  In  dem  Mittel -Flügel  der  Kirche,  der  als 
Durchgang  benutzt  wurde,  drängte  sich  wie  in  einer  Börse 
des  Geistes  und  Witzes  zusammen,  was  London  an  Grössen 
unter  den  Schriftstellern,  Höffingen  und  KauÜeuten  besass, 
und  gleich  hinter  der  Kathedrale  zogen  die  ausgelegten  Bücher 
und  Bilder,  deren  Hauptquartier  schon  damals  jene  Gasse 
Paternoster-Row  war,  die  Augen  des  umher  Wandernden  auf 
sich.  Von  hier  aus  hatte  er  einen  weiten  Weg  zu  machen, 
um  in  die  vornehmen  Stadt-Theile  des  Westens  zu  gelangen, 
wo  ihn  das  Bankett- Haus  von  Whitehall,  die  eben  erst  voll- 
endete Schöpfung  Inigo  "Jones',  Park  und  Alleen  an  die  Nähe 
des  Hofes  mahnten,  während  die  grosse  Halle  von  Westminster 
und  St.  Stephen's-Kapelle  als  redende  Zeugen  der  wichtigsten 
parlamentarischen  Vorgänge  in  der  Geschichte  des  Landes 
erschienen.  Andere  Empfindungen  musste  in  dem  jungen 
Puritaner  der  Gedanke  an  die  nahe  Sternkammer  erregen, 
jenen  Raum,  dessen  Decke  mit  goldenen  Sternen  bemalt  war, 
und  der  dem  gefürchteten  Staatsgerichtshof  den  Namen  ge- 
geben hatte.  Vor  allem  aber  wird  er  die  ehrwürdige  West- 
minster-Abtei  und  ihre  Schätze  mit  derselben  Theilnahme  be- 
trachtet haben,  wie  es  wenig  Jahrzehnte  vorher  ein  ehrlicher 
Deutscher,  dessen  Reiseeindrücke  uns  aufbewahrt  sind,  gethan 
hat:   die  „epitaphia  der  Könige",  den  „Stuhl,  geringfügig  und 


26  Das  alte  London. 

schlecht,  auf  welchem  gemelte  König  von  England  gekrönt 
werden"  (^),  und  nicht  zuletzt  das  Grabmal  Chaucer's,  welcher 
noch  damals  trotz  Shakespeare  als  grösster  Dichter  Englands 
gepriesen  wurde,  und  dicht  dabei  das  Monument  Edmund 
Spenser's,  der  das  Zeitalter  beherrschte,  und  dessen  Genius 
gar  bald  auch  über  den  jungen  Beschauer  seine  Macht  aus- 
dehnte. 

Schwerlich  durfte  er  alle  Seiten  des  hauptstädtischen 
Lebens  kennen  lernen,  das  in  diesen  Strassen,  um  diese  Hallen 
und  Bauwerke  pulsirte.  Zwar  schon  der  tägliche  Anblick  des 
gr^ssartigen  Verkehrs  und  der  geschäftigen  Menge  erschloss 
ihm  die  Augen  für  jene  klare  Erkenntnis  der  Vielgestalt 
menschlicher  Antriebe  und  Thätigkeit,  die  dem  Dichter,  dem 
Schriftsteller  unentbehrlich  ist.  Festliche  Anlässe  verliehen 
dem  Bilde  einen  noch  grösseren  Farbenreichthum.  Vor  allem 
die  Feierlichkeiten,  welche  am  Tage  der  Wahl  des  Lord- 
Mayors  stattfanden,  die  Procession  auf  dem  Flusse  bis  West- 
minster,  die  dabei  zur  Schau  tretende  Entfaltung  bunter  Kleider- 
pracht, der  Ritt  durch  die  gedrängte  Menge  zurück  zur 
Guildhall:  Alles  dies  hatte  für  das  Kind  des  siebzehnten  Jahr- 
hunderts nicht  weniger  „ein  gewaltig  und  stattliches  Ansehen", 
wie  für  den  weitherverschlagenen  Reisenden  vom  Ende  des 
sechzehnten,  der  sein  Erstaunen  über  den  Anblick  von  unver- 
gleichlicher Pracht  nicht  verbirgt. 

Dagegen  wäre  zu  bezvveitlen,  ob  die  ernste  und  religiöse 
Zucht,  die  in  dem  Hause  von  Bread-street  herrschte,  dem  Knaben 
gestattet  hat,  an  den  fröhlichen  Maifesten  Theil  zu  nehmen,  das 
grausame  Spiel  des  Bärenzwingers  anzuschauen  oder  die  Komö- 
dien-Häuser, gerade  damals  „sonderlich  lustig  zuzusehn"(2) 
zu  besuchen.  In  späterer  Zeit  war  Milton,  wie  wir  bemerken 
werden,  keineswegs  Puritaner  bis  zu  dem  Grade,  dass  er  sich 
dem  strahlenden  Zauber  der  englischen  Bühne  dieser  Epoche 
hätte  entziehen  mögen.  Alles  in  allem  waren  schon  damals 
in  seiner  Geburtsstadt  die  Elemente,  welche  auf  ein  jugend- 
liches CJemüth  wirken  konnten,  Geistiges  und  Materielles, 
Tugend  und  Laster,  Elend  und  Macht  so  gemischt,  wie  es 
ein  weltkluger  Schriftsteller  einer   etwas   späteren  Zeit   theils 


Thomas  Young.  27 

darlegt,  theils  andeutet,  indem  er  alles  Gesagte  in  die  vier 
Rathschläge  zusammenfasst,  welche  an  diesem  Ort  zu  befolgen 
seien:  Gott  dienen,  fleissig  sein,  sein  Geld  zusammenhalten 
und  sich  vor  schlechter  Gesellschaft  hüten.  (^) 


Es  wird  Zeit  sein  zu  betrachten,  in  welcher  Weise  die 
zweite  dieser  Vorschriften  in  der  Entwicklung  des  jungen 
Milton  ihre  Stelle  fand.  Denn  immerhin  musste  Erziehung, 
Lehre  und  geistige  Schulung  seinem  Charakter  einen  mäch- 
tigeren Eindruck  geben,  als  durch  die  blosse  örtliche  Umge- 
bung, durch  den  Boden,  auf  dem  er  erwuchs,  geschehen  konnte. 

„Von  meinen  Kinderjahren  an ,  so  berichtet  der  Dichter 
selbst,  wurde  ich  Dank  dem  unermüdlichen  Eifer  und  der 
Sorge  meines  Vaters,  dem  Gott  es  lohnen  möge,  durch  be- 
sondere Lehrer  sowohl  zu  Hause  wie  in  der  Schule  in  den 
Sprachen  und  einigen  Wissenschaften  unterrichtet."  (2)  Von 
den  Hauslehrern  kennen  wir  nur  einen,  allerdings  eine  nicht 
unbedeutende  Persönlichkeit,  die  im  Laufe  der  Darstellung 
noch  mehrfach  aufzutreten  hat.  Thomas  Young  war  ein  Schotte 
von  Geburt.  Sein  Vater,  William  Young,  bekleidete  das 
Predigtamt  in  den  vereinigten  Pfarren  Loncardy  und  Red- 
gorton in  Pertshire  und  unterzeichnete  in  dieser  Eigenschaft 
die  Protestation  von  42  Geistlichen  gegen  die  Einführung  des 
Episkopats  in  Schottland  vom  1.  Juli  1606.  Der  Sohn,  ge- 
boren 1587,  ergriff  nicht  nur  den  Beruf  des  Vaters,  sondern 
erbte  auch  von  diesem  die  entschieden  puritanische  Gesinnung. 
Er  erhielt  seine  Bildung  im  Gymnasium  zu  Perth  und  sodann 
in  der  Universität  St.  Andrews,  wo  er  1602  im  St.  Leonard's 
College  immatrikulirt  wurde  und  1606  den  Grad  des  Magister 
Artium  erlangte.  Wo  und  in  welcher  Stellung  er  die  nächsten 
Jahre  zugebracht  hat,  ist  nicht  gewiss  zu  sagen.  Möglicher 
Weise  hat  er  seine  Studien  in  Deutschland  fortgesetzt,  wo 
sein  Name  später  bekannt  wurde,  oder  er  hat  als  Gehülfe  eines 
puritanischen  Predigers  vielleicht  auch  als  Privatlehrer  sein 
Leben  gefristet.  (^) 

Dass  Milton's  Vater  diesem  Manne  die  Ausbildung  seines 


28  Thomas  Youug. 

Kindes  anvertraute,  beweist  wolil  zur  Genüge,  dass  er,  der 
Sohn  des  streng  katholischen  Freisassen  von  Stanton  St. 
John's,  einem  so  oft  beobachteten  psychologischen  Vorgang 
gemäss,  als  er  vom  Täterlichen  Glauben  abfiel ,  nun  auch  das 
äusserste  Extrem,  die  pui'itanischen  Anschauungen,  ergriff. 
Doch  knüpft  sich  gerade  an  die  Verbindung  Young's  mit  John 
Milton  ein  eigenthümlicher  Streit  darüber,  inwieweit  dieser 
ein  äusserliches  Abzeichen  des  strengsten  Puritanismus  eben 
seinem  Lehrer  zu  danken  habe.  Aubrey  berichtet  nämlich 
von  dem  Dichter:  ,,Im  Jahre  1619  war  er  zehn  Jahr  alt,  wie 
auf  seinem  Bilde  .  .  .  Sein  Lehrer  wai-  damals  ein  Puritaner, 
in  Essex,  welcher  sein  Haar  kurz  schnitt. "(i)  Von 
einem  Lehrer  Milton's  ,,in  Essex"  ist  uns  nirgend  sonst  etwas 
überliefert.  Aubrey  allein  hat,  ohne  dass  wir  wüssten  woher, 
diesen  verwirrenden  Zusatz,  von  sonstigen  Quellen  abweichend, 
während  er  ohne  Zweifel  auf  Young  anspielt.  Aber  was  be- 
deuten die  räthselhaften  Worte:  „welcher  sein  Haar  kurz 
schnitt"?  Die  allgemeine  Annahme  gieng. früher  dahin,  hier- 
mit solle  gesagt  werden,  Young,  dei'  Puritaner,  habe  sein 
Haar  nach  der  Sitte  der  „Rundköpfe"  kurz  abgeschnitten  ge- 
tragen. Mit  Recht  haben  Spätere  an  dieser  Erklärung,  welcher 
die  Form  des  Zusatzes  wenig  entspricht  und  mit  der  sich  das 
uns  ei'haltene  Bild  Young's  nicht  vereinigen  lässt  (^),  An- 
stoss  genommen.  Sie  beziehen  vielmehr  die  Worte  auf  den 
jungen  Milton ,  dessen  üppiger  Lockenwuchs  der  unbarm- 
herzigen Scheere  des  puritanischen  Lehrers  zum  Opfer  gefallen 
sein  soll.  Und  in  der  That  können  sie  auf  ein  Bild  des 
zehnjährigen  John  Milton,  das  uns  aufbewahrt  ist,  ebendasselbe, 
von  welchem  Aubrey  spricht,  als  ein  Beweismittel  hindeuten. 
Wii-  verdanken  es  höchst  wahrscheinlich  dem  geschickten 
IMnsel  des  Holländers  Cornelius  Jansen  und  finden  in  der  That- 
sache ,  dass  ein  Maler  von  dieser  Bedeutung  von  dem  Notar 
Milton  jenen  Auftrag  erhielt,  einen  Beweis  dafür,  dass  dieser 
schon  frühe  die  geistige  Bedeutung  des  Sohnes  erkannt  hat. 
Es  ist  ein  liebliches  Kindergesicht,  das  uns  mit  ernsten  Augen 
unter  oinei-  gewölbten  Stirn  her  anschaut.  Mund  und  Augen- 
brauen sind  von  edler  Bildung,  und  das  ganze  Köpfchen,  wie 


Thomas  Young.  29 

es  in  der  abstehenden  Halskrause  von  Spitzen  und  dem  eng- 
anliegenden Sehnürwamms  feststeckt,  hat  einen  eigenthüm- 
lichen  Reiz  durch  den  Gegensatz  von  Kindlichkeit  und  Ernst, 
die  sich  in  ihm  mischen.  (*)  Das  Haar  erscheint  allerdings 
kurz  geschnitten.  Dennoch  wird  man  sich  durch  jene  Erklä- 
rung schwer  befriedigt  fühlen,  welche  den  Thomas  Young  sein 
Lehramt  in  einer  so  eigenthümlichen  Weise  antreten  und 
einen  so  gewaltsamen  Eingriff  in  ein  Gebiet  machen  lässt, 
das  ohne  Zweifel  der  Mutter  Milton's  eignete.  Man  weiss, 
dass  der  Ausdruck  „Rundkopf",  ein  Spott  -  Wort  der  Höflinge, 
sehr  mit  Unrecht  ohne  Unterschied  auf  alle  Gegner  ihrer 
Sache  angewandt,  einer  späteren  Zeit  angehört,  Milton  selbst 
erscheint  als  junger  INlann ,  nach  der  Ueberlieferung  von  Bild 
und  Wort,  mit  einem  Reichthum  hellbrauner  Locken  ge- 
schmückt, dessen  sich  keiner  der  van  Dyck'schen  Kavalier- 
Köpfe  zu  schämen  haben  würde.  Sollte  daher  nicht  die  An- 
nahme erlaubt  sein,  dass  Aiibrey,  der  das  Bild  des  Zehnjäh- 
rigen kannte,  dort  die  bekannte,  verspottete  Haartracht  sah 
und  um  die  puritanischen  Grundsätze  von  Milton's  Lehrer 
wusste,  in  dem  Bestreben  eines  falschen  Pragmatismus  jenen 
erläuternden  Zusatz  anbrachte,  von  dessen  Richtigkeit  er 
überzeugt  sein  mochte?  Wie  dem  auch  sei,  im  Jahre  1619, 
vielleicht  schon  früher,  hatte  Young  die  Aufgabe  übernommen, 
John  Milton  zu  unterrichten.  Diesem  wurde  der  Lehrer, 
dessen  feiner,  etwas  ironischer  Gesichtsausdruck  im  Bilde  auch 
für  uns  etwas  Ansprechendes  hat,  sehr  bald  zum  Freunde, 
und  die  Verbindung  zwischen  beiden  dauerte  fort,  auch  nach- 
dem Young  um  den  Anfang  1622  England  verliess,  um  der  Nach- 
folger William  Lee's  im  Amte  eines  Predigers  der  englischen 
Kaufleute  zu  Hamburg  zu  werden.  (2) 

Von  den  Privatbriefen  Milton's  sind  zwei  an  seinen  alten 
Lehrer  gerichtet,  ausserdem  widmete  er  ihm  die  vierte  seiner 
Elegieen  und  in  späteren  Jahren  trat  er  Young  auf  einem 
gemeinsamen  Kampfplatz  noch  näher.  Durch  den  etwas 
schwiilstigen  und  gezierten  Stil  der  Briefe  bricht  doch  un- 
verkennbar das  Gefühl  inniger  Dankbarkeit  durch,  das  Milton 
mit  dem  Entfernten  verknüpfte:    „Ich  rufe  Gott  zum  Zeua-en 


30  Verhältnis  zu  Young.  —  Die  Pauls -Schule, 

an ,  dass  ich  dich  wie  einen  Vater  liebe.  In  der  Sehnsucht 
nach  dir  glaube  ich  dich  immer  anwesend ,  meine ,  mit  dir 
zu  reden,  dich  zu  erblicken  .  .  .  und  schmeichle  auf  diese 
Weise  meinen  Kummer  durch  den  leeren  Wahn  deiner  Gegen- 
wart hinweg."  (F.p.  fam.  1.)  Zugleich  dankt  er  dem  Lehrer 
für  das  werthvolle  Geschenk  einer  hebräischen  Bibel,  die 
ihren  Weg  aus  dem  hamburger  Predigei-- Hause  in  das  Stu- 
dirzimmer  des  jungen  londoner  Puritaners  gefunden  hatte. 
Koch  deutlicher  zeigt  die  erwähnte  Elegie  (^),  so  vielfach  sie  sich 
auch  in  ovidischer  Phraseologie,  in  schulmässiger  Nachahmung 
bewegt,  wie  schön  das  Verhältnis  zwischen  Schüler  und 
Lehrer,  und  wie  klar  sich  jener  des  anregenden  Einflusses 
bewusst  war,  den  dieser  auf  seine  geistige  Entwicklung  aus- 
geübt hatte: 

Dir  dem  Führenden  nach  betrat  ich,  ein  Neuling,  der  Musen 
Stätten  und  des  Parnass'  alten  geheiligten  Hain, 
Schlürfte  pierische  Becher  und  netzte  von  Clio  begnadet 
Drei  Mal  den  seligen  Mund  mit  dem  kastalischen  Nass. 

Er  beklagt  den  Freund,  der,  aus  der  Heimat  verbannt, 
mit  seinem  Weibe  und  seinen  Kindern  auf  fremder  Erde, 
von  den  Schrecken  des  deutschen  Krieges  umtobt ,  sich  küm- 
merlich ernähren  müsse ,  und  was  auch  in  diesen  Worten 
künstlich  hervorgerufene  Uebertreibung  sein  mag,  so  scheinen 
sie  doch  darauf  hinzuweisen,  dass  Young  wegen  seiner  reli- 
giösen Ansichten ,  die  ihn  mit  dem  herrschenden  System  in 
Konflikt  brachten,  genöthigt  gewesen  war,  für  einige  Jahre 
sein  Vaterland  zu  verlassen. 

Mit  den  Erziehern  der  Jugend  auch  im  späteren  Leben 
durch  Freundschaft  verbunden  sein,  gewährt  edlen  Geistern 
eine  glückliche  Befriedigung,  indem  sie  zwei  Epochen  gleich- 
sam zu  einer  verschmolzen  sehen.  Milton  ward  dieses  Glück 
zu  Tlieil  und  nicht  nur  mit  Bezielmng  auf  Thomas  Young. 
Ausser  diesem  waren  es  vorzüglich  die  Lehrer  der  St.  Pauls- 
Schule,  denen  er  die  jugendliche  Bildung  zu  danken  hatte. 
Unter  den  zahlieichen  Unterrichts- Anstalten  des  damaligen 
London  nahm  die  Schule  zu  St.  Paul  eine  hervorragende 
Stelle  e'm.C')    Im  Jahre  1512   von  Jolm  Colet,  dem  humani- 


Der  ältere  Gill.  31 

stischen  Freunde  und  Gesinnungsverwandten  des  Erasmus, 
dem  Dechanten  von  St.  Paul,  förmlich  begründet  und  mit 
reichen  Mitteln  ausgestattet,  sollte  sie  ursprünglich  dem  freien 
Unterricht  von  153  Kindern  dienen.  Colet  übertrug  kurz  vor 
seinem  Tode  die  Sorge  für  die  neubegründete  Anstalt  der 
Krämer  -  Zunft ,  und  wenn  im  Laufe  der  Zeit  auch  in  den 
Unterrichts- Gegenständen  gewisse  Veränderungen  eintraten, 
auch  die  Zahl  der  Schüler  wohl  nicht  durch  die  erste  "Be- 
stimmung des  Gründers  beschränkt  geblieben  sein  mag,  so 
behielt  die  Anstalt  im  ganzen  und  grossen  doch  jenen  Cha- 
rakter, den  dieser  ihr  hatte  verleihen  wollen,  und  bei  der 
Schulung  der  jungen  Geister  wirkte  der  Genius  William  Lily's, 
des  berühmten  Grammatikers,  durch  ein  Jahrhundert  nach. 
Ihm  war  die  ehrenvolle  Aufgabe  geworden,  der  erste  Leiter 
der  Schule  zu  sein.  Sieben  gelehrte  Männer  waren  ihm  auf 
diesem  Posten  gefolgt,  bis  die  Führung  des  Vorsteher- Amtes 
im  Jahre  1608,  dem  Geburtsjahre  Milton's,  dem  Alexander 
Gill  zufiel. 

Leider  sind  GilFs  schriftstellerische  Arbeiten  zu  schwer 
zur  Einsicht  zu  erhalten ,  als  dass  sich  ein  erschöpfendes  Ur- 
theil  über  seine  Fähigkeiten  wagen  Hesse.  Doch  gieng  die 
Meinung  der  Nachwelt  dahin,  dass  er  ..als  ein  gelehrter  Mann, 
hervorragender  Latinist,  Kritiker  und  Theologe  zu  schätzen 
sei,  und  dabei  eine  so  ausgezeichnete  Methode  des  Unter- 
richts gehabt  habe,  dass  ihn  niemand  zu  seiner  Zeit  übertraf. 
Daher  sahen  es  auch  viele  bekannte  Persönlichkeiten  in  Staat 
und  Kirche  als  grösstes  Glück  an,  von  ihm  erzogen  worden 
zu  sein".(^)  Bei  vielen  mochte  sich  denn  doch  in  das  Ge- 
denken an  dies  Glück  eine  minder  fröhliche  Erinnerung 
mischen.  Ein  so  vortrefflicher  Schulmann  Alexander  Gill  auch 
gewesen  sein  mag,  so  scheint  er  doch  in  der  Strenge  der 
Zucht  des  Guten  etwas  zu  viel  gethan  zu  haben,  und  man 
erinnerte  sich  noch  in  späterer  Zeit  mit  leisem  Schauder  sei- 
ner „Peitschanfälle".  Ich  finde  sogar,  dass  diese  pädagogi- 
schen Wuthausbrüche  in  einem  der  gequälten  Schüler  das 
poetische  Talent  weckten,  dessen  Frucht,  eine  höchst  cynisch- 
derbe  Ballade,  dem  Verfasser  mehr  Ruhm  eingebracht  haben 


32  Alexander  Gill,  der  Sohn. 

soll,  als  alle  Predigten,  die  er  in  späteren  Jahren  der  Welt 
schenkte  (^). 

Neben  dem  älteren  Gill  wirkte  sein  Sohn,  gleichfalls 
Alexander  mit  Vornamen,  als  Unterlehrer.  Er  war  um  1597  ge- 
boren, also  nur  etwa  eilf  Jahre  älter  als  Milton,  hatte  seine  Bil- 
dung im  Trinity  College  zu  Oxford  gewonnen  und  schon  in 
jungen  Jahren  einen  gewissen  Ruf  erlangt.  Er  galt  nämlich 
für  ■  einen  der  besten  lateinischen  Dichter  seiner  Zeit  und 
zeigte  sein  Talent  bei  den  verschiedensten  Anlässen,  welche 
das  öffentliche  Leben  bot.  Auch  in  griechischen  Versen  hat 
er  sich  versucht,  dagegen  giebt  das  w^enige,  was  von  seiner 
englischen  Poesie  erhalten  ist,  nicht  eben  einen  sehr  vortheil- 
haften  Begriff'  von  seiner  Begabung.  Eine  im  londoner  Staats- 
Archiv  aufgefundene  Elegie,  „gewidmet  dem  ewigen  Gedächt- 
nis der  schönsten  und  tugendhaftesten  Lady,  Mistress  Pene- 
lope  Noel,  Tochter  des  Lord  Viscount  Campden",  strotzt  von 
unnatürlichen  Uebertreibungen  und  geschmacklosen  Concetti, 
das  erhaltene  Fragment  eines  anderen  englischen  Gedichtes 
brachte  ihn,  wie  man  sehen  wird,  in  grosse  Ungelegenheiten, 
ja  in  wirkliche  Gefahr,  wie  ihn  überhaupt  ein  allzu  beweg- 
liches Temperament  zu  einem  soliden  Halt  des  Lebens  nicht 
kommen  liess.  Doch  mag  er  eben  durch  sein  lebhaftes  Na- 
turell doppelt  anregend  auf  die  Jugend  gewirkt  haben  (2). 

Diese  beiden  Männer,  Vater  und  Sohn  Gill,  leiteten  die 
Schule  von  St.  Paul,  zu  der  Zeit,  da  der  junge  Milton  in  sie 
eintrat.  Dass  sie  dem  väterlichen  Hause  in  Bread-street  so 
nahe  lag,  mochte  die  Wahl  besonders  empfehlen. 

Milton's  Eintritt  in  die  Schule  muss  einige  Zeit  vor  dem 
Jahre  1622,  also  zu  einer  Zeit,  da  auch  Thomas  Young  noch 
in  England  verweilte,  geschehen  sein.  Denn  im  Anfang  dieses 
Jahres  schied  Karl  Diodati ,  um  die  Universität  Oxford  zu 
besuchen,  aus  der  St.  Pauls- Schule  aus,  und  gerade  diesen 
hatte  sich  John  Milton,  so  viel  man  weiss,  bei  dem  Besuche 
dergleichen  Schul -Anstalt  zum  Freunde  gewonnen.  In  Karl 
Diodati  haben  wir  den  Herzens- Vertrauten  des  Dichters  zu 
sehen,  welcher  nach  allem,  was  wir  von  dem  Verhältnis 
wissen,    einen   Freund    von    gleicher   Geistes- Verwandtschaft 


Karl  Diodati  und  seine  Familie.  33 

und  Treue  in  seinem  übrigen  Leben  nicht  wiedergefunden  hat 
und  auch  diesen  nur  allzu  frühe  verlor.  Die  Familie  Diodati 
hatte  wegen  ihrer  protestantischen  Glaubens- Ansichten  ihre 
Heimat  Lucca  verlassen  müssen  und  sich  in  Genf  angesiedelt. 
Dort  fand  Giovanni  Diodati  (geb.  3.  Juni  1576),  als  theologi- 
scher Schriftsteller,  Lehrer  und  Prediger  ausgezeichnet,  eine 
rühmliche  Stellung.  Sein  Bruder  Theodor,  1574  geboren,  hatte 
Medicin  studirt  und  1615  in  Leyden  den  Doctor-Grad  erwor- 
ben. Er  kam  in  jungen  Jahren  nach  England,  heirathete 
eine  Engländerin  von  gutem  Stand  und  Vermögen  und  ge- 
wann sehr  leicht  durch  eine  uns  bezeugte  galante  Jovialität 
und  höchst  glückliche  Kuren,  die  er  durch  Anwendung  starker 
Aderlässe  ausgeführt  haben  soll,  eine  ausgedehnte  und  vor- 
nehme Praxis.  Unter  seinen  Patienten  werden  nicht  Geringere 
genannt,  als  der  Prinz  Heinrich  und  seine  Schwester  Elisa- 
beth, die  nachmalige  unglückliche  Königin  Böhmens.  In  dem- 
selben Jahre,  wie  dem  Notar  in  Breadstreet,  wurde  dem  be- 
schäftigten Arzt,  der  damals  in  Brentford  wohnte,  ein  Sohn 
geboren,  welchen  gleiches  Alter,  muntere  Laune  und  eine 
frühzeitige  Entwicklung  gar  bald  in  der  Pauls -Schule  mit 
Milton  zusammenführte  (^). 

Wir  können  uns  einigermassen  vorstellen,  welchen  Bil- 
dungsgang die  beiden  Freunde  in  der  Anstalt  durchzumachen 
hatten,  und  wie  diese  selbst  sich  ihnen  darstellte.  Ihr  Grün- 
der hatte  eine  besondere  Vorliebe  für  „Aufschriften  und  Mot- 
tos" gehabt,  und  so  musste  den  Knaben  bei  jedem  Schritt, 
fast  an  jedem  Fleck  des  Gebäudes,  im  Vestibül,  über  den 
Thüren,  über  der  Büste  Colet's  selbst  ein  Denkspruch  ent- 
gegentreten, der  ihre  Aufmerksamkeit  fesselte.  Am  bedeut- 
samsten klangen  die  Worte,  welche  jedes  Fenster  der  Innen- 
seite trug :  „Lehre,  lerne  oder  geh"  (Aut  doce ,  aut  disce,  aut 
discede).  Diesem  ernsten  Motto  gemäss  sollten  die  Schüler 
in  einer  Reihenfolge  von  acht  aufeinander  folgenden  Klassen 
der  Art  gebildet  werden,  dass  sie  „als  vollendete  Grammati- 
ker, gute  Redner  und  Poeten,  im  Lateinischen,  Griechischen 
und  Hebräischen  und  mitunter  in  anderen  orientalischen 
Sprachen,  (deren  Unterricht  also  wohl  nicht  obligatorisch  war), 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  1.  Q 


34  üuteiTiclit  in  der  Pauls -Schule. 

gut  beschlagen,  zum  Abgang  auf  die  Universität  reif  seien". 
Wie  das  Hebräische  in  dem  ursprünglichen  Schulplane  Colet's 
fehlte,  so  hatte  dieser  dem  Wechsel  der  Zeit  zufolge  sich 
noch  einige  weitere  Aenderungen  gefallen  lassen  müssen.  Es 
braucht  kaum  versichert  zu  werden,  dass  der  junge  Milton 
von  einem  Schul -Kaplan  nichts  mehr  sah,  welcher  nach  des 
Stifters  Absicht  in  der  Kapelle  der  Schule  täglich  Messe 
lesen  und  für  die  Kinder  beten  sollte,  dass  er  gleichfalls 
Colet's  papistischen  Katechismus  in  seiner  ursprünglichen  Ge- 
stalt nicht  mehr  in  die  Hand  bekam,  aber  schwerlich  Hess 
man  ihn  auch  noch  Schriftsteller,  wie  Lactantius,  Prudentius, 
Sedulius,  Juvencus,  Baptista  Mantuanus  lesen,  welche  dem 
englischen  Humanisten  vom  Beginn  des  sechzehnten  Jahrhun- 
derts als  würdigste  Vertreter  der  „wahren  lateinischen  Sprache" 
galten.  .Statt  ihrer  durfte  er,  gemäss  dem  Fortschritt,  welchen 
die  philologische  Wissenschaft  inzwischen  gemacht  hatte,  viel- 
mehr den  Zauber  der  römischen  Klassiker  in  Poesie  und 
Prosa  kennen  lernen  und  vor  allem  den  unvergänglichen 
Schätzen  des  griechischen  Geistes  näher  treten.  Zu  Colet's 
Zei-ten  waren  sie  noch  so  wenig  Gemeingut,  dass  dieser  für 
die  Auswahl  des  Direktors  die  bescheidenen  Bedingungen  auf- 
stellte, es  solle  sein  ein  „Mann  gesund  an  Körper,  brav, 
tugendhaft,  gelehrt  in  der  guten  und  reinen  lateinischen  Li- 
teratur und  auch  im  Griechischen,  wenn  ein  solcher  ge- 
funden werden  kann"('). 

Eines  aber  hatte  sich  von  der  Zeit  der  Gründung  her 
in  dem  Schulplan  erhalten:  William  Lily's  Grammatik  der 
lateinischen  Sprache.  Als  Lehrbuch  der  englischen  Sprache 
hat,  wie  man  vermuthen  möchte,  das  interessante  Werkchen, 
Logonomia  Anglica,  gedient,  welches  Alexander  Gill  der  Vater, 
der  Leiter  der  Anstalt  selbst,  verfasst  hatte.  Dies  Buch  musste 
in  der  That  auf  die  Kenntnis  Milton's  von  der  Muttersprache, 
ja  auf  die  Bildung  seines  Geschmacks  von  einigem  Einfluss 
sein.  In  der  Widmung  an  den  König  Jakob,  wie  in  der  Vor- 
rede an  den  Leser  trat  ihm  der  Geist  eines  Philologen  ent- 
gegen, welcher  von  der  hervorragenden  Bedeutung  der  Sprache 
so  überzeugt  ist,  dass  er  in  ihr  einen  höheren  Kuhm  erblickt 


Unterricht  in  der  Pauls -Schule.  35 

als  in  kriegerischer  Tapferkeit ,  wissenschaftlicher  Bildung. 
Glanz  des  Genies,  Feinheit  der  Sitten  oder  irgend  welcher 
materiellen  Grösse;  daneben  aber  der  Geist  eines  Puristen, 
welcher  besonders  dem  Angelsächsischen  zu  Liebe  das  eng- 
lische Alphabet  zu  erweitern  wünscht,  die  reine  englische 
Sprache  für  die  feinste,  reichste,  seelenvollste  und  beredteste 
von  allen  Sprachen  der  Welt  erklärt,  das  Eindringen  des 
fremden,  romanischen  Elements,  das  er  Chaucer's  Einfluss  zu- 
schreibt, auf's  heftigste  verdammt  und  zuletzt  in  die  Worte 
ausbricht:  „Oh,  ihr  Engländer,  euch  rufe  ich  an,  in  deren 
Adern  das  Blut  der  Väter  rollt,  haltet  fest,  haltet  fest,  was 
von  den  Resten  eurer  eingebornen  Sprache  noch  übrig  ge- 
blieben, und  wo.  noch  die  Spuren  eurer  Vorfahren  zu  sehen 
sind,  fasst  in  ihnen  festen  Fuss".  Die  vier  Theile  des  Werkes 
selbst,  Grammatik,  Etymologie,  Syntax,  Prosodie,  boten  dem 
jungen  Schüler  viel  Lehrreiches  und  Anregendes.  Er  erhielt 
einen  systematischen  Ueberblick  über  den  Bau  und  die  Ge- 
setze seiner  Muttersprache,  wurde  mit  den  Haupt -Grundsätzen 
der  Rhetorik  und  Metrik (^)  vertraut,  und  fand  das  ganze 
Gerüst  trockner  Regeln  durch  eine  lebhafte  Ausdrucksweise 
und  eine  Fülle  gutgewählter  Beispiele  aus  Ben  Jonson,  Stani- 
hurst's  Aeneis  -  Uebersetzung ,  Philip  Sidney,  Spenser's  Shep- 
heard's  Calender  und,  von  anderen  zu  schweigen,  vorzüglich 
aus  der  Feen -Königin  höchst  anmuthig  verkleidet.  Gill'S 
Buch  wird  heute  wohl  nur  von  wenigen  beachtet  sein,  aber 
man  kann  doch  nicht  umhin,  die  vergilbten  Blätter  mit  einer 
gewissen  Ehrfurcht  zu  betrachten,  aus  denen  ein  grosser 
Dichter  vermuthlich  die  erste  Kenntnis  von  dem  Handwerks- 
zeug und  den  Handgritfen  seiner  Kunst  entnommen  hat. 

Sucht  man  zusammenzufassen,  welche  Wissenszweige  der 
junge  John  Milton  in  dem  Unterricht  von  Privatlehrern  und 
während  seiner  Schulzeit  sich  zu  eigen  machte,  so  wird  man 
in  der  Annahme  nicht  fehlgehen,  dass  er  des  Lateinischen, 
Griechischen,  Hebräischen  mächtig,  in  Rhetorik,  Poetik  und 
Kenntnis  der  Muttersprache  völlig  ausgebildet,  sowie  mit  der 
beliebten  Kunst.  Verse  nach  antikem  Muster  zu  schmieden, 
vertraut  geworden  war.    Wir  dürfen  vermuthen,  dass  ihm  die 

3* 


36  Häuslicher  Fleiss  und  Lektüre. 

Anfangsgründe  der  Mathematik,  allgemeine  historische,  jeden- 
falls -  religionsgeschiehtliche  Kenntnisse  nicht  fremd  blieben. 
Dass  er  schon  damals  das  Studium  der  französischen  und  ita- 
lienischen Sprache  begonnen,  erscheint  kaum  glaublich  (0- 
Aber  auch  so  wird  man  die  Masse  des  Bildungsstoffes,  welche 
bis  zum  siebzehnten  Jahre  aufgenommen  und  verarbeitet  wurde, 
gross  genug  finden, 

Dass  dies  möglich  war,  dass  Milton  schon  in  der  Jugend 
den  Grund  zu  jener  umfassenden  Gelehrsamkeit  legte ,  die 
das  Staunen  seiner  Zeitgenossen  wurde,  erklärt  sich  neben 
ausserordentlichen  Anlagen  aus  einem  ausserordentlichen 
Fleisse,  der  freilich  theuer  genug  erkauft  werden  musste. 
„Mein  Vater  bestimmte  mich,  als  ich  noch  Kind  war,  für  das 
Studium  der  Wissenschaften,  und  diese  ergriff  ich  mit  solchem 
Eifer,  dass  ich  vom  zwöften  Lebensjahre  an  kaum  je  vor  Mit- 
ternacht von  der  Arbeit  aufstand,  um  schlafen  zu  gehen,  und 
das  war  die  erste  Ursache  des  Verderbens  meiner  Augen,  zu 
deren  natürlicher  Schwäche  häufige  Kopfschmerzen  hinzu- 
kamen. Da  dieses  alles  meinen  Eifer  im  Lernen  nicht  auf- 
hielt, Hess  er  mich  in  der  Schule  und  zu  Hause  von  anderen 
Lehrern  täglich  unterrichten,  und  sandte  mich,  nachdem  ich 
mehrere  Sprachen  erlernt  und  nicht  geringe  Neigung  für  die 
Sttssigkeit  der  Wissenschaft  (philosophiae)  gefasst  hatte,  nach 
Cambridge,  die  eine  unserer  Landes -Universitäten"  (-),  Dieses 
einfach  bestimmte  Urtheil,  welches  Milton  selbst,  durch  schmä- 
hende Angriffe  herausgefordert,  im  Jahre  1654  über  jene 
Periode  der  Jugend  fällte,  wird  in  der  That  von  allen  son- 
stigen Gewährsmännern  durchaus  bestätigt.  Wir  hören,  dass 
der  frühreife  Jüngling  bis  in  die  tiefe  Nacht  hinein  mit  den 
Aufgaben  für  die  Schule  wie  mit  eignen  Arbeiten  beschäftigt 
war,  sodass  sein  Vater  das  Hausmädchen  zu  seiner  Bedienung 
wachen  liess,  und  dass  diese  Gewohnheit,  der  er  auch  später 
noch  nicht  entsagen  konnte,  die  Gefahr  seiner  Erblindung 
heraufljeschwor. 

Und  bei  alledem  ist  eines  der  wesentlichsten  Bildungs- 
elemente, welches  ohne  Zweifel  in  diesen  nächtlichen  Studien 
vertreten  war,  nocli  nicht  ein  Mal  gedacht  worden,  der  natio- 


Häuslicher  Fleiss  und  Lektüre.  37 

nalen  Literatur.  Schon  das  eben  besprochene  Werk  des  Lehrers, 
Alexander  Gill's,  musste  den  Schüler  auf  die  glänzende  Reihe 
von  Meistern  gebundener  und  ungebundener  Rede  hinweisen, 
deren  sich  das  damalige  England  mit  gerechtem  Stolze  rüh- 
men durfte.  Der  Purist  war  nicht  so  einseitig,  dass  er  Chau- 
cer,  dem  Dichter,  seine  Bewunderung  hätte  versagen,  und  der 
Rigorist  nicht  so  streng,  dass  er  Ben  Jonson,  den  Künstler, 
nicht  hätte  gelten  lassen  wollen.  Von  den  literarischen 
Grössen  Englands ,  deren  Reihe  durch  diese  beiden  Namen 
begrenzt  wurde,  mochten  wie  in  jedem  londoner  Bürgerhause 
so  auch  in  dem  Hause  des  gebildeten  Notars  zum  „Spread- 
Eagle"  nicht  wenige  durch  einen  stattlichen  Folio-  oder  Quart- 
Band  vertreten  sein.  Historische  und  juristische  Werke,  wie 
sie  damals  im  höchsten  Ansehn  standen,  eines  Stow,  Camden, 
Seiden  lagen  dem  Gesichtskreis  dessen  am  nächsten,  der  selbst 
ein  halber  Jurist  und  Gelehrter  war,  theologische  Schriften, 
aus  dem  Zeitalter  der  Reformation  und  der  späteren  inneren 
Kämpfe  der  englischen  Kirche,  eines  Latimer  und  Parker, 
Cartwright  und  Hooker  konnten  der  Aufmerksamkeit  des  Be- 
kenners  strengreligiöser  Grundsätze  nicht  leicht  entgehn.  Aber, 
so  viel  wir  von  seinem  Naturell  wissen ,  verschloss  er  sein 
Haus  auch  schwerlich  vor  jener  bunten  Schaar  dichterischer 
Geister  aus  dem  Zeitalter  Elisabeth's,  mochten  sie  im  Drama 
oder  in  der  Lyrik  ausgezeichnet  sein,  unter  denen  denn  doch 
wieder  Edmund  Spenser  als  Liebling  der  Zeit  hervorragte. 
Dessen  Werke  pflegten  damals  wohl  in  noch  anderen  „Be- 
suchszimmern beständig  zu  liegen",  als  allein  in  jenem  der 
Mutter  Abraham  Cowley's,  welcher  aus  dieser  Quelle  zuerst, 
wie  er  uns  so  köstlich  erzählt,  mit  Entzücken  vom  goldenen 
Nass  der  Poesie  schöpfte(^).  Auch  John  Milton  mochte  es 
begegnen;  dass  ihm  zufällig  das  Zauber -Buch  in  die  Hand 
fiel ,  und  dass  er  „unendlich  entzückt  wurde  von  all'  den  Ge-  - 
schichten  von  Rittern,  Riesen,  Ungeheuern  und  tapferen  Ge- 
schlechtern, die  er  überall  dort  fand  .  .  und  von  dem  Ge- 
klingel der  Reime  und  dem  Tanze  der  Rhythmen". 

Ein  poetisches  Werk  verdient  indess  noch  besonders  her- 
vorgehoben zu  werden,  dessen  Einwirkung  auf  Milton's  Geist 


38  Du  Bartas.     Sylvestei*. 

sich  aufs  bestimmteste  nachweisen  lässt.  Es  ist  Josua  Syl- 
vester's  gekingene  Uebersetzung  des  Du  Bartas.  Guillaume 
de  Saluste,  Seigneur  du  Bartas,  „der  Patriarch  der  prote- 
stantischen Poesie",  erscheint  in  der  zweiten  Hälfte  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  als  würdigster  literarischer  Vorkämpfer 
der  Hugenotten,  für  deren  Sache  er  unter  Heinrich  IV.  nicht 
nur  die  Feder,  sondern  auch  das  Schwert  zu  führen  wusste. 
Seine  religiöse  Anschauung  bricht  in  allem  durch,  was  er  ge- 
schrieben hat,  am  nachhaltigsten  in  seinem  Hauptwerke,  wel- 
ches er  sterbend  unvollendet  hinterliess:  den  „göttlichen 
Wochen  und  Werken".  Hier  war  der  kühne  Versuch  gemacht, 
durch  eine  poetische  Behandlung  so  ziemlich  des  gesammten 
Inblischen  Stoftes  ein  grossartiges  Lehrgedicht  zu  schaffen, 
welches  an  der  Hand  religiöser  Ueberlieferungen  Geschichte 
und  Natur,  Menschliches  und  Göttliches  in  einem  Rahmen  zu- 
sammenfassen sollte.  „Die  Schöpfung  der  Welt"  bildet  den 
ersten  Theil  des  Buches,  „die  erste  Woche",  und  die  Unter- 
abtheilungen, die  einzelnen  Gesänge  dieses  Theiles,  schliessen 
sich  naturgemäss  den  sieben  Schöpfungstagen  an,  welche  unter 
dem  beständigen  Einfluss  der  biblischen  Urkunden  zu  ge- 
nauester Schilderung  alles  Unorganischen  und  Organischen, 
vom  Chaos  bis  zum  Menschen ,  veranlassen.  Von  den  sieben 
Abschnitten  (Tagen)  des  zweiten  Theiles  (Woche)  sind  nur 
die  vier  ersten  vollendet,  welche  sich  mit  Adam,  d.  h.  dem 
Besitz  und  Verlust  des  Pai-adieses,  Noah,  Abraham  und  David 
beschäftigen,  die  Fortsetzung  sollte  in  den  drei  „Tagen"  Ze- 
dekias,  Messias  und  der  ewige  Sabbath  abgehandelt  werden. 
Bei  aller  Steifheit  der  Disposition  und  einer  häufigen  Ab- 
wechselung schwülstiger  Bilder  und  lehrhafter  Aufzählung 
verläugnet  sich  doch  in  schwungvoller,  begeisterter  Rede  das 
Talent  und  mehr  noch  die  Gesinnung  des  Verfassers  keines- 
wegs ,  und  dem  war  es  zu  danken ,  dass  das  Buch  eine  un- 
gemeine Verbreitung  fand,  in  viele  fremde  Sprachen  übersetzt 
wurde  und  in  sechs  Jahren  dreissig  Auflagen  erlebte. 

In  England  hatte  das  Werk,  welches  so  recht  den  puri- 
tanischen Anschauungen  kongenial  war,  in  der  Gestalt  einer 
vortretflichcii    Uebersetzung    einen    weiten    und    begeisterten 


Paraphrase  der  Psalmen  114,  136.  39 

Leserkreis  gewonnen.  Der  „silberzüngige"  Josua  Sylvester (^) 
hatte  sich  dieser  Aufgabe  unterzogen,  ein  Mann,  äusserst  ge- 
wandt in  fremden  Sprachen,  Calvinist  von  Gesinnung,  von  Eli- 
sabeth, Jakob  und  vor  allem  vom  Prinzen  Heinrich  wegen 
der  Lauterkeit  seines  Charakters  und  der  Feinheit  seiner 
eignen  Dichtungen  hochgeehrt.  Doch  konnten  ihm  diese  nicht 
die  allgemeine  Bewunderung  in  dem  Grade  zuwenden,  wie 
seine  Uebertragung  des  französischen  Sängers.  Dieser  genoss 
in  der  That,  in  englischem  Gewände  fast  als  ein  nationaler 
Dichter  gefeiert,  eine  seltene  Volksthümlichkeit ,  und  um  die 
Wette  drängten  sich  die  Auflagen  und  die  Verse  zu  seinem 
Preise. 

Unter  solchen  Umständen  konnte  es  nicht  fehlen ,  dass 
auch  John  Milton  die  Bekanntschaft  des  Sylvester-Du-Bar- 
tas  machte,  selbst  wenn  Humphrey  Lownes  nicht  der  Verleger 
des  Werkes  gewesen  wäre,  jener  Buchhändler  und  Drucker 
welcher  Milton's  väterhchem  Hause  so  nahe  wohnte,  vielleicht 
befreundet  war(^).  Wir  mögen  wohl  denken,  dass  der  fromm- 
empfindsame Knabe  die  hochtönenden  Verse  des  hugenottischen 
Sängers  mit  demselben  Entzücken  in  sich  sog,  wie  der  junge 
Goethe  die  leidenschaftlichen  Hexameter  des  verehrten  Dich- 
ters der  Messiade ,  ja  für  jenen  Fall  haben  wir  den  deutlich- 
sten Beweis  in  den  eignen  ersten  Versuchen  des  jugendlichen 
Genius. 

Denn  schon  hatte  sich  in  Milton  selbst  der  Trieb  poeti- 
schen Schaffens  geregt.  Nach  Aubrey's  Zeugnis  war  er  mit 
zehn  Jahren  ein  Dichter.  Für  diese  Behauptung,  wenn  sie 
begründet  ist,  lässt  sich  der  Beweis  nicht  erbringen,  wohl 
aber  sind  uns  Verse  des  Fünfzehnjährigen  erhalten.  Es  ist 
die  englische  Paraphrase  der  Psalmen  114  und  136.  Mit 
dieser  bescheidenen  Thätigkeit  seine  dichterische  Laufbahn 
zu  eröffnen,  lag  dem  Knaben  besonders  nahe,  da  er  damit  sich 
in  einer  so  beliebten  Modeform  der  Zeit  bewegte  und  durch 
die  väterlichen  Kompositionen  von  kleinauf  genug  Beispiele 
der  Art  kennen  gelernt  hatte  (3).  Viel  ist  über  diese  beiden 
Versuche  geschrieben  worden,  mehr  als  sie  verdienen,  denn 
bei  aller  Klarheit  des   Ausdrucks   und  bei  allem  Wohlklang 


40  Elegie  au  Young. 

der  Reime  lässt  sich,  ja  Hesse  sich  bei  dieser  Aufgabe  schwer- 
lich ein  Talent  von  ungeahnter  Grösse  erkennen.  Die  Verse 
würden,  wie  sich  Johnson  ausdrückt,  in  einer  grossen  Schule 
wohl  ein  Lob  erhalten,  aber  nicht  Staunen  erweckt  haben  (^). 
Zu  einem  Ergebnis  hat  aber  die  Untersuchung  beider  Ge- 
dichte geführt,  eine  Untersuchung,  wie  sie  aufmerksamer 
kaum  ein  Naturforscher  bei  der  Prüfung  eines  mikroskopischen 
Präparats  anstellen  kann,  zu  dem  Erweise,  dass  die  Belesen- 
heit des  jugendlichen  Dichters  eine  sehr  umfassende  gewesen 
sein  muss.  Und  mag  es  auch  übertriebener  kritischer  Eifer 
sein,  bei  jedem  Anklang  an  schon  Bekanntes  nicht  die  Er- 
findung Milton's,  sondern  die  blosse  Kopie  Buchanan's,  Spen- 
ser's,  Drayton's  u.  a.  sehn  zu  wollen,  so  wird  kein  Unbefan- 
gener läugnen,  dass  die  Anklänge  an  Du-Bartas-Sylvester's 
„göttliche  Wochen  und  Werke"  auf  mehr  als  blossem  Zufall 
beruhen,  welcher  zwei  Geister  unabhängig  von  einander  den- 
selben Ausdruck  für  denselben  Sinn  finden  lässt  (2), 

Von  ungleich  grösserem  dichterischen  W^erth  ist  die  latei- 
nische,'an  Thomas  Young  gerichtete,  schon  erwähnte  Elegie, 
die  erste  selbstständige  poetische  Leistung,  die  dem  Sechzehn- 
jährigen alle  Ehre  macht.  Auch  hier,  und  wie  könnte  dies 
anders  sein,  treten  Erinnerungen  an  die  Lektüre  vielfach  her- 
vor, in  erster  Linie  sind  es  die  lateinischen  Elegiker  und 
namentlich  Ovid,  welche  zum  Vorbild  gedient  haben.  Milton 
berichtet  selbst  ein  Mal,  dass  er  neben  den  Rednern  und  Ge- 
schichtsschreibern des  Alterthums  besonders  die  „sanften 
elegischen  Dichter"  in  der  Jugend  gelesen  habe ,  die  „man 
häufig  in  den  Schulen  findet"  und  dass  er  die  Nachahmung 
des  angenehmen  Klanges  der  Schriften  dieser  wie  jener  Autoren 
höchst  leicht  gefunden ,  in  ihrem  Studium  seine  liebste  Er- 
holung gesucht  habe  (^).  Aber  hier  zeigt  sich  doch  schon, 
dass  der  eigene  dichterische  Genius  in  dem  fremden  Gewand 
sich  selbst  zu  zeigen  weiss,  man  kann  sagen,  es  ist  weniger 
eine  Nachahmung  der  Antike  als  ein  Wetteifer  mit  der  An- 
tike. Voll  von  individuellem  Leben  ist  die  Schilderung  des 
hamburger  Pfai-rhauses ,  wohin  die  Elegie  gesandt  wird,  und 
die  feine  Sinnigkeit  der  Gedankenverbindung  des  ganzen  Ge- 


Elegie  an  Young.  41 

dichts,  wie  es  von  der  Ausmalung  der  Gefahren  und  Hülf- 
losigkeit  des  verbannten  Freundes  zu  der  frommen  Mahnung 
überleitet,  auf  Gott  zu  vertrauen  und  mit  der  Zuversicht 
eines  Wiedersehens  auf  der  väterlichen  Erde  versöhnend 
abschliesst,  legt  von  dem  Geschmack  wie  von  dem  Gefühl  des 
Dichters  das  beste  Zeugnis  ab.  Zugleich  zeigt  sich  schon 
hier  jene  Eigenheit,  welche  aus  der  Verbindung  klassischer 
und  theologischer  Bildung  hervorgeht,  antike  Gleichnisse  und 
Bilder  in  naiver  Unbefangenheit  mit  solchen  zn  mischen,  die 
sich  in  beiden  Testamenten  vorfanden. 

Fragen  wir,  welche  Persönlichkeit  aus  Milton's  Bekann- 
tenkreise die  Stelle  des  anregenden,  theilnehmenden,  vielleicht 
miteifernden  literarischen  Gefährten  eingenommen  habe,  dessen 
ein  jugendliches  dichterisches  Talent  so  leicht  nicht  entbehren 
wird,  so  könnte  man  zunächst  wieder  au  Thomas  Young  den- 
ken. Man  hat  eine  Bestätigung  dieser  Ansicht  in  den  früher 
citirten  Versen  finden  wollen,  in  denen  Milton  seinen  Leh- 
rer den  „Führer  zu  den  Stätten  der  Musen"  nennt,  eine  über- 
feine Kombination  hat  sogar  geschlossen,  gerade  Young  müsse 
seinen  Schüler  mit  Du-Bartas  bekannt  gemacht  und  dadurch 
in  die  „göttlichen  Geheimnisse  der  religiösen  Poesie"  einge- 
weiht haben,  weil  in  jenen  Versen  von  den  „heiligen  Hai- 
nen des  Parnass"  die  Rede  ist(^).  Aber  dies  Beiwort  konnte 
dem  Musensitz  sehr  wohl  gegeben  werden  ohne  jeden  Bezug 
auf  etwa  gedachte  heilige,  d.  h.  religiöse  Stoffe,  und  sodann 
bleibt  es  überhaupt  natürlicher,  in  jenen  Versen  eine  ein- 
fache Anspielung  auf  die  Unterweisung  im  Verständnis  der 
antiken  Poesie  zu  erblicken. 

Wahrscheinlicher  ist,  dass  Karl  Diodati  an  den  ersten 
Uebungen  der  Feder  seines  Schulfreundes  Antheil  nahm,  wenn 
auch  von  der  Ferne  her,  da  er  seit  1622  in  Oxford  studirte. 
Diodati  selbst  hat  sich  in  Versen  versucht,  wir  besitzen  von 
ihm  ein  Gedicht  auf  den  Tod  Camden's,  das  nicht  schlechter 
und  nicht  besser  zu  sein  scheint,  als  andere  Gelegenheits- 
Oden  der  Art (2),  noch  in  späteren  Jahren  sendet  er  Milton 
eine  dichterische  Beschreibung  des  Christfestes  und  dieser 
berichtet   ihm   dafür   von  den    „Flügen   seines   Pegasus"  (^}. 


42  Der  jüngere  Gill,  poetischer  Mentor. 

Aber  die  erste  Stelle  des  ästhetischen  Richters  und  auf- 
munternden Berathers  nahm,  irren  wir  nicht,  Alexander  Gill, 
der  Sohn,  ein.  welchen  ein  richtiges  Verhältnis  seines  Alters 
zu  dem  seines  Zöglings  am  besten  zu  diesem  Vertrauensamte 
befähigte,  und  der  selbst  seine  Feder  so  vielfach  zu  rhythmi- 
schen Auslassungen  ansetzte.  Dass  Milton  diese  überschätzte, 
so  lange  ihm  selbst  noch  der  kritische  Blick  fehlte,  wird  nie- 
manden Wunder  nehmen,  der  sich  in  die  Beziehung  eines 
strebenden  Jüngers  zu  einem  älteren  Freunde,  welcher  die 
gleiche  Kunst  übt,  hineindenkt.  Eine  Ueberschätzung  war 
es  aber  sicher,  wenn  Milton  ein  uns  übrigens  unbekanntes 
Gedicht  Alexander  Gill's  „wahrhaft  grossartig  und  von  der 
Majestät  der  Poesie  durchhaucht"  nennt,  wenn  er  Virgil's 
Genius  darin  wiederfindet  und  sich  überhaupt  noch  sehr  Be- 
deutendes vom  Verfasser  verspricht  (^).  In  reiferem  Alter 
drückt  sich  seine  Begeisterung  über  eine  andere  poetische 
Sendung  schon  etwas  kühler,  mehr  im  Tone  konventioneller 
Komplimente  aus  (2),  aber  es  charakterisirt  das  Verhältnis 
durchaus ,  wenn  er  von  der  Universität  aus  seine  eignen  Er- 
zeugnisse dem  Freunde  übersendet,  als  „einem  sehr  strengen 
Richter  in  Sachen  der  Poesie  und  einem  sehr  aufrichtigen  Be- 
urtheiler  seiner,  des  Schreibers,  Leistungen",  wenn  er  ihn 
dringend  bittet,  ihm  die  eignen  Schöpfungen  mitzutheilen,  und 
wenn  er  mit  Sehnsucht  der  fast  beständigen  Unterhaltungen 
mit  Gill  gedenkt,  von  dem  er  niemals  ohne  „oifenbaren 
literarischen  Gewinn"  fortgegangen  sei(^). 


Unter  solchen  Beschäftigungen  und  Strebungen  vergiengen 
die  Jahre,  nicht  ohne  dass  ein  oder  das  andere  Ereignis  das 
gleichförmige,  still  -  fleissige  Leben  des  Heranwachsenden  mehr 
oder  minder  aufregend  unterbrochen  hätte.  Zunächst  trat 
eine  Aenderung  in  der  kleinen  Familie  ein.  Milton  war 
zwischen  der  Schwester  Anha  und  dem  Bruder  Christoph 
gross  geworden.  Dieser ,  sieben  Jahre  jünger  als  er  selbst, 
besuchte  mit  ihm  die  Pauls- Schule (•*),   unzweifelhaft  mehrere 


Verheiiathung  von  Milton's   Schwester  mit  E.  Phillips.  43 

Klassen  unter  ihm,  jene  um  einige  Jahre  älter  als  John,  fand 
vermuthlich(0  gegen  Ende'  1624  in  Edward  Phillips  den 
Mann  ihres  Herzens,  welchem  sie  mit  einer  anständigen  Mit- 
gift in  den  eignen  Hausstand  folgte.  Sie  blieb  in  London, 
denn  Edward  Phillips  stammte  zwar  aus  Shrewsbury,  war 
aber  in  jungen  Jahren  in  die  Hauptstadt  gekommen  und  hatte 
in  der  königlichen  Kanzlei  (Crown  office  in  Chancery)  Be- 
schäftigung gefunden.  Der  königliche  Clerk  in  diesem  Amte 
hatte  selbst  oder  vertreten  durch  einen  anderen  in  bestimmten 
Fällen  den  Lord- Kanzler  zu  begleiten,  die  Formulare  zur 
Einberufung  des  Parlamentes  und  die  Ausschreiben  für  Neu- 
wahlen abzufassen,  vielfache  Kommissionen  der  Gerichtsbarkeit 
auszufertigen  u.  s.  w.  (^).  Es  scheint  so,  als  habe  Phillips  das 
Amt  des  Vertreters  unter  Bembo,  dem  ersten  Angestellten, 
verwaltet.  Die  Verwandtschaft  seiner  Thätigkeit  mit  der  des 
Notars  Milton  mochte  beide  leicht  zusammenführen. 

Einige  Jahre  früher  trat  ein  Ereignis  ein,  das  freilich 
über  den  Kreis  der  Familie  hinausgriff,  aber  doch  für  sie, 
und  namenthch  für  ihr  Haupt,  nicht  geringes  Interesse  haben 
musste.  Die  Scriveners  Company  wurde,  nachdem  sich  unter 
ihren  Mitgliedern  Zwistigkeiten  über  die  Zahlung  einer  Steuer 
erhoben  hatten,  am  28,  Januar  1617  durch  königliches 
Patent  in  eine  regelrechte  Korporation  verwandelt  und  er- 
hielt demnach  neue  Statuten;  der  Name  von  Milton's  Vater 
tritt  freilich  bei  dieser  Umwandlung  nicht  auf  (2). 

Vor  allem  aber  drangen  die  Nachrichten  von  den  Bege- 
benheiten der  grossen  Welt,  Nachrichten,  die  für  ein  prote- 
stantisches Herz  wenig  erfreulich  waren,  auch  in  das  stille 
Bürgerhaus  von  Bread-street(*).  Zwar  von  der  wahnsinnigen 
Pulververschwörung,  gegen  deren  Mordplan  sich  ein  langes 
Gedicht  und  vier  seiner  Epigramme  richten  (^),  erfuhr  John 
Milton  selbst  nur  durch  die  Erzählung  der  älteren  Familien- 
genossen ,  die  sich  noch  der  schreckensvollen  Bewegung  er- 
innerten, welche  die  Stadt  an  jenem  Novembertage  1605 
durchzitterte,  als  man  in  den  Kellern  des  Parlament  -  Gebäu- 
des die  Pulvertonnen,  Reisig,  Holz  und  den  kathohschen  Fa- 
natiker Guv  Fawkes  in  seinen  letzten  Vorbereitungen  entdeckt 


44  Europa  und  England. 

hatte.  Dagegen  jenes  Tages  der  Trauer  mochte  er  sich 
wohl  dunkel  erinnern ,  an  dem  Prinz  Heinrich  für  immer  die 
Augen  schloss,  der  ritterliche,  mit  den  edelsten  Gaben  aus- 
gestattete Jüngling,  die  Hoffnung  des  ganzen  Landes  und 
nicht  am  wenigsten  der  Puritaner,  denen  sich  mit  der  Aus- 
sicht auf  die  Nachfolge  des  ungleich  weniger  beliebten  Bru- 
ders Karl  eine  düstere  Zukunft  eröffnete. 

Und  von  nun  an  gieng  dem  Heranwachsenden  immer 
deutlicher  das  Verständnis  für  den  wirren  Lauf  der  Dinge  in 
Staat  und  Kirche  auf.  Mit  Bewusstsein  erlebte  er  wohl  schon 
den  festlichen  Abschluss  jenes  verhängnisvollen  Ehe -Bundes 
zwischen  dem  Kurfürsten  von  der  Pfalz,  Friedrich,  und  Eli- 
sabeth, der  Tochter  Jakob's  von  England.  Mit  Erbitterung 
und  Abscheu  folgte  er  den  Berichten  über  das  Günstlings- 
Regiment  am  königlichen  Hofe,  die  aufregenden  Processe, 
welche  die  gleissende  Lasterhaftigkeit  der  höheren  Schichten 
der  Gesellschaft  vor  aller  Augen  enthüllten,  die  parlamenta- 
rischen Verhandlungen,  welche  immer  deutlicher  den  Gegen- 
satz des  eigenwilligen  Königs  zu  den  tiefsten  Gefühlen  seines 
Volkes  an  den  Tag  brachten.  Zwei  Begebenheiten  der  inneren 
Geschichte  des  Landes  mussten  sich  dem  Gedächtnis  des 
Knaben  unauslöschlich  einprägen.  Als  er  im  zehnten  Lebens- 
jahre stand,  fiel  unter  dem  Beil  des  Henkers  das  Haupt 
Walter  Raleigh's,  des  Odysseus  an  Avundersamen  Fahrten  und 
Abenteuern ,  des  edelsten  Ritters  der  elisabethanischen  Tafel- 
runde. Was  auch  seine  persönlichen  Fehler  waren,  seine 
letzten  Worte,  auf  dem  Schaffet  gesprochen,  als  man  ihn  auf- 
forderte, sein  Haupt  nach  Osten  zu  wenden:  „Was  thut's, 
wie  der  Kopf  liegt,  ist  das  Herz  nur  am  rechten  Fleck", 
diese  zusammenfassende  Parole  seines  Lebens  fand  Widerhall 
in  der  Masse  des  Volkes,  welches  wusste,  dass  soviel  Grösse 
spanischen  Wünschen  geopfert  war  (1G18  Oktbr.  29).  Drei  Jahre 
später  wurden  Hauptstadt  und  Land  durch  den  Proeess  gegen 
Bacon,  den  Lordkanzler  des  Reiches,  in  Spannung  versetzt,  dem 
für  eine  grosse  Anzahl  von  Fällen  Bestechung  vorgeworfen 
wurde,    und    welcher   nach    seinem   eignen    Ausdruck   unter 


Europa  und  England.  45 

der  Anklage  zusammenknickte  wie  ein   „gebrochenes  Rohr". 
(April  1621.) 

Neben  solchen  Vorgängen  von  mehr  individueller  Bedeu- 
tung, die  aber  doch  den  ganzen  Zustand  des  Reiches  offen- 
barten, liefen,  selbst  wieder  ineinanderverschlungen,  Begeben- 
heiten allgemeinen  Inhalts,  welche  die  Jugendjahre  Milton's 
erfüllten.  Der  grosse  festländische  Krieg,  in  der  böhmischen 
Hauptstadt  entzündet,  brach  aus,  und  sicher  so  lebhaft  wie 
einer  seiner  Landsleute  verfolgte  der  junge  Milton  aus  der 
Ferne  mit  Schrecken  die  Ausdehnung  des  Brandes.  Er 
wusste  seinen  alten  Lehrer,  Thomas  Young,  mitten  in  den 
Wirren  des  Krieges,  Alexander  Gill,  dessen  Theilnahme  an 
den  späteren  Ereignissen  des  Kampfes  durch  mehrere  Ge- 
dichte bezeugt  ist,  wird  auch  damals  die  neuesten  Berichte 
aus  Deutschland  mit  Eifer  aufgenommen  und  mit  seinem 
Schüler  durchgesprochen  haben,  vor  allem  aber  war  es  der 
gläubige  Protestant,  der  glühende  Feind  des  Pa!tstthums,  der 
über  die  Fortschritte  der  katholischen  Heere  ergrimmt,  über 
die  Haltung  der  eignen  Regierung  beschämt  werden  musste. 
Die  puritanischen  Herzen  schmachteten  nach  dem  Augen- 
blick, da  England  seine  Waffen  zum  Schutze  der  bedrängten 
Glaubensbrüder  erheben  könnte.  Sie  verwünschten  die  Neu- 
tralität und  waren  noch  immer  in  dem  Glauben  befangen, 
die  spanische  Macht  sei  die  gefährlichste  Feindin  ihrer  reli- 
giösen und  nationalen  Interessen,  und  der  Kampf  gegen  diese 
in  der  alten  Weise  der  Drake's  und  Raleigh's  sei  Sache  der 
Ehre  und  des  Vortheils.  Jakob  hätte  sich  gerne  in  der  Stelle 
des  allgemeinen  Schiedsrichters  behauptet,  aber  er  wagte 
nicht,  das  Schwert  zu  ziehen,  dessen  der  Richter  eben  so 
wenig  entbehren  kann,  wie  der  Wage.  Er  hätte  gerne  die 
Pfalz  für  seine  Tochter  und  ihr  Geschlecht  zurückerobert  ge- 
sehn ,  aber  er  wünschte  um  keinen  Preis  mit  Spanien  zu 
brechen,  dessen  verschlagener  Gesandter  die  verhassteste 
Persönlichkeit  in  England  war.  Ja,  seit  geraumer  Zeit  schweb- 
ten zwischen  den  Höfen  von  Madrid  und  von  London  Ver- 
handlungen, welche  die  argwöhnischen  Gemüther  mit  Bangen 


46  Europa  und  England. 

erfüllten.  Der  Erbprinz  Karl  sollte  eine  Verbindung  mit 
einer  spanischen  Infantin  eingehn.  Wenn  Jakob  sich  von 
diesem  Plane  eine  friedliche  Lösung  der  pfälzischen  Frage 
versprach,  so  malte  die  Phantasie  des  Volkes  sich  die  Rück- 
kehr jener  dunklen  Gewalten  aus,  die  einst  die  Armada  gegen 
die  englische  Küste  entsandt  hatten.  Indessen  trotz  aller 
Hindernisse  giengen  die  Verhandlungen  weiter,  Anfang  1623 
trat  der  Prinz,  den  vertrauten  Buckingham  als  Mentor  zur 
Seite,  die  Reise  zu  dem  verhassten  Hofe  an,  um  den  Vertrag 
abzuschliessen.  In  allen  puritanischen  Familien  liefen  die 
düstersten  Befürchtungen  um.  Es  war  wie  eine  Erlösung  von 
schw-erem  Alpdruck,  als  sich  nun  doch  die  Angelegenheit  zer- 
schlug, der  längstersehnte  Bruch  mit  Spanien,  die  Verlobung 
des  Prinzen  mit  Henrietta  Marie  von  Frankreich  erfolgte,  die 
freilich  katholisch,  zugleich  aber  Heinrich's  IV.  Tochter  war. 
Man  hoffte,  dass  Frankreich,  als  Alliirter,  den  Kampf  für  die 
Pfalz  aufnehmen  werde  und  ahnte  nicht,  dass,  feierlichen 
Versprechungen  entgegen ,  beim  Abschluss  des  Heiraths- 
Vertrages  geheime  Zusicherungen  zu  Gunsten  der  englischen 
Katholiken  gemacht  waren,  deren  Duldung  dem  Puritanismus 
als  unverträglich  mit  dem  Staatswohl  galt(^).  —  Bei  so  viel 
Unkenntnis  der  thatsächlichen  Verhältnisse  und  engherzigen 
Vorurtheilen  auf  der  einen  Seite  und  so  viel  Schwankungen 
und  Mangel  an  Aufrichtigkeit  auf  der  anderen  Seite  waren 
die  schwersten  Konflikte  für  die  Zukunft  unvermeidlich. 

Der  heranwachsende  Sohn  des  Puritaners  musste  alle  diese 
Fragen  nothwendig  vom  Standpunkt  der  Partei  aus  betrach- 
ten. Die  Monarchie ,  unter  der  er  gross  wurde ,  war  nicht 
der  Art,  ihm  unbezwingbare  Achtung  vor  dieser  Staatsform 
einzuflössen ,  und  der  Monarch ,  welcher  an  der  Spitze  stand, 
war  nicht  der  Art,  ihn  mit  den  Mängeln  der  Staatsform  zu 
versöhnen.  —  Fast  gleichzeitig,  erfolgte  der  Abschluss  der 
Laufl)ahn  dieses  Monarchen  und  der  Abschluss  der  ersten 
Lebensperiode  Milton's.  Wenige  Wochen  vor  dem  verhäng- 
nisvollen Thronwechsel,  welcher  Karl  zur  Königswürde  er- 
hob, bezog  Milton  siebzehnjährig  die  Universität.    Hinter  ihm 


Europa  und  England.  47 

lag  die  Zeit  gesunder  Entwicklung  an  Körper  und  Seele  im 
trauten  Familienkreise,  frommer  und  ernster  Erziehung  durch 
ein  würdiges  Elternpaar,  angestrengten  Fleisses  in  Schule  und 
Haus,  der  Schliessung  jugendlicher  Freundschafts -Bündnisse, 
erster  Regungen  eines  ahnungsvollen  Genius ,  mit  einem 
Worte  das,  was  in  den  Kämpfen  und  Leiden  des  Mannes- 
alters auch  durch  den  Zauber  des  Rückerinnerns  stärken  und 
erhalten  kann:  Eine  glückliche  Jugend. 


Zweites  Kapitel. 
Die  Lehrjahre  auf  der  Universität  Cambridge (*), 


Die  Verfassung  der  beiden  alten  englischen  Hochschulen 
und  das  in  den  Schranken  dieser  Verfassung  sich  bewegende 
Leben ,  noch  heute  von  den  entsprechenden  Erscheinungen 
des  Festlandes  so  wesentlich  verschieden,  erscheint  in  Mil- 
ton's  Zeit  noch  bei  weitem  stärker  mit  dem  Stempel  befrem- 
dender Alterthümlichkeit  behaftet  und  lässt  sich  in  kurzen 
Umrissen  nur  schwer  der  gegenwärtigen  Anschauung  näher 
bringen.  Beschränkt  sich  der  Blick  auf  das  zunächst  in  Be- 
tracht kommende  Cambridge,  so  findet  man  in  den  Statuten 
aus  dem  zwölften  Regierungs  -  Jahre  Elisabeth's  nach  allen 
Schwankungen  der  Zeit  der  Reformation  und  Gegenreformation 
eine  feste  Grundlage,  auf  der  sich  die  spätere  Epoche  auf- 
baute (^).  Es  ist  bekannt  genug,  dass  die  eigentliche,  schola- 
stische Universität  seit  dem  Ende  des  fünfzehnten  und  dem 
Anfang  des  sechzehnten  Jahrhunderts  in  den  nach  Wesen  und 
Entstehung  von  ihr  unterschiedenen  Colleges  fast  ganz  und 
gar  aufgieng.  Diese  konviktorischen  Vereine,  in  die  gelehrte 
Körperschaft  eingefügt,  im  späteren  Mittelalter  beständig  an 
Zahl  gewachsen  und  grösstentheils  mit  den  reichsten  Mitteln 
an  Grund  und  Boden  ausgestattet  wie  durch  fortgesetzte  Stif- 
tungen von  Wohlthätern  beschenkt,  drängten  so  ziemlich  das 
ganze  akademische  Leben  in  sich  zusammen,  seitdem  sie  sich 
mit   Glück    zu   Trägern    der   neuen    humanistischen   Bildung 


Die  englischen  Universitäten.  —  Colleges.  49 

gemacht  hatten.  Aus  blossen  gemeinsamen  Wohnstätten  derer, 
welche  die  Universität  besuchten,  zu  selbstständigen  Lehr- 
anstalten geworden,  bewahrten  sie  in  Disciplin  und  Einrich- 
tung jenen  klösterlichen  Charakter,  dessen  Grundzüge  sich 
in  ihnen  allen  wiedererkennen  lassen,  so  zahlreiche  Abwei- 
chungen im  einzelnen  durch  den  Willen,  grössere  oder  ge- 
ringere Freigebigkeit  des  Stifters  und  spätere  Gesetzgebung 
hervorgebracht  worden  waren. 

Ehrwürdige  Gebäude,  zum  Theil  von  staunenswerther 
Pracht  der  Architektur,-  mit  weiten  Höfen  und  schattigen 
Gärten,  wohlgeptiegten  Rasenplätzen  für  das  Kugelspiel  und 
besonderen  Räumen  zum  Ball -Werfen,  stillen  Gemächern  für 
die  Bücherei  und  alterthümlichen  Hallen  für  die  gesellige 
Zusammenkunft,  umschlossen,  wie  in  einer  kleinen  Welt  für 
sich,  eine  eng  verbundene  Genossenschaft  von  Jünglingen,  die 
mitunter  fast  noch  Knaben  glichen,  und  Männern,  denen  die  Ehe- 
losigkeit zur  Pflicht  gemacht  war(i).  Jeden  Morgen  und  jeden 
Abend  rief  die  Glocke  der  Kapelle  zu  bestimmter  Stunde 
zum  gemeinschaftlichen  Gottesdienst.  Zur  Mahlzeit  versam- 
melte man  sich  in  der  grossen  Halle.  Eine  je  nach  dem 
Grad  verschiedene  Kleidertracht  war  mit  derselben  Ausführ- 
lichkeit vorgeschrieben,  wie  sie  nur  der  Stifter  eines  mönchi- 
schen Ordens  jemals  erdenken  konnte.  Nach  der  Strenge 
der  ursprünglichen  Statuten  war  es  Pflicht  der  Studenten,  im 
Gespräch  miteinander  sich  des  Lateinischen,  Griechischen 
oder  Hebräischen  zu  bedienen ,  ausser  in  den  Erholungs- 
Stunden,  sich  in  ihren  Zimmern  des  Karten-  und  Würfel- 
Spiels  zu  enthalten,  ausser  in  den  festlichen  Tagen  der  Weih- 
nachtszeit, in  denen  die  Karten  gestattet  waren.  Sie  hatten 
eine  besondere  Erlaubnis  einzuholen,  wenn  sie  die  Mauern 
des  College  verlassen  wollten (2),  Schenken,  Schaustellungen, 
Tanzplätze,  Stier-  und  Bären -Hetzen  in  der  Stadt  und  die 
Vergnügungen  ihrer  Markttage  zu  vermeiden  und  sich  zu 
gemessener  Stunde,  je  nach  der  Jahreszeit  und  dem  Statut 
um  acht,  neun  oder  zehn  Uhr(^)  wieder  an  den  Thoren  des 
College  einzufinden,  dessen  Schlüssel  das  Haupt  der  Anstalt, 
der  Master,  in  seiner  Kammer  verwahrte.    Ein  ausgebildetes 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  1.  4 


50  Tutoren.  —  Unterschiede  der  College- Genossen. 

System  von  Strafen  sollte'  dazu  dienen,  die  Befolgung  dieser 
Vorschriften  zu  erzwingen ,  und  die  Behörden  der  Universi- 
tät, wie  die  des  College  theilten  sich  in  die  Strafgewalt.  Je 
nach  der  Schwere  des  Falles  wurde  auf  Geld,  Carcer,  Ver- 
weisung für  bestimmte  Zeit  (Rustieation)  oder  für  immer  er- 
kannt. Nach  den  Statuten  jenes  College,  in  welches -Milton 
aufgenommen  wurde',  um  von  anderen  abzusehn,  war  für  die 
Bestrafung  Jüngerer  unzweifelhaft  körperliche  Züchtigung  zu- 
lässige^). 

Im  Mittelpunkte  des  ganzen  College -Lebens  als  dasjenige 
Element,  welches  der  gesammten  Anstalt  Farbe  und  Charakter 
giebt,  steht  das  Tutoren  -  System.  Das  College,  nach  aussen 
hin  durch  sein  Haupt,  den  Master,  vertreten,  zerfällt  gleich- 
sam wieder  in  eine  Reihe  kleinerer  Gemeinheiten,  indem  sich 
jedes  Mal  ein  Paar  der  jungen  Hausgenossen  der  besonderen 
pädagogischen  Aufsicht  eines  der  Aelteren  (Fellows)  anver- 
traut, den  sie  als  ihren  Tutor  erwählen.  Abgesehen  von 
der  Lehrthätigkeit,  welche  diese  Tutoren  den  enger-  mit  ihnen 
verbundenen  Stipendiaten  und  Kostgängern  zuwenden,  sind 
sie  ihnen  für  die  grösseren  Fragen  der  geistigen  Bildung  wie 
für  die  kleineren  Sorgen  des  Lebens  gesetzte  Helfer  und  Be- 
rather. Sie  haben  die  Pflicht,  die  Sitten  und  Studien  ihrer 
Zöglinge  mit  besonderer  Sorgfalt  zu  überwachen.  Sie 
suchen  bei  der  Auswahl  von  Stube  und  Stubengenossen  das 
Beste  zu  treffen,  denn  der  Zögling  hat  kein  Zimmer,  mitunter 
nicht  ein  Mal  ein  Bett  allein  zur  Verfügung.  In  Krankheits- 
fällen sind  sie  die  ersten,  sich  der  Untergebenen  anzunehmen, 
ihre  Sorgfalt  erstreckte  sich  bis  auf  die  Anschaffung  von 
Büchern  und  Kleidern,  wie  sie  überhaupt  die  pekuniären  An- 
gelegenheiten der  Studenten ,  ein  häufig  sehr  unerfreuliches 
Geschäft,  an  Stelle  des  Vaters  verwalteten  (^). 

Keineswegs  standen  alle  Mitglieder  des  College  in  Betreff 
ihrer  finanziellen  Unteihaltung  auf  gleicher  Stufe.  Eine  ge- 
wisse Anzahl  war  auf  stiftungsmässige  Einnahmen  verwiesen : 
Der  Vorsteher,  die  Fellows,  die  verschiedenartig  berechtigten 
Stipendiaten  unter  den  Studirendcn  (Scholars).  Aber  die  Mehr- 
zahl  der  Studenten  hatte  die   Kosten  von  Wohnung,   Tisch, 


Terms.  —  Quadriennium  und  Trienuium.  51 

Erziehung  ii.  s.  w.  zu  ersetzen.  Auch  hier  gab  es  noch  Un- 
terschiede. Am  meisten  zahlten  die  greäter  pensioners  oder 
fellow-commoners,  reicher  Eltern  Söhne,  welche  dafür  gewisse 
Vorrechte  genossen,  die  lesser  pensioners,  weitaus  an  Zahl 
die  bedeutendste  Klasse,  folgte  in  der  Reihe,  und  unter  ihnen 
standen  die  ärmeren  sizars ,  welche  am  wenigsten  zu  zahlen, 
am  meisten  zu  dienen  hatten. 

Nach  den  elisabethanischen  Statuten  war  das  akademische 
Jahr  in  drei  Abschnitte  (Terms)  getheilt.  Der  erste  begann 
am  10.  Oktober  und  endete  am  16.  December,  durch  die 
Weihnachtsferien  vom  zweiten  getrennt.  Dieser  erstreckte 
sich  vom  dreizehnten  Januar  bis  zum  zehnten  Tage  vor  Ostern. 
Nach  den  Oster -Ferien,  am  eilften  Tage  nach  dem  Fest,  be- 
gann der  Mitt- Sommer -Term,  welchen  am  Freitag  nach  der 
feierlichen  Schlussversammlung  der  Universität  (Commencment- 
Day)(^)  die  langen,  dreimonatlichen  Ferien  ablösten.  Solcher 
akademischen  Jahre  wurden  ursprünglich  sieben  erfordert,  um 
den  Besitz  der  scholastischen  Würden  zu  verdienen.  Denn 
in  der  Vermischung  von  Universitäts-  und  Kollegial -System, 
wie  es  sich  aus  der  Verbindung  mittelalterlicher  und  neuerer 
W^issenschaft  gebildet  hatte ,  blieben  diese  Würden  Ziel  und 
Ende  der  Studienzeit.  Diese  theilte  sich  demnach  folgen- 
dermassen  ein:  Auf  die  Zulassung  in  das  College  erfolgte  die 
Immatrikulation  bei  der  Universität,  der  erste  Schritt  auf  der 
wissenschaftlichen  Laufbahn.  Von  da  an  war  eine  Zeit  von 
vier  Jahren  (in  Milton's  Tagen  nur  mehr  11  Terms  statt  12)  (2) 
zu  durchlaufen, 'in  welcher  die  ordnungsmässige  Vorbereitung 
auf  die  Erlangung  des  Bakkalaureats  Statt  fand.  In  dem 
ersten  dieser  vier  Jahre  war  nach  den  Statuten  der  Gegen- 
stand des  Studiums:  Rhetorik,  im  zweiten  und  dritten  Logik 
(Dialektik);  (^)  im  vierten  Philosophie.  Der  Unterricht  sollte 
sowohl  im  College  bei  den  Tutoren  wie  in  den  öffentlichen 
Vorlesungen  der  Universitäts  -  Professoren  genommen  werden. 
In  dem  letzten  dieser  vier  Jahre  war  der  Student  verpflichtet, 
an  den  akademischen  Disputationen  zwei  Mal  als  Respondent 
und  Opponent  Antheil  zu  nehmen,  d.  h.  Thesen  aufzustellen 
und  gegen  Angriffe   zu   vertheidigen ,   wie  aufgestellte  seiner- 


52  ßaccalaureus.  —  Magister  artium. 

seits  anzugreifen.  Auf  diese  lateinischen  Wortgefechte  wurde 
er  durch  ähnliche  Rede  -  Uebungen  im  College  schon  vorbe- 
reitet. Hierauf  war  noch  eine  Prüfung  im  College,  ein  mehr- 
tägiges akademisches  Examen  und  eine  Reihe  von  Förmlich- 
keiten abzumachen,  ehe  die  Ernennung  zum  ßaccalaureus 
artium  erfolgte. 

Nun  war  die  erste  Staffel  auf  der  Leiter  akademischer 
Ehren  erreicht,  die  Periode  des  Nicht  -  Graduirtseins  (Under- 
graduateship)  und  für  viele,  welche  nicht  höher  strebten,  wenn 
sie  überhaupt  so  lange  ausgehalten  hatten,  die  Periode  ihres 
Universitäts- Lebens  abgeschlossen.  Diejenigen,  welche  den 
nächsten  Grad  erstrebten,  hatten  weitere  drei  Jahre  die  öffent- 
lichen Vorlesungen,  und  zwar  nach  den  Statuten  Philosophie, 
Astronomie,  Zeichnen  und  Griechisch,  zu  hören.  Ausserdem 
hatten  sie  den  Disputationen  der  Magislri  artium  zu  folgen, 
selbst  drei  Mal  öffentlich,  zwei  Mal  im  College  zu  disputiren 
und  eben  dort  eine  Deklamation  zu  halten.  Hierauf  wurden 
sie  in  höchst  feierlicher  Weise  unter  einer  Fülle  alten  Cere- 
moniells  an  den  grossen  Festtagen  der  Universität ,  den  ve- 
speriae  comitiorum  oder  den  Comitia  (Commencment-Day) 
selbst  zu  magistri  artium  kreirt.  Verändert  waren  die  Regeln 
vor  Milton's  Zeit  hauptsächlich  insoweit,  dass  der  ursprüng- 
liche Lehrstoff  des  Triennium  zum  Theil  schon  mit  dem  des 
Quadriennium  verbunden  wurde,  und  dass  das  Lehr -Amt  von 
den  öffentlichen  Professoren  grössten  Theils  auf  die  Privat- 
Tutoren  übergegangen  war(*). 

Mit  diesem  Formalismus,  der  ganz  und  gar  auf  der  mit- 
telalterlichen Anschauung  der  sieben  freien  Künste  beruhte^ 
und  ein  selbstständigcs  koi'poratives  Auflvonnnen  der  Fakul- 
täten verhinderte,  war  aber  erst  eine  artistische  Grundlage, 
man  möchte  sagen  das  für  nöthig  erachtete  Mass  allgemeiner 
wissenschaftlicher  Bildung  gewonnen ,  an  welcher  in  gleicher 
Weise  Anthcil  zu  haben  für  alle  gleich  rühmlich  erachtet 
wurde,  mochten  die  einzelnen  auch  im  späteren  Leben  die 
Lanzette  des  Chirurgen  führen  oder  auf  der  Richterbank  sitzen, 
die  Kanzel  besteigen  oder  den  vielfachen  Problemen  der  Phi- 
losophie ihr  Nachdenken  widmen.    Von  hier  aus  trennten  sich 


Doktor.  —  Beamte.  —  Aufnahme  Milton's  in  das  Christ-College.     53 

die  Wege  je  nach  dem  erwählten  Fach,  und  erst  nach  Ablauf 
von  neuen  sieben  Jahren,  für  welche  wiederum  bestimmte  Vor- 
träge, Vorlesungen,  Disputationen  und  Formen  vorgeschrieben 
waren,  konnte  der  Doktor-Grad  der  Jurisprudenz  und  Medicin 
erlangt  werden ;  noch  fünf  Jahre  länger  währte  die  Fahrt  zum 
Port  des  theologischen  Doktor-Grades. 

Fasst  man  endlich  mit  einem  Blick  die  hauptsächlichen 
Beamten  der  akademischen  Körperschaft  in's  Auge,  den  Kanzler, 
auf  seinem  Ehrenposten  meist  dem  hohen  Adel  angehörig,  da- 
mals doch  noch  ein  politischer  Patron ,  den  Vicekanzler  und 
unter  ihm  die  polizeiliche  Behörde,  die  beiden  Proctors  (Pro- 
curatores),  bei  welchen  für  die  Versammlung  der  Kollegial- 
Vorsteher  die  ausübende  Gewalt  ruhte,  eine  Reihe  von  Unter- 
beamten und  Hülfs-Personal,  bis  zu  den  Pedellen  herab,  und 
denkt  man  sich  das  ganze  oligarchische  Getriebe  durch  eine 
Kette  von  Vorschriften  und  Ceremonieen  in  Bewegung  gesetzt, 
die  zum  Theil  im  Lauf  der  Darstellung  noch  berührt  werden 
müssen,  so  möchte  wenigstens  im  ganzen  und  grossen  ein  Bild 
von  den  Verhältnissen  gegeben  sein,  in  welche  John  Milton 
versetzt  wurde. 

Am  zwölften  Februar  1625  erfolgte  seine  Aufnahme  in 
das  Christ-College  zu  Cambridge  (^).  Er  trat  in  der  Eigen- 
schaft eines  „lesser  pensiouer"  ein.  Wir  hören  nicht,  dass  er 
als  Zögling  der  Pauls -Schule  ein  jährliches  Stipendium  ge- 
nossen, wie  die  Zunft  der  Krämer  es  bis  zum  Betrage  von 
sechs  oder  von  zehn  Pfund  jungen  Studirenden  während  ihres 
siebenjährigen  Cursus  zu  gewähren  pflegte,  wenn  sie  aus  jener 
Anstalt  hervorgegangen  (='),  Wenn  man  bedenkt,  dass  Sir 
Simonds  d'Ewes  in  der  höheren  Rang-Klasse  eines  fellow- 
commoner  seinem  wenig  freigebigen  Vater,  wenn  auch  ver- 
geblich, erklärte,  er  könne  mit  dem  jährlichen  Zuschuss  von 
50  ^  nicht  anständig  auskommen  (2),  so  wird  man  in  der  An- 
nahme nicht  irren,  dass  diese  Summe  für  die  Bedürfnisse  und 
den  Stand  John  Milton's  so  ziemlich  genügt  habe. 

In  der  Reihe  von  sechzehn  konviktorischen  Anstalten, 
welche  im  Jahre  1621  alles  in  allem  fast  3000  Mitglieder 
enthielten (^) ,    nahm  Trinity- College,    wenn   auch  nicht  nach 


54  -  Christ-College.  —  Bainbrigge.  —  Meade. 

Ehrwürdigkeit  des  Alters,  so  doch  nach  dem  Reichthum  an 
stiftungsmässigem  Besitz  und  nach  der  Zahl  seiner  Genossen 
unstreitig  den  ersten  Platz  ein.  In  letzter  Beziehung  stand 
ihm  St.  John's  College  am  nächsten,  erst  hierauf  folgte  Christ- 
College,  gegründet  1505,  um  die  Zeit,  da  Milton  in  das  College 
eintrat,  mit  einem  Master,  13  Fellows,  55  stiftungsraässig  be- 
rechtigten Scholaren  versehn,  zu  denen  noch  196  zahlende 
Studenten,  Armen-Schüler,  Bedienstete  u.  s.  w.  hinzukamen. 
Jedes  College  hatte  seine  eigne  Tradition,  nach  der  es  sich 
mit  grösserem  oder  geringerem  Recht  einer  Anzahl  würdiger 
Zöglinge  rühmte,  die  aus  seinem  Schoss  hervorgegangen  waren. 
So  war  Christ-College  stolz  auf  Hugh  Latimer,  den  Reformator 
und  Märtyrer,  auf  John  Leland,  den  gelehrten  Antiquar,  auf 
den  sprachkundigen  Richard  Carew  und  seinen  berühmteren 
Zeitgenossen,  den  „unvergleichlichen",  ritterlichen  Dichter, 
Philip  Sidney(i).  Eine  ganze  Schaar  von  hohen,  und  höchsten 
Würdenträgern  der  Kirche  hatte  aus  diesem  Quell  der  Bildung 
geschöpft,  und  Füller  glaubt  ohne  Schmeichelei  auf  dieses 
College  den  Spruch  des  Weisen  anwenden  zu  dürfen:  „Viele 
Töchter  bringen  Reichthum ;  du  aber  übertriffst  sie  alle". 

Als  Milton  in  das  College  eintrat,  war  dessen  Master 
Thomas  Bainbrigge,  von  dem  in  der  That  kaum  mehr  be- 
kannt ist,  als  dass  er  diesen  Posten  ein  Viertel  Jahrhundert 
von  1G20 — 1645  innehatte,  und  dass  er  den  Ruf  eines  „strengen 
Lehrers"  genoss(^).  Seinem  Charakter  wird  durch  die  Korre- 
spondenz Meade's  nicht  immer  das  beste  Zeugnis  ausgestellt. 
Etwas  mehr  wissen  wir  liber  einige  der  dreizehn  Fellows  zu 
sagen,  von  denen  sich  mehrere  in  der  englischen  Kirchen-  und 
Gelehrten-Geschichte  einen  Namen  zu  machen  gewusst  haben. 

Der  Bekannteste  ist  Joseph  Meade  (1586—1638).  Schenkt 
man  seinen  Biographen  Glauben,  so  war  er,  allerdings  in 
einer  Zeit,  da  die  Theilung  geistiger  Arbeit  noch  nicht  eben 
weit  ausgebildet  war,  ein  Mann  von  seltener  Vielseitigkeit,  „ein 
scharfer  Logiker,  ein  sorgfältiger  Philosoph,  ein  geschickter 
Mathematiker,  ein  ausgezeichneter  Astronom,  ein  grosser  Phi- 
lolog,  ein  Meister  vieler  Sprachen  und  in  geschichtliclien  und 
chronologischen  Studien   sehr  weit  fortgeschritten"  (^).     Doch 


Meade.  55 

hatte  er  eine  bestimmte  Lieblings-Neigung,  der  er  mit  dem 
Eifer  innerer  Ueberzeugung  nachhieng.  Selbst  damals  waren 
die  aufgeklärtesten  Köpfe  nicht  selten  noch  in  dem  Glauben  an 
astrologische  Wahrheiten  und  die  Divinations-Gabe  gewisser 
auserwählter  Geister  befangen  (^).  Und  so  wurde  Joseph 
Meade  durch  die  Verbindung  seiner  theologischen,  astrono- 
mischen und  geschichtlichen  Studien  dazu  geführt,  sich  jenen 
dunklen  Partieen  der  Bibel  zuzuwenden,  welche  den  Chiliasten 
von  jeher  so  viel  Stotf  für  ihre  überschwänglichen  Prophe- 
zeiungen dargeboten  hatten.  Meade  schenkte  der  Welt  einen 
„Schlüssel  für  die  Erklärung  der  Apokalypse",  er  sagte,  und 
darin  betrog  ihn  seine  Ahnung  nicht,  gewaltige  Erschütterungen 
von  Staat  und  Kirche  für  die  nächste  Zeit  voraus.  Eben  des- 
halb drang  er,  ein  bitterer  Feind  des  Katholicismus,  auf  die 
Vereinigung  aller  protestantischen  Christen.  Seine  Lebens- 
weise konnte  die  Neigung  zur  Beschaulichkeit  und  Grübelei 
nur  begünstigen.  Selten  kam  er  aus  seiner  stillen  „Zelle" 
zum  Vorschein,  höchstens  um  an  schönem  Sommertag  in  Feld 
und  Wiesen  Pflanzen  zu  suchen.  Merkwürdig  genug  ent\Yickelte 
er.  aber  gegenüber  den  Angelegenheiten  der  grossen  Welt  die 
Wissbegier  eines  eifrigen  Xeuigkeits- Jägers,  und  diese  Eigen- 
schaft macht  uns  seinen  Briefwechsel  mit  Sir  Martin  Stute- 
ville  so  werthvoll,  dem  er  in  einem  Athem,  oft  in  einer  etwas 
weichlichen  Art,  von  den  kleinen  Vorfällen  des  College-  und 
Üniversitäts-Lebens  und  den  grossen  kriegerischen  Ereignissen 
der  Zeit, .  eigner  Krankheit  und  Misstimmung  und  den  Perso- 
nalien des  Hofes  zu  London  getreulich  Bericht  erstattet.  Als 
Tutor  war  er  für  die  seiner  besonderen  Obhut  anvertrauten 
Zöglinge  durch  seine  Persönlichkeit  wie  durch  die  Methode 
seines  Unterrichts  von  grösstem  Werth ,  ein  wohlgewachsener 
Mann,  mit  blitzenden  Augen,  dunkler  Gesichtsfarbe,  im  Urtheil 
mild,  immer  zur  Unterhaltung  aufgelegt.  Er  besass  die  seltene 
Kunst,  dem  eignen  Lehreifer  den  rechten  Zaum  anzulegen  und 
dem  Naturell  seiner  Schüler  eine  freiere  Entwicklung  zu 
gönnen.  Nachdem  er  ihre  Fähigkeiten  im  allgemeinen  erkundet 
und  ihnen  demgemäss  die  besten  Rathschläge  gegeben  und 
die  Aufgaben  vertheilt  hatte,   liess    er  jeden  den  Tag  über 


56  ,  Chappell. 

nach  der  Art,  wie  es  ihm  beliebte,  sein  Werk  vollbringen; 
erst  Abends  kamen  alle  in  sein  Zimmer  um  ihm  ihre  Arbeiten 
vorzulegen.  Dann  forschte  er  mit  der  Frage  „Quid  dubitas?" 
vor  allem  nach  den  Zweifeln,  die  den  einzelnen  bei  ihren 
Studien  aufgestossen  sein  möchten,  denn  er  war  der  Ansicht, 
dass  man  nur  durch  Zweifel  der  Wahrheit  näher  komme,  be- 
antwortete ihre  Fragen  und  entliess  sie  mit  Gebet  und  Segen 
in  ihre  Gemächer. 

Nächst  Meade  ragte  AVilliam  Chappell  (1582—1649),  innig 
mit  jenem  befreundet,  aus  der  Reihe  der  Fellows  von  Christ- 
College  hervor.  An  umfassendei-  Gelehrsamkeit  blieb  er  hinter 
Meade  weit  zurück,  was  von  seinen  Schriften  bekannt  ist,  be- 
schränkt sich  rein  aufs  theologische  Gebiet.  Dagegen  hatte 
er  einen  Vorzug,  der  in  jenen  Tagen  nicht  gering  angeschlagen 
wurde,  nämlich  in  den  üblichen  Disputationen  sich  auf  die 
Kunst  des  Angriffs  und  der  Vertheidigung  in  höchstem  Masse 
zu  verstehen;  „mit  Schwert  und  Schild  gleich  tapfer".  Als 
König  Jakob  1615  die  Universität  mit  einem  Besuch  beehrte, 
w^ar  Chappell  zu  der  Rolle  des  Opponenten  in  einem  theologischen 
Wort-Turnier  erwählt,  welches  vor  dem  Könige  stattfand.  Er 
schlug  nicht  nur  seinen  Gegner  völhg  aus  dem  Felde,  sondern 
besiegte  auch  seine  Majestät,  welche  selbst,  einer  angeborenen 
Neigung  folgend,  für  den  Geschlagenen  den  Kampf  wieder 
aufnahm.  Kein  Tutor  hatte  zu  seiner  Zeit  mehr  oder  bessere 
Schüler,  soviel  Sorge . verwandte  er  auf  ihre  Erziehung;  noch 
Henry  More  spricht  mit  höchster  Achtung  von  Chappell,  als 
seinem  alten  Lehrer  (^).  Leider  sind  wir  über  den  Cha- 
rakter des  Mannes  nicht  näher  unterrichtet,  aber  wir  wissen, 
dass  er,  in  späteren  Jahren  ein  entschiedener  Anhänger  des 
Laud'schen  Systems,  1634  zum  Vorsteher  des  Trinity-College 
in  Dublin  ernannt  wurde.  Daselbst  begegneten  seine  armi- 
nianischen  Ansichten  heftigem  Widerstände.  Indess,  von 
Strafford  und  Land  als  ein  höchst  brauchbares  Werkzeug  für 
iiiie  Pläne  angesehn,  erlangte  er  1638  das  Bisthum  von  Cork, 
CIdyne  und  Ross  und  behielt  daneben  seine  erste  Stelle  bei, 
was  gegen  die  Gesetze  war.  Es  ist  demnach  nicht  unglaub- 
lii'li ,   dass  Chappell  schon  früher  jene  Ansichten  vertrat  und 


Gell.     Tovey,     Power.  —  Chappell,  Milton's.  Tutor.  57 

unter  seinen  Schülern  auszubreiten  suchte,  die  an  höchster 
Stelle  begünstigt  wurden,  und  dies  würde  ein  nicht  unwich- 
tiges Moment  für  Milton's  Lebensgeschichte  abgeben  (^). 

Von  geringerer  geistiger  Bedeutung  als  die  Genannten 
waren,  um  von  den  andern  zu  schweigen,  Robert  Gell,  an- 
scheinend wie  Meade  dazu  ausersehn  Sir  Stuteville  mit  Neuig- 
keiten zu  versehn,  Nathanael  Tovey,  welcher  zu  der  Zeit 
als  Milton  eintrat,  als  Professor  der  Logik  in  dem  College 
wirkte,  und  William  Power,  der  senior  Fellow,  welcher  für 
einen  heimlichen  Papisten-  galt,  und  gegen  dessen  sittliches 
Verhalten,  wenn  anders  Meade  so  zu  verstehen  ist,  schwere 
Vorwürfe  zu  erheben  waren  (-). 

Wäre  Joseph  Meade  nicht  schon  mit  Schülern  überhäuft 
gewesen,  so  hätte  es  recht  wohl  geschehn  können,  dass  dieser 
würdige .  IMann  den  londoner  Ankömmling  zur  Aufsicht  er- 
hielt (2).  So  aber  wurde  er  der  Obhut  W.  ChappelFs  anver- 
traut. 

Nach  der  W^ahl  des  Tutor  war  die  Wahl  des  Zimmers 
keine  so  einfache  Sache.  Der  Master  des  College  hatte  in 
diesem  Punkt  eine  diskretionäre  Gewalt,  und  wir  hören,  dass 
Bainbrigge  diese  gar  sehr  missbrauchte,  wenn  der  Vortheil 
seiner  Verwandtschaft  in  Frage  ,kam(^).  Milton's  Zimmer,  wie 
sie  noch  heute  •  gezeigt  werden ,  eine  kleine  Stube  und  eine 
noch  kleinere  Kammer  daneben,  lagen  in  dem  älteren  Theil 
des  Gebäudes.  Ohne  Zweifel  hatte  er  sie,  wenn  nicht  mit 
mehreren,  so  wohl  mit  Robert  Pory  zu  theilen,  der  gleichfalls 
aus  London  gebürtig,  mit  ihm  in  der  Pauls-Schule  unter  Alexan- 
der Gill  herangebildet,  wenig  Tage  nach  ihm  im  College  auf- 
genommen war.  Von  den  übrigen  damals  eingetretenen  Stu- 
denten wurden  Richard  Earle  aus  Lincoln  und  Edward  Fresh- 
water  aus  Essex  unter  ChappelFs  Aufsicht  gestellt  und  so- 
mit in  den  engsten  Zusammenhang  mit  Milton  gebracht  (^). 

Nachdem  er  einmal  in  dem  neuen  Kreise  sich  eingelebt 
hatte ,  musste  sein  Blick  biild  über  die  engen  Mauern  des 
eignen  College  hinweg  auf  das  Treiben  und  die  hervorstechend- 
sten Persönlichkeiten  der  ganzen  Universität  hinschweifen.  Von 
den  Lehrern  waren   ohne  Zweifel   alles  in  allem  die  berühm- 


58  Cambridger  Celebritäten.  —  I>eben  im  College. 

testen  Dr.  John  Preston,  Master  des  Emaniiel  College,  die  be- 
deutendste pädagogische  Kraft  in  ganz  England ,  in  Predigt 
und  Schrift  der  Nachahmer  keines  Geringeren  als  Calvin's, 
ein  anerkannter  Führer  der  Puritaner  und  als  solcher,  wie 
behauptet  wurde,  eine  Zeit  lang  vom  Herzog  von  Buckingham 
benutzt,  um  auf  die  Partei  zu  wirken.  Der  Professor  An- 
drew Downes  galt  für  den  grössten  Kenner  des  Griechischen 
in  der  Christenheit,  abgesehn  von  den  Griechen  von  Geburt. 
Abraham  Wheelock,  Fellow  von  Cläre  Hall,  glänzte  in  solchem 
Masse  als  Kenner  des  Arabischen  und  Persischen,  dass  er 
„der  Königin  Saba,  als  sie  zu  Salomo  und  den  Männern  des 
Ostens,  als  sie  zu  Herodes  kamen,  zum  Dolmetscher  hätte  dienen 
können".  Von  den  übrigen  Fellows  sei  nur  William  Spurstow 
von  Catherine-Hall  erwähnt,  der  spätere  presbyterianische 
Geistliche,  dessen  Lebenswege  mit  denen  Milton's  sich  noch 
kreuzten,  und  Richard  Howlett  von  Sidney-Sussex  College, 
welcher  acht  Jahre  vorher  Oliver  Cromwell's  Tutor  gewesen 
war.  Das  Amt  der  öffentlichen  Beredtsamkeit  hatte  George 
Herbert  inne,  den  schon  damals  ein  frommer  Wandel  und  das 
sich  entfaltende  dichterische  Talent  berühmt  gemacht  hatten  (^). 

Aus  dem  grösseren  Kreise  der  Studiengenossen  diejenigen 
herauszufinden,  welche  Talent,  oder  Charakter  auf  eine  glän- 
zende Laufbahn  hinwiesen ,  konnte  dem  Ankömmling  nicht 
leicht  werden.  Doch  aber  mochte  er  sich  in  späteren  Jahren 
erinnern,  dass  er  gleichzeitig  mit  den  Dichtern  Waller  und 
Randülph  und  mit  dem  Kirchenhistoriker  Thomas  Füller  die- 
selbe akademische  Luft  eingeathmet  hatte,  deren  Hauch  in 
der  Universitäts- Geschichte  des  letzten  noch  so  deutlich  zu 
spüren  ist. 

Immerhin  war  erst  in  zweiter  Linie  die  Universität,  in 
erster  das  eigne  College  dasjenige  Bereich ,  in  welchem  sich 
Milton's  Studien  und  Leben  nach  den  bekannten  Kegeln  zu 
bewegen  hatten.  Um  fünf  Uhr  Morgens  hatte  er  beim  Früh- 
Gottesdienst  in  der  Kapelle  zu  erscheinen  (^),  dann  folgte  die 
Arbeit  des  Tages,  getheilt  in  den  Unterricht  im  Einzel-College 
unter  Aufsicht  des  Tutors  oder  besonderer  Lehrer,  und  in  die 
Voi'lesungen,  welche  in  den  allgemeinen  Auditorien  der  Univer- 


Studentische  Sitten.  59 

sität  gehört  wurden.  Neben  dem  Unterrieht  füllte  die  Theil- 
nahme  an  den  Disputationen  hier  wie  dort  den  Tag  oder  fast 
nur  den  Morgen,  denn  nach  der  Mahlzeit,  zu  der  sich  um 
zwölf  die  Mitglieder  des  College  in  der  Halle  versammelten 
und  nach  Rang  und  Ordnung  setzten,  wurden  der  vorge- 
schriebenen Arbeit  nur  wenig  Stunden  gewidmet.  Die  übrige 
Zeit  bis  zum  Abend-Gottesdienst  und  Abend-Essen  um  sieben 
gehörte  jedem  einzelnen.  Indess  wäre  es  ein  Irrthum  zu 
glauben,  dass  die  Strenge  der  elisabethanischen  Statuten  in 
allen  übrigen  Punkten  zu  Milton's  Zeit  noch  aufrecht  erhalten 
gewesen  wäre.  In  den  zwei  Menschen- Altern ,  welche  seit 
ihrer  Abfassung  vergangen,  waren  die  Ansichten  freier  und 
die  Sitten  lockerer  geworden.  Es  war  nicht  mehr  möglich 
die  jungen  Geister  hinter,  den  Kloster-Mauern  zu  halten  und 
von  der  Aussen  weit  abzuschli  essen.  Abgesehen  von  der  nicht 
allzu  grossen  Entfernung  der  Hauptstadt  und  ihrer  Genüsse 
bot  die  Stadt  Cambridge  selbst,  so  klein  sie  war,  mancherlei 
gefährliche  Anziehungs-Punkte,  vor  allem  die  berühmten  drei 
Schenken  zum  Delphin,  zur  Rose,  zur  Mitra.  In  einem 
andern  Wirtshaus,  dem  „ehernen  George",  neben  Milton's 
College  hatte  sogar  mancher  Studirende  seine  dauernde  Woh- 
nung aufgeschlagen,  was  ganz  gegen  die  Gesetze  war(i).  So 
gut  wie  andere  durfte  sich  ^lilton  die  Freiheit  nehmen,  im 
Cam  zu  baden  und  die  Umgegend  zu  durchschweifen.  Die 
alte  einfache  und  würdevolle  Tracht  war  der  neuen  Mode  ge- 
wichen, und  die  akademische  Jugend  stolzirte  mit  gekräuselten 
Locken,  breiten  Manschetten  und  Spitzen-Kragen,  Puffen  und 
Schleifen  von  verschwenderischer  Fülle  einher.  In  den  Colleges 
war  Rauchen,  Spielen,  Schwören,  Trinken  und  Fluchen  nichts 
Seltenes  (^).  Man  verspottete  die  Religion  und  witzelte  über 
das,  was  frommen  Gemüthern  als  heilig  galt. 

Sitte  und  INIoral  wurden  oft  in  der  aller  bedenklichsten 
Weise  verletzt,  und  die  Erwähnung  eines  einzelnen  besonders 
starken  Falles  erpresst  dem  ehrlichen  Joseph  Meade  den  Ausruf: 
„Guter  Gott,  wie  lebt  man  hier!"(^)  Alles  dies  waren  Dinge, 
welche  von  puritanischen  Geistern,  wie  Simonds  d'Ewes,  und  es 
gab  deren  noch  mehrere  in  Cambridge,  dem  Universitäts-Leben 


60     Puritanismus  und  Foimenzwang.  —  Regierungs-Antritt  Karls  I. 

heftig  vorgeworfen  wurden.  Aber  auch  die  andere  Partei,  die 
Partei  der  herrschenden  antipuritanischen  Kirchen  -  Gewalt 
hatte  sich  über  mancherlei  zu  beklagen.  Sie,  welche  überall 
die  Geister  unter  das  Joch  ihrer  Formen  zu  zwingen  suchte, 
musste  bemerken,  dass  viele  Mitglieder  der  Universität  sich 
dem  vorgeschriebenen  kirchlichen  Ceremoniell  nicht  anschlössen. 
In  Trinity-College  beugten  bei  der  Nennung  des  Namens  Jesus 
nur  wenige  die  Kniee,  viele  blieben  beim  Gebet  sitzen  oder 
knieeten  und  neigten  sich  nicht  nach  der  Vorschrift,  sondern 
ganz  nach  ihrem  Gefallen,  andere  improvisirten  sogar  die 
Worte  des  Gebets  (*),  und  auf  solche  Weise  wurden"  die  „jungen 
Scholaren  angeleitet  dem  Einzel-Geist  vor  dem  öffentlichen, 
den  ofüciell  nicht  gebilligten  Gebeten  ihrer  eignen  Erfindung 
vor  der  anerkannten  Liturgie  der  Kirche  den  Vorzug  zu  geben". 
Hatten  die  Spaltungen  auch  nicht  jenen  gehässigen  Charakter 
angenommen,  wie  in  Oxford,  war  auch  nach  den  früheren 
Kämpfen  das  Uebergewicht  der  bischöflichen  Partei  in  Cam- 
bridge entschieden,  so  war  doch  eine  nicht  unbedeutende 
puritanische  Partei  zurückgeblieben,  und  man  bemerkt  auch 
hier  im  Hintergrunde,  als  Vorbereitung  für  kommende  er- 
schütternde Ereignisse,  überall  den  geheimen  Kampf  zweier 
Streitmächte,  von  denen  die  eine  durch  eine  übertriebene 
Strenge  und  Askese  zum  Spott  aufforderte,  die  andere  durch 
Ueppigkeit  und  Formalismus  den  ernsten,  religiösen  Sinn 
verletzte. 

Zunächst  waren  es  aber  nicht  diese  Gegensätze,  sondern 
Angelegenheiten  allgemeiner  Art,  die  Milton's  Interesse  er- 
regten und  nicht  selten  seine  dichterische  Kraft  in  Bewegung 
setzten.  Die  Todtenfeier  für  König  Jakob  und  die  Beglück- 
wünschung Karls  I.  zum  Antritt  der  Regierung  wie  zur  Ver- 
mählung gaben  der  Universität  zu  festlicher  Versammlung  und 
poetischen  Ergüssen  Anlass.  In  allen  Gebetformeln  u.  s.  w. 
war  nun  das  „König  Jakob"  in  „König  Karl"  umzusetzen, 
und  Milton  erlel)te  in  seinem  College  den  Scherz,  dass  ein 
P)ac(alauieus,  der  die  Psalmen  über  Tisch  vorzulesen  hatte, 
in    dem  I^fer,    den    alten  Namen   mit    dem   neuen    zu   ver- 


Die  Pest.  61 

tauschen ,  den  „Gott  Jakobs",  wie  er  ihn  gedruckt  vorfand, 
in  einen  „Gott  Karls"  verwandelte  (^). 

Nachrichten  ernsteren,  ja  schwerwiegenden  Inhalts  kamen 
Milton  von  London  zu.  Dort  gieng  ein  unheimlicher  Gast  von 
Haus  zu  Haus:  die  Pest.  Vom  Mai  1625  bis  zum  März  1626 
forderte  sie  ihre  Opfer.  Man  konnte  ein  Mal  rechnen ,  dass 
in  zwanzig  Wochen  40,000  w'eggeratft  waren.  In  der  Woche 
vom  Uten  bis  18ten  August  starben  an  der  furchtbaren  Krank- 
heit 4463  Menschen.  Handel  und  Verkehr  standen  still,  die 
Reichen  flohen,  Meister'  wie  Lehrlinge  bettelten  in  den 
Strassen  (2).  Man  ordnete  öffentliche  Fast-  und  Busstage  an, 
um  dem  Unheil  zu  begegnen. 

In  Cambridge  hatte  man  die  grösste  Angst  vor  der  An- 
steckung, bei  jedem  plötzlichen  Todesfall  dachte  man  an  die 
Pest.  Einzelne  schreckenerregende  Berichte  gelangten  brief- 
lich zur  Kunde  der  Bewohner  von  Christ-College.  Ein  Vater 
suchte  mit  seinen  sieben  Kindern  dem  Unheil  "zu  entfliehen 
und  eilte  aufs  Land,  er  musste  sie  alle  sieben  dort  be- 
graben (^).  Ein  Mitglied  des  College  erhielt  von  seinem  Vater 
die  wöchentlichen  Todtenlisten  gesandt,  aber  man  scheute  sich, 
diese ,  die  möghchen  Träger  des  Krankheitsstoffes ,  weiter  zu 
verschicken ,  obwohl  der  alte  Hobson,  der  als  Brief-Bote  jede 
Woche  den  Weg  von  Cambridge  nach  London  zurücklegte, 
Befehl  hatte  alles  sorgsam  zu  durchräuchern  (^).  —  Milton, 
der  die  Herbstferien  1625  vermuthlich  mit  seinen  Eltern  zu- 
sammen verbrachte,  hatte  zwar  keine  Ursache  einen  Angriff 
der  tückischen  Krankheit  auf  das  Eltern-Haus  in  Bread-street 
zu  beklagen.  Doch  kam  ein  Todesfall  in  seiner  Familie  vor,  der 
ihm  nahe  gieng.  Im  Winter  1625  auf  1626  starb  kurz  nach 
der  Geburt  ein  Töchterchen  seiner  Schwester,  Anna  Phillips, 
und  der  Bruder  tröstete  die  betrübte  Schwester  mit  einer 
englischen  Ode,  welche  immer  ein  liebliches  Denkmal  seiner 
jugendlichen  Muse  bleiben  wird  (^).  Es  war  nichts  zum  ersten 
Mal  Erfundenes,  ein  rasch  hinweggeraft'tes  Geschöpf  mit  der 
Blume  zu  vergleichen,  die  der  anhauchende  Kuss  des  Win- 
ters tödtet,  aber  gerade  bei  diesem  Gegenstand,  der  die  Ge- 
fahr gekünstelter  Uebertreibung  bei  Ausführung  des  Bildes  so 


QO  Miltou's  Ode  auf  den  Tod  der  kleinen  Phillips. 

nahe  legte,  zeigte  sich  das  Talent  des  jugendlichen  Dichters 
in  anmuthsvollen  Formen  eines  der  Spenser-Stanza  nahe  ver- 
wandten Versmasses.  Vergleiche  aus  dem  Alterthum,  fast 
übermässig  gehäuft,  kann  uns  der  ehemalige  Schüler  Alexander  . 
Giirs  und  lesser  pensioner  von  Christ-College  nicht  erlassen, 
aber  zugleich  erhält  die  Wirklichkeit  ihr  Recht.  Noch  gegen 
Ende  taucht  der  echt  puritanische  Gedanke  auf:  „Warum 
konntest  du  nicht  auf  Erden  bleiben,  uns  mit  deiner  gottge- 
fälligen Unschuld  zu  schützen,  dessen  Zorn  zu  sänftigen,  den 
Sünde  uns  zum  Feinde  machte,  das  ungestüme  schwarze  Ver- 
derben abzuwehren  oder  die  mörderische  Pest  zu  vertreiben, 
zwischen  uns  und  den  verdienten  Schlag  zu  treten  ?  Doch  dies 
Amt  kannst  du  jetzt  da  vollbringen  wo  du  bist." 

Es  ist,  als  ob  in  dieser  und  der  nächsten  Zeit  Milton's 
]\Iuse  vorzugsweise  mit  den  Gedanken  an  Trauer  und  Tod 
beschäftigt  gewesen  wäre.  Am  21.  September  1626  starb 
Lancelot  Andrews,  der  Bischof  von  Winchester,  der  berühmte 
Patron  der  Gelehrten  seiner  Zeit.  Cambridge  stand  er  be- 
sonders nahe,  da  er  einst  Master  von  Pembroke  College  ge- 
wesen war,  und  so  ist  es  erklärlich,  dass  ihn  Milton  in  einer 
lateinischen  Elegie  feierte,  die  er  in  späteren  Jahren,  als  seine 
kirchenpolitischen  Ansichten  sich  in  direktem  Gegensatz  zu 
denen  Andrews'  entwickelt  hatten,  mit  getheilten  Empfin- 
dungen beurtheilen  musste(').  „Bekümmert  und  schweigend 
sass  ich  allein  und  meine  Seele  bedachte  viel  Trauriges.  Zu- 
erst schwebte  mir  das  Bild  der  schrecklichen  Verwüstung 
vor,  welche  die  Leichengöttin  auf  Englands  Boden  angerichtet 
....  dann  dachte  ich  an  den  Tod  des  ruhmreichen  Feldherrn 
und  seines  tapfern  Waffenbruders  (^),  aber  vor  allem  klage  ich 
über  dich,  würdigster  Prälat."  Und  nun  folgt  eine  sehr 
farbenreiche  Vision,  in  welcher  der  unter  die  Schaaren  der 
Engel  Entrückte  in  priesterlichem  Ornat,  verklärter  Gestalt 
den  Augen  des  Dichters  erscheint.  Kurze  Zeit  nachher 
(5.  Okt.  1626)  rief  der  Tod  eines  andern  hohen  Würden- 
trägers der  Kirche,  der  gleichfalls  Master  von  Pembroke-Hall 
gewesen,  Nicholas  Felton's.  des  Bischofs- von  Ely,  wiederum  ein 
lateinisches   Gedicht  hervor.    In  diesem,  ähnlich  wie  in   dem 


Gedichte  auf  Andrews,  Feiton,  Gostlin,  Ridding.  63 

vorhergehenden,  ist  gewiss  das  Merkwürdigste  jene  früh  vor- 
handene Neigung,  die  sich  später  so  vorwiegend  entwickelte, 
das  Bereich  des  Ueberirdischen,  die  Herrlichkeit  des  Himmels, 
als  Sitz  des  Göttlichen,  die  Musik  der  Engel  mit  allen  Mitteln 
der  Phantasie  zu  schildern,  die  denn  doch  dem  spröden  Stoff 
gegenüber  nicht  völlig  ausreicht (0. 

Machen  schon  diese  beiden  Trauergedichte  den  Eindruck 
des  Schulmässigen,  lateinischer  Stilübungen  in  Versen,  so  noch 
mehr  eine  Ode  und  eine  Elegie,  welche  zwei  Männer  feiern, 
deren  Tod  freilich  die  grösste  Beachtung  in  Cambridge  linden 
musste.  Dies  war.  der  Vicekanzler  der  Universität,  John 
Gostlin  (t  21.  Okt.  1626),  ein  bedeutender  Mediciner,  den 
eigne  Kunst  so  wenig  rettete,  „wie  die  Wissenschaft  ver- 
borgner Kräuter  den  Machaon  oder  Chiron"  (^),  und  Ptichard 
Ridding,  der  Ober-Pedell,  welcher  so  oft  „ausgezeichnet  durch 
seinen  glänzenden  Stab  die  akademische  Jugend  zusammen- 
zurufen pflegte,  und  den  nun  der  Tod  hinweggerufen  hat,  der 
letzte  Pedell"  (^).  Fast  sollte  man  meinen,  dies  letzte  Gedicht 
sei  mit  denen  aus  anderen  Colleges  nach  alter  Sitte  an 
das  Bahrtuch  geheftet  worden,  es  schliesst:  „Nun  traure 
0  Akademie  in  dunklem  Gewände,  deine  Thränen  benetzen 
die  schwarze  Bahre,  die  Elegie  ergiesse  ihre  Trauer-Weise, 
und  in  der  ganzen  Universität  halle  der  Klag-Gesang  wider." 
Unzweifelhaft  stand  ein  anderes  lateinisches  Gelegenheitsge- 
dicht des  Jahres  1626  in  direktem  Zusammenhang  mit  den 
Anforderungen  oder  doch  den  Wünschen  des  College.  Fast 
ein  Jahr  nach  Entdeckung  der  Pulver-Verschwörung  (20.  Okt. , 
1606)  war  durch  Dekret  des  Vicekanzlers  und  der  Häupter 
zu  Cambridge  verordnet,  dass  das  Andenken  jenes  verhäng- 
nisvollen Tages,  des  fünften  Novembers,  jedes  Jahr  durch  eine 
Predigt  in  der  Kirche  St.  Mary  und  Nachmittags  in  der  herr- 
lichen Kapelle  von  King's  College  durch  eine  Rede  des  öffent- 
hchen  Redners  oder  eines  Stellvertreters  gefeiert  werden 
sollte (^).  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  ausserdem  die 
einzelnen  Colleges  den  Tag  festlich  begiengen,  und  man  darf 
vermuthen,  dass  Milton's  226  lateinische  Hexameter  (^)  auf  den 
fünften  November  zu  solchem  Zweck   verfasst  wurden.    Sehr 


g^  Gedichte  auf  die  Pulver- Verschwörung. 

auffällig  bleibt,  dass  sich  Milton  die  recht  dramatische  Seite 
des  Vorwurfs,  die  Entdeckung  des  Verbrechers  mitten  unter 
seinen  Mordwerkzeugen  ganz  hat  entgehen  lassen.  Statt 
dessen  erhalten  wir  die  Uebertragung  von  allegorischen  Figuren 
und  der  Maschinerie  des  antiken  Epos  auf  die  modernen  Zu- 
stände. Der  König  der  Hölle  verlässt  sein  Reich  und  ent- 
zündet überall  Krieg  und  Unheil.  Nur  die  kleine  Insel  Eng- 
land sieht  er  glücklich  und  friedlich.  Dies  kann  er  nicht  er- 
tragen, er  fliegt  unter  Donner  und  Blitzen  nach  Rom  und  findet 
dort  den  Pabst  in  feierlicher  Procession  am  Vorabend  des  St. 
Peter-Tages.  Nachts  naht  er  in  der  Gestalt  eines  Franzis- 
kaners dem  Schlummernden  und  ruft  ihn  auf,  die  erlittene 
Schmach,  die  Vernichtung  der  Armada,  das  Martyrium  so 
vieler  Heiligen  zu  rächen.  Gerade  jetzt  versammelt  der  König 
den  Rath  der  Edlen,  wenn  man  den  Palast  und  sie  mit  ihm 
in  die  Luft  sprengt ,  so  mag  der  Franzose ,  der  Spanier  in 
das  Reich  einfallen  und  die  Zeiten  der  katholischen  Maria 
zurückführen.  Erwacht,  ruft  der  Ober-Priester  Roms  Mord 
und  Verrath  aus  ihren  grässlichen  Höhlen  und  giebt  ihnen 
seine  Befehle.  Aber  Gott  sieht  vom  Himmel  herab  und  ver- 
lacht die  schändlichen  Anschläge.  Schon  ist  Fama  in  ihrem 
weitausschauenden  Thurme  mit  tausend  Thoren  und  Fenstern 
in  Bewegung,  sie  eilt  auf  Gottes  Befehl  nach  Fingland,  die 
Verbrecher  werden  entdeckt,  und  fortan  „giebt  es  keinen 
grösseren  Festtag  im  Jahre  als  den  fünften  November".  — 
Wie  die  beginnende  Renaissance  das  moderne  Leben  in  die  antiken 
Formen  zu  pressen  sucht,  aber  den  Zwiespalt  zwischen  Form 
und  Wesen  noch  nicht  gänzlich  überwindet,  so  werden  wir  bei 
dieser  Schöpfung  Milton's  wie  bei  den  meisten  anderen  aus  dieser 
jugendlichen  Epoche  unaufhörlich  daran  gemahnt,  wie  sehr  sich 
dci- Dichter  zwingen  muss,  seine  lebendige  Vorstellung  in  Sprache 
und  Anschauung  der  Antike  zu  bannen.  Er  wählt  seine  Bilder 
aus  den  Psalmen,  und  dabei  müssen  ihm  Ovid,  Properz  und 
Lucan  ihre  Worte  leihen,  der  Pabst  ist  der  babylonische  „Ober- 
Priester"  und  der  Teufel  der  „Vater  der  Eumeniden",  der 
Tiber  giebt  Thetis  heimliche  Küsse  und  zugleich  schreiten  die 
Bettelmönche  in  feierlicher  Procession  einher.    Bei  dieser  ganz 


Protestantische  Befürchtungen.  65 

unorganischen  Verbindung,  welche  aus  der  Vermischung  der 
verschiedenen  Bildungs-Elemente  hervorgieng,  die  die  Schule 
und  nun  auch  das  College  dem  Dichter  gewährten,  kann  die 
Einheit  des  poetischen  Empfindens  nicht  gewahrt  werden. 
Aber  um  so  mächtiger  bricht  das  Gefühl  jugendlichen  Hasses 
in  politischer  wie  religiöser  Beziehung  auch  durch  die  klassi- 
sche Gewandung  hindurch. 

Man  muss  bedenken,  in  welcher  Zeit  das  Gedicht  ent- 
stand. Der  festländische  Krieg  nahm  die  ungünstigste  Wen- 
dung für  die  Sache  des  Protestantismus.  Christian  von  Braun- 
schweig war  gestorben,  Mansfeld  stand  mit  einem  Fuss  im 
Grabe.  Der  König  von  Dänemark  war  aus  dem  Felde  ge- 
schlagen, Tilly  rückte  unaufhaltsam  in  Nord-Deutschland  vor, 
Wallenstein  drängte  Bethlen-Gabor  zum  Frieden.  England, 
weit  entfernt  davon,  eine  seiner  würdige  Stellung  in  dem 
grossen  Kampfe  einzunehmen,  trieb  ungeahnten  Stürmen  ent- 
gegen. Zwei  Parlamente  waren  bereits  aufgelöst,  nachdem 
in  den  wichtigsten  Fragen  innerer  und  äusserer  Politik,  ja 
des  Verfassungsrechtes  selbst,  der  Gegensatz  zwischen  ihnen 
und  der  Regierung  immer  schärfer  geworden  war.  Wie  die 
Pläne  des  Herzogs  von  Buckingham  in  nichts  zerrannen,  durch 
eine  grosse  Liga  im  kontinentalen  Kriege  dem  Hause  Habs- 
burg entgegenzutreten  und  die  Pfalz'  zurückzugewinnen,  so 
war  im  Herbst  1625  die  Expedition  der  englischen  Flotte 
gegen  Cadix  schmählich  gescheitert  und  hatte  nur  dazu  ge- 
dient, den  traurigen  Zustand  der  englischen  Verwaltung  und 
Wehrkraft  zu  offenbaren.  Die  Ueberlassung  englischer  Schiffe 
an  Frankreich  musste  den  Verdacht  rechtfertigen,  dass  sie  zur 
Bekämpfung  der  Hugenotten  in  Rochelle  hergegeben  worden 
seien  (^).  Die  Anwesenheit  katholischer  Priester  in  der  Um- 
gebung der  Königin,  die  zeitweilige  mildere  Handhabung  der 
Strafgesetze  gegen  die  Anhänger  der  römischen  Kirche,  die 
Sprache  dem  Hofe  nahestehender  Geistlicher  hatte  den  arg- 
wöhnischen Puritanismus  schwer  verletzt.  Man  fühlte  in  seinen 
Kreisen  eine  beständige  Angst  ,,vor  dem  verfluchten  Geschleclit 
der  Jesuiten,  der  Seminar-Priester  und  Mordbrenner,  die  immer 
bereit  stehen   die  Kohlen  der  Zwietracht  anzublasen"  (-).  — 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.     I.  1.  5 


(3ß  Briefwechsel  mit  Diodati. 

Kichts  erklärlicher,  als  dass  der  junge  Dichter,  in  Erinnerung 
an  ein  fanatisches  Unternehmen,  das  noch  heute  im  Gedächtnis 
der  Nation  fortlebt,  alle  Befürchtungen  und  die  ganze  Leiden- 
schaft eines  schwarzsichtigen  Puritaners  in  seinen  Versen  zum 
Ausdruck  bringt.  Für  den  Pabst  ist  ihm  keine  Beschimpfung 
zu  stark  (s.  v.  75.),  in  einem  der  vier  schon  erwähnten  Epi- 
gramme, die  sich  auf  denselben  Gegenstand  beziehen,  nennt 
er  ihn,  dem  theologischen  Jargon  der  Zeit  folgend:  „Das 
Thier". 

Glücklicher  Weise  sind  die  angeführten  Gelegenheits-Ge- 
dichte nicht  die  einzigen,  welche  uns  aus  diesen  ersten  Univer- 
sitäts-Jahren Milton's  aufbewahrt  sind,  und  insoferne  es  auf 
das  biographische  Interesse  ankommt,  wird  das,  was  sonst 
aus  dieser  Zeit  vorhanden  ist,  zum  Einblick  in  das  Werden 
und  Wachsen  des  Dichtergeistes  weit  dienlicher  sein  als  das 
Genannte.  Es  ist  vor  allem  der  Freundschaftsbund  mit  Dio- 
dati, der  Milton  einige  der  kostbarsten  Perlen  seiner  lateini- 
schen Poesie  abgewonnen  hat.  Diodati  hatte,  bei  weitem  jünger 
als  der  Freund  mit  vierzehn  Jahren  (1622),  die  Pauls-Schule 
verlassen  und  die  Universität  Oxford  bezogen.  Aber  die  Ver- 
bindung zwischen  den  beiden  Jugendfreunden  blieb  ununter- 
brochen bestehn,  auch  zu  der  Zeit,  als  Milton  gleichfalls  auf 
die  Hochschule  abgegangen  war.  Durch  die  Ferien  konnten 
beide  in  London  zusammengeführt  werden,  und  in  der  Zwischen- 
zeit musste  der  Briefwechsel  die  Gegenwart  ersetzen.  Man 
besitzt  noch  zwei  Briefe  Diodati's  an  Milton,  merkwürdiger 
W^eise  in  griechischer  Sprache  geschrieben  (^).  Der  erste  dieser 
Briefe  lässt  sich  auch  nicht  annähernd  datiren,  sehr  möglich, 
dass  er  zu  einer  Zeit  geschrieben  wurde,  da  beide  Freunde 
in  den  Ferien  in  London  waren.  Es  ist  in  dem  Briefe  die 
Rede  von  einem  zwischen  ihnen  besprochenen  Ausflug,  den 
nur  das  eingetretene  stürmische  und  unbeständige  Wetter  hin- 
auszuschieben zwingt.  Diodati  fordert  aber  in  nmnterer  Laune 
den  Freund  auf  für  morgen  guten  Muthes  zu  sein  und  eine 
heitrere  Stimmung  anzunehmen  als  gewöhnlich,  da  am  folgen- 
den Tage  sicher  alles,  Luft,  Sonne,  Fluss,  Bäume  und  Vögel, 
P>dc    und-  Menschen,    lächeln    wird.      Dieselbe    anheiternde 


Erste  Elegie.  67 

Pylades-Natur  zeigt  Diodati  in  dem  zweiten  Briefe.  Er  schil- 
dert seinen  zeitigen  Aufenthalt,  offenbar  einen  Land-Aufenthalt, 
den  Zauber  des  Frühlings,  die  Blüthen-Fülle  und  den  Gesang 
der  Vögel.  Nur  eins  fehlt  ihm  zu  seinem  Glück,  eine  be- 
freundete Seele.  Er  sehnt  sich  nach  Milton :  „Aber  du  Wunder- 
barer, warum  verschmähst  du  die  Gaben  der  Natur,  warum 
fesselst  du  dich  Tag  und  Nacht  an  deine  Bücher  und  Studien  ? 
Lebe,  lache,  geniesse  der  Jugend,  der  Stunden  ...  In  allem 
andern,  glaub'  ich,  stehe  ich  dir  nach,  nur  darin  bin  ich  dir 
voraus,  ein  Mass  im  Arbeiten  zu  kennen"  .  .  . 

Man  wird  schwerlich  irren ,  wenn  man  in  Milton's  erster 
lateinischer  Elegie  die  Antwort  auf  diesen  zweiten  Brief  findet. 
Diese  Elegie  ist  gleichfalls  im  Frühling,  höchst  wahrscheinlich 
1626,  geschrieben,  aus  ihr  würde  erhellen,  dass  Diodati  sich 
damals  in  Cheshire  aufhielt  (^).  Das  Gedicht  ist  in  London 
verfasst,  unter  eigeuthümlichen  Umständen,  über  die  noch  zu 
berichten  sein  wird.  Nur  soviel  sei  schon  hier  erwähnt,  dass 
der  Aufenthalt  in  der  Hauptstadt,  fern  von  den  Studien  des 
College,  nicht  ganz  freiwillig  war.  Aber  der  Dichter  ist  keines- 
wegs geneigt,  dies  zu  beklagen.  „Hier  darf  ich,  ruft  er 
Diodati's  Frage  beantwortend  aus,  meine  Müsse  den  gefälligen 
Musen  widmen,  und  die  Bücher,  die  mein  Leben  sind,  fesseln 
mich  völlig.  Aber  den  Ermüdeten  nimmt  der  pomphafte  Ptund- 
bau  des  Theaters  auf,  und  die  geschwätzige  Bühne  lockt  mich 
zu  ihren  Beifallsrufen."  Nun  folgt  in  genialer  Verkürzung 
eine  Zusammenfassung  der  Bühnen-Stofife  aller  Zeiten,  wobei 
der  klassisch  Gebildete  doch  vorwiegend  antike  Muster  wählt. 
Die  uralten  Typen  des  Lustspiels  werden  skizzirt:  Der  junge 
Verschwender,  der  Process-frohe  Anwalt,  der  verschlagene 
Sklave,  der  dem  verliebten  Sohn  gegen  den  betrogenen  Vater 
hilft,  das  Mädchen ;  das  sich  zum  ersten  Mal  fragt,  ob,  was 
sie  empfindet,  Liebe  sei  oder  nicht.  Aber  daneben  verlangen 
auch  die  Gestalten  der  Tragödie  ihr  Recht,  sei's  dass  der 
unglückliche  Jüngling  hinsinkt,  eh'  er  vom  Liebesgenuss  ge- 
kostet, sei's  dass  der  Rächer  eines  furchtbaren  Verbrechens 
wieder  aus  der  Unterwelt  aufsteigt  und  die  schuldbeladenen 
Seelen  erschüttert  (^),  sei's  dass  das  Haus  des  Pelops  oder  des 

5* 


ßg  Siebente  Elegie. 

edlen  Ilos  wehklagt,  sei's  dass  Kreon's  Palast  der  Ahnen  Blut- 
schande büsst.  Aber  nicht  allein  die  Stadt  und  ihre  Freuden 
fesseln  den  Dichter.  Der  Frühling  lockt  ihn  in  den  nahen 
Ulmen-Hain  und  zu  den  schattigen  Spaziergängen  der  Vor- 
stadt. Der  Betrachtung,  die  sich  hier  anschliesst,  sind  wir 
bis  jetzt  bei  Milton  noch  nicht  begegnet.  „Dort  kannst  du 
oft,  gleich  mildscheinenden  Sternen,  die  Schaar  der  Mädchen 
vorüberwandeln  sehn;  ach,  wie  oft  hat  mich  das  Wunder  einer 
schönen  Gestalt  entzückt,  würdig  Jupiters  Zeitalter  zu  erneuen, 
wie  oft  habe  ich  Augen  gesehn,  heller  strahlend  als  Edelsteine, 
und  Nacken  weisser  als  die  elfenbeinerne  Schulter  des  Pelops, 
und  edle  Stirnen  und  fliegendes  Haar,  Amors  goldnes  Netz  .  .  . 
Zurück  ihr  oftgerühmten  Herolden,  ihr  Mädchen  Persiens  .  . 
und  ihr  Nymphen  Griechenlands  .  .  der  erste  Preis  gebührt 
den  Jungfrauen  Britanniens.  Du  thurmgekröntes  London 
schliesst  in  deinen  Mauern  alle  Schönheit  der  Erde  ein." 

Ganz  dazu  gemacht,  die  allgemeinen  Andeutungen  dieser 
jugendlichen  Stimmung  zu  ergänzen,  erscheint  die  ohne  Zweifel 
zwei  Jahre  später,  im  Mai  1628  abgefasste  siebente  lateinische 
Elegie.  Der  Schauplatz,  auf  den  uns  der  Dichter  führt,  ist 
wieder  jene  Villen-umkränzte,  ländliche  Umgebung  Londons, 
„wo  die  Bürger  lustwandeln"  (')•  Wieder  wallt  die  dichte 
Schaar  der  Göttinnen  vorüber,  aber  dies  Mal  steht  Milton 
nicht  als  kritischer  Beschauer  der  wundervollen  Formen,  welcher 
Vergleiche  mit  den  antiken  Heroinen  seiner  Lektüre  aus- 
malt. Ihm  geschieht  wie  Dante.  Amor,  dessen  Pfeile  bisher 
stets  von  seiner  Brust  abgesprungen  waren,  den  er  immer  mit 
bittrem  Spott  verjagt  hat,  ist  diesen  Morgen  schon  dem  Lager 
des  Dichters  mit  höhnenden  Worten  genaht,  jetzt  führt  er 
dem  Umherwandernden  eine  liebliche  Venus  gleiche  Gestalt 
entgegen,  und  fortan  ist  es  um  seine  Ruhe  geschehn.  Er  ist 
von  dem  Gotte  besiegt:  „Nimm',  nein  lass  mir  diese  Gluthen, 
ach  jeder  Verliebte  fühlt  süssen  Schmerz.  "  Für  die  Erkennt- 
nis der  jugendlichen  Geistes-Bildung  Milton's  sind  uns  diese 
beiden  Elcgieen  von  unschätzbarem  Werth.  Was  seinem  Alter 
und  seiner  Phantasie  natürlich  wai-,  bricht  durch  die  Sprache 
Ovid's  und  TibuHs    mit    unmittelbarer   Lebendigkeit    durch. 


Briefwechsel  mit  Young.  QQ 

Freilich  war,  auch  nach  Diodati's  Charakteristik,  der  Sinn  des 
Dichters  vorwiegend  ein  ernster,  auf  strenge  Gelehrten-Arbeit 
gerichtet.  Aber  der  Jüngling,  der  die  Nacht  bei  seinen 
Büchern  heranwacht,  der  von  allem  Hass  gegen  das  römische 
Priesterthum  durchglüht  ist,  will  sich  vor  dem  Schönen  in 
Natur  und  Kunst  nicht  klösterlich  abschliessen.  Gleich  weit 
entfernt  von  mönchischer  Askese,  wie  von  höfischem  Leicht- 
sinn, sucht  er  sich  schon  früh  zu  dem  Ideal  des  Menschen 
heranzubilden,  dem  keine  Seite  des  Lebens  unnahbar  ist,  weil 
ihre  Verbindung  erst  eine*  ganze  Natur  machen  kann.  Wir 
mögen  gern  glauben,  dass  der  heitre  Sinn  Diodati's  auf  die 
geistige  Richtung  INIilton's  auch  aus  der  Ferne  nicht  ganz  un- 
bedeutend wirkte,  fast  scheint  es,  als  sei  auch  diese  Elegie 
gerade  für  das  Auge  des  Freundes  bestimmt  gewesen,  wie 
um  ihm  zu  beweisen,  dass  der  Autor  doch  nicht  ganz  in  sei- 
nen Büchern  vergraben  sei(^). 

Diodati  war  nicht  der  einzige  der  alten  Freunde,  mit 
welchem  Milton  auch  während  seiner  cambridger  Epoche  den 
Zusammenhang  erhielt.  Endlich  wurde  sein  früher  ausgespro- 
chener Wunsch  erfüllt:  Thomas  Young,  der  Lehrer  seiner 
Jugend,  kehrte  aus  dem  kriegdurchtobten  Deutschland  in  die 
Heimat  zurück.  Ein  gewisser  John  Howe,  welcher  in  Stow- 
market, in  der  Grafschaft  Suffolk,  wohnte,  präsentirte  den 
Kapellan  der  englischen  Gemeinde  zu  Hamburg,  den  man  in 
der  Heimat  noch  nicht  ganz  vergessen  hatte,  als  Vikar  der 
vereinigten  Pfarreien  St.  Peter  und  St.  Mary  in  Stowmarket. 
Young  zögerte  nicht  anzunehmen,  zumal  die  Pfründe  die  für 
die  damalige  Zeit  sehr  anständige  Höhe  von  300  ^.  erreichte. 
Am  27.  März  1628  wurde  er  in  sein  Amt  eingesetzt,  welches 
er  bis  zu  seinem  Tode  inne  hatte  (2).  Milton  brauchte  sich 
nun  nicht  mehr  über  die  Fülle  der  Meere  und  Berge  zu  be- 
klagen, die  sich  zwischen  ihn  und  seinen  Freund  drängten. 
Die  Gelegenheit  diesen  wiederzusehn  war  leicht  und  wurde 
ohne  Zweifel  mehr  als  ein  Mal  benutzt.  In  einem  Brief  vom 
21.  Juli  1628  verspricht  er  noch  für  den  Sommer  seinen  Be- 
such, in  Beantwortung  einer  an  ihn  ergangenen  Einladung  (^). 
Noch  heute  zeigt  man  in  Stowmarket,  nicht  weit  vom  Pfarr- 


70  Briefwechsel  mit  Gill.  —  John  Cleveland. 

hause,  einen  Maulbeerbaum ,  den  der  Dichter  der  Sage  nach 
geptianzt  haben  soll,  wie  denn  ein  anderes  Exemplar  von 
gleich  erlauchtem  Ursprung  im  Garten  von  Christ -College 
nicht  fehlen  darf. 

Dass  auch  das  Verhältnis  zu  Alexander  Gill,  dem  Sohne, 
das  alte  blieb ,  wird  uns  durch  zwei  Briefe  aus  dem  Jahre 
1628  bezeugt  (^),  und  am  Ende  dieses  zweiten  finden  wir  so- 
gar die  deutlich  ausgedrückte,  sehr  beachtenswerthe  Klage, 
wie  wenig  sich  Milton  im  ganzen  durch  die  Genossen  des 
College  angesprochen  fühlte.  „Wahrhaftig,  schreibt  er,  bei 
uns  ist,  soviel  ich  weiss,  kaum  einer  oder  zwei,  der  nicht  der 
Philologie  und  Philosophie  gleich  baar  und  unkundig  ohne 
Federn  zur  Theologie  hinflöge,  zufrieden  sie  auch  nur  so  oben- 
hin zu  Studiren,  soviel  eben  genügen  mag,  um  ein  Predigt- 
chen ,  so  gut  es  gehn  will ,  zusammenzuleimen  und  mit  ge- 
stohlenen ,  abgetragenen  Lappen  zu  flicken.  Es  ist  wirklich 
zu  fürchten,  dass  allmählich  unter  unserm  Klerus  jene  pfäffi- 
sche  Unwissenheit  eines  früheren  Zeitalters  (sacerdotalis  illa 
superioris  saeculi  ignorantia)  einreisst.  Ich  finde  in  der  That 
fast  gar  keine  Studiengenossen  und  würde  gewiss  nach  Lon- 
don blicken,  wenn  ich  nicht  während  dieser  Sommer  -  Ferien 
mich  in  eine  tiefe  literarische  Müsse  zurückzuziehn  und  mich 
sozusagen  ganz  in  der  Festung  der  Musen  einzugraben  ge- 
dächte." 

Zum  Glück  für  den  Schreiber  dieser  schwermüthigen 
Zeilen  gab  es  unter  seinen  Kameiaden  doch  einige,  welche 
von  jener  beschämenden  Hegel  auszunehmen  waren.  Im  Jahre 
1627  am  4.  Septbr.  nahm  Christ-College  einen  vierzehnjährigen 
Ankömmling  auf,  dessen  Name  in  späteren  Jahren  eine  Zeit 
lang  sicher  in  der  Geschichte  der  englischen  Tages -Literatur 
berühmter  war,  als  der  seines  von  denselben  Mauern  um- 
schlossenen Genossen  Milton.  Es  war  John  Cleveland,  der 
Sohn  des  Pfarrers  zu  Ilinckley  in  Leicestershire(=^).  Seine 
scharfe  Satyre',  seine  unläugbare  Redner-  und  Dichter -Gabe 
machten  ihn  weit  und  breit  bekannt,  im  Bürgerkrieg  war  er 
einer  der  ersten  literarischen  Vorkämi)fer  der  royalistischen 
Sache.     Man   möchte    vermuthen,   dass   seine  Art  zu  denken 


Die  Brüder  King.  —  Gedicht:  „Naturam  nou  pati  senium".       71- 

und  ZU  dichten  derjenigen  John  Milton's  schon  frühe  wenig 
entsprechend  gewesen  sei,  doch  hat  man  im  Auge  zu  behalten, 
dass  beide  in  der  Jugend  als  Mitglieder  desselben  College  in 
enge  Verbindung  kamen. 

Schon  vor  Cleveland  im  Jahre  1626  am  9.  Juni  wurden 
zwei  Brüder  vornehmen  Standes  in  das  Christ- College  auf- 
genommen und  der  Sorge  Chappell's  übergeben,  von  denen 
der  eine  nachweisbar  Milton  sehr  nahe  trat.  Es  waren  die 
Söhne  des  Sir  John  King,  Sekretärs  für  Irland,  Roger  und 
Edward,  beide  in  Irland  -geboren ,  aber  unter  dem  bekannten 
Pädagogen  Farnaby  in  London  erzogen (').  Roger,  dam.als 
sechzehnjährig,  stand  Milton  an  Alter  näher,  sehr  möglich, 
dass  er  ihm  auch  bald  ein  vertrauter  Gefährte  wurde ,  be- 
zeugt ist  dies  nur  von  dem  jüngeren,  damals  vierzehnjährigen 
Edward  King.  Durch  besonders  hervorragende  geistige  Eigen- 
schaften scheint  sich  dieser  nicht  eben  ausgezeichnet  zu  haben. 
Was  wir  von  seinen  schulmässigen  poetischen  Schöpfungen  be- 
sitzen: Lateinische  Gelegenheits -Verse  zur  Feier  der  Geburt 
königlicher  Prinzen  und  Prinzessinnen,  zur  Beglückwünschung 
des  Königs  nach  der  Rückkehr  aus  Schottland  1633,  sodann 
einem  College  -  Drama  vorgesetzte  Strophen :  Alles  dies  scheint 
nicht  auf  ein  feines  poetisches  Gefühl  hinzuweisen.  Doch 
giebt  Milton  später  dem  Freunde  ausdrücklich  das  Lob:  „Er 
wusste  selbst  zu  singen  und  den  stolzen  Reim  zu  formen". 
(Lycidas.  V.  10.  11.) 

Es  wäre  von  Interesse,  neben  den  Erwähnten  den  Namen 
noch  eines  der  College  -  Genossen  zu  erfahren,  zu  welchem 
Milton  in  vertrautem  Verhältnis  stand.  Es  muss  einer  der 
Aelteren  gewesen  sein,  ein  Fellow,  und  er  muss  sowohl  das 
Talent  Milton's  wie  dessen  Geneigtheit  gekannt  haben,  es 
andern  zu  Gefallen  zu  verwenden.  In  dem  schon  erwähnten 
Brief  an  Gill  vom  2.  Juli  1628  (s.  o.  S.  42)  bemerkt  Milton: 
„Ein  Mitglied  unseres  College,  welches  bei  der  philosophi- 
schen Disputation  an  den  akademischen  Comitien  (Commenc- 
ment)  als  Respondent  aufzutreten  hatte,  musste  nach  jährlich 
wiederkehrender  Sitte  ein  Gedicht  über  die  streitigen  Fragen 
verfassen.    Da  er  selbst  aber  schon  lange  über  diese  leichten 


72  Gedicht:  „Naturam  non  pati  senium". 

Spielereien  erhaben  und  ernsteren  Dingen  zugewandt  ist,  so 
betraute  er  meine  Jugend  mit  der  Aufgabe.  Ich  sende  dir 
nun  das  Gedruckte."  Zu  den  FormaUtäten  dieses  jährlichen 
Coramencments  gehörte,  dass  lateinische  Verse  über  die  These 
des  jeweils  auftretenden  Respondenten  von  den  Pedellen  unter 
die  Zuhörer  vertheilt  wurden.  Nun  war  es  zwar  an  der 
Tagesordnung,  lateinische  Verse  zu  machen,  aber  dem  einen 
flössen  sie  doch  leichter  von  der  Feder  als  dem  andern,  Mil- 
ton  half  also  einem  älteren  Genossen  aus  der  Noth,  und  noch 
dazu  in  ziemlicher  Ueberstürzung,  da  ihm  die  Zeit  zur  Ab- 
fassung knapp  zugemessen  war.  Doch  merkt  man  dies  der 
„leichten  Spielerei"  nicht  an.  Ihr  Thema  wie  das  der  auf- 
geworfenen Streitfrage  lautete:  „Die  Kraft  der  Natur  ist  nicht 
in  der  Abnahme  begriffen"  (^).  Wir  wissen  noch,  was  dazu 
veranlasst  hat,  diese  Frage  zum  Gegenstand  des  Streites  zu 
machen.  Ein  Jahr  vorher  1627  hatte  George  Hakewill,  da- 
mals Archidiakon  von  Surrey,  einen  Trakta.t  geschrieben,  dessen 
Titel  und  Motto  seine  Tendenz  klar  machten.  Hakewill 
wollte  dem  immer  wieder  auftauchenden  Satze  entgegentreten, 
dass  die  Natur  unter  dem  Gesetz  zunehmender  Erschlaffung 
stehe.  Er  war  ein  Schriftsteller  von  nicht  gewöhnlicher  Be- 
deutung, eine  Zeit  lang  Kaplan  des  Prinzen  Karl,  und  so 
machte  sein  Buch  einiges  Aufsehn.  Noch  1635  erschien  eine 
dritte  Auflage,  an  Widerlegungs  -  Versuchen  war  kein  Mangel, 
jener  Fellow  von  Christ-College  nahm  Hakewill's  Ansicht  wie- 
der auf.  Milton  hatte  also  eine  philosophische  Frage  zu  be- 
handeln und  that  es  in  würdevoller  Weise,  in  der  sich  gleich- 
zeitig ein  grosser  Schwung  der  Phantasie  und  ein  festes 
Vertrauen  auf  die  Leitung  eines  „allmächtigen  Vaters"  in 
edler  Sprache  kund  geben.  Das  Gedicht  ist  zugleich  deshalb 
merkwürdig,  weil  es,  soviel  wir  wissen,  das  erste  Gedruckte 
ist,  das  aus  Milton's  Feder  hervorgegangen.  Indessen  hat 
man  vergebens  einem  Exemplar  dieses  fliegenden  Blattes 
nachgespürt. 


Allgemeine  Universitäts- Ereignisse.  73 

Wir  haben  bisjetzt  den  grösseren  Ereignissen,  welche  die 
Universität  Cambridge  während  der  ersten  vier  Jahre  von 
Milton's  Studienzeit  in  Bewegung  setzten,  noch  keinen  Blick 
zugewandt,  und  doch  fehlte  es  an  solchen  keineswegs.  Der 
Gegensatz  der  puritanischen  und  antipuritanischen  Partei 
war,  wie  erwähnt,  auch  in  diesem  Kreise  bemerklich,  und 
kaum  war  Milton  in  ihn  versetzt  worden,  so  hatte  er  schon 
Gelegenheit,  Zeichen  des  Kampfes  zu  gewahren.  Schon  im 
Januar  1625  (8.  Juli)  überreichte  das  erste  Parlament  Karl's  I. 
dem  König  eine  Petition,  "in  der  man  sich  über  die  Zunahme 
des  Pabstthums  und  zahlreicher  Missbräuche  auf  beiden  Uni- 
versitäten beklagte  und  Wiederherstellung  der  alten  Zucht 
verlangte.  Der  König  versprach  in  seiner  Antwort  vom 
8.  August  Abhülfe  durch  die  Vermittlung  des  Kanzlers.  In- 
dess  die  überstürzte  Auflösung  des  Parlaments  (12.  August) 
machte  eine  weitere  Verhandlung  des  Gegenstandes  unmög- 
lich (^).  Trotzdem  war  die  Drohung  nicht  spurlos  vorüberge- 
gangen. Am  19.  December  1625  wurde  vom  Vicekanzler  und 
eilf  Häuptern  der  Colleges  ein  Dekret  erlassen,  in  welchem 
vor  allem  eingeschärft  wurde,  dass  in  Zukunft  kein  weib- 
liches Wesen  wes  Alters  oder  Standes  in  einem  College  die 
Betten  in  den  Privatzimmern  machen,  sich  in  der  Halle, 
Küche  oder  Speisekammer  aufhalten,  Tischkost,  Brot  oder 
Bier  in  die  Studentenstuben  tragen  solle.  Ausgenommen 
von  diesem  Verbot  waren  nur  die  Krankenwärterinnen,  auch 
diese  wie  die  Wäscherinnen  sollen  in  reifem  Alter  und  gutem 
Ruf  stehen:  Frauen  oder  Wittwen.  Junge  Mädchen  sollen 
unter  keinen  Umständen  Zutritt  zu  den  Studentenwohnungen 
haben ("2).  Die  Reform- Versuche  blieben  hiebei  nicht  stehn. 
Ehe  sein  zweites  Parlament  zusammentrat,  richtete  Karl  an 
den  zeitigen  Kanzler  von  Cambridge,  den  Grafen  von  Suffolk, 
einen  Brief,  in  dem  er  unter  Hinweisung  auf  die  frühere  Pe- 
tition Suffolk  aufforderte,  den  Vicekanzler  und  die  Häupter 
der  Colleges  zu  einer  gründlichen  Betrachtung  der  eingeriss- 
nen  Missbräuche  zu  veranlassen.  Suffolk  kam  diesem  Befehl 
nach,  er  beschwor  die  Genannten,  mit  aller  Anstrengung,  wie 
ein  Mann,  den  „l^ßg^  verbannten  Pilgrim,  die  Disciplin",  wie- 


74  Buckingham  und  die  Cambridger  Kanzler- Wahl. 

derheimzuführen.    Aber  wenige  Wochen  nachher  am  28.  Mai 
machte  der  Tod  seinen  Bemühungen  ein  Ende('). 

Es  wurde  somit  die  Neuwahl  eines  Kanzlers  nöthig,  und 
diese  zog  die  Universität  sofort  in  die  grossen  Parteikämpfe, 
welche  damals  England  bewegten.  Nach  den  Statuten  war 
das  Recht  der  älteren,  den  Colleges  angehörigen  Mitglieder 
der  Universität  (regents),  den  Kanzler  durch  Stimmenmehrheit 
innerhalb  der  nächsten  vierzehn  Tage  nach  Erledigung  des 
Sitzes  frei  zu  wählen,-  unbestritten  (^).  Hier  zeigte  sich  aber, 
wie  der  mächtige  Wille  des  Hofes  die  Unabhängigkeit  der 
Universität  in  Fesseln  zu  schlagen  vermochte.  Wenige  Wochen 
vorher  hatte  das  zweite  Parlament  den  lange  vorbereiteten 
Schritt  gewagt,  Buckingham,  den  ersten  Minister,  den  empor- 
gekommenen Günstling,  der  sein  eigenes  Interesse  mit  dem 
des  Staates  zu  vermischen  gewohnt  war,  auf  den  sich  Ehren 
und  Pieichthümer  in  verschwenderischer  Fülle  gehäuft  hatten, 
wegen  der  verderblichen  Massregeln  seiner  Politik  nach  innen 
und  aussen  anzuklagen.  Der  Riss  zwischen  dem  König  und 
dem  leitenden  Minister  auf  der  einen,  der  parlamentarischen 
Opposition  und  der  Masse  des  Volkes  auf  der  anderen  Seite 
hatte  sich  in  kurzer  Zeit  immer  mehr  erweitert.  Der  grosse 
Kampf  um  die  Macht  zwischen  den  beiden  Elementen  der 
Verfassung  war  ausgebrochen,  dessen  Vorposten -Gefechte 
schon  unter  die  Herrschaft  Jakob's  fallen.  Das  Parlament 
gegenüber  einer  Regierung,  die  das  geforderte  Vertrauen 
weder  verdiente  noch  genoss,  durchdrang  sich  immer  mehr 
mit  dem  Bewusstsein,  die  Leitung  der  nationalen  Angelegen- 
heiten als  sein  Recht  zu  betrachten.  Weder  die  Beziehungen 
zum  Auslande  noch  die  kirchlichen  Verhältnisse  wollte  <es  dem 
Entscheide  der  Krone  überlassen.  Es  verweigerte  Subsidien, 
die  zur  erfolgreichen  Unterstützung  protestantischer  Bundes- 
genossen auf  dem  Festlande  gefordert  wurden,  da  es  nicht 
im  Kaiser  und  in  der  Liga,  sondern  in  Spanien  das  Ziel  der 
Bekämpfung  sehn  wollte.  Es  nahm  vor  aller  Bewilligung  das 
Recht  der  Untersuchung  von  Regierungshandlungen  in  An- 
spruch, es  forderte  N'erantwortlichkeit  der  Minister,  Besetzung 
der  höchsten   Posten   mit   Männern   seines   Vertrauens.     Der 


Buckingbam  uud  die  Cambridger  Kanzler  -  Wahl.  75 

König  glaubte  seine  Prärogative  zu  veitheidigen,  wenn  er  sich 
diesen  Forderungen  entgegenstellte.  Er  fuhr  fort,  die  aus- 
wärtigen Angelegenheiten  sowie  die  kirchlichen  Angelegenhei- 
ten als  seine  Domäne  zu  betrachten.  Er  glaubte  sich  für 
die  Weigerung  von  Subsidien  entschädigen  zu  dürfen,  indem 
er  die  übhchen  Zölle  von  Ein-  und  Ausfuhr  (Tonnen-  und 
Pfundgeld),  über  deren  Bewilligung  kein  Gesetz  zu  Stande 
gekommen  war ,  forterhob.  Er  deckte  den  Minister  durch 
seine  eigene  Person.  Beide  Theile  beriefen  sich  auf  Prä- 
cedenzien  der  Vorzeit.  'Aber  das  Parlament  hatte  meist  den 
Vortheil,  Gewohnheiten  und  Gesetze  früherer  Jahrhunderte 
aufweisen  und  aus  ihnen  kühnere  Folgerungen  ziehen  zu 
können,  die  niemals  aufgehoben,  sondern  durch  die  starke 
monarchische  Gewalt  des  16.  Jahrhunderts,  der  man  in  kri- 
tischen Zeiten  vertraut  hatte,  zurückgedrängt  waren.  Gegen 
Buckingham  kam  die  lang  verhaltene  Entrüstung  zum  Aus- 
bruch. Ein  Comittee  von  acht  Mitgliedern  des  Unterhauses 
f_egte  dem  Oberhause  die  Anklage  vor.  Der  König  Hess  am 
11.  Mai  zwei  von  den  Commissären,  Digges,  der  die  Anklage 
eingeleitet,  und  Eliot,  den  Patrioten  von  grossartiger  Beredt- 
samkeit  und  Energie,  der  die  Anklagepunkte  summirt  hatte, 
in  den  Tower  werfen,  aber  die  Hartnäckigkeit  des  Unterhau- 
ses, welches  jede  weitere  Verhandlung  weigerte,  bis  seine 
beiden  Mitglieder  freigelassen  seien,  und  das  sich  von  den 
Lords  unterstützt  sah,  zwang  ihn  nachzugeben.  Es  hiess  dem 
Parlament  einen  Schlag  in's  Gesicht  versetzen,  wenn  der  Kö- 
nig jetzt  zu  Wege  bringen  konnte,  dass  der  verfolgte  Minister 
von  einer  der  beiden  Landes -Universitäten  zum  Kanzler  er- 
wählt wurde.  —  Unvermuthet  traf  Dr.  Wilson,  ein  Kaplan 
des  Bischofs  von  London ,  in  Cambridge  ein.  Er  brachte 
bloss  den  mündlichen  Auftrag,  die  Wahl  des  Herzogs  sei  der 
Wunsch  und  der  Wille  seiner  Majestät.  Die  Universität  ge- 
rieth  in  die  grösste  Aufregung.  In  einer  Versammlung  der 
Kollegial- Vorsteher  kam  es  zu  hitzigen  Berathungen,  die 
Mehrzahl  war  bereit,  sich  dem  Willen  des  Königs  zu  fügen, 
andere  warfen  ein,  Wilson's  Vollmachten  seien  ganz  ungenü- 
gend, man  werde  sich  in   Widerspruch   mit   dem  Parlament 


76  Buckingham  und  die  cambridger  Kanzler- Wahl. 

setzen,  ewige  Schande  auf  sich  laden  und  der  Universität 
wegen  ihrer  kriechenden  Gefügigkeit  die  allgemeine  Verach- 
tung und  den  allgemeinen  Hass  zuziehn.  Wenigstens  möge 
man  die  gesetzliehe  Frist  von  vierzehn  Tagen  abwarten.  Um 
alle  Hebel  anzusetzen ,  langte  der  Bischof  von  London  in 
eigner  Person  an,  zugleich  Mason,  der  Sekretär  des  Herzogs, 
und  ein  Brief  des  Bischofs  von  Durham  des  Inhalts,  dem 
König  werde  die  Wahl  des  Herzogs  sehr  angenehm  sein. 
Nun  wurde  eine  förmliche  Maschinerie  des  Bearbeitens  in 
Bewegung  gesetzt.  Der  Bischof  wirkte  auf  die  Masters,  diese 
auf  die  Fellows.  Als  der  Wahltag  (1.  Juli)  herankam,  flohen 
viele  aus  der  Stadt,  um  Unannehmlichkeiten  zu  vermeiden. 
Die  Minorität  hatte  in  letzter  Stunde  einen  Gegenkandidaten 
aufgestellt  in  der  Person  des  Grafen  von  Berkshire,  eines  Soh- 
nes des  letzten  Kanzlers.  Indessen  der  Herzog  siegte,  wenn 
auch  mit  kleiner  Majorität.  Die  antipuritanische  Partei 
triumphirte,  in  Clare-Hall  wurden  am  Abend  grosse  Festlich- 
keiten bereitet.  „Was  wird  das  Parlament  zu  uns  sagen, 
schreibt  Meade ,  haben  unsre  Abgeordneten  in  ihrer  dem 
Oberhaus  zugesandten  Anklage- Akte  den  Herzog  nicht  ver- 
urtheilt  ?  " 

In  der  That  fühlte  das  Unterhaus  die  Beleidigung  sehr 
wohl  und  äusserte  sich  unwillig  über  die  ihm  angethane 
Schmach.  Es  fasste  den  Beschluss,  dass  eine  Deputation  der 
Universität  über  den  Hergang  der  Wahl  gehört  werden  sollte, 
aber  der  König  setzte  sein  Verbot  entgegen,  da  der  Univer- 
sität Freiheit  der  Wahl  gebühre.  Am  15.  Juni  wurde  auch 
dieses  Parlament,  da  es  auf  der  Entlassung  des  Ministers  be- 
stand, aufgelöst.  Buckingham  seinerseits  schrieb  der  Univer- 
sität einen  Dankbrief  und  cntliess  den  Abgeordneten  der 
akademischen  Körperschaft  mit  einei*  Ehrenkette.  Auch 
Karl  I.  versicherte  die  Universität  seiner  königliclien  Billigung. 
Der  Herzog  hatte  durch  die  neuerlangte  Würde  nicht  an 
llulnii  gewonnen.  Aus  dem  Ende  des  Jahres  1626  scheinen 
einige  sehr  deutlich  auf  ihn  gemünzte  Verse  zu  stammen, 
die  sich  in  Mcade's  Korrespondenz  vorfinden  und  vielleicht  in 


Buckingham's  Politik.  77 

seinem  College  entstanden  sind(>).    Sie  zeigen  drastisch,  wie 
die  Stimmung  gegen  Buckingham  war. 

Ueberlegt  man,  welche  abenteuerlichen  Pfade  Bucking- 
ham's Politik  auf's  neue  eingeschlagen  hatte ,  so  wird  man 
diese  Verurtheilung  nicht  zu  hart  finden.  Buckingham  War 
nicht  der  Verbrecher,  der  „Sejanus" ,  als  welchen  ihn  EHot 
gebrandmarkt  hatte.  Aber  er  hatte  keine  der  Eigenschaften, 
die  ihn  zur  Leitung  eines  grossen  Staatswesens  befähigt  haben 
würden.  Im  Inneren  zog  er  ein  System  schmählicher  Günst- 
lingswirtschaft gross ,  nTich  aussen  zeigte  er  sich  als  ein 
politischer  Dilettant.  In  seinen  eben  so  ehrgeizigen  wie  un- 
klaren Plänen  sich  an  die  Spitze  eines  grossen  kriegerischen 
Unternehmens  zu  Gunsten  des  Protestantismus  zu  stellen,  riss 
er  den  König  zu  den  thörichtsten  Abenteuern  hin  und  opferte 
nutzlos  die  kostbarsten  Kräfte  des  Landes.  Nicht  genug,  dass 
alle  Unternehmungen  gegen  die  österreichisch -spanische  Mo- 
narchie gescheitert  waren,  er  brach  auch  mit  Frankreich. 
Die  Ziele  Frankreichs  und  Englands  waren  schon  in  dem 
Augenblick,  da  die  beiden  Königshäuser  sich  verbanden,  sehr 
verschiedene  gewesen,  und  vieles  kam  zusammen,  eine  rasche 
Entfremdung  beider  Mächte  herbeizuführen.  Unerquickliche 
Streitigkeiten  über  den  französischen  Hofhalt  der  jungen  Kö- 
nigin, die  Unmöglichkeit  offen  zu  bekennen  und  durchzufüh- 
ren, was  in  geheimer  Abrede  zu  Gunsten  der  englischen 
Katholiken  versprochen  war,  Wegnahme  französischer  Schiffs- 
ladungen, die,  für  spanische  Häfen  bestimmt,  als  Contrebande 
betrachtet  wurden:  Alles  dies  hatte  zusammengewirkt,  eine 
gereizte  Stimmung  des  französischen  Hofes  gegen  England 
hervorzurufen.  Der  Versuch  Karl's  L,  sich  zum  Protector  der 
Hugenotten  aufzuwerfen,  diente  nur  dazu,  deren  Lage  zu  ver- 
schlimmern und  Louis  XIII.  wie  Piichelieu  gegen  die  Kühn- 
heit fremder  Intervention  zu  erbittern.  Im  Anfang  des  Jahres 
1627  war  der  Bruch  zwischen  Frankreich  und  England  ent- 
schieden. Buckingham  trug  sich  mit  den  grössten  Hoffnungen. 
Während  in  England  ein  Zwangs -Anlehen  wachsendem  Wider- 
stand des  Volkes  begegnete,  gedachte  er  durch  Befreiung 
des  heldenmüthigen  Rochelle  sich    die  Herzen   seiner  Lands- 


78  Buckiugham's  Besuch  in  Cambridge.  —  Der  König  in  Cambridge. 

leute  zu^ücl<zuge^Yinnen  und  durch  einen  grossen  Erfolg  alle 
Ungesetzlichkeiten  und  Gewaltsamkeiten  der  Regierung  zu 
rechtfertigen.  Ehe  er  sich  selbst  auf  den  Kriegsschauplatz 
begab,  hielt  er  sieh  für  verpflichtet,  die  Universität  Cambridge 
mit  seinem  Besuche  zu  beehren  und  seine  neue  Würde  officiell 
anzutreten  (3.  März  1627).  Wiederum  konnte  Milton  Zeuge 
der  einer  gelehrten  Körperschaft  so  wenig  anstehenden  Unter- 
würfigkeit sein,  mit  der  sie  einen  ihr  aufgezwungenen  Kanzler 
empfieng.  Die  Glocken  läuteten,  die  Festlichkeiten  und  Ban- 
kette folgten  sich,  der  Herzog  selbst  bezeigte  sich  gegen 
jedermann  ungemein  gnädig.  Man  möchte  vermuthen,  dass 
Bainbrigge,  der  Master  von  Milton's  College,  nicht  der  letzte 
der  unterthänigen  Schmeichler  war(^). 

Im  Frühhng  des  folgenden  Jahres  (1628)  empfieng  die 
Universität  einen  noch  höheren  Gast.  Der  König,  damals  in 
der  Nähe  auf  der  Jagd,  kam  nach  Cambridge,  wie  es  scheint 
ohne  jedes  Gepränge  und  nur  flüchtig  (^).  Bainbrigge  war 
Yicekanzler  des  Jahres,  schon  vorher  hatte  er  die  Ehre,  vor 
dem  König  zu  predigen,  auch  hier  wieder  konnte  Milton  die 
Charaktere  seiner  nächsten  Umgebung  studiren. 

Aber  inzwischen  war  die  Expedition  Buckingham's,  welche 
Rochelle  befreien  sollte,  gänzlich  gescheitert,  kostbares  eng- 
lisches Blut  war  umsonst  geflossen,  die  eingeschlossenen  Hu- 
genotten waren  hülfloser  als  je.  Man  kann  sich  vorstellen, 
welchen  Eindruck  diese  Unglücks -Nachrichten  in  Cambridge 
hervorriefen ,  wie  sie  in  den  einzelnen  Colleges ,  sei  es  mit 
Furcht,  sei  es  mit  Zorn,  besprochen  wurden.  Meade  berichtet 
davon  am  17.  November,  in  dem  Augenblick,  da  alle  Glocken 
zum  Andenken  an  die  Königin  Elisabeth  läuteten.  In  der 
That  lag  es  sehr  nahe,  Vergleiche  zu  ziehn  zwischen  dem 
ruhmreichen  Regiment  der  grossen  Königin  und  dem  schimpf- 
lichen Regiment  des  unfähigen  Ministers  (^).  Dieser  so  gut 
wie  der  König  war  entschlossen,  die  unlieilvolle  Bahn,  die 
sie  betreten  hatten,  nicht  zu  verlassen.  Aber  es  gab  imr  eine 
Mögliclikeit,  die  fiir  die  Kriegführung  nötliigen  Mittel  zu  be- 
scJuiilen.  Devote  Predigten  hatten  das  Zwangsanlehen  empfoh- 
len,   zahli-eiche    Verhaftungen   Widerstrebender    waren   vor- 


Scheitern  der  Expedition  nach  Rochelle.  —  Petition  of  Right.     79 

gekommen,  andere  waren  zur  Strafe  mit  Einquartierung 
bedacht  oder  zum  Dienst  auf  der  Flotte  gepresst  worden. 
Aber  kein  Zwang  konnte  zur  Deckung  des  vorhandenen  De- 
ficits,  geschweige  denn  zur  Beschaffung  der  nöthigen  Summen 
dienen.  Die  Stimmung  der  Bevölkerung  w^urde  immer  be- 
denklicher, es  blieb  nichts  übrig,  als  auf's  neue  ein  Parlament 
zu  berufen. 

Während  alle  Beschwerden  des  Volkes  und  die  ganze 
Leidenschaft  der  Opposition  hier  zum  Ausdruck  kamen  und 
in  der  Petition  of  right  niedergelegt  wurden  (7.  Juni  1628), 
rüstete  der  als  „Wurzel  und  Quelle  alles  Unheils"  bezeich- 
nete und  verwünschte  Buckingham  einen  neuen  Kriegszug  zur 
Befreiung  Rochelles.  Selbst  inmitten  dieser  Geschäfte  hatte 
er  als  Kanzler  mit  der  Universität  Cambridge  zu  verhandeln. 
Zwischen  dieser  und  den  londoner  Buchhändlern  war  ein 
Streit  ausgebrochen  über  das  der  Universitäts- Presse  aus- 
schliesslich zustehende  Recht  gewisse  Bücher  zu  drucken. 
Bainbrigge  als  Vicekanzler  dankte  dem  mächtigen  Herzog  für 
seine  Unterstützung  in  dieser  Angelegenheit  (7.  Juli  1628), 
und  der  Ton  seines  Schreibens  kann  als  ein  Muster  des  höfi- 
schen Stils  jener  Tage  gelten.  Wie  man  dem  Könige  gegen- 
über in  der  Sprache  niedriger  Schmeichelei  seine  Loyalität 
zu  beweisen  sich  bestrebte,  so  auch  gegenüber  dem  allmäch- 
tigen Minister.  „So  lange  wir  Euch  anschauen,  ßo  lange  wir 
Eure  Kniee  umfassen,  achten  wir  die  Wuth  der  Sterblichen 
gering".  Die  Antwort  des  Herzogs  vom  30.  Juli  bewegte 
sich  in  sehr  gnädigen  Ausdrücken:  „Er  habe  die  Anstalt  der 
Gerechtigkeit  seines  königlichen  Herrn  und  dem  Wohlwollen 
einiger  Freunde  empfohlen,  dort  werde  sie  Schutz  finden, 
wohin  ihn  auch  immer  der  Befehl  seines  Herrn  und  das  Wohl 
des  Staates  rufen  werde"  (^). 

Drei  Wochen  später  (23.  August)  in  Portsmouth,  wo  die 
letzten  Vorbereitungen  des  Kriegszuges  gemacht  wurden,  traf 
den  Herzog  in  der  Halle  seines  Hauses  der  Mordstahl  Fel- 
ton's  in's  Herz.  Nicht  nur  das  Gefühl  der  Privatrache 
wegen  einer  erlittenen  Zurücksetzung ,  auch  der  Fanatismus 
politischer  Leidenschaft  hatte  die  Hand  des  Mörders  geführt. 


30  Ermordung  Buckingham's.  —  Process  Gill's. 

Noch  im  Tower  verharrte  er  bei  der  Ansicht,  dass  seine  That 
der  Kirche  und  dem  Staate  Gutes  bringen  und  von  Gott  ver- 
geben werde,  und  die  Masse,  die  sein  Gefängnis  umdrängte, 
rief  ihm  Worte  des  Trostes  und  der  Ermuthigung  zu.  War 
dies  Ereignis  erschütternd  genug,  als  dass  es  spurlos  an  Milton 
hätte  vorübergehn  können,  so  kam  auch  ein  persönliches  Mo- 
ment hinzu,  welches  sein  höchstes  Interesse  an  den  Tod  des 
Herzogs  zu  fesseln  im  Stande  war.  Milton's  Lehrer  und  Ver- 
trauter, Alexander  Gill,  der  jüngere,  hätte  bei  dieser  Gelegen- 
heit beinahe  sein  Vermögen  und  seine  Ohren  eingebüsst.  Eine 
lose  Zunge  scheint  er  immer  gehabt  zu  haben,  aber  damals 
war  es  gefährlich,  dieser  freien  Lauf  zu  lassen,  da  Laud  und 
die  Sternkammer  eine  schneidende  Censur  übten,  Gill  stand 
in  lebhaftem  persönlichen  und  brieflichen  Verkehr  mit  einer 
Anzahl  von  Freunden  in  Oxford ,  mit  William  Grinkin  M.  A. 
in  Jesus  College,  M.  Pickering  von  Trinity  College  u.  a.  Kurz 
nach  der  Ermordung  des  Herzogs  stattete  Gill  seinen  Oxfor- 
der Freunden  wieder  ein  Mal  einen  Besuch  ab ;  man  verkehrte 
im  Garten,  im  Keller  von  Trinity  College,  in  Pickering's  Zim- 
mer und  schwatzte  über  die  Dinge  in  Staat  und  Kirche.  In 
der  Weinlaune  entschlüpften  Gill  die  Worte,  der  König  sei 
mehr  dazu  gemacht,  in  einem  Laden  in  Cheapside  zu  stehn 
mit  einem  Schurzfell  angethan  und  zu  sprechen:  „Was  steht 
zu  Befehl",  als  ein  Königreich  zu  regieren,  der  Herzog  sei 
zur  Hölle  hinabgestiegen,  um  dort  Jakob  zu  begegnen,  und, 
indem  er  Felton's  Wohl  ausbrachte,  er  sei  traurig,  dass  Feiton 
ihn  der  Ehre  beraubt  habe,  eine  so  tapfere  That  auszuführen. 
Wer  auch  der  Angeber  gewesen,  und  es  scheint  fast,  als  habe 
der  später  so  berühmt  gewordene  Chillingworth  diese  traurige 
Rolle  gespielt (^),  Laud  bekam  von  diesen  „vaterlandsverräthe- 
rischen  Aeusserungen"  Wind.  Eines  Tages  (6.  September) 
wurde  Gill  aus  der  Pauls -Schule  abgeholt,  in  das  Gefängnis 
von  Westminster  geworfen  und  von  Laud  inquirirt.  Der  Ge- 
fangene gestand  fast  alles  ein,  aber  nun  wurden  auch  seine 
Oxforder  Freunde  in  den  Process  verwickelt.  Bei  Pickering 
wui'd  eine  Haussuchung  vorgenommen,  zahlreiche  Briefschaften 
von  Gill  und  solche  ohne  Unterschrift  aufgefunden ,  in  denen 


Bestrafung  Miltou's  in  Cambridge.  81 

man  verdächtige  Anspielungen  fand.  Damals  wurde  wohl 
auch  ein  Gedicht  GilFs  mit  Beschlag  belegt,  welches  aus  einer 
Epoche  stammte,  da  der  Herzog  noch  lebte,  das  aber  freilich 
von  den  bittei'sten  Schmähungen  gegen  ihn  erfüllt  war.  Auch 
auf  Grinkin  lenkte  sich  der  Verdacht.  Am  6.  November  stand 
er  mit  Gill  vor  der  Sternkammer.  Gill  wurde  dazu  ver- 
urtheilt,  seine  kirchlichen  und  akademischen  Grade  zu  ver- 
lieren ,  ein  Ohr  in  London ,  das  andere  in  Oxford  sich  ab- 
schneiden zu  lassen,  3000  £  zu  zahlen  und  auf  unbestimmte 
Zeit  in  Haft  zu  bleiben.  Nur  die  Thränen  seines  alten  Vaters, 
und  dessen  kniefällige  Fürbitte  beim  König,  wie  versichert 
wird,  auch  Laud's  und  des  Grafen  von  Dorset  Vermittlung 
vermochten  sein  Loos  zu  mildern.  Nachdem  er  zwei  Jahre 
lang  gesessen  hatte,  erliess  ihm  30.  November  1630  königliche 
Gnade  die  weiteren  Strafen  an  Freiheit,  Leib  und  Vermögen  (^). 


Wenn  im  Vorhergehenden  die  Ereignisse  zusammen  ge- 
fasst  sind,  welche  während  der  ersten  vier  Jahre  von  Milton's 
Studien  ihn  in  der  Nähe  und  aus  der  Ferne  berührten,  gleich 
geeignet,  ihn  dann  und  wann  zu  selbstständigen  schöpferischen 
Leistungen  aufzufordern  wie  sein  ürtheil  über  die  INIenschen 
seiner  Umgebung  und  hervorragende  Charaktere  der  -Zeit 
zu  bilden,  so  bleibt  noch  ein  rein  persönlicher  Vorfall  zu  er- 
wähnen, über  welchen  vielleicht  von  jeher  mehr  geforscht  und 
geschrieben  worden  ist  als  über  irgend  einen  andern  Punkt  sei- 
ner Lebensgeschichte.  Namentlich  seit  Johnson,  offenbar  von 
Partei  -  Ansichten  geleitet,  das  Andenken  des  Menschen  Milton 
zu  verunglimpfen  strebte,  während  er  das  Andenken  des  Dich- 
ters so  ziemlich  bestehen  Hess,  hat  sich  in  das  Für  und  "Wider 
der  Frage  eine  Leidenschaft  gemengt,  die  wenig  geeignet  wai", 
die  Untersuchung  zu  klären.  Wir  erinnern  uns  jener  an  Dio- 
dati gerichteten  Elegie,  die  aus  dem  Frühling  1626  zu  stammen 
schien,  und  in  welcher  der  Dichter  die  Freuden  der  londoner 
Spaziergänge  und  Theater  beschreibt.  In  der  Einleitung 
dieser  Elegie  finden  sich  folgende  merkwürdige  Sätze,  die  ein 
Stück  Lebensgeschichte  Milton's    enthalten:    „Mich,    ruft   er 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.     I.   1.  6 


32  Bestrafung  Milton's  in  Cambridge. 

aus,  schliesst  gegenwärtig  jene  Stadt  ein,  welciie  die  Themse 
mit  den  Wellen  der  Fluth  bespült,  und  freudig  lass"  ich  mich 
vom  väterlichen  Heim  umfangen.  Wenig  liegt  mir  jetzt  am 
Herzen ,  den  schilfreichen  Cam  wieder  aufzusuchen ,  und  die 
Sehnsucht  nach  meinen  mir  kürzlich  verbotenen  Zimmern  quält 
mich  nicht  (0-  Die  kahlen  Wiesen  ohne  sanfterr  Schatten  ge- 
fallen mir  nicht,  wie  wenig  passt  jener  Ort  für  die  Jünger 
Apollo's!  Auch  behagt  es  mir  nicht,  die  Drohungen  eines 
harten  Lehrers  zu  ertragen  und  anderes,  dem  mein 
Naturell  sich  nicht  unterwerfen  mag.  Wenn  das 
Verbannung  heisst:  zu  meines  Vaters  Haus  gekommen  sein 
und  sorgenfrei  sich  angenehmer  Müsse  zu  freuen:  dann  ver- 
schmähe ich  weder  den  Namen  noch  das  Loos  eines  Verbann- 
ten und  geniesse  das  Exil  mit  Freuden."  Hierauf  folgt  die 
Schilderung  seines  zwischen  den  Musen  und  der  Erholung 
getheilten  londoner  Lebens,  und  erst  am  Schluss  wird  jenes 
Thema  wieder  mit  den  Worten  berührt:  „Es  steht  fest, 
dass  ich  zu  den  binsenumwachsenen  Marschen  des  Cam  zurück- 
kehre und  mich  dem  heiseren  Gemurmel  der  Hochschule  wie- 
der nahe."  Darüber  kann  kein  Zweifel  sein,  dass  diese  Worte 
sich  auf  etwas  anderes  beziehn ,  als  einen  blossen  Ferien- 
Besuch  bei  den  Eltern.  Zu  deutlich  ist  von  einer  Verbannung 
die  Rede,  und  zugleich  wird  der  Universität  wie  der  Stadt 
Cambridge  in  Ausdrücken  gedacht,  welche  darthun,  wie  wenig 
beide  Milton's  Naturell  zusagten.  Ferner  ist  zu  beachten, 
was  über  die  Strenge  des  Lehrers,  seine  Drohungen  und  an- 
deres dem  Dichter  Unerträgliches  gesagt  wird.  —  Am  natür- 
lichsten wird  die  Annahme  erscheinen,  dass  Milton  mit  zeit- 
Aveiliger  Verbannung  (Ilustication)  bestraft  wurde,  und  dass 
ein  Zwist  mit  einem  Lehrer,  vermuthlich  seinem  Tutor  Chap- 
pell,  den  Anlass  dazu  gab.  Chapi)ell  huldigte,  wie  bemerkt, 
antipuritanischen  Anschauungen.  Man  würde  versucht  sein, 
zu  vernuithen ,  dass  die  entgegengesetzte  Gesinnung  seines 
Schülers  einen  Grund  zu  ihrem  Zwist  abgegeben  habe,  falls 
dieser  sich  nicht  anders  erklären  liesse.  Die  erwähnten  Worte 
jener  P^.legie  werden  ergänzt  durch  einen  Satz  in  Aubrey's 
Biographie  des  Dichters.    Hier  heisst  es :  „His  first  tutor  there 


Bestrafung  Milton's  in  Cambridge.  83 

(in  Cambridge)  was  Mr.  Chappell,  from  whom  receiving  some 
imkindnesse,  (whipt  him),  he  was  afterwards,  (thoiigh  it  see- 
med  opposite  to  tlie  rules  of  the  College),  transferred  to  tlie 
tiiition  of  one  Mr.  Tovell,  who  dyed  parson  of  Lutterworth." 
In  diesem  Satze  hat  das  „whipt  him",  wie  man  denken 
kann ,  von  jeher  den  grössten  Anstoss  erregt.  Nun  ist  zwar 
nicht  zu  läugnen,  dass  die  allgemeinen  Statuten  von  Cam- 
bridge für  Jüngere  diese  Strafe  des  Schiagens  mit  der  Ruthe 
zuliessen(^),  und  dass  sie  auch  in  Christ  -  College  in  gewissen 
Fällen  gestattet  war.  Mit  welchem  Alter  man  in  Cam- 
bridge anfieng ,  als  erwachsen  betrachtet  zu  werden ,  lässt 
sich  nicht  genau  ermitteln,  nach  den  oxforder  Statuten  von 
1635  mit  dem  sechzehnten  Jahr,  welches  Milton  schon  über- 
schritten hatte,  als  er  die  Universität  bezog.  Indess  die  Form, 
in  welcher  Aubrey  seine  Nachricht  einführt,  ist  zu  beachten. 
Jener  Satz  kommt  in  einem  Abschnitt  vor,  der  auf  Mitthei- 
lungen von  Milton's  Bruder  beruht,  allein  gerade  das  „whipt 
him"  ist  offensichtlich  von  Aubrey  später  erst  darübergeschrie- 
ben, und  dass  er  in  dieser  Anekdoten -Jägerei  etwas  sucht, 
häufig  auch  Unverbürgtes  aufnimmt,  ist  bekannt.  Auch  für 
die  Worte  der  Elegie  „und  anderes  meinem  Naturell  Un- 
erträgliches" wird  sich  noch  eine  Deutung  linden  lassen,  die 
es  durchaus  nicht  nöthig  macht,  sie,  wie  man  gethan,  auf  die 
Thatsache  der  körperlichen  Züchtigung  zu  beziehn.  Keiner 
der  späteren  Angi'iflfe  gegen  Milton  erwähnt,  dass  er  in  Cam- 
bridge jene  schimpfliche  Strafe  erduldet  habe,  dagegen  von 
seiner  zeitweihgen  Verbannung  wissen  sie  nicht  nur,  sondern 
sie  übertreiben  sie  und  bringen  sie  in  lebhafter  Phantasie  mit 
ganz  andern  Vorfällen  seines  Lebens  in  Verbindung.  Noch 
in  einer  bekannten  Schrift  von  1652  heisst  es:  „Man  sagt, 
der  Mensch  sei,  wegen  seiner  Schandthaten  von  der  Univer- 
sität Cambridge  vertrieben,  aus  seinem  Vaterlande  geflohn 
und  nach  Italien  gegangen"  (2).  Soviel  scheint  festzustehn, 
dass  Milton,  vermuthlich  im  Frühling  1626,  mit  seinem  Tutor 
Chappell  einen  Streit  hatte,  der  das  Einschreiten  des  ]\Iasters 
Bainbrigge  nöthig  machte,  dass  der  Dichter  die  Strafe  der 
Rustication  erlitt   und   nicht  nur  die  Oster -Ferien,  sondern 


84  Tovey  Milton's  Tutor.  —  Milton  Bakkalaureus. 

auch  einen  Theil  des  Mittsommer -Terms  jenes  Jahres  in  Lon- 
don verbrachte,  und  dass  er  bei  seiner  Rückkehr  in  Tovey 
einen  neuen  Tutor  erhielt  (^).  Dieser  hat  ihm  schwerlich 
Grund  zu  Klagen  gegeben,  andernfalls  wäre  fünf  Jahre  später 
wohl  nicht  auch  Milton's  Bruder  seiner  Aufsicht  anvertraut 
worden.  —  Man  kann  sich  vorstellen,  wie  der  Dichter  der 
Ode  „Auf  den  Tod  gines  schönen  Kindes"  und  der  lateinischen 
Elegieen  sich  in  Cambridge  unter  den  Tracy,  Stuteville,  Hig- 
ham  u.  s.  w.  vorkam,  welche  selbst  in  den  Briefen  Meade's 
als  Muster  flacher  Unbedeutendheit  erscheinen. 

Gewiss  ist,  dass  jene  Strafe  Milton  keinen  der  gesetzlich 
erforderten  Terms  verlieren  liess,  die  zur  Erlangung  des  Bakka- 
laureats  nöthig  waren.  Er  erhielt  diesen  ersten  akademischen 
Grad  im  Jahre  1629, -26.  März,  zugleich  mit  allen  denen, 
welche  mit  ihm  in's  College  eingetreten  waren  (2).  Es  war 
dafür  gesorgt,  dass  niemand  den  Grad  eilangen  konnte,  dessen 
Ansichten  über  die  Verfassung,  die  Disciplin  und  den  Ritus  der 
Kirche  mit  denen  der  herrschenden  Macht  nicht  überein- 
stimmten. König  Jakob  hatte  darauf  gedrungen,  dass,  wer 
immer  zum  Bakkalaureat  zugelassen  werden  wollte,  vorher  an 
Eides  Statt  die  drei  Artikel  des  Canon  36  zu  unterschreiben 
hatte,  in  denen  er  den  königlichen  Supremat  in  geistlichen 
wie  in  weltlichen  Dingen  zugab,  zu  gleicher  Zeit  ankannte, 
dass  das  Common-Prayer-Book  nichts  dem  Worte  Gottes  Ent- 
gegenstehendes enthalte  und  für  ihn  verbindlich  sein  solle,  end- 
lich erklärte,  sich  den  39  Artikeln  von  1562  zu  unterwerfen  (3). 
Auch  Milton  hatte  sich  diesem  Zwang  zu  fügen.  Nunmehr 
galt  es,  den  nächsten  Grad  des  Magister  Artium  zu  erlangen 
und  somit  in  dem  erforderten  Triennium  die  akademische 
Laufbahn  abzuschliessen. 


Fassen  wir  die  äusseren  Ereignisse  dieser  drei  Jahre 
(1629  —  32)  zusammen,  soweit  sie  Milton  berülnen,  und  be- 
achten wir  vorzugsweise  wieder,  inwiefern  sie  sein  poetisches 
Talent  in  Bewegung  setzten  oder  beeinflussten,  so  werden  wir 
über  beides  weniger  zu  sagen  finden  als  für  die  ersten  vier 


Elegie  auf  den  Frühling.  —  Elegie  an  Diodati.  85 

Jahre  seiner  Studienzeit  nöthig  schien.  Gleichsam  an  der 
Schwelle  dieser  Periode  begegnet  man  einer  lateinischen 
Elegie  „Auf  das  Kommen  des  Frühlings",  in  der  sich  neben 
einer  wunderbaren  Beherrschung  der  Sprache  eine  Lebhaftig- 
keit des  Empfindens  und  eine  reine  Freude  an  dem  Wieder- 
erwachen der  Natur,  freilich  immer  in  klassischem  Gewände, 
kund  giebt,  die  genugsam  beweist,  dass  in  dem  „rauhen 
Gemurmel  der  Schule"  und  in  der  Fluth  sophistischer  Dispu- 
tationen der  Mensch,  der  Dichter  Milton  nicht  untergegangen 
war(^).  Wenige  Monate"  nach  Abfassung  dieses  Gedichtes  am 
Commencment  -  Tage  (7.  Juli  1629)  hatte  Milton  die  Freude, 
seinen  Freund  Karl  Diodati  in  Cambridge  zu  sehn.  Es  war  die 
Sitte  der  Zeit,  dass,  wer  es  irgend  ermöglichen  konnte,  wenn 
er  auf  einer  der  beiden  englischen  Universitäten  den  Magister- 
Grad  erlangt  hatte,  sich  nach  einiger  Zeit  in  demselben  Grade 
bei  der  andern  „inkorporiren"  liess.  So  erfolgte  denn  damals 
in  Cambridge  die  Inkorporation  Diodati's,  der  am  8.  Juli  des 
vorhergehenden  Jahres  in  Oxford  M.  A.  geworden  war  (2). 
Wohin  sich  Diodati  nun  gewandt  hat,  ist  nicht  zu  sagen,  so- 
viel ist  gewiss,  dass  er  auf  dem  Lande,  vielleicht  wieder  in 
Cheshire,  seinen  Aufenthalt  nahm.  Eine  lateinische  Elegie 
jMilton's  vom  Ende  des  Jahres  1629,  an  den  Freund  gerichtet, 
trägt  die  Ueberschrift  „An  den  auf  dem  Lande  weilenden 
Karl  Diodati"  (3),  und  zeigt  uns  zugleich  den  fortgesetzten 
lebhaften  Gedankenaustausch  beider  Jünglinge.  Diodati  hatte 
am  13.  December  dem  Freunde  ein  Gedicht  geschickt,  wohl 
auch  eine  lateinische  Elegie ,  und  ihre  geringere  Güte  damit 
zu  entschuldigen  gesucht,  dass  unter  den  Festlichkeiten  und 
Gastmählern  des  Decembers,  zu  denen  ihn  Freunde  eingeladen, 
es  schwer  sei,  den  Musen  zu  dienen.  Der  wahre  Dichter 
erhebt  sich,  und  sei  es  unbewusst,  über  den  äusseren  Anlass 
zu  der  Höhe  allgemeiner  Anschauung.  So  Milton  in  diesem 
Fall.  „Die  Poesie,  so  schreibt  er,  und  Bacchus  vertragen  sich 
sehr  wohl.  Pindar's  und  Horazens  Verse  athmen  die  Gluth 
des  Weines;  die  leichte  Elegie  ruft  viele  Götter  zu  ihrer 
Hülfe  herbei :  Bacchus,  Erato,  Ceres,  Venus  und  Cupido.  Aber 
der  epische  Dichter,    welcher  vom  Olymp,   frommen  Helden, 


86  Ode  auf  ,,den  Morgen  von  Christi  Geburt". 

Heroen,  dem  Rathschluss  der  Götter  und  dem  Reich  der  Un- 
terwelt singt,  der  soll  massig  leben;  Kräuter  seien  seine  un- 
schuldige Nahrung,  klares  Wasser  in  hölzernem  Becher  stehe 
neben  ihm,  er  trinke  aus  reiner  Quelle  massige  Züge,  schuld- 
los sei  seine  Jugend  und  keusch,  streng  sein  Wandel  und 
seine  Hand  ohne  Makel.  So  sollen  Tiresias  und  Linus  und 
Orpheus  und  Homer  gelebt  haben,  der  den  Odysseus  durch 
alle  Versuchungen  hindurchführt. 

Denn  den  Göttern  ist  heilig  der  Sänger,  Unsterblicher  Priester." 

Man  fühlt  es  durch,  welcher  von  beiden  der  hier  unter- 
schiedenen Klassen  von  Dichtern  sich  Milton's  Interesse  zu- 
wendet. Schon  in  dieser  frühen  Epoche  regt  sich  das  später 
so  unverkennbar  zu  Tage  tretende  Bewusstsein  von  dem  hei- 
ligen, dem  gleichsam  religiösen  Wesen  epischer  Dichtung,  und 
damit  eng  verbunden  die  puritanische  Anschauung  des  Lebens, 
die  gerade  in  dem  Punkt  der  vegetarianischen  Massigkeit,  in 
dem  sich  Milton  mit  Rousseau  begegnet,  noch  so  vielfach  in 
seinen  Werken  auftritt  (^).  Der  Schluss  der  Elegie  leitet  auf 
ein  anderes  Gedicht  über:  „Willst  du  wissen,  was  ich  selbst 
thue,  so  höre;  wir  singen  die  himmlische  Geburt  des  Friedens- 
Königs  und  des  glücklichen  Zeitalters,  das  die  heiligen  Bücher 
verheissen  haben,  und  das  Schreien  des  Gottes -Kindes,  wel- 
ches mit  dem  Vater  das  überirdische  Reich  regiert,  unter  dem 
Dach  des  ärmlichen  Stalles  und  den  Himmel  mit  dem  neuen 
Stern  und  die  Chöre  der  Engel  und  die  Flucht  der  Götter 
Griechenlands.  Diese  Gabe  haben  wir  dem  Geburtstag  Christi 
geweiht,  jener  Morgen  hat  sie  mir  vor  Tagesanbruch  gebracht. 
In  heimischen  Lauten  ausgedrückt,  erwartet  das  Werk  dein 
Urtheil,  du  sollst  es  hören  und  mein  Richter  sein."  Die  An- 
spielung brift't  die  Ode  „Auf  den  Morgen  von  Christi  Ge- 
burt" (2),  nach  langer  Zwischenpause  wieder  das  erste  niilton- 
sche  Gedicht  in  englischer  Sprache,  dem  wir  begegnen.  Auf 
vier  einleitende,  in  grossartiger  Ruhe  gehaltene  Strophen  folgt 
die  Hymne,  bewegter  in  Versmass  und  Ton,  nicht  immer  frei 
von  unnatürliclien  I>ildern  und  Gedankenverbindungen,  häufig 
wieder  sehr  an  Sylvester-Du-Bartas  anklingend,  aber  von  einer 
tiefen  religiösen   Begeisterung   durchglüht.     Die  Vermuthung 


Oden  auf  die  „Besclmeidung"  u.  „Passion".  —  Komödie  in  Cambridge.   87 

hat  viel  für  sich,  dass  um  dieselbe  Zeit  auch  die  beiden  Oden 
„Upon  the  Circumcision"  (1.  Januar)  und  das  Bruchstück  der 
Ode  „The  Passion"  geschrieben  worden  sind(^).  Diese  knüpft 
in  ihren  Anfangs  -  Versen  sogar  geradezu  an  die  Ode  auf  den 
Tag  von  Christi  Geburt  an,  und  die  gehobene  Sprache  in 
allen  drei  Gedichten  trägt  denselben  Charakter.  Auch  hier 
fehlt  es  nicht  an  geschmacklosen  Concetti,  wie  wenn  es  z.  B. 
von  den  Thränen  heisst,  „sie  seien  so  geformt,  dass  sie  in 
Gestalt  ordentlicher  Buchstaben  niederfallen  würden".  Aber 
wie  wenig  der  Dichter  .<elbst  sich  über  die  Unreife  jugend- 
licher, unter  dem  Bann  zeitgenössischer  Geschmacklosigkeiten 
stehender  Erzeugnisse  damals  täuschte,  beweist  die  Notiz, 
w^elche  er  bei  der  Herausgabe  der  achten  Strophe  eben  dieses 
Gedichts  zugefügt  hat:  „Der  Autor  Hess  das  Gedicht  unvoll- 
endet, da  er  den  Gegenstand  für  seine  Jahre  zu  hoch  fand 
und  sich  durch  den  Anfang  nicht  befriedigt  fühlte". 

Wenn  Milton  an  den  grossen  Festtagen  des  christlichen 
Jahres  in  sich  selbst  den  Antrieb  zum  dichterischen  Schaffen 
fand  ,  —  und  nichts  berechtigt  dazu ,  die  angeführten  Oden 
als  blosse  College  -  Uebungen  aufzufassen,  —  so  näherte  ihn 
das  Universitäts  -  Leben  von  einer  ganz  anderen  Seite  dem 
poetischen  Gebiet.  In  London  hatte  er  sich  keineswegs  vom 
Theater -Besuch  zurückgehalten,  aber  auch  die  Universität 
hatte  ihre  „Komödie"  (-)•  Bei  festlichen  Anlässen,  Besuchen 
hoher  Herrschaften  führten  die  Studenten  eines  College  unter 
Leitung  eines  älteren  Mitgliedes,  das  zugleich  oft  der  Dichter 
war,  vor  den  fremden  Besuchern  und  der  ganzen  akademischen 
Körperschaft  dramatische  Spiele  auf,  in  denen  allerdings  die 
lateinische  Sprache  vorherrschte.  Mitunter  wurde  auch  ein 
Stück,  für  eine  bestimmte  Gelegenheit  gemacht,  später  noch 
öfter  wiederholt,  so  Georg  Ruggle's  lateinische  Komödie:  Igno- 
ramus:  die  zuerst  vor  dem  König  Jakob  im  März  1615  zur 
Aufführung  kam  (3).  Als  König  Karl  im  Frühling  1628  Cam- 
bridge einen  so  flüchtigen  Besuch  abstattete,  waren  ihm  zu 
Ehren  in  der  Fastenzeit  theatralische  Aufführungen  vorbereitet 
worden.  Die  grosse  Halle  von  Trinity-College  war  ganz  ge- 
eignet,  diesem  Zweck  zu  dienen,  von  den  Schauspielern  er- 


88  Holland  u.  Chateauneuf  in  Cambridge.  —  Stubbe's  „Fraus  honesta". 

langten  einige  ausserordentlichen  Beifall.  Die  „Komödie" 
scheint  Mittags  begonnen  zu  haben,  sie  pflegte  so  lange  zu 
dauern,  dass  kränkliche  Leute,  wie  Meade,  das  lange  Sitzen 
nicht  aushalten  konnten  ('). 

Ein  neuer  Anlass,  die  Schauspielerkunst  auszuüben,  bot 
sich  1629  im  September,  als  der  damalige  Kanzler,  Lord  Hol- 
land, mit  dem  französischen  Gesandten  M.  de  Chateauneuf 
nach  Cambridge  kam,  bei  welcher  Gelegenheit  es  an  Fest- 
reden und  Festessen  nicht  fehlte.  Auch  Christ-College  wurde 
durch  die  Gegenwart  der  hohen  Gäste  beehrt,  wir  besitzen 
noch  die  Anrede,  mit  der  sie  hier  empfangen  wurden.  Es 
war  nicht  ^lilton's  jNIund,  der  die  Worte  konventioneller 
Schmeichelei  zu  äussern  hatte,  sondern  der  seines  Antipoden 
im  Dichten  und  Denken :  John  Cleveland's.  Er  beginnt  natür- 
lich mit  dem  „heiligen  Schrecken",  den  die  „erhabene  Gegen- 
wart" seiner  Seele  einflösst,  und  welcher  ihn  fast  verhindert, 
ihr  Ohr  zu  belästigen,  „wo  der  Rathschluss  der  Könige  ge- 
Avohnt  hat".  „Aber  das  Ansehn  ist  ebenso  gottlos  wie  das 
Anreden.  Blitze  sind  in  beider  Augen,  wenn  jemand  deren 
Glanz  anzublicken  wagte,  würde  er  vom  Strahl  getroÖen  wer- 
den" (2).  Für  die  scenische  Darstellung  war  vermuthlich  wie- 
derum Trinity- College  der  Schauplatz,  zumal  ein  Fellow  dieses 
College,  Philip  Stubbe,  das  Thema  geliefert  hatte.  Soweit 
mir  seine  Komödie ,  betitelt  „Fraus  honesta" ,  welche  schon 
älteren  Datums  war  und  1632  veröffentlicht  wurde  (^),  nach 
Auszügen  bekannt  ist,  strotzt  sie  neben  terenzischer  Phraseo- 
logie von  einer  Plumpheit  des  Ausdrucks  und  einer  Fülle 
flacher  Gedanken,  welche  den  Dichter  der  religiösen  Oden 
und  Hymnen  eigen  angemuthet  haben  muss,  falls  er  unter  den 
Zuschauern  war('^).  Die  dramatische  Kunst  als  solche  schätzte 
er  hoch,  was  er  .aber  von  dieser  Karikatur  der  dramatischen 
Kunst  dachte,  lässt  sich  mit  seinen  eignen  Worten  wieder- 
geben. In  dem  Streit  über  die  Frage  der  Kirchenverfassung, 
in  dem  er  in  den  Mannes  -  Jahren  als  Vorkämpfer  auftrat, 
wurde  er  persönlich  von  einem  Gegner  angegriifen  und  be- 
zichtigt, sich  in  Bordellen  und  Schauspielhäusern  herumzu- 
tieiben ,  da  er  in  seinen  Schriften  eine  so  genaue  Bekannt- 


Die  Pest  in  Cambridge.  89 

Schaft  mit  solchen  Lokalen  und  ihrem  Zubehör  verrathe. 
Milton's  Antwort  darauf  lautete  so:  „Da  das  Hörensagen  von 
einem  Kopfputz,  einer  Perrücke  und  einer  Maske  so  nothwen- 
dig  eine  Bekanntschaft  mit  dem  Theater  voraussetzt,  was 
hinderte  mich  diese  zu  machen?  Da  man  in  den  Colleges 
so  viele  der  jungen  Gottesgelehrten,  und  gerade  die,  welche 
am  meisten  Neigung  zur  Gottesgelahrtheit  verriethen,  so  häufig 
auf  der  Bühne  sehn  konnte,  wie  sie  ihre  geistlichen  Glieder 
verzerrten  und  verdrehten  nach  allen  den  possenhaften  und 
unanständigen  Gesten  von"  Trinculos(^),  Buffos  und  Kupplern, 
indem  sie  die  Scham  jenes  Amtes,  welches  sie  innehatten  oder 
doch  zu  erreichen  im  Begriffe  waren,  vor  den  Augen  von 
Höflingen  und  Hofdamen  mit  ihren  Bedienten  und  „„Mam- 
sells"" bloss  stellten.  Während  sie  agirten  und  überagirten, 
war  ich  unter  andern  jungen  Scholaren  Zuschauer;  sie  hielten 
sich  für  rechte  Leute,  und  ich  hielt  sie  für  Narren,  sie 
machten  schlechte  Witze,  und  ich  lachte  Hohn,  ihre  Aus- 
sprache war  schlecht,  und  mein  Gefallen  war  schlecht,  und, 
den  Atticismus  vollzumachen,  sie  blieben  stecken,  und  ich 
zischte"  (2).  — 

Wenn  der  Besuch  hoher  Persönlichkeiten  und  die  zu 
ihrer  Ehre  gegebenen  Feste  auf  kurze  Zeit  den  Ernst  der 
gewöhnlichen  Studien  unterbrachen,  so  trat  im  Sommer  1630 
eine  Störung  ein,  die  aus  ganz  besonderen,  bedenklichen  Grün- 
den hervorgieng.  Als  1625  kurz  nach  dem  Ptegierungsantritt 
Karl's  L  die  Pest  auf's  furchtbarste  in  England  gewüthet 
hatte,  war  Cambridge  verschont  geblieben,  dies  Mal  musste 
es  dem  Würgengel  seinen  Tribut  zahlen.  Durch  einen  Sol- 
daten aus  Yorkshire  eingeschleppt,  verbreitete  sich  die  Krank- 
heit mit  rasender  Schnelligkeit.  Schon  am  23,  April  gab  man 
gedruckte  Todtenlisten  heraus.  Die  ganze  Universität  löste 
sich  auf,  und  in  Christ -'College  setzte  man  sich  in  förmlichen 
Belagerungs- Zustand.  Die  Thore  wurden  verschlossen,  hinaus- 
gehn  durften  nur  die  Fellows,  eingelassen  wurde  niemand 
ohne  Zustimmung  der  Mehrzahl  der  stiftungsberechtigten  Mit- 
glieder. Fleischer,  Bäcker  und  Lichtzieher  brachten  ihre 
Waare  an  das  Thor,   wo   der  Koch  und  der  Hausmeister  sie 


90  Pest  in  Cambridge.  —  Gedichte  auf  Hobson. 

in  Empfang-  nahmen.  Alles  nöthige,  selbst  weibliche,  Dienst- 
Personal  erhielt  im  College  Wohnung  und  Kost.  Der  Barbiei 
war  zugleich  Thürhüter.  Die  kleine  Genossenschaft,  welche 
zurückgeblieben  war,  lebte  Gefangenen  gleich  und  hoffte  nur 
auf  den  Mondwechsel,  denn  man  glaubte,  dieser  bringe  zur 
Erscheinung,  ob  jemand  angesteckt  sei  oder  nicht,  weshalb 
auch  die  Verdächtigen  einen  ganzen  Monat  eingeschlossen 
wurden.  Meade  flüchtete  nach  Dalham  zu  seinem  Freunde 
Stuteville,  sobald  er  sicher  war,  dass  seine  Nähe  diesen  und 
seine  Familie  nicht  in  Angst  setze.  Milton  war  ohne  Zweifel 
schon  früher  abgereist  und  hatte  sich  vernmthlich  zu  seinen 
Eltern  begeben.  Noch  am  20.  Oktober,  als  Meade  in's  Col- 
lege zurückkehrte,  fand  er  nur  die  Fellows  Tovey,  Milton's 
Tutor,  Siddal  und  Power  und  nur  einen  Scholaren  zu  ihrer 
Bedienung  anwesend.  Erst  am  28.  November  fanden  sich 
genug  zusammen,  um  in  der  Halle  zu  essen.  Von  den  Be- 
amten und  Bediensteten  des  College  waren  acht  theils  selbst 
von  der  Krankheit  ergriffen  worden  und  ihr  zum  Opfer  ge- 
fallen oder  doch  ihre  Angehörigen,  oft  ihre  ganze  Familie. 
Am  16.  December  erst  fand  die  officielle  Wiedereröffnung  der 
Universität  statt,  und  um  diese  Zeit  mag  auch  Milton  zurück- 
gekehrt sein.  Das  Elend  in  der  Stadt  Cambridge  war  so 
gross  gewesen,  dass  am  25.  Juni  eine  Proklamation  des  Kö- 
nigs zu  öffentlichen  Sannnlungen  aufgefordert  hatte.  Muthig 
hatte  der  Vicekanzler  Dr.  Butts  von  Corpus -Christ -College 
auf  seinem  Posten  ausgehalten,  von  allen  Scholaren  verlassen, 
er  stellte  einen  deutschen  Arzt  an  für  Behandlung  der 
Kranken  in  den  Baracken ('). 

In  indirektem  Zusammenhang  mit  der  Pest  stand  ein 
Todesfall,  der  in  Cambridge  einiges  Aufselm  machte,  hier  aber 
nicht  erwähnt  zu  werden  verdiente',  wenn  er  Milton  nicht  zu 
zwei  kleinen  Gedichten  veranlasst  hätte.  Der  alte  Thomas 
Hobson,  welcher  als  Bote  den  Weg  von  Cambridge  zur  Schenke 
zum  Stier  in  London,  Bishopsgate-Street,  mit  seinem  Pferde 
und  seinem  beladenen  Wagen  so  oft  zurückgelegt  hatte,  musste 
während  der  Pest-Zeit  das  so  lange  gewolmte  Geschäft  auf- 
geben.    Aber  die  Ruhe  bekam  ihm  schlecht,  im  Winter  1630 


Gedichte  auf  Hobson.  —  Epitaph  der  Marquise  v.  Winchester.     91 

auf  1631  starb  er  86  Jahre  alt.  Nicht  nur,  dass  er  von 
seinem  ansehnlichen  Vermögen  durch  Schenkung  bei  Leb- 
zeiten wie  testamentarisch  einen  Theil  der  Stadt  Cambridge 
zuwies  für  Errichtung  eines  Arbeitshauses,  Verbesserung  der 
Wasserkunst  etc.(^):  sein  Name  war  und  ist,  wie  man  ver- 
sichert, sogar  noch  heute,  in  der  Stadt  und  Universität 
populär.  Die  sprichwörtliche  Redensart :  Hobson's  choice ;  this 
or  nothing:  gilt  noch  jetzt.  Sie  schreibt  sich  daher,  dass 
jeder,  der  einen  Gaul  aus  des  schlauen  Hobson  Stall  entleihen 
wollte,  nur  den  ersten  cfer  Thür  zunächst  stehenden  oder 
vielmehr  gestellten  nehmen  durfte.  Milton  hat  dem  alten 
Post-Boten  zwei  Grabschriften  gewidmet,  recht  schwache  Er- 
zeugnisse seines  Genius,  offenbar  einer  flüchtigen  Laune  ent- 
sprungen, die  auch  so  ernst  nicht  genommen  sein  wollen. 
Es  lag  hier  so  nahe  alle  jene  kleinen  Wort-  und  Sinn-Spiele 
zu  verwerthen,  dass  das  Ende  der  Reise  nun  gekommen,  der 
Mangel  an  Ladung  Hobson's  Leben  schmerzbeladen  gemacht 
habe,  und  indem  Milton  diese  Gelegenheit  nicht  vorübergehn 
liess,  zeigte  er  doch  einen  gewissen  Humor,  dem  man  sonst 
fast  nie  in  seinen  Gedichten  begegnet  (2). 

Einen  ganz  andern  Ton  schlägt  das  kurze  Zeit  nachher 
gedichtete  Epitaphium  an,  in  welchem  der  plötzliche  Tod  der 
durch  Schönheit  und  Geist  ausgezeichneten  Marquise  von 
Winchester  (f  April  1631)  beklagt  wird.  Ben  Jonson.  Dave- 
nant  und  andere  beliebte  Dichter  widmeten  dem  Ereignis 
ihre  Verse.  Milton's  Gedicht,  nach  einigen  Künsteleien  im 
Anfang  zum  zarten  Ausdruck  wirklichen  Gefühls  fortschreitend, 
sieht  allerdings  aus,  wie  aus  einer  Sammlung  von  Cambridger 
Versen  herausgeschnitten,  zu  der  sich  für  diese  Gelegenheit 
mehrere  vereint  hätten ,  doch  hat  sich  bisjetzt  ein  solcher 
Sammelband  nicht  finden  lassen (^). 

Inzwischen  giengen  Milton's  Studien  ihren  ruhigen  Gang 
fort,  nicht  ohne  dass  er  Grund  gehabt  hätte,  sich  über  seine 
Stellung  im  College  einigermassen  zu  beklagen.  Seinen  Jahren 
und  seinem  so  vielfach  gezeigten  Talent  zum  Trotz  hatte  er 
keine  der  einträglichen  Fellow- Stellen  erhalten,  und  er  em- 
pfieng  eine  solche  weder  im  Sommer  1630,  als  einer  der  Fellows 


92     Christ.  Milton  i.  Christ-College.  —  Das  Königspaar  i,  Cambridge, 

sein  Amt  niederlegte,  noch  bei  einer  späteren  Vakanz  im  College. 
Sein  Streit  mit  Chappell  und  seine  ganze  hinlänglich  bekannte 
Denkart  mögen  ihm  geschadet  haben,  und  es  konnte  ihn 
bitter  berühren,  dass  durch  eigenmächtige  Vermittlung  des 
Königs  der  viel  jüngere,  aber  vornehme  E.  King  jene  Stelle 
erhielt,  ohne  dass  sein  Verhältnis  zum  Freunde  dadurch  im 
mindesten  getrübt  worden  wäre  (')•  Neben  King  hatte  Milton, 
wenigstens  vom  Frühling  1631  an  eine  vertraute  Seele  in 
seiner  Nähe,  nämlich  seinen  Bruder  Christoph.  ^Dieser  wurde 
am  15.  Februar  1631  in's  Christ- College  aufgenommen  und  unter 
Aufsicht  Tove} 's  gestellt,  welcher  einst  statt  ChappelFs  der  Tutor 
des  älteren  Bruders  geworden  war (2).  Möglicherweise  wurde 
]\lilton"s  Aufmerksamkeit  noch  auf  Henry  More  gelenkt,  der 
am  31.  December  1631  eintrat  und  später,  als  Gründer  der 
platonischen  Schule  der  englischen  Philosophie  der  Stolz 
seines  College  wurde  (^).  In  diese  letzte  Studienzeit  fiel  noch 
ein  unterbrechendes  Ereignis.  Am  19.  März  1632  kamen  der 
König  und  die  Königin  nach  Cambridge.  Wieder  reihte  sich 
Festlichkeit  an  Festlichkeit,  und  die  Komödie  nahm  darunter 
nicht  die  letzte  Stelle  ein.  Dies  Mal  machten  sich  zwei 
Nebenbuhler  den  Rang  streitig:  Peter  Hausted  von  Queen's 
College  und  Thomas  Randolph  von  Trinity  College,  jener  mit 
dem  Stück  „TheRivall  Friends",  dieser,  der  bekanntere  Dichter, 
mit  den  „  Jealous  Lovers "  ("*).  Hausted  setzte  zwar  durch, 
dass  seine  Komödie  zuerst  aufgeführt  wurde,  aber  er  hatte  das 
Unglück  mit  ihr  durchzufallen,  möglicher  Weise  deshalb,  weil 
sie  den  Zuschauern  zu  moralisch  war,  sich  gegen  Simonie 
und  Missbrauch  der  geistlichen  Gewalt  richtete.  Dagegen 
gefielen  die  leichteren  Verse  Randolph's,  die  sich  einem  so 
anstössigen  Thema  fernhielten,  allgemein.  INIilton's  Gedanken, 
wie  wir  sie  nach  seinem  Urtheil  über  diese  akademischen 
Theater -Uebungen  haben  kennen  lernen,  mögen  denen  Sir 
Simonds  d'Ewes  nicht  sehr  unähnlich  gewesen  sein.  Dieser 
gieng,  während  sie  in  Trinity  -  College  ein  thörichtes  Stück 
gaben,  das  den  meisten  der  Hörer  misshel,  in  die  Bibliothek 
des  College  und  sah  daselbst  verschiedene  alte  Handschriften 
an,  welche  ihm  so  viel  Vergnügen  machten,  wie  ihn  die  Nichtig- 


Selbstmord  des  Yicekauzler  Butts.  —  Milton  Magister  Artium.     93 

keit  des  Hof -Wesens  bekümmerte  (i).  Das  Thema  des  Hau- 
sted'schen  Stückes  konnte  damals  zur  Zeit  der  Laud'schen 
Kirchenherrschaft  den  hohen  und  liöchsten  Personen  nur 
wenig  gefallen;  der  König  machte,  wie  es  scheint,  durch  den 
Mund  des  Kanzlers,  Lord  Holland,  dem  zeitigen  Vicekanzler, 
Dr.  Butts,  demselben,  welcher  in  der  Pest-Zeit  so  muthig  aus- 
gehalten hatte,  bittere  Vorwürfe  über  die  Zulassung  einer 
solchen  Komödie.  Was  auch  sonst  noch  hinzugekommen  sein 
mag,  Butts  nahm  sich  die  königliche  Ungnade  so  zu  Herzen, 
dass  er  sich  am  1 .  April,  am  Oster-Morgen,  in  seinem  Zimmer 
in  Corpus -Christ- College  erhängte  (-).  Das  war  das  letzte 
Ereignis  von  allgemeinem  Interesse,  welches  Milton  in  Cam- 
bridge erlebte,  und  in  diesem  trat  ihm  am  Ende  seiner 
Studienzeit  die  ganze  Verwirrung  der  Rechts-  und  Moral- 
Begriffe  der  Zeit  in  ihren  politisch -kirchlichen  Ursachen  und 
den  aufregendsten  Ergebnissen  recht  deutlich  vor  Augen. 

Im  Mitt- Sommer -Term  1G32  gieng  das  Triennium,  das 
er  nach  Erlangung  des  Bakkalaureats  in  Cambridge  zu  ver- 
bringen hatte,  zu  Ende.  Am  Commencment-Day,  dem  3.  Juli, 
emptieng  er,  zugleich  mit  206  Bakkalaureaten  der  Universität, 
den  Grad  des  Magister  Artium  (^).  Den  Mittelpunkt  dieses 
jährlich  wiederkehrenden  Universitäts  -  Festes  bildeten  die 
lateinischen  Disputationen,  deren  Träger  vorwiegend  nach 
bestimmten  Regeln  ausgewählte  Mitglieder  des  grossen  Kreises 
derer  waren,  welche  zu  Magistri  Artium  kreirt  werden  sollten 
(Inceptors).  Ein  Präsident  (Moderator)  leitete  die  Verhand- 
lung, eine  andere  Persönlichkeit  (Father)  führte  die  Kandi- 
daten ein.  Gew^ohnhei tsrecht  hatte  die  Anwesenheit  eines 
koncessionirten  Spassmachers  (Praevaricator,  Varier)  zur  Regel 
gemacht.  Diesem  waren  an  diesem  Tage  lateinische  Witze 
und  Seiten -Hiebe  aller  Art  erlaubt  und  er  hatte  den  Ernst 
der  Feier  zu  erheitern  (*) ,  ähnlich  wie  der  Clown  zum  Ele- 
ment des  Drama's  geworden  war.  Dabei  stimmten  die  For- 
malien in  den  verschiedenen  Fakultäten  keineswegs  überein. 
Die  ganze  Umgegend  strömte  in  die  Stadt  zu  diesem  Festtage, 
dessen  Anstrengungen  in  einer  reichen  Fülle  von  Wein  und 
„roasted  beef"  ihren  Lohn   fanden.     Der  Feier   machte  die 


94  Rückblick  auf  den  Studien-Gang. 

Aufführung  eines  geistlichen  Musik -Stückes  ein  Ende,  und 
bei  dieser  oder  ähnlicher  Gelegenheit  hat  Milton  wohl  den 
Gedanken  jener  fein  empfundenen  Verse  empfangen,  die  uns 
den  begeistei'ten  Jünger  der  heiligen  Cäcilie  offenbaren ('). 

Um  den  Grad  des  M.  A.  zu  erlangen,  hatte  Milton  wieder 
jene  drei  Artikel  zu  unterschreiben,  welche  schon  dem 
Bakkalaureus  vorgelegt  worden  waren,  und  nachdem  dies  ge- 
schehn,  war  seine  Cambridger  Epoche  geschlossen,  die  gesetz- 
liche Vorschrift  einer  weiteren  fünfjährigen  Anwesenheit  nach 
Erlangung  des  M.  A.  Grades  war  schon  längst  in  Abgang 
sekommen. 


Bei  einem  Rückblick  auf  das,  was  der  Unterricht  im 
College  und  in  der  Universität  ihm  in  sieben  langen  Jahren 
geboten  hatte ,  konnte  sich  der  junge  Milton  nicht  sehr  be- 
friedigt fühlen.  Der  Gesammt-Charakter  der  hier  betriebenen 
Studien  bestand  wesentlich  in  einer  Verbindung  von  Philo- 
logie mit  Scholastik,  wie  sie  durch  die  geistigen  Bewegungen 
von  Humanismus  und  Reformation  als  ein  Kompromiss  zwi- 
schen Altem  und  Neuem  festgestellt  worden  war.  Allerdings 
scheint  den  mathematischen  und  naturwissenschaftlichen  Dis- 
ciplinen  eine  mehr  bevorzugte  Stellung  eingeräumt  worden  zu 
sein  als  es  in  Oxford  der  Fall  war,  aber  auch  dabei  traf  man 
nicht  selten  eine  sonderbare  Auswahl  der  Hülfsmittel.  Nach 
den  Statuten  Elisabeth's  sollte  für  die  öffentlichen  Vorlesungen 
in  der  Arithmetik  „Tonstall  oder  Cardan  etc.",  in  der  Geo- 
metrie „Euklid",  in  der  Kosmogra})hie  „Mela,  Plinius,  Strabo 
oder  Plato ",  in  der  Astronomie  „Ptolemäus''  zu  Grunde  ge- 
legt werden (2).  Daselbst  werden  als  Lehrbücher  der  Philo- 
sophie genannt:  „Aristoteles  Problemata,  Ethik  oder  Po- 
litik, Plinius  oder  Plato",  für  die  Logik  „des  Aristoteles 
Bücher  von  der  Auffindung  der  Trugschlüsse  oder  Cicero's 
Topik".  für  Rhetorik  „(,)uintilian,  Ilermogenes  oder  Cicero". 
Die  Aut()l)iographie  des  Simonds  d'Ewes,  der  sieben  Jahre 
vor    Milton   in   das  St.  John's   College    eintrat   und    daselbst 


Eückblick  auf  den  Studien-Gang.  95 

zwei  Jahre  verweilte,  dient  vortrefflich  dazu,  das  Bild  des 
üblichen  Studienganges  zu  ergänzen.  Er  nahm,  wie  er  be- 
richtet, aus  freien  Stücken  an  den  theologischen  öffentlichen 
Vorlesungen  Theil,  desgleichen  an  denen  über  Rhetorik  und 
Griechisch.  In  seinem  College  wohnte  er  „den  Problemen, 
Sophismen,  Deklamationen  und  anderen  scholastischen  Uebun- 
gen"  an,  zu  eigener  Mitwirkung  gelangte  er  aber  wegen  der 
Kürze  seines  Aufenthaltes  in  Cambridge  nur  zwei  Mal  im 
Disputiren  und  zwei  Mal  im  Deklamiren  (^).  Nebenher  giengen 
die  Studien  mit  dem  Tutor.  Die  ganze  Logik  des  Seton 
wurde  durchgenommen,  das  beliebteste  Lehrbuch  dieser  Art, 
daneben  Theil e  von  B.  Keckermann  und  P.  du  Moulin.  In 
der  Ethik  legte  der  Tutor  Gehus  (?)  und  einen  Theil  des  AI. 
Piccolomini  zu  Grunde,  in  der  Natur -Lehre  einen  Theil  des 
J.  Magirus(2),  in  der  Geschichte  einen  Theil  des  Florus.  Da- 
zu traten  die  Privat  -  Arbeiten  des  Schülers.  Er  vollendete 
die  Lektüre  des  Florus  und  machte  sieh  Auszüge  aus  dem 
Buche,  die  anderen  erwähnten  Schriftsteller  las  er  fleissig  für 
sich  durch.  Ausserdem  erwähnt  er  als  Gegenstände  des 
Einzel  -  Studiums :  Gellius  attische  Nächte,  einen  Theil  von 
Macrobius  Saturnalien,  vor  allem  aber  Aristoteles  Physik, 
Ethik  und  Politik  nebst  verschiedenen  Büchern  über  Logik. 
Zur  Erholung  dienten  in  den  Abendstunden  Stephens'  Yer- 
theidigung  des  Herodot  und  Spensers  Feenkönigin.  Daneben 
durfte  der  Versuch  nicht  fehlen,  einige  Oden  und  die  Poetik 
des  Horaz  in  die  ^Muttersprache  zu  übersetzen.  Selbstständige 
Essays  wurden  gewagt,  und  nach  dem  Muster  von  A.  Gellius 
u.  a.  entstanden  unter  der  Feder  des  eifrigen  Studenten  Ex- 
cerpte  und  Sammlungen. 

Milton  war  mehr  als  der  ehrenwerthe  Sir  Simonds  d'Ewes, 
seine  Erziehung  war  eine  ungemein  sorgfältige  gewesen,  er 
verweilte  fast  sieben  volle  Jahre  in  Cambridge,  und  sein  Vater 
sah  nicht  ängstlich  aufs  Geld.  Nicht  nur,  dass  der  Unter- 
richt im  College  bei  den  Tutoren  und  in  Gemeinschaft  mit  den 
übrigen  Studien-Genossen  ihm  nach  den  hergebrachten  Piegeln 
zu  Theil  wurde,  auch  ausserhalb  des  College,  besonders 
während  des  Trienniums  bot  sich  Gelegenheit,  den  Vorlesungen 


96  Rückblick  auf  den  Studien-Gang. , 

der  Universitäts  -  Professoren  zu  folgen.  Da  lehrten  Downes 
und  Herbert,  denen  beiden  Creighton  in  ihren  Stellen  folgte, 
Griechisch  und  Rhetorik,  Den  Lehrstuhl  des  Hebräischen 
hatte  Robert  Metcalfe  inne,  vermuthlich  gehörte  auch  Milton 
unter  die  Zahl  seiner  Schüler (^).  Es  erscheint  nicht  unmög- 
lich, dass  er  auch  den  Vorlesungen  des  gelehrten  Holländers, 
des  Dr.  Dorislaus,  beiwohnte,  dessen  staatsrechtliche  Theorie 
sich  in  Milton's  späteren  Schriften  wiederfindet.  Auf  eine 
Stiftung  des  Lord  Brooke  hin  und  mit  Erlaubnis  des  Königs 
1627  nach  Cambridge  gesandt,  um  Geschichts- Vorträge  zu 
halten,  nahm  er  Tacitus  Annalen  zu  seinem  Thema  und 
sprach  bei  der  Gelegenheit  aus,  es  gebe  kein  Recht  der 
]\Ionarchie,  woferne  es  nicht  in  der  freiwilligen  Unterwerfung 
des  Volkes  liege.  Selbstverständlich  gieng  das  nicht  ohne 
Rüge  hin,  und  man  bedeutete  dem  leidener  Juristen,  dass, 
was  in  seinem  Vatei"lande  mit  Beifall  proklamirt  werde,  unter 
(!em  Scepter  Karl's  L  keine  Duldung  finden  könne  (-)•  Un- 
zweifelhaft gewann  Milton  durch  siebenjährige  Studien 
der  Art,  mit  denen  sich  ein  eiserner  Fleiss  ausserhalb  der 
Lehrstunden  verband,  jene  umfassende  Kenntnis  der  Schriften 
des  Alterthums,  von  der  beinahe  jede  Seite  seiner  späteren 
Werke  Zeugnis  ablegt.  Schon  jene  Jugend-Gedichte,  die  der 
Cambridger  Epoche  angehören,  geben  einen  vollgültigen  Be- 
weis für  seine  erstaunliche  Belesenheit.  Er  spielt  mit  den 
Gleichnissen,  mit  den  gesammten  Anschauungen  der  Antike, 
er  zielt,  häufig  beinahe  nur  um  seine  Gelehrsamkeit  auf  den 
Markt  zu  bringen,  so  absichtlich  gesucht  auf  Namen  und 
Thatsachen  aus  dem  Kreise  griechischer  und  römischer  Bil- 
dung ab,  dass  es  mitunter  recht  schwer  ist,  die  uisprüngliche 
Quelle  aufzufinden,  aus  der  er  seine  Kunde  geschöpft  hat. 

Aber  wenn  die  philologischen  Kenntnisse,  die  er  sich  hier 
erwarb,  seine  Anschauung  erweiterten  und  seinen  Geschmack 
läuterten,  konnte  er  sich  durch  jenes  zweite  hauptsächliche 
Bildungs- Element  beglückt  fühlen,  das  Cambridge  ihm  bot? 
Fand  er,  wie  der  junge  Pvichard  Baxter,  vorzügliches  Gefallen 
„an  den  Büclicin  der  Aquinas,  Scotus,  Duraudus,  Ockam  und 
ihrer  Schüler",  zu  denen  man  mit  gutem  Gewissen  manche 


Milton's  rhetorische  Essays.  —  Erste  College-Eede.  97 

dei-  Autoren  rechnen  konnte,  die  ihm  in  die  Hand  gerieben 
werden  ?  Dünkte  es  auch  ihn  erspriesslieh  sich  mit  den  „üeti- 
nitionen,  Distinktionen ,  dem  Quod  sit,  Quid  sit  oder  dem 
Quotuplex"  u.  s.  w.  zu  beschäftigen  ?(')  War  er  stolz  auf 
jenen  Jargon  der  Schule,  der,  wie  man  noch  im  achtzehnten 
Jahrhundert  klagte,  einzig  und  allein  dazu  diente,  end-  und 
nutzlose  Streitigkeiten  rein  formaler  Natur  in  barbarischem 
Latein  zu  führen? (2) 

Er  hat  selbst  die  Antwort  darauf  gegeben  in  einigen 
Erzeugnissen  seiner  Feder,  die  noch  aus  den  Studienjahren 
stammen,  ja  welche  durch  die  bestehenden  VorscJiriften  ge- 
fordert wurden.  Es  sind  sieben  ., rhetorische  Versuche",  einige 
jener  „Probleme,  Sophismen,  Deklamationen  und  scholastischen 
Uebungen'',  an  denen  im  College,  wie  in  der  Universität  sich 
zu  betheiligen  auch  Milton  genöthigt  ward.  Zuerst  im  Jahre 
1674,  dem  letzten  Lebensjahre  Milton's,  zugleich  mit  seinen 
Privat=Briefen  dem  Buchhändler  zu  Gefallen  veröffentlicht,  um 
das  Bändchen  zu  füllen,  und  öfter  ohne  Sorgfalt  wieder  ab- 
gedruckt, haben  sie  nur  selten  eine  genauere  Beachtung  ge- 
fundene^). Sie  enthalten  indessen  nicht  nur  sehr  schätzbare 
biographische  Notizen,  sondern  sie  geben  auch  eine  erwünschte 
Aufklärung  darüber,  wie  Milton  über  den  Werth  gewisser 
Cambridger  Studien  dachte,  und  welchen  Weg  seine  eigene  Nei- 
gung nahm.  Um  ein  vollständiges  Bild  seiner  damaligen  Epoche 
zu  gewinnen,  darf  man  nicht  unterlassen,  sie  genauer  zu  be- 
trachten. Die  erste  der  im  College  gehaltenen  Reden  (No.  1) 
gehört,  wie  ich  glaube  begründen  zu  können,  dem  Frühjahr 
1628  an.  Ihr  Thema  lautet:  „Was  ist  herrlicher,  der  Tag  oder 
die  Nacht  ?"('*)  Milton  nimmt  die  Partei  des  Tages.  Er 
führt  seine  Aufgabe  nicht  ohne  Geist  und  Phantasie  durch. 
Die  liebevolle  Ausmalung  des  Kleinlebens  der  Natur,  wie  der 
Tag  durch  den  Gesang  der  Vögel  begrüsst  wird,  wie  der 
Hahn  die  Schläfer  erweckt,  wie  Butterblume  und  Rose  ihre 
Kelche  der  Sonne  öffnen  und  sie  leise  bitten,  mit  ihrem  Kuss 
die  Thau-Thränen  zu  trocknen,  dies  alles,  fein  ausgeführt, 
kündet  den  Dichter  des  „Allegro"  schon  voraus.  Nicht  min- 
der gelingt  ihm  ein  „Lied  in  Trauertönen  von  der  Einsam- 
stem, Milton  u.  s.  Z.  I.  1.  "J 


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98 


Erste  Collese-Kode. 


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keit  der  Nacht",  in  deren  Schatten  sich  Wüstlinge  und  Spieler, 
Räuber  und  Mörder  bergen,  deren  einziges  Gutes,  der  Schlaf, 
selbst  nur  ein  Bild  des  Todes  ist.  Bei  ^Yeitenl  höher  in- 
dess  als  das  sachliche  Interesse  dieser  SchulUbung,  der  es  an 
mythologischen  Gleichnissen  und  ^Yitzigen  Wendungen  nicht 
fehlt,  ist  das  biographische.  Indem  sich  ^lilton  im  Beginn 
der  alten  rhetorischen  Regel  erinnert ,  vor  allem  gelte  es  die 
Gunst  der  Hörer  zu  gewinnen,  beklagt  er  sich,  dass  ihm  die 
Lösung  dieser  Aufgabe  wohl  nicht  gelingen  werde.  „Wie 
kann  ich,  ruft  er  aus,  auf  euer  Wohlwollen  hotfen,  da  ich 
in  dieser  grossen  Vei-sammlung  fast  ebenso  viele  mir  feindlich 
Gesinnte  sehe,  wie  ich  Köpfe  erblicke?  So  viel  kann  Eifer- 
sucht, Vei-schiedenheit  der  Studien  oder  die  Ye^•schiedenheit 
der  Ansichten  bei  Betreibung  dieser  Studien,  auch  auf  der 
rnivemtät,  zur  Erzeugung  von  Streitigkeiten  beitragen.  .  . 
Mchtsdestominder  sehe  ich,  um  nicht  ganz  muthlos  zu  werden, 
wenn  ich  nicht  irre,  hier  und  dort  einige,  die  mir  still- 
schweigend deutlich  zu  vei-stehen  geben,  wie  sehr  sie  mir 
wohlwollen.  Deren  Beffall ,  wie  wenig  ihrer  sind ,  soll  mir 
lieber  sein  als  der  Beifall  der  zahllosen  Hunderte  von  Uner- 
fahrenen, denen  Yei-stand,  Kritik  und  gesundes  ürtheil  fehlt, 
die  sich  auf  einen  schäumenden  und  wahrhaft  lächerlichen 
Wortschwall  etwas  einbilden.  Nimmt  mau  solchen  die  von 
modernen  Autoren  zusammengebettelten  Lappen  weg,  beim 
unsterblichen  Gott  splitternackt  würden  sie  aussehn  und  nach 
Verbrauch  der  unnützen  Worte  und  gedrechselten  Phrasen 
könnten  sie  keinen  Laut  von  sich  geben  gleich  Stummen 
oder  den  Fröschen  von  Seriphos'"  C^).  In  diesem  Tone  werden 
die  „Zwerge  der  Rednerkunst •'  noch  eine  Weile  angegritfen, 
dann  tahrt  Milton  fort:  ,,Wenn  einer  hier  anwesend  ist,  der 
jede  Friedensbedingimg  abweist  und  mir  ewisen  Krieg  zu- 
gescliworen  hat,  so  halte  ich  es  nicht  unter  meiner  Würde,  ihn 
jetzt  zu  bitten  und  anzutiehu,  da&s  er  seinen  Groll  einen  Auiieu- 
blick  vergesse  und  ein  billiger  Richter  dieses  Stmtes  sei, 
denn  die  Schuld  des  Rednei"S,  wenu  er  überhaupt  schuldig, 
st>ll  der  Güte  und  VortreÖlichkeit  der  Sache  nicht  schaden. 
Wenn   ihr  aber   glaubt,   das  Gesagte  sei  zu  bissig  uud  zu 


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Ferien-Eede  162S  im  College.  —  Verhältn.  z.  d.  Kornmilitoneu.     99 

bitter  gewesen,  so  will  ich  bekennen,  class  dies  in  meiner 
Absicht  gelegen,  denn  der  Beginn  meiner  Rede  soll  dem 
ersten  Grauen  eines  Morgen  gleichen,  aus  dessen  leichtem 
Gewölk  der  schönste  Tag  hervorgeht."  Hiermit  wird  der 
Uebergang  zum  eigentlichen  Thema,  dem  Lobe  des  Tages, 
gewonnen.  Die  biographische  Wichtigkeit  dieser  einleitenden 
Sätze  liegt  auf  der  Hand.  Alan  sieht,  dass  Milton  viele 
Feinde  in  seinem  College  hatte  wie  es  scheint  von  der  Sorte 
der  hohlköpfigen  Redekünstler;  deren  geistlose  Art  zu  stu- 
diren  seinem  Spott  nicht' entgieng. 

Indess  sein  Verhältnis  zu  diesen  besserte  sich,  und  seine 
freimüthigen  Worte  wurden  günstiger  aufgenommen  als  er 
dachte.  Man  erfährt  dies  aus  einer  anderen  umfangreichen  Rede, 
die  wenige  Monate  später,  nach  dem  Schluss  des  Mitt-Sommer- 
Terms,  am  Anfang  der  grossen  Ferien  1628  gehalten  wurde(i). 
Milton  hatte  die  Absicht,  diese  Ferien  angestrengt  fleissig  in 
Cambridge  auszuhalten  (s.  S.  70),  als  ihm  der  Auftrag  wurde, 
nach  alter  Sitte  die  Mühen  der  vorangegangenen  Studienzeit 
durch  eine  festliche,  erheiternde  Rede  abzuschliessen ,  oder, 
wie  er  sich  ausdrückt,  seinen  Fleiss  ,,auf  Spielereien  zu  ver- 
wenden und  neue  Thorheiten  auszudenken."  Der  Schauplatz 
war  wieder  die  Halle  oder  Kapelle  des  eignen  College,  aber 
das  Publikum  bestand  dies  Mal  aus  der  ganzen  akademischen 
Jugend,  „Mich  bewog,  sagt  Milton  am  Anfang  seiner  Rede 
(No.  6),  zur  Uebernahme  dieser  Rolle,  eure  mir  ganz  kürzlich 
erwiesene  Freundlichkeit,  meine  College-Genossen;  denn  als 
ich  vor  mehreren  Monaten  eine  Rede  vor  euch  zu  halten 
hatte,  glaubte  ich  eine  Arbeit  von  mir,  wie  immer  geartet, 
würde  euch  wenig  gefallen,  und  Aeacus  und  Minos  würden 
mir  mildere  Richter  sein  als  irgend  einer  von  euch.  Da 
erntete  ich  ganz  gegen  meine  Erwartung  und  Hoifnung  .  .  . 
einen  ungewöhnlichen,  allgemeinen  Beifall  selbst  von  denen, 
welche  mir  sonst  wegen  zwiespältiger  Ansichten  in  Betreff 
der  Studien  ganz  feindlich  und  gehässig  gesinnt  waren"  (^). 
lieber  die  Feinde  in  seinem  College  hatte  sich  Milton 
also  nicht  mehr  zu  beklagen.  Ohne  Befangenheit  konnte  er 
sich  dies  Mal  an  die  Thesis,  um  die  es  sieh  handelte,  machen, 


100  Verhältnis  zu  den  Kommilitonen. 

,.dass  gelegentliche  spasshafte  Uebmigeu  den  plülosophisclien 
Studien  nicht  im  Wege  stehn".  Wie  man  bemerkt,  fordert 
die  Aufgabe  selbst  den  ßedner  schon  auf,  Witz  und  Humor 
zu  entfalten,  wie  es  der  Zweck  der  Versammlung  verlangte. 
Denn  besser  Hess  sich  ja  die  Vereinbarkeit  strengen  Studiums 
und  munterer  Laune  gar  nicht  zeigen,  als  wenn  diese  durch 
einen  aufs  Ernste  gerichteten  Geist  kundgegeben  wurde,  der, 
wie  er  selbst  andeutet,  von  Haus  aus  zu  solchen  Suiten  und 
Schwänken  gar  nicht  hinneigte.  Er  häuft  daher  zunächst, 
vielleicht  nicht  ganz  ohne  ironische  Nebengedanken,  einen 
wahren  Bombast  von  Komplimenten  für  seine  Zuhörerschaft, 
welche  er  der  des  Demosthenes  und  Aeschiues,  Hortensius 
und  Cicero  vergleicht.  Mochte  dies  schon  die  Heiterkeit  er- 
regen, so  noch  mehr  der  Versuch,  aus  der  Gescliichte  der 
Literatur  und  der  Staaten  die  These  zu  beweisen,  wobei  denn 
Homer  als  Dichter  des  Frosch- Mäuse -Krieges,  Sokrates  als 
Witzbold  gegenüber  Xantippe,  Perikles  und  Philipp  von 
Macedonien,  Caesar  und  Pompejus  ihre  Rolle  spielen  müssen. 
Aber  unter  dem  Scherz  wird  sich  auch  manches  Körnchen 
Ernst  verbergen.  Viele  der  Universitäts- Brüder  Milton's 
mögen  ihm  sehr  verargt  haben,  dass  er  sich  dem  üblichen 
Gange  studentischer  Denk-  und  Lebensweise  nicht  anschloss. 
Er  war,  das  musste  man  wissen,  ein  sehr  selbstständig 
denkender  Kopf,  bis  tief  in  die  Nacht  brannte  in  seinem 
kleinen  Zimmer  die  Studir-Lampe ,  unerschöpflich  quoll  ihm 
die  Ader  der  Dichtung,  was  andere  als  rechte,  würdige 
Gegenstände  des  Studiums  betrachteten,  entgieng  seinem  Spott 
nicht,  und  gegen  die  Anmassung  hohler  Gesellen  richtete  sich 
seine  Ironie.  Er  war  zwar  nicht  der  griesgrämige  Puritaner, 
zu  dem  ihn  die  Parteileidenscliaft  kurzsichtiger  Gegner  hat 
stempeln  wollen,  alier  \Yie  seine  Studien-Neigungen,  sich  nicht 
in  der  breiten  Fahrsti-asse  bewegten,  so  liess  er  sich  auch 
in  den  Stunden  der  Erliolung  nicht  von  den  Banden 
studentischer  Gewohnheit  fesseln  und  hatte  seine  eigne  Art, 
sich  an  Welt  und  Menschen  zu  erlustigen.  Wenigstens 
klingt  es  fast  wie  eine  Art  von  Selbstvertheidigung,  wenn 
er   in   einem   Atliem    nicht   sehr  respektvoll    vom    „Dornge- 


Verhältnis  zu  den  Kommilitonen.  101 

strüpp  der  Logik"  spricht,  Witz,  inite  Laune,  artige 
Scherze  dagegen  preist  und  dann  fortfährt:  .  .  .  „Wenn  je- 
mand aber  nicht  für  witzig  und  feinsinnig  gelten  will,  dann 
nehme  er  es  nicht  übel,  wenn  er  bäurisch  und  rüpelhaft  ge- 
nannt wird.  Wir  kennen  eine  gewisse  engherzige  Sorte  von 
Menschen  recht  wohl,  die  selbst  ganz  ohne  Witz  und  Humor 
sind,  aber  ihre  Nichtigkeit  und  Einfältigkeit  stillschweigend 
für  was  Rechtes  halten,  und  wenn  sie  irgend  eine  witzige 
Bemerkung  hören,  diese  sofort  auf  sich  beziehn.  Und  wahr- 
lich verdienen  sie  so  behandelt  zu  werden,  wie  sie  es  mit 
Unrecht  argwöhnen,  dass  sie  vom  Spotte  aller  gegeisselt  wer- 
den, bis  sie  beinahe  daran  denken ,  sich  aufzuhängen.  Aber 
dieser  Abfall  von  Menschen  soll  der  Freiheit  einer  feinen 
Ironie  keinen  Zügel  anlegen."  Auch  nach  einer  anderen 
Seite  theilt  Milton  fühlbare  Hiebe  aus.  Die  Ausschreitungen 
der  übermüthigen  Studenten -Laune  bei  den  Disputationen 
waren  von  der  akademischen  Obrigkeit  vielfach  scharf  ge- 
tadelt worden.  Im  Jahre  1608  wurde  verordnet,  dass  „jede 
Possenreisserei  und  närrische  und  unpassende  Spässe,  die 
theatralisches  Gelächter  hervorrufen",  bei  den  Disputationen 
am  Commencment-Day  vermieden  werden  sollten,  obwohl 
„gi-aziöse  Witze  mit  gelehrter  Eleganz  geläutert"  für  die 
Philosophen  erlaubt  und  namentlich  bei  dem  Praevaricator 
erwünscht  waren.  Ein  ähnliches  Dekret  war  1626  mit  Bezug 
auf  die  College-  und  Uni versitäts  -  Disputationen  ergangen  (^). 
Die  Studentenschaft  auf  das  pochend,  was  ihr  als  gutes  Recht 
erscheinen  mochte,  nahm  diese  Verbote,  welche  die  Strenge 
veralteter  Statuten  wieder  hervorkehrten,  ohne  Zweifel  schlecht 
auf.  In  Cleveland's  College-  und  Universitäts-Reden  kommen 
offenbar  mehrere  Anspielungen  hierauf  vor(^).  Ohne  Zweifel 
treffen  ebenso  Milton's  Worte  diese  Seite:  „Vielleicht  sind 
einige  bärtige  Magister  hier,  sehr  finstere  und  pedantische,  die 
sich  für  grosse  Catos  nicht  bloss  für  kleine  Catochen  halten, 
das  Gesicht  in  die  Falten  stoischer  Strenge  gelegt  und  mit 
seitwärts  nickendem  Kopfe.  Die  klagen  und  wimmern,  wie 
doch  alles  heute  sich  verwirre  und  verschlechtere ,  dass, 
statt  einer  Erklärung  der  „Pricrum"   des  Aristoteles  durch 


102  Verhältnis  zu  den  Kommilitonen.  —  Prolusio. 

die  neugebackenen  Bakkalaureaten  ( '),  Spöttereien  und  thö- 
riclite  Witze  schamlos  und  unzeitig'  gemacht  ^vel•den,  und  dass 
auch  die  heutige  Uebung,  die  unsre  Ahnen  mit  gutem  Recht 
und  Takt  angeordnet  haben,  um  für  die  Rhetorik  oder  Philo- 
sophie daraus  eine  herrliche  Frucht  zu  gewinnen  (dies  ist 
wohl  ironisch  gemeint!),  seit  kurzem  zu  einem  schalen  Possen- 
spiel verschlechtert  sei.  Für  diese  habe  ich  sofort  eine  Ant- 
wort bereit.  Mögen  sie  erfahren,  wenn  es  ihnen  unbekannt 
ist,  dass  die  Wissenschaften  kaum  von  fernher  zu  unsern 
Küsten  verpflanzt  waren,  als  die  Gesetze  unsrer  Uni- 
versität zuerst  gemacht  wurden.  Und  weil  die  Kenntnis  der 
griechischen  und  lateinischen  Sprache  damals  sehr  wenig  ver- 
breitet war,  so  war  es  ganz  passend,  um  so  fleissiger  und  eif- 
riger nach  dieser  zu  streben  und  zu  trachten.  Wir  aber, 
obw^ohl  wir  im  Moralischen  den  Vorfahren  nachstehn,  sind 
doch  gebildeter,  dürfen  diejenigen  Studien  verlassen,  die  uns 
nicht  viel  Schwierigkeit  machen  und  uns  zu  denen  wenden, 
die  sie,  wenn  sie  Zeit  dazu  gehabt,  auch  ergriften  hätten." 
Gesetze  werden  ja  auch  meistens  von  Haus  aus  mit  grösserer 
Schärfe  abgefasst,  damit  sie  sich  allmählich  dem  geänderten 
Zeitbewusstsein  anschmiegen  können.  Dass  aber  eine  ofti- 
cielle  Billigung  dieser  Scherze  dem  Ernst  des  Studiums 
schade,  ist  nicht  zu  fürchten,  wer  ganz  in  diesen  ,, Kindereien 
und  diesem  theatralischen  Spielwerk"  aufgeht  und  seine  Stu- 
dien darüber  vernachlässigt,  wird  weder  hier  wie  dort  etwas 
leisten,  denn  auch  zu  rechtem  Scherz  gehört  die  Grundlage 
ernster  Arbeit. 

Auf  die  Rede  (Oratio)  folgt  nun  das  unterhaltende  Spiel 
(Prolusio),  dessen  Ton  ))lützlich  ein  ganz  anderer  wird  als  der 
des  Vorhergehenden.  Es  scheint  Sitte  gewesen  zu  sein,  bei 
diesem  zweiten  Theile  der  s.  g.  Festlichkeit  die  tollsten  und 
derbsten  Hanswurstiaden  aufzutischen,  je  toller  und  dei-ber, 
desto  erwünschter.  Wenn  man  diese  immer  in  gewähltem 
Latein  ausgedrückten,  aufeinandergehäuften  Rohheiten  und 
Unfläthigkciten  durchliest,  so  wird  man  eine  sehr  geringe 
Meinung  von  der  Höhe  des  damaligen  studentischen  Geschmacks 
und   Feingefühls  erhalten,   aber  zugleich   bedauern,   dass  ein 


Prolusio.  103 

Milton  genöthigt  war,  diese  Seiltänzer  -  Sprünge  des  Witzes 
eines  niedrigsten  Theater-Clowns  mitzumachen,  die  selbst  dem 
Naturell  eines  Cleveland  zu  bedenklich  vorkommen  mochten. 
Es  macht  beinahe  den  Eindruck,  als  ob  Milton,  wie  um  sieb 
für  den  angethanen  Zwang  zu  rächen,  nun  auch  alle  Grenzen 
des  guten  Geschmacks  überspringen  wollte,  und  wunderbar 
bleibt  nur,  dass  er  diese  jugendliche  Leistung,  die  fast  allein 
zur  Beleuchtung  eines  Stückes  Kulturgeschichte  von  Werth 
ist,  später  der  Presse  anvertraute.  INIanches  muss  uns  freilich 
befremdlich  erscheinen,  weil  wir  die  Sitte  und  die  Kuustaus- 
dräcke  der  Zeit  nicht  hinlänglich  genau  kennen.  Der  Eedner 
klassificirt  und  charakterisirt  die  um  ihn  versammelte  Stu- 
dentenmasse wie  ein  Koch  die  Gerichte  seiner  Speisekarte  (^). 
Ohne  Zweifel  verstecken  sich  hier  Anspielungen  auf  einzelne 
Klassen  der  Studenten,  wie  der  Graduates  und  Uudergraduates, 
auch  wohl  auf  einzelne  Colleges,  deren  jedes  seinen  Spitz- 
namen haben  mochte.  Möglicher  Weise  liegen  auch  Wort- 
spiele vor,  indem  die  Namen  einzelner  der  Anwesenden  satyri- 
sirt  wurden,  in  welchem  Fall  die  ofticiellen  Bücher  vielleicht 
noch  Aufschluss  geben  könnten,  wenn  sich  die  Mühe  des 
Suchens  verlohnte.  Gleichfalls  werden,  wenn  ich  die  Worte 
recht  verstehe,  die  Universitäts- Beamten,  Pedelle  u.  s.  w. 
welche  die  unruhige  akademische  Schaar  in  Ordnung  zu 
halten  hatten,  mit  einigen  Seitenhieben  bedacht,  die  eines 
stürmischen  Beifalls  gewiss  sein  konnten(^). 

Sodann  forderte  ein  im  Herkommen  begründeter  Aus- 
druck schon  von  selbst  zu  den  gesuchtesten  und  nicht  immer 
sehr  anständigen  Witzeleien  heraus.  Es  war  vermuthlich  Ge- 
brauch, dass  der  jedes  Mal  bei  dieser  Gelegenheit  als  Fest- 
redner Erwählte  mit  dem  Titel  ., Vater"  bezeichnet  wurde, 
ähnlich  wie  bei  einer  anderen  akademischen  Feier  (s.  S.  93),  und 
dass  ihm  wieder  mehrere  der  Anwesenden,  gleichsam  als  Ge- 
hülfeu,  unter  der  Bezeichnung  von  „Söhnen"  beigegeben 
wurden,  mit  denen  in  Gemeinschaft  er  eine  Art  dramatischen 
Scherzes  in  Scene  zu  setzen  hatte  (^).  Natürlich  war  es  ein 
erwünschter  Stoff,  diese  plötzlich,  in  so  jungen  Jahren  erlangte 
Vaterschaft  nach  allen  Seiten  hin  zu  beleuchten.  Milton's  Fall 


104         Prolusio.  —  Maske  der  aristotelischen  Prädikamente. 

war  aber  noch  ein  besonders  humoristischer.  Man  pflegte  ihn 
in  Cambridge  wegen  der  ausserordentlichen  Schönheit  und 
Eeinheit  des  Teints  ,,das  Fräulein  von  Christ -College"  zu 
nennen  (.^),  Das  plötzlich  zum  Vater  gewordene  Mädchen 
lässt  sich  diese  Gelegenheit  nicht  entgehn,  den  Spottvögeln 
zu  antworten  und  sich  gegen  Vorwürfe  zu  vertheidigen, 
die  man  gegen  seine  Mannhaftigkeit,  in  dem  Sinn,  wie  der 
studentische  Comment  sie  auffasste,  erhoben  haben  mochte. 
„Von  einigen,  ruft  Milton  aus,  bin  ich  kürzlich  ,,das  Fräulein" 
genannt  worden.  Warum  scheine  ich  ihnen  zu  wenig  zu  einem 
Mann?  .  .  .  Etwa  weil  ich  mich  nie  dazu  aufgeschwungen 
habe,  mit  Gewalt  die  grössten  Humpen  zu  leeren,  oder  weil 
meine  Hand  nicht  am  Pfluge  rauh  geworden,  oder  weil  ich 
nie  wie  ein  Vielibube  von  sieben  Jahren  bis  in  den  Mittag 
hineingeschnarcht  habe,  oder  vielleicht  deshalb,  weil  ich  meine 
Mannheit  niemals  auf  die  Art  erprobt  habe  wie  diese  lieder- 
lichen Mädchen- Jäger;  ach  könnten  sie  nur  eben  so  leicht  den 
Esel  los  werden  wie  ich  das,  was  Weibisches  in  mir  ist.  Seht, 
wie  einfältig  und  unbedacht  sie  nur  (bis  vorwerfen,  was  ich 
mir  mit  gutem  Recht  zur  Ehre  anrecline''. 

Milton  hält  sich  nicht  viel  länger  l)ei  diesem  interessanten 
Thema  auf,  sondern  tlieilt  unter  beständigen  Wortwitzen  und 
lächerlichen  Verdrehungen  seine  Absicht  mit,  seine  Söhne 
mit  den  Namen  der  zehn  Prädikamente  des  Aristoteles  zu 
bezeichnen  und  mit  ihnen  in  englischer  Sprache  den  Scherz 
fortzusetzen.  Hier  aber  bricht  die  Rede  mit  der  Bitte  um 
aufmerksames  Gehör  ab,  ohne  die  Fortsetzung,  die  in  Aus- 
sicht gestellt  war,  zu  liefeiii. 

Sie  ist  unschwer  in  einem  der  englischen  Gedichte  Mil- 
ton's  zu  erkennen,  das  denjenigen  Erklärern,  die  seinen 
Zusammenhang  mit  der  Rede  nicht  erriethen,  grosse  Schwierig- 
keiten machen  musste(-).  Man  hat  das  Gedicht  mit  Glück 
als  das  ., Maskenspiel  der  zehn  aristotelischen  Prädikamente" 
charakterisirt.  Es  ist  in  der  That  auf  dialogische  Form  be- 
rechnet, nur  dass  freilich  einige  ..Scenen",  die  noch  zu  dieser 
scholastischen  Maske  gehörten,  vennutlilich,  weil  sie  in  Prosa 
geschrieben  waroi),  ausgefallen  sind.     Kiu  spröderer  poetischer 


Maske  der  aristotelischen  Prädikamente.  105 

Stoff  Hess  sich  nicht  denken.  Allerdings  würde  es  König 
Jakob's  höchstes  Wohlgefallen  erregt  haben  zu  hören,  wie 
Milton  in  seiner  Eigenschaft  als  „Vater",  die  Rolle  des  „Ens" 
gegenüber  seinen  „Söhnen",  agirte,  zehn  Studenten,  die 
in  der  gelehrten  Maskerade  die  zehn  aristotelischen  Katego- 
rieen  darstellten;  wie  die  „Substanz"  als  „ältester  Sohn" 
zuerst  angeredet  wurde,  „Quantität  und  Qualität"  in  Prosa 
sprachen,  darauf  „Relation"  bei  Namen  aufgerufen  ward 
u.  s.  w.  Aber  in  Milton's  Worten  würde  er  schwerlich  viel 
von  dem  scholastischen  Jai-gon  bemerkt  haben.  Der  Dichter 
hat  hier  in  der  That  das  Möglichste  geleistet.  Aus  der  kalten 
Masse  logischer  Definitionen  weiss  er  noch  den  Funken 
der  Poesie  herauszuschlagen.  Allerdings  nimmt  er  zunächst 
bei  der  Ueberleitung  von  der  lateinischen  Rede,  auf  sein 
eigentliches  Thema  keine  Rücksicht.  Er  begrüsst  die  Mutter- 
sprache, die  er  um  Gunst  für  seine  Aufgabe  anfleht,  und  man 
merkt  ihm  an,  dass  er  sich  erst  hier  in  seinem  wahren  Ele- 
mente fühlt.  Er  sagt  es  geradezu,  dass,  was  vorangegangen, 
das  „Schlechteste"  gewesen  sei,  ihrer  unwerth.  Und  schon 
dämmert  in  seiner  Seele  die  Sehnsucht,  diese  geliebte  Mutter- 
sprache einst  für  eine  epische  Dichtung  zu  verwenden,  für 
die  Schilderung  der  Wunder  von  Himmel  und  Erde,  der 
Thaten  von  Königen,  Königinnen  und  Heroen,  mit  einem 
Worte  für  einen  würdigeren  Gegenstand,  wie  man  seinen 
Gedanken  auszuführen  versucht  ist,  als  für  diese  geistlosen, 
scholastischen  Spielereien,  zu  denen  die  Sitte  der  Zeit  ver- 
dammte. Indessen  selbst  die  Anrede  an  die  „Substanz"  wird 
poetisch  durchhaucht,  und  auf  einen  Stoff,  welcher  der  Phan- 
tasie so  wenig  Nahrung  bot,  wird  sinnig  das  Mährchen  von 
den  guten  Feen  und  der  bösen  Fee,  die  der  Wiege  des  Neu- 
geborenen nahen,  angewandt.  Bei  dem  Aufruf  der  „Relation" 
endlich :  „Rivers,  steht  auf,  mögt  ihr  der  Sohn  des  Tweed  oder 
Ouse  oder  Don  sein"  etc. :  muss  ein  Wortspiel  zwischen  dem 
Namen  des  Studenten,  der  diese  Rolle  zu  agiren  hatte,  eines 
Neulings  im  College  und  dem  englischen  „Rivers"  (Flüsse) 
herhalten,  um  die  humoristische  Frage  nach  der  Abkunft 
dieses  „neuen  Gewässers"  anzuregen  und  durch  eine  poetische 


106      Dritte  College-Rede.  —  Uuiversitäts-ßede  ,,Non  dantur''  etc. 

Aiifzählimg  euglischer  Flüsse  vom  Tweed  bis  zur  Themse  die 
Dürre   des  philosophischen  Themas  wohlthätig  zu  befeuchten. 

Dasselbe  Spiel  scholastischer  Begriffe  und  Schulausdrücke 
wie  hier  waltet  in  der  College-Rede  (No.  4),  deren  schwerlich 
freiwillig  gewählte  Thesis  lautet:  „Bei  der  Zerstörung  irgend 
eines  Dinges  findet  keine  Wiederauflösung  zur  ursprünglichen 
Materie  statt,"  (')  Es  wäre  qualvoll,  die  Windungen,  in  denen 
sieh  die  Schulfrage  bewegt,  zu  verfolgen  und  die  technischen 
Ausdrücke,  mit  denen  Milton  seine  Hörer  überschüttet,  die 
„entitas  actualis",  das  „essentiale",  die  „formae  accidentariae" 
und  den  „uralten  Lehrsatz,  dass  die  Quantität  der  Materie  folgt, 
die  Qualität  der  Form"  weitläuftig  zu  erklären.  Er  selbst  em- 
pfindet die  Qual  und  hält  mit  seinem  Urtheil  über  diese  Art 
von  Philosophie  nicht  zurück.  Seine  Worte  sind  beinahe  die  des 
Schülers  im  Faust.  .,Es  ereignet  sich  oft,  dass,  wenn  man  dicke 
Bände  der  Philosophie  durchliest  und  sich  Tag  und  Nacht 
mit  ihnen  beschäftigt,  dass  man  das  Buch  dummer  aus  der 
Hand  legt  als  man  vorher  war."  Was  der  eine  behauptet, 
wird  sofort  vom  andern  widerlegt,  der  Streit  geht  in's  Un- 
endliche fort,  und  der  arme  Leser  kommt  sich  vor,  als  stände 
er  zwischen  zwei  reissenden  Thieren.  ,,Und,  um  aufrichtig  zu 
sein,  es  verlohnt  der  Mühe  nicht,  zu  untersuchen,  bei  w^em 
die  Wahrheit  sei,  denn  oft  entbrennt  der  furchtbarste  Streit 
von  Hunderten  von  Philosophen  über  Dinge'  \on  der  alier- 
geringsten  Bedeutung''.  Milton  macht  kein  Hehl  daraus,  dass 
ihm  diese  geistlosen  Spitzfindigkeiten  zum  Ueberdruss  und 
Ekel  sind,  und  selbst  darin  scheint  eine  leise  Ironie  zu 
liegen,  wenn  er  bei  Anführung  einer  Stelle  aus  Aristoteles 
Metaphysik  bemerkt:  Wer  diesem  widerspricht,  wahrlich, 
den  darf  ich  einen  wahren  Ketzer  nennen. 

Indessen  nicht  allein  die  Disputationen  im  College,  sondern 
auch  die  in  den  öfi'entlichen  Räumen  der  gesammten  Uni- 
versität nöthigteu  Milton,  seine  Kraft  und  Zeit  an  Dinge  zu 
wenden,  die  ihm  innerlich  widerstrebten.  Es  genüge  auf  den 
Titel  der  fünften  Rede  liinzuweisen  (^).  Man  darf  dreist  be- 
haui)ten,  dass  Milton  die  Einleitung  zu  eigner  Erliolung  ge- 
sehriebeu   hat.     Sic   handelt  in   Kürze   ül)er   die   Grösse  des 


Universitäts-Rede  über  die  Harmonie  der  Sphäreu.  107 

römisclien  Reiches  und  die  Yölkenvauderimg,  und  von  hier 
zu  den  „formae  partiales"  liess  sich  in  der  That  nur  ein  sehr 
gezwungener  Uebergang  finden.  Eine  andere  der  Universitäts= 
Reden,  nach  dem  bescheidenen  Ton  zu  schliessen  eine  der 
Erstlingsarbeiten  dieser  Art,  hielt  sich  wenigstens  auch  an's 
Ueliersinnliche  (No.  2).  Sie  handelte  über  „die  Harmonie  der 
Sphären"(^),  ein  Thema,  dessen  geheimem  Zauber  sich  Milton 
auch  in  seinen  Gedichten  nicht  hat  entziehen  mögen.  Und 
so  berichtet  er  hier  über  die  Meinung  des  Pythagoras  ,, jenes 
Gottes  der  Philosophen  "•  und  des  Plato  „jenes  besten  Dol- 
metschers der  IVIutter  Natur."  Den  ersten  vertheidigt  er 
gegen  die  Verdrehungen  seiner  bildlichen  Ausdrücke  durch 
Aristoteles,  ,,des  Pythagoras  und  Plato  Nebenbuhler  und 
beständigen  Yerläumder,  der  sich  aus  den  erschütterten 
Ansichten  solcher  Männer  einen  ^Yeg  zum  Ruhme  bahnen 
wollte".  Wenn  wir  die  „Symphonie  der  Gestirne",  die 
„Melodie  des  Himmels"  nicht  hören,  so  haben  wir  die 
Schwäche  unsres  Ohres  anzuklagen,  das  solchen  himmlischen 
Gesäugen  zu  lauschen  nicht  im  Stande  oder  nicht  würdig  ist. 
Schuld  daran  ist  die  Auflehnung  des  Prometheus,  der  deu 
Menschen  dieses  Glück  genommen  (in  anderem  Zusammenhang 
würde  es  heissen  der  Sündenfall  Adam's);  nur  wenn  wir  reine 
und  sündlose  Herzen  hätten,  schliesst  der  junge  Puritaner, 
würde  jenes  goldene  Zeitalter,  jener  paradiesische  Zustand 
der  Unschuld  wiederkehren,  der  uns  in  den  Stand  setzte,  die 
Musik  der  wandelnden  Himmelskörper  zu  vernelimen.  Die 
lateinische  Prosa  drückt  ganz  denselben  Gedanken  aus  wie 
die  englischen  Verse  des  Gedichtes  „Auf  ein  geistliches  Musik- 
stück" (2). 

Vermuthlich  in  späterer  Epoche,  als  der  schücliterne  Ton 
verlassen  werden  durfte,  ist  jene  merkwürdige  Universitäts-Rede 
(No.  3)  gehalten  worden,  in  welcher  sich  die  zahlreichen  kleinen 
Ausfälle  gegen  das  scholastische  System  zu  einem  energischen 
Massen-Augriffzusammengefasst  finden  (3).  Milton  erklärt,  dass 
ihn  bei  diesem  Angriff  der  Wunsch  beseele,  seine  Zuhörer  zu 
veranlassen,  „jene  riesenhaften  und  wahrhaft  monströsen  Bände 
der  sogenannten  subtilen  Doktoren  seltener  vorzunehmen  und  die 


log  Uuiversitäts-Rede  gegen  die  Scholastik. 

rauhen  Streitfragen  der  Sophisten  mit  etwas  weniger  Eifer 
zu  betreihen".  Dem  einzehien  gewähren  sie  weder  Freude 
noch  Bildung,  dem  Gemeinwesen  nützen  sie  nichts.  Man 
merkt  ihnen  an,  dass  sie  aus  mönchischen  Höhlen  stammen, 
will  sagen,  den  Geist  des  Mittelalters.  Wer  sich  in  diese 
Erzeugnisse  des  Wahnwitzes  vertieft,  verdummt  und  macht 
sich  durch  grobe  Unwissenheit  höchst  lächerlich,  sobald  er 
ein  j\Ial  einen  anderen  Gegenstand  zu  behandeln  hat.  „Oft 
habe  ich ,  wenn  mir  hie  und  da  der  Zwang  aufgelegt  wurde, 
diese  Spitzfindigkeiten  zu  durchforschen,  und  Verstand  und 
Augen  mir  durch  die  Lektüre  eines  Tages  blöde  geworden 
waren,  oft  habe  ich  Halt  machen  müssen,  um  Athem  zu 
schöpfen  und  habe  dann,  ein  trauriger  Trost,  das  Pensum 
mit  dem  Auge  gemessen;  da  ich  aber  immer  sah,  dass  noch 
mehr  übrig  blieb,  als  ich  schon  durchlesen  hatte,  so  wünschte 
ich  mir,  statt  mich  mit  diesen  Narrheiten  zu  nudeln,  lieber 
den  Stall  des  Augias  zu  reinigen  und  pries  den  Hercules 
glücklich,  welchem  Juno  in  ihrer  Gutmüthigkeit  eine  solche 
Qual  zu  tragen  niemals  auferlegt  hatte  .  .  .  Glaulit  mir, 
werthe  Genossen,  wenn  ich  wider  meinen  Willen  mich  in 
dieser  geistlosen  Kasuistik  bewege,  so  kommt  es  mir  vor,  als 
wanderte  ich  zwischen  rauhen  und  unebenen  Haiden,  weiten 
Einöden  und  steilen  Gebirgstliälern."  Die  Musen  haben  mit 
diesen  dunklen  Studien  nichts  zu  thun,  auf  dem  Parnass  ist  ihren 
Anhängern  höchstens  ein  kleines,  dorniges,  abgelegenes  Win- 
kelchen angewiesen.  Poesie,  Rhetorik,  Geschichte,  jede  in 
ihrer  Art  erhebt  und  veredelt  den  menschlichen  Geist.  Aber 
diese  „nichtigen  Wort-Gefechte"  erfreuen  höchstens  ein  rohes, 
streitsüchtiges  Naturell.  Der  Fortschritt  der  Wissenschaften 
ist  durch  die  Scholastik,  wie  „durch  einen  l)ösen  Geist", 
unberechenbar  aufgehalten  worden,  und  dem  Vaterlande  hat 
sie  v,'edei-  Ehre  noch  Nutzen  gebracht.  Zwei  Dinge  heben 
und  schmücken  ein  Land :  hohe  IJeredtsainkeit  und  tapfere 
Thaten:  weder  jene  noch  diese  sind  duicli  die  scholastischen 
Streitigkeiten  gefördert  oder  hervorgerufen. 

Hören   wir  nun   nach   diesen  Aeusserungen  der   Er])itte- 
nuig,  welche  anderen  Gegenstände  des  Studiums  der  Jugend- 


Universitäts-Rede  gegen  die  Scholastik.  109 

liehe  Reduer  seinen  Genossen  empfiehlt,  welche  neue  Grund- 
lage der  Bildung  er  an  Stelle  der  veralteten,  von  ihm  der  Zer- 
trümmerung preisgegebenen  zu  setzen  gedenkt:  „Wie  viel 
besser  würde  es  sein,  ihr  Glieder  dieser  Akademie,  wie  viel 
würdiger  eures  Namens,  bald  mit  den  Augen  gleichsam  die 
ganze  Erde  zu  durchwandern,  wie  sie  in  den  Karten  dar- 
gestellt ist,  und  die  Stätten,  welche  die  alten  Heroen  be- 
treten haben,  zu  schauen  Und  die  Lande  zu  durchschweifen, 
welche  Kriege,  Triumphe  und  die  Gesänge  berühmter  Dichter 
geadelt  haben;  bald  die  -stürmische  Adria  zu  durchschitfen, 
bald  ohne  Gefahr  den  flammenspeienden  Aetna  zu  besteigen, 
dann  wieder  die  Lebensweise  der  Menschen  und  vortreffliche 
Verfassungs-Zustände  der  Völker  zu  studiren;  ferner  die  na- 
türliche Beschaffenheit  aller  leidenden  Wesen  zu  untersuchen 
und  sodann  den  Geist  auf  die  geheimen  Kräfte  von  Steinen 
und  Kräutern  hinzuwenden.  Auch  solltet  ihr  nicht  zaudern, 
meine  Zuhörer,  euch  zum  Himmel  aufzuschwingen  und  dort 
die  vielgestaltigen  Erscheinungen  der  Wolken  und  die  zu- 
sammengepresste  Kraft  des  Schnees  und  den  Ursprung  der 
Thau-Thränen  des  Morgens  betrachten;  alsdann  durchschaut 
ihr  die  Behältnisse  des  Hagels  und  späht  die  Geräthe  der 
Blitze  aus,  und  es  sollte  euch  die  Absicht  Jupiters  oder  der 
Natur  nicht  verborgen  sein,  wenn  ein  grausiger  und  unge- 
heurer Komet  dem  Himmel  Brand  droht,  und  die  kleinsten 
Sterne  sollten  euch  sichtbar  sein,  so  viele  ihrer  zwischen  den 
beiden  Polen  ausgestreut  sind;  ja  dem  Lauf  der  Sonne  solltet 
ihr  als  Gefährten  folgen,  die  Zeit  zur  Messung  aufrufen  und 
Eechnung  ihres  ewigen  Ganges  fordern.  Aber  euer  Geist 
soll  nicht  durch  die  Schranken  unseres  Erdkreises  begrenzt 
und  gefesselt  werden,  sondern  über  die  Marken  der  sinn- 
lichen Welt  hinausschweifen  und  zuletzt,  was  das  Höchste  ist, 
lernen  sich  selbst  zu  erkennen  und  zugleich  jene  heiligen 
Geister  und  ideellen  Mächte,  mit  denen  ihm  nach  diesem 
Leben  ewig  zusammenzuwohnen  bestimmt  ist.  Doch  wozumehr? 
In  allem  diesem  sei  euch  der  geliebte  Aristoteles  der  Meister, 
welcher  uns  dies  grössten  Theils  in  seinen  gelehrten  und 
vortrefflichen  Schriften  zum  Lernen  hinterlassen  hat.     Schon 


WQ  Rede  zum  Lobe  der  Wissenschaft. 

sein  Name  bewegt  euch,  akademische  Freunde,  wie  ich  be- 
merke, ihr  werdet  schrittweise  zu  dieser  Ansicht  gebracht 
und  gleichsam  unter  seiner  Führung  schneller  zu  ilir  hinüber- 
gezogen." 

Den  würdigen  Abschluss  dieser  jugendlichen  Reden  bildet 
die  siebente,  die  möglicher  Weise  unter  den  Vorbereitungen 
auf  die  Erlangung  des  Magister-Grades  ihre  Stelle  fand  und  dann 
vielleicht  im  Winter  1631  auf  1632  in  der  Kapelle  von  Christ- 
College  gehalten  worden  ist(^).  Es  handelt  sich  wieder  um 
eine  jener  w^eitgefassten  Thesen,  welche  viehnelir  darauf  an- 
gelegt waren,  den  jungen  Männern  Gelegenheit  zu  geben,  ihre 
Beherrschung  der  lateinischen  Sprache  zu  zeigen  und  mit 
klassischen  Reminiscenzen  zu  prunken,  als  sachlich  Bedeuten- 
des und  Neues  vorzubringen.  Einer  sollte  den  Satz  verthei- 
digen,  dass  die  Wissenschaft  (Ars  im  scholastischen  Sinne) 
die  Menschen  glücklicher  mache  als  die  Unwissenheit,  ein 
anderer  umgekehrt,  dass  die  Unwissenheit  die  I\Ienschen  glück- 
licher mache  als  die  Wissenschaft.  Offenbar  war  anfangs 
diese  letzte  Aufgal)e  Milton  zugewiesen,  man  darf  vermuthen, 
dass  er  sie,  auch  ohne  sich  auf  Rousseau s  Discours  sur 
les  sciences  et  les  arts  stützen  zu  können,  geistreich  gelöst 
haben  würde.  Aber  wir  haben  doch  dabei  gewonnen ,- dass 
die  Unwissenheit  einen  anderen  Kämpen  gefunden  hat,  und 
Milton  luinmehr  Gelegenlieit  wurde,  in  ungebundener  Rede  dem 
Wissen  ein  Triumphlied  zu  weihen,  welches  eines  der  l)e- 
zeichnendsten  Erzeugnisse  seiner  Jugend  ist.  Es  sind  nicht 
die  scharfen,  verstandesklaren  Sätze  Bacon's  aus  der  Einleitung 
des  Buches  „Ueber  die  Werth  und  die  Ausdehnung  der 
Wissenschaften ",  denen  wir  hier  begegnen.  Milton's  Latein 
ist  voller,  gewählter  als  das  des  Philosophen,  aber  der  Geist 
seiner  Rede  ist  der  Bestrebungen  seines  grossen  Zeitgenossen 
nicht  unwerth.  Mit  seinen  vierundzwnnzig  Jahren  hat  Milton 
erkannt,  dass  Wissen  die  Grundlage  alles  Grossen  und  Herr- 
lichen, Unwissenheit  d^i'wurzel  alles  Niedrigen  und  Laster- 
haften ist.  Nicht,  als  ob  ihm  das  etliische  Moment  hinter 
de»!  intellektuellen  zurückträte,  als  ob  ihm  selbstzufriedene 
15ucli-(ie]ehrsamkeit   die   Energie  frischen  Handelns  ersetzen 


Rede  zum  Lobe  der  Wissenschaft.  111 

könnte.  Ich  weiss,  ruft  er  aus,  dass  Genuss  wahren  Glückes 
ohne  Reinheit  des  Charakters  nicht  möglich  ist,  und  dass  oft 
die  gelehrtesten  Männer  die  Sklaven  aller  schlechten  Leiden- 
schaften, die  ungelehrtesten  die  edelsten  Naturen  waren. 
Aber  damit  ist  für  den  Gegner  nichts  bewiesen.  Es  gilt  viel- 
mehr Wollen  und  Wissen  zu  vereinigen,  dieses  zum  Führer 
jenes  zu  machen,  nur  so  lässt  sich  das  höchste  Glück  der 
Individuen  und  der  Nationen  begründen.  Freilich  der  Weg 
zu  diesem  Ziele  ist  beschwerlich;  „die  Kunst  ist  laug  und 
kurz  ist  unser  Leben",  der  alte  Spruch  drängt  sich  der  Er- 
innerung des  Redners  auf,  aber  er  weist  ihn  ab,  er  ist  sicher, 
dass  Fleiss  und  Methode  ihn  in  sein  Gegentheil  wandeln 
können.  Sollen  wir  uns  durch  den  „nächtlichen  und  morgend- 
lichen Fleiss  von  Handwerkern  und  Landleuten''  beschämen 
lassen,  sollen  wir  unsre  Gesundheit  ängstlich  schonen,  statt 
die  Schätze  unsres  Geistes  zu  mehren?  Nein,  kein  Tag  ver- 
streiche ohne  Arbeit,  den  schwarzsichtigen  Zweiflern  zum  Trotz, 
welche  prophezeien ,  dass  ja  doch  alle  Arlieit  durch  die  Zer- 
störung der  Jahrhunderte,  durch  den  endlichen  Weltbrand 
verge])lich  gemacht  werde.  „Recht  handeln  ohne  des  Ruhmes 
zu  achten,  ist  über  allen  Ruhm  erhaben." 

Sucht  man  nun  zu  ergründen,  welche  Zweige  des  Wissens 
Milton  am  höchsten  stellt,  so  trifft  man  wieder  densellien 
Gedankengang,  der  die  Insher  behandelten  Reden  so  überaus 
merkwürdig  macht.  Von  denjenigen  Gegenständen,  welche 
Jahrhunderte  lang  als  die  eigentlichen  Grundlagen  der  Bil- 
dung lietrachtet  worden  waren,  sagt  er:  „Wie  zahlreich  sind 
die  verächtlichen  Possen  der  Grammatiker  und  Rhetoren? 
Man  meint  die  einen  bei  Behandlung  ihrer  Kunst  barbarisch, 
die  anderen  geradezu  kindisch  reden  zu  hören.  Was  ist 
Logik?  Die  Königin  der  Wissenschaften  fürwahr,  wenn  sie 
würdig  behandelt  wird,  aber  ach,  welch  ein  Wahnsinn  herrscht 
in  der  Untersuchung  ?  es  sind  nicht  Menschen,  sondern  Gimpel, 
die  von  diesen  Disteln  und  Dornen  leiten."  Den  höchsten 
Genuss  gewährt  dagegen  das  Studium  der  verschiedenen 
Länder  und  der  Geschichte  der  Staaten  und  Völker,  ihrer 
Verfassung  und  Kultur,  aber  vor  allem  das  Studium  der  Natur 


112  Aufklärung  und  Naturwissenschaft. 

und  ihrer  Kräfte.  „Wie  herrlich,  das  Wesen  des  Himmels  und 
der  Gestirne  zu  erfassen,  alle  Be\Yegungen  und  Schwankungen 
der  Luft,  mag  sie  durch  den  erhabenen  Schall  des  Donners 
oder  durch  den  Schein  der  Kometen  unerfahrene  Gemüther 
erschrecken,  mag  sie  zu  Schnee  und  Hagel  erstarren,  oder 
sanft  und  mild  in  Eegenform  oder  im  Thau  niederwallen,  dann 
die  wechselnden  Winde  kennen  zu  lernen  und  alle  Dämpfe  und 
Dünste,  die  Erde  und  Meer  aushauchen;  die  geheimen  Kräfte  der 
Pflanzen  und  Metalle  zu  wissen,  die  Natur,  und  wenn  es 
möglich  ist,  das  Empfinden  der  lebenden  Wesen  zu  verstehn, 
sodann  den  Bau  und  die  Pathologie  des  menschlichen  Körpers 
und  zuletzt  die  göttliche  Kraft  und  Gewalt  des  Geistes  und 
der  s.  g.  Laren,  Genien  und  Dämonen,  wenn  irgend  eine  Kennt- 
nis von  diesen  zu  uns  hat  gelangen  können."  Wer  sich  zu 
dieser  Höhe  aufgeschwungen  hat,  „für  den  fällt  das  Zufällige, 
das  Unvorhergesehene  im  Leben  weg,  seinem  Gebot  scheinen 
die  Sterne  zu  gehorchen,  ihm  dienen  Erde  und  Meer,  Winde 
und  Stürme  sind  ihm  unterthan;  Mutter  Natur  selbst  hat  sich 
ihm  zu  eigen  gegeben,  als  wenn  ein  Gott  der  Weltherrschaft 
entsagt  und  ihm  Recht,  Gesetze,  Verwaltung,  wie  seinem  Statt- 
halter, überwiesen  hätte." 

Man  darf  Milton's  Rede  eine  Apotheose  der  Aufklärung 
nennen  und  zwar  einer  Aufklärung,  welche  aus  dem  Schosse 
der  Naturwissenschaften  hervorgehn  soll.  Noch  ahnt  er  deren 
Bedeutung  mehr,  als  dass  er  sie  im  einzelnen  begründen  könnte 
oder  wollte,  er  giebt  nur  die  allgemeinsten,  nicht  immer  klaren 
Gesichtspunkte  an,  und  reisst  sich  selbst  von  gewissen  mysti- 
schen Begriffen  nicht  völlig  los,  aber  das  Ziel,  welchem  die 
folgenden  Generationen  zustrebten,  erkennt  er  in  voller  Deut- 
lichkeit, und  seine  Hoffnungen  eilen  dem  Zeitalter  entgegen, 
welches  den   Gedanken  des  Kosmos  verwirklichen  werde. 

Das  Fehlen  dieser  Üniversitäts-  und  College-Reden  in  Mil- 
ton's  Werken  wüi'de  eine  unausfüllbare  Lücke  zurücklassen. 
Schon  in  formeller  Beziehung  würden  wir  sie  ungern  unter  den 
Jugend-Arbeiten  des  Dichters  vermissen.  Ihr  Latein  ist  nicht 
immer  frei  von  ahsichtliclier  (Geziertheit,  aber  es  legt  ein  so  kräf- 
tiges Zeugnis  für  die  unvergleichliche  Beherrschung  der  Sprache 
ab  und  bewegt  sich  nicht  selten  in  so  schwungvollen  Perioden, 


Rückblick  auf  die  rbetorischeu  Essays.  113 

dass  wir  unaufhörlich  an  den  Dichter  der  Elegieeu  gemahnt 
werden.  John  Cleveland  genoss  wegen  seiner  lateinischen  Univer- 
sitäts-Reden eines  besonderen  Rufes,  aber  ein  ruhiges  Urtheil 
wird  unschwer  zugestehn,  dass  dieselben  auch  nach  der  äusseren 
Form  nicht  entfernt  mit  den  fein  ausgearbeiteten ,  umfang- 
reichen Vorträgen  seines  College-Genossen  zu  vergleichen  sind. 
Eine  ausserordentliche  Belesenheit  lässt  sich  ferner  in  diesen 
nicht  verkennen.  Mit  vollen  Händen  schöpft  der  Autor  auch 
hier  wieder  aus  den  Schätzen  der  antiken  Literatur,  aber  er 
citirt  zugleich  Werke  wie  'Brant's  Narrenschiff  und  Erasmus 
Lob  der  Narrheit,  er  berührt  die  Geschichte  der  Völkerwan- 
derung und  skizzirt  den  Zustand  des  türkischen  Reiches.  Un- 
schätzbar ist  aber  der  Einblick  in  Milton's  Denkweise,  Stu- 
dien und  Neigungen,  mit  einem  Worte  in  die  Entwicklungs- 
Geschiehte  seines  Geistes,  den  die  Kenntnis  dieser  jugend- 
lichen Versuche  ermöglicht.  Ein  durchaus  selbstständig  den- 
kender Geist  tritt  uns  entgegen,  der  sich  vor  der  Autorität 
des  Hergebrachten  nicht  beugt,  sondern  in  Lehre  und  Leben 
seine  eignen  Wege  zu  wandeln  den  Muth  hat.  Er  widersetzt 
sich  dem  Zwange  der  üblichen  Lehrmethode  in  gleicher  Weise, 
wie  er  von  dem  rohen,  renommistischen  Treiben  der  Studenten- 
welt sich  fern  hält.  Und  jedes  Mal  kleidet  sich  seine  Kritik 
in  das  Gewand  so  schneidiger  Worte,  dass  die  Ueberlieferung 
sehr  wahrscheinlich  klingt,  welche  schon  dem  cambridger 
Kollegiaten  einen  gewissen  Grad  von  Selbstbewusstsein  zu- 
schreibt (^).  Dies  Bewusstsein  des  eignen  Werthes  gründete 
sich  zum  Theil  unzweifelhaft  auf  die  Ueberlegenheit  im  Wissen 
und  Können,  ebensosehr  aber,  wenn  nicht  hauptsächlich,  auf 
das  Gefühl  sittlicher  Reinheit  und  Würde.  Wenn  uns  bei 
flüchtiger  Rückschau  auf  die  gesammte  jugendliche  Thätigkeit 
des  Dichters  etwas  als  hervorstechendes  Merkmal  erscheint, 
so  ist  es  die  Thatsache,  dass  er  das  Gebiet  derberer  Sinnlich- 
keit fast  niemals  und  nur  mit  scheuem  Flügel  streift,  das  Ge- 
meine vollends  liegt  hinter  ihm  (2),  in  Stoff  und  Form  strebt 
seine  Muse  wie  seine  Rede  nach  dem  Höchsten  und  Göttlichen, 
Himmel  und  Erde  zugleich  möchte  sie  umfassen  und  selbst 
niederem  Vorwurf  ringt  sie  erhabene  Seiten  ab.    Wenn  irgend 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    I.  1.  8 


1X4  Milton's  Idealismus. 

jemand,  so  erscheint  der  jugendliche  Milton  als  eine  idealisti- 
sche Natur.  Dass  sein  sittenstrenger  Ernst,  der  sich  denn 
doch  der  Ironie  über  die  Thorheiten  der  anderen  nicht  ent- 
halten konnte,  ihm  anfangs  wenig  Freunde  unter  den  Genossen 
verschaffte,  beweisen  die  besprochenen  Reden  ganz  klar.  Un- 
läugbar  hatte  Milton  gegen  zahlreiche  Widersacher  zu  kämpfen, 
die  an  der  Selbstständigkeit  seines  Wesens  Anstoss  nahmen 
und  seine  scharfe  Zunge  fürchteten,  erst  im  Frühjahr  1628 
scheint  er  sich  die  allgemeine  Gunst  erworben  zu  haben.  Jener 
ersten  Periode  gehört  auch  die  briefliche  Klage  an,  in  der 
er  sich  gegen  Gill  über  die  Unebenbürtigkeit  seiner  College- 
Genossen  ausspricht.  Gleichfalls  in  diese  Zeit  fällt  sein  Streit 
mit  dem  Tutor  Chappell,  seine  vorübergeliende  Verbannung 
von  Cambridge,  und  erst  in  diesem  Zusammenhang  betrachtet 
wird  das  Ereignis  klar.  Neben  der  Strenge  seines  Lehrers 
war  es  „anderes  seinem  Naturell  Unerträgliches",  worüber  sich 
Milton  beschwerte,  wogegen  er  ankämpfte.  Die  Streitigkeiten 
mit  der  Masse  der  Studenten  hatten,  wie  er  ausdrücklich  sagt, 
hauptsächlich  ihren  Grund  in  „Verschiedenheit  der  Studien  oder 
Verschiedenheit  der  Ansichten  bei  Betreibung  dieser  Studien", 
womit,  wie  nach  allem  Vorigen  wahrscheinlich  ist,  auf  die  von 
Milton  verabscheute  Scholastik,  namentlich  die  scholastischen 
Disputationen,  angespielt  wird,  die  von  der  grossen  Masse  der 
Universität  als  Krone  aller  Wissenschaft  betrachtet  wurden. 
Da  nun  Chappell  in  eben  diesen  Disputationen  seine  vorzüg- 
liche Stärke  hatte,  so  liegt  es  nahe  zu  vermuthen,  dass  er  seinen 
Schüler  in  diesen  Künsten  mit  Eifer  zu  üben  suchte,  dass  dieser 
sie  aber  seinem  Naturell  unerträglich  fand  und  gegen  den 
Lehrer  eben  so  wenig  mit  der  Sprache  zurückhielt  wie  gegen 
seine  Mitschüler. 

Es  macht  den  Eindruck,  als  ob  sein  Widerwille  gegen 
ein  System,  das  sich  unter  den  schützenden  Namen  des  Aristo- 
teles stellte,  hie  und  da  gegen  diesen  selbst  seinen  Zorn  her- 
vorrufe. An  anderen  Stellen  spricht  er  von  dem  grossen 
Denker  indess  mit  holier  Achtung  und  scheint  sich  des  Unter- 
sciiiedes  zwischen  ihm  und  denen,  die  diese  Firma  benutzten, 
wohl    bewusst  zu   sein.     Seine   ganze   Neigung   wendet   sich 


Eiufliiss  des  Ramus.  —  Einfluss  Plato's.  115 

jedoch  anderen  geistigen  Mächten  zu,  durch  die  er  sich  an 
stärkenden  Ideen  zuführen  lässt,  was  er  an  scholastischem 
Ballast  über  Bord  Avirft.  Man  weiss,  dass  Petrus  Ramus  im 
sechzehnten  Jahrhundert  mit  Energie  versucht  hatte,  die  Fesseln 
der  alten  Methode  zu  brechen  und  sie  auf  ihrem  eigentlichen 
Gebiet,  der  Logik,  durch  selbstständige  Arbeiten  zu  bekämpfen. 
Es  lässt  sich  nicht  genau  feststellen,  in  wie  weit  die  Univer- 
sität Cambridge  in  den  Krieg  verwickelt  wurde,  der  in  der 
Folge  zwischen  Ramisten  und  Aristotelikern  entbrannte.  Wäh- 
rend in  Oxford  die  alte  Partei  jeden  Widerspruch  durch  Mittel 
bekämpfte,  die  der  Würde  der  Lehrfreiheit  wenig  anstanden  (^), 
wurde  in  Cambridge  gegen  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
George  Downame  (Downham)  der  Apostel  der  ramistischen 
Lehre,  in  deren  Geiste  auch  seine  „Commentarii  in  P.  Rami 
.  .  .  Dialecticam,  Frankfurt  1616"  abgefasst  sein  sollen.  Aber 
es  scheint  doch  nicht,  als  wenn  sie  sich  lange  gegen  ihre  Vor- 
gängerin hätte  behaupten  können.  Immerhin  mag  sie  gerade 
während  Milton's  Studienzeit  noch  bedeutende  Anhänger  ge- 
habt haben,  und  es  ist  beachtenswerth,  dass  er  selbst  in  spä- 
teren Jahren  schriftstellerisch  in  dieser  Richtung  thätig  war. 
Unvergleichlich  wichtiger  war  es  indessen,  dass  sich  für 
Milton  wie  einst  für  die  Jünger  der  Renaissance  und  des 
Humanismus  ein  reicher  Quell  geistigen  Genusses  in  den 
Schriften  Plato's  eröffnete,  durch  deren  emsiges  Studium  er 
sich  für  die  Qualen  entschädigte,  die  eine  verhasste  Lehrme- 
thode ihm  auferlegte.  Nach  den  Statuten  scheinen  die  plato- 
nischen Werke  allerdings  nur  eine  unbedeutende  Stellung  im 
Lehrplane  eingenommen  zu  haben,  aber  gänzlich  ausgeschlossen 
waren  sie  doch  nicht  (^).  Während  nun  Milton  in  die  Geheim- 
nisse der  platonischen  Philosophie  eingeführt  wurde,  musste 
er  bemerken,  dass  seine  eigene  Vorstellungsweise  in  so  manchen 
Punkten  mit  der  des  athenischen  Weisen  übereinstimmte.  Die 
Lehre  von  der  Präexistenz  der  menschlichen  Seele,  von  der 
Seelenwanderung,  und  dass  alles  Wissen  nur  ein  Rückerinnern 
sei,  passte  zu  jenem  schon  öfter  bemerkten  Hange  Milton's, 
die  Kluft  zwischen  dem  Gebiet  des  Irdischen  und  Ueberirdi- 
schen  zu  überbrücken.     Seine  puritanische  Denkart,   die  sich 


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Gedicht  über  die  „Platonische  Idee"  etc.  W] 

blick,  über  diese  Theorieen  wie  über  alle  Irrthümer,  denen  er 
sonst  begejniete,  die  Lauge  herber  Satyre  auszugiessen(^).  — 
War  es  der  Denker  Plato,  welcher  abgesehn  von  solchen  Ein- 
zelheiten eine  gewaltige  Anziehung  auf  den  cambridger  Stu- 
denten ausübte,  so  nicht  minder  Plato  der  Dichter. 

Angewidert  von  der  sclialen  Kost  fader  Scholastik  fand 
Milton  hier  die  erhabenste  Beredtsamkeit  und  die  lieblichste 
Schilderung,  die  wundervollsten  Bilder  schöpferischer  Phantasie 
in  Gleichnis,  Allegorie,  Fabel  und  die  treffendsten  Aussprüche 
der  Lebensweisheit,  künstlerische  Fühiiing  eines  angeregten 
oft  witzigen  Dialogs  und  eine  tiefe  Kenntnis  der  menschlichen 
Natur:  Alles  durch  das  Streben  nach  Harmonie,  nach  dem 
Ausdruck  reiner  Schönheit  bedingt.  Die  Form  der  platoni- 
schen Schriften,  durch  welche  sie  unsterblich  gemacht  würden, 
auch  wenn  ihr  spekulativer  Inhalt  werthlos  geworden  wäre, 
fesselte  den  Dichter,  hier  trat  ihm  der  „grösste  Fabulator" 
entgegen,  und  die  Philosophie  erschien  ihm 

Göttlich  reizend, 

Nicht  hart  und  rauh,  wie  stumpfe  Thoren  wähnen, 

Harmonisch  gleich  der  Laute  des  Apoll  i^-). 

Es  war  zum  Glück  dafür  gesorgt,  dass  die  ideelle  Einwirkung 
des  „grössten  Fabulators"  auf  Milton's  Bildung  ein  heilsames 
Gegengewicht  erhielt.  Im  Zeitalter  Kepler's  und  Galilei's  unter- 
wühlten andere,  mächtigere  Kräfte  den  unsicheren  Boden,  auf 
welchem  die  fortgeerbte  Bildung  der  vergangenen  Jahrhunderte 
ruhte.  In  England  selbst  war  ein  reger  Wetteifer  für  das 
Studium  der  Naturwissenschaften  erwacht.  Erst  sechs  Jahre, 
ehe  Milton  die  Universität  verliess,  war  die  Feder  der  Hand 
entfallen,  die  den  kühnen  Versuch  gemacht  hatte,  die  Wirkungen 
des  neuen  Geistes  in  einem  grossartigen  System  zusammen- 
zufassen, einen  Plan  der  gesammten  Wissenschaften  zu  ent- 
werfen, der  das  Wesen  der  Scholastik  in  ihrer  ganzen  Nichtig- 
keit enthüllte.  Wie  viele  Blossen  der  wissenschaftliche  nicht 
weniger  als  der  politische  Charakter  Franz  Bacon's  sich  auch 
gegeben  hat,  wie  mangelhaft  und  anfechtbar  seine  Versuche 
und  Einzel- Angaben  auch  sind,  sein  Ruhm  als  Bahnbrecher, 
als  Prophet  der  modernen  Richtung  wird  unvergänglich  bleiben. 


^18  Einfluss  Bacon's. 

Indem  er  von  der  sinnlichen  Erfahrung  ausgieng,  die  Unter- 
suchung der  natürlichen  Dinge  als  nothwendige  Grundlage  der 
Forschung  betrachtete,  die  mühsame  Arbeit  kleiner  Experi- 
mente den  allgemeinen  Abstraktionen,  wenn  nicht  selbst  konse- 
quent vorausgehen  Hess,  so  doch  vorausgehen  zu  lassen  auf- 
forderte, drehte  er  die  aus  dem  Mittelalter  überkommene  Denk- 
weise der  Menschen  geradezu  um  und  eröffnete  den  Blick  in 
eine  neue  Welt.  Auf  die  Universitäten  war  die  Bacon'sche 
Philosophie  allerdings  noch  ohne  merklichen  Einfluss  ge- 
blieben (').  Ihr  Schöpfer  fühlte  selbst,  dass  die  Luft  von  Oxford 
und  Cambridge  seinem  eignen  Genius  feindlich  sei.  Aber  es 
lässt  sich  nicht  glauben,  dass  die  Werke  des  Mannes  John 
Milton  während  seiner  Studienzeit  unbekannt  geblieben  sein 
sollten.  Mit  Cambridge  war  Bacon's  Name  mannichfach  ver- 
knüpft. Hier  hatte  er  seine  Studienjahre  verbracht  und  zu- 
erst jene  tiefe  Abneigung  gegen  die  pseudo-aristotelische  Philo- 
sophie gefasst,  der  Universität  Cambridge  hatte  er  seine  Schrift 
„über  die  Weisheit  der  Alten"  gewidmet,  in  ihrer  Bibliothek 
ein  Pracht  -  Exemplar  der  „Instauratio  magna",  mit  einer 
eigenhändigen  Dedikation  versehn,  kurz  vor  seinem  Tode  nieder- 
gelegt. Milton,  der  so  leicht  Gelegenheit  hatte,  die  Bücher 
seines  grossen  Zeitgenossen  kennen  zu  lernen,  musste  sich  durch 
die  Uebereinstimmung  von  dessen  Ansichten  mit  den  seinigen 
auf's  äusserste  betroffen  und  gestärkt  fühlen.  Abgesehn  davon, 
dass  sich  einzelne  Lieblings -Gedanken,  wie  z.  B.  über  die 
Musik  der  Sphären,  auch  hier  leise  angedeutet  fanden,  dass 
hier  wiederholt  wenn  auch  mitunter  in  kritischer  Weise  auf 
Petrus  Ptamus  Bezug  genommen  wurde:  vor  allem,  wie  Bacon 
mit  epigrammatischer  Schärfe  über  die  Scholastik  und  ihre 
Ausläufer  urtheilte,  und  was  er  ihren  leeren  Wortspielereien 
entgegensetzte,  war  Milton  aus  der  Seele  gesprochen.  Hier 
wurde  die  „Schule  des  Aristoteles  eine  dreiste  und  prahleri- 
sche" genannt,  wie  er  selbst  sie  nennen  mochte.  Hier  las  er, 
dass,  wer  sich  die  Freiheit  seines  Urtheils  zu  wahren,  von 
dem  gewöhnlichen  Gange  abzuweichen  erkühne,  allein  stehe  und 
als  ein  Revolutionär  verschrieen  werde,  was  er  selbst  erfahren 
hatte  (^).    „Die  jetzt  gebräuchliche  Logik  dient  mehr  dazu,  die 


Einfluss   Bacon's.  119 

Irrthümer,  welche  auf  üblichen  Begriffen  berahen,  zu  befestigen 
und  zu  stützen  als  die  Wahrheit  zu  erforschen,  sodass  ihr 
Schaden  grösser  ist  als  ihr  Nutzen."  „Vergebens  wird  ein 
grosser  Fortschritt  in  der  Wissenschaft  erhofft  aus  dem  Auf- 
häufen und  Aufpropfen  von  Neuem  auf  Altes,  sondern  der  An- 
fang ist  von  den  untersten  Fundamenten  aus  zu  machen,  wenn 
man  sich  nicht  in  einem  beständigen  Kreise  drehen  soll".  .,Es 
bleibt  uns  nur  die  eine  und  einzige  Art  der  Lehre,  dass  die 
INIenschen  zu  den  einzelnen  Erscheinungen  selbst  und  ihren 
Reihen  und  Ordnungen  hingeführt  werden,  dass  sie  sich  eine 
Zeit  lang  ihrer  Dogmen  begeben  und  beginnen  sich  mit  den 
Dingen  selbst  vertraut  zu  machen"  (^).  ,  .  Waren  es  nicht  eben 
diese  Anschauungen,  welche  jene  rednerischen  Versuche  Mil- 
ton's  durchdrangen,  hatte  er  nicht  mit  Nachdruck  im  Gegen- 
satz zu  den  Nichtigkeiten  der  Wortgefechte  auf  das  Studium 
von  Astronomie,  Meteorologie,  Geologie,  Botanik  u.  s.  w.  hin- 
gewiesen, ganz  im  Geiste  des  Vaters  von  Salomon's  Haus  in 
der  „Neuen  Atlantis'",  welcher  als  den  Endzweck  desselben 
bezeichnet:  ,,Die  Erkenntnis  der  Ursachen  und  geheimen  Be- 
wegungen der  Dinge  und  die  Erweiterung  der  Marken  der 
menschlichen  Herrschaft  zur  Hervorbringung  alles  Erreich- 
baren" ( 2).  In  der  That  suchte  Milton,  ähnlich  wie  in  späterer 
Zeit  John  Locke,  bei  der  Abwendung  von  der  Scholastik  eine 
Zuflucht  in  der  Betrachtung  der  Natur  und  ihrer  Gesetze,  und 
war  seine  Neigung  auch  nur  die  eines  Dilettanten,  mischt  sie 
sich,  seinem  Genius  gemäss,  mit  trügerischen  Bildern  dich- 
terischer Phantasie,  so  war  doch  damit  eine  Saite  angeschlagen, 
deren  Stärke  sich  in  der  Folge  nichts  weniger  als  ab- 
schwächte. 

Schon  diese  Hinneigung  zum  Studium  der  Natur,  mit  der 
sich  unverkennbar  eine  Hinneigung  zum  Studium  von  Politik 
und  Geschichte  verband,  zeigt  deutlich  genug,  dass  der  über- 
fleissige  Jüngling  weit  entfernt  davon  war,  in  ein  Gewebe 
beschaulicher  Gedanken  eingesponnen,  dem  Leben  und  seinen 
reellen  Anforderungen  fremd  zu  bleiben.  Er  hatte  vielmehr 
das  Bestreben,  in  sich  den  ganzen  Menschen  zu  bilden,  ohne 
das  nie  ein  grosser  Dichter  geworden  ist.    Seine  Stimme  formte 


120  Lebensweise  und  äussere  Erscheinung. 

sich  ZU  reinem  "Wohlklang,  vom  Vater  hatte  er  gelernt  die 
Orgel  zu  spielen,  sein  Ohr  war  geübt,  und  bei  der  Aufführung 
von  Vokal-  oder  Instrumental-Musik  war  er  im  Staude  eine 
Partie  zu  übernehmen.  Er  war  nicht  unerfahren  in  Fechter- 
künsten, übte  sich  täglich  im  Gebrauch  des  Degens  und  hielt 
sich,  mit  diesem  an  der  Seite,  auch  dem  Stärkeren  gewachsen, 
„bereit  jeden  offenen  Angriff  wie  ein  Mann  zu  strafen."  Von 
Wuchs  war  er  nicht  hervorragend,  ein  wenig  unter  Mittel- 
grösse, aber  seine  Bewegungen  drückten  Grazie,  seine  Haltung 
Muth  und  Energie  aus.  Hellbraunes,  langes  Haar  umrahmte 
ein  ovales  Gesicht  von  reiner,  gesunder  Farbe,  aus  dunkel- 
grauen, nicht  eben  sehr  scharfen  Augen  leuchtete  der  Genius 
hervor.  In  erzwungener  Selbstvertheidigung  sagt  er  später 
mit  berechtigtem  Stolz:  „Für  hässlich  bin  ich,  so  viel  ich  weiss, 
von  niemandem  gehalten  worden,  der  mich  gesehen  hat,"  und 
sicher  sollte  es  nicht  in  diesem  Sinn  verstanden  werden,  wenn^ 
ihn  seine  Genossen  das  „Fräulein  von  Christ-College"  nannten  (^). 
Eine  Mischung  von  mädchenhafter  Weicliheit  und  männlicher 
Entschlossenlieit  ^Yird  jeden  eigenthümlich  berühren,  der  des 
Einundzwanzigjälirigen  Bild  betrachtet,  von  dem  das  Original 
leider  bis  jetzt  noch  nicht  wieder  aufgefunden  worden  \st{^). 
Die  Gesammtheit  dieser  Eigenschaften  hatte  ihn  fast  allen 
Mitgliedern  der  Universität,  die  ihn  kannten,  lieb  und  werth 
gemacht,  namentlich  den  Fellows  seines  eigenen  College.  Es 
ist  sehr  glaublicli,  dass  am  Ende  seiner  Studien-Zeit  die  letzten 
Reste  jener  früheren,  feindlichen  Stimmung  verflogen  waren, 
und  viele  den  Wunsch  ausdrückten,  Milton  möge  bei  ihnen 
bleiben,  auch  nach  seinem  Weggang  bnefliclie  Verbindung 
zum  Zeichen  der  Achtung  und  Freundschaft  mit  ihm  erhiel- 
ten (^).  Aber  sein  schaifes  Urtheil  über  den  allgemeinen  Zu- 
stand der  Universität  konnte  sich,  klar  wie  er  dachte  und 
aufriclitig  wie  er  sprach,  trotz  dieser  Anerkennung  seiner  Per- 
sönlichkeit nicht  ändern,  geschweige,  dass  er  sich  hätte  ver- 
sucht fühlen  sollen,  seine  Tage  in  den  klösterlichen  Mauern 
von  Clirist-College  zu  l)esc]jliessen.  Noch  im  Jahre  1642,  als 
ein  Gegner  ilim  vorwarf,  dass  er  nach  einer  ,, leichtsinnigen  und 
liederlichen  Jugendzeit  von   der  Universität  in   eine  londoner 


Milton's  Urtheil  über  das  Universitäts-Leben.  |21 

Vorstadt-Kloake  ausgespieen  worden  sei",  spart  er  in  Beur- 
theilung  der  gemeinten  Hochschule  und  der  Schwesteranstalt 
nicht  die  herbsten  Worte.  „Die  Vorstadt,  sagt  er,  in  der  ich 
wohne,  ist  meines  Bedünkens  ein  anständigerer  Platz  als  seine 
Universität.  Ich  habe  diese  in  der  Zeit  ihres  besseren  Zu- 
standes  und  meiner  eigenen  jugendlichen  Anschauung  niemals 
sehr  bewundert,  jetzt  aber  thue  ich  es  um  so  viel  weniger"  (^). 
Man  sucht,  ruft  er  in  demselben  Jahre  aus,  auf  den  Univer- 
sitäten „gute  und  solide  Kenntnisse"  zu  erlangen,  aber  man 
wird  „mit  nichts  gefüttei^t  als  mit  den  mageren  und  dornigen 
Vorlesungen  mönchischer,  elender  Sophistik."  Die  jungen 
Leute  verlassen  die  Universität  entweder  mit  einer  armseligen 
„Bedienten-Bildung",  die  mit  Heuchelei  im  Bunde  vollkommen 
ausreicht  zum  Broterwerb  und  zur  Verblendung  des  unwissenden 
Publikums,  oder  „überstudirt  in  unfruchtbaren  Kontroversen". 
Die  Universitäten,  welche  die  „Quellen  der  Wissenschaft  und 
Gelehrsamkeit  sein  sollten",  erscheinen  ihm  unter  der  Leitung 
der  Staatskirche  „vergiftet  und  strangulirt".  Die  Theologen 
zumal  tadelt  er  wegen  der  ungenügenden  Bildung,  die  sie 
vom  Studium  mit  sich  fortnehmen.  Sie  wissen  nicht  in  „reinem 
Stil  zu  sprechen  oder  zu  schreiben",  ihr  Latein  ist  „barba- 
risch", Griechisch  ist  den  meisten  unbekannt,  im  Hebräischen 
sind  mit  wenigen  Ausnahmen  „ihre  Lippen  gänzlich  unbe- 
schnitten", und  ihre  Philosophie  besteht  in  dem  „saftlosen 
Aberwitz  des  alten  Paris  und  Salamanca".  „Wenn  irgend  ein 
Zimmermann,  Schmied  oder  Weber  ein  solcher  Pfuscher  in 
seinem  Handwerk  wäre,  wie  es  die  meisten  von  ihnen  in  ihrem 
Berufe  sind,  so  würde  er  aus  Mangel  an  Kundschaft  ver- 
hungern". Hebung  der  Universitäts-Bildung,  anständige  Für- 
sorge für  „fähige  Professoren  jeder  Wissenschaft"  erwartet  er 
erst  von  der  Zukunft  (^).  Aber  auch  nach  einer  anderen  Seite 
traf  das  Universitäts-Leben  noch  später  sein  Zorn.  Im  Jahre 
1656  verweist  er  einem  jungen  Freunde,  der  in  Oxford  stu- 
dirte,  die  blinde  Bewunderung  jener  dort  beliebten  studen- 
tischen Leibesübungen,  mit  denen  die  Jugend  zu  renommiren 
pflegte,  und  fordert  ihn  auf,  sich  nicht  an  den  Heroen  physi- 


J22  Schluss  der  Uni versitäts- Zeit. 

scher  Stärke,  sondern  an  den  Vorbildern  der  Gerecjitigkeit  und 
Massigkeit  ein  Beispiel  zu  nehmen  (^). 

Mit  einem  Worte:  Das  Wesen  der  damaligen  englischen 
Universitäten  nach  der  Seite  wissenschaftlichen  Strebens  wie 
nach  der  Seite  jugendlicher  Erholung  war  nicht  der  Art  einen 
Milton  zu  befriedigen.  Man  mag  bedauern,  dass  er  beim  Rück- 
blick auf  die  sieben  in  Cambridge  verlebten  Jahre  die  Wirk- 
lichkeit und  das  Ideal  der  Seele  nicht  in  Einklang  zu  bringen 
vermochte,  für  seine  nächste  Zukunft  und  für  seine  ganze 
Lebensbahn  waren  die  Eindrücke,  die  sein  Geist  hier  empfangen 
hatte,  dennoch  von  grösster  Bedeutung. 


Drittes  Kapitel. 
Kirche   und    Staat. 


Um  die  Zeit  als  Milton  die  Universität  verliess,  vielleicht 
schon  nachdem  er  von  Cambridge  geschieden  war,  nahm  er 
Gelegenheit,  seine  Gedanken  über  Lebens -Pläne  und  -Hoff- 
nungen, wie  sie  sich  im  Herzen  jedes  zum  Manne  Werdenden 
bilden,  gegenüber  einem  älteren  Freunde  auszusprechen. 
Dieser  Freund ,  dessen  Name  uns  unbekannt  ist ,  möglicher 
Weise  einer  der  Genossen  des  Christ- College,  hatte  ihm  Vor- 
würfe über  sein  so  rast-  wie  planloses  Studium  gemacht  und 
ihn  ermahnt,  sich  auf  den  geistlichen  Beruf,  als  ein  festes 
Ziel,  mit  ernster  Zusammenfassung  seiner  Kräfte  vorzuberei- 
ten. Milton  antwortet  Tags  darauf  in  einem  längeren,  in  zwei 
Entwürfen  erhaltenen  Briefe  (^).  In  einigen  einleitenden 
Sätzen  dankt  er  dem  Mahner,  an  dessen  redlichen  Absichten 
er  nicht  zweifelt  und  schickt  sich  an,  ihm  „ungefragt  Rechen- 
schaft über  die  Langsamkeit  seines  Lebensganges  zu  geben". 
„Wenn  Sie,  wie  Sie  sagten,  der  Ansicht  sind,  dass  allzugrosse 
Lust  des  Studirens  mein  Fehler  ist,  und  dass  ich  ganz  und 
gar  darin  aufgehe,  meine  Jahre  im  Schosse  einer  fleissigen 
Einsamkeit  zu  verträumen,  wie  Endymion  und  der  Mond  nach 
der  Sage  von  Latmos,  so  bedenken  Sie,  dass,  wäre  es  auch 
nur  die  Lust  des  Studirens,  mag  sie  nun  aus  bewusst  schlech- 
tem, gutem,  oder  natürlich  gegebenem  Grunde  hervorgehn, 
diese  nicht  so  lange  so  starken  und  mannichfaltigen  entgegen- 


124  Lebenspläne. 

wirkenden  Kräften  Stand  halten  könnte.  Denn  wäre  der 
Grund  schlecht,  warum  sollten  nicht  alle  die  Lieblings  -  Hoff- 
nungen, mit  denen  kecke  Jugend  und  Eitelkeit  flügge  sind, 
zusammt  der  Aussieht  auf  Vortheil ,  Stolz  und  Ehrgeiz  mich 
mächtiger  vorwärts  treiben,  als  eine  armselige,  gering  ge- 
achtete und  unvortheilhafte  Sünde  der  Wissbegier  fähig  wäre 
mich  festzuhalten?  Durch  diese  schneidet  sich  ja  der  Mann 
den  Weg  zum  Handeln  ab  und  macht  sich  zum  hülflosesten, 
schwachmüthigsten  und  waffenlosesten  Geschöpf  der  Welt, 
ganz  unfähig  das  auszurichten,  wonach  alle  Sterblichen  am 
eifrigsten  streben:  Seinen  Freunden  zu  nützen  oder  seinen 
Feinden  zu  schaden?  Ist  es  aber  als  ein  unwiderstehlicher 
Drang  der  Natur  anzusehn,  so  wirkt  dem  ein  viel  mächtigerer, 
eingeborener  Hang  entgegen,  der  um  diese  Zeit  sich  im  Leben 
des  Mannes  geltend  macht:  Die  Sehnsucht  nach  eigenem 
Haus  und  Heerd,  der  nichts  förderlicher  zu  sein  gilt  als  der 
frühe  Eintritt  in  ein  achtbares  Gewerbe,  und  die  nichts  mehr 
durchkreuzt  als  diese  übertriebene  Zurückgezogenheit.  .  .  . 
Auch  arbeitet  eben  die  Natur  noch  in  feinerer  Weise,  uns 
dem  Dunkel  zu  langer  Verborgenheit  zu  entreissen,  nämlich 
in  dem  Verlangen  nach  Ehre  und  Namen  und  unsterblichem 
Nachruhm ,  wie  es  in  der  Brust  jedes  wahren  Gelehrten 
wohnt.  .  .  .  Endlich  würde  die  Lust  des  Studirens,  da  sie  doch 
immer  etwas  Gutes  erstrebt,  .  .  rasch  von  der  nutzlosen  und 
phantastischen  Jagd  nach  Schatten  und  Einbildungen  zu  dem 
wahren  Gute  hingelenkt  werden,  das  aus  schuldigem  und 
schleunigem  Gehorsam  jenes  biblischen  Befehls  hervorgeht, 
der  aus  der  schrecklichen  Züchtigung  dessen  erhellt,  welcher 
sein  Pfund  vergrub. 

„Es  ist  also  wahrscheinlicher,  dass  nicht  die  ziellose 
Freude  blosser  Beschaulichkeit,  sondern  gerade  die  Erwägung 
jenes  grossen  Befehles  mich  nicht  mit  derselben  Hast,  wie 
viele  andere,  vorwärts  drängt  etwas  zu  wagen,  sondern  mich 
zurückhält  mit  einer  Art  heiliger  Scheu  und  frommer  Vor- 
sicht, wie  am  besten  etwas  zu  wagen  wäre.  Und  mir  bangt 
nicht  davor,  zu  spät  zu  kommen,  wenn  ich  dadurch  nur  den 
Vortheil    erreiche,    besser   gerüstet   zu   kommen.     Denn    die 


Lebenspläne.  125 

letzten  verloren  nichts,  als  der  Herr  des  Weinbergs  jedem 
seinen  Lohn  austheilte.  Und  hier  bin  ich  an  einer  Quelle 
angelangt,  voll  genug,  sich  wie  der  Nil  mit  sieben  Mündungen 
in's  Meer  zu  ergiessen.  Aber  dann  müsste  ich  mich  auch  in 
den  Widerspruch  gleichzeitiger  El)be  und  Fluth  verwickeln 
und  dasjenige  thun,  wegen  dessen  Unterlassung  ich  mich  ja 
vertheidige:  Predigen  und  nicht  Predigen.  Damit  Sie  aber 
sehen,  dass  auch  ich  etwas  argwöhnisch  gegen  mich  selbst  bin 
und  recht  wohl  eine  gewisse  Saumseligkeit  in  mir  bemerke, 
bin  ich  so  kühn,  Ihnen  einige  meiner  vor  einiger  Zeit(^)  nie- 
dergeschriebenen nächtlichen  Gedanken  zu  senden,  da  sie  sich 
hier  ganz  passend  anschliessen ,  eingekleidet  in  eine  Petrar- 
ca'sche  Stanze,  wovon  ich  Ihnen  erzählte." 

Und  nun  folgt  jenes  ernste,  charakteristische  Sonett,  von 
dem  ich  nur  die  vier  ersten  Zeilen  in  gebundener  Rede  wie- 
derzugeben wage: 

Wie  bald  der  Jugend  schlauer  Dieb,  die  Zeit, 

Im  Flug  mir  dreiundzwanzig  Jahre  stahl ; 

Die  Tage  fliehn  mit  Windes- Schnelligkeit, 

Doch  bleibt  mein  Spät -Lenz  knosp-  und  blüthenkahl. 

Der  Dichter  gesteht  sich,  dass  sein  Aussehn  vielleicht  noch 
nicht  verrathe,  wie  nahe  er  dem  Mannes -Alter  gekommen 
und  mag  sich  noch  weniger  „innere  Reife"  zusprechen.  Aber 
er  will  sich  an  dem  Loose  genügen  lassen,  mag  es  „kleiner 
oder  grösser,  eher  oder  später"  ihm  zu  Theil  werden,  zu  dem 
ihn  „die  Zeit  und  des  Himmels  Wille  hinleiten".  Der  Puri- 
taner, der  gläubige  Calvinist,  fühlt  sich  bei  allem,  wenn  er 
„begnadet  wird,  es  so  zu  nützen",  „immer  wie  unter  dem 
Auge  seines  grossen  Werkmeisters". 

„Und  nun,  denke  ich,  —  schliesst  der  Brief,  —  werden 
Sie  bereuen,  diese  Angelegenheit  überhaupt  berührt  zu  haben ; 
denn  wenn  ich  Sie  nicht  diese  Zeit  her  überzeugt  habe,  so 
habe  ich  Sie  sicher  gelangweilt.  Dies  allein  mag  daher  schon 
ein  genügender  Grund  für  mich  sein  zu  bleiben,  wie  ich  bin, 
damit  ich  nicht,  nachdem  ich  Sie  allein  ermüdet  habe,  mit 
einer  ganzen  Gemeinde  noch  schlimmer  verfahre"  .... 

Nicht  ohne   Grund   finden   sich  jene  Hindeutuugen  auf 


126  Der  geistliche  Beruf. 

den  Beruf  des  Predigers,  als  denjenigen,  für  den  sich  Milton 
zu  erklären  aufgefordert  wird  und  Bedenken  trägt.  Als  er 
die  Universität  bezog,  geschah  es  in  der  That  mit  dem  Ge- 
danken, sich  für  das  Amt  der  Kirche  vorzubereiten.  Dahin 
waren  seit  seiner  frühesten  Jugend  die  Pläne  und  Hoffnungen 
von  Eltern  und  Freunden  gegangen,  den  talentvollen  Jüngling 
eines  Tages  als  Diener  des  göttlichen  Wortes  zu  erblicken ('). 
Nach  dem  Abschluss  der  siebenjährigen  Studienzeit  galt  es 
sich  zu  entscheiden,  ob  diese  Pläne  ausgeführt  werden  sollten. 
In  welchem  Sinne  die  Entscheidung  erfolgte,  wird  man  schon 
vermuthen.  Diese  Kirche  und  diese  Kirchengewalt,  deren  Dienst 
der  junge  Magister  sich  weihen  sollte,  hatte  ihn  schon  bei  so 
manchem  Anlass  die  Härte  und  Unlauterkeit  ihres  Wesens  wie 
ihrer  Mittel  kennen  und  vei-abscheuen  gelehrt.  Hatte  nicht  eben 
vor  ihrer  Verfolgung  ein  geliebter  Lehrer  zeitweise  den  hei- 
mischen Boden  fliehen  müssen ,  so  hatte  sie  einen  andern,  als 
Verbündete  der  weltlichen  Macht,  mit  schmachvoller  Strafe 
zu  treffen  gesucht.  In  Cambridge  musste  sie  dem  Studenten 
bei  der  Geschichte  der  Kanzler -Wahl  Buckingham's  verächt- 
lich und  bei  der  Katastrophe  des  Dr.  Butts  wenigstens  nicht 
schuldfrei  erschienen  sein.  Sodann  aber  war  der  gesammte 
Eindruck,  den  Milton  auf  der  Universität  von  dem  Geiste 
der  herrschenden  Theologie  und  ihrer  Schüler  erhalten  hatte, 
kein  günstiger  gewesen.  Hier  hatte  er  jene  jungen  Gottes- 
gelehrten kennen  gelernt,  über  dei-en  Künste  ein  Predigtchen 
zusammenzuflicken  er  sich  so  ironisch  ausspricht,  hier  war  ihm 
jene  „pfäffische  Unwissenheit"  entgegengetreten,  die  er  so 
bitter  beklagt.  Die  ganze  Einrichtung  der  Universität,  vor 
allem  aber  jene  zwingenden  Eidesformeln,  an  welche  die  Ge- 
währung der  akademischen  Grade  geknüpft  war,  Hessen  ihn 
den  Druck  der  geistlichen  Gewalt  fühlen,  deren  Bestreben 
dahin  gieng,  vor  allen  Dingen  eine  Gesinnung  zu  erzeugen, 
oder  doch  als  vorhanden  erscheinen  zu  lassen,  die  der  Ge- 
sinnung der  kirchlichen  und  staatlichen  Gewalten  entspräche. 
Und  möglicher  Weise  wurde  in  Cambridge  Milton's  Abnei- 
gung gegen  das  Betreten  der  theologischen  Laufbahn  noch 
von  einer  andern  Seite  her  bestärkt.    Es  war  nicht  so  schwer 


Aussichten  für  den  Puritaner.  127 

einzusehn,  class  die  herrschende  kirchliche  Richtung  keine 
treuere  Bundesgenossin  hatte  als  die  Scholastik.  Diese  ge- 
wöhnte die  Geister  schon  früh  daran,  Fesseln  zu  tragen,  und 
erblickte  eine  gefährliche  Feindin  in  der  Naturwissenschaft, 
die  zu  beständigen  Zweifeln  an  den  auf  Mysterien  begrün- 
deten Ansprüchen  der  hierarchischen  Autorität  anregen  musste. 
Wie  Milton  über  Scholastik  und  Naturwissenschaft  dachte,  ist 
nun  aber  schon  hinlänglich  bekannt,  und  auch  in  diesem  Falle 
mochte  seinen  Erwägungen  ein  Wort  seines  Bacon  zu  Hülfe 
kommen  (^).  Den  grössten  Einfluss  auf  seine  Entscheidung 
übte  aber  die  Betrachtung  aus,  die  sich  über  persönliche  Er- 
fahrungen hinweg  auf  den  Gesammtzustand  der  englischen 
Kirche  und  des  englischen  Staates  hinlenkte,  wie  er  damals 
war  und  wie  er  sich  in  seiner  weiteren  Entwicklung  für  die 
folgenden  Jahre  unschwer  vorausahnen  liess. 

Puritanisch  gesinnte  Eltern  hatten  eine  Zeit  lang  hoffen 
können,  ohne  allzu  grossen  Gewissenszwang  ihre  Söhne  im 
Kirchendienst  unterzubringen.  Auf  den  erzbischöflichen  Primat 
des  zelotischen  Bancroft,  welcher  in  den  ersten  Zeiten  König 
Jakob 's  die  kirchliche  Konformität  mit  allen  Mitteln  der  Ge- 
walt zu  erzwingen  suchte,  war  bald  nach  Milton's  Geburt 
derjenige  George  Abbot's  gefolgt,  in  dessen  Augen  puritanische 
Gesinnung  durchaus  kein  Fehler  war,  und  der  dem  System 
der  Verfolgungen  ihrer  Anhänger  ein  Ziel  setzte.  Nachdem 
sein  Einfluss  durch  das  Emporkommen  des  Gross  -  Siegel- 
bewahrers Williams,  Bischofs  von  Lincoln,  verdrängt  worden, 
hatte  der  Puritanismus  wenigstens  keinen  engherzigen  Gegner 
zu  fürchten.  Williams  war  viel  mehr  Politiker  als  Kleriker, 
und  die  staatsmännische  Ader  war  zu  stark  in  ihm,  als  dass 
ihn  rehgiöser  Eifer  gegen  diese  oder  jene  Richtung  hätte 
Partei  nehmen  lassen.  Es  war  die  Zeit,  in  der  sich  Milton 
zum  Besuch  der  Universität  vorbereitete,  aber  schon  war  eine 
andere  Strömung  in  der  Kirche  hervorgetreten,  die  während 
seiner  Studienjahre  immer  mächtiger  wurde  und  bald  die 
herrschende  genannt  werden  konnte.  Man  mag  es  schon  aus 
psychologischen  Gründen  erklärlich  finden,  dass  die  ersten 
Würdenträger  der  anglikanischen  Kirche  die  Tendenz  erhielten, 


128  Das  göttliche  Recht  des  Bisthums 

ihrer  Stellung  eine  höhere  Weihe  zuzuschreiben  und  für  das 
Bisthum  sowohl  gegenüber  der  Laienschaft  wie  der  übrigen 
Geistlichkeit  eine  unerhörte  Gewalt  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Bei  der  unbedingten  Abhängigkeit  des  kirchlichen  Organis- 
mus vom  königlichen  Supremat  gab  es  kein  anderes  Mittel 
für  die  Bischöfe,  einige  Selbstständigkeit  gegenüber  den  bür- 
gerlichen Gewalten  zu  erlangen,  als  für  ihren  Stand  einen 
übermenschlichen  Ursprung  zu  behaupten  und  durch  diesen 
Zuwachs  an  ideeller  Macht  auch  eine  thatsächliche  Macht 
zurückzuerobern,  ähnlich  der,  welche  sich  auf  dem  Boden  der 
alten  Kirche  fand.  Bestrebungen  dieser  Art,  die  deshalb 
nichts  an  Kraft  verloren,  weil  man  sich  ihrer  nicht  immer 
deutlich  bewusst  war,  wurden  durch  die  Kampf  weise  des  Pu- 
ritanismus  selbst  sehr  entschieden  unterstützt.  Der  leiden- 
schaftlichste der  puritanischen  Vorkämpfer  im  Zeitalter  Elisa- 
beth's  hatte  sich  nicht  begnügt,  die  bestehende  Kirchenver- 
fassung mit  Gründen  der  Vernunft  anzugreifen,  sondern  die 
presbyteriale ,  als  die  durch  die  Bibel  allgemein  vorgeschrie- 
bene Norm,  ihr  gegenübergestellt.  Der  Dogmatismus  von 
dieser  Seite  rief  den  Dogmatismus  von  der  anderen  Seite  her- 
vor. Ehe  zwei  Jahrzehnte  verflossen  waren,  tauchte  die  neue 
Behauptung  auf,  die  göttliche  Vorschrift  fordere  den  Episko- 
pat, die  Bischöfe,  als  Genossen  eines  wesentlich  unterschie- 
denen Standes,  hätten  kraft  göttlichen  Rechtes  die  Kirche 
und  den  ihnen  unterworfenen  Klerus  zu  regieren,  und  ein 
Läugnen  dieser  Sätze  sei  ketzerisch.  Aus  einem  solchen 
Princip  Hessen  sich  die  wichtigsten  Folgerungen  ableiten. 
Einerseits  konnte  dadurch  der  Zusammenhang  der  englischen 
Kirche  mit  den  übrigen  reformirten  Kirchen  gelockert,  und 
die  "Wirksamkeit  jeder  nicht  bischöflichen  Ordination  in  Frage 
gestellt  werden.  Andrerseits  wurde  eine  grössere  Annäherung 
an  das  System  der  alten  Kirche  ermöglicht,  und  dem  Bisthum 
eine  Bedeutung  gegeben,  mit  der  sich  der  reformatorische 
Begriff  des  Priesterthums  nicht  mehr  vertrug. 

Indessen  war,  was  man  damals  zu  Gunsten  eines  gött- 
lichen Rechtes  des  Bisthums  vernommen  hatte,  zunächst  nur 
ein    vereinzeltes   Vorzeichen    geblieben.      Hooker's    Epoche 


Das  göttliche  Recht  des  Bisthums.  129 

machendes   Werk,    in   welchem   die  gi'ossen   Streitpunkte  in 
voller    Freiheit    von    dogmatischer   Voreingenommenheit    be- 
leuchtet  wurden,   hatte  nicht  wenig   dazu  beigetragen,    den 
Strom  der  Kontroverse  in   ein   sanfteres  Bett  zu  leiten,   und 
eine  Zeit  lang  Hess  man  die  Frage  der  kirchlichen  Verfassung 
rulm.     Aber  die  Ideen,  welche  noch  das  Zeitalter  Elisabeth's 
anzudeuten  gewagt  hatte,  waren  darum  nicht  erstorben.     Sie 
gewannen   in  Verbindung  mit  anderen  an  Stärke  unter  dem 
Schutze  König  Jakob's  und  sie  errangen  den  Sieg  unter  der  Gunst 
König  Karl's,    Eine  Schule  bildete  sich  im  englischen  Klerus 
aus,  reich  an  Kenntnissen,  gelehrten  und  künstlerischen  Inter- 
essen  hingegeben,  freier   von   dogmatischen  Banden  als  ihre 
Gegner,  aber  entschlossen  zur  Anwendung  gewaltsamer  Mittel, 
geneigt   aus   äusseren  Formen  ein  Idol  zu  machen  und  nicht 
gewillt,   des  Armes  der  Staatsmacht  zu  entrathen,   um  eine 
widerstrebende  Bevölkerung  unter  das  Joch  ihrer  Vorschriften 
zu  beugen.    Abgestossen   von   der  fatalistischen  Strenge   der 
genfer   Prädestinationslehre,  hatte   diese  Schule   die   mildete 
arminianische  Doktrin,   trotzdem   die   Synode   von  Dordrecht 
sie  verdammt  hatte,   auf  ihre  Fahne  geschrieben  und  schon 
Jakob  I.,  der  in  den  eifrigsten  Calvinisten  auch  die  eifrigsten 
Gegner  seiner  inneren  und  äusseren  Politik  erblicken  musste, 
für  jene  freiere  Anschauung  gewonnen.     Ausserordentlich  be- 
wandert in  den  Schriften  der  späteren  patristischen  Theologie, 
erfüllt  von  bewundernder  Ehrfurcht  vor  Ritualien,    die   ein 
graues  Alter  zu  heiligen  schien,  fühlte  sich  eben  diese  Schule 
in  schroffem  Gegensatz   zu    einer  Lehre,    welche  gegen  den 
BegTift'  einer  geistlichen  Kaste  ankämpfte  und  alle  schmücken- 
den Formen  verschmähte.    Sie  schrak  zurück  vor  der  starren 
Energie  eines  religiösen  Bewusstseins,  welches  keines  äusseren 
Zeichens  und   keines   höheren  Mittlers  bedurfte   und   das   so 
manchen   in   den  heissen  Kampf  gegen   die  Söldner  Philipp's 
von   Spanien   und   gegen   die  Schaaren    der  Ligue   begleitet 
hatte.    Sie  durchdrang  sich   mit  dem  festen  Glauben  an  eine 
unerlässliche  Einwirkung    des  Göttlichen  auf  das  menschliche 
Gemüth  durch  sinnliche  Mittel,   darauf  berechnet,  die  Phan- 
tasie  zu  erregen,    und   durch    eine   kirchliche   Organisation, 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  1.  9 


][30  Hochkirchenthum  und  Absolutismus. 

deren  Spitzen  vom  Glänze  überirdischer  Weihe  umflossen 
wären.  In  diesem  Zusammenhang  fand  der  Gedanke  vom 
götthchen  Ursprung  und  vom  göttlichen  Rechte  des  Bisthums 
seine  Stelle.  Es  gab  nur  eine  Kirchen  -  Verfassung ,  welche 
dem  Willen  Gottes  entsprach,  —  die  bischöfliche.  Der  Parole 
„ohne  Bischof  kein  König"  schloss  die  andere  sich  an,  „ohne 
Bischof  keine  Kirche".  Das  Amt  des  Bischofs  selbst,  seinem 
Wesen  nach  von  allen  übrigen  kirchlichen  Aemtern  unter- 
schieden, verlieh  seinem  Inhaber  eine  Summe  besonderer 
Gnadengaben.  Alle  Befugnisse  des  Episkopats  erschienen  mit 
dem  Anspruch  seiner  geheimnisvollen  höheren  Weihe  ge- 
steigert. Für  geistliche  Aufsicht  und  Gerichtsbarkeit,  für 
Durchführung  der  alten  und  Einführung  neuer  Formen  wurde 
ein  stärkerer  Rückhalt  gewonnen. 

Das  Streben  nach  einer  solchen  Erhöhung  des  Bisthums 
hätte  den  Argwohn  der  monarchischen  Gewalt  erregen  müssen, 
wenn  dieser  nicht  selbst  die  Aussicht  eröfihet  worden  wäre, 
aus  jenen  hochkirchlichen  Theorieen  Gewinn  zu  ziehn.  Der 
kirchliche  Supremat  der  Krone  wurde  mit  ihnen  keineswegs 
geläugnet,  und  es  war  ein  Akt  geschichtlicher  Nothwendig- 
keit,  dass  diejenigen  den  göttlichen  Ursprung  und  das  gött- 
liche Recht  des  Königs  betonten,  die  trotz  ihrer  eigenen  an- 
genommenen Erhabenheit  doch  nur  aus  dieser  Quelle  ihre 
thatsächlichen  Machtvollkommenheiten  ableiten  konnten.  Auch 
hatte  die  Vergangenheit  gelehrt,  dass  nicht  das  Königthum, 
sondern  die  parlamentarische  Opposition  den  bestehenden  In- 
stitutionen der  Kirche  Gefahr  drohe,  und  jede  Erhöhung  der 
königlichen  Gewalt  war  einer  Schwächung  der  parlamenta- 
rischen gleich  zu  achten.  Ein  natürlicher  Trieb  und  ein  wohl- 
verstandenes Interesse  wirkten  zusannuen,  um  die  Verfechter 
der  neuen  kirchlichen  Grundsätze  auch  zu  Verfechtern  poli- 
tischer Theorieen  zu  machen,  die  wenn  nicht  völlig  neu,  so 
doch  seit  langer  Zeit  auf  englischem  Boden  nicht  mit  so  an- 
spruchsvoller Autorität  geäussert  worden  waren.  Schon  die 
Canones  der  Konvokation  von  1G06,  welche  allerdings  das 
Licht  der  Oeffentlichkcit  nicht  sahen,  betonten  den  Grundsatz 
des  duldenden  Gehorsams   für  alle  Fälle,   und  diese  Doktrin 


Hochkirchenthum  und  Absolutismus.  131 

konnte  dadurch  nichts  an  entwürdigender  Niedrigkeit  ver- 
lieren, dass  sie  durch  die  aufreizende  Ermuthigung  populären 
Widerstandes  seitens  des  Pabstthums  hervorgerufen  zu  sein 
schien. 

Das  Rechts  -  Lexikon  Cowell's,  das  1607  erschienen  und 
nicht  ohne  gute  Gründe  dem  Erzbischof  Bancroft  gewidmet  war, 
hatte  den  Nutzen  parlamentarischer  Mitwirkung  bei  der  Gesetz- 
gebung nicht  läugnen  wollen,  aber  den  Monarchen  doch  für 
„absolut,  .  .  über  dem  Gesetze  stehend"  erklärt  und  in  sei- 
nem Krönungseid  kein  Hindernis  gefunden,  von  sich  aus  „ein- 
zelne Gesetze  zu  ändern  oder  aufzuheben"  {^).  Man  konnte 
die  Unterdrückung  von  Cowell's  Buch  erwirken ,  aber  nicht 
die  Unterdrückung  von  Cowell's  Ansichten.  Häufig  genug 
wurden  sie  von  den  Anhängern  der  neuen  kirchlichen  Schule 
offener  oder  versteckter  geäussert.  Im  Jahre  1627  machten 
die  Predigten  Sibthorpe's  und  Manwaring's  das  grösste  Auf- 
sehn. Ber  eine  hatte  dem  König  die  Befugnis  „Gesetze  zu 
machen"  zugeschrieben  und  den  Unterthanen  selbst  dann  ein 
Recht  zum  Widerstand  abgesprochen,  wenn  jene  Gesetze  etwas 
Unmögliches  oder  gegen  Gott  und  Natur  auflegen  sollten. 
Der  andere  hatte  vor  dem  König  selbst  zwei  Mal  verkündigt, 
dass  die  Unterthanen  sich  einer  Sünde  schuldig  machen  wür- 
den, wenn  sie  in  „dringenden  Fällen"  auch  unbewilligte, 
massige  Steuern  „der  höchsten  Obrigkeit"  zu  entrichten  sich 
weigern  würden,  und  er  hatte  bei  dieser  Gelegenheit  die 
heftigsten  Ausfälle  gegen  das  Parlament  nicht  gespart.  Sein 
Begriff  von  der  monarchischen  Gewalt  war  der  höchst  denk- 
bare, wenn  schon  er  sie  zu  gleicher  Zeit  in  idealster  Weise 
auffasste.  Das  Königthum  göttlichen  Ursprungs,  durch  nichts 
in  der  Welt  beschränkt,  erhaben  auch  über  den  Grössten, 
sollte  dazu  bestimmt  sein,  auch  dem  Niedrigsten  „seine  sanfte 
Sorgfalt  und  Vorsorge"  zu  widmen  und  über  den  kleinlichen 
Rücksichten  der  Partei,  als  ein  Abbild  göttlicher  Weisheit 
und  Gerechtigkeit,  die  grossen  nationalen  Interessen  vertre- 
ten (^).  In  einer  Zeit,  da  der  Kampf  um  die  Frage  der  Ge- 
setzlichkeit von  Zwangs  -  Anlehen  auf's  heftigste  entbrannt 
war,  mussten  solche  Lehren,  mit  dem  ganzen  Gewicht  geist- 

9* 


132  Hochkirchenthum  und  Absolutismus. 

liehen  Ansehns  vorgetragen,  doppelt  zum  Widerspruch  reizen. 
Auch  zeigte  die  Folge  sehr  bald,  dass  bei  dieser  „Gottähn- 
lichkeit" des  Königthums  der  Begriff  der  Allgüte  und  der 
Allgerechtigkeit  in  dem  einzigen  Begriff  der  Allmacht,  welcher 
keine  Grenze  gezogen  sein  sollte,  vollständig  untergieng.  Die 
Weigerung  des  Erzbischofs  Abbot,  jener  Predigt  Sibthorpe's 
die  nöthige  Druck  -  Erlaubnis  zu  ertheilen,  hatte  nur  dazu 
gedient,  ihm  die  Strafe  zeitweiliger  Internirung  und  der  Weg- 
nahme seiner  geistlichen  Jurisdiktion  zuzuziehn.  In  Montaigne, 
dem  Bischof  von  London,  dem  selbst  die  Genossen  seiner 
Partei  einen  sehr  ungeistlichen  Lebenswandel  vorwarfen,  er- 
langte Karl  L  ein  gefügigeres  Werkzeug,  und  fortan  wurde 
Sibthorpe's  wie  Manwaring's  Ansichten,  die  an  höchster  Stelle 
sehr  wohlthuend  berührt  hatten,  die  weiteste  Verbreitung  ge- 
geben. Auch  blieben  gegenüber  der  Strafe,  die  das  Parla- 
ment Manwaring  zuerkannte,  demonstrative  Anzeichen  der 
königlichen  Gunst  durch  rasche  Beförderung  im  Kirclfendienst 
nicht  aus.  Es  war  nur  ein  Beispiel  für  viele,  in  denen  man  eben 
die  zu  Würden  und  Aemtern  erhoben  sah,  die  sich  durch  Wort 
und  Schrift  besonders  verhasst  gemacht  hatten.  Immer  deut- 
licher trat  es  hervor,  dass  die  monarchische  Gewalt  mit  ihren 
absoluten  Neigungen  und  die  hochkirchliche  Partei  mit  ihren 
anspruchsvollen  Bestrebungen  gleichsam  einen  Versicherungs- 
Vertrag  auf  Gegenseitigkeit  gegründet  hatten.  Der  Ausspruch 
eines  der  hauptsächlichsten  Vorkämpfer  jener  kirchlichen 
Richtung:  „Schütze  du  mich  mit  dem  Schwert,  und  ich  will 
dich  mit  der  Feder  schützen"  (^),  konnte  als  Motto  des  engen 
Bundes  gelten,  zu  welchem  Kirche  und  Staat,  in  Auffrischung 
mittelalterlicher  Grundsätze,  gegen  gemeinsame  Widersacher 
sich  vereint  hatten ,  und  wirksamer  noch  als  die  Feder  sollte 
das  Wort  jener  grossen  geistlichen  Ilülfsschaar  werden,  die 
in  immer  strafferer  Abhängigkeit  von  den  Befehlen  der  wach- 
samen Oberen  gehalten  ward. 

Schon  seit  geraumer  Zeit  hatte  die  hochkirchlich  -  armi- 
nianische  Faktion,  die  sich  zu  gleicher  Zeit  zur  Verfechterin 
absolutistisciier  Grundsätze  aufwarf,  ein  geistiges  Haupt  er- 
halten,  dessen  Ansehn  beständig  wuchs.     Ein  Jahr  nachdem 


Laud.  133 

Milton  die  Universität  verlassen  hatte,  wurde  dem  anerkannten 
Führer  auch  die  erste  Stelle  der  Kirche  zu  Theil.  William 
Laud,  durch  bedeutende  Kenntnisse  unterstützt  und  durch 
unruhigen  Ehrgeiz  vorwärts  getrieben,  war  ohne  grosse  Mühe 
allmählich  in  den  Besitz  einträglicher  Stellen  gelangt  und 
von  Staffel  zu  Staffel  auf  der  Leiter  hierarchischer  Würden 
emporgestiegen.  Auch  traten  gewisse  Züge  seiner  Natur,  die 
ihn  später  eine  so  verhängnisvolle  Rolle  spielen  Hessen,  schon 
ehe  er  zum  Gipfel  der  Macht  gelangt  war,  deutlich  hervor. 
Es  mag  dahin  gestellt  bleiben,  ob  er  schon  als  Vorsteher  des 
St.  John's  College  in  Oxford  den  Denuncianten  von  Theologen 
missliebiger  Richtung  gespielt  und  über  die  Erzeugnisse  der 
Presse  in  demselben  Geiste  eine  Art  privat -polizeihcher  Auf- 
sicht geführt  hat.  Im  Jahre  1616  zum  Dechanten  von  Glou- 
cester  ernannt,  hatte  er  im  Auftrage  König  Jakob's  nichts 
eihgeres  zu  thun,  als  mit  allem  Nachdruck  eine  Aenderung 
der  dortigen  Stellung  des  Abendmahls -Tisches  zu  fordern, 
da  er  es  für  eine  Lebensfrage  hielt,  dass  derselbe  am  öst- 
lichen Ende  des  Chores  hochaufgerichtet  und  noch  dazu  durch 
Kniebeugungen  der  eintretenden  Kirchendiener  geehrt  werde. 
Die  Aufregung,  welche  ein  solches  Vorgehn  unter  der  Bevöl- 
kerung Gloucester's  hervorrief,  war  seinem  Emporsteigen  nicht 
hinderlich.  Wenige  Jahre  später  erhielt  er  den  Bischofssitz 
von  St,  David's  und  erlangte  damit  einen  grösseren  Wirkungs- 
kreis für  die  Durchführung  seiner  Grundsätze.  Aber  erst 
nachdem  Karl  I.  den  Thron  bestiegen  hatte,  eröffneten  sich 
ihm  weitere  Aussichten.  Er  stand  schon  seit  einigen  Jahren 
im  vollen  Vertrauen  Buekingham's  und  gelangte  alsbald  auch 
beim  König  zu  einem  Ansehn,  wie  er  es  gegenüber  Jakob 
niemals  genossen  hatte.  Eine  von  ihm  verfasste  Liste ,  in 
welcher  die  Namen  englischer  Geistlicher  mit  0.  und  P.  als 
orthodox  und  puritanisch  bezeichnet  waren,  gab  der  Staats- 
gewalt die  nöthige  Anleitung,  um  die  Gutgesinnten  zu  beför- 
dern und  die  Schlechtgesinnten  zurückzusetzen.  Seine  Predigt 
vor  dem  König  nach  der  Eröffnung  des  ersten  Parlaments 
hatte  den  Monarchen  als  „unmittelbaren  Stellvertreter  Gottes 
auf  Erden"  bezeichnet  und  erklärt,  dass  selbst  das  Parlament 


134  Laud.  —  Parlamentarisches  Interregnum. 

nur  von  „diesem  Verwalter  Gottes"  .  .  „Einfluss  und  Macht 
erhalte"  (0-  Die  Worte,  die  er  bei  Eröffnung  des  zweiten 
Parlaments  von  der  Kanzel  herab  hören  Hess,  hatten  kein 
anderes  Ziel  und  suchten  den  Satz  von  der  Nothwendigkeit 
strengster  Einheit  von  Kirche  und  Staat  mit  allem  Nachdruck 
einzuprägen  (2).  Als  er  das  dritte  Mal  an  der  gleichen  Stelle 
stand,  sprach  er  bei  einem  Rückblick  auf  die  erlebten  Kon- 
flikte etwas  elegisch,  sein  Auftreten  hatte  ihn  schon  zu  einer 
Zielscheibe  der  oppositionellen  Angriffe  gemacht.  Zwar  hatte 
er  vor  der  Veröffentlichung  von  Manwaring's  Predigten  ge- 
warnt, aber  seine  Billigung  der  Ansichten  Montague's,  welche 
den  orthodoxen  Calvinismus  verletzten,  sein  vertrautes  Ver- 
hältnis zu  dem  verhassten  Minister,  seine  Vertheidigung  ab- 
solutistischer Theorieen  Hessen  auch  seinen  Namen  in  der  Re- 
monstranz erscheinen,  welche  im  Juni  1628  dem  König  über- 
reicht ward(^). 

Inzwischen  waren  ihm  immer  mehr  Gnadenbeweise  zu 
Theil  geworden.  Er  war  seit  1627  Mitglied  des  geheimen 
Raths.  Er  erlangte  im  Sommer  1628,  als  eine  allgemeine  Beför- 
derung von  Anhängern  der  hochkirchlichen  Richtung  eintrat, 
das  Bisthum  von  London  und  damit  den  unberechenbaren 
Einfluss  auf  eine  grosse,  durch  und  durch  puritanische  Diöcese. 
Der  einzige  Mann  seines  Standes,  dessen  Begabung  er  zu 
fürchten  gehabt  hätte,  der  Gross  -  Siegelbewahrer  Williams, 
hatte  schon  seit  drei  Jahren  wegen  seines  Gegensatzes  zu 
Buckingham  sein  Amt  aufgeben  müssen.  Der  einzige  Mann, 
der  ihm  überhaupt  in  der  Gunst  des  Königs  vorangieng, 
Buckingham  selbst,  wurde  durch  den  Stahl  des  Mörders  weg- 
geraflt.  Noch  lebte  Abbot,  der  Erzbischof  von  Canterbury, 
aller  auch  auf  diesen  Primat  waren  Laud  schon  Hoffnungen 
gemacht.  Ehe  er  ihn  wirklich  erlangte,  trat  jene  kritische 
Wendung  im  Staatsleben  ein,  welche  dazu  führte,  England 
ein  eilfjähriges  parlamentarisches  Interregnum  erdulden  zu 
lassen.  Beim  Wiederzusammentritt  desselben  Parlaments, 
aus  dessen  Schoss  die  Petition  des  Rechtes  hervorgegangen 
war,  im  Januar  1629,  hatte  der  Zwiespalt,  der  schon  vor  der 
Prorogation  hervorgetreten  war,   wiederum   seinen  schärfsten 


Auswärtige  Politik.  135 

Ausdruck  gefunden.  Mochte  der  König  die  Petition  des  Rech- 
tes in  dem  Sinn,  wie  er  sie  verstand,  nicht  gebrochen  haben, 
nach  der  Meinung  des  Hauses  der  Gemeinen  war  sie  ge- 
brochen. Mochten  Laud  und  seine  Genossen  noch  so  gute 
Protestanten  sein,  nach  der  Meinung  des  unduldsamen  und 
schwarzsichtigen  Puritanismus  war  die  Landesreligion  durch 
ihr  Gebahren  gefährdet.  Nach  den  heftigsten  Debatten  über 
geistliche  und  weltliche  Gegenstände,  inmitten  der  grössten 
Aufregung,  unter  leidenschaftlicher  Verwahrung  gegen  Neuerun- 
gen der  Religion,  Erhebung  und  Zahlung  des  Tonnen-  und 
Pfundgeldes,  gieng  die  Versammlung  auseinander.  Einige  der 
Führer  der  Opposition  wurden  festgenommen,  und  Eliot  hatte 
nach  langer,  qualvoller  Haft  in  den  düsteren  Mauern  des 
Tower  den  Märtyrertod  für  die  Sache  zu  sterben,  der  er  mit 
solchem  Feuer  gedient  hatte. 

Der  Beginn  der  parlamentslosen  Zeit  bedeutete  zu- 
gleich das  Ende  der  Epoche  des  Krieges.  Nach  dem  Ab- 
schluss  des  Friedens  mit  Frankreich  waltete  noch  der  Gedanke 
vor,  England  freie  Hand  zu  geben,  um  sich  in  Verbindung 
mit  den  nordischen  Mächten,  den  Niederländern  und  den  Hansa- 
städten, den  Fortschritten  der  ligistischen  und  kaiserlichen 
Waffen  entgegenzuwerfen.  Als  aber  der  Rücktritt  Dänemarks 
Pläne  der  Art  scheitern  liess,  wurden  die  Absichten  gegen 
das  Haus  Habsburg  aufgegeben,  und  der  Friedensvertrag  auch 
mit  Spanien  kam  zu  Stande.  Die  Staatsmänner,  welche  die 
spanischen  Interessen  vertraten,  gelangten  wieder  zu  Ansehn, 
dem  Gross -Schatzmeister  Westen,  der  ohne  Parlament  für  die 
Finanzen  zu  sorgen  hatte,  war  eine  friedliche  Abkunft  er- 
wünscht, der  König  liess  sich  in  Betreff  der  pfälzischen  Frage 
an  einer  allgemeinen  Versicherung  für  die  Zukunft  genügen. 
Zwar  verlor  er  die  grossen  europäischen  Angelegenheiten  nicht 
aus  dem  Auge,  una  es  gab  Momente,  in  denen  er  aufs  neue 
in  dieser  oder  jener  Richtung  in  sie  einzugreifen  versuchte. 
Er  verhandelte  mit  Gustav  Adolf  wie  mit  Oxenstjerna  zu 
Gunsten  seiner  pfälzer  Verwandten  und  liess  sich  zu  be- 
trächtlichen Geldopfern  herbei.  In  dem  Bestreben,  der  mäch- 
tigen niederländischen  und   der   aufstrebenden  französischen 


136  Innere  Politik. 

Marine  entgegenzutreten,  war  er  mehr  als  einmal  einem  Bünd- 
nis mit  Spanien  nahe ,  während  er  sich  zu  anderen  Zeiten  in 
den  grossen  europäischen  Machtfragen  enger  mit  Frankreich 
verknüpft  und  einer  Allianz  mit  dem  starken  Leiter  seiner 
Politik  geneigt  fühlte.  Er  hat  einmal  den  Versuch  gemacht, 
sich  mit  dem  Kaiser  über  die  Wiederherstellung  seines  Neffen, 
des  jungen  Kurfürsten  von  der  Pfalz,  zu  verständigen  und 
einige  Jahre  nachher  den  verfehlten  Plan  begünstigt,  eben- 
denselben an  die  Spitze  des  verwaisten  Heeres  Bernhard's  von 
Weimar  zu  stellen  (^).  Aber  bei  allen  diesen  hin  und  her 
schwankenden  Unternehmungen  hielt  er  sich  von  einer  thä- 
tigen  Einmischung  in  die  festländischen  Dinge  zurück.  Die 
Sache  des  Protestantismus  erschien  dem  argwöhnischen,  grob 
urtheilenden  Engländer,  der  sich  in  das  Zeitalter  Elisabeth's 
zurückträumte,  und  dem  die  wirklichen  Verhältnisse  wenig 
bekannt  waren,  überall  wie  absichtlich  aufgegeben.  —  In  einem 
Punkte  jedoch  hatte  das  gemeine  Urtheil  Piecht,  dass  im  Weg- 
fall des  Parlamentes  und  der  Unterstützung,  die  ein  solches 
allein  gewähren  konnte,  die  hauptsächliche  Ursache  jener  zwei- 
deutigen und  schwächlichen  auswärtigen  Politik  zu  suchen  sei. 
Karl  I.  war  indessen  entschlossen ,  so  bald  nicht  auf's 
neue  ein  Parlament  zu  berufen,  mit  dem  er  drei  Mal  so  üble 
Erfahrungen  gemacht  hatte.  Seine  Absicht  gieng  dahin,  ge- 
stützt auf  die  dehnbaren  Befugnisse  weltlicher  und  kirchlicher 
Gewalten,  die  königliche  Macht  den  absoluten  Regierungen 
jenseits  des  Kanals  innerlich  anzunähern.  In  diesem  Sinne 
hatte  das  grosse  Wort,  welches  Sir  Robert  Phelips  im  Par- 
lamente von  1625  hatte  fallen  lassen:  „Wir  sind  die  letzte 
Monarchie  in  der  Christenheit,  die  ihre  ursprünglichen  Rechte 
und  ihre  alte  Verfassung  bewahrt  hat" :  eine  tiefe,  historische 
Bedeutung  (2).  Strebten  die  Gemeinen  über  diese  alte  Ver- 
fassung selbst  schon  mit  mehr  oder  weniger  Bewusstsein  hin- 
aus, Hess  sich  über  das  formale  Recht  in  diesem  und  jenem 
Fall  streiten,  sie  vertraten  dennoch  jenes  ursprüngliche  Recht 
des  Volkes,  das  duich  keine  Zeit  verjähien  konnte,  und  durch 
dessen  zähe  Vertlieidigung  sie  mittelbar  noch  mehr  als  die 
Zukunft   allein    des    eigenen   Vaterlandes    bestimmten.     Mit 


Sternkammer.  —  Provinzial- Behörden.  137 

ihrem  Widerstände  hatte  der  König-  nun  auf  Jahre  hinaus 
nicht  mehr  zu  rechnen,  und  die  Bahn  für  die  Einführung  un- 
umschränkter Monarchie  schien  frei  zu  sein.  Das  Privy- 
Council ,  schon  längst  zu  einem  formlosen  Kabinetsrath  ge- 
worden, als  Mittelpunkt  der  ganzen  Regierung,  dehnte  seine 
unbestimmten  Befugnisse  in  einer  Weise  aus,  welche  die  Lan- 
desverfassung gänzlich  zu  beseitigen  drohte.  Seine  Verord- 
nungen, die  schonungslos  selbst  in  das  Privatrecht  eingriffen, 
„befahlen,  was  durch  Gesetze  nicht  befohlen,  und  verboten, 
was  durch  Gesetze  nicht  verboten  war".  Seine  diskretionäre 
Strafjustiz,  vom  Bedürfnis  früherer  Zeiten  gefordert,  mit  Um- 
gehung des  nationalen  Instituts  der  Geschworenen,  in  der 
Sternkammer (^)  ausgeübt,  diente  zu  gleicher  Zeit  dazu,  den 
ungesetzlichen  Verordnungen  Gehorsam  zu  erzwingen  und  die 
Staatskasse  zu  bereichern.  Büssung  und  Zwangssteuer,  In- 
ternirung  und  Ausweisung ,  Haussuchung  und  Verhaftung, 
Straferkenntnisse  auf  Geldzahlung  von  kleinen  Summen  bis 
zu  Tausenden  von  Pfunden ,  auf  Gefängnis  von  kurzer  Dauer 
bis  auf  Lebenszeit,  auf  Ausstellung  am  Pranger  und  öffent- 
liches Auspeitschen,  auf  Abschneidung  der  Ohren  und  Auf- 
schlitzen der  Nase :  Das  alles  war  auf  die  Thätigkeit  der  einen 
Behörde  zurückzuführen,  welche  ihre  Verordnungsgewalt  in 
derselben  Weise  missbrauchte  wie  ihre  Administrativ- Justiz, 
für  welche  keine  der  Bürgschaften  von  Freiheit  und  Eigen- 
thum  des  Engländers  vorhanden,  und  von  der  eine  Appellation 
an  eine  höhere  Instanz  nicht  möglich  war. 

Die  grossen  ausnahmsweise  bestehenden  Provinzial  -  Be- 
hörden, dem  Muster  des  Privy- Council  angepasst,  einst  durch 
besondere  örtliche  Verhältnisse  hervorgerufen,  waren  gleich- 
falls geeignete  Mittel ,  um  die  üblichen  Formen  der  Verwal- 
tung, des  gemeinen  Rechts  und  der  volksthümlichen  Rechts- 
pflege zu  durchbrechen.  Energischen  Inhabern  wurden  durch 
die  Summe  von  Gewalten,  die  mit  diesen  Aemtern  verknüpft 
waren,  zweischneidige  W^ äffen  in  die  Hand  gegeben,  gleich 
fähig,  zum  gemeinen  Besten  wie  zum  Unheil  verwandt  zu 
werden.  Schon  machte  sich  an  der  Spitze  einer  dieser  Be- 
hörden,  als  Lord -Präsident  des   Rathes   des   Nordens,    der 


138  Finanzielle  Auflagen.  —  Das  kirchliche  Regiment. 

Mann  einen  gTOSsen  Namen,  dessen  Vergangenheit  nicht  auf 
diese  Laufbahn  gedeutet  hatte,  dessen  Zukunft  Höheres  barg: 
Thomas  Wentworth,  der  spätere  Graf  Strafford. 

In  den  ersten  Jahren  der  parlamentslosen  Zeit  traten 
allerdings  die  Massregeln  der  absoluten  Verwaltung  noch 
nicht  in  solcher  Schärfe  hervor  wie  in  den  späteren.  Es 
war  noch  nicht  nöthig,  auf  Processe  zu  rechnen,  um  ver- 
urtheilen  zu  können  und  auf  Verurtheilungen ,  um  die  Straf- 
summen möglichst  hoch  zu  schrauben.  Den  Bedürfnissen  des 
Staates  wurde  vorzüglich  durch  Erhebung  des  Tonnen-  und 
Pfundgeldes  genügt,  über  dessen  Bewilligung  kein  Einver- 
ständnis erzielt  worden  war,  das  der  König  trotzdem  als  ihm 
zuständig  betrachtete  (^).  Vorzüglich  die  Kaufleute  fanden 
darin  einen  Grund  gerechten  Missvergnügens,  Aber  bald  tauch- 
ten neue  ungesetzliche  Forderungen  auf,  die  ein  Gefühl  des 
Unwillens  in  weiteren  Kreisen  der  Bevölkerung  verbreiteten, 
und  <mit  der  Auflegung  des  Schiffsgeldes  langten  der  Absolu- 
tismus [der  Krone  und  die  Erregung  der  Massen  auf  ihrem 
Gipfel  an  {^). 

Neben  den  Gewaltsamkeiten  auf  diesem  Gebiet  nahm  das 
Kirchen -Regiment  immer  entschiedener  einen  Charakter  an, 
der  das  Misstrauen  breiter  Volksschichten  auf's  äusserste  her- 
ausforderte und  den  einzelnen  im  Besitz  seiner  theuersten 
Güter  und  Freiheiten  gefährdete.  Hier  war  William  Land 
das  treibende  Element.  Der  kleine,  bewegliche  Mann  mit 
dem  rothen  Gesicht  gelangte  erst  jetzt  zur  vollen  Entfal- 
tung seiner  Pläne.  Er  versäumte  nicht,  mit  ängstlicher  Ge- 
wissenhaftigkeit über  seine  Träume  Buch  zu  führen,  aber  er 
verlor  über  persönlichen  Stinnnungen  und  Verstimmungen 
niemals  die  klaren  und  einfachen  Ziele  aus  den  Augen,  die 
ihm  vorschwebten.  So  häufig  ihm  der  Widerspruch  dieses 
und  jenes  Kollegen  im  geheimen  Pvath  entgegentrat,  so  wusste 
er  den  König  völlig  für  sich  einzunehmen  und  einen  Eintluss 
auszuüben,  der  weit  über  das  eigentlich  kirchliche  Gebiet  hin- 
ausgieng.  Auf  diesem  selbst  trat  er  auch  äusserlidi  an  die 
Spitze,  als  ihm  nach  dem  Tode  des  Erzbischofs  Abbot  im 
Sommer  1633  der  Sitz   von  Canterbury  zu  Theil  ward.     Von 


Das  kirchliche  Eegiment.  —  Stärkung  des  Puritanismus.       139 

jeder  parlamentarischen  Kontrole  befreit  und  zugleich  jeder 
Mitwirkung  einer  geistlichen  Konvokation  enthoben,  des  Ver- 
trauens seines 'Herrn  ge^\iss  und  von  grösstem  Eifer  für  seine 
Ideale  erfüllt,  arbeitete  er  unermüdlich  mit  den  gleichgesinn- 
ten  Genossen,  um  durch  königliche  Verordnungen,  scharfe 
Aufsicht,  Anmahnungen  und  Strafen  den  Zustand  der  Kirche 
in  seinem  Sinn  zu  ändern.  Er  hatte  ein  offenes  Auge  für 
manche  ihrer  Schäden,  Avie  für  die  ungenügende  Besoldung 
vieler  Vikare,  er  suchte  die  gelehrten  Studien  mannichfach 
zu  befördern,  aber  die  Aufgabe  seines  Lebens  war  ihm  jene 
„heilige  Einigkeit",  jene  vollkommene  Konformität  auch  im 
Aeusserlichen  herzustellen,  ohne  die  ihm  die  Kirche  „allen 
Batterien  des  Teufels  offen  zu  hegen"  schien  (i).  Zelot,  wie 
er  war,  begnügte  er  sich  nicht  mit  jenen  moralischen  Mitteln, 
die  er  einst  als  unerlässlich  für  diesen  Zweck  angegeben 
hatte,  sondern  schrak  vor  der  Billigung  foltei-ähnlicher  Strafen 
nicht  zurück.  Auf's  engste  mit  der  Staatsgewalt  verbündet, 
wie  er  sich  wusste,  hatte  er  nicht  zu  fürchten,  von  ihr  ge- 
hindert zu  werden,  sondern  konnte  vielmehr  ihren  starken  Arm 
in  Anspruch  nehmen ,  um  mit  den  Feinden  der  wahren  Re- 
ligion auch  die  Gegner  des  Königs  aus  göttlichem  Rechte  zu 
treffen.  Er  nutzte  die  Verbindung,  wie  sie  zwischen  der 
anglikanischen  Kirche  und  der  monarchischen  Gewalt  bestand, 
in  einer  Weise  aus,  die  beiden  das  gleiche  Verderben  her- 
aufbeschwor. Alle  Unbilden,  die  man  vom  Kirchenregiment 
zu  erdulden  hatte,  waren  nur  unter  Mitwirkung  der  Staats- 
macht möglich,  alle  Rechtsbrüche,  deren  sich  diese  schuldig 
machte,  fanden  in  den  höchsten  Dienern  der  Kirche  ihre 
Vertheidiger. 

Auf  diese  Weise  gelang  es  dem  neuen  Prälatenthum,  wie 
es  in  Laud  verkörpert  erschien,  die  Gegner  seines  Kirchen- 
regiments und  die  Gegner  der  Willkürherrschaft  zu  einer  fest- 
geschlossenen Phalanx  um  das  Banner  des  Puritanismus  zu 
versammeln  und  im  Puritanismus  selbst  gleichzeitig  alle  jene 
Antriebe  mit  verstärkter  Kraft  wieder  aufleben  zu  lassen,  die 
nacheinander  seine  Geschichte  bezeichnet  hatten.  Einige  der 
alten  Gegenstände  des  Streites  hatten  eine  Zeit  lang  als  auf- 


140  Stärkung  des  Puritanismus.  —  Die  Sabbathfeier. 

gegeben  gelten  können.  Es  hatte  Jahre  gegeben,  in  denen 
gegen  Chorhemd  und  viereckige  Kappe,  gegen  Ring  und  Kreu- 
zeszeichen so  gut  wie  gar  kein  Widerstand  zu  bemerken  ge- 
wesen war.  Der  Streit  um  die  kirchhche  Veiiassung,  wie 
man  sie  in  der  Bibel  als  vorgeschrieben  zu  finden  glaubte, 
hatte  so  gut  wie  ganz  geruht,  bis  der  Episkopat  selbst  mit 
seinen  neuen  Ansprüchen  zu  seiner  Wiederaufnahme  reizte. 
An  Klagen  über  ungebührliche  Ausdehnung  der  kirchlichen 
Disciplin,  über  Pfründenhäufung  und  Sinekuren,  über  An- 
stellung unfähiger  Geistlicher  und  Nichtresidenz  am  Amtssitze 
hatte  es  niemals  gefehlt.  Die  „sabbatharische  Frage",  der 
Streit  um  die  Heilighaltung  des  Sonntags,  der  sich  gegen 
Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  erhoben  hatte,  war  unter 
der  Regierung  Jakob's  an  einer  Stelle  mit  grösserer  Heftig- 
keit aufgeflammt.  Der  Kampf  um  die  calvinistischen  Grund- 
lehren, welcher  auch  auf  dem  Felde  des  Dogmas  die  Puritaner 
unter  die  Waffen  rief,  hatte  erst  damals  begonnen.  —  Die 
Massregeln  Laud's  brachten  zu  Wege,  dass  alle  diese  verein- 
zelten und  zeitweise  beruhigten  Strömungen  zu  einer  mäch- 
tigen und  reissenden  Fluth  zusammenflössen. 

Unzweifelhaft  war  Land  in  mehr  als  einem  Punkte  seinen 
Gegnern  an  Freiheit  der  Anschauung  überlegen.  Aber  die  Art 
und  Weise,  mit  der  er  sie  zu  dieser  freieren  Anschauung  zu 
bekehren  suchte,  Hess  sie  den  besten  Theil  ihres  Werthes 
verlieren.  —  Die  Sonntagsfeier,  wie  der  Puritanismus  sie  an- 
strebte, konnte  nicht  nach  jedermanns  Geschmack  sein  und 
war  dem  englischen  Volksgeist  von  Haus  aus  etwas  durchaus 
fremdes.  Während  die  meisten,  vom  Hofmann  bis  herab 
zum  Bauern,  am  Sonntag  nach  dem  Gottesdienst  sich  einer 
heiteren,  oft  ausgelassenen  Müsse  hingaben,  und  um  den  Mai- 
baum das  Lachen  der  tanzenden  Paare,  aus  der  Schenke  der 
Jubel  fröldicher  Zecher  erscholl ,  flüchtete  sich  der  ernste 
Puritaner  am  Tage  des  Herrn  aus  dem  Getümmel  der  Welt 
in  die  stille  Beschaulichkeit  seiner  eigenen,  frommen  Gedanken 
und  enii)örte  sich  über  die  lärmenden  F^ntweihungen  des 
„Sahbath"  durch  seine  Mitmenschen.  Streitigkeiten  über  die 
Sonntagsfeier  in  Lancashire  hatten  1618  König  Jakob  bewogen, 


Die  Sabbathfeier.  141 

eine  Deklaration,  das  s.  g.  Book  of  Sports,  zu  erlassen,  worin 
nicht  wenige  Belustigungen  aufgezählt  waren,  deren  Genuss 
den  Unterthanen  Sonntags  nach  dem  Gottesdienst  gestattet 
und  nicht  von  anderen  durch  Wort  oder  That  behindert  werden 
sollte.  Der  Befehl,  welcher  der  gesammten  Geistlichkeit  des 
Landes  zur  Pflicht  machte,  die  Deklaration  von  der  Kanzel 
herab  zu  verlesen,  hatte  schon  damals  eine  solche  Aufregung 
hervorgerufen,  dass  er  zurückgezogen  werden  musste.  Die 
Gemüther  schienen  sich  beruhigt  zu  haben,  aber  es  bedurfte 
nur  eines  neuen  Anstosses,  um  die  Bewegung  wieder  hervor- 
zurufen. In  einer  Zeit,  da  von  oben  herab  so  manches  Bei- 
spiel der  Frivolität  gegeben  wurde,  und  die  Bande  von  Zucht 
und  Sitte  auch  in  den  unteren  Ständen  sich  vielfach  lockerten, 
klammerten  sich  ernste  Naturen  um  so  fester  an  eine  äussere 
Fonn  der  Selbstzucht  und  Entsagung,  welche  nichts  mehr  als 
die  Willensstärke  des  einzelnen  erforderte.  Indessen  Hessen 
sich  Reibungen  zwischen  den  Bewohnern  derselben  Stadt, 
desselben  Dorfes  nicht  immer  vermeiden.  Das  Ideal  .der 
Keuschheit  und  Massigkeit,  welches  die  einen  mit  weltver- 
achtender Strenge  zu  verwirklichen  suchten,  reizte  den  Spott 
ihrer  Nachbarn.  Der  brausende  Uebermuth,  welchem  diese 
zum  Trotz  alle  Zügel  schiessen  Hessen,  gab  jenen  zu  tugend- 
stolzen Klagen  und  Beschwerden  Veranlassung.  Diese  Gegen- 
sätze hatten  sich  in  Somersetshire  zu  solcher  Schärfe  zugespitzt, 
dass  richterliche  Verfügung  hier  die  Abstellung  gewisser  Kirch- 
weihfreuden geboten  hatte,  durch  welche  Rohheit  und  Unsitt- 
lichkeit  befördert  worden  waren.  Die  Verfügung  war  mit 
Umgehung  der  geistlichen  Oberbehörde  zur  Veröffentlichung 
an  die  Pfarrer  ergangen.  Nicht  genug  damit,  dass  dieser 
Eingritf  in  das  Gebiet  des  kirchlichen  Beamtenthums  seine 
Strafe  fand :  die  Deklaration  König  Jakob's  ward  wieder  her- 
vorgesucht und  der  Pfarrgeistlichkeit  in  ganz  England  ein- 
geschärft, sie  zur  allgemeinen  Kenntnis  zu  bringen  (18.  Oktbr. 
1633)  (^).  Puritanisch  gesinnte  Geistliche  hatten  vor  einer 
Gemeinde,  deren  Mehrheit  vielleicht  im  Herzen  gleichfalls 
puritanische  Ueberzeugungen  hegte,  von  derselben  Stelle,  an 
der   das  Wort  Gottes    ertönte ,    mit    vor  Unwillen   zitternder 


142  Arminianismus  und  Calvinismus. 

Stimme  zu  verkündigen,  dass  Tanzen  und  Bogenschiessen, 
Springen  und  Schwingen,  Mai -Spiele  und  Pfingst-Bier  dem 
Tage  des  Herrn  wohlanständig  seien.  Mochte  der  Geist,  den 
die  Deklaration  athmete ,  unendlich  freier  sein  als  der  Geist 
des  Puritanismus :  es  war  ein  schwerer  Gewissenszwang,  die 
amtliche  Stellung  des  Klerus  in  dieser  Weise  auszubeuten 
und  die  Vernachlässigung  jenes  Befehls  zu  einem  strafwür- 
digen Verbrechen  zu  machen. 

Ein  gleiches  Verfahren  wurde  in  den  dogmatischen  Strei- 
tigkeiten eingehalten,  die  bis  auf  die  letzten  Jahre  König 
Jakob's  zurückgiengen.  Die  theologische  Ansicht  William 
Laud's  strebte  über  die  Schranken  hinaus,  in  welchen  der 
gläubige  Calvinist,  dessen  Denken  sich  um  das  Geheimnis  der 
Erwählung  und  Verwerfung  bewegte,  eine  Stellung  einnahm, 
die  ihm  selbst  den  höchsten  Grad  moralischer  Sicherheit 
geben,  aber  zugleich  zu  einer  unduldsamen  Verachtung  von 
Millionen  von  Mitmenschen  führen  konnte.  Der  Calvinismus 
mit  seinem  unerbittlichen  Satze  der  Vorherbestimmung  hatte 
Grosses  geleistet,  als  es  galt,  im  verzweifelten  Ringen  mit  der 
wieder  erstarkten  Macht  von  Rom  den  Gegensatz  zu  ihren 
Principien  bis  in  die  äussersten  Folgerungen  schonungslos 
durchzuführen  und  den  einzelnen  mit  einer  todverachtenden 
Glaubens  -  und  Siegesgewissheit  zu  erfüllen.  Aber  dieses  Ge- 
fühl, das  Leben  als  einen  Kampf  zwischen  den  Auserwählten 
und  den  Verworfenen  zu  betrachten  und  sich  selbst  in  den 
furchtbaren  Kreis  eines  ausschliessenden  Dogmas  gebannt  zu 
denken,  hatte  bei  vielen  Naturen  milderen  und  versöhnlicheren 
Anschauungen  Platz  gemacht.  Der  Arminianismus  hatte  in 
England  eine  neue  Zuflucht  gefunden,  nachdem  er  in  Holland 
zeitweise  zurückgedrängt  worden  war.  Die  Männer  der  hoch- 
kirchliclien  Partei  hatten  ihn  in  ihren  Reihen  freudig  auf- 
genommen, mit  dem  Bewusstsein,  ihn  mit  ihren  übrigen  Be- 
strebungen in  Verbindung  setzen  und  ihn  als  Waffe  gegen  den 
starren  Puritanismus  benutzen  zu  können.  „Kein  grösserer 
Dienst  konnte  dieser  milderen  Anschauung  geleistet  werden, 
als  ihr  zu  gestatten,  sich  auf  dem  Wege  der  Ueberzeugung 
Bahn  zu  brechen.     Kein  grösseres  Unrecht   konnte  ihr  zu- 


Arminianismus  und  Calvinismus.  143 

gefügt  werden,  als  ihr  Macht  zu  geben,  ihre  Gegner  mit  Ge- 
walt zum  Schweigen  zu  bringen  "(^).  Eben  dies  war  aber 
geschehn,  sobald  die  Staatsgewalt  für  diese  Ansicht  gewonnen 
worden  war.  Jakob  hatte  1622  nicht  in  Form  eines  Rath- 
schlags,  sondern  eines  Befehls  verkünden  lassen,  dass  „kein 
Prediger  unter  dem  Range  eines  Bischofs  oder  Dechanten  sich 
künftig  erkühnen  solle  ^  vor  einer  Zuhörerschaft  aus  dem 
Volke  über  die  tiefen  Fragen  der  Prädestination,  Erwähl ung, 
Verwerfung  oder  der  Universalität,  Wirksamkeit,  Widersteh- 
lichkeit  oder  Unwiderstehlichkeit  der  göttlichen  Gnade  zu 
predigen "  {^).  Ein  Schrei  der  Entrüstung  hatte  sich  unter 
den  Puritanern  erhoben.  Das  Wort  Gottes  zu  predigen  und 
auszulegen  sei  ein  heiliges  Recht  des  Christen,  und  die  höheren 
Würdenträger  der  Kirche  seien  nicht  allein  mit  der  Fähigkeit 
richtiger  Einsicht  begnadet.  Auch  sah  man  die  Unparteilich- 
keit nur  dem  Scheine  nach  gewahrt,  da  bei  Besetzung  der 
höheren  Stellen  nun  auch  auf  die  gewünschte  dogmatische 
Richtung  geachtet  ward.  In  der  That  schloss  das  Beiwort 
„orthodox"  in  der  Liste  Laud's  auch  die  Bedeutung  „armi- 
nianisch"  in  sich  ein.  Je  mehr  er  zu  Einfluss  gelangte,  desto 
sichtlicher  wurde  das  Eindringen  des  arminianischen  Elements 
in  den  Kirchendienst  gefördert.  Bei  der  Besetzung  vakanter 
Bisthümer  und  Dechaneien,  bei  der  Vergabung  königlicher 
und  bischöflicher  Pfründen  wurden  arminianisch  Gesinnte  ent- 
schieden bevorzugt.  Die  1628  erlassene  Deklaration,  welche 
dem  officiellen  Druck  der  neununddreissig  Artikel  vorgesetzt 
worden  war,  hatte  aufs  neue  das  Verbot,  streitige  Dogmen 
in  Wort  oder  Schrift  zu  berühren,  eingeschärft  und  der  Kon- 
vokation  des  Klerus  unter  Vorbehalt  königlicher  Erlaubnis 
Gegenstände  der  Art  überwiesen.  Eben  gegen  diese  Dekla- 
ration, die  während  seines  Recesses  erlassen  worden  war, 
hatte  das  Parlament  noch  die  leidenschaftlichsten  Angriffe 
richten  können,  aber  allen  Ver\Nlinschungen  zum  Trotz  blieb 
sie  bestehn,  und  ihre  Uebertretung  wurde  schwer  geahndet. 
Hervorgegangen  aus  dem  ehrlichen  Wunsche,  „faktiöse"  Be- 
wegungen zu  beruhigen,  erschien  sie  selbst  als  Aeusserung 
einer  Faktion.   Es  war  erreicht  worden,  dass  man  die  Theologie 


144  Formeuzwang. 

William  Laud's  und  seiner  Genossen  als  untrennbares  Glied  eines 
verhassten  kirchlich -politischen  Systems  betrachten  rausste. 
Wie  Arminianismus  und  Papismus  als  ziemlich  gleichbedeu- 
tende Worte  gebraucht  wurden ,  so  galt  der  grossen  Masse 
der  Glaube  an  die  unbedingte  Prädestination  und  der  Wider- 
stand gegen  die  Gelüste  der  Absolutie  als  unzerreissbares 
Symbol  ein  und  derselben  Gesinnung. 

Das  grösste  Gewicht  indessen  legte  das  herrschende  Kir- 
chenregiment auf  die  strenge  Beobachtung  jener  äusseren 
Formen,  durch  die  es  dem  einzelnen  die  Einwirkung  der  ver- 
mittelnden Kirche  bei  jedem  Schritt  seines  Lebens  zum  Be- 
wusstsein  zu  bringen  und  das  Amt  des  vermittelnden  Priesters 
selbst  zu  einer  geheimnisvollen  Erhabenheit  zu  steigern  ge- 
dachte. Alle  die  antiquarischen  und  ästhetischen  Neigungen 
der  hochkirchlichen  Schule  kamen  hier  zur  Verwendung.  Alle 
Hebel  wurden  angesetzt,  um  jene  „Uniformität  und  Decenz", 
jene  „Schönheit  der  Heiligkeit"  durchzuführen,  wie  der 
Laud'sche  Lieblingsausdruck  für  diese  Seite  seines  Systemes 
lautete.  Nicht  nur,  dass  mit  lobenswerther  Sorgfalt  auf  die 
Herstellung  verfallener  Kathedralen  und  Kirchen  gedrungen, 
auf  Ordnung  und  Würde  beim  Gottesdienst  gehalten  wurde: 
der  ganze  künstlerische,  auf  sinnliche  Wirkung  berechnete 
Apparat  wurde  wieder  heraufbeschworen ,  von  welchem  für 
das  rigorose  Gefühl  des  Puritanismus  ohnehin  noch  allzu  viele 
Reste  vorhanden  waren.  Das  Innere  der  Gotteshäuser  wurde 
durch  eine  Fülle  von  Bildern,  Schnitzereien  und  Figuren  ge- 
schmückt. In  bunten  Fenstern  brach  sich  das  gedämpfte 
Licht.  Krucifixe  und  die  Gestalt  der  Mutter  Gottes  tauchten 
wieder  auf.  Ueberall  hatte  sich  in  der  östlichen  Nische  des 
Chores  der  geweihte,  mit  Schranken  umgebene  Hochaltar  zu 
erheben,  dem  durch  Kniebeugung  in  den  Kathedralen  Ehr- 
furcht zu  erweisen  war.  Wie  Kirchen  und  Kapellen,  so  wur- 
den die  dem  Kultus  dienenden  Geräthschaften ,  vor  allem  die 
Abendmahlsgefässe,  geweiht.  Hie  und  da  glich  das  Bild, 
welches  sich  dem  Beschauer  des  erzbischöflichen  Gottesdien- 
stes bot,  die  zahlreichen  Verneigungen,  Elevationen  und  Ado- 
rationen,  die  Ceremonieen  des  geschmückten  Würdenträgers 


Furcht  vor  Rekatholisirung.  145 

und  seines  geistlichen  Gefolges,  der  Glanz  der  brennenden 
Kerzen  in  prunkvollem,  von  Orgelton  und  Chor-Gesang  durch- 
brausten! Räume,  ganz  und  gar  dem  blendenden  Schauspiel, 
das  an  den  berühmten  Kultusstätten  der  alten  Kirche  die 
überwältigten  Sinne  berauschte.  Die  Formen  des  Messopfers 
erschienen  nachgeahmt.  Land  machte  kein  Hehl  daraus,  dass 
der  Altar  die  heiligste  Stätte  der  Wohnung  Gottes  auf  Erden 
sei,  heiliger  als  die  Kanzel,  „denn  dem  Leibe  des  Herrn  gebühre 
eine  grössere  Verehrung  als  dem  Worte  des  Herrn"(^).  Auch 
wurden  an  hoher  Stelle  .Coelibat  und  Ohrenbeichte  mitunter 
warm  empfohlen. 

Man  ist  heute  der  Mühe  überhoben,  die  Nichtigkeit  der 
Anklage  naclizuweisen ,  welche  am  meisten  dazu  beigetragen 
hat,  Laud's  tragisches  Schicksal  herbeizuführen  und  den  Ver- 
dacht zu  entkräften,  dessen  blinde  Gewalt  nicht  am  wenigsten 
dazu  mitgewirkt  hat,  auch  den  König  zu  Fall  zu  bringen. 
Land  hat  nicht  daran  gedacht,  den  Katholicismus  als  Landes- 
Religion  zurückzuführen,  und  der  König  war  weit  entfernt  da- 
von, sich  bekehren  zu  lassen.  Wenn  man  in  Rom  eine 
Zeit  lang  mit  solchen  Hoffnungen  sich  trug,  so  musste  man 
bald  die  Unmöglichkeit  ihrer  Erfüllung  einsehn.  Der  Kleriker, 
welcher  einst  gegen  den  Jesuiten  Fisher  die  protestantische 
Religion  vertheidigt  hatte,  liess  sich  auch  durch  die  Aussicht 
auf  den  Kardinals-Hut  nicht  verlocken.  Der  Herrscher, 
welcher  sich  als  Mensch  und  König  durch  zahlreiche 
Schranken  in  seinem  Denken  vom  römischen  Poutitikat  und 
dessen  Lehren  getrennt  sah,  erklärte  dem  päbstlichen  Agenten 
offen:  „Zu  einem  Papisten  werdet  ihr  mich  nicht  macheu." 
Allerdings  für  Karl  L  wie  für  Land  war  der  Gegensatz  zum 
Katholicismus  durchaus  nicht  von  gleicher  Stärke  wie  für  die 
grosse  Masse  des  Volkes.  Der  Pabst  war  ihnen  nicht  mehr  der 
Antichrist,  und  Rom  nicht  mehr  das  apokalyptische  Thier. 
Mit  dem  Erzbischof  urtheilten  nicht  wenige  Glieder  der  vor- 
nehmen, feingebildeten  Gesellschaft,  dass  die  anglikanische  und 
die  römische  Kirche  „nicht  in  wesentlichen,  sondern  nur  in 
nebensächlichen  Dingen"  verschieden  seien,  und  bei  denjenigen, 
welche  nicht  geradezu  im    sicheren    römischen    Hafen    nach 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.  I.  1.  1Q 


146  Furcht  vor  Rekatholisirung. 

stürmischer  Lebensfahrt  ankerten,  bracli  der  Gedanke  einer 
höheren  Einheit  sich  Bahn.  Aber  sie  waren  noch  nicht  im 
Stande,  sich  jene  höhere,  humane  Einheit  als  möglich  zu 
denken  ohne  die  Einheit  äusserer  Zeichen,  der  sie  mit  Be- 
wusstsein  zustrebten.  Indem  sie  sich  von  der  Unduldsamkeit 
der  bisherigen  Ueberlieferung  freizumachen  suchten,  Hessen 
sie  sich  selbst  zu  den  grausamsten  Zwangs-Massregeln  fort- 
reissen,  um  jede  Abweichung  von  ihren  Geboten  zu  unter- 
drücken. Indem  sie  zwischen  der  Unfehlbarkeit  von  Rom  und 
der  Unfehlbarkeit  von  Genf  einen  Mittelweg  zu  finden  strebten, 
erklärten  sie  das  System  ihrer  eigenen  Erfindung  für  unfehl- 
bar, das  weder  katholisch  war,  weil  es  die  Spitze  des  Pabst- 
thums  verschmähte,  noch  reformirt,  weil  es  unentbehrliche 
Grundpfeiler  der  Reformation  umzureissen  drohte.  . 

Es  sind  nur  zu  oft  die  irrigen  Ideen,  welche  die  treiben- 
den Kräfte  der  Geschichte  bilden.  Die  Masse  des  englischen 
Volkes  war  im  Irrthume,  wenn  sie  Land  für  einen  verkappten 
Papisten  und  den  König  für  geneigt  hielt  als  reuiges  Glied 
in  den  Schoss  der  alleinseligmachenden  Kirche  zurückzukehren. 
Aber  dieser  Irrthum  bestimmte  mehr  als  alles  sonst  die  Ge- 
schicke der  Nation,  und  es  gab  Anzeichen  genug,  die  ihn  als 
unwiderlegliche  Wahrheit  erscheinen  lassen  konnten.  Im  Dogma 
wurde  die  äusserste  Spitze,  zu  der  die  Reformation  im  Kampf 
gegen  Rom  sich  geschärft  hatte,  gewaltsam  abgebrochen.  Im 
Ritus  wurde  die  engste  Annäherung  an  das  katholische  Muster 
erzwungen.  In  der  Verfassung  der  Kirche  trat  das  priester- 
liche Element  mit  unerhörten  Ansprüchen  auf.  Verhandlungen 
zwischen  der  Kurie  und  den  Leitern  von  Staat  und  Kirche 
fanden  Statt,  und  dass  man  ihren  wahren  Charakter  nicht 
kannte,  gab  dem  Misstrauen  einer  reizbaren  Bevölkerung  den 
weitesten  Spielraum.  Einem  Agenten  der  katholischen  Königin 
in  Rom  entsprach  ein  Agent  des  Pabstes  am  Hofe.  Richard 
Smith,  Titular- Bischof  von  Chalcedon,  ü])te  in  Lancashire  in 
voller  Freiheit  und  mit  allem  äusseren  Pomp  aus  päbstlichem 
Auftrag  l)ischöfliche  Gerichtsbarkeit (^).  Die  ausländischen 
Jesuiten -Seminare  sandten  zahlreiche,  eifrige  Zöglinge  zu 
Zwecken  doi-   Propaganda  über  den  Kanal,  und  am  Sitze  der 


Lage  der  Katholiken.  147 

päbstlichen  Macht  widmete  man  dem  Seelenheil  der  Ketzer 
Ton  der  fernen  Insel  eine  besondere  Sorgfalt.  In  der  That 
vermehrten  sich  die  Uebertritte  znm  Katholicismiis  von  Jahr 
zu  Jahr.  Vornehme  Engländer,  die  den  heimischen  Boden 
als  überzeugte  Protestanten  verlassen  hatten,  kehrten  nach 
einem  Besuch  der  romanischen  Länder  mit  den  Gefühlen 
eines  INIortimer  zurück.  In  England  selbst  verstanden  nicht 
selten  die  zarten  Hände  hochgestellter  Damen  das  Netz 
der  Bekehrung  auszuwerfen.  Die  Weston,  Windebank,  Cot- 
tiugton,  Porter  und  vor-  allen  Sir  Kenelm  Digby  und  Sir 
Toby  Matthews  waren  entweder  offene  oder  heimliche  An- 
hänger und  Förderer  des  Katholicismus ,  und  wenn  nicht 
alle,  die  dieser  Genossenschaft  angehörten,  die  wichtigsten 
Staats-Aemter  inne  hatten,  so  wurde  durch  sie  doch  bei  Hofe 
der  mächtigste  Einfluss  ausgeübt. 

Nichts  konnte  der  Sache  der  Gewissensfreiheit  gefährlicher 
sein  als  der  finstre  Argwohn,  den  ein  Ueberblick  aller  dieser 
Erscheinungen  in  den  Herzen  der  Puritaner  erregte.  Eng- 
land hatte  in  den  Zeiten,  da  politische  und  religiöse  Gegen- 
sätze sich  zu  decken  schienen,  eine  unsühnbare  Schuld  gegen 
diejenigen  seiner  Söhne  auf  sich  genommen,  deren  einziges 
Verbrechen  darin  bestand,  der  alten  Kirche  treu  zu  bleiben. 
Flammten  auch  keine  Scheiterhaufen  mehr  auf,  so  bestand 
das  System  der  schweren  Geldstrafen  für  die  Rekusanten  und 
der  Verfolgung  katholischer  Priester  gesetzlich  noch  fort. 
Seit  den  geheimen  Versprechungen,  die  Karl  I.  in  seinem 
Ehe- Vertrage  zu  Gunsten  der  englischen  Katholiken  gemacht 
hatte,  waren  diese  Gesetze,  je  nach  der  politischen  Lage  und 
dem  financiellen  Bedürfnis,  milder  oder  strenger  ausgeführt 
worden,  und  die  letzte  Rücksicht  scheint  in  der  Zeit  des 
parlamentarischen  Interregnums  niemals  ihren  Werth  ver- 
loren zu  haben.  Aber  alles  in  allem  hatte  sich  doch  die 
Lage  der  katholischen  Unterthanen  ausserordentlich  gebessert. 
An  manchen  Orten  konnten  sie  ungestört  Gottesdienst  halten, 
ihre  Priester  wurden  nicht  mehr  verfolgt,  die  Geldstrafen 
häufig  gemindert  oder  erlassen.  Sie  versicherten  niemals 
bessere  Zeiten  gesehen  zu  haben,    obgleich   das   Dasein   der 


148      Lage  der  Katholiken.  —  Kirchliche  Visitation  u.  Jurisdiktion. 

alten  Gesetze  ihnen  noch  immer  gerechten  Grnnd  zu  schweren 
Besorgnissen  gab.  Aber  auch  dies  Mal  war  ihr  Unglück, 
dass  ihre  gute  Sache  in  der  engsten  Verknüpfung  mit  anderen 
Interessen  erschien,  w^elehe  die  schlechtesten  Bundesgenossen 
im  Kampfe-  um  die  Glaubens-  und  Kultus-Freiheit  sein  mussten. 
Als  der  spanische  Gesandte  Gondomar  unter  Jakob  I.  die 
unterdrückten  Rechte  seiner  Glaubens-Genossen  vertrat,  hatten 
sie  einen  Beschützer  gewonnen,  der  den  Zwiespalt  des  Königs 
und  des  Parlamentes  das  „grösste  Glück"  nannte,  das  sich 
seit  dem  Auftreten  des  Ketzers  Luther  ereignet  habe,  der  den 
Staatslenkern  an  der  Themse  den  Plan  einer  Theilung  der 
Niederlande  unterbreitete,  und  dessen  verstecktes  Ziel  die 
Rekatholisirung  von  England  bildete.  Als  unter  dem  Kirchen- 
regimente  Laud's  eine  gewisse  Erleichterung  eintrat,  war  sie 
demselben  Manne  zu  verdanken,  der  die  Lehre  vom  leiden- 
den Gehorsam  der  Unterthanen  verkündigte,  der  verdächtige 
Neuerungen  auf  dem  Gebiet  des  religiösen  Lebens  einführte, 
und  dessen  Duldsamkeit  auf  der  einen  Seite  im  bedenklich- 
sten Gegensatz  zu  seiner  Unduldsamkeit  auf  der  anderen 
erschien. 

In  der  That  sahen  sich  die  Anhänger  des  Puritanismus 
in  der  Geistlichkeit;  immer  schwereren  Bedrückungen  aus- 
gesetzt, und  die  Laienscliaft,  die  ihre  Gesinnungen  theilte, 
immer  heftiger  durch  das  lierrschende  System  verletzt.  Die 
Bischöfe  der  beiden  Kirchen-Provinzen,  in  die  das  Land  zer- 
fiel, hatten  durch  Visitationen  die  strengste  Aufsicht  über  den 
kirchlichen  Zustand  ihrer  Diöcesen  zu  üben  und  auf  strikte 
Einhaltung  der  vorgescliriebenen  Formen  zu  achten.  Zum 
grössten  Theile  Anhänger  der  Laud'schen  Richtung,  giengen 
sie  meistens  mit  dienstbeflissenem  Eifer  an's  Werk.  Ihr  in- 
(|uisitorisches  Verfahren  erstreckte  sich  auch  auf  Glieder  des 
Laionstandes.  Die  Kirchen  Vorsteher  der  einzelnen  Kirch- 
spiele wurden  eidlich  verpflichtet,  sich  an  die  Frage-Bogen 
zu  halten,  in  denen  die  Visitations-Artikel  verzeichnet  waren, 
und  unter  den  897  Fragen,  dei-en  Beantwortung  Bischof  Wren 
von  Norwich  forderte,  war  noch  nicht  die  geringste,  ob  die 
Pfarrl\iii(h;r   heim  Komimin  und  Gehen  sich    gegen    den  Chor 


Hohe  Kommission.  149 

hin  verneigten,  und  ob  die  Gräber  in  der  Richtung  von  Ost 
nach  West  gegraben,  und  die  Leichen  mit  dem  Kopf  nach 
Westen  gelegt  seien  (').  Viele  der  Kirchenvorsteher  weigerten 
sich,  den  verlangten  Eid  zu  leisten,  und  fortan  wurde  nicht 
nur  diese  Weigerung,  sondern  auch  der  Versuch,  sie  in  Wort 
oder  Schrift  zu  rechtfertigen,  ein  neuer  Gegenstand  der 
,  Strafe. 

Die  bischöfliche  Jurisdiktion  trat  der  Visitation  ergänzend 
zur  Seite.  In  jener  Diöcese  von  Norwich  sollen  im  Zeitraum 
von  zwei  Jahren  und  vier  Monaten  fünfzig  Geistliche  abgesetzt 
oder  mit  schweren  Strafen  belegt  worden  sein.  Die  Laien- 
schaft sah  sich  in  unzähligen  Fällen,  von  Erbschafts-  und 
Ehe-Processen  bis  zu  Streitigkeiten  über  Kirchenstühle  und 
Stol-Gebühren  den  Erpressungen  der  geistlichen  Gerichtsbar- 
keit Preis  gegeben,  und  die  kirchliche  Strafgewalt  dehnte  sich 
in  demselben  Masse  aus,  in  dem  es  praktisch  erschien,  die 
Pönitenzen  in  Geldbussen  umzuwandeln.  Auf  anderen  Ge- 
bieten konnte  Land  selbst  eingreifen,  wie  er  denn  seit  1630 
Kanzler  von  Oxford  war  und  einige  Jahre  später  das  Recht 
erlangte,  als  Metropolitan  die  beiden  Universitäten  zu  visi- 
tiren.  (2)  Aber  der  Haupthebel  seiner  Macht  wurde  jener 
hohe  Kommissionshof,  der  einst  unter  Elisabeth  seine  defi- 
nitive Gestalt  erhalten  hatte,  und  bei  dessen  Verfolgung  von 
„Ketzereien,  aufrührerischen  Büchern,  Ungehorsam,  Verschwö- 
rungen, falschen  Gerüchten,  verläumderischen  Worten  gegen 
Supremats-  und  Uniformitäts  -  Akte  etc."  die  grausamen 
Formen  des  reinen  luquisitions-Processes  zur  Anwendung 
kamen (3).  Es  waren  zum  Theil  dieselben  Männer,  welche 
hier  und  in  der  Sternkammer  sassen,  und  beide  Tribunale 
griffen  durch  ihre  Thätigkeit  ergänzend  ineinander  ein. 
Der  alte  Kampf  zwischen  Juristen  und  Klerus  über  die 
Kompetenz  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit  schien  auf  allen 
Stufen  ganz  und  gar  zu  Gunsten  des  letzteren  entschieden  zu 
sein.  Wie  das  Schwert  der  Staatsgewalt  nicht  säumig  war, 
auszuführen,  was  der  Mund  des  geistlichen  Richters  ge- 
sprochen hatte,  so  suchten  die  geistlichen  Tribunale  den 
Kreis  ihrer  Befusnisse  rücksichtslos  zu  erweitern. 


150  Process  Leighton. 

Von  eleu  Fällen  barbarischer  Straf-Justiz  aus  den  ersten 
Jahren  der  Laud'schen  F.poche  machte  derjenige  Alexander 
Leighton's  ein  ausserordentliches  Aufsehen.  Leighton  war  ein 
Schotte  von  Geburt,  trat  in  seiner  Heimat  in  den  geistlichen 
Stand,  hatte  aber  ausserdem  in  Leyden  den  medicinischen 
Doktorgrad  erworben.  Nach  London  verschlagen,  scheint  er 
sowohl  eine  kleine  religiöse  Privat- Gemeinde  um  sich  ver- 
sammelt, wie  auch  ärztliche  Praxis  ausgeübt  zu  haben,  aber 
das  eine  wie  das  andere  suchte  man  ihm  unmöglich  zu 
machen.  Im  Jahre  1628  wurde  er  zum  Fürsprech  einer  An- 
zahl von  Männern,  die  ihn  „wegen  der  besten  A  rt  dem  Parlament 
ihre  Beschwerden  vorzulegen"  um  Rath  gefragt  hatten.  Er 
erfüllte  sie  mit  der  Ueberzeugung,  dass  nur  eine  Abschaffung 
des  ganzen  bischöflichen  Systems  das  Heil  bringen  könne, 
gewann  sich,  wie  er  lange  nachher  rühmte,  für  eine  darauf 
gerichtete  Petition  ein  Paar  hundert  Unterschriften  und  be- 
sorgte in  den  Niederlanden  den  Druck  jener  Schrift,  welche 
seine  Ansichten  näher  darlegte  und  ihn  zum  Märtyrer  machte. 
In  diesem  „Appell  an  das  Parlament  oder  Sion's  Klage  gegen 
Prälatenthum"  waren  die  leidenschaftlichsten  Angritfe  gegen 
die  Bischöfe  und  den  bischöflichen  Stand,  Schmähungen  der 
Königin,  „der  Tochter  Heth's",  Freudenbezeugungen  wegen 
Buckingham's  Ermordung  aneinandergereiht.  Ein  erstes 
Zeichen  des  wieder  erwachenden  Presbyterianismus,  der  seit 
Jahren  in  England  geschlummert  hatte,  zog  das  Libell  des 
fanatischen  Schotten  die  Aufmerksamkeit  der  herrschenden 
Gewalten  besonders  auf  sich.  Als  der  Autor  im  Juli  1629 
nach  England  zurückkehrte,  war  das  parlamentarische  Inter- 
regnum angebrochen.  Am  17.  Februar  1630  wurde  er  auf 
einen  von  Laud  unterzeichneten  Haftbefehl  des  holien  Kom- 
missionshofes hin  ei-griffen  und  fünfzehn  Wochen  lang  in  einer 
ungesunden  Zelle  gefangen  gehalten.  Am  4.  Juni  fand  die 
Verhandlung  vor  der  Stei-nkammer  Statt.  Dass  der  Ange- 
klagte die  ganze  Urheberschaft  des  Pamphletes  auf  sich  allein 
nahm  und  sich  weigerte,  irgend  einen  der  Anstifter  und  Mit- 
wisser zu  nennen,  hat  der  einstimmig  gefällten  Sentenz  jenen 
abschreckenden  Charakter  barbarischer  Härte  gegeben.     Das 


Verfolgung  der  Puritauer.  151 

Urtheil  lautete  auf  lebenslängliches  Gefängnis,  Zahlung  einer 
Strafsumme  von  10,000  Pf.  St.,  Degradirang,  Auspeitschen  am 
Pranger,  öffentliche  Brandmarkung  des  Gesichtes,  Aufschlitzen 
der  Nase,  Abschneiden  der  Ohren,  und  dies,  um  die  Quälerei 
zu  verstärken,  zu  verschiedenen  Terminen.  Nachdem  der 
Spruch  verkündet  worden  war,  entblösste  Laud  sein  Haupt, 
um  Gott  mit  erhobenen  Händen  für  diesen  Sieg  zu  danken. 
Den  Abend  vor  dem  5.  November,  welcher  für  den  Beginn 
der  Marterung  bestimmt  war,  gelang  es  Leighton  mit  Hülfe 
von  Freunden  in  einer  Verkleidung  zu  entfliehen.  Vierzehn 
Tage  darauf  wurde  er  wieder  gefasst,  und  man  zögerte  nicht, 
mit  peinlicher  Genauigkeit  dem  Richterspruch  gemäss  zu  ver- 
fahren. Als  ihm  das  lange  Parlament  nach  zehn  Jahren  die 
Freiheit  wiedergab,  konnte  er  kaum  gehen,  sehen  und  hören{^). 
Es  dauerte  geraume  Zeit,  bis  dieses  Beispiel  von  Brutali- 
tät erneut  wurde,  aber  wenn  hier  die  Art  der  Strafe  den 
tiefsten  Eindruck  hervorgebracht  hatte,  so  trug  die  Masse  der 
Heimsuchungen  nonkonformistischer  Kleriker,  welche  von 
Jahr  zu  Jahr  stärker  anschwoll,  die  Wirkung  der  bischöflichen 
Kirchen -Politik  gleichfalls  in  die  weitesten  Kreise.  Man 
hätte  eine  gewaltige  Namensliste  anzufertigen,  um  alle  Opfer 
der  geistlich -weltlichen  Verfolgung  aufzuzählen.  Der  eine 
hatte  gesündigt,  weil  er  über  die  ,,fünf  Punkte",  der  andere, 
weil  er  gegen  die  Bilder  gepredigt  hatte,  dieser,  weil  er  sich 
geweigert,  bei  Nennung  des  Namens  Jesus  das  Knie  zu 
beugen,  jener,  weil  er  einer  Verlesung  des  „book  of  sports" 
ausgewichen  war.  Glücklich,  wer  mit  Geldstrafe  oder  zeit- 
weiliger Enthebung  vom  Amte  davon  kam.  Wie  viele  wur- 
den ihrer  Pfründen  gänzlich  beraubt,  für  Monate  in's  Ge- 
fängnis geworfen  und  mit  ihren  Familien  dem  Elend  Preis 
gegeben.  Auf  diese  Weise  wurde  alles  gethan ,  um  „  die 
Kirche  mit  Glauben  und  Milde  zu  einer  heiligen  Einheit  zu- 
sammenzuschmieden'" (^)  und  jeden  puritanischen  Auswuchs 
abzuschneiden.  Es  gab  eine  Klasse  von  Geistlichen,  durch 
welche  der  Puritanismus  hoffen  mochte,  seine  Ideale  zu  retten. 
Das  Institut  der  Eecturers,  denen  nach  Unterschreibung  des 
Supremats,  des  Common-prayer-l)Ook  und  der  39  Artikel  von 


152  Lecturers. 

den  geistlichen  Behörden  Licenz  ertlieilt  wurde,  war  zur  Zeit 
Elisabeth's  emporgekommen  und  hatte  manchem,  der  durch 
üebernahme  einer  ständigen  Seelsorge  leicht  mit  seinem  Ge- 
wissen in  Konflikt  kommen  konnte,  die  Möglichkeit  zur  Aus- 
übung des  geistlichen  Berufes  gegeben.  Die  feurige,  zwang- 
lose Predigt  weise  der  Lecturers  fand  unter  einer  puritanisch 
gesinnten  Bevölkerung  grossen  Anklang.  Sie  zogen  im  Lande 
unüier,  predigten  in  den  Städten,  namentlich  an  den  Markt- 
tagen und  Sonntagnachmittagen,  und  bildeten  im  Dienst  ein- 
zelner Familien  oder  Korporationen  gefährliche  Nebenbuhler 
für  die  bepfründete  Pfarr  -  Geistlichkeit.  Im  Jahre  1626 
hatten  sich  zwölf  Puritaner,  Geistliche,  Juristen  und  reiche 
Kaufleute ,  zu  einer  Compagnie  vereinigt ,  deren  Zweck 
war,  impropriirte  Pfründen (')  aufzukaufen,  damit  man  über 
eine  Anzahl  von  Stellen  verfügen  und  einen  Theil  der  Ein- 
künfte zur  Besoldung  von  Lecturers,  als  Reiseprediger,  auf- 
wenden könne.  Aber  Laud's  scharfes  Auge  hatte  die  drohende 
Gefahr  nicht  übersehen.  Den  Aufkauf  von  Impropriationen 
zu  verhindern,  war  einer  der  Voi-sätze,  den  er  in  sein  Tage- 
liuch  niederschrieb.  Auch  wurde  jene  Gesellschaft  1632  auf- 
gelöst, und  das  von  ihr  angesammelte  -Kapital  konfiscirt.  Und 
schon  Ende  1629  waren  die  schärfsten  Instruktionen  zur  Be- 
aufsichtigung der  Lecturers  ergangen,  „dieser  Kreaturen  des 
Volkes,  —  wie  sie  in  dem  ursprünglichen  Entwurf  genannt 
werden,  — die  die  Blasebälge  seiner  Empörung  auf  blasen"  (2). 
In  der  That  wurde  eine  systematische  Verfolgung  der  Lec- 
turers mit  den  bekannten  Mitteln  eingeleitet  und  siegreich 
durchgeführt. 

Auf  allen  Seiten  angegriffen,  in  ihren  Pfarreien,  während 
ilirur  Wanderung  durch  das  Land,  bis  in's  Innere  des 
Familien-Lebens  von  dem  wachsamen  Auge  der  geistliehen 
Oberen  verfolgt,  in  Burgen  und  Schlössern  vornehmer  Ge- 
sinnungs-Genossen, in  den  gastlichen  Häusern  wohlhabender 
Bürger  vor  dem  Spälierblick  dei-  Häscher  nicht  sicher,  in 
beständigol-  Gefahi-,  ihres  Gutes,  ihrer  Freiheit  beraubt,  wo 
niclit  gar  srlimählich  verstümmelt  zu  werden,  sahen  viele  der 
l)uritanischen    Prediger  kein   anderes  Mittel  zur  Kettuug  vor 


Auswanderung.  153 

Aufieu,  als  ihr  Vaterland  zu  verlassen  und  Stätten  aufzu- 
suchen, wo  sie  von  hoher  Kommission  und  Sterakammer  nicht 
erreicht  werden  könnten.  In  mehr  als  einer  der  norddeut- 
schen und  niederländischen  Städte  waren  seit  langer  Zeit 
englische  Kaufmanns-Gesellschaften  ansässig,  denen  eigene 
Kapläne  dienten.  Vor  allem  war  es  Holland,  das  ein  Asyl 
für  die  Vertriebenen  wurde,  an  zahlreichen  Orten  die  Bildung 
englisch -schottischer  Gemeinden  nach  calvinistischem  Muster 
duldete  und  selbst  independentischen  Kongregationen  Schutz 
gewährte.  Und  schon  wal-en  jenseits  des  Oceans  jene  kolo- 
nialen Gründungen  begonnen  worden,  denen  die  politische 
und  kirchliche  Gewaltherrschaft  der  Heimat  immer  neue 
Kräfte  zuführte. 

Jahr  für  Jahr  sammelten  sich  die  Schaaren  der  Aus- 
wanderer in  den  englischen  Hafenstädten,  und  die  Regierung 
sah  sich  bald  veranlasst,  scharfe  Massregeln  gegen  den  freien 
Abzug  von  Nonkonformisten  zu  trefteu,  so  sehr  es  in  ihrem 
Interesse  gelegen  hätte,  den  Gährungsstoff  aus  dem  Lande 
selbst  zu  entfernen.  Aber  sogar  jene  förnen  Gebiete  suchte 
Laud  seinem  Willen  zu  unterwerfen.  Es  wurde  1634  dem 
geheimen  Rathe  eine  Vorlage  unterbreitet,  nach  der  nur 
solche  Geistliche  bei  den  englischen  Regimentern  und  Kauf- 
manus-Gesellschaften  im  Auslande  zugelassen  werden  sollten, 
die  sich  in  allen  Dingen  der  Staatskirche  konformirt  hätten. 
Auch  sollte  jeder  Geistliche  zur  Verantwortung  gezogen  wer- 
den, der  als  englischer  Unterthan,  wenn  schon  in  irgend 
einem  Lande  jenseits  des  Meeres,  durch  Wort  oder  Schrift 
die  Staatskirche  angriffe.  Im  Sinne  dieser  Vorschläge 
richtete  Laud  selbst  einen  warnenden  Brief  an  die  Kaufleute 
von  Delft(i).  Bemühungen  der  Art  blieben  Dank  der  weiten 
Entfernung  und  der  Toleranz  der  Niederländer  erfolglos. 
Um  so  unnachsichtiger  verfuhr  Laud  in  seinem  eigenen 
Machtgebiet  gegen  die  Gemeinden  holländischer  und  wallo- 
nischer Kaufleute  und  Handwerker,  die  seit  langer  Zeit  in 
England  angesessen,  ihren  eigenen  Kultus  ausübten  und  sich 
hiefür  auf  frühere  Freibriefe  beriefen.  Die  scharfen  Verord- 
nungen, nach  denen   die  in  England  geborenen  Kinder  der 


154  Die  Kirche  in  Schottland. 

Fremden  sich  der  anglikanisclien  Kirclie  konformiren  sollten, 
hatten  zur  Folge,  dass  zahlreiche  dieser  gewerl)thätigen,  wohl- 
habenden Familien  das  Land  verliessen.  Man  rechnet,  dass 
allein  aus  der  Diöcese  Norwich  an  dreitausend  Wollen-  und 
Tucharbeiter  auswanderten  ( ^).  Vollends  die  zerstreuten 
kleinen  Konventikel  von  Separatisten,  die  sich  aus  der  grossen 
puritanischen  Masse  noch  aussonderten,  mochten  sie  als 
Brownisten,  Anabaptisten,  Fanatiker  oder  wie  sonst  gebrand- 
markt werden,  hatten  auf  keine  Gnade  zu  rechnen.  Sie  ge- 
hörten fast  durchgängig  den  niederen  Ständen  an  und  ver- 
sammelten sich  in  ärmlichen  Schlupfwinkeln  der  Vorstädte  von 
London  und  in  einigen  anderen  Orten  des  Landes,  woselbst 
sie  die  im  Dienst  der  Kirche  arbeitende  Polizei  unschwer 
aufzuspüren  im  Stande  war(^). 

Es  war  eine  nothwendige  Ergänzung  der  Bestrebungen 
Laud"s,  dass  er  sein  Ideal  kirchlicher  Konformität  auch  in 
Schottland  und  Irland  zu  verwirklichen  suchte.  Schon  war 
es  unter  Jakob  gelungen,  im  Kampfe  mit  dem  Presbyteria- 
nismus  seines  Erbreiches  dort  eine  Organisation  herzustellen, 
die  mehr  als  den  blossen  Titel  von  Erzbischöfen  und  Bischöfen 
zurückführte,  und  durch  Aufdrängung  der  fünf  Artikel  von 
Perth  im  Rituellen  wenigstens  auf  dem  Papier  ein  Stück  des 
strengen  Calvinismus  verschwinden  zu  lassen.  Aber  die 
mangelhafte  Durchführung  dieser  Artikel  zeigte  deutlicher  als 
alles  sonst,  welche  Widerstandskraft  dem  schottischen  Pres- 
byterianismus  innewohnte.  Sobald  Land  zu  Ansehen  ge- 
kommen war,  machte  er  seinen  Einfluss  geltend,  um  diesen 
Widerstand  zu  brechen.  Bei  Gelegenheit  des  Krönungs- 
besuches Karls,  in  dessen  Begleitung  auch  Laud  erschien, 
im  Sommer  1633,  musste  man  in  E(linl)urg  die  Formen  des 
anglikanischen  Rituals  bemerken.  Das  bischöfliche  Element, 
wie  es  in  l)evorzugter  Stellung  dem  Pai'lament  eingefügt 
worden  war,  fand  auch  im  geheimen  Rath  von  Schottland  eine 
starke  Vertretung.  Ein  neues  Bisthum  von  Edinburg  wurde 
gescliaffcn.  Fin  liöchster  geistliclier  Gerichtshof  war  in  Thätig- 
keit,  dessen  Cluirakter  dem  der  hohen  Kommission  für  Eng- 
land augenähei-t  war.    Die  kirchlichen  General- Versammlungen 


Die  Kirche  in  Irland.  155 

kamen  in  Abgang,  der  Adel  hatte  für  seinen  Einfluss,  für  den 
Besitz  der  in  seine  Hand  gefallenen  Kirchengliter  zu  fürchten, 
die  Geistlichkeit  für  die  Freiheit  des  Wortes  und  die  Unab- 
hängigkeit ihrer  Stellung,  und  die  ganze  Masse  des  Volkes 
für  die  alten  Gebräuche,  die  sie  bereit  war,  mit  ihrem  Leben 
zu  vertheidigen. 

In  Irland  bestand  eine  bischöfliche  Kirche,  deren  äussere 
Organisation  sich  stattlich  genug  ausnahm.  Aber  nicht  nur, 
dass  die  überwältigende  Masse  der  Bevölkerung,  von  natio- 
nalem und  religiösem  Hass  durchglüht,  mit  grimmigen  Blicken 
das  aufgedrungene  Geschöpf  räuberischer  Eroberung  betrach- 
tete, diese  Kirche  selbst,  die  kaum  über  200,000  Bekenner 
gebot,  entsprach  sehr  wenig  den  Laud'schen  Idealen.  Ihre 
materielle  Lage  war  die  elendeste,  da  die  Laien  bei  der  Sä- 
kularisation den  Löwen- Antheil  für  sich  genommen  hatten,  ihre 
Aufgabe  des  Unterrichts  und  der  Seelsorge  war  äusserst  ver- 
nachlässigt, ihre  Jurisdiktion  gegenüber  der  mächtigen,  katho- 
lischen ^'olkskirche  wenig  mehr  als  ein  blosses  Wort,  und 
beim  Ausbau  ihrer  Verfassung,  ihres  Kultus  und  ihres  Dogmas 
hatte  sie  Eigenthümlichkeiten  angenommen,  die  sie  sehr  be- 
deutend von  der  bischöflichen  Kirche  Englands  unterschie- 
den. Der  Einwirkung  hinübergewanderter  presbyterianischer 
Schotten  und  englischer  Puritaner  war  es  zu  danken,  dass 
die  Bischöfe  auf  manchen  ihrer  Ansprüche  verzichteten,  und 
dass  die  Artikel  vom  Jahre  1616  bei  weitem  freier  von  An- 
klängen an  das  Alte  waren  als  die  39  Artikel  der  Kirche 
von  England.  Auch  hier  beschloss  Land  einzuschreiten. 
Männer  aus  seiner  Schule,  Anhänger  der  hochkirchlichen 
und  arminianischen  Grundsätze  erhielten  gegenüber  starren 
Calvinisten  bei  Vergabung  der  Kirchen-Aemter  den  Vorrang. 
Der  Plan  einer  würdigeren  Ausstattung  der  dortigen  Kirche 
wurde  gefasst.  Vor  allem  der  Gedanke,  die  irischen  Artikel 
von  1616  abzuschaffen  und  durch  die  39  Artikel  zu  ersetzen, 
gieng  seiner  Verwirklichung  entgegen. 

Man  sieht,  zu  wie  umfassender  Bedeutung  die  Bestre- 
bungen Laud's  und  seiner  Genossen  sich  steigerten.  Ob  er 
selbst  daran  gedacht  hat,    das  Erzbisthum   von   Canterbury 


156  Der  Hof. 

ZU  einem  Patriarchat  der  britannischen  Inseln  zu  erweitern, 
bleibt  ungewiss,  unzweifelhaft  bemühte  er  sich,  die  kirchliche 
Einheit  wie  in  England  so  in  Schottland  und  Irland  nach 
Kräften  herzustellen.  Die  Idee  eines  grossbritannischen  Reiches 
wurde,  wie  bereits  unter  Jakob,  durch  die  Tendenzen  des 
Prälatenthums  befördert,  und  diesem  selbst  eben  deshalb  auch 
bei  der  äussersten  Steigerung  seiner  Ansprüche  die  thätige 
Beihülfe  der  Staatsmacht  gesichert.  Denn  wie  hoch  sich  auch 
immer  die  bischöfliche  Gewalt  erhob,  sie  blieb  nach  wie  vor  der 
königlichen  untergeordnet,  bereit,  das  absolutistische  Verfahren 
der  Monarchie  aus  Gehorsam  und  Interesse  zu  vertreten. 

Inmitten  der  ineinandergreifenden  Bestrebungen  von 
Kirche  und  Staat  stand  der  Hof.  So  locker  die  Sitten  und 
die  Sprache  der  Gesellschaft  auch  sein  mochten,  die  sich  hier 
versammelte,  so  bot  er  doch  nicht  mehr  das  grelle  Bild  der 
Zuchtlosigkeit,  wie  zur  Zeit  Jakob's,  in  welcher  der  franzö- 
sische Gesandte  Tillieres,  der  keinen  Grund  hatte,  den  Moral- 
Prediger  zu  spielen,  sich  scheute,  die  Dinge,  die  er  zu  sehen 
bekam,  in  wahrheitsgetreuen  Ausdrücken  wiederzugeben,  weil 
es  unmöglich  sei,  sie  vor  keuschen  Ohren  auszusprechen (^). 
Karl  I.  galt  für  ein  Muster  häuslicher  Moralität,  eine  vor- 
nehme, gemessene  Art  kennzeichnete  sein  Auftreten.  Aber 
man  hatte  schon  übergenug  Erfahrungen  darüber  sammeln 
können,  dass  ihm  für  das  Sittliche  im  höheren  Sinn  der 
Massstab  fehle,  und  dass  der  äusserliche  Anstand  nur  die 
Maske  eines  ungezügelten  Eigenwillens  sei.  Ein  tief  unwahrer 
Zug  beherrschte  sein  ganzes  Wesen,  und  je  weniger  starke 
Leidenschaften  und  ein  weitreichender  Verstand  ihm  zu  Hülfe 
kamen,  desto  mehr  gewöhnte  er  sich  daran,  in  absichtlichen 
Zweideutigkeiten  ein  erlaubtes  Mittel  zu  er])licken,  um  sich 
aus  einer  augenblicklichen  Verlegenheit  zu  befreien.  Ein 
Versprechen  galt  ihm  als  Nothbchclf  und  ein  Woi'tbruch  als 
erlaubte  Waffe.  Die  Königin  hatte  in  der  ersten  Zeit  der 
Ehe,  die  (hirch  so  manche  Streitigkeiten  verbittert  worden 
war,  keinen  ]jolitischen  EinHuss  ausgeübt.  Erst  mit  den 
Jahren  gelang  es  ihr  bestimmend  auf  die  Kathschlüsse  ihres 
Gemahls  einzuwirken,  der  ihr  in  aufrichtiger  Neigung  ergeben, 


Der  Hof.  157 

von  ihrer  geistvollen  Lebendigkeit  entzückt  war.  Vom  Vor- 
zug ihrer  Religion  wie  von  der  Höhe  des  Herrscheramtes 
gleich  innig  überzeugt,  musste  sie  für  alle  antipuritanischen 
Elemente  die  stärkste  Stütze  werden  und  in  diesem  Sinn  be- 
ständig auf  ihi-e  Umgebung,  auf  den  ganzen  Hof  zuräck- 
wirken.  Hier  liefen  alle  die  Fäden  zusammen,  an  welchen 
sich  das  Dasein  dieser  geistreichen,  vornehmen,  lebensfrohen 
Gesellschaft  bewegte.  Auf  diesem  glatten  Parket  begegneten 
sich  der  gewiegte  Staatsmann,  der  fremde  Diplomat,  die  ver- 
führerische Schöne,  der  leichtfertige  Kavalier  und  der  um- 
schauende Sendling  der  Kurie.  Bauschende  Feste,  glänzende 
Maskenzüge,  alle  Künste,  zu  vereinter  Anstrengung  aufgefor- 
dert und  von  einem  feingebildeten  Publikum  gewürdigt, 
schmückten  das  Leben.  Meisterwerke  des  Alterthums,  aus 
weiter  Ferne  herbeigebracht,  Perlen  der  italienischen  Malerei, 
durch  glückliche  Ankäufe  erworben,  entzückten  das  Auge. 
Inigo  Jones  verwandte  seine  reiche  Phantasie  im  Dienste  dieser 
Kreise.  Van  Dyck  fand  Vorwürfe,  die  es  verdienten,  von 
seiner  Hand  auf  die  Leinwand  gezaubert  zu  werden.  Rubens 
erschien  in  doppelter  Eigenschaft  als  Künstler  und  als  poli- 
tischer Agent.  Ben  Jonson  spendete  dieser  bunten  Welt  seine 
schmeichlerischen  Verse.  —  Die  absolutistischen  Massnahmen 
der  Regierung,  die  katholisirenden,  künstlerischen  Bestrebun- 
gen der  Kirche,  die  freie,  höfische  Bildung  mit  ihrem  Sinn  für 
das  Schöne:  Das  alles,  sich  gegenseitig  verstärkend,  verschmolz 
zu  einem  imponirenden  Ganzen. 

Aber  nicht  minder  schlössen  sich  die  entgegengesetzten 
Kräfte,  die  in  der  Nation  wirksam  waren,  fest  aneinander. 
Viele  Mitglieder  des  hohen  Adels  hielten  sich  vom  Hofe  fern. 
Ein  Theil  der  landsässigen  Gentry,  die  grosse  Masse  der 
städtischen  und  ländlichen  Bevölkerung  blickte  mit  ganz  an- 
deren Gedanken  in  die  Zukunft,  als  die  der  herrschenden 
Kreise  waren.  Es  galt  gerüstet  zu  sein  für  die  Tage  des 
Kampfes,  mit  Zähigkeit  auszuhalten  in  den  Tagen  der  Ver- 
suchung, Aber  wer  es  mit  den  feindlichen  Mächten  auf- 
nehmen wollte,  musste  sich  selbst  erst  überwinden.  Frei  von 
der  modischen  Frivolität  in  Sprache  und  Gebahren,  ernst  und 


158       Die  puritanische  Partei.  —  Aufgeben  der  geistl,  Laufbahn. 

gemessen  auch  in  den  Stunden  der  Müsse,  gestärkt  durch 
das  mahnende  Wort  der  Bibel,  bildete  sich  das  tapfere  Ge- 
schlecht, dessen  Härten  und  Schroffheiten  mit  seiner  Energie 
und  Sell)st-Zucht  untrennbar  verknüpft  waren.  Die  sittliche 
Strenge  des  starren  Calvinismus,  die  argwöhnische  Furcht 
vor  gewaltsamer  Religions-Aenderung,  der  unbeugsame,  männ- 
liche Freiheitssinn  gegenüber  der  brutalen  Tyrannei  kirch- 
licher und  staatlicher  Gewalten:  Das  alles  verband  sich  zu 
der  einen,  geschlossenen  Macht  des  Puritanismus.  Wie  sieh  das 
gottentstammte  Königthum  mit  dem  Schimmer  religiöser 
Weihe  umgab,  so  war  die  Partei  der  kirchlichen  Reform  und 
der  politischen  Opposition  auf's  innigste  mit  einander  ver- 
wachsen. —  Es  gab  zwischen  beiden  Gegensätzen  keine  Ver- 
söhnung. Denn  über  allem  Getriebe  persönlicher  Feind- 
schaften ,  kirchlicher  Streitigkeiten ,  politischer  Kämpfe  er- 
schienen sie,  von  einem  höchsten  Gesichtspunkt  aus  be- 
trachtet, als  zwei  sich  befehdende  Weltanschauungen,  die  im 
Beariff  standen,  sich  den  Besitz  der  Nation  streitig  zu  machen. 


In  dem  Augenblick,  als  Milton  sich  über  seine  Zukunft 
zu  entscheiden  hatte,  waren  die  Verhältnisse  in  Kirche  und 
Staat  noch  nicht  in  dem  Masse  gespannt,  wie  wir  sie,  hie 
und  da  vorgreifend,  hier  skizzirt  haben.  Aber  die  Ziele,  denen 
das  kirchliche  und  staatliche  Regiment  zustrebte,  die  Mittel, 
die  es  zur  Erreichung  derselben  .verwandte,  lagen  schon  da- 
mals vor  aller  Augen.  Es  war  fast  ein  Akt  der  Nothwendig- 
keit,  dass  Milton  mit  jenen  Jugend-Träumen  einer  geistlichen 
Thätigkeit  vollkommen  brach.  So  stark  war  seine  theo- 
logische Ader  überhaupt  nicht,  dass  er  sich  hätte  angezogen 
fühlen  sollen  zum  Märtyrer,  zum  Opfer  der  Sternkammer 
oder  der  hohen  Kommission  zu  werden.  Und  zum  geschmei- 
digen Diener,  zum  Vertheidiger  der  geistlichen  und  politischen 
Gewalt  war  er  nicht  geboren.  „Als  ich  sah,  welche  Tyrannei 
in  die  Kirche  sich  eingedrängt  hatte,  dass  der,  welcher  in 
den  geistlichen  Stand  treten  wollte,  sich  durch  seine  Unter- 
schrift zum  Sklaven  zu  machen  und  einen  Eid  darauf  abzulegen 


Aufgeben  der  geistlichen  Laufbahn.  159 

habe,  der,  ohne  Dehnung  des  Gewissens,  ein  Meineid  sein 
oder  ihn  mit  seinem  Glauben  in  Widersprach  setzen  musste, 
da  zog  ich  ein  tadelloses  Schweigen  dem  heiligen  Amt  des 
Redens  vor,  das  nur  durch  Knechtschaft  und  Falschschwören 
erkauft  und  begonnen  werden  konnte"  (^). 

Was  Milton  bei  der  Hindeutung  auf  einen  geforderten  Eid 
im  Auge  hatte,  ist  nicht  ganz  klar.  Wir  wissen,  dass  er 
schon  zwei  Mal,  als  er  die  Würde  des  Baccalaureus  und  die 
des  Magister  zu  erlangen  im  Begriff  war,  eine  Eidesformel 
zu  unterschreiben  hatte  -  und  ohne  Anstand  unterschrieb 
In  der  That  enthielten  aber  die  Eide,  welche  den  angehen- 
den Geistlichen  abverlangt  wurden,  wesentlich  nichts  anderes, 
als  jene  Universitäts-Eide.  Freilich  mochte  man  die  Nöthi- 
giing  zur  Unterschrift  im  einen  Fall  als  eine  akademische 
Formalität,  im  andern  als  eine  mit  den  ernstesten  Folgen  ver- 
bundene Vei-pflichtung  betrachten.  Und  überhaupt  wollte 
Milton  das  sklavische  Verhältnis,  in  das  der  Geistliche  zu 
seinen  Oberen  zu  treten  hatte,  wohl  nur  so  drastisch  wie 
möglich  bezeichnen (2).  Genug,  er  leistete  für  immer  auf  die 
Kanzel  und  das  geistliche  Gewand  Verzicht.  Der  alte  Milton, 
wie  alle  Väter  besorgt,  den  Sohn  frühzeitig  in  einer  festen 
Lebensstellung  zu  sehen,  scheint  nun  eine  Zeit  lang  daran 
gedacht  zu  haben,  ihn  auf  die  juristische  Laufbahn  zu  ver- 
weisen. Es  existirt  ein  Exemplar  des  Buches  „Natura 
Brevium"  von  Fitz  Herbert,  einem  bedeutenden  Juristen  aus 
der  Zeit  Heinrichs  VnL(2),  in  der  Ausgabe  von  1584,  auf 
dessen  Titelblatt  Milton's  Name,  von  seiner  Hand  geschrieben, 
zu  lesen  ist  (Johes  Milton :  me  possidet).  Auf  einem  Vorsatz- 
blatt am  Anfang  steht  von  derselben  Hand:  Det  Christus 
studiis  vela  secunda  meis  (Christus  möge  meine  Studien  be- 
günstigen), und  auf  demselben  Blatt  etwas  tiefer  von  einer 
anderen  Hand:  Det  Christus  studiis  vela  secunda  tuis 
(Christus  möge  deine  Studien  begünstigen).  Ich  weiss  nicht, 
ob  dieser  zweite  Wunsch,  der  sich  doch  wohl  auf  den  Inhalt 
des  juristischen  Werkes  beziehen  soll  und  wie  eine  Antwort 
auf  den  ersten  klingt,  aus  der  Feder  des  alten  Milton  ge- 
flossen ist(^).     Man   mag    es   vermuthen,    wenn  man  einige 


1QQ  Aufgeben  der  geistlichen  Laufbahn. 

Verse  eines  lateinischen  Gedichtes  betrachtet,  welches  Milton 
wahrscheinlich  bald,  nachdem  er  die  Universität  verlassen  hatte, 
an  seinen  Vater  richtete  (s.  o.  S.  20).  Das  ganze  Gedicht 
athmet  die  höchste  Verehrung  für  den  Vater  und  soll  als 
kleines  Gegengeschenk  für  dessen  grosse  Gaben  dargebracht 
werden.  „Verachte  die  heiligen  Musen  nicht  und  halte  ihre 
Werke  nicht  für  eitel  und  fruchtlos",  ruft  er  dem  soliden  aufs 
Reale  Gerichteten  zu  und  erinnert  ihn  wie  im  Scherze  da- 
ran, dass  er  als  Musiker  selbst  halb  zu  dieser  Zunft  gehöre. 
„Warum  solltest  du  dich  also  wundern,  wenn  du  einen 
Dichter  zum  Sohne  hast.  .  .  .  Wenn  du  auch  die  zarten 
Kamoenen  zu  hassen  vorgiebst,  so  glaube  ich  doch  nicht  an 
diesen  Hass.  Denn  du  hast  mich  nicht  gezwungen,  mein 
Vater,  auf  der  breiten  Strasse  zu  gehen,  wo  der  Markt 
leichten  Gewinnes  sich  öffnet,  und  die  sichre,  glänzende  Hoff- 
nung Gold  aufzuhäufen  blinkt.  Du  drängst  mich  nicht 
zum  Studium  der  Gesetze  und  der  schlecht  bewachten 
Rechte  des  Volkes  und  verdammst  mich  nicht  zum  Anhören 
des  läppischen  Frocess- Gezänks.  Vielmehr  leitest  du  mich, 
beseelt  von  dem  Wunsche  meinen  Geist  durch  Bildung  zu 
bereichern,  fern  von  dem  Getöse  der  Stadt  zu  einsamer  Stelle 
und  lässt  mich  an  der  Seite  Apoll's,  als  seinen  glücklichen 
Jünger,  in  seliger  Müsse  die  aonischen Fluren  durchs- andern"(^). 
„Du  drängst  mich  nicht"  soll  doch  wohl  nichts  anderes  heissen 
als:  ,,Du  hast  zwar  gewünscht,  mich  in  Amt  und  Würden  zu  sehen, 
aber  meine  Abneigung  gegen  die  Juristerei,  (und  sie  tritt  noch 
mehrfach  in  Miltons  Schriften  hervor)  (2),  hat  den  Sieg  über 
deine  Wünsche  davon  getragen."  —  Mit  diesen  Plänen  war 
es  also  auch  nichts,  und  so  blieb  denn  das  übrig,  was  in  jenen 
Versen  mit  dem  Gefühl  innerer  Befriedigung  und  Seligkeit  im 
Stil  der  Renaissance  ausgesprochen  wird.  Milton  erwählte 
zunächst  gar  kein  Nährfach,  er  durfte  sich,  Dank  der  Gross- 
herzigkeit  seines  Vaters,  mit  den  Seinigen  wieder  vereinigt, 
in  ländlicher  Stille  den  Musen  widmen.  Wie  mächtig  hatte 
sich  in  den  vergangenen  Jahren  die  dichterische  Ader,  die 
schriftstellerische  Neigung  schcm  in  ihm  geregt!  Was  er  ge- 
schaffen,   war   iiiolir   als   ein   ärmliches   Häufchen    werthloser 


Aufgeben  der  geistlichen  Laufbahn.  161 

Jugend- Versuche.  Schon  fanden  seine  Lehrer  und  Freunde, 
dass  in  dem,  ,,was  er  in  Ausführung  von  Aufgaben  oder  nach 
eigener  Wahl  in  englischer  oder  einer  anderen  Sprache  her- 
vorgebracht hatte,  Prosa  oder  Poesie,  zumal  aber  in  der 
letzten,  der  Stil,  gewissen  lebendigen  Anzeichen  nach  zu 
schliessen,  nicht  untergehen  werde  "(^).  Die  folgenden  Jahre 
bildeten  den  Dichter. 

Bevor  wir  diese  Entwicklung  betrachten,  ist  es  unerläss- 
lich,  einen  Blick  auf  die  gleichzeitige  poetische  Literatur 
England's  zu  werfen.  Nur  so  wird  es  möglich  sein,  zu  beur- 
theilen,   welche  Stellung  Milton  damals  in  ihr  einnahm. 


Stern,  Milton  u.  s.  Z.  I.  1.  H 


Viertes  Kapitel. 

Blick  auf  die  gleichzeitige  poetische  Literatur 
Englands  ('). 


Zwei  und  ein  halbes  Jalirlmndert  war  beinahe  verflossen, 
seit  Geoffrey  Chaucer  die  schöpferische  Tliat  vollbracht  hatte, 
die  Elemente  des  angelsäclisischen  und  normannischen  Geistes 
zu  verschmelzen,  Formen,  die  sich  guten  Theils  ausländischen 
Vorbildern  ansclilossen,  mit  einem  durch  und  durch  volks- 
thümlichen  Gehalt  zu  füllen  und  der  Nation  in  einem  unver- 
gleichbaren Werke  freisclialtenden  Dichter-Genius  durch  den 
Zauber  der  Kunst  die  einheitliche  Sprache  zu  weihen,  in  der 
sich  fortan  iln-  geistiges  Leben  bewegte.  In  den  folgenden 
wilden  Jahrzehnten  innerer  und  äusserer  Käm])fe  wurde  die 
weitere  Entfaltung  der  poetischen  Blüthen  freilich  gewaltsam 
zurückgedrängt.  Erst  als  der  festgefügte  nationale  Staat  mit 
der  Tudor- Dynastie  sich  aus  den  Wirren  hervorgearbeitet 
hatte,  fand  die  englische  Muse  Zeit  sich  auf  sich  selbst  zu 
])esinnen.  Das  Wieder-Erwachen  der  Antike,  der  Aufschwung 
der  Wissenschaften,  die  Ausbreitung  überrascliender  Kennt- 
nisse durch  den  Druck:  Alles,  was  die  Grösse  der  Epoche 
des  Humanismus  ausmacht,  kam  auch  der  englischen  Bildung, 
der  englischen  Diclitung  zu  Statten.  Man  lernte  die  grossen 
^histei-  des  Alterthums  besser  verstehn  und  Hess  sicli  von  dem 
breiten  Sti-ome  jener  neuen  Anschauung  der  grossen  und  der 


Einleitung.  1(33 

kleinen  Welt  treiben,  dessen  Wellen  von  Italien  aus  Europa 
übei-flutheten. 

Nach  erfolgtem  Bruch  mit  Rom,  durch  die  Jahrzehnte 
langen  Kämpfe,  im  Inneren  unter  wechselnden  Tendenzen  der 
Monarchie  um  die  Gestaltung  einer  reformirten  Staatskirche, 
nach  aussen  gegen  den  Landesfeind  um  die  Erhaltung  der 
politischen  Selbstständigkeit,  durch  jene  grossartige  Anspan- 
nung aller  Volkskräfte,  im  Wettbetrieb  des  Kairfmanns  und 
des  Kriegers  zu  Wasser  und  zu  Lande,  war  ein  tiefer  Ernst 
des  Gedankens  und  ein  •  kühner  Schwung  der  Phantasie  zur 
Geltung  gekommen,  deren  vereinte  Gewalt  in  erhabenen  Wer- 
ken der  Poesie  unvergänglichen  Ausdruck  fand,  als  jene  viel- 
umstrittenen Güter  gesichert  waren.  Während  die  volksmässige 
Dichtung  in  Liedern  und  Balladen  fortlebte,  Lyrik  und  Epos 
von  kunstvollen  Händen  gepflegt  wurden,  war  aus  verschie- 
denen Wurzeln  das  Drama  erwachsen  und  hatte  sich  nach 
einer  wilden  Periode  von  Sturm  und  Drang  zu  jenen  reinen 
Gebilden  abgeklärt,  die  man  nicht  nöthig  hat  mit  Namen  zu 
bezeichnen. 

Unter  Elisabeths  ruhmvoller  Herrschaft  hatten  sich  alle 
jene  Elemente  der  höchsten  Entfaltung  nationaler  Poesie  strah- 
lend vereint  gefunden.  In  den  Jahren  Jakobs  I.  hatte  sie  sich 
noch  üppig  ausgebreitet  und  war  zum  Gemeingut  geworden. 
In  den  Zeiten  Karls  L  sahen  schon  die  Epigonen  mit  neidi- 
scher Bewunderung  auf  den  Glanz  der  Vergangenheit  zurück. 
Dennoch  prangte  auch  um  das  Jahr  1632,  als  Milton  den  Ent- 
schluss  gefasst  hatte,  sich  ganz  dem  Berufe  des  Schriftstellers 
zu  widmen,  der  englische  Dichterwald  noch  in  reicher  Fülle. 

Wie  ein  alter  verwitterter  Stamm,  die  Zweige  über  einen 
dichten  Nachwuchs  junger  Schösslinge  ausgebreitet,  ragte  Ben 
Jonson  in  das  Zeitalter  Karls  I.  hinein.  Ein  Leben  voll  von 
Kämpfen  und  Abenteuern  lag  hinter  ihm.  Das  überschwellende 
Kraftgefühl  jener  selbstständigen  Naturen  der  Renaissance-Zeit 
und  der  ganze  Reichthum  acht  englischen  Humors  und  acht 
englischer  Laune  waren  in  dem  Manne  verbunden,  der  in 
seinen  guten  Tagen  den  Degen  wie  die  Feder  gleich  wacker 
geführt,  mit  Feinden  und  Gläubigem,  dem  Publikum  und  den 

11* 


1(34  Das  Drama.  —  Ben  Jousoii. 

Genossen  seines  Berufes  sich  herumgeschlagen  hatte  und  nun, 
gekrönter  Hofdichter,  aber  elend  und  gichtisch,  „sein  Leib  wie 
ein  Berg,  sein  Gesicht  wie  ein  Fels",  die  Tage  hinschleppte. 
Vergangen  waren  die  Zeiten,  da  er  in  l)eriihmter  Taverne  beim 
Glase  Sekt  mit  Shakespeare  und  Raleigh,  Beaumont  und  Fletcher 
geistsprühende  Gespräche  ausgetauscht  hatte,  vergangen  die 
Zeiten  seines  höchsten  Ruhmes,  da  er  mit  souveräner  Meister- 
schaft das  bunte  ihn  umgebende  Leben  mit  allen  seinen  Thor- 
heiten  und  „humours"  abschilderte,  da  er  mit  einem  Aufwand 
von  prunkender  Gelehrsamkeit  und  rednerischem  Pathos  zu 
ersetzen  suchte,  was  ihm  an  höchster  dramatischer  Kraft  zu 
erreichen  versagt  war,  da  er  in  geistvollen  Maskenspielen  gro- 
teske und  liebliche  Gestalten  zu  einem  schillernden  Reihen 
verschlang,  der  sich,  wie  es  der  Zauberstab  des  Meisters  ge- 
bot, nach  den  Weisen  von  Scherz  und  Ernst,  Allegorie  und 
Satyre  vor  den  Augen  des  entzückten  Hofes  bewegte.  —  Aller- 
dings war  Ben  Jonson's  dichterische  Kraft  noch  nicht  erschöpft. 
Aber  Eigenschaften  seines  Genius,  die  ihn  schon  früher  um 
den  ersten  Lorbeer  gebracht  hatten,  traten  mit  dem  Alter  in 
unverminderter  Schärfe  hervor.  Er  hatte  eine  angeborene 
Neigung,  in  der  Zeichnung  der  Charaktere  bis  an  die  Grenze 
der  Karrikatur  zu  gehn,  er  liebte  mit  seinem  Wissen  zu  prun- 
ken, er  trug  eine  bittere  Verachtung  gegen  herrschende  Rich- 
tungen des  Geschmacks  und  der  Sitte  zur  Schau  und  wagte 
hie  und  da  seine  Zuhörerschaft  abzukanzeln,  während  sie  nur 
von  ihm  belustigt  sein  wollte.  Als  er  nach  langer  Pause  1625 
mit  seinem  „Markt  von  Neuigkeiten"  wieder  auf  der  Bühne 
erschien,  fand  er  keine  begeisterte  Aufnahme.  Sein  „neues 
Wirtshaus"  wurde  fünf  Jahre  später  l)ei  der  ersten  Auf- 
führung ausgezischt.  Der  Dichter  rächte  sich  durch  Verse, 
die  in  sehr  unhöflichen  Ausdrücken  seinen  Zorn  kundgaben (^), 
wies  dem  ausgestossenen  Kinde  seiner  Muse  im  Druck  eine 
Zutiuchtsstelle  an  und  suchte  sich,  die  unentbehi-lichen  Spen- 
den Karls  L  im  Beutel  und  das  perlende  Lieblings- Getränk 
im  lU'clici-,  über  die  Ungunst  der  Zeit  solange  zu  ti'östen,  bis 
er  diese  Quellen  des  Genusses  wieder  erschöpft  hatte.  Auch 
so  bewahite  sein  Name  noch  immer  seinen  alten  Klang.     Von 


Chapman.     Marston.     Dekker.     Munday.     Heywood.  1(35 

Alt  und  Jung,  von  Vornehm  und  Gering  war  „König  Ben" 
gekannt.  Die  jungen  Schöngeister,  Männer  des  Hofes  und  der 
Wissenschaft,  angehende  Juristen  und  Kleriker,  drängten  sich 
um  seine  charakteristische  Gestalt  und  lauschten  mit  Ehr- 
furcht und  Begeisterung  den  scharfen  Epigrammen  und  den 
lustigen  Einfällen,  die  aus  seinem  Munde  erklangen.  Diese 
„Zunft  Ben's",  in  welche  aufgenommen  zu  werden  für  eine 
hohe  Ehre  galt,  hielt  ihre  Sitzungen  unter  Becherklang  und 
Liederschall  in  dem  berühmten  „Apollo-Saale"  der  alten  Teu- 
fels-Taverne bei  Temple  Bar.  Fand  der  alte  Dichter  hier 
nicht  wie  ehemals  ebenbürtige  Genossen,  an  deren  Witz  der 
seine  sich  reiben  konnte,  so  herrschte  er  dafür  über  die 
jüngeren  Genossen  mit  dem  ganzen  Anspruch  und  Gewicht 
eines  literarischen  Orakels. 

Nur  wenige  der  grossen  Dramatiker  jener  früheren  Tage 
weckten  neben  ihm  noch  durch  ihre  Persönlichkeit  die  Er- 
innerung an  das  heroische  Zeitalter  englischer  Poesie:  Der 
ehrwürdige  fünfimdsiel)zigjährige  Chapman,  der  Uebersetzer 
Homers,  welcher  ehemals  mit  Ben  Jonson  und  Marston  in  Ge- 
meinschaft gearbeitet  hatte,  Marston  selbst  und  Thomas  Dekker, 
beide  einst  mit  Ben  Jonson  in  poetischem  Kriege,  der  viel- 
seitige Anthony  Munday  und  der  noch  fruchtbarere  Thomas 
Heywood.  Aber  andere  Talente,  die  ihre  dichterische  Kraft 
der  Bühne  widmeten,  waren  emporgekommen  und  standen 
guten  Theils  unter  dem  Einfluss  Ben  Jonson's,  wofern  sie  nicht 
förmlich  zu  seineu  „Sühnen",  den  Mitgliedern  seiner  ,, Zunft" 
gehörten. 

Philipp  Massinger  hatte  gleich  Ben  Jonson  die  rauhe  Seite 
des  Lebens  erprobt  und  wusste  gleich  ihm  in  überscharfer 
Zeichnung  die  niedrigen  Triebe  der  menschlichen  Natur  zu 
schildern  und  mit  majestätischer  Pihetorik  die  grössten  Wir- 
kungen zu  erzielen,  während  er  hie  und  da  mit  Shakespeare's 
erschütterndem  Pathos  zu  wetteifern  gewagt  hatte  (^).  Mit  John 
Webster,  dessen  „Vittoria  Corombona"  und  „Herzogin  von 
Malfi"  bereits  veröffentlicht  waren,  hätte  es  so  leicht  keiner 
in  der  nackten  Darstellung  des  übertrieben  Grässlichen  auf- 
genommen.    Der  wenig  jüngere  John  Ford  war  bis  dahin  nur 


IQQ    Massinger.  Webster.    Ford.  —  May.   Cartwright.   Randolph. 

durch  seine  ,, Melancholie  des  Liebenden"  weiteren  Kreisen 
bekannt  geworden.  Aber  bald  trat  in  „Annabella  und  Giovanni", 
dem  „gebrochenen  Herzen",  „Perkin  Warbeck"  u.  s.  w.  die 
ganze  bezaul)ernde  Gewalt  seiner  ergreifenden  Darstellung 
glühendster  Leidenschaft,  seiner  verführerisch  melodiösen  Aus- 
drucksweise frei  und  selbstständig  hervor,  ohne  dass  Vorzügen, 
die  ihn  als  eines  der  ersten  dramatischen  Genies  seines  Volkes 
erscheinen  lassen,  weise  Beschränkung  im  Gebrauch  seiner 
Mittel  und  sichere  Beherrschung  eines  höchsten  ethischen 
Masses  entsprochen  hätte.  Jünger  an  Jahren,  bei  weitem 
schwächer  an  Talent,  aber  ein  erklärter  Anhänger  Ben  Jon- 
son's  war  Thomas  May,  der  damals  zu  den  Schöngeistern  des 
Hofes  gehörte,  später  der  Geschichtschreiber  des  langen  Par- 
lamentes wurde.  Auch  auf  Cartwright  und  Randolph  blickte 
Ben  mit  Vaterstolz  wie  auf  seine  geistigen  Söhne,  und  auch 
sie  standen  zu  den  herrschenden  Kreisen  in  enger  Beziehung 
oder  doch  in  Wahlverwandtschaft  zu  ihren  Bestrebungen.  Der 
eine,  in  Oxford  gebildet,  begann  erst  eben  seine  vielseitige, 
bewundernswerthe  Begabung  zu  entfalten,  die  keineswegs  auf 
das  dramatische  Feld  beschränkt  blieb.  Der  andere,  in  Cam- 
bridge geschult,  hatte  ebendort,  während  Milton  daselbst  stu- 
dirte,  vor  den  Majestäten  jenes  Stück  zur  Aufführung  gebracht, 
das  sich  durch  den  unschuldigen  Inhalt  in  den  Augen  des 
Hofes  vor  dem  seines  anzüglicheren  Universitäts- Genossen 
Ha'usted  ausgezeichnet  hatte  (s.  o.  S.  92)  Nicht  minder  war  James 
Shirley,  damals  noch  im  Beginn  seiner  schriftstellerischen  Lauf- 
l)alin,  vollständig  in  der  Atmosphäre  der  „Kavaliere"  gross 
geworden,  wenn  es  erlaubt  ist  diese  Bezeichnung  schon  auf 
die  frühere  Zeit  anzuwenden.  Wie  seine  Bühnen-Schöpfungen, 
reife,  schillernde  Früchte  einer  ausserordentlichen  Phantasie, 
die  mit  den  Stärken  und  Schwächen  Beaumont's  und  Fletcher's 
wetteifei-te ,  die  bedenklichen  Sitten  und  Anschauungen  der 
,. guten  Gesellschaft"  wie(lcrsi)iegelten,  so  hatten  zu  seiner 
eigenen  Bihhmg  alle  die  Kiemente  zusammengewirkt,  die  ihn 
naturgemäss  auf  jene  Seite  drängen  mussten.  Im  St.  John's 
College  zu  Oxfoi'd  gewann  er  die  Gunst  William  Laud's,  als 
(lieser  Vorstehei-   der  Anstalt  war.     In  den  geistlichen  Stand 


Shirley.  —  Davenant.  167 

aufgenommen,  bewerkstelligte  er  seinen  Uebertritt  zum  Katho- 
lidsmus,  dem  sich  das  damalige  Hochkiichentlium  ohnehin  in 
so  vielen  Stücken  anzunähern  bestrebt  schien.  Bald  darauf 
kam  er  in  die  Hauptstadt,  begann  für  die  Bühne  zu  schreiben, 
und  wurde  ein  Schützling  der  Königin.  William  Davenant, 
schon  1632  als  Verfasser  mehrerer  Dramen  und  zahlreicher 
schmeichlerischer  Gedichte  bekannt,  errang  in  der  vornehmen 
Welt  noch  grössere  Auszeichnung.  Er  war  1606  in  jenem 
Wirtshaus  zur  Krone  in  Oxford  geboren,  das  für  Shakespeare 
bei  seinen  Keisen  zwischen  Stratford  und  London  häufig  als 
Absteige-Quartier  diente.  Spätere  luftige  Sage  hat  darin  einen 
Anhalt  gefunden,  ihm  statt  des  Wirtes  den  grossen  Dichter 
zum  Vater  zu  geben.  Er  selbst,  nach  kurzem  Airfenthalt  im 
Lincoln  College  zu  Oxford  als  Page  der  Herzogin  von  Rich- 
mond,  sodann  Lord  Brooke's,  an  den  Hof  gelangt,  hatte  dies 
Geschenk  der  öffentlichen  Meinung  nicht  nöthig.  Seine  ersten 
poetischen  Leistungen  hatten,  trotz  mancher  Rohheiten  und 
Gewaltsamkeiten  Talent  genug  gezeigt,  um  ihm  eine  ruhm- 
volle Dichter-Laufbahn  vorauszuverkünden.  Sein  ganzes  Wesen 
hatte  so  viel  Anziehendes,  dass  er  als  witziger  und  galanter 
Genosse  der  lebenslustigen  Aristokratie  Jahre  laug  unter  den 
ersten  glänzte,  bis  jenes  leichte  Spiel  der  Hoffeste  und  dra- 
matischen Masken-Scherze,  an  deren  Erfindung  er  selbst  so 
lebhaft  betheiligt  war,  durch  ernstere  Ereignisse  abgelöst 
wurde  (^).    . 

Ueberblickt  man  diese  stattliche  Schaar  dramatischer 
Schriftsteller,  die  neben  Ben  Jonson  thätig  waren,  erwägt  man, 
dass  eine  Reihe  von  weniger  Bedeutenden  den  Genannten  sich 
anschloss,  so  wird  man  von  einem  Untergang  des  englischen 
Dramas  in  dieser  Zeit  nicht  sprechen  wollen.  Es  trieb  nicht 
mehr  so  herrliche  Blüthen  wie  wenig  Jahrzehnte  vorher,  es 
fiel  mitunter  in  die  bombastischen  Gewaltsamkeiten  der  vor- 
shakespeareschen  Zeit  zurück,  es  Hess  nicht  selten  hinter  ge- 
künstelten Formen  die  Tiefe  der  Leidenschaft  vermissen,  aber 
es  war  doch  noch  reich  an  eigenartigen,  bedeutenden  Schöpfim- 
gen  in  Tragödie  und  Komödie.  Ln  engsten  Zusammenhang 
damit  standen  die  Verhältnisse  der  Bühne.    Noch  immer  bildete 


168  Theater. 

sie  ein  ungemein  bedeutendes  Element  des  hauptstädtischen, 
des  nationalen  Lebens,  wenn  schon  man  sagen  darf,  dass  sie 
ihre  Zeit  des  höchsten  Glanzes  gehabt  hatte.  Das  Globus- 
Theater  unweit  des  Süd-Endes  von  London-Bridge  und  das 
Fortuna -Theater  in  der  Pfarrei  St".  Giles  Cripplegate  waren 
nach  den  Bränden  von  1613  und  1621  prächtiger  als  sie  zuvor 
gewesen  aus  der  Asche  erstanden.  Auf  diesem  spielte  die 
Schauspieler-Gesellschaft  des  „Prinzen",  jenes  hatte  im  Sommer 
die  Tmppe  „des  Königs"  inne,  während  ihr  im  Winter  die 
Bühne  von  Blackfriars  zu  Gebote  stand.  Mit  Stolz  konnte 
diese  Gesellschaft  auf  ihre  Vergangenheit  zurückblicken,  Kichard 
Burbadge,  Shakespeare  hatten  ihr  angehört,  auch  in  Milton's 
Jugendzeit  nahm  sie  eine  hervorragende  Stelle  unter  den  Kunst- 
Genossen  ein.  Das  Theater  „zum  rothen  Ochsen"  am  oberen 
Ende  von  St.  John's  Street,  kurz  vor  dem  Jahre  1633  erwei- 
tert und  wahrscheinlich  der  Wirkungsplatz  der  „Kinder  der 
Lustbarkeiten"  (children  of  the  revels),  stand  in  ziemlich  schlech- 
tem Rufe,  auch  das  „Phönix-  oder  Cockpit-Theater"  in  Drury- 
Lane,  auf  dessen  Brettern  die  „Schauspieler  der  Königin', 
agirten,  trug  nicht  eben  zur  Hebung  der  Moral  und  zur  Er- 
haltung eines  anständigen  Tones  liei.  „Rose"  und  „Schwan" 
hatten  schon  längst  aufgehört  theatralischen  Zwecken  zu  dienen, 
und  in  dem  Musen tenipel  zur  „Hoffnung"  (Bankside)  wechsel- 
ten, nicht  ganz  unbeschadet  der  Geruchsnerven  des  Pul)likums, 
dramatische  Darstellungen  mit  Bärenhetzen  ab.  ,  Erst  1629 
war  auf  dem  Platze  des  alten  Klosters  von  Whitefriars  ein 
neues  Schauspielhaus  in  Salisbury-Court  errichtet  worden,  wo 
eine  Gesellschaft  unter  Führung  eines  gewissen  Richard  Heton 
der  Natur  den  Spiegel  vorhielt,  nachdem  die  „Truppe  des 
Prinzen"  vor  1635  diese  Räume  mit  der  grösseren  Fortuna 
vertauscht  hatte (^).  —  Dei-  Hof  bezeigte  auf  alle  Weise  seine 
Theilnaliiiie  an  der  Bühnenkunst.  Während  der  König  mit 
Gewalt  sich  ungesetzliche  Einnahme-Quellen  verschaffte,  war 
das  Budget  seines  Intendanten  der  Lustbarkeiten  keines- 
wegs gering,  und  die  Königin  war  entzückt  davon  sich  se]l)st 
mit  ihren  Damen  auf  den  Brettern  zu  sehn.  Um  dem  von 
oben   gegel)enen  Beispiel   zu  folgen,   drängten   sich   die  Mit- 


Epos  und  I.yrik.  —  Spenser.  169 

gliedei-  der  gTossen  Rechts-KoUegien,  die  auf  vielfache  Weise 
mit  dem  Hofe  zusammenhiengen,  in  einer  Art  von  Begeisterung 
dazu,  dem  Fürstenpaare  zu  schmeicheln.  Maskonspiele,  melo- 
dramatische Aufführungen,  kostumirte  Aufzüge,  wechselten  mit 
einander  ab;  kaum  irgend  eine  Zeit  war  reicher  an  glänzen- 
den Gelegenheits -Darstellungen  der  angedeuteten  Art  als 
diese. 

Folgte  das  englische  Drama  der  Zeit  mit  mehr  oder  weniger 
Glück  noch  immer  den  Impulsen,  die  es  in  der  Epoche  Eli- 
sabeth's  und  Jakob 's  empfg,ngen  hatte,  konnte  Ben  Jonson  auf 
diesem  Gebiete  für  den  vornehmsten  lebenden  Zeugen  ruhm- 
reicher Erinnerungen  gelten,  so  übte  für  die  lyrische  und  er- 
Zcählende  Dichtung  ein  anderer  Name,  welcher  der  Vergangen- 
heit angehörte,  eine  ausserordentliche  Macht  aus.  Edmund 
Spenser  ruhte  schon  über  dreissig  Jahre  im  Grabe,  aber  es 
war,  als  wenn  sein  Genius  gleich  einem  jener  mächtigen  Zau- 
berer, die  in  der  wunderbaren  Mährchenwelt  der  romantischen 
Poesie  ihren  geheimnisvollen  Stab  schwingen,  die  Geister  noch 
immer  gefesselt  hielte.  Eine  ganze  poetische  Welt  war  mit 
seiner  Feenkönigin  und  mit  seinen  kleineren  Gedichten,  wenn 
nicht  in's  Leben  gerufen,  so  doch  mit  neuen  reizvollen  Gebilden 
erfüllt  worden.  Sie  hatte  ihre  fahrenden  Ritter  und  irrenden 
Jungfrauen,  ihre  gewaltigen  Riesen  und  ihre  winzigen  Zwerge, 
ihre  rauschenden  Turniere  und  ihre  dunklen  Felsverliesse, 
ihre  grässlichen  Ungeheuer  und  ihre  verzauberten  Schlösser. 
Sie  hatte  auch  ihre  sanften  Schäfer  und  ihre  reizenden  Schä- 
ferinnen, ihre  zarten  Lämmer  und  ihre  klagenden  Nachtigallen, 
plätschernde  Quellen  und  grüne  Matten,  wehmüthige  Rohr- 
pfeifen und  lustige  Ringelreime.  Bald  beschwor  die  magische 
Gewalt  des  Dichters  die  ganze  Romantik  des  Mittelalters  herauf, 
bald  flüchtete  sich  seine  Phantasie  in  die  erträumte  Unschuld 
und  die  erkünstelte  Natürlichkeit  eines  pastoralen  Daseins. 
In  beiden  Fällen  folgte  Spenser  dem  Geiste  seiner  Zeit,  dem 
Geiste  der  Renaissance,  der  die  überkommenen  Stoffe  und 
Formen  mit  neuem  Leben  zu  durchdringen  suchte,  die  Grazien 
des  Heidenthums  und  die  Engel  des  christlichen  Himmels 
miteinander  verband.     Unter  den  Abenteuern  seiner  frommen 


270  Epos  und  Lyrik.  —  Spenser. 

Ritter  erschienen  die  „Götter  Griechenlands"  in  üppiger  I^arben- 
gliith,  und  aus  den  bukolisclien  Weisen  erklangen  die  zarten 
Töne  des  Minnegesangs.  Niemand  wird  behaupten  wollen, 
dass  der  Engländer  seine  Aufgabe  immer  mit  gleichem  Glücke 
gelöst  habe  wie  die  gTossen  Meister  Italiens,  die  von  so  mäch- 
tiger Wirkung  auf  die  Entwicklung  der  Literatur  jener  ganzen 
Epoche  gewesen  waren.  In  den  Gesängen  des  Epos  kann  die 
sorgsamste  Beschreibung  und  x4ufzählung  von  Einzelheiten  uns 
die  sinnliche  Frische  Ariost's  nicht  ersetzen.  Die  Gestalten, 
ohne  plastische  Rundung,  vielfach  schattenhafte  Träger  abge- 
zogener Begrillte,  zerfliessen  zu  blutlosen  Phantomen,  und  das 
fortgesetzte  Räthselspiel  doppelter  Allegorieen  lässt  ein  Ge- 
fühl der  Ermüdung  und  Uebersättigung  zurück.  Gleicher  Weise 
wird  in  den  kleineren  Dichtungen  der  reine  Genuss  nicht  selten 
gestört  durch  die  gezierte  Ausdrucksweise  und  die  gesuchte 
Beziehung  auf  Persönlichkeiten  und  Gegenstände  des  öffent- 
lichen Lebens,  für  welche  die  einförmigen  Motive  jenes  vom 
Boden  der  Wirklichkeit  abgelösten  Hirtenlebens  docli  nicht 
mehr  hinreichen.  Trotz  alledem  war  es  begreiflich,  dass  Spenser 
auch  auf  die  folgende  Generation  von  ausserordentlichem  Ein- 
fluss  war,  dass  er  ihr,  wie  einem  seiner  Zeitgenossen,  minde- 
stens unter  den  nicht  dramatischen  als  „der  wahrste  engli- 
sche Dichter"  galt. 

Hier  fand  sich  eine  Einbildungskraft  von  verschwenderi- 
scher Fi'uchtbarkeit,  verbunden  mit  einer  Sprache  von  ent- 
zückendem Wohllaut.  Vor  allem  waren  die  Schöpfungen  dieses 
keuschen  Geistes  gekennzeichnet  durch  einen  hohen  Idealismus, 
der  Plato's  Spuren  zu  folgen  schien.  Im  Tone  der  Begeiste- 
rung suchte  der  Hymnus  sich  über  die  irdische  Erscheinung 
zur  Anscliauung  der  göttlichen  Urbilder  zu  erheben  und  die 
weite  Kluft  antiker  und  cliristlicher  Weltansicht  zu  über- 
fliegen, die  seit  Jahrhunderten  den  Kultus  des  Schönen  vom 
Kultus  des  Guten  getrennt  liatte. 

Es  wüide  den  Rahmen  dieser  leichten  Skizze  überschrei- 
ten, wenn  im  einzelnen  nacligewieson  werden  sollte,  wie  die  ver- 
schiedensten Geister  mehr  oder  weniger  jenen  spcnserschen 
Anregungen    gefolgt    sind.      Uebersetzungen     und    Original- 


Fairfax.     Drayton.     Drummond.  171 

Werke,  Fairfax'  vielbewunderte  Anglisirung  des  befreiten  Jeru- 
salem und  Drayton's  langathmige  poetische  Topographie  von 
England,  erzählende  und  lyrische  Gedichte  jeder  Art  hatten 
die  geistige  Verwandtschaft  mit  den  Kindern  der  spenser- 
schen  Muse  nicht  verläugnet.  Spenser's  Vorliebe  für  alter- 
thüniliche  Formen  wurde  von  vielen  der  jüngeren  Dichter  ge- 
theilt.  Seine  melodisch  aufsteigenden  und  abfallenden  Stanzen, 
seine  farbenreichen  Beschreibungen  mit  ihrer  Fülle  glücklich 
erfundener  Beiworte  und  Vergleiche  erschienen  als  nachahmens- 
werthe  Vorbilder.  Bis  na'ch  Schottland  hatte  sich  die  Macht 
seines  Genius  erstreckt,  und  die  grünen  Wälder  von  Haw- 
thornden,  in  deren  Schatten  John  Drummond  sich  ein  roman- 
tisches Heim  gegründet  hatte,  klangen  von  den  harmonischen 
Weisen  wider,  die  Spenser  zuerst  mit  so  feiner  Anempfindung 
an  das  Schöne  in  den  wechselnden  Erscheinungen  der  Natur 
angeschlagen  hatte.  Eine  förmliche  Dichter-Schule  hatte  sich 
an  ihm  gebildet,  die  sich,  wie  er,  in  der  gefährlichen  Kunst 
des  Symbolisirens  und  Allegorisirens  gefiel,  welcher  gleich  ihm 
die  Fiktion  des  Hirtenlebens  als  eine  besonders  glückliche 
poetische  Form  galt,  und  selbst  das  Drama  hatte  sich  mit- 
unter in  diesen  beliebten  Geleisen  zu  bew-egen. 

Als  Repräsentanten  jener  Spenserianer,  für  welche  die 
Allegorie  zum  Mittelpunkt  des  poetischen  Schattens  wurde, 
konnten  in  der  Zeit,  da  Milton's  Genius  sich  zu  entfalten  be- 
gann, die  beiden  Brüder  Phineas  und  Giles  Fletcher  gelten, 
ohne  dass  man  sie  als  blosse  Nachahmer  geringschätzen  dürfte  (^). 
Aus  einer  rechten  Schriftsteller-Familie,  Verwandte  des  grossen 
Dramatikers  gleichen  Namens,  beide  in  Cambridge  gebildet 
und  Diener  des  geistlichen  Standes,  hatten  sie  sich  durch  zwei 
Gedichte  vor  allem  berühmt  gemacht  und  ausdrücklich  als  Mit- 
glieder der  grossen  Gefolgschaft  Edmund  Spenser's  erklärt. 
Der  jüngere,  Giles,  hatte  in  seinem  ,,Sieg  und  Triumph  Christi 
im  Himmel  und  auf  Erden''  u.  s.  w.  eine  überaus  reiche  Ein- 
bildungskraft gezeigt.  Er  übertrug  die  Sprache  Spenser's  auf 
einen  rein  religiösen  Gegenstand,  indem  er  Erscheinung,  Ver- 
suchung, Passion,  Auferstehung  und  Himmelfahrt  Christi  schil- 
derte, und  erfüllte  den  biblischen  Stoft'   in  Spenser's  Art  und 


172  Giles  und   Phineas  Fletcher. 

doch  in  origineller  Schöpferkraft,  mit  Personifikationen  und 
Schilderungen,  von  denen  manche,  wie  die  Ausmalung  der 
Höhle  der  Verzweiflung,  den  Zeitgenossen  im  allgemeinen  un- 
vergesslich  gewesen  zu  sein  scheinen,  andere,  wie  die  der 
himmlischen  Heerschaaren,  des  Satans  und  seiner  Verführungs- 
Versuche,  insbesondere  dem  Schöpfer  des  „Verlorenen  und 
Wiedergewonnenen  Paradieses"  wohl  frühe  bekannt  wurden. 
Ueberhaupt  wird  sich  nicht  läugnen  lassen,  dass  das  gross- 
artige Gedicht  mit  seinen  Betrachtungen  über  Sündenfall  und 
Sündenvergebung,  dessen  Inhalt  und  Form  Milton  gleich  sym- 
pathisch sein  nuissten,  einen  nachhaltigen  Eindruck  auf  ihn  ge- 
macht hat,  der  selbst  in  vielen  einzelnen  anklingenden  Wen- 
dungen erkennbar  ist(^). 

Giles  Fletcher  war  1623,  dreizehn  Jahre  nachdem  sein 
Gedicht  in  Cambridge  erschienen  war,  gestorben.  Sein  Bruder 
Phineas  überle])te  ihn  um  einige  Jahrzehnte.  Als  frühere 
poetische  Leistungen  P.  Fletchers  mögen  hier  nur  erwähnt 
werden  jene  von  Hass  gegen  den  Jesuitisnuis  getränkte,  kraft- 
volle Dichtung,  die  in  lateinischer  und  englischer  Gewandung 
als  „Locustae"  und  „Apollyonists"  1627  in  Cambridge  heraus- 
kam, das  vielumstrittene,  farbenglühende  ,,Brittain's  Ida",  ein 
Seitenstück  zu  Shakespeare's  Venus  und  Adonis,  das  so  lange 
unter  Spenser's  Namen  gegangen  ist,  unter  welchem  es  sich 
einführte  (1628),  und  das  1631  anonym  erschienene  College- 
Schauspiel  „Sicelides".  Indess  erst  1633  trat,  wiederum  in 
Cambridge,  neben  anderen  Gedichten,  wie  den  ,,Fischer-Eklo- 
gen",  sein  Hauptwerk  an's  Licht,  „die  Purpur-Insel",  ein 
Titel,  der  an  sich  auch  den  scharfsinnigsten  Kopf  im  voraus 
schwerlich  etwas  vom  Inhalt  hätte  ahnen  lassen.  „Die  Purpur- 
Insel"  oder  die  „Menschen-Insel'",  an  deren  pedantische  Be- 
sehreibung die  kunstvollsten  Verse  verschwendet  werden,  war 
nichts  Geringeres  als  der  Mensch  nach  allen  seinen  körper- 
lichen und  seelischen  Kräften,  wenn  man  so  will,  eine  poeti- 
sche Anatomie,  Physiologie  und  Psychologie  in  einer  Zusannnen- 
fassung.  Adern  und  Nerven  werden  als  Ströme  und  Bäche 
dieses  Inselieiches  mit  der  Genauigkeit  eines  Gencralstabs- 
Werkes  und  eines  medicinischen  Atlas  dargestellt.     Der  Ver- 


W.  Browne.  173 

stand  ist  der  Fürst,  der  die  Insel  beherrscht,  seine  Räthe, 
Klugheit,  Phantasie,  Gedächtnis  und  die  fünf  Sinne,  das  ganze 
Heer  der  Tugenden  helfen  ihm  das  Reich  gegen  den  gefähr- 
lichen Angriff  der  Laster  vertheidigen.  Einem  so  spröden 
Stoff  sind  noch  immerhin  glänzende  Seiten  genug  abgewonnen. 
Viele  der  vorkommenden  Personifikationen  zeugen  von  ausser- 
ordentlicher Gestaltungskraft.  Man  weiss,  dass  Milton  auch 
hier  für  eigene  Schöpfungen  die  lebhafteste  Anregung  empfan- 
gen, überhaupt  Phineas  Fletcher,  auf  welchen,  wie  auf  seinen 
Biiider,  er  nothwendig  in  Cambridge  aufmerksam  werden  musste, 
so  eingehend  studirt  hat,  v^ie  kaum  einen  zweiten  der  zeit- 
genössischen Dichter.  Spuren  dieses  Studiums  lassen  sich 
ungezwungen  beinahe  in  jedem  ]\Iiltou'sclien  Gedichte  finden; 
am  unverkennbarsten  tritt  der  Einfluss  der  Fletcher'schen 
„Locustae"  und  ,,Apollyonists"  auf  die  Ausbildung  von  Alle- 
gorieen  wie  Tod  und  Sünde,  die  Zeichnung  der  höllischen 
Mächte  und  namentlich  der  Figur  des  Satans  im  verlorenen 
Paradies  hervor  (^). 

Die  beiden  Fletcher  hatten  keineswegs  darauf  verzichtet, 
sich  in  ihrem  dichterischen  Beruf  der  konventionellen  Rede- 
wendung gemäss  als  Hirten  einzuführen,  die  an  den  Ufern  des 
Cam  ihre  Heerden  weiden  und  sich  gegenseitig  mit  den  ange- 
nehmen Tönen  ihrer  Rohrpfeifen  beglücken;  indess  das  pasto- 
rale  Element  der  Spenser'schen  Schule  hatte  nicht  in  ihnen, 
sondern  in  William  Browne  seinen  vollsten  Ausdruck  gefun- 
den(2).  Browne  war  1588  in  Tavistock  (Devonshire)  geboren, 
hatte  das  Exeter-College  in  Oxford  besucht,  sodann  manches 
Jahr  in  London  als  INIitglied  des  Rechts-Kollegs  von  Cliftbrd 
Lm  vmd  Inner  Temple  geweilt,  dort  einen  Freundschaftsbund 
mit  vielen  der  angesehensten  Kunstgenossen  geschlossen  und 
lebte  seit  1624  von  der  Hauptstadt  entfernt.  Als  erste  Probe 
seines  Talents  war  1613  seine  Elegie  auf  den  Tod  des  Prinzen 
Heinrich,  Karl's  I.  Binder,  bekannt  geworden,  dessen  frühes 
Ende  so  grosse  Hoffnungen  täuschte.  Die  Elegie  fand  später 
mit  leichten  Aenderungen  Aufnahme  in  jenes  grosse  Werk, 
welches  den  Hauptruhm  Browne's  ausmachte:  „Britannia's 
Schäfergedichte",    dessen   zwei   erste    Bücher    1614  (?)     und 


1 74  W-  Browne. 

1616,  sodann  schon  1625  in  zweiter  Autlage  erschienen  waren, 
während  das  dritte  erst  in  unseren  Tagen  bekannt  geworden 
ist.  Hier  fand  man  sich  ganz  und  gar  im  lieblichen  Wunder- 
lande jenes  „süssen  .  .  göttlichsten  Spenser,  .  .  der  am  besten 
von  allen  Sterblichen  die  Klage  eines  Liebenden  singen  konnte" 
(I.  193,  86).  Britannien  ist  Arcadia,  bewohnt  von  wackren, 
sangeskundigen  Hirten  und  huldvollen  oder  spröden  Schäferinnen, 
wie  sie  die  Sonne  nie  schöner  beschienen  hat.  Die  Paare 
suchen  und  fliehen  sich,  Nymphen  tanzen  durch  den  Wald 
und  nehmen  mit  allen  heidnischen  Göttern  von  Land  und 
Gewässer  an  den  Schäfer-Freuden  und  -Leiden  Theil,  Lämmer 
gehn  verloren,  Altäre  flammen  von  ländlichen  Opfer-Gaben, 
liosmarin  und  Hagelnitte  erquicken  das  Auge,  und  aus  grünen 
Zweigen  singen  Rothkehlchen  und  Nachtigall  mit  dem  Chore 
der  Hirten  um  die  Wette.  In  Wahrheit  sind  uns  alle  diese 
Schäfer  und  Schäferinnen  ebenso  gleichgültig  wie  die  „sanften 
Heerden"  der  Schafe,  die  sie  weiden.  Wir  sind  kaum  im 
Stande,  den  Abenteuern  dieser  Celandine  und  Remond,  Marina 
und  Fida  zu  folgen  und  noch  weniger  in  jedem  Falle  eine 
Lösung  der  mannichfachen  Räthsel  zu  ahnen,  die  sich  nicht 
selten  unter  diesen  allegorischen  Wendungen  verbergen  mögen. 
Wir  werden  wenig  Geschmack  gewinnen  an  so  vielem,  was 
W^illiam  Browne  seinen  Zeitgenossen  als  einen  der  würdigsten 
Nachfolger  Spenser's  erscheinen  liess:  an  seinem  anspruchs- 
vollen Prunken  mit  homerischen  und  virgilischen  Reminiscenzen, 
an  seiner  Liel)hal)erei  für  die  Personifikation  abstrakter  Be- 
grifte,  wie  Wahrheit,  Streit,  Erinnerung,  so  schöpferisch  im 
einzelnen  seine  Phantasie  hier  waltet,  an  seiner  Ausmalung 
des  „Hauses  der  Reue",  an  dessen  Wänden  „Christall-Fläsch- 
chen  mit  Thränen"  aufgehängt  sind  (I.  146),  oder  an  seiner 
Schilderung  der  „Höhle  des  Hungers"  mit  ihren  Bildern  vom 
belagerten  Jerusalem,  Hagar  und  Ismaül  und  Erysichthon 
(L  184).  Aber  dabei  hat  das  Gedicht  Schönheiten,  welche  den 
Genius  seines  Schöpfers  als  erhaben  über  die  engen  Schranken 
des  damals  herrschenden  Geschmacks  zeigen.  Er  benutzt  den 
schwi»chg('ziiini)orten  Rahmen  der  Handlung,  um  ihn  mit  ein- 
gestreuten Scliildciuiigcn  zu  lullen.     Wo  sie  sich  frei  erhalten 


W.  Browne.  175 

von  lästiger  Allegorie,  entrollen  sie  die  lieblichsten  Bilder,  die 
mit  hingebendem  Verständnis  für  die  Kleinmalerei  ausgeführt 
sind.  Die  Reize  des  Landlebens,  Sonnenaufgang  und  Aliend- 
ruhe.  Pflanzen-  und  Thierleben  sind  selten  in  englischer  Sprache 
mit  so  frischen  Farben  geschildert  worden.  Hier  wetteifert 
Browne  nicht  nur  mit  Spenser,  sondern  auch  mit  Chaucer, 
mit  dem  er  die  Form  der  üblichen  gereimten  Yerspaare  theilt, 
um  sie  unter  seiner  Hand  zu  weicher  Biegsamkeit  umzu- 
schmelzen.  Auch  er  verwendet  mit  Glück  den  reichen  Schatz 
volksmässiger  Lieder-  und-  Balladen-Dichtung  und  flicht  dem 
Kranze  seiner  Pastoralen  solche  am  Wege  abgeflückte  „Blumen" 
ein.  Man  braucht  nur  (L  148)  seine  Schilderung  der  lieb- 
lichen Jungfrau  zu  lesen,  die  sich  Abends  in  ihrer  Kammer 
entkleidet,  um  mit  Achtung  vor  seinem  Talent  erfüllt  zu  werden 
und  sich  zugleich  zu  überzeugen,  wie  zart  und  sittsam  er  eine 
so  verfängliche  Scene  wie  diese  zu  nehmen  weiss.  Denn  darin 
zeigte  er  sich  gleichfalls  als  echter  Schüler  Spenser's,  dass 
seine  Muse  bei  aller  Freude  an  sinnlicher  Schönheit  immer 
keusch  und  „mädchenhaft"  blieb  und  jenen  platonischen  Flug 
zum  Idealen  nahm,  in  dessen  Nähe  nichts  Rohes  und  Gemeines 
Duldung  finden  konnte.  Eben  dies  hat  ohne  Zweifel  Browne 
zu  einem  Lieblings-Dichter  Milton's  gemacht.  Es  wird  sich 
noch  Gelegenheit  finden  darauf  hinzuweisen,  dass  die  Bekannt- 
schaft mit  Browne  auf  einige  der  vorzüglichsten  Gedichte  Mil- 
ton's eingewirkt  zu  haben  scheint.  Hier  sei  nur  erwähnt,  dass 
man  ein  Exemplar  der  (ersten)  Folio-Ausgabe  der  ,,Britannia's 
Pastorais"  kennt,  in  welche  eine  Anzahl  erklärender  Rand- 
bemerkungen eingezeichnet  ist,  die  nach  dem  Urtheil  bewährter 
Autoritäten  von  keines  anderen  Hand  als  John  Milton's,  des 
damaligen  Besitzers  jenes  Exemplares,  herrühren  sollen  und 
die  beweisen  würden,  mit  welcher  Aufmerksamkeit  er  das  Werk 
studirt  habe  (^).  Auch  die  übrigen  Dichtungen  Browne's  scheinen 
lebhaften  Anklang  gefunden  zu  haben  und  spiegeln  einen  ähn- 
lichen Geist  wider  wie  sein  Hauptwerk.  Es  sind  des  „Schäfers 
Pfeife"  (1614),  eine  Sammlung  von  Eklogen,  vielfach  von  biogra- 
phischem öder  wohl  gar  politischem  Interesse,  berühmt  beson- 
ders  durch    eine    Elegie    auf   den   Tod   eines   in   Frankreich 


276  Reaktion  gegen  die  Spenserianer. 

ertrunkenen  Freundes,  das  Maskenspiel  des  „Inner  Temple" 
(1615; ,  das  die  längst  populäre  Erzählung  von  Odysseus  und 
Circe  behandelt,  während  die  ,, vermischten  Gedichte",  in 
denen  sich  sehr  feine  Züge  finden,  erst  jetzt  in  einer  sehr 
brauchliaren  Sammlung  vorliegen. 

Die  Spenser'sche  Dichterschule  hatte  unzweifelhaft  selbst 
in  ihren  spätesten  Ausläufern  noch  viel  von  der  eigenthüm- 
lichen  Grösse  ihres  Schöpfers  bewahrt.  Der  ausgeprägte  Sinn 
für  das  Schöne  im  ganzen  Bereich  der  Natur,  die  lebenswahre 
und  doch  poetisch  -  duftige  Farbengebung  in  der  Beschreibung, 
die  formelle  Gewandtheit  in  der  Behandlung  der  Sprache: 
Das  alles  waren  Züge,  die  sich  selbst  noch  in  den  meisten 
der  untergeordnetsten  Erzeugnisse  der  Spenserianer  erkennen 
Hessen,  Aber  zu  gleicher  Zeit  waren  in  den  Werken  der 
Nachfolger  jene  Schattenseiten  immer  stärker  hervorgetreten, 
die  man  schon  in  den  glänzendsten  Leistungen  des  Meisters 
hatte  bemerken  können.  Die  Sucht,  durch  das  Mittel  der 
Allegorie  allgemeine  Begriffe,  deren  Wesen  für  eine  dichteri- 
sche Behandlung  zu  spröde  war,  dem  Gebiet  der  Prosa  zu 
entrücken,  hatte  in  erschreckender  Weise  zugenommen.  Die 
Freude  an  der  reinen  Beschreibung  hatte  nicht  selten  dazu 
geführt,  diese,  statt  sie  einem  höheren  Zweck  unterzuordnen, 
zur  Hauptsache  zu  machen  und  zu  einem  dürren  Kataloge 
einzelner  Erscheinungen  umzuwandeln.  Die  englische  Poesie, 
die  noch  eben  erst  im  Wunderlande  der  Romantik  und  Ar- 
kadiens geschwärmt  hatte,  drohte  schon  wenige  Jahrzehnte 
später  in  einer  Wüste  ausgeklügelter  Prosaismen  zu  ver- 
schmachten. Ohne  dass  man  sich  dessen  immer  deutlich  be- 
wusst  gewesen  wäre,  trat  eine  Reaktion  gegen  die  Spenser'sche 
Richtung  ein.  Man  war  nicht  mehr  fähig,  die  schwere  Ritter- 
rüstung zu  tragen,  in  deren  Glänze  sich  Spenser  noch  einmal 
gespiegelt  hatte,  und  man  wui'de  des  Schäferkleides,  unter 
dem  er  sich  zum  Quell  der  Natur  geflüchtet  hatte,  bald  über- 
drüssig. Eine  Dichterschule,  nach  ihren  Varietäten  etwas 
willkürlich  als  philosophische,  metaphysische,  dialektische  be- 
zeichnet, kam  im  Gegensatz  zu  dem  ursprünglichen  Wesen 
der  Spenser'schen  Schule   empor,   von  welcher  sie  die  Vor- 


Wissenschaft  und  Poesie.  177 

liebe  für  geistreiches  Spielen  mit  Vorstellungen  von  zweifel- 
haftem poetischen  Werth  und  zügelloses  Schwelgen  in  der 
Detailschilderung  übernahm,  ohne  ihre  Naivetät  und  ihre 
Phantasie,  noch  auch  in  allen  Fällen  ihre  Reinheit  und  ihren 
Adel  zu  theilen.  Ihre  Ausdrucksweise,  selbst  in  den  frühesten 
Gedichten  Milton's  bemerkbar,  erinnerte  mitunter  an  den 
Jargon  des  Euphuismus  und  war  wie  dieser  unzweifelhaft 
stark  beeinflusst  von  den  Geboten  des  literarischen  Ge- 
schmackes Italiens,  welcher  schon  vor  Marini  in  gesuchten 
Concetti  sich  zur  Geltung  zu  bringen  gewusst  hatte.  Je  ge- 
ringer die  schöpferische  Kraft,  desto  erwünschter  musste  es 
sein,  unter  der  schützenden  Flagge  der  Mode  gesuchte  Ver- 
gleiche und  aifektirte  Wendungen  für  Poesie  ausgeben  zu 
können,  aber  auch  Dichter  von  bedeutendem  Talent  Hessen 
sich  ohne  Widerstreben  nach  dieser  Richtung  hin  fortreissen. 
Man  hat  bemerkt,  dass  die  Entwicklung  der  englischen 
Wissenschaft,  welche  seit  dem  Anfang  des  siebzehnten  Jahr- 
hunderts, und  besonders  unter  der  Regierung  Jakob's  I.  einen 
so  mächtigen  Aufschwung  genommen  hatte,  sehr  viel  dazu  bei- 
getragen haben  wird,  diese  Geistesrichtung  zu  befördern. 
Mag  man  über  Bacon's  Methode  denken,  wie  man  will,  sie 
übte  unzweifelhaft  auf  die  Hinwendung  zum  Studium  der 
Naturwissenschaft  einen  nachhaltigen  Anstoss  aus.  William 
Harvey  überraschte  durch  seine  epochemachenden  Entdeck- 
ungen. In  dem  umfassenden  Geiste  John  Selden's,  der 
mit  so  vielen  der  zeitgenössischen  Dichter  befreundet  w^ar, 
erhielt  die  Rechtswissenschaft  ihren  glänzendsten  Vertreter. 
Profan-  und  Kirchen -Geschichte,  klassische  und  orientalische 
Philologie  hatten  durch  Speed,  Cotton,  Camden,  Spelman, 
Hakewill,  Ussher  und  viele  andere  Männer  von  Scharfblick 
und  Fleiss  eine  ausserordentliche  Anregung  empfangen.  Mit 
unglaublichem  Eifer  gefiel  man  sich  darin,  Einzelheiten  aus 
dem  Gebiet  der  Historie  und  Geographie  zu  sammeln,  In- 
schriften und  Antiquitäten  aller  Art  nachzugehn.  Die  Ent- 
wicklung der  heimischen  Industrie,  die  Ausdehnung  des  über- 
seeischen Handels,  die  durch  Reiseberichte  täglich  zunehmende 
Kunde  von  fernen,  erst  jüngst  erschlossenen  oder  kolonisirten 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  1.  12 


178  Wissenschaft  und  Poesie.  —   Davies. 

Erdtheilen  erweiterte  den  geistigen  Gesichtskreis  und  führte  den 
Gebikleten  eine  erdrückende  Fülle  von  Thatsachen  zu,  die 
stark  genug  war,  um  den  freien  Flug  der  Phantasie  mit  bleiernem 
Drucke  niederzuziehn.  Eine  berühmte  Stelle  aus  der  „Anatomie 
der  Melancholie"  von  Robert  Burton  (Ed.  1660  p.  3),  der 
selbst  als  ein  ächter  Zögling  dieser  encyklopädischen  Bildung 
gelten  konnte,  klärt  in  deutlichster  Weise  darüber  auf,  welchen 
mehr  als  Rabelais'schen  „Karneval  von  Ideen"  diese  berau- 
schende Masse  von  politischen  und  historischen,  astronomischen 
und  zoologischen,  geographischen  und  physikalischen  Wahr- 
heiten oder  Annahmen  in  den  Köpfen  hervorrief.  —  Man 
möchte  sagen:  in  der  ersten  kampferfüllten,  jugendlichen 
Epoche  der  „Kultur  der  Renaissance"  waren  Kunst  und  Wis- 
senschaft wie  Zwillings  -  Geschwister ,  zu  einem  Streben  ver- 
bunden, Hand  in  Hand  gegangen,  abgewandt  von  dem  mön- 
chisch -  scholastischen  Ideal ,  dessen  Stolz  darin  bestanden 
hatte,  das  Fleisch  zu  ertödten,  mit  freudigen  Schritten  der 
neuen  Zeit  entgegen,  die  das  so  lange  für  sündlich  gehaltene 
Natürliche  wieder  zur  Geltung  brachte.  Als  der  schwere 
Sieg  erfochten,  die  jugendliche  Begeisterung  verflogen  war, 
als  im  leidenschaftlichen  Kampf  um  die  Fragen  von  Staat  und 
Kirche  der  Raum  für  das  künstlerische  Behagen  knapper 
«vard,  und  für  die  von  mittelalterlichen  Fesseln  befreite  Wis- 
senschaft die  ernste  Arbeit  der  Einzelforschung  begann,  da 
änderte  sich  das  Verhältnis  der  Geschwister,  und  wenn  Jahr- 
zehnte hindurch  eine  Art  von  Gleichberechtigung  beider  ge- 
golten hatte,  so  trat  für  lange  Zeit  ein  Uebergewicht  des 
mächtig  erstarkten  Wissens  ein.  Die  reine  Freude  am  Schö- 
nen machte  nicht  selten  der  reinen  Freude  am  Wahien  Platz. 
Das  ganze  Reich  von  Natur  und  Geschichte  wurde  geplündert, 
nicht  um  es  wie  früher  mit  dem  Feuer  dichterischer  Begei- 
sterung zu  durchdringen,  sondern  um  seine  Schätze  wie  in 
einem  Museum  vor  den  Augen  der  erstaunten  Lesewelt  auf- 
zuspeichern. 

Ein  Werk,  wie  die  Purpur -Insel  P.  Fletcher's  hatte  schon 
bedenkliche  Spuren  dieser  Geschmacksrichtung  gezeigt.  Nächst 
den  mit  Reflexionen  durchtränkten  Versen  des  Sir  John  Davies 


Stirling    —  Brooke.  —  John  Donne.  179 

und  des  Grafen  von  Stirling  waren  ferner  die  Dichtungen  des 
edlen  Fulke  Greville,  Lord  Brooke  (f  1628),  guten  Theils  mit 
politischen  und  national  -  ökonomischen  Gedanken  überladen  ge- 
wesen (^).  Indess  als  das  eigentliche  Haupt  der  neuen  Dichter- 
schule ist  mit  Recht  John  Donne  betrachtet  worden,  der  erst 
ein  Jahr ,  ehe  Milton  die  Universität  verliess ,  als  Dechant 
der  St,  Paul's -Kirche  gestorben  war,  dessen  nachwirkende 
literatur- geschichtliche  Bedeutung  ohne  allzu  grosse  Kühnheit 
beinahe  über  die  ganze  Lebenszeit  Milton's  bis  tief  in  die 
Restaurationsepoche  hinein  erstreckt  werden  darf(2).  Dem 
Manne,  welcher  zu  Raleigh's  Tafelrunde  und  zu  Ben  Jonson's 
Freunden  gehört  hatte,  dem  die  Atmosphäre  des  Hofes  be- 
kannt war,  und  der  von  der  Kanzel  herab  an  sein  Wort  eine 
grosse  Zuhörerschaft  zu  fesseln  wusste,  konnte  unstreitig  eine 
bedeutende  Welt-  und  Menschen  -  Kenntnis,  scharfer  Verstand 
und  umfassende  Belesenheit,  lebhafte  Phantasie  und  beissen- 
der  Witz  nicht  abgesprochen  werden.  Alle  Erzeugnisse  seiner 
Feder,  die  zu  seinen  Lebzeiten  und  bis  zu  der  ersten  Aus- 
gabe der  Gedichte  von  1633  fast  sämmtlich  nur  handschrift- 
lich umliefen,  hatten  Zeugnis  dafür  abgelegt:  seine  poetischen 
Episteln  und  seine  Satiren,  Elegieen,  Sonette  und  Lieder 
nicht  minder  wie  die  „göttlichen  Gedichte"  und  die  vielfachen 
prosaischen  Stücke  aus  der  späteren  Zeit  seines  geistlichen 
Amtes,  In  den  Satiren  vor  allem  offenbarte  sich  eine  seltene 
Schärfe  in  der  Beobachtung,  mit  der  sich  eine  erfrischende 
Lebhaftigkeit  des  Ausdrucks  verband.  Von  den  Liebesgedich- 
ten und  namentlich  denen  in  Form  der  Elegie  hat  manches 
den  Reiz  leidenschaftlicher  Beredtsamkeit ,  wie  z,  B,  des 
Dichters  Verweigerung  der  Bitte  seines  jungen  Weibes,  „ihn 
als  Page  auf  einer  Reise  in's  Ausland  begleiten  zu  dürfen". 
Die  Poesieen  religiösen  Inhalts,  die  zum  Theil  noch  aus 
Donne's  kathohscher  Epoche  stammen  (^),  nehmen  nicht  selten 
einen  begeisterten  Aufschwung.  Die  Kühnheit  des  Gedankens 
und  die  Grazie  des  Ausdrucks  überraschen  oft  bei  ihm  in 
gleicher  Weise.  Aber  zugleich  wird  man  fast  auf  Schritt 
und  Tritt  in  dem  künstlerischen  Genuss  gestört  durch  das 
eitle   Gepränge   gelehrter  Anspielungen  und   die  gezwungene 

12* 


180  John  Donne. 

Verknüpfung  verstandesmässiger  Bilder,  in  denen  der  beweg- 
liche Geist  des  Dichters  sich  bis  zur  Ermüdung  gefällt.  Eine 
seiner  Elegieen  endigt  mit  den  Worten :  „Vergleiche  sind  ge- 
hässig" (^),  aber  in  der  Praxis  hat  er  sich  wenig  aus  dieser 
Gehässigkeit  gemacht.  Er  plündert  das  Wörterbuch  der 
Technik  und  Chemie,  des  Militärwesens  und  der  Geographie, 
um  seiner  Neigung  originell  zu  erscheinen^ genug  zu  thun. 
Die  Geliebte  ist  ihm  sein  „Amerika"  und  sein  „Neufundland", 
seine  „Mine  voll  kostbarer  Steine".  Ein  anderes  Mal  ist  sie 
ihm  „mehr  als  der  Mond",  indem  sie  „Meere"  von  Thränen 
anzieht,  „um  ihn  in  ihrer  Sphäre  zu  ertränken".  Ein  Ge- 
dicht über  die  Unbeständigkeit  veranlasst  ihn  zu  der  Bemer- 
kung, dass  die  See  ausser  der  Donau  auch  noch  den  Rhein, 
die  Wolga,  den  Po  in  sich  aufnimmt,  und  man  muss  froh  sein, 
dass  er  es  hierbei  hat  bewenden  lassen.  Um  in  einem  seiner 
geistlichen  Lieder  zu  zeigen,  dass  die  Form  des  Kreuzes  sich 
überall  in  der  Natur  wie  von  selbst  vorgezeichnet  finde,  ge- 
nügt es  ihm  nicht ,  u.  a.  auf  'die  Gestalt  des  schwimmenden 
Menschen  und  des  fliegenden  Vogels  hinzuweisen,  sondern  er 
setzt  noch  hinzu: 

„All  the  globe's  frame  and  sphaeres  is  uothiug  eis 
But  the  Meridians  crossing  parallells". 

Mit  diesem  Behagen  an  (jualvollen  Gedankenspielen,  das  auch 
die  hässlichen  Bilder  abzuwehren  sich  nicht  überwinden  konnte, 
verband  sich  sehr  natürlich  der  Kitzel,  ein  Ganzes  in  seine 
Theile  zu  zerlegen  und  die  Vorstellung  läppischer  oder  ge- 
wagter Situationen  für  irgend  eine  Pointe  auszubeuten,  welche 
den  Anspruch  erhob,  geistreich  zu  sein,  aber  die  Poesie  völlig 
zu  Grunde  richten  konnte.  In  den  Elegieen  „das  Anagramm" 
und  der  „Vergleich"  geht  diese  in  Ernst  und  Ironie  durch- 
gefülirte  Specifikation  der  „Elemente  der  Schönheit"  oder 
ihres  Gegentheils  in's  Widerliche,  nicht  einmal  die  „Schweiss- 
tropfen  auf  der  Brust  seines  Mädcliens"  werden  uns  von 
Donne  geschenkt.  In  einem  anderen  Gedicht  „der  Floh"  sieht 
sich  der  Dichter,  trotz  des  Murrens  der  Eltern,  mit  seiner 
Geliebten  unwiderruflich  veieint,  da  das  nützliche  Insekt  so 
freundlich  gewesen   ist,    beide   zu  beissen  und  somit  ihr  Blut 


Cleveland.  —  Cowley.  181 

ZU  verbinden.  Es  ist  ihr  „Hochzeit-Bett  und  -Tempel"  ge- 
worden, es  tödten  hiesse  „ein  Sakrilegium  und  einen  drei- 
fachen Mord"  begehn. 

Aus  der  grossen  Zahl  der  jüngeren  Schöngeister,  die  der 
bestechenden  Weise  Donne's  nacheiferten,  verdienen  zwei 
besonders  hervorgehoben  zu  werden,  deren  Namen  in  mehr- 
facher Beziehung  zu  den  Ereignissen  erscheinen,  die  Milton's 
Zeit  bewegten  und  in  Milton's  Leben  selbst  eine  gewisse  Rolle 
spielen.  Dem  einen  sind  wir  schon  als  einem  der  Studien- 
genossen im  Christ -College  begegnet,  John  Cleveland.  Er 
wurde  1634  Fellow  im  St.  John's  College  und  gewann  schon 
damals  wegen  seiner  literarischen  Gaben  hohen  Ruhm,  der  in 
Folge  seiner  späteren  Schicksale  noch  grösser  ward.  Wie  die 
Rede,  die  er  einst,  fast  noch  ein  Knabe,  vor  dem  französischen 
Gesandten  und  Lord  Holland  gehalten,  künstliche  Verschnör- 
kelungen  aufgewiesen  hatte,  so  strotzten  seine  viele  Jahre 
später  veröffentlichten  Gedichte,  in  jeder  Weise  Zeugnisse 
seiner  antipuritanischen  Moral  und  Gesinnung,  und  oft  werth- 
volle  Kommentare  zu  den  politischen  Ereignissen,  von  den 
gesuchtesten  Bildern  und  Vergleichen.  Wenn  sich  auf  Philhs' 
Wangen  Roth  und  Weiss  mischen,  so  „trennt  kein  Bürger- 
krieg ihr  York  und  Lancaster".  Wenn  der  König  verkleidet 
tiüchten,  der  „fürstliche  Adler  in  eine  Fledermaus  zusammen- 
schrumpfen" muss,  so  ist  das  eine  „abscheuliche  Stenographie 
der  Politik".  —  Bei  weitem  vielseitiger  war  Abraham  Cowley, 
der  Sohn  eines  londoner  Gewürzhändlers,  1632  erst  vierzehn- 
jährig, aber  schon  als  zehnjähriger  Zögling  der  Westminster- 
Schule  ein  Dichter.  Er  wurde  mit  fünfzehn  Jahren  nach  Ver- 
öffentlichung seiner  „poetischen  Blumen"  ein  anerkannter 
Autor,  dessen  Ruhm  bis  in  die  Tage  von  jNlilton's  Alter  be- 
ständig wuchs,  dessen  Gesinnung,  entschieden  royalistisch  wie 
die  Cleveland's,  seine  spätere  Parteistellung  und  seinen  Lebens- 
weg bestimmte (^j.  Hier  genügt  es,  vorläufig  darauf  hinzu- 
weisen, dass  er  sich  auf  jedem  Gebiet  der  Poesie  versucht 
hat,  als  Lyriker  aber  die  grössten  Erfolge  errang.  Ein 
leichter,  gefälliger  Witz  stand  ihm  ebensowohl  zu  Gebote  wie 
ein  gedankenvoller  Ernst.     Aber  auf  die  zartesten  Blüthen 


132  Cowley.  —   Carew. 

seiner  Muse  legte  sich  der  Mehlthau  der  Donne'schen  Affek- 
tation.  Cowley's  spätere  Zeitgenossen  mochten  es  unüber- 
trefflich finden,  wenn  ein  Liebesgedicht  vom  „sanften  Ocean" 
sprach,  der  sein  „schönes  Albion"  in  seine  Arme  schliesst, 
oder  ein  anderes  darüber  grollt,  dass  das  gehebte  Mädchen 
drei  volle  Stunden  bei  der  Morgentoilette  verbringt,  und  die 
Schönheit,  sonst  ein  „konstitutioneller  Staat",  sich  damit  in 
die  „Absolutie"  verwandelt.  Ein  jüngeres  Geschlecht  wird, 
von  Geschmacklosigkeiten  der  Art  abgestossen,  kaum  begreifen, 
dass  derselbe  Autor  sich  ihrer  schuldig  gemacht  hat,  dessen 
Feder  die  musterhaften  prosaischen  „Essays"  entstammt  sind. 
Niemandem ,  welcher  die  Erzeugnisse  der  Donne'schen 
Schule  betrachtet,  kann  es  entgehn,  wie  bedeutend  in  ihnen 
ein  grob  sinnliches  Element  vorwaltet.  Zudringliche  Hände 
hatten  den  zarten  Duft  abgestreift,  mit  dem  Spenser's  Genius 
alle  Gegenstände  überhaucht,  den  schützenden  Schleier  ge- 
lüftet, mit  dem  seine  keusche  Muse  das  rein  Animalische 
verhüllt  hatte.  Das  Verweilen  bei  Einzelheiten,  das  Haschen 
nach  Pikantem  führte  von  selbst  dazu,  schlüpfrige,  un- 
reine Vorstellungen  zu  begünstigen  und  in  dem  Verhältnis 
beider  Geschlechter  die  physiologische  Seite  vorwiegend  her- 
vortreten zu  lassen.  Schon  Donne,  dessen  sittlichem  Wandel 
später  nichts  vorzuwerfen  war,  und  der  im  Alter  so  manchen 
poetischen  Reflex  stürmischer  Jugendtage  bedauerte ,  hatte 
hier  den  Weg  gewiesen.  Seine  Elegie  „An  seine  Geliebte, 
als  sie  zu  Bett  gieng",  leistet  in  der  Behandlung  des  Nackten 
alles  nur  Mögliche,  Wenn  derfeingebildete  Cowley  durch  die 
gesuchte,  aber  ebendeshalb  im  Grunde  kalte  Galanterie  seiner 
erotischen  Verse  meistens  in  gewissen  Schranken  gehalten 
wurde,  so  that  sich  Gleveland  später  in  Gedichten,  wie  „das 
Fest  der  Sinne",  „eine  schöne  Nymphe  verspottet  einen  Moh- 
ren, der  ihr  den  Hof  macht"  u.  a. ,  durchaus  keinen  Zwang 
an  und  wurde  schon  dadurch  einer  der  Lieblinge  der  Kava- 
liere. Vor  ihm  hatte  bereits  Thomas  Carew  vielleicht  das 
Stärkste  auf  diesem  Gebiete  geleistet,  was  die  englische  Lite- 
ratur der  Zeit  aufzuweisen  hat(^).  Carew,  1632  etwa  vier- 
unddreissig   Jahre   alt,    hatte    alle   Freuden    der    Hauptstadt 


Carew;  183 

durchgekostet  uud  eine  epikuräische  Weltanschauung  aus  sei- 
nen jugendlichen  Erfahrungen  entnommen,  die  bis  zu  seinem 
frühen  Ende  (1638)  vorhielt.  Einer  angesehenen  Familie  ent- 
sprossen, im  Corpus  Christ -Qällege  zu  Oxford  gebildet,  hatte 
er,  taub  gegen  die  Ermahnungen  seines  Vaters,  ein  lieder- 
liches Leben  geführt  und  es  nur  kurze  Zeit  in  der  Stellung 
eines  Gesandtschaftssekretärs  bei  Dudley  Carleton,  dem  Ver- 
treter Englands  im  Haag,  ausgehalten.  Indessen  war  er  in 
den  höheren  Schichten  der  Gesellschaft  als  ein  witziger,  poeti- 
scher Kopf  bekannt  geworden,  der  sich  durch  Reisen  und 
Lektüre  feine  Bildung  angeeignet  hatte.  Ben  Jonson,  Dave- 
nant,  Hyde  gehörten  u.  a.  zu  seinen  Freunden.  Karl  L  fand 
an  ihm  besonderes  Wohlgefallen,  gab  ihm  eine  Stelle  im  Hof- 
dienst und  überhäufte  ihn  mit  Wohlthaten.  Zahlreiche  Ge- 
dichte Carew's  auf  den  König,  die  Königin  und  sonstige  Mit- 
glieder der  Hofkreise  beweisen,  wie  nahe  er  ihnen  gestanden 
h^t.  Uebrigens  lag  seine  Hauptstärke  in  der  erotischen  Lyrik, 
und  hier  zeigte  er  nicht  selten  eine  anmuthige  Leichtigkeit, 
ja  selbst  zartes  Gefühl  in  Sinn  uud  Vers.  Aber  die  Grazie 
seiner  tändelnden  Lieder  wird  nur  zu  häufig  entstellt  durch 
jene  Verirrungen  des  guten  Geschmacks,  die  er  dem  „grossen 
Donne-.  wie  er  ihn  nennt,  entlehnte,  „dem  König,  der  das 
ganze  Reich  des  Witzes  beherrschte".  Echt  Donne'sch  ist 
die  Beschreibung  aller  Körpertheile  der  Schönen,  in  der  der 
Kopf  einen  ..Wunder -Globus",  der  Leib  ein  Land  reich  an 
Schätzen,  der  Fuss  „die  Wurzel  dieser  göttlichen  Ceder" 
darstellen  muss(^),  aber  wie  hier  bei  aller  Glätte  der  Form 
die  Zote  nicht  vermieden  wird,  so  mischt  sich  fast  immer  ein 
Tropfen  des  verführerischen  Giftes  in  den  perlenden  Trank, 
den  der  galante  Kavalier  in  glänzender  Schale  kredenzt.  Das 
zierhch  -  neckische  „Gebet  eines  Mädchens  an  Cupido"  schliesst 
mit  einer  unanständigen  Zweideutigkeit,  an  mehr  als  einer 
Stelle  wird  die  unbedenkliche  Moral  des  Wüstlings  gepredigt 
und  die  gluthvollen  Verse,  welche  den  Titel  die  ..Entzückung" 
führen ,  können  es  dreist  mit  dem  Gewagtesten  aufnehmen, 
was  in  der  Zeit  der  Restauration  geschrieben  worden  ist. 
Solchen  Ausschreitungen   der  Phantasie  hätte  als  Motto  jenes 


184  Carew.  —  Herbert. 

„Erlaubt  ist,  was  gefällt",  dienen  können,  dem  Carew  selbst 
in  dem  bezeichneten  Gedichte  ohne  alle  Scheu  Ausdruck  lieh : 

AU  things  are  lawful  there  fliat  may  deligbt 
Nature  or  unrestrahied  appetite. 

Es  ist  keine  seltene  Erscheinung,  dass  ein  und  derselbe 
Zeitgeist  in  grob-sinnlichen  und  religiös-inbrünstigen  Dichtungen 
sich  kundgiebt.  Auch  der  Hymnus  kann  sensualistischen 
Trieben  dienen,  und  in  der  Epoche  William  Laud's,  als  der 
Anglikanismus  sich  in  seinen  Formen  zu  künstlerischer  Schön- 
heit zu  erheben,  durch  äussere  Mittel  auf  die  Sinne  zu  wir- 
ken suchte,  war  es  begreiflich,  dass  eine  schwärmerische  geist- 
liche Poesie  in  denselben  Kreisen  mit  Entzücken  aufgenommen 
wurde,  die  sich  an  frivolen  Liedern  der  Lust  ergötzten.  Wie- 
derum hatte  John  Donne,  der  Dechant  von  St.  Paul,  hier 
den  Weg  gezeigt  und  in  seinen  Versen  auf  die  Jungfrau 
Maria,  die  Heiligen  u.  s.  w.  einen  Ton  angeschlagen,  der  ganz 
in  Uebereinstimmung  mit  Laud's  Bestrebungen  sehr  stark  an 
katholische  Weisen  anklang.  Selbst  der  leichtfertige  Carew 
hatte  sich  nicht  enthalten  können,  einige  Psalmen  in's  Eng- 
lische zu  übertragen.  Als  der  vornehmste  Vertreter  der  kirch- 
lichen Poesie  konnte  indess  George  Herbert  gelten  (geb.  1593), 
der  den  höfischen  und  gelehrten  Kreisen  gleich  nahe  gestan- 
den hatte  (').  Er  war  orator  publicus  der  Universität  Cam- 
bridge gewesen,  als  Milton  diese  bezogen  hatte.  Weltmännisch 
gel)ildet  und  nicht  ohne  den  Ehrgeiz /eine  politische  Rolle 
zu  spielen,  hatte  er  sich  erst  durch  innere  Kämpfe  hindurch 
zu  arbeiten,  bis  er  in  der  bescheidenen  Stellung  eines  Land- 
pfarrers volle  Befriedigung  fand  und  ein  vieibewundertes 
Muster  seines  Standes  wurde.  Donne,  den  Freund  und  Meister, 
dem  er  nacheiferte,  überlebte  er  um  zwei  Jahre.  Erst  nach 
seinem  Tode,  datirt  zuerst  1633,  erschien  eine  Sannnlung 
seiner  geistlichen  Gedichte,  „der  Tempel",  welche  sofort 
grossen  Absatz  fand.  Was  Land ,  sein  Gönner ,  unter  der 
„Schönheit  der  Heiligkeit"  verstand,  war  hier  von  einem 
Manne,  der  als  Ideal  des  Anglikanismus  dieser  Zeit  erschien, 
in  gebundener  Rede  kunstvoll,  vielfach  mit  Donne'scher  Ge- 
suchtheit ausgedrückt.     Das  glatte   Mosaik   des  Kirchenflurs, 


Crashaw.    Quarles.  —  Veränderter  Charakter  der  Lyrik.        185 

die  bunten  Fenster  der  Kapellen  werden  Gegenstände  der  Ver- 
herrlichung und  allegorischen  Deutung.  Ein  förmliches  Verlan- 
gen nach  der  alten  Heiligenanbetung  bricht  hie  und  da  durch. 
In  der  ganzen  mystischen  Ueberschwanglichkeit  und  sinn- 
lichen Weichheit  des  katholischen  Stils  erschien  die  geistliche 
Lyrik  allerdings  erst  später  in  den  Werken  des  hochbegabten 
Richard  Crashaw,  des  Sohnes  eines  hervorragenden  londoner 
Geistlichen  (^).  Damals  (1632)  studirte  der  Neunzehnjährige 
in  Cambridge  (Pembroke-Hall)  und  folgte  in  seinen  poetischen 
Jugendversuchen  mehr  dem  Muster  Spenser's  als  Donne's. 
Das  Erscheinen  von  Herbert's  „Tempel"  machte  auch  auf  ihn 
grossen  Eindruck,  „Stufen  zum  Tempel"  hiess  die  Sammlung 
seiner  „heiligen  Gedichte",  die  zusammen  mit  den  „Freuden 
der  Musen",  Poesien  weltlichen  Inhalts,  erst  1646  an's  Licht 
trat.  Das  Spielen  mit  sinnlichen  Vorstellungen  von  Liebe 
und  Brautschaft,  auf  Gegenstände  der  religiösen  Verehrung 
übertragen,  die. schmachtende  Weichheit  seiner  bilderreichen 
Verse  erschien  dort  um  so  natürlicher,  da  Crashaw  selbst  den 
Uebergang  zum  Katholicismus  gemacht  hatte  und  als  Kano- 
nikus der  Kirche  von  Loretto  endigte.  An  dem  entgegenge- 
setzten Ende  der  Skala  religiöser  Dichtung  standen  die  Werke 
von  Francis  Quarles,  der  in  Milton's  College  in  Cambridge 
gebildet,  im  Dienste  Elisabeth's,  der  Winterkönigin,  gestanden 
hatte,  später  Sekretär  des  Erzbischofs  Ussher  in  Irland  ge- 
worden war(-).  Was  bis  1632  von  ihm  erschienen  war,  hatte 
wenig  Aehnlichkeit  mit  jenen  lyrischen  Ergüssen  frommer  Ge- 
müther, welche  auch  dem  religiösen  Gebiet  vorwiegend  eine 
ästhetische  Seite  abzugewinnen  suchten.  Er  hatte  sich  mit  Vor- 
liebe Gegenstände  des  alten  Testamentes  ausgesucht,  wie  Jonas, 
Esther,  Hiob,  Samson,  seine  Vorlage  nicht  ohne  poetisches  Ge- 
schick, aber  oft  mit  gesuchten  Concetti  in  weitschweifigen  eng- 
lischen Versen  wiedergegeben  und  zwischen  die  einzelnen  Ab- 
schnitte allgemeine  „Betrachtungen"  in  gebundener  Rede  einge- 
schoben. Auch  die  Klagelieder  Jeremiae  und  das  hohe  Lied  hatte 
er  unter  dem  Titel  Sion's  Elegieen  und  Sion's  Sonette  in  der 
jMuttersprache  dichterisch  umschrieben.  Indem  er  sich  mit  jenem 
Zwiegespräch  des  Liebenden  und  der  Geliebten  beschäftigte,  das 


186  Veränderter  Charakter  der  Lyrik. 

ihn  selbstverständlich  ein  Zwiegespräch  zwischen  „dem  Bräu- 
tigam Christi  und  der  Braut,  der  Kirche",  zu  sein  dünkte,  hatte 
er  einen  Kreis  von  Vorstellungen  gestreift,  zu  dem  er  sonst  sich 
wenig  hingezogen  fühlte.  Die  Gedanken  an  Tod  und  Ver- 
wesung, an  die  sündige  Natur  des  Menschen  und  die  gött- 
lichen Gerichte  bewegen  ihn  mehr  als  alle  anderen.  Er  liebt 
es,  darauf  zurückzukommen,  dass  die  Erde  ein  Jammerthal, 
und  der  Mensch  ein  Frass  für  die  Würmer  ist;  zu  schildern, 
wie  die  Posaunen  des  jüngsten  Tages  blasen,  und  die  Gräber 
sich  öffnen.  Dass  er  seiner  Ueberzeugung  an  das  Dogma  der 
Prädestination  energischen  Ausdruck  gab,  hieng  damit  zu- 
sammen (^).  Alles  dies  machte  ihn  zu  einem  Lieblings- 
Schriftsteller  der  puritanischen  Massen,  noch  ehe  1635  seine 
„Embleme"  erschienen,  die  sein  populärstes  Werk  wurden. 

Man  würde  ein  sehr  unvollständiges  Bild  vom  Zustande 
der  schönen  Literatur  Englands  jener  Jahre  erhalten,  wenn 
man  sich  nicht  erinnerte ,  dass  ausser  den  Genannten  eine 
grosse  Zahl  von  beliebten  Lyrikern  blühte,  die  weder  in  der 
Lascivität  eines  Carew,  noch  in  der  Mystik  eines  Crashaw, 
noch  in  dem  Pessimismus  eines  Quarles  etwas  suchten,  son- 
dern in  einer  allgemein  passenden  und  verständlichen  Sprache 
innerlich  und  äusserlich  individuell  Erlebtes  je  nach  Neigung 
und  Talent  dichterisch  gestalteten.  Viele  von  den  Meistern 
des  Dramas  wären  hier  zu  nennen,  denen  auch  dies  Gebiet 
nicht  fremd  blieb,  vor  allen  Ben  Jonson,  dem  so  manches 
Gedicht  in  Form  der  Elegie,  der  Ode,  des  Liedes  wie  des 
Epigramms  und  der  Epistel  gelang.  Andere  sind  Lyriker 
schlechtweg.  Mancher  von  ihnen  geht  mitunter  über  die 
Grenze  des  Schicklichen  hinaus.  Mancher  erscheint  hie  und 
da  angesteckt  von  Donne'scher  Manier.  Aber  auch,  wo  jenen 
sch]üi)frigen  und  atfektirten  Gedankenspielen  gar  kein  Baum 
gewälirt  wird,  stellt  sich  die  Lyrik  des  Tages  doch  gi'und ver- 
schieden von  der  der  Spenser'schen  Schule  dar.  Der  grosse 
Stil,  die  Kraft  des  Gedankens,  das  Feuer  mächtiger  Leiden- 
schaft, die  durch  die  künstliche  Verhüllung  hindurchgeleuchtet 
hatte,  war  geschwunden.  Für  das  Zioi-licho  und  Anmuthige 
war    iiocli    Kaum.     Man    wetteiferte    darin,    in  der    graciösen 


Suckling.  Herrick.  —  Habington.  Lovelace.  187 

Sprache  der  yoriiehmen  Gesellschaft  kleine  Gegenstände  der 
Galanterie,  ein  Band ,  einen  Gürtel ,  eine  Blume ,  poetisch  zu 
fassen,  und  durch  die  anakreontisch  tändelnde  Form  blickt 
oft  genug  wahres  Gefühl  hindurch.  Besonders  wohlthuend 
werden  mitunter  die  höfischen  Schmeicheleien  durch  glück- 
liches Zurückgreifen  auf  den  Ton  des  volksmässigen  Liedes 
unterbrochen,  das  in  dieser  Zeit  neben  dem  gedrechselten 
Kompliment  noch  eine  stiefmütterliche  Duldung  fand. 

John  Suckling  und  Robert  Herrick,  dieser  geb.  1591,  ein 
alter  Genosse  der  „Zunft^'  Ben  Jonson's,  seit  1629  in  Folge 
der  Gunst  des  Königs  Vikar  einer  Pfarre  in  Devonshire,  jener 
geb.  1609,  durch  Reisen  gebildet,  Soldat  unter  Gustav  Adolf, 
nach  seiner  Rückkehr  in  die  Heimat  als  einer  der  witzigsten 
und  leichtlebigsten  Kumpane  am  Hof  und  in  der  Hauptstadt 
gekannt,  wussten  in  hundert  Abwechslungen  lachenden  Mun- 
des das  unerschöpfliche  Thema  von  Rebensaft  und  Liebe  zu 
behandeln.  Das  , .Pflücket  die  Rose,  eh'  sie  verblüht"  (^),  ist 
der  beständig  wiederkehrende  Refrain  ihrer  von  Witz  und 
Frohsinn  übersprudelnden  Verse.  Suckling  weiss  dabei  fast 
noch  besser  als  Herrick  jene  gesunde  Volksweise  meisterhaft 
zn  treffen ,  wie  in  seiner  berühmten  ,, Ballade  auf  eine  Hoch- 
zeit". Dagegen  finden  in  den  Gedichten  des  mit  Catull  wett- 
eifernden Vikars  und  namentlich  in  denen  aus  seiner  spä- 
teren Zeit  auch  die  weichen  Hymnen  des  guten  Anglikaners 
ihre  Stelle,  wie  in  jener  „Litanei  an  den  heiligen  Geist", 
die  Herbert  keine  Schande  gemacht  haben  würde.  Früher 
als  Herrik  und  Suckling,  deren  poetische  Erzeugnisse  erst  in 
den  vierziger  Jahren  erschienen,  war  William  Habington  vor 
der  Oeffentlichkeit  aufgetreten.  Der  Spross  einer  streng  ka- 
tholischen Familie  aus  Worcestershire ,  nach  zweifelhafter 
Ueberlieferung  am  Tage  der  verfehlten  Pulververschwörung 
zur  Welt  gekommen,  erhielt  er  seine  Erziehung  im  Auslande 
in  jesuitischen  Anstalten.  Als  er  nach  England  zurückgekehrt 
war,  wurde  seine  Liebe  zu  einer  vornehmen  Dame,  deren  Hand  er 
erlangte,  für  ihn  als  Menschen  und  Dichter  bestimmend.  Eben 
sie  ist  die  „Castara",  die  er  in  einer  Reihe  von  Gedichten  ver- 
herrlichte,  welche  unter  diesem  Namen  zuerst  1634  bekannt 


188  Waller. 

wurden.  Die  Leidenschaft  des  Liebenden,  die  Zuneigung  des 
Gatten,  wie  sie  hier  zum  Ausdruck  kommen,  erscheinen  von 
einem  zarten,  oft  beinahe  kühlen  Duft  keuscher  Empfindung 
überhaucht,  die  von  den  groben  Lascivitäten  zeitgenössischer 
Dichter  nichts  weiss,  ohne  indess  ihre  Affektation  in  der  Form 
immer  zu  versehmähen.  Wärmer  sind  Habington's  geistliche 
Gedichte  gehalten,  die  den  frommen  Katholiken  nicht  ver- 
bergen!^). Was  für  ihn  die  „Gastara",  wurde  für  Richard 
Lovelace  die  „Lucasta",  ohne  dass  er  so  glücklich  gewesen 
wäre  wie  jener.  Seine  tragischen  Schicksale  wie  seine  Dich- 
tungen, die  ihn  gleicher  Weise  berühmt  gemacht  haben,  ge- 
hören einer  späteren  Zeit  an;  1632  war  er  erst  vierzehnjährig, 
aber  bald  wurde  er  auf  der  Universität  und  am  Hofe  durch 
Schönheit  und  Liebenswürdigkeit  bekannt  und  in  seiner  gei- 
stigen Richtung  durch  den  Geschmack  der  vornehmen  Welt 
bestimmt.  Von  allen  Vertretern  dieser  modernen,  höfischen 
Lyrik,  wie  man  sie  nennen  möchte,  hat  indess  schwerlich  einer 
einen  grösseren  Nanien  erlangt  als  Edmund  Waller (^).  Nur 
drei  Jahre  älter  als  Milton  war  er,  als  dieser  die  Universität 
verliess,  in  politischen  und  literarischen  Kreisen  schon  kein 
Fremder  mehr.  Der  Vetter  John  Hampden's  und  Oliver  Crom- 
well's,  der  frühe  in  Besitz  des  reichen  väterlichen  Erbes  ge- 
kommen, in  Eton  und  in  Cambridge  gebildet  war,  hatte 
bereits  drei  Mal  im  Parlament  gesessen,  ohne  doch  eine  po- 
litische Rolle  zu  spielen.  Soviel  indess  war  schon  damals 
sicher,  dass  Waller's  schwankendes  Naturell  und  die  Einwir- 
kung seiner  streng  royalistischen  Mutter,  trotz  der  nahen 
Verwandtschaft  mit  jenen  späteren  Häuptern  des  Puritanismus, 
ihn  selbst  nicht  zu  einem  begeisterten  Puritaner,  stempeln 
konnten.  Er  stand  auf  dem  besten  P\isse  mit  dem  Hofe,  und 
seine  ersten  Gedichte  hatten  sich  auf  Ereignisse  und  Pers()n- 
lichkeiten  der  höchsten  Kreise  bezogen.  Schon  hier  hatte  er 
die  Eigenschaften  seines  Talentes  gezeigt,  die  in  der  Folge- 
zeit noch  deutlicher  hervortraten,  als  er  nach  dem  frühen 
Tode  seiner  Gemahlin  jene  .,Saccharissa",  die  schöne  und  spröde 
Lady  Dorothea  Sidney,  und  „Anioret"  verherrlichte.  Glätte 
des  Reimes,  Eleganz  des  Ausdrucks,  Veimeidung  geschmack- 


Poesie  und  Hofpartei.  189 

loser  Bilder  sind  ihm  eigen,  ohne  dass  man  darüber  vergessen 
könnte,  wie  arm  an  tieferem  Gefühl  diese  stets  salonfähigen, 
mühsam  ausgefeilten  Verse  häufig  erscheinen. 


Wenn  mau  bedenkt,  dass  die  englische  Nation  in  jener 
Zeit  gleichsam  in  zwei  Heerlager  gespalten  erscheint,  bis  da- 
hin nur  zum  Geisteskampf  gerüstet,  um  bald  mit  den  Waffen 
in  der  Hand  als  Kavalier«  und  Rundköpfe  im  Schlachtgetüm- 
mel sich  entgegenzutreten,  und  wenn  man  zu  erkennen  sucht, 
welche  der  beiden  grossen  Parteien  von  der  schönen  Literatui' 
des  Tages  wesentlich  unterstützt  wird,  welcher  diese  selbst 
im  allgemeinen  sich  geistesverwandt  fühlt,  so  kann  kein 
Zweifel  darüber  sein,  wie  man  sich  zu  entscheiden  hat.  Es 
wird  zwar  immer  misslich  erscheinen,  die  freien  Jünger  der 
Kunst  den  engen  Begriffen  bestimmter  Parteien  des  öffent- 
lichen Lebens  unterzuordnen.  Sobald  indessen  diese  als  der 
Ausdruck  von  zwei  entgegengesetzten  Weltanschauungen  sich 
darstellen,  und  die  Thatsachen  so  deuthch  sprechen  wie  hier, 
wird  ein  solcher  Versuch  eher  als  erlaubt  gelten  können. 
Sicherlich  waren  es  nicht  die  Puritaner,  zu  denen  die  Masse 
der  genannten  Dichter  gezählt  werden  wollte,  war  es  nicht 
der  Geist  des  Puritanismus ,  aus  dem  die  Masse  jener  poeti- 
schen Schöpfungen  geboren  wurde.  Wie  die  übrigen  Künste, 
so  erbliihte  auch  die  Poesie  damals  noch  vor  allem  am  Strahl 
der  Fürstengunst.  ]\Iit  dem  Hofe  waren  alle  ästhetischen 
Bestrebungen  der  Zeit  aufs  engste  verknüpft.  Wie  viele  der 
erwähnten  Schriftsteller  haben  hier  Aufnahme  und  Unter- 
stützung gefunden,  wie  viele  haben  später  ihre  Treue  für  die 
Sache  des  Königs  mit  ihrem  Blute  besiegelt,  Gefängnis,  Ver- 
bannung, bittere  Noth  für  ihn  getragen!  Gleicher  Weise  stand 
das  herrschende  kirchliche  System  zur  zeitgenössischen  Poesie 
durchaus  nicht  in  feindlichem  Verhältnis^  Es  war  in  sich 
selbst  von  künstlerischen  Bestrebungen  erfüllt.  Seine  Würden- 
träger, vielfach  so  enge  mit  den  Hofkreisen  und  den  Familien 
des  hohen  Adels  verbunden,  gewährten,  wie  diese,  dem  Schö- 


J90  Angriffe  auf  den  Puritanismus. 

nen  nicht  nur  Duldung,  sondern  Ermuthigung.  Einzelne  hatten 
selbst  den  Dichter  -  Lorbeer  errungen  und  gewusst,  ihre  Verse 
mit  dem  Geiste  des  Laud'schen  Anglikanismus  zu  durchdringen. 
Ein  und  dieselbe  Weltansicht  und  Moral  erfüllte  jene  glän- 
zende, verwöhnte  Gesellschaft,  die  im  Theater  die  besten 
Plätze  einnahm,  zu  den  Festen  des  Hofes  zusammenströmte, 
Morgens  am  ceremoniellen  anglikanischen  Kultus  sich  erbaute 
und  Abends  galanten  Abenteuern  nachgieng,  Ihrer  Anschauung 
•waren  die  aufregenden  Scenen  der  Bühne,  die  prunkvollen 
Maskenspiele,  die  weltlichen  Lieder  in  ihrer  Geziertheit  und 
Freiheit,  die  geistlichen  Gesänge  in  ihrer  Süsslichkeit  und 
Weichheit  wesentlich  angepasst.  Aus  diesen  Kreisen  konnten 
die  Dichter  auf  lebhaften  Beifall  rechnen,  wenn  sie  den  bie- 
deren londoner  Bürger  als  arglosen  Hahnreih  oder  als  be- 
schwindelten Gläubiger  mit  unermüdlicher  Wiederholung  dem 
Gelächter  Preis  gaben. 

Oft  genug  hatten  sie  einen  offenen  Angritf  auf  die  feind- 
liche Macht  des  Puritanismus  gewagt.  In  dem  satyrischen 
Werke  John  Marston's,  der  „Geissei  der  Schurkerei",  waren 
seine  Anhänger  einst  als  Heuchler  mit  zum  Himmel  gerich- 
teten Blick  gebrandmarkt  worden,  welche  „die  Religion  zur 
Kupplerin  der  Liederlichkeit  machen".  Der  lustige  Bischof 
Corbct,  dessen  muntere  Gedichte  damals  zwar  noch  nicht  ge- 
sammelt waren,  versetzt  den  näselnden  Brüdern,  die  Kreuz, 
Chorhemd,  Mitra  verabscheuen  und  „neun  Mal  täglich  pre- 
digen", mit  seiner  poetischen  Pritsche  fühl])are  Hiebe.  Un- 
zählig waren  die  hämischen  Anspielungen,  welche  von  der  Bühne 
herab  gegen  die  „Gesichter  ziehenden"  Puritaner  gemacht 
wurden,  die  sich  „die  Kehle  wund  beten",  die  „aussehen  als 
wären  sie  aus  Heiligkeit  zusammengesetzt,  mit  ihrem  Haare, 
kürzer  geschnitten  als  ihre  Augenbrauen  und  ihrem  Gewissen 
gi'össer  als  der  Ocean". 

Aber  währenddess  gewann  der  Puritanisnnis  in  den  Jahren 
des  Diiickes  in  Stadt  und  Land  immer  grösseren  Anhang  und 
blieb  selbst  auf  die  Bewegungen  der  schönen  Literatur  niclit 
ohne  Eintluss.  Tausende,  für  welche  die  Frage  der  Verwer- 
fung  oder  Erwählung  Mittelpuidd    des   Denkens,    die   Bibel 


Theater  und  Puritanismus.  191 

tägliche  Geistesnahrung,  die  calvinistische  Predigt  eines  Richard 
Sibbes  die  liebste  Erbauung  war,  betrachteten  alle  jene  thea- 
tralischen Aufführungen,  jene  bunten  Maskenspiele,  jene  leich- 
ten Liedchen  von  Liebe  und  Wein  mit  denselben  vorwurfs- 
vollen Blickei^,  wie  die  marmornen  Hochaltäre,  die  glänzenden 
Gefässe,  die  prangenden  Priestergewänder  in  den  vom  Orgel- 
klang durchbrausten  Kathedralen.  Die  Zeit,  in  der  so  viele 
von  der  Staatskirche  verfolgte  Brüder  im  Gefängnis  schmach- 
teten oder  über  das  Meer  hatten  fliehen  müssen,  dünkte  sie 
zu  ernst  für  den  Kultus,  des  Schönen  und  Sinnlichen.  Sie 
sahen  die  Gerichte  Gottes  vor  der  Thür  stehn  und  forderten 
Einkehr  des  Menschen  in  sich,  Abwehr  der  weltlichen  Lust. 
Seit  alten  Zeiten  hatte  das  Theater  sich  den  besonderen 
Groll  der  Puritaner  zugezogen (i).  Damals,  unter  der  Regie- 
rung Karl's  L,  waren  sie  um  so  rücksichtsloser  in  ihren  An- 
griffen geworden,  je  mehr  sie  sich  ihrer  wachsenden  Macht 
bewusst  wurden,  und  je  mehr  die  Bühnendichtung  zu  verwil- 
dern begann.  Sie  sahen  in  der  dramatischen  Darstellung  jeder 
Art  nicht  nur  aus  persönlicher,  sondern  aus  grundsätzlicher 
Gegnerschaft  eine  Quelle  der  Verführung  und  Immoralität. 
Wüstlinge  und  Spieler  fanden  sie  mit  immer  grösserem  Be- 
hagen gezeichnet,  Ehebruch  und  Blutschande  mit  lockenden 
Farben  dargestellt,  Schwören  und  Fluchen  zum  förmlichen 
Jargon  gemacht,  Redewendungen  gemeiner  Häuser  ohne  Scheu 
vor  Jung  und  Alt  ausgesprochen,  das  Grässliche  und  Ueber- 
spannte  mit  raffinirter  Berechnung  der  Wirkung  ausgemalt, 
und  nicht  einmal  in  allen  Fällen,  wenn  sich  das  Laster  er- 
brochen hatte,  die  Tugend  wenigstens  zu  Tische  sitzend. 
Selbst  wo  das  Unsittliche  als  nicht  geschehen  gedacht  werden 
konnte,  wurde  das  Ohr  durch  die  reizende  Schilderung  seines 
möglichen  Geschehens  gekitzelt,  und  es  ist  nichts  bezeichnen- 
der, als  dass  die  Idee  zu  Shirley's  „Spieler",  einem  Lustspiel, 
das  hierin  das  Höchste  leistete,  vom  König  selbst  stammte, 
wie  sich  denn  das  Stück  seines  grössten  Beifalls  erfreute. 
Schon  im  ersten  Parlament  Karl's  I.  wurde  eine  provisorische 
Akte  beschlossen,  nach  der  neben  Bären-  und  Stierhetzen 
auch  Zwischenspiele  und  öffentliche  Schauspiele  „am  Tage  des 


192         Theater  und  Puritanismus.  —  Poesie  und  Puritanismus. 

Herrn"  für  unstatthaft  erklärt  wurden (i).  In  demselben  Jahre 
erschien  ein  „kurzer  Traktat  gegen  Bühnenspiele",  gespickt 
mit  Citaten  aus  der  Bibel  und  den  Kirchenvätern,  den  Kon- 
cils  -  Schlüssen  und  den  Pandekten,  heidnischen  und  christ- 
lichen Autoren,  um  nachzuweisen,  dass  das  Theater  nicht  in 
die  Reihe  „der  erlaubten  YergTiügungen"  gehöre (*).  Eben 
damals  während  der  Pestzeit  erschollen  die  bitteren  Klagen 
eines  Pastoren  in  White-Cbapel  darüber,  dass  die  Nachmittags- 
predigten in  Abnahme  kämen,  während  die  Theater,  „wo  man 
dem  Satan  dient",  vergrössert  und  erweitert  würden.  Als 
1629  zum  ersten  Male  Schauspielerinnen,  einer  französischen 
Truppe  angehörig,  aufzutreten  wagten,  wurden  sie  mit  Zischen, 
Schreien  und  Geschossen  von  Obstkernen  von  den  Brettern 
vertrieben.  Drei  Jahre  später  erschien  jenes  mit  Gelehrsam- 
keit und  puritanischem  Eifer  getränkte  Werk  des  Juristen 
William  Prynne,  die  „Schauspieler- Geissei"  (Histrio  -  Mastix), 
in  welchem  allen  Theatern,  diesen  „Geschwisterkindern  und 
Nachbarn  der  Bordelle",  dasselbe  Schicksal  angewünscht  wurde, 
welches  das  alte  Globus-  und  das  alte  Fortunatheater  „mit 
höllischen  Flammen"  verzehrt  hatte (3).  Es  war  die  Frucht 
siebenjähriger  Arbeit,  ein  literarisches  Ereignis,  das  in  gewissem 
Sinne  zugleich  ein  politisches  wurde.  Der  dicke  Quartband,  in 
dem  man  einen  versteckten  Angriff  selbst  auf  die  Königin  zu  er- 
kennen glaubte,  kostete,  von  anderem  abgesehn,  dem  Ver- 
fasser nicht  nur  seine  Freiheit  und  seine  Ohren,  sondern  rief 
zugleich  in  den  höheren  Schichten  der  Gesellschaft  einen  wah- 
ren Wetteifer  hervor,  sich  in  der  Begünstigung  der  drama- 
tischen Kunst  als  loyal  gesinnt  zu  erzeigen,  und  verhalf  somit 
dem  Theater  in  den  nächsten  Jahren  zu  einem  neuen  Auf- 
schwung (*). 

Inzwischen  waren  auf  anderen  Gebieten  der  schönen  Lite- 
ratur Spuren  der  Einwirkung  puritanischen  Geistes  zu  be- 
merken, die  im  Laufe  der  Zeit  nicht  geringer  wurden.  Gerade 
darin  zeigt  sich  die  Gewalt  einer  ideellen  Macht  am  deutlich- 
sten, dass  sie  selbst  solche  mit  einem  geheimen  Banne  zu 
fesseln  weiss,  die  ihr  äusserlich  feindlich  gegenüber  stehen. 
Miin    ei'staunt,    aus   den  lachenden  Liedern  jener  Kinder  der 


Poesie  und  Puritanismus.  193 

Welt  mitunter  die  ernsten  Töne  der  Schwermuth  und  Ent- 
sagung herauskliugen  zu  hören.  William  Cartwright's  Strophen 
durchweht  mitunter  ein  Hauch  von  Weltschmerz,  der  wenig 
zu  dem  lebenslustigen,  auch  im  tiefsten  Unglück  optimistischen 
Sinn  der  Kavaliere  passt,  in  deren  Reihen  er  gehörte.  Der 
resignirten  Verse  des  eifrigen  Royalisten  Drummond,  in  denen 
er  das  Leben  einer  Jagd  vergleicht,  den  Menschen  dem 
Wilde,  den  Tod  dem  Nimrod,  Lust,  Krankheit,  Neid,  Sorge 
seinen  flinken  Hunden,  hätte  sich  keiner  derer  zu  schämen 
gebraucht,  die  später  in  den  Schaaren  der  CromwelFschen 
auserwählten  Heiligen  standen.  Francis  Quarles,  der  im 
Bürgerkriege  für  den  König  litt,  erscheint,  wie  erwähnt,  als 
Dichter  durchaus  von  den  Gedanken  calviuistisch  -  puritanischer 
Weltanschauung  beherrscht.  Unter  den  Spenseriauern  insbe- 
sondere lassen  sich  Züge  der  religiösen  Denkweise  und  des 
politischen  Freiheitsgefühls  des  Puritanismus  hie  und  da  er- 
kennen, wie  denn  Spenser  selbst  mit  seinem  Tugendenthusias- 
mus wie  mit  seinem  Hass  gegen  Rom,  mit  seinem  sitthchen 
Ernste  wie  mit  seinem  Lobe  des  genügsamen ,  guten  Hirten 
offen  dem  Puritanismus  das  Wort  redete,  ohne  sich  von  ihm 
die  Freude  an  form-  und  farbenreicher  Schönheit  rauben  zu 
lassen.  William  Browne  verwahrt  sich  dagegen,  dass  seine 
„freigeborene  Muse"  wie  Danae  mit  Gold  gewonnen  werden 
könne,  um  den  Grossen  zu  schmeicheln,  und  will  nichts  wissen 
von  den  Freuden  des  Hofes  und  der  Paläste  (i).  Die  beiden 
Fletcher  hatten  in  ihren  Hauptwerken  religiöse  und  ethische 
Fragen  in  einer  Weise  behandelt,  die  das  Wohlgefallen  puri- 
tanischer Geister  erregen  musste,  Phineas,  der  ältere  der  bei- 
den Brüder,  in  dem  nach  einer  Zeit  jugendlicher  Leidenschaft 
eine  innere  Wandlung  vor  sich  gegangen  zu  scheint,  zeigt 
sich  wie  in  seinen  „Apollyonists"  so  in  den  prosaischen  Trak- 
taten, die  er  hinterlassen  hat,  als  Gegner  des  Arminianismus 
und  strengen  Calvinisten(2). 

Und  einen  Dichter  hatte  jene  Zeit,  welcher  ganz  und  gar 
als  bewusster  Vertreter  des  Puritanismus  gelten  konnte,  und 
der  die  Mode-Schriftsteller  des  Tages  auf  ihrem  eignen,  dem 
literarischen   Gebiet  mit  scharfen  Waffen  bekämpfte,   wie   er 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.  I.  1.  ]3 


194  Wither. 

später  als  einer  der  Officiere  des  Parlaments-Heeres  der  Hof- 
Partei  auf  dem  Schlachtfeld  entgegentrat. 

George  Wither  aus  Hampshire  stand  1632  mit  vierund- 
vierzig  Jahren  bereits  auf  der  Höhe  seines  Ruhmes  und  konnte 
auf  eine  ereignisreiche  literarische  Laufbahn  zurückblicken. 
Während  seiner  Studienzeit  im  Magdalen-College  zu  Oxford, 
später  in  London,  wo  er  in  Lincoln's  Inn  sich  zum  Rechts- 
gelehrten bilden  wollte,  hatte  sich  seine  Neigung  zur  Schrift- 
stellerei  entwickelt,  die  mit  der  Fähigkeit  unglaublich  rascher 
Produktion  verbunden  war(^).  Er  war,  wie  so  viele  der  da- 
maligen Poeten,  mit  Klagegedichten  auf  den  Tod  des  Prinzen 
Heinrich  und  Epithalamien  auf  die  Hochzeit  der  Prinzessin 
Elisabeth  und  des  Kurfürsten  Friedrich  von  der  Pfalz  hervor- 
getreten. Es  sollte  wohl  mehr  als  blosse  konventionelle  Form 
sein,  wenn  er  in  den  Epithalamien  (p.  466)  betonte,  dass  er 
nicht  zu  „jenen  helikonischen  Schöngeistern  gehöre,  deren  ge- 
fällige Weisen  für  die  Ijekannte  Stimmung  des  Hofes  passe, 
sondern  nur  ein  armer  Schäfer  vom  Lande  sei,  der  nöthigen- 
falls  Hirtenlieder  auf  der  Rohrpfeife  blasen  könne."  In  der 
That  waren  fast  gleichzeitig  seine  zwei  Bücher  Satyren 
(Abuses  stript  and  whipt)  erschienen,  die  der  „l)ekannten 
Stimmung  des  Hofes"  wenig  angepasst  waren.  Er  hatte  den 
Muth,  sie  hohen  und  höchsten  Persönlichkeiten  in  eigenen 
Dedikations- Exemplaren  zuzustellen.  Als  indess  einzelne 
Stellen  des  Werkes  beleidigend  für  Männer  in  Amt  und 
Würden  erfunden  wurden,  musste  der  Verfasser  für  einige 
Zeit  in's  Gefängnis  wandern.  Audi  im  Kerker  blieb  seine 
Muse  nicht  still.  Hier  entstand  nicht  nur  eine  Reihe  von  Ek- 
logen  (The  Shepheards  Hunting),  den  Freunden,  die  ihn  besucht 
und  getröstet  hatten,  gewidmet,  sondern  auch  eine  freimüthige 
Appellation  an  den  König,  die,  wie  man  annimmt,  zu  seiner 
Freilassung  fülirtc.  Von  nun  an  überschwemmte  er  den 
Bücher-Markt  förmlich  mit  literarischer  Waare  von  seiner 
Hand.  Weltliche  und  geistliche  Gegenstände  wechselten  mit- 
einander ab.  Jenem  Gebiete  gehörte  z.B.  sein  ,,  Motto"  an: 
„Icli  habe  nichts,  brauche  nichts,  sorge  um  nichts"  (Nee  habeo, 
ne.c  careo,  nee  curo),   eine  Art  von  moralischem   Glaubens- 


Wither.  195 

bekenntnis,  seine  „Elegische  Epistel  Fidelia's",  die  Pastorale 
„Tugend-Schön,  die  Geliebte  Philavetes^',  diesem  seine  me- 
trische Paraphrase  des  Glaubensbekenntnisses  und  des  Vater- 
unser, seine  „Gesänge  Mosis  und  Hymnen  des  alten  Testa- 
ments", seine  „Hymnen  und  Gesänge  der  Kirche",  Im  Jahre 
1622  war  unter  dem  Titel  „Juvenilia"  ein  Theil  seiner  Dich- 
tungen gesammelt  erschienen  (^).  Indesse;i  war  sein  Leben 
nicht  frei  von  mancherlei  Verfolgungen  gewesen.  Er  hatte 
zeitweise  wiederum  Freiheits  -  Strafe  und  empfindliche  Ver- 
luste an  Geld  zu  leiden  gehabt.  Er  war  sodann  mit  der  Ge- 
sellschaft der  Buchhändler  (Stationers  Company)  in  heftige 
Streitigkeiten  gerathen.  Diesen  war  das  ihm  vom  König  ge- 
währte Privelegium,  seine  „Hymnen  und  Gesänge  der  Kirche" 
selbst  zu  drucken,  ein  Dorn  im  Auge,  um  so  mehr,  da  der 
König,  um  ihnen  weitere  Verbreitung  zu  geben,  gestattet  hatte, 
sie  jedem  Exemplar  des  englischen  Psalm-Buches  anzuhängen. 
Bei  dem  reissenden  Absatz  entgieng  der  Koi-poration  ein  Ver- 
dienst, den  sie  als  ihr  gehörig  betrachtete.  Sie  suchte  das 
Publikum  auf  alle  Weise  vom  Kaufe  abzuschrecken,  verklagte 
Wither  vor  dem  Parlament  als  „Monopolisten",  hemmte  den 
Verkauf  seiner  übrigen  Werke  und  schrak  selbst  vor  An- 
griffen auf  seinen  Privat  -  Charakter  nicht  zurück.  In  einer 
eigenen  Schrift:  „Das  Fegefeuer  des  Gelehrten,  entdeckt  in 
dem  Reiche  der  Stationers"  suchte  er  sein  gutes  Recht  zunächst 
vor  dem  Erzbischof  von  Canterbury,  als  zuständiger  Behörde,  und 
der  Konvokation  des  Klerus  (c.  1625)  zu  vertheidigen  und  die 
Missbräuche  jenes  Institutes  aufzudecken,  dessen  Mitglieder 
sogar  gewagt  hatten,  bei  ihrem  Vorgehn  sich  auf  die  Billigung 
der  geistlichen  Autorität  zu  berufen.  Auch  Diener  der  Kirche 
wurden  hier  von  Wither  mit  scharfen  Worten  getadelt, 
da  ihr  Standesdünkel  sie  zu  Verbündeten  der  habsüchtigen 
Stationers  gegen  den  Laien  gemacht  hatte. 

Dies  alles  hatte  dazu  gedient,  Wither  eine  Popularität 
zu  verschaffen,  die  weniger  seinem  Talent  als  seinem  Cha- 
rakter, weniger  der  Form  als  dem  Inhalt  seiner  Schriften  zu 
danken  war.  Man  übersah,  dass  seine  endlos  hervorsprudeln- 
den Verse  häufig  nur  als  gereimte  Prosa  erschienen  und  hielt 

13* 


196  Wither. 

sich  an  die  Gesiunuug  des  Autors.  In  ihm,  als  Menschen 
und. Schriftsteller,  erblickte  der  ernste,  nüchterne,  durch  und 
durch  puritanische  Mittelstand  gegenüber  jenen  frivol  und 
geistreich  tändelnden  Hofdichtern  eine  Art  Ideal,  und  Wither 
konnte  nicht  ohne  Grund  sich  rühmen,  dass  Tauseude  und 
Tausende  sich  um  seine  Bücher  rissen.  In  manchen  seiner 
Erstlings-Werke  hatte  er  sich  unverkennbar  als  Spenserianer 
bezeichnet,  wie  er  denn  u.  a.  mit  William  Browne,  dem  Ver- 
fasser von  „Britannias  Schäfergedichten''  durch  innige  Freund- 
schaft verbunden  war(").  Eine  gewisse  Zartheit  und  innige 
Naturempfindung  war  auch  Wither's  arkadischen  Dichtungen 
nicht  abzusprechen.  In  der  Zerlegung  des  Schönen  bis  in  die 
kleinsten  Einzelnheiten  und  ihrer  verführerischen  Beschrei- 
bung wetteifert  er  mit  jedem  zeitgenössischen  Autor,  der  sich 
an  der  Arcadia  oder  an  der  Feenkönigin  gebildet  hatte  (^). 
Aber  sein  Naturell  gebot  ihm,  noch  mehr  als  den  übrigen 
Schülern  Spenser's,  gegenüber  der  sinnlichen  Aufwallung  eine 
keusche  Zurückhaltung  zu  wahren  oder  den  Sturm  der  Ge- 
fühle wohl  gar  durch  kalte  Vernunftgründe  zu  beschwichtigen 
(so  z.  B.  Sonnet  3,  S.  818).  Und  bald  kam  die  Zeit,  da  er 
jene  „kindischen  Unvorsichtigkeiten"  seiner  jugendlichen  Muse 
beinahe  ])e)-eute  und  bittere  Worte  über  „die  endlose  Menge 
thörichter  Lieder  und  Balladen"  zu  machen  wusste,  „die 
auf  den  Dienst  des  Fleisches  und  des  Teufels  berechnet  sind." 
Er  sah  in  den  ,, leichtfertigen  und  lockeren  Gedichten"  nur 
eine  „Schändung  des  Schriftsteller-Berufs,  einen  Verderb  der 
Jugend",  Bausteine  zum  „Reiche  der  Sünde  und  des  Satans", 
und  beschloss  daher  statt  ihrer  die  „herrlichen  Aeusserungen 
des  heiligen  Geistes"  in  dichterischer  Form  wiederzugeben  (^). 
Aber  schon  früher  hatte  er  sieh  auf  einem  anderen  Felde 
versucht,  auf  dem  er  ebenso  sicher  w^ar,  puritanischen  Geistes- 
verwandten zu  begegnen,  wie  auf  dem  der  biblischen  Lyrik. 
Als  Satyriker  hatte  er  allerdings  unmittelbare  Vorgänger 
gehabt.  Der  Satyren  von  Donne  und  Marston  haben  wir 
schon  gedaclit,  die  Joseph  HalFs  werden  in  anderem  Zusanmien- 
hang  gewürdigt  wei'den.  Was  Witlier's  gleicliartige  Verse 
auszeichnete,    war    (He    rücksichtslose    Schärfe,    mit    der    er 


Wither.  197 

sich  gegen  die  höheren  Stände  gewandt,  der  religiös-politische 
Eifer  des  Puritaners,  mit  dem  er  den  herrschenden  Gewalten 
entgegengetreten  war.  Er  hatte  nicht  nur  gewusst,  mit 
sicherer  Hand  einzelne  Leidenschaften,  wie  Jähzorn,  Eifer- 
sucht, Grausamkeit  abzuschildern,  mit  der  feinen  Beobachtungs- 
Gabe  eines  Sebastian  Brant  so  manche  Modethorheiten  der 
Gesellschaft  darzustellen,  sondern  er  war  muthig  genug  gewesen, 
auch  das  Feld  der  Staatsverwaltung  zu  streifen.  In  den  Zeiten 
Jakob's  musste  es  anzüglich  erscheinen,  auf  die  Hinneigung  zu 
Spanien  und  die  vernachlässigte  Kriegsrüstung  des  Landes  hin- 
zuweisen. Ebenso  unliebsam  klang  das  Wort,  dass  mancher 
,,die  Mittel  des  Heiles  verabsäume  aus  Furcht,  als  Puritaner 
gekennzeichnet  zu  werden."  Beschwerden  über  die  ungesetz- 
liche Duldung  von  Rekusanten  am  Hofe,  die  „  Ueberfüllung 
der  Religion  mit  Ceremonieen ",  die  Missln-äuche  der  Uni- 
versitäten, die  Mängel  des  Ptechtes  und  der  Gerichte  waren 
sämmtlich  aus  dersellien  Quelle  puritanischer  Anschauungen 
geflossen (^).  Mit  gutem  Grunde  hatte  Wither  in  dem  Vor- 
wort an  den  Leser  sagen  können:  ,, Erwartet  nicht  die  künst- 
lich gefügten  Pteime  Spenser's  oder  Daniers(2)  oder  die  tiefen 
Gedanken  des  jetzt  hochangesehenen  Jonson;  sagt,  es  ist  ehr- 
lich und  olTen  geredet,  das  ist  alles,  was  ich  verlange." 

Der  stolze  Sinn,  unbekümmert  um  Autoritäten,  sich  seinen 
Weg  zu  bahnen,  nur  der  Stimme  des  Gewissens  zu  folgen, 
war  überhaupt  einer  der  wesentlichsten  Züge  dieser  starren 
Natur.  ,,Wenn  sich  niemand  um  meine  Lieder  kümmert,  — 
sagt  er  ein  Mal,  —  lasse  ich  mir  an  mir  selbst  genügen  und 
bin  mit  meinem  Beifall  so  zufrieden,  als  wenn  die  hal1)e  Welt 
mich^  hörte'' (ä).  Diese  echt  puritanische  Hervorkehruug  des 
individuellen  Urtheils  erschien  beinahe  zum  Grotesken  ge- 
steigert, wenn  Wither  in  der  Form  der  Widmung  alles  Gute 
seinem  eigenen  Selbst  wünschte,  dem  er  „nächst  Gott,  seinem 
Fürsten  und  Lande  am  meisten  verpflichtet  sei."  Sie  gab 
den  Anlass  zur  Abfassung  jenes  selbstbewussten  „Motto", 
welches  auf  dem  Titelbilde  den  Dichter  mit  Lorbeeren  ge- 
kränzt, durch  göttliche  Macht  vor  den  Pfeilen  seiner  Feinde 
geschützt  zeigte  und  mit  den  Worten  schloss:   „Meine  Seele 


198  Wither.  —  Schlussbetrachtung. 

ist  mein  Reich,  und  keines  anderen  Wille  soll  es  belierrschen; 
denn  ich  bin  frei,  und  niemand  hat  mir  die  Freiheit  gegeben, 
niemand  soll  sie  mir  nehmen." 

Ein  so  streitlustiger  und  stolzer  literarischer  Charakter 
musste  nicht  nur  bei  der  Obrigkeit,  sondern  in  den  Kreisen 
seiner  eigenen  Berufsgenossen  Anstoss  erregen.  Je  höher  seine 
Popularität  anwuchs,  desto  nöthiger  schien  es,  den  gefähr- 
lichen Nebenbuhler  zu  bekämpfen.  Ben  Jonson,  obwohl 
Wither  ihm  sein  Lob  gespendet  hatte  (^),  das  alte  Haupt  der 
lebenslustigen  Dichter-Genossenschaft,  dem  nichts  ferner  lag, 
als  die  ängstliche  Moral  des  Puritanismus,  hatte  es  schon  1624 
unternommen,  den  mürrischen,  hochmüthigen  Sitten-Prediger 
anzugreifen.  In  einem  Maskenspiele,  das  am  Hofe  zur  Auf- 
führung kam,  stellte  er  ihn  in  der  Figur  des  „Chronomastix" 
des  „wackren  Satyrs"  mit  glücklicher  Benutzung  seiner 
Schwächen  an  den  Pranger  und  suchte  ihn  in  jeder  Weise  lächer- 
lich zu  machen  (^).  Indess  blieb  Wither  die  Antwort  nicht 
schuldig.  In  seinem  Gedicht  „Britannien's  Mahner"  (Britains  Re- 
membrancer  1628)  schilderte  er  jenen  weinseligen  Apollo-Club, 
das  Tribunal,  welches  sich  ein  höchstes  Urtheil  über  die 
Dichter  der  Zeit  anmasse,  und  berief  sich  auf  seine  Verdienste. 
Zugleich  hatte  er  einen  neuen  Ton  angeschlagen,  mit  dem  er 
die  erregte  Stimmung  der  Massen  traf.  Er  erschien  als 
Prophet  und  kündete  seinem  Volke  Tage  des  Unheils  voraus, 
die  sein  geistiges  Auge  erblickte.  Heer  und  Flotte,  Häfen 
und  Festungen  schienen  ihm  zum  Untergang  bestimmt,  der 
Reichthum  der  Städte,  die  Früchte  des  Feldes,  die  ganze 
Fülle  irdischer  Güter  und  Freuden  reif  zur  Vernichtung, 
Gottes  Gerichte  nahe  und  die  Schalen  seines  Zornes  voll. 
Es  war  die  Vorahnung  einer  grossen  Umwälzung,  die  schon 
damals  in  der  Dichtung  des  Tages  zum  Ausdruck  kam. 

In  dieser  Art  wogten  auf  dem  Gebiet  der  schönen  Lite- 
ratur die  Geister  durcheinande]-,  als  Milton  sich  entschloss, 
frei  ^•o1l  den  Fesseln  eines  Amtes,  in  ihre  Reihen  einzutreten. 
Nachklänge  dei'  gewaltigen  Ki-aft  des  Dramas,  dunkle  Stimmen 
allegorischer  Dichtung,  arkadische  Flötentöne,  künstlich  ver- 
schniukelte  Weisen,  leichtfertig-tändelnde  Liedchen,  gluthvolle 


Schlussbetrachtung.  199 

und  ascetische  Hymnen  flössen  zu  einem  verwirrenden  Chore 
zusammen.  Aber  auch  hier  war  zu  erkennen,  dass  man  sich 
einem  grossen  Wendepunkt  näherte.  Die  Zeiten  des  „lustigen 
Alt-England",  der  Romantik,  der  ungetrübten  Freude  am 
Schönen  und  Idealen  giengen  zu  Ende.  Der  Ernst  der  Re- 
flexion und  der  bürgerlichen  Arbeit,  des  Ringens  im  politi- 
schen Kampfe,  der  calvinistischen  Strenge  und  Ausschliess- 
lichkeit drängte  sich  vor.  Eine  Epoche  brach  an,  welche  dem 
freien  Aufschwung  des  dichterischen  Genius  wenig  günstige 
Aussichten  versprach.     , 


Fünftes  Kapitel. 
Die  Lehrjahre  in  Horton. 


In  Buckinghamshire  nahe  bei  dem  Flecken  Colnbrook, 
vier  bis  fünf  Stunden  westlich  von  London,  liegt  das  kleine 
Dorf  Horton.  Die  alte  ehrwürdige  Pfarrkirche  inmitten  des 
Kirchhofes  und  die  ringsum  verstreuten  Häuser  des  Dorfes 
tauchen  zwischen  Bäumen  und  Buschwerk  aus  einer  reichen 
fruchtbaren  Niederung  auf,  die  zu  Milton's  Zeiten  nicht 
weniger  als  in  unseren  Tagen  hundert  abwechselnde  Scenen 
ländlichen  Friedens  darbot.  Das  Land  ist  von  üppigen 
Wiesen  bedeckt,  plätschernde  Rinnsale  führen  durch  sie  hin 
die  Wasser  des  zertheilten  Flusses  Colne  der  Themse  zu, 
alter  herrlicher  Wald  ladet  auf  allen  Seiten  in  seinen  kühlen 
Schatten,  und  über  die  dichten  Wipfel  ragen  westwärts  die 
stolzen  Zinnen  von  Windsor  empor.  Hierhin  nach  Horton 
hatte  sich  Milton's  Vater  zurückgezogen,  um  nach  so  manchem 
Jahre  angestrengten  Fleisses  seine  alten  Tage  in  gesunder 
Landluft  zu  geniessen.  Noch  lebte  ihm  die  treue  Gefährtin; 
die  Tochter  Anna,  seit  dem  August  1631  verwittwet(^),  blieb 
mit  ihren  zwei  kleinen  Söhnen  in  London  wohnen,  ebendort 
begann  im  September  1632  des  Dichters  Bruder  Christoph 
im  Inner  Teinple  das  Studium  des  Rechtes,  für  das  er  be- 
stimmt wurde  (^). 

Möglicherweise  fand  der  Umzug  kurz  vor  oder  in  dem  Jahre 
1631  statt,  wenigstens  liess  sich  annehmen,   dass  der  Dichter 


Milton  in  Horton.  —  Studien.  201 

die  Herbstferien  dieses  Jahres  inmitten  der  Reize  von  Wald 
und  Feld  verbrachte,  deren  er  in  seiner  siebenten  College- 
Rede  mit  solclier  Bewunderung  gedenkt  (^).  Vermuthlich 
stand  das  nun  längst  vom  Erdboden  verschwundene  Haus 
und  der  zugehörige  Landbesitz  im  Eigenthum  der  Familie 
Bulstrode,  die  seit  Jahrzehnten  das  Herrenhaus  hinter  der 
Kirche,  gewiss  das  stattlichste  Privat-Gebäude  im  ganzen 
Orte,  einnahm.  Es  ist  dieselbe  Familie,  aus  welcher  von 
mütterlicher  Seite  der  nachmals  als  Jurist  und  Politiker  be- 
rühmte Bulstrode  Whitelocke  stammte,  der  nur  um  wenige 
Jahre  älter  war  als  Milton.  Zu  den  Honoratioren  des  Ortes 
gehörte  selbstverständlich  der  Inhaber  der  Pfarrei,  Edward 
Goodal,  in  früheren  Zeiten  Gehülfe  des  puritanischen  Geist- 
lichen Thomas  Gataker,  seit  1631  im  Genuss  der  Pfründe 
von  Horton  {^).  Auch  seine  kleine  Kirche  entgieng  nicht  den 
prüfenden  Blicken  der  geistlichen  Yisitatoren.  Unter  den 
Kirchenstühlen,  an  denen  etwas  auszusetzen  war,  vermuthlich 
weil  sie  einen  Zoll  höher  waren  als  die  uniforme  ,, Schönheit 
der  Heiligkeit"  zuliess,  befand  sieh  auch  derjenige  des  alten 
Milton  (3).  In  diesen  eng  umschriebenen  Kreis  trat  Milton 
ein,  als  er  seine  Studien  beendet  hatte  und  den  Entschluss 
nicht  fassen  konnte,  einen  praktischen  Lebensberuf  zu  er- 
greifen. Wie  wohl  er  sich  aber  in  diesem  sorglosen  Still- 
leben befunden  habe ,  mag  man  sofort  aus  den  Worten 
sehliessen,  mit  denen  er  die  sechs  Jahre  jener  Lebensepoche 
kennzeichnet:  „Auf  dem  Landgut  meines  Vaters,  w^ohin  sich 
dieser  aut  seine  alten  Tage  zurückgezogen  hatte,  vertiefte  ich 
mich  in  schönster  Müsse  ganz  und  gar  in  die  Werke  der 
griechischen  und  lateinischen  Schriftsteller.  Älitunter  ver- 
tauschte ich  jedoch  das  Land  mit  der  Stadt,  sei  es  um  hier 
Bücher  zu  kaufen,  oder  um  etwas  Neues  in  der  jNIathematik 
und  Musik  zu  lernen,  womit  ich  mich  damals  erfreute"  (*). 

Mit  gutem  Grunde  betont  Milton  bei  dem  kurzen  Ueber- 
blick  über  sein  Thun  und  Treiben  während  jener  Jahre  sein 
Studium  der  klassischen  Literatur.  Man  hat  behauptet,  er 
habe  in  jenem  Zeitraum  sämmtliche  ü])erhaupt  zugängliche 
lateinische  und  griechische  Schriftsteller  gelesen,   und   wenn 


202  Studien.  —  Besuche  von  London. 

eine  solche  Behauptung  auch  unzweifelhaft  übertrieben  ist,  so 
wurden  doch  sicherlich  die  schon  während  der  Schul-  und 
Universitäts-Zeit  erworbenen  Kenntnisse  nach  dieser  Richtung 
hin  ungemein  erweitert.  Exemplare  eines  Lykophron  und 
eines  Euripides,  die,  wie  man  weis,  im  Jahre  1634  in  Milton's 
Besitz  übergiengen,  neben  der  Einzeichnung  seines  Namens 
mit  Noten  von  seiner  Hand  versehn,  mögen  nur  als  verein- 
zelte Stücke  einer  anwachsenden  Bibliothek  gelten,  und  es 
gab  andere  Gelegenheiten  genug,  die  ersehnten  Schätze  der 
Alten  sich  zu  verschaffen  (^).  Eben  jene  Jahre  wird  man  als 
die  reifereren  betrachten  dürfen,  in  denen  ihn  noch  stärker 
als  zuvor  die  „göttlichen  Werke  Plato's  und  des  ihm  eben- 
bürtigen Xenophon"  beschäftigten  (-).  Ein  Brief,  der  gegen 
Ende  dieses  Lebens-Abschnittes  am  23.  Sept.  1637  an  Diodati 
gerichtet  ist,  giebt  dem  Freunde  gleichsam  einen  Rechen- 
schafts-Bericht über  die  Studien  des  Schreibers:  „Die  Ge- 
schichte der  Griechen  habe  ich  durch  ununterbrochene  Lek- 
türe bis  zu  dem  Momente  verfolgt,  in  dem  sie  aufhörten 
Griechen  zu  sein.  Ich  habe  mich  lange  bei  der  dunklen  Partie 
der  Geschichte  der  Italiener  unter  den  Longobarden,  Franken, 
Deutschen  aufgehalten,  bis  zu  der  Zeit,  da  ihnen  durch  Ru- 
dolf, der  Deutschen  König,  die  Freiheit  gegeben  wurde;  von 
da  an  wird  es  wohl  ratlisamer  sein,  die  Geschichte  jedes 
einzelnen  Staates  Italien's  gesondert  zu  lesen."  Und  am 
Schlüsse  des  Briefes  bittet  Milton  den  Adressaten,  ihm  die 
Geschichte  Venedigs,  man  weiss  nicht,  ob  von  Bernardo  oder 
Pietro  Giustiniano  leihweise  zu  übersenden  (^).  Ueber  der 
Geschichte  der  Völker  der  Neuzeit  wurde  ihre  Sprache  und 
Literatur  nicht  vernachlässigt.  Wenigstens  des  Französischen, 
und  Italienischen,  wohl  auch  des  Spanischen,  mag  Milton  damals 
mächtig  geworden  sein.  Beatrice's  und  Laura's  Lob  ver- 
stand er  in  der  Ursprache  zu  lesen,  noch  ehe  er  die  Stätten 
betrat,  auf  denen  Dante  und  Petrarca  gewandelt  hatten (^). 

Ein  so  Üeissiger  Verkehr  mit  den  grossen  Geistern  längst 
entschwundener  Zeiten  wurde  am  besten  durch  einen  Aus- 
flug nach  der  nahen  Hauptstadt  unterbrochen.  Hier  empfieng 
den  .lüngling  das  rauschende  Leben  des  Tages,  beim  Bruder 


Besuche  von  London.  —   Die  Brüder  Lawes.  203 

oder  im  Hause  der  Schwester  fand  er  sichere  Unterkunft, 
durch  Paternoster  -  Row  schlendernd  konnte  er  unter  den 
neuen  Waaren  des  Büchermarktes  wählen  und  sich  mit  den 
eben  ausgegebenen  Stücken  der  Dramatiker  oder  den  jüngsten 
theologischen  Traktaten  beladen,  an  solchem  Platz  liess  sich 
am  leichtesten  ein  Stelldichein  mit  den  alten  Freunden  geben  (^). 
Aber  hier  in  London  fand  sich  auch  Gelegenheit  zu  lernen 
und  ein  angeborenes  Talent  weiterzubilden.  Wer  der  Lehrer 
der  Mathematik  gewesen  sein  mag,  ist  nicht  zn  sagen.  Da- 
gegen unter  den  bekannten  und  wegen  ihres  Unterrichtes  all- 
gemein geschätzten  Musikern  kamen  ohne  Zweifel  zwei  Männer 
in  Frage,  mit  deren  einem  Milton  nachweisslich  eben  damals 
in  enge  Verbindung  trat. 

William  und  Henry  Lawes,  die  Söhne  des  William  Lawes 
von  Steeple  Langford,  nahmen  unter  den  musikalischen  Grössen 
ihrer  Zeit  einen  hohen  Rang  ein.  Beide  waren  in  ihrer  Kunst 
von  John  Cooper  unterrichtet  worden,  der  sich,  nach  auch 
uns  bekannter  Art,  in  einen  Giovanni  Coperario  zu  verwandeln 
für  nöthig  gehalten  hatte.  Die  beiden  Lawes  wurden  Mit- 
glieder der  königlichen  Kapelle,  eines  Instituts,  das  schon 
lange  vor  der  Zeit  der  Reformation  bestanden  hatte  und 
wegen  der  Vortrefflichkeit  seiner  Leistungen  im  Kirchen- 
Gesänge  hoch  berühmt  war.  Die  Brüder  gehörten  gleich- 
falls zu  den  Kammer-Musikern  Karl's  L,  lieferten  zahlreiche 
Kompositionen  beliebter  Dichterwerke  und  verkehrten  in  der 
besten  Gesellschaft  (-).  Noch  bedeutender  und  geschätzter 
als  der  ältere  Bruder  scheint  Henry  gewesen  zu  sein.  Mit 
neunundzwanzig  Jahren  trat  er  in  die  königliche  Kapelle  ein 
und  stieg  hier  von  einer  Ehrenstelle  zur  anderen  empor.  Die 
ersten  Dichter  der  Zeit,  ein  Waller,  Carew,  Cartwright,  Herrick, 
später  auch  Lovelace,  waren  stolz  darauf,  ihre  Verse  von 
Lawes  in  Musik  gesetzt  zu  sehen,  mit  vielen  von  ihnen  war 
er  befreundet,  Waller,  Herrick  u.  a.  widmeten  ihm  schmeichel- 
hafte Strophen,  auf  Hobbes  Tische  pflegte  fast  immer  ein 
Heft  seiner  Lieder  zu  liegen.  Mit  Bewusstsein  kämpfte  er 
gegen  die  Mode  des  Tages  an,  fast  lediglich  italienische  Texte, 
welche  die  wenigsten  verstanden ,  für  singbar  zu  erklären,  er 


204  Die  Brüder  Lawes.  —  Theater. 

ironisirte  diese  Leidenschaft  der  Gesellschaft,  diesen  hiimourj 
wie  Ben  Jonson  gesagt  haben  würde,  und  drang  auf  die  natio- 
nale Einbürgerung  seiner  Kunst.  Seine  Stärke  war  die 
Komposition  von  Liedern  für  eine  Stimme,  hier  verstand  er 
nach  Waller's  preisendem  Ausdruck  „den  Versen  Leben  zu 
geben",  die  Worte  mit  der  Melodie,  die  poetische  mit  der 
musikalischen  Phrase  kunstgerecht  zu  decken  (').  Henry 
Lawes  ertheilte  in  vornehmen  Kreisen,  vorzüglich  im  Gesänge 
Unterricht,  er  mag  auch  Milton's  Lehrer  gewesen  sein  und 
seine  musikalischen  Neigungen  mannigfach  angeregt  haben. 

Die  Bekanntschaft  mit  den  in  allen  Künstlerkreisen 
heimischen  Brüdern  Lawes  diente  unzweifelhaft  dazu,  noch 
ein  anderes  Interesse  Milton's  zu  beleben.  Man  erinnert  sich, 
welches  Entzücken  Milton  schon  früher  in  dem  „pomphaften 
Rundbau  des  Theaters"  empfunden  und  wie  kühl  er  dagegen 
die  gespreizten  Dilettanten- Versuche  seiner  üniversitäts-Ge- 
nossen  beurtlieilt  hatte.  Welche  angenehmere  Unterbrechung 
der  ruhig  und  gleichmässig  dahin  fliessenden  Tage  des  Land- 
lebens konnte  es  geben,  als  dann  und  wann  die  wahren  Stätten 
der  Kunst  aufzusuchen  und  inmitten  der  lauschenden  Masse 
ein  Bild  aller  menschlichen  Leidenschaften  entrollen  zu  sehen. 
Eben  damals  drängte  sich  die  Theilnahme  an  den  Schöpfungen 
der  dramatisclien  Dichtung  auf's  neue  mächtig  vor.  Der 
Histriomastix  von  William  Prynne,  dessen  Process  sich  im 
P'ebruar  1634  abspielte,  hatte  jene  Bewegung  der  höfischen 
Kreise  zu  Gunsten  der  Bühne  entfesselt,  die  in  der  Aufführung 
von  Sliirley's  Maskenspiel  „Der  Triumph  des  Friedens"  ihren 
glänzendsten  Ausdruck  fand.  Die  vier  Rechts-Kollegien  ver- 
anstalteten sie  für  Lichtmess  1634,  um  auf  diese  Weise  ihren 
vollen  Abscheu  vor  dem  puritanischen  Berufsgenossen  zu 
erkennen  zu  geben,  der  es  nocli  dazu  gewagt  hatte,  sein 
Werk  den  Vorstehern  von  Lincoln's  Inn  zu  widmen.  Was 
die  Kunst  und  die  Gelehrsamkeit  des  Tages  vermochte,  war 
aufgeboten,  um  dies  Fest  zu  schmücken.  Ein  Seiden  ver- 
geudete seine  antiquarischen  Kenntnisse  an  die  Einrichtung 
des  Scliaugepränges  und  die  Walil  der  Kostüme,  Inigo  Jones 
gab  die  Scenerie   an,  William  Lawes   lieferte   grossen   Theils 


Theater.  —  Die  Gills  und  Ben  Jonson.  205 

die  Musik.  Wenn  wir  die  glänzende  Beschreibung  lesen,  in 
Avelclier  Bulstrode  Whitelocke,  damals  eines  der  Mitglieder  des 
Comit^,  den  Strassen  -  Aufzug ,  die  Auiführung,  den  ganzen 
Pomp  dieses  Festes  schildert,  so  schenken  wir  der  Nachricht 
Glauben,  dass  sich  die  Kosten  auf  beinahe  21,000  '£  belaufen 
haben.  Eine  zweite  Aufführung  fand  acht  Tage  später  im 
Kaufhause  auf  Kosten  des  Lordmayor  statt.  Hinter  solchem 
Luxus  konnte  der  Hof  nicht  zurückbleiben,  schon  Fastnacht 
desselben  Jahres  brachte  er  unter  Mitwirkung  des  Königs 
und  vieler  Adligen  Carew'g  Coelum  Britannicum  zur  Darstellung. 
Nach  dem  Urtheil  des  königlichen  Intendanten  war  es  das 
schönste  Maskenspiel  seiner  Zeit,  und  die  Königin  erklärte: 
„Pour  les  habits  eile  n'avait  rien  vue  de  si  brave".  Dies 
Mal  hatte  Henry  Lawes  die  Komposition  beigesteuert  (0. 

Es  ist  schwer  glaublich,  dass  Milton,  der  den  Lawes  so 
nahe  stand,  der  an  einem  Ort  mit  den  Bulstrodes,  Verwanden 
jenes  Bulstrode  Whitelocke,  lel)te,  dass  er,  dessen  Bruder  im 
Inner  Temple  studirte,  von  jenen  Aufführungen  und  Proben, 
die  ganz  London  theils  mit  lautem  Entzücken,  theils  mit  ver- 
haltenem Ingrimm  besprach,  gar  keine  Notiz  genommen  haben 
sollte.  Wohl  mochte  ihm  die  hehre  Kunst  durch  Schau- 
stellungen der  Art,  bei  denen  sich  eine  gTobe  Wirkung  auf 
die  Sinne  mit  niedriger  Schmeichelei  verband,  entweiht  er- 
scheinen. Auch  die  Strafe,  welche  Prynne  zu  erdulden  hatte, 
musste  seinen  Zorn  erregen.  Aber  niemals  konnte  er  ein 
Puritaner  in  dem  Sinne  werden,  dass  er  die  Leistungen  der 
dramatischen  Poesie  als  solche  verworfen  hätte.  In  seinem  jüngst 
entdeckteuKollektaneenbuche  sieht  man  ihn  sich  gegen  einen  rigo- 
ristisehen  Kirchen-Vater  ereifern  und  den  Ausspmch  verfechten, 
dass  es  „in  der  ganzen  Philosophie  nichts  Ernsteres,  Heiligeres 
oder  Erhabeneres  gebe  als  eine  richtig  angelegte  Tragödie"  C^), 

Auch  von  anderer  Seite  her  musste  seine  Theilnahme  an 
den  theatralischen  Ereignissen  der  Hauptstadt  geweckt  werden. 
Sein  Freund  und  Lehrer,  der  jüngere  Gill,  der  uns  schon  von 
früher  her  als  ein  zungenfertiger  Spottvogel  bekannt  ist,  wurde 
eben  damals  in  eine  literarische  Fehde  mit  keinem  Geringeren 
verwickelt,  als   dem   alten  Ben   Jonson.     Seit   geraumer  Zeit 


206  Die  Gills  und  Ben  Jonson, 

war  der  Dicliterkönig  jener  Tage  gegenüber  den  Gills  in 
Kriegszustand.  Er  hatte  es  dem  Vater  Gill  nicht  verziehen, 
dass  er  den  puritanischen  Lieblings-Poeten,  den  moralisirenden, 
strengen  Wither,  an  einer  Stelle  seiner  Logonomia  Anglica 
den  englischen  „Juvenal"  genannt  hatte.  Indem  er  Wither 
dem  Gelächter  Preis  gab ,  versetzte  er  auch  seinem  Apologeten 
einige  Seitenhiebe,  „dem  Schulmeister",  der  die  Schuljugend 
gleichsam  nach  den  scharfen  Sentenzen  des  modernen  Juvenal 
abstrafte,  dem  alten  Gill,  ül)er  dessen  handgreifliche  Unter- 
richts -  Methode  wir  schon  früher  ein  artiges  Liedchen 
haben  singen  hören,  (s.  o.  S.  3L)  Ende  1632  fand  sich  eine 
passende  Gelegenheit  für  den  jüngeren  Gill,  den  geschmähten 
Vater  an  dem  gewaltigen  Angreifer  zu  rächen.  Das  Fiasko, 
welches  damals  Ben  Jonsons  Drama  ,,Das  magnetische  Fräulein" 
machte,  scheint  den  Misserfolg,  den  sein  „Neues  Wirtshaus" 
1630  erfahren  hatte,  noch  übertroffen  zu  haben.  Es  war 
voraus  zu  setzen,  dass  auch  dies  Mal  der  gekränkte  Dichter 
die  bedenkliche  Ehrenrettung  seines  Dramas  vornehmen  würde, 
welche  eine  auf  der  Bühne  erlittene  Niederlage  nur  schlecht 
verdeckt:  vom  Theater-Publikum  an's  Lese-Publikum  zu  ap- 
pelliren.  Da  blies  der  jüngere  Gill  wenig  edelmüthig  zum 
Angriff.  Er  räth  dem  alten  kranken  Dichter  sein  Machwerk 
doch  lieber  zu  verbrennen,  Clio  und  Polyhymnia  zu  lassen, 
sich  der  Arbeit  seiner  jungen  Jahre  wieder  zuzuwenden,'  Trog 
und  Kelle  wieder  aufzunehmen.  Ben  Jonson's  Antwort  blieb 
nicht  aus.  Ihr  grober  Ton  zeigt,  was  man  sich  damals  in 
literarischen  Fehden  bieten  konnte,  zudem  fasst  sie  den  Gegner 
an  dem  Punkte,  wo  er  am  verwundbarsten  war:  sie  erinnert 
ihn  an  seinen  Process  vor  der  Sternkammer ,  in  dem  er  mit 
so  grosser  Mühe  seine  Ohren  gerettet  hatte  (^). 

Von  Unterhaltungen  mit  den  Freunden  ülier  Gegenstände 
dieser  Art,  von  dem  so  mannichfach  anregenden  Leben  und 
Treiben  der  Hauptstadt  kehrte  John  Milton  immer  wieder  zu 
seinem  friedlichen  Horton  zurück.  Hier  konnte  er,  von  Sorgen 
frei,  im  frohen  Gefühl  der  Gesundheit,  unter  einfachen  un- 
verdorbenen Menschen  alle  die  unschuldigen  Freuden  des 
Landle])cns  kosten.     Es  waren   vielleicht   seine  glücklichsten 


Landleben.  —  Sonett  an  die  Nachtigall.  207 

Jahre.  Sie  bildeten  ohne  Zweifel  seinen  Natursinn,  der  von 
nun  an  immer  stärker  in  allem,  was  er  dachte,  hervortritt. 
Die  Morgendämmerung  fand  ihn  wach,  wie  manches  Mal  mag 
er  auf  freiem  Felde  den  Aufgang  der  Sonne  anbetend  begrüsst 
haben.  Nah  und  fern  winkte  der  Wanderung  ein  schönes 
Ziel,  durch  Wiesen  und  Aecker  führte  der  Weg  zur  Seite  des 
rauschenden  Colne  zu  den  Ufern  der  Themse.  Hier  mahnte 
die  Haide  von  Runnymede  an  die  alte  Zeit ,  da  sie  Schauplatz 
der  Beschwömng  der  magna  Charta  gewesen  war.  Dort  er- 
zählte die  Hernes-Eiche  .unweit  Datchet  von  den  lustigen 
Abenteuern  John  Falstaff's.  Die  Thünne  von  Windsor  riefen 
durch  den  üppigen  Park  den  Wandrer  zu  sich,  und  am  west- 
lichen Abhang  des  Schloss-Hügels  lockten  die  stattlichen  Ge- 
bäude des  College  von  Eton  zur  Einkehr.  —  Dem  schöpfer- 
ischen Genius  wird  das  Leben  zum  Gedicht,  und  so  halten  wir 
uns  für  berechtigt,  das  poetische  Spiegelbild  der  mannichfaltigen 
angedeuteten  Erscheinungen  von  Land  und  Stadt,  Natur  und 
Kunst  in  einigen  Dichtwerken  Milton"s  zu  erblicken,  welche 
wohl  sämmtlich  aus  der  Epoche  von  Horton  stammen  (^). 
Dabei  liegt  es  uns  ebenso  fern  in  diesen  Gedichten  mit  ängst- 
licher Sorgfalt  biographische  und  lokale  Beziehungen  aufzu- 
spüren, —  so  gewiss  auch  einzelne  Theile  der  landschaftlichen 
Umgebung  Modell  für  den  Dichter  gewesen  sind,  —  als  seine 
Kunstwerke  nach  dem  Vorgange  von  Warton  und  Todd  zu 
einer  Musterkarte  von  Reminiscenzen  aus  Ovid,  Statins,  Burton, 
Spenser,  Browne,  Ben  Jonson,  Beaumont,  Fletcher,  Bocaccio, 
Tasso  und  vielen  anderen  zu  machen,  so  viel  es  auch  für  sieh 
hat,  dass  u.  a.  namentlich  Burton's  beliebte  ,, Anatomie  der 
Melancholie"  dem  Dichter  von  „FAllegro"  und  „il  Penseroso"  ge- 
nau bekannt  war.  Nicht  darauf  kommt  es  hier  an  zu  er- 
kennen, welche  Bilder  und  Ausdrücke  Milton  von  anderen 
entlehnte,  sondern  was  den  Zauber  seines  eigenen  Genius  aus- 
macht. Billig  steht  das  melodiöse  Sonett  „an  die  Nachtigall" 
an  der  Spitze  jener  Reihe  von  Gedichten  aus"  der  Zeit  des 
ländlichen  Still-Lebens(-).  Der  Wortlaut  seiner  Verse  lässt 
sich  nicht  in  einer  Uebersetzung  wiedergeben,  man  wird  mit 
einiger  Verwunderung  bemerken,  dass  Milton   den  auch  sonst 


208  Mai-Lied.   —   L'Allegro  und  II  Peuseroso. 

häufig  von  ihm  berührten  Gegenstand  so  zu  sagen  weltlicher 
fasst  als  William  Drummond,  dessen  schönes  Sonett  „Die 
Kachtigall"  sich  mehr  im  puritanischen  Gedankengang  be- 
wegt (^).  Auch  das  kurze  Frühling  und  Freude  athmende 
Lied  auf  den  „Mai-Morgen"  reiht  sich  seinem  Gedankengang 
nach  hier  an.  Man  hat  mit  Recht  bemerkt,  dass  dieser  Lenz- 
Gruss  besonders  reizvoll  wirkt  durch  den  unerwarteten 
Wechsel  des  Metrums,  ein  einfaches  Mittel,  dessen  sich  Milton 
auch  sonst  mit  feinem  künstlerischen  Takte  bedient  (2). 

Das  Lieblichste  aber,  was  vermuthlich  die  Muse  von  Horton 
geschaffen,  ist  unstreitig  „rAllegro"  und  „il  Penseroso",  dieses 
„Doppelgestirn  beschreibender  Poesie",  welches  einen  Händel 
nicht  ohne  Grund  zum  Wetteifer  seiner  Kunst  augefordert  hat.(^) 
Jedes  dieser  beiden  Stimmungs-Gedichte  ist  an  sich  ein  Schatz, 
zu  wahrer  Geltung  aber  kommen  sie  doch  nur  nebeneinander 
gehalten,  ähnlich  den  bezaubernden  zusammengehörigen  Reliefs 
von  Tag  und  Nacht,  wie  sie  Thorwaldsen's  Phantasie  geboren 
hat.  Denn  wie  in  Strophe  und  Antistrophe  treten  sich  die 
Glieder  dieser  beiden  Selbst-Gespräche  in  ganz  regelmä'Ssigem 
Aufbau  entgegen.  Beide  beginnen  mit  einigen  präludirenden 
Zeilen,  deren  Gedankengang  sich  völlig  entspricht :  hier  heisst  der 
Dichter  die  „verhasste  Melancholie"  gehen,  die  „von  Cerberus 
und  Nacht  Geborne",  um  die  Freude  einzuladen,  „Zephir's 
und  Aurora's  liebliches  Kind",  dort  verjagt  er  die  „eitle 
trügerische  Lust"  um  die  Schwernmth,  die  heilige  Göttin,  zu 
begrüssen.  Beide  Bilder  sind  so  geordnet,  „dass  sie  sich  vom 
Landschaftlichen  zum  Menschlichen  erheben"  (**).  In  beiden 
Diclitungen  erstreckt  sich  die  Antithese  bis  auf  die  einzelnen 
Sätze,  die  überlegt  gewählten  Beiworte  und  selbst  bis  auf 
das  Versmass. 

„Der  heitere  Mann  tritt  hinaus  in  den  lachenden  Morgen, 
er  hört  die  vielstimmige  Frühmusik  des  Landlebens,  die  wir- 
belnde Lerche,  den  krähenden  Hahn,  die  gluckende  Henne, 
die  von  Ferne  bellende  und  schmetternde  Jagd,  den  pfeifenden 
Bauer,  das  singende  Milchmädchen,  kurz  eine  ganze  Pastoral- 
symphonie". Sein  Auge  schweift  mit  Entzücken  über  die 
Landschaft,  Wald  und  Feld,  Berg  und  Thal,   die  Zinnen  des 


L'AUegro  und  II  Penseroso,  209 

hohen  Schlosses  und  das  Dach  der  niederen  Hütte  umspannend. 
Er  belauscht  ein  ländliches  Paar  beim  frugalen  Mahle' und  mischt 
sich  unter  das  fröhliche  Völkchen  "der  Burschen  und  Mädchen, 
die  sich  zum  Klang'  der  Fiedel  im  Tanze  schwingen: 

Wo  der  Lust  sich  alle  weihn 
An  dem  Tag  voll  Sonnenschein, 
Bis  der  Abendstern  erwacht 
Und  der  Thau  im  Grase  lacht.  — 
•     Dann  wird  gezecht  ein  braunes  Bier 
Und  viel  erzählt  von  dort  und  hier. 


Die  klagt  wie  manche  liebe  Nacht 
Ein  schwerer  Alp  sie  stöhnen  macht, 
Und  der  spricht,  wie  er  neulich  da 
Des  Kobolds  böses  Irrlicht  sah; 
Wie  treu  ein  Hausgeist  sich  bewies, 
Und  nie  als  trag  sich  finden  Hess  (^). 

Nach  solchen  Gesprächen  geht  man  zur  Ruhe,  „in  Schlaf 
gelullt  durch  die  flüsternden  Winde".  Ein  neuer  Tag  (-)  führt 
den  Weg  zur  Stadt  „in  das  geschäftige  Summen  der  Menge" 
zum  Anblick  glänzenden  Turniers,  wo  Ritter  und  Barone  vor 
schönen  Damen  um  den  Preis  kämpfen,  zu  festlichen  Aufzügen 
und  pomphaften  Maskenspielen.  Und  dann  lockt  das  Theater 
zu  sich,  wo  neben  dem  „gelehrten  Jonson",  der  „süsseste 
Shakspeäre"  herrscht,  der  „Sohn  der  Phantasie,  der  des 
heimischen  Waldes  freie  Lieder  singt"  (^).  Endlich  wiegen 
sanfte  Töne  die  Seele  ein,  die  bezaubernde  Stimme  des  Sängers 
bewegt  sich  in  reizvoller  Koloratur,  —  wie  sie  Freund  Lawes  so 
trefflich  anzuwenden  versteht,  —  und  die  geheimen  Kräfte  der 
Harmonie  sprengen  ihre  Fesseln.  So  sind  die  Tage  „des  heiteren 
Mannes".   Im  Anklang  an  ein  altes  Lied  ruft  der  Dichter  aus: 

Kannst  du  solche  Freuden  geben, 
Frohsinn,  will  mit  dir  ich  leben! 

Wie  anders  „R  Peuseroso",  der  sinnige,  ernste  Träumer! 
Er  lauscht  am  Abend  dem  melancholischen  Liede  der  Nachti- 
gall, der  Mond  bricht  ab  und  an  aus  zerrissenen  Wolken  vor, 
von  ferne  werden  über  den  See  die  Schwingungen  der  Abend- 
glocke herübergetragen.  Oder  er  sitzt  träumerisch  im  ein- 
samen ,   dämmrigen  Gemach ,   blickt  sinnend  in  die  glühende 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.  LI.  14 


210  L'Allegro  und   Tl  Penseroso. 

Asche,  hört  durch  die  Stille  nur  das  Heimchen  auf  dem 
Heerde  und  den  Segensspruch  des  Wächters.  Beim  Schein 
der  Lampe  wacht  er  die  Mitternacht  heran.  Er  blickt  zu  den 
Sternen  empor,  die  seine  Phantasie,  aus  platonischer  Quelle 
schöpfend,  mit  den  Gestalten  eines  höheren  Lebens  bevölkert. 
Gleich  dem  Dr.  Faust  hält  er  mit  den  Elementar-Geistern, 
den  Natur  -  Dämonen  geheime  Zwiesprache.  Und  dann  ent- 
faltet er  die  Bücher  der  Dichtung:  die  majestätischen  Ge- 
stalten der  antiken  Trgödie  steigen  vor  ihm  auf,  neben  ihnen 
finden  die  Helden  der  heimischen  Barden  ihre  Stelle :  Chaucer's, 
Spenser's  und  der  anderen  Sänger  ritterlicher  Romantik,  deren 
Allegorie  „mehr  meint  als  sie  sagt". 

„Ein  düsterer  Morgen  liricht  an,  die  Winde  seufzen  und 
stöhnen,  und  der  Regen  tröpfelt  melancholisch".  Die  Sonne 
dringt  indess  durch,  vor  ihren  Strahlen  flieht  der  Dichter  in 
den  schattigen,  abgeschiedenen  Hain.  An  Baches  Rande  legt 
er  sich  nieder,  die  summende  Biene,  die  murmelnden  Wellen 
singen  ihn  in  Schlaf,  und  wunderbar-geheimnisvolle  Träume 
umspielen  seine  Stirne.  Erwacht,  glaul)t  er  die  liebliclie 
Musik  der  Wald-Genien  zu  hören,  er  wandert  seiner  Stimmung 
gemäss  zur  alten  Kloster-Kirche,  bewundert  die  mächtigen 
Säulen,  die  gewölbte  Decke: 

V\'o  gedämpft  und  ernst  das  Licht 
Durch  bemalte  Scheiben  bricht, 
Feierlicher  Orgel-Klang 
Dröhnt  zu  vollem  Chor-Gesang, 
Dass  die  Gottes-trunkne  Brust 
Schwelgt  in  höchster  Himmelslust. 

Und  zuletzt  wünscht  er  sich  für  seine  alten  Tage  eine 
„friedliche  Einsiedelei",  ein  „härenes  Gewand",  eine  „moosige 
Zelle",  um  als  Klausner  in  dem  grossen  Buch  der  Natur,  in 
Sternen  und  Pflanzen  lesen  zu  können: 

„Bis  die  Erfahrung,  reif  und  alt 
Wuchst  zu  prophetischer  Gewalt!,'). 

Kannst  du  mir  solche  Freuden  geben, 
Melancliolie,  so  will  mit  dir  ich  leben". 

So  klingen  l)ei(lc  Gedichte,  wie  sie  die  verschiedene 
Wirkung  der  Musik  auf  den  menschlichen  Geist    an    rechter 


L'AUegro  und  II  Penseroso.  211 

Stelle  benutzt  zeigen,  gleichsam  selbst  musikalisch  in  sich  ent- 
sprechenden und  doch  verschiedenen  Schwingungen  aus. 
Welchem  von  beiden  der  Vorzug  zu  geben,  darüber  ist  in 
England  kaum  je  ein  Streit  gewesen.  Wenn  Goethe  sich  er- 
innert, dass  er,  und  mit  ihm  die  gebildete  deutsche  Jugend 
gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts,  so  wesentlich  durch 
den  erasten,  ja  schwermüthigen  Charakter  der  englischen 
Poesie  beeinflusst  worden,  so  bemerkt  er,  dass  Milton's  Allegro 
erst  in  heftigen  Versen  den  Unmuth  verscheuchen  muss,  ehe 
er  „zu  einer  sehr  müssigen  Lust''  gelangen  kann(^). 
Milton's  Temperament  war  nun  einmal  der  Art,  dass  er  sich 
dem  Penseroso  näher  verwandt  fühlte  als  dessen  Gegensatz. 
Wie  lieblich  auch  das  Bild  der  sonnenglänzenden  Landschaft 
sein  mag,  das  er  entrollt,  wie  glücklich  er  mit  den  eigenen 
Betrachtungen  die  naiven  Einfälle  der  Volks-Sage  und  Volks- 
Dichtung,  würzige  Feldblumen,  aus  dem  Bezirk  des  lustigen 
Alt-England,  verwebt :  selbst  durch  Scherzen  und  Lachen  zieht 
sich  der  Faden  ernster  Beschaulichkeit,  in  seinem  Frohsinn 
ist,  wie  man  gesagt  hat,  immer  ein  Stück  von  Melancholie. 
Und  diese  Erscheinung  wird  durch  eine  andere  Betrachtung 
noch  erklärlicher.  Man  hat  die  feine  Bemerkung  gemacht, 
dass  der  Kontrast  beider  Gedichte  sich  über  das  Individuelle 
erhebe,  dass  sie  die  Antithese  durchklinge,  „durch  welche  die 
eine  Hälfte  der  Nation  von  der  andern,  der  Kavalier  von 
dem  unter  Schmerzen  sich  losringenden  Puritaner  geschieden 
werde"(2).  Der  grosse  Gegensatz,  den  wir  im  englischen  Volks- 
Geiste  überhaupt  unmittelbar  vor  dem  Ausbruch  der  Revo- 
lution als  vorhanden  anzunehmen  uns  für  berechtigt  halten, 
wird  im  Allegro  und  Penseroso  in  idealer  Weise  verkörpert, 
und  zu  welcher  Partei  sich  Milton  schlagen  werde,  kann  nicht 
zweifelhaft  sein.  Aber  der  freie  Genius  des  Dichters  ist 
fähig,  in  raschem  Fluge  beide  Gebiete  des  Denkens  und 
Fühlens  zu  streifen,  die  ernste  Beschaulichkeit  des  Puritaners 
sich  zu  wahren,  ohne  gegen  die  schönen  Güter  des  Kavaliers 
sich  abzuschliessen ,  und  über  dem  Zwiespalt  der  Parteien 
das  Ideal  des  Menschen  zu  retten.  Wird  doch  der  melancho- 
lische Träumer  von  einem  religiösen   Kunst-Enthusiasmus  er- 

14* 


212  L'Allegro  und  II  Penseroso. 

fasst,  der  mit  dem  strengen  Calvinismus  wenig  gemein  hat 
und  des  Beifalls  William  Laud's  und  seines  Königs  sicher  sein 
konnte,  bis  denn  doch  die  nüchterne  Aufklärung,  frei  von 
jeder  Schwärmerei,  lediglich  auf  die  Naturwissenschaft  ge- 
gründet, bei  ihm  durchbricht. 


Wenn  l'Allegro  und  il  Penseroso  Gelegenheits-Gedichte 
im  besten  Sinne  sind,  insoferne  sie  als  der  natürliche  Ausdruck 
individueller  Stimmung  erscheinen  und  dabei  doch  der  Dar- 
stellung allgemein  menschlicher  Ideen  dienen,  so  trägt  ein 
anderes  Erzeugnis  der  Muse  Milton's,  das  gleichfalls  der 
Epoche  von  Horton  angehören  wird,  den  Stempel  einer 
auf  Bestellung  gelieferten  Arbeit,  ohne  dass  der  Dichter  sich 
dabei  etwas  vergeben  hätte. 

Nicht  weit  von  Horton  in  Harefield-House,  eine  Stunde 
von  Uxbridge,  residirte  die  verwittwete  Gräfin  von  Derby, 
Alice,  Tochter  des  Sir  John  Spencer  von  Althorpe,  welche 
auch  nach  dem  Tode  ihres  zweiten  Gatten,  des  Lord-Keeper 
Sir  Thomas  Egerton,  den  stolzen  Namen  ihrer  ersten  Wittwen- 
schaft  beibehalten  hatte.  Dem  zahlreichen  jungen  Nachwuchs 
ihrer  Sippe  mochte  sie  wie  eine  ehrw^ürdige,  lebendige  Erin- 
nerung an  die  elisabethanische  Epoche  erscheinen.  Der 
poetische  Duft  jener  romantischen  Tage  umwob  ihre  Gestalt, 
und  Warton  hat  wohl  Recht,  wenn  er  sagt,  „das  Adelsbuch 
dieser  Gräfin  sei  die  Dichtung  ihrer  Zeit."  In  ihrer  Jugend 
war  sie  mit  ihren  Schwestern  von  Edmund  Spenser,  der  sich 
mit  Stolz  dieser  Verwandtschaft  rühmte,  in  zierliclien  Versen 
gefeiert  worden.  Der  Dichter  der  , .Feenkönigin"  widmete  ihr 
1501  seine  „Tliränen  der  Musen",  pries  sie  als  „Amaryllis" 
in  seinem  Schäfergedicht  ,, Colin  Clout's  come  home  again" 
und  l)ejammerte  dasel])st  den  frühen  Tod  ilires  1594  verstor- 
benen ersten  Gatten,  „Amyntas",  „des  edelsten  Hirten,  der 
je  auf  dem  Hafer-Rohr  geblasen".  Denn  dieser  seilest,  Ferdi- 
nando  Stanley,  Lord  Strange,  seit  1593  Graf  von  Derby,  galt 
für  einen  Meister  des  Verses  und  war  jedenfalls  ein  Mäcen 
rtor  dichtei-ischen  Genossenschaft  seiner  Zeit,  wie  denn  Nash, 


Die  Gräfin  von  Derby.  213 

Greene  u.  a.  dem  vornelimen  Gönner  ihre  dankbare  Huldigung 
darbrachten(i).  Die  Verbindung  mit  dem  zweiten  Gemahl,  dem 
hochgestellten  Staatsbeamten,  knüpfte  den  Namen  der  Lady- 
Alice  noch  enger  an  die  grosse  literarische  Bewegung  jener 
Zeit.  Zu  ihren  Ehren  bei  Gelegenheit  eines  Besuches,  den  sie 
ihrer  Tochter  und  ihrem  Schwiegersohn,  der  Gräfin  und  dem 
Grafen  von  Huntingdon,  in  Ashby-de-la-Zouch  abstattete,  wurde 
1607  ein  Maskenspiel  aufgeführt,  gespickt  mit  Komplimenten, 
von  Marston  verfasst.  Bei  Hoffesten  wirkte  sie  selbst  in 
theatralischen  Unterhaltungen  mit.  An  panegyrischen  Wid- 
mungen und  dichterischen  Huldigungen  aller  Art  hat  es  ihr 
zu  keiner  Zeit  gefehlt  (-). 

Die  ehrwürdige,  durch  das  Leben  geprüfte  Dame  konnte 
sich  einer  zahlreichen,  vornehmen  Nachkommenschaft  und 
Verwandtschaft  rühmen.  Einer  ihrer  Töchter,  der  verwittweten, 
durch  schwere  Schicksale  heimgesuchten  Lady  Chandos  und 
ihren  Kindern,  hatte  sie  ein  ständiges  Asyl  auf  ihrem  eigenen 
Wittwensitz  eingeräumt,  aber  oft  genug  wurde  der  schattige 
Park  von  Harefield  durch  die  muntere  Gesellschaft  der  übrigen 
von  nah  und  fern  herbeigeeilten  Verwandtschaft  belel)t,  vor- 
züglich bei  Gelegenheit  von  Familienfesten,  wenn  der  blühende 
Kranz  der  Enkel  und  Enkelinnen  die  Herrin  des  Schlosses 
umgab.  Eine  stattliche  Zahl  dieser  Enkel  gehörte  dem  Hause 
John  Egerton's,  des  Grafen  von  Bridgewater  an ;  denn  dieser 
hatte  sich  um  dieselbe  Zeit  mit  der  zweiten  Tochter  der 
Gräfin  von  Derby  verbunden,  in  welcher  diese  selbst  seinem 
Vater,  Sir  Thomas,  verwittwet  wie  sie,  die  Hand  reichte. 
Wie  in  anderen  vornehmen  Familien,  ertheilte  Henry  Lawes 
auch  in  der  des  Grafen  von  Bridgewater  Unterricht  in  seiner 
Kunst.  Zweien  von  dessen  Töchtern,  Alice  und  Mary,  hat  er 
1653  seine  „Ayres  und  Dialogues"  gewidmet  und  sich  ihrer 
in  seiner  Dedikation  ausdrücklich  als  würdiger  Schülerinnen 
im  Gesänge  gerühmt. 

Wurde  Milton,  wie  zu  vermuthen  ist,  durch  die  Liebe 
zur  Musik  mit  Henry  Lawes  häufig  zusammengeführt,  so  lag 
es  für  diesen  nahe,  das  Talent  des  poetischen  Freundes  in 
Anspmch  zu  nehmen,    als  es  sich  darum  handelte,    den  Text 


214  Die  Gräfin  von  Derby.  —  Milton's  ,,Arcades." 

ZU  einer  musikalischen  Aufführung  zu  erhalten,  mit  welcher 
die  jugendlichen  Angehörigen  der  Gräfin  von  Derby  diese 
überraschen  wollten.  Freilich  fehlt  auch  dafür  der  direkte 
Beweis,  dass  gerade  Lawes  den  musikalischen  Theil  der  Auf- 
gabe auf  sich  genommen  habe,  indess  seine  spätere  Mitwirkung 
bei  der  Darstellung  des  Comus  lässt  diesen  Rückschluss  un- 
schwer zu  (1).  Genug,  dass  Militon's  Genius  diesem  vor- 
nehmen Kreise  eine  kostbare  Gabe  darbrachte:  Die  „Arka- 
dier",  „Theil  einer  theatralischen  Unterhaltung"  („Part  of  an 
Entertainment"),  „aufgeführt  vor  der  verwittweten  Gräfin  von 
Derby  zu  Harefield  von  einigen  edlen  Mitgliedern  ihrer  Fa- 
milie, welche  im  Hirtengewand  auf  der  Bühne  erscheinen  und 
sich  mit  folgendem  Gesang  dem  Ehren-Sitz  nahen"  (^).  Die 
Scene  war  offenbar  im  Freien,  im  Park,  wo  für  die  Gefeierte, 
deren  Geburtstag  vielleicht  Anlass  zu  dem  fröhlichen  Fest  ge- 
geben hatte  (s.v. 4),  ein  erhöhter  Sitz  unter  einem  Baldachin, 
etwa  von  bunten  Lampen  umgeben  (s.  v.  18),  errichtet  worden  war. 
]\ran  hat  sich  den  ländlichen  Schauplatz  von  der  ganzen  ari- 
stokratischen Gesellschaft,  welche  in  Harefield-House  abgestiegen 
war,  in  belebten  Gruppen  erfüllt  zu  denken,  die  jüngeren 
,. edlen  Mitglieder  der  Familie"  verkleidet,  im  Dunkeln  ver- 
borgen, auf  das  Zeichen  des  Beginns  wartend.  Ohne  Zweifel 
waren  Lawes'  sachkundige  Schülerinnen,  Mary  und  Alice,  die 
Töchter  des  Grafen  von  Bridgewater,  unter  ihrer  Zahl,  nicht 
minder  ihre  Brüder  John  und  Thomas,  die  bereits  Fastnacht 
1634,  noch  hall)e  Kinder,  bei  der  Aufführung  von  Carew's 
Maskenspiel  „Coelum  Britannicum"  bei  Hofe  mitwirkten. 

Man  hat  angenommen,  dass  das  Festspiel  bei  weitem 
länger  gewesen  sei,  als  das  uns  Vorliegende,  durch  Prosa 
und  Maschinerie  ausgefüllt  ('^).  Auch  scheinen  die  Worte  im 
Titel:  „Theil  eines  Theaterstückes"  darauf  hinzudeuten,  wenn 
sie  nicht  etwa  den  verbalen  Theil  des  Spieles  als  getrennt 
von  dem  musikalischen  auszudrücken  bestimmt  sind.  Gewiss 
ist,  dass,  was  Milton  zu  dem  Werke  beigetragen  hat,  drei 
Gesilnge  und  ein  vielleicht  recitativischer  Monolog,  als  ein  in  sich 
wolil  abgeschlossenes  Ganzes  erscheint.  Ein  Chor  der  herbei- 
eilenden Nymplien  und  Hirten  eröffnet  das  Spiel.     Sie  staunen 


Milton's  „Arcades".  215 

über  den  Glanz  der  Majestät,  erkennen  in  der  Göttergleichen 
die  von  ihnen  Gesuchte,  welcher  sie  ihre  Wünsche  darbringen 
und  deren  Hoheit  sie  einigermassen  bombastisch  preisen.  Der 
Genius  des  Waldes  tritt  ihnen  entgegen  (^),  bereit,  die  bunte 
Schaar  zu  dem  ersehnten  Ziele  zu  führen.  Damit  ist  die 
IMöglichkeit  einer  Handlung  schon  abgeschnitten.  Auf  diese 
kam  es  hier  aber  nicht  an,  wurde  nur  für  den  hauptsächlichen 
Bestandtheil  des  Schaustückes,  die  Musik,  der  nothwendige 
Text  geboten.  Und  doch  kommt  der  Dichter  in  dem  episch 
ausgesponnenen  Monolog,  des  Wald-Genius  zu  seinem  vollen 
Recht.  Wie  dieser  von  seiner  Vielgeschäftigkeit  berichtet: 
die  schlanken  Bäume  zu  nähren,  säuselnde  Lüfte  zu  wecken, 
von  den  Pflanzen  schädlichen  Hauch  abzuwenden,  bösen  Thau 
von  den  Zweigen  zu  streifen,  das  Unheil  von  Blitz  und  Gift- 
Wurm  wieder  zu  bessern,  im  Abend-Dämmern  die  wachsame 
Runde  zu  machen,  beim  Morgen-Grauen  Sprossen  und  Ranken 
zu  überzählen:  erinnert  er  an  jene  Mähren  von  dem  geheim- 
nisvollen Walten  der  Elementar-Geister,  die  von  den  ersten 
Neigungen  celtischer  Bildung  her  tief  im  Volksglauben  und 
heimischer  Sage  wurzelnd,  so  häufig  bei  dem  grossen  Drama- 
tiker der  Nation  hervorblicken  und  der  wahre  dichterische 
Ausdruck  für  das  sinnige  Sich- Versenken  in  das  Natur-Leben 
sind.  Aber  im  Verlauf  seiner  Rede  verlässt  der  Wald-Genius 
diesen  gesunden  Boden  seiner  Heimat  und  zeigt,  dass  er,  wie 
sein  Schöpfer,  bei  Plato  in  die  Schule  gegangen  ist.  „Tief 
in  der  Nacht,  wenn  Müdigkeit  der  Menschen  Sinn  verschlossen 
hat,  dann  lausche  ich  der  Hannonie  der  himmlischen  Sirenen, 
die  auf  den  neun  verschlungnen  Sphären  thronen  und  denen 
singen,  die  die  Todesscheere  halten  und  die  demantne  Spindel 
dreh'n,  um  die  der  Götter  und  der  Menschen  Loos  sich 
windet."  Wohl  wäre  die  Sphären-Musik  am  ehesten  würdig, 
den  Ruhm  der  Gefeierten  des  Tages  zu  verkünden,  da  dies 
aber  unmöglich  ist,  verspricht  der  Genius  die  Kunst  gerin- 
gerer ihm  dienstbarer  Geister  aufzurufen.  An  seine  lange 
Rede  schliesst  sich  ein  kurzer  Gesang,  die  Auifordemng,  ihm 
mit  Saitenklang  zum  Thron  der  „ländlichen  Königin"  zu  folgen. 
Ein  Chor  setzt  ein,    offenbar  von    den  Landesbewohnern    an 


216  Die  Familie  Bridge^ater. 

die  Nymphen  imd  Hirten  gerichtet:  „Vevlasst  Arkadiens 
Flüsse  und  Berge,  kommt  mit  euren  Heerden  zu  uns,  der 
Herrin  dieses  Gebietes  zu  dienen ,  einer  Königin ,  wie  sie 
ganz  Arkadien  nie  gesehen  hat." 


Unter  den  Darstellern  der  „Arkadier"  Hessen  sich  auch 
die  Kinder  des  Grafen  von  Bridgewater  vermuthen,  in  dessen 
Hause  Henry  Lawes  als  Musiklehrer  wirkte.  Eben  diese 
vornehme  Familie  ist  es,  für  deren  Kreis  ein  dramatisches 
Werk  Milton's  bestimmt  war,  das  an  innerem  Werth  die  Ar- 
cades  bei  weitem  übertrifft :  „Der  Comus".  —  Der  Schwieger- 
sohn der  Gräfin  von  Derby,  John  Egerton  Graf  von  Bridge- 
water, nahm  unter  der  Regierung  Jakobs  I.  und  Karls  I.  eine 
sehr  bedeutende  Stellung  ein.  In  seiner  Jugend  diente  er 
als  tapferer  Soldat  gegen  die  irischen  Rebellen.  Nach  dem 
Tode  seines  Vaters,  des  berühmten  Juristen  und  Lord-Kanzlers 
(1617),  ward  ihm  die  diesem  bestimmte  Grafen-Würde  ver- 
liehen. Seine  Talente  und  Kenntnisse  machten  ihn  zu  einer 
der  hervorragendsten  Erscheinungen  der  englischen  Aristo- 
kratie, und  seine  Verbindung  mit  Lady  Frances  Stanley,  der 
Countess  von  Derby  schönen  und  liebenswürdigen  Tochter,  der 
eine  zahlreiche  Nachkommenschaft  entspross,  diente  dazu, 
seine  gesellschaftliche  Stellung  noch  zu  erhöhen.  Im  Jahre 
1631  vertraute  ihm  der  König  einen  hochwichtigen  Posten 
an,  indem  er  ihn  zum  Lord-President  des  Rathes  von  Wales, 
der  Marken  und  der  vier  dazu  gehörigen  englischen  Graf- 
schaften ernannte.  Die  Inhaber  dieses  beinahe  viceköniglichen 
mit  umfassender  gerichtlicher  und  militärischer  Machtvoll- 
kommenheit ausgestatteten  Amtes  pflegten  in  dem  altberühmten 
romantisch  über  der  Stadt  Ludlow  gelegenen  Schlosse  zu  re- 
sidiren.  Der  Graf  von  Bridgewater  siedelte  indess  nicht  sofort 
nach  seiner  officiellen  Residenz  über.  Erst  gegen  Ende  des 
Jahres  1633  scheint  er  sich  auf  den  neuen  Schauplatz  seiner 
Wirksamkeit  bogel)en  zu  hal)en.  Seine  Installation  erfolgte 
unter  grossen  Feierlichkeiten,  aus  der  ganzen  Nachbarschaft 
strömte  Adel    und  Gentry    zusammen,    um    ihn  zu  begrüssen, 


Die  Familie  Bridgewater.  —  Maskenspiele.  217 

auch  seine  Familie  folgte  ihm,  vielleicht  erst  etwas  später, 
nach.  Einige  seiner  Kinder  mögen  den  Gedanken  gefasst 
haben,  die  vielfachen  Festlichkeiten,  welche  auf  dem  alten 
Schloss  zu  Ludlow  gegeben  wurden,  nach  der  Sitte  der  Zeit 
durch  eine  theatralische  Vorstellung  zu  krönen,  die  ihnen 
selbst  eine  neue  Gelegenheit  böte,  sich  vor  der  versammelten 
vornehmen  Gesellschaft  zu  zeigen.  Die  beiden  jüngsten 
Söhne  und  die  jüngste  Tochter  des  Grafen  haben  in  der  That 
die  Hauptrollen  des  Fest-Spiels  übernommen.  Diese,  Lady 
Alice,  zur  Zeit  der  Aufführung  vierzehn-  oder  fünfzehnjährig, 
erscheint  nach  alten  Bildnissen  als  eine  überaus  liebliche 
Mädchen-Gestalt;  jene,  John,  Viscount  Brackley  und  Thomas 
Egerton,  beide  nur  um  wenige  Jahre  jünger  als  die  Schwester, 
werden  als  vielversprechende,  anmuthige  Knaben  geschildert  {^). 
Man  setzte  den  Michaelis- Abend  1634  für  die  Aufführung  an 
und  wandte  sich  ein  zweitesmal  an  Henry  Lawes,  den  ver- 
trauten Rathgeber  iu  Kunst  -  Angelegenheiten  dieser  Art, 
welcher  die  Inscenirung,  die  Lieferung  des  musikalischen 
Beitrags  und  sogar  eine  der  Bollen  des  Stückes  auf  sich 
nahm.  Er  hatte  den  guten  Geschmack,  wiederum  seinen 
Freund  Milton  um  die  Anfertigung  dessen  in  Anspruch  zu 
nehmen,  was  damals  oft  genug  als  Nebensache  erschien,  aber 
in  Wahrheit  das  Schwierigste  war:  des  poetischen  Textes. 
So  entstand  der  Comus,  gleich  den  Arcades,  aber  freilich 
weit  werthvoller,  ein  Beispiel  einer  Dichtungs-Gattung,  die 
sich  bei  uns,  noch  dazu  in  verdorbener  Form,  höchstens  auf 
den  vorstädtischen  Bühnen  zweiten  Ranges  erhalten  hat,  da- 
mals aber,  wie  schon  bemerkt,  selbst  bei  Hofe  in  hoher  Gunst 
stand:  ein  Maskenspiel  (Mask). 

Die  Maskenspiele,  wie  es  scheint,  wesentlich  aus  den 
,,Dumb  shows''  (Pantomimen)  hervorgegangen,  bewahrten  in- 
sofern die  Erinnerung  an  ihren  Ursprung,  als  prunkende 
Kostüme,  überraschende  Dekorationen,  Ballet  und  Musik  auch 
in  ihnen  immer  die  wichtigste  Stelle  einnahmen,  während  das 
gesprochene  Wort,  der  Dialog,  nicht  selten  etwas  stiefmütterlich 
behandelt  wurde.  Der  grosse  hofmännische  Philosoph  giebt 
in  einem   seiner  Essays   sehr  genaue  Anweisungen   über   die 


218  Maskenspiele. 

Musik,  die  Tanzbewegiingen,  die  Anzüge  und  Verkleidungen, 
die  sich  am  besten  für  Maskenspiele  eignen,  er  entwickelt, 
welche  Farben  bei  Kerzenlicht  am  meisten  Wirkung  machen, 
nichts,  was  dem  Aeusseren  angehört,  ist  ihm  entgangen :  über 
den  dichterischen  Gehalt  verliert  er  kein  Wort  {^).  In  der 
That  kam  es  den  meisten  Maskenspielen  auf  regelmässigen 
Aufbau  der  Handlung,  sorgfältige  Durchführung  der  Situa- 
tionen, feste  Zeichnung  der  Charaktere  gar  nicht  an.  Allegorien 
und  mythologische  Gegenstände,  untermischt  mit  Anklängen 
an  die  Romantik  der  Ritter-Zeit,  gaben  Gelegenheit,  Halb- 
götter, Heroen,  Nymphen,  Elfen,  Kavaliere  und  Ungeheuer 
in  bunter  Fülle  vor  den  Augen  der  staunenden  Zuschauer 
auftauchen  zu  lassen.  Der  Maschinist  hatte  für  Blitz  und 
Donner,  Meeres-Rauschen  und  Wolken-Flor,  Licht-Etfekte  und 
Versenkungen  zu  sorgen,  Tanz  und  Gesang,  dem  phantastischen 
Charakter  des  Uebrigen  angemessen,  war  einzuflcchten.  Der 
Maske  schloss  sich  parodistisch-possenhaft  die  sog.  Antimaske 
(anticmask)  an,  in  welcher  Personen  des  wirklichen  Lebens 
einen  grotesken  Gegensatz  gegen  die  romantische  Zauberwelt 
zu  bilden  hatten.  Dem  Schäferspiel  verwandt  und  gleich 
diesem  eine  Nebengattung  der  Komödie,  erschien  das  Masken- 
spiel, vorwiegend  auf  sinnliche  Wirkung  berechnet,  nur  als 
eine  untergeordnete  theatralische  Gelegenheits-Dichtung,  und 
diente  daher  vorzüglich  festlichen  Anlässen,  den  Feierlichkeiten 
von  Krönungen,  hoher  Besuche,  Hochzeiten,  Geburtstagen. 
Mit  Freuden  bemächtigte  sich  die  vornehme  Welt  eines  Mittels, 
•welches  geeignet  war,  wie  kein  anderes,  Schönheit,  Grazie, 
Gewandtheit,  gepaart  mit  dem  Glänze  von  Perlen  und  Edel- 
steinen, kostbaren  und  vei'führerischen  Kostümen  in  blendender 
Beleuchtung,  unter  den  Klängen  berauschender  Melodien,  sehen 
zu  lassen,  und  als  die  pedantische  Gelehrsamkeit  König  Jakobs 
und  die  Pninkliebe  seiner  Gemahlin  in  gleicher  Weise  ihre 
Rechnung  l)ei  diesen  mit  mythologischen  Anspielungen  ge- 
spickten Schaustücken  fanden,  erreichten  die  Maskenspiele 
ihre  höchste  Höhe.  Ben  Jonson's  Phantasie  und  Belesenheit 
waren  unei-inüdlich,  immer,  neue  poetische  Rahmen  zur  Auf- 
nahme   des  farben])unten,    prächtigen  Bildes    zu    erfinden,  in 


Maskenspiele.  219 

welchem  jede  Schöne  des  Hofes  und  jeder  Kavalier  seine 
Stelle  haben  wollte.  Nächst  ihm,  erklärte  er,  könne  nur  noch 
Fletcher  und  Chapman  ein  Maskenspiel  machen  (^).  Er  gab 
dem  Maskenspiel  eine  gleichmässigere  Gliederung.  Er  trennte 
schärfer  als  bisher  und  durch  Wechsel  der  Scene  die  eigent- 
liche Maske  von  der  sog.  Antimaske.  In  jener  erschienen 
meistens  voll  Würde  und  Pracht  die  aristokratischen  Lieb- 
haber (Maskers  im  engeren  Sinn)  als  Götter  und  Göttinnen^ 
personificirte  Tugenden  und  Genien  in  luftigem  Wolkensitz, 
schönen  Landschaften,  hochragenden  Tempelhallen,  nur  an 
den  schicklichen  Menuets  betheiligt.  In  dieser,  dem  komischen 
Widerspiel  der  Maske,  traten  oft  voll  kecken  Humors  Satyrn, 
Zwerge,  Dämonen,  Neger,  Rüpel  etc.  auf,  häufig  durch  ge- 
miethete  Schauspieler  dargestellt,  in  Ober-  und  Unterwelt 
mit  tollen  Sprüngen  und  ausgelassenen  Tänzen  sich  umher- 
treibend. Henry  Lawes  stattete  meistens  die  Musik  bei,  der- 
selbe oder  ein  anderer,  wie  Thomas  Giles,  ordnete  das  Ballet 
an,  aber  die  grosse  Aufgabe  des  Maschinisten,  Mechanikers, 
Architekten  und  Malers  lag  auf  den  Schultern  des  genialen 
Inigo  Jones,  dessen  üppige  Gestaltungskraft,  an  italienischen 
Mustern  genährt,  über  ein  unerschöpfliches  Füllhorn  wunder- 
voller Erfindungen  gebot.  Ja  mit  ihm  trat  das  dekorative 
Element  zum  Nachtheil  des  poetischen  so  sehr  in  den  Vorder- 
grund, wurde  der  Dichter  als  untergeordneter  Libretto-Fabri- 
kant von  dem  Architekten  in  jeder  Hinsicht  so  sehr  über- 
vortheilt,  dass  Ben  Jonson  in  Streitigkeiten  mit  seinem  lang- 
jährigen Mitarbeiter  verwickelt  wurde  und  es  an  Ausfällen 
gegen  ihn  nicht  fehlen  Hess  {^). 

Schon  diese  Angelegenheit  zeigt,  wie  ungesund  die  Grund- 
lage jener  höfischen  Kunst  war.  Die  primitive  Einrichtung 
der  Bühne  hatte  den  inneren  Weith  unvergänglicher  Meister- 
Werke  der  dramatischen  Muse  um  so  reiner  strahlen  lassen. 
Mit  der  Begünstigung  der  äusserliehen  Hilfsmittel  sank  die 
dramatische  Poesie.  Dennoch  wird  niemand  läugnen  wollen, 
dass  Ben  Jonson,  trotz  mancher  abstossenden  Rohheit  und 
dick  aufgetragenen  Schmeichelei,  es  nicht  selten  verstanden 
hat,   dieser   poetischen  Zwitterform,    welche   zwischen  Gesell- 


220  Aufführung  des  „Comus".  —  Inhalt 

Schaftsspiel  und  Komödie  in  der  Mitte  steht,  bedeutenden 
Reiz  zu  verleihen,  und  unser  Interesse  an  dieser  Dichtungsart 
wächst,  wenn  wir  uns  mit  dem  Gedanken  vertraut  machen, 
dass  selbst  Shakespeare,  unter  dessen  Händen  freilich  aus 
rohen  Bausteinen  ein  fertiges  Kunstwerk  wurde,  im  Sommer- 
nachtstraum und  im  Sturm  sich  ihrer  zu  bedienen  nicht  ver- 
schmäht hat. 

Ein  solches  Maskenspiel  war  es,  was  am  Abend  des 
29.  Septembers  lt334  dem  neuen  Lord-President  von  Wales, 
seiner  Gemahlin,  seinem  Hofstaat  und  der  grossen  Sehaar 
seiner  Gäste  in  jener  stolzen  Halle  des  Schlosses  von  Ludlow 
vorgeführt  wurde,  die  noch  heute  am  Orte  selbst  die  „Comus- 
Halle"  genannt  wird(^).  Beim  Aufgehen  des  Vorhanges  stellte 
sich  den  Augen  der  Zuschauer  ein  „wilder  Wald"  dar;  der 
Schutzgeist,  kein  andererer  als  Henry  Lawes,  „schwebte  herab 
oder  trat  ein",  je  nachdem  die  Einrichtung  der  Bühne  es 
erlaubte.  Er  begann  mit  einem  kurzen  Liede,  —  ein  Zuge- 
ständnis, das  der  Dichter  offenbar  gegen  seine  Absicht  dem 
musikalischen  Regisseur  zu  machen  hatte.  Erst  hierauf  folgte 
die  pomphafte  Anrede,  die  in  Wirklichkeit  das  Maskenspiel 
in  unseren  Milton- Ausgaben  einleitet: 

Vor  der  gestirnten  Schwell'  an  Jovis  Hof 

Ist  meine  Wohnung,  wo  das  ew'ge  Heer 

Der  lichtgestalten  luft'gen  (Jcister  thront, 

In  milden  Zonen  ruhig  klarer  Luft, 

Hoch  über'm  Qualm  und  Lärm  des  trüben  Punkts, 

Den  Menschen  Erde  nennen. 

Dahin  ist  der  himndische  Bote  gesandt,  um  die  gefährdeten 
Menschenkinder  zu  schützen,  deren  reine  Tugend  in  „dem 
ekeln  Dunst  der  Sünden -Welt"  bedroht  sein  könnte,  vor 
allem  die  holden  Sprossen  des  edlen  Herrn  voll  Macht  und 
Ruhm,  dessen  Scepter  die  abendliche  Küste  des  schönsten 
Insellandes  mit  trotzigen,  waffenstolzen  Bewohnern  erst  kürz- 
lich unterworfen  ist.    Sie  ziehen  des  Vaters  Hofe  zu, 

Jedoch  es  führt  ihr  Weg 
Durcli  dieses  Waldes  wildverschlungne  Pfade, 
Der  mit  den  Schattenwipfeln  graunvoll  nickt 
Und  dem  verirrten  Wandrer  finster  droht. 


Aufführung  des  ,,Comus".  —  Inhalt.  221 

Und  was  vorzüglich  bedenklich:  In  dieses  Waldes  Dickicht 
haust  Comiis,  der  gefährliche  Sohn  des  Bacchus  und  der 
Circo,  der  Ausbund  üppiger  Sinnenlust,  der  den  müden 
Wanderern  nachstellt,  sie  nach  Art  der  Mutter  durch  locken- 
den Trank  verzaubert,  dass  ihr  Antlitz  zu  scheusslicher 
Thierform  entstellt,  ihr  Sinn  zu  schamloser  Wollust  erniedrigt 
wird.  Drum  schiesst  der  Genius  „schnell  wie  ein  Stern  im 
Fallen  blitzt",  herab  vom  Himmel,  den  Zeus-Begnadeten  zum 
sichren  Geleit.  Doch  will  er  erst  das  himmlische  Regen- 
bogen-Gewand ablegen,  um,  —  hier  wie  in  V.  494  macht  der 
Dichter  dem  Darsteller  Lawes  ein  Kompliment,  —  es  mit  dem 
Kleide  eines  Hirten  zu  vertauschen,  der 

In  dieses  hocherlauchten  Hauses  Dienst, 
Mit  sanftem  Lied  und  süssem  Flötenton 
Der  wilden  Winde  Wuth  zu  stillen  weiss. 
Auch  ist  er  treu  und  wacht  kraft  seines  Amts 
Auf  Bergeshöhn,   zu  helfen  schnell  bereit 
In  solchem  Falle.  —  Doch  ich  höre  schon 
Den  Schall  verhasster  Schritte;  schnell  hinweg! 

Comus  tritt  auf,  den  Zauberstab  in  der  einen,  den  Becher 
in  der  andern  Hand,  mit  ihm  ein  Haufen  von  Ungethümen, 
mit  Köpfen  verschiedener  wilder  Thiere,  sonst  in  Männer-  und 
Weiber- Gestalt,  in  glitzernden  Gewändern.  Sie  stünnen, 
Fackeln  in  den  Händen,  mit  wildem  und  wüstem  Lärai  herein. 
In  bacchantischer,  schon  nach  dem  Versmass  aufgeregter  und 
aufregender  Anrede(i)  fordert  Comus  seine  Genossen  auf,  ein 
wonnetrunkenes  Nachtfest  zu  begehen;  sie  mögen  eilen,  ehe 
der  verrätherische  Morgen  sie  überrasche;  Kotytto,  die  ge- 
heimnisvolle Göttin  nächtlicher  Lust  sei  ihnen  hold: 

Kränze,  mitternächtge  Schaar, 
Dir  mit  Rosen-Duft  das  Haar; 
Finstrer  Ernst  gieng  längst  zur  Ruh, 
Alter  schloss  die  Augen  zu. 


Wer  sein  Feuer  nicht  verlor, 

Ahme  nach  dem  Sternen-Chor, 

Der  wachsam  führt  in  nächt'gem  Gleis 

Der  Mond'  und  Jahre  schnellen  Kreis. 


222  Aufführung  des  „Comus".  —  Inhalt. 

Der  Sund,  die  See,  die  Brut,  die  sie  bewohnt, 

Hebt  sich  in  schwankem  Tanze  mit  dem  Mond. 

Es  hüpfen  über'n  Ufersand 

Muthwill'ge  Feen  und  Elfen,  keck  gewandt. 

Wo's  Bächlein  rauscht  und  Waldquell  glänzt, 

Spielt  und  tändelt  buntbekränzt 

Der  Nymphen  Schaar  und  kann  nicht  ruhn, 

Was  hat  Nacht  mit  Schlaf  zu  thun? 

Nacht  kennt  süsseren  Genuss, 

Venus  wacht,  weckt  Liebes-Kuss. 

Kommt,  der  Festesbrauch  beginnt, 

Sünde  ist  des  Tages  Kind. 


Schlingt  den  Reihn  und  stampft  den  Grund 
In  phantastischem  Ringelrund. 

Es  folgt  ein  wilder,  orgienartiger  Tanz.  Comus  unter- 
bricht ihn,  scheucht  die  ausgelassene  Schaar  in  das  Busch- 
werk zurück,  weil  er  den  nahenden  Tritt  eines  Mädchens 
vernimmt  und  streut,  um  ihr  Auge  zu  täuschen,  dem  er  zu- 
nächst als  ein  harmloser  Landmann  erscheinen  will,  magischen 
Staub  in  die  Luft.  Der  Zauber  wurde  wahrscheinlich  durch 
ein  plötzlich  über  die  Bühne  strömendes  blaues  Licht  ange- 
deute|^.  Während  sich  Comus  zurückzieht,  um  zu  horchen» 
tiitt  das  Mädchen  auf,  —  es  war  die  anmuthige  Lady  Alice  — , 
durch  den  wüsten  Lärm  von  Comus  Gefolge  an  diese  Stelle 
des  Waldes  gelockt.  Sie  hat  die  Brüder  verloren,  welche 
seitab  gegangen  waren,  um  der  ermüdeten  Schwester  kühlende 
Beeren  zu  suchen.  Die  Nacht  ist  angebrochen,  und  tausend 
ängstliche  Gedanken  sind  durch  den  von  Ferne  vernommenen 
und  so  plötzlich  vei-stummten  Tumult  im  Herzen  der  Jung- 
frau erregt  worden: 

Von  Nachtgespenstern,  die  versuchend  locken, 

Von  Geister-Zungen,  die  in  grauser  Wildnis 

An  Strand  und  Moor  des  Menschen  Namen  rufen. 

Doch  sie  ruft  sich  das  Gewissen,  den  Glauben,  die  Hoff- 
nung zu  Hülfe: 

Du  Engel,  auf  den  goldnen  Flügeln  schwebend, 
Und  du,  der  Keuschheit  unbeflecktes  Bild. 


Aufführung  des  „Comus".  —  Inhalt.  223 

Als  ein  vom  Himmel  gesandtes  Zeichen  sieht  sie  eine  dunkle 
Wolke  sich  mit  dem  silbernem  Licht  des  Mondes  säumen(^) 
und  lässt  neubelebt,  um  sich  ihren  Brüdern  kundbar  zu 
machen,  ein  Lied  an  die  Nymphe  Echo  erschallen. 

Comus  tritt  vor  in  Schäfertracht,  noch  unbemerkt  von 
dem  Mädchen,  ganz  unter  dem  Eindruck,  den  die  jungfräu- 
liche Stimme  selbst  auf  sein  sinnlich -rohes  Gemüth  gemacht 
hat.  Die  keusche  Anmuth  der  Sängerin  reizt  ihn  noch  mehr, 
er  hegrüsst  sie  schmeichlerisch  als  ein  Wunder,  als  die  Kö- 
nigin des  Waldes.  Sie  weist  sein  Lob  schüchtern  von  sich, 
erklärt  den  Grund  ihres  Gesanges,  lässt  sich  durch  Fragen 
eine  Schilderung  ihrer  unglücklichen  Lage  entlocken,  durch 
die  Theilnahme,  die  der  Fremde  zeigt,  endlich  durch  seine 
Betheuerung,  er  habe  zwei  Gestalten,  den  beiden  Brüdern 
ähnlich,  gesehn,  durch  sein  Versprechen,  er  wolle  sie  sicher 
zu  den  Gesuchten  geleiten,  unschwer  bewegen,  ihm  vertrauens- 
voll zu  folgen,  um  wenigstens  für  die  Nacht  eine  Unterkunft 
in  seiner  Hütte  zu  finden. 

Kaum  sind  sie  gegangen,  so  treten  die  Brüder  auf,  die 
seit  lange  den  Spuren  der  Verlorenen  nachgeirrt.  Der 
jüngere  — ,  Thomas  Egerton,  —  voll  Feuer  und  Leidenschaft, 
fürchtet  Gefahr  und  Unheil  für  die  Schwester,  vor  allem 
dünkt  ihn  ihre  reizende  Schönheit  in  dem  nächtigen  Dunkel 
des  Waldes  unbeschützt  vor  dem  Angriff  eines  verwegenen 
Lüstlings  (^).  Der  ältere  — ,  John  Viscount  Brackley,  —  ge- 
reifter und  besonnener,  mahnt  den  Bruder,  nicht  vor  der  Zeit 
schwarzen  Befürchtungen  Kaum  zu  geben  und  versichert  ihn, 
dass  die  Schwester  verborgene  Kraft  in  sich  trage,  durch  die 
sie  gegen  Verführung  und  Gewalt  gefeit  sei : 

Verborgne  Kraft, 
Zwar  Himmels  Gabe,  doch  ihr  Eigenthum : 
Die  Keuschheit,  mein'  ich  Bruder,  Keuschheit  ist's. 
Die  sie  besitzt,  trägt  rings  ein  Stahlgewand; 
Der  Nymphe  gleich,  die  Pfeil  und  Köcher  führt, 
Betritt  sie  öde  Haide,  ries'gen  Wald, 
Verrufne  Berge,  Wüsten  voll  Gefahr, 
Wo  vor  der  Keuschheit  heil'gem  Strahlen-Glanz 
Kein  roher  Wilder,  Räuber  und  Bandit 
Der  Jungfrau  Reinheit  zu  beflecken  wagt. 


224  Aufführung  des  „Comus".  —  Inhalt. 

Ein  Ruf  aus  der  Ferne  unterbricht  das  Gespräch  der 
Brüder,  sie  lauschen,  ung^ewiss,  ob  Freund  oder  Feind  nahe, 
der  Aeltere  ruft  gleichfalls,  Antwort  tönt  zurück,  und  plötz- 
hch  steht  Thyrsis,  der  Schäfer  in  ihres  Vaters  Diensten,  — 
oder  vielmehr  der  Schutzgeist  in  dieses  Schäfers  Tracht,  — 
vor  den  Ueberraschten.  Er,  der  sie  angstvoll  aufsucht, 
steigert  ihre  Besorgnisse,  erzählt,  dass  Comus  in  diesem  Walde 
sein  Unwesen  treibe  und  beschreibt,  wie  er  Abends  von  ferne 
die  süsse  Stimme  der  singenden  Herrin  erkannt  habe.  Zit- 
ternd für  die  ahnungslos  Gefährdete  sei  er  in  ihre  Nähe  ge- 
eilt, aber  nur  eben  recht  gekommen,  um  zu  sehen,  wie  der 
Dämon,  tückisch  verkleidet,  der  Jungfrau  in  den  Weg  ge- 
treten ,  und  zu  hören ,  wie  sie  ihn  vertrauensvoll  nach  den 
Brüdern  gefragt.  Dem  Vorsatz,  mit  dem  Schwert  in  der 
Faust  dem  Zauberer  seine  Beute  abzuringen,  tritt  Thyrsis 
entgegen ;  Waffengewalt  vermag  nichts  gegen  jenes  Künste, 
sondern  einzig  die  unscheinbare  Wunderwurzel  Haemony,  die 
ihm  einst  zum  Dank  für  manchen  Sang  ein  pflanzenkundiger 
Schäfer  gegeben,  unter  deren  Schutze  er  eben  den  Schlingen 
des  Zauberers  genaht  und  kraft  deren  er  ihn  in  seiner  Ver- 
kleidung erkannt  habe.  Dies  schützende  Wunderkraut  ver- 
spricht er  den  Brüdern  zu  geben,  und  unter  seiner  Führung 
und  Anleitung  eilen  sie  dem  Befreiungswerke  entgegen. 

Die  Scene  verwandelt  sich  in  einen  prächtigen  mit  allen 
Kostbarkeiten  geschmückten  Palast:  sanfte  Musik,  Tafeln  mit 
Leckereien  aller  Art  besetzt,  Comus  mit  seiner  Rotte,  das 
Mädchen  sitzt  auf  einem  verzauberten  Sessel,  er  reicht  ihr 
den  Becher,  sie  stösst  ihn  zurück  und  versucht  sich  zu  er- 
heben. Umsonst,  ihre  Glieder  sind  von  dem  Zauberer  ge- 
fesselt; aber  „die  Freiheit  des  Willens"  kann  er  ihr  nicht 
rauben.  Sie  weigert  sich  standhaft  von  dem  Becher  zu  kosten, 
und  diese  Weigerung  ruft  das  lange  Zwiegespräch  hervor, 
den  Kern  des  ganzen  Maskenspiels,  „gleichsam  einen  Rechts- 
streit zwischen  Sinnenglück  und  Sittengesetz",  in  welchem 
dort  alle  Künste  der  Sophistik  spielen,  hier  aller  Unwille 
herausgeforderter  Unschuld  überscliäumt. 

In  schmeichelnder  Rede,  die  das  Gefühl  bestimmen,  den 


Aufführung  des  „Comus".  —  Inhalt.  225 

Verstand  überzeugen  soll,  sucht  Comus  die  Sinnlichkeit  des 
Mädchens  zu  erregen.  Wozu  all'  der  Reichthum  der  Natur, 
die  unübersehbare  Ueppigkeit  ihrer  Schöpfimg,  als  um  uns 
zum  Genuss  einzuladen?  Es  hiesse  den  Allgütigen  beleidi- 
gen, seinen  Planen  entgegenhandeln,  wollten  wir  seine  Gaben 
nicht  nutzen,  die  unverbraucht  sich  in  wuchernder  Fülle  er- 
drücken würden: 

Hör'  Mädchen,  sei  nicht  spröde,  lass  den  Schein 

Des  blossen  Wortes :  Keuschheit:  dich  nicht  blenden. 

Die  Schönheit  ist  die  Münze  der  Natur, 

Zum  Umlauf  nicht  zum  Sammeln  uns  verliehn; 

Ihr  Segen  ruht  im  wechselseit'gen  Glück, 

Doch  ohne  Wonne  ist  ihr  Selbstgenuss. 

Lässt  du  die  Zeit  entfliehn,  welkt  sie  am  Stock, 

Vergessner  Rose  gleich,  mit  mattem  Haupt. 

Auf  dieses  „Carpe  diem"  antwortet  die  Jungfrau  im  Stile 
einer  ächten  Puritanerin;  ihre  Theorie  von  den  äusseren 
Gütern  der  Natur  und  ihrer  gerechten  Vertheilung  lautet 
ganz  anders: 

Betrüger,  nicht  die  Unschuld  der  Natur 
Klag'  an,  als  sollten  ihre  Kinder  prassen 
Von  ihrem  Ueberfluss.    Sie  theilt  haushälterisch 
Dem  Guten  nur  von  ihren  Schätzen  aus. 
Der  ihrem  nüchternen  Gesetz  sich  fügt 
Und  heiiger  Regel  karger  Massigkeit. 
Wenn  jeder  Edle,  der  jetzt  darben  muss. 
Nur  mäss'gen  Antheil  hätte  nach  Gebühr 
An  dem,  was  Schlemmerei  und  Ueppigkeit 
In  wüstem  Unmass  jetzt  auf  wen'ge  häuft, 
Dann  war'  der  Segen  der  Natur  vertheilt 
In  schönem  Gleichmass  ohne  Ueberfluss. 
Sie  würde  nicht  von  Fülle  schwer  erdrückt, 
Dem  Schöpfer  würde  bessrer  Dank  gezollt 
Und  schuld'ges  Lob;  denn  vieh'sche  Völlerei 
Blickt  nie  vom  üpp'gen  Mahl  zum  Himmel  auf, 
Sie  stopft  sich  voll,  verdummt  und  undankbai-, 
Und  lästert  den  Erhalter.  —  Fahr'  ich  fort? 
Hab'  ich  genug  gesagt?    Ihm,  der  es  wagt 
Ruchlos  die  Zunge  mit  Verachtungswort 
Zu  waffnen  gegen  sonnumstrahlte  Keuschheit, 
Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  1.  X5 


226  AuflFührung  des  „Comus".  —  Inhalt. 

Sagt'  ich  so  gern  ein  Wort;    allein  wozu? 
Du  hast  nicht  Ohr,  nicht  Seele  zu  verstehu 
Des  Hochbegriffs  erhabenes  Geheimnis, 
Das  man  enthüllen  muss,  um  darzuthun 
Die  ernste  Lehre  der  Jungfräulichkeit. 
Du  bist  nicht  würdig  je  ein  grössres  Glück 
Zu  kennen  als  dein  gegenwärtig  Loos, 
Freu  dich  des  Witzes,  heitrer  Redekunst, 
Da  du  ihr  Blend<jefecht  so  gut  gelernt. 
Du  taugest  nicht,  dich   überführt  zu  sehn. 
Versucht'  ich's  doch,  so  würde  mein  Gemüth 
Zu  solchem  Feuer  heil'ger  Leidenschaft 
Von  dieser  reinen  Sache  Werth  entflammt, 
Dass  stumme  Wesen  Mitgefühl  empfänden, 
Die  Erde  selbst  mir  liehe  ihre  Kraft 
Erbebend,  bis  dein  stolzer  Zauberbau 
Zu  Trümmern  bräche  auf  dein  falsches  Haupt (^). 

Dieses  Stück  prunkender  Tugend  -  Rhetorik  lässt  einen 
Augenblick  sogar  den  Vertreter  des  bösen  Princips  in  innerster 
Seele  erschauern,  doch  noch  ein  Mal,  und  entschiedener, 
drängt  er  das  Mädchen  von  dem  Zaubertrank  zu  kosten. 
Da  stürzen  die  Brüder  herein  mit  gezogenen  Schwertern, 
entringen  ihm  den  Becher,  zerschmettern  diesen  am  Boden. 
Der  Haufe  der  Ungethüme  macht  Miene  sich  zu  widersetzen, 
aber  alle,  Comus  eingeschlossen,  werden  fortgetrieben.  Der 
Schutzgeist  in  Thyrsis  Gestalt,  der  zugleich  mit  den  Brüdern 
angelangt  ist,  bemerkt  zu  seinem  Schrecken,  dass  sie,  seiner 
fi'üheren  Mahnung  uneingedenk,  Comus  mitsammt  seinem 
Zauberstabe  haben  entfliehen  lassen,  der  zur  Entfesselung 
der  Jungfrau  nötliig  gewesen  wäre.  Doch  ein  Schutzgeist 
weiss  Rath:  die  Göttin  des  nahen  Severn-Stromes ,  Sabrina, 
als  keusche  Jungft-au  verfolgter  Jungfrauen  Schützerin,  wird 
mit  einem  Liede  zur  Hülfe  aufgerufen.  Eine  feierliche  Be- 
schwörung wird  an  sie  gerichtet,  bei  der  ersten  Aufführung 
im  Schloss  zu  Ludlow  auf  Lawes'  Betrieb,  (abweichend  von 
der  Angabe  unserer  Drucke  und  des  ersten  Entwurfs),  in  der 
"Weise,  dass  der  Schutzgeist  und  die  Brüder  sich  in  die  Auf- 
gabe theilten(2). 

Sabrina,   der  Beschwörung  gehorsam,  steigt  empor,   von 


AuflPührung  des  „Comus".  —  Inhalt.  227 

ihren  Nymphen  begleitet,  ein  kurzes  Lied  singend.  Sie  be- 
sprengt den  Busen  der  Jungfrau  mit  Tropfen  aus  ihrem 
reinen  Quell,  berührt  drei  Mal  ihre  Finger,  drei  Mal  ihre 
Lippen,  legt  ihre  feuchtkalte  Mcädchenhand  auf  den  glühenden 
Marmorsessel,  —  und  der  Zauber  ist  gelöst. 

Sie  enteilt,  unter  der  Bühne  versinkend,  zu  Amphitrite's 
Schloss,  das  Mädchen  erhebt  sich  vom  Sessel,  der  Schutzgeist 
richtet  ein  Danklied  an  Sabrina  (^)  und  fordert  die  Geschwister 
auf,  ihm  durch  den  Wald  zu  folgen  zu  dem  Schloss  des 
Vaters : 

Wo  vereint  zu  Festes  Pracht 
Freundesschaar  in  dieser  Nacht, 
Glück  zu  wünschen  ihrem  Herrn ; 
Schäferschwarm  blieb  auch  nicht  fern 
In  ländlich  heitrem  Tanzgewühl, 
Und  wir  trefien  sie  beim  Spiel. 
Unsres  Kommens  späte  Zeit 
Mehrt  die  Lust  und  Fröhlichkeit. 

Die  Scene  wechselt;  die  Zuschauer  erblicken  plötzlich 
Stadt  und  Schloss  Ludlow;  Landleute  führen  ein  bäuerliches 
Ballet  auf  (2),  es  wird  unterbrochen  durch  die  Ankunft  der 
Geschwister  und  des  Schutzgeistes.  Er  heisst  in  einem  Liede 
die  Bauern  zurücktreten,  da  jetzt  ein  anderer  Tanz  „von 
leichteren  Zehen  nach  Hofesart"  zu  beginnen  sei.  Nach 
Vollendung  dieses  „hofmässigen"  Tanzes,  vermuthlich  eines 
Menuets  der  Geschwister,  führt  der  Schutzgeist  sie  mit  einem 
zweiten  Liede  den  Eltern  zu  und  lässt  es  nicht  an  Kompli- 
menten für  die  „drei  schönen  Sprossen"  fehlen,  deren  Jugend, 
vom  Himmel  früh  versucht,  über  alle  Prüfungen  gesiegt  hat. 
Auf  wiederholten  Tanz  folgt  der  Epilog  des  Schutzgeistes. 
Nach  Milton's  Absicht  sollte  er  grossentheils  durch  einen 
phantastischen  Hymnus  gebildet  werden,  und  er  stellte  es 
Lawes  frei,  ihn  zu  singen  oder  zu  recitiren.  Lawes  hatte 
aber  für  die  Aufführung  diesem  Hymnus  schon  zwanzig  will- 
kürlich veränderte  Verse  entnommen,  um  einen  Gesang  für  den 
Anfang  des  Stückes  zu  gewinnen  (s.  o.  S.  220).  Er  liess  daher 
ohne  Zweifel  die  ganze  dort  benutzte  Stelle  fort  und  gieng, 
vielleicht  mit  Abwerfung  seiner  Hirtenverkleidung  (^),  zu  dem 

15* 


228  Aufführung  des  „Comus".  —  Inhalt. 

Schlussgesang  über,  mit  dessen  verhallenden  Tönen  der  Schutz- 
geist den  Augen  der  Zuschauer  langsam  entschwand: 

Nun  mein  Werk  mit  Glück  vollbracht, 

Flieg'  ich  oder  hüpf  ich  sacht 

Bis  zum  Erdenrand  behend, 

Wo  sich  langsam  neigt  das  Firmament, 

Schwinge  dann  mich,  wie  gewohnt. 

Zu  den  Hörnei'n  auf  am  Mond. 


Menschenkinder  stimmt  mir  bei, 
Liebt  die  Tugend:    sie  ist  frei, 
Sie  allein  trägt  euch  empor 
Ueber  Stern'  und  Sphären-Chor, 
Und  wenn  Tugend  Schwäche  zeigt, 
Der  Himmel  selbst  sich  zu  ihr  neigt. 


Die  ungezwungene  Leichtigkeit,  mit  welcher  sich  im  Comus 
der  Absicht  einer  festlichen  Huldigung  die  dichterische  Er- 
findung anschmiegt,  kann  zu  dem  Gedanken  verleiten,  dass  wir 
es  hier  eben  nicht  mit  einer  ganz  freien  Erfindung,  sondern 
mit  einer  wirklichen  Thatsache,  als  Grundlage  der  poetischen 
Schöpfung,  zu  thun  haben.  In  der  That  giebt  es  eine  Ueber- 
lieferung,  welche  dieses  glauben  machen  will. 

Warton  erzählt,  nach  einer  handschriftlichen  Notiz  von 
Oldys,  die  Kinder  des  Grafen  von  Bridgewater  seien  nach 
einem  Besuche  von  Verwandten  in  Herefordshire  im  Forst 
von  Haywood  von  der  Nacht  überrascht  worden,  und  Lady 
Alice  sei  sogar  für  kurze  Zeit  von  den  übrigen  getrennt 
und  vermisst  worden.  Dieser  Vorfall  habe  dem  Dichter  den 
Plan  des  Comus  eingegeben.  —  Diese  sonst  in  keiner  Weise 
verbürgte  Erzählung  wird  nicht  oline  Misstrauen  aufzu- 
nehmen sein.  Man  weiss,  wie  ieiclit  aus  den  Fiktionen  des 
Dichters  ein  nie  Geschehenes  mit  gläubiger  Naivetät  als  wirk- 
liches Ereignis  abgezogen  wird,  und  es  wird  nicht  so  bald 
jemand  von  jener  Anekdote  liören,  ohne  zu  argwöhnen,  dass 
sie  eher  auf  dem  Comus  beruhen  möge  als  Comus  auf  ihr. 

Audi  die  Worte,  mit  welchen  Lawes  später  dem  älteren 


Quellen.  —  Erjcius  Puteanus:    Comus.  229 

Sohne  des  Grafen  das  gedachte  Maskenspiel  zueignete:  es 
habe  den  ersten  Anlass  seines  Werdens  ihm  selbst  und  an- 
deren Mitgliedern  seiner  Familie  zu  danken (i):  werden  voll- 
ständig durch  die  oben  gegebene  Entstehungsgeschichte  des 
Dramas  erklärt  und  setzen  jenes  Waldabenteuer  keineswegs, 
als  wirklich  geschehen,  mit  Nothwendigkeit  voraus. 

Man  sieht  sich  daher  genöthigt,  um  den  Quellen  des 
Comus  auf  die  Spur  zu  kommen,  den  Kreis  der  Untersuchung 
über  jene  zweifelhafte  Ueb erlief erung  hinaus  zu  erweitern, 
und,  so  wenig  es  auch  die  Aufgabe  sein  kann,  jede  Zeile  des 
Gedichts  mit  Parallel-Steilen  aus  früheren  Werken  alter  und 
neuer  Literatur  zu  belegen,  so  unnabweisbar  erscheint  es, 
die  Hauptergebnisse  der  kritischen  Forschung  zusammen- 
zufassen, in  welche  sich  Engländer  und  Deutsche  mit  rühm- 
lichem Eifer  getheilt  haben.  Was  zunächst  die  Hauptfigur 
des  Comus  selbst  betrifft,  so  weiss  man,  dass  sie  dem  Alter- 
thume  nicht  völlig  fremd  war  und  dass  sie  auch  in  der  eng- 
lischen Literatur  schon  vor  Milton,  bei  Dekker  und  Ben 
Jonson,  wenn  auch  ganz  flüchtig  auftaucht.  Wäre  es  nun 
auch  nicht  undenkbar,  dass  die  unermüdliche  Beschäftigung  mit 
den  Autoren  des  Alterthums  Milton  gleichfalls  mit  dem  älteren 
Philostrates  bekannt  gemacht  hätte,  so  haben  wir  doch  allen 
Grund  anzunehmen,  dass  dessen  Schilderung  des  Gottes  ihm 
vielmehr  durch  das  Medium  eines  modernen  Schriftstellers, 
erweitert  und  ausgeschmückt,  zugänghch  gemacht  worden  sei. 
Es  ist  dies  Erycius  Puteanus  (Hendrik  v.  Putten  1574 — 1646), 
seit  1606  Professor  der  Beredtsamkeit  und  klassischen  Literatur 
zu  Löwen,  ein  äusserst  fruchtbarer  Schriftsteller,  welcher 
1608  ein  Werkchen  mit  dem  Titel:  Comus  sive  Phagesiposia 
Cimmeria.  Somnium  (Lovanii):  veröffentlichte  (^).  Da  dieses 
Werk  1634  einen  Abdruck  in  Oxford  erlebte,  so  mochte  es 
Milton,  und  dies  genau  zu  der  Zeit,  da  er  mit  der  Dich- 
tung des  ludlower  Festspiel  beauftragt  war,  leicht  in  die 
Hand  fallen.  Denn  dass  er  es  in  der  That  benutzt  hat,  wird 
jedem  einleuchten,  der  sich  die  Mühe  der  Vergleichung  nimmt. 
Zwar  die  formelle  Seite  der  Schöpfung  des  löwener  Latinisten 
konnte  nicht  zur  Nachahmung  reizen.    Er  schildert  in  weit- 


230  Erycius  Puteanus:    Comus. 

schweifiger  Darstellung,  in  welcher  langweilige  Prosa  mit 
zierlich  gedrechselten  Versen  und  poetischen  Citaten  wechselt, 
einen  Traum,  der  den  Autor  mit  mehreren  seiner  Freunde 
in  den  Palast  des  Comus  versetzt.  Mit  mehr  Behagen  als 
Grazie  unter  langen  moralisirenden  Gesprächen  und  mit  Auf- 
bietung eines  schwerfälligen  allegorischen  Apparats  wird  die 
in  eine  Prügelei  auslaufende  Feier  der  lasciven  Mysterien 
dargestellt.  Kein  Zweifel:  Die  Charakterisirung  des  Comus 
als  eines  entnervenden  Gottes  unbändiger  Sinnenlust,  das 
Bild  seiner  äusseren  Erscheinung,  seines  Gefolges,  seines 
Zauberschlosses,  die  ganze  widerliche  Verbindung  zügelloser 
Brunst  und  unmässiger  Schlemmerei:  Alle  diese  Züge  fand 
Milton  als  brauchbare  Bausteine  für  sein  Kunstwerk  bei  Ery- 
cius Puteanus  vor.  Man  darf,  ohne  den  Worten  Gewalt  an- 
zuthun,  in  einzelnen  Ausdrücken,  in  der  Form,  die  der  einen 
oder  anderen  Maxime  gegeben  ist,  selbst  in  dem  Liede  der 
Lust,  durch  welches  der  Dämon  seine  Genossen  anfeuert 
(Puteanus  p.  46  —50),  Anklänge  entsprechender  Stellen  des 
Milton'schen  Maskenspiels  heraushören (^).  Nur  dass  hier  An- 
muth,  Leichtigkeit,  Rundung  an  Stelle  von  Steifheit,  Schwer- 
fälligkeit, Plattheit  getreten  ist,  die  dort  ermüdet. 

Ganz  von  selbst  führte  eine  Stelle  in  Puteanus  Arbeit 
(p.  26)  dazu,  den  Mythus  von  Circe  mit  der  Gestalt  des 
Comus  in  Verbindung  zu  setzen.  Die  Ueberlieferung  Homers 
und  Ovids  liess  sich  um  so  leichter  vor  einem  englischen 
Publikum  auffrischen,  da  auch  Spenser  gewissermassen  in  der 
Feen-Königin  IV,  12  und  Browne  in  dem  Maskenspiel  des  „Inner 
Temple"  von  ihr  Gebrauch  gemacht  hatten.  Das  Wunderkraut 
Haemony  als  Nachbildung  des  homerischen  Moly,  der  Zauber- 
stab des  Comus,  sein  thierköpfiges  Gefolge  war  auf  diese 
Weise  gegeben.  In  Circe  verschaffte  die  Phantasie  des  Dich- 
ters der  „etwas  zweifelhaften  Gottheit"  eine  Mutter,  während 
sie  Bacchus  ohne  viel  Besinnen  die  Kolle  der  Vaterschaft 
übertrug.  —  Einige  Züge  mag  Milton  ferner  einem  Ben  Jon- 
son'schen,  1619  bei  Hofe  aufgeführten,  Maskenspiel  (Pleasure 
reconciled  to  Virtue)  entlehnt  haben,  in  welchem  Comus, 
-der  Gott  der  Lust  und  des  Bauches",  mit  seiner  bacchanti- 


Ben  Jonson:   Pleasure  reconciled  to  Virtue.  231 

sehen  Schaar,  vielleicht  gleichfalls  nach  E.  Puteaniis  Anregung, 
vorgeführt  wird.  Selbst  der  Konflikt  zwischen  Tugend  und 
Sinnenlust,  der  im  Mittelpunkt  der  Handlung  bei  Milton  steht, 
ist  hier,  wie  schon  der  Titel  sagt,  wenigstens  berührt.  Aber 
fi'eilich  lässt  Ben  Jonson  „im  bunten  Gewühl  künstlich  ver- 
schlungener Tänze  und  unter  dem  Glänze  scenischer  Deko- 
rationen" den  Zuschauer  die  grossen  ethischen  Gegensätze 
ganz  vergessen,  die  Lösung  erfolgt  rein  äusserlich  durch  einen 
Theatereffekt,  indem  Hercules  den  Schwärm  des  Comus  ver- 
jagt, und  erst  die  Schlussverse  des  Maskenspiels  rufen  wieder 
unabweisbar  die  Erinnerung  an  den  moralisirenden  Ausklang 
von  Miltons  Schöpfung  hervor.  Wie  er  überhaupt  den  Spuren 
des  „gelehrten"  Vorgängers  mit  Aufmerksamkeit  folgte  (^), 
so  mag  er  sich  auch,  —  und  durch  niemanden  war  dies 
leichter  zu  bewerkstelligen  als  durch  Lawes,  —  Kunde  von 
jenem  Maskenspiel  erworben  haben,  noch  ehe  es  durch  den 
Dnick  veröffentlicht  worden  war(/). 

Bisher  ist  indessen,  nach  Verwerfung  jener  verdächtigen 
Anekdote  (-),  für  das  Gerüst  der  eigentlichen  Handlung  des 
Comus,  sofern  von  dieser  überhaupt  die  Rede  sein  kann,  kein 
Vorbild  genannt  worden.  Doch  auch  hieran  hat  man  es  nicht 
fehlen  lassen.  Seit  langer  Zeit  ist  man  gewöhnt,  es  in  einer 
phantastischen  Komödie  des  lustigen  George  Peele:  The  Old 
Wives  Tale  (zum  ersten  Mal  gedruckt  1595) :  zu  erblicken,  in 
welcher  die  üppige  Einbildung  des  Dichters  und  der  uner- 
schöpfliche Strom  von  Volksmährchen  und  Volksliedern  sich 
zum  tollsten  Zauberspuk  vermischen  (^j.  Dass  Milton  dies 
Lustspiel  gekannt  habe,  hat  nichts  Unnatürliches,  wie  denn 
der  Versuch  aus  sonstigen  Stellen  seiner  Werke  seine  Be- 
kanntschaft mit  Peele  als  sicher  zu  erweisen,  mit  Glück  ge- 
macht worden  ist(^).  Genug,  dass  in  Peele's  „Altweiber- 
Geschichte"  inmitten  des  Gewirres  einer  bunten  Zauberposse 
zwei  Brüder  ausgehen,  ihre  verlorene  Schwester  zu  suchen, 
dass  diese  sich  in  der  Gewalt  eines  Magiers  befindet,  dass 
dessen  Macht  mit  Hülfe  eines  Dens  ex  machina  gebrochen 
wird.  Von  irgend  welcher  weiteren  Analogie  kann  kaum  die 
Rede    sein,    man  müsste   denn  sonderliches  Gewicht   darauf 


232   Peele :  The  Old  Wives  Tale.  —  Fletcher :  Faithful  Shepherdess. 

legen,  dass  auch  hier  das  Mädchen  sitzend  gefunden  wird, 
dass  zu  ihrer  Entzauberung  das  Zerbrechen  eines  gläsernen 
Behälters  nöthig  ist,  und  dass  sich  eine  Scene  findet,  in  der 
das  Echo  vorkommt,  durch  welche  immerhin  dem  Dichter  des 
Comus  die  erste  Idee  jenes  Liedes  eingeflösst  worden  sein  mag(^). 
Uebrigens  hat  Sacrapant  so  wenig  Aehnlichkeit  mit  Comus, 
und  Delia  so  wenig  Gemeinschaft  mit  der  spröden  Jungfrau, 
wie  der  von  den  Todten  auferstandene  Jack  mit  dem  vom 
Himmel  herabgeflogenen  Schutzgeist.  Zu  einer  unterscheiden- 
den Charakteristik  der  Brüder  findet  sich  bei  Peele  auch 
nicht  der  kleinste  Ansatz,  und  von  dem  Kampfe  der  Gegen- 
sätze der  sittlichen  Welt ,  auf  welchem  Miltons  Dichtung  be- 
ruht, ist  hier  keine  Rede. 

Liess  sich  diese  moralische  Tendenz  in  Ben  Jonson's 
„Lust  versöhnt  mit  Tugend"  wenigstens  flüchtig  angedeutet 
finden,  so  erscheint  sie  ausgearbeitet  in  einem  berühmten 
Schäferspiel  Jolm  Fletcher's,  welchem  man  mit  unbezweifeltem 
Rechte  den  bedeutendsten  Einfluss  auf  die  Entstehung  des 
Milton'schen  Comus  eingeräumt  hat.  „Die  treue  Schäferin"  (2), 
im  neidischen  Hinblick  auf  die  Lorbeeren  Tasso's  und  Guarini's 
gegen  1610  entstanden,  hatte  das  Unglück  bei  der  ersten 
Auffühi'ung  dem  londoner  Publikum  entschieden  zu  missfallen, 
dessen  derber  und,  sagen  wir,  gesunder  Geschmack  sich  in 
die  Sprache  und  Vorgänge  der  zarten,  pastoralen  Welt  mit 
ihren  üblichen  Schäfer-Freuden  und  -Leiden,  soferne  sie  auf  der 
Bühne  vorgeführt  wurden,  nicht  finden  konnte.  Das  Stück 
erschien  zwei  Mal  (vor  Mai  1610  und  1629)  im  Druck,  blieb 
aber  von  den  Brettern  verschwunden,  bis  es  am  Dreikönigs- 
Abend  1634  einer  Aufführung  vor  dem  Hofe  in  Somerset- 
House  gewürdigt  wurde.  Nun  eroberte  es  sich  auch  mit  Er- 
folg für  einige  Abende  die  Büline  von  Blackfriars,  erlebte 
(1634)  eine  dritte  Auflage  und  mag  in  der  einen  oder  andern 
Weise  Milton  bekannt  geworden  sein. 

Es  war  genau  die  Zeit,  in  welcher  ihn  der  Comus  beschäf- 
tigte, und  es  ist  wohl  ei-klärlicli,  wenn  er  sich  von  Fletcher's 
Muse  zum  Wettkampf  angeregt  fühlte.  Freilich  von  dem 
Gei-üste  des  Fletcher'schen  Werkes  war  so  gut  wie  gar  nichts 


Fletcher:    Faithful  Shepherdess.  233 

für  ihn  zu  gebrauchen.  Der  Plan  clessel])en  hat  ebensoviel 
Unnatürliches  in  seiner  Anlage  wie  Unfertiges  in  seiner  Aus- 
führung. Das  Verhältnis  Thenot's  zu  der  keuschen  Clorin 
reizt  zum  Lachen  und  erhält  keine  Lösung,  der  Gegensatz 
dieser  beiden  zu  Alexis  und  Cloe,  —  dieser  Philine  des  Pas- 
toral-Dramas,  —  ist  mehr  tastend  versucht  als  streng  ausge- 
arbeitet, das  Eingreifen  der  übiigen  sich  suchenden  und 
fliehenden  Paare  lässt  es  wohl  zu  einem  leichten,  phantastischen 
Spiel,  aber  nicht  zu  dem  Ansatz  einer  festgeschlossenen  Intrigiie 
kommen,  die  Tugendprob-e,  welche  so  ziemlich  die  ganze 
Gesellschaft  vor  Clorin's  Hütte  zu  bestehen  hat,  ermüdet. 
Aber  neben  so  zahlreichen '  Mängeln  enthält  „die  treue  Schä- 
ferin" eine  Fülle  von  Schönheit  und  Lieblichkeit.  Je  weniger 
gebunden  sich  die  Phantasie  des  Dichters  im  losen  Eahmen 
der  Handlung  bewegen  konnte,  desto  freigebiger  verschwen- 
dete sie  ihre  Schätze  in  zarten  lyrischen  Weisen  und  w'under- 
vollen  Bildern.  Man  wird  nicht  läugnen  können,  dass  viele 
einzelne  Stelleu  des  Comus  auf  Fletcher's  Vorbild  zurückzu- 
führen sind,  wennschon  man  oft  genug  zu  weit  hierin  ge- 
gangen ist  (1)  und  nicht  genügend  getrennt  hat,  was  Fletcher 
allein  angehört,  und  was  er  mit  der  Spenser'schen  Schule 
theilt.  Mitunter  erstreckt  sich  die  Aehnlichkeit  bis  auf  das 
Versmass  der  Lieder,  der  poetische  Duft,  der  über  diesen 
lyrischen  Partien  zu  schweben  scheint,  ist  beiden  gemein. 
Dazu  kommen  deutliche  Anklänge  der  FigTir  des  Schutz- 
Geistes  an  die  des  Satyrs,  welcher  merkwürdiger  Weise  bei 
Fletcher  eine  ähnliche  Rolle  zu  spielen  hat,  wie  Analogieen 
zwischen  Sabrina  einerseits  und  dem  Flussgott  und  Clorin 
andrerseits.  Vor. allem  aber  die  Lehre,  welche  die  leitende 
Idee  des  Comus  bildet,  die  Lehre  von  der  unbesieglichen  Gewalt 
reiner  Jungfräulichkeit,  wird  in  Fletcher's  Schäferspiel  nicht 
nur  in  mehreren  kritischen  Situationen  auf  die  Probe  gestellt 
und  in  ihrem  Gegensatz  gebrandmarkt,  sondern  Akt  1,  Scene  1 
von  Clorin  beinahe  ganz  in  derselben  Form  ausgesprochen 
wie  im  Comus  v.  420  ff.  von  dem  älteren  Bruder.  Nur  dass 
die  Darstellung  Miltons  abgemessener  und  strenger,  seine 
Auffassung  des  Gegenstandes  würdiger  und  weihevoller  erscheint, 


234  Stil  des  Comus. 

als  die  Fletcher's,  der  mit  dem  Ernst  der  Frage  sein  Spiel 
treibt  und  sich  niemals  über  die  konventionellen  Fiktionen 
erhebt,  die  er  fremden  Mustern  entlehnte.  Wenn  sich  in 
Fletcher's  Maskenspiel  der  Satyr,  nachdem  sein  Werk  gethan 
ist,  in  den  abenteuerlichsten  Bildern  seiner  nutzlosen  Viel- 
geschäftigkeit gefällt,  so  bringt  der  Schutzgeist  bei  Milton  in 
sechs  kurzen  Versen  dieselbe  Wirkung  hervor,  ohne  durch 
phantastische  Ueberfülle  die  Reflexion  zu  ermüden.  Wenn 
sich  dort  der  „tückische  Schäfer"  (und  selbst  andere  der 
Auftretenden,  wie  sogar  Perigot  Akt  1,  Scene  2)  mitunter 
gemeiner  Worte  bedienen  und  widerliche  Vorstellungen  er- 
wecken, so  bewegt  sich  der  leichtfertige  Comus  nur  allzusehr 
in  einer  gewissermassen  aristokratischen  Ausdrucksweise.  Wenn 
dort  die  Romantik  so  weit  getrieben  wird,  dass  die  Kräuter 
des  Waldes  lediglich  dadurch  eine  heilende  und  Zauber 
lösende  Kraft  erhalten,  dass  die  Hand  einer  Jungfrau  sie  auf- 
legt, so  muss  hier  doch-,  wenigstens  eine  Göttin  als  Retterin 
bemüht  werden. 

Und  so  bewahrt  sich  auch  der  Stil  des  Comus  gegenüber 
den  Quellen,  die  Milton,  sei  es  bewusst  oder  unbewusst, 
während  des  dichterischen  Schaffens  benutzt  hat,  seine  volle 
Selbstständigkeit.  Man  hat  die  Analyse  dieses  Stils  mit 
Glück  mit  einem  Verfahren  der  Arithmetik  verglichen.  Denn 
deutlich  lassen  sich  mehrere  Faktoren  durch  sorgfältiges 
Studium  aussondern.  Als  erster  das  klassische  Element, 
welches  in  dieser  wie  in  den  früher  besprochenen  Dichtungen 
Milton's  auf's  stärkste  vertreten  ist.  Die  mehrfachen  Anklänge 
an  homerische  Redeweise,  die  unverkennbare  Einwirkung 
platonischer  Lehren  und  Bilder,  die  Nachahmung  der  grie- 
chischen Tragiker  in  der  streng  durchgeführten  Stichomythie 
(v.  277 — 290)  und  speciell  des  Milton  genau  bekannten  Euri- 
pides  in  einzelnen  Wendungen  und  in  den  „processartigen 
Eröi'terungen  von  Gegensätzen"  v.  0G8— 813,  eine  Reihe  von 
Beiwörtern,  welche  dem  Ovid,  dem  Iloraz  u.  s.  w.  entlehnt 
sind,  endlich  die  Aufnahme  von  Konstruktionen,  die  dem 
Genius  der  englischen  Sprache  von  antiken  Mustern  her  erst 
aufgedmngen  werden  müssen  (z.  B.  v.  48):  Alles  dies  gehört 


Stil  des  Comus.  235 

unstreitig  hierher,  wennschon  Vorsieht  in  sorgsamer  Unter- 
scheidung dessen,  was  direkt  der  antiken  Vorlage  abgesehen 
und  dessen,  was  ohnehin  schon  sprachliches  Gemeingut  ge- 
worden war,  auch  hier  geboten  ist. 

Neben  dem  klassischen  Element  steht  das  biblische.  Man 
hat  bemerkt,  dass  es  in  den  späteren  Dichtungen  Miltons 
stärker  hervortritt;  ganz  zu  übersehen  ist  indess  der  Antheil 
keineswegs,  der  ihm  im  Comus  gewährt  wird.  Die  Krone, 
welche  die  Tugend  verleiht  (v.  9),  die  Krone  ewigen  Ruhmes 
(v.  973),  die  Sonne,  die  der  Kammer  des  Ostens  als  ihrem 
Ziele  zueilt  (v,  101):  Das  sind  Bilder,  um  welche  die  biblischen 
Urkunden  das  Menschengeschlecht  bereichert  haben.  —  Man 
wäre  genöthigt,  das  halbe  Werk  abzuschreiben,  um  im  ein- 
zelnen nachzuweisen,  inwiefern  sein  Stil  sich  an  den  der  mo- 
dernen und  zeitgenössischen  Dichter  anlehnt.  Neben  den 
Engländern  selbst  kommen  hie  und  da  die  Italiener  in  Be- 
tracht, von  denen  Ariost  und  Tasso  in  den  Uebersetzungen 
von  Harrington  und  Fairfax  benutzt  werden  konnten.  Eine 
genaue  Bekanntschaft  des  Dichters  mit  den  hervorragenden 
Dramatikern  seines  Heimatlandes  wird  man  nach  manchen 
Wendungen  des  Comus  annehmen  dürfen.  Vorzüglich  aber 
an  einer  Quelle,  aus  welcher  er  überreich  geschöpft  hat,  darf 
man  nicht  vorbeigehen,  der  üppigen  Fülle  von  Beiworten, 
Bildern,  Vergleichen,  welche  die  arkadische  Schule,  die  Schule 
Spenser's,  in  geschäftigem  Eifer  aufgehäuft  hatte.  Spenser  selbst, 
die  beiden  Fletcher,  Browne,  Drayton,  Sylvester,  Drummond, 
der  Graf  von  Stirling:  Bei  ihnen  allen  ist  die  Muse 
Milton's  zu  Gast  gegangen.  Die  ganze  Schilderung  der 
Schicksale  Sabrina's  ist  ein  treues  Echo  des  Tones  Spenser'- 
scher  Idyllen,  der  pastoralen  Beschreibung  (v.  540  ff.)  hätte 
sich  kein  Spenserianer  zu  schämen,  die  Spenser'schen  Lieb- 
lingsblumen, wie  Lilie  und  Asphodille,  die  Perlenschnüre  an 
der  Hand  der  Wasser-Nymphen,  die  Bernstein-Tropfen,  in 
denen  das  goldene  Haar  gleichsam  niederfliesst:  Der  ganze 
„dekorative  Apparat  der  Schule"  kommt  zur  Verwendung. 
Arkadische  Lieblingsworte,  wie  „trim"  (v.  120),  das  ahnungs- 
volle „whilom"  (v.  827),    Participia    wie    „interwove"    (544), 


236  Stil  des  Comus. 

„besprent"  (542)  finden  ihren  Platz.  Die  ganze  Bildersprache 
der  Arkadier  ist  dem  Dichter  geläufig,  seine  ganze  Phantasie 
mit  ihren  Anschauungen  durchtränkt. 

Aber  wie  sehr  würde  man  irren,  wenn  man  glauben 
wollte,  alle  diese  Elemente,  das  klassische,  das  biblische,  das 
moderne,  fremdländische  wie  heimische,  ständen  noch  unvermittelt 
neben  einander,  und  der  Dichter  habe  sich  begnügt.  Fremdes 
zu  entlehnen,  ohne  ihm  durch  eigene  Zuthat  höheren  Werth 
zu  geben.  Vielmehr  darin  zeigt  sich  seine  Kraft,  dass  er  mit 
freier  Benutzung  fremder  Motive,  Geschaffenes  neu  schaffend, 
die  einzelnen  Theile  mit  einander  verschmelzend,  den  eigenen 
Stil  sieh  bildet.  Wie  in  seiner  Anschauung  die  Philosopheme 
des  Alterthums  und  die  christlichen  Lehren  sich  durchdringen, 
so  mischen  sich  die  Formen,  welclie  beiden  zum  Ausdruck 
dienen,  in  seiner  Diktion.  Die  Sprache  des  Psalmisten  stösst 
die  Sprache  des  griechischen  Weisen  nicht  ab,  sondern  wird 
mit  ihr  verwandt.  In  einzelnen  Fällen  wird  das  Ueber- 
fliessen  der  einen  stilistischen  Strömung  in  die  andere  nach- 
weisbar, in  anderen  sind  sie  unmerklich  verschwommen,  aber 
immerhin  dürfen  wir  die  Art,  wie  der  Künstler  verstanden 
hat,  die  überkommenen  Formen  umzugiessen  als  Neu-Schöpfung, 
als  Renaissance,  auch  in  diesem  Sinn  des  Wortes,  bezeichnen. 
Er  ist  nicht  der  Sklave,  sondern  der  frei  schaltende  Herr  des 
Materials,  das  er  bei  andern  voifand  und  in  seine  Werkstatt 
übernahm.  Indem  er  einfache  Vergleiche  zu  ganzen  Situationen 
erweitert  (^),  die  höchstmögliche  Anschaulichkeit  in  seine 
Worte  zu  legen  sucht  und  unbewusst  beständig  den  Regeln 
folgt,  welche  so  viel  Generationen  später  der  Autor  des  Lao- 
koon  aufgezeigt  hat,  bringt  er  ganz  neue  Wirkungen  hervor  {^). 
Mitunter  giel)t  er  konventionell  gewordenen,  metaphorischen 
Ausdrücken  die  „ursprüngliche  Frische  sinnlicher  Anschauung" 
dadurch  wieder,  dass  er  auf  die  erste  Bedeutung  der  Worte 
zurückgreift,  die  im  Gebrauch  so  vielfach  abgeschlifien  war. 
Mit  einem  Worte,  mögen  wir  noch  so  sicher  glau])en,  nach- 
weisen zu  kininen,  wo  Milton  von  anderen  angeregt  wurde: 
er  hat  in  ehrlicher  Ai'beit  sein  Eigenes  geschaffen,  worüber 
man  jenes  vergisst,  und  der  sinnige  Ausspruch  eines  grossen 


Kritik   des  Comus.  237 

Meisters,    dass    in  der  Kunst  der  Diebstahl  nicht  erlaubt  sei, 
wohl  aber  der  Todschlag,  passt  auch  hier. 

Gegenüber  den  angegebenen  Vorzügen  lassen  sich  die 
Mängel  des  Comus  nicht  übersehen.  Sie  sind  kaum  von 
jemandem  schäi-fer  hervorgehoben  worden  als  von  Johnson. 
Er  rühmt  den  Zauber  der  Sprache,  den  Reichthum  der  Bilder 
in  dem  Gedicht,  „als  eine  Reihenfolge  von  Versen  ist  es  bewun- 
dernswerth,  aber  als  Drama",  fügt  er  hinzu,  „ist  es  mangel- 
haft." Damit  hat  er  den  Kern  der  Sache  getroffen.  Gewiss 
lassen  sich  einzelne  drama.tische  Züge  nachweisen,  welche  auf 
einer  feinen  psychologischen  Beobachtung  beruhen.  Es  ist 
der  Natur  abgelauscht  und  bringt  dramatische  Wirkung  her- 
vor, wie  sogar  der  sinnliche  Comus,  überwältigt  von  dem 
Gesänge  des  Mädchens,  vor  dem  Göttlichen  dieser  holden 
Jungfräulichkeit  sich  beugt  (v.  244  ff.),  es  ist  ebenso  ein 
feiner,  bühnenm.ässiger  Zug,  wenn  derselbe  Comus  (v.  145) 
seine  Genossen  ihren  wilden  Tanz  abbrechen  heisst,  weil  er 
die  Gegenwart  eines  keuschen  Wesens  ahnt.  Aber  einzelne 
dramatische  Züge  machen  kein  Drama,  und  ein  einzelner 
psychologischer  Treffer  schafft  noch  keinen  festgeschlossenen 
Charakter.  Beides,  -  ausreichende  Handlung  und  bestimmte 
Charakteristik,  —  wird  ein  unbestochenes  Urtheil  im  Comus 
vermissen.  Diese  ist  in  der  verschiedenen  Anlage  der  „Brüder", 
des  älteren  bedächtigeren,  des  jüngeren  stürmischen,  allerdings 
versucht,  für  die  Zeichnung  der  „Schwester"  reicht  die  dich- 
terische Kraft  schon  nicht  aus,  denn  dies  Mädchen  hat  kaum 
ein  selbstständiges  Leben,  sie  ist  nur  die  Trägerin  des  Keusch- 
heitsbegriffs, der  Schutzgeist  Hess  sich  überhaupt  nicht  indi- 
vidualisiren,  Comus  endlich  mit  seinem  Schwaime  erscheint 
nebelhaft  und  verschwommen.  Gerade  hier  wäre  eine  derbe, 
realistische  Zeichnung  am  Platze  gewesen,  aber  der  Dichter 
in  dem  falschen  Drange  des  Idealisirens  scheute  vor  ihr 
zurück.  Der  Kampf  der  Tugend  mit  den  feindlichen,  dämo- 
nischen ]\Iächten  bewegt  sich  nur  auf  der  ätherischen  Höhe 
der  Rhetorik,  und  pomphafte  Deklamation  muss  den  Mangel 
an  Handlung  ersetzen.  Man  kann  Warton  Recht  darin  geben, 
wenn    er    eine    unbewusste    Nachwirkung    jener    cambridger 


238  Kritik  des  Comus. 

Prolusiones  annimmt,  deren  Entstehungszeit  hinter  der  dfes 
Comus  noch  gar  nicht  so  weit  zurück  kxg.  Das  ganze  Ge- 
spräch der  Brüder  (v.  331—480),  höchst  gedehnt,  mit  Philo- 
sophemen  angefüllt,  ist  in  diesem  Geschmack  gehalten,  der 
moralisirende  Dialog  zwischen  Comus  und  dem  Mädchen 
(v.  659 — 800)  folgt  derselben  akadamischen  Spur,  und  Comus 
scheint  sogar  plötzlich  Geste  und  Habit  eines  wohlweisen 
Baccalaureus  anzunehmen,  wenn  er,  der  Bacchus-  und  Circe- 
Sohn,  sich  unversehens  (v.  707)  als  Kenner  des  stoischen 
Systems  enthüllt.  Andrerseits  liegt  in  diesen  Erzeugnissen 
majestätischer  Rhetorik,  reich  an  tiefen  Gedanken  und  pracht- 
vollen Bildern,  wie  sie  sind,  eine  der  Hauptstärken  des  Ge- 
dichts. Eine  zweite  ist  in  seinen  lyrischen  Partieen  zu  finden, 
deren  lieblicher  Wohllaut  nur  von  einem  parteiischen  Richter 
geläugTiet  werden  konnte.  Man  kann  sich  wohl  entschliessen, 
über  der  schönen  Verbindung  dieser  beiden  Elemente  die 
Forderung  eines  festgeschlossenen  dramatischen  Gefüges  zu 
vergessen,  wenn  man  bedenkt,  dass  es  sich  um  ein  Gelegen- 
heits-Festspiel, um  eine  blosse  „Maske"  handelt.  In  der  That 
hat  Milton  diese  dichterische  Zwitteiform  in  einer  Weise  zu 
benutzen  verstanden,  die  allein  schon  den  grossen  Künstler 
bezeichnet.  Er  bemächtigte  sich  des  üblichen  Apparates 
von  Wundern,  Verzauberung  und  übermenschlicher  Maschinerie, 
aber  weit  entfernt,  sich  dadurch  zum  Possenhaften  und  Rohen 
verleiten  zu  lassen,  wie  es  z.  B.  in  Ben  Jonson's  „Lust  versöhnt 
mit  Tugend"  abschreckend  hervortritt,  stellte  er  jene  über- 
kommenen Formen  in  den  Dienst  des  ethischen  Grundgedankens, 
der  seine  Schöpfung  l)chei-rscht.  Wenn  irgend  etwas  im  Comus 
an  Tendenz  anklingt,  so  ist  es  dieser  Grundgedanke  selbst. 
Es  wäre  gesucht  in  den  Worten  (v.  745)  „Schönheit  nmss 
sich  am  Hofe  zeigen",  eine  gehässige  Nebenbedeutung  finden 
zu  wollen.  Es  wäre  ebenso  verfehlt,  in  einer  scherzhaften 
Wendung  des  Comus  (v.  808)  einen  versteckten  puritanischen 
Angrift'  auf  die  anglikanische  Kirche  zu  vernmthen.  Dagegen 
die  leitende  Idee  des  Schauspiels  ist  ganz  und  gar  der  puri- 
tanischen Weltanschauung  entnommen. 

Jenes  Thema  vom  Reichthum  der  Natui-,  und  seine  Ver- 


Leitende  Idee,  —  Griechische  Uebersetzung  des  1 1 4.  Psalmes.  239 

Wendung  zum  Anreiz  der  Sinnlichkeit,  wie  Comus  sie  versucht, 
ist  den  Dramatikern  der  Zeit  geläufig.  Aber  je  bereitwilliger 
die  Mode  des  Tages  unter  dem  Beifall  der  herrschenden 
Kreise  von  der  Bühne  herab  sich  den  Sieg  der  Verführung 
und  Unsittlichkeit  gefallen  Hess,  desto  entschiedener  preist 
der  jugendliche  Dichter  den  Triumph  keuscher  Jungfräulichkeit. 
Im  Gegensatz  zu  so  manchem  Genossen  seiner  Kunst  ver- 
schmäht er  es  auch  hier  nicht,  den  Spuren  Plato's  und 
Spenser's  zu  folgen  und  eine  vornehme  Zuhörerschaft,  aus 
der  mehr  als  einer  Zeuge  der  verschwenderischen  Hoffeste 
gewesen  sein  mochte,  lässt  er  Worte  des  Tadels  darüber 
hören,  dass  Ueppigkeit  vieles  auf  wenige  häufe. 


Der  Comus  schien  für  längere  Zeit  die  dichterische 
Thätigkeit  des  Still-Lebens  von  Horton  erschöpft  zu  haben. 
Denn  eine  Uebersetzung  des  114.  Psalms  in  griechische  Hexa- 
meter ,.vor  Tagesanbruch,  beinahe  noch  im  Bette  fertiggemacht", 
wie  Milton  dem  poetischen  Mentor,  Alexander  Gill,  mittheilte, 
kann  nur  als  ein  leidlich  gelungener  Versuch  gelehrter  Spielerei 
betrachtet  werden  (^).  Auch  äussere  Ereignisse  aus  dem 
Leben  des  Dichters  für  die  nächste  Zeit  sind  nur  spärlich 
zu  verzeichnen.  Dass  er  nach  herrsehender  Sitte  1635  der 
Formalität  genügte,  sich  als  Magister  artium  in  Oxford,  der 
anderen  Landes-Universität,  „inkorporiren"  zu  lassen,  ist 
ziemlich  sicher  bezeugt'(^).  Nicht  ohne  Interesse  konnte  er 
vernehmen,  dass  am  17.  November  desselben  Jahres  sein  alter 
Lehrer  Gill  gestorben  war,  und  der  Sohn,  sein  Freund,  die 
erledigte  Schulstelle  erhielt (^).  Aber  aufs  tiefste  musste  ihn 
ein  anderer  Todesfall  berühren.  Mit  dem  Sommer  1636  hatte 
sich  die  Pest  wieder  über  das  Land  verbreitet.  Auch  die 
Umgegend  von  Horton  wurde  von  ihr  heimgesucht,  und  so 
mag  ihr  vielleicht  das  Leben  von  Milton's  Mutter  zum  Opfer 
gefallen  sein,  das,  laut  der  einfachen  Inschrift  in  der  Doif- 
kirche  zu  Horton,  am  3.  April  1637  endete  (*).  Das  schmerz- 
liche Ereignis,  welches  den  kleinen  Haushalt  in  Horton  der 
leitenden    Hand    beraubte,  konnte   nur    dazu    dienen,  Milton 


240      Tod  von  Milton's  Mutter.  —  Veröffentlichung  des  Comus. 

sich  immer  tiefer  in  seine  Studien  vergraben  zu  lassen.  Doch 
gerieth  er  darum  mit  den  alten  Freunden  nicht  ausser  Zu- 
sammenhang. Henry  Lawes  trat  ihm  dadurch  noch  näher, 
dass  er  drei  Jahre  nach  jener  Aufführung  des  Comus  im 
Schlosse  zu  Ludlow,  mit  Genehmigung  des  Autors  das  kleine 
Stück  veröffentlichte.  In  der  Widmung  an  Lord  Brackley, 
den  älteren  Bruder,  in  der  sich  Lawes  als  den  Schutzgeist, 
den  Thyrsis  der  Auffühmng,  bezeichnet,  glebt  er  als  Gmnd  der 
Veröffentlichung  an,  dass  es  ihm  unmöglich  werde,  dem  Ver- 
langen aller  Freunde,  ein  so  „liebliches  und  vielbegehrtes" 
Kunstwerk  zu  besitzen,  durch  immer  neue  Abschriften  zu 
genügen.  INIilton's  Name  blieb  ungenannt,  aber  der  Dichter 
hatte  für  den  Druck  nicht  unbedeutende  Verbesserungen  und 
Ergänzungen  angebracht  ( ^). 

Die  fortdauernde  Verbindung  mit  Karl  Diodati  wird  durch 
zwei  bei  flüchtigem  Aufenthalt  in  London  1637  geschriebene 
lateinische  Briefe  bezeugt,  aus  denen  hervorgeht,  dass  Diodati 
vermuthlich  in  Ausübung  des  ergriffenen  ärztlichen  Berufes 
im  Norden  weilte,  während  sein  Vater,  nicht  sehr  zu  seiner 
Freude,  eine  zweite  Heirath  eingegangen  war.  Aber  auch 
für  die  Erkenntnis  des  Gedankenkreises,  in  dem  sich  Milton 
damals  bewegte,  sind  beide  Briefe  sehr  werthvoll.  Hier  giebt 
er  jenen  Ueberblick  über  seine  Lektüre;  und  erklärt,  nicht 
ruhen  und  rasten  zu  wollen,  bis  er  „eine  grosse  Periode  seiner 
Studien",  wie  er  sie  sich  vorgesetzt,  beendet  habe.  „Was 
Gott  sonst  über  mich  beschlossen  hat,  weiss  ich  nicht,  aber 
dessen  bin  ich  gewiss:  Er  hat  mir,  wenn  irgend  einem,  eine 
ausseroi'dentliche  Liebe  zum  Schönen  eingeflösst.  Ceres  kann, 
nach  dem  jMytlms,  nicht  mit  solcher  Inbrunst  ihre  Tochter 
Proserpina  gesucht  haben,  wie  ich  Tag  und  Nacht  der  Idee 
des  Schönen  (rov  y.alov  Idtav)  in  allen  Formen  und  Erschei- 
nungen nachjage.  Denn  vielerlei  sind  die  Gestalten  des 
Göttlichen  ...  Du  fragst  mich,  was  ich  denke.  Lass'  Dir, 
damit  ich  nicht  erröthe,  leise  sagen  und  gestatte  mir  einen 
Augenl)]ick  ein  grosses  Wort  zu  sprechen:  Beim  Himmel,  ich 
denke  an  unsterblichen  Nacliruhm.  Ich  lasse  meine  Flügel 
wachsen    und    bereite   mich  zum  Fluge,    aber    noch  sind  die 


Briefvv^echsel  mit  Diodati.  —  Der  „Lycidas".  241 

Fittiche  meines  Pegasus  zu  schwach,  um  sich  aufeuschwingen,  wir 
wollen  bescheiden  und  weise  sein"(^).  Er  deutet  die  Absicht 
an,  sich  in  eine  der  londoner  Rechts-Innungen  zurückzuziehen, 
wo  sich  Gelegenheit  zu  „lieblichen  und  schattigen  Spazier- 
gängen" finde,  und  unter  „einigen  Genossen"  eine  „bequemere 
Wohnung"  sich  biete,  aber  der  Plan,  wenn  er  überhaupt 
ernstlich  gemeint  war,  kam  nicht  zur  Ausführung.  Milton 
blieb  zunächst  bei  seinem  Vater  in  Horton. 

Eben  dort  entstand  im  Winter  1637  die  berühmte  englische 
Elegie,  welche  dem  Andenken  eines  dritten  Freundes  gewidmet 
ist.  Edward  King,  der  jüngere  der  beiden  Brüder,  mit  denen 
Milton  während  der  Studienzeit  im  Christ -College  zu  Cam- 
bridge in  Verbindung  getreten  war,  hatte  dort  als  Fellow  und 
Tutor  fortgewirkt  und  sich  auf  den  geistlichen  Starfd  vorbe- 
reitet. Während  der  langen  Ferien  1637  beabsichtigte  er 
einen  Besuch  in  Irland,  aber  das  Schiff,  das  ihn  trag,  war 
noch  nicht  weit  von  der  englischen  Küste  entfernt,  als  es  an 
einer  Klippe  strandete.  Mit  'fünfundzwanzig  Jahren  fand  der 
vielversprechende  Jüngling  in  den  Wellen  sein  Grab.  Das 
Ereignis  hatte  am  10.  August  stattgefunden.  Nach  dem  Wieder- 
zusammentritt der  Universität  beschlossen  die  Freunde  des 
Ertrunkenen  ihm  ein  gemeinsames  poetisches  Denkmal  zu 
stiften,  wie  es  der  Sitte  des  Tages  entsprach  und  z.  B.  fast 
gleichzeitig  dem  Andenken  Ben  Jonson's  errichtet  wurde. 
Indessen  erst  1638  erschien  das  Bändchen  im  Druck,  das  zu- 
erst lateinische  und  griechische  darauf  englische  Stücke  ent- 
hielt. In  jenen  hatten  u.  a.  Richard  Crashaw,  Henry  More, 
Thomas  Farnaby,  der  Lehrer,  und  Henry  King,  ein  Bruder 
des  Verstorbenen  beigetragen.  Derselbe  Bruder  eröffnete  die 
Reihe  der  englischen  Gedichte,  unter  denen  solche  von  der 
Hand  J.  Beaumont's,  John  Cleveland's  etc.  zu  bemerken 
waren  (2).  An  letzter  Stelle  folgte  das  Klaggedicht  Milton's, 
der  „Lycidas",  wie  er  den  Freund  pastoral  benannte,  nur  mit 
seinen  Initialen  unterzeichnet,  nach  dem  noch  vorhandenen 
Original-Ms.  schon  im  November  1637  entstanden.  Wie  es 
bei  weitem  das  längste  der  Sammlung  ist,  so  dürfen  die  übrigen 
Stücke,  dem  poetischen  Werthe  nach  nicht  einmal  mit  diesem 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  1.  16 


242  Puritanische  Tendenz. 

verglichen  werden.  Auch  die  Verse  des  Dichters  Cleveland, 
welcher  bejammert,  dass  Neptun  mit  dem  Ertrunkenen  „eine 
ganze  Universität"  erbeutet  habe,  erscheinen  schal  und  ge- 
sucht. Einen  natürlichen  und  doch  schwungvollen  Ausdruck 
findet  das  Gefühl  dagegen  in  Milton's  melodiösen,  beruhigend 
ausklingenden  Stroplien,  obgleich  gerade  hier  das  pastorale 
Gewand,  wie  es  von  der  Spenser'schen  Schule  erborgt  war, 
mit  noch  grösserer  Vorliebe  gewählt  erscheint  als  jemals 
vorher. 

Aber  die  Elegie  hat  nicht  bloss  für  die  Schätzung  des 
Dichters  Milton  ihre  Bedeutung.  Inmitten  der  Klage  um 
den  verlorenen  Freund ,  beinahe  gewaltsam  herbeigezogen, 
findet  sich  ein  Angriff  gegen  die  herrschenden  kirchen-poli- 
tisehen  Zustände,  welcher  den  tiefen  Gegensatz  kundgiebt,  in 
dem  sich  jMilton  zu  ihnen  fühlte.  Er  lässt  die  Gestalt  St.  Peters 
vor  sich  aufsteigen,  der  vom  Herren  zum  Hirten-Amt  be- 
rufen, wohl  in  einem  Pastoral-Gedicht  seine  Stelle  finden  konnte, 
und  legt  ihm  Worte  der  Trauer  über  den  Verlust  gerade  dieses 
Dieners  in  den  Mund.  Wie  manchen  anderen,  dessen  Beruf 
es  ist  die  „Schafe  zu  weiden",  hätte  der  Apostel  für  den  an- 
gehenden Jünger  seines  Amtes,  der  so  grosse  Hoffnungen  er- 
-weckte,  missen  mögen!  Wie  viele  sind  ihrer,  die  nur  um  des 
„Bauches  willen  sich  in  die  Hürde  eindrängen"  um  „beim 
Schmause  der  Schafschur  mit  Gier  für  sich  etwas  zu  erhaschen 
und  den  geladenen  Gast  hinwegzustossen".  Wie  viele  haben 
nichts  von  dem  gelernt,  was  zu  einem  guten  Hirten  geliört,  .  . 
„schnarren  auf  ihren  elenden  Stroh-Pfeifen  saft-  und  kraftlose 
Melodieen",  lassen  die  Schafe  hungern,  krank  werden,  verderben 
„al)geselin  von  dem,  was  der  grimme  Wolf  tagtäglich  heinüich 
packt  und  rasch  zerfleischt".  Aber  der  entrüstete  Dichter, 
der  auch  in  jenem  Bilde  nur  Si)enser's  Vorgang  zu  folgen 
brauchte,  sieht  die  Hache  heranzielm.  Schon  erblickt  er 
die  mäclitige  „zweiliändige  Mascliine  vor  der  Thür  stelm,  be- 
i'eit  einmal  zum  Schlage  auszuholen  und  nicht  wieder",  jenes 
scharfe,  zweisclineidige  Schwert,  das  nach  der  Apokalypse  aus 
dem  Munde  des  Allmächtigen  geht,  und  unter  dem  der  puri- 
tanische, die  l)iblisclicii  Geheimnisse   deutende  Engländer  zu- 


Höhepunkt  des  Laud'schen  Systems.  243 

gleich  die  beiden  Theile  der  parlamentaiischen  „Maschine" 
verstehen  mochte,  die  nuni  schon  seit  Jahren  ausser  "Wirksam- 
keit  gesetzt  war(^).  Wenn  es  beinahe  auiTallend  erscheint, 
dass  Worte  wie  diese  der  Spürkraft  der  bischöflichen  Press- 
Polizei  entgiengen,  so  begreift  man  andrerseits,  dass  Milton 
später  bei  der  Aufnahme  des  Lycidas  unter  seine  gesammelten 
Gedichte  mit  gerechtem  Stolze  dem  Titel  zufügte,  dass  er  da- 
mals „den  Ruin  des  Klerus,  als  er  auf  seiner  Höhe  gewesen, 
vorhergesagt  habe". 

In  der  That  darf  man  behaupten,  dass  das  System,  wie 
Land  es  vertrat,  damals  seinen  Höhepunkt  erreicht  hatte.  In 
den  wenigen  Jahren,  die  seit  der  Abfassung  des  Comus  ver- 
flossen waren,  hatte  es  sich  in  einer  Weise  entwickelt,  welche 
das  Gefühl  des  unerträglichen  Druckes  in  immer  weiteren 
Kreisen  ausbreitete.  Erst  in  diesen  Jahren  erfolgten  die 
Massen -Entsetzungen  puritanischer  Geistlicher,  die  Massen- 
Verurtheilungen  durch  die  Ausnahme-Gerichte.  Erst  damals 
nahm  die  Auswanderung  einen  grossartigen  Masstab  an,  und 
auch  die  Schliche  des  „glimmen  römischen  Wolfes",  schienen 
dem  argwöhnischen  Puritanismus  von  Tag  zu  Tage  gefähr- 
licher zu  werden.  In  der  Verwaltung  der  Staats-Angelegen- 
heiten gewann  das  klerikale  Element  je  länger  je  mehr  an 
Stärke.  Nach  dem  Tode  Westends  waren  die  Geschäfte  der 
Schatzkammer  zuerst  einer  Kommission  übertragen  worden,  zu 
deren  Mitgliedern  Land  gehörte.  Erst  Anfang  1636  erhielt 
sein  Freund,  der  Bischof  von  London,  Juxon  den  erledigten 
Posten.  Der  bischöfliche  Leiter  der  Finanzen  stand  zugleich 
an  der  Spitze  des  Admiralitäts-Amtes.  Laud  selbst  war  das 
Haupt  des  Committee  für  die  auswärtigen  Angelegenheiten. 
So  wenig  er  allen  Absichten  des  Königs  ohne  weiteres  zu- 
stimmte, war  seine  Stellung  doch  fester  als  je.  Er  blieb  die  Ziel- 
scheibe des  Hasses  derer,  die  von  dem  herrschenden  Regiment 
Schädigung  an  Hab  und  Gut,  Gefängnis  und  Verstümmelung 
zu  leiden  hatten.  Dem  Jahre  1637,  demselben,  in  dem  der 
Lycidas  entstand,  gehörten  die  drei  Tendenz-Processe  an,  die 
an  Härte  des  Verfahrens  alles  Frühere  hinter  sich  Hessen. 
William  Prynne  hatte  es  auch  im  Gefängnis  für  seine  Pflicht 

16* 


244  Piocesse  gegen  Prynne,  Burton,  Bastwick. 

gehalten,  seine  Feder  nicht  ruhen  zu  lassen.  Er  wurde 
wiederum  vorgefordert,  um  sich  wegen  der  Autorschaft  belei- 
digender Briefe  und  Flugschriften  zu  rechtfertigen.  Mit  ihm 
zugleich  wurden  zwei  andere  puritanisch  gesinnte  Männer 
dazu  ausersehn,  als  Gegenstände  einer  abschreckenden  Züch- 
tigung zu  dienen:  Henry  Burton,  Prediger  in  London,  und 
John  Bastwick,  Arzt  aus  Colchester.  Sie  waren  gleichfalls 
schon  früher  wegen  ihrer  heftigen  Angriffe  gegen  die  Bischöfe 
und  die  kirchlichen  Neuerungen  schwer  bestraft  worden,  aber 
auch  in  ihnen  wurde  durch  die  Grausamkeit  der  Verfolgung 
die  Freude  am  Märtyrerthum  förmlich  geweckt.  Wie  Prynne 
benutzten  sie  die  Müsse  der  Haft,  um  aufs  neue  ihrer  Ent- 
rüstung über  das  geistliche  Regiment  Luft  zu  machen.  Das 
Verfahren  der  Sternkammer  gegen  die  drei  Angeklagten  setzte 
sich  über  die  einfachsten  Formen  der  Gerechtigkeit  hinweg, 
und  das  Urtheil  war  dem  Verfahren  durchaus  entsprechend. 
Wie  Prynne  und  Bastwick  früher  für  unfähig  zur  Ausübung 
ihres  Berufs  erklärt  worden  w^aren,  so  wurde  Burton  degra- 
dirt.  Jedem  der  Angeklagten  wurde  Zahlung  von  5000  £ 
aufgelegt  und  le])enslänglicher  Kerker  zuerkannt.  Und  um 
das  Mass  vollzumachen,  wurden  alle  drei  an  ein-  und  dem- 
selben Tage,  dem  30.  Juni  1637,  am  Pranger  »ausgestellt,  vor 
aller  Augen  Burton  und  Bastwick  die  Ohren  abgeschnitten, 
Prynne,  da  er  die  seinigen  nicht  zwei  Mal  verlieren  konnte, 
die  Stümpfe  abgesägt,  und  das  Brandmal  S.  L.  (Seditious  Li- 
beller) auf  die  Backen  eingebrannt.  Bastwick's  Weib  liatte 
während  der  grausamen  Marterung  bei  ihm  ausgehalten,  er 
selbst,  wie  die  Leidensgefährten,  gab  der  versammelten  Masse 
das  Beispiel  heroischer  Standhaftigkeit.  In  diesen  Männern 
lebte  etwas  von  der  Gluth  der  ersten  Christen,  und  ihre  Leiden 
weckten  den  Zorn  und  die  Theilnahme  von  Tausenden,  die 
noch  vor  einigen  Jahren  ruhig  und  kühl  gewesen  waren. 
Blumen  waren  auf  ihren  Weg  gestreut  worden,  die  Tücher 
und  Schwämme,  die  ihr  Blut  getrunken  hatten,  wurden  von 
grundsätzlichen  Reliquien- Verächtern  Reliquien  gleich  ver- 
ehrungsvoll aufl)ewahrt.  Man  mochte  sie  in  einsamer  Haft  vor 
der  Welt  verschwinden  lassen,  ihr  Andenken  blieb  unauslösch- 


Geld-Erpressungen.  245 

lieh  im  Herzen  des  Volkes.  —  In  demselben  Jahre  traf  der 
Arm  der  ausserordentlichen  Strafgewalt  keinen  Geringeren  als 
den  Bischof  Williams,  der  seit  langer  Zeit  zurückgezogen -in 
seiner  Diöcese  lebte,  ohne  mit  einer  Kritik  über  die  herrschen- 
den Zustände  zurückzuhalten.  Er  hatte  bis  dahin  der  Ver- 
folgung auszuweichen  gewusst,  aber  es  gelang  dennoch  ihm 
den  Process  zu  machen,  der  mit  seiner  Suspension  endigte 
und  ihm  eine  Busse  von  10,000  ^  und  Haft  im  Tower  auf 
unbestimmte  Zeit  einti-ug(^). 

Die  fiskalischen  Bedürfnisse  hatten  ohne  Zweifel  nicht 
wenig  dazu  beigetragen  die  gemeinsame  Arbeit  von  hoher 
Kommission  und  Sternkammer  zu  einer  ungeahnten  Höhe  zu 
steigern.  Aus  eben  dieser  Ursache  giengen  die  zahlreichen 
Geldforderungen  hervor,  welche  die  Willkür  -  Herrschaft  in 
immer  grösserem  Masstab  gegenüber  einzelnen  Klassen  oder 
gegenüber  der  Gesammtheit  der  Unterthaneu  machte.  Alte, 
vergessene  Feudal  -  Gerechtsame  der  Krone  wurden  aus  dem 
Staube  hervorgesucht.  Die  versäumte  Einholung  der  Forma- 
lität des  Ritterschlags  bei  der  Krönung  gab  den  erwünschten 
Anlass  zur  Auflage  von  Bussen,  Antiquirte  Forstgerichte 
zwangen  den  Eigenthümer  von  Grund  und  Boden  gegenüber 
ungeahnten  Domanial- Ansprüchen  mit  grossen  Strafsummen 
sich  abzukaufen.  Polizei- Vorschriften,  selbst  wenn  sie  an  sich 
dazu  geeignet  waren,  dem  gemeinen  Wohl  der  hauptstädtischen 
Bevölkerung  zu  dienen,  verloren  ihren  Werth,  da  sie  sich  in 
ein  Mittel  der  Geld-Erpressung  verwandelten.  Die  verhass- 
testen  Monopolien  tauchten  wieder  auf,  und  es  gab  fast  keinen 
der  unentbehrlichsten  Handels -Artikel,  der  nicht  in  ihren 
Kreis  gezogen  worden  wäre.  —  Die  Forderung  des  Schiffs- 
geldes war  das  letzte  Glied  in  der  langen  Kette  dieser  Ge- 
waltmassregeln. Es  ist  hier  nicht  der  Ort  die  Geschichte 
dieser  Zwangs-Steuer  zu  erzählen,  von  welcher  die  Regierung 
Karls  I.  schon  ein  Mal  eben  den  ausgedehnten  Gebrauch  zu 
machen  gedacht  hatte,  den  kein  Vorwand  irgend  welcher  Art 
rechtfertigen  konnte  (2).  Es  ist  unmöglich  hier  darzustellen, 
in  welchem  Zusammenhang  die  Bestrebungen  der  auswärti- 
gen Politik  mit  dieser  Auflage  standen,  welchen  Eindruck  das 


246  SchifFsgeld.  —  Wentworth  iu  Irland. 

oberricliterliche  Gutachten  zu  Gunsten  der  unerhörten  Forde- 
ning  im  Lande  machte,  mit  welcher  Spannung  der  merkwür- 
dige Proeess  verfolgt  wurde,  in  dem  John  Hampden,  seinem 
Charakter  getreu,  mit  seinem  Rechte  das  Recht  der  parla- 
mentarischen Verfassung  vertheidigte.  Undenkbar  wäre  es, 
dass  Milton  nicht  mit  demselben  Eifer,  wie  irgend  einer  seiner 
Landsleute  im  Winter  1637  jede  Nachricht  über  jene  gericht- 
lichen Debatten  aufgenommen  haben  sollte,  in  denen  sich  der 
Streit  um  zwanzig  Schilling  Schritt  für  Schritt  zu  einem  Streite 
um  das  Wesen  des  englischen  Staates  erweiterte. 

"Wenn  die  kirchlich  -  politischen  Zustände  in  England  ein 
immer  trüberes  Bild  gewährten,  so  drohte  den  Fundamental- 
Gesetzen  des  Landes  die  grösste  Gefahr  doch  von  Irland.  Auf 
diesem  Boden  entfaltete  seit  1633  Wentworth'  Genius  in  vice- 
königlicher  Stellung  eine  Thätigkeit,  die  gleichzeitig  von  der 
Grösse  seiner  Fähigkeiten  und  von  dem  bedrohlichen  Charakter 
seiner  weiteren  Absichten  Zeugnis  ablegte.  Wentworth  hatte 
einst  zu  den  glänzendsten  Rednern  der  parlamentarischen  Oppo- 
sition gehört,  aber  schon  damals  eine  sehr  eigenartige  Stellung 
eingenommen.  Er  war  ein  Gegner  der  Kriegspolitik  und  ein 
Gegner  der  Berufung  auf  Präcedenzfälle.  Seine  Opposition 
gieng  nicht  aus  den  Grundsätzen  des  Puritanismus  hervor, 
sondern  aus  dem  Wunsch  sich  der  Regierung  unentbehrlich 
zu  machen.  Mit  seinem  glühenden  Verlangen  nach  Macht 
verband  sich  die  stolze  Ueberzeugung,  dass  Macht  in  seinen 
Händen  dem  Lande  zum  Besten  gereichen  w^erde.  Seine  An- 
griffe gegen  die  Missbräuche  der  Verwaltung  sollten  nicht 
dazu  dienen  diese  für  alle  Fälle  zu  binden,  und  selbst  wenn 
er  statt  Eliot's  eine  Zeit  lang  die  Führerschaft  des  Hauses 
der  Gemeinen  in  der  Hand  hatte,  suchte  er  die  Freiheiten  des 
Bürgers  in  einer  Weise  zu  schützen,  die  der  Krone  eine  dis- 
kretionäre Gewalt  beliess(^).  Eine  Natur,  wie  die  seinige  war, 
konnte  indcss  leicht  dazu  verführt  werden,  im  wirklichen  Besitz 
der  Macht,  die  Regel  zur  Ausnahme  und  die  Ausnahme  zur 
Regel  zu  machen,  und  der  Mann,  auf  dessen  Betreiben  einst 
eine  „Akte  zur  besseren  Sicherung  des  Privat-Eigenthums  und 
der  persönlichen  Freiheit"   ausgearbeitet  wurde,   darf  immer- 


Wentworth  in  Irland.  247 

hin  ein  Apostat  genannt  werden,  wenn  man  bedenkt,  dass  er 
Jahre  lang  seine  besten  Kräfte  einer  Regierung  gewidmet  hat, 
deren  Handlungen  darauf  hinausliefen,  dem  Eigen thum  und 
der  persönlichen  Freiheit  des  Engländers  jede  Sicherheit  zu 
nehmen. 

Seitdem  sein  Versuch  zwischen  dem  König  und  dem  Unter- 
haus zu  vermitteln  gescheitert  war,  hatte  seine  politische  Lauf- 
bahn eine  neue  Wendung  genommen.  Er  erwarb  die  lang- 
ersehnte Gunst  Karl's  I.  und  Erhebung  in  die  Pairie.  Die 
Präsidentschaft  des  Rathes  des  Nordens  stellte  ihn  auf  einen 
der  wichtigsten  Posten,  die  Aufnahme  in  den  geheimen  Rath 
(Nov.  10.  1629)  machte  ihn  zum  Mitglied  der  Regierung,  die 
Ernennung  zum  Lord  Deputy  von  Irland  führte  ihn  auf  ein 
Feld,  das  seines  Ehrgeizes  würdig  war.  Man  weiss,  wie  er 
hier  mit  eiserner  Hand  wilde  Zustände  zu  ordnen  suchte,  wie 
er  airf  die  Begründung  der  Leinwand-Industrie,  die  Entwick- 
lung des  Handels  Ijedaeht  war,  die  Küste  vor  den  Piraten, 
den  gemeinen  Mann  vor  den  Uebergriffen  der  Grossen  be- 
schützte. Der  aufgeklärte  Despotismus,  wie  er  ihn  vertrat, 
schrak  aber  auch  vor  den  Akten  reiner  Gewalt  nicht  zurück, 
er  reizte  bei  aller  Vorsicht  den  Gegensatz  von  Katholiken  und 
Protestanten  thatsächlich  neu  auf,  indem  er  ihn  zur  Stärkung 
der  königlichen  Autorität  zu  benutzen  suchte,  er  machte  das 
Parlament  zu  einer  gefügigen  Bewilligungs-Maschine,  er  stellte 
eine  stehende  Kriegsmacht  her,  die  leicht  noch  anderen  Zwecken 
als  denen  der  Sicherung  nach  aussen  und  innen  dienen  konnte. 
Man  mochte,  was  in  Irland  geschah,  zum  Theil  mit  der  Be- 
sonderheit der  dortigen  Verhältnisse  entschuldigen.  Aber  die 
Gefahr  lag  darin,  dass  eine  Uebertragung  des  irischen  Re- 
gierungs-Systems auf  das  ganz;e  Reich  zu  fürchten  war  und 
durch  die  dort  angesammelten  ^Mittel  der  königlichen  Macht 
ermöglicht  schien.  Wentworth  machte  in  seinem  vertrauten 
Briefwechsel  aus  seinen  Ansichten  kein  Hehl.  Die  gewalt- 
samsten Massregeln,  die  auf  englischem  Boden  in  Anwendung 
kamen,  erhielten  nicht  nur  seine  Billigung,  sondern  sie  schienen 
ihm  noch  nicht  einschneidend  genug.  Man  kann  nicht  sagen, 
dass  er  daran  gedacht  hat,  das  Parlament  in  England  ganz  auf- 


248  Wentworth  in  Irland. 

hören  zu  lassen,  aber  er  wollte  es  auf  den  Stand  herabdrücken, 
den  das  irische  unter  seiner  Diktatur  eingenommen  hatte.  Er 
wünschte  nicht  nur  für  die  Seemacht,  sondern  auch  für  die  Auf- 
stellung eines  Landheeres  den  König  von  parlamentarischer 
Bewilligimg  unabhängig  zu  machen,  und  die  monarchische 
Gewalt  schien  ihm  „nur  auf  einem  Beine  zu  stehn",  wenn  das 
richterliche  Gutachten  über  die  Rechtmässigkeit  des  Schiffs- 
geldes nicht  in  diesem  Sinne  ergänzt  werde.  Die  Patrioten 
wussten  wohl,  warum  sie  den  Hauptfeind  der  englischen  Frei- 
heit in  diesem  grossartig  begabten  INIann  zu  sehen  hatten, 
dessen  hohe  Stirn  während  tiel)erhafter  Arbeit  so  finster  um- 
wölkt schien,  und  dessen  verführerischer  Liebenswürdigkeit 
im  freundschaftlichen  Verkehr  so  leicht  niemand  wiederstelm 
konnte ;  der  im  Kampfe  mit  seiner  schwankenden  Gesundheit, 
gehasst  von  mehr  als  einem  Mitglied  der  Hof  kreise,  vom  König 
selbst  nicht  immer  völlig  gewürdigt,  mit  rastloser  Energie  den 
Zielen  zustrebte,  die  er  sich  gesteckt  hatte. 

Von  Wentworth  war  zu  erwarten,  dass  er  das  Seinige 
thun  werde,  um  den  Laud'schen  Grundgedanken  von  der  im- 
bedingten Nothwendigkeit  kirchlicher  Konformität  auch  in 
Irland  zu  verwirklichen.  In  jener  ül)eraus  merkwürdigen 
erst  kürzlich  aufgelündenen  Rede,  mit  der  er  sich  als  Präsi- 
dent des  Rathes  des  Nordens  einführte,  hatte  er  seinen  „kind- 
lichen Gehorsam  gegenüber  der  Kirche"  l^etont  und  die  engste 
Verbindung,  die  gegenseitige  Unterstützung  staatlicher  und 
kirchlicher  Behörden  als  unerlässlich  für  das  Heil  des  Landes 
gepriesen (').  Mit  Land  stand  er  ununterbrochen  in  Gedanken- 
Austausch,  und  dessen  ganzes  System,  vorzüglich  aber  sein 
Ankämpfen  gegen  die  faclimässigen  Vertreter  des  gemeinen 
Rechtes,  liatte  seinen  vollen  Beifall.  Freilich  maclite  er  aus 
den  grossen  Schwierigkeiten  kein  Hehl,  die  bei  der  Eigen- 
tliümliclikeit  der  irischen  Verliältnisse  einer  gewaltsamen 
Durcliiühi-ung  re]igi()ser  Konformität  im  hochkirchlichen  Sinne 
sich  entgegen  stellen  würden.  Al)er  er  brachte  denn  doch 
zu  Wege,  dass  sich  die  geistliche  Konvokation  1634  dazu  ver- 
stand, einen  Kanon  anzunelimen,  durch  welchen  die  39  Ar- 
tikel   der    anglilvanischen   Kirche    anerkannt    wurden.      Man 


Die  neuen  Kanoues  für  Schottland.  249 

musste  sich  vorläufig  an  diesem  Ei-folg  genügen  lassen  und 
dulden,  dass  einige  Prälaten  auch  noch  die  irischen  Artikel 
von  den  Predigtanits-Kandidaten  unterzeichnen  Hessen,  und 
dass  die  irische  Kirche  sich  noch  manche  Abweichung  zu  be- 
wahren wusste,  die  mehr  den  puritanischen  Ideen  entsprach. 
Währenddess  hatte  Land  seine  Vorbereitungen  getroffen, 
um  die  Annäherung  der  Kirche  von  Schottland  an  diejenige 
Englands  weiter  zu  fördern.  Ein  neues  Buch  kanonischer  Ge- 
setze, von  den  schottischen  Bischöfen  vorbereitet,  unter  Laud's 
Einfluss  revidirt  und  vom  König  1635  bestätigt,  war  darauf 
angelegt  den  Presbyterianismus  zu  vernichten.  Es  stellte  bei 
Strafe  der  Exkommunikation  den  königlichen  Supremat  fest, 
machte  die  Berufung  von  General-Versammlungen  vom  Willen 
des  Monarchen  abhängig,  erklärte  jeden  Versuch  die  Schrift- 
widrigkeit des  Bisthums  nachzuweisen  für  strafwürdig,  gab 
den  Bischöfen  selbst  neue,  ausgedehnte  Rechte,  verbot  den 
Geistlichen  die  Abhaltung  der  religiösen  Privat-Versammlungen 
sowie  extemporirte  Gebete  und  enthielt  ausführliche  Vor- 
schriften über  Taufsteine,  Altäre,  Kirchenschmuck,  Amts- 
kleidung, wie  sie  dem  Sinne  Laud's  für  „Schönheit  der  Heilig- 
keit" gemäss  waren.  Die  willkürliche  Proklamirung  wie  der 
als  „papistisch"  gebrandmarkte  Inhalt  dieser  Kanones  erregte 
im  schottischen  Volke  einen  Sturm  des  Unwillens.  Sein  na- 
tionaler Stolz  und  sein  religiöses  Gefühl  bäumten  sich  auf. 
Aber  man  hatte  sich  noch  auf  anderes  gefasst  zu  machen. 
Schon  die  Kanones  kündigten  das  Erscheinen  einer  neuen 
Liturgie  an  und  bedrohten  jeden  "Widerstand  gegen  dieselbe 
mit  Strafe.  Je  längere  Zeit  ihre  Vorbereitung  in  Anspruch 
nahm,  desto  lebhafter  wurden  die  Befürchtungen,  mit  denen 
man  ihrer  Veröffentlichung  entgegensah.  Im  December  1636 
liess  der  schottische  geheime  Rath,  erhaltenem  Befehl  zu 
Folge,  unter  Trompetenschall  zu  Edinburg  einen  Aufruf  ver- 
kündigen, durch  welchen  die  Unterthanen  bei  Strafe  aufge- 
fordert wurden,  sich  den  Bestimmungen  des  neuen  liturgischen 
Buches  zu  fügen,  das  auf  ähnliche,  willkürliche  Weise  zu 
Stande  gekommen  war  wie  die  Kanones.  Aber  erst  im  Früh- 
ling 1637  bekam  man  die   ersten  gednickten  Exemplare  zu 


250  Däs  neue  Liturgiebuch  für  Schottland.  —  Unruhen  in  Edinburg. 

Gesicht.  Und  nun  erwachte  im  Lande  John  Knox'  der  alte 
puritanische  Geist.  Es  war  nicht  genau  die  anglikanische 
Form  des  Gottesdienstes,  der  man  sich  fügen  sollte,  aber  die 
vorgeschriebenen  Worte,  das  Formular  für  die  Austheilung 
des  Aljendmahls  regten  das  calvinistische  Gefühl  der  Massen 
noch  stärker  auf,  als  es  durch  unveränderte  Einführung  des 
englischen  Rituals  hätte  geschehen  können.  Der  Sturm  kam 
am  23.  Juli  in  Edinl)urg  zum  Ausbruch,  als  in  der  Kirche 
St.  Giles  ein  wilder  Tumult  die  Vorlesung  der  Liturgie  un- 
möglich machte.  Die  einheimischen  geistlichen  und  weltlichen 
Gewalten  standen  der  Protest-Bewegung,  die  beinahe  das 
ganze  Land  eifasste,  machtlos  gegenüber.  Nobility,  Gentry, 
Geistlichkeit  und  Bürgerschaften  hielten  fest  zusammen, 
schritten  zu  einer  förmlichen  Anklage  der  Bischöfe  und  gaben 
sich  eine  Organisation,  die  geeignet  war,  dem  legalen  Wider- 
stand gegen  das  ganze  bischöfliche  System  Nachdruck  zu  ver- 
leihen. Als  der  König  jeden  Akt  der  Nachgiebigkeit  schroff 
zurückwies,  die  Bischöfe  und  die  verhassten  Neuerungen  durch 
seine  eigene  Autorität  deckte,  da  erhob  sich  Schottland  zu 
einer  grossartigen  Manifestation,  die  das  Symbol  der  Yer- 
tlieidigung  des  Presbyteriauismus  wurde.  Wie  man  sich  in 
früheren  Zeiten,  als  es  noch  den  Kampf  mit  dem  Katholicis- 
mus  galt,  durch  feierliches  Gelübde  verpflichtet  hatte,  die 
„wahre  Beligion"  unerschütterlich  aufrecht  zu  halten  und 
alle  \'eränderungen  in  Dogma,  Bitus  und  Verfassung  abzu- 
wehren, so  1)eschloss  man  diesen  Covenant  mit  Gott  und  mit 
einander  gegenü])er  der  drohenden  Gefahr  zu  erneuen.  Man 
gieng  auf  die  Formel  von  1580  zurück,  fügte  die  Parlaments- 
Akten  hinzu,  durch  welche  die  Beschlüsse  der  General- Ver- 
sammlung bestätigt  worden  waren,  und  machte  die  Anwendung 
von  den  früheren  Bestimmungen  auf  den  gegenwärtigen  Fall, 
indem  man  in  den  anglikanischen  Neuerungen  eben  jene 
papistischen  Bräuche  fand,  welche  die  Väter  verdammt  hatten. 
Mit  demselben  Enthusiasmus,  der  einst  die  Tausende  fortge- 
rissen liatte,  sich  unter  dem  Zeichen  des  Kreuzes  zu  scliaaren, 
drängte  sich  am  28.  Februar  1G38  die  Masse  in  der  Kirche 
und  auf  dem  Kirchhof  von  Greyfriars  zu  Edinburg,   die  Per- 


Covenant.  251 

gament-Urkuiide  des  Covenant  zu  imterzeiclinen,  und  dem 
hier  gegebenen  Beispiel  folgten  Stadt  und  Land  in  mächtig 
aufflammender  Begeisterung. 

Die  Frühlingsmonate  1638 ,  in  denen  die  Nachrichten 
von  der  wachsenden  schottischen  Bewegung  nach  England 
gelangten,  kündigten  auch  hier  eine  gefährliche  Zunahme  der 
Spannung  aller  Verhältnisse  an.  Hampden's  Process  gieng 
seinem  Ende  entgegen,  obwohl  das  Schluss-Urtheil  erst  im 
Sommer  erfolgte.  War  je  ein  Sieg  der  Tyrannei  ein  Pyrrhus- 
sieg, so  war  es  dieser.  Noch  während  des  Processes  war  der 
Widerstand  gegen  die  Eintreibung  des  Schiffsgeldes  gewachsen, 
was  man  über  die  Meinungs- Verschiedenheiten  der  Richter 
vernahm,  hatte  die  Wirkung,  ihn  in  bedenklicher  Weise  zu 
steigern.  Deutliche  Zeichen  der  Sympathie  des  englischen 
Puritanismus  mit  den  schottischen  Covenanters  traten  hervor 
und  Hessen  sich  durch  antikatholische  Demonstrationen  der 
Regierung  nicht  irre  machen.  Am  Hofe  durchkreuzten  sich 
die  Einwirkungen  der  spanischen  und  fi-anzösischen  Politik, 
mit  der  sich  wiederum  so  manche  persönliche  Intriguen  und 
Feindschaften  verschlangen.  Der  König,  schon  längst  durch 
mehr  als  einen  der  vornehmsten  Lords  auch  von  deren  Un- 
willen über  die  herrschenden  Zustände  unterrichtet,  sah  sich 
immer  mehr  isolirt  und  war  selbst  nicht  im  Stande  seine  ge- 
drückte und  sorgenvolle  Stimmung  zu  verbergen  (^). 


Noch  war  nicht  abzusehen,  welche  Richtung  die  öffent- 
lichen Angelegenheiten  nehmen  würden,  als  jNIilton  sich  ent- 
sehloss,  das  eng  umschriebene  Leben  von  Horton  aufzugeben. 
Er  mochte  glauben,  jene  „grosse  Periode  seiner  Studien"  be- 
endet zu  haben,  deren  Abschluss  er  gegenüber  dem  Freunde 
als  unerlässlich  bezeichnet  hatte.  Er  fühlte  sich  in  gewissem 
Sinne  fertig,  und  nur  im  Strom  der  Welt  konnte  die  Kraft 
des  Charakters  gestählt  werden,  welche  das  in  der  Stille 
gebildete  Talent  zu  ergänzen  hatte.  —  Seine  poetische  Indivi- 
dualität hatte  sich  während  jener  Lehrjahre  in  entschiedener 


252  Milton  und  Shakespeare. 

Weise  gestaltet,  und  es  hält  nicht  schwer  zu  erkennen,  welche 
Muster  der  heimischen  Literatur  vorzüglich  für  ihre  Aus- 
bildung massgebend  gewesen  sind.  Man  hört  namentlich  in 
England  Shakespeare  und  Milton  so  oft  in  einem  Athem 
nennen,  dass  es  sich  wohl  der  Mühe  verlohnt,  nachzuforschen, 
mit  welchen  Gesinnungen  dieser  auf  jenen  zurückblickte,  und 
ob  von  einer  Einwirkung  des  einen  auf  den  anderen  die  Rede 
sein  kann.  Es  darf  nicht  auifallen,  dass  in  Milton's  Kollek- 
taneen-Bueh  sich  kein  einziges  Citat  aus  Shakespeare  befindet. 
Dieses  Schicksal  theilt  er,  von  Chaucer  und  P.  Sidney  abge- 
sehen, mit  allen  Dichtern  seiner  Nation.  Selbst  Spenser  hat 
nur  wegen  seiner  Abhandlung  über  Irland  Aufnahme  gefunden. 
Milton  hatte  nicht  nöthig  als  „geflügelte  Worte"  oder  als  be- 
sonders verwendbar  zum  Schmucke  eigener  Arbeiten  sieh 
Stellen  von  heimischen  Autoren  zu  notiren,  die  ihm  guten 
Theils  im  Gedächtnis  waren.  Aber  an  Zeugnissen  seiner 
Verehrung  für  Shakespeare  fehlt  es  darum  nicht.  Sieht  man 
von  den  Gelegenheits- Versen  „Naturam  non  pati  Senium" 
ab,  die  doch  nur  in  kleinen  Kreisen  verbreitet  waren,  so  ist 
das  früheste  Gedruckte,  das  man  von  Milton  besitzt,  -ein 
Gedicht  auf  Shakespeare.  Es  stammt  aus  dem  Jahre  1630 
und  ist  unter  dem  Titel:  „Ein  Epitaph  auf  den  bewunderns- 
würdigen dramatischen  Dichter  W.  Shakespeare":  mit  anderen 
Lobversen  anonym  der  Shakespeare'schen  Folio-Ausgabe  von 
1632  vorgedruckt (^).  Trägt  es  auch  am  Schlüsse  Spuren  des 
Donne'schen  Geschmacks,  der  sich  sonst  wohl  in  den  frühesten 
Gedichten  Milton's  findet,  so  legt  es  doch  vollgültiges  Zeug- 
nis für  die  hohe  Verehrung  ab,  die  der  cambridger  Student 
Shakespeare  widmete : 

Wozu  bi-aucht  meines  Shakespeare  hehr  Gebein 

Ein  hochgethürintes  Monument  von  Stein? 

Wozu  soll  sich  sein  heiliger  Staub  hienieden 

Verbergen  unter  stolzen  Pyramiden? 

Du  theurer  Sohn  df(s  Kulims,  sein  grosser  Erbe, 

Was  brauchst  du  Stein,  dass  nicht  dein  Name  sterbe? 

In  unserm  Geist,  der  dich  bewundernd  nennt, 

Schufst  du  dir  selbst  ein  dauernd  Monument: 

Wir  schöpfen  aus  den  Blättern  deiner  Werke 


Milton  und  Shakespeare.  253 

Gleichwie  aus  Göttermunde  Trost  und  Stärke: 
Du  machst  durch  deines  Geistes  hohen  Schwung 
Uns  selbst  zu  Marmor  vor  Bewunderung, 
Dass,  solch  erhabnes  Grabmal  zu  erwerben, 
Selbst  Könige  wünschten,  so  wie  du  zu  sterben. 

Höchst  bezeichnend  ist  sodann  die  Art  und  Weise,  in 
welcher  der  „süsseste  Shakespeare"  im  „Allegro"  genannt  wird 
(s.  0.  S.  209).  Dem  „gelehrten  Ben  Jonson"  wird  er  gegenüber  ge- 
stellt als  das  „Kind  der  Phantasie,  das  des  heimischen  Waldes 
freie  Lieder  singt".  Es  ist  kein  erschöpfendes  Urtheil  und 
soll  keines  sein.  Wie-  die  Erwähnung  Shakespeare's  im 
Allegro  gemacht  wird,  so  hat  man  in  erster  Linie  nur  an 
einen  Hinweis  auf  die  Komödien  zu  denken.  Aber  man  sieht, 
wie  glücklich  hier  eine  der  grossen  Seiten  des  Dichters  ge- 
troffen ist,  eben  die,  welche  der  jungen  Genossenschaft  unsrer 
Sturm-  und  Drang-Periode  so  ganz  kongenial  war,  und  welche 
Voltaire  zu  seinem  Ausspruch  von  der  „Einbildungskraft  eines 
trunkenen  Wilden"  verführte.  Die  Hervorhebung  dieses 
Gegensatzes  von  Ben  Jonson  und  Shakespeare  war  eine  schon 
im  siebzehnten  Jahrhundert  durchaus  übliche.  Sie  findet  sich 
in  Flecknoe's  „Discourse  of  the  English  stage"  (1664)  und 
in  Phillips'  ,.Theatrum  poetarum"  (1672)  ebenso  wieder  (0- 
Phillips'  Aeusserungen  haben  ein  um  so  grösseres  Interesse, 
da  man  guten  Grund  hat  in  ihnen  die  seines  Oheims,  John 
Milton's  selbst,  zu  sehen.  Es  muss  an  anderer  Stelle  genauer 
untersucht  werden  ,  in  wiefern  Milton  auf  die  Arbeit  seines 
Neffen  eingewirkt  hat.  Hier  sei  nur  auf  die  grosse  Aehnlich- 
keit  hingewiesen,  die  selbst  in  den  Worten  zwischen  Phillips' 
Urtheil  und  den  Versen  des  Allegro  besteht.  Darf  man  an- 
nehmen, dass  ihr  Milton's  Autorität  zu  Grunde  liegt,  so  wäre 
es  nicht  erlaubt  daran  zu  zweifeln,  dass  er  im  Alter,  nachdem 
der  strenge  Puritanismus  durch  die  frivole  Reaktion  abgelöst 
worden  war,  über  den  grössten  Dichter  seines  Landes  noch 
ebenso  dachte  wie  in  der  Jugend.  Jedenfalls  kann  nichts 
verkehrter  sein,  als  in  einer  Aeusserung  aus  dem  Jahre  1649, 
in  der  Shakespeare  als  einer  der  Lieblings-Schriftsteller  des 
gefangenen  Königs  erwähnt  wird,  eine  Veränderung  in  Milton's 


254  Milton  und  Spenser. 

Urtheil  zu  Ungunsten  Sliakespeare"s  erkennen  zu  wollen  (i). 
So  hoch  er  ihn  aber  auch  halten  mochte,  sein  eigenes  dichter- 
isches Werden  konnte  nicht  durch  ihn  bestimmt  werden. 
Es  fällt  freilich  nicht  schwer,  in  einer  ansehnlichen  Zahl  von 
Stellen  Milton'scher  Gedichte  Anklänge  an  Shakespeare,  wie  an 
die  übrigen  Dramatiker  der  Zeit  Elisabeth's  und  Jakob's  nach- 
zuweisen, man  mag  bei  dem  Sclmtzgeist  im  Comus  mitunter 
an  Ariel  erinnert  werden,  aber  für  den  Dichter  von  wesent- 
lich lyrischer  und  epischer  Begabung  war,  wenn  man  ihn 
sich  als  Schüler  denken  will,  ein  anderer  der  Meister. 

Milton  war  nach  Dryden's  Ausspruch  der  „poetische  Sohn 
Spenser's",  und  Dryden  hielt  sich  zu  einem  solchen  Urtheil 
um  so  mehr  für  berechtigt,  da  ihm  der  Mund  des  blinden 
Dichters  selbst  gestanden  hatte,  Spenser  sei  „sein  Urbild"  ge- 
wesen (^).  In  der  That  hat  die  Betrachtung  der  Gedichte  aus 
der  Epoche  von  Horton  gezeigt,  wie  viel  Milton  Spenser  und 
den  Spensehanern  verdankte  und  wie  nahe  verwandt  er  sich 
ihnen  fühlte.  Die  Freude  an  der  Allegorie,  der  lebhafte  Natur- 
Sinn,  die  arkadische  Gewandung,  selbst  so  manche  Eigenthümlich- 
keit  der  Sprache  und  der  Technik  des  Verses ;  Das  alles  liess 
Milton  als  einen  Ausläufer  der  Spenser'schen  Schule  erscheinen. 
Mit  ihr  theilt  er  jene  Selmhucht,  die  „Idee  des  Schönen"  in 
allen  Erscheinungsformen  aufzufinden  und  dichterisch  zu  ge- 
stalten. Auf  dem  Boden  klassischer  Bildung  heimischer  als 
irgend  eines  ihrer  Glieder,  erscheint  er  in  seiner  Jugend  als 
der  letzte  grosse  englische  Dichter  der  Ilenaissance.  Und 
doch  fühlt  jeder,  dass  er  kein  blosser  Nachahmer  ist,  dass 
schon  damals  ein  Zug  von  Ursprünglichkeit  durch  seine 
Schöpfungen  hindurchgeht,  dass  seine  dichterische  Persönlich- 
keit sich  schon  damals  aus  der  Reihe  der  Vorgänger  scharf 
abhel)t.  Es  führt  in  jeder  Weise  irre,  wenn  man  sagt,  „Milton 
verhalte  sich  zu  Spenser  wie  etwa  Schiller  zu  Wieland", 
duich  den  „älteren  Diclitcr  und  dessen  Schüler"  sei  die  „Sprache 
für  ihn  vorbereitet  worden"  (^).  Aber  das  ist  unbestreitbar, 
cliai-akteristisch  für  den  jugendlichen  Genius  Milton's  ist  die 
rhetorische  Neigung,  die  ilm  vor  der  Weicliliclikcit  und  Ge- 
ziertheit mancher  Spenserianer  bewahrte,  aber  zugleich  auch 


Milton  über  Dichter  und  Dichtkunst.  255 

die  Gefahr  mit  sich  führte,  der  künstlerischen  Unbefangenheit 
und  dem  freien  Spiel  der  Phantasie  etwas  Tendenzmässiges 
beizumischen.  Die  Ueberzeugung  von  der  Untrennbarkeit 
äusserer  und  moralischer  Schönheit,  der  Glaube,  dass  jene  ohne 
diese  ein  „leerer  Schein"  sei,  die  Verachtung  „niedriger 
Geister",  deren  Begriff  von  Liebe,  das  Erzeugnis  „sinnlicher 
Lust",  sich  nicht  „über  das  schwere  Irdische  zu  himmlischen 
Höhen  erheben"  kann,  der  ganze  platonische  Idealismus,  wie 
er  die  Spenser'schen  Hymnen  durchklingt,  erscheint  bei 
Milton  zu  einer  gewissen  polemischen  Leidenschaftlichkeit  ge- 
steigert, wie  sie  der  innigeren  Verbindung  puritanischer 
Anschauung  mit  der  Bildung  der  Renaissance  entsprach. 

Es  lässt  sich  danach  schon  denken,  wie  Milton's  Urtheil 
über  einen  grossen  Theil  der  zeitgenössischen  Dichter  lautet. 
Er  steht  hier  ganz  auf  der  Seite  George  Wither's,  der  scharfe 
Worte  hatte  hören  lassen  über  die  „Poeten  dieser  Tage,  die 
den  Dunst  von  Lust  und  Wein  athmen  und  sich  gegenseitig 
mit  Lorbeeren  bekränzen"  (^).  In  jenem  einer  College-Ptede 
eingeschobenen  Gedichte  hatte  Milton  von  der  Muttersprache 
für  seine  „nackten  Gedanken"  die  „reichsten  und  schönsten 
Kleider"  erbeten,  wie  sie  den  „tiefsten  Geistern  und  dem 
auserlesensten  Verstand"  gefallen.  Aber  er  hatte  sich  ver- 
wahrt gegen  diese  „neumodischen  Lappereien  und  den  werth- 
losen  Putz,  der  die  Gecken  des  Tages  entzückt"  (^).  In  einer 
seiner  Prosaschriften,  die  wenige  Jahre  nach  dem  Abschluss  der 
Epoche  von  Horton  erschien,  erhob  er  Klage  darüber,  dass 
die  „Jugend  täglich  Gift  sauge  aus  den  Schriften  und  Zwischen- 
spielen (writiugs  and  interludes)  unkeuscher  und  unwissender 
Dichterlinge".  „Sie  haben  — ,  so  wirft  er  ihnen  vor,  —  kaum 
jemals  davon  gehört,  was  den  Begriff  eines  wahren  Gedichts 
ausmacht,  welche  Charaktere  der  Darstellung  werth  sind,  und 
was  einem  jeden  von  ihnen  anständig  und  schicklich  ist.  Sie 
pflegen  meistens  schlechte  Grundsätze  so  zu  überzuckern,  dass 
man  die  süsse  Pille  gern  herunterschluckt,  andrerseits  den 
Vorschriften  der  Tugend  einen  herben  und  sauren  Geschmack 
zu  geben."  Und  an  dieser  Stelle  drängen  sich  Milton  die 
bedenklichen  Folgen   eines  solchen  Zustandes  in  so  lebhaften 


256  Milton  über  Dichter  und  Dichtkunst. 

Farben  auf,  dass  er  ernstlich  vom  Staate  Abhülfe  verlangt. 
Er  wünscht,  dass  die  Obrigkeit  nach  dem  Beispiel  „berühmter 
Regiemngen  des  Alterthums"  wie  um  die  Erhaltung  der 
Kechtsordnung  so  um  die  „Einrichtung  der  öffentlichen  Feste 
und  Lustbarkeiten"  sich  kümmere,  damit  sie  nicht  wie  bisher 
als  „Reizmittel  der  Trunkenheit  und  Wollust"  dienen,  sondern 
zur  Stärkung  von  „Gerechtigkeit,  Massigkeit,  Tapferkeit". 
Er  giebt  zu  verstehn,  dass  die  Kanzel  nicht  der  einzige  Ort 
sein  dürfe,  der  zur  geistigen  Erhebung  und  zur  sittlichen  Kräf- 
tigung der  Massen  verwandt  werde,  sondern  dass  eine  ästhe- 
tische Erziehung  bei  „bestimmten  Festen,  in  den  Theatern 
und  Hallen,  oder  wo  sonst  das  Volk  Erholung  und  Bildung, 
mit  einander  zu  verbinden  geneigt  sein  mag",  nothwendig 
hinzukommen  müsse  (^),  —  Diese  Worte  gehören  allerdings 
einer  Zeit  an,  in  welcher  die  puritanische  Bewegung  in  der 
Nation  schon  nicht  mehr  die  zurückgedrängte  war,  aber  es 
wird  erlaubt  sein ,  auch  aus  ihnen  zu  schliessen ,  was  Milton 
schon  einige  Jahre  vorher  bei  einem  Umblick  auf  dem  eng- 
lischen Parnass  empfand.  Er  fühlte  sich  ebenso  abgestossen 
von  der  grossen  Masse  der  Erscheinungen  dramatischer  wie 
nicht  dramatischer  Poesie.  Webster  und  Ford,  Shirley  und 
Davenant,  Donne  und  Carew,  Randolph  und  Cleveland  nach 
dem^  was  ihm  von  ihren  Schöpfungen  auf  die  eine  oder  andere 
Art  bekannt  geworden  war,  mochten  zu  denen  gehören,  deren 
„überzuckertes  Gift"  oder  deren  „werthlosen  Putz"  er  ver- 
achtete. Er  selbst  hatte,  wie  seine  frühesten  Gedichte  be- 
weisen, sich  von  dem  Banne  der  donneschen  Manier  nicht 
immer  frei  zu  halten  gewusst.  Nun  aber  war  in  ihm  mehr 
als  in  irgend  einem  anderen  eingetroffen ,  was  Carew  nach 
dem  Tode  Donne's  als  Befürchtung  ausgesprochen  hatte.  Er 
war  einer  der  „poetischen  Freigeister",  welche  die  von  Donne 
vorgezeichneten  Bahnen  verliessen  und  sich  den  „alten  Idolen" 
zuwandten,  den  Idolen  Spenser's,  und  dies  nicht  deshalb 
allein,  weil  er  hier  wahren  dichterischen  Gehalt  und  wahre 
künstlerische  Form  vorfand ,  sondern ,  weil  ihm  Spenser  auch 
als  der  „weise  und  ernste"  galt,  der  „Lehrer"'  moralischer 
Grösse  (2). 


Milton  über  Dichter  und  Dichtkunst.  257 

Denn  darin  fühlte  sieh  Milton  vorzüglich  so  scharf  ge- 
trennt von  der  grossen  Masse  der  mitlebenden  Dichter,  dass 
er  die  Aufgabe  des  Poeten  anders  auffasste,  der  Poesie  im 
Leben  der  Nation  eine  ganz  andere  Stelle  anwies,  als  sie  es 
zu  thun  schienen.  Der  Dichter  war  ihm  gleichsam  eine 
religiöse  Persönlichkeit,  wie  Wither  sich  ausgedrückt  hatte, 
„ein  Prophet,  inspirirt  von  Gott"(^).  Der  Genius  des  Dich- 
ters, heisst  es  in  der  citirten  Prosaschrift,  ist  „eine  Gabe 
und  Offenbarung  Gottes,  die  nur  selten,  aber  doch  einigen  in 
jedem  Volk  verliehen  wird,  obgleich  die  meisten  sie  miss- 
brauchen. Er  hat  die  Kraft,  neben  dem  Predigtamte,  in  der 
Masse  des  Volkes  den  Samen  der  Tugend  und  der  Sittlich- 
keit auszustreuen,  die  Unruhe  der  Gemüther  zu  mildern  und 
die  Empfindungen  zu  schönem  Einklang  zu  stimmen,  in  er- 
habenen und  schwungvollen  Hymnen  den  Thron  und  die  Herr- 
lichkeit des  allmächtigen  Gottes  zu  preisen,  und  was  er  in 
seiner  Allweisheit  in  seiner  Kirche  schafft  und  schaffen  lässt, 
den  siegreichen  Todeskampf  der  Märtyrer  und  Heihgen,  die 
Thaten  und  Triumphe  gerechter  und  frommer  Völker  zu  be- 
singen, die  stark  durch  den  Glauben  die  Feinde  Christi  schlu- 
gen, und  den  Abfall  ganzer  Pieiche  und  Staaten  von  der  Ge- 
rechtigkeit und  der  wahren  Gottesverehrung  zu  beklagen. 
Was  in  der  Religion  heilig  und  erhaben,  in  der  Tugend  lieb- 
lich und  ehrwürdig  ist,  was  in  allem  Wechsel  des  äusseren 
Glückes  und  in  den  feinen  Windungen  und  Strömungen  des 
inneren  Lebens  der  Menschen  Leidenschaft  oder  Bewunderung 
erregt :  Alles  das  schildert  der  Dichter  mit  leichten  und  festen 
Zügen.  Alle  Lehren  des  Guten  und  Edlen  kleidet  er  in  Bei- 
spiel und  Bild;  darum  rührt  er  vornehmlich  die  sanften  und 
zarten  Herzen,  die  den  Anblick  der  Wahrheit  nur  dann  er- 
tragen können,  wenn  sie  in  reizendem  Gewände  erscheint; 
und  wie  jetzt  der  Weg  des  Rechten  so  viele  hart  und  rauh 
dünkt,  wennschon  er  in  Wirklichkeit  sanft  und  lieblich  ist, 
so  zeigt  ihn  der  Dichter  allen  Menschen  lieblich  und  sanft, 
wäre  er  in  Wirklichkeit  auch  noch  so  rauh  und  hart"  (2). 

Dieselbe  Auffassung   findet  sich   mit  noch  grösserer  Ent- 
schiedenheit  in    einer   anderen    der   früheren    Prosaschriften 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    I.  1.  17 


258  Milton  über  Dichter  und  Dichtkunst. 

Milton's  wieder.  Hier  erzählt  er,  wie  er  sich  frühe  daran 
gewöhnt  habe,  bei  der  Beurtheilung  der  grossen  Schriftsteller 
den  ethischen  Masstab  über  dem  ästhetischen  nicht  zu  ver- 
gessen. Eben  darum  machten  Dante  und  Petrarca  so  grossen 
Eindruck  auf  ihn ,  die  in  ihrem  Preise  Beatrice's  und  Laura's 
nur  „hohe  und  reine  Gedanken  entfalteten  ohne  irgend  welche 
Ausschreitung".  Als  er  sodann  die  erhabenen  Werke  ritter- 
licher Romantik  kennen  lernte,  las  er  „im  Eide  jedes  Ritters", 
dass  er  bis  zum  letzten  Blutstropfen  die  Ehre  der  Jungfrau 
vertheidigen  wolle  und  „verdachte  es  dem  Dichter,  wenn  einer 
in  Wort  oder  That  seinen  Eid  brach,  so  wie  man  es  dem 
Homer  verdacht  hat,  dass  er  Unanständiges  von  den  Göttern 
geschrieben".  Das  Studium  „Plato's  und  Xenophon's",  die 
„Vorschriften  der  christlichen  Religion"  bestärkten  ihn  in 
dieser  Werthschätzung  des  Sittlichen  in  der  Kunst  wie  im 
Leben.  Es  entwickelte  sich  in  ihm  „eine  gewisse  Zartheit 
des  Gemüths,  ein  ehrenhafter  Stolz,  eine  Selbstachtung  wegen 
dessen,  was  er  war  oder  was  er  werden  mochte".  Er  brauchte 
sich  nicht,  wie  jene  Ritter,  durch  einen  Eid  zu  verpflichten, 
denn  er  fühlte :  „Jeder  freie  und  edle  Geist  ist  als  ein  Ritter 
geboren".  Immer  mehr  durchdrang  er  sich  mit  der  lleber- 
zeugung,  dass  der  grosse  Künstler  auch  ein  grosser  Charakter 
sein  müsse.  ,,Ich  bestärkte  mich,  sagt  er,  in  der  Ansicht, 
dass,  wer  es  nicht  vergeblich  unternehmen  will,  hohe  Dinge 
würdig  zu  besingen,  selbst  vorher  ein  wahres  Gedicht  sein 
müsse,  d.  h.  ein  harmonisches  Urbild  der  besten  und  rühm- 
lichsten Züge"(i). 

Man  bemerkt,  wie  der  jugendliche  Milton  gleichsam  auf 
der  Grenzscheide  von  zwei  Zeitaltern  steht.  Abgestossen  von 
der  Frivolität  und  Manierirtheit  der  Modedichter  flüchtet  er 
sich  zurück  zu  jenen  reinen  Gebilden  der  Renal  sancezeit. 
wie  sie  Spenser's  Hand  vorzüglich  geschaffen  hatte.  Er  fühlt 
sich  durch  die  Gemeinsamkeit  des  Enthusiasmus  für  das  sitt- 
lich Schöne  und  die  schöne  Sittlichkeit  besonders  zu  ihm  hin- 
gezogen, aber  dieser  Enthusiasmus  erscheint  schon  nicht  mehr 
in  der  vollen  Freiheit  der  früheren  Epoche.  Die  Kraft  der 
puritanischen  Ideen,  dem  Entscheidungskampf  mit  den  feind- 


Sehnsucht  nach  Italien.  —  Verheirathung  von  Christoph  Milton.   259 

liehen  Mächten  nahe,  droht,  ihn  von  grossen  Gebieten  ganz 
abzulenken  und  ausschliesslich  auf  das  der  didaktisch-religiösen 
Dichtung  hinüberzuleiten.  Es  bedurfte  nur  einer  lebhaften 
Theilnahme  an  den  gewaltigen  Kämpfen,  die  sich  vorbereiteten, 
einer  stärkeren  Durchdringung  mit  den  biblischen  Vorstellun- 
gen, um  Milton  aus  dem  letzten  Dichter  der  englischen 
Renaissance  zum  ersten,  zum  grössten  des  Puritanismus  zu 
machen.  — 

Zunächst  indess  hatten  die  Ideen  der  Vergangenheit  noch 
das  Uebergewicht.  Es  drängte  Milton,  das  Land  zu  sehen, 
von  welchem  die  neue  Bildung  ausgegangen  war,  an  Ort  und 
Stelle  die  Erinnerungen  der  Antike  auf  sich  einwirken  zu 
lassen  und  die  Fülle  gegenwärtiger  Schönheit  in  sich  aufzu- 
nehmen. Er  entschloss  sich ,  im  Frühling  1638  eine  Reise 
nach  Italien  zu  unternehmen.  Den  Vater,  der  auch  hier  wie- 
der seinen  Wünschen  kein  Hindernis  in  den  Weg  legte,  konnte 
er  benihigt  in  Horton  zurücklassen,  Christoph  Milton,  der 
Bruder  des  Dichters,  mit  dem  Rechtsstudium  im  Inner-Temple 
beinahe  fertig,  hatte  sich,  so  jung  er  noch  war,  mit  einem 
londoner  Bürgermädchen,  Thomasine  Webber,  verlobt.  Man 
darf  annehmen,  dass  die  Hochzeit  noch  vor  Milton's  Abreise 
stattfand,  und  dass  das  junge  Paar  seinen  Wohnsitz  in  Horton 
aufschlug,  in  dessen  Pfarr-Registern  unter  dem  26.  März  1639 
sich  der  Tod  eines  Söhnchens  bezeugt  findet  (^).  Milton  hatte 
das  Glück,  für  seine  Reise  aus  bester  Hand  schätzbare  Em- 
pfehlungen zu  erhalten.  Im  nahen  Eton  lebte  als  Vorsteher 
des  College  Sir  Henry  Wotton  (geb.  1568),  der  in  seinem 
langen  Leben  viel  gesehen  und  den  Ruhm  eines  der  feinst 
gebildeten  Engländer  erlaugt  hatte.  Auf  der  Universität  und 
durch  mehrjährige  Reisen  gründlich  geschult,  war  er  Sekretär 
des  Grafen  von  Essex  gevrorden  und  den  Grössen  der  dama- 
ligen englischen  Gesellschaft,  Raleigh,  Donne,  Bacon  u.  s.  w., 
nahe  getreten.  Nach  Essex  Fall  war  er  geflüchtet  und  hatte 
den  Rest  von  Elisabeth's  Regierungszeit  in  Florenz  verbracht. 
Eine  geheime  Sendung  des  Grossherzogs  von  Toskana  an  Jakob 
von  Schottland  gewann  ihm  dessen  Gunst,  dieser  rief  ihn, 
als  er  König  von  England  geworden  war,  zurück  und  betraute 

IT* 


260  Si'"  Henry  Wotton. 

ihn  mit  inelirfachen  diplomatischen  Missionen ,  bei  denen 
"Wotton  freilich  keineswegs  grosse  politische  Talente  ent- 
wickelte. Am  wichtigsten  für  ihn  selbst  wurde  auch  jetzt 
wieder  der  Aufenthalt  in  Italien.  Er  war  Jahre  lang  Ge- 
sandter in  Venedig  und  nahm  den  lebhaftesten  Antheil  an 
dem  grossen  Streit  der  Republik  und  der  Kurie,  der  Paolo 
Sarpi  auf  den  Schauplatz  rief.  Fürsten,  Gelehrte  und  Künstler 
waren  ihm  vertraut  geworden,  Beza  und  Arminius,  Casaubo- 
nus  und  Kepler  hatte  er  während  seines  Wanderlebens  kennen 
gelernt.  Getäuscht  in  seinen  Hoffnungen,  eine  angemessene 
Stelle  im  inneren  Staatsdienst  zu  erhalten,  nahm  er  die  Vor- 
steherschaft von  Eton- College  an  und  lebte  dort  seit  1624 
in  würdiger  Müsse,  gastfrei  und  jedem  Strebenden  gefällig, 
mit  dem  Ordnen  seiner  Kunstsammlungen  und  literarischen 
Plänen  beschäftigt,  immer  bereit,  aus  dem  Schatze  seiner  Er- 
fahrungen und  Erinnerungen  das  junge  Geschlecht  zu  belehren, 
von  loyaler  Gesinnung,  aber  dabei  tolerant  in  Sachen  der  Re- 
ligion, ähnlich  wie  der  berühmte,  gelehrte  Fellow  seines  Col- 
lege, John  Haies  (^). 

Ein  besserer  Rathgeber  für  eine  festländische  Reise  war 
nicht  zu  finden  als  Wotton,  der,  nach  Donne's  Ausdruck, 
„unangesteckt  von  Deutschlands  Schismen,  Frankreichs  Leicht- 
fertigkeit, des  schönen  Italiens  Falschheit  alles  Beste  aus  ihnen 
gesogen  und  die  alte  Treue  mit  sich  heimgebracht  hatte"  {^). 
Ein  Brief  Wotton's  an  Milton  vom  13.  April  1638,  ganz  in 
der  anmuthig- verbindlichen  Weise  des  elisabethanischen  Zeit- 
alters abgefasst,  bezeugt,  dass  die  Bekanntschaft  des  Dichters 
mit  dem  alten  Herrn,  vermuthlich  durch  John  Haies  ver- 
mittelt, erst  kurz  zuvor  sich  angeknüpft  hatte.  Nach  einem 
Besuche  Milton's  in  Eton  hatte  er  Wotton  durch  einen  Brief 
(vom  6.  April)  und  durch  Uebersendung  eines  Exemplares  des 
Comus  erfreut.  Dies  Gedicht  war  Wotton  schon  bekannt, 
aber  hier  fand  er  erst  Gelegenheit,  den  Autor  mit  Kompli- 
menten wegen  eines  Werkes  zu  überschütten,  „dessen  gleichen 
er  in  englischer  Sprache  noch  nicht  gesehn  habe".  Mündlich 
und  brieflich  hatte  Milton  sich  ohne  Zweifel  über  seine  Reise- 
absichten geäussert.  Er  empfieng  nun  von  Wotton  den  dringen- 


Sir  Henry  Wotton.  261 

den  Kath,  an  Paris  nicht  vorüberzueilen  und  Empfehlungen  an 
Michael  Branthwait,  der  Wotton  von  Venedig  her  bekannt 
war,  und  welcher  damals  als  Hofmeister,  vermuthlich  im 
Hause  des  englischen  Gesandten  Lord  Scudamore,  in  Paris 
lebte.  Von  Branthwait  Hess  er  ihn  nähere  Anweisungen  für 
Italien  erwarten,  er  selbst  empfahl  den  Weg  durch  Frank- 
reich nach  Marseille,  dann  zu  Schiff  nach  Genua  und  von 
dort  nach  Toskana.  Halb  im  Scherz,  halb  im  Ernst  gab  er 
ihm  eine  Reiseregel,  die  er  einst  zu  Siena  im  Hause  eines 
durch's  Leben  geprüften  Römers  erhalten  hatte.  „Signor 
Arrigo  mio,  —  hatte  sich  der  erfahrene  Italiener  verlauten 
lassen,  —  i  pensieri  stretti  e  il  viso  sciolto" ,  damit  komme  man 
sicher  durch  die  ganze  Welt.  Es  war  eine  der  Lieblingsanek- 
doten Henry  Wotton's,  und  mit  diesem  freundschaftlichen 
Rath :  „Verschlossnes  Herz  und  offne  Augen" :  sowie  mit  einem 
Passirschein ,  den  ihm  Henry  Lawes  verschafft  hatte ,  machte 
sich  Milton  Mitte  April  1638  auf  den  Weg(i). 


Sechstes  Kapitel. 
Die  Wander  jähre. 


Dass  ein  junger  Engländer  seine  Erziehung  durch  eine 
festländische  Reise  abschloss,  war  im  siebzehnten  Jahrhundert 
nicht  minder  üblich  als  im  neunzehnten.  Schon  damals  war 
das  Reisen  ein  Studium  geworden.  James  Howell,  selbst  ein 
erfahrener  Reisender,  hat  eine  genaue  Instruktion  für  das 
Reisen  herausgegeben,  Locke  widmet  diesem  Gegenstande 
in  seinem  Werke  über  die  Erziehung  vortreffliche  Betrach- 
tungen, und  der  grosse  Bacon  hatte  es  nicht  für  zu  gering  ge- 
halten, in  einem  seiner  geistvollen  Essays  alles  zusammen- 
zustellen, was  nach  seiner  Ansicht  ein  junger  Mann,  der  auf 
die  Wanderschaft  geht,  zu  beobachten  habe.  Seine  Regeln 
mochten  Milton  vorschweben,  als  er  im  Frühjahr  1638  das 
stille  Horton  und  den  Boden  der  Heimat  verliess.  Er  hatte 
zwar  nur  einen  Diener,  keinen  Mentor  bei  sich,  wie  er  Bacon 
für  solchen  Fall  am  Platze  schien,  denn  er  war  bereits  in 
dem  Alter,  „in  welchem  der  junge  Mann  keinen  Gouverneur 
gebraucht,  weil  er  sich  selbst  gouvernirt".  Aber  die  übrigen 
Anforderungen  Bacon's  waren  in  ihm  erfüllt.  Er  kannte  die 
Sprachen  der  Länder,  die  er  betreten  wollte,  er  gieng  darauf 
aus,  in  der  Fremde  diejenigen  Kreise  aufzusuchen,  die  der 
lebenskluge  Philosoph  empfahl,  er  ist  ihm  auch  darin  einiger- 
massen  gefolgt,   dass  er  nach  seiner  Rückkehr  „die  bereisten 


Reiseplan.  263 

Länder  nicht  ganz  dahinten  Hess",  sondern  einen  Briefwechsel 
mit  ausländischen  Bekannten  erhielt. 

Der  Engländer  von  damals  wandte  sich  gewöhnlich  zu- 
erst nach  Frankreich,  dessen  Hauptstadt  schon  seit  lange  ein 
reizvoller  Anziehungspunkt  war.  Pann  folgte  die  Tour  durch 
Italien,  das  Land,  dessen  Natur-  und  Kunstschätze  dem  Nord- 
länder von  je  als  herrliches  Ziel  vorschwebten,  in  dessen  Volk, 
den  Erben  der  Antike,  er  die  Träger  der  feinen  klassischen 
Bildung  verehrte.  Nicht  selten  hielt  er  zum  Schluss  in  Genf, 
der  festen  Burg  des  Calvinismus,  eine  letzte  Einkehr.  So  reiste 
John  Cook  lange  Jahre,  ehe  er  gegen  Karl  L  die  Anklage-Akte 
abfasste,  fast  den  gleichen  Weg,  wenig  später  als  Milton,  nahm 
John  Boyle(^).  Nur  selten  verirrte  sich  der  Reisende  von  jenseits 
des  Kanals  nach  Deutschland,  und  damals  bot  unser  Vater- 
land am  wenigsten  Anlass  zu  einer  Lustfahrt.  Der  furcht- 
bare Brand,  welcher  auf  Böhmens  Gefilden  entglommen  war, 
wüthete  nun  schon  in  das  zwanzigste  Jahr,  und  noch  war 
keine  Hoffnung  ihn  gelöscht  zu  sehen.  Es  war  die  -Zeit ,  da 
Richelieu  die  Rolle  des  Führers  gegen  das  Haus  Habsburg 
übernommen  hatte,  aber  die  unsagbaren  Leiden  der  deutschen 
Gaue  wurden  um  nichts  gemindert,  je  mehr  auch  das  reli- 
giöse Moment  des  Kampfes  durch  das  rein  politische  zurück- 
gedrängt ward.  Deutschland,  das  „Domicil  der  Freiheit", 
wie  es  später  vom  Dichter  genannt  wird(^),  war  zum  Domicil 
der  Barbarei  geworden,  und  der  Puritaner  verfolgte  aus  der 
Ferne  mit  schmerzlichen  Gefühlen  die  Entwickelung  des  blu- 
tigen Schauspiels.  Milton  machte  zunächst  in  der  französi- 
schen Hauptstadt  Halt.  Paris,  schon  damals  das  Herz  von 
Frankreich,  hatte  in  eben  jener  Zeit  durch  die  umfassende 
Thätigkeit  des  Kardinal-Ministers,  hinter  welchem  die  Persön- 
lichkeit des  Monarehen  zurücktrat,  neue  Impulse  eines  frischen 
Lebens  und  vielfache  künstlerische  und  wissenschaftliche 
Denkmale  und  Institute  erhalten,  die  zu  Zierden  der  Stadt 
wurden.  Die  Akademie,  ein  Prachtbau  für  die  Sorbonne, 
das  Palais  royal,  der  botanische  Garten  waren  begründet. 
Der  Luxemburg -Palast,  das  grosse  Denkmal  der  Maiia  von 
Mediei,  stand  noch  nicht  lange.   Mit  Corneille  trat  das  Drama 


264  Paris.  —  H.  Grotius.  —  Genua.  —  Pisa. 

in  eine  neue  Aera  ein.  Von  dem  vielseitigen  Leben  und 
Treiben  dieser  grossen  Stadt  umfangen,  konnte  Milton  auch 
zu  einigen  dort  ansässigen  Persönlichkeiten  von  Interesse  in 
engere  Beziehungen  treten.  Durch  Wotton  war  er  an  Michael 
Branthwait  empfohlen  worden,  der  nach  längerem  Aufenthalt 
in  Venedig  wohl  befähigt  war,  ihn  für  die  italienische  Reise 
zu  berathen.  Durch  Branthwait  oder  andere  Mittelspersonen 
Amrde  er  dem  Lord  Viscount  John  Scudamore  zugeführt  (^), 
einem  der  damaligen  englischen  Gesandten  am  Hofe  vonVersailles. 
Und  dieser  vermittelte  die  Bekanntschaft  des  Dichters  mit 
einem  der  berühmtesten  und  geistvollsten  Männer,  die  damals 
in  Paris  lebten.  Es  war  Hugo  Grotius,  schon  längst  bekannt 
durch  seine  Werke,  wie  durch  seine  Schicksale,  als  schwedi- 
scher Gesandter  am  fi-anzösischen  Hofe  eifrig  mit  dem  Plane 
einer  Vereinigimg  der  protestantischen  Kirchen  beschäftigt, 
für  den  ihn  der  Schotte  Durie  gewonnen  hatte  (^).  Um  Laud 
für  diesen  Gedanken  zu  erwärmen,  bediente  er  sich,  fi-eilich 
ohne  Erfolg,  1637  der  Vermittlung  Scudamore's,  und  dieser 
konnte,  als  Milton  den  Wunsch  äusserte,  den  berühmten  Ge- 
lehrten zu  sehn,  ihm  auf's  leichteste  Zutritt  bei  ihm  verschaffen. 
Wir  hören  nur,  dass  Grotius  den  Besucher  freundlich  auf- 
nahm (^)  und  dürfen  vennuthen,  dass  dieser  in  ihm  nicht  nur 
den  grossen  Juristen  und  Historiker,  sondern  auch  den  reli- 
giösen Freidenker  verehrte,  den  nur  die  Klugheit  seiner  Frau 
aiis  qualvoller  Haft  gerettet  hatte. 

Der  Aufenthalt  in  Paris  dauerte  nur  kurze  Zeit.  Nach  eini- 
gen Tagen  verliess  Milton  die  Stadt  (^),  von  Scudamore  mit  Em- 
l)fehlungsbriefen  an  englische  Kaufleute  ausgerüstet,  auf  die  er  bei 
seiner  Wanderung  stossen  würde.  Er  wählte  nicht  den  Seeweg 
von  Marseille  nach  Genua,  wie  Wotton  ihm  gerathen  hatte,  son- 
dern zog  den  Landweg  nach  Nizza  vor.  Und  nun  stand  er 
auf  dem  Boden  Italiens,  in  die  üppige  Landschaft,  in  das  bunte 
Leben  des  Südens  versetzt,  angehaucht  von  balsamischer  Luft, 
das  Meer  zu  seineu  Füssen.  Das  Scliiif  trug  ihn  nach  Genua, 
nach  kurzer  Rast  in  der  herrlichen  teiTassenförmig  aufsteigen- 
den Freistadt  erreichte  er  den  lebhaften  Hafen  von  Livonio 
und    (li-ang   von    doit   im  Inneren   des  Landes  nach  Pisa  vor. 


Florenz.  265 

Indess  die  Meiivwürdigkeiten  der  ehrwürdigen  Stadt,  der  Dom, 
das  Baptisterium  mit  seiner  Marmorkanzel  von  der  Hand  des 
Nicolo  Pisano,  der  schiefe  Thurm,  das  Campo-Santo  mit  seinen 
Bogengängen,  Wandbikleni  und  Grabmalen:  Das  alles  scheint 
den  Dichter  nicht  sehr  lange  aufgehalten  zu  haben.  Er  strebte 
nach  Florenz,  der  Medicäer-Stadt,  die  ihm  immer  als  die  herr- 
lichste unter  ihren  Schwestern  erschienen  war.  Hier  an  den  Ge- 
staden des  Arno,  umschwebt  von  der  Ennnemng  an  Dante 
und  die  Gestalten,  die  er  geschaffen,  hat  er  zwei  glückliche 
Monate  verbracht.  Wohin  immer  sein  Blick  sich  wandte,  er 
traf  auf  Gegenstände,  in  denen  der  künstlerische  Reiz  mit  dem 
gescliichtlichen  Antheil  zu  mächtiger  Wirkung  zusammenfloss. 
Das  INIalerische  der  Lage,  in  welcher  Hoheit  und  Grazie  ver- 
schwisteii  ei-schienen,  der  reiche  Kranz  schimmernder  Villen 
und  Dörfer  zwischen  dem  üppigen  Grün  der  Anhöhen,  im 
Inneren  der  Stadt  die  altberühmten  Kunstschöpfungen,  Dom, 
Gampanile,  Baptisterium,  die  Kirchen  mit  stolzen  Kuppeln 
und  schlanken  Thürmen,  die  ernste  Pracht  der  Paläste,  vor 
allen  des  Palazzo  vecchio,  des  Pitti-Palastes  und  des  Palastes 
derUftizien,  die  berauschende  Fülle  der  Monmnente,  Statuen, 
Bildwerke:  Ein  wahrer  Strom  von  blendender  Schönheit 
drang  auf  den  Fremdling  ein,  der  unter  dem  grauen  Nebel 
seiner  Themse  nie  etwas  dem  Aehnliches  erblickt  hatte.  So 
manchen  glücklich  geretteten  Schatz  der  Antike  konnte  sein 
entzücktes  Auge  hier  treffen.  Fra  Bartolommeo,  Andrea  del 
Sarto,  Raphael,  Ghiberti,  Michel  Angelo,  Benveuuto  Celliui 
sprachen  zu  ihm  in  Farbe,  Erz  und  Marmor.  Die  Schatten 
der  grossen  Medicäer,  Savonarola's,  Macchiavelli's,  traten  ihm 
bei  jedem  Schritt  entgegen.  Aber  alle  überragte  die  hehre 
Gestalt  des  ernsten  Sängers,  dem  er  selbst  als  geistesverwandt 
gelten  konnte. 

Doch  es  waren  nicht  nur  die  Todten,  welche  Sinn  und 
Gedanken  des  Fremdling-s  in  dieser  Stadt  zu  fesseln  wussten. 
Das  damalige  Florenz  barg  in  sich  eine  Gesellschaft  fein- 
gebildeter, anziehender  Naturen,  die  Milton  Einlass  in  ihren 
Kreis  gewährten.  Wohl  waren  die  Tage  der  höchsten  Blüthe 
italienischer  Kunst  und  Literatur  vorüber.     Unheilvoll  lähmte 


266  Akademieen. 

der  Druck  der  neu  erstarkten  Kirche  den  geistigen  SchAvung 
dieser  edlen  Nation,  die  sich,  zerrissen  und  unselbstständig, 
ihrer  inneren  Zusammengehörigkeit  kaum  bewusst  war.  Er- 
schlafft und  selbstzufrieden  spiegelte  sie  sich  im  Glanz  überkom- 
menen Ruhmes.  Formelle  Gewandtheit  musste  die  Grösse 
der  Erfindung,  rhetorischer  Prunk  die  Tiefe  des  Gedankens 
ersetzen.  Die  Secentisti  spielten  bei  allem  kranipfliaftem  Be- 
mühen als  schöpferisch  zu  erscheinen,  die  traurige  Rolle  der 
Epigonen,  und  wenn  die  Künste  der  Malerei  und  der  Musik 
noch  schöne  Blüthen  trieben,  so  thaten  die  Poeten  wenig 
mehr  als  dürre  Reiser  auf  die  Stämme  pfropfen,  die  unter 
Ariost's  und  Tasso's  Händen  gross  geworden  waren.  Nirgendwo 
trat  dies  so  deutlich  hervor,  wie  in  den  eigenthümlichen  lite- 
raiischen  Vereinen  und  ästhetischen  Kränzchen,  die  zu  keiner 
Zeit  so  üppig  gediehen  wie  damals.  Es  waren  die  „Akade- 
mieen", als  deren  Vorbild  man  wohl  jene  „Platonische  Aka- 
demie" betrachten  kann,  die  der  Stolz  des  Cosimo  von  Medici 
gewesen  war,  in  der  sich  Marsilio  Ficino,  Pico  von  Mirandola, 
Angelo  Poliziano  zur  Wiedererweckung  hellenischen  Geistes 
die  Hand  gereicht  hatten.  Das  Beispiel  von  Florenz  hatte 
Nachahmung  gefunden.  In  Rom,  Neapel,  Venedig  waren 
ähnliche  Schöpfungen  entstanden,  im  Laufe  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  gab  es  schon  kaum  eine  mittlere  Stadt  Italiens, 
die  nicht  ihre  Akademie  gehabt  hätte.  Manche  der  alten 
Institute  giengen  zu  Grunde,  so  auch  jene  florentiner  Genossen- 
schaft, aber  es  traten  so  viel  neue  an  ihre  Stelle,  dass  ihre  Zahl 
sich  im  siebzehnten  Jahrhundert  in  die  Hunderte  belief.  Sie 
trugen  mit  Absicht  gewählte,  wunderliche  Namen.  Aus  der 
Fülle  der  römischen  Akademieen  ragten  die  besonders  der 
Pfleg"e  der  Naturwissenschaft  zugewandten  „Lincei",  die 
„Umoristi"  und  „Ordinati"  hervor,  in  Bologna  die  „Gelati", 
in  Ferrara  die  „Intrepidi",  in  Neapel  die  „Oziosi".  In  Flo- 
renz hatten  sich  vor  allem  zwei  neue  Gesellschaften  erhoben, 
die  „Academia  Fiorentina",  gegründet  1540,  und  die  „Aca- 
demia  della  Crusca",  gegründet  1582.  Jene  hatte  die  Auf- 
gabe, die  toskanische  Mundart  rein  zu  halten,  den  Adel  des 
Ausdrucks  zu  befördern,   die  Eleganz  des  Stils  zu  heben  und 


I 


Akademieen.  267 

kannte  kein  höheres  Vorbild  als  Petrarca.  Diese  sammelte 
den  Wortschatz,  untersuchte  ihn  und  bereitete  das  grosse 
Lexikon  vor,  das  ihren  Namen  trägt.  Der  Zweck  der  einen  war 
mehr  ästhetischer,  der  der  andern  mehr  wissenschaftlicher  Natur. 
Im  allgemeinen  war  die  sociale  Bedeutung  der  Aka- 
demieen nicht  gering  anzuschlagen.  Unvergleichlich  weniger 
geistesfrisch  und  ursprünglich  als  ihre  Vorgänger,  die 
Humanisten,  aber  bei  weitem  geschmackvoller  und  ge- 
wandter als  so  manche  ihrer  Nachahmer,  wie  z.  B.  unsere 
Peg-nitzschäfer ,  suchten  .die  Akademiker  oft  mit  mehr  Eifer 
als  Fähigkeit  der  Nation,  der  es  an  politischer  Einheit  ge- 
brach, geistige  Centren  zu  schaffen  und  die  Thätigkeit  des 
Gelehrten  und  Künstlers  zu  befeuern.  Ausgegangen  von  der 
Beschäftigimg  mit  dem  klassischen  Alterthum  und  den  antiken 
Sprachen ,  hatten  sich  viele  jener  Anstalten  der  heimischen 
Mundart  und  Literatur  zugewandt.  Im  schattigen  Garten,  im 
hohen  Vereinssaale  oder  im  Hause  eines  ^Mitglieds  kam  man 
zusammen,  ein  Präsident  leitete  die  Verhandlung,  jeder  trug 
als  Akademiker  einen  hochtrabenden  Namen.  Aufsätze  wurden 
verlesen,  Gedichte  deklamirt,  rhetorische  Uebungen  gehalten. 
An  dem  Gehörten  ward  ästhetische  Kritik  geübt,  der  Leistung 
Lob  und  Tadel  gespendet.  Hie  und  da  wurden  gelehrte 
Fragen  besprochen,  ein  neues  Musikstück  zur  Aufführung  ge- 
bracht, ein  neues  Bild  den  Augen  der  Kunstkenner  vorgelegt. 
Unzweifelhaft  hatte  das  alles  sehr  bedenkliche  Seiten.  Viel 
leeres  Wortgeklingel,  viel  überaus  Geziertes  und  Konventionelles 
kam  da  zu  Tage.  In  solchen  abgeschlossenen  Kreisen  lag 
die  Gefahr  gegenseitiger  Vergötterung  und  hochmüthiger  Er- 
hebung zum  Glauben  an  die  Unfehlbarkeit  des  akademischen 
Urtheils  sehr  nahe.  Die  ganze  Summe  kritisireuder  Mittel- 
mässigkeiten  und  dilettantischer  Anstrengungen  konnte  die 
Kraft  des  ursprünglichen  Genies  nie  ersetzen,  sondern  höch- 
stens beirren  und  in  enge  Fesseln  schlagen.  Aber  es  musste 
wieder  wohlthuend  berühren,  Greise  und  Jünglinge,  den  hoch- 
gebornen  Mäcen  und  den  bürgerlichen  Künstler  zu  anmuthi- 
gem  Gespräch,  zu  freudigem  Gedankenaustausch  vereint  zu 
erblicken,   alle  von  idealem  Streben  erfüllt,   durch  freie  Um- 


268  Akademieen. 

gangsformen  mit  einander  verbimckn(^).  Der  Engländer  vor 
allem,  plötzlicli  auf  diesen  Boden  gestellt,  sah  sich  in  ein 
ganz  neues  gesellschaftliches  Element  versetzt.  Auch  in  seinem 
Lande  gab  es  Kreise,  wo  die  Kunst  um  der  Kunst  willen  ge- 
pflegt ward,  und  das  Schöne  den  Gegenstand  lebhafter  Unter- 
haltung bildete.  Der  Hof  Karls  I.  war  dafür  die  rechte  Stätte. 
Das  Sammeln  von  Antiken,  die  Bewunderang  eines  Gemäldes 
von  Rubens,  die  Kritik  einer  neuen  Schöpfung  Ben  Jonson's: 
Das  alles  gehörte  nun  ein  Mal  zum  Dasein  dieser  vornehmen 
Gesellschaft,  die  sich  in  Hamptoncourt  und  Whitehall  be- 
wegte. Der  König  se]l)st  galt  für  einen  der  besten  Kunst- 
kenner. Der  ganze  Hofstaat  und  ein  grosser  Theil  des  hohen 
Adels  folgte  dieser  Richtung  mit  mehr  oder  weniger  wahrem 
Enthusiasmus  und  Verständnis,  Stralford's  Briefwechsel  mit 
seinen  Hinweisungen  auf  Donne  und  van  Dyck  legt  Zeugnis 
dafür  ab.  Aber  alles  dies  war  Mie  ein  Privilegium  der  vor- 
nehmen Welt.  Durch  selbstgesetzte  Schranken  von  dieser 
getrennt,  schloss  sich  das  ehrenwerthe,  arbeitsame,  puri- 
tanische Bürgerthum  um  so  strenger  von  der  ästhetischen 
Atmosphäre  ab.  Mit  unennüdlichem  Fleiss  und  praktischem 
Geschick  verrichtete  es  sein  Tagewerk  ohne  eine  andere  Er- 
holung zu  suchen  als  die  Ruhe  des  Sabbaths.  Die  Nation  drohte 
der  Einseitigkeit  zu  verfallen,  ihre  Kraft  im  Kampf  des  Lebens 
und  in  geistigen  Sorgen  zu  verbrauchen,  ohne  durch  allgemein- 
menschliche Bildung  entschädigt  zu  werden,  die  darauf  ver- 
zichtet, dem  Bedürfnis  des  Augenblicks  zu  dienen.  Die  Ein- 
seitigkeit der  Italiener  war  eine  andere.  Sie  schöpften  den 
leichten  Schaum  vom  Becher  des  Schönen,  ohne  durch  ener- 
gische politische  und  bürgerliche  Arbeit  den  Labetmnk  ver- 
dient zu  hal)en.  Aber  dem  aufs  Ideale  gerichteten  Sinn  Mil- 
tons  mochte  dieses  zunächst  entgehn,  und  das  Entzücken  über 
die  feine  Sitte,  das  geistige  Streben,  das  liebenswürdige  Ent- 
gegenkommen der  Florentiner  nalun  ihn  ganz  gefangen. 

Er  hatte  das  Glück  vielen  von  ilmen  nahe  zu  treten,  die 
sich  durch  Gelehi-samkeit  und  Bildung  auszeichneten,  aus 
deren  Zaiil  er  Jacopo  Gaddi,   Carlo  Dati,  Frescobaldi,  Coltel- 


Gaddi.  —  Coltellini.  269 

lini,  Buommattei,  Chimentelli  (Clementilli),  Francini  ausdrück- 
lich hervorhebt  (1). 

Jacopo  Gaddi  aus  einer  florentiner  Patriciei-familie  war 
unstreitig  einer  der  ersten  Schöngeister  seiner  Vaterstadt. 
Seine  lateinischen  Gedichte  (1628),  seine  „Allocutiones  et 
Elogia"  (1636),  sowie  andere  Erzeugnisse  seiner  Feder,  die 
später  noch  übertroffen  wurden  durch  sein  Werk  „De  Scripto- 
ribus  non  Ecclesiasticis  Graecis,  Latinis,  Italicis"  (zwei  Bände 
1648,  1649)  hatten  ihm  schon  einen  Namen  gemacht.  Durch 
seine  weitausgebreitete  Bekanntschaft  und  Korrespondenz, 
seine  Theilnahme  an  der.  Accademia  Fiorentina  u.  a.  war  er 
bereits  eine  beachtenswerthe  literarische  Persönlichkeit  ge- 
geworden. Aber  seine  eigentliche  Stellung  erlangte  er  erst 
als  Haupt  seiner  Akademie  der  „Svogliati".  Ihre  Sitzungen 
wurden  in  seinem  Hause  gehalten,  wo  sich  eine  gute  Biblio- 
thek und  Gallerie  befand.  Die  schriftstellerischen  und  künst- 
lerischen Grössen  gehörten  dem  Klubb  an,  und  sein  Stifter 
Hess  nicht  so  leicht  einen  Fremden  von  irgend  welcher  Be- 
deutung die  Stadt  passiren,  ohne  sich  zu  versagen,  ihn  ein- 
zuführen. 

Agostino  Coltellini,  dessen  Familie  ursprünglich  aus  Bo- 
logna stänmite,  nach  dem  Abschluss  seiner  Studien  in  Pisa 
und  Florenz,  in  dieser  seiiler  Geburtsstadt  als  Advokat  an- 
sässig, strebte  gleichfalls  nach  dem  Ruhme,  als  Gründer  einer 
neuen  Akademie  Unsterblichkeit  zu  erlangen.  Ungleich  mehr 
für  die  schönen  Künste  als  für  sein  Brodstudium  begeisterte 
begann  er  1631 ,  mit  seinem  achtzehnten  Jahr,  Freunde  und 
Bekannte  bei  sich  zu  versammeln,  um  die  langen  Winter- 
abende durch  gemeinsame  Uebungen  in  der  antiken  und  vater- 
ländischen Literatur,  in  Beredtsamkeit  und  Poesie  zu  erheitern. 
Aus  diesen  Zusammenkünften,  die  lebhaften  Anklang  und  viele 
Nachahmungen  fanden,  erwuchsen  zwei  Gesellschaften.  Die  eine, 
mit  dem  Titel  „Universität",  zur  Pflege  der  strengen  Wissenschaf- 
ten bestimmt,  die  andere,  die  eigentliche  „Akademie",  in  welcher 
Abhandlungen  über  Gegenstände  der  Geschichte,  Poesie,  Er- 
ziehung verlesen,  ohne  Leidenschaft  kritisirt,  in  dichterischen 
Improvisationen  gepriesen  wurden,   Sonette,   Oden,   Kanzonen 


270  Dati. 

zur  Deklamation  kamen,  und  in  leichtem  Spiel  des  Geistes 
auf  sinnreiche  Räthselfragen  sinnreiche  Antworten  folgten. 
Die  ]\Iitglieder  beider  Gesellschaften  hiessen  bezeichnend  die 
„Apatisti''.  Sie  hatten  genau  ausgearbeitete  Statuten,  Cen- 
soren,  einen  Präsidenten  und  maurerische  Bezeichnungen. 
„Ostilio  Coutalgeni",  so  hiess  Coltellini  als  Apatista,  war  in 
dem  Jahre,  welches  ]\Iilton  nach  Florenz  führte,  nicht  Präsi- 
dent der  Gesellschaft.  Dies  Ehrenamt  lag  damals  in  der 
Hand  des  „Udeno  Nisieli",  mit  seinem  bürgerlichen  Namen 
Benedetto  Fioretti,  der  sich  durch  ästhetische  und  theologische 
Schriften  bekannt  machte. 

Unter  ihm  waltete  als  Sekretär  der  neunzehnjährige 
Carlo  Piuberto  Dati  („Currado  Bartoletti")  aus  Florenz,  ein 
frühreifes  Talent,  von  seiner  Kindheit  an  mit  Galilei  bekannt, 
schon  in  seiner  Jugend  wegen  seiner  rednerischen  Gaben  be 
wundert.  Im  Laufe  des  siebzehnten  Jahrhunderts  erwarb  er 
sich  durch  vielfache  Schriften  grossen  Ruhm.  Eine  Samm- 
lung ..Florentinisclier  Prosaisten",  Biographieen  antiker  Maler, 
philologische,  philosophische,  naturwissenschaftliche  Aldiand- 
lungen.  Reden,  Gedichte,  Briefe  rühren  von  seiner  Hand. 
Alle  Akademieen  seiner  Vaterstadt  zählten  ihn  wohl  zu  ihren 
Mitgliedern,  in  mehreren,  wie  in  der  Crusca  und  der  Fioren- 
tina  bekleidete  er  ehrenvolle  Posten.  Auf  Wunsch  seines 
Vaters  widmete  er  sich  zwar  dem  Geschäfte  des  Goldschlägers, 
aber  seine  Neigung  zog  ihn  innner  wieder  zu  den  Wissen- 
schaften und  Künsten  zurück.  Wie  er  später  den  Nikolaus 
Heinsius  mit  Enthusiasmus  aufnahm  (^),  so  war  sein  Haus  allen 
gebildeten  Fremden  gastlich  geöffnet,  und  seine  hülfreiche 
Hand  jedem  strebsamen  Ausländer  gewiss.  Die  ganze  graziöse 
Liebenswürdigkeit  italienischen  Naturells  scheint  in  dem  feu- 
rigen Jüngling  zum  Ausdruck  gekommen  zn  sein  (2). 

Mitglied  aller  genannten  Akademieen,  aber  reifer  an  Jahren 
als  die  Erwähnten  war  Benedetto  Buommattei,  1581  in  Florenz 
gel)oren.  Als  Diener  der  Kirche  hatte  er  in  Rom,  Venedig, 
Padua  gelobt.  Seit  der  Mitte  der  zwanziger  Jahi-e  wii'kte  er 
literarisch  und  lehi-end  in  seinem  engeren  Vaterlande  und 
beschenkte   die  Welt  mit  einigen  Schriften,    von   denen  die- 


Buommattei.     Chimentelli.    Franciui.     Frescobaldi.  271 

jenigen  über  die  toskanische  Sprache  am  meisten  geschätzt 
werden.  In  diesem  Punkt  war  er  Autorität.  Erst  1643  er- 
schien sein  lange  vorbereitetes  Hauptwerk:  „Della  lingua  Tos- 
cana,  libii  due":  eine  Leistung,  deren  Werth  durch  die  An- 
zahl der  Auflagen,  die  das  Buch  erlebte,  vollgültig  bezeugt 
wurde (^).  Valerio  Chimentelli,  geb.  1620  in  Florenz,  hatte 
gleichfalls  schon  einen  gewissen  Ruf.  Seine  Studien  drehten 
sich  mehr  um  die  Literatur  der  Alten,  wie  er  denn  später  in 
Pisa  einen  Lehrstuhl  des  Griechischen,  dann  der  Beredtsamkeit 
und  Politik  inne  hatte.  Francini  dagegen  glänzte  in  den 
Akademieen  seiner  Vaterstadt  durch  Poesieen  in  der  IVIutter- 
sprache,  und  auf  diesem  Felde  wird  auch  Frescobaldi,  ein  alter 
Freund  Coltellini's  sich  mühelos  Lorbeeren  erworben  haben. 

Von  allen  Genannten  scheint  sich  keiner  enger  an  Milton 
angeschlossen  zu  haben  als  Carlo  Dati.  Mit  ihm  hat  er  noch 
nach  Jahren  in  Briefwechsel  gestanden,  ihn  erwähnt  er  zu- 
gleich mit  Francini  in  seinem  lateinischen  Gedicht  Epitaphium 
Damonis  v.  137,  und  Dati  war  auch  der  rechte  Mann,  den 
schönen,  redegewandten  Fremdling  überall  einzuführen.  Vor 
allem  zu  den  „Apatisti"  und  „Svogliati"  wird  er  so  Zutritt 
erhalten  haben,  denn  diese  mögen  vorzüglich  unter  den  Privat- 
Akademieen  zu  verstehn  sein,  die  er,  nach  eignem  Zeugnis, 
häufig  besuchte (^).  Da  lernte  er,  von  einem  Cirkel  zum  an- 
dern geführt,  kennen,  was  Florenz  an  literarischen  Grössen 
in  sich  barg,  da  hörte  er  die  jüngsten  Erzeugnisse  der  Muse 
seiner  neuen  Freunde  und  sass  mit  den  andern  über  ihnen 
zu  Gericht.  Aber  er  selbst  wurde  gedrängt ,  sich  an  den 
dichterischen  Wettkämpfen  zu  betheihgen,  und  er  Hess  sich 
nicht  lange  bitten.  Konnten  sie  seine  englischen  Verse 
nicht  verstehn,  so  hatte  er  doch  mit  poetischen  und  pro- 
saischen Jugendversuchen  in  lateinischer  Sprache  aufzuwarten, 
die  ihm  im  Gedächtnis  geblieben  waren.  Und  er  entschloss 
sich  sogar  trotz  fehlender  Bücher  und  Müsse  einiges  andere 
„zusammenzustöppeln",  vermuthlich  doch  gleichfalls  in  latei- 
nischer oder  griechischer  Sprache,  welches  nicht  in  seine 
Werke  aufgenommen  zu  sein  scheint  (^). 

Die  Italiener,  und  vor  allen  die  akademischen  Dilettanten 


272  Buommattei.    Chimentelli.    Francini.    Frescobaldi. 

der  damaligen  Zeit,  waren  mit  Lobsprüchen  niemals  geizig^ 
aber  eine  Ode  Francini's  und  ein  lateinischer  Brief  Dati's^ 
vernnithlich  ein  Stammbuchblatt  oder  das  Begleitschreiben 
für  eine  freundliche  Gabe  des  Andenkens,  gehen  in  liombasti- 
schen  Ausdrücken  des  Entzückens  und  der  Bewunderung  über 
das  gewöhnliche  Mass  fast  hinaus.  Francini  preist  England, 
das  wogenumgürtete,  die  Heimat  übermenschlicher  Heroen,  in 
deren  Brust  die  verbannte  Tugend  ein  Asyl  findet.  Von  dort 
ist  der  Wanderer  gekommen,  einzig  nach  Kunst  und  Wissen 
begierig.  Aus  den  Besten  wählt  er  überall  die  Besten  aus, 
ihrer  eignen  Sprache  kundig.  Für  ihn  hat  Jupiter  bei 
Babels  Thurmbau  die  Sprachen  nicht  verwirren  können,  denn 
er  beherrscht  nächst  seiner  Muttersprache  das  Idiom  Spaniens 
Frankreichs,  Tusciens,  Griechenlands  und  Roms.  Er  durch- 
schaut die  tiefen  Geheimnisse  der  Natur  in  Himmel  und  Erde 
und  erreicht  dabei  das  höchste  Ziel  eines  sittlichen  Charak- 
ters. Die  Zeit  hat  für  ihn  keine  Schwingen,  denn  seinem 
Gedächtnis  ist  gegenwärtig,  was  Sanges-  und  Geschichtswür- 
diges  war.  —  Francini  verzichtet  zuletzt  darauf,  das  Lob  des 
Besungenen  würdig  zu  preisen,  wenn  er  an  dessen  eigne  dich- 
terische Gaben  denkt: 

Dammi  tua  dolce  cetra, 

Se  vuoi  ch'  io  dica  del  tuo  dolce  canto, 

Ch'  inalzaudoti  all'  Etra 

Di  farti  uomo  Celeste  ottiene  il  vanto; 

II  Tamigi  il  dirä  che  gl'e  concesso 

Per  te,  suo  cigno,  pareggiar  Permesso('). 

Carlo  Dati  nimmt  den  Mund  nicht  weniger  voll.  Sein  Schrei- 
ben wendet  sich  ,,an  den  Jüngling,  der  auf  Reisen  viele, 
durch  Studium  alle  Gegenden  der  Erde  erschaut  hat,  der, 
wie  ein  neuer  Ulysses,  überall  alles  von  allen  lernen  will,  an 
den  Sprachbeherrscher,  in  dessen  Mund  todte  Lliome  der  Art 
zum  Leben  erwachen,  dass  sie  alle  zu  arm  für  sein  Lob  er- 
scheinen, .  .  .  dessen  Gedächtnis  die  ganze  Welt  umfasst,  in 
dessen  Kopf  die  Weisheit,  in  dessen  Willen  das  glühende  Ver- 
langen nach  Ruhm,  in  dessen  Mund  Beredtsamkeit;  der  mit  der 
Astronomie  als  Führerin  die  harmonischen  Klänge  der  himm- 


Malatesti.  273 

lischen  Sphären (i)  belauscht,  der  an  der  Hand  der  Philoso- 
phie die  Zeichen  der  Naturwunder  entziffert,  welche  die  Grösse 
Gottes  darstellen,  der  durch  eifriges  Studium  der  Schriftsteller 
die  Geheimnisse  des  Alterthums,  die  Ruinen  der  Vergangen- 
heit, die  Labyrinthe  der  Wissenschaft  erforscht,  wiederher- 
stellt, durchschreitet  etc.  (2). 

Francini  wie  Dati  legen  neben  der  Betonung  von  Milton's 
linguistischen  Kenntnissen  ein  besonders  starkes  Gewicht 
auf  seine  naturwissenschaftliche  Bildung,  durch  die  er  sich 
den  Zeitgenossen  Galilei's  vorzüglich  empfehlen  konnte.  Neben 
diesen  beiden  wollte  ein  -anderes  hervorragendes  Mitglied  die- 
ser akademischen  Kreise  in  der  Huldigung  gegenüber  dem 
feingebildeten,  anmuthigen  „Fremdling  vom  fernen  Ufer  des 
Oeeans"  nicht  zurückbleiben.  Es  war  Antonio  Malatesti,  schon 
damals,  noch  vor  Herausgabe  seiner  „Sfinge"  sowie  anderer 
Poesieen,  als  Dichter  bekannt,  als  Maler  nicht  ungeschickt, 
durch  mathematische  Kenntnisse  ausgezeichnet  und  durch  ein 
Sonett  Galilei's  geehrt.  Er  glaubte  dem  Gaste,  dessen  ästhe- 
tische Neigungen  ihm  schwerlich  genau  bekannt  waren,  eine 
Ehre  zu  erweisen,  indem  er  ihm  eine  Reihe  von  Sonetten  im 
Manuscript  widmete,  welche  als  au  eine  ländliche  Schöne  (,,La 
Tina")  gerichtet  gedacht  waren  und  unter  einer  anständigen 
Hülle  höchst  derbe  Zweideutigkeiten  verbargen.  Der  Titel 
seines  Werkes  lautete:  „La  Tina:  Equivoci  Rusticali  di  An- 
tonio Malatesti,  composti  nella  sua  Villa  di  Tajano  il  Settembre 
dell  anno  1637:  Sonetti  Cinquanta:  Dedicati  all'  111.  Signore 
et  Padrone  Onoratissimo  Signor  Giovanni  Milton,  nobile 
Inghlese".  Das  Manuscript,  von  Milton  in  die  Heimat  zurück- 
gebracht, hatte  eine  eigenthümliche  Geschichte,  bis  es  an's 
Licht  der  Oeffentlichkeit  gelangte  (^). 

So  mancherlei  Beweise  freundlichen  Entgegenkommens, 
so  herzliche  Zeichen  gastfreien  Sinnes  konnten  auf  ^Milton's 
empfängliches  Gemüth  nicht  ohne  Eindruck  bleiben.  Es  war 
sicher  mehr  als  ein  banales  Kompliment,  wenn  er  dem  Bene- 
detto  Buommattei  in  einem  noch  in  Florenz  (10.  September 
1638)  geschriebenen  Briefe  gesteht,  das  alte  Athen,  das  alte 
Rom  verschwinde  ihm  neben  Florenz,  und  er  sei  geradezu  ver- 

Stern,  Milton  n.  s.  Z.    I.  1.  18 


274  Brief  au  Buommattei. 

liebt  in  die  Italiener  (^).  Auch  sonst  zeigt  dieser  ausser- 
ordentlich fein  durchdachte  und  gewandte  Brief  ein  verständ- 
nisvolles Eingehen  auf  die  Bestrebungen  jener  florentiner 
Kreise ,  vor  allem  aber  auf  diejenigen  Studien ,  welche  sich 
Buommattei  zur  Lebensaufgabe  gemacht  hatte ,  und  deren 
Werth  Milton  vollauf  beurtheilen  konnte.  In  ihm  selbst  war 
unzweifelhaft  eine  bedeutende  philologische  Ader.  Mit  den 
Sprachen  der  alten  wie  der  modernen  Völker  hatte  er  sich 
seit  jeher  eifrig  beschäftigt,  auch  das  Idiom  der  Menschen, 
unter  denen  er  damals  weilte,  war  ihm  so  wohl  bekannt,  dass  sie 
selbst  darüber  erstaunten.  Nichts  Erwünschteres  konnte  ihm 
begegnen,  als  in  Buommattei  einen  Mann  zu  treffen,  der  die 
Gesetze  dieser  Sprache  zum  Gegenstande  seiner  eindringenden 
Forschung  gemacht  hatte  und  eben  an  ein  grösseres  Werk 
über  diesen  Gegenstand  die  letzte  Hand  legte.  Er  wünscht 
ihm  Glück  zu  seinem  Unternehmen,  das  dem  Staate  und  der 
Bürgerschaft  zu  Paihm  und  Vortheil  gereichen  werde.  Zu- 
gleich bittet  er  ihn  aber,  zu  Nutz  und  Frommen  der  lernbe- 
gierigen Ausländer  einen  Anhang  über  die  richtige  Aussprache 
des  Italienischen  hinzuzufügen  und,  —  wie  er  schon  im  münd- 
lichen Gespräch  über  diese  Frage  öfter  hervorgehoben,  — 
eine  Liste  der  vorzüglicheren  Tragödien-  und  Komödien- 
Dichter,  Briefsteller,  Dialogiker,  Geschichtschreiber  zu  ent- 
werfen, die  den  allbekannten  grossen  Autoreu  der  toskanischen 
Mundart  sich  anschliessen.  In  schöner  Weise  lässt  er  sich 
über  den  Werth  der  Reinheit  der  Sprache  und  ihrer  Pflege 
vernehmen:  „Nach  meiner  Meinung  gebührt  dem  Manne  der 
höchste  Ruhm,  der  seine  Mitbürger  zu  einem  gesitteten  Zu- 
stand überzuführen  und  durch  die  Weisheit  seiner  Gesetze  in 
Krieg  und  Frieden  zu  leiten  weiss.  Aber  die  zweite  Stelle 
räume  ich  dem  ein,  welcher  die  Art  und  Weise  des  Sprechens 
und  Schreibens,  die  aus  guter  alter  Zeit  überliefert  worden, 
in  seinem  Volk  durch  Regel  und  Vorsclirift  zu  festigen  strebt. .. 
Vergleichen  wir  die  heilsamen  Leistungen  beider,  so  dürfen 
wir  sagen:  der  eine  giebt  der  bürgerlichen  Gesellschaft  Recht 
und  Gesetz,  der  andei-c  den  schönen  Schnuick  feiner  Bildung. 
Der   eine  erweckt   hohen   Muth    und   stolze  Entschlossenheit 


Brief  an  Buommattei.  —  Galilei.  275 

gegen  den  Landesfeind,  der  von  aussen  angreift,  der  andere 
bekämpft  durch  kluge  Zucht  der  Sprache  und  die  Hülfsschaar 
guter  Schriftsteller  den  schlimmen  Feind,  der  im  Inneren  der 
Menschenseelen  haust  und  die  Geister  verwüstet:  die  Bar- 
barei. Man  halte  es  nicht  für  gleichgültig,  ob  ein  Volk  rein 
oder  unrein,  und  wie  es  überhaupt  täglich  zu  reden  pflegt . . . 
denn  Worte,  ohne  Sinn  und  Geschmack  gebraucht  oder  falsch 
und  schlecht  ausgesprochen,  deuten  sie  nicht  stark  auf  die 
Stumpfheit  und  Trägheit  von  Geistern,  die  für  die  Knecht- 
schaft reif  sind  ?  Aber  nie  ist  uns  von  einem  Reiche  oder  von 
einem  Staate  berichtet  worden,  der  nicht  wenigstens  so  ziem- 
lich geblüht  hätte,  solange  seine  Bürger  noch  ihre  Sprache 
liebten  und  rein  hielten." 

Der  ganze  Brief  macht  fast  den  Eindruck,  als  sei  er  auf 
Buommattei's  Wunsch  niedergeschrieben  worden,  gleichsam  als 
Zusammenfassung  aller  der  Gedanken,  die  Milton  ihm  gegen- 
über ausgesprochen  hatte,  und  die  er  bei  seiner  Arbeit  ver- 
werthen  konnte  (^). 

Alle  die  genannten  fiorentiner  Freunde  waren  feine  Na- 
turen, strebsame  Geister:  ein  grossartiges  Genie  war  nicht 
unter  ihnen.  Aber  ein  solches,  eine  der  ersten  Zierden  des 
ganzen  italienischen  Volkes,  lernte  Milton  kennen.  Noch  lebte 
Gahleo  Galilei.  Nachdem  die  römische  Inquisition  ihn  wegen 
seiner  ketzerischen  Ansichten  über  die  Bewegung  der  Erde 
1633  verurtheilt  und  zur  Abschwörung  derselben  gezwungen 
hatte,  war  er  zuerst  in  einer  Villa  des  Grossherzogs  von  Tos- 
kana bei  Rom,  darauf  in  Siena  internirt  worden,  bis  man  ihm 
Ende  1633  gestattet  hatte,  sich  nach  seinem  Landgut  bei 
Arcetri  in  der  Nähe  von  Florenz  zurückzuziehn.  Er  bat  um 
Erlaubnis,  nach  Florenz  übersiedeln  zu  dürfen,  um  sich 
dort  ärztlich  behandeln  zu  lassen,  die  Bitte  wurde  ihm  am 
23.  März  1634  abgeschlagen.  Seine  Lieblingstochter,  Maria 
Celeste,  wie  sie  mit  ihrem  Klosternamen  hiess,  wurde  ihm 
durch  den  Tod  entrissen.  Vergeblich  bemühten  sich  einfluss- 
reiche Personen  um  seine  Begnadigung.  Inzwischen  blieb  er. 
leidend  und  gebrochen  wie  er  war,  unausgesetzt  thätig.  Nach 
wie  vor  durchforschte  er  Nachts  die  Räume  des  Himmels  mit 

18* 


276  Galilei. 

den  weittragenden  Werkzeugen,  an  deren  Ausbildung  er  selbst 
so  grossen  Antheil  hatte.  Noch  in  dieser  letzten  Zeit  hatte 
er  die  Libration  des  Mondes  entdeckt.  Seine  wissenschaft- 
liche Korrespondenz  riss  nicht  ab.  Aber  schon  begann  das 
Lieht  seiner  Augen  völlig  zu  erlöschen.  Erst  da  erhielt  er, 
„mehr  einem  Leichnam  als  einem  lebenden  Menschen  gleich" 
und  völlig  erblindet,  im  März  1638  Freiheit,  in  sein  Haus 
nach  Florenz  zurückzukehren.  Bei  Strafe  lebenslänglicher 
wirklicher  Einkerkerung  und  Exkommunikation  war  es  ihm 
verboten,  in  die  Stadt  auszugehen  und  mit  irgend  jemandem 
über  seine  verurtheilten  Ansichten  zu  sprechen.  Beständig 
überwachte  ihn  die  Inquisition.  Erst  ausdrückliche  Erlaubnis 
verstattete  ihm  während  des  Osterfestes  den  Gang  in  eine 
nahegelegene  Kirche.  Ein  Besuch,  der  ihm  zugedacht  war, 
wurde  verboten,  soferne  die  Persönlichkeit  ketzerisch  oder 
aus  einem  ketzerischen  Lande  sei.  Selbst  im  Falle  der  Be- 
sucher aus  einem  katholischen  Lande  komme  und  der  katho- 
lischen Religion  angehöre,  sollte  die  Lehre  von  der  doppelten 
Erdbewegung  nicht  im  Gespräche  berührt  werden.  Auch  P. 
Castelli,  der  treue  Schüler  Galilei's,  erhielt  nur  unter  dieser 
Bedingung  Erlaubnis,  den  Meister  hie  und  da  aufzusuchen. 
Indessen  konnten  doch  in  Florenz  ansässige  deutsche  Kauf- 
leute dem  kranken  Gelehrten  Namens  der  holländischen  Re- 
gierung einen  Brief  und  eine  goldene  Kette,  deren  Annahme 
er  freilich  weigerte,  persönlich  übergeben. 

Da  die  Annäherung  an  Galilei  in  Florenz  so  sehr  er- 
schwert war,  wird  es  sehr  zweifelhaft  erscheinen,  ob  Milton 
ihn  in  der  Stadt  selbst  hat  kennen  lernen.  Allerdings  konnte 
Dati  am  ehesten  eine  solche  Bekanntschaft  vermitteln.  Allein 
er  mag  es  für  rathsam  gehalten  haben,  eine  Gelegenheit  ab- 
zuwarten, die  den  Zutritt  des  ketzerischen  Fremdlings  zu  dem 
blinden  Greise  erleichterte.  Galilei  begab  sich  während  des 
Sommers  1638  mehrmals  nach  Arcetri  und  P]nde  1638  kehrte 
er,  aus  welchem  Grunde  auch  immer,  für  den  Rest  seines 
Lebens  nach  seiner  dortigen  Villa  zurück.  Vielleicht  erst 
nach  dieser  Uebersiedelung  Galilei's,  während  seines  zweiten 
Aufenthaltes  in  Florenz,  ist  Milton  seiner  ansichtig  geworden. 


Galilei.  277 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  hat  er  auch  den  Sohn  Vincenzo 
Galilei,  des  Vaters  Pfleger  und  Gehülfen,  kennen  gelernt; 
wenigstens  sendet  dieser  später  durch  Dati  mit  anderen  John 
Milton  seinen  Gruss. 

Jedenfalls  kann  darüber  kein  Zweifel  sein:  der  Besuch 
bei  dem  grössten  der  damaligen  Italiener  hat  einen  mächtigen 
Eindruck  auf  jMilton  gemacht.  Mit  Stolz  erzählt  er  nach 
Jahren  (1644)  in  seiner  Schutzschrift  für  die  Freiheit  der 
Presse  beim  Anlass  seiner  Erinnerung  an  Italien:  „Dort  fand 
und  besuchte  ich  den  berühmten  Galileo,  er  war  alt  gewor- 
den, in  Haft  der  Inquisition,  weil  er  in  der  Astronomie  anders 
gedacht  hatte,  als  die  Franciskaner  und  Dominikaner  Cen- 
soren  dachten"  (^).  Und  im  „verlorenen  Paradies"  kehren  mehr- 
fache Anspielungen  auf  Galilei  wieder.  Nicht  nur  der  Märtyrer 
der  Wahrheit,  der  grosse  Naturforscher  war  es,  der  zumeist 
die  Theilnahme  dessen  wecken  musste,  dem  ja  auch  die  floren- 
tiner  Freunde  etwas  überschwänglich  nachrühmten,  dass  er 
verstehe,  die  Zeichen  der  Naturwunder  zu  entziffern,  dessen 
von  Bacon'schem  Geist  durchhauchte  Jugendversuche  mit  sol- 
chem Entzücken  von  der  Vorstellung  reden,  „das  Wesen  des 
Himmels  und  der  Gestirne  zu  erfassen",  „die  kleinsten  Sterne 
zu  betrachten,  so  viele  ihrer  zwischen  den  beiden  Polen  sicht- 
bar sind".  Der  grosse  Astronom  und  seine  Beschäftigung 
tauchen  vor  dem  Gedächtnis  des  Dichters  auf,  während  er 
Himmel,  Hölle  und  Paradies  mit  seinen  Gestalten  bevölkert. 
Die  Erwähnung  von  Satans  rundem  Schild  führt  ihn  (I.  286  ff.) 
zu  einem  grandiosen  Vergleich  mit 

des  Mondes  Scheibe, 
Wann  sie  durch's  Glas  Toskaniens  Künstler  sieht 
Des  Abends  von  Fiesole's  Gebirg 
Und  in  Valdarno,  neues  Land  entdeckend 
Sammt  Fluss  und  Bergen  auf  dem  fleckigen  Kreise. 

An  einer  anderen  Stelle  (V.  262)  nennt  er  sogar,  etwas  skep- 
tisch in  seinen  Ausdrücken,  den  Namen  des  Astronomen: 

So  wie  bei  Nacht 
Das  Glas  des  Galilei,  minder  sicher. 
Vermeinte  Länder  in  dem  Mond  entdeckt  (2). 


278  Galilei. 

Aber  auch  eine  dritte,  gewöhnlich  weniger  beachtete  Stelle 
des  „verlorenen  Paradieses"  scheint  nicht  ausser  Zusammen- 
hang mit  dem  Andenken  des  italienischen  Gelehrten  zu  stehn. 
Es  ist  der  Beginn  des  achten  Buches,  wo  Adam  seine  Zweifel 
darüber  ausspricht,  dass  die  Erde  stillstelm  soll,  die  übrigen 
Gestirne  sie  umkreisen  (VIII.  15  ff.): 

Erblick'  ich  dieser  Welt  erhabnen  Bau, 

Den  Himmel  sammt  den  Sternen  und  erwäge 

Die  Grösse  beider,  —  diese  Erde  nur 

Ein  Fleck,  ein  Sandkorn,  ein  Atom,  verglichen 

Mit  jenem  Firmament,  so  voll  von  Sternen, 

Die  zahlreich  unbegreiflich  weite  Räume 

Durchrollen  müssen,  (denn  dies  zeigt  ihr  Schwinden 

Und  ihre  schnelle  Rückkehr  Tag  für  Tag), 

Und  nur  der  dunklen  Erde  Licht  zu  leihn 

Für  Tag  und  Nacht,  dem  einen  winzgen  Punkt, 

Sonst  völlig  nutzlos  in  dem  grossen  Plan,  — 

Oft  staun'  ich  dann,  warum  die  sorgsam  weise 

Natur  ein  solches  Missverhältnis  litt: 

So  viele  Körper  mit  Verschwenderhand 

Zu  schaffen,  die  doch  edler  sind  und  grösser, 

Zu  diesem  einen  Zweck;   von  ihren  Sphären 

Rastlosen  Kreislauf  fordern  Tag  für  Tag, 

Indess  die  Erde  ruhig  weilt,  die  doch 

In  kleinerem  Kreis  sich  leicht  bewegen  könnte ; 

Die  ohne  Regung  so  ihr  Ziel  erreicht, 

Bedient  von  edler'n  Wesen  als  sie  selbst, 

Und  als  Tribut  unzähliger  Tagereisen, 

Mit  Schnelligkeit,  die  sich  nicht  messen  liisst, 

Ihr  dargebracht,  Wärme  wie  Licht  emp längt. 

Die  langathmige  Antwort,  welche  der  Erzengel  Raphael 
unserm  wissbegierigen  Urahn  ertheilt,  ist  höchst  bemerkens- 
werth.  Sie  ist  es  nicht  eben  wegen  der  moralischen  Betrach- 
tung, dass  „Glanz  und  Grösse"  nicht  den  Masstab  für  die 
Beurtheilung  des  wirklichen  Werthes  abgeben  dürfen,  und 
dass  also  die  Erde,  „wenn  auch  klein  und  glanzlos",  vielleicht 
mehr  „echtes  Gutes"  in  sich  bergen  könne  als  die  Sonne, 
„die  (»de  leuchtet".  Sie  ist  es  vielmehr  wegen  der  astrono- 
mischen Theorie,  zu  deren  Dolmetsch  der  himmlische  Bote 
sich  macht.    Er  geht  allerdings  davon  aus  die  Zweifel  zu  be- 


Galilei.  279 

antworten,  die  Adam  ausgesprochen  hat.  Aber  er  benutzt 
diesen  Anlass,  um  die  Gedanken  seines  Zuhörers  noch  weiter 
zu  führen.  Bei  der  einen  Bewegung  der  Erde,  die  dieser  als 
möglich  angedeutet  hatte,  bleibt  er  nicht  stehn.  Er  entwickelt 
die  Grundzüge  des  kopernikanischen  Systems,  nachdem  er 
des  ptolemäischem  mit  sichtlichem  Spott  gedacht  hat.  Gott 
., belächelt  —  nach  seinen  Worten  —  die  spitzfindigen  Mei- 
nungen" der  Menschen, 

Wenn  sie  entwerfen  einen  Himmelsriss, 

Der  Sterne  Lauf  berechnen  und  Systeme 

Erfinden  um  sie  wieder   einzureissen, 

Auf  neue  denken,  um  den  Schein  zu  retten, 

Mit  ihren  Linien  des  Himmels  Kugel, 

So  centrisch  wie  excentrisch  rings  umgürten, 

Cyklen  und  Epicyklen,  Kreis'  in  Kreisen. 

Er  wirft  dagegen  die  Idee  hin: 

Wie,  wenn  die  Sonne  Mittelpunkt 
Der  Welt,  und  andre  Sterne,  angezogen 
Durch  sie  und  durch  sich  selbst  zugleich  getrieben, 
In  mannichfacheu  Kreisen  sie  umwandeln? 
Den  irren  Lauf  bald  hoch,  bald  niedrig  gehend 
Bald  vor-  bald  rückwärts  und  bald  stille  stehend 
Siehst  Du  an  sechsen  schon,  wie  wenn  vielleicht 
Der  siebente  Planet  die  Erde  wäre, 
So  fest  sie  auch  erscheint,  und  doch  unmerklich 
In  dreifach  unterschiedner  Art  bewegt? 

Der  Erzengel  hütet  sich,  dies  als  sicher  hinzustellen.    Er 
erklärt : 

Gott  schuf,  um  seine  Wege     zu  entziehn 
Dem  Menschensinn,  den  Himmel  von  der  Erde 
So  fern,  dass  leicht  der  ird'sche  Blick  sich  täuscht 
Und  nichts  gewinnt,  versteigt  er  sich  zu  hoch. 

Er  räth  dem  Adam,  sich  nicht  mit  dem  Nachdenken  über 
„verborgene  Gegenstände"  zu  quälen,  diese  Dinge  Gott  zu 
überlassen,  ihm  zu  dienen  und  „sich  des  Paradieses  und  seiner 
schönen  Eva  zu  freuen".  Adam  ist  damit  zufrieden,  er  will 
das  süsse  Dasein  nicht  mit  Grübeleien  verderben.  ,,Zu  wissen, 
was  im  Leben  täglich  vor  uns  liegt,  ist  höchste  Weisheit". 
So  nuiss  der  Mensch  vor  dem  Sündenfall  sprechen.  Erst 
dieser  „Piiesenschritt  in  der  Geschichte  der  Menschheit"  ruft 


280  Galilei.  —  Rom. 

die  Forschung  hervor.  Für  einen  Kopernikus  oder  Galilei  ist 
freilich  kein  Platz  im  Paradiese.  Aber  auffällig  bleibt  es 
doch,  dass  der  Erzengel  Raphael  auch  von  Land  und  Feldern 
auf  dem  Monde  spricht,  als  hätte  er,  freilich  mit  starker 
Phantasie,  die  sich  bis  zur  Ausmalung  von  Wolken  auf- 
schwingt, durch  ein  Galilei'sches  Fernrohr  geselin,  auffäUig 
nicht  minder,  dass  er  „von  anderen  Sonnen  mit  ihren  Mond- 
Trabanten"  (v.  148:  „and  other  suns  perhaps  with  their  atten- 
dant  moons  thou  wilt  descry")  redet,  als  wäre  ihm  Galilei's 
Entdeckung  der  Jupiters- Monde  bekannt  gewesen.  —  So 
lange  wirkte  die  Erinnerung  an  den  Weisen  vom  Arno  in 
Milton's  Seele  nach(^). 

Mit  Befriedigung  konnte  er  auf  die  acht  Wochen  seines 
Aufenthaltes  im  schönen  Florenz  zurückblicken,  als  er,  etwa 
gegen  Ende  September,  nicht  lange  nach  Abfassung  jenes 
Briefes  an  Buommattei,  diese  Stadt  verliess,  um  über  Siena 
seinen  Weg  nach  Rom  zu  nehmen.  Wiederum  ungefähr  zwei 
Monate  (etwa  Oktober  und  November  1638)  wurde  hier  Stand- 
quartier gemacht,  eine  Zeit,  fast  zu  kurz  für  den  klassisch 
gebildeten,  in  der  Geschichte  so  wohl  bewanderten  Reisenden, 
der  in  wenig  Wochen  die  alte  Aufgabe  lösen  sollte,  dies  ewige 
Rom  und  alle  seine  grossen  Erinnerungen  und  Monumente 
mit  echt  englischer  Gewissenhaftigkeit  in  sich  aufzunehmen  {^). 
Ueber  den  Trümmern  des  alten  Rom  hatte  sich  das  neue 
Rom  zu  stolzer  Schönheit  erhoben  und  nahm  mit  all'  dem 
glänzenden  Schmuck  der  Renaissance,  mit  dem  ganzen  pomp- 
haften Apparat  der  neukatholischen  Kirche,  mit  dem  auf- 
dringlichen bunten  Leben  auf  Markt  und  Gasse  Auge  und  Ohr 
des  nordischen  Wanderers  gefangen.  Die  Namen  Raphael 
und  Michel  Angelo  erhielten  erst  hier  für  ihn  ilire  volle  Wahr- 
heit. Die  Spuren  der  umwälzenden  wie  schöpferischen  Bau- 
thätigkeit  der  Kirchenfürsten  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
waren  auf  Schritt  und  Tritt  zu  verfolgen.  St.  Peter,  an  dessen 
Riesenbau  erst  kürzlich  Maderna's  Hand  durch  Bernini's  ab- 
gelöst worden,  war  1626  feierlich  geweiht.  Eine  Fülle  neuer 
Kirchen  und  Paläste  war  dem  Boden  entstiegen.  Aber  schon 
war  man  in's  Zeitalter  des  Barockstils  eingetreten,   die  ent- 


Rom.  281 

fesselte  Laune  begann  die  reinen  Formen  zu  verbilden  und, 
wie  in  der  schönen  Literatur,  durch  üppige  Verschnörkelung 
und  dekorative  Ueberladung  auf  den  täuschenden  Effekt  hin- 
zuarbeiten. 

Die  Regierung  des  Kirchenfürsten,  welcher  damals  die 
dreifache  Krone  trag,  Urban's  VIU.  (1623 — 44)  hatte  den 
Charakter  der  Hauptstadt  um  weniges  geändert  (^).  Sie  war 
und  blieb  auch  äusserlich  der  Mittelpunkt  einer  noch  immer 
grossartigen,  weltumspannenden  Macht,  geschmückt  mit  dem 
Schimmer  so  vieler  geistlicher  Hofhaltungen,  deren  Häupter, 
die  Kardinäle,  wetteifernd  mit  ihrem  Oberhaupte  als  ]Mäcene 
von  Kunst  und  Wissenschaft  zu  glänzen  liebten.  Höchstens 
ein  neues  Element  war  hinzugetreten.  INIaffeo  Barberino,  dies 
war  Urban's  VIII.  ursprünglicher  Name,  wie  er  eigenwillig  und 
selbstbewusst  während  des  dreissigj ährigen  Krieges  gegen  das 
Haus  Habsburg  eine  selbstständige  politische  Rolle  zu  spielen 
versuchte,  war  auch  sehr  darauf  bedacht  seine  Hauptstadt 
durch  bedeutende  kriegerische  Anstalten  zu  sichern.  Die  Be- 
festigungen der  Stadt  auf  dem  rechten  Tiber-Ufer  wurden  auf 
sein  Geheiss  verstärkt,  vor  allem  nach  1626  die  Basteien  der 
Engelsburg  in  Angriff  genommen,  die  auf  der  Landseite  das 
von  der  eigentlichen  Burg  gebildete  Quadrat  umschlossen,  um 
später  durch  neue  noch  stärkere  Vertheidigimgsmittel  ver- 
mehrt zu  werden.  Uebrigens  aber  zeigte  sich  auch  Urban  VHL, 
welcher  seine  eignen  lateinischen  Gedichte  drucken  Hess,  ge- 
lehrten und  künstlerischen  Bestrebungen  nicht  minder  glmstig 
wie  rein  geistlichen.  Er  errichtete  das  Kollegium  der  Propa- 
ganda, welches  den  künftigen  Missionären  aller  Länder  ein 
Asyl  bot,  er  sorgte  für  die  Ausbreitung  des  christlichen  Glau- 
bens in  Afrika,  aber  auch  eine  stattliche  Reihe  von  Kirchen 
und  Klöstern  wurde  unter  ihm  erneut  oder  geschaffen,  wie 
SS.  Domenico  e  Sisto,  S.  Concezione,  S.  Niccolö  da  Tolen- 
tino,  S.  Francesco  dl  Paola  etc.,  das  Monument  der  Mark- 
gräfin Mathilde  in  S.  Peter  errichtet,  die  vatikanische 
Bibliothek  bereichert  (2).  Der  Palazzo  Barberini  mit  Bernini's 
gewundener  Treppe  trägt  seinen  Namen.  Freilich  liegieng  er 
auch    die   Barbarei    die    Bronce  -  Ornamente    der  Decke    des 


282  F.  Barberiui. 

Pantheon  fortzunehmen,  um  sie  zum  Guss  von  Kanonen  der 
Engelsburg  und  zur  Verfertigung  des  plumpen  Altar-Taber- 
nakels der  Peterskirche  zu  verwenden,  ^Yas  seinem  Geschlecht 
den  beissenden  Denkvers  eintrug: 

Quod  non  feceruut  Barbari,  fecore  Barberini. 

In  der  That  arbeiteten  Urban's  Verwandte  mit  ihm  selbst 
durchaus  in  gleicher  Richtung.  Nie  zuvor  hatte  der  Nepotismus 
so  in  Blüthe  gestanden  wie  damals.  Mehr  noch  als  die  Peretti, 
Aldobrandini,  Borghese,  Ludovisi  verstanden  es  die  Barberini 
das  hohe  Amt  eines  der  ihrigen  für  sich  auszubeuten  und,  durch 
Geld  und  Ehren  bereicliert,  eine  festgeschlossene  aristokratische 
Genossenschaft  zu  bilden.  Im  Laufe  von  Urban's  Regierung 
soll  seine  Familie  durch  die  Summe  von  105  Millionen  Scudi 
bereichert  worden  sein,  deren  Höhe  indess  Zweifel  an  ihrer 
Richtigkeit  erweckt  hat.  Viele  von  seinen  Verwandten  ge- 
langten zu  grossem  Einfluss  und  hoher  Stellung.  Sein  jüngerer 
Bruder  Antonio  ward  Kardinal,  sein  älterer  Don  Carlo  General 
der  Kirche.  Dessen  drei  Söhne  schwangen  sich  gleichfalls 
empor.  Der  mittlere  Don  Taddeo  erhielt  die  Würden  des 
weltlichen  Nepoten  und  hatte  schon  1635  ein  Jahres-Einkommen 
von  100,000  Scudi.  Seine  Brüder  Antonio  und  P^rancesco  sassen 
wie  ihr  Oheim  im  Kardinals -Kollegium.  Von  diesen  hatte 
keiner  so  grossen  Einfluss  auf  den  Pabst  wie  der  zuletzt  Ge- 
nannte, Francesco,  dessen  geschmeidiges  und  bescheidenes  Na- 
turell sich  sowohl  nach  oben  den  Launen  des  Oheims  zu  fügen 
wie  nach  imten  zahlreiche  Freunde  zu  gewinnen  wusste.  Der 
Kardinal  Francesco  Barberini  war  der  Gönner  aller  Künstler 
und  Gelehrten.  Er  hatte  eine  bedeutende  Bibliothek  gegründet, 
sein  Palast  war  der  Sammelplatz  der  wissenschaftlichen  und 
schöngeistigen  Welt  des  damaligen  Rom.  Auch  ein  Deutscher 
stand  als  sein  Sekretär  zu  ihm  in  nahem  Verhältnis,  ein  Mann,- 
dessen  Name  einen  guten  Klang  hatte  und  weit  über  das  Weich- 
bild von  Rom  hinaus  l)erühmt  war.  Es  war  Lucas  Holsten, 
latinisirt  Holstenius,  der  1596  in  Hamburg  geboren  und  als 
Protestant  erzogen  worden  war.  Er  hatte  in  Leyden  Philo- 
logie und  Arzneikunde  studirt,  Italien  und  England  bereist 
und  sich  von  1622 — 25  in  Oxford  und  London  aufgehalten. 


Holsteuius.  283 

In  Paris  war  er  mit  dem  Kardinal  Barberini,  der  als  Legat 
dort  weilte,  bekannt  geworden  und  hatte  sich  bewegen  lassen 
zum  Katholicismus  und  in  seine  Dienste  überzugehen.  Seit 
1Ö27  lebte  er,  als  einer  der  Vorsteher  der  Vatieana,  in  Rom. 
Seine  Edition  des  Porphyrius  und  anderer  griechischer  Autoren 
hatte  ihm  hohen  Ruhm  eingebracht,  in  seinem  Amte  war  er, 
namentlich  als  Kenner  und  Sammler  griechischer  Codices 
unschätzbar.  Dazu  stand  er,  ein  vielgereister  Mann  und 
eifriger  Korrespondent,  inmitten  der  grossen  Gelehrten-Repu- 
blik und  zählte  Männer  wie  Grotius,  Heinsius,  Vossius  zu 
seinen  Bekannten  (^). 

Milton  hatte  das  Glück  diesem  Manne  näher  zu  treten. 
Es  läge  nicht  fern  zu  vermuthen,  dass  Hugo  Grotius  ihn  an 
Holstenius  gewiesen,  wie  der  grosse  Jurist  diesem  schon  früher 
zwei  reisende  Freunde  empfohlen  hatte,  im  Vertrauen  „auf  seine 
deutsche  Treue".  Indess  jNIilton  selbst  in  einem  später  an 
Holstenius  geschriebenen  Briefe  deutet  an,  dass  er  die  werth- 
volle  Bekanntschaft  mit  dem  Bibliothekar  der  Vatieana  einem 
gewissen  Alexander  Cherubini  verdankte,  einem  gelehrten 
jungen  Römer,  mit  dem  vielleicht  die  florentiner  Freunde  in 
Verbindung  standen  (^).  Er  kann  nicht  genug  rühmen,  wie 
freundlich  Holstenius  ihn  aufgenommen,  als  er  ihn  im  Vatikan 
aufsuchte.  Er  führte  ihn  in  die  inneren  Räume,  zeigte  ihm 
die  kostbare  Büchersammlung,  Hess  ihn  seinen  Reichthum 
griechischer  Handschriften,  zum  Theil  mit  eignen  Anmerkungen 
versehn,  bewundern  und  verabschiedete  ihn  reich  beschenkt 
mit  zwei  Exemplaren  einer  jener  griechischen  Ausgaben,  die 
er  veranstaltet  hatte.  Aber  er  begnügte  sich  nicht  damit, 
sondern  that  noch  mehr.  Sein  Herr  und  Gönner,  Francesco  Bar- 
berini, hatte  die  Engländer,  welche  Rom  berührten,  ganz  be- 
sonders unter  seinen  Schutz  genommen.  Er  genoss  die  Gunst 
der  Königin  Henrietta  ]\Iaria,  der  er  einst  eine  goldene  ge- 
weihte Rose  überbracht  hatte.  Die  Söhne  des  Sekretärs  Winde- 
bank sind  entzückt  von  der  Aufnahme,  die  sie  bei  Barberini 
gefunden  haben,  ein  anderer  reisender  Engländer  nennt  ihn 
im  März  1639  mit  Begeisterung  „den  feinsten  Gentleman  in 
der  ganzen  Welt"   und  weiss  von  sehr   annehmbaren  Zeichen 


284  Leouoi-a  Baroui. 

jenes  Wohlwollens  zu  erzählen,  die  in  einer  Epoche  wachsen- 
der Konversion  wohl  nicht  immer  so  unschuldig  gemeint  waren 
wie  sie  aussahen  (^).  Durch  Holstenius  wurde  der  Kardinal 
auf  ]Milton  aufmerksam  gemacht  und  erzeigte  sich  gegen  ihn 
A'on  derselben  anmuthigen  Zuvorkommenheit,  die  man  an  dem 
einflussreichen  Kirchenfürsten  überhaupt  zu  rühmen  wusste. 
Bei  Gelegenheit  einer  jener  musikalischen  Unterhaltungen, 
die  er  dem  Publikum  mit  grossem  Prunk  in  seinem  Palast  zu 
geben  pflegte,  gieng  er  dem  englischen  Fremdling  bis  an  die 
Thüre  entgegen,  suchte  ihn  aus  dem  Gedränge  heraus  und 
geleitete  ihn  an  seiner  Hand  in  der  ehrenvollsten  Weise  in 
die  festlichen  Räume.  Am  folgenden  Tage  machte  Milton  zum 
Zeichen  des  Dankes  seine  Aufwartung.  Wiederum  verschaffte 
Holstenius  ihm  Zutritt  und  Gelegenheit,  mit  dem  hohen  Würden- 
träger der  Kirche  ein  langes  Gespräch  zu  führen.  Genug: 
Man  war  so  herablassend  wie  möglich  gegen  den  liebenswürdigen 
Ketzer  vom  fernen  Inselreich.  —  Ohne  Zweifel  trat  ihm  auch 
im  Palaste  Barberini's  jene  Leonora  Baroni  entgegen,  deren 
Erscheinung  einen  nicht  geringen  Eindruck  auf  den  Dichter 
machte.  Sie  war  die  Tochter  der  Adriana  von  Mantua,  die 
man  nur  die  „Schöne"  nannte;  beide  gehörten  zu  den  berühm- 
testen Sängerinnen  ihrer  Zeit,  zusammen  mit  Caterina,  Leo- 
noi'a's  Schwester,  l^ildeten  sie  das  vollkommenste  Terzett,  das 
man  höi'en  konnte.  Leonora  gebührte  vor  allem  der  Preis. 
Sie  wai-  nicht  so  schön  wie  ihre  Mutter,  aber  anmuthig,  sitt- 
sam und  vom  feinsten  Verständnis  für  ihre  Kunst  durchdrungen, 
so  dass  sie  sich  selbst  an  eigene  Kompositionen  wagte.  Wer 
sie  gehört  hat,  wie  sie  sich  von  ihrer  Mutter  mit  der  Laute 
von  ihrer  Schwester  mit  der  Harfe  begleiten  Hess,  oder  wie 
sie  sell)st  die  Theorbe  zum  Gesänge  schlug,  schildert  den  hohen 
Genuss  in  entzückten  Worten.  Es  regnete  Kanzonen  und 
Sonette  zu  ihrem  Preise,  ein  ganzes  Bändchen  mit  griecliischen, 
lateinischen,  italienischen,  französischen,  spanischen  Gedichten, 
ihrem  Ruhme  geweiht,  wurde  in  Rom  gedruckt (^).  Auch 
Milton  brachte  ihr  den  Triljut  seiner  Huldigung  dar.  Von 
seinen  lateinischen  Epigrammen  sind  drei,  so  fein  gedacht  wie 
gefoiint,  der  Sängerin  gewidmet  (^).     Die  beiden  letzten  mögen 


Leonora  Baroni.  285 

erst  nach  seiner  Rückkehr  von  Neapel  gedichtet  sein,  wenig- 
stens können  dafür  sprechen  die  Anspielungen  auf  die  Grotte 
von  Posilippo,  die  Erinnerung  an  die  Sirene  Parthenope,  die 
nach  des  Dichters  Meinung  in  Leonora  Baroni  fortlebt,  und 
an  jene  andere  Leonora,  deren  Reize  Tasso  zum  Wahnsinn 
getrieben  haben  sollen.  Das  erste  Epigramm,  von  solchen 
geschichtlichen  und  lokalen  Bezügen  frei,  ist  eben  deshalb 
vielleicht  am  zartesten  empfunden: 

Jeglicliem  Meuschen  zu  treuem  Geleit,  o  glaubt  es   ihr  Völker, 
Ward  aus  den  himmlisclien  Höhn  gütig  ein  Engel  gesellt. 
Höher  fürTrahr  denn  alte  bist  du  Leonore  begnadet, 
Denn  aus  deinem  Gesang  redet  vernehmlich  ein  Gott. 
Ist  es  nicht  Gott,  so  ist  es  ein  andres  himmlisches  Wesen, 
Welches  den  Busen  durchdringt  heimlich  mit  zaubrischer  Macht, 
Zaubrischer  Macht  gelingt  es  die  sterblichen  Saiten  der  Stimme 
Zu  der  Fülle  und  Kraft  ewigen  Wohllauts  zu  weihn. 
Jener  göttliche  Hauch,  der  alle  Geschöpfe  beseelet, 
Schweigend  beseelet  er  sie:    Sprache  gewinnt  er  in  dir. 

Liebert,  an  dessen  Werk  (S.  45)  ich  mich  bei  dieser  Ueber- 
tragung  einigermassen  angeschlossen  habe,  macht  die  feine, 
wenn  auch  vielleicht  etwas  zu  weit  gehende  Bemerkung,  „es 
gehe  aus  Milton's  Berichten  über  seine  Reise,  wie  auch  sonst 
aus  seinen  Schriften  hervor,  dass  er  an  der  tönenden  Kunst 
eine  reinere  Freude  gefunden  habe  als  an  der  bildenden.  Ob- 
wohl er  Grieche  genug  w\ar,  um  den  Werth  der  letzteren 
lebendig  zu  empfinden,  so  war  er  doch  zu  sehr  Protestant, 
um  nicht  zu  erkennen,  dass  das  neue  von  den  Päbsten  ge- 
pflegte Heidenthum  mit  seiner  lächelnden,  schmeichelnden, 
lockenden  Schönheit  auch  seine  sehr  gefährliche  Seite  hatte. 
Als  er  daheim,  im  puritanischen  England  sein  Gedicht  „il 
Peuseroso"  schrieb,  da  war  ihm  die  holde  Bildnerkunst  des 
Südens  Gegenstand  der  Sehnsucht,  hier  aber  in  Italien  merkte 
er  bald,  dass  ihr  Reiz  zum  Gifte  werden  und  ein  ganzes  Volk 
zu  weicher  Sinnlichkeit,  zu  gedankenlosem  Leichtsinn,  zu 
unmännlicher  Trägheit  verführen  könne.  Die  Musik  dagegen 
hielt  er  für  das,  was  sie  in  Wahrheit  ist,  für  die  eigenthüm- 
liche  Kunst  der  christlichen  Welt:  ihr  flüssiges  Element  schien 
ihm   am  besten  geeignet,  dem  Geiste  zu  folgen,   der  sich  in 


286  Leonora  Baroui.  —  Doni.     Salsillus. 

seine  eignen  Tiefen  versenkt.  Der  Himmel,  den  er  uns  später 
in  seiner  grossen  Dichtung  aufscliliesst,  hallt  wider  von  Harfen- 
spiel und  Chorgesang,  dagegen  befinden  sich  vortreffliche  Bau- 
meister, Bildhauer  und  Maler  unter  den  Bewohnern  seiner 
Hölle".  Ist  auch  in  diesen  Worten  etwas  mehr  über  die  italie- 
nischen Reiseeindrücke  vermuthet  als  wir  wissen,  so  bleibt 
in  der  That  auffallend,  dass  über  die  grossartigen  Werke 
der  bildenden  Kunst  in  diesem  Lande  in  Milton's  Schriften 
keine  Aeusserung  zu  bemerken  ist.  Man  hat  geglaubt  annehmen 
zu  sollen,  INIichel  Angelo's  Darstellung  der  Schöpfung  und  der 
ersten  ]\Ienschen  an  der  Decke  der  sixtinischen  Kapelle,  die 
biblischen  Gemälde  nach  Raphael  in  den  Loggien  des  Vatikans, 
Bandinelli's  jMarmorfigiiren  von  Adam  und  Eva  u.  s.  w.  hätten 
auf  die  Entstehung  des  „Verlornen  Paradieses"  einigen  Ein- 
fluss  gehabt (0.  Es  ist  möglich,  ohne  dass  es  nachweisbar 
wäre.  Ob  Milton  von  den  römischen  Künstlern  seiner  Zeit 
den  einen  oder  andern,  Bernini,  Barromini,  Algardi,  Quenois, 
kennen  lernte,  bleibt  gleichfalls  ungewiss.  Dagegen  ist  die 
Annahme  gerechtfertigt,  dass  er,  vermuthlich  durch  Holstenius' 
Vermittlung,  den  Literaten  und  Schöngeistern  in  ihren  aka- 
demischen Vereinigungen  nicht  fremd  blieb.  Zwar  von  den 
bedeutendsten  Theilnehmern  dieser  gelehrten  und  literarischen 
Kreise  können  wir  keine  persönliche  Beziehung  zu  Milton  nach- 
weisen. Giovanni  Battista  Doni,  ein  Florentiner  von  Geburt, 
vielseitig  gebildet  und  schriftstellerisch  thätig,  vor  allem  be- 
rühmt wegen  seiner  Arbeiten  über  Geschichte  und  Theorie 
,  der  Musik,  wird  allerdings  von  Milton  ein  ]\ial  gegenüber 
Holstenius  erwähnt,  er  scheint  aber  gerade  dann  nach  Rom 
zurückgekehrt  zu  sein,  als  Milton  die  Stadt  für  immer  ver- 
lassen hatte (2).  Ein  Schriftsteller  geringeren  Ranges,  mit 
welchem  er  verkehrte,  ist  uns  indess,  dem  Namen  nach  bekannt : 
Johannes  Salsillus.  Er  war,  wie  es  scheint,  kein  unbedeuten- 
des Mitglied  der  Akademie  der  „Fantastici".  Wenigstens  finden 
sich  in  einem  Bändchen  (Jledichte,  das  diese  Gesellschaft  her- 
ausgab („Poesie  de'  signori  Academici  Fantastici;  Roma  1637") 
nicht  wenige  Kinder  seiner  ]\Iuse(3).  An  ]\lilton  hat  er  ein 
lateinisches  Epigramm  gerichtet,  in  welchem  er  den  Engländer 


Selvaggi.-  —  Neapel.    Manso.  287 

preist,  der  eines  dreifachen  Dichter-Lorbeers,  für  die  griechi- 
sche, lateinische,  italienische  Sprache,  werth  sei(i).  Salsillus 
war  kränklich;  Milton  widmete  ihm  daher  ein  Dankgedicht 
in  lateinischen  jambischen  Hinkversen  (Skazontes),  in  dem  er 
den  Gesundheitszustand  des  römischen  Freundes  bedauert.  In 
diesen  Versen  bringt  er  eine  gut  berechnete  Wirkung  hervor 
durch  den  Gegensatz  der  von  ihm  erwähnten  klassischen  Stätten 
aus  der  Umgebung  Roms,  auf  denen  der  warme  Hauch  des 
südlichen  Himmels  ruht,  und  der  eignen  nordischen  Heimat, 
an  deren  rauhe  Winde  er  gedenkt  (^). 

Zu  den  römischen  Bekanntschaften  mag  endlich  auch  ein 
gewisser  Selvaggi  gehört  haben,  welcher  Milton  in  einem  latei- 
nischen Distichon  als  elienbürtig  dem  Homer  und  Virgil  preist 
und  vielleicht  eine  Ahnung  davon  hatte,  dass  gerade  das  Epos 
die  Stärke  des  Engländers  sei  (3).  Aber  auch  die  landsmann- 
schaftlichen Beziehungen  traten  in  Rom  nicht  zurück.  ]\Ian 
weiss  wenigstens,  dass  Milton,  Puritaner  wie  er  war,  am  30.  Okt. 
1638  mit  seinem  Diener  und  einigen  Landsleuten  im  „engli- 
schen Kollegium"  gespeist  hatC). 

Zwei  reichbelebte  Monate  waren  verflossen,  als  er  Rom 
verliess  um  die  Strasse  nach  Neapel  einzuschlagen.  Ein  glück- 
liches Ungefähr  führte  ihn  während  der  Fahrt  mit  einem  Ere- 
miten zusammen,  durch  dessen  Vermittlung  er  an  seinem 
neuen  Reiseziele  gerade  den  Mann  kennen  lernte,  dessen 
Freundschaft  mehr  als  die  irgend  eines  andern  Neapolitaners 
ihm  werth  sein  musste.  —  Giambattista  Manso,  Marquis  von 
Villa,  gel).  1561,  gehörte  zu  den  ausgezeichnetsten  Edelleuten 
seiner  Heimat.  Mit  der  Feder  nicht  minder  gewandt  als  mit 
dem  Sehwerte,  mit  Glücksgütern  gesegnet  und,  ohne  direkte 
Erben,  befähigt  nach  Gutdünken  über  dieselben  zu  verfügen, 
hatte  er  sich  zur  Lebensaufgabe  gemacht,  unter  den  Augen 
der  misstrauischen  spanischen  Herrschaft  die  vaterländische 
Bildung  und  ihre  Träger  nach  Kräften  zu  fördern  und  zu 
schützen.  Nicht  nur,  dass  er  in  Neapel  die  Akademie  der 
„Oziosi"  und  das  Kolleg  „dei  Nobili"  gründete:  jene  nach 
Art  der  sonstigen  italienischen  Akademieen,  dieses  eine  An- 
stalt um  die  jungen  Adligen  Neapels  in  geistigen  und  körper- 


288  Neapel.    Manso. 

liehen  Uebmigen  zu  bilden:  er  machte  sich  selbst  als  Schrift- 
steller einen  geachteten  Namen.  Von  ihm  rührten  her  „I 
Paradossi  ovvero  Dialoghi  deir  Amore"  (1608),  sodann  die 
zwölf  Dialoge  „Erokallia"  oder  „Liebe  und  Schönheit"  (1618 
und  1628)  und  „Poesie  Nomiche,  divise  in  Rime  amorose, 
sacre  e  morali"  (1635),  eine  Sammlung  seiner  Jugendgedichte. 
Kein  Werk  trug  ihm  aber  mehr  Ehre  ein  als  die  Biographie 
des  unglücklichen  Dichters,  an  dem  er  selbst  zum  Wohlthäter 
geworden  war:  sein  Leben  Tasso's  (1619).  Ein  Opfer  seines 
tragischen  Geschicks,  verfolgt  von  den  wahnsinnigen  Gebilden 
seiner  Phantasie,  ruhelos  umherirrend  war  der  Dichter  des 
befreiten  Jerusalem  1588  zur  Schwelle  des  jugendlichen  Manso 
gelangt.  Der  nahm  ihn  auf  in  seiner  Villa  zu  Neapel  und 
Bisaccia,  umgab  ihn  mit  aller  Sorgfalt  rührender  Freundschaft, 
gewährte  ihm  wiederholt  ein  gastfreies  Obdach  und  hatte  die 
Genugthuung,  dass  der  von  den  Furien  Gequälte  ihn  bis  zur 
Todesstunde  als  getreuen  Pylades  hoch  hielt.  Manso's  Name 
tritt  im  20.  Buch  des  eroberten  Jerusalem  (v.  141)  als  der 
eines  der  „Cavalieri  magnanimi  e  cortesi"  auf,  Manso  heisst' 
einer  der  Sprecher  in  Tasso's  Dialog  „über  die  Freundschaft' \ 
der  schon  im  Titel  diesen  Namen  trägt,  dessen  Ruhm  im  An- 
fang mit  vollen  Tönen  gepriesen  wird.  Fortan  war  Manso's 
Name  mit  Tasso's  für  die  Italiener  untrennbar  verbunden (^). 

Noch  ein  zweiter  italienischer  Dichter  hatte  sich  Manso's 
Gunst  zu  erfreuen:  Giambattista  Marini  (1569 — 1625).  Erst 
eine  spätere  Zeit  hat  über  seine  schwülstige  Atfektation  und 
gezierte  Sinnlichkeit  den  Stab  gebrochen,  damals  war  sein 
,,Adonis"  in  aller  Munde,  und  Manso  war  stolz  darauf,  auch 
diesem  Jünger  der  Musen  in  seinem  bewegten  Leben  ein 
()bdach  geboten  zu  halben.  Auch  mit  Marini's  Biographie 
soll  er  sich  beschäftigt  haben.  Und  wie  Manso's  „Poesie 
Nomiche"  unter  andern  schmeichlerischen  Versen  sechs  Sonette 
von  Tasso  angehängt  sind,  so  drei  von  Marini  (-). 

Einen  besseren  Führer  in  der  wundervollen  Stadt  des 
Südens  als  den  ehrwürdigen  siebenundsie])zigjälirigen  Manso 
hätte  Milton  nicht  linden  können.  Unter  seiner  Leitung  ver- 
band  sich   der  gegenwärtige  Zauber  des  brausenden  Lebens 


Neiipel.     Maiiso.  —  Gedicht  für  Manso.  289 

auf  Strassen  und  Plätzen,  des  entzückenden  Ausblicks  auf  den 
Golf  und  die  Inseln  und  den  ^'esuv  mit  der  stolzen  Erinne- 
rung, dass  Tasso's  trunknes  Auge,  von  demselben  Führer  be- 
lehrt, dieselbe  Schönheit  geschaut  hatte.  Manso  erzeigte  dem 
Fremdling,  den  der  Eremit  ihm  zugeführt  hatte,  die  freund- 
liche Höflichkeit,  die  man  üb.erhaupt  an  ihm  rühmte.  „Er 
führte  mich  —  so  erzählt  ]Milton  selbst  —  durch  die  ein- 
zelnen Theile  der  Stadt  und  den  Palast  des  Vicekönigs  und 
suchte  mich  mehrmals  in  meinem  Gasthause  auf.  Wir  dürfen 
annehmen,  dass  er  ihn  auch  in  seiner  Villa  nahe  bei  der  Grotte 
des  Posilippo  und  dem  ^mythischen  Grabe  Virgil's  empfangen 
hat,  in  denselben  Räumen,  aus  deren  Fenstern  Tasso  und 
]Marini  auf  das  Meer  zu  ihren  Füssen  hinabgeblickt  hatten  (^). 
Vielleicht  hat  er  ihn  auch  in  die  Gesellschaft  der  Oziosi  ein- 
geführt und  mit  anderen  Berühmtheiten  Neapels  bekannt  ge- 
macht. Doch  gab  es  etwas,  das  seiner  Gastfreundschaft  ge- 
wisse Schranken  setzte.  „Beim  Abschied  entschuldigte  er  sich 
sehr  ernstlich  bei  mir,  dass  er  mir  nicht  noch  grössere  Dienste 
erwiesen,  wie  er  es  dringend  gewünscht  hätte.  Es  sei  aber 
in  dieser  Stadt  nicht  möglich  gewesen  wegen  meiner  unvor- 
sichtigen Aeusserungen  in  Sachen  der  Religion"  (-).  Ganz 
dasselbe  drückte  ^lanso  in  einenran  ^Nlilton  gerichteten  Distichon 
aus,  mit  dem  er  an  eine  bekannte  Aeusserung  Gregorys  des 
Grossen  über  die  angelsächsischen  Jünglinge  anknüpfte: 

War'  er  so  fromm  als  schön,  verständig  und  edel  gesittet, 
Wahrlich  ein  Engel  erschien'   dann  mir  der  englische  (iasti^). 

Die  Verse,  welche  Milton  bei  seinem  Scheiden  aus  Neapel 
dem  Gastfreund  als  Gegengabe  zurückliess,  zeigen,  dass  dieser 
leise  Vorwurf  ihr  Verhältnis  nicht  hat  trüben  können.  —  Milton's 
Absicht  war  gewesen,  mit  Neapel  seine  Reise  noch  nicht  ab- 
zuschliessen,  sondern  noch  Sicilien  und  Griechenland  aufzu- 
suchen. Aber  die  Nachrichten,  die  er  (gegen  Ende  des  Jahres 
1638)  in  Neapel  aus  der  Heimat  erhielt,  mahnten  ihn  ab 
von  der  Erfüllung  dieses  Lieblingswunsches.  Der  lange 
zui-ückgehaltene  Stunn  drohte  endlich  loszubrechen.  Schott- 
land wfir  in    offnem  Aufstand,    das   englische  Volk    brachte 

Stern.  Milton  n.  s.  Zeit.     I.   1.  19 


290  Gedicht  für  Manso. 

dem  Naclibarlande  seine  Sympathieeu  entgegen,  die  Verlegen- 
heiten des  Königs  wuchsen,  die  Revolution  stand  vor  der 
Thür.  Unter  solchen  Umständen  entschloss  sich  Milton  dazu, 
den  Rückweg  einzuschlagen.  „Es  schien  mir,  —  sagt  er  — , 
unwürdig  zum  Vergnügen  gemächlich  umherzureisen ,  wäh- 
rend die  Mitbürger  zu  Hause  für  die  Freiheit  kämpften  (^)," 
Ehe  er  aber  Neapel  verliess,  sandte  er  dem  Manso,  „um  sich 
dankbar  zu  erzeigen",  eine  grosse  Epistel  in  lateinischen 
Hexametern  (2).  In  geschmackvoller  Weise  ohne  pomphafte 
Aufdringlichkeit  preist  er  den  italienischen  ]\Iäcenas.  Seine 
Verbindung  mit  Tasso  und  ]\Iarini,  das  Grabdenkmal,  das  er 
diesem  gesetzt,  die  schriftstellerischen  Werke,  die  er  beiden 
gewidmet  hatte,  werden  erwähnt.  Milton,  der  von  ferne  Ge- 
kommene, wünscht  dem  „Vater  Mansus"  ein  langes  Leben 
und  bittet  ihn  die  nordische  Muse  nicht  zu  verschmähen. 
Ist  doch  schon  ein  Mal  einer  ihrer  Jünger,  Chaucer  (Tityrus, 
wie  er  hier  mit  Spenser'schem  Ausdruck  genannt  wird),  zu 
diesen  südlichen  Landen  gezogen.  Und  wie  er  nun  weiter  den 
„von  den  Göttern  geliebten  Greis"  zu  preisen  nicht  müde 
wird,  in  eleganter  Verwerthung  des  antiken  Mythen-Stoftes, 
zumal  den  Spuren  des  Euripides  folgend,  legt  er  gegenüber 
dem  italienischen  Schöngeist  den  Beweis  dafür  ab,  dass  auch 
ihm  im  „kälteren  Norden"  der  Geist  der  Renaissance  aufge- 
gangen ist.  Am  merkwürdigsten  aber  ist  die  Stelle,  wo  er 
mit  einer  feinen  Wendung  in  stolzer  Zuversicht  seine  eignen 
poetischen  Pläne  andeutet  (v.  78  ff.): 

Möchte  ein  gütig  Geschick  mir  solchen  Freund  doch  gewähren, 
Welcher  die  Jünger  ApoH's  würdig  zu  kränzen  verstände, 
Wenn  ich  das  Königsgeschlecht  der  Heimat  einstmals  besinge, 
Arthur,  der  si(  h  im  Keiche  der  Feen  zum  Kampfe  noch  rüstet, 
Oder  die  tapfre  Schaar  der  Tafelrunde,  die  Helden, 
Innigem   Hunde  vereint,  und,  (reiclit  mir  die  Kraft  zum  Beginnen), 
Unter  der  Briten  (Gewalt  die  sächsischen  Reihen  zerschmettre. 

Nach  Sitte  der  Alten  gab  Manso  dem  Scheidenden,  der 
ihn  so  schmeichelhaft  besungen,  Gastgeschenke  mit  auf  den 
Weg,  zwei  Becher  mit  reicher  Schnitzerei  nach  eigner  Er- 
findung von   seiner  Hand   geziert(-''),    und  suclite  auch    so  zu 


Gedicht  für  Manso.  —  Rückweg  nach  Rom  und  Florenz.       291 

iiiildeni,  was  etwa  Verletzendes  in  seinen  frommen  Vorwürfen  und 
in  seinem  ironischen  Epigramm  entlialten  gewesen  sein  konnte. 
Milton  hatte  nur  zu  bald  Gelegenheit  zu  bemerken,  dass 
Manso  mit  seinem  Urtheil  nicht  allein  stand.  Als  er  den  Boden 
Italiens  betrat,  hatte  er,  entgegen  dem  Warnungsruf  .,1  pen- 
sieri  stretti  e  il  viso  sciolto"  sich  zum  Grundsatz  gemacht, 
mit  seiner  Meinung  über  Gegenstände  der  Religion  in  keiner 
Weise  hinter  dem  Berge  zu  halten.  Nicht  dass  er  ohne  jeden 
Anlass  seine  abweichende  Meinung  den  anders  Denkenden 
aufgedrängt  hätte,  aber,  von  ihnen  befragt,  gieng  er  mit  uner- 
schrockener, vielleicht  nicht  selten  satirischer  Sprache  aus 
sich  heraus.  Allzudeutlich  stellten  sich  ihm  inmitten  der  ver- 
feinerten Kidtur  die  unseligen  Folgen  der  Priesterherrschaft 
auf  Schritt  und  Tritt  dar,  als  dass  er  hätte  schweigen  können 
oder  wollen.  Die  florentiner  Freunde  nahmen  seine  .„Freiheit 
der  Sprache  mit  ausserordentlicher  Nachsicht"  auf,  einzelne 
Italiener  gaben  ihm  im  Gespräch  die  Verderlilichkeit  dei" 
jesuitischen  Einwirkung  auf  die  Jugend  und  Erziehung  zu, 
aber  nicht  überall  konnte  der  Freimuth  des  redegewandten 
Ketzers  auf  gleiche  Verzeihung  rechnen  (^)  Er  war  im  Begriff, 
nach  Rom  zurückzukehren,  als  ihn  Kaufleute,  gestützt  auf 
briefliche  Nachrichten,  vor  der  Ausführung  dieses  Planes 
warnten.  Englische  Jesuiten  sollten  es  in  Rom  auf  ihn  ab- 
gesehn,  ihm  dort  einen  Hinterhalt  gelegt  haben.  Er  hätte 
nicht  Milton  sein  müssen,  um  nicht  noch  fester  in  seinem 
Vorsatze  zu  werden.  Er  kehrte  nach  Rom  zurück  und  ver- 
weilte dort  wiederum  fast  zwei  IVIonate.  Er  erzählt  uns  nichts 
von  den  Einzelheiten  dieses  zweiten  Aufenthaltes  in  der 
ewigen  Stadt,  nichts  über  seinen  erneuten  Verkehr  mit  Hol- 
stenius,  Salsillus,  sein  Erscheinen  in  den  Akademieen  oder  dem 
Palast  Barberini's,  aber  er  versichert:  ,,Wenn  ich  darum  ge- 
fragt wurde,  verbarg  ich  niemandem,  wer  ich  sei  und,  wie 
zuvor,  vertheidigte  ich  in  der  Stadt  des  Pabstes  selbst  die  wahre 
Religion  („orthodoxam  religionem")  mit  grösstem  Freimuth, 
wenn  jemand  sie  angriff  (2)".  Als  die  Zeit  seines  römischen 
Aufenthaltes  abgelaufen  war,  schlug  er  (etwa  Mitte  Feliruar 
1639)  den  Rückweg  nach  Florenz  ein.    Mit  Ungeduld  hatten 

]9* 


292  Bologna.     Ferrara.     Italienische  Gedichte. 

die  Fieunde  ihn  erwartet,  sie  enipfiengen  ihn  ,, nicht  anders, 
als  wäre  er  in  sein  Vaterland  zurückgekehrt".  Die  Tage  in 
Florenz  werden  verflossen  sein  wie  die  des  ersten  Besuches, 
getheilt  zwischen  dem  Genuss  von  Kunst  und  Natur,  freund- 
schaftlicher Geselligkeit  und  wissenschaftlicher  Belehrung. 
Wie  bemerkt,  wurde  vielleicht  erst  damals  Milton's  Bekannt- 
schaft mit  Galilei  vermittelt.  Näheres  erfahren  wir  über  jene 
Zeit  nicht,  nur  der  schon  erwähnte  Brief  an  Holstenius  vom 
30.  März  1639  macht  Mittheilung  von  dem  vergeblichen  Ver- 
suche, für  diesen  römischen  Freund  Abschriften  aus  einem 
medicäischen  Codex  zu  nehmen,  der  sich  in  der  streng  ge- 
hüteten Laurentiana  befand.  Neue  zwei  Monate  wurde  Milton 
durch  die  Arno-Stadt  gefesselt,  nur  ein  Paar  Tage  entzog  er 
ihr  um  Lucca  zu  besuchen,  eine  Stadt,  aus  der  das  Geschlecht 
des  Jugend  genossen  Diodati  entstammt  war.  Dann  kam  die 
Stunde,  welche  gebot,  auch  von  der  Hauptstadt  Toscana's 
und  den  florentiner  Freunden  Abschied  zu  nehmen,  und 
jeder  Abschied  bedeutete  einen  Schritt  nordwärts,  der  Grenze 
des  herrlichen  Landes  näher.  Fr  überschritt  die  Apenninen 
und  berührte  auf  seinem  Wege  Bologna,  den  Sitz  der  altbe- 
rühmten Universität,  und  Ferrara,  die  ehemalige  Residenz  der 
Este,  mit  der  die  Namen  Ariost's  und  Tasso's  für  immer  ver- 
knüpft waren.  Vielleicht  ist  es  die  lebhafte  Erinnerung  an 
diese  Heroen  der  Literatur  des  Landes,  der  Wunsch  in  ihrer 
Sprache  mit  ihnen  zu  wetteifern,  gewesen,  was  Milton  antrieb 
einige  italienische  Gedichte  in  sein  Beise-Tagebuch  einzu- 
zeichnen, die  wenn  nicht  sämmtlich,  so  doch  zum  Theil  zu 
eben  dieser  Zeit  entstanden  zu  sein  scheinen.  Es  sind  fünf 
Sonette  und  eine  Kanzone,  nach  dem  Urtheil  von  Italienern 
ziemlich  korrekt  in  der  Form,  von  melodischem  Fluss,  nur 
hie  und  da,  vor  allem  im  vierten  Sonett,  entstellt  durch 
schwülstige  und  gesuchte  Bilder,  wie  der  falsche  literarische 
(Jeschmack  der  Zeit  nach  dem  Vorgang  Marini's  sie  liebte. 

Uns  sind  diese  Dichtungen  nicht  nur  wegen  ihres  ausländi- 
schen Gewandes  merkwürdig,  sondei-n  auch  wegen  ihi-es  Gegen- 
standes, dem  wir  noch  nicht  häufig  in  Milton's  Versen  be- 
gegnet sind.     Die  Liebe,    von  deren  Wonnen   und  Schmerzen 


Bologna.     Ferrara.     Italienische  Gedichte.  —    Venedig.         293 

junge  Poeten  nie  genug  zu  singen  wissen,  wird  von  Milton's 
ernster  Muse  sehr  stiefmütterlich  liehandelt.  Selbst  wo  er 
gesteht  vom  unentrinnbaren  Pfeil  getroffen  zu  sein,  kommt  es 
niemals  zur  rtieklialtlosen  Aeusserung  eines  tiberwallenden, 
sinnlichen  Empfindens.  In  diesem  Puukt  hat  der  Puritaner 
dem  Poeten  entschieden  geschadet.  Diese  italienischen  Strophen 
sind  indess  Liebes-Gedichte  reinsten  Wassers,  mitunter  nur 
der  Abklatsch  der  konventionellen  erotischen  Phraseologie, 
meistens  aber  der  unverkennbare  Ausdruck  wahrer  Leiden- 
schaft. Und  es  ist  nicht  mehr  die  zartere  Schönheit  des 
Nordens,  welche  der  Dichter  preist:  Blonde  Locken,  „Amors 
goldenes  Netz",  und  der  rosige  Hauch  weicher  Wange.  Ein 
anderes  Schönheitsideal  ist  ihm  |im  Süden  aufgegangen:  Stolze 
Gestalt,  dunkle  Brauen  und  feurige  Augen.  Verlorene  Mühe, 
dem  Modell  dieses  südlichen  Schönheitslüldes  nachzuspüren, 
wenn  anders  die  sechs  Gedichte  überhaupt  auf  eines  allein 
abzielen.  Ganz  willkürlich  sind  sie  sämmtlich  auf  Leonora 
Baroni  bezogen,  weil  im  ersten  und  dritten  Sonett  von  dem 
lierrlichen  Gesang  der  Schönen  die  Rede  ist.  Bemerkens- 
werther ist,  dass  gleichfalls  in  dem  ersten  Sonett  der  Schau- 
platz an  den  „Ueno"  verlegt  wird,  einen  Strom,  den  Unkun- 
dige mit  unserm  Rhein  verwechselt  haben,  unter  dem  aber 
vielmehr  der  FIuss  in  der  Nähe  von  Bologna  gemeint  ist. 
Eben  dies  hat  uns  berechtigt,  jene  italienischen  Gedichte  an 
dieser  Stelle  zu  erwähnen  (^;.  —  Das  nächste  Ziel  nach  Bologna 
und  Ferrara  war  Venedig.  Die  Lagunen-Stadt  mit  allem, 
was  sie  Grossartiges  in  sich  barg,  fesselte  den  Wanderer  einen 
]Monat(^).  Noch  ein  Mal  trat  ihm  das  bunte,  rauschende 
Leben  der  südlichen  Gross-Stadt  entgegen,  und  noch  viele 
Jahre  nachher  spricht  er  von  dem  Lärmen  der  Gaukler,  Quack- 
salber, Salben  verkauf  er  und  Marktschreier,  die  dort  ihre 
wohlduftende  und  heilkräftige  Waare  anpriesen.  Hier  in 
Venedig  schiffte  er  auch  die  Schätze  ein,  die  er  während  der 
Reise  gesammelt  hatte.  Er  selbst  erwälmt  nur  Bücher,  sein 
Neffe  Phillips,  der  die  Gegenstände  oft  genug  wird  gesehn 
haben,  spricht  auch  von  „einem  oder  zwei  Kistchen  auser- 
lesener Musikwerke  dei-  besten  italienischen  Meistei-,    die  da- 


294  Genf.    G.  Diodati. 

iiials  blühten,  Luca  Mareuzo  (Marenza,  Marenzio),  Monte 
Verde,  Horatio  Vecclii,  Cifa  (Cifra),  Fürst  von  Venosa  und 
anderer (^).'-  Auch  die  Gastgeschenke,  die  ihn  in  der  Heimat 
an  die  fernen  Freunde  erinnern  sollten,  werden  einen  Theil 
der  Fracht  ausgemacht  haben.  Mit  leichtem  Gepäck  konnte 
er  weiter  reisen.  Verona  und  Mailand  hielten  ihn  nur  kurze 
Zeit  auf,  dann  gieng  es  den  Alpen  entgegen;  ein  letzter  Rück- 
blick auf  das  unvergessliche  Land,  und  der  Saumpfad  über 
den  grossen  St.  Bernhard  entführte  ihn  unwiderruflich  seinen 
gesegneten  Marken. 

Milton  wollte  an  der  Königin  des  Leman  nicht  vorbeigehn. 
Die  Stadt  Genf  war  ihm  nicht  bloss  wie  jedem  englischen 
Puritaner  die  ehrwürdige  Burg  Gottes,  auf  deren  Zinnen  das 
Banner  Calvin's  entfaltet  worden  war,  aus  deren  Thoreu  Jahr 
für  Jahr  gelehrte  und  muthige  Streiter  für  die  reine  Lehre  in 
alle  Lande  auszogen.  Er  hatte  noch  einen  besonderen  Grund, 
für  kurze  Zeit  in  ihr  einzukehren.  Hier  lebte  und  wirkte 
als  ein  treuer  Diener  der  Kirche  neben  den  Spanheim,  Tron- 
chin,  Le  Clerc  der  berühmte  Giovanni  Diodati,  dessen  Name 
]\Iilton  seit  frühester  Jugend  vertraut  sein  musste,  der  bei 
vomb ergehendem  Aufenthalt  in  England  (1627)  ihm  vielleicht 
persönlich  bekannt  geworden  war(2j.  Er  war  der  Onkel  seines 
Jugendfreundes  Karl  Diodati,  genau  bekannt  mit  Wotton,  auf 
dessen  Antrieb  er  nach  Venedig  gekommen  war,  um  sich  der 
lieform-Arl)eiten  eines  Paolo  Sarpi  und  anderer  Venetiauer 
anzunehmen,  deren  Kampf  gegen  Jesuitismus  und  Pabst- 
thum  zeitweilig  die  kühnsten  Hoffnungen  in  protestantischen 
Herzen  erweckt  hatte.  Seine  Bemühungen  für  die  Sache 
seiner  Glaubensgenossen  in  Italien  und  Frankreich,  seine 
Theilnahme  an  der  Dordrechter  Synode,  seine  italienische 
Bibel-Uebersetzung,  eine  stattliche  Anzahl  theologischer  Ar- 
beiten, endlich  seine  i)raktisclie  Wirksamkeit  als  Lehrer  und 
Prediger  in  seiner  Vaterstadt (•')  hatten  seinen  Namen  zu 
einem  dei-  ei'sten  in  der  reformirten  Welt  gemacht.  Was 
Wunder,  dass  Milton  sich  sehnte,  naclidem  ihn  die  „Weih- 
raucli-geschwängerte  katliolische  Atmosphäre  Italiens"  so  lange 
umfangen  liatte,    hier  in  vollen  Zügen   die  schaife    und  reine 


Genf.    G.  Diodati.  295 

Luft  des  Calviuismus  zu  atlimen !  Er  war  ein  täglicher  Gast  des 
angesehenen  Theologen  in  derselben  Villa  am  östlichen  Ufer  des 
Sees,  die  schon  so  manchen  seiner  Landsleute,  wie  John  Cook,  Isaak 
Wake  beherbergt  hatte  und  welche  in  unserm  Jahrhundert  einen 
zweiten  grossen  Dichter  von  jenseits  des  Kanals  in  ihre  INIauern 
aufnahm:  Lord  Byron  (^).  Unzweifelhaft  lernte  er  durch  Diodati's 
Vermittlung  einige  der  gelehrten  Grössen  von  Genf  kennen. 
Das  kleine  Gemeinwesen,  welches  trotz  seiner  Kleinheit  eine 
europäische  ]\Iacht  war,  forderte  seine  Bewunderung  heraus. 
Jahre  nachher  rühmt  er,  wie  es  sich  in  engen  Grenzen,  zwischen 
mächtige  Nachbarn  eing'ekeilt,  durch  kluge  und  energische 
Politik  auszeichne,  Frieden  und  Freiheit  bewahre  und  seinen 
Bürgern  mit  mehr  Erfolg  gewähre,  was  kaum  die  reichsten 
und  mächtigsten  Könige  ihren  Unterthanen  zu  bieten  im 
Stande  seien (^).  —  Auch  ein  charakteristisches  Zeichen  von  der 
Hand  des  ernsten  Dichters  ist  uns  aufliewahrt,  welches  er  in 
der  ernsten  Stadt  Calvin's  zurückliess.  Man  kennt  das  Album 
eines  neapolitanischen  Edelmannes,  des  Camillus  Cardonius  (Car- 
douin,  Cerdogni),  der  seit  1608  mit  seiner  Familie  in  Genf 
lebte  und  Engländern  daselljst  Sprachunterricht  ertheilte. 
Dje  Familie  gehörte  vermuthlich  der  Gemeinde  reformirter 
Flüchtlinge  an,  und  es  war  leicht  durch  Diodati  mit  ihr  be- 
kannt zu  werden.  Viele  Engländer  und  Schotten  (z.  B.  Walter 
Strickland,  John  Cook,  George  Thomason,  John  Junius  „a 
Scotch  Scholar")  treten  in  diesem  Album  mit  Gedenkzeilen 
auf.  Kein  Geringerer  als  Thomas  Wentworth  (z.  J.  1612) 
erscheint  darunter.  Für  1639  nennen  sich  z.  B.  Richard 
d'Ewes,  Edw.  Ayscough  und  zum  eilften  Juni  1639  ein  ge- 
wisser Daniel  Boughton.  Am  Tage  vorher  hatte  sich  Milton 
in  folgender  Weise  mit  Benutzung  der  Schlussverse  seines 
Comus  eingezeichnet : 

—  if  Vertue  feeble  were 

Heaven  itselfe  would  stoope  to  her. 

Coelum  non  animum  muto  dum  trans  mare  curro. 

Junii  10.  1639.  Joannes  ^liltonius  Anglus(3). 

Es  war  gleichsam    der  Scheidegruss,   den  er  der  Fremde 

zurief.    Denn  von  Genf   führte    ihn    der  Weg    wieder   durch 


296  Heimkehr. 

Frankreich  an  densel1)en  Stätten  vorliei.  die  er  schon  das 
Jahr  vorher  berührt  hatte,  bis  er  die  Meereskiiste  erreichte, 
von  wo  ihn  das  Schiff  zum  heimatlichen  Boden  hinübertrug. 
Etwa  x\nfang  August  1639  betrat  er  ihn  wieder,  ungefähr 
fünfzehn  Monate  hatte  er  im  Auslande  verweilt  (i). 

Die  Zeit  der  Wanderjahre  Avar  vorülier.  Sie  war  für 
Milton  von  unschätzliarer  Bedeutung.  Für  einen  von  Haus 
aus  so  strengen  und  keuschen  Geist  war  die  Bekanntschaft 
mit  der  üjjpigen  Farl)engluth  und  Formenfülle  des  Südens 
doppelt  wünschenswerth ;  der  Dichter  konnte  nur  durch  sie 
gewinnen.  Wohl  hatte  die  glänzende  Aussenseite  dieser 
italienischen  Kultur  sein  scharfes  Auge  ül)er  ihren  inneren 
Verfall  nicht  getäuscht.  Er  hatte  die  Weisen  des  Landes 
klagen  hören  über  die  „Sklavenketten,  die  dem  Geiste  ange- 
legt seien",  sie  hatten  ihm  gestanden,  dass  „während  vieler 
Jahre  in  ihi-em  Lande  nichts  geschrieben  sei  als  Süsslichkeit 
und  Schwulst'%  sie  hatten  ihn  glücklich  gepriesen,  ,,dass  er 
in  einem  Lande  der  Gedankenfreiheit  geboren  worden  (in 
such  a  place  of  philosophic  freedom,  as  they  supposd"  England 
was).  Und  das  erhob  ihn  und  Hess  ihn  die  rein  ästhetische 
Seite  der  Bildung  nicht  überschätzen.  ,, Obwohl  ich  wusste, 
dass  England  gerade  damals  unter  dem  Joche  der  Prälaten 
am  schmerzlichsten  seufzte,  nahm  ich  doch  den  Glauben 
anderer  Vidker  an  seine  Freiheit  füi"  ein  Tfand  künftigen 
Glückes (2)".  A])er  freilich  ohne  Kampf  konnte  dies  Glück 
nicht  errungen  werden ,  und  der  Kämi)fer  musste  reinen 
Herzens  sein,  wenn  er  sich  mit  dem  Glauben  an  den  Sieg 
seiner  Sache  durchdringen  wollte.  Auch  dieser  Stolz  auf  die 
innere  Lauterkeit  war  ihm  während  der  Wanderzeit  nicht 
verloren  gegangen:  „Ich  rufe  (iott  zum  Zeugen  an,  dass  ich 
an  all'  jenen  Orten,  wo  so  manches  erlaubt  ist,  rein  und 
imbefleckt  von  Schmach  und  Schande  gelebt  liabe,  niemals 
von  dem  Gedanken  verlassen,  dass  ich  wohl  vor  den  Augen 
der  Menschen,  aber  nie  vor  den  Augen  Gottes  mich  l)ergen 
k()nne('')." 

Von  diesem  Gefühl  getragen  begann  er  eine  neue  Epoche. 


Anmerkungen  und  Anhänge. 


Hcäiifig  gebrauchte  Abkürzungen. 


P.  IV.  =:  Tlie  Poetical  Works  of  Jolin  Miltoii.   Ed.  witli  Introductioii,  Notes  and  an  Essay  on 

llilton's  Englisli  by  David  Massen.    3  Yols.    London,  Macniillan  and  Co.     1874. 
W.  =  The  Works  of  John  Milton  in  Verse   and  Prose   pr.  from  the  original  editions  with  a 

Life  of  the  author  hy  the  Kev.  John  Mitford.    8  Vols.    Bickers  and  Son,  London  and 

Eton.    1867.    (Facsimile  der  Ausg.  v.  Pickering,  1851.) 
Aobrey  =  A.  (Collections  for  the  Life  of  Milton)  s.  Anhang  I. 

Wood  =  W.  Athenae  et  Fasti  Oxonienses.   Ed.  1721  (Leider  liegt  mir  die  Ed.  Bliss  nicht  vor). 
Phillips  =:  P.  Life  of  Milton  (Zuerst  vor  Milton's  „Letters  of  State"  169-1),   abgedruckt,   wie 

auch   Auhrey,   hei   W.    Godwin:   Lives    of  Edward   and   John    Philips,   nephews  and 

pupils  of  Milton  etc.    London,  1815.    App.  II. 
Todd  =  T.  Sonie  Account  of  the  Life  and  Writings  of  John  Milton ,  letzte  Auflage  1826  in  s. 

Ausgabe  der  '„Poetical  Works  of  Milton". 
Keightley  =  K.  An  Account  of  the  Life,  Opinions  and  Writings  of  J.  Milton.    London,  1855. 
Slassou  =  M.    The  Life  of  John  Milton  narrated  in  connexion  vfith  the  Political,  Ecclesiasti- 

cal  and  Literary  History  of  his  Time,  bis  jetzt  3  Vols.    1859—73.    London,   Macniillan 

and  Co. 
Llebert  =  L.  Milton.  Studien  zur  Geschichte  des  englischen  Geistes.   Hamburg,  Meissner.  1860. 
Huuter  =  H.  Milton.    A  Sheaf  of  Gleanings  after  his  Biographers   and  Annotators.    London. 

J.  Kussell  Smith.    1850. 
Slarsh  =  J.    Fitchett    M.    Papers   connected    with   the    affairs  of   Milton   and    his    family 

(Chetham -Society  1851). 
Hamilton  =  W.  Douglas  H.     Original  Papers   illustrative   of  the  Life  and   Writings  of  J. 

Milton  (Camden-Society  1859). 
Sotlieby  =  Samuel  Leigh   S.  Ramblings   in   the   Elucidation    of  the  Autograph    of   Milton. 

London,  1861. 
Br.  M.  =  British  Museum. 
C.  S.  P.  ^  Calendar  of  State  Papers. 
C.  J.  und  L.  .1.  =  Commons'  Journals  und  Lords'  J. 


Anmerkungen. 


Einleitung. 

Seite 

11  i)Gneist:   Das    Englische   Vervvaltungsrecht  (2.   Aufl.   1867)  I.  533, 
Gesch.  d.  Selfgovernment  (2.  Aufl.  1863)  I.  255. 

13  ^)  John  Langton  Sanford:  Studies  and  illustrations  of  the  great 

rebellion,  1858,  p.  34. 

Erstes  Kapitel. 

14  1)  Defensio  secimda.    W.  VI.   286.     Aubrey.    Phillips.     (Er  ver- 

wechselt offenbar  das  Milton  hei  Abingdon  in  der  Grafschaft  Berks 
mit  dem  Milton  in  Oxfordshire,  auf  das  er  abzielt.)  Wood 
(Fasti  I.  262).  Vgl.  Burmanni  Sylloges  epistolarmn  a  viris 
illustribus  scriptarum  (Leidae  1727)  T.  III.  603,  N.  Heinsius  an 
J.  Vossius  1651  15.  Kai.  Junii  „Ludovicus  Elzevirus  adfii-mat 
certo  sibi  constare,  hominem  (Milton)  esse  et  nobili  loco  natiun 
et  opulentiun"  etc.  ähnlich  276,  dagegen  618,  Vossius  an  Heinsius 
8.  Juli  1651  „non  quidem  nobili,  sed  tarnen  generosa,  ut  ipsi 
loquuntur ,   ortum   stirpe"  (mit  Berufung  auf  seinen  Oheim  Junius ) 

15  ^)Masson:  I.  6.    Hunter:   6  ff. 

-)  Die  beiden  Testamente,  datirt  v.  21.  Nov.  1558  und  9.  März 
1560—61 ,  eröffnet  im  März  1559  und  14.  Jan.  1560—62  sind  auf- 
gefunden von  Massen  (s.  I.  15,  16)  in  Oxford,  Bishop's  Kegistry. 
„Piowland  Milton"  ist  vielleicht  identisch  mit  dem  bei  Hunt  er  4 
erwähnten.  Zweifelhaft  bleibt,  obTdie  in  Agnes'  Testament  genannte 
„daughter"   Richard   Milton's   Frau  Jbezeichnen  soll. 

16  ^)  Hunt  er  2,  vgl.  Burn:  Eccles.  Law,  Ed.  Phillimore  III.  408.    Die 

1859  von  Mr.  Hyde  Clarke  gemachte  Entdeckung  (s.  u.)  stellt 
ausser  'Zweifel,  was  ziu'  Zeit,  als  Hunter  und  Masson  schrieben, 
noch  nicht  ganz  feststand,  dass  des  Dichters  Grossvater  Richard 
Milton  geheissen  und  in  Stanton  St.  John's  gewohnt  habe.  Die 
Lage  dieses  Dorfes  entspricht  auch  den  Worten  bei  Aubrey  im 
Stammbaum,  möglich  immerhin,  dass  zeitweise  Holton  (Haiton) 
der  Wohnsitz  des  Richard  M.  gewesen  ist. 


300  Anmerkungen. 

Seite 

17  i)Aubrey,  Wood,  Phillips. 

2)  Athenäum,  Nr.  1638  (1859  March  19)  p.  390;  vgl.  daselbst  die 
Bemerkungen  Mr.  Hyde  Clarke's,  des  Entdeckers. 

^)  Danach  wäre  der  ältere  John  Milton  1578  oder  1579  geboren  und 
hätte,  da  das  Datum  seines  Todes  feststeht  (1647),  ein  Alter  von 
68  oder  69  Jahren  erreicht,  was  allerdings  mit  Aubrey's  Angabe 
nicht  stimmen  würde,  dass  er  zu  84  Jahren  ohne  Brille  gelesen 
habe.    Vgl.  Athenäum  a.  a.  0. 

*)  Das  erste  Kind  („a  chrisora  child"  d.  h.  welches  vor  der  Taufe 
starb)  ward  am  12.  Mai  1601  begraben.     Masson  I.  27. 

18  ^)  Aubrey.    Man  darf  vermuthen  ,  dass  das  Haus  zum  „Spread-Eagle" 

unter  dem  „  n  e  w  s  h  o  p  of  John  Milton,  scrivener  in  Bread  Street, 
London"  verstanden  ist,  welcher  in  einem  von  Hunt  er  entdeckten 
Dokument  (Br.  M.  Landsdowne  Mss.  241  f.  58  in  Kopie)  erwähnt 
wird;  s.  Hunter  10,  Masson  I.  1,  2.  Masson  verweist  a.  a.  0. 
auf  ein  zweites  an  gleicher  Stelle  f.  363  befindliches  Dokument, 
das,  aus  dem  Bureau  des  alten  Milton  hervorgegangen,  von  Hunter 
übersehen  worden  ist.  Die  Gefälligkeit  des  H.  E.  Maunde  Thompson 
setzt  mich  in  Stand  noch  ein  drittes  Aktenstück  der  Art,  und  zwar 
im  Original,  nachzuweisen.  Es  befindet  sich  gleichfalls  im  Br.  M. 
Harl.  Charter  112.  D.  19.  Es  ist  ein  Schuldschein,  durch  den  sich 
Thomas  Shelley  von  Worminghurst,  John  Alford  von  Affington  und 
Sir  Henry  Gering  von  Burton  co.  Sussex  verpflichten,  der  Schnei- 
derin Anna  Stone  von  London  210  £.  zu  zahlen,  zahlbar  „at  the 
nowe  dwelling  house  of  John  Milton,  Scrivener,  in  Bread  streete 
in  London.  Dat.  2.  Dec.  1615.  Signed  in  the  presence  of  William 
Bolde  servant  of  John  Milton." 
*)  S.  d.  Abbildung  in  Stow:  The  Survey  of  London  etc.  Ausgabe 
von  1633,  p.  638,  ferner  bei  R.  Seymour:  A  Surveye  of  the 
cities  of  London  and  Westminster  1735,  II.  p.  386.  „Their  Arms 
are:  Azure,  an  Eagle  with  Wings  expanded,  holding 
in  his  Mouth  a  Penner  and  Jnkhorn,   Standing  on  a  Book,  al  Or." 

^)  Jetzt  in  einem  der  Schaukasten  des  B  r.  M.  s.  ein  Facsimile  in 
Mitfords  Ausg.  v.  M.  Werken  I.  CLXXXIX  und  P.  W.  I.  4,  vgl. 
den  heraldischen  Eintrag  in  Add.  Ms.  Br.  M.  12225  f.  162  „Mylton: 
Argent  a  doubleheaded  eagle,  displayed  gules,  beaked  and  mem- 
bered  azure."  Masson  1.  4;  über  ein  etwas  abweichendes  Silber- 
Petschaft,  dessen  Geschichte  bis  auf  Deborah,  des  Dichters  jüngste 
Tochter,  zurückzuvcrfolgen  ist,  s.  Marsh:  (Chetham  S  ociety 
Vol.  XXIV  ]).  21)  und  Masson  I.  3,  dessen  Entscheidung  der  sich 
hieran  knüpfenden  Streitfrage  gewiss  zu  billigen  ist. 

■*)  Extract  from  the  Kegister  of  Allhallows,  Breadstreet  bei  Todd  I.  1. 

19  ')  S.  die  Daten  vorzüglich  aus  den  Registern  von  AlILallows  bei  Masson 

I.  27.  22,  vgl.  den  Anhang  über  die  Genealogie  von  Milton's  Mutter. 


Erstes  Kapitel.  301 

Seite 

19  -)  Aubrey.   Defeusio  secunda  W."_,V1.  2ö6  „probatissima  et  eleemosynis 

per  viciniam  potissimum  nota  " 

^)  lieber  Stocke:  Wood:  Fasti  I.  150,  seine  Grabscbrift  in  Sey- 
mour:  Survey  of  the  Cities  of  London  and  Westniinster  1733,  S.  708. 
Einige  Briete  von  Gataker's  Hand  im  Beruer  Staats- Archiv 
(Conv.  Archiv  VIII,  Epit.  bist,  et  epist.  viror.  claror.) 

*)  Diese  Biographien  in  lexikographischer  Form  befinden  sich  unter 
den  Mss.  Wo  od 's  in  der  Bodleiana,  Nr.  8564  des  Katalogs,  der 
Band  selbst  bezeichnet:  Wood.  19.  D.  S.  133:  „Milton  Jobn  a  musi- 
tian  living  in  the  reigne  of  Elizab.  and  K.  Jam.  wea  have  some  of 
his  compositions  in  the  publick  musick  school  at  Oxon.  but  whether 
he  hath  any  extant  I  cannot  teil." 

20  ')  Todd  VI.  336,  Hunter  11. 

^)  Vielleicht  Moritz  von  H. -Kassel,,  vgl.  Cohn:  Shakespeare  in 
Germany,  1865,  Reg.  Eine  Verwechselung  beider  Nachrichten  er- 
scheint mir  immerhin  möglich.  Aubrey  spricht  von  dem  ersten 
Fall  und  von  einem  „song  of  fourscore  parts",  Phillips  nach 
Hörensagen  von  dem  zweiten  und  von  einem  „In  Nomine  of  forty 
parts.'' 

8)  Silvarum  L.  Ad  Patrem,  56—60  P.  W.  III.  79,  vgl.  Aubrey 
(dessen  Worte  „he  had  an  organ"  etc.  ich  freilich  auf  d.  Dichter 
beziehe),  Phillips. 

21  1)  On  Education  (W.  IV.  391)  s.  u.    B.  H.  K.  6. 

2)  At  a  Solemn  Musick,  P.  W.  IL  412.  L'AUegro  v."  135.  Par.  L.  1. 
V.  549  ff.  Wood  sagt,  dass  er  in  der  Musik  „became  excellent 
and  by  the  help  of  his  Mathematics  could  compose  a  Song  or 
Lesson  .  .  He  had  a  delicate  tuneable  voice,  an  excellent  ear,  could 
play  on  the  Organ  and  beare  part  in  vocal  and  instrumental  Music." 

"jAd  Pati-em  Silvar.  L.  VJ.  335. 

*)  Dies  Sonett  zuerst  erwähnt  bei  Todd  I.  4,  abgedruckt,  wenn 
auch  modernisirt  bei  Hunter  12,  Masson  I.  43,  befindet  sich 
unter  der  Ueberschrift :  „Johannes  Melton  Londinensis  civis,  amico 
suo  viatico  in  Poesis  Laudem  S.  D.  P."  auf  Fol.  2^.  des  Ms. 
„The  corrected  historie  of  Sir  Gwy,  Earle  of  Warwick,  surnamed 
the  Heremite,  begun  by  Don  Lidgate,  monck  of  St.  Edraundes 
Berye;  but  now  dilligentlie  exquired  from  all  Antiquitie  by  John 
Lane  1621."  (Br.  M.  Hart.  Mss.  5243,  nicht  6243,  wie  bei  Hunter 
steht.)  Vermuthlich  ist,  was  wir  in  Harl.  Ms.  5243  vor  uns  sehen, 
die  Kopie  eines  Clerk,  den  Lane  vielleicht  in  dem  Bureau  seines 
Freundes  Milton,  des  Notars,  am  leichtesten  fand.  Das  Ganze  ist 
von  derselben  Hand  geschrieben,  mit  Korrekturen  von  einer  anderen, 
möglicherweise  der  des  Autors,  durchzogen,  vgl.  die  Bemerkungen 
von  Zupitza:  Zur  Literaturgeschichte  des  Guy  von  Warwick  in 
d.  Sitzungsberichten  der  Wiener  Ak.     1873.    Bd.  74,  p.  645. 


302  Anmerkungen. 

Seite 

21  s)  Hunter  a.  a.  0.  Masson  I.  42. 

22  ^j  E.   Phillips:   Theatrum    Poetarum  Anglicar.orum,    first  publ.    in 

1675  and  now  enlarged  by  additions  etc.  1800,  p.  818.  Er  nennt 
ilin  „a  fine  old  Queen  Elizabetli's  gentleman". 

2)  Masson  I.  43. 

^)  Dunster:  Considerations  [ou  Milton's  early  reading  etc.  1800, 
S.  7,  55,  230. 

*)  S.  0.  S.  18,  Anm.  1;  ferner  W.  DouglasHamilton45. 
28  ^)  Stow:  Survey  of  London  1599  (verglichen  mit  der  Ausgabe  von 
1633  imd  mit  der  Ausgabe  von  John  Strype  1720)  S.  279  ff. 
Leider  stand  mir  für  die  folgende  Schilderung  die  Ausgabe  Stow's 
von  1603  und  Cunningham's  Handbook  of  London  nicht  zu 
Gebote,  nützlich  war  mir  Pauli:  London  im  Mittelalter,  in  den 
Bildern  aus  Alt-England,  2.  A.,  1876,  obwohl  sich  der  Essay  auf 
eine  frühere  Epoche  bezieht,  und  vorzüglich  W.  B.  Eye:  England 
as  Seen  by  foreigners  in  the  days  of  Elizabeth  and  James  L  1865, 
woselbst  Eichel,  Hentzner  etc.  herangezogen  werden,  vgl.  Vatke: 
Ein  Gang  durch  London  z.  Zeit  Jakobs  I.    (Im  neuen  Reich  1878.) 

24  ^)  S.  die  im  Folgenden  noch  mehrfach  benutzten  „Reisen  des  Samuel 

Eichel  von  Ulm",  herausgegeben  von  Ha  ssler  in  der  Bibliothek 
des  Literarischen  Vereins  in  Stuttgart  1866,  Nr.  86.  Eichel  berichtet 
vom  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  in  naiver  Treue.  Nach 
Cunningham's  Angabe  (Masson  I.  29)  rechnete  man  1603  die 
Einwohnerzahl  von  Ijondon  auf  150,000,  nach  Correr's  Relation 
um  1610  (Rye  272)  auf  300,000. 

25  ijEichel's  Reisen  S.  24. 

26  »)  Eichel's  Reisen  S.  28. 

2)  Eichel:  „Ittem  es  gübt  auch  ballheüser,  werden  auch  täglichen 
commedien  gehalten,  sonderlichen  lustig  zuzusehn,  wann  der  königin 
comedianten  (er  war  zur  Zeit  Elisabeth's  dort)  agiren,  aber 
einem  frembden,  der  düe  sprach  nicht  kan,  verdrüslich,  das  ers 
nicht  verstöth"  etc.  eine  für  die  Geschichte  des  englischen  Bühnen- 
Wesens  nicht  uninteressante  Stelle.  Vgl.  im  ganzen  bei  Strype  das 
Eapitel:  „Sports  and  Pastimes". 

27  ')  The    Art    of  living   in   London    OR  A   Caution   how    Gentlemen, 

Countreymen  and  Strangers,  drawn  by  occasion  of  businesse,  should 
dispose  of  themselves  in  the  thriftiest  way,  not  onely  in  the  Citie, 
but  in  all  other  populous  places.  As  Also  A  direction  to  the 
poorer  sort  that  come  thither  |to  seeke  their  Fortunes.  By  H. 
P(echam)  Printed  for  John  Gylcs  and  are  to  be  sold  by  Samuel 
Rand,  at  his  shop  at  Barnards  June  in  Jlolborne.  1<)42.  4  151.  4". 
Br.  M.  E.  145J20. 
2)  The  Reason  of  Church  Government  (W.  III.  144.)  Vgl.  Defensio 
secunda,  W.  VL  286  i.  f. 


Erstes  Kapitel.  303 

Seite 

27  ^)  S.  früher   Zerstreutes    über   T.    Young    nunmehr  zusammengestellt 

in  David  Laing:  Biographical  Notices  of  Thomas  Young.  S.  T.  D. 
Vicar  of  Stowmarket  Suffolk.     Edinburgh  1870. 

28  ')  „who  cutt  his  haire  short". 

2)  S,  die  Nachbildung  durch  Photo-Zinkographie  vor   dem   Werkchen 
von  Laing,  daselbst  S.  18|Nachrichten  über  die  Geschichte  des  Bildes. 
3)Masson  I.  .51,  Laing  a.  a.  0.  S.  15,  Anm.  1. 

29  *)  S.   d.   Gesch.   d.   Bildes ,  jetzt  im  Besitze  von  E.  Disney,  Esq.   of 

the  Hyde,  b.  J.  F.  Marsh:  On  the  engraved  portraits  and  pretended 
portraits  of  Milton  i.  d.  Transactions  of  the  bist.  soc.  of  Lancashire 
and  Cheshire  XIL  (1860),  144,  daselbst  S.  136  einen  Stich  und  einen 
anderen  vortrefflichen  von  E.  Eadclyfte,  bei  Mass  on  1.  nach  einer 
vom  Original  genommenen  Photographie. 
2)  Lappenberg:  Th.  Y^oung  Capellan  der  Court  der  Merchant- 
Adventurers  zu  Hamburg  in  d.  Ztschr.  des  Vereins  f.  Hamb.  Gesch. 
I,  309 — 313,  IL  649—651.  Weitere  Nachforschungen,  die  mein 
Freund  Dr.  Koppmann  die  Güte  hatte  anzustellen,  blieben  erfolglos. 
Lappenberg  setzt  sonderbarer  Weise  die  4.  Elegie  Milton's  in's 
Jahr  1620,  indem  er  1603  f  d.  Geburtsjahr  des  Dichters  hält  und 
knüpft  daran  irrige  Folgerungen  betreffend  den  Sinn  der  Verse 
71—74. 

30  *)  Die  Datirung    dieser   Elegie,   zusammengehalten    mit  Ep.  fam.   1., 

macht  ausserordentliche  Schwierigkeiten.  Der  Versuch,,  diese  da- 
durch zu  lösen,  dass  man  einen  vorübergehenden  Aufenthalt 
Y''oung's  in  jEngland  Anfang  1625  annimmt,  wie  ihn  Masson  P. 
W.  III.  494  ff.  gemacht  hat,  scheint  mir  überkünstlich.  Auch  aus 
anderen  Gründen,  die  |ich  in  Gott.  Gel.  Anz.  1875,  842 — 844, 
auseinandergesetzt  habe,  glaube  ich  annehmen  zu  dürfen,  dass 
Milton  sich  (wie  im  Falle  von  Silvarum  Nr.  1)  in  der  Datirung  des 
Gedichtes  geiiTt  hat,  und  dass  sie  „Anno  aetatis  16"  lauten  sollte.  — 
Man  möchte  glauben,  dass  Y'oung's  Unterricht  auf  die  Bildung 
von  Milton's  Handschrift  eingewirkt  habe,  wenn  man  die  Probe  von 
Y"oung's  Handschr.  (b.  Laing  24)  mit  dem  cambridger  Ms. 
vergleicht. 
2)  Die  ausführlichsten  Nachrichten  über  diese  Schule  finden  sich  zu- 
sammengestellt bei  Stojw  ed.  Strype,  1720,  L  163—169,  vgl.  über 
Colet:  Wood  Ath.  Ox.  I.  11,  Weber:  Geschichte  der  akatholischen 
Kirchen  und  Secten  von  Grossbritannien.  Leipzig  1845,  I.  143  ff. 
Knight:  The  Life  of  Colet  1823  und  Seeboh.m:  The  Oxford 
Reformers  1867  liegen  mir  nicht  vor. 

31  »)  S.    dies   ürtheil   über    AI.    Gill    sen.    (geb.    27.    Febr.  1564,  gest. 

17.  Nov.  1635)  bei  Wood  Ath.  Ox.  I.  602.  Daselbst  eine  Auf- 
zählung der  Werke  Gill's  u.  a.  Logonomia  ;Anglica,  Qua  Gentis 
sermo  facilius  addiscitur,   von    der    mir    die    zweite    Auflage    von 


304  Anmerkungen. 

Seite 

1621    vorliegt    (London,    Excudit    Johannes  Beale) ,  vgl.    Strype 
a.  a.  0.  S.  168. 

32  ^)  In  der  Bodleiana    unter    den  Mss.   Aubrey's  befindet  sich  in 

demselben  Baude,  der  die  Lebensbeschreibung  Milton's  enthält, 
S.  28  die  Biograj^hie  des  Dr.  Thomas  Triplett  (s.  über  ihn  Wood 
Fasti  IL  145).  Von  [diesem  heisst  es:  „He  went  to  school  to 
Dr.  Gill  as  appeares  by  his  Ballad,  which  will  last  longer  than  auy 
Sermon  that  ever  he  made  .  .  Our  common  friend  George  Ent  went 
to  school  to  him  who  told  me  that  he  had  forgot  the  smart  of 
his  cid  master  Gill."  Am  Rande:  „Dr.  .  .  Gill  (the  father)  was  a  very 
ingeniöse  person,  as  may  appeare  by  his  writings:  notwithstanding  he 
had  moodes  and  humours  as  particularly  his  whipping  fitt"  .  .  . 
S.  29  folgt  die  Ballade,  deren  Ton  so  derb  ist,  dass  ich  nur  die 
Anfangsverse  hierher  setzen  will :  In  Paul's  churchyard  in  London  | 
There  dwells  a  noble  Firker  |  Take  Iheed  ye  that  pass  |  Lest  you 
tast  of  his  Lash  etc.  Am  Rande  steht  unter  anderem :  „Dr.  Triplet 
came  to  give  his  master  a  visit  and  he  whipt  him."  Ebenda  steht 
ein  Gedicht  auf  Gill,  den  Sohn,  worüber  u.  K.  2. 
^)  Das  im  Text  Gegebene  stützt  sich  auf  Wood  Ath.  Ox.  II.  22  (da- 
selbst eine  Liste  der  gedruckten  Werke  des  AI.  Gill  jun.,  unter 
denen  die  nansoyu  sive  poetici  conatus  etc.,  London  1632,  hervor- 
ragen, und  derer,  die  Wood  im  Ms.  gekannt  hat).  Strype  a.  a.  0. 
S.  168.  Die  im  Staatsarchiv  aufgefundenen  Gedichte  sind  ab- 
gedruckt bei  W^  D.  Hamilton  65  if. ,  über  den  Streit  der 
Gills  mit  Ben  Jonson  s.  Kap.  4. 

33  ^)  Grundlage   der  Nachrichten  über  Diodati's  Familie  und  ihn  selbst 

ist  das  bei  Todd  VI.  171,  359,  ;H'amilton  45,  Masson  II.  81, 
P.  W.  z.  d.  betr.  Gedichten  und  Preface,  T.  W.  Jones:  Life  of 
W.  Bedell  (Camden  -  Society  1872),  S.  141,  142  Zusammengestellte. 
Die  wichtigsten  Quellen  über  das  Verhältnis  Milton's  zu  Karl 
Diodati  bilden  die  folgenden  auf  diesen  bezüglichen  Erzeugnisse 
des  Dichters :  Eleg.  I,  VI,  Epitaphium  Damonis  im  'Silvarum  Liber, 
das  4.  italienische  Sonett,  Epist.  famil.  Nr.  6,  7.  „Lepidum  sodalem" 
nennt  ihn  Miltön  Eleg.  I.,  7.  Vergl.  zwei  griechische  Briefe  Diodati's  • 
an  Milton,  abgedruckt  bei  Mitford:  Life  of  Milton,  vor  der  Aus- 
gabe der  Werke  I.  pp.  CX,  CHI,  CXIV. 

34  *)  „if  such  might  be  gotten",   s.  Strype  a.  a.  0.  S.  165  und  ebenda 

die  Belege  für  das  im  Text  Mitgetheilte.  Zu  Strype's  Zeiten 
kürzten  die  Lehrer,  wie  er  berichtet,  den  oben  angeführten  Spruch 
faulen  Schülern  gegenüber  der  Art  ab,  dass  sie  sagten-  „aut  flisce 
aut  discede." 

35  ')  Auch  hier   zeigt  sich  der  Verfasser  als  strenger  Kritiker,   S.  145 : 

„In  summa,  ita  lasciviunt   poetae  nostri  in  carminum  generibus,  in 


Erstes  Kapitel.  305 

Seite 

rliythmis,  et  utriusque  mixtiu'is,  ut  nihil  fere  excogitari  possit,  cujus 
exempla  apud  illos  abunde  non  reperies." 

36  ^)  Man  vergleiche :  Silvarum  Liber  Ad  Patrem  die  Verse  82 — 84,  welche 

Masson  I.  67  schon  hier  anzieht,  während  er  sie  P.  W.  III.  528 
erst  auf  die  Universitäts-Zeit  bezieht. 
2)  Defensio  secundaW.  YI.  286,  287  :  Pater  me  puerulum  —  Cantabrigiam 
misit,  vgl.  Aubrey.  Wood  sagt:  there  (nämlich  in  Cambridge) 
as  at  School  for  3  Years  before  't  was  usual  with  him  to  sit  up 
tili  midnight  at  bis  book,  which  was  the  first  thing  that  brought 
bis  eyes  into  the  danger  of  blindness.    Ygl.  Phillips. 

37  1)  The  Works  of  Abraham  Cowley  in  two  volumes,  1710,  II.,  782. 

39  1)  Geb.  1563,  gest.  1618,  s.  Wood  Athen.  Oxon.  I.  594,  E.  Phillips: 

Theatrum  Poetarum  'Anglicanoruni  (Ed.  1800),  S.  277,  Charles 
Dunster:  Considerations  on  Milton's  early  reading  and  the  sta- 
mina  of  bis  Paradise  Lost  etc.  1800,  S.  224  ff.  Eine  neue  Aus- 
gabe J.  Sylvester 's  ist  angekündigt  von  A.  B.  Grosart  fiu-  die 
„Chertsey  Worthies  Library." 
^)  S.  0.  S.  22.  Ich  wiederhole  absichtlich  die  kühnen  Yermuthungen 
nicht,  welche  Dunster  a.  a.  0.  S.  229  hier  anknüpft.  Das  vollstän- 
dige Werk  erschien  bei  Lownes  1605,  1611,  1613,  1621  mit  Sylvester's 
eigenen  Gedichten,  ebenso  1633,  1641.  Ich  benutze  die  „Oeuvi-es 
poetiques"  des  S.  du  Bartas  in  der  Ausgabe  von  1608. 

2)  P.  W.  II.  389—392,  III.  343  ff.  „A  Paraphrase  on  psalm  CXIY. 
„This  and  the  following  Psalm  were  done  by  the  Author  at  fifteen 
years  old"  (eine  von  Milton  selbst  hinzugefügte  Bemerkung). 

40  >)  Samuel    Johnson:       The    works    of  the    English    Poets    (Ed. 

Göttingen  1784)  I.    The  Life  of  Milton,  S.  5. 
*)  Man  vergleiche   die  kritische  Untersuchung   bei  Dunster  a.  a.  0. 
S.  17 — 32  und  bei  Tod  d,  woselbst  auch  War ton's  Bemerkungen 
im  Auszug  zu  finden  sind. 

3)  An  Apology  etc.     W.  III.  268. 

41  1)  Dunster  a.  a.  0.  231. 

^)  In  Camdeni  Insignia;  Oxon.  1624,  s.  Masson  I.  85. 
')  El.  YI.  V.  3  (P.  W.  III.  53).     „At  tua  quid  nostram  prolectat  Musa 
camoenam"  etc.    Ep.  fam.  W.  YII.  378. 

42  1)  Ep.  fam.  W.  YIL  370.    AI.  Gillio  Maji  20.    1628:     „Accepi  literas 

tuas  et  quae  me  mirifice  oblectavere,  carmina  vere  grandia  et 
Majestatem  vere  Poeticam,  Yirgiliumque  ubique  Ingenium  redo- 
lentia." 

2)  Ep.  fam.  5.    AI.  Gillio  Dec.  1634.    W.  YII.  373. 

3)  Ep.  fam.  3.  AI.  Gillio  Cantabrigiae  Julii  2.  1628.  W.  YIL  371. 
„Haec  quidem  Typis  donata  ad  te  misi,  utpote  quem  norim  rerum 
Poeticai'um  judicem  acerrimum  et  mearum  candidissimum"  etc. 

nPhillips. 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    LI.  20 


306  Anmerkungen. 

Seite 

43  *)  Das  Datum  ist  zu  schliessen  aus  der  Abfassungszeit  von  Milton's 
Gedicht  „On  the  Death  of  a  fair  infant"  (das  Kind  seiner  Schwester), 
welches  Gedicht  dem  Jahr  1626  angehört. 

2)  Massen  I.  81,  Anm.  1. 

3)Strype  a.  a.  0.  I.  220.  Vgl.  Seymour  a.  a.  0.  II.  386.  In 
Maitland:  The  History  of  London  (1739),  S.  610,  wird  der 
20.  Januar  als  Datum  der  Inkorporation  angegeben,  s.  auch  Mas- 
son  I.  48. 

*)  S.  f.  das  allgemein  Historische  Rawson  Gardiner:  History  of 
England  fi'om  the  accession  of  James  I.  to  the  disgrace  of  chief- 
justice  Coke,  2  Vols.  1863.  Prince  Charles  and  the  Spanish 
marriage  1617—23,  2  Vols.  1869,  A  history  of  England  under  the 
duke  of  Buckingham  and  Charles  L,  2  Vols.     1875. 

5)  P.  W.  III.  59,  60,  65—72,  s.  Kap.  2. 
46  ^)  S.   neben    Guizot  (1863)    und   Rawson    Gardin  er    vorzüglich 
J.  Goll:  Die  Französische  Heirath.     Prag  1876. 

Zweites  Kapitel. 

48  ^)  Der   folgenden   allgemeinen   Schilderung  liegen  zu   Grunde:    V.  A. 

Hub  er:  Die  Englischen  Universitäten,  2  Bde.  1839,  1840. 
Th.  Füller:  The  history  of  the  üniversity  of  Cambridge.  (Ed. 
1840.  London).  (James  Hey  wo  od):  CoUections  of  Statutes  for 
the  üniversity  and  the  Colleges  of  Cambridge.  London  1840.  The 
Autobiography  and  Correspondence  of  Sir  Simonds  d'Ewes,  ed.  J. 
0.  Halliwell,  2  Bde.,  London  1845,  daraus  als  Auszug:  College. 
Life  in  the  time  of  James  the  first,  London  1851.  C.  H.  Cooper: 
Annais  of  Cambridge,  4  vols.  1842—62.  Vor  allem  aber  waren 
die  schon  mehrfach  benutzten  „News-Letters  from  Joseph  Mea de 
to  Sir  Martin  Stuteville,  Nov.  1620  bis  April  1631,"  Br.  M.  Harl. 
Isis.  389,  390,  2  Bde.,  einzusehen.  Sie  werden  im  Folgenden  unter 
Meade's  Corresp.  citirt.  Dagegen  konnte  ich  leider  nur  in 
Auszügen  folgende  Werke  benutzen:  Dyer:  Privileges  of  the  üni- 
versity of  Cambridge,  History  of  the  üniversity  and  Colleges  of  C. 
2  Vols.  1814.  Peacock:  Observations  on  the  Statutes.  1841. 
')  Englisch  nach  Dyer  wieder  herausgegeben  1838. 

49  ^)  „Nur  bei  den  Vorstehern  wurden  Ausnahmen  geduldet"  Hub  er  IL  53. 
*)  Die  Ausnahmen   von   dieser  Regel   berücksichtige    ich    hier   nicht, 

s.  Kap.  XLVII.  der  Statuten. 
^)  Nach  den  elisabethanischen  Statuten  fQr  die  Colleges  (Nr.  34)  sollen 
die  Thore  im  Winter  um  acht,  im  Sommer  um  neun  Uhr  ge- 
schlossen werden;  nach  den  Statuten  von  Christ  College  soll  von 
Michaelis  bis  Ostern  niemand  sj)iiter  als  neun,  von  Ostern  bis 
]\Iicliaelis  niemand  später  als  zehn  Uhr  in's  College  zurückkehren 


'    •  Zweites  Kapitel.  307 

Seite 

s.  Massen  I.  112,  woselbst  ein  Ms.  der  Statuten  von  Christ  College 
benutzt  wird. 

50  ^)  Massen  I.  113.    In   den  Statuten  von  Christ  College  heisst  es  im 

Gegensatz  zu  dem  vorhergehenden  „adultus" :  „alioquin  virga  corri- 
gatur".  Zuerst  mitgetheilt  bei  Todd  I.  16  nach  Kap.  37  der 
Statuten  De  Lectoris  Authoritate  in  Discipulos,  in  welchem  von 
dem  Fall  die  Rede  ist,  dass  die  Schüler  „absent  themselves  from 
certain  Lectures". 
^)  Die  Briefe  Meade's  geben  die  besten  Belege.  Ich  greife  nur  ein- 
zelnes heraus,  was  sich,  wenn  nichts  Besonderes  hinzugefügt  ist, 
auf  seinen  Zögling,  ^den  neu  angekommenen  Sohn  Stuteville's  be- 
zieht. 26  March  162-5.  (I.  fol.  418  b.)  „For  his  apparrell  it  is  best 
he  should  be  fiirnisht  like  a  gentleman  both  in  respect  of  yoür- 
selfe  and  the  better  to  cover  any  other  defect.  His  gowne  there- 
fore  should  be  stuff  etc."  fol.  428 b-  „For  Mr.  John  I  will  take 
Order  (if  you  send  money),  that  his  gowne  shall  be  suitable  every 
way  to  his  condition.  But  I  must  desire  you  to  give  him  a  11  s 
in  bis  purse  to  pay  for  his  admission  10  to  the  Colledge  and  the 
lecturer  12  d.  that  I  may  keep  my  promise  that  it  should  never 
be  payd  out  of  my  band."  In  demselben  Brief  Ausführliches  über 
die  Zimmer -Vertheilung:  „For  bedding  wee  shall  make  a  shift  per- 
haps  for  a  week,  tili  we  know  better  what  is  needfull.  If  he  keeps 
in  the  new  building,  he  must  have  a  whole  bedding  because  he 
lyes  alone  .  .  if  in  another  Chamber  where  he  hath  a  bedfellow, 
they  must  make  a  bed  between  them  and  Ms  part  will  be  more 
or  less  according  as  his  bedfellow  is  furnished."  fol.  446a..  25  May 
1625:  „When  your  letter  was  delivered  me,  I  was  paying  the  Draper 
for  your  son's  gowne"  etc.  IL  fol.  139 1.  14.  Oct.  1626:  „I  would 
by  my  pupill  some  books  he  hath  but  a  poore  Study  and  nothing 
but  such  books  as  he  must  needs  have.  Are  you  willing  I  should 
lay  out  a  matter  of  30  or  40  Shillings  to  that  purpose?"  etc.  Am 
2.  Dec.  1626  fol.  169  a.  beklagt  sich  M.  über  die  Saumseligkeit 
seiner  Zöglinge  Higham  und  Tracy:  „Neither  he  (Higham)  nor 
Mr.  Tracy  are  so  good  Paymasters  as  I  hoped  for.  But  the  latter 
I  think  is  only  late  (?)  to  forget  his  money,  the  other  is  not  so 
well  stored."  Sehr  lehrreich  sind  auch  die  Nachrichten  über  das 
College  -  Leben  in  der  Autobiographie  von  Sir  Simonds 
d'Ewes.    L  106—155. 

51  ^)  Der  Name  kommt  daher,  dass  an  diesem  Tage  die  Graduirten  ihre 

Grade  auszuüben  begannen.      Es   sollte   der   erste  Dienstag  im 

Juli  sein.     Stat.  Eli  sab.  Kap.  2. 
'»)Dyer,  Privileges  L  .330. 
«)Huber  IL  347. 

20* 


308  Anmei  klingen.  • 

Seite 
52  ')  Ausserdem  war  durcli  Dekret  vom  25.  März  160ß  die  Entfernung 
von  der  Universität  in  der  Zeit  zwischen  dem  Bakkalaureat  und  Er- 
langung des  Grades  eines  M.  A.  gestattet  worden,  Dyer  I.  289—292. 
Ö3  ^)  „Johannes  Milton  Londinensis,  filius  Johannis,  institutus  fiiit  in 
literarum  elementis  sub  Magistro  Gill,  Gymnasii  Paulini  praefecto; 
admissus  est  pensionarius  minor  Feb.  12.  1624,  sub  Magistro  Cha- 
pell,  solvitque  pro  ingi-essu  10  s."  Auszug  aus  dem  Entry-Book 
von  Christ-College  bei  Masson  I.  88.  Eine  Kopie  dieses  Eintrags 
nebst  anderen  auf  Christ- College  bezüglichen  Notizen  befindet  sich 
im  Br.  M.  Harl.  Mss.-  Nr.  7036. 

2)Strype,  (Ed.  1720)  I.  166. 

3)  The  Autobiography  of  S.  S.  d'Ewes  I.  119. 

*)  1800  ist  Downing  College  hinzugekommen.  S.  Cooper  IV.  268, 
467.  Die  Mitgliederzahl  nach  einer  bei  Masson  I.  89 — 91  zu- 
sammengestellten Liste. 

54  ')  Füller   bist,   of  the  university   of  Cambridge  134^ — 138.     Wood. 
2)Cole's  Mss.  vol.  XX,  p.  65   und  Athenae  Cantab.  im  Br.  M. 

angeführt  bei  Masson  I.  99. 
«)  Füller:   The  history   of  the   Worthies    of  England    (Edit.   1840) 
I.  519.      Henry    Ellis:    Original    Letters    illustrative    of   English 
history   first  series,    1824.     Works   of  the    pious    and  profoundly 
learned  J.  Meade,   2  Vols.  1664  mit  dem  Leben  des  Autors. 

55  ^)  Man  vgl.  z.  B.  The  Diary  and   correspondence  of  Dr.  John  Wor- 

thington, herausgegeben  von  Crossleyin  denEdit.  der  C  h  e  t  h  a  m  - 
Society  (1847,  1855)  V.  IL     P.  1.     S.  4L 

56  ')  Worthington's  Diary  L  53  N. 

57  ')  Masson  L  646,  IL  ,76 — 79,  grossentheils  nach  Briefen  aus  dem 

St.  P.  0.,  vgh  Biogr.  ßrit.  IV.  448.  Füller  Worthies  IL  571. 
Cooper:  111.  85.  Life  of  Bedell  in  den  Ed.  der  Camden- 
Society  1872,  p.  231. 

*)  d'Ewes,  Autobiography  IL  200—213.  Gell  starb  1665,  s.  Wor- 
thington's Diary  IL  P.  1.  S.  171.  Masson  L  107.  Meade's 
Brief  v.  19.  Mai  1627,  Ms.  IL  f.  253  a. 

3)  Nach  Meade's  Correspondence  kann  man  herausrechnen,  dass  er 
allmählich  den  John  Stuteville,  Tracy,  John  Higham,  Justinian  Isham 
zur  Aufsicht  übernahm. 

*)  Meade's  Brief  vom  17.  Febr.  1627  (IL  fol.  206  =i)  „Our  master 
here  hath  the  absolute  dispose  of  Chambers  and  studics  and 
however  the  Statute  limits  his  power  by  discretion  to  dispose  according 
to  qualitie,  desert  and  convenience,  yet  himselfe  being  the 
only  judge,  that  limitation  is  to  no  purpose.  And  to  teil 
tales  forth  of  Schoole,  our  present  Master  is  so  addicted  to  his 
kindred,  that  whero  tbey  may  have  a  benefit,  .there  is  no  perswasion 
wbosoever  hath  the  injurie."     Vgl.  fol.  221  'i-,  225  •'■■ 


Zweites  Kapitel.  309 

Seite 

57  S-)  Ygi_    (jig   yon   M  a  s  s  0  n   I.    87   ff.    veröffeDtlichte   Liste.     Milton's 

Immatrikulation  in  den  Universitäts-Büchem  erfolgte  erst  am'9.  April 

1625  (s.  den  Eintrag  bei  Masson  I.  124).  Nach  seiner  Admission 
in  das  College  am  12.  Februar  muss  er  wieder  nach  London  zurück- 
gekehrt sein,  wie  das  Datum  des  Briefes  an  Young  (Ep.  fam.  1), 
Londino  Martii  26,  1625,  bezeugt. 

58  *)  Füller  Worthies  II.  517  über  Preston,  „the  greatest  pupil-monger 

in  England  in  man's  memory".   Wood  I.  fasti  183.    Neal  history 
of  the   Puritans.      Ueber    Downes   u.  Wheelock:    d'Ewes,  Auto- 
biography  I.  139,  141.    Füller  III.  66.     Näheres  über  Herbert  in 
Kap.  4. 
*)  Stat.  Elisab.  Nr.  39., 

59  ^)  Cooper  III.  265,;280— 283.   „Common  Disorders  in  the  üniversity." 

Von  Chrisk  Coli,  heisst  es  allerdings  ausdrücklich :  „Their  Service  is 
much  reformed  of  late."  Für  das  Folgende  wird  benutzt  ein  dem 
Erzbischof  Land  23.  Sept.  1636  eingesandtes  Aktenstück. 

^)  d'Ewes  Autobiography  I.  141. 

^)  Meade's  Corresp.  nach  Erzählung  jenes  dunklen  Versuchs  von 
Power  (s.  0.  S.  57  Anm.  2),  II.  foh  253  a.  (19.  Mai  1627).  „Deus 
hone  quomodo  hie  vivitur!" 

60  ^)  „Prayers    of    every    Man's    own    making    (and    sometimes    sudden 

conceiving  too)"  Cooper  III.  281. 
t)l  1)  Cooper  IIL  178.    Meade's  Corresp.  9.  Apr.  1625  (L  fol.  420 1.). 
*)Meade   theilt  gewöhnlich  die   Todtenlisten   mit  bis  zum  11.  März 

1626  (IL  fol.  25a.).  Corresp.  10.  Sept.  1625  (L  487  a.).  d'Ewes 
Autobiography  I.  278,  vgl.  273. 

^)  Meade's   Corresp.   17.  Juli  1625,  abgedr.  in  „Court  and  Times  of 

Charles  I."  (1848)  L  43. 
*)  Meade's  Corresp.  4.  Sept.  1625,  s.  „Court  and  Times"  I.  45. 
5)  On  the   Death    of  a  fair   Infant  dying  of  a  Cough.    P.  W.  IL  392 

bis  395,  vgl.  III.  345—347,  üb.  d.  Art  d.  Datirung  „Anno  Aetatis  17" 

s.  IL  188.    Vgl.  Phillips  364. 

62  1)  Eleg.  3.     In    obitum   Praesulis   Wintomensis,    P.   W.   III.   43^5, 

489^92,  II.  329—330.    Vgl.  auch  Worthington's  Diary  I.  76. 
*)  Wenn  dies,  wie  es  den  Anschein  hat,  eine  Anspielung  auf  den  Tod 
Christian's   von    Braunschweig    und  Ernst's  von   Mansfeld    ist,  so 
könnte  das  Gedicht  erst  gegen  Ende  d.  J.  geschrieben  sein. 

63  ^)In    obitum    Praesuhs    Eliensis    Silvarum    3,    P.    W.    IIL    72—74, 

520—524  II.  353. 
2)  In  obitum  Procancellarii  medici,   P.    W.  III.   64',  511—13,  H.  352. 
Vgl.  über  Gostlyn:  Füller  III.  489,    hier  wird  als  Todesjahr  irrig 
1625   angegeben.     Milton's   Datirung  seines   Gedichts  in  den  Ausg. 
V.  1645  und  1673  „anno  aetatis  16"  ist  irrig. 


310  Anmerkungen. 

Seite 

63  ')  In  obitum  Praeconis  Academiae  Cantabrigiensis  El.  2.  P.  "W.  113. 
43-^5,  488—99,  II.  328,  329.  (Das  Testament  Ridding's  ist  nach- 
weislich eröffnet  8.  Nov.  1626.) 

*)  Dyer:  Privileges  I.  300. 

5)  Silvarum  Lib.  In  Quintum  Novembris.  P.  W.  m.  65—72, 
513-520,  IL  353—354. 

65  ')  S.  über  die  Angelegenheit,    die  hier  nicht  ausgeführt  werden  kann, 

R.  Gardiner:    A  history    of  England  under  Buckingham  etc.,  I. 
Chap.  7. 
*)  Worte    Sir    Th.    Crew's,    des    Sprechers    des    ersten    Parlamentes 
Karl's  I.,  s.  R.  Gardin  er  1.  c.  I.  191. 

66  ')  Sie  befinden  sich  im  Er.  M.  Additional  Mss.  Nr.  5016  (nicht  5017, 

wie  Mitford  sagt)  folio  64,  abgedruckt  in  Mitford's  Ausgabe  von 
Milton's  Werken,  I.  p.  CXCm,  CXCIV. 

67  ')  EI.  I.    P.   W.   III.   39-42,   486—488,  II.  323—328.    Das  Datum 

darf  man  mit  einiger  Sicherheit  aus  dem  Umstände  schliessen,  dass 
Milton  seine  Jugendgedichte  in  chronologischer  Ordnung  vorzuführen 
beabsichtigt,  das  auf  diese  Elegie  folgende  Gedicht  aber  bezeichnet 
ist  „Anno  Aetatis  17".  Diodati  war  am  10,  December  1625  in 
Oxford  B.  A.  geworden.  („Wood  Mss.  in  the  Ashmolean  8506", 
s.  Masson  I.  138.) 
')  Die  Verse  41  ff.  hat  man  auf  shakespearesche  Stoffe  beziehen 
wollen,  doch  aber  eingesehn,  dass  „indelibata  gaudia"  zu  dem  Ge- 
danken an  Romeo  nicht  passen  würde,  während  allerdings  unter 
dem  „criminis  ultor"  sichHamlet's  Geist  oder  Banquo's  wohl 
verbergen  könnte.  Dennoch  neige  ich  mich  dahin,  auch  hier  eine 
Bezugnahme  auf  antike  Stoffe  zu  finden,  welche  Milton  sonst  an 
dieser  Stelle  durchaus  hervorhebt.  Namentlich  scheint  er  Seneca's 
Tragödien  im  Auge  gehabt  zu  haben;  so  möchte  unter  dem  „Ultor" 
vielleicht  Laios  zu  verstehn  sein,  während  zu  dem  „puer  infelix" 
allerdings  die  Persönlichkeit  des  Haimon  aus  der  Antigene  trefflich 
passen  würde.  —  Steevens  Bezugnahme  auf  die  „Ate"  in  dem 
Drama  „Locrine"  erscheint  gesucht. 

68  OEl.  VII.    Anno  aetatis  undevigesimo;   P.  W.  III.  56—59,  507—509. 

II.  338—340. 

69  ')  Wenigstens  deutet  v.  91  auf  eine  direkt  angeredete  Person :  „Crede 

mihi,  nullus  sie  infeliciter  arsit."  Der  Elegie  ist,  vernnithlich  bei 
Gelegenheit  der  Herausgabe  von  1645,  eine  Art  von  Epilog  an- 
gefügt, in  welchem,  halb  im  Ernste  halb  im  Scherze,  jener  Jugend- 
tliorheiten  gedacht  wird ,  die  längst  ihren  Werth  für  den  Dichter 
verloren,  seit  die  „uinbrosa  Academia"  ihn  aufgenommen.  Dies  be- 
deutet schwerlich,  wie  Warton  meint,  „in  other  words  his  retum 
to  the  university,"  sondern  seine  Hinwendung  zum  ernsten,  philo- 
sophischen Studium.    Vgl.  auch  die  Worte  „shady  Spaces  of  philo- 


Zweites   Kapitel.  311 

Seite 

sophy"  etc.  in   „An  Apology   etc."   Works  III.   272,  s.  P.  W.  UI. 
.508,  599. 
69»)  Vgl.   Laiug  .a.   a.   0.     S.   15  ff.     Daselbst    eine    Abbildung  des 
Pfarrhauses. 
s)  Epist.  famil.  Xr.  4.    Cantabrigia  Julii  21.  1628,  W.  VII.  373. 

70  *)  S.  oben  S.  42  Londino   Maji  20.  1628.     (Die  Datirung  v.  London, 

Gill's  Wohnort,  und  ausserhalb  der  Ferienzeit  könnte  auffallen, 
wenn  nicht  auch  El.  7  gleichzeitig  Anspielungen  auf  London  und 
den  Mai  enthielte.)  Cantabrigia  Julii  2.  1628.  Ep.  fam.  2,  3. 
W.  VII.  370,  371.  Ein  Brief  muss  verloren  gegangen  sein,  denn  in 
Ep.fam.  3  heisstes:  „Negotium  illud,  de  quo  scripsi  subobscurius,"  etc. 
ohne  dass  sich  in  tiem  Brief  vom  20.  Mai  auch  nur  die  dunkelste 
Andeutung  dieses  negotium  fände. 
^)  Km-ze  biographische  Notizen  über  Cleveland  bei  Füller  II.  240, 
Wood  f.  0.  I.  274,  eine  Lebens-Skizze  vor  „Clievelandi  Vindiciae 
Or  Clieveland's  genuine  Poems,  Orations,  Epistels  etc."  London, 
1677,  welche  Ausgabe  mir  zu  Gebote  steht,  und  nach  der  ich  im 
Folgenden  citire.  Das  Datum  von  Cleveland's  Aufnahme  in  das 
Chi'ist  -  College  entnehme  ich  dem  Auszug  aus  dem  „Entry-Book" 
bei  Masson  I.  156,  vgl.  e.  Artikel  in  „Gentleman's  Magazine" 
Febr.  1873. 

71  ')  Ueber  die  Brüder  King,    besonders  Edward  King,    s.   nach  Todd 

V.  4  ff.  P.  AV.  zum  Lycidas,  b.  Masson  I.  146  den  Eintrag  aus 
dem  „Admissions-Book".  Es  ist  auffallend,  dass  die  liings  als 
lesser  pensioners  in  das  College  eintreten.    Vgl.  Phillips  856. 

72  *)  Naturam  non  pati  Senium,  P.  W.  HI.  74—76,  524,  525.    II.  354—358, 

der  Titel  des  Werkes  v.  Hakewill  (s.  üb.  ihn  auch  Wood  und 
Todd)  lautet:  „Apologie  of  the  Power  and  Providence  of  God  in 
the  Government  of  the  World;  or  an  Examination  and  Censui'e  of 
the  common  Error  touching  Nature's  perpetual  and  universal  Decay." 
D.  Motto  war  dem  Prediger  Salomon.  7,  11.  entnommen. 

73  1)  Masson  L  131.  2)Cooper  IIL  182, 

74  ^)  C.  S.  P.    Dom.  S.  1626,  p.  236,  24b. 

*)  Nähere  Bestimmungen  Stat.  Kap.  33.  Ueber  den  Begriff'  der 
Regents  Hub  er  IL  333. 
77  ^)  Meade's  Corresp.  abgedr.  in  „Court  and  Times"  I.  107  und  Ms.  II. 
fol.  70a — 75a.  Cooper  III.  185  ff.  d'Ewes  Autobiography  I. 
388.  Vgl.  Rawson  Gardin  er  IL  66,  67.  Das  erwähnte  Gedicht 
in  Meade's  Corresp.  Ms.  IL  182  a.  auf  einem  Blatt  für  sich :  „Where 
onely  one  doth  rule  and  guyde  the  Shippe  i  That  neither  Card  nor 
Compas  knew  before,  |  The  Master  Pilot  and  the  rest  asleepe,  |  The 
stately  Ship  is  splitt  upon  the  Shore.  |  But  being  awake  they  Start 
up,  Stare  and  cry  |  Who  is  in  fault !     Nor  I ,   nor  I ,   nor  I ;  |  So 


312  Anmerkungen. 

Seite 

fares  it  with  tbe  rieh  and  royall  State  |  Not  guyded  by  tlie  Master, 
but  bis  Mate.'" 

78  ^)  Xäberes  inMeade's  Corresp.  vom  3.  und  10.  März  1627,  s.  „Com't 

and  Times"   I.  202. 

2)  Co 0 per  i:i.  200. 

■'')Meade's  Corresp.  II.,  fol.  320a.,  17.  Nov.  1627  Dat.:  „Cbrist 
Coli.  Nov.  17  wben  our  belies  in  every  cburcb  are  ringing  bere  in 
memory  of  happy  Q.  Elisabeth".  Unmittelbar  vorher  geht  eine 
Schilderung  der  Unglücksfälle  der  Flotte  bei  der  Insel  Rhe. 

79  ^jCooper  III.  203,  204. 

80  ^)  Diese  Ansicht  Avird  bekämpft  durch  Tüll  och:     Rational  Theology 

and  Christian  Philosoph}-,  1872,  I.  266  flf.,  s.  indess  d.  nächste  Anni. 
und  Rawson  Gardin  er  II.  343. 

81  ^)  Das  Material  für  die  Geschichte  dieses  interessanten  Falles  ist  jetzt 

grössten  Theils  zusammengestellt  bei  Hamilton  S.  67 — 71  (zuerst 
bei  Malsson  I.  178),  vgl.  C.  S.  P.  1628—29,  1629—31  Reg.  Aubrey: 
Letters  written  by  eminent  persons  IL  285.  Meade's  Corresp., 
Nov.  15.  22.  1627.  Es  scheint  mir  doch,  als  ob  Chillingwortb  der 
Angeber  gewesen  sei,  die  Annahme  wird  bestätigt  durch  den  Brief 
Sam.  Fisher's  bei  Hamilton  69.  Zugleich  ist  dieser  dadurch 
merkwürdig,  dass  hier  ein  „Mr.  Deodat"  erwähnt  wird,  der  der- 
selben Meinung  sei,  vermuthlich  Milton's  Freund.  In  dem  früher 
von  mir  erwähnten  Ms.  der  Bodleiana  (s.  0.  S.  32  Anm.  1)  finde  ich 
ein  Gedicht,  das  unzweifelhaft  auf  diese  Angelegenheit  geht.  Ich  setze 
nur  einige  Verse  hierher:  „Gill  ujion  Gill:  And  for  thy  Blanketting 
(Am  Rande:  he  was  tossed  ina  Blanket)  |  And  many  such  a  thing  I 
For  which  thy  name  in  Towne  doth  ring  |  And  none  deserves  so 
111  I  To  heare  as  bad  as  Gill  |  Thy  name  is  a  proverb  still.."  Gegen 
Ende  heisst  es:  „But  now  remainst  the  vilest  thing]  Thy  Ale- 
House  barking  'gainst  the  King  |  And  all  his  brave  and  noble 
Peers  |  For  which  thou  venturcst  for  thy  eares"  (vgl.  schon  ß.  Jon- 
son's  Works  IL  438,  Ed.  Cunningham). 

82  *)  Nee  dudum  vetiti  me  laris  angit  amor.     S.   über  die  verschieden- 

artige Auslegung  P.  W.  III.  486. 

83  ')  Hey  wo  od  31,  vgl.    über   noch   späteres  Vorkommen  der  körper- 

lichen Züchtigung  für  Undergraduates:  Academy  1874,p. 30  (Juli  11.). 
^)  Regii    Sanguinis    Clamor   p.   8.       „Ajunt    hominem    Cantabrigiensi 
Academia    ob    flagitia    pulsum    dedecus   et    patriam    fugisse   et  in 
Italiam  commigrasse"  etc. 

84  ')  Offenbar  ist  „Tovell"    bei  Aubrey    eine  Namens-Verwechselung  mit 

„Tovey". 
2)  8.  die  Liste  bei  Masson  I.  184.       ^)  Hub  er  II.  135. 


Zweites   Kapitel.  313 

Seite 

85  >)  El.  V.  Anno  aetatis  20.  In  adventum  veris.  P.  W.  III.  69—53,  500—503, 

II.  335,  336. 
''j  Masson  I.  180  nach  Br.  M.  Add.  Ms.  5884  und  Wood  Ms.  Ashm. 

Mus.  8507. 
*)  El.  VI.  Ad  Carolum  Diodatum  ruri  commorantem.  P.  W.  III.  53 — 56, 

503  —  506,  II.  336,  337.    Die  Zeit  der    Abfassung  ergiebt  sich  aus 

der  Datirung  der  einliegenden   Ode:    „On   the  Morning  of  Chirist's 

Nativity",  welche  1629  ist,  s.  u.  S.  86  Anm.  2. 

86  ')  Z.  B.  Paradise  Lost  V.  483,  Penseroso  46. 

')  P.  W.  II.  399—408,  196,  197  III.  351—357.  „On  the  Morning  of 
Christ's  Nativity",  nach  der  Ausgabe  von  1645  mit  1629  als  Datum 
der  Abfassung  bezeichnet. 

87  1)  P.  W.  II.  408^111,  197;  III.  357,  359. 

*)  Leider  steht  mir  ein  Aufsatz  „On  University-Plays"  in  der  Ketro- 

s  p  e  c  t  i  V  e  Review  XII  nicht  zu  Gebote. 
^)Cooper    III.    71,    84.     „Ignoramus"   wurde    veröffentlicht    1630, 

s.  Lowndes. 

88  ')Meade  in  „Court  and  Times"  I.  325,  329. 

*)  Clievelandi  Vindiciae  p.    180.        ^)  London  1632  s.  Lowndes. 
*)Meade  in  „Court  and  Times"  IL  29. 

89  ')  S.  „Trinculo,  a  jester"  in  Shakespeare's  Sturm. 

2)  „An  Apology  against  a  Pamphlet"  etc.  W.  III.  267. 

90  ')  C  0  oper :  III.  223—228.     Ueber  den  Verlauf  der  Pest  in  Cambridge 

und  speciell  die  Lage  von  Christ  College  geben  uns  die  Briefe 
Meade's  den  besten  Aufschluss.  1630.  17.  23.  24.  A^pril,  20.  27, 
Okt.,  27.  28.  Nov.,  5.  Dec.  CorrespondencelL  fol.  513a— 527a, 
zum  Theil  abgedruckt  in  „Court  and  Times"  IL  Als  Ergänzung  zur 
Bestimmung  der  I>okalität  hat  mir  der  Plan  von  Cambridge  von 
1634  vor  Füllers  history  of  the  üniv.  of  C.  gedient. 

91  ^)Cooper:  IIL  234. 

2)P.  W.  IL  414,  415,  199— 202  IIL  364  vgl.  The  Fairfax  Correspon- 
dence,  Memoirs  of  the  Reign  of  Charles  I  ed.  G.  W.  Johnson  I. 
p.  LXVIII.  Es  finden  sich  in  einer  Sammlung  von  „Epitaphs" 
(Titel  fehlt,  am  Schluss  Oct.  8,  1639  Imprimatur  Matth.  Clay,  in 
dem  Ex.  der  Göttinger  Bibl.  angebunden  „Wits  Recreations,  London 
1640")  unter  No.  9 — 12,  56  noch  weitere  Grabschriften  auf  „Hobson 
the  Carrier".  No.  96  daselbst  entspricht  mit  einigen  Varianten  dem 
aus  Sancroft's  Ms.  mitgetheilten  Fragment  bei  T  o  d  d  VI.  90. 

3)  P.  W.  IL  416—418,  202—204.  IIL  365,  366. 

92  ^)  Brief  Karls  I.  an  Master  und  Fellows   von  Christ  College  vom  10. 

Juni  1630,  bei  Massen  I.  206,  nach  Br.  M.  Harl.  Ms.  7036. 
*)  Eintrag  aus    dem  Admission-Book  bei    Masson  I.  210,    welcher 
das  Factum  zuerst  bekannt  gemacht  hat. 


314  Anmerkungen. 

Seite 

92  3)  Eintrag  bei  Massen  I.  215;  vgl.  über  More:  TuUoch:  Rational 

Theology- 11  303—410. 
*)  Wood  11.  fasti,  29.  Peter  Hausted:  The  Rivall  friends  a  Comedy. 
London  1632,  von  demselben:  Senile  Odium  Comoedia  Cantabrigiae 
publice  Academicis  recitata  in  Coli.  Reginali  ab  ejusdem  Collegii 
Juventute,  Cantab.  1681,  daselbst  andere  Schriften  von  ihm.  Ueber 
Randolph  s.  Wood  I.  Athen.  Ox,  244.  The  Jealous  Lovers,  ge- 
druckt 1632,  Lowndes. 

93  1)  d'Ewes  Autobiography  II.  67. 

2)  Brief  vom  4.  April  1632,  C.  S.  P.  302.  d'E  w  es  II.  68  deutet  doch  noch, 
wie  mich  dünkt,  auf  andere  Gründe  hin. 

^)  Auszug  aus  dem  Graduation-Book  bei  M  a  s  s  o  n  I.  225. 

*)S.  Cleveland's  Gedicht:  ,.How  the  Commencment  grows  new 
(Vindiciae  p.  88  flf.)  vgl.  Cooper  III.  280.  Im  übrigen  vgl.  über 
die  Formalitäten  des  Commencment-Day  Kap.  XXX  der  Statuten 
v.  1570.  Dyer  I.  307.  286.  228—231.  236.  29:3—294  und  einen  An- 
bang bei  Peacock. 

94  »)P.  W.  II.  412,  198;  III.  360—362  At  a  solemn  musick.    Masson 

setzt    das    Gedicht    vermuthungsweise    in's  Jahr  1630,  ebenso  das 
„On  Time"  (P.  W.  II.  411). 
*)  Stat.  Kap.  4,  vgl.  Hub  er  IL  49,  94  u.  s.  w. 

95  ^)  Wovon  d.  eine  Mal  in  den  public  schools,  Autobiography  of  d'E  w  e  s 

L  120,  121,  140. 
*)  S.  üb.  d.  genannten  Autoren  Masson  I.  229;  vgl  auch  üb.  d.  da- 
mals beliebten  Lehrbücher   der  Logik:   A.   de  Morgan:    On  the 
Syllogism,  No.  III ,  and   on  Logic  in    general   (.Transactions   of  the 
Cambridge  philos.  Soc.  X.  227  Note  zu  §  4.  1864). 

96  ^)  Silvar  L.  ad  Patrem  85.  S.  üb.  d.  Genannten  Wood,  Füller. 
2)C.  S.  P.    1627  s.   V.  Dorislaus,   vgl.  1628,  1632.     In  Folge  gütiger 

Uebersendung  durch  S.  R.  Gardiner  liegt  mir  Wren's  Brief  an  Land 
im  Wortlaut  vor. 

97  1)  Tu  11  och:  English  Puritanism,  1861  S.  297. 

^)  R.  Coke:  A  detection  of  the  court  and  State  of  England,  1719,  I. 
16  ff. 

^)  Prolusiones  oratoriae,  W.  411 — 469.  Masson  in  Bd.  1  hat  sie  zu- 
erst nach  Verdienst  gewürdigt.  Ich  bemerke,  wo  ich  von  seiner 
Ansicht  abweiche  oder  sie  zu  ergänzen  versuche. 

■*)  Utrum  dies  an  nox  praestantior  sitV  1.  c.  410—421.  Man  hat  neuer- 
dings unter  den  Mss.  Sir  F.  Graham's  zugleich  mit  Miltons  Common- 
place-Book  auf  einem  einzelnen  Blatt  einen  kleinen  lateinischen 
Essay,  überschrieben  „Mane  citus  lectum  fuge",  und  darauffolgend 
ein  kleines  lateinisches  Gedicht  „Carmina  Elegiaca"  aufgefunden, 
das  denselben  Gedanken  ausdrückt.  Beide  Stücke  sind  von  A.  J. 
liorwood    in    der  Edition    des    Commonplace-Book   (C  am  den- 


Zweites  Kapitel.  '        315 

Seite 

Society  1876)  p.  66' — 68  zum  Abdruck  gebracht.  Am  Rande  des 
Blattes  fand  sich  „.  .  es  Milton".  Die  Handschrift  hat  zwar,  im 
ganzen,  wie  1.  c.  p.  XYIII  bemerkt  wird,  mit  den  sonst  bekannten 
Proben  der  Hand  Milton's  keine  Aehnlichkeit.  Allein  man  muss 
zugeben,  dass  der  ganze  Stil  der  beiden  Stücke  entschieden  der 
Milton's,  die  Uebereinstimmung  einzelner  Wendungen  mit  Versen 
des  Allegro  und  vor  allem  der  cit.  Prolusio  sehr  auffallend  ist. 
Nichts  liegt  näher  als  in  beiden  Stücken  Jugend-Versuche,  vielleicht 
Schulübungen  Milton's  zu  sehn,  die  er  selbst  als  zu  unbedeutend 
ausnahmsweise  verschmähte  zum  Abdruck  zu  bringen. 

98  ^)  Man  beachte  die  Aehnlichkeit  dieser  Worte  mit  denen  in  dem  Brief 

an  Gill  v.  2.  Juli  1628,  ?.  o.  S.  70. 

99  ^)  In  feriis  aestivis  Collegii,   sed  concurrente,  ut  solet,  tota  fere  aca- 

demiae  juventute.  Oratio :  Exercitationes  nonnunquam  ludicras 
philosophiae  studiis  non  obesse,  1.  c.  441 — 449.  Prolusio  449 — 456. 
Die  Anhaltepunkte  f.  d.  Datirung,  die  zugleich  massgebend  sind  f. 
d.  Datirung  der  vorherbesprochenen  Piede,  s.  u.  Anm.  2  zu  S.  104. 
*)  propter  studiorum  dissidia. 

101  »)  Massen  I.  257. 

*)  Ich  glaube  einige  Stellen  der  „Oratio  habita  in  Scholis  publicis  cum 
Patri.s  officio  fungeretur"  so  verstehen  zu  müssen;  s.S.  191.  „Etiam 
et  filii  mei  hisce  lepidis  Exercitiis  Interessent,  nisi  quod  tuenda 
sunt  castra,  observanda  Statuta,  ne  caeteris  jocantibus  violarentui-" 
etc.  S.  192:  „Crudele  Decretum  quod  mutis  execuit  linguas"  etc.  vgl. 
S.  189  die  Anspielung  auf  das  „novissimum  decretum",  191  „statutis 
magis  morigeri". 

102  *)  Unter  den  Formalitäten ,  welche  die  Kandidaten  f.  d.  Bakkalaureat 

durchzumachen  hatten,  war  die  eine,  dass  sie  sämmtlich  eine  Frage 
aus  Aristoteles  lirccliTixa  naÖTfoa  beantworten  mussten.  Dies  hiess 
„Entering  their  Priorums" ;  s.  Masson  I.  117  a.  E. 

103  *)  Masson  vermuthet  dies ,  ich   denke   man   darf  es  für  bestimmt  an- 

nehmen, weil  dieselben  Bezeichnungen  mit  Speise  und  Getränk  nach 
Art  eines  Menü  wieder  angewandt  werden,  als  von  der  Benennung 
der  „filii"  die  Bede  ist,  welche  doch  Studenten  waren.  S.  454.  a.  E. 
„Nolo  sub  nominibus  ferculorura  filios  meos  epulandos  vobis 
tradere"  etc. 
^)  Masson  I.  259  vermuthet,  die  Stelle  p.  450  „Academici  .  .  .  qui 
me  audituri  per  flammas  et  ignes  irrupistis",  „scintillans  ille  noster 
Cerberus  .  .  flammeo  coruscans  baculo"  .  .  etc.  gehe  auf  eine 
Ceremonie,  nach  der  die  Studenten  beim  Eintritt  in  die  Halle,  wo  der 
Thürhüter  und  seine  Gehilfen  standen,  durch  Bauch  und  Flammen 
zu  gehen  hatten.  Eine  ähnliche  Sitte  bei  Einführung  der  „fi-eshmen" 
finde  ich  allerdings  erwähnt  in  W  o  o  d's  Biographie  (Eccles.  Soc. 
1848  p.  34\    Die  Ausdrücke  können   aber  auch  bildliche  sein  fiir 


316  Anmerkungen. 

Seite 

die  zornglülienden  Gesichter  der  Pedelle  (vgl.  auch  El.  2  „baculo 
fulgente).     Bei  den  Worten   „tortuosos  fumi  globos  evolvit"  läge 
es  nahe,  an  einen  Rauchenden  zu  denken. 
^)  Vgl.  die  citirte  Rede  Cleveland's. 
104  »)  Aubrey,  nach  ihm  W  o  o  d  .  .  „The  Lady  of  Christ's  Coli." 

*)  At  a  vacation  exercise  in  the  College,  part  Latin,  part  English. 
Anno  aetatis  19.  P.  W.  IL  395—398,  vgl.  IL  190—196.  IIL 
347 — 351.  Schon  Keigthley  255  hat  den  Zusammenhang  erkannt, 
W.  G.  Clark  durch  eine  glückliche  Entdeckung,  die  Masson 
■weiter  ausgeführt  hat,  v.  91.  „Rivers  arise"  richtig  verstehen 
lassen.  Die  Datirung  des  Gedichtes  (nach  Milton's  üblicher  Methode 
1628)  bestimmt  auch  die  Datirung  der  Rede.  Sie  wurde  in  den 
Sommerferien  1628,  vennuthlich  im  Anfang  derselben,  gehalten. 
Damit  stimmt  ihr  Beginn  „Cum  ex  ea  urbe  (London)  huc  nuper 
me  reciperem,"  vgl.  o.  S.  68  El.  7  und  Ep.  fam.  2,  durch  welche 
der  Aufenthalt  in  London  f  d.  Frühling  1628  bezeugt  wird.  Zu 
Ep.  fam.  3  stimmt  vorzüglich  die  Bemerkung  über  das  „otium 
iiterarium".  Mit  der  Datirung  dieser  Rede  ist  aber  auch  die  von 
Nr.  1  gewonnen,  wenn  man  die  Worte  „nuperrime"  und  „ante  prae- 
teritos  menses  aliquam  multos"  nicht  zu  sehr  ausdehnen  will. 

106  ')  In  Collegio  etc.     Thesis.     In  rei  cujuslibet  interitu  non .  datur  reso- 

lutio  ad  materiam  primam,  1.  c.  430 — 436. 
*)  Non    dantur   formae   partiales    in    animali  praeter   totalem.     1.   c. 
437—441. 

107  ^)  In  scholis  publicis.     De  sphaerarum   concentu,  1.  c.  421 — 424.   Die 

Rede  findet  man  auch  abgedruckt  und  übersetzt  in  dem  kritiklosen 
Werke  von  F.    Peck:  New  memoirs   of  de  the  Life  and  Poetical 
Works  of  Mr.  John  Milton,  London  1740,  Nr.  VIIL 
^)  S.  0.  S.  94  V.  19  ff.,  vgl.  dazu  die  gesammelten  Stellen,  auch  „Merchant 

of  Venice"  V.  1. 
^)  In    scholis    publicis.      Contra    philosophiam    scholasticam.     1.    c. 
425—430. 

110  ^)  In  sacrario  habita  pro  arte  oratio.  Beatiores  reddit  homines  ars 
quam  ignorantia,  1.  c.  456 — 469.  Das  „pro  arte"  bezieht  sich  nur 
auf  das  Thema  der  Rede  und  hat  mit  dem  gradus  M.  A.  nichts  zu 
thun.  Die  Worte  im  Anfang:  „Testor  ipse  lucos  et  flumina  et 
dilectas  villarum  ulmos,  sub  quibus  aestate  proxime  praeterita  (si 
dearum  arcana  eloqui  liceat)  summani  cum  musis  gratiam  habuisse 
nie  jucunda  memoria  recolo,  ubi  et  ego  inter  rura  et  semotos  saltus 
velut  occulto  aevo  crescere  mihi  potuisse  visus  sum",  deuten  dar- 
auf hin,  dass  M.  bald  nach  Ablauf  der  Herbstferien  sprach.  Worauf 
sich  diese  Worte  beziehen,  darüber  unten  ein  Mehreres. 

113  ')  Wood:  „was  esteemed  to  be  a  virtuous  and  sober  Person,  yec 
not  to  be  Ignorant  of  bis  own  Parts." 


Zweites  Kapitel.  317 

Seite 

113  ^)  Nur  die  oben  S.  102  berührte  Prolusio  bildet  eine  Ausnahme,  man 
weiss  aber  nicht  recht,  wo  Ernst  und  Ironie  in   ihr  sich  scheiden, 

115  ')  Huber  11.  77.  A.   de  Morgan  1.    c.   181   und    im  Athenäum 

1868  Aug.  8  (p.  179).    lieber  Downame  s.  Wood  I  f.  0.  124. 
'')  S.   auch   Hub  er  II.   p.   VI.  unter  den  Nachträgen  daselbst  S.  76 
über  Oxford. 

116  ^)  Spenser:  Hymn  on  heavenly  beauty,  v.  78  ff. 

-)  Einfluss  platonischer  Ideen  in  d.  Prolusiones  oratoriae,  at  a  solemn 
musick  6,  Penseroso  88,  Comus  110,  241,  457 — 463,  467  ff.  Arcades 
63  W.  IV.  30,  32,  152;  VIII.  76.  Schilderung  der  Akademie  VII. 
462.  Par.  regained  IV.  244  ff.,  274  ff.  S.  über  Milton's  Verhältnis 
zuPlato:  Edinburgh.Review  Vol.  87  (1848)  bes.  323,  335,  336. 

•■')  De  Idea  Platonica  quemadmodum  Aristoteles  intellexit,  P.  W.  III. 
76—78,  526—527-  IL  358,  3-59. 

117  ')  Areop.  W.  IV.  416. 

-)  Comus  476  ff.  —  „(Plato)  ipse  fabulator  maximus"  De  idea  Plat. 
etc.  i.  f. 

118  ^)  TuUoch:   Piational  theology  and  Christian  philosophy  in  England 

in  the  seventeenth  Century,  1872,1.  350,  II.  15  ff.  Huber  IL  172  ff. 
2)  Works   of  Bacon  (Ed.    Ellis   and  Spedding)   L  197  VL  607  ff.  L 
526,  616,  663,  667  VI.  672. 

119  ')  Bacon  L  158, 162.    2)  ß  acon  IIL  156  vgl  auch  Milton  W.  IIL  262. 

120  ')  Def.  sec.  W.  VI.  266;  vgL  Aubrey. 

*)  S.  d.  Geschichte  d.  Bildes  b.  Masson  L  277.  J.  F.  Marsh  a.  a. 
0.  S.  146  „The  Onslow- Portrait".  H.  Marsh  hatte  die  Gefälligkeit 
mir  aus  den  „Notes  and  Queries",  die  mir  nicht  zugänglich  waren 
(3.  Ser.  IV.  26,  11  Juli  1863.  3  Ser.  VH.  405,  20.  Mai  1865),  eine 
Kopie  der  Anfrage  von  Mr.  Scharf  und  der  Antwort  eines  Unge- 
nannten zulfommen  zu  lassen,  durch  welche  die  Frage,  wohin  das 
Original  gekommen  sei,  nicht  gelöst  wurde.  Ich  habe  im  Sommer 
1871  im  South  -  Kensington  -  Museum  ein  Miniatur  -  Bild  IVIil- 
ton's  gesehen :  „Temporary  Label  Portrait  of  Milton  by  Petitot 
French  17  cent.  Lent  by  C.  Goding  Esq.  No.  20"  Brustbild,  ziem- 
lich jung,  etwa 35  Jahre,  aber  mit  blonden  herabwallenden  Haaren, 
blauen  Augen! 

^)  Aubrey,  Wood!,  Phillips.  „Meique  etiam  desiderium  'apud 
Collegii  plerosque  socios ,  a  quibus  eram  haud  mediocritcr  cultus, 
reliqui".  Def.  sec.  1652,  W.  VI.  287;  vgl.  An  apology  etc.  1642  W.  IIL 
265.  Man  würde  Milton  schon  v.  C.  aus  widersprochen  haben,  falls 
seine  Angaben  unrichtig  gewesen  wären. 

121  1)  An  Apology  etc.  W.  IIL  266. 

^)  The  Reason  of  Church  Government.  W.  III.  178,  Animadversions 
etc.  III.  232,  239.    An  Apol.  IIL  309. 

122  1)  Ep.  fam.  19,  W.  VII.  397. 


318  Anmerkungen. 

Seite 

Drittes  Kapitel. 

123  ^)  Die  allgemeine  Annahme  geht  dahin ,  dass  der  Brief  noch  in  Cam- 
bridge Dec.  1631  oder  Anfang  1632  geschrieben  sei.  Sein  Inhalt 
würde  aber  sehr  wohl  zulassen,  ihn  in  Horton  erst  gf^jchrieben  sein 
zu  lassen,  wobei  unbestimmt  bleibt ,  ob  die  Ermahnung  des  Freun- 
des mündlich  oder  schriftlich  war.  Selbst  das  Sonett,  das  er  ent- 
hält (P.  W.  IL  475,  vgl.  282),  braucht  nicht  gerade  am  9.  Dec. 
1631  geschrieben  zu  sein.  Die  Ueborschrift  „On  his  being  arrived 
at  the  age  of  twenty-three"  rührt  nicht  von  Milton,  wie  Sotheby 
54  (gegen  Masson  I.  291)  hervorhebt.  Von  den  beiden  Brief-Ent- 
würfen (in  Milton's  Ms.  zu  Cambridge,  abgedruckt  bei  Birch: 
Works  of  Milton,  1753,  I.  p.  4  flf.,  Biogr.  Brit.  1760)  folge  ich 
dem  ausführlicheren  (abgedruckt  auch  bei  Symmons :  Life  of  Milton, 
1806,  S.  47  ff.  und  Masson  L  289—292). 

125  ')  „some  while  since"  im  ersten  Entwurf. 

126  ^)  Reason  of  Church-government ;  W.  III.  150. 

127  ^)  Nov.  Organum  LXXXIX.  (Works  I.  196). 

181  OHallam:  Const.  Hist.   Rawson   Gardiner:  H.  of  E.  1603  —  16, 
L  274  ff.  452  ff 
^)  Nach  d.  Auszügen  b.  Rawson  Gardin  er:  England  under  Bucking- 
ham  and  Charles  I.  Chap.  16. 

132  ^)  Richard  Montague  am  Schluss  s.  Schrift:  „Appello  Caesarem"  v. 
1624  (s.  R.  Gardiner  1.  c.  IL  171). 

134  ^)  Laud's  Works  I.  93,  ausgezogen  b.  R.  Gar  d  in  er  1.  c.  IL  17 L 
^)  P.  H  e  y  1  i  n :  Cyprianus  Anglicus  or  the  history  of  the  Life  and 
Death  of  William  L.  Archbishop  of  Canterbury,  1671,  p  139 :  „both 
State  and  Church  owe  much  to  unity.  Would  you  keep  the  State 
in  Unity?  In  any  case  take  heed  of  breaking  the  peace  of  the 
Church.  The  peace  of  the  State  depends  much  upon  it.  For  divide 
Christ  in  the  minds  of  men,  or  divide  the  minds  of  men  about  their 
hopes  of  Salvation  in  Christ,  and  teil  me  what  unity  there  will  be." 
Von  den  modernen  Biographieen  Laud's  hat  mir  die  von  Hook  in 
den  „Lives  ot  the  Archbishops  of  Canterbury"  noch  nicht  vorgelegen. 
Neben  dem  in  den  C.  S.  P.  aufgehäuften  Material  sind  besonders 
werthvoll  zur  Beurtheilung  von  Laud's  Thätigkeit  die  Visitations- 
Papiere,  mitgetheilt  im  „Report  of  the  R.  Commission  on  hist.  Mss." 
No.  IV.  (1874)  p.  124 — 158.  lieber  Laud's  persönliche  Erscheinung: 
d'Ewes  Autobiography  IL  100.     "")  Rushworth  L  621. 

136  ')  S.  d.  betr.  Abschnitte  in   Ranke's  E.    G.  sowie   Bruce's  Einlei- 
tungen zu  den  Bänden  der  C.  S.  P. 
*)  „Wee  are  the  last  monarchy  in  Christendome  that  retayne  our  ori- 
ginal! rightes  and  constitntions",  Debates  in  the  house  of  Commons 
in  1625  ed.  by  S.  R.  Gardinor  (Camden-Socicty  1873)  p.  110. 


Drittes  Kapitel.  319 

Seite 

137  ^)  Man  wird  in  einer  Biographie  Milton's  keine  Geschichte  der  Stem- 

kammer  erwarten.  Ich  halte  mich  wesentlich  an  die  Ausführungen 
von  Pauli:  E.  G.  V.  .543  und  Gneist,  die  Hallam  berichtigen. 

138  ')  Dass  die  specielle  Frage  von  tonnage   und  poundage   nicht   in  der 

Petition  of  Eight  eingeschlossen  sein  sollte,  wird  man  nach  Rawson 
Gardiner  II.  310  ff.  zugeben.  Indessen  sollte  die  P.  o.  R.  immer- 
hin, wie  auch  der  Recensent  in  d.  Edinb.  Review  1876,  No.  291, 
p.  195 — 140  ausfuhrt,  als  ein  allgemeines  Gesetz  gegen  Erhebung 
von  Abgaben  gelten,  die  vom  Parlamente  nicht  ausdrücklich  be- 
willigt worden  seien 
*)  Ich  bin  mir  des  tiefgehenden,  nicht  immer  beachteten  Unterschiedes, 
der  zwischen  den  Jahreij  1 629 — 34  und  den  folgenden  bis  zum  Ende 
der  parlamentlosen  Zeit  besteht,  sehr  wohl  bewusst.  Allein  die 
Nothwendigkeit,  das  allgemein  Historische  zusammenzudrängen  und 
nicht  zu  Ungunsten  des  rein  Biographischen  zu  bevorzugen,  macht 
es  unerlässlich,  schon  hier  einiges  anzudeuten,  was  in  Kap.  5  wieder 
aufgenommen  werden  muss,  und  auch  jene  zweite  Periode  zu  berück- 
sichtigen, um  wie  vielmehr  über  den  Zeitpunkt  von  1632  mehrfach 
hinauszugehen. 

139  ^Heylin  139. 

141  >)Heylin  241—244.     Neal:  Eist,   of  the  Puritans.     Ed.   1822,  H. 

212—218.     C.  S.  P.  1633—34,  p.  XVII,  41,  231,  251,'275,  350,  351. 
143  ^)  Rawson  Gardiner:  Prince  Charles  etc.  II.  2-34. 

'')  Rushworth  I.  64,  65.   Marsden:   historv   of  the  early  Puritans 

(18.50).  S.  .332  ff.  etc. 

145  *)Laud:   Historj   of  the  Troubles,   p.   361,   s.  Weingarten:  Die 

Revolutionskirchen  Englands,  1868,  p.  45.  Für  das  Folgende  s.  d. 
grundlegende  Darstellung  v.  Ranke.  E.  G.  vorzüglich  nach  den 
Berichten  Cuneo's. 

146  1)  Neal  H.  264. 

149  ^)  Burn:  Eccles.  Law.  I.  404.     Neal  E.  245—248. 
2)  Rushworth  II.  324  ff. 
ä)  Gneist:    Selfgovernment   I.    260,    Verwaltungsrecht  I.    504. 

S.  d.  Acts  of  the  Coiu't  of  High  Commission  in  d.  C.  S.  P.  Charles  I. 

Dom.  Ser. 

151  *)  S.  d.  neueste  Behandlung   des  Leighton'schen  Falles  in  den  Edit, 

der  Camden-Society  1875.  (The  Camden  Mscellany,  Vol.  7. 
Speech  of  Sir  Robert  Heath,  Attorney- General  in  the  case  of 
A.  Leighton,  in  the  Star  Chamber  June  4,  1630  ed.  w.  a  preface 
by  the  late  J.  Bruce  by  R.  S.  Gardiner.) 
*)  „Compacted  together  into  an  holy  Unity  with  Faith  and  Charity." 
Hey]  in  139. 

152  ^)  So  hiessen  die  in  Laien-Hände  übergegangenen  Pfründen  im  Gegen- 

satze zu  den  appropriirten,  die  im  Besitz   eines  Bischofs  oder 


320  Anmerkungen. 

Seite 

einer   geistlichen   Körperschaft   waren.     In   beiden    Fällen   wurden 
Vikare,  die  nur  einen  Theil  der  Einkünfte  bezogen,  angestellt. 
2)Rushworth  II.  7,  30,  150  ff.   Heylin  198.    Neal  II.  178  ff.  200. 

153  ^Neal   II.    260.     Rushworth   II.   249,  250.     C.  S.  P.   1633—34, 

p.  XIV,  vgl.  Reg. 

154  1)  Rushworth    II.    249   ff.    272  ff.      Neal  II.    232  ff.      C.    S.    P. 

1633—34;  p.  556,  557.  1634—35;  p.  360,  380. 

2)  S.  z.  B.:  C.  S.  P.  1633—34,  p.  538.     1635—37,  p.  242,  504. 
156  1)  Sanford  86  nach  Tilliere's  Bericht  vom  23.  August  1621. 

159  1)  S.  0.  Anm.  1  zu  S.  126. 

^)  S.  d.  Auseinandersetzung  bei  Masson  I.  292  f.   Burn:  Eccl.  Law. 

I.  164. 
3)S.  Füller  Worthies  I.  372. 

160  ^)  Die  erste  Nachricht  von  dem  Dasein  dieses  Bandes  und  seine  Ge- 

schichte, die  bis  auf  Milton's  Wittwe  zuriickgeht,   gab  Hunter  22. 
Nach   ihm  war   das  Buch  1830  Eigen thum   des  Rev.  Dr.  Stedman. 
Hunter   kannte   die   Hs.    des   alten  Milton   nicht  und  konnte  daher 
nur  vermuthen,  dass  sie  hier  vorliege. 
*)  Ad  Patrem,  P.  W.  78—81,  527  ff.,   s.  namentlich  die  Verse  71  ff. 

3)  S.  z.  B. :  W.  VII.  467. 

161  ^)  Reason  of  C.  G.    W.  III.  144. 

Yiertes  Kapitel. 

162  ^)  Für  diese  Skizze,  die  nothw endig  über  das  Jahr  1632  hie  und  da 

hinausgi-eifen  muss,  ist  es  nicht  möglich,  jedes  Mal  die  Werke  von 
Hallam,  Taine,  H.  Morley  u.  s.  w.  zu  citiren,  die  mir  neben 
dem  entsprechenden  Kapitel  bei  Masson  von  Nutzen  gewesen  sind. 
Auch  Editionen  werden  nur  in  dem  Fall,  dass  mir  solche  aus 
neuerer  Zeit  vorgelegen  haben,  angeführt.  Besonderen  DanJc  schulde 
ich  den  wei'thvollen  Ausgaben  von  A.  B.  Grosart. 

164  ^)  Ben  Jonson's  Works,  ed.  Gifford-Cunningham  IL  385. 

165  ')  üeber  das  „politische  Element  in  Massinger"  s.  e.  geistvollen  Auf- 

satz V.  S.  R.  Gardin  er  in  der  Contemporary-Re\iew  1876. 

167  *)  Dramatists   of  the   Restoration.     The   Dramatic  Works   of  S.  W. 

D'Avenant,  1872  ff.  —  Inkonsequent  ist  es,  wenn  hier  I.  p.  XXII 
die  Autorität  von  Betterton  in  Zweifel  gezogen,  p.  LIII  dagegen 
gerühmt  wird.  Vgl.  K.  Elze:  Sir  W.  Davenant  (Jahrb.  d.  Deutschen 
Shakespeare-Gesellschaft,  IV.  121—160). 

168  ')  Collier:   Annais   of  the   Stage  HL    II.   70   ff.'   Vgl.  The  English 

Drama  and  Stage  under  the  Tudor  and  Stuart  Princes  154;3 — 1664. 

Printed  for  the   Roxburghe   Library  1869.    (Ed.   W.    C.  Hazlitt.) 

171  ')  The  Poems   of  Giles   Fletcher.     The  Poems   of  Phineas  Fletcher, 

4  Vols.    Ed.  A.  B.  Grosart  (The  Füller  Worthies'  Library  1868, 


Viertes  Kapitel.  321 

Seite 

1869).  Auch  das  von  Grosart  benutzte  Exemplar  der  „Purple 
Island"  Br.  M.  2.30  i.  23,  das  mit  M-erthvollen  handschriftlichen 
Eandbemerkungen  versehen  ist,  hat  mir  vorgelegen. 

172  ^)  S.  Genaueres  bei  Grosart:  Poems  of  Ph.  Fletcher  I.  p.  CLXXXm. 

ff.  CCX.  ff.,  vgl,  d.  Register  s.  v.  Milton.  Von  Christ's  Victorie 
and  Triumph  erschien  1632  in  Cambridge  eine  zweite  Aufl-age. 

173  1)  Gros art,    namentlich    I.    p.    CGLXXVIII.    ff    CCV   ff      Nur   in 

einigen  Fällen  scheint  mir  Grosart  etwas»  zu  weit  zu  gehen. 
-)  The  whole  works  of  W.  Browne,  ed.  W.  C.  Hazlitt,  printed  for 

the  Roxburghe  Library,  1868,  1869.    2  Vols. 
175  ')  S.   die   cit.   Ausgabe  von  Hazlitt  I.  p.   XX.  ff.,   vgl.   Sotheby 

S.  97  und  Tab.  XIV. .  Ich  hege   einige  Zweifel  an  der  Sicherheit, 

mit  der  man  die  Ms.-Xoten  Milton  zuschreiben  will. 
■179  1)  The  Works  .  .  of  Fulke  Greville  Lord  Brooke  ed.  A.  B.  Grosart, 

4  Vols.  (Füller  Worthies'  Library  1870),  s.  daselbst  IL  p.  LXXXVII. 

den  Hinweis   auf  einige  Stellen,   die  auf  Milton  Eindruck  gemacht 

zu  haben  scheinen. 

179  -)  The  Complete  Poems   of  John  Donne  .  .  .  ed.  by  A.  B.  Grosart 

in  two  Volumes.     (Füller  Worthies'  Library  1872,  1873.)    Eine  neue 
Biographie,    zugleich    mit    einer    Sammlung    der    Prosa- Schriften 
Donne's  von  A.   Jessop,   dem  A.   B.  Grosart  gefundenes  Material 
überlassen  hat,  steht  zu  erwarten. 
^1  S.  den  überzeugenden  Nachweis  von  A.  B.  Grosart,  II.  p.  X — XVI. 

180  ^)  Freilich  in  anderem  Zusammenhang:     „Shee   and  Comparisons   are 

odious"  (I.  185). 

181  ^)  W.  C.  Hazlitt  giebtin  seiner  Bibliography  of  oldEnglish  Literature 

1633  als  Datum  der  ersten  Ausgabe  von  Cowley's  Poetical  Blos- 
soms  an,  Masson  I.  447  hat  lü36,  in  welchem  Jahre  die  zweite 
Ausgabe  erschien.  Eine  neue  Ausgabe  Cowley's  ist  zu  erwarten 
für  die   Chertsey  Worthies  Library  von    A.   B.   Grosart. 

182  1)  The  Poems  of  Thomas  Carew  ed.  W.  C.  Hazlitt.     Printed  for 

the  Roxburghe  Library  1870. 

183  ^)  S.  121  ganz  ähnlich  ein  Gedicht  in  P.  Sidney's  Arcadia  (Ed.  11^5) 

I.  248  ff.,  das  überhaupt  als  Vorbild  solcher  Detail-Schilderung  be- 
trachtet werden  kann. 

184  ')  The  Complete  AVorks  in  verse  and  prose  of  G.  Herbert  ed.  A. 

B.  Grosart  (Füller  Worthies'  Library),  3  Vols.,  1874. 

185  ^)  The  Complete  Works  of  Richard  Crashaw  ed.  A.  B.  Grosart 

(Füller  Worthies'  Library),  2  Vols.,  1872,  73. 
"-)  Eine    kritische  Ausgabe    von   Quarles    steht   zu   erwarten    für   die 
Chertsey  Worthies'  Library. 

186  ^)  S.  Eleg.  13  in  Sions  Elegies  Thi-enodia  III.   (in  der  mir  vorliegen- 

den Ausgabe  der  Divine  Poems  von  1638  p.  467). 

187  ^)  Herrick:  „Gather  ye  rosebuds  while  ye  may." 

Stern,  Milton  U;  s.  Zeit.    I.  1.  21 


322  Anmerkungen. 

Seite 

188  ^)  Ich  benutze  den  Reprint  von  W.  Arber  1870. 

2)Poetical  Works  of  Edmund  Waller  ed.  R.  Bell.  1854. 

191  ^)  S.  den  Aufsatz   von    C.    Kingsley:    Plays   and  Puritans   in   der 

gleichnamigen  Sammlung  von  Essays,  Macmillan  1873. 

192  ^)  Statute  1,  Charles  I.  cap.   1  touching  theatrical    exhibitions,  abge- 

druckt b.  Hazlitt  1.  c.  (Roxburghe  -  Library  1869)  p.  59  am 
Schluss :  „This  Act  to  contynue  untill  the  end  of  the  first  Session 
of  the  next  Parliament,  and  no  longer."  Vgl.  Collier:  Annais 
of  the  Stage  (1831)  II.  1. 

2)  Abgedruckt  von  Hazlitt  a.  a.  0.  p.  231—252. 

■■')  Collier  III.  311,  IL  22,  38—43,  III.  298,  309.  Weingarten  70 
hat  sich  durch  eine  untergeschobene,  von  Prynne  selbst  bekämpfte 
Schrift  täuschen  lassen,  wenn  er  annimmt,  dass  dieser  1649  den 
Histriomastix  widerrufen  habe,  s  Roxburghe-Library  1.  c.  266  ff. 

*)  Vgl.  auch  die  ironische  Dedikation  von  Shirley's  ßird  in  a  cage 
(Works  IL)  Indess  ist  hier,  wie  in  den  State-Trials ,  irrthümlich 
als  Datum  des  Prjune'schen  Processes  1633  statt  1634  (Febr.  7) 
angegeben,  vgl.  C.  S.  P. 

193  ')  W^orks  of  W.  Browne  1.  c.  IL  68,  eine  Anspielung  auf  Gondomar 

IL  275,  einen  charakteristischen  Brief  an  S.  B.  Rudyard  v.  29.  Nov. 
1640:  I.  p.  XXXVL 
2)  The  Poems  of  P.  Fl  et  eher  1.  c.  L  p.  CXXV.  CXVII.  etc.  Ob 
Fletcher  später  in  den  Wirren  der  Revolution  seine  Pfarrstelle  hat 
aufgeben  müssen ,  bleibt  ebenso  ungewiss ,  wie  das  Datum  seines 
Todes,  s.  1.  c.  I.  p.  CLL  ff. 

194  ^)  Juvenilia  Poems    by   George  Wither,    3  Parts.     Printed  for  the 

Spenser- Society  1871.  Issue  Nr.  9—11.  Miscellaneous  Works 
of  George  Wither,  3  Collections.  Printed  for  the  Spenser- Society 
1872—74.  Issue  Nr.  12.  13.  16.  Eine  neue  Biographie  Wither' s 
von  James  Crossley  ist  in  Aussicht  gestellt.  W.  nennt  seine 
Satyren  im  Vorwort  an  den  Leser  „these  first  fruites  of  my  In- 
fant Muses". 

195  ')  Näheres  über  die  Zeit  der  verschiedenen  Publikationen  b.  Hazlitt 

Bibliogi-aphy. 

196  i)Browne's  Works  a.  a.  0.  Register  s.  v.  Wither,   L  p.  XXV. 

In  Wither 's  „The  Shepheards  Hunting"  (Spenser- Soc.  Nr.  10, 
p.  485  ff.)  verbirgt  sich  vernuithlich  Browne  unter  „Willie".  Dass 
auch  „Faire-Virtue"  eine  Jugendarbeit  war,  sagt  das  Vorwort  des 
Stationer  a.  a.  0.  p.  707. 
'•^)  S.  z.  B.  p.  754  ff.  Häufig  erinnert  die  Beschreil)ung  an  eine  ähn- 
liche in  Brittain's  Ida.  Auffällig  ist  die  fast  wörtliche  Ucberein- 
stimmung  von  Wither  p.  7G9  „Smooth  alike"  etc.  mit  Fletcher  a.  a.  0. 
p.  67 ;  doch  ist  auch  diese  Wendung  damals  wohl  konventionell 
gewesen. 


Viertes  Kapitel.  323 

Seite 

196  3)  Spenser-Soc.   Nr.   12,  p.   20,   21,   31,   37,  .38,   137.      Ein  früheres 

Urtheil  Withers  über  die  Dichter  seiner  Zeit  Nr.  9,  p.  291  ff. 

197  i)Spenser-Soc.  Nr.  9,  p.  316,  274,  202,  203  ff.,  197. 

2)  Samuel    Daniel    1562—1619,   Verfasser    der    „History   of  the  civil 

wars"  etc. 
^)  The  Mistresse  of  Philarete  a.  a.  0.  Nr.  11,  p.  739. 

198  ^)  S.   d.   oben    cit.   Stelle,    vgl.    ausserdem   „Abuses"    Lib.  2   Sat.  3 

(p.  292). 
^)  Time  vindicated   to  himself  and  to  bis  honours  B.  J.  Works  (Ed. 
Gifford-Cunningham  III.  169-176,  vgl.  I.  .52). 

Ettnftes  Kapitel. 

200  •)Masson  I.  525. 

2)D.  Testament  v.  Phillips  d.  12.  Aug.  1631  b.  Massen  II,  98. 

201  >)  S.  0.  S.  110;    üb.  El.  1  v.  49  ff.,  s.  P.  W.  III.  487. 

^)  S.  über  die  Lokalitäten  und  Personalien  Masson  I.  518  ff.  Das 
Haus,  in  welchem  Milton  wohnte,  wurde  um  1798  niedergerissen, 
Todd  I.  23.  Ohne  irgend  welche  Beweise  beizubringen,  lassen 
War  ton  und  Symmons  das  Landhaus  von  Horton  im  Eigenthum 
des  Grafen  von  Bridgewater  stehen. 

^)  C.  S.  P.  1637,  p.  XXX. 

*)Def.  sec.  W.  VI.  287,  vgl.  E.  Phillips  357.  Eine  irrige  Be- 
ziehung von  El.  IV.  26  auf  diese  Zeit  b.  Mitford  XXH. 

202  >)S.  üb.'  d.  beiden  Bände:   Sotheby   108  ff.,  Tab.  XV.      Ich   kann 

mit  diesem  indess  in  der  Beurtheilung  des  Spec.  1*  nicht  über- 
einstimmen. Ob  das  Zeichen  „at  the  corner"  D.  S.  bedeutet,  ist 
zweifelhaft,  jedenfalls  entspricht  die  Handschrift  nicht  der  im 
zweiten  Theil  des  Ms.  der  „Doctrina  Christiana"  (im  Record-Office) 
auftretenden. 

2)  An  Apology;  W.  HI.  272. 

3)Ep.  fam.  7;  W.  VIL  377,  vgl.  Wachler,  Gesch.  d.  histor.  For- 
schung und  Kunst,  I.  149,  152. 

*)Ep.  fam.  7;  W.  VH.  379,  vgl.  W.  III.  270.  Silvar.  1.  ad  Patrem 
82—85  (P.  W.  III.  528),  Francini's  Ode  (P.  W.  III.  37  v.  60). 

203  1)  S.  z.   B.  Ep.  fam.   5  (W.  VII.   373)  AI.  Gillio  e  nostro  suburbano 

Dec.  4,  1634  .  .  „Vale,  meque  Die  Lunae  Londini  (si  Deus  voluerit) 
inter  ßibliopolas  expecta."  Die  Briefe  6  und  7  (Sept.  Ib37)  sind 
aus  London  datirt.  A.  E.  von  Nr.  6  heisst  es  „jam  cras  sumus  rus 
illud  nostrum  redituri",  das  „ubi  nunc  sum"  in  Nr.  7  beziehe  ich 
auf  Horton  und  kann  daher  an  einen  längeren  Aufenthalt  Milton's 
in  London,  etwa  für  den  ganzen  Winter  1637,  nicht  glauben. 
2)  S.  üb.  d.  Lawes  nächst  Todd  V.  215—230:  P.  W.  I.  220  ff.,  231, 
290—293,   vgl.  The  old   cheque  book   etc.  ed.   E.   F.  Rimbault 

21* 


324  Anmerkungen. 

Seite 

(Camden-Soc.  1872),  s.  v.  Lawes.  Ich  folge  der  hier  S.  200  und 
'P.08  gemachten  Angabe,  betr.  die  Abstammung  der  Brüder  Lawes, 
in  der  Annahme,  dass  ihr  urkundliche  Zeugnisse  zu  Grunde  liegen. 
Nach  d.  gewöhnlichen  Annahme  sind  die  Lawes  Söhne  des  „Tho- 
mas Lawes  a  vicar  choral  of  the  church  ot  Salisbury",  und  diese 
Xachi'icht  findet  sich  auch  in  den  oben,  S.  19  Anm.  4,  erwähnten, 
unter  W 00 d's  Mss.  in  d.  Bodleiana  befindlichen  Biographieen 
englischer  Musiker  S.  115. 

204  ')  iS    Waller's   Gedicht    „To    Mr.    Henry    Lawes"    etc.    üb.    Hobbes: 

Aubrey,  Letters  etc.  II.  623. 

205  1)  Whitelocke   Memorials   (Ed.   18-53)   L   53   ff.      Warton,    hist.   of 

E.  Poetry  (ed.  Hazlitt  1871)  IIL  318,  Works  of  Shirley  ed.  Dyce 
VI.  253—285,  L  p.  XXIII.  ff.,  Poems  of  Carew  ed.  Hazlitt. 
■^)  Milton's  Commonplace-Book  (ed.  by  A.  J.  Horwood,  Camden- 
Society  1876)  p.  50. 
-206  1)  Gill  1.  c.  p.  98  sagt  bei  Gelegenheit  der  „Metapher":  „Nee  te 
pigeat  a  Juvenali  nostro  Georgio  Withers,  ubi  satyrae  asperitatem 
speniit,  frequentem  audire  Metaphoram"  etc.,  vgl.  über  die  Ange- 
legenheit Ben  Jonson's  Works  III.  172,  IL  437,  438;  Collier 
II.  25,  43,  44. 

207  ^)  Nur  vom  Comus  ist  das  Datum  1034  genau  bekannt,  doch  sprechen 

innere  Gründe  dafür,  auch  die  übrigen  zu  erwähnenden  Gedichte 
jenen  Jahren  von  Horton  zuzuweisen,  wenn  man  das  Sonett  und 
den  „Gesang  auf  den  Mai-Morgen"  wegen  seines  Platzes  in  der 
Ausg.  V.  1645  nicht  an's  Ende  der  cambridger  Epoche  setzen  will, 
vgl.  die  Einleitungen  in  P.  W. 
«)  P.  W.  II.  475  To  the  Nightingale. 

208  *)  Drummond's    Sonett :    The    Nightingale    z.   B.    abgedruckt    bei    H. 

Morley:  The  King  and  the  Conimons  p.  84. 
2)  P.  W.  IL  413.     Song  on  Maymorning. 
«)  P.  W.  IL  418—29,  205—209.     III.  366—389. 
*)G..  Liebert   34,    dessen   feinsinnige  Analyse,    auch  im  Folgenden 

benutzt,  grosses  Lob  verdient. 

209  ^)  Nach  der  sehr  freien  Uebersetzung  von  Adolf  Böttger.    4.  Aufl. 

S.  403. 

^)  So  fasse  ich  mit  Liebert  das  „then"  in  v.  117  gegen  Warton 
und  Massen. 

")  Die  bekannte  Stelle,  auf  die  noch  in  Kap.  5  einzugehen  ist,  lautet: 
v.  131.  „Then  to  the  well-trod  stage  anon,  |  If  Jonson's  learned 
sock  be  on,  |  Or  sweetest  Shakspeare,  Fancy's  child,  |  Warble  bis 
native  wood-notes  wild."  Der  Doppelsinn  des  „nativc"  („heimisch" 
und  „natürlich")  ist  für  die  Beurtlieilung  der  Stelle  zu  beachten. 
Ich  schliesse  mich  in  der  Uebersetzung  an  Liebert  an. 

210  ')  Liebert. 


Fünftes  Kapitel.  325 

Seite 

211  >)  Dichtung  und  Wahrheit,  T.  3,  B.  13. 

•■')  Pauli:  Aufsätze  z.  Engl.  Gesch.  (1869\  S.  353,  vgl.  272. 

218  ')The  StanleyPapers  I.  37—45  (Chetham-Soc.  1853),  auch  fiir 
das  Folgende. 
*)  Vgl.  üb.  d.  Personalien  P.  W.  II.  211  ff.  Massonl.  559,  gestützt 
auf  die  Egerton-Papers  (Camden-Soc.  1840),  nimmt  noch  an, 
dass  die  erste  Aufführung  des  Othello  1602  bei  Gelegenheit  eines  Be- 
suches Elisabeth's  in  Harefield  stattgefunden  habe.  S.  indess  über  die 
Fälschungen  in  jenen  Dokumenten  Ingleby:  A  complete  view  of 
the  Shakespeare-Controversy,  1861. 

214  *)  Dass  Milton,  unabhängig  von  Lawes,  mit  der  Familie  Egerton  be- 

kannt geworden  sei,*  lässt  sich  nicht  nachweisen.  Vgl.  die  pole- 
mischen Bemerkungen  von  Keightley  119 — 122  und  Masson  I. 
563,  Anm. 

2)  P.  W.  IL  429 — 432,  III.  389—395.  Die  Gründe ,  aus  denen  ich 
mich  nicht  für  gezwungen  halte,  d.  Arcades  mit  Sotheby  und  neuer- 
dings auch  Masson  (P.  W.  IL  210,  211)  in  d.  cambridger  Epoche 
zu  setzen  s.  Gott.  gel.  Anz.  1875,  S.  839,  840,  woselbst  es  aber 
statt  „Dec.  1632"  heissen  muss  „Dec.  1631".  Der  Tod  der  Gräfin 
V.  D.  (26.  Jan.  1637)  giebt  nach  d.  einen  Seite  hin  eine  bestimmte 
■  Zeitgrenze. 

^)  So  War  ton,  dagegen  wendet  sich  Keightley  278,  279,  der  aber 
doch  das  „presented"  im  Titel  zu  eng  fasst. 

215  ^)  Es  scheint  mir  gesucht,  mit  Masson  in  dieser  Gestalt  einen  der 

Untergebenen  der  Countess  oder  gar  Lawes  zu  erkennen. 

217  ')  S.  über  die  Personalien  der  Bridgewater- Familie,   die   Lokalitäten 

von  Ludlow  u.  s.  w.  nächst  T  o  d  d  die  Bemerkungen  in  P.  W.  IL 
227 — 260;  über  das  Datum  der  Aufführung  des  Comus,  Lawes'  Mit- 
wirkung, die  Vertheilung  der  Rollen  vgl.  die  erste  Ausgabe  von 
1637  s.  u.  Anm.  1  zu  S.  240. 

218  1)  Bacon  Works  VI.  467   „Of  Masques  and  Triumphs".     S.  über  die 

Maskenspiele  im  allg.  J.  Schmidt:  Ueber  Ben  Jonson's  Masken- 
spiele in  Herrigs  Archiv  XXVII.  55 — 91.  K.  Elze  im  Jahrbuch 
der  deutschen  Shakespeare-Gesellschaft  III.  150,  151.    IV.  132  ff. 

219  ')  Notes  of  B.  Jonson's  conversations  with  W.  Drummond  ed.  Laing 

(Shakespeare-Society  1842,)  p.  4. 
2)  Elze  a.  a.  0.  IV.  134,  135.    Dramatic  W.  of  Davenant  IL   250  ff. 
Vgl.    Gifford  in    s.  Memoirs   of   B.  Jonson   und   B.  J.   Works   III. 
209  ff. 

220  ')  Comus,  P.  W.   IL  433—468,   vgl.   die  Einleitung  IL  227—260  und 

die  Anmerkungen  III.  '395 — 444.  An  dieser  Stelle  (436—444)  sind 
die  Varianten  der  beiden  vorhandenen  Mss.  des  Comus,  des 
Original-Ms.  von  Milton's  Hand  in  Cambridge,  und  des  s.  g. 
Bridgewater-Ms.  (Br.  Ms.),  das  der  Aufführung  diente  und  zahlreiche 


326  Anmerkungen. 

Seite 

Balinenanweisungen  enthält,  unter  sich  und  von  den  Drucken  sorg- 
fältig angegeben ,  und  damit  ist  es  unnöthig  geworden  auf  T  o  d  d 
zu  verweisen.  Ich  suche  ein  Bild  von  der  wirklichen  Darstellung 
zu  geben  und  bemerke,  was  ich,  von  dieser  abweichend,  aufnehme. 
Bei  der  Uebersetzung  sind  benutzt  worden  Böttger  und  die  sehr 
anerkennenswerthe  Arbeit  von  Immanuel  Schmidt:  Milton's  Comus 
übersetzt  und  mit  einer  erläuternden  Abhandlung  begleitet,  Berlin 
1860,  Haude-  und  Spener'sche  Buchhandlung  (ursprünglich  z.  Th. 
Programm  d.  Fried.- Wilh.-Gymnasiums).  Ueber  Lawes'  Musik,  (die 
Komposition  zu  fünf  Gesängen  handschriftlich  im  Br.  M.  Add.  Ms. 
11518),  s.  ausser  Todd  und  Masson:  Hawkins:  A  general  history 
of  the  science  and  practice  of  music  IV.  50  fl'.  und  Burney 
A  general  history  of  music  III.  380. 

221  ^)  Ich  denke  dabei  nicht,  wie  Schmidt  S.  22,  an  ein  Recitativ. 

223  *)  Nach  Schmidts  guter  Vermuthung  zu  v.  223  sollte  auch  dies  durch 
einen  scenischen  Effekt  veranschaulicht  werden.  Uebrigens  blieben 
bei  der  Aufführung  die  mitgetheilten  Verse  (wie  überhaupt  195  bis 
225)  fort,  s.  P.  W.  III.  441. 
^)  Nach  meiner  Meinung  übersetzt  Schmidt  v.  358:  „Of  savage 
hunger,    or    of  savage   heat"    falsch  mit   „Des  wilden   Hungers 

oder  wilder  Brunst"  und  Böttger  viel  richtiger:   „Wenn  sie 

ein  Raub  dem  ärgsten  Durst  und  Hunger  würde."  Die  „wilde 
Brunst"  als  ein  Grund  der  Furcht  tritt  erst  v.  393  ff.  als  ein  Neues 
auf,  auch  v.  370  „Not  being  in  danger,  as  I  trust  she  is  not",  und 
der  Zusammenhang,  in  dem  er  steht,  spricht  gegen  Schmidt's  Deu- 
tung.    Uebrigens  fehlen  v.  357 — 3(i5   in  den  beiden  Mss.,  s.  P.  W. 

m.  441. 

226  ^)  Ueber   diejenigen   hier   mit   benutzten   Stellen    aus  den  Reden  des 

Comus  und  der  Jungfrau,  die  Milton  später  erst  zusetzte,  oder  die 
bei  der  Aufführung  weggelassen  wurden,  s.  P.  W.  III.  441. 
^)  Stage-Direction  des  Br.  Ms.  nach  v.  866  „The  verse  to  singe  or 
not".  Ich  beziehe  diese  Anweisung  nur  auf  v.  866  und  werde 
dazu  noch  durch  das  „To  be  said"  vor  v.  867  in  Milton's  Ms. 
bewogen.  Man  beachte  (gegenüber  den  Erklärungen  v.  Masson 
und  Schmidt)  den  Gegensatz  von  v.  854:  „Warbled  song"  und 
von  V.  858  „and  add  the  power  of  some  adjuring  verse",  nach 
Miltons  Ms.  ursprünglich:  „and  add  the  power  of  some  streng  verse." 

227  ')  Aus    der  Bühnen- Anweisung  der  Mss.  nach  v.    937:    „Song  ends" 

geht  hervor,  dass  von  v.  890 — 937  der  Gesang  gedauert  hatte,  nach 
dem  Br.  Ms.  waren  die  Verse  938 — 957  bei  d.  Aufführung  zwischen 
dem  Schutzgeist  und  dem  ältesten  Bruder  vertheilt. 
*)  Nicht,  wie  Schmidt  23  meint,  „um  die  Ankunft  der  Geretteten 
zu  feiern",  sondern  nach  Milton's  Intentionen  zunächst,  noch  ehe 
diese  erscheinen,  zu  Ehren  des  neuen  Lord-President,  eine  Idee,  die 


Fünftes  Kapitel.  327 

Seite 

schon  durch  v.  952  vorbereitet  war.  Vgl.  Stage-Direction  im  Br. 
Ms.:  „towards  the  end  of  these  Sports"  etc. 
')  Schmidt,  der  v.  976  ff.  auch  bei  d.  Aufführung  beibehalten  lässt, 
verlegt  dies  zu  v.  922.  Nach  d.  iVerzeichnis  der  Kompositionen 
wurde  v.  1012  (mit  Weglassung  des  „But")  bis  1023  gesungen, 
nur  aus  Versehn  blieb  im  Br.  Ms.  stehn :  „the  Daemon  sings  or 
says". 

229  *)  „This  poem,  which  received  its  first  occasion  of  birth  from  yourself 

and  others  of  your  noble  family"  s.  u.  Anm.  1  zu  S.  240. 
^)  S.  Bayle  und  Zedier.  Ich  benutze  des  P.  Schrift  in  folgender 
Ausgabe:  Eryci  Puteani  Comus,  sive  Phagesiposia  Cimmeria. 
6omnium.  Additi  sunt  ejusdem  autoris  Thyrsi  Philotesii  sive 
amor  laconissans  consolatio  caecitatis.  Argentorati,  Sumptibus  here- 
dum  Lazari  Zetzneri.    M.DC.XXVIII. 

230  ')  S.  den  Nachweis  bei  Schmidt  a.  a.  0.  S.  28.  29.     Obgleich  es  er- 

klärlich wäre,  wenn  Milton,  ein  Mal  mit  Puteanus  beschäftigt,  auch 
seinen  übrigen  Schriften  Aufmerksamkeit  zugewandt  hätte,  wird  man 
sich  doch  wohl  zu  hüten  haben,  folgende  Stellen  in  Verbindung  zu 
setzen:  Puteanus:  Consol.  Caecitatis,  p.  269:  „Habet  et  suas  nox 
voluptates".  Comus:  123,  124  „Night  hath  better  sweets  to  prove; 
Venus  now  wakes,  and  wakens  Love"  P.  C.  C.  p.  270 :  „Virb  pru- 
denti,  togato,  uno  verbo,  Seni,  in  pectore  dies  est;  istic  cernit,  ubi 
scire  et  intelligere  datum  est."  Comus  381,  382.  „He,  that  has 
light  within  his  own  clear  breast,  May  sit  i'the  center,  and  enjoy 
bright  day". 

231  ')B.  Jonson's  W.  III.  121.  126.     Godwin:  Lives  of  Edward  and 

John  Philips  p.  387-  407  scheint  mir  die  Abhängigkeit  Miltons  von 
Ben  Jonson  i.  a.  stark  zu  übertreiben.  Von  Interesse  ist  auch  d. 
Stelle  in  Massinger's  City  Madam  (Licensed  May  2-5,  1632)  Ed. 
Cunningham,  p.  44.5  A  IV  Sc.  2:  „And  the  god  of  pleasure  |  Master 
Luke,  our  Comus,  enters." 

^)  M.  Rapp  scheint  noch  an  ihr  festzuhalten,  wie  er  auch,  ohne  jeden 
Grund,  geneigt  ist,  anzunehmen,  3Iilton  habe  sich  zur  Zeit  der  Auf- 
führung des  Comus  auf  Ludlow-Castle  befunden;  s.  Herrig's  Ar- 
chiv XX.  387. 

=>)  S.  The  Works  of  G.  Peele  ed,  A.  Dyce  (1829),  I.  203—251. 

*J  S.  Schmidt's  Bemerkung  8.32  zu  v  69  der  Arcades  und  Todd's 
Notiz  zu  einer  Stelle  in  den  „Animadversions  upon  the  Remonstrant's 
Defence"  etc.,  angeführt  von  Dyce  Bd.  I.  p.  XXXI.  Mau  ist  indess 
nicht  genöthigt  anzunehmen,  dass  Milton  der  Peele'sche  „Edward  I" 
bei  dieser  Stelle  vorschwebte,  wenn  ihm  niu-  die  Ballade,  auf  der 
er  beruht,  bekannt  war. 

232  *)  Man  hat  auch  auf  das  Lied  Echos  in  Ben  Jonson's:    Cynthia's 


328  Anmerkungen. 

Seite 

Revels   (Works  I.  151)  und  auf  Brown e's  „Inner  TempleMasque" 
(Works  ed.Hazlitt  II.  254,  255)  hingewiesen. 
2)  The  faithful   shepherdess:   Works    of  Beaumont  and  Fletcher 
'  ed.  A.  Dyce  1843,  II.  1—121  vgl.  I.  p.  XXXIII. 
233  ')  So  gut  wie  gar  keinen  Zusammenhang  mit  der   „Faithful   shepher- 
dess"   kann    ich    erkennen    in    Comus    143,    312   ff.   393    ff,    wo 
Warton  ihn  auch  hat  finden  wollen.    Auch   Schmidt   a.   a.   0. 
scheint  mir  hie  und   da  zu  weit  zu  gehen,  z.  B.  mit  Bezug  auf  v. 
796  ff. 
236  ^)  S.  Schmidt  ö8. 

^)S.  z.  B.  die  Bemerkungen  v.  Schmidt  S.   57   zu  v.  221  —  225.  S. 
59  zu  V.  21  ft: 

239  ')  P.  W.  III.  81,  II.  365;  d.  Brief  an  Gill  Dec.  4,  1634  W.  VII.  373. 
*)  Wood.        3)  Wood. 

^)Masson  I.  594,  daselbst  r>93  d.   entsprechende   Eintrag  aus   dem 
Kirchenbuch. 

240  ^)  Br.  M.  C.  34.d.46.  „AMaske  1  Presented  |  AtLudlow  Castle,  |  1634:  | 

On  Michaelmasse  night,  before  the  |  Right  Honorable,  |  John  Earl 
of  Bridgewater,  Viscount  Brackly,  |  Lord  Praesident  of  Wales,  And 
one  of  I  His  Majesties  most  honoi'able  |  Privie  Counsell.  |  Eheu  quid 

volui  misero  mihi!  floribus  austrum  perditus |  London  |  Prin- 

ted  for  Hvmphrey  Robinson,  |  at  the  signe  of  the  Three  Pidgeons 
in  I  Pauls  Church-yard.  1637."     4o  35  S. 

241  1)  C.  Diodato  Lond.  Sept.  2,  23,  1637  W.  VII.  376—378. 

'^)  B  r.  M.  239.  k.  36  „ Justa  I  Edovardo  King  ]  naufrago ,  |  ab  |  Amicis 
moerentibus,  [  amoris  [&  l^rf/Vt^/ftp«'.  |  Sirectecalculumponas,ubique 
naufragium  est.  |  Pet.  Arb.  |  Cantabrigiae  |  apud  Thomam  Bück,  & 
Rogerum  Daniel,  celeberrimae  !  Academiae  typographos.  1638."  4°, 
36  S.  darauf  ein  neuer  Titel  „Obsequies  to  |  the  memorie  ]  of 
Mr.  Edward  |  King,  |  Anno  Dom.  |  1638.  |  Printed  by  Th.  Bück,  and 
R.  Daniel,  |  printers  to  the  Universitie  of  |  Cambridge.  1638."  25 
S.  —  p.  W.  IL  469—474  vgl.  261—276  III.  445.  —  Dass  „R.  C." 
unter  den  Verfassern  der  ersten  Partie  Crashaw  bedeute,  ist  auch 
die  Meinung  von  A.  B.  Grosart  1.  c.  I.  XXXII.  Milton's  Gedicht 
füllt  p.  20 — 25.  Man  ist  fast  versucht,  in  Cleveland's  Versen  eine 
leise  Ironie  auf  die  seines  ehemaligen  College-Genossen  zu  erblicken. 
TIebrigens  findet  sich  in  der  Ausg.  v.  Cleveland's  Poems  (1656)  noch 
ein  kürzeres  demselben  Gegenstand  gewidmetes  Gedicht. 
243  ')  Das  Material  über  die  viel  bestrittenen  Verse  130,  KU:  „But  that 
two-handed  engine  at  the  door  |  Stands  ready  to  smite  once  and 
smite  no  more"  hat  Masson  P.  W.  III.  454—456  zusammengestellt. 
.\uch  mir  scheint  es  am  natürlichsten  in  erster  Linie  an  biblische 
lieminiscenzen  zu  denken ,  und  ich  verweise  noch  auf  Offenb.  Joh. 
3,  20  und  Ebräer  4,  12;  vgl.  eine  entsprechende  Stelle  aus  Ains- 


Fünftes  Kapitel.  329 

Seite 

worth  Animadversion  to  Mr.  R.  Clyfton's  advertisement  1613  (b. 
Weingarten  31):  „with  that  two-edged  sword,  that  proceedet  hout 
of  Christ's  mouth". 

245  ')  Hacket:  Scrinia  reserata  (1693)  II.  125,  C.  S.  P,  1637,  daselbst  auch 

über  die  Fälle  v.  Prynne,  Bastwick  und  Burton. 
-)  S.  Eawsou-Gardiner:  H.  of E.  1624— 2s,  11.197  (Febr.  11, 1628); 
vgl.  über  den  Zusammenhang  des  Schiifsgeldes  mit  der  auswärtigen 
Politik  die  Einleitungen  von  Bruce  zu  der  C.  S.  P. 

246  ')  Dieses  ürtheil   stützt   sich   auf  die  neues ten-^  Untersuchungen   von 

Rawson  Gardin  er  H.  of  E.  1624  —  28,  nur  mit  dem  Satze  II. 
321  über  das  Thema  „Was  he  an  apostate?"  kann  ich  nicht  über- 
einstimmen. In  der  Fortsetzung  von  Eawson  Gardiner's  Arbeit 
wird  man  neues  Material  ziu:  Geschichte  Strafford's  erwarten  dürfen, 
während  die  Biographieen  von  Forster:  Statesmen  of  the  Common- 
wealth of  England  (Ed.  New- York  1846)  und  Macdiarmid:  Lives 
of  British  Statesmen  (Ed.  1835)  die  „Letters  and  Dispatches"  und 
Radcliffe's  beigedruckten  Essay  vorzüglich  ausbeuten.  Die  Bio- 
graphie von  E.  Cooper,  1874,  2  Vols.,  hat  mir  nicht  vorgelegen. 
248  ^)  S.  d.  von  Rawson  Gardiner  in  der  Bodleiana  aufgefundene 
Rede  v.  Dec.  1628,  abgedruckt  in  der  Academy  1875  Xo.  161. 
p.  581—583. 

251  ')  S.  den  interessanten,  allerdings  erst  auf  den  Juli  1638  bezüglichon 

Bericht  des  Venetianers  Zonka  (S.  R.  Gardiner:  Gleanings  frora 
the  Venetian  Archives  1628-37,  Academy  1875,  No.  186.  p.  354). 

252  ')  On  Shakespeare.  P.  W.  II.  414.  vgl.  198,  199.    Ich  gebe  die  Ueber- 

setzung  von  Boden stedt  (W.  Shakespeare's  Sonette  in  deutscher 
Nachbildung,  2.  Aufl.  1866,  S.  9)  und  nur  die  2  letzten  Zeilen  nach 
Böttger.  Leider  gekn  v.  9.  10  in  der  Uebersetzung  verloren: 
„For  whilst ,  to  the  shame  of  slow-endeavouring  art ,  T  h  y  e  a  s  y 
numbers  flow"  etc.  und  diese  sind  besonders  charakteristisch, 
weil  sie  rühmen,  was  Milton  fehlte.  Gervinus:  Shakespeare  3. 
Aufl.  I.  13  scheint  anzunehmen,  das  Gedicht  stamme  aus  IMilton's 
Alter. 

253  ^jFlecknoe:  „Comparing  him  (B.  Jonson)  with  Shakespeare  you  shall 

see  the  difference  betwixt  Natiu'e  and  Art"  etc.  S.  Roxburgh- 
Library,  1869,  p.  278)  Phillips:  Theatrum  poetarum  Anglica- 
norum  (Ich  benutze  Ed.  1800)  p.  241.  „Ben  Jonson,  the  most 
learned  judicious  and  correct,  generally  so  accounted,  of  our 
English  Comedians,  and  the  more  to  be  admired  for  being  so,  for 
that  ueither  the  height  of  natural  parts,  for  he  was  no  Shakespeare 
.  .  .  advanced  him  to  this  perfection"  p.  240 :  „William  Shakespeare, 
the  glory  of  the  English  stage  .  .  .  never  any  expressed  a  more 
lofty  and  tragic  height,  never  any  represented  nature  more  purely 
to  the  life,  and  where  the  polishments  of  art  are  most  wanting,  as 


330  Anmerkungen. 

Seite 

probably   bis  learning  was  not   extraordinary ,   he  pleaseth  with  a 
certain  wild  and  native  elegance"  etc.  vgl.  Preface  p.  XXXVII. 
254  ^)  Eikonoklastes  Ch.  1,   W.  III.  345,  vgl.  die  Anmerkung   in  Ed.  St. 
John  I.  326. 

2)Dryden:  Preface  pref.  to  the  Fables  (Poet.  W.  Ed.  1811,  III.  14). 

3)  Liebert  38. 
2-55  »)  Wither:  The  poet  (abgedr.  b.  Morley  138). 

2)  S.  0.  S.  105,  V.  19,  20  lauten:  „Not  those  new-fangied  toys,  and 
trimming  slight  |  Which  takes  our  late  fantastics  with  delight." 
Das  Göthe'sche  „Gott  sandte  seinen  rohen  Kindern"  u.  s.  w.  ver- 
wendet ein  ähnliches  Bild,  wie  Milton  in  diesem  Gedicht. 

256  ^)  The  Reason  of  Church-Government  W.  III.  147. 

^)  Carew:  An  Elegie  upon  the  Death  of  Dr.  Donne  (Ed.  Hazlitt 
p.  94.)  -  Spenser  wird  von  Milton  in  d.  Areopogitica  (W.  IV.  412) 
„our  sage  and  serious  Poet  Spencer  .  .  a  better  teacher  then  Scotus 
or  Aquinas"  genannt. 

257  ^)  Wither:  The  poet.  Sehr  nahe  berührt  sich  mit  Milton's  Auffassung 

auch  G.  Fl  et  eher  in  der  Vorrede  zu  „Christs  Victorie",  (Ed. 
Grosart  71)  der,  wie  ohne  Zweifel  auch  Milton,  wiederum  von 
Plato  beeintiusst  wird. 
^)  The  Reason  of  Church-Government  1.  c.  Ich  folge  der  sehr  freien 
Uebersetzung  von  Liebert  51  mit  Heranziehung  derjenigen  von 
G.  Weber:  John  Milton  etc.  ursprünglich  in  Raumer's  bist.  Ta- 
schenbuch 1852,  53  neuerdings  aufgenommen  in  des  Verf.  Aufsätze 
„zur  Geschichte  des  Reformations  Zeitalters,"  1874  S.  446. 

258  ^)  An  Apology  against  a  pamplilet  etc.  W.  III.  269  ff. 

259  ')  S.  d.  Auszüge  b.  Masson  I.  685  „1639  An  Infant  sonne  of  Christo- 

pher Milton,  gent. ,  buried  March  the  26th."  „1640  Sarah,  the 
daughter  of  Christopher  and  Thomasin  Milton,  baptized  Aug.  llth." 
Vgl.  den  Stammbaum  in  Ed.  Pickering,  Vol.  I. 

260  ^)  Wood,  Walton:  Reliquiae  Wottonianae,  Ed.  1672.     The  Life  of 

W.  Bedell  (Gamden-Society  1872),  Rawson  Gardiner:  Eng- 
land 1603—1610  II.  58   etc.     Ueber  Ilales    s.    TuUoch:  Rational 
Theology  and  Christian  Philosophy  1872  I.  170-261. 
'^)Donne's  Poems  ed.  A.  B.  Grosart,  II.  22. 

261  ')  Wotton's  Brief,  aufgenommen  auch  in  die  Reliquiae  Wottonianae, 

ist  von  Milton  dem  Comus  später  vorgedruckt  worden.  S.  P.  W. 
II.  434,  435.  vgl.  Todd.  Die  Auflösung  der  Chiffren  H.  (Haies), 
R.  (Rouse)  R.  (Randolph)  B.  (Branthwait)  S.  (Scudamore)  liegt 
nahe.  Die  Zeit  von  Milton's  Abreise  wird  durch  Wotton's  Postscriptum 
bestimmt.  Der  Brief  II.  Lawes' ,  der  den  Eilaubnis  -  Schein  des 
„Lord  Warden  of  the  Cinque  Ports"  enthielt,  ist  zugleich  mit  Mil- 
ton's Commonplace-Book  aufgefunden  und  mit  diesem  (Camden- 
Society  1><76,  j).  XVI)  abgedruckt  worden. 


Sechstes  Kapitel.  '  331 

Seite 

Sechstes  Kapitel. 

263  ^)  Forster  :  Statesmen  of  the  Commonwealth  New-York  1846  p.  373. 

Auch  Henry  Vane  verweilte  einige  Zeit  in  Genf,   s.  Forster  a.  a. 

0.  p.  266  Boyle's  Autobiographie  Works  I.  11  ff. 

2)  Pef.  sec.  W.  VI.  310. 

264  ')  „Commendatum  ab  aliis  nobilissimus  vir  Thomas  (so  irrthümlich) 

Scudamorus  .  .  .  humanissime  accepit."  Def.  sec.  daselbst  über   die 
weitere  Reise.    W.  VI.  287.    Näheres  über  Scudamore  bei  M  a  s  s  o  n 

1.  699. 

*)  Gibson's  parochial  history  of  Door,  Holme-Lacy  etc.  (1727),  auf 
die  sich  Masson  I.  703,  IL  368  beruft,  steht  mir  nicht  zu  Gebot. 
S.  zwei  fi-eundliche,  gleichgiltige  Briefe  an  Land  v.  5/15.  März  und 
1/11  Mai  1635  in  H.  Grotii  Epistolae  (1687)  No.  372,  402. 

3)  Phillips  358. 

*)  W  0  0  d  ohne  Quellenangabe :  „the  manners  and  genius  of  that 
place  being  not  agreable  to  his  mind." 

268  ^)  S.  über  die  italienischen  Akademien :  J.  Jarkii  Specimen  historiae 
academiarum  eruditarum  Italiae  1729,  J.  A.  Fabricius:  Conspe- 
ctus  thesauri  litterarii  Italiae,  1749,  Tiraboschi:  Storia  della 
Letteratura  Italiana  (Ed.  1822—1826).  Hallam:  Introduction  to 
the  Literature  of  Europe  etc.  1837—39,  4  Vols,  s.  Register. 

•269  ^)  Def.  sec.  1.  c.  Viele  dieser,  wie  überhaupt  der  italienischen  Bekann- 
ten Milton's,  werden  häufig  erwähnt  in  Burmanni  Sylloges  episto- 
larum  a  viris  illustribus  scriptarum  t.  5.  Leidae  1727,  s.  Register. 
Nachrichten  über  ihr  Leben  und  ihre  Werke  in  Salvini:  Fasti 
Consolari  dell'  Accademia  Fiorentina  1717,  Negri:  Istoria  degli 
Scrittori  Fiorentini  1722,  Mazzuc belli:  Gli  Scrittori  d'Italia  1769, 
Tirabo  schi  1.  c. 

270  ^)  H  e  i  n  s  i  u  s :  Epist.  dedic.  vor  L.  3.  der  Elegien  in  s.  Poemata,  Ed. 

1666,  p.  33-35. 
=')Fabroni:  Vitae  Italorum  (1795)  XVL  15—36.    Fontani:  Elogio 
di    C.  R.  Dati    1794.      Freundliche    Nachforschungen    in    Florenz 
nach  Dati's  Briefwechsel  (vgl.  Fontani  p.  252  und  Salvini  s.  a. 
1649)  haben  leider  kein  Resultat  ergeben. 

271  ')  V.  d.  genannten  Werke  liegt  mir  die  Original- Ausgabe  vor. 

'^)  Def.  sec.  „quorum  etiam  privatas  academias  (qui  mos  illic,  cum  ad 
literas  humaniores  tum  ad  amicitias  conservandas  laudatissimus 
est)  assidue  frequentari". 

•■')  Epit.  Damonis  v.  1.33.  P.  W.  III.  91,  540.  „Ipse  etiam  tentare 
ausus  sum;  nee  puto  multum  |  Displicui"  etc.  Reason  of  Church 
Gov.  (W.  III.  144).  Man  könnte  etwa  an  die  griechischen  Verse 
,,Philosophus  ad  Regem"  etc.  (P.  W.  III.  82)  denken,  obwohl  sie 
einer  späteren  Zeit  anzugehören  scheinen. 


332  '  Anmerkungen. 

Seite 

272  ')  Keineswegs,  Mie  Massen  I.  733  anzunehmen  scheint,  ein  Schreib- 

oder Druck -Fehler  f.  „Parnasso",    was  sich  auch  gar  nicht  reimen 
würde,  viehnehr  der  auf  d.  Helikon  entspringende  Fluss  Permessus. 

273  ^)  Harmonicos   coelestium    sphaerarum    sonitus",    vielleicht    eine   An- 

spielung auf  den   Essay:     „De  sphaerarum  concentu",   den  Milton 

voi'getragen  haben  mag,  wie  bereits  Massen  I.  731,  734  bemerkt. 
2)  Beide   „Encomia",    von  Milton   der   Ausgabe  seiner    Gedichte   von 

1645  vorgedruckt,  nicht  eben  sehr  korrekt  beiTodd  VI.  161 — 164, 

gut  in  P.  W.  III.  85-38. 
ä)Negri  63,64,   Tiraboschi  VIII.    690,    Masson   I.   735    nach 

Todd  I.  33,  34  und  einigen  Artikeln  in  „Notes  and  Queries". 

274  i)Ep.  fam.  8    (W.  VII.  380).      Die  Worte  beziehen  sich   freilich  in 

erster  Linie  auf  die  Sprache. 

275  ')  Die  von  Milton  gewünschte  Liste  fehlt  allerdings  in  Buommattei's  Werk. 
277  1)  Areopagitica  (W.  IV.  428) :     „There  (in  Italien)  it  was  that  I  found 

and  visited  the  famous  Galileo  grown  old,  a  prisner  to  the  Inqui- 
sition, for  thinking  in  Astronomy  otherwise  then  the  Franciscan 
and  Dominican  licensers  thought".  Man  weiss  !nach  dem  im  Text 
Gegebenen,  wie  diese  Stelle  zu  verstehen  ist;  es  führt  irre,  wenn 
Gätschenberger:  Gesch.  d.  engl.  Lit.  III.  71  sagt:  „Milton 
besuchte  auch  G.  damals  im  Kerker  der  Inquisition",  noch  weniger 
richtig  b.  Liebert  48:  „Er  besuchte  den  grossen  G.  in  Siena". 
Von  Masson  im  einzelnen  abweichend,  stütze  ich  mich  auf  K. 
v.  Gebier:  Galileo  Galilei,  1876  und  Keusch:  Der  Galilei'sche 
Process  (Sybel's  bist.  Z.-S.  1875,  Heft  3),  welche  die  neuere 
Literatur  verwerthen.  Indess  steht  bei  Keusch,  wohl  in  Folge  eines 
Druckfehlers,  immer  Aucetri  statt  Arcetri  und  wird  bei  Gebier  346 
Milton's  Besuch  ein  Jahr  zu  früh  angesetzt.  A.  v.  Reumont: 
Gesch.  Toscana's  seit  d.  Ende  des  Florent.  Freistaates,  1876,  I.  554 
hält  die  „Tradition"  für  wahrscheinlich,  dass  der  Besuch  in  der 
Villa  II  Gioiello  bei  Arcetri  stattgefunden  habe.  In  def.  sec.  wird 
er  gar  nicht  erwähnt. 
^)  Fernere  Anspielungen  auf  das  Teleskop  Par.  1.  III.  590  ff.  „a  spot 
like  M'hich  perhaps  |  Astronomer  in  the  Suns  lucent  orb  1  Trough 
bis  glazed  optic  tube  yet  never  saw".  Par.  reg.  IV.  40  ff.:  „By 
what  Strange  parallax,  or  optic  skill  |  Of  vision  multiplied  through  air, 
or  glass  I  Of  telescope,  were  curious  to  inquire."  üeber  Mondwolken 
P.  1.  V.  419. 
280  ')  Die  Uebersetzung  zum  Tlieil  nach  Böttger.  In  dem  Jugend- 
gedicht: „Naturam  non  pati  senium"  (s.  o.  S.  71.)  wird  noch  das 
ptolemäische  System  angenommen  (P.  W.  III.  524).  In  einer  anderen 
Stelle  des  Par.  lost,  wird  jede  Entscheidung  vermieden,  IV.  592 — 597. 
Ob  man  P.  1.  III.  575  hierher  ziehen  darf,  ist  zweifelhaft.  Die 
Stellen  aus  Milton's  Prosa- Schriften,   die  Keightley  217  anführt, 


Sechstes  Kapitel.  333 


Seite 


um  zu  beweisen,  dass  Milton  (auch  nach  seiner  italienischen  Reise 
und  selbst  gegen  Ende  seines  Lebens)  am  ptolemäischen  System 
festgehalten  habe,  sind  nicht  durchschlagend.  Er  spricht  hier  in 
Bildern.  Bei  Gelegenheit  des  verl.  Par.  ist  auf  die  Frage  zurück- 
zukommen. 

280  2)  Def.  sec.  W.  VI.  288. 

281  *)  Ranke:  Päpste  II.  351  ff.,  Anal.  Nr.  115  ff.     v.  Reumont:    Ge- 

schichte der  Stadt  Rom,  Bd.  III.  Abth.  2,  S.  611—623,  743. 
2)  V.  Reumont  a.  a.  0.  S.  740. 
288  *)  L.  Holstenii   epistolae   ad   diversos,  Parisiis  1817,  vgl.  Zedier: 
Univ.-Lex.      Ueber    F.    Barberini:    Eggs:    Piu'pura    docta    (1714) 
L.  VI.  321—325. 

2)  H.  Grotii  .  .  Epistolae  (Amstelodami  1687)  Nr.  645,  D.  Holstenio 
10.  Sept.  1636.  Milton:  Ep.  famil.  (W.  VII.  382)  „Lucae  Hol- 
stenio Romae  in  Vaticano",  dat.  Florentii  Martii  30,  1639,  vgl.  über 
Cherubini:  Jani  Nicü  Erythraei  Pinacotheca,  1712,  p.  722. 

284  ^)C.  S.  P.    D.  S.  Charles!,  Vol.  XIII.  525,  vgl.   a.  a.  0.   1636—39 
s.  V.  Barberini. 
2)Bayle  s.  v.  Baroni.     Todd  VI.    248.    Der  Sammelband   hat   den 
Titel:  „Applausi  poetici  alle  glorie  della  Signora  Leonora  Baroni". 

3)  P.  W.  III.  61,  62.  IL  341,  342. 

286  1)  T  0  d  d  L  35. 

•^)  S.  den  cit.  Brief  MiUon's ,   vgl.    Salvini    504,    Fabroni    XVU. 

141—187,  Negri  245,  Tiraboschi  VIII.  417  ff. 
^)Masson  I.  745.     Ich  habe  das  Werk  nicht  in  Händen  gehabt. 

287  ')  P.  W.  in.  34.      ^)  P.  W.  HI.  82—84,  530—532. 

=*)  P.  W.  III.  35;  über  verschiedene  Autoren  Namens  Selvaggi,  s. 
Massen  I.  754,  Anm.  Liebert  S.  44  scheint  anzunehmen ,  der 
fragliche  Selvaggi  sei  ein  Florentiner  gewesen.  Dagegen  könnte 
indess  sprechen,  dass  man  ihn  dann  in  der  Korrespondenz  Miltons 
mit  Dati  neben  den  übrigen  erwähnt  zu  finden  erwarten  sollte. 

*)  S.  über  den  Eintrag  in  dem  „Travellers'  Book  of  the  English  College 
at  Rome"  p.  XVI.  v.  M.  Commonplace-Book  (Camden-Soc.  1876). 

288  ')  Tiraboschi  VIIL    52.      J.    Nycii  Erythraei    Pin.   600—602. 

Opere  di  Tasso  (Ed.  1735)  IV.  245,  VH.  472  ff. 
2)  T  0  d  d  VI.  345.    M  i  t  f  o  r  d  XXXIV. 

289  ')  Walker's   bist,  memoir  of  Italian  tragedy  (1799),  woselbst  sich 

in  App  5  Näheres  über  die  Lage  der  Manso'schen  Villa  befinden  soll, 

habe  ich  nicht  einsehen  können. 
-)  ,,propterea  quod  nolebam  in  religione  esse  tectior".     Def.  sec.  1.  c 
')  Nach  Liebert  46:   „Ut  mens,  forma,  decor,  facies,  mos,   si  pietas 

sie,  I  Non  Anglus,  verum  hercle  Angelus,  ipse  fores".    P.  W.  UI.  34. 

290  M  Def.  sec.  1,  c. :   „In  Siciliam  quoque  et  Graeciara  trajicere  volentem 

me  tristis  ex  Anglia  belli  civilis  nuntius  revocavit"  etc.     Der  Aus- 


334  Anmerkungen. 

Seite 

druck  ist  etwas  zu  stark;    von  einem  „bellum   civile"   war    damals 
noch  nicht  die  Rede. 
*)  Mansus  P.  W.  III.  84  ff.,  532  ff. 

290  ^)  S.  ihre  Beschreibung  im  „Epitaphium  Damonis"  v.  181 — 198. 

291  >)Ep.  fam.  10:    Carole  Dato  Londino  Aprilis  21  1647.     W.  VII.  386. 

Of  Reformation  etc.  W.  III.  46,  vgl.  den  Brief  des  N.  Heinsius  an 
J.  Vossius,  Venedig,  1.  März  1653  (Burmanni  Sylloges  T,  3,  669): 
„Imo  invisus  est  Italis  Anglus  iste,  inter  quos  multo  vixit  tempore 
ob  mores  nimis  severos ,  cum  et  de  religione  libenter  disputaret, 
ac  multa  in  Pontificem  Romanum  acerbe  effutiret  quavis  occasione". 
(H  beruft  sich  kurz  vorher  auf  Holstenius.) 
*)  Def.  sec.  1.  c. 

293  ^)P.  W.  IL  476-478,   283—285.      Es  wäre  denkbar,   dass  ein  Theil 

dieser  Gedichte  zu  dem  „Zusammengestoppelten"  gehörte,   das  M. 
in  den  Kreisen  seiner  ital.  Freundevortrug,  s.  o.  Anm.  3  zu  S.  271. 
-)  Def.  sec.  etwa  bis  Mitte  Mai  1639.      Eine  Erinnerung  an  Venedig 
in  Def.  pro  se  contra  AI.  Morum,  W.  VI.  383. 

294  i)E.  Phillips:    Life   of  Milton  1.  c.  p.  361,    vgl.  E.  L.   Gerber: 

Neues  Lexikon  der  Tonkünstler  1812 — 1814. 

^)  Man  sehe  statt  aller  biogr.  Wörterbücher :  Vie  de  Jean  Diodati 
theologien  Genevois,  1576 — 1649  par  E.  de  Bude,  Lausanne  1869. 
Hier  wird  p.  297  irrthümlich  Milton's  Freund,  Karl  D.,  zu  einem 
Sohne  des  Theologen  gemacht.  Auch  sehe  ich  nicht,  dass  dem 
Verf.  die  Beziehungen  Milton's  zu  G.  Diodati  bekannt  sind,  vgl 
Bedell's  Life  in  den  Ed.  d.  C am  den- Society  p.  142. 

•'')Masson  I.  p.  778  vermuthet,  Lucca  und  nicht  Genf  sei  G.  Dio- 
dati's  Geburtsort.  Vgl.  dagegen  d  e  B  u  d  e  p.  22,  24  auch  über  das 
Datum  der  Geburt. 

295  *)  F  0  r  s  t  e  r :  Statesmen  p.  373,  d  e  B  u  d  e  253,  Elze:  Lord  BjTon  p.  201. 
2)  Pro  se  contra  Morum  Defensio,  W.  VI.  398. 

^)  S.  über  das  Album:  Hunter  p.  23  und  über  seine  Geschichte, 
Sotheby  p.  106,  daselbst  T.  XIV.  Nr.  IV.  ein  Facsimile  des 
Milton'schen  Eintrags. 

296  ')  S.  über  die   Clu'onologie  von  Milton's   Reise:    Keightley  p.  20, 

Treitschke:  bist,  und  pol.  Aufsätze,  lässt  Milton  „drei  reiche 
Jahre"  in  Italien  verweilen!  Milton  selbst  Def.  sec.  \.  c.  p.  289 
bezeichnet,  ein  wenig  den  Ereignissen  vorgreifend,  als  Termin  seiner 
Rückkehr:  „eodem  ferme  tempore  quo  Carolus,  cum  Scotis,  rupta 
pace  (Vertrag  von  Berwick,  18.  Juni  1639)  bellum  alterum  quod 
vocant  Episcopale,  rodintegrabat".  Ueber  die  Dauer  seiner  Reise 
lässt  er  keinen  Zweifel :  "„post  annum  et  tres  plus  minus  menses  in 
patriam  revertor". 
290  ■■')  Areopagitica.     W.  IV.  428.      »j  Def.  sec.  W.  VI.  289. 


Anhang  L 


Die  älteste  Biographie  Milton's. 

Unter  den  Quellen  zur  Lebensgeschichte  Milton's  stehen,  vde  man 
weiss ,  seine  eigenen  Schriften ,  und  namentlich  die  autobiographische 
Skizze  in  der  Defensio  secunda  pro  populo  Anglicano  an  erster 
Stelle.  Als  erster  im  Druck  erschienener  Abriss  seines  Lebens  von  der 
Hand  eines  anderen  ist  derjenige  in  Wood's  (1632—95)  Athenae  et 
Fasti  Oxonienses  (zuerst  1691)  zu  erwähnen.  Bald  darauf,  1694,  erschien 
die  Biogi-aphie  des  Dichters  von  der  Hand  seines  Neffen  E.  Phillips  zu- 
gleich mit  der  englischen  Ausgabe  von  Milton's  „Letters  of  State".  Zu 
dem  von  Wood  und  Phillips  Mitgetheilten  ist  von  Toi  and  (1698  vor 
der  Ausgabe  von  Milton's  Prosa- Werken,  1699  und  1761  separat)  einiges 
neue  Material  hinzugefügt  worden.  Die  folgenden  Biographen  standen  der 
Zeit  Milton's  schon  zu  fern,  als  dass  sie  durch  persönliche  Erkundigungen 
die  bekannten  Thatsachen  um  Nennenswerthes  hätten  vermehren  können, 
und  erst  mit  dem  Zurückgehn  auf  urkundliches  Material  gelang  es  neue 
Ergebnisse  zu  gewinnen.  Immerhin  sieht  man  sich  neben  den  Milton'schen 
Schriften  selbst  vorzüglich  auf  Wood  und  Phillips  angewiesen,  eben  damit 
aber  genöthigt,  sich  darüber  klar  zu  werden,  woher  sie  ihre  Nachrichten 
geschöpft  haben.  Was  Phillips  betrifft,  so  ist  klar,  dass  sein  nahes  ver- 
wandtschaftliches und  sein  enges  persönliches  Verhältnis  zu  seinem  Oheim 
ihm  vortreffliche  Mittel  für  die  Lösung  seiner  Aufgabe  an  die  Hand  gab. 
Auch  bemerkt  man  leicht,  dass  er  die  erwähnte  Partie  der  Defensio 
secunda  stark  benutzt  hat.  Dennoch  laufen  mancherlei  Irrthümer  in 
seiner  Darstellung  mit  unter.  So  setzt  er  schon  das  Geburtsjahr  seines ' 
Oheims  falsch  an,  desgleichen  das  Datum  seines  Todes,  seine  Angabe 
von  Bücher-Titeln  ist  nicht  immer  genau,  seine  Xotiz  über  das  Milton,  von 
dem  die  Familie  stammen  sollte  (s.  o.  S.  14  Anm.  1),  ist  ebenso  verwirrt  wie 
seine  Mittheiluug,  dass  die  Absicht  bestanden  habe,  den  Dichter  zum  „ad- 
jutant-general  in  Sir  William  Waller's  armj'"  zu  machen  (s.  Näheres  in 
Buch  n.).  —  Wenn  Wood  nicht  die  gleiche  persönliche  Erfahrung  zu  Ge- 
bote stand  wie  E.  Phillips,  und  wenn  er  hie  und  da  durch  Yorurtheile 
eingenommen  zu  sein  scheint,    so   hatte  er  andere  Vortheile  für  sich,  die 


336  Anhang  I. 

uns  seine  biographische  Skizze  werthvoU  machen.  Lange  Zeit  hindurch 
mit  den  Vorbereitungen  seiner  Athenae  et  Fasti  Oxonienses  beschäftigt, 
schrieb  er  in  jedem  Falle  viel  früher  als  Phillips.  Er  suchte  sich  mit 
gi'osser  Sorgfalt  die  biographischen  Materialien  zu  verschaffen,  und  zum 
Glück  sind  uns  die  Notizen  seines  Hauptgewährsmannes  für  die  Lebens- 
geschichte John  Milton's  aufbewahrt. 

Dies  war  der  Antiquar  und  Naturforscher  John  A  u  b  r  e  y 
(1627 — 97),  welcher  sich  mit  grossem  Eifer  bemühte  für  Wood,  während 
dieser  sein  Werk  vorbereitete,  von  allen  Seiten  her  Notizen  zu  sammeln (M. 
Seine  Materialien-Sammlung  ist  mit  den  Ashmolean  Mss.  in  die  Bodleiana 
übergegangen  und  1813  in  nicht  sehr  befriedigender  Weise  in  den  „Letters 
■written  by  eminent  persons  in  the  17.  and  18.  centuries"  etc.,  2  Vols., 
London,  veröffentlicht  worden.  Die  Notizen  für  die  Biographie  Milton's 
(AubreyMss.  4.  part.  HL)  scheinen  um  das  Jahr  1680  geschrieben  worden  zu 
sein  (P^  W.  L  57,  Go  dwin:  Lives  of  E.  and  John  Philips  335,  vgl.  u.  S.  343), 
wie  sich  denn  Aubrey  nachweisbar  unmittelbar  nach  Milton's  Tode  bemüht 
hat,  Daten  für  die  Lebensgeschichte  des  Dichters  zu  sammeln  und  eine 
Zeit  lang  hoffen  durfte,  Marvell  im  Interesse  Wood's  dafür  zu  gewinnen 
(Masson  I.  p.  IX.).  Jedenfalls  ist  Aubrey's  Biographie,  wenn  anders 
seine  Materialien-Sammhmg  diesen  Namen  verdient,  die  älteste  Biographie 
Milton's,  die  man  besitzt.  Allerdings  lauten  die  Urtheile  der  Zeitgenossen 
über  Aubrey  nicht  immer  sehr  günstig.  Toland  charakterisirt  ihn  freilich 
als  „a  very  honest  man  and  most  accurate  in  his  account  of  matters  of 
fact,"  wenn  auch  als  „extremely  superstitious".  Aber  Wood  selbst,  der 
ihm  doch  so  viel  verdankte,  nennt  ihn  „a  shiftless  person,  roving  and 
magotyheaded  and  sometimes  little  better  than  crased."  Es  heisst  von 
A.  er  sei  gewesen  „exceedingly  credulous,  would  stufi' his  many  letters 
sent  to  Wood  with  foUiries  and  misinformations ,  which  sometimes  would 
guid  him  into  the  paths  of  errour".  (Life  of  Wood  1.  c.)  Trotzdem  sind 
die  Nachrichten  Aubrey's  über  Milton's  Leben,  mit  Vorsicht  benutzt,  höchst 
schätzbar.  Er  hat  Milton  persönlich  gekannt,  er  hat  bei  seinem  Bruder, 
bei  seinem  Neffen  E.  Phillips,  bei  seiner  Wittwe  und  bei  anderen  Er- 
Icundigungen  eingezogen,  und  dass  er  häufig  seine  Autoritäten  angiebt, 
verleiht  seinen  Notizen  noch  höheren  Werth.  Freilich  behalten  diese 
immer  den  Charakter  des  Abgerissenen,  Skizzenhaften.  Es  fehlt  nicht  an 
Widersprüchen,  wie  wenn  es  einmal  heisst,  Milton's  festländische  Reise 
habe  zwei  Jahre  gedauert,  ein  anderes  Mal:  ein  Jahr.  Auch  die  lebhafte 
Phantasie  scheint  Aubrey  hie  und  da  zur  Ausmalung  unverbürgter  Einzel- 
heiten fortzureissen ,  wie  sich  namentlich  zeigt,  wenn  man  solche  Stellen, 
die  er  E.  Philipps  Mittheilungen  verdankte,  mit  dem  späteren  Berichte 
dieses  selbst  vergleicht. 


'J  Lifo  of  Woi)(l  writt.'!!  liy  himscll'  (Eeclesia.sticiü  llistory  Sociply  1848)  S.  152 
übor  Aiilirey  im  Mg.  Uose:  New  gßnfral  liiogr.  Dictionary  1857;  ilio  Momoirs  of  Aubroy 
V.  Brittoii,  1845  sind  mir  nur  dem  Titul  nacli  bekannt  geworden. 


Die  älteste  Biographie  ]\Iilton's.  337 

Aubrey's  Notizen  sind  zuerst  in  den  erwähnten  „Letters  written  by 
eminent  persons",  Vol.  2,  P.  1,  439 — 450,  unvollständig  abgedruckt,  darauf 
besser,  jedoch  auch  nicht  genügend,  in  Godwin:  Lives  of  E.  and 
J.  Philips  (1815),  335—349.  Ich  lasse  sie  nach  einer  vom  Orig.-Ms.  in 
der  Bodleiana  genommenen  Kopie  folgen,  in  welcher  der  Gebrauch  der 
Minuskel  durchgeführt,  die  Interpunktion  selbstständig  vorgenommen,  und 
eine  Anzahl  der  üblichen  Abküi'zungen  stillschweigend  aufgelöst  worden 
ist.  Eine  Stelle  des  Aubrey'schen  Ms.  Hess  mich  eine  Zeit  lang  hoffen, 
dass  es  gelingen  könnte,  noch  eine  bisher  unbekannte  originale  Quelle  der 
Biographie  Milton's  aufzufinden.  Es  ist  die  Stelle:  „Quaere  Mr.  Allam 
ofEdmund's  Hall,  Oxon.  of  jVIr.  J.  Milton's  Life,  writt  by  himselfe  v. 
pagg."  Ich  glaube  nicht  irre,  zu  gehn,  wenn  ich  damit  folgende  Bemerkung 
in  Hearne's  account  of  Wood  (App.  1  zum  Life  of  Wood  1.  c.  p.  332) 
in  Zusammenhang  bringe :  „If  you  will  believe  what  he  himselfe  says  and 
what  I  have  often  heard  reported  in  Oxon,  the  greatest  help  he  found 
from  any  one  person  in  that  university,  was  from  Mr.  Andrew  Allam, 
vice-principal  of  St.  Edmundshall,  who  died,  to  our  author's  great  reluc- 
tancy,  an.  1685.  This  ingenious  retired  and  modest  person  helped  him  very 
much  in  the  notitia  of  divers  modern  authors  whilst  jNIr.  Wood  himself 
was  day  and  night  di'udging  in  those  more  ancient;  and  therefore  Mr. 
Wood  hath  deservedly  given  an  high  character  of  Mr.  Allam."  (Eine 
beiläufige  Erwähnung  Allam's  1.  c.  p.  222.)  Hierdurch  wird  es  noch  wahr- 
scheinlicher gemacht,  dass  dieser  Allam  ein  Leben  Milton's  abgefasst  habe, 
und  es  braucht  nicht  gesagt  zu  werden,  von  welchem  Interesse  es  wäre, 
desselben  habhaft  zu  werden.  Allein  meine  Bemühungen,  die  Papiere 
Allam's,  sei  es  in  der  Bodleiana  oder  in  St..  Edmund's  Hall  aufzufinden 
oder  doch  Kunde  über  ihren  Verbleib  zu  erhalten,  waren  trotz  der  freund- 
lichsten Unterstützung  an  Ort  und  Stelle  vergeblich. 


Mr.  John  Milton.(i) 

Was   of  an  Oxfordshire  familie:    his  grandfather (a  Rom. 

Cath.)  of  Holton  in  Oxfordshire,  near  Shotover.  His  father  was  brought 
up  in  the  university  of  Oxon  at  Christ  Church,  and  his  grandfather  disin- 
herited  him  because  he  kept  not  to  the  Gatholique  religion;  q.  he  found 
a  bible  in  English  in  his  Chamber;  so  thereupon  he  came  to  London  and 


1)  Unter  dem  Worte  „John"  steht  ein  Wappenschild  mit  zwei  kleinen  Schrägbalken 
gekreuzt,  durch  a  als  „argent"  bezeichnet  (das  Bradshaw'sche  W.),  und  ganz  links  auf  der 
Seite  findet  sich  in  roher  Zeichnung  das  Miltonsche  Wappen,  ein  Doppeladler,  und  daneben 
die  Worte:  „Crest  an  Arme  dexter  (?)  holding  a  Eagles  heade  &  („h.  &."  ausgestrichen)  neck 
erased  G.",  d.  h.  erased  Gules  s.  Massen  I.  4  nach  den  Aspidora  Segariana  Add.  Ms. 
Br.  M.  12225  fol.  162,  zuerst  aufgefunden  von  Hunt  er. 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.     I.  1.  22 


338  Anhang  I. 

■became  a  scrivener,  (brouglit  up  by  a  friend  of  his,  was  not  an  apprentice), 
and  got  a  plentifull  estate  by  it  and  left  it  off  niany  years  before  be  dyed, 
he  "«'as  an  ingeniöse  man,  delighted  in  musique,  composed  mauy  songs 
now  in  print,  especially  that  of  Oriaua. 

His  mother  was  a  Bradshaw,  Christopher  Milton  (bis  brother,  the 
Inner  Temple)  bencher.(*) 

His  son  Jo.  was  borne  in  ßread-Street  in  London  at  the(*)  Spread- 
Eagle,  which  was  his  house,  he  had  also  in  that  street(^)  another  house, 
the   Rose,    and    other    houses    in    other    places.      He    was    borne    anno 

Domini the day  of  .  .  .  about a  clock  in.  the(*) 

He  went  to  schoole  to  old  Mr.  Gill,  at  Paule's  schoole,  went,  at  his  owne 
chardge  only(^)  to  Christ-College  in  Cambr.  '')  at  fifteen,  where  he  stayed 
eight  yeares  at  last:  then  he  travelled  into  France  and  Italie.  Had  Sir 
H.  Wotton's  commendatory  letter.  At  Geneva  he  contracted  a  great  Mend- 
ship  with  the  learned  Dr.  DeodatiC)  of  Geneva  (vide  his  poems).  He  was 
acquainted(8)  with  Sr.  Henry  Wotton,  who(^)  delighted  in  his  Company, 
ambassador  at  Venice.  He  was  several  years  (quaere  how  many?  resp. 
two  yeares)  (*")  beyond  sea,  and  returned  to  England  (*')  just  upon  the 
breaking  out  of  the  civill  warres.  He  was  Latin  secretary  to  (")  the  par- 
liament.  Anno  Domini  1619  he  was  ten  yeares  old,  as  by  his  picture, 
and  was  then  a  poet.  His  schoolmaster  then  was  a  Pmütan,  in  Essex, 
who  cutt  his  haire  Short. 

He  married  his   first  wife Powell,  of  Fost-Hill,   at  Shotover, 

in  Oxonshire.  She  was  a  zealous  royalist  and  went  without  her  husband's 
consent  to  her  mother  in  the  king's  quarters,  she  dyed  anno  domini  .... 
She  went  from  him  to  her  mother's  at  .  .  .  in  the  king's  quarters  neer 
Oxford (**j  anno  Domini;  and  MTOte  the  triple  chord  about  divorce.  Anno 
Domini  ....  by  whom  he  had  4  children.  Hath  two  daughters  living ; 
Deborah  was  his  amanuensis,  he  taught  her  Latin  and  to  reade  Greeke  (") 
to  him,  when  he  had  lost  his  eie-sight,  which  was  anno  Domini 

He  was  scarce  so  tall  as  I  am  (Quaere  quot  feet  I  am  high?  Resp. 
Of  middle  stature).     He  had  light  abroun  (.'■''')  hayre.    His   complexion  ex- 


')  „His  —  beiicher"  liab«  ich  geglaubt  hier  einschieben  zu  sollen;  es  steht  im  Original 
zusammenhanglos  für  sich  allein.  „bencher"  ist  über  ein  durchstrichenes  „barrister" 
geschrieben. 

')  „Rose"  ausgestrichen.      •'')  „there"  ausgestrichen. 

*)  Aubrey  Hess  die  Lücken  stehen,  bis  er,  vielleicht  von  Christopher  Milton  aus 
einem  Eintrag  in  die  Familienbibel  die  Ergänzung  erfahren  hätte. 

1^)  „at  —  only"  mit  frischerer  Tinte. 

*>)  „very  young  sc.  about  thirteen   was  the  inost"  ausgestrichen. 

')  „Carolo  Diodati"  ausgestrichen.      ")  „beyond  sea  with"  ausgestrichen. 

9)  „was"  ausgestrichen.       '")  „q.  —  yeares"  von  derselben  Hand. 
1')  „abroad  before"  durchstrichen.       >•■')  „Oliver  Cromwell"  ausgestrichen. 
")  „8hn    went  —  Oxford"  mit  späterer   Tinte   geschrieben    und   eingeschoben ,    darunter 
•durchstrichen :    „She  parted  from  him". 

'<)  „and  Hebrew  4."  durchstrichen.      '')  „abroun"  wohl  =  auburn  über  „browno"  gesetzt. 


Mr.  John  Milton.  33^ 

ceeding(^)  fayre.  (He  was  so  faire  that  they  called  him  the  lady  of 
Christ-Coll.)  Ovall  face,  bis  eie  a  darke  gray.  His  widowe  has  bis  pic- 
ture  drawne  very  well  and'  like(*),  when  a  Cambridge  scbollar.  Sbe  has 
his  picture  when  a  Cambridge  scbollar,  whicb  ought  to  be  engraven, 
for  the  pictures  before  his  bookes  are  not  at  all  like  him.  He  married 
his  second  wife  Mrs.  Eliz.  Minshull ,  anno  .  .  the  yeare  before  the  sick- 
nesse,  a  gentile(^)  person,  a  peacefull  and  agreeable  humour.(*) 

After  he  was  blinde,  he  wrote  these  following  bookes,  viz. 
Paradise  Lost, 
Paradise  Regained, 
Grammar, 
Dictionarie,  imperfect  q.  {^) 

He  was  a  spare  man.  [2]  He  was  an  early  riser,  sc.  at  4  o'clock 
mane,  yea  after  be  lost  bis  sight.  He  bad  a  man  read  to  bim.  The 
first  tbing  be  read  was  the  Hebrew  bible,  and  that  was  at  4  b.  mane  V/.2  h., 
then  be  contemplated.  (^)  At  7  bis  man  came  to  him  again  and  then 
read  to  him  and  wrote  (')  tili  dinner,  the  writing  was  as  mucb  as  the 
reading.  His  second  daughter  Deborah,  could  read  to  him  Latin,  Italian 
and  French  and  Greeke.  Sbe  married  in  Dublin  to  one  Mr.  Clarke  (a 
mercer  sells  silke  etc.);  very  like  her  fatber.  The  otber  sister  is  Mary, 
more  like  her  mother.  After  dinner  be  used  to  walke  3  or  4  hoiu-es  at 
a  time,  he  always  bad  a  garden,  where  he  lived;  went  to  bed  about  9. 
Temperate(^)  rarely  dranke  between  meales.  Extreme  pleasant('')  in  his 
conversation  and  at  dinner,  supper  etc.  but  satyricall. 

He  pronounced  the  letter  R.  very  bard.  (^")  He  had  a  delicate  tun- 
eable  voice  and  had  good  (")  skill. 

His  fatber  instructed  him.  He  bad  an  organ  in  his  house,  be  played 
on  that  most.    His  exercise  was  cbiefly  Walking. 

He  was  visited  mucb  by  learned,  more  tban  be  did  desire. 

He  was  migbtily  importuned  to  goe  into  France  (^-)  and  Italie;  for- 
eigners  came  mucb  to  see  bim  and  mucb  admired  bim  and  offered  to  him 
gi-eat  preferments  to  come  over  to  tbem,  and(^")  the  only  inducement  of 
severall  foreigners  that  came  over  into  England ,  was  cbiefly  to  see . 
Oliver  "'  Protector  and  Mr.  J.  Milton  and  would  see  the  bouse  and 
Chamber  where  be  was  borne.  He  was  mucb  more  admired  abrode 
tban  at  bome. 

His  familiär  learned  acquaintance  were  Mr.  Andrew  Marvell,  Mr. 
Skinner,  Dr.  Paget,  M.  D.  Mr.  Skinner,  who  was  his  disciple. 


1)  „very"  darunter  gesclirieben.     2)  .,very  —  like"  mit  frischerer  Tinte.      3)  ,.genf'  Ms. 

1)  ,,a.  p.  a.  a.  h.'  mit  frischerer  Tinte.      5)  ^,Gr.  D.  i.  q.''  mit  frischerer  Tinte. 

'■)  „thought"  durchstrichen.      ")  ..again''  durchstrichen. 

^)  ..man''  durchstrichen.     ")  „at"'  durchstrichen.     '")  Am  Eande  des  Ms.  ..Litera  canina'» 
11)  „greaf"  durchstrichen.       i^)  Fr.  Ms. 
13)  „severall  foreigners   came"   durchstrichen.      i*)  „0."  Ms. 

22* 


340  Anhang  I. 

Jo.  Drevden,  Esq.  Poet  Laureate,  who(*)  very  much  admires  him 
and  went  to  him  to  have  leave  to  putt  his  Paradise  Lost  into  a  drama  in 
rhAmme.  Mr.  Milton  received  him  civilly  and  told  him  that  he  would 
give  him  leave  to  tagge  his  verses. 

His  widowe  assures  me  that  Mr.  Hobbs  was  not  one  of  his  acquain- 
"tance,  that  her  husband  did  not  like  him  at  all,  but  he  would  grant(^2) 
Mm  to  be  a  man  of  great  parts  and  a  learned  man.  Their  interests  and 
tenets  did  run  counter  to  each  other(^).    v.  Mr.  Hobbes  Behemoth(*). 

[3]  From  his  brother(^)  Chr.  Milton: 

When  he  went  to  schoole,  when  he  was  very  young,  he  studied  very 
liard  and  säte  up  very  late;  commonly  tili  12  or  one  o'clock  at  night, 
and  his  father  ordered  the  mayde  to  sitt  up  for  him,  and  in  those  yeares 
(10)  composed  many  copies  of  verses,  which  might  well  become  a  riper 
age.  And  was  a  very  hard  Student  in  the  university  and  performed  all 
his  exercises  there  with  very  good  applause,  His  first  tutor  there  was 
Mr.  Chapell,  from  whom  receiving  some  unkindnesse,  (whip't  him)  ('•'),  he 
was  afterwards,  (though  it  seemed  opposite  to  the  rules  of  the  College), 
transferred  to  the  tuition  of  one  Mr.  Tovell,  who  dyed  parson  of  Lutter- 
worth. 

I  have  been  told,  that  the  father  composed  a  song  of  fourscore  parts 
for  the  Lantgrave  of  Hess,  for  which  highnesse  [sie]  sent  a  meddall  of 
gold,  or  a  noble  present.  (')  He  dyedC*)  about  1647,  buried  in  Cripplegate 
church  (^)  from  his  house  in  the  Barbican. 

aJÜ^  Quaere  Mr.  Chr.  Milton  to  see  the  date  of  his  brothersC")  birth. 

1.  Of  Reformation.  I  i    ^i       ^       i      i 

^    ,    .    ,  _,  .  ;  qr.  whether  two  books. 

Agamst    Frelatical  Episcopacy.) 

2.  The  Reason  of  Church  Government. 

3.  A  Defence  of  Smectymnuus. 

4.  The  Doctrin  and  Disciplin   of  Divorce.  I 

5.  Colasteriou.  [  All   these  in  prosecution 

6.  The  Judgment  of  Martin  Bucer.  |     of  the  same  subject. 

7.  Tetrachordon  (of  divorce).  j 

8.  Areopagitica  viz.  for  the  Libertie  of  the  Presse. 
Of  Education. 
Iconoclastes. 

Tenure  of  Kings  and  Magisti-ates. 
Defensio  Populi  Anglicani. 
Defensio  secunda  contra  Morum.    His  Logick. 


')  „who  —  verses"  mit  frisi'herer  Tinte.      -)  darunter  „aoknowledgo". 

•>)  „(1.  r.  e.  t.  e.  o."  stallt  tilior  „werf  diametrically  oppositn". 

*)  Diose  ItoinerkimK  ursprünglich  mit  lileistit't,  spiiter  mit  Tinte  überzogen. 

'•)  ,,bro."  Ms.     •')  „whip't  him"  diirübergeschrioben.      ')  „o.  a.  n.  p."  darübergeschrieben. 

'')  .,in  that  year  tliat  the  army  marched  through  the  city"  ausgestrichen. 

■')  ,.cli."  Ms.       ">i  ,,bro."  Ms. 


Mr.  John  Milton.  341 

Defensio  tertia. 

Of  the  Powr  of  the  Civil  Magistrate  in  Ecclesiastical  Affairs. 

Against  Hirelings  (against  Tithes). 

Of  a  Commonwealth. 

Against  Dr.  Griffith. 

Of  Toleration,  Heresie  and  Schisme. 

[4]  He  went  to  travell  about  the  year  1638  and  was  abroad  about 
a  years  space,  chiefly  in  Italy,  immediately  after  bis  retum  he  took  a 
lodging  at  Mr.  RuseU's,  a  taylour,  in  St.  Bride's  church-yard;  and  took 
into  his  tuition  bis  sister's  two  sons,  Edw.  and  John  Philips,  the  first  10, 
the  other  9  years  of  age,  and  in  a  year's  time  made  them  capable  of 
interpreting  a  Latin  author  ^t  sight  etc.  and  within  3  years  they  went 
through  the  best  of  Latin  and  Greec  poetts:  Lucretius  and  Manilius,  and 
with  him  the  use  of  the  globes  and  some  rudiments  of  arithmetics  and 
geometry(^),  of  the  Latins;  Hesiod,  Aratus,  Dionysius  Afer,  Oppian, 
Apollonii  Argonautica  and  Quintus  Calaber.  Cato,  Varro  und  Columella 
de  re  rustica  were  the   very  first  authors  they  learn't. 

As  he  was  severe  on  one  band,  so  he  was  most  familiär  and  free  in 
his  conversation  to  those,  to  whome  most  sowre  in  his  way  of  education. 
NB.  He  made  his  nephews  songsters  and  sing  from  the  time,  they  were 
with  him(-). 

John  Milton  was  born  the  9th  of  December  160S  die  Veneris  half 
an  hour  after  six  in  the  morning.  (') 

From  Mr.  E.  Philips:  His  invention  was  much  more  free  and 
easie  in  the  ;equinoxes  than  in  the  solstices;  as  he  more  particularly 
found  in  writing  his  Paradise  Lost.  Mr.  Edw.  Phiüps  (his  nephew  and 
then  amanuensis)  hath.  (^) 

All  the  time  of  writing  his  Paradise  Lost  his  veine  began  at  the 
autumnall  equinoctiall  and  ceased  at  the  vernall  or  thereabouts  (I  be- 
lieve  about  May)  and  this  was  4  or  5  yeares  of  his  doing  it.  He  began 
about  2  yeares,  before  the  kingC^)  came  in  and  finished  about  3  yeares 
after  the  king'sC)  restauration .  . 

Quaere  Mr.  J.  Playford  pro  Wilby's  sett  of  Orianas.  In  theC)  4tii 
booke  of  Paradise  Lost  there  are  about  6  verses  of  satan's  exclamation 
to  the  sun,  which  Mr.  Edward  Philips  (^)  remembers  about  15  or  16  yeares 
before  ever  his  poem  was  thought  of,  which  verses  were  intended  for  the 


1)  „Arithm.  and  Geora."  Ms. 

2)  Hier  endet  p.  4  des  Ms.,  welche  zur  Hälfte  leer  ist.  Es  folgen  nun  zwei  besondere 
Quartbliittchen,  bezeichnet  33.  34.  36.  37.  lose  an  die  übrigen  Folio -Blätter  angebunden, 
nnd  auf  diesen  das  Stück  des  Ms.  von  „John  Milton  —  widow  preserve'",  das  ich  ohne  Pagini- 
rung  zum  Abdruck  bringe. 

•■)  „John  —  morning"    anscheinend  nicht   von    Aubrey's    Hand.      Darunter   von .  Wood' 
Hand:    „Why  do  you  not  set  downe  where  Jh.  Milton  was  borne?'' 

■•)  „His  invention  —  hath''  ausgestrichen  im  Ms.       3)  „K."  Ms.       8)  „K's."  Ms. 
7)  „2i>3  or  3rd  ausgestrichen.      ®)  „E.  Phi."  Ms. 


342  Anhang  I. 

beginning  of  a  tragoedie,   wliich  he  had   designed  but  was  diverted  from 
it  by  other  businesse.  (^) 

Whatever  he  wrote  against  monarchie  was  out  of  no  animositie  to 
the  king's  person,  or  out  of  any  faction  or  interest,  but  out  of  a  pure  zeale 
to  the  liberty  of  mankind,  which  he  thought,  would  be  greater  under  a 
free  state  then  under  a  monarchicall  government.  His  being  conversant  in  Livy 
and  the  Roman  authors  and  the  greatnes  he  saw  donne  by  the  Roman 
Commonwealth  and  the  vertue  of  their  great  captaines  (")  induc't  him  to.  (^) 

His  first  wife  (Mrs.  Powell,  a  royalist)  ('')  was  brought  up  and  lived 
where  there  was  a  great  deale  of  Company  and  merriment,  dancing  etc. 
And  when  she  came  to  live  with  her  husband  at  Mr.  Russell's,  in  St. 
Bride's  churchyard('°'),  she  found  it  very  solitarj',  no  Company  came  to  her, 
oftentimes  heard  his  nephews  beaten  and  cry.  This  life  was  irksome  to 
her,  and  so  she  went  to  her  parents  at  Foste-hill.  He  sent  for  her  (after 
some  time^i,  and  I  thinke  his  servant  was  evelly  entreated,  but  as  for 
wronging  his  bed,  I  never  heard  the  least  suspicions  nor  had  he  of  that 
any  jealousie.  (•*) 

From  Mr.  Ahr.  Hill:  Memorandum:  His  sharp  ^\Titing  against 
Alexander  More  of  Holland,  upon  a  mistake  notwithstanding  he  had  given 
him  by  the  ambassador  (Quaere  the  ambassador's  name  of  Mr.  Hill? 
Respondit:  Newport  the  Dutch  ambassador)  all  satisfaction  to  the  con- 
trary  viz.  that  the  booke  (called  „Clamor")  was  writt  by  Peter  duMoulin. 
Well  that  was  all  one;(')  he  having  writt  it,  it  should  goe  into  the 
world,  one  of  them  was  as  bad  as  the  other.  (») 

Quaere  Mr.  Allam  of  Edmund's  {'■*)  Hall,  Oxon.  of  ]Mr.  J.  ^Nlilton's  Life, 
writt  by  himselfe  v.  pagg. 

His  sight  began  to  falle  liira  at  first  upon  his  writing  against  Sal- 
masius,  and  before  't  was  fuUy  compleated  one  eie  absolutely  failed. 
Upon  the  writing  of  other  bookes,  after  that,  his  other  eie  decayed. 

Write  his  name  in  red  letters  on  his  picture  Mith  his  widowe  to 
preserve.  (*°) 

[7]  Different  relligions.(")    Two    opinions  do  not  well  on  the  same 

boulster.     She  was  a royalist  and  went  to  her  mother  neer  Oxford, 

the  king's  ('■-)  quarters.   I  have  perhaps  so  much  charity  for  her  that  she 
might  not  wrong  Ins  bed,  but  what  man  (especially  contemplative),  would 


')  Hier  endet  das  mit  .S3  bezeiclmete  Quartblatt. 

2)  So  im  Ms.  über  „Commanders"  geschrieben.      '•^)  Endo  des  Quartblatts  .?4. 

*)  „a.  r."  darübergeschrieben.  •    S)  ,,eh  "  Ms.      ")  Ende  des  Quartblatts  116. 

')  „when  ho  had''   durchstrichen. 

'')  „Newport    —    ambassador"  .  .  .   ,.that    the   b.    —   other"   mit   anderer    Tinte,   wahr- 
scheinlich geschrieben,  nachdem  die  Antwort  von  Mr.  Hill  eingelaufen  war. 

")  „Kdm."  Ms. 

1»)  Knde  des  Quartblattes  37.     Es  folgt  ein  leeres  Blatt  (fol.  gleich  SS.  5.  U.). 
")  „rell"  Ms.     Vor  D.  r.  steht  durchstrichen:    „Ho  married  Eliz.  2d  wife,  Ao    Dni  10.  ." 
14)  ,K'B."  Ms. 


Mr.  John  Milton.  343 

like  to  have  a  young  wife  environ'd  by  the  sons  [of  Mars,  and  those  of 
the  eriemi  partie?  He  lived  in  several  places,  e.  g.  Holbom  neer  king's(') 
gate.  He  died  in  Bunhill  opposite  the  Ai-tillery  garden-wall.  His  liar- 
monicall  and  ingeniöse  soule  did  lodge(*)  in  a  beautifull  and  well-pro- 
portioned  body.  „In  toto  nusquam  corpore  mendä  fuit."  Ovid.  He  had('') 
a  very  good  memory,  but  I  believe  that  his  excellent  niethod  of  thinking 
and  disposing  dtd  much  help  his  memory. 

I  heard  that  after  he  was  blind,  that  he  was  writing  in  the  heads 
a  Latin  dictionary,  vidua  affirmat.  She  'gave  all  his  papers,(<)  among 
which  this  dictionary  imperfect ,  to  his  nephew ,  that  he  brought  up ,  a 
sister's  son  ....  .  Philips,  who  lives  neer  the  Maj^jole  in  the  Strand. 
She  has  a  great  many  letters.  by  her  from  learned  men  of  his  acquaintance. 
both  of  England  and  beyond  sea.  His  eye-sight  was  decaying  about 
20  years  before  his  death.  Quaere  when  starke (^)  blind?  His  father  read 
without  spectacles  at  84,  his  mother  had  very  weake  eies  and  used 
spectacles  presently  after  she  was  thirty  years  old.  Of  a  very  cheerful 
humour. 

He  was  very  healthy,  seldom  took  any  physique,  only  sometimes 
he  took  manna(*),  and  free  from  all  diseases,  only  towards  his  later  end 
he  was  visited  with  the  goute,  spring  and  fall.  He  would  be  chearfull 
even  in  his  goute-fitts  and  sing. 

He  died  of(')  the  goute  Struck  in,  the  9^^  or  lOtii  of  November  1674, 
as  appears  by  his  apothecaryes  booke.  He  lies  buried  in  St.  Giles 
Cripplegate,  upper  end  of  chancell  at  thö  right  band.  Vide  (*).  Memoran- 
dum :  his  stone  is  now  removed,  for  about  2  years  since  ( n  o  w  1681)  the 
two  steppes  to  the  communion  table  were  raysed.  I  ghesse  Jo.  Speed 
and  he  lie  together. 

Quaere  his  nephew  Mr.  Edw.  Philips  for  a  perfect  catalogue  of 
his  writings.    Memorandum:  He  wrote  a  little  tract  of  Education. 

Memorandum:  Mr.  Theodore  Haak,  K.  S.  S.  hath  translated  hälfe 
his  Paradise  Lost  into  High  Dutch,  in  such  blank  verse,  which  is  very 
well  liked  of  by  Germans.  Fabricius ,  professor  at  Heidelberg,  who  sent 
to  Mr.  Haak  a  letter  upon  this  translation.  Incredibile  est  quantum  nos 
omnes  affecerit  gravitas  styli  et  copia  lectissimorum  verborum  . .  et  v. 
the  letter. 

Hierauf  endigt  [7],  es  folgt  auf  [8]  der  Milton'sche  Stammbaum, 
auf  dessen  Wiedergabe  ich  glaube  verzichten  zu  dürfen.  Sie  würde  voll- 
ständig befriedigend  nm-  in  Form  des  Facsimile  erfolgen  können,  und  in 
dieser  findet  man  den  ersten  Theil,  der  für  die  Frage  der  Genealogie  von 


^)  „K's."  Ms.  ^)  So  über  „dwelt"  geschrieben.  3)  „an  extraordinarie''  ausgestrichen. 
*)  Daneben  stehend:  ,,In  the  hands  of  Moyses  Pitt".  5)  st.  über  „quite"  geschrieben. 
6)  ,. seldom  —  manna"  darübergeschrieben. 

')  „a  feaver  at  his  house  in  Jewin  street  about  the  64th  year  of  his  age"  durchstrichen. 
^)  „V.'"  Ms.  dahinter  „his  stone  gi'ave  stone"  durchstrichen. 


344  Anhang  I. 

Milton's  Mutter  -wichtig  ist,  bei  Masson  I.  6,  Noch  will  ich  Folgendes 
als  Zusatz  zii  dem  Abdruck  bei  Godwin  p.  347  bemerken:  Ueber  dem 
Namen  „Sarah  Bradshaw"  findet  sich  das  Bradshaw'sche  Wappen,  Avie  im 
Anfang  des  Ms ,  unter  den  Worten  „Edw.  Phillips"  ein  durchstrichenes, 
vor  „Mary  Powell"  ein  leeres  Wappenschild,  unter  den  Worten  „Eliz.  Min- 
shull  of  Cheshire"  ein  Schild  mit  Stern  und  Mondsichel. 

Catalogus  Librorum.  (') 

.Ti  o         ■  ^  T    j.   •  •  ^  3   i  some  writt 

1.  Poems  S^oprinted,  twice  printed  »  ,    ,     .  ^n 

\  uut  at  lo. 

2.  Eikonoklastes  printed  at    Of  Reformation. 

3.  Pro  Pop.  Angl.  Defensio  contra  Salmasium. 

4.  Tetrachordon.  4to-  Of  Divorce. 

5.  1  „       ,.     \  Lost.  4to. 

6.  i  i  Regain'd.  4*°  Edw.  Philips  his  chief  amanuensis. 

„    T     .     T-,  •  .,     ,.x  r,      I  Familiär. 

7.  Latm  Epistles(^)  8-  f  ^^^^.^^^ 

8.  Latin  Grammar  in  English.     Svo. 

9.  The  History  of  Britain,  from  the  first  traditionall  beginning,  continued 
to  the  Norman  Conquest.  4*"  London  MDCLXX.,  for  James  Alestry, 
Rose  &  Crown,  Paul'sC'')  Church  Yard.  Scripsit  permulta  (?)  per 
effigiem  (pro  falsare  ?)  1670  aetate  62. 

10.  A  Letter  of  Education  to  Mr.  S.  Hai'tlib  (witli  his  Poems). 

11.  A  Brief  History  of  Muscovia,  and  other  less  known  Countries  lyeing 
eastward(*)  writt  by  the  author's  owne  band,  before  he  lost  his  sight: 
and  intended  to  have  printed  it  before  his  death. 

12.  His  Logick. 

13.  Idea  Theologiae,  in  Ms.  in  the  hands  of  Mr.  Skinner  a  merchants 
sonne  in  Marke  Lane.  Memorandum:  There  was  one  Mr.  Skinner 
of  the  Jerkers  Office,  up  2  paire  of  stayres  at  the  Custom  House. 

14.  He  wTOte  a  Dictionary  called  Idioma  Linguae  Latinae  from  Mr.  Packer, 
who  was  his  Scholar. 


*)  Am  Hando  dieses  Verzeichnisses :  „iSct  tliem  downe  according  to  order  of  time." 
*)  „Eples."  Ms.      3)  ,,p's."  Ms.     ■*)  Darüber  geschrieben:  „advertisement". 


Anhang  IL 


Die  Greiiealogie  Yon  Milton's  Mutter. 

Die  Genealogie  von  Milton's  Mutter  zu  bestimmen,  macht  grosse 
Schwierigkeiten.  Die  überlieferten  Nachrichten  widersprechen  sich  in 
folgender  Weise: 

1)  Aubrey   sagt  im  Texte:  „His  mother  was  a  Bradshaw"   und  führt 

sie  in  dem  Stammbaum  auf  als  „Sarah  Bradshaw".  Daselbst  hat 
er  über  dem  Namen  die  Zeichnung  eines  Wappens  angebracht,  wel- 
ches genau  ebenso  am  Anfang  des  Textes,  wenn  auch  für  sich  allein- 
stehend, vorkommt  und  in  der  That  dem  bekannten  Wappen  der 
Bradshaws  von  Bradshaw  so  gut  entspricht,  wie  es  von  einer  flüchtigen 
Federzeichnung  zu  erwarten  ist.  (Massen  I.  25). 

2)  Wood,  indem  er  sich  hier  wie  in  der  biographischen  Skizze  im  ganzen 

durchaus  auf  Aubrey's  Mittheihmgen  stützt,  berichtet:  „his  Mother, 
named  Sarah,  was  of  the  ancient  Family  of  the  Bradshaws." 

3)  Edward  Phillips  bezeichnet  die  Mutter  als  „Sarah,  of  the  family  of 

the  Castons,  derived  originaly  from  Wales." 
Zunächst  widersprechen  sich  also  Aubrey  und  Phillips.  Dieser  war 
freilich  der  Enkel  der  in  Frage  stehenden  Persönlichkeit,  aber  wir  haben 
zu  erwägen,  dass  er  sich  etwas  unbestimmt  ausdrückt,  dass  wir  ihn  häufig 
bedenklicher  Vergehen  zeihen  müssen,  dass  er  später  schreibt  als  Aubrey. 
Allerdings  glaube  ich  Masson  nicht  beistimmen  zu  können,  wenn  er  für 
Aubrey  den  Christopher  Milton  Gewähi'smann  sein  lässt.  Dass  Christophers 
Name  ohne  weitere  Verbindung  dem  Satze  „His  mother  was  a  Bradshaw" 
angeschlossen  wird,  soll  wohl  nicht  ein  Quellen-Citat  ausdrücken,  sondern 
ist  eine  beiläufige  Bemerkung,  kurz  gefasst,  um  den  Faden  der  Biographie 
nicht  zu  unterbrechen.  Aus  diesem  Grunde  stehn  beide  Sätze  auch  fast 
fi-agm entarisch  für  sich  allein.  Ferner  haben  die  bis  jetzt  angestellten 
Nachforschimgen  in  den  Stammbäumen  der  Bradshaws  kein  Ergebnis  ge- 
liefert, welches  Aubrey's  Nachricht  bestätigen  könnte.  W^äre  eine  auch 
nur  entfernte  Verwandtschaft  mit  dem  Präsidenten  Bradshaw  anzunehmen 
gewesen,  so  sollte  man  meinen,  John  Milton  würde  eine  Anspielung  darauf 
in  der  Defensio  secunda  (W.  VI.  299)  nicht  unterdrückt  haben.  Dennoch  hat 


346  Anhang  U. 

Aubrey's  zwei  Mal  ausdrücklich    ausgesprochenes  Zeugnis   ein  bedeuten- 
des Gewicht. 

4)  In  den  Pfarr-Registem  von  Allhallows,  Bread-Street,  findet  sich  folgen- 
der Eintrag:  „The  XXlInd  daye  of  February  a"  1610  [1610—11],  was 
bui'ied  in  this  parishe  IVIrs.  Ellen  Jefferys,  the  mother  of  Mr.  John 
Mylton's  wyffe  of  this  parishe."    (P.  W.  Golden  Treasury  Ed.  I.  p.  X.) 
Dass  hierunter  die  Schwiegermutter  des  „scrivener  John  Milton",  also 
die  Grossmutter  des  Dichters,  zu  verstehn  sei,  ist  zweifellos.  Wenn  diese 
bei  ihrem  Tode  als  „Mrs  Jefierys",  ihre  Tochter   aber  als   eine  geborene 
Bradshaw  oder  Caston    bezeichnet  wird,  so  müsste  man  annehmen,  dass 
des  Dichters  Grossmutter  als  Wittwe  Bradshaw  oder  Caston  einem  Jefferys 
ihre  Hand  gereicht  hätte.    Aufiallig  ist    aber,  dass  der  Name  Jefferys, 
allerdings  geschrieben  J  e  f  f  r  e  y,  was  öfter  vorkam  ,  noch   ein  Mal  in  der 
Genealogie  Miltons  auftaucht.  Man  findet  ihn  auf  der  Aubrey'schen  Stamm- 
tafel rechts  von  dem  Namen  von  des  Dichters  Grossvater.   Die  herkömm- 
liche Meinung  geht  dahin,  dass  Aubrey  durch  seine  Zeichnung  habe  aus- 
drücken wollen,  der  Grossvater  des  Dichters  sei  mit  einer  Wittwe  Jeffrey, 
geborenen  Haughton,  vermählt  gewesen. 

Es  ist  Masson  in  der  That  gelungen,  gestützt  auf  ein  1595  eröffaetes 
Testament,  einen  „John  Jeffrey  of  Haiton,  in  com.  Oxon.  husbandman" 
und  somit  eine  Familie  dieses  Namens  ganz  in  der  Nähe  der  Miltons 
nachzuweisen  (I.  17).  Dass  beide  Grossmütter  des  Dichters  nach  dieser 
Annalime  denselben  Namen  getragen  haben  würden ,  erklärt  Masson  für 
einen  Zufall,  dessen  Bedeutung  noch  dadurch  abgeschwächt  wird,  dass  in 
der  That  schon  damals  die  Namen  Jeffrey  und  Jefferys  unterschieden  ge- 
braucht wiu-den.  Es  scheint  indess  doch  nöthig,  auf  die  merkwürdige 
Thatsache  etwas  näher  einzugehen,  und  zwar  aus  zwei  Gründen.  Erstens 
nämlich  bin  ich  gar  nicht  fest  davon  überzeugt ,  dass  Aubrey  durch  seine 
Notiz  und  seine  Zeichnung  auf  die  Frau  von  Miltons  Grossvater  habe 
abzielen  wollen.  Ich  vermisse  sowohl  in  meiner  von  Aubrey's  Ms.  ent- 
nommenen Kopie  wie  auf  der  photographischen  Wiedergabe  in  Masson's 
Werk  S.  7  eine  Verbindung  zwischen  dem  Namen  Milton  uud  Jeffrey. 
Man  bemerkt  vielmehr  zwischen  beiden  eine  bedeutende  Lücke.  Auch  dass 
die  ganze  Zeichnung  ursprünglich  durch  einen  Strich  von  dem  übrigen 
getrennt  war,  scheint  anzudeuten,  dass  Aubrey  sie  als  einen  beiläufigen 
Nachtrag  angesehn  wissen  wollte,  dessen  Wichtigkeit  aber  doch  so  gross  war, 
dass  er  die  trennende  Linie  wieder  vernichtete.  Sollte  nicht  denkbar  sein, 
dass  er  nach  Vollendung  der  Stammtafel  erfuhr,  Milton's  Mutter  Sarah 
sei  eine  geborene  Iloughton,  seine  Grossmutter  (Sarah's  Mutter)  sei  in 
zweiter  Ehe  mit  einem  .leffrey  vermählt  gewesen,  dessen  Wappen  bedeu- 
tungslos und  daher  dui'chstrichen  wurde,  und  dass  er  das  „Bradshaw"  zu 
tilgen  vcrgass  ?  Zunächst  würde  diese  Erklärung  den  Zufall  vom  doppelten 
Vorkommen  des  Namens  Jeffrey  auOicben  und  vortrefflich  mit  dem  Ein- 
trag in  den  Kegisteni  von  Allhallows  stimmen.    Zweitens  kommt  aber  zur 


Die  Genealogie  von  Milton's  Mutter,  347 

Bestärkung  Folgendes  hinzu:  Francis  Peck  sagt  in  seinen  New  Me- 
moirs  of  the  Life  and  Poetical  Works  of  Mr.  John  Milton  1740,  indem 
er  Phillip's  und  Wood's  Angaben  korrigirt,  S.  1:  „Mr.  Milton's  mother 
(I  am  informed)  was  a  Hauhgton  ofHaughton-Tower  in  Lancashire,  as 
appears  by  the  arms  of  bis  father  and  mother  in  pale,  upon  a  board,  a 
quarter  of  a  yard  Square,  some  time  since  in  the  possession  of  bis  widow. 
Where,  under  bis  fatber's  arms  is  wrote  Milton  ...  in  Com.  Oxon  etc., 
linder  his  mother's  Haughton  of  Houhgton-Tower  in  Com.  Lanc." 

Dieser  Nachricht  würde  man  zunächst  wenig  Glauben  beizulegen  ge- 
neigt sein,  da  Peck  diesen  in  den  wenigsten  Fällen  verdient.  Allein  ein 
Mal  ist  .die  Autorität,  auf  die  er  sich  beruft,  „From  a  Letter  of  Roger 
Comberbach  of  Chester  Esq;  to  "William  Cowper  Esq;  Clerk  of  the  Par- 
liament,  dated  15.  Dec.  1730",  Avie  Masson  S.  23  nachweist,  nicht  nur 
eine  vertrauenswürdige,  sondern  in  der  vorliegenden  Frage  vermuthlich 
besonders  wohl  unterrichtete  Persönlichkeit,  sodann  steht  auch  fest,  dass 
sich  unter  dem  Nachlass  von  Milton's  Wittwe  wirklich  ein  Gegenstand 
der  beschriebenen  Art  befand.  S.  d.  Inventar,  veröffentlicht  von  J.  F. 
Marsh  185-5  aus  dem  „Episcopal  Piegistry  von  Chester"  (Masson  I.  4. 
28):  „Mr.  Älilton's  pictures  and  coat  of  arms." 

Masson  sucht  sich  so  zu  helfen,  dass  er  das  Wappen  ursprünglich  des 
Dichters  Grossvater  angehören  und  durch  dessen  Sohn  auf  den  Dichter 
übergehen  lässt.  Wäre  die  von  mir  geäusserte  Vermuthung  richtig,  so 
würde,  wie  gesagt,  das  doppelte  Vorkommen  des  Namens  Jeffrey  entfernt, 
der  Eintrag  in  den  Piegistern  von  Allhallows  würde  mit  Roger  Comber- 
bach's  Notiz  stimmen,  man  könnte  sich  sogar  denken,  wie  aus  einem  un- 
deutlich geschriebenen  Hauhgton  das  Phillips'sche  C a s  t o n  wurde.  Die 
Schwierigkeit,  die  sich  an  den  Namen  Bradshaw  knüpft,  bliebe  allerdings 
bestehn.  Da  indessen  verwandtschaftliche  Beziehungen  zwischen  den 
Bradshaws  und  Haughtons  bekannt  sind  (Masson  L  26),  so  liesse  sich  das 
Vorkommen  einer  Verwechselung  beider  Namen  allenfalls  erklären.  Ich 
bin  weit  entfernt  davon  auf  diese  Vermuthung  grossen  Werth  zu  legen. 
Wenn  es  nicht  gelingt  neues  Material  aufzufmden,  dürfen  wir  nicht  hoffen, 
diese  genealogische  Frage  endgültig  zu  entscheiden.  Eine  von  Joseph 
Lemuel  Chester  gemachte  und  im  Athenaeum  1868,  Nov.  7,  S.»603 
veröffentlichte  Entdeckung  scheint  mir  für  diese  Entscheidung  ohne  Ge- 
wicht zu  sein.  Er  fand  bei  Durchsuchung  der  marriage  allegations  in  der 
londoner  bischöflichen  Registratui-  eine  Urkunde,  deren  Sinn,  nach  seiner 
Mittheilung,  die  auf  Wiedergabe  des  Wortlauts  verzichtet,  folgender  ist: 
„On  the  28th  of  August,  1602,  William  Truelove,  of  Hatfield - Peverill, 
in  the  county  of  Essex,  gentleman,  aged  about  forty  years,  and  who  had 
been  a  widower  about  seven  years,  alleged  that  he  intended  to  marry 
Margaret  Jeff raye,  of  Newton  Hall,  in  Great  Dunmow,  in  the  county 
of  Essex,  a  maiden,  aged  about  twenty  years,  the  daughter  of  Paul 
Jeffr  ay,  of  the  parish  of  St.  Swithin's,  London,  merchant  taylor,  deceased. 


348  Anhang  IT.     Die  Genealogie  von  Milton's  Mutter. 

with  the  consent  of  her  mother,  Ellen  Jeffraye,  widow,  whose  consent 
was  attested  by  John  Milton,  ot  the  parish  of  All  Hallows  Bread  Street, 
London,  who  married  the  sister  of  the  said  Margaret."  Die 
Register  der  Pfarrei  St.  Swithin's  sind  leider  verloren  gegangen,  das  Testa- 
ment des  Paul  Jeffray  war  nirgends  zu  finden,  auch  von  dem  Resultat 
weiterer  Nachforschungen  in  dem  Register  der  Merchant  Taylors'  Company, 
auf  welches  Mr.  Hyde  Clarke  im  Athenäum  1868,  Nov.  14,  als  eine 
möglicher  Weise  ergiebige  Fundgrube,  aufmerksam  macht,  ist  mir  nichts 
bekannt.  Die  Verschiedenheit  der  Schreibung  Jeffray.  und  Jefferys 
macht  allerdings  nichts  aus ,  aber  doch  scheint  mir  der  Schluss  J.  L. 
Chester's  sehr  gewagt:  „Nothing,  I  think,  can  be  clearer  than  that  the 
poet's  mother  was  the  daughter  of  Paul  Jeflfray  (or  Jefi"erys)...  and  ot  Ellen 
liis  wife."  Nach  dem  oben  Mitgetheilten  ^konnte  Milton's  Mutter  recht 
wohl  die  Tochter  der  Ellen  Jeflfray  oder  Jeflferys  sein,  ohne  dass  ihr 
Vater  diesen  Zunamen  gefülu-t  hat.  Man  konnte  sie  auch  ganz  wohl  die 
Schwester  von  Margai-et  Jeflfray  nennen,  weil  beiden  die  Mutter  gemeinsam 
war,  endlich  hindert  nichts  die  Annahme,  dass  diese  Mutter  Ellen  um 
1681  sich  zum  zweiten  Mal  eben  mit  einem  Jeflfray  (Jeflferys)  verheiratet 
habe,  sodass  ihre  Tochter  Margaret  Jeflfray  1602  „etwa  20  Jahre  alt" 
sein  konnte. 


Druckfehler  und  Berichtigungen. 

Seite    22  Zeile   12  v.  o.  statt:  väterlichen,  lies:    väterl  ieli  eni. 

„         97       „         2  V.  o.       „  werden,  lies:  wurden. 

„       110       „       10  V.  u.       „  Ueber  die,  lies:  Ueber  den. 

„       110       „        4  V.  u.       „  den  Wurzel,  lies:    die  Wurzel. 

„       ]f)5  letzte  Zeile  „  nur,  lies:    fast  nur. 

„       175  Zeile  11   v.  u.       „  in  welche,  lies:   in  welches. 

„       1!)3       „         8  V.  u.       „  zu   scheint,  lies:     zu  sein  scheint. 

„       20.5       „       16  V.  o.       „  Verwanden,  lies:    Verwandten. 

„      2-41       „       H  V.  u.      „  In  jenen,  lies:     Zu  jenen. 

„       263       „       13  V.  o.      „  Jolin  Boyle,  lies:    llobert  Boyle. 

„       328  letzte  Zeile  v.  u.  statt:  Oflenb.  Joh.  3,  20,  lies:  Offenb.  Job.  1,  16. 
Man   bittet  üljerall  statt  Satyre,  Satyrikcr,   satyrisch  zu   lesen:    Satire, 
Satiriker,  satirisch. 


l'ioror'Bclio  Jlol'buclidruckerci.    SteiiLan  Oloiliol  &  Co.  in  Alteiibuig. 


MILTON 

UND    SEINE  ZEIT. 


EKSTER  THEIL. 

1608—1649. 


MILTON 


UND   SEINE   ZEIT. 


Von 

ALFRED  STERN, 

nusserord.  Professor  der  Geschichte  a.  d.  Universität  Bern. 


EKSTER   THEIL. 

1608—164:9. 
Zweites  Buch.    Während  der  RevoUition. 


U«'-' 


LEIPZIG. 

VERLAG  VON  DUNCKER  &  llLMBI^oi 

1877. 


MILTON 


UND   SEINE   ZEIT. 


Von 

ALFEED  STERN. 


Zweites  Buch. 
Während  der  Revolution. 

1640-1649. 


LEIPZIG. 

VERLAG  VON  DUNCKER  &  HUMBLOT. 
1877. 


Das  Recht  der  Uebersetzung   wie  alle  andern  Rechte  %'orhehalten    von  der 

Verlagsbuchhandlung. 


Zweites    Buch. 

Während  der  Revolution  1640—1649. 

Inhalts-Verzeiclinis. 


Erstes  Kapitel, 
Nach  der  Rückkehr  iu  die  Heimat S,  3 — 54. 

Fortschritte  der  scUottischeu  Bewegung  3 — 5.  Erster  Bischofskrieg 
b — 8.  Vertrag  von  Berwick.  Neue  Konflikte  9,  10.  AVentworth  11 
Kurzes  Parlament  12,  13.  Die  neuen  Kanones  13.  Rüstungen  -zum 
zweiten  Bischofskrieg  14.  Die  Schotten  in  England.  Zusammenbruch 
der  Absolutie  15.  Berufung  des  Parlaments.  Vertrag  von  Eipon  16.- — 
Milton  nach  der  Eückkehr  17.  Familie  und  Freunde  IS.  Epitaphium 
Damonis  18,  19.  Poetische  Vorsätze.  Plan  eines  nationalen  Epos  19. 
20.  Dramatische  Entwürfe  21 — 24.  Aldersgate-Street  25.  —  Zu- 
sammentritt des  „langen  Parlaments".  Haus  der  Lords  26,  27.  Haus  der 
Gemeinen  28,  29.  Erste  Massregeln  des  Parlaments  30,  31.  Hinrichtung 
!Strafford's  32.  Vertrag  mit  den  Schotten  33.  —  Die  Frage  der  Kirchen- 
verfassung  '6'i.  Erhaltungs-Partei.  Bischof  Hall  34.  Hall's  ,, Göttliches 
Kecht  des  Bisthums"  35.  Mittelpartei.  Bischof  Williams.  Erzbischof 
Ussher.  Petition  der  Geistlichen  36,  37.  Radikale  Partei.  Einwirkung 
des  Presbyterianismus.  Londoner  Massen-Petition  3S ,  39.  Erste  De- 
batten 40.  Exklusions-Bill  41.  Von  den  Lords  verworfen  42.  Aboli- 
tions-Bill  43.  Verfassungspläne  44.  Anklage  der  Bischöfe.  Reise  des 
Königs  nach  Schottland  45. — Theilnahme  der  Kation  an  der  kirchlichen 
Frage  46.  Hall's  „demüthige  Remonstranz"  47,  4S.  Der  „Smectymnuus" 
gegen  Hall  49.  Young,  Marshall,  Calamy  ,  Kewcomen,  Spurstow  50,  51. 
Inhalt  des  Smectymnuus  51 — 54. 

Zweites  Kapitel. 
Im  Kampfe  für  die  Reform  der  Kirche    ,     .     .     .     S.  55  —  128. 
Milton's  Theilnahme    au    der   Frage    der   Kirchenverfassung    55,   56. 
Milton's  Schrift   „über    die    Reformation"    etc.    57 — 67.      Gegen 


VI  Inhalts-Verzeichnis. 

„die  Alterthümler"  59—62.  Gegen  die  „Weltlinge"  und  „Politiker" 
62 — 65.  Für  Abschaftung  des  Bisthums  66,  67.  —  Rainolds  und  Ussher 
68,  69.  Milton  gegen  Ussher:  „Ueber  prälatisches  Bisthum" 
70—72.  —  Hall's  „  Vertheidigung  seiner  demüthigen  Hemonstranz" 
72,  73.  Eeplik  der  Smectymnianer  74.  Milton's  „Bemerkungen" 
gegen  Hall  75 — 82.  Beurtheilung  Hall's  76-78.  Ideal  des  Geistlichen 
79.  Für  Freiheit  der  Presse  80.  Literarische  Hilfsmittel  81,82.  —  Karl  I. 
in  Schottland  8.5,  84.  Wiederzusammentritt  des  Parlaments  85,  86. 
Irische  Rebellion  87.  Rückwirkung  auf  England  88—90.  Grosse  Remon- 
stranz 91,  9.2.  Rückkehr  des  Königs  93,  94.  Tumulte  in  London  95. 
Verhaftung  der  zwölf  Bischöfe  96.  —  Milton's  Schrift  „über  das 
Wesen  der  K  irchen  v  erfassung"  96 — ]  13.  Autobiographisches 
98 — 100.  Bibel  und  Tradition  101.  Altes  und  neues  Testament  102. 
Gegen  die  Theokratie  103,  104.  Ueber  Schisma  und  Sekten  105.  Gegen 
Formenzwang  und  kirchliche  Jurisdiktion  106.  Kirche  und  Staat  107. 
Ideal  der  Kirchenverfassung  108.  -Milton's  Presbyterianismus  109 — 112. 
Gesetz  und  Freiheit  113.  —  Die  Halls  gegen  Milton  114— 119.  Milton's 
„Schutzschrift"  gegen  die  Halls  119—126.  Autobiographisches 
120—122.  Angriffe  gegen  Hall  123.  Ueber  die  Bildung  der  Geistlich- 
keit 124.  Ueber  die  Liturgie.  Preis  des  Parlamentes  125,  126.  Schluss- 
betrachtung  127,   128. 

Drittes  Kapitel. 
Beginn  <lcs  B^ivg-erkneg'es S.  129  — 162. 

Attentat  auf  die  fünf  Mitglieder  129—133.  Folgen  134,  135.  Der 
König  verlässt  London  136.  Massregeln  des  Parlaments  136 — 1-38.  An- 
nahme der  Bill  über  den  Ausschluss  der  Bischöfe  139.  Die  Frage  der 
Militia  140,  141.  Bruch  zwischen  König  und  Parlament  142,  143. 
Schrift  über  die  Militia  von  J.  M.  144.  Die  neunzehn  Propositionen  145. 
Rüstungen  des  Königs  146.  Rüstungen  des  Parlaments  147,  148. 
Schliessung  der  Theater  149.  Eröffnung  des  Krieges  150.  Schlacht  bei 
Edgehill  151.  —  Milton  nicht  im  Heere  152  — 154.  Bedrohung  und  Rettung 
London's  155,  156.  Sonett  Milton's  157.  Fortgang  des  Krieges. 
Einnahme  von  Reading  158,  159.  Waller' s  Komplott  160.  Milton's 
Vater  will  nach  London  übersiedeln   161,   162. 

Viertes  Kapitel. 
Erste  Heirat  und  er.ste  Schrift  ülier  die  Eliesclieidung-  S.  163  — 191. 

Die  Familie  Powell  163 — 165.  Mary  Powell  166.  Die  Flitterwochen 
167.     Abreise  der  jungen  Frau  168,   169.     Schrift   über   „die  Lehre 


Inhalts-Verzeichnis.  VII 

und  Wissenschaft  von  der  Ehescheidung"  169—190.  Selbst- 
bekenntnisse 173,  174.  Absicht  des  Autor^s  175 — 177.  Zweck  der  Ehe 
178.  Die  Ehe  ein  Vertrag  179,  180.  Das  mosaische  Recht  181—183. 
Biblische  Kritik  183 — 187.  Unvollständigkeit  der  Ausführungen  187, 
ISS.  Die  Stellung  des  Weibes  189.  Sonett  an  Margarethe"  Ley 
190.     Sonett  an  „eine    Jungfrau"  191. 

Fünftes  Kapitel. 

Presbyteriauer  uud  ludepeudenteu.    Fortgang  des 

Bürgerkrieges S.  192—260. 

Presbyterianische  Hoti'nnngen   192,   193.    Berufung  und  Eröfihung  der 
Westminster-Synode    194 — 197.      Liga   und    Covenant   mit    den   Schotten 
197  —  199.  Kriegsereignisse  und  Rüstungen  200 — 202.  Tod  Pym's  203. — 
Parteien  in  der  Sj'node.     Presbyteriauer  204,  '205.     Erastianer    205,   206. 
Independenten    206.     Die    ludependenten    in    Holland.      John    Robinson 
206 — 20S.     Ansicht  über  das    Verhältnis  von  Kirche  und  Staat  209,  210. 
Die  Pilgerväter.    New-Plymouth   211.    Massachusetts.    Connecticut.     New- 
Haven    212.      Indepeudentismus     von    Neu-Englamd    21H,    214.       Roger 
Williams  215.  Rhode-Island  216.  —  Rückwirkungen  des  Independentismus 
auf  England  217.    Baptisten  218.    John  Goodwin  219.  Thomas  Goodwin, 
Nye,  Burroughs,  Simpson,    Bridge   220.     Burton  und  Lilburne  220,  221. 
Mrs.  Chidley  222.  —  Debatten  der  Synode.     Entsetzung  von  Geistlichen. 
Veränderungen  in  Cambridge  222 — 225.     Debatten   über  die  Kirchenver- 
fassung 226,  227.     Die  ,, apologetische  Erzählung"  228.  —  Die  Frage  der 
Gewissensfreiheit  229,  230.     Die  Latitudinarier  231 — 233.    Trennung  von 
Kirche    und  Staat    oder  Landeskirche    und  Toleranz?    234.     R.  Williams 
in    England.      Seine    „blutige    Lehre    der    Verfolgung"    234,   235.     John 
Goodwin    und    Gesinnungsgenossen   236.      Forderung    der    Toleranz    237. 
Sektenfurcht.     Featley.     Pagit.     Edwards.    Prynne  238 — 240.     Intoleranz 
der  Sniectymuianer  .241,  242.    Saltmarsh's  Angriffe  gegen  sie  243,  244  — 
Das  Heer  und  der  Independentismus  245.    Cromwell  246 — 248.    Hoffnung 
des    Presbytcrianismus    auf   die    Schotten    249.     Schlacht    von    Marston- 
Moor  250.     Unfälle  von  Waller  und  Essex  251.     Akkomodations-Ordon- 
nanz 252,  253.     Cromwell   und  Manchester  253  —255.     Erste   und  zweite 
Selbstentäusserungs-Ordonnanz    258,    257.      Verhandlungen    zu    Uxbridge 
25S.     Hinrichtung  Laud's  259. 

Sechstes  Kapitel. 

Miltou  als  iudepeiidentisclier  Schriftsteller  .     .     .     S.  261 — 334. 

Milton  und  der  Independentismus  261,  262.    Milton  als  Sektenführer 
263,  264.  —  Die  Frage  der  Erziehungsreform  265.  Samuel  Hartlib  26G— 26S. 


VIII  Inhalts-Verzeichnis. 

John  Durie  26S — 270.  Pläne  einer  Allianz  der  Protestanten  270—273. 
Pädagogische  Ideen  273,  274.  Comenius  274 — 278.  Comenius  und 
Hartlib  278^  279.  Comenius  in  England  280.  Comenius  in  Elbing  281, 
282.  Hartlib's  kirchlich  -  politische  Ansichten  283 — 285.  —  Hartlib  und 
Alilton  285.  Milton's  Schrift  ,,iiber  die  Erziehung"  285 — 298. 
Absicht  der  Schrift  286,  287.  Inhalt:  Sprachstudien  288.  „Sophisterei" 
289,  290.  Positive  Vorschläge  290—296.  Kritik  297,  298.  —  Zweite 
Schrift  über  die  Ehescheidung:  „Urtheil  Butzer's"  299 — 302. 
Angriff  Palmer's  gegen  Milton.  —  Die  Censur  und  die  Stationers'  Com- 
pany 303,  304.  Die  Presse  und  das  Parlament  304—306.  Milton's 
Gesetzwidrigkeit  307.  Angriff  der  Stationers  auf  Milton  308.  Wither 
über  die  Stationers  309.  Milton's  Areopagitica  309 — 322.  Ur- 
sprung der  Censur  311.  Nutzlosigkeit  der  Censur  312 — 316.  Angriff 
gegen  die  Presbyterianer  317  —  319.  Grenze  der  Toleranz  319,  320. 
Schädlichkeit  der  Censur  320 — 322.  —  Wirkung  der  Areopagitica  322, 
323.  Milton  und  die  Stationers  324,  325.  Prynue,  Featley  etc.  gegen 
Milton  326.  —  Dritte  Schrift  über  die  Ehescheidung:  ,, Tetra- 
chordon" 327 — 330.  Autobiographisches  328.  Stellung  der  Frau  329. 
Wesen  der  Ehe  330.  —  Anonyme  Schrift  gegen  Milton  331.  Vierte 
Schrift  über  die  Ehescheidung:  „Colas terion"  332 — 334. 
Nachwirkungen  der  Milton'schen  Scheidungstheorie  334. 

Siebentes  Kapitel. 

Hiiusliches  und  Politisches  1645—1647  .     .     .     .     S.  335—391. 

Rückkehr  von  Milton's  Frau  335 — 337.  Barbican-Street  33S.  Heraus- 
gabe der  Gedichte  339,  340.  Sonett  an  Lawes  341.  Beziehungen  zu 
Thomason,  P.  Young,  J.  Kous.  Ode  für  Rous  342,  343.  Edwards 
und  Baillie  gegen  Milton  343.  Sonette  gegen  die  Presbyterianer 
344—346.  —  Umbildung  des  Heeres  346,  347.  Feldzug  von  1645.  Schlacht 
bei  Naseby  348 — 351.  Folgen  352.  Kapitulation  von  Bristol  353.  Nie- 
derlage Montrose's  bei  Philiphaugh  354.  Der  König  in  Oxford.  Glamor- 
gan  in  Irland  355,  356.  —  Cromwell  für  'i'oleranz  356,  357.  Furcht  und 
Massregeln  der  Presbyterianer  358,  359.  Wiederaufnahme  der  Akkonio- 
dations-Ordonnanz  359,  360.  Einführung  des  Presbyterial-Systems  361. 
Hemmnisse  der  Erastianer  362.  Frage  der  Abendmahlsverweigerung  und 
der  Schlüsselgewalt  363.  Das  Parlament  gegen  die  Synode  364.  Fragen 
über  das  göttliche  Recht  365.  —  Absichten  des  Königs  366,  367.  Seine 
Verhandlungen  mit  den  Schotten  368,  369.  Seine  Flucht  zn  den  Schotten 
370.  Verbandlungen  zu  Newcastle  371.  Hoffnungen  der  Presbyterianer, 
Befürchtungen  der  Independentcn  372,  373.  Die  neunzehn  Propositionen 
<les  Parlaments  374.     Karl   I.  über  die  Presbyterialvcrlassiing  375.    Kath- 


Inhalts- Verzeichnis.  IX 

schlage  der  Königin  376.  Bemühungen  Frankreichs  577.  Mission  Da- 
venant's  378.  Verhandlungen  mit  den  Hamiltons  und  Mission  W.  Mur- 
ray's  379,  380.  Antwort  auf  die  neunzehn  Propositionen  380.  Or- 
mond'scher  Friede  381.  Kapitulation  von  Oxford  382.  Abkommen  des 
Parlaments  mit  Schottland.  Auslieferung  des  Königs  3S3.  —  Verlegen- 
heiten der^  Powells  384  —  386.  Die  Powells  in  London.  Geburt  von 
Anna  Milton  387.  Sorgen  und  Tod  des  alten  Powell  388,  389.  Christoph 
Milton  390.     Tod  des  alten  Milton  391. 


Achtes  Kapitel. 
In  den  letzten  Zeiten  .des  König-thiuns    .     .     .     .     S.  392 — 449. 

Briefwechsel  Milton's  mit  Dati  392,  393.  Abzug  der  Po- 
wells 394.  Milton  als  Lehrer.  Seine  Schüler,  Unterrichtsmethode  und 
Lehrbücher  394 — 398.  Frage  der  Reform  des  Unterrichtswesens.  Hart- 
lib  und  seine  Bestrebungen.  Robert  Boyle.  William  Petty,  Kinner. 
Comenius  398 — 401.  Das  ,, unsichtbare  College"  401,  402.  Milton  in 
High-Holborn  402.  Psalmenübersetzung  403.  Brief  von  Dati  403. 
Geburt  von  Mary  Milton  404.  —  Karl  I.  in  Holmby  404.  Konflikt 
zwischen  Heer  und  Parlament  405,  406.  Die  „Adjutatoren"  407.  Ent- 
führung des  Königs  durch  Joyce  409.  Forderungen  des  Heeres  410. 
Anklage  der  eilf  Mitglieder  411.  Sturm  gegen  das  Parlament.  Rüstungen 
der  City  412.  Einzug  des  Heeres.  „Vorschläge"  des  Kriegsraths  413, 
414.  Programm  von  Hugh  Peters  414,  415.  Der  König  in  Hampton- 
court. Neue  Vorschläge  von  Fairfii^.  lutriguen  des  Königs  415,  416. 
Letzte  Versuche  CrümweU's  und  seiner  Freunde  417.  Einwirkung  der 
Agitatoren  418.  Flucht  des  Königs  nach  der  Insel  Wight  419.  Vertrag 
des  Königs  mit  den  Schotten  420.  Zweiter  Bürgerkrieg.  Belagerung 
A'ou  Colchester  420,  421.  Schlacht  von  Prcston.  Cromwell  in  Schott- 
land 422.  Presbyterianismus  in  London,  Ordonnanz  gegen  Ketzerei  423. 
Vertrag  von  Newport  424.  Stimmung  des  Heeres  425.  Grosse  Remon- 
stranz der  Armee  426.  Abführung  des  Königs  nach  Hurst-Castle  427. 
Pride's  ,, Purganz"  428.  Der  König  in  Windsor.  Das  Unterhaus 
,, souverän"  429.  Der  ausserordentliche  Gerichtshof.  Process  und  Hin- 
richtung des  Königs  430,  431.  —  Milton's  Sonett  auf  Fairfax 
431.  Milton  'für  das  Heer  und  die  Republik  433.  Seine  Schrift: 
„Das  Recht  der  Könige  und  Obrigkeiten"  433 — 4-17.  Polemische 
Tendenz.  Gegen  die  Presbyterianer  434 — 440.  Versöhnliche  Absicht  440. 
Politische  Theorie  441,  442.  Historische  Beweise  443.  Beweise  aus  der 
Bibel  4-14.  Begriff'  des  „Tyrannen"  445.  Staatsrechtliche  Kühnheiten 
446.  Protestantische  Zeugnisse.;  Religiöser  Cirundton  447.  Abschluss 
einer  Epoche  448,  449. 


X  Inhalts- Verzeichnis. 

Anmerkungen  und  Anhäng-e S.  451 — 499. 

Anmerkungen. 

Anhang  I. 

Der  Buchhändler  (xeorgre  Thoniason S.  497 — 499. 

Anhang  IL 

Auszüge   aus    den  Protokollen    der  Akademie    der 

STOgliati  (Nachtrag  zu  Buch  I) S.  499. 


Zweites  Buch. 
Während  der  Revolution. 

1640—1649. 


Stern,   Miltonfn.  s.  Z.      I.  2. 


Erstes  Kapitel. 
Nach  der  Rückkehr  in  die  Heimat. 


Die  Zeit,  zu  der  Milton  in  die  Heimat  zurückkehrte, 
war  eine  Zeit  fieberhafter  politischer  Erregimg.  Nicht  ohne 
Grund  war  die  bedroMiche  Kunde  gewesen,  die  ihn  in  Neapel 
getroifen  und  aus  dem  hoffnungsvollen  Traume  aufgeschreckt 
hatte,  Sicilien  und  Griechenland,  das  Land  seiner  Sehnsucht, 
mit  Augen  zu  schauen.  Grosses  hatte  sich  während  seiner 
Abwesenheit  im  Vaterlande  ereignet,  Grösseres  bereitete  sich 
vor.  Der  Covenaut,  aufgesetzt  nur  wenig  Wochen,  ehe  ISIilton 
seine  Reise  antrat,  war  das  Panier  geworden,  um  das  sich 
ganz  Schottland  sammelte.  Von  der  Hauptstadt  aus  durch- 
flog er  in  hunderten  von  Exemplaren  das  Land.  Geschäftige 
Boten  trugen  die  Urkunde  zu  den  spärlichen  Wohnungen  der 
entlegenen  Thäler  und  Bergschluchten.  Vornehm  und  Gering, 
Jung  und  Alt  nahm  sie  mit  religiöser  Inbrunst  auf.  Hie  und 
da  wurden  freilich  Drohungen  und  Gewalt  zur  Erlangung 
von  Unterschriften  angewandt.  An  einigen  Stellen,  wie  in 
und  um  Aberdeen,  hatten  die  Anhänger  des  Bisthums  das 
Uebergewicht.  Aber  die  Masse  des  schottischen  Volkes  in 
erdrückender  Mehrzahl,  hatte  sich  durch  feierlichen  Eid- 
schwur vor  Gott  verbunden,  alle  religiösen  Neuerungen,  die 
mit  Umgehung  freier  General- Versammlungen  und  Parlamente 
gewaltsam  eingeführt  worden  waren,  abzuwehren.  Die  Fiktion 
der  Loyalität  wurde  noch  aufrecht  erhalten,    mit    der  Ver- 


4  Fortschritte  der  schottischen  Bewegung. 

theidigimg  des  „wahren  Glaubens,  der  Freiheiten  und  Gesetze 
des  Keiches"  sollte  die  Vertheidigung  der  königlichen  Maje- 
stät Hand  in  Hand  gehn.  Allein  es  war  klar,  dass  der  Schlag, 
der  die  Bischöfe  treffen  sollte,  nicht  weniger  den  König  ver- 
letzen musste,  der  hinter  ihnen  stand. 

König  Karl,  von  Staunen  und  Erbitterung  über  den  un- 
erwarteten Widerstand  eines  ganzen  Volkes  erfüllt,  befand 
sich  in  der  peinlichsten  Lage.  Gewohnt  seinen  Willen  über 
jedes  Hindernis  triumphiren  zu  sehn,  fühlte  er  sich  gegen- 
über der  schottischen  Bewegung  plötzlich  ohne  Macht.  Schott- 
land und  England  waren  staatsrechtlich  in  nichts  verbunden 
als  in  der  Person  des  gleichen  Monarchen.  Und  wenn  der 
Gedanke  verlockend  war,  diesen  Anlass  zu  benutzen,  um  die 
Schranken  zwischen  beiden  Reichen  niederzureissen  und  beide 
der  gleichen  Despotie  zu  unterwerfen,  so  waren  doch  Zeit  und 
Sammlung  nöthig.  Es  blieb  nur  ein  Ausweg  übrig:  durch 
Unterhandeln  beides  zu  gewinnen.  Der  Marquis  von  Hamilton, 
empfohlen  durch  das  Ansehen,  das  er  bei  seinen  Landsleuten 
und  durch  das  Vertrauen,  das  er  bei  seinem  König  genoss, 
ward  dazu  ausersehen,  die  Verhandlungen  zu  leiten.  Es  ge- 
lang ihm  auf  die  Dauer  nicht  die  Erregung  zu  beschwichtigen. 
Er  führte  eine  königliche  Proklamation  mit  sich,  deren  Inhalt, 
noch  vor  der  Veröffentlichung  bekannt  geworden,  den  Wün- 
schen der  Schotten  nicht  genügen  konnte.  Sie  betonte  die 
protestantische  Gesinnung  des  Monarchen.  Sie  enthielt  den 
Verzicht  auf  die  einseitige  Einführung  des  verhassten  litur- 
gischen und  kanonischen  Buches.  Sie  versprach  Reform  der 
hohen  Kommission,  Berufung  der  kirchlichen  General-Ver- 
sannnlung  und  des  Parlaments  zu  passender  Zeit.  Aber  in 
den  Augen  des  Adels  wie  des  gemeinen  Mannes  wurden  alle 
diese  Zugeständnisse  werthlos  gemacht  durch  das  hinzugefügte 
Verlangen  des  Rücktritts  von  ihrem  Covenant.  Vergeblich 
machte  Hamilton  mehi-mals  den  Weg  von  Edinburg  nach 
London,  um  die  Zustände  Schottlands  zu  schildern  und  sieh 
neue  Aufträge  zu  liolen.  Vergel)lich  setzte  er  dem  Covenant, 
wie  er  das  Symlx)]  des  volkstliümliclien  Widerstandes  ge- 
worden war,  die  Redaktion  des  Jalires  1590  entgegen,  durch 


Fortschritte  der  schottischen  Bewegung.  5 

die  es  nicht  so  leicht  möglich  gemacht  wurde,  die  jüngsten 
Neueningen  katholischen  Gebräuchen  gleichzustellen.  Ver- 
geblich waren  mit  der  Aufforderung  diesen  königlichen  Cove- 
nant  zu  unterzeichnen  die  grössten  Zusagen  verbunden,  vor 
allem  die  Ausschreibung  von  General- Versammlung  und  Par- 
lament. Die  Masse  des  Volkes  wollte  seine  Urkunde  für 
keine  andere  eintauschen,  gewisse  Unterzeichner  der  könig- 
lichen machten  diese  erst  recht  verdächtig,  indem  sie  ihrer 
Unterschrift  ausdmckliche  Erklärungen  zu  Gunsten  der  bi- 
schöflichen Kirche  hinzufügten. 

In  der  General-Vei-sammlung  kam  der  Gegensatz  zwischen 
dem  Willen  des  Volkes  und  dem  Willen  der  Regierung,  den 
auch  die  geschickteste  Vermittlung  nicht  ausgleichen  konnte, 
zum  vollen  Ausdmck.  Am  21.  November  1638  in  der  Kathe- 
drale zu  Glasgow  eröffnet,  von  dem  gelehrten,  hochangesehenen 
Alexander  Henderson  geleitet,  schritt  sie  über  alle  Ein- 
wendungen Hamilton's,  des  königlichen  Kommissärs,  und  einen 
Protest  der  Bischöfe  hinweg  und  erklärte  sich  für  berechtigt, 
diese  vor  ihre  Schranken  zu  ziehn.  Hamilton  verliess  den 
Ort  der  Berathung,  am  darauf  folgenden  Tage  löste  er 
die  Versammlung  durch  eine  öffentlich  verlesene  Proklamation 
auf  und  erklärte  alle  ihre  Beschlüsse  für  ungiltig.  Aber  die 
Versammlung  blieb  und  wurde  nicht  wenig  dadurch  in  ihrer 
Standhaftigkeit  bestärkt,  dass  der  mächtige  Graf  von  Argyle, 
IVIitglied  des  schottischen  geheimen  Rathes,  die  Sache  des 
Köüigs  verliess,  Sie  räumte  auf  mit  allen  Neueningen,  die 
unter  königlichem  Einfluss  seit  1606  in  der  schottischen  Kirche 
eingeführt  waren.  Die  fünf  Artikel  von  Peith  wurden  abge- 
schafft. Das  Liturgie-Buch  wie  die  Kanones  mussten  fallen. 
Die  hohe  Kommission  ward  aufgehoben.  Das  Bisthum  wurde 
abgeschworen,  sämmtliche  Bischöfe  abgesetzt,  einige  der  Ge- 
hasstesten exkommunicirt.  Die  schottische  National-Kirche 
in  der  ganzen  Reinheit  ihrer  strengen  Architektur,  frei  von 
episkopalem  Zierrath,  ward  unter  dem  Jubel  des  Volkes  wieder 
hergestellt. 

Der  König  hatte  das  Zusammenbleiben  der  Assembly 
nach  ihrer  Auflösung  durch  Hamilton  für  eine  Handlung  des 


5  Erster  Bischofskrieg. 

HocliveiTaths  erklärt.  Es  hätte  ihn  feige  Schwäche  bedünken 
müssen,  wenn  er  das  widerspänstige  Volk  im  Norden  nun- 
mehr seine  strafende  Hand  nicht  fühlen  Hess.  Aber  auch  die 
Rücksieht  auf  England  schien  dies  zu  erfordern.  Der  grosse 
Rechtshandel  um  das  Schiifs-Geld,  die  gewaltsame  Eintreibung 
dieser  Steuer,  alle  die  gesteigerten  Anforderungen  geistlich- 
weltlicher Unduldsamkeit,  vor  der  nicht  ein  Älal  die  Stätte 
der  Todten  sicher  war(^),  hatten  die  Geister  in  England  in 
immer  höherem  Grade  erhitzt.  Mit  wachsender  Spannung 
lauschte  man  auf  die  Nachrichten  aus  Schottland.  In  der 
dortigen  revolutionären  Opposition  erkannte  man  etwas  Ver- 
wandtes. Das  Volk  der  Schotten,  von  dem  das  englische 
höchstens  dann  sprach,  wenn  es  galt  sich  billige  Witze  über 
die  „Haferbrod-Esser"  zu  erlauben,  erweckte  mit  einem  Male 
diesseits  des  Tweed  Gefühle  brüderlicher  Sympathie.  Des 
Königs  Proklamation  „an  seine  geliebten  Unterthanen",  durch 
welche  er  diese  über  die  „aufrührerischen  Praktiken  und  die 
verrätherischen  Absichten  einiger  Schotten"  aufzuklären  suchte, 
verfehlte  vollständig  ihren  Zweck.  Dafür  fielen  der  Regierung 
anonyme  Schreiben  in  die  Hand,  die  dem  König  das  Beispiel 
Ahabs  vor  Augen  führten  und  mit  dürren  Worten  erklärten, 
man  sei  nicht  Willens  gegen  die  Schotten  zu  kämpfen  (2). 
Sie  schöpfte  gegen  einzelne  Bürger  ernstlichen  Verdacht  wegen 
heimlicher  Verbindung  mit  den  Rebellen  im  Norden,  Haus- 
suchungen fanden  Statt,  Briefe  wurden  mit  Beschlag  belegt, 
und  die  Stimmung  wurde  von  Tag  zu  Tage  schwüler. 

Bei  dieser  Lage  der  Dinge  wies  Karl  I.  mit  doppelter 
Energie  den  Gedanken  von  sich,  die  Kriegs-Frage  vor  ein 
englisches  Parlament  zu  bringen.  Hatte  er  sich  ein  Decennium 
der  verhassten  Aufsicht  dieses  obersten  Wächters  der  natio- 
nalen Freiheiten  zu  entziehen  gewusst,  so  war  dieser  Augen- 
blick gespannter  Leidenschaften  der  ungünstigste,  ihn  aufs 
neue  heraulzul)eschwören.  Er  rechnete  auf  die  Mittel,  welche 
seine  Willkür  -  Herrschaft  in  den  letzten  Jahren  ihm  in  die 
Hand  gegeben  hatte  und  appellirte  an  die  loyale  Hülfe  der 
ihm  erge])enen  Klassen.  Der  hohe  Adel  wurde  zu  persön- 
licher Leistung,  die  Geistlichkeit  sowie  die  grossen  Korpora- 


Erster  Bischofskrieg,  7 

tionen  zur  Zahlung  von  Subsidien  aufgerufen,  an  die  Katho- 
liken, ihre  Glaubensgenossen,  wandte  die  Königin  sich  selbst. 
In  den  nördlichen  Grafschaften  zeigte  sich  die  Gentiy  eifiig, 
und  die  INIilizen  wurden  aufgeboten.  Aber  alles  in  allem 
blieben  die  Ergebnisse  weit  hinter  den  Erwartungen  zurück. 
Wohl  war  mancher  vom  Adel  bereit  die  alte  Feudal- Ver- 
pflichtung in  ausgedehntem  Masse  zu  erfüllen,  aber  viele 
wussten  sieh  „mit  blutendem  Herzen"  durch  Krankheit  oder 
schlechte  Venuögens-Umstände  zu  entschuldigen,  ja  die  Lords 
Saye  und  Sele  und  Lord  Brooke  erklärten,  nur  das  Parlament 
könne  sie  zur  Leistung  von  Beihülfe  vei-pflichten ,  nur  im 
Falle  England  von  einem  Eeinde  angegriffen  werde,  würden 
sie  erscheinen.  "Wohl  folgte  die  hohe  Geistlichkeit  den  Er- 
mahnungen Laud's,  mit  vollen  Händen  zu  geben,  aber  die 
City  von  London  verstand  sich  zu  einer  so  geringen  Summe, 
dass  der  König  sie  mit  Verachtung  zurückwies.  Auch  gaben 
die  Katholiken  heimlich  ihr  Seherflein,  aber  vom  Vatikan 
aus  wurden  sie  ermahnt,  nicht  femer  zwischen  Angiikanem 
und  Puiitanern  einen  thörichten  Unterschied  zu  machen,  da 
beide  von  der  allein  seligmachenden  Wahrheit  gleich  weit 
entfernt  s'eien.  Auch  sonst  fehlte  alles  was  für  die  glückliche 
Führung  des  Krieges  nötliig  war.  James  Wemys ,  der  das  Ar- 
tillerie-Wesen leitete,  beklagte  sich  bitter  über  die  Mängel  seines 
Geschäfts-Zweiges,  und  manche  vertrauliche  Mittheilung  über 
die  Schwierigkeit,  die  Mannschaften  auszuheben  und  zu  er- 
halten, lief  ein(i). 

Um  wie  viel  fiischer  war  die  Energie,  mit  welcher  die 
Schotten  ihren  Widerstand  organisirten.  Vom  Festland  war 
der  kampfei-probte  Alexander  Leslie  in  die  Heimath  zuilick- 
gekehrt,  der  unter  Gustav  Adolf  seine  Schule  gemacht  hatte. 
Ihm  folgte  eine  ganze  Schaar  mannhafter  Landsleute,  die  bis 
dahin  in  der  schwedischen  Amiee  gedient  hatten,  um  nun- 
mehr auf  vaterländischem  Boden  den  Kampf  gegen  einen 
Fürsten  aufzunehmen,  der  es  in  ]\Iissachtung  religiös-politischer 
Unabhängigkeit  dem  Hause  Habsburg  gleich  zu  thun  unter- 
nahm. Leslie,  unterstützt  von  seinen  Waffengefährten  und 
einer   Art    von    provisorischer  Regiei-ung,    die    in    Edinburg 


8  Erster  Bischofskrieg. 

ihren  Sitz  hatte,  brachte  Zucht  und  Ordnung  in  die  Landes- 
Rüstung.  Die  junge  Mannschaft,  die  sich  zu  den  Fahnen 
drängte,  wurde  geübt  und  eingetheilt,  von  Holland  und 
Schweden  kam  Geschütz  und  Munition,  freiwillige  Sammlungen 
halfen  dem  Geldmangel  ab.  Ohne  Zögern  bemächtigte  man 
sich  der  wichtigsten  festen  Plätze,  die  Royalisten  in  Aberdeen- 
Shire  wurden  niedergeworfen,  und  die  ganze  presbyterianische 
Sieges-Zuversicht  sprach  aus  den  [feurigen  Ennahnungen  der 
bibelfesten  Prediger. 

Währenddess  nahmen  die  Operationen  des  Königs  einen 
kläglichen  Verlauf.  Auf  dieser  Seite  war  die  Absicht  ge- 
wesen, die  Flotte  unter  Hamilton  gegen  die  schottische  Ost- 
ktiste  zu  senden,  die  Landmacht,  bei  der  sich  der  König  be- 
fand, zur  VertheidigTing  oder  zum  Angriff  an  der  Grenze  im 
Nordwesten  aufzustellen.  Aber  die  rasche  Ueberwältigung  der 
schottischen  Royalisten  durch  die  Covenanters  nöthigte  Ha- 
milton sich  auf  blosse  Demonstrationen  im  Golf  von  Forth  zu 
beschränken.  Das  Heer,  unter  dem  Grafen  von  Ai-uudel,  mit 
dem  Grafen  von  Essex  als  General-Lieutenant  und  dem  Grafen 
von  Holland  an  der  Spitze  der  Reiterei,  zuerst  in  Carlisle, 
seit  Ende  Mai  in  Berwiek  zusammengezogen,  blieb,  abgesehen 
von  ein  Paar  Streifzügen  auf  schottisches  Gebiet,  die  nicht 
eben  rühmlich  ausfielen,  gleichfalls  so  gut  wie  unthätig. 
Immer  häufiger  wurden  die  Klagen  daräber,  dass  sich  die 
ausgehobenen  Mannschaften  auf  dem  Wege  nach  Norden  des 
Königs  Dienst  entzögen,  um  sich  in  ihre  heimischen  Graf- 
schaften zu  zerstreuen,  die  Verhaftung  der  Lords  Saye  und 
Brooke  hatte  bei  vielen  vom  Adel  einen  sehr  üblen  Eindi-uck 
gemacht,  mancherlei  Intriguen  und  Misshelligkeiten  der 
leitenden  Persönlichkeiten  lähmten  die  einheitliche  Bewegung, 
in  unmittelbarer  Nähe  des  Königs  wurden  Zweifel  an  dem 
Erfolge  des  Unternehmens  laut(^).| 

Unter  diesen  Umständen  waren  die  Bedenken  völlig  ge- 
rechtfertigt, mit  wenig  zuverlässigen,  schlecht  versorgten 
Tnippen  einen  Angriff  auf  das  wohldisciplinirte,  kampflustige 
Heer  Leslie's  zu  machen,  das  sich  dem  königlichen  gegenüber 
gelagert  hatte.    Schon  seit  einiger  Zeit  waren  Verhandlungen 


Vertrag  von  Berwick.  —  Neue  Konflikte.  9 

im  Gange ;  im  englischen  Lager  unter  Theilnahme  des  Königs 
fortgesetzt,  führten  sie  am  18.  Juni  zur  Pacifikation  von 
Berwick,  welche  diesen  ersten  „Bischofs-Kiieg"  beendigte. 
Diese  „langohrige,  kurzhaarige,  atheistische,  puritanische 
Rotte  des  schottischen  Covenant",  wie  einer  der  Höflinge 
unter  einer  Fluth  ähnlicher  Ausdrücke  des  Kavalier-Jargon 
die  Feinde  bezeichnete  (^),  hatte  einen  grossen  und  unblutigen 
Erfolg  davongetragen.  Der  König  erkannte  allerdings  die 
Gesetzmässigkeit  der  jüngsten  General- Versammlung  und  der 
leitenden  Ausschüsse  nicht  an,  aber  er  versprach  für  die 
Ordnung  der  kirchlichen  und  politischen  Angelegenheiten 
Schottlands  regelmässige  General- Versammlungen  und  Parla- 
mente zulassen  zu  wollen.  Für  den  Zusammentritt  von  beiden 
wurden  nahe  Termine  festgesetzt.  Ueber  die  Auflösung  der 
Tnippen,  die  Herausgabe  der  eingenommenen  festen  Plätze 
u.  s.  w.  wurden  die  nöthigen  Vereinbarangen  getroff'en.  Eine 
Abschafiung  des  Bisthums  für  immer  wurde  nicht  ausdrücklich 
bewilligt,  aber  man  hielt  sich  zu  der  Annahme  berechtigt, 
dass  auch  hierüber  das  freie  Ennessen  der  beiden  Landes- 
versammlungen zu  entscheiden  habe. 

Die  Pacifikation  war  kaum  zu  Stande  gebracht  worden, 
als  sich  schon  airTs  neue  bedenkliche  Misshelligkeiten  erhoben. 
Die  Interpretation  des  Vertrages,  wie  sie  in  erläuternden 
Glossen  der  Covenanters  erschien,  wurde  vom  König  übel  auf- 
genommen. In  Edinburg  kam  es  zu  einer  Volksbew^egung, 
als  das  Schloss  einem  royalistischen  Kommandanten  zurück- 
gegeben werden  sollte.  Der  König  selbst,  der  mit  Aufgabe 
des  Planes,  beiden  Versammlungen  beizuwohnen,  nach  London 
zurückkehrte,  war  entschlossen,  sein  stillschweigendes  Zuge- 
ständnis, den  Verzicht  auf  die  bischöfliche  Verfassung,  nicht 
als  ein  endgültiges  zu  betrachten  und  machte  sieh  mit  dem 
Gedanken  eines  zweiten  Feldzuges  vertraut.  Inzwischen  be- 
stätigte die  neue  Generalversammlung  der  schottischen  Kirche 
die  Beschlüsse  der  letzten  und  setzte  fest,  dass  sie  mindestens 
einmal  im  Jahre  zusammenzutreten  habe.  Nach  Beendigung 
ihrer  Berathungen  begann  am  31.  August  das  Parlament,  nun- 
mehr ohne  prälatische  Mitglieder,  seine  Sitzungen.    Aber  hier 


10  Neue  Konflikte. 

trat  die  Unversöhnlichkeit  der  Gegensätze  -wiederum  aufs 
stärkste  hervor.  Der  König,  hier  wie  in  der  Assembly,  ver- 
treten durch  den  Grafen  von  Traquair,  als  seinen  Kommissär, 
verhängte,  dass  das  geisthche  Element,  in  Abhängigkeit  von 
ihm  selbst,  auf  die  eine  oder  andere  Weise  Aufnahme  im 
Parlamente  finde.  Die  Schotten  zögerten  nicht,  ohne  Rück- 
sicht darauf  zu  nehmen,  das  übliche  Committee  der  „Lords 
of  the  Articles",  dem  die  Vorberathung  aller  Beschlüsse  oblag, 
in  veränderter  Weise  ausschliesslich  aus  Abgeordneten  des  hohen 
Adels,  der  Gentry  und  der  Bürgerschaften  zu  bestellen  und 
für  das  Parlament  eine  Reihe  der  wichtigsten  Rechte  in  An- 
spiTich  zu  nehmen,  deren  Besitz  ihm  eine  ganz  neue  Stellung 
gegeben  haben  würde.  Die  Versammlung  wurde  von  Traquair 
prorogirt,  aber  sie  setzte  sich  der  Prärogative  einseitiger  Auf- 
lösung entgegen  und  Hess  einen  stellvertretenden  Ausschuss 
zurück  (^). 

Ein  englischer  Prälat,  Bischoff  Hall  von  Exeter,  mochte 
glauben,  die  „Insolenz"  der  Schotten,  welche  zugelassen  habe, 
dass  die  „einzig  wahre  und  alte  Kirchenverfassung  von  un- 
wissenden Aufrührern  so  verächtlich  niedergetreten  werde", 
könne  durch  Berufung  einer  allgemeinen  Synode  aller  drei 
Reiche,  eine  Art  anglikanisches  Koncil,  bekämpft  werden  (2). 
In  Wahrheit  war  die  ganze  Bewegung  über  die  religiösen  Streit- 
fragen, von  denen  sie  ausgegangen  war,  hinausgewachsen.  Neben 
der  kirchlichen  Unabhängigkeit  wurde  eine  bis  dahin  nicht 
vorhandene  politische  Selbstständigkeit  von  den  Covenanters 
beansprucht,  und  um  diese  wie  jene  zu  vertheidigen ,  hatten 
sie  sich  bereits  einer  europäischen  INIacht  angenähert,  die  nach 
alter  Tradition  als  eine  befreundete  betrachtet  werden  konnte. 
Es  waren  die  Zeiten,  in  denen  zwischen  der  auswärtigen  Politik 
Englands  und  Frankreichs  unvereinbare  Gegensätze  hervor- 
getreten waren.  Eine  spanische  Flotte  suchte  an  der  engli- 
schen Küste  Schutz,  ohne  dass  freilich  dadurch  eine  Nieder- 
lage, welche  die  Holländer  ihr  beibrachten,  vermieden  worden 
wäre.  Der  Plan,  den  jungen  Kurfürsten  von  der  Pfalz  an  die 
Spitze  der  weimarischen  Annee  zu  stellen,  wurde  von  Richelieu 
durchkreuzt.    Am  Hofe  zu  Wliitehall  übte  die  Königin-Mutter 


Wentworth.  11 

in  Verbindung  mit  anderen  Persönlichkeiten  einen  Einfliiss 
aus,  der  den  Absichten  des  Kardinal  -  j\Iinisters  entgegenlief 
und  die  spanischgesinnte  Faktion  unterstützte.  Schon  waren 
gewisse  Verbindungen  zwischen  Richelieu  und  den  Covenanters 
angeknüpft  worden.  Als  das  Verhältnis  zwischen  Frankreich 
und  England  sich  trabte,  und  zugleich  der  Zwist  zwischen  der 
monarchischen  Gewalt  und  den  Schotten  aufs  neue  hervor- 
brach, hielt  Bellievre,  der  französische  Gesandte  am  englischen 
Hof,  es  für  angemessen,  auch  ohne  dazu  ausdrücklich  bevoll- 
mächtigt zu  sein,  mit  den  adligen  Häuptern  des  schottischen 
Presbyterianismus  ein  engeres  Verständnis  einzugehn(i).  Die 
Entdeckung  dieser  Verhandlungen  bestärkte  den  König  in 
seinem  Entschluss,  den  Begehren  der  Schotten  mit  den  Waffen 
in  der  Hand,  und  besser  gerüstet  als  das  erste  Mal,  entgegen- 
zutreten. Seit  dem  Spätherbst  1639  verweilte  Wentworth  in 
England,  dem  in  Gemeinschaft  vorzüglich  mit  Land  und 
Hamilton  die  Aufgabe  zufiel,  den  König  in  seiner  schwierigen 
Lage  zu  berathen.  Er  hatte  von  Anfang  an  den  ernsten 
Charakter  der  schottischen  Bewegung  durchschaut  und  vor 
einem  überstürzten  Angriff  gewarnt.  Uebrigens  hatte  er,  wenn 
auch  sein  Rath  nicht  gehört  worden  war,  durch  Zeichnung 
einer  bedeutenden  Summe,  moralische  Einwirkung  auf  andere, 
Uebersendung  einiger  Truppen  und  Erhaltung  der  Ruhe  unter 
der  schottischen  Kolonie  seiner  Insel,  seine  bekannte  Loyalität 
und  Energie  zu  erkennen  gegeben.  Unter  den  Schmerzen 
eines  heftigen  Gicht-Aufalls  in  England  angelangt,  Hess  er  sich 
die  alte  Spannkraft  des  Willens  nicht  rauben  und  brachte  den 
kriegerischen  Absichten  seine  volle  Zustimmung  entgegen.  Aber 
indem  die  Kriegsfrage  vor  dem  geheimen  Rathe  erwogen  wurde, 
brach  sieh  die  Ansicht  Bahn,  dass  ein  Parlament  zur  Bewilli- 
gung der  Mittel  bei-ufen  werden  müsse.  Man  mochte  darauf 
rechnen,  dass  die  Kunde  von  den  schottisch-französischen  Ver- 
handlungen jede  Opposition  zum  Schweigen  bringen  werde, 
und  für  den  schlimmsten  Fall  vei-sprachen  die  versammelten 
Rathgeber  des  Königs  die  freigebigste  Unterstützung  zur  Be- 
schaffung ausserordentlicher  Mittel.  Dem  englischen  Parla- 
ment  sollte,   gleichsam   als  Muster   willigen  Gehorsams,   ein 


12  Kurzes  Parlament. 

irisches  vorausgehn.  Wentworth,  seit  dem  Anfang  des  Jahres 
1640  zu  jenem  Range  erhoben,  den  er  bis  dahin  als  Zeichen 
des  königlichen  Vertrauens  umsonst  erbeten  hatte,  Graf 
von  Strafford  und  Lord-Lieutenant  von  Irland,  eilte  auf  seinen 
Posten,  nachdem  er  dem  Adel  das  Beispiel  grossartigster 
Aufopferung  durch  Zeichnung  von  20,000  '£  gegeben  hatte. 
In  vierzehn  Tagen  erreichte  er,  voll  Thatkraft  und  Zuversicht, 
in  Irland  seine  Zwecke.  Das  Parlament  gewährte  sofort  die 
verlangten  vier  Subsidien  und  erklärte  sich  in  demüthigster 
Form  zu  jeder  weiteren  Leistung  willig,  eine  Tmppenmacht 
von  8000  Mann  ward  in  Bereitschaft  gesetzt,  um  im  Nothfall 
für  den  Krieg  verwandt  zu  werden,  die  Insel  war  ruhig  und 
gesichert.  Triumphirend  kehrte  Strafford  nach  England  zu- 
ilick,  wo  man  sich  auf  die  Eröffnung  des  Parlamentes  vor- 
bereitete. 

Wenn  der  König  die  Befürchtung  ausgesprochen  hatte, 
das  Parlament  könne  sich  widerspänstig  zeigen,  so  hatte  er 
sich  dies  Mal  wenigstens  als  einen  guten  Kenner  der  nationalen 
Stimmung  bewiesen.  Noch  zitterten  die  Schwingungen  ge- 
waltig nach,  zu  denen  der  Process  Hampden's  um  das  Schiffs- 
geld den  Anstoss  gegeben  hatte.  Die  Märtyrer  -  Geschichte 
eines  Steinmetzen  von  Dover,  der  sich  erkühnt  hatte,  vor 
anderen  in  der  Auslegung  der  Bibel  Abweichungen  vom  angli- 
kanischen Dogma  vorzubringen  und  sich  gegen  die  bischöfliche 
Kirchenveifassung  auszusprechen,  war  erst  ganz  jungen  Datums, 
und  einer  der  Amts)) rüder  Laud's,  Erzbischof  Neile,  dem  es 
an  praktischer  Erfahrung  auf  diesem  Gebiet  aus  früherer  Zeit 
nicht  fehlte,  hatte  in  vollem  Enist  auf  die  Strafe  der  Ketzer- 
Verbrennung,  als  ein  noch  immer  geeignetes  Mittel  „exempla- 
rischer Züchtigung",  hingewiesen  (').  Weder  die  politischen 
noch  die  kirchlichen  Verhältnisse  waren  dazu  angethan,  der 
Versammlung,  die  sich  am  13.  April  1640  vereinte,  den  Cha- 
rakter der  Unterwürfigkeit  zu  geben,  so  gemässigt  auch  ihre 
Sprache  sein  mochte.  —  Es  braucht  nur  mit  einem  Wort 
daran  erinnert  zu  werden,  wie  schon  die  Wahlen  eine  schwere 
Niederlage  der  Regierung  bedeutet  hatten,  und  wie  bei  den 
Gemeinen  voi-  jeder  Subsidien-Bewilligung  eine  ErörteiTing  der 


Kurzes  Parlament.  —  Die  neuen  Kanones.  13 

Beschwerden  begonnen  und  verlangt  TM.irde,  Dass  die  Lords 
sich  zu  einer  Erklärung  gegen  diese  Form  des  Geschäftsgangs 
bewegen  Hessen,  erschien  dem  Unterhaus  als  ein  Eingriff  in 
seine  Privilegien.  Dass  der  König  für  sofortige  Subsidien- 
Bewilligung  seinen  Anspruch  auf  das  Schiifsgeld  aufgeben  zu 
wollen  versprach,  brachte  nicht  die  gewünschte  Wirkung  her- 
vor, da  man  durch  Eingehn  auf  diesen  Pakt  die  Gesetzmässig- 
keit der  ungesetzlichen  Auflage  anerkannt  haben  würde.  Noch 
war  über  den  Vorschlag  kein  Beschluss  gefasst  worden,  aber 
den  Tag  nach  der  Debatte  über  ihn  (5.  Mai)  löste  der  König 
unveiTOuthet  das  Parlament  auf,  von  dem  er  wohl  gar  eine 
Demonstration  zu  Gunsten  der  Schotten  zu  erwarten  hatte. 
Verhaftung  einiger  Mitglieder,  Beschlagnahme  der  Papiere  von 
anderen,  Erlass  einer  Proklamation,  die  in  den  stärksten  Aus- 
drücken die  UnVerantwortlichkeit  der  monarchischen  Gewalt 
betonte,  schloss  sich  an  dieses  jähe  Ende  des  ,, kurzen  Parla- 
mentes." Das  Gefühl,  dem  St.  John,  einer  der  Vertheidiger 
Hampden's,  unmittelbar  nach  der  Trennung  Ausdnick  gegeben 
hatte,  ,,es  müsse  noch  schlimmer  kommen,  um  besser  zu 
werden",  war  ein  allgemeines,  und  wenig  Tage  später  wurde 
durch  einen  Angiiff  auf  die  erzbischöfliche  Residenz  und  ernste 
Strassentumulte  der  Beweis  für  die  erregte  Stimmung  der 
Massen  geliefert. 

Es  blieb  nichts  übrig,  da  der  Krieg  gegen  Schottland 
einmal  beschlossene  Sache  war,  als  sich  auf  ausserparlamen- 
tarischem  Wege  die  nöthigen  Mittel  zu  verschaffen.  Straftord 
feuerte  zu  entschiedenem  Vorgehen  an,  indem  er  auf  die 
irischen  Streitkräfte  hinwies,  und  er  wurde  u.  a.  von  Land 
durchaus  unterstützt.  Noch  war  die  Konvokation  der  Geist- 
lichkeit, die  gleichzeitig  mit  dem  Parlament  ihre  Sitzungen 
begonnen  hatte,  versammelt.  Sie  blieb  selbst  allem  Herkom- 
men zuwider  noch  einige  Wochen  lang  vereint.  Nicht  nur, 
dass  sie  dem  König  für  je  sechs  Jahre  eine  bedeutende  Summe 
bewilligte,  sie  verstand  sieh  sogar  trotz  des  Protestes  einer 
Minderheit  zur  Festsetzung  neuer  Kanones,  die  den  grössten 
Anstoss  erregten.  Einer  derselben  legte  dem  gesammten 
Klerus   einen  neuen   und  formell  sehr  mangelhaften  Eid  auf, 


]^4  Rüstungen  zum  zweiten  Bischofskriege. 

durch  den  die  Unveränderlichkeit  der  bischöflichen  Kirche 
beschworen  werden  sollte.  Ein  anderer  betonte  stärker  als 
je  zuvor  das  göttliche  Recht  des  Königthums,  erklärte  das 
Besteuerungsrecht  für  einen  Ausfluss  „des  Gesetzes  Gottes, 
der  Natur  und  der  Völker",  verdammte  den  passiven  Wider- 
stand und  verpflichtete  die  Pfarrgeistlichkeit,  vier  Mal  im 
Jahr  der  Gemeinde  diese  Scätze  einzuprägen.  Auf  diese  Weise 
durch  die  Vertreter  des  Hochkirchenthums  aufs  neue  in 
der  absolutistischen  Tendenz  bestärkt,  hielt  die  Staatsgewalt 
jedes  Mittel  für  erlaubt,  um  zu  ihrem  Ziele  zu  gelangen. 
Neben  den  Irland  abgepressten  Summen,  den  Beiträgen  von 
Lords  und  Klerus,  den  Gaben  der  englischen  Katholiken 
wurde  auf  scharfe  Eintreibung  des  Schiftsgeldes  sowie  der 
Auflage  zur  Ausrüstung  und  Unterhaltung  der  Truppen  ge- 
rechnet. Der  City  drohte  man  mit  der  Forderung  eines 
Zwaugsanlehens  und  mit  der  Aussicht  auf  eine  Münzversehlech- 
terung.  Das  Werk  der  Milizaushebung  und  Einquartierung 
in  den  nördlichen  Grafschaften  wurde  mit  Eifer,  aber  unter 
wachsenden  Anzeichen  der  Widerspänstigkeit  in  der  Bevölke- 
rung, betrieben.  Soldaten  legten  Hand  an  ihre  Officiere,  weil 
sie  in  ihnen  Katholiken  vermutheten,  und  rissen  die  Altar- 
gitter in  den  Kirchen  nieder,  an  denen  sie  vorbeikamen.  Hie 
und  da  erschien  es  bedenklich,  den  Mannschaften  überhaupt 
Waffen  in  die  Hand  zu  geben.  Alle  Versuche,  mit  Drohungen 
und  Gewalt  Geld  zu  erpressen,  reichten  nicht  aus,  den  Be- 
dürfnissen der  Rüstung  zu  genügen. 

Indessen  erhielten  die  Schotten  Zeit,  ihrerseits  einem 
Angriff  zuvorzukommen.  Das  schottische  Parlament  trat  eigen- 
mächtig wieder  zusammen  und  erweiterte  seine  letzten  Be- 
schlüsse. Die  Kriegsvorbereitungen  unter  Leslie's  Leitung 
wurden  wieder  aufgenommen,  und  i'oyalistische  Regungen  un- 
terdrückt. Im  ständischen  Ausschuss,  auf  dessen  Thätigkeit 
Argyle  den  grössten  Einfluss  ausübte,  gewann  die  ganze  Be- 
wegung ihren  Mittelpunkt.  Es  kann  kaum  bezweifelt  werden, 
dass  eine  enge  Verbindung  zwischen  den  Häuptern  des  englischen 
Puritanismus  und  denen  der  Covenanters  schon  seit  längerer 
Zeit  bestand,    wenngleich    die   Unterschriften   jener    Lords, 


Die  Schotten  iu  England.  —  Zusammenbruch  der  Absolutie.      15 

welche  geradezu  zum  Einfall  in  England  aufforderten,  sich 
später  als  gefcälscht  herausstellten.  Immerhin  wurde  den 
Schotten  Muth  gemacht,  die  Offensive  zu  ergreifen.  Am 
20.  August  überschritt  ihr  Heer  den  Grenzfluss,  der  junge, 
feurige  Graf  von  Montrose  war  der  erste,  der  am  anderen 
Ufer  des  Tweed  den  Fuss  auf  englischen  Boden  setzte.  Unter 
Verbreitung  von  Proklamationen,  welche  ihre  „brüderliche" 
Gesinnung  aussprachen  und  auf  die  Gleichartigkeit  der  Inter- 
essen beider  von  tyrannischer  Herrschaft  bedrohten  Völker 
hinwiesen,  setzten  die  Schotten  ihren  Marsch  fort  und  stiessen 
erst  am  Tyne  auf  feindliche  Streitkräfte.  Ein  kleines  Schar- 
mützel am  28.  August  endete  mit  einem  entschiedenen  Er- 
folge. Die  WiderWilligkeit  der  englischen  Soldaten  kam  der 
Ueberlegenheit  der  schottischen  Stellung  zu  Hülfe,  der  Weg 
über  den  Fluss  wurde  frei,  selbst  Newcastle  ward  den  nor- 
dischen Eindringlingen  Preis  gegeben. 

An  Stelle  des  erkrankten  Grafen  von  Northumberland 
hatte  Strafford,  siech  und  elend  wie  er  war,  das  Kommando 
übernommen,  mit  dem  König  in  York  sein  Hauptquartier  auf- 
geschlagen und  von  dort  aus  eine  Vorwärtsbewegung  gemacht. 
Die  Nachricht  von  der  Räumung  Newcastle's ,  der  trostlose 
Zustand  des  Heeres  nöthigte  ihn,  wieder  nach  York  zurück- 
zuweichen. Während  die  Schotten  sich  in  den  nördlichen 
Grafschaften  ausbreiteten,  einen  Platz  nach  dem  anderen  ein- 
nahmen und  nirgendwo  einem  Widerstände  der  Bevölkerung 
begegneten,  rissen  alle  Bande,  welche  bis  dahin  die  englische 
Gewaltherrschaft  zusammengehalten  hatten.  Strafford,  krank- 
haft gereizt,  stand  dem  meuterischen  Geist  des  Heeres,  den 
Intriguen  politischer  Feinde  am  Hofe  und  unter  den  Grossen 
machtlos  gegenüber.  An  eine  Ueberführung  der  irischen 
Truppen  wagte  man  im  Ernste  nicht  zu  denken,  allein  die 
Furcht  vor  der  möglichen  Ausführung  eines  solchen  Planes 
Hess  sich  nicht  bannen  (^).  Im  Volke  w^uchs  die  Erregung, 
die  gleichzeitig  politischer  und  religiöser  Art  war,  und  wusste 
sich  auf  mannichfache  Weise  Luft  zu  machen.  Ein  grosser 
Theil  der  Geistlichkeit  weigerte  sich,  den  durch  die  neuen 
Kanones  vorgeschriebenen  Eid  zu  leisten.    Eine  Petition  einer 


X6  Berufung  des  Parlaments.  —  Vertrag  von  Ripon. 

Anzahl  der  angesehensten  Lords  verlangte  schleunige  Beru- 
fung eines  Parlamentes.  Die  City  von  London  liess  sich,  trotz 
der  Abmahnungen  der  zurückgebliebenen  Mitgheder  des  ge- 
heimen Rathes,  in  demselben  Sinne  hören.  —  Der  König  ent- 
schloss  sich  nachzugeben,  das  Parlament  ward  auf  den  dritten 
November  berufen.  Schon  vorher  hatte  er  geglaubt,  in  der 
Ladung  der  Peers  zu  einem  grossen  Rathe,  einer  Wiederauf- 
frischung  des  völlig  antiquirten  Institutes,  Abhülfe  aus  seinen 
Verlegenheiten  erwarten  zu  dürfen.  Den  in  York  eintreffen- 
den Grossen  wurde  nunmehr  nur  die  Aufgabe  gestellt,  eine 
Abkunft  mit  den  Schotten  zu  Wege  zu  bringen  und  die  Mittel 
zu  beschaffen,  die  zum  vorläufigen  Unterhalt  des  königlichen 
Heeres  nöthig  waren.  Das  letzte  wurde  durch  die  Beihülfe 
des  Gemeinderathes  von  London  ermöglicht,  der  sich  den 
Gründen  einiger  an  ihn  entsandten  Lords  nicht  verschloss. 
Die  Verhandlungen  mit  den  Schotten,  in  Ripon  begonnen, 
führten  zu  dem  Präliminarvertrag ,  der  den  nördlichen  Graf- 
schaften nach  einem  bestimmten  Ansatz  die  finanzielle  Er- 
haltung des  schottischen  Heeres  auflegte,  bis  der  Abschluss 
des  Friedens  die  Räumung  des  eingenommenen  Gebietes  nach 
sich  ziehe  (=^).  In  beiden  Fällen  hatte  parlamentarische  Be- 
willigung für  die  gemachten  Auslagen  aufzukommen,  und  schon 
dadurch  musste  diese  Versammlung,  noch  ehe  sich  ihr  Cha- 
rakter ahnen  liess,  eine  erhöhte  Macht  erlangen.  Nicht  min- 
der bedeutete  der  Entschluss,  in  London  selbst  den  Vertrags 
mit  den  Schotten  zu  Ende  zu  führen,  eine  Gefahr  für  das 
herrschende  System.  Seine  Gegner  in  beiden  Ländern  wur- 
den damit  aufs  natürlichste  noch  enger  zu  gemeinsamer 
Aktion  verbunden.  Strafford,  von  den  Schotten  als  verhass- 
tester  Feind  verabscheut,  mag  vorausgesehen  haben,  was  seiner 
nach  diesen  Vorgängen  wartete.  Aber  er  blieb  in  England, 
das  die  nächsten  Wochen  mächtig  dui'ch  die  Wahlen  auf- 
geregt wurde,  von  deren  Ausfall  die  Zukunft  des  Staates 
abhieng. 


Milton  nach  der  Rückkehr.  17 

Man  möchte  denken,  dass  Milton,  in  die  Heimat  zurück- 
gekehrt, sich  sofort  mitten  in  die  Parteikämpfe  gestürzt  hätte, 
von  denen  er  sie  bewegt  fand.  Dem  war  aber  nicht  so.  Als 
er  den  Boden  Englands  wieder  betrat,  hatte  der  König  aller- 
dings die  Möglichkeit  des  zweiten  „Bischofs -Krieges"  schon 
in's  Auge  gefasst,  aber  die  Dinge  hatten  sich  noch  nicht  so- 
weit entwickelt,  wie  es  im  Vorhergehenden  in  flüchtigen  Um- 
rissen skizzirt  worden  ist.  Auch  war  Milton  von  Haus  aus 
keine  politische  Natur,  erst  der  wachsende  Sturm  und  Drang 
der  Zeit  wies  ihn  auf  die  Fragen  des  Tages  hin.  Damals 
hatte  er  noch  die  Hoifmmgf,  in  Ruhe  die  Eindrücke  seiner 
Reise  verarbeiten  und,  was  sein  Inneres  bewegte,  schöpferisch 
in  dichterischer  Form  ausgestalten  zu  können.  „Ich  blickte,  — 
so  sagt  er  selbst,  —  bei  dieser  Unruhe  und  Verwirrung  des 
Staates,  für  mich  und  meine  Bücher  nach  einem  sichern  Stand- 
ort aus  und  miethete  eine  geräumige  Wohnung  in  der  Stadt. 
Dort  fühlte  ich  mich  glücklich,  zu  meinen  unterbrochenen 
Studien  zurückkehren  zu  können  und  überliess  den  Lauf  der 
Staatsangelegenheiten  mit  Freuden  nächst  Gott  denen,  welche 
das  Volk  mit  dieser  Aufgabe  betraut  hatte"  (^).  Man  darf 
annehmen,  dass  dieser  Niederlassung  in  London,  unmittelbar 
nach  der  Rückkehr  im  Spätsommer  1639,  zunächst  ein  kurzer 
Aufenthalt  in  dem  traulichen  Horton,  auf  dem  Lande,  vor- 
ausgieng.  Dort  fand  Milton  den  Vater  noch  in  alter  Frische, 
ebenso  den  Bruder  Christoph  mit  seiner  Frau.  Im  nahen 
Eton  lebte  noch  Henry  Wotton,  dessen  Rath  und  Empfehlung 
dem  Reisenden  so  nützlich  gewesen  war,  freilich  nur  noch 
für  kurze  Zeit;  hn  December  1639  ist  er  gestorben.  Andere 
der  alten  Freunde  waren  in  ihren  alten  Stellungen.  Henry 
Lawes,  der  Komponist  des  Comus  fand  als  Künstler  und 
Lehrer  steigenden  Beifall.  Thomas  Young  war  noch  immer 
Vikar  von  Stowmarket.  Seine  puritanischen  Grundsätze 
waren  sich  gleichgeblieben,  gerade  im  Jahre  1639  hatte  er 
unter  dem  Titel  „Dies  Dominica"  und  unter  dem  vorsichtigen 
Pseudonym  „Theophilus  Philo -Kuriaces  Loncardiensis"  eine 
Schrift  veröffentlicht,  welche  die  puritanische  Idee  des  Sab- 
baths  an's  Licht  stellen  sollte,  und  deren  Titel- Vignetten  recht 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit    I.  2.  2 


18  Familie  und  Freunde. 

deutlich  die  frommen  Werke  der  „Leute  des  Lichts" ,  Bibel- 
Lesen,  Predigt,  Krankenpflege  etc.  den  leichtsinnigen  Werken 
der  „Leute  der  Finsternis",  Tanzen,  Spielen,  Schlemmen, 
gegenüberstellen  (1).  Der  junge  Gill  dagegen  scheint  eine 
zeitgemässe  Schwenkung  gemacht  zu  haben.  Einst  in  Gefahr, 
durch  einen  Spruch  der  Sternkammer  seiner  Ohren  beraubt 
zu  werden,  hatte  er  sich  Vor  neuen  Angriffen  gegen  die  herr- 
schenden Gewalten  gehütet  und  lebte  seitdem  mit  ihnen  auf 
gutem  Fuss.  Wenn  Milton  das  alte  intime  Verhältnis  mit 
ihm  überhaupt  fortsetzte,  so  währte  es  nicht  lange.  Gill's 
Stellung  an  der  St.  Pauls- Schule,  die  er  nach  dem  Tode  sei- 
nes Vaters  1635  übernommen  hatte,  wurde  unhaltbar;  er  ward 
entlassen,  begann  privatim  zu  unterrichten  und  starb  1642  (^). 
Von  allen  Genannten  hatte  keiner  Milton  so  nahe  ge- 
standen ,  wie  der  eine  Karl  Diodati ,  der  Vertraute  seiner 
Jugend.  Aber  diesen  Einen  fand  er  nicht  mehr  unter  den 
Lebenden.  Bald  nach  Milton's  Abreise  war  er  gestorben. 
Vom  27.  August  1638  datirt  der  Eintrag  seines  Begräbnisses 
in  den  Registern  der  Pfarrei  St.  Anne,  Blackfriars,  London. 
Kurz  zuvor  war  auch  eine  ,,Mrs.  Philadelphia  Deodate",  ver- 
muthlich  eine  Schwester,  mit  der  er  nach  der  Trennung  vom 
Vater  zusammenlebte,  hinweggeraflft,  ein  Bruder,  Namens  John, 
war  eben  Wittwer  geworden.  Der  Wanderer  wird  schon  in 
der  Fremde,  vermuthlich  durch  den  genfer  Diodati,  erfahren 
haben,  welcher  Verlust  ihn  betrofi'en  hatte.  Die  Unruhe  der 
Reise  hatte  den  Schmerz  zurückgedrängt,  im  Angesicht  der 
gewohnten,  heimatlichen  Stätten,  die  ihm  die  Gestalt  des 
verlorenen  Freundes  stündlich  zurückriefen,  ergoss  er  ihn  in 
ein  Trauergedicht,  das  er  als  immergrünen  Kranz  auf  dem 
frischen  Grabe  niederlegte  (^).  Es  ist  eine  Elegie,  nicht  zwar 
jener  wunderbaren  „Euphrosyne"  vergleichbar,  in  welcher 
Goethe  ähnlich  gestimmt,  einen  ähnlichen  Gegenstand  ergrei- 
fend in  klassisch  gedämpften  Lauten  inniger  Wehmuth  be- 
handelt hat.  Die  klagende  Muse  Milton's  hüllt  sich  in  das 
Gewand  der  Sprache  Virgil's  und  wandelt  den  abgemessenen 
Schritt  des  Hirtengedichts,  das  nach  Spenser's  Vorgang  so 
viele  Verirrungen  des  literarischen  Geschmacks  in   England 


Epitaphium  Damonis.  —  Poetische  Vorsätze.  19 

hervorrief.  Die  Fiktion ,  dass  der  Schäfer  Thyrsis  den  Tod 
des  befreundeten  Schäfers  Dämon  erfährt,  der  immer  wieder- 
kehrende Refrain,  Ite  domum  impasti;  domino  jam  non  vacat, 
agni,  die  bis  ins  kleinste  beobachtete  Nachahmung  des  pasto- 
ralen  Costumes :  alle  diese  Formen  sind  den  Alten  abgelauscht, 
aber  ohne  eigenes  Leben.  Nur  selten,  bei  dem  Hinweis  auf 
Reiseerinnerungen,  bei  dem  schwungvollen  Sehluss  bricht  das 
natürliche  Gefühl  durch  die  fremde,  meisterhaft  studirte  Hülle 
durch. 

Eine  Stelle  enthält  dies  Gedicht,  welche  uns  einen  tiefen 
Einblick  in  Milton's  damalige  Gedankenwelt  eröffnet.  Er 
schildert,  wie  er  sich  in  der  Fremde  das  Wiedersehen  mit 
dem  Freunde  ausgemalt,  wie  er  sich  vorgesetzt,  ihm  die  neuen 
Lieder  mitzutheilen,  zu  denen  seine  Muse  sich  zu  erheben  im 
Begriff  sei:  nicht  mehr  weiche  Hirtengedichte  in  klassischer 
Sprache,  sondern  einen  heimischen,  heroischen  Sang  von  der 
Landung  der  Trojaner  in  England  unter  Brutus,  vom  Reiche 
Imogen's,  der  Tochter  des  griechischen  Königs  Pandrasus,  von 
Brennus  und  Belinus  und  Arviragus,  von  Igraine,  der  Mutter 
König  Arthur's,  deren  Bette  sich  Uther  Pendragon,  durch 
Merlin's  List  in  Gorlois'  Gestalt  verwandelt,  nahte.  Ganz 
ähnliche  Pläne  hatte  er  früher  in  dem  Gedicht  an  Manso  ent- 
wickelt (s.  B.  L  S.  290).  Die  romantische  Dichtung  des  Mittel- 
alters war  ihm  längst  vertraut.  Einige  Jahre  später,  Anfang 
1642,  sprach  er  in  anderem  Zusammenhang  den  Gedanken 
aus,  dass  er  nach  seiner  Rückkehr  aus  Italien  die  Hoffnung 
gehegt,  ein  unvergängliches  Dichterwerk  zu  hinterlassen,  und 
dass  die  alte  englische  Geschichte  einem  englischen  Tasso 
den  besten  Stoff  liefern  könne,  um  „das  Ideal  eines  christ- 
lichen Helden  zu  schildern"  (i).  Es  mag  gezwungen  erschei- 
nen, aus  einigen  Versen  des  Ep.  Damonis  (v.  156  — 159)  den 
Sehluss  zu  ziehen,  dass  Milton  schon  einen  ersten  Versuch  in 
dieser  neuen  poetischen  Richtung  gemacht  habe,  unläugbar 
ist,  dass  er  der  künstlichen  lateinischen  Dichtung  förmhch 
den  Abschied  giebt,  wie  er  denn  wirkhch  später  nur  noch 
unbedeutende  Proben  dieser  Fähigkeit  abgelegt  hat.  Seine 
ganze  Seele  war  erfüllt  von  dem  Plane,  ein  englisches  Helden- 

2* 


20  Plan  eines  nationalen  Epos. 

gedieht  zu  schreiben,  er  glaubte  sich  genug  zu  thun,  wenn 
er  nur  seinem  Volke  genug  thue.  In  diesem  Uebergang  vom 
Schulmässigen  zum  Nationalen  lag  ein  Fortschritt,  der  doch 
unzweifelhaft  den  Eindrücken  der  Reise  zu  danken  war, 
welche  ihn  die  Bedeutung  der  grossen  italienischen  Dichter 
für  ihr  zerrissenes  Volk  vollauf  hatte  kennen  lehren.  Han- 
delte es  sich  aber  um  die  Auswahl  eines  vaterländischen 
Stoffes,  so  war  es  nur  nöthig,  auf's  neue  einen  Griff  in  das 
Füllhorn  Gottfried's  von  Monmouth  zu  thun,  und  neben  den 
älteren  britischen  Sagen  trat,  wie  von  jeher,  jener  Sagen- 
kreis, der  sich  um  die  Persönlichkeit  des  Königs  Arthur  ge- 
bildet hatte,  glänzend  hervor.  Von  Chaucer  bis  Tennyson 
haben  die  englischen  Dichter  dem  Zauber  dieser  Romantik 
nicht  widerstanden.  Spenser's  Muster  war  im  sechzehnten 
und  siebzehnten  Jahrhundert  auch  hier  von  grosser  Nachwir- 
kung. Ben  Jonson  erklärte  ausdrücklich,  für  ein  heroisches 
Gedicht  gebe  es  keinen  gleich  trefflichen  Vorwurf  wie  die 
Artus- Sage  (^).  Sidney  wie  Dryden  hatten  den  gleichen  Plan 
wie  der  Dichter  der  puritanischen  Epoche,  der  jenen  roman- 
tischen Stotf  im  Alter  mit  dem  biblischen  des  „verlorenen 
Paradieses"  vertauschte  und  den  britischen  Legenden  nur  in 
seiner  englischen  Geschichte  eine  Stelle  gewährte.  Denn 
bereits  damals,  als  er  noch  in  der  Kraft  der  Jugend  stand, 
wurde  jener  Plan  durch  andere  gekreuzt.  Die  Idee  einer 
Tragödie  schob  die  eines  Epos  wieder  in  den  Hintergrund. 
Schon  jetzt  drängten  sich  jene  Bilder  vor,  die  erst  nach  Jahr- 
zehnten feste  Gestaltung  erhielten,  und  in  der  Fülle  der  auf- 
tauchenden Gebilde  gieng  damals  der  Beginn  des  Unterneh- 
mens ganz  verloren. 

Wir  sind  so  glücklich,  eine  genaue  Liste  der  literarischen 
Entwürfe  von  Milton's  eigner  Hand  zu  besitzen,  welche  dieser 
Zeit  angehören.  Sie  finden  sich  in  dem  kostbaren  Folioband, 
welcher  eine  Hauptzierde  der  Bibliothek  des  Trinity  -  College 
von  Cambridge  ausmacht.  Der  Band  war  offenbar  von  Milton 
dazu  bestimmt,  ihm  als  Sammelband  seiner  Dichtungen  zu 
dienen,  auch  frühere  wurden  mit  Sorgfalt  von  ihm  eingetragen, 
nicht  selten  in  bedeutender  Abweichung  vom  späteren  Druck. 


Dramatische  Entwürfe.  21 

Von  den  bisher  berührten  Werken  enthält  der  Band  auf  den 
ersten  drei  Seiten  die  „Arcades",  S.  4.  5  die  Ode  „At  a  so- 
lemn  music"  (s.  B.  I.  S.  94),  S.  6.  7  das  oben  S.  125  erwähnte 
Sonett  nebst  dem  dazu  gehörigen  Briefe,  S.  8  die  Oden  „On 
Time"  und  „Upon  the  Circumcision",  S.  13  —  29  den  „Comus", 
S.  31  —  34  „Lycidas",  zu  dem  sich  einige  Korrekturen  auf 
S.  30  finden.  Die  folgenden  sieben  Seiten  35  —  41  (S.  42  ist 
leer)  enthalten  die  Skizzen  der  vielfachen  erwähnten  Eutwüife. 
Es  scheint  mir  nicht,  als  ob  die  Ordnung  dieser  Blätter  vor 
dem  Einbinden  eine  andere  gewesen  sei,  denn  sie  bedingt 
die  Hinweisungen  und"  Einschiebungen,  die  von  einer  Seite 
zur  anderen  hinüber  stattfinden.  Merkwürdig  bleibt  dabei 
immerhin,  dass  die  einzelnen  Stoffgebiete  sich  nicht  systema- 
tisch Seite  für  Seite  folgen.  Denn  während  S.  41,  nebst  Er- 
gänzungen zu  S.  40,  dramatische  Themata  aus  der  „schottischen 
Geschichte"  enthält,  werden  auf  S.  37  und  38  die  Titel  „bri- 
tischer Tragödien"  zwischen  S.  35.  36  und  39.  40  eingescho- 
ben, auf  denen  ausschliesslich  Vorwürfe  aus  dem  alten  und 
neuen  Testament  verzeichnet  sind(^).  —  Was  zunächst  auf- 
fällt, ist  der  Reichthum  an  dramatischen  Gegenständen,  deren 
Titel  Milton's  Feder,  als  der  Ausführung  oder  doch  der  Er- 
wähnung würdig,  aufs  Papier  geworfen  hat.  Im  ganzen  sind 
99  Posten  zu  bemerken ,  von  denen  allerdings  mehrere  zu 
einem  Werk  zusammengezogen  sein  würden,  vier  nur  Varian- 
ten ein  und  desselben  Themas  sind.  Dieses,  mit  dem  sich 
die  ganze  Reihe  eröffnet,  fordert  am  meisten  die  Beachtung 
heraus.  Sein  Titel  lautet:  „Das  verlorene  Paradies"  (auf 
S.  35  „Paradise  lost"  in  drei  Skizzen,  in  einer  vierten  auf 
S.  40  „Adam  unparadizd",  darunter  durchstrichen:  „Adams 
Banishment").  Die  beiden  ersten,  kürzer  gehalten,  sind  durch- 
strichen, im  dritten  ist  die  Eintheilung  in  Akte  und  der  all- 
gemeine Gang  der  Handlung  angegeben,  im  vierten,  ausführ- 
lichsten, durch  breitere  Skizzirung  der  Dialoge  und  Chöre  der 
vorgestellte  Aufbau  des  Stückes  noch  deutlicher  gemacht.  Von 
anderen  Stoffen  des  alten  Testamentes  seien  nur  z.  B.  er- 
wähnt: „Adam  in  der  Verbannung"  (nach  der  Vertreibung), 
„die  Sündfluth" ,   „die  Zerstörung  Sodoms"  (sehr  ausgeführt), 


22  Dramatische  Entwürfe. 

„Diuah",  „Thamar",  „das  goldene  Kalb",  „die  Wachteln",  „die 
Murrenden".  Von  da  an  scheint  Milton  das  alte  Testament 
guten  Theils  systematisch  darauf  hin  angesehen  und  durch- 
genommen zu  haben,  ob  es  dramatische  Stoffe  darbiete,  denn 
in  strenger  Reihenfolge  und  mit  Angabe  der  bezüglichen  Ka- 
pitel erscheinen  nach  einander  die  Bücher  Mosis,  Josua,  die 
Richter,  Ruth,  die  Bücher  Samuelis,  der  Könige  geplündert, 
und  es  fehlen  unter  den  Titeln  der  ungeborenen  Dramen 
weder  Josua  noch  Samson,  weder  David  noch  Athalia.  Den 
Schluss  der  ganzen  Reihe  bilden:  „Die  Einnahme  von  Jeru- 
salem", „Assa  oder  die  Aethiopier"  (nach  2  Chron.  14)  und 
die  „drei  Männer  im  feurigen  Ofen"  (nach  Dan.  3).  Aus  dem 
neuen  Testament  sind  acht  Stoffe  angedeutet,  fünf  aus  der 
Geschichte  Christi  von  der  Geburt  bis  zur  Auferstehung, 
ausserdem  Johannes  der  Täufer  in  ausgeführter  Skizze  (^), 
„der  mordende  Herodes  oder  die  weinende  Rahel"  und 
„Lazarus". 

In  derselben  systematischen  Weise  wie  die  Bibel  wurden 
die  Annalen  der  älteren  englischen  Geschichte  nach  poetischen 
Stoffen  durchsucht.  Auch  hier  aber  war  der  Zweck  drama- 
tischer Behandlung  der  erste,  denn  es  findet  sich  die  Hin- 
weisung auf  einzelne  Scenen,  nur  bei  Erwähnung  des  Vorwurfs: 
König  Alfred:  ist  die  Bemerkung  hinzugefügt:  „Man  könnte 
irgend  einen  Punkt  aus  Alfred's  Regierung  für  ein  heroisches 
(d.  h.  episches)  Gedicht  benutzen,  vorzüglich  seinen  Ausbruch 
von  Edelingsey  (Aethelney)  gegen  die  Dänen,  seine  Thaten 
sind  denen  des  Ulysses  wohl  vergleichbar".  Baeda,  W.  von 
Malmesbury,  G.  von  Monmouth,  Holinshed,  Stowe  und  Speed 
werden  von  Milton  selbst  als  seine  Autoritäten  bezeichnet. 
Bis  zu  der  Epoche  Edward  des  Bekenners  setzt  er  diese  Blu- 
menlese fort.  Bei  weitem  weniger  Gegenstände  notirte  er 
aus  der  älteren  Geschichte  Schottlands,  vermuthlich  gestützt 
auf  Bellenden's  Uebersetzung  der  „Scotorum  Historiae"  von 
Hector  Boethius.  Am  bemerkenswerthesten  erscheint  „Mac- 
beth" mit  dem  Zusatz :  „Beginnend  mit  der  Ankunft  Malcolm's 
bei  Macduff.  Die  Sache  mit  Duncan  kann  durch  Erscheinen 
seines  Geistes  ausgedrückt  werden".  —  So  waren  die  Gedan- 


Dramatische  Entwürfe.  23 

ken  Milton's  durch  eine  reiche  Fülle  poetischer  Vorwürfe  be- 
schäftigt, für  die  er  in  erster  Linie  die  Form  des  Dramas, 
vielfach  nach  antikem  Muster,  in  Aussicht  genommen  hatte. 
Nur  einer  dieser  Pläne  kam  in  dieser  Weise  zur  Ausführung, 
der  Samson,  aus  dessen  Geschichte  in  jener  Liste  allerdings 
der  frühere  Theil  („Samson  Pyrsophorus  or  Hybristes  or  Sam- 
son Marrying  or  Ramath-Lechi")  als  besonderes  Stück  in  Aus- 
sicht genommen  erscheint,  während  das  tragische  Ende  sich 
unter  dem  folgenden  Titel  „Dagonalia"  verbirgt.  Der  Stoff 
des  „Verlorenen  Paradieses",  der  damals  schon  Milton  so  leb- 
haft beschäftigte,  erhielt  epische  Form.  Zu  dem  gleichfalls 
epischen  „Wiedergewonnenen  Paradies"  mochten  sich  Ansätze 
in  den  Vorwürfen  aus  dem  neuen  Testament  finden.  Die  ge- 
schichtlichen Themata  haben  guten  Theils  in  der  späteren 
„Geschichte  Englands"  wenigstens  in  ungebundener  Rede  eine 
Verwerthung  erhalten. 

Schon  aus  dem  Wechsel  der  Tinte,  der  heute  noch  deut- 
lich wahrnehmbar  ist,  aus  den  Zusätzen  und  Einschaltungen, 
die  sich  finden,  kann  man  schliessen,  dass  jene  Liste  nicht  in 
einem  Zuge  auf's  Papier  geworfen,  sondern  allmählich  ent- 
standen ist.  Sehr  starke  Gründe  sprechen  aber  dafür,  die 
Zeit  ihrer  Entstehung  in  die  nächste  Periode  nach  Milton's 
Rückkehr  in  die  Heimat  zu  setzen,  in  der  ihn  gleichfalls  der 
Plan  eines  nationalen  Epos  beschäftigte.  Die  Stellung  dieser 
Notizen  in  dem  Milton'schen  Manuskript  zwischen  dem  Lycidas 
und  einem  Sonett  auf  Lawes  (v.  1646)  begünstigt  diese  An- 
nahme. Die  Handschrift  spricht  gleichfalls  dafür.  Sie  ist 
klar  und  fest,  so  dass  sie  jedenfalls  noch  der  Epoche  angehö- 
ren muss,  in  welcher  der  Dichter  sein  volles  Sehvermögen 
besass,  sie  enthält  aber  nicht  mehr  die  griechische  Foi-m  des 
kleinen  e,  die  Milton  noch  bei  Niederschrift  des  Lycidas  an- 
wandte, sondern  die  lateinische,  die  er  sich  in  Italien  an- 
gewöhnt hatte  (^).  Einer  der  Gegenstände  aus  der  enghscheji 
Geschichte  („Ecfrid,  König  der  Northumbrer,  erschlagen  im 
Kampfe  gegen  die  Picten,  nachdem  er  vorher  Irland  verwüstet 
und  ohne  Grund  mit  Leuten  Krieg  angefangen  hatte,  welche 
die  Engländer  immer  liebten")  würde  als   eine  deutliche  An- 


24  Wohnung  iu  London,     Die  beiden  Phillips. 

spielung  auf  den  Kampf  zwischen  Karl  I.  und  den  Schotten 
betrachtet  werden  können,  wenn  nicht  eben  diese  anzüglichen 
Ausdrücke  sich  schon  in  Baeda,  Milton's  Quelle,  vorfänden  (i). 
Dagegen  die  Stelle  aus  einer  schon  (oben  S.  19)  erwähnten, 
Anfang  1642  erschienenen  Schrift  dient  zur  Bestärkung  jener 
Vermuthung.  Denn  zu  der  hier  gegebenen  Uebersicht  der 
verschiedenen  Gebiete,  auf  denen  der  Dichter  sich  versuchen 
kann ,  erscheint  die  grosse  Liste  vielversprechender  Titel  fast 
wue  ein  sorgfältig  ausgeführter  Kommentar. 


Mit  so  mannichfachen  poetischen  Plänen  beschäftigt,  zwi- 
schen die  Anregungen  und  Erinnerungen  der  Reise,  das  eifrige 
Studium  der  Bibel  und  der  vaterländischen  Geschichte  getheilt, 
bezog  Milton  etwa  im  Winter  1639  auf  1640  eine  Wohnung 
in  London,  um  sich  zum  Trotz  des  hauptstädtischen  Lebens 
und  der  hochgehenden  Wogen  der  Tagesereignisse  ein  fried- 
liches Dichter-  und  Gelehrtendaseiu  zu  gründen.  Er  blieb 
nicht  lange  auf  sich  allein  angewiesen.  Seine  Schwester  Anna, 
seit  1631  verwittwet,  hatte  sich  vermutWich  vor  der  Rückkehr 
ihres  Bruders  in  die  Heimat  wiederverheirathet.  Ihr  zweiter 
Mann,  Thomas  Agar,  war  ein  naher  Freund  des  verstorbenen 
ersten  und  sein  Amtsgenoss  in  der  königlichen  Kanzlei  gewesen. 
Die  Wittwe  seines  Freundes  Phillips  brachte  ihm  aus  erster 
Ehe  zwei  Söhne  zu,  Edward  (geb.  August  1630)  und  John 
(geb.  1631).  Diese  beiden  Neffen,  damals  neun-  und  acht- 
jährig, wurden  der  Gegenstand  grosser  Sorgfalt  des  Dichters. 
Der  jüngere  Knabe,  der  mit  ihm  einen  Namen  trug,  war  ver- 
muthlich  sein  Pathenkind.  Milton  verstand  sich  dazu,  ihn 
ganz  und  gar  unter  seine  Obhut  zu  nehmen.  Aber  auch  der 
ältere  kam  regelmässig  zu  ihm,  um  mit  dem  Bruder  den  Un- 
terricht des  Oheims  zu  geniessen(2).  Von  Edward  Phillips 
erfahren  wir,  wo  Milton  damals  wohnte,  und  andere  Zeugen 
ergänzen  seine  Angabe:  im  Hause  eines  Schneiders  Rüssel, 
„St.  Prides  Kirchhof,  Fleet  -  Street"  (oder  „nahe  bei  Fleet- 
Street"),  an  einem  Punkte,  der  damals  wie  heute  einer  der 
belebtesten  der  Weltstadt  war,  unweit  des  Stromes  und  der  Ka- 


Aldersgate- Street.  25 

thedrale  von  St.  Paul  (i).  Indess  der  brausende  Lärm  der 
Umgebung  war  der  beschaulichen  Ruhe,  die  Milton  ersehnte, 
wenig  günstig.  Auch  hatte  sich  bei  dem  eifrigen  Bücher- 
sammler und  Liebhaber  theurer  Reiseerinnerungen  so  manches 
in  dem  Junggesellen-Hausrath  aufgehäuft,  das  in  den  engen 
Räumen  keinen  Platz  fand.  Sehr  bald,  wie  wir  aus  einer 
erhaltenen  Steuerliste  ersehen  jedenfalls  im  Jahre  1641,  war 
der  Dichter  in  einer  anderen,  nicht  sehr  entfernten  Gegend 
Londons  in  einem  hübschen  Gartenhause  installirt.  Es  lag 
in  Aldersgate -Street,  die  damals  noch  durch  das  Thor,  das 
ihr  den  Kamen  gegeben,  von  der  inneren  Stadt  geschieden 
war.  Die  Strasse  war  eine  der  ruhigsten  des  damaligen  Lon- 
don. Noch  war  nichts  von  jenem  bewegten  Bilde  vorhanden, 
das  sich  heute  an  ihrem  südlichen  Anfang  in  St.  Martin's-le- 
Grand  vor  dem  Generalpostamt  entfaltet.  Bis  zu  der  Stelle, 
wo  sie  durch  Long-Lane  und  Barbican  gekreuzt  wird,  er- 
streckte sie  sich  nordwärts,  die  stattlichen  Gebäude  durch 
luftige  Zwischenräume  getrennt,  die  weiter  rückwärts  für 
freundliche  Gartenwohnungen  Platz  liessen.  Am  Ende  eines 
solchen  Seitenweges ,  „im  zweiten  Bezirk  der  Pfarrei  St.  Bo- 
tolph",  nicht  weit  von  jenem  Thore,  in  beinahe  ländlicher 
Abgeschiedenheit,  stand  Milton's  Haus.  Er  hatte  sehr  solide 
Nachbarschaft:  einen  Weber,  einen  Sachwalter,  einen  Pfarr- 
schreiber, einen  Rechnungsrath ,  verschiedene  „Gentlemen", 
wie  er  selbst  sich  ohne  nähere  Angabe  bezeichnete,  mit 
grösserer  oder  kleinerer  Dienerschaft.  Alexander  Gill ,  der 
wenig  solide  alte  Bekannte,  wohnte  ganz  in  der  Nähe,  der 
Arzt  Theodor  Deodati,  der  Vater  des  verstorbenen  Freundes, 
nicht  sehr  weit  entfernt,  nahe  beim  St.  Bartholomäus-Hospital. 
Am  Ende  seiner  Strasse,  unweit  des  alten  Karthäuserklosters, 
das  seit  Jahren  in  eine  grossartige  Wohlthätigkeits-  und  Schul- 
anstalt verwandelt  war,  sah  sich  der  Dichter  bald  in  freier 
Natur.  Seine  eigene  Wohnung  theilte  wie  vordem  sein  jüng- 
ster Neffe  und  eine  Dienstmagd,  deren  Name  „Jane  Yates" 
uns  aufbewahrt  ist  (2).  Nicht  viel  später  entschloss  er  sich,  auch 
den  älteren  seiner  Neffen,  Edward  Phillips,  bei  sich  aufzu- 
nehmen und  beiden  gab  er  das  beste  Beispiel  ernsten  Fleisses 


26       Zusammentritt  des  langen  Parlaments.  —  Haus  der  Lords. 

und  massigen  Lebens.  Nur  selten  machte  er  sich  einen  guten 
Tag  in  Gesellschaft  munterer  Altersgenossen,  wie  eines  gewissen 
Mr.  Alphry  und  Mr.  Miller.  Sie  waren  beide  Juristen,  Mit- 
glieder der  Rechtsschule  von  Gray's-Inn,  die  „beaus"  jener 
Tage,  wie  E.  Phillips  berichtet.  Uebrigens  war  die  Zeit 
in  dem  versteckten  Gartenhause  von  Aldersgate-Street  streng 
eingetheilt,  und  der  Faden  des  Lebens  spann  sich  glatt  und 
gleichmässig  ab.  —  Indess  so  abgeschieden  war  weder  das 
Haus,  noch  so  theilnahmlos  das  Herz  seines  Besitzers,  dass 
nicht  sehr  bald  Eingang  gefunden  hätte,  was  ganz  Eng- 
land, ganz  London  vor  allem  bewegte.  Und  in  kurzem  riss 
er  sich  selbst  aus  allen  gelehrten  und  dichterischen  Träu- 
mereien los  und  trat  mit  scharfen  Waffen  und  thatenlustig  in 
die  Arena  ein. 


Am  3.  November  1640  war  durch  den  König,  den  eine 
einfache  Barke  nach  Westminster  führte,  ohne  Pomp  und 
Pracht  das  Parlament  eröffnet  worden,  welches  in  der  Ge- 
schichte den  Namen  des  „langen  Parlaments"  erhalten  hat. 
Mit  ihm  begann  eine  neue  Epoche,  und  die  freudig  gehobene 
Stimmung  der  Massen  liess  keinen  Zweifel  darüber,  dass  man 
sich  der  Bedeutung  des  Augenblicks  wohl  bewusst  war.  —  Im 
Hause  der  Lords  glänzten  die  Namen  jener  Geschlechter, 
deren  Häupter  in  den  folgenden  Jahren  grössten  Theils  eine 
wichtige  Rolle  spielten.  Seit  geraumer  Zeit  war  ein  höherer 
Sinn  für  Unabhängigkeit  und  Selbstständigkeit  in  die  Pairie 
zurückgekehrt,  und  einige  der  angesehensten  Lords  konnten 
als  entschiedene  Vertreter  des  Puritanismus  betrachtet  werden. 
Der  Graf  von  Bedford  galt  als  ihr  Führer,  aber  sein  früher 
Tod  machte  die  Hoffnungen  zu  Schanden ,  die  man  für  das 
beginnende  Werk  des  Parlamentes  auf  ihn  gesetzt  hatte.  Die 
Grafen  von  Essex  und  Warwick,  die  Lords  Kimbolton  und 
Brooke,  der  Viscount  Saye  und  Seele  nebst  einigen  anderen 
hatten  gleichfalls  bereits  zu  den  lebhaftesten  Erwartungen 
seitens  der  Gegner  des  herrschenden  Regierungssystems  be- 
rechtigt.   John  Digby,   Graf  von  Bristol,  hatte,  ohne  irgend 


Haus  der  Lords.  27 

welche  Gemeinschaft  mit  den  populären  Bestrebungen,  Er- 
fahrungen hinter  sich,  die  ihm  wenigstens  zunächst  in  der 
Opposition  einen  Platz  anzuweisen  schienen,  allein  der  Sturm 
der  Ereignisse  führte  ihn  bald  genug  auf  die  Seite  des  Königs 
hinüber.  —  Dagegen  wurden  einige  der  Mitglieder  des  ge- 
heimen Rathes,  die  in  dieser  Versammlung  sassen,  Genossen 
der  grossen  puritanischen  Partei.  Der  Graf  von  Northumber- 
land,  als  Grossadmiral ,  brachte  ihr  ein  bedeutendes  Gewicht 
zu.  Der  Graf  von  Holland,  in  Ungnade  bei  Hof  gefallen, 
eifrig  bemüht,  sich  auf  andere  Weise  eine  politische  Stellung 
zu  verschaffen,  machte  sein  Haus  zu  einem  Sammelplatz  der 
parlamentarischen  Führer,  die  wesentlich  durch  seine  Vermitt- 
lung Fühlung  mit  der  französischen  Diplomatie  behielten.  Noch 
war  Strafford  nicht  erschienen,  und  die  sonstigen  weltlichen  Ver- 
treter der  Regierung  wie  Cottington,  Finch  u.  s.  w.  konnten 
sich  dem  Gewaltigen  nicht  vergleichen.  Auf  der  bischöflichen 
Bank  ragten  neben  Land  einige,  wie  Juxou,  Bischof  von  Lon- 
don, und  Hall,  Bischof  von  Exeter,  besonders  hervor.  Bischof 
Williams  von  Lincoln,  an  dessen  Persönlichkeit  sich  manche 
Hoffnungen  knüpfen  mochten,  musste  erst  aus  der  Haft  des 
Tower  entlassen  werden. 

Im  Hause  der  Gemeinen  war  eine  Fülle  von  Talent, 
Wissen  und  Charakter  vereinigt,  wie  kaum  in  einer  parlamen- 
tarischen Versammlung  Englands  vordem.  Neben  soliden 
Mitgliedern  des  Landadels  sassen  erprobte  Juristen,  neben 
Männern,  die  im  politischen  Kampf  ergraut  waren,  andere,  die 
jetzt  erst  auf  die  öffentliche  Bühne  traten  und  bald  Meister  ihrer 
Rolle  wurden.  Einige  stammten  vom  höchsten  Adel  ab,  wenige 
gehörten  den  kaufmännischen  Kreisen  an.  Die  Mehrzahl  hatte 
schon  im  kurzen  Parlament  gesessen  und ,  so  weit  auch  in 
einzelnen  Fragen  die  Meinungen  auseinandergiengen,  sich  mit 
den  neuen  Genossen  in  der  entschiedenen  Absicht  zusammen- 
gefunden, Rechenschaft  für  die  Vergangenheit,  Sicherheit  für 
die  Zukunft  zu  fordern.  Die  unbestrittene  Führerschaft  hatte 
auch  jetzt,  wie  einige  Monate  vorher,  John  Pym.  Seit  den 
Tagen  Jakob's  ein  Vorkämpfer  gegen  die  Uebergiifife  der 
Prärogative,  immer  thätig  und  wachsam,  von  unermüdlicher 


28  Haus  der  Gemeinen. 

Arbeitskraft  und  unbeugsamer  Willensstärke  hatte  das  Mit- 
glied für  Tavistock  ein  Ansehn  innerhalb  wie  ausserhalb  des 
Hauses  gewönnen,  das  ihm  vom  machtlosen  Spott  der  Höflinge 
bald  den  Namen  „König  Pym"  eintrug.  Seine  Beredtsamkeit 
entbehrte  den  idealen  Schwung  derjenigen  Eliot's ,  aber  sie 
riss  durch  ihre  Energie  mit  sich  fort  und  überzeugte  durch 
ihre  Klarheit.  Seine  Lebensanschauung  war  freier,  seine  Men- 
schenkenntnis grösser,  als  die  des  Märtyrers  der  Sache,  für 
welche  er  ehemals  Schulter  an  Schulter  mit  ihm  gekämpft 
hatte.  Er  suchte  heitere  Gesellschaft,  er  hatte  Verbindungen 
mit  geistreichen  Damen  der  vornehmen  Welt  wie  mit  dem 
Vertreter  der  französischen  Politik,  aber  alles  musste  den 
Zwecken  dienen,  welchen  er  seine  Ruhe,  sein  Vermögen,  sein 
Leben  opferte.  Kaum  einer  stand  ihm  so  nahe,  wie  John 
Hampden ,  dessen  Name  seit  dem  Process  um  das  Schiffsgeld 
in  aller  Munde  war.  Sein  Vetter  Oliver  Cromwell,  noch  wenig 
über  den  Bezirk  seiner  engeren  Heimat  hinaus  bekannt, 
Denzil  Holles,  der  Schwager  Strafford's,  die  Freunde  Nathanael 
Fiennes  und  Arthur  Haselrig,  der  hochgeachtete  Isaac  Penning- 
ton,  einer  der  Aldermen  von  London,  William  Strode,  William 
Waller:  alle  diese  mit  einem  dichten  Schwärm  gleichgesinnter 
Genossen  folgten  Pym's  kluger  Führung  und  schaarten  sich 
um  das  Banner  durchgreifender  Reform.  Einige  andere  stan- 
den in  noch  grösserem  geistigen  Gegensatz  zu  dem  Bestehen- 
den. Henry  Märten,  sarkastisch  und  lebenslustig,  gefürchtet 
wegen  seiner  scharfen  Zunge,  gehörte  zu  diesen.  Der  Sohn 
des  Staatssekretärs,  Henry  Vane,  welcher  mit  dreiundzwanzig 
Jahren  wiegen  puritanischer  Unbotmässigkeit  die  Heimat  hatte 
verlassen  müssen  und  ein  Jahr  lang  Gouverneur  von  Massa- 
chusetts gewesen  war,  konnte  als  ihm  geistesverwandt  gelten. 
Beide  waren  entschiedene  Republikaner  und  von  den  höchsten 
Idealen  bürgerlicher  und  religiöser  Freiheit  erfüllt,  mit  denen 
sich  kein  Staatskirchenthum  in  irgend  welcher  Form  vertrug. 
—  Unter  den  Rechtsgelehrten  von  Fach,  deren  juristische 
Weisheit  der  Opposition  zu  Gute  kam,  glänzten  u.  a.  der 
skeptische  John  Seiden,  die  Zierde  englischer  Wissenschaft, 
der   verschlossene   Oliver   St.  John   von  Lincoln's  Inn,   durch 


Haus  der  Gemeinen.  29 

seine  zweite  Heirath  mit  Cromwell  verwandt,  seit  seinem  Auf- 
treten als  Hampden's  Rechtsbeistand  berühmt ,  Bulstrode 
Whitelocke,  welcher  mit  grossem  Talent  biegsamen  Charakter 
verband,  Sir  Simonds  d'Ewes,  der,  uns  zum  Yortheil,  unermüd- 
lich war,  während  der  Sitzungen  des'  langen  Parlamentes  sich 
flüchtige  Notizen  zu  machen. 

Eine  bedeutende  Gruppe  sammelte  sich  allmählich  um 
Edward  Hyde  und  den  Lord  Falkland,  die  beiden  jugendlichen 
Genossen,  denen  bald  die  Aufgabe  zufiel,  in  dieser  kritischen 
Zeit  das  zweifelhafte  Unternehmen  der  Bildung  einer  Mittel- 
partei zu  wagen.  Dachte"  das  vornehm  erzogene  Weltkind 
Falkland  freier  über  kirchliche  Fragen  als  der  doktrinäre 
Anglikanismus  des  Juristen  Hyde  es  zugeben  wollte,  so  fühlten 
sich  doch  beide  durch  die  Gleichartigkeit  ihrer  Lebensan- 
schauungen, durch  den  Wunsch,  die  nöthigen  Reformen  von  oben 
ausgehen  zu  sehen,  durch  alte  Bekanntschaft  innig  verbunden. 
Der  Dichter  Edmund  Waller,  John  Colepepper  aus  der  Gentry 
von  Kent,  George  Lord  Digby,  der  Sohn  des  Grafen  von  Bri- 
stol, mit  vielen  anderen  wurden  die  Mitglieder  jener  Gefolg- 
schaft und  thaten  beim  Fortschreiten  der  Bewegung  das  Ihrige 
zur  Scheidung  der  Parteien. 

Die  Regierung  war  vorzüglich  durch  die  beiden  Staats- 
sekretäre Windebank  und  Vane  vertreten,  die  Zahl  der  ihr 
unbedingt  ergebenen  Mitglieder  des  Hauses  war  verschwin- 
dend. Sie  musste  die  Hoffnung  aufgeben ,  einen  ihrer  An- 
hänger, den  sie  für  das  Amt  des  Sprechers  in's  Auge  gefasst 
hatte,  überhaupt  gewählt  zu  sehen  und  entschloss  sich,  William 
Lenthall  dafür  in  Vorschlag  zu  bringen,  einen  jungen  Anwalt, 
der  keineswegs  ein  heroischer  Charakter  war,  aber  in  einem 
kritischen  Augenblicke  sich  seiner  Aufgabe  gewachsen  zeigte  und 
unter  wechselnden  Verhältnissen  eine  bedeutende  Rolle  spielte. 

Von  nun  an  war  die  gespannte  Theilnahme  des  Landes 
und  der  Hauptstadt  auf  die  Berathungen  in  der  alterthüm- 
lichen,  schmalen  St.  Stephan's  -  Kapelle  gerichtet,  in  der  das 
Haus  der  Gemeinen  allmorgendlich  unter  Gebet  zusammen- 
trat. Mit  methodischer  Sicherheit,  Schritt  für  Schritt,  gieng 
es  seinen  Weg.    Mochte  der  König  in  seiner  Eröffnungsrede 


30  Erste  Massregeln  des  Parlaments. 

betont  haben,  wie  nöthig  es  vor  allem  sei,  die  „rebellischen" 
Schotten  aus  dem  Lande  zu  entfernen,  mochten  die  Lords 
eine  gemeinsame  Konferenz  befürworten,  um  eine  Ueberein- 
kunft  mit  den  nach  London  gekommenen  schottischen  Kom- 
missären zu  Wege  zu  bringen:  das  Unterhaus  machte  zu 
seiner  ersten,  wichtigsten  Aufgabe,  alle  die  Unbilden  in  Be- 
tracht zu  ziehen,  welche  die  Zeit  der  Willkür  verschuldet 
hatte,  ihre  Thaten  zu  sühnen,  die  Thäter  zu  strafen.  Das 
ganze  Register  gesetzloser  Handlungen,  welches  die  letzten 
Jahre  englischer  Geschichte  so  mächtig  hatten  anschwellen 
lassen,  wurde  Blatt  für  Blatt  umgewandt  und  vor  aller  Augen 
offen  gelegt.  Eine  Reihe  von  Kommissionen  war  eifrig  ge- 
schäftig ,  die  Beschwerden  im  einzelnen  zu  untersuchen ,  die 
massenhaft  von  Stadt  und  Land  einliefen.  Zeugen  wurden 
vernommen,  von  der  Tribüne,  von  der  Kanzel,  auf  den  öffent- 
lichen Plätzen  erschollen  die  Anklagen,  die  Presse  fühlte  sich 
frei,  Flugblätter  und  Spottgedichte  wandten  sich  gegen  die 
Härte  der  Bischöfe,  die  Feilheit  der  Richter,  den  Uebermuth 
der  Höflinge.  John  Lilburne,  der  einst  durch  die  Strassen 
von  London  gepeitscht  worden  war,  und  der  grässlich  ver- 
stümmelte Alexander  Leighton  kehrten  aus  dem  Gefängnis 
zurück,  Prynue,  Burton  und  Bastwick  wurden  aus  ihrer  Haft 
auf  den  Inseln  von  Jersey,  Guernsey  und  Scilly  befreit  und 
langten  unter  dem  Jubel  der  Bevölkerung  in  der  Hauptstadt 
an,  wo  ihrer  reiche  Entschädigungen  für  die  erlittenen  Qualen 
warteten.  Man  athmete  auf;  nach  langer,  dumpfer  Zeit  des 
Duldens  gab  es  wieder  eine  rettende  höchste  Vertretung  der 
Nation. 

Bei  diesen  Handlungen  blieb  die  Thätigkeit  des  Parlaments 
nicht  stehn.  Es  stiess  aus  seiner  Mitte  solche  aus,  die  sich 
an  den  ungesetzlichen  Auflagen  betheiligt  hatten,  es  forderte 
als  sein  Recht,  die  vornehmsten  Rathgeber  der  Krone  als 
Delinquenten  zur  Rechenschaft  zu  zielm.  Strafford,  der  den 
Muth  hatte,  dem  Wunsche  seines  Königs  gemäss,  in  London 
sich  einzustellen,  sah  sich  am  11.  November  im  Hause  der 
Lords,  vor  denen  John  Pyni  an  der  Spitze  von  300  Gemeinen 
die  Klage  wegen  Hoehverraths  gegen   ihn  erhoben  hatte,  ver- 


Anklage  Straffords,  —  Uebergewicht  des  Parlaments.  31 

haftet,  wenig  später,  nachdem  er  hier  in  der  alten,  stolzen 
Haltung  erschienen  war.  Den  Erzbischof  Land  traf  dasselbe 
Schicksal.  Gegen  mehrere  andere  Bischöfe  und  Richter  wurde 
Anklage  erhoben.  Der  Staatssekretär  Windebank  floh  über 
den  Kanal.  Der  Gross -Siegelbewahrer  Finch  hatte  ein  Ver- 
hör zu  bestehn,  konnte  aber  sodann  den  Weg  nach  Holland 
einschlagen,  Cottington  liess  man  gleichfalls  Zeit,  sich  zu  ent- 
fernen. Der  Hof  war  wie  betäubt.  Der  König  sah  sich  mit 
einem  Male  seiner  sämmtlichen  Stützen  beraubt,  gegenüber  einer 
Versammlung,  die  im  Bewusstsein  ihrer  Obmacht  alle  Gewalt 
im  Staate  an  sich  riss.  Ihre  weiteren  Beschlüsse  legten  neues 
Zeugnis  von  ihrer  Entschiedenheit  ab.  Das  Schiffsgeld  ward 
für  ungesetzlich  erklärt,  das  Urtheil  von  Hampden's  Process 
kassirt,  die  noch  vorhandenen  letzten  Beiträge  wurden  zurück- 
gegeben. Die  Monopole  fielen,  für  Erhebung  von  Tonnen- 
und  Pfundgeld  wurde  parlamentarische  Bewilligung  als  noth- 
wendig  proklamirt.  Die  Unabhängigkeit  der  Richter  wurde  ver- 
stärkt, Sternkammer,  hoher  Kommissionshof  aufgehoben,  die 
Ausnahmegewalt  der  Provinzialräthe  fast  vollständig  beseitigt. 
Die  Wiederkehr  der  Willkürherrschaft  sollte  unmöglich  ge- 
macht werden  durch  die  Bill ,  dass  das  Parlament  alle  drei 
Jahre  versammelt  werden  müsse,  nöthigenfalls  durch  freie 
Wahlen  der  Bürger  selbst,  wenn  König,  Peers  und  Beamte 
ihrer  Pflicht  der  Wahlausschreibung  vergässen,  und  durch 
den  Zusatz,  dass  in  den  ersten  fünfzig  Tagen  kein  Parlament 
ohne  seine  Zustimmung  prorogirt  oder  aufgelöst  werden  solle. 
Die  Sicherheit  des  tagenden  Parlaments  wurde  durch  die 
weitere  Bill  verbürgt),  dass  der  König  dieses  überhaupt  nur 
im  Einverständnis  mit  ihm  selbst  auflösen  dürfe. 

Karl  I.  hatte  nicht  ohne  inneres  Widerstreben  alle  diese 
Forderungen  zugestanden,  die  sich  Schlag  auf  Schlag  bis  zum 
Sommer  1641  folgten  und  dem  Parlament  eine  grössere  Macht 
verliehen,  als  der  Geist  der  alten  englischen  Verfassung  jemals 
hätte  hoffen  lassen.  Auch  der  Entschluss,  den  geheimen 
Rath  durch  die  Aufnahme  von  Männern,  wie  Essex,  Warwick, 
Saye  und  Sele,  Bristol  u.  s.  w.,  zu  verstärken,  konnte  ihm 
nicht  leicht  werden,  ohne  dass  damit  die  Geschäftsweise  der 


32        Uebergewicht  des  Parlaments.  —  Hinrichtung  Stvaflford's. 

Kabinetsregierung  aufgegeben  worden  wäre.  Wenig  ernst 
gemeinte  Pläne,  die  Hänpter  der  Opposition  durch  Ver- 
leihung der  hohen  Staatsämter  zu  gewinnen  und  an  die  Sache 
des  Königthums  zu  ketten,  Intriguen  der  rastlosen  Königin, 
die  für  ihre  englischen  Glaubensgenossen  nicht  weniger  be- 
sorgt war  wie  für  den  Glanz  der  Krone,  ein  Komplott,  in 
Hof-  und  Soldatenkreisen  geschmiedet,  zum  Zweck  der  Be- 
freiung Strafford's:  alles  dies  hatte  während  jener  Zeit  hinter 
den  Konussen  gespielt.  Es  hatte  die  Folge,  die  Führer  des 
Parlaments  zur  Vorsicht  zu  mahnen  und  bei  ihrer  unbeug- 
samen Energie  festzuhalten.  In  dem  Process  des  Grafen 
Straiford,  dem  grossen  Ereignis,  das  Wochen  lang  ganz  Lon- 
don in  Aufregung  setzte,  kam  das  zu  Tage.  War  nach  dem 
Wortlaut  und  Sinn  der  Gesetze  wie  gegen  Strafford's  glän- 
zende Vertheidigung  die  Klage  des  Hochverraths  unwirksam, 
so  erschien  vielen  die  alte  Form  eines  eigenen  Gesetzes,  einer 
„bill  of  attainder",  auf  diesen  Fall  anwendbar,  in  welchem 
die  irischen  Gewaltsamkeiten  und  die  mehrdeutigen  Drohungen 
nach  Auflösung  des  letzten  Parlaments,  Handlungen  und 
Worte  den  gefährlichen  Gegner  belasteten  (').  Vom  Unterhause 
mit  grosser  Mehrheit  angenommen,  mit  der  Zustimmung  des 
Oberhauses  versehn,  erhielt  die  Bill  nach  peinlichem  Schwan- 
ken die  Bestätigung  des  Königs ,  der  sich  kurz  zuvor  für  das 
Leben  seines  treuesten  Dieners  verbürgt  hatte  und  sein  Ge- 
wissen nun  durch  die  jesuitischen  Sophismen  seiner  Bischöfe  zu 
beruhigen  suchte.  Der  geopferte  Minister  hatte  selbst  die  be- 
wundernswürdige Entsagung  gehabt,  seinem  Herrn  zu  dem 
Schritt  zu  rathen,  der  seinen  Untergang  bedeutete.  Aber 
nachdem  er  den  Entschluss  des  Königs  erfahren  hatte,  soll 
er  ausgerufen  haben:  „Verlasst  euch  nicht  auf  Fürsten  und 
Menschenkinder,  denn  es  ist  kein  Heil  in  ihnen".  Als  er  am 
Morgen  des  12.  Mai  1641  festen  Schrittes  den  Weg  zum 
Schaffot  gieng,  streckte  Land  aus  dem  Fenster  seines  Ge- 
fängnisses segnend  die  Hand  nach  ihm  aus.  Dies  eine  Bild 
bezeichnete  deutlicher  als  alles  den  Umschwung  der  Dinge. 
Noch  eine  grosse  Angelegenheit  war  zu  erledigen,  die  Be- 
friedigung der  Schotten,   deren  Heer  noch  immer  im  Norden 


Vertrag  mit  den  Schotten.  —  Die  Frage  der  Kirchenverfassung.  33 

stand,  deren  Kommissäre  in  London  verhandelten.  Den  Füh- 
rern des  Parlaments  war  jene  Anwesenheit  der  schottischen 
„Bi'üder"  auf  englischem  Boden  nicht  undienlich,  um  ihren 
Fordermigeu  mehr  Nachdruck  zu  geben.  Die  Gelder,  die 
man  flüssig  zu  machen  wusste,  um  den  Unterhalt  der  Schotten 
zu  bestreiten ,  waren  nicht  umsonst  gezahlt.  Erst  im  Spät- 
sommer 1641  wurde  England  von  der  schottischen  Einquartie- 
rung befreit,  während  das  königliche  Reet  gleichzeitig  auf- 
gelöst wurde.  Auch  Milton  wurde  selbstverständlich  zur  Zah- 
lung der  Kopfsteuer  herangezogen,  die  das  Parlament  zur 
Deckung  jener  aus  dem  Kriege  erwachsenen  Kosten  auf  jeden 
Engländer  legte,  der  über  sechzehn  Jahre  alt  und  nich 
unterstützungsbedürftig  war.  Wenn  sich  die  Notiz  in  einer 
Steuerrolle  findet,  dass  er  säumig  mit  der  Zahlung  war,  so 
lässt  sich  vielleicht  sein  Wunsch,  die  Schotten  möglichst  lange 
in  England  festgehalten  zu  wissen,  als  Erklärungsgrund  an- 
führen (')• 


Alles  Erwähnte  gehörte  wesentlich  dem  politischen  Ge- 
biet an,  aber  daneben  kam  auch  die  andere  Seite  der  grossen 
Bewegung,  die  religiöse,  zu  ihrem  Recht.  Unter  doppeltem 
Druck  hatte  man  die  Jahre  daher  gelitten,  Staat  und  Kirche 
im  engsten  Bunde  hatten  die  Leidenschaften  herausgefordert, 
politische  Opposition  und  Puritanismus  waren  verschmolzen. 
Von  Anfang  an  war  das  Parlament  gegen  das  so  lange  ge- 
schützte kirchliche  System  vorgegangen.  Die  letzten  Be- 
schlüsse der  geistlichen  Konvokation  wurden  für  ungültig 
erklärt,  Kommissionen  in  den  einzelnen  Grafschaften  ernannt, 
um  Hochaltäre,  Kreuze,  Heiligenbilder  und  ähnliche  von  Land 
befohlene  Neuerungen  zu  beseitigen,  in  denen  der  Argwohn 
des  Volkes  ein  verstecktes  Spiel  mit  dem  Katholicismus^  er- 
blickte ,  die  alten  gehässigen  Bestimmungen  gegen  die  An- 
hänger der  römischen  Kirche  in  wiederholte  Erinnerung  ge- 
bracht. —  Aber  dabei  wollte  man  nicht  stehn  bleiben.  Es 
galt   die  gesammte  Verfassung  der  Kirche  zu  ändern,    auch 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    T.  2.  3 


34  Erhaltungspartei.  —  Bischof  Hall. 

hier  der  Reform  zum  Siege  zu  verhelfen,  die  eine  Wiederkehr 
Laud'scher  Zustände  unmöglich  machte  und  dem  dunklen 
Trieb  der  Massen  deutlichen  Ausdruck  gab. 

Noch  immer  hatte  die  bestehende  Kirchenverfassung  nicht 
zu  unterschätzende  Anhänger.  Sie  liess  sich  in  keinem  wich- 
tigen Punkte  verändern,  ohne  die  grössten  politischen  und  so- 
cialen Interessen  in  Mitleidenschaft  zu  ziehn.  Ein  Angriff 
auf  die  grundlegenden  Akte  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
bedeutete  eine  Schwächung  des  Königthums.  Ein  Angriff  auf 
das  Institut  des  Patronats  kam  einem  Umsturz  gewisser  Ord- 
nungen von  Gesellschaft  und  Eigenthum  gleich.  Die  beiden 
Universitäten,  von  Haus  aus  Stützen  der  Staatskirche,  fürch- 
teten an  Einfluss  und  Vermögen  mit  einer  gründlichen  Neuerung 
zu  verlieren.  Die  Pfarreien  waren  guten  Theils  mit  Geschöpfen 
Laud's  besetzt  und  als  solche  von  jeder  Aenderung  bedroht. 
In  der  Mehrzahl  der  Bischöfe  endlich  musste  sich  der  Trieb 
der  Selbsterhaltung,  der  Wunsch,  eine  Macht  im  Staate  zu 
sein,  bei  vielen  auch  geistlicher  Hochmuth  und  Fanatismus 
gleichzeitig  aufgerufen  sehn,  sich  gegen  jede  durchgreifende 
Reform  zu  stemmen.  Indessen  gerade  das  Bisthum  hatte 
zufolge  der  Stellung,  die  es  in  den  letzten  Jahren  eingenom- 
men, den  ersten  Sturm  zu  bestehn,  der  für  die  weiteren,  ge- 
waltigeren Umsturzversuche  der  Revolutionsepoche  in  den 
Wall  der  überlieferten  Kirchenverfassung  Bresche  brach.  Bereits 
vor  dem  Zusammentritt  des^  kurzen  Parlamentes  im  Februar 
1640,  als  es  galt,  den  gefährlichen  schottischen  Th^orieen  ent- 
gegenzutreten ,  war  von  einem  der  englischen  Prälaten  der 
Grundgedanke,  aus  dem  sich  die  bischöllichen  Ansprüche  ab- 
leiteten, noch  einmal  mit  grossem  Aufwände  von  Gelehrsam- 
keit entwickelt  worden.  Der  Bischof  von  Exeter,  Joseph  Hall, 
hatte  sich  dazu  verstanden,  ein  Mann,  dessen  Name  zu  den 
gefeiertsten  des  englischen  Episkopats  gehörte.  Als  er  1(327 
dreiundfünfzigjährig  den  Bischofsstuhl  von  Exeter  bestieg, 
hatte  er  sich  unter  den  prosaischen  und  poetischen  Autoren 
seines  Vaterlandes  bereits  eine  achtunggebietende  Stellung 
errungen.  In  seiner  Jugend,  nachdem  er  kaum  die  Universität 
Cambridge  verlassen  hatte,  war  er  mit  Satyren  hervorgetreten, 


Hall's  „Göttliches  Recht  des  Bisthums".  35 

deren  erste  drei  Bücher,  „die  zahnlosen  Satyren",  1597  er- 
schienen, während  schon  ein  Jahr  darauf  drei  weitere  Bücher 
„bissiger  Satyren"  folgten.  Sie  wurden  populär  und  erlebten 
bald  neue  Autlagen,  indess  die  geistliche  Presspohzei  den 
Druck  verbot  und  die  Exemplare,  deren  sie  habhaft  werden 
konnte,  für  den  Scheiterhaufen  bestimmte.  Es  waren  nicht 
ungeschickte  Nachahmungen  bekannter  Muster  der  römischen 
Literatur.  Die  Glätte  der  Form,  die  Energie  des  Ausdrucks, 
die  Freiheit  von  Concetti  verliehen  ihnen  hohen  Werth,  wenn 
auch  hie  und  da  in  Folge  allzu  grosser  Prägnanz  eine  gewisse 
Dunkelheit  nicht  vermieden  wurde.  Das  Werkchen  trug  dem 
Verfasser  den  Namen  des  ,, englischen  Persius"  ein.  In  den 
folgenden  Jahrzehnten,  während  Hall  im  Kirchendienst  empor- 
gestiegen war,  hatte  er  sich  durch  zahlreiche  Prosaschriften 
auch  noch  den  Namen  des  „englischen  Seneca"  verdient. 
„Meditationen"  und  „Episteln",  Streitschriften  gegen  die  rö- 
mische Kirche  und  gegen  die  Brownisten,  Betrachtungen  über 
geistliche  und  weltliche  Gegenstände  verschiedener  Art :  alles 
hatte  den  scharfen,  sinnigen  Beobachter,  den  sorgfältigen,  bil- 
derreichen Stilisten  gezeigt,  der  durch  eine  allzu  grosse  Vor- 
liebe für  lehrhafte  Gemeinplätze  nur  hie  und  da  ermüdete. 
Seine  ganze  Denkweise  konnte  ihn  nicht  zu  einem  fanati- 
schen Anhänger  der  Laud'schen  Schule  machen,  und  er  war  zeit- 
weise wegen  seiner  Mässigung  den  Verfechtern  der  hochkirch- 
lichen Theorieen  sehr  verdächtig  gewesen.  Indessen  gerade  ihn 
wusste  Land  dazu  anzutreiben,  das  „göttliche  Recht  des  Bis- 
thums" mit  seiner  gewandten  Feder  zu  vertheidigen,  und  Hall 
verstand  sich  dazu,  sein  Werk  einer  Revision  des  gestrengen 
Oberen  zu  unterwerfen ,  dem  er  anfänglich  nicht  entschieden 
genug  in  seinen  Sätzen  gewesen  M^ar.  Der  Behauptung  vom 
göttlichen  Ursprung  der  Presbyterialverfassung  war  in  dem 
Buche  Hall's  „Bisthum  aus  göttlichem  Recht"  die  analoge  mit 
Bezug  auf  den  Episkopat  entgegengetreten,  und  wenn  es  sich 
in  erster  Linie  darum  zu  handeln  schien,  die  Anschauungen 
der  aufrührerischen  Schotten  zu  bekämpfen,  so  war  doch  die 
Absicht  unverkennbar ,  auch  dem  englischen  Puritanismus 
einen  Damm  entgegenzuwerfen.    Nicht  ohne  Geschick  erschien 


36         Mittelpartei.  —  Bischof  Williams.  —  Erzbischof  Ussher. 

die  Selbstständigkeit  des  Bisthums,  wie  es  hier  begründet 
•wurde,  gegenüber  der  Papal- Theorie  gewahrt,  zugleich  aber 
auch  die  Gewalt  des  Monarchen,  dem  das  Buch  sogar  gewid- 
met war,  in  keiner  Weise  verletzt.  Ironie  und  Ernst  mischten 
sich  in  der  Behandlung  eines  Themas,  das  mit  Berufung  auf 
die  Bibel,  Kirchenväter,  Auszüge  aus  den  Koncilsschlüssen 
und  spätere  Schriftsteller  durchgeführt  worden  war,  und  Hall 
konnte  jedenfalls  nach  dieser  Leistung,  die  seine  Vergangen- 
heit vergessen  liess,  als  einer  der  Hauptvertheidiger  der  herr- 
schenden Kirchenverfassung  gelten  ('). 

Indessen  sahen  sich  die  Verehrer  des  Grundsatzes  vom 
„göttlichen  Recht  des  Bisthums"  einer  gewaltigen  Opposition 
gegenüber.  Man  kann  zwei  Strömungen  in  ihr  unterscheiden, 
eine  gemässigte  und  eine  radikale.  Die  erste  wollte  die  In- 
stitution des  Bisthums  nicht  aufheben,  aber  die  Bischöfe  von 
den  Bänken  des  Hauses  der  Lords  entfernen,  ihre  Macht  be- 
schränken, ihren  Ansprüchen  entgegentreten.  Sie  läugnete, 
dass  die  Verfassung  der  englischen  Kirche  anderen  als  mensch- 
lichen Ursprung  habe  und  schrak  daher  auch  vor  Verände- 
rungen dieser  Kirche,  Minderung  ihres  Aufwandes  in  den 
höchsten,  Aufbesserung  der  unteren  Stellen,  Beschränkung 
geistlicher  Gerichtsbarkeit,  Reformen  des  Ritus  in  keiner 
Weise  zurück.  Ein  grosser  Theil  der  Parlamentsmitglieder 
in  beiden  Häusern  war  dieser  Ansicht,  die  sich  durch  Nach- 
giebigkeit nach  beiden  Seiten  hin  zu  empfehlen  schien.  Aus 
der  Reihe  der  Bischöfe  selbst  glaubte  man,  soweit  nicht  der  Ver- 
lust der  politischen  Stellung  in  Frage  kam,  auf  den  ehrgeizigen 
Bischof  Williams  von  Lincoln  zählen  zu  können,  der  zwar  den 
Presbyterianismus  als  ein  System  bezeichnet  hatte,  das  nur 
„für  Sehneider,  Schuhmacher  und  dergleichen  Menschen,  aber 
nicht  für  Edelleute  und  Gentlemen  passe" (2),  welcher  indess, 
zumal  nach  sehien  letzten  p]rfahrungen  im  Tower,  nothwendig 
wenig  begeistert  dafür  war,  das  Laud'sche  Gebäude  mit  allen 
seinen  Auswüchsen  zu  stützen.  Aus  reineren  Motiven  schien 
der  Primas  von  Irland,  Jakob  Ussher,  Erzbischof  von  Armagh, 
geneigt  zu  sein,  einen  Mittelweg  einzuschlagen.  Geboren  in 
Dublin  1581  und  erzogen  im  Trinity  -  College  daselbst,   hatte 


Petition  der  Geistlichen.  —  Radikale  Partei.  37 

er  sieh  in  kurzem  wegen  seiner  umfassenden  Gelehrsamkeit 
einen  Namen  gemacht  und  war  zur  höchsten  Würde  in  der 
irischen  Kirche  emporgestiegen.  In  dieser  schwierigen  Stel- 
lung, unter  der  fanatischen  celtisch  -  katholischen  Bevölkerung 
an  der  Spitze  einer  schlecht  ausgestatteten,  vom  Volke  grim- 
mig gehassten  Kirche,  hatte  er  den  Bemühungen  Laud's  keinen 
Widerstand  leisten  können,  allmählich  jene  von  ihm  gepflegten 
calvinistischen  Eigenthümlichkeiten  der  irischen  Kirchenver- 
fassung zu  verwischen  und  sie  möglichst  dem  strengen  Hoch- 
kirchenthum  anzubequemen,  wie  Laud  es  in  England  durch- 
geführt hatte.  Aber  man  hatte  Grund  zu  vermuthen,  dass 
Ussher  sich  einer  bedeutenden  Veränderung  nicht  widersetzen 
werde ,  dass  er  vielmehr  geneigt  sei ,  den  Schwerpunkt  der 
Kirchenverfassung  in  Synoden  zu  verlegen,  deren  Leitung  den 
Bischöfen  als  Superintendenten  verbleiben  solle,  während  sie 
viele  ihrer  Privilegien  verlieren  würden  (^).  Er  war  im  Früh- 
ling 1640  von  Irland  herüber  gekommen,  er  hatte  in  jenem 
Gewissensrath,  den  Karl  I.  um  sich  versammelte,  den  Monar- 
chen beschworen,  sich  in  Strafford's  Sache  nur  nach  der 
Stimme  seines  Inneren  zu  entscheiden,  er  hatte  den  feige 
Verlassenen  auch  auf  seinem  Gange  zum  Richtplatz  begleitet. 
Sein  Charakter  bürgte  für  die  Lauterkeit  seiner  Gesinnung. 

Auch  aus  den  Reihen  der  unteren  Geistlichkeit  wurden 
Stimmen  laut,  welche  das  Bisthum  als  solches  noch  fortbe- 
stehn  lassen,  die  bischöfliche  Verfassung  aber  gründlich  ver- 
ändern wollten.  Vor  allem  machte  eine  von  siebenhundert 
Geistlichen  unterzeichnete  Petition  ,  die  am  23.  Januar  1641 
dem  Hause  überreicht  wurde,  grosses  Aufsehn.  Sie  enthielt 
eine  Reihe  von  Beschwerden,  deren  Abstellung  man  forderte : 
über  die  Theilnahme  der  Bischöfe  an  der  weltlichen  Regie- 
rung im  Parlament,  ihre  ausschliessliche  Macht  für  Ordination 
und  geistliche  Gerichtsbarkeit,  die  übermässige  Dotation  von 
Dechaneien  und  Kapiteln.  In  ähnlicher  Weise  sprachen  sich 
zahlreiche  andere  Petitionen  aus. 

Wurden  hiermit  Forderungen  aufgestellt,  die  mit  den  Be- 
strebungen der  ihrer  Bildung  entgegengehenden  parlamenta- 
rischen Mittelpartei  noch  verträglich  waren,   so  kannte  die 


38  Einwirkung  des  Presbyterianismus. 

grosse  Partei  des  Radikalismus  in  den  Fragen  der  Kirchen- 
verfassimg  noch  weniger  Schonung  des  Bestehenden.  Sie 
wollte  Abschaffung  des  Bisthums  „mit  Stumpf  und  Stiel" 
(„root  and  brauch"),  Erzbischöfe,  Bischöfe,  Dechaneien  und 
Kapitel  sollten  fallen,  das  grosse  Kirchengut  zerschlagen,  der 
Ritus  vereinfacht,  mit  einem  Worte  alles,  was  an  mittelalter- 
liche Verhältnisse  erinnerte,  gründlich  vertilgt  werden.  Die 
Einkünfte  der  Hierarchie  sollten  den  unteren  geistlichen 
Stellen,  den  Staatsbedürfnissen,  der  Volksbildung  zu  Gute 
kommen.  England  sollte  endlich  nachholen,  worin  es  bei  der 
Kirchenreformation  hinter  den  anderen  germanischen  Völkern 
zurückgeblieben  war.  Noch  schwebte  den  eri-egten  Gemüthern 
keine  scharfe,  im  einzelnen  bestimmte  Verfassungsform  vor, 
und  nur  der  gemeinsame  Gegensatz,  in  dem  man  sich  gegen 
die  bischöfliche  Tyrannei  verbunden  wusste,  hielt  für  kurze 
Zeit  Elemente  zusammen,  die  nicht  im  mindesten  mit  ein- 
ander verwandt  waren.  Doch  war  unstreitig  der  schottische 
Presbyterianismus  für  viele  das  Ideal.  Die  frühere  Hinnei- 
gung des  englischen  Puritanismus  zu  der  Presbyterialverfassung 
wachte  wieder  auf.  Für  diese  hatten  soeben  die  nordischen 
Brüder  ihren  siegreichen  Kampf  geführt.  Mit  den  schottischen 
Kommissären  war  Alexander  Henderson  nach  London  gekom- 
men, von  allen  eifrigen  Presbyterianern,  die  vom  Geiste  Knox' 
durchdrungen  waren,  der  Eifrigste,  der  Moderator  jener  glas- 
gower Generalversammlung  von  1638,  mit  ihm  zugleich  drei 
andere  hervorragende  schottische  Geistliche,  Robert  Blair, 
Georg  Gillespie,  Robert  Baillie,  dessen  Feder  wir  die  werth- 
vollste  Kunde  jener  Zeiten  verdanken.  Die  Predigten  dieser 
mit  Herzlichkeit  aufgenommenen  Männer  in  der  Kirche  St. 
Antholin,  die  man  ihnen  eingeräumt  hatte,  wurden  eifrig  be- 
sucht, und  die  londoner  Bürgerschaft  fieng  an,  sich  immer  mehr 
für  einen  Zuschnitt  der  kirchlichen  Verfassung  zu  erwärmen, 
wie  ihn  die  schottischen  Freunde  zu  schaffen  und  festzuhalten 
gewusst  hatten.  Manchen  Politikern  der  Volkspartei  em])fahl 
sich  eine  gewisse  Annäherung  an  das  schottische  Muster  nicht 
minder.  Sie  wussten ,  einen  wie  holien  Werth  die  Covenan- 
ters   auf  die  kirchliclie  Uebereinstimmung  legten.     Auf  diese 


Londoner  Massen -Petition.  39 

Weise  schien  ein  dauerndes  Ziisammengehn  der  beiden  Na- 
tionen verbürgt,  deren  Einigkeit  das  stärkste  Hindernis  gegen 
die  Rückkehr  königlicher  Willkür  sein  musste.  In  jedem 
Falle  waren  Sympathieen  für  den  Presbyterianismus  allen 
denjenigen  die  besten  Genossen,  die  es  auf  eine  völlige  Ver- 
nichtung des  Bisthums  abgesehn  hatten,  und  im  Kampfe  gegen 
dieses  im  damaligen  Augenblicke  mit  weiterstrebenden  gei- 
stigen Mächten  zu  einem  Bunde  vereint.  So  setzte  sich  denn 
diese  radikale  Partei  aus  zahlreichen  Anhängern  zusammen. 
Wenn  in  der  Geistlichkeit  selbst  nur  die  Minderzahl  sich  zu 
ihr  zu  bekennen  wagte,"  wenn  sie  unter  dem  höheren  Adel 
nur  einzelne  Vertreter  zählte,  so  hatte  sie  unbestritten  die 
Mehrzahl  des  englischen  Mittelstandes  in  Stadt  und  Land  für 
sich.  Die  grossen  Städte,  London  an  ihrer  Spitze,  waren  ihre 
Hauptquartiere,  die  Leiter  der  äussersten  parlamentarischen 
Opposition  waren  ihr  entweder  aufrichtig  zugethan  oder  hielten 
es  für  gerathen,  sich  ihrer  Kraft  aus  Gründen  der  Politik  zu 
bedienen. 

Die  erste  gewaltige  Waffe  dieser  Partei  war  eine  Massen- 
Petition,  von  15,000  Unterschriften  begleitet,  durch  den  Alder- 
man  Pennington  am  IL  December  1640  im  Namen  der  Bürger 
von^  London  vorgelegt.  Sie  forderte  Abschaffung  des  bischöf- 
lichen Regiments  „mit  allen  seinen  Anhängseln,  Wurzeln  und 
Zweigen"  und  wurde  durch  diesen  Ausdruck  zum  Panier  der 
ganzen  Partei.  Andere  Petitionen  in  gleichem  Sinn  liefen 
ein.  Aber  auch  die  Vertheidiger  der  Hochkirche  begannen 
sich  zu  rühren  und  in  mehreren  Anschreiben  zu  betonen,  dass 
das  Bisthum  in  England  so  alt  sei  wie  das  Christenthum 
selbst,  von  den  Aposteln  eingesetzt,  im  Kampfe  für  die  Re- 
formation bewährt,  zur  religiösen  Erbauung  geeignet  und  mit 
der  bürgerlichen  Regierung  in  solcher  Harmonie,  wie  sie  nie- 
mals eine  andere  Kirchenverfassung  erreichen  könne. 

Die  drei  Hauptansichten,  welche  über  die  Frage  der  Kir- 
chenverfassung vorhanden  waren,  hatten  ihren  Ausdruck  ge- 
funden, das  Parlament  hatte  sich  zu  entscheiden,  ob  es  den 
alten  Zustand  erhalten,  ob  es  ihn  gänzlich  über  den  Haufen 
werfen  oder  ob  es  die  Bischöfe  schützen,  ihre  Macht  aber  be- 


40  Erste  Debatten. 

schränken  wollte.  Von  der  ersten  grossen  Debatte  an,  welche 
über  diese  Fragen  am  8.  und  9,  Februar  1641  das  Haus  be- 
schäftigte, war  so  viel  klar,  dass  der  Kampf  zwischen  den 
Anhängein  der  gemässigten  und  denen  der  radikalen  Reform 
ausgefochten  werden  müsse.  Die  Partei,  welche  die  Hoch- 
kirche, wie  sie  bestand,  mit  allen  ihren  Vorrechten  ganz  un- 
verändert erhalten  wollte,  hatte  von  den  Beschlüssen  des 
Hauses  in  keinem  Fall  etwas  zu  hoffen.  Im  Sinne  der  Pe- 
tition jener  siebenhundert  Pfarrer,  die  das  Bisthum  selbst 
noch  bestehn  lassen  wollten ,  sprachen  mit  hervorragender 
Beredtsamkeit  namentlich  Falkland  und  Digby.  Sie  hielten 
es  nicht  für  angemessen,  der  Kommission  jene  radikale  lon- 
doner IMassen -Petition  zur  Berücksichtigung  zu  überweisen. 
Digby  verglich  sie,  in  richtiger  Ahnung  der  presbyterianischen 
Tendenz,  witzig  mit  einem  Kometen,  geboren  aus  dem  Gift- 
hauch der  verderbten  Hierarchie,  dessen  Unheil  verkündender 
Schweif  nach  Norden  deute,  er  nannte  das  Streben,  mit 
dem  Bisthum  gänzlich  aufzuräumen,  eine  Utopie,  und  Falk- 
land war  bemüht ,  die  Personen  von  der  Sache  zu  trennen 
und  die  erste  Ausbreitung  des  Christenthums  wie  die  Durch- 
führung der  englischen  Reformation  dem  Bisthum  zuzuschrei- 
ben. Aber  indem  sie  das  Institut  als  solches  verth eidigten, 
deckten  sie  schonungslos  die  Auswüchse  auf,  die,  nachdem  es 
in  die  Hände  Laud's  gefallen  war,  sein  Wesen  schändeten, 
und  forderten  sehr  einschneidende  Heilmittel.  Falkland  hält 
den  Bischöfen  einen  Spiegel  ihrer  Vergangenheit  vor  und 
schreckt  nicht  davor  zurück,  ihnen  ihre  Gerichtsbarkeit  wie 
ihre  Sitze  im  Hause  der  Lords  zu  entziehen,  denn  weder  das 
eine  noch  das  andere  dünkt  ihn  „göttliches  Recht".  Digby 
zählt  ihr  ganzes  Sündenregister  auf  und  fordert,  als  Programm 
für  die  Zukunft,  Zurückführung  der  Bischöfe  auf  ihre  „Stellung 
in  der  Urkirche",  Einschränkung  ihrer  Diöcesen  und  Revenuen, 
Mitwirkung  von  Versammlungen  des  Klerus  bei  ihrer  Ver- 
waltung, Ausschluss  von  der  Führung  weltlicher  Geschäfte. 
Kach  solchen  Angriffen  war  für  die  Hauptverfechter  der  lon- 
doner Petition  wenig  Stärkeres  mehr  zu  sagen.  Nur  dadurch 
traten  sie  schärfer  auf,  dass  sie  aus  allen  jenen  Vordersätzen, 


Exklusions-Bill.  41 

deren  jeder  ein  Verdammungsurtheil  war,  einen  anderen 
Schluss  zogen.  Wie  Vane  bei  einer  späteren  Gelegenheit  zu 
verstehen  gab :  Wenn  die  Frucht  so  schlecht  ist,  so  muss  der 
Baum  selbst  schlecht  sein. 

Das  Ergebnis  der  Sitzung  war  der  radikalen  Partei  gün- 
stig. Eine,  wenn  auch  nicht  grosse,  Mehrheit  überwies  alle 
Petitionen  und  so  auch  die  der  Fünfzehntausend  von  London 
der  schon  bestehenden  Kommission  und  verstärkte  diese  durch 
Vane,  Fiennes  und  einige  ihrer  Gesinnungsgenossen.  Am 
9.  März  1641  stattete  die  Kommission  ihren  Bericht  ab,  der 
keineswegs  günstig  für  *die  Prälaten  ausfiel.  Zwar  das  Bis- 
thum  selbst  Hess  er  noch  unangetastet.  Aber  über  die  politische 
und  richterliche  Gewalt  der  Bischöfe,  ihre  ausschliessliche 
Macht  in  den  inneren  Angelegenheiten  der  Kirche  bei  Ordi- 
nation und  Censur,  das  schädliche  Uebermass  der  Einkünfte 
von  Dechaneien  und  Kapiteln  brach  er  den  Stab.  Das  Haus 
hob  zunächst  nur  den  wichtigsten  Punkt  hervor ,  sprach  sich 
dahin  aus,  dass  „die  legislative  und  richterliche  Gewalt  der 
Bischöfe  im  Hause  der  Peers  sehr  hinderlich  für  die  Aus- 
übung ihres  geistlichen  Amtes  und  schädlich  für  den  Staat 
sei"  (10.  März)  und  dehnte  am  folgenden  Tage  diese  scharfe 
Yerurth eilung  auf  jede  gerichtliche  Thätigkeit  des  gesammten 
Klerus  aus,  mit  Vorbehalt  einer  ausdrückhchen  Bill.  An 
einer  solchen  konnte  es  nicht  fehlen.  Unter  dem  Titel :  „Eine 
Akte,  um  Bischöfe  und  andere  geistlichen  Standes  zu  verhin- 
dern, sich  in  Staatsangelegenheiten  zu  mischen",  passirte  sie  in 
dritter  Lesung  am  1.  Mai  1641  das  Haus  der  Gemeinen.  Das 
Ziel  war  damit  gesteckt,  den  hohen  Klerikern  ihr  politisches 
Vorrecht  zu  nehmen,  ein  kühner  Anfang  war  gemacht,  Staat- 
liches und  Kirchliches  von  einander  zu  scheiden. 

Das  Haus  der  Lords  hatte  sich  selbst  schon  mit  der 
grossen  kirchenpolitischen  Frage  beschäftigt.  Eine  Kommis- 
sion unter  dem  Vorsitz  des  Bischofs  Williams  war  eifrig  be- 
schäftigt, Reformen  des  Laud'schen  Systems  zu  vereinbaren 
und  zog  Gelehrte  und  Geistliche  jeder  Parteifarbe  als  Zeugen 
und  Sachverständige  zu  den  Besprechungen  heran.  Als  in- 
dess   jener    Gesetzentwurf   des    Unterhauses    zur  Berathung 


42  Von  den  Lords  verworfen.  —  Abolitions  -  Bill. 

stand,  zeigte  sich,  wie  zähe  die  Prälaten  sieh  an  den  Besitz 
der  Macht  zu  klammern  gesonnen  waren.  Wenn  Hall  die 
richterliche  Gewalt  der  Bischöfe  äussersten  Falles  beschrän- 
ken, wenn  Williams  ihren  Ausschluss  vom  geheimen  Rath  und 
vom  Amt  der  Friedensrichter  zugeben  wollte :  sobald  die 
Hauptfrage  zu  entscheiden  war,  ob  die  Bischöfe  ihrer  Sitze 
im  Parlament  beraubt  werden  sollten,  waren  sie  unerschütter- 
lich in  entschiedener  Gegenwehr.  Eine  Reihe  von  Lords  welt- 
lichen Standes  unterstützte  sie  bei  ihrer  Vertheidigung  gegen 
einen  Angriif,  der  einer  der  Grundlagen  englischer  Verfassung 
galt,  und  am  8.  Juni  wurde  die  Bill  vom  Oberhause  in  dritter 
•Lesung  verworfen  (^). 

Nun  aber  wiederholte  sich  das  Mährchen  von  den  sibylli- 
nischen  Büchern.  Die  mildere  Ansicht,  die  das  Bisthum  selbst 
noch  hatte  retten  wollen,  w^ar  verworfen :  die  radikale,  die  es 
gänzlich  vernichten  wollte,  trat  an  ihre  Stelle.  Schon  am 
27.  Mai ,  als  sich  das  Ergebnis  der  Abstimmung  im  Hause 
der  Lords  bereits  voraussehen  Hess,  wurde  im  Unterhause 
eine  Bill  „für  die  gänzliche  Unterdrückung  und  Abschaffung 
aller  Erzbischöfe  und  Bischöfe,  ihrer  Kanzler  und  Kommissäre, 
Dechanten,  Dechaneien  und  Kapitel,  Erzdiakonen,  Präbendarien, 
Kantoren  und  Stiftsherren  und  anderer  Unterbeamten  aus  der 
englischen  Kirche"  eingebracht  und  zwei  Mal  gelesen  (^).  Ihre 
entschiedene  Fassung  verrieth,  dass  sie  den  Vane,  Cromwell 
Haselrig  ihren  Ursprung  verdanke.  Sie  wai-en  klug  genug, 
ihren  eigenen  Eifer  zurückzudrängen  und  Sir  Edward  Deering, 
einen  der  beliebtesten  Redner  des  Hauses,  mit  der  Verthei- 
digung des  Gesetzentwurfes  zu  betrauen.  Dieser  entledigte 
sich  seiner  Aufgabe  mit  getheiltem  Herzen.  Er  erklärte,  dass 
er  die  Reform  dem  gänzlichen  Ruin  vorziehe,  in  erster  Linie 
für  das  „ursprüngliche,  gesetzliche  und  rechtmässige  Bisthum" 
sei  und  nur  aus  Noth  sich  zu  dem  klassischen  Dichterwort 
bekenne,  dass  man  die  unlieilbare  Wunde  mit  dem  Messer 
ausschneiden  müsse,  um  nicht  die  gesunden  Theile  leiden  zu 
lassen.  Eben  dies  war  den  Radikalen  völlig  genug.  Das 
Haus  verwandelte  sich  in  ein  Committee  zur  Berathung  des 
Gesetzes  und  nahm,   so  grosse  Schwierigkeiten  der  zum  Vor- 


Abolitions-Bill.  43 

sitzenden  erwählte  Hyde  derselben  in  den  Weg  warf,  die 
Hauptpunkte  an.  Die  Begründung  der  Bill,  in  welcher  die 
Schädlichkeit  der  bischöflichen  Verfassung  für  Kirche  und 
Staat  ausgesprochen  war,  gieng  durch.  Am  12.  Juni  wurde 
positiv  angenommen,  dass  die  Aufliebung  der  Aemter  von 
Erzbischöfen,  Bischöfen,  Kanzlern  und  Kommissären  eine 
Klausel  des  Gesetzes  bilden  solle.  Henry  Vane  hatte  mit 
der  ganzen  Leidenschaft  des  puritanischen  Idealismus  diesen 
Standpunkt  verfochten.  Gegenüber  der  kirchengeschichtlichen 
Gelehrsamkeit,  mit  der  man  das  Bisthum  stützen  wollte,  wies 
er  darauf  hin,  dass  das  Pabstthum  nicht  bessere  Autoritäten 
für  sich  in  Anspruch  nehme.  Nicht  Christus  habe  diesen 
Stand  in  die  Kirche  eingeführt,  sondern  der  Geist  des  Hoch- 
muths,  der  zuerst  einige  als  Bischöfe  über  ihre  Mitpresbyter, 
dann  andere  als  Erzbischöfe  über  ihre  Mitbischöfe  erhob,  bis 
zuletzt  die  Monarchie  des  Pabstthums  fertig  da  stand,  die  sich 
vermass,  Kaisern  und  Königen  zu  gebieten.  Er  zählte  noch- 
mals auf,  was  das  bischöfliche  Regiment  neuerdings  in  Eng- 
land verschuldet  habe.  Es  hat  die  gewissenhaftesten  Prediger 
abgesetzt,  Schaaren  von  Gläubigen,  die  sich  den  anbefohlenen 
Neuerungen  nicht  fügen  wollten,  grausamen  Martern  unter- 
worfen und  in  die  Verbannung  gejagt,  alle  ergebenen  An- 
hänger jener  Formen  des  Götzendienstes  befördert,  England 
von  den  protestantischen  Kirchen  des  Auslandes  getrennt,  den 
Despotismus  unterstützt;  seine  Gewaltmassregeln  befürwortet, 
den  Krieg  zwischen  England  und  Schottland  entzündet:  hin- 
weg also  mit  diesen  Philistäern,  die  uns  gleich  Samson  unsrer 
beiden  Augen,  der  Freiheit  des  Gewissens  und  der  bürger- 
lichen Freiheit,  berauben  wollen. 

Am  15.  Juni  wurde  bei  der  Fortsetzung  der  Berathung 
den  Dechanten  und  Kapiteln,  Erzdiakonen  und  Pfründnern, 
Kantoren  und  Stiftsherren  das  Urtheil  gesprochen ,  die  Län- 
dereien von  Dechanten  und  Kapiteln ,  mit  Vorbehalt  einer 
Entschädigung  der  Betroffenen  und  der  Rechte  des  Königs, 
sollten  der  Einziehung  verfallen  zu  Zwecken  dor  Volksbildung 
und  Wohlthätigkeit.  Und  so  gieng  man,  unterbrochen  durch 
vielfache   andere    drängende    Geschäfte,    Schritt   für   Schritt 


44  Verfassuugspläne. 

weiter  in  der  vorgezeichneten  Richtung,  die  gesammte  Kir- 
chenverfassung  über  den  Haufen  zu  werfen  und  eine  partielle 
Säkularisation  anzubahnen.  Mit  Nothwendigkeit  wurde  man 
dazu  geführt,  in  Betracht  zu  ziehn,  welches  Gebäude  an  die 
Stelle  des  alten  treten  solle.  Der  lange  erwartete  Entwurf 
von  Williams,  der  am  1.  Juli  den  Lords  vorgelegt  wurde,  be- 
gegnete nur  einer  kühlen  Aufnahme,  obwohl  er  u.  a.  darauf 
abzielte,  in  die  bestehende  bischöfliche  Verfassung  ein  Kolle- 
gium von  Beisitzern  einzuführen,  in  deren  Ernennung  der 
König  und  das  Parlament  sich  zu  theilen  hätten.  Bei  den 
Gemeinen  fand  Edward  Deering  seinen  ursprünglichen  Stand- 
punkt wieder,  indem  er  am  21.  Juni  dafür  sprach,  in  ein  und 
demselben  Akt  das  bisherige  Prälatenthum  zu  stürzen  und 
das  „primitive  Bisthum"  herzustellen.  Die  Diöcesen  sollten 
verkleinert  und  möglichst  den  Shires  angepasst  werden,  in 
jeder  derselben  hätte  das  Parlament  ein  Kollegium  von  zwölf 
oder  mehr  würdigen  Geistlichen  nach  Art  eines  „primitiven 
Presbyteriums"  zu  ernennen,  über  dieses  einen  Oberleiter  zu 
setzen,  den  man  Bischof,  Aufseher,  Präsidenten,  regierenden 
Aeltesten  nennen  möge.  —  Man  sieht,  wie  das  Bestreben,  die 
Kirche  unter  parlamentarische  Kontrole  zu  bringen,  für  Dee- 
ring bestimmend  war,  während  er  von  der  Presbyterialver- 
fassung  doch  nur  den  Jargon  entlehnte,  ohne  im  mindesten 
an  ihre  Ueberführung  auf  englischen  Boden  zu  denken.  Einer 
solchen  blieb  dagegen  der  Raum  gewahrt,  wenn  man  sich  mit 
dem  Negativen  begnügte,  die  bischöfliche  Verfassung  zu  besei- 
tigen und  vorläufig  durch  Kommissäre  aus  dem  Stande  der  Laien 
und. Geistlichkeit  die  Diöcesangeschäfte  besorgen  zu  lassen (^). 
Aber  während  über  diese  Fragen  die  Meinungen  weit 
auseinandergiengen ,  wurde  ein  neuer  Angriffspunkt  gefun- 
den und  benutzt.  So  lange  die  Bischöfe  im  Oberhause 
sämmtlich  das  Gewicht  ihrer  Stimmen  in  die  Wagschaale 
wai-fen,  war  nicht  daran  zu  denken,  einen  Gesetzentwurf 
durchzubringen,  der  über  den  jüngst  verworfenen  noch  weit  hin- 
ausgieng  und  ihren  Stand  als  solchen  gänzlich  auflieben  sollte. 
Es  kam  darauf  an,  sie  von  iiiren  Sitzen  zu  entfernen  oder  zu 
freiwilligem  Weichen  zu  bewegen.    Noch  war  man  nicht  dazu 


Auklage  der  Bischöfe.  —  Reise  des  Königs  nach  Schottland.     45 

geschritten,  die  Theilnehmer  der  letzten  geistlichen  Konvoka- 
tion,  deren  Beschlüsse  für  ungültig  erklärt  worden  waren,  zur 
Rechenschaft  zu  ziehn.  Dies  Mittel  schien  zur  Einschüchte- 
rung geeignet.  Am  4.  August  wurden  dreizehn  Bischöfe,  dar- 
unter auch  Hall,  vom  Unterhause  wegen  ihrer  Theilnahme 
an  jenen  Beschlüssen  vor  den  Lords  angeklagt,  und  ihr  Ver- 
hör sowie  weiteres  Verfahren  gegen  sie  gefordert. 

Indess  wurde  in  der  nächsten  Zeit  der  Fortschritt  der 
Reformbewegung  unterbrochen,  und  die  gefassten  Beschlüsse 
blieben  liegen.  König  Kai'l  entschloss  sich  plötzlich  zu  einer 
Reise  nach  Schottland,  mit  dem  man  sich  eben  erst  über  den 
endgültigen  Vertrag  verständigt  hatte.  Er  hatte  die  Absicht, 
die  dem  Misstrauen  des  Parlaments  nicht  entgieng,  die  Pa- 
trioten Schottlands  und  Englands  zu  trennen  und  dort  neue 
Kräfte  für  den  Widerstand  gegen  die  Allmacht  der  londoner 
Versammlung  zu  gewinnen  (10.  August).  Das  Parlament 
sandte  ihm  zur  Ueberwachung  eine  Kommission  nach,  in  der 
sich  Lord  Fiennes  und  Hampden  befanden,  unter  dem  offi- 
ciellen  Auftrag  für  die  Erfüllung  des  mit  den  Schotten  ge- 
schlossenen Vertrages  Fürsorge  zu  treffen.  Die  Versammlung 
selbst,  von  so  langer,  fieberhafter  Thätigkeit  ermüdet,  nahm 
die  drückende  Hitze  und  das  erneute  Wüthen  der  Pest  zum 
Anlass,  vom  9.  September  bis  zum  20.  Oktober  ihre  Sitzungen 
zu  unterbrechen.  Beide  Häuser  Hessen  Ausschüsse  zurück; 
der  des  Unterhauses  stand  unter  der  wachsamen  Leitung 
John  Pym's.  Er  trug  Sorge  dafür,  dass  einige  fast  in  letzter 
Stunde  gefasste  Beschlüsse  des  Unterhauses,  in  Betreff  der 
Wiederherstellung  der  alten  Kommunionstafeln,  der  Entfernung 
von  Krucitixen,  Marienbildern  und  katholischem  Kultusgeräthe, 
sowie  Einhaltung  des  sabbatharischen  Rigorismus  u.  s.  w., 
obgleich  man  die  Zustimmung  der  Lords  nicht  hatte  erhalten 
können,  dennoch  nach  Kräften  im  Lande  befolgt  würden. 


46  Theilaahme  der  Nation  au  der  kirchlichen  Frage. 

Zehn  Monate,  überreich  an  bedeutungsvoller  Tliätigkeit, 
waren  vorüber.  Die  Vertretung  des  Volkes,  nach  langer  Zeit 
der  Missachtung  zum  freien  Gebrauch  ihrer  Kräfte  gelangt, 
hatte  nicht  nur  die  zahlreichen  Ursachen  des  geistlich  -  welt- 
lichen Druckes,  unter  dem  man  geseufzt  hatte,  abgestellt,  son- 
dern sich  eine  so  gebietende  Stellung  und  so  ausgedehnte 
neue  Rechte  errungen,  wie  sie  bis  dahin  nicht  besessen  wor- 
den waren.  Das  Ansehen  der  Krone  verblasste  vor  dieser 
Macht,  die  mit  dem  Ungestüm  einer  gewaltigen  Naturkraft 
vorwärts  drängte.  Der  stolzeste  Diener  des  Monarchen  war 
ihr  zum  Opfer  gefallen ,  der  geistliche  Genosse  seiner  Pläne 
war  in  sicherer  Haft,  andere  waren  geflohen.  Und  schon  war 
es  deutlich  geworden,  dass  die  unwiderstehliche  Bewegung 
nicht  nur  auf  Sicherung  und  Erweiterung  der  politischen 
Rechte,  sondern  auch  auf  eine  gänzliche  Veränderung  der 
kirchlichen  Einrichtungen  abziele,  die  eine  unabsehbare  Rück- 
wirkung auf  das  gesammte  Dasein  des  Staates  im  Gefolge 
haben  musste. 

Im  englischen  Volke  waren  alle  parlamentarischen  Vor- 
gänge dieser  zehn  Monate  mit  wachsendem  Eifer  verfolgt  wor- 
den, kaum  ein  Gegenstand  erregte  indessen  eine  so  allgemeine 
Theilnahme  wie  die  grosse  Frage  der  Reform  der  Kirchen- 
verfassung. Die  Petitionen  für  und  wider,  auf  die  Frage  in 
ihrer  Allgemeinheit  ausgedehnt,  oder  auf  einzelne  Punkte  be- 
schränkt, hatten  sich  gedrängt.  Neben  Bürgern  und  Geist- 
lichen hatten  sich  auch  die  beiden  Universitäten  zu  Gunsten 
der  alten  Institute  hören  lassen  (12.  Mai  1641),  ohne  doch 
ihr  Verfahren  mit  Erfolg  gekrönt  zu  sehen (').  Da  die  Presse 
ihrer  Banden  ledig  war,  blieb  man  bei  Petitionen,  die  sich 
an's  Parlament  richteten,  nicht  stehen.  Eine  ganze  Literatur 
über  die  wichtigste  Tagesfrage  trat  an's  Licht.  Die  Behand- 
lung religiöser  Gegenstände  hatte  immer  für  das  lesende  eng- 
lische Publikum  einen  ausserordentlichen  Reiz,  hier  handelte 
es  sich  aber  in  der  That  um  Streitpunkte,  deren  Entschei- 
dung nicht  nur  für  die  Beruhigung  ängstlicher  Seelen  oder 
für  die  Lehre  wissenschaftlicher  Forschung  wichtig  war,  son- 
dern welche  sofort  im  Ringen  der  Parteien  praktische  Anwen- 


Hall's  „demüthige  Remonstranz".  47 

dung  finden  musste.  Alle  die  Fragen,  welche  bis  auf  unsere 
Tage  Theologen,  Historiker,  Juristen  zum  Wetteifer  angespornt 
haben,  jene  dunklen  Gebiete  aufzuhellen,  ohne  durch  eine  so 
vielseitige  Behandlung  an  Anziehungskraft  zu  verlieren,  wur- 
den damals  mit  geringeren  wissenschaftlichen  Hülfsmitteln, 
mit  weniger  Kritik,  aber  mit  einer  Leidenschaft  und  Lebhaf- 
tigkeit behandelt,  welche  die  nahe  Beziehung  auf  die  Wirk- 
lichkeit bemerken  Hess.  Wie  man  sich  die  Organisation  der 
ersten  christlichen  Gemeinden  zu  denken  habe,  inwieferne  die 
ihnen  eigenthümlichen  Aemter  auf  die  Apostel  und  durch 
-diese  auf  Christus  zurückzuführen  seien,  was  man  unter  den 
ursprünglichen  snio-/.onoi  und  jtQEaßvTEQOi  verstehen  müsse, 
welche  Veränderungen  dieses  Urzustandes  durch  die  nächst- 
folgenden Jahrhunderte  hervorgemfen  worden:  das  waren  die 
Gegenstände,  welche  weit  über  die  gelehrten  Kreise  hinaus 
mit  eben  dem  Eifer  besprochen  wurden , .  mit  dem  man  ehe- 
mals ein  neues  Stück  Beaumont's  und  Fletcher's  beurtheilt 
hatte,  oder  mit  dem  man  den  fabelhaften  Berichten  über  das 
fabelhafte  Goldland  im  fernen  Westen  gefolgt  war. 

Zunächst  war  der  streitbare  Bischof  Hall  mit  einer  Schrift: 
„Eine  demüthige  Remonstranz,  gerichtet  an  das  hohe  Parla- 
ment":  Ende  Januar  1641  hervorgetreten  (^).  Er  führte  sich 
zwar  auf  dem  Titel  nicht  mit  seinem  Namen  ein,  aber  jeder- 
mann konnte  aus  der  Uebereinstimmung  des  Verlags  und  der 
Eigenthümlichkeit  des  Stils  den  sicheren  Schluss  ziehen,  dass 
hinter  diesem  „getreuen  Sohne  der  Kirche"  der  gewandte  Ver- 
fechter des  „göttlichen  Rechtes  des  Bisthums"  sich  verberge. 
Hall  erhob  bittere  Klage  über  die  schmähsüchtigen  Angriffe 
der  „wüthenden  und  boshaften  Geister"  gegen  die  heilige 
Kirchenverfassung,  welche  von  den  Zeiten  der  Apostel,  ohne 
Unterbrechung  bis  auf  den  gegenwärtigen  Tag,  sich  herleite. 
Alsdann  suchte  er  das  Alter  und  den  Werth  vorgeschriebener 
fester  Formen  des  Gebets  zu  erweisen  und  damit  die  Gesetz- 
lichkeit der  anglikanischen  Liturgie  zu  stützen,  ohne  doch 
den  freien  Aufschwung  improvisirten  Gebetes,  wie  die  gläu- 
bigen Puritaner  es  liebten,  mit  Laud'scher  Pedanterie  aus  der 
Kirche  ausschliessen  zu  wollen.     Um  so  zäher  hielt  er  fest 


48  Hall's  „demüthige  Remonstranz". 

an  dem  Satze,  class  die  Bischöfe,  in  scharfem,  sachlichem  Un- 
terschiede von  den  Presbytern,  durch  die  Apostel  selbst  ein- 
gesetzt und  mit  der  ausschliesslichen  Macht  der  Weihe  und 
geistlichen  Gerichtsbarkeit  ausgestattet  seien.  Die  Art  und 
Weise,  wie  er  dem  Parlamente  schmeichelte,  einen  Ton  be- 
leidigter Unschuld  anschlug,  das  Dasein  mancher  Mängel  zu- 
gab, um  in  der  Hauptsache  einer  Reform  der  herrschenden 
Kirchenverfassung  entgegenzuarbeiten ,  machte  seine  Schrift 
doppelt  gefährlich. 

An  Bundesgenossen  konnte  es  Hall  nicht  fehlen.  Sie 
suchen  meistens  in  steifer,  scholastischer  Form  aus  biblischen 
Citaten  den  Beweis  zu  erbringen,  dass  Christus  bei  der  ersten 
Einrichtung  der  Kirche  eine  gewisse  Rangordnung  der  geist- 
lichen Beamten  festgesetzt,  die  durch  die  Apostel  weiter  ver- 
erbt, auch  in  England  zur  Gültigkeit  gelangt  sei  und  die 
Bischöfe  berechtige,  „durch  gesetzliche  Wahl  und  Ordination 
mittelst  Handauflegung"  taugliche  Geistliche  zu  bestellen  und 
vermöge  der  ihnen  innewohnenden  Schlüsselgewalt  geistliche 
Gerichtsbarkeit  auszuüben  (^). 

Aber  auch  die  Gegner  gebrauchten  ihre  Waffen.  Die 
verschiedenartigsten  Formen  des  literarischen  Angriffs  wurden 
versucht.  Neben  langathmigen  Abhandlungen ,  in  denen  die 
schweren  Geschosse  prunkender  Gelehrsamkeit  versendet  wur- 
den, drängten  sich  die  leichten  Plänklerhaufen  all egorisir ender 
oder  satyrischer  Pamphlete  vor,  in  denen  das  Prälatenthum 
mit  Hohn  übergössen,  seine  Laster  in  einer  Reihe  aufgezählt 
und  nicht  selten  den  Vorzügen  der  Presbyterial Verfassung 
gegenübergestellt  wurden  (-).  Wenn  das  eine  Mal  die  ganze 
puritanische  Leidenschaft  in  derber  englischer  Prosa  aus- 
strömte, so  schleuderte  ein  ander  Mal  der  „Rundkopf"  gegen 
Mitra  und  Bischofsgewand,  gegen  Kapitel  und  ihre  „papistischen 
Ceremonieen"  seine  grinnnigen  Verse (^).  Joseph  Hall  insbe- 
sondere hatte  sich  mehr  als  einen  Widersacher  heraufbeschwo- 
ren. Schon  jene  erste  Schi-ift  über  das  göttliche  Recht  des 
Bisthums  hatte  ihm  den  Vorwurf  eingetragen,  dass  er  noch 
Gel  in's  Feuer  giesse(^).  Gegen  seine  neueste  Leistung,  die 
..demüthige  Remonstranz,   gerichtet  an  das  hohe  Parlament", 


Der  Smectymnuus  gegen  Hall.  —  Yoimg.  49 

erhoben  sich  sofort  nicht  nur  Stimmen  aus  dem  schottischen 
Lager,  der  festen  Burg  des  Presby terianismus ,  sondern  aus 
den  Eeihen  der  reformlustigen  englischen  Geistlichkeit  selbf-t. 
Unter  sehr  langathmiger  Ueberschrift  trat  um  den  20.  März 
1641  „eine  Antwort  auf  ein  Buch,  betitelt  eine  demüthige 
Remonstranz",  an's  Licht,  und  der  Verfasser  dieser  hundert- 
undvier Seiten  langen  Antwort  kündigte  sich  unter  dem  ge- 
heimnisvollen Namen  „Smectymnuus"  an(^).  Smectymnuus 
klang  sehr  wunderbar  und  hatte  jedenfalls  den  Vorzug,  dass 
man  das  Buch  schon  um  seines  Titels  willen  nicht  so  leicht 
vergessen  konnte.  Noch  Marvell  erinnerte  1673  an  dies  ,. Ge- 
heimwort", Butler  im  Hudibras  spricht  spottend  von  der 
„kanonischen  Kravatte  von  Smeck",  in  einem  der  nach  der 
E,estauration  entstandeneu  satirischen  Gedichte  ruft  der  „ent- 
lassene Soldat"  bei  einem  wehmüthigen  Rückblick  auf  die 
Wandlungen,  die  er  durchgemacht  hat,  aus:  „Smectymnuus 
hat  mich  zuerst  gewonnen"  (2).  Mit  scharfem  Witze  hat  sich 
gleich  nach  dem  Erscheinen  des  Buches  John  Cleveland  in 
seinem  Gedichte  „Smectymnuas  oder  die  Klub  -  Geistlichen" 
über  den  „Kobold -Namen"  lustig  gemacht,  von  dem  er  nicht 
weiss,  ob  er  syrischen,  arabischen  oder  welschen  Ursprungs 
ist.  Seine  Anspielungen  auf  die  „fünf  Gesichter,  die  unter 
einer  Maske  stecken",  zeigen  indess,  dass  die  Entstehung  des 
Namens  und  des  Buches  keineswegs  ein  Geheimnis  war(^). 

In  der  That  war  es  eine  Genossenschaft  von  fünf  Män- 
nern, englischen  Geistlichen  der  radikalen  Richtung  des 
Puritanismus ,  die  sich  zu  dem  gemeinsamen  Werke  mit  ein- 
ander vereinigt  und  aus  den  Anfangsbuchstaben  ihrer  Vor- 
und  Zunamen  das  mystische  Wort  „Smectymnuus"  geschaffen 
hatten:  Stephen  Marshall,  Edmund  Calamy,  Thomas  Young, 
Matthew  Newcomen,  W  {=  U.  U.)  illiam  Spurstow.  —  Einer  aus 
dieser  Reihe  ist  für  uns  kein  Fremder.  Thomas  Young  war 
niemand  anders  als  der  Lehrer  John  Milton's,  der  Vikar  von 
Stowmarket,  der  mit  seinem  Schüler  durch  freundschaftliche 
Bande  eng  verknüpft  war  und  seine  alte  puritanische  Gesin- 
nung erst  wenig  Jahre  zuvor  durch  sein  Werk  über  den  Sab- 
bath  kundgegeben  hatte.     Auch  hatte  er  nach  dem  Zeugnisse 

Stern,    Milton   u.   s.   Zeit.      I.   2.  4 


50  Marshall.  —  Calamy. 

des  kundigen  Baillie  die  Hauptarbeit  zu  dem  Smectymnuus 
geliefert (^).  Indessen  auch  die  Genossen  seiner  Arbeit  ver- 
dienen einige  Worte.  Sie  haben  sämmtlich  in  der  stürmischen 
Zeit  der  englischen  Revolution  ihre  Rolle  gespielt  und  sich 
mit  den  Ansichten  und  Wegen  Milton's  häufig  gekreuzt. 

Stephen  Marshall,  der  Sohn  eines  armen  Handschuh- 
machers von  Godmanchester  in  der  Nähe  von  Huntingdon, 
hatte  eine  gelehrte  Bildung  im  Emanuel  -  College  zu  Cam- 
bridge erhalten  und  war  Vikar  von  Finchingfield  in  Essex 
geworden,  woselbst  er  sich  äusserlich  zu  konformiren  wusste, 
ohne  dem  Argwohn  der  kirchlichen  Behörden  zu  entgehen. 
Seit  1640  hatte  er  die  Stelle  eines  Lecturer  Jan  der  Kirche 
St.  Margaret,  Westminster,  inne.  Er  iwar  auch  nach  dem 
Zeugnis  seiner  Gegner  ein  äusserst  gewandter  Prediger,  volks- 
thümlich  in  Sprache  wie  Gedankenrichtung  und  von  grosser 
Wirkung,  wo  immer  er  Gelegenheit  fand,  sich  hören  zu  lassen. 
Seine  Ausdrucksweise  erscheint  mitunter  derb,  die  Form  seiner 
zahlreichen  Predigten  ist  vielfach  steif  und  schleppend  durch 
Wiederholungen ,  dennoch  wurde  er  im  Laufe  der  Revolution 
einer  der  ersten  der  parlamentarischen  Kanzelredner  und  zu 
den  wichtigsten  geistlich  -  politischen  Missionen  verwandt.  An 
jener  Kommission,  die  unter  Bischof  Williams  Vorsitz  die  Re- 
formen der  Landeskirche  berieth,  hatten  Marshall  und  Calamy 
so  gut  wie  ihr  literarischer  Gegner  Hall  Antheil  gehabt.  Am 
17.  November  1640  hatte  Marshall  an  dem  vom  Parlament  an- 
gesetzten Fasttag  mit  Dr.  Burges  vor  dem  Hause  der  Ge- 
meinen gepredigt,  und  seitdem  erscheint  sein  Name  bei  offi- 
ciellen  Gelegenheiten  der  Art  immer  wieder;  seine  Predigten 
wurden  alsbald  gedruckt  und  eine  Quelle  der  Erbauung  für 
fromme  Gemüther  (2).  Edmund  Calamy's  Name  hatte  unter 
den  feurigen  Puritanern  keinen  {schlechteren  Klang  als  der 
Stephen  Marshall's.  Calamy,  gleichfalls  in  Cambridge  gebildet, 
hatte  als  Pfarrer  von  St.  Edmunsbury  in  Suffolk,  in  Young's 
Nachbarschaft,  den  Befehlen  des  Laud'schen  Kirchenregiments 
zähen  Widerstand  entgegengesetzt  und  die  vorgeschriebenen 
Cei-omonieen,  wie  z.  B.  die  Verneigung  vor  dem  Altar,  stand- 
haft vermieden.    Er  verlor  daher  seine  Stelle,   erlangte  aber 


Newcomen.  —  Spurstow.  —  Inhalt  des  Smectymnuus.  51 

1639-40  einen  Predigtstuhl  in  der  Gemeinde  von  Alderman- 
bury  im  Herzen  von  London,  unweit  der  Aldersgate  -  Strasse, 
die  Milton  bezog.  Alsbald  wurde  er  einer  der  beliebtesten 
Kanzelredner  der  Stadt,  auch  das  Parlament  hat  bei  den  ver- 
schiedensten Anlässen  seine  Dienste  nicht  minder  in  Anspi-uch 
genommen,  wie  Marshall's,  was  durch  die  Protokolle  und  die 
vielfachen  Einträge  in  den  Registern  der  Buchhändler,  sowie 
die  zahlreichen,  uns  aufbehaltenen  Predigten  Calamy's  be- 
währt wird.  In  diesen  erscheint  er  nicht  selten  an  Talent 
und  Leidenschaft  Stephen  Marshall  selbst  überlegen.  Aechtes 
Pathos,  dichterische  Bil-der  sind  ihm  eigen,  mitunter  erhebt 
er  sich  zu  gi'ossartigem  Schwünge.  Der  witzige  und  loyale 
Butler  hat  nicht  vergessen,  in  der  Zeit  der  Restauration 
ihm  wie  Marshall  einen  literarischen  Fusstritt  zu  versetzen  {^). 
Ein  minder  bedeutendes  Kirchenlicht  war  Matthew  Newcomen, 
Pfarrer  in  Dedham  (Essex),  erst  in  späterer  Zeit  als  Mitglied 
der  Westminster- Synode  nach  London  geführt,  woselbst  er 
denn  auch  hie  und  da  als  parlamentarischer  Kaplan  Veirwen- 
dung  fand.  Von  dem  leichten  und  liebenswürdigen  Witz,  der 
dem  Menschen  Nowcomen  nachgerühmt  wird,  ist  in  dem  Pre- 
diger nichts  zu  finden,  wohl  aber  gesuchte  Gelehrsamkeit  und 
zelotische  Engherzigkeit,  von  der  wir  noch  Proben  bemerken 
werden (^).  William  Spurstow  endlich,  der  Fünfte  im  Bunde 
der  Smectymnianer ,  während  der  Studienjahre  Milton's  in 
Cambridge  Fellow  der  Catherine -Hall  daselbst,  war  Rector 
der  Pfarrei  von  Great  Hampden  in  Buckinghamshire,  in  enger 
Verbindung  mit  dem  grossen  Patrioten  John  Hampden,  der 
zu  seiner  Gemeinde  gehörte,  und  daher  selbstverständlich  zum 
thätigsten  Angriff  auf  das  bisehöfliche  System  angewiesen  (3), 
Das  waren  die  Männer,  welche  sich  zusammengethan 
hatten,  um  Bischof  Hall's  „demüthige  Remonstranz"  zu  ver- 
nichten. Man  muss  gestehn,  dass  sie  sich  ihrer  Aufgabe  mit 
gi'ossem  Eifer  angenommen  haben.  In  Nachahmung  ihres 
Gegners  wenden  sie  sich  gleichfalls  an  die  „Lords  und  Ge- 
meinen" und  begründen,  wamra  sie  eine  Schrift  beantworten, 
die  weder  als  „demüthig"  noch  als  'eine  „Remonstranz"  er- 
scheine, vielmehr  an  leidenschaftlichen  rhetorischen  Ausfällen 


52  Inhalt  des  Smectymnuus. 

reich  sei.  Sie  halten  den  Schein  der  Anonymität  ihres  Wider- 
sachers fest,  aber  sie  können  sich  doch  nicht  versagen,  die 
Worte  eines  gewissen  Dr.  Hall  anzuführen,  der  einst  ge- 
schrieben habe:  „Wenn  unsere  Ahnen  auferstehen  und  sehen 
würden,  wie  ihre  Töchter  in  Cheapside  mit  ihren  Fächern  und 
ßeifröcken  einhergehen,  sie  würden  nicht  wissen,  was  für  eine 
Art  von  Wesen  das  ist,  und  sagen:  Die  Natur  hat  sich  ver- 
gessen und  ein  Monstrum  hervorgebracht".  Genau  so  stehe 
es  mit  der  Liturgie,  die  einst  im  ehrwürdigsten  Gebrauch  ge- 
wesen, nun  zur  Litanei  geworden  sei,  der  papistischen  Form 
verwandt  und  daher  verhasst  und  gründlicher  Aenderung  be- 
nöthigt  Bei  weitem  ausführlicher  wird  die  Frage  über  Wesen 
und  Alter  des  Bisthums  behandelt.  Mit  dem  ganzen  Aufwand 
von  Gelehrsamkeit,  wie  er  ihnen  zu  Gebote  stand,  suchen  sie 
Hall's  Behauptungen  Schritt  für  Schritt  zu  widerlegen.  „Sind 
nicht  —  rufen  sie  aus  —  die  Kirchen  von  Frankreich,  Schott- 
land ,  der  Niederlande  würdig  des  Namens  christlicher  Ge- 
meinden, und  wer  weiss  nicht,  dass  bei  diesen  das  bischöfliche 
Regiment  nicht  nur  mündlichen,  sondern  thätlichen  Wider- 
spruch erfahren  hat?"  Mit  grosser  Entschiedenheit  wird  so- 
dann die  Behauptung  durchgeführt,  Presbyter  und  Bischof 
seien  anfangs  ganz  identische  Bezeichnungen  gewesen,  und  ein 
sachlicher  Unterschied  zwischen  beiden  habe  nicht  stattgefun- 
den. „Erst  allmählich  hat  das  Bisthum  alle  Ehre  und  Macht 
des  Presbyteriums  verschlungen,  wie  Pharaoh's  magere  Kühe 
die  fetten".  Die  Unterscheidung  zwischen  beiden,  die  Ent- 
wicklung eines  besonderen  Standes  der  Bischöfe,  war  nicht 
göttlichen,  sondern  rein  menschlichen  Ursprungs.  Jene  ur- 
sprünglichen Bischöfe  lassen  sich  aber  in  Anbetracht  ihrer 
Erwählung,  ihrer  Ordination,  ihrer  Amtsthätigkeit,  ihrer  Juris- 
diktion u.  s.  w.  gar  nicht  mit  den  Bischöfen  der  englischen 
Kirche  vergleichen.  Der  Unterschied  zwischen  jenen  alten 
Bischöfen  und  den  anglikanischen  ist  grösser  als  der  zwischen 
diesen  und  dem  „Gross -Bischof  von  Rom".  Demnächst  wird 
der  Versuch  gemacht  nachzuweisen,  dass  in  den  ersten  Ge- 
nicMiiden  noch  ein  gesondertes  Institut  „regierender  Aeltester" 
bestanden  habe,  über  den  Diakonen,  an  der  Leitung  der  kirch- 


♦  Inhalt  des  Smectymnuus.  53 

liehen  Angelegenheiten  zugleich  mit  den  lehrenden  Aeltesten 
betheiligt,  wodurch  sich  dann  der  Uebergang  zu  dem  Ideal  der 
schottischen  Kirchenverfassung  leicht  bewerkstelligen  Hess. 

Unterlassen  wir  eine  Kritik  dieser  Ansichten  über  die  Ge- 
stalt der  Urkirche,  die  ohne  bestimmte  chronologische  Angaben 
vorgetragen  werden,  bemerken  wir  nur,  wie  sehr  die  Verfasser 
des  Smectymnuus  bemüht  sind,  das  englische  Prälatenthum 
und  ihren  Gegner  mit  dem  populären  Makel  papistischer 
Sympathieen  zu  behaften.  Beruft  sich  Hall  auf  das  hohe 
Alter  des  Bisthums,  so  erwidern  sie:  „Mit  diesem  Grunde 
klammert  sich  der  Pabst'  so  fest  an  seinen  Stuhl  in  Rom  wie 
unsere  Bischöfe  an  die  ihrigen"  (S.  19),  neimt  er  sich  einen 
„getreuen  Sohn  der  Kirche",  so  wittern  sie  hinter  diesem 
Worte  nichts  Gutes:  „Diese  Episkopalisten  machen  es  wie 
die  Papisten,  blenden  die  Augen  des  armen  Volkes  mit  dem 
herrlichen  Namen  der  Kirche ,  der  heiligen  Mutter  Kirche, 
Sie  reden  immer  nur  von  dieser,  nie  von  der  Schrift  oder 
von  Gott  dem  Vater"  (S.  89).  Wie  die  Katholiken  die  ganze 
Bedeutung  der  Kirche  in  den  Pabst  legen,  so  die  Episkopa- 
listen in  die  Konvokation  der  Bischöfe  und  ihrer  Genossen- 
schaft „mit  Ausschluss  des  christliclien  Volkes  und  der  Pres- 
byter des  Reiches".  Nach  dieser  Betonung  der  Nothwendig- 
keit  einer  demokratischen  Kirchenverfassung  wird  auch  die 
Frage  aufgeworfen,  ob  der  Satz:  Kein  Bischof,  kein  König, 
und  keine  Ceremonieeu,  kein  Bischof:  nicht  der  königlichen 
Autorität  sehr  nachtheilig  sei,  und  damit  der  wundeste  Fleck 
des  krankhaften  Zustandes  berührt.  —  Ein  kurzes,  pathetisches 
Gebet  zu  Gott,  auf  das  Parlament  den  Geist  der  Weisheit 
ausgiessen  zu  wollen,  bildet  den  Abschluss  der  eigentlichen 
Streitschrift.  Aber  noch  eine  Nachschrift  ist  ihr  angefügt, 
ein  historischer  Nachweis,  wie  bittere  Früchte  von  Hochmuth» 
Aufruhr,  Verrath  das  Bisthum  seit  der  Errichtung  des  Sitzes 
von  Canterbury  in  England  getragen  habe.  Die  Liste  der 
Erzbischöfe  von  Canterbury  wird  gemustert,  und  wenn  der 
Haupttheil  der  Schiift  mit  Citaten  aus  der  Bibel  und  den 
Kirchenvätern  pi-unkte,   so  sind  hier  zahlreiche  Verweise  auf 


54  Inhalt  des  Smectymnuus. 

bekannte  Geschichtschreiber   wie  Baeda,   Holinshed,    Stowe, 
Speed  und  die .  Reichsgesetze  eingestreut. 

Auf  diese  Weise,  gestützt  auf  geschichtliche  Erfahi-ung 
wie  auf  die  kirchenrechtliche  Ansicht,  die  sie  sich  über  den 
primitiven  Zustand  der  christlichen  Gemeinden  gebildet  hatten, 
leidenschaftlich  und  gelehrt,  suchten  die  fünf  puritanischen 
Geistlichen  das  ihnen  verhasste  Idol  der  bischöflichen  Ver- 
fassung mit  vereinten  Kräften  zu  zertrümmern.  Noch  war 
der  Eindi-uck',  den  ihr  Auftreten  hervorgebracht  hatte,  nicht 
verwischt,  als  ein  Grösserer  auf  dem  Kampfplatz  erschien, 
um  seine  mächtige  Stimme  für  die  gründliche  Reform  der 
heimischen  Kirchenverfassung  zu  erheben. 


Zweites  Kapitel. 
Im  Kampfe  für  die  Reform  der  Kirche, 


Milton  hatte  den  Lauf  der  öffentlichen  Angelegenheiten 
denen  überlassen  wollen,  „welche  das  Volk  mit  dieser  Auf- 
gabe betraut  hatte".  Er  lebte  in  seinem  stillen  Gartenhause 
in  Aldersgate  -  Street  seinen  Studien  und  der  Erziehung  seiner 
Neffen.  Seine  Phantasie  schuf  sich  eine  Welt  von  poetischen 
Träumen,  die  nach  fester  Gestaltung  rangen.  Mitten  in  dieses 
dichterische  Still -Leben  fielen  Schlag  auf  Schlag  die  grossen 
Ereignisse  des  Tages.  War  jedes  von  ihnen  geeignet,  ihn 
aus  seiner  Ruhe  aufzurütteln,  so  konnte  vor  allem  die  Frage 
der  Reform  der  Kirchenverfassung,  die  Aufregung,  die  sich 
ihretwegen  Londons  bemächtigte,  die  Sturmfluth  der  Petitionen 
und  Streitschriften,  die  sie  hervorrief,  ihn  nicht  in  der  Rolle 
des  gleichgültigen  Zuschauers  verharren  lassen.  Er  war  Eu- 
ritaner  nach  Erziehung  und  Neigung,  er  hatte  während  der 
Lehrjahre  Gelegenheit  genug  gehabt,  jene  bischöfliche  Kirche 
hassen  zu  lernen,  welche  die  Willkür  der  Staatsmacht  ver- 
theidigte,  um  diese  als  Büttel  für  eigene  Gewaltthaten  zu  ge- 
brauchen, er  hatte  sich  zum  Dienste  dieser  Kirche  nicht  ent- 
schliessen  können,  weil  er  nicht  zu  heucheln  verstand.  Drei 
Jahre  vorher  war  mitten  in  seiner  Klage  um  den  ertrankenen 
Freund,  Edward  King,  der  lange  verhaltene  Ingrimm  gegen  die 
„schlechten  Hirten",  das  sich  mästende  Hochkirchen thum,  zum 


56        Milton's  Theiluabnie  au  der  Frage  der  Kircheuverfassung. 

Durchbruch  gekommen,  er  hatte  von  einer  „zweihändigen 
jNIaschiue"  gesprochen,  die  schon  voi-  der  Thüre  bereit  stehe, 
um  ein  ]\Ial  zum  vernichtenden  Schlage  auszuholen  und  nicht 
wieder.  Hatte  ihm  unter  diesem  Bilde  das  englische  Parla- 
ment mit  seinen  beiden  Häusern  vorgeschwebt,  so  sah  sich 
seine  Ahnung  nicht  betrogen.  Es  Hess  sich  alles  dazu  an, 
seine  Prophezeiung  wahr  zu  machen,  und  er  selbst  musste,  von 
solchen  Gefülileu  gegen  die  Kirchenverfassung  erfüllt,  zu  den 
Radikalsten  unter  den  Radikalen  gehören.  So  war  die  Sache 
der  Smectynniianer  gegen  Bischof  Hall  auch  die  seine,  ihre 
Schrift  musste  ihm  um  so  wichtiger  sein,  da  sein  alter  Lehrer, 
Thomas  Young,  den  Grundstock  für  sie  geliefert  hatte.  "Wir 
dürfen  annehmen ,  dass  er,  in  das  Geheimnis  der  Autorschaft 
eingeweiht,  durch  Young's  Vermittlung  mit  denjenigen  seiner 
Genossen  bekannt  geworden  war,  die  sich  damals  in  London 
aufhielten,  am  ehesten  mit  dem  feurigen  Prediger  von  Alder- 
manbury,  Edmund  Calamy,  dessen  Pfarrei  von  seiner  Woh- 
nung nicht  weit  entfernt  war,  William  Spurstow  war  gleich- 
zeitig mit  ihm  als  Fellow  in  Cambridge  gewesen,  Cleveland, 
der  den  Kamen  Smectymnuus  nicht  genug  verspotten  konnte, 
hatte  mit  ihm  z  gleich  dem  Christ- College  angehört.  All- 
gemeine und  persönliche  Interessen  wurden  durch  die  An- 
gelegenheit berührt. 

Da  riss  es  den  Dichter  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  aus 
seinem  friedlichen  Gedankenkreise  hinein  in  den  Kampf  der 
Parteien.  „Ich  sah  —  so  berichtet  er  selbst  —  dass  mit  die- 
sen ersten  Anfängen  ein  Weg  zur  Erlangung  wahrer  Freiheit 
sieh  eröffne,  dass  das  gesammte  bürgerliche  Leben  von  den 
Fesseln  der  Sklaverei  befreit  werden  würde,  wenn  man  mit 
einer  Reform  der  Kirchenverfassung  beginne ;  und  da  ich  mir 
von  Jugend  auf  über  das  Verhältnis  von  Kirche  und  Staat 
bestimmte  Begriffe  gebildet  hatte,  so  gelangte  ich  zu  der 
Ueberzeugung ,  dass  ich  mich,  um  nicht  auf  eine  nützliche 
Verwendung  meiner  Kräfte  zu  verzichten,  dem  Vaterlande, 
der  Kirche  und  so  vielen  Bmdern  bei  ihrem  nmthigen  Kampfe 
für  die  Sache  des  Evangeliums  nicht  entziehen  dürfe.  Ich 
entschloss  mich  daher,  wiewohl  meine  Seele  damals  von  ganz 


Miltoa's  Schrift  „über  die  Eeformation".  57 

anderen  Gegenständen  erfüllt  war,  alle  Kraft  meines  Talentes 
und  meines  Fleisses  jener  Sache  zu  widmen"  (^). 

Es  war  nicht  thörichte  Eitelkeit,  sondern  der  unbesieg- 
bare Drang  eines  für  Wahrheit  und  Freiheit  schlagenden 
Herzens,  was  den  ernsten  Denker  aus  seiner  Einsamkeit  her- 
vortreten liess  und  ihn  die  besten  Jahre  seines  Mannesalters 
auf  dem  lärmenden  Kampfplatz  fesselte.  —  Die  Wogen  der  strei- 
tenden Ansichten  giengen  hoch,  als  Milton,  etwa  Ende  Mai 
oder  Anfang  Juni  1641 ,  die  erste  seiner  flammenden  Flug- 
schriften über  die  Frage  der  Kirchenverfassung  auf  den  litera- 
rischen Markt  warf(2).  Der  Buchhändler  Thomas  ünderhill, 
bei  dem  sie  erschien,  war  als  Verleger  von  Pamphleten  der 
radikalen  puritanischen  Partei  wohl  bekannt.  Es  ist  bemer- 
kenswerth,  dass  unter  seiner  Firma  gleichfalls  im  Jahre  1641 
eine  kircheupolitische  Streitschrift  herauskam,  die  nicht  nur 
in  ihrer  ganzen  Tendenz,  sondern  auch  in  ihrer  äusseren  Form 
die  grösste  Aehnlichkeit  mit  Milton's  Broschüre  hat,  ohne 
dass  es  mir  möglich  wäre,  genauer  anzugeben,  welche  der 
beiden  Schriften  zuerst  erschienen  war  (2).  Beide  haben  die 
Form  eines  an  einen  Freund  gerichteten  Briefes,  und  wenn 
sie  für  Milton  nicht  eine  ganz  willkürlich  gewählte  Fiktion 
war,  so  mag  man  immerhin  die  Vermuthung  aufstellen,  dass 
Thomas  Young  dieser  „Freund'-  sein  sollte,  der  seinen  ge- 
lehrten, in  die  Entstehungsgeschichte  des  Smectymnuus  ohne 
Zweifel  eingeweihten  Schüler  vielleicht  aufgefordert  hatte, 
seine  eigene  Meinung  über  die  grosse  kirchlich  -  politische 
Frage  auszusprechen. 

Milton's  Schrift  trägt  den  Titel:  „Ueber  die  Reformation 
in  Betreff  der  Kirchenverfassung  in  England  und  die  Ur- 
sachen, die  sie  bis  jetzt  gehindert  haben,  in  zwei  Büchern, 
geschrieben  an  einen  Freund"  (^).  Mit  dieser  Fassung  des 
Themas  trifft  Milton  sofort  den  Kern  der  Frage.  Er  will 
darlegen,  warum  die  Reformation  in  England  nur  eine  Halb- 
heil geblieben  sei.  Man  bemerke:  nicht  vom  Dogma  ist  die 
Rede;  in  der  ganzen  Schrift  vermöchte  die  orthodoxe  Spür- 
kraft nichts  von  den  dogmatischen  Abweichungen  zu  finden, 
die  man   dem  Milton  der  späteren   Jahre  zum   Vorwurf  ge- 


58  Milton's  Schrift  „über  die  Reformation". 

macht  hat ;  hier  ruft  er  die  dreieinige  Gottheit  an  und  erklärt 
den  Arianismus  an  mehr  als  einer  Stelle  für  ketzerisch.  Seine 
Feder  hat  es  nur  mit  der  „Disciplin",  mit  der  Verfassung,  der 
Kirche  zu  thun,  um  welche  vor  allen  Dingen  der  Kampf  der 
Parteien  sich  drehte.  —  Nach  einer  wortreichen,  etwas  hoch- 
trabenden Einleitung ,  in  welcher  die  Verderbnis  der  mittel- 
alterlichen Kirche  mit  glühenden  Farben  geschildert  wird, 
kommt  er  auf  die  strahlende,  heilvolle  Reformation  zu  sprechen, 
die  jene  finstere  Nacht  durchbrach.  Und  mit  dem  ganzen 
Stolze  des  Engländers  betont  er  in  einiger  Uebertreibung, 
dass  an  „Wiclif's  Predigt  alle  folgenden  Reformatoren  ihre 
Fackeln  angezündet  haben",  um  gleichzeitig  die  Frage  auf- 
zuwerfen, wie  es  gekommen,  dass  England  dennoch  so  weit 
hinter  den  reformirten  Kirchen  des  Auslandes  zurückge- 
blieben, ja  mit  seinem  Festhalten  am  Begriff  der  bischöf- 
lichen Weihe^und  an  den  halb  römischen  „sinnlosen  Ceremo- 
nieen"  wie  durch  ein  Schisma  von  ihnen  getrennt  sei.  Ein 
Ueberblick  über  die  Geschichte  der  englischen  Reformation 
von  Heinrich  VIII.  bis  Elisabeth  giebt  die  Antwort.  Was 
Heinrich  VIII.  betrifft,  so  hat  er  mit  Rom  gebrochen  nicht 
sowohl  aus  innerem  reformatorischen  Drange,  als  aus  dem 
Bestreben  nach  dem  Besitz  des  Supremats.  Seine  Bischöfe 
hatten  dem  Pabst  zwar  den  Gehorsam  gekündigt,  aber  die 
unduldsamen  Grundsätze  des  Pabstthums  behalten,  wie  die 
blutigen  sechs  Artikel  beweisen.  Auch  unter  Edward  VI. 
wurde  in  Folge  äusserer  und  innerer  Unruhen  die  Reforma- 
tion keine  vollständige,  und  die  Bischöfe  benahmen  sich  wie 
vordem  als  gefügige  Werkzeuge  der  wechselnden  Politik. 
Und  von  solcher  Leidenschaft  zeigt  sich  der  Autor  gegen  die 
Träger  der  damaligen  bischöflichen  Gewalt  erfüllt,  dass  er  e& 
wagt,  selbst  den  theuersten  Ueberzeugungen  der  Masse  in's 
Gesicht  zu  schlagen.  Ridley,  Latimer,  Cranmer,  alle  die, 
welche  unter  der  Schreckensherrschaft  der  blutigen  Maria 
ihren  protestantischen  Glauben  mit  dem  qualvollsten  Tode 
besiegelt  hatten,  wurden  als  Märtyrer  verehrt,  ihre  angebe- 
teten Namen  boten  der  ganzen  Institution  des  Bisthums  einen 
glänzenden   Schild.     Aber  Milton   wai-  nicht   der  Mann,   sich 


Gegen  die  „Alterthümler".  59 

vor  Autoritäten  zu  beugen.  Wer  für  einen  Theil  erkannter 
Wahrheit  in  den  Feuertod  geht,  ist  deshalb  nach  seiner  Mei- 
nung noch  nicht  in  allem  und  jedem  unfehlbar.  Nicht  das 
Bisthum  hat  jenen  Männern  die  himmlische  Kraft  des  Mär- 
tyverthums  gegeben,  so  wenig  wie  durch  dieses  das  Bisthum 
verth eidigt  werden  kann;  vielmehr  hat  diese  Würde  selbst 
jene  gTit  angelegten  Naturen  zu  vielen  schlechten  Handlungen 
verführt.  —  Wenn  auch  unter  Elisabeth  die  Reform  nicht  völlig 
durchgeführt,  sondern  das  Bisthum  beibehalten  wurde,  so  er- 
klärt sich  das  aus  der  Lage  der  Königin,  die  ihr  gebot,  nach 
so  heftigen  Erschütterungen,  zwischen  so  feindlichen  Parteien 
einen  Kompromiss  zu  schliessen.  Milton  erkennt  diese  Motive 
in  richtiger  Würdigung  an,  indem  er  Camden's  Darstellung 
folgt,  ohne  sich  sklavisch  an  sie  zu  halten,  aber  er  bedauert 
die  Thatsache  aufs  höchste  und  nimmt  für  die  Puritaner 
Partei,  deren  Verfolgungen  er  andeutet. 

Damit  ist  er  an  die  Schwelle  seiner  eigenen  Zeit  gelangt 
und  versucht  es,  die  Gegner  einer  durchgreifenden  Reforma- 
tion, welche  dieser  letzten  Epoche  angehören,  deutlicher  zu 
unterscheiden.  Er  theilt  sie  in  drei  Klassen:  die  Alterthümler, 
die  Weitlinge  und  die  Politiker.  —  Den  Alterthümleru  folgt 
er  zunächst  auf  ihren  Fechtboden,  die  Bei-ufung  auf  Kirchen^ 
väter  und  Koncilsakten,  so  geringschätzig  er  auch  sonst  über 
die  „ungefügen  Volumina  der  Tradition"  sich  ausspricht.  Ge- 
stützt auf  umfassende  kirchengeschichtliche  Kenntnisse  sucht 
er  zu  beweisen,  dass  selbst  mit  diesen  Zeugnissen  das  angli- 
kanische Bisthum  nicht  vertheidigt  werden  könne,  das  Bisthum 
der  ersten  Jahrhunderte  vielmehr  einen  ganz  anderen  Cha- 
rakter gehabt  habe.  Man  kann  nicht  sagen,  dass  er  die  ein- 
zelnen Perioden  der  Entwicklung  auseinander  zu  halten  ver- 
sucht habe.  Es  ist  schlechtweg  von  „jenen  alten  Zeiten"  die 
Rede,  ohne  irgend  welche  Rücksicht  auf  die  historische  Aus- 
bildung der  einzelnen  Institute.  Ganz  allgemein  wird  be- 
hauptet, dass  das  Bisthum  in  jenen  als  „reiner"  gerühmten 
Zeiten  ein  Gemeindeamt  gewesen,  aus  freier  Wahl  hervorge- 
gangen, seine  Träger  an  den  Beirath  der  Aeltesten  gebun- 
den, durch   keinen   höheren  Rang  über  sie  erhaben.    Milton 


60  Gegen  die  „Alteithümler". 

zieht  zur  Erhärtung  dieser  Sätze  ein  Citat  aus  den  vielbestrit- 
tenen ignatianischen  Briefen  heran,  deren  Aechtheit  oder  Un- 
verfälschtheit anzufechten  er  an  dieser  Stelle  sich  hütet, 
er  beruft  sich  auf  bekannte  Aussprüche  Cyprian's,  die  er  in 
seinem  Sinn  zu  verwenden  weiss,  auf  das  Koncil  von  Nicäa 
u.  s.  w.  und  lässt  sich  dazu  verleiten,  kühne  Schlüsse  aus  der 
Geschichte  der  griechischen  Kirche  zu  ziehen.  Nach  diesen 
Auseinandersetzungen  ruft  er  mit  sichtlichem  Hohn  den  „Alter- 
thümlern"  zu,  wenn  sie  das  anglikanische  Bisthum  nach  dem 
„primitiven"  liilden  wollen,  so  müsse  der  Bischof  auch  gewählt 
werden  durch  die  Gemeinde,  Diöcesan- Gerichtsbarkeit,  Reve- 
nuen, Lords -Titel  müssen  fallen.  „Dem  Bischof  darf  nichts 
bleiben  als  brüderliche  Gleichheit,  äusserste  Massigkeit,  häu- 
figes Fasten,  eifriges  Beten  und  Predigen,  beständiges  Wachen 
und  Arbeiten  in  seinem  Amt".  Und  als  wären  diese  Anspie- 
lungen auf  alles  das,  was  das  damalige  englische  Bisthum 
grossen  Theils  vermissen  liess,  nicht  genug,  fügt  er  noch  hinzu, 
was  das  für  ein  Leckerbissen  für  den  durch  Sekt  und  Schwan- 
braten verwöhnten  Prälatengauraen  sei,  das  möge  der  alte 
Bischof  Montaigne  bezeugen,  ein  Mann,  der  allen  Lesern  von 
Miltons  Schrift  als  ein  Hauptwerkzeug  der  ihochkirchlichen 
Bestrebungen,  aber  auch  als  ein  Hauptsehlemmer  bekannt 
sein  musste('). 

Bis  hierher  hat  sich  Milton  absichtlich  gegenüber  den 
„Alterthümlern"  in  eine  ungünstige  Stellung  gesetzt,  indem 
er  ihre  Autoritäten  ohne  Kritik  gelten  liess.  Nun  aber  greift 
er  diese  selbst  an.  Zugegeben,  jene  ersten  Jahrhunderte 
könnten  zur  Vertheidigung  der  bestehenden  bischöflichen  Ver- 
fassung angerufen  werden,  so  folgt  daraus  nichts.  Denn  in 
jenen  „besten  Zeiten"  wurde  die  Reinheit  des  Christenthums 
schon  befleckt  und  verderbt,  die  besten  Männer  jener  Zeiten 
wurden  von  dem  Verderbnis  angesteckt,  ihre  besten  Schriften 
endlich  bedenklich  verfälscht.  Wiederum  wird  eine  stattliche 
Reihe  von  Zeugen  aufgerufen:  Clemens',  Ignatius,  Justin  der 
Märtyrci-,  Ircnäus,  TertuUian,  Origenes,  Eusebius,  Hegesippus 
u.  s.  w. :  sowohl  um  zu  l)eweisen,  wie  wenig  ideal  der  Zustand 
der  Kirche  in  den  ersten  Jahrhunderten  gewesen,   als  auch, 


Gegen  die  „Alterthümler".  Q\ 

(lass  die  Werke  der  Kirchenväter  voll  von  Irrthümern  und 
Missverständnissen  der  Schrift  seien,  dazu  noch  verfälscht 
durch  willkürliche  Auslassungen  und  Einschiebsel  späterer 
Zeit.  Mit  besonderer  Schärfe  wird  das  Zeitalter  Konstantin's 
besprochen.  Dieses  erschien  den  Gegnern  als  mustergültig, 
da  zwischen  Staat  und  Kirche  jene  Einheit  herrschte,  wie  sie 
Laud  und  seine  Anhänger  erstrebten.  Aber  Milton  sieht  die 
Regierung  des  mächtigen  Kaisers  ganz  und  gar  nicht  mit 
ihren  Augen  an.  Er  findet  nichts  Gutes  an  ihm,  zählt  mit 
Behagen  seine  Verbrechen  auf,  macht  sich  lustig  über  die 
ihm  zugeschriebene  Reliquienverehrung  und  weist  auf  die 
schädlichen  Folgen  hin,  welche  der  inneren  Entwicklung  der 
Kirche  daraus  erwuchsen ,  dass  sie  zur  Reichskirche  ward. 
Auf  die  Fabel  von  Konstantin's  Schenkung  kommt  er  erst  an 
anderer  Stelle  (S.  39)  zu  sprechen (i).  Die  Verspätung  seiner 
Taufe  und  die  zeitweilige  „Begünstigung  der  Arianer"  rechnet 
er  ihm  schon  hier,  ohne  den  zweiten  Punkt  kritisch  zu  be- 
leuchten, zum  Fehler  an.  Während  er  selbst  sich  in  bilder- 
reichem Pathos  erschöpft,  ruft  er  sich  mächtige  Bundesgenossen 
zu  Hülfe.  In  geschickter  Weise  übersetzt  er  die  auf  Kon- 
stantin bezüglichen  Stellen  aus  einem  Sonett  Petrarca's  und 
dem  vierunddreissigsten  Gesang  des  Orlando  furioso,  während 
er  Dante's  berühmte  Verse  dem  neunzehnten  Gesang  der 
„Hölle"  entnimmt: 

Welch  Unheil  hat  gezeugt,  o  Constantin, 
Dein  Uebeitritt  nicht,  deine  Schenkungsgabe, 
Die  du  dem  ersten  reichen  Fabst  veriiehn  (^). 

Je  bitterer  sich  Milton  über  jene  vielgepriesenen  ersten 
Jahrhunderte  auslässt,  je  weniger  er  die  von  der  Gegenpartei 
angerufenen  Kirchenväter  als  Autorität  will  gelten  lassen,  desto 
entschiedener  weist  er  auf  die  Bibel,  als  einzige  Richtschnur, 
hin.  Cypiian,  Lactantius,  Athanasius,  Augustin  u.  s.  w.  müssen 
selbst  nach  ihren  eigenen  Worten  zur  Unterstützung  dieses 
Gesichtspunktes  dienen.  Allerdings  enthält  die  Bibel  dunkle 
Stellen,  aber  „was  man  am  nöthigsten  wissen  muss,  ist  auch 
am  leichtesten  zu  verstehn,  .  .  das  Wesen  der  Wahrheit  ist 
Deutlichkeit   und    Helle,   .   .   und    Gottes   Weisheit   hat   die 


62  Gegen  die  „Weitlinge"  und  „Politiker". 

Vernunft  tauglich  und  passend  für  ihren  Gegenstand,  die 
Wahrheit,  geschaffen,  wie  das  Auge  für  die  äussere  Welt". 
Die  beständige  Berufung  der  „Alterthümler"  auf  Koncilien- 
beschlüsse  und  Sentenzen  der  Kirchenväter,  oft  nur  ein  Prun- 
ken mit  Büchertiteln,  ist  daher  ganz  unnöthig,  und  es  er- 
scheint fast  als  ein  Wink  für  die  Verfasser  des  Smectymnuus, 
wenn  Milton  sagt,  die  Prediger,  welche  für  die  Reform  der 
Kirche  schreiben,  mögen  die  Methode  ihrer  Gegner  m<^ht  be- 
folgen, sich  auf  ihre  patristischen  Ausflüchte  nicht  einlassen, 
sondern  ihnen  nur  die  Bibel,  „wie  einen  diamantenen  Spiegel 
entgegenhalten,  bis  ihre  trüben  Augen  von  ihrem  Glänze  ge- 
blendet werden".  — 

Viel  kürzer  als  die  „Alterthümler"  werden  die  „Weit- 
linge" abgefertigt,  die  zweite  Klasse  von  Gegnern  der  Reform, 
die  Leute,  denen  es  überhaupt  nicht  auf  sittliche  Zucht 
ankommt,  sondern  nur  auf  sinnliclie  Lust  und  äusserliche 
Formen,  deren  Ideal  der  lustige  Bruder  ist,  von  dem  Chaucer 
singt : 

Er  hörte  freundlieli  stets  die  Beichte  an 
Und  absolvirte  höchst  gefällig  dann, 
Und  wo  er  gute  Spenden  nur  empfieng, 
Da  war  auch  seine  Pönitenz  gering  (*).  — 

Noch  eine  Klasse  von  Gegnern  bleibt  übrig,  die  „Politiker". 
Ihnen  ist  das  ganze  zweite  Buch  der  Milton'schen  Schrift  ge- 
widmet. Ehe  dieser  Gegenstand  selbst  in  Angriff  genommen 
wird,  stellt  eine  grossartige  Einleitung  die  wahren  Grundsätze 
der  Staatskunst,  wie  sie  unter  den  Alten  namentlich  Aristo- 
teles ausgesprochen,  aber  auch  die  Bibel  bestätigt  habe,  in 
scharfen  Gegensatz  zu  den  Theorieen  der  modernen  Staats- 
künstler, die  sich  auf  die  Sätze  Loyola's  und  Malvezzi's  stützen. 
Während  dort  unter  guter  Regierung  verstanden  wird,  ein 
Volk  zu  bilden  in  Weisheit,  Tugend  und  „Gottähnlichkeit", 
ist  das  Ideal  des  „modernen  Politikers",  ein  Volk  für  die 
Despotie  mürl)e  zu  machen,  Raub  (ungesetzliche  Besteuerung) 
unter  dem  Titel  des  öftentlichen  Wohles  zu  rechtfertigen. 
Recht  und  Gesetz  zu  beugen  und  den  Nationalgeist  durch 
Sinnenkitzel  und  Verdummung  zu  brechen.     So  widersetzen 


Gegen  die  „Politiker".  63 

sich  denn  die  „Politiker"  der  Reform  aus  Gründen  der  „Staats- 
Raison"  (reason  of  State).  Sie  behaupten,  die  Verfassung  der 
Kirche  müsse  der  Staatsverfassung  konform  sein,  und  für  eine 
Monarchie  passe  nur  die  bischöfliche.  Beide  Behauptungen 
sollen  widerlegt  werden.  Gegen  die  erste  wendet  sich  nament- 
lich der  Hinweis  auf  die  jüdische  Theokratie,  die  sich  unter 
allen  Regierungsformen  gleich  geblieben  sei ,  sodann  die  Be- 
merkung, das  Amt  des  Geistlichen,  Lehren,  Ermahnen,  Tadeln, 
Bannen  und  vom  Banne  Lösen,  greife  nicht  im  mindesten  in 
die  Staatsverwaltung  ein,  und  es  sei  daher  völlig  grundlos, 
die  „nach  aller  UebereinStimmung  durch  göttliche  Vorschrift 
bestimmte  Verfassung  der  Kirche"  wie  eine  „Magd  politischen 
Rücksichten  aufwarten  zu  lassen". 

Gegen  die  zweite  Behauptung  richtet  sich  ein  streng 
historischer  Beweis,  um  darzuthun,  dass  das  monarchische 
Princip  seit  alter  Zeit  in  den  Bischöfen  keine  Stütze,  sondern 
vielmehr  sehr  gefährliche  Feinde  gehabt  habe.  Mit  Berufung 
auf  ZeugeQ  der  Literatur,  unter  denen  wieder  Petrarca  und 
Chaucer  vorkommen,  schildert  Milton  die  Ueberhebung  cfer 
Bischöfe  nach  Konstantin's  Zeit  im  byzantinischen  Reich,  das 
Emporkommen  des  Bischofs  von  Rom ,  seine  Ansprüche  auf 
alle  Königreiche  nach  der  ausgebildeten  Papaltheorie,  um  mit 
besonderer  Ausführlichkeit  und  nicht  ohne  Tendenz  in  der 
"Wiedergabe  der  Thatsachen  bei  einer  Darstellung  des  Unheils 
zu  verweilen,  welches  so  mancher  Bischof  der  englischen  Mo- 
narchie zugefügt  habe.  Es  ist  eine  ähnliche  Methode  histo- 
rischer Beweisführung,  wie  die  Verfasser  des  Smectymnuus 
sie  angewandt  hatten,  nur  nicht  in  ihrer  steifen  und  kunst- 
losen Art  der  Aufzählung.  Mit  Anführung  eines  Ausspruches 
von  Paolo  Sai-pi  geht  Milton  sodann  zu  einer  besonderen  Be- 
leuchtung des  gegnerischen  Lieblingssatzes  über:  „Kein  Bischof, 
kein  König".  Er  zerzaust  ih;i  mit  allen  Mitteln  der  Ironie, 
der  Beredtsamkeit  und  Erbitterung.  Der  ganze  Ingrimm  des 
Puritaners  über  die  Leiden,  welche  die  kirchliche  Despotie 
dem  englischen  Reiche  zugefügt  habe,  kommt  zum  Ausbruch  (^). 
Die  Bischöfe  haben  freie  Engländer  in  die  Wildnis  Amerika's 
über  den  Ocean  getrieben;   „es  giebt  aber  kein  schlimmeres 


54  Gegen  die  „Politiker". 

Vorzeichen  für  ein  Volk,  als  wenn  seine  Söhne,  um  dem  un- 
erträglichen Druck  daheim  zu  entgehn,  sich  gezwungen  sehn, 
in  Schaaren  "ihr  Vaterland  zu  verlassen".  Die  engherzige, 
mit  papistischen  Formen  liebäugelnde  Priesterpolitik  hat  Eng- 
land nach  aussen  hin  isolirt  und  dem  Beherrscher  Frankreichs, 
einem  katholischen  Fürsten,  die  Rolle  des  „Beschützers"  des 
festländischen  Protestantismus  überlassen.  In  England  selbst 
haben  die  Bischöfe  und  ihre  Genossen  das  Volk  durch  Miss- 
achtung der  Strenge  des  Sabbaths,  (die  Veröffentlichung  des 
„book  of  Sports"  (s.  Bd.  I  S.  141),  durch  gottlose  Aufforderung 
zu  Sinnenlust  und  Würfelspiel  zu  entmannen  versucht,  während 
doch  die  Freiheit  jedes  Volkes  auf  ,, männlicher  und  ernster 
Arbeit,  Massigkeit  und  strenger  Achtung  vor  der  Ehe"  be- 
ruht. Ihre  Ceremonieen  und  ihre  Gerichtsbarkeit,  die  „zwei 
Blutegel,  die  das  Reich  aussaugen",  ihre  kostbaren  Tempel, 
Bilder  vmd  Altardecken,  ihre  Erpressungen,  Sportein  und 
Strafgelder,  Symbole  des  „Antichrists,  des  Mammons  -  Sohnes", 
haben  den  Wohlstand  des  Volkes  und  des  Staates  schwer  ge- 
schädigt, während  es  nöthig  wäre,  Schulhäuser  zu  bauen,  und 
während  mancher  arme  Pfarrer  für  sich  und  die  Seinigen 
kaum  das  tägliche  Brod  hat.  Ihre  Predigten  müssen  dazu 
dienen,  das  Volk  zum  Aufruhr  und  zum  Bürgerkrieg  aufzu- 
reizen, denn  „zum  Trotz  unserer  Magna  Charta  und  dem 
Andenken  unserer  Vorfahren,  welche  ihre  Freiheiten  der  nor- 
mannischen Räuberhand  mit  ihrem  Herzblut  und  mit  Helden- 
Kühnheit  abgerungen  haben,  lassen  sie  seit  Jahren  nicht  ab, 
die  höchsten  und  theuersten  Gesetze,  Statuten  und  Parlaments- 
schlüsse, den  heiligen  Vertrag  und  Bund  (tlie  holy  Cov'nant 
of  Union  and  Marriage)  zwischen  König  und  Land  durch  ver- 
drehte und  verrenkte  Bibelsprüche  zu  verhöhnen  und  mit 
Füssen  zu  treten".  Aber  neben  der  Freiheit  des  Volkes  grei- 
fen sie  auch  die  Suprematie  des  Königs  an.  „Statt  sich  ein 
eifriges  Bibelstudium  angelegen  sein  zu  lassen,  ziehen  sie  Ka- 
nones  und  Dekretalen  heran,  um  unter  dem  Vorwand  geist- 
lichen Rechtes  weltliche  Angelegenheiten  ihrem  Urtheil  und 
ihrer  Einmischung  zu  unterwerfen."  Sie  häufen  Reichthümer 
auf,  stützen  sich  auf  ihren  Einfluss  als  Pairs,  auf  ihren  Besitz 


Gegen  die  „Politiker".  —  Für  Abschaffung  des  Bisthums.        65 

an  Gütern,  um  ihre  Gerichtsbarkeit  über  alles  auszudehnen, 
im  Geheinirath  zu  befehlen  und  die  höchsten  Staatsämter  an 
sich  zu  reissen  .  .  .  Ihr  Haupt  (Land)  erstrebt  ein  von  der 
Krone  unabhängiges  Patriarchat.  „Sie  wollen  die  Laienschaft 
nur  deshalb  unter  die  unbeschränkte  Herrschaft  des  Königs 
beugen,  um  den  König  selbst  zu  einer  Art  Mündel  ihrer  Hier- 
archie zu  machen".  Und  nach  allem  diesem  hetzen  sie  Eng- 
länder und  Schotten,  die  durch  Natur  und  Religion  innig  ver- 
bundenen Brüder,  zum  Biirgerkriege  gegeneinander  und  die 
Irländer  beiden  in  den  Rücken,  je  nachdem  es  die  Gelegen- 
heit mit  sich  bringe. 

Hier  unterbricht  sich  Milton,  um  Gott  zu  danken.  .,dass 
er  von  seinem  hohen  himmlischen  Wachtthurm  aus  diese 
Pläne"  durchschaut  und  zu  Schanden  gemacht,  zugleich  aber, 
um  Engländer  und  Schotten  zu  ermahnen,  der  schönen  Ein- 
tracht nie  zu  vergessen ,  die  sie  gegenüber  den  letzten  Er- 
eignissen beseelt  hatte.  Er  folgt  durchaus  der  damals  herr- 
schenden Strömung,  er  nimmt  nur  wieder  auf,  was  in  den 
Proklamationen  der  Schotten  selbst  schon  Ausdruck  gefunden 
hatte,  wenn  er  sagt:  ,, Gehet  Hand  in  Hand  ihr  beiden  Völ- 
ker, um  euch  niemals  trennen  zu  lassen;  werdet  das  Loblied 
und  der  Heldengesang  der  Nachwelt;  verdient  dies  zu  sein, 
aber  strebt  nur  nach  Tugend,  nicht  nach  Erweiterung  eurer 
Grenzen,  (denn  was  nützt  es,  einen  welken  Siegeslorbeer  aus 
den  Thränen  Unglücklicher  zu  gewinnen?)  und  strengt  euch 
an,  den  reinen  Gottesdienst  in  der  Kirche  und  Gerechtigkeit 
im  Staate  herzustellen;  dann  werden  die  grössten  Schwierig- 
keiten sich  vor  euch  glätten,  der  Neid  wird  zur  Hölle  fahren, 
List  und  Tücke  werden  zu  Schanden  werden  .  .  .  ja  fremde 
Nationen  werden  darum  buhlen ,  euch  zu  dienen ,  denn  Herr- 
schaft und  Sieg  sind  nur  die  Dienstmannen  von  Gerechtigkeit 
und  Tugend." 

Das  ganze  Sündenregister  der  Bischöfe  war  erschöpft, 
konnte  noch  länger  davon  die  Rede  sein,  dass  die  bischöfliche 
Verfassung  eine  Stütze  der  Monarchie  sei.  diese  letzte  im 
konstitutionellen  Sinne  aufgefasst?  Vielmehr  wird  erklärt, 
dass  die  Reform  mit  gänzlicher  Abschaifuug  des  Prälatenthums 

Stern.    Milton   u.   s.   Zeit.     I.   2.  5 


66  Für  Abschaffung  des  Bisthums. 

beginnen  müsse.  An  seine  Stelle  soll  eine  Kirchenverfassung' 
treten,  welche  die  englische  Kirche  den  reformirten  Schwester- 
kirchen wieder  annähert.  Auch  verdient  eine  solche  Kirchen- 
verfassung  in  Wahrheit  das  Lob ,  auf  derselben  Grundlage 
wie  die  Staatsverfassung  zu  beruhen.  „Kein  Staat  irgend 
einer  Zeit,  auch  Sparta  und  Rom  nicht  ausgenommen,  wie 
sehr  beide  vom  weisen  Polybius  gepriesen  worden  sind,  war 
Je  zu  einer  solchen  Harmonie  gestimmt  und  in  solchem 
Gleichgewicht  der  Kräfte  .  .  wie  das  Gemeinwesen  von  Eng- 
land, wo  unter  einem  freien,  selbstständigen  König  (a  free 
and  untutored  monarch)  die  edelsten ,  würdigsten  und  weise- 
sten Männer  durch  Zustimmung  und  Wahl  des  Volkes  zur 
obersten  und  endgültigen  Entscheidung  der  wichtigsten  An- 
gelegenheiten ermächtigt  sind."  Soll  nun  die  Kirchenver- 
fassung mit  dieser  Staatsverfassung  in  Einklang  stehen,  so 
muss  auch  für  jene  der  Grundsatz  der  Betheiligung  des  Vol- 
kes durchgeführt  werden.  „Unter  dem  souveränen  Fürsten, 
dem  Statthalter  Christi  mit  dem  Scepter  David's,  sollen  die 
frömmsten  und  gelehrtesten  Geistlichen  in  ihren  verschiedenen 
Aemtern  für  Belehrung  und  Sittenzucht  (instructing  and  dis- 
ciplining)  des  Volkes  sorgen",  aber  dessen  „freie  Wahl" 
soll  sie  zu  ihrem  Amte  weihen.  ,,Und  warum  will  man  der 
Frömmigkeit  und  Gewissenhaftigkeit  der  Engländer,  als  Glie- 
der der  Kirche,  die  Wahl  ihrer  Geistlichen  vorenthalten,  deren 
Berufskreis  in  nichts  den  König  berührt  (to  functions  that 
nothing  concern  a  monarch),  während  man  der  weltlichen 
Klugheit  derselben  Engländer,  als  Glieder  des  Staates,  die 
Wahl  ihrer  Altgeordneten  zum  Parlament  anvertraut,  in  wel- 
chem es  sich  um  die  Interessen  des  Königs  handelt?"  Ein 
geistlicher  Stand  dieser  Art,  aus  demokratischer  Wurzel  er- 
wachsen ,  wird  freilich  der  äusseren  Ehren  und  Güter  der 
Bischöfe  entbehren,  und  im  Hause  der  Lords  werden  „scho- 
lastische und  feige  Emi)orkömmlinge"  nichts  mehr  drein  zu 
reden  haben. 

Milton  ist  darauf  gefasst,  dass  einer  so  radikalen  Ansicht 
der  Kiiiwurf  gemacht  werde,  den  die  parlamentarische  Mittel- 
partei   schon    ei-Iiohen   liatte,    „man   solle  sich  vor  (U'r  Ueher- 


Für  Abschaffung  des   Bisthums.  (37 

stürzung  in  die  äussersten  Extreme  hüten".  Er  lässt  diesen 
Einwand  nicht  gelten.  ..Wenn  die  zwei  Extreme  Laster  und 
Tugend,  Lüge  und  Wahrheit  sind,  so  werden  wir  je  besser 
und  weiser,  je  grösser  das  Extrem  von  Tugend  und  Wahrheit 
ist,  in  das  wir  uns  stlirzen".  Er  zeigt,  dass  kein  ernstlicher 
Widerstand  im  Volke  oder  von  auswärts  gegen  die  Abschaffung 
des  Prälatenthums  zu  erwarten  sei,  er  fasst  noch  ein  ]\Ial  alle 
Vorwürfe  gegen  dasselbe  zusammen,  er  sucht  alle  Bedenken 
zu  widerlegen,  er  betont,  auch  in  den  Kirchen-Versammlungen 
(assemlilies)  der  neuen  Organisation  werde  der  Supremat  des 
Königs  aufrecht  erhalten  werden,  er  weist  auf  die  refonnirten 
Kirchen  des  Auslandes  hin,  bei  denen  keine  jener  Befürchtungen 
eines  Eingriffs  in  die  Staatsgewalt  sich  bestätigt  finde,  er  lässt 
zuletzt  den  ganzen  Strom  seiner  überwallenden  Empfindungen, 
seiner  Sorgen  und  Wünsche  in  ein  inbrünstiges  Gebet  aus- 
münden, in  dem  er  den  dreieinigen  Gott  anfleht,  die  Kirche 
Englands  nicht  den  gierigen  Wölfen  Preis  zu  geben,  das  so  oft 
beschützte,  aus  Bürgerkriegen  und  vor  der  Armada  gerettete 
Vaterland  in  seine  Obhut  zu  nehmen  und  die  schwarzen  Pläne 
seiner  Feinde,  die  sich  mit  dem  spanischen  Tyrannen  ver- 
bündet hätten,  zu  vernichten.  —  Wer  sich  der  dichterischen  Ab- 
sichten Milton's  erinnert,  wird  es  verstehn,  wenn  nach  diesen 
Sätzen,  welche  die  ^Majestät  der  Psalmen  und  die  Leiden- 
schaft Luthers  athmen,  gesagt  wird:  „Dann  erschallt  vielleicht 
zwischen  den  Hymnen  und  dem  Hallelujah  der  Heiligen  eine 
Stimme,  die  mit  lautem  Tone  in  neuer,  erhabener  Weise  deine 
göttliche  Gnade  und  deine  wundervollen  Gerichte  in  diesem 
Lande  durch  alle  Zeiten  singen  und  preisen  wird".  Und  noch 
bemerk enswerther  ist,  dass  die  Phantasie  des  Dichters  am 
kommenden  Tage  des  jüngsten  Gerichts  alle  die  Vertheidiger 
der  Religion  und  des  Vaterlandes  ihren  Lohn  an  himmlischen 
„Fürstenthümern,  Legionen  und  Thronen'-  empfangen  lässt, 
während  sie  die  Feinde  des  wahren  Glaubens,  die  Unterdrücker 
der  bürgerlichen  Freiheit  in  den  tiefsten  und  finstersten  Pfuhl 
der  Hölle  hinabstossen  sieht,  wo  sie  von  den  Füssen  aller 
andern  Verdammten  getreten  werden. 


68  Rainolds  und  Ussher. 

Diese  erste  Flugschrift,  durch  die  sich  ^Milton  an  dem 
literarischen  Kampfe  über  die  grosse  Tagesfrage  lietheiligte, 
enthielt  ein  ganzes  Trogramm.  Sie  hob  nicht  einzelne  Punkte 
heraus,  sondern  fasste  die  Frage  in  ihrer  weitesten  Bedeutung, 
sie  wandte  sich  nicht  gegen  einzelne  Persönlichkeiten,  sondern 
an  die  Gesammtheit  der  Nation.  Die  zweite  demselben  Gegen- 
stande gewidmete  Schrift  trug  einen  anderen  Charakter.  Sie 
war  durch  eine  der  vielen  Vertheidigungen  des  Bisthums  her- 
vorgerufen und  erhielt  daher  eine  wesentlich  polemische  Form. 
Gegen  keinen  Geringeren  trat  ]\Iilton  diesmal,  freilich  noch 
mit  geschlossenem  Visier,  in  die  Schranken  als  gegen  jenen 
Erzbischof  von  Armagh,  Jakob  Ussher,  den  man  mindestens 
nicht  unter  die  zähesten  Gegner  jedes  Reform  -  Gedankens 
rechnen  durfte.  Er  hatte  sich  indess  durch  die  inständigen 
Bitten  seines  Kollegen,  des  Bischofs  Hall,  bewegen  lassen,  seine 
Stimme,  die  eines  achtungsvollen  Gehörs  sicher  sein  konnte, 
für  die  mit  dem  gänzlichen  Untergang  bedrohten  bischöfllichen 
Institutionen  zu  erheben  und  Ende  Mai  1641  in  diesem  Sinne 
eine  Schläft  erscheinen  lassen:  „Das  Urtheil  des  Doctor  Pvai- 
noldes  über  die  ursprüngliche  Form  des  Bisthums,  bestätigt 
und  l)ekräftigt  durch  Beweise  aus  dem  Alterthum"(*).  In  dieser 
Arbeit  war  zunächst  eine  frühere  Schrift  des  Dr.  Reynolds 
(Rainolds),  des  ehemaligen  Vorstehers  des  Corpus  Christi  College 
in  Oxford,  vom  Jahre  1584  nach  ihrem  Wortlaute  mitgetheilt. 
Reynolds  hatte  erklärt,  die  von  den  Aposteln  eingesetzten 
Presbyter  hätten  in  den  verschiedenen  Gemeinden  einen  aus 
ihrer  jMitte  als  Präsidenten  oder  Moderator  gewählt.  Als  ein 
solcher  sei  z.  B.  der  „Engel  von  Ephesus"  zu  betrachten,  (einer 
von  den  ,, Engeln  der  sieben  Gemeinden"  der  Offenl)arung 
Johannis  I.  20,  mit  dei'en  Deutung  so  viel  Missbraucli  ge- 
tiieben  worden  ist)  (2)  und  eben  diese  seien  von  den  Kirchenvätern 
Bischöfe  g(^nannt.  Es  war  mit  diesen  Allgemeinheiten  für  die 
hochkirchliche  Ansicht  noch  wenig  gewonnen,  wenn  schon  jene 
„Engel-Theorie"  auch  in  den  Schriften  Hall's  und  dcM-  Ent- 
gegimug  der  Smectymnianer  eine  grosse  Rolle  g'esjjielt  liatte. 
Usshei-  knti])fte  aber  dennoch  gerne  an  den  Namen  Reynolds 
an,   weil   diesei-  puritanische  Gesinnungen  gelia1)t,    sogar  ein 


Raiuolds  und  Ussher.  (39 

Bisthum  ausgeschlagen  hatte,  also  gewiss  ein  unverdächtiger  Zeuge 
war.  Er  selbst  bot  sodann  alle  Gelehrsamkeit  auf,  um,  soweit 
seine  eigene  Gesinnung  ihm  dies  erlaulite,  diesen  mageren 
Reynolds' sehen  Brocken  für  den  Gaumen  des  orthodoxen  Angli- 
kanismus  zu  würzen.  Es  steht  ihm  fest,  dass  die  Engel  der 
sieben  Gemeinden  sieben  Bischöfe  waren,  mit  dem  Recht  der 
Oberleitung  und  des  Vorsitzes  ausgestattet.  Er  häuft  latei- 
nische und  griechische  Citate,  um  zu  beweisen,  dass  Timotheus 
jener  Engel,  der  erste  Bischof,  von  Ephesus  gewesen  sei.  Be- 
sonderes Gerächt  legt  er  auf  das  Zeugnis  des  Irenäus,  da 
diesem  durch  Polykarp  K>unde  von  seinen  Unterhaltungen  mit 
Johannes  geworden  sei,  und  Johannes  selbst  scheint  ihm  in 
Ephesus,  nach  seiner  Rückkehr  aus  dem  Exil  in  Patmos,  eine 
Art  von  Primat  über  die  sieben  Bischöfe  ausgeübt  und  somit 
dem  Haupte  jener  Gemeinde  eine  Metropolitanwürde  vererbt 
zu  haben. 

Auch  diese  Ausführungen  konnten  noch  immer  darauf  be- 
rechnet sein,  ein  gemässigtes  in  seinen  Kompetenzen  be- 
schränktes Bisthum  zu  erhalten.  Aus  eben  diesem  Geiste  der 
Vermittlung  war  jener  erst  viele  Jahre  später  vollständig  be- 
kannt gewordene  Entwurf  einer  Reform  der  Kirchenverfassung 
hervorgegangen,  in  welchem  für  Erhaltung  der  Kirchenzucht 
den  Kirchen  Vorstehern  ein  Recht  der  Mitwirkung  in  den 
wöchentlichen  „Kirchspiel-Höfen"  und  der  Pfarrgeistlichkeit 
ein  Recht  der  jNIitwirkung  in  den  Monats-Diöcesan-  und  Pro- 
vinzial-Synoden  eingeräumt  wurde.  Indessen  gerade  die  Ver- 
mittlungs-Versuche mussten  den  Vorfechtern  des  Radikalismus 
gefährlicher  erscheinen  als  der  hochkircliliche  Fanatismus,  der 
überhaupt  in  nichts  nachgeben  wollte.  Auch  hatte  Ussher 
immerhin  den  Grundgedanken  des  Episkopal-Systems,  die  Klee 
seines  göttlichen  Ursprungs  niclit  Preis  gegeben,  und  eben  diese 
galt  es  vor  allen  Dingen  zurückzuweisen.  Milton  entschloss 
sich  den  Kampf  mit  Ussher  aufzunehmen. 

Die  kleine  im  Laufe  des  Sommers  1641  erschienene  Schrift, 
in  der  er  sich  die  grimmige  Freude  machte,  dies  ganze  herr- 
liche Gebäude  kirchengeschichtlicher  Gelehrsamkeit  des  Primas 
von  Irland  umzureisseu,  führte  den  Titel:   ,,Ueber  prälatisches 


70  Miltou  gegen  Ussher:    „Ueber  prälatisches  Bisthum". 

Bisthuiii,  und  ob  dasselbe  aus  den  apostolischen  Zeiten  her- 
geleitet werden  kann''  etc.  (').  Gleich  in  der  Einleitunj^-  wird  der 
Grundgedanke  mit  aller  Schärfe  ausgesprochen,  der  schon  den 
kritischen  Theil  des  früheren  Pamphlets  l)estinnnt  hatte:  das 
Bisthum  ist  entweder  menschlichen  oder  göttlichen  ürsprangs; 
wenn  menschlichen,  so  ist  es  uns  erlaul)t  es  beizubehalten  oder 
es  abzuschaften,  je  nach  Bedürfnis;  wenn  göttlichen,  so  weise 
man  dies  aus  der  Bibel  nach.  ,,Denn  die  Schrift  allein  ist 
das  einzige  Buch  göttlicher  Autorität,  das  wir  besitzen".  Man 
konmie  aber  nicht  mit  s.  g.  Beweisen  des  Alterthums,  als  z.  B. 
den  Kirchenvätern.  Denn  diese  sind  nichts  anderes,  als  „was 
die  Zeit  oder  die  sorglose  Hand  des  Zufalls  von  Alters  her  bis 
auf  die  Gegenwart  in  ihrem  grossen  Schleppnetz  emporgezogen 
hat,  sei  es  Fisch  oder  Meergras,  Muschel  oder  Strauchwerk 
ohne  Auslese  und  ohne  Wahl-'.  Nach  dieser  kräftigen  Ver- 
spottung der  ,,Alterthümler",  deren  Ussher  einer  in  Milton's 
Augen  war,  geht  er  dazu  üljer,  dessen  Gewährsmänner  unter 
das  Messer  seiner  Kritik  zu  legen.  Niemand  wird  behaupten 
wollen,  dass  Milton's  Kenntnisse  sich  mit  denen  Ussher's,  der 
grossen  Autorität  auf  diesem  Geljiet,  hätte  messen  können. 
Ob  dieser  sich  ihm  al)er  an  Unbefangenheit  des  Urtheils  ver- 
gleichen konnte,  wird  man  l)ezweifeln  dürfen.  Milton  folgt 
dem  Gegner  Schritt  für  Schritt  durch  alle  jene  gelehrten  Citate. 
Nicht  ohne  eingeflochtene  ironische  Bemerkungen  weist  er 
nach,  wie  wenig  verlässlich  die  Editionen  der  Koncils-Schlüsse 
seien,  wie  wenig  klassische  Zeugen  diese  Koncilien  selbst  für 
den  Zustand  der  alten  Kirche.  Das  angebliche  Bisthum 
des  Timotheus  findet  er  durch  nichts  ])ewiosen,  ähnlich  wie- 
er  ])eiläutig  sicli  für  die  Meinung  „vieler  gelehrten  und  weisen 
Protestanten"  ausspricht,  dass  der  Aufenthalt  St.  Peters  als 
Bischofs  zu  Uoni  eine  Fabel  sei  (p.  79).  r)ei  einzelnen  jener 
Zeugen  seines  Gegners  verweilt  er  mit  höhnischem  Behagen. 
Wenn  Ussher  einen  anonymen  Traktat  über  Timotheus  Mar- 
tyrium erwähnt,  den  Photius  citirt,  „der  beinahe  neunhundert 
.lahre  nach  Christus  lebte",  wai'um  hat  er  nicht  auch  ,.aus 
(kmiselben  Autor  das  Märtyrerthum  der  sielten  Schläfer  ange- 
fidiit  •.    die   ;{72  Jalire   oliiie  Nahrung   in   einer   Höhle   einge- 


Milton  gegen  Ussher:     „Ueber  prälatisches  Bisthum".  71 

schlössen  sich  eines  gesunden  Schlafes  erfreuten?  Wenn  er 
auf  Polykrates  und  seinen  Brief  an  den  römischen  Bischof 
"Victor  so  grosses  Gewicht  legt,  warum  hat  er  vergessen  zu 
sagen,  dass  Victor  sich  durch  diesen  Polykrates  bei  dem  Streite 
über  das  Passah  trotz  aller  Autoritäten,  die  Polykrates  bei- 
brachte, nicht  überzeugen  liess,  sondern  ihn  sammt  allen  asiati- 
schen Gemeinden  in  Bann  that?(^)  Die  berühmten  ignatiani- 
schen  Briefe  unterzieht  er  einer  zersetzenden  Kritik,  die  von 
um  so  grösserem  Interesse  ist,  da,  wie  man  weiss,  gerade  sein 
Gegner  Ussher,  einige  Jahre  später  den  Schlüssel  zur  Aus- 
scheidung der  Interpolationen  fand  und  die  Vermuthung  äusserte, 
dass  eine  syrische  Uebersetzung  vorhanden  sein  müsse  (-), 

Und  so  wird  mit  schonungslose!'  Hand,  ohne  Scheu  vor 
hochklingenden  Namen,  mitunter  mit  einer  allzu  rationalistischen 
Leichtigkeit,  der  ganze  „Nebel"  von  Zeugnissen  zerrissen,  mit 
dem  die  Episkopalisten  das  Licht  der  Wahrheit  verdunkeln. 
Es  fehlt  nicht  an  dichterischen  Bildern,  mit  denen  Milton"s 
Phantasie  auch  den  an  sich  trocknen  Gegenstand  auszuschmücken 
liebt,  wie  wenn  von  „dem  reinen  evangelischen  Manna"  die 
Rede  ist,  dem  die  Verehrer  der  patristischen  Literatur  „die 
befleckten  Schnitzel  und  Brocken  einer  fremden  Tafel"  bei- 
mischen wollen.  Auch  ironische  Ausblicke  auf  die  vielfachen 
Häresien  jener  verehrten  ersten  Jahrhunderte  der  Kirche  oder 
eine  spitze  Bemerkung,  wie  die,  dass  die  ältesten  Bischöfe 
Britanniens  „vorzüglich  wegen  ihrer  Armuth  bemerkenswerth 
seien",  werden  nicht  zurückgehalten.  Als  Ergebnis  bleibt  ihm 
bestehn :  ein  Bisthum ,  im  Sinne  der  englischen  Prälaten,  auf 
apostolische  Einsetzung  zurückführbar,  hat  es  nicht  gegeben. 
Zugegeben  auch,  dass  jene  von  ihnen  angeführten  Persön- 
lichkeiten Bischöfe  genannt,  zugegeben,  dass  sie  würdige 
Männer,  zugegeben  selbst,  dass  sie  an  die  Spitze  der  verschie- 
denen Gemeinden  von  den  Aposteln  gestellt  waren:  dass  sie 
von  diesen  einen  höheren  Rang  als  die  übrigen  Geistlichen 
(above  the  presbytery)  erhalten  hatten,  ist  nicht  zu  beweisen. 
Mögen  Timotheus  und  Titus  als  Helfer  (fellow-labourers)  der 
Apostel  immerhin  einen  „ausserordentlichen  Posten'  l)ekleidet 
haben,  mögen  selbst  einzelne  bedeutende  Männer  in  den  un- 


72  Hall's  Vertheidigung  seiner  ,,demüthigen  Remonstranz". 

mittelbar  uacliapostolischeii  Zeiten  eine  hervorragende  Stellung 
gehabt  haben,  wie  Polykarpus ,  man  darf  daraus  so  wenig  auf 
eine  ursprünglich  verfassungsmässige  Einrichtung  schliessen, 
wie  etwa  aus  der  Stellung  Calvin's  in  der  genfer  Kirche  auf 
ein  genfer  Bisthum  oder  aus  der  Stellung  Perikles'  im  atheni- 
schen Staat  auf  eine  athenische  Monarchie.  Bischöfe  und 
Presbyter  sind  nach  der  Bibel  vielmehr  identisch,  und  wer 
diese  aufgiebt,  um  der  späteren  Tradition  zu  folgen,  der  ver- 
lässt  den  eigentlichen  Boden  der  Pveformation,  kämpft  mit  den 
Waffen  der  Romanisten,  die  auf  eben  diese  Weise  die  Lehre 
vom  Primat  des  römischen  Bischofs  verfechten,  und  öffnet  dem 
Pabstthum  Thor  und  Thür,  indem  er  das  Bisthum  vertheidigt.  — 
Wie  man  sieht,  stimmt  Milton  mit  seinem  alten  Lehrer 
Thomas  Young  und  seinen  vier  geistlichen  Genossen  nicht  nur 
in  dem  Kern  der  wissenschaftlichen  Frage  vollständig  überein, 
sondern  er  befolgt  auch  die  Politik  der  Verfasser  des  Smectym- 
nuus,  die  des  Beifalls  der  puritanischen  Masse  gewiss  war, 
das  englische  Prälatenthum  als  eine  Art  Vorstufe  zur  Rück- 
kehr zum  Pal)stthum  darzustellen. 


Inzwischen  waren  eben  jene  fünf  Genossen  nicht  unbe- 
helligt geblieben.  Bischof  Hall  hatte  es  nicht  über  sich  ge- 
winnen können,  dem  Angriff  Stillschweigen  entgegenzusetzen, 
der  durch  ,,Smectymnuus"  gegen  seine  „dcmüthige  Remon- 
stranz" gemacht  war.  Bereits  Mitte  April  1641  war  seine 
umfangreiche  Antwort  erschienen:  „Vertheidigung  der  demü- 
thigen  Remonstranz  gegen  die  frivolen  und  falschen  Einwürfe 
des  Smectymnuus"(').  Auch  hier  wieder  bewahrte  der  Bischof 
die  Maske  der  Anonymität,  o])wohl  er  mehifach  (p.  9.  140 
und  im  Vorwort  zur  Uebersetzung  des  Scultetas)  seinen  Namen 
anführt (2).  Aber  das  Bewusstsein  seiner  verletzten  hierarchi- 
schen Würde  kann  er  deshalb  nicht  verläugnen.  Es  spricht 
sich  aus  in  der  vorangeschickten  Widmung  an  den  König,  in 
der  er  in  denunciatorischem  Tone  v(m  seinen  „impotenten 
Gegnei-n"  i-edet,  es  findet  seinen  Ausdruck  in  der  voi'nehm- 
herablassendcii  Art,   mit  (kn-  er  diese   selbst  behandelt.     Er 


Hall's  Vertheidigung  seiner  „demüthigen  Remonstranz".  73 

nennt  sie  ,, Brüder"  und  hatte  demnach  gewiss  von  ihrem  geist- 
lichen Charakter,  wo  nicht  von  ihren  Namen,  Kunde.  Indem 
er  die  Art  und  Weise  eines  väterlichen  Freundes  nachahmt, 
weiss  er  doch  giftige  Bemerkungen  über  ,, Irrlehrer"  und 
„Schmachschriften"  einzuflechten  und  selbst  einzelne  sprach- 
liche und  stylistische  Versehen  seinen  Gegnern  aufzumutzen, 
wie  z.  B.  dass  sie  das  Wort  „Areopagi"  für  die  Richter  des 
Areopags  gebraucht  hatten.  Auch  sonst  zeigt  jede  Seite  des 
Pamphlets  den  gewandten  Schriftsteller  und  Polemiker.  Mit 
Eifer  weist  er  den  Vorwurf  zurück,  mit  dem  Papismus  zu  lieb- 
äugeln, was  ihm  nicht  eben  schwer  gemacht  war;  als  Mann 
von  Bildung  beruft  er  sich  ein  Mal  auf  einen  witzigen  Ausspruch 
Bacon's  (p.  44).  Vielfach  wendet  er  die  Methode  an,  den 
Gegnern  vorzuwerfen,  dass  sie  gegen  Windmühlen  gefochten 
hätten,  wie  er  denn  gar  nicht  habe  läugnen  w^ollen,  dass  der 
Bischof  in  vielen  Fällen  an  den  Rath  und  Beistand  seines  geist- 
lichen Presbyteriums  gebunden  sei  (p.  59),  oder  er  weicht  ihnen 
geschickt  aus,  wie  er  sich  denn  durchaus  nicht  gegen  eine 
Betheiligung  der  Gemeinden  an  der  Bischofswahl  erklären  zu 
wollen  verspricht,  ., falls  seiner  Majestät  und  dem  Staate"  diese 
Aenderung  gefallen  sollte.  So  wiederholt  er  seine  Zugeständ- 
nisse in  Betreff  der  Liturgie,  er  behauptet  selbst  (p.  52),  sogar 
die  Ordination  sei  nicht  in  dem  Sinne  Monopol  der  Bischöfe, 
,,dass  sie  ihre  Hände  allein  auf  das  Haupt  eines  Geistlichen 
legen",  ohne  indess  diesen  seiner  sonstigen  Theorie  wider- 
sprechenden Satz  näher  zu  erläutern  und  namentlich  ohne  zu 
erklären,  wie  sich  diese  milden  Ansichten  zu  der  harten  Praxis 
des  englischen  Prälatenthums  verhalten. 

Mit  Entschiedenheit  hält  er  abei-  die  Grundlage  seiner 
ursprünglichen  Behauptung  fest.  Der  Episkopat,  als  eine  über 
den  Presbytern  stehende  Behörde,  mit  der  ausdrücklichen  Be- 
fugnis der  Ordination  und  Jurisdiktion,  ist  apostolischen,  und 
insoferne  die  Apostel  vom  heiligen  Geiste  inspirirt  waren,  gött- 
lichen Ursprungs  und  in  dieser  Weise  durch  ununterbrochene 
Succession  fortgepflanzt.  Selbstverständlich  dienen  in  erster 
Linie  wieder  Timotheus  und  Titus  und  die  bekannten  Citate 
als  Beweismittel.     Einen   besonderen   Abschnitt   widmet   der 


74  Scultetus.  —  Replik  der  Smectymnianer. 

Biscliof  der  Behauptung,  dass  das  Institut  von  Laien-Aeltesten 
im  modernen  Sinn,  unterscliieden  von  den  „Pastoi'en",  ein  Be- 
standtheil  der  frühesten  Kirchen-Verfassung"  gewesen  und  sucht 
seinen  Gegnern  damit  die  Brücke  abzubrechen,  die  von  ihren 
Reformplänen  zu  der  kirclilichen  Organisation  der  schottischen 
Brüder  liinül^erführen  sollte.  Ebenso  fertigt  er  die  historische 
Nachschrift  der  Smectymnianer  für  sich  ab  und  erklärt,  sie 
sei  grössten  Theils  ein  Plagiat  aus  der  Schrift  von  Leighton 
(Sion's  Plea  against  tlie  Prelaty  1628)  und  einer  anderen  von 
Prynne  (Breviate  of  the  Bishops  intollerable  usui-pations  etc. 
1637).  Wie  sein  Kollege  Ussher  sich  die  Autorität  von  Rey- 
nolds zu  Hülfe  gerufen  hatte,  so  fügt  Hall  seinem  Werke  in 
englischer  Uebersetzung  zwei  Urtheile  des  Scultetus  an,  des 
berühmten  Heidelberger  Professors,  welcher  1612  im  Gefolge  des 
Kurfürsten  Friedrich  England  besucht  und  die  dortigen  theolo- 
gischen Grössen  selbst  kennen  gelernt  hatte  (^).  Sie  sind  beide 
den  Bemerkungen  des  deutschen  Gelehrten  zu  den  Briefen  an 
Timotheus  und  Titus  entnommen  (-).  Das  eine  dieser  Urtheile 
Hess  sich  trefflich  für  Hall's  Ansicht  vom  Ursprung  des  Bis- 
thums  verwenden,  das  andere  weist  nach,  dass  in  keiner  der 
dafür  beigel)rachten  Stellen  des  neuen  Testaments  von  Laien- 
Aeltesten  die  Rede  ist. 

Die  Veifasser  des  Smectymnuus  nahmen  sich  einige  Zeit, 
um  eine  Replik  vom  Sta])el  zu  lassen,  die  denn  IVeilich  über 
zweihundert  Seiten  füllte  (•').  Ihre  Ende  Juni  1641  erschienene 
,,Verthei(ligung  der  Antwort  auf  die  demüthige  Remonstranz" 
ist  wiederum  dem  Parlamente  gewidmet,  bereits  in  froherer 
Stinnnung,  da  es  sich  ,, durch  edle,  auf  den  Frieden  und  das 
Wohl  des  Staates  abzieleiule  Handlungen"  nun  schon  bewährt 
habe.  Es  ist  selbstverständlich,  dass  sie  die  ganze  Summe 
der  sti-eitigan  Fragen  in  aller  Breite  der  Beweisführung  wieder 
dui'chlaufen.  Noch  innner  halten  sie  scheinbar  an  der  Fiktion 
fest,  als  sei  ihnen  der  Name  ihres  Gegners  unbekannt,  aber 
sie  gewinnen  dadurch  um  so  bessere  Gelegenheit,  ihm  starke 
Dinge  zu  sagen.  Sie  können  nicht  glauben,  dass  sie  es  mit 
Bischof  Hall  zu  tluiii  lialx'n,  ..da  jede  Seite  den  grössten  Hoch- 
muth    atlinie-,   sie   IVaucn    mit    einem    Seitenhiebe    auf  HalFs 


Milton's  „Bemerkungen"  gegen  Hall.  75 

satyrische  Schriftstellerei :  „Was  ist  eiii-e  ganze  „Remonstranz" 
anders  als  eine  Deklamation  und  was  eure  „Vertlieidigung" 
anders  als  eine  Satyre"?  Ihre  historische  Nachschrift  nehmen 
sie  gegen  den  Vorwurf  des  Plagiats  entschieden  in  Schutz. 
Der  Autorität  Scultet's  stellen  sie  die  Autorität  Rivet's  ent- 
gegen. Den  Vorwurf  mit  dem  Styl  und  der  Grammatik  auf 
schlechtem  Fuss  zu  stehn  ge])en  sie  mit  Zinsen  zurück.  Hall 
hatte  von  einigen  ihrer  Einwürfe  gesagt,  sie  seien  nur  „leichter 
Schaum,  der  von  selbst  untersinken  werde".  Sie  bemerken 
am  Rande  mit  kleinerem  Druck:  „Ein  philosophisch  gebil- 
deter Gentleman  war  zufäHig  beim  Lesen  dieser  Stelle  zugegen. 
Er  war  so  entzückt  von  diesem  kostbaren  Geheimnis  eines 
„leichten  von  selbst  untersinkenden  Schaumes",  dass  er  uns 
aufs  dringendste  ersuchte,  den  „Remonstranten"  um  Veröi^'ent- 
lichung  des  Recepts  anzugehn,  „leichten  Schaum  von  selbst 
untersinken  zu  lassen",  um  es  den  Geheimnissen  des  Alexis 
oder  den  Wunder-Experimenten  des  Baptista  Porta  hinzuzu- 
fügen" (1). 

Man  hat  mit  Recht  die  Frage  angeregt,  ob  nicht  eine 
bestimmte  Persönlichkeit  unter  dem  philosophisch  gel)ildeten 
Gentleman  zu  verstehn  sei,  welche  niemand  anders  sein  würde 
als  Milton.  In  der  That  nuiss  er  die  Schrift  des  Bischofs  Hall 
in  eben  der  Weise  beurtheilt  halben,  die  hier  vorausgesetzt 
wird.  Er  selbst  giebt  dafür  ein  vollgültiges  Zeugnis  ab  in 
dem- Pamphlet,  in  welchem  er  seinen  Gefühlen  Luft  machte, 
dem  dritten  in  der  Reihe  seiner  kirchenpolitischen  Druck- 
werke. Er  mochte  sich  überzeugt  haben,  dass  die  schwere 
Gelehrsamkeit  seiner  geistlichen  Freunde  gegen  den  feder- 
gewandten Bischof  eines  Bundesgenossen  bedürfe  (2).  Er 
mochte  sich  auch  besonders  gereizt  fühlen,  diesen,  den  ge- 
feierten englischen  „Persius"  und  „Seneca",  dessen  literari- 
schen Charakter  er  voreingenommen  nicht  höher  achtete  als 
seinen  politischen  und  kirchlichen,  die  furchtbare  Geissei  seiner 
Ironie  fühlen  zu  lassen.  Aus  einem  der  späteren  Pamphlete 
Milton's  lässt  sich  ganz  deutlich  erkennen,  dass  ihm  die  schrift- 
stellerische Vergangenheit  des  Bischofs  wenig  gefiel.  Schon 
das  schien   ihm   tadelnswertlr,   dass  Hall   sich   einst  in  etwas 


7ß  Beurtheilung  HhU's. 

stolzeil  Versen  als  den  ersten  englischen  Satyriker  gepriesen 
hatte,  während  Donne's  Satyren  wenigstens  handschriftlich 
schon  vorhanden  waren  (^).  Aber  auch  den  Zweck  jener  Dicli- 
tungs-Gattung  hatte  Hall  in  Milton's  Augen  verfehlt.  Er  fand 
in  ihm  nicht  den  Muth  eines  Wither  die  „Laster  der  Grossen" 
anzugreifen ,  sondern  nur  den ,  die  Laster  der  niederen  Ge- 
sellschaft zu  tadeln,  „in  jede  Schenke  zu  kriechen,  wo  ein 
Polizeidiener  mehr  gefürchtet  wird  als  eine  Satyre".  Nimmt 
man  dazu,  dass  eine  Stelle  der  HalFschen  Satyren  (L  8)  einem 
Ausfall  gegen  die  puritanische  Lieblings-Dichtiing,  metrische 
Uebersetzung  biblischer  Stücke,  nicht  unähnlich  sah,  so  be- 
greift sich,  warum  der  Dichter  Hall  in  Milton  ebensowenig 
Sympathieen  erwecken  konnte  wie  der  Bischof,  und  die  Härte, 
mit  der  er  diesen  l)ehandelt,  wird  sich  auch  ein  wenig  aus 
der  feindseligen  Stimmung  gegen  jenen  erklären  lassen  (2). 
Jedenfalls  kommt  die  stärkste  Geringschätzung  zum  Aus- 
druck in  den  etwa  im  Juli  1641  erschienenen  anon}  men  „Bemer- 
kungen zu  der  Vertheidigung  des  Remonstranten  gegen  Sinec- 
tynmuus".  Der  Titel  war  gut  gewählt,  denn  die  äussere  Form 
der  Schrift  ist  der  Art,  dass  aus  Hall's  ,, Vertheidigung"  ein- 
zelne Sätze  herausgerissen  und  jedes  Mal  von  einer  mehr  oder 
weniger  saftigen  „Antwort-^  Miitons  begleitet  werden.  Bei 
dieser  Art  eines  unfreiwilligen  Zwiegesprächs  ist  der  Gegner 
fi-eilich  gleich  von  Anfang  an  in  Xachtheil  gesetzt,  er  muss 
sich  seine  Worte  unbarmherzig  zerpflücken  lassen,  während 
sein  Widerpart  sich  nach  Belieben  aussprechen  kann.  Milton 
hält  es  für  nöthig  sich  in  der  Vorrede  bei  den  ,,sanftmüthigeren 
Christen"  wegen  der  Heftigkeit  seines  Angriffes  zu  entschuldigen. 
Er  weiss,  dass  man  dem  Verläumder  nicht  in  seiner  Sprache 
antworten  soll ,  aber  gegenüber  einem  „notorischen  Feinde  der 
Wahrheit  und  des  Friedens  des  Vaterlandes",  welcher  seiner 
„Zungenfertigkeit"  vertraut  und  vor  allen  anderen  die  Usur- 
pation und  den  Pseudo-Episkopat  der  Prälaten  mit  allen  ihren 
Ceremonieen,  Liturgieen  und  Tyranneien  zu  verthcidigen  sucht, 
muss  die  christbclic  Milde  aufhören.  Einen  solchen  (hirf  man 
schon  etwas  rauher  anfassen,  und  mit  den  Worten  der  Ent- 
rüstuim   da)f  sicli  aucli  hie  und    da  ein   bitteres  Lachen  ver- 


Beurtheilung  Hall's.  77 

binden.  Jene  Znn.ücnfertigkeit  war  es  nicht  allein,  die  gerade 
Hall  als  einen  des  Angrilfs  besondei-s  würdigen  Gegenstand 
erscheinen  liess.  Seine  versteckte  Kampfweise,  mit  der  er  die 
fünf  Geistlichen  in  einem  Athem  ..liebe  Briider"  nannte  und 
mit  den  giftigsten  Schmähnngen  überschüttete,  seine  Hall)- 
heit,  mit  der  er  scheinbare  Zugeständnisse  machte,  um  sich 
in  Wirklichkeit  einer  gründlichen  Reform  zu  widersetzen,  die 
sittliche  Schwäche,  welche  Miltons  Parteilichkeit  in  seinem 
Auftreten  zu  finden  glaubte,  gaben  ihm  zu  einei-  ganz  anderen 
Sprache  Anlass,  als  er  sie  gegen  üssher  geführt  hatte.  Schmä- 
hvmgen,  Witzworte,  Ausbrüche  des  Zornes  und  des  Hohnes 
wechseln  mit  einander  ab  und  unterbrechen  die  dialektischen 
Ausführungen,  in  denen  mit  gewohnter  Meistei'schaft  der  Sprache 
die  eigentlichen  Streitfragen  ])ehandelt  werden.  Hall,  dem 
grossen  Logiker,  wird  mehrfach  in  allen  scholastischen  Formen 
klar  gemacht,  dass  es  mit  seiner  Logik  schlecht  bestellt  sei.  Hall, 
dem  berühmten  Stylisten,  werden  grobe  stylistische  Fehler  vorge- 
halten. Hiebei  darf  denn  der  ,,von  selbst  untersinkende  Schaum" 
nicht  fehlen.  ,,Das  ist  mehr,  als  Cardanus  sich  hat  träumen 
lassen  .  .  .  gewiss  werden  dann  eines  Tages  auch  schwere  Blei- 
gewichte von  sell)st  schwimmen.  Und  dem  Manne  soll  man 
trauen,  dessen  Theologie  England  mit  Rom  versöhnen  will  und 
dessen  Philosophie  die  Natur  und  das  Chaos  zu  Freunden  macht, 
sine  pondere  habentia  pondus".  Der  Dichter  Hall  muss  liittere 
Aeusserungen  über  seine  „zahnlosen  Satyren"  hören,  aljer  auch 
sein  späteres  Werk  „Mundus  alter  et  idem",  ein  satyrisches 
Erzeugnis  seiner  Phantasie,  das  man  als  eines  der  Vorbilder 
von  Gulliver's  Reisen  betrachten  kann .  wird  nicht  geschont. 
Auf  die  Bemerkung  der  Smectymnianer.  in  vielen  Ländern  sei 
das  Bisthum  unbekannt,  hatte  Hall  spottend  erwidert:  Gewiss 
z.  B.  auch  in  China,  Japan.  Peru,  Brasilien,  Neu-England, 
Virginia  und  in  tausend  anderen  Ländern,  was  das  aber  zur 
Sache  thue?  Milton  beeilt  sich  seine  geographischen  Citate 
in  sehr  zweideutiger  Weise  zu  unterstützen  (p.  213).  Er  will 
ihm  einige  ,. grosse  und  reiche  Länder"  nennen,  wo  man  sicher 
sei,  mindestens  seit  Konstantin's  Zeiten  Bischöfe  anzutreffen, 
nämlich  Crapulia,  Pamphagonia,  Yvronia  etc.,  lauter  Bezeich- 


78  Beurtheilung  Ilall's. 

nimgen  für  das  mit  leiblicher  Nahrung  wohl  ausgestattete 
Schlaraffenland.  ^Yelches  Hall  nach  eben  jenen  Provinzen  mit 
behaglicher  Breite  in  seinem  Phantasie! )ilde  der  „anderen  und 
derselben  Welt"  vor  Jahren  geschildert  hatte.  Ueberhaupt  hebt 
Milton  in  dieser  Schrift  mit  besonderer  Bitterkeit  den  Luxus 
der  anglikanischen  Würdenträger  hervor.  Er  weist  sie  sehr 
nachdrücklich  auf  die  Armuth  und  Einfachheit  Christi  und  der 
Apostel  hin,  deren  unmittelbare  Nachfolger  zu  sein  sie  vor- 
geben (p.  216),  er  deckt  schonungslos  auf,  dass  es  sich  bei 
dem  ganzen  Streite  sehr  wesentlich  um  Geld  und  Gut  handle, 
welches  die  englische  Hierarchie  aus  ehemaligen  „Revenuen 
des  Fegefeuers  und  der  Simonie  der  Seelenmessen"  überkommen 
habe  und  nun  nicht  fahren  lassen  wolle  (p.  217),  er  deutet  an, 
dass  dieses  aufgehäufte  Kirchengut  sich  vortrefflich  zu  einer 
Reform  der  verrotteten  Institute  der  Universitäten  werde 
lirauchen  lassen,  deren  grosse  Mängel  er  aus  eigener  Erfah- 
rung kannte,  er  spricht  seine  volle  Verachtung  gegen  jenen 
„Miethlings-Klerus"  (hireling  clergy)  aus,  dem  schon  während 
seiner  Lehrjahre  der  Sinn  „nach  einer  fetten  Präbende,  Dechanei 
oder  Bischofs-Stelle  steht"  und  hofft  von  der  Beseitigung  jener 
„Lockspeisen"  ebenso  viel  für  den  religiösen  Sinn  wie  die  Prä- 
laten und  ihr  Anhang  füt  ihre  persönlichen  Interessen  fürchteten. 
„In  Sachen  der  Religion  —  ruft  er  aus  —  ist  nichts 
unerträglicher  als  ein  gelehrter  Narr  oder  ein  gelehrter  Heuchler. 
Der  eine  steckt  immer  in  leeren  Träumereien,  als  ein  thörichter 
Schwachkopf,  von  dem  die  Menschheit  keinen  Nutzen  hat,  der 
die  Welt  mit  eitlen  und  müssigen  Fragen  besäet ...  —  wahr- 
lich ein  schlichter  ungelehrter  Mann,  der  gemäss  seiner  ange- 
borenen Erleuchtung  ein  gutes  Leben  führt,  ist  besser  und 
weiser  und  dient  seinen  Mitmenschen  mehr  zur  Erbauung  .... 
Der  andere  benutzt  seine  sophistischen  Künste  und  seine  ganze 
Tielehrsamkeit  nur,  um  seine  unersättliclie  Habgier  und  Ehr- 
suclit  als  fromm  und  i"ec]itgläul)ig  ersclieincn  zu  lassen,  indem 
er  seine  niedrigen  und  ])etrüglichen  Grundsätze  mit  einem 
glatten  und  glcissenden  Firnis  ülierzieht"  .  .  Gegen  die  Aus- 
gesucbtbeit  (Um-  bischöHichcn  Küche  regnet  es  Anzüglichkeiten, 
die  fast  an  Ilutten's  Feder  erinnern,    auf  die  Frage  des  Re- 


Ideal  des  Geistlichen.  79 

monstranten  aber,  ol)  irgend  ein  Klerns  in  der  Welt  so  viel 
ansgezeichnete  Gelehrte  und  Prediger  aufweisen  könne  wie 
zur  Zeit  derjenige  von  England,  hat  Milton  nur  jene  Antwort 
des  bitteren  Lachens:     ..Ha,  ha,  ha-'  (p.  241). 

Und  so  wechselt  er  ab  in  Wendungen,  denen  es  an  Schärfe 
nicht  fehlt,  in  denen  aber  oft  der  gute  Geschmack  der  Leiden- 
schaft des  Kampfes  zum  Opfer  fällt.  Doch  wird  dies  leichte 
Geplänkel  mehr  oder  weniger  unhöflicher  Bemerkungen  mit- 
unter wohlthätig  durch  grössere  Massen  festgeschlossener  Ge- 
dankenreihen durchbrochen,  in  denen  dann  wieder  das  hohe 
sittliche  Pathos  des  Dichtörs  zum  Ausdruck  kommt.  So  ent- 
hält die  Schrift  eine  ideale  Schilderung  vom  Amte  des  Geist- 
lichen, wie  Milton  es  sich  im  Gegensatz  zum  Zerrltilde  des 
Hochkirchenthums  ausmalte,  er,  welchen  das  herrschende 
System  selbst  einst  abgeschreckt  hatte  die  geistliche  Lanfliahn 
zu  betreten.  Es  ist  nicht  jenes  behaglich-sentimentale  Idyll 
des  englischen  Landpredigers,  das  ihm  vorschwebt,  sondern 
die  hohe  Gestalt  des  ehrwürdigen  Sitten  -  Lehrers ,  dessen 
feuriges  W^ort  zündend  in  die  Massen  einschlägt.  ,, Wahr- 
haftig, es  giebt  kein  Amt,  das  mehr  Ehre  bringt ,  das  einen 
grossen  Geist  mehr  befriedigen  kann  und  einer  edleren  und 
freieren  Pflege  bedarf  als  das,  der  Bote  und  Herold  himm- 
lischer Wahrheit  von  Gott  für  den  Menschen  zu  sein  und 
durch  die  treue  Arbeit  heiliger  Lehre  .  .  .  Gottes  Schöpfung 
im  kleinen  nachzuahmen,  seineu  Geist  den  Seelen  einzu- 
flössen, .  ,  .  die  kalten  und  finstren  Herzen  der  Hörer  zu 
durchdringen  und  aus  Nacht  und  Wüste  einen  frischen  Quell 
seliger  Erkenntnis  und  guter  Werke  zu  erwecken''.  Ein  solcher 
., wahrer  Hirte"  fordert  für  seine  grossen  Mühen  entweder 
nichts,  wenn  er  ohne  das  auskommen  kann,  oder  nur  das  be- 
scheidene Mass,  das  des  Lebens  Nothdurft  erheischt,  er  fühlt 
sich  nicht  entehrt,  wenn  er  nichts  mit  Gerichts-Sitzungen  zu 
thun  hat,  in  denen  den  ,, verstockten  Sündern"  der  Geldlieutel 
erleichtert  wird,  er  strebt  nicht  danach  von  den  Leuten  ,,Lord" 
genannt  zu  werden,  denn  Lords  und  Fürsten  werden  ihn  gerne 
,, Vater"  nennen,  er  drängt  sich  nicht  dazu,  eine  Stelle  im 
Parlament  zu  erhaschen,  denn  seine  Weisheit  kann  ihn  selbst 


80  Für  Freiheit  der  Presse. 

zum  Lehrer  des  Parlaments  machen,  wie  es  denn  herrlicher 
und  wirksamer  ist,  durch  die  Macht  der  Ideen  und  der  Ueber- 
zeugnmg  die  Menschen  zum  Guten  zu  leiten  als  sie  durch 
Zwangsmittel  und  Gesetzesstrenge  vom  Bösen  zuiiickzuhalten. 
Dem  Stande  der  Geistlichen,  in  diesem  idealen  Sinne  aufge- 
fasst,  soll  alles  Kastenwesen  fern  bleiben.  Gott  kann  Fürsten 
und  Adlige  zu  diesem  hohen  Berufe  begeistern  so  gut  wie 
andere.  Die  Prälaten  wollen  freilich  eine  solche  Kaste  bilden, 
sehen  geringschätzig  auf  die  grosse  Masse  herab,  „und  doch 
findet  man  gemeiniglich  bei  einem  Laien  mehr  vernünftige 
Erkenntnis  als  bei  einem  Dutzend  Bischöfen"  (p.  237,  207).  — 
In  demselben  hohen  Tone  redet  er  von  dem  Segen  der  Press- 
freiheit, welche  die  Prälaten  so  lange  Jahre  unterdrückt  hatten 
,, durch  ihre  mönchischen  Einschränkungen,  ihre  Verzeichnisse 
der  verbotenen  Bücher,  ihre  Knebel  und  Zäume,  ihre  Macht 
die  Druck-Erlaul)nis  zu  ertheilen,  die  man  nur  von  irgend 
einem  bezahlten,  engherzigen,  ungelehrten  Kaplan  erlangen 
konnte",  dessen  Auge  das  Werk  nur  flüchtig  durchblickte,  dessen 
Hand  aber  gar  nicht  flüchtig  im  Streichen  war.  Damals  fühlte 
sich  die  Freiheit  der  Rede,  „das  Herrlichste,  das  der  Mensch 
besitzt",  „wie  ein  keuchender  Schwindsüchtiger  beengt  und  ein- 
geschnürt", was  Wunder,  wenn  nun,  da  wieder  ein  Parlament 
versanunelt  ist,  „in  der  Zeit  der  Jubelfeier,  der  Wiederaufer- 
stehung des  Staates"  die  lange  verfolgte  Wahrheit  mit  über- 
mässiger Gewalt  hervorln-icht?  Mancher  Fürst  hat  es,  wie 
Harun  al-Raschid,  für  gut  befunden,  Nachts  verkleidet  die 
Strassen  seiner  Hauptstadt  zu  durchwandern,  um  sich  mit  eigenen 
Augen,  nicht  getäuscht  durch  Schmeichler  und  Wohlredner, 
vom  wahren  Zustand  des  Volkes  und  seinen  Bedürfnissen  zu 
tibei'zeugen.  Eben  diesen  Dienst  kann  die  Freiheit  der  Presse, 
wenn  sie  sonst  nichts  Gutes  mit  sich  brächte,  leisten.  Sie  führt 
gleichsam  zu  einer  „anntomischen  Zerlegung  der  verborgensten 
und  feinsten  Theile  der  Wirkliclikeit",  sie  belehrt  niclit  nur 
die  ganze  Nation,  sondern  gewährt  auch  dvii  Fürsten  und 
Koh-hen,  welche  den  Gefülilen  der  Masse  ferne  steim,  einen 
klai-en  Einblick  in  jedes  schleicbt-nde  ITel)el  und  jedes  zurück- 
geliiiltciic  Gute.      „Es  wi'uv   hai-t.    es  wäre   (IrückcMid    für   ein 


Literarische  Hülfsmittel.  81 

Königreich  freier  Geister",  wenn  die  aus  so  sclimiUilichen  Ban- 
den erlöste  Presse  sieh  die  Censur  „wegen  schmähsüchtiger 
Libelle"  gefallen  lassen  müsste,  wie  Hall  nicht  übel  Lust  ge- 
zeigt hatte  sie  gegen  seine  Widersacher  anzurufen  (p.  190). 

Der  grosse  Vortheil,  den  der  allseitig  gebildete  Milton  in 
seinen  Ausführungen  vor  den  geistlichen  Verfassern  des  Sniec- 
tymuuus  voraus  hat,  besteht  darin,  dass  er  mit  freiester  Aus- 
wahl über  den  ganzen  Schatz  antiker  und  moderner  Literatur 
gel)ietet  und  mit  glücklichem  Takt  aus  diesem  einzelnes  als 
Schmuck  seiner  Darstellung  herausgreift.  Allerdings  für  die 
wesentlichen  Streitpunkte,  um  die  es  sich  beim  Kampfe  HalFs 
und  seiner  Gegner  handelte,  zog  er  selbstverständlich  die  ihm 
so  wohl  bekannten  theologischen  Belegstellen  gleichfalls  an, 
und  benutzte  sie  zu  den  schärfsten  Urtheilen  über  die  Ordi- 
nation, welche  die  Bischöfe  ausschliesslich  für  sich  in  Anspruch 
nahmen,  „dies  äussere  Zeichen  des  Handauflegens,  das  nichts 
schaffen,  nichts  übertragen  kann,  da  nur  die  innere  Stinune 
Gottes  den  Geistlichen  macht",  über  die  Jurisdiktion  der  Prä- 
laten, „Kanzler,  Suffragane,  Delegaten  und  Officiale  mit  dem 
ganzen  höllischen  Schwärm  von  Gerichtsboten  und  Bütteln"  — 
diesen  „Eingriff  in  die  staatliche  Amtsgewalt' ^  —  über  die 
Liturgie,  deren  Form,  an  katholische  Vorbilder  erinnernd,  „phan- 
tastisch und  abgöttisch"  erschien,  und  die,  wie  er  einst  in 
Cambridge  selbst  hatte  erleben  können,  den  puritanischen 
Gläubigen  an  Stelle  des  freien  Gebetes  „mit  Gewalt  auf^ge- 
zwungen"  worden  war.  Indessen  treten  doch  die  theolo- 
gischen Citate  in  dieser  Schrift,  welche  den  Schöngeist  Hall 
so  gut  zu  meistern  bestimmt  war  wie  den  Bischof,  bedeutend 
hinter  anderen  aus  weltlichen  Quellen  zurück.  Hatte  der 
„Remonstrant"  den  Bacon  für  sich  angeführt,  so  diente  ihm 
sein  Gegner  mit  gleicher  Münze.  Neben  derben  heimischen 
Sprüchwörtern  erscheinen  lateinische  Dicta,  neben  Anführungen 
aus  Lucian  sehr  anzügliche  Verse  des  „bewunderten"  Spenser. 
Die  griechische  Mythologie  wie  die  römische  Geschichte  werden 
für  die  Zwecke  des  Autors  ausgenutzt,  ein  Wort  Savonarola's 
erscheint  ihm  höchst  brauchbar,  und  wo  ihn  seine  klassischen 
Erinnerungen  verlassen,  erfindet  sein  dichterischer  Sinn  rasch 

Stern,  Milton  u.  s.  Zoit.  I.  2.  6 


82  Literarische  Hülfsmiltel. 

eine  reizende  Fabel  im  aesopisclien  Stil,  deren  Nutzanwendung- 
auf den  Fall  der  Bischöfe  er  sich  vorbehält  bis  „zum  Schluss 
des  Parlaments". 

Man  liat  bemerkt,  dass  jene  Kaclischrift  des  Smectym- 
nuus,  die  Aufzählung  der  geschichtlichen  Thatsachen,  welche 
flir  die  Verderblichkeit  des  englischen  Bisthums  anführbar 
waren,  von  Milton  mit  besonderem  Kachdruck  gegen  Hall  in 
Schutz  genommen  wird.  Hall  hatte  die  Verfasser  des  Smec- 
tymnuus  des  Plagiats  u.  a.  aus  Prynne's  „Kompendium",  einer 
l)lossen  ,.Zusammenstoppelung  von  Geschichten"  beschuldigt. 
Milton  antwoi'tet  darauf:  .  .  ,  ,,Die  Sammlung  (von  Belegstellen 
aus  Geschichts-Werken) ,  das  mögest  du  wissen,  war  aus  so 
zuverlässigen  Autoren  dieses  Faches  entnonnnen.  wie  sie  keine 
l)ischöfliche  Bibliothek  besser  enthalten  kann;  und  der  die 
Zusammenstellung  gemacht  hat,  sagt  ausserdem,  dass  er  in 
einem  ähnlichen  Fall  die  Hülfe  von  Kompendien  oder  histo- 
rischen Zusannnenstoppelungen  weniger  nötliig  hal)en  wird,  als 
Ew.  Ehrwürden  die  von  Postillen  und  Blumenlesen,  um  ihre 
Predigten  zu  flicken".  Aus  dieser  Stelle  vorzüglich  ist  der 
Schluss  gezogen  worden,  kein  anderer  als  Milton  habe  jene 
Nachschrift  zu  dem  Smectymnuus  oder  wenigstens  Notizen  dazu 
geliefert  i  ^).  So  geisti'eich  diese  Vermutlmng  ist,  so  wage  ich 
doch  nicht  mich  ihr  anzuschliessen.  Die  Ausdrücke  Milton's 
sind  zu  allgemein  gehalten,  der  Ton  in  diesem  Theile  seiner 
Schrift  von  dem  in  den  vorhergehenden  zu  wenig  verschieden, 
als  dass  sich  mit  Bestinnntheit  sagen  Hesse,  hier  habe  es  sich 
dem  Autor  nicht  um  Vertheidigung  der  Smectymnianer,  son- 
dern um  die  eigene  Vertheidigung  gehandelt.  Auch  ist  schon 
bemerkt  worden,  dass  Milton  sellist  in  seiner  Sclirift  über  „die 
Keformation"  das  gleiche  geschichtliche  Material  ganz  anders 
zu  verwenden  weiss.  Man  sieht  auch  nicht  ein,  warum  die 
fünf  Geistliclieii,  um  so  hindläutige  Quellen  auszusc]»rei])en,  wie 
es  Ikeda,  Holinslied,  Stowe  waren,  die  Hülfe  ihres  gelehrten 
Freundes  liätten  anrufen  müssen,  um  so  weniger,  da  sie  später 
in  der  „Vertheidigung  ihrer  Antwort  auf  die  Pemonstranz" 
p.  y>.  sel])st  den  Ausdruck  gebrauchen:  „our  histories 
record    of  llai-old",   sodass  sie   diese  ,, histories"  doch  gekannt 


Karl  I.  in  Schottland.  83 

hal)en  müssen.  Zweifelhaft  wird  es  erscheinen,  oh  der  Smec- 
tynniuiis  Milton  schon  vor  dem  Druck  im  Ms.  l)ekannt  wurde, 
wenn  er  auch  um  das  Geheimnis  der  Autorschaft  gewusst 
haben  mag.  Denn  schwerlich  wäre  ilini.  dem  Freunde  der 
Naturwissenschaft,  dem  A^erehrer  Galilei"s,  jener  bedenkliche 
apodiktische  Satz  der  Smectymnianer  entgangen,  mit  dem  sie 
eine  Behauptung  ihres  Gegners  abzutrumpfen  suchen:  ..Wir 
werden  sofort  zeigen,  dass  in  dieser  Behauptung  niclit  mehr 
Wahrheit  liegt,  als  wenn  er  mit  Anaxagoras  gesagt  hätte:  Der 
Schnee  ist  schwarz,  oder  mit  Copernicus:  Die  Erde 
bewegt  sich  und   der  Himmel   steht  still". 


Inzwischen  war  die  grosse  kirchenpolitische  Frage  durch 
den   Gang   der  Ereignisse   ein   Stück   weitergebracht  worden. 

Der  König  verfolgte  bei  seiner  Reise  nach  Schottland  in 
erster  Linie  das  Ziel  die  Sache  der  Schotten  von  der  Sache 
der  Engländer  zu  trennen.  Im  Korden  augelangt,  erklärte  er 
sich  daher  mit  allem,  was  gegen  seine  ursprünglichen  Ab- 
sichten geschehen  war,  für  einverstanden,  gab  für  die  Ernennung 
der  höchsten  Staatsbeamten  und  der  Mitglieder  des  geheimen 
Raths  sogar  seine  Prärogative  auf  und  Hess  sich  für  seine 
Person  den  reinen  presbyterianischen  Gottesdienst  gefallen. 
Er  versäumte  nichts,  sich  Argyle,  der  die  Ansprüche  des  schotti- 
schen Adels  und  des  schottischen  Presbyterianismus  gebiete- 
risch vertrat,  so  gefügig  als  möglich  zu  zeigen  und  musste 
dulden,  dass  selljst  Hamilton,  der  alte  Vertraute  und  Berather 
in  den  schottischen  Angelegenheiten,  mit  jenem  mächtigen 
Magnaten  und  seinen  Genossen  gemeinsame  Sache  machte. 
Indessen  gab  es  Gegenstände,  über  welche  eine  Vereinigung 
schwierig  schien,  und  es  konnte  niemandem  verborgen  bleiben, 
wie  wenig  man  im  scliottischen  Lager  dem  plötzlich  umgewan- 
delten Monarchen  traute.  Noch  vor  der  Zeit,  in  welcher  in 
England  heimliche  Pläne  einer  Reaktion  gegen  die  Fortschritte 
der  parlamentarischen  Macht  geschmiedet  worden  waren, 
hatten  sich  auch  in  Schottland  ähnliche  dem  König  günstige 
Bestrebungen  geregt.     Eine  Partei  hatte  sich  unter  dem  Adel 

6* 


84  Karl  I.  in  Schottland. 

gebildet,  welche  zwar  die  hiscliöfliche  Kirclien -Verfassung 
keineswegs  in  ihrem  Heimathmde  zuriickzuführeu  gedachte, 
der  al>er  die  oligarchische  Herrschaft  Argyle's  und  seines  An- 
hangs unerträglich  war.  An  ihrer  Spitze  stand  jener  Graf 
von  Montrose,  jugendlich -feurig,  das  Herz  von  ehrgeizigen 
Wünschen  erfüllt,  die  durch  das  eifrige  Studium  der  antiken 
Schriftsteller  genährt,  in  den  kalten  Formen  des  Presbyte- 
rianismus  keine  Befriedigung  finden  konnten.  Zwar  war  er 
der  erste  im  Heere  der  Covenanters  gewesen,  der  sein  Boss 
über  den  Tweed  geführt  und  den  Fuss  auf  englischen  Boden 
gesetzt  hatte,  aber  seine  durch  und  durch  royalistische  Ge- 
sinnung, die  nur  eine  Zeit  lang  geschlummert  hatte,  und  vor 
allem  seine  Eifersucht  auf  die  lieherrschende  Stellung  Argyle's, 
des  „Königs  Campbell",  hatten  ihn  schon  im  Winter  1640  auf 
1641  verleitet,  einen  geheimen  Briefwechsel  mit  Karl  I.  zu 
beginnen  und  wenig  später  einen  geheimen  Bund  mit  Lord  Napier, 
Sir  Archibald  Stewart  von  Blackhall  und  anderen  Grossen 
abzuschliessen ,  der  seine  Spitze  gegen  Argyle  richtete.  Die 
Entdeckung  dieser  Umtriebe  hatte  im  Juni  1641  zur  Verhaf- 
tung Montrose' s  und  seiner  Freunde  geführt.  Sie  sassen  in 
sicherem  Gewahrsam  im  Schloss  zu  Edinburg,  als  Karl  dort 
anlangte.  Der  König,  welchen  die  Erinnerung  an  Strafford 
verfolgte,  wünschte  um  jeden  Preis  diese  Männer  zu  retten, 
dei-en  vertrauliche  Aufforderungen  wesentlich  dazu  beigetragen 
hatten,  ihn  zu  seiner  Reise  zu  bewegen.  Argyle  war  geneigt 
sie  zu  schonen,  aber  so  gross  war  das  Misstraucn,  das  man 
in  seinem  Kreise  hegte,  so  bedeutend  die  Furcht  vor  Intriguen 
der  Höflinge,  die  Monti'ose's  Faktion  geneigt  waren,  dass  Argyle, 
und  mit  ihm  Hamilton  und  dessen  Bruder,  der  Graf  von  Lanark. 
plötzlich  aus  iMÜnburg  verschwanden,  da  ihr  Leben  von  einem 
Komplott  bedroht  sei  (12.  Okt.)  Der  König  betheuerte  vor 
dem  schottischen  Parlament  seine  Unschuld,  die  Geflüchteten 
kehrten  nach  einiger  Zeit  zurück,  aber  das  räthselliafte  Er- 
eignis liatte  jedenfalls  nicht  dazu  gedient,  die  Stellung  Karls 
zu  verstärken  (^).  Zwar  kam  man  überein,  die  gefangenen 
Iloyalisten  straflos  ausgelin  zu  lassen,  indess  die  Leitung  aller 
Staatsgesdiäfte  gieng  auf  die  Mitglieder  des  presbytei'ianischen 


Wiederzusammeutvitt  des  Parlaments.  85 

Adels  über,  welclie  zuerst  den  Kampf  gegen  den  König  orga- 
nisirt  hatten.  Dieselben  Männer,  die  noch  vor  kurzem  als 
Rebellen  gebrandmarkt  worden,  sahen  sich  jetzt  durch  Ehren- 
und  Gnadenliezeugungen  ihres  Fürsten  überhäuft,  niemand 
mehr  denn  Argyle.  Als  Karl  sein  Stammland  im  November 
1641  verliess,  'hatte  er  die  stolzen  Magnaten  befriedigt,  die 
presbyterianische  Geistlichkeit  beiiüiigt,  die  Masse  des  Volkes 
aufs  neue  mit  loyalen  Gesinnungen  erfüllt.  Von  Schottland 
glaubte  er  keine  Einmischung  in  die  Verhältnisse  Englands 
fürchten  zu  müssen,  wenn  die  Stunde  gekommen  wäre,  sich 
dort  den  Wogen  der  Revolution  entgegenzuwerfen,  welche  die 
Grundlagen  der  Kirchenverfassung  unterwühlte,  und  vor  deren 
Gewalt  auch  die  Verfassung  des  Staates  nicht  unerschüttert 
bleiben  konnte  (^). 

Am  20.  Oktober  war  das  englische  Parlament  wieder  zu- 
sammengetreten. Die  wenigen  Wochen  der  Ruhe,  die  es  sich 
gegönnt  hatte,  waren  für  die  Entwicklung  der  Parteiverhält- 
nisse von  grösster  Bedeutung  gewesen.  Der  fieberhaften  Auf- 
regung der  Debatten  für  kurze  Zeit  entzogen ,  zurückgekehrt 
in  die  friedliche  Stille  ihrer  Landsitze  waren  viele  der  Parla- 
mentsmitglieder zum  Nachdenken  darüber  gekommen,  wie  weit 
man  schon  gegangen  sei,  und  zum  Entschluss,  nicht  weiter 
zu  gehn.  Jene  letzten  einseitigen  Verordnungen  des  Hauses 
der  Gemeinen,  die  auf  Aenderung  des  Ritus  im  puritanischen 
Sinn  Bezug  hatten,  waren  doch  vielfachem  Widerspruch  be- 
gegnet. Hervorragende  Männer,  die  keineswegs  zu  den  Fana- 
tikern der  Laud'schen  Schule  gehörten,  wie  Bischof  Williams, 
erklärten  sie  für  ungesetzlich.  Ueberhaupt  musste  die  Unter- 
brechung der  Sitzungen  die  Bestrebungen  aller  derer  begün- 
stigen, welche  zwar  Reformen  der  Kirchen  Verfassung  verlangt 
hatten,  aber  das  Bisthum  beibehalten  wollten,  und  w^elche 
bereit  gewesen  waren,  zur  Sühne  der  Vergangenheit  und  zur 
Sicherung  der  Zukunft  mitzuwirken,  weitere  Angriffe  auf  die 
Prärogative  der  Krone  indess  für  unstatthaft  hielten.  Die 
parlamentarische  Mittelpartei,  deren  Ansätze  schon  vorher 
deutlich  bemerkbar  gewesen  waren,  hatte  sich  völlig  zu  Gun- 
sten   des  Königs   und   der  Prälaten   ausgebildet  und  begann 


8(3  Wiederzusammentritt  des  Parlaments. 

den  ungleichen  Kampf  mit  den  Männern  des  entschiedenen 
Fortscliritts.  Im  Hause  der  Lords,  dessen  Gesammtcharakter 
von  Anfang  an  mehr  der  Erhaltung  als  der  Veränderung  des 
Bestehenden  zugeneigt  war,  konnte  sie,  zumal  so  lange  die 
Bischöfe  noch  mitwirkten,  unstreitig  auf  die  Mehrzahl  rech- 
nen und  hatte  in  dem  zur  Pairie  erhobenen  Lord  Digby  einen 
überaus  fähigen  Vorkämpfer  erhalten,  dessen  Vater,  Graf 
Bristol ,  gleichfalls  wiederum  mit  dem  König  versöhnt  war. 
Im  Hause  der  Gemeinen  gebot  sie  wenigstens  über  eine  sehr 
achtungswerthe  Minorität,  an  deren  Spitze  Falkland,  Cole- 
pepper,  Deering,  E.  Waller  etc.  traten;  ihr  leitender  Führer 
wurde  Edward  Hyde,  welchen  des  Königs  persönliche  Gunst 
vollständig  gewonnen  hatte.  Es  lag  in  der  Natur  der  Dinge, 
dass  diese  Partei,  nachdem  sie  sich  in  entschiedenen  Gegen- 
satz zu  den  alten  Genossen  gestellt  hatte,  immer  weiter  auf 
der  Bahn  der  Nachgiebigkeit  gegen  den  Hof  getrieben  wurde, 
bis  der  Bruch  erfolgte,  welcher  den  Bürgerkrieg  hervorrief. 

Auf  der  anderen  Seite  kehrte  die  Mehrzahl  der  Mitglie- 
der des  Unterhauses  mit  verstärkter  Entschlossenheit  in  die 
St.  Stephens -Kapelle  zurück,  auf  dem  betretenen  Wege  muthig 
vorwärts  zu  gehn.  Den  einen  war  es  Gewissenssache,  nicht 
zu  ruhen,  bis  das  Bisthum  über  den  Haufen  geworfen  sei, 
Vane  und  Cromwell,  Haselrig  und  Märten  stellten  die  kir- 
chenpolitische Frage  in  den  Vordergrund.  Andere  waren  von 
dem  Gedanken  durchdrungen,  dass  man  weiter  gehen  müsse, 
weil  dem  König,  der  bei  allen  Veränderungen  in  den  Regie- 
rungsstellen immer  mehr  sein  eigener  Minister  wurde,  nicht 
im  mindesten  zu  trauen  sei:  diese  rein  politische  Auffassung 
vertrat  namentlich  John  Pym.  Aus  dem  Bericht,  welchen  er 
im  Namen  des  während  des  Recesses  thätigen  Ausschusses 
dem  Hause  erstattete,  leuchtete  eine  solche  Befürchtung  deut- 
lich hervor.  Man  hatte  von  jenem  räthselhaften  Ereignis  der 
Flucht  Argyle's  und  Hamilton's  und  den  Gerüchten,  die  sich 
daran  knüpften ,  durch  Bi'iefe  Hampden's  und  seiner  mit  ihm 
in  Scliottland  weilenden  Genossen  vernommen.  Man  raunte 
sich  zu,  unter  denen,  welche  einen  Anschlag  gegen  schot- 
tische Grosse  geplant,  seien  Papisten,    man  äusserte  lebhafte 


Irische   Kebellion.  87 

Besorgnis  über  einen  Zusammenhang  zwischen  jenen  Intri- 
guanten  und  einer  „gleichen  Partei"  in  England,  deren  Spuren 
man  während  der  pailamen tarischen  Ferien  in  vielfachen  un- 
ruhigen Bewegungen  der  soldatischen  Kreise  bemeikt  zu  haben 
glaubte.  —  Sofort  wurden  die  Wachtposten  in  der  Stadt  ver- 
stärkt und  beide  Häuser  ersuchten  den  Grafen  Essex,  den 
militärischen  Vertreter  des  Königs  diesseits  des  Trent,  das 
Lokal  ihrer  Sitzungen  Tag  und  Nacht  mit  einer  Schutzgarde 
aus  den  Milizen  von  Westminster  zu  versehn.  Demnächst 
nahm  man  den  Angriff  gegen  die  Bischöfe  wieder  auf.  Das 
Haus  der  Lords  wurde  aufgefordert  zu  einem  raschen  Verfah- 
ren in  Sachen  der  Anklage,  welche  vor  dem  Recess  gegen  die 
dreizehn  Bischöfe  erhoben  war.  Die  Lords  verstanden  sich 
zum  Beginn  der  Verhandlung  für  den  10.  November.  In- 
zwischen war  bei  den  Gemeinen  schon  am  zweiten  Tage  ihrer 
Wiedervereinigung  wiederum  eine  Bill  eingebracht  und  am 
23.  Oktober  in  dritter  Lesung  angenommen  worden,  nach  der 
..alle  Personen  geistlichen  Standes  unfähig  sein  sollten,  welt- 
liche Gerichtsbarkeit  und  Äutoiität  auszuüben''.  Sie  nahmen 
damit  ihren  früheren  Antrag  auf,  forderten  aber  nunmehr  nach 
einem  gründlichen  Vortrag  John  Pym's  von  den  Lords,  dass 
über  diese  Bill  mitzustimmen  den  Bischöfen  insgesammt,  auch 
den  nicht  angeklagten,  verwehrt  sein  solle. 

Während  man  in  dieser  Weise  energisch  vorgieng,  langte 
die  furchtbare  Kunde  der  blutigen  Gräuel  in  England  an, 
deren  Schauplatz  in  eben  diesen  Tagen  Irland  gewesen  war. 
Seit  der  starken.  Hand  Strafford"s  die  Zügel  der  Ptegiening 
entrissen  waren,  hatten  sich  auf  der  grünen  Insel  die  dämo- 
nischen Gewalten  religiösen  und  nationalen  Fanatismus  neu 
geregt,  die  er  mit  eisernem  Griff  für  Jahre  gebändigt  hatte. 
Das  Heer,  das  er  dort  gebildet  hatte,  ward  aufgelöst,  die 
geistlichen  und  weltlichen  Ausnahmegerichte,  wie  in  England, 
beseitigt,  der  neu  ermannte  Lord -Lieutenant,  Graf  Leicester, 
verweilte  noch  fern  von  seinem  Posten.  In  dem  Augenblick, 
da  das  Parlament  in  Westminster  sich  ungestüm  gegen  die 
Träger  der  letzten  Willkürherrschaft  erhob,  fühlte  die  celtisch- 
katholische  Masse  jenseits   des   St.  Georgs -Kanals  die  Gunst 


88  Rückwirkung  auf  England. 

des  Augenblicks  gekommen ,  um  auf  ihre  Weise  das  Unrecht 
von  Jahrhunderten  zu  rächen.  Unter  den  treibenden  Kräften 
war  zunächst  die  religiöse  Leidenschaft  überwiegend.  Die 
Katholiken,  seit  Generationen  auf  jede  Weise  in  dieser  ihrer 
Eigenschaft  geknechtet  und  beraubt,  aufgehetzt  durch  Agenten 
im  Priestergewande ,  die  nach  den  Verwaltungsgrundsätzen 
Strafford's  in  grösserer  Masse  aus  Spanien,  Italien,  den  Nie- 
derlanden hatten  eindringen  können,  ohne  Unterschied  der 
Abstammung,  waren  entschlossen,  die  protestantischen  Ansied- 
lungen  zu  vernichten  und  der  Kirche,  zu  der  sich  die  unge- 
heure Mehrzahl  der  Bevölkerung  bekannte,  die  Güter  zurück- 
zuerobern, welche  die  Habsucht  der  puritanischen  Fremdlinge 
ihr  entrissen  hatte.  Am  verabredeten  Tage  des  heiligen  Igna- 
tius  (23.  Oktober)  stürzten  sich  die  wuthberauschten  Schaaren, 
unter  Führung  wilder  Häuptlinge,  in  denen  die  Desmonds  und 
Tyrones  wiederauilebten ,  allenthalben  auf  die  Wohnsitze  der 
ahnungslosen  englisch -schottischen  Protestanten.  Mit  Mühe 
wurde  Stadt  und  Schloss  Dublin  in  letzter  Stunde  gewarnt 
und  gerettet,  wenige  andere  feste  Plätze  konnten  sich  halten, 
alle  übrigen,  das  flache  Land  waren  der  Wuth  der  Rebellen 
Preis  gegeben.  Im  Schlaf  überfallen,  von  Haus  und  Hof  in 
die  Einöde  gejagt,  durch  ausgesuchte  Folterqualen  gemartert, 
fanden  Manner,  Weiber,  Kinder  in  wenig  Stunden  zu  Tausen- 
den ein  grässliches  Ende. 

Am  1.  November  langten  die  ersten  Nachrichten  von 
dem  geschehenen  Unheil  in  London  an.  Waren  es  anfangs 
dunkle  Gerüchte,  welche  noch  nicht  die  ganze  Wahrheit  ahnen 
Hessen,  so  erhielt  man  bald  furchtbare  Gewissheit.  Jeder 
Tag  brachte  neue  entsetzliclie  Einzelheiten.  Achtzig  in  einer 
Grafschaft  ertränkt,  kleine  Kinder  buchstäblich  in  Stücke  ge- 
hauen, schwangere  Frauen  bestialisch  gemordet:  das  waren 
die  Bilder,  welche  in  den  düster -kalten  Novembertagen  der 
Phantasie  der  Engländer  sich  aufdrängten  (i).  Im  Parlament 
zog  man  in  grösster  Eriegvuig  in  Berathung,  wie  den  ver- 
lassenen Brüdern,  die  dem  Blutbad  entgangen  waren,  zu  helfen 
sei,  im  ganzen  Lande  begann  man  für  sie  zu  sammeln.  Aber 
indem  sich  alle  (Jedanken  jenen  Küsten  zuwandten,  von  denen 


Eückwirkung  auf  England.  89 

sich  durch  den  Winternebel  klagende  Stimmen  und  Racherufe 
erhoben,  wurden  viele  der  puritanischen  Herzen  mit  schweren 
Sorgen  erfüllt.  Seit  Jahren  hatte  der  Masse  des  englischen 
Volkes  das  Schreckgespenst  einer  gewaltsamen  Wiederaufrich- 
tung des  Papismus  vorgeschwebt.  Eben  dieser  Gedanke  hatte 
wesentlich  dazu  beigetragen,  die  Bewegung  zu  entfesseln,  von 
der  man  vorwärts  getrieben  wurde,  und  ihr  die  Richtung 
gegen  die  verhassten  hochkirchlichen  Institutionen  zu  geben, 
die  man  als  krypto- katholisch  betrachtete.  In  den  Debatten 
des  Parlaments,  in  den  Erzeugnissen  der  Presse,  in  den  Ge- 
sprächen der  Bürger  jvar  die  Hindeutung  auf  „papistische 
Faktionen  und  Umtriebe"  ein  stehendes  Wort,  um  die  Be- 
fürchtungen zu  bezeichnen,  die  man  vor  den  Gesinnungen  des 
Hofes  und  namentlich  vor  dem  Kreise  der  Königin  beständig 
hegte.  Gerade  damals  wurden  die  alten  Besorgnisse  einer 
Hinneigung  des  Hofes  zu  Spanien  durch  die  Gunst,  in  der 
Bristol  und  Digby  standen,  aufs  neue  erregt.  Man  wusste, 
dass  sich  Straftbrd's  Herrschaft  in  Irland  duldsamer  gegen 
die  Katholiken  gezeigt  hatte,  als  die  ängstliche  Intoleranz  des 
Puritanismus  es  billigen  konnte,  dem  jeder,  der  die  Messe 
anhörte,  schlechtweg  als  Staatsfeind  galt.  Man  vernahm,  dass 
die  Proklamationen  der  irischen  Rebellen  dem  Könige  Treue 
und  Schutz  gegen  die  „Unterdrücker  seiner  Prärogative"  ver- 
hiessen.  Ihr  Heer  nannte  sich  bald  das  „Heer  des  Königs", 
bald  „das  Heer  der  Königin",  ja  sie  hatten  die  Frechheit,  den 
Wortlaut  eines  angeblichen  königlichen  Befehls  zu  veröffent- 
lichen, durch  welchen  sie  zum  Handeln  ermächtigt  seien. 

Wir  wissen  längst,  dass  Karl  ohne  Schuld  an  dem  Gemetzel 
der  Oktobertage  gewesen  ist,  aber  wie  die  Stimmung  in  Eng- 
land war,  erscheint  es  begreiflich,  wenn  ein  Theil  der  Massen 
sich  mit  dem  finstersten  Argwohn  erfüllte.  Andere  Bedenken 
hatten  die  parlamentarischen  Führer.  Das  Elend  der  fernen 
puritanischen  Brüder,  die  das  nackte  Leben  hinter  die  be- 
drohten Mauern  weniger  Festungen  gerettet  hatten,  rief  um 
schleunige  Hülfe.  Jeder  Tag,  den  man  zögerte,  Truppen  an 
die  bedrohten  Küsten  zu  werfen,  wurde  zum  unerträglichen 
Vorwurf.     Aber  die  Aufstellung  eines  Heeres  konnte  eine  ge- 


90  Eückwirkuiig  auf  England. 

fälirliche  Waffe  in  der  Hand  des  Königs  werden,  und  die 
Pläne,  die  man  Strafford  zugeschrieben  hatte,  mochten  sicli 
damit  verwirklichen.  Wenn  man  zur  Absendung  von  Truppen 
sehr  bereit  war,  so  wünschte  man  die  Ernennung  ihrer  Führer 
nicht  dem  König  zu  überlassen.  Wenn  die  Bürger  von  Lon- 
don geneigt  waren,  Geld  zu  geben,  so  machten  sie  ihre  Be- 
willigung von  Bedingungen  abhängig.  Das  schottische  Parla- 
ment bot  zehntausend  der  eben  entlassenen  Soldaten  unter 
Führung  schottischer  Führer  zur  Bekämpfung  der  Rebellen 
an,  der  König  hatte  gegen  die  Ueberführung  einer  so  starken 
schottischen  Streitmacht  auf  irischen  Boden  Bedenken.  Er 
machte  auf  die  erste  Nachricht  hin,  die  er  über  das  irische 
Ereignis  erhielt,  gegenüber  dem  vertrauten  Sekretär  Nicholas 
die  vieldeutige  Bemerkung:  „Ich  hoffe,  die  bösen  Nachrichten 
aus  Irland  werden  einige  dieser  Thorheiten  in  England  ver- 
hindern" (^).  Die  Rebellion  der  Katholiken  musste  ihm  ge- 
wissermassen  als  Bundesgenosse  gegen  die  Macht  des  purita- 
nischen Parlamentarismus  erscheinen. 

Unter  solchen  Umständen  herrschte  das  begreifliche  Ge- 
fühl der  Unsicherheit  und  des  Misstrauens  vor,  welches,  durch 
die  wildesten  Gerüchte  von  Komplotten  und  Attentaten  ge- 
steigert, in  den  nächsten  Verhandlungen  des  Parlaments  zum 
Ausdruck  kam.  Es  gab  zwei  Positionen,  aus  denen  es  galt, 
den  König  zu  verdrängen,  um  sich  die  Zukunft  zu  sichern: 
sein  Recht,  die  höchsten  Ilathgeber  der  Ivrone  nach  freiem 
Belieben  zu  wählen,  und  sein  Recht,  über  die  Streitkräfte  des 
Landes  von  sich  aus  zu  verfügen.  Die  politischen  Ziele,  denen 
man  zustrebte,  waren  damit  in  aller  Schärfe  ausgesprochen. 
Man  wollte  ein  Ministerium,  aus  der  Mehrheit  des  Parlamentes 
genommen,  und  eine  Laudesvertheidigung  unter  parlamenta- 
rischer Leitung.  Pyni  betonte  in  einer  Konferenz  mit  den 
Lords  am  10.  November,  die  reich  war  an  heftigen  Ausfällen 
gegen  die  staatsfeindlichen  Prineipien  des  Papismus,  welche  sich 
eben  in  Irland  aufs  neue  gezeigt  und  doch  noch  im  Rathe 
d<.'s  Königs  Vertreter  hiitten,  wie  dringend  nöthig  es  sei,  die 
„üblen  Rathgeher"  (hirch  solche  ersetzt  zu  sehn,  „die  vom 
Pai-lamcnt  g('l)illigt  seien".    Einige  Taue  voihor  war  auf  Crom- 


Grosse  Remonstranz.  91 

■weH's  Antrag  beschlossen  worden,  in  jener  Konferenz  mit  den 
Lords  ihre  Zustimmung  zum  Erlass  einer  Ordonnanz  zu  er- 
bitten, welche  den  Grafen  Essex  ermächtigen  sollte,  weitere 
Beschlüsse  vorbehalten,  die  Milizen  des  Reiches  diesseits  des 
Trent  nach  Gutdünken  zur  Vertheidigung  des  Landes  aufzu- 
bieten (i).  Die  Instruktionen,  welche  an  die  noch  in  Schott- 
land befindlichen  Kommissäre  des  Parlamentes  abgiengen, 
redeten  gleichfalls  deutlich  genug.  Sie  legten  dar,  was  man 
bis  dahin  für  Irland  in  aller  Eile  gethan  habe,  forderten  aber 
zu  gleicher  Zeit  dazu  auf,  von  dem  König  alles  Unheil  auf 
die  Schultern  der  schlechten  Rathgeber  abzuwälzen.  Eine 
Ablösung  dieser  „Begünstiger  des  Papismus",  dieser  ..Feinde 
des  Friedens",  durch  Männer  des  parlamentarischen  Vertrauens 
werde  erwartet.  Für  den  Fall  einer  Täuschung  dieser  Er- 
wartung wurde  eine  Verfügimg  über  die  Büttel  zur  Ki'iegfüh- 
rung  ohne  Rücksicht  auf  die  Mitwirkung  des  Monarchen  in 
Aussicht  gestellt  (-).  —  Während  man  auf  diese  Weise  das 
irische  Ereignis  gegen  das  Königthum  auszubeuten  suchte, 
wurde  im  Hause  der  Gemeinen  selbst  ein  anderes  hochbedeu- 
tendes Werk  in  Angriff  genommen.  Schon  mehrfach  war  der 
Gedanke  angeregt  worden,  eine  „Remonstranz"  zusammenzu- 
stellen, eine  Uebersicht  der  Beschwerden,  deren  Ursache  die 
Willkiirherrschaft  der  Vergangenheit  gewesen,  nebst  einer  An- 
gabe der  Mittel,  die  zu  ihrer  gründlichen  Abstellung  erfor- 
derlich seien  (^).  Durch  wichtigere  Geschäfte  in  den  Hinter- 
grund gedrängt,  wurde  die  Arbeit  nunmehr  mit  erneutem 
Eifer  aufgegriffen.  Die  Debatten  über  die  Remonstranz  wur- 
den gleichsam  zum  Prüfstein  für  das  Machtverhältnis  der 
Partei  der  Hyde,  Falkland,  Colepepper  und  der  Partei  der 
Pym,  Hampden,  Cromwell.  Zum  ersten  Male  traten  die  Ge- 
gensätze, die  sich  im  Schosse  der  Versammlung  ausgebildet 
hatten,  feindlich  auseinander.  Nach  den  gewaltigsten  Rede- 
kämpfen erfolgte  am  22.  November  mit  einer  Mehrheit  von 
eilf  Stimmen  die  Annahme.  Augenblicklich  aber  erhob  sich  ein 
neuer  Kampf.  Auf  den  Antrag,  das  Aktenstück,  das  fast  mehr 
auf  die  grosse  Masse,  als  auf  den  König  berechnet  war,  sofort 
durch   den  Druck   verbreiten  zu  lassen,   erfolgte  der  Wider- 


92  Grosse  Remonstranz. 

Spruch  der  Royalisten.  Hyde  erklärte,  ohne  Zustimmung  der 
Lords  sei  dies  ungesetzlich  und  gab  zu  verstehen,  dass  er, 
falls  es  doch  geschehe,  Protest  einlegen  müsse.  Colepepper 
sprach  in  demselben  Sinn.  Eine  weitere  unvorsichtige  Aeusse- 
rung  eines  ihrer  Genossen  führte  zu  einer  stürmischen  Scene, 
indem  die  ganze  gemässigte  Partei  mit  Geschrei  ihren  An- 
schluss  an  einen  solchen  Protest  erklärte.  Einige  schwangen 
ihre  Hüte,  andere  zogen  ihre  Schwerter  aus  der  Scheide. 
Auch  die  Gegenpartei  gerieth  in  Feuer  und  Flammen,  ein 
Handgemenge  drohte,  nur  Hampden's  Besonnenheit  führte  die 
Ruhe  zurück.  Man  entschied  sich  gegen  den  Druck  (wenn 
auch  nicht  gegen  anderweitige  Veröifentlichung)  ohne  aus- 
drückliche Erlaubnis  des  Hauses  und  gieng  um  zwei  Uhr 
Morgens  tief  erregt  aus  einander. 

In  den  zweihundertundsechs  Artikeln  dieser  so  mühsam 
erkämpften  Piemonstranz  war  alles  zusammengefasst,  was  die 
puritanische  Mehrheit  bewegte.  Es  war  ein  Ptückblick  auf 
die  Vergangenheit  und  ein  Manifest  für  die  Zukunft  zu  glei- 
cher Zeit.  Nächst  einer  völlig  puritanisch  gefärbten  Skizze 
der  früheren  auswärtigen  und  inneren  Politik  wurden  die 
noch  vorhandenen  vermeinten  Gefahren  angedeutet  und  die 
noch  ausstellenden  Mittel  zu  ihrer"  Vermeidung  als  unabweis- 
bare Förderungen  angegeben.  Sie  umfassten  wiederum  das 
staatliche  und  kirchliche  Gebiet  zu  gleicher  Zeit:  Ernennung 
der  hohen  Staatsbeamten  gemäss  parlamentarischem  Ver- 
trauen und  Entlassung  der  verdächtigen,  schärfste  Ueber- 
wachung  der  Machinationen  von  Papisten,  „deren  Grundsätze 
auf  die  Ausrottung  aller  Protestanten  abzielen",  Reform  der 
Kirchenverfassung  durch  das  Parlament,  Einschränkung  der 
Macht  der  Prälaten,  vor  allem  ihre  Enthebung  von  weltlichen 
Aemtern,  Entfernung  der  „abgöttischen  Ceremonieen  und  der 
]\Ionumente  der  Idolatrie",  „Reinigung  der  Quellen  der  Ge- 
lehrsamkeit, der  beiden  Universitäten"  u.  s.  w.  Schon  hier 
wurde  auf  die  Nothwendigkeit  hingewiesen,  eine  „allgemeine 
Synode"  der  würdigsten  englischen  Geistlichen  zu  berufen, 
denen  es  obliege,  „mit  Unterstützung  einiger  ausländischer" 
Amtsbi-üdcr   dem  Parlament  Vorschläge  für  das  grosse  Werk 


Rückkehr  des  Königs.  93 

kirchlicher  Reform  zu  machen.  Unbedingt  ward  der  Ge- 
danke abgewiesen,  „einzehien  Individuen  oder  Kongregationen 
Freiheit  des  Kultus  zu  gestatten".  „Konformität  durch  das 
ganze  Reich"  war  auch  jetzt  wie  zur  Zeit  der  Laud'schen 
Herrschaft  die  Parole.  Nur  die  Rollen  waren  gewechselt,  das 
Schauspiel  drohte  dasselbe  zn  bleiben  ('). 

Drei  Tage  nach  der  Annahme  der  grossen  Remonstranz 
langte  der  König  wieder  in  London  an.  Der  Empfang ,  den 
er  im  Lande  wie  in  der  Hauptstadt  gefunden  hatte,  stimmte 
ihn  sehr  zuversichtlich.  Er  war  entschlossen,  den  neuen  par- 
lamentarischen Ansprüchen  nicht  nachzugeben.  Schon  einen 
Tag  nach  seiner  Ankunft  gab  er  seinen  Vorsatz  kund,  dem 
Parlament  die  während  seiner  Abwesenheit  aufgestellte  Garde 
zu  entziehen,  da  seine  Gegenwart  ihm  Schutz  genug  gewähren 
werde.  Am  1.  December  nahm  er  in  Hamptoncourt  die  Re- 
monstranz nebst  der  sie  begleitenden  Petition  entgegen,  in 
welcher  u.  a.  noch  ein  Mal  die  Nothwendigkeit  betont  wurde 
die  „malignanten"  Rathgeber  aus  ihren  wichtigen  Stellungen 
und  die  Bischöfe  aus  ihren  weltlichen  Aemtern  zu  entfernen. 
Der  König  warf  während  der  Verlesung  der  Petition  nur  hie 
und  da  ein  Wort  ein  und  stellte  eine  Erwiderung  für  die 
Folge  in  Aussicht,  ohne  die  gewünschte  Zusicherung  zu  er- 
halten, dass  man  bis  dahin  mit  der  Veröffentlichung  der  Re- 
monstranz warten  werde.  Den  Tag  darauf  erschien  er  selbst, 
um  sich  über  den  Mangel  an  Vertrauen  des  Parlamentes  und 
die  Zögerung   in  Sachen    der  Hülfe   für  Irland   zu    beklagen. 

Während  man  diese  schwielige  Frage  nicht  aus  den  Augen 
verlor,  kam  vieles  zusammen,  die  Erregung  zu  steigern  und 
die  Debatten  noch  mehr  zu  erhitzen.  In  der  Nähe  des  par- 
lamentaiischen  Sitzungslokales  sammelten  sich  lärmende  Volks- 
haufen. Schon  war  ein  Zusammenstoss  zwischen  den  Bürgern 
und  einer  neuen,  vom  König  gegebenen  Garde  des  Parlamen- 
tes erfolgt,  gegen  welche  dieses  selbst  remonstrirte.  Ausser- 
halb Westminster  wurden  die  Demonstrationen  gegen  Bischöfe 
und  papistische  Lords  immer  stürmischer,  und  am  11.  De- 
cember langte  eine  Riesenpetition  der  Bürgerschaft  in  diesem 
Sinne  bei  den  Gemeinen  an.     Vier  Tage  vorher  hatte  Arthur 


94  Rückkeln-  des  Königs. 

Haselrig"  eine  Bill  über  die  Organisation  der  Land-  und  See- 
macht des  Reiches  eingebracht,  welche  die  erste  Lesung  pas- 
sirte  (').  Ein  unvorsichtiger  Schritt  des  Königs  führte  einen 
neuen  Sieg  der  Opposition  herbei.  Noch  stand  die  Bill  über 
das  Pressen  von  Mannschaft  für  den  irischen  Krieg  zur  Be- 
rathung,  als  der  König  am  14.  December  die  Gemeinen  zu 
den  Lords  entbot  und  die  Bemerkung  machte,  er  werde  jener 
Bill  nur  unter  ausdrücklicher  Wahrung  seiner  Prärogative, 
welche  er  durch  den  vorsichtigen  Wortlaut  der  Bill  bedroht 
sah,  die  Bestätigung  geben  können.  Sofort  traten  beide  Häuser 
zusammen ,  um  den  geschehenen  Eingrift'  in  eine  schwebende 
Berathung  als  einen  Bruch  ihrer  Privilegien  zu  konstatiren. 
Sie  überreichten  Karl  L  einen  gemeinsamen  Protest  und 
zwangen  ihm  eine  Art  von  entschuldigender  Erklärung  ab. 
Inzwischen  hatten  die  Gemeinen  nicht  länger  gezögert,  auch 
den  Druck  der  grossen  Piemoustranz  zu  beschliessen.  Erst 
darauf  erfolgte  die  Veröffentlichung  einer  Antwort  des  Königs, 
nicht  eben  befriedigend,  wenn  auch  milde- in  der  Form,  mit 
einigen  Seitenhieben  auf  die  Keckheit  von  Pamphletisten  und 
Predigern,  unter  denen  sich  Milton  und  seine  Freunde  ge- 
troffen fühlen  mochten  (^). 

Von  allen  Fragen  wurde  diejenige,  w^elche  für  sie  ein 
besonders  grosses  Interesse  hatte,  die  dringendste,  die  Frage 
über  den  Ausschluss  der  Bischöfe  aus  dem  Hause  der  Lords. 
Fast  in  demselben  Augenblick ,  in  dem  das  Unterhaus  sieh 
wiederum  lür  P^ntfernung  der  Bischöfe  aus  dem  Parlament  erklärt 
hatte,  während  eine  starke  Partei  für  Aufhebung  des  ganzen 
Instituts  war,  hatte  der  König  eine  Reihe  von  bischöflichen 
Stellen,  die  seit  längerer  Zeit  leer  standen,  neu  besetzt.  Unter 
den  Beförderten  war  Hall,  der  Gegner  Milton's  und  der  Smec- 
tymnianer,  welcher  das  Bisthum  Norwich  erhielt,  und  Williams, 
von  dem  nichts  mehr  in  den  Kreisen  der  Op])Osition  zu  er- 
warten war,  welchem  das  Erzbisthum  York  zu  Theil  wurde. 
Er  war  es,  dem  man  eine  unerwartete  Lösung  der  grossen 
Frage  vordankte,  deren  Behandlung  die  Lords  bestiuidig  zu 
vei-zögern  gewusst  hatten.  Eben  dieses  Zaudern  hatte  die 
Aufregung   in   London   gesteigert   und  jene   DemonstrationeTi 


Tumulte  in  London.  95 

hervoi'iieriifen,  die  den  Gegensatz  eines  grossen  Theiles  der 
Bevölkerung  und  des  rovalistischen  Lord  Mayors  u.  a.  often- 
barten.  Die  Unrulie  in  den  büi-gerliclien  Kreisen  nahm  zu, 
als  man  erfuhr,  dass  der  beliebte  AYilliam  Balfour.  ein  Schotte, 
in  seiner  Stellung  als  Gouverneur  des  Tower  vom  Colonel 
Lunsford  ersetzt  worden  sei.  der  wegen  seiner  Rohheit  ver- 
hasst,  wegen  seiner  kirchlich-politischen  Stimmung  verdächtig 
war.  Die  Kaufmannschaft  gerieth  in  Besorgnis,  die  Gold- 
und  Silberbarren  im  Tower  in  solchen  Händen  zu  wissen. 
Die  Gemeinen  ersuchten  die  Lords,  mit  ihnen  um  Zurück- 
nahme dieser  Ernennutfg  zu  bitten.  Obgleich  die  ]\Lijorität 
der  Lords  einen  solchen  Eingriff  in  die  Prärogative  ablehnte, 
forderten  die  Gemeinen  die  übrigen  auf,  als  ^Männer  von  Ehre 
für  das  öffentliche  Wohl  zu  handeln,  und  eine  Minorität  von 
zweiundzwanzig  Lords  unterzeichnete  am  24.  December  in  der 
That  einen  Protest  gegen  den  beschlossenen  Aufschub  der 
Angelegenheit  auf  den  siebenundzwanzigsten.  Als  der  König 
nun  Lunsford  eutliess  und  den  nicht  viel  weniger  unpopulären 
John  Byron  an  seine  Stelle  setzte,  brachte  dies  keine  gute 
Wirkung  hervor.  Immer  zahlreicher  waren  die  Zusammen- 
rottungen von  Bürgern  und  Lehrlingen  um  Westminster  ge- 
worden. Auch  am  Morgen  des  27.  December,  als  Lunsford's 
Entlassung  kaum  bekannt  geworden  sein  konnte,  strömte 
eine  erregte  ^Lnsse  dort  zusammen.  Je  mehr  die  Bischöfe 
dazu  mitgewirkt  hatten,  die  Lords  von  entschiedenem  Vor- 
gehen zurückzuhalten,  desto  heftiger  richteten  sich  beleidi- 
gende Pvufe  gegen  sie.  Erzbischof  Williams,  der  an  einen 
der  Schreier  Hand  anlegte,  sah  sich  seilest  durch  den  Tumult 
bedroht.  Lunsford  erschien  mit  einem  Haufen  kriegerischer 
Genossen,  Angehöriger  des  aufgelösten  Heeres,  die  vom  König 
unterhalten  wurden,  auf  dem  Platze,  es  kam  zum  Handge- 
menge, zum  Blutvergiessen. 

Die  Lage  war  der  Art,  dass  die  Bischöfe  nicht  mehr  ohne 
Gefahr  an  den  Berathungen  theilnehmen  zu  können  schienen. 
Da  veranlasste  der  persönlich  gereizte  W'illiams  eilf  seiner 
gerade  anwesenden  Kollegen,  mit  ihm  eine  Protestation  zu 
unterzeichnen,    an    den  König    und   an    das  Haus  der  Lords 


96  Verhaftung  der  zwölf  Bischöfe. 

gericlitet.  in  der  sie  die  Uiimöiiliclüveit  begründeten,  unter 
obwaltenden  Umständen  ihren  Pflichten  nachzukommen  und 
im  voraus  alle  während  ihrer  Abwesenheit  vorkommenden 
Akte  für  null  und  nichtig  erklärten.  Der  König  Hess  den 
Protest  durch  den  Grosssiegell)ewahrer  vor  den  Pairs  verlesen. 
In  einer  Conferenz,  die  diese  mit  den  Gemeinen  hielten, 
erhoben  die  letzten  gegen  die  Bisehöfe,  die  es  gewagt,  im 
voraus  parlamentarische  Beschlüsse  für  ungiltig  zu  erklären, 
die  Anklage  des  Hochverraths.  Noch  am  sellien  Abend  (30. 
December)  wurden  sie,  an  der  Barre  des  Oberhauses  knieend, 
davon  in  Kenntnis  gesetzt,  sie  wurden  in  Haft  genommen, 
zehn  von  ihnen,  darunter  Hall,  in  den  Tower  geschickt. 


Die  geschilderten  Ereignisse  mussten  auf  Milton  einen 
eben  so  tiefen  Eindruck  machen  wie  auf  seine  Mitbürger. 
Wir  besitzen  noch  ein  Zeugnis  dafür,  wie  bereit  er  war, 
sein  Theil  zur  Linderung  der  Noth  jener  irischen  Opfer  bei- 
zutragen. Auf  einer  „Sammelliste  für  Irland"  erscheint  sein 
Name  mit  dem  Vermerk  von  4  i^,  während  in  dem  ganzen 
Bezii'k  niemand  sonst  die  Summe  von  2  il^  überschreiten 
mochte (').  In  den  kirchenpolitischen  Kampf,  der  durch  die 
Gefangennehmung  der  Bischöfe  eine  so  gewaltsame  Wendung 
erfahren  hatte,  griff  er  durch  eine  vierte  Flugschrift  ein, 
deren  hohe  Bedeutung  schon  aus  ihrem  Titel  erhellt:  Das 
Wesen  der  Kirchenverfassung,  klargestellt  gegen  das  Prälaten- 
thum(^).  Diese  Schrift  nuiss  dem  Anfang  des  Jahres  1642 
angehören.  Nach  der  einen  Seite  wird  das  Datum  ihres  Er- 
scheinens durcli  die  Jahreszald  1641  auf  dem  Titel  bcstinnnt, 
die  nach  damaliger  Sitte  den  Zeitraum  bis  zum  25,  ]März  1642 
umfasste,  nach  der  anderen  Seite  ist  durch  die  l^hnvähnung 
der  Gefangonnehmung  der  Bischöfe  die  Gi-enze  gezogen.  Am 
Ende  der  Schrift  wird  nämlich  niit  Bitteikeit  jenes  „auf- 
rühreiischen"  Versuches  der  Prälaten  gedacht,  „alle  i)ailamen- 
tarischen  Pieschlüsse  zu  kreuzen  und  ungiltig  zu  maclien." 
schon  daraus  die  kühne  Folgerung  gezogen,  dass  „sie  nicht 
von  Rechtswegen  Mitglieder  des  Hauses  seien",  und  mit  Genug- 


Milton's  Schrift  über  „das  Wesen  der  Kirclienverfassuug".        97 

thuung  erwähnt,  dass  ihr  Trotz  nunmelir  „in  starken  Mauern" 
eintieschlossen  worden  sei.  Gleicher  Weise  wird  vom  irischen 
Aufstand,  als  einem  erst  kürzlich  eingetretenen  Ereignis  ge- 
sprochen, dessen  ganze  Gewalt  der  Schreiber  schmerzlich 
empfindet  (S.  135  flf.)-  Er  sieht  im  Geiste  „den  armen  be- 
trül)ten  Rest  der  Landsleute  an  der  Küste  des  Meeres  sitzen" 
und  die  Stunden  Ins  zur  Ankunft  der  verzögerten  englischen 
Hülfe  „mit  ihren  Seufzern,  die  Minuten  mit  ihren  Thränen, 
mit  den  Blutstropfen  ihrer  Wunden  zählen."  Er  mft  das 
Ehrgefühl  seiner  Nation  zur  Bekämpfung  ,,des  barbarischen 
Haufens  der  Rebellen"  ^n,  aber  er  will  den  Kampf  nicht  nur 
durch  Waifen,  sondern  auch  durch  eine  Reform  der  Kirche 
geführt  wissen.  Denn  nach  seiner  Ansicht  ist  die  Rebellion 
nicht  zum  wenigsten  durch  die  Schuld  der  Prälaten  hervor- 
gerufen, welche  ungenügend  für  Belehrung  und  Seelsorge  der 
irischen  Unterthanen  gesorgt,  und  Papisten  wie  Götzendiener 
geduldet  und  begünstigt  haben,  während  ihnen  für  die  wackeren 
Brüder  aus  Sehottland  keine  Schmähung  zu  schlecht  war. 

Unter  dem  Eindruck  der  Zeitereignisse  verfasst,  wie  diese 
vierte  Flugschrift  somit  erscheint,  verdankt  sie  ihren  Ursprung 
zugleich  dem  Wunsche,  einem  Druckwerk  entgegenzutreten, 
welches  von  bisehöflicher  Seite  in  den  literarischen  Kampf  üher 
die  Frage  der  Kirchenverfassung  geworfen  war.  In  Oxford 
war  im  Jahre  1641  eine  Sammlung  von  Traktaten  erschienen 
(Certaine  briefe  treatises  written  by  diverse  learned  men, 
concerning  the  ancient  and  moderne  government  of  the 
church),  in  der  ein  gemässigtes  Bisthum  von  verstorbenen  und 
lebenden  Autoren  vertheidigt  und  den  Stürmern  und  Drängern 
des  Puritanismus  ein  gewaltiger  Block  geschichtlicher  und 
theologischer  Gelehrsamkeit  in  den  Weg  geworfen  wurde. 
Unter  den  Lebenden  tritt  wiederum  Ussher  auf,  der  Erz- 
bischof von  Armagh(^),  mit  welchem  Milton  schon  ein  Mal 
einen  Strauss  ausgefochten  hatte,  und  der  hier  u.  a.  jenes 
Urtheil  des  Dr.  Reynolds  (s.  oben  68)  weiter,  auch  mit  Bezie- 
hung auf  das  alte  Testament ,  ausführte  (-).  Unter  den 
Verstorbenen  nahm  neben  Hooker,  Brerewood  etc.  Bischof 
Andrews  von  AVinchester   mit    seinem   skizzenhaften  Versuch, 

Stern,   Milton   u.   s.   Zeit.     I.   2.  7 


98  Autobiographisches. 

(las  Urliild  des  Bisthums  im  jüdischen  Priesterthiun  zu  finden^ 
eine  liervorragende  Stelle  ein,  derselbe,  dem  Milton  einst  al& 
Cambridger  Student  1626  eine  verehrungsvolle  Elegie  gewidmet 
hatte  (s.  oben  B.  I.  S.  62).  Hier  trat  er  ihm  wie  Ussher  scharf 
entgegen  und  ergriflt'  den  Anlass,  die  ganze  Streitfrage  um- 
fassender und  von  einem  höheren  Gesichtspunkte  aus  zu  be- 
handeln als  in  irgend  einer  der  früheren  Schriften. 

Wie  er  diese  Arbeit  einem  anderen  Verleger  anvertraute, 
demselben,  welcher  den  ,,Smectynmuus"  übernommen  hatte, 
so  schlug  er  nun  auch  das  Visier  der  Anonymität  auf,  hinter 
dem  er  bisher  gekämpft  hatte.  Er  unterzeichnete  sich  mit 
vollem  Namen  und  hielt  es  zugleich  für  angebracht,  seinen 
Lesern  über  seine  eigene  Persönlickkeit  einige  Mittheilungen 
zu  machen  und  sein  Auftreten  in  dem  literarischen  Kampfe 
dadurch  gleichsam  zu  rechtfertigen.  Das  zweite  Buch  der 
Schrift  ist  überaus  reich  an  autobiographischen  Bemerkungen, 
und  an  mehr  als  einer  Stelle  haben  wir  schon  Nutzen  aus 
ihnen  gezogen.  Hier  finden  sich  jene  Andeutungen  über  seine 
Jugendbildung,  seine  Universitätserfahrunj^en,  seinen  Bruch 
mit  der  Theologie,  seine  italienischen  Erlebnisse,  welche 
andere  spärliche  Nachrichten  so  glücklich  ergänzen.  Hier 
macht  er  vor  allem  aus  dem  Dichterberuf,  den  er  in  seiner 
Brust  fühlt,  kein  Geheimnis,  entwickelt  seine  Ansichten  über 
die  Poesie  und  ihre  Jünger  und  legt  in  einer  unnachahmlichen 
Art  stolzer  Bescheidenheit  ein  offenes  Bekenntnis  der  dich- 
terischen Vorsätze  ab ,  welche  ihn  nach  der  Bückkehr  in  die 
Heimat  bewegt  hatten.  Er  deutet  die  Formen  und  Gegen- 
stände an,  deren  Auswahl  seinen  Genius  beschäftigt  hatte: 
ein  vaterländisches  Epos,  „für  das  die  Gedichte  Homers, 
Virgils,  Tassos  ein  ausführliches,  das  Buch  Hiol)  ein  kürzeres 
Modell  bilden",  ein  Di-ama  nach  dem  Vorl)ild  des  Sophokles 
und  Euripides  oder  in  der  „pastoralen"  Weise  des  hohen 
Liedes,  „aus  zwei  Personen  und  einem  Doppelchor  bestehend, 
wie  Origenes  mit  Becht  vernuithet",  oder  dem  „majestätischen 
Bilde"  der  Apokalypse  entnommen,  in  deren  Auslegung  er 
sich  mit  Pareus  begegnet,  pomphafte  Oden  und  llyunuMi,  in 
welchen  Tiiidar   und    Callimachus   vorzi'mlicli .    die   mosaischen 


Autobiographisches.  99 

Bücher  und  die  Propheten  uniibertreftlicli  und  „üljer  alle 
Arten  lyrischer  Poesie  erhaben  erscheinen/"  Er  giebt  zu  ver- 
stehen, dass  das  Dichtwerk,  wie  er  es  erträumt,  kein  Werk 
sein  soll,  „das  aus  der  Hitze  der  Jugend  oder  dem  Dunst  des 
Weines  geboren  wird,  wie  es  mit  Leichtigkeit  der  Feder  eines 
verliebten  Laften  oder  eines  versgewandten  Schmarotzers  ent- 
fliesst",  auch  nicht  ,, durch  Anrufung  der  Dame  Gedächtnis 
und  ihrer  Sirenen-Töchter  geschaffen'',  sondern  ,, durch  frommes 
"Gebet  zu  jenem  ewigen  Geiste,  der  seine  Seraphim  aus- 
sendet mit  dem  heiligen  Feuer  seines  Altars,  um  die  Lippen 
der  Auserwählten  zu  berühren  und  zu  weihen",  wohl  vorbe- 
reitet durch  fleissiges  Studium,  anhaltende  Beobachtung,  Ein- 
sicht in  alle  schönen  und  edlen  Künste  und  Geschäfte.  Er 
wagt  es,  auf  solche  stolze  Worte  hin  den  Leser  zu  liitten, 
..ihm  noch  für  einige  wenige  Jahre  vertrauensvoll  Frist  zur 
Entrichtung  der  damit  übernommenen  Schuld  zu  gewähren" 
und  setzt  gleichsam  seine  Ehre  zum  Pfände  dafür,  dass  er 
nicht  leichtsinnig  so  hohe  Erwartungen  erregt. 

Ueberhaupt  sind  ihm  diese  Selbstbekenntnisse  nur  ent- 
rissen worden  durch  die  Beschuldigimg,  dass  ihn  der  „Kitzel  der 
Eitelkeit"  gereizt  habe,  „in  seinen  grünen  Jahren  gegen 
Männer  von  hohem  Ansehen  aufzutreten".  Er  hat  nun  gezeigt, 
dass  ihn  andere  Gegenstände  mehr  anziehen,  „zu  denen  ihn 
der  Genius  seiner  Natur  gewaltig  hintreibt",  er  versichert, 
dass  er  nicht  aus  freier  Wal^  eine  undankbare,  aber  unauf- 
schiebbare schriftstellerische  Arlieit  übernommen  hat,  bei  der 
er  nach  seiner  Meinung  „nur  den  Gebrauch  seiner  Linken 
hatte  und  hinter  sich  selbst  zurückblieb".  Es  ist  etwas 
Höheres,  was  ihn  angetrielien  hat,  „seine  ruhige  und  liebliche 
Einsamkeit  voll  heiterer  und  hoher  Gedanken  zu  verlassen 
und  sich  auf  der  stürmischen  See  lärmenden  und  groben  Ge- 
zänkes einzuschiffen,  dem  hellen  Glanz  der  Wahrheit,  der 
reinen  Luft  entzückender  Studien  zu  entsagen  und  dafür  den 
trlil)en  Dunst  dumpfiger  Foliantengelehrsandveit  einzutauschen". 
Zunächst  schon  der  Gedanke,  dass  auch  die  Poesie,  dass  .,ein 
freier  und  reicher  Geist  nicht  blühen  kann,  bis  nicht  das 
Land  von  dem  drückenden  Joch  des  prälatischen  Pfatfenthums 


100  Autobiographisches, 

befreit  ist".  Vor  allem  aber  das  Bewusstsein  der  Pflicht,  die 
ihm .  dem  Sehenden ,  gleich  einem  ,, Jeremias  oder  Tiresias" 
gel)ot.  ohne  Rücksicht  auf  Tadel,  ohne  Aussicht  auf  Lohn  die 
Stimme  für  das  als  wahr  Erkannte  und  voraus  Geahnte  zu 
erheben.  ..Wenn  Gott  es  befiehlt,  in  die  Posaune  zu  stossen 
zu  trauernder  Klage  oder  zu  schmetterndem  Kampfruf,  so 
liegt  es  nicht  mehr  im  freien  Willen  des  Menschen,  was  er 
sagen  und  was  er  verschweigen  soll.  .  .  Ich  bin  entschlossen, 
den  ehrlichen  Freimuth  und  die  unerschrockene  Rede  meiner' 
Jugend,  wo  icli  sie  in  einer  so  wichtigen  Sache  wie  das  Wohl 
der  Kirche  für  dienlich  erachte,  als  den  besten  Schatz  und 
Trost  meines  Alters  niederzulegen,  woferne  mich  Gott  eines 
solchen  würdigen  sollte.  Und  wäre  es  die  niedrigste  Dienst- 
leistung, wenn  Gott  durch  seinen  Geheimboten,  das  Gewissen, 
sie  von  mir  heischt,  Schmach  über  mich,  wenn  ich  ihm  nicht 
Folge  leistete!" 

Seine  Phantasie  malt  sich  in  platonischer  Weise  aus, 
welche  seelische  Qualen  ihm  zeitleliens  bevorstehen  würden, 
falls  er  gescheut  hätte,  sich  in  den  Kampf  zu  mischen.  Im 
Falle  der  Niederlage  würde  ihm  sein  Gewissen  zurufen: 
„Furchtsamer  und  Undankbarer  .  .  was  nützt  nun  dein  Weh- 
klagen? Als  es  Zeit  war,  hast  du  keine  Silbe  von  allem, 
was  du  gelesen  und  gelernt  hast,  vorbringen  können,  und  doch 
haben  andere  im  Schweisse  ihres  Angesichtes  arbeiten  müssen, 
damit  du  die  stille  Müsse  desi^)enkens  geniessen  konntest. 
Du  hattest  Eifer,  Talent,  Beredtsamkeit ,  wenn  es  galt,  ein 
eitles  Ding  mit  dichterischem  Schmuck  zu  verzieren,  aber  als 
es  galt,  die  Saclie  Gottes  und  seiner  Kirche  zu  vertheidigen, 
wozu  dir  deine  Zunge  gegeben  war,  hat  Gott  vergebens  ge- 
lauscht, ol)  ei-  auch  deine  Stimme  unter  denen  seiner  muthigen 
Diener  hören  werde.  Du  warst  stumm,  wie  ein  Thier,  so 
bleibe  nun  das,  wozu  dich  dein  thierisches  Scliweigen  gemacht 
hat."  Im  Falle  des  Sieges  würde  ihn  dieselbe  innere  Stimme 
nicht  minder  strafend  anreden:  ,,0  (hi  träger  und  ausgestos- 
sciKM-  Knecht,  die  Kirche  ist  nun  von  ilireii  Banden  liefreit 
(luifli  die  unablässigen  Mühen  so  \wWv  ilirei-  wahivn  Diener, 
die  sicli  /u  ilircr  Vertlieidigung  erliobeii,  willst  du  jetzt  deinen 


Bibel  und  Tradition.  101 

Antlieil  an  ilirtr  Freude  haben?  Aber  wozu  du?  Kannst 
du  dich  irgend  eines  Wortes,  irgend  einer  That  rühmen,  durch 
welche  du  zur  Erriugung  des  Friedens  beigetragen  hast?  Was 
du  jetzt  reden  oder  schreiben  oder  erforschen  darfst,  ist  nur 
ein  Almosen  von  anderer  Leute  thätiger  Weisheit  und  Tapfer- 
keit. Wage  es  nicht,  jetzt  durch  irgend  ein  Wort  oder  irgend 
eine  That  deinen  früheren  trägen  und  kindischen  Sinn  al)zu- 
streifen,  denn  wenn  du  es  wagst,  so  ist  deine  Kühnheit  nur 
ein  schmählicher  Raul)  an  den  mühevollen  Verdiensten 
anderer.  Was  vorher  deine  Sünde  war,  ist  jetzt  deine  Pflicht: 
verworfen  und  ehrlos  *zu  bleiben."  Betrachtungen  der  Art 
lagen  demjenigen  besonders  nahe,  der  einst  für  den  Dienst 
der  Kirche  bestimmt  gewesen,  aber  durch  das  System  der 
Bischöfe  selbst  davon  abgeschreckt  worden  war. 

Auf  solche  Weise  rechtfertigt  Milton  sein  Eintreten  in 
den  Kampf,  in  welchem  diese  vierte  seiner  Flugschriften  eine 
der  hervorragendsten  Stellen  einnimmt.  Schon  ihre  äussere 
Anlage,  ihre  Eintheilung  in  Bücher  und  Kapitel  zeigt,  dass 
es  ihrem  Verfasser  dies  Mal  nicht  nur  auf  Polemik,  sondern 
auf  systematische  Darlegung  der  ganzen  Frage  der  Kirchen- 
verfassung ankam.  Auch  jetzt  wieder  stellt  er  sich  in  echt 
calvinistischer  Weise  auf  den  Boden  der  Vorschriften  der 
Bibel,  denn  ihm  ist  „in  ihrem  heiligen  Texte  alle  Weisheit 
entfaltet."  Stärker  als  je  zuvor  spricht  er  sich  gegen  die 
,. schwerfälligen  Volumina  der  Tradition"  aus,  obgleich  er  auch 
liier  in  Kirchenvätern  und  Koucilsakten  sich  nicht  weniger 
bewandert  zeigt  wie  in  der  späteren  Literatur  der  Bodin  und 
Salmasius.  Er  verhöhnt  die  Männer,  „deren  Gelehrsamkeit 
und  Glaube  auf  der  Fülle  der  Randglossen  beruht"  und  ver- 
gleicht sie  sehr  unsanft  „guten  Saumthieren,  die  ihr  Tagewerk 
gethan  zu  haben  glauben,  wenn  sie  ihre  Pferdelast  von  Citaten 
und  Ivirchenvätern  vor  der  Thüre  niedergelegt  haben,  und 
man  ihnen  die  Packsättel  abgenommen  hat."  Dem  gegenüber 
und  gegenüber  allem  Trotzen  auf  „Prärogativen,  Gewohnheit, 
Akten,  Statuten"  wiederholt  er  immer  das  eine  Wort:  „die 
Schrift".  Hiebei  weicht  er  indess  nicht  unerheblich  von  dem 
Gedankengange    des    strengen  Calvinismus    ab,    in  dem,    wie 


102  Altes  und  neues  Testament. 

man  sich  glücklich  ausgedrückt  hat ,  das  Christeiithum  fast 
wie  der  Islam  zu  einer  Eeligion  des  Buches  wird(^).  Er  lässt 
nel)en  der  Schrift  für  das  Gel)iet  der  Moral  „jene  ungeschrie- 
benen Gesetze  und  Ideen,  welche  die  Natur  in  unsere  Herzen 
eingegraben  hat"  bestehen  (S.  109)  und  er  unterscheidet  aufs 
schärfste  zwischen  der  allgemeinen  Giltigkeit  des  alten  und 
des  neuen  Testaments.  Allerdings  hat  sich  ]\Iilton,  wie  der 
gesammte  Puritanismus ,  sein  Leben  hindurch  mit  Vqrliebe 
in  dem  Gedankenkreise,  des  alten  Testaments  bewegt.  Wie 
ihm  später  Ahab ,  Isabel ,  Athalia  als  ]\Iuster  gottloser  Re- 
genten gelten,  so  gleichen  ihm  hier  die  Prälaten  der  ver- 
führerischen Buhlerin,  indem  sie  dem  in  ihrem  Schosse  ein- 
geschlummerten Simson-Könige  „die  Locken  seiner  Gesetze 
und  gerechten  Kron-Prärogativen ,  in  denen  seine  Schönheit 
und  Kraft  besteht,  abschneiden"  und  ihn  „Käthen  des  Unrechts 
und  der  Gewalt"  überliefern,  welche  gleich  den  Philistern  ihm 
„das  Augenlicht  klaren  Erkennens  rauben".  (S.  181.)  Aber 
bei  dieser  Vorliebe  für  alttestamentarische  Bilder  suchte  sich 
Milton  die  Kritik  für  die  Anwendbarkeit  alttestamentarischer 
Vorschriften  für  die  Gegenwart  besser  als  andere  zu  bewahren, 
obgleich  er,  wie  wir  noch  bemerken  werden,  in  einem  Einzel- 
fall auch  auf  das  mosaische  Gesetz  zurückgriff.  Dies  war  von 
l)esonderer  Bedeutung  in  einer  Zeit,  in  der  man  von  bischöf- 
licher Seite  versucht  hatte,  aus  der  Vergleichung  mit  der 
theokratischen  Verfassung  des  jüdischen  Volkes  für  die  eigene 
Sache  Kapital  zu  schlagen. 

Ein  grosser  Theil  des  ersten  Buches  der  Milton'schen 
Streitschrift  ist  der  Zurückweisung  dieser  Ansieht  gewidmet. 
Zunächst  gedenkt  er  im  Vorbeigehen  ironisch  der  „uner- 
sättlichsten Altei-thünder",  die  das  Bisthum  wohl  gar  bis  Adam 
hinauf  verfolgen  wollen,  er  meint,  —  und  unwillkürlich 
blicken  seine  poetischen  Träume  wieder  durch,  —  dann  sei 
Lucifer  noch  vor  Adam  der  „erste  Prälaten-Engel"'  gewesen, 
und  beide  seien  „elendiglich  degradirt  worden,  weil  sie  über 
ihren  Stand  (orders)  hinausgestrebt  hätten".  Denmächst  wendet 
er  sich  gegen  die  ernstlichen  Gegner,  welche  mit  dem  Ur- 
sprung des  Bisthums  wenigstens   „l)is  zu  Aaron   und   seinen 


Gegen  die  Theokratie.  103 

Söhnen"  hinaufgehen  wollen,  und  setzt  sich  hier  namentlich 
mit  Andrews  und  Ussher  auseinander.  Ein  Satz  des  letzten: 
,,Das  Bisthum  heruht  tlieils  auf  dem  Vorbilde,  welches  Gott 
im  alten  Testament  gegeben,  theils  auf  der  Nachahmung  des- 
selben durch  die  Apostel"  giebt  ihm  erwünschten  Anlass  sich 
ausführlich  über  das  Verhältnis  von  Gesetz  und  Evangelium 
auszusprechen.  Er  l)emerkt,  das  im  alten  Testament  nieder- 
gelegte Gesetz  sei  entweder  politischer  oder  moralischer 
Natur,  dies  Wort  im  weitesten  Sinn,  mit  Einschluss  der  re- 
ligiösen Vorschriften,  gebraucht.  Das  erste  zum  Muster  zu 
nehmen,  habe  nie  eine  christliche  Nation  sich  für  verbunden 
erachtet,  das  zweite  sei  aber  an  sich  schon  im  neuen  Testa- 
ment enthalten  und  brauche  nicht  aus  einer  „untergeordneten 
Urkunde  erborgt  zu  werden".  Das  klassische  Zeugnis  des 
Paulus  wird  für  diese  Darlegung  benutzt  und  aus  allem  in 
bekannter  Weise  der  Schluss  gezogen,  dass  mit  dem  Er- 
scheinen Christi  das  ganze  Ceremonial-Gesetz  und  Priester- 
thum  des  alten  Bundes  verschwunden  sei  ,,und  sich  wie  ein 
Schemen  in  Luft  aufgelöst  habe".  Aber  auch  an  sich  ist  es 
ganz  unzulässig,  einen  Zusammenhang  zwischen  dem  Bisthum 
und  dem  Hohepriesterthum  des  alten  Bundes  bestehen  zu 
lassen.  „Aaron  und  seine  Söhne  waren  die  Fürsten  ihres 
Stammes,  ehe  sie  zum  Priesterthum  geweiht  wurden,  den 
persönlichen  Vorrang,  den  sie  vor  den  anderen  Leviten  hatten, 
empfiengen  sie  nicht  allein  von  ihrem  Amte,  sondern  Israeliten 
ihn  zum  Theile  ihrem  Amte  zu ;  die  Hohepriester  wurden  von 
da  an  nicht,  wie  unsere  Bischöfe,  aus  der  ganzen  Zahl  der  Le- 
viten gewählt,  sondern  waren  geborene  Erben  jener  Würde". 
Man  müsste  also  erst  eine  bestimmte  Adelskaste  von  Prälaten 
schaffen,  um  die  Analogie  zu  begründen,  und  dann  wäre,  wie 
gegen  Andrews  bemerkt  wird,  die  folgerichtige  Nachahmung 
des  Hohe-Priesterthums  die  Zuspitzung  zur  Macht  des  „Gross- 
Hierarchen,  des  Pabstes".  —  Wie  sich  denken  lässt,  spielte 
in  der  ganzen  Beweisführung  der  Prälaten  der  Begrilf  der 
Ordination  wieder  eine  grosse  Rolle.  Milton  springt  mit  ihm, 
wie  bei  früheren  Gelegenheiten,  sehr  frei  um.  Ein  höherer 
Rang  scheint  ihm  für   den  Ordinirenden   aus   den   bekannten 


104  Gegen  die  Theokratie. 

Stellen  der  Schrift  in  keiner  Weise  gefolgert  werden  zu 
können.  Erklärt  er  sich  hier  auch  nicht,  wie  einst  die  Re- 
formatoren, in  so  deutlicher  Weise  für  das  allgemeine  Priester- 
thum,  so  ist  ihm  doch  ,. jeder  Geistliche  ein  Träger  der  Per- 
son Christi"  in  Mittheilung  der  „Geheimnisse  der  Erlösung''^ 
mit  ..der  Macht  zu  binden  und  zu  lösen".  Er  versteigt  sich 
sogar  dazu,  das  Beispiel  der  Pabstwahl  heranzuziehen  und 
darauf  hinzuweisen,  dass  ,,der  Pabst  nicht  durch  seinen  Vor- 
gänger gemacht  werd§.  sondern  durch  die  Kardinäle,  die  also 
zu  einem  höheren  und  grösseren  Amt  ordiniren  und  konse- 
kriren  als  ihr  eigenes  ist". 

So  viel  glaul)t  Milton,  mit  der  Gewandtheit  eines  schlag- 
fertigen Sachwalters,  der  jüngsten  Kampfweise  der  Gegner 
entnehmen  zu  dürfen ,  dass  sie  der  Berufung  auf  das  neue 
Testament  selbst  nicht  mehr  recht  trauen.  Sie  wünschen 
..ihre  Hierarchie  auf  den  sandigen  Grund  des  Gesetzes  zu 
bauen",  da  sie  nicht  mehr  wagen  ,,ihre  stolzen  Giebel  im 
Schutz  des  Evangeliums  zu  erheben".  Eben  deshalb  werden 
die  streitigen  Stellen  des  neuen  Testaments  hier  weniger  aus- 
führlich behandelt  als  in  den  früheren  Schriften.  Einige 
andere  Gründe  dagegen,  auf  welche  sich  die  Anhänger  des 
Bisthums  zu  berufen  pflegten,  erhalten  eine  um  so  breitere 
Widerlegung.  Sie  fassten  nicht  sowohl  die  theoretische  als 
die  praktische  Seite  der  Frage  in's  Auge  und  waren  eben  da- 
durch darauf  berechnet  auf  ängstliche  Gemüther  Eindruck  zu 
machen.  Das  Bistimm,  so  hiess  es,  sei  eingeführt,  um  dem 
Schisma  der  Kirche  entgegen  zu  wirken,  und  mit  seinem  Fallle 
würde  England  unfehlbar  dui-ch  eine  Fluth  von  Sekten  über- 
schwemmt werden.  Gegen  den  ersten  dieser  Sätze  sucht 
Milton  den  historischen  Beweis  anzutreten,  über  dessen  Rich- 
tigkeit oder  Mangelhaftigkeit  ein  Urtheil  zu  fällen  wir  uns 
versagen.  Er  findet  einmal  kein  Bisthum ,  wo  ein  deutliches 
Schisma  voi-gelegen  habe,  wie  nach  des  Paulus  Zeugnis  unter 
den  Korinthern,  er  findet  andrerseits  das  Schisma  der  Kiiche 
nirgends  grösser,  die  häi-etischen  Streitigkeiten  zu  keiner  Zeit 
heftiger,  als  in  der,  da  es  Bischöfe  zu  geben  anfieiig  und  be- 
mft  sich  (bifür  auf  die  Kirchen- Geschichte   der   ersten  Jahr- 


Uebei*  Schisma  und  Sekten.  105 

hunderte.  Das  Bistlium  scheint  ihm  daher  .,von  Gott  gegeben 
oder  viehnehr  zugelassen  in  seinem  Zorne  wie  einst  das 
Königthum  liei  den  Juden'',  und  wenn  sein  Zweck  wäre,  die 
Einheit  der  Kirche  darzustellen,  so  würde  es  wiederum  nur 
folgerichtig  sein,  darauf  hinzuwirken,  dass  jeder  Streit  „in  dem 
entscheidenden  Ausspruch  oder  Kanon  eines  Erzprimas  oder 
protestantischen  Pabstes  sein  Ende  finde'-.  Von  hier  aus 
macht  er  die  Nutzanwendung  auf  die  Verhältnisse  seines 
Vaterlandes.  Allerdings  die  englischen  Bischöfe  verhindern 
ein  Schisma,  wenn  Schisma  verhindern  gleichviel  bedeutet 
,,mit  Verfolgung  aller  kundigen  und  eifrigen  Christen",  nach 
Art  der  Politik,  wie  sie  in  Italien  und  Spanien  befolgt  wird, 
in  derselben  Weise,  mit  der  sich  der  Winter  gegen  den  Früh- 
ling rühmen  kann,  „alles  schädliche  und  stinkende  Unkraut 
zu  zerstören,  alle  bösen  Dünste  nieder  zu  halten",  aber  frei- 
lich auch  ,,alle  heilsamen  Kräuter  und  alle  erquickenden 
Thautropfen"  im  starren  Frost  zu  ertödten.  Hierauf  ermahnt 
er  seine  Landsleute,  sich  nicht  in  Schrecken  setzen  zu  lassen 
durch  die  Namen  Brownisten,  Familisten,  Anabaptisten  und 
ähnliche,  die  nun  an  Stelle  der  Puritaner  gesetzt  w^urden. 
Den  Einbruch  solcher  Sekten  in  Aussicht  zu  stellen,  die  Ver- 
fechter der  Pieform  mit  dem  Namen  von  Sektirern  zu  brand- 
marken, sei  ein  alter,  verbrauchter  Kunstgriff,  unzählige  Male, 
wie  z.  B.  einst  im  Falle  der  Lollarden  und  Hussiten,  be- 
trügerisch angewandt.  Er  hat  das  Vertrauen  zum  englischen 
Volk,  dass  es  sich  ,, durch  einen  solchen  Nebel  von  Namen, 
der  vor  seine  Augen  geworfen  wird,  nicht  um  seinen  Glauben 
und  seine  Eeligion  betrügen  lassen  werde'-,  und  schleudert 
den  Vorwurf  der  Sektirerei  auf  die  bischöfliche  Partei  zurück, 
die  „mit  den  Papisten  ein  Herz  und  eine  Seele",  ja  in  „den 
meisten  Grundsätzen  selbst  papistisch''  sei.  Er  geht  sogar 
soweit  in  Sekten  und  Schisma  an  sich  nox^h  gar  nichts  Unheil 
Verkündendes  zu  sehn,  sie  ,,als  die  Wehen,  welche  der  Ge- 
burt der  Reformation  vorausgehen",  zu  betrachten  und  würde 
in  ihrem  Dasein  nur  einen  Ansporn  mehr  finden,  jene  Eefor- 
mation  in  Angriff  zu  nehmen.  Genau  ebenso  fertigt  er,  wie 
bereits  erwähnt,  den  Einwurf  ab,   der  von   der  irischen   Ee- 


IQQ  Gegen  Formenzwang  und  Jurisdiktion. 

bellion  hergenommen  war.     Die   beiden   letzten   Kapitel    des 
ersten  Buches  seiner  Schrift  sind  durchaus   der  Widerlegung 
dieser  Vorwände  gewidmet,   hinter   denen   das  bedrohte  Bis-" 
thum  Deckung  suchte. 

Im  zweiten  Buch  wird  nach  jenen  autobiographischen 
Auslassungen  noch  einmal  kraftvoll  zusammengefasst,  was  sich 
gegen  das  Prälatenthum ,  gegen  das  liischöfliche  Regiment 
irgend  sagen  Hess.  Es  war  dem  Puritanismus  aus  der  Seele 
geredet,  wenn  Milton  sich  höhnisch  und  zornig  aussprach 
gegen  jenes  System  des  „äusseren  Widerscheins  innerer  Heilig- 
keit und  Schönheit",  den  Prunk  der  Priester  -  Gewänder  und 
die  Fülle  der  Ceremonieen,  ,. durch  welche  die  Frömmigkeit 
der  rohen  Masse  erweckt  werden  sollte",  den  zwingenden  For- 
malismus der  Aeusserlichkeiten ,  der  mit  dem  Auftreten  und 
den  Absichten  des  Stifters  des  Christenthums  in  Widerspruch 
stehe  und  „zurückführe  zur  höllischen  Sophisterei  des  Papis- 
mus".  Es  war  ebenfalls  nur  der  Ausdruck  eines  Jahrzehnte 
hindurch  verhaltenen  puritanischen  Grolles,  wenn  er  mit 
flammenden  Worten  die  „hochmüthigen ,  simonistischen  Ge- 
richtshöfe" der  Bischöfe  angriff,  wo  mit  „Sportein  und  Ge- 
bühren gehandelt  ward,  Bestechung  das  Angebot  machte,  .  .  . 
Busse,  Demüthigung,  Bekenntnis,  die  Seufzer  eines  reuigen 
Herzens  nach  Pfennigen  verschachert  wui-den,  und  die  jung- 
fräulich-reine Einfalt  des  P^vangeliums  sich  zur  .  .  öffent- 
lichen Dirne  verwandeln  musste". 

Dieser  Theil  von  Milton's  Schrift  erhält  dadurch  eine  be- 
sondere Wichtigkeit,  dass  er  hier  zum  ersten  Male  Gelegen- 
heit findet  seine  Gedanken  ül)er  das  Verhältnis  von  Kirche 
und  Staat  im  Zusammenhange  darzulegen.  In  der  That  war 
eine  solche  Erörterung  an  dieser  Stelle  gar  niclit  zu  umgelien. 
Wenn  irgendwo,  so  zeigte  sich  bei  der  Ausübung  der  bi- 
schöfiichen  Gerichtsbarkeit,  dass  die  Staatskirche  genöthigt 
war,  „von  der  weltlichen  Autorität  Macht  zu  erborgen",  und 
die  grosse  Frage  drängte  sich  jedem  ernsten  Beurtlieiler  un- 
al)weisl)ar  auf,  inwieferne  diese  „weltliche  Autorität"  über- 
haupt l)erechtigt  oder  verpflichtet  sei,  sich  auf  kirchlichem  Ge- 
liict  zu  l)ethätigen.     Man  darf  sagen,  dass  Milton,  wie  er  ül)er- 


Kirche  und  Staat.  107 

haupt  aiif  die  ersten  Gedanken  der  Eeformation  zurückgeht, 
sich  auch  hier  mit  den  Epoche  machenden  Anschauungen 
Luthers  begegnet,  welche  in  dessen  früheren  Schriften  und 
namentlich  in  dem  Büchlein  „Von  weltlicher  Obrigkeit,  wie 
weit  man  ihr  Gehorsam  schuldig  sei"  (1523)  in  voller  Klar- 
heit hervorgetreten  waren.  Dass  die  weltliche  Ol^rigkeit  ein 
selbstständiges  Recht  des  Daseins  habe,  dass  ihre  Aufgabe 
indess  darin  bestehe,  äusseren  Frieden  zu  schaffen,  nicht  die 
Menschen  ..fromm  zu  machen",  dass  sie  nur  auf  ,,Leib  und  Gut 
und  was  äusserlich  auf  Erden  ist",  nicht  auf  das  religiöse 
Gebiet  sich  erstrecke,  diese  wuchtigen  Sätze  des  deutschen  Re- 
formators, mit  denen  er  die  Fesseln  der  mittelalterlichen  Welt- 
ansicht sprengte,  ohne  sie  selbst  später  in  ihrer  Reinheit 
aufrecht  zu  halten,  trafen  ganz  und  gar  mit  Milton's  Ge- 
danken zusammen.  ..Die  Staatsgewalt  —  behauptet  er  — 
hat  es  nur  mit  dem  äusseren  Leben  des  Menschen  zu  thun, 
dass  heisst  nicht  etwa  allein  mit  dem  Körper,  sondern  auch  mit 
dem  Geiste  in  allen  seinen  durch  Handlungen  hervortretenden 
Aeusserungen,  was  in  der  Schrift  der  äussere  Mensch  genannt 
wird.  .  .  .  Sein  allgemeiner  Zweck  in  Betreff  der  Gesammt- 
heit  ist  der  äussere  Friede  und  Wohlstand  des  Gemeinwesens 
und  bürgerliche  Wohlfahrt  in  diesem  Leben.  Sein  specieller 
Zweck  in  Betreff  des  Einzelnen  ist,  ihm  durch  Verhängung 
von  Strafen  .  .  .  klar  zu  machen,  dass  es  weder  bequem, 
noch  nützlich,  noch  löblich  ist,  in  diesem  Leben  Unrecht  zu 
thun".  Indessen  der  Staat  trifft  mit  ..allen  seinen  äusseren 
Mitteln  nur  die  Wirkung  nicht  die  Ursache-,  einem  Arzte 
gleich,  der  nur  den  Wundrand  mit  Pflastern  bearbeitet.  Auf- 
gabe der  kirchlichen  Gemeinschaft  ist  es,  sich  mit  der  Seele 
des  Menschen  zu  befassen,  für  ihren  sündigen  kranken  Zu- 
stand Heilmittel  zu  finden.  Diese  dürfen  aber  nur  geistiger 
Xatur  sein.  Wie  der  Staat  kein  Recht  hat  üljer  die  Grenzen 
seines  bezeichneten  Gebietes  hinauszugehen,  so  beweist  die 
Kirche  dadurch  am  besten  ihren  göttlichen  Ursprung,  dass 
„sie  fähig  ist,  ohne  staatliche  Unterstützung  durch  den  frei- 
willigen Gehorsam  der  Menschen  ihr  grosses  Werk  zu  thun". 
Sie  hat  kein  Recht  das  Mittel  der  Staats-Gewalt  für  sich   in 


108  Ideal  der  "Kirchenverfassung. 

Anspruch  zu  nehmen ;  „was  man  heute  kirchliche  Jurisdiktion 
nennt,  sollte  nichts  anderes  sein  als  eine  christliche  Censur" 
.  .  ohne  die  ,, 'Strafgewalt  eines  weltlichen  Gerichtes"  (juris- 
dictive  power").  Man  würde  durchaus  fehl  gehen,  wenn  man 
der  Ansicht  wäre,  in  dem  Angeführten  habe  sich  Milton's  Ur- 
theil  über  diese  grundsätzliche  Frage  erschöpft.  Häufig  ge- 
nug ist  er  auf  ein  Thema  zurückgekommen,  das,  durch  die 
Wogen  des  Tages-Kampfes  hoch  emporgehoben,  nicht  am 
wenigsten  den  Inhalt  seines  gesammten  geistigen  Lebens  aus- 
machte. Er  hat  es  noch  ganz  besonders  behandelt  und  es  un- 
zählige Male  beiläufig  berührt,  er  hat  ergänzt  und  ausgeführt, 
was  hier  mangelhaft  und  nur  skizzirt  oder,  Avie  die  Frage  der 
Schule,  ganz  unberücksichtigt  erschien,  aber  im  wesentlichen 
ist  er  bis  zu  seinem  Ende  einem  Gedanken  treu  geblieben, 
der  für  ihn  und  so  viele  andere  hervorragende  Zeitgenossen 
gleichsam  der  Polar-Stern  des  Denkens  geworden  war. 

Bisher  ist  nur  von  dem  negativen  Theile  der  Milton'schen 
Schrift  die  Rede  gewesen,  in  welchem  er  sich  gegen  das 
Prälaten tlium  und  die  gesammte  bischöfliche  Verfassung  wendet. 
Indessen  steht  diesem  ein  positiver  Theil  gegenüber,  in 
welchem  sein  Ideal  kirchlicher  Verfassung  dargelegt  wird. 
Schon  aus  den  früheren  Schriften  liess  es  sich  ahnen,  hier 
aber  tritt  es  in  voller  Klarheit  hervor.  Es  findet  sich  zwar 
nicht  im  Zusammenhange ,  in  einem  besonderen  Kapitel  ge- 
schildert, aber  es  lässt  sich  unschwer  aus  einzelnen  zerstreuten 
Stellen  der  Schrift  erkennen  und  zusannnensetzen.  Kein 
Zweifel,  dass  Milton  damals  ein  überzeugter  Anhänger  des 
Presbyterianismus  gewesen  ist.  Es  hatte  schon  einen  stark 
presl)yteriaiiischen  Beigeschmack,  wenn  in  den  ersten  Kapiteln 
ein  besonders  grosses  Gewicht  gelegt  wurde  auf  die  „Disciplin 
der  Kirche'',  ,,die  wichtigste  und  ernsteste  Sache  im  ganzen 
Leben  des  Menschen'',  „das  sichtbare  Abbild  der  Tugend''. 
Dem  nachgeborenen  Jünger  der  Renaissance  stehen  Klassiker 
und  Bil)el  zu  Gebot,  um  diesen  Gedanken  auszuführen.  In 
seinem  Xenophon  und  Livius  findet  er  die  Trefflichkeit  eines 
Heeres  nach  der  Güte  seiner  „Disciplin"  bemessen,  nach  der 
Bereitwilligkeit   „den  Befehlen   des  Anführers  zu  gehorchen". 


Milton's  Presbyterianismns.  109 

Disciplin  sieht  er  sell)st  in  den  Heerscliaaren  der  Engel,  „bei 
denen  keine  Unordnung  zu  fürchten",  indem  sie  durch  den 
Willen  Gottes  ,,nach  ihren  himmlischen  Fürstentliümern  und 
Satrapieen"  abgetheilt  sind(^).  Selbst  „im  Reiche  der  Seligen 
im  Paradiese"  bemerkt  er  eine  gewisse  Disciplin,  da  das  ganze 
Revier  des  neuen  Jerusalem  ausgemessen  und  nach  seinen 
Quartieren  bezeichnet  ist.  Disciplin  kann  daher  auch  die 
Kirche  nicht  entbehren,  und  zu  glauben,  dass  der  ,, Unterricht", 
die  „Predigt"  für  die  Kirchgenossen  ausreiche,  wäre  eben  so 
verkehrt  wie  ,,alle  Aerzte  von  London  auf  die  Kanzeln  der 
Stadt"  zu  stellen,  „alle -Kranken  in  jeder  Pfarrei"  sich  ver- 
sammeln, und  ihnen  dort  ohne  Anwendung  weiterer  Mittel 
„eine  gelehrte  Vorlesung  über  Seitenstechen,  Gicht  und  Schlaf- 
sucht" halten  zu  lassen.  Die  Kirchenform  nun,  in  der  er 
eine  solche  Disciplin  ausgeübt  wissen  will,  ist  ihm  die  pres- 
byterianische.  Der  ganze  Streit  dreht  sich  nach  seinen  Worten 
in  der  Einleitung  darum,  ol)  die  Verfassung  der  englischen 
Kirche  ,,presbyterianisch  oder  prälatisch  sein  soll";  nur  darum, 
ol)  diese  oder  jene  Form  von  Gott  gewollt  ist,  kann  es  sich 
handeln  (S.  107),  ein  Drittes  l)leibt  ganz  und  gar  ausge- 
schlossen. Und  seine  Ansicht  ist,  dass  die  Kirchenverfassung, 
wie  die  Apostel  sie  angeordnet  halben,  und  an  die  man  sich 
daher  zu  halten  hat,  „keine  andere  sein  kann  als  die  mit 
Presbytern  und  Diakonen"  (S.  96).  Weit  entfernt  davon,  für 
dies  Ideal  Gründe  der  Zweckmässigkeit  in  Anspruch  zu  nehmen 
und  für  die  ganze  Frage  sich  den  Mass -Stab  wechselnden 
menschlichen  Urtheils  gefallen  zu  lassen,  knüpft  er  wiederum 
an  die  hinlänglich  liekannten  Stellen  des  neuen  Testamentes 
an,  die  ihm  als  Ausfluss  des  göttlichen  Willens  verbindlich  er- 
scheinen, und  stellt  dem  „göttlichen  Recht  der  Bischöfe"  airf 
diese  Weise  ,,ein  göttliches  Recht  der  Presbyter"  gegenül)er 
(S.  120).  Unterlassen  wir  auf's  neue  dieser  geschichtlich- 
dogmatischen Begründung  zu  folgen,  um  vielmehr  die  ein- 
zelnen Theile  des  Milton'schen  Verfassungsplaues ,  soweit  sie 
erkennbar  sind,  in's  Auge  zu  fassen. 

Dass  der  Geistliche  durch  die  Gemeinde  gewählt  werden 
solle,  dieser  Satz  stand  ihm  schon   seit  seiner  ersten   Schrift 


110  Wahl  des  Geistlichen.  —  Laien  -  Aelteste. 

über  die  Reformation  entschieden  fest.  Hier  lässt  er  zu  dem 
Geistlichen  jeder  Gemeinde  gleichfalls  durch  Wahl  der  „Kon- 
gregation" eine  ,,ge^^'isse  Anzahl  würdiger  und  fronnner 
Brüder"  aus  dem  Laienstande  als  Gehülfen  hinzutreten,  die  er 
ganz  nach  schottischem  Stile  Presbyter  nennt.  Er  führt  diese 
Einrichtung  auf  die  Apostel  und  durch  sie  auf  den  heiligen 
Geist  zurück  und  setzt  auseinander,  dass  der  Unterschied  von 
Laien  und  Klerus  den  ersten  Zeiten  des  Christenthums  über- 
haupt fremd  gewesen,  die  Bezeichnung  Klerus  von  Petrus 
..allem  Volke  Gottes"  gegeben  und  erst  von  den  Päbsten  im 
engeren  Sinn  gefasst  worden  sei.  Nach  ihm  hat  jeder  ..gute 
Christ"  ein  Recht  darauf,  nicht  „von  derjenigen  Stelle  im  geist- 
lichen Regiment  ausgeschlossen  zu  werden,  zu  der  ihn  ,, seine 
christlichen  Tugenden  und  sein  durch  das  Auge  und  Zeugnis 
der  Kirche  erprobter  guter  Wandel  befähigen".  Die  kirchlichen 
Aemter  „sollten  jedem  Christen  -  Menschen  offen  stehn,  auch 
dem  Laien,  wenn  sein  Verstand,  sein  Glaulje,  sein  Benehmen 
ihn  dazu  tüchtig  machen".  Erst  dann  würde  „die  Gemeinde  des 
Herrn  ilire  wahre  Gestalt  wieder  erhalten"  und  als  ,,eine 
heilige  Familie  ...  als  Haus  und  Stadt  Gottes  erscheinen". 
Diese  Laien-Aeltesten,  ,,die  nicht  durch  den  eklen  Geruch 
von  Gewinn  und  Sportein  angelockt  .  .  sondern  durch  das  Gefühl 
nachbarlicher  Liebe  und  Pflicht  getrieben. worden  sind",  treten 
mit  dem  Pfarrer  zu  einem  „Parochial-Konsistorium"  zusammen 
(entsprechend  der  schottischen  „Kirk- Session"),  das  in  sich 
eine  Synode  im  kleinen  ist.  Von  dieser  Zelle  aus  entwickelt 
sich  sodann  die  Form  der  Kirchenverfassung  in  organischer 
Weise  von  unten  nach  oben,  immer  breiter  anwaclisend,  fest 
und  sicher  „wie  eine  Phalanx",  während  das  Prälatenthum  in 
monarchischer  Weise  sich  schrittweise  zu  einer  „Pyramide"  zu- 
spitzt. Der  Zwischenglieder  des  „Presl)yteriums"  und  der  „Pro- 
vinzial-Synode"  wird  allerdings  von  Milton  hier  nicht  gedaclit, 
sondern  sofort  die  höchste  Instanz,  die  „General -Asseml)]y", 
erwähnt.  Er  vergleicht  sie  den  allgemeinen  Koncilien,  und 
diese  ei-scheinen  ihm  wiederum  „nach  apostolischem  Muster 
als  allgemeine  Presbyterien".  Denn  Kap.  15  der  Apostel- 
gesi-liiclitc  beweist   ihm,    dass   von  einem  Koncil  ,,kein  treuer 


Kirclienzucht.  l\1 

Christ  ausgeschlossen  wurde,  dem  Kenntnisse  und  Frömmig- 
keit den  Eintritt  verschaffen  mochten".  Eine  solche  „General- 
Assembly",  aus  Geistlichen  und  Laien  bestehend,  dient  dazu 
die  Einheit  der  Kirche  zu  erhalten,  „ein  Schisma  zu  ver- 
hüten". Wichtiger  aber  noch  erscheint  die  Verbindung  jener 
beiden  Elemente  in  den  unteren  und  oberen  Instanzen,  um 
die  vielgeridimte  „Disciplin"  der  Kirche  aufrecht  zu  halten, 
die  den  eigentlichen  Eckstein  des  presbyterianischen  Gebäudes 
bildet.  Und  hier  stellt  er  jener  bischöflichen  Gerichtsbarkeit, 
die  den  Arm  des  weltlichen  Machthabers  für  sich  in  Anspruch 
nimmt,  die  puritanische  Kirchenzucht  gegenüber,  welche 
lediglich  geistliche  ]\Iittel  in  Tliätigkeit  setzen  soll.  Mit  er- 
greifender Beredtsamkeit  schildert  er  den  Gang  dieses  ^'er- 
fahrens  kirchlicher  Censur.  Das  lasterhafte  Mitglied  der  Ge- 
meinde gilt  ihm  als  „krank",  sorgsamer  Behandlung  mit 
geistiger  Arznei  bedürftig.  Sie  wird  ihm  zuerst  in  Form 
„sanfter  Ermahnung"  von  dem  Seelsorger  gereicht.  Nach 
mehrfacher  fruchtloser  Wiederholung  verwarnt  ihn  dieser  „in 
Gegenwart  von  zwei  oder  drei  dazu  bestimmten  frommen 
Brüdern,  seine  theuerste  Gesundheit  besser  in  Acht  zu  nehmen", 
Ist  dies  vergeblich,  so  zieht  er  noch  mehr  Genossen  zu  und 
lässt  es  an .,, feurigen,  wohlgezielten  Vorwürfen"  nicht  fehlen. 
Das  nächste  Mittel  l)esteht  darin,  dass  der  Prediger  alle 
Schrecken  seiner  Beredtsamkeit  los  lässt,  ,,um  in  die  ver- 
borgensten Winkel  des  Herzens  einzudringen",  ,,die  Verstockt- 
heit des  Sünders  l)is  zu  Zuckungen  der  Verzweiflung  zu  er- 
schüttern" und  ihn  „durch  die  Pforte  des  Todes  zum  Leben 
zurückzuführen",  während  gleichzeitig  die  ganze  Gemeinde 
sich  in  „Beschwörungen,  Bitten,  Klagen,  Gebeten"  erschöpft. 
Zeigt  sich  der  Sünder  auch  jetzt  noch  nicht  von  seiner  Krank- 
heit geheilt  und  zur  Reue  bereit,  so  bleibt  für  die  Gemeinde- 
Genossen  nur  noch  eines  übrig:  der  Bann.  ,,Im  Namen 
Gottes  und  der  Kirche  lösen  sie  ihre  Gemeinschaft  mit  ihm, 
erfassen  den  schrecklichen  Schwamm  des  Bannes  (excomnumion 
S.  171)  und  erklären  ihn  für  ausgewischt  aus  der  Liste  der 
Erbschaft  Gottes  und  im  Gewahrsam  des  Satans  bis  zu  seiner 
Reue.     Obwohl  dieser  furchtbare   Richterspruch  weder  Leib 


\\2  Kirchenzucht. 

noch  Leben  berührt,  noch  irgend  weltlichen  Besitz,  hat  er 
doch  eine  so  eindringliche  Kraft,  dass  er  schneller  als  irgend 
ein  chemischer  Schwefel  (chiniicall  sulphur)  oder  jener  (elek- 
trische) Blitz,  der  die  Haut  nicht  verletzt,  aber  die  Einge- 
weide durchzuckt,  die  Seele  im  innersten  versengt.  Aber 
selbst  diese  schreckliche  Erklärung  ist  der  Kirche  zu  keinem 
anderen  Zweck  erlaubt,  denn  als  eine  kräftige  und  gründlich 
reinigende  Arznei  zu  dienen,  wenn  die  Krankheit  nicht  weichen 
will,  eine  Abtödtung  zum  Leben,  eine  Art  von  Rettung  durch 
Yernichtung".  Wenn  ,,der  verirrte  Wanderer"  durch  Reue, 
die  Botin  des  Himmels,  von  seinem  gefährlichen  Wege  zurück- 
geleitet wird,  wenn  der  Kranke  gesundet  und  für  andere  keine 
Gefahr  der  Ansteckung  mehr  droht,  so  nehmen  ihn  die  Brüder 
„mit  unglaublichen  Freudenbezeugungen"  wieder  in  ihre  Mitte 
auf  und  suchen  ihn  für  die  erlittene  Qual  und  Schande  zu 
trösten  (^). 

Man  sieht,  die  kirchliche  Zucht,  wie  sie  Milton  als  Ideal 
vorschwebt,  verstösst  nicht  deshall)  gegen  die  inquisitorische 
Praxis  der  hohen  Kommission,  um  der  inquisitorischen  Pi-axis 
eines  calvinischen  Konsistoriums  den  Platz  zu  räumen.  Wie 
sie  schlechterdings  eine  Mitwirkung  der  staatlichen  Gewalten 
verschmäht,  so  kennt  sie  keine  Strafen,  wie  diese  sie  anwenden, 
und  handelte  es  sich  um  einen  Servet.  ,,Sie  sucht,  —  wie 
Milton  in  einer  früheren  Schrift  entwickelt  hat,  —  nicht  den 
Körper  zu  beraul)en  oder  zu  zerstören,  sondern  die  Seele  zu 
retten'\  sie  weiss  nichts  von  Gefängnis  oder  Geldbusse  noch 
weniger  von  ,, Schlägen,  Ketten  oder  Enterbung"  sondern  wirkt 
nur  ,, durch  väterliche  Ermahnung  und  christlichen  Tadel",  sie 
gleicht  einer  zärtlichen  Mutter,  ,,(lio  ilir  Kind  mit  schrecken- 
den Worten  über  den  Abgrund  hält,  damit  es  lerne,  wo  Ge- 
fahr ist"  (2).  Man  hat  mit  vollem  Rechte  bemerkt,  dass  diese 
strenge  Schule  der  Moral,  von  Milton  in  ei'uster  Zeit  gegen- 
über der  vonielimeii  L('iclitk'l)igkoit  gepi-iesen  und  doch  ganz 
und  gar  auf  die  ihi-  iinicwolmonden  geistigen  Mittel  beschränkt, 
ibni  nur  der  besondere  Ausdruck  einer  allgemeinen  AVahrheit 
Will',  die  un;il»]iängig  von  den  wecliselnden  Formen  der  Er- 
scbciiiuiig.    fiii-    iillc  Zeiten    und    alle   Nationen   Geltung  hat. 


Gesetz  und  Freiheit.  113 

,,Gute  Gesetze  sind  kraftlos  ohne  gute  Sitten,  die  politische 
Vollkommenheit  stützt  sich  auf  die  moralische,  der  freie  Staat 
fordert  freie  Menschen"! ').  In  der  That  leiht  Milton  demselben 
Gedanken  (S.  165)  Worte:  „Man  hält  die  Furcht  für  eine 
vortreffliche  "Waffe  des  Gemeinwesens,  ehrenhafte  Scham  ist 
eine  weit  bessere  .  .,  denn  wo  Scham,  da  ist  Furcht,  aber  wo 
Furcht,  ist  noch  nicht  immer  Scham".  Eine  solche  Scham,  „eine 
gegenseitige  edle  und  christliche  Achtung  ist  die  Amme  und 
Hüterin  der  Frömmigkeit  und  Tugend".  Allein  hier  liegt 
immerhin,  wie  Milton's  Scharfblick  nicht  entgieng,  und  wie  die 
Geschichte  des  Puritanisnuis  zur  Schadenfreude  seiner  Gegner 
oft  genug  bewies,  die  Gefahr  der  Heuchelei,  „der  geheimen 
Abfindung  mit  den  Lieblings-Lastern"  sehr  nahe.  Wirksamer 
noch  ist  das  innere  Ehrgefühl,  das  keines  Beifalls  und  keines 
Tadels  von  anderen  bedarf.  „Die  fromme  und  gerechte 
Achtung  vor  uns  selbst  ...  ist  die  Hauptquelle,  aus  der  alle 
guten  und  edlen  Thaten  entspringen". 

Mochte  Milton  bei  seinem  Versuch,  der  verabscheuten  bi- 
schöflichen Verfassung  das  Glanzbild  der  presbyterianischen 
gegenüber  zu  stellen,  immerhin  in  vielem,  was  er  aussprach 
und  was  er  verschwieg,  der  strengen  schottischen  Richtung 
eines  Henderson  oder  Baillie  nicht  ganz  genügen,  von  einem 
erhabeneren  Gesichtspunkt  aus,  als  der  seinige  war,  liess  sich 
der  Bau  nicht  betrachten,  zu  dem  John  Knox  einst  den  Grund- 
stein gelegt  hatte.  —  Man  wird  nicht  beweisen  können,  dass 
der  Dichter  gerade  durch  seine  Schrift  etwas  zu  dem  Todes- 
stoss  beigetragen  habe,  der  bald  darauf  die  bischöfliche  Ver- 
fassung traf.  Aber  kurze  Zeit  verstrich,  und  die  feierliche 
Beschwörung  des  Parlaments,  mit  der  er  pathetisch  schloss, 
„ein  schleuniges  Urtheil  zu  fällen  gegen  den  grossen  Uebel- 
thäter,  das  Prälatenthum",  zeigte  sich  wirksam.  Ihm  selbst 
war  indessen  in  dem  heissen  Kampfe  der  Geister,  in  den  er 
eingegriffen  hatte,  noch  keine  Ruhe  geschenkt.  Ein  hämischer, 
aus  dem  Hinterhalt  gemachter  Angriff,  der  sich  recht  eigent- 
lich gegen  seine  Person  richtete,  rief  ihn  noch  ein  Mal  unter 
die  Waffen. 


Stern,   Milton  u.   s.   Zeit.      I.   2. 


114  Die  Halls  gegen  Milton. 

Etwa  ein  halbes  Jahr  war  verflossen,  seitdem  die  Smec- 
tymnianer  die.  ..Vertheidigimg  ihrer  Antwort  auf  die  demüthige 
Remonstranz"  des  Bischofs  Hall  hatten  erscheinen,  lassen,  und 
seit  Milton  mit  seinen  „Bemerkungen  zu  der  Vertheidigung 
des  Remonstranten  gegen  Smectymnuus"  seinen  fünf  geist- 
lichen Freunden  beigesprungen  war.  Den  fünf  kampflustigen 
Pastoren  hatte  Hall  sehr  bald  eine  „kurze  Antwort"  gegeben, 
die  trotz  ihrer  Kürze  immerhin  mehr  als  hundert  Seiten 
füllte  (1).  Der  ungenannte  Verfasser  der  „Bemerkungen"  musste 
länger  auf  eine  Erwiderung  warten.  Zuerst  mag  Hall,  wie 
er  am  Ende  seiner  „kurzen  Autwort"  angedeutet  hatte,  ge- 
wünscht haben,  den  Streit  nun  ruhen  zu  lassen.  Dann  kamen 
die  stürmischen  Parlaments-Sitzungen  der  letzten  Monate  des 
Jahres  1641,  darauf  die  unerwartete  Katastrophe,  die  zur 
Verhaftung  der  Bischöfe  führte.  Erst  hinter  den  Mauern  des 
Towers,  welche  den  Bischof  mit  seinen  Gefährten  bis  Anfang 
Mai  1642  einschlössen^  fand  er  Müsse,  sich  mit  dem  gefähr- 
lichen Gegner  zu  beschäftigen,  der  eben  so  wenig  Achtung 
vor  seiner  kirchlichen  Würde  wie  vor  seinem  schriftstellerischen 
Rufe  gezeigt  hatte.  In  der  That  war  gänzliches  Schweigen 
nicht  zulässig.  Dieser  neue  Gegner  hatte  eine  Art  zu  schreiben, 
die  sich  von  der  pedantischen  Weise  der  fünf  Pastoren  sehr 
merkbar  unterschied.  Er  hatte  sich  auch  des  schweren  Streit- 
kolbens der  Gelehrsamkeit  liie  und  da  bedient,  aber  doch  mit 
Vorliebe  das  leichte  Rappier  des  Spottes  geschwungen  und 
den  schöngeistigen  Bischof  damit  empfindlich  verwundet.  Er 
hatte  neben  Aeusserungen,  deren  Derbheit  und  Rohheit  die 
Grenze  des  Schönen  weit  überschritten,  Spuren  feinen  Ge- 
schmackes, ja  dichterischen  Genies  gezeigt,  die  dem  Ver- 
fasser der  „zahnlosen  Satiren",  dem  „englischen  Persius  und 
Seneca"  am  wenigsten  entgehen  konnten. 

In  einer  kleinen,  so  viel  ich  sehe,  hiefür  noch  nicht  be- 
nützten Schrift  des  Bischofs  findet  sich  eine  Stelle,  aus  der 
man  schliessen  kann,  dass  er  sich  im  Januar  1642  in  seinem 
Gefängnis  mit  Miltons  Persönlichkeit  beschäftigt  hat.  Die 
Schrift  liat  die  Form  eines  von  Hall  an  einen  Freund  ge- 
sandten Briefes,  in  dem  er  sich  mit  Eifer  gegen  die  Anschul- 


Die  Halls  gegen  Milton.  115 

(ligungen  seiner  Feinde  veitheidigt,  nebst  angehängter  Ant- 
wort des  Freundes  (H.  S.),  weleliei-  ihm  durchaus  beistimmt. 
Hall  rühmt  sich,  immer  zu  den  Gemässigten  gehört,  die  Ge- 
wissensfreiheit in  keiner  Weise  unterdrückt,  sich  nie  als  heim- 
lichen Freund  des  Papismus  und  Arminianismus  gezeigt  zu 
haben.  Er  beruft  sich  auf  seine  Erklärungen  gegen  die 
Neuerungen  in  Lehre  und  Ritus  vor  dem  Committee  des 
Hauses  der  Lords.  Er  verwahrt  sich  feierlich  gegen  den  Vor- 
wurf, „den  kürzlich  jemand  sehr  ungerechter  Weise  gegen 
ihn  erhoben  habe",  dass  er  in  höherem  Grade  Weltmann  sei, 
als  sich  mit  seinem  Berufe  vertrage  (^).  Solch  ein  Vorwurf 
Hess  sich  allerdings  aus  der  Milton'schen  Schrift  und  nament- 
lich aus  seinen  hämischen  Bemerkungen  über  „Mundus  alter 
et  idem'-  unschwer  herauslesen.  Aber  hierbei  liess  sich 
Hall  nicht  genügen.  Es  konnte  ihm  nicht  schwer  werden, 
über  die  Persönlichkeit  seines  Gegners  sich  Kunde  zu  ver- 
sehatfen,  zumal  dieser  gar  keinen  besonderen  Grund  hatte, 
auf  Wahrung  seiner  Anonymität  zu  sehen  und  sogar  eben 
dahin  gelangt  war,  in  seiner  Schrift  „über  das  Wesen  der 
Kirchen  Verfassung'-  sie  aufzugeben.  Einer  der  Söhne  des 
Bischofs,  Georg  Hall,  scheint  gerade  in  jener  Zeit  Pfarrer  von 
St.  Botolph  (Aldersgate)  gewesen  zu  sein,  also  in  unmittel- 
barer Xähe  von  Milton's  Wohnung  (-).  Ein  älterer,  Robert 
Hall,  damals  Kanonikus  in  Exeter(^),  aber  häufig  in  London 
anwesend,  hatte  möglicher  Weise  noch  mit  Milton  zusammen 
in  Cambridge  studirt  und  konnte  sich  dort  über  Milton's 
Vergangenheit  Aufschluss  geben  lassen.  Wir  wissen  nicht, 
welche  Berichte  von  dieser  und  jener  Seite  einliefen,  ob  mög- 
licher Weise  Milton's  Umgang  mit  Mr.  Alphry  und  Mr.  Miller 
„den  beaus  jener  Tage"  (s.  o.  S.  26),  und  seine  früheren  un- 
angenehmen Erfahrungen  in  Cambridge  als  schätzbares  Ma- 
terial zur  Flechtung  jenes  ganzen  Gewebes  von  Verläum- 
dungen  benutzt  wurden,  wie  es  unter  den  Händen  der  ge- 
schäftigen Halls  entstand.  So  viel  ist  sicher,  dass  Milton 
darin  nicht  irrte,  wenn  er  später  behauptete,  man  habe  fönn- 
liche  Xacliforschungen  nach  seiner  Persönlichkeit  und  Ver- 
gangenheit angestellt  (,,and  I   am   credibly  informed  he   did 

8* 


116  Verleumdungen  Milton's, 

iiiquire'-.  An  Apology,  S.  263  i.  f.),  und  auch  darin  wird  er 
das  Richtige  erfahren  haben,  dass  sein  guter  Name  gemein- 
schaftlich vom  Vater  und  (vermuthlich  dem  älteren)  Sohn 
Hall  in  den  Stauh  gezogen  worden  war(^).  Allerdings  lässt 
sich  der  Antheil  des  einen  und  des  anderen  nicht  deutlich  aus- 
scheiden, indesswird  man  doch  aus  mancher  Wendung  schliessen 
dürfen,  dass  der  alte  damals  im  Tower  sitzende  Hall  sehr 
wesentliche  Stücke  zu  der  Schmähschrift  geliefert  hat,  welche 
freilich  in  seinen  Werken  keine  Aufnahme  fand. 

Sie  führt  den  Titel  „Eine  bescheidene  Widerlegung  eines  bos- 
haften und  possenhaften  Libells,  betitelt  Bemerkungen  zu  der  Ver- 
theidigiuig  des  Eemonstranten  gegen  Smectymnuus"  und  kann 
als  ein  rechtes  Muster  der  Art  und  Weise  gelten,  mit  der 
sich  damals  hochgelnldete  schriftstellerische  Gegner  zu  be- 
handeln pflegten  (^).  In  der  Anrede  an  den  Leser  wird  der 
Feind,  welcher  hier  vernichtet  werden  soll,  ein  ,, possenhafter 
Komödiant"  (scurrilous  Mime)  genannt,  der  sich  bei  dem  Streit 
zwischen  Prälaten  und  Smectymnianern  „auf  die  Bühne  ge- 
stürzt habe,  ein  leilihaftiger  (nach  seiner  eigenen  Meinung 
grimmiger,  finstrer,  scharfer)  Narr".  Man  behauptet  zwar 
nichts  weiter  von  ihm  zu  wissen,  als  was  er  selbst  in  seinem 
Libell  angedeutet  habe,  und  muss  sich  daher  begnügen,  aus 
seiner  Art  zu  schreiben  auf  seinen  Charakter  und  Lebens- 
wandel zu  schliessen.  Indess  ist  dies  nur  eine  Fiktion.  Denn 
gleich  darauf  heisst  es,  der  Gegner  habe  seine  Logik  bei  Seton 
und  Downame,  den  auch  Milton  angeführt  hatte,  gelernt,  also 
in  Camln'idge  (s.  o.  B.  L  95,  n5),  a])er  er  sei  nach  einem  lüder- 
lichen  Leben,  wie  er  selbst  es  als  Kegel  für  die  Studenten 
geschildert  hatte,  von  der  Univei-sität  ,,in  eine  londoner  Vor- 
stadt-Kloake ausgespieen",  wo  man  seitdem  unter  zwei  liebeln 
gelitten  habe:  der  Pest  und  ihm.  Demnächst  müssen  Miltons 
eigene  Worte  dazu  dienen,  als  Strick  für  seine  Moral  gedreht 
zu  wei'den.  In  seinei-  von  Bildern  und  Vergleichen  strotzen- 
den Schrift  waren  ihm  Worte  Avie  „alte  Mäntel,  falsche  Barte, 
l'errücken,  Masken,  nächtliche  Eaufholde"  und  schlimmere  ent- 
fahren, welche  hier  in  dem  Gedanken,  dass  der  Styl  den 
Menschen  bezeichne,  scJir  frei  benutzt  werden.    „Wo  er  seine 


Verleumdungen  Milton's.  117 

Morgenbesuche  macht,  heisst  es  von  Milton,  weiss  ich  nicht, 
aber  wer  ihn  nach  Tisch  finden  will,  der  suche  ihn  in  Schau- 
spielhäusern und  Bordellen".  Denn  nur  dort  lässt  sich  eine 
solche  Sprache  lernen,  die  an  Fluchen  und  Sektrausch  ge- 
mahnt. —  Nicht  minder  missfällig  werden  andere  Aeusserungen 
Miltons  beurtheilt.  Sie  sind  „grässliche  Blasphemieen",  und 
an  jeden,  „der  Christus  liebt  und  diesen  elenden  Ungläubigen 
kennt'",  ergeht  die  menschenfreundliche  Auftbrderung  ,,ihn  zu 
Tode  zu  steinigen,  um  nicht  für  seine  Straflosigkeit  zu  büssen". 
I)anel)en  nimmt  es  sich  denn  sehr  eigenthümlich  aus,  wenn 
Gott  gebeten  wird,  dem*  Verirrten  seine  Sünden  zu  vergeben, 
und  die  Hoffnung  Ausdruck  erhält,  dass  er  selbst  noch  die 
der  Kirche  geschlagenen  Wunden  heilen  möge.  In  der  darauf 
folgenden  Vorrede  wird  wieder  eine  Blumenlese  aus  Milton's 
Schrift  gegeben  und  hinzugefügt:  „Solch'  eine  Sprache  sollte 
man  kaum  aus  dem  Munde  gemeiner  Bettler  an  einem  heid- 
nischen Altar  erwarten".  Audi  die  übliche  Frage,  wer  ihn 
denn  gezwungen  sich  in  diese  Dinge  zu  mischen,  stellt  sich  ein. 

Erst  darauf  beginnt  die  eigentliche  „Widerlegung",  in 
Paragraphen  abgetheilt  mit  Citaten  aller  Art  reichlich  ver- 
sehen. Auch  hier  fehlt  es  nicht  an  persönlichen  Ausfällen 
gegen  Milton.  Er  wird  ein  ,, krittelnder  Dichterling"  genannt, 
aus  einem  seiner  anzüglichen  Vergleiche  wird  geschlossen, 
dass  er  ,,mit  seiner  Wäscherin  auf  vertrautem  Fuss  stelle", 
vor  allem  werden  dem  Verfasser  „der  Bemerkungen"  sell)st- 
stichtige  Absichten  untergeschoben.  Sein  ganzes  Streben  gehe 
dahin,  eine  reiche  Wittwe  oder  die  Stelle  eines  Lecturer  oder 
beides  zu  erhalten;  um  „die  Wittwe-  durch  Entfaltung  seiner 
Talente  zu  gewinnen,  habe  er  in  seine  Schrift  ,,ein  theatra- 
lisches, gross-sprecherisches  Gebet"  eingeschoben,  wie  sich  denn  in 
der  That  ein  Meisterstück  pathetischer  Beredtsamkeit  in  Form 
eines  Gebetes  daselbst  fand.  Und  dieser  Gedanke  gefiel  den 
Halls  so  sehr,  dass  sie  am  Schluss  nochmals  auf  ,.das  Haus 
der  Wittwe,  eine  Pfarrei,  Vikarei  und  Lecturer  -  Stelle"  als 
Gegenstände  der  Sehnsucht  ihres  Widersachers  zurückkonunen. 

Ein  bedeutender  Theil  ihrer  Schrift  hat  es  sodann  mit  der 
Vertheidigimg  des  angegriffenen  Bischofs  zu  thun,    und   liier 


118  Vertheidigimg  Hall's  und  des  Bisthums. 

werden  die  Farben  oft  so  stark  aufjietragen,  dass  man  geneigt 
sein  sollte,  diese  Stellen  der  kindlichen  Verehrung  des  Sohnes 
Hall  zuzuschreiben.  Das  Martyrium  des  Bischofs  wird  nicht 
ohne  Geschick  hervorgehoben,  seine  Persönlichkeit  wird  von 
den  Ungesetzlichkeiten,  die  etwa  vorgekommen  sein  mögen, 
scharf  getrennt,  er  wird  als  ein  Mann  der  rechten  Mitte  ge- 
schildert, welcher  die  Religion  zu  vertheidigen  Willens  sei 
gegen  die  „prunkliebenden,  ceremoniesüchtigeu  Formalisten", 
aber  auch  „gegen  den  Schwärm  finsterer  und  unwissender 
Sektirer",  als  ein  ehrwürdiger  Charakter,  der  durch  Wort 
und  Schrift,  bei  Hof  und  in  seinem  Amt  freimüthig  und  fest 
aufgetreten,  als  ein  Muster  der  Massigkeit  und  Sitten-Rein- 
heit, wie  sie  durch  ,. seine  gute  Gesundheit,  seine  frischen 
Wangen,  seine  hellen  Augen"  u.  s.  w.  bei  hohem  Alter  be- 
zeugt werde.  Auch  seine  jugendliche  Muse  wird  lebhaft  in 
Schutz  genommen,  und  die  Erwähnung  der  „zahnlosen  Satiren" 
giebt  Anlass  zu  Erörtemngen  über  das  Wesen  der  Satire 
„die  von  Alters  her  jede  Art  gemischter  Schriftstellerei  be- 
deutet habe,  was  wir  heute  Essays  nennen".  Die  eigent- 
lichen Gegenstände  des  Streites,  Bisthum,  Liturgie  u.  s.  w. 
werden  daneben  nicht  vergessen,  und  das  „indej^endentische, 
anarchische  Kirchenregiment"  (any  such  independent  anarch- 
icall  Government),  wie  man  es  auf  der  Gegenseite  erstrebe, 
wird  mit  herben  Worten  verurtheilt.  Besonders  auffällig  er- 
scheint die  Art,  mit  der  vom  Parlamente  gesprochen  wird. 
Nicht  der  hier  vertheidigte  Remonstrant  (Hall)  und  seine 
Gesinnungsgenossen  widersetzen  sich  dem  Parlament,  sondern 
ihre  (gleich  Milton)  radikal  gesinnten  Gegner,  „die  mit  sanfter 
Schmeichelei  gegenüber  diesen  Mitgliedern  des  Hauses  und 
mit  roher  Gewalt  gegenüber  jenen  die  ganze  Vereinigung  von 
König,  Pairs,  Gemeinen  über  den  Haufen  zu  werfen  drohen". 
.Die  Sonne  bescheint  keine  wackerere,  edlere  Konvokation 
(Convocation;  als  die  des  Königs,  der  Pairs  und  der  Gemeinen. 
Ihre  aliwägende  Gerechtigkeit  und  weise  Mässigung  wird  sich 
ewig  zum  'i'iiu]ii])h  anrechnen  können,  „dass  sie  bis  jetzt  ver- 
schoben liabcii  zu  thun,  was  ohne  ruhige  TTeberlegung  zu 
tliun    miniiissige   Heftiukeit   einerseits,    (hiiigende    Forderung 


Milton's  „Schutzschrift"  gegen  die  Halls.  119 

andrerseits  sie  antreiben  wollte".  Wie  diese  Worte  deutlich 
den  politischen  Takt  bekunden,  durch  welchen  hier  das 
Schicksal  des  gefangenen  Hall  zum  Besten  gewandt  werden 
sollte,  so  legen  sie  ein  sehr  sicheres  Zeugnis  dafür  ab ,  dass 
die  in  Kede  stehende  Schrift  nicht  nach  dem  fünften,  jeden- 
falls nicht  nach  dem  vierzehnten  Februar  1642  verfasst  sein 
kann.  Am  fünften  trat  das  Haus  der  Lords  dem  Gesetz- 
entwurf über  den  Ausschluss  der  Bischöfe  bei,  am  vierzehnten 
gab  der  König  seine  Zustimmung. 


Nicht  lange  darauf  erschien  Milton's  Antwort:  Eine  Schutz- 
schrift gegen  ein  Pamphlet,  betitelt  eine  bescheidene  Wider- 
legung der  Bemerkungen  zu  der  Vertheidigung  des  Remonstran- 
ten  gegen  Smectymnuus.  Sie  war  zwar  anonym  dem  früheren 
Verfahren  angemessen,  aber  bei  demselben  Buchhändler,  der 
sein  letztes  unterzeichnetes  Werk  verlegt  hatte  (^).  Die  Schiift 
wird  nach  dem  vierten  Februar  1642  abgefasst  sein,  denn  sie 
gedenkt  der  Petitionen  der  Lehrburschen  und  Frauen,  die  da- 
mals eingereicht  worden  waren,  um  den  grundsätzlichen  Aus- 
schluss der  Bischöfe  aus  dem  Parlament  zu  er\Yirken  (S.  302), 
Ob  indess  zur  Zeit  ihrer  Abfassung  dieser  Ausschluss  schon 
Gesetzeskraft  erlangt  hatte,  bleibt  unsicher,  wennschon  es 
wahrscheinlich  ist (2).  Die  Art  und  Weise,  mit  welcher  hier 
vom  König  geredet  wird,  zeigt,  dass  jedenfalls  der  volle  Bruch 
zwischen  ihm  und  dem  Parlament  noch  nicht  erfolgt  war. 
Denn  er  wird  noch,  in  gutem  Vertrauen  auf  seine  Willigkeit 
und  presbyterianischer  Ansicht  einer  Xationalkirche  gemäss, 
aufgefordert,  sich  dadurch  seines  Titels,  „Vertheidiger  des 
Glaubens"  würdig  zu  zeigen,  dass  er  „den  Unterhalt  der  Kirche 
gebührender  Massen  vertheile",  damit  alle  Theile  des  Landes 
gleichmässig  die  Wohlthat  der  Predigt  genössen,  dass  er  „das 
Aergernis  der  Ceremonien"  abstelle  und  die  „Usurpation  der 
Bischöfe"  beuge. 

Es  war  natürlich,  dass  Milton  auch  in  dieser  Schrift  sich 
veranlasst  sah,  sehr  viel  von  seiner  eigenen  Person  zu  sprechen 


120  Autobiographisches. 

und  die  autobiographisehen  Bekenntnisse,  die  er  früher  ab- 
gelegt hatte,  somit  aufs  beste  zu  ergänzen.  Er  hat  Zeit 
seines  Lebens  etwas  darauf  gehalten,  die  Sache,  der  er  diente, 
nicht  nur  durch  den  Glanz  seines  Talentes,  sondern  auch 
durch  die  Fleckenlosigkeit  seines  Charakters  verherrlichen  zu 
können.  Indem  er  nun  seinen  guten  Namen  von  den  Halls  in  den 
Koth  gezogen  sah,  fand  er  es  nöthig,  das  Publikum  über  die  Ge- 
schichte seiner  Studienzeit,  seines  Bildungsganges,  seiner 
dichterischen  Bestrebungen  weiter  aufzuklären,  und  die  Seiten, 
die  er  hierauf  verwendet,  haben  uns  bereits  an  mehr  als  einer 
Stelle  zur  Ergänzung  anderweitiger  Nachrichten  gedient. 

Des  eigenen  Werthes  sich  vollauf  bewusst,  erkennt  er  das 
Missliche  einer  Aufgabe,  die  ihn  nöthigte,  seine  eigene  Partei 
zu  nehmen  und  den  Leser  in  einer  grossen  Zeit  mit  Persön- 
lichkeiten zu  behelligen.  Aber  er  findet  seine  Rechtfertigung 
darin,  dass  die  Gegenpartei  beabsichtigt  habe,  „nicht  sowohl 
ihn  sell)st  zu  treffen,  als  in  ihm  die  Wahrheit,  die  er  ge- 
schrieben, gehässig  zu  machen  und  die  evangelische  Lehre  zu 
schmähen,  die  sich  der  Tradition  der  Prälaten  entgegensetzt". 
Das  erste,  was  er  bekämpft,  ist  der  Vorwurf,  dass  er  mit 
seiner  Parteinahme  für  die  Smectymnianer  sich  in  Dinge  ge- 
mischt liabe,  die  nicht  seines  Amtes  seien.  Es  war  dies  die 
übliche  Taktik  dei-  Männer  von  „imponivender  Autorität"  und 
„grossem  Namen"  gegenüber  dem  namenlosen  Laien.  Aber 
Milton  tritt  ihr  entgegen.  Er  beruft  sich  auf  seine  „Freund- 
schaft" zu  den  Verfassern  des  Smectymnuus  und  spricht  es 
hier  ziendicli  unumwunden  aus,  dass  er  zwar  zu  ihrer  Ge- 
lehrsamkeit und  Solidität  vollstes  Vertrauen  gehabt,  a])er  es 
nützlich  gefunden  habe,  gegen  „die  gezierte  und  stichelnde 
Schreibweise"  des  Remonstranten  ihnen  den  Beistand  seiner 
leichtei-en  Waffen  zu  leilien.  Ueberhaupt  erklärt  er,  auch  ab- 
gesehen von  der  Rücksicht  auf  jene  Freunde,  in  dem  ent- 
brannten Kampfe  gar  nicht  unparteiisch  haben  bleiben  zu 
können.  Man  soll  nicht  fragen,  warum  dieser  oder  jener  sich 
vordrängt,  das  richtet  sich  nicht  nacli  dem  Alter  oder  der 
Jugend,  sondei'ii  (hinadi,  ob  Gott  einem  offensichtlich  ,,(lenWillen, 
den  Geist  und  das  Wort  verleilit".  Fr  behauptet  gleichsam  unter 


Autobiographisches.  121 

dem  Eindruck  einer  Art  von  Inspiration  gestanden  zu  haben, 
was  der  tiefen  religiösen  Stimmung,  die  unverkennbar  in  seinen 
Schriften  liervorgetreten  war,  entspricht. 

Er  wendet  sich  darauf  zu  einer  Erwiderung  der  Vorwürfe, 
welche  man  gegen  sein  Privatleben  geschleudert  hatte.  Was 
über  seine  Universitäts-Zeit  gesagt  worden  war,  entkräftet  er 
durch  das  Zeugnis  seiner  dortigen  Bekannten.  Die  Grob- 
heit, dass  er  nächst  der  Pest  einer  londoner  Vorstadt-Kloake 
lästig  falle,  giebt  er  mit  doppelten  Zinsen  durch  den  Satz 
zurück,  sein  Gegner,  „der  rohe  Gassenkehrer",  leide  selbst 
an  einer  schlimmeren  Pest:  im  Oberstübchen.  Die  hämische 
Anspielung  auf  seine  „unbekannten  Morgenbesuche"  entreisst 
ihm  eine  Schilderung  der  glücklichen  Stunden,  die  er  in  der 
Frühe  des  Tages  genoss(^):  „Im  Winter,  oft  ehe  der  Klang 
einer  Glocke  den  Menschen  zur  Arbeit  oder  zum  Gebet  er- 
weckt, im  Sommer,  wenn  die  ersten  Vögel  zwitschern.  Da 
werden  gute  Schriftsteller  studirt  oder  vorgelesen,  .  .  dann 
geht  es  an  nützliche  Arbeiten  und  ritterliche  Uebungen,  den 
Körper  gesund  und  kräftig  zu  erhalten,  damit  er  dem  Geiste 
leicht  und  willig  folge,  wenn  die  Sache  der  Religion  und  die 
Freiheit  des  Landes  starke  Seelen  in  starken  Leibern  nöthig 
hätte,  um  Stand  zu  halten  und  den  Posten  zu    vertheidigen". 

Noch  ausführlicher  verweilt  er  bei  dem  Versuch,  aus 
seiner  Sprache  zu  schliessen,  dass  er  zu  den  geAvohnheits- 
mässigen  Besuchern  von  Schauspielhäusern  und  Bordellen  ge- 
höre. Diese  Zusammenstellung  allein  musste  ihm,  der  die 
dramatische  Kunst  als  solche  verehrte,  schon  sehr  lächerlich 
vorkommen.  Er  begnügt  sich  auf  die  nicht  eben  sehr  mora- 
lischen Theater- Vorstellungen  seiner  ehemalisehen  theologischen 
Studien-Genossen  zu  verweisen,  die  er  einst  mit  angesehn  hatte, 
(s.  0.  B.  I.  S.  89)  und  weiss  selbst  durch  diese  Erinnerung  dem 
hochkirchlichen  Gegner  eins  zu  versetzen.  Demnächst  deckt  er 
das  Verfehlte  und  Boshafte  der  gegnerischen  Methode  auf,  aus 
seinen  bildlichen  Ausdrücken  Schlüsse  auf  die  Art  seines 
Lebenswandels  zu  ziehen.  Es  wird  ihm  leicht,  aus  den  Jugend- 
Schriften  des  alten  Hall  Rede- Wendungen  und  Schilderungen 
auszuheben,    die    auf    die    Moralität    des    Autors    ein    viel 


122  Autobiographisches. 

schlimmeres  Licht  weifen  würden.  Auch  weiss  er  sich  ge- 
schickt des  dialektischen  Kunstgriffs  zu  bedienen,  dem  Gegner 
vorzuhalten,  dass  wer  mit  der  Ausstattung  und  dem  Jargon 
von  schlechten  Häusern  so  bekannt  zu  sein  vorgebe,  wohl 
eben  so  wenig  in  ihnen  selbst  ein  Fremdling  sein  dürfe.  Um 
aber  ein  für  allemal  dem  verläumderischen  Gerede  von  seiner 
Immoralität  ein  Ende  zu  machen,  flicht  er,  mehr  um  sein 
Publikum  aufzuklären,  als  um  den  Halls  entgegenzutreten, 
jene  klassische  Darlegung  über  das  Wesen  der  Poesie  und 
ihr  Verhältnis  zum  Sittlichen  ein,  wie  es  ihm  aus  seiner  Beschäf- 
tigung mit  den  grossen  Geistern  der  Vergangenheit  klar  geworden 
war  (s.  0.  B.  I.  S.  257).  Mit  demselben  Stolz,  mit  dem  er  „von 
den  nächtlichen  Studien  und  Arbeiten",  gesprochen  hatte,  „auf 
die  er  eine  ganze  Jugend  verwandt",  berichtet  er,  ohne  den 
Spott  der  Welt  zu  fürchten,  dass  humanistische  Bildung  und 
christliche  Erziehung,  verbunden  mit  „einer  gewissen  natür- 
lichen Zurückhaltung",  „ihn  weit  geringere  Ausschweifungen 
haben  verachten  lassen  als  die  des  Bordells".  An  wenig 
Stellen  hatte  er  Gelegenheit  den  puritanischen  Moral  -  Begriff 
so  deutlich  hervorzukehren  wie  hier,  und  man  wird  nur  da- 
durch über  den  engeren  puritanischen  Gedankenkreis  empor- 
gehoben, dass  den  Aussprüchen  der  Bibel  über  den  Werth  der 
Keuschheit  die  Berufung  auf  die  „edelste  Philosophie"  der 
Alten  vorausgeht.  —  Man  hatte  sich  nicht  begnügt,  seine  un- 
schuldigen Worte  gehässig  auszulegen,  sondern  auch  sie  zu 
verstümmeln  und  auseinander  zu  reissen ;  das  gemahnt  ihn  an 
die  Prälaten- Art,  puritanische  „Nasen  zu  brandmarken  und 
aufzuschlitzen".  ]\Ian  hatte  „nach  Art  der  Anstifter  der  Bar- 
tholomäusnacht" unverblümt  „die  Parole  ausgegeben"  ihn 
als  einen  „elenden  Ungläubigen  zu  Tode  zu  steinigen";  das 
dünkt  ilm  „die  aufreizende  und  henkermässige  Sprache"  eines 
Schülers  Loyola's  und  beweist  ihm,  dass  l)ei  genügender  Macht 
der  Remonstrant  und  seine  Genossen  in  England  die  Gegner 
des  Bistluims  el)enso  behandeln  würden,  wie  die  Kebellen  in 
Irland  die  Protestanten  behandelten.  Man  hatte  ihm  selbst- 
süchtige Absichten  auf  eine  reiche  Wittwe  oder  eine  Lecturer- 
Stelle  vorgewoifen,  er  erklärt  nicht  ohne   ironisches  Behagen 


Angriffe  gegen  Hall.  123 

den  Gegner  für  einen  sehr  schlechten  Propheten;  bisher  habe 
ihm  trotz  Studien  und  Reisen  noch  nie  das  Nöthige  gefehlt, 
und,  was  die  Heirats-Gedanken  betreffe,  so  sei  ihm  ein  wohl- 
erzogenes Mädchen  mit  geringem  Vermögen  lieber  als  die 
reichste  Wittwe. 

Beinahe  in  jedem  Theile  dieser  nothgedmngenen  Selbst- 
vertheidigTing  hatte  Milton  zugleich  den  Gegner  schonungslos 
angegriffen  und  an  mancher  Stelle,  die  er  ihm  ausserdem 
widmet,  übertraf  er  noch  die  Schärfe  seiner  früheren  „Be- 
merkungen". Die  rücksichtslose  Derbheit  seiner  Ausdmcke 
zeigt  aufs  neue,  dass  ilan  gegenüber  kein  „Prälat  oder  Erz- 
prälat hoffen  durfte  als  etwas  Besonderes  zu  gelten",  ja  dass 
ihm  der  Titel  „Bischof"  nicht  für  einen  „Segen"  sondern  für 
„das  grösste  Unglück"  galt.  Schon  die  Aufschrift  des  gegner- 
ischen Pamphlets  „Bescheidene  Widerlegung  etc."  erscheint 
ihm  von  pfäffischer  Heuchelei  eingegeben.  Er  erklärt  das  Bei- 
wort „Bescheiden"  für  ebenso  unpassend  wie  die  feierliche 
Dedikation  einer  Passions  -  Predigt  an  den  Heiland,  —  eine 
Geschmacklosigkeit,  deren  sich  kein  Geringerer  als  Bi- 
schof Hall  schuldig  gemacht  hatte  (^).  Er  zersaust  dessen 
frühere  Schriften,  die  „zahnlosen  Satiren"  und  die  „andere 
Welt"  in  der  unbarmherzigsten,  nicht  immer  sehr  kritischen 
Weise  und  findet  gerade  hier  jene  komödiantenhafte,  wein- 
selige Gedanken-Eichtung ,  die  man  ihm  hatte  vorwerfen 
wollen.  Mitunter  nimmt  er  dabei  den  Ton  schulmeisterlicher 
Pedanterie  an,  wie  wenn  er  stilistische  Nachlässigkeiten  des 
Gegners  anstreicht,  oder  wenn  er,  mit  den  Waffen  philo- 
logischer Gelehrsamkeit  ausgerüstet,  ihm  klar  zu  machen 
sucht ,  was  man  unter  einer  Posse  (Mime)  zu  verstehen 
habe(-).  Mitunter  schwingt  er  sich  aber  auch  zu  hoher  Be- 
redtsamkeit  auf,  wie  wenn  er  darlegt,  dass  der  menschliche 
Geist  volle  Freiheit  haben  müsse,  sich  dieser  oder  jener  Dar- 
stellungsfonn  zu  bedienen,  bildloser  und  allegorischer,  ernster 
und  scherzender,  pathetischer  und  ironischer,  je  nach  Neigung 
und  Gelegenheit.  Es  wurde  ihm  nicht  schwer  sich  dafür  auf 
das  Beispiel  griechischer  und  römischer  Schriftsteller,  der 
Propheten    und  Apostel,    ja   Christi    seilest   zu    berufen.     In 


124  Ucber  die  Bildung  der  Geistlichkeit. 

eigener  Sache  deckt  er  sicli  aber  recht  absichtlich  durch  den 
stolzen  Hinweis  auf  Luther,  von  dessen  heiligem  Zorn  er  den 
Prälaten  gegenüber  etwas  in  sich  fühlte.  Auf  diese  Weise 
nimmt  er  für  sich  das  Kecht  in  Anspruch  „die  Freiheit  der 
Presse,  wie  sie  für  beide  Seiten  bestehe"  zu  benutzen  und 
stellt  diesem  Verfahren  das  frühere  der  Bischöfe  entgegen,  ihre 
Widersacher  mundtodt  zu  machen  durch  den  Kerker,  „wo  man 
ihnen  Tinte  und  Papier  verweigerte". 

Wie  man  sieht,  mischt  sich  auch  hier  in  das  persönliche 
Geplänkel  immer  wieder  der  Streit  um  die  allgemeinen  Fragen, 
welche  die  Gemüther  erregten.  Die  härtesten  Worte  fallen 
über  den  Mangel  an  Bildung  der  hochkirchlichen  Geistlichkeit 
(s.  0.  B.  I.  S.  121) ;  es  wird  gesagt,  dass  sich  in  jeder  Gemeinde  des 
Königreichs  „einfache  und  tüchtige  jMänner  finden  liessen,  die 
ihr  gutes  Gewissen  die  rechte  Art  geistlichen  Unterrichts  ge- 
lehrt habe,  welche  l)al(l  genug  die  prunkenden  Füttern  des  üb- 
lichen barbarischen  Lateins  und  die  gezierte  Aetferei  des  geschnie- 
gelten Kanzel-Schauspielers  durchschauen  würden".  Nicht  min- 
der heftig  wird  der  Unfug  der  Anhäufung  von  Pfründen  in  einer 
Hand  getadelt,  mit  dem  sich  die  Abwesenheit  von  ausreichen- 
den Seelsorgern  in  hunderten  von  Gemeinden  verband.  „Die- 
selben Leute  —  heisst  es  — ,  welche  die  treuen  Hirten  von 
ihren  Heerden  verjagen  und  eine  Theuerung  geistlicher  Speise 
venirsachen ,  schwelgen  von  der  Arbeit  gedungener  Unter- 
pfarrer (hireling  curates)",  vergeuden  selbst  die  für  die  Armen- 
pflege und  Erhaltung  der  Kirchen  bestimmten  Gelder  und 
leben  wie  Grafen.  Vor  allem  die  anglikanische  Liturgie  mit 
ihrem  Formelzwang,  ihren  „mageren  und  trocknen"  Aus- 
drücken, „ihren  Wiederholungen  und  Geschmacklosigkeiten" 
wird  aufs  neue  mit  dem  gnii/en  puritanischen  Eifer,  die  Fesseln 
eines  freien,  religiösen  Aufschwungs  abzustreifen,  als  einer  der 
Reste  papistischer  Gcl)räuche,  bekämpft.  „Wenn  wir  in  der 
That  dem  Pabstthum  und  dem  Aberglaulien  einen  Scheide- 
biief  gegeben  haben,  warum  sagen  wir  denn  nicht,  wie  zu 
einer  geschiedenen  Frau:  „..Nimm  alles,  was  dir  gehört  mit 
dir  und  lass  es  hinter  dir  herziehn?""  Warum  sind  wir  bei 
unsrer  Trennung  von  Rom  niclit  so  klug  gewesen?  Ali!  gleich 


Ueber  die  Liturgie.  —  Preis  des  Parlamentes.  125 

einer  schlauen  Elielireclienn  hat  sie  beim  Scheiden  alle 
ihre  schmachtenden  Blicke  und  lockenden  Worte  nicht  ver- 
gessen :  „  ..Behalte  diese  Briefe  noch,  diese  Erinnerungszeichen, 
diese  wenigen  Schmucksachen,  ich  bin  nicht  so  begierig  nach 
dem,  was  mein  ist,  möge  es  bei  dir  das  Andenken  bewahren 
dessen  —  was  ich  bin?  nein  —  aber  dessen,  was  ich  einst 
war:  schön  und  lieblich  in  deinen  Augen"",  Und  jene  weich- 
herzigen Reformatoren  Hessen  sich  nach  Art  Verliebter  be- 
siegen durch  die  Worte  einer  „Buhlerin".  —  So  ruft  Milton 
auch  hier  wieder  die  eigene  poetische  Gestaltungskraft  zu 
Hülfe,  ohne  indess  Bundesgenossen  aus  alter  und  neuer  Zeit, 
sei  es  ein  Zeuge  des  Alterthums  oder  der  heimische  Gower, 
zu  verschmähen.  Sein  ceterum  censeo  bleibt:  „Wir  werden 
niemals  frei  werden,  bis  wir  nicht  Prälatenthum  und 
Kirchenfrevel  als  ein  und  dasselbe  Ding  von  Grund  aus  aus- 
rotten." 

Eine  Stelle  der  gegnerischen  Schrift  erforderte  indess 
noch  eine  besondere  Beachtung.  Es  war  die,  welche  so  ge- 
flissentlich in  vollen  Tönen  das  Lob  des  Parlaments  gesungen 
hatte.  Milton  empfindet  fast  eine  Art  von  Eifersucht  darüber, 
dass  einer  von  der  bischöflichen  Partei  sich  diesen  Gegen- 
stand erwählt  und,  wie  er  behauptet,  schmählich  misshandelt 
hat.  Hatte  man  doch  gewagt  jener  höchsten  Körperschaft  des 
Reiches  den  Namen  einer  Konvokation  zu  geben,  der  an 
und  für  sich  schon  für  den  Puritaner  einen  gehässigen  Bei- 
geschmack hatte  und  an  „viereckige  Mützen  und  Mönchs- 
kappen" gemahnte,  hatte  man  doch  das  Parlament  gepriesen 
nicht  sowohl,  wegen  dessen,  was  es  gethan,  als  wegen  dessen, 
was  zu  thun  es  bis  dahin  unterlassen  hatte.  Diesem  heuch- 
lerischen Lobe  setzt  Milton  sein  eigenes  entgegen,  das  keine 
Einschränkung  kennt  und  das  höchste  Gefühl  des  Triumphes 
athmet.  Es  thut  ihm  wohl,  nach  so  vielfachem,  bitterem  Tadel 
auch  einmal  aus  vollem  Herzen  loben  zu  können,  und  seine 
Worte  werden  zu  einer  Apotheose  der  miterlebten  Ereignisse 
„der  Rettung  der  gesunkenen  Religion  und  des  Gemein- 
wesens, welche  die  Besten  lange  gewünscht,  aber  bei  der  ver- 
zweifelten Läse  der  Dinge  kaum  zu  hoft'en  den  ]\Iuth  gehabt 


126  Preis  des  Parlamentes. 

hatten".  Die  Mitglieder  des  Parlamentes  sind  ihm  „Väter 
des  Vaterlandes,  Göttern  gleich,  denen  täglich  Bitten  und 
Danksagungen  zuströmen".  Ihre  Weisheit,  ihre  Standhaftig- 
keit  dünkt  ihn  um  so  rühmlicher,  da  sie  grossen  Theils  von  ad- 
liger Abkunft  in  ihrer  Jugend  den  schädlichen  Einflüssen 
der  Schmeichelei,  des  Reichthums,  der  Verführung  ausgesetzt 
waren  und  ihre  Bildung  an  den  Stätten  empfangen  hatten, 
„welche  die  Gärten  der  Frömmigkeit  und  wahren  Wissen- 
schaft sein  sollten,  aber  zu  Brutstätten  des  Aberglaubens  und 
hohler  Scholastik  geworden  waren".  Er  findet  keinen  Grund, 
irgend  eine  ihrer  Handlungen  zu  verschweigen ,  am  wenigsten 
die  Verurtheilung  Strafford's,  durch  welche  sie  „mit  einem 
Streiche  die  verlorenen  Rechte  und  Freiheitsbriefe  wieder 
gewannen,  welche  die  Vorfahren  nach  so  vielen  Kämpfen  kaum 
aufrecht  erhalten  konnten".  Er  möchte  die  erfolgreichen  Ar- 
beiten des  Parlaments  mit  den  in  Dichtung  und  Geschichte 
lioch  berühmten  Thaten  der  grauen  Vorzeit  vergleichen,  aber 
er  fühlt,  dass  sie  darunter  leiden  würden,  „denn  die  Heroen 
des  Alterthums  befreiten  die  Menschen  von  solchen  Tyrannen, 
die  sich  an  einer  Erzwingung  des  äusseren  Gehorsams  genügen 
Hessen  und  dem  Geiste  erlaubten  nach  Möglichkeit  frei  zu 
sein,  sie  aber  haben  uns  von  einer  Doktrin  der  Tyrannei 
erlöst,  welche  selbst  die  innere  Ueberzeugung  knechten  und 
verderben  wollte". 

Ueberblickt  man  die  fünf  Milton'schen  Flugschriften,  die 
sich  auf  die  kirchliche  Reform-Frage  beziehen,  nach  Form  und 
Inhalt,  so  wird  man  zugeben  müssen,  dass  ihnen  in  dem 
literarischen  Kampfe  der  Zeit  eine  der  ersten  Stellen  gebührt. 
Wohl  tlfeilen  sie  auf  mehr  als  einer  Seite  mit  anderen  Er- 
zeugnissen der  damaligen  Presse  den  Fehler  ungeschlachter 
Grobheit,  deren  wir  uns  entwöhnt  haben.  Wohl  erscheint  in 
ihnen  der  freie  Fluss  der  englischen  Prosa  häufig  gehemmt 
durch  schwerfällige  Wen(huigen,  die,  aus  der  Vertrautlieit  des 
Autors  mit  den  alten  Sprachen  erklärlich,  uns  fremdartig  an- 
mutlien.  Audi  über  andere  Mängel  können  wir  nicht  hinweg- 
sehen. In  der  Hitze  des  Gefechtes  werden,  dem  Argwolm  des 
herrschenden  Puritanismus  gemäss,  Thatsachen  angenommen, 


Schlussbetrachtung.  127 

welche  die  Gegner  aufs  schwerste  belasteten,  deren  Beweis 
sich  indessen  nicht  immer  hätte  erl)ringen  lassen.  Ebenso 
weicht  in  der  Schätzung  früherer  Ereignisse  das  ruhige  Urtheil 
mitunter  dem  Sturm  der  Parteileidenschaft.  "Widersprüche  und 
Inkonsequenzen  sind  nicht  gänzlich  vermieden.  Während  es 
wünschbar  erscheint,  dass  dem  religionslosen  Staate  kirchliche 
Aufgaben  entzogen  werden,  gilt  der  Monarch  doch  noch  als 
„Statthalter  Christi  ,  der  das  Scepter  David's  führt"  (III.  57). 
In  demselben  Athem,  in  welchem  Toleranz  gefordert  wird  für 
den  Puritaner,  wird  sie  dem  Katholiken  verweigert.  —  In 
manchem  hat  sich  Miltön  zeitlebens  nicht  über  den  Stand- 
punkt erhoben,  den  er  hier  einnimmt,  in  anderen  Fragen  ist 
er  sehr  bald  über  den  Gedankenkreis  seiner  Jugend  hinaus- 
geschiitten.  Immerhin  standen  schon  damals  den  angegebenen 
Mängeln  glänzende  Vorzüge  gegenüber,  die  keine  der  zeitge- 
nössischen Federn  mit  der  seinigen  theilen  konnte.  Seine 
Schriften  entfalteten  einen  Reichthum  an  Kenntnissen  auf  den 
verschiedensten  Gebieten,  der  in  Anbetracht  seiner  Jugend 
bewundernswerth  erscheinen  durfte.  Sie  strotzten  förmlich 
von  weittragenden  Gedanken  und  wussten  sie  nicht  selten  in 
ein  so  glänzendes  Gewand  zu  kleiden,  dass  man  den  philo- 
sophischen Kopf  mit  dem  Genius  des  Dichters  und  Redners 
im  Bunde  erkennen  musste.  Aber  noch  heller  leuchtete  aus 
jedem  Worte  der  Charakter  des  Schriftstellers  hervor,  der 
sich  mit  feurigem  Eifer  in  den  Kampf  gestürzt  hatte  für  das, 
was  er  als  Sache  des  Gewissens  und  der  Freiheit  seines  Volkes 
betrachtete,  der  sich  über  den  Dunstkreis  persönlichen  Ge- 
zänkes aufgeschwungen  hatte  zu  der  reinen  Höhe  allgemeiner 
Ideen.  * 

Wenn  diese  Schriften  Milton  als  entschiedensten  Gegner 
der  damals  bestehenden  Staatskirche  ausweisen,  so  lassen  sie 
auch  darüber  keinen  Zweifel,  welche  Kirchenverfassung  und 
welche  Staatsverfassung  ihm  damals  genehm  waren.  Noch  ist 
er  entschiedener  Anhänger  des  Presbyterianismus  und  der 
Monarchie.  Aber  während  er  der  presbyterianischen  Kirchen- 
Verfassung  eben  den  göttlichen  Ursprung  zuweist,  den  die 
bischötliche  für  sich  in  Anspruch  nahm,    macht    er    gewisse 


128  Schlussbetrachtung. 

Aeusserungen  tili  er  die  Sekten,  die  mit  der  orthodoxen  pres- 
byterianisclien  Ansicht  schon  nicht  mehr  im  Einklang  waren. 
Nicht  minder  fasst  er  die  parhimentarische  Autorität  in  einer 
Weise  auf,  die  mit  dem  Königthum,  wie  es  bisher  bestanden 
hatte,  kaum  noch  verträglich  zu  bleiben  drohte.  Und  schon 
waren  Ereignisse  eingetreten,  welche  die  grosse  Bewegung  des 
englischen  Volkes  weitergeführt  hatten,  und  unter  deren  Ein- 
wirkung auch  Milton's  kirchlich-politische  Anschauungen  fort- 
schritten. 


Drittes  Kapitel. 
Beginn  des  Bürgerkrieges. 


Seit  der  Verhaftung  der  Bischöfe  herrschte  in  den  parla- 
mentarischen Kreisen  ein  Gefühl  der  Besorgnis  für  die  nächste 
Zuknnft,  welches  nur  zu  bald  durch  die  Thatsachen  eine  Be- 
stätigimg erhielt.  Man  hatte  die  Ahnung,  dass  der  Hof  einen 
Hauptschlag  vorbereite,  ohne  dass  sie  sich  in  bestimmte  For- 
men gekleidet  hätte.  Der  König  suchte  seine  Stellung  zu 
verstärken,  indem  er  Falkland  und  Colepepper  in  den  ge- 
heimen Eath  aufnahm,  mit  der  Absicht,  den  einen  zum  Staats- 
sekretär, den  anderen  zum  Kanzler  der  Schatzkammer  zu 
machen,  während  Hyde,  mit  Digby  von  grösstem  Einfluss,  einen 
officiellen  Posten  noch  nicht  bekleidete.  Das  Haus  der  Ge- 
meinen, über  die  Pläne  des  Hofes  keineswegs  beruhigt  und 
durch  dunkle  Warnungen  Pym's  mit  Argwohn  erfüllt,  traf  einige 
Sicherheitsmassregeln  und  bat  den  König  um  Erneuerung 
jener  Sehutzwache  unter  Essex.  Karl  I.  setzte  in  seiner  Er- 
widerung „sein  Königswort"  zum  Pfände,  dass  der  Schutz 
jedes  einzelnen  Mitgliedes  vor  Gewaltthat  ihm  so  theuer  sei 
und  bleiben  werde  wie  die  Erhaltung  seiner  selbst  und  seiner 
Kinder  (3.  Januar  1642).  Während  diese  Antwort  im  Unter- 
hause bekannt  wurde,  erschien  vor  den  Lords  Sir  E.  Herbert, 
der  Attorney-General,  um  im  Namen  des  Königs  ein  Mitglied 
des  Oberhauses,  Lord  Kimbolton,  und  fünf  Mitglieder  der  Ge- 
meinen, Pym,  Hampden,  Haselrig,  Strode.  Holles,  des  Höch- 
stem, Milton  u.  s.  Zeit.    I.  2.  9 


130  Attentat  auf  die  fünf  Mitglieder. 

verraths  anzuklagen.  Was  das  Parlament  einst  gegen  Straf- 
ford  als  BeschuldigTing  erhoben  hatte,  Versuch  die  Funda- 
mental-Gesetze  des  Reiches  zu  untergraben,  ward  ihnen,  den 
Führern  des  reformlustigen  Puritanismus ,  Schuld  gegeben. 
Man  bezichtigte  sie  u.  a.  der  einstigen  verrätherischen  Ver- 
bindung mit  den  Schotten,  Verführung  des  Heeres,  Vorberei- 
tung des  Krieges  gegen  den  König.  Die  Lords,  weit  entfernt 
davon  ihren  Genossen  in  Haft  nehmen  zu  lassen,  hörten  seine 
heftige  Gegenerklärung  an  und  wählten  ein  Committee,  um 
die  Gesetzlichkeit  der  Anklage  zu  untersuchen.  Fast  gleich- 
zeitig mit  der  Nachricht  von  diesen  Vorgängen  kam  dem 
Unterhause  Kunde  zu,  dass  königliche  Diener  in  die  Woh- 
nungen der  angeklagten  Mitglieder  eingedrungen  seien,  um 
sieh  ihrer  Papiere  zu  bemächtigen  und  ihre  Pulte  und  Thüren 
zu  versiegL'ln.  Sofort  erklärten  die  Gemeinen  das  Geschehene 
für  einen  Brach  ihrer  Privilegien,  traten  mit  den  Lords  in 
Berathung  über  den  Schutz  der  Rechte  und  der  Sicherheit 
des  Parlaments  und  befahlen  Verhaftung  jener  Personen,  Ab- 
reissung  der  Siegel.  Währenddess  erschien  nach  Erlaubnis 
des  Hauses  der  königliche  Sergeant  at  Arms,  um  einer  Bot- 
schaft seines  Herrn  zu  Folge  Auslieferung  der  fünf  Mitglieder 
zu  forder«.  Das  Haus  entschloss  sich  nach  kurzer  Berathung, 
dem  Monarchen  zu  erwidern,  dass  man  seine  Botschaft,  welche 
die  Privilegien  des  Parlaments  berühre,  in  ernste  Erwägung 
ziehen,  sich  baldmöglichst  über  eine  Antwort  schlüssig  machen 
und  inzwischen  dafür  Sorge  tragen  wolle,  dass  die  fünf  Mit- 
glieder sich  jeder  *esetzlichen  Anklage  stellten.  Sie  wurden 
daher,  einer  nach  dem  andei-en,  vom  Sprecher  verpflichtet,  bis 
auf  weiteres  Tag  für  Tag  im  Hause  zu  erscheinen.  Aufs 
neue  wurde  an  den  König  das  Verlangen  einer  Garde  ge- 
richtet, mit  der  er  selbst  und  das  Parlament  einverstanden 
sei(^).  Inzwischen  forderte  das  Unterhaus  den  Lord  Mayor 
auf,  einen  Theil  der  Milizen  zu  seinem  Schutze  aufzubieten. 
Unter  allgemeiner  Aufregung  gieng  der  Tag  zu  Ende. 

In  der  Nacht  vom  dritten  auf  den  vierten  Januar  wurde 
in  Whitehall,  wie  es  scheint,  ohne  Zuziehung  der  neuen  Mi- 
nister unter   aufreizender  Theilnahme  der  Königin,   der  Ent- 


Attentat  auf  die  fünf  Mitglieder.  \^\ 

scMiiss  gefasst,  Gewalt  anzuwenden.  Um  ^Mitternacht  ward 
der  Lord  ^Nlayor  geweckt,  um  einen  königliclien  Befehl  ent- 
gegenzunehmen, der  ihm  einschärfte,  ohne  Vollmacht  des 
Monarchen  keine  ]\Iilizen  aufzubieten,  wie  das  Unterhaus  sie 
zu  seinem  Schutz  verlangt  hatte,  vielmehr  jeden  Tumult  mit 
bewaffneter  Hand  zu  unterdrücken.  Der  Tower  war  in  Ver- 
theidigimgszustand.  Die  Mitglieder  der  Rechtskollegien  er- 
hielten Befehl  vom  König,  „sich  bereit  zu  halten".  Gegen 
Morgen  strömten  bewaiffnete  Kavaliere,  Höflinge,  abgedankte 
Officiere  im  Palast  zusammen.  —  Als  das  Haus  der  Gemeinen 
seine  Sitzung  begann,  hatte  man  Kunde  von  der  di'ohenden 
Gefahr.  Die  Geschäfte  nahmen  nichtsdestominder  ihren  Gang. 
Falkland  berichtete,  dass  der  König  der  Deputation  erwidert 
habe,  er  werde  noch  im  Laufe  des  Morgens  seine  Antwort 
senden.  Die  Anklage- Akte  wurde  von  den  fünf  Beschuldigten 
aufs  schärfste  kritisirt,  und  eine  Konferenz  mit  den  Lords  be- 
gehrt, „um  den  Autoren  und  den  Verbreitern  des  skandalösen 
Libells  nachzuforschen",  sowie  über  die  Garde  in  Whitehall 
Klage  zu  führen,  welche  die  Freiheit  der  Debatte  verhindere. 
Der  Stadtrath  erhielt  eine  Mittheilung  von  den  bedenklichen 
Anzeichen,  die  Rechtskollegien  eine  Auifordenmg,  sich  über 
ihre  Aljsichten  zu  erklären.  Um  zwölf  Uhr  unterbrach  das 
Haus  für  eine  Stunde  die  Sitzung.  Als  man  wieder  zusammen- 
trat, hörte  man  durch  eine  Botschaft  der  Lords,  dass  der 
König  am  gestngen  Tage  seine .  Antwort  in  Betreff  der  Garde 
noch  verschoben  habe.  Demnächst  nahm  man  beruhigende 
Antworten  der  Rechtskollegien  entgegen.  *  Aber  die  Spannung 
wuchs,  als  man  näheres  über  die  Ansammlungen  Bewaffneter 
in  Whitehall  erfuhr,  und  sich  zugleich  die  Kunde  verbreitete, 
welche  den  fünf  Bedrohten  inzwischen  zugekommen  war,  dass 
es  sich  um  ihre  ErgTeifimg  handle.  Noch  verhandelte  man 
damber,  ob  sie  bleiben  sollten  oder  nicht,  als  athemlos  der 
fi-anzösische  Kapitän  Langres,  ein  Bekannter  des  Abgeord- 
neten Fiennes,  an  der  Thür  erschien  und  diesem  mittheilte, 
der  König  selbst  sei  schon  im  Anzug  (').  Der  Sprecher  Lent- 
hall,  durch  Fiennes  benachiichtigt ,  kündigte  es  dem  Hause 
an.     In  weiser  Erwägimg  der  Umstände,   die  sehr  geeignet 


]^32  Attentat  auf  die  fünf  Mitglieder. 

waren,  Blutvergiessen  herbeizuführen,  gab  dieses  den  fünf  Mit- 
gliedern Erlaubnis,  sich  zu  entfernen.  Der  erregte  Strode 
wollte  nicht  weichen,  ein  Freund  drängte  ihn  gewaltsam  den 
Gefährten  nach.  Ihre  Barke  stiess  kaum  vom  Ufer  ab,  als 
der  König  mit  ein  Paar  hundert  Bewaffneten  in  der  grossen 
Halle  von  Westminster  erschien.  Die  Hauptmasse  bildete 
hier  Spalier,  er  selbst  mit  seinem  Neffen,  dem  Prinzen  Karl 
von  der  Pfalz,  schritt  über  die  Treppe  durch  den  Vorsaal  zur 
Thüre  des  Hauses,  aber  eine  Anzahl  der  Bewaffneten  drängte 
ihm  bis  dahin  nach.  Er  ermahnte  sie,  „bei  ihrem  Leben  nicht 
weiter  zu  gehen''  und  trat  mit  seinem  Neffen  in  den  Saal, 
dessen  Thüre  offen  bliel).  Alles  erhob  sich  baarhäuptig,  der 
König  durchschritt  grüssend  die  Reihen. 

Und  nun  erfolgte  jene  denkwürdige  Scene,  die  sich  in 
dem  Journal  des  Hauses  der  Gemeinen  nur  durch  eine  grosse 
Lücke  darstellt,  bei  deren  aufregendem  Verlauf  nur  zwei  Per- 
sonen die  Ruhe  behielten,  sich  Notizen  zu  machen,  jener  Sir 
Simonds  d'Ewes,  das  schreibfertige  Mitglied  des  Hauses,  und 
der  junge  Untersekretär  John  Rushworth,  dessen  Aufzeich- 
nungen Karl  L  mit  einigen  Veränderungen  von  seiner  Hand 
am  folgenden  Tage  veröffentlichen  Hess.  Nach  einem  Blick 
der  Enttäuschung  auf  den  leeren  Platz  John  Pym's  begab 
sich  der  König  zum  Sitz  des  Sprechers  mit  den  Worten: 
,,Herr  Sprecher,  icli  muss  für  kurze  Zeit  um  Ihren  Stuhl 
lütten.'"  Ohne  sich  niederzusetzen  l)lickte  er  sich  lange  im  Hause 
um  und  l)egann  dann  zu  reden:  „Gentlemen,  ich  bedauere 
den  Anlass,  weswegen  ich  hierher  gekommen  bin.  Gestern 
habe  ich  einen  Sergeant  at  Arms  aus  triftigen  Gründen  ent- 
sandt, um  einige  zu  verhaften,  die  auf  meinen  Befehl  des 
Hochverrathes  angeklagt  waren.  Ich  erwartete  darauf  Gehor- 
sam, aber  keine  Dei)utation.  Und  ich  muss  euch  hier  er- 
klären, ül)Wohl  nie  ein  König  in  England  war,  der  mehr  über 
die  Aufrechthaltung  eurer  Privilegien  wachte,  als  ich,  so  sollt 
ihr  doch  wissen,  dass  in  Fällen  von  Hochverrath  niemand  ein 
Privilegium  hat.  Und  deshalb  bin  ich  gekommen,  um  zu 
sehn,  ob  einer  der  Angeklagten  hier  ist."  Er  hielt  einen 
Augenblick  inne.     ..Ich  sehe  keinen  von  ihnen,  ich  denke,  ich 


Attentat  auf  die  fünf  Mitglieder.  133 

sollte  sie  kennen."  Nach  einer  neuen  Pause  fuhr  er  fort:  ..Denn, 
Gentlemen ,  ich  muss  euch  sagen,  dass,  solange  diese  keines 
leichten  Vergehens,  sondern  des  Hochverraths  angeklagten 
Personen  hier  sind,  ich  nicht  erwarten  kann,  dass  das  Haus 
den  rechten  Weg  geht,  wie  ich  ihn  von  Herzen  wünsche. 
Deshalb  bin  ich  gekommen,  um  euch  zu  sagen,  dass  ich  sie 
haben  muss,  wo  immer  ich  sie  finde."  Auf  die  Frage:  „Ist 
INIr.  Pym  hier?"  verharrte  alles  in  Schweigen,  ebenso  auf  die 
Frage  nach  Holles.  Der  König  wandte  sich  daher  an  den 
Sprecher  Lenthall.  Der  kniete  nieder  und  erwiderte:  ..Ma- 
jestät, ich  habe  weder 'Augen  zu  sehen,  noch  eine  Zunge  zu 
sprechen  von  diesem  Platze  aus,  wenn  nicht  das  Haus  mir 
Auftrag  dazu  giebt,  dessen  Diener  ich  an  dieser  Stelle  bin, 
und  bitte  ehrerbietigst  um  Verzeihung,  dass  ich  keine  andere 
Autwort  geben  kann."  Auch  hier  zurückgewiesen,  schaute 
der  König  selbst  noch  ein  Mal  nach  den  Gesuchten  aus  und 
fügte  einige  Worte  hinzu,  in  denen  er  theils  Früheres  wieder- 
holte, wie  dass  er  „niemals  Gewalt  beabsichigt  hal)e",  theils 
die  Erwartung  aussprach,  dass  ..man  ihm  die  ausgeflogenen 
Vögel,  sobald  sie  zurückgekehrt  seien,  senden  werde."  Er 
schloss  mit  der  Versicherung:  ,, Andernfalls  werde  ich  sie  selbst 
zu  finden  wissen."  Als  er  den  Saal  uumuthig  verliess,  tönten 
ihm  die  lauten  Rufe  ..Privilegium.  Privilegium"  nach.  Draussen 
harrte  seiner  das  Gefolge.  Ein  Theil  dessellien,  die  geladenen 
Pistolen  in  der  Hand,  hatte  eine  drohende  Haltung  einge- 
nommen und  ungeduldig  wie  auf  ein  Kommando  gewartet. 
Das  Haus,  ohne  in  irgend  ein  Geschäft  einzutreten,  vertagte 
sich  bis  zum  folgenden  Mittag. 

Währenddess  veränderte  sich  das  Ansehn  der  Stadt.  In 
einem  Hause  von  Coleman-Street,  im  Herzen  der  City,  hielten 
sich  die  fünf  Verfolgten  auf.  die  Bürgerschaft  war  entschlossen, 
sie  sich  nicht  entreissen  zu  lassen.  Die  Läden  wurden  ge- 
schlossen, ^lenschenmassen  durchwogten  die  Strassen,  be- 
ängstigende Gerüchte  flogen  von  Mund  zu  Mund.,  die  Thore 
wurden  gesperrt,  die  ganze  Nacht  erschollen  die  Paife  der  auf- 
und  abmarschirenden  Wachen.  Am  folgenden  ]\Iorgen  erschien 
die  Rede  des  Königs  im  Druck  nebst  einer  Proklamation,  der 


134  Folgen. 

ZU  Folge  die  Häfen  des  Eeiches  für  den  Fall  eines  Flucht- 
versuchs der  Fünf  geschlossen  werden  sollten.  Die  Aufregung 
nahm  zu,  als  man  hörte,  dass  er  selbst  ohne  kriegerisches  Ge- 
folge in  der  Guildhall  zu  erscheinen  im  Begriif  sei.  In  den 
Strassen  empfiengen  ihn  die  Rufe  „Privilegien  des  Parla- 
ments", ein  Blatt  Papier  ward  in  seinen  Wagen  geworfen  mit 
der  Aufschrift:  „Zu  deinen  Zelten  Israel".  In  Guildhall  ward 
er  von  den  Behörden  der  Stadt  mit  höchster  Ehrerbietung 
aufgenommen,  hielt  eine  Ansprache,  in  der  er  das  Misstrauen 
der  Gemeinde  zu  zerstreuen  suchte  und  auf  Auslieferung  der 
Angeklagten  bestand.  Aber  selbst  hier  aus  den  Reihen  des 
Gemeinderaths  und  der  draussen  sich  drängenden  Volksmasse 
musste  er  entgegengesetzte  Rufe  vernehmen,  unter  welchen 
der  „Privilegien  des  Parlaments"  den  andern  „Gott  segne  den 
König"  übertönte.  Er  lud  sich  in  freundlicher  Herablassung 
bei  einem  der  Sheriffs  zum  Essen  ein;  als  er  Nachmittags 
dessen  Wohnung  verliess,  um  nach  Whitehall  zurückzukehren, 
verfolgten  ihn  wieder  jene  unliebsamen  Worte. 

Am  selben  Nachmittage  versammelte  sich  das  Untei'haus 
bei  verschlossenen  Thüren.  Während  einige  aus  der  royalisti- 
scheu  Minorität  das  Verfahren  des  Königs  zu  entschuldigen 
suchten,  setzte  die  Mehrheit  eine  schon  vorher  entworfene 
Deklaration  gegen  den  Bruch  der  Parlaments-Privilegien  durch. 
Es  ward  beschlossen,  sich  bis  zum  eilften  zu  vertagen  und  in- 
zwischen ein  Committee  zu  wählen,  dessen  Sitz  in  Guildhall 
sein  sollte.  Ihm  wurde  zur  Aufgabe  gestellt,  die  Mittel  der 
Sicherung  von  Stadt  und  Reich  in  Erwägung  zu  zielin.  Auch 
die  irischen  Angelegenheiten  sollten  nicht  vergessen  werden. 
Den  Lords  ward  Mittheilung  davon  gemacht,  sie  vertagten  sich 
■  gleichfalls.  Indem  das  Parlament  auf  diese  Weise,  wie  jene 
,  fünf  Mitglieder,  sich  unter  den  Schutz  der  City  stellte,  wurde 
zwischen  beiden  das  Band  noch  enger  geflochten.  Während 
das  Committee  in  Thätigkeit  trat  und  alsbald  den  fünf  Ange- 
klagten wieder  Zutritt  gewährte,  verwandelte  sich  die  City, 
erschreckt  durch  das  Gerücht  von  gewaltsamen  Al)sichten 
Digliy's  1111(1  Luiisford's,  in  ein  Lager.  Der  Ruf  nach  Watten 
wurde  bis  in  die  Vorstädte  hinein  laut,   am  sechsten  Januar 


Folgen.  135 

traten  40,000  Mann  in  voller  Küstung,  nahe  an  100,000  mit 
Hellebarden,  Schwertern,  Keulen  zusammen,  der  Lord  Major 
Gourney,  dem  die  Bewegung  über  den  Kopf  wuchs,  hatte 
Mühe,  die  Massen  zu  zerstreuen  (^).  Die  neuen  Proklamationen 
des  Königs,  in  denen  er  allen  Unterthanen  Festnehmung  der 
Fünf  anbefahl  und  ihre  Beherbergung  verbot,  riefen  neue 
Gegenmassregeln  hervor.  Eine  Deputation  des  Gemeinderaths 
machte  ihm  ehrerbietige  aber  ernste  Vorstellungen.  Das 
Committee  übertrug  den  Oberbefehl  ül)er  die  Miliz  der  City 
und  die  Aufsicht  über  den  Tower  dem  puritanisch  gesinnten 
Kapitän  Skippon,  der  'in  Holland  seine  Kriegsschule  durch- 
gemacht und  sich  vom  gemeinen  Soldaten  emporgearbeitet 
hatte.  Eine  Schutzgarde  von  acht  Compagnieen  für  den 
Wiederzusammentritt  des  Parlaments  wurde  gebildet.  Nur 
solche  wurden  in  sie  aufgenommen,  die  sich  eidlich  verpflich- 
teten, „die  wahre  reformirte  Religion  gegen  Papismus  und 
papistische  Neuerungen,  die  Macht  und  Privilegien  der  Parla- 
mente, die  gesetzlichen  Ptechte  und  Freiheiten  der  Unterthanen 
zu  schützen".  Die  Kanzeln  erschollen  am  Sonntag  von  feu- 
rigen Predigten  über  Sprüche  der  Psalmen.  Aus  Buckingham- 
shire  kamen  viertausend  berittene  Pächter  und  Freisassen, 
den  Protest  des  Parlamentes  als  Wahrzeichen  am  Hute,  mit 
einer  Petition  wegen  des  Geschehenen  und  bereit  für  ihren 
Landsmann  John  Hampden  und  das  Parlament  „zu  leben  und 
zu  sterben".  .  Junge  Kaufleute  und  Lehrlinge  boten  ihre 
Dienste  an,  die  Schiffer  und  Matrosen  der  Them  eboote  baten 
um  die  Ehre,  das  Parlament  von  der  Wasserseite  zu  ver- 
theidigen,  wenn  es  zu  seinem  gewöhnlichen  Sitzungsorte  zurück- 
kehre. 

Der  König  wie  seine  Gemahlin  fanden  es  unerträglich, 
den  Triumph  der  Pym  und  Hampden  zu  sehen.  Auch  mochten 
sie  durch  das  Gefühl  der  Furcht  geleitet  werden,  während  sich 
ihnen  ausserhalb  der  Hauptstadt  Mittel  der  Vergeltung  bieten 
konnten.  Am  10.  Januar  verliessen  sie  mit  kh'inem  Gefolge 
Whitehall  und  begaben  sich  zuerst  nach  Hampt(tncourt,  dann 
nach  Windsor.  Am  folgenden  Morgen,  im  Sonnenglauze  eines 
schönen  Wintertages,  hielten  die  Fünf  auf  geschmückter  Barke 


136    Der  König  verlässt  London.  —  Massregeln  des  Parlaments. 

ihren  Triumplizug  durch  das  doppelte  Spalier  der  Kähne  auf 
dem  Strome  und  der  Milizen  auf  beiden  Ufern.  Unter  Jubel- 
i-ufen  und  Böllorschtissen  landeten  sie  am  Strande  von  West- 
minster  und  wurden  von  ihren  Gefährten  an  altgewohnter 
Stelle  stehend  empfangen.  Den  Bürgern  von  London  wurde 
in  beredten  "Worten  John  Pym's  gedankt,  die  Petition  aus 
Buckinghamshire  mit  Freuden  entgegengenommen,  die  ernste- 
sten Vorsichtsmassregeln  zum  Schutze  des  Parlaments  ge- 
troffen. 

Das  Ereignis  hatte  mit  einem  vollständigen  Triumph  der 
Fünf  und  ihrer  Gesinnungsgenos'sen  geendigt,  und  sie  beeilten 
sich  in  den  nächsten  Wochen  ihn  nach  allen  Seiten  hin  aus- 
zubeuten. Indem  sie  in  äusserlicher  Wahrung  der  konsti- 
tutionellen Fiktion  die  Person  des  Königs  ausserhalb  jeder 
Debatte  stellten  und  bei  jedem  Schritt,  den  sie  thaten,  ebenso 
sehr  seine  Ehre,  wie  die  Privilegien  des  Parlaments  und  das 
Wohl  des  Landes  betonten,  brachten  sie  Karl  I.  eine  beschä- 
mende Niederlage  nach  der  anderen  bei.  Sie  machten  sich 
daran,  das  Geschehene  bis  ins  einzelne  zu  untersuchen,  for- 
derten Beweise  für  die  erhobene  Anklage,  Namhaftmachung 
der  „Übeln  Rathgeber",  die  den  König  missleitet  hätten. 
Alle,  die  liei  dem  Attentat  auf  die  parlamentarischen  Privi- 
legien mitgewirkt  hatten,  sahen  sich  ihrerseits  mit  Verfolgung 
bedroht,  um  wie  vielmehr  solche,  die  an  der  Spitze  Bewaff- 
neter mit  feindlichen  Absichten  in  der  Nähe  Londons  er- 
schienen, wie  Digby  und  Lunsford.  Je  weniger  man  nach 
diesen  Erfahrungen  Grund  hatte,  dem  geflüchteten  Hofe  und 
seinem  Anhang  von  Kavalieren  zu  trauen,  je  mehr  man 
royalistische  Anschläge  auf  Hüll  zu  befürchten  hatte,  desto 
heftiger  wurden  die  Angriffe  gegen  die  „Malignanten",  denen 
auch,  unter  beständigem  Hinweis  auf  das  irische  Blutbad,  die 
„Papisten"  gleichgestellt  wurden,  und  die  man  besonders  in 
der  Umgebung  der  Königin  erblickte.  Und  indem  die  Führer 
des  Unterhauses  vorsichtig  auf  den  äussersten  Fall  liedacht 
waren,  schritten  sie  olme  Zagen  zu  weiteren  Massregeln, 
welche  deutlich  bewiesen,  dass  man  sich  mitten  im  Zustande 
der  Revolution,   wenn   nicht  schon   am   Anfang   des  Bürger- 


Massregelu  des  Parlaments.  137 

krieges  befand  und  nicht  mehr  fähig  war,  die  alten  Grenzen 
der  Staatsgewalten  zu  bewahren.  Eine  feierliche  Proklamation, 
in  alle  Grafschaften  versandt,  ermahnte  das  Volk,  sich  in  Yer- 
theidigungsziistand  zu  setzen,  für  Walfen  und  Munition  zu 
sorgen,  die  ]\Iagazine  zu  füllen  und  zu  hüten,  keine  Aus- 
hebung zu  dulden,  keinen  festen  Platz  auszuliefern  ,,ohue  die 
Autorität  seiner  Maj estät ,  ausgedrückt  durch  die  bei- 
den Häuser  des  Pari  amen ts"'.  Der  Tower  wurde  be- 
wacht, Anordnungen  zur  Sicherung  der  grossen  Häfen  und 
Arsenale  erlassen ,  mit  Hülfe  ^  der  reichen  Kaufleute  für  die 
Bedürfnisse  der  Finanzen  Sorge  getroften,  eine  Namensliste 
fiir  die  Ausfüllung  der  höchsten  Posten  des  Aufgebotes  ent- 
worfen, der  König  darum  angegangen,  das  Kommando  der 
festen  Plätze  und  der  Milizen  diesen  Männern  des  parlamen- 
taiischen  Ver-rauens  zu  übergeben.  So  spitzten  sich  die  be- 
gehrlichen Wünsche  der  Mehrheit  des  Unterhauses  wieder  zu 
den  zwei  Forderungen  zu.  die  schon  früher  aufgetreten  waren : 
Aenderung  der  Verwaltung  in  ihrem  Sinn,  Verzicht  auf  die 
Veifügiing  über  die  Streitkräfte  der  Nation.  Aber  daneben 
blieb  die  grosse  Frage  nicht  vergessen,  welche  Monate  lang 
ganz  England  in  Athem  gehalten  hatte,  die  Frage  der  Pie- 
foi-m  der  Kirchenverfassung,  der  Beseitigung  des  bischöflichen 
Regiments,  vor  allem  der  Ausschliessung  der  Bischöfe  aus  der 
Legislative.  Gerade  damals  umbrauste  der  Sturm  der  Peti- 
tionen mit  erneuter  Gewalt  die  Thüren  des  Parlaments.  Von 
Stadt  und  Land,  von  Vornehm  und  Gering  langten  ungestüme 
INIahnungen  in  Westminster  an,  am  4.  Februar  erschien,  als 
ein  Gegenstand  royalistischen  Spottes,  sogar  eine  Deputation 
von  londoner  Frauen,  und  wenn  der  irische  Jammer,  das 
Idol  der  Messe,  der  Erzfeind  William  Land,  die  papistischen 
und  schlechtgesinnten  Rathgeber  der  Krone  in  den  meisten 
Petitionen  eine  grosse  Eolle  spielten,  so  wurde  am  wenigsten 
vergessen,  wie  unaufschiebbar  es  sei,  den  „abergläubischen 
Bischöfen"  ihre  Stimmen  im  Hause  der  Lords  zu  nehmen. 

Die  Lords  suchten,  wo  es  nicht  auf  Abwehr  drohender 
Gewaltsamkeiten  ankam,  dem  unaufhaltsamen  Drängen  der 
Gemeinen   Einhalt   zu   thun.     Sie  klammerten    sich    an   eine 


138  Massregeln  des  Parlaments. 

einigermassen  nachgiebige  Botschaft  des  Königs,  um  ihre 
Freude  darüber  kundzugeben,  in  der  Hoffnung,  dass  der  wilde 
Strom  immer  neuer  Forderangen  damit  abgedämmt  würde. 
Ihre  Mehrheit  war  nicht  gewillt,  die  königliche  Prärogative 
anzugreifen  und,  mit  einem  späteren  Ausdruck  des  Unter- 
hauses zu  reden,  „mehr  zu  thun,  als  je  die  Vorfahren  gethan 
hatten,  weil  sio  mehr  gelitten  als  diese".  Aber  schon  mussteu 
sie  während  'iner  Konferenz  aus  dem  Munde  John  Pym's 
Worte  hören,  die  einen  überraschenden  Ausblick  in  die  Zu- 
kunft eröffneten:  „Die  Gemeinen  werden  sich  freuen  bei  der 
Rettung  des  Reiches,  eure  Mitwirkung  und  Hülfe  zu  besitzen ; 
sollten  sie  aber  diese  missen,  so  wird  das  sie  nicht  entmuthi- 
gen,  ihre  Pflicht  zu  thun.  Und  mag  das  Reich  untergehen 
oder  gerettet  werden  (aber  ich  hoffe,  es  wird  mit  Gottes 
Hülfe  gerettet),  so  werden  sie  liedauern,  dass  die  Geschichte 
dieses  Parlamentes  der  Nachwelt  zu  erzählen  haben  wird,  dass 
das  Haus  der  Gemeinen  in  solcher  Gefahr  gezwungen  war, 
das  Reich  allein  zu  retten"  (^).  Unter  den  Lords  selbst  traten 
die  Gegensätze  immer  schärfer  hervor,  die  Minorität  war  seit 
lange,  wie  für  andere  Forderungen  der  Gemeinen,  so  für  den 
Ausschluss  der  Bischöfe  gewonnen,  am  5.  Februar  gab  das 
Oberhaus  endlich  der  vielumstrittenen  Bill  seine  Zustimmung, 
nach  welcher  alle  Personen  geistlichen  Standes  unfäliig  sein 
sollten,  „irgend  eine  weltliche  Gerichtsbarkeit  oder  Autorität 
auszuüben".  Eines  der  Hauptbegehren  des  fortgeschrittenen 
Puritanismus  war  damit  erfüllt,  eines  der  Hauptziele  der 
Milton'schen  Streitschriften  erreicht,  einer  der  wichtigsten 
Schritte  auf  der  Bahn  gemacht  worden,  welche  der  Trennung 
des  kirchlichen  und  staatlichen  Gebietes  zustrebte, 

]\Ian  dari'  annehmen,  dass  die  royalistische  Mehrheit  der 
Lords  bei  diesem  Akt  der  Nachgiebigkeit  im  Einverständnis 
mit  den  Absichten  des  Hofes  handelte  (^).  Man  hatte  sich 
hier  Ende  Januar,  nachdem  der  Anschlag  auf  Hüll  misslungeu 
war,  entschlossen,  gefügig  zu  erscheinen.  Man  lioffte  durch 
Zugeständnisse  von  minder  Wichtigem  Zeit  zu  gewinnen,  um 
das  Wichtigste  zu  retten  und  im  günstigsten  Fall  Verlorenes 
wiederzugewinnen,    das  man  im  Nothstande  aufgegel)en  hatte, 


Annahme  der  Bill  über  den  Ausschluss  der  Bischöfe.         139 

ohne  sich  damit  für  die  Zukunft  gebunden  zu  halten.  Unter 
dem  Vorwand,  ihre  Tochter  nach  Holland  zum  Prinzen  von 
Oranien.  dem  ihr  bestimmten  Gemahl,  zu  begleiten,  sollte  die 
Königin  sich  mit  den  Kronjuwelen  nach  dem  Festland  be- 
geben, um  Anleihen  zu  machen,  Munition  zu  beschaffen,  Sol- 
daten anzuwerben.  Der  König  wollte  währenddess  langsam 
in  die  nördlichen  Theile  des  Reiches  zurückweichen,  seine 
Streitkräfte  sammeln,  inzwischen  die  Verhandlungen  mit  dem 
Parlament  fortsetzen.  Daher  die  versöhnliche  Sprache  des 
Königs,  selbst  mit  Bezug  auf  die  Streitfrage  über  die  jVIiliz, 
sein  Wunsch,  die  Angelegenheit  der  fünf  Mitglieder  in  Still- 
schweigen zu  begraben,  seine  Einwilligung,  das  Kommando 
des  Tower  auf  einen  von  den  Gemeinen  in  Vorschlag  ge- 
brachten Mann  übergehen  zu  lassen.  Auch  in  der  Frage  des 
Ausschlusses  der  Bischöfe  vom  Oberhause  überwand  er  sich 
nachzugeben,  wiewohl  damit  die  alte  bischöfliche  Verfassung 
selbst  einen  schweren  Stoss  erhielt.  Diese  Frage  war  doch 
weit  minder  bedeutend  als  die  der  Verfügung  über  die  Miliz, 
weit  weniger  geeignet,  zum  Ausgangspunkt  eines  äussersten 
Widerstandes  gemacht  zu  werden  als  diese.  Die  Königin, 
als  Katholikin,  hatte  keinen  Grund  sich  für  die  Privilegien 
des  anglikanischen  Bisthums,  zumal  angesichts  ihrer  nächsten 
Pläne,  zu  erwärmen,  und  wenn  Falkland  und  Colepepper  von 
diesen  auch  nicht  im  einzelnen  unterrichtet  sein  mochten,  so 
waren  sie  nach  ihrer  ganzen  freieren  Geistesrichtuug  weit 
entfernt  davon,  die  Gewissensbedenken  ihres  streng  anglika- 
nisch gesinnten  Freundes  Edward  Hyde  zu  theilen. 

Am  14.  Februar  erfuhr  das  Parlament  durch  eine  Botschaft 
des  Königs,  dass  er  nächst  der  Bill  über  die  Anwerbung  von 
Mannschaft  für  den  irischen  Krieg  jener  anderen  über  den 
Ausschluss  der  Bischöfe  seine  Zustimmung  gegeben  habe. 
Er  fügte  hinzu,  dass  er  die  weitere  Frage  „über  Verfassung 
und  Liturgie"  ganz  und  gar  der  Weisheit  des  Parlaments 
überlasse  und  bat  nur,  dass  man  ihm  nicht  einzelne  Theile,  son- 
dern ein  ganzes  System  der  Pieform  vorlegen  möge.  Zugleich 
suchte  er  die  argwöhnische  Intoleranz  des  Puritanismus  zu 
befriedigen,   indem  er  versprach,   auf  strenge  Durchführung 


140  Die  Frage  der  Militia. 

der  Strafgesetze  gegen  Rekusanten  und  römische  Priester  zu 
achten. 

Einige  Tage  später  fuhr  die  Königin  von  Dover  ab,  be- 
gleitet vom  Prinzen  Rupert  von  der  Pfalz,  der  nach  England 
geeilt  war,  um  sich  seinem  Oheim  zur  Yei-fügung  zu  stellen. 
Der  König  selbst  schlug  mit  dem  Prinzen  von  Wales  und 
dem  Herzog  von  York  den  Weg  nach  Norden  ein. 

Eben  dieser  Zeit  und  den  nächstfolgenden  Monaten  ge- 
gehörten die  wichtigen  Verhandlungen  mit  dem  Parlamente 
an,  welche  unmittelbar  zum  Bruch,  zum  Beginn  des  Bürger- 
krieges führten. 

Es  waren  sehr  verschiedene  Gegenstände,  welche  damals 
zwischen  König  und  Parlament  zur  Sprache  kamen,  noch 
immer  unter  Festhaltung  der  Fiktion,  als  betrachte  man  die 
Trennung  der  Staatsgewalten  als  ein  vorübergehendes  Ereignis, 
während  in  Wahrheit  beide  Parteien  sich  schon  als  Feinde 
ansahen,  eifrig  rüsteten  und  durch  Druckschriften  aller  Art 
die  öffentliche  Meinung  auf  ihre  Seite  zu  ziehen  suchten. 
Im  Vordergrund  stand  aber  die  schon  so  häufig  berührte 
Frage  über  ..die  Militia".  Hier  zeigte  sich,  wie  weit  und  wie 
richtig  Stratibrd  gesehn  hatte,  indem  er  in  den  1)estehenden 
Verhältnissen  der  Militärverfassung  des  Landes  ein  Haupt- 
hindernis für  die  Herstellung  einer  Staatsgewalt  erblickte, 
welche  den  Monarchen  thatsächlich  absolut  und  das  Parla- 
ment thatsächlich  zu  einem  blossen  Schatten  gemacht  haben 
würfle.  Aber  auch  die  Fülirer  des  Parlaments  waren  sich 
frühe  klar  darüber  geworden,  dass  alle  die  einschneidenden 
konstitutionellen  Bestimmungen,  die  sie  theils  bereits  durch- 
gesetzt hatten ,  theils  noch  durchzusetzen  hofften,  keine  ver- 
lässliche Bürgschaft  ihrer  Dauer  in  sich  trügen,  wenn  nicht 
die  administrativen  Gewalten  der  Krone  auch  auf  jenem  Ge- 
l)iet  beschränkt  würden.  lieber  die  Tliatsache,  dass  man 
etwas  Neues  ei-strebe,  mochte  unter  den  Häuptern  der  Partei 
wiedemm  ein  mehr  oder  minder  klares  Bewusstsein  herrschen, 
über  die  Nothwendigkeit  dieser  Bestrebung  war  unter  ihnen 
keine  Meinungsverschiedenheit.  Man  hatte  den  grossen  Vor- 
theil,  auch  in  dieser  Frage  immer  mit  dem  Hinweis  auf  Ir- 


Die  Frage  der  Militia.  141 

land  operireu  zu  könuen,  dessen  elender  Zustand  schleunige 
Abhilfe  forderte,  und  damit  zugleich  das  puritanische  Gefühl 
des  Hasses  gegen  den  Papismus  zu  treffen,  während  das  An- 
erbieten des  Königs,  selbst  das  Kommando  gegen  die  Rebellen 
zu  übernehmen,  nur  aufs  neue  den  populären  Argwohn  er- 
weckte und  den  Entschluss,  auf  dem  eingeschlagenen  "Wege 
zu  verharren,  entschieden  kräftigte. 

Unmittelbar,  nachdem  Karl  I.  das  vorläufige  Opfer  ge- 
bracht hatte,  sich  mit  dem  Ausschluss  der  Bischöfe  aus  dem 
Oberhause  einverstanden  zu  erklären,  wurde  ihm  der  Ent- 
wurf der  Ordonnanz  des  Parlamentes  vorgelegt,  welche  aus- 
fiihrliche  Bestimmungen  über  die  Miliz  und  eine  Namensliste 
der  Männer  enthielt,  denen  sie  anvertraut  sein  sollte.  Der 
König  erklärte  nach  einigem  Zögern  die  Vorlage  in  der  ein- 
gereichten Fonn  für  unannehmbar.  Sein  Widerspruch  rich- 
tete sich  nicht  sowohl  gegen  die  in  Vorschlag  gebrachten 
Personen,  an  denen  er  nichts  auszusetzen  fand,  soweit  nicht 
London  und  entsprechende  Korporationen  in  Frage  kamen. 
Aber  er  verwahrte  sich  gegen  die  Ausdehnung  ihrer  militäri- 
schen Befugnisse  mit  Umgehung  seiner  Person  und  er  wei- 
gerte sich  vor  allem,  auf  sein  Recht  des  Widerrufs  jener 
Vollmachten  zu  Gunsten  des  Parlaments  zu  verzichten.  Die 
Rückantwort  des  Parlamentes  führte  eine  drohende  Sprache. 
Das  Unterhaus  erklärte  die  Worte  des  Königs  für  eine  voll- 
kommene Weigerung,  seine  Rathgeber  in  dieser  Frage  für 
Feinde  des  Staates  und  Verschwörer  gegen  die  Sicherheit  des 
Königs  und  den  Frieden  des  Reiches.  Es  gab,  mit  dem  Ver- 
langen Karls  I.  in  direktem  Widerspruch,  seine  volle  Billigung 
mit  dem  Unternehmen  einzelner  Landestheile  kund,  sich  in 
Vertheidigungszustand  zu  setzen.  Es  riss  die  Lords  zur  Ab- 
sendung einer  Botschaft  mit.  welche  dem  König  erklärte,  die 
Gefahren  des  Staates  könnten  keinen  Aufschub  erdulden,  und 
wenn  er  sich  nicht  entschliessen  könne,  seine  sofortige  Zu- 
stimmung zu  den  gemachten  Vorschlägen  zu  geben,  werde 
man  genöthigt  sein,  über  die  Miliz  unter  Autorität  l)eider 
Häuser  des  Parlamentes  zu  verfügen.  Auch  baten  sie  um 
seine  und  des  Prinzen  von  Wales  Rückkehr  in  die  Nähe  der 


142  Bruch  zwischen  König  und  Parlament. 

Hauptstadt.  Einer  solchen  Sprache  setzte  der  König  um  so 
bestimmter  seine  Weigerung  entgegen,  je  weiter  er  sich  nach 
Norden  entfernte,  und  er  war  schon  in  Newmarket  angekom- 
men, als  Lord  Pembroke,  der  ihn  drängte,  wenigstens  auf 
beschränkte  Zeit  die  Militia  aufzugeben,  von  ihm  die  Ant- 
wort erhielt:   ,,Nein,  bei  Gott,  nicht  für  eine  Stunde.'" 

Das  Parlament  liess  sich  inzwischen  nicht  aufhalten.  Alle 
anderen  Geschäfte  traten  hinter  dem  der  kriegerischen  Rüstung 
zurück.  Die  Frage  der  kirclilichen  Reform,  welche  anfangs  die 
Hauptsache  gewesen  war ,  wurde  in  den  Hintergrund  gedrängt. 
Wennschon  William  Land  in  Verhaft  blieb,  so  dachte  man 
nicht  daran,  die  zwölf  Bischöfe  länger  festzuhalten  und  gab 
ilmen  Anfang  Mai  die  Freiheit.  —  Schon  vorher  hatten  die 
Gegensätze  sich  mehr  und  mehr  verschärft,  obgleich  die  Ver- 
handlungen niemals  abbrachen.  Das  Parlament  fasste  den 
entscheidenden  Beschluss,  die  Ordonnanz  über  die  Miliz 
selbstständig  durchzuführen.  Der  König  erklärte  dies  für 
einen  Bruch  der  Grundgesetze  des  Reiches  und  verbot  allen 
Unterthanen  der  Ordonnanz  Folge  zu  leisten.  Das  Parlament 
antwortete,  „dass  ihm  selbst  als  höchstem  Gerichtshof  des 
Reiches  zustehe,  auszusprechen,  was  Landesrecht  sei"  aind 
brandmarkte  jeden  Versuch,  dies  in  Zweifel  zu  ziehn,  als 
einen  Bruch  seiner  Privilegien.  Unwillkürlich  gelangte  man 
dazu,  von  dem  thatsächlichen  Zwiespalt  aus  auf  die  allge- 
meinsten Theorieen  vom  Urciuell  der  Staatsgewalt  zurück- 
zugehn  und  bewies  schon  dadurch,  welche  Fortschritte  der 
revolutionäre  Gedanke  gemacht  hatte.  Am  23.  April  hatte 
der  König  unerwartete  Gelegenheit,  dies  selbst  zu  erproben. 
John  Hotham,  der  Befehlshaber  der  Stadt  Hüll,  deren  er  sich 
mit  ein  Paar  lumdert  Reitern  zu  bemächtigen  gedachte,  den 
Geboten  des  Parlaments  getreu,  verweigerte  ihm  den  Einlass. 
Karl  I.  erklärte  ihn  daraufhin  füi-  einen  Verräther,  unter- 
brach seine  Verbindungen  mit  London,  heng  einen  von  Hüll 
dortiiin  entsandten  Boten  ab.  Das  Parlament  billigte  das 
Benehmen  Hotham's,  nannte  das  Verfahren  des  Königs  gegen 
ihn,   eines  dei-  Mitglieder  des  Unterhauses,  gesetzwidrig  und 


Bruch  zwischen  König  und  Parlament.  143 

entsandte   eine  Kommission   mit   strengen  Vollmachten  nach 
Norden. 

Das  energische  Zusammenwirken  von  Ober-  und  Unter- 
haus, die  rasche  Bewältigung  einer  ungeheuren  Last  von  Ge- 
schäften, die  ilicksichtslose  Schärfe  einzelner  Massregeln 
ward  allein  dadurch  ermöglicht,  dass  sich  allmählich  die 
royalistischen  Mitglieder  entfernten,  und  fast  nur  diejenigen 
zurückblieben,  welche  entschlossen  waren,  wenn  es  zum  Kriege 
käme,  auch  gegen  den  König  die  Waffen  zu  führen.  Ein 
grosser  Theil  der  Lords  eilte  nach  York  zum  König,  aber 
eben  die  puritanisch  Gesinnten  waren  nicht  darunter,  die 
Karl  L  ausdrücklich  zu  sich  entboten  hatte  und  die  er  nun, 
wie  Essex  und  Holland,  ihrer  Hofämter  entsetzte.  Der  Lord- 
Keeper  Littleton  schickte  heimlich  das  grosse  Siegel  zum  König 
und  folgte  selbst  nach.  Viele  von  den  Gemeinen  giengen 
denselben  Weg,  nächst  Hyde  hielten  es  auch  Falkland  und 
Colepepper  nicht  mehr  für  gerathen,  in  London  zu  bleiben. 
Ln  Laufe  des  Mai  und  Juni  hatte  sich  in  York  eine  Art  von 
Gegenparlaraent  versammelt,  von  allen  Seiten  strömte  der 
loyale  Adel  hierher  zusammen,  der  König  empfieng  aus  den 
Grafschaften  des  Nordens  und  Westens  mannichfache  Zeichen 
der  Sympathie,  er  wandte  sich,  nicht  ohne  heftigen  Wider- 
sprach zu  erfahren,  an  Gentry,  Freisassen  und  Pächter  der 
Nachbarschaft  um  Hülfe  für  den  bevorstehenden  Kampf,  er 
erhielt  eben  damals  die  erste  Sendung  von  Kriegsmaterial, 
welches  die  Königin  auf  dem  Festlande  angekauft  hatte.  Als- 
bald trafen  in  den  einzelnen  Grafschaften  die  Ordonnanz  des 
Parlaments  über  die  Miliz  und  der  vom  König  gegebene  Auf- 
trag (Commission  of  array)  der  Truppenaushebung  aufeinander, 
den  durch  beide  Häuser  ernannten  Lord  -  Lieutenants  traten 
die  Bevollmächtigten  des  INIonarchen  gegenüber,  über  das 
ganze  Pieich  hin  wurde  der  Zwiespalt  getragen  und  erfüllte 
Städte  und  Dörfer,  Strassen  und  Märkte  mit  wildem  Tumult. 

Unter  den  Flugschriften,  deren  damals  eine  grosse  Zahl 
die  Frage  der  Militia  mit  leidenschaftlichem  Eifer  behandelte, 
ist  eine,  welche  man  mitunter  der  Feder  John  Milton's  zuge- 
schrieben hat.     Sie    setzt  sich  vor,    wie  schon  ihr  Titel  an- 


144  Schrift  über  die  Militia  von  J.  M. 

deutet,  zu  beweisen,  dass  das  Recht  auf  Seiten  des  Parla- 
mentes sei  und  allen  erhobenen  Einwendungen  zu  begegnen. 
Abgesehen  davon,  dass  sie  von  jenem  Thomas  Underhill  ver- 
legt ist,  mit  welchem  Milton  schon  in  Verbindung  stand,  kann 
das  J.  M.  auf  dem  Titel  im  ersten  Augenblick  verführerisch 
erscheinen.  Dazu  kommt,  dass  der  Name  des  Dichters  .als 
der  des  Autors  nicht  nur  von  Oldys  in  Ms.  Zusätzen  zu 
E.  Phillips  Leben  Miltoii's,  sondern  auch  vom  zweiten  Grafen 
von  Bridgewater,  dem  ..älteren  Bruder"  des  .,Comus",  auf  dem 
Titel  der  Flugschrift  selbst  verzeichnet  sein  soll.  Endlich 
findet  sie  sich  in  einem  interessanten  Sammelbande  der  erz- 
bischöflichen Bibliothek  von  Lambeth,  welcher  auf  altem  Ein- 
band die  gedruckte  Bezeichnung  trägt:  „Tract'^  By  John  Mil- 
ton",  in  der  That  einige  Hauptschriften  des  Dichters  enthält, 
ausserdem  aber  einige  andere,  die  ein  altes  handschriftliches 
Inhaltsverzeichnis  auf  der  ersten  Seite  gleichfalls  ihm  zu- 
eignet. Auch  von  dem  in  Rede  stehenden  Traktat  heisst  es 
hier  ausdrücklich  ..Sein  Argimient  betreifend  die  j\niitia"(i). 
Bei  flüchtigem  Durchblättern  könnte  der  Inhalt  dieses  sehr 
lehrreichen  Pamphlets,  welches  einen  klaren  Einblick  in  die 
ganze  Streitfrage  eröft'net,  wohl  dazu  verleiten,  in  Ueber- 
einstimmung  mit  jenen  Angaben  es  Milton  zuzuschreiben. 
Der  Verfasser  hält  zwar  das  Recht  der  Verfügung  über  die 
Miliz  für  eine  Prärogative  der  Krone,  aber  er  bejaht  die 
Frage,  ,.ob  die  beiden  Häuser  des  Parlaments,  wenn  das  König- 
reich in  unmittell)arer  Gefahr  ist,  und  der  König  verweigert 
es  in  Belagerungszustand  zu  setzen,  das  Recht  haben,  durch 
ihre  Ordonnanz  ohne  Zustimnumg  des  Königs  die  Miliz  anzu- 
ordnen". Eiiit'.  „unmittelbare  Gefahr"  wird  ihm  aus  dem  Zu- 
stande Irlands  klärlich  bewiesen,  denn  es  ist  sicher,  dass  der 
Pabst  und  seine  Anhänger  ,,mit  ilirem  heiligen  Vater,  dem 
Teufel"',  den  Untergang  des  Protestantisnuis  planen.  Auch 
hält  er  das  Parlament  für  vollkommen  berechtigt,  über  die 
Iiiiniinenz  der  Gefalir  von  sich  aus  zu  urtlieilon.  Der  König 
hat  seine  Krone  empfangen  nur  unter  der  stillschweigenden 
Bedingung,  „die  Gesetze,  das  Leben  und  die  Freiheiten  der 
Unterthanen  zu  vertheidigen'',  er  wird  durch  schlechte  Rath- 


Die  neunzehn  Propositionen.  X45 

geber  yeifülirt,  sich  darüber  hinwegzusetzen,  aber  diese  , .wer- 
den l)akl  die  Mitra  über  die  Krone  stellen'-.  Der  Autor  hegt 
den  Wunsch,  dass  Gott  die  Augen  des  Königs  öffnen  möge 
und  nimmt  als  Wahlspruch  an:  ,.Pereant  privilegla  regis  ne 
pereat  regnum.'-  Wenn  Milton  diese  Sätze  wohl  hätte  unter- 
schreiben können,  so  finden  sich  doch  andere,  die  seiner  Ge- 
dankenrichtung wenig  entsprachen.  Schon  damals  hätte  er 
sich  schwerlich  zu  der  Behauptung  verstanden,  „dass  alle 
Macht  göttlichen  Ursprungs  sei,  und  so  vorzüglich  die  des 
Königs".  Auch  würde  er  eine  schärfere  und  vor  allem  weniger 
schulmässige  Sprache  geführt  haben,  als  es  liier  geschieht. 
Denn  die  ganze  Schrift,  ausgestattet  mit  Verweisungen  auf 
Präcedenz  -  Fälle  und  Werke  über  das  englische  Staatsrecht, 
deutet  auf  eine  streng  fachmännische,  juristische  Ausbildung 
des  Verfassers.  In  der  That  wird  denn  auch  ein  Jurist,  John 
Marsh,  durch  einen  vertrauenswürdigen  Ms. -Vermerk  in 
dem  Exemplare  des  britischen  jSIuseums  als  Autor  bezeichnet, 
und  damit  die  Vermuthung  beseitigt,  als  habe  Milton  die 
Feder  in  der  grossen  politischen  Streitfrage  ergriffen,  w^elche 
im  Sommer  1642  jedes  englische  Haus  mit  Aufregung  erfüllte. 
Nur  bei  wenigen  war  noch  ein  Mal  inmitten  dieser  Auf- 
regimg  die  Hoffnung  aufgelelit,  der  Bürgerkrieg  werde  sich 
vermeiden  lassen,  indem  der  König  die  neunzehn  Vorschläge 
des  Parlaments  annehme,  in  denen  es  im  Laufe  des  Juni 
seine  gesteigerten  Fordemngen  zusammenfasste.  Sie  bedeu- 
teten in  der  That  eine  vollständige  Aenderung  der  Verfas- 
sung, eine  Aufhebung  der  königlichen  Prärogative  nach  allen 
Richtungen,  und  Karl  I.  hatte  sie  entriistet  zurückgewiesen. 
Es  war  kein  Zweifel  mehr  möglich:  die  nächsten  Monate 
mussten  englische  Schwerter  englisches  Blut  vergiessen  sehn. 
Während  Schottland  nach  vergeblichen  Vermittlungsversuchen 
mit  lebhafter  Spannung  das  sich  entwickelnde  Drama  ver- 
folgte, in  Irland  die  eingeborenen  Katholiken,  seit  der  Synode 
von  Kilkenny  fester  organisirt,  aus  dem  Zwiespalt  des  Königs 
und  des  Parlaments  den  grössten  Vortheil  zogen,,,  bot  Eng- 
land das  Schauspiel  von  zwei  geschäftigen  Kriegslagern,  deren 
Vorposten  schon  die  ersten  Scharmützel  miteinander  bestanden. 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  2.  10 


146  Rüstungen  des  Königs. 

Der  König  war  eifrig  beschäftigt,  sein  Heer  zu  orga- 
nisiren.  Im  Norden  und  Westen  waren  die  Aushebungen 
seiner  Bevollmächtigten  erfolgreich.  Schaaren  von  Freiwilligen 
aus  den  höheren  Ständen  eilten  in  ritterlicher  Kampflust 
herbei.  Die  rauhen  Waliser  folgten  seinem  Aufruf.  Was 
vom  Landadel  in  Yorkshire  und  der  Nachbarschaft  noch  ka- 
tholisch war,  blieb  nicht  zurück.  Officiere  der  alten  Armee 
boten  ihre  Dienste  an.  Mancher,  der  in  Deutschland  seine 
Kriegsschule  gemacht  hatte,  hoffte  auch  hier  sein  Glück  zu 
finden.  Das  Gefühl  der  Standesehre,  der  Familientradition, 
der  Heilighaltung  königlicher  Majestät  und  alter  Institutionen 
verband  sich  mit  der  Lust  nach  Abenteuern,  der  Hoffnung 
auf  Gewinn,  dem  Wunsche  glänzenden  Lohnes  von  schöner 
Hand.  Kein  edlerer  Vertreter  der  Partei  der  „Kavaliere" 
war  denkbar  als  Falkland,  der  selbstlos  aber  entschieden  der 
Sache  der  Monarchie  sich  zur  Veifügung  stellte,  nachdem  er 
so  lange  den  Absolutismus  bekämpft  hatte.  Noch  immer  war 
der  Mangel  an  Geld  und  Material  sehr  empfindlich,  aber  man 
suchte  ihm  auf  mancherlei  Weise  abzuhelfen.  Kriegsvorräthe, 
die  für  Irland  bestimmt  waren,  wurden  aufgefangen,  Anleihen 
bei  den  Getreuen  geistlichen  und  weltlichen  Standes  gemacht, 
die  Universitäten  aufgefordert,  ihr  Silbergeschirr  zum  Ein- 
schmelzen darzubringen,  weitere  Hilfe  von  den  Katholiken 
mehrerer  Grafschaften  geboten,  von  dem  Geschick  der  Königin 
erwartet.  An  die  Spitze  des  in  der  Bildung  begriffenen 
Heeres  wurde  Lord  Lindsey  gestellt,  der  einst  vor  Rochelle 
freilich  keine  Gelegenheit  gehabt  hatte,  sich  Lorbeeren  zu 
erwerben.  Das  Kommando  der  Reiterei  blieb  dem  Prinzen 
Rupert  von  der  Pfalz  aufbehalten,  der  im  Begriff  war,  vom 
Festland  zurückzukehren,  um  England  die  folgenden  Jahre 
hindurch  vor  seinen  gleich  wilden  wie  kühnen  Schaaren  er- 
zittern zu  lassen. 

Das  Parlament  fasste  den  Beschluss,  eine  Armee  auf- 
zustellen, wie  die  Formel  lautete,  ..für  die  Sicherheit  der 
Person  des  Königs,  die  Vertheidigiing  beider  Häuser  und 
derer,  die  ihren  Befehlen  gehorclit  hatten,  die  Erhaltung  der 
wählen  Religion,   der  Gesetze,   der  Freiheiten,   des  Friedens 


Rüstungen  des  Parlaments.  147 

des  Reiches."  Es  vertraute  die  Fühning  dieses  Heeres  dem 
Grafen  von  Essex  an,  dessen  grosser  Name  allein  eine  Macht  be- 
deutete. Hervorragende  Mitglieder  der  puritanischen  Partei  aus 
beiden  Häusern,  wie  die  Lords  Kimbolton,  SayeundSele,  Brooke, 
Holles,  Hampden  übernahmen  das  Kommando  der  Eegimenter 
die  sich  in  ihre  Farben  kleideten.  Andere  standen  in  der 
Reiterei,  an  ihrer  Spitze  der  junge  Graf  von  Bedford,  welcher 
später  zwei  Mal  die  Partei  wechselte,  unter  den  übrigen 
Obersten  William  Waller,  unter  den  Hauptleuten  ein  Sohn 
von  Pym,  Arthur  Haselrig,  Oliver  Cromwell.  Jeder  war  in 
seinem  heimatlichen  Bezirke  thätig,  die  Aufstellung,  Aus- 
rüstung, Einübung  der  Mannschaft  zu  betreiben,  den  könig- 
lichen Kommissären,  den  Royalisten  der  Grafschaft  entgegen- 
zutreten. Keiner  blieb  hinter  dem  anderen  zurück  in  der 
Darbiingung  der  gTÖssten  Geldopfer.  Manchem  gelang  schon 
damals  eine  beherzte  That,  wie  es  Cromwell  glückte,  sich  in 
Cambridge  des  Magazins  der  Burg  zu  bemächtigen  und  den 
Silberschatz  der  Kollegien  abzufangen.  Ein  unberechenbarer 
Vortheil  war  es,  dass  die  Flotte  dem  Parlamente  in  die  Hände  fiel. 
Die  puritanische  Masse  in  Stadt  und  Land  folgte  mit 
flammender  Begeisterung  dem  Vorgang  ihrer  Führer.  Frei- 
willigen-Corps begannen  sich  zu  bilden,  Geldsammlungen 
giengen  erfolgreich  von  Haus  zu  Haus.  Nirgends  stieg  der 
Enthusiasmus  höher  als  in  London,  dem  grossen  Hauptquartier 
der  parlamentarischen  Partei,  wo  es  gelungen  war,  den  Magistrat 
im  Sinne  des  entschiedenen  Puritanismus  umzuändern  und 
einen  Vertheidigungs-Ausschuss  zu  bilden,  der  für  die  Rüstung 
der  städtischen  Milizen  sorgte.  Die  City  streckte  100,000  £ 
vor.  Jedes  Geschlecht,  jedes  Alter,  jeder  Stand  drängte  sich 
dazu,  sein  Theil  zur  Unterstützung  des  Parlamentes  beizu- 
tragen. Die  Goldschmiede  plünderten  ihr  Lager,  bürgerliche 
Haushaltungen  sandten  ihr  Silbergeschirr,  arme  Mädchen  und 
Frauen  brachten  Fingerhüte  und  Nadeln.  Wie  beim  Beginn 
unsrer  Freiheitskriege  entäusserte  sich  manche  des  einzigen 
treugehüteten  Kleinoi^s,  des  Traurings.  Kaum  war  man  fähig, 
in  der  Guildhall  alles  in  Empfang  zu  nehmen  und  unterzu- 
bringen (^). 

10* 


]^48  Rüstungen  des  Parlaments. 

Inmitten  der  grossen  Bewegung  stand  als  leitende  Macht 
der  „Siclierlieits- Ausscliuss",  den  das  Parlament  aus  einigen 
der  angesehensten  Mitglieder  beider  Häuser  gebildet  hatte. 
Seine  Seele  und  die  Seele  der  gesammten  Thätigkeit  auf 
dieser  Seite  war  John  Pym.  Von  dem  Augenblick  an,  da  der 
Krieg  unvermeidlich  erschien,  bis  zum  letzten  Tage  seines 
Lebens  entfaltete  der  Achtundfünfzigj ährige  eine  staunens- 
würdige Energie.  Von  früher  Morgenstunde  bis  zum  Abend, 
vom  Abend  bis  Mitternacht  bewältigte  er  eine  ungeheure  Last 
von  Geschäften,  in  guten  wie  in  bösen  Tagen  mit  der  gleichen 
ruhigen  Sicherheit,  bald  auf  dem  Schlachtfeld  in  Berathung 
mit  Hampden,  bald  im  Lager  zur  Anspornimg  Essex',  bald 
im  Saale  von  Westminster,  bald  in  der  Guildhall,  um  seine 
]\Iitbürger  durch  zündende  Worte  zu  ermuthigen(i).  Der 
ganzen  Bewegimg  blieb  der  Stempel  des  Puritanismus  auf- 
gedrückt. Die  Prediger  forderten  mit  dem  Feuer  alttesta- 
mentarischer  Propheten  zum  Kriege  gegen  die  Verächter  des 
wahren  Glaubens  auf.  Mehrere  der  beliebtesten  folgten  den 
Regimentern  als  Kapläne  in's  Feld.  Um  den  „Zorn  des  all- 
mächtigen Gottes"  zu  l)eschwichtigen,  dessen  strafende  Hand 
in  der  Entflannnung  des  Bürgerkrieges  sichtbarlich  erschien, 
wurden  neue  Beschlüsse  gegen  katholische  Priester,  Kapu- 
ziner und  ., Denkmäler  des  Götzendienstes"  gefasst(-).  An 
Fasttagen  war  kein  Mängel,  der  Sal)bath  wurde  in  puritani- 
scher Strenge  und  Freudlosigkeit  gefeiert,  nicht  viel  später 
das  verhasste  Book  of  Sports  öffentlicli  durch  den  Henker 
verbrannt,  eine  Fülle  von  Bildwerken  und  bunten  Kirchen- 
fensteiTi  zerstört.  Auch  die  Bühne,  die  alte  Feindin  des  puri- 
tanischen Rigoi-ismus,  eiitgieng  niclit  der  Ungunst  der  Zeiten. 
Die  Schauspieler  hatten  längst  bemoi'ken  müssen,  „dass  die 
Zeiten  vorüber  seien,  da  sie  sich  in  den  Strassen  aufblähen 
konnten  wie  Höflinge",  und  ihr  Schicksal  war  von  ihnen 
vorausgesehen.  Am  2.  September  1642  ergieng  die  erste 
Verordnung  des  Parlaments  gegen  dramatische  Aufiführungen 
für  die  Dauer  des  öffentliclien  Unglücks.  Sie  ward  motivirt 
durch  den  traurigen  Zustand  von  Irland  und  England  und 
legte  dem  Volke  statt  „tlieatralischer  Darstellungen,  in  denen 


Schliessung  der  Theater.  149 

nur  zu  häufig-  Lascivität  und  Frivolität  zum  Ausdruck  kom- 
men", vielmehr  an's  Herz,  zu  fasten,  zu  beten  und  sich  den 
., nützlichen  Gedanken  der  Reue,  der  Versöhnung  und  des 
Friedens  mit  Gott"  zu  ergeben.  Den  Schauspielern  blieb 
nichts  übrig  als  sich  durch  bissige  Verse  zu  rächen,  viele 
schlugen  sich  zum  König  durch.  Auch  von  den  Dichtern 
haben  nicht  wenige,  wie  Shirley,  Davenant,  Cleveland,  Cart- 
wright,  Quarles,  Lovelace,  Suckling,  für  den  König  mit  dem 
Schwerte  wie  mit  der  Feder  gekämpft  oder  doch  für  die 
Sache  des  Königs  Kerker  und  Elend  erduldet  (*). 

Solcher  Gestalt  hatte  der  klaflfende  Riss,  welcher  seit 
lange  die  englische  Gesellschaft  trennte,  sich  zu  einem  Ab- 
grund erweitert,  den  friedliche  Verständigimg  nicht  mehr 
überbrücken  konnte.  Kavaliere  und  Rundköpfe,  wie  die 
;Masse  der  Puritaner  sehr  mit  Unrecht  von  ihren  Gegnern  ge- 
nannt wurde,  standen  sich  zum  Bnidei-kampfe  l)ereit  mit  den 
Waffen  gegenüber.  Jene  hatten  im  gebirgigen  Nordwesten 
ihren  Rückhalt,  die  Anhänger  der  alten  Staatskirche  und  der 
mit  ihr  verbundenen  Institute,  die  überwiegende  Masse  des 
hohen  Adels,  der  grössere  Theil  der  landsässigen  Ritterschaft 
stand  auf  ihrer  Seite,  nicht  wenige  Officiere,  die  in  den 
Niederlanden  oder  in  der  Pfalz  das  Kriegshandwerk  gelernt 
hatten,  zogen  für  sie  den  Degen.  Diese  fanden  in  den  Nie- 
derungen des  Süd-Ostens  ihre  vorzügliche  Stärke,  ausser  der 
reichen  Hauptstadt  waren  ihnen  die  meisten  gewerl)treiben- 
den  Kommunen  des  Reiches  ergeben,  die  Häupter  einiger  der 
ältesten  Geschlechter,  ein  nicht  geringer  Theil  der  Gentry, 
die  Masse  der  unabhängigen  kleinen  Grundbesitzer  verfochten 
ihre  Sache.  Hintersassen,  Pächter,  Dienstleute  vertheilten 
sich  unter  die  Mannschaft,  je  nachdem  royalistischer  oder 
parlamentarischer  Einfluss  beim  Aufgebot  der  Grafschafts- 
milizen den  Sieg  davontrug.  Tüchtigere  kriegerische  Erfah- 
rung, Einheit  des  Kommandos,  ritterliche  Begeisterung  auf 
Seiten  des  Königs  wurden  aufgewogen  durch  grössere  Zahl, 
reichere  Hülfsmittel,  unerschütterliche  politisch-religiöse  Ueber- 
zeugung  auf  Seiten  des  Parlaments. 


150  Eröfi'uung  des  Krieges. 

Wie  die  Dinge  lagen,  musste  dem  König  nichts  wichtiger 
sein,  als  Zeit. zu  gewinnen.  Am  Abend  des  22.  August  hatte 
er  in  Nottingham,  wohin  er  vorgerückt  war,  mit  gi-ossem  Cere- 
moniell  seine  Standarte  aufrichten  lassen  und  in  alter  feier- 
licher Weise  die  getreuen  Lehensmanuen  aufgefordert,  sich 
um  ihn  zu  schaaren.  Aber  die  feudale  Entbietung  hatte  da- 
selbst wenig  Erfolg  gehabt,  die  grösseren  Orte,  die  er  einzu- 
nehmen versucht  hatte,  blieben  fast  säramtlich  unbezwungen, 
in  Portsmouth  wurde  Oberst  Gering  so  sehr  bedrängt,  dass 
er  sich  bald  genöthigt  sah,  den  Platz  den  parlamentarischen 
Truppen  auszuliefern.  Karl  I.  hatte  daher  wiedenim  Ver- 
handlungen mit  den  Machthabern  in  London  angeknüpft.  Da 
sie  nicht  zum  Ziel  führen  konnten,  und  Essex'  Heer  sich  all- 
mählich um  Northampton  sammelte,  schlug  er  den  W^eg  nach 
den  westlichen  Provinzen  ein  und  brachte  es  dort,  wo  die 
royalistische  Gesinnung  lebhaft  erwachte,  binnen  kurzem  auf 
mehr  als  zehntausend  Mann.  Essex,  der  schon  vorher  von 
seiner  Ueberlegenheit  wenig  Gebrauch  gemacht  hatte,  raffte 
sich  aucli  jetzt  nur  langsam  dazu  auf,  sich  gleichfalls  nach 
W^esten  in  die  Nähe  von  Worcester  zu  bewegen.  Während 
er  hier  still  lag,  konnte  sich  Prinz  Rupert,  der  seit  einigen 
Wochen  bei  seinem  königlichen  Oheim  angelangt  war,  mit 
seinen  kecken  Reitern  eines  ei-sten  Eifolges  gegen  vorgescho- 
bene Truppen  des  Parlamentes  rühmen.  Das  Ganze  war 
wenig  mehr  als  ein  Scharmützel  gewesen,  auch  zog  Essex 
bald  darauf  in  Worcester  ein,  avo  sich  l)is  dahin  eine  könig- 
liche Garnison  gehalten  hatte,  aber  der  moralische  Eindruck 
war  nicht  gering,  und  man  versuchte  sogar,  sich  auf's  neue 
in  Verhandlungen  einzulassen.  Der  König  verweigerte  indess 
„aus  den  Händen  von  Verräthern  eine  Petition  entgegen- 
zunehmen" und  fasste  den  muthigen  Entschluss,  mit  seiner 
sattsam  verstärkten  Armee  den  Weg  nach  Südosten  einzu- 
schlagen, um  sich  durch  einen  raschen  Anfall  der  schwach 
gedeckten  Hauptstadt  zu  l)emächtigen.  Es  gelang  ihm,  Essex 
zwei  Tagemärsche  abzugewinnen,  unter  seinen  Scluiaren  war 
alles  voll  Siegeshoffnung.  Indessen  wurde  es  ihm  nicht  mög- 
lich,   eine   Sclilacht    zu   vermeiden,    der    auszuweiclien    sein 


Schlacht  bei  Edgehill.  151 

grösstes  Interesse  gewesen  wäre.  In  Eilmärschen  rückte 
Essex  vom  "Westen  heran  und  brachte  ihn  bei  Edgehill  zum 
Stehen.  Hier  erfolgte  am  23.  Oktober  die  erste  grosse 
Schlacht  des  Krieges.  Ihre  Opfer  waren  nicht  genug,  auf 
Seiten  des  Königs  fiel  Lord  Lindsey,  der  das  Kommando  ge- 
führt hatte,  der  Graf  von  Forth,  welcher  seine  Schule  unter 
Gustav  Adolf  gemacht  hatte,  wurde  sein  Nachfolger.  Den 
Sieg  schrieben  beide  Theile  sich  zu,  aber  in  der  That  war 
es  eine  Täuschung,  wenn  man  in  London  triumphirte.  Denn 
da  Essex.  von  dem  Holländer  Dalbier  berathen,  sich  begnügte, 
dem  König  Verluste  beigebracht  zu  haben,  ihm  aber  auch 
jetzt  die  Strasse  nach  der  Hauptstadt  offen  liess,  so  w^ar  die 
Abwendung  der  nächsten  Gefahr  nur  dem  Ungeschick  und 
der  Saumseligkeit  des  Feindes  zu  verdanken.  Sei  es  nun, 
dass  die  politischen  Rathgeber  in  der  Nähe  des  Königs  von 
der  Gesinnung  Falkland's,  aus  Furcht  vor  der  drohenden  Re- 
aktion, vom  sofortigen  Vormarsch  auf  die  Hauptstadt  abmahn- 
ten, sei  es  dass  der  König  sich  selbst  noch  zu  schwach  dafür 
hielt:  er  vergeudete  seine  Zeit  damit,  kleinere  Ortschaften 
einzunehmen,  in  Oxford  zu  rasten  und  liess  auf  seiner  Linken 
Essex  die  Möglichkeit  einen  Flankenmarsch  zur  Deckung 
London's  auszuführen. 


Unter  denen,  welche  daselbst  dem  Gange  der  Ereignisse 
mit  Spannung  folgten,  w-ar  John  Milton.  Man  sollte  denken, 
ihn  am  ehesten  im  Heere  suchen  zu  müssen.  Die  unab- 
hängige Stellung,  die  er  im  Leben  einnahm,  hätte  ihn  noch 
viel  eher  als  tausend  andere  zu  dem  Entschluss  drängen 
können,  für  dieselbe  Sache  das  Schwert  zu  ergreifen,  die  er, 
wenn  schon  nur  von  einem  Gesichtspunkt  aus,  so  leidenschaft- 
lich mit  der  Feder  vertheidigt  hatte.  Mancher  der  alten 
Bekannten  stand  im  Heeresverband  in  dieser  oder  jener  Stel- 
lung. Stephen  Marshall,  einer  der  Smectymnianer.  war  Feld- 
kaplan bei  Essex,  ein  anderer,  William  Spurstow^  im  Regi- 
mente  Hampden's.     Isaac  Dorislaus,   der  ehemalige  Professor 


;152  Milton  nicht  im  Heere. 

der  Geschichte  in  Cambridge,  wurde  jetzt  im  Fache  der  Mi- 
litärgerichtsbarkeit verwandt.  Mehr  als  einer  der  anderen 
Bekannten  wird  mit  der  Waffe  gedient  haben.  Indess  Milton's 
Name  zeigt  sich  weder  im  Heere  noch  in  den  Milizen  und 
Freiwilligen  von  London.  Allerdings  findet  sich  bei  seimm 
Neffen  E.  Phillips  die  verführerische  Notiz,  er  müsse  sich  sehr 
irren,  wenn  man  nicht  ein  Mal  daran  gedacht  habe,  seinen 
Oheim  zum  Adjutant- General  in  William  Waller's  Armee  zu 
machen,  der  Plan  sei  aber  gescheitert  bei  der  Reorganisation 
des  Heeres,  die  Wallers  Abgang  nach  sich  zog(^).  Indess 
diese  Nachricht  ist  so  vorsichtig  gehalten,  ihre  chronologische 
Einreibung  so  unbestimmt,  die  innere  Unwahrscheinlichkeit 
in  Betracht  der  Höhe  jenes  Postens  so  gross,  dass  mau  kein 
Ge'wicht  darauf  legen  darf.  Gleicher  Weise  ist  es  nur  ein 
Spiel  des  Zufalls,  wenn  sich  im  zweiten  Regiment  der  Trained 
Bands  von  London  ein  John  Melton  als  Quartiermeister  des 
Colonel  Isaac  Pennington  in  den  Listen  vorfindet.  Der  kleine 
Unterschied  der  Namensformen  würde  zwar,  wie  sich  nach- 
weisen Hesse,  nichts  ausmachen,  und  die  Thatsache,  dass  der 
Dichter  mit  jenem  Isaac  Pennington,  seit  dem  Herbst  1642 
an  Stelle  des  royalistisclien  Gourney  Lordmayor  von  London, 
später  genau  bekannt  war,  könnte  als  bestärkendes  Moment 
hinzutreten.  Aber  man  hat  diesen  Quartiermeister  John  Melton 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  in  einer  anderen  londoner 
Persönlichkeit  gefunden  und  sogar  eine  Vergleichung  seiner 
Handschrift  mit  derjenigen  des  Dichters  vornehmen  können, 
welche  nur  Unkundige  über  den  wahren  Sachverhalt  in 
Zweifel  lassen  dürfte  (^).  —  Hat  sich  der  Dichter  iniAvirk- 
lichen  Militärdienst  nicht  nachweisen  lassen,  so  ist  man 
Avenigstens  bestrebt  gewesen,  ihm  eine  so  gründliche  Kenntnis 
des  Kriegshandwerks  zuzuschreiben,  dass  sich  daraus  seine 
Theilnahme  an  militärisclien  Uebungen  von  selbst  ergeben 
würde.  Es  ist  hingewiesen  auf  alle  jene  Stellen  des  „Ver- 
lorenen Paradieses'",  welche  die  Kämpfe  zwischen  den  hölli- 
schen und  liimiidisclien  lleerscluiaren  mit  bewundernswerther 
Genauigkeit  und  ausserordentlicher  Herrschaft  über  die  tech- 
nischen  Ausdrücke   beliandcln.     Es  ist  aufmerksam  gemacht 


Milton  nicht  im  Heere.  153 

worden  auf  die  merkwürdigen  pädagogischen  Vorschläge  seiner 
Schrift  über  die  „Erzielmng"  (v.  1644),  in  denen  er  mit  Wäime 
nicht  nur  für  gymnastische  Uebungen,  sondern  für  eine  Art 
fönnlicher  Jugendwehr  eintritt  und  sich  über  den  Unterricht 
einer  solchen  ausführlich  verbreitet.  Die  Schlussfolgening  hat 
sich  aufgedrängt,  dass,  wer  mit  solcher  Sachkunde  zu  schrei- 
ben verstehe,  selber  praktische  Erfahrung  im  Exerciren  und 
Manoeuvriren  gehabt,  den  Kompagnie-  und  Bataillons  -  Dienst 
verstanden,  von  den  Aufgaben  des  Officiers  bei  Paraden  und 
Revuen,  ja  vom  Artilleriewesen  etwas  gelernt  haben  müsse. 
Da  der  Exerciiplatz  der.  Artillery-Company  der  City  in  Fius- 
bury-Square  nicht  weit  von  seiner  Wohnung  lag,  und  bei  den 
bedrohlichen  Zeitläuften  militärische  Uebungen  daselbst  eifrig 
betrieben  Avurden,  hat  man  sich  in  dem  Gedanken  gefallen, 
in  Milton  einen  regelmässigen  Theilnehmer  derselben  zu  sehen. 
Indessen  erscheinen  die  Gründe  einer  solchen  Vermuthung 
wenig  zureichend.  Gewiss:  Milton  war  kein  vertrockneter 
Stubengelehrter,  dem  die  Ausbildung  der  körperlichen  Kräfte 
gleichgiltig  gewesen  wäre.  Wie  er  als  Student  den  Degen 
wohl  zu  führen  wusste,  so  liebte  er  eben  damals  in  „ritter- 
lichen Uebungen''  einen  Theil  des  Morgens  zu  verbringen 
(s.  0.  S.  121).  Aber  er  sagt  ausdrücklich,  dass  es  ,.zu  Hause"  ge- 
schehe. Auch  hiesse  es  seine  dichterische  Kraft  sehr  unter- 
schätzen, wenn  man  ihr  nicht  zutrauen  wollte,  von  selbst  im 
Stande  gewesen  zu  sein,  jene  Eigenthümlichkeiten  des  Militär- 
wesens nach  Form  und  Inhalt  getreulich  wiederzugeben.  Nur 
zu  häufig  will  die  Kritik  in  derselben  W^eise,  wie  es  hier  ge- 
schehen ist,  zu  viel  beweisen.  Sie  hat  Shakespeare  schon  in 
den  verschiedensten  Benifsarten  finden  wollen,  weil  er  jede, 
von  der  er  spricht,  von  Grund  aus  zu  kennen  scheint,  und 
sie  würde  aus  den  Versen  des  Wilhelm  Teil  unfehlliar  heraus- 
lesen, dass  Schiller  die  Schweiz  aus  eigener  Anschauung  ge- 
kannt habe,  wenn  nicht  zufällig  das  Gegentheil  notorisch  wäre. 
Ebenso  wenig  kann  die  Stelle  aus  Milton's  Schrift  über  die  Erzie- 
hung beweisen,  bei  welcher  dem  Autor,  wie  er  selbst  andeutet, 
antike  Vorbilder  vorschwebten,  womit  sich  möglicher  Weise  die 
Erinnerung  an  Manso's  Kolleg  „dei  Nobili"  verband  ( ^).   Er  würde 


254  Milton  nicht  im  Heere. 

schwerlich  verfehlt  haben,  in  den  autobiographischen  Ab- 
schnitten seiner  Selbstvertheidigungen  gegen  Salmasius  oder 
Morus  seine  militärischen  Uebungen  zu  erwähnen,  wenn  sich 
dies  mit  der  Wahrheit  hätte  vereinigen  lassen.  Statt  dessen 
hat  er  Gelegenheit  genommen,  viele  Jahre  später  gegen  einen 
hämischen  Widersacher  sich  olTen  vor  aller  Welt  darüber 
auszusprechen,  warum  er  beim  Beginn  des  Bürgerkrieges 
nicht  zu  den  Fahnen  geeilt  sei:  „Wenn  ich  mich  den  Mühen 
und  Gefahren  des  Krieges  entzog,  so  geschah  es  nur,  um  auf 
andere,  nützlichere  Weise,  und  nicht  mit  geringerer  Gefahr 
meinen  Mitbürgern  zu  dienen.  Denn  w^eil  ich  von  Jugend 
auf  gelehrten  Studien  ergeben  war  und  mich  immer  stärker 
an  Geist  als  an  Körper  gefühlt  hatte,  so  hielt  ich  mich  vom 
Kriegswesen  fern,  da  irgend  ein  gemeiner  Soldat  von  kräfti- 
gerem Körper  es  mir  darin  unschwer  zuvorgethan  hätte,  und 
wandte  meine  Kräfte  auf  anderes,  worin  ich  mehr  leisten 
konnte.  Und  so  trug  ich  mit  meinem  besseren  Theil  nach 
Kräften  dazu  bei,  das  Wohl  des  Vaterlandes  und  unsere  ruhm- 
reiche Sache  zu  vertheidigen"(^).  Man  muss,  um  die  Stelle 
richtig  zu  würdigen,  bedenken,  dass  sie  geschrieben  worden 
ist,  nachdem  der  Autor  schon  mehr  als  ein  Mal  gewagt  hatte, 
mit  seiner  Feder  die  Sache  der  englischen  Kevolution  und 
Republik  ohne  Furcht  vor  royalistischer  Verläumdung  und 
Nachstellung  in  Schutz  zu  nehmen.  —  Wenn  Milton,  von  solchen 
Gedanken  geleitet,  nicht  ohne  Selbsterkenntnis,  aber  auch  nicht 
ohne  Stolz,  es  seiner  Natur  für  mehr  entsprechend  hielt,  auch 
in  Zukunft  die  „Wahrheit  statt  durch  das  Schwert  durch 
Gründe  zu  vertheidigen",  so  mussten  sich  ihm  Tag  für  Tag 
dennoch  kriegerische  Bilder  aufdrängen,  und  die  Gedanken  an 
den  Waflfenkampf  seine  Seele  erfüllen. 

Schon  vor  der  Schlacht  von  Edgehill,  als  eine  Ueber- 
rumpelung  der  Hauptstadt  durch  den  König  drohte,  hatte  sie 
ein  kriegerisches  Ansehn  gewonnen.  Die  Milizen  der  City 
und  der  Vorstädte,  mit  den  ihr  zugeströmten  Freiwilligen 
unter  ihrem  populären  General  Skippon  hielten  sich  ])ereit. 
Jeder  Kompagnie  war  dei-  Sammelplatz  l)estinunt,  und  zwei 
solcher  Alai-mstellen   waren   in   unmittelbarer  Nähe  von   Mil- 


Bedrohung  und  Kettung  Londons.  155 

ton's  Wohnung.  Wachen  wurden  aufgestellt,  Ketten  über  die 
Strassen  gezogen,  Kanonen  an  die  Thore  postirt,  unter  eifriger 
Betheiligung  von  Frauen  und  Kindern  an  Erd werken  gearbeitet. 
Die  Lcäden  wurden  geschlossen,  und  alle  Bürger  aufgefordert, 
wenn  Nachts  Alarm  geschlagen  würde,  Lichter  an  den  Haus- 
thüren  aufzuhängen.  Pferde  wurden  für  militärische  Zwecke 
requirirt,  Sicherheitsmassregeln  gegen  Verdächtige  getroffen, 
zur  Deckung  der  Ausgaben  jene  Konfiskationen  der  Güter  von 
„Delinquenten"  begonnen,  die  im  Verlauf  des  Bürgerkrieges 
fortgesetzt  den  gerechten  Zorn  der  Kavaliere  aufs  höchste 
erregten.  Man  glaubte* sich,  nach  dem  Ausdruck  eines  unzu- 
friedenen Volksdiehters  jener  Tage,  „in  einer  von  den  Türken 
belagerten  Stadt"  zu  befinden  (i).  —  Nachdem  die  Schlacht 
von  Edgehill  geschlagen,  Essex  mit  seinen  Regimen tei-n  an- 
gelangt war,  athmete  man  freier  auf.  Aber  bald  zeigte  sich, 
dass  man  im  königlichen  Lager  nicht  entmuthigt  und  trotz  der 
Zögemng  doch  nicht  Willens  war,  den  Absichten  auf  die 
Hauptstadt  zu  entsagen.  Von  Oxford  aus  machte  Prinz  Ru- 
pert bedrohliche  Bewegungen.  Bereits  hatte  der  König  Reading 
eingenommen,  bald  stand  er  in  Colnbrook,  auf  denselben  Ge- 
filden, die  Milton  in  friedlichen  Zeiten  von  Horton  aus  so 
oft  durchstreift  hatte.  Schon  Hessen  die  kecken  Reitei-  des 
Prinzen  Rupert  sich  hie  und  da  auf  den  Landsitzen  der 
reichen  londoner  Bürger  in  der  Nähe  der  Stadt  blicken. 
Hier  war  alles  voll  Aufregung,  getheilt  zwischen  der  Furcht 
vor  einem  Angriif  und  der  Hoffnung  auf  einen  Frieden.  Denn 
inzwischen  wurden  beständige  Verhandlungen  mit  dem  König 
geführt,  während  deren  er  freilich  entschlossen  war,  seinen 
Marsch  unaufhaltsam  fortzusetzen.  Man  war  noch  mitten  in 
diesen  Verhandlungen  ])egriffen,  als  am  12.  November  von 
Westen  her  hörbarer  Kanonendonner  die  Londoner  belehrte, 
dass  sie  auf  keinen  Waffenstillstand  zu  rechnen  hatten,  und  dass 
der  Feind  nur  noch  ein  Paar  Stunden  von  ihnen  entfernt  sei. 
Auf  Ruperts  Rath  war  ein  stürmischer  Angriff'  auf  Brentford 
erfolgt,  dessen  ganze  Wucht  die  kleine  Besatzung  unter  Holles 
traf.  Die  zu  Hilfe  eilenden  Regimenter  von  Brooke  und 
Hampden  waren  nicht  fähig  gewesen,  den  Platz  zu  behaupten. 


156  Bedrohung  und  Rettung  Londons. 

und  als  Essex,  aus  dem  Hause  der  Lords  abgerufen,  mit  fri- 
schen Trappen  anlangte,  konnte  er  wenig  mehr  thun  als  die 
ermatteten  Schaaren  aufnehmen.  Aber  auch  im  königlichen 
Lager  trag  man  Bedenken,  den  Sieg  durch  einen  Vormarsch 
auf  die  Hauptstadt  zu  verfolgen  und  gab  dieser  Zeit,  sich  zu 
sammeln.  Die  Nacht  und  der  folgende  Tag  vergiengen  unter 
äusserster  Erregung  für  die  londoner  Bürgerschaft.  Mit  der 
Furcht  vor  dem  drohenden  Unheil  mischte  sieh  wilde  Erbit- 
terang über  das  Geschehene.  Man  betrachtete  es  als  einen 
Akt  wortbrüchiger  Hinterlist,  man  erhitzte  sich  durch  die 
umlaufenden  Erzählungen  von  der  barbarischen  Grausamkeit 
und  Zügellosigkeit  der  Schaaren  des  Prinzen  Rupert  und  ver- 
band sich  zu  dem  festen  Entschluss,  Haus  und  Hof.  Weib  und 
Kind  gegen  sie  zu  schützen.  Eine  fieberhafte  Thätigkeit 
wurde  entfaltet.  Die  städtische  Miliz  und  die  Freiwilligen, 
ei-nmntert  durch  die  Zurufe  und  Ansprachen  ihres  Führers 
Skippon,  setzten  sich  auf  der  grossen  Strasse  nach  Westen 
in  Bewegung,  um  sich  mit  Essex'  Regimentern  zu  verbinden. 
Das  Parlament  rief  die  Lehrburschen  zu  den  Fahnen,  mit  dem 
Versprechen,  die  Lehrzeit  dafür  abzurechnen.  Proviant,  Mu- 
nition, Geschütze,  Lazarethgegenstände  wurden  schleunigst 
zu  Wasser  und  zu  Lande  an  die  gefährdeten  Stellen  ent- 
sandt (^).  Binnen  kurzem  standen  24,000  Mann  unter  Essex' 
Kommando,  im  Angesicht  vieler  Mitglieder  beider  Häuser  und 
einer  INIasse  von  Zuschauern,  auf  dem  Anger  von  Turnham- 
Green,  eine  Meile  von  Brentford,  in  Schlachtordnung  auf- 
gestellt. Es  blieb  bei  einigen  Scharmützeln,  Essex  war  zu 
einem  ernstlichen  Angriff  um  so  weniger  zu  bewegen,  da  sich 
eine  tiuchtähnliche  Bewegung  unter  den  berittenen  Zuschauern 
aus  der  Stadt  auch  einigen  Theilen  der  Trappen  mitzutlieilen 
drohte,  und  der  König  konnte  ungestraft  seinen  Rückzug  über 
Reading  nach  Oxford  bewerkstelligen.  Zwischen  ihm  und 
London  ])ezog  das  parlamentarische  Heer  Winterquartiere  in 
Windsor(2). 

Von  Milton  besitzen  wir  aus  diesen  kritischen  Tagen  eine 
interessante  Reliquie.  Es  ist  ein  Sonett,  welches  in  vollen- 
deter Form   eine   aus  Kiiist  und  Scherz  gemischte  Stimmung 


Sonett  Milton's.  157 

zum  Ausdruck  bringt.  In  dem  Cambridger  Ms.  der  Milton'- 
schen  Gedichte  findet  es  sich  von  einer  fremden  Hand  mit 
dem  Titel:  „An  seine  Thüre,  als  die  Stadt  einen  Angriff  er- 
wartete." Milton  selbst  hat  diesen  Titel  durchstrichen  und 
dafür  gesetzt:  „Als  der  Stadt  der  Angriff  drohte,  1642", 
dann  aber  in  den  Ausgaben  seiner  Gedichte  das  Sonett  ohne 
TJeberschrift  abdrucken  lassen.  Eben  so  selbstbewusst  wie 
launig  beschwört  er  den  Kavalier,  der  seiner  wehrlosen  Pforte 
nahe  komme,  bei  seiner  Ehre,  das  Haus  und  seinen  Herrn 
zu  schützen.  Denn  er,  der  Dichter,  kann  belohnen  durch  den 
weit  hinschallenden  Preis  seines  Mundes.  Hat  doch  selbst 
Alexander  Pindars  Haus  geschont,  und  ein  Chor  des  Euripides 
die  Sieger  Athens  gerührt  (^).  —  Die  Verse  sind  nur  ein 
leichtes  phantastisches  Spiel  und  wären  trotz  ihrer  Pteinheit 
schwerlich  ein  Sicherheitspass  für  den  Mann  gewesen,  dessen 
stürmische  Beredtsamkeit  sich  so  laut  gegen  alles  gewandt 
hatte,  was  den  Herzen  der  Kavaliere  heilig  war.  Denn  man 
darf  annehmen,  dass  seine  bisherige  schriftstellerische  Thätig- 
keit  nicht  unbemerkt  geblieben  war.  Abgesehen  von  den  früher 
erwähnten  handschriftlichen  Notizen,  die  sich  in  einigen 
Exemplaren  jener  Pamphlete  befinden,  stösst  man  hie  und  da 
auf  andere,  welche  gleichfalls  jener  Zeit  anzugehören  scheinen 
und  die  eine  herbe  Kritik  des  Autors  in  sich  schliessen(-).  Tho- 
mas Füller  hatte  sich  nicht  enthalten  können,  in  einem  1642 
veröffentlichten  Werke  (Holy  and  profane  State)  auf  den  Ver- 
fasser des  Schriftchens  über  die  Reformation  hinzuweisen, 
welcher  die  verehrten  Märtyrer  der  anglikanischen  Kirche 
„mit  einer  Sprache  getadelt  hatte,  die  weder  ihm  selbst  an- 
ständig war,  wer  immer  er  sei,  noch  der  Frömmigkeit  der 
Männer,  auf  die  sie  gemünzt  war"(^).  Und  nur  wenig  später 
wiederholte  der  irische  Bischof  Bramhall  dieselben  Vorwürfe 
nur  in  schärferer  Form  gegen  den  literarischen  ,, Novizen", 
der  Seneca's  Wort  wahr  mache,  dass  „die  verächtlichsten  Leute 
*immer  die  loseste  Zunge  haben"  (^). 

Mit  dem  Rückzug  nach  Oxford  war  allerdings  den  Kava- 
lieren die  Möglichkeit  entzogen,  an  den  verhassten  ,, losen 
Zungen"  von  der  Art  Milton's  ihr  Müthchen  zu  kühlen.     Die 


158  Fortgang  des  Krieges.     Einnahme  von  Reading. 

Hauptstadt  behielt  zwar  noch  längere  Zeit  ein  kriegerisches 
Ansehn.  Noch  am  27.  April  1643,  als  der  König  wiedenim 
eine  Voi'w^ärtsbewegiing  gemacht  hatte ,  wurden  die  Verthei- 
digungsmassregeln,  die  der  vorsichtige  Lordmayor  Pennington 
traf,  von  der  Bürgerschaft  in  Schutz  genommen,  und  das 
Schreckhild  der  Ermordung  von  Weibern  und  Kindern  aus- 
gemalt, im  Falle  die  Stadt  in  die  Hand  der  Feinde  fiele  (i). 

Inzwischen  waren  diejenigen,  welche  gehofft  hatten,  der 
Krieg  werde  durch  eine  Schlacht  entschieden  werden,  immer 
gründlicher  enttäuscht  worden.  Während  auch  im  Winter  1642 
auf  1643  bis  in  den  Frühling  hinein  vergebliche  Verhand- 
lungen zwischen  beiden  Parteien  gepflogen  wurden,  dehnte  sich 
der  Schauplatz  des  Kampfes  immer  weiter  aus,  nahm  er  eine 
dem  Parlament  keineswegs  günstige  Gestalt  an.  Im  mittleren 
England  hatten  zwar  die  parlamentarischen  Sympathieen  und 
Kräfte  ein  entschiedenes  Uebergewicht ,  aber  al)gesehen  von 
der  Stellung  des  Königs  in  Oxford,  hatte  manche  glückliche 
Waft'enthat  den  Kavalieren  hier  zu  Erfolgen  verhelfen,  gegen 
welche  Essex'  Unthätigkeit  unrühmlich  abstach.  Erst  im  April 
1643  unternahm  er  mit  erdrückender  Macht  die  Belagerung 
von  Reading,  ohne  nach  der  Einnahme  (27.  April),  nach  welcher 
sein  Heer  durch  Krankheiten  geschwächt  wurde,  etwas  Ernst- 
liches gegen  das  Hauptquartier  des  Königs  zu  wagen.  Er  gab 
diesem  dadurch  die  Möglichkeit,  die  grosse  Erhebung  zu  unter- 
stützen, welche  von  dem  celtischen  Cornwallis  zu  seinen  Gunsten 
ausgegangen  war  und  eine  für  die  Sache  des  Parlaments  sehr 
bedenkliche  Ausdehnung  nach  Osten  zu  erlangen  drohte.  Einer 
nach  dem  andei-en  der  parlamentarischen  Generale  wurde  ge- 
schlagen, William  Waller,  dem  seine  Erfolge  in  den  südöst- 
lichen Grafschaften  den  Beinamen  „Wilhelms  des  Eroberers" 
eingetragen  hatten,  erlitt  im  Sommer  1643,  nach  dem  Westen 
entsandt,  zwei  schwere  Niedeilagen ,  Ende  Juli  fiel  Bristol, 
die  zweite  Stadt  des  Reiches,  mit  allen  ihren  Vorräthen  in 
die  Hand  des  Prinzen  Rupert.  Im  Norden  liiclt  der  Graf, 
von  Newcastlc  mit  ausserordentlichem  Geschick  die  Sache  des 
Kimigs  aufrecht,  und  die  Begeisterung  der  Royalisten  wurde 
nicht  wcni;:    (hulurch   gestärkt,    dass  Ende  Febmar  1643   die 


Fortgang  des  Krieges.    Einnahme  von  Reading.  159 

Königin,  nach  Ueberwindung  vieler  Gefahren  zu  Wasser  und 
zu  Lande,  mit  neuen  Kriegsvorräthen  in  York  anlangte,  um 
sieh  einige  Monate  später  wieder  mit  dem  König  zu  vereinigen, 
Das  Parlament  hatte  auf  diesem  nördlichen  Kriegsschauplatz 
ein  besonderes  Heer  unter  Lord  Ferdinande  Fairfax  aufgestellt, 
der  selbst  aus  einer  alten  Familie  von  Yorkshire  stammte,  den 
Krieg  gesehen  hatte  und  Mitglied  des  Unterhauses  war.  Unter 
ihm  stand  sein  Sohn,  Thomas  Fairfax,  damals  dreissigj ährig, 
der  schon  in  den  Niederlanden  gedient  hatte,  und  dessen  Name 
bereits  in  den  beiden  Feldzügen  gegen  die  Schotten  bekannt 
geworden  war.  Auch  hier  entwickelte  er  unter  wechselnden 
Erfolgen  nicht  geringes  Talent,  indessen  schien  der  Feldzug 
für  die  parlamentarische  Sache  eine  um  so  unglücklichere 
Wendung  zu  nehmen,  da  man  nicht  ein  Mal  verhindern  konnte, 
dass  die  Royalisten  einen  Versuch  machten,  nach  Lincolnshire 
vorzubrechen  und  die  östlichen  Grafschaften  zu  bedrohen. 
Hier  aber,  wo  von  Anfang  an  eine  der  Hauptstärken  des 
Parlaments  gewesen  war,  brach  sich  die  stürmische  Welle  der 
royalistischen  Erfolge.  Es  war  vor  allem  das  Verdienst  Oliver 
Cromwells,  dem  die  örtlichen  Verhältnisse  genau  bekannt  waren, 
die  „Association"  der  sechs  Grafschaften  Norfolk,  Suffolk,  Essex, 
Cambridge,  Herts,  Hunts  mit  derselben  Energie  zu  durch- 
dringen, die  ihn  selbst  belebte,  und  sie  zu  einer  grossen  mili- 
tärischen Macht  umzuwandeln.  Seit  dem  März  1643  Oberst, 
entfaltete  er  eine  bewundernswürdige  Thätigkeit.  Er  selbst, 
der  viei-undvierzigj ährige  Grandbesitzer,  der  den  Krieg  nie 
gesehn  hatte,  bildete  sich  erstaunlich  schnell  durch  eiserne 
Anstrengung  und  geniale  Auffassung  zum  Meister  des  Kriegs- 
handwerks. Seine  Rekruten  wählte  er  aus  dem  tüchtigen, 
wohlhabenden  Stande  der  Freisassen  und  kleinen  Bauern,  die 
er  zu  musterhaften  Soldaten  zu  drillen  und  unter  die  Gebote 
strenger  Zucht  zu  beugen  wusste.  Cambridge  wurde  befestigt, 
Geld  und  Kriegs-Material  beschafft,  die  Anhängerschaft  des 
Königs  durch  einige  scharfe  Beispiele  geschreckt.  Um  Lin- 
colnshire von  den  royalistischen  Schaaren  zu  reinigen,  drang 
Cromwell  dort  ein  und  sprengte  mehr  als  ein  Mal  die  Ueber- 
zahl  der  Feinde  auseinander.     Aber  unmöglich  war  es,   nach 


160  Waller's  Komplott. 

Yorkshire  vorzubreclien  zur  Unterstützung  der  Fairfax.  deren 
Lage  in  Folge  einer  grossen  Niederlage  bei  Atherton  -  Moor 
(30.  Juni  1643)  immer  bedenklicher  ward. 

Stand  es  um  die  parlamentarische  Kriegfiihrung  im  allge- 
meinen nicht  zum  besten,  so  gesellten  sich  manche  andere  trübe 
Erfahrungen  hinzu.  Bei  einem  Zusammenstoss  mit  Prinz  Rupert, 
am  18.  Juni,  ward  John  Hampden  tödtlich  verwundet,  der  Milton 
wohlbekannte  Regiments-Kaplan  John  Spurstow  war  Zeuge  der 
letzten  Momente  dieser  edlen  Persönlichkeit,  die  im  Angesicht 
des  Todes  keinen  anderen  Gedanken  hatte  als  „die  Rettung 
des  blutenden  Vaterlandes".  Desertionen  aus  den  Reihen  des 
Heeres  namentlich  schottischer  Officiere  kamen  vor,  und  mit 
knapper  Noth  wurde  der  Plan  der  treulosen  Hothams  vereitelt, 
den  Platz  Hüll  dem  Könige  auszuliefern.  In  London  selbst 
spann  die  Verschwörung  ihre  verborgenen  Fäden,  und  es  waren 
nicht  immer  nur  giftige  Schmähungen  der  royalistischen  Balla- 
den und  Zeitungen,  wie  vor  allem  des  in  Oxford  erscheinenden 
Mercurius  Aulicus,  durch  die  sich  Pym  und  seine  Genossen 
bedroht  sahen.  Ende  Mai  1643  kam  man  einem  weitver- 
zweigten Komplott  auf  die  Spur,  zu  dem  sich  solche,  die  vor 
Gewaltsamkeiten  nicht  zurückschreckten,  mit  anderen  verbun- 
den zu  haben  schienen,  denen  es  mehr  auf  eine  grosse  fried- 
liche Demonstration  ankam.  Es  hat  durch  die  Mitwirkung 
des  Dichters  und  Parlaments-Mitgliedes  F^dmund  Waller  seinen 
Namen  empfangen.  Er  zeigte  nach  der  Entdeckung  die  ganze 
Schwäche  seines  Charakters.  Seine  Aussagen  belasteten  eine 
Anzahl  von  Personen  und  überlieferten  mehrere,  darunter  seineu 
Schwager,  dem  Todesurtheil.  Er  selbst  konnte  nach  kurzer 
Haft  mit  der  Zahlung  von  10,000  ^  und  dem  Exil  das  Leben 
ei'kaufen.  Die  schwankende  Stinnnung  des  Generals  P^ssex, 
die  verführerischen  Künste  der  Royalisten  und  der  eigene 
"Wunsch,  einen  l)illigen  Ausgleich  hergestellt  zu  sehn,  Hessen 
nach  so  viel  erlittenen  Verlusten  selbst  im  Parlament  bei 
vielen  den  Entsehluss  reifen,  sich  dem  König  mit  Vorschlägen 
des  Friedens  zu  nalien.  Die  Mehi-heit  der  Lords  war  dafür, 
auch  in  der  Stadt  gab  es  eine  starke  Partei,  die  von  gleichen 
Gedanken  bewegt  wurde,   aus  den  Volksliaufen,   die  sich  vor 


Milton's  Vater  will  nach  London  übersiedeln.  161 

Westminster  ansammelten,  konnte  man  Scliimpfworte  der  Weiber 
auf  Pym  vernehmen.  Es  becliiifte  der  ganzen  Energie  dieses 
Führers,  der  sich  nie  männlicher  gezeigt  hatte  als  damals,  der 
eifrigen  Thätigkeit  des  Lord-Mayors  Pennington,  kräftiger 
Gegendemonstrationen  der  Bürgerschaft,  ermuthigender  An- 
sprachen der  Prediger,  um  im  Unterhause  die  Annahme  der 
von  den  Lords  gemachten  Vorschläge  wieder  zu  Fall  zu  bringen 
und  Essex  zum  Ausharren  anzuspornen.  Indessen  verliessen 
einige  der  angesehensten  Lords  wie  Bedford,  Holland,  Nor- 
thumberland  die  Sache  des  Parlaments,  die  erst  durch  das 
Eingreifen  neuer  Momeirte  eine  entschiedene  Wendung  zum 
Besseren  nalmi. 

Von  allen  den  berührten  Ereignissen  kann  keines  so  sehr 
Milton's  persönliches  Interesse  erregt  haben  wie  die  Belage- 
rung von  Reading  durch  Essex  im  April  1643.  Denn  er  wusste 
in  der  eingeschlossenen  Stadt  seinen  Vater  und  Bruder  allen 
Gefahren  und  Entbehrungen  ausgesetzt.  Der  Bruder  Christoph 
Milton  hatte  nach  Vollendung  seiner  Rechtsstudien  am  26.  Ja- 
nuar 1640  Verwendung  im  Inner  Temple  gefunden  und  noch 
einige  Zeit  mit  dem  Vater  in  Horton  gelebt,  wie  aus  dem 
Eintrag  der  Taufe  seiner  Tochter  Sara  im  dortigen  Kirchen- 
buche vom  11.  AugTist  1640  hervorgeht.  Bald  darauf  indess 
muss  seine  Familie  den  friedlichen  Landsitz  mit  dem  nicht 
sehr  weit  entfernten  Städtchen  Reading  vertauscht  haben,  denn 
nach  dem  Kirchenbuche  der  dortigen  Pfarrei  St.  Lorenz  wurde 
daselbst  am  27.  August  1641  eine  Tochter  eines  ..Milton  Esq.'", 
unter  dem  er  zu  verstehen  sein  wird,  auf  den  Namen  Anna 
getauft  (').  Der  alte  MiltxDu  machte  die  Uebersiedelung  mit. 
Christoph  Milton  bekannte  sich  keineswegs  zu  den  politischen 
Grundsätzen  seines  Bruders,  er  hatte  keinen  Anlass  beim  Be- 
ginn des  Bürgerkrieges  sich  von  einem  Ort  zu  entfernen,  der 
Oxford,  dem  royalistischen  Hauptquartier,  näher  lag  als  London, 
und  so  geschah  es,  dass  die  nächsten  Verwandten  des  Dichters 
das  Schicksal  der  Stadt  zu  theilen  hatten.  Wir  besitzen  noch 
die  manuichfaltigsten  Zeitungs-Nachrichten,  in  welchen  der 
Hauptstadt  oft  überti-iebene  Kunde  von  dem  Zustande  des  be- 
lagerten Ortes  gegeben  wurde.     Mit  Spannung  musste  Milton 

Stern,   Milton   u.   s.   Zeit.      I.   2.  11 


1(32  Milton's  Vater  will  nach  London  übersiedeln. 

vernehmen,  dass  der  Kommandant  des  Platzes,  „ein  Papist, 
der  mehrere  Mordthaten  auf  dem  Gewissen  hat",  auf  Essex' 
Aufforderung,  Weiber  und  Kinder  herauszulassen,  geant\Yortet 
habe,  sie  sollten  alle  mit  ihm  sterben,  ,,eine  Grausamkeit,  wie 
die  Zeitung  hinzusetzt,  unerhört  unter  den  Wilden  Amerikas 
geschweige  unter  Christen",  dass  Weiber  bei  den  gefährlichen 
Erdarbeiten  der  Festung  verwendet  würden,  ein  Verfahren, 
für  das  der  Berichterstatter  nur  bei  den  „Türken" .  Analogieen 
findet,  ja  dass  Frauen  und  Eander  von  den  Kavalieren  benutzt 
würden,  um  die  „Breschen  auszufüllen".  Man  athmete  auf,  als 
man  erfuhr,  dass  sich  am  27.  April  1643  die  Stadt  ergeben 
habe  unter  der  Bedingung  ehrenvollen  Abzugs  der  Besatzung, 
Schonung  der  Einwohner  an  Leib  und  Gut,  Sicherheit  der 
Entfernung  im  Laufe  der  nächsten  sechs  Wochen  für  diejenigen, 
welche  die  Stadt  zu  verlassen  wünschten.  Dieser  letzte  Artikel 
enthielt  eine  Begünstigung  der  Royalisten,  für  denjenigen,  der 
sich  auf  parlamentarisches  Territorium  begeben  wollte,  war 
die  Einhaltung  eines  solchen  Termins  unnöthig(i).  Der  alte 
INIilton  w^ar  in  diesem  Falle.  Er  hatte  sich  entschlossen  Keading 
zu  verlassen,  das  doch  immer  durch  die  Wechselfälle  des  Krieges 
bedroht  war,  und  sich  im  Hause  seines  älteren  Sohnes  in  London 
niederzulassen.  Ehe  er  indessen  in  Aldersgate-Street  erschien, 
waren  in  dem  Haushalt  des  Dichters  Veränderungen  einge- 
treten, die  einen  wichtigen  Schritt  seines  Lebens  bedeuteten. 


Viertes  Kapitel. 

Erste  Heirat  und  erste  Schrift  über  die 
Ehescheidung. 


In  der  letzten  seiner  kirehen -politischen  Streitschriften 
vor  dem  Ausbruch  des  Krieges  hatte  Milton  den  hämischen 
Vorwurf  gewinnsüchtiger  Heirats-Gedanken  von  sich  zu  weisen 
gehabt.  Er  hatte  es  mit  den  Worten  gethan,  ein  wohlerzo- 
genes Mädchen  mit  geringem  Vermögen  solle  ihm  lieber  sein 
als  die  reichste  Wittwe.  Es  ist  nicht  mehr  als  eine  Vermu- 
thung,  dass  der  Vierunddreissigjährige,  der  sich  bis  dahin  für 
einen  Dichter  auffallend  kühl  gegen  das  schöne  Geschlecht 
verhalten  hatte,  mit  diesen  Worten  ein  verstecktes  Bekenntnis 
ablegte.  Gewiss,  dass  er  erst  nach  mehr  denn  Jahresfrist,  als 
sich  die  Zeiten  wild  verwandelt  hatten,  den  Schritt  that,  der  eine 
solche  Vermuthung  rechtfertigen  würde.  Um  Pfingsten  1643, 
(21.  Mai)  oder  etwas  später  unternahm  er,  nach  dem  Be- 
richt seines  Neffen  Edward  Phillips,  eine  Reise  airfs  Land, 
ohne  dass  jemand  aus  seinem  Hause  einen  besonderen  Grund 
dafür  wusste  oder  es  für  mehr  als  eine  Erholungsreise  hielt. 
Nach  einem  Monat  kehrte  er  als  Ehemann  zurück.  Die  Er- 
wälüte  war  „Mary,  die  älteste  Tochter  des  Mr.  Richard  Powell, 
damaligen  Friedensrichters,  von  Foresthill  bei  Sliotover  in 
Oxfordshire". 

Richard  Powell  war,  vorzüglich  wohl  durch  die  Verbin- 
dung mit  Anna  Moniten,  deren  mütterliche  Familie  Archdale 

11* 


\Q^  Die  Familie  Powell. 

in  Oxfordshire  begütert  war,  eben  dort  zu  Hab  und  Gut  ge- 
Ivonnnen  und  nahm  keine  unbedeutende  gesellseliaftlielie  Stel- 
lung ein.  Seine  Frau  hatte  ihm  die  ansehnliche  Mitgift  von 
3000  £  zugebracht,  er  verfügte  über  Ackerland,  Wiesen,  Bau- 
lichkeiten, Erträgnisse  in  Whatley,  theils  als  Eigenthümer, 
theils  als  Pächter,  sein  Hauptbesitz  bestand  in  dem  Landgut 
Foresthill,  das  er  nebst  allem  Zubehör  durch  zwei  Pacht-Ver- 
träge von  1621  und  1623  bis  zum  Jahre  1672  sich  gesichert 
hatte.  Die  Einrichtung  des  gutsherrlichen  Hauses,  aus  einem 
Inventar  des  Jahres  1646  erkennbar,  war  den  nothwendigen 
Bedürfnissen  des  Besitzers  ganz  entsprechend.  Die  ,, Halle'' 
das  „grosse  und  kleine  Besuchszimmer"  standen  zum  Empfang 
von  Freunden  und  Bekannten  offen,  zwölf  Zimmer  und  Kammern, 
nach  der  Sitte  der  Zeit  mit  Teppichen,  Vorhängen,  schweren 
Tischen  und  Stühlen,  mächtigen  Betten  ausgestattet,  waren 
für  die  zahlreiche  Familie  und  die  Gäste  gerüs.tet.  Für  Küche 
und  Keller,  Backhaus  und  Brauhaus,  Käserei  und  Milchkammer 
war  wohl  gesorgt.  Nebst  Karren  und  Wagen  standen  zwei 
Kutschen  bereit,  und  über  das  ganze  nicht  geringe  Hauswesen 
schaltete  Mrs.  Powell,  deren  Gemach  weitaus  die  beste  Ein- 
richtung erhalten  hatte.  Die  jährlichen  Einkünfte  von  den 
Besitzimgen  von  Whatley  wurden  auf  40  i^,  die  von  Foresthill 
auf  mehr  als  270  £  geschätzt,  was  etwa  dem  Dreifachen  in 
heutigem  Gelde  entsprechen  würde.  INIr.  Powell  hatte  in- 
zwischen seine  Einnahmen  noch  anderweitig  zu  vermehren  ge- 
sucht. Schon  seit  längerer  Zeit  befanden  sich  die  nahege- 
legenen königlichen  Forste  Shotover  und  Stow-Wood  in  einem 
Zustande  grosser  Verwahrlosung.  Die  Forst -Beamten  ver- 
säumten ihre  Ptlicht,  der  Kachwuchs  wurde  nicht  geschont, 
das  Unterholz  verwüstet,  die  Gehäge  schlecht  ei-halten.  Der 
König  mochte  daher  glauben  ein  gutes  Geschäft  zu  machen, 
als  er  die  Ausnützung  dieser  darniederliegenden  Waldungen, 
die  grossen  Stämme  ausgeschlossen,  auf  sechzig  Jahre  gegen 
einen  jährlichen  Zins  von  100  ■£,  vom  eilften  Jahre  an  zahbar, 
dem  Bischof  von  r)xfoi-d  überliess,  der  beim  Baue  eines  Land- 
hauses in  der  Nähe  Bauholz  aus  dem  Walde  erhalten  und 
seinen  Zustand   kennen   gelernt  hatte.     Von  diesem  empfieng 


Die  Familie  Powell.  1Ö5 

Eicliard  Powell  das  Areal  als  Unterpäcliter  auf  iieimmulfünfzig 
Jahre,  mit  der  Belastung  nach  den  ersten  zehn  Jahren  nicht 
nur  die   dem  Könige  schuldigen   100  £,   sondern   auch   dem 
Bischof  jährlich  die  gleiche  Summe  zu  zahlen  und  den  Wald 
in    Ordnung    zu    halten.      Die    darauf   bezüglichen  Verträge 
datirten    aus   den   Jahren  1636  und   1637,    zu  welcher  Zeit 
Poweirs  Vermögensverhältnisse  schon  nicht  mehr  sehr  glän- 
zend  gewesen  zu  sein  scheinen.     Seit  einiger  Zeit  war  er  in 
die  Lage  gerathen,   sich  unter  Verpfändung  von  Gütern  und 
Einkünften  beträchtliche  Summen  haaren  Geldes   verschaffen 
zu  müssen,  auch  in  der  Folgezeit  nahmen  seine  Verlegenheiten 
zu,  selbst  auf  das  Gut  von  Foresthill  hatte  er  von  Sir  Robert 
Pye,  späterem  Mitgliede  des  langen  Parlaments,  der  ihm  aus 
mehr  als   einer  Klemme  herausgeholfen  hatte,    1400    '£  auf- 
nehmen müssen,  an  deren  Abtragung  er  nicht  denken  konnte. 
Unter  denjenigen,  zu  welchen  Richard  Powell  seit  langer 
Zeit    im    Verhältnis    des    Schuldners    stand,     war    auch    die 
Familie  Mlton.     Sie  stammte,  wie  wir  wissen,  aus  Oxfordshire, 
des   Dichters    Grossvater    hatte    in    unmittelbarer   Nähe   von 
Foresthill  gewohnt,  unverl)ürgte  Ueberlieferung  lässt  ihn  sogar 
ein  Forstamt  in  eben  jenem  Walde  von  Shotover  bekleiden, 
auf  dessen  Ausnutzung  Richard  Powell  ein  Monopol  zu  erlangen 
wusste.    Wie  immer  das  Verhältnis  zwischen  Powell  und  den 
Miltons  sich  angeknüpft  hatte,  und   welche   uns   unbekannte 
Rechtsgeschäfte  vorausgegangen  sein  mögen,  sicher  ist,   dass 
schon  der  kundige  Vater  des  Dichters  für  seinen  Sohn  einen 
Vertrag  mit  Powell  nebst  William  Hearne  von  London,  „Bürger 
und  Goldschmidt",  geschlossen  hatte,  nach  welchem  diese  dem 
Dichter  das  Recht  des  begünstigten  Gläubigers  für  500  M  ein- 
räumten, woferne  nicht  durch  Zahlung  der  wirklichen  Schuld 
binnen  der  Frist  eines  halben  Jahres  dieser  Vertrag  annullirt 
würde.     Die  Urkunde  datirte  vom   11.  Juni  1627,  und  da  in 
der  bestimmten  Fiist   die  vorgesehene  Annullirung  nicht  er- 
folgt war,  blieb  Richard  Powell  für  500  £  der  Schuldner  John 
Milton's(').    Dieser  war  zu  der  Zeit,  als  sein  Vater  ihm  diese 
Summe  sicherte,  Student  in  Cambridge,  und  möglicher  Weise 
hat  er  erst  später  Kunde   davon  erhalten.     Aber  die  Bezie- 


166  Mary  Powell. 

hungen,  in  welche  er  hierdurch  zu  den  Powells  gesetzt  wurde, 
neben  dem  Familien  -  Zusammenhang ,  der  zwischen  seinem 
Vater  und  einzelnen  Gliedern  des  Hauses  Milton  in  Oxfordshire 
noch  immer  bestanden  haben  wird,  konnten  ihn  veranlassen 
schon  flüher  sich  öfter  im  Dorf  und  auf  dem  Gut  Foresthill 
blicken  zu  lassen. 

Hier  war  inzwischen  eine  stattliche  Kinderschaar  heran- 
gewachsen. Die  Pfarr-Eegister  von  Foresthill  zählen  von  1621 
bis  1639  sechs  Söhne  und  fünf  Töchter  auf,  von  denen  noch 
im  Jahre  1649  zehn  am  Leben  waren  (^).  Von  den  Söhnen 
waren  zwei,  Richard  1637  sechzehnjährig,  Jakob  1640  sieb- 
zehnjährig, im  Christchurch-College  der  nur  eine  Stunde  von 
Foresthill  entfernten  Universitäts-Stadt  Oxford  eingetreten  (2). 
Von  den  Töchtern  war  ]\Iary  die  älteste,  im  Januar  1625 
geboren,  beim  Ausbruch  des  Bürgerkrieges  nicht  volle  sieb- 
zehn Jahre  alt.  Möglich,  dass  Milton  sie  von  früher  gekannt, 
sie  in  der  Zwischenzeit  hie  und  da  gesehen  hatte  und  dass  er 
im  Frühling  1643  im  Gedanken  an  sie  jene  Reise  unternahm, 
von  der  er  als  Ehemann  zurückkehrte.  Möglich,  dass  ihn  zu- 
nächst der  Wunsch  die  Seinigen  zu  sehn  nach  Reading  führte, 
dass  er  von  dort,  um  an  die  alte  Schuld  zu  mahnen,  den  Weg 
nach  Foresthill  einschlug,  und  hier  aus  der  Hand  des  alten 
Powell  nicht  sein  Geld,  aber  die  Tochter  empfieng,  wie  der 
Adam  seines  späteren  grossen  Gedichtes,  „von  Frauenreize  sanft 
besiegt".  —  In  jedem  Fall  hätte  manches  gegen  diese  Ver- 
bindung sprechen  können.  Milton  war  ein  reifer  INIann,  und 
Mary  Powell  hatte  kaum  den  Uebergang  vom  Ivinde  zur  Jungfrau 
gemacht.  Ihm  war  das  ernste,  gleichförmige  Leben  des  selbst- 
genügsamen Denkei's  vei-traut.  Sie  war  in  einem  grossen  gast- 
freien Hause,  unter  ländlichen  Vergnügungen,  verwöhnt  und 
ungebunden,  aufgewachsen.  Er  hatte  kirchlich-politische  Giimd- 
sätze  offen  ausgesprochen,  die  schon  seine  Reise  in  diese  Gegen- 
den zu  einer  gefahrvollen  machen  mussten,  da  sie  das  Haupt- 
(|uai-tier  der  Kavaliere  waren,  und  der  König  selbst,  umgeben 
von  glänzendem  Hofstaat  und  kriegerischem  Gefolge,  ganz  in 
der  Nähe,  im  Christchurch-College,  seine  Residenz  aufge- 
schlagen hatte.     Sie  gehörte  einer  Familie  an,  die  durch  innere 


Die  Flitterwochen.  167 

Neigung,  geschäftliches  Interesse,  Lage  des  Wohnortes  auf  die 
Seite  des  Königs  geführt  wurde,  und  es  spricht  manches  für 
die  Vermuthung,  dass  die  Brüder,  als  ihr  College  von  Karl  I. 
mit  Beschlag  belegt  und  die  Universität  in  ein  Lager  verwan- 
delt wurde,  sich  gleich  anderen  Studiengenossen  unter  die 
Fahne  des  Königs  sehaaiien. 

Von  allen  diesen  Bedenken  scheint  IV'ßlton  indess  keines 
zurückgehalten  zu  haben.  Zum  Staunen  seiner  beiden  Neffen 
wie  der  Hausmagd  Jane  Yates  brachte  er  eine  junge  Frau 
nach  Aldersgate-Street  mit  sich  zurück.  Das  Paar  kam  nicht 
allein.  „Einige  ihrer  nächsten  Verwandten,  —  wohl  mehrere 
der  Geschwister  — ,  begleiteten  die  junge  Frau  in  ihre  neue 
Wohnung,  welche  gar  nicht  zu  ihrer  Aufnahme  hergerichtet 
war  .  . ,  mehrere  Tage  wurden  zur  Feier  der  Hochzeit  und  zur 
Bewirtung  der  Freunde  der  jungen  Frau  festlich  verbracht. 
Endlich  nahmen  sie  Abschied,  kehrten  nach  Foresthill  zurück 
und  Hessen  die  Schwester  allein,  vermuthlich'  nicht  sehr  zu 
ihrer  Freude,  wie  sich  in  der  Folge  zeigte"  (^).  In  der  That 
war  das  eheliche  Glück  von  sehr  kurzer  Dauer.  Es  ist  eine 
reine  Verleumdung,  wenn  sich  IVIilton's  Schwiegermutter  bei 
einer  späteren  Gelegenheit  zu  der  Aeusserung  hinreissen  Hess, 
die  nirgends  sonst  bestätigt  wird,  sein  Temperament  sei  „rauh 
und  cholerisch" (2).  Aber  er  hätte  wissen  müssen,  dass  ein 
verzogenes,  lebenslustiges  Wesen  von  siebzehn  Jahren  auch 
in  Gesellschaft  des  gutmüthigsten  Ehemannes  bald  Heimweh 
bekommen  wird,  wenn  dieser  sich  mit  seinen  Büchern  in  seine 
vier  Wände  einschliesst,  ohne  die  Arbeit  des  eigenen  Geistes 
durch  viel  anderes  als  den  gleichförmigen  Unterricht  von  zwei 
Knaben  zu  unterbrechen.  Schon  nach  ungefähr  einem  Monat 
war  sie  des  „pliilosophischen  Lebens"  müde  und  sehnte  sich 
nach  dem  elterlichen  Hause  und  seinen  Lustbarkeiten  zurück  (^). 
Von  dort  kam,  vielleicht  nicht  ohne  ihr  Zuthun,  die  Einladung, 
den  Rest  des  Sommers  l>ei  den  Ihrigen  zu  verbringen.  Es 
war  eine  etwas  starke  Zunmthung,  die  nach  den  ersten  Wochen 
des  Zusammenlebens  dem  jungen  Ehemanne  gemacht  wurde. 
Doch  gab  er  seine  Einwilligung  unter  der  Bedingimg,  dass  sie 
um  jMichaelis  zurückkehre. 


IQ^  Abreise  der  jungen  Frau. 

Bald  nachher  kam  Milton's  Vater  aus  Keading,  um  fortan 
seine  Tage  in  Ruhe  bei  seinem  Sohne  in  London  zu  verbringen. 
Eben  damals  entsehloss  sich  Milton,  die  Zahl  seiner  Schüler 
zu  vergrössern  und  einige  Söhne  von  Freunden  zu  sich  in's 
Haus  zu  nehmen,  um  sie  mit  seinen  Neffen  zu  erziehen  und 
zu  unterrichten.  ..Als  Michaelis  herankam,  —  erzählt  der  eine 
dieser  Neffen  E.  Phillips,  —  und  von  der  Rückkehr  seiner 
Frau  nichts  verlautete,  mahnte  er  sie  brieflich.  Als  er 
keine  Antwort  empheng,  schrieb  er  noch  einige  Male,  ohne 
eine  Erwiderung  zu  erhalten.  Zuletzt  sandte  er  einen  Boten 
mit  einem  Briefe  ab  und  drang  auf  ihre  Rückkehr.  Aber  der 
Bote  kam  wieder,  nicht  nur  ohne  irgendwie  befriedigende  Ant- 
wort, sondern  berichtete,  soweit  ich  mich  erinnere,  dass  man 
ihn  in  etwas  verächtlicher  Weise  heimgeschickt  habe.  Höchst 
wahrscheinlich  lag  diesem  Benehmen  der  Umstand  zu  Grunde, 
dass  die  Familie  im  ganzen  und  grossen  der  s.  g.  Kavalier- 
Partei  zugethan  war,  möglicher  Weise  einige  ihrer  Mitglieder 
im  Heere  des  Königs  standen,  der  damals -in  Oxford  sein  Haupt- 
quartier hatte,  und  dessen  Sache  eine  günstige  Wendung  nehmen 
zu  wollen  schien,  und  dass  sie  bereuten  die  älteste  Tochter 
des  Hauses  einem  Manne  gegeben  zu  haben,  dessen  Ansichten 
den  ihrigen  so  sehr  entgegenliefen,  und  fürchteten,  es  werde 
dies  einen  Schandfleck  auf  ihrem  Wappenschilde  bilden,  im 
Falle  der  Hof  den  Sieg  davontrage'- (^). 

Man  hat  keinen  Grund  anzunehmen,  dass  dieser  Bericht 
etwas  Falsches  enthalte  und  sieht,  wie  unter  der  Einwirkung 
der  politischen  Gegensätze  das  häusliche  Glück  des  Dichters 
zerstört  wurde.  Die  Frage  ist  nur,  ob  man  sich  die  Entwick- 
lung der  Familien-Tragödie  nicht  noch  rascher  zu  denken  hat, 
ob  Milton  nicht  schon  früher,  in  den  ersten  Wochen  der  Ehe, 
zur  Erkenntnis  seines  Fehlgriffs  gekommen  ist.  Phillips,  der 
nach  der  Erinnerung  seiner  Jugend  schreibt,  scheint  dem  aller- 
dings zu  widersprechen.  Nach  ihm  wurde  Milton  durch  die 
Weigerung  seiner  Frau  so  sehr  ei-zürnt,  dass  er  es  für  ent- 
ehrend hielt,  sie  je  wieder  aufzunehmen.  „Er  begann  sich  mit 
Gi-ünden  zu  einem  solchen  Entschluss  zu  stärken,  und  so  ent- 
standen  seine  zwei  Traktate,   durch  die   er  beweisen  wollte. 


Abreise  der  jungen  Frau.  1(39 

dass  es  gegen  die  Yernimft  und  durch  die  Schrift  nicht  be- 
beweisbar sei,  ein  Ehepaar,  das  nach  Geniüth  und  Tempera- 
ment nicht  für  einander  passe  oder  eine  gegenseitige  Abnei- 
gimg  habe,  z^Yingen  zu  wollen,  ihr  ganzes  Leben  lang  anein- 
ander geschmiedet  zu  sein"*(^).  Schon  das  erscheint  tragisch 
genug,  dass  ein  Schriftsteller  ein  Paar  INIonate  nach  der  Hoch- 
zeit, gereizt  durch  das  Benehmen  der  Frau,  keinen  besseren 
Stoif  für  seine  Feder  tindet,  als  die  Frage  der  Ehescheidung 
zu  behandeln.  Aber  es  liegen  Thatsachen  vor,  welche  be- 
weisen, dass  der  Hergang  noch  tragischer  war.  Ein  Exemplar 
jener  ersten  Schrift  über  die  Ehescheidung  trägt  von  zuver- 
lässiger Hand  auf  dem  Titelblatt  die  Datumbezeichnung  des 
ersten  August  1643.  Sie  muss  also  vorher  abgefasst  sein,  zu 
der  Zeit,  da  nach  Phillips'  Angaben  die  junge  Frau  noch  im 
Hause  des  Gatten  weilte,  unter  ihren  Augen,  wenn  auch  schwer- 
lich mit  ihrem  Wissen.  Man  kann  sich  danach  das  trübe  Bild 
der  Flitterwochen  ausmalen :  sie  von  der  Sehnsucht  nach  dem 
lustigen  Schwann  der  Gespielen  und  Bekannten  verzehrt  und 
zur  Gesellschaft  eines  Mannes  verurtheilt,  dessen  einsamem 
Gedankenflug  sie  nicht  folgen  konnte,  er  durch  die  Furcht 
einer  qualvollen  Zukunft  gemartert  und  bestrebt,  darin  Trost 
zu  finden,  dass  er  seinen  Fall  zum  Ausgangspunkt  einer  allge- 
meinen Betrachtung  machte.  In  diesem  Zusammenhang  be- 
kommt die  spätere  Aeusserung  der  Schwiegermutter  einigen 
Sinn,  Milton  selbst  habe  ihre  Tochter  fortgesandt.  Was 
mochte  in  Rede  und  Gegenrede  vorhergegangen  sein?  Konnte 
nicht  die  Aufforderung  von  .Foresthill  seinen  Wünschen  ent- 
sprechen, ihn  mit  der  schwachen  Hoffnung  erfüllen,  die  Ent- 
fernung werde  in  einiger  Zeit  die  Gegensätze  mildern,  die 
Keigimg  wachsen  lassen? 

Unmittelbar  nach  der  Abreise  der  jungen  Frau  trat  die 
Hauptschrift  an's  Licht,  in  welcher  Milton  als  Verfechter  einer 
Theorie  auftrat,  welche  den  Geboten  von  Kirche  und  Staat 
und  den  allgemeinen  Ansichten  der  Zeit  aufs  schroffste  wider- 
sprach. Sie  fühlte  den  langathmigen  Titel:  „Die  Lehre  und 
Wissenschaft  von  der  Ehescheidung  zum  Besten  beider  Ge- 
schlechter aus  den  Banden  des  kanonischen  Rechtes  und  anderer 


170  Erste  Schrift  über  die  Ehescheidung. 

Irrthümer  im  Sinne  christlicher  Freiheit  wiederhergestellt  nach 
dem  Gesetz  der  Liebe,  wobei  auch  viele  Stellen  der  Schrift 
ihren  lange  missverstandenen  Sinn  wieder  erhalten,  nützlich  bei 
der  bevorstehenden  Reform  erwogen  zu  werden"  (^).  In  dieser 
ihrer  ersten  Gestalt  entwickelt  die  Schrift  allerdings  die  Grund- 
gedanken des  Verfassers  in  hinlänglicher  Klarheit.  Er  hält 
die  Ansicht,  welche  sich  einer  Lösung  des  Ehebandes  wider- 
setzte und  höchstens  in  gewissen  scharf  begränzten  Fällen  eine 
Trennung  der  Gatten  zuliess,  für  schlechthin  verwerflich.  Statt 
dessen  fordert  er,  dass  sogar  schon  Erkenntnis  der  Unver- 
träglichkeit und  Abneigung  von  Geist  und  Gemüth  ein  Recht 
auf  vollständige  Lösung  des  ehelichen  Bandes  geben  soll,  „zu- 
mal wenn  keine  Kinder  da  sind,  und  gegenseitige  Einwilligung 
vorhanden  ist"  (S.  21).  Zu  dem  Behuf  zieht  er  Stellen  des 
alten  und  neuen  Testaments  heran,  um  sie  in  seinem  Sinn  zu 
erklären,  stützt  er  sich  auf  Gründe  der  Vernunft  und  des 
öffentlichen  Wohls,  sucht  er  sich  Bundesgenossen  bei  hervor- 
ragenden Schriftstellern,  die  diesen  Gegenstand  behandelt 
hatten.  Dies  alles  wird  auf  achtundvierzig  Seiten  im  Zusam- 
menhang, ohne  Abtheilung  von  Büchern  oder  Kapiteln  be- 
handelt, der  N?,me  des  Autors  wird  nicht  genannt. 

Allein  in  dieser  Form  ist  die  Schrift  nicht  in  Milton's 
Werke  übergegangen.  Wenig  Monate  später  wurde  eine  zweite 
Auflage  nöthig  und  diese  ist  es,  welche  die  mit  so  viel  Kühn- 
heit verfoclitene  Lehre  weiteren  Kreisen  bekannt  gemacht  hat. 
Milton  selbst  deutet  gelegentlich  an,  dass  da^  erste  Erscheinen 
seiner  Schrift  ihm  mancherlei  Anfechtung  zuzog,  und  welche 
Gedanken  ihn  bei  der  zweiten  Pklition  leiteten.  „Gott  schien 
mich  prüfen  zu  wollen,  ob  ich  allein  den  Muth  hätte  eine 
gereclite  Saclie  gegen  eine  Welt  von  Missachtung  zu  verthei- 
digen  und  fand  mich  muthig.  Ich  verschwieg  meinen  Namen, 
weil  ich  den  Leser  damit  weder  für  noch  gegen  mich  ein- 
nehmen wollte.  Als  ich  aber  hörte,  dass  ich  am  Stil  von  den 
meisten  erkannt  wäre,  (ohne  dass  ich  wüssto,  welche  Mängel 
ihn  so  scharf  charakterisiren),  und  dass  einige  von  der  Geist- 
lichkeit zu  schmälien  und  anzugreifen  begannen,  was  sie  nach 
glaublichem  Bericht  gar  niclit  gelesen  liatten,  da  hielt  ich  es 


Erste  Schrift  über  die  Ehescheidung.  171 

für  angezeigt,  einen  Namen  sehen  zu  lassen,  der  solch  eine 
unbescheidene  Art  des  Tadels  leichtlich  verachten  konnte,  und 
die  Sache  selbst  mit  noch  stärkeren  Gründen  und  genaueren 
Untersuchungen  zu  verfechten.  Auf  diese  Weise  war  dafür 
gesorgt,  dass  derjenige,  welcher  sich  etwa  dazu  verstehn  wollte 
statt  blosser  Schmähungen  uns  seine  Gelehrsamkeit  und  christ- 
liche Weisheit  bei  der  Lösung  dieses  Problems  hören  zu  lassen, 
seine  Kraft  nicht  gegen  ein  namenloses  Pamphlet  zu  verschwen- 
den brauchte"  (').  In  diesen  stolzen  Worten  hat  Milton  nur 
in  allgemeinen  Umrissen  angedeutet,  wie  sehr  sich  ihm  unter 
der  Hand  der  Rahmeij  seines  Werkes  ausdehnte.  Der  äussere 
Umfang  ist  beinahe  auf  das  Doppelte  gewachsen,  was  sich 
theils  aus  einer  Erweiterung  des  früheren  Textes,  theils  aus 
der  neu  auftretenden  Zufügung  einer  Widmung  an  das  Par- 
lament und  die  seit  kurzem  versammelte  sog.  Westminster- 
Synode  erklärt.  Diese  Widmung  ist  denn  auch  mit  dem  vollen 
Namen  „John  Milton"  unterzeichnet.  Der  Text  ist  hier  in 
zwei  Bücher,  jedes  Buch  in  Kapitel  getheilt,  wodurch  der 
Aufbau  des  Ganzen  wesentlich  an  Klarheit  gewonnen  hat. 
Für  manche  Kapitel,  (wie  namentlich  B.  I,  K.  1,  6,  8.  B.  II, 
K.  2,  4 — 7,  11,  14,  17,  21),  erscheinen  in  der  früheren  Aus- 
gabe nur  die  ersten  Ansätze  gegeben,  oder  ein  so  interessantes 
Kapitel  wie  das  dritte  des  zweiten  Buches,  in  welchem  über 
den  Ursprung  der  Sünde  gehandelt  wird,  tritt  ganz  neu  auf. 
Zum  grossen  Theil  sind  die  Zusätze  aus  dem  vertieften  Stu- 
dium des  Verfassers  hervorgegangen,  dessen  kirchengesehicht- 
liche  und  kirchenrechtliche  Gelehrsamkeit  Autoritäten  wie 
Calvin,  Beza,  Fagius,  Paraeus,  Perkins,  Ptivetus,  Grotius,  Sei- 
den in  erhöhtem  Masse  heranzieht,  sei  es  um  sich  auf  sie  zu 
stützen,  sei  es  um  gegen  sie  zu  polemisiren.  Zum  Theil  kommen 
die  Zufügungen  aber  auf  Rechnung  des  überlegenden,  ge- 
schmackvollen Schriftstellers,  der,  im  Bewusstsein  für  eine  wich- 
tige Sache  aufzutreten  und  von  der  Grösse  seines  Berufes  er- 
füllt, sich  nicht  so  leicht  an  den  Erzeugnissen  seiner  Feder 
genügen  liess.  Er  schöpft  dies  zweite  Mal  mit  volleren  Händen 
aus  den  Schätzen  der  antiken  Literatur  und  schmückt  seine 
Rede   namentlich   durch  Berufung   auf  seinen  Lieblingsautor, 


172  Erste  Schrift  über  die  Ehescheidung. 

Plato  (z.  B.  S.  89  „But  still"  -  91  .,reacl  of-,  98  „Let  no" 
—  99  „down").  Er  fügt,  um  das  Auge  des  Lesers  zu  er- 
quicken, bunte  poetische  Fiiden  in  das  graue  Gewebe  seiner 
Beweisführung  ein,  wie  denn  die  „Liebesgeschichte-'  von  Eros 
und  Anteros  erst  der  zweiten  Auflage  (L  6)  angehört.  Er  feilt 
an  einzelnen  Wendungen  und  Ausdrücken,  sei  es  um  kleine 
Unebenheiten  zu  beseitigen  oder  seiner  Periode  durch  Füllung 
einen  schöneren  Wohlklang  zu  geben  (z.  B.  S.  81  b.  d.  Ueber- 
setzung  a.  d.  Hebräischen,  85  Z.  7  v.  u.  ist  ,,under  —  com- 
fort"  zugesetzt,  S.  82,  Z.  5  v.  o.  „and"  statt  ,,for"  etc.).  Häufig 
erscheint  seine  Meinung  verschärft,  niemals  abgeschwächt. 
]\Ian  erhält  durch  die  Vergleichung  Gelegenheit  in  die  Werk- 
statt seiner  Gedankenarbeit  zu  blicken,  und  die  Prüfung  fällt 
nur  zu  Gunsten  des  kundigen  Meisters  aus(^). 

Auch  der  Titel  dieser  zweiten  Ausgabe  lautet  etw'as 
anders:  „Die  Lehre  und  Wissenschaft  von  der  Ehescheidung 
zum  Besten  beider  Geschlechter  aus  den  Banden  des  kano- 
nischen Rechtes  und  anderer  Irrthümer  wiederhergestellt  nach 
der  wahren  Meinung  der  Schrift  durch  Vergleichung  des 
alten  und  neuen  Testaments,  wobei  zugleich  dargestellt  wird, 
wie  schlimme  Folgen  es  hat,  das  als  Sünde  zu  verbieten  und 
zu  verdammen,  was  Gottes  Gesetz  erlaubt,  und  Christus  nicht 
verboten  hat"  u.  s.  w.  {^).  Will  man  dem  Autor  gerecht 
,  Averden,  so  wird  man  gut  thun,  seine  Ansicht  in  dieser  aus- 
gebildeten Form  zu  hören.  —  Man  wird  geneigt  sein,  vor  allen 
Dingen  zu  fragen,  ob  sich  in  der  Schrift  nicht  Aufschlüsse 
über  sein  eigenes  Schicksal,  autobiograiihische  Bekenntnisse 
voi-finden.  In  der  That  kommen  Stellen  vor,  die  ganz  und 
gar  den  Eindruck  machen,  als  habe  der  Verfasser  seine  eigenen 
tragischen  Eifahrungen  bei  der  Niederschrift  vor  Augen  gehabt. 
„Auch  ein  vorsichtiger  Mann",  heisst  es,  „kann  in  seiner  Wahl 
irren  .  .  die  elirbarsten  und  tugendhaftesten  sind  in  diesen 
Dingen  am  wenigsten  geübt,  und  wer  weiss  nicht,  dass  die 
schamhafte  Schweigsamkeit  einer  Jungfrau  oft  nur  die  Hülle 
einer  angeborenen  Träglieit  und  Stumpfheit  ist,  die  ein  Hin- 
derais  für  jeden  vertrauten  Verkehr  (conversation)  bildet? 
Auch  wild  die  Freiheit  des  Zutritts  nicht  gewährt  oder  gewagt. 


Selbstbekenntnisse.  173 

durch  die  man  sich  ein  genaues  Urtheil  bihlen  könnte,  bis 
es  zu  spät  ist;  und  taucht  irgend  ein  Argwohn  gegen  die 
Charakterverschiedenheit  auf,  was  ist  gewöhnlicher,  als  die 
Ueberredung  der  Freunde,  bei  näherer  Bekanntschaft  werde 
sich  alles  bessern?  Endlich  ist  es  sehr  erklärlich,  dass  die, 
welche  ihre  Jugend  züchtig  verlebt  haben,  in  manchem  nicht 
sehr  scharfsichtig  sind  und  es  doch  sehr  eilig  halien,  die 
Hochzeitsfackel  anzuzünden.  Soll  nun  ein  Mann  um  seines 
keuschen  Irrthumes  willen  sein  ganzes  Lebensglück  verwirken 
und  aller  Mittel  der  Erlösung  beraubt  sein?  Die,  welche  am 
lockersten  gelebt  hab^n,  sind  meist  in  Folge  ihrer  kecken 
Gewohnheiten  sehr  glücklich  in  ihrer  Wahl,  weil  ihre  wilden, 
wechselnden  Leidenschaften,  wie  eben  so  viele  Ehescheidungen, 
ihnen  Erfahrung  gegeben  haben.  Der  Mann  von  strengen 
Grundsätzen  dagegen,  der  den  Schein  der  Züchtigkeit  ehrt 
und  unter  ihrem  Schleier  jede  gesellige  Tugend  zu  finden 
hofft,  kann  leicht  betrogen  werden,  wenn  auch  nicht  mit 
einem  unfruchtbaren  Körper,  so  doch  mit  einem  Geist,  der 
sich  für  jeden  anderen  idealen  Verkehr  (due  conversation) 
unzugänglich  und  für  die  höchsten  Zwecke  der  Ehe  kalt  und 
todt  erweist.  Und  was  für  ein  Glück,  was  für  eine  Hilfe 
solch'  eine  Gefährtin  für's  Leben  dem  Manne  gewährt,  das  ist 
weniger  schmerzlich  zu  vermuthen .  als  zu  erfahren". 
(S.  26).  Noch  deutlicher  scheint  eine  andere  Stelle  auf  eigene 
Herzenserfahrangen  hinzuweisen:  ,,"Wenn  ein  Mann  seine  Ju- 
gendjahre makellos  verlebt  und  seine  Hoffnungen  auf  die 
höchsten  irdischen  Freuden  für  eine  glückliche  Ehe  aufge- 
spart hat,  .  .  wenn  ein  solcher  sich  nun  an  einen  unver- 
söhnlichen Misston  der  Natur  gebunden  sieht  und  in  der, 
welche  er  als  Genossin  süsser  und  trauter  Gemeinschaft  er- 
träumt hatte,  ein  Bild  aus  Thon  und  Phlegma  erkennt,  wenn 
ihm  keine  Hoffnung  gelassen  ist,  die  Fessel  zu  brechen,  dann 
wird  er,  und  sei  er  auch  der  gläubigste  Christ,  an  der  Tugend 
verzweifeln  und  mit  Gottes  Vorsehung  hadern".  (S.  31). 
Einen  ähnlichen  Ausbruch  verzweifelter  Stimmung  lassen  die 
"Worte  durchblicken,  dass  der  beständige  Anblick  getäuschter 
Hoffnungen  ohne    die  Möglichkeit    einer  Heilung  den  Betro- 


174  Selbstbekenntnisse. 

genen,  „zumal  wenn  er  von  Natur  zur  Melancholie  geneigt  ist," 
in  einen  Zustand  versetzen  müsse,  nicht  unähnlich  dem  „der 
Verworfenen."  (S.  24). 

Man  bemerke,  dass  diese  Andeutungen  persönlichen 
Leides  sich  immer  auf  ein  und  dei'selben  Grenze  bewegen. 
Auf  das  sittliche  Verhalten  der  Frau,  welche  die  Ursache 
dieses  Leides  ist,  wird  auch  nicht  der  leiseste  Schatten  ge- 
worfen. Ihrer  Weigerung ,  in  das  Haus  des  Gatten  zurückzu- 
kehren, ihrer  „Desertion",  wird  nicht  gedacht  und  kann  nach 
der  Zeit,  in  welcher  die  Schrift  zuerst  abgefasst  wurde,  noch 
gar  nicht  gedacht  werden.  Es  ist  immer  und  einzig  die  Klage 
ü])er  die  Unmöglichkeit  „passenden  und  gleichartigen  Ge- 
dankenaustausches" (fit  and  matchable  couversation),  über 
die  „Unvereinbarkeit  zweier  Geister",  über  die  „Fesselung 
einer  lebenden  Seele  an  einen  todten  Körper",  in  welcher 
sich  der  in  seinen  idealen  Erwartungen  Betrogene  gleichsam 
gefällt.  Er  wird  nicht  müde  auszumalen,  wie  nur  unver- 
söhnlicher, gegenseitiger  Hass  die  Folge  sein  kann,  wie  alle 
guten  Eigenschaften  bei  solchem  Zustand  zu  Grunde  gehen 
müssen,  und  ein  „edler  Geist'"  für  alle  seine  Handlungen  die 
rechte  Spannkraft  verliert.  Denn  für  einen  solchen  giebt  es 
keine  grössere  Unbill,  als  „nicht  geliebt  und  doch  gefesselt 
sein".  Solche  Klagen,  die  doch  zum  grossen  Theil  Selbstan- 
klagen sind,  machen  um  so  eher  den  Eindruck  tiefster  Empfin- 
dung, mit  je  wärmeren  Farben  im  Gegensatz  das  Bild  wahrer 
Lie])e  und  die  Seligkeit  ehelichen  Zusanunenseins  ausgemalt 
wird.  AusPlatound  der  Bibel  schöpft  auch  hier  der  klassisch 
gebildete  Puritaner  seinen  Begriff  der  Liebe.  Sie  ist  das 
Kiijtl  der  Armuth,  vom  Uebei-fluss  im  Garten  des  Jupiter 
erzeugt.  Sie  ist  stärker  als  der  Tod,  viele  Wasser  können 
sie  nicht  löschen,  noch  die  Ströme  sie  ertränken.  Sie  ent- 
springt aus  der  brennenden  Sehnsucht  des  Einsamen.  Ihr 
Wesen  besteht  nicht  im  Anreiz  sinnlicher  Lust,  sondern  in 
„dem  reinen  und  natürlichen  Wunsche,  sich  in  ehelicher  Ge- 
meinschaft mit  einer  zum  Umgang  passenden  Seele  zu  ver- 
binden". 


Absicht  des  Autors.  175 

Mlton  mochte  diesen  und  jenen  Satz  aus  der  Tiefe  per- 
sönlichen Empfindens  herausschreiben,  aber  nicht  deshalb 
hatte  er  die  Feder  ergritfen,  um  vor  der  Welt  ein  sentimentales 
Schauspiel  aufzuführen.  Was  er  litt,  hatten  Hunderte  vor 
ihm  gelitten  und  mussten  Hunderte  nach  ihm  leiden,  wenn 
das  Gesetz  nicht  Abhilfe  gewährte.  Noch  waren  auch  unter 
den  protestantischen  Schriftstellern  diejenigen  in  der  Minder- 
zahl, welche  bei  der  Lehre  der  Ehescheidung  der  milderen 
Ansicht  huldigten  und  den  Rahmen  der  Scheidegründe  mannich- 
fach  erweitert  hatten.  Unter  diesen  war  unüberwindliche  Ab- 
neigung —  eben  das,  was  Milton  hervorhob,  —  nur  ganz 
vereinzelt  als  zulänglich  erachtet  worden,  und  es  konnte  als 
ein  Wagnis  gelten,  diese  freie  Auffassung  mit  offenem  Visier 
zu  vertheidigen ,  geschweige  denn  den  Anschluss  der  Gesetz- 
gebung zu  fordern.  Das  englische  Eherecht  vollends,  obwohl 
es  mit  dem  Sakramentsbegriff  gebrochen  hatte,  hielt  in  der 
Lehre  über  die  Scheidung  an  der  kanonischen  Theorie  fest, 
indem  es  das  giltig  geknüpfte  Eheband  als  unlösbar  be- 
trachtete und  nur  in  gewissen  Fällen  wie  Ehebruch,  bösliche 
Verlassung  u.  a.  eine  dauernde  oder  zeitige  Trennung  von 
Tisch  und  Bett  durch  das  geistliche  Gericht  verstattete  (^). 
El)en  dies  war  genug,  um  Milton  zu  reizen.  Mit  Feuer 
ergriff  er  den  Gedanken,  sein  persönliches  Unglück  zu  einer 
Quelle  des  Heiles  für  seine  Mitbürger  zu  machen,  sie  mit 
derselben  tiefernsten  Ueberzeugung  zu  erfüllen,  welche  unter 
Schmerzen  in  ihm  selbst  gewachsen  war.  Idealist  in  grösstem 
Stile,  wie  er  es  nun  einmal  war,  setzte  er  sich  über  alle 
praktischen  Erwäg-ungen  und  Bedenken  hinweg  und  hatte 
nur  den  einen  Gedanken  der  Reform  im  Auge,  mit  dem  er 
sich  schmeichelte,  wenn  er  Eingang  in  die  Gesetzgebung 
fände,  „auf  ein  Mal  mit  sanfter  Hand  zehntausend  Thränen 
aus  dem  Leben  der  Menschen  auszuwischen." 

Nichts  war  natürlicher,  als  dass  er  in  der  zweiten  Auf- 
lage seinen  revolutionären  Vorschlag  der  Aufmerksamkeit  der 
beiden  höchsten  gesetzgebenden  Versammlungen  des  Staates 
und  der  lürche,  dem  Parlament  und  der  Synode,  empfahl  und 
nichts   angemessener,   als  dass  er  dabei   die  grosse  politische 


J76  Absicht  des  Autors. 

Bedeutimg  der  Frage  hervorhob.  Die  bürgerliche  Freiheit 
schien  ihm  undenkbar  ohne  die  häusliche  Freiheit  als  ihre 
Grundlage.  Und  diese  hinwieder  galt  ihm  als  nichtig,  wenn 
der  j\Iann,  zu  einer  Ehe  wider  Willen  verurtheilt,  die  „un- 
würdigste Knechtschaft  tragen  muss".  ,,Kein  Gewaltstreich 
der  Tyrannei  kann  das  Gemeinwesen  schwerer  treffen,  als 
dies  häusliche  Unglück  die  Familie.  Sagt  nur  allen  Hoffnungen 
einer  wahren  Reform  des  Staates  Lebewohl,  so  lange  ein 
solches  Uebel  unerkannt  und  unbeachtet  in  unseren  Häu- 
sern sitzt,  von  dessen  Beseitigung  nicht  nur  das  geistige 
und  sittliche  Leben  unserer  Erwachsenen,  sondern  auch  die 
geordnete  und  sorgsame  Erziehung  unserer  Kinder  abhängt". 
„Es  ist  unerspriesslich  und  gefährlich  für  das  Gemeinwohl, 
wenn  das  Hauswesen,  aus  dem  die  Kraft  und  der  Muth  zu 
allen  öffentlichen  Unternehmungen  erblühen  muss,  zwieträchtig 
und  schlecht  bestellt  ist."  In  diesem  Sinn  konnte  Milton 
später  bei  einem  Rückblick  auf  seine  schriftstellerische  Thätig- 
keit  in  der  Frage  der  Ehescheidung  wiederum  mit  leiser  An- 
deutung eigener  Erfahrungen  betonen,  dass  er  es  für  um  so 
nöthiger  gehalten  habe,  sich  ihr  zuzuwenden,  weil  „damals 
Mann  und  Frau  oft  in  l)itterster  Feindschaft  unter  einander 
lebten,  er  daheim  mit  den  Kindern,  sie  im  Lager  der  Gegner, 
von  wo  sie  dem  Gatten  Tod  und  Verderben  drohte"  (^). 

Indem  er  sich  nun  anschickte,  einer  gründlichen  Reform  des 
Scheidungsrechtes  das  Wort  zu  n-den  und  die  Vertreter  dei-  Na- 
tion aufforderte,  die  Gesetzgebung  über  die  Ehe,  ,,dies  Erbbesitz- 
thum  und  Freigut  der  Menschheit,  diese  natürliche  Freiheits- 
urkunde des  Hauses,  aufs  neue  zu  prüfen",  stiess  er  sich 
wenig  daran,  dass  er  der  geheiligten  Tradition  von  Jahrhun- 
derten in's  Gesicht  schlug.  Er  wusste,  dass  „die  Gewohn- 
heit unter  allen  Lehrern  und  Meistei-n,  die  jemals  gelebt 
haben,  derjenige  ist,  welcher  die  meisten  Schüler  in  Glauben 
und  Sitte  nach  sich  gezogen  hat",  und  dass  sie  im  Schutz- 
uiid  Trutzbündnis  mit  dem  In-thum  jeden  Fortschritt  ver- 
hindern würde,  wenn  sich  nicht  ab  und  zu  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  die  Vereinigung  „kluger  und  frommer"  Männer 
dagegen  ('rh(')he.     Freilich  verhehlte  er  sich  nicht,    dass  jeder 


Absicht  des  Autors.  177 

begabte  Verfechter  einer  Reforni  mit  den  Vorwürfen  des 
., Doktrinarismus",  der  „Laune",  der  „Neuerungssucht",  mit 
„tausend  müssigen  Redereien  und  Verdächtigungen"  verfolgt 
werde.  Aber  er  sagte  sich,  dass  „die  Wahrheit  durch  äussere 
Berührung  ebensowenig  besudelt  werden  könne  wie  der 
Sonnenstrahl,  dass  sie  immer  gleich  einem  Bastard  zur  Schande 
dessen,  der  ihr  das  Leben  gegeben,  zur  Welt  komme,  bis  die 
Zeit,  eher  die  Amme  ^Is  die  Mutter  des  Kindes,  es  gewaschen 
und  gebadet  habe". 

Von  besonderem  Vortheil  war,  dass  die  Tradition,  gegen  welche 
er  ankämpfte,  als  ein  Ausfluss  katholischer  Anschauungen  erschei- 
nen konnte,  und  unter  dieser  Firma  eben  damals  so  vieles  von  dem 
argwöhnischen  Puritanismus  verfolgt  wurde.  Milton  steht  denn 
auch  nicht  an,  von  diesem  dialektischen  Schachzug  den  ausge- 
dehntesten Gebrauch  zu  machen.  Das  „kanonische  Recht",  der 
„Wust  kanonischer  Unwissenheit"  sind  Schuld  an  der  Aufrecht- 
erhaltung tadelnswerther  Beschränkungen  selbst  unter  den 
Protestanten.  „Wagt  man  auch  nicht  mehr  zu  behaupten, 
dass  die  Ehe  ein  Sakrament,  dass  sie  ein  Mysterium  sei  .  ., 
so  bekleidet  man  sie  doch  mit  einer  so  furchterregenden 
Heiligkeit  und  verleiht  ihr  unzerreissbare  Ketten,  als  sollte 
sie  wie  eine  indische  Gottheit  verehrt  werden,  deren  Macht 
man  anbetet,  nicht  sowohl  weil  sie  segnet,  als  weil  sie  ver- 
nichten kann."  „Die  grösste  Last  in  der  Welt  ist  der  Aber- 
glaube, nicht  allein  der  Ceremonieen  in  der  Kirche,  sondern 
auch  der  eingebildeten  Sündenpopanze  zu  Hause  .  .  Der  Aber- 
glaube des  Papisten  ist:  Rühre  nicht  an,  koste  nicht,  wenn 
Gott  beides  erlaubt;  der  unsrige  ist:  Trenne  nicht,  scheide 
nicht,  wenn  Gott  und  die  Menschenliebe  es  gestatten,  ja 
heischen".  Und  wie  Milton  schon  früher  den  Schatten  Wiclif  s 
heraufbeschworen  hatte,  um  seine  Engländer  anzuspornen,  im 
Kampfe  für  die  Freiheit  der  Kirche  dieses  Namens  sich  würdig 
zu  zeigen,  so  erinnert  er  hier  neben  ihm  an  Willibrord,  Win- 
frid,  Alkuin,  ja  selbst  an  die  alten  Druiden,  auf  dass  Eng- 
land seines  alten  Vorzugs  nicht  vergesse,  die  Völker  zu  lehren, 
wie  man  leben  müsse  und  ein  grossartiges  Beispiel  gebe,  das 
weit  über  die  Ufer  des  Tweed  und  der  normannischen  Inseln 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  2.  j2 


178  Zweck  der  Ehe. 

nachwirken  werde.  Demselben  Zuge  nationalen  Stolzes  folgt 
er,  indem  er,  gegen  die  Gewohnheit  der  zeitgenössischen  Ge- 
lehrten, in  der  Muttersprache  schreilit.  Eben  dies  Gefühl 
dmckt  sich  in  dem  Wunsche  aus,  das  Parlament  möge  sich 
durch  Annahme  seines  Vorschlages  einen  ruhmvolleren  Titel 
verdienen,  als  ihn  einst  England's  Könige  von  der  Kurie 
empfangen  hatten.  Diese  uannten  sich  ,,Vertheidiger  des 
Glaubens",  jenem  winkt  der  Ehrennahme  „Vertheidiger  der 
Menschenliebe". 

Indess  mit  diesen  Mitteln  der  Rhetorik  war  noch  nichts 
gethau.  Es  war  nöthig,  Gründe  beizubringen,  um  die  beab- 
sichtigte Reform  des  Scheidungsrechtes  zu  vertheidigen.  Wer 
die  Ehe  selbst  als  die  idealste  Gemeinschaft  auffasste,  bei 
welcher  der  Zweck,  dem  Triebe  der  Sinnlichkeit  zu  genügen, 
die  Gattung  fortzupflanzen,  entschieden  zurücktrat  hinter  dem 
Zweck,  einem  „schönen  und  glücklichen  Geistes  verkehr"  zu 
dienen  und  den  traurigen  Zustand  der  Einsamkeit  durch  die  liebe- 
volle Gemeinschaft  von  zwei  gleichgesinnten  Seelen  zu  ersetzen, 
dem  konnte  es  nicht  schwer  werden,  aus  der  Natur  des  Ver- 
hältnisses selbst  Argumente  für  seine  Ansicht  zu  schöpfen. 
„Man  liest  uns  in  der  Liturgie  vor,  dass  wir  nicht  heiraten 
sollen,  um  der  fleischlichen  Lust  genug  zu  thun,  gleich  den 
sinnlosen  Thieren,  die  keinen  Verstand  haben",  aber  das 
Recht  der  Scheidung  ist  der  Art,  als  wäre  die  thierische 
Paarung  der  einzige  Zweck,  ,,das  Ehebett  die  Hauptsache  in 
der  Ehe".  Denn  die  Ehe  wird  als  nichtig  betrachtet,  „wenn 
die  Katur  das  Vermögen  der  Sinnlichkeit  gehemmt  oder  zer- 
stört hatte",  aber  das  Band  soll  unauflöslich  bleiben,  wenn 
es  zweifellos  ist,  dass  in  Folge  der  Unvoi-träglichkeit  zweier 
Naturen  Friede  und  Glück  nicht  erlangt  werden  können. 
Diese  Ansicht  dünkt  Milton  ,,roli  und  p()lielhaft".  Er  sieht 
in  ihr  „eine  frevelhafte  Barbarei  sowohl  gegen  die  Ehre  der 
Ehe,  als  die  Würde  des  Menschen  .  .  gegen  die  Grösse  des 
Christentimms  und  alle  menschliclion  Rücksichten  der  Kultur". 
Er  stellt  allen  Gcsetzesl)cstinnnungen  ein  Gesetz  entgegen, 
„älter  und  tiefer  begründet  als  die  Ehe  selbst,  keinen  Zwang 
auszuüben    geuen    (Vw   oline  Sclmld    liogebonon  Eigenthümlich- 


Die  Ehe  ein  Vertrag.  179 

keiten  der  Natur",  (S.  17)  er  spricht  es  mehr  als  ein  Jahr- 
hundert vor  Rousseau  mit  Rousseau'scher  Kühnheit  aus :  „Was 
gegen  die  Natur  ist,  ist  gegen  das  Gesetz"  (S.  85). 

Diesen  mehr  philosophischen  Betrachtungen,  welche  sich 
an  die  etwas  schwankende  Begriffsbestimmung  der  Ehe  an- 
schlössen, wie  Miltons  Idealismus  sie  wollte,  war  schon  hie 
und  da  ein  zweiter  Gedanke  von  etwas  grösserer  Schärfe  bei- 
gemischt gewesen ,  mit  welchem  andere ,  wie  namentlich 
Samuel  Pufendorf,  so  entschieden  er  übrigens  Milton  entgegen- 
trat, bei  der  Behandlung  dieses  Themas  besonders  operirt 
haben.  Die  Ehe  ist  nach- Miltons  klaren  Worten  ein  Vertrag  ('), 
„ein  solcher  kann  aber  keine  bindende  Kraft  halben  einem  ur- 
sprünglichen und  hauptsächlichen  Zweck  seiner  Eingehung 
und  dem  einer  oder  beider  der  übereinkommenden  Parteien 
zuwider."  Wird  also  durch  die  Ehe  nicht  erreicht,  was  als 
ihr  vornehmster  Zweck  angegeben  worden  ist,  so  muss  es 
erlaubt  sein,  den  Vertrag  wieder  aufzuheben.  Es  war  nicht 
sowohl  die  Schwierigkeit  der  juristischen  Konstruktion,  als 
die  Gewöhnung  an  die  religiöse  Denkweise,  welche  Milton 
hier  indess  nicht  zu  voller  Klarheit  durchdringen  Hess.  Gegen 
den  Sakramentsbegriff  der  Ehe  hatte  sein  puritanischer  Sinn 
sich  gewehrt,  aber  je  höher  er  ihre  ethische  Bedeutung  auf- 
fasste,  desto  weniger  konnte  er  sich  dazu  entschliessen,  das 
Institut  ganz  und  gar  vom  religiösen  Boden  loszulösen.  Er 
betont,  dass  es  durch  ,, Gottes  Fügung  gegeben  sei",  dass  es 
auf  „Gottes  Einsetzung"  zurückgehe  und  bezieht  sich  auf  die 
biblischen  Einsetzungsworte  (S.  23,  46).  Andrerseits  legt  er 
Gewicht  darauf,  dass  die  Ehe  als  „eine  menschliche  Gemein- 
schaft" (human  society  S.  52)  betrachtet  werde  und  zieht  daraus 
alle  die  Schlüsse,  zu  denen  er  sich  nach  der  Vertragstheorie 
für  berechtigt  hielt.  Eine  klare  Vereinigung  beider  Anschau- 
ungen war  ihm  nicht  möglich.  Es  war  nur  ein  in  den  Augen 
der  Frommen  bedenklicher  Nothbehelf,  wenn  er  auch  solche 
Verträge  für  zerreissbar  erklärte,  die  unter  Gottes  Mitwirkung 
oder  selbst  zwischen  Gott  und  den  Menschen  geschlossen 
waren,  woferne  der  von  ihm  beabsichtigte  Zweck  nicht  erreicht 
würde.     Im   vorliegenden  Falle  fand  er  diesen   aber  ganz   in 

12* 


180  Die  Ehe  eiu  Vertrag. 

seinem  Sinne  ausgedrückt  durch  die  Worte:  „Es  ist  nicht 
gilt,  dass  der  Mensch  allein  sei;  ich  will  ihm  eine  Gehülfin 
machen,  die  lim  ihn  sei'\  Worte,  die  sich  ganz  und  gar  mit 
seiner  Auflassung  des  vornehmsten  Zieles  ehelicher  Gemein- 
schaft zu  decken  schienen.  So  wenig  nun  auch  das  Bestreben, 
die  theologische  und  die  moderne  Ansicht  zu  vereinigen,  ge- 
lingen konnte,  so  wirksam  musste  es  sich  erweisen,  dass  jene 
nicht  mehr  allein  das  Feld  beherrschte.  „Wer  heiratet,  — 
heisst  es  in  der  Widmung,  —  beabsichtigt  so  wenig,  sich  zu 
seinem  eigenen  Verderben  zu  verschwören,  als  derjenige, 
welcher  Treue  und  Gehorsam  schwört,  und  wie  sich  ein  ganzes 
Volk  zu  einer  schlechten  Regierung  verhält,  so  der  einzelne 
Mensch  zu  einer  schlechten  Ehe.  Wenn  jenes  nach  dem  sou- 
veränen Gesetz  der  Liebe  (the  sovereign  edict  of  charity) 
gegen  Autorität,  Vertrag,  Statut  nicht  allein  sein  Leben, 
sondern  auch  seine  billigen  Freiheiten  vor  unwürdiger  Knecht- 
schaft schützen  darf,  so  kann  dieser  eben  so  wohl  gegen  einen 
Privat- Vertrag,  den  er  nie  zu  seinem  Unheil  eingehen  wollte, 
sich  aus  unerträglichen  Qualen  in  einen  billigen  Frieden  und 
gute  Euhe  retten"  (S.  9).  Man  sieht,  wie  sich  die  freien,  auf 
die  Vertragstheorie  basirten  Grundsätze  des  politischen  und 
liäuslichen  Gebietes  berühren,  wennschon  an  dieser  Stelle 
hinzugefügt  wird,  „dass  Gott  auch  gegen  den  Tyrannen  nie 
ausdrückliche  Erlaubnis  des  Widerstandes,  sondern  nur  Ver- 
nunft, Liebe,  Charakter  und  gute  Beispiele  zur  Vertheidigung 
verliehen  habe." 

Alle  die  vorgebrachten  Erwägungen  waren,  wenn  man  so 
will,  rechtsphilosophischcr  Art.  Zu  einer  Zeit  und  unter 
einer  Nation,  die  gewohnt  gewesen  wäre,  sich  auf  diesen 
Boden  zu  stellen,  hätten  sie  genügen  können.  In  der  ersten 
Hälfte  des  siebzelniten  .lahi-hunderts,  inmitten  der  Strömung 
des  englischen  Puritanisnuis,  erschienen  sie  unzureichend. 
Auch  war  die  ganze  Gedankenrichtung  Milton's  der  Art,  dass 
es  ihm  in  erster  Linie  darauf  ankommen  musste,  seine  Ansicht 
auf  andere  Weise  zu  begründen.  Wie  für  die  Frage  der 
Veifassuiigsreform  (kn-  Kirche,  so  für  die  Frage  einer  Beform 
der  I';iiegesetzge])ung  gilt  ihm  eines  vor  allem  als  beweisend: 


Das  mosaische  Recht.  181 

die  Bibel.  Er,  der  überall  sonst  die  Tyrannei  des  Buchstabens 
zu  brechen  sucht,  bleibt,  wie  die  meisten  seiner  Vorgänger 
des  sechzehnten  Jahrhunderts,  an  den  Buchstaben  der  Bibel, 
als  eines  Buches  von  göttlichem  Ursprung,  gebunden.  Und 
wenn  ersieh  früher  gegen  die  Ueb  ertragung  alttestamentarischer 
Vorschriften  auf  die  modernen  Verhältnisse  verwahrt  hatte, 
weil  damals  seine  Sache  darunter  gelitten  hätte,  so  wagt  er 
es  hier,  die  Kluft  der  Jahrtausende  zu  überspringen,  weil  ihm 
das,  was  ihm  als  Gesetz  Mosis  galt,  ein  Mittel  an  die  Hand 
gab,  seinen  Reformgedanken  unter  dessen  ehrwürdigen  Schutz 
zu  stellen.  Es  giebt  schwerlich  eine  zweite  Schrift  Milton's, 
in  welcher,  trotz  des  muthigen  Widerspruches  gegen  den  bloss 
äusseren  Schein  konventioneller  Anständigkeit,  das  humanistische 
Element  seiner  Bildung  so  sehr  hinter  dem  biblischen  zurück- 
träte, der  Jünger  der  Renaissance  so  sehr  von  dem  Jünger 
des  Puritanismus  überholt  würde,  wie  diese.  Denn  anders  ist 
es  nicht:  er  versucht  jenes  alte  Gesetz  des  Deuteronomiums, 
das  ihn  ein  „höchst  nothwendiges,  höchst  liebevolles"  zu  sein 
dünkt,  wieder  in  Erinnerung  zu  rufen,  ja  nachzuweisen,  dass 
es  nur  „unter  dem  Kehricht  kanonischer  Unwissenheit"  ver- 
graben gewesen,  aber  niemals  „von  dem,  der  einzig  die  Befugnis 
dazu  gehabt  hätte,  widerrufen  worden  sei".  Dieser  Gegenstand 
ist  es,  um  den  sich  seine  ganze  Schrift  dreht,  da  ihm  der 
Muth  fehlt,  die  Krücke  des  Bibelwortes  wegzuwerfen.  Der 
Mann  soll  das  Recht  haben,  der  Frau  einen  Scheidebrief  zu 
geben,  wenn  sie  nicht  Gunst  in  seinen  Augen  findet,  und  er 
etwas  Missfälliges  an  ihr  entdeckt,  das  ist  die  Bestimmimg, 
die    er  zur    biblischen  Grundlage    seines  Vorschlages    macht. 

Er  sellist  denkt  freilich  nicht  daran,  diese  Bestimmung  im 
weitesten  Sinne  zu  nehmen,  sondern  versteht  unter  dem  „Miss- 
fälligen" eben  jene  Ursachen  der  Al)neigung,  durch  deren 
Vorhandensein  nach  seiner  Ansicht  der  Hauptzweck  der  Ehe- 
gemeinschaft verfehlt  wird.  Indessen  verhehlt  er  sich  nicht, 
dass  der  \Yortlaut  des  Gesetzes  auch  irgend  welchen  physi- 
schen Gegenstand  des  Missfallens  in  sich  schliessen  und  daher 
leicht  zum  „Deckmantel  schlechter  Absichten"  werden  kann. 

Immerhin  konnte  schon  die  Idosse  Beziehung  auf  ein  Gesetz, 


k 


182  Das  mosaische  Eecht. 

(las  aiif  einer  weit  zunickliegenden  Kulturstufe  gegeben,  in 
ganz  abweichenden  socialen  Verhältnissen  einige  natürliche 
Korrective  fand,  für  die  Gegenwart  zu  den  bedenklichsten 
Schlüssen  führen.  In  England  zumal  waren  damit  jedem 
Gegner  der  Reform  bequeme  Waffen  in  die  Hände  gegeben, 
da  man  noch  immer  nicht  müde  wurde,  der  liehre  der  Fami- 
listen,  die  an  Heinrich  Niclaes'  Namen  anschloss,  im  Zusammen- 
hang mit  Anabaptisten  und  Antinomianern  schwere  sittliche 
Vorwürfe  zu  machen  (').  Milton  war  sich  dieser  natürlichen 
Schwäche  seines  Ständpunktes  wohl  bewusst  und  war  darauf 
bedacht,  möglichen  Angriffen  von  vornherein  die  Spitze  abzu- 
brechen. Xicht  ohne  Gewandtheit  sucht  er  gerade  das  Dasein 
excentrischer  Lehren  jener  Sekten  zu  seinem  Vortheil  auszu- 
beuten. Indem  er  jedes  vorschnelle  Urtheil  über  ihre  „fana- 
tischen Träume",  die  so  vielfach  missverstanden  wurden,  ver- 
meidet und  darauf  aufmerksam  macht,  dass  diese  Sektirer 
von  Haus  aus  meistens  ,,sehr  religiös  und  keineswegs  aus- 
schweifend" seien,  giebt  er  zu  bedenken,  ob  nicht  ihre  zum 
Sinnentaumel  führenden  Doktrinen  hauptsächlich  „aus  der 
Einschränkung  einer  gewissen  gesetzmässigen  Freiheit"  ent- 
springen möchten,  ,, welche  den  Menschen  gegeben  werden 
sollte  und  die  ihnen  verweigert  wird"  (I,  14).  Er  betont,  dass 
gerade  die  bestehende  Gesetzgebung  Unzucht  und  Ehebruch 
befördere,  dass  gerade  unter  der  Herrschaft  des  Katholicismus, 
der  an  der ^ Unauflöslichkeit  der  Ehe  festhalte,  die  gröbste 
Unsittlichkeit  nichts  Seltenes  sei.  „Wer  die  vernünftige  Seele 
des  Menschen  durch  Gesetze  weise  bescluänken  will,  der 
mußs  zuerst  sell)st  davon  Kunde  haben,  wie  weit  das  Gebiet 
rechtmässiger  Freiheit  reicht".  „Ehrliche  Freiheit  ist  die 
grösste  Feindin  ehrloser  Frechheit".  Gesetze  dürfen  nicht 
„auf  Wesen  von  heroischer  Tugend",  sie  müssen  auf  den 
,,Mittelsclilag  von  Mensclien"  bei'echnet  sein.  Andernfalls 
führen  sie  zu  Heuchelei,  zu  „erzwungener  Tugend,  die  einem 
über  (las  Ziel  hinausgeschosson(m  Pfeile  gleicht",  zu  einer  aus 
Verkennung  der  menschlichen  Katur  hervorgehenden  Tyrannei^ 
die  sich  früher  oder  später  in  einem  „plötzlichen,  breiten 
Ausbruch  offenen  Lasters"  rächen  wird.     Wir  leben   nun  ein- 


Daa  mosaische  Recht.  133 

mal  nicht  mehr  im  Paradiese  „und  dürfen  uns  folglich  nicht 
alles  das  zutrauen,  was  dem  verlorenen  Paradiese  angehört"  (^). 
Der  Staat  masse  sich  daher  nicht  an,  durch  Zwang  das  Mar- 
tyrium einer  unglücklichen  Ehe  aufrecht  zu  halten,  sondern 
er  mache  sich  den  Grundgedanken  des  weisen  mosaischen 
Gesetzes  zu  eigen,  die  Frage  des  Scheidens  dem  Urtheil  des 
individuellen  Gewissens  zu  überlassen,  und  sorge  nur  fiir  die 
Auflösung  ,, unter  billigen  Beding-ungen".  Wenn  er  so  handelt, 
dann  „werden  die  Orte  der  Prostitution  weniger  besucht,  das 
Bett  des  Nachbarn  wird  weniger  gefährdet  sein,  dem  Joche 
einer  weisen  und  männlichen  Zucht  wird  man  sieh'  allgemein 
fügen,  ein  ehrbares  und  wohlgeordnetes  Leben  wird  im  Gemein- 
wesen erblühen".  Al)er  innner  wieder  wird  betont,  dass  das 
Gesetz  deshalb  mit  der  Sünde  keinen  Vertrag  schliessen,  dass 
..die  Gerechtigkeit,  die  Königin  der  Tugenden,  nicht  von 
ihrem  Herrschersitze  herabsteigen  soll,  um  sich  mit  dtr  Sünde, 
ihrem  rebellischen  Erbfeinde,  auf  unwürdige  Bedingungen  hin 
zu  vergleichen'-.  —  Auf  diese  Weise  sucht  Milton  einen  so 
nahe  liegenden  Einwurf  dem  Gegner  mit  doppelter  Münze 
zurückzugeben.  Seine  Aufgabe  wäre  leichter  gewesen,  wenn 
er  es  nicht  für  nöthig  gehalten  hätte,  sich  an  den  biblischen 
Ausspruch  zu  binden.  Nachdem  es  einmal  geschehen  war, 
sah  er  sich  selbst  gezwungen,  ihm  stillschweigend  sofort  eine 
vom  Wortlaut  abweichende,  beschränkende  Auslegung  zu 
geben. 

Indessen  diese  Schwierigkeit  war  noch  die  geringste,  eine 
weit  grössere  schien  durcli  die  Widersprüche  des  alten  und 
neuen  Testamentes  gel)Oten  zu  werden,  und  ]\Iilton,  der  sich 
auch  hier  von  der  l)il)lischen  Autorität  nicht  frei  zu  machen 
und  auf  einen  lediglich  philosophischen  Boden  zu  stellen  wagte, 
l)edurfte  sehr  sophistischer  Künste,  um  die  einzelnen  Stellen 
der  Schrift  unter  einander  in  Einklang  zu  bringen ,  die 
Aussprüche  des  Evangeliums  zu  retten  und  den  ange- 
zogenen Wortlaut  des  Gesetzes  darüber  doch  nicht  zu  ver- 
lieren. Man  kennt  jenen  Streit  der  Schulen  Hillel's  und 
Schammai's  über  den  Grund,  der  zur  Sclieidung  berechtige. 
Wenn  jene  in  Uebereinstimmung  mit  dem  Wortlaut  des  Ge- 


184  Biblische  Kritik. 

setzes  dem  Manne  die  Scheidung  um  jeder  INIissfälligkeit 
willen  gestatten  wollten,  so  suchten  diese  der  Willkür  des 
]\Iannes  dadurch  zu  steuern,  dass  sie  die  Worte  des  Gesetzes 
nur  auf  den  Fall  einer  sittlichen  Blosse  des  Weibes  be- 
schränken wollten.  Christus,  von  den  Pharisäern  um  seine 
Meinung  befragt,  stimmte  in  aller  Schärfe  sachlich  der  Schule 
Schammai's  bei,  und  dieser  Entscheid  liess  sich  auch  in  der 
Bergpredigt  finden.  Er  erklärte,  jenes  weitergehende  Gesetz 
sei  nur  um  der  Herzenshäi-tigkeit  des  jiidischen  Volkes  willen 
gegeben  worden  in  Abweichung  von  der  ursprünglichen  gött- 
lichen Absicht,  nach  welcher  Mann  und  Weib  ein  Fleisch 
sein  sollen.  —  Lauter  Fallstricke  auf  dem  Wege,  den  Milton 
zu  gehen  beabsichtigte!  War  wirklich  zwischen  den  Aus- 
sprüchen des  alten  und  neuen  Bundes  ein  so  schroffer  Wider- 
spruch vorhanden,  wie  konnte  sich  Milton  auf  jenes  für  seine 
Reform  vorschlage  berufen?  Und  weiter:  stand  wirklich  die 
göttliche  Verordnung  durch  Moses  so  sehr  im  Gegensatz  zum 
göttlichen  Willen  bei  Erschaffung  des  Menschen,  wurde  Gott 
selbst  nicht  dadurch  „zum  Urheber  der  Sünde"  gemacht? 

Milton  verschmäht  es,  durch  kleinliche  Ausflüchte  sich 
über  diese  Schwierigkeiten  hinwegzusetzen.  Er  verachtet  es, 
sich  mit  dem  Ausdruck  ,, Dispensation"  statt  „Gesetz"  zu  helfen, 
er  erklärt,  dass  von  einer  solchen  nur  bei  unwesentlichen 
Ceremonial- Satzungen  die  Rede  sein  könne,  er  bekämpft  die 
Ansicht,  die  Scheidung  sei  durch  das  Gesetz  erlaubt  aber 
nicht  gebilligt,  sie  sei  eine  ägyptische  Gewohnheit  gewesen, 
von  Moses  seinem  Volk  nur  widerwillig  nachgelassen,  und  was 
sonst  im  Laufe  dt^-  Jahrhunderte  vorgebracht  worden  war,  um 
die  Widersprüche  zu  heben.  Nach  seiner  Ansicht  muss  alles  an 
sich  auf's  schönste  zusammenpassen.  „Das  Gesetz  Mosis 
wusste,  was  es  erlaubte,  und  das  Evangelium  wusste,  was  es 
verbot",  aber  Gott,  dei-  in  beiden  redet,  hat  deshalb  nicht 
..zwei  Willen".  Es  kommt  nui-  darauf  an,  sich  von  der  „pe- 
dantischen Wortgläubigkeit"  frei  zu  machen  uiul  die  Aus- 
sprüche der  Bibel  richtig  zu  verstehen.  Und  nun  macht  sich 
sein  Rationalismus  daran,  in  sehr  gewaltsamer  W^Mse  ein  solches 
Verständnis  hcrbeizufühivii.  —  Zuerst  gnlt  es,  jene  göttlichen 


Biblische  Kritik.  185 

EiusetzuDgs\Yorte .  die  eine  Uiitrenubarkeit  der  Ehe  festzu- 
stellen schienen,  mit  dem  freien  mosaischen  Recht  in  Einklani>" 
zu  bringen,  der  Ansicht  entgegenzutreten,  als  habe  Gott  die 
„Sünde  in  die  Substanz  des  Gesetzes  einpfropfen  wollen",  als 
könne  „die  Sünde  in  den  nicht  strafenden,  gnädigen  Willen 
Gottes  eingeimpft  werden-'  (B.  IL  K.  3  a.  E.). 

Wenn  man  sich  erinnert,  dass  hiennit  die  Grundfrage  vom 
Ursprung  des  Uebels  gestreift  wurde,  mit  der  sich  die  Spekulation 
von  Jahrhunderten  beschäftigt  hatte,  dass  der  calvinistische 
Puritanismus  in  seiner  dogmatischen  Richtung  von  ihr  be- 
stimmt wurde,  und  dass  Miltons  unsterbliches  Gedicht  eben 
diese  Frage  zum  Gegenstand  hat,  so  wird  man  gespannt  sein 
zu  erfahren,  in  welcher  Weise  er  sich  an  dieser  Stelle  mit 
ihr  abfindet.  Man  kann  nicht  sagen,  dass  es  ihm  besser  ge- 
länge als  anderen,  das  Mysterium  dieses  Central-Dogmas  auf- 
zuhellen, sondern  nur  so  viel,  dass  er  sich  hier  noch  zu  den 
entschiedenen  Gegnern  des  Arminianismus  rechnet  (^).  Das  schien 
ihm  aber  eine  ganz  unerlaubte  Anwendung  der  Prädesti- 
nations-Lehre zu  sein,  dass  Gott  „seinem  heiligen  Volke'^ 
,, einen  Freibrief  für  das  ungewisse  Böse  um  des  gewissen  Guten 
willen"  solle  gegeben  haben.  Unter  diesen  Umständen  lilieb 
nur  eine  Erklärung  möglich:  jener  Ausspruch  ,.sie  werden 
ein  Fleisch  sein"  kann  nur  den  Sinn  haben,  dass  sich  auch 
die  Seelen  von  Mann  und  Weib  in  Uebereinstimmung  befinden, 
da  sie  sonst  zwei  ,.aneinandergeketteten  Leichnamen"  gleichen 
würden,  und  jener  Zusatz  Christi  ..was  Gott  zusammengefügt 
hat,  soll  der  Mensch  nicht  scheiden"  hat  die  Voraussetzung, 
dass  „die  Gemüther  von  INIann  und  Weib  zu  gegenseitiger 
Erquickung  und  Liebe  zu  einander  passen",  denn  gerade  zu 
diesem  Zweck  hat,  Gott,  welcher  dem  Manne  eine  „Gehülfin" 
geben  wollte,  jene  ..Zusammenfügung"  vorgenommen  (IL  16). 

Man  bemerkt  unschwer,  wie  sich  die  ganze  Darstellung  im 
Kreise  dreht  und  das  als  sicher  annimmt,  was  erst  bewiesen 
»werden  soll.  Das  aber  war  nun  ein  Mal  der  natürliche  INIangel 
einer  Methode,  welche  in  demselben  Augenblick  eine  Berufung 
auf  die  Bibel  für  unentbehrlich  hielt,  in  welchem  anderen 
eine  pedantische  Wortgläubigkeit    vorgeworfen    wurde.     Der 


185  Biblische  Kritik. 

Unterschied  ist  allerdings  nicht  zu  verkennen,  dass  Milton 
von  einer  sklavischen  Unterordnimg  unter  den  Wortlaut  der 
Bibel  weit  entfernt  ist.  Er  sucht  sich  an  hermeneutische 
Regeln  zu  halten  und,  gestützt  auf  sie,  die  ferneren  Schwierig- 
keiten zu  beseitigen,  welche  die  Aussprüche  des  neuen  Testa- 
mentes über  die  Frage  der  Ehescheidung  in  sich  schlössen. 
..Alle  Stellen  der  Schrift  deren  Buchstabe  zu  gerechten 
Zweifeln  veranlasst,  müssen  dadurch  erklärt  werden,  dass  man 
in  Betracht  zieht,  bei  welcher  Gelegenheit  jede  Sache  nieder- 
geschrieben ist  und  durch  den  Vergleich  mit  anderen  Text- 
stellen" (S.  58).  „Es  giebt  kaum  einen  Ausspruch  im  Evan- 
gelium, der  nicht  mit  Einschränkungen  und  Unterscheidungen 
gelesen  werden  muss,  um  richtig  verstanden  zu  werden",  denn 
„Christus  giel^t  nicht  volle  Erklärungen  oder  fortlaufende 
Reden,  sondern  seine  Aussprüche  sind  oft  einsilbig,  .  .  wie 
Perlen  hierhin  und  dorthin  verstreut"  (S.  113).  Wenn  Christus 
daher  die  Scheidung  für  unerlaubt  erklärt,  ausser  im  Fall 
des  Ehebruchs,  so  muss  man  bedenken,  dass  es  die  Pharisäer 
waren,  die  ihn  befragten,  ., welche  das  Gesetz  missdeuteten  und 
auf  jeden  kleinen,  streitigen  Grund  irgend  welcher  Art  aus- 
dehnten". Solchen  anmassenden  Versuchern  gegenüber  war 
es  nöthig  nachdrücklich  die  ,, negative  Seite  des  Gesetzes"  zu 
betonen,  al)er  unzweckmässig  „jene  natürlichen  und  ständigen 
Hindernisse  des  körperlichen  und  geistigen  Zusammenlebens" 
zu  berühren,  an  welche  das  mosaische  Gesetz  gleichfalls  ge- 
dacht hat.  Er  wandte,  wie  auch  in  anderen  Fällen,  „gleich 
einem  klugen  Arzte"  ein  Uebermass  gegen  das  andere  an,  um 
so  auf  die  richtige  Mitte  zurückzuführen  und  züchtigte  die 
Anmassung  der  Frager,  indem  er  sie  auf  das  paradiesische 
Muster  der  ersten  Einsetzung  der  Ehe  hinwies.  In  ähnlicher 
Weise  sucht  Milton  die  anderen  ihm  hinderlichen  Stellen  un- 
schädlich zu  machen.  Bei  den  Worten  „wegen  eurer  Hei'zens- 
Härtigkeit"  u.  s.  w.  hat  man  auf  das  „euer"  den  Nachdruck 
zu  legen,  denn  damit  sollten  nur  ironisch  die  Frager  genötliigt 
werden,  ,,ihre  eigene  unbegrenzte  Zügellosigkeit  zu  tadeln". 
Krsflieiiit  auch  gegeiuil)er  (k'ii  Jüngern,  wie  in  der  Berg- 
predigt, jene   strenge  Ansicht  nicht  zurückgenommen ,   so  hat 


Biblische  Kritik.  137 

man  zu  erwägen,  dass  sie  „von  derselben  hergebrachten  Frei- 
heit .  .  angesteckt  waren".  „Es  war  damals  nicht  Zeit  mit 
'ihrem  schwachen  und  voreingenommenen  Glauben  über  eine 
Sache  zu  streiten,  über  welche  einige  biblische  Erleuchtung 
mit  etwas  Aufmerksamkeit  von  ihrer  Seite  sie  später  genug- 
sam aufklären  konnte".  Auch  Hessen  Christi  Schlussworte  über 
seine  wahre  Meinung  k;einen  Zweifel:  „Das  Wort  fasset  nicht 
jedermann,  sondern  denen  es  gegeben  ist". 

Es  ist  nicht  nöthig  die  verschlungenen  Pfade  des  Milton'- 
schen  Rationalismus  weiter  zu  verfolgen ,  ihm  in  der  Ver- 
gleichung  mit  anderen  .biblischen  Stellen  nachzugehen,  seine 
Kritik  entgegenstehender  Ansichten  mitzumachen,  seine  Be- 
merkungen über  den  schwankenden  Sinn  des  Wortes  noqvda 
zu  wiederholen (').  Als  bezeichnend  für  seine  Methode,  in 
der  so  viel  Aengstlichkeit  mit  so  viel  Kühnheit  gepaart  ist, 
sei  nur  noch  darauf  hingewiesen,  dass  selbst  der  paulinische 
Ausspruch:  „Es  ist  besser  freien  als  Brunst  leiden",  sich  nicht 
auf  das  sinnliche  Verlangen,  sondern  auf  jene  reine  Sehnsucht 
nach  dem  Zusammensein  mit  einer  gleichgesinnten  Seele  be- 
ziehen lassen  muss.  Als  Ergebnis  bleibt  für  Milton  bestehen, 
dass  Gesetz  und  Evangelium,  weit  entfernt  davon  in  der  von  ihm 
behandelten  Frage  sich  zu  widersprechen,  vielmehr  einander 
bestärken.  „Moses  erlaubt  die  Scheidung,  aber  nur  in  Fällen, 
die  unversöhnbar  und  der  Trennung  mehr  benöthigt  sind  als 
Ehebruch.  Christus  verbietet  sie,  aber  nur  für  Fälle,  die  bei- 
gelegt werden  können  und  geringer  sind  als  Unzucht". 

Man  wird  es  begreiflich  finden,  dass  Milton  auf  seine 
philosophischen  und  theologischen  Ausführungen  nicht  ein 
förmliches  System  des  Ehescheidungsrechtes  folgen  lässt,  wie 
er  es  sich  vorstellt.  In  Wahrheit  kam  es  ihm  nur  darauf 
an,  den  Reform-Gedanken  anzuregen  und  theoretisch  zu  be- 
gründen. Sein  Geist  war  viel  zu  wenig  auf  die  praktischen 
Einzelheiten  gerichtet,  seine  Bildung  viel  zu  wenig  die  des 
scharfen  Juristen ,  als  dass  man  in  dieser  Beziehung  Voll- 
ständigkeit von  ihm  verlangen  dürfte.  Nirgends  sind  die 
anderen  etwa  denkbaren  Scheidungsgründe  übersichtlich  auf- 
gezählt,  wennschon  Religions- Verschiedenheit,  Nachstellungen, 


288  Un Vollständigkeit  der  Ausführungen. 

Unvermögen  gelegentlich  berührt  werden.  Niemals  wird  auf 
die  Frage  eingegangen,  was  aus  den  Kindern,  was  aus  dem 
Vermögen  der  Geschiedenen  werden  soll.  Scheidung  und  an- 
fängliche Nichtigkeit  werden  nicht  immer  klar  auseinander 
gehalten.  Eben  so  wenig  wird  zwischen  den  Fällen  unter- 
schieden, in  denen  das  Eheband  vollständig  gelöst,  oder  nur 
das  Zusammenleben  auf  bestimmte  oder  unbestimmte  Zeit 
aufgehoben  werden  sollte.  Eine  Mitwirkung  der  „Obrigkeit" 
bei  Streitigkeiten  über  INIitgift  und  Witthum,  eine  „Aufstellung 
gerechtei"  und  billiger  Bedingungen  durch  das  Gesetz"  (S.  121, 
125)  wird  allerdings  in  Aussicht  genommen,  und  so  sollte  man 
meinen,  dass  der  richterlichen  Entscheidung  alles  vorbehalten 
bliebe.  Aber  so  mächtig  ist  der  Einfiuss  der  alttesta- 
mentarisclien  Anschauung,  dass  Milton  trotzdem  „dem  Familien- 
haupte" die  Macht  zusprechen  will,  der  Frau  einen  Scheide- 
brief zu  geben.  Er  verlangt  allerdings,  —  ein  echt  pres- 
byteranischer  Zug  —  ,,dass  die  alte  Sitte  in  Gegenwart  des 
Geisthchen  und  würdiger,  ausgewählter  Aeltesten  beobachtet 
werde",  welche  den  Mann  ermahnen  sollen,  nicht  leichtfertig 
gegen  den  Geist  der  Worte  Christi  zu  handeln  (S.  129),  aber 
in  letzter  Linie  gestattet  dem  Mann  „die  Erhabenheit  seiner 
Schöpfung  in  dieser  Sache  sich  selbst  Gesetz  zu  sein,  da  er 
das  Haupt  des  anderen  Geschlechtes  ist,  welches  für  ihn  ge- 
schaffen worden"  (S.  123). 

Es  könnte  auf  den  ersten  Blick  den  Anschein  haben,  als 
sei  bei  diesem  Verfahren  auf  den  Schutz  des  Weibes,  „das 
der  Mann  nicht  kränken  darf",  besonders  Bedacht  genommen. 
„Es  würde  eine  unziemliche  Beleidigung  der  zurückgezogenen 
und  verschleierten  Keuschheit  dieses  Geschlechtes  sehi".  alle 
die  zarten  Angelegenheiten,  die  bei  der  Frage  einer  Scheidung 
in  Betracht  kommen  können ,  vor  einen  Gerichtshof  zu  ziehen 
und  „jenen  bezahlten  Meistern  im  Zungengefecht"  Preis  zu 
geben.  Besser  daher  eine  Verhandhing  in  den  vier  Wänden 
des  Hauses  vor  jenen  wenigen  Zeugen,  eine  „stillschweigende 
Entlassung".  Aber  in  Wahrlieit  verletzt  den  modernen  Leser 
der  Sclirift  Miltoiis  nichts  mehr,  als  die  Ilücksichtslosigkeit,  mit 
der  ei(hin-]iweg  die  Literessen  des  Weibes  beliandelt.  Schon  bei 


Die  Stellung  des  Weibes.  189 

einer  anderen  Gelegenheit  hatte  er  das  weibliche  Geschlecht 
als  das  „unvollkommenere"  bezeichnet  (i),  hier  kam,  ganz  ab- 
gesehen von  seinen  eigenen  Erfahrungen,  so  manches  zu- 
sammen, um  ihn  in  der  barbarischen  Ansicht  zu  bestärken, 
dass  es  keine  Gleichberechtigung  beanspruchen  könne.  War 
nicht  nach  der  Schöpfungs-Geschichte  das  ^Yeib  für  den  ]Mann 
geschaffen,  um  ihm  eine  Gehülfin  zu  geben?  War  sie  es  nicht, 
welche  „den  Verlust  des  Paradieses"  herbeiführte?  War  jenes 
alte  Gesetz  nicht  offensichtlich  zu  Gunsten  des  Mannes  gegeben? 
Es  war  kein  Zweifel  darüber  möglich.  Nichts  war  leichter 
als  die  Meinung  derer  z.u  widerlegen,  welche  behauptet  hatten, 
die  Scheidung  sei  eher  zu  Gunsten  der  Frauen  als  der  Männer 
gewährt  worden,  als  darzulegen,  dass  „Gott  in  seinem  Gesetze 
mehr  ]\Iitleid  mit  dem  Manne  als  mit  der  Frau  gehabt  habe'-. 
Man  kann  sogar  verfolgen,  wie  in  der  zweiten  Ausgabe  der 
Milton'schen  Schrift  ?  dieser  Gedanke  mit  besonderer  Liebe 
weiter  ausgearbeitet  worden  ist.  So  wird  denn  selbst  Hein- 
rich VIII.  bei  seinem  Verfahren,  „für  seine  häusliche  INIacht 
die  Befugnis  einer  rechtmässigen  Ehescheidung  in  Anspruch 
zu  nehmen"  nicht  getadelt.  Vielmehr  erscheint  die  ganze 
englische  Reformation  gleichsam  als  göttliche  Belohnung  dafür, 
dass  der  König  in  dem  einen  Punkt  der  Ehescheidung  zuerst 
die  römische  Tyrannei  entdeckt  hatte.  jNIit  hinlänglicher 
Klarheit  wird  ausgesprochen,  dass  eine  Zustimmung  der  Frau 
nicht  nothwendig  sei.  Allerdings  wird  sie  als  erwünscht  be- 
zeichnet (s.  0.  S.  170),  aber  „dem  Willen  und  der  Zustimmung 
beider  Parteien"  wird  ohne  Bedenken  der  Wille  „des  Ehemanns 
allein"  untergeschoben  (2).  Und  hier  geht  die  Sophistik  des 
Schriftstellers  so  weit,  dass  er  auch  dies  als  durchaus  nicht 
nachtheilig  für  die  Frau  darzustelfen  sucht.  „Denn  gesetzt  den 
Fall,  die  Frau  willigt  nicht  ein,  so  ist  die  Scheidung  ent- 
weder gerecht  und  also  verdient,  oder  ungerecht  .  .,  und  in 
diesem  Falle  ist  es  ein  Glück  von  einem  ungerechten  Mann 
getrennt  zu  werden".  —  Ueber  solchen  Härten  darf  man 
nicht  vergessen,  dass  an  anderen  Stellen  der  Schrift  laut  genug 
das  Gebot  der  Nächstenliebe  als  Norm  für  die  ganze  Ent- 
scheidung der  schwierigen  Frage  verkündigt  wird,   dass  nur 


190  I^i^  Stellung  des  Weibes.  —  Margarethe  Ley. 

ein  grosses  Piincip  ausgesprochen  werden  sollte,  dessen  Aus- 
führung im  einzelnen  der  Zukunft  vorbehalten  blieb.  Einer 
freieren  Auffassung  des  Scheidungsrechtes  Bahn  zu  brechen, 
blieb  die  Hauptsache.  Und  wie  sich  Milton  dafür  schon  hier 
u.  a.  auf  den  ihm  wohlbekannten  Hugo  Grotius,  „einen  Mann 
von  umfassender  Gelehrsamkeit",  berufen  konnte,  wie  der 
grosse,  vaterländische  Jurist  John  Seiden,  den  er  gleichfalls 
rühmend  erwähnt,  zwei  Jahre  nachher (^)  in  seiner  „Uxor 
Ebraica"  mit  mehr  Sachkenntnis,  Unbefangenheit  und  Vor- 
sicht die  verschiedenartigen  Auslegungen  der  biblischen  Stellen 
aneinanderreihte  (^),  so  hat  die  spätere  Gesetzgebung  der 
Völker  unsrer  Kultur,  wenn  auch  mit  grösserei-  Zurück- 
haltung, die  Bahnen  verfolgt,  welche  Milton's  prophetischer 
Blick  ihr  vorzeichnete. 

Es  lässt  sich  denken ,  welchen  Eindruck  es  in  Forest- 
hill  gemacht  haben  wird,  als  man  von  Milton's  schriftsteller- 
ischer Thätigkeit  erfuhr.  Nach  solchen  Vorgängen  musste 
die  junge  Frau  noch  mehr  in  dem  Wunsche  bertärkt  werden, 
von  der  Schwelle  des  erzürnten  Gatten  fern  zu  bleiben  und 
im  leichtlebigen  Kreise  der  Ihrigen  die  Tage  zu  vertändeln. 
Milton  selbst  hat  eben  damals  im  Umgang  mit  einer  älteren, 
durch  Geist  und  Bildung  ausgezeichneten  Frau  Trost  und  Er- 
holung gesucht.  Es  war  Lady  Margai'ethe  Ley,  die  Tochter 
von  James  Ley,  der  schon  unter  Jakob  L  in  den  wichtigsten 
Staatsämtern,  zuletzt  als  Lord-Schatzmeister,  wenn  nicht  den 
Namen  eines  grossen  Talentes,  so  doch  eines  leinen  Cha- 
rakters erlangt  hatte,  von  Karl  L  zum  Grafen  von  Marlborough 
erhoben,  aber  aus  seiner  Stellung  entfernt  worden  war,  um 
Weston  Platz  zu  machen.  Sein  Tod  war  unmittelbar  nach 
der  Auflösung  des  dritten  Parlamentes  Karls  L  erfolgt,  und 
das  Gerücht  scheint  unnöthigerweise  angenommen  zu  haben,  dass 
zwischen  seinem  Schmerz  über  dies  Ereignis  und  seinem  Ende 
irgend  ein  Zusammenhang  stattgefunden  habe.  Die  Tochter 
war  die  Erbin  seiner  Tugenden  und  schwärmte  in  der  Er- 
innerung an  den  verehrton  Vater.  Mit  einem  Kapitän  Hob- 
son,  einem  gebildeten  Mann,  verheiratet,  machte  sie  in  Lon- 
don ein  Haus  aus,    in    welchem  Milton   kein  Fi'iMudling  war. 


Sonett  an  „eine  Jungfrau".  191 

Auch  die  vornehme  Dame  schätzte  den  Dichter  hoch  und 
liebte  seine  Gesellschaft.  Er  riss  sich  hie  und  da  aus  seiner 
Einsamkeit  los,  um  einen  Abend  in  ihrem  Kreise  zu  ver- 
bringen, und  eines  seiner  Sonette  spricht  seine  Verehrung  für 
die  Freundin  aus,  deren  Gespräch  das  Andenken  an  den  ver- 
storbenen ehrenhaften  Staatsmann  wieder  auffrischte.  Un- 
zweifelhaft war  man  in  diesem  Hause  durch  und  durch  parla- 
mentarisch gesinnt,  wennschon  der  junge  Graf  Marlborough. 
Margarethens  Neffe,  mit  Auszeichnung  im  Heere  des  Königs 
diente  (^). 

Indessen  muss  in  dieser  Zeit  der  unfreiwilligen  Wittwer- 
schaft  noch  ein  anderes  weibliches  Wesen  von  jugendlicheren 
Reizen  auf  IVIilton  Eindruck  gemacht  haben.  Es  findet  sich 
ein  Sonett  von  seiner  Hand,  das  nach  der  Stellung,  die  es  im 
Cambridger  Ms.  und  in  der  ersten  Ausgabe  der  Gedichte  ein- 
nimmt, eben  jener  Epoche  angehören  muss.  Es  enthält  keine 
Andeutungen  über  Namen  und  Herkunft  der  Gepriesenen, 
auch  fehlt  ihm  jeder  tiefere,  leidenschaftliche  Zug.  Nur  die 
keusche  Bewunderung  erhält  einen  fast  religiösen  Ausdruck, 
mit  welcher  der  Dichter  die  ..kluge  und  reine  Jungfrau"  be- 
trachtet, die  ..in  der  ersten  Jugendblüthe  den  breiten  und 
blumigen  Weg  weise  vermieden  hat,  um  mit  den  wenigen 
den  Hügel  himmlischer  Wahrheit  zu  erklimmen"  (-).  Immer- 
hin waren  auch  solche  Verse,  in  denen  eine  moderne  „Maria 
und  Ruth"  verherrlicht  wurde,  falls  überhaupt  Kunde  von 
ihnen  nach  Foresthill  gelangte,  wenig  geeignet  ]Mary  Powell 
zu  erbauen.  Wie  leicht  konnten  durch  hämische  Gerüchte 
von  solchen  Gedanken  ihres  Mannes,  in  Verbindung  mit  seiner 
neuen  Theorie  von  der  Ehescheidung,  auch  ihr  gefährliche 
Waffen  in  die  Hände  gespielt  werden.  —  Zunächst  indessen 
hatten  die  häuslichen  Sorgen  im  Leben  des  Dichters  hinter 
grösseren  Gegenständen  seiner  Aufmerksamkeit  zurückzutreten. 
Die  Entwicklung  der  politischen  Ereignisse,  die  Scheidung  der 
Parteien  forderten  seine  höchste  Theilnahme  heraus.  Er 
war  mit  den  bewegenden  Fragen  der  Zeit  zu  innig  verwachsen, 
als  dass  er  fähig  gewesen  wäre,  sich  im  Kummer  persönlicher 
Erlebnisse  zu  verzehren. 


Fünftes  Kapitel. 

Presbyterianer  und  Independenten.     Fortgang 
des  Bürgerkrieges. 


Politische  und  religiöse  Momente  hatten  zusammengear- 
beitet, die  revolutionären  Kräfte  in  England  zu  entfesseln; 
auch  beim  Fortgang  der  Bewegung  wirkte  das  eine  beständig 
auf  das  andere  ein.  Während  der  Puritanismus  Englands  sich 
in  Waffen  tummelte  und  Mühe  hatte  gegen  den  kriegskun- 
digen Feind  das  Feld  zu  behaupten,  war  in  seinem  eigenen 
Lager  der  Kampf  der  Geister  über  die  Frage  entbrannt,  welche 
Gestalt  die  Kirche  in  dem  reformirten  Staatswesen  erhalten 
sollte,  das  man  ersehnte.  Darüber  herrschte  nunmehr  so  ziem- 
lich Einigkeit,  dass  mit  dem  Bisthum  voll  und  ganz  gebrochen 
werden  müsse.  In  einer  Deklaration  vom  10.  Sept.  1642  hatten 
beide  Häuser  des  Parlamentes  sich  in  den  stärksten  Ausdrücken 
gegen  die  bischöfliche  Verfassung  der  englischen  Kirche,  als 
ein  Hindernis  für  die  religiöse  Reform  und  schädlich  für  den 
Staat,  erklärt  und  auf  das  bestimmteste  ihie  Aufhebung  ver- 
heissen.  Im  Anfang  des  Jahres  1643  passirte  eine  Bill  des 
Inhalts  beide  Häuser,  und  man  beeilte  sich,  sie  unter  die 
Friedens-Bedingungen  aufzunehmen,  die  man  eben  damals  im 
Begriff  war  dem  König  vorzulegen  (^).  Der  tiefgreifende  Be- 
schluss,  welcher  die  gesannnte  alte  Organisation  der  Kirche 
so  gut  wie  über  den  Haufen  warf,  ehe  man  sich  die  Grundzüge 
einer  neuen  klar  gemacht  hatte,   wai-,  wie  jene  Deklaration, 


Presbyterianische  Hoffnungen.  193 

wesentlich  diircli  die  Anmahiimigen  der  Schotten  hervorgerufen 
worden (\.  Allerdings  hätten  die  Häupter  des  schottischen 
Preshyterianisnuis  es  noch  lieber  gesehen,  wenn  die  Brüder  in 
England  sich  sofort  über  eine  allgemein  verbindliche  Form 
der  Kirche  schlüssig  gemacht  hätten,  welche  derjenigen  ihres 
eigenen  Landes  angepasst  gewesen  wäre.  Sie  verhehlten 
keineswegs,  dass  nach  ihrer  Ansicht  die  presbyterianische 
eben  den  göttlichen  Ursprung  habe,  den  sie  der  bischöflichen 
absprachen ,  und  dass  ihnen  zur  Erhaltung  des  Friedens  in 
allen  Reichen  des  Königs  die  Aufstellung  eines  einzigen  Glau- 
bensbekenntnisses, eines.einzigen  Rituals,  einer  einzigen  Kirchen- 
verfassung Avünschbar  erscheine.  Schon  hatte  Alexander  Hen- 
derson  sich  daran  gemacht  ein  solches  Programm  zu  entwerfen, 
das  der  Ansicht  des  englischen  und  schottischen  Volkes  in 
gleicher  Weise  genügen  könne,  und  er  war  nur  deshalb  von 
dem  Unternehmen  abgestanden,  weil  es  ihm  doch  zweifelhaft 
geworden  war,  ob  England  geneigt  sein  werde,  den  schottischen 
Presbyterianismus  ohne  unvorherzusehende  Aenderungen  anzu- 
nehmen (^j.  Immerhin  malte  sich  in  den  Köpfen  der  eifiigen 
schottischen  Presbyterianer  das  Bild  der  zukünftigen  englischen 
Kirche  als  eine  möglichst  getreue  Kopie  ihrei"  eigenen  aus. 
Sie  rechneten  für  die  Verwirklichung  desselben  auf  die  sym- 
pathische Stimmung  des  englischen  Bürgerstandes  m  der  Haupt- 
stadt. Sie  zählten  auf  die  Beschlüsse  der  grossen  Synode, 
welcher  die  Aufgabe  zufiel,  nach  dem  Xiederreissen  des 
Episkopalbaues  etwas  anderes  an  seine  Stelle  zu  setzen. 

Schon  längst  war  der  Zusammentritt  einer  solchen  Synode 
in  Aussicht  genommen.  Unter  den  Petitionen,  die  dem  Parla- 
mente zugekommen  waren,  war  auch  dieser  Gegenstand  nicht 
vergessen.  In  der  grossen  Remonstranz  war  ein  entsprechen- 
der Artikel  aufgenonunen  worden.  Die  neunzehn  Propositionen 
hatten  auf  ihn  hingedeutet.  Die  Deklaration  vom  10.  Sept. 
hatte  ihn  wiederholt,  und  immer  war  die  Meinung  gewesen,  in 
einer  solchen  Versammlung  sich  auf  den  Beirath  einiger  ge- 
lehrter Mitglieder  der  schottischen  Kirche  zu  stützen.  Auch 
hatte  das  Parlament  schon  im  Frühjahr  1642  Anstalten  ge- 
troffen, um  eine  Bill  vorzubereiten,  die  den  Beginn  der  Synode 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit..  I.  2.  13 


I 


X94  .lierufung  einer  Synode. 

ermöglichen  sollte.  Eine  Namensliste  von  Männern,  die  für 
das  beabsichtigte  Werk  geeignet  erschienen,  wurde  entworfen, 
der  Art,  dass  das  Unterhaus  für  die  einzelnen  englischen  Graf- 
schaften, London  und  die  Universitäten  besonders  gerechnet, 
in  Vorschlag  gebrachte  Persönlichkeiten  auswählte,  das  Ober- 
haus seine  Zustinunung  gab  und  das  Recht  erhielt  von  sich 
aus  vierzehn  hinzuzufügen.  Der  Bruch  mit  dem  König,  der 
Beginn  des  Krieges  verzögerten  die  Ausführung.  Erst  am 
12.  Juni  1643  erschien  eine  Ordonnanz  beider  Häuser,  die  den 
Zusammentritt  der  Synode  auf  den  1.  Juli  1643  ansetzte.  Der 
Zweck  der  Versammlung  war  hier  deutlich  bezeichnet.  Die 
Berufenen  nebst  denjenigen,  die  das  Parlament  aus  seiner 
eigenen  Mitte  ernannte,  sollten  über  eine  neue  Kirchenver- 
fassung berathschlagen,  die  dem  Worte  Gottes  gemäss,  für  die 
Herstellung  des  inneren  Friedens  geeignet  und  einer  Annähe- 
rung an  die  Form  der  schottischen  Kirche  und  der  anderen 
reformirten  Gemeinschaften  fähig  sei.  Gleichsam  eine 
konstituirende  Versammlung  für  die  Fragen  von  Verfassung 
aber  auch  von  Dogma  und  Ritus  der  Kirche,  ähnlich  jenen 
grossen  Koncilien  früherer  Zeiten,  aber  auf  den  Umkreis  einer 
Nation  beschränkt,  wünschte  man  zu  besitzen (^). 

Allein  dieser  Versammlung  wsly  jede  Möglichkeit  freier  Bewe- 
gung entzogen.  Das  Parlament  hatte  ihre  Mitglieder  ernannt,  das 
Parlament  behielt  sich  ihre  Auflösung  vor.  Es  setzte  die  Zahl  der 
Beschlussfähigkeit  auf  vierzig  fest,  es  gab  der  Versammlung  eine 
Geschäfts-Ordnung,  es  bestimmte  den  Präsidenten.  Die  Gegen- 
stände der  Berathung  wurden  der  Versammlung  von  den  beiden 
Häusern  oder  von  einem  allein  zur  Begutachtung  vorgelegt. 
Ohne  ihre  Erlaubnis  war  eine  Veröffentlichung  der  Debatten 
verboten.  Ohne  ihre  Zustimmung  erhielt  kein  Beschluss  bin- 
dende Kraft.  Auch  die  Ansicht  der  Minorität  war  ihnen  auf 
deren  Verlangen  mitzutheilen,  auch  von  dem  Dissens  eines 
einzelnen  Mitgliedes  konnten  sie  Kunde  fordern.  Sehr  unähn- 
lich der  General  Assembly  des  Nachbarlandes,  war  diese  engli- 
sche Versammlung  dazu  bestimmt,  ein  blosser  Debattir-Klub 
zu  werden,  ein  Geschöpf  des  Parlamentes,  d.  h.  der  damaligen 
Staatsgewalt.      Eine    solche    Plinschränkung    des    Grundsatzes 


Beruf iiug  einer  Synode.  ^  1U5 

kirchlicher  Selbstbestimmung  erklärte  sich  zum  Theil  aus  dem 
Hass,  den  die  Gewaltsamkeiten  des  Laud'sclien  Systems,  wie 
sie  namentlich  in  den  geistlichen  Gerichtshöfen  hervorgetreten 
waren,  auf  sich  geladen  hatten.  Man  wünschte  sich  auf  jede 
Weise  vor  der  Wiederkehr  ähnlicher  Zustände  zu  schützen, 
ohne  sich  klar  darüber  zu  sein,  dass  sie  eben  nur  durch  die 
Hilfe  möglich  geworden  waren,  welche  der  Staat  der  Kirche 
geliehen  hatte.  Zum  Theil  aber  war  es  wohlerwogener  Grund- 
satz, dem  mau  mit  vollem  Bewusstsein  folgte,  die  Kirche  in 
allem  und  jedem  vollständig  dem  Willen  des  Staates  unter- 
zuordnen und  jene  Synode  unter  dem  Gesichtspunkt  einer 
Kommission  von  Sachverständigen  zu  betrachten,  deren  Vor- 
schläge man  sich  vorbehielt  anzunehmen  oder  zu  verwerfen. 

Namentlich  einige  der  hervorragendsten  Juristen  waren 
einer  Lehre  zugethan,  die  den  Vorzug  der  Einfachheit  zu  haben 
schien,  indem  sie  jeder  Zweiseitigkeit  der  Gewalten  entgegen- 
trat, und  auf  welche  noch  dazu  der  ganze  Verlauf  der  engli- 
schen Reformations-Geschichte  hinwies.  Gewissermassen  Vor- 
läufer von  Hobbes,  betonten  sie  in  erster  Linie  die  Ansprüche 
der  Staatsgewalt,  unter  deren  Aufgaben  auch  die  Organisation 
des  kirchlichen  Lebens  falle.  Bulstrode  Whitelocke  gehörte 
zu  ihnen,  dem  es  niemals  schwer  fiel,  die  eben  vorliegende 
Sache  mit  juristischen  Gründen  zu  vertheidigen,  der  gelehrte 
John  Seiden,  welcher  daneben  in  dogmatischen  Fragen  einen 
ausserordentlich  freien  Standpunkt  einnahm  u.  a.  m.  Wenn 
die  strengen  Presbyterianer  sich  dadurch  verletzt  fühlen  mussten, 
dass  auf  dieser  Seite  häutig  eine  skeptische  Anschauung  reli- 
giöser Probleme  durchbrach,  und  dass  das  göttliche  Recht  jeder 
kirchlichen  Verfassungsform,  also  auch  der  von  ihnen  verfoch- 
tenen,  geläugnet  wurde,  so  konnten  sie  sich  darin  mit  jenen 
Anhängern  der  Staats- Allmacht  verstehen,  dass  es  nur  eine 
Kirchenform  geben  dürfe,  der  sich  die  Masse  unterzuordnen 
habe,  eine  National-Kirche,  vom  Staate  gestützt  und  erhalten. 

Man  hätte  gewünscht  einige  Anhänger  des  P^piskopal- 
Systems-,  darunter  Bischof  Ussher  in  der  Versammlung  zu  haben, 
um  auch  diese  Partei  vertreten  zu  sehn.  Indessen  die  Männer, 
welche  man  mit  Piücksicht  darauf  ausgewählt  hatte,  erschienen 

13* 


196  Eröffnung  der  Westminster-Synode. 

entweder  gar  nicht  oder  verschwanden  sehr  bakl,  ziiinal  es 
der  König  an  einer  Proklamation  gegen  die  Beschlüsse  der 
Versammlung .  nicht  fehlen  liess.  Um  so  bedeutsamer  trat  in 
kurzem  eine  kleine  Gruppe  von  Puritanern  hervor,  die  sich, 
im  Gegensatz  zur  übrigen  Masse,  zu  ganz  eigenartigen  Ge- 
danken über  die  Fragen  der  Kirchen -Verfassung  erhob. 

Noch  w^ar  die  Zahl  der  Erschienenen  sehr  klein,  noch 
konnte  man  von  den  verschiedenen  Parteien  kein  klares  Bild 
erhalten,  als  am  festgesetzten  Tage,  dem  1.  Juli  1643,  die 
feierliche  Eröifnung  der  Synode  durch  einen  Gottesdienst  in 
der  Kapelle  Heinrichs  VIT.  von  Westminstcr-Abtei  im  Beisein 
beider  Häuser  des  Parlamentes  stattfand.  Vor  allem  die  Ab- 
geordneten aus  Schottland,  auf  deren  Herbeiziehung  man  so 
grossen  Werth  legte,  wurden  damals  und  in  den  nächstfolgen- 
den Sitzungen  noch  vermisst.  Erst  der  Verlauf,  den  die  poli- 
tischen Angelegenheiten  nahmen,  führte  sie  nach  England  zu 
jener  Westminster-Synode,  wie  die  Versamndung  von  ihrem 
ersten  Sitzungslokale  in  der  Folge  genannt  wurde.  Der  Gang 
des  Krieges  liess  es  den  parlamentarischen  Führern  immer 
nöthiger  erscheinen  die  Hilfe  der  Schotten  zu  erlangen,  die 
sich  bis  dahin  neutral  gehalten  hatten.  Es  war  der  Haupt- 
gedanke John  Pym's,  und  die  Ereignisse  des  Sommers  1643 
waren  ganz  dazu  angethan,  ihm  neue  Anhänger  zu  gewinnen. 

Wenn  für  staatsmännische  Köpfe  wie  Pym  die  politische  Noth- 
wendigkeit  eines  solchen  Bundes  massgebend  war,  so  erblickten 
die  eifrigen  Presbyterianer  Englands  nur  in  ihm  eine  sichere 
Gewähr  für  die  Durchführung  ihres  kirchlichen  Systems.  Auch 
die  Schotten  waren  geneigt  aus  ihrer  Zurückhaltung  heraus- 
zutreten. So  gross  die  Zugeständnisse  gewesen  waren,  die 
Karl  I.  den  schottischen  Magnaten  und  der  presbyterianischen 
Geistlichkeit  gemacht  hatte,  so  kannte  man  doch  den  Charakter 
des  Königs  hinlänglich  genau,  um  nicht,  bei  entschiedenem 
Triumph  seiner  Waffen  in  England,  für  die  Fortdauer  der  er- 
kämpften Rechte  zu  fürchten.  Schon  waren  die  alten  Gegensätze 
zwischen  den  Hamiltons  und  Argyles  wieder  in  voller  Schärfe 
zum  Vorschein  gekommen.  Von  Montrose,  der  im  Verkehr 
mit  der  Königin  st md,  war  im  eigenen  Lande  das  Schlimmste 


Eröffnung  der  Westminster-Synode.  197 

ZU  erwarten,  über  eine  Verbindung  des  Königs  mit  den  irischen 
Rebellen  dachte  man  argwöhnischer  als  je.  Auch  hier  wirkten 
politische  und  religiöse  Interessen  nebeneinander.  Im  Juni  1643 
trat  gegen  den  Willen  des  Königs  die  Ständeversammlung  in 
Edinburg  zusammen.  Der  König  suchte  ihr  wenigstens  einen 
bestimmten  Kreis  von  Berathungs-Gegenständen  vorzuschreiben. 
Sie  hielt  sich  daran  nicht  gebunden  und  riss  sich  vollständig 
von  der  königlichen  Autorität  los,  indem  sie  den  Abschluss 
einer  Allianz  mit  der  parlamentarischen  Pai'tei  in  England 
in's  Auge  fasste.  Indessen  eine  solche  Allianz  hatte  auch 
ihren  Preis.  Wenn  sich  die  Schotten  dazu  entschlossen,  ihr 
Blut  in  dem  englischen  Bürgerkrieg  zu  vergiessen,  so  wollten 
sie  damit  auch  für  sich  einen  dauernden  Zustand  des  Friedens 
erkämpfen.  Nach  den  Erfahrungen,  die  sie  gemacht  hatten, 
schien  ihnen  dies  Ziel  unerreichbar,  wenn  nicht  auch  in  England 
und  Irland  dieselbe  Kirchenverfassung  durchgeführt  werde,  die 
sie  selbst  zu  schaffen  und  zu  schützen  gewusst  hatten.  Nicht 
nur  eine  Garantie  ihrer  eigenen  kirchlichen  Unabhängigkeit 
sollte  ihnen  genügen,  das  englische  Volk  hatte  sich  zu  ver- 
pflichten, gleich  weit  entfernt  von  der  Duldung  des  Bisthums. 
das  man  soeben  gestürzt  hatte,  und  von  der  Duldung  der  unab- 
hängigen religiösen  Gemeinschaften,  die  im  Entstehen  waren, 
ein  möglichst  getreues  Nachbild  des  Presbyterianismus  in's 
Leben  zu  rufen,  der  nur  in  Schottland  nationale  Wurzeln  hatte. 
Die  Einigung  der  Pteiche,  wie  die  Stuarts  sie  angestrebt  hatten, 
sollte,  sich  somit  auf  anderem  Wege  vollziehen.  — 

Es  war  die  Aufgabe  der  englischen  Kommissäre  des  Par- 
laments und  der  Westminster-Synode,  welche  im  Juli  1643 
den  Seeweg  nach  Schottland  einschlugen,  die  dortige  Stände- 
Versammlung  und  General  Assembly  zum  Abschluss  einer  poli- 
tischen Allianz  zu  bewegen,  ohne  sofort  die  ganze  Zukunft 
der  englischen  Kirchen-Verfassung  der  Willkür  der  Schotten' 
Preis  zu  geben.  Vorzüglich  dem  Geschick  des  jungen  Henry 
Vane,  des  hervorragendsten  der  parlamentarischen  Abgesandten, 
war  es  zu  danken,  dass  man  eine  Formel  fand,  die  den  Ab- 
sichten der  Schotten  genügte,  während  er  selbst  den  Grund- 
satz der  Gewissensfreiheit,   den  er  vertrat,   damit  zu  wahren 


198  Liga  und  Covenant  mit  Schottland. 

lioffte.  ^  Neben  ihm  tragen  die  Abgeordneten  der  Westminster- 
Synode  nach  Kräften  dazu  bei,  die  Schwierigkeiten  zu  ebnen : 
der  eine,  Philip  Nye,  der  den  kirchlich-politischen  Anschau- 
ungen Vane's  nicht  fern  stand,  der  andere,  jener  Stephen 
Marshall,  Milton's  Bekannter,  den  seine  geachtete  Stellung 
unter  den  Presbyterianern  der  Heimat  zu  dieser  Mission  be- 
stimmt hatte  (^).  Alexander  Henderson,  dem  Leiter  der  General 
Assembly,  fiel  die  Aufgabe  zu,  den  Entwurf  der  wichtigen 
Urkunde  abzufassen.  Er  gieng  auf  das  Vorbild  des  „Covenant" 
zurück,  der  bis  dahin  nur  eine  nationale  Bedeutung  gehabt 
hatte.  Schon  darin  war  der  religiöse  Charakter  des  Vertrages, 
wie  die  Schotten  ihn  aufgefasst  wissen  wollten,  deutlich  aus- 
gesprochen. Es  bedurfte  erst  der  Zufügung  des  Ausdrackes 
„Liga"  um  auch  die  politische  Bedeutung  des  Aktenstückes, 
auf  die  es  den  Engländern  in  erster  Linie  ankam,  klarzustellen. 
„Liga  und  Covenant",  wie  das  Dokument  nunmehr  hiess,  von 
General  Assembly  und  Ständen  in  Edinburg  mit  Enthusiasmus 
begrüsst,  hatte  gleichfalls  die  Form  eines  Eides,  zu  dem  sich 
Laien  und  Geistliche  der  Reiche  England,  Schottland,  Irland 
verbinden  sollten.  Der  Schwur  zielte  vor  allem  ab  auf  die 
Erhaltung  der  reformirten  Kirche  in  Schottland  gegen  die 
gemeinsamen  Feinde,  auf  eine  Pteformatiou  der  Religion  in 
England  und  Irland  nach  Dogma,  Ritus,  Verfassung  „gemäss 
dem  Worte  Gottes  —  die  Aufnahme  dieser  dehnbaren 
Klausel  hatte  Vane  durchgesetzt  —  und  gemäss  dem  Muster 
der  besten  reformirten  Kirchen",  auf  die  engste  Verbindung 
der  Kirchen  der  drei  Königreiche  im  Glaubensbekenntnis, 
rituellen  Vorschriften  und  äusserer  Organisation.  Die  Urkunde 
enthielt  demnächst  die  Verpflichtung  hinzuwirken  auf  Vertil- 
gung von  „Papismus ,  Prälatenthum ,  Aberglauben,  Ketzerei, 
Schisma,  Profanation".  Sie  nahm  endlich  eine  energische  Ver- 
•theidigung  der  Privilegien  der  Parlamente  und  der  Volks- 
freiheiten, „der  Person  und  Autorität  des  Königs",  in  Verthei- 
digung  dieser  Freiheiten  und  der  „wahren  Religion",  Bestra- 
fung der  Malignanten  „die  den  König  von  seinem  Volke  trennen", 
Herstellung  eines  dauernden  Friedens  in  Aussicht,   unter  ent- 


Liga  und   Covenant  mit  Schottland.  199 

schiedener  Verwahrung,  als  denke  man  daran,  die  monarchische 
Prärogative  zu  schmälern. 

Da  man  sich  der  Annahme  dieses  Vertrages  auch  durch 
das  englische  Volk  versichert  halten  konnte,  so  zögerte  man 
in  Edinburg  nicht  länger  Abgeordnete  auszuwählen,  die  nach 
dem  längst  geäusserten  Wunsche  der  Engländer  an  der  West- 
minster-Synode  Theil  nehmen  sollten.  Noch  ehe  sie  in  London 
erschienen,  war  „Liga  und  Covenant"  dort  bekannt  geworden. 
Die  Berathungen  von  Synode  und  Parlament  hatten  zur  Folge, 
dass  man  in  dem  Artikel,  der  zur  Bekämpfung  des  Pi'älaten- 
thums  verpflichtete,  dies  Wort  ausdrücklich  im  Sinne  der  bis- 
herigen anglikanischen  Hierarchie  interpretirte,  ein  Zugeständnis 
an  diejenigen  Engländer,  welche  wenigstens  mit  dem  l)ischöf- 
lichen  Titel  nicht  unbedingt  brechen  wollten.  Alle  Bedenken 
waren  nunmehr  beseitigt,  und  mit  religiösem  Ernste  schickte 
das  englische  Volk,  soweit  es  auf  Seiten  des  Parlamentes  stand, 
sich  an,  den  feierlichen  Pakt  mit  den  Schotten  zu  beschwören. 

Synode  und  Parlament  machten  den  Anfang.  Am  25.  Sept. 
leisteten  die  Mitglieder  des  Unterhauses  und  der  Westminster- 
Versammlung  in  der  Kapelle  St.  Margaret  den  Eid  und  setzten 
ihre  Namen  auf  das  Pergament.  Die  Lords  folgten  nach.  In 
den  Pfarrkirchen  wurde  das  Aktenstück  von  den  Kanzeln  ver- 
lesen und  unterschrieben.  Eine  spätere  Verfügung  des  Par- 
lamentes (Feb.  1644)  gieng  dahin,  dass  jeder  Mann,  der  das 
achtzehnte  Jahr  überschritten  habe,  selbst  über  die  Grenzen 
der  britischen  Inseln  hinaus,  zur  Unterzeichnung  anzuhalten 
sei.  Den  Generalen  und  Festungs- Kommandanten  wurden 
Abschriften  zugesandt,  um  sie  in  Umlauf  zu  setzen.  Die  Namen 
der  sich  Weigernden  sollten  bemerkt  werden,  sie  galten  als 
„Malignanten"  und  hatten  üble  Folgen  zu  gewärtigen.  Auch 
Milton  hat,  wie  wir  wissen,  seine  Unterschrift  gegeben (i). 
Wenn  in  England  dennoch  mancher  dieser  gewaltsamen  Probe 
seiner  Gesinnungstüchtigkeit  sich  zu  entziehen  wusste,  so  gieng 
man  in  Schottland  mit  wahrer  Begeisterung  an  die  Beschwö- 
rung und  Unterzeichnung.  Laien  und  Geistliche,  Adel  und 
Bürger  drängten  sich  zu  dem  Werke,  das  ihnen  ein  gottge- 
fälliges  zu   sein   schien,    die   Tage    der    freudigen  Aufnahme 


200  Kriegsereignisse  und  Rüstungen. 

des  nationalen  Covenant  von  1638  schienen  wiedergekehrt, 
nur  dass  es  sich  dies  Mal  um  einen  Bund  mit  den  Brüdern 
in  England  handelte.  Alles  dies  war  nur  Vorbereitung  der 
materiellen  Hilfe,  die  das  englische  Parlament  von  Schottland 
erwartete.  Ein  schottisches  Heer  sollte  haldmöglichst  die 
Grenze  überschreiten  und  jene  nördlichen  Grafschaften  schützen, 
in  denen  die  Sache  des  Royalismus  so  grosse  Erfolge  davon- 
getragen hatte.  Der  Sold  und  Unterhalt  dieses  schottischen 
Hilfsheeres  war  von  England  zu  bestreiten,  wo  man,  gedrängt 
durch  die  Noth,  vor  mannichfachen  Erpressungen,  die  sich 
gegen  die  „Delinquenten"  und  „iNIalignanten"  richteten,  ja 
selbst  vor  Einführung  der  Accise  nicht  zurückgeschreckt  war. 
Iiulem  man  mit  Sehnsucht  der  schottischen  Hilfe  ent- 
gegensah, hatte  man  auch  die  Genugthuung,  die  kritische 
Lage,  welche  der  Schauplatz  des  Krieges  im  Sommer  1C43 
darbot,  allmählich  zu  überwinden.  Im  August  und  Anfang 
September  richtete  sich  die  hauptsächhche  Theilnahme  auf 
das  Schicksal  der  Stadt  Gloucester,  zu  deren  Belagerung  der 
König  selbst  sich  aufgemacht  hatte.  Die  Bürgerschaft  leistete 
einen  heroischen  Widerstand ,  das  Parlament  machte  ausser- 
ordentliche Anstrengungen ,  und  binnen  kurzem  war  Essex 
wieder  fähig,  mit  einem 'stattlichen  Heere  zum  Entsatz  her- 
anzurücken. Weder  militärische  Schachzüge  noch  Friedens- 
vorschläge konnten  ihn  aufhalten,  am  8.  September  hatte  er 
den  Platz  befreit  und  mit  Vorräthen  versorgt.  Er  beeilte 
sich  zum  Schutze  der  Hauptstadt  wiederumzukehren,  die 
durch  das  abgezogene  Heer  des  Königs  bedroht  war.  Bei 
Newbury  suchte  ihm  dieses  am  20.  September  den  Weg  zu 
versperren.  Indess  so  tapfer  hielten  die  londoner  Milizen  den 
Anprall  von  Rupert's  Reiterei  aus,  so  wirksam  zeigte  sich 
Essex'  Geschütz,  dass  ihm  der  Feind  das  Schlachtfeld  über- 
liess  und  seinen  Marsch  nach  Osten  nicht  zu  stören  wagte. 
Der  Kampf  hatte  dem  König  einen  seiner  edelsten  Verthei- 
(liger  geraubt,  Lord  Falkland.  Er  fiel,  des  tragischen  Schau- 
spiels überdrüssig,  in  dem  er  selbst  eine  Rolle  übernommen 
hatte,  die  seiner  weichen  Natur  widerstrebte.  Am  Tage  nach 
der   feierlichen    Annahme    des   Covenant   hielt   Essex    seinen 


Krie£;;sereiguisse  und  Rüstungen.  201 

Einzug  in  London.  Er  wurde  mit  Ehren  überhäuft,  als  Retter 
des  Vaterlandes  begriisst,  alle  seine  früheren  Missgriffe  waren 
vergessen.  Dennoch  waren  die  übrigen  parlamentarischen 
Armeen  nur  dem  Namen  nach  seinem  Kommando  unterstellt. 
In  Wahrheit  gewannen  sie  immer  grössere  Selbstständigkeit 
und  empfiengen  vom  Parlament  in  letzter  Linie  ihre  Befehle: 
das  in  der  Bildung  begriffene  Heer  des  populären  William 
W^ aller,  für  die  Aktion  im  Süd-W^esten  bestimmt,  das  Nord- 
heer unter  den  beiden  Fairfax,  die  Macht  der  östlichen  Graf- 
schaften, in  welcher  Crom well's  Genius  wirkte.  Seit  kurzem 
hatte  der  Graf  von  Manchester,  wie  er  nach  dem  Tode  seines 
Vaters  hiess,  einst  als  Lord  Kimbolton  durch  den  Staats- 
streich Karl's  L  zugleich  mit  den  fünf  Gemeinen  bedroht,  auf 
diesem  Schauplatz  das  höchste  Kommando  übernommen.  Noch 
im  Oktober  1643  wurde  Lincolnsliire  vollständig  von  den 
Royalisten  gesäubert  und  in  die  Association  der  östlichen 
Grafschaften  eingereiht.  Ci-omwell ,  der  auch  hier  das  Beste 
gethan,  dessen  Leben  im  Gefecht  in  äusserster  Gefahi-  ge- 
schwebt hatte,  rückte  bald  darauf  zum.  General -Lieutenant 
Manchesters  airf  und  setzte  seine  erfolgreiche  Thätigkeit  fort. 
Der  Marquis  von  Newcastle  sah  sich  genöthigt,  die  Belage- 
rung von  Hüll  aufzugeben,  wo  er  Lord  Fairfax  eine  Zeit  lang 
eingeschlossen  hatte.  Auch  hier  schien  somit  eine  günstigere 
W^endung  für  die  Sache  des  Parlamentes  einzutreten. 

Aber  auch  der  König  war  niclit  unthätig  geblieben.  Den 
Covenant  brandmarkte  er  als  aufrührerisch  und  liochveri-ätlie- 
risch.  Hatte  sich  das  Parlament  dadurch  mit  den  Schotten 
verbunden,  so  scheute  er  vor  einer  Annäherung  an  die  irischen 
Piebellen  nicht  zurück.  Graf  Ormond,  Protestant,  aber  von 
puritanischen  Tendenzen  völlig  entfernt,  an  Stelle  des  zurück- 
gehaltenen Grafen  Leicester  Befehlshaber  der  englischen  Streit- 
kräfte auf  der  grünen  Insel  im  Namen  des  Königs ,  wusste 
nicht  nur  den  Aufständischen  mit  Energie  entgegenzutreten, 
sondern  auch  jedes  Eingreifen  dei'  parlamentarischen  Behör- 
den und  Anhänger  zu  verhindern.  Er  brachte  alsdann  den 
Abschluss  eines  Waffenstillstandes  auf  ein  Jahr  zu  Wege,  und 
erreichte   sogar  vom  irischen  Rath  zu  Kilkenny,   der  es  nie- 


202  Kriegsereignisse  und  Rüstungen. 

mals  an  Versicherungen  der  Loyalität  hatte  fehlen  lassen, 
eine  Subsidien  -  Bewilligung  von  30,000  i^  (September  1643). 
Zehn  Regimenter,  welche  bis  dahin  gegen  die  Aufrührer  im 
Felde  gestanden,  wurden  nach  England  übergeführt,  um  dort 
unter  den  Fahnen  des  Königs  gegen  die  Truppen  des  Parla- 
mentes zu  kämpfen.  Der  Abscheu,  den  die  Nachricht  von 
diesen  Vorgängen  in  England  erregte,  war  um  so  grösser,  da 
man  Grund  zu  der  Befürchtung  hatte,  dass  sich  unter  jenen 
Regimentern  mordlustige,  papistische  Iren  einschleichen  und 
bald  in  grösserer  Zahl  als  Söldner  des  Königs  nachfolgen 
würden.  Auch  fühlten  sich  danach  nicht  wenige  Anhänger 
des  Königs  bewogen,  seine  Sache  zu  verlassen.  Um  dieselbe 
Zeit  war  der  feurige  Montrose  bei  der  königlichen  Familie  in 
Oxford  augelangt.  Er  hatte  längst  zur  Ueberführung  eines 
irischen  Kontingentes  nach  Schottland  gerathen  und  sich  an- 
heischig gemacht,  mit  seiner  Hilfe  den  schottischen  Covenan- 
ters  in  den  Rücken  zu  fallen.  Seine  Vorschläge  wurden  von 
Karl  I.  damals  mit  Wärme  aufgenommen,  während  sich  Ha- 
milton, dessen  diplomatisches  Verhalten  gegenüber  der  Partei 
des  Covenants  den  leidenschaftliehen  Höflingen  zweideutig  er- 
schien, Verhaftung  gefallen  lassen  musste.  Unter  die  Mittel 
moralischer  Verstärkung  der  Stellung  des  Königs  mochte 
man  rechnen,  dass  er  sich  Anfang  1644  überwand,  für 
kurze  Zeit  ein  Gegenparlament  in  Oxford  zu  versammeln. 
Eine  sehr  bedeutende  Zahl  von  Mitgliedern  des  Unterhauses 
war  zu  ihm  übergegangen,  die  Zahl  der  Loids,  welche  sich  bei 
ihm  eingefunden  hatten,  war  bei  weitem  grösser,  als  die  der 
in  London  zurückgebliebenen,  welche  ganz  und  gar  zu  zer- 
schmelzen drohte.  Wenn  der  Versuch  dieser  oxforder  Ver- 
sammlung, den  Frieden  herbeizuführen,  auch  scheiterte,  so  war 
sie  doch  immer  gut  genug,  zur  Auflage  einiger  Steuern 
ihre  Zustimmung  zu  geben. 

Auf  beiden  Seiten  war  man  somit  zu  dem  Feldzug  von 
1644  gerüstet,  in  den  kraft  Liga  und  Covenant  die  Schotten 
einzugreifen  hatten.  —  Der  Mann ,  welchem  vor  allen  das 
Verdienst  gebührte,  diese  Wendung  herbeigeführt  zu  haben, 
hat   die   Entwicklung   der  Ereignisse   nicht   mehr  erlebt ,   die 


Tod  Pym's.  203 

seine  Meisterhand  vorbereitet  hatte.  Am  8.  December  1643 
war  John  Pym,  dessen  Kräfte  fast  übermenschliche  Anstren- 
gungen ausgehalten  hatten ,  hinweggerafft  worden.  Wohl 
wussten  die  Royalisten,  warum  sie  der  Nachricht  seines  Todes 
zujauchzten,  wie  die  Parlamentarier,  was  sie  an  ihm  verloren 
hatten.  Die  Grabrede,  welche  Stephen  Marshall  vor  den  Mit- 
gliedern beider  Häuser,  der  Synode  und  einer  klagenden 
Menge  hielt,  gab  diesem  Gefühl  einen  würdigen  Ausdruck  (^). 
Der  Leichnam  ward  in  der  Abtei  von  Westminster  bestattet. 
Das  Parlament  votirte  zehntausend  Pfund,  um  die  Schulden 
zu  decken,  die  das  grpsse  Mitglied  des  Unterhauses  im  Dienste 
des  Vaterlandes  gemacht  hatte. 


Während  diese  Ereignisse  die  Gemüther  beschäftigten, 
hatte  sich  die  Westminster -Synode,  seit  dem  Eintritt  der 
kälteren  Witterung  in  die  sogenannte  Jerusalem -Kammer 
verpflanzt,  mit  Eifer  an  ihr  Werk  gemacht.  Als  erstes  Ge- 
schäft hatte  das  Parlament  ihr  eine  Kevision  der  neunund- 
dreissig  Artikel  vorgeschrieben.  Schon  waren  ihre  Committees 
wie  das  Plenum  daraufhin  in  voller  theologischer  Arbeit  be- 
griffen, als  im  Oktober  1643  eine  neue  parlamentarische  Ver- 
fügung die  schleunige  Beschäftigung  mit  anderen  Gegenständen 
erforderte.  Wollte  man  dem  mit  den  Schotten  abgeschlossenen 
Vertrage  genügen,  so  war  es  nöthig,  den  Plan  einer  neuen 
Kirchenverfassung  und  gottesdienstlichen  Ordnung  vor  allem 
übrigen  in  Angriff  zu  nehmen.  Eben  darauf  waren  die  An- 
weisungen des  Parlamentes  gerichtet,  und  Monate  lang  wur- 
den nun  die  Fragen  der  urkirchlichen  Pegierungsform  und 
Aemter,  der  Ordination  und  Disciplin ,  der  Liturgie  und  der 
Ceremonieen,  Fragen,  welche  die  Milton'schen  Streitschriften 
sämmtlich  berührt  hatten,  mit  allem  dem  Aufwand  von  kir- 
chengeschichtlichen und  sprachwissenschaftlichen  Kenntnissen 
erörtert,  wie  sie  einem  so  gelehrten  Zeitalter  und  einer  so 
gelehrten  Versammlung  anstanden.  Aber  die  wichtigste  dieser 
Fragen,  welche  sich  auf  die  Verfassung  bezog,   war  der  Art, 


204  Parteien  in  der  Synode.  —  Presbyteriauer. 

(lass  sie  die  Gegensätze  in  voller  Schärfe  an's  Licht  bringen 
musste,  die  in  der  Synode  vertreten  waren.  Erst  jetzt  wurde 
es  möglich,  die  einzelnen  Gruppen,  in  die  sie  zerfiel,  von  ein- 
ander zu  sondern.  Berufen  zur  Reform  der  englischen  Kirche, 
enthielt  die  Versammlung,  ursprünglich  auf  anderthalbhundert 
^litglieder  berechnet,  im  Laufe  der  Zeit  in  ihrem  Bestände 
vielfach  geändert,  sehr  natürlich  grösstentheils  Männer  des 
geistlichen  Standes.  Indessen  hatte  das  Parlament  Sorge  ge- 
tragen ,  aus  seinen  beiden  Häusern  eine  Anzahl  von  Laien 
allzuordnen,  und  auch  in  der  schottischen  Deputation  war  das 
Laienelement  vertreten.  Für  die  Scheidung  der  Parteien  war 
dieser  Gegensatz  von  Klerikern  und  Laien  freilich  gleich- 
giltig,  da  hier  tiefere  Gründe,  in  den  allgemeinen  Anschau- 
ungen gelegen,  in  Frage  kamen. 

Es  konnte  kein  Zweifel  darüber  sein,  dass  man  nach  dem 
Wegfall  der  Freunde  des  Prälatenthums  drei  Gruppen  in  der 
Synode  zu  unterscheiden  hatte.  Die  erste  wurde  durch  die 
Anhänger  des  Presbyterianismus  gebildet.  An  ihi-er  Spitze 
standen  als  Presbyteriauer  von  strengster  Observanz  die  De- 
putirten  aus  Schottland,  die  sich  freilich  nicht  eigentlich  als 
Mitglieder  bezeichnet  wissen  wollten,  aber  fast  sämmtlich 
kraft  ihrer  Nationalität,  Gelehrsamkeit  und  Beredtsamkeit 
den  grössten  moralischen  Einfiuss  ausübten.  Alexander  Hen- 
derson,  der  erprobte  Kämpe  der  schottischen  Kirche,  der  seit 
lange  auch  auf  den  Gang  der  Staatsgeschäfte  eingewirkt  hatte, 
war  gleichsam  ihr  oberster  Anführer.  Drei  hervorragende 
Theologen,  Rutherford,  Gillespie,  Baillie,  bildeten  seinen  Stab. 
Zwei  derselben  waren  der  Bevölkerung  Londons  gleichfalls 
nicht  fremd:  Gillespie,  dem  wir  werth volle  Aufzeichnungen 
über  die  Synode  verdanken,  und  Baillie,  dessen  Feder  auch 
jetzt  unermüdlich  war,  festzuhalten,  was  er  erlebte.  Auch 
die  Laien- Aeltesten,  welche  Schottland  seinen  Grundsätzen 
völlig  getreu  nach  London  entsandt  hatte,  Lord  Maitland  und 
Johnstone  von  Warriston,  nahmen  an  den  Verhandlungen  leb- 
haften Antheil.  Gelegentlich  erschienen  auch  andere,  und 
unter  ihnen  Argyle,  auf  den  Bänken  der  Synode.  Von  <leu 
englischen   Geistlichen    standen    unzweifelhaft   die    fünf   Ver- 


Presbjterianer.  205 

fasser  des  Smectyiiinuus ,  Milton's  Fi-eunde,  die  sämmtlich  in 
die  Synode  berufen  worden  waren ,  jenen  strengen  schottischen 
Presbyterianern  am  nächsten.  Ihr  Anselien  war  beständig  ge- 
wachsen ,  bei  den  wichtigsten  Anhässen  wurden  ihre  Talente 
gebraucht,  und  Männer  wie  Young,  der  alte  Lehrer  Milton's, 
Calamy,  Marshall  gehörten  zu  den  thätigsten  Mitgliedern  der 
Versammlung- (1).  Nur  mit  dem  letztgenannten  war  der  strenge 
Presbyterianer  Raillie  nicht  immer  zufrieden  (^j.  Eine  über- 
wältigende ^lajorität  ihrer  Amtsbrüder,  in  der  man  die  ehr- 
würdigsten Namen  zählte,  stand  auf  ihrer  Seite,  obgleich' 
einige  von  der  unbedingten  Noth wendigkeit  der  Einführung 
und  der  grossen  Ausdehnung  der  Befugnisse  von  Laien -Ael- 
testen  nicht  so  ganz  überzeugt  waren,  andere  wenigstens  den 
bischöflichen  Namen,  wennschon  in  einer  vom  Früheren  ganz 
abweichenden  Bedeutung,  gerne  gerettet  hätten.  Immerhin 
gaben  diese  in  entscheidenden  Momenten  ihren  Widerspruch 
auf,  um  sich  von  den  Verfechtern  des  strengen  Presbyterial- 
Systems  nicht  zu  trennen.  Einige  dei*  Abgeordneten  des 
Parlamentes,  u.  a.  von  den  Lords  Manchester  und  der  Anfang 
1644  hinzugefügte  Essex,  Maynard  und  Clotworthy  von  den 
Gemeinen,  wenn  sie  den  Sitzungen  beiwohnen  konnten,  liehen 
eben  dieser  Partei  ihre  Unterstützung.  In  den  bürgerlichen 
Massen  der  grossen  Städte,  vor  allem  Londons,  aber  auch 
unter  dem  hohen  und  niederen  Adel  hatte  sie  einen  unver- 
ächtlichen Anhang. 

Eine  zweite  Gruppe  bildeten  die  Erastianer,  wie  man 
sich  gewöhnte,  sie  nach  jenem  Erastus  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts zu  nennen,  Männer,  welche  die  theologischen  Be- 
rathungsgegenstände  vorwiegend  vom  politischen  Gesichtspunkt 
aus  betrachteten  und  aus  der  Kirche  wiederum  eine  Einrichtung 
des  Staates  zu  machen  wünschten.  Ihre  Zahl  konnte  sich 
nicht  im  entferntesten  mit  der  der  Presbyterianer  messen. 
Doch  war  ihre  Bedeutung  nicht  gering.  An  Gelehrsamkeit 
durften  ihre  Mitglieder  es  unschwer  mit  jenen  aufnehmen,  an 
Schärfe  waren  sie  ihnen  nicht  selten  überlegen.  Hier  glänz- 
ten die  rechtsgelehrten  ]\Iitglieder  des  Unterhauses  St.  John 
und  Whitelocke.    Sie  wurden  noch  überstrahlt  von  John  Sei- 


206  Erastianer.   —  Independenten. 

den,  der  sich  darin  gefiel,  durch  seine  ausgebreiteten  Kennt- 
nisse und  seine  unverhohlene  Skeptik  die  schwerfällige  Gelehr- 
samkeit der  presbyterianischen  Geistlichen  zu  verwirren,  nach 
Cleveland's  Worten  ein  Mann,  „in  dem  mehr  Theologen 
steckten  als  in  dem  ganzen  Sanhedrin"  (').  Abei-  auch  zwei 
Kleriker,  Coleman  und  Lightfoot,  wie  Seiden  gross  als  Orien- 
talisten, theilten  dieselben  Ansichten  über  das  Verhältnis  von 
Kirche  und  Staat,  und  waren  immer  schlagfertig,  Beweise 
dafür  beizubringen,  dass  „wie  bei  den  Juden  Staat  und  Kirche 
eins  gewesen,  so  auch  in  England  das  Parlament  die  Kirche 
sei"  (^).  Die  grosse  Stärke  dieser  Partei  lag  ausserhalb  der 
Versammlung.  Sie  wusste,  dass  das  Parlament,  nachdem  es 
sich  ein  Mal  in  Besitz  der  kirchlichen  Gewalt  gebracht  hatte 
und  selbst  die  Synode  in  strengster  Abhängigkeit  hielt,  zum 
grössten  Theile  den  erastianischen  Grundsätzen  huldigte, 
wennschon  sehr  viele  seiner  Mitglieder  zugleich  in  vielen 
Punkten  presbyterianisch  gesinnt  waren.  Gelang  es  in  dem 
W^erke,  zu  dem  man  vereinigt  war,  beides  zu  verbinden,  so 
waren  die  Gründe  des  Zwiespalts  zwischen  Männern  wie  Hen- 
dersou  und  Lightfoot  hin  weggefallen. 

Aber  eine  dritte,  an  Zahl  noch  kleinere  Gruppe  war  vor- 
handen, die  sozusagen  in  kirchlich -politischen  Dingen  eine 
ganz  andere  Sprache  redete  wie  die  Presbyterianer,  und  mit 
deren  Mitgliedern  daher  eine  Verständigung  fast  unmöglich  war. 
Sie  leben  in  der  Geschichte  fort  unter  dem  Namen  der  Indepen- 
denten, ein  Name,  welcher  das  Wesen  dieser  Partei  treffend  be- 
zeichnete und  die  frühere  Benennung  Brownisten,  sowie  die 
andere  Kongregationalisten  allmählich  verdrängte f/').  In  der 
That  knüpfen  sie  an  die  Ideen  jenes  Robert  Browne  an  (s.  o. 
B.  I.  S.  8),  die  in  England  gewaltsam  verfolgt,  an  anderer  Stelle 
ein  Asyl  gefunden  hatten  und  während  der  Regierung  Jakob's 
und  Karl's  I.  zu  welthistorischer  Bedeutung  gewachsen  waren. 

Zunächst  in  dem  duldsamen  Holland  hatten  sich  kleine  Ge- 
meinden Geflüchteter  gebildet,  unter  deren  Geistlichen  John 
Robinson  in  Leyden  durch  Talent  und  Charakter  hervorragte. 
Indem  er  bis  zu  seinem  Tode  1625  mit  Wort  und  Schrift  für 
die  Gedanken  wirkte,  deren  Verlheidigung  ihn  mit  so  vielen 


Die  Independenten  in  Holland.  —  John  Robinson.  207 

anderen  des  Vaterlandes  beraubt  hatte,  gab  er  dem  leiden- 
schaftlichen, negirenden  Brownismus  eine  lebensfähige,  positive 
Gestalt.  Er  hütete  sich,  gleich  einem  seiner  Leidensgenossen, 
John  Smyth,  den  Gegensatz  zur  anglikanischen  Kirche  so  weit 
zu  treiben,  dass  er  eine  Wiedertaufe  für  nöthig  erachtete, 
womit  denn  der  Weg  zur  grundsätzlichen  Verwerfung  der 
Kindertaufe  gewiesen  war,  aber  er  hielt  mit  aller  Entschie- 
denheit an  den  Grundgedanken  des  Brownismus  fest  und  bil- 
dete sie  weiter  aus.  In  Beti-eff  der  Verfassung  behauptete  er 
das  Recht  der  Autonomie  jeder  Gemeinde,  jeder  „Kongrega- 
tion", die  ihm  schon  da  als  vorhanden  galt,  „wo  zwei  oder 
drei  Gläubige  sich  von  der  Welt  trennen,  um  sich  zur  Ge- 
meinschaft des  Evangeliums  und  zum  Bunde  Abraham's  zu 
vereinigen"  (^).  Diese  Autonomie  widersprach  nicht  einer  ge- 
legentlichen Zusammenfassung  der  einzelnen  Kongregationen 
zum  Zweck  gemeinsamer,  unverbindlicher  Berathungen,  aber 
sie  widersprach  der  Unterordnung  dieser  Kongregationen  „unter 
eine  höhere  geistliche  absolute  Autorität  ausser  der  Christi 
und  der  heiligen  Schrift".  Sie  trat  dem  Begriffe  einer  Lan- 
deskirche, einer  Abstufung  nach  Provinzen  und  Diöcesen  feind- 
lich gegenüber  und  wünschte  die  ganze  historisch  gewordene 
Organisation  des  kirchlichen  Lebens  in  freie  (independeute) 
Gemeinden  aufzulösen,  die  ohne  irgend  welche  Nöthigung  nach 
reinem  Belieben  in  nähere  Verbindung  treten  könnten.  Wie 
sich  hierin  der  individuelle  Anspruch  dem  Zwange  äusserer 
Autorität  entgegensetzte,  den  man  in  der  Heimat  hatte  er- 
dulden müssen,  so  wirkte  eben  dieser  Geist  der  Selbststän- 
digkeit in  der  Ausgestaltung  der  einzelnen  Kongregation  und 
führte  zu  demokratischen  Bildungen,  wie  sie  der  Calvinismus 
im  Princip  wohl  zugegeben,  in  der  Praxis  aber  immer  ab- 
geschwächt hatte.  Die  Schlüsselgewalt,  als  deren  Inhaber  die 
Katholiken  den  Pabst,  die  Anglikaner  die  Bischöfe,  die  Pres- 
byterianer  das  Presbyterium  betrachteten,  lag  nach  Robinson 
in  der  gesammten  Gemeinde  (2).  „Jeder  Christ  ist,  nach  den 
Worten  des  Henry  Ainsworth  zu  Amsterdam,  ein  König  und 
Priester  Gottes,  um  die  Sünde  auszuspähen,  zu  rügen  und  zu 
vertilgen"  (^).    Der  urreformatorische  Gedanke  vom  allgemei- 


208  Die  Independenten  in  Holland.  —  John  Robinson. 

nen  Priesterthum  wachte  wieder  auf.  Er  sollte  die  Ein- 
setzung von  Kirchenbeamten,  wie  Pastoren  für  die  Seelsorge, 
Lehrern  für  religiösen  Unterricht,  anderen  Aeltesten  zur  Mit- 
wirkung bei  Handhabung  der  Kirchenzucht,  Diakonen  für  die 
Verwaltung  der  Geldbeiträge,  nicht  verhindern,  aber  die 
Gemeinde,  aus  deren  Wahl  sie  hervorgiengen ,  sollte  ihre 
Souveränität  nicht  zu  ihren  Gunsten  abdanken (i).  Wurden  für 
die  Wahl  zum  geistlichen  Amt  auch  gewisse  Fähigkeiten  vor- 
ausgesetzt, so  gab  es  keine  geheimnisvolle  Weihe  mehr.  Die 
Verhandlungen  des  Aeltesten -Kollegs  waren  öffentlich,  die 
Gemeinde  hatte  ihre  Zustimmung  zu  seinen  Beschlüssen  zu 
geben,  seine  Censuren  zu  bestätigen. 

jVIan  hat  volles  Recht,  die  konstitutionellen  Grundsätze 
dieser  früheren  Independenten  aus  dem  inneren  religiösen 
Gedanken  abzuleiten,  der  sie  beseelte.  Derselbe  natürliche 
Zug,  der  sich  in  so  vielen  der  Sekten  des  sechzehnten  und 
siebzehnten  Jahrhunderts  findet ,  der  Drang ,  das  religiöse 
Leben  des  Einzelnen  zu  vertiefen ,  alles  Gewohnheitsmässige, 
auf  Nöthigung  Beruhende  fernzuhalten,  beherrscht  auch  die 
Geister  jener  Independenten.  Als  berechtigtes  Glied  der 
Kongregation  erschien  nur  der,  welcher  wahrhafte  Zeichen 
der  göttlichen  Erwählung  aufweisen  konnte.  Eine  Auffor- 
derung, dem  Impulse  des  Augenblicks  zu  folgen  und  durch 
Aeusserungen  religiöser  Inbrunst  seine  Erwählung  kundzuthun, 
war  damit  gegeben,  zugleich  aber  das  Streben,  jeden  lästigen 
Formenzwang  zu  durchbrechen,  welcher  der  gemeinsamen  An- 
dacht dienen  sollte.  Wer  jede  ein  für  alle  Mal  vorgeschrie- 
bene Gebetsform,  selbst  das  Vater -Unser,  für  ersetzbar  hielt 
durch  den  augenblicklichen  Erguss  des  jubelnden  oder  ge- 
quälten Herzens,  wer  dem  Einzelnen,  je  nachdem  der  Geist 
ihn  trieb,  das  Recht  der  Prophetie,  der  freien  Rede  zur  Er- 
bauung der  Gemeinde,  einräumte  (^),  der  konnte  ein  geistliches 
Privilegium,  ein^n  Ausschluss  der  Gesammtheit  von  der  Ver- 
waltung ihrer  Angelegenheiten  nicht  anerkennen. 

Man  sollte  glauben ,  der  Independentismus  Robinson's 
und  der  ihm  gleich  Gesinnten  hätte  sich  jede  direkte  Ein- 
miscliuiig  des  Staates  in  die  religiösen  Interessen  der  Bürger 


Ansicht  über  das  Verhältnis  von  Kirche  und  Staat.  209 

verbitten  müssen.  Es  würde  seinen  übrigen  Grundsätzen  ent- 
sprochen haben,  vom  Staate  nichts  mehr  zu  verlangen,  als 
dass  er  die  einzelnen  Kongregationen,  wie  wir  sagen  würden, 
unter  dem  Gesichtspunkte  des  Vereinsrechtes  betrachte,  ohne 
sich  selbst  mit  ihren  Aufgaben  zu  belasten,  geschweige 
denn  eine  bestimmte  religiöse  Erziehung  von  sich  aus  vorzu- 
schreiben und  zu  leiten.  Ausdrücke  wie  die,  dass  die  angli- 
kanische Kirche,  weil  ausschliessliche  Staatskirche,  ein  „Baby- 
lon" sei,  schienen  einer  solchen  Auffassung  zu  entsprechen, 
Worte  Robert  Browne's  selbst,  allgemein  gehalten  wie  sie 
waren,  schienen  sie  zu -rechtfertigen.  Auch  befanden  sich  in 
der  That  die  ersten  Flüchtlings -Gemeinden,  die  in  Holland 
nur  Duldung  genossen,  thatsächlich  in  der  Lage,  ganz  und 
gar  auf  ihre  eigenen  Hilfsmittel  und  die  ihnen  etwa  inne- 
wohnende geistige  Anziehungskraft  angewiesen  zu  sein.  Für 
die  „Bedürfnisse  der  Kirche",  und  darunter  den  „Unterhalt" 
ihrer  Diener,  werden  „Beiträge"  der  Gemeinde  in  Aussicht 
genommen  (1).  Und  in  der  baptistischen  Gemeinde  John  Smyth's, 
die,  von  den  übrigen  Independenten  getrennt,  ihren  Grund- 
gedanken zu  den  äussersten  Konsequenzen  durchzuführen 
wusste,  scheint  man  bald  nach  dem  Tode  des  Stifters  offen 
die  Meinung  vertreten  zu  haben:  „Der  Staat  hat  sich  nicht 
in  die  Angelegenheiten  der  Religion  und  des  Gewissens  ein- 
zumischen, oder  den  Menschen  diese  oder  jene  Form  der  Re- 
ligion aufzuzwingen,  weil  Christus  der  König  und  Gesetzgeber 
der  Kirche  und  des  Gewissens  ist"  ^). 

Allein  bei  den  übrigen  In depeii deuten  herrschte  über 
diesen  Punkt  eine  Unklarheit,  die  sich  nur  aus  der  Macht 
der  Gewohnheit  erklärt,  an  den  überkommenen  Begriffen  ver- 
gangener Kulturepochen,  die  mit  anderen  der  modernen  Zeit 
in  unlösbarem  Widerspruch  standen,  zähe  festzuhalten.  Der- 
selbe Robinson,  welcher  überall  sonst  die  Unabhängigkeit  des 
Individuums  aufs  stärkste  betont,  welcher  die  Lutheraner 
deshalb  tadelt,  dass  sie  bei  Luther,  die  Calvinisten,  dass  sie 
bei  Calvin  stehen  bleiben ,  kann  sich  doch  nicht  des  Gedan- 
kens erwehren,  dass  die  Erhaltung  dessen,  was  ihm  der  reine 
Glaube  ist,  ebenso  zu  den  Aufgaben  des  Staates  gehöre,  wie 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  2.  14 


210  Ansicht  über  das  Verhältnis  von  Kirche  und  Staat. 

die  Erhaltung  der  öffentlichen  Ordnung.  „Dass  eine  fromme 
Obrigkeit  mit  Zwang  öffentliche  und  notorische  Abgötterei 
unterdrücken,  wie  auch  Vorsorge  dafür  treffen  soll,  dass  die 
göttliche  Wahrheit  nach  Gottes  Befehl  in  ihren  Staaten  ge- 
lehrt und  verkündigt  werde,  darüber  hege  ich  keinen  Zweifel. 
Vielleicht  ist  es  ihr  auch  erlaubt,  ihre  Unterthanen  bei  Strafe 
zu  zwingen,  zum  Zw^ecke  ihrer  Belehrung  und  Bekehrung  zu- 
zuhören und  die  Strafe  zu  vollstrecken,  sofern  sie  nach  ge- 
höriger Belehrung  der  Kirche  nicht  beitreten"  (^).  Von  her- 
vorragenden Independenten,  die  mit  Ptobinson  das  Exil  theilten, 
liegen  ähnliche  Aeusserungen  vor.  Das  Glaubensbekenntnis 
einer  londoner  independentischen  Kongregation,  welche  Henry 
Jacob  nach  der  Rückkehr  in  die  Heimat  gegründet  hatte, 
vom  Jahre  1616,  verurtheilte  allerdings  die  erzwungenen  Zehn- 
ten und  jede  Art  von  Staats -Steuern  zu  Kultuszwecken.  Es 
empfahl  zur  Vermeidung  von  Heuchelei,  als  Mittel  des  Unter- 
halts für  den  Geistlichen,  freiwillige  Beiträge  der  Gemeinde, 
„womit  die  Apostel  ihre  Zeit  zufrieden  sein  Hessen".  Aber 
dasselbe  Bekenntnis  enthielt  auch  den  zweideutigen  Satz: 
„Wir  glauben,  dass  wir  und  alle  wahren  sichtbaren  Kirchen 
überwacht,  in  Ordnung  und  Frieden  gehalten  und  nächst 
Christus,  wenn  es  Noth  thut,  auch  in  Sachen  der  Religion  durch 
die  weltliche  Obrigkeit  geleitet  (governed)  werden  sollen"  (-). 
Wenn  damit  mehr  als  ein  blosses  Aufsichtsrecht  gemeint  w^ar, 
wie  man  es  dem  Staate  überhaupt  nicht  streitig  machte,  wenn 
es  nur  eine  Umschreilning  jenes  Robinson'schen  Gedankens 
von  den  religiösen  Aufgaben  der  Obrigkeit  sein  sollte,  so  war 
schwer  abzusehn,  wie  die  übrigen  Grundsätze  des  Indepen- 
dentismus  mit  diesem  auf  die  Dauer  sich  vertragen  würden. 
Indessen  w'ährend  jene  Kongregationen  in  Leyden,  Am- 
sterdam, Middelburg,  Emden  ein  bescheidenes  Dasein  fristeten, 
später  in  Arnheim,  und  Rotterdam,  mit  einiger  Unterstützung 
der  Behörden,  grössere  Bedeutung  gewannen,  hatte  sich 
dem  Indepcndentisraus  ein  anderes  ungeheures  Gebiet  er- 
öffnet, auf  dessen  jungfräulichem  Boden  seine  Bedeutung 
wuchs.  War  man  in  Holland  auch  dem  hohen  Kommissions- 
hof, dem  Kerker  und   dem  Henker  entflphen,    so  fühlte  man 


Die  Pilgerväter.  —  New-PIymouth.  211 

sich  doch  von  einem  befriedigenden  Zustande  weit  entfernt. 
Die  Mitglieder  von  Eobinson's  Gemeinde  in  Leyden,  meistens 
auf  dem  Lande  gross  geworden,  hatten  unter  der  industriellen 
Bevölkerung,  wo  jede  Stelle  durch  die  arbeitsamen  Eingebo- 
renen besetzt  war,  mit  der  bitteren  Noth  des  Lebens  zu 
kämpfen,  Sprache,  Sitten,  Klima  des  Landes  waren  ihnen 
ungewohnt.  Vergeblich  war  ihre  Hoffnung,  hier  jenes  Ideal 
einer  heiligen,  friedlichen  Gemeinschaft  zu  verwirklichen,  wenn 
ihre  Söhne  schon  begannen,  un;  gutes  holländisches  Gold  sich 
anwerben  zu  lassen,  um  im  Lager  die  Sorgen  des  Flücht- 
lingslebens abzuschütteln.  Nicht  wenige  schauten  nach  einem 
günstigeren  Asyle  aus.  Die  Küsten  jenseits  des  Weltmeeres 
winkten  ihnen  um  so  verlockender,  als  es  dort  ein  Gebiet 
gab,  das  Territorium  der  Virginia -Company,  auf  dem  man 
hoffen  durfte,  Zuzug  aus  der  Heimat  zu  erhalten,  ohne,  bei 
gehöriger  Entfernung,  der  eifersüchtigen  Unduldsamkeit  der 
bisherigen  Kolonisten  zu  verfallen.  —  Wie  sie  mit  I\Iühe  ein 
Patent  erlangten,  mit  knapper  Noth  die  Mittel  zusammen- 
brachten, wie  sie  unter  dem  Segen  Robinson's  und  den  Ge- 
beten ihrer  zurückbleibenden  Brüder  von  Delfthaven  ab- 
segelten, um  in  Southampton  mit  dem  Rest  ihrer  Gefährten 
zusammenzutreffen ,  wie  ein  ärmliches  Schiff  sie  über  die  See 
trug  in  eine  unbekannte  Wildnis,  weit  ausserhalb  des  Ge- 
bietes, dessen  Autorität  sie  zugewiesen  waren,  wie  sie  sich 
selbst  eine  Verfassung  gaben  und  trotz  Hunger  und  Krankheit, 
Sturm  und  Kälte,  hinter  sich  das  Weltmeer,  vor  sich  die 
Stämme  der  Indianer,  an  jener  Felseuküste  von  New-Plymouth 
sich  ansiedelten,  die  ihr  prüfender  Blick  erwählte:  das  alles 
sind  Thatsachen  von  so  einfacher,  heroischer  Grösse,  gleich- 
zeitig Zeugnisse  angelsächsischer  Zähigkeit  und  gläubiger  Zu- 
versicht, dass  ihrer  die  Geschichte  niemals  vergessen  kann. 

Wenig  mehr  als  zwei  Jahrzehnte  waren  seit  der  Ansie- 
delung der  Pilgerväter  verflossen,  als  die  Kolonisation  jener 
Küsten,  von  England  aus,  bereits  einen  grossartigen  Aufschwung 
genommen  hatte.  Während  der  Laud'schen  Gewaltherrschaft, 
gelockt  durch  kommercielle  Aussichten,  waren  etwa  zwanzigtau- 
send Menschen  dort  angelangt,  um  Pflanzungen  zu  begründen, 

14* 


212  Massachusetts.     Connecticut.     New-Haven. 

deren  rechtlicher  Zusammenhang  mit  dem  Mutterlande  mehr 
oder  weniger  Idar  war.  Neben  New-Plymouth  waren,  von 
einzelnen  vorgeschobenen  Posten  abgesehen,  jene  volkreicheren 
Ortschaften  an  der  Bai  von  Massachusetts,  sowie  die  ersten 
Kolonieen  am  Fluss  Connecticut  und  von  New-Haven  erwachsen. 
Indessen  konnte  es  zweifelhaft  erscheinen,  ob  die  Ent- 
wicklung der  kirchenpolitischen  Verhältnisse  hier  einen  so 
wesentlich  anderen  Gang  nehmen  werde  wie  in  Europa ('). 
lieber  das  Meer  getrieben  durch  die  Härte  der  englischen 
Hierarchie,  in  beständiger  Angst,  von  ihren  Emissären  und  von 
der  Regierung  des  Mutterlandes  beunruhigt,  durch  das  Ein- 
schleichen von  Papisten  und  Sekten  in  der  friedlichen  Aus- 
bildung ihres  Staatswesens  gestört  und  des  Zuzugs  von  Ge- 
sinnungsgenossen beraubt  zu  werden,  glaubten  die  puritanischen 
Kolonisten  regelmässig  sich  nicht  anders  schlitzen  zu  können, 
als  wenn  sie  die  Einheit  des  religiösen  Bekenntnisses,  wie  sie 
es  verstanden,  von  Staatswegen  aufrecht  zu  halten  suchten. 
In  Connecticut  war  allerdings  die  Aufnahme  in  die  Vollbür- 
gerschaft nicht  ausdrücklich  abhängig  gemacht  von  der  Zu- 
gehörigkeit zu  einer  der  innerhalb  der  Grenzen  zugelassenen 
kirchhchen  Genossenschaften.  Aber  in  Massachusetts  wie  in 
New-Haven  war  dies  die  unumgängliche  Bedingung,  um  der 
politischen  Ptechte  theilhaftig  zu  werden.  Selbst  in  der  ur- 
sprünglichen Gründung  von  New-Plymouth  scheint  für  die 
Ausübung  des  städtischen  Wahlrechtes,  neben  dem  Besitze 
guten  Leumundes,  Rechtgläubigkeit  in  den  Fundamenten  der 
Religion  gefordert  worden  zusein.  Bei  ■  den  anfänglichen,  ein- 
fachen Verhältnissen  konnten  kirchliche  und  politische  Ge- 
meinschaft als  gleichbedeutend  betrachtet  werden,  wie  denn 
der  eine  Ausdruck  anscheinend  für  den  anderen  angewandt 
wird (2).  Man  findet,  dass  die  Magistrate  an  den  Synoden 
Theil  nehmen,  und  dass  die  Geistlichen  die  vornehmsten  Be- 
rather der  Obrigkeit  sind.  "V^^nn  die  ersten  Pilgerväter  eine 
mildere  Praxis  bewahrten,  so  schienen  die  folgenden  Ankönmi- 
linge  der  einen  Tliookratie  nur  deshalb  entflohen  zu  sein,  um 
eine  neue  zu  begründen.  Es  genügt,  an  die  Gesetze  gegen 
Blasphemie  und  Idolatile,  wegen  Ileiliglialtung  des  Sabbaths 


Independentismus  von  Neu-England.  213 

und  Erzwingung  des  regelmässigen  Kirchenbesuches,  an  die 
rücksichtslose  Strenge  in  ihrer  Durchfülirung  und  Anwendung, 
an  die  Quäker- Verfolgungen  und  Hexen -Processe  mit  einem 
Worte  zu  erinnern,  um  den  Gedanken  abzuwehren,  als  habe 
man  in  den  neuen  Gemeinwesen  des  Armes  der  Staatsgewalt 
bei  der  Ausgestaltung  des  religiösen  Lebens  oder  zur  Auf- 
rechthaltung religiöser  Unduldsamkeit  entbehren  wollen.  Aller- 
dings Hessen  sich  die  puritanischen  Kolonisten  von  idealen 
Absichten  leiten.  Wie  sie  hie  und  da  die  Bibel  als  sub- 
sidiäres, wenn  nicht  gar  als  einziges  Gesetzbuch  auch  für  die 
Verhältnisse  des  bürgerlichen  Daseins  betrachteten,  so  sollte 
dieses  selbst  zu  einem  Abbild  der  göttlichen  Eegierung  im 
kleinen  werden.  Eben  dadurch  ward  eine  Grenzverwischung, 
ähnlich  der,  welche  man  auf  der  anderen  Seite  des  Oceans 
bitter  beklagt  hatte,  unvermeidlich. 

Allein  ein  Gegensatz  zwischen  den  kirchlichen  Zu- 
ständen dieser  Kolonieen  und  denen  des  Mutterlandes  war 
vorhanden,  der  von  folgenreichster  Bedeutung  wurde.  Die 
Verfassung  der  Kirche  in  diesen  Kolonieen  war  independen- 
tisch.  Durch  den  Hass  gegen  das  bischöfliche  System  waren 
ihre  Gründer  vor  einer  Kopie  dieser  Form  hinlänglich  ge- 
schützt. Aber  sie  hatten  auch  keinen  Anlass,  die  Hierarchie 
der  Presbyterial -Verfassung  auf  den  neuen  Boden  zu  ver- 
pflanzen. Es  konnte  nicht  ohne  Wirkung  auf  die  Gesinnungen 
der  späteren  Ankömmlinge  bleiben,  dass  in  jener  ersten  An- 
siedlung  von  New-Plymouth  der  Geist  John  Robiuson's  fort- 
lebte. Selbst  solche,  die  mit  der  ausdrücklichen  Erklärung 
die  Heimat  verlassen  hatten,  ihr  nicht  als  Separatisten  Lebe- 
wohl zu  sagen,  fanden  bei  einer  Berührung  mit  diesen  Sepa- 
ratisten, dass  deren  Grundsätze  über  die  Fragen  kirchlicher 
Verfassung  ihren  eigenen  sehr  nahe  ständen  und  zögerten 
nicht,  die  thatsächliche  Freiheit,  deren  sie  sich  in  dieser  Ent- 
fernung von  den  heimatlichen  Behörden  erfreuten,  gegen  deren 
Verfügungen  auszubeuten  f^).  Entsprechend  dem  losen  Ver- 
bände bürgerlicher  Gemeinden,  auf  deren  lokale  .Selbstvei*wal- 
tung  keine  höhere  Macht  einwirkte,  sahen  sich  die  Ausgewan- 
derten zum  Zwecke  religiöser  Uebungen  in  autonomen  Kon- 


214  ludependentismus  von  Neu-England. 

gregationen  vereint,  von  denen  keine  über  die  andere  eine 
regelmässige  administrative  oder  gerichtliche  Autorität  aus- 
übte. Es  war  damit  nicht  gesagt,  dass  nicht  in  den  einzelnen 
Kolonieen,  wie  auch  Robinson  es  zugegeben  hatte,  hie  und 
da  gemeinsame  Berathungen  mehrerer  Kongregationen,  auch 
wohl  Ermahnungen  der  einen  durch  die  andere,  gelegentlich 
selbst  förmliche  Synoden  stattfinden  könnten.  Im  übrigen 
verwaltete  jede  ihre  Angelegenheiten  selbstständig.  Sie  war 
frei  in  der  Aufnahme  neuer  Mitglieder.  Sie  wählte  ihre  Be- 
amte, für  deren  Bezeichnung  und  Wirkungskreis  die  mehr 
oder  minder  scharfe  Trennung  des  Presbyterbegriffes  bedeutend 
blieb.  Sie  beanspruchte  Unabhängigkeit  in  der  Verwaltung 
ihrer  Angelegenheiten  und  namentlich  in  der  Erhaltung  der 
kirchlichen  Zucht.  Sie  beliess  jedem  ihrer  Genossen  das 
Recht  der  .,Prophetie"  zur  Lösung  religiöser  Zweifel  und  zur 
Erbauung  der  übrigen. 

Durch  das  blosse  Dasein  dieser  independenten  Gemeinden, 
so  streitig  auch  einzelne  Fragen  ihrer  Verfassung  sein  moch- 
ten, wurden  weitere  Abweichungen  von  dem,  was  in  der 
Heimat  galt,  vorbereitet.  Dort  herrschte  eine  am  Staate  auf- 
gerichtete Ivirche,  mit  dem  ganzen  Zustand  der  Vergangenheit 
verwachsen,  durch  Patronat  und  Bepfründung  auf  feste  Besitz- 
verhältnisse hingewiesen.  Hier  stand  man,  losgerissen  von 
jener  Kette  der  Geschichte,  auf  einem  unberührten  Boden, 
jede  Kongregation  für  sich,  aus  dem  freien  Willen  der  An- 
könunlinge  gebildet.  Mochte  anfangs,  als  kirchliche  und  poli- 
tische Gemeinde  sich  deckten,  die  Pflicht  aller,  für  die  Zwecke 
des  Kultus  beizusteuern,  natürlich  erscheinen,  mochte  noch 
für  eine  lange  Spanne  Zeit  die  Fürsorge  für  Kirche  und 
Kirchendiener  als  bürgerliche  Angelegenheit  betrachtet  wer- 
den, in  der  Folge  musste  jener  Grundsatz  der  Freiwillig- 
keit für  die  Unterhaltung  der  kirchlichen  Anstalten  und  Be- 
amten dennoch  bedeutungsvoll  werden.  —  Der  ludependentis- 
mus führte  hier  gleichfalls  zu  Bildungen,  sehr  verschieden 
von  den  entsprechenden  der  alten  christlichen  Welt.  Auch  sie 
hiengen  noch  immer  durch  stärkere  oder  schwächere  Fäden, 
in  älinliclier  Weise,   wie  die  europäische  Menschheit  sie  fast 


Roger  Williams.  215 

durchaus  für  unerlässlich  hielt,  mit  der  Staatsgewalt  zu- 
sammeu.  Aber  iu  ihnen  lebten  zu  gleicher  Zeit  andere 
ideelle  Kräfte,  welche  nur  mächtig  genug  zu  werden  brauch- 
ten, um  im  Verlauf  der  Generationen  auch  diese  Fäden  zu 
zerschneiden.  Und  schon  war  an  einer  Stätte  der  neuen 
Welt  mit  voller  Entschiedenheit  selbst  dieser  äusserste  Schritt 
gemacht  worden. 

Seit  1631  lebte  in  Amerika  Eoger  W^illiams,  welchem 
der  unsterbliche  Ruhm  gebührt,  der  Gründer  des  konfessions- 
losen Staates  gewesen  zu  sein(^).  Er  war  etwa  1599  geboren, 
ohne  Zweifel  von  waliser  Herkunft,  ein  Mann  von  felsenfester 
Ueberzeuguugstreue  uiid  selbstloser  Menschenliebe.  In  Cam- 
bridge zum  Theologen  vorgebildet  und  für  den  geistlichen 
Beruf  bestimmt,  sah  er  sich  gleichzeitig  mit  so  vielen  anderen 
Ende  1630  dazu  gedrängt,  sein  geknechtetes  Vaterland  zu 
verlassen,  um  sich  jenseits  des  Oceans  vor  Sterukammer  und 
hoher  Kommission  zu  retten.  Hier  war  er  in  verschiedenen 
geistlichen  Stellungen  in  Salem,  New-Plymouth  und  wieder 
in  Salem  thätig,  aber  was  er  offen  auszusprechen  und  mit 
Wärme  zu  vertheidigen  wagte,  zog  ihm,  welcher  den  Ver- 
folgimgen  der  heimatlichen  Gewalten  entronnen  war,  Ver- 
folgungen seitens  der  kolonialen  Behörden  zu.  Es  war  schon 
unerträglich,  dass  dieser  strenge  Puritaner  eine  förmliche 
Lossagung  von  der  anglikanischen  Kirche  forderte.  Es  er- 
schien als  gefährliche  Schwärmerei,  dass  er  die  ganze  Theorie 
des  Entdeckerrechtes  der  europäischen  Nationen  läugnete  und 
nur  den  eingeborenen  Bewohnern,  den  Indianern,  ein  Ver- 
füguugsrecht  über  den  Grund  und  Boden  zugestand.  Aber 
als  Erzfeind  der  Gesellshaft  enthüllte  er  sich,  indem  er  durch 
Wort  und  Schrift  vertheidigte ,  dass  dem  Staate  kein  Recht 
zustehe,  die  Zugehörigkeit  zu  einer  kirchlichen  Genossenschaft 
zu  fordern,  einen  Eid  auf  den  Kamen  Gottes  aufzulegen, 
Blasphemie,  Idolatrie  und  Störer  der  Sabbathruhe  zu  strafen. 

Als  seine  Gemeinde  um  seinetwillen  l)ei  einer  Landforderung 
benachtheiligt  wurde,  und  ein  Appell  au  die  übrigen  in  der 
Kolonie  bestehenden  erfolglos  blieb,  gieng  er  soweit,  ihnen 
alle  Gemeinschaft    aufzukündigen    und    sich   bitter  über   die 


216  Rhode-Island. 

Obrigkeit  zu  äussern.  Der  Generalhof  der  ganzen  Kolonie 
^Massachusetts  sprach  1635  seine  Verbannung  aus.  AVegen 
Erkrankung  ^\:ard  ihm  die  Frist  der  Abreise  erstreckt,  er 
liess  jedoch  nicht  davon  ab,  in  seinen  vier  Wänden  seine 
Ueberzeugung  kund  zu  thun.  Man  fasste  den  Plan,  ihn  nach 
England  zurückzuschaflfen.  Er  wurde  noch  rechtzeitig  ge- 
warnt und  floh,  Weib  und  Kind  zurücklassend,  durch  Schnee 
und  Eis,  in  die  Wälder.  Von  den  Indianern  hatte  er  nichts 
zu  fürchten.  Er  war  der  erste  Europäer,  der  ihnen  ohne 
Bekehrungszwecke  nahe  getreten  war,  ihre  Sprache  erlernt 
hatte,  ihr  Wohlthäter  wurde.  Von  ihnen  erhielt  er  ein  Ge- 
biet an  der  Karragansett-Bai,  auf  dem  er  im  Sommer  1636 
den  Grund  zur  Stadt  Providence  legte.  Einige  ihm  an- 
hangende Kolonisten  hatten  sich  bei  ihm  eingefunden.  Die 
Seinigen  zogen  ihm  in  das  neue  Asyl  nach,  Fremde  erlangten 
unter  vortheilhaften  Bedingungen  Aufnahme.  —  Eine  Generation 
später  zählte  das  kleine  Gemeinwesen  zwischen  zwei-  und 
dreitausend  Seelen.  War  seine  Verfassung  streng  demokra- 
tisch, so  wurde  ausdrücklich  anerkannt,  dass  die  Majorität 
der  aufgenommenen  Familienhäupter  ,,nur  in  weltlichen  Dingen" 
verliindliche  Beschlüsse  fassen  könne.  Williams  verglich  den 
neuen  Staat  einem  Schiff,  auf  welchem  „Katholiken  und  Pro- 
testanten, Juden  und  Türken"  friedlich  zusammenfahren 
müssten,  nicht  verpflichtet,  dem  Gottesdienste  des  Schiff's- 
predigers  beizuwohnen  oder  von  ihrem  eigenen  abzustehn, 
und  dabei  dennoch  dem  gemeinsamen  Gesetz  und  den  Befehlen 
des  Kapitäns  unterworfen  {^).  Er  nahm  1638  die  energische 
Airs.  Hutchinson  nebst  ihrem  Anhang  unter  seinen  Schutz  auf. 
Sie  war  wegen  heftiger,  den  Frieden  gefährdender  dogmati- 
scher Streitigkeiten  als  Antinomianerin  gleich  ihm  gezwungen 
worden,  aus  Massachusetts  zu  weichen,  nachdem  Henry  Vane 
wähi-end  der  kurzen  Zeit,  in  der  er  den  Gouverneurposten 
innegehabt,  vergeblich  versucht  hatte,  seinen  Grundsatz  der 
Toleranz  mit  der  Aufrechthaltung  der  öftentlichen  Ordnung 
zu  versöhnen.  Die  neuen  Ankönnnlinge  siedelten  sich  auf 
jener  Insel  an,  die,  gleichfalls  von  den  Eingeborenen  erworben, 
den  Namen  Ilhode  Island   ei-hielt.     Auch  hier  wurde  der  (ie- 


Rückwirkung  des  Independentismus  auf  England.  217 

nuss  der  bürgerlichen  Rechte  ganz  unabhängig  vom  Bekenntnis 
gemacht,  und  Freiheit  des  Gewissens  in  Sachen  des  Glaubens 
zum  Gesetz  erklärt.  Allerdings  sahen  sich  diese  neuen 
Pflanzungen,  trotz  fortbestehender  herzlicher  Beziehungen 
zwischen  Williams  und  den  Freunden  in  Massachusetts,  von 
einer  Verbindung  mit  den  Nachbarkolonieen,  von  allem  Handels- 
verkehr mit  ihnen  getrennt,  ja  sogar  in  ihrer  Unabhängigkeit 
bedroht.  Als  Massachussetts  mit  New-Plymouth,  Connecticut, 
New-Haven  im  Mai  1643  zu  Boston  unter  dem  Namen  der 
„vereinigten  Kolonieen  von  Neu -England"  eine  engere  Kon- 
föderation schloss,  unteiTiahm  Williams  selbst  auf  einem  hol- 
ländischen Schiff  von*  New -Amsterdam  aus  die  Reise  nach 
Europa  und  erlangte  in  der  That  mit  Hilfe  Vane's  am  14. 
März  1644  vom  Parlamente  für  die  vereinigten  Providence- 
Pflanzungen  in  der  Narragansett  -  Bai  eine  Urkunde,  die  ihr 
Staatswesen  anerkannte  und  ihren  Bürgern  das  Recht  verlieh, 
es  nach  ihrem  Gutdünken  zu  gestalten. 


Die  geschilderte  Ausbildung  des  Independentismus  in 
Holland  und  Amerika  konnte  nach  dem  Ausbruch  der  Revo- 
lution nicht  ohne  bedeutende  Rückwirkung  auf  England  blei- 
ben, selbst  wenn  hier  inzwischen  die  independentischen  An- 
sichten nicht  ohnehin  Wurzeln  getrieben  hätten.  In  Wahrheit 
hatten  diese  aber  trotz  aller  Wachsamkeit  der  kirchlichen 
und  staatlichen  Behörden  niemals  vollständig  ausgerottet  wer- 
den können.  Immer  hatten  geheime  Konventikel  fortbestan- 
den, deren  Mitglieder  in  einer  Zeit,  da  einzelne  Opfer  wegen 
„Ketzereien"  noch  den  Scheiterhaufen  zu  besteigen  hatten, 
es  nicht  über  sich  gewinnen  konnten,  den  Boden  der  Heimat 
zu  verlassen.  Noch  zur  Zeit  König  Jakob's  hatten  sie  eine 
Verstärkung  erhalten,  als  Ende  1611  oder  Anfang  1612  unter 
Thomas  Helwisse  und  John  Murton  die  Reste  der  Baptisten- 
gemeinde von  Smyth,  um  1616  Henry  Jacob  mit  einigen  Ver- 
trauten aus  Holland  zuilickkehilen ,  um  gesonderte  Kongre- 
gationen in  London  zu  bilden.     Die  Wirksamkeit  der  ersten 


218  Baptisten. 

lässt  sich  nur  durch  den  Einblick  in  einige  merkwürdige 
Flugschriften  verfolgen,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aus 
dem  Kreise  ihrer  Mitglieder  stammen.  In  der  einen,  betitelt 
„Religiöser  Friede  oder  ein  Wort  für  Gewissensfreiheit"  (1614), 
suchte  Leonard  Busher,  ein  armer  londoner  Bürger,  dem 
König  und  dem  Parlamente  klar  zu  machen,  dass  „Monarchen 
und  Staatsbeamte  nur  weltliche  Angelegenheiten  mit  dem 
welthchen  Schwert,  Bischöfe  und  Prediger  die  geistlichen 
Angelegenheiten  mit  dem  W^orte  und  Geiste  Gottes  zu  leiten, 
und  keiner  von  beiden  sich  in  das  Amt  des  anderen  einzu- 
mischen hätte".  Er  berief  sich  darauf,  dass  in  Konstantinopel 
Juden,  Christen  und  Türken  friedlich  zusammenlebten,  um 
freilich  fast  in  demselben  Athem  es  doch  als  „Pflicht  des  Kö- 
nigs und  des  Staates  zu  erklären,  die  Bekehrung  ihrer  Unter- 
thanen  durch  das  W^ort  Gottes  zu  erstreben".  Mit  grösserer 
Folgerichtigkeit  sprach  sich  der  Verfasser  der  zweiten,  dialo- 
gischen Schrift,  ohne  Zweifel  John  Murton,  aus.  Die  Magi- 
stratur ist  ihm  ,,eine  Macht  dieser  Welt",  berechtigt  und  ver- 
pflichtet, zu  Schutz  und  Strafe,  „das  weltliche  Schwert"  zu 
führen.  Ohne  solche  Autorität  würden  „die  Menschen  nicht 
leben  können",  die  Ptechtsordnung  würde  zu  Grunde  gehn. 
„Aber  lasst  uns  nicht  weiser  sein  als  Gott,  ihm  Mittel  zur 
Ausbreitung  seines  Evangeliums  zu  ersinnen,"  denn  solches 
„ist  nicht  von  dieser  W^elt"(^).  Eine  „Bittschrift  vieler  treuer 
Unterthanen" ,  die  sich  mit  Unrecht  als  „Anabaptisten"  ge- 
brandmarkt fühlten,  führte  im  Jahre  1620  mit  grosser  Beredt- 
samkeit  den  gleichen  Gedanken  aas.  Die  Bittsteller  verwahrten 
sich  aufs  feierlichste  gegen  den  Vor^Yurf  „für  sich  oder  an- 
dere die  geringste  Freiheit  von  der  strengsten  Beobachtung 
eines  bürgerlichen  Gesetzes  zu  ei'streben",  welches  abziele 
auf  „die  Bewahrung  der  Person,  der  Krone,  des  Staates,  der 
Würde  S.  Majestät",  aber  sie  wandten  sich  mit  Entschieden- 
heit gegen  die  Theorie  der  ,, Gelehrten",  „dass  die  Könige 
von  Gott  ermächtigt  seien,  ebenso  für  die  Gottesverehrung 
zu  sorgen,  wie  ihnen  die  Erhaltung  der  Ilechtsordnung  zwi- 
schen Mensch  und  Mensch  obliegt"  (2).  —  Die  zweite  Kongre- 
gation,  im  Geiste  Bobinson's  gestiftet  und  von  baptistischen 


John  Goodwin.  219 

Tendenzen  weit  entfernt,  äusserte  sich  weit  weniger  bestimmt 
über  die  Grenzen,  die  der  Staatsgewalt  gegenüber  dem  religiösen 
Bedürfnis  des  einzelnen  zu  ziehen  seien  (s.  o.  S.  210),  ohne  darum 
den  Verfolgungen  zu  entgelm.  Doch  wusste  sie  selbst  unter  der 
despotischen  Verwaltung  Laud's  ihre  Zusammenkünfte  kümmer- 
lich fortzusetzen,  so  oft  sie  auch  genöthigt  war,  den  Ort  zu 
wechseln,  so  viele  ihrer  Mitgheder  ins  Gefängnis  wandern 
mussten,  so  manche  es  vorzogen,  den  Weg  nach  Amerika 
einzuschlagen  (^), 

Je  stärker  der  Druck  des  staatskirchlichen  Despotismus 
wurde,  desto  mehr  Anhang  fanden  diese  freien  Gemeinden 
bei  den  unteren  Volksklassen.  Mehr  als  ein  Mal  wurden 
Versammlungen  von  ,,Brownisten"  und  ,, Anabaptisten"  denun- 
cirt(-),  und  selbst  auf  dem  Lande,  in  Kent,  Norfolk,  Glou- 
cestershire,  vorzüglich  in  AVales,  tauchten  Kongregationen  auf, 
deren  jede  Unabhängigkeit  für  sich  in  Anspruch  nahm,  und 
deren  Separatismus  öfter  an  dem  Satze  der  Kindertaufe  zu 
rütteln  wagte.  In  London  gab  es  sogar  einen  in  Cambridge 
vorgebildeten,  angestellten  Prediger,  den  Vikar  von  St.  Ste- 
phen's  in  Coleman  Street,  John  Goodwin,  dessen  wohlausge- 
arbeitete Predigten,  neben  Abweichungen  vom  strengen  calvi- 
nistischen  Dogma,  wie  man  sie  auch  den  Baptisten  vorwarf, 
einige  Hinneigung  zum  Independentismus  verriethen,  und 
welcher  angesehene  Bürger,  wie  Isaac  Pennington,  zu  seinen 
anhänglichsten  Pfarrkindern  und  Hampden"s  ]Mutter  zu  seinem 
Bekanntenkreise  zählen  konnte  (=*).  Auch  war  es  nicht  be- 
deutungslos, dass  1637  Henry  Vane,  der  Sohn  eines  englischen 
]\Iinisters,  zurückkehrte,  ein  Mann,  der  eben  unter  den  Inde- 
pendenten  von  Massachusetts  eine  grosse  Rolle  gespielt  hatte. 

Indessen  einen  entschiedenen  Aufschwung  nahm  der  eng- 
lische Independentismus  erst  dann,  als  das  lange  Parlament 
zusammengetreten  war,  und  plötzlich  alle  Fesseln  gelöst  wur- 
den. Der  begeisterte  Ptuf  nach  einer  Reform  in  England 
drang  über  das  ]\Ieer  und  führte  manchen  Hoffenden  in  die 
Heimat  zurück.  Während  die  Auswanderung  nach  Amerika 
plötzlich  nachliess,  langten  von  dort  nicht  wenige  einst  Ver- 
triebene in  England  an  und  entschlossen  sich  zu  bleiben,  um 


220  Th.  Goodwin,  Nye,  Burroughs,  Simpson,  Bridge. 

ihre  Kraft  dem  alten  Vaterlande  zu  widmen.  Der  Baptist 
Hanserd  Knolly's,  der  sich  kaum  in  Massachusetts  sicher  hatte 
fühlen  können,  der  Pastor  von  Salem,  Hugh  Peters,  den  das 
Leben  schon  von  Ort  zu  Ort  getrieben  hatte,  mit  einigen 
Gefährten  im  Interesse  der  Kolonie  entsandt,  waren  die  Be- 
deutendsten. Andere,  Laien  und  Geistliche,  folgten  zu  vor- 
übergehendem oder  dauerndem  Aufenthalt  nach.  Mit  Roger 
Williams  erschien  bald  darauf  für  einige  Zeit  der  am  weite- 
sten fortgeschrittene  Führer  der  independentischen  Geister, 
von  dem  man  wusste,  dass  er  sich  erst  kürzlich  zu  den  Bap- 
tisten geschlagen  hatte,  um  alsbald  an  dem  Werthe  jeder  be- 
stehenden kirchlichen  Gemeinschaft  zu  zweifeln.  Auch  wurde 
eben  damals  (1643)  im  Namen  von  sieben  baptistischen  Kongre- 
gationen ein  förmliches  Glaubensbekenntnis  in  London  ver- 
öffentlicht, welches  ausdrücklich  die  Pflicht  der  Obrigkeit 
hervorhob,  die  ..Gewissensfreiheit,  ohne  die  alle  anderen  Frei- 
heiten nicht  nennenswerth  sind,   zu  schonen" (^). 

Leichter  wurde  es  den  in  Holland  lebenden  Independenten, 
ihre  Päickkehr  zu  bewerkstelligen.  Von  den  dort  verweilen- 
den englischen  Geistlichen  dieser  Richtung  langten  im  Winter 
1640  auf  1641  fünf  auf  dem  heimischen  Boden  an:  Thomas 
Goodwin,  der  in  Arnheim  einer  Kongregation  vorgestanden 
hatte  und  nun  eine  ähnliche  in  London  selbst  begründete, 
Philipp  Nye,  der  in  Holland  mit  Goodwin  zusammengewirkt 
hatte  und,  trotzdem  er  Stephen  MarshalFs  Schwiegersohn  war  (2), 
von  nun  an  in  der  Pfarrei  von  Kimbolton  (Hunts)  independen- 
tische  Grundsätze  vertrat,  Jeremias  Burroughs,  Sidrach 
Simpson,  William  Bridge,  welche  sämmtlich  in  Rotterdam  thätig 
gewesen  waren  und  nun  in  England  grossen  Zulauf  hatten,  der 
erste  in  Yarmouth,   die  beiden'  anderen  in   der  Hauptstadt. 

Burton  und  Lilburne,  zwei  jener  vorzüglichsten  Opfer 
des  anglikanisihen  Staatskirchenthums,  waren  durch  ihre 
Leiden  unwiderruflicli  zu  independentischen  Ansichten  bekehrt 
worden,  die  schon  vorher  ihren  Neigungen  entsprochen  hatten. 
Von  allen  früheren  indeitendentischen  Schriften  machte  keine 
so  grosses  Aufsehen,  wie  eine  „kurze  Remonstranz-'  von  Burton 
(1041),    in    welcher  er  sich  mit  wenig  Achtung  über   eine 


Burtou  und  Lilburne.  221 

„Nationalkirche"  aussprach  und  neben  ihr  mindestens  Dul- 
dung selbststäudiger  Kongregationen  forderte  (i).  Im  Hause  der 
Lords  brachte  Bischof  Hall  zur  Sprache,  dass  an  achtzig  Kon- 
gregationen von  Sekten,  geleitet  von  ..Schuhflickern,  Schnei- 
dern und  Hutmachenr',  aufgetaucht  seien,  und  es  war  eine 
blosse  Formalität,  wenn  diese  Versammlung  es  ein  ^lal  für 
nöthig  hielt,  die  arretirten  Theilnehmer  eines  solchen  Konven- 
tikels  zu  verwarnen  (2). 

Je  näher  die  Aufgabe  heranrückte,  statt  des  blossen  Ein- 
reissens  des  alten  Gebäudes  der  Kirchenverfassung  Hand  an 
die  Errichtung  eines  jieuen  zu  legen,  desto  mehr  wurden  sich 
die  Presbyterianer  der  tiefen  Kluft  bewusst,  die  sie  von  den 
ludependenten  trennte.  Bis  dahin  w\aren  sie  Hand  in  Hand 
mit  ihnen  gegangen ,  voll  des  Lobes  über  ihren  Eifer  gegen 
die  Bischöfe  und  ihr  inniges  religiöses  Bewusstsein.  Bald 
fiengen  sie  au,  in  ihnen  die  gefährlichsten  Rivalen  zu  ahnen, 
nicht  lange  dauerte  es,  so  schlug  die  alte  Waffenbrüderschaft 
in  die  bitterste  Feindschaft  um.  Am  2L  November  1642  be- 
klagte sich  ein  londoner  Kaufmann,  Mr.  Shute,  welcher  sich 
immer  vorzudrängen  wusste,  beim  Parlament,  dass  die  „Ma- 
lignanten"  den  Gutgesinnten  der  City  vorwürfen,  sie  wünsche 
eine  „independente  Verfassung  der  Kirche*',  und  forderte  gegen 
diese  Beleidigung  Protest  (^).  Schon  das  Jahr  vorher  bejam- 
merte der  eifrig  presbyterianische  Geistliche  Edwards  in 
einem  weitverbreiteten  Pamphlet,  ,,dass  sich  Satan  aus  einem 
Engel  der  Finsternis  in  einen  Engel  des  Lichtes  verwandle, 
und  dass  der  Independentismus  zurückbringen  werde,  w^as  er  be- 
kämpfe: Libertinismus,  Profanation.  Ketzereien"  (*).  Die  pres- 
byterianischen  Federn  schienen  in  Gift  getaucht,  wenn  sie  auf 
die  Anhänger  des  „Brownismus"  und  „der  amerikanischen  Reli- 
gion" („New  England  way")  zu  sprechen  kamen.  Sie  malten 
den  bevorstehenden  Einbruch  der  furchtbarsten  Sekten,  als 
Anabaptisten  und  Baptisten,  mit  den  schwärzesten  Farben 
und  wiesen  mit  Schadenfreude  darauf  hin,  dass  jenes  Princip 
der  Duldung  jenseits  des  Oceans  selbst  Schift'bruch  erlitten 
habe.  Die  Independenten  blieben  die  Antwort  nicht  schuldig. 
Auch   von   ihrer  Seite  regnete   es  Flugschriften.    Selbst  eine 


222  Eurton  und  Lilburne. 

Frau,  ]\Irs.  Katlierine  Chidley,  schon  bei  Jahren  und  Mitglied 
einer  londoner  Winkelgemeinde,  ergriff  das  Wort  und  sie 
hatte  den  Muth,  Edwards  zu  erwidern,  dass  es  ein  Zeichen 
unentschuldbarer  Schwäche  gewesen  sei,  in  den  Kolonieen 
Leute  auszuweisen,  die  weder  den  Frieden  des  Staates,  noch 
den  Kultus  anderer  gestört  hätten,  lediglich  wegen  abweichen- 
der religiöser  Ansichten,  wie  es  nach  ihrer  Meinung  Williams, 
Mrs.  Hutchinson  u.  a.  geschehen  war(i). 

So  giengen  die  Wogen  des  Streites  zwischen  Presbyteria- 
nern  und  Independenten  schon  hoch,  noch  ehe  die  Westminster- 
Synode  zusammengetreten  war.  Indessen  konnte  dies  nur  als 
ein  Vorspiel  der  Kämpfe  gelten,  die  sich  entspannen,  als  neben 
der  Masse  der  Presbyterianer  auch  einige  ihrer  Gegner  Sitz 
und  Stimme  in  der  Versammlung  erhielten.  Das  Parlament 
war  entschlossen,  auch  diese  Partei  zu  hören.  Einige  seiner 
feurigsten  Mitglieder,  wie  Cromwell,  St.  John,  Haselrig  u.  a., 
hätten  sogar  nicht  ungerne  mehrere  hervorragende  indepen- 
dentische  Geistliche  aus  den  amerikanischen  Kolonieen  für  das 
bevorstehende  Werk  in  London  anwesend  gesehn  und  sandten  im 
Bunde  mit  anderen  eine  darauf  abzielende  briefliche  Auffor- 
derung über  das  Meer  (2).  Als  die  Verwirklichung  dieses 
Planes  indessen  dort  Schwierigkeiten  machte,  und  die  Stim- 
mung der  Majorität  nicht  soweit  gieng,  musste  man  sich  be- 
gnügen, die  fünf  geistlichen  Vertreter  des  milderen  Indepen- 
dentismus,  welche  aus  Holland  in  die  Heimat  zurückgekehrt 
waren,  in  die  Synode  aufgenommen  zu  sehen.  Einer  von 
ihnen,  Philipp  Nye,  hatte  sich  schon  bei  der  Verhandlung  mit 
den  Schotten  nützlich  gemacht  und  trat  in  der  Versammlung, 
neben  Goodwin  und  Burroughs,  bei  den  Berathungcn  bedeut- 
sam hervor.  Alle  fünf  waren  Männer  von  akademischer  Bil- 
dung und  Bercdtsamkeit.  Von  den  Laiendcputirten ,  soferne 
diese  nicht  durch  andere  Geschäfte  in  Anspruch  genommen 
waren,  konnten  sie  auf  den  gleichgesinntcn  Henry  Vane  zählen, 
auch  der  von  den  Lords  entsandte  Viscount  Saye  and  Sele  neigte 
sich  ihnen  zu.  Wie  stark  der  Zug  zum  Lidependentismus 
überhaupt  in  der  englischen  Gesellschaft  war,  bei  Staatsmännern 
und  iü'iegei-n,  in  den  mittleren  und  unteren  Schichten,  welche 


Debatten  der  Synode.  223 

Kraft  ihm  aus   diesem  Anhange   erwuchs,  hatte  sich  erst  in 
der  Foke  zu  zeigfen. 


Bei  den  Berathungen  der  Synode  blieb  die  Einigkeit  der 
verschiedenen  Parteien  in  manchen  Fragen  ungestört.  Da 
die  Gegensätze  nicht  das  dogmatische  Gebiet  betrafen,  so 
gieng  die  Revision  der  39  Artikel,  soweit  sie  geführt  wurde, 
ohne  Streitigkeiten  vor  sich.  Auch  über  die  rituellen  Ver- 
änderungen konnte  man  sich  verständigen.  Eine  neue  Ueber- 
setzung  der  Psalmen  von  Francis  Pious,  einem  Mitglied  des 
Unterhauses,  wurde  adoptirt.  Eine  neue  Gottesdienstordnung, 
mit  Entfernung  alles  dessen,  was  als  Anklang  an  katholische 
Formen  den  Puritanismus  seit  jeher  verletzt  hatte,  wurde  in 
ihren  Grundzügen  vereinbart,  wiewohl  die  ludependenten  nicht 
ohne  einige  BesorgTiis  waren,  damit  ihrem  Gedanken  von  der 
Nothwendigkeit  des  freien,  nicht  vorgezeichneten  Gebetes  etwas 
zu  vergeben.  Andere  Aufgaben  machten  gleichfalls  eine  rasche 
Erledigung  nöthig.  Es  schien  nicht  möglich  zu  warten,  bis 
die  Synode  Vorschläge  über  ein  neues  Kirchenregiment  ge- 
macht hätte  und  inzwischen  die  Dinge  sich  selbst  zu  über- 
lassen. Die  anglikanische  Kirche  befand  sich  in  völliger  Auf- 
lösung. Wo  der  König  die  Oberhand  hatte,  wurden  die  puri- 
tanischen Geistlichen  vertrieben  und  sahen  sich  genöthigt,  mit 
den  Ihrigen  brodlos  und  hilflos  in  sichere  Gebiete  zu  flüchten. 
Wo  das  Parlament  die  Oberhand  hatte,  waren  schon  längst 
in  seinem  Auftrage  Untersuchungen  gegen  Geistliche  von 
schlechtem  Lebenswandel  und  von  Laud'scher  Parteifarbe  („scan- 
dalous  ministers")  im  Gange.  Je  dringlicher  es  wurde,  die 
vertriebenen  Puritaner  zu  entschädigen,  je  höher  die  Leiden- 
schaften stiegen,  desto  unbarmherziger  war  man,  die  miss- 
liebigen  und  royalistischen  Kleriker  ihrer  Pfründen  zu  ent- 
setzen und  ihres  Eigenthums  grossen  Theils  zu  berauben. 
Im  Laufe  des  Krieges  wurden  auf  gewaltsame  Weise,  gering 
gerechnet,  mehr  als  anderthalbtausend  Stellen  frei,  deren 
Wiederbesetzung  unumgänglich  war.  Das  Parlament  vertraute 


224  Entsetzungen  von  Geistlichen  etc.  —  Veränderungen  in  Cambridge. 

einem  aus  der  Synode  liervorgegangenen  Committee  die  Auf- 
gabe au,  die  einzelnen  Bewerber  zu  prüfen  und  ilim  darüber 
Bericht  zu  erstatten.  Ebenso  überliess  es  vorläufig,  auf  Ratli 
der  Synode,  Kommissionen  ausgewählter  Geistlichen  das  Ge- 
schäft, Ordinationen  vorzunehmen,  um  das  Eindringen  uner- 
wünschter Elemente  zu  verhindern.  Der  Puritanismus  hatte 
sich  so  lange  über  den  Mangel  an  „geistlicher  Nahrung" 
durch  die  Predigt  des  Wortes  Gottes  beklagt.  Auch  diesem 
Uebelstande  sollte  abgeholfen  w^erden,  indem  die  Einforderung 
entfremdeter  Zehuten  von  verfallenen  „Delinquenten -Gütern" 
Mittel  an  die  Hand  gab,  die  Pfründen  zu  vergrössern  und 
Lecturer-Stellen  zu  gründen  (^). 

Fand  eine  gründliche  „Reinigung"  der  Pfarrgeistlichkeit 
Statt,  somusste  sich  die  Aufmerksamkeit  der  Reformlustigen  auch 
auf  die  Universitäten  lenken,  welche  die  stärksten  Bollwerke  des 
hochkirchlichen  Systems  gewesen  waren.  Eine  Reform. der  Kirche 
war  nicht  zu  denken,  so  lange  die  höchsten  Erziehungsanstalten 
des  Klerus  in  dem  Zustande  verharrten,  welcher  den  Zorn  und 
Spott  eines  Milton  so  oft  herausgefordert  hatte.  Oxford  war 
zw^ar  im  Bereich  des  Feindes,  aber  ah  Cambridge  Avar  man 
um  so  eher  entschlossen  Hand  anzulegen,  da  diese  Stadt  sich 
inmitten  des  treuesten  parlamentarisch  gesinnten  Gebietes  be- 
fand. Schon  im  Januar  1644  erhielt  Crom welFs  Vorgesetzter, 
der  Graf  von  Manchester,  welcher  an  der  Spitze  der  Association 
der  östlichen  Grafschaften  stand,  vom  Parlament  den  gewich- 
tigen Auftrag,  Kommissionen  einzusetzen,  deren  Machtvoll- 
kommenheit sehr  bedeutend  war.  Sie  waren  berechtigt,  alle 
]\Iitglieder  der  Universität,  Lehrer  wie  Schüler,  wie  auch  alle 
Geistlichen  und  Schulmeister  der  Grafschaften  vor  sich  zu 
rufen,  deren  Lebenswandel  anrüchig,  deren  Gesinnung  noto- 
risch royalistisch  sei,  und  welche  ihr  Amt  verlassen  hätten, 
ohne  im  Dienst  des  Parlamentes  abwesend  zu  sein.  Nach  ge- 
bührender Untersuchung  und  Zeugenverhör  seitens  dieser 
Kommissionen  war  der  Graf  ermächtigt,  nach  seinem  Gut- 
dünken die  Unfähigen  und  Unwürdigen  zu  entsetzen,  ihre 
Einkünfte  zu  sequestrircn,  mit  Vorbehalt  des  üblichen  Fünflei 
füi-  die  Frauen  und  Kinder,  und  die  erledigten  Stellen  anderen 


Veränderungen  in  Cambridge.  225 

ZU  übertragen,  welche  die  Synode  gebilligt  hatte.  Die  Folge 
war  eine  vollständige  Umwälzung  in  den  Personalverhältnissen 
der  Hochschule,  Vertreibung  fi'üherer  Mitglieder,  Einführung 
neuer:  ein  Process,  der  sich  bis  in  das  Jahr  1645  hinein 
erstreckte.  Vielfach  war  die  Annahme  oder  Ablehnung  von 
,,Liga  und  Covenant''  der  Prüfstein.  So  milde  und  versöhn- 
lich der  Charakter  des  Grafen  auch  war,  so  wurden  bei  dieser 
Gelegenheit,  welche  die  Gesinnungstüchtigkeit  des  einzelnen 
der  puritanischen  Sonde  aussetzte,  die  grössten  Härten  und 
Gehässigkeiten  nicht  vermieden.  An  wenig  Ereignissen  der 
Revolution  wird  Milton  so  viel  Antheil  genommen  haben,  wie 
an  diesem,  welches  ihm  so  wohl  bekannte  Institute  und  Personen 
betraf.  Er  musste  hören,  dass  von  den  sechzehn  Vorstehern 
der  Colleges  nur  fünf  vor  den  Augen  der  gestrengen  Visita- 
toren Gnade  gefunden  hatten,  und  dass  etwa  die  Hälfte  aller 
Fellows  ihrer  Pfründen  beraubt  und  einer  ungewissen  Zukunft 
preisgegeben  waren.  Unter  den  fünf  Vorstehern,  die  sich  in 
die  neue  Aera  hinüberzuretten  wussten,  war  auch  Thomas 
Bainbrigge,  das  Haupt  von  Christ -College,  mit  welchem 
Milton  während  seiner  Studienzeit  nicht  zum  besten  gestanden 
hatte.  Mochte  ihm  dessen  Erhaltung  als  ein  zweifelhafter 
Gewinn  erscheinen,  so  musste  er  mit  Theilnahme  begrüssen, 
dass  zwei  seiner  Bekannten,  Mitarbeiter  am  Smectymnuus, 
zwei  der  erledigten  Vorsteherposten  erhielten.  Sein  alter 
Lehrer,  Thomas  Young,  wurde  an  Stelle  Richard  Sterne's, 
eines  der  Kapläne  Laud's,  zum  Master  von  Jesus-College  ge- 
macht, William  Spurstow  erhielt  eine  gleich  ehrenvolle  Stelle 
in  Catherine  Hall.  Ausser  ihnen,  wurde  noch  manches  Mit- 
glied der  Synode  bei  der  neuen  Besetzung  bedacht,  ohne 
dass  es  deshalb  aufgehört  hätte,  den  Sitzungen  beizuwohnen. 
Auch  sonst  traf  die  Wahl  hervorragende  Männer  puritanischer 
Gesinnung.  Die  Disciplin  der  Hochschule  nahm  einen  stren- 
geren Charakter  an,  Fleiss  und  Sittlichkeit  der  Studenten 
wurden  überwacht,  der  Sabbath  mit  rigoroser  Gewissenhaftig- 
keit eingehalten  (1). 

Unzweifelhaft  kamen   alle    diese  Massregeln  vorwiegend 
dem  Presbyterianismus   zu    Gute.     Bei   dem    Uebergewichte, 

Stern,    Milton   n.   s.   Zeit.      I.   2.  15 


226  Debatten  über  die  Kirchen^Verfassuug. 

welches  seine  Anhänger  in  der  Synode  hatten,  deren  Mit- 
wirkung und  Rath  bei  allen  diesen  Veränderungen  gebraucht 
wurde,  verstand  es  sieh  von  selbst,  dass  man  in  erster  Linie 
die  Männer  presbvterianischer  Richtung  bedachte.  Diese 
zogen  in  hellen  Haufen  in  die  erledigten  Pfarreien  und  in  die 
verödeten  Colleges  ein.  Viele,  wie  z.  B.  Thomas  Young,  be- 
hielten neben  ihren  neuen  Pfründen  auch  die  alten,  ohne 
Rücksicht  darauf,  dass  eben  diese  Pfründenhäufung  seitens  der 
Prälatisten,  so  lange  sie  selbst  die  Verfolgten  gewesen  waren, 
ihren  heiligen  Zorn  hervorgerufen  hatte. 

Die  kleine  independentische  Gruppe  der  Versammlung  gieng 
über  persönliche  Verhältnisse  der  Art  mit  Stillschweigen  hinweg. 
Denn  schon  war  man  mitten  in  sachlichen  Debatten  begriffen,, 
bei  welchen  die  zuerst  gewahrte  Einigkeit  schwinden,  und  deren 
Ausgang  unendlich  wichtiger  sein  niusste  als  alles,  was  bisher 
zur  Neuordnung  der  kirchlichen  Verhältnisse  geschehen  war. 
Die  Frage  der  kirchlichen  Verfassung,  von  allen  die  wich- 
tigste, war  in  Angriff'  genommen  und  rief  innerhalb  wie 
ausserhalb  der  Synode  heftige  Kämpfe  hervor.  Die  grosse 
presbyterianische  Majorität  trat,  mit  wenig  Ausnahmen  in  ge- 
schlossenen Reihen,  mit  ihrem  fertigen,  den  Schotten  ent- 
lehnten System  auf  den  Plan.  Handelte  es  sich  um  die 
Kirchenämter,  so  wussten  sie  mit  den  bekannten  Citaten  der 
Schrift  die  mächtige  Stellung  der  Presbyter  zu  vertheidigeu. 
Handelte  es  sich  um  die  Ordination,  so  wussten  sie  den  Begriff' 
einer  ununterbrochenen  Succession  „einer  feierlichen  Absonde- 
rung einer  Person  für  ein  öffentliches  Kirchenamt"  festzu- 
halten und  dem  Presbyterium  einzelner  Bezirke  das  Recht 
einer  gründlichen  Prüfung  des  Kandidaten  und  der  Ordi- 
nation durch  Handautiegung  zu  wahren.  Handelte  es  sich 
endlich  um  die  gesammte  Organisation  der  Kirche,  so  stand 
ihnen  fest,  dass  es  nur  eine,  die  ganze  Nation  umfassende, 
Landeskirche  geben  dürfe.  Kraft  göttlichen  Rechtes  wäre 
diese  in  presbyterialer  Weise  zu  ordnen,  sodass  Parochial- 
Konsistorium,  Presbyterium  (classis),  Provinzial-  und  National- 
Synodc  sich  übereinander  auf])auen  würden,  mit  eben  der- 
sulhen  von  unten  nach  oben  zunehmenden  Befugnis  der  Aufsicht, 


Debatten  über  die  Kirchen-Verfassung.  227 

Gesetzgebung  und  vor  allem  der  geistlichen  Strafgewalt  zur 
Erhaltung  der  Disciplin,  wie  die  Kirche  John  Knox'  sie  kannte. 

Nicht  wenige  dieser  Beschlüsse  hatten  schon  bei  den 
Erastianern  lebhaften  Widerstand  gefunden.  Sie  läugiieten 
schlechtweg  den  göttlichen  Ursprung  der  Presbyterial- Verfas- 
sung. Sie  widerstrebten  der  ausgedehnten  Kompetenz  der 
Kirchenbeamten  dieses  Systems.  Sie  sträubten  sich  vorzüg- 
lich dagegen,  dass  diese,  Pastoren  und  L aien-Ael teste ,  die 
unumschränkte  Macht  haben  sollten,  in  Lehre  und  Leben 
fehlende  Glieder  der  Kirche  (Ignorant  and  scandalous  persons) 
nach  ihrem  Gutdünken  vom  Genuss  des  Abendmahls  auszu- 
schliessen  und  zu  exkommuniciren.  Denn  sie  fürchteten,  dass 
damit  auf's  neue  Uebergrifte  der  geistlichen  Gewalt  in  die 
staatliche  Gerichtsbarkeit  ermöglicht  würden. 

Indessen  versparten  die  Erastianer  ihre  hauptsächliche 
Kraft  auf  die  Verhandlungen  des  Parlaments,  in  dem  sie  stark 
genug  zu  sein  hofften,  um  aus  den  Beschlüssen  der  presbyte- 
rianischen  Majorität  der  Synode  auszumerzen,  was  sie  gefähr- 
lich für  die  Autorität  des  Staates  zu  sein  dünkte.  Bei  weitem 
zäher  war  der  Widerstand  der  kleinen  Gruppe  gemässigter  Inde- 
pendenten,  für  deren  Ziele  es  sich  in  der  That  um  Sein  oder 
nicht  Sein  handelte.  Sie  gaben  zwar  zu,  dass  in  der  Bibel  eine 
bestimmte  kirchliche  Veifassungsfonn  vorgezeichnet  und  daher 
göttlichen  Ursprung^ei,  aber  sie  fanden  sie  in  independenten 
Kongregationen.  Sie  waren  sehr  bereit,  die  Noth wendigkeit 
kirchlicher  Zuchtmittel,  wie  Anmahnung  und  Exkommuni- 
kation zuzugestehn,  aber  sie  anerkannten  keine  höhere  In- 
stanz über  der  einzelnen  Gemeinde,  um  sie  in  Anwendung  zu 
bringen.  Allein  mochten  sie  mit  eben  so  viel  Würde  wie 
Wärme  ihre  Sache  vertheidigen,  mochten  sie  alle  Gelehrsam- 
keit aufbieten,  um  die  ersten  christlichen  Gemeinden  als  Bei- 
spiele ihrer  Anschauung  zu  erweisen:  im  ganzen  und  grossen 
standen  die  „fünf  dissentirenden  Brüder",  wie  mau  die  aus 
Holland  zurückgekehrten  independentischen  Geistlichen  nannte, 
mit  ein  Paar  anderen  Mitgliedern,  die  sich  ihnen  in  dieser 
oder  jener  Frage  anschlössen,  einer  erdrückenden  Majorität 
gegenüber.     Allerdings   weiss  selbst  Baillie   ihre  Beredtsam- 

15* 


228  Die  „apologetische  Erzählung". 

keit,  Gelehrsamkeit  und  Gewandtheit  zu  rühmen  (^),  aber  kam 
es  zur  Abstimmung,  so  triumphirten  ihre  Gegner.  Es  sollte 
in  England  keine  autonomen  Kongregationen  geben.  Es  sollte 
auch  in  Zukunft  jeder  einzelne  gezwungen  sein,  der  einen 
vom  Staate  organisirten  und  privilegirten  Kirche  anzugehören, 
die  nur  den  prälatistischen  Namen  mit  dem  presbyterialen 
vertauscht  hatte.  Selbst  der  Grundsatz  der  Wahl  des  Geist- 
lichen oder  auch  nur  der  Zustimmung  der  Gemeinde  war  durch 
hinzugefügte  Beschränkungen  bis  zur  Unkenntlichkeit  abge- 
schwächt worden.  Ein  magerer  Satz  wie  der  in  dem  Artikel 
über  die  Ordination,  dass  „in  ausserordentlichen  Lagen,  bis 
eine  geordnete  Verfassung  vorhanden,  etwas  Ausserordent- 
liches, aber  der  Regel  so  nahe  als  möglich  Stehendes,  geschehen 
dürfe",  konnte  die  Independenten  nicht  für  alle  Niedei-lagen 
ihres  Princips  entschädigen  (2).  Es  blieb  ihnen  nichts  übrig 
als  jedes  Mal  ihre  abweichende  Meinung  zur  Berichterstattung 
an's  Parlament  zu  Protokoll  zu  geben. 

Aber  zu  gleicher  Zeit  sorgten  sie  dafür,  an  die  öffentliche 
Meinung  Berufung  einzulegen  und  das  Volk  über  den  wahren 
Charakter  ihrer  Bestrebungen  aufzuklären.  Schon  in  den 
letzten  Tagen  des  Jahres  1643  hatten  sie  eine  mit  ihren 
Namen  unterzeichnete  „apologetische  Erzählung"  erscheinen 
lassen,  welche  von  Haus  aus  für  das  Parlament  bestimmt 
war.  Mit  grosser  Bescheidenheit  entwickelten  sie  in  dieser 
Schrift  ihre  Grundsätze,  versprachen  die  äusserste  Nachgiebig- 
keit, soweit  ihr  Gewissen  sie  ihnen  erlaube,  beschworen  aber 
die  Vertreter  der  Nation,  sie,  friedliche  Bürger,  solange  man 
ihnen  keine  Gesetzwidrigkeit  nachweisen  könne,  durch  Zurück- 
weisung ihrer  geringen  Wünsche,  durch  Weigerung  der  Dul- 
dung ihrer  unbedeutenden  Abweichungen  nicht  aufs  neue  in's 
Exil  zu  treiben.  Es  war  bezeichnend  für  ihren  Standpunkt, 
dass  sie  die  Berufung  der  Synode  als  einen  Akt  der  „Staats- 
weisheit" betrachteten  und  dass  sie  für  gewisse  Fälle  kirch- 
licher „Sentenzen"  eine  obrigkeitliche  „Hilfe  und  Unter- 
stützung" nicht  für  unstatthaft  hielten.  Die  Schrift  machte 
selbst  bei  vielen  ihrer  Gegner  einen  guten  Eindruck,  aber 
andere,  Schotten  wie  Engländer,  traten  mit  leidenschaftlicher 


Die  Frage  der  Gewissensfreiheit.  229 

Heftigkeit  gegen  diese  inclependentischen  Anmassungen  auf. 
Wieder  war  es  jener  Thomas  Edwards,  der  sich  im  Sommer 
1644  mit  seiner  Antapologia,  einem  gewichtigen  Quartanten, 
an  die  Spitze  der  presbyterianischen  Heeresschaar  stellte, 
um  nach  einer  Fluth  giftiger  Schmähungen  die  „Schönheit, 
Ordnung,  Stärke  der  Presbyterial -Verfassung  mit  der  Häss- 
lichkeit,  Unordnung,  Schwäche  der  independentischen"  zu  ver- 
gleichen und  sich  selbst  gegen  eine  blosse  Toleranz  der  letzten, 
neben  einer  presbyterianischen  Landeskirche,  als  gegen  Bibel, 
Liga  und  Covenant,  Pflicht  des  Staates  und  der  Kirche  mit  den 
stärksten  Ausdrücken  zu  erklären  (^). 


Von  Tag  zu  Tage  wurde  es  klarer,  dass  der  Streit  zwi- 
schen Presbyterianern  und  Independenten  über  einen  blossen 
Hausstreit  innerhalb  der  grossen  puritanischen  Partei  weit 
hinauswuchs.  Je  länger  er  andauerte,  je  mehr  die  Streiten- 
den genöthigt  wurden,  auf  die  tieferen  Gründe  ihres  Gegen- 
satzes zurückzugehn ,  desto  deutlicher  enthüllte  sich  als  der 
wahre  Gegenstand  dieses  Kampfes  der  grosse  Grundsatz  von 
der  Gewissensfreiheit  des  einzelnen  auf  dem  Gebiete  des 
religiösen  Lebens.  | —  Es  hat  einen  eigenthümlichen  Reiz, 
welthistorische  Ideen  auf  ihre  Ursprünge  hin  zu  verfolgen, 
um  gleichsam  am  Rande  des  rieselnden  Bergquells  des  mäch- 
tigen Stromes  gedenken  zu  können,  der  aus  ihm  geworden  ist, 
an  dessen  Ufern  sich  stolze  Städte  erhoben  haben,  und  dessen 
Wellen  dem  Meere  kostbare  Lasten  entgegentragen.  Aber 
je  verlockender  ein  solcher  Weg  stromaufwärts  ist,  desto  mehr 
Fehlgängen  ist  der  Wanderer  ausgesetzt.  Manches  Gewässer, 
das  ihm  das  ursprüngliche  zu  sein  scheint,  versiegt  in  der 
Hitze  des  Sommers,  manches  verliert  sich  in  Sand  und  Sumpf, 
bald  kommt  er  zur  Erkenntnis,  dass  überhaupt  nur  der  all- 
mähliche Zusammenfluss  hunderter  von  Strömen  den  einen  in 
seiner  unwiderstehlichen  Grösse  gebildet  hat.  Wer  es  unter- 
nehmen wollte,  die  Geschichte  der  Idee  der  Gewissensfreiheit 
unter  den  Völkern  unserer  Kultur  zu  sehreiben,    würde  un- 


230  I^iß  Frage  der  Gewissensfreiheit. 

zweifelhaft  mehr  als  eine  Erscheinung,  welche  den  Zeiten  vor 
dem  Auftreten  des  Independentismus  angehört,  in  das  Bereich 
seiner  Darstellung  ziehn  müssen.  Mit  der  Reformation  war  für 
das  Wachsthum  und  die  Ausbreitung  dieses  Gedankens  erst 
der  Boden  gegeben.  Die  Thatsache,  dass  die  Einheit  der 
alten  Kirche  gebrochen  war,  nöthigte  gegenüber  den  bestehen- 
den Verhältnissen  von  selbst  dazu,  die  späteren  Generationen 
auf  die  Möglichkeit  vorzubereiten,  sich  die  Anhänger  ver- 
schiedener Bekenntnisse  in  einem  Staatswesen  als  friedlich 
vereinbar  zu  denken.  Aber  die  anderthalb  Jahrhunderte, 
welche  auf  den  Bruch  der  alten  Kirche  folgten,  sahen  diese 
unumgängliche  Folge  des  grossen  Ereignisses  fast  nirgends 
verwirklicht.  In  allen  Blättern  ihrer  Geschichte  ist  es  mit 
Blut  verzeichnet,  dass  noch  Gegenstand  der  gewaltigsten 
Kämpfe  war,  was  kraft  historischer  Noth wendigkeit  kein 
Wille  hindern  konnte.  Nicht  nur  die  alte  Kirche  sträubte 
sich  dagegen  dies  anzuerkennen,  auch  die  verschiedenen  Ge- 
meinschaften, die  sich  auf  neuer  Grundlage  gebildet  hatten, 
übernahmen  von  jener  den  Grundsatz  der  Verfolgung.  Mit 
so  grosser  Beredtsamkeit  von  ihren  Stiftern  nicht  selten  das 
Princip  der  Duldung  verfochten  war,  so  lange  man  sich  selbst 
von  der  Duldung  ausgeschlossen  wusste^  so  bald  war  es  ver- 
gessen worden,  wenn  man  selbst  zur  Macht  gelangt  war.  Bei 
der  engen  Verbindung  der  politischen  und  religiösen  Gegen- 
sätze war  die  Erbitterung  des  Kampfes  noch  verschärft  wor- 
den. Die  Scheiterhaufen,  welche  die  Katholiken  den  An- 
hängern der  Reform,  diese  ihren  gemeinsamen  Gegnern  und 
den  Vertretern  abweichender  Meinungen  unter  sich,  und  alle 
den  Verweifern  der  Kindertaufe  und  sonstigen  Sektirern  hier 
und  dort  anzündeten,  legten  abwechselnd  flammendes  Zeugnis 
dafür  al),  wie  grosser  Opfer  man  die  erträumte  Seligkeit  des 
Mitmenschen  und  die  Sicherung  des  eigenen  Wohles  für  werth 
hielt.  Mochten  auch  im  Laufe  der  Jahrzehnte  die  Verfol- 
gungen nach  Art  und  Masse  geringer  geworden,  mochte  hier  und 
dort  aus  Ei'schöpfung  der  Kräfte  ein  Waffenstillstand  eingetreten 
sein,  es  hatte  doch  nicht  vermieden  werden  können,  dass  der  grosse 
europäische  Krieg  entbrannte ,  der  ungeachtet  aller  mitwirken- 


b 


Die  Latitudinarier.  231 

den  politischen  Momente  von  den  religiösen  Gegensätzen  seinen 
Ausgang  genommen  hatte,  welche  eine  grosse  Nation  l)ewegten. 

Noch  immer  war  das  Wort  Luthers  nicht  zur  Wahrheit 
geworden,  das  er  bei  seiner  plötzlichen  Rückkehr  von  der 
Wartburg  in  Wittenberg  gesprochen  hatte:  „Sagen  will 
ich's,  schreiben  will  ich's,  aber  zwingen,  dringen  mit  Ge- 
walt will  ich  niemanden".  Noch  immer  waren  die  Stim- 
men vereinzelt  geblieben,  welche  die  edelsten  Geister  von 
hüben  und  drüben,  aus  den  Reihen  der  grossen  religiösen 
Genossenschaften  und  der  aufgeklärten  Sekten,  ein  Thomas 
Monis,  ein  Sebastian  Franck,  ein  l'Hospital,  ein  Wilhelm  von 
Oranien,  erhoben  hatten.  Da  erwuchsen  im  siebzehnten  Jahr- 
hundert dem  einsamen  Gedanken  Vorkämpfer  aus  englischem 
Blute,  die  ihn  mit  unbesieglichem  Muth  verfochten,  mit  über- 
zeugender Kraft  zum  Gemeingut  von  Tausenden  machten,  mit 
willenskräftigem  Ernst  in  das  Staatsleben  einführten. 

Man  hat  in  neuerer  Zeit  versucht,  den  sog.  Latitudina- 
liern  das  hauptsächlichste  Verdienst  an  dieser  Entwicklung 
zuzuschreiben,  ^lännern,  denen  die  Weite  der  dogmatischen 
Auffassung,  die  sie  mit  den  holländischen  Remonstranten 
theilten,  den  Namen  gegeben  hat.  Ein  geistvoller  Schrift- 
steller, der  sie  zum  Gegenstande  einer  besonderen  Studie  ge- 
macht hat,  nennt  sie  geradezu  „die  Begmnder  unserer  mo- 
dernen religiösen  Freiheit"  (i).  Auch  lässt  sich  nicht  läug- 
nen,  dass  viele  von  ihnen  Sätze  ausgesprochen  haben,  die 
sich  ebensowenig  mit  der  Engherzigheit  des  Hochkirchen- 
thums   wie  mit  deijenigen   des  Presbyterianismus  vertnigen. 

Falkland  selbst,  der  durch  seinen  Tod  seine  Anhänglich- 
keit an  den  König  besiegelt  hatte,  war  einer  von  denen  ge- 
wesen, die  bei  aller  Festigkeit  der  Ueberzeugung  in  gewissen 
Dingen  niemals  von  anders  Gesinnten  gering  dachten  oder 
den  Verkehr  mit  ihnen  abbrachen.  Der  scharfsinnige  John 
Haies,  Canonicus  von  Eton,  pflegte  zu  sagen,  er  würde  sofort 
die  anglikanische  Religion  aufgeben,  wenn  sie  ihn  nöthige  zu 
glauben,  dass  andere  Christen  verdammt  wären.  Er  hatte 
erst  1642  ein  Werk  über  „Schisma  und  Schismatiker"  heraus- 
gegeben, dass  bis  dahin  auf  Wunsch  William  Laud's  der  Oeffent- 


232  Die  Latitudiuarier. 

lichkeit  vorenthalten  geblieben  war,  und  in  welchem  „Ketzerei 
und  Schisma"  „theologische  Vogelscheuchen"  genannt  wurden. 
Koch  deutlicher  hatte  sich  sein  Freund  William  Chillingworth 
ausgesprochen,  der,  nach  kurz  andauernder  Bekehrung 
zum  Katholicismus ,  von  seinem  Pathen  Laud  in  den  Schoss 
der  anglikanischen  Kirche  wieder  aufgenommen,  gelernt  hatte, 
an  der  Unfehll)arkeit  des  individuellen  Urtheils  zu  zweifeln  und 
dadurch  zu  toleranten  Anschauungen  geführt  worden  war.  In 
seiner  „Religion  der  Protestanten",  1637,  hielt  er  allerdings 
an  der  Autorität  der  Bibel  fest,  aber  „in  anderen  Dingen 
w^ollte  er  niemandem  die  Freiheit  seines  Urtheils  rauben, 
niemanden  für  einen  schlechten  Menschen  oder  Christen  hal- 
ten, niemanden  wegen  abweichender  Meinungen  weniger  lie- 
ben" (^).  Was  er  von  jedem  forderte,  war  nur,  „zu  glauben, 
dass  die  Schrift  das  Wort  Gottes  sei,  zu  suchen,  ihren  wahren 
Sinn  herauszufinden  und  danach  zu  leben"  und  er  eiferte  da- 
gegen, dass  man  Leute  „verfolge,  verbrenne,  verfluche,  ver- 
damme, weil  sie  nicht  Menschenwort  gleich  Gottes  Wort 
unterschreiben  wollten".  Nur  dieser  Grundsatz  „gerechter 
und  voller  Freiheit"  könne  „die  Christenheit  zur  Wahrheit 
und  Einheit"  führen.  Beide  Männer  hatten  William  Laud 
und  den  Hofkreisen  nahe  gestanden,  so  sehr  auch  ihre  Ideen 
von  der  Praxis  Laud's  und  KarFs  I.  Lügen  gestraft  wurden, 
Chillingworth  war  sogar  fast  als  ein  Märtyrer  der  royalisti- 
schen  Sache  Anfang  1644  in  Chichester  gestorben.  Die 
gleiche  politische  Gesinnung  theilte  Jeremy  Taylor,  welcher 
in  seinem  Werke  „über  die  Freiheit  der  Prophetie"  (1647) 
erklärte:  „Es  ist  sehr  übel,  dass  wir  alle  Papisten,  Anabap- 
tisten und  Sakramentirer  für  Narren  und  schlechte  Menschen 
halten,  da  es  sicherlich  unter  allen  diesen  Sekten  sehr  viele 
weise  und  gute  Menschen  neben  den  Irrenden  giebt".  Und 
jene  Cudworth  und  Whichcot,  die  bei  der  Visitation  von 
Cambridge  mit  der  Vorsteherschaft  von  zwei  Colleges  bedacht 
wurden,  haben  sich  mit  derselben  aufgeklärten  Duldsamkeit 
ausgesprochen,  welche  ein  Stillingfleet,  Worthington,  Henry 
Moro  u.  a.  gleichfalls  theilten. 


Die  Latitudinarier.  233 

Man  sieht,  wie  sehr  sich  diese  Geister  über  die  allge- 
meinen Ansichten  ihres  Zeitalters  erhoben.  Aber  sollte  es 
wirklich  erlaubt  sein,  in  ihnen  „die  Begründer  unserer  mo- 
dernen religiösen  Freiheit"  zu  finden?  Abgesehen  davon,  dass 
viele  von  ihnen  erst  nach  der  Epoche  des  Independentismus 
schrieben,  dessen  geistiger  Einwirkung  sie  nicht  fremd  bleiben 
konnten,  kennt  ihre  Achtung  vor  der  Gewissensfreiheit  an- 
derer doch  sehr  bestimmte  Schranken.  An  der  Bibel,  als 
Offenbarung  des  göttlichen  Willens ;  wollen  sie  nicht  rütteln 
lassen,  und  was  war  damit  gewonnen,  wenn  der  Streit  um 
ihren  „wahren  Sinn"  aufs  neue  begann?  Sie  scheinen  in 
jedem  Falle  nur  Anhänger  des  christlichen  Bekenntnisses  im 
Auge  zu  haben,  und  man  wird  bezweifeln  dürfen,  ob  z.  B. 
der  Jude  Gnade  vor  ihren  Augen  gefimden  haben  würde.  Bei 
manchen,  die  sich  nicht  mit  der  Weitherzigkeit  Taylor's  äussern, 
wird  es  sogar  fraglich,  ob  nicht  etwa  allein  die  Protestanten 
ihrer  Duldung  theilhaftig  werden,  die  Katholiken  aber  schlecht- 
weg ausgeschlossen  werden  sollen.  Sie  verfolgen  fast  immer 
den  praktischen  Zweck,  die  Kluft  der  dogmatischen  Unter- 
schiede zu  überbrücken  und  einer  Einheit  der  christlichen 
Kirchen  zuzustreben,  womit,  —  das  hatte  Laud's  Beispiel 
am  besten  gezeigt,  —  von  selbst  wieder  religiöser  Verfolgung 
eine  Handhabe  geboten  wurde.  Vor  allem:  das  Verhältnis 
von  Kirche  und  Staat  fassen  sie  entweder  unklar  oder  in 
einer  Weise  auf,  die  wenig  geeignet  war,  die  Gewissens- 
freiheit zu  befördern.  Weil  sie  den  Gedanken  einer  „Gemein- 
schaft des  religiösen  Lebens"  nicht  aufgaben,  hielten  sie  fast 
durchgängig  am  Begriff  einer  Nationalkirche  fest.  Und  Stil- 
lingfleet sagte  in  seinem  Werke  „Irenicum"  (1659)  ausdrück- 
lich: „Da  eine  Freiheit  aller  Meinungen  unabweislich  darauf 
abzielt,  den  Frieden  der  Nation  zu  untergraben  und  sie  in 
beständige  Wirren  zu  stürzen,  so  können  die  Staatsbehörden 
ihr  Amt  nicht  verwalten,  wenn  sie  nicht  Macht  haben,  diese 
Freiheit  einzuschränken" (i).  In  jedem  Falle  blieb  alles,  was 
die  Latitudinarier  früher  oder  später  verkündigten,  Erzeugnis 
einzelner  in  kleinerenKreisen  wirkender  Köpfe,  während  schon 
längst  von   anderer  Seite  der  Versuch  gemacht  worden  war, 


234  Trennung  von  Kirche  und  Staat  oder  Landeskirche  und  Toleranz '? 

den  Grundsatz  der  Gewissensfreiheit,  bald  in  voller  Unbe- 
schränktheit,  bald  innerhalb  gewisser  Grenzen  in's  Leben  ein- 
zuführen. 

Nichts  wird  dem  Independentismus  diesen  Ruhm  rauben 
können.  Das  blosse  Bestreben,  sich  in  unabhängigen  Ge- 
meinden zusammenzuschliessen ,  nöthigte  mit  der  Zeit  von 
selbst  zu  einer  Vertheidigung  der  Gewissensfreiheit.  Das 
neue  Princip  kirchlicher  Verfassung  erlangte  eine  Bedeutung, 
welche  weit  über  die  Kreise  derjenigen  hinausgieng,  auf  die 
es  bereclmet  war.  Und  zwar  auf  zwiefache  Weise  wurde  es 
fruchtbar.  Man  war  entweder  dahin  gelangt,  von  der  Inde- 
pendenz  der  einzelnen  Kongregationen  fortzuschreiten  zu  der 
Independenz  jeder  religiösen  Genossenschaft  von  der  Staats- 
gewalt, oder  man  hatte  wenigstens  Duldung  für  diejenigen 
Kongregationen  verlangt,  welche  in  Verfassung,  Ritus,  Dogma 
eine  höhere  Autorität  über  sich  anzuerkennen  sich  weigerten. 
Es  war  klar,  dass  das  eine  das  andere  ausschloss.  Wer  dem 
Staate  überhaupt  das  Recht  absprach,  sich  fördernd  oder  hin- 
dernd um  die  religiösen  Bedürfnisse  der  Bürger  zu  kümmern, 
hatte  nicht  erst  Toleranz  zu  fordern.  Wer  Toleranz  für  sich, 
und  möglicher  Weise  für  einige  andere,  verlangte,  konnte  daneben 
sehr  wohl  eine  vom  Staat  bevorzugte,  organisirte,  erhaltene 
Kirche  gelten  lassen.  Jenes  war  die  Behauptung  einiger  der 
baptistischen  Sektirer  gewesen,  Mrs.  Chidley  hatte  in  diesem 
Sinne  sich  ausgesprochen,  vor  allem  Roger  Williams  hatte  als 
der  erste  gewagt,  ein  Staatswesen  unter  Proklamirung  dieses 
Grundsatzes  in's  Leben  zu  rufen.  Eben  damals  verweilte  er  in 
England,  um  Anerkennung  seiner  Kolonie  zu  erlangen  und  zögerte 
nicht,  sich  über  die  bewegende  Tagesfrage  auszusprechen. 

In  seinem  Werke  „Die  blutige  Lehre  der  Verfolgung 
wiegen  Gewissensfragen"  liess  er  P'.ngland  ein  kostbares  Ver- 
mächtnis zurück.  Unter  den  Unbequemliclikeiten  der  Reise 
gesehrieben,  wie  es  ist,  enthält  es  bunt  aneinandergereihte 
Bestandtheile ,  Ansprachen  an  das '  Parlament  und  den  Leser, 
Auszüge  aus  einer  baptistischen  Schrift  über  die  Gewissens- 
freilieit,  eine  Entgegnung  von  amerikanischer  Feder  etc. 
Williams'  eigene  Meinuni"'  tritt  in  Form  von  Dialogen  zwischen 


R.  Williams  in  England.     Seine  „blutige  Lehre  der  Verfolgung".  235 

„Wahrheit"  und  „Frieden"  hervor,  welche  die  intoleranten 
Ansichten  der  Gegner  kommentiren.  Die  Theoiie  der  Tren- 
nung von  Kirche  und  Staat,  wie  Williams  sie  verstand,  wird 
hier  in  skizzenhafter  Weise  entwickelt.  „Yerführeiische 
Lehrer,"  —  heisst  es  — ,  „Heiden,  Juden,  Türken  oder  Anti- 
christen können  dabei  doch  den  bürgerlichen  Gesetzen  gehor- 
same ünterthanen  sein."'  „Eine  nationale  Kirche,  ist  von 
Jesus  Christus  nicht  gestiftet  worden."  „Die  Menschen  zur 
Frömmigkeit  oder  zum  Gottesdienst  zwingen  zu  wollen,  ist  die 
hauptsächliche  Ursache  zur  Zerstörung  des  bürgerlichen  Frie- 
dens" und  schafft  „eine  Nation  von  Heuchlern".  „Jesus 
Christus  hat  nie  eine  Erhaltung  der  Geistlichen  seitens  der 
Unbekehrten  und  Ungläubigen  verlangt."  Durch  die  bürger- 
liche Gewalt  können  sie  nicht  dazu  gezwungen  werden,  denn 
es  ist  „keine  bürgerliche  Angelegenheit".  Aber  „die,  welche 
die  Menschen  zum  Gottesdienst  zwingen,  zwingen  sie  auch 
dafür  zu  zahlen".  Nur  zwei  Arten  des  Unterhaltes  der  Geist- 
lichen sind  schriftmässig :  „Freiwillige  Beiträge"  der  Gläubigen 
und  ,,fleissige  Arbeit  ihrer  eigenen  Hände".  —  Wenn  Wil- 
liams selbst  sich  auf  die  Lehre  Christi  beruft,  so  verwirft  er 
nichtsdestominder  aufs  entschiedenste  den  Gedanken  eines 
christlichen  Staates.  Die  Zulassung  zu  den  Staatsämtern  will 
er  nicht  abhängig  machen  vom  Bekenntnis.  Es  giebt  „tau- 
send gesetzliche  Staatsgewalten,  die  nie  von  Jesus  Christus 
etwas  gehört  haben,  ...  ein  gläubiger  Beamter  ist  um  nichts 
mehr  ein  Beamter  als  ein  ungläubiger  .  .,  und  die  Christen- 
heit kann  ihm  keinen  Zuwachs  an  Machtvollkommenheit 
geben."  Und  damit  ja  kein  Zweifel  darüber  bleibe,  was  er 
bei  dieser  Trennung  des  religiösen  und  politischen  Gebietes 
in  die  Domäne  des  Staates  verweise,  giebt  er  zu  verstehn, 
dass  Schulen  und  Universitäten  nicht  kirchliche  Institute  zu 
sein  haben.  Sie  haben  folgerichtig  mit  der  religiösen  Er- 
ziehung nichts  mehr  zu  thun,  sie  sind  Anstalten,  um  den 
Bürger  zu  bilden,  für  die  verschiedenen  Berufsarten  des  Le- 
bens tüchtig  zu  machen,  „für  Sprachen  und  Künste",  wie 
Williams  sieh  ausdrückt  (^). 

Einen  ähnlichen  Standpunkt  wie  Williams,  wenn  auch  von 


23Ö  J-  Goodwin  und  Gesinnungsgenossen. 

dessen  Klarheit  entfernt,  nahm  jener  John  Goodwin  ein,  der  Pfarrer 
von  Coleraan-Street,  dessen  Abweichungen  vom  orthodoxen  Calvi- 
nismiis  der  presbyterianisehen  Mehrheit  auf  der  Synode  nicht 
weniger  verdächtig  waren  wie  seine  freie  Auslegung  desCovenant. 
Er  antwortete  unter  dem  Pseudonym  M.  S.  einem  der  zahlreichen 
Angriffe,  die  sich  gegen  die  „Apologie"  der  fünf  independen- 
tischen  Geistlichen  gerichtet  hatten,  und  wurde  bei  einer  neuen 
Auflage  seiner  Schrift  von  zweien  derselben  unterstützt  (^). 
Baillie,  von  der  Kühnheit  des  Mannes  erschreckt,  hatte  ganz 
Recht,  wenn  er  in  einem  Briefe  vom  Anfang  Mai  1644  Good- 
■win's  Ansicht  darin  zusammenfasste :  „Er  ist  ein  bittrer  Feind 
des  Presbyterianismus  und  spricht  sich  offen  für  eine  volle 
Gewissensfreiheit  aller  Sekten,  ja  selbst  von  Türken,  Juden,  Pa- 
pisten aus."  Disputationen,  Ermahnungen,  geistliche  Censuren 
im  Schoss  der  einzelnen  Gemeinden  und  einer  gegen  die  an- 
dere schloss  Goodwin  nicht  aus,  auch  gieng  er  darin,  nicht 
folgerichtig,  weiter  als  Williams,  dass  er  der  bürgerlichen 
Behörde  in  unbestimmten  Ausdrücken  zur  Pflicht  machte,  die 
Geistlichkeit  auf  die  sorgsame  Erfüllung  ihres  Berufes  hinzu- 
weisen. Andere  Eingriffe  des  Staates  in  das  religiöse  Gebiet 
hielt  er  nicht  für  statthaft.  —  Aehnlich  scheint  der  dunkel 
redende  Verfasser  einer  Flugschrift  (the  compassionate  Sa- 
maritan,  1644)  gedacht  zu  haben,  w^elcher  erklärte:  „Die 
Doktrin  der  Verfolgung  in  Gewissensfragen,  wie  sie  Calvin, 
Beza  und  die  Geistlichen  Neuenglands  aufrecht  erhalten,  ist 
Schuld  an  all'  dem  Blut  der  Seelen,  das  von  Alters  her  um 
Rache  schreit"  (2).  Hier  waren  die  Gewalten  von  Massachu- 
setts, die  einen  Williams  vertrieben  hatten,  um  ihre  Staats- 
kirche aufrecht  zu  halten,  ausdrücklich  auf  eine  Linie  ge- 
stellt mit  dem  genfer  Reformator,  auf  dessen  Antrieb  Servet 
zum  Scheiterhaufen  geführt  worden  war. 

Wenn  Roger  Williams  mit  voller  Bestimmtheit,  dieser 
und  jener  sonst  nicht  mit  gleicher  Schärfe  sich  dahin  ausge- 
sprochen hatte,  dass  die  Pflege  der  religiösen  Interessen  und 
die  Organisation  des  kirchlichen  Lebens  den  einzelnen  Bürgern 
zu  überlassen  sei,  und  dass  hierin  keine  Beschränkung  der 
Willkür  erfolgen  dürfe,  soferne  sie  nicht  gegen  die  btirger- 


Forderung  der  Toleranz.  237 

liehen  Gesetze  verstiessen,  so  erhoben  andere  Jünger  des 
Independentismus ,  welche  die  Kraft  nicht  hatten,  durch  ein 
Princip  die  Tradition  von  Jahrhunderten  umzustossen,  weniger 
hohe  Ansprüche.  Sie  hatten  nichts  dagegen,  wenn  der  Staat 
eine  Kirche  privilegire,  ihr  Dogma,  ihren  Ritus,  ihre  Ver- 
fassung seiner  Prüfung  unterwerfe,  die  Erhaltung  ihrer  Diener 
garantire,  ihre  Institute  unterstütze.  Aber  sie  forderten  neben 
dieser  anerkannten  Nationalkirche,  welche  keine  andere  als 
die  presbyteriale  zu  werden  drohte,  Toleranz  für  andere,  die 
ihr  nicht  anzugehören  wünschten.  Es  lässt  sich  nicht  genau 
feststellen,  wer  alles,  nach  ihrer  Ansicht,  zu  diesen  anderen 
gehören  sollte,  und  inwieferne  sie  sich  hie  und  da  mit  den 
Latitudinariern  oder  Männern  wie  Seiden,  berührten.  Im 
ganzen  und  grossen  hielten  sie  an  der  Meinung  Robinson's 
fest,  ohne  ihre  Unklarheiten  aufzuhellen  oder  sich  ihrer  nur 
bewusst  zu  werden.  Sie  hätten^  wie  er,  gewünscht,  dass  der 
Staat  seiner  Strafgewalt  unterwerfe,  was  ihnen  als  „notorische 
Abgötterei"  galt,  aber  sie  widersetzten  sich  aufs  lebhafteste 
der  Forderung,  ihre  independenten  Gemeinden  aufzulösen  und 
in  jene  Nationalkirche  einzutreten.  Die  fünf  independentischen 
Mitglieder  der  Synode  beschränkten  ihr  Verlangen  der  Dul- 
dung auf  jene  „unbedeutenden  Abweichungen",  deren  sie  sich 
gegenüber  dem  Presbyterianismus  allein  bewusst  waren. 
Burton  wollte  nur  „offenkundige  Ketzerei,  Blasphemie,  Ido- 
latrie" von  ihr  ausgeschlossen  wissen.  Eine  bestimmte  Grenze 
war  nicht  gezogen  und  liess  sich  nicht  ziehen.  Wer  anfangs 
Toleranz  gefordert  hatte  aus  Egoismus,  musste  allmählich 
dazu  gedrängt  werden,  Toleranz  zu  fordern  aus  Grundsatz. 

Eben  das  war  es,  was  der  Presbyterianismus  auch  gegen 
die  Vertreter  des  milderen  Independentismus  auszunutzen 
versuchte.  Wenn  er  ihnen  heute  gewährte,  was  sie  verlangten, 
wer  bürgte  dafür,  dass  nicht  morgen  tausend  andere  dasselbe 
forderten  ?  Und  hier  bot  sieh  dem  überzeugten  Presbyterianer 
ein  entsetzliches  Bild.  Man  kennt  jenes  „Chaos  barbarischer 
Sektennamen",  das  uns  von  dieser  Seite  überliefert  worden 
ist(^).  Werke,  wie  „The  Dippers  dipt"(2)  von  Featley, 
einem  gemässigten  Episkopalisten,   der  aus    der  Synode  ent- 


238  Sektenfurcht.    Edwards,   Frynne  etc. 

fernt  wurde,  oder  wie  Ephraim  Pagit's,  des  Pfarrers  von 
St.  Edmund,  Lombard  Street,  Heresiographie,  oder  des  Schotten 
Baillie  „Warnung  vor  den  Irrthümeru  der  Zeit"  haben  das 
Ihrige  gethan,  sie  in  die  Literatur  einzusehwärzen.  Fast  noch 
wirksamer  waren  zwei  andere  Bücher  von  ähnlicher  Tendenz. 
Das  eine  hatte  jenen  William  Prynne  zum  Verfasser,  der 
mit  Burton  ein  Märtyrer  des  Laud'schen  Zelotismus  gewesen, 
aber,  sehr  ungleich  seinem  Leidensgefährten,  wie  Bastwick  ein 
feuriger  Vorkämpfer  des  zelotischen  Presby  terianismus  geworden 
war.  Es  führte  den  vielversprechenden  Titel :  „Eben  gemachte 
Entdeckung  einiger  Unheil  verkündender  Kometen  und  Feuer- 
brände, die  sich  selbst  neue  Lichter  nennen,  aber  Kirche  und 
Staat  aufs  neue  in  Brand  stecken  werden."  Das  andere  und 
gefährlichste  von  allen  stammte  aus  der  Paeder  desselben 
Edwards,  der  schon  durch  seine  frühere  Thätigkeit  bei  den 
Presbyterianern  zu  hohem  Ansehen  gekommen  war.  Es  nannte 
sich:  „Gangraena  oder  Katalog  und  Enthüllung  vieler  der 
Irrthümer,  Ketzereien,  Blasphemien  und  verderblichen  Prak- 
tiken der  Sektirer  dieser  Zeit".  Die  genannten  Werke  er- 
schienen in  den  Jahren  1645  und  1646,  fast  sämmtlich  er- 
lebten sie  nicht  wenige  Auflagen,  mit  abschreckenden  Illustra- 
tionen geschmückt,  bereichert  und  erweitert.  Ihre  Absicht 
geht  dahin,  beim  Volke  und  beim  Parlament  den  Indepen- 
dentismus  und  seine  Forderung  der  Toleranz  in  Verruf  zu 
bringen,  indem  sie  mit  grausamer  Lust  ein  Bild  der  zahllosen 
verabscheuungswürdigen  Sekten  entwerfen,  welche  in  England 
eingedrungen  seien  und  gleich  dem  Independentismus  Duldung 
verlangten.  Wie  man  denken  kann,  nehmen  die  Anabaptisten 
die  erste  Stelle  ein,  aber  ein  ganzes  Heer  anderer  Sektirer 
schliesst  sich  ihnen  an:  Antinomianer,  ^velche  sich  derselben 
Abweichungen  vom  Dogma  schuldig  machten,  wie  jene  mittler- 
weile von  den  Indianern  erschlagene  Mrs.  Hutchinson ;  Läugner 
der  strengen  Trinitätslehre,  wie  Arianer  und  Socinianer;  Fa- 
milisten.  Chiliasten,  „Seekers",  welche  die  Herstellung  der 
„wahren  Kirche"  von  der  Zukunft  erwarteten  und  ihrer 
Möglichkeit  für  die  Gegenwart  widersprachen;  Divorcers, 
welche  „um  geringer  Ursachen  willen"  die  Schei- 


I 


Sektenfurcht.    Edwards,  Prynne  etc.  239 

dung  erlauben  wollen  u.  a.  m.  Mit  Abscheu  wiesen  die 
presbyterianischen  Federn  darauf  hin,  dass  schon  hie  und  da 
die  Frauen  in  den  Versammlungen  dieser  und  jener  Sektirer 
das  Wort  nähmen.  Indem  sie  einzelne  Sätze  ihrer  Lehren 
und  Schriften  auszogen,  fanden  sie  nicht  nur  das  Predigtamt 
ausdrücklich  auch  für  das  weibliche  Geschlecht  in  Anspruch 
genommen,  sondern  selbst  Theorieen  entwickelt,  die  sich  gegen 
das  Waffentragen  wie  das  Sondereigenthum  richteten  und 
somit  die  Grundlagen  der  Gesellschaft  anzutasten  schienen. 
Sehr  erwünscht  war  es  alsdann,  zu  gleicher  Zeit  auf  Aussprüche 
hinweisen  zu  können,  .wie  die,  dass  jeder  Freiheit  des  Ge- 
wissens und  der  Prophetie  haben  müsse,  dass  jeder  Kaufmann, 
Buchhändler,  Fuhrmann  auch  Prediger  sein  könne,  dass 
Zehnten  und  ein  fester  Gehalt  für  den  Geistlichen  unstatthaft 
seien,  dass  der  Staat  Blasphemie  und  Atheismus  nicht  strafen 
dürfe.  Alles  dies  Hess  sich  auf  independentische  Wurzeln 
zurückführen  ('). 

Unzweifelhaft  sah  die  Angst  des  Presbyterianismus  nicht 
ganz  klar.  Viele  der  Unterschiede  von  Sekten,  welche  er 
machte,  waren  gar  nicht  vorhanden.  Manche  „Häresie"  wurde 
nur  von  einzelnen  kühnen  Geistern  getheilt,  ohne  dass  diese 
eine  Gemeinde  um  sich  hätten  bilden  können  oder  nur  bilden 
wollen.  Absichtliche  oder  unabsichtliche  Missverständnisse 
und  Entstellungen,  näher  oder  ferner  liegende  Erinnerungen 
an  die  Sekten  des  sechzehnten  Jahrhunderts,  voreilige  Schlüsse, 
die  aus  einzelnen  Aeusserungen  und  Erscheinungen  gezogen 
wurden :  das  alles  wirkte  zur  Herstellung  jener  Anklagelisten 
zusammen,  welche  die  Presbyterianer  so  eifrig  waren  zu  ent- 
weifen.  Was  hier  mit  dem  Namen  von  Sekten  gebrandmarkt 
wurde,  waren  im  Grunde  fast  durchaus  „nur  in  einander 
verschwimmende  Nuancirungen  der  einen  grossen  enthusiasti- 
schen Partei  der  Heiligen",  wie  alle  diejenigen  sich  nannten, 
die  sich  einer  inneren  Heiligung,  einer  unmittelbaren  Inspi- 
ration bewusst  waren,  eben  das,  was  dem  Independentismus 
von  Anfang  an  eigen  gewesen  war(^).  Allerdings  liess  sich 
nicht  läugnen,  dass  einzelne  organisirte  Genossenschaften  in 
nicht  geiinger  Zahl  Eingang  gefunden    und    sich    namentlich 


240  Sektenfurcht.     Edwards,  Prynne  etc. 

der  niederen  Volksklassen  bemächtigt  hatten,  wie  denn  die 
Baptisten,  welche  das  Hauptgewicht  auf  die  Verwerfung  der 
Kindertaufe  legten  und  alle  äusseren  kirchlichen  Formen  ver- 
schmähten, 1644  siebenundvierzig  Gemeinden  zählten  ('). 
Ebenso  waren  in  der  That  dogmatische  Zweifel,  wie  sie  dem 
strenggläubigen  Presbyterianismus  Schauder  einflössten,  in 
weitere  Kreise  gedrungen.  Und  vor  allem  jener  Gi"undsatz 
von  der  Gewissensfreiheit  gewann  täglich  an  Boden.  Um  so 
eifriger  w'ehrten  sich  die  Presbyterianer  der  Synode  gegen 
die  verlangte  Toleranz.  Sie  versagten  sie  den  gemässigten 
Independenten,  ihren  fünf  Genossen,  um  sie  nicht  den  radikalen, 
den  „Sektirern"  gewähren  zu  müssen.  Sie  erreichten  dadurch 
nur,  dass  beide  sich  in  diesem  Punkt  vollständig  vereinigten. 
Toleranz  wurde  die  immer  lautere  Forderung  des  Tages. 

Die  Presbyterianer  wandten  alle  Mittel  an,  um  sie  zum 
Schweigen  zu  bringen.  Die  Synode  beschloss  auf  ihren  An- 
trag, gegen  den  Protest  von  Nye  und  anderen,  beim  Parla- 
ment über  das  Wachsthum  von  Anabaptisten,  Antinomianern 
und  sonstigen  Sektirern  Klage  zu  führen  (7.  Aug.  1644).  Einzelne 
Führer  wurden  denuncirt  und  sollten  verhört  werden.  Das  Par- 
lament liess  das  letzte  Buch  Roger  Williams  verbrennen,  häufige 
Fasttage  anordnen  und  sich  von  hervorragenden  Mitgliedern 
der  Synode  Predigten  halten,  in  welchen  die  Grundsätze  der 
Gewissensfreiheit  und  Duldung  für  Teufelswerk  erklärt  wurden 
und  in  welchen  zur  Freude  der  schottischen  Kommissäre, 
energische  Hinweisungen  auf  Liga  und  Covenant  vorkamen, 
durch  die  man  die  strikte  Einführung  des  presl)ytei*iani- 
schen  Systems  vorgezeichnet  glaubte  (2).  Eine  reiche  Fülle 
solcher  officieller  Predigten  ist  uns  erhalten,  und  man 
braucht  nur  einen  Blick  in  sie  zu  werfen,  um  sich  von  der 
Heftigkeit  des  Kampfes  einen  Begrift"  zu  machen.  ,  Da  be- 
jammert Thomas  Hill  die  Aussicht,  dass  London  „ein  Amster- 
dam wei'den  würde,  wenn  man  die  Thüren  so  weit  ötfnen 
wolle,  alle  Religionen  zu  dulden"  {^).  Obadjah  Sedgwick  sieht 
nur  eine  Rettung:  den  Abscheu  des  Parlamentes  „vor  dem 
Worte,  ja  vor  dem  blossen  Gedanken  einer  Duldung  aller 
Meinungen  der  Kirche",  denn  nachdem  man  sich  einmal  vor- 


Intoleranz  der  Smectymnianer.  241 

genommen,  eine  Konformität  in  der  Kirche  herzustellen,  liege 
darin  ein  Spott  Gottes  selbst".  „Ich  würde,  ruft  er  ein 
ander  Mal  aus,  wenn  Gott  es  will,  lieber  im  Grabe  liegen, 
als  leben,  um  eine  solche  nicht  zu  tolerirende  Toleranz  zu 
sehen" (^).  Andere  Mitglieder  der  Synode,  wie  Yines  und 
Palmer  redeten  dem  Parlamente  eben  so  eifrig  ins  Gewissen (2). 
Auf  den  Kanzeln  der  Stadt  wurde  dasselbe  Thema  verarbeitet, 
indem  man  die  Zuhörerschaft  vor  Heidenthum  und  Muham- 
medanismus  erzittern  Hess,  und  wer  nicht  Gelegenheit  oder 
nicht  genug  daran  hatte,  durch  das  Wort  zu  wirken,  griff 
wie  die  unermüdlichen  Edwards  und  Prynne  zur  Feder. 

Zu  den  eifrigsten  Gegnern  der  Toleranz  gehörten  Milton"s 
Freunde,  die  fünf  Verfasser  des  Smectymnuus.  Wir  würden 
es  aus  den  Worten  ihrer  independentischen  Gegner  wissen, 
wenn  nicht  einige  von  ihnen  selbst  dafür  Zeugnis  ablegten.  Es 
war  Stephen  Marshall,  der  Namens  der  Synode  vor  den  Häusern 
des  Parlaments  erschien  und  mehrere  der  Sektenführer  denun- 
cirte.  Edmund  Calamy  wandte  sich  mit  Flammenworten 
gegen  das  „Streiten  um  Meinungen",  die  „selbstmörderischen 
Parteiungen"  und  forderte  dazu  auf,  am  Covenant  festzu- 
halten und  Gottes  Zorn  durch  Reue  und  Zerknirschung  zu 
versöhnen. (2)  Matthew  Newcomen,  der,  seinem  Biographen 
zu  Folge,  einen  Traktat  gegen  die  Toleranz  der  Juden  ge- 
schrieben, wenn  auch  nicht  veröffentlicht  hatte,  war  nicht 
der  Mann,  hier  zu  schweigen.  Für  den  12.  September  1644, 
als  man  sehr  schlechte  Nachrichten  von  der  Armee  aus  dem 
Westen  erhalten  hatte,  war  ein  Fasttag  angesetzt,  und  New- 
comen beauftragt,  vor  dem  Parlament  die  Predigt  zu  halten. 
Das  war  eine  Gelegenheit,  den  zerknirschten  Zuhörern  ihre 
Sünden  zu  Gemüthe  zu  führen  und  strafende  Worte  auszu- 
sprechen, die  über  die  jNIauern  der  Kapelle  St.  INIargaret 
nach  Stadt  und  Land,  zu  den  Bürgern  und  zum  Heere  hinaus- 
dringen sollten.  „Oh  wie  sehr  fürchte  ich,  —  ruft  der  fromme 
Redner  aus,  —  dass  eure  Sünden  das  Unheil  herbeigeführt 
haben,  das  uns  betroffen  hat  .  .  .  Stolz  und  Luxus,  Fleisch- 
essen und  Weintrinken,  sich  in  Scharlach  kleiden,  mit  empor- 
gerecktem Nacken   einhergehen   in   einer  Zeit  wie   diese!  .  . 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  2.  16 


242  Intoleranz  der  Smectymnianer. 

Das  Parlament,  die  Synode  verachtet,  die  Reformation  in 
Dogma,  Ritus,  Verfassung  verachtet!  Die  Menschen  wünschen 
sich  wieder  nach  Aegypten  zurück  .  .  keine  Reform  der  Kirche, 
nichts  kann  einigen  Leuten  genug  thun,  als  eine  Toleranz 
aller  Religionen  und  Meinungen.  Kirchenverfassung,  Disciplin 
gilt  einigen  als  eine  Fiktion,  anderen  als  Tyrannei.  Ah,  Brüder, 
das  reizt  den  Zorn  Gottes".  Er  beschwört  die  Vertreter  der 
Nation,  gegen  die  Ketzer  und  Schismatiker  nicht  eine  falsche 
Milde  zu  üben  und  versteigt  sich,  als  ein  Mann  von  historischer 
Bildung,  so  weit,  ihnen  das  Wort  „Landgraf,  werde  hart"  in's 
Gedächtnis  zu  rufen  (^).  Ganz  in  demselben  Sinn  sprach  er 
einige  Monate  später  in  der  Paulskirche.  Er  spickte  seine 
Predigt  mit  Citaten  aus  protestantischen  und  katholischen 
Schriftstellern  und  wird  den  ehrsamen  Bürgern  nicht  wenig 
durch  seine  Gelehrsamkeit  imponirt  haben.  Die  Hauptsache 
war  auch  hier,  zu  beweisen,  dass  „eine  allgemeine  und  ab- 
solute Glaubensfreiheit  für  jedermann,  wann  und  worin  er 
wolle,  nicht  erstrebenswerth  sei,  wenn  überhaupt  möglich, 
und  wenn  möglich,  nicht  zu  dulden".  Er  versucht  zwar  für 
erlaubte  Meinungsabweichungen  gewisse  Grenzen  zu  ziehen, 
die  Nothwendigkeit  der  Uebereinstimnmng  auf  das  „Funda- 
mentale und  Wesentliche"  zu  beschränken,  aber  eben  dieses 
sieht  er  im  Presbyterianismus,  wie  ihn  die  Schotten  durch 
den  Covenant  England  aufzudringen  wünschten.  Er  nimmt 
diesen  Vertrag  gegen  die  independentischen  Angriffe  in 
Schutz.  Er  beklagt  es  bitterlich,  dass  Leute  ihn  jetzt  herunter- 
reissen,  „die  ein  Paar  Jahre  vorher  geglaubt  haben  würden, 
Gott  nicht  genug  dafür  danken  zu  können".  Er  wendet  sich 
gegen  Ende  mit  aller  Heftigkeit  gegen  diejenigen,  welche 
eine  Einigung  für  unmöglich  erklären,  „und  für  Toleranz  im 
weitesten  Sinn,  selbst  für  Papisten,  Juden  und  Türken  sind"  (2)- 
Es  konnte  den  Independenten  nicht  schwer  werden, 
Milton's  Freunden  zu  antworten.  War  nicht  aus  ihrer  Feder 
jener  berühmte  Traktat  Smectymnuus  hervorgegangen?  Liessen 
sich  nicht  viele  Sätze  desselben,  welche  damals  der  Presby- 
terianismus gegen  das  intolerante  Prälatenthum  aufgestellt 
hatte,  nun  mit  Glück  gegen  den  intoleranten  Presbyterianismus 


Saltmarsh's  Angriffe  gegen  sie.  243 

verwenden?  Mr.  Saltmarsh,  der,  in  Cambridge  gebildet,  in 
den  geistlichen  Stand  eingetreten  war,  zu  den  Häuptern  der 
Antinomianer  gerechnet  wurde  und  später  als  einer  der 
Kapläne  .in  Fairfax'  Heere  eine  Rolle  spielte,  zögerte  nicht, 
dies  zu  benutzen  und  die  Feinde  mit  ihren  eigenen  Waffen 
zu  schlagen.  Er  schrieb  ein  Pamphlet  „Seufzer  nach  Frei- 
heit, dem  hohen  Parlament  im  Jahre  1641  dargebracht  von 
den  (früher  nicht  konformistischen)  presbyterianischen  Brüdern, 
die  man  für  die  Fähigsten  und  Gelehrtesten  hält,  in  einem 
Traktat,  genannt  Smectymnuus,  aus  Anlass  der  Tyrannei 
der  Prälaten,  wieder  auferweckt  und  ihnen  selbst  darge- 
bracht zu  Gunsten  ihrer  nicht  konformistischen  Brüder"  (^). 
Damit  niemand  im  Unklaren  darüber  bleibe,  „wer  dieser 
Smectymnuus  sei",  werden  die  Namen  der  fünf  Verfasser 
mit  Hervorhebung  ihrer  Anfangsbuchstaben  genannt.  Und 
nun  zieht  Saltmarsh  einzelne  Sätze  aus  dem  Smectymnuus 
aus,  um  jedesmal  die  Frage  an  die  Autoren  zu  richten,  ob 
sie  nicht  für  andere  als  bilhg  gelten  lassen  wollen,  was  sie 
einst  für  sich  selbst  als  Recht  in  Anspruch  genommen  hatten. 
In  der  That  Hess  sich  die  Parallele  glänzend  durchführen. 
Selbst  darüber  hatten  die  fünf  Presbyterianer,  die  Nonkonfor- 
misten  von  damals,  sich  beklagt,  dass  die  Bischöfe  sie  „in 
ihrer  Hofsprache"  mit  den  Namen  „Häretiker  und  Schisma- 
tiker" belegt  hatten,  denselben  Namen,  welche  die  Presby- 
terianer jetzt  gegen  die  Nonkonformisten  der  Gegenwart 
schleuderten.  Gegenüber  solchen  Thatsachen  hatte  der  Autor 
gutes  Recht,  den  „ehrwürdigen  Geistlichen  presbyterianischer 
Richtung"  zuzurufen:  „Brüder,  so  haben  einige  von  euch 
unter  dem  Bisthum,  unter  der  Tyrannei  jener  Kirchenver- 
fassung geseufzt.  Oh,  wie  zartfühlend  waren  eure  Gewissen 
damals  wegen  der  usurpirten  Herrschaft,  der  aufgezwungenen 
Formen,  damals  als  ihr  noch  die  Leidenden  wäret.  Aber 
jetzt,  da  eure  Brüder  sich  euch  so  wenig  konformiren  wollen, 
wie  ihr  einst  euch  den  Prälaten,  da  ihr  die  Herrscher  seid, 
und  eure  Brüder  die  Leidenden,  habt  ihr  jene  Zeiten  und 
Umstände  völlig  vergessen".  Es  war  eine  treffende  Blustra- 
tion des  Satzes,  dass  den  Parteien  im  Besitz  der  Macht  die 

16* 


244  Saltmarsli's  Angriffe  gegen  sie. 

Grundsätze  der  Zeiten  ihrer  Machtlosigkeit  nur  zu  bald  aus 
dem  Gedächtniss  entschwinden,  und  dass  sie  nicht  nach  ihren 
Zielen  gemessen  zu  werden  verdienen,  welche  jede  für  sehr 
edel  hält,  sondern  nach  ihren  Mitteln,  welche  nur  allzu  häufig 
die  eine  von  der  anderen  zu  erborgen  pflegt. 

Je  mehr  man  die  Frage  der  Toleranz  auf  indepen- 
dentischer  Seite  durchdachte,  desto  näher  lag  es,  sie  dadurch 
zu  vereinfachen,  das  sman  überhaupt  die  theokratische  Idee 
aufgab ,  nach  welcher  der  Staat  sich  mit  religiösen  Aufgaben 
befassen  sollte.  Wie  schwer  es  den  meisten  auch  werden 
mochte,  dieser  Gewohnheit  zu  entsagen,  und  wie  viel  Unklar- 
heiten der  ringenden  Geister  im  einzelnen  übrig  blieben,  so 
hat  doch  dieser  und  jener  den  entscheidenden  Schritt  gewagt, 
der  ihn  von  den  milderen  „fünf  dissentirenden  Brüdern"  mehr 
zu  dem  ganz  und  gar  mit  der  Vergangenheit  brechenden 
Baptisten  Robert  Williams  hinüberführte.  Als  ein  solcher 
bekannte  sich  jener  Burton,  indem  er  zwei  Schriften  „seines 
Leidensbruders  und  ehemaligen  Gefährten  in  der  Trübsal", 
William  Prynne,  bekämpfte.  Burton  hatte  früher  die  Ein- 
richtung einer  Nationalkirche  nicht  schlechthin  für  unstatthaft 
erklärt,  daneben  aber  die  Duldung  von  Gemeinden  verlangt, 
die  sich  dieser  staatlich  organisirten  Kirche  nicht  konformiren 
wollten.  Hier  spricht  er  sich  dahin  aus,  dass  es  überhaupt 
keine  Staatskirche  (political  state-church-government)  geben 
dürfe,  weil  „ausser  der  der  jetzt  völlig  zerstreuten  Juden" 
eine  solche  gar  nicht  als  göttlichen  Ursprungs  nachweisbar 
sei.  Es  kommt  so  ziemlich  auf  Williams'  Ansicht  heraus, 
obgleich  die  näliere  Ausführung  fehlt,  wenn  Burton  sagt: 
„Der  Staat  hei-rscht  über  den  Körper,  nicht  über  die  Seele  .  . 
Christus  allein  ist  Herr  unseres  Gewissens,  und  keine  mensch- 
liche oder  irdische  Gewalt  darf  sich  ihm  dabei  an  die  Seite 
stellen."  Immerhin  hatte  er  nur  das  religiöse  Gebiet  im 
Auge,  aber  auf  diesem  sollte  volle  Freiheit  gelten.  „Was 
das  Gewissen  eines  Menschen  betrilft,  wenn  er  noch  so  sehr 
irrt,  wie  z.  B.  ein  Papist,  .  .  so  steht  es  trotzdem  weder  euch 
(den  presbyterianischen  Geistlichen),  noch  irgend  jemandem 
sonst  in  der  Welt  zu,   anders  darauf  einzuwii'ken ,   als   durch 


Das  Heer  und  der  Independentismus.  245 

Belehrung  und  Ermahnung  .  .  Zwang  dürft  ihr  nicht  an- 
wenden". Freilich  wagte  er  aus  diesen  Vordersätzen  noch 
durchaus  nicht  die  praktischen  Folgerungen  zu  ziehen,  vor 
denen  Williams  nicht  zuriickbebte.  Er  macht  noch  einen 
Unterschied  zwischen  der  Toleranz  des  Einzelnen  und  der 
Toleranz  eines  öffentlichen  Kultus.  „Der  Staat  braucht  nicht 
zu  dulden,  dass  Papismus  und  Idolatrie  offen  im  Lande  auf- 
gerichtet werden,  aber  über  das  Gewissen  eines  Papisten  ist 
er  nicht  Meister  oder  Richter". (i).  Der  Fortschritt  vom 
blossen  Verlangen  der  Duldung  zum  Verlangen  völligen  Ver- 
zichtes des  Staates  auf  Bildung  einer  Landeskirche  war  bei 
alledem  unverkennbar. 


Die  Presbyterianer  sahen  mit  immer  grösserer  Bangigkeit 
in  die  Zukunft.  Was  halfen  alle  ihre  Siege  bei  den  Abstim- 
mungen der  Synode,  alle  Fasttage  und  Predigten,  alle  schönen 
Worte  des  Parlamentes,  alle  Appellationen  an  die  gesammte 
reformirte  Kirche  in  Europa,  alle  Aufmunterungen  der  Schotten, 
wenn  Schriften  wie  die  von  Saltmarsh  und  Burton  immer  eifrigere 
Leser  fanden,  und  die  Forderung  der  Toleranz,  wenn  nicht 
gar  die  des  Verzichtes  auf  Einrichtung  einer  Nationalkirche, 
immer  mehr  Anhänger  im  Volke  gewann?  Und  was  beson- 
ders bedenklich  war,  diese  verderblichen  Meinungen  griffen 
von  Tag  zu  Tage  weiter  im  Heere  um  sich.  Ja  man  be- 
merkte mit  Schrecken,  dass  ganze  Ptegimenter  sich  von  der 
presbyterianischen  Rechtgläubigkeit  zu  häretischen  Schwär- 
mereien abgewandt  hatten  oder  doch  vollständig  indepen- 
dentisch  gesinnt  waren,  und  dass  dieser  Independentismus  des 
Heeres  eine  ganz  andere  Energie  in  sich  berge,  als  der  der 
„fünf  dissentirenden  Brüder".  Schon  am  2.  April  1644  erwähnt 
Baillie,  dass  „einige  Offi eiere  und  Soldaten  sogar  Antinomianer 
und  Anabaptisten"  seien.  Am  26.  April  glaubt  er  mit  Sicher- 
heit mittheilen  zu  können:  „Die  Independenten  haben  es  so 
eingerichtet,  dass  von  den  Officieren  und  Soldaten  im  Heere 
Manchester's,  gewiss  auch  in  dem   des  Generals  (Essex)  und 


246  Cromwell. 

wie  ich  höre,  in  Waller's  Armee  gleicherweise  mehr  als  zwei 
Drittel  es  mit  ihnen  hält,  und  dies  die  Entschlossensten  und 
Zuversichtlichsten  für  die  Sache  des  Parlaments,"  (^)  Traf 
diese  Behauptung  für  die  Armee  von  Essex  und  Waller  auch 
nicht  zu,  so  hatte  sie  doch  für  die  Manchester's  einen  guten 
Sinn.  Manchester  selbst  zwar  gehörte  nicht  zu  denen,  welche 
der  Presbyterianismus  zu  fürchten  hatte.  Der  Mann  von 
„angeborener  Höflichkeit,  Feinheit  und  Gutmüthigkeit",  wie 
ihn  selbst  der  Gegner  Clarendon  schildert,  hatte  sich  aller- 
dings schon  als  Lord  Kimbolten  durch  politischen  Freimuth 
der  Art  ausgezeichnet,  dass  Karl  I.  ihn  neben  den  fünf  Mit- 
gliedern des  Unterhauses  beim  Versuche  seines  Staatsstreiches 
als  Opfer  auswählte.  Allein  in  Sachen  der  Eeligion  war  er,  wie 
die  Masse  seiner  vornehmen  Standesgenossen  auf  parlamentari- 
scher Seite,  von  den  demokratisch-toleranten  Ansichten  derlnde- 
pendenten  weit  entfernt.  Dagegen  derjenige,  welcher  in  seinem 
Heere  schon  den  grössten  Einfluss  ausübte,  war  zugleich  ent- 
schiedener Widersacher  der  presbyterianischen  Engherzigkeit: 
Oliver  Cromw^ell.  Bei-eits  am  2.  April  1644  nennt  ihn  Baillie 
den  „grossen  Independenten",  und  in  der  That  hatte  der  kühne 
Lieutenant-General  aus  seiner  Gesinnung  kein  Hehl  gemacht. 
Man  kennt  jenes  denkwürdige  Gespräch  zwischen  Hamp- 
den  und  Cromwell,  in  w^elchem  dieser  seinem  Verwandten 
die  Nothwendigkeit  einer  Umbildung  der  parlamentarischen 
Armee  entwickelte,  die  sich  damals  keineswegs  im  Ueber- 
gewichte  gegen  die  des  Königs  befand.  Er  erkannte  ganz 
richtig,  worin  die  Stärke  der  Kavaliere  lag,  wenn  er  betonte, 
dass  es  „Söhne  von  Edelleuten"  seien,  „jüngere  Söhne,  Männer 
von  Rang  und  Ehre".  Diesem  Gefühl  der  „Kavalier-Ehre" 
wünschte  er  ein  anderes,  mächtigeres  geistiges  Element  ent- 
gegenzusetzen, als  er  es  in  den  „alten  unfähigen  Kellnern, 
Weinzapfern  und  solcher  Art  Leute"  fand,  wie  er  verächtlich 
das  Soldatcnniaterial  nannte,  das  sich  beim  Beginn  des  Krieges 
auf  parlamentarischer  Seite  so  vielfach  aus  der  städtischen 
Masse  rekrutirte.  Er  entschloss  sich  „Leute  anzuwerben, 
welche  Gottesfurcht  im  Herzen  trugen,  die  ihr  Gewissen  trieb", 
und  er  erlebte  den  Triumph,  „dass  sie  nie  geschlagen  wurden, 


Cromwell.  '  247 

sondern,  wo  sie  vor  den  Feind  kamen,  Sieger  blieben"  {^). 
Er  wünschte  mit  anderen  Worten  dem  Antriebe  der  feudalen 
Loyalität  durch  einen  stärkeren  zu  begegnen,  dem  der  reli- 
giösen Idee,  wie  sie  ihn  selbst  in  allem  Denken  und  Handein 
durchdrang.  Nirgendwo  beherrschte  sie  die  Gemüther  so  übei*- 
mächtig,  wie  in  jenen  zahlreichen  independenten  Kongre- 
gationen, bei  den  enthusiastischen  ..Heiligen",  die,  wie  er 
selbst,  ihre  Zeit  als  „den  grossen  Tag  der  göttlichen  Macht 
und  Heimsuchung"  betrachteten  und  die  sich  durch  den  Finger 
des  Höchsten,  als  unmittelbare  Werkzeuge  seines  zürnenden 
Willens,  geleitet  glaubten.  Was  Wunder,  wenn  Cromwell  bei  der 
Auswahl  seiner  Soldaten  und  Officiere  auf  diese  hochgespannte 
gläulnge  Stimmung  besonders  Rücksicht  nahm  und  es  nun 
verstand,  seine  Regimenter  mit  einem  Enthusiasmus  für  ihre 
Sache  zu  erfüllen,  der  an  den  Todesmuth  der  arabischen 
Schaaren  gemahnt,  denen  die  Fahne  des  Propheten  voran- 
wehte. Seine  Mannschaften  sammelten  sich  zu  extemporirter 
Predigt  und  zu  freiem  Gebet,  sangen  Psalmen  und  erhoben  sich 
an  Stellen  der  Schrift,  aber  dann  stürzten  sie  sich  mit  dem 
rücksichtslosen  Fanatismus  des  Prädestinationsglaubens  auf 
den  Feind.  In  seinem  Lager  wurde  nicht  geflucht  und  nicht 
gerauft,  Frauen  und  Würfel  waren  verbannt,  eine  eiserne, 
ohne  Murren  ertragene  Disciplin  machte  es,  wie  jMilton  für 
eine  spätere  Zeit  sich  ausdrückt,  zur  „besten  Schule  nicht 
nur  der  Kriegskunst,  sondern  des  Glaubens  und  der  Fröm- 
migkeit" (^).  Jeder  war  hier  willkommen,  der  sich  tüchtig 
erwies,  ohne  dass  er  eine  Probe  auf  seine  Rechtgläubigkeit 
abzulegen  gehabt  hätte.  Bald  wusste  man,  dass  unter  Offi- 
cieren  wie  Soldaten  eine  Menge  jener  radikalen  Sekten  Ver- 
treter hatte,  deren  blosser  Käme  dem  orthodoxen  Presby- 
terianer  verhasst  war,  und  welche  sämmtlich,  wie  der  mildere 
Independentismus,  Toleranz  auf  ihre  Fahne  geschrieben  hatten. 
Man  spottete  über  die  „Visionen  und  Oftenbarungen",  welche 
manche  dieser  kräftigen  Reiter,  die  sich  „Gottselige"  nannten, 
gesehen  haben  wollten,  aber  der  Spott  hörte  auf,  als  man 
bemerken  zu  müssen  glaubte,  dass  dieser  oder  jener  „gut- 
gesinnte  Officier"    von    seinem    Posten    entfernt    würde,    um 


-248  Cromwell. 

„diesem  albernen  Volke"  Platz  zu  machen C^).  Die  „Gutge- 
sinnten" hätten  vielmehr  eine  Ausstossung  aller  dieser  sektire- 
rischen  Elemente  gewünscht  und  legten,  wo  sie  die  Macht 
dazu  hatten,  ihren  presbyterianischen  Massstab  bei  der  Beur- 
theilung  von  Officieren  und  Soldaten  an. 

Schon  friiher  kam  es  darüber  hie  und  da  zu  Konflikten, 
welche  ernstere  Misshelligkeiten  vorausverkündigten.  In  Man- 
chester's  Heere  z.  B.  war  der  Schotte  Laurence  Crawford,  nach 
dem  Anrücken  der  nordischen  Hilfsmacht  von  Manchester  als 
Major-General  in  seine  Armee  aufgenommen,  schon  kraft  seiner 
Nationalität  der  Hauptvertreter  dieser  engherzigen  presbyteriani- 
schen Richtung.  Als  er  einen  Officier  besti'aft  und  suspendirt 
hatte,  dessen  Hauptverbrechen  darin  bestand,  dass  er  zu  den 
Anabaptisten  gehörte ,  zog  er  sich  von  Cromwell  (10.  März 
1644)  ein  Schreiben  zu,  welches  den  ganzen  Gegensatz  dieser 
Geister  enthüllte.  „Hütet  euch,  —  gab  ihm  Cromwell  zu 
hören  —  heftig  zu  sein  oder  euch  durch  andere  zur  Heftig- 
keit hinreissen  zu  lassen  gegen  solche,  denen  nicht  viel  mehr 
vorzuwerfen  ist,  als  dass  sie  mit  euch  in  Sachen  der  Religion 
nicht  durchaus  übereinstimmen  .  .  Der  Staat  hat  sich  bei  der 
Auswahl  seiner  Diener  nicht  um  ihre  Gesinnungen  zu  kümmern; 
wenn  sie  ihm  nur  ehrlich  dienen,  das  genügt".  (2)  Seitdem 
herrschte  zwischen  Cromwell  und  Crawford  unversöhnliche 
Feindschaft,  und  da  dieser  das  volle  Vertrauen  Manchester's 
erlangte,  so  wurde  auch  der  General  sehr  bald  mit  bitteren 
Gesinnungen  gegen  den  „grossen  Independenten"  erfüllt. 

Die  Presbyterianer  hatten  gegenüber  der  mächtig  an- 
schwellenden ihnen  so  widerwärtigen  Strömung  eine  Hoffnung, 
auf  deren  Verwirklichung  sie  mit  Sicherheit  rechneten.  Im 
Januar  1G44  hatte  das  schottische  Hilfsheer  unter  Leslie, 
Grafen  von  Leven,  mehr  als  20000  Mann  stark,  Liga  und 
Covenant  gemäss,  die  englische  Grenze  überschritten.  Ein 
„Committee  beider  Königreiche",  nach  dem  Orte  seiner 
Sitzungen  das  „Committee  von  Derby-Haus"  genannt,  ward 
gebildet,  welches  selir  gegen  P'ssex'  Wunsch  die  Oberleitung 
des  gesammten  Militäi-wesens  in  die  Hand  nahm  und  sich 
mit  den  Führern  der  einzelnen  Armeen  in  direkte  Verbindung 


Hoffnung  des  Presbyterianismus  auf  die  Schotten.  249 

setzte.  Hatten  in  dieser  Behörde,  welche  die  hervorragendsten 
Officiere,  wie  Essex,  Waller,  Manchester,  Cromwell  selbst  in 
sich  schloss,  die  Engländer  selbstverständlich  das  grösste 
Uebergewicht,  so  waren  doch  auch  die  Schotten  vertreten. 
Wenn  es  gelang,  den  schottischen  Einfluss  zur  Geltung  zu 
bringen,  die  ähnlich  gesinnten  angesehenen  englischen  INIit- 
glieder  mit  fortzureissen  und  vor  allem  durch  grosse  Erfolge 
des  schottischen  Heeres  eine  moralische  Stütze  zu  erhalten, 
so  war  man  sicher,  über  alle  Bestrebungen  des  Independen- 
tismus  zu  triumphiren  und  die  verhasste  Forderung  der  Tole- 
ranz zum  Schweigen  zu  bringen.  In  Baillie's  Briefen  kehren 
daher  die  Ausdrücke  des  Bedauerns  über  das  Zögern  des 
schottischen  Generals  und  der  Hoffnung  auf  seine  Siege  immer 
wieder.  Alle  Disputationen  mit  den  Independenten  seien 
nutzlos;  wenn  nur  die  schottische  Armee  vorrücke  oder  siege, 
so  werde  das  die  beste  Verstärkung  der  Gründe  sein.(^)  Aber 
während  sich  die  Presbyterianer  in  diesen  Erwartungen  wiegten, 
nahm  der  Krieg  eine  Wendung,  die  ihnen  nichts  weniger  als 
erwünscht  sein  konnte. 

Indessen  Essex  und  Waller  gegen  Oxford  heranrückten, 
und  den  König  dort  in  die  bedenklichste  Lage  zu  bringen 
drohten,  gelang  es  im  Norden  den  beiden  Fairfax,  sich  mit 
den  Schotten  zu  vereinigen,  die  bis  dahin  zum  Unwillen  ihrer 
englischen  Freunde  jeder  grösseren  Aktion  vorsichtig  ausge- 
wichen waren.  Zugleich  setzte  sich  die  Armee  der  Association 
der  östlichen  Grafschaften  unter  Manchester  und  Cromwell  in 
Bewegung,  überschritt  den  Humber  und  verband  sich  mit  den 
Schotten  und  den  Fairfax  zur  Belagerung  von  York,  der 
wichtigsten  Stadt  des  Nordens,  hinter  deren  Wälle  Newcastle 
sich  hatte  zurückziehen  müssen.  Ihm  zu  Hilfe  hatte  im 
Auftrag  des  Königs  Prinz  Rupert  sich  aufgemacht,  dem  kurz 
zuvor  eine  Waffenthat  nach  der  anderen  im  Westen  gelungen 
war.  Er  brach  in  Yorkshire  ein,  und  indem  die  Belagerungs- 
armee ihm  entgegenzog,  sah  sich  die  bedrohte  Stadt  durch 
die  blosse  Nachricht  seiner  Ankunft  schon  befreit.  Es  gelang 
ihm  sodann,  die  anrückenden  Feinde  zu  täuschen  und  sich 
den  Weg  zu  Newcastle  zu  bahnen.   Dieser  hatte  gute  Gründe, 


250  Schlacht  von  Marston-Moor. 

eine  Feldschlacht  zu  widerrathen,  aber  Rupert  brannte  darauf, 
durch  eine  grosse  That  den  verhassten  Gegner  zu  vernichten, 
berief  sich  auf  eine  angebliche  Ermächtigung  des  Königs  und 
riss  Xewcastle  wider  dessen  bessere  Ueberzeugung  mit  sich 
fort,  dem  verbündeten  englisch-schottischen  Heere  entgegen- 
zutreten. Als  man  in  der  Abenddcämmerung  des  2.  Juli  (1644) 
die  ersten  Flintenschüsse  wechselte,  war  die  von  den  Presby- 
terianern  so  lange  herbeigesehnte  Gelegenheit  gekommen, 
durch  die  sie  ihren  Freunden,  den  Schotten,  den  höchsten 
Siegespreis  verschafft  zu  sehen  wünschten.  Aber  so  tapfer 
auch  auf  allen  Seiten  um  Marston-Moor  gekämpft  wurde,  und 
so  lebhaft  nach  dem  Siege  der  Streit  darüber  losbrach,  wem 
er  vorzugsweise  zuzuschreiben  sei,  so  klärte  sich  die  öffentliche 
Meinung  dahin  ab,  dass  Cromwell  und  seinen  Eisenseiten 
nicht  der  geringste  Lorbeer  gebühre.  In  der  That  war  das 
Centrum  der  parlamentarischen  Armee  schwer  bedrängt,  der 
rechte  Flügel  in  voller  Auflösung  gewesen,  als  der  linke 
Flügel  unter  Cromwell  und  David  Leslie,  von  der  Verfolgung 
des  Feindes  zurückkehrend,  alles  Verlorene  wieder  gut  machte 
und  die,  ihres  Triumphes  schon  sicheren,  royalistischen  Regi- 
menter zersprengte.  Der  furchtbar  erbitterte  Kampf  hatte 
zu  einem  vollständigen  Siege  für  die  Sache  des  Parlamentes 
geführt.  Newcastle,  der  Rolle,  die  er  zu  spielen  gehabt  hatte, 
müde,  schiffte  sich  nach  dem  Festlande  ein,  Rupert  führte 
die  Trümmer  des  Heeres  in  eiliger  Flucht  nach  Lancashire, 
York  ergab  sich,  die  Schotten  rückten  nach  Norden,  um  die 
Stadt  Newcastle  zu  erobern.  (^) 

Der  grosse  Erfolg  von  Maston-Moor  erschien  in  um  so 
glänzenderem  Lichte,  je  weniger  glücklich  an  anderen  Stellen 
gegen  den  König  gekämpft  worden  war.  Dieser  hatte  sich  in- 
zwischen mit  Geschick  der  gefährlichen  Umklammerung  der 
beiden  gegen  Oxford  heranrückenden  Armeen  nach  Norden 
zu  entziehen  gewusst,  war,  während  Essex  sich  den  west- 
lichen (irafschaften  zuwandte,  wieder  vorgerückt,  um  Waller 
eine  emptindlichc  Niederlage  beizubringen,  und  hatte  (kmach 
in  Verbindung  mit  seinem  Neften,  dem,  Prinzen  Moritz  von 
der  Pfalz,   die  Armee  von  Essex  in   die  gefährlichste  Lage 


Unfälle  von  Waller  und  Essex.  251 

gebracht.  Allerdings  hatte  Essex  inzwischen  im  Westen  nicht 
geringe  Erfolge  davongetragen  und  sogar  die  Königin,  die 
sich  in  Exeter  von  ihrer  letzten  Niederkunft  erholte,  genöthigt, 
vor  dem  Kriegsgetümmel  über  das  Meer  nach  Frankreich  zu 
entfliehen.  Aber  er  liess  sich  verlocken,  sich  in  das  gebirgige 
Cornwallis  einzulassen,  in  der  Hoffnung,  dem  König  diese 
treueste  Provinz  vor  seiner  Ankunft  zu  entreissen.  Inmitten  der 
feindlichen  Bevölkerung,  von  aller  Hilfe  abgeschnitten,  durch 
überlegene  Streitkräfte  in  die  Enge  getrieben,  entschloss  sich 
der  parlamentarische  General  lieber  zu  den  grössten  Opfern 
und  Demüthigungen,  als  dass  er  sich  durch  die  wiederholten 
Anerbietungen  des  Königs  hätte  gewinnen  lassen.  Die  Reiterei 
schlug  sich  durch,  Artillerie  und  Fussvolk  mussten  kapituliren, 
nachdem  ihr  Führer,  von  ein  Paar  Officieren  begleitet,  sie  in 
verzweifelter  Stimmung  verlassen  hatte,  um  die  Küste  zu  ge- 
winnen und  zu  Schiff  in  Sicherheit  zu  gelangen.  Auf  diese 
Katastrophe  hatte  Newcomen  in  seiner  elegischen  Predigt  an- 
gespielt, (s.  0.  S.  241  j  und  die  Presbyterianer  hatten  in  der 
That  Grund  genug  zu  beklagen ,  dass  von  den  Generälen  ihrer 
Gesinnung  einer  nach  dem  andern  geschlagen  wurde. 

Inzwischen  war  auch  das  bisher  leidliche  Einvernehmen 
zwischen  Manchester  und  Cromwell  getrübt  worden.  Die  Art 
und  Weise,  wie  Manchester  den  Sieg  von  ]\Iarston-Moor  verfolgte, 
war  weder  im  Sinne  CromweH's  noch  des  Derby-Haus-Coiii- 
mittee  gewesen.  Während  alles  darauf  ankam ,  sich  an 
Eupert's  Fersen  zu  hängen,  seine  blitzschnellen  Bewegungen 
zu  überwachen  und  ihn  zu  vernichten,  ehe  der  König  von 
seiner  Expedition  gegen  Essex  zurückkehrte,  schützte  ]Man- 
chester  beständig  lokale  Interessen,  die  Ptücksicht  auf  die 
östlichen  Grafschaften,  aus  denen  sein  Heer  rekrutirt  war, 
]\Iangel  an  Mitteln  und  Leuten  vor,  und  begnügte  sich  mit 
geringfügigen  Triumphen  und  der  Einnahme  einiger  festen 
Plätze.  Ein  grosser  Theil  seiner  Officiere  war  mit  ihm  ein- 
verstanden, aber  Cromwell  war  seit  Wochen  mit  dem  grössten 
ünrauth ,  wenn  nicht  mit  Argwohn  gegen  die  zögernde  Krieg- 
führung seines  Vorgesetzten  eifüllt.  Er  machte  gegenüber 
von  Freunden  aus  seinen  Sorgen  kein  Hehl  und  scheint  nicht 


252  Unfälle  von  Waller  und  Essex. 

wenig  dazu  beigetragen  zu  haben,  die  Machthaber  in  London 
gleichfalls  in  eine  etwas  gereizte  Stimmung  zu  versetzen. 
Auch  jetzt  AYieder  war  jener  Schotte  Crawford  das  haupt- 
sächliche Element  des  Zwiespaltes  im  Heere,  und  Cromwell 
wird  sich  gegen  ihn,  den  Verläumder  der  Independenten,  um 
so  heftiger  gewandt  haben,  je  weniger  er  damals  schon  wagte, 
Manchester  selbst  anzugreifen.  Ge\Yiss  ist,  dass  alle  drei  im 
Laufe  des  September  in  London  erschienen,  und  dass  Crom- 
well hier  die  Entlassung  Crawford's  durchzusetzen  suchte, 
dessen  militärische  Erfolge  seinem  religiösem  Zelotismus  durch- 
aus nicht  immer  entsprochen  hatten.  Wenn  Cromwell  diese  Al)- 
sieht  auch  nicht  gelang,  so  benutzte  er  doch  seine  Anwesenheit, 
um,  im  Bunde  mit  seinen  independentischen  Freunden  des  Par- 
laments, einen  Beschluss  hevorzurufen,  welcher  die  Presbyte- 
rianer  innerhalb  und  ausserhalb  der  Synode  wie  ein  Blitz  aus 
heiterm  Himmel  traf. 

Es  war  klar,  dass  die  Synode  entschlossen  war,  jeden 
Widersprach  niederzustimmen,  England  das  Joch  der  Pres- 
byterialverfassung  aufzulegen  und  keine  Toleranz  zu  ge- 
währen. Dem  musste  rechtzeitig  ein  Damm  entgegengeworfen 
werden,  sollten  sich  nicht  die  Helden  von  Marston -Moor 
um  ihre  Hoffnungen  betrogen  sehen.  Cromwell  und  Vane 
wären,  nach  Baillie's  Meinung,  „für  eine  Freiheit  aller  Reli- 
gionen ohne  Ausnahme"  gewesen,  sie  Hessen  sich  indess  bei 
dem  Wortlaut  der  sog.  Akkomodations- Ordonnanz  genügen, 
durch  deren  Annahme  das  Haus  der  Gemeinen  am  13.  Sep- 
tember alle  presbyterianischen  Herzen  sehr  unangenehm  über- 
raschte. Nach  dieser  Ordonnanz  sollte  das  grosse  Committee 
beider  Häuser  mit  dem  Committee  der  Synode  und  den 
schottischen  Kommissären  die  Meinungsverschiedenheiten  in 
Erwägung  ziehen,  die  sich  im  Schoosse  der  Synode  über  die 
Frage  der  Kirchenveifassung  geltend  gemacht  hätten,  und 
womöglich  eine  Einigung  zu  Wege  bringen.  Sei  dies  nicht 
möglich,  so  hätten  sie  auf  Mittel  und  Wege  zu  sinnen,  wie 
„zarte  Gewissen,  die  sich  nicht  in  allen  Dingen  der  ange- 
nommenen Ptogel  unterwerfen  können,  gemäss  dem  Worte 
Gottes  und  dem  öffentlichen  Frieden  geschont  werden  möchten". 


Akkomodations-Ordonnanz.  253 

Die  milde  Sprache  dieser  Ordonnanz  war  insofern  deutlich 
genug,  dass  sie  dem  Presbyterianismus  vorläufig  die  Hoffnung 
auf  die  von  ihm  für  unerlässlich  gehaltene  vollkommene  Ein- 
heit des  religiösen  Lebens  benahm  und  der  verhassten  Tole- 
ranz wenigstens  eine  Hinterthüre  öffnete  (^). 

Indessen  wurden  die  Aussichten  des  Presbyterianismus 
noch  trüber  in  Folge  der  Veränderungen,  die  wenig  später 
mit  dem  gesammten  Heerwesen  vor  sich  gingen.  Die  Gene- 
rale waren  kaum  zum  Heere  zurückgekehrt,  als  sich  das  alte 
Spiel,  Vorwärtsdrängen  von  Seiten  der  londoner  Behörde, 
Zögeruugen  auf  Seiten  Manchester's,  wiederholte.  Während 
dess  nahte  der  von  den  Männern  der  That  herbeigewünschte 
Zusammenstoss  heran.  In  den  schottischen  Hochlanden  hatte 
der  ritterliche  Abenteurer  Montrose  für  seinen  König  die 
Fahne  der  Empörung  erhoben  und  sich  mit  den  irischen 
Mannschaften  verbunden,  welche  seinem  alten  Lieblingsplan 
zufolge  an  die  schottische  Küste  geworfen  waren.  Der  König 
kehrte  triumphirend  aus  dem  Westen  zurück  und  bedrohte 
die  Hauptstadt.  Es  war  wichtig,  ihm  entgegenzutreten,  ehe 
sich  Prinz  Paipert  mit  ihm  vereinigen  konnte,  um  nicht  alle 
Früchte  des  Sieges  von  Marston-Moore  auf  einmal  verloren 
gehen  zu  lassen.  Mit  grosser  Opferwilligkeit  hatte  man  Essex' 
und  Waller's  Armee  wieder  hergestellt,  und  da  der  erste  sich 
unfähig  fühlte,  London  zu  verlassen,  übernahm  Manchester 
den  Oberbefehl  über  das  kombinirte  Heer.  Nach  vielfachen 
Zögerungen  stellte  er  den  König  bei  Newbury  (27.  Oktober 
1644)  auf  demselben  Schlachtfelde,  das  schon  einmal  den 
Kampf  des  royalistischen  und  des  parlamentarischen  Heeres 
gesehen  hatte.  Der  Ausgang  der  Schlacht  wurde  zwar  als 
ein  Sieg  für  das  Parlament  betrachtet,  aber  der  König  durfte 
ungehindert  seinen  Marsch  in  der  Richtung  auf  Oxford  fort- 
setzen. Vergeblich  drang  Cromwell  auf  eine  energische 
Verfolgung,  Manchester  liess  es  sogar  zu,  dass  der  König, 
nimmehr  mit  Paipert  vereint,  einige  Zeit  später  Geschütz  und 
Bagage  ganz  ungestört  aus  der  Burg  von  Donnington  abholen 
konnte. 

Da  brach  der  lange  verhaltene  Unwille  über   diese  Art 


254  Cromwell  uud  Manchester. 

Kriegführung  los  und  brachte  die  tieferen  Gründe  der  Zwistig- 
keiten  zum  Vorschein,  die  bis  dahin  mehr  gefühlt  als  offen 
ausgesprochen  worden  waren.  Der  Gegensatz,  welcher  seit 
Monaten  nicht  nur  die  Regimenter  unter  Manchester,  sondern 
die  gesammten  Streitkräfte  des  Parlaments  spaltete,  war  ein 
Gegensatz  religiöser  und  politischer  Natur  zu  gleicher  Zeit. 
Es  war  nicht  nur  die  Frage  der  Toleranz,  durch  die  sich 
Presbyterianer  und  Independenten  getrennt  sahen,  vielmehr 
gestaltete  die  Rücksicht  auf  eben  diese  Frage  das  Verhältnis 
beider  Parteien  zum  König,  zur  Kriegführung  gegen  ihn  auf 
verschiedene  "Weise.  Die  Presbyterianer,  ohnehin  unter  den 
adligen  Herren  und  dem  wohlhabenden  Bürgerstande  besonders 
stark  vertreten,  wünschten  zu  einem  billigen  Ausgleich  mit 
dem  König  zu  kommen  und  ihn  zu  bewegen,  ihre  Bedingungen 
anzunehmen,  unter  denen  das  Anerkenntnis  der  ausschliesslich 
presbyterianischen  Kirchenverfassung  nicht  die  geringste  war. 
Die  Independenten,  besonders  zahlreich  in  den  unteren  Ständen, 
von  enthusiastischen  Ideen  eines  furchtlosen  Radikalismus 
getragen,  wünschten  ihn  gänzlich  seiner  Kraft  zu  berauben, 
um  einen  solchen  Ausgleich  unmöglich  zu  machen,  dem  ihr 
Grundsatz  der  Toleranz  zum  Opfer  gefallen  wäre.  Jene  fanden 
in  den  schottischen  Bundesgenossen  ihren  Rückhalt  und 
wogen  ängstlich,  wie  sie,  die  Möglichkeiten  der  Zukunft  gegen 
einander  ab.  Diese  lehnten  sich  gegen  den  fremden  Zwang 
auf  und  liessen  sich  durch  die  augenblicklichen  Impulse  der 
Leidenschaft  bestimmen.  In  Manchester  und  Cromwell  selbst 
traten  sich  diese  Gegensätze  in  voller  Klarheit  gegenüber. 
Als  der  vornehme  Lord  von  seinen  Officieren  aufgefordert 
wurde,  die  Schmach  von  Donnington-Castle  durch  einen  AngriJGf 
auf  den  abziehenden  Feind  wieder  gut  zu  machen,  erklärte 
er  sich  ärgerlich  dagegen  und  soll  als  Grund  angeführt  haben: 
„Wenn  wir  den  König  auch  neunundneunzig  Mal  schlagen, 
wird  er  und  seine  Nachkommenschaft  doch  immer  König 
bleiben  und  wir  Unterthanen ;  aber  wenn  er  uns  nur  einmal 
schlägt,  so  werden  wir  gehängt,  und  unsere  Kinder  sind 
verloren".  Cromwell  dagegen  wird  das  unerschrockene  Wort 
zugeschrieben,    er  werde  sich    nicht  davor    scheuen,    in  der 


Cromwell  und  Manchester.  255 

Schlacht  die  Pistole  auf  den  König  abzufeuern,  wie  auf  einen 
anderen  (i). 

Am  25.  November  erstatteten  Waller  und  Cromwell,  vom 
Hause  der  Gemeinen  dazu  aufgefordert,  Bericht  über  die 
letzten  Ereignisse.  Cromwell  erhob  mündlich  wie  schriftlich 
schwere  Anklagen  gegen  das  militärische  Verhalten  seines 
Vorgesetzten,  die  er  Punkt  für  Punkt  zu  begründen  suchte. 
Aber  er  hielt  auch  mit  dem  schwersten  Vorwurf  nicht  zurück, 
dass  nach  seiner  Ansicht  nicht  nur  Unfähigkeit  Manchester's 
an  dem  Erlebten  die  Schuld  trage,  sondern  „grundsätzliche 
Unlust,  den  Krieg  durch  einen  vollständigen  Sieg,  und  der 
Wunsch,  ihn  durch  einen  Vergleich  zu  beendigen,  und  zwar 
auf  Bedingungen  hin,  für  deren  Aufstellung  es  nachtheilig 
wäre,  den  König  zu  tief  herabzubringen",  (2)  Manchester  ver- 
theidigte  sich  am  28.  November  vor  dem  Hause  der  Lords, 
das  damals  noch  aus  etwa  dreissig  Mitgliedern  bestand.  Von 
seiner  Seite  wui'den  zwei  Aktenstücke,  das  eine  militärischen 
Inhalts,  das  andere  voll  persönlicher  Angriffe  gegen  Cromwell 
wegen  seiner  gehässigen  Aeusserungen  über  die  Lords,  die 
Schotten  und  die  Synode  einer  Konferenz  beider  Häuser  unter- 
breitet. Die  ganze  Angelegenheit  wurde  durch  niedergesetzte 
Committee's  in  Angriff  genommen,  und  das  Haus  der  Ge- 
meinen legte  um  so  mehr  Gewicht  darauf,  da  ihnen  zweifel- 
haft war,  ob  durch  die  persönlichen  Angriffe  Manchester's 
gegen  eines  ihrer  Mitglieder  nicht  auch  die  Privilegien  des 
Hauses  verletzt  seien.  Zeugen  w^urden  vernommen,  Verthei- 
digiingsschriften  von  Manchester  vorbereitet,  in  denen  auch 
jener  Schotte  Crawford  seine  Galle  gegen  Cromwell  aus- 
schüttete. Man  gieng  sogar  so  weit  in  den  vornehmen  pres- 
byterianischen  Kreisen,  bei  einer  Zusammenkunft  in  Essex' 
Hause,  an  der  sich  auch  die  schottischen  Kommissäre  be- 
theiligteu,  ernstlich  in  Erwägung  zu  ziehen,  ob  es  nicht 
möglich  sein  werde,  Cromwell  als  „Incendiary",  der  Unfrieden 
im  Staate  anfache,  zur  Strafe  zu  ziehen  und  liess  sich  nur 
durch  die  sachlichen  Einwendungen  der  Rechtskundigen, 
Whitelocke  und  Maynard,  davon  abbringen.  (^) 

Inzwischen  enthüllten  die  Führer  des  Independentismus  im 


256  Erste  und  zweite  Selbstentäusserungs-Ordonnanz. 

Heere  und  im  Parlamente  ihre  wahre  Absicht.  Für  sie  han- 
delte es  sich  keineswegs,  und  am  allerwenigsten  für  Cromwell 
um  einen  persönlichen  Streit.  Sie  waren  bereit,  alle  persön- 
lichen Händel  zu  begraben,  wenn  es  ihnen  gelaug,  einen  anderen 
Zug  in  die  Kriegführung  zu  bringen,  eine  Umbildung  des 
Heerwesens  hervorzurufen.  Auch  hatte  sich  das  Unterhaus 
selbst  einer  solchen  bereits  geneigt  erklärt,  indem  es  am 
23.  November  das  Derby-Haus-Kommittee  aufgefordert  hatte, 
„eine  Gestaltung  der  Miliz  in  Erwägung  zu  ziehen,  nach 
welcher  die  Streitkräfte  in  den  dem  öffentlichen  Wohle  ange- 
messensten Zustand  versetzt  würden".  Am  9.  December  1644 
brach  Cromwell  daher  das  Eis  mit  jener  charakteristischen 
Rede,  die  mit  den  Worten  begann:  „Jetzt  ist  es  Zeit,  zu 
sprechen  oder  für  immer  zu  schweigen"  und  die  den  Antrag 
eines  Parteigenossen  vorbereitete,  dass  während  des  Krieges 
kein  Mitglied  des  Hauses  ein  militärisches  oder  bürgerliches 
Kommando  haben  solle.  Diese  „Selbstentäusserungsbill",  von 
Vane  wie  Cromwell  unterstützt,  ward  am  19.  December  mit 
grosser  Mehrheit  vom  Unterhause  angenommen,  aber  die 
Lords  konnten  sich  nicht  dazu  entschliessen,  „die  grossen 
Stellen  und  Kommandos"  aufzugeben,  die  der  Krieg  ihnen  in 
die  Hand  gespielt  hatte.  Sie  verwarfen  am  15,  Januar  1645 
die  Bill,  da  man  noch  keinen  Ueberblick  über  die  Reorga- 
nisation des  Heeres  habe.  Sofort  wurde  die  Angelegenheit 
des  Streites  zwischen  Cromwell  und  Manchester  wieder  auf- 
genommen, da  für  den  Verzicht  auf  ihre  Verfolgung  die  An- 
nahme jener  Bill  stillschweigende  Bedingung  hatte  bilden 
sollen.  Indess  auch  dies  Mal  erfolgte  nichts  weiter.  Denn  es 
gelang  den  Independenten,  eine  noch  viel  bedeutendere  Aen- 
derung  des  Heerwesens  durchzusetzen,  als  jener  erste  Antrag 
in  sich  schloss,  und  damit  giengen  Zeit  wie  Neigung  für  die 
Untersuchung  gegenseitiger  Beschuldigungen  verloren. 

Von  den  Lords  dazu  provocirt,  das  Schema  einer  Umbildung 
des  Heerwesens  vorzulegen,  und  gegen  die  Fehler  der  bisherigen 
obersten  Leitung  nicht  blind,  hatte  sich  das  Unterhaus  sofort 
an's  Werk  gemacht.  Es  hatte  vom  Derby-Haus-Comraittee, 
in   welchem  gleichfalls   der  Wunsch  nach  einer  Reform   alle 


Erste  und  zweite  Selbstentäusserungs-Ordonnanz.  257 

Parteimcksichten  besiegte,  Bericht  eingefordert  und  schon 
bis  zum  28,  Januar  1645  den  Plan  der  neuen  Organisation 
durchberathen.  Danach  sollten  die  bestehenden  Armeen  in 
eine  verschmolzen  werden,  deren  Kommando  man  Thomas 
Faiifax  anvertrauen  wollte,  welcher  sich  im  Norden  so  gut  be- 
währt hatte.  Die  Stelle  des  Lieutenant-Generals  war  offen 
gelassen,  vermuthlich  da  man  Cromwell  nicht  entbehren  zu 
können  glaubte,  ohne  dass  man  wagte,  ihn  namentlich  aufzu- 
führen. Die  Eintheilung  iin  einzelnen  wurde  vorgezeichnet,  der 
Sold  auf  Beiträge  der  Grafschaften  angewiesen.  Die  Lords 
wagten  nicht  zu  widerstehen,  aber  sie  versuchten  wenigstens 
einiges  für  ihre  Autorität  und  die  Sache  des  Presbyterianismus 
zu  retten.  Ihre  Erfolge  waren  indess  nicht  sehr  gross.  Das 
Recht,  die  Ofticiere  zu  ernennen,  blieb  dem  obersten  Führer 
gewahrt,  das  Parlament  behielt  nur  die  Form  der  Be- 
stätigung. Zur  Unterzeichnung  von  Liga  und  Covenant 
sollten ,  weitere  Bestimmungen  vorbehalten ,  die  Ofticiere 
binnen  eines  Termins  von  zwanzig  Tagen  nach  ihrer  Bestäti- 
gung, nicht  aber  die  Gemeinen,  verpflichtet  sein,  womit  denn 
der  Aufnahme  der  separatistischen  Elemente  in  die  Ptegimenter 
nichts  im  Wege  stand.  Auf  die  Annahme  des  Reorganisations- 
Entwurfes  (15.  Februar  1645)  folgte  schon  am  3,  April  1645 
eine  zweite  Selbstentäusserungs-Ordonnanz.  Sie  griff  nicht  so 
umfassend  wie  die  erste  der  Zukunft  vor,  sondern  bestimmte 
nur,  dass  alle  Mitglieder  des  Parlamentes,  die  nach  dem 
20.  November  1640  Civil-  oder  militärische  Kommandostellen, 
abgesehen  von  denen  der  Flotte,  innegehabt,  sie  im  Laufe  von 
vierzig  Tagen  zu  räumen  hätten. 

Der  parlamentarische  Feldzug  war  keineswegs  glücklich 
für  die  Presbyterianer  gewesen.  Sie  sahen  alle  die  gleich- 
gesinnten  Generale  vornehmen  Ranges  ihrer  wichtigen  Stellen 
beraubt,  sie  hatten  eine  neue  Kriegsmacht  zu  fürchten,  in 
welcher  der  Geist  religiöser  und  politischer  Unabhängigkeit 
von  alten  Autoritäten  noch  viel  üppiger  zu  wuchern  drohte, 
als  in  der  alten,  und  sie  waren  nicht  einmal  ganz  sicher,  ob 
es  gelingen  würde,  den  „grossen  Independenteu'',  der  ihre 
Kreise    schon    so    oft    gestört    hatte,    dauernd    fernzuhalten. 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    1.2.  ]T 


258  Verhandlungen  zu  Uxbridge. 

Gleichzeitig  war  ilmeii  eine  andere  Hoffnung  zu  Schanden 
geworden.  Seit  Wochen  wurde  zwischen  Abgeordneten  des 
Königs  und  Abgeordneten  des  Parlaments  von  England  und 
Schottland,  neben  denen  wiederum  u.  a.  der  Prediger  Mar- 
shall nicht  fehlen  durfte,  zu  Uxbridge  über  eine  Aus- 
söhnung verhandelt.  Die  Schotten  vorzüglich  waren  sehr 
eifrig  gewesen,  diese  Verhandlungen  herbeizuführen,  da  der 
anwachsende  Independentismus  Englands  es  immer  zweifel- 
hafter erscheinen  liess,  ob  Liga  und  Covenant  ihrem  Sinne 
gemäss  durchgeführt  werden  würden.  Die  Einführung  der 
noch  der  Berathung  unterliegenden  Kirchenverfassung  war 
denn  auch  eine  der  ersten  Bedingungen,  welche  dem  König 
vorgelegt  wurde,  daneben  stand  die  Forderung,  die  irischen 
Rebellen  preiszugeben  und  die  Frage  der  Militia  im  Vorder- 
grunde. Bei  der  Abneigung  des  Königs,  das  Bisthum  aufzu- 
geben, bei  der  Schwierigkeit,  mit  Bezug  auf  die  Miliz  ein 
Kompromiss  zu  finden  und  bei  der  Eigenthümlichkeit  seines 
Verhältnisses  zu  der  katholischen  Macht  in  Irland  schien  es 
kaum  möglich,  eine  Vereinigung  herbeizuführen.  Ohne  Werth 
war  das  Anerbieten,  zu  dem  sieh  Karl  I.  einmal  gegenüber 
dem  holländischen  Gesandten  herbeiliess:  einer  allgemeinen 
Synode,  an  der  Vertreter  aller  protestantischen  Kirchen  Theil 
zu  nehmen  hätten,  die  religiöse  Frage  zu  unterbreiten (^). 
Zum  gänzlichen  Abbruch  der  Verhandlungen  wurde  er  ver- 
muthlich  durch  die  Nachrichten  entschieden,  welche  er  aus 
dem  Norden  empfieng,  und  die  seine  Hoffnungen  auf  einen 
nahen  Triumph  sehr  hoch  spannten.  In  den  Fortschritten, 
welche  der  kühne  Parteigänger  des  Königs  in  Schottland 
machte,  lagen  die  Gründe  der  schwersten  Besorgnis  für  den 
englisch  -  schottischen  Presbytei-ianisnms.  Aus  unscheinbaren 
Anfängen  hatte  sich  Montrose's  Streitmacht  zu  einer  ernst- 
lichen Gefahr  für  die  schottischen  Gewalthaber  entwickelt. 
Mit  seinen  Hochländern  und  den  Irländern,  über  die  er  ver- 
fügte, hatte  er  die  ül)erraschendsten  Bewegungen  ausgeführt 
und  am  2.  Febniar  bei  Inverlochy  dem  grossen  Argyle 
eine  schwere  Niederlage  lieigebracht.  Wenn  sein  Glück  sich 
gleich  blieb,   so  wurde  es  fraglicli,   ob    das   schottische  Hilfs- 


Hinrichtung  Laud's.  259 

heer,  das  im  nördlichen  England  stand,  nicht  bald  im 
eigenen  Lande  zu  tlum  finden  würde,  und  mit  seiner  Ent- 
fernung wäre  das  einzige  militärische  Gegengewicht  entfernt 
worden,  welches  die  Presbyterianer  dem  Independentismus 
entgegenzustellen  hatten. 

Unter  diesen  niederdrückenden  Umständen  fanden  sie 
nur  in  zwei  Triumphen  ihren  Trost.  Zunächst  sahen  sie, 
neben  einigen  anderen,  der  Verrätherei  und  der  Mitwirkung 
beim  irischen  Aufstand  Angeklagten,  den  verhassten  Greis 
zum  Schaffet  geführt,  der  als  die  Verkörperung  des  alten 
Systems  kirchlicher  Tyrannei  erschien.  William  Land,  in 
enger  Haft  gehalten,  wa'r  niemals  von  ihnen  vergessen  worden, 
und  presbyterianische  Prediger  vor  allem  hatten  b ständig 
daran  gemahnt,  den  Zorn  Gottes  durch  das  Blut  dieses  Haupt- 
schuldigen zu  versöhnen.  Nach  langem  Process  wurde  er 
durch  Bill  of  attainder,  über  deren  Bestätigung  durch  den 
König  man  sich  hinwegsetzte,  verurtheilt  und  am  10.  Januar 
1645  enthauptet.  Ausser  einem  seiner  Kapläne  wurde  ihm 
bei  seinem  letzten  Gange  noch  die  Begleitung  von  zwei  pres- 
byterianischen  Geistlichen,  darunter  Marshall,  aufgedrungen. 
Noch  grösser  war  der  Jul^el  im  presbyterianischen  Lager 
darüber,  dass  trotz  aller  Hindernisse  und  trotz  der  ver- 
dächtigen Akkomodations-Ordonnanz,  wie  sie  durch  CromwelFs 
Einfluss  durchgesetzt  w^orden  war,  das  Parlament  den  wich- 
tigsten Beschlüssen  der  Synode  beigestimmt  hatte.  Der  neue 
Entwurf  einer  Kirchenverfassung  wie  der  einer  Gottesdienst- 
ordnung für  England  waren  dem  Parlament  überreicht  worden, 
beide  durchaus  presbyterianischen  Gepräges.  Am  4.  Januar 
1645  hatte  das  Parlament  die  neue  Gottesdienst-Ordnung  an- 
genommen. Am  23.  desselben  Monats  genehmigte  das  Haus 
der  Gemeinen  einige  Resolutionen,  in  welchen  die  wesentlichen 
Grundsätze  der  Presbyterialverfassung  gebilligt  wurden,  und 
der  Zulassung  independenter  Gemeinden  kein  Raum  gewährt 
zu  sein  schien.  Das  Oberhaus  gab  den  hauptsächlichsten 
dieser  Resolutionen  seine  Zustimmung.  Die  General- Assembly 
in  Edinburg  ratiticirte  die  Beschlüsse  der  Synode,  das 
schottische  Parlament  führte  die  neue,  gemeinsame  Gottes- 

17-^ 


260  Hinrichtung  Laud's. 

dienst  Ordnung  bereits  ein.  Trotz  so  vielfacher  Enttäu- 
schungen hofften  die  Presbyterianer  dennoch  zuversichtlich, 
ihr  Ideal  kirchlicher  Einheit  in  beiden  Ländern  zu  verwirk- 
lichen und  die  Hydra  des  Independentismus,  der  Sekten 
und  der  Toleranz  zu  ersticken. 


Sechstes  Kapitel. 
Milton  als  independentischer  Schriftsteller. 


Der  grosse  Streit  zwischen  Presbyterianern  und  Inclepen- 
denten,  welcher  die  bisher  einige  Masse  der  Puritaner  spal- 
tete und  der  Ptevolution  eine  neue  Wendung  zu  geben  drohteV 
konnte  Milton  nicht  gleichgiltig  lassen.  Die  fünf  Verfasse^^ 
des  Smectymnuus,  denen  er  einst  in  ihrem  Kampfe  mit  dem 
Bischof  Hall,  beigesprungen  war,  gehörten  zu  den  Scäulen  des 
Presbyterianismus.  Er  selbst  hatte  der  bischöflichen  Kirchen- 
verfassung, zu  deren  Sturz  er  sein  Theil  beigetragen,  einst 
das  Ideal  einer  anderen  gegenüber  gestellt,  in  welcher  unschwer 
die  Grundzüge  der  presbyterialen  zu  erkennen  gewesen  waren 
(s.  0.  S.  108—113).  Man  sollte  danach  vermuthen,  ihn  in  den 
Reihen  derer  zu  finden,  welche  für  die  Ansichten  der  Schotten 
und  der  Majorität  der  Synode  in  die  Schranken  traten  und  die 
sich  von  den  ,,fünf  dissentirenden  Brüdern"  mit  souveränem 
IVIitleid,  von  Cromwell  und  seinen  stürmischen  Genossen  mit 
zitterndem  Schauder  abwandten.  Aber  war  er  der  Mann, 
sich  durch  alte  Freundschaft  in  die  engen  Kreise  der  Partei 
bannen  zu  lassen  und,  dem  Traumbilde  erzwungener  kirch- 
licher Einheit  zu  Liebe,  den  Gedanken  der  Toleranz  zu 
opfern?  Sein  Charakter,  nicht  fähig  dieselbe  Rolle  aufzu- 
nehmen, aus  der  er  eben  einen  verhassten  Gegner  verdrängt 
hatte,  seine  Bildung,  auf  breiterem  GiTinde  ruhend  als  die 
seiner    theologischen  Freunde,    Hessen  ihm   die  Wahl    nicht 


262  Miltou  und  der  ludependentismus. 

schwer  werden.  Die  Form  galt  ihm  nichts,  wo  es  Noth  that 
den  freien  Geist  zu  retten,  und  fortan  wurde  er  einer  der  In- 
dependenten,  ja  unzweifelhaft  der  geistreichste,  überlegenste 
Vorkämpfer  der  independentischen  Ideale. 

An  Vorzeichen  dieser  entschiedenen  Wendung  hatte  es  nicht 
gefehlt.  Der  ästhetisch  angelegten  Natur  des  Dichters  war  die 
kalte  Strenge  des  Presbyterianismus  immer  etwas  Fremdes  ge- 
wesen. Der  Feder  des  furchtlosen  Schriftstellers  waren  Worte 
entströmt  über  die  eingebildete  Gefahr  von  Schisma  und  Sekten, 
den  natürlichen  Beruf  des  Einzelnen  zur  Ausfüllung  kirchlicher 
Aemter,  das  Verhältnis  von  Kirche  und  Staat,  welche  vor  den 
Augen  presbytei'ianischer  Leser  keine  Gnade  finden  konnten. 
Es  nahm  sich  fast  wie  Ironie  aus,  wenn  in  der  Widmung  der 
Schrift  über  die  Ehescheidung,  die  sich  nicht  weniger  an  die 
Synode  wie  an  das  Parlament  richtete,  die  Mitglieder  daran 
erinnert  wurden,  das  mancher  von  ihnen  oft  „verläumdet 
w^orden  sei,  unter  dem  Vorwande  einer  Pveform  für  seine  eigenen 
Nebenzwecke  zu  arbeiten".  Und  es  entsprach  jedenfalls  dem 
heiligen  Ernste  presbyterianischer  Anschauung  sehr  wenig, 
wenn  ebendort  die  Frage  des  Ehescheidungsrechtes  als  ein 
würdiger  Gegenstand  für  die  Behandlung  durch  die  Synode 
erklärt  und  die  Zänkereien  um  „Dependenzen  und  Indepen- 
denzen",  deren  Ausgang  unabsehbar  sei,  gleichsam  in  Gegen- 
satz dazu  gestellt  worden  waren.  Vor  allem  aber  hatte  sich 
Milton  durch  eben  diese  Schrift,  welche  der  herrschenden, 
strenggläubigen  Anschauung  geradezu  in's  Gesicht  schlug,  als 
einen  der  gefährlichsten  Sektirer  gebrandmarkt,  die  überhaupt 
auf  dem  langen  Verzeichnis  des  unduldsamen  Presbyterianis- 
mus figurirten.  Was  James  Howell  den  „Wahn  eines  armen, 
schwachköpfigen  Windbeutels"  nannte,  wovor  sich  Bischof 
Hall  mit  einem  „Wehe  mir,  wohin  ist  die  Welt  gekommen" 
bekreuzte,  das  konnte  der  Spürkraft  und  dem  Anathem  der 
presbyterianischen  Schwarzröcke  nicht  entgehen  (^).  Deutlich 
genug  zielte  Milton  auf  Angriffe  dieser  Art  in  der  Vorrede 
zur  zweiten  Auflage  seiner  Schrift  ab  (s.  o.  S.  170),  und  wenn 
sie  damals  noch  keine  greifbare  Gestalt  gewonnen  hatten, 
so  traten  sie  sehr  bald  schwarz  auf  weiss  hervor. 


Milton  als  Sektenführer.  263 

Schon  durch  clenEpiskopalistenFeatley,  den  seine  kirchlich- 
politischen  Gesinnungen  aus  der  Synode  entfernt  und  in's  Ge- 
fängnis geführt  hatten,  ward  ihnen  der  Weg  gewiesen.  Obgleich 
seine  Schrift  „The  Dippers  dipt"  ausschliesslich  die  Ketzereien 
der  Wiedertäufer  zum  Gegenstande  zu  haben  schien,  rechnete 
er  ihnen  doch  auch  „andere  höchst  verdammliche  Lehren"  zu, 
„welche  abzielen  auf  fleischliche  Lust,  Familismus  und  einen 
Mischmasch  aller  Religionen".  Zum  Zeugnis  dessen  führte  er 
in  einem  Athem  an:  des  Amerikaners  Williams'  Schrift  „die 
blutige  Lehre  der  Verfolgung",  ein  Pamphlet  betitelt  die 
„Sterblichkeit  des  Menschen",  in  welchem  jeder  Unter- 
schied zwischen  Körper  und  Seele  im  Hinblick  auf  ihre  Fort- 
dauer, wenn  auch  nicht  ihre  Auferstehung  geläugnet  wurde, 
und  „einen  Traktat  über  die  Ehescheidung,  in  welchem  die 
Bande  der  Ehe  gelöst  werden  zu  Gunsten  ausschweifender 
Lust  und  der  Erlaubnis  die  Frauen  zu  Verstössen  aus  vielen 
anderen  Gründen  ausser  dem,  welchen  unser  Heiland  allein 
billigt,  nämlich  im  Falle  des  Ehebruchs" (^).  Die  ,,Heresio- 
graphie"  Ephraim  Pagit's  übernahm  ganz  dieselben  Worte 
aus  Featley's  Buch  und  erweiterte  dessen  Urtheil  mit.  Be- 
nutzung von  Milton's  Schrift.  Auch  war  hier  gleich  der 
Name  für  die  neue  Sekte  gefunden,  wennschon  diese  selbst 
noch  gar  nicht  da  war,  und  fortan  galt  Milton,  bisher  noch 
ein  Officier  ohne  Soldaten,  als  Führer  der  „Divorcers",  „die 
um  geringer  Ursachen  willen  ihre  Weiber  los  zu  sein 
wünschen".  Später  wurde  hie  und  da  selbst  der  Name 
„Miltonisten"  statt  dessen  gebraucht  (2).  In  Baillie's  „War- 
nung vor  den  Irrthümern  der  Zeit",  vor  allem  aber  in  dem 
grössten  Arsenal  der  streitlustigen  Presbyterianer,  in  Edwards' 
Gangraena  war  man  sicher,  auch  auf  Waffen  zu  stossen,  die 
recht  eigentlich  zum  Gebrauch  gegen  die  neue  Sekte  der 
Divorcers  geschmiedet  waren. 

Auch  wurde  hier  sofort  der  Versuch  gemacht  nachzuweisen, 
wohin  diese  neue  Lehre  in  Wirklichkeit  führe.  In  London  gab  es 
eine  gewisse  Mrs.  Attaway,  von  Beruf  eine  Spitzeuhändlerin,  wohn- 
haft in  Coleman-Street.  eine  der  bekanntesten  unter  den  Frauen, 
welche  in  dieser  Zeit  der  Erleuchtung  sich  gleichfalls  für  berechtigt 


264  Milton  als  Sektenführer 

hielten,  ihre  religiösen  Gefühle  in  öffentlicher  Rede,  zunächst 
vor  ihres  Gleichen,  kund  zu  thun,  bald  aber  ein  eifriges  Pu- 
blikum aus  beiden  Geschlechtern  zu  Rede  und  Gegenrede  um 
sich  sammelten.  Dass  sie  in  ihren  Konventikeln  papistische 
Grundsätze  aussprach,  war  noch  nicht  das  Schlimmste.  Sie 
sollte  sogar  einigen  glaubwürdigen  Männei-n,  die  sich  aus 
Neugier  in  ihre  Winkelversammlung  verirrt  hatten,  eröffnet 
haben,  dass  ihr  Milton's  Theorie  von  der  Ehescheidung  be- 
achtenswerth  erscheine,  und  dass  sie  näher  darüber  nachdenken 
wolle.  Denn  ihr  Mann  „sei  einer  von  den  Unheiligen,  wandle 
nicht  den  Weg  Sion's  und  rede  nicht  die  Sprache  Kanaans". 
Edwards  weiss  denn  auch  zu  erzählen,  welche  Folgen  dies 
weitere  Nachdenken  gehabt  habe.  Aus  einer  Korrespondenz, 
die  er  sich  verschafft  haben  will,  geht  hervor,  dass  Mrs.  Atta- 
way,  während  ihr  unheiliger  Mann  im  Felde  stand,  einen 
Ersatz  in  einem  anderen  fand,  der  allerdings  gleichfalls  seine 
bisherige  Ehehälfte  und  mehrere  Kinder  zu  verlassen  hatte  (^). 
Selbstverständlich  wurde  Milton  für  derartige  Erscheinungen 
verantwortlich  gemacht.  Fortan  galt  er  in  presbyterianischen 
Kreisen  als  Verfechter  der  freien  Liebe,  plumpe  Holzschnitte 
stellten  den  „Divorcer"  dar,  wie  er  sein  Weib  mit  Stock- 
schlägen von  sich  treibt,  die  satirischen  Balladen  der  Zeit 
fanden  darin  einen  erwünschten  Stoff'(^).  Neben  der  Lehre, 
welche  den  Unterschied  der  Substanz  von  Körper  und  Seele 
läugnete,  und  neben  Roger  Williams'  Forderung,  dass  der 
Staat  die  religiösen  Gemeinschaften  unter  dem  Gesichtspunkt 
des  Vereinsrechtes  betrachten  solle,  gab  es  kaum  eine  Ketzerei, 
die  so  sehr  den  Zorn  der  Presbyterianer  herausforderte,  wie 
Miltons  Bestrebungen  für  eine  Reform  des  Seheidungsrechtes. 
Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  er  damals  schon  die  per- 
sönliche Bekanntschaft  der  beiden  merkwürdigen  independen- 
tischen  Geister,  Williams  und  John  Goodwin,  gemacht  Iiatte. 
Im  Hause  seiner  Freundin  Margarethe  Ley  mochte  er  um  so 
eher  Gelegenheit  haben,  Henry  Vane  nahe  zu  treten,  da  deren 
Bruder  einst  den  geistreichen  Independenten  bei  seiner  Rück- 
kehr aus  Amerika  in  die  Heimat  begleitet  hatte  (^).  In  jedem 
Falle  war   das  Band  zwischen   ihm  und  den  Presbyterianern 


Frage  der  Erziehung s-Reforni.  265 

für  immer  zerrissen.  Milton  war  gegen  die  Verleumdungen 
und  Angriffe  von  dieser  Seite,  mochten  sie  in  Wort  oder 
Schrift  sich  zeigen,  nicht  unempfindlich.  Auch  drängte  es  ihn, 
für  die  freie  Meinungs-Aeusserung,  welche  dem  Presbyterianis- 
mus  ebenso  unerträglich  erschien  wie  einst  dem  Bisthum, 
eine  Lanze  zu  brechen.  Aber  zuvor  ergriff  er  einen  anderen 
Gegenstand,  dem  eine  nicht  geringere  Bedeutung  zukam,  und 
in  dessen  Behandlung  er  sich  nicht  weniger  von  alten  Autori- 
täten losriss. 


In  Zeiten  grosser  socialer,  politischer  oder  religiöser  Be- 
wegungen wird  eine  Frage  immer  wieder  auftauchen  und  die 
ringenden  Geister  beschäftigen:  die  Frage  der  Erziehung. 
Ein  jeder,  dem  es  Ernst  ist,  den  Idealen,  die  ihm  vorschweben, 
Raum  zu  verschaffen,  wird  nichts  dringender  wünschen,  als 
das  heranwachsende  Geschlecht  zu  ihrer  Verwirklichung 
fähig  zu  machen.  Ein  jeder,  der  sich  dem  Strome  entgegen 
zu  stemmen  sucht,  wird  es  nöthig  finden,  in  seinem  Sinne  auf 
die  Jugend  einzuwirken.  „Wer  die  Jugend  in  der  Hand  hat,  hat 
die  Zukunft",  dieses  richtigen  Gedankens  der  Jesuiten  ist  man 
sich  mehr  oder  minder  klar  bewusst.  Denn  so  viel  sich  auch 
durch  brutale  Gewalt,  polizeiliche  Wachsamkeit,  die  Straft'ord- 
schen  Mittel  von  Lohn  und  Strafe  ausrichten  lässt,  jeder  fühlt, 
dass  ihnen  ohne  die  Zucht  des  Geistes  die  nachhaltige  Wirkung 
fehlt.  Milton  lag  es  doppelt  nahe,  seine  Aufmerksamkeit  der 
Reform  der  Jugendbildung  zuzuwenden.  Er  war  sich  klarer 
darüber  als  andere,  wie  ungeheuere  Vernachlässigungen  sich 
die  Staatskirche  in  der  Leitung  des  Volksunterrichtes  hatte 
zu  Schulden  kommen  lassen,  und  an  welchen  Mängeln  auch 
die  höchsten  Bildungs- Anstalten  der  Nation  krankten,  die 
gleichfalls  mit  dem  Staatskirchenthum  so  enge  verwachsen 
waren.  In  seinen  Schriften  über  die  Reform  der  Kirche  hatte 
er  beides  berührt,  am  häufigsten  und  leidenschaftlichsten  den 
Zustand  der  Hochschulen,  der  ihm  aus  Jahre  langer  An- 
schauung bekannt  war.      Ein   Jünger  des  grossen  Denkers, 


266  Samuel  Hartlib. 

dessen  Einwirkung  seine  prosaischen  Jugendversuche  so  deut- 
lich offenbaren,  konnte  er  gegen  ein  Thema  nicht  gleichgiltig 
sein,  das  Bacon  an  mehr  als  einer  Stelle  seiner  Werke  mit 
den  Blitzen  seines  Geistes  beleuchtet  hatte.  Dazu  kam,  dass 
ihm  jeder  Tag  die  Probleme  der  Erziehung  nahe  legte. 
Er  selbst  war  Lehrer,  nach  der  Abreise  seiner  Frau  hatte 
sich  die  Zahl  seiner  Zöglinge  noch  vermehrt,  der  Trieb  über 
pädagogische  Fragen  nachzudenken  musste  nothwendig  in  ihm 
geweckt  werden.  Doch  darf  man  bezweifeln,  ob  er  seine 
Ansichten  öffentlich  ausgesprochen  haben  würde,  wenn  nicht 
ein  in  England  lebender  Deutscher  ihn  dazu  aufgemuntert 
hätte. 

•  Dieser  merkwürdige  Mann,  der  mit  den  grössten  Gelehrten 
seiner  Zeit  in  Verbindung  stand,  aber  heute  so  gut  wie  ganz 
in  Vergessenheit  gerathen  ist,  hiess  Samuel  Hartlib  (^). 
Sein  Vater  stammte  aus  Danzig,  hatte  für  den  König  von 
Polen  Kaufmanns  -  Geschäfte  geführt  und  war  zweimal  mit 
vornehmen  polnischen  Damen  vermählt  gewesen.  Samuel 
Hartlib  entstammte  indess  erst  einer  dritten  Ehe,  die  der 
Vater  vermuthlich  in  Elbing  geschlossen  hatte.  Dorthin  über- 
zusiedeln hatte  ihn  das  übermächtige  Wachsthum  der  Jesuiten 
in  Polen  bewogen.  Der  junge  Hartlib  wuchs  in  guten  Ver- 
hältnissen auf,  denn  sowohl  sein  Vater  wie  sein  Grossvater 
waren  unternehmende  und  glückliche  Kaufleute.  Auch  der 
letzte,  bis  dahin  Geschäftsführer  der  englischen  Kaufmanns- 
Gesellschaft  in  Danzig,  hatte  seinen  Sitz  nach  Elbing  verlegt 
und  dadurch  zwischen  England  und  der  Familie  Hartlib 
mannichfache  Verbindungen  geknüpft.  Diese  wurden  um  so 
enger,  nachdem  sich  zwei  Schwestern  von  Samuel's  Mutter 
auf  sehr  vortheilhafte  Weise  nach  England  verheiratet  hatten, 
und  es  war  nicht  unnatürlich,  dass  er  selbst,  möglicher  Weise, 
nachdem  er  in  Heidelberg  studirt  hatte,  in  London  erschien, 
zuerst  etwa  1628,  um  alsdann  seinen  dauernden  Wohnsitz 
hier  aufzuschlagen  (^).  Man  hatte  ihm  z^Yar  seit  seiner  Kind- 
heit viel  von  der  Vornehndieit  seines  Geschlechtes  erzählt, 
aus  dem  manche  Mitglieder  als  kaiserliche  Käthe  oder  reichs- 
städtische Syndici  zu  Ansehen   und   Ehren  gelangt   seien,   er 


Samuel  Hartlib.  267 

aber  dachte,  wie  er  sich  ausdrückt,  wenig  über  seinen  Stamm- 
baum nach,  sondern  „war  mehr  darauf  bedacht  Gottes  Ge- 
schöpfen nützlich  und  seiner  Kirche  dienlich  zu  sein  als  Reich- 
thum  und  Ehren  zu  erwerben".  In  der  That  trat  er  fortan 
bis  an  sein  Lebens-Ende  mit  einer  Uneigennützigkeit  und 
Begeisterung  für  die  verschiedensten  idealen  Bestrebungen 
auf,  die  ihren  Lohn  nur  in  sich  selbst  trug.  Er  scheint 
zwar  ein  kaufmännisches  Gewerbe  getrieben  zu  haben,  aber 
dies  vernachlässigte  er  jedenfalls  ganz  und  gar  zu  Gunsten 
der  zahlreichen  wissenschaftlichen  und  gemeinnützigen  Fragen, 
die  ihn  rastlos  beschäftigten.  Durchmustert  man  die  Schriften, 
die  er  in  einem  nicht  übermässig  langen,  später  durch  Krank- 
heit und  Mangel  oft  gedrückten  Leben  verfasst  hat,  den 
Briefwechsel,  den  er  über  alle  Länder  Europas  hin  zu  führen 
wusste,  so  ist  man  über  die  Beweglichkeit  dieses  Geistes  er- 
staunt, der  sich  mit  fieberhafter  Hast  von  einem  Gegenstande 
zum  anderen  wendet.  Die  grössten  politischen  und  religiösen 
Fragen  finden  bei  ihm  dieselbe  Theilnahme  wie  die  minu- 
tiöseste Beobachtung  des  Astronomen  oder  das  mühsame  Ex- 
periment des  Chemikers.  Heute  schreibt  er  über  eine  neue 
Methode  der  Erziehung,  morgen  über  eine  neue  Methode  des 
Ackerbaues.  Die  Zucht  der  Seidenraupen  und  der  Bienen  hat 
nicht  minderes  Interesse  für  ihn  wie  eine  neue  Art  der  Stein- 
Operation  oder  ein  neues  Teleskop.  Er  steht  mit  weltlichen 
und  geistlichen  Grossen,  aber  mehr  noch  mit  einheimischen  und 
ausländischen  Gelehrten  in  persönlicher  oder  brieflicher  Verbin- 
dung. Hobbes,  Boyle,  Wren,  Ray,  Gronov,  Oldenburg,  Hevel, 
Gassendi  gehören  zu  dem  weiten  Kreise  seiner  Bekannten.  Ueber 
jede  naturwissenschaftliche  Entdeckung,  über  jede  literarische 
Neuigkeit  weiss  er  sich  und  andere  auf  dem  Laufenden  zu  er- 
halten. Selbst  durchaus  kein  wissenschaftliches  Genie,  immer 
mehr  empfangend  als  schöpferisch,  gleicht  er  einem  jener  In- 
sekten, die  den  Samen  von  einer  Blüthe  zur  anderen  tragen. 
Es  ist  nicht  schwer  die  Quelle  nachzuweisen,  aus  welcher 
alle  Bestrebungen  Hartlib's  flössen.  Unzweifelhaft  war  auch  in 
ihm  jener  Bacon'sche  Geist,  der  Drang  nach  empirischer  Be- 
herrschung der  Dinge,  wie  der  Drang  seinem  Geschlechte  den 


208  Samuel  Hartlib. 

gi'össtmögliclien  Nutzen  zu  leisten  von  übermächtiger  Wirkung. 
Indem  ihm  aber  vielfach  die  wissenschaftlichen  Vorkenntnisse  ab- 
giengen,  und  sein  Idealismus  die  thatsächlichen  Schranken  über- 
fliegen wollte,  bot  er  nicht  selten  das  Bild  einer  eigenthümlichen 
Verbindung  praktischer  Weltklugheit  und  mystischer  Schwär- 
merei. Das  ganze  siebzehnte  Jahrhundert  ist  reich  an  wohlmeinen- 
den Dilettanten,  die  durch  eine  Art  naturwissenschaftliches  Wun- 
der — ,  wenn  das  Wort  erlaubt  ist,  —  der  Menschheit  ein  plötz- 
liches Glück  zu  verschaffen  hoffen  und  alles,  was  sich  auf 
ihre  Bestrebungen  bezieht,  mit  einer  gewissen  freimaurerischen 
Geheimthuerei  umkleiden.  Auch  suchen  sie  nicht  selten 
förmliche  Gesellschaften  zum  Zweck  der  Ausführung  ihrer 
Pläne  zu  bilden.  Wenn  man  sie  hört,  glaubt  man  sich 
bald  in  die  Zeit  des  Paracelsus,  bald  in  die  Zeit  Cagliostro's 
versetzt.  Hartlib  war  einer  der  vornehmsten  dieser  stets 
opferbereiten,  menschenfreundlichen,  hoffenden  Idealisten.  Galt 
es  auch  nicht  den  Stein  der  Weisen  zu  finden,  so  doch  dürres 
Land  in  fruchtbaren  Boden  zu  verwandeln,  ein  Lebens-Elixir 
zu  bereiten,  das  perpetuum  mobile  herzustellen.  Mitunter 
fiel  der  Jünger  der  Naturwissenschaft  ganz  und  gar  in  den 
Aberglauben  des  Mittelalters  zurück.  Mitunter  ahnte  er 
aber  auch  die  Bestrebungen  einer  fernen  Zukunft  voraus  (^). 

Zwei  Gegenstände  waren  es  vorzüglich,  die  seit  Jahren 
Hartlib's  Geist  beschäftigt  und  seinen  Namen  in  weiteren 
Kreisen  bekannt  gemacht  hattcMi,  beide  weit  von  einander  ab- 
liegend, aber  mit  gleichem  I'ifer  von  ihm  erfasst:  eine 
engere  Verbindung  der  protestantischen  Mächte  und  eine 
Reform  des  Schulwesens.  Es  waren  zwei  Gebiete,  auf  denen 
er  sich  mit  einer  anderen  vielgenannten  Persönlichkeit  be- 
gegnete, die  manche  Eigenthümlichkeiten  mit  ihm  theilte  und 
die,  wie  er,  für  Milton's  Leben  nicht  gleichgiltig  blieb. 

Es  war  John  Durie  (Duräus),  geboren  um  1595,  der  Sohn 
eines  schottischen  Geistlichen,  den  dieV erfolgungen  König  Jakob's 
nach  Leyden  getrieben  hatten.  John  Durie  machte  1611  da- 
selbst seine  Studien,  hielt  sich  später  einige  Zeit  in  Oxford  auf, 
wurde  1027  Prediger  der  englischen  Kaufmanns-Gesollschaft 
in  Elbing  und  dort  von  Dr.  Godemann,  einem  der  „Geheim- 


John  Durie.  269 

räthe"  Gustav  Adolfs  für  einen  Plan  der  Vereinigung  aller 
protestantischen  Kirchen  gewonnen.  Für  diesen  Zweck  er- 
füllte er  sich  mit  derselben  Begeisterung  wie  Hartlib  für  die 
seinigen  und  gelangte,  gleich'  diesem,  auf  seinen  zahlreichen 
Reisen  und  durch  seine  ausgedehnte  Korrespondenz,  immer 
in  irenischen  Unterhandlungen  thätig,  mit  einer  grossen  Zahl 
europäischer  Berühmtheiten  in  Berührung.  Sir  Thomas  Roe, 
auf  einer  diplomatischen  Mission  in  seine  Nähe  gelangt,  wie  der 
Kanzler  Oxenstjerna  unterhielten  sich  mit  ihm  eingehend 
über  seine  Pläne,  Gustav  Adolf  selbst  Hess  sich,  wohl  aus 
politischen  Gründen,  auf  sie  ein.  Durie  hatte,  durch  die 
Kriegsereignisse  von  1630  von  seinem  Amte  befreit,  ein  un- 
stetes Wanderleben  geführt  und  in  Wort  und  Schrift  für  seinen 
Gedanken  Propaganda  gemacht.  Abwechselnd  war  er  in  Eng- 
land, Sachsen,  Hessen,  der  Pfalz,  Heill^ronn,  Frankfurt,  in  den 
Hanse-Städten,  Holland,  Schweden,  Dänemark,  den  weifischen 
Staaten  erschienen,  um  immer  wdeder  in  England  aufzutauchen. 
Mündlich  oder  brieflich  hatte  er  mit  Abbot,  Land,  Hall,  Ussher 
u.  a.  verkehrt  und  1641  wandte  er  sich  an  die  schottische 
General-Assembly.  Calixt  arbeitete  mit  ihm  Hand  in  Hand, 
Grotius  ward  durch  ihn  angeregt.  Als  die  Westminster- Sy- 
node zusammengetreten  war,  brachte  man  Durie's  Berühmt- 
heit den  Zoll,  ihn  1643  als  Ersatzmann  eines  bald  nach  Er- 
öffnung der  Synode  verstorbenen  Mitgliedes  zu  wählen.  Hier 
hielt  er  sich  im  allgemeinen  zu  den  Presby terianern ,  ohne 
doch  ihre  starre  Ausschliesslichkeit  zu  theilen.  Seinen  grossen 
Plan  und  seine  festländischen  Verbindungen  verlor  er  um  so 
weniger  aus  den  Augen,  da  er  als  Geistlicher  der  englischen 
Kaufleute  in  Rotterdam  (1645)  ohnehin  zu  einem  beständigen 
Kommen  und  Gehen  genöthigt  wurde  (^). 

Mit  Hartlib  war  Durie  schon  in  Elbing  bekannt  geworden, 
und  jener,  sofort  Feuer  und  Flamme  für  den  ursprünglich 
schwedischen  Unions- Gedanken,  wurde  seit  seiner  Ueber- 
siedelung  nach  England  einer  der  thätigsten  Propagandisten 
von  Durie's  Sache  und  blieb  beständig  in  das  Geheimnis  seiner 
vielverschlungenen  Verhandlungen  eingeweiht.  Durie  rühmt 
ihn  dem  vertrauten  Sir  Thomas  Roe  als  einen  Mann  der  vor- 


270  Pläne  einer  Allianz  der  Protestanten. 

Züglichsten  Eigenschaften,  „ehrlich  und  wahrhaft,  diskret  und 
in  den  Geschäften  gewandt",  dazu  des  „Polnischen,  Hol- 
ländischen, Englischen,  Lateinischen  mächtig" ,  würdig  mit 
einer  passenden  Stelle  bedacht  zu  werden.  Er  empfiehlt  ihn 
der  Gunst  seiner  Lordschaft  um  so  mehr,  da  der  Freund 
„Mangel  leidet,  weil  er  gegen  arme  Gelehrte  zu  freigiebig 
war  und  sich  dem  Geschäft  des  Unterrichts  und  der  Erziehung 
von  Kindern  allzu  uneigennützig  gewidmet  hat".  Er  lässt 
ihm  die  Vorschläge  Oxen^tjerna's,  seine  eigenen  Briefe  an 
englische  Prälaten  mittheilen,  benutzt  ihn  als  Zwischenträger 
zwischen  diesen  und  ihm  selbst  und  bedient  sich  seiner  als 
eifrigen  und  verlässlichen  Korrespondenten  (^). 

Hartlib  seinerseits  glaubte  der  Welt  nicht  vorenthalten  zu 
sollen,  was  die  Lebens-Aufgabe  seines  Freundes  war  und  was 
ihn  selbst  zu  so  grosser  Theilnahme  anregte.  Man  muss  fort- 
während bedenken,  wie  gewaltig  die  geheime  Furcht  vor  einer 
gewaltsamen  Zurückführung  des  Katholicismus  zur  Ent- 
fesselung der  englischen  Revolution  mitgewirkt  hatte.  Jenes 
Wort  Pym's,  das  er  im  kurzen  Parlament  gesprochen  hatte, 
nach  Herstellung  der  äusseren  Formen  des  Papismus  werde 
man  versuchen ,  ihnen  den  Lebens  -  Odem  des  papistischen 
Geistes  einzublasen(2),  wurde  die  Parole  der  gesammten  puri- 
tanischen Partei.  Je  tiefer  dei'  Argwohn  gegriffen  hatte,  das 
englische  Hochkirch enthum  habe  es  auf  eine  Verständigung 
mit  Rom  abgesehen,  je  mehr  durch  den  Ausbruch  der  irischen 
Rebellion  die  Angst  des  Puritanismus  aufgestachelt  wurde,  je 
weniger  er  den  Plänen  des  Hofes  traute,  desto  dankbarer  er- 
schien die  Aufgabe,  den  gesammten  Protestantismus  als  Bundes- 
genossen aufzurufen  und  sich,  blind  gegen  den  Gang,  welchen 
der  grosse  deutsche  Krieg  genommen  hatte,  die  ganze  euro- 
päische Politik  einseitig  nach  religiösen  Partei-Gesichtspunkten 
geleitet  zu  denken.  Hartlib  suchte  die  kirchlichen  Unions- 
Gedanken  seines  Freundes  in  diesem  Sinne  auszubeuten.  Alle 
jene  Korrespondenzen,  Verhandlungen,  Disputationen  hatten 
bisher  kein  greifbares  Ph-gebnis  gehabt,  ja  hie  und  da  den 
Argwohn  und  die  Eifersucht  einzelner  Zions- Wächter  erregt. 
Um  wieviel   grösser  war   der  Triumi)h,   wenn   es  gelang,   sie 


Pläne  einer  Allianz  der  Protestanten.  271 

nur  als  Mittel  zum  Zweck  zu  benutzen,  durch  die  Verhand- 
lungen über  das  Dogma  eine  engere  Verbindung  der  Staaten 
herbeizuführen  und  der  grossen  Liga  der  Katholiken,  deren 
Wahnbild  den  Puritaner  bis  in  seine  Träume  verfolgte,  eine 
grosse  Liga  der  Protestanten  entgegenzusetzen. 

Hartlib  machte  sich  zuerst  im  Jahre  1641  daran,  aufs  ge- 
naueste über  die  bisherigen  Bemühungen  seines  Freundes  Durie, 
der  eben  nach  England  zurückgekehrt  war(^),  und  Anfang 
1641  selbst  eilf  Traktate  „betreffend  den  kirchlichen  Frieden 
unter  den  Protestanten"  veröffentlicht  hatte,  Bericht  zu  er- 
statten (2)  und  das  grosse  Publikum  zu  erwärmen.  Er  knüpft 
die  besten  Wünsche  daran  und  macht  (S.  33)  die  Betrachtung : 
„Wir  finden  es  durchaus  nothwendig  selbst  für  unsere  zeitliche 
Sicherheit  demgemäss  zu  handeln.  Denn  wenn  wir  uns  diese 
Sorge  nicht  angelegen  sein  lassen,  so  ist  es  sehr  wahrschein- 
lich, dass  die  Zwistigkeiten  der  protestantischen  Staaten  und 
Kirchen,  die  viele  von  ihnen  zu  einer  Beute  ihrer  Feinde  ge- 
macht haben,  sie  zuletzt  alle  dem  Verderben  überliefern'-'  {^). 
Eine  andere  Schrift,  erst  1643  mitten  im  Bürgerkriege  ver- 
öffentlicht, hat  die  Form  eines  an  Alexander  Henderson  ge- 
richteten Briefes  vom  4.  Oktober  1641,  Vermuthlich  hatte 
Hartlib  den  berühmten  schottischen  Theologen  während 
seines  zeitweiligen  Aufenthaltes  in  London  kennen  gelernt, 
wie  er  sich  denn  seinen  „treuen  Freund  und  Diener  in 
Christo"  unterzeichnet  (^).  Er  theilt  ihm  seine  schweren  Ge- 
danken über  den  Zustand  der  Pfalz  mit,  der  in  Folge  des 
grossen  Krieges  ein  unsäglich  trauriger  war,  charakterisirt 
den  Kurprinzen  („the  sweetnatured  Prinz  Elector")  als  einen 
jungen  Mann  von  gutem  Urtheil  und  Fähigkeiten,  aber  als 
sehr  biegsam  und  spricht  die  Befürchtung  aus,  dass  diejenigen, 
welche  die  Restauration  des  pfälzischen  Hauses  wollen,  zu 
wenig  auf  Gott  sehen.  Vor  allem  entwickelt  er  aber  seine 
Gedanken  über  die  drohende  Gesammtlage  Eui-opas.  Nach 
seiner  Ansicht  wird  von  feindlicher  Seite  eine  Vereinigung 
von  Protestantismus  und  Papismus  angestrebt,  bei  welcher 
selbstverständlich  der  erste  das  Opfer  bilden  soll.  Die  Vor- 
gänge in  England,  durch  den  Ausbruch  der  Revolution   zum 


272  Pläne  einer  Allianz  der  Protestanten. 

Glück  gekreuzt,  scheinen  ihm  klar  dafür  zu  sprechen.  Aber 
auch  der  „Kardinal  in  Frankreich",  obwohl  ein  Feind  Habs- 
burgs,  wirkt  für  diesen  Plan ,  päbstlichem  Befehl  gemäss, 
mit.  Den  Beweis  für  seine  Vermuthungen  scheinen  ihm 
die  geheimen  Verhandlungen  eines  gewissen  Frater  Va- 
lerius  Magnus  zu  liefern,  über  dessen  Mission  in  Deutschland 
und  Polen  er  durch  einen  Bekannten  Nachricht  erhalten  haben 
will.  Er  selbst  wünscht  dagegen  eine  Verbindung  aller  Prote- 
stanten in's  Werk  gesetzt  zu  sehn,  begründet  auf  eine  „theolo- 
gische Korrespondenz  der  GeistHchen",  deren  Kosten  durch  eineu 
Beitrag  des  Staates  (des  Königs)  gedeckt  werden  sollten. 
Ganz  in  demselben  Sinne  erschien  fast  gleichzeitig  eine 
andere  Schrift  von  seiner  Hand,  die  sich  an  eine  höhere  Instanz, 
an  das  englische  Parlament,  richtete  (^).  Im  Jahre  1644  kam 
er  noch  ein  Mal  auf  diesen  Gedanken-Gang  zurück  {^).  Er 
bezog  sich  dies  Mal  auf  Liga  und  Covenant,  um  die  Aus- 
führung daran  zu  knüpfen,  wie  nöthig  eine  Verbindung  aller 
Protestanten  durch  Europa  sei,  dem  drohenden  Sturme  zu 
widerstehen.  Aus  drei  Ursachen  scheinen  ihm  die  Wirren 
von  Staat  und  Kirche  in  Europa  hervorzugehen :  erstens  „aus 
der  Usurpation  einer  geistlichen  Macht  über  die  Seelen  der 
Menschen",  zweitens  „einer  absoluten  weltlichen  Herrschaft 
über  Leib  und  Gut  der  Unterthanen",  drittens  dem  „Mangel 
an  Einigkeit  und  Verständigung  zwischen  denen,  die  sich  von 
dem  einen  und  dem  anderen  Joch  freimachen  und  ihre  Reli- 
gion und  ihre  natürlichen  Rechte  vertlieidigen  wollen"  etc.  Die 
zweite  dieser  Gefahren,  die  einer  absoluten  Universal-Monarchie, 
wie  sie  das  Haus  Habsburg  lange  erstrebt  hat,  ist,  dank  Schwe- 
den und  Frankreich,  nicht  mehr  zu  fürchten,  wohl  aber  die  erste, 
welche  vom  Pabst  und  seinen  Anhängern  heraufbeschworen 
wird,  unter  die  auch  die  englischen  Prälaten  (our  Lordly 
Bishops)  zu  rechnen  sind.  „Der  Pabst  in  Opposition  gegen 
den  Protestantismus,  der  seine  Hierarchie  beinahe  über  den 
Haufen  geworfen  hat,  arbeitet  daran,  sich  zu  erhalten  und 
durch  den  Umsturz  der  protestantischen  Staaten  und  die  Ver- 
nichtung ihrer  Kirchen  seine  frühere  Macht  wieder  zu  ge- 
winnen,   vorzüglich    in    Deutschland    und    Grossbritannien". 


Pläne  einer  Allianz  der  Protestanten.  273 

Er  benutzt  dazu  zwei  Mittel:  die  Vereinigung  aller  katho- 
lischen Fürsten  und  die  Propaganda  durch  Emissäre.  Nur 
eine  Vereinigung  der  Protestanten  kann  dem  entgegentreten, 
und  dem  englischen  Parlament,  dessen  Reformwerk  die  ganze 
katholische  Welt  in  Aufregung  versetzt,  liegt  es  ob  voranzu- 
gehen. Der  zwischen  Schottland  und  England  geschlossene 
Bund  sollte  auch  über  den  Kanal  hin  ausgedehnt  werden. 
Eine  theologische  Korrespondenz,  am  ehesten  mit  den  nächsten 
Nachbarn,  den  Niederländern,  sollte  die  Einleitung  zu  einer 
engeren  Verbindung  bilden,  „um  die  Anschläge  des  gemein- 
samen Feindes  zu  kreuzen".  Sodann  wäre  es  von  Nutzen,  die 
Angelegenheiten  der  aimen  Pfalz  an  die  Hand  zu  nehmen, 
wobei  ein  Committee  beider  Königreiche  und  einige  Mit- 
glieder der  Synode  dem  Kurprinzen  ihren  Rath  zu  leihen 
hätten.  Mit  Rücksicht  darauf  hätte  man  durch  den  Agenten 
so  lange  Unterhandlungen  zu  pflegen,  bis  der  Abschluss  einer 
förmlichen  Liga  mit  anderen  protestantischen  Mächten  möglich 
wäre. 

Man  sieht,  wie  Durie's  Gedanken  immer  durchblicken, 
hier  aber  eine  ganz  andere,  politische  Gestalt  gewinnen.  Wie 
viel  Unklares  und  Naives  in  diesen  Vorstellungen  Hartlib's 
enthalten  war,  wie  schief  er  namentlich  die  Stellung  Richelieu's 
beurtheilte,  braucht  nicht  gesagt  zu  werden.  Immerhin  bieten 
seine  Aeusserungen  Interesse,  nicht  nur  als  Zeugnis  seines 
Geistes,  der  sich  hier  mit  dem  des  gesammten  englischen 
Puritanismus  begegnete,  sondern  auch  als  Vorspiel  politischer 
Tendenzen,  die  sich  unter  Cromwell's  Protektorat  mächtig 
geltend  machten,  und  denen  auchMilton  keineswegs  fremd  blieb. 

Diesen  weitfliegenden  religiös-politischen  Ideen  machte  in 
Hartlib's  geschäftigem  Hirn  ein  anderer  Gedanke  den  Platz 
streitig;  der  Gedanke  einer  Reform  der  Jugend-Bildung.  Er 
selbst  war,  wie  aus  einem  Briefe  Durie's  hervorgeht,  als 
Lehrer  uneigennützig  thätig(i).  Er  bekennt  ein  Mal  (1644), 
dass  seit  zwanzig  Jahren  das  Aufsuchen  von  Methoden  um 
das  Lernen  zu  fördern  ein  wichtiger  Gegenstand  seines  Stu- 
diums gewesen  sei  (^).  Ein  anderes  Mal  sagt  er:  „Ich  ge- 
stehe oifen,  dass  unter  allen  Gegenständen,  denen  ich  mein 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.    I.  2.  18 


274  Pädagogische  Ideeu.    ; 

Denken  und  Mühen  gewidmet  habe,  —  und  sie  erstrecken 
sich  auf  jedes  fromme  und  vernünftige  Werk  im  ganzen  Be- 
reich der  Christenheit,  —  keiner  ist,  der  meinem  Herzen 
näher  läge,  als  der  der  Erziehung  der  Kinder  nach  christ- 
lichen Grundsätzen  (in  the  way  of  Christianity).  Denn,  alles 
wohl  erwogen,  werden  wir  bemerken,  dass  diese  Bestrebungen 
allein,  und  nichts  sonst,  fähig  sein  können,  eine  Reform  in 
unserer  Epoche  hervorzubringen ;  .  .  auf  die  junge  Generation 
muss  man  einwirken,  um  sie  vor  schlechten  und  verderb- 
lichen Gewohnheiten  zu  bewahren".  Demgemäss  empfiehlt  er 
vor  allem  die  Heranbildung  guter  Lehrer,  denn  da  „die 
Schulen  die  natürlichen  Quellen  entweder  der  Korruption  oder 
der  Reform  sind,  so  ist  der  Schulmeister  in  einem  wohlge- 
ordneten Staate  nicht  weniger  wichtig  als  der  Geistliche  oder 
der  Beamte,  denn  keiner  von  beiden  kann  ohne  ihn  lange 
gedeihen  oder  bestehen"  (^).  Aus  allen  Aeusserungen  Hartlib's, 
sowie  aus  seinen  unausgesetzten  Bemühungen  beim  Parlament, 
geht  einerseits  hervor,  dass  er  sich,  wie  Roger  WilliamS;  klar 
darüber  war,  dass  die  Schule  Staats-Anstalt  sein  müsse.  Aus 
allem,  was  wir  über  seinen  religiösen  Standpunkt  wissen, 
wird  man  ferner  schliessen  dürfen,  dass  ihm  eine  Erziehung 
nach  christlichen  Grundsätzen  keine  Begünstigung  einer  dog- 
matischen Ausschliesslichkeit,  sondern  eine  Heranbildung  zum 
sittlichen  Ideal  des  Menschen  bedeuten  sollte,  wie  er  es  in 
den  Grundzügen  des  Christenthums  vorgezeichnet  fand.  Auch 
hier  fällt  es  nicht  schwer,  die  Einwirkung  Bacon'scher  An- 
regungen auf  ihn  wie  auf  Durie  zu  entdecken,  der  sich  später 
in  ähnlichem  Sinn  mit  pädagogischen  Fragen  beschäftigte. 
Fragt  man  aber,  woher  beide  den  Iniialt  ihrer  Reform-Ge- 
danken nahmen,  so  tritt  eine  andere  hervorragende  Gestalt 
in  den  Gesichtskreis. 


Unter  den  grossen  pädagogischen  Schriftstellern  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  nimmt  schwerlich  einer  eine  gleich  be- 
deutende Stellung  ein   wie  Johann  Ainos  Comenius  (-)•    Er 


Comenius.  275 

war  1592  in  Mähren,  in  Ungriscli-Brod,  geboren.  Früh  ver- 
waist, erhielt  er  eine  nicht  sehr  regelmässige  Erziehung,  ohne 
indess,  wie  man  häufig  angenommen  hat,  im  Knaben- Alter  den 
Schulunterricht  ganz  zu  entbehren.  Von  grossem  Einfluss  auf 
seine  ganze  Bildung  waren  die  Lehren  der  böhmischen  Brüder, 
zu  deren  Gemeinschaft  sich  vermuthlich  schon  seine  Eltern 
gehalten  hatten.  In  der  Absicht  sich  in  dieser  Sekte  dem 
geistlichen  Beruf  zu  widmen,  machte  er  von  1612 — 1614  seine 
Studien  in  Herborn  und  Heidelberg.  Auch  in  den  Nieder- 
landen hielt  er  sich  auf.  In  die  Heimat  zurückgekehrt,  über- 
nahm er  zunächst  die  Leitung  der  Brüderschule  in  Prerau, 
sodann  die  der  Schule,  von  Fulnek,  woselbst  er  zugleich  als 
Seelsorger  wirkte.  Von  hier  1622  durch  die  Wirren  des 
Krieges  vertrieben,  in  welchen  die  Intoleranz  der  Feinde  den 
Nachfolgern  Johannes  Hus'  das  Dasein  erschwerte,  fand  er 
bei  diesem  oder  jenem  adligen  Herrn  eine  Zufluchtsstätte, 
verweilte  vorübergehend  1625  und  1626  in  Berlin  und  im 
Haag  und  sah  sich  beim  Fortgange  der  Verfolgung,  gleich 
vielen  anderen  seiner  Glaubensgenossen,  1628  genöthigt,  sein 
Vaterland  zu  verlassen.  Er  schlug  seinen  Sitz  in  Polnisch- 
Lissa  auf,  woselbst  sich  schon  eine  starke  Gemeinde  böh- 
mischer Brüder  befand.  Hier  leitete  er  nicht  nur  das  Gym- 
nasium mit  solchem  Talent,  dass  viele  polnische  Edelleute 
ihre  lünder  zur  Erziehung  dorthin  sandten,  sondern  stand  auch 
als  Prediger  und  Berather  unter  seinen  vertriebenen  Lands- 
leuten in  hohem  Ansehn.  Er  war  der  geistige  Mittelpunkt 
der  Emigration,  auf  ihn  sahen  alle,  in  der  Hoffnung  durch 
seine  Vermittlung  den  Ptückweg  in  die  geliebte  Heimat  er- 
schlossen oder  doch  ihr  Elend  durch  Unterstützung  theil- 
nehmender  Gönner  gemildert  zu  sehn.  Ein  solcher  Mann, 
mit  so  vielen  seiner  Brüder  das  Opfer  kirchlicher  Unduld- 
samkeit, von  den  versöhnlichsten  Gesinnungen  beseelt  und 
durch  einen  unbesieglichen  Idealismus  über  alle  Gefährden 
und  Härten  des  Lebens  hinweggehoben ,  musste  den  Unions- 
Bestrebungen  Durie's  die  wärmste  Theilnahme  entgegenbringen. 
In  der  That  haben  allem  Anschein  nach  Briefe,  welche  Durie 
an  die  böhmischen   Brüder  und  namentlich    an  die  Senioren 

18* 


276  Comeuius. 

der  Gemeinde  von  Lissa  richtete,  1636  ähnliche  Gedanken  in 
Comenius  erweckt,  denen  er  bis  zum  Tode  treu  geblieben  ist  (^). 

Indessen  seine  eigentliche  Lebens-Aufgabe  sah  er  in  et- 
was anderem :  in  einer  Reform  der  Jugendbildung.  Neben 
der  praktischen  Lehrthätigkeit,  in  der  er  sich  in  diesem  Sinne 
bewegte,  war  er  schon  seit  Jahren  auch  als  Schriftsteller  für 
diesen  Gegenstand  thätig  und  erlangte  in  kurzem  einen  Ruf,  der 
über  die  Marken  Europas  hinausgieng.  Wenn  auch  auf  ihn, 
neben  Früheren,  vorzüglich  Bacon  von  grossem  Einfluss  war, 
so  übten  die  pädagogischen  Forderungen  Wolfgang  Ratich's 
(1571 — 1635)  auf  seinen  Geist  eine  noch  unmittelbarere 
Wirkung  aus.  Doch  war  er  in  vielem  ganz  selbstständig  und 
von  umfassenderen  Ideen  bewegt.  Der  schwere  Kampf,  welcher 
seit  den  ersten  Jahrzehnten  des  siebzehnten  Jahrhunderts  gegen 
das  herrschende  Unterrichts-System  begann,  einerlei  ob  es  sich 
in  den  Lehranstalten  der  Protestanten  oder  der  Jesuiten 
äusserte,  fand  in  ihm  seinen  vorzüglichsten  Helden,  und,  wie 
viel  Phantastisches  und  Unpraktisches  seinen  Vorstellungen 
nicht  selten  anhaftete,  er  wurde  der  wahre  Bahnbrecher  für  die 
grossen  Reformatoren  der  Erziehung  in  den  folgenden  Zeiten. 

Verlnndung  des  Sachlichen  mit  dem  Sprachlichen,  Er- 
setzung der  übermässigen  mechanischen  Dressur  des  Ge- 
dächtnisses durch  Beförderung  der  Anschauung  und  des 
Denkens ,  Selbstthätigkeit  der  Schüler  statt  sklavischen  Nach- 
betens,  körperliche  Uebungen,  helle,  mit  Tafeln  und  Bildern 
versehene  Sclmlstuben,  statt  der  blossen  geistigen  Abrichtung 
in  dumpfen  Räumen,  Berücksichtigung  der  Muttersprache  statt 
der  ausschliesslichen  Tyrannei  des  Lateinischen,  allgemeine 
Einführung  von  Volks  -  Schulen  neben  den  gelehrten:  das 
waren  die  Forderungen,  die  Comenius  mit  unermüdlichem 
Eifer  erhob,  für  deren  Verwirklichung  er  neue  Methoden  des 
Unterrichts  entwarf,  Studienpläne  ausarbeitete,  Schull)ücher 
schrieb.  Er  warf  beiläufig  noch  manchen  anderen  Gedanken 
in  die  Welt,  wie  er  denn  dem  weiblichen  Geschlecht  die 
h()heren  Wissens-Gel)iete  nicht  verschlossen  haben  wollte,  auf 
die  (liis  männliche  Monopol  gelegt  hatte.  Er  liess  sich,  in 
dem  Gedanken,  das  Lateinische  zur  Weltsprache  zu  machen, 


Comenius.  277 

ZU  manchen  Wunderlichkeiten  verleiten  und  gerieth  dadurch 
hie  und  da  in  Widerspruch  mit  sich  selbst.  Aber  das  Wesent- 
liche seiner  Ideen  lag  in  jenen  Sätzen  ausgedrückt.  Er  wollte 
dem  Kinde  nicht  unverdauliche,  scholastische  Distinktionen 
beibringen,  sondern  es  allmählich  vom  nächstliegenden  Sinn- 
lichen zum  ferneren  Abstrakten  hinleiten.  Er  wollte  es  fähig 
machen,  einst,  mit  festem  Charakter  und  nützlichen  Kennt- 
nissen ausgerüstet,  sich  einen  Platz  in  der  Gesellschaft  zu 
erringen,  auf  die  Gefahr  hin  sein  Gedächtnis  mit  den  Ge- 
setzen der  Physik  statt  mit  den  Tusculanen  des  Cicero  be- 
lastet zu  haben.  Er  wollte  Menschen  bilden,  nicht  Philo- 
logen. 

Diejenige  Schrift,  die  den  Namen  des  Comenius  zuerst 
in  die  weitesten  Kreise  ül)er  die  Erdtheile  liis  nach  Asien 
trug,  zahlreiche  Auflagen  und  Uebersetzungen  erlebte,  war 
seine  „Janua  linguarum  reserata",  „  das  Thor  der  Sprachen 
geöffnet"  (1631),  in  der  er  seine  neue  Methode  die  Sprachen, 
insbesondere  das  Latein,  zu  lehren,  mittheilte  und  das  Princip 
aufstellte,  das  Erlernen  der  Sprache  müsse  mit  dem  Kennen- 
lernen der  durch  die  Sprache  bezeichneten  Dinge  verbunden 
wenden.  Aus  Schweden,  dessen  Angelegenheiten  Oxenstjerna 
leitete,  kam  ihm  in  Folge  des  Ansehens,  das  diese  Schrift 
ihm  erworben  hatte,  1638  die  Aufforderung  zu,  das  dortige 
Schulwesen  zu  reformiren.  Er  versprach  seinen  Beirath,  lehnte 
aber  das  Amt  selbst  ab,  um  seine  ganze  Kraft  der  Wirk- 
samkeit durch  die  Feder  zu  widmen.  Er  hatte  seit  lange 
mächtige  wissenschaftliche  Pläne:  die  Ausarbeitung  einer 
grossen  Didaktik,  die  er  eben  aus  dem  Böhmischen  in's  La- 
teinische zu  übersetzen  begann,  in  der  das  Ideal  eines  allge- 
meinen Unterrichtsplanes  von  der  Kleinkinderschule  bis  zur 
Universität  rein  theoretisch  entwickelt  wurde,  die  Herstellung 
einer  Reihe  von  Büchern  theils  zum  sprachlichen  Unterricht, 
wie  verschiedener  Wörterbücher  und  Grammatiken,  theils  zum 
realen  Unterricht,  einer  Weltgeschichte,  einer  allgemeinen 
Dogmatik,  endlich  einer  Pansophie,  die  den  ganzen  Schatz 
menschlicher  Weisheit,  nach  bestimmten  Grundsätzen  geordnet, 
in  sich  zu  vereinigen  hätte.    Man  sieht,  wie  das  encyklopä- 


278  Comenius  und  IJartlib. 

distische  Bestreben  der  Zeit  auch  in  Comenius,  und  in  ihm 
nicht  weniger  grossartig  wie  bei  Bacon,  zum  Durchbruch 
kommt.  Was  er  zur  Ausführung  dieser  ungeheuren  Werke, 
in  deren  Herstellung  er  das  Glück  der  Menschheit  sah,  sich 
wünschte  und  für  unentbehrlich  hielt,  war  ein  Mäcenas,  um 
die  verschiedenen  Mitarbeiter  zu  bezahlen,  die  er  bei  der 
Behandlung  so  vieler  auseinander  liegender  Gegenstände  nicht 
entl)ehren  zu  können  glaulite.  Eine  förmliche  Societät,  an 
einem  ruhigen  Ort  sorgenlos  versammelt,  mit  Büchern  und 
sonstigen  Hilfsmitteln  ausgestattet,  unter  seiner  Leitung, 
würde  am  meisten  seinen  Wünschen  entsprochen  haben.  Er 
hoffte  noch  von  einem  polnischen  Grossen  die  nöthige  Unter- 
stützung zu-  erhalten,  als  ihn  Samuel  Hartlib  bewog  sich  nach 
England  zu  begeben. 

Zwischen  dem  Vaterlande  Bacon's  und  Comenius  bestan- 
den alte  Verbindungen,  und  mit  Hartlib  stand  er  seit  lange 
in  freundschaftlichem  brieflichen  Verkehr(^).  Vermuthlich hatten 
zuerst  die  comenianischen  Schriften  die  Aufmerksamkeit  Hart- 
lil)'s  auf  den  slavischen  Pädagogen  gelenkt.  Durch  einen 
Bruder,  der  wohl  in  der  Heimat  geblieben  war,  hatte  er  Ge- 
legenheit gehal)t,  ihm  Grüsse  zu  senden.  Alsdann  hatte  er  sich 
mit  der  ihm  eigenen  Opferwilligkeit  zweier  Sendlinge  der 
böhmischen  Brüder  angenommen,  die  im  Interesse  der  Ver- 
triebenen nach  England  geschickt  wurden,  und  deren  einer, 
D.  Wechner,  ein  Verwandter  des  Comenius  war.  Seitdem 
war  Hartlib  unablässig  bemüht,  dem  fernen  Freunde,  dessen 
grossartige  Pläne  ihn  ganz  und  gar  gefangen  hatten,  in  England 
Gönner  zu  erwecken,  ihm  womöglich  ein  festes  Einkommen 
zu  verschaffen,  damit  er  im  Stande  sei,  jene  weitläufigen 
wissenschaftlichen  Werke  der  Welt  zu  schenken.  Er  hatte 
gehofft,  ihm  durch  die  Einführung  der  Epoche  machenden 
Schrift,  der  „Janua  linguarum  reserata",  in's  englische  Pub- 
likum eine  solche  feste  Rente  zu  sichern.  Indessen  schon 
1034  hatte  der  Schulmann  Thomas  Hörne  einen  lateinisch- 
englischen Auszug  aus  ihr  veröffentlicht.  Vermuthlich  wenig 
S])äter  brachte  Jolin  Anchoran,  Licentiat  der  Theologie,  eine 
englische  Ueberarbeitung,  die  schon  1G30  eine  vierte  Auflage 


Comenius  uud  Hartlib.  279 

erlebte,  und  der  Verfasser  sah  sich  dadurch  um  die  Früchte 
seines  Fleisses  gebracht,  die  Hartlib's  Optimismus  geglaubt 
hatte,  ihm  retten  zu  können  (^).  Umso  eifriger  war  er,  seine 
Landsleute  mit  den  ^Yeltbeg•lückenden  Ideen  seines  Freundes 
bekannt  zu  machen,  welche  dieser  ihm  schriftlich  mitgetheilt 
hatte.  Eine  kleine  Schrift,  die  im  Jahre  1637  erschien,  wurde 
im  Jahre  1639  durch  ein  Paar  Blätter  ergänzt,  in  denen  die 
Gruadzüge  der  „grossen  Didaktik"  mitgetheilt  wurden  {'^). 
Unzveifelhaft  war  Durie,  für  den  der  geistvolle  Verbannte 
ein  nicht  geringeres  Interesse  hatte,  in  alle  diese  Bestrebungen 
eingeTeiht.  Dafür  wusste  denn  auch  Comenius  sich  keinen 
besseien  Gehilfen  für  sein  pansophisches  Werk  zu  denken  als 
Hartlil),  von  dem  er  rühmt,  dass  ihm  „an  Umfang  der  Kennt- 
nisse, m  täglich  bedeutenderer  Schärfe  des  Verstandes  und 
an  Eife-  dem  Gemeinwohl  nützlich  zu  werden"  niemand  gleich 
komme  (^). 

j\Iit  dem  Ausbruch  der  Kevolution  stiegen  die  Hoffnungen, 
die  Hartib  für  seinen  Freund  hegte,  auf's  höchste.  Ueberall 
war  der  .^uf  nach  Reform  laut  geworden,  auch  für  eine  Re- 
form des  Erziehungs-Wesens  liess  sich  vieles  hoffen.  Vor 
allem  war  die  Idee  nicht  ohne  Anhänger,  im  Gegensatz  zu 
den  beiden  alten  hochkirchlich-konservativen  Universitäten  die 
Gründung  tiner  Art  von  Hochschule  in  London  oder  in  nicht 
zu  grosser  Terne  von  der  Hauptstadt  in's  Werk  zu  setzen 
und  ihr  die  Einkünfte  irgend  eines  Institutes  zu  überweisen. 
Savoy,  Chels>,a-College,  Winchester-College  wurden  genannt. 
Der  alte  Traim  Bacon's  lebte  in  den  Köpfen  wieder  auf.  Der 
Vorsatz  des  Caneuius,  eine  grosse  Gelehrtengesellschaft  zu  pan- 
sophischen  Arleiten  zu  vereinigen,  liess  sich  möglicher  Weise 
in  dieser  Fonnin'sWerk  setzen,  und  wenn  man  seinen  Worten 
Glauben  schenk,  hatte  ein  Committee  des  Parlamentes  sich 
bereits  günstig  über  einen  ihm  vorgelegten  Plan  geäussert, 
aus  den  wiehtigslsn  Schriftstellern  aller  Zungen  eine  Art  von 
Encyklopädie  zusammenzustellen  ('*). 

Comenius  wu-de  bei  so  bewandten  Aussichten  in  der 
That  bewogen  einen  Rufe  nach  England  zu  folgen,  den  Hart- 
lib beim  Parlament  ausgewirkt  hatte,  und  langte  am  21.  Sept. 


280  Comenius  in  England. 

1641  in  London  an.  Er  unternahm  die  grosse  Reise  im  Interesse 
nicht  nur  seiner  pädagogischen  Pläne,  sondern  auch  seiner  hilfs- 
bedürftigen Glaubensbrüder,  von  einigen  derselben  begleitet,  um 
von  dem  Mitleid  der  Engländer,  dem  die  Gemeinden  der  Vertrie- 
benen schon  so  viel  verdankten,  weitere  Unterstützung  zu  a- 
bitten(i).  ggj  HartHb  wie  Durie  konnte  er  der  freundlichslen 
Aufnahme  gewiss  sein.  Beide  waren  offenbar  von  seiner  Persön- 
lichkeit wie  von  seinen  Ideen  vollständig  bezaubert  und  bestärk- 
ten ihn  noch  in  der  hohen  Meinung,  die  er  von  der  wundeithä- 
tigen  Kraft  seiner  Lehren  hatte.  Auch  sorgte  Hartlib  dafür,  aufs 
neue  die  Aufmersamkeit  von  England  auf  seinen  aus  so  veiter 
Ferne  nach  London  herbeigeeilten  Freund  zu  lenken,  iidem 
er  Anfang  1642  unter  dem  Titel:  „Eine  Reform  der  Sc'iulen" 
eine  Uebersetzung  der  lateinisch  niedergeschriebenen  Grund- 
sätze der  Didaktik  des  Comenius,  in  ausführlicherer  Gestalt 
als  früher,  zum  Besten  der  Nation  erscheinen  Hess  (^).  Keben 
Hartlib  und  Durie  rühmte  Comenius  unter  den  Freunien,  die 
ihm  herzlich  entgegen  kamen,  Pell  und  Haak ,  zwei  Männer, 
die  gleichfalls  Milton  nicht  unbekannt  blieben.  Auch  »\^illiams, 
der  Bischof  von  Lincoln ,  der  den  berühmten  Frendling  zu- 
gleich mit  Hartlib  und  Durie  zur  Tafel  lud,  versp'ach  seine 
Pläne  zu  unterstützen,  unter  welchen  zunächst  wohl  diejenigen 
verstanden  werden  müssen,  die  sich  auf  die  Verbesserung  des 
Looses  seiner  Glaubensgenossen  bezogen  (^).  Indessen  an  die 
Erreichung  des  hauptsächlichen  Zieles,  an  die  Gritidung  einer 
gelehrten  Societät  aus  Staats-Mitteln  unter  Comenus'  Leitung, 
zur  Förderung  seiner  Arbeiten,  war  doch  nicit  zu  denken. 
Als  Comenius  in  London  erschien,  war  das  Parlament  eben 
vertagt.  Nach  Wiederaufnahme  seiner  Sitzungei  beabsichtigte 
man  allerdings  eine  Kommission  niederzusetzen,  am  seine  Sache 
an  die  Hand  zu  nehmen.  Da  kam  die  Nachricit  vom  irischen 
Aufstand,  das  Attentat  auf  die  fünf  Mitglieder,  der  Bruch 
zwischen  König  und  Parlament,  die  Vorbereitung  des  Bürger- 
krieges. Vergeblich  suchten  Hartlib  und  EUrie  den  Freund 
festzuhalten,  vergel)licli  wurden  ihm  vor  londoner  Buch- 
händlern u.  a.  Geld-Versprechungen  gemarht.  Er  cntschloss 
sieh,  das  Anerbieten  eines  reichen  niederlänlischen  Kaufmanns, 


Comenius  in  Elbing.  281 

Ludwig  de  Geer,  anziinelimen,  der  in  Schweden  ansässig  war, 
und  durch  seinen  Verwalter  Hotton,  einen  Verehrer  der  pan- 
sophischen  Ideen,  wie  auch  direkt  schon  längst  mit  ihm  unter- 
handelt hatte.  Durch  seineu  neuen  Gönner  mit  Reisegeld  für 
sich  und  seine  Gefährten,  durch  Durie  vom  Haag  aus  mit 
Empfehlungsbriefen  an  J.  IMatthiae,  den  Stockholmer  Professor, 
Hofprediger  und  Lehrer  der  Königin  Christine,  versehen,  reiste 
er  etwa  1642  nach  Schweden  ab.  Er  hatte  daselbst  merk- 
würdige Unterredungen  mit  Oxenstjerna  und  Johann  Skyte, 
dem  Kanzler  der  Universität  Upsala,  und  entschloss  sich  auf 
ihre  Einwendungen  hin  seine  hochfliegenden  pansophischen 
Pläne  zunächst  aufzugeben  und  sich  näherliegenden  didak- 
tischen Aufgaben,  dem  Unterricht,  der  Ausarbeitung  von  Schul- 
büchern und  namentlich  der  Erleichterung  der  lateinischen 
Studien  zu  widmen.  Unzweifelhaft  gieng  die  Absicht  jener 
Männer  dahin,  Comenius  seinen  etwas  phantastischen  Ideen 
zu  entziehen  und  der  praktischen  Beschäftigung  mit  einer 
Schul-Reform  anzunähern,  die  in  erster  Linie  Schweden  zu 
Gute  kommen  sollte.  Sein  neuer  ^Mäcenas  war  ganz  derselben 
Ansicht,  und  da  Comenius  in  Schweden  religiöse  Vorurtheile 
gegen  seine  Person  fürchtete,  siedelte  er  sich  in  Elbing  an 
(Okt.  1642),  von  Herrn  de  Geer  durch  Geldsendungen  unter- 
stützt und  durch  dessen  Wohlthätigkeit  sogar  befähigt,  die 
Noth  seiner  darbenden  Glaubensbrüder  zu  lindern. 

Er  zog,  wie  das  seine  Art  war,  mehrere  Gehilfen  zur  Vor- 
bereitung seiner  literarischen  Arbeiten  heran.  Indessen  wurde 
sein  Verhältnis  zu  seinem  Patron  durch  mancherlei  Misshellig- 
keiten getrübt.  Diesem  schritten  die  Arbeiten  nicht  rasch 
genug  fort,  er  war  unwillig,  dass  Comenius  auf  Ansuchen  des 
Stadtrathes  von  Elbing  (1644—1645)  die  Stelle  eines  ausser- 
ordentlichen Professors  am  Gymnasium  annahm  (^),  sich  an 
Synoden  betheiligte  und  somit  anderweitig  über  seine  Zeit 
verfügte.  Comenius  seinerseits  wurde  durch  die  strenge  Kontrolle 
gereizt  und  fand  die  Unterstützung  nicht  immer  ausreichend. 
Auch  drängten  sich  unter  die  Mitglieder,  wie  es  scheint,  un- 
lautere Naturen  ein.  Der  letzte  Grund  so  mancher  Miss- 
helligkeiten, die  jedoch  immer  wieder  durch  die  idealistische 


282  Comeuius  in  Elbiug. 

Gesinnung  von  beiden  Seiten  aufgehoben  wurden,  war  der, 
dass  Comenius  sicii  wie  in's  Joch  gespannt  vorkam,  während 
er  sich  von  der  Ausführung  jener  pansophischen  Pläne  Un- 
sterblichkeit versprach. 

Eben  dies  war  die  Ansicht  seiner  englischen  Freunde, 
vor  allem  Hartlib's.  Da  dieser  zu  Elbing,  seiner  Vaterstadt, 
die  natürlichsten  Beziehungen  hatte,  riss  seine  Verbindung 
mit  Comenius  niemals  ab.  Er  ermahnte  ihn  seiner  grossen 
Aufgabe  eingedenk  zu  sein,  der  Welt  „die  Wege  der  wahren 
Weisheit  zu  eröffnen"  und  von  der  „kleinlichen  Beschäftigung 
mit  dem  Lateinischen"  abzustehn(^).  Auch  Comenius  hatte 
seiner  nicht  vergessen.  Er  war  bemüht  von  dem  Goldregen, 
den  sein  Gönner  so  freigebig  spendete,  neben  einem  gewissen 
Fundanius,  welcher  für  die  encyklopädische  Arbeit  ausersehen 
war,  dem  Hartlib  einiges  zuzuwenden.  Auch  wies  er  ihn 
auf  Geld -Versprechungen  an,  die  ihm  englische  Adlige  ge- 
macht hatten  (-).  Je  mehr  in  Folge  der  unruhigen  Zeiten 
und  seiner  unbegrenzten  Opferwilligkeit  Hartlib's  Vermögens- 
umstände zurückgiengen,  desto  erwünschter  musste  jede  Unter- 
stützung der  Art  ihm  sein.  Wie  mit  Comenius  so  stand  Hart- 
lib auch  mit  mehreren  seiner  Gehülfen  in  Briefwechsel.  Johann 
Ravius,  Professor  der  Eloquenz  in  Danzig,  der  Schlesier  Cyp- 
rian  Kinner,  Dr.  med.,  welche  eine  Zeit  lang  Comenius  bei 
seinen  Arbeiten  unterstützten,  tauscliten  mit  ihm  von  Zeit  zu 
Zeit  Mittheilungen  über  wissenschaftliche  Fragen  aus  und 
wussten  ihn  gleichzeitig  finanziell  auszubeuten.  Aber  sie 
waren  nicht  die  einzigen,  mit  denen  der  immer  rastlose 
Hartlib  über  seine  Lieblingsideen  korrespondirte.  Man  muss 
über  die  Vielseitigkeit  seiner  Beziehungen  erstaunen,  wenn 
man  den  Spuren  seines  Briefwechsels  nachgeht (•'). 

Es  würde  an  sich  nichts  Auffälliges  gehabt  haben,  wenn 
ein  so  strebsamer  Mann,  der  „Ansporn  aller  Guten  in  Eng- 
land", wie  ihn  einer  seiner  Korrespondenten  nennt  (''),  auch 
Milton  angezogen  und  für  seine  Bestrebungen  gewonnen  hätte. 
Es  kam  aber  noch  dazu,  dass  Hartlib's  religiöse  und  politische 
Gesinnung  der  Art  war,  dass  ihr  die  Sympathiecn  des  Dich- 
ters nicht  fehlen  konnten.    Jene  Schriften,  in  welchen  eine 


Hartlib's  kirchlich-politische  Ansichten.  283 

engere  Verbindung  der  Protestanten  empfohlen  wurde,  stem- 
pelten Hartlib  zum  Puritaner.  Als  der  erste  Biscliofskrieg 
vorbereitet  wurde ,  und  einzelne  Persönlichkeiten  in  London 
verdächtig  waren,  mit  den  Schotten  in  Verbindung  zu  stehen, 
ergieng  der  Befehl,  ihn  in  seinem  Hause  zu  vernehmen  (1.  Mai 
1639)  (^).  Im  Process  gegen  Laud  wurde  er  als  Zeuge  auf- 
gerufen, um  auszusagen ,  dass  der  Prälat  den  John  Durie  bei 
seinen  Unionsbestrebungen  nicht  unterstützt  habe  vmd  Samm- 
lungen für  die  pfälzische  Geistlichkeit  entgegengetreten  sei  (2). 
Aber  Hartlib  war  weit  entfernt  davon,  sich  den  intoleranten 
Presbyterianern  anzuschliessen.  Als  von  dieser  Seite  Edwards' 
hasserfüllte  Antapologie  erschien,  die  sich  gegen  die  indepen- 
dentischen  Mitglieder  der  Synode  richtete,  gab  Hartlib  einen 
Briefwechsel  heraus,  den  er  mit  seinem  Freunde  Hezekiah 
Woodward,  einem  puritanischen  Geistlichen,  geführt  hatte, 
und  in  welchem  über  die  Unduldsamkeit  der  Presbyterianer 
der  Stab  gebrochen  wurde  (■').  Mit  den  beiden  angesehen- 
sten jener  iudependentischen  Geistlichen,  Goodwin  und  Nye, 
muss  er  sogar  auf  vertrautem  Fusse  gestanden  haben. 
Wenigstens  richtete  sich  John  Durie  vom  Haag  aus  an  alle 
drei  in  ausführlichen  Worten,  in  denen  er  ebensowenig  die 
Unklarheit  seiner  Ansichten  wie  die  Milde  seiner  Gesinnung 
verläugnete(^).  In  dem  Schreiben  an  Hartlib  vom  yV-  März 
1644,  einer  Antwort  auf  dessön  Anfrage,  verhehlt  er  sich  zwar 
nicht,  dass  „die  geistlichen  Aufgaben  des  Reiches  Gottes  nicht 
dem  Beamten  des  Staates  angehören",  hält  diesen  dann  aber 
doch,  „da  das  Gewissen  des  Staates  sich  zum  Christenthum 
bekennt",  für  verpflichtet,  für  die  Gottesverehrung  zu  sorgen 
und  das  Einreissen  von  Verwirrung  zu  verhüten.  Im  ganzen 
bleibt  er  auf  presbyterianischem  Standpunkt  stehen,  ohne  sich 
an  den  Schmähungen  gegen  die  Independenten  zu  betheiligen. 
Auch  mit  Comenius  tauschte  Hartlib  seine  Gedanken  über  die 
englischen  Parteizustände  und  den  Independentismus  aus. 
Wenigstens  hielt  dieser  mit  seinen  Aeusserungen  darüber  in 
Briefen  an  ihn  wie  auch  später  in  einer  Druckschrift  nicht 
zurück. 


284  Hartlib's  kirchlich  -  politische  Ansichten. 

Wie  eingenommen  gegen  die  extremen  Parteien  und  das 
fortgesetzte  Blutvergiessen  in  England  er  auch  war,  wie  sehr 
ihm  das  Dogma  der  Independenten  vom  göttlichen  Ursprung 
ihrer  Kirchenverfassung  als  ein  irriges  erschien,  er  sprach 
sich  doch  mit  aller  Entschiedenheit  gegen  die  Methode  eines 
Edwards  aus,  die  Staatsgewalt  gegen  die  „Ketzereien"  anzu- 
rufen. Er  wollte  den  Kampf  nur  mit  geistigen  Mitteln  ge- 
führt wissen,  entdeckte  in  den  Bestrebungen  des  Independen- 
tismus  die  „Perle  der  christlichen  Freiheit"  und  verwahrte 
sich  gegen  jeden  Gewissenszwang  (^).  Leider  sind  uns  die 
Kückäusserungen  Hartlib's  auf  diese  Bemerkungen  seines 
Freundes  nicht  aufbewahrt,  wir  haben  indessen  allen  Grund 
zu  vermuthen,  dass  er  mit  noch  grösserer  Entschiedenheit  die 
Sache  der  Gewissensfreiheit  gegen  presbyterianische  Unduld- 
samkeit vertrat.  Hatte  er  ja  doch  von  den  Aufgaben  des 
Staates  einen  viel  zu  hohen  Begriff,  als  dass  sich  damit  für 
ihn  vertragen  hätte,  die  Staatsmacht  als  Büttel  einer  kirch- 
lichen  Körperschaft  gegen   die    übrigen  empfehlen  zu  sollen. 

Wenn  sich  dies  schon  darin  gezeigt  hatte,  dass  ihm  das 
Erziehungswesen  zu  den  wichtigsten  Aufgaben  des  Staates  ge- 
hörte, so  hatte  er  sich  anderweitig  geäussert,  indem  seine 
Phantasie  beim  Beginn  der  Revolution,  als  die  kühnsten  Wün- 
sche erwachten,  das  Idealbild  eines  Kulturstaates  mit  ein  Paar 
flüchtigen  Strichen  entworfen  hatte.  In  eingestandener  Nach- 
ahmung der  Utopie  des  Morus  und  der  neuen  Atlantis  des 
Bacon  liess  er  durch  einen  Reisenden  einem  Gelehrten  „das 
Königreich  der  Seligen",  Makaria,  beschreiben,  als  Vorbild 
für  England,  und  man  würde  kaum  mit  Sicherheit  sagen  jiür- 
fen,  dass  die  merkwürdige  Schrift  von  Hartlib  herrühre,  wenn 
nicht  seitdem  dieses  Wort  „Makaria"  eine  grosse  Rolle  bei 
ihm  spielte  (-).  Wie  in  allen  Staatsromanen  alter  und  neuer 
Zeit  schleicht  sich  auch  hier,  dem  Autor  unbewusst,  oft  ein 
unerträglicher  Despotismus,  unter  der  Maske  der  Freiheit  ein, 
aber  das  Werkchcn  ist  zu  gleicher  Zeit  reich  an  Gedanken, 
die  eine  spätere  Zeit,  die  namentlich  der  spätere  Socialismus 
wieder  aufgenommen  hat.  Die  Sorge  für  das  materielle  Wohl 
wird  nachdrücklich  betont,   und   es  ist  dem  Verfasser  eigen- 


Hartlib  und  Milton.  285 

thümlich,  unter  dem  „grossen  Rath"  sieh  noch  fünf  gesonderte 
„Käthe",  fünf  Ministerien  für  Ackerbau,  Fischerei,  Land-  und 
Seehandel,  Kolonisation  zu  denken.  Er  stellt  sich  ausser- 
ordentliche Verbesserungen  der  Agrikultur  und  des  Verkehrs- 
wesens vor,  kennt  eine  staatlich  geordnete  Auswanderung,  um 
der  Uebervölkerung  vorzubeugen  und  eine  auf  Gewerbestati- 
stik begründete  Regelung  der  Arbeitsverhältnisse  (^).  Aber 
zugleich  ist  ihm  jeder  Pfarrer  mit  den  Naturwissenschaften 
vertraut,  jeder  Seelsorger  auch  heilkundig,  was  den  Vortheil 
hat,  dass  er  bei  „Behandlung  der  Seelen"  nicht  in's  Blaue 
hinein  experimentiren  wird.  Auch  malt  er  sich  eine  solche 
Ausbreitung  von  Kenntnissen  durch  die  Presse  aus,  „dass  das 
gemeine  Volk,  seiner  eigenen  Rechte  und  Freiheiten  kundig, 
nicht  durch  Gewalt  beherrscht  werden  kann". 


Man  sieht,  es  war  trotz  aller  phantastischen  Zuthaten  kein 
unbedeutender  Geist,  und  nicht  mit  unbedeutenden  Gegen- 
ständen beschäftigt,  der  sich  zu  der  Freundschaft  und  Ach- 
tung so  vieler  hervorragender  Männer  auch  Milton's  Zuneigung 
gewann  und  ihn  zur  Herausgabe  einer  seiner  anziehendsten 
Schriften  veranlasste.  Keinem  anderen  als  Hartlib  ist  das 
Büchlein  „von  der  Erziehung"  gewidmet,  das  Anfang  Juni 
1644  erschien,  und  dessen  Vorwort,  an  jenen  Freund  gerichtet, 
am  deutlichsten  aussprach,  wie  hoch  der  Dichter  von  seinen 
Bestrebungen  dachte  (^).  Er  gesteht,  dass  er  trotz  der  Wich- 
tigkeit des  Gegenstandes  für  den  Augenblick  sich  nicht  dar- 
auf eingelassen  haben  würde,  über  die  Erziehung  zu  schreiben, 
da  ihn  gegenwärtig  andere  bedeutsame  Fragen  (die  Unter- 
suchungen über  die  Möglichkeit  einer  Reform  der  Ehegesetz- 
gebung) stark  in  Anspruch  nähmen.  i\.uch  die  dringenden 
Bitten  des  Freundes  würden  ihn  noch  nicht  bewogen  haben, 
seine  Thätigkeit  auf  diese  Weise  zu  zersplittern,  wenn  er  ihn 
nicht  für  pädagogische  Reformen  mit  einem  Eifer,  der  ihm 
selbst  Hochachtung  für  Comenius  abgezwungen,  thätig  gesehn 
hätte.    Er  nennt  den  grossen  slavischen  Pädagogen  nicht  mit 


286  Miltou's  Schrift  „über  die  Erziehung". 

Namen,  sondern  spricht  nur  von  einem  Manne,  „den  die  gütige 
Vorsehung  aus  der  Ferne  hierhergesandt  hatte,  um  dieser 
Insel  Gelegenheit  und  Anregung  zu  einer  grossen  Wohlthat 
zu  geben".  Auch  lässt  er  unbestimmt,  ob  er  Hartlib  die 
persönliche  Bekanntschaft  des  Comenius  verdanke,  oder  ob 
ihm  nur  durch  die  begeisterten  Berichte  des  Freundes  Kunde 
von  dessen  Plänen  geworden  sei.  In  jedem  Fall  giebt  er  sich 
dem  Enthusiasmus  Hartlib's  nicht  willenlos  hin ,  ja  er  macht 
kaum  ein  Hehl  daraus,  dass  er  die  comenianischen  Schriften 
seiner  näheren  Aufmerksamkeit  nicht  gewürdigt  habe.  Denn 
nach  einer  Reihe  von  Komplimenten  über  das  Ansehen  seines 
Freundes  in  der  gelehrten  Welt,  seinen  ausgedehnten  Brief- 
wechsel, seine  aufopfernden  Bestrebungen  innerhalb  und  ausser- 
halb Englands,  erklärt  er  sich  zwar  bereit,  durch  das  ge- 
schriebene Wort  zu  fixiren,  was  sie  beide  „in  gelegentlichen 
Gesprächen"  erörtert  haben,  aber  er  fügt,  und  gewiss  nicht 
absichtslos,  hinzu:  „Ich  will  Sie  mit  der  Aufzählung  dessen 
verschonen,  was  ich  hiebei  alten  berühmten  Autoren  vei-danke, 
und  ich  fühle  mich  nicht  geneigt,  zu  untersuchen,  was  viele 
neuere  Januas  und  Didaktiken,  mehr  als  ich  jemals 
lesen  werde,  vorgeschlagen  haben". 

Hartlib  mochte  durch  diese  Anspielung  nicht  sehr  an- 
genehm überrascht  sein,  er  konnte  indess  schon  aus  dem 
Vorwort  erkennen,  dass  der  Dichter,  unabhängig  von  dem 
Pädagogen,  dem  gleichen  Ziele  zustrebe  wie  dieser.  Der 
Reformgedanke,  den  Milton  sich  seit  lange  in  der  Stille  ge- 
bildet hatte,  gieng  auf  eine  Erziehung  „an  Ausdehnung  und 
Umfang  viel  bedeutender,  und  doch  der  Zeit  nach  viel  kürzer 
und  viel  leichter  zu  erreichen,  als  die  bisher  übliche".  Diesen 
Gedanken  will  er  nicht  in  breiter  Ausführlichkeit,  sondern  so 
kurz  als  möglich  entwickeln.  Denn  das,  was  er  zum  Besten 
der  Nation  auszusprechen  hat,  „sollte  lieber  rasch  gethan  als 
gesagt  werden".  Es  sind  nur  „einige  Bemerkungen",  gleich- 
sam die  „Blüthe  des  Nachdenkens  vieler  Jahre",  und  man 
würde  daher  auch  hier  einen  ganz  falschen  Mass-Stab  anlegen, 
wollte  man  ein  völlig  ausgearbeitetes  System  erwarten.  Nicht 
minder    wäre   es  irrig,    in   Milton's  Schrift   den  Abriss   eines 


Absicht  der  Schrift.  287 

Erziehungsplaiies  für  beide  Geschlechter,  für  alle  Stände  mid 
vom  zartesten  Kindesalter  an  finden  zu  wollen.  Er  denkt 
nur  an  die  Erziehung  des  Knaben  und  Jünglings  etwa  „vom 
zwölften  bis  zum  einundzwanzigsten  Jahr",  und  selbst  hierbei 
steht  ihm  nur  die  Jugend  der  höheren  Stände  (our  noble  and 
our  gentle  youth),  welche  die  Unkosten  der  Erziehung  be- 
streiten könnten,  vor  Augen.  Nicht,  dass  aristokratische 
Ueberhebung  ihn  das  Fehlende  hätte  vergessen  lassen.  Er 
deutet  selbst  am  Schlüsse  an,  dass  er  sich  der  Beschränkung 
seines  Themas  sehr  wohl  bewusst  sei.  Aber  er  war  so  ge- 
wissenhaft sie  sich  aufzulegen,  um  nur  davon  zu  sprechen, 
wozu  ihn  die  eigene  Erfahrung  befähigte,  die  er  lernend  an 
sich,  lehrend  an  anderen  gemacht  hatte.  Trotz  dieser  will- 
kürlichen Beschränkung  hält  er  dennoch  mit  einer  allgemeinen 
Definition  des  Lernzweckes  nicht  zurück.  Er  findet  ihn  darin, 
„dass  wir  den  Fall  unserer  Ureltern  wieder  gut  machen  sollen 
durch  Wiedererlangung  einer  richtigen  Erkenntnis  Gottes,  die 
uns  befähigt,  ihn  zu  lieben,  ihm  nachzuahmen,  ihm  so  ähn- 
lich wie  möglich  zu  werden,  indem  wir  unsere  Seelen  mit 
wahrer  Tugend  erfüllen,  die  im  Verein  mit  der  himmlischen 
Gnade  des  Glaubens  die  höchste  Vollkommenheit  ausmacht". 
Und  wenn  diese  allgemeine  Definition  in  Folge  des  puritani- 
schen Jargons  ziemhch  unfassbar  bleibt,  so  ist  die  Definition 
derjenigen  Erziehung  um  so  klarer,  von  der  er  allein  hier 
handeln  will.  Diese  ist  ihm  „vollkommen  und  würdig",  wenn 
sie  „einen  Mann  dazu  bildet,  allen  privaten  und  öffentlichen 
Pflichten  in  Krieg  und  Frieden  gerecht,  geschickt  und  hoch- 
herzig nachzukommen",  mit  anderen  Worten,  wenn  sie  den 
jungen  Engländer  der  höheren  Stände  — ,  und  diesen  allein 
hat  er  im  Auge  — ,  nach  Kenntnissen  und  Charakter  tüchtig 
macht,  eine  ordentliche  Stelle  im  bürgerlichen  Leben,  es  sei 
nun  welche  es  wolle,  gehörig  auszufüllen.  Der  Ausführung 
dieses  Gedankens  sieht  der  Autor  nun  die  bisherige  Erzie- 
hungsmethode entgegenstehn ,  bei  der  mehr  Zeit  „auf  die 
blossen  Lappereien  von  Grammatik  und  Sophisterei  drauf 
geht",  als  er  für  seinen  pädagogischen  Plan  nöthig  zu  haben 
glaubt.    Und  wenn  er  auch  nicht  eben  sehr  achtungsvoll  von 


288  Inhalt.  —   SjDrachstudien. 

Coraenius'  Schriften  gesprochen  hatte,  so  zeigt  sich  hier,  dass 
er  sich  ihrem  Geiste  durchaus  verwandt  fühlte.  Dieselbe 
herbe  Verurtheilung  einer  Jugendbildung,  die  über  dem 
Sprachlichen  das  Sachliclie  so  ungebührlich  vernachlässigte, 
die  es  hochmüthig  verschmähte ,  vom  Sinnlichen  aufzusteigen 
zum  Geistigen,  findet  sich  auch  hier. 

Milton  wäre  der  letzte  gewesen,  der  sich  dem  Studium 
der  Antike  feindlich  gegenüber  gestellt  hätte.  Er  verstand 
es  wohl,  warum  man  „die  Sprachen  derjenigen  Völker  vor- 
züglich lehre,  welche  .  .  der  Weisheit  am  eifrigsten  nach- 
strebten". Aber  die  Sprache  ist  ihm  „doch  nur  das  Werkzeug, 
um  uns  die  Kenntnis  wissenswerther  Dinge  zu  vermitteln". 
„Wenn  sich  ein  Sprachgelehrter  auch  rühmen  sollte,  alle 
Zungen,  wie  sie  sich  beim  babylonischen  Thurmbau  schieden, 
innezuhaben  und  er  hätte  die  werthvollen  Dinge,  deren  Kunde 
sie  überliefern,  nicht  ebenso  gut  studirt  wie  die  Wörter  und 
Lexika,  so  wäre  er  nicht  so  hoch  als  ein  gelehrter  Mann  zu 
achten,  wie  der  erste  beste  Bauer  oder  Handwerker,  der 
seinen  Bedarf  an  Kenntnissen  nur  durch  seine  Muttersprache 
erworben  hat.  Daher  kommen  die  vielen  Missgriffe,  welche 
den  Unterricht  im  allgemeinen  so  widerwärtig  und  fruchtlos 
gemacht  haben.  Da  versclnvendet  man  sieben  oder  acht  Jahre 
damit,  gerade  so  viel  elendes  Latein  und  Griechisch  zusam- 
menzukratzen, als  man  sonst  leicht  und  mit  Vergnügen  in  einem 
Jahre  hätte  lernen  können.  Und  was  unsere  Fortschritte 
hierin  so  sehr  hindert,  ist  der  Zeitverlust  theils  in  Folge  zu 
häufiger  unnöthiger  Ferien  in  Schulen  und  Universitäten,- 
theils  in  Folge  einer  widersinnigen  Methode,  die  Kinder  von 
unentwickeltem  Geist  dazu  zwingt,  Aufsätze,  Verse  und  Reden 
auszuarbeiten,  die  ein  reifes  Urtheil,  einen  durch  lange  Lek- 
türe und  Erfalii-ung  bereicherten  Kopf,  einen  eleganten  Stil, 
eine  fiuchtbare  Erfindung  voraussetzen,"  Er  sieht  darin  den 
Versuch,  „unreife  Früchte  abzupflücken",  er  leitet  daraus  als 
eine  natürliclie  Folge  die  „grässlichen  Barbarismen  und  Angli- 
cismen"  ab  und  kennt  statt  dessen  nur  eine  richtige  Methode, 
die  Sprachen  zu  lernen:  zuerst  Schaffung  der  nothwendigen 
grammatikalischen  Unterlage,   gesichert  durch   „Auswendig- 


„Sophisterei".  289 

lernen",  dann  die  Anwendung  der  grammatikalischen  Formen 
„im  gründlichen  Durchgehen  eines  ausgewählten,  kurzen 
Uebungsbuches",  darauf  abei-  , .zusammenhängende  und  ver- 
ständig ausgewählte  Lektüre  reiner  Autoren",  „von  denen  die 
Jugend  jetzt  kaum  nippt",  durch  deren  Studium  sie  mit  der 
Sprache  zu  gleicher  Zeit  auch  die  ,, guten  Sachen",  von  denen 
sie  handeln,  den  stofflichen  Inhalt  der  Antike,  kennen  lernen 
würde. 

Bis  dahin  war  nur  von  den  Verkehrtheiten  des  Sprach- 
unterrichtes, der  Vorbildung  für  die  Universität,  die  Rede  ge- 
wesen, aber  auch  gegen  die  Methode  der  Hochschulen,  gegen 
ihre  Vernachlässigung  des  Wissenswerthen  zu  Gunsten  der 
„Sophisterei"  hatte  Milton  die  Schale  seines  Zornes  auszu- 
giessen.  Er  hält  es  lediglich  für  einen  Rest  der  „scholastischen 
Dummheit  barbarischer  Zeiten",  dass  die  „jungen  immatriku- 
lirten  Neulinge,  statt  zuerst  in  den  leichtesten,  der  sinnlichen 
Anschauung  zugänglichen  Gegenständen  unterrichtet  zu  wer- 
den, sich  gleich  bei  ihrem  Eintritt  mit  den  allergeistigsten  Ab- 
straktionen der  Logik  und  Metaphysik  beschenken  lassen 
müssen".  Sie  haben  „eben  erst  die  grammatikalischen  Un- 
tiefen und  Sandbänke  verlassen,  auf  denen  sie  festsassen,  um 
ohne  Sinn  und  Verstand  ein  Paar  Worte  mit  armseliger  Kon- 
struktion zu  lernen,  und  sehen  sich  nun  plötzlich  unter  einen 
anderen  Himmelsstrich  versetzt,  um  mit  ihren  Köpfen  ohne 
Ballast  in  den  bodenlosen  und  stürmischen  Abgründen  der 
Kontroverse  hin-  und  hergeschleudert  zu  werden".  Kein 
Wunder,  wenn  ihnen  von  alledem  ganz  wüst  zu  Sinn  wird, 
„wenn  sie  grössten  Theils  in  Hass  und  Verachtung  gegen  das. 
Studium  entbrennen,  da  man  sie  die  ganze  Zeit  mit  lumpigen 
Phrasen  und  Wortgeklingel  hinhält,  während  sie  etwas  Rechtes 
und  Erfreuliches  zu  lernen  hofften".  Da  werden  sie  denn 
bald  „durch  Armuth  oder  jugendliches  Ungestüm"  auf  ver- 
schiedene Wege  gedrängt,  der  eine  „zu  einer  ehrgeizigen, 
feilen  oder  unwissend -zelotischen  Gottesgelahrtheit",  der  an- 
dere zum  „Handwerk  der  Jurisprudenz",  von  dem  er  „fette 
Processe  und  reichliche  Sportein"  erhofft,  diese  zu  den  Staats- 
geschäften,   „ohne    Grundsätze   und  wahre   Bildung",   sodass 

Stern,   Milton  n.   s.   Zeit.      I.   2.  19 


290  „Sophisterei". 

sie  „Schmeichelei,  Hofkünste  und  tyrannische  Maximen  für 
den  Gipfel  der  Weisheit  halten  und  ihre  dürren  Herzen  mit 
wirklichem  oder  erheucheltem  Sklavensinn  füllen,  jene  —  und 
sie  wären ,  wenn  Leute  von  guter  Moral ,  noch  die  Vernünf- 
tigsten —  in  die  Zurückgezogenheit  von  Müsse  und  Genuss, 
in  der  sie  ihre  Tage  in  Lust  und  Freuden  verbringen".  Das 
sind  die  Früchte  einer  Erziehung  in  Schule  und  Universität, 
bei  der  jede  Einheit  der  Bildung  verloren  geht,  weil  man 
gezwungen  wird,  „blosse  Worte  und  solche  Dinge  in  erster 
Linie  zu  lernen,  die  besser  ungelernt  blieben^'.  Man  sieht, 
wie  der  Ligrimm  eigener  Erfahrung,  die  Einwirkung  Bacon'- 
scher  Grundsätze  und  doch  wohl  auch  der  geistigen  Atmo- 
späre,  in  der  ein  Hartlib  athmete,  in  Milton  jene  Reaktion 
gegen  das  Bestehende  gross  gezogen  hatten.  Die  Philologen 
von  Fach  steiften  sich  darauf,  dass  das  Studium  des  Baues 
der  alten  Sprachen  und  ihrer  Feinheiten  das  erste  allgemeine 
geistige  Bildungsmittel  sein  müsse,  er  tritt  diesem  Ausspruch 
mit  Entschiedenheit  entgegen,  indem  er  für  die  Lektüre  mehr 
Raum  gewinnen  will.  Sie  quälten  den  Schüler  fast  ein  Jahr- 
zehnt lang  mit  den  Experimenten  dieser  geistigen  Turnkunst, 
er  beweist  ihnen,  dass  man  dabei  nicht  einmal  Lateinisch 
und  Griechisch  lerne.  Die  Universitäten  setzten  mit  ihrem 
scholastischen  Lehrplan  das  begonnene  Werk  fort,  er  erklärt 
als  Folge,  dass  der  junge  Mann  gerade  das  nicht  gelernt 
habe,  gerade  das  nicht  geworden  sei,  was  ihm  für's  Leben  zu 
wissen  und  zu  werden  von  Werth  hätte  sein  müssen. 

Indem  er  sich  nun  anschickt,  seinerseits  positive  Reform- 
yorschläge  zu  machen,  tritt  er  allerdings  mit  gewohnter  Kühn- 
heit dem  Bestehenden  entgegen,  aber  er  hält  doch  in  wichtigen 
Punkten  daran  fest.  Auch  nach  ihm,  wie  es  l)isher  nationale 
Eigenthümlichkeit  geblieben  war ,  soll  die  Universität  die 
eigentlich  fachmässige  Bildung  noch  nicht  gewähren.  Die 
^lusteranstalt,  deren  Bild  er  entwirft,  ist  zu  gleicher  Zeit 
Schule  und  Hochschule,  insoferne  diese  dasjenige  Mass  all- 
gemeiner Bildung  vermittelt,  welches  etwa  zur  Erlangung  des 
iVLagistergrades  genügt.  In  dieser  allgemeinen  Bildung  denkt 
er  sich  ferner  noch  philosophische  Studien  im  weiteren  Sinn 


Positive  Vorschläge.  291 

mit  theologischen  verbunden.  Nur  für  „die  Jurisprudenz 
oder  Medicin"  will  er  neben  der  ihm  vorschwebenden  Aka- 
demie „besondere  Colleges"  bestehen  lassen.  Auch  stellt  er 
sich,  nach  dem  oxforder  und  cambridger  Muster,  ein  Zusam- 
menwolmen  der  Zöglinge  in  den  akademischen  Anstalten  vor, 
deren  jede  aus  „einem  geräumigen  Haus  mit  Grund  und  Bo- 
den" bestehen  soll,  für  einhundertundfünfzig  Insassen  einge- 
richtet, von  denen  etwa  zwanzig  für  die  Bedienung  (i)  nöthig 
sind,  alle  unter  Leitung  eines  Oberaufsehers.  Demgemäss 
soll  auch  der  Tisch  in  dem  gemeinsamen  Wohnhaus  genommen 
werden,  „sowohl  um  Zeit  zu  sparen,  als  auch  um  der  Lüder- 
lichkeit  vorzubeugen",  \md  die  Nahrung  soll  selbstverständlich 
gesund  sein  und  das  richtige  Mass  nicht  übersteigen.  Solcher 
Anstalten  denkt  sich  Milton  eine  Masse  über  das  Land  zer- 
streut, „in  jeder  Stadt,  wo  sich  ein  Bedürfnis  danach  zeigt", 
um  „überall  Kenntnisse  und  Bildung  auszubreiten",  ohne  dass 
gesagt  wäre,  inwieferne  Staat,  Gemeinde  und  Private  zur 
Gründung  und  Erhaltung  der  Institute  zusammenwirken  sollten. 
Wichtiger  iudess  als  seine  Angaben  über  die  „Aeusser- 
lichkeiten  der  Ideal  -  Anstalt",  die  ihm  vorschwebte,  sind  seine 
Aeusserungen  über  die  „Studien"  und  die  „Uebungen",  die 
er  in  sein  Programm  aufnehmen  will.  Die  Studien  sollen 
allerdings  wie  bisher  mit  dem  Erlernen  der  klassischen  Spra- 
chen beginnen,  nur  dass  daraus  nicht  wie  bisher  durch  unver- 
dauliche prosaische  und  metrische  Aufgaben  ein  „eselmässiges 
Mahl  von  Dornen  und  Saudisteln"  gemacht  werden  soll.  Mit 
dem  ersten  grammatikalischen  Unterricht  im  Lateinischen  soll 
die  Angewöhnung  einer  reinen  Aussprache  Hand  in  Hand 
gehen,  und  bei  dieser  Gelegenheit  giebt  der  Autor,  eingedenk 
seiner  italienischen  Erinnerungen,  seinen  Landsleuten  einen 
Hieb,  die  „als  Nordländer  in  der  kalten  Luft  den  Mund  nicht 
weit  genug  aufmachen,  um  eine  südliche  Sprache  anmuthig 
zu  reden,  sondern  die  Worte  in  sich  hinein  murmeln".  Als 
erste  Uebungsbücher,  um  die  Schüler  in  den  grammatika- 
lischen Regeln  zu  befestigen,  sollen  solche  dienen,  deren  In- 
halt ihnen  zu  „Tugend  und  rechter  Arbeit"  Lust  macht, 
Bücher  also  von  moralisirender  Tendenz,   die  direkt  oder  in- 

19* 


292  Positive  Vorschläge. 

direkt  über  Fragen  der  Erziehung  handeln,  wie  im  Griechi- 
schen die  einschlägigen  Stücke  des  Cebes,  Plutarch,  im  La- 
teinischen Quintilian  etc.  Zu  gleicher  Zeit  soll  der  Lehrer 
jede  Gelegenheit  benutzen,  an  seine  Erklärung  der  betreffen- 
den Schriftsteller  feurige  Ermahnungen  zu  knüpfen,  in  den 
empfänglichen  Gemüthern  „Eifer  zum  Lernen,  Bewunderung 
der  Tugend,  Verachtung  alles  Kindischen,  Lust  zu  allem  Männ- 
lichen zu  wecken".  Dabei  muss  sein  eigenes  Beispiel  das 
Beste  thun,  doch  soll,  wenn  es  Noth  thut,  auch  die  „Ein- 
flössung einiger  Furcht"  nicht  fehlen.  Auf  eben  dieser  Schul- 
stufe sollen  die  ersten  Regeln  der  Arithmetik  und  die  An- 
fangsgründe der  Geometrie  „wie  spielend  nach  der  alten  Art" 
gelernt  werden.  Nach  Tisch  aber  bis  zur  Schlafenszeit  sollen 
die  „Grundbegriffe  der  Religion  und  die  biblische  Geschichte" 
den  Tag  beschliessen.  Auf  der  folgenden  Stufe  kommen  die 
römischen  Ackerbau -Schriftsteller  (Cato,  Varro,  Columella) 
daran,  „deren  Sprache  zwar  schwierig,  deren  Gegenstand  aber 
leicht  verständlich  und  von  praktischer  Wichtigkeit  ist".  Es 
lassen  sich  Vorträge  über  Geographie  und  Naturlehre,  De- 
monstrationen an  Globus  und  Karte,  auch  mit  Benutzung 
moderner  Schriftsteller  (1),  daran  schliessen.  Ebenfalls  werden 
jetzt  die  Elemente  des  Griechischen  nach  der  schon  früher 
befolgten  Methode  gelernt.  Auch  in  dieser  Sprache  sollen, 
nach  Ueberwindung  der  grammatikalischen  Schwierigkeiten, 
Schriftsteller  wie  Aristoteles  und  Theophrastus  zuerst  gelesen 
werden,  weil  sie  sich  mit  den  natürlichen  Dingen  beschäftigen, 
wie  denn  auch  im  Lateinischen  Autoren  wie  Vitruv,  Seneca, 
Mela,  Celsus,  Plinius,  Solinus  eintreten.  Diese  ganze  Lektüre 
bleibt  in  stetem  Zusammenhang  mit  dem  theoretischen  Unter- 
richt in  Arithmetik,  Geometrie,  Astronomie,  Geographie  und 
allgemeiner  Naturlehre.  Erst  darauf  folgt  die  praktische  An- 
wendung der  Summe  naturwissenschaftlicher  Kenntnisse,  einer- 
seits mit  Zuhilfenahme  der  Trigonometrie  bis  zur  Befestigungs- 
kunst, Architektur,  Ingenieur  -  und  Schifffahrtskunde,  anderer- 
seits, niichst  Meteorologie,  Mineralogie,  Botanik,  Zoologie,  bis 
zur  Anatomie  und  der  Kenntnis  einiger  Regeln  der  Arznei- 
wissenschaft.    Es   wird   vorausgesetzt,    dass  die  Zöglinge  der 


Positive  Vorschläge.  293 

Anstalt  Gelegenheit  haben,  hie  und  da  Anleitung  von  Männern 
der  Praxis  wie  Jägern,  Fischern,  Gärtnern,  Apothekern,  Archi- 
tekten, Ingenieuren,  Aerzten  u.  s.  w.  zu  erhalten,  und  dass 
solche,  zum  Theil  für  gutes  Geld,  „ein  so  hoffnungsvolles 
Seminar  gern  unterstützen  werden".  Alles  soll  dazu  dienen, 
die  Beobachtungsgabe  der  jungen  Leute  zu  schärfen,  ihnen 
die  Möglichkeit  zu  geben,  in  allen  Lebenslagen  der  äusseren 
Natur  beherrschend  gegenüberzutreten.  Aber  auch  hier  tritt 
ergänzend  die  Lektüre  solcher  klassischer  Dichter  ein,  die, 
Avie  Hesiod,  Theokrit,  Aratus,  Nikander,  Lucrez,  Manilius, 
Virgil  in  seinen  Georgiken  u.  a.  nur  dann  schwer  zu  ver- 
stehen sind,  wenn  man  die  Gegenstände  der  Natur,  die  sie 
behandeln,  nicht  aus  eigener  Anschauung  kennt. 

Bis  dahin  ist  erst  eine  umfassende  Kenntnis  der  äusseren 
Welt  gewonnen,  nun  ist  der  Geist  reif  genug,  um  die  Gesetze 
der  moralischen  Welt  zu  erfassen,  „die  Gegensätze  von  Gut 
und  Uebel  zu  beurtheilen".  Da  empfehlen  sich  die  einschlä- 
gigen Schriften  von  Plato,  Xenophon,  Cicero,  Plutarch,  Dio- 
genes von  Laerte  u.  s.  w\ ,  neben  denen  „am  Schlüsse  des 
Tagewerkes  ein  Spruch  David's  oder  Salomon's  oder  der 
Evangelien  und  der  apostolischen  Schriften"  nicht  vergessen 
werden  darf.  Auch  in  der  Poesie  wird  ein  Fortschritt  von 
den  Naturschilderungen  zu  den  Dichtungen  mit  moralischen 
Zwecken  gemacht.  Ausgewählte  Komödien  kommen  an  die 
Reihe,  griechische  und  lateinische,  aber  auch  italienische,  denn 
diese  Sprache  „kann  in  Nebenstunden  leicht  gelernt  werden", 
nebst  einigen  passenden  Tragödien,  wie  die  Trachinierinnen 
und  Alkestis.  Nun  geht  es  rüstig  weiter  zum  Sittlichen  in 
seiner  höchsten  Potenz,  zum  Staate(^).  Volkswirtschaft,  Po- 
litik, Geschichte,  Ptechtskunde  werden  berücksichtigt,  auf 
dass  die  Zöglinge  einst  „in  gefahrvollen  Lagen  des  Gemein- 
wesens sich  nicht  gleich  einem  armen,  schwankenden  Rohr 
erzeigen,  mit  wankender  Gesinnung,  wie  so  viele  unserer 
grossen  Räthe  sich  erzeigt  haben,  sondern  auf  dass  sie  starke 
Säulen  des  Staates  seien".  Hier  werden  sie  denn  mit  den 
Normen  des  ersten  grossen  Gesetzgebers,  Moses,  vertraut  ge-  ■ 
macht,  durch  die  Legislationen  eines  Lykurg,  Solon,  Zaleucus, 


294  Positive  Yorschlägp. 

Charondas  hiudurchgeführt  zu  den  römischen  Gesetzen,  von 
den  zwölf  Tafeln  bis  Justinian,  um  endlich  beim  heimischen 
Rechte  anzulangen.  In  ausgewählten  antiken  Historikern  und 
Epikern,  in  den  grossen  attischen  Tragikern,  soferne  sie 
„Staats -Aktionen"  behandeln,  wie  bei  den  Rednern  des  Alter- 
thums  finden  sich  für  alle  Fragen,  die  hier  zur  Sprache  kom- 
men, Belege,  welche  verdienen,  nicht  nur  gelesen,  sondern 
„zum  Theil  auch  auswendig  gelernt  und  mit  feierlichem  An- 
stand vorgetragen  zu  werden".  Sonntags  und  Abends  bleibt 
für  das  Studium  der  „höchsten  theologischen  Fragen'^,  alter  und 
neuer  Kirchengeschichte  noch  Zeit,  und  dies  kann  selbstver- 
ständlich nicht  gründlich  betrieben  werden,  wenn  nicht  schon 
vorbei"  Hebräisch  gelernt  ist.  „Und  es  dürfte  keine  Unmög- 
lichkeit sein,  —  fügt  der  erbarmungslose  Milton  hinzu,  — 
damit  die  Lehre  des  chaldäischen  und  syrischen  Dialekts  zu 
verbinden". 

Den  'Abschluss  und  die  Krone  des  Ganzen  bilden  „die 
organischen  Künste",  in  der  Reihenfolge  von  Logik,  Poetik, 
Rhetorik.  Erst  jetzt,  nachdem  der  Scholar  „eine  allgemeine 
Einsicht  in  die  Dinge  gewonnen  hat",  kann  er  die  Form  bil- 
den. Er  weiss  etwas,  nun  ist  es  Zeit,  ihn  zu  befähigen,  seinem 
Wissen  „in  Rede  und  Schrift  einen  klaren,  eleganten,  dem 
Gegenstande  angemessenen  Ausdruck  zu  verleihen".  Auch 
hier  wieder  bietet  sich  die  Flille  klassischer  Autoren,  und 
wenn  für  die  Logik  kein  Moderner,  nicht  einmal  Ramus,  wie 
man  erwarten  sollte,  neben  ihnen  genannt  wird,  so  treten  für 
die  Poetik  neben  Aristoteles  und  Horaz  auch  Castelvetro, 
Tasso,  Mazzoni  ein.  Und  keineswegs  ist  unter  der  Poetik 
blos  Prosodie  zu  verstehen ,  sondern  die  tiefe  Einsicht  in  die 
Gesetze  der  Kunst,  welche  die  jungen  Leute  befähigen  würde, 
zu  erkennen,  „was  für  verächtliche  Geschöpfe  unsere  gewöhn- 
lichen Reimer  und  Theater -Dichter  sind",  und  einzusehen, 
„welch  ein  heri-licher  und  rühmlicher  Gebrauch  für  göttliche 
und'  menscliliche  Zwecke  von  der  Poesie  gemacht  werden 
könnte".  Sind  sie  so  vorgebildet,  dann  wird  es  geschehen, 
•dass  „man  mit  Ehrerbietung  und  Achtung  an  ihren  Lippen 
hängt,  wenn  sie  im  Parlamente  oder  im  Rathe  das  Wort  neh- 


Positive  Vorschläge.  295 

men".  Auch  werden  dann  auf  den  Kanzeln  andere  Gesichter, 
andere  Gestikulationen  und  anders  durchgearbeitete  Predigten 
erscheinen  als  diejenigen  sind,  die  wir  jetzt  aushalten  müssen, 
und  die  für  uns  oft  eine  eben  so  grosse  Geduldsprobe  sind, 
wie  irgend  eine  sonst,  von  der  man  uns  predigt. 

Auf  die  Skizze  des  Studienganges  der  Ideal- Akademie 
folgt  diejenige  der  „Uebungen",  die  ein  höchst  nöthiges  Ge- 
gengewicht gegen  die  Büchergelehrsamkeit  zu  bilden  haben. 
Geht  diese  selbst  schon  immer  mit  praktischen  Versuchen 
Hand  in  Hand,  so  sollen  zunächst  anderthalb  Stunden  vor 
Tisch,  oder  auch  mehr,  je  nachdem  die  Schüler  früh  auf- 
stehen, ausschliesslich  füi'  Leibesübungen  und  Ausruhen  be- 
stimmt sein.  Die  Uebung  in  den  Waffen  „auf  Hieb  und 
Stich"  macht  den  Anfang,  als  besonders  geeignet  den  Körper 
kräftig  und  geschmeidig  zu  machen,  der  Lungenthätigkeit 
und  dem  Wachsthum  zu  dienen,  wie  auch  den  persönlichen 
Muth  der  Jünglinge  zu  heben.  Der  moralisirende  Pädagog 
verlangt  als  Ergänzung  „passende  Vorlesungen  und  Beleh- 
rungen über  wahre  Tapferkeit  und  Standhaftigkeit,  damit  sie 
die  Feigheit  des  Unrecht- Thuns  hassen  lernen".  Demnächst 
wird  der  nationalen  Uebung  des  Ringens  gedacht.  Die 
Zwischenzeit  des  Abkühlens  und  Ausruhens  vor  Tisch  wird 
durch  die  „Erquickung  feierlicher  und  göttlicher  Harmonieen 
der  Musik''  ausgefüllt,  der  sie  zuhören  oder  die  sie  lernen, 
sei  es,  dass  ein  einzelner  in  freier  Phantasie  ,,mit  stolzen 
Fugen"  die  Orgel  bearbeitet,  oder  „die  volle  Symphonie  mit 
künstlichen,  ungeahnten  Wendungen  die  wohldurchdachte  Me- 
lodie eines  guten  Komponisten  ziert".  Auch  Gesang  aller 
Art,  religiösen,  kriegerischen,  weltlichen  Charakters  mit  Be- 
gleitung der  Orgel  oder  Laute  ist  zu  pflegen.  Denn  die  Musik 
hat  eine  hohe  pädagogische  Bedeutung,  sie  mildert  die  Sitten 
und  sänftigt  die  Leidenschaften.  Sie  mag  auch  nach  Tisch 
als  Ueberleitung  zu  neuer  Arbeit  benutzt  werden.  Diese 
dauert  bis  zwei  Stunden  vor  dem  Abendessen,  die  wieder 
körperlichen  Uebungen  gewidmet  sind.  Ein  Lärmzeichen  oder 
Losungswort  ruft  die  Jünglinge  „nach  römischer  Art"  zu  mili- 
tärischen Exercitien,    die  je  nach  der  Jahreszeit  im  Freien 


296  Positive  Vorschläge. 

oder  im  Hause  abgehalten  werden.  Sie  üben  sich  zuerst  als 
Infanteristen,  später,  wenn  sie  gross  genug  sind,  lernen  sie 
reiten.  Die  Aufstellung  in  Schlachtordnung ,  das  Marschiren, 
ein  Lager  schlagen,  die  Kunst  des  Befestigens,  Belagerns, 
Beschiessens  wird  ihnen  beigebracht,  die  Taktik  und  Strategie 
alter  und  neuer  Zeit  entwickelt.  Es  sieht  wie  ein  Seitenblick 
auf  die  zweifelhaften  Erfolge  gewisser  presbyterianischer  Ge- 
nerale aus,  wenn  Milton  bemerkt:  Junge  Leute  von  solcher 
Vorbildung  würden  ihrem  Vaterlande  als  tüchtige  Feldherren 
dienen  können,  „sie  würden  nicht  dulden,  dass  die  ihnen  an- 
vertrauten trefflichen  Heere,  trotz  häufigen  Nachschubs,  aus 
Mangel  an  tüchtiger  Disciplin  wie  kranke  Federn  im  Winde 
zerflattern,  dass  ihre  unfähigen  Obersten  von  ganzen  zwanzig 
Mann  in  einer  Kompagnie  die  Löhnung  einer  betrüglichen 
Stammrolle  verprassen  oder  zu  heimlichen  Schätzen  zusam- 
menraffen, und  dass  nur  ein  elender  Rest  übrigbleibt"  u.  s.  w. 

Aber  noch  andere  gesunde  Unterbrechungen  der  Arbeit 
werden  empfohlen ,  —  häufige  Ausflüge  in  der  guten  Jahres- 
zeit, längere  Reisen  nach  zwei-  oder  dreijährigem  Studium, 
in  grösseren  Abtheilungen  unter  kundiger  Führung,  durch's 
Land  und  an  die  Küste,  um  lür  die  Thätigkeit  des  Städters 
und  des  Bauern,  für  Handel  und  Gewerbe,  für  das  Getriebe  des 
Hafens  und  die  Aufgaben  der  Marine  den  Blick  zu  erweitern. 
Für  eine  solche  „hoffnungsvolle  Jugend"  wird  man  dann  nicht 
mehr  die  „Monsieurs  von  Paris"  nöthig  haben,  ,,um  sie  in 
ihre  thörichte  und  verschwenderische  Obhut  zu  nehmen  und, 
in  Possenreisser ,  Aften  und  Hanswürste  verwandelt,  wie- 
der zurückzusenden".  Vielmehr  werden  sie,  wenn  sie  mit 
drei-  oder  vierundzwanzig  Jahren  die  Welt  sehen  wollen,  um 
ihre  Erfahrungen  zu  bereichern,  überall  mit  Achtung  auf- 
genommen werden  und  die  Freundschaft  der  Besten  an  allen 
Orten  gewinnen.  Ja,  dann  werden  vielleicht  andere  Völker 
ihrer  Erziehung  halber  England  besuchen  oder  seine  Einrich- 
tungen bei  sich  nachahmen.  — 

Das  ist  die  Skizze  des  Milton'schen  Reformplanes,  „ein 
Bogen,  wie  er  stolz  bemerkte,  den  nicht  jeder  spannen  kann, 
der  sich    einen  Schulmeister  nennt".     Unser  Zeitalter,    das 


Kritik.  297 

Zeitalter,  welches  den  Grundsatz  der  Arbeitstheilung  auf  seine 
Fahne  geschrieben  hat,  wird  geneigt  sein,  zu  fragen,  ob  es 
sich  überhaupt  jemals  verlohnt  habe,  den  Versuch  zu  machen, 
diesen  Bogen  zu  spannen,  und  es  wird  die  Träume  des  reform- 
lustigen Dichters  belächeln.  Aber  es  sollte  nicht  ungerecht 
in  der  Beurtheilung  eines  ..pädagogigischen  Idylls"  sein,  dessen 
Autor  in  einer  Zeit  lebte,  die  so  viele  Zweige  der  Wii^sen- 
schaft,  welche  heute  hoch  entwickelt  sind,  erst  im  Ansatz  sah. 
Es  sollte  ferner  erwägen,  dass  das  zähe  Festhalten  am  Her- 
gebrachten auf  der  einen  Seite  den  erzürnten  Schriftsteller 
andererseits  dazu  trieb ,  seine  Forderungen  auf  Berücksich- 
tigung der  Realien  so 'weit  als  nur  denkbar  zu  fassen.  Es 
sollte  seinen  begeisterten  Worten  dasjenige  entnehmen,  was 
noch  heute  nach  mehr  als  zweihundert  Jahren  nichts  an 
Wahrheit  verloren  hat,  und  dasjenige  entschuldigen,  was  auf 
Rechnung  der  unvermeidlichen  Abhängigkeit  des  Autors  von 
dem  Geiste  seiner  Zeit  zu  setzen  ist.  Hierzu  gehört  aber 
vor  allem  die  eigenthümliche  Art,  in  welcher  Milton  jenem 
comenianischen  Verlangen,  Sachkenntnis  und  Sprachkenntnis 
mit  einander  zu  verbinden,  genügen  will.  Die  Tradition 
der  Universität  mochte  hier  doch  in  etwas  einwirken,  aber 
es  sieht  zugleich  so  aus,  als  wenn  er  mit  den  Philologen  von 
Fach,  deren  Uebermacht  auch  er  sich  entgegenstemmt,  einen 
heimlichen  Vertrag  schliessen  wollte.  Die  alten  Sprachen 
sollen  noch  immer  die  Grundlage  der  einen,  allgemeinen,  hu- 
manen Bildung  sein,  aber  man  soll  durch  sie  zur  Kunde  alles 
dessen  angeleitet  werden,  was  man  gelernt  haben  muss,  um 
nicht  bei  jedem  Schritt  des  Lebens,  bei  jeder  stummen  Frage 
der  umgebenden  Natur  beschämt  die  grösste  Unwissenheit 
und  Hilflosigkeit  eingestehen  zu  müssen.  So  ist  es  zu  er- 
klären, dass  er  den  Aratus  zugleich  als  astronomisches  (^), 
den  Theophrast  als  botanisches,  den  Pomponius  Mela  als  geo- 
graphisches Lehrbuch  benutzt  wissen  will,  dass  er  nur  schüch- 
tern daneben  auf  moderne  Hilfsmittel  und  Autoren  verweist, 
dass  von  den  Meisterwerken  der  heimischen  Literatur,  die 
er  so  hoch  verehrte,  überhaupt  keines  Aufnahme  in  den  Rah- 
men des  eigentlichen  Lehrplanes   fand ,   sondern  dass  die  Be- 


298  Ki-itik. 

scliäftigung  mit  den  vaterländischen  Prosaikern  und  Dichtern 
ganz  und  gar  der  Müsse  des  einzehien  überlassen  blieb. 
Dass  ein.  solches  Kompromiss  seinen  Zweck  durchaus  ver- 
fehlt haben  würde,  ja  sogar  seine  sehr  komische  Seite  hat, 
wird  niemand  läugnen.  Aber  es  ist  bezeichnend,  dass  ein  Geist 
von  ganz  anderem  Gepräge,  der  nachweisbar  gleichfalls  in 
den  Bann  der  Comenianisch  -  Hartlib'schen  Ideen  gezogen 
ward,  dass  der  Dichter  Abraham  Cowley  einige  Zeit  später 
dieselbe  Methode  forderte,  den  Schülern  gleichzeitig  Sprach- 
kenutnis  und  Sachkenntnis  beizubringen,  und  dass  er  sich  bei 
der  Auswahl  der  antiken  Autoren,  die  er  zu  diesem  Behuf 
in  Vorschlag  brachte,  ersichtlich  sehr  enge  an  das  Milton'sche 
Vorbild  anschloss(^).  —  Für  Milton  selbst  kamen  neben  jenen 
Reform -Ideen  seiner  Zeit,  die  ihm  Hartlib  übermittelte,  un- 
zweifelhaft, wie  er  sogar  andeutet,  Erinnerungen  an  berühmte 
Institute  des  Alterthums,  vielleicht  auch  der  Gedanke  an  jenes 
Kolleg  „dei  Nobili"  in  Betracht,  das  sein  Freund  Manso  in 
Neapel  gegründet  hatte  (s.  o.  B.  I.  S,  287).  Vor  allem  aber  das 
Bestreben,  nach  Bacon's  Anweisung  zwischen  dem  Wissen  und 
dem  Nützlichen,  zwischen  dem  Nützlichen  und  dem  Guten 
eine  Brücke  zu  schlagen,  das  glühende  Verlangen,  nach  dem 
Muster  der  Renaissance  -  Heroen,  den  ganzen  Menschen  voll 
und  frei  auszubilden,  leitet  seine  Feder,  wie  es  seinem  eignen 
Leben  von  früh  auf  die  Richtung  gegeben  hatte.  Locke  hat 
es  nicht  verschmäht,  sich  in  vielem,  bewusst  oder  unbewusst, 
Milton  anzuschliessen(-),  die  bahnbrechenden  pädagogischen  Re- 
formatoren des  achtzehnten  Jahrhunderts  nehmen  jenen  Grund- 
gedanken wieder  auf,  und  ein  grösserer  Dichter,  als  er  war, 
hat  den  folgenden  Generationen  ein  leuchtendes  Beispiel  der 
Verwirklichung  jenes  Menschheits- Ideales  hinterlassen. 


Mehr  als  ein  Satz  der  Milton'schen  Schrift  über  die  Er- 
ziehung war  geeignet,  das  Zartgefühl  der  Presbyterianer  zu 
verletzen.  Was  er  über  gewisse  Officiere  hatte  einfliessen 
lassen,  klang  wie  eine  schadenfrohe  Herausforderung.  Was 
er   über  gewisse  Kanzelrcdner  geäussert  hatte,   schien  nicht 


Zweite  Schrift  über  die  Ehescheidung:    „Urtheil  Butzer's".     299 

minder  auf  die  beliebten  Prediger  des  Tages  gemünzt  zu  sein, 
wie  auf  die  verdrängten  Diener  der  Episkopalkirclie.  Und 
der  ganze  revolutionäre  Ton  seines  Werkchens  gemahnte  nur 
allzu  deutlich  an  die   stürmische  Art  des  Independentismus. 

Aber  noch  weit  bedenklicher  war  es,  dass  dieser  schreibfer- 
tige Autor  schon  fünf  Wochen  später  mit  einem  neuen  Traktat 
auf  dem  Plane  erschien,  in  welchem  er  seine  verabscheuungs- 
würdige  Theorie  von  der  Ehescheidung  nachdrücklicher  zu 
vertreten  wagte.  (^)  Wer  es  wusste,  dass  Martin  Putzer  einem 
sehr  freien  Scheidungsrecht  gehuldigt  hatte,  in  welchem  neben 
Wahnsinn,  unheilbarer  Krankheit  u.  s.  w.  auch  unheilbare 
und  unüberwindliche  Abneigung  als  ScheidungsgTund  zugelas- 
sen, und  dass  diese  Ansicht  von  Sarcerius  weiter  ausgeführt 
worden  war,  den  musste  es  Wunder  nehmen,  dass  Milton  in 
seiner  Schrift  über  die  Ehescheidung  es  verschmäht  hatte,  sich 
auf  die  Autorität  des  strassburger  Reformators  zu  stützen.  Und 
doch  hätte  ihm  dies  um  so  näher  gelegen ,  mit  je  grösserer 
Vorliebe  er  sich  auf  Fagius  berufen  hatte,  der  gleichzeitig 
mit  dem  berühmteren  Putzer  aus  der  Heimat  gewichen  war, 
um  in  England  unter  der  Regierung  Edward's  VI.  einen  neuen 
Wirkungskreis  zu  suchen.  Indessen  er  gesteht  selbst  ein, 
dass  ihm  erst  etwa  ein  Vierteljahr  nach  Veröffentlichung  der 
zweiten  Ausgabe,  also  Anfang  Mai  1644,  Kunde  von  Putzer's 
Aeusserungen  über  dieselbe  Materie  zukam,  die  ihn  so  leb- 
haft beschäftigte  (2).  Er  schildert  das  freudige  Erstaunen, 
das  ihn  ergriff",  als  er  eine  auffallende  Uebereinstimmung 
zwischen  seiner  Peweisführung  und  derjenigen  der  grossen 
reformirten  Autorität  entdeckte,  nicht  ohne  mit  einem  ge- 
wissen Stolz  die  Selbstständigkeit  seines  eigenen  Urtheils  her- 
vorzuheben. Denn  nicht  „mit  Zahlen  und  Namen",  sondern 
„mit  Gründen"  will  er  kämpfen.  Aber  er  fühlt  sich  nicht 
wenig  durch  die  Genossenschaft  solcher  Geister  wie  Fagius 
und  Putzer  gestärkt,  gegen  die  „Peleidigungen  seiner  Ver- 
leumder" gedeckt  und  gegen  die  „blinden  Vorwürfe  und  Pe- 
argwöhnungen  seiner  vorlauten  Gegner"  geschützt. 

Das  Urtheil  Putzers  war  aber  von  um  so  grösserer  Pe- 
deutung,  da  es,   in  England  abgegeben,   für  einen  englischen 


300     Zweite  Schrift  über  die  Ehescheidung:    „Urtheil  Butzer's". 

König  bestimmt  und  dem  englischen  Volke  gleichsam  als  ein 
Vermächtnis  hinterlassen  war.  Denn  Milton  findet  seine 
eigenen  Ansichten  nicht  nur  bestätigt  in  verschiedenen  früheren 
Schriften  Butzer's,  die  sich  auf  Stücke  des  neuen  Testaments 
beziehen,  in  dem  „summarischen  Vergriff"  und  Religion,  die 
man  zu  Strassburg  hat  nun  in  die  achtundzwanzig  Jahre  ge- 
lehrt" (von  1548),  sondern  vorzüglich  in  dem  lateinischen 
Werke  „vom  Eeiche  Christi",  jener  berühmten  „christlichen 
Politik",  die  für  König  Eduard  VI.  als  eine  Anweisung,  sein 
Volk  glücklich  zu  machen,  geschrieben  worden  war,  und  deren 
Vollendung  das  Lebenswerk  des  Reformators  krönte (^).  Die 
ungemeine  Ausführlichkeit,  mit  der  Butzer  hier  das  Thema 
von  der  Ehescheidung  behandelt  hat,  spricht  Milton  dafür, 
dass  sein  Vorgänger  gleichfalls  der  Meinung  gewesen,  dass 
„Ehe  und  Familie"  die  Grundlagen  jedes  Gemeinwesens  seien, 
dass  jede  „Reform  des  Gebäudes  selbst"  unmöglich  sei,  so 
lange  es  mit  jenen  Grundlagen  nicht  richtig  bestellt  sei,  dass 
„alle  politischen  Freiheiten  und  Rechte  keinen  Werth  haben", 
wenn  die  Fesseln  nicht  abgestreift  werden,  welche  „Pabst- 
thum  und  Aberglauben"  dem  einzelnen  gegen  die  Gesetze 
„Gottes  und  der  Natur"  angelegt  haben.  Den  hauptsächlichen 
Inhalt  von  Milton's  Schrift  macht  daher  eine  Uebersetzung 
der  einschlägigen  Stellen  des  Butzer'schen  Werkes  aus,  wobei 
er  sich  indessen  Abkürzungen  und  Zusammenziehungen  nicht 
versagt.  An  die  Spitze  stellt  er  eine  Reihe  von  Zeugnissen 
der  gewichtigsten  Gewährsmänner,  fremder  wie  einheimischer, 
die  sich  über  Butzer  wie  Fagius  gleich  lobend  aussprechen. 
Darauf  folgt  eine  längere  Ansprache  an  das  Parlament  und 
am  Schluss  nach  den  Auszügen  aus  Butzer  ein  kurzes  „Post- 
scriptum". 

Eben  jene  Ansprache  an  das  Parlament  bezeichnet  un- 
widerleglich, welche  Fortschritte  die  geistige  Entwickelung 
Milton's  in  kurzer  Zeit  gemacht  hatte,  und  wie  bald  er  aus 
einem  Vertheidiger  ein  Gegner  des  Presbyterianismus  ge- 
woi'den  war.  Dessen  eigentliches  Organ  war  die  Westminster- 
Synode.  Ihr  gehörten  unzweifelhaft  jene  „einige  von  der  Geist- 
lichkeit" an,  die  Milton's  erstes  Buch  über  die  Ehescheidungs- 


Zweite  Schrift  über  die  Ehescheidung:    „Urtheil  Butzer's".     301 

frage  verlästerten.  Ihrer  Majorität  standen  die  frommen 
Denuncianten  nahe ,  die  sich  anschickten ,  ihn  anf  die  Pro- 
skriptionsliste ihrer  Ketzerverzeichnisse  zu  setzen.  Milton 
zögerte  nicht,  die  ehrwürdige  Versammlung,  die,  kaum  im 
Besitze  einer  gewissen  Macht,  die  Unduldsamkeit  der  Bischöfe 
nachahmte,  seine  herbe  Kritik,  ja  seine  zornige  Verachtung 
fühlen  zu  lassen.  Seine  erste  Schrift  über  die  Ehescheidung 
in  ihrer  erweiterten  Gestalt  war  noch  dem  Parlament  und 
der  Synode  gemeinsam  gewidmet  gewesen.  Hier  fällt  die 
Synode  nicht  nur  weg,  sondern  recht  absichtlich  wird  gleich 
im  Eingang  gesagt,  der  Autor  empfehle  seinen  Fund  keinem 
anderen  Urtheil,  als  derii  „der  frommen  Lords  und  Gemeinen". 
Das  Parlament,  „das  Haus  der  Gerechtigkeit  und  der  wahren 
Freiheit",  wird  mit  Schmeicheleien  überschüttet.  Ihm  gilt  der 
Ptuf:  ,.Ihr  seid  jetzt  auf  dem  ruhmvollen  Wege  zu  unsterb- 
lichen Thaten,  betraut  mit  der  unschätzbaren  Aufgabe,  unsere 
Freiheiten  zu  sichern.  Ihr  seht  ein  Volk,  das  sich  danach 
sehnt,  nach  unsäglichen  Leiden  der  ganzen  Christenheit  das  Bei- 
spiel einer  vollkommenen  Reform  zu  geben.  Wagt  es,  so  gross, 
so  erhaben  in  der  Vollführung  eurer  edlen  Absichten  zu  sein, 
wie  die  herrliche  und  ganze  Höhe  der  Wahrheit  und  Tugend 
selbst  ist,  so  frei  von  der  Piücksicht  auf  Präcedentien  und 
Vorschriften,  wie  euer  unbestrittener  himmlischer  Beruf  es 
zu  sein  euch  ein  Recht  giebt!"  Sieht  das  nicht  aus  wie  eine 
Aufforderung  an  das  Parlament,  mit  den  Berathungen  der 
Synode  kurzen  Process  zu  machen,  auf  die  Bedenklichkeiten 
der  presbyterianischen  Mehrheit  keine  Rücksicht  zu  nehmen 
und  das  Werk  der  Reform  selbst  zu  ergreifen?  In  der  That, 
was  über  die  presbyterianischen  Angreifer  gesagt  wird,  kann 
eine  solche  Vermuthung  nur  bestärken.  Sie  müssen  höi"en, 
dass  der  Autor  „von  ihrer  Profession  wie  von  ihrer  Gelehr- 
samkeit" mehr  erwartet  hatte.  Sie  müssen  sich  sagen  lassen, 
dass  er,  ein  Laie,  erst  ihre  Aufmerksamkeit  auf  Butzer  lenken 
muss,  der  längst  gelehrt  hat,  was  sie  für  „ein  neues  und  ge- 
fährliches Paradoxon"  verschreien.  Sie  werden  vor  das 
Dilemma  gestellt,  die  grossen  Reformatoren,  die  Mitbegründer 
der  englischen  Kirche,  deren  Leichen  unter  Maria  der  Katho- 


302  Angriff  Palmer's  gegen  Milton. 

lischen  „wieder  aufgegraben  und  verbrannt  wurden",  gleich- 
falls zu  verdammen,  oder  gelten  zu  lassen,  was  er,  ohne  nur 
einer  freundlichen  Widerlegung  gewürdigt  worden  zu  sein,  seit 
Jahresfrist  behauptet  hat.  Ja,  es  wird  ihnen  gedroht,  die  rich- 
tigste Antwort  auf  ihre  ,,thörichte  Voreiligkeit"  sei  ein  „offenes 
Tadels  -  Votum"  (round  reproof),  und  ein  solches  konnte  doch 
nur  vom  Parlament  gegen  Mitglieder  der  Synode  erwartet 
werden.  Nimmt  man  dazu,  dass  die  letzten  Worte  des  „Post- 
scriptum"  auf  die  „geheime  Macht  der  Ignoranz  und  geist- 
lichen Knechtschaft"  hindeuten,  „die  unter  neuen  Formen  und 
Verkleidungen  wieder  emporzukommen  beginnt",  so  begreift 
man,  dass  von  nun  an  das  Tischtuch  zwischen  Milton  und 
dem  Presbyterianismus  vollständig  zerschnitten  war. 

In  der  Synode  hatte  man  den  erhaltenen  Schlag  wohl  ge- 
fühlt. Als  sie  nach  kurzen  Ferien  Anfang  August  1644  wie- 
derzusammentrat, und  eines  der  Hauptmitglieder  ihrer  Majo- 
rität ,  Herbert  Palmer ,  der  neue  Master  von  Queen's  College 
in  Cambridge,  mit  dazu  ausersehen  wurde,  am  13.  August, 
einem  jener  ausserordentlichen  Fasttage,  vor  seinen  Kollegen 
und  dem  gesammten  Parlament  die  Predigt  zu  halten,  liess 
er  sich  die  gute  Gelegenheit  nicht  entgehen,  Milton  zu 
brandmarken  und  den  Arm  des  weltlichen  Richters  gegen 
ihn  aufzurufen.  Er  gebrauchte  den  üblichen  Kunstgritf,  in 
schwarzen  Farben  auszumalen,  was  alles  sieh  unter  der  For- 
derung der  Gewissensfreiheit  verberge  und  seiner  Zuhörer- 
schaft die  Frage  vorzulegen,  ob  sie  es  diesem  Worte  zu  Ge- 
fallen dulden  wolle.  Und  bei  diesem  Anlass  wird  auch  Milton 
der  Gnade  des  Richters  empfohlen.  „Wenn  jemand  unter 
dem  Vorwand  der  Gewissensfreiheit  Polygamie  für  erlaubt 
erklärt,  oder  Ehescheidung  aus  anderen  Gründen,  als  Christus 
und  die  Apostel  sie  kennen,  (und  ein  gottloses  Buch 
der  Art  ist  herausgekommen,  ohne  die  Censur 
passirt  zu  haben,  obgleich  es  verbrannt  zu  wer- 
den verdiente,  und  der  Autor  ist  so  frech  gewe- 
sen, seinen  Namen  darauf  zu  setzen  und  es  euch 
zu  dediciren!)  oder  die  Freiheit  Itlutschänderischer  Ehe,  — 
wollt  ihr  Toleranz  gewähren  für  alles  dies?"(')  —  Der  Alarm- 


Die  Censur  und  die  Stationers'  Company.  ^03 

ruf  war  ernst  gemeint,  und  es  dauerte  nicht  lange,  so  wurde 
der  Feldzug  gegen  den  gefährlichen  Independenten  eröffnet. 
Indem  man  aber  für  gut  hielt,  die  „Stationers'  Company"  als 
Vortruppe  zuerst  in's  Feuer  zu  schicken  und  Milton  wegen 
seiner  Uebertretung  der  Pressgesetze  anzugreifen,  gab  man 
ihm  Anlass,  den  Kampf  auf  ein  ganz  anderes  Feld  hinüber- 
zuspielen. Alles  Persönliche,  ja  selbst  der  vorliegende  Re- 
formvorschlag, der  in  presbyterianischen  Kreisen  so  viel  böses 
Blut  machte ,  trat  zurück  gegen  die  Nothwendigkeit ,  ein 
grosses  Princip  zu  vertheidigen.  Die  Presbyterianer  wünsch- 
ten ihren  Gegner  mundtodt  zu  machen,  sie  veranlassten  ihn 
zur  Abfassung  seiner  Schrift  über  die  Freiheit  der  Presse. 


Das  Institut  der  Censur  von  Druckwerken  war  in  Eng- 
land von  einer  Hand  in  die  andere  übergegangen,  aber,  wie 
oft  es  auch  den  Herrn  gewechselt  hatte,  an  seine  Abschaffung 
wagte  niemand  zu  denken.  Indem  unter  der  Regierung  der 
blutigen  Maria,  eingestandener  Massen  zur  Unterdrückung  der 
„Ketzerei",  1556  eine  eigene  Korporation,  die  „Stationers'  Com- 
pany", "in  London  gegründet  worden  war,  mit  ausserordent- 
lichen Machtbefugnissen  zum  Zweck  der  Herstellung  und  des 
Vertriebes  von  Druckschriften,  sah  sich  die  Presse  einer  Ueber- 
wachung  ausgesetzt,  bei  welcher  das  Interesse  der  Regierung 
und  der  Eigennutz  der  Zunft  zusammenwirkten.  Unter  Eh- 
sabeth  blieb  die  einflussreiche  Korporation,  die  ihr  Statut  er- 
mächtigte, Haussuchungen  wegen  verordnungswidriger  Druck- 
werke zu  halten,  sie  gewaltsam  aufzugreifen  und  zu  verbrennen, 
bestehen ,  aber  die  beiden  Universitäten ,  als  die  einzigen 
Plätze  ausserhalb  Londons,  erhielten  gleichfalls  Anerkenntnis 
des  Rechtes,  je  eine  Presse  zu  besitzen.  Zugleich  wurde  die 
Einregistrirung  aller  Druckereien  gefordert,  und  das  Recht, 
nach  vorgängiger  Prüfung  und  Sichtung  die  Druckerlaubnis  zu 
ertheilen,    an  bestimmte  amtliche  Persönlichkeiten  gebunden. 

Allmählich  koncentrirte  sich,  abgesehen  von  gewissen 
Ausnahmen,  das  Censorenamt  in  der  Hand  des  Erzbischofs 
von    Canterbury    und    des   Bischofs    von   London,    in    deren 


304  I^'ß  Censur  und  die  Stationers'  Company. 

Auftrag"  ihre  Kapläne  und  andere  Stellvertreter  dem  Manu- 
skript das  gewichtige  „Imprimatur"  ertlieilten.  Einen  ver- 
hängnisvollen. Abschnitt  in  der  Geschichte  der  englischen 
Presse  bezeichnete  alsdann  die  Herrschaft  William  Laud's. 
Von  seinem  Geiste  war  jenes  Dekret  der  Sternkammer  vom 
11.  Juni  1637  eingegeben,  in  welchem  gleichzeitig  die  privi- 
legirte  Stellung  der  „Stationers'  Company"  befestigt,  und  die 
Censur  auf  die  denkbar  höchste  Höhe  emporgeschraubt  wurde. 
Nach  den  einzelnen  Materien  wurden  die  Censurbehörden  be- 
stimmt, unter  denen  wieder  der  Erzbischof  von  Canterbury 
und  der  Bischof  von  London  das  weiteste  Feld  für  sich  be- 
anspruchten. Ausser  ihrer  Autorisation ,  ausgedrückt  durch 
das  Attest  des  Censors ,  ..dass  das  Buch  nichts  gegen  den 
christlichen  Glauben,  die  Lehre  und  Verfassung  der  englischen 
Kirche,  den  Staat  und  die  guten  Sitten"  enthalte,  war  noch 
gegen  eine  kleine  Gebühr  ein  Eintrag  in  die  Register  der 
„Stationers'  Company"  erforderlich ,  wodurch  Schutz  gegen 
Nachdruck  gewährt  ward.  Die  anonyme  Veröffentlichung  eines 
Druckwerkes,  einer  Karte,  eines  Bildes  wird  verboten,  die 
Einfuhr  von  Drucksachen  aus  dem  Ausland  in  jeder  AVeise 
erschwert.  Für  die  Drucker  wird  eine  besondere  Gewerbe- 
Koncession  vorgeschrieben,  und  ihre  Zahl  wie  die  der  Lettern- 
giesser  wird  bestimmt.  Die  „Stationers'  Company"  ist  von 
der  Anlage  jeder  neuen  Druckerei  zu  benachrichtigen,  wie  ihr 
auch  jede  Fabrikation,  jeder  Import  von  Pressen  und  Lettern 
anzuzeigen  ist.  Ihr  bleibt  ein  allgemeines  Aufsichtsrecht,  die 
Befugnis,  Haussuchungen  zu  halten,  ordnungswidrige  Drucke 
mit  Beschlag  zu  belegen  und  die  Gesetzesübertreter  vor  die 
Behörden  zu  bringen.  Verlust  der  Koncession,  der  Pranger 
und  Auspeitschen ,  endlich  völlig"  arbiträre  Strafen  der  Stern- 
kammer und  der  hohen  Kommission  werden  Zuwiderhandelnden 
angedroht. 

Mit  dem  Zusammentritt  des  langen  Parlaments  wurden 
alle  Fesseln  der  Pressgesetzgebung  durchbrochen.  Die  alten 
Censurbehörden  wurden  mit  dem  Strome  der  Ileformbeschlüs&e 
weggeschwenmit,  und  die  übliche  Eintragung  in  die  Register 
der  Stationers  kam  in  Abgang.    Jede  Woche  sah  einen  Hau- 


Die  Presse  und  das  Parlament.  305' 

fen  von  Flugschriften  erscheinen,  deren  Autoren,  Verleger  und 
Drucker  völlig  auf  eigene  Faust  handelten,  vielfach  ohne  An- 
gabe des  Namens  des  Verfassers,  und  ]\Iilton  hatte  bei  seinem 
Federkampfe  gegen  das  Bisthum  selbst  das  beste  Beispiel 
völliger  Ungebundenheit  gegeben.  Inzwischen  griff  das  Par- 
lament hie  und  da  mit  rauher  Hand  in  das  Treiben  der 
Presse  ein.  Die  Lords  erliessen  eine  Ordonnanz,  durch 
welche  die  Beamten  der  Stationers'  Company  ermächtigt  wur- 
den, die  Exemplare  eines  Buches  aufzugreifen  und  zu  ver- 
nichten, das  auf  den  Namen  Ussher's  aus  Bruchstücken  einer 
seiner  Predigten  zusammengestellt  und  in  Umlauf  gesetzt 
worden  war.  Die  Commons  liessen  den  Drucker  von  Bur- 
ton's  „Protestation  protested"  auf  sechs  Wochen  gefangen 
setzen ,  ernannten  ab  und  zu  Censoren  und  gritfen  mehr  als 
ein  Mal  zu  dem  alten  Mittel  zurück,  gewisse  Druckschriften 
verbrennen  zu  lassen  (^).  Indessen  machte  sich  das  Bedürfnis 
nach  einer  allgemeinen  Regulirung  immer  fühlbarer.  Politi- 
scher und  kirchlicher  Voreingenommenheit  war  die  ungeheure 
Macht  der  öffentlichen  Meinungsäusserung  verhasst,  zumal 
sich  beim  Fortschreiten  der  Bewegung  und  namentlich  seit 
dem  Beginn  des  Krieges  das  Zeitungswesen  immer  üppiger 
entfaltete.  Das  zünftige  Interesse  der  Stationers  drängte 
gleichfalls  auf  eine  Rückkehr  zu  den  Grundgedanken  des 
alten  Systems,  die  so  sehr  in  Missachtung  gerathen  waren, 
dass  selbst  einzelne  Genossen  der  Company  Verlagsartikel 
ihrer  Kollegen  nachdruckten  und  vertrieben. 

Auf  eine  parlamentarische  Verordnung  vom  29.  Januar  1642, 
welche  „Master"  und  „Wardens"  der  Stationers'  Company  ein- 
schäifte,  darauf  zu  achten,  dass  nichts  ohne  Einwilligung  und 
Namenszufügung  des  Autors  im  Druck  erscheine,  folgte  eine 
andere  vom  9.  März  1643,  welche  ausführlichere  Bestimmun- 
gen enthielt.  Nach  dieser  wurde  dem  „Committee  for  Exa- 
minations"  oder  je  vieren  seiner  ]Mitglieder  Vollmacht  ertheilt, 
Haussuchung  halten  zu  lassen,  um  Pressen,  die  zum  Druck 
„skandalöser  und  lügnerischer  Pamphlete"  verwandt  worden, 
zu  vernichten,  die  auffindbaren  Exemplare  mit  Beschlag  zu 
belegen  und  die  betheiligten  Autoren,  Drucker  und  Verbreiter 

Stern,    Milton   u.   s.   Zeit.     I.   2.  20 


306  ^^^  Presse  und  das  Pai-lament. 

zur  Strafe  zu  ziehen.  Indessen  weitaus  die  grösste  Bedeutung 
hatte  die  umfangreiche  Verordnung  beider  Häuser  vom  14.  Juni 
1643,  welche,  in  ihrer  Einleitung  gestand,  dass  alles  bisher 
Versuchte  keine  Wirkung  gehabt  hatte.  Sie  führte ,  von 
den  Artikeln  gegen  Nachdruck  u.  s.  w.  zu  schweigen,  die 
Censur  in  vollem  Umfange  wieder  ein,  indem  sie  für  jedes 
•zum  Druck  bestimmte  Manuskript  die  vorgängige  Licenz  eines 
oder  mehrerer  Censoren  erforderte,  deren  Einsetzung  beiden 
Häusern  oder  einem  von  ihnen  vorbehalten  blieb.  Sie  ver- 
langte ferner,  dass  darauf  „nach  alter  Sitte",  unter  Nennung 
des  Druckers,  der  Eintrag  in  das  Registerbuch  der  Stationers' 
Company  erfolge.  Sie  erneuerte  für  die  Vorsteher  dieser 
Company,  nebst  den  anderen  zu  dem  Zweck  Ernannten,  die 
Pflicht  und  die  Vollmacht,  Nachsuchung  zu  halten  nach  Win- 
kelpressen und  ihren  Inhabern,  welche  keine  Koncession 
erhalten  hatten,  „skandalöse"  und  „uncensirte"  Drucke 
veröffentlichten,  sowie  sonstiger  Verstösse  gegen  die  Verord- 
nung schuldig  waren.  Nicht  minder  wurden  sie  ermächtigt, 
solche  Pressen  und  Druckwerke  mit  Beschlag  zu  belegen  und 
die  Autoren  nebst  allen  bei  der  Herstellung  und  dem  Ver- 
trieb Betheiligten,  bis  zum  Einhefter  und  Buchbinder  herab, 
den  Parlamentshäusern  oder  dem  „Committee  of  Examination" 
zum  Zwecke  „weiterer  Bestrafung''  vorzuführen.  —  Schon 
eine  Woche  später  wurden  für  einzelne  Gruppen,  ähnlich  wie 
in  dem  verrufenen  Dekret  der  Sternkammer,  die  Censoren 
ernannt:  Geistliche,  von  denen  die  Mehrzahl  der  Synode  an- 
gehörte, unter  ihnen  der  Smectymianer  Edmund  Calamy, 
für  Werke  aus  dem  Ge])iet  der  Theologie,  richterliche  Beamte 
für  Schriften  juristischen  Inhalts  u.  s.  w.  Die  Censur  „klei- 
ner Pamphlete,  Bilder  und  dei-gleichen"  wurde  dem  Sekretär 
der  Stationers'  Company  anvertraut  (^). 

Es  war  klar,  dass  auch  auf  diesem  Gebiete  die  ,,neue 
Freiheit"  von  <ler  alten  Knechtscliaft  sich  den  Mantel  erl)or- 
gen  wollte.  Aber  Milton  war  auch  hier  entschlossen,  es  auf 
den  Kampf  ankommen  /u  lassen.  Sein  Traktat  über  die  p]he- 
selieidung  war  wenig  Wochen  nacli  P>rlass  dieser  Verordnung 
erschienen,  ohne  die  Censur  passirt  zu  haben,  ohne  in  die 


Milton's  Gesetzwidrigkeit.  307 

Register  der  Stationers'  Company  eingetragen  zu  sein,  ja  ohne 
den  vollen  Namen  des  Druckers  auf  dem  Titelblatt  zu  tragen. 
Vielleicht  lag  hier  bloss  eine  Vergesslichkeit  vor,  vielleicht 
die  Furcht,  die  Druckerlaubnis  der  geistlichen  Herren  nicht 
zu  erhalten.  Aber  die  zweite  Autlage  verstiess  ebenso  gegen 
die  neue  Vorschrift,  und  doch  gab  sich  Milton  in  ihr  als  Autor 
mit  seinem  Namen  zu  erkennen,  ja  er  Avidmete  sie  demselben 
Parlament,  welches  jene  Verordnung  erlassen,  derselben  Synode, 
welche  ein  so  starkes  Kontingent  zu  der  neuen  Censurbehörde 
iiestellt  hatte.  Erst  bei  Veröffentlichung  der  folgenden  Schrif- 
ten über  die  , .Erziehung"  und  ,,Butzer's  Urtheil"  waren  die 
vorgeschriebenen  Förmlichkeiten  erfüllt  worden.  Aber  schon 
war  der  Entschluss  gefasst,  Milton,  den  Verfechter  ketzerischer 
Lehren,  anzugreifen,  ja  es  sieht  fast  so  aus,  als  habe  er  vorher 
Göwusst,  welchen  Angriifspunkt  man  wählen  werde.  Gegen 
Ende  seines  Traktats  über  Butzer  hebt  er  hervor,  dass  Butzer's 
Werk  „in  den  frömmsten  Städten"  gedruckt  werden  dürfe, 
Vlass  des  Erasmus  von  ihm  benutzte  Bemerkungen  zu  den  be- 
treffenden Stellen  des  neuen  Testamentes  sogar  unter  Autö- 
risation  Leo"s  X.  erschienen  seien  und  immer  wieder  neu  auf- 
gelegt würden.  ,.ünd  wenn  meine  Schrift,'  fährt  er  fort,  welche 
dasselbe  enthält,  in  einer  Zeit  der  Reform,  in  einer  Zeit  der 
Freiheit  des  Wortes  und  der  Schrift  keine  Druckerlaubnis 
finden  soll  (^) .  wahrlich  dann  rufe  ich  die  weisesten  Männer 
zu  Zeugen  auf,  ob  Wahrheit  unter  uns  jetzt  Wahrheit  und 
Freiheit  Freiheit  bleiben  darf,  oder  ob  sie  nicht  wieder  nach  all 
unserem  Mühen  und  Hoffen  durch  neue  Ketten  bedroht  sind ! " 
Ein  kleiner  Schachzug  läuft  hier  mit  unter,  den  man 
Milton  zu  Gute  halten  wird.  Noch  hatte  er  die  Probe  nicht 
gemacht,  ob  man  ihm  die  Druckerlaubnis  verweigern  werde, 
aber  dass  er  sie  gegen  das  Gesetz  einzuholen  versäumt  hatte, 
konnte  man  ihm  vorwerfen.  Indess  die  Art,  in  welcher  kurz 
darauf  der  eifrige  Presbyterianer  Palmer  das  Versäumnis  auf 
der  Kanzel  vor  Synode  und  Parlament  zur  Sprache  brachte, 
Hess  keinen  Zweifel  darüber,  dass  in  der  That  die  geistlichen 
Censoren  das  Manuskript  eher  für  den  Scheiterhaufen  als  für 
den  Druck   empfohlen    haben   würden.     Und    wenn  nun   eilf 

20* 


308  Angriff  der  Statiouers'  gegen  Milton. 

Tage  später  (24.  August)  eine  Petition  der  „Stationers'  Com- 
pany" vor  das  Parlament  gebracht  ward,  in  der  u.  a.  offenbar 
über  das  ordnungswidrige  Erscheinen  der  Milton'schen  Schrift 
Klage  geführt  wurde,  was  lag  näher,  als  zu  vermuthen, 
dass  hinter  der  Company  die  presbyterianische  Geistlichkeit 
stecke ?(^)  Der  Vorstand  der  Company,  trotz  aller  Stärke 
zünftiger  Gesinnung,  wie  die  sonst  dazu  Berufenen,  hatten  so 
manchen  Monat  verstreichen  lassen,  ohne  den  Fall,  in  welchem 
die  parlamentarische  Verordnung  herausfordernd  verletzt  war, 
ihrer  Pflicht  gemäss  zu  verfolgen ,  und  doch  war  Milton's 
Brochure  in  zwei  Auflagen  erschienen  und  hatte  Aufsehen  ge- 
macht. Erst  der  Fingerzeig,  den  sie  von  Palmer  erhielten, 
musste  den  Stationers  den  Weg  weisen.  Allerdings  wurden 
die  Absichten,  welche  Anlass  zu  der  officiellen  Denunciation 
gegeben  hatten,  nicht  erreicht.  Zwar  wurde  die  Petition  der 
um  vier  Mitglieder  verstärkten  „Kommission  für  die  Press- 
Angelegenheiten"  überwiesen,  zwar  sollte  diese  die  Parteien 
verhören,  weitere  legislatorische  Massnahmen  vorbereiten  und 
den  Autoren,  Druckern  und  Verlegern  der  zwei  von  den  Sta- 
tioners angeführten  Traktate,  deren  einer  der  Milton'sche 
war,  „sorgfältig  nachforschen".  Aber  das  drohende  Gewitter 
kam  nicht  zum  Ausbruch.  Ob  man  sich  scheute,  eine  vor 
Monaten  erschienene,  dem  Parlament  selbst  gewidmete  Schrift 
und  ihren  Autor  zu  verfolgen,  der  als  Vorkämpfer  der  parla- 
mentarischen Sache  bekannt  war,  ob  die  Mehrzahl  der  Kom- 
mission mit  den  presbyterianischen  Heiss-Spornen  nicht  sym- 
pathisirte,  genug  der  letzte  Theil  der  Aufgabe,  welcher  der 
Kommission  zugewiesen  war,  scheint  als  eine  blosse  Forma- 
lität betrachtet  worden  zu  sein.  Aber  auch  eine  neue  Ver- 
ordnung über  die  Pressverhältnisse,  die  in  den  Journalen 
beider  Häuser  gelegentlich  erwähnt  wird,  scheint  keine  son- 
derliche Bedeutung  gehabt  zu  haben  (^).  Nicht  ohne  guten 
Grund  hat  man  vernmthet,  dass  der  SÄeg  des  Independentis- 
mus,  der  in  der  Annahme  der  Accomodation- Order  (13.  Sep- 
tember 1644)  gelegen  war,  auch  auf  diesem  Gebiet  den  pres- 
byterianischen Eifer  in  etwas  abgekühlt  habe. 


"Wither  über  die  Stationers.  309 

Das  werthvollste  Ergebnis  der  ganzen  Angelegenheit  wai- 
Milton's  Schi-ift  über  die  Freiheit  der  Presse.  Erst  zwei 
Jahrzehnte  früher  hatte  ein  anderer  englischer  Dichter  sich 
mit  Ausführlichkeit  und  Leidenschaft  über  die  herrschenden 
Press  Verhältnisse  geäussert.  George  Wither  in  seinem  Streite 
mit  der  Company  der  Stationers  (s,  B.  I.  S.  195)  hatte  sie  mit 
den  schwärzesten  Farben  gemalt.  Er  nannte  sie  „Bücher- 
hausirer,  meistens  unwissende  Burschen,  die  nur  die  Namen 
und  Preise  der  Werke  kennen".  Er  verglich  die  Buchhändler 
der  Company  der  „dritten  Plage  Aegyptens"  und  warf  ihnen 
vor,  dass  sie  durch  ihren  Eigennutz  und  durch  ihre  Willkür 
alle  übrigen  Gewerbe  der  Company,  die  Autoren,  ja  das  Ge- 
meinwesen und  alle  Wissenschaften  in  Alihängigkeit  von  sich 
gebracht,  dass  sie  sich  eine  Ceusur  angemasst  hätten,  die  den 
Autoritäten  von  Kirche  und  Staat  zugehöre.  Aber  weiter 
hütet  er  sich  zu  gehn.  Das  Ideal  eines  „ehrlichen  Buch- 
händlers" ist  ihm  ein  solcher,  der  nie,  „auch  nicht  um  des 
grössten  Gewinnes  willen  ein  Buch  veröffentlicht,  das  auf 
Schisma  oder  Profanation  abzielt".  Den  „gewöhnlichen  Buch- 
händler" tadelt  er  deshalb,  dass  er,  um  zu  verdienen,  jeden 
seiner  Kunden,  „von  welcher  Sekte  oder  Konfession  er  sei", 
mit  Büchern  ,, seiner  Gesinnung"  versorge.  Seine  Angriffe 
gelten  nicht  der  Censur,  sondern  den  Stationers,  die  sie  zu 
umgehen  oder  gegen  den  Widerspruch  der  Autoren  selbst  in 
die  Hand  zu  nehmen  gewusst  hatten  (i).  —  Ganz  anders 
Milton.  Auch  er  hatte  die  Stationers  nicht  vergessen,  die 
sich  von  seinen  Gegnern  hatten  vorschieben  lassen.  Aber 
die  Hauptsache  war  ihm,  die  Censur  zu  Fall  zu  bringen, 
mit  der  man  ihm  und  anderen  den  Mund  verschliessen 
wollte ,  und  welche  ihm  um  nichts  Meniger  die  „Freiheit  der 
Rede,  das  Herrlichste,  was  der  Mensch  besitzt",  einzuschnüren 
schien,  weil  sie  nicht  mehr  von  einem  „bezahlten  und  unge- 
lehrten" bischöflichen  Kaplan  gehandhabt  wurde. 

Gegen  Ende  Novemlier  1644  war  die  kleine  Schrift  „für 
die  Pressfreiheit"  in  Umlauf,  deren  griechischer  Titel:  Areo- 
pagitica :  sofort  auf  die  Form  vorbereitete,  welche  Milton  dies 
Mal  für  seine  Zwecke  zu  verwerthen  am  räthlichsten  fand  (2). 


310  MiltOD's  ,.Areopagitica". 

Wie  einst  Isokrates  „von  seinem  Privatlianse  aus"  jene  areo- 
pagitisclie  Rede  „an  das  Parlament  von  Athen"  gerichtet 
hatte,  so  wendete  er,  der  Einzelne,  wenn  schon  „auf  Andringen" 
und  im  Namen  solcher,  die  „über  das  gewöhnliche  Bildungs- 
mass  erhaben,  die  Wahrheit  in  anderen  fördern  und  von  an- 
deren empfangen  wollten",  in  fingirter  Ansprache  sich  an  das 
Parlament  seines  Vaterlandes.  Es  ist  der  Zauber  der  ,, alten 
und  schönen  Bildung  Griechenlands",  der  seinen  Gedanken 
diese  bestimmte  Gestalt  giebt,  den  er  sich  in  immer  neuen 
Verweisungen  auf  das  klassische  Alterthum  zu  Hilfe  ruft, 
der  schon  in  dem  mit  Vorbedacht  aus  seinem  Lieblingsdichter, 
Euripides,  gewählten  Motto  athmet: 

Auch  das  ist  Freiheit,  wenn  der  Herold  ruft  im  Volk : 
„Wer  will  der  Stadt  heilsamen  Rath  evtheilen?" 
Und  wer  es  will,  der  ist  berühmt,  wer  aber  nicht, 
Der  schweiget.     Wo  ist  gleichere  Gerechtigkeit? 

Und  völlig  nach  der  Weise  antiker  Vorbilder  weiss  er 
seine  Rede  einzuleiten.  Die  Andeutung  ehrfurchtsvoller  Be- 
fangenheit, zu  der  hohen  Versammlung  zu  sprechen,  die  ge- 
schickte Bewerbung  um  ihre  Gunst  durch  volltönendes  Lol) 
ihrer  Verdienste  und  dabei  doch  die  stolze  Erklärung,  den- 
selben Freimuth  im  Tadel  wie  im  Lobe  offenbaren  zu  wollen: 
das  alles  sind  Züge,  die  den  gelehrigen  Schüler  der  Alten 
kennzeichnen.  Aber  diese  antike  Maske  ist  durchsichtig  ge- 
nug, um  beständig  das  Antlitz  des  modernen  Politikers 
durchblicken  zu  lassen,  der  überzeugt  ist,  dass  zwischen  der 
„Grossherzigkeit"  des  Parlamentes  und  „jenem  eifersüchtigen 
Hochmuth  der  Prälaten  und  Kabinetsräthe"  ein  Unterschied 
liestehe,  und  dass  der  hohen  Versammlung  „öffentlicher  Rath" 
besser  gefallen  werde,  als  „anderen  früheren  Staatsmännern 
öffentliche  Schmeicheleien".  Sofort  geht  er  auf  die  Sache 
selbst,  eine  Kritik  der  parlamentarischen  Verordnung  vom 
14.  Juni  1643,  ohne  weitere  Scheu  über.  Er  hat  nicht  die 
Absicht,  jene  Bestimnmngen  zu  tadeln,  die  sich  gegen  den 
Nachdruck  richten.  Auch  über  den  durch  die  Verordnung 
nicht  aufgehobenen  Grundsatz,  dass  der  Name  von  Autor  und 
Drucker  eingetragen  werden  müsse,  geht  er  mit  einer  merk- 


Ursprung  der  Censur.  311 

würdigen  Oberflächlichkeit  hinweg  (^).  Der  einzige  Punkt,  gegen 
den  er  sich  wendet,  ist  die  Wiedereinführung  der  Censur. 

Er  beginnt  mit  einem  geschichthehen  Rückblick  auf 
ihren  Ursprung  und  hat  hier  wieder  den  Vortheil,  auf  die 
populären  Sympathieen  des  Puiitanismus  zählen  zu  können. 
„Ihr  würdet  euch  schämen,"  —  ruft  er  aus  —  ,.einzugestehn, 
von  welchen  Erfindern  ihr  sie  entliehen  habt."  Und  nun 
schöpft  er  aus  dem  reichen  Quell  seiner  philologisch -histori- 
schen Gelehrsamkeit,  um  an  das  Verhalten  der  Staatsbehörden 
von  Athen,  Lakedämon  und  Ptom  gegenüber  den  durch  die  Schrift 
fixirten  Erzeugnissen  des  menschlichen  Geistes  zu  erinnern, 
nicht  ohne  kleine  Seitenhiebe  gegen  die  ,,an  Musen  und 
Büchern  armen  Lakedämonier"  fallen  zu  lassen,  aber  auch 
nicht  ohne  über  den  Unterschied  stillschweigend  hinweg- 
zugehn,  der  zwischen  dem  von  ihm  bekämpften  Institut  und  den 
Strafgesetzen  des  Alterthums  bestand.  Bei  den  kirchlichen  Mass- 
nahmen, die  dem  Mittelalter  angehören,  hält  er  sich  nicht  lange 
auf,  um  sofort  zu  jenen  Indices  der  „verbotenen  Bücher- 
überzugehn,  „welche,  wie  er  sich  ausdrückt,  das  Koncil  von 
Trient  und  die  spanische  Inquisition  zusammen  erzeugt  haben"". 
Auch  bringt  er  einige  jener  Fornnilare  des  „Imprimatur"  zum 
Druck,  wie  er  sie  u.  a.  in  einem  italienischen  Werke,  das 
ihm  in  Florenz  aufgestossen  sein  mochte,  gefunden  hatte, 
„Oft,"  sagt  er  spöttisch,  sieht  man  auf  der  Piazza  eines  ein- 
zigen Titelblattes  fünf  Imprimatur  zusammen,  die  sich  gegen- 
seitig mit  ihren  glatzköpfigen  Verbeugungen  bekomplimentiren 
und  zunicken,  ob  der  Autor,  der  bestürzt  am  Fusse  seines 
Briefes  dabei  steht,  unter  die  Presse  oder  unter  den  Schwamm 
soll".  Diese  „theuren  Antiphonieen  und  niedlichen  Respon- 
sorien"  haben  die  Prälaten  und  ihre  Kapläne  nachgeahmt 
und  „äffisch  römelnd  das  Kommandowort  gleichfalls  lateinisch 
niedergeschrieben,  als  ob  die  gelehrte  grammatische  Feder, 
die  es  schrieb,  ohne  Latein  keine  Tinte  fahren  lassen  wollte,^ 
oder  vielleicht,  weil  nach  ihrer  Ansicht  keine  gemeine  Sprache 
würdig  sei,  den  reinen  Begrift' eines  ,,,,Imprimatur""  auszu- 
drücken, oder  endlich,  wie  ich  hoffe,  weil  unser  Englisch,  die 
Sprache  von  Männern,  welche  stets  mit  Ehren  in  der  vordersten 


312  Nutzlosigkeit  der  Ceusur. 

Reihe  für  die  Freiheit  gekämpft  haben,  nicht  leicht  servile 
Buchstaben  genug  finden  würde,  um  solch  eine  diktatorische 
Anmassung  englisch  zu  schreiben'^.  Wenn  dies  nun  aber  der 
„Stammbaum"  der  Censur -Erfinder  ist,  wenn  die  Massregel 
aus  der  römischen  Kirche  auf  die  Prälaten  übergegangen  und 
Ton  diesen  durch  „einige  Presbyter"  wieder  freundlich  auf- 
genommen worden  ist,  so  darf  man  annehmen,  dass  das  Par- 
lament sich  dieser  Vorgeschichte  des  Institutes  nicht  bewusst 
war,  als  es  „ohne  jede  böse  Absicht"  zum  Erlass  seiner  Ver- 
ordnung „sich  drängen  Hess". 

Indessen  die  Erfinder  mochten  schlecht  sein,  aber  die 
Erfindung  gut.  Es  war  also  nöthig,  auf  die  Sache  selbst, 
den  möglichen  Nutzen  oder  Schaden  einer  Presse  einzugelm, 
welche  nicht  die  geheime  ,  Jury"  der  Censur,  das  „verborgene 
Urtheil  des  Rhadamanthus  und  seiner  Kollegen^'  passirt  hatte. 
Man  muss  es  dem  Sohne  seiner  Zeit  zu  gut  halten,  dass  er 
es  wieder  für  nöthig  erachtet,  mit  Hinweisungen  auf  „Moses, 
Daniel  und  Paulus"  zu  exemplificiren ,  welche  sich  nicht  ge- 
scheut haben,  aus  den  Schriften  der  „Aegypter,  Chaldäer  und 
Griechen"  Nutzen  zu  ziehn,  dass  er  die  Kirchenväter  wegen 
ihrer  unverbotenen,  „genussreichen  und  eifrigen  Studien"  in 
den  Schriften  des  Heidenthums  lobt  und  dass  er  sich  auf  den 
Spruch  beruft :  „Prüfet  alles  und  das  Beste  behaltet",  wie  auf 
jenen  anderen :  ,,Dem  Reinen  ist  alles  rein".  Wichtiger  als 
diese  seiner  Bildung  entsprechende  Einkleidung  seiner  Ge- 
danken ist  es,  diese  selbst  ihrem  wesentlichen  Inhalt  nach 
zu  betrachten.  Nichts  ist  l)emerkenswertlier ,  als  dass  hier 
jene  Idee  über  das  Verhältnis  des  Guten  zum  Bösen  wieder 
entwickelt  wird,  die  schon  durch  so  manche  der  Milton'schen 
Schriften  durchgeschimmert  hatte,  und  auf  der  im  Grunde 
das  grösste  Werk  seiner  Muse  sicli  aufbaute.  „Gut  und  Böse 
wachsen  auf  denisell)en  Felde  in  dieser  Welt,  fast  untrenn- 
bar, mit  einander  auf,  .  .  .  aus  der  Schale  eines  gekosteten 
Apfels  sprang  die  Erkenntnis  des  Guten  und  Bösen,  wie  an- 
einandergewachsene  Zwillinge,  in  die  Welt,  und  vielleicht  ist 
(lies  die  Strafe,  welcher  Adam  verfiel:  das  Gute  und  das 
Böse,    d.  h.   das  Gute    aus    dem   Bösen    zu  erkennen." 


Nutzlosigkeit  der  Censur.  313 

,.Es  giebt  freilich  Leute,  welche  die  göttliche  Vorsehung  an- 
klagen, dass  sie  dem  Adam  zu  sündigen  erlaubte.  Thörichte 
Schwätzer !  Als  Gott  ihm  Vernunft  gab,  gab  er  ihm  Freiheit 
zu  wählen,  denn  Vernunft  ist  nichts  als  Vermögen  der  Wahl; 
er  wäre  sonst  ein  lediglich  künstlicher  Adam  gewesen,  gleich 
dem  Adam  im  Puppenspiel  !'•  Und  so  spricht  Milton  fast  in 
demselben  Athem,  in  dem'  er  den  Arminius  zwar  ,, scharfsinnig 
imd  klar",  aber  doch  einen  ., Verführten"  nennt!  ]Man  sieht. 
wie  er,  ohne  sich  dessen  klar  bewusst  zu  sein,  selbst  schon 
derselben  ..Verführung-  erlegen  war(i). 

Bildete  nun  diese  Würdigung  des  Uebels  in  der  Welt,  als 
einer  ,. Kraft,  die  stets  das  Böse  will  und  stets  das  Gute 
schafft",  einen  Grundstein  der  ganzen  philosophischen  An- 
schauung des  Dichters,  schien  ihm  ,,die  Kenntnis  des  Lasters 
in  dieser  Welt  für  die  Bewährung  der  Tugend,  die  Prüfung 
des  L'rthums  für  die  Befestigung  der  Wahrheit  höchst  nöthig" 
zu  sein,  ja  kannte  er  überhaupt  keine  Tugend,  die  „sich  ver- 
steckt, in  ein  Kloster  zurückzieht"  und  nicht,  wie  die  Jung- 
frau in  seinem  Comus,  mit  den  Lockungen  des  Lasters  kämpft 
und  die  „Probe"  doch  besteht,  so  war  es  klar,  dass  ihn  das 
blosse  Erscheinen  schlechter  Bücher  durchaus  noch  nicht 
als  etwas  so  Bedenkliches  erschrecken  konnte.  Er  konnte 
sich  dabei  wieder  auf  eines  der  angesehensten  Parlaments- 
mitglieder selbst,  den  von  ihm  so  hochverehrten  John  Seiden, 
„den  ersten  Gelehrten  dieses  Landes",  berufen.  Hatte  dieser 
doch  in  seinem  berühmten  Werke  „De  jure  naturali  et  gen- 
tium juxta  disciplinam  Ebraeam",  das  schon  für  die  Ehe- 
scheidungsschrift herangezogen  worden  war,  „nicht  nur  durch 
gewichtige  Autoritäten ,  sondern  durch  scharfsinnige  Gründe 
mit  beinahe  mathemathischer  Sicherheit  bewiesen,  dass  eine 
Kenntnis,  Lektüre  und  Sammlung  aller  ISIeinungen,  ja  aller 
Irrthümer,  der  raschen  Erreichung  dessen,  was  am  w^ahrsten 
sei,  vorzüglich  diene".  ,,Wie  ein  Narr  ganz  sicher  ein  ^'arr 
bleibt  mit  dem  besten  Buche  oder  ohne  jedes  Buch,  so  kann 
ein  Weiser,  einem  guten  Läuterer  gleich,  aus  dem  schlech- 
testen Buche   noch   Gold  gewinnen;    .  .   er   wird   von   einem 


314  Nutzlosigkeit  der  Ceusur. 

thörichten  Pamphlet  besseren  Gebrauch  machen  als  der  Narr 
von  der  Bibel.'" 

Hinweg  also  mit  einem  Institut,  welches  mit  dem  An- 
spruch auftritt,  dem  Menschen  seine  geistige  Nahrung  vorzu- 
schreiben, während  jeder  „reife  ]Mann"  ein  Recht  darauf  hat, 
seine  „Diät"  selbst  zu  bestimmen.  Hier  war  der  Punkt,  an 
welchem  die  Vertheidiger  der  Censur  einsetzten.  Es  sind 
nicht  alle  „reif",  und  es  wird  viel  Gift  statt  guter  geistiger 
Nahrung  ausgeboten,  folglich  muss  es  einen  Schutz  für  die 
gefährdete  unmündige  Masse  geben.  Aber  hier  hat  auch 
Milton's  Beredtsamkeit  mit  einer  für  alle  Zeiten  giltigen 
Siegesgewissheit  den  Nachweis  geliefert,  dass  der  beabsich- 
tigte Zweck  niemals  erreicht  werden  kann.  Denn  was  müsste 
alles  vorausgesetzt  werden,  um  die  befürchtete  „Ansteckung" 
unmöglich  zu  machen !  Zunächst  der  Censor  selbst,  der  „über 
Tod  und  Leben  eines  Buches  zu  Gericht  sitzt",  müsste  „vor 
allen  anderen  Bürgern  mit  Unfehlbarkeit  und  Unverdorben- 
heit  begnadet  sein",  ein  Mann  „von  Fleiss,  Gelehrsamkeit 
und  Urtheil  über  das  gewöhnliche  ]\Iass,  .  .  .  dann  kann  es 
aber  kein  langweiligeres  und  widerwärtigeres  Tagewerk  für 
ihn  geben,  als  unaufhörlich  und  ohne  Wahl  Bücher,  Pamphlete, 
dickbändige  Werke  .  .  und  das  alles  noch  dazu  als  undeut- 
liches Geschmiere  lesen  zu  müssen".  Auch  sind,  fügt  er  iro- 
nisch hinzu,  die  gegenwärtigen  Censoren,  Männer,  die  theil- 
weise  ihrer  neuen  Stellung  zu  Gefallen  „ihr  geistliches  Amt 
vernachlässigen  müssen",  offenbar  ihrer  Bürde  schon  recht 
müde;  zum  Zeugnis  dessen  dienen  .,ihre  vielen  Entschuldi- 
gungen gegenüber  denen,  welche  sich  so  manchen  Weg  machen 
müssen,  um  die  Druck  -  Erlaubnis  zu  l)etreiben".  „Man  mag 
also  voraussehn,  welcher  Art  ihre  Nachfolger  sein  werden, 
entweder  unwissend,  befehlshaberisch,  nachlässig,  oder  niedrige 
Geldmacher."  Sodann  ist  zu  erwägen,  dass  man  eine  Masse 
höchst  religiöser  Bücher,  und  die  Bibel  an  ihrer  Spitze,  aus 
der  Welt  schaffen  müsste,  ebenso  eine  Reihe  heidnischer 
Autoren,  deren  fremde  Sprache  der  Verbreitung  ihres  Inhalts 
durchaus  nicht  im  Wege  steht,  zumal  sich  an  den  Fürsten- 
höfen immer  Leute  finden  werden,  die  das  aus  ihnen  „einge- 


Nutzlosigkeit  der  Censur.  315 

sogene  Gift"  wieder  von  sich  geben  und  von  da  auch  in  die 
Massen  des  Volkes  überleiten.  Man  müsste  überhaupt  „alle 
schon  früher  ohne  Censur  gedruckten  anstössigen  Bücher  ver- 
bieten, sie  in  eine  Liste  bringen,  damit  jedermann  wisse, 
Avelches  Buch  verboten  sei  und  welches  nicht,  ausländische 
Bücher  so  lange  in  Verwahrung  halten,  bis  sie  durchlesen 
und  gebilligt  worden  sind".  Schon  dies  Geschäft  würde  eine 
Masse  von  Beamten  erfordern.  Ein  neues  Heer  solcher  Leute 
wäre  nöthig,  um  in  Büchern,  die  „zum  Theil  nützlich,  zum 
Theil  schädlich"  sind,  die  nöthigen  Streichungen  vorzuneh- 
men, „damit  die  Gelehrten  -  Republik  keinen  Schaden  leide". 
Mit  einem  Worte,*  man  müsste  ganz  „auf  das  Muster  von 
Trient  und  Sevilla"  zurückgehn.  Und  selbst  damit  wäre  noch 
nichts  gewonnen.  Was  hilft  gegen  alle  Verführungen  eine 
Censur  der  Bücher,  wenn  sie  nicht  mit  einer  Censur  „aller 
Vergnügungen"  Hand  in  Hand  geht.  Dieselbe  Strenge  müsste 
sich  auf  alles  erstrecken,  was  den  Menschen  ergötzt.  „Keine 
Musik  dürfte  erschallen,  kein  Lied  komponirt  oder  gesungen 
werden,  ausser  solchen  von  ernstem  und  dorischem  Charakter. 
Die  Tänzer  müssen  unter  Censur  gestellt  werden,  damit  die 
Jugend  keine  Geste,  keine  Bewegung,  keine  Haltung  lerne, 
als  die,  welche  von  Amtswegen  für  ehrbar  erklärt  wird,  .  .  es 
würde  die  Arbeit  von  mehr  als  zwanzig  Censoren  erfordern, 
alle  Lauten,  Violinen,  Guitarren  in  jedem  Hause  zu  unter- 
suchen, sie  dürften  nicht  mehr  klimpern  wie  bisher,  sondern 
ihre  Melodieen  müssten  censirt  werden  (^).  Und  wer  soll  alle 
die  Arien  und  Madrigals  zum  Schw^eigen  bringen,  die  in  den 
Kammern  Zärtlichkeiten  flüstern?  Die  Fenster  auch  und  die 
Balkone  müssen  in  Obacht  genommen  werden,  denn  da  stehn 
arge  Bücher  mit  gefährlichen  Titelblättern  zum  Verkauf." 
Und  so  brauchte  man  Censoren  für  „Dudelsack  und  Fiedel", 
für  „Essen  und  Trinken",  für  die  „Kleider  und  für  den  freien 
Verkehr  beider  Geschlechter,  wie  er  der  Sitte  des  Landes 
entspricht".  Man  würde  niemals  mit  Censiren  fertig,  und 
„M'ährend  man  aufräumt,  würde  der  Haufen  erst  recht  an- 
wachsen". Das  ganze  ängstliche  Bemühen  würde  dem  Be- 
mühen ,. jenes  Biedermannes  gleichen,   der  die  Krähen  durch 


316  Nutzlosigkeit  der  Censur. 

Schliessung  seines  Parkthores  einzusperren  dachte".  Und 
dass  speciell  damals  in  London  alle  Vorsicht  nichts  helfe, 
wird  dem  Autor  durch  die  Thatsache  bewiesen,  dass  Woche 
für  Woche  ,.jenes  höfische  Libell"  (die  royalistische  Zeitung 
Mercurius  aulicus)  „noch  mit  feuchten  Blättern"  in  der  Haupt- 
stadt ausgestreut  wurde. 

Nächst  der  freien,  von  puritanischem  Rigorismus  so  weit 
entfernten  Auffassung  des  Lebens,  wie  sie  in  diesen  Betrach- 
tungen sich  abspiegelt,  ist  am  bemerkenswerthesten  der 
Widerwille  gegen  staatliche  Bevormundung,  gegen  die  Viel- 
regiererei,  der  sich  in  ihnen  ausspricht.  Die  ausserordent- 
liche Vorliebe,  welche  Milton  für  die  platonischen  Schriften 
hatte,  ist  oft  erwähnt  worden.  Nichtsdestominder  erklärt  er 
den  platonischen  Staat  für  eine  ,, Utopie",  für  eine  Ausgeburt 
„der  genialen  Trinkgelage  eines  Nachtmahles  der  Akademie". 
„Der  Staat,  sagt  er,  soll  regieren ,  aber  nicht  kritisiren". 
Er  will,  wie  in  den  Schriften  über  die  Ehe,  das  Gebiet  dei* 
Gesetzgebung  und  das  Gebiet  der  freien  Sittlichkeit  streng 
geschieden  wissen  ,,und  vertritt  wieder  das  persönliche  Recht 
des  verständigen,  gewissenhaften  Bürgers  gegen  die  Anmas- 
sung  der  Staatsbehörde,  die  überall  für  ihn  denken  und  ihm 
alles  eigene  Handeln  verbieten  will"(^).  Die  wahre  Staats- 
kunst sieht  er  darin,  richtig  zu  erkennen,  „in  welchen  Dingen 
das  Gesetz  verbieten  und  strafen  darf,  und  welche  Dinge 
man  nur  der  Ueberzeugung  zu  überlassen  hat",  und  wirk- 
samer als  alle  Strafgesetze  sind  ihm  jene  „ungeschriebenen 
oder  doch  zwanglosen  Gesetze  einer  tüchtigen  Erziehung". 

Es  war  klar,  dass  damit  der  tiefe  principielle  Gegensatz 
berührt  wurde,  der  Presbyterianer  und  Independenten  von  ein- 
ander trennte,  und  dass  die  Schrift  für  die  Freiheit  der 
Presse  zu  einem  Angriff  auf  diejenigen  werden  musste,  welche 
die  höchste  Freiheit  von  allen,  die  Freiheit  des  Gewissens, 
durcli  die  Schranken  einer  ausschliesslichen  Staatskirche  ein- 
engen wollten.  Auch  geht  Milton  der  Behandlung  der  bren- 
nenden Tagesfrage  durchaus  nicht  aus  dem  Wege,  ja  man 
kann  sagen,  dass  er  etwas  darin  sucht,  sich  mit  der  ganzen 
Ueberlegenheit  seines  freien  Geistes  der  Macht  des  Presbyte- 


Angriff  gegen  die  Presbyterianer.  317 

rianismus  entgegenzuwerfen,  seine  bedenklichen  Seiten  aufzu- 
decken und  ihn  durch  eine  spielende  Ironie  zu  reizen.  In 
keiner  seiner  früheren  Schriften  finden  sich  so  viele  Anzüg- 
lichkeiten in  Betreff  „der  phantastischen  Furcht  vor  Sekten 
und  Schismen",  in  keiner  so  heftige  Ausfälle  auf  die  ., präla- 
tische Tradition,  unabhängige  Gewissen  und  christliche  Frei- 
heiten in  menschliche  Kanones  und  Vorschriften  einzwängen 
zu  wollen".  Er  sagt  es  gerade  heraus :  „Ich  werde  es  weder 
vor  Freund  noch  Feind  verhehlen,  .  .  wenn  es  wieder  zum 
Inquiriren  und  Censiren  kommt,  wenn  wir  so  furchtsam  vor 
uns  selbst  und  so  argwöhnisch  gegen  alle  Menschen  sind,  dass 
wir  jedes  Buch  und  das  Rauschen  jedes  Blattes  fürchten,  ehe 
wir  noch  seinen  Inhalt  kennen,  wenn  Leute,  die  noch  eben 
den  Mund  kaum  zum  Predigen  öffnen  durften,  jetzt  herkom- 
men, um  uns  das  Lesen  zu  verbieten,  ausgenommen  von  dem, 
was  ihnen  beliebt,  .  .  dann  wird  es  bald  ausser  Zweifel  stehn, 
dass  Bischöfe  und  Presbyter  dem  Namen  wie  der 
Sache  nach  für  uns  dasselbe  bedeuten".  Und  indem 
er  sieh  dem  Fluge  seiner  dichterischen  Einbildungskraft  über- 
lässt,  ruft  er  aus:  „Mich  dünkt,  ich  sehe  im  Geiste  eine  edle 
und  grosse  Nation  sich  erheben,  einem  Riesen  gleich,  der  aus 
dem  Schlaf  erwacht  und  seine  unüberwindlichen  Locken 
schüttelt.  Mich  dünkt,  ich  sehe  sie  einem  Adler  gleich  ihre 
mächtige  Jugend  erneuen  (i)  und  ihre  ungeblendeten  Augen 
am  vollen  Glanz  der  Mittagssonne  entflammen,  ....  und  wäh- 
renddess  flattert  der  ganze  Schwärm  ängstlich  geschaarter 
Vögel,  zusammen  mit  denen,  welche  das  Zwielicht  lieben,  er- 
schrocken umher  und  kündet  krächzend  eine  Zeit  der  Sekten 
und  Schismen  voraus". 

Mit  solchen  Aeusserungen  über  die  presbyterianische 
Richtung  überhaupt  verbinden  sich  andere  über  den  Standes- 
dünkel der  Geistlichkeit  und  die  herrschende  Ueberschätzung 
des  klerikalen  Elementes,  -welche  zeigen,  wie  bedeutende 
Fortschritte  Milton's  Ideengang  auch  in  diesem  Punkte  seit 
seinen  ersten  kirchenpolitischen  Schriften  gemacht  hatte,  und 
wie  offenkundig  er  sich  in  die  Reihen  der  äussersten  Indepen- 
denten  stellte.    „Ein  Mensch  kann  ein  Ketzer  sein,   obwohl 


318  Angrift'  gegen  die  Presbyterianer. 

er  die  Wahrheit  bekennt.  Wenn  er  etwas  glaubt,  nur  weil 
sein  Pastor  so  spricht  oder  die  Synode  so  beschliesst,  ohne 
einen  anderen  Grund  zu  kennen,  so  wird,  wenn  auch  sein 
Glaube  richtig  ist,  die  Wahrheit  selbst  in  ihm  zur  Ketzerei. 
Es  giebt  keine  Bürde,  welche  manche  lieber  einem  anderen 
aufladen  möchten,  als  die  Mühe  und  Sorge  für  ihre  Religion. 
Es  giebt,  wer  weiss  das  nicht,  Protestanten  und  Puritaner(i), 
die  in  einem  ebenso  heillos  unbedingten  Glauben  leben  und 
sterben  wie  irgend  ein  papistischer  Laie  von  Loretto."  Und 
nun  folgt  jene  köstliche  Schilderung,  deren  sieh  keiner  der 
Satiriker  der  Restaurationszeit  zu  schämen  haben  würde, 
von  dem  „reichen  Mann,  der  seinem  Vergnügen  und  Gewinn 
zugethan  ist,  und  dem  die  Religion  als  ein  so  verwickelter 
Handel,  so  voll  von  Bagatell-Rechnungen  erscheint,  dass  es 
ihm  vor  lauter  Mysterien  unmöglich  wird,  ein  Kapital  in  die- 
sem Geschäft  anzulegen".  Er  möchte  aber  doch  gern  „für 
religiös  gelten,  mit  seinen  Nachbarn  darin  gleichen  Schritt 
halten".  „Was  thut  er  also,  er  entschliesst  sich,  die  Plackerei 
aufzugeben  und  sucht  sich  einen  Factor,  dem  er  die  ganze 
Leitung  seiner  religiösen  Geschäfte  übergiebt,  einen  Prediger 
von  Ruf  und  Ansehn.  Dem  überträgt  er  das  ganze  Waaren- 
lager  seiner  Religion  mit  allen  Schlössern  und  Schlüsseln  und 
macht  diesen  Mann  selbst  zu  seiner  Religion",  Und  nun 
ist  seine  Religion  „ausser  ihm",  ein  ,, bewegliches  Individuum, 
geht  und  kommt  zu  ihm,  je  nachdem  der  Biedermann  sein 
Haus  besucht".  Er  fetirt  und  beherbergt  ihn,  „seine  Religion 
kommt  Abends  nach  Hause,  betet,  wird  freigebig  gespeist 
und  prächtig  gebettet,  steht  wieder  auf,  wird  begrüsst  und 
nach  dem  Malvasier  oder  irgend  einem  wohlgewürzten  Trank 
und  nach  besserem  Frühstück,  als  der  hatte,  der  seinen 
Morgenhunger  gerne  mit  unreifen  Feigen  zwischen  Bethania 
und  Jerusalem  gestillt  hätte,  geht  seine  Religion  um  acht 
Uhr  aus  und  lässt  ihren  freundlichen  Ernährer  im  Laden 
zurück,  wo  er  den  ganzen  Tag  ohne  seine  Religion  Handel 
treibt".  —  Man  sieht:  es  ist  der  weltkundige  Dichter,  der 
hier  den  Gritiel  führt,  und  der  Dichter  ist  es,  der  ,jene  an- 
dere Sorte"  schildert,   die,   wenn  sie  hört,   „dass  nichts  ge- 


Grenze  der  Toleranz.  319 

schrieben  werden  soll,  als  was  das  Zollhaus  gewisser  Zöllner 
passirt  hat,  die  allein  das  Tonnen-  und  Pfundgeld  jeder  frei  ge- 
sprochenen Wahrheit  zu  bestimmen  haben",  dann  sofort  mit 
Freuden  ihre  eigene  Einsicht  aufgiebt  und  sich  eine  ,,Rehgion 
zurechtmachen  und  zuschneiden  lässt,  wie  man  will".  Sein 
unabhängiger,  sein  independenter  Sinn  sträubt  sich  dagegen, 
dass  sich  das  eben  vom  bischöflichen  Regiment  befreite  Volk 
wieder  ,,vor  bestimmten  Plätzen  und  Versammlungen  und 
äusserlichem  Beruf  beugen  soll",  und  „nicht  in  der  Wegnahme 
der  Priesterröcke  und  Bischofsmitren"'  sieht  er  bereits  „das 
Glück  der  Nation"  erfüllt,  sondern  in  einer  Reform  anderer 
„ebenso  wichtiger  Dinge  in  der  Kirche  wie  im  häuslichen 
und  politischen  Leben". 

Wenn  es  nach  solchen  Aeusserungen  zweifelhaft  sein 
konnte,  inwieferne  sich  Milton  damals  noch  einen  gesonderten 
Stand  der  Geistlichen  als  nöthig  gedacht  habe,  so  lässt  sich 
die  Grenze,  die  seine  Toleranz  zog,  mit  grösserer  Sicherheit 
bestimmen.  Allerdings  seine  Polemik  gegen  „das  eiserne  Joch 
äusserer  Konformität",  seine  Ermahnung,  man  solle  nur  „der 
Wahrheit  Raum  geben ,  sie  nicht  binden"  und  ihr  dann  ge- 
trost den  „Kampf  mit  der  Lüge"  überlassen,  seine  Bemer- 
kung, dass  „ein  wenig  edelmüthige  Klugheit,  ein  wenig  gegen- 
seitige Schonung  und  einige  Gran  Nächstenliebe"  alle  Strei- 
tenden zu  „einem  brüderlichen  Suchen  nach  Wahrheit  ver- 
binden würde":  das  alles  sollte  vermuthen  lassen,  in  Mlton 
einen  der  ersten  Verfechter  unumschränkter  Gewissens-  und 
Kultus-Freiheit  zu  finden.  Aber  hier  zeigten  sich  die  Grenzen 
der  puritanischen  Bildung  des  Dichters.  Zu  einer  Duldung 
des  Katholicismus  wollte  er  sich  nicht  verstehn  und  er  hat 
sich,  inmitten  der  kirchlich-politischen  Strömungen  seiner  Zeit, 
sein  Leben  lang  nicht  über  den  Widerspruch  erhoben,  Reli- 
gions-Freiheit zu  fordern  und  die  Religions  -  Freiheit  des  Ka- 
tholiken für  eine  politische  Unmöglichkeit  zu  erklären.  „Ich 
spreche  nicht  für  die  Toleranz  von  Papismus  und  offnem 
Aberglauben,  denn  wie  dieser  alle  Religionen  und  bürgerliche 
Obrigkeiten  vernichtet,  so  sollte  er  selbst  vernichtet  werden, 
vorausgesetzt,    dass  vorher  alle  Mittel  der  Güte  und  Freund- 


320  Grenze  der  Toleranz.  —  Schädlichkeit  der  Censur. 

lichkeit,  den  Schwachen  und  Verführten  zurückzugewinnen^ 
angewandt  worden  sind."  Es  sind  doch  nur  die  „Nachbar- 
Differenzen  oder  eher  -Indifferenzen  in  Dogma  und  Verfas- 
sung", die  er  im  Auge  hat,  die  Abweichungen  also,  die  sich 
auf  dem  Boden  der  Reformation  gebildet  haben ,  immerhin 
ein  gewaltiger  Fortschritt  gegenüber  den  Ketzerrichtern  der 
Synode,  aber  doch  nicht  die  Erhebung  zu  dem  freien  Stand- 
punkt eines  Williams  und  Goodwin. 

Man  kann  diese  Bemerkungen  über  Presbyterianismus 
und  Independentismus,  über  Zelotismus  und  Toleranz,  wie  sie 
sich  an  verschiedenen  Stellen  von  Milton's  Schrift  zerstreut 
finden,  als  ebensoviele  Abschweifungen  von  seinem  eigentlichen 
Thema  betrachten.  In  Wahrheit  wird  aber  über  ihnen  der 
Faden  der  Beweisführung  selbst,  auf  die  es  in  erster  Linie 
ankam,  niemals  fallen  gelassen.  War  ein  geschichtlicher 
Rückblick  auf  die  Entstehung  der  Censur  geworfen,  war  eine 
philosophische  Grundlage  für  das  berechtigte  Dasein  von 
Geistesprodukten  jeder  Art  gewonnen,  war  endlich  schlagend 
bewiesen  worden,  dass  die  Massregel  ihren  Zweck  verfehlen, 
den  beabsichtigten  Nutzen  gar  nicht  mit  sich  führen  würde, 
so  blieb  der  weitere  Nachweis  des  positiven  Schadens,  den  sie 
im  Gefolge  habe,  noch  übrig.  Gleich  im  Anfange  der  milton- 
schen  Schrift  waren  einige  kühn  hingew^orfene ,  epigramma- 
tische Sätze  zu  lesen:  „Bücher  sind  nicht  todte  Dinge,  son- 
dern sie  enthalten  einen  Lebenskeim  in  sich,  ebenso  wirksam, 
wie  der  Geist,  aus  dem  sie  stammen",  „es  ist  nicht  schlimmer, 
einen  IMenschen  tödten,  als  ein  gutes  Buch",  eine  „lange 
Folge  von  Zeitaltern  reicht  oft  nicht  aus,  eine  verstossene 
Walirlicit  wiederzugewinnen,  deren  Verlust  ganzen  Nationen 
zum  Unlicil  gereicht".  In  ihnen  spricht  sich  die  liolie  Ach- 
tung vor  der  Macht  der  Ideen  in  der  Geschichte  aus,  und 
diese  musste  einen  der  grössten  Fehler  darin  erkennen,  die 
Ideen  selbst  im  voraus  kontisciren  zu  wollen. 

Demnächst  war  die  moralische  Seite  der  Einrichtung  nicht 
zu  vergessen.  Sie  entwürdigt  den  Schriftsteller,  den  Gelehrten, 
der  nach  „allen  seinen  Anstrengungen  und  mitternächtlichen 
Studien"  gleich  einem  „Schuljungen"  an  der  Hand  seines  „Hof- 


Schädlichkeit  der  Censur.  321 

meisters"  vor  der  Oeffentliclikeit  erscheinen  miiss,  und  dessen 
Worte  unter  einer  solchen  patriarchalischen  Aufsicht  keine 
Autorität  beim  Leser  mehr  haben  können.  Sie  entwürdigt  die 
Wissenschaft  selbst,  welche  der  Freiheit  als  Lebensluft  bedarf 
und  die  bald  zu  Grunde  gehen  wird,  wenn  der  einzige  Weg  zu 
einem  „angenehmen  Leben"  sein  wird,  „in  allen  höheren  Fragen 
unwissend  und  gedankenfaul  zu  sein  und  nur  der  gewöhn- 
lichen Weltklugheit  nachzustreben".  Sie  entwürdigt  „die 
ganze  Nation",  die  sich  ein  Armuthszeugnis  dadurch  ausstellen 
lassen  muss,  dass  sie,  wie  einst  das  Volk  Israel,  nicht 
„ihre  eigenen  Aexte  und  Pflugschaaren  schärfen  darf"  und 
dulden  muss,  dass  man  aus  der  ganzen  Wissenschaft  im 
Lande  ein  „zum  Abstempeln  aufgestapeltes  Waarenlager 
mache".  Sie  entwürdigt  endlich  die  Censoren  selbst  und 
unter  ihnen  nicht  am  wenigsten  die  Geistlichen,  die  doch 
ihrer  ganzen  Thätigkeit,  ,, ihren  unablässigen  Predigten",  ihren 
haufenweise  gedruckten  Sermonen  eine  bessere  Wirkung  zu- 
schreiben sollten ,  als  mit  der  Furcht  verträglich  erscheint^ 
dass  ihre  „Heerden"  durch  „den  Hauch  jedes  neuen  Pam- 
phletes" in  ihrem  „Katechismus  und  christlichem  Wandel"  be- 
unruhigt werden  könnten.  —  Alle  Mittel  der  Beredtsamkeit, 
L'onie  und  Begeisterung,  den  ganzen  Stolz  des  humanistisch 
gebildeten  Denkers  bietet  Milton  bei  diesem  Abschnitt  auf, 
ohne  dabei  auf  einen  beschränkten  Gelehrtendünkel  zu  pochen. 
Im  Gegentheil,  das  patriotische  Hochgefühl,  dem  er  schon 
so  oft  Ausdruck  gegeben,  die  Ueberzeugung,  dass  gerade  dem 
enghschen  Geiste  in  allen  Schichten  des  Volkes  die  Aufgabe 
der  Reform  für  sich  und  die  Menschheit  in  erster  Linie  zu- 
gefallen sei,  durchglüht  mit  einem  heiligen  Feuer  seine  Zeilen. 
Hier  flicht  er  jene  Erinnerung  an  Galilei  und  das  Urtheil  der 
Italiener  über  den  englischen  Freiheitssinn  ein.  Hier  mahnt 
er  an  den  alten  Piuhm  der  englischen  Wissenschaft,  an  die 
Thatsache,  dass  Jahr  für  Jahr  der  „ernste  und  genügsame 
Siebenbürger  von  den  entferntesten,  gebii-gigen  Grenzen  Russ- 
lands und  über  die  hercynische  Wildnis  hinaus  nicht  seine 
Jugend,  sondern  gesetzte  Männer  aussende,  um  in  England 
die  Landessprache    zu    lernen    und   Theologie   zu  studiren' . 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.     I.  2.  21 


322  Schädlichkeit  der  Censur. 

Auf's  neue  beschwört  er  den  '-chatten  Wiclifs  herauf,  aus 
dessen  Munde  die  „erste  Botschaft  und  der  erste  Posaunen - 
stoss  der  Reformation  für  ganz  Europa  erklungen  war",  und 
untrügliche  Zeichen  sprechen  ihm  dafür,  dass  Gott  beschlossen 
hat,  „in  dem  neuen  grossen  Lebensabschnitt  seiner  Kirche  . . . 
die  Reformation  selbst  zu  reformiren".  dass  er  sich,  „wie  das 
seine  Art  ist,  zuerst  seinen  Getreuen,  seinen  lieben  Engländern, 
offenbart",  und  dass  die  Stunde  der  Befreiung  gekommen, 
„deren  Andenken  alle  Umwälzungen  überdauern  wird,  die 
dieser  Welt  noch  bevorstehn".  —  ..Erwägt  es,  Lords  und  Ge- 
meine, welcher  Nation  ihr  angehört,  deren  Regierer  ihr 
seid.  .  .  blickt  hin  auf  diese  gewaltige  Häuptstadt,  eine  Stadt 
der  Zuflucht,  das  Wohnhaus  der  Freiheit,  umgeben  und  um- 
schlossen von  Gottes  Schutz.  Wahrlich,  es  sind  in  ihr  nicht 
mehr  Ambosse  und  Hämmer  thätig,  um  das  Zeughaus  des 
Krieges  mit  Panzern  und  Waffen  zu  füllen  für  die  zum  Schutz 
der  bedrängten  Gerechtigkeit  gerüstete  Wahrheit,  als  Federn 
und  Köpfe,  die  beim  Schein  der  Studirlampe  neue  Gedanken 
aufsuchen  und  erwägen,  um  sie  der  nahenden  Reform  gleich- 
sam zum  Zoll  der  Huldigung  darzubringen,  als  eifrige  Leser, 
die  alles  prüfen  und  der  Gewalt  der  Vernunft  und  Ueber- 
zeugung  beistimmen....  Es  ist  die  Freiheit,  Lords  und 
Gemeine,  welche  eure  eigene  beherzte  und  glückliche  Politik 
uns  verschafft  hat,  die  Freiheit,  welche  die  Amme  aller  grossen 
Geister  ist"  .... 

Man  weiss,  dass  diese  flammende  Ansprache  ihren  Zweck 
nicht  erreicht  hat.  Allerdings  die  Agitation  gegen  die  Censur 
liess  nicht  nach.  Wenn  nicht  mit  dem  Milton'schen  Pathos, 
so  doch  mit  deutlicher  Benutzung  seiner  Arbeit  griffen  andere 
Gegner  des  Presbyterianisnms,  wie  John  Lilburne  und  Henry 
Robinson,  oft  in  derb  -  witziger  Weise  auch  die  Pressgesetze 
des  Parlamentes  an(').  Allerdings  einer  der  geistlichen  Cen- 
soren,  Mr.  Bachiler,  machte  von  seinem  Amt  einen  so  mihlen 
Gebrauch,  dass  er  zum  Schrecken  der  Presbyterianer  selbst 
Bücher  passii-en  liess,  in  denen  ,,eine  Toleranz  aller  Sekten" 
befürwoilet  ward  (2).  Und  ein  anderer  Censor,  Mr.  Mabbot, 
legte  einige  Jahre  später  (1649)   seine  Stelle  nieder,   unter 


Wirkung  der  Areopagitica.  323 

ausführlicher  Angabe  von  Gründen,  welche  den  klaren  Be- 
weis dafür  abgeben,  dass  er  in  der  Praxis  zu  denselben  Er- 
gebnissen gelangt  war,  die  der  Theoretiker  Milton  mit  solcher 
Beredtsamkeit  betont  hatte  (').  Aber  das  Parlament  blieb 
gegen  die  Forderung  taub  und  fügte  den  schon  bestehenden 
Verordnungen  mehr  als  einmal  verschäifte  Bestimmungen 
hinzu.  In  England  erlosch  das  Institut  der  Censur  überhaupt 
erst  mit  dem  Jahre  1694,  und  manche  bittere  Erfahrung  war 
nöthig,  um  dem  englischen  Beispiel  an  anderen  Stellen 
Europas  Nachahmung  zu  verschaffen.  Und  doch  hat  Milton 
nicht  vergeblich  geschrieben.  Auch  sein  Buch  war  kein 
„todtes  Ding",  und  nicht  ohne  Grund  hat  man  es  auf  die 
Höhe  erhoben,  welche  ., einige  populäre  Schriften  von  Luther 
oder  die  Provinzialbriefe  von  Pascal"  einnehmen  (^).  In  seiner 
Heimat  ist  es  inehi-fach  in  dem  Kampf  um  die  Pressfreiheit 
als  Bundesgenosse  aufgeboten  und  zu  einem  beinahe  volks- 
thümlichen  Werke  geworden  (^).  Mirabeau  hat  es  am  Vor- 
abend der  Revolution  bei  seinen  Landsleuten  eingebürgert, 
und  auch  in  Deutschland  kennt  man  von  den  so  wenig  ge- 
kannten Schätzen  der  Milton'schen  Prosa  noch  am  ehesten 
diesen,  weil  er  nach  Form  und  Inhalt  am  mindesten  einer 
bestimmten  Zeit  anzugehören  scheint.  Selbst  wo  die  Frage 
der  Censur  ausser  dem  Spiele  bleibt,  und  es  überhaupt  nur 
gilt,  die  Freiheit  des  schriftstellerischen  Berufes  zu  verthei- 
digen,  stellt  sich  der  mächtige  Schatten  des  Dichters  als 
Ivampfgenoss  ein.  Nicht  als  ob  er  fähig  oder  gewillt  gewesen 
wäre,  die  Rechtsfragen  im  einzelnen  zu  behandeln,  die  diesem 
Gebiete  angehören ,  sondern  weil  der  Geist ,  von  dem  er 
Zeugnis  ablegt,  in  den  Worten  gipfelt:  „Gebt  mir  die  Frei- 
heit, zu  erkennen,  zu  sprechen  und  meine  ehrliche  Ueber- 
zeugung  geltend  zu  machen  vor  allen  übrigen  Freiheiten." 


Hatte  sich  Milton  durch  seine  früheren  Schriften  das 
ganze  presbyterianische  Heerlager  zu  Feinden  gemacht,  so 
war  sein  letztes  Werk  dazu  angethan,    auf  jener  Seite  zur 

21* 


324  Milton  und  die  Stationers. 

äussersten  Wuth  anzustacheln.  Zunächst  indess  war  es  wie- 
derum die  Company  der  Stationers,  die  gegen  ihn  zu  Felde 
zog,  sei  es  nun,  dass  sie  einem  Wink  der  presbyterianischeu 
Führer  folgte,  sei  es,  dass  der  eigene  Eifer  sie  antrieb.  Denn 
Milton  hatte  nicht  nur,  wie  das  nicht  anders  zu  erwarten, 
gegen  die  Censur  geschrieben,  ohne  den  Censor  zu  fragen 
und  zugleich  alle  übrigen  Formalitäten  zu  verletzen,  auf  deren 
Innehaltung  den  Stationers  zu  achten  oblag,  sondern  er  hatte 
sich  zu  verletzenden  Angriffen  auf  die  Innung  selbst  hinreissen 
lassen. 

j\Iit  Berufung  auf  das  Urtheil  ungenannter  befreundeter 
Buchhändler  spricht  er  die  Vermuthung  aus,  „der  Betrug 
einiger  alter  Privilegien -Besitzer  und  Monopolisten  des  Buch- 
händler-Gewerbes" habe  durch  den  Vorwand,  die  Armen  der 
Company  in  ihren  Kechten  und  das  Eigenthum  des  einzelnen 
schützen  zu  wollen,  dem  Parlamente  jene  Verordnung  abge- 
schmeichelt, um,  gestützt  auf  sie,  „eine  Oberherrschaft  über 
ihre  Nachbarn  auszuüben,  Männer,  die  nicht  deshalb  ein  ehr- 
liches Gewerbe  treiben,  dem  die  Wissenschaft  Dank  schuldig 
ist,  um  Vasallen  anderer  zu  sein".  Ja,  er  fügt  sogar  die 
malitiöse  Bemerkung  hinzu:  „Einige  von  ihnen  hatten,  wie 
man  glaubt,  noch  einen  anderen  Zweck,  indem  sie  um  diese 
Verordnung  petitionirten,  nämlich  dass,  wenn  sie  die  Macht 
in  Händen  hätten,  royalistische  (malignant)  Bücher  um  so 
leichter  verbreitet  werden  könnten,  wie  der  Erfolg  denn  auch 
zeigt"  (0. 

Die  Gelegenheit  zu  einem  Versuche,  für  diese  Anzüglich- 
keiten Rache  zu  nehmen,  liess  nicht  lange  auf  sich  warten. 
Am  9.  Deceniber  1644  forderten  die  Lords  den  Master  und  die 
Wardens  der  Stationers'  Company  vor  sich,  um  von  ihnen  den 
Autor  eines  anonymen  Libells  „gegen  die  Pairie  des  Reiches" 
zu  erkunden.  Sie  konnten  weder  Autor  noch  Drucker  aus- 
findig machen,  führten  a])er  am  13.  December  einen  Burschen 
vor,  Lehrling  in  einem  Strumpfwaaren-Geschäft,  der  bei  der 
Verbreitung  der  Flugschrift  ertappt  worden  war.  Dieser  war 
indess  ohne  Arg  auf  ein  verstecktes  Paket  derselben  gestossen 
und  wurde  als  schuldlos  entlassen.     Wiederholt  am  26.  und 


Milton  und  die  Statiouers.  325 

28.  December  wurden  der  Lordmayor  und  die  S'tationers  auf- 
gefordert, weitere  Schritte  in  der  Sache  zu  thun.  Die  letzten 
gaben  auf  die  zweite  Anfrage  die  Antwort,  dass  ihre  Nach- 
forschungen nach  dem  Autor  und  Dnicker  noch  immer  er- 
gebnislos seien,  beklagten  sich  aber  zugleich  über  das  häufige 
Erscheinen  „skandalöser  Bücher  von  verschiedenen,  wie  z.  B. 
Hezekiah  "Woodward  und  John  Milton".  Sie  deckten  sich 
also  durch  einen  klugen  Streich,  indem  sie  zu  verstehn  gaben, 
wie  schwer  ihr  Amt  ihnen  gemacht  wäre,  wenn  auf  geschehene 
Denunciation  nichts  erfolge.  Woodward  war  jener  Freund 
Samuel  Hartlib's,  der  dessen  freie  religiöse  Ansichten  theilte 
(s.  0.  S.  283),  ein  eifrigef  Pampliletist  und  Anhänger  John  Good- 
wins,  aber  keineswegs,  wie  Milton,  ein  grundsätzliclier  Gegner 
der  Censur.  Erhielt  sie  sogar  für  ein  ganz  wohlthätiges  Institut, 
um  den  Autor  vor  Uebereilung  zu  bewahren  und  seine  Aeusse- 
rungen  von  einem  objektiven  Richter  beurtheilen  zu  lassen. 
Er  hatte  sich  aber  doch  entschlossen,  eine  seiner  Schriften 
ohne  Licenz  drucken  zu  lassen,  weil  die  Censoren  sich  ge- 
radezu geweigert  hatten,  sie  zu  lesen (^).  Milton  war  vor 
Monaten  denuncirt  worden,  weil  er  sich  bei  Herausgabe  seiner 
Schrift  über  die  Ehescheidung  nicht  um  die  gesetzlichen  For- 
men gekümmert  hatte,  einer  Schrift,  die  von  einem  angesehenen 
Kanzelredner  vor  dem  Parlament  gebrandmarkt  worden  war. 
Abei-  die  Untersuchung  war  eingeschlafen,  und  der  Angeklagte 
hatte  die  Keckheit  gehabt ,  mit  den  anzüglichen ,  uncensirten 
und  unregistrirten  Areopagitica  hervorzutreten.  Die  Lords 
schienen  die  Sache  ernster  zu  nehmen.  Noch  am  selben  Tage 
(28.  December)  ermächtigten  sie  zwei  Richter,  Woodward  und 
Milton  verhören  zu  lassen,  desgleichen  andere  Personen,  welche 
Master  und  Wardens  der  Stationers'  Company  nennen  würden; 
eine  Konfrontation  zwischen  diesen  und  den  Vorgeforderten 
sollte  stattfinden,  und  das  Verhör  sich  auch  auf  das  gegen 
die  Lords  geschleuderte  Libell  richten.  Von  Woodward  lässt 
sich  nachweisen,  dass  er  verhört  und  alsbald  entlassen  worden 
ist(^).  Es  wurde  über  den  Fall  am  31.  December  1644  den 
Lords  Bericht  erstattet.  Was  Milton  betrifft,  so  ist  es,  nach 
der  Notiz  eines   seiner  Biographen,   wahrscheinlich,    dass   er 


326  Piynne,  Featley  etc.  gegen  Milton. 

gleichfalls  vorgeladen  wurde.  Aber  man  hat  es  jedenfalls 
nicht  für  der  Mühe  werth  gehalten,  seinen  Namen  im  Proto- 
koll zu  erwähnen,  woferne  es  überhaupt  zum  Bericht  an  das 
Haus  der  Lords  gekommen  ist.  Der  Autor  der  Areopagitica 
hatte  auch  an  dieser  Stelle  nichts  zu  fürchten,  und  dieser 
zweite  Sturm,  den  man  wegen  seiner  freien  Ansichten  gegen 
ihn  erregen  wollte,  war  ebenfalls  ohne  Schaden  vorüber- 
gezogen (^). 


Inzwischen  war  Milton  entschlossen,  seine  Theorie  des 
Scheidungsrechtes,  deren  Bekanntmachung  die  Gegner  zu  den 
Waffen  gerufen  hatte,  nicht  aufzugeben.  Die  Predigt  Palmer's 
war  im  Druck  erschienen  (^).  William  Prynne,  der  fanatische 
Widersacher  der  Independenten,  hatte  in  seinen  zwölf  Fragen 
über  die  Kirchenverfassung  nicht  nur  gegen  Roger  Williams 
gezetert,  der  „für  jedermann,  sei  er  nun  Jude,  Türke,  Heide, 
Papist,  Araiinianer,  Anabaptist"  Glaubens-  und  Kultusfreiheit 
gefordert  habe,  sondern  seinen  Warnruf  zugleich  gegen  an- 
dere ketzerische  Meinungen  erhoben ,  die  durch  den  Druck 
verbreitet  worden  seien,  und  als  Beispiele  die  Schriften  iiber 
„die  Sterblichkeit  der  Seele"  und  „Scheidung  nach  Belieben" 
angeführt (^).  Im  Anfange  des  Jahres  1645  war  ferner  jener 
Angriff  Featley's  erfolgt,  der  Milton  gleichfalls  in  die  Reihen 
der  gefährlichsten  Erzketzer  stellte  (s.  o.  S.  263).  Und  endlich 
war  noch  gegen  Ende  des  Jahres  1644  eine  förmliche  Gegen- 
schrift gegen  die  Milton'sche  hervorgetreten,  welcher  der  Censor 
taktlos  genug  gewesen  war,  eine  besondere  Belobigung  voraus- 
zuschicken. 

Eine  erste  Erwiderung  auf  einige  dieser  Angriffe  bildete 
eine  neue  Schrift  Milton's,  die  etwa  im  Anfange  des  März 
1645  erschien.  Sie  ist  von  den  Abhandlungen,  die  Milton 
der  Frage  des  Scheidungsrechtes  gewidmet  hat,  die  umfang- 
reichste ,  aber  auch  für  den  modernen  Leser  die  ungeniess- 
barste  und  kann  in  Kürze  skizzirt  werden ,  da  sie  im  Sach- 
lichen   den    früheren  Schriften    wenig  Neues    zufügt  (*).     Ihr 


Dritte  Schrift  über  die  Ehescheidung:    „Tetrachordon".         327 

eigenthümlicher  Titel:  Tetrachordon:  rührt  daher,  dass  die 
vier  Hauptstellen  der  Bibel,  „in  welchen  über  die  Ehe  und 
Nichtigkeit  der  Ehe"  gehandelt  wird,  aus  der  Genesis,  dem 
Deuterononiium ,  dem  Evangelium  Matthäi  und  dem  ersten 
Korinth  erb  rief,  hier  im  Zusammenhange  erklärt,  miteinander 
verglichen  und  auf  ihre  Uebereinstimmung  hin  geprüft  wer- 
den. Eine  nicht  zu  verachtende  Gelehrsamkeit  wird  auf- 
geboten zur  Verstärkung  der  schon  früher  beigebrachten 
Zeugnisse  und  Autoritäten,  welche  diese  Stellen  betreffen. 
Man  könnte  einen  Abriss  einer  Geschichte  des  christlichen 
Eherechts,  soweit  er  Milton  möglich  wurde,  seinem  Traktat 
entnehmen.  In  den  Schriften  der  Kirchenväter  und  in  den 
Koncilsschlüssen ,  im  römischen  und  kanonischen  Eecht  zeigt 
er  sich  auch  hier  wieder  wohlbewandert,  und  in  dem  Heere 
seiner  Gewährsmänner,  unter  denen  man  indess  namentlich 
Sarcerius  vermisst,  sind  ,, Felix  Bideubachius"  und  „Wesem- 
bechius"  noch  nicht  die  Geringsten.  ]\fan  merkt  dem  Schrift- 
steller an,  dass  er  sich  einst  auf  den  geistlichen  Stand  vorbereitet 
hatte.  Seine  Bibliothek  war  reich  an  theologischen  Werken,  wie 
sein  kürzlich  aufgefundenes  Kollektaneen-Buch  beweist. 

Seine  Art  und  Weise,  die  biblischen  Aussprüche  für 
seine  Zwecke  zu  verwerthen,  bleibt  die  gewohnte.  Er 
wendet  sich  auch  hier  wiederholt  gegen  die  Wortklauberei 
der  „disputirenden  Theologen"  und  stellt  dem  Formahsmus 
der  ..närrischen  Kanonisten"  das  „einzige  Gesetz  der  Liebe" 
entgegen,  wie  es  „in  unsere  Herzen  geschrieben  sein  soll". 
Er  selbst  indessen  kann  sich,  wie  in  der  ersten  Schrift,  auf 
der  einen  Seite  gleichfalls  der  sklavischen  Abhängigkeit  vom 
Bibelworte  nicht  entschlagen,  während  er  sich  auf  der  anderen 
Seite  wiederum  zu  den  gewagtesten  Deutungen  genöthigt 
sieht.  Wir  verzichten  darauf,  die  Schlangenwege  seiner 
Interpretation  zu  verfolgen  und  bemerken  nur,  dass  er  sie 
gleichfalls  durch  Herbeiziehung  alter  und  neuer  Autoritäten 
bis  auf  Diodati  und  Spanheim  zu  stützen  sucht  und  durchaus 
von  der  Richtigkeit  seiner  Erklärung  überzeugt  zu  sein  scheint. 
Mehr  als  einmal  zeigt  er  sich  als  ein  Meister  aller  der  Kunst- 
griffe  einer   schulgerechten   Dialektik,    obwohl   er   im   allge- 


328  Autobiographisches. 

meinen  der  Ansicht  ist,  „dass  die  Schrift  in  ihrer  Majestät 
sich  nicht  zu  künstlichen  Theoremen,  Definitionen  und 
Koroilarien,  wie  ein  Professor  auf  dem  Katheder  erniedrigen 
lassen  dürfe",  und  ohschon  die  Kasuistik,  zu  der  er  sich  ge- 
drängt sieht;  ihm  wie  ein  „christlicher  Talmud"  vorkommt. 
Einen  gewissen  Stolz,  dass  es  ihm  nach  „dem  schwächlichen 
Verständnis  so  vieler  Jahrhunderte"  gelungen  sei,  alle  Stellen 
der  Bibel  mit  einander  in  Einklang  zu  setzen  und  diejenigen, 
welche  sich  anmassen,  „Lehrer  zu  sein",  durch  Gelehrsam- 
keit übertroffen  zu  haben,  kann  er  nicht  verbergen.  Er 
glaubt  gleichsam  eine  grosse  Entdeckung  gemacht  zu  haben, 
die  nicht  mit  dem  „Athem  dieses  Zeitalters"  untergehn  werde. 
Auch  l)emüht  er  sich,  beim  Leser  keinen  Zweifel  daran  auf- 
kommen zu  lassen,  dass  alle  die  Autoritäten,  die  er  beibringt, 
nicht  seine  ,, Lehrer",  sondern  seine  „unerwartet  gefundenen 
Zeugen"  seien,  sodass  die  Ehre  der  selbstständigen  Forschung 
ihm  gewahrt  bleibt.  Eine  ausserordentliche  Bedeutung  ge- 
wann unter  diesen  Zeugnissen  der  Entwurf  einer  Revision 
des  kanonischen  Rechtes,  wie  ihn  zur  Zeit  Eduards  VI.  eine 
Kommission  der  angesehensten  Laien  und  Kleriker  ausgear- 
beitet hatte,  und  in  diesem  Entwürfe  der  auf  die  Scheidung 
bezügliche  Artikel ,  aus  dem  sich  für  Milton's  freie  Ansicht 
Kapital  schlagen  Hess. 

Versucht  man  es,  in  diesem  Werke  autobiographische 
Aeusserungen  des  Dichters  zu  entdecken,  so  mag  man  sie 
immerhin  in  den  schmerzvollen  und  leidenschaftlichen  Worten 
finden,  in  denen  er  aufs  neue  das  schwere  Geschick  beklagt, 
das  einen  Mann  zur  „unwürdigsten  und  niedrigsten  Sklaverei" 
verdanuTit  und  ihn  durch  den  unnatürlichen  Zwang  einer  un- 
glücklichen Ehe  bis  zum  Ueberdruss  des  Lebens  bringen 
kann.  Andrerseits  findet  sich  eben  hier  eine  Schilderung 
des  Glückes  der  Ehe,  die  durch  den  Gegensatz  der  eigenen 
Erlebnisse  nichts  an  Wärme  verliert.  Der  Autor  macht  sich 
lustig  über  das  Wort  Augustin's,  dass  ein  männlicher  Freund 
eine  bessei-e  Unterhaltung  für  Adam  gewesen  wäre,  wenn  es 
sich  nur  darum  gehandelt  hätte,  zu  verhindern,  „dass  der 
Mensch  allein  sei".    „Es  giebt,  sagt  er,  einen  eigenthümlichen 


Stellung  der  Frau.  329 

Heiz  im  Eheleben,  ganz  abgesehn  von  den  Freuden  des  Ehe- 
bettes, den  kein  anderer  Umgang  ersetzt.  Kein  Mensch  kann 
die  Spannkraft  seines  Geistes,  sei  es  in  Verrichtung  frommer 
Werke  oder  in  gelehrten  Studien  bewahren,  ohne  mitunter 
von  den  Anstrengungen  des  Denkens  und  der  Arbeit  auszu- 
ruhn  .  .  .  Vv'ir  sind  nicht  im  Stande,  immer  geistig  oder  prak- 
tisch beschäftigt  zu  sein,  sondern  wir  bedürfen  der  süssen 
Erholung,  in  der  die  Seele,  gleichsam  der  strengen  Schularbeit 
entflohen,  wie  ein  froher  Jüngling  auf  der  Ferien-Wanderung, 
in  harmlosem  Zeitvertreib  ihre  Feierstunden  geniesst;  sie 
kann  das  nicht  ohne  Gesellschaft  und  in  keiner  Gesellschaft 
besser  als  in  der  des  änderen  Geschlechtes^  welches  in  seiner 
Verschiedenheit  uns  so  ähnlich,  in  seiner  Aehnlichkeit  so  ver- 
schieden von  uns  ist  und  dadurch  zu  einer  Quelle  gegensei- 
tigen Wohlgefallens  wird."  Man  sieht,  die  „wir"  sind  stets 
„wir  Männer",  das  Weib  gilt  noch  immer  nach  dem  Bibel- 
wort als  , .ausdrücklich  für  den  j\Iann  geschaffen,  und  er  als  ihr 
Haupt".  „Sie  ist  für  die  Ehe  gemacht,  die  Ehe  aber  für 
ihn."  Von  ihr  ist  durch  jenen  Apfelbiss  „die  Sünde  ausge- 
gangen, nichts  billiger,  als  dass  sie  auch  verhältnismässig 
niedriger  steht".  Doch  fehlt  es  gegenüber  diesen  Aussprüchen 
der  Härte  und  Selbstüberhebung  nicht  ganz  an  Zeugnissen, 
durch  welche  nicht  zwar  ein  gleiches,  aber  doch  ein  bedeu- 
tendes Recht  der  Frau  anerkannt  wird.  „Der  Mann  soll  sie 
nicht  als  seine  Dienerin  betrachten ,  sondern  ihr  einen  Theil 
an  der  von  Gott. ihm  verliehenen  Herrschaft  vergönnen,  wenn 
nicht  zu  gleichem,  so  doch  zu  einem  nicht  geringen  Theile, 
als  seinem  eigenen  Bilde  und  Stolz.  Denn  er  darf  in  der 
That  nicht  wenig  stolz  darauf  sein,  dass  ein  ihm  so  ähnliches 
Geschöpf  ihm  unterworfen  ist.  Freilich  können  auch  Ausnahmen 
vorkommen,  wenn  sie  ihn  an  Klugheit  und  Geschicklichkeit 
übertrifft,  und  er  freiwillig  nachgiebt.  Dann  gilt  das  höhere 
und  natürlichere  Gesetz,  dass  der  Weisere  den  weniger  Weisen 
leiten  soll ,   mag   es  nun  Mann  oder  Frau   sein." 

So  wenig  Milton  eine  weitere  Ausführung  dieses  Gedankens 
über  eine  ihm  verständliche'Art  vonEmancipation  der  P'rau  ver- 
sucht, so  viel  lässt  auch  hier  wieder  seine  Definition  der  Ehe  selbst 


330  Wesen  der  Ehe. 

an  juristischer  Schärfe  vermissen.  Er  definirt  die  Ehe  .,als 
eine  göttliche  Institution,  welche  Mann  und  Weib  in  einer 
für  die  Bedürfnisse  und  Annehmlichkeiten  des  häuslichen 
Lebens  geeigneten  Liebe  verbindet''.  Aber  er  verwahrt  sich 
zugleich  dagegen,  sie  zu  einem  Mysterium  machen  zu  wollen 
und  wendet,  soferne  sie  die  wesentlichen  Bedingungen  nicht 
erfüllt,  die  seine  Definition  voraussetzt,  auch'  den  Namen 
„bürgerlicher  Vertrag",  „bürgerliches  Band"  auf  sie  an.  Erst 
später  ist  es  ihm  gelungen,  sich  zu  voller  Klarheit  über  diese 
Frage  durchzuringen. 

Beinahe  von  grösserem  Interesse,  als  die  Schrift  selbst, 
ist  die  vorausgehende  Widmung  an  das  Parlament.  Indem 
Milton  auch  jetzt  wieder,  und  zwar  mit  Umgehung  der  von 
eben  diesem  Parlament  erlassenen  Pressgesetze,  den  Muth 
b.at,  seine  „W^aare"  lediglich  „unter  den  Schutz  dieses  Frei- 
hafens" zu  stellen,  lässt  er  es  sein  Erstes  sein,  Herbert  Pal- 
mer für  seine  aufreizende  Denunciation  zu  züchtigen.  Er 
wirft  ihm  vor,  dass  er  schwerlich  sein  Buch  gelesen,  dass  er 
sich  von  der  Kanzel  herab  sehr  ungeistlicher  Invektiven 
schuldig  gemacht  und  in  dem  späteren  Druck  seiner  Predigt 
auf  Butzer's  Urtheil,  welches  er  freilich  ohnehin  hätte  kennen 
müssen,  gar  keine  Rücksicht  genommen  habe.  Dass  er  selbst 
seine  Ansicht  mit  seinem  Namen  vertreten  habe,  dünkt  ihn 
nicht  sowohl  ,, frech",  als  ehrenhaft  und  er  stellt  diesem 
Verfahren  die  Feigheit  eben  Palmer's  gegenüber,  der  sich  an 
einem  anonymen  Traktat,  in  dem  der  Krieg  gegen  den  König 
gerechtfertigt  wurde,  betheiligt  hatte (^).  Sodann  wehrt  er 
sich  gegen  Featley,  dem  er  seinerseits  „eine  eingefleischte 
prälatische  Widerspänstigkeit  gegen  das  herrschende  Kirchen- 
und  Staatsregiment"  Schuld  giebt.  Im  allgemeinen  findet 
er  in  seinen  Gegnern  nur  „Ignoranz  und  ungelehrte  Einbildung" 
und  dankt  dem  Parlament  ausdrücklich  mit  stolzen  Worten 
dafür,  dass  es  „mit  ruhiger  Ueberlegung"  der  „voreiligen 
Hitze"  und  der  „nichtssagenden  Gravität"  seiner  Ankläger 
W^idcrstand  geleistet  habe.  So  macht  er  das  Parlament 
gleichsam  zur  Partei  in  eigener  Sache,  ohne  sich  deshalb  zu 
niedrigen  Schmeicheleien  herabzulassen. 


Anonyme  Schrift  gegen  Milton.  331 

Vermuthlich  hatte  die  langwierige  Arbeit,  welche  die  Abfas- 
sung des  Tetrachordon  erforderte,  Milton  verhindert,  sofort  jener 
Gegenschrift  zu  antworten,  die  schon  Ende  des  Jahres  lt>44  in 
Umlauf  war,  und  zugleich  nach  zwei  anderen  Seiten  hin  wuch- 
tige Hiebe  auszutheilen.  Schon  am  letzten  Oktober  1644  war 
vorschriftsgemäss  in  die  Register  von  Stationers'  Hall  ein  Pam- 
phlet eingetragen,  das  die  Aufschrift  führte  „Antwort  auf 
ein  Buch,  betitelt:  die  Lehre  und  Wissenschaft  von  der  Ehe- 
scheidung" u.  s.  w.  (^)  Ein  Autor  war  nicht  genannt,  aber  die 
Druckerlaubnis  war  von  der  Censurbehörde  eingeholt  und 
unter  dem  14.  November  ertheilt  worden.  In  seiner  Freude 
über  den  Inhalt  der  Schrift  hatte  der  Censor  Joseph  Caryl, 
Prediger  von  Lincoln's  Inn  und  Mitglied  der  Synode,  seine 
Druckerlaubnis  mit  dem  Wunsche  motivirt,  „die  Stärke  des 
Ehebandes  und  die  Ehre  des  Ehestandes  zu  sichern  gegen 
die  traurigen  Uebertretungen  und  gefährlichen  Verführungen", 
zu  denen  „in  Folge  gewölinlichei-  Unzufriedenheit  unruhige 
Geister  und  unbeständige  Leute"  hinneigen  könnten,  indem 
sie  sich  auf  Milton's  Ansichten  stützten. 

In  der  That  war  der  Hauptzweck  der  anonymen  Schrift, 
Milton's  Argumente  Schritt  für  Schritt  zu  widerlegen,  und 
bei  diesem  Bestreben  wurden  einige  schwache  Seiten  der 
jNIilton'schen  Theorie  nicht  schlecht  gefasst.  In  der  Sache 
selbst  werden  dem  mosaischen  Gesetz  zwar  bedenkliche  Er- 
klärungen unterlegt,  aber  es  wird  doch  gegenüber  den  Mil- 
ton'schen  Interpretations-Künsten  daran  festgehalten,  dass  es 
eine  Eigenthümlichkeit  des  älteren  jüdischen  Volkes  gewesen 
sei,  welche  Christus  nicht  gebilligt  habe.  Mcht  minder  wer- 
den die  gefährlichen  Folgen  des  freien  Scheidungsrechtes,  in 
dem  Umfange,  wie  es  Milton  befürwortete,  entwickelt.  Da- 
neben fehlt  es  nicht  an  scharfen  Bemerkungen  über  den  Mil- 
ton'sehen  Stil,  dessen  bilderreiche  Rhetorik  sich  allerdings 
von  der  gangbaren  Heerstrasse  weit  entfernte.  Indessen  zeigt 
sich  der  Autor  seinem  Gegner  doch  nicht  gewachsen.  Er 
sucht  zwar  seine  Ausführungen  mit  philologischen  Notizen  zu 
verbrämen,  aber  er  lässt  sich  hierbei  mehrere  Fehler  ent- 
schlüpfen.    Er    strebt   nach   witzigen   Wendungen,    aber    er 


332  Vierte  Schrift  über  die  Ehescheidung:    „Colasterion". 

weiss  weder  Flachheiten,  noch  Wiederholungen  zu  vermeiden. 
Er  macht  nach  seiner  Phraseologie  und  nach  seinen  Citaten  den 
Eindruck  eines  Mannes,  dem  die  Jurisprudenz  nichts  Fremdes 
war ,  aber  auch  hier  decken  vielfache  Verstösse  das  Hand- 
werksmässige  seiner  Bildung  auf.  Mit  Milton's  persönlichen 
Verhältnissen  scheint  er  nicht  ganz  unbekannt  zu  sein.  Er 
weiss,  dass  seine  Wohnung  in  Aldersgate-Street  gelegen  ist. 
Er  wirft  ihm  vor:  „Wir  glauben,  dass,  was  dich  betrifft,  dir 
in  der  That  keine  Frau  hinlänglich  unterhaltend  erscheint, 
wenn  sie  nicht  Hebräisch,  Griechisch,  Lateinisch,  Französisch 
spricht  und  gegen  das  kanonische  Recht  so  gut  wie  du  disputiren 
oder  wenigstens  mit  dir  darüber  reden  kann".  Unverzeihlich 
erschien,  dass  bei  diesem  Angriff  immer  nur  auf  die  erste 
unvollständige  Auflage  der  Milton'schen  Schrift  über  die  Ehe- 
scheidung Bezug  genommen  wurde,  davon  zu  schweigen  dass  „das 
UrtheilButzer's"  ganz  unberücksichtigt  blieb.  Bezeichnend  dafür, 
wess  Geistes  Kind  der  Autor  war,  konnte  die  Aeusserung  sein, 
wenn  Milton's  Schrift  nicht  mit  ein  bischen  hübscher  Sprache 
überzuckert  wäre,  so  würde  alle  Welt  sie  für  werth  erklären, 
durch  den  Henker  verbrannt  zu  werden. 

Milton  gab  seiner  Erwiderung,  die  etwa  gleichzeitig  mit 
dem  ,, Tetrachordon"  wiederum  ohne  Einhaltung  der  gesetz- 
lichen Formen  erschien,  den  Titel  „Colasterion",  d.  h.  „Züch- 
tigung", und  bereitete  den  Leser  damit  auf  den  Ton  vor, 
den  er  hier  anzuschlagen  gedachte  (^).  In  der  That  kann  auch 
diese  kleine  Schrift  als  ein  Muster  der  unverblümten  Rede- 
weise gelten,  welche  das  siebzehnte  Jahrhundert  bei  hterari- 
schen  Streitigkeiten  erträglich  fand.  Am  besten  kommt  noch 
William  Prynne  weg,  dem  sein  Ausdruck  ,, Scheidung  nach 
Belieben"  vorgehalten  wird.  Von  einem  Manne,  „der  so  viel 
für  die  Wahrheit  gelitten",  hätte  Milton  nicht  erwartet,  dass 
er  seinen  Mund  zu  „Lüge  und  Verleumdung"  aufthun  würde, 
und  er  glaul)t,  erwarten  zu  dürfen,  dass  er  seinen  Ausspruch 
widerrufen  werde.  Schon  viel  unsanfter  wird  der  übereifrige 
Censor  Mr.  Caryl  angefasst.  Caryl  nahm  unter  seinen  Amts- 
brüdern eine  angesehene  Stellung  ein,  man  wusste,  dass  er 
mit  einem  grossen  Kommentar  zu  dem  Buche  Hiob  beschäf- 


Vierte  Schrift  über  die  Ehescbeidung:    „Colasterion".  333- 

tigt  sei,  der  auch  in  zwölf  Quartanten  (1648  —  66)  erschien. 
Dass  er  in  der  Synode  eher  dem  milderen  Independentismus 
als  dem  strengen  Presbyterianismus  zuneigte ,  konnte  Milton 
nicht  abhalten,  ihm  seine  INIeinung  zu  sagen  (^).  Er  erinnert 
ihn  also  sehr  ernstlich  daran,  wie  weit  er  seine  Kompetenz 
als  Censor  überschritten  habe,  er  giebt  ihm  zu  verstehn,  dass 
ein  Mann  von  seiner  Gesinnung,  der  die  schwerste  Seelen- 
qual mit  „gewöhnlicher  Unzufriedenheit"  auf  eine  Stufe  stellt^ 
am  wenigsten  fähig  sei,  die  Geschichte  des  Dulders  Hiob  zu 
erklären,  er  findet,  dass  ihm  in  diesem  Falle  seine  sonstige 
„Ehrlichkeit,  Frömmigkeit  und  Klugheit"  ganz  abhanden  ge- 
kommen sei  und  macht,  nicht  ohne  einen  speciellen  Grund, 
ihn  für  jede  einzelne  Blosse,  die  sich  sein  Schützling  giebt, 
in  eigener  Person  A^erantwortlich. 

Aber  alle  Grenzen  der  Höflichkeit  und  des  guten  Ge- 
schmacks werden  tiberschritten,  indem  Milton  seinem  Gegner 
selbst  zu  Leibe  geht.  Er  erzählt,  wie  er  mit  grossen  Erwar- 
tungen die  so  lange  ersehnte  Erwiderung  in  die  Hand  ge- 
nommen, wenn  schon  es  ihn  stutzig  gemacht  habe,  dass  sich 
ihr  Verfasser  mit  dem  Visier  der  Anonymität  decke.  Bald 
indess  sei  ihm  der  Grund  dieser  Vorsicht  klar  geworden. 
Denn  beim  Durchblättern  der  ersten  Seiten  sei  ihm  eine 
solche  Unkenntnis  des  Griechischen  und  Hebräischen,  eine 
solche  Stümperhaftigkeit  des  Ausdrucks  in  der  Muttersprache 
und  zugleich  eine  solche  Nichtigkeit  im  Sachlichen  vor  Augen, 
getreten ,  dass  er  vollkommen  begriffen ,  warum  der  Autor, 
der  den  Eindruck  eines  gebildeten  „Handwerkers"  mache, 
aus  Scham  seinen  Namen  verschwiegen  habe.  Er  will  denn 
auch  vernommen  haben,  dass  schon  früher  eine  Antwort  auf 
seine  Ehescheidungsschrift  von  einer  „Mehrheit  von  Köpfen" 
ausgeheckt  und  zur  Hälfte  gedruckt  worden,  und  dass  der 
Vornehmste  in  dem  Komplott  wirklich  eine  Art  „Aufwärter" 
gewesen  sei,  den  sein  Ehrgeiz  getrieben  habe,  sich  als  dilettanti- 
scher Winkel-Advokat  aufzuthun.  Seine  Verbündeten  waren 
einige  jener  „theologischen  Gelbschnäbel",  wie  sie  von  der 
Universität  zu  kommen  und  auf  eine  fette  Pfarrei  zu  lauern 
pflegen.    Daher  die  Verbrämung  mit  juristischen  und  theo- 


334  Nachwirkungen  der  Miltou'scben  Scheidungstheorie. 

logischen  Floskeln,  daher  die  wunderbare  Erscheinung,  dass 
immer  nur  die  erste  Auflage  der  Milton'schen  Schrift  citirt 
war.  Indessen  wie  das  Machwerk  nun  wirklich  in  die  Welt 
ausgieng,  war  es  revidirt  von  einem  „angesehenen  Geist- 
lichen", ,,aus  Liebe  zur  Sache",  und  dieser  angesehene  Geist- 
liche selbst  war  nach  Milton's  fester  Ansicht  niemand  anders 
als  der  Censor  Mr.  Caryl.  Mag  diese  von  ihm  vorgetragene 
Entstehungsgeschichte  der  gegnerischen  Schrift  nun  richtig 
oder  falsch  sein,  er  weiss  sie  jedenfalls  nach  Kräften  für  sich 
auszubeuten.  Der  Censor,  der  beim  Revidiren  „geschlafen 
haben  muss",  der  „Kaplan  mit  seinen  Antiquitäten",  der 
„widerliche  Narr",  der  in  einer  Gestalt  als  ein  „Bedienter 
nach  Anlage  und  Beschäftigung,  ein  Idiot  an  Lebensart  und 
ein  Advokat  aus  Eitelkeit"  erscheint:  sie  alle  müssen  sich  in 
dem  komischen  Reigen  tummeln,  in  dem  Milton's  bittere  Laune 
sie  vorführt.  Er  will  ,,mit  diesem  Ferkel,  dem  nie  ein  Buch 
vorgekommen  ist,  nicht  über  Philosophie  disputiren"  und  seine 
,, "Worte  nicht  an  diesen  geistlosen  Klumpen  von  Gegner  ver- 
schwenden". Zuletzt  sieht  er  jedoch  ein,  dass  er  in  seinen 
Ausdrücken  zu  weit  gegangen  ist  und  sucht  sich  durch  das 
Beispiel  des  Hercules  zu  decken,  der  auch  den  Augiasstall 
habe  ausmisten  müssen. 

Auf  diese  grobe  Abfertigung  ist  eine  weitere  Gegenschrift 
gegen  Milton's  Scheidungs-Theorie  nicht  mehr  erschienen. 
Aber  vergessen  war  darum  die  Sache  keineswegs.  Während 
sich  Edward  Hyde  einige  Zeit  nachher  in  seinem  Asyl  auf 
Jersey  an  Milton's  Schriften  über  diese  Frage  ergötzte  (^), 
während  die  Ketzerkataloge  nach  wie  vor  auch  Milton's  ge- 
dachten, glaubte  ein  presbyterianischer  Schriftsteller  1648 
die  neue  Doktrin  nur  erwähnen  zu  dürfen,  um  sie  der  allge- 
meinen Verurtheilung  Preis  zu  geben  (2).  Von  späteren  Geg- 
nern wurde  diese  Frage  immer  wieder  aufgegriften(^)  und  die 
Satiriker  der  Restaurationszeit  hal)cn  in  ihr  reichen  Stoff"  ge- 
funden. 


Siebentes  Kapitel. 
Häusliches  und  Politisches  1645 — 47. 


Indem  IMilton  seine  Schrift  „Tetrachordon"  dem  Parla- 
mente widmete,  hatte  er  das  zweideutige  Wort  einfliessen 
lassen:  „Wenn  das  Gesetz  nicht  zeitig  Vorsorge  trifft,  so  muss 
sich  das  Gesetz,  wie  recht  und  billig  ist,  die  Folgen  seines 
Mangels  gefallen  lassen".  Es  konnte  scheinen,  als  deute  er 
seine  Geneigtheit  an,  den  bestehenden  Vorschriften  zum  Trotz 
die  praktischen  Folgerungen  seiner  Scheidungs-Theorie  zu 
ziehen.  Seit  beinahe  zwei  Jahren  war  sein  junges  Weib  von 
ihm  entfernt,  seine  Briefe  waren  unbeantwortet  geblieben,  sein 
Bote  war  höhnisch  heimgeschickt  worden.  Wenn  dem  Dichter 
gleich  von  Anfang  an  klar  geworden  war,  wie  sehr  er  sich 
bei  seiner  Wahl  getäuscht  hatte,  so  musste  ein  solches  Be- 
nehmen ihn  immer  mehr  in  dem  Wunsch  bestärken,  die  qual- 
volle Fessel,  die  ihn  für's  Leben  binden  sollte,  abzuschütteln. 
In  der  That  lässt  sein  Neffe  in  seinen  Erinnerungen  an  den 
Oheim  durchblicken ,  dass  von  dem  Plane  einer  neuen  Ver- 
bindung die  Rede  war,  ohne  sich  oder  seinen  Lesern  klar  zu 
machen,  wie  diese  bei  der  bestehenden  Gesetzgebung  hätte 
ermöglicht  werden  können.  „Nicht  sehr  lange,  sagt  er,  nach 
dem  Erscheinen  dieser  Traktate  (über  das  Scheidungsrecht), 
als  mehrere  seiner  Bekannten  sich  wegen  der  Erziehung  ihrer 
Söhne  an  ihn  wandten,  .  .  .  bemühte  er  sich  um  eine  grössere 


336  Rückkehr  der  Frau. 

Wolmuug  und  fand  bald  eine  passende.  Aber  in  der  Zwischen- 
zeit vor  seinem  Umzug  trat  ein  Ereignis  ein,  welches  zwar 
seine  ganze  Lebensbahn  nicht  änderte,  aber  einer  grossen  An- 
gelegenheit .  .  ein  Ende  setzte,  die  nach  mehr  als  wahr- 
scheinlicher Vermuthung  eben  damals  im  Gange  war.  Dies 
war  der  Plan  seiner  Verheiratung  mit  einer  der  Töchter  des 
Dr.  Davis,  einem  sehr  hülischen  und  klugen  Mädchen,  die 
aber,  wie  ich  gehört  habe,  diesem  Vorschlag  abgeneigt  war", 
Wir  wissen  nicht,  wer  jener  Dr.  Davis  war,  und  ob  vielleicht 
die  Tochter,  um  welche  es  sich  handelt,  dasselbe  Mädchen  ist, 
welches  in  einem  der  Milton'schen  Sonette  aus  diesen  Jahren 
(s.  0.  S.  191)  gepriesen  wird.  Begreiflich  erscheint  jedenfalls, 
dass  sie  keine  Neigung  zeigte,  ein  so  ungewisses  und  bedenk- 
liches Verhältnis  einzugehn. 

Indessen  eine  Wirkung  hatte,  nach  Phillips,  der  ganze 
Plan  doch  gehabt.  Die  Familie  Powell  hatte  „Nachricht  da- 
von" erhalten,  und  da  die  Sache  des  Königs  gerade  sehr  schlecht 
stand,  in  Folge  dessen  auch  die  Vermögens-Verhältnisse  des 
alten  Powell  immer  bedenklicher  wurden,  und,  was  Phillips 
übergeht,  die  früheren  politischen  Erwägungen  nun  wegfielen, 
so  „setzten  sie  alle  Hebel  an,  um  die  junge  Frau  wieder  auf 
den  Grund  und  Boden  zurückzuversetzen,  auf  dem  sie  sie  kurz 
zuvor  eingepflanzt  hatten".  Und  nun  erzählt  derselbe  Ge- 
währsmann mit  kurzen  Worten  den  Plan,  auf  den  die  Powells 
„zuletzt  verfielen".  Ganz  in  der  Nähe  von  Milton's  Hause, 
in  St.  ]\Iartins-le-Grand  Lane,  wohnte  einer  seiner  Verwandten, 
ein  gewisser  Blackborough,  den  er,  wie  man  wusste,  öfter  zu 
besuchen  pflegte.  Auf  diese  Besuche  hatten  „die  Freunde 
von  beiden  Seiten"  gerechnet  ,,wenn  auch  aus  verschiedenen 
Motiven",  die  einen  in  seinem  Interesse,  die  anderen  in  dem 
der  Familie  Powell.  Eines  Tages  also  „als  er  seinen  gewöhn- 
lichen Besuch  machte,  war  seine  Frau  in  einem  anderen  Zimmer 
l)ereit,  und  plötzlich  ward  er  überrascht  durch  den  Anblick 
eines  Wesens,  das  er  nie  wieder  zu  sehn  verhoff"t  hatte,  und 
das  demüthig  auf  den  Knioon  seine  Verzeihung  erflelite.  Er 
mochte  anfangs  vermuthlich  sich  unnuithig  und  widerwillig 
stellen,  al)er  theijs  seine  eigene  edle  Natur,   die  der  Versöli- 


Rückkehr  der  Frau.  337 

nung  geneigter  war  als  beharrlichen  Zorn-  und  Rachegedanken, 
theils  energisches  Zureden  der  Freunde  auf  beiden  Seiten  Hess 
ihn  das  Geschehene  vergeben  und  für  die  Zukunft  Frieden 
schliessen.  Zuletzt  kam  man  überein,  dass  sie  in  einem  be- 
freundeten Hause  bleiben  sollte,  bis  er  in  seiner  neuen  Woh- 
nung in  Barbican  eingerichtet,  und  alles  zu  ihrem  Empfang 
fertig  wäre.  Sie  nahm  daher  zunächst  im  Hause  der  Wittwe 
Webber  (bei  St.  Clements-Kirche)  ihren  Aufenthalt,  deren 
zweite  Tochter  viele  Jahre  vorher  mit  dem  anderen  Bruder 
(Christoph  Milton)  verheiratet  worden  war." 

Da  die  Phantasie  freien  Spielraum  hat,  aus  diesen  mageren. 
Notizen  sich  das  Bild  der  Versöhnung  beider  Gatten  auszumalen, 
so  ist  man  mit  Vorliebe  auf  einzelne  Stellen  der  poetischen  Werke 
]\lilton"s  zurückgegangen,  um  aus  ihnen  frischere  Farben  zu 
entlehnen.  Und  vorzüglich  in  einer  Stelle  aus  dem  verlorenen 
Paradiese  mag,  abgesehen  von  einigen  für  unsere  Eitermutter 
schmeichelhaften  Ausdrücken,  das  Gedenken  eigener  Erlebnisse 
pulsiren,  jener  Stelle,  in  welcher  Adams  Mitleid  mit  der  ver- 
führten Verführerin ,  die  er  eben  noch  als  Schlange  verflucht 
hat,  zum  Durchbruch  kommt  (^): 

sie  schwieg  und  weinte;    ihre  demuthreiche, 
Bewegungslose  Lage,  bis  Vergebung 
Von  ihm  für  die  gestandne  Schuld  ihr  ward, 
Erregt  in  Adam  Mitleid.     Weicher  schlug 
Sein  Herz  für  sie,  die  jüngst  sein  Leben  war, 
Sein  einziges  Entzücken,  kummervoll 
Zu  seinen  Füssen  flehend  jetzt  gestreckt. 
Ein  solch  Geschöpf  voll  Schönheit  bittet  ihn, 
Den  sie  erzürnt  erst  hatte,  um  Verzeihn, 
Beistand  und  Rath.     Entwaffnet  stand  er  da, 
Sein  Groll  entwich  .... 

Wir  wissen  zwar,  dass  Mary  Powell  keineswegs  jüngst 
..sein  Leben,  sein  einziges  Entzücken"  war,  auch  ihre  Schön- 
heit kann  nach  den  Ausdrücken  der  Milton"schen  Eheschei- 
dungs-Schriften nicht  von  dem  bestrickenden  Zauber  Evas  ge- 
wesen sein,  aber  der  Dichter  verzieh  der  Bereuenden  dennoch, 
zumal  die  Tochter  die  Hauptschuld  ihres  Trotzes  auf  die  Mutter 
abzuwälzen  suchte (2).  —  Schwerlich  konnte  nach  allem  Vor- 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.  I.  2.  22 


338  Barbicau-Street. 

angegangenen  die  Ehe  eine  glückliche  sein,  und  die  harte 
Benrtheilung  des  weiblichen  Geschlechtes,  ,, dieses  schönen 
Fehlers  der  Natur",  die  Milton  durch's  ganze  Leben  begleitete. 
mag  in  den  bitteren  Erfahrungen  jener  Jahre  wurzeln.  Aber 
bald  nachdem  die  Versöhnung  erfolgt  war,  etwa  im  Spät- 
sommer 1645,  fand  sich  die  ganze  Familie,  das  junge  Paar, 
der  Vater  ]\Iilton,  die  beiden  Neffen,  Edward  und  John  Phillips, 
nebst  den  üljrigen  Pensionären  in  der  neuen  geräumigen  Woh- 
nung vollzählig  beisammen  (1).  Sie  lag  nur  wenig  Minuten 
von  der  bisherigen  entfernt  in  der  vorstädtischen  Barbican- 
Strasse.  Hier  befand  sich  auch  die  Stadtwohnung  der  gräf- 
lichen Familie  Bridgew^ater,  deren  Haupt,  einst  in  fröhlichen 
Tagen  durch  die  Aufführung  des  Comus  geehrt,  seitdem  schwere 
Zeiten  durchgemacht  und  sich  nur  widerwillig  zur  Unterzeich- 
nung des  Covenant  verstanden  hatte  (-).  Uebrigens  blieb  der 
Charakter  der  Nachbarschaft  der  gleiche,  ruhig  und  beinahe 
ländlich,  für  ein  tiaus  des  Lehrens  und  Lernens  ganz  ange- 
messen. 

Vermuthlich  war  es  eines  der  ersten  Geschäfte  Milton's 
nach  dem  Umzug  eine  neue  literarische  Ueberraschung  vorzu- 
bereiten. Freilich  nicht  wieder  eine  jener  verfänglichen  Flug- 
schriften; mit  dieser  Art  von  Veröffentlichungen  hatte  er  für 
längere  Zeit  abgeschlossen.  Vielmehr  hatte  er  den  begreif- 
lichen Wunsch,  sich  der  Welt  auch  von  einer  anderen,  einer 
besseren  Seite  zu  zeigen  und  sein  vornehmstes  Talent  zur 
Geltung  zu  bringen.  Noch  Avar  ausser  dem  Comus  und  dem 
Lycidas  so  gut  me  gar  nichts  von  seinen  Poesieen  weiteren 
Kreisen  bekannt  geworden.  Es  bedurfte  nur  der  Aufforderung 
eines  gewandten  Verlegers,  um  ihn  zu  einer  Sammlung  seiner 
Gedichte  zu  liewegen.  nunii)hroy  Moseley,  ein  Freund  der 
schönen  Literatur,  der  im  December  1644  Waller's  Gedichte 
herausgegeben  hatte,  später  die  dichterischen  Erzeugnisse  der 
Cowley,  Crashaw,  Cartwright  als  Verlags-Artikel  führte,  eine 
Masse  der  dramatischen  Meisterwerke  aus  der  Zeit  Elisabeth's 
und  Jakob's  für  den  Neudruck  erwarb  und  hie  und  da  wohl 
einen  Lobvers  eigenen  Fabiikates  lieferte,  gieng,  wie  er  selbst 
mittheilt,  Milton  um  eine  Herausgabe  seiner  poetischen  Werke 


Herausgabe  der  Gedichte.  339 

an  und  konnte  sie  am  6.  Okt.  1645  vorschriftsgemäss  in  die 
Register  von  Stationers-Hall  eintragen.  Er  versprach  sich, 
laut  der  Versicherung  seines  Vorwortes  an  den  Leser,  keinen 
grossen  materiellen  Ge\Yinn  von  dem  Unternehmen,  in  einer 
Epoche,  „da  das  unbedeutendste  Pamphlet  verkäuflicher  ist, 
als  die  Werke  der  gelehrtesten  Männer",  aber  er  war  über- 
zeugt, sich  „um  seine  Zeit  wohl  verdient  zu  machen",  indem 
er  ein  so  wahres  Musenkind  an's  Licht  brächte,  wie  es  seit 
den  Tagen  Spenser's  nicht  gesehen  worden  sei.  Mit  dessen 
Gedichten  setzte  er  die  englischen  Milton's  in  einen  sehr 
schmeichelhaften  Vergleich  (').  Nichts  natürhcher,  als  dass 
Milton  einem  so  kunstsinnigen  Verleger,  der  die  eigenthüm- 
liche  Richtung  seines  jugendlichen  Talentes  so  glücklich  be- 
zeichnet hatte,  vor  allen  denen,  welche  seine  prosaischen  Trak- 
tate veröffentlicht  hatten,  den  Vorzug  gab.  Ein  dünner  Oktav- 
band brachte  daher  zuerst  auf  120  Seiten,  was  von  enghschen 
und  italienischen  Dichtungen  bisher  vorhanden  war,  mit  Aus- 
schluss der  Elegie  auf  den  Tod  der  kleinen  Phillips  und  der 
poetischen  College -Uebung  von  1628.  Dann  folgten  auf 
88  Seiten  die  lateinischen  Dichtungen,  zunächst  die  in  elegi- 
schem Versmass,  darauf  die  übrigen  unter  dem  Gesammt- 
namen  der  ,,Sylvae";  zwei  griechische  Versuche,  die  Ueber- 
setzung  des  114.  Psalmes  und  ein  anderes  charakteristisches 
Fragment  (Philosophus  ad  regem  quendam  etc.)  waren  zwischen 
sie  eingeschoben.  Vor  dem  Comus  waren  die  ehrenden  Zeilen 
von  Lawes  und  Wotton  so  wenig  vergessen,  wie  vor  den  latei- 
nischen Gedichten  die  Komplimente  der  italienischen  P'reunde. 
Ein  kurzes  Vorwort  des  Dichters  suchte  den  Abdruck  der 
letzten  zu  rechtfertigen.  Er  rechnete  sich  .,die  Meinung  weiser 
und  berühmter  Männer"  zu  einer  hohen  Ehre  an,  wies  aber 
die  Zumuthung  ab,  als  wolle  er  mehr  Lob  verlangen  „als  billig 
sei".  Die  möglichst  genaue  Angabe  der  Entstehungszeit  fast 
jedes  Gedichtes,  die  ausdrückliche  Bemerkung,  dass  die  lateini- 
schen grössten  Theils  vor  seinem  zwanzigsten  Jahr  verfasst 
seien,  das  bezeichnende  Motto  aus  Virgils  siebenter  Ekloge: 
alles  deutet  auf  die  Absicht  hin,  dem  lesenden  Publikum  klar 
zu  machen,   wo  die  eigentliche  Stärke  des  Autors  liege,   der 

22* 


340  Herausgabe  der  Gedichte. 

ihm   bis   dahin  fast   nur  als  stürniischer  Pamphletist  bekannt 
ge\Yorden  war. 

Nur  der  Kupferstich  vor  dem  Bändchen,  welcher  auch  mit 
den  Gesichtszügen  des  Dichters  vertraut  machen  sollte,  war 
in  Gefahr  alles  zu  verderben.  ]\Iilton's  Brustbild  erschien 
hier  in  einer  allegorischen  Umrahmung  so  unähnlich  wie 
möglich,  mit  einem  halb  grimmigen,  halb  stupiden  Gesichts- 
ausdruck, einer  Stirne,  die  Salmasius  später  als  ,, eisern" 
bezeichnen  konnte,  in  steifer  Haltung  und  alles  in  allem  wie 
absichtlich  karrikirt.  Der  Künstler,  der  dies  Machwerk  auf 
Wunsch  des  Verlegers  geliefert  hatte,  war  nicht  der  unbe- 
deutende ]\Iann,  zu  dem  ihn  Milton  später  hat  stempeln  wollen, 
William  Marshall  hat  als  beliebter  Zeichner  und  Stecher 
manchen  Titelkupfer  der  Zeit  geliefert  und  wurde  namentlich 
von  Moseley  häufig  in  Anspruch  genommen.  Er  pflegte  eine 
Skizze  nach  der  Natur  zu  machen,  aber  die  Umschrift  dieses 
Porträts,  in  lächerlichem  Kontrast  zu  dem  mürrischen  Aus- 
druck des  keineswegs  bartlosen  Gesichtes,  deutet  an,  dass 
er  jenes  frühere  Bild  des  einundzwanzigjährigen  Milton  gleich- 
falls als  Vorlage  benutzt  hat  (^).  Nun  hatte  der  Dichter  schon 
ohnehin  Grund  genug,  Marshall  nicht  sehr  gewogen  zu  sein. 
In  Featley's  „Dippers  dipt",  woselbst  des  Ketzers  Milton  ge- 
dacht war,  hatten  sich  Karrikaturen  von  Marshall's  Hand  zur 
Verspottung  der  einzelnen  Sekten  befunden.  Schon  in  seiner 
Abwehr  gegen  Featley  hatte  der  Angegritfene  in  einem  unver- 
kennbaren Wortspiel  auch  den  Kupferstecher  bedacht  (^).  Mög- 
lich, dass  die  Erinnerung  daran  jNIilton  von  Anfang  an  gegen 
]\Iarshall  einnahm  und  ihn  unwillig  machte,  dem  Künstler  öfter 
zu  sitzen;  gewiss,  dass  er  sich  nicht  versagen  konnte,  als  der 
Stich  fertig  war,  eine  geistreiche  Rache  zu  nehmen.  Er  drang 
nicht  auf  eine  Vernichtung  der  Platte,  aber  er  liess  ein  Motto 
von  vier  griechischen  Versen  unter  das  Brustbild  setzen,  von 
deren  Inhalt  der  Stecher  keine  Ahnung  hatte.  Sie  enthielten 
eine  bittere  Kritik  ^larshairs  selbst  und  gaben  ihn  dem  Ge- 
lächter der  Freunde  Preis,  die  zwischen  dem  Original  und 
dem  Nachbild  vergleichen  konnten.  Mit  diesen  Zeilen  giengen 
Bild   und  Buch  in  die  Welt,   aber  die  Feinde  Milton's   haben 


Sonett  an  Lawes  und  Katharina  Thomson.  341 

dennoch  beständig  Gelegenheit  genommen,  sich  an  seiner  ver- 
pfuschten Physiognomie  über  Gebühr  zu  weiden  (i). 

Einige  kleine  Gedichte,  welche  in  diesen  Jahren  entstan- 
den sein  müssen,  konnten  bis  auf  eines  erst  nach  langer  Zeit 
in  einer  späteren  Auflage  der  Poesieen  dem  grösseren  Publikum 
bekannt  werden.  Als  das  dünne  aber  inhaltreiche  Bändchen 
unter  Moseley's  Firma  erschien,  waren  sie  vermuthlich  sämmt- 
lich  noch  gar  nicht  vorhanden.  Dahin  gehört  das  preisende 
Sonett  an  den  „Freund"  Henry  Lawes,  dem  höherer  Ruhm 
zugesprochen  wird  als  jenem  Dante'schen  Freunde,  Casella. 
Es  war  derselbe  Lawes,  der  auch  auf  dem  Titel  der  Milton'- 
schen  Gedichte  als  Komponist  der  Gesänge  zu  den  Arcades 
und  zum  Comus  figurirte.  ]\Iit  dem  geschätzten  jNIusiker  konnte 
der  Dichter  die  früheren  Beziehungen  um  so  leichter  wieder 
anknüpfen,  je  häufiger  Lawes  Gelegenheit  hatte  seine  Strasse 
aufzusuchen,  die  auch  seine  alten  Gönner,  die  vornehme 
Familie  der  Bridgewater,  beherbergte.  Politische  INIeinungs- 
verschiedenheit  konnte  das  alte  Freundschaftsband  nicht  zer- 
reissen.  Die  Brüder  Lawes  waren  freilich,  wie  das  bei  ihrer 
Stellung  kaum  anders  zu  erwarten  war,  royalistisch  gesinnt. 
Der  ältere  William  war  sogar  zu  den  Fahnen  des  Königs  ge- 
eilt und  hatte,  zu  grossem  Kummer  Karl's  L.  bei  der  Belage- 
rung von  ehester  (Okt.  1645)  den  Tod  gefunden.  Henry  hatte 
währenddess  in  London  gelebt  und  sich  durch  Gesang-Unter- 
richt ernährt.  Das  Gebiet  der  Kunst  musste  für  ihn  wie 
Milton  ein  neutrales  sein.  Mitten  in  den  Wirren  der  Revo- 
lution (9.  Febr.  1646)  hat  dieser  ihm  ein  Denkmal  in  jenen 
ehrenvollen  Versen  gesetzt,  und  Lawes  war  stolz  darauf,  sie 
1648  seinen  „ausgewählten  Psalmen"  Vordrucken  zu  können, 
die  ebenfalls  in  Moseley's  Verlag  erschienen  und  keinem  anderen 
als  dem  besiegten  König  selbst  gewidmet   sind(-). 

Einige  andere  poetische  Schöpfungen  beweisen,  dass  Lawes 
nur  ein  Glied  eines  grösseren  Freundeskreises  war,  dem  sich 
Milton  in  diesem  Lebensabschnitt  nahe  fühlte.  Freilich  die  eine, 
wiederam  ein  Sonett  von  unvergleichlicher  Zartheit  und  Innig- 
keit, ist  der  melancholische  Abschiedsgruss  an  eine  „christliche 
Freundin",   welche  „diese  irdische  Last  des  Todes,    die  man 


342  Beziehungen  zu  Thomasou,  P.  Young,  John  Rons. 

Leben  nennt  und  die  uns  vom  wahren  Leben  scheidet,  sanft 
abgestreift"  hatte.  Wir  kennen  nur  ihren  Namen,  Katharina 
Thomson,  und  den  Tag  ihres  Todes,  den  16.  Dee.  1646,  aber 
aus  den  tief  empfundenen  Worten  des  Dichters  geht  hervor, 
wie  nahe  die  fromme,  mildthätige  Verstorbene  ihm  gestanden 
haben  muss(^).  —  Einen  humoristischen  Charakter  trägt  dagegen 
ein  lateinisches  Gelegenheitsgedicht,  das  sich  durch  eine  eigen- 
thümliche  metrische  Form  auszeichnet,  und  dessen  Inhalt  zu 
einer  Erwähnung  anderer  Bekannten  Milton's  veranlasst.  Er 
hielt  etwas  darauf,  diesen  und  jenen  durch  Dedikations-Exem- 
plare  seiner  Schriften  zu  erfreuen.  Einer  der  bekanntesten  Flug- 
schriften-Sammler dieser  Zeit,  der  Buchhändler  George  Thomason 
hat,  obgleich  er  royalistisch  gesinnt  war,  eine  ganze  Anzahl  der 
literarischen  Erzeugnisse  Milton's  gleich  nach  ihrem  Erscheinen 
von  ihm  zum  Geschenk  erhalten  (s.  d .  Anhang) .  Ebenso  Hess  er  für 
den  gelehrten  Schotten  Patrick  Young,  welcher  der  königlichen 
Bibliothek  in  St.  James  vorstand,  es  aber  mit  dem  Parlamente 
hielt,  ein  Bändchen  seiner  bisherigen  Prosa-Schriften,  mit  Aus- 
nahme der  Skizze  über  die  Erziehung,  zusammenstellen  und 
schmeichelte  ihm  mit  dem  W^orte,  „er  wünsche  sich  wenige 
Leser  wenn  sie  ihm  nur  glichen"  (^).  Und  etwa  gleichzeitig 
gieng  eine  ähnliche  Sendung  an  einen  anderen  Bibliothekar 
von  Piuf  ab,  der  den  ausdrücklichen  Wunsch  geäussert  hatte, 
IMilton's  Schriften  zu  erhalten,  und  welchem  dieser  mit  der 
ausdrücklichen  Absicht  willfahrte,  die  Schätze  seines  Geistes 
der  Nachwelt  überliefert  zu  sehn.  Es  war  John  Rous,  der 
Vorstand  der  berühmten  Bodleiana,  dessen  Bekanntschaft  Milton 
möglicherweise  schon  1635  gemacht  hatte,  (s.  o.  B.  L  S.  239)  und 
der  sich  inmitten  des  royalistischen  Oxford  eine  politische  Ge- 
sinnung bewahrte,  die  ihn  die  Denkweise  des  Dichters  würdigen 
liess.  Auf  seine  Bitten  hatte  ihm  Milton  alles,  was  er  bisher  in 
Prosa  hatte  erscheinen  lassen,  und  zugleich  das  Bändchen 
seiner  Gedichte  zugesandt  und  sich  versprochen,  dass  die  Auf- 
nahme seiner  Werke  „in  die  altberühmte  Bibliothek,  wie  in 
einen  Tempel  ewigen  Gedächtnisses",  einen  Schutz  gegen  den 
„bösen  Willen    und    die  Verleumdung"  seiner  Feinde   bilden 


Edwards  und  Baillie  gegen  Milton.  343 

werde.  Er  hatte  ein  eigenhändiges  Verzeichnis  der  einzelnen 
übersandten  Stücke  am  Anfange  des  Sammelbandes  der  Prosa- 
Traktate  hinzugefügt,  aber  das  Bändchen  der  Gedichte,  das 
auch  auf  dieser  Liste  stand,  war  in  Folge  irgend  eines  unglück- 
lichen Zufalls  nicht  angekommen.  Rous  erbat  sich  dies  daher 
von  neuem  und  hatte  den  Vortheil,  zu  gleicher  Zeit  eine 
am  23.  Jan.  1647  verfasste,  kunstvolle  lateinische  0(^.e  von  der 
Hand  Milton's  zu  erhalten,  die  sich  in  dem  nunmehr  richtig 
anlangenden  Exemplar  der  Gedichte  eingeklebt  fand.  So  launig 
das  mögliche  Schicksal  jenes  ersten  verlorenen  Exemplares 
hier  behandelt  wird,  so  bricht  doch  gleichzeitig  die  ernste  Be- 
trachtimg über  den  „tjaurigen  Bürgerkrieg",  der  den  Musen- 
sitz Oxford  so  schwer  geschädigt  hatte,  durch.  Und  am  Schluss 
wird  wieder  mit  Siegesgewissheit  die  Hoffnung  ausgesprochen,, 
dass  einst  ..die  Enkel"  und  ein  ..klügeres  Zeitalter"  billiger 
als  die  Gegenwart  über  diese  Aeusserungen  seines  Geistes, 
die  der  Autor  dem  Schutze  des  wackeren  Bücherbewahrers 
anvertraute,  urtheilen  werden (^). 

Milton  hatte  gute  Gründe,  so  deutlich  auf  die  Verleum- 
dungen und  Angriffe  anzuspielen,  deren  richtige  Würdigung 
er  erst  von  einer  fernen  Zukunft  erwartete.  War  sein  Weib 
auch  zurückgekehrt,  hatte  er  selbst  die  Kontroverse  über  die 
anstössige  Frage  der  Ehescheidung  ruhen  lassen,  so  hatte  man 
doch  im  presbyterianischen  Lager  seiner  nicht  vergessen. 

Seine  letzten  Schriften,  die  sich  mit  jenem  Thema  be- 
schäftigten und  vorzüglich  „Tetrachordon"  hatten  den  grössten. 
Unwillen  erregt,  und  unter  den  presbyterianischen  Schrift- 
stellern, deren  Ketzerverzeichnisse  die  Zeit  über  die  ihr  drohen- 
den Gefahren  aufklärten,  hatten  zwei  sich  veranlasst  gesehn, 
Milton  beim  Namen  zu  nennen.  Beide  waren  Männer  von 
Bedeutung,  jener  Thomas  Edwards,  der  im  ersten  Theil  seiner 
Gangraena,  Anfang  1646,  „Milton's  Lehre  von  der  Eheschei- 
dung" als  „Irrthum,  Ketzerei  und  Blasphemie  Nr.  154"  be- 
zeichnet hatte,  und  jener  Piobert  Baillie,  das  wichtige  schotti- 
sche Mitglied  der  Synode,  dessen  „Warnung  vor  den  Irrthü- 
mern  der  Zeit"  Ende  1645  in  ihrem  ersten  Theile  nicht  dem 
Independentismus  als   solchem  SchuJd  geben  Avollte,  was  ,,Mr. 


344  Sonette  gegen  die  Presbyteriauer. 

Milton"  und  in  ähnlicher  Weise  höchstens  dieser  oder  jener 
aus  ,,Neu-England-'  über  ,,die  volle  Freiheit  sein  Weib  zu  Ver- 
stössen" gelehrt  habe(^).  Auch  kamen  beide  in  Fortsetzungen 
dieser  Schriften  wiederholt  auf  Milton  zurück. 

So  vielfachen  Angriffen  ausgesetzt,  griff  auch  er  wieder 
zu  den  Waffen.  Aber  wenn  er  sich  bisher  gegenüber  dem 
Presbyterianismus,  wie  einst  gegenüber  dem  Prälatismus,  des 
Streitkolbens  wuchtiger  Prosa  bedient  hatte,  so  schoss  er  nun, 
durch  die  Herausgabe  seiner  Gedichte  wieder  auf  sein  altes 
Feld  zurückgeführt,  seine  scharfen  poetischen  Pfeile  gegen  ihn 
ab.  Freilich  wurden  seine  Verse  erst  lange  nachher  durch 
den  Druck  bekannt,  aber  sie  mögen  doch  damals  wenigstens 
Freunden  des  Dichters  nicht  vorenthalten  worden  sein.  Für 
polemische  Zwecke  musste  die  Form  des  Sonetts,  welche  Milton 
seit  seiner  italienischen  Reise  mit  sichtlicher  Vorliebe  pflegte, 
ihm  erst  recht  geeignet  scheinen.  Legte  sie  ihm  auch  eine 
gewisse  Beschränkung  auf,  so  war  sie  dem  Ausdruck  reiner 
Reflexion  entschieden  günstig  und  konnte  durch  einschnei- 
dende Wendung  vorzüglich  gegen  den  Schluss  hin  höchst  wirk- 
sam werden.  Unter  dem  gemeinsamen  Titel:  „Auf  die  Ver- 
leumdung, die  meiner  Abfassung  gewisser  Traktate  folgte", 
sind  zwei  Sonette  etwa  Anfang  1646  entstanden,  von  denen 
das  eine  mehr  einen  humoristischen,  das  andere  mehr  einen 
pathetischen  Charakter  an  sich  trägt  (2).  Dieses  scheint  zu- 
folge der  Cambridger  Handschrift  der  Milton'schen  Gedichte 
das  frühere  zu  sein.  Es  spricht  grob  genug  von  dem  „barba- 
rischen Lärm  der  Eulen,  Kuckucks,  Esel,  Afiien  und  Hunde", 
der  sich  gegen  ihn  erhoben,  welcher  seinem  Geschlecht  die 
„alte  P'reiheit"  zurückerobern  wollte: 

Nach  Freiheit  brüllen  sie  in  blinder  Wuth 

Und  murren,  will  die  Wahrheit  sie  befrei'n. 

Sie  meinen  „Frechheit",  wenn  sie  „Freiheit"  schrci'n; 

Denn  wer  die  liebt  muss  weise  sein  und  gut. 
Sie  aber  sind  für  solchen  lluhm  zu  klein, 
Trotz  aller  Opfer  so  an  Gut  wie  Blut. 

Das  andere  Sonett  dagegen  macht  sich  lustig  über  das 
begreifliche  Erstaunen ,    mit  dem  man  einen  Titel   wie   den 


Sonette  gegen  die  Presbyterianer.  345 

„Tetrachordon"  begrüsst  hatte.  Es  wäre  vergebliche  Mühe, 
die  Reimkunststücke  nachahmen  zu  wollen,  die  Milton  mit 
Zugrundelegung  des  fremden  Wortes  in  den  Quadernarien 
zum  besten  giebt.  Wie  zum  Trotz  zeigt  er,  dass  es  möglich 
ist,  Reime  darauf  zu  finden.  Aber  er  fragt  zugleich  seine 
ungelehrten  Kritiker,  ob  denn  dies  bespöttelte  Wort  so  viel 
schwerer  zu  behalten  und  auszusprechen  sei,  als  die  schotti- 
schen Namen  Gordon,  Colkitto,  Macdonell,  Galasp,  die  damals 
in  aller  Munde  waren,  deren  drei  letzte  ein  und  dieselbe  Per- 
sönlichkeitbezeichneten, jenen  gigantischen  Hochländer,  welcher, 
wie  mehrere  der  Gordons,  Montrose  bei  seinem  abenteuer- 
lichen Kampfe  für  die  Sache  des  Königs  zur  Seite  stand.  Das 
waren  Erinnerungen,  die  den  Presbyterianern  nur  unangenehme 
Empfindungen  erwecken  konnten. 

Noch  empfindlicher  mussten  sie  aber  durch  ein  drittes 
Gedicht  verletzt  werden,  ein  Sonette  colla  coda,  dessen  Ent- 
stehungszeit allerdings  nicht  mit  Gewissheit  anzugeben  ist(^). 
Sein  ursprünglicher  Titel :  „Auf  die  Gewissenstyrannen",  wurde 
später  im  Druck  durch  die  Erweiterung :  „Auf  die  neuen 
Gewissenstyrannen  unter  dem  laugen  Parlament"  noch  mehr 
verdeutlicht  (2).  Niemand  anders  als  die  presbyterianische 
Geistlichkeit  in  Bausch  und  Bogen  ist  damit  gemeint,  aber 
die  persönlichen  Angriffe,  die  Milton  von  dieser  Seite  erfahren 
hatte,  bewogen  ihn,  bei  der  ersten  Niederschrift  sogar  des 
„ohrenlosen  Prynne"  zu  gedenken,  sodann  aber  u.  a.  den 
„seichten  (nach  dem  ersten  Koncept  den  „verrückten")  Edwards" 
und  den  „Schottischen  wie  heisst  er  doch"  mit  welchem  un- 
zweifelhaft Baillie  gemeint  ist,  ausdrücklich  hervorzuheben. 
Das  sind  die  Leute,  „von  denen  sich  Männer  im  Druck  als 
Ketzer  gebrandmarkt  sehen  müssen,  deren  Leben  und  Gelehr- 
samkeit, Glaube  und  Reinheit  der  Absicht  vom  Apostel  Paulus 
hochangesehn  gewesen  sein  würden".  Das  ist  die  Genossen- 
schaft, die  sich  der  „Prälatenherrschaft  entledigt",  die  Liturgie 
abgeschworen  hat,  um  das  alte  System  in  anderer  Form  wieder 
aufzurichten,  vielfache  Aemter  und  Würden  in  einer  Hand  zu 
vereinigen,  die  „von  Christus  befreiten  Gewissen  zu  knechten" 
und  durch  ihre  „Hierarchie  mit  ihren  Klassen- Versammlungen 


346  Umbildung  des  Heeres. 

ZU  herrsehen".  Aber  der  Dichter  hofft,  dass  alle  diese  „Schliche, 
schlimmer  als  die  von  Trient",  entdeckt,  und  dass  die  herrsch- 
süchtigen Pläne  des  neuen  Klerus  zu  Schanden  gemacht  werden. 
Er  rechnet  auf  das  Parlament  und  hat  in  epigrammatischer 
Kürze  das  Wort  der  Anklage  herausgefunden,  das  nach  seinen 
Wünschen  die  Vertreter  der  Nation  den  „neuen  Gewissens- 
tyrannen" entgegenschleudern  werden.  Es  ist  nur  eine  Ver- 
schärfung jenes  Ausspruches  der  Areopagitica,  „dass  Bischöfe 
und  Presbyter  dem  Namen  wie  der  Sache  nach  dasselbe  be- 
deuten", durch  das  Spielen  mit  dem  Worte  „Presbyter"  (Aeltester) 
besonders  geistreich,  aber  ebendeshalb  am  besten  in  originaler 
Fassung  erkennbar: 

,,New   Presbyter   is  but    old   Priest   writ  large". 

Es  war  für  einige  Zeit  das  letzte  Wort,  das  Milton's  Zorn 
dem  Presbyterianismus  zurief.  Auch  dieses  in  seiner  vernich- 
tenden Härte  wird  erst  erklärlich,  wenn  man  sich  erinnert, 
welchen  Gang  die  grossen  Angelegenheiten  von  Staat  und 
Kirche  inzwischen  genommen  hatten. 


Nach  den  durchgreifenden  Beschlüssen  des  Parlaments 
war  die  Reorganisation  des  Heeres  mit  raschen  Schritten  im 
Frühjahr  1645  vorwärts  gegangen.  Allerdings  an  mancherlei 
Hindernissen  einer  so  gründlichen  Umänderung,  der  Ver- 
schmelzung der  bestehenden  Armeen  in  eine  und  des  Wechsels 
in  den  wichtigsten  Posten,  hatte  es  nicht  fehlen  können. 
Aber  die  Absichten  derer,  welche  auf  Neuordnung  des  Mili- 
tärwesens gedrungen  hatten,  wurden  doch  erreicht.  Ein  ein- 
heitliches Heer  von  über  20,000  Mann  kam  zu  Stande,  dessen 
Zusammensetzung  und  Leitung  sich  nach  eben  den  Grund- 
sätzen richtete,  welche  Cromwell  bisher  in  seinem  beschränkten 
Kreise  angewandt  hatte.  Die  Rücksichten  auf  eine  bestimmte 
religiöse  Richtung,  auf  Ansprüche  von  Stand  und  Alter  traten 
zurück  hintoi-  dem  Endzweck,  ein  tüchtiges  und  gefügiges 
Instrument    für    die    energische    Führung    des    Krieges    zu 


Umbildung  des  Heeres.  347 

schaffen.  In  der  Masse  der  Regimenter  waren  jene  Sekten, 
deren  Erinnerung-  den  strengen  Presbyterianer  schaudern  Hess, 
vielfach  vertreten.  Neben  den  Trägern  altberühmter  Namen 
in  den  oberen  Ofticierstellen,  erblickte  man  u.  a.  einen  John 
Hewson,  der  von  Haus  aus  ein  Schuhmacher,  einen  Thomas 
Harrison,  der  zuvor  Schreiber  bei  einem  Advokaten  gewesen 
sein  soll,  einen  John  Okey,  dem  die  Royalisten  eine  Reihe 
von  untergeordneten  Berufsarten,  vom  Kärrner  bis  zum  Licht- 
zieher,  nachrechneten.  So  auffallend  die  Jugend  vieler  der 
höheren  Officiere  erscheinen  musste,  so  grosse  militärische 
Talente  waren  unter  ihnen  verborgen,  und  dieser  und  jener, 
den  seine  Fähigkeiten*  in  der  Folge  hoch  emporhoben,  war 
Milton  persönlich  genau  bekannt  oder  konnte  später  von  ihm 
dem  Kreise  seiner  Freunde  zugerechnet  werden.  Crom- 
weirs  Verwandtschaft  war  bei  der  Besetzung  der  höheren 
Posten  nicht  schlecht  bedacht  worden,  und  den  genialsten 
Soldaten  selbst  wollte  man  in  dem  Rahmen  des  neuen  Heeres 
nicht  missen.  Zu  der  Zeit  als  man  über  die  zweite  Selbst- 
entäusserungs-Ordonnanz  schlüssig  wurde,  befand  sich  Crom- 
well  mit  Waller  auf  einer  Expedition  im  Westen.  Von  ihr 
zurückgekehrt,  erhielt  er  sofort  von  dem  „Committee  der 
beiden  Königreiche"  einen  neuen  militärischen  Auftrag  in 
Oxfordshire,  dessen  er  sich  mit  gewohntem  Geschick  ent- 
ledigte, noch  ehe  die  vierzig  Tage  verstrichen  waren,  nach 
deren  Ablauf  auch  er,  als  Parlamentsmitglied,  sein  Kommando 
niederzulegen  hatte.  Aber  zunächst  verlängerte  eine  parlamen- 
tarische Ordonnanz  die  Frist  wie  für  andere,  so  für  den  Unent- 
behrlichen auf  weitere  vierzig  Tage.  Danach  kam  am  10.  Juni 
1645  eine  Petition  des  Höehstkommandirenden  und  anderer 
Officiere  zur  Verlesung,  die  in  einem  kritischen  Augenblick 
des  Krieges  Cromwell  dringend  für  die  leer  gelassene  Stelle 
des  Lieutenant-Generals  erbat,  und  der  man  sich  um  so 
w^eniger  zu  widersetzen  wagte,  da  der  Wortlaut  der  neuen 
Selbstentäusserungsbill  einer  Wiederanstellung  einzelner  Par- 
lamentsmitglieder nicht  entgegenlief.  Man  wä,hlte  auch  jetzt 
noch  die  Form  wiederholter  Fristerstreekung,  ohne  daran  zu 
denken,  sie  jemals  widerrufen  zu  wollen. 


348  Feldziig  von  1645. 

So  hatte  der  Independentismus  durch  die  neue  Orga- 
nisation entschieden  an  Kraft  gewonnen.  Vom  Inhaber  des 
höchsten  Postens  hatten  die  Preshyterianer  nichts  zu  hoffen. 
Die  zweite  Stelle  nahm  der  „grosse  Independent"  selber  ein, 
der  von  Anfang  an  das  treibende  Element  des  Ganzen  war. 
Unter  den  Feldpredigern  spielten  hervorragende  Independenten, 
•wie  jener  aus  Amerika  herübergekommene  Hugh  Peters, 
keine  kleine  Rolle,  Und  die  IMasse  des  Heeres  fühlte  sich 
als  eine  einheitliche  Körperschaft,  deren  Glieder  stolz  darauf 
waren,  als  freie  Engländer  und  nicht  des  Soldes  wegen  die 
Waffen  ergriffen  zu  haben,  fähig,  religiösen  Enthusiasmus  mit 
strengster  Disciplin  zu  verbinden,  heute  mit  Gesang  und 
Gebet  in  frommen  Konventikeln  vereint,  um  morgen  als 
Männer  von  unbedingtem  Gehorsam  und  todverachtendem 
Muth    dem  Feinde    entgegenzutreten.  — 

Der  Feldzug  des  Sommers  1645  offenbarte,  welche  Kraft  in 
demneuen  Heere  verborgen  lag,  so  sehr  sich  auch  hie  und  da  noch 
die  Mängel  fühlbar  machten,  die  jede  grosse  Umbildung  der  Art 
bei  ihren  ersten  Proben  mit  sich  zu  führen  pflegt.  Der  König 
hatte  freilich  seine  besten  Hoffnungen  auf  die  Verwirrung  ge- 
setzt, die  im  Augenblick  dieser  Umbildung  auf  der  Seite  seiner 
Gegner  eintreten  müsse,  und  sich  überhaupt  entsprechend 
der  sanguinischen  Art  seines  Naturells  ein  reiches  Bild  der 
kommenden  Erfolge  ausgemalt.  Aus  Schottland  von  Mont- 
rose  tönte  Siegesbotschaft  auf  Siegesbotschaft  zu  ihm  herüber. 
Von  den  katholischen  Rebellen  Irlands,  mit  denen  er  heimlich 
über  einen  Frieden  verhandeln  liess,  erwartete  er  ansehnliche 
Hilfe.  Durch  die  Bemühungen  der  Königin  hoffte  er  in  der 
zusammengewürfelten  Armee  des  Herzogs  von  Lothringen 
werthvolle  Unterstützung  zu  erhalten.  Auch  brachte  ihm  der 
Beginn  des  Feldzuges  mehr  als  einen  Triumph.  Im  Westen, 
dessen  loyale  Bevölkerung  den  jungen  Prinzen  von  Wales 
freudig  in  ihrer  Mitte  begrüsste,  stand  seine  Sache  vor- 
trefflich. Selbst  Taunton,  eine  der  wichtigsten  parlamentarischen 
(Jarnisonen,  durch  Robert  Blake's  heroische  Vertheidigung 
unsterblich  geworden,  schien  mehr  als  ein  Mal  den  unsäglichen 
Leiden   der  Belagerung   erliegen  zu  müssen.     In   den  Mittel- 


Feldzuff  von  1645.  S49 

landen,  unterstützt  durch  die  Prinzen  Rupert  und  Moritz  von 
der  Pfalz,  nahm  der  König  nach  wie  vor  eine  bedrohliche 
Stellung  ein,  bereit,  je  nach  dem  gegen  die  Hauptstadt,  die 
östliche  Association  oder  nordwärts  vorzubrechen.  Durch 
frische  Truppen  aus  dem  Westen  verstärkt,  mit  Rupert 
glücklich  vereint,  machte  er  sich  im  Mai  in  der  That  in  dieser 
letzten  Richtung  auf  und  schien  dadurch  die  Absicht  einer 
Vereinigung  mit  ]\Iontrose  kundzugeben.  Kaum  wurde  die 
Nachricht  seines  Anmarsches  bekannt,  als  ehester,  so  wichtig 
wegen  der  Verbindung  mit  Irland,  das  parlamentarische  Be- 
lagerungsheer abziehen  sah,  und  das  schottische  Heer  im 
Norden,  das  sich  nur  zögernd  etwas  vorwärts  bewegt  hatte, 
eilig  wieder  zurückwich.  Inzwischen  hatte  sich  Fairfax,  aus 
den  westlichen  Grafschaften  herbeigerufen,  mit  Cromwell  ver- 
bunden, und  beide  schickten  sich  an,  Oxford  zu  belagern,  den 
Sitz  des  Prinzen  von  York,  das  Hauptquartier  des  Royalismus^ 
dessen  Eroberung  in  Abwesenheit  des  Königs  nicht  unmöglich 
erschien.  Aber  schon  hatte  dieser  selbst  eben  deshalb  die 
Richtung  seines  Zuges  geändert.  Er  wandte  um  nach  Stafford- 
shire,  drang  weiter  südöstlich  in  Leicestershire  ein  und 
stürmte  am  30.  ]\Iai  die  Stadt  Leicester,  deren  Bürgerschaft 
die  ganze  Zügellosigkeit  der  Kavaliere  zu  erfahren  hatte. 
Sofort  eilte  Cromwell  den  bedrohten  östlichen  Grafschaften 
zu  Hilfe,  Fairfax  brach  die  Belagerung  von  Oxford  ab,  um 
dem  König  entgegen  zu  ziehen,  in  London  war  alles,  unter 
dem  Eindruck  der  letzten  Nachrichten,  voll  Eifer,  dem  Heere 
Verstärkungen  zugehen  zu  lassen.  Man  sehnte  sich  nach  einem 
entscheidenden  Schlage,  und  der  König  hatte  das  Seinige 
gethan,  die  Möglichkeit  eines  solchen  herbeizuführen. 

Auf  der  einen  Seite,  von  seinem  Neffen  Rupert  gedrängt, 
seinen  Marsch  nach  Norden  wieder  aufzunehmen  und  dadurch 
die  Feinde  hinter  sieh  herzuziehen,  auf  der  andern,  von 
Lord  Digby,  Oxford  zu  Hülfe  zu  eilen,  hatte  er  weder  in 
dieser  noch  in  jener  Richtung  entschiedene  Schritte  gethan^ 
sondern  in  sorglosem  Optimismus  inne  gehalten,  um  Ver- 
stärkungen abzuwarten.  Da  zog  sich  das  Netz  des  Verderbens 
um    ihn    zusammen.     Fairfax  koncentrirte    um  Northamptoii 


350  Schlacht  von  Naseby. 

seine  Streitkräfte.  Cromwell,  eben  damals  vom  Hause  der 
Gemeinen  als  General-Lieutenant  bestätigt,  traf  mit  seiner 
Reiterei  bei  ihm  ein.  Noch  dieselbe  Nacht  machte  Henry 
Treten,  der  von  der  Jurisprudenz  zum  Soldatenhanchverk 
übergegangen  war,  und  den  ganz  England  bald  als  Cromwell's 
genialen  Schwiegersohn  kennen  lernte,  einen  rekognoscirenden 
Angriff,  welcher  bewies,  dass  der  König  nunmehr  doch  auf's 
neue  den  Weg  nach  Norden  einschlagen  wolle.  Aber  die 
überlegenen  Feinde  so  dicht  auf  den  Fersen,  liess  sich  diese 
Absicht  nicht  mehr  ausführen.  Es  blieb  nichts  übrig,  als  die 
Schlacht  zu  wagen,  und  Karl  I.  entschloss  sich,  dem  Feinde 
entgegenzurücken.  So  kam  es  am  14.  Juni  zu  dem  Ent- 
scheidungskampfe, der  seinen  Namen  vom  Dorfe  Naseby  er- 
halten hat,  auf  dessen  Anhöhen  die  parlamentarische  Armee 
sich  ordnete.  Ihre  Reiterei,  Cromwell  zur  Rechten,  Ireton 
zur  Linken,  bildete  die  Flügel,  Skippon  stand  mit  dem 
Fussvolk  im  Centrum.  Auf  einer  ähnlichen  Bodenerhebung, 
südlich  von  Harborough,  stellte  der  König  seine  Truppen  auf, 
gleichfalls  die  Masse  des  Fussvolks  eingerahmt  von  der  Ka- 
vallerie, Prinz  Rupert  auf  dem  rechten  Flügel,  Sir  Marmaduke 
Langdale  auf  dem  linken.  Auf  beiden  Seiten  fanden  die  Ge- 
schütze günstige  Stellungen  auf  den  Anhöhen,  beide  hatten 
ansehnliehe  Reserven  hinter  sich.  Wie  gewöhnlich  riss  auch 
hier  Ruperts  Ungestüm  zum  überstürzten  Angriff  gegen  den 
besonnenen  Gegner  fort.  Auch  blieb  ihm  selbst  sein  altes 
Reiterglück  treu.  In  unwiderstehlichem  Ungestüm  sprengte 
er  Ireton's  Schwadronen  auseinander,  ihr  Führer,  mit  ver- 
zweifelter Wuth  kämpfend,  wurde  verwundet  und  gerieth  vor- 
üboi-gehend  in  Gefangenschaft.  Aber  auch  darin  blieb  der 
wilde  Prinz  sich  gleich,  dass  er,  rücksichtslos  vorwärts  stür- 
mend, durch  die  Reserven  in's  Lager  und  in  die  Bagage  der 
Feinde  einbrach,  wodurch  er  sich  starke  Verluste  zuzog  und 
auf  dem  Schlachtfeld  weilhvolle  Minuten  versäumte.  Hier 
hatte  währenddess  das  Fussvolk  in  erbittertem  Kampfe  mit 
einander  gerungen.  Unter  den  Augen  des  Königs  hatten 
seine  Regimenter  mehrere  der  Gegenseite  geworfen,  Skippon 
ward  schwer  verwundet,  Fairfax  sprengte,  nachdem  ein  Säbel- 


Schlacht  von  Naseby.  351 

hieb  ihn  seines  Helmes  beraubt,  baarhäuptig  durch  die 
Reihen  und  suchte  durch  persönliche  Tapferkeit  die  Ordnung 
wieder  herzustellen.  Die  Entscheidung  kam  auch  dies  Mal 
von  Cromwell.  An  seinen  Eisenseiten  prallte  der  feindliche 
Angriff  ab,  aber  seinem  eigenen  Ansturm,  dem  Feuer  der 
Karabiner,  den  Hieben  der  Schwerter  war  der  Gegner  nicht 
gewachsen.  Er  trieb  ihn  in  die  Flucht,  wandte  sich,  um 
dem  Fussvolk  Luft  zu  machen,  erfüllte  die  feindlichen  Regi- 
menter mit  panischem  Schrecken  und  hatte  noch  Kräfte 
genug  zum  letzten  Stoss  zur  Verfügung,  während  der  König 
mit  Wort  und  That  umsonst  sich  bemühte,  aus  den  Trümmern 
seines  Schlachthaufens  und  Ruperts  abgehetzten  Schaaren 
€ine  neue  Truppe  des  Widerstandes  zu  bilden.  Als  alles  ver- 
loren war,  floh  er  an  der  Spitze  der  zusammengerafften  Reiterei 
in  der  Richtung  nach  Leicester.  Seine  Kanonen,  seine  Fahnen 
und  Waffen,  sein  Lager  nebst  den  Damen  vornehmen  und  niederen 
Standes,  die  den  Kavalieren  gefolgt  waren,    wurde  erbeutet. 

Es  war  verhängnisvoll  für  den  König,  dass  hier  auch 
«in  grosser  Theil  seiner  Briefschaften  in  die  Gewalt  seiner 
Feinde  gerieth.  Man  erhielt  einen  überraschenden  Ein- 
blick in  seine  Korrespondenz  mit  der  verhassten  Königin, 
seine  Unterwürfigkeit  unter  ihre  Rathschläge,  seine  Absicht, 
fremde  Truppen  in's  Land  zu  führen,  seine  Pläne,  den  Katho- 
liken als  Preis  für  ihre  Unterstützung  Befreiung  von  den 
Strafgesetzen  zu  gewähren,  sein  Verlangen,  sich  gegen  frühere 
Zugeständnisse  des  Parlaments  zu  entledigen,  seine  diplo- 
matischen Intriguen  und  Winkelzüge.  ISiemals  war  der 
Gegensatz  seiner  feierlichsten  Erklärungen  und  seiner  wirk- 
lichen Intentionen  so  deutlich  hervorgetreten.  Die  öffentliche 
Vorlesung  der  Papiere  vor  der  londoner  Bürgerschaft  in  der 
Guildhall,  die  Bekanntmachung  durch  den  Druck  erregte 
einen  Sturm  der  Entrüstung  in  den  puritanischen  Gemüthern, 
die  sich  aufs  neue  überzeugt  hielten,  die  Freiheiten  des 
Landes  und  den  Bestand  des  Protestantismus  nur  durch 
siegreiche  Beendigung  des  Kriege  i^chützen  zu  können. 

Inzwischen  hatte  das  parlamentarische  Heer  seinen  ausser- 
ordentlichen Sieg  mit  Eifer  verfolgt.     Leicester  musste  kapi- 


352  •  Folgen. 

tuliren.  Der  König  gab  sehr  bald  die  Absicht  auf,  nach 
Norden  zu  entweichen,  und  warf  sich  an  die  Grenze  von 
Wales.  Prinz  Rupert  trennte  sich  von  ihm,  um  Bristol  zu 
halten.  Aber  Schlag  auf  Schlag  zertrümmerten  die  feind- 
lichen Schaaren  alle  Hoffnungen,  welche  den  Royalismus  bis 
dahin  in  den  südwestlichen  Grafschaften  erhoben  hatten. 
Das  tapfere  Taunton  sah  sich  nun  endgiltig  befreit.  Die 
königlichen  Truppen  unter  Goring  wurden  zersprengt.  Ein 
fester  Platz  nach  dem  andern  fiel  in  Fairfax'  und  Cromwell's 
Gewalt.  Das  Landvolk,  das  sich  in  diesen  Gegenden  eine 
selbstständige  Organisation  gegeben  hatte,  anfangs,  um 
sich  gegen  die  soldatische  Gewalt  von  beiden  Seiten  zu 
wehren,  alsdann  für  einen  Ausgleich  mit  dem  König  thätig, 
konnte  den  Siegeslauf  der  parlamentarischen  Truppen  nicht 
aufhalten.  Zugleich  kam  die  Nachricht  von  kriegerischen 
Erfolgen  des  Parlaments  im  Norden,  von  der  Einnahme  Car- 
lisle's  durch  das  Hilfsheer  der  Schotten,  ihrem  entschiedenem 
Vorrücken  nach  Süden,  ihrer  Einschliessung  Hereford's.  Von 
Irland,  vom  Festland  war  so  bald  keine  Hilfe  zu  erwarten. 
Mehr  als  einer  der  Vertrauten,  Prinz  Rupert  selbst  von. 
Bristol  aus,  rietheu  dringend  zum  Frieden. 

Karl  I.  hatte  ein  Auge  für  den  drohenden  Ruin,  aber 
im  Moment  der  höchsten  Bedrängnis  hielt  er  entschiedener 
als  je  daran  fest,  die  von  den  früheren  Monarchen  über- 
kommene „kirchliche  und  militärische  Gewalt  der  Krone" 
nicht  mindern  zu  lassen  und  „seine  Freunde  nicht  aufzu- 
geben". Und  von  einer  Seite  winkte  der  königlichen  Sache 
noch  eine  Hoffnung.  Montrose  hielt  den  ganzen  Sommer  auf 
seiner  Siegeslaufbahn  nicht  inne  und  trieb  die  Streitkräfte 
der  Covenanters,  wo  immer  er  auf  sie  traf,  auseinander.  Da 
der  König  nicht  wagen  konnte,  mit  dem  Material,  das  er 
aus  Wales  aufgeboten  hatte,  den  bedrängten  südwestlichen 
Grafschaften  zu  Hilfe  zu  eilen  oder  den  Entsatz  von  Here- 
ford  zu  versuchen,  führte  er  mit  wenig  Reiterei,  ohne  von 
den  Schotten  belästigt  zu  werden,  einen  kühnen  Zug  quer 
durch's  Land  in  nordwestlicher  Richtung  aus,  zog  in  Notting- 
lianishirc  einige  Verstärkungen  an  sich  und  rückte  bis  Doncaster 


Kapitulatiou  vou  Bristol.  353 

vor,  um  von  dort  eine  Vereinigung  mit  Montrose  zu  bewerk- 
stelligen. Aber  die  schottische  Reiterei  unter  David  Leslie, 
vom  Hereforder  Belagerungsheer  losgelöst,  war  ihm  auf  den 
Fersen,  parlamentarische  Truppen  waren  im  Anrücken,  sein, 
eigener  Anhang  war  schwach,  und  er  beeilte  sich,  um  einer 
Katastrophe  zu  entgehen,  sich  wieder  südwärts  zu  wenden. 
Am  29.  August  langte  er  in  Oxford  an. 

Xoch  einmal  riss  ihn  die  Nachricht  des  grössten  Sieges 
Montrose's  bei  Kilsyth  (15.  August),  der  Glasgow  und  Edinburg 
in  seine  Gewalt  gab,  zu  neuen  Unternehmungen  fort.  Er  brach 
auf,  um  Hereford  zu  entsetzen,  aber  schon  ehe  er  anlangte, 
hatten  die  Schotten  die*  Belagerung  aufgehoben,  um  sich,  er- 
schreckt durch  die  Berichte  aus  der  Heimat,  ihren  Grenzea 
wieder  zu  nähern.  Er  beabsichtigte  darauf  Bristol  zu  Hilfe  zu 
kommen,  dessen  Einschliessung  Fairfax  begonnen  hatte.  Aber 
da  er  die  von  Piupert  vertheidigte  Stadt  auf  lange  Zeit  für  wider- 
standsfähig hielt,  zog  er  sich  wieder,  wie  nach  der  Schlacht  von 
Xaseby,  einige  Tage  auf  das  Schloss  Ragland  zu  dem  getreuen 
Marquis  von  Worcester  zurück,  dem  grossen  katholischen 
Lord,  dessen  Sohn,  Lord  Herbert,  Graf  von  Glamorgan,  heim- 
lich für  den  König  in  Irland  thätig  war.  Da  traf  ihn  die  uner- 
wartete Botschaft,  dass  Prinz  Rupert  nach  einem  Sturm  der 
Belagerer  Bristol,  den  Hauptstützpunkt  des  Royalismus  im 
Westen,  überliefert  habe  (IL  September).  Aufs  neue  er- 
schien die  Vereinigung  mit  Montrose  als  einzige  Rettung  (i). 
Durch  die  Berge  von  Xord- Wales  gieng  der  schwierige  "Weg, 
dessen  nächstes  Ziel  die  Befreiung  des  wieder  belagerten 
ehester  bildete.  Aber  obwohl  der  König  in  die  Stadt  ge- 
langte, geriethen  die  Royalisten  doch  zwischen  das  Feuer  der 
Belagerer  und  der  Verfolger.  ]\Iit  empfindlichem  Verlust  sah 
sich  der  König  auch  jetzt  von  der  Strasse  nach  Norden  ab- 
gedrängt. Zugleich  musste  er  erfahren,  dass  auch  dort  seine 
letzte  Stütze  gebrochen,  dass  Montrose  am  13.  September  bei 
Philiphaugh  im  Forst  von  Ettrick  an  der  Grenze  beider  Länder 
von  Leslie's  Reitern  überfallen ,  und  dass  aus  dem  glänzenden 
Sieger  in  wenig  Stunden  ein  machtloser  Flüchtling  geworden  war. 

Die  Lage  Karls.  L  wurde  immer  verzweifelter,   und  der 

Stern,  Miltou  u.  s.   Zeit.     I.  2.  23 


354  Niederlage  Montrose's  bei  Philiphaugh. 

Plan,  England  zu  verlassen,  um  sich  den  Winter  auf  der  Insel 
Anglesey  zu  verschanzen,  tauchte  auf.  Er  wurde  aufgegeben, 
ohne  dass  der  gefahrvolle  Marsch  nach  Newark  Aussicht  auf 
irgend  welchen  Erfolg  hätte  bieten  können.  Hier  stellte  Prinz 
Rupert  sich  wieder  ein,  mit  welchem  der  König  nach  dem 
jähen  Verluste  Bristols  auf  Digby's  Betreiben  vollständig  ge- 
brochen hatte.  Eupert  erwirkte  zwar  vom  Kriegsrath  eine 
Ehrenerklärung,  aber  der  Riss  zwischen  ihm  und  dem  König, 
durch  Kränkungen  seiner  militärischen  Freunde  erweitert, 
gieng  so  tief,  dass  nach  einer  lieftigen  Scene  der  Prinz  nebst 
seinem  Bruder  zu  dem  Entschluss  gelangte,  England  zu  ver- 
lassen. Sein  Gegner  im  königlichen  Rath,  Lord  Digby,  auf 
einem  tollkühnen  Zuge  nach  Schottland  begriffen,  von  wo  ihm 
täuschende  Nachrichten  eines  neuen  Erfolges  Montrose's  zu- 
gekommen waren,  entgieng  eben  damals  mit  knapper  Noth 
und  Hinterlassung  wichtiger  Papiere  der  Gefangenschaft  und 
hatte  Mühe,  sich  nach  Irland  zu  retten.  Und  so  sah  sich 
Karl  inmitten  seines  Unglücks  derer  beraubt,  an  denen  er 
bisher  einen  Halt  gefunden  hatte,  und  durch  die  Gegensätze, 
die  sich  in  seiner  unmittelbaren  Nähe  unter  den  Höflingen 
und  Soldaten  regten,  schmerzlich  berührt. 

Nachdem  seine  Aussichten  von  Monat  zu  Monat  trüber 
geworden,  und  die  ganze  Zeit  seit  Naseby  in  nutzlosen  Märschen 
vergeudet  worden  war,  brach  er  mit  ein  Paar  hundert 
Reitern  auf,  um,  von  Ort  zu  Ort  gehetzt,  im  alten  Haupt- 
([uartier  Oxford  für  den  Winter  wenigstens  Ruhe  und  Bequem- 
lichkeit zu  finden.  Die  Versöhnung  mit  seinem  Neften,  die 
liier  erfolgte,  konnte  keine  Entschädigung  für  die  ungeheuren 
Verluste  bieten,  welche  die  Sache  des  Royalisnuis  in  diesem 
W^inter  durch  das  ganze  Reich  erlitt.  Der  grosste  Theil  der 
königlichen  Garnisonen,  die  Schlösser  der  Kavalieie,  die  bis 
dahin  ausgehalten  hatten,  öffneten  vor  dem  Donner  von 
Fairfax'  und  CromwelFs  Geschützen  die  Thore.  In  Coi-n- 
wallis  und  Devonshire,  dem  letzten  bedeutenden  Sitz  der 
königlichen  Macht,  lähmte  die  Uneinigkeit  zwischen  dem  Rathe 
des  Prinzen  von  Wales  und  dem  militärischen  Kommando 
den  Widerstand.     Desertion   und  Insubordination   sahen   sich 


Der  König  in  Oxford.  —  Glamorgau  in  Irland.  355 

durch  mehr  als  ein  Beispiel  von  oben  ermuthigt.  Der  Prinz 
von  Wales  mit  seinem  Gefolge,  Hyde,  Colepepper  etc.  wurde 
genöthigt,  auf  die  Scilly-Inseln  überzusetzen  (2.  März  1646). 
Der  tapfere  Sir  Ralph  Hopton  folgte  ihm  nach,  als  seinen 
Truppen  nichts  übrig  blieb,  als  die  Waffen  zu  strecken.  Sir 
Jacob  Astley,  im  Begriff,  die  Richtung  nach  Oxford  zu  nehmen, 
wurde  in  Gloucestershire  zur  Ergebung  gezwungen.  Und  Oxford 
selbst,  schon  seit  Ende  1645  von  parlamentarischen  Truppen 
bewacht,  ward  im  Frühjahr  1646,  nachdem  jene  Burgen  des 
Boyalismus  gebrochen  waren,  immer  enger  umschlossen. 

In  Schottland  war  die  Herrschaft  der  Coveuanters  neu 
befestigt.  Montrose  bemühte  sich  vergeblich,  in  den  Hoch- 
landen einen  zweiten  Aufstand  zu  orgauisiren,  und  Argyle 
nahm  an  den  Genossen  seines  romantischen  Gegners  eine 
blutige  Rache.  Noch  schwerer  war  die  Einbusse,  welche  das 
königliche  Ansehen  durch  die  Entwickelung  der  Dinge  in 
Irland  erlitt.  Schon  längst  stand  Glamorgan,  gestützt  auf 
private  Vollmacht  des  Königs,  welche  über  die  des  Statt- 
halters Ormond  weit  hinausgieng,  mit  den  irischen  Katho- 
liken und  dem  päbstlichen  Nuntius  für  Irland  in  Verbindung. 
Es  war  ihm  im  August  1645  gelungen,  einen  Friedensvertrag 
zu  Stande  zu  bringen,  nach  welchem  eine  starke  irisch-katho- 
lische Hilfsleistung  im  englischen  Bürgerkrieg  mit  Gewährung 
freier  Religionsübung  und  Ueberlassuug  aller  seit  dem  Ge- 
metzel von  1641  ergriffenen  Kirchengüter  belohnt  werden 
sollte.  Ein  Abkommen,  das,  für  vertraute  Rathgeber  des 
Königs  selbst  ein  tiefes  Geheimnis,  und  seinerseits  unter 
dem  stillen  Vorbehalt  möglicher  Verwerfung  getroffen,  ein 
schweres  Unrecht  durch  ein  anderes  zu  sühnen  drohte,  und 
dessen  Bekanntwerden  das  reizbare  protestantische  Gefühl 
bei  Freund  und  Feind  in  den  schwärzesten  Befürchtungen 
bestärken  musste(^).  Schon  traf  Glamorgan  Anstalten,  in  Ge- 
mässheit  des  geheimen  Vertrages  jene  gefürchtete  cel tische 
Mannschaft  auf  englischen  Boden  überzuführen,  als  das  Parla- 
ment den  Wortlaut  des  Paktes  und  andere  darauf  bezügliche 
Papiere,  die  ein  glücklicher  Zufall  ihm  in  die  Hand  gespielt 
hatte,    veröffentlichen  Hess.    Es  war    der    schwerste  Schlag, 

23* 


356  Cromwell  für  Tolerauz. 

der  Karl  versetzt  werden  konnte,  besonders  empfindlich,  da 
er  inmitten  der  Verhandlungen  erfolgte,  die  er  von  Oxford 
aus  mit  seinen .  Gegnern  angeknüpft  hatte.  Wenn  er  selbst 
kühn  genug  war,  Glamorgan's  Verfahren  als  durchaus  eigen- 
mächtig zu  bezeichnen,  so  konnte  dies  den  allgemeinen  Arg- 
wohn eben  so  wenig  entkräften,  wie  dass  Ormond  und  Digby 
für  kurze  Zeit  Glamorgan  in  Haft  nahmen.  —  Seit  Naseby 
war  eine  Niederlage  auf  die  andere  gefolgt.  Nicht  mehr  auf 
die  eigene  Kraft,  nur  noch  auf  den  Zwiespalt  der  Gegner 
war  einige  Hoffnung  zu  setzen. 


In  der  That  war  die  Kluft,  die  sich  zwischen  den  beiden 
Parteien  des  Puritanismus  aufgethan  hatte,  immer  breiter 
geworden.  Der  Independentismus  hatte  mit  jedem  neuen 
Siege  der  umgebildeten  Armee  eine  neue  Stärkung  erhalten. 
Die  Briefe,  welche  Cromwell  nach  so  unerwarteten  Erfolgen 
an  den  Sprecher  des  Hauses  richtete,  waren  als  eben  so  viele 
Willensäusserungen  dieses  Heeres  zu  betrachten,  dessen  Masse 
den  Piath  zu  London  nicht  verderben  lassen  wollte,  was  die 
That  auf  dem  Schlachtfelde  errungen  hatte.  „Ehrliche  Leute, 
—  heisst  es  nach  Naselty  —  dienten  euch  wacker  bei  dieser 
Aktion.  Sir,  sie  sind  treu,  ich  bitte  euch  im  Namen  Gottes, 
entmuthigt  sie  nicht.  Ich  wünsche,  diese  Aktion  möge  alle, 
die  es  angeht,  dankbar  und  demüthig  machen.  Wer  sein 
Leben  für  die  Freiheit  seines  Landes  wagt,  .  .  verlässt  sich 
auf  Gott  wegen  der  Freiheit  seines  Gewissens  und  auf  euch 
wegen  der  Freiheit,  für  die  er  kämpft."  Noch  ausführlicher 
Hess  er  sich  nach  der  Einnahme  von  Bristol  hören.  Sie  ist 
ihm  das  „Werk  Gottes",  und  die  Soldaten  fühlen  sich  al& 
..Werkzeuge  zum  Puhme Gottes  und  zum  Heile  ihres  Landes"  .. 
„Presbyterianer,  Independenten,  alle  haben  hier  denselben 
Geist  des  Glaubens  und  des  Gebets  .  .  sie  sind  einig,  nicht 
durch  Parteinamen  getrennt,  schade,  dass  es  irgendwo  anders 
ist!  Alle  die  glauben,  haben  die  wirkliche  Einheit,  die  sehr 
herrlich  ist,  weil  imierlich  und  geistig,  in  dem  Leibe  (der  Kirche) 


Cromwell  für  Toleranz.  357 

und  in  ihrem  Haupte  (Christus).  Denn  jeder  Christ,  wenn 
er  auch  sonst  (mit  anderen)  in  bestimmten  Formen,  nach 
sog.  Uniformität,  vereint  ist,  wird  doch  um  des  Friedens 
willen  alles  thun  und  erstreben,  was  sein  Gewissen  ihm 
erlaubt.  Und  unter  Brüdern  sehen  wir  in  geistigen  Dingen 
auf  keinen  Zwang,  als  auf  den  der  Erleuchtung  und  Vernunft. 
In  anderen  Dingen,  zur  Schreckung  der  Bösen  und  zur  Be- 
lohnung der  Guten,  hat  Gott  das  Schwert  in  die  Hände  des 
Parlaments  gelegt.  Wer  sich  dagegen  sträubt,  kennt  die 
Schrift  nicht,  wer  euch  das,  unter  welchem  Vorwand  auch 
immer,  entringen  will,  wird  hoffentlich  nicht  zum  Ziele 
kommen"  (^).  —  Dunkel  genug  bleibt  auch  hier  an  mehr  als 
einer  Stelle  die  abgerissene  Sprache  des  mächtig  erregten 
Mannes,  aber  so  viel  geht  aus  seinen  Worten  hervor,  dass 
er  die  Staatsgewalt  sehr  ernstlich  abmahnt,  in  Fragen  des 
Gewissens  einen  Zwang  auszuüben,  dass  er  dem  Grundsatz 
der  Duldung  abweichender  Gestaltung  des  kirchlichen  Lebens 
sehr  nachdrücklich  das  Wort  redet.  Es  war  nicht  der  Inde- 
pendentismus  eines  Rogers  Williams,  der  dem  Staate  überhaupt 
jede  Befugnis  kirchlicher  Organisation  absprach,  und  unter 
der  Vollmacht,  die  ,.Bösen  (evil-doers)  zu  schrecken"  konnte 
sich  ein  gutes  Stück  staatlicher  Tyrannei  gegen  Glauben, 
Kultus  und  Kirchen  -  Verfassung  bergen,  aber  es  war  doch 
noch  weniger  die  Engherzigkeit  der  zelotischen  Presbyterianer, 
welche  nur  ein  einziges  Schema  gestatten  wollten,  nach  dem 
sich  jeder  seine  Seligkeit  sollte  zuschneiden  lassen. 

Auch  war  man  sich  auf  dieser  Seite  mit  Schmerzen  bewusst, 
wie  wünschenswerth  es  sei,  jenem  siegreichen  Heere,  dessen 
Abgott  eine  solche  Sprache  zu  führen  wagte,  und  in  dessen 
Eeihen  man  bittere  Worte  des  Spottes  über  die  Synode  hören 
konnte,  ein  militärisches  Gegengewicht  entgegenzustellen. 
Auf  die  Thaten  der  Schotten  kam  es  dafür  auch  dies  IMal  an. 
Wäre  das  Heer  seiner  Landsleute  nur  in  guter  Verfassung, 
meint  Baillie  am  25.  April  1(345,  ..so  würden  alle  diese  Wolken 
schwinden .  wir  würden  die  Herzen  dieses  Volkes  zurückge- 
winnen und  mit  allen  Sektirern  nach  Belieben  verfahren"  (^). 
Aber  statt    slorreicher  Thaten    der    schottischen    Hilfsarmee 


358  Furcht  der  Presbyterianer. 

liörte  man  den  ganzen  Sommer  hindurcli  nur  von  den  Triumphen 
^Montrose's,  und  selbst  als  sie,  nachdem  Fairfax  und  Cromwell 
das  Beste  gethan,  sich  vorwärts  bewegt  hatte,  brach  sie  bald 
genug  wieder  nach  Norden  auf,  um  den  parlamentarischen 
Truppen  die  Hauptarbeit  zu  iiberlassen.  Geraume  Zeit  nach 
der  Besiegung  Montrose's  rafften  sich  die  Schotten  zur  Be- 
lagerung Newark's-  auf.  Allein  das  gute  Verhältnis  der  beiden 
Nationen  war  gestört,  und  die  gegenseitigen  Klagen  und  Be- 
schwerden hatten  eine  gereizte  Stimmung  zuriickgelassen. 
Forderte  man  im  schottischen  Lager  den  riickständigen  Sold, 
so  wies  man  von  London  aus  auf  die  Plätze,  welche  die 
Bundesgenossen  in  Händen  hielten,  und  den  Zustand  der 
Landschaften  hin,  in  denen  sie  kampirt  hatten.  Das  englische 
Sondergefühl  gegen  die  nordischen  Nachbarn,  die  noch  vor 
kurzem  begeistert  als  Brüder  begrlisst  worden  waren,  fieng  an, 
sich  hie  und  da  zu  regen,  nicht  ohne  ein  Bewusstsein  davon, 
dass  durch  die  fremden  pres])yterianischen  Institutionen,  die 
dem  Lande  aufgezwungen  werden  sollten,  ihre  Hilfe  zu  theuer 
erkauft  sei.  Baillie  berichtet  von  dem  w^^chsenden  Wider- 
willen gegen  die  schottische  Nation.  Er  fürchtet  einen  voll- 
ständigen Bruch  der  beiden  Völker.  Er  sieht  mit  Schrecken 
die  „Entmuthigung  der  Synode",  die  Zunahme  der  Sekten 
und  findet  für  alles  das  den  Grund  in  dem  Mangel  eines 
tüchtigen  Heeres  seiner  Landsleute  (^). 

Lidessen,  wenn  der  Presbyterianismus  nicht  auf  grosse 
Waflfenerfolge  verweisen  konnte,  so  hatte  er  einigen  Grund, 
sich  anderer  Siege  zu  rühmen.  In  London  war  die  Bürger- 
schaft im  ganzen  und  grossen  nach  wie  vor  für  ihn  begeistert. 
Die  gesammte  Geistlichkeit  der  Hauptstadt,  mit  Avenigen  Aus- 
nahmen, war  i)resbyterianisch.  Goodwin  und  Burton,  welche 
zu  diesen  Ausnahmen  gehört  hatten,  wurden  vom  Parlamente 
ihrer  Stellen  entsetzt.  Ueberhaupt  zeigte  sich  das  Parlament 
gegenüber  dem  Andringen  des  unduldsamen  Klerus  durchaus 
nicht  immer  von  gleicher  Apathie,  wie  in  dem  Falle  John 
Milton's.  Paul  Best,  der  die  Dreieinigkeit  läugnete,  nahm 
man  fest,  um  ihm  den  Prozess  auf  Leben  und  Tod  zu 
machen,   John  Lilburne,   der,   immer  zum  Streite  aufgelegt^ 


Massregeln  des  Presbyterianismiis.  359 

seine  Stelle  im  Heere  aufgegeben  hatte,  um  den  Kampf  mit 
den  Presbyterianern  fortzusetzen,  hatte  sich  gleichfalls  Ver- 
haftung zugezogen.  Baptistische  Gemeinden  wurden  gestört, 
baptistische  Prediger  eingekerkert,  das  Glaubensbekenntnis 
der  sieben  londoner  Gemeinden  wurde  mit  Beschlag  belegt ('). 
Die  sog.  Akkommodations-Ordonnanz,  die,  unter  Cromwell's 
Einwirkung  zu  Stande  gebracht,  der  Gewissensfreiheit  einigen 
Schutz  gewähren  sollte,  konnte  das  siegreiche  Fortschreiten  des 
Presbyterianismus  nicht  aufhalten.  Trotz  der  Verhandlungen, 
die  auf  Grund  jener  Ordonnanz  stattgefunden  hatten,  hatte  das 
Parlament  die  Hauptzüge  der  presbyterianischen  Verfassung 
votirt.  Die  independentischen  Mitglieder  der  Synode,  die  fünf 
bekannten  durch  zwei  Gesinnungsgenossen  verstärkt,  waren  auf- 
gefordert, einen  Gegenentwurf  vorzulegen.  Als  aber  im  Laufe 
des  Jahres  1645,  ohne  Piücksicht  auf  die  independentischen  Ge- 
wissen, die  näheren  Bestimmungen  zur  Ausführung  des  pi-es- 
byterianischen  Systems  ergiengen,  hielten  sie  es  für  unwürdig, 
der  brutalen  Gewalt  der  Thatsachen  ihre  Theorien  entgegen- 
zustellen und  reichten  der  Synode  am  13.  Oktober  eine  kurze 
Remonstranz  ein. 

Das  Parlament  griff  unter  diesen  Umständen  wieder  auf 
seine  Akkommodations-Ordonnanz  zurück.  Aufs  neue  wurden 
Committeeverhandlungen  zwischen  beiden  Parteien  unter  Theil- 
nahme  der  abgeordneten  Parlamentsmitglieder  und  der  schotti- 
schen Kommissäre  eröffnet.  Nun  aber  rächte  sich  die  Beschränkt- 
heit, mit  welcher  die  Presbyterianer  eine  das  ganze  Volk  um- 
fassende, ausschhessliche  Kirchenform  gefordert  und  als  solche 
in  angstvoller  Eile  die  ihrige  beim  Parlamente  durchgesetzt 
hatten.  Ihre  Gegner  zogen  sich  einfach  auf  ihren  alten  günstigen 
Standpunkt  zurück,  Toleranz  zu  fordern.  Mochte  die  presbyte- 
rianische  privilegirte  Staatskirche  immerhin  bestehen,  sie  selbst 
verlangten  nur,  nicht  gezwungen  zu  werden,  sich  ihr  anzu- 
schliessen.  Sie  baten,  ihnen  zu  gestatten,  „die  Ordination  in 
ihren  eigenen  Kongregationen  vorzunehmen",  sich  „mit  solchen 
Kongregationen  zu  verbinden,  die  ihnen  zusagen  würden",  in 
diesen  selbstständig  die  „kirchlichen  Censuren"  auszuüben,  ohne 
gezwungen  zu  werden,  sich  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit  und 


360  Wiederaufnahme  der  Akkomodations-Ordonnanz. 

Yerwaltiiiig  der  presbyterianischen  Staatskirche  zu  unterwerfen 
und  in  den  presbyterianischen  Pfarrkirchen  ihres  Wohnortes  zu 
kommuniciren..  Ein  bedeutender  Fortschritt  gegen  früher,  eine 
entschiedene  Annäherung  an  die  Tendenzen  des  Heeres  war 
darin  zu  erkennen,  dass  ihre  Bitte  um  Toleranz,  wenn  Bailhe 
Glauben  zu  schenken  ist,  sich  nicht  nur  auf  „sie  selbst", 
sondern  auch  auf  „andere  Sekten"  bezog (^).  Noch  dünkte  es 
die  independentischen  Geistlichen  möglich,  bei  alledem  eine 
gewisse  Verbindung  mit  der  Staatskirehe  festzuhalten.  Sie 
fühlten  sich  in  den  „meisten  wesentlichen  Punkten  mit  ihren 
Brüdern  einig",  im  Dogmatischen  und  Kituellen,  in  den  Be- 
stimmungen für  die  Qualifikation  der  Gemeindebeamten  wie 
der  Gemeindemitglieder.  Gelegentliche  Gemeinschaft  der 
Heilsmittel,  gegenseitige  Aushilfe  schien  ihnen  erwünscht. 
Sie  giengen  so  weit,  der  „Weisheit  der  Legislation"  überlassen 
zu  wollen,  die  Zahl  der  Kongregationen  zu  beschränken. 

Die  Presbyterianer  fanden  in  dieser  Nachgiebigkeit  nur 
einen  Grund  mehr,  jene  Forderungen  zu  verwerfen.  Sie 
suchten  wiederum  durch  die  Worte  „Schisma"  und  „Sekten" 
zu  schrecken  und  verlangten  strikte  Uniformität,  als  einzig  dem 
Heile  der  Gesellschaft  und  dem  Covenant  entsprechend.  Auch 
wussten  sie  zu  diesem  Zweck  einen  wirksamen  Druck  auf  das 
Parlament  auszuiiben.  Die  londoner  Geistlichkeit,  die  seit 
einiger  Zeit  regelmässige  Zusammenkünfte  im  Gebäude  des 
Sion  College  hielt,  verfasste  ein  Schreiben  an  die  Synode 
(18.  December  1G45),  in  welchem  gegen  die  „Toleranz,  die 
grosse  Diana  der  Independenten  und  aller  Sektirer",  ange- 
kämpft wurde.  Man  wusste  ihm  nach  seinei-  Ueberreichung 
(1.  Januar  1646)  sofortige  Verbreitung  durch  den  Druck  zu 
geben.  Die  städtischen  Behörden  von  London  hielten  einen 
Fasttag  und  tiberreichten  am  15.  und  16.  Januar  1646  beiden 
Häusern  eine  Petition,  in  der  sie  schleunige  Vollendung  der 
Kirchenverfassung  und  Unterdrückung  aller  Sekten  forderten. 
Aus  Schottland  kamen  gleichfalls  Anmahnungen,  sich  strenge 
an  die  Urkunde  von  Liga  und  Covenant  zu  halten.  Am 
0,  März  1646  fand  die  letzte  Sitzung  des  grossen  Committee 
in  Sachen  der  Akkommodations-Ordonnanz  Statt.  Die  Presby- 


Einführung  des  Presbyterial-Systems.  361 

terianer  erklärten,  man  scheine  auf  der  Gegenseite  Gewissens- 
freiheit nicht  nur  für  sich,  sondern  für  alle  ^Menschen  zu 
fordern,  das  vertrage  sich  aber  nicht  mit  der  Vorschrift  des 
Covenant,  einer  engen  Verbindung  der  Kirchen  in  den  drei 
Eeichen  zuzustreben.  Burroughs  erwiderte  im  Namen  der 
Independenten,  sie  seien  entschlossen  zu  dulden  oder  einen 
andern  Fleck  Erde  aufzusuchen  (M. 

Währenddess  war  auf  Betreiben  der  Synode  eine  parla- 
mentarische Massregel  auf  die  andere  gefolgt,  um  das  pres- 
byterianische  System  im  einzelnen  auszubilden.  Am  23.  August 
1645  verbot  eine  Ordonnanz  bei  schwerer  Strafe  den  weiteren 
Gebrauch  des  Common -Prayer- Book  selbst  für  die  Haus- 
andacht und  führte  die  neue  Gottesdienstordnung  in  allen 
Pfarreien  ein.  Im  September  ergiengen  Anweisungen  in  die 
Grafschaften,  um  für  die  Wahl  der  Laien- Aeltesten  durch 
Geistliche  und  volljährige  Gemeindemitglieder,  die  den  Cove- 
nant angenommen,  unverheiratete  Dienstboten  ausgenommen, 
für  die  Eintheilung  der  Wahlkreise  u.  s.  w,  das  Nöthige  vor- 
zubereiten. Gegen  Ende  desselben  Monats  war  London,  als 
Kirchenprovinz,  in  zwölf  Presbyterien  oder  Classes  getheilt, 
in  jedem  dieser  Bezirke  durch  das  Parlament  eine  Anzahl 
von  Examinatoren,  ein  Drittel  Geistliche,  zwei  Drittel  Laien, 
ernannt,  denen  es  obliegen  sollte,  die  erwählten  Aeltesten  auf 
ihre  Tüchtigkeit  und  Moralität  hin  zu  prüfen.  Am*  8.  No- 
vember wurde  eine  lange  Verordnung  erlassen  betreffend  die 
künftige  Ordination  von  Geistlichen  durch  die  Presbyterien. 
Alle  Vorschläge  der  Synode  waren  hier  berücksichtigt,  alle 
rigorosen  Grundsätze  bezüglich  der  Zulassung  eines  Kandidaten, 
seiner  Prüfung  auf  Befähigung,  RechtgTäubigkeit,  Sittlichkeit 
adoptirt.  Die  durch  die  Bischöfe  geschehenen  Ordinationen 
w^urden  indess  ebenso  für  giltig  erklärt  wie  die  d(n-  schotti- 
t^cl\en  und  irgend  einer  anderen  reformirten  Kirche  (-). 

Allerdings  waren  diese  Fortschritte  nicht  ohne  vielfache 
Zögerungen  und  heftige  Kämpfe  gemacht  worden,  und  es  war 
nicht  allein  die  independentische  Strömung,  die  sie  aufzu- 
halten gesucht  hatte.  Die  Erastianer.  die  gelehrten  Juristen, 
wie   Seiden,    Whitelocke,    St.    John,    hielten    ihr  Augenmerk 


362  Hemmnisse  der  Erastianer. 

beständig  darauf  gerichtet,  durch  die  neue  Kirchenverfassung 
die  geistliche  ]\racht  nicht  mit  Mitteln  auszustatten,  die  sie 
befähigen  könnte,  sich  der  Abhänßigheit  vom  Staate  zu  ent- 
ziehen. Wenn  ihre  Ansichten  in  der  Synode  nicht  zum 
Durchbruch  kommen  konnten,  so  wussten  sie  ihnen  im  Parla- 
mente Geltung  zu  verschaffen.  Im  Hause  der  Gemeinen 
schlössen  sich  ihnen  die  independentisch  gesinnten  Staats- 
männer als  natürliche  Verbündete  gegen  den  Presbyterianismus 
an,  und  deren  Eeilien  v.urden  durch  die  zahlreichen  parla- 
mentarischen Ergänzungswahlen,  zu  denen  man  seit  den  Er- 
folgen des  Sommers  1045  die  Möglichkeit  fand,  bedeutend 
verstärkt.  Von  besonderer  Wichtigkeit  war  es,  dass  die  Armee 
eine  starke  Vertretung  durch  diese  Neuwahlen  erhielt.  Offi- 
ciere  wie  Blake,  Hutchinson,  Ludlow,  Montague,  Algernon  Sidney, 
William  Sydenham,  Fleetwood,  Ireton,  denen  bis  in  den  Anfang 
des  Jahres  1646  Sitze  zu  Theil  wurden,  gehörten  entschieden 
der  independentischen  Richtung  an,  und  mehrere  von  ihnen 
standen  zu  Cromwell  im  innigsten  Verhältnis.  Je  stärker 
diese  Elemente  eindrangen,  desto  hitziger  wurde  der  Kampf 
zwischen  ihnen  und  ihren  presbyterianischen  Gegnern,  die  denn 
doch  auch  manchen  Zuwachs  erlangten.  Und  schon  ehe  das 
Haus  durch  diese  P^rgänzungen  sich  füllte,  war  es  gelungen, 
der  Synode  mehr  als  einen  empfindliclien  Streich  zu  versetzen. 
Ein  ausschliesslich  göttliches  Recht  der  Presbyterial- 
verfassung  wurde  nicht  anerkannt,  und  damit  die  Grund- 
lage hinweggenommen,  auf  welche  die  Schotten  und  ihre  eng- 
lischen Freunde  ihr  Gebäude  als  unerschütterlich  aufrichten 
wollten.  Die  Gewalt,  durch  Entziehung  des  Abendmahlsge- 
nusses eine  geistliche  Strafe  aufzulegen  und  durch  Ex- 
konnnunikation  von  der  Kirchengemeinschaft  auszuschliessen, 
wagte  man  den  neuen  kirchlichen  Organen  nicht  zu  versagen. 
Aber  während  die  Verfechter  der  Staatsallmacht  kein  Bedenken 
trugen,  ihnen  die  Beihilfe  der  Friedensricliter  zum  Zweck 
der  Zeugniserzwingung  zur  Verfügung  zu  stellen,  versuchten 
sie  ihi-er  Thätigkeit  in  anderer  Weise  bestimmte  Schranken 
zu  setzen.  Das  Tarlament  verlangte  von  der  Synode  eine 
genaue  Aufklärung   darül)er,    wen    alles    sie  unter  den  „un- 


Frage  der  Abendmahlsverweigerung  und  der  Schlüsselgewalt.    363 

wissenden  und  anstössigen"  („ipnorant  and  scandalous")  Per- 
sonen verstehe,  gegen  die  sie  Pastoren  und  Aelteste,  gestützt 
auf  Beiclit-  und  Zeugen-Aussagen,  mit  der  Handhabung  jener 
kirchlichen  Zuchtmittel  ausgerüstet  wissen  wollte.  Nach  langen 
Verhandlungen  kam  die  specificirte  Liste  der  „Unwissenden 
und  Anstössigen"  zu  Stande,  in  der  sich  der  Atheist  und 
Dreieinigkeitsläugner  neben  den  Mörder  und  Ehebrecher,  der 
Gegner  des  Dogmas  von  der  Erbsünde  und  der  Auferste- 
hung neben  den  Sabbathbrecher  und  Trunkenbold  gestellt 
fand.  Ausdrücklich  war  indessen  bemerkt,  dass  den  Inhabern 
der  geistlichen  Jurisdiktion  die  Untersuchung  aller  Angelegen- 
heiten, die  Leib  und  Loben,  Hab  und  Gut  beträfen,  entzogen, 
dass  einem  vor  ihnen  abgelegten  Zeugnis  oder  Bekenntnis 
keine  gerichtliche  Beweiskraft  eingeräumt  und  jedem,  der  sieh 
durch  das  geistliche  Verfahren  beschwert  fühle,  eine  letzte  Be- 
rufung an  das  Parlament  freigestellt  sein  sollte.  (')  Die  Zöge- 
rungen, welche  durch  die  Verhandlungen  hierüber  herbeige- 
führt wurden,  mussten  die  eifrigen  Presbyterianer  mit  Un- 
willen erfüllen.  Eine  Abstimmung,  die  am  3.  Feliruar  1646 
im  Unterhause  stattfand,  zeigte  ihnen  noch  deutlicher,  wie 
wenig  verlässlich  diese  Versammlung  für  die  strenge  Verwirk- 
lichung ihrer  Lieblingspläne  sei.  In  einer  Deklaration  w^ar 
von  „der  Schonung  zarter  Gewissen,  so  weit  diese  mit  dem 
Worte  Gottes  und  dem  Frieden  des  Kelches  vereinbar  sei", 
die  Rede.  Nur  mit  der  kleinen  Majorität  von  sieben  Stimmen 
wurde  wenigstens  vor  „dem  Frieden  des  Reiches"  auch  noch 
der  „Frieden  der  Kirche"  eingeschmuggelt,  womit  sich  die 
presbyterianische  Ausschliesslichkeit  gesichert  fühlen  mochte. 
Aber  sie  sah  sich  aufs  neue  bedroht,  als  der  heftigste  Streit 
um   die  sog.  Schlüsselgewalt  entbrannte. 

Am  5.  März  1646  wurde,  als  Ergebnis  der  stattgefundenen 
Verhandlungen,  in  feierlicher  Weise  den  Lords  eine  grosse 
Ordonnanz  zugestellt,  welche  die  Grundzüge  des  presbyteriani- 
schen  Systems  zusammenfasste.  Sie  enthielt  indessen  unter 
Nr.  XIV  eine  verfängliche  Klausel.  Nach  dieser  sollten  in  jeder 
Provinz  Kommissäre  des  Parlaments  über  solche  „anstössige 
Vergehen"  urtheilen,  die  bisher  nicht  ausdrücklich  aufgezählt 


■364  Das  Parlament  gegen  die  Synode. 

worden  seien,  und  nur  nach  ihrer  Prüfung  und  mit  ihi-er  Zu- 
stimmung sollte  in  diesem  Falle  eine  Suspension  von  der 
Zulassung  zum  Abendmahl  durch  die  Aeltestenschaft  statt- 
finden düifen.  Auch  war,  wenn  in  einem  solchen  bisher  nicht 
registrirten  Falle  eine  Weigerung  der  Zulassung  zum  Abend- 
mahl seitens  des  Geistlichen  vorkam,  dem  bedrohten  Gemeinde- 
mitglied ein  Appell  an  die  Entscheidung  des  Parlaments  durch 
dessen  Kommissäre  freigestellt.  Ueberhaupt  drohte,  nach 
dem  unbestimmten  Wortlaut  der  Ordonnanz,  jenen  Kom- 
missären eine  Art  von  Oberaufsichtsrecht  über  die  geistlichen 
Gerichtshöfe  zugedacht  worden  zu  sein,  die  sich  aus  der 
Furcht  vor  einerneuen  Auflage  der  bischöflichen  Jurisdiktion  sehr 
wohl  erklärte.  Die  grösste  Aufregung  bemächtigte  sich  der 
Presbyterianer,  als  die  Lords,  trotz  des  Protestes  einer  Mino- 
rität, die  Ordonnanz  mit  jener  Klausel  am  14.  März  annahmen. 
Die  schottischen  Kommissäre  wie  die  Synode  schickten  sich 
dazu  an,  Widerspruch  einzulegen.  Die  Geistlichkeit  der  City 
trat  unter  die  Waffen.  Die  Bürgerschaft  selbst  hatte  schon 
früher  Einwendungen  gegen  einzelne  Punkte  der  Ordonnanz 
gewagt.  Als  dies  Verfahren  vom  Parlamente,  wie  einst  gegen- 
über dem  König,  für  einen  Bruch  seiner  Privilegien  erklärt  wurde, 
rüstete  sich  die  City  unter  den  Gebeten  der  presbyterianischen 
Geistlichkeit  zu  kräftigeren  Demonstrationen.  Indessen  da 
das  Parlament  fest  blieb,  und  eben  damals  die  glücklichsten 
Nachrichten  vom  letzten  Kriegsschauplatz  anlangten,  wurde 
aller  Groll  bei  einem  gemeinsamen  Festmahl  vergessen. 

Mit  der  Synode,  die  auf  Marshall's  Antrag  und  unter 
MarshaH's  Führung  am  2o.  März  eine  Petition  gegen  jene  Klausel 
eingebracht  hatte,  wurde  ein  ernsteres  Woii  gesprochen.  Auch 
diese  Petition  einer  vom  Parlament  berufenen  Körperschaft 
wurde  als  Bruch  der  parlamentarischen  Privilegien  betrachtet, 
und  den  geistlichen  Petenten  in  solenner  Weise  mitgetheilt, 
dass  es  ihnen  nicht  zustehe,  „zu  debattiren  oder  zu  votiren, 
ob  ein  von  lieiden  Häusern  erlassenes  Gesetz  mit  dem  Worte 
Gottes  ül)ereinstimme  oder  nicht,  bis  sie  dazu  aufgefordert 
worden  seien"  (^).  Und  bei  dieser  Strafe  Hessen  es  die  „ver- 
bündeten Erastianer    und   Independenten,"    wie  Baillie    ganz 


Fragen  über  das  göttliche  Eecht.  365 

mit  Recht  die  Gegner  des  strikten  Presbyteiianismus  be- 
zeichnete, nicht  einmal  bewenden.  Am  17,  April  1646  erliess 
das  Haus  der  Gemeinen  eine  ausführliche  Deklaration,  um 
über  die  „wahren  Absichten  des  Parlaments  in  Betreff  der 
Kirchenverfassung  aufzuklären"  und  den  vielfachen  Beschul- 
digungen, als  denke  man  daran,  von  Liga  und  Covenant  ab- 
zuweichen, energisch  entgegenzutreten.  Mit  voller  Entschie- 
denheit trat  die  Deklaration  für  die  Presbyterialverfassung 
ein,  aber  sie  rechtfertigte  daneben  das  Parlament,  welches 
sich  nicht  dazu  verstehen  könne,  „beinahe  zehntausend  (geist- 
lichen) Gerichtshöfen  eine  willkürliche  und  unbeschränkte 
Gewalt  zu  geben".  Auch  behielt  sie  parlamentarischer  Ent- 
scheidung die  Frage  vor,  wie  „für  zarte  Gewissen,  die  nicht 
in  den  Fundamentalsätzen  der  Religion  abwichen,  der  Art 
gesorgt  w^erden  könne,  dass  das  Wort  Gottes  und  der  Friede 
des  Königreiches  damit  bestehen  bleibe."  Nicht  genug  damit: 
die  Erastianer  und  Independenten  vereinigten  sich  dazu,  der 
Synode,  die  so  sehr  auf  das  göttliche  Recht  der  Presbyterial- 
veifassung  in  allen  ihren  Theilen  gepocht  hatte,  neun  Fragen 
vorzulegen,  die  an  sich  wie  eine  Beleidigung  der  frommen 
Körperschaft  klangen.  Ueber  eben  jenes  göttliche  Recht  von 
Presbytern,  Presbyterien,  Provinzial-  und  National-Synoden. 
u.  s.  \y.  wurde  Bericht  gefordert.  Eine  Belegung  mit  Stellen 
der  Schrift  ward  verlangt,  jedes  einzelne  geistliche  ^Mitglied 
der  Synode,  das  bei  den  Debatten  gegenwärtig  sein  würde,, 
sollte  gehalten  sein,  seinen  Namen  und  sein  Votum  zu  unter- 
schreiben, die  Verneinenden  hatten  ihren  Dissens  zu  begrün- 
den. Es  war  klar,  dass  damit  aufs  neue  ein  Zankapfel  in 
die  Reihen  der  Versammlung  geworfen  wurde  (0. 

Immer  deutlicher  trat  der  innere  Widerspruch,  in  dem  man 
sieh  hüben  und  drüben  bewegte,  zu  Tage.  Das  Parlament  er- 
klärte offen,  dass  es  selbst  „in  allen  geistlichen  wie  weltlichen 
Sachen  der  höchste  Gerichtshof  sei",  und  verschloss  sich  der 
Einsieht,  dass  mit  einem  solchen  Anspruch  der  Gewissenszwang 
früherer  Zeiten  nur  den  Namen  vertauscht  habe.  Die  Synode 
forderte  Unabhängigkeit  der  Presbyterialbehörden  für  die 
Handhabung  kirchlicher  Zucht  und   wollte  doch  der  Beihilfe 


366  Absichten  des  Köuigs. 

der  bürgerlichen  Gewalten  nicht  entbehren,  über  die  man 
während  der  Laiid'schen  Vorherrschaft  so  bitter  geklagt  hatte. 
Die  Independenten  zogen  aus  diesen  Widersprüchen  den 
grössten  Yortheil,  und  ihre  Partei  empfieng  einen  um  so  stär- 
keren Rückhalt,  da  gegen  Ende  April  Cromwell  und  ausser 
ihm  viele  Officiere,  die  seine  Gesinnungen  theilten,  nach 
London  zurückkehrten. 


Der  König  war  von  Oxford  aus  diesen  Zwistigkeiten 
zwischen  Presbyterianern  und  Erastianern  wie  Independenten, 
zwischen  Bürgerschaft  und  Parlament,  zwischen  Schotten  und 
Engländern  mit  Spannung  gefolgt.  Man  weiss  aus  seinem 
vertrauten  Briefwechsel  mit  seiner  Gemahlin,  wie  rastlos  er 
während  dieser  Zeit  nach  allen  Seiten  hin  die  gewohnte  Lust 
der  Intrigue  spielen  liess(^).  Während  sich  das  Verderben 
immer  enger  um  seine  zeitige  Residenz  zusammenzog,  glaubte 
er,  in  völliger  Verkennung  der  Thatsachen,  mit  allen  Parteien 
unterhandeln  zu  können,  um  sich  über  alle  zu  erheben.  Nur 
selten  überkam  ihn  ein  klares  Gefühl  von  der  ganzen  Gefahr 
seiner  verzweifelten  Lage.  Im  ganzen  war  er  entschlossener 
als  je,  in  allen  wesentlichen  Punkten  nicht  nachzugeben, 
überzeugt  davon,  dass  Gott  ihn  endlich  für  frühere  Schwächen 
und  Zugeständnisse,  bei  denen  er  sein  Gewissen  augenblick- 
lichem Vortheil  geopfert,  genugsam  gestraft  habe  und  ihn 
entweder  als  Sieger  oder  als  Märtyrer  aus  dem  Kampfe  her- 
vorgehen lassen  wolle.  In  dieser  fast  mystischen  Stimmung 
hielt  er  auch  gegenüber  den  abweichenden  Ansichten  der 
Königin  daran  fest,  der  presbyterialen  Kirchenverfassung,  wie 
sie  in  England  in  Wirksamkeit  treten  sollte,  seine  Anerken- 
nung zu  versagen.  Unter  solchen  Umständen  blieben  alle 
Botschaften,  die  während  des  Winters  1645  auf  1646  zwischen 
Oxford  und  London  hin  und  hergiengen,  erfolglos.  Vergeblich 
hatte  der  König  darauf  gerechnet,  dass  man  ihm  gestatten 
werde,  in  der  Hauptstadt  sel])st  persönlich  zu  verhandeln,  da 
er  hoffte,  durch  sein  Erscheinen  die  Loyalität  der  Bürgerschaft 


Absichten  des  Königs.  367 

ZU  wecken  und  den  Zwist  der  Parteien  zu  verschärfen.  Das 
Parlament  antwortete  mit  einem  Widerspruch  gegen  jeden  Ver- 
such der  Art,  mit  Ausweisung  verdächtiger  Personen,  Ver- 
stärkung der  militärischen  Vorsichtsmassregeln.  Nicht  minder 
scheiterten  die  Versuche  des  Königs,  mit  den  Führern  des 
Independentismus  anzuknüpfen.  Ohne  Aussicht,  die  Pläne  der 
Presbyterianer  mit  seinen  Vorsätzen  zu  vereinigen,  hatte  er 
bereits  Henry  Vane  und  dessen  Gesinnungsgenossen  sondiren 
lassen.  Für  den  Fall,  dass  man  bei  einer  persönlichen  Ver- 
handlung auf  Annahme  der  Presbyterialverfassung  bestände, 
hatte  er  auf  ein  Bündnis  der  Royalisten  mit  den  Indepen- 
denten  hingedeutet,  um  jenes  „tyrannische  System  aus  dem 
Königreich  auszurotten".  Er  hatte  hoffen  lassen,  die  Freiheit 
des  Gewissens  achten  zu  wollen,  woferne  man  auch  dem 
seinigen  keine  Gewalt  anthue(^).  Aber  wer  hätte  den  Ver- 
sprechungen eines  Fürsten  trauen  wollen,  der  seit  jeher  ge- 
wohnt war,  jede  Nachgiebigkeit  mit  einem  stillen  Vorbehalt 
der  Zurückziehung  im  geeigneten  Moment  zu  liegleiten,  der 
seine  Worte  absichtlich  zweideutig  fasste,  um  sich  Hinter- 
thüren  offen  zu  halten  und  der  inmitten  der  Verhandlungen 
mit  beiden  Parteien  dem  vertrauten  Digby  mittheilte,  seine 
Absicht  sei,  ihre  gegenseitige  Vernichtung  herbeizuführen, 
„um  in  Wahrheit  wieder  König  zu  sein" !  (-). 

Auch  schweiften  seine  unruhigen  Gedanken  gleichzeitig  nach 
anderen  Eichtungen.  Während  das  Bekanntwerden  der  Mission 
Glamorgan's  den  protestantischen  Fanatismus  von  ganz  Eng- 
land in  Aufruhr  versetzte,  hoffte  er,  durch  Ormond,  auf  billigere 
Bedingungen  hin,  einen  Frieden  mit  den  katholischen  Piebellen 
Irlands  zu  Wege  zu  bringen  und  sich  damit  ein  Heer  und 
Hilfstruppen  zu  verschaffen.  Während  er  jeden  Gedanken 
an  kriegerische  Absichten  aufgegeben  zu  haben  schien,  trug  er 
sich  mit  dem  Plane,  sich  mit  einiger  IMannschaft  an  irgend  eine 
Stelle  in  der  Nähe  der  Küste  zu  weifen  und  dort  die  fremden 
Söldner  zu  erwarten,  die  er  sich  von  den  Bemühungen  der 
Königin  versprach.  Während  für  seine  eigene  Sache  und 
für  die  Sache  der  Toleranz  nichts  wichtiger  sein  konnte,  als 
die  Duldung  der  Katholiken  nicht  mit  der  Bekämpfung  seiner 


368  Seiue  Verhandlungen  mit  den  Schotten. 

Gegner  in  Zusammenhang  zu  setzen,  machte  er  die  Auf- 
hebung aller  Strafgesetze  gegen  die  Katholiken  Englands  zum 
Preise  für  ihre  Unterstützung  und  suchte  sich  hiefür  den  mora- 
lischen Beistand  des  Pabstthums  zu  sichern (^). 

Aber  die  erste  Stelle  in  seinen  Kombinationen  nahmen  die 
Verhandlungen  mit  den  Schotten  ein,  die  neben  allen  diesen 
geheimen  Umtrieben  einherliefen.  Die  französische  Politik 
übernahm  die  Vermittlung.  Bisher  durch  den  englischen 
Bürgerkrieg  eines  gefährlichen  Rivalen  entledigt  und  durch 
die  glückliche  Bekämpfung  des  Gesammthauses  Habsburg  zu 
einer  ausserordentlichen  Machtstellung  erhoben,  hatte  Frank- 
reich, damals  von  Mazarin  geleitet,  wohl  ein  Interesse,  die 
englische  Monarchie  geschwächt  zu  sehen,  aber  ein  nicht  ge- 
ringeres, ihren  Untergang  zu  verhindern.  Die  Herstellung' 
einer  englischen  Republik,  von  der  man  eine  Annäherung  an 
die  niederländische  befürchten  zu  müssen  glaubte,  erschien 
in  jeder  Weise,  mochte  man  die  moralische  Einwirkung  oder 
den  materiellen  Nachtheil  in's  Auge  fassen,  als  unzulässig. 
Schon  seit  längerer  Zeit  war  die  französische  Diplomatie  be- 
müht, zwischen  den  streitenden  Parteien  zu  vermitteln,  um 
das  Königthum  mit  gemässigter  Gewalt  sicher  zu  stellen. 
Hiefür  suchte  sie  in  erster  Linie  die  alten  Beziehungen  zu 
den  Schotten  auszunützen,  denen  nichts  wichtiger  sein  musste^ 
als  sich  gegen  den  Independentismus  mit  dem  König  zu  ver- 
binden. Zwar  widerstrebte  ihr  deren  Forderung,  die  volle 
Durchführung  des  Covenant  in  England  zur  Grundlage  jedes 
Ausgleiches  zu  machen.  Als  indess  ohne  Zugeständnisse  in 
Sachen  der  Religion  eine  Hilfe  der  Schotten  auf  keine  Weise 
zu  erlangen  war,  und  einflussreiche  Grosse,  wie  der  Graf  von 
Holland,  als  einzigen  Rettungsweg  bezeichneten,  dass  der 
König  sich  dem  schottischen  Heere  anvertraue,  suchten  die 
Leiter  der  französischen  Politik  auch  in  jenem  Punkte  die 
Hindernisse  hinwegzuräumen,  die  sich  dem  Friedenswerke 
entgegenstellen  könnten  (^).  Die  Absicht  war,  unter  französi- 
scher Vermittlung  und  gleichsam  unter  französischer  Garantie 
den  König  mit  den  Schotten  und  beide  mit  dem  englischen 
Presbyterianismus  gegen  den  Independentismus   zu  verbinden 


Seine  Verhandlungen  mit  den  Schotten.  369 

und  ein  Königthum  herzustellen,  das  Frankreich  zu  Dank  und 
zur  Unterstützung  seiner  Politik  verpflichtet  gewesen  wäre. 
Den  Schotten  wurde  dafür  die  Beihilfe  Frankreichs  für  die 
Durchführung  aller  Ansprüche,  die  sie  gegen  England  geltend 
machen  könnten,  in  Aussicht  gestellt.  In  eben  diesem  Sinne 
war  Karl's  Gemahlin  unermüdlich  thcätig.  Durch  ihr  per- 
sönliches Auftreten  in  Frankreich  wie  durch  ihre  brieflichen 
Einwirkungen  auf  den  König  suchte  sie  den  Abschluss  des 
schottischen  Vertrages  auf  jede  Weise  zu  Stande  zu  bringen. 
Auch  hierfür  schien  ihr  ein  Zugeständnis,  welches  sich  auf 
die  kirchliche  Verfassungsfrage  bezogen  hätte,  als  das  leich- 
teste von  allen,  obwohl  sie  selbstverständlich  das  Interesse 
ihrer  Glaubensgenossen  in  England  nicht  aufgeben  und  die- 
jenigen in. Irland  nicht  geopfert  wissen  wollte. 

Indessen  war  das  Ergebnis  dieser  geheimen  Verhandlungen 
ein  ganz  anderes,  als  sie  zu  hoffen  wagte.  Es  kann  kaum 
ein  Zweifel  darüber  bestehn,  dass  die  Zusagen  des  schottischen 
Abgesandten  Murray  in  Paris  dort  als  genügend  aufgefasst 
wurden,  um  sie  dem  König  zur  Annahme  zu  empfehlen  (^). 
Auch  scheint  der  französische  Unterhändler  in  England,  Mon- 
tereuil,  von  den  schottischen  Kommissären  in  London  noch 
weitere  Versprechungen,  wie  die  der  Aussöhnung  mit  den 
royalistischen  Parteigängern,  und  unter  ihnen  Montrose's,  er- 
halten zu  haben.  Genug,  König  Karl  schmeichelte  sich 
mit  der  Hoffnung,  dass  die  Schotten  ihn  in  ihrem  Lager  auf- 
nehmen würden  „als  ihren  natürlichen  Souverän,  mit  Freiheit 
des  Gewissens  und  der  Ehre,  sicherem  und  ehrenvollem  Schutz 
seines  Gefolges"  und  wies  sogar  Montrose  an,  was  er  von 
Streitkräften  habe,  mit  den  schottischen  vor  Newark  zu  ver- 
einigen. Freilich  machte  er  sich  noch  auf  heftige  Kämpfe 
über  die  Frage  der  Miliz,  der  irländischen  Rebellen  und  seiner 
Anhänger  gefasst.  Und  vor  allem  über  die  Angelegenheit 
der  lürche  war  vorher  kein  bestimmtes  Abkommen  getroffen. 
Er  hatte  trotzdem  die  Hoffnung,  die  Schotten  auch  darin 
zu  befriedigen  und  doch  nichts  „gegen  sein  Gewissen  zu 
thun". 

Aber  diesen  Illusionen  folgte  die  Enttäuschung  auf  dem 

Stern,   Milton  n.   s.   Zeit.      I.  2.  24 


370  Seine  Flucht  zu  den  Schotten. 

Fusse.  Auf  welcher  Seite  auch  durch  Missverstand  oder  Absicht 
gefehlt  worden  sein  mag,  neuere  Nachrichten,  welche  Montereuil 
nach  Oxford  überhrachte,  bezeugten,  dass  die  schottischen 
Machthaber  unter  ganz  anderen  Bedingungen  dem  König  Auf- 
nahme im  Lager  gestatten  wollten.  Von  allen  jenen  Zuge- 
ständnissen war  keine  Rede,  eine  Amnestie  der  Royalisten 
w^ard  nicht  versprochen,  Montrose  mit  Verbannung  bedroht. 
Und  so  ängstlich  war  man  bemüht  jeden  Argwohn  des  eng- 
lischen Parlamentes  zu  vermeiden,  dass  der  König  ersucht 
wurde,  in  jedem  Falle  wie  zufällig  auf  der  Flucht  nach  Schott- 
land begriffen,  bei  ihnen  zu  erscheinen  (^).  Der  König  war 
über  die  Treulosigkeit  der  „abscheulichen  Schurken"  empört. 
Ein  wilder  Plan  jagte  den  anderen.  Er  wollte  nach  Lynn 
entfliehen,  um  dort  Truppen  zu  sammeln.  Er  wollte  zur  See 
nach  Schottland  entweichen,  falls  Montrose  ihm  Mannschaft 
zuführen  könne.  Er  wollte  England  verlassen,  um  sich  nach 
Irland  oder  Dänemark  oder  Frankreich  zu  begeben.  Er  be- 
schwor die  Königin,  für  den  Fall  dass  er  untergehe,  als  „die 
Tochter  ihres  Vaters",  die  Erbansprüche  des  Prinzen  von 
Wales  tapfer  zu  vertheidigen.  Aber  jene  kühnen  Pläne 
wurden  eben  so  wenig  verwirklicht,  wie  die  Hoffnungen,  mit 
welchen  er  noch  jetzt  von  den  independentischen  Officieren  oder 
der  presbyterianischen  Bürgerschaft  London's  günstige  Nach- 
richten erwarten  mochte. 

Der  Aufenthalt  in  Oxford  wurde  indess  von  Tag  zu  Tag 
für  ihn  gefährlicher.  In  der  Nacht  des  27.  April  entschloss 
er  sich  zu  fliehen.  Verkleidet,  von  nur  zwei  Vertrauten  be- 
gleitet, stahl  er  sich  durch  die  Belagerer.  Er  schlug  den 
Weg  nach  London  ein  und  verweilte  ein  Paar  Stunden  an- 
gesichts der  Hauptstadt  auf  den  Höhen  von  Harrow.  Aber 
er  fand  nicht  den  Muth,  das  Ueberraschende  zu  wagen  und 
plötzlich  in  London  zu  erscheinen.  Nach  abenteuerlichen 
Kreuz-  und  Querfahrten,  auf  denen  er  vergeblich  Nachrichten 
von  Montrose  einzuziehen  suchte,  stellte  er  sich  bei  Montereuil 
und  darauf  im  schottischen  Hauptquartier  selbst  vor  Newark 
ein.  Er  wurde  mit  äusseren  Zeichen  der  Ehre  aufgenommen, 
aber  er  war  in  der  That  ein  Gefangener.    Nachdem  Newark 


Verhandlungen  in  Newcastle.  371 

kapitulirt  hatte  und  dem  englischen  Truppentheil,  der  sich  bei 
der  Belagerung-  betheiligt  hatte ,  überliefert  worden  war, 
führten  die  Schotten  ihren  König  nordwärts  mit  sich  nach 
Newcastle. 

Noch  einmal  wurde  er  hier  der  Mittelpunkt  des  allge- 
meinen InteressQ^und  der  Gegenstand  der  vielfachen  Ver- 
handlungen, die  das  ganze  Jahr  1646  ausfüllten,  stark  noch 
in  seiner  Schwäche,  da  jede  Partei  selbst  damals  von  seinen 
Entscheidungen  etwas  zu  fürchten  oder  zu  hoffen  hatte.  Es 
mag  genügen  nur  kurz  an  die  wichtigsten  Gesichtspunkte  zu 
erinnern.  Die  Schotten  setzten  auch  jetzt  alle  Hebel  an,  um 
ein  politisches  und  kirchliches  Eegierungs-System  in  England 
festzustellen,  das  sich  mit  dem  ihres  eigenen  Landes  in  Ein- 
klang befinde.  Der  König  sollte  neben  den  übrigen  Be- 
schränkungen monarchischer  Gewalt  vor  allem  die  presby- 
teriale  Staatskirche  anerkennen.  Ihn  selbst  bearbeitete  der  aus 
London  herbeicitirte  Henderson,  um  ihm  die  Vortrefflichkeit 
der  Presbyterial  -  Verfassung  klar  zu  machen  und  seine  Ge- 
wissens-Bedenken hinwegzuräumen.  Man  gieng  soweit,  von 
ihm  persönlich  Annahme  des  Covenant  und  Einführung  der 
neuen  Gottesdienst-Ordnung  in  der  Hausandacht  seiner  Fa- 
milie zu  fordern.  Darin  waren  alle  anwesenden  Partei- 
führer einig,  Argyle,  der  nach  Montrose's  Niederlage  wieder 
in  alter  Macht  stand  und  in  Newcastle  wie  in  London  er- 
schien, Hamilton  der,  durch  die  Kriegsereiguisse  befreit,  wieder 
beim  König  Gehör  fand  und  die  Neutralen,  „die  es  mit  keinem 
verderben  wollten",  dass  ohne  völliges  Aufgeben  der  Epis- 
kopalkirche kein  Friede  geschlossen  werden  könne. 

Der  englische  Presbyterianismus,  vor  allem  sein  Anhang 
in  Parlament  und  Hauptstadt,  jubelte  bei  der  Aussicht,  die 
sich  ihm  eröffnete.  Das  Ziel,  welches  die  Flucht  des  Königs 
genommen,  die  Aeusserungen ,  die  er  nach  London  gerichtet 
hatte,  vieldeutig  wie  sie  waren :  alles  schien  doch  darauf  hin- 
zuweisen, dass  er  seinen  Frieden  mit  den  Presbyterianern 
machen  wolle.  Man  sah  in  froher  Ahnung  die  Zwistigkeiten 
zwischen  Schotten  und  Engländern  gehoben,  den  Covenant  in 
beiden  Ländern  durchgeführt,  die  irischen  Gräuel,  puritanischen 

24* 


372  Hoffnungen  der  englischen  Presbyterianer. 

Idealen  gemäss,  gesühnt,  ein  Königthum,  dem  die  Macht  zu 
schaden  genommen,  eine  Kirche,  die  von  der  Pest  der  Sekten  be- 
freit wäre.  Die  Bürgerschaft  der  Hauptstadt  erhob  sich  zu  neuen 
Demonstrationen,  in  denen  sich  die  Stimme  religiöser  Eng- 
herzigkeit gegenüber  „Ketzereien  und  Blasphemieen"  und  das 
Verlangen  nach  einem  Vertrage  mit  dem  König  und  Fest- 
halten am  schottischen  Bündnis  gleichzeitig  hören  liess.  Die 
presbyterianischen  Führer  im  Hause  der  Gemeinen ,  Holles, 
Stapleton,  Clotworthy  fassten  wieder  Muth  und  fanden  an 
mahnenden  Anschreiben  "der  schottischen  General- Assembly 
einen  neuen  Rückhalt.  Auch  kam  man  trotz  Erastianern  und 
Independenten  in  der  Durchführung  des  neuen  Kirchensystems 
tüchtig  vorwärts,  freilich  ohne  seine  volle  Reinheit  bewahren 
zu  können.  Vergeblich  blieben  die  Versuche,  eine  einhellige 
Antwort  auf  jene  verfänglichen  Fragen  über  das  „göttliche 
Recht"  zu  vereinbaren,  so  wie  auch  die  Bemühungen  der  haupt- 
städtischen Geistlichkeit  und  Gemeindebehörden,  die  geist- 
liche Strafgewalt  ausschliesslich  auf  die  neuen  kirchlichen  Or- 
gane zu  übertragen.  Man  musste  sich  mit  den  Aenderungen 
begnügen,  durch  welche  eine  parlamentarische  Ordonnanz  vom 
3.  Juni  die  früheren  Bestimmungen  gewissermassen  abschwächte 
und  durch  die  ihnen.  Weiteres  vorbehalten,  nur  für  drei  Jahre 
Giltigkeit  verliehen  wurde.  Es  konnte  doch  immerhin  als  ein 
Gewinn  betrachtet  werden,  dass  die  einzelnen  Aufsichtsbe- 
hörden, welche  früher  in  Aussicht  genommen  worden  waren, 
durch  eine  Centrai-Kommission  ersetzt  werden  sollten.  Die 
presbyterianische  Geistlichkeit  entschloss  sich,  wenn  auch  un- 
gern, vorläufig  das  Gebotene  als  eine  Abschlagszahlung  an- 
zunehmen, getröstet  durch  das  Versprechen,  dass  die  Liste 
der  „Unwissenden  und  Anstössigen"  noch  eine  Verlängerung 
erfahren  werde  (^). 

Endlich  konnte  man  nun  die  presbyterialc  Maschinerie 
spielen  lassen.  Am  19.  Juli  sollten  die  zwölf  Presbyteiien 
(Klassen)  Londons  die  Ael testen  wählen.  Bis  zum  dreizehnten 
August  war  in  fast  allen  Pfarreien  die  "Wahl  und  Prüfung 
erfolgt.  Baillie's  Hoffnungen  giengen  hoch.  Er  erblickte  in 
den  einzelnen  Parochieen  den  Geistlichen  und  die  Laien-Ael- 


Befürchtungen  der  Independenten.  373 

testen  in  Thätigkeit,  er  erwartete  den  Zusammentritt  der 
Klassenversammlungen,  zu  denen  jede  Pfarrei  den  Geistlichen 
und  einige  Aelteste  zu  entsenden  hatte,  er  sah  eine  erste 
Provinzial-Versammlung,  aus  Repräsentanten  der  Klassen  ge- 
bildet, voraus.  Lancashire  schickte  sich  an,  das  Beispiel 
London'ß  nachzuahmen,  kühne  Phantasie  mochte  sich  das  Bild 
der  neuen  englischen  Nationalkirche,  so  ziemlich  nach  schot- 
tischem Muster  vollendet,  vorspiegeln.  Eine  neue  metrische 
Version  der  Psalmen  hatte  nur  noch  die  Bestätigung  der 
Lords  zu  erhalten,  und  da  das  Haus  der  Gemeinen  am  22. 
Juli  die  Synode  ausdrücklich  aufforderte,  die  Vollendung  des 
neuen  Glaubensbekenntnisses  und  Katechismus  zu  beeilen,  so 
konnte  man  auch  diese  Lücken  baldigst  auszufüllen  hoffen  und 
sich  einer  Beantwortung  jener  erastianischen  Fragen  vom  „gött- 
lichen Rechte"  entziehen  (^).  Der  Presbyterianismus  war  auf 
der  ganzen  Linie  im  Fortschreiten. 

Die  Independenten  im  Gegentheil  sahen  das  Gut  der  Ge- 
wissensfreiheit stärker  gefährdet  als  je.  Die  Flucht  des 
Königs  zu  den  Schotten  erfüllte  sie  mit  den  grössten  Bedenken. 
Je  fester  ihre  Gegner  in  beiden  Ländern  sich  wieder  zu- 
sammenschlössen, um  gemeinsam  die  monarchische  Gewalt  auf 
ihre  Seite  zu  ziehn,  desto  gereizter  war  die  Sprache,  die  aus 
independentischem  Lager  gegen  die  nordischen  Nachbarn  sich 
hören  Hess.  Man  wünschte,  da  der  Krieg  so  gut  wie  beendet 
war,  mit  ihnen  abzurechnen  und  England  von  der  Gegen- 
wart ihrer  Truppen  zu  befreien.  In  der  Armee  war  auch 
jetzt  diese  einheitliche  Stimmung  vorherrschend,  und  wo  noch 
ein  Heerestheil  dem  Presbyterianismus  eine  Stütze  zu  bilden 
drohte,  wie  die  Brigade  des  General-Major  Massey,  arbeitete 
man  an  seiner  Auflösung  durch  das  Parlament.  Denn  bei  den 
Gemeinen  fiel  das  Gewicht  der  independentischen  Stimmen,  je 
mehr  die  Lücken  durch  Nachwahlen  ausgefüllt  wurden,  je 
schwerer  in  die  Wagschale.  Eben  diesem  Umstand  war 
es  wohl  zu  verdanken,  wenn  das  Ultimatum,  das  Mitte  Juli 
an  den  König  nach  Newcastle  abgieng,  einen  schärferen  Cha- 
rakter trug,  als  den  Schotten  und  ihren  Freunden  lieb  war. 
In  neunzehn  Propositionen,   anschliessend   an   die   uxbridger 


374  Diß  neunzehn  Propositionen  des  Parlaments. 

Verhandlungen,  fasste  das  Parlament  die  Bedingungen  zu- 
sammen, unter  denen  es  sich  zur  Wiederaufnahme  des  Monarchen 
bereit  erklärte.  Anerkennung  der  Presbyterialverfassung^ 
Unterzeichnung  des  Covenant  und  Erzwingung  seiner  An- 
nahme in  allen  drei  Reichen,  Verschärfung  der  Strafgesetze 
gegen  die  Katholiken,  Ueberlassung  der  Militia  auf  zwanzig 
Jahre,  Ausschluss  der  vornehmsten  „Delinquenten"  von  der 
Amnestie,  Verzicht  auf  Leitung  des  Krieges  in  Irland,  Be- 
stätigung der  unter  dem  grossen  Siegel  des  Parlaments  er- 
lassenen Akte:  in  diesen  Sätzen  waren  die  wichtigsten  auf 
Kirche  und  Staat  bezüglichen  Forderungen  zu  finden,  die  zur 
Annahme  oder  Verwerfung  vorgelegt  wurden.  Die  Schotten 
konnten  sich  immerhin  mit  ihnen  einverstanden  erklären  und 
thaten  alles,  um  die  Annahme  herbeizuführen.  Die  Indepen- 
denten  hatten  nur  von  ihrer  Verwerfung  etwas  zu  hoffen. 

Man  weiss,  wie  es  zu  dieser  gekommen  und,  trotz  aller 
Versuche  ein  Einverständnis  zu  Wege  zu  bringen,  bei  dieser  ge- 
blieben ist.  Zu  keiner  Zeit  hat  Karl  I.  sich  so  deutlich  darüber 
ausgesprochen,  warum  er  sich  nicht  entschliessen  könne  in 
die  Aenderung  der  englischen  Kirchenverfassung  zu  willigen, 
wie  damals  im  geheimen  Briefwechsel  mit  der  Königin.  Er 
hatte  schon  einige  Monate  vorher  das  presbyterianische  System 
deshalb  für  unannehmbar  erklärt,  „weil  es  nie  anders  als 
durch  Pvebellion  in  ein  Land  eingedrungen  sei".  Er  hatte  den 
Zusammenhang  hervorgehoben,  der  zwischen  diesem  Kirchen- 
regiment und  der  Schwächung  monarchischer  Gewalt  bestehe. 
Er  erblickte  ihn  in  der  presbyterianischen  „Ilauptmaxime",  dass 
„alle  Könige  unterthan  seien  dem  Königreich  Christi,  dessen  Ver- 
walter sie  allein  (die  kirchlichen  Organe)  sind,  da  der  König  nur 
eine  Stimme  und  kein  Veto  bei  ihren  Versammlungen  hat"(^). 
Und  unzweifelhaft  war  hier  eine  grosse  Verbindung  ideeller 
Mächte  mit  vollem  Rechte  aufgedeckt  worden.  Wer  die  Einwir- 
kungen verfolgte,  welche  vor  allem  in  Schottland  die  politische 
Theorie  von  dem  kirchlichen  System  erfahren  hatte,  konnte  es 
begreiflich  finden ,  wenn  der  König  von  den  Nachahmern  eben 
dieser  schottischen  Verfassung,  von  den  Anhängern  der  LIcen 
.!ohnKnox'  fürchtete:  „Sie  werden  die  Doktrin  (in  England)  ein- 


Karl  I.  über  die  Presbyterial-Verfassuug.  375 

führen,  welche  den  Aufruhr  für  erlaubt  erklärt,  und  dass  die 
höchste  Gewalt  im  Volke  ruht,  welchem  die  Könige  (wie  sie 
sagen)  Rechenschaft  geben  und  von  dem  sie  gestraft  werden 
müssen,  wenn  sie  unrecht  thun."  Dazu  kam  aber,  dass  durch 
die  Art  und  Weise,  wie  dieAeuderung  der  kirchlichen  Verfassung 
in  England  vor  sich  gieng,  unter  der  Leitung  und  Autorität 
des  Parlaments,  eben  diesem  jener  Supremat  zu  Theil  zu 
werden  drohte,  den  während  des  Bestehens  der  bischöflichen 
Verfassung  der  König  besessen  hatte.  Der  Streit  um  die 
Form,  ob  „episkopal"  oder  „presbyterial"  erschien  Karl  I. 
daher  als  einer  der  geringsten,  dagegen  betonte  er,  dass 
man  „unter  dem  VorAVande  einer  gründlichen  Reform,  (wie 
sie  es  nennen),  beabsichtige,  alle  Gewalt  der  Herrschaft  auf 
kirchlichem  Gebiet  von  der  Krone  auf  die  beiden  Häuser  des 
Parlamentes  zu  übertragen".  Er  Hess  freilich  ausser  Er- 
wägung, dass  im  Independentismus  jene  Lehre  von  der  Volks- 
Souveränität  noch  viel  stärkere  Wurzeln  hatte,  und  dass  die 
Ansichten  über  das  Verhältnis  von  Kirche  und  Staat  auf  dieser 
Seite  noch  viel  weniger  einen  kirchlichen  Supremat  des  König- 
thums  gestatteten.  Aber  mit  den  Verfechtern  dieser  radikalen 
Anschauungen  hatte  er  sich  zunächst  nicht  auseinander  zu 
setzen.  Genug,  wenn  es  ihm  gelang  dem  Andringen  derjenigen 
Gegner  Stand  zu  halten,  deren  erste  Forderung  das  Aufgeben 
der  bischöflichen  Verfassung  zu  Gunsten  der  presbyterialen 
ausmachte. 

Und  es  waren  nicht  nur  die  Gegner,  welche  ihn  in  seiner 
Ueberzeugung  schwankend  zu  machen,  seine  Berufung  auf  Ge- 
wissen und  Krönungseid  zu  widerlegen  suchten.  Mit  Schmerzen 
musste  der  gefangene,  von  argwöhnischen  Blicken  umlauerte 
Monarch  bemerken,  dass  er  in  einer  der  wichtigsten  Fragen 
sich  wieder  mit  seiner  Gemahlin  in  Widerspruch  befand,  deren 
Rath  er  in  allen  anderen  Stücken  sich  unterwürfig  zeigte, 
deren  Briefe  in  seiner  bedrängten  Lage  sonst  seinen  einzigen 
Trost  bildeten.  Allerdings  einer  Annahme  des  Covenant, 
einer  allgemeinen  Aufzwingung  desselben  in  allen  drei  Reichen, 
einer  Auslieferung  Irlands  an  die  Rache  des  Puritanismus 
setzte  auch  sie,    aus  Interesse  für  ihre   eigene  Religion  und 


376  ßathschläge  der  Königin. 

deren  Anhänger,  den  entschiedensten  Widerspruch  entgegen. 
Aber  der  Episkopal-Verfassung  das  Wort  zu  reden  hatte  sie 
keinen  Grund.  Als  Katholikin  und  Französin  sah  sie  die 
kirchliche  Frage  Englands  mit  ganz  anderen  Augen  an,  wie 
etwa  ein  Staatsmann  vom  Schlage  Hyde's,  der  in  eben  dieser 
Zeit,  mit  anderen  Flüchtlingen  in  Jersey  geborgen,  seinen 
Gesinnungen  in  seinem  grossen  Geschichtswerk  Ausdruck  gab. 
Die  Berather,  welche  in  ihrer  Nähe  weilten,  vor  allen  Lord 
Jermyn,  dessen  Verhältnis  zu  ihr  vielleicht  schon  damals  ein 
mehr  als  freundschaftliches  war,  und  Lord  Colepepper,  den 
der  König  „in  Sachen  der  Religion  wenig  schätzte",  drangen 
gleichfalls  auf  unbedingte  Nachgiebigkeit  in  der  Kirchenfrage. 
Auch  stimmte  zu  den  Tendenzen  dieses  Kreises,  dass  die  Er- 
ziehung' des  Prinzen  von  Wales,  dessen  Uebersiedelung  nach 
Paris  in  ihre  Nähe  die  Mutter  durchgesetzt  hatte,  der  Sorgfalt 
eines  Thomas  Hobbes  anvertraut  wurde. 

Wie  wenig  konnte  sich  der  König  durch  die  Anschauungen 
befriedigt  fühlen,  für  die  ihn  seine  Gemahlin  und  ihre  Um- 
gebung zu  gewinnen  suchte.  Hier  war  alles  lediglich  poli- 
tische Erwägung  ohne  jede  Rücksicht  auf  Bewahrung  oder 
Aufgeben  der  alten  religiösen  Formen,  ihm  erschien  das  Fest- 
halten an  der  Form  der  Episkopalkirche  selbst  als  ein  Akt 
des  politischen  Interesse  (^).  Hier  wurde,  wie  seit  jeher,  nichts 
dringender  l)etont,  als  die  Nothwendigkeit,  in  der  Frage 
über  die  Miliz,  als  Mittel  alles  Verlorene  zurückzugewinnen, 
den  Zähesten  Widerstand  zu  leisten,  ihm  wurde  gerade  in 
dieser  Angelegenheit  ein  Zugeständnis  jetzt  leichter.  Er 
hatte  einst  in  den  Ausschluss  der  Bischöfe  aus  dem  Parlament 
gewilligt,  um  das  Verfügungsrecht  über  die  Miliz  auch  „nicht 
für  eine  Stunde"  aufzugeben.  Nun  dünkte  ihn  nächst  der  „sünd- 
lichen" Opfei'ung  Strafiford's  nichts  von  allem  Vergangenen  so 
sehr  Ursache  des  göttlichen  Zornes  und  der  Reue  werth  zu 
sein,  als  die  „grosse  Ungerechtigkeit  gegen  die  Kirche",  die 
er  in  der  Zustimmung  zu  jener  Bill  erl)lickte.  Er  fand,  dass 
man  in  Fi-ankreich  einen  ganz  falschen  Begriff  von  der  Bedeu- 
tung des  Instituts  der  englischen  Militia  habe  und  deutete  an, 
dass  auch  sie  mit  der  Anerkennung  der  Presbyterial-Verfassung 


Bemühungen  Frankreichs.  377 

von  geringem  Werthe  für  die  königliche  Macht  sein  werde. 
Ohne  Bewahrung  der  alten  Kirchenverfassung  erschien  sie  ihm 
„als  ein  Schatten".  ,,Wenn  von  den  Kanzeln  nicht  Gehorsam 
gepredigt  werde",  glaubte  er  auch  von  dem  Yerfügungsrecht 
über  die  Streitkräfte  des  Landes  wenig  Nutzen  erwarten  zu 
dürfen  (0.  Nach  allen  Niederlagen  und  Demüthigungen,  in  der 
verzweifeltsten  Lage  zog  er  sich  auf  den  Standpunkt  des  Laud'- 
schen  System's  zurück.  Die  Kirche  war  ihm  Dienerin  des 
Monarchen,  verpflichtet  in  seinem  Sinn  auf  die  Gemüther  ein- 
zuwirken, und  er  vergass  nur  hinzuzufügen,  dass  dieser  Ver- 
sicherungs-Vertrag von  Thron  und  Altar  wie  ehemals  auf  Gegen- 
seitigkeit beruhen,  dass  das  Schwert  des  supremen  Königs 
wiederum  die  geistlichen  Richtersprüche  der  Bischöfe  voll- 
strecken würde. 

Die  Königin  wurde  indessen  nicht  müde  ihren  Gemahl  zum 
Aufgeben  der  Episkopal-Verfassung  zu  bewegen.  Sie  sah  sich 
in  ihren  Bemühungen  durch  die  französische  Politik  unterstützt, 
die  in  dem  neuen  Botschafter  Bellievre  einen  weiteren  Agenten 
in  England  und  Schottland  erhielt.  Zwar  erschienen  auch  den 
Staatsmännern  Frankreichs  die  Vorschläge  von  Newcastle  vor- 
züglich wegen  ihrer  politischen  Ansprüche  als  ganz  unan- 
nehmbar, aber  sie  mochten  hoffen,  dass  die  eine  unumgäng- 
liche Koncession  der  Presbyterial-Verfassung  die  englischen 
Presbyterianer  versöhnen  und  die  Waffen  der  Schotten  dem 
König  zur  Verfügung  stellen  werde.  Und  diese  Koncession 
schien  dadurch  erleichtert,  dass  sich  zeitweise  die  Aussicht 
eröffnete,  die  Unterzeichung  des  Covenant  durch  den  König 
selbst  hinwegfallen  zu  lassen  (-). 

Karl  L  Hess  sich  auch  hierdurch  nicht  erschüttern.  Er 
war  und  blieb  der  Ueberzeugung,  dass  auf  die  Unterstützung 
der  Schotten  nicht  gerechnet  werden  könne,  weil  ihre  Be- 
dingungen immer  unannehmbar  sein  würden.  Er  hielt  sich 
vor  allen  Dingen  versichert,  dass  sie  mindestens  davon  nie- 
mals abgehn  würden,  die  strikte  Durchführung  des  Covenant 
in  England  zu  fordern,  und  hierin  den  entschiedensten  Wider- 
stand zu  leisten,  ermuthigte  ihn  auch  seine  Gemahlin (3). 
Um  so  fester  rechnete  sie  darauf,   dass   schon   die   Annahme 


378  Mission  Daveuant's. 

der  Presbyterial- Verfassung  die  Schotten  bewegen  würde,  sei 
es  zur  Herstellung  eines  „guten  Friedens",  sei  es  zum  „Kriege" 
ihre  Dienste  zu  leihen.  Nicht  genug  damit,  dass  sie  brieflich 
auf  den  König  einzuwirken  suchte,  sie  entsandte  Ende  Sep- 
tember einen  persönlichen  Mahner.  Es  war  William  Davenant, 
derselbe  Davenant,  der  einst  als  lebenslustiger  höfischer 
Dichter  eine  so  glänzende  Laufbahn  begonnen  hatte.  Mit 
dem  Ausbruch  der  Eevolution  w^ard  er  als  einer  der  ent- 
schiedensten royalistischen  Parteigänger  mannichfachen  Ge- 
fahren entgegengeführt.  Wie  Bückling  war  er  1641  angeklagt 
worden,  an  der  ]\Iilitär-Verschwörung  gegen  die  Sicherheit 
des  Parlaments  betheiligt  gewesen  zu  sein.  Er  hatte  zu  ent- 
fliehen versucht,  wurde  aber  zweimal  eingefangen,  bis  es  ihm 
endlich  gelang  zur  Königin  nach  Frankreich  zu  entkommen. 
Von  hier  war  er  mit  Kriegsvorräthen  nach  England  zurück- 
gekehrt, hatte  als  General -Lieutenant  der  Artillerie  in  New- 
castle"s  Heer  gedient  und  sich  durch  die  Tapferkeit,  die  er  bei 
der  Belagerung  von  Gloucester  bewiesen,  1643  die  Eitterwürde 
verdient.  Nach  der  ungünstigen  Wendung  des  Krieges  hatte 
er  sich  wieder  in  der  Nähe  der  Königin  eingefunden  und  war 
katholisch  geworden.  Der  Dichter  hatte  als  Diplomat  kein 
Glück.  Er  emptieng  keine  bessere  Antwort  als  die  Briefe 
seiner  Herrin  und  kehrte  ohne  etwas  ausgerichtet  zu  haben 
nach  Frankreich  zurück  (^). 

Je  weniger  Karl  L  in  der  Frage  der  Kirchenverfassung 
endgiltig  nachzugeben  entschlossen  war,  desto  sicherer  hoffte 
er,  gleichsam  als  göttliche  Belohnung  für  seine  Standhaftig- 
keit,  auf  eine  glückliche  Zukunft.  Seine  Illusion  war,  dass 
„seine  Sache  die  aller  Monarchen  der  Christenheit  sei",  und 
seine  Rechnung  gieng  darauf,  dass  sich  eine  starke  Partei 
, jenseits  des  Kanals"  für  seine  Wiederherstellung  bilden 
müsse.  Aber  wiihrenddess  verhandelte  er  nacheinander  und 
nebeneinander  mit  den  verschiedenen  Parteien,  deren  Zwie- 
spalt er  nach  wie  vor  doch  noch  zu  seiner  eigenen  Erhebung 
zu  benutzen  gedachte.  Mit  den  vornehmsten  der  schottischen 
Faktions-Häupter  behielt  er  Fühlung.  Da  Montrose  Schott- 
land Anfang  September  verlassen  hatte,  und  die  „Neutralen" 


Verhandlungen  mit  den  Hamiltons.  —  Mission  Will.  Murray's.  379 

sich  nicht  hervorwagten,  so  kamen  nur  die  Anhänger  Argyle's 
und  Hamilton's  in  Betracht.  Diese  letzten  spielten  in  der 
Rechnung  des  Königs  die  grösste  Rolle.  Während  er  nicht 
müde  wurde,  der  Königin  seine  wahre  Meinung  über  die  Presby- 
terial-Verfassung  zu  sagen,  hatte  er  vermuthlich  den  Hamiltons 
schon  im  Juni  das  lächerliche  Angebot  gemacht,  den  grössten 
Theil  von  England  jener  Verfassung  zu  überlassen,  für  einige 
Diöcesen  indessen  das  Bisthum  zu  reserviren(i).  Währender 
den  neunzehn  Propositionen  des  Parlaments  eine  aufschiebende 
Antwort  hatte  zu  Theil  werden  lassen,  suchte  er  unter  der 
Hand  in  London  ein  Abkommen  zu  tretien.  Anfang  September 
war  William  Murray  b*ei  ihm  eingetroffen,  sein  früherer  Page, 
der,  erst  kürzlich  als  Spion  verhaftet,  nur  durch  schottische 
Vermittlung  aus  dem  Tower  befreit  worden  war.  Die  schot- 
tischen Kommissäre  in  London  rechneten  darauf,  dass  er  den 
König  in  ihrem  Sinn  bearbeite,  indessen  die  Vollmachten,  die 
er  von  Karl  I.  für  seine  Missionen  emplieng,  waren  sehr  wenig 
nach  ihrem  Geschmack.  Er  erschien  im  Oktober  in  London, 
ermächtigt  im  Namen  des  Königs,  die  Militia  für  die  Zeit  seines 
Lebens  aufzugeben,  im  Falle  man  verspräche,  nach  Ablauf  von 
fünf  Jahren  ein  „regelmässiges  Bisthum"  herzustellen.  Allein 
die  schottischen  Kommissäre,  welche  vor  allem  Annahme  des 
Covenant  forderten,  verhinderten  ihn  von  seinen  Instruktionen 
Gebrauch  zu  machen  (2). 

Ein  zweiter  Entwurf  von  Vorschlägen  wurde  nach  seiner 
Rückkehr  zwischen  ihm  und  dem  König  verabredet.  Wenn  das 
erste  Mal  nur  ein  Kompromiss  mit  den  Presbyterianern  beab- 
sichtigt gewesen  war,  so  zielte  man  nun  darauf  ab,  die  Inde- 
pendenten  zu  gewinnen.  Die  Presbyterial-Verfassung  war  auf 
drei  Jahre  zugestanden,  aber  schon  während  dieser  Zeit  sollte 
eine  Toleranz  solcher  stattfinden,  „die  aus  Gewissens-Skrupeln 
sich  nicht  in  allem  und  jedem  ihr  konformiren  könnten".  Dem 
königlichen  Haushalt  selbst  blieb  Kultusfreiheit  vorbehalten. 
Nach  Ablauf  der  bestimmten  Zeit  sollte  die  definitive  Kirchen- 
verfassung auf  gesetzlichem  Wege  eingeführt  werden,  auf 
Grundlage  der  Berathungen  der  Synode  und  eines  parlamen- 
tarischen Committees.     Auch  blieb  dem  König  das  Recht  ge- 


380  MissionWill.  Murray's,  —  Antwort  auf  die  neunzehn  Propositionen. 

wahrt,  zwanzig  Geistliche  seiner  Wahl  der  Synode  hinzuzu- 
fügen. Für  diese  Zugeständnisse  wurden  freilich  andere  ab- 
geschwächt, wie  denn  der  Verzicht  auf  die  Miliz  sich  auf 
10  Jahre  beschränkte.  Ehrlich  war  auch  dies  Mal  das  könig- 
liche Wort  nicht  gemeint.  Als  Karl  I.  am  4.  December 
diesen  Entwurf  Hamilton' s  Bnider  zur  Durchsicht  zuschickte, 
fügte  er  bezeichnend  genug  die  Bemerkung  hinzu,  er  sei  be- 
reit die  Klausel  zu  Gunsten  der  Independenten  zu  streichen, 
ja  die  stärksten  Erklärungen  gegen  sie  aufzunehmen,  woferne 
man  übrigens  von  Schottland  her  seine  Propositionen  unter- 
stütze. Allein  da  man  sie  hier  in  jeder  Weise  ungenügend 
fand,  so  unterblieb  ihre  Absendung.  Die  Antwort  auf  die 
neunzehn  Propositionen,  welche  nach  langer  Zögerung  am 
20.  December  endlich  nach  London  abgieng,  war  wieder  aus- 
weichend und  verwies  alles  Weitere  auf  persönliche  Unter- 
handlung ( ^). 

Das  ganze  Bild  einander  ablösender  Entwürfe  hinterlässt 
den  Eindruck  eines  leeren  Spieles,  mit  dem  der  König  nichts 
bezweckte,  als  den  einen  seiner  Gegner  durch  den  anderen 
zu  täuschen,  sich  selbst  aber  in  nichts  zu  binden.  Dazwischen 
taucht  die  Kunde  von  dem  Plane  einer  royalistischen  Er- 
hebung auf,  der  Gedanke  zu  Gunsten  des  Prinzen  von  Wales 
abzudanken  oder  doch  zeitweise  zurückzutreten,  damit  dieser 
sehe,  wie  weit  sein  Gewissen  ihm  erlaube,  in  der  Frage  der 
Kirchenverfassung  und  des  Covenant  gegenüber  den  Schotten 
nachzugeben,  und  ob  er  etwas  damit  gewinne,  die  Idee,  sich 
durch  die  Flucht  aus  der  schottischen  Gefangenschaft  zu  be- 
freien. Noch  einmal  gegen  Ende  des  Jahres  machte  Montereuil 
in  Schottland  den  Versuch,  mit  dem  Hinweis  auf  die  Mög- 
lichkeit französischer  Unterstützung,  eine  Partei  für  den 
König  unter  die  Waffen  zu  bringen.  Aber  man  hielt  hier 
am  Bunde  mit  England  fest,  forderte  Annahme  der  neunzehn 
Propositionen ,  und  vor  allem  des  Covenant.  Es  war  das 
Werk  der  Geistlichkeit,  des  geschäftsführenden  Ausschusses 
der  General -Assembly,  welche  über  die  Hamilton'sche  Partei 
den  Sieg  davon  trug,  indem  sie  einen  wirksamen  Druck  auf 
das  Parlament   in  Edinburg  ausübte.     Selbst   die  Aufnahme 


Ormond'scher  Friede.  381 

des  Königs  im  Lande   wurde  verboten,  falls   er  nicht  seinen 
Frieden  mit  dem  englischen  Volke  gemacht  habe. 

Während  dessen  war  in  London  die  Entscheidung  ge- 
fallen. Der  Krieg  war  so  gut  wie  beendigt.  In  Irland  allein 
wüthete  er  noch  fort.  Allerdings,  sehr  zur  Unzeit  für  den 
König,  hatte  Ormond,  seit  Anfang  1644  Lord-Lieutenant,  am 
28.  Juli  1646  einen  Frieden  mit  den  Aufständischen  verein- 
bart, durch  den  er  Namens  des  Königs  für  eine  Hilfsmacht 
von  10000  Irländern,  Aufliebung  der  Pönal -Gesetze  gegen 
die  Katholiken  und  Zulassung  zu  einem  Theil  der  öffentlichen 
Aemter  zusagte.  Es  war  ganz  im  Sinne  Frankreichs  gesche- 
hen, welches,  seinen  gi-ossen  politischen  Interessen  gemäss,  der 
Verbindung  der  spanischen  Macht  mit  den  fanatischen  Einge- 
borenen entgegenzutreten,  und  wie  in  Schottland  so  auf  der 
grünen  Insel  seinen  Einfluss  geltend  zu  machen  wünschte. 
Aber  von  zwei  Seiten  wurde  dieser  Ormond'sche  Vertrag 
leidenschaftlich  angegriffen.  Der  gesammte  Puritanismus  in 
allen  drei  Reichen  war  über  diese  Nachgiebigkeit,  die  mit 
einer  so  erschreckenden  Gefahr  verbunden  war,  empört.  Der 
Nuntius  Rinuccini  hingegen,  gestützt  auf  den  Klerus,  verwarf 
den  Pakt  als  ungenügend,  setzte  sich  selbst  an  die  Spitze 
des  Widerstandes  und  riss  die  alt -irische  Bevölkemng  zur 
Weiteiführung  des  Kampfes  mit  sich  fort.  Das  Land  blieb 
im  Zustand  wildester  Fehde,  der  Schauplatz  ringender  In- 
trigiien,  von  drei  Heeren  bestritten.  Die  Masse  der  celtisch- 
katholischen  Bevölkerung,  der  sich  die  Katholiken  von  engli- 
scher Abkunft  theilweise  anschlössen,  stand  unter  der  Lei- 
tung des  Nuntius,  der  sehr  geneigt  war,  Irland  ganz  und 
gar  von  der  englischen  Herrschaft  loszureissen.  Die  kleine 
anglikanische  Partei,  nebst  vielen  Adligen  der  altenglischen 
Kolonie,  suchte  unter  Ormond  Dublin  und  einige  andere 
Plätze  für  den  König  zu  behaupten.  Das  Parlament  ver- 
fügte über  zerstreute  schottisch  -  englische  Streitkräfte,  denen 
durch  Ernennung  Lord  Lisle's  zum  Lord -Lieutenant -General 
eine  einheitliche  Leitung  gegeben  wurde.  Je  stärker  sich 
Ormond  von  den  katholischen  Rebellen  bedrängt  sah,  desto 
mehr  wurde  für  ihn  die  Nothwendigkeit  zwingend,  sich  den 


382  Kapitulation  von  Oxford. 

parlamentarischen  Streitkräften  anzunähern,  um  dadurch  seine 
Positionen  wenigstens  der  englischen  Nationalität  zu  retten, 
und  schon  hatte  er  gegen  Ende  des  Jahres  1646  einen  dahin 
zielenden  Vertrag  in  AngriiT  genommen. 

Während  hier  Kriegsgetümmel  und  Verhandlungen  mit 
einander  abwechselten,  kehrte  auf  der  anderen  Seite  des 
Georg -Kanals  der  langentbehrte  Friedenszustand  zurück. 
Eine  der  königlichen  Garnisonen  nach  der  anderen  war  in  die 
Hände  der  Parlamentarier  gefallen.  Am  24.  Juni  hatte  auch 
Oxford,  nach  fortgesetzter  Belagerung  durch  Fairfax,  Cromwell 
und  Skippon  kapitulirt.  Der  Besatzung  war  ehrenvoller  Abzug 
gewährt  worden,  die  Prinzen  von  der  Pfalz  erhielten  Freiheit 
das  Land  zu  verlassen,  das  Eigenthum  der  Bürger  und  der 
Colleges  ward  gewährleistet.  In  England  und  Wales  blieb 
für  die  Waffen  nur  noch  wenig  zu  thun  übrig.  Unter  diesen 
Umständen  war  nichts  natürlicher,  als  dass  in  erster  Linie 
die  Heimkehr  des  schottischen  Hilfsheeres  in  Frage  kam. 
Die  Schotten  selbst  sahen  doch,  trotz  Independenten  und 
Sekten,  so  manches  von  dem  erreicht,  was  sie  durch  die 
Waffenbrüderschaft  mit  dem  englischen  Volke  zu  erreichen 
gehofft  hatten.  Li  dem  Augenblick,  da  sie  Henderson,  den 
geachtetsteu  Vorfechter  ihres  kirchlichen  Systems  verloren, 
(t  19.  August  1646),  kam  eben  dieses  System  in  der  grossen 
Metropole  des  Nachbarlandes  zur  Durchführung.  Die  Synode 
schritt  in  ihren  Arbeiten  rüstig  vorwärts.  Das  Parlament 
leistete  der  presbyterianischen  Strömung  keinen  weiteren 
Widerstand.  Das  sehr  zusammengeschmolzene  Haus  der 
Lords,  durch  Essex'  Tod  (Sept.  1646),  freilich  eines  Haupt- 
vertreters des  Presbyterianismus  beraubt,  war  dieser  Richtung 
fast  durchaus  zugethan,  im  Hause  der  Gemeinen  hatte  sie 
durch  die  späteren  Nachwahlen  an  Kraft  noch  gewonnen. 
Eine  Ordonnanz  vom  9.  Oktober  1646  hatte  einen  neuen 
wichtigen  Schritt  auf  dem  Wege  der  kirchlichen  Gesetz- 
gebung gethan,  indem  die  Abschaffung  der  bischöflichen  Ver- 
fassung formell  erklärt,  und  die  Einziehung  des  Bischofs-Gutes 
„zum  r.esten  des  Gemeinwesens"  in  Aussicht  genommen  wurde. 
Was  allein  den  Lidependentismus  noch  gefährlich  zu  machen 


Abkommen  des  Parlaments  mit  Schottland.  383 

schien,  das  siegreiche  Heer,  musste  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach,  mit  der  Entfernung  der  Schotten,  gleichfalls  sich  baldigst 
autiösen,  und  schon  wurden  aus  dem  presbyterianischen  Lager 
Stimmen  laut,  welche  diese  Forderung  hören  Hessen. 

Indessen,  so  bereit  die  Schotten  auch  sein  mochten,  Eng- 
land sich  selbst  zu  tiberlassen,  man  war  nicht  im  Stande  dies 
Ziel  zu  erreichen ,  ohne  INIonate  dauernde  hitzige  Verhand- 
lungen, in  denen  sich  die  Frage  der  Ablohnung  der  nor- 
dischen Bundesgenossen  mit  der  Frage  des  Rechtes,  über  die 
Person  des  Monarchen  zu  verfügen ,  beinahe  unlöslich  ver- 
schlang. Nachdem  zur  schweren  Bekümmernis  der  Presbyte- 
rianer  und  unter  leidenschaftlichem  Anreiz  der  Indepeudenten 
die  nationalen  Antipathieen  wieder  auf's  stärkste  rege  ge- 
worden und  sich  in  Wort  und  Schrift  heftig  Luft  gemacht 
hatten,  wurde  die  Geldfrage  allein  erledigt  und  eine  Verein- 
barung über  die  Auszahlung  von  400000  £  getroffen,  deren 
erste  Hälfte  den  Schotten,  ehe  sie  das  Reich  verliessen,  ent- 
richtet w^erden  sollte.  Eine  in  der  City  eröffnete  Anleihe 
stellte  die  Summe  zur  Verfügung,  die  unter  dem  militärischen 
Schutze  Skippon's  nach  Norden  befördert  wurde.  Einige 
Tage  später  wurde  dem  Hause  der  Gemeinen  eine  Petition 
der  City  behändigt,  die  sich  in  Klagen  über  die  Last  des 
Heeres  ergieng  und  die  Forderung  enthielt,  es  baldigst  aufzu- 
lösen und  Frieden  mit  dem  König  zu  macheu.  Es  erscheint  fast 
begreiflich,  wenn  Karl  L  unter  diesen  Umständen  noch  immer 
auf  den  Zwiespalt  der  Parteien  rechnete.  Und  doch  entschied 
sich  eben  damals  sein  Schicksal.  Das  Parlament  fasste  den 
Beschluss,  dass  während  weiterer  Verhandlungen  Holmby-House 
in  Nordhamptonshire  dem  König  zum  Aufenthalt  gegeben 
werden  sollte,  und  sandte  eine  Anzahl  von  Kommissären  ab, 
um  ihn  von  Newcastle  dorthin  zu  geleiten.  Sie  wurden  selbst- 
verständlich von  presbyterianischen  Geistlichen  begleitet, 
Joseph  Caryl,  jenem  Censor,  dem  Milton  so  arg  zugesetzt 
hatte,  und  Stephen  Marshall,  dem  Smectymnianer.  Die 
Schotten  waren  entschlossen,  nachdem  alle  Verhandlungen  mit 
dem  Könige  gescheitert  waren ,  ihn  seinen  englischen  Unter- 
thanen  zu  überlassen.    Newcastle  wurde  von  ihren  Kommis- 


384      Auslieferung  des  Königs.  —  Verlegenheiten  der  Powell's. 

sären  und  Truppen  geräumt,  und  Skippon  hielt  seinen  Einzug 
(30.  Januar).  Einige  Tage  später  setzten  sich  die  Abgesandten 
des  Parlaments  mit  ihrem  König  unter  kriegerischer  Eskorte 
nach  Süden  in  Bewegung. 


Milton  hätte  nicht  er  selbst  sein  müssen,  wenn  ihm  die 
ganze  Summe  jener  entscheidenden  Ereignisse  nicht  mit  der- 
selben Theilnahme  erfüllt  haben  sollte,  wie  das  ganze  Land. 
Auch  haben  wir  uns  für  berechtigt  gehalten  in  einigen  seiner 
Verse  den  Reflex  bestimmter  Vorgänge  dieser  Zeit,  der 
kirchenpoHtischen ,  die  ihn  am  nächsten  berührten,  wieder 
zu  finden.  Indessen  auch  sonst  kam  neben  dem  allgemeinen 
sein  persönliches  Interesse  in  Betracht.  Wie  früher  die  Be- 
lagerung und  Uebergabe  von  Reading  für  sein  Hauswesen  im 
engsten  Sinn  des  Wortes  von  Bedeutung  gewesen  war,  so  da- 
mals die  EinSchliessung  und  Kapitulation  von  Oxford.  Hier, 
im  königlichen  Hauptquartier,  weilten  die  Eltern  und  Ge- 
schwister seiner  jungen  Frau,  die  sich  hinter  die  schützenden 
Mauern  geflüchtet  hatten.  Die  Vermögensverhältnisse  der 
Familie  waren  während  des  Krieges  immer  weiter  zurückge- 
gangen. Von  den  Gläubigern  des  alten  Powell  war  noch 
der  ungefährlichste  Milton  selbst,  dem  von  den  1000  i^,  die 
seine  Frau  als  Mitgift  hatte  erhalten  sollen,  und  von  300  i^, 
die  von  seiner  ursprünglichen  Forderung  noch  ausstanden, 
und  für  die  ihm  1640  der  freie  Besitz  in  Whatley  verpfändet 
worden  (^),  bis  dahin  nichts  zu  Gesicht  gekommen  war.  Da- 
gegen waren  andere  Verpflichtungen,  für  deren  Erfüllung 
Powell  Güter  und  Einkünfte  verpfändet  hatte,  dringend  ge- 
nug. Der  gute  Royalist  hatte  ausserdem  ohne  Zweifel  be- 
deutende Opfer  für  die  Sache  seines  Königs  gebracht,  und 
seine  Verluste  wurden  noch  grösser,  als  die  pai-l  amen  tarischen 
Truppen  sich  auf  seinen  Besitzungen  einquartierten,  und  sein 
Hab  und  Gut  den  fiskalischen  Massregeln  der  Feinde  ausge- 
setzt war.  Eben  damals,  während  er  selbst  mit  den  Seinigen 
in  Oxford  eingeschlossen  war,  im  Mai  oder  Anfang  Juni  1640 


Verlegenheiten  der  Powells.  385 

legte  der  Hauptgläubiger,  Sir  Robert  Pye  (s.  o.  S.  165),  kraft 
ihm  eingeräumten  Rechtes  auf  das  Landgut  von  Foresthill 
Besehlag.  Insofern  hatte  dies  sein  Gutes,  dass  damit  einer 
drohenden  Sequestration  durch  das  Parlament  vorgebeugt 
wurde.  Indessen  wurde  nicht  abgewandt,  dass  die  parlamen- 
tarischen Sequestratoren  für  die  Grafschaft  Oxford  die  fahrende 
Habe,  die  sich  in  Foresthill  befand,  und  die  sonstigen  Ver- 
mögensstücke des  alten  Powell,  als  eines  „Delinquenten",  zur 
Strafe  einzogen.  Sie  erschienen,  drei  Mann  hoch,  um  ein 
genaues  Inventar  aufzunehmen ,  durchmusterten  Höfe  und 
Ställe,  Zimmer  und  Kammern,  Küche  und  Keller,  Brauhaus 
und  Backhaus  und  schätzten  die  einzelnen  Gegenstände,  Korn 
und  Vieh,  Möbel  und  Kleider,  Vorräthe  und  Geschirr  bis  in's 
kleinste.  Einen  bedeutenden  Posten  machten  die  aufgestapelten 
Holzmengen  aus,  die  Mr.  Powell  auf  Lager  hatte.  Zwei  Wiesen- 
gründe wurden,  weil  in  Folge  der  Einquartierung  von  Ka- 
vallerie aufgezehrt,  nicht  geschätzt,  ebensowenig  ein  anderes 
Stück  Land  bei  Foresthill,  das  nicht  auf  Sir  R.  Pye  über- 
gegangen war,  und  die  Besitzungen  in  Whatley. 

Fast  der  ganze  Hausrath,  Vieh  und  Vorräthe,  eine  Quan- 
tität Holz  abgerechnet,  auf  die  ein  anderer  Anrecht  hatte, 
wurde  für  den  Spottpreis  von  335  '£  an  einen  gewissen  Mr. 
^Matthew  Appletree  aus  London  losgeschlagen,  ohne  Zweifel 
einen  jener  geriebenen  Spekulanten,  die  wie  die  Raben  den 
parlamentarischen  Truppen  in  die  royalistischen  Gebiete  nach- 
folgten. Er  machte  sich,  nachdem  er  zwanzig  Schillinge  an- 
gezahlt hatte,  sofort  daran,  die  kleineren  Stücke  der  guten 
Beute  wegzuschleppen,  und  als  sich  die  Thore  von  Oxford 
öffneten,  sah  sich  die  Familie  Powell  in  der  elendesten  Lage. 
Der  eilfte  Artikel  der  Kapitulations  -  Urkunde  gestattete  allen 
in  der  Stadt  befindlichen  Personen,  die  nicht  mit  Namen  aus- 
genommen wären,  sich  zu  begeben,  wohin  sie  wollten,  und 
binnen  sechs  Monaten  ihr  mit  Sequester  belegtes  Hab  und 
Gut  durch  Zahlung  festgesetzter  Sühne  zurück  zu  gewinnen  (i). 
Aber  die  unglücklichen  Powells  mussten  erfahren,  dass  ihr 
Hab  und  Gut  grossen  Theils  nicht  nur  unter  Sequester  gelegt, 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.     I.   2.  25 


386  Verlegenheiten  der  Powells. 

sondern  verkauft  und  verschleudert  worden  war.  Die  ausge- 
leerten Räume  von  Foresthill,  von  Sir  R.  Pye  mit  Beschlag 
belegt,  gewährten  ihnen  kein  Obdach.  Ein  Ueberschlag,  den 
der  alte  Powell  machte,  lehrte  ihn,  dass  er  während  der 
Kriegsjahre  alles  in  allem  etwa  3000  £  eingebüsst  habe. 

Sein  Unmuth  musste  um  so  grösser  sein,  da  es  bei  jenem 
Sequestrations-  und  Trödelgeschäft  durchaus  nicht  ehrlich 
hergegangen  zu  sein  schien.  Die  Taxation  und  Verrechnung 
konnte  manchen  Einwurf  hervorrufen.  Es  legte  bedenkliche 
Schlüsse  nahe,  dass  ein  Mr.  Matthew  Appletree  der  glückliche 
Käufer  gewesen  war,  während  ein  Mr.  Thomas  Appletree 
in  dem  Committee  der  Grafschaft  von  Oxford  sass,  welches 
das  ganze  Verfahren  autorisirt  hatte  (^).  Noch  viel  schwerer 
wurden  aber  alle  Betheiligten  belastet,  wenn  sich  eine  Be- 
hauptung als  richtig  erweisen  liess,  welche  die  Powells  bei 
späterem  Process  geltend  zu  machen  suchten.  Sie  erklärten 
nämlich,  dass  die  Verfügung  des  Committee  zur  Sequestration 
erst  vom  17.  Juni  1646  stamme,  während  das  Inventarium 
und  die  Verkaufsurkunde  mit  dem  Datum  des  16.  Juni  be- 
zeichnet war ,  und  sie  Hessen  durchblicken ,  dass  hier  eine 
Ungenauigkeit ,  wenn  nichts  Schlimmeres,  vorliege,  deren 
Zweck  gewesen  sei,  das  wahre  Datum  jenes  Geschäftes  zu 
verdecken.  Nach  ihrer  Aussage  fand  der  Verkauf  erst 
„einige  Tage  nach  der  Gewährung  der  besagten  Artikel  (der 
Kapitulation  von  Oxford)"  statt,  und  w^aren  diese  gröblich 
durch  den  Handel  verletzt  (2).  Wie  immer  sich  dies  verhielt, 
Mr.  Powell  hielt  es  für  rathsam  zunächst  für  das,  was  sich 
von  seinem  Hab  und  Gut  noch  retten  liess,  die  Busse  des 
„Delinquenten"  innerhalb  der  geforderten  sechs  Monate  zu 
zahlen  uud  sich  zu  dem  Zweck  nach  London  zu  begeben,  w^o 
man  versuchen  konnte  auch  für  das  erlittene  Unrecht  sich 
Genugthuung  zu  verschaiTen.  Nicht  zum  w^enigsten  wird  seinen 
Entschluss  bestimmt  haben,  dass  er  heften  durfte,  eben  dort 
im  Hause  seiner  Tochter  für  sich  und  die  Seinigen  eine 
Unterkunft  zu  finden.  Es  war  zwvar  hart  für  die  Powells  nach 
allem,  was  vorangegangen  wai-,  Milton  als  Bittende  zu  nahen, 


Die  Powells  lu  Loudou.  —  Geburt  vou  Auua  Miltou.  387 

härter  wohl  noch  für  die  Mutter  als  für  den  Vater,  indess 
der  Sturm  auf  das  gute  Herz  des  Dichters  musste  gewagt 
werden.  Einige  Tage  nach  der  Kapitulation  von  Oxford,  am 
27.  Juni  erhielt  Mr.  Powell  einen  von  Fairfax  unterzeichneten 
Passirschein  (^)  und  machte  sich  mit  seiner  Frau  und  einigen 
seiner  Kinder  auf  den  Weg  nach  London.  Er  hatte  sich  in 
der  Gesinnung  seines  Schwiegersohnes  nicht  getäuscht.  Die 
Eltern  seines  Weibes  nebst  mehreren  ihrer  Brüder  und 
Schwestern,  alles  in  allem  eine  „gute  Anzahl",  fanden  in 
ihrem  Unglück  unter  seinem  Dache  ein  Asyl  (2).  Mit  seinen 
zwei  Neffen,  den  übrigen  Pensionären  und  seinem  alten  Vater 
war  es  keine  kleine  Familie,  die  das  Haus  in  Barbican  er- 
füllte. Man  war  erst  einige  Wochen  zusammen,  als  die  Ge- 
sellschaft noch  einen  Zuwachs  durch  eine  neue  Weltbürgerin 
erhielt.  Am  29.  Juli  gegen  Abend  kam  Milton's  Frau  mit 
ihrem  ersten  Kinde  nieder.  Es  war  ein  „prächtiges  Mädchen, 
obwohl  es,  sei  es  in  Folge  natürlicher  Anlage,  sei  es  in  Folge 
von  Mangel  an  gehöriger  Sorgfalt,  je  mehr  und  mehr  elend 
aufwuchs"  (^).  Der  Name  Anna,  den  es  erhielt,  konnte  eben 
sowohl  ein  Kompliment  für  Milton's  Schwester,  Mrs.  Agar, 
wie  für  die  alte  Mrs.  Powell  bedeuten. 

Während  die  Frauen  um  das  Neugeborene  beschäftigt 
waren,  gieng  der  alte  Powell  sorgenvoll  umher.  Er  war  kaum 
«in  Paar  Wochen  im  Hause  seines  Schwiegersohnes,  als  er 
erfahren  musste,  dass  seine  Angelegenheiten  eine  noch  üblere 
Wendung  nahmen,  als  sich  anfangs  voraussehen  liess.  Jene 
Verschleuderung  seiner  fahrenden  Habe  war  schon  schlimm 
genug,  indessen  Hess  sich  hoffen,  den  Klauen  des  Mr.  Appletree 
noch  einiges  zu  entreissen.  Nun  aber  kam  es  dahin,  dass 
das  Parlament  selbst  sich  an  seinem  Hab  und  Gut  vergriff, 
und  wie  gegen  dieses  Recht  zu  erhalten  sei,  liess  sich  nicht 
absehn.  Die  ganze  Angelegenheit  bietet  ein  schlagendes  Bei- 
spiel für  die  Härte  und  Willkür,  mit  der  das  Privateigen- 
thum  der  „Malignanten"  behandelt  wurde,  wennschon  im 
einzelnen  manches  dunkel  bleibt,  namentlich  auch  nicht  klar 
wird,  wie  sich  das  Parlament  mit  dem  Käufer,  Mr.  Appletree, 

25* 


388  Sorgen  des  alten  Powell. 

auseinander  gesetzt  hat.  Genug,  dass  auf  die  Klagen  der 
Gemeinde  von  Banbury  (Oxfordshire),  der  halbe  Ort  sei  ab- 
gebrannt, Kirche,  Pfarrhaus,  Gefängnis  ruinirt,  eine  parla- 
mentarische Ordonnanz  vom  16.  Juli  1646  den  Einwohnern 
auf  ihr  Ansuchen  „Balken  und  Bretter,  die  ein  gewisser  Mr.. 
Powell,  ein  Malignant,  aus  den  Waldungen  von  Forest -Wood 
bei  Oxford  ausgehaueu  hatte,  und  die,  nicht  über  300  ^£ 
werth,  unter  Sequester  lägen",  für  die  Herstellung  der  öffent- 
lichen Gebäude  zur  Verfügung  stellte.  Der  Ueberschuss  sollte 
von  denjenigen  Mitgliedern  beider  Häuser,  die  dem  Committee 
für  Oxford  angehörten,  nach  ihrem  Ermessen  an  „gutgesinnte 
Privatpersonen "  (w^ell  affected  persons)  besagter  Stadt  zum 
Aufbau  ihrer  Häuser  vertheilt  werden.  Auch  hier  scheint 
nicht  alles  rein  zugegangen  zu  sein.  Es  war  noch  unbedenk- 
lich, dass  Mr.  Powell  selbst  eben  diese  Holzvorräthe  auf  400 
£  schätzte,  aber  es  stellte  sich  später,  wenn  der  Behauptung 
der  Powells  zu  trauen  ist,  heraus,  dass  die  Gemeinde  von 
Banbury  einen  grossen  Theil  des  Älaterials  gar  nicht  ver- 
brauchte, sondern  durch  Verkauf  desselben  die  r.nständige 
Summe  von  110  £  herausschlug  (')• 

Wollte  Mr.  Powell  noch  etwas  von  dem  Seinigen  retten, 
so  war  es  dringlich  die  nöthigen  Schritte  zu  thun.  Er  reichte 
daher  am  6.  Aug,  1646  dem  Committee,  welches  in  Goldsmiths' 
Hall  sass,  und  dem  die  Sühne- Angelegenheiten  der  „Delin- 
quenten" oblagen,  eine  Petition  ein,  in  der  er  sich  auf  die 
Kapitulation  von  Oxford  berief  und  zur  Erlegung  der  Sühne- 
Summe  zugelassen  zu  werden  bat.  Er  fügte  am  21.  No- 
vember 1646  eine  Uebersicht  seiner  traurigen  Vermögensver- 
hältnisse hinzu,  nach  der  seine  Strafe  abzuschätzen  wäre.  Er 
leistete  am  4.  December  einei).  Eid  auf  die  Richtigkeit  seiner 
Angalien  und  nahm  am  selben  Tage  die  unangenehme  For- 
malität auf  sich,  den  Covenant  zu  unterschreiben.  Am  8, 
December  endlich  kam  die  Entscheidung  der  überhäuften 
Behörde.  Sie  war  wenig  tröstlich.  Nach  Prüfung  der 
Angaben  Powells,  die  seinem  Interesse  nach  bald  zu  hoch, 
bald  zu  niedrig  sein  konnten,  ohne  Rücksicht  auf  seine 
Schulden  und  Verluste  wurde  die  Zahlung  einer  Strafsumme 


Tod  des  alten  Powell.  389 

von  180  £ ,  dem  Doppelten  seiner  muthmasslichen  Jalires- 
Eiiikünfte,  gefordert  (').  Erst  wenn  diese  bezahlt  war,  konnte 
an  weitere  Schritte  zur  Wiedererlangung  des  Verlorenen  ge- 
dacht werden.  Aber  der  alte  Powell  wurde  allen  Sorgen 
entrückt.  Möglich,  dass  ihn  die  Erlebnisse  der  letzten  Mo- 
nate gebrochen  hatten;  gewiss,  dass  er  in  den  ersten  Tagen 
des  Jahres  1647  in  Milton's  Hause  starb  (2).  Sein  Testament 
vom  30.  December  1646  zeigte,  dass  er  die  Hoffnung  noch 
nicht  aufgegeben  hatte,  dass  das  Landgut  von  Foresthill 
wieder  in  den  Besitz  seiner  Familie  kommen  werde,  obwohl 
er  es  kluger  Weise  in  jener  Uebersicht  seiner  Vermögens- 
verhältnisse nicht  erwähnt  hatte.  Er  gedachte  jenes  Sir 
Robert  Pye,  der  für  seine  Schuld  das  Gut  mit  Beschlag  be- 
legt hatte,  in  freundschaftlichster  Weise  und  setzte  voraus, 
dass  sein  ältester  Sohn  Richard  sich  später  mit  den  alten  Be- 
kannten auseinander  setzen  werde.  Diesem  Sohn  lag  es  in 
erster  Linie  auch  ob,  als  „Executor"  die  übrigen  gefährdeten 
oder  verlorenen  Güter  nach  Kräften  wieder  beizubringen,  in 
zweiter  Linie  war  die  Wittwe  mit  dieser  Aufgabe  betraut,  die 
zu  ihrer  Lösung  vor  allem  voraussetzte ,  dass  man  mit  der 
Zahlung  der  Sühne  wirklich  Ernst  mache.  Die  ausstehende 
Mitgift  von  Milton's  Frau  konnte  unter  den  obwaltenden 
Umständen  nur  im  allgemeinen  der  Rücksicht  der  Erben  em- 
pfohlen werden  (3).  Es  waren  wenig  erfreuliche  Gegenstände, 
welche  in  diesen  Tagen  den  äusseren  Kreis  des  Lebens  im 
gastfreien  Hause  des  Dichters  ausfüllten,  aber  noch  unerquick- 
licher wurde  sein  Verhältnis  zu  der  Familie  seiner  Frau  in 
späterer  Zeit,  als  die  Wittwe  Powell,  die  für  ihren  ältesten 
Sohn  den  Auftrag  übernommen  hatte,  sich  daran  machte, 
die  Vermögens  -  Verhältnisse  der  Familie  in  Ordnung  zu 
bringen. 

Damals  waren  es  nicht  allein  die  Powells,  deren  Fähr- 
lichkeiten  und  Sorgen,  eine  Folge  ihrer  politischen  Sym- 
pathieeu,  Miltpn"s  besondere  Theilnahme  herausforderten.  Sein 
Bruder  Christoph,  der  nach  der  Einnahme  von  Reading 
durch   die    parlamentarischen    Truppen    1643    zunächst   dort 


390  Christoph  Milton.         - 

•wohnen  geblieben  war,  hatte  seine  royalistische  Gesinnung 
keineswegs  aufgegeben.  Er  hatte  sogar  eine  vom  König  unter 
dem  grossen  Siegel  von  Oxford  aus  erlassene  Kommission 
übernommen,  „die  Freunde  des  Parlaments  in  drei  Graf- 
schaften zu  sequestriren".  Später  muss  er  sich  nach  Exeter 
begeben  haben,  und  nach  der  Einnahme  dieser  Stadt  1646, 
war  er  nach  London  geeilt,  um  durch  Leistung  der  vorge- 
schriebenen Formalitäten  und  Strafen  seine  Güter  zu  retten. 
Vermuthlich  bot  ihm  das  Haus  seiner  Schwiegermutter  ein 
Obdach,  so  dass  nicht  auch  er  zum  Haushalt  des  Bruders 
gehörte.  Er  hatte  am  20.  April  1646  den  Covenant  unter- 
schrieben, am  28.  August  den  sog.  Negativ-Eid  geleistet  (^) 
und  am  7.  August  seine  Petition  um  Zulassung  zur  Busse  und 
eine  Uebersicht  seines  Vermögens  eingereicht.  Der  wohlbewan- 
derte „Rechts-Konsulent"  wusste  von  fahrender  Habe  nichts 
anzugeben,  da  alles,  was  er  besessen,  „ihm  genommen  und  zum 
Besten  des  Staates  verwandt  worden  sei".  Nur  ein  kleines  An- 
wesen in  London,  gelegen  „in  der  Pfarrei  St.  Martin,  Ludgate", 
das  vor  dem  Kriege  jährlieh  40  i^  getragen  habe,  wollte  er 
durch  Zahlung  der  Strafsumme  aus  dem  Sequester  zu  lösen 
haben.  Für  dieses  wurde  ihm  am  7.  Sept.  eine  Strafsumme 
von  80  ^  aufgelegt,  deren  erste  Hälfte  er  am  24.  desselben 
Monats  zu  zahlen  hatte.  Die  übrigen  40  ^  waren  ein  Viertel- 
jahr später  zu  entrichten,  und  es  wurde  dem  „Delinquenten" 
angedeutet,  dass  das  Parlament  möglicher  Weise  für  sein  Ver- 
gehen noch  weitere  Busse  verlangen  werde.  In  der  That  be- 
ruhigte man  sich  auch  nicht  bei  seiner  Angabe,  wurde  um  so 
misstrauischer,  da  er  mit  Zahlung  des  Restes  seiner  Busse  im 
Rückstande  blieli,  und  Hess  noch  Jahre  nachher  in  den  Graf- 
schaften von  Berks  und  Suflfolk  nachforschen,  ob  nicht  ihm 
gehörige  Besitzungen  nachweisbar  seien,  deren  Dasein  er  ver- 
schwiegen habe  (2). 

Während  diese  Schicksale  nahestehender  Personen  Milton 
mehr  oder  minder  in  Mitleidenschaft  zogen,  traf  ihn  ein  schwerer 
Schlag,  der  sein  Haus  aufs  neue  in  Trauer  versetzte.  Einige 
Wochen  nachdem  Mr.  Powell  gestorben  war,  schloss  der  alte 


Tod  des  alten  Milton.  391 

Vater  des  Dichters  die  Augen.  Er  hatte  seine  letzten  Jahre 
,.ganz  zurückgezogen  in  frommer  Ruhe  gelebt  ohne  die  aller- 
geringste Störung".  Nur  die  Ankunft  so  vieler  Schutz  suchender 
Gäste  mochte  auch  seine  Behaglichkeit  in  etwas  gestört  haben. 
Der  Eintrag  seines  Begräbnisses  in  der  Kirche  St.  Giles, 
Cripplegate  datirt  vom  15.  März  1647  (^).  Der  Sohn  hat  keinen 
Ausdruck  für  das  Gefühl  gefunden,  das  seine  Brust  durch- 
zog, als  dort  im  Chor  die  Steinplatte  sich  über  dem  Sarge 
schloss. 


Achtes  Kapitel. 
In  den  letzten  Zeiten  des  Königthums. 


Von  den  uns  erhaltenen  Privatbriefen  des  Dichters,  deren 
Zahl  leider  eine  "nur  zu  spärliche  ist,  beansprucht  einer,  der 
bald  nach  dem  Tode  des  alten  Milton  geschrieben  worden  ist, 
einen  nicht  geringen  Werth.  Er  richtet  sich  an  Carlo  Dati, 
jenen  strebsamen  florentiner  Freund,  der  einst  den  Fremdling 
aufs  herzlichste  aufgenommen  hatte,  und  lässt  uns  die  Stim- 
mung des  Schreibers  genügend  erkennen  (^).  Als  Milton  seinem 
Jugendfreunde,  Karl  Diodati,  in  jenem  Gedicht  „Epitaphium 
Damonis''  ein  dauerndes  Andenken  stiftete,  hatte  er,  noch 
ganz  erfüllt  von  den  Eindrücken  der  italienischen  Reise,  der 
florentiner  Bekannten,  und  Dati's  wie  Francini's  mit  Nennung 
ihres  Namens,  in  schmeichelhafter  Weise  gedacht.  Entweder 
hatte  er  damals  eine  Abschrift  des  Gedichtes  odei*  später  einen 
Ausschnitt  aus  dem  Bändchen  von  1G45,  der  es  enthielt,  nach 
Florenz  geschickt,  um  auf  diese  Weise  den  einen  oder  den 
anderen  der  dortigen  Freunde  „zum  Schreiben  zu  bewegen". 
Er  selbst  hatte  nicht  gewagt  sich  an  einen  von  ihnen  zu 
wenden,  um  „nicht  die  übrigen  zu  verletzen''.  Da  kam  ihm 
mitten  in  den  Sorgen,  die  ihm  die  letzte  Zeit  gebracht  hatte, 
„ganz  unerwartet"  ein  Schreiben  Dati's  zu,  in  dem  sich  „Ele- 
ganz des  Ausdrucks  und  freundschaftliche  Gesinnung  mit 
einander  stritten'',  und  das  ihn  in  seiner  damaligen  Lage  wahr- 


Briefwechsel  mit  Dati.  393 

haft  erquickte.  Freilich  musste  er  zu  seiner  Bestürzung  er- 
fahren, dass  Dati  schon  früher  drei  Briefe  abgesandt  hatte, 
die  un wiederb ringhch  verloren  waren,  und  sodann  zwang  ihm 
diese  Erinnerung  an  die  glücklichen  Tage  von  Florenz,  von 
dem  er  sich  so  „schwer  losgerissen  hatte",  eine  sehr  melan- 
cholische Betrachtung  ab :  .  .  „Ich  muss  oft  mein  Loos  beklagen. 
Diejenigen,  an  die  ich  durch  bloss  nachbarschaftliches  oder  sonst 
werthloses  Verhältnis  aus  Zufall  oder  von  Gesetzes  wegen  ge- 
bunden bin,  eben  diese,  durch  nichts  anderes  mir  theuer, 
hocken  täglich  bei  mir,  fallen  mir  beschwerlich,  ja  quälen  mich 
beim  Himmel,  wenn  die  Laune  ihnen  danach  steht,  halb  zu 
Tode.  Diejenigen  aber,  die  mir  an  Bildung,  Geistesrichtung 
und  Studien  so  nahe  standen,  sind  mir  fast  alle  entweder 
durch  den  Tod  geraubt  oder  durch  eine  so  grosse  räumliche 
Trennung  meinen  Augen  entzogen,  dass  ich  zu  einem  beinahe 
ganz  einsamen  Leben  verdammt  bin". 

Es  ist  ein  trübes  Bild,  das  diese  Worte  enthüllen.  Wir  wissen, 
was  unter  dem  „gesetzlichen  Bande"  zudenkenist^  welches  Milton 
eine  drückende  Fessel  war ,  und  können  uns  ausmalen,  wie  die 
verwittwete  Schwiegermutter  mit  der  Schaar  der  übrigen  Kinder 
Powell  in  dem  stillen  Gelehrtenhause  schaltete.  Da  Avandten 
sich  die  Gedanken  des  Dichters  den  theuern  Gräbern  zu,  deren 
letztes  sich  erst  eben  über  dem  Leichnam  des  Vaters  geschlossen 
hatte,  und  seine  Sehnsucht  schweifte  nach  der  „lieben"  sonnen- 
beglänzten  Stadt  am  Arno,  wo  so  viele  „traute  Freunde  be- 
haglich zusammenlebten".  Dati  hatte  Nachrichten  über  die 
literarischen  Beschäftigungen  Milton's  erbeten  und  als  Probe 
seiner  eigenen  Leistungen,  wie  sich  vermuthen  lässt,  seine 
Beschreibung  der  florentiner  Leichenfeier  Ludwig's  XIIL  über- 
schickt (^).  Milton  nahm  diese  sehr  beifällig  auf  und  konnte 
in  ihr  nichts  von  dem  „kaufmännischen"  Stile  finden,  auf 
den  Dati  scherzhaft  angespielt  hatte.  Er  selbst  dagegen  er- 
klärt, in  den  traurigen  Wirren  seines  Vaterlandes  der  schrift- 
stellerischen Müsse  ziemlich  entbehrt  zu  haben,  ohne  ein  Hehl 
daraus  zu  machen,  dass  er  „nicht  weniges  in  der  Mutter- 
sprache veröffentlicht  habe".  Eben  dieser  Umstand,  dass  er 
sich  englischer  Prosa  bedient  hatte,  hält  ihn  davon  ab,  seine 


394  Abzug  der  Powells.  —  Milton  als  Lehrer. 

Schriften  dem  Urtheil  der  florentiner  Freunde  zu  unterwerfen. 
Auch  hätten  sie  schwerlich  an  allem  Geschmack  gefunden. 
Scheint  es  Milton  doch  sogar  nöthig,  dem  Versprechen  einer 
Uebersendung  seiner  lateinischen  Gedichte  die  Bitte  hinzuzu- 
fügen, man  möge  entschuldigen,  was  ,, auf  einigen  Seiten  Bitteres 
gegen  den  Pabst  gesagt  sei".  Er  schliesst  mit  Grüssen  an 
Coltellini,  Francini,  Frescobaldi,  Malatesti,  Chimentelli  und 
die  ganze  „Akademie  Gaddi's"  und  mit  dem  Vorschlag,  sich 
über  ein  Mittel  sicherer  Korrespondenz  zu  verständigen.  Die 
Benutzung  kaufmännischer  Boten  scheint  ihm  das  Einfachste, 
und  seinerseits  will  er  das  Geschäft  einem  „Buchhändler  Jakob" 
übertragen  „oder  seinem  Herrn,  mit  dem  er  genau  bekannt  sei". 

Der  Brief  an  Dati  kann  noch  nicht  lange  abgesandt 
worden  sein,  als  wenigstens  ein  Grund  der  Klage,  welcher 
Milton  hier  Ausdruck  gegeben  hatte,  entfernt  wurde.  Die 
Wittwe  Powell  mit  ihren  ledigen  Kindern  verliess  das  Haus 
ihres  Schwiegersohnes.  Es  bleibt  unklar,  wohin  die  Familie 
sich  wandte.  Hatte  einer  der  Gläubiger,  Sir  Robert  Pye,  viel- 
leicht nicht  ohne  dabei  das  Interesse  der  befreundeten  Po- 
wells im  Auge  zu  haben,  Foresthill  in  Beschlag  genommen, 
so  hatte  ein  anderer,  ein  Verwandter,  Sir  Edward  Powell, 
noch  im  Januar  1647  auf  die  ihm  verpfändeten  Besitzungen 
von  Whatley  seine  Hand  gelegt.  In  jedem  Fall  blieben  die 
Vermögensverhältnisse  der  Powells  sehr  bedenkhche,  und  Milton 
hatte  noch  sein  Theil  an  den  daraus  erwachsenden  Unan- 
nehmlichkeiten zu  tragen  (^). 

Nach  dem  Abzug  der  unliebenswürdigen  Gäste  war  das 
Haus  in  Barbican,  dem  Ausdruck  von  Milton's  Neffen  zufolge, 
wieder  ganz  „ein  Haus  der  Musen".  Ruhe  und  Fleiss  kehrten 
in  seine  Räume  zurück,  und  mit  grösserem  Eifer,  als  es  in 
der  letzten  Zeit  möglich  gewesen  war,  konnte  Milton  dem 
Beruf  genügen,  den  er  in  freier  Wahl  auf  sich  genommen 
hatte.  Seine  Feinde  haben  ihn  nicht  besser  zu  verspotten 
geglaubt,  als  wenn  sie  ihn  einen  „Schulmeister"  nannten.  In- 
dessen ,  so  sehr  ein  solches  Amt  ihm  Ehre  gebracht  und  von 
ihm  Ehre  empfangen  haben  würde,  einer  Schule  im  eigent- 
lichen Sinn  des  Wortes  hat  er  nie  vorgestanden.    Seitdem  er 


Schüler.  395 

sich  wieder  in  der  Heimat  eingelebt  hatte,  waren  seine  beiden 
Neffen  seiner  Erziehung  anvertraut  worden,  und  er  hatte  sie 
ganz  und  gar  zu  sich  genommen.  Mit  der  Zeit  entschloss  er 
sich  auch  andere  Knaben  zu  unterrichten,  von  denen  diese 
und  jene  als  Pensionäre  Kost  und  "Wohnung  bei  ihm  hatten. 
Das  geräumigere  Haus  in  Barbican  war  bezogen  worden,  weil 
ihre  Zahl  angewachsen  war.  Immerhin  darf  man  sie  sich  nicht 
zu  gross  denken.  Es  waren,  ausser  den  beiden  jungen  Ver- 
wandten Milton"s,  „Söhne  einiger  Gentlemen,  mit  denen  er 
intim  befreundet  war",  und  man  ist  im  Stande  die  Namen 
einiger  von  ihnen  anzug;eben.  Zwei  sind  als  Adressaten  Milton'- 
scher  Privatbriefe  in  sptäterer  Zeit  nachweisbar :  Ptichard  Heth 
(13.  Dec.  1652),  damals  bereits  Inhaber  einer  Pfarrei,  und 
Richard  Jones,  der  spätere  Graf  von  Ranelagh,  der  allerdings 
1647  erst  sieben  Jahre  alt  war,  an  welchen  Milton  mehrere 
anziehende  Briefe  in  den  fünfziger  Jahren  gerichtet  hat.  Er 
war  der  Sohn  der  geistreichen  und  hochgebildeten  Lady 
Piauelagh,  der  Schwester  des  berühmten  Naturforschers  Robert 
Boyle,  und  die  Bekanntschaft  mit  dieser  ausgezeichneten  Fa- 
milie diente  dazu,  den  Dichter  in  den  folgenden  Jahren  einer 
Genossenschaft  hochstrebender  Naturen  anzunähern,  zu  denen 
er  sich  aus  mancherlei  anderen  Gründen  hingezogen  fühlte  (^). 
Ein  Neffe  der  Lady  Ranelagh,  der  Sohn  ihrer  verwittweten 
Schwester,  der  junge  Graf  Richard  von  Barrimore,  wird  eben- 
falls als  einer  der  Milton'scheu  Schüler  bezeichnet,  und  zu 
gleicher  Zeit  mit  ihm  ein  gewisser  „Sir  Thomas  Gardiner  von 
Essex"(^).  Es  hat  viel  für  sich  den  Genannten  den  jungen 
Henry  Lawrence  anzureihen,  der  1647  höchstens  vierzehn- 
jährig gewesen  sein  könnte.  Sein  Vater  stieg  während  der 
Republik  zu  hohen  Ehrenstellen  empor,  und  er  selbst  wurde 
nachweisbar  einer  der  anhänglichsten  der  jüngeren  Freunde 
Milton's.  Mit  grösserer  Sicherheit  lässt  sich  Cyriack  Skinner, 
der  Enkel  des  grossen  Juristen  Coke,  als  Schüler  Milton's 
bezeichnen,  und  da  er  1647  mindestens  zwanzig  Jahre  alt  war, 
wird  er  zu  den  frühesten  Zöglingen  des  Dichters  gehört  haben. 
Auch  ist  durch  mehrere  Zeugnisse  festzustellen,  dass  zwischen 
ihm  und  Milton  später  die  innigste  Verbindung  bestand.    Ein 


396  Unterriclits-Methode  und  Lehrbüclier. 

gewisser  Packer  dagegen,  der  gleichfalls  den  Unterriclit 
Miltons  genossen  haben  soll,  ist  nur  dem  Namen  nach  be- 
kannt (^). 

Die  Verschiedenheit  des  Alters,  die  zwischen  einzelnen 
der  Genannten  bestand,  macht  es  unwahrscheinlich,  dass  sie 
sämmtlich  zu  gleicher  Zeit  Milton's  Sorge  anvertraut  waren. 
Auch  mögen  sie  nicht  die  einzigen  gewesen  sein,  die  von  seiner 
Belehrung  Nutzen  zogen.  Immerhin  ist  so  viel  klar,  dass 
INIilton  als  Pädagoge,  ohne  einen  Unterschied  zwischen  adlig 
und  bürgerlich  zu  machen,  sich  den  Bedürfnissen  von  Ange- 
hörigen der  höheren  Stände  anzupassen  hatte,  an  die  ja  auch 
lediglich  bei  Abfassung  seiner  Schrift  über  die  Erziehung  ge- 
dacht worden  war.  Es  ist  nun  nicht  schwer  zu  verfolgen,  wie 
die  Grundsätze,  die  dort  der  Schriftsteller  vertreten  hatte,  vom 
Praktiker  bei  seinem  Tagewerk  befolgt  wurden.  Zunächst 
legt  Edward  Phillips,  welcher  hierfür  der  beste  Gewährsmann 
sein  kann,  ein  besonders  starkes  Gewicht  darauf,  dass  die 
„Unterrichts-Methode"  seines  Oheims  wie  „sein  Gespräch  und 
seine  Schriften  auch  nicht  im  mindesten  nach  Pedanterie  ge- 
schmeckt hätten".  Auch  sonst  wird  berichtet,  dass  Milton 
„Strenge  mit  Freundlichkeit  und  Freiheit  im  Gespräch"  sehr 
gut  zu  verbinden  gewusst  habe.  Selbst  vortrefflich  musika- 
lisch gebildet  und  von  der  pädagogischen  "Wichtigkeit  der 
Musik  lebhaft  überzeugt,  hat  er  sicherlich  diese  Kunst  nicht 
von  seinem  Unterrichtsplane  ausgeschlossen.  Von  seinen  Neffen 
wird  ausdrücklicli  bezeugt,  dass  sie  bei  ihm  singen  lernten. 
Die  Hauptsache  war  aber  das  Studium  der  Sprachen,  und 
zwar  in  eben  der  Weise,  wie  die  Schrift  über  die  Erziehung 
entwickelt  hatte,  zugleich  als  Mittel  des  Studiums  der  Realien. 
Vom  „zehnten  bis  zum  fünfzehnten  oder  sechzehnten  Jahr" 
lasen  seine  Schüler  eine  Reihe  antiker  Autoren  durch,  „von 
denen  man  in  den  Schulen  fast  nie  etwas  hört" :  „Von  den 
lateinischen  die  vier  grossen  Autoren  de  re  rustica"  (mit  Ein- 
schluss  des  Palladius),  sodann  das  Werk  des  Cornelius  Celsus 
über  die  Arzneikunde,  „einen  grossen  Theil  von  Plinius  Natur- 
geschichte, Vitruv's  Architektur,  Frontinus  Strategemata,  dazu 
die  l)oiden  vortrefflichen  Dichter  Lucretius  und  Manilius",  von 


Uuterricbts-Methode  und  Lehrbücher.  397 

den  Griechen  Hesiod,  Aratus,  Dionysius  Afer,  Oppian,  lauter 
Schriftsteller  von  didaktisch-naturwissenschaftlicher  Richtung, 
ausserdem  die  geistlose  Nachahmung  des  Homer  von  Quintus 
Smyrnaeus  und  die  Argonautica  des  Apollonius,  von  Prosaikern 
Plutarch,  Xenophon,  die  militär-wissenschaftlichen  Werke  des 
Aelian  und  Polyaenus,  das  astronomische  des  Geminus. 

Man  bemerkt,  wie  enge  sich  die  Auswahl  dieser  kurso- 
rischen Lektüre  an  die  Normen  anschliesst,  die  Milton  in 
seinerSchrift  aufgestellt  hatte.  Allerdings  mag  er,  wie  sein  Neffe 
andeutet,  die  Absicht  gehabt  haben,  „beim  Unterricht  seine 
eigene  Kenntnis  zu  erweitern",  und  so  mögen  die  Schüler  diesen 
oder  jenen  Schriftstelleu  haben  in  Kauf  nehmen  müssen,  dessen 
Studium  zur  Verbesserung  ihres  lateinischen  oder  griechischen 
Stiles  schwerlich  etwas  beitragen  konnte.  Jedenfalls  darf  man 
nicht  annehmen,  dass  damit  das  Programm  der  alten  Literatur, 
mit  welcher  sie  vertraut  werden  sollten,  erschöpft  war.  Aus 
welchem  Grunde  immer  es  sei,  Edward  Phillips  nimmt  auf 
alle  diejenigen  Autoren  keine  Rücksicht,  die  nach  dem  fünf- 
zehnten oder  sechzehnten  Jahr  an  die  Reihe  kamen,  und  doch 
hatte  Milton's  Plan  gerade  für  diese  spätere  Zeit  die  reinsten 
Erzeugnisse  des  antiken  Geistes  aufgehoben.  Dafür  erhalten 
wir  weiteren  Bericht  über  die  anderen  Gebiete  des  Wissens, 
welche  die  Zöglinge  an  Milton's  Hand  beschritten.  „Die  haupt- 
sächlichen orientalischen  Sprachen,  das  Hebräische,  Chal- 
däische  und  Syrische  wurden  so  weit  gelernt,  dass  es  möglich 
ward,  den  Pentateuch  zu  durchlesen,  vom  Targum  oder  der 
chaldäischen  Paraphrase  einen  Begriff  zu  erhalten  und  ver- 
schiedene Kapitel  Mathaei  im  Syrischen  zu  verstehn".  Daneben 
fehlte  es  denn  nicht  am  Unterricht  in  den  mathematischen 
Diseiplinen,  Arithmetik,  Geometrie,  Trigonometrie,  Astronomie, 
den  neueren  Sprachen,  Geschichte  und  Geographie.  Moderne 
Hilfsmittel  und  Lehrbücher,  denn  doch  viel  entschiedener 
als  der  Theoretiker  es  vorgesehn  hatte,  wurden  herangezogen. 
Freilich  waren  auch  solche  darunter,,  die  durch  spätere  Zusätze 
mundgerecht  gemacht,  sich  aus  dem  Zeitalter  der  Scholastik  von 
Jahrhundert  zu  Jahrhundert  fortgeerbt  hatten,  wie  des  Joannes 
a  Sacrobosco  ( John  Holy wood  aus  dem  13.  Jahrhundert)  Traktat 


398  Frage  der  Reform  des  Unterrichtswesens. 

„de  sphaera"  mit  den  Kommentaren  des  Jesuiten  Clavius 
11.  a.,  wo  denn  freilich,  wie  sich  denken  lässt,  vom  koperni- 
kanischen  System  keine  Spur  zu  entdecken  war.  Oft  diente 
ein  und  dasselbe  Werk  auch  hier  zur  Erlernung"  des  Sprach- 
lichen und  Sachlichen,  wie  das  französisch  geschriebene  geogra- 
phische Lehrbuch  von  Davity  oder  Giovanni  Villani's  Ge- 
schichtswerk (^). 

Nicht  genug  damit:  auch  der  Sonntag  brachte  seine 
Arbeit.  Da  wurde  je  ein  Kapitel  des  griechischen  Testaments 
gelesen  und  Milton's  ,, gelehrte  Erläuterung  desselben"  ange- 
hört. Darauf  diktirte  er  „von  Zeit  zu  Zeit  ein  Stück  eines 
Traktates,  den  er  für  nützlich  hielt  aus  den  Schriften  der 
fähigsten  Theologen  zusammenzustellen,  die  über  diesen  Gegen- 
stand geschrieben  hatten,  Amesius,  Wollebius  u.  s.  w.,  nämlich 
ein  vollkommenes  System  der  Theologie".  —  So  vielfältig  waren 
die  Beschäftigungen,  zu  denen  die  jungen  Bewohner  des  Hauses 
in  der  Barbican-Strasse  angehalten  wurden,  und  man  darf 
vermuthen,  dass  auf  ihre  körperliche  Ausbildung  nicht  weniger 
Rücksicht  genommen  wurde  wie  auf  ihre  geistige. 

Man  wird  nicht  viel  Gewicht  auf  die  Behauptung  Edward 
Phillips'  legen  wollen,  sein  Oheim  habe  gerade  damals,  im  Jahre 
1647,  einige  Aussicht  gehabt,  den  Plan  der  Errichtung  eines 
„akademischen  Institutes"  verwirklicht  zu  sehn,  nach  eben 
dem  Muster,  das  seine  Schrift  über  die  Erziehung  vorgezeich- 
net hatte.  Aber  soviel  ist  gewiss,  dass  die  Frage  einer  Re- 
form des  Unterrichtswesens  die  Geister  noch  immer  bewegte. 
Das  Parlament  hatte  durch  sein  rücksichtsloses  Eingreifen  in 
die  Universitätsverhältnisse  nichts  Dauerndes  geschaffen,  aber 
die  allgemeine  Theilnahme  an  der  wichtigen  Frage  noch  ge- 
steigert. Hatte  sich  früher  Cam])ridge  grosse  Personal -Verände- 
rungen gefallen  lassen  müssen,  so  wurde  nach  der  Kapitu- 
lation von  Oxford  dieses  Hauptquartier  des  hochkirchlichen 
Royalismus  von  presbyterianischen  Predigern  überschwemmt 
und  im  Auftrag  des  Parlaments  durch  eine  Visitations  -  Kom- 
mission lieimgesucht.  Diese  begegnete  allerdings  dem  zähe- 
sten  Widerstände  gegen  Covenant  und  parlamentarische  Auto- 


Hartlib  und  seine  Bestrebungen.    Eobert  Boyle.  399 

rität  überhaupt,  sodass  man  sich  zu  einer  gewaltsamen  Aus- 
stossung  der  uufügsamen  Elemente   entschloss. 

Auch  damals  wird  in  England  schwerlich  jemand  den  Gegen- 
stand einer  Reform  des  Unterrichts  fester  ins  Auge  gefasst  haben 
als  Samuel  Hartlib.  Er  war  überhaupt,  wie  innner,  von  den 
mannichfaltigsten  Ideen,  den  Nutzen  und  das  Wohl  seiner  Mit- 
menschen zu  fördern,  ganz  erfüllt.  Sein  Briefwechsel  mit  dem 
jungen  Robert  Boyle,  der  damals  begann,  dreht  sich  um  die 
verschiedensten  Gegenstände  von  Lehre  und  Leben :  Die  Her- 
stellung von  allgemeinen  Schriftzeichen  und  Windbüchsen, 
anatomische  Entdeckungen  und  Experimente  betreifend  das 
vacuum,  Copernicus  und  Durie,  Mersenne  und  Gassendi(0. 
Er  selbst  gab  eine  Schrift  heraus,  die  in  einem  eigenthüm- 
lichen  Gemisch  von  Praktischem  und  Phantastischem  dem 
Parlament  die  Einrichtung  von  zwei  Agenturen,  eine  für  die 
weltlichen,  eine  für  die  geistlichen  Angelegenheiten,  als  zweck- 
dienlich für  durchgreifende  Reformen  empfahl.  Es  ist  nicht 
nöthig  darauf  einzugehen,  in  welcher  Weise  er  sich  die  nütz- 
liche Thätigkeit  dieser  Anstalten  ausmalt,  die  als  nationale 
Annoncen-  und  Nachweis -Bureaus  jedem  Gelegenheit  geben 
sollen,  Rath  zu  ertheilen  und  sich  Rathes  zu  erholen.  Auch 
die  sonstigen  Vorschläge  die  er  macht,  wie  für  die  Ausbrei- 
tung des  Christenthums  unter  „Juden,  Türken  und  Heiden", 
die  Unterhaltung  einer  „brüderlichen  Korrespondenz  mit  den 
Nachbarkirchen"  u.  s.  w\  können  hier  übergangen  werden. 
Was  auch  in  dieser  Schrift  deutlich  hervortritt,  ist  das  klare 
Bewusstsein  von  der  Noth wendigkeit,  die  Schuleinrichtuugen 
zu  verbessern  und  das  Erziehungswesen  zu  einer  der  wichtig- 
sten Staatsaufgaben  zu  machen  (-). 

Für  diese  pädagogischen  Fragen  konnte  jeder  Strebende 
sicher  sein,  in  Hartlib  einen  theilnehmenden  Berather  zu  finden. 
Erst  kürzlich  war  der  junge  William  Betty,  dessen  Name  bald 
hochberühmt  wurde,  vom  Festlande  zurückgekehrt,  wo  er  sich 
die  umfassendsten  Kenntnisse  erworben  hatte.  Mathematisch 
gebildet,  ausgezeichnet  als  Mediciner,  von  national-ökonomi- 
schen Ideen  erfüllt,  war  er  ganz  und  gar  der  Mann,  sich  mit 
Hartlib  auf  ein  und  demselben  Felde  zu  begegnen.   Eben  damals 


400  William  Petty.  —  Kinuer. 

war  er  bemüht,  ein  Patent  für  eine  Maschine  seiner  Erfindung  zu 
erhalten,  durch  die  es  ermöglicht  wurde,  zwei  Schriftstücke 
zu  gleicher  Zeit  herzustellen.  Um  diese  Zeit  liess  er  ein 
„Gutachten,  gerichtet  au  Mr.  Samuel  Hartlib,  über  die  Förde- 
rung einiger  Wissenszweige"  erscheinen,  in  dem  er  auch  jene 
Erfindung  besprach,  aber  zugleich  seine  pädagogischen  Ideen 
darlegte  (^).  Seiner  ganzen  geistigen  Richtung  nach  stellte  er 
sieh  noch  viel  entschiedener  auf  den  Nützlichkeits-Standpunkt 
als  irgend  ein  anderer  seiner  Zeitgenossen,  dei*  dies  Thema 
berührt  hatte.  Den  Sprach-Unterricht  will  er  nicht  verdrängen, 
aber  bedeutend  vereinfachen  und  verkürzen.  Dagegen  soll  der 
Unterricht  in  Mathematik  und  ihrer  praktischen  Anwendung, 
Zeichnen,  Holzschneiden,  Optik,  Architektur  etc.  durch  Hilfs- 
mittel aller  Art  gefördert  werden,  und  womöglich,,  jedes  Kind, 
auch  vom  höchsten  Stande,  in  der  Jugend  irgend  ein  anständiges 
Gewerbe  lernen".  Der  Begriff  des  unentgeltlichen,  obligato- 
rischen Volks-Unterrichtes  lässt  sich  in  seinen  Sätzen  finden. 

Mit  Petty's  praktischen  Bestrebungen  hatte  einer  der  aus- 
wärtigen Korrespondenten  Hartlib's  wenig  gemein,  mit  dem 
er  sich  gleichfalls  durch  das  Interesse  an  pädagogischen  Fragen 
verknüpft  fühlte.  Es  war  jener  Dr.  Kinner,  aus  Schlesien, 
einer  der  Mitarbeiter  des  Comenius,  der  ihn  indess  Ende 
1647  entliess.  Kinner  kam  ihm  zu  theuer  zu  stehn,  die 
Arbeiten  rückten  nicht  recht  fort,  und  dennoch  klagte  der 
Schlesier,  er  sei  überladen.  Dafür  machte  sich  dieser  an 
Hartlib,  rühmte  ihm  ganz  im  Tone  des  Meisters  den  unge- 
heuren Werth  des  didaktischen  Werkes,  an  dem  er  arbeite, 
schwelgte  wie  dieser  in  pansophischen  Träumen  und  verlangte 
mit  bedenklichem  Eifer  vor  allem  Unterstützung  durch  baares 
Geld.  Hartlib  hat  denn  wenigstens  1648  eine  englische  Ueber- 
setzung  einer  lateinischen  Skizze  Kinner's  herausgegeben  (^). 

Al)er  Kinner  war  nicht  der  einzige,  mit  dem  Hartlib  über 
die  Fragen  einer  Erziehungs-  und  Unterrichts-Reform  korrespon- 
dirte.  Unzweifelhaft  kam  bei  dem  Gedankenaustausch,  den  er 
mit  diesem  und  jenem  sonst  darüber  pflog,  viel  Dilettantisches, 
ja  geradezu  Komisches  zu  Tage.  Einer  seiner  Bekannten  will 
im  Lande  selbst  Kolonieen  gegründet  wissen,  in  denen  nur 


Comeuius.  401 

Lateinisch,  Griechisch,  Hebräisch  gesprochen  wird,  und  in 
welchen  die  Kinder  diese  Sprachen  erlernen  sollen,  ein  Vor- 
schlag, der  ihn  auf  die  Frage  der  Toleranz  der  Juden  führt. 
Aber  unter  eben  den  Schriftstücken,  die  aus  Hartlil)'s  Naeh- 
lass  zu  stammen  scheinen,  finden  sich  auch  allgemeine  Be- 
trachtungen über  den  Zweck  des  Jugendunterrichts  im  Milton'- 
schen  Geiste,  welche  die  Schule  „als  ein  Vorspiel  des  Lebens" 
betrachten,  in  „dem  alles  vorkommen  soll,  was  den  Menschen 
zum  Menschen  macht"  (^). 

Es  lässt  sich  denken,  dass  über  anderen  Freunden  Comenius 
nicht  vergessen  w^urde.  Hartlib  stand  mit  dem  grossen,  in 
seine  Arbeiten  vertieften  Pädagogen  fortwährend  in  Verbin- 
dung. Er  muss  die  Klagen  des  Freundes  über  den  lang- 
samen Fortgang  seiner  Werke  und  seine  wachsenden  Geldver- 
legenheiten anhören,  zugleich  auch  sich  selbst  den  Rath  geben 
lassen,  seine  Zeit  und  Kraft  nicht  für  andere  in  so  vielerlei 
humanen  Beschäftigungen  zu  zersplittern,  sondern  nach  einer 
bestimmten  Lebensstellung  für  sich  und  die  Seinigen  auszu- 
schauen (-).  Ein  anderes  Mal  vermittelt  er  ein  Büchergeschenk 
Herbert's  von  Cherbury  an  Comenius,  und  dieser  hinwiederum 
theilt  Hartlib  mit,  dass  sein  letztes  Werkchen  zum  Besten 
derer,  die  kein  Englisch  verstehen,  in's  Lateinische  übersetzt 
w^orden  sei,  nimmt  Antheil  an  dem  Versuch,  „eine  Schrift  für 
alle  Völker  und  Sprachen"  herzustellen  und  vor  allem  an 
dem  Plane  der  Stiftung  einer  londoner  Akademie (3).  In  der 
That  drängte  sich  dieser  letzte  Gedanke  wieder  stark  in  den 
Vordergrund,  Schon  damals  waren  die  ersten  Anfänge  jener 
„Societät"  vorhanden ,  deren  förmliche  Gründung  einige  Zeit 
später  Epoche  in  der  Geschichte  der  Naturwissenschaft  gemacht 
hat.  Unter  den  Männern,  deren  Name  in  der  Vorgeschichte  der 
Royal  Society  eine  Rolle  spielt,  sind  mehrere,  die  auch  zu 
Milton  in  Beziehung  traten ,  und  Hartlib  nahm  an  ihren  Be- 
strebungen regen  Antheil.  Boyle  nennt  jene  Männer,  die  sich 
seit  1645  bald  hier,  bald  dort  in  London  zu  naturwissenschaft- 
lichen Zwecken  versammelten ,  in  einem  Briefe  vom  Februar 
1647  die  Pfeiler  des  „unsichtbaren"  oder  nach  ihrer 
eigenen  Bezeichnung   des  „philosophischen  College"  und  lässt 

Stern.  Milton  u.  s.  Zeit.     I.  2.  26 


402        Das  „unsichtbare  College".  —  Milton  in  Higb-Holborn. 

(loch  ein  anderes  Mal  keinen  Zweifel  darüber,  dass  Hartlib 
gleichsam  „von  Gott  zur  Hebamme  und  Ernährerin"  desselben 
gemacht  worden  sei  (^).  Noch  war  nicht  zu  sagen,  was  sich  aus 
diesen  Anfängen  herausarbeiten  würde,  und  in  Hartlib's  Kopf 
mochte  am  wenigsten  volle  Klarheit  über  ihre  Bedeutung 
herrschen.  Denn  er  war  überhaupt  viel  mehr  dazu  gemacht 
anzuregen  und  zu  vermitteln,  als  selbstständig  wissenschaftlich 
zu  arbeiten.  So  sehr  hatten  indessen  seine  Schriften  und  seine 
ganze  bisherige  Thätigkeit  die  Aufmerksamkeit  der  leitenden 
Persönlichkeiten  auf  ihn  hingelenkt,  dass  ihm  am  25.  Juni  1646 
die  Summe  von  100,  am  31.  März  1647  die  Summe  von  300  j^  „in 
Anbetracht  seiner  Verdienste"  vom  Parlamente  bewilligt  wurde. 
„Mit  Piücksicht  auf  seine  und  seiner  Familie  augenblickliche 
grosse  Bedürftigkeit"  sollte  die  Auszahlung  möglichst  rasch 
erfolgen.  Dagegen  blieb  es  fruchtlos,  dass  er  gleichzeitig  aufs 
dringendste  dem  Committee  für  die  Universität  Oxford  als 
Kandidat  für  eines  der  dort  erledigten  Beneficien  empfohlen 
wurde  (-). 

Mit  welcher  Theilnahme  immer  Milton  die  Bestrebungen 
seines  Freundes  Hartlib,  namentlich  soweit  sie  sich  auf  das 
Unterrichtswesen  bezogen,  verfolgt  haben  mag,  er  selbst  hatte 
keinen  Anlass,  aus  seiner  bescheidenen,  privaten  Wirksamkeit 
hervorzutreten.  Noch  im  Laufe  des  Jahres  1647,  vermuthlich 
weil  der  Tod  seines  Vaters  ihn  in  den  Besitz  eines  gewissen 
Vermögens  gesetzt  hatte  (^),  entschloss  er  sich  sogar,  die  Zahl 
seiner  Schüler  wieder  einzuschränken.  Im  Spätsommer  oder 
im  Herbst  vertauschte  er  das  geräumige  Haus  von  Barbican, 
in  dem  sich  für  eine  Anzahl  von  Pensionären  Platz  gefunden 
hatte,  mit  einer  kleineren  Wohnung  in  High  -  Holborn ,  die 
von  ihrer  llückseite  den  freien  Ausblick  auf  „Lincoln's  Inn 
Fields"  gewährte.  War  auch  damals  schon  diese  Gegend  eine 
der  belebtesten,  so  hat  man  sich  doch  zwischen  den  einzelnen 
Hilusern  mehr  Luft  und  Licht  zu  denken.  Der  grüne  Platz 
von  Lincoln's  Inn  war  zum  Theil  noch  offen,  und  die  Umge- 
bung hinderte  nicht,  ein  „ruhiges,  den  Studien  gewidmetes 
Leben  zu  führen"  (■^).  Die  dichterische  Thätigkeit  trat  frei- 
lich auch  jetzt  noch  hinter  diesen  Studien  zurück.    Das  erste 


Psalmen-UebersetzuDg.  —  Brief  von  Dati.  403 

Zeichen  des  poetischen  Genius  Milton's,  das  uns  wieder  be- 
gegnet, ist  eine  metrische  Uebersetzung  der  neun  Psalmen 
80  —  88  aus  dem  April  1648 (^),  und  dieser  Versuch  kann  als 
eine  sehr  geringfügige  Probe  seiner  Fähigkeiten  gelten.  Un- 
zweifelhaft hatten  die  damals  veranstalteten  neuen  Uel:)ertra- 
gungen  der  Psalmen ,  welche  sich  darum  stritten ,  die  in 
Schottland  und  England  im  sechzehnten  Jahrhundert  recipirten 
zu  verdrängen,  auch  Milton  zum  Wetteifer  herausgefordert. 
Aber  sein  ängstliches  Bemühen,  sich  möglichst  enge  an  den 
Urtext  anzuschliessen ,  ein  Bemühen,  dem  er  sogar  durch 
Randverweisungen  auf  das  Hebräische  Ausdruck  giebt,  war 
der  freien,  poetischen  Form  sehr  wenig  günstig.  Uebrigens 
mag  die  Auswahl  gerade  dieser  Psalmen  nicht  ganz  un- 
abhängig von  den  Zeitereignissen  gewesen  sein,  und  in  den 
englischen  Reimen  Milton's,  rauh  und  ungefügig,  wie  sie  sind, 
erscheint  die  hebräische  Muse  ganz  in  den  Dienst  des  sorgen- 
vollen, aber  gottvertrauenden  Puritanismus  gestellt. 

Jedenfalls  war  kein  grösserer  Gegensatz  denkbar,  als  der 
dieser  ernsten,  religiösen  Stimmung  und  jener  spielend  -  ästhe- 
tischen, die  einige  Zeit  vorher  in  einem  Erwiderungsbriefe 
des  Florentiner  Carlo  Dati  (vom  1.  November  1647)  zu  Tage 
getreten  war.  Es  musste  wieder  liebe,  alte  Erinnerungen 
wecken,  wenn  Milton  in  den  gewählten  und  schmeichelhaften 
italienischen  Worten  die  Persönlichkeit  des  Freundes  in  ihrer 
ganzen  Anmuth  entgegentrat.  Aber  wie  eigenthümlich  mocli- 
ten  ihn,  inmitten  der  grossen  Kämpfe  seines  Vaterlandes,  die 
kleinlichen  philologischen  Bemerkungen  über  Stellen  aus  Pe- 
trarca, Chiabrera,  Tibull,  Ovid,  Horaz  u.  s.  w.  berühren,  die, 
auf  sechs  Folioseiten  vertheilt,  so  recht  ein  Zeugnis  für  die 
schöngeistige  Müsse  des  Schreibers  ablegten.  Ebenso  erinnerte 
die  dringende  Aufforderung,  einem  kürzlich  verstorbenen  flo- 
rentiner  Dichter,  Francesco  Rovai,  einen  poetischen  Nachruf 
zu  weihen,  ganz  und  gar  an  die  Sitten  jener  akademischen 
Kreise,  denen  es  so  leicht  wurde,  schönklingende  Verse  auf 
Bestellung  zu  liefern  (2).  Auch  hat  Milton  dem  Wunsche 
Dati's  schwerlich  entsprochen.  Dagegen  seine  gedruckten 
lateinischen  Gedichte,  deren  antikatholische  Stellen  der  Freund 

26* 


404  Geburt  von  Mary  INIilton.  —  Karl  I.  in  Holmby. 

sich  bereit  erklärte  „entschuldigen"  zu  wollen,  langten  in 
zwei  Exemplaren  in  Florenz  an.  Selbstverständlich  fand  sich 
Dati  zur  Absendung  eines  Dankbriefes  (4.  December  1648) 
aufgerufen  und  in  diesem  liess  er  es  auch  an  Personalnach- 
richten nicht  fehlen,  die  für  Milton  ein  Interesse  haben  muss- 
ten.  Dati  selbst  war  Nachfolger  des  im  December  1647  ver- 
storbenen Giovanni  Doni  auf  dem  Lehrstuhl  der  Literatur  an 
der  florentiner  Akademie  geworden.  Chimentelli  hatte  die 
Professur  der  griechischen  Literatur  in  Pisa  erhalten.  Fres- 
cobaldi,  Coltellini,  Francini,  Vincenzo  Galilei,  des  grossen  Ga- 
lilei Sohn,  „und  unzählige  andere",  hatten  den  englischen 
Freund,  wie  ihre  Grüsse  bezeugten,  nicht  vergessen  (^).  —  Nicht 
lange,  ehe  dieser  Brief  in  Milton's  Hände  kam,  am  25.  Okto- 
ber 1648  war  diesem  sein  zweites  Kind  geboren  worden,  wie- 
der ein  Mädchen,  das  wohl  nach  der  Mutter  Mary  genannt 
wurde  (2).  Es  war  für  längere  Zeit  das  einzige  Familien- 
ereignis, von  dem  uns  Kunde  geworden  ist.  Um  so  bedeu- 
tender griffen  die  öffentlichen  Angelegenheiten  in  das  Dasein 
Milton's  ein.  Der  Gang,  den  sie  seit  der  Auslieferung  des 
Königs  durch  die  Schotten  genommen  hatten,-  führte  ein  Er- 
gebnis herbei,  welches  für  das  Leben  des  Dichters  nicht  weniger 
entscheidend  wurde  wie  für  das  seiner  Nation. 


Seit  Karl  L  sich  im  Schloss  zu  Holmby,  überwacht  von 
den  parlamentarischen  Kommissären  und  den  presbyterianischen 
Geistlichen  Caryl  und  Marshall,  in  anständiger  Haft  befand, 
hatte  der  Gegensatz  der  beiden  grossen  kirchlich  -  politischen 
Parteien  Englands  einen  immer  schärferen  Charakter  ange- 
nommen. Der  Kampf,  welcher  bis  dahin  nur  mit  Wort  und 
Schrift  geführt  worden  war,  drohte  sich  in  einen  Kampf  der 
Waffen  zu  verwandeln.  Denn  die  Mächte,  welche  sich  gegen- 
überstanden, waren  das  independentische  Heer  und  die  pres- 
byterianische  Mehrheit  des  Parlaments.  In  den  ersten  Mo- 
naten des  Jahres  1647  war  ein  Beschluss  auf  den  anderen 
gefolgt,    der    darauf  abzielte,    dem   Independentismus   seine 


Konflikt  zwischen  Heer  und  Parlament.  405 

stärkste  Waffe  zu  entreissen.  Es  konnte  keine  bessere  Recht- 
fertigung für  das  Vorgehen  der  Presbyterianer  gedacht  werden, 
als  sie  durch  die  traurigen  Verhältnisse  Irlands  von  selbst 
geboten  wurde.  Dort  schien  die  Anwesenheit  jenes  kampf- 
erprobten Heeres  dringend  nothwendig  zu  sein,  während  man, 
nach  äusserlich  hergestelltem  Frieden,  in  England  hoffen 
durfte,  seiner  entbehren  zu  können.  Dort  mochten  jene 
trotzigen,  selbstbewussten  Krieger  gegen  den  gemeinsamen 
Feind  ihre  besten  Kräfte  verbrauchen,  während  man,  ihrer 
entledigt,  freie  Hand  erhielt,  sich  über  alle  Forderungen  von 
Toleranz  und  Gewissensfreiheit  hinwegzusetzen.  Schritt  für 
Schritt  giengen  die  Presbyterianer  im  Parlament  in  dieser 
Richtung  vor  und  trugen  bei  jeder  wichtigen  Abstimmung  den 
Sieg  davon.  Für  England  wurde  die  Zahl  der  Garnisonen, 
die  beizubehalten  rathsam  schien,  festgesetzt  und  beschlossen, 
ausser  den  nöthigen  Besatzungstruppen  nur  eine  massige  Ka- 
valleriemacht bestehen  zu  lassen.  Mit  Mühe  wurde  wenigstens 
Fairfax  der  Oberbefehl  gerettet,  aber  unter  ihm  sollte  kein 
Officier  höheren  Rang  haben,  als  den  des  Obersten,  und  alle 
wurden  verpflichtet,  den  Covenant  zu  unterschreiben  und  sich 
der  festgesetzten  Kirchenverfassung  zu  konformiren.  Nicht 
minder  bedeutete  der  Ausschluss  der  Parlamentsmitglieder 
von  den  Kommandantenstellen,  —  gewissermassen  die  Rache 
für  die  frühere  Selbst -Entäusserungs- Bill,  —  einen  Schlag 
gegen  den  Independentismus ,  dessen  vornehmste  militärische 
Vertreter  zum  Theil  erst  kürzlich  im  Parlament  einen  Sitz 
gefunden  hatten.  Aber  die  grösste  Niederlage  gedachten 
seine  Gegner  ihm  beizubringen,  als  es  galt,  über  die  Streit- 
kräfte, die  für  den  Dienst  in  Irland  bestimmt  werden  sollten, 
Verfügungen  zu  treffen.  Diese  12,600  Mann,  der  Masse  nach 
aus  dem  alten  Heere  rekrutirt,  konnten  noch  immer  gefähr- 
lich werden,  wenn  sie  in  der  Hand  der  independentischen 
Führer  gelassen  wurden.  Es  wurde  beschlossen,  das  Kom- 
mando dem  unschädlichen  und  populären  Skippon  anzutragen 
und  ihm  den  presbyterianischen  Massey  als  General  -  Lieute- 
nant beizuordnen  (2.  April  1647). 


406  Konflikt  zwischen  Heer  und  Parlament. 

Noch  ehe  es  so  weit  gekommen  war.  hatte  das  Heer  sich 
hören  lassen.  Es  war  nicht  gewillt,  ohne  Bürgschaften  für 
die  Zukunft  auseinanderzugehen.  Seine  Glieder  fühlten  sieh 
nicht  als  gewöhnliche  Söldner,  sondern  als  freie  Bürger,  welche 
die  Ideale,  für  die  sie  gekämpft  hatten,  nicht  geopfert  sehen 
wollten.  Dazu  kam,  dass  die  Löhnung  noch  im  Rückstände, 
Ersatz  für  geschehene  Leistungen  ungewiss  war.  Das  Miss- 
trauen der  Hauptstadt  und  der  presbyterianischen  Mehrheit 
wurde  durch  ein  Votum  vom  17.  März  bezeugt,  nach  dem 
den  Truppen  verwehrt  wurde,  sich  London  mehr  als  fünfund- 
zwanzig Meilen  zu  nähern.  Im  Heere  andererseits  wuchs  die 
Unzufriedenheit  und  Besorgnis.  Es  ist  hier  nicht  möglich, 
die  einzelnen  Stadien  seines  Widerstandes  genauer  zu  ver- 
folgen. Unter  den  Officieren  in  Fairfax'  Hauptquartier  trat 
er  zuerst  zu  Tage.  Zahlung  des  rückständigen  Soldes,  Indem- 
nität für  die  während  des  Krieges  geschehenen  Handlungen, 
Gewissheit  über  die  Bedingungen  des  irischen  Dienstes,  vor 
allem  die  Persönlichkeit  der  Führer:  das  waren  die  haupt- 
sächlichsten Gegenstände  der  Verhandlungen,  die  zwischen 
dem  Lager  und  dem  Parlament  stattfanden,  der  Aktenstücke, 
die  aus  dem  Kreise  der  Officiere  hervorgiengen.  Allerdings 
war  eine  Anzahl  von  ihnen,  nachdem  Skippon  das  Kommando 
angenommen  hatte,  bereit,  sich  auf  den  Dienst  in  Irland  ein- 
zulassen. Aber  die  Mehrheit  wollte  sich  von  ihren  alten  Füh- 
rern nicht  trennen,  den  englischen  Boden  vor  Zusicherung 
gewisser  Bedingungen  nicht  verlassen.  Auf's  schwei'Ste  niuss- 
ten  sich  diese  tapferen  Krieger  verletzt  fühlen,  wenn  die 
Theilnehmer  an  ihrer  energischen  Petition  vom  Parlamente 
als  Feinde  des  Staates  und  Friedensstörer  gebrandmarkt,  ein- 
zelne ihrer  Genossen  vor  den  Schranken  des  Unterhauses,  wie 
Angeklagte,  wegen  ihres  jüngsten  Verhaltens  vernommen  wur- 
den. Auch  die  Neu -Ordnung  der  londoner  Miliz,  aus  deren 
Leitung  man  die  independentischen  Elemente  entfernte,  wurde 
als  eine  Art  von  Beleidigung  empfunden. 

Der  Widerstand  der  Officiere  war  schon  bedenklich  ge- 
nug, aber  noch  bedrohlicher  wurde  die  Bewegung,  als  sie  sich 
der  Masse    der  Soldaten    bemächtigte.     Die  einzelnen  Regi- 


Die  Adjutatoren.  407 

nienter  schickten  sich  an,  aus  ihrer  Mitte  Vertreter  zu  wählen, 
die  aus  Agenten  und  Adjutatoren  wahrhafte  Agitatoren  wur- 
den. Das  Heer  verwandelte  sich  in  eine  Art  von  Neljen- 
parlament  und  zögerte  nicht,  auch  mit  allgemeinen  politischen 
Forderungen  hervorzutreten.  Die  ersten  Anzeichen  dieser 
merkwürdigen  Erscheinung  kamen  Ende  April  zu  Tage.  Im 
Namen  von  acht  Regimentern  ergieng  an  Fairfax,  Cromwell, 
Skippon  eine  Adresse,  welche  über  die  ehrenrührigen  Beschul- 
digungen der  Armee  bittere  Klage  führte,  den  presbyteria- 
nischen  Parteihäuptern  das  Streben  nach  Gewaltherrschaft  vor- 
warf und  vor  der  Auflösung  oder  Ueberführung  nach  Irland 
Befriedigung  der  erhobenen  Forderungen  und  Sicherung  der 
Rechte  und  Freiheiten  der  Unterthanen  verlangte.  Die  Vor- 
legung dieser  Adresse  durch  Skippon  und  Cromwell,  die  Ver- 
nehmung der  drei  Soldaten ,  durch  die  sie  an  jenen  gelangt 
war,  machte  auf  das  Unterhaus  doch  Eindruck  (30.  April). 
Die  nächsten  Wochen  wurden  durch  Versuche  ausgefüllt,  das 
Heer  zu  versöhnen  und  zum  Gehorsam  unter  die  bürgerliche 
Gewalt  zurückzuführen.  Das  Haus  zeigte  sich  in  der  Frage 
der  Löhnung  und  Indemnität  entgegenkommend.  Skippon, 
Cromwell,  Ireton,  Fleetwood  wurden  abgesandt,  um  auf  die 
Officiere  und  durch  diese  auf  die  einzelnen  Regimenter  zu  wir- 
ken. Indessen  die  Verhandlungen  hatten  nicht  das  gewünschte 
Ergebnis.  Die  Zugeständnisse  des  Parlaments  erschienen  un- 
genügend, Officiere  und  Soldaten  fühlten  sich  in  ihren  Be- 
strebungen miteinander  verbunden.  Indem  das  Parlament  über 
die  schleunige  Auflösung  der  Infanterieregimenter,  an  verschie- 
denen Stellen  und  für  bestimmte  Termine,  Beschluss  fasste,  war 
jede  weitere  Unterhandlung  abgeschnitten  und  die  Krisis  her- 
beigeführt. Hie  und  da  kam  es  zu  Meuterei  und  Gewaltsam- 
keiten. Eine  Petition  der  Agitatoren  ersuchte  Fairfax,  dem 
ganzen  Heere  sofort  einen  Sammelplatz  zu  bestimmen.  Ein 
Kriegsrath  von  etwa  zweihundert  Officieren,  unter  deren  Zahl 
CromweH's  Schwiegersohn,  Ireton,  war  derselben  Ansicht. 
Fairfax  willigte  ein,  und  am  4.  Juni  trafen  dreizehn  Regimenter 
auf  der  Heide  von  Kentford  bei  Newmarket  zusammen,  um 
eine  Art  von  Soldaten  -  Covenant  gegen  eine  überstürzte  Ab- 


408  Entführung  des  Königs  durch  Joyce. 

dankung  zu  bescliliessen,  die  einer  Abstellung  ihrer  Beschwer- 
den vorausgienge. 

Währenddess  war  die  Person  des  Monarchen  in  die  Ge- 
walt des  Heeres  gebracht  worden.  Die  Furcht,  dass  die 
Presbyterianer  zu  einem  Uebereinkommen  mit  dem  König  ge- 
langen könnten,  in  dem  nur  ihre  Interessen  berücksichtigt 
würden,  hatte  nicht  am  wenigsten  dazu  beigetragen,  die  ge- 
reizte Stimmung  der  Armee  gegen  Parlament  und  Hauptstadt 
zu  steigern.  In  der  That  fanden  Verhandlungen  zwischen  den 
vornehmen  presbyterianischen  Führern  und  Karl  I.  Statt,  von 
denen  auch  die  Königin  unterrichtet  war.  Die  französische 
Diplomatie,  die  in  London  anwesenden  Schotten,  einige  Damen 
von  politischem  Einfluss,  wie  die  Gräfinnen  von  Carlisle  und 
Devonshire,  bemühten  sich  in  dieser  Richtung.  Die  Haupt- 
stadt, welche  seit  dem  Mai  die  erste  Provinzialsynode  in  ihrer 
Mitte  tagen  sah,  war  unter  lebhafter  Einwirkung  einer  zelo- 
tischen Geistlichkeit  nach  wie  vor  wesentlich  presbyterianisch 
gesinnt.  Zahlreiche  Royalisten,  die  nach  der  Uebergabe  der 
Garnisonen  sich  hierhin  gewandt  hatten,  thaten  ihr  Möglich- 
stes, um  die  Bevölkerung  gegen  das  Heer  und  für  den  König 
einzunehmen.  Er  selbst  erklärte  sich  bereit-,  die  Einführung 
der  Presbyterial  -  Verfassung  auf  drei  Jahre,  Ueberlassung  der 
Miliz  auf  zehn  Jahre  zuzugestehen,  die  unter  dem  grossen 
Siegel  erlassenen  Akte  zu  bestätigen  und  forderte  Fortsetzung 
und  Abschluss  der  Verhandlungen  in  London.  Die  Lords  be- 
schlossen daraufhin  seine  Ueberführung  von  Holmby  nach 
Oatlands.  Inzwischen  erschien  seinen  Freunden  in  der  Haupt- 
stadt ein  anderer  Weg  geeigneter.  Man  rieth  ihm,  sich,  wie 
auf  der  Flucht  von  Holmby,  in  die  City  zu  begeben,  vom 
Lord-Mayor  und  der  Bürgerschaft  begleitet,  im  Parlamente 
zu  erscheinen  und  hoffte  von  einem  solchen  Schritt  für  die 
Sache  der  Monarchie  wie  des  Presbyterianismus  das  Beste (0- 

Das  independcntische  Heer  hatte  zu  fürchten ,  dass  alle 
Früchte  seiner  Anstrengungen  verloren  giengen,  wenn  es  nicht 
gelang,  der  Ausführung  jener  Pläne  zuvorzukommen.  In  der 
Nacht  vom  zweiten  auf  den  dritten  Juni  erschien  der  Cornet 
Joyce  mit  ein  Paar  hundert  Reitern  vor  dem  Schloss  Holmby, 


Entführung  des  Königs  tlurcli  Joyce.  409 

erlangte  Einlass,  da  die  Besatzungstruppeu  mit  den  seinigen 
fraternisirten,  und  nöthigte  die  parlamentarischen  Kommissäre, 
jeden  Gedanken  an  Widerstand  aufzugeben.  Noch  spät  Abends 
am  dritten  verschaffte  er  sich  Zutritt  zum  König  und  Hess 
ihn  über  seine  Absichten  nicht  in  Zweifel.  Am  folgenden 
Morgen  setzte  der  König  seine  Verhandlungen  mit  ihm  fort. 
Die  einzige  Vollmacht,  die  Joyce  vorzuweisen  hatte,  war  die 
schmucke  Reitertruppe  hinter  ihm,  und  Karl  I.  fand,  dass  sie 
„in  sehr  deutlichen  Buchstaben  geschrieben"  sei.  Nachdem 
er  die.  Versicherung  erhalten  hatte ,  dass  ihm  nichts  gegen 
Ehre  und  Gewissen  widerfahren  solle,  war  er  nicht  ungern 
bereit,  seine  bisherigö  Haft  zu  verlassen.  Noch  konnte  er 
von  dem  letzten  Vorsehlag,  sich  unter  den  Schutz  der  City 
zu  stellen,  keine  Kunde  haben,  und  man  darf  bezweifeln,  ob 
er  sich  auf  das  Unternehmen  eingelassen  haben  würde.  Er 
hatte  den  presbyterianischen  Zwang  jeden  Tag  bitter  empfinden 
müssen,  da  ihm  nicht  einmal  Kapläne  nach  eigner  Wahl  ge- 
stattet worden  waren.  Bei  den  Independenten  war  er  wenig- 
stens davor  sicher,  mit  den  Marshall  und  Caryl  an  einem 
Tisch  essen  zu  müssen  und,  wohlvertraut  mit  dem  Zwiespalt 
zwischen  Heer  und  Parlament,  wie  er  war,  durfte  er  sich  mit 
der  Hoffnung  schmeicheln,  auch  im  Lager  Nutzen  für  sich 
daraus  zu  ziehen.  Am  Nachmittag  des  vierten  Juni  setzte 
sich  der  Eeitertrupp  mit  dem  König  und  den  unmächtigen 
Kommissären  des  Parlaments  in  der  Pachtung  nach  Newmarket 
in  Bewegung. 

Karl  I.  war  aus  einem  Gefangenen  des  Parlaments  ein 
Gefangener  des  Heeres  geworden,  in  wessen  Auftrag  auch 
immer  Joyce,  der  völlig  frei  ausgieng,  gehandelt  hatte.  Fair- 
fax, welcher  mit  einer  Anzahl  der  höheren  Ofüciere  einige 
Tage  später  den  König  sah,  betheuerte  seine  Unschuld.  Die 
Presbyterianer,  deren  sich  eine  ungeheure  Aufregung  bemäch- 
tigte, sahen  in  Cromwell  den  Urheber  des  Geschehenen.  Er 
hatte  sich  eifrig  bei  den  Verhandlungen  mit  dem  murrenden 
Heere  betheiligt,  aber  schon  früher  mit  voller  Klarheit  vor- 
ausgesehen und  vorausgesagt,  dass  das  Gebahren  der  Presby- 
terianer zu  einem  feindlichen  Zusammenstoss  führen  werde  (^). 


410  Stellung  Cromwell's.  —  Forderungen  des  Heeres. 

Sie  scheinen  damals  die  Absicht  gehabt  zu  haben,  ihn  in  ihre 
Gewalt  zu  bringen,  allein  er  hatte  London  rechtzeitig  verlassen 
und  war  bei  jener  Zusammenkunft  mit  dem  König  gegenwärtig 
gewesen.  Welcher  Art  seine  Thätigkeit  in  der  nächsten  Zeit 
gewesen  ist,  lässt  sich  nur  vermuthen,  nicht  feststellen.  Es 
waren  Wochen  ängstlicher  Spannung,  wie  sie  London  seit  der 
ersten  Periode  des  Bürgerkrieges  nicht  mehr  erlebt  hatte. 
Die  Verhandlungen  zwischen  der  Armee  und  dem  Parlamente 
rissen  zwar  nicht  ab,  aber  seine  Zugeständnisse  wurden  nicht 
beachtet,  seine  Befehle  nicht  befolgt.  Die  Regimenter  erschie- 
nen bald  näher,  bald  ferner  von  der  Hauptstadt,  und  je  nach- 
dem wechselte  hier  die  Stimmung  zwischen  Furcht  und  Zu- 
versicht. Man  rüstete  sich  zum  Widerstände,  zum  Schutz 
des  Parlamentes  und  nahm  selbst  Officiere  der  ehemaligen 
königliehen  Armee  in  Dienst,  Aber  man  wagte  doch  nicht, 
es  zum  Aeussersten  kommen  zu  lassen.  Die  Manifeste,  welche 
aus  dem  Heer  an  Parlament  und  City  gelangten ,  redeten  eine 
immer  deutlichere  Sprache.  Eines,  von  Fairfax,  Cromwell, 
Ireton  und  zehn  anderen  der  höchsten  Officiere  unterzeichnet, 
warnte  den  Lord -Major,  die  Aldermen  und  den  Gemeinde- 
rath,  nicht  „einige  wenige  egoistische  Leute  dem  Wohle  des 
Staates  vorzuziehen".  Es  betonte,  dass  die  Soldaten  sich 
auch  als  englische  Bürger  fühlten.  Es  erhob  Einspruch  gegen 
die  Entlassung,  ehe  nicht  der  „Friede  des  Reiches  und  die 
Freiheiten  der  Unterthanen"  in  der  Weise,  wie  man  sie  vor 
dem  Ergreifen  der  Waffen  verstanden,  gesichert  seien.  Es 
verwahrte  das  Heer  gegen  die  Beschuldigung,  die  „Regierung 
verändern"  oder  die  einmal  beschlossene  Kirchenverfassung 
beseitigen  zu  wollen.  Aber  es  nahm  in  bescheidenster  Form 
Gewissensfreiheit  für  „jeden  friedlichen  Bürger"  in  Anspruch 
und  stellte,  im  Namen  der  Soldaten,  die  materiellen  Forde- 
rungen hinter  jenen  ideellen  zurück  (^).  Wenn  möglicher 
Weise  diese  Sprache  Cromwell  selbst  angehörte,  so  konnte 
Ireton  als  Autor  anderer  Aktenstücke  gelten,  die  den  Reihen 
des  Heeres  entstammten.  Bedeutende  Gedanken  traten  in 
ihnen  zu  Tage,  Grundzüge  einer  politischen  Reform,  die  nicht 
nur  die  Macht  des  Königs  ausserordentlich  herabdrücken,  son- 


Anklage  der  eilf  Mitglieder.  411 

dern  auch  die  Dauer  des  Parlaments  in  bestimmte  Schranken 
einschliessen ,  die  Repräsentation  des  Volkes  auf  einer  brei- 
teren Grundlage  herstellen  sollte.  Nicht  sofort  wurden  Neu- 
wahlen verlangt,  aber  sie  wurden  als  nothwendig  bezeichnet, 
und  unabhängig  davon  war  das  Verlangen,  eine  Anzahl  von 
Älitgliedern  ausgestossen  zu  sehen,  denen  man  „Delinquenz", 
Korruption,  unrechtmässige  Wahl',  Missbrauch  ihrer  Stellung 
vorwarf.  Gegen  eilf  Mitglieder,  die  bei  Namen  genannt  wur- 
den, richtete  sich  am  16.  Juni  eine  förmliche  Anklage.  Es 
waren  die  Führer  der  Presbyterianer,  Denzil  Holles  an  ihrer 
Spitze,  in  dem  die  Armee  ihren  bittersten  Feind  erkannte. 
Man  forderte  ihren  vorläufigen  Ausschluss  von  den  Sitzungen. 
Diese  drohende  Sprache  blieb  nicht  ohne  Eindruck,  aber 
sie  erreichte  noch  nicht  ihren  Zweck.  Im  Stillen  wurden 
weitere  Rüstungen  in  London  betrieben.  INIan  hoffte  mit  dem 
König,  der  nach  Richmond  übersiedeln  sollte,  zu  einem  Ab- 
schluss  zu  kommen  und  hielt  fest  daran,  die  eilf  bedrohten 
Mitglieder  bei  ihren  Rechten  zu  schützen.  Eine  neue  x\n- 
näherung  des  Heeres  erschütterte  den  Muth  der  Presbyteria- 
ner. Beschlüsse  zu  Gunsten  der  Armee  wurden  gefasst,  auf 
eine  Entfernung  des  Königs  vom  Heere  leistete  man  Verzicht, 
die  eilf  Mitglieder  erbaten  und  erhielten  Urlaub.  Selbst  der 
londoner  Miliz  sollte  kraft  parlamentarischer  Verordnung  ihre 
alte  Leitung  wiedergegeben  werden.  Alles  dies  war  unter 
wachsender  Aufregung  der  Bürgerschaft  geschehen.  In  der 
Cit}'  hatte  der  Presb^terianismus  nach  wie  vor  seine  Stärke, 
hier  wirkte  das  anfeuernde  Wort  der  Prediger,  auch  der 
Royalismus  gewann  gegenüber  den  Forderungen  der  Soldaten 
täglich  an  Kraft.  Zwischen  Bürgern,  Milizen,  Lehrburschen 
und  Matrosen  kam  eine  Art  von  Covenant  zu  Stande,  der 
darauf  abzielte,  die  schleunige  Rückkehr  des  Königs  zu  er- 
wirken, das  Heer  dagegen  fernzuhalten  und  auf  diese  Weise 
einen  Vertrag  zu  ermöglichen,  wie  er  den  Idealen  des  Pres- 
byterianismus  entsprochen  haben  würde.  Man  gelobte  sich 
in  ..dieser  gemeinsamen  Sache  Gottes  und  des  Königs  keine 
Neutralität  irgend  einer  Art  dulden  zu  wollen"  und  war  eifrig 
damit  beschäftigt,  Unterschriften  zu  sammeln. 


412  Sturm  gegen  das  Parlament.  —  Rüstungen  der  City. 

Das  Parlament,  in  welchem  nach  Entfernung  der  eilf  Mit- 
glieder das  independentische  Element  sich  stärker  fühlte,  war 
nicht  gesonnen,  diesem  Drucke  nachzugeben.  Es  erklärte  am 
24.  Juli  die  Verbreitung  und  Unterzeichnung  jenes  Covenant  für 
Hochverrath.  Der  folgende  Tag,  ein  Sonntag,  diente  zur  Vorbe- 
reitung des  Sturmes,  der  am  26.  Juli  losbrach.  Petitionen  des 
Gemeinderaths.  von  Bürgern,  Lehrburschen  und  jungen  Leuten 
forderten  Kassirung  der  letzten  Beschlüsse  über  die  städti- 
sche Miliz  und  gegen  jenen  Covenant,  Zurückberufung  der  eilf 
Mitglieder.  Eine  tumultuirende  Menge  umdrängte  die  Häuser, 
von  den  Fenstern  herab  wurden  Steine  auf  einzelne  der  Lords 
geschleudert,  die  Gemeinen,  welche  länger  Stand  zu  halten 
suchten,  in  ihrem  Sitzungslokal  von  wilden  Eindringlingen  be- 
droht. Die  beiden  anstössigen  Beschlüsse  wurden  wider- 
rufen, aber  die  Tumultuanten  hatten  nicht  lange  Ursache  sich 
ihres  Triumphes  zu  freuen.  Als  sich  beide  Häuser  nach 
kurzer  Vertagung  am  30.  Juli  versammelten ,  fehlten  die 
Sprecher  und  viele  Mitglieder.  Sie  hatten  ijn  Lager  eine  Zu- 
flucht gesucht,  das  Heer  war  im  Anmarsch,  um  die  Ruhe  in 
der  Stadt  wiederherzustellen  und  die  Geflüchteten  zurückzu- 
führen. Einige  Tage  lang  schien  sich  alles  zu  einem  blutigen 
Kampfe  anzulassen.  Das  verstümmelte  Parlament  und  die 
City  arbeiteten  Hand  in  Hand.  Die  eilf  presbyterianischen 
Führer  nahmen  wieder  ihre  Sitze  ein,  zwei  von  ihnen,  Waller 
und  Massey,  traten  an  die  Spitze  der  städtischen  Streitkräfte, 
die  Verschanzungen,  welche  die  Stadt  einst  gegen  den  Anfall 
der  königlichen  Truppen  hatten  decken  sollen,  wurden  armirt. 
Allein  die  Kriegslust  der  City  hielt  nicht  lange  vor.  Auch 
die  independentische  Partei  hatte  ihre  Anhänger,  die  in  Be- 
wegung geriethen,  auf  Southwark  und  andere  der  Vorstädte 
war  kein  rechter  Verlass ,  und  je  weniger  man  über  die  Ab- 
sichten des  Pleeres  in  Zweifel  sein  konnte,  desto  zaghafter 
wurde  die  Stimmung  der  Bürgerschaft.  Verhandlungen  mit 
Fairfax  führten  zur  Unterwerfung  unter  seine  Gebote. 

Am  G,  August  hielt  der  General  mit  vier  Begimentern,  die 
geflüchteten  Sprecher  und  Parlamentsmitglieder  zu  Wagen  in 
der  Mitte,  seinen  friedlichen  Einzug.    Lorbeerzweige  schmück- 


Eiuzug  des  Heeres.  —  „Vorschläge"  des  Kriegsraths.  413 

ten  die  Hüte  der  Soldaten.  ^In  Hyde  -  Park  standen  Lord- 
Mayor  und  Aldermen,  in  Charing- Gross  der  Gemeinderath 
zum  Empfang  bereit.  Am  folgenden  Tage  erfolgte  der  Durch- 
marsch des  ganzen  Heeres,  welches  für  einige  Zeit  Quartiere 
in  der  Kähe  bezog.  Die  Independenten  versäumten  nicht, 
ihren  unblutigen  Sieg  auszubeuten.  Fairfax  war  zum  Con- 
stable  des  Tower  ernannt  w^orden.  Alle  in  der  Zwischenzeit 
gefassten  Parlamentsbeschlüsse  wurden  umgestossen,  zwei  der 
eilf  presbyterianischen  Führer  ihrer  Sitze  im  Hause  der  Ge- 
meinen beraubt  und  gefangen  gehalten,  während  die  übrigen 
auf  die  eine  oder  andere  Art  hatten  flüchten  können.  Gegen 
den  Lord  -  May or ,  einige  Aldermen  und  solche,  die  an  den 
letzten  Vorgängen  einen  bedeutenden  Antheil  gehabt  zu  haben 
schienen,  wurden  Anklagen  erhoben.  Sieben  von  den  Lords, 
die  nach  den  Tumulten  zurückgeblieben  waren,  sahen  sich  in 
derselben  Weise  bedroht. 

Die  Hauptfrage  blieb,  ob  es  gelingen  werde,  den  König 
und  die  Parteien  zur  ehrlichen  Annahme  eines  dauernden 
Friedensvertrages  zu  vereinigen.  Wenn  das  Parlament  sich 
dem  Andrängen  der  Schotten  nicht  entziehen  konnte,  Karl  L 
aufs  neue  die  Bedingungen  von  Newcastle  zu  unterbreiten, 
so  hatten  die  hervorragenden  Officiere  schon  seit  Wochen  be- 
sondere Verhandlungen  mit  ihm  gepflogen.  Man  kennt  jene 
„Vorschläge'-  Thomas  Fairfax'  und  seines  Kriegsraths,  die  in 
ihrer  Redaktion  vom  1.  August  1647  die  Grenze  bezeichnen 
mögen,  bis  zu  welcher  die  Officiere  damals  in  jenen  Verhand- 
lungen zu  gehen  geneigt  waren.  Es  konnte  sehr  wohl  im 
Interesse  eines  aufgeklärten  Königthums  ausgebeutet  w^erden, 
v.enn  hier  wiederum  Einspruch  gegen  eine  Permanenz  des 
Parlaments,  sowie  die  Machtfülle  der  Committees  erhoben, 
wenn  eine  Reform  des  Wahlrechts,  sowie  wichtiger  Theile  der 
bürgerlichen  Gesetzgebung  gefordert  wurde.  In  der  kirch- 
lichen Frage  war  von  dem  Independentismus  weniger  Zwang 
zu  erwarten ,  als  vom  Pi-esbyterianismus.  Von  einer  Auflage 
des  Covenant  sollte  nicht  mehr  die  Rede  sein,  und  jede  Bei- 
hilfe der  Staatsgewalten  zur  Erzwingung  kirchlicher  Strafen 
wegfallen.     Dabei  ward  freilich  auch  die  frühere  Jurisdiktion 


414  „Vorschläge"  des  Kriegsratbs. 

clei-  Bischöfe  und  die  Xöthigung  zum  Gebrauche  des  Common- 
Prayer-Book  verurtheilt,  ohne  dass  man  aufgegeben  hätte, 
„Papisten  und  papistische  Ptekusanten"  nach  wie  vor  als 
Staatsverbrecher  schlecht^Yeg  zu  betrachten.  Geschickt  genug 
war  jedes  Wort  über  die  Gestalt  der  künftigen  Landeskirche 
vermieden,  jedenfalls  aber  freien  Kongregationen  das  Recht 
des  Daseins  gewahrt  (i).  Auch  entsprach  es  ganz  und  gar 
den  independentischen  Grundsätzen,  wenn  man  die  „herr- 
schende unbillige  und  lästige  Art,  die  Geistlichen  durch  Zehn- 
ten zu  erhalten",  verändert  wissen  wollte.  Mit  einer  Erklärung 
sehr  umfassender  Amnestie  und  einer  Milderung  der  Buss- 
gelder wäre  den  Royalisten  wiederum  ein  Zugeständnis  ge- 
macht worden.  In  anderen  grossen  politischen  Fragen  war 
freilich  von  den  Urhebern  dieser  Vorschläge  nichts  zu  er- 
warten. Sie  forderten  die  Militia  auf  zehn  Jahre  für  das 
Parlament,  auf  ebensolange  das  ausschliessliche  Recht,  die 
hohen  Staatsämter  zu  besetzen.  Die  irischen  Rebellen  blieben 
der  Rache  des  Puritanismus  Preis  gegeben.  Bezeichnend  war 
es,  dass  man  für  nöthig  hielt,  sich  ausdrücklich  gegen  den 
Gedanken  zu  verwahren,  als  wolle  man  diese  Vorschläge  auch 
für  Schottland  zur  Norm  machen.  Im  Gegentheil  musste  es 
den  independentischen  Officieren  darauf  ankommen,  den  Ein- 
fluss  des  nördlichen  Reiches  möglichst  fern  zu  halten. 

Unzweifelhaft  hatten  sie  mit  diesen  Vorsclilägen,  die  am 
6.  August  durch  Henry  Vane  auf  den  Tisch  des  Hauses  der 
Gemeinen  niedergelegt  wurden,  noch  nicht  ihr  letztes  Wort 
gesprochen.  Es  giebt  eine  Flugschrift  des  Feldkaplans  Hugh 
Peters,  der  den  leitenden  Persönlichkeiten  des  Heeres  sehr 
nahe  stand,  vermuthlich  vom  Ende  August,  in  welcher  weitere 
Absichten  hervortreten.  Die  allgemeinen  Reformen,  die  man 
von  der  Zukunft  erwartete,  erscheinen  hier  noch  bedeutender. 
Wiederum  taucht  die  Forderung  auf,  das  Stimmrecht  gleich- 
massiger  zu  vertheilen,  die  Zehnten  als  solche  aufzuheben, 
Verbesserungen  in  der  Rechtspflege  eintreten  zu  lassen.  Aber 
zugleich  wird  dem  Staate  zur  Pflicht  gemacht,  „Akademieen 
für  Xobility  und  Gentry  zu  errichten",  wie  sie  Milton  im 
Sinne  hatte,   und   „bessere  Methoden  des  Unterriclits  zu  be- 


Programm  von  Hugh  Peters.  —  Der  König  iu  Hamptoucourt.  415 

fördern,  wie  sie  Hartlib  erstrebte".  Für  das  kirchliche  Leben 
wird  zwar  nicht  der  Grundsatz  der  Freiwilligkeit  nach  Roger 
Williams  Weise  angenommen,  aber  eine  gleichmässige  Fürsorge 
des  Staates  für  die  Angehörigen  aller  Bekenntnisse  gewünscht  (^). 
Die  Toleranz  Hugh  Peters'  geht  so  weit,  selbst  Juden  im  Lande 
zulassen  zu  wollen.  Liefen  diese  Sätze  den  Principien  des 
Presbyterianismus  direkt  entgegen,  so  mussten  sich  seine  An- 
hänger durch  andere  Theile  dieses  independentischen  Pro- 
gramms nicht  minder  verletzt  fühlen.  Es  wollte  die  Schotten 
wohl  als  „Nachbarn  und  Freunde",  aber  nicht  als  „Herren 
und  Meister"  gelten  lassen.  Es  nahm  neben  dem  Parlament 
einen  „Staatsrath  von  zöhn  oder  zwölf  ehrlichen  und  wohlge- 
neigten Männern"  in  Aussicht,  unter  denen  sich,  da  nichts 
über  die  Art  ihrer  Wahl  gesagt  war,  jeder  die  Gesinnungs- 
genossen des  Schreibers  denken  konnte.  Wenn  aber  die  Vor- 
schläge des  Kriegsraths  einer  solchen  Behörde  nur  die  Leitung 
der  ausw^ärtigen  und  militärischen  Angelegenheiten  bis  auf 
Weiteres  hatten  übertragen  wollen,  so  wollte  ihr  der  Feld- 
kaplan das  Recht  geben,  dem  Parlament  sein  Pensum  vorzu- 
schreiben, damit  es  seine  Thätigkeit  nicht  in  „Kleinigkeiten" 
wie  bisher  zersplittere,  sowie  auch  die  kirchlichen  Verfassungs- 
fragen zu  regeln  (^). 

Vorläufig  blieben  indessen  alle  Aeusserungen  der  Art  nur 
Fingerzeige  für  das,  was  man  einige  Jahre  später  annähernd 
verwirklicht  sah.  In  derselben  Zeit  sogar,  in  welcher  sie  ge- 
than  wurden,  entschloss  sich  Fairfax,  wohl  im  Einverständnis 
mit  höheren  Officieren,  dem  König  viel  grössere  Zugetändnisse 
anzubieten,  als  in  ihren  früheren  Vorschlägen  enthalten  ge- 
wesen waren.  Karl  L  hatte  diese  eingehend  besprochen, 
ohne  sich  für  ihre  Annahme  zu  erklären.  Nichts  desto  min- 
der blieb  seine  persönliche  Lage  nach  wie  vor  eine  giite. 
Man  begegnete  ihm  in  achtungsvoller  Form  und  liess  ihm 
grosse  Freiheit  der  Bewegung.  Er  stattete  diesem  und  jenem 
Schloss  seinen  Besuch  ab ,  empfieng  alte  Vertraute  und  sah 
seine  Kinder  bei  sich.  Anglikanische  Geistliche  weilten  in 
seiner  Nähe.  Einige  Tage,  ehe  das  Hauptquartier  der  Armee 
nach  Putney  rückte,  siedelte  er  nach  dem  Palast  von  Hampton- 


416        Neue  Vorschläge  von  Fairfax.  —  Intriguen  des  Königs. 

Court  über  (24.  August),  und  eben  hier  Avurden  neue  Vor- 
schläge ausgearbeitet,  die  auf  die  Herstellung  des  Friedens 
in  den  „drei  Königreichen"  abzielten  (^).  Sie  nahmen  eine 
Verlegung  des  Parlaments  nach  Oxford  und  seine  baldige  Auf- 
lösung in  Aussicht,  desgleichen  eine  Zurückziehung  der  Trup- 
pen aus  London.  Die  Ausnahmen  von  der  allgemeinen  Amnestie 
wurden  auf  wenig  Namen  beschränkt,  Reformen  der  Rechts- 
pflege blieben  nach  wie  vor  ein  Theil  des  Programms.  Der 
wichtigste  Artikel  betraf  aber  wieder  die  kirchliche  Frage. 
Es  war  nicht  möglich,  sich  mit  klareren  Worten  für  eine  Wie- 
derherstellung des  Bisthums  in  seine  „unzweifelhaften  Rechte 
nach  den  alten  Gewohnheiten,  Gesetzen  und  Statuten"  an- 
heischig zu  machen,  als  es  hier  geschah.  Aber  zu  gleicher 
Zeit  war  die  Bedingung  hinzugefügt,  dass  „allen  Menschen 
Gewissensfreiheit  gewährt  werde,  und  keiner  den  anderen  in 
Sachen  des  Gewissens  belästige  oder  verletze "  (-).  — 

Es  war  das  Unglück  Karl's  I. ,  sich  in  den  entscheidend- 
sten Momenten  über  den  wahren  Charakter  seiner  Lage  zu 
täuschen.  Auch  damals  glaubte  er  aus  dem  Gegensatz  der 
mannichfachen  Anträge,  die  ihm  gemacht  worden  waren,  den 
Vortheil  ziehen  zu  können ,  sich  über  alle  hinwegzusetzen, 
statt  diesen  oder  jenen  ehrlich  anzunehmen.  Gegen  die  wieder- 
holten Propositionen  des  Parlaments  spielte  er  die  ersten  Vor- 
schläge des  Kriegsraths  aus.  Hinter  dem  Rücken  des  Kriegs- 
raths  unterhandelte  er  mit  den  Schotten.  Er  schien  den 
Cromwell  und  Ireton  sein  ganzes  Vertrauen  zu  schenken,  und 
doch  bedurfte  es  nicht  erst  eines  auf  mythische  Weise  auf- 
gefangenen Briefes,  um  sie  über  die  wahren  Absichten  des 
Monarclien  zu  unterrichten  (^).  —  Inmitten  der  sich  kreuzenden 
Intriguen  jener  September-  und  Oktoberwochen  blieb  die 
kirchliche  Frage  nach  wie  vor  die  wichtigste.  Von  ihrer 
Lösung  hieng  vor  allem  das  Verhältnis  Englands  zu  Schott- 
nd  ab,  und  es  war  verhängnisvoll  für  den  König,  dass  er 
selbst,  mochte  dies  Verhältnis  ein  friedliches  bleiben  oder 
sich  kriegerisch  gestalten,  für  den  Augenblick  nur  zu  ver- 
lieren hatte.  Der  Friede  zwischen  beiden  Landein  erschien 
nicht  haltbar,  ohne  strengste  Durchführung  des  Presbyterial- 


Letzte  Versuche  Cromwells  u.  s.  Freunde.  417 

Systems.  Der  Krieg  zwischen  beiden  Ländern  war  nicht 
denkbar,  ohne  Berufung  der  Schotten  auf  die  Heiligkeit  des 
monarchischen  Rechtes.  In  beiden  Fällen  wurde  das  indepen- 
dentische  Heer  verletzt,  in  dessen  Gewalt  der  Monarch  ge- 
fallen war,  und  im  zweiten  musste  er  selbst  als  Ursache,  wenn 
nicht  als  Urheber  des  neuen  Blutvergiessens  gelten. 

Unter  diesen  Umständen  war  es  von  doppelter  Wichtigkeit, 
dass  Cromwell  und  seine  Freunde  noch  einen  Versuch  machten, 
für  die  Lösung  der  kirchlichen  Frage  einen  Mittelweg  zu  finden. 
Sie  hatten  im  Gegensatz  zu  entschiedeneren  Parteigenossen  dafür 
gestimmt,  dass  das  Parlament  die  Verhandlung  mit  dem  König 
wieder  aufnehme,  aber  sie  suchten  die  neuen  Vorschläge  mit 
den  Literessen  des  Independentismus  zu  vereinigen.  Am 
13.  Oktober  brachten  sie  ein  Votum  zu  Wege,  nach  welchem 
die  Presbyterialverfassung  an  eine  bestimmte  Zeitgrenze  ge- 
bunden sein  sollte.  Der  Termin  war  zwar  in  sehr  weite  Ferne 
gerückt,  bis  zum  Ende  der  nächsten  Session  des  Parlaments, 
indessen  zu  gleicher  Zeit  doch  für  solche,  die  sich  dem  Pres- 
byterianismus  nicht  konformiren  wollten,  Kultusfreiheit  ge- 
währleistet. Doch  blieben  noch  so  viel  Ausnahmen  bestehen, 
dass  sie  die  Regel  guten  Theils  aufhoben.  Nicht  nur  die 
Kathohken  waren  von  jeder  Duldung  ausgeschlossen,  sondern 
auch  diejenigen,  die  vom  Gebrauch  des  Common -Prayer- Book 
nicht  lassen  wollten,  und  deren  Zurückweisung  vom  Abend- 
mahl wegen  gewisser  AbAveichungen  vom  christlichen  Dogma 
durch  frühere  Ordonnanz  gerechtfertigt  worden  war.  Endlich 
bewegte  man  sich  auch  hier  wieder  in  dem  verhängnisvollen 
Kreise,  eine  wie  immer  beschränkte  Toleranz  grundsätzlich  zu 
fordern  und  in  demselben  Augenblick  alle  Staatsbürger  zu 
verpflichten,  „das  Wort  Gottes  zu  hören".  Man  sieht  dem 
ganzen  Kompromiss  das  Bestreben  an,  eine  Formel  herzustellen, 
die  nicht  sowohl  dem  religiösen  Bedürfnis  des  Einzelnen  als 
den  entgegengesetzten  Anforderungen  der  grossen  Parteien 
entsprechen  sollte  {^).  Wenn  es  gelang ,  den  König  hiefür  zu 
gewinnen,  so  mochte  sich  eine  Vereinigung  ihrer  aller  über 
diesen  Gegenstand  hoffen  lassen. 

Stern,   Milton  u.   s.   Zeit.      I.   2.  27 


418  Einwirkung  der  Agitatoren. 

Indessen   schon   waren    andere  Kräfte   in   Bewegung   ge- 
rathen,   deren  Einwirkung  das  ganze  Gewebe  kluger  Berech- 
nungen zerriss.     Neben   dem   Kriegsrath   der  Officiere  hatte 
das  Institut    der  Agitatoren    seine   volle  Bedeutung  bewahrt. 
Von  ihnen  und  von  der  Masse  der  Soldaten  waren  jene  Ver- 
handlungen ihrer  Oberen  mit  dem  König  höchst  misstrauisch 
betrachtet  worden.     In  diesen  Kreisen  spottete  man  über  die 
ceremoniellen  Höflichkeiten,  die  im  Palast  von  Hampton-Court 
ausgetauscht  und  über  die   ängstlichen   Rücksichten,   die  in 
den    Häusern    zu    Westminster    genommen    wurden.      John 
Lilburne,   gefangen  wie   er   war,   hatte  in   den  Regimentern 
fanatische  Anhänger.     Die  Schotten,   welche  in  schulmeister- 
lichem Tone  vor  einer  Freiheit  des  Gewissens  als  einer  Frei- 
heit aller  Irrthümer  und  Ketzereien  warnten,  galten  ihnen  als 
Anstifter  eines  neuen  Bürgerkrieges,  der  König,  welcher  mit 
allen  Parteien  spielte,   als   der  „Hauptdelinquent,   der  grosse 
Mörder",   den   man  zur  Rechenschaft   ziehen  müsse,    „so  gut 
wie  einen  Kesselflicker  oder  Kaminfeger" ,   die  Lords ,  welche 
sich  der  revolutionären  Strömung   entgegenstemmten ,   als  die 
„Auswüchse  gerechter  Regierung",  für  deren  politische  Existenz 
kein  natürlicher  Grund  vorhanden  sei.    In  den  Schriftstücken, 
die   aus   den  Reihen   der  Soldaten  hervorgiengen ,   sprach  ein 
völlig  republikanischer  Geist,  der  zu  gleicher  Zeit  jedem  staat- 
lichen  Zwange   in   Sachen    der  Gottesverehrung  widerstrebte. 
Cromwell's   und  Ireton's  Regimenter  waren  aufs  lebhafteste 
bei  der  Bewegung  betheiligt,   sie  drohte  alle  Bande  der  Dis- 
ciplin   zu   durchbrechen.     Der  Kriegsrath  glaubte  diese  nicht 
anders    wiederherstellen  zu    können ,    als    wenn   er  massvolle 
Strenge   gegen    die  Rädelsführer   mit   einiger  Nachgiebigkeit 
gegen  die  soldatischen  Begehren  verbände.    Jedes  Verständnis 
mit   dem  König  war   von   da  an  abgebrochen,    und   wenn  in 
den  stattfindenden  Versammlungen  die  Frage  des  Königthums 
selbst  eine  offene  blieb,  so  zeigten  sich  die  Officiere  doch  ge- 
neigt, andere  weitgehende  politische  Vorschläge  der  Agitatoren 
zu  beiücksichtigen.    Unzweifelhaft  wirkten  die  demokratischen 
Tendenzen,  die  damit  einen  Erfolg  errungen  hatten,  auch  auf 
die  nächsten  Beschlüsse  des  Parlaments  zurück. 


Flucht  des  Königs  nach  der  Insel  Wight.  419 

Noch  waren  die  Unruhen  im  Heere  nicht  völlig  gedämpft, 
als  man  in  London  erfuhr,  dass  der  König  von  Hamp ton- Court 
nach  der  Insel  Wight  entflohen  sei  (11.  November).  Was 
immer  seinen  Entschluss  ernstlich  bestimmt  hatte,  sein  Unter- 
gang wurde  dadurch  herbeigeführt.  In  Wahrheit  ein  Gefan- 
gener, fühlte  er  sich  frei  genug,  um  zäheren  Widerstand  zu 
leisten  und  gefährlichere  Intriguen  zu  spinnen.  Je  weiter  die 
„vier  Bills",  die  als  wesentliche  Vorbedingungen  von  beiden 
Häusern  im  December  vereinbart  wurden,  über  die  früheren 
Anträge  hinausgiengen ,  desto  entschiedener  war  er  in  ihrer 
Ablehnung.  Je  deutlicher  der  Protest  der  schottischen  Kom- 
missäre gegen  diese  jüngsten  Vorschläge  ihn  die  Erbitterung 
des  nordischen  Presbyterianismus  kennen  lehrte,  desto  sicherer 
rechnete  er  auf  seine  bewaffnete  Intervention.  In  der  That 
wurde  das  Verhältnis  zwischen  den  Machthabern  der  bei- 
den Länder  immer  gespannter.  Was  in  England  geschah, 
lief  den  Absichten  der  Schotten  direkt  entgegen.  Nachdem 
der  König  die  vier  Bills  verworfen  hatte,  erklärte  das  Parla- 
ment, ihm  in  Zukunft  keine  weiteren  Anträge  mehr  machen, 
keine  Botschaft  von  ihm  entgegennehmen  zu  wollen.  Jeder- 
mann ward  bei  Strafe  des  Hochverraths  geboten,  ohne  Er- 
laubnis beider  Häuser  gleichfalls  keine  Verbindung  mit  ihm 
zu  unterhalten  (3.,  15.  Jannuar  1648).  Die  Haft  des  Königs 
im  Schloss  von  Carisbrooke  wurde  enger  als  je  zuvor.  Alle 
Brücken  zwischen  ihm  und  seinem  Volke  sollten  abgebrochen 
sein.  Man  proklamirte  gleichsam  die  Republik,  ohne  den 
Namen  zu  nennen  und  empfieng  dafür  die  freudige  Versiche- 
rung des  Kriegsrathes  und  des  Heeres,  die  „Ordnung  des 
Königreichs  ohne  König"  gegen  alle  Feinde  schützen  zu 
wollen.  Alle  früheren  Misshelligkeiten  schienen  vergessen, 
die  noch  vorhandenen  Lords  hatten  sich  fast  ohne  Widerrede 
gefügt,  in  den  allmächtigen  Committees,  in  der  Verfolgung 
von  MaHgnanten  uud  Delinquenten,  in  der  schwer  zu  kon- 
trollirenden  Verwaltung  sequestrirter  Güter  und  drückender 
Auflagen  trat  das  Uebergewieht  der  herrschenden  Faktions- 
häupter noch  stärker  als  bisher  zu  Tage.  Die  höchste  Exe- 
kutivgewalt wurde   in   die'  Hände   derjenigen  Lords  und  Ge- 

27* 


420  Vertrag  des  Königs  mit  den  Schotten. 

meinen  gelegt,  welche  dem  Committee  der  beiden  König- 
reiche angehört  hatten,  und  man  trug  Sorse,  die  entstandenen 
Lücken  durch  independentische  Grandees  auszufüllen.  Jenes 
Committee  der  beiden  Königreiche  selbst,  einst  dazu  berufen^ 
der  Eintracht  von  England  und  Schottland  Ausdruck  zu  geben^ 
war  damit  aufgelöst.  Die  schottischen  Kommissäre  wurden 
höflich  in  ihre  Heimat  entlassen,  Liga  und  Covenant  waren 
thatsächlich  zerrissen. 

Schon  vorher  hatten  die  schottischen  Kommissäre  mit  Karl  L 
jenen  geheimen  Vertrag  geschlossen,  welcher  den  zweiten 
Bürgerkrieg  heraufbeschwor.  Der  König  entschloss  sich,  Liga 
und  Covenant,  sowie  die  Presbyterialverfassung  in  England 
auf  drei  Jahre  anzuerkennen,  freie  Kultusübung  für  sein 
eigenes  Haus  vorbehalten.  Der  Covenant  sollte  niemandem 
aufgezwungen,  die  endgiltige  Gestalt  der  englischen  Kirche 
unter  dem  Beirath  einer  neuen  Synode  auf  parlamentarischem 
Wege  vereinbart  werden.  Auf  Unterdrückung  von  Sekten 
und  Ketzereien  Avar  Bedacht  genommen.  Für  diese  Zu- 
geständnisse, welche  den  Grundsatz  der  Toleranz  aufopferten 
und  das  Institut  des  Bisthums  einer  ungewissen  Zukunft  über- 
liessen,  machte  sich  Schottland  anheischig,  eine  persönliche 
Friedensunterhandlung  des  Monarchen  in  London  zu  Wege 
zu  bringen  oder  mit  den  Wafien  diejenigen  Theile  seiner  Prä- 
rogative zu  schützen,  deren  Preisgebung  ihm  angesonnen  war. 
Mochten  diese  Bedingungen  den  strengen  Presbyterianern 
vom  Schlage  Argyle's  und  den  Vertretern  der  schottischen 
Kirche  nicht  genügen,  mochten  sich  hunderte  von  warnenden 
Stimmen  gegen  eine  Verbindung  mit  den  englischen  Royalisten 
erheben :  die  Partei  Hamilton's,  welche  das  ganze  Abkommen 
geplant  hatte,  behielt  den  Sieg,  ein  Heer  von  40,000  Mann 
rüstete  sich ,  zur  Befreiung  des  Königs  aus  der  Hand  der 
„Sektirer"  die  englische  Grenze  zu  übersciireiten,  Hamilton 
selbst  schickte  sich  an,  das  Kommando  zu  übernehmen. 

Und  nun  brach  in  England,  vorbereitet  durch  royalistische 
Komplotte,  genährt  durch  die  Unzufriedenheit  grosser  Volks- 
niassen,  auf  allen  Seiten  der  Sturm  gegen  die  herrschenden 
Gewalten  los.    Seit  Monaten  waren  die  Kavaliere  in  der  Hei- 


Zweiter  Bürgerkrieg.  —  Belagerung  von  Colchester.  421 

-mat  wie  im  Exil  fieberhaft  thätig  gewesen.  Der  Aufstand  in 
Wales  hatte  das  Signal  gegeben.  Berwick  wie  Carlisle  fielen 
in  die  Hände  royalistischer  Parteigänger,  die  mit  den  Schotten 
in  Verbindung  standen  und  den  ganzen  Norden  zu  insurgiren 
drohten.  In  London  kam  es  zu  gefährlichen  Tumulten  der 
presbyterianisch  gesinnten  Bevölkerung.  Petitionen  aus  den 
Grafschaften  des  Südens  und  Ostens  forderten  Zurückberu- 
fung des  Königs  und  Auflösung  des  Heeres.  In  Kent  standen 
Tausende  unter  Waffen,  um  gegen  die  Hauptstadt  zu  mar- 
schiren.  Die  Flotte  revoltirte,  ein  Theil  der  Schiffe  nahm  den 
Weg  zur  holländischen  Küste,  um  im  Herzog  von  York,  der 
erst  kürzlich  seiner  Haft  entsprungen  war,  oder  im  Prinzen 
von  Wales  einen  neuen  Admiral  zu  finden.  Das  ganze  Ge- 
meinwesen erbebte  bis  in  seine  Grundfesten,  und  nur  der 
furchtbarsten  Energie  gelang  es,  auf  allen  Punkten  der  Be- 
wegung Herr  zu  werden.  Während  Lambert  im  Norden  aus- 
hielt, Cromwell  den  Westen  bändigte,  w^usste  P^ airfax  in  den 
der  Hauptstadt  zunächst  gelegenen  Gebieten  die  Empörung 
zu  ersticken.  Was  sich  von  Aufständischen  aus  Kent  über 
die  Themse  nach  Essex  hatte  retten  können,  verband  sich 
mit  den  dort  erschienenen  Royalisten  und  warf  sich  in  die 
Mauern  von  Colchester.  Wochen  lang,  vom  13.  Juni  bis  zum 
28.  August,  richtete  sich  das  hauptsächliche  Interesse  auf  die 
denkwürdige  Belagerung  dieser  Stadt,  deren  Einwohnerschaft, 
parlamentarisch  gesinnt,  wie  sie  seit  jeher  gewesen,  gezwungen 
w^urde,  unsägliche  Leiden  durchzumachen.  Der  Hunger 
nöthigte  die  heldenmüthigeu  Yertheidiger,  auf  die  härtesten 
Bedingungen  hin  zu  kapituhren.  Die  höheren  Officiere  hatten 
sich  auf  Gnade  und  Ungnade  zu  ergeben,  zwei  von  ihnen, 
die  sich  besonders  verhasst  gemacht  hatten,  wurden  nach  dem 
Spruch  des  Kriegsgerichts  erschossen ,  das  Schicksal  der 
übrigen ,  darunter  der  Lords  Norwich  und  Capel ,  blieb  der 
Bestimmung  des  Parlaments  überlassen.  Noch  während  der 
Belagerung  von  Colchester  war  der  Graf  von  Holland ,  um 
Königthum  und  Presbyterianismus  zugleich  zu  vertheidigen, 
mit  adligen  Genossen  an  der  Spitze  einer  Reiterschaar  zu 
Kingston  in  drohender  Nähe  der  Hauptstadt  aufgetreten.    Allein 


422  Belagerung  von  Colchester.  —  Schlacht  von  Prestou. 

seine  Pläne  wurden  vereitelt,  er  selbst  gerieth  in  Gefangen- 
schaft. Nicht  minder  vergeblich  waren  die  Unternehmungen 
des  Prinzen  von  Wales,  der  mit  den  abtrimnig  gewordenen 
Schiffen  zuerst  vor  Yarmouth,  dann  vor  der  Themsemündung 
erschien,  um  reichbeladene  Kauffahrer  zu  kapern  und  den 
Handel  der  Londoner  zu  stören.  Graf  Warwick  sammelte 
eine  stattliche  Seemacht,  vor  welcher  der  Prinz  nach  Holland 
entwich ,  und  als  der  Admiral  des  Parlaments  ihm  hierhin 
folgte ,  kehrten  die  meisten  der  abgefallenen  Seeleute  zum 
Gehorsam  zurück. 

Die  Bedeutung  aller  dieser  Vorgänge  wurde  indessen 
durch  das  eine  ruhmvolle  Ereignis  verdunkelt,  welches  über 
die  Betheiligung  der  Schotten  an  diesem  zweiten  Bürger- 
kriege entschied.  In  Folge  der  allgemeinen  Erhebung  der 
Kavalierpartei  in  England  sah  sich  Hamilton  genöthigt,  früher, 
als  in  seinen  Absichten  gelegen  hatte,  zum  Angriff  zu  schrei- 
ten. Am  8.  Juli  rückte  ein  schottisches  Heer,  dessen  Stärke 
hinter  dem  ursprünglichen  Ansätze  weit  zurück  blieb,  über 
die  Grenze.  Es  verband  sich  mit  einem  Theil  der  Royalisten 
des  Nordens,  empfieng  einen  Zuwachs  von  ein  Paar  tausend 
Mann  aus  Irland  und  drang  unter  Verwüstungen  bis  Lan- 
cashire  vor.  Hier  aber  setzte  Cromwell  der  schottischen  In- 
vasion ein  jähes  Ende.  Er  war  nach  dem  Abschluss  des  waliser 
Feldzugs  herbeigeeilt,  hatte  sich  mit  Lambert  verbunden  und 
zerschmetterte  mit  seinen  decimirten  Regimentern  die  feind- 
liche Uebermacht  durch  jene  gewaltigen  dreitägigen  Schläge, 
die  sich  unter  dem  Namen  der  Schlacht  von  Preston  zusammen- 
fassen lassen  (17. —  19.  August).  Die  Zahl  der  Gefangenen 
kam  der  ihrer  Besieger  fast  gleich,  Hamilton  selbst  musste  sich 
wenig  Tage  nach  seiner  Niederlage  auf  der  Flucht  ergeben. 
Die  nördlichen  Grafschaften  wurden  mit  Ausnahme  von  Car- 
lisle,  Berwick  und  einiger  kleineren  festen  Plätze  vollständig 
zurückerobert.  In  Schottland  selbst  erhoben  sich  die  strengen 
Presbyterianer  gegen  die  Partei  der  Hamiltons,  eine  neue 
Regierung  wurde  gebildet,  an  deren  Spitze  Argyle  und  seine 
Gesinnungsgenossen  standen.  Um  sie  gegen  die  Reste  der 
gegnerischen   Faktion   zu   unterstützen    und    Schottland    den 


Cromwell  in  Schottland.  —  Presbyterianismus  in  London.     423 . 

Sehrecken  des  englischen  Namens  fühlen  zu  lassen,  über- 
schritt Cromwell  die  Grenze.  Man  beeilte  sich,  ihm  Carlisle 
und  Berwick  herauszugeben,  der  grosse  Independent  wurde 
von  den  vornehmen  Covenanters  mit  Ehren  begrüsst,  und 
Edinburg  emplieng  ihn  als  Triumphator  in  seinen  Mauern. 

Die  furchtbarste  Krise  war  durch  die  Tapferkeit  des 
Heeres  überwunden,  aber  während  es  im  Namen  des  Parla- 
ments gegen  die  Parteigänger  und  Verbündeten  des  Königs 
im  Felde  stand,  hatte  eben  dieses  Parlament  aufs  neue  ver- 
sucht, mit  dem  König  ein  Abkommen  zu  treften.  Nichts 
natürlicher,  als  dass  mit  dem  Ausbruch  des  zweiten  Bürger- 
krieges die  presbyterianische  Partei  in  den  Berathungen  zu 
Westminster  wieder  das  Uebergewicht  erhielt.  Von  den  In- 
dependenten  wurde  so  mancher  durch  den  Drang  der  Um- 
stände den  parlamentarischen  Geschäften  entzogen,  von  den 
Presbyterianern  wagten  sich  viele,  die  sich  in  der  letzten 
Zeit  ängstlich  zurückgezogen  hatten,  wieder  an's  Licht.  Ge- 
meinderath  und  Bürgerschaft  setzten  es  durch,  dass  der  City 
Genugthuung  für  dasjenige  gegeben  wurde,  was  sie  sich  beim 
Einmarsch  der  Fairfax'schen  Regimenter  im  vergangenen  Som- 
mer hatte  gefallen  lassen  müssen.  Die  städtische  Miliz  wurde 
mit  Officieren  ihrer  Wahl  besetzt,  ein  Kommandant  des  Tower 
von  ihr  ernannt,  die  militärischen  Wachtposten  wurden  zu- 
rückgezogen ,  die  damals  verhafteten  Mitglieder  der  Stadt- 
behörden, sowie  andere  bei  jenen  Tumulten  betheiligt  Gewe- 
sene freigelassen.  Es  war  nur  folgerichtig,  dass  auch  die 
angeklagten  und  theilweise  geflüchteten  Parlamentsmitglieder 
eingeladen  wurden,  ihre  Sitze  wieder  einzunehmen. 

Schon  einige  Wochen  vorher  (2.  jMai)  hatte  derErlass  einer 
lange  ersehnten  Ordonnanz  „zur  Vermeidung  des  Wachsthums 
und  der  Ausbreitung  von  Ketzerei  und  Blasphemie"  vorausver- 
kündet, was  man  von  dem  neuen  Erwachen  des  Presbyteria- 
nismus für  die  Gewissensfreiheit  zu  erwarten  habe.  Auf  eine 
Reihe  von  „Ketzereien",  wie  Läugnen  des  Daseins  und  der 
Allmacht  Gottes ,  der  Dreieinigkeit  und  der  Gottheit  Christi, 
der  Auferstehung  und  des  jüngsten  Gerichts  ward  die  Todes- 
strafe  gesetzt,   auf  eine   Reihe   „geringerer  Irrthümer"   Ge- 


424  Ordonnanz  gegen  Ketzerei.  —  Vertrag  von  Newport. 

fängnis.  Man  hatte  von  Glück  zu  sagen,  dass  die  Behauptung, 
„die  Presbyterialverfassung  sei  unchristlich  oder  ungesetzlich" 
noch  zu  den  „geringeren  Irrthümern"  gerechnet  werden  sollte. 

Es  hatte  nicht  lange  gewährt,  so  waren  auch  die  Ver- 
handlungen mit  dem  König  wiederangeknüpft  woiden.  Am 
28.  April  ward  von  den  Gemeinen  dreierlei  votirt.  Die  Fun- 
damentalverfassung des  Staates,  die  Verbindung  von  König, 
Lords  und  Gemeinen  sollte  nicht  geändert  werden.  Der  In- 
halt der  nach  Hampton  -  Court  gerichteten  Vorschläge  sollte 
die  Grundlage  einer  neuen  Debatte  über  den  Frieden  des 
Reiches  bilden.  Die  früheren  Beschlüsse  gegen  den  Verkehr 
mit  dem  König  sollten  niemanden  bei  Gelegenheit  dieser  De- 
batte in  seinen  Anträgen  beschränken.  Die  zahlreichen  Pe- 
titionen, welche  im  Laufe  des  Sommers  der  Stimmung  von 
Stadt  und  Land  Ausdruck  gaben,  kamen  den  Neigungen  der 
Presbyterianer  zu  Hilfe.  Man  beschloss,  von  jeder  Prälimi- 
narbedingung  abzusehen  und  in  Newport  auf  der  Insel  Wight 
den  Vertrag  mit  dem  Monarchen  zu  vereinbaren.  Die  Kom- 
missäre, deren  Vollmachten  vierzig  Tage  dauerten,  waren  wie- 
derum von  einigen  geistlichen  Mitgliedern  der  Synode  begleitet, 
unter   deren    Zahl   weder  Nye  noch   Marshall   fehlen    durfte. 

Nichts  wäre  wichtiger  gewesen,  als  wenn  es  den  Royalisten 
gelungen  wäre,  den  König  aus  der  Gewalt  seiner  militärischen 
Wächter  zu  befreien.  Da  diese  Versuche  scheiterten ,  schien 
seine  Lage  ihm  keine  Wahl  zu  lassen,  als  ohne  Zaudern  und 
ehrlich  seinen  Frieden  mit  den  Presbyterianern  zu  machen, 
ehe  das  independentische  Heer  Zeit  finde,  mit  dem  Schwerte 
den  sorgsam  geschürzten  Knoten  zu  durchhauen.  Aber  auch 
diesmal  sah  Kail  I.  in  dem  Eifer,  den  man  zur  Schau  trug,  ihm 
entgegenzukommen,  nur  einen  Anreiz  zur  Ausübung  der  alten 
Kunst:  Worte  zu  machen,  um  mit  Worten  Zeit  zu  gewinnen. 
Allerdings  zu  wesentlichen  Zugeständnissen  Hess  er  sich  her- 
bei. Er  wollte  die  MiÜtia  auf  zwanzig  Jahre  aufgeben,  nicht 
minder  das  Recht  der  Ernennung  zu  den  wichtigsten  Aemtern. 
Seine  gegen  das  Parlament  erlassenen  Deklarationen  sollten 
annullirt,  die  Akte,  die  unter  dem  grossen  Siegel  desselben 
ergangen,  anerkannt  werden.  Die  Presbyterialverfassung  wurde 


Vertrag  von  Newport.  —  Stimmung  des  Heeres.  425 

auf  drei  Jahre  gewährleistet,  die  Veräusserung  der  Kirchen- 
güter in  gewissen  Grenzen  bewilligt.  Aber  in  anderen  Fragen 
blieb  er  fest,  und  die  Frage  einer  gänzlichen  Aufgabe  der 
bischöflichen  Verfassung  stand  an  ihrer  Spitze.  In  Wahrheit 
waren  seine  Ausflüchte,  Bedenken  und  Einwürfe  wenig  mehr 
als  verbrauchte  Kriegskünste.  Er  dachte  nicht  an  den  Ab- 
schluss  eines  Vertrages.  Er  hoffte  auf  Hilfe  aus  Irland,  vom 
Prinzen  von  Wales,  von  der  Königin,  vielleicht  noch  von 
Schottland.  Seine  Vertrauten  wussten  aus  seinen  geheimen 
Korrespondenzen,  was  sie  von  seinen  Zugeständnissen  zu  halten 
hatten.  Vergeblich  rechnete  man  von  Woche  zu  Woche  auf 
günstigere  Antw^ort,  verlängerte  man  ein  Mal  auf  das  andere 
Mal  die  gesetzte  Frist.  Die  Zeit  verrann ,  ohne  dass  man 
zum  Abschluss  gekommen  wäre ,  und  schon  w^aren  drohende 
Stimmen  aus  dem  independentischen  Lager  laut  geworden. 
Eine  grosse  londoner  Petition,  die  im  Namen  Tausendei'  zu 
sprechen  vorgab,  hatte  am  11.  September  den  radikalsten 
Wünschen  das  Wort  geliehen.  Sie  erklärte  die  Vertreter  des 
Volkes,  ohne  Rücksicht  auf  König  und  Lords,  für  Inhaber  der 
„höchsten  Autorität  des  Volkes",  verurtheilte  die  „lästige  Bürde 
der  Zehnten"  und  die  Strafgesetze  gegen  „Meinungen"  oder  in  Be- 
treff „übernatürlicher  Dinge"  und  forderte  Sühne  an  den  „Haupt- 
urhebern und  Anstiftern  der  früheren  oder  der  letzten  Kriege"  (^). 
Petitionen  aus  Newcastle,  York,  Hüll  sprachen  in  ähnlichem 
Sinn,  hie  und  da  selbst  mit  deutlicherem  Hinweis  auf  den 
König.  Nirgendw^o  trat  dieser  Geist  so  anspruchsvoll  und  ent- 
schieden zu  Tage  wie  im  Heere.  Alles,  was  früher  die  Sol- 
daten erregt  hatte,  riss  sie  nach  den  letzten  Ereignissen  mit 
verstärkter  Kraft  zu  unwiderstehlicher  Leidenschaft  fort.  Das 
Blut  ihrer  Brüder  sollte  nicht  wiederum  umsonst  verspritzt 
sein.  Sie  wollten  nicht  gesiegt  haben,  um  sich  vor  einer 
Partei  zu  beugen,  die  mit  Todesstrafen  und  Gefängnis  das 
Seelenheil  der  Nation  zu  retten  unternahm,  und  um  einen 
König  auf  den  Thron  zurückzuführen,  den  sie  als  Hauptschul- 
digen verfluchten.  Ihre  Löhnung  blieb  aus,  ihre  Zukunft  war 
nicht  gesichert.  Das  Gefühl  persönlicher  Verletzung  verband 
sich  mit  dem  religiös  -  politischen  Fanatismus,  der  sie  beseelte. 


426  Gi'osse  Remonstranz  der  Armee. 

Regiment  nach  Regiment  Hess  seine  Wünsche  in  das  Haupt- 
quartier nach  St.  Alban's  an  Fairfax  gelangen.  Hervorragende 
independentische  Officiere  und  Parlamentsmitglieder  schürten 
das  Feuer.  Der  Generalrath  der  Officiere  liess  sich  dazu 
drängen,  eine  „grosse  Remonstranz"  aufzusetzen,  und  Faii-fax 
konnte  sich  dem  Begehren  nicht  entziehen,  sie  am  16.  No- 
vember an's  Parlament  zu  senden  und  warm  zu  befürworten. 
Das  grosse  Manifest  der  Armee  sprach  eine  sehr  deutliche 
Sprache.  Es  fasste  die  bisherigen  Beziehungen  zwischen  Par- 
lament und  Heer  zusammen  und  wandte  sich  gegen  die 
„Heuchelei"  der  Presbyterianer.  Es  zeigte  die  Nichtigkeit  der 
Versuche ,  mit  einem  Manne ,  wie  Karl  I. ,  einen  ehrlichen 
Frieden  zu  schliessen  und  forderte  Abbruch  aller  Verhand- 
lungen. Den  Petenten  war  das  „Heil  des  Volkes  das  höchste 
Gesetz",  eine  Repräsentation,  die  in  bestimmten  Zwischenräu- 
men aus  freien,  möglichst  gleichen  Wahlen  hervorgehe,  die 
höchste  politische  Instanz,  und,  wenn  das  Wohl  des  Volkes 
in  Frage  stehe,  auch  der  König  verpflichtet,  vor  dieser  Rechen- 
schaft abzulegen.  Sie  forderten  demnach,  dass  am  König, 
als  am  „Kapitalurheber  aller  Wirren",  Gerechtigkeit  voll- 
streckt werde.  Sie  verlangten  exemplarische  Bestrafung  sei- 
ner hauptsächlichen  Gehilfen.  Der  Prinz  von  Wales  und  der 
Herzog  von  York  sollten  bei  Strafe  der  Absetzung  aufgefor- 
dert w^erden,  sich  in  bestimmter  Frist  zur  Untersuchung  ihres 
Verhaltens  zu  stellen.  Die  Ansprüche  der  Soldaten  sollten 
befriedigt  werden.  Für  die  Neuordnung  der  politischen  Ver- 
hältnisse wurden  bestimmte  Vorschläge  gemacht.  Sie  nahmen 
einen  baldigen  Schluss  des  tagenden  Parlaments  in  Aussicht, 
eine  Reformbill  für  die  regelmässige  Ablösung  der  künftigen 
Parlamente  und  das  Wahlrecht,  mit  provisorischem  Ausschluss 
von  Malignanten,  eine  Repräsentation,  die  durch  nichts  gebun- 
den sein  sollte,  als  die  Rücksicht  auf  die  „Fundamentalsätze 
des  gemeinen  Rechts,  der  individuellen  Freiheit  und  Sicher- 
heit", ein  Königthum,  falls  ein  solches  überhaupt  beibehalten 
werde,  aus  Wahl  der  Volksvertretung  hervorgehend  und  ohne 
das  Iteclit  eines  Veto('). 


Abführung  des  Königs  nach  Hurst-Castle.  427 

Es  war  die  stärkste  Amnuthung,  die  bis  dahin  vom  Heere 
an  das  Parlament  gelangt  war,  und  noch  fand  dieses  Kraft 
genug,  sich  nicht  durch  sie  einschüchtern  zu  lassen.  Aber 
während  hier  Worte  gemacht  wurden,  wurde  dort  gehandelt. 
Es  kam  zunächst  darauf  an,  sich  der  Person  des  Königs  gegen 
jeden  Versuch  der  Entführung  zu  versichern.  Hammond, 
Gouverneur  der  Insel  Wight,  dessen  Bedenklichkeiten  bekannt 
waren,  verliess  auf  Fairfax'  Befehl  gegen  den  Willen  des  Par- 
laments seinen  Posten.  Vier  Tage  darauf,  im  Morgengrauen 
des  ersten  December,  wurde  der  König  unter  sicherer  Eskorte 
nach  dem  einsamen  Felsenschloss  von  Hurst  an  der  Küste 
von  Hampshire  abgeführt.  Der  nächste  Schritt  galt  dem  Par- 
lament. Es  hielt  noch  immer  standhaft  an  seiner  Autorität 
fest,  obwohl  mit  der  Verlegung  des  Hauptquartiers  nach 
Windsor  die  Gefahr  eines  Gewaltstreiches  näher  gerückt  war. 
Es  verschob  die  Berathung  über  die  Remonstranz.  Es  zeigte 
keine  Eile,  die  schuldigen  Gelder  anzuweisen.  Am  30.  No- 
vember langte  eine  Deklaration  Fairfax'  und  des  Generalrathes 
der  Officiere  an,  welche  über  dieses  Verhalten  Klage  führte, 
den  Ausschluss  „korrumpirter  und  abtrünniger  Mitglieder" 
als  wünschenswerth  bezeichnete  und  den  Vormarsch  der  Armee 
nach  London  ankündigte.  Am  folgenden  Tage  erblickte  man 
die  Vorposten  an  der  Ecke  von  Hyde-Park,  den  2.  Decem- 
ber nahm  Fairfax  sein  Hauptquartier  in  Whitehall,  seine  Re- 
gimenter waren  in  der  Stadt  und  in  den  umliegenden  Ort- 
schaften vertheilt.  Er  hielt  auf  strengste  Bewahrung  der 
Disciplin,  der  Gemeinderath  war  aufgefordert  worden,  40,000  '£ 
für  Zahlung  der  Soldrückstände  flüssig  zu  machen. 

Von  Waffen  umgeben,  blieb  die  presbyterianische  Majo- 
rität unerschüttert.  Am  4.  December  wurde  ein  Protest  gegen 
die  gewaltsame  Abführung  des  Königs  votirt,  denselben  Tag 
und  die  ganze  folgende  Nacht  hindurch  über  seine  letzten 
Zugeständnisse  debattirt,  um  fünf  Uhr  Morgens,  nach  einer 
eindrucksvollen  Rede  William  Prynne's,  der  erst  kürzlich  im 
Unterhause  seinen  Sitz  eingenommen  hatte,  der  Beschluss  ge- 
fasst,  sie  zu  weiterer  Verhandlung  über  den  Frieden  für  ge- 
nügend zu  erklären.     Die  Lords,   auf  die  Zahl  von  fünfzehn 


428  Pride's  „Purganz". 

zusammengeschmolzen ,  stimmten  bei.  Der  nächste  Tag  sah 
jene  Scene  brutaler  Gewalt,  wie  sie  ohne  Yorwissen  des  Feld- 
herrn (^)  durch  einige  independentische  Führer  des  Parlamentes 
und  des  Heeres  vorbereitet  worden  war.  Als  die  Mitglieder 
des  Unterhauses  sich  nach  Westminster  begaben,  erblickten  sie 
statt  der  städtischen  Milizwachen  den  Hofraum,  die  Halle, 
den  Vorsaal,  die  Treppen  von  militärischen  Posten  besetzt. 
Colonel  Pride  hielt  eine  Namensliste  aller  derer  in  der  Hand, 
auf  deren  Ausschluss  es  abgesehen  war.  Man  Hess  nieman- 
den ohne  Prüfung  passiren,  wer  Widerstand  wagte,  wurde 
ergriffen.  Im  ganzen  sahen  sich  einundvierzig ,  darunter 
Frynne,  Massey,  William  Waller,  verhaftet,  Holles  hatte  sich 
vorher  in  Sicherheit  gebracht.  Während  ihre  Kollegen  sie 
reklamirten,  wurde  im  Namen  Fairfax'  und  des  Generalrathes 
der  Officiere  eine  Petition  vorgelegt,  die  nichts  Geringeres 
forderte,  als  Wiederaufnahme  des  Verfahrens  gegen  jene  im 
Jahre  1647  angeklagten  Mitglieder,  Ausschluss  von  einigen 
neunzig  anderen,  denen  man  Schuld  gab,  die  Schotten  herbei- 
gerufen zu  haben,  Zurücknahme  des  Beschlusses,  auf's  neue 
mit  dem  König  zu  verhandeln.  Am  nächsten  Tage  setzte  die 
bewaffnete  Macht  ihr  Werk  fort.  Die  „Purganz  Pride's",  wie 
der  Volkswitz  das  Ereignis  nannte,  hatte  das  Parlament  auf 
gewaltsame  Art  um  hundertdreiundvierzig  Mitglieder  beraubt, 
und  das  Attentat  des  Königs  vom  4.  Januar  1642  konnte, 
gegen  diesen  Akt  gehalten,  für  einen  schülerhaften  Versuch 
gelten.  Die  Paar  Dutzend  Mitglieder,  die  sich  noch  einfan- 
den, widerriefen  alle  Beschlüsse,  welche  vom  Heer  verurtheilt 
worden  waren,  das  Haus  der  Lords  schien  sich  von  selbst  in 
nichts  auflösen  zu  wollen ,  in  der  Stadt  wagte  man  nicht  an 
Widerstand  zu  denken. 

Die  Militärgewalt  war  allmächtig.  Während  Fairfax  von 
den  politischen  Veihandlungen  seine  Hand  zurückzog,  wurde 
unter  den  Führern  Cromwell  die  treibende  Kraft.  Wochen 
lang  war  er  durch  die  Belagerung  von  Schloss  Pontefract  in 
Yorkshire  ferngehalten  worden,  aber  mit  Ilath  und  That  hatte 
er  die  Bewegung  des  Heeres  unterstützt.  Für  ihn  und  seine 
Genossen  gab  es  nach  dem,  was  die  letzten  Monate  gebracht 


Der  König  in  Windsor.  —  Das  Unterhaus  „souverän".        429 

hatten,  kein  Schwanken  mehr.  Am  23.  December,  nach  einem 
Fasttag,  an  welchem  Hugh  Peters  in  einer  Predigt  seine  Zu- 
hörer beschworen  hatte,  die  Kinder  Israel  aus  der  ägyptischen 
Sklaverei  zu  befreien,  beschloss  das  Haus  der  Gemeinen, 
durch  ein  Committee  berathen  zu  lassen ,  wie  gegen  den 
König  und  andere  Kapitalverbrecher  zu  verfahren  sei.  Eben 
diesen  Tag  langte  der  König,  ohne  zu  ahnen,  welchem  Schick- 
sale er  entgegengehe,  unter  starker  Bedeckung  in  Windsor 
an.  Sein  Loos  wurde  durch  die  Beschlüsse  besiegelt,  die  am 
Xeujahrstage  das  Haus  der  Gemeinen  passirten.  Es  wurde 
nach  den  Fundamentalgesetzen  des  Pteiches  für  Hochverrath 
erklärt,  dass  der  König  'gegen  das  Parlament  und  Königreich 
von  England  Krieg  erhebe.  Eine  Ordonnanz  ernannte  einen 
Gerichtshof  von  etwa  hundertundfünfzig  Mitgliedern,  um  über 
„Karl  Stuart"  das  TJrtheil  zu  fällen.  Zwölf  Lords,  darunter 
mehrere,  die  an  die  Spitze  der  Richterliste  gestellt  waren, 
fanden  sich  zusammen,  um  mit  Einhelligkeit  und  Leidenschaft 
beide  Vorschläge  zu  verwerfen  (2.  Januar).  Ihr  Widerstand 
machte  es  nothwendig,  die  Liste  der  Ordonnanz  abzuändern 
und  auf  Grund  der  Souveränität  des  Volkes  die  Gemeinen, 
als  gewählte  Vertreter  desselben,  ohne  Piücksicht  auf  die  Mit- 
wirkung von  König  oder  Peers,  für  Inhaber  der  „höchsten 
Gewalt"  zu  erklären  (4.  Januar).  —  Die  Theorie  von  weit- 
reichender Bedeutung,  welche  zuerst  nur  Eigen thum  einiger 
gewesen  war,  sodann,  verbunden  mit  der  Idee  der  Gewissens- 
freiheit, in  den  Pteihen  des  Heeres  Aufnahme  gefunden  hatte, 
wurde  in  eben  dem  Augenblicke  vom  Parlament  proklamirt, 
da  dieses  Parlament  selbst  zum  gefügigen  Diener  der  Militär- 
macht geworden  war. 

Von  nun  an  gab  es  kein  Hindernis  mehr,  das  die  Aus- 
führung dessen,  was  beschlossene  Sache  war,  hätte  aufhalten 
können.  Vergeblieh  suchten  die  Lords  den  Lauf  der  Ereig- 
nisse zu  hemmen ,  indem  sie  eine  Ordonnanz  vorzubereiten 
geneigt  schienen,  nach  der  es  für  die  Zukunft  als  Hochver- 
rath gelten  und  durch  das  Parlament  gerichtet  werden  sollte, 
wenn  ein  König  Krieg  gegen  das  Parlament  und  Reich  von 
England   erhebe.     Nachdem   sich   die   zurückgebliebenen  Ge- 


430  1^61'  ausserordentliche  Gerichtshof.  —  Process  gegen  den  König. 

meinen  für  alleinige  Inhaber  der  Volks -Souveränität  erklärt 
hatten,  betrachteten  sie  das  andere  Haus  kaum  noch  als  vor- 
handen. Der  ausserordentliche  Gerichtshof  konstituirte  sich, 
indem  John  Bradshaw,  ein  Jurist  von  Ruf,  zum  Präsidenten 
gewählt  (^),  vier  andere  Rechtsgelehrte  zu  Vertretern  der  An- 
klage ernannt  wurden.  Unter  diesen  war  der  Holländer  Do- 
rislaus, der  Milton  von  Cambridge  her  bekannt  sein  konnte, 
und  John  Cook,  der  einst  wie  er  in  Rom  sich  offen  gegen 
das  Pabstthum  ausgesprochen,  in  Genf  bei  Diodati  Aufnahme 
gefunden  hatte  (-).  Uebrigens  zog  sich  mehr  als  die  Hälfte 
der  bestimmten  Richter  von  den  Berathungen  zuiiick.  Fair- 
fax sah  man  nur  in  der  ersten  vorbereitenden  Sitzung. 

Am  19.  Januar  wurde  der  König  nach  dem  Palast  von  St. 
James,  von  da  nach  Whitehall  gebracht.  Am  folgenden  Nach- 
mittag stand  er  zum  ersten  Male  in  der  überfüllten  Halle  von 
Westminster  vor  denen,  in  deren  Hand  sein  Leben  gegeben  war. 
Ausser  Bradshaw  waren  Sechsundsechzig  von  ihnen  anwesend, 
unter  diesen  Cromwell,  Ireton,  Ludlow,  Lilburne,  Henry  Mär- 
ten, Alderman  Pennington.  Als  Fairfax'  Name  aufgerufen 
worden  war,  hatte  seine  Gemahlin  von  einer  der  Gallerieen 
herabgerufen :  „Er  ist  nicht  hier  und  wird  niemals  erscheinen, 
ihr  thut  Unrecht,  ihn  aufzuführen" (3).  Da  der  König  die 
Autorität  des  Tribunales  läugnete  und  jede  Antwort  auf  die 
Anklage  weigerte,  so  wurde  das  ganze  Verfahren  zu  einer 
blossen  Formalität.  Am  27.  Januar  wurde  der  Spruch  ver- 
kündigt, durch  welchen  Karl  Stuart  als  Tyrann',  Verräther, 
Mörder  und  Feind  der  Nation  zur  Hinrichtung  durch's 
Sehwert  verurtheilt  wurde.  Ein  letztes  verzweifeltes  Ringen 
des  Königs,  um  nach  der  Verlesung  noch  zu  sprechen,  war 
vergeblich.  Die  Wachen  führton  ihn  ab,  und  aus  Soldaten- 
munde erklangen  die  Rufe:  „Gerechtigkeit,  Gerechtigkeit", 
während  unter  dem  Volke  der  Wunsch  sich  Luft  machte: 
„Gott  rette  eure  Majestät". 

Geistliche  Uebungen,  Abschied  von  den  beiden  in  Eng- 
land weilenden  Kindern,  Vorbereitungen  auf  die  Trennung 
vom  Leben,  füllten  die  Stunden,  welche  dem  Fürsten  noch 
blieben.    Wie  er  vor  seinen  Richtern  Unerschrockenheit  und 


Hinrichtung  des  Königs.  —  Milton's  Sonett  auf  Fairfax,       431 

Würde  gezeigt  hatte,  so  bewahrte  er  Ruhe  und  Gleichmuth 
bis  zum  letzten  Augenblick.  Am  Morgen  des  30,  Januar  be- 
stieg er,  aus  einem  ausgebrochenen  Fenster  der  Bankett-Halle 
von  Whitehall  in's  Freie  geführt,  das  schwarzverhangene 
Schaffot,  das  sich  inmitten  starker  Truppenmassen  zu  Pferde 
und  zu  Fuss  und  unzähliger  Volksschaaren  erhob.  Er  hielt 
eine  Ansprache,  die  von  den  wenigsten  gehört  werden  konnte, 
in  der  er  sich  den  Märtyrer  des  Volkes  nannte,  legte  sein 
Haupt  auf  den  Block  und  gab  mit  ausgestreckten  Händen 
selbst  das  Zeichen.  Sein  abgeschlagenes  Haupt,  als  das  eines 
Yerräthers,  wurde  hoch  emporgehoben  dem  Volke  gezeigt, 
und  ein  lange  nachhallender  Schrei  des  Entsetzens  entrang 
sich  den  Massen. 


Während  der  ganzen  stürmischen  Zeit,  welche  aufs  neue 
die  englische  Nation  in  ihren  Tiefen  aufwühlte,  und  in  der 
mit  dem  König  das  Königthum  zu  Fall  kam,  blieb  Milton's 
Muse  fast  ganz  verstummt.  Ein  einziges  Sonett  ist  uns  auf- 
behalten, das,  während  des  zweiten  Bürgerkrieges  geschrieben, 
der  damaligen  Stimmung  des  Dichters  energischen  Ausdruck 
verleiht  (^).  Es  richtet  sich  an  Fairfax  und  zielt  auf  jenes  für 
die  Entscheidung  des  Kampfes  so  wichtige  Ereignis  ab,  das 
den  früheren  Lorbeeren  des  Feldherrn  neue  hinzufügte:  die  Be- 
zwingung der  Stadt  Colchester.  Der  gehobene  Ton  des  Ge- 
dichtes spricht  dafür,  dass  es  nach  dem  Eintreffen  der  Siegesbot- 
schaft in  London  Ende  August  oder  Anfang  September  1648  ver- 
fasst  worden  ist,  und  die  zürnende  Erinnerung  an  die  „Hydra- 
Köpfe  neuer  Empörung"  und  den  „falschen  Norden"  würde 
genugsam  bekunden,  welche  Stellung  Milton  gegenüber  den 
Ereignissen  einnahm,  auch  wenn  es  sich  nach  seiner  ganzen 
Vergangenheit  nicht  schon  von  selbst  vermuthen  liesse.  Er 
stand  auch  in  dieser  Krisis  in  der  vordersten  Reihe  der  in- 
dependentischen  Phalanx,  ja  schärfer  Hess  sich  das  Urtheil 
über  die  Presbyterianer  nicht  fassen,  als  es  am  Schluss  dieses 
Sonetts  ausgesprochen  wurde. 


432  Milton  als  Anhänger  des  Heeres. 

Oh,  noch  ein  schön'rer  Lorbeer  wartet  dein, 

—  Denn  Krieg  erzeugt  nur  endlos  wieder  Krieg  — 

Wahrheit  und  Recht  von  Fesseln  zu  befrein, 

Und  Treu  und  Glauben  von  den  Wunden  heilen 

Oifnen  Betrugs.     Was  nützt  der  blut'ge  Sieg, 

Wenn  Eaub  und  Habsucht  in  das  Land  sich  theilen? 

Eben  diese  Vorwürfe  hatten  vor  allem  Officiere  und  Sol- 
daten gegen  die  presbyterianischen  Führer  geschleudert, 
Milton  identificirte  sich  vollkommen  mit  den  Tendenzen  des 
Heeres.  Offenbar  war  das  schon  beim  Beginn  des  Streites 
zwischen  diesem  und  dem  Parlament  der  Fall  gewesen.  Wo 
immer  er  in  seinen  späteren  Schriften  auf  die  Ereignisse  der 
Jahre  1647  und  1648  zu  reden  kommt,  nimmt  er  für  dies 
Heer  ,,der  tapfersten,  treuesten  Bürger"  aufs  entschiedenste 
Partei (^).  Die  Dinge  waren  damals,  nach  seiner  Ansicht 
dahin  gekommen,  dass  sich  die  Anwendung  von  Gewalt  nicht 
mehr  vermeiden  Hess,  und  „die  Independenten  waren  die  ein- 
zigen, die  sich  bis  zuletzt  treu  blieben  und  ihren  Sieg  zu  be- 
nutzen verstanden".  Im  Kampf  mit  einer  Partei,  die  den 
Ruhm  des  „unbesieglichen  Heeres  beneidete",  die  es  einigen 
zelotischen  Geistlichen  zu  Gefallen  „schimpflich  auflösen  und 
nach  Irland  verbannen  wollte",  die  beabsichtigte,  sich  „eher 
in  die  Sklaverei  des  Königs  zurückzubegeben  als  ihren  Brü- 
dern einen  Antheil  an  der  mit  ihrem  Blut  erstrittenen  Frei- 
heit einzuräumen",  im  Kampf  mit  Leuten,  „die  sich  bis  zu 
diesem  Grade  der  Härte  verstiegen",  wäre  es  „Feigheit  und 
Thorheit  gewesen",  wenn  man  sich  des  Heeres  nicht  bedient 
hätte,  das  gegen  die  „londoner  Krämer  und  Handwerker 
und  die  hetzenden  Prediger  auf  unserer  Seite  stand",  um 
„die  Freiheit  und  das  öffentliche  Wohl  zu  retten".  Er 
billigt  daher  vollkommen  die  Wegführung  des  Königs  von 
Holml)}-,  den  Marsch  der  Regimenter  durch  die  Stadt,  selbst 
die  gewaltsame  Ausstossung  der  presbyterianischen  Mitglieder 
oder,  wie  er  sich  ausdrückt,  „der  Parteigänger  der  Schotten" 
nach  dem  zweiten  Bürgerkriege,  die  „Reinigung"  des  Parla- 
mentes, welche  Pride  durchgeführt  hatte.  Aber  hiebei  blieb 
er  nicht  stehn.    Nachdem  er  soweit  gegangen  war,   zögerte 


Milton  für  Republik.  433 

er  auch  nicht,  den  letzten  Schritt  zu  machen,  vor  dem  selbst 
entschiedene  Genossen  der  Partei  zurückbel)ten.  Es  schien 
ihm  völlig  gerechtfertigt,  dass  Karl  I.  in  der  Weise,  wie 
es  geschah,  der  Process  gemacht  wurde,  und  er  unternahm 
es  sofort,  dies  Verfahren  vor  aller  Welt  zu  vertheidigen. 

Einst,  als  er  begonnen  hatte,  sich  in  den  Streit  um  die 
Ptefoim  der  Kirchenverfassung  zu  mischen,  hatte  er  kein  Be- 
denken getragen,  ohne  Vorbehalt  von  dem  „freien,  selbst- 
ständigen König,  dem  souveränen  Fürsten,  dem  Statthalter 
Christi  mit  dem  Scepter  David's"  zu  sprechen.  Noch  1644 
in  der  Widmung  seiner  ersten  Schrift  über  die  Ehescheidung 
hatte  er  mit  dem  Geständnis  nicht  zurückgehalten,  dass 
„Gott  selbst  gegen  den  Tyrannen  nie  ausdrückliche  Erlaubnis 
des  W^iderstandes  gegeben  habe",  die  sich  jenem  mosaischen 
Gesetz  vergleichen  könne,  mit  dem  er  damals  die  Tyrannei 
des  „häuslichen  Elends"  zu  brechen  gedachte  (s,  o.  S.  180j.  Von 
solchen  Erwägungen  war  nach  dem,  was  die  letzten  Jahre 
gebracht  hatten,  nicht  mehr  die  Rede.  Wie  Milton  selbst 
für  seine  Person  Republikaner  geworden  war,  so  fand  er  das 
Ereignis,  welches  die  Einführung  der  Republik  ermöglichte, 
ganz  in  der  Ordnung.  Es  ist  die  kleine  Schrift  über  das 
„Recht  der  Könige  und  Obrigkeiten",  in  der  er  seine  An- 
sichten über  die  grosse  Tagesfrage  zu  entwickeln  begonnen 
hatte,  noch  ehe  ihr  die  blutige  Lösung  zu  Theil  geworden 
war(^).  Denn  das  geht  aus  einzelnen  Stellen  des  Pamphletes 
aufs  klarste  hervor,  dass  ]\Iilton  schon  vor  der  Verurtheilung 
des  Königs,  ja  w^ohl  schon  vor  Beginn  des  Processes  die  Feder 
angesetzt  hatte.  Dies  letzte  sollte  man  wenigstens  aus  den 
W^orten  schliessen,  mit  denen  er  diejenigen  tadelt,  welche 
Protest  einlegen  gegen  den  Vorschlag  anderer,  den  König  „vor 
Gericht  zu  stellen"  (S.  452  „protest  against  those  that  talk 
of  bringing  him  to  the  tryall  of  Justice,  w'hich  is 
the  sw^ord  of  God"  etc.).  In  jedem  Fall  beweisen  sie,  dass 
Karl  I.  noch  lebte,  als  Milton  sie  niederschrieb,  und  eine 
Reihe  anderer  unzweideutiger  Ausdrücke  macht  diese  An- 
nahme über  jeden  Zweifel  erhaben.  Andrerseits  ist  es  ge- 
wiss, dass  das  Pamphlet  erst  nach  der  Hinrichtung  des  Königs 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.     I.  2.  28 


434  Seine  Schrift  über  das  „Recht  der  Könige".  —  Polemische  Tendenz. 

die  Presse  veiiiess.  ]\Ian  würde  diesen  Schluss  aus  der  Ms.- 
Datiriing  eines  Exemplares  (13.  Februar)  noch  nicht  mit 
voller  Sicherheit  ziehen  dürfen,  wenn  diese  nicht  durch  Mil- 
ton's  eigene  Worte  gewährt  würde.  Er  kommt  in  der  Skizze, 
die  er  einige  Jahre  später  von  seinem  Leben  entwarf,  auf 
jenes  Werk  zu  sprechen.  Wenn  er  hier  sagt:  „Ueber  das 
monarchische  Recht  habe  ich  nicht  eher  irgend  etwas  ge- 
schrieben, als  bis  der  König,  vom  Parlament  für  einen  Feind 
erklärt  und  im  Felde  besiegt,  als  ein  Gefangener  vor  Gericht 
stand  und  zum  Tode  verurtheilt  wurde":  so  bleibt  der  ganze 
Termin  des  Beginnes  der  Niederschrift,  wie  des  Erscheinens 
im  Druck  noch  immer  unklar.  Vollkommen  deutlich  dagegen 
ist  der  Zusatz:  „Das  Buch  kam  erst  nach  dem  Tode  des  Kö- 
nigs heraus  und  war  mehr  in  der  Al)sicht  gesehrieben,  die 
Gemüther  der  Menschen  zu  beruhigen,  als  um  den  Richter- 
spruch über  Karl  herbeizuführen,  der  Sache  der  Obrigkeit 
und  damals  schon  vollzogen  wvar". 

Indessen  bei  allem  Bestreben,  „die  Gemüther  zu  be- 
ruhigen", hatte  die  Schrift,  wie  schon  ihr  Titel  andeutete, 
auch  eine  polemische  Tendenz.  Diese  wird  von  Milton  am 
bezeichneten  Orte  ebenfalls  zugegeben.  „Als  einige  presby- 
terianische  Geistliche,  die  früher  KarVs  erbittertste  Feinde 
gewesen  waren,  eifersüchtig  auf  das  Uebergewicht  der  Inde- 
pendenten  im  Parlamente,  gegen  den  Richterspruch  desselben 
wider  den  König  ein  Geschrei  erhoben  (nicht  sowohl  über 
die  That  selbst  ergrimmt,  als  darüber,  dass  sie  nicht  von 
ihrer  Faktion  herbeigeführt  worden  war),  als  sie  nach  besten 
Kräften  Lärm  schlugen  und  sogar  zu  l)ehaupten  ^Yagten,  dass 
die  protestantische  Lehre,  und  dass  alle  reformirten  Kirchen 
ein  so  gewaltsames  Urtheil  gegen  einen  König  verabscheuen, 
da  hielt  ich  es  für  meine  Pflicht,  einer  so  ottenkundigen  Un- 
wahrheit laut  zu  widersprechen"  u.  s.  ^\.  Man  wird  diese 
Worte  nicht  auf  die  Goldwage  legen  dürfen.  Dass  vom  Par- 
lamente sell)st  das  ürtheil  ül)er  den  König  gefällt  worden  sei, 
war  nicht  ganz  dein  wirklichen  Hergang  entsprechend.  Dass 
die  presbyterianischen  Geistlichen  nicht  ül)er  die  That,  son- 
dern darüber,   dass  sie  von   der  gegnerischen  Partei  ausge- 


Presbyterianische  Demonstrationen.  435 

gangen,  ergrimmt  gewesen  seien,  war  ein  nicht  eben  feiner  rhe- 
torischer Kunstgriff.  Und  so  wird  sich  Milton's  Polemik  wider 
eben  jene  Geistlichen  richten  sollen,  nicht  bloss  wegen  ihres 
Protestes  gegen  das  gefällte  Urtheil,  sondern  überhaupt  wegen 
ihres  Verhaltens  während  der  ganzen  letzten  kritischen  Zeit. 
In  der  That  hatten  es  die  presbyterianischen  Pastoren 
an  schriftlichen  und  mündlichen  Aeusserungen  des  höchsten 
Unwillens  über  den  Gang  der  Ereignisse  nicht  fehlen  lassen. 
Während  seitens  der  alten  prälatistischen  Geistlichkeit  nur 
zwei,  Dr.  Gauden  und  Dr.  Hammond,  Proteste  und  Adressen, 
in  denen  das  göttliche  Recht  des  Königthums  behauptet  wurde, 
an  Faii-fax  und  den  Kriegsrath  zu  senden  gewagt  hatten,  war 
der  presbyterianische  Klerus  mit  seinem  ganzen  Aufgebot  und 
mit  angstvollem  Eifer  für  Karl  I.  thätig  gewesen.  Die  noch 
anwesenden  Mitglieder  der  Westminster-Synode  sprachen  sich 
dringend  für  seine  Freilassung  aus.  Aus  dem  üblichen  Klub 
im  Sion's- College  gieng  ein  Aktenstück  hervor,  das,  von 
siebenundvierzig  Geistlichen  unterzeichnet,  in  Form  eines 
Briefes  an  Faiiiax  und  den  Kriegsrath,  dem  General  am  18. 
Januar  1649  überreicht  ward,  und  in  welchem  mit  Muth  und 
Würde  die  Gewaltakte  des  Heeres  verurtheilt  wurden.  Die 
Schreiber  beiaefen  sich  auf  „Liga  und  Covenant",  auf  das 
„Wort  Gottes"  und  „das  Urtheil  einheimischer  und  auswär- 
tiger protestantischer  Geistlichen,  welche  die  Praktiken  der 
Jesuiten  betreffend  den  Widerstand  gegen  die  gesetzmässige 
Obrigkeit  durch  Privatpersonen  und  den  Königsmord ,  von 
wem  und  unter  welchem  noch  so  blendenden  Vorwand  er  ge- 
schehe, verwerfen,  verabscheuen  und  perhorresciren".  Nicht 
minder  hatte  sich  eine  ,,Vertheidigung  der  londoner  Geist- 
lichkeit" gegen  den  Vorwurf,  als  hätten  die  Presbyterianer 
durch  ihr  früheres  Vorgehen  den  Process  des  Königs  herbei- 
geführt, unter  Berufung  auf  den  Covenant,  an's  Volk  ge- 
wandt. Es  hatte  an  ähnlichen  Demonstrationen  auch  ausser- 
halb Londons  nicht  gefehlt.  Aus  dem  Laienstande  war 
William  Prynne  wieder  in  den  vordersten  presbyterianischen 
Reihen  erschienen  mit  einem  noch  in  der  Haft  verfassten  „kurzen 
Memento   an  die  gegenwärtige,   unparlamentarische  Junta  in 

28* 


436  Presbyterianische  Demonstrationen. 

Betreff  ihrer  Absichten  und  ihres  Verfahrens,  Karl  Stuart, 
ihren  gesetzmässigen  König  von  England,  abzusetzen  und 
hinzurichten".  (1.  Januar).  In  Sehottland  waren  die  letzten 
Vorgänge  mit  nicht  geringerer  Entrüstung  beobachtet  worden, 
und  die  schottischen  Kommissäre,  unterstützt  von  solchen  der 
schottischen  Kirche,  hatten  als  Bundesgenossen  der  presbyte- 
rianisehen  Brüder  in  England  gewirkt,  um  Karl  I. ,  ihren 
König  von  Schottland,  zu  retten (i).  Als  das  Urtheil  ge- 
sprochen worden,  und  es  galt,  noch  das  Schlimmste  abzuwen- 
den, hatte  sich  dieser  Eifer  verdoppelt.  Einige  Wochen  lang 
hatte  es  für  die  Kanzeln  nur  ein  einziges  Thema  gegeben, 
und  eine  grosse  Reihe  von  Flugschriften,  die  meistens  um 
dieselbe  Zeit  wie  diejenige  Milton's  erschienen,  beschäftigte 
sich  in  diesem  oder  in  jenem  Sinne  mit  der  aufregenden  Frage 
des  Tages.  Mehrere  der  alten  Bekannten  des  Dichters, 
der  Autoren  des  Smectymnuus,  scheinen  sich  besonders  leb- 
haft bei  jenen  presbyterianischen  Demonstrationen  betheiligt 
zu  haben.  Die  Namen  von  Marshall,  Calamy,  Spurstow 
tauchen  hie  und  da  in  den  Versammlungen  der  Geistlichkeit 
und  unter  den  Aktenstücken  auf,  welche  von  dieser  aus- 
giengen.  Gegen  Calamy  schleudert  ein  fanatischer  Gegner 
den  damals  am  wenigsten  passenden  Vorwurf ,  •  er  wisse  sich 
immer  seinem  Vortheil  nach  zu  drehen  und  verbreite  ., un- 
sinnige Doktrinen,  um  seine  Zuhörerschaft  irre  zu  machen"  (-). 
Dies  konnte  Milton  nicht  abhalten,  seinem  Urtheil  über 
das  Auftreten  der  Presbyterianer  und  des  presbyterianischen 
Klerus  insbesondere  die  grösste  Schärfe  im  Ausdruck  zu 
geben.  Auf  einzelne  der  von  dieser  Seite  erfolgten  Aeusse- 
rungen  nimmt  er  ersichtlich  Bezug.  Er  ermahnt  die  Schwan- 
kenden „sich  nicht  entmuthigen  zu  lassen  durch  neue,  ab- 
trünnige Popanze,  die  unter  dem  Schein,  Rath  zu  geben,  ihre 
belfernden  Monitorien  und  Mementos  aussenden,  in  denen 
nichts  steckt  als  der  Aerger  einer  getäuschten  Faktion".  Er 
warnt  davor,  sich  nicht  betrügen  zu  lassen,  durch  die  „Igno- 
ranz oder  die  notorische  Unwissenheit  und  Inkonsequenz  hin- 
und  herschwankender  Pastoren,  welche  die  Keckheit  haben, 
Stellen  der  Schrift  für  sich  vorzubringen,   aus  denen   sie  zu 


Milton  gegen  die  Presbyterianer.  437 

ihrem  Nutzen  je  nachdem  einen  doppelten  Sinn  herauslesen". 
Indem  er  am  Schluss  dem  Klerus  im  allgemeinen  einige  be- 
deutungsvolle, gute  Rathschläge  ertheilt,  wie  z.  B.  keine  po- 
litische Rolle  spielen,  nicht  „bei  jedem  Tumult  und  Aufruhr" 
der  Anstifter  sein  zu  wollen,  dafür  aber  „mehr  zu  studiren" 
und  der  Seelsorge  besser  zu  warten,  „Pfründenhäufung  und 
alle  Art  von  Simonie"  zu  verabscheuen  und  nicht  „wie  ge- 
frässige  Wölfe  sich  den  fettesten  Bissen  auszusuchen",  indem 
er  jedem  Satze  einen  ironischen  Beigeschmack  zu  geben 
weiss,  vergisst  er  weder  der  Westminster-Synode  noch  jenes 
Sion  -  College ,  dem  er  ohnehin  noch  auf  einen  persönlichen 
Angriff  die  Antwort  schuldig  war  (s.  Anm.  3  zu  S.  334).  „Sie 
mögen  es  sich  zu  Herzen  gehn  lassen,  dass  ihre  Synode,  die 
zu  einer  Reform  der  Kirche  berufen  war,  .  .  das  Parlament 
imi  eine  Neuordnung  ihrer  Zehnten  .  .  anbettelte,  und  wie 
sie  sich  mit  einträglichen,  geistlichen  Stellen,  zu  denen  ihre 
amtliche  Thätigkeit  in  keinem  Verhältnis  stehn  konnte, 
reichlich  ausstaffirten.  Mögen  sie  sich  immerhin  in  Konsisto- 
rien mit  ihren  Aeltesten  und  Diakonen  versammeln,  nach 
^Iter  kirchlicher  Regel  zur  Erhaltung  der  Kirchenzucht,  jeder 
in  seiner  Parochie,  aber  nicht  als  ein  Haufe  von  Klerikern 
in  ihrem  dünkelhaften  Sion  zum  leckeren  Mahl  oder  um 
Komplotte  zu  schmieden  und  die  einfältigen  Laien  zu  prellen 
luid  zu  betrügen,  wie  die  Prälaten  zum  Besten  ihres  Stolzes 
und  ihrer  Habsucht  es  zu  thun  pflegten".  Wie  sich  denken 
lässt,  wurden  auch  die  Schotten  bei  dieser  Gelegenheit  be- 
sonders bedacht.  Die  Geschichte  Schottlands  bot  Milton  ge- 
rade die  besten  Waffen.  Wenn  sie  die  Gmndsätze  ihrer 
eigenen  Vorväter  verläugnen,  wenn  sie  die  Engländer  der 
„Freiheit  für  weniger  würdig  halten  als  sich  selbst",  so  hört 
er  aus  ihnen  „nur  die  Stimme  der  Faktiou,  aber  nicht  die 
der  Wahrheit  und  der  Reformation"  sprechen.  Im  Covenant, 
auf  den  sie  sich  mit  ihren  englischen  Freunden  beriefen, 
findet  er  von  Anfang  an  in  Folge  „ihres  Misstrauens  in  eine 
gute  Sache"  und  der  „Unzuverlässigkeit  treuloser  englischer 
Geistlichen"  „unnöthige  Worte  ungebührlicher  Treue  gegen 
ihren  Feind  eingeschoben",   deren  zweideutige  Fassung  nur 


438  Milton  gegen  die  Presbyterianer. 

dazu  diente,  neuen  Vorwand  zum  Bürgerkrieg  zu  gewähren. 
Allerdings  fallen  auch  gegen  die  wenigen  Vertreter  des  Prä- 
latentliums,  die  sich  hatten  hören  lassen,  einige  Hiebe,  aber 
die  Hauptsache  bleibt  die  Bekämpfung  der  Presbyterianer. 

Es  ist  bemerkenswerth,  dass  Milton  auch  hier  die  persön- 
liche Fehde  nicht  vergisst,  in  der  zuerst  sein  Gegensatz  gegen 
diese  Partei  kund  geworden  war.  Wenn  er  gleich  in  der 
Einleitung  seiner  Schrift  die  Worte  fallen  lässt,  wer  die 
„häusliche  Sklaverei"  ertrage,  der  werde  dem  entsprechend 
auch  die  Tyrannei  der  Staatsgewalt  stützen,  so  wird  jeder 
Leser  an  den  Streit  über  die  Ehescheidungstheorie  erinnert 
werden.  Indessen  diese  Anspielung  bildet  nur  die  Ueber- 
leitung  zu  dem  vorliegenden  Thema.  Es  war  nun  freilich 
nicht  schwer,  die  Presbyterianer  des  Widerspruches  mit  ihrer 
eigenen  Vergangenheit  zu  überführen,  wennschon  die  Leiden- 
schaft des  Autors  manches  historische  Factum  übertreibt  oder 
schief  auffasst.  Das  was  sie  jetzt  mit  dem  Makel  der  „Illoya- 
lität und  schlimmerem"  behaften,  —  so  lautet  der  einfache 
Satz  Milton's,  —  ist  nur  die  „nothwendige  Folge  ihrer  eigenen 
früheren  Handlungen".  „Die  Geschichte  der  (letzten)  sieben 
Jahre,  die  noch  in  aller  Gedächtnis  lebt",  beweist  das.  „Sie 
haben  gegen  ihren  König  gekämpft  und  Waffen  getragen, 
ihm  seine  Würde  und  Weihe  abgesprochen,  ihn  von  ihren 
Kanzeln  und  in  ihren  Pamphleten  verflucht".  Sie  haben,  in- 
dem sie  den  Eid  der  Unterthanen  -  Treue  brachen,  „faktisch 
den  König  vollständig  abgesetzt . . ,  trotz  der  feinen  Klausel 
des  Covenant,  seine  Person,  Krone  und  Würde  zu  erhalten . . , 
sie  haben  ihn  für  vogelfrei  erklärt,  geächtet,  als  einen  Reljellen 
und  Staatsfeind  gel)randmarkt .  .  . ,  sie  haben  den  Befehl,  von 
den  Waffen  Gebrauch  zu  machen,  gegeben,  wenn  sie  auch 
wussten,  dass  sein  Leben  dadurch  gefährdet  war.  Und  hätte 
ihn  nicht  ein  glücklicher  Zufall  oder  die  Flucht  gerettet,  wie 
oft  hätten  sie  ihn  tödten  können,  da  ihre  Artillerie  .  .  gerade 
dahin  gerichtet  wurde,  wo  sie  ihn  stehen  sahen."  Der  König 
in  ihm  ist  also,  diese  Wendung  gebraucht  Milton,  schon  durch 
sie  getödtet  worden.  Gefangen ,  besiegt  und  auf  die  tiefste 
Stufe  der  Erniedrigung  gebracht,  war  er  nur  noch  ein  „Ver- 


Milton  gegen  die  Presbyterianer.  439 

brecher,  den  die  Hand  der  unparteiischen  Gerechtigkeit  nicht 
mehr  zu  schonen  hatte,  als  irgend  einen  anderen  gewöhnlichen 
Mensehen".  Der  Autor  erinnert  sich  freilich  wohl,  „durch 
wessen  unvergleichliche  Tapferkeit  nächst  Gott"  dies  Ergebnis 
herbeigeführt  worden  ist,  aber  er  will  diese  „Geschichte  der 
Undankbarkeit"  der  Presbyterianer  nicht  erzählen,  um  sich 
nicht  von  seinem  Thema  abziehn  zu  lassen.  Es  genügt  ihm, 
„bewiesen  zu  haben,  dass  sie  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes 
den  König  getödtet  haben".  Woher,  fragt  er,  kommt  nun 
der  plötzliche  Umschwung?  Eben  noch  wurde  jeder  ver- 
flucht, der  nicht  die  Waffen  gegen  diesen  „Ahab",  diesen 
„Tyrannen,  den  Feind*  Gottes  und  seiner  Heiligen",  ergrilT, 
und  plötzlich,  obwohl  er  sich  „unbekelirt,  verstockt"  und  ohne 
Reue  über  das  vergossene  Blut  „ihrer  kostbaren  Heiligen 
und  Märtyrer"  zeigt,  ist  er  „der  gesetzliche  Herr,  der 
souveräne  Gebieter,  der  unantastbare  Gesalbte  Gottes!" 

Man  wird  ebensowenig  in  der  gegebenen  Erklärung  dieses 
Widerspruclies ,  wie  in  der  vorhergehenden  Statuirung  des- 
selben die  unparteiische  Ruhe  des  Historikers  erwarten 
dürfen.  In  jNIilton  spricht  der  Vorkämpfer  der  independenti- 
schen  Partei,  und  dieser  hatte  nur  die  schwachen  Seiten  der 
Gegner  aufzudecken.  Sie  würden  die  vorliegenden  Folgen 
ihrer  eigenen  Handlungen ,  seiner  Meinung  nach ,  gar  nicht 
missbilligeu ,  ,,wenn  sie  nur  zum  ausschliesslichen  Vortheil 
ihrer  Faktion  gereichten".  „Als  die  Hoffnung,  in  den  Klassen- 
und  Provinzial-Yersammlungen  Herren  zu  werden,  sie  leitete, 
als  sie  im  Fett  der  Pfründenmasse  schwelgten,  zu  einer  grös- 
seren Schande  der  Religion,  denn  alle  die  Sekten  und 
Ketzereien,  gegen  die  sie  predigen,  da  war  es  gut,  gesetzlich 
und  mit  den  höheren  Mächten  verträglich,  gegen  die  Person 
des  Königs  und  einen  Theil  seiner  Lords  und  Gemeinen  zu 
kämpfen  oder  auf  beide  Häuser  einen  gewaltsamen  Druck 
auszuüben  .  .  .  Aber  nun,  da  man  ihre  censorische  Herr- 
schaft nicht  mehr  allein  gelten  lassen  will,  da  Wahrheit  und 
Gewissen  befreit  werden,  Zehnten  und  Pfründenhäufung  nicht 
länger  geduldet  werden  sollen  .  .  .,  wenn  nun  angeklagte  Mit- 
glieder ausgeschlossen  und  festgenommen,  wenn  Delinquenten 


440  Versöhnliche  Absicht. 

ohne  Ausnahme  nach  dem  gemeinen  Landesgesetz  gegen 
Mord  vor  Gericht  gestellt  werden,  so  gilt  das  mit  einem  Male 
nichts  geringerem  gleich,  als  Korah,  Dathan  und  Al)iram". 
Nicht  minder  deutlich  ist  eine  spätere  Stelle,  in  der  er  den 
Gegnern  vorwirft,  dass  sie  nicht  eher  daran  gedacht  hätten, 
mit  dem  König  zu  unterhandeln,  „als  bis  ihr  Hass  gegen  das 
Heer,  das  sie  befreit  hatte,  . .  sie  heimlich  mit  solchen  ver- 
band, die  sie  selbst  so  oft  als  Verworfene  verdammt  hatten." 
Es  braucht  nicht  gesagt  zu  werden,  wie  in  den  angeführten 
Sätzen  die  grössten  Rechtsfragen  mit  bedenklicher  Leichtig- 
keit als  reine  Machtfragen  behandelt  worden  sind.  Die  Be- 
deutung der  Worte  Milton's  liegt  darin,  dass  er  scharf  und 
richtig  hervorhebt,  wie  die  Frage  der  Toleranz,  welche  das 
independentische  Heer  vertrat,  gleichsam  den  Einschlag  in 
dem  geschichtlichen  Gewebe  der  letzten  Jahre  gebildet  hatte. 
Sie  hatte  vor  allem  den  Kampf  zwischen  Independenten  und 
Presbyterianern,  zwischen  Heer  und  Parlament  hervorgerufen, 
auf  indirekte  Weise  den  zweiten  Bürgerkrieg  und  damit  das 
Schicksal  des  Königs  herbeigeführt. 

So  heftig  die  Gegner  von  Milton  angegriffen  wurden,  so 
bemüht  er  sich  doch  zu  gleicher  Zeit,  einer  Versöhnung  der 
Parteien  das  Wort  zu  reden.  Er  betont,  dass  „viele  Mit- 
glieder der  presbyterianischen  Partei  gute  und  treue  Christen" 
seien,  aber  veiführt  durch  „einige  von  hitzigem  Temperament", 
durch  die  Prediger,  die  er  möglichst  von  den  Laien  zu  trennen 
sucht.  Er  ermahnt  diese,  ,,ihre  ersten  Grundsätze  nicht  auf- 
zugeben, sich  keine  Gewalt  und  Herrschaft  über  Gleich- 
berechtigte anzumassen,  keinen  Zwang  auszuüben  auf  Ge- 
bieten, die  ihn  nicht  vertragen,  vor  allem  auf  dem  der  Reli- 
gion, welche  zur  Sünde  wird,  wenn  sie  nicht  freiwillig  ist". 
In  den  Independenten  zeigt  er  ihnen  ihre  „besten  Freunde 
und  Genossen,  .  .  die  in  nichts  ihre  Freiheiten  zu  beschränken 
gedenken,  woferne  nicht  sie  es  Freiheit  nennen,  die  Gewissen 
anderer  zu  l)inden".  Im  König  andrerseits  weist  er  ihnen 
den  „alten,  schlauen  Feind"  nach,  der  sie  bloss  als  Mittel  zu 
benutzen  gedachte,  ohne  „nur  eine  Minute  mit  den  Drohungen 
seiner  Rache  zurückzuhalten".    Es  liegt   etwas  Staatsmänni- 


Politische  Theorie.  441 

sches  darin,  wie  er  mitten  in  seinen  Invektiven  innehält,  um 
daran  zu  erinnern,  dass  sie  alle  ein  Volk  bilden,  und  insofern 
konnte  er  später  behaupten,  sein  Pamphlet  sei  geschrieben 
worden,  um  ,,die  Gemüther  der  Menschen  zu  beruhigen". 

Diese  Auseinandersetzung  mit  den  Presbyterianern  bildet 
indessen  gleichsam  nur  die  Schale  für  den  Kern  der  milton- 
schen  Schrift.  Schon  ihr  Titel  deutete  an,  dass  es  dem  Autor 
auf  mehr  ankam,  als  auf  Polemik,  dass  er  die  grosse  Tages- 
frage grundsätzlich  zu  behandeln  gedachte.  Bereits  mehrfach 
in  seinen  früheren  Pamphleten  hatte  er  das  engere  staats- 
rechtlichß  Gebiet  gestreift.  Hier  setzte  er  sich  nun  zu  seiner 
eigentlichen  Aufgabe,  dtn  Beweis  zu  führen,  „dass  es  für  ir- 
gend jemanden,  der  (lie  Macht  dazu  hat,  gesetzlich  ist  und 
zu  allen  Zeiten  dafür  gegolten  hat,  einen  Tyrannen  oder 
schlechten  König  zur  Rechenschaft  zu  ziehn,  und  wenn  er 
seiner  Schuld  überführt  worden  ist,  ihn  alizusetzen  und  mit 
dem  Tode  zu  strafen,  sobald  die  ordentlichen  Behörden  dies 
versäumt  oder  verweigert  haben".  —  Es  würde  verlockend 
sein,  schon  hier  dem  Zusammenhang  oder  dem  Gegensatz  der 
Ideen  Milton's  mit  denen  anderer  hervorragender  Schriftsteller 
der  Zeit  nachzugehn,  ihnen  ihre  Stellung  in  der  Geschichte 
der  politischen  Theorieen  anzuweisen,  sie  auf  ihre  Ursprünge, 
wie  auf  ihre  Wirkungen ,  auf  ihre  Schwächen ,  wie  auf  ihre 
Stärke  hin  zu  verfolgen.  Eine  solche  Untersuchung  bleibt 
indessen  besser  verspart  für  die  Schilderung  des  epoche- 
machenden literarischen  Kampfes  zwischen  Milton  und  Salma- 
sius,  in  welchem  die  Principien  der  Volks  -  Souveränität  und 
der  Legitimität,  aufs  schärfste  zugiespitzt,  sich  entgegentraten. 
Begnügen  wir  uns  an  dieser  Stelle  nur,  die  wesentlichsten 
Marksteine  des  Milton'schen  Gedankenganges  in's  Auge  zu 
fassen. 

Wie  Milton  sieh  möglichst  auf  dem  Gebiet  der  reinen 
Theorie  zu  halten  sucht,  so  lehnt  er  als  ,, unmöglich  in  einer 
allgemein  gehaltenen  Abhandlung"  von  sich  ab,  die  „beson- 
dere Tyrannei"  Karl's  I.  nachzuweisen.  Hier  müssen  „An- 
klageakte und  Beweisverfahren"  die  nöthigen  Merkmale  jenes 
Verbrechensbegriifes    liefern,     und    diese    Aufgabe    soll    den 


442  Politische  Theorie. 

„obrigkeitlichen  Gewalten  oder  wenigstens  den  rechtsehaflfeneren 
Gliedern  derselben  und  des  Volkes,  wenn  es  auch  die  Mino- 
rität ist,  überlassen  bleiben".  Nur  eine  flüchtige  Erinnerung 
an  einige  wirkliche  oder  vermeintliche  Regierungshandlungen 
des  Königs  soll  dem  Leser  das  Bild  einer  Persönlichkeit  vor 
Augen  führen,  auf  die  ohne  nähere  Begründung  jener  Aus- 
druck zu  passen  scheine (^^).  Ohne  weiteren  Aufenthalt  geht 
Milton  dazu  über,  die  Entstehung  der  obrigkeitlichen  und 
königlichen  Gewalt  insbesondere,  auf  seine  Art  zu  erklären, 
um  sie  jenes  geheimnisvollen  Zaubers  zu  entkleiden,  der 
ihrem  Träger  unter  allen  Umständen  als  Schild  dienen  sollte. 
Er  abstrahirt  zunächst  von  allem  Geschichtlichen,  indem  er 
von  dem  allgemeinen  Satze  ausgeht,  dass  „alle  Menschen  von 
Natur  frei  geboren  sind",  nach  der  Bibel  „im  Vorrang  vor 
anderen  Geschöpfen  zum  Herrschen,  nicht  zum  Gehorchen  er- 
schaffen". Erst  als  der  Sündenfall  in  seinen  Folgen  Unrecht 
und  Gewalt  nach  sich  zog,  in  dem  Kriege  aller  gegen  alle, 
kam  es  zum  „Abschluss  von  Bündnissen",  zum  Zwecke  gegen- 
seitigen Schutzes.  Der  Ursprung  von  Städten  und  Staaten 
wird  von  freien  Verträgen  der  Art  abgeleitet,  und  ein  neuer 
Akt  der  Freiwilligkeit,  hervorgerufen  durch  das  Bedürfnis  der 
Gesellschaft,  führte  zur  „Einrichtung  einer  Autorität",  zur 
„Wahl"  eines  oder  mehrerer  der  Weisesten  und  Klügsten, 
eines  „Königs"  oder  von  „Beamten".  Auf  diese  als  „Bevoll- 
mächtigte und  Beauftragte"  wurde  übertragen,  was  „von  Haus 
aus  jeder  einzelne  und  alle  zusanmien  besessen  hatten":  die 
Autorität,  Recht  und  Frieden  zu  wahren.  „Wer  ernstlich  er- 
wägt, warum  unter  freien  Menschen  einer  von  rechtswegen 
Macht  und  Jurisdiktion  über  die  anderen  hat,  wird  keinen 
anderen  Grund  oder  Zweck  herausfinden". 

Eine  Zeit  lang,  fährt  Milton  fort,  verwalteten  Magistrate  ihr 
Amt  wohl,  bis  sie  sich  durch  die  in  ihre  Hand  gelegte  Maclit- 
fülle  zum  Unrecht  verleiten  Hessen.  Er  lässt  in  Folge  dessen  Ge- 
setze „erfunden"  werden,  sei  es  von  der  Gesammtheit  oder  unter 
ihrer  Zustimmung,  um  die  ])isher  absolute  ol)rigkeitliche  Gewalt 
„zu  beschränken".  „Wie  die  Obrigkeit  über  das  Volk  ge- 
stellt war  —  fügt  die  zweite  Ausgabe  der  Milton'schen  Schrift 


Historische  Beweise.  443 

hinzu  — ,  so  das  Gesetz  über  die  Obrigkeit".  Er  findet,  als 
auch  dies  noch  ungenügend  erschien,  im  weiteren  die  „Auf- 
stellung von  Bedingungen,  die  Abnahme  von  Eiden"  bei  der 
„ersten  Einsetzung  von  Königen  und  Magistraten'",  mitunter 
zugleich  den  ausdrücklichen  Vorbehalt,  dass  „das  Volk  seiner 
Pflicht  des  Gehorsams  ledig  wäre,  wenn  jene  ihren  Eid  nicht 
hielten".  „Räthe  uud  Parlamente"  scheinen  ihm  aus  eben 
diesem  Grunde  der  obrigkeitlichen  Gewalt  „hinzugefügt", 
nach  dem  Ausdruck  des  Claude  de  Seissel  „als  ein  Zaum  für 
die  Könige"  (^).  Ihre  Macht  „ist  ihnen  also  vom  Volke  zum 
allgemeinen  Besten  anvertraut  worden,  bei  der  Gesammtheit 
aber  bleibt  die  Quelle 'der  Macht  unwiderruflich,  wenn  man 
nicht  das  natürliche  Geburtsreeht  aller  läugnen  will". 

Mit  dem  historischen  Beweise  für  die  Konstruktion  seiner 
staatsrechtlichen  Theorie  macht  Milton  es  sich  sehr  leicht.  Er 
behauptet  nur,  dass  die  „heidnische  und  christliche  Geschichte" 
Belege  in  Masse  für  seine  Ansicht  liefert,  will  aber  „lange  Citate 
sparen"  und  sich  lediglich  auf  die  ,, deutsche,  französische, 
italienische,  arragonische  und  nicht  am  wenigsten  die  schot- 
tische Geschichte"  berufen.  Auch  ist  er  naiv  genug,  mit  Ho- 
linshed,  den  er  noch  dazu  missversteht,  zu  behaupten,  dass 
Wilhelm  der  Eroberer  nach  seiner  Krönung  ,,in  St.  Alban's" 
einen  zweiten  Eid  habe  leisten  müssen,  „ehe  das  Volk  ihm 
gehorchen  wollte" (2).  Dagegen  werden  die  einzelnen  Fol- 
gerungen, die  sich  aus  dem  aufgestellten  Hauptsatz  ziehen 
Hessen ,  sorgfältig  angegeben.  Der  König  ist  nicht  Herr  des 
Volkes,  —  nur  Anmassung  und  Schmeichelei  kann  an  solchem 
Titel  Gefallen  finden,  —  der  König  kann  seine  Würde  nicht 
kraft  Erbrecht  behaupten,  —  die  Unterthanen  würden  damit 
zu  „Sklaven,  zu  einer  Heerde  Vieh",  es  wäre  ein  Verrath  an 
der  Würde  der  Menschheit",  —  der  König  ist  „nicht  Gott 
allein  verantwortlich",  —  alle  Eide  werden  damit  „zum  Spott", 
alle  Gesetze,  die  er  zu  halten  schwört,  hinfällig ,  —  das  Volk, 
„so  oft  es  ihm  gut  dünkt"  kraft  „der  Freiheit  und.  des  Rech- 
tes, das  freigeborene  Männer  haben,  sich  so  regieren  zu  lassen, 
wie  es  ihnen  am  besten  gefällt",  darf  den  König  „wählen  oder 


444  Beweise  aus  der  Bibel. 

verwerfen,  behalten  oder  absetzen,  selbst  wenn  er  kein  Ty- 
rann ist". 

Neben  Aristoteles,  Euripides,  Livius  u.  s.  w.  wird  nun 
doch  in  erster  Linie,  der  Richtung  des  Zeitalters  gemäss,  die 
Bibel  geplündert,  um  diese  Sätze  zu  bekräftigen.  Und  wie- 
derum wendet  Milton  jene  Taschenspieler -Kunststücke  der 
Interpretation  an,  durch  die  es  nicht  schwer  wurde,  un- 
günstigen Aussprüchen  der  Schrift  einen  beschränkenden  Sinn 
zu  geben  und  sie  mit  anderen  verwerthbaren  in  Einklang  zu 
bringen.  Wenn  er  im  fünften  Buch  Mosis  17,  14  die  Worte 
findet:  „Ich  will  einen  König  über  mich  setzen",  so  sprechen 
diese  ihm  selbstverständlich  für  das  Wahlrecht  des  Volkes, 
wenn  aber  „David  im  51.  Psalm  zu  Gott  ruft":  ,,„An  dir 
allein  hab'  ich  gesündiget"",  so  können  „was  immer  seine 
Meinung  war,  die  pathetischen  Worte  eines  Psalmes  keine 
sichere  Entscheidung  einer  Frage  in  sich  schliessen,  für  deren 
Lösung  es  andere,  untrügliche  Regeln  in  Masse  giebt". 
Wenn  Petrus  1.  Ep.  2.  13,  16  die  Obrigkeit  eine  ,, mensch- 
liche Ordnung"  nennt  und  gebietet  ihr  unterthan  zu  sein  „als 
die  Freien",  so  liess  sich  das  ohne  weiteres  gegen  die  Ver- 
fechter des  göttlichen  Rechtes  der  Monarchie  verwenden, 
wenn  aber  Paulus,  Römerbrief  13,  1,  verkündet:  „Es  ist  keine 
Obrigkeit  ohne  von  Gott'',  so  heisst  das,  ähnlich  wie  Bellarmin 
es  einst  verstanden  hatte,  so  viel,  dass  Gott  den  Menschen 
diese  Auskunft  in's  Herz  gelegt  hat  zum  Zwecke  der  Friedens- 
bewahrung und  es  bezieht  sich  nur  auf  „gesetzliche  und  ge- 
rechte Obrigkeit".  Selbstverständlich  findet  sich  die  Anmer- 
kung, dass  „die  Juden  gegen  den  Rath  Gottes  sich  einen  König  ge- 
wählt hal)en",  und  „weise  Autoren"  haben  nach  Milton's  Worten 
betont,  „dass  sie  sich  seitdem  stark  der  Sklaverei  zuneigten". 

Nach  dieser  Erörterung  des  vermeintlichen  Ursprungs  und 
von  Haus  aus  beschränkten  Rechtes  obrigkeitlicher  Autorität 
und  insl)esondere  der  Könige  folgt  eine  kurze  Definition  des 
allgemeinen  „Tyrannen-Begrifts".  „Tyrann  ist  der,  welcher  .  . 
ülnic  Rücksicht  auf  Gesetz  und  Gemeinwohl  für  seine  Zwecke 
und  die  seiner  Faktion  seine  Regierungsgewalt  ausbeutet". 
„Wie  ein  gerechter  König  ein  allgemeiner  Landesvater,  so  ist 


Begriff  des  „Tyrannen".  445 

der  Tyrann  ein  allgemeiner  Feind".  Gegen  einen  solchen 
darf  man  verfahren  wie  gegen  „eine  Pest  und  einen  Zerstörer 
der  Menschheit".  Er  gilt  gleich  dem  „Landesfeind",  ja  die 
Gemeinschaftlichkeit  der  Nationalität  lässt  sein  Verbrechen 
noch  schwerer  erscheinen.  Der  Kosmopolit  erklärt,  dass  nicht 
die  räumliche  Trennung  Feindschaft  erzeugen  könne,  aber  dass 
Feindschaft  trennen  müsse.  „Wer  Friede  mit  mir  hält,  sei 
es  in  der  Nähe  oder  in  der  Ferne,  gilt  mir  in  allem,  was 
menschliche  Bildung  betrifft,  als  Engländer  und  Nachbar;  aber 
ein  Engländer,  der  alle  menschlichen,  bürgerlichen  und  reli- 
giösen Satzungen  vergisst,  .  .  .  obwohl  im  selben  Mutterschoss 
geboren,  ist  nicht  besser  denn  ein  Türke,  Saracene  und  Heide"* 
Sein  Kosmopolitismus  ist,  wie  man  sieht,  noch  immer  durch 
die  Religion  beschränkt.  Historische  Belege  reihen  sich  an, 
um  zu  zeigen,  dass  es  mitunter  für  ,, rühmlich  und  heroisch 
gegolten"  habe,  selbst  „ohne  Process  einen  schändlichen 
Tyrannen  zu  tödten".  Es  wäie  voreilig  annehmen  zu  wollen, 
dass  Milton  den  Tyrannenmord  damit  habe  billigen  und 
empfehlen  wollen.  Aber  das  Verfahren,  das  man  in  England 
einschlug,  erschien  um  so  eher  gerechtfertigt,  wenn  man  jene 
äusserste  Doktrin  durch  starke  Autoritäten  verfochten  sah. 
Andere  Beispiele  beziehen  sich  auf  die  Billigung  der  bewaff- 
neten Erhebung  gegen  „Tyrannen"  und  des  richterlichen  Ver- 
fahrens gegen  sie.  Die  biblische  Geschichte,  wie  die  der 
Griechen  und  Römer,  die  Vergangenheit  des  eigenen  und  der 
fremden  Völker  wird  herangezogen,  und  es  giebt  wenig  Milton- 
sche  Schriften,  für  die  sich  die  Sammlung  des  Materials  so 
deutlich  aus  dem  Kollektaneenbuch  des  Dichters  verfolgen 
Hesse,  wie  diese (i).  Wie  sich  denken  lässt,  spielt  England 
bei  diesem  Ueberblick  die  Hauptrolle.  Bis  auf  Gildas,  den 
er  „den  ältesten  aller  unserer  Historiker"  nennt,  geht  Milton 
zurück,  um  aus  ihm  zu  beweisen,  dass  zwei  „britische  Könige", 
wie  sie  aus  Volkswahl  hervorgegangen,  später  abgesetzt  und 
mit  dem  Tode  gestraft  w^orden  seien.  An  das  Schicksal 
Richards  H.  wird  erinnert,  passende  Aussprüche  aus  Matthäus 
Paris,  „dem  besten  unserer  Historiker",  aus  Thomas  Smith 
„De  republica  Anglorum"  u.  a.  werden  angeführt. 


446  Staatsrechtliche  Kühnheiten. 

Was  Sadler  in  demselben  Jahre  1649  in  seinen  „Rechten 
des  Reiches"  näher  auszuführen  versuchte (^),  fasst  Milton  in  die 
Worte  zusammen:  „Ein  eifriges  Studium  unserer  alten  Gesetz- 
bücher lehrt,  dass  den  Pairs  und  Baronen  das  Recht  zustand, 
über  den  König  zu  richten".  Er  versteigt  sich  im  Anschluss 
an  diesen  Satz  sogar  zu  der  kühnen  Behauptung,  dass  der 
Name  Pairs,  „seine  (des  Königs)  Gleiche",  daher  stamme! 
Und  kaum  weniger  kühn  ist  der  weitere  Satz,  der  mit  er- 
sichtlichem Bezug  auf  die  Weigerung  der  Lords,  der  Anklage- 
Akte  der  Gemeinen  zuzustimmen,  niedergeschrieben  worden 
ist:  „Da  Herzöge,  Grafen,  Marquis,  wie  ich  in  unserer  eigenen 
Geschichte  und  derjenigen  anderer  Völker  finde,  ursprünglich 
nicht  erbliche,  leere  Titel  waren,  sondern  Namen  für  Aemter 
des  öffentlichen  Vertrauens,  die  mit  dem  Amte  selbst  auf- 
hörten, so  bin  ich  der  Meinung,  dass  jeder  ehrenhafte  Mann 
im  Parlament,  (denn  das  Wort  Baron  bedeutet  nichts  mehr) 
zum  Wohle  des  Staates  für  einen  würdigen  Pair  und  Richter 
des  Königs  gelten  kann"  (-),  —  Hier  finden  sich  denn  auch 
jene  Verweisungen  auf  die  Geschichte  Schottlands,  bekannte 
Sentenzen  John  Knox'  u.  a.  vorzüglich  nach  Buchanan.  Der 
Krieg  der  schmalkaldischen  Bundesgenossen,  dem  Autor  aus 
Sleidan  bekannt,  muss  wohl  oder  übel  gleichfalls  seiner  Kette 
historischer  Beweise  sich  einfügen.  Aus  de  Thou  schöpft  er 
seine  Kenntnis  der  Geschichte  des  Abfalls  der  Niederlande, 
und  an  diese  erinnert  er  um  so  lieber,  da  die  Generalstaaten 
noch  in  letzter  Stunde  durch  eine  ausserordentliche  Gesandt- 
schaft zu  Gunsten  des  Königs  zu  wirken  versucht  hatten  (^). 
Milton  mahnt  sie  daran,  dass  seit  sie  selbst  ihren  König  abge- 
setzt, „kein  Staat  der  Welt  so  sehr  gedeihe",  aber  er  be- 
schwört sie  „ihre  Nachbarn,  die  denselben  Pfad  betreten,  des- 
halb nicht  scheel  anzusehn". 

Dieser  Theil  der  Milton'schen  Sclirift  ist  in  der  zweiten 
Auflage  l)edeutend  erweitert  worden.  Eine  Kraftstelle  wie 
die:  „Es  ist  nicht  der  Ruhm  eines  protestantischen  Staates, 
noch  nie  einen  König  zum  Tode  verurtheilt,  wohl  aber  der 
Ruhm  eines  protestantischen  Königs,  noch  nie  den  Tod  ver- 
dient zu  haben",    hat  erst  damals  Aufnahme  gefunden.    Die 


Protestantische  Zeugnisse.  —  Religiöser  Grundton.  447 

Belege  aus  der  schottischen  Geschichte  sind  erweitert  worden. 
Vor  allem  die  letzten  Seiten  mit  den  gehäuften  „Zeugnissen 
wahrer  Lehrer  des  Protestantismus",  Luther's  und  Zwingli's, 
Calvin's  und  Butzer's,  Knox'  und  Cartwright's,  Fenner's  und 
Goodman'  u.  s.  w.  sind  ganz  neu  hinzugekommen.  Auch 
eine  Anspielung  auf  das  Werk  „Schrift  und  Vernunft",  an 
dem  der  presbyterianische  Gegner  H.  Palmer  mitgearbeitet 
hatte,  (s.  0.  S.  330)  wurde  hier  angebracht,  um  als  Beweis- 
stück dafür  zu  gelten,  dass  die  Vordersätze  der  presby- 
terianisclien  Partei  eben  zu  der  Folgerung  führen  müssten, 
gegen  deren  Anerkennung  sie  sich  sträubten,  und  um  wiederum 
zu  einer  höhnischen  Betrachtung  der  Denkweise  und  des 
Charakters  der  Geistlichkeit  jener  Partei  überzuleiten.  — 

Mit  welchen  Gefühlen  immer  die  Milton'sche  Schrift  ge- 
lesen werden  mag,  der  religiöse  Grundton,  der  sie  durchdringt, 
wird  nicht  verkannt  werden.  Man  meint  mitunter  die  Stimme 
alttestamentarischer  Strenge  und  Leidenschaft  zu  vernehmen. 
Wer  den  „Uebelthäter"  trifft,  ist  nur  das  Werkzeug  des 
„Zornes  Gottes".  Es  ist  recht  eigentlich  ein  frommes  Werk, 
„eine  unvergleichliche  Handlung,  auf  welche  die  Nachkommen, 
wenn  sie  nicht  ganz  entartet  sind,  mit  Stolz  zurückblicken 
werden",  ein  Muster  für  andere  Völker,  eine  Warnung  für 
künftige  Tyrannen,  um  was,  nach  Milton's  Ansicht,  es  sich 
handelte.  Er  bezweifelt  nicht,  dass  „ein  freies,  reformirtes 
Gemeinwesen",  aus  der  blutigen  That  hervorgehen  werde. 
„W'ie  Gott  in  alter  Zeit  den  Juden  zürnte,  die  ihn  und  seine 
Leitung  verwarfen,  um  einen  König  zu  wählen,  so  wird  er 
uns  segnen  und  beglücken,  die  wir  einen  König  verwerfen, 
um  ihn  allein  zu  unserem  Führer  zu  machen".  Die  republi- 
kanische Idee,  auf  dem  Grunde  religiöser  Ueberzeugung 
ruhend,  der  alten  parlamentarischen  Ordnung  nicht  minder 
entgegengesetzt,  wie  dem  alten  Königthum,  mit  eben  dem 
Enthusiasmus  ergriffen,  der  das  siegi-eiche  Heer  durchglühte, 
findet  in  Milton's  vor  nichts  zurückschreckenden  Worten 
ihren  Ausdruck.  Auch  hier  erscheint  er  als  Herold  des  Inde- 
pendentismus,  nur  dass  sich  in  ihm  mit  den  biblischen  Remi- 
niscencen  die   ideellen  Einwirkungen  verbinden,    die  aus  der 


448  Abschluss  einer  Epoche. 

Werthschätzung  des  klassischen  Alterthums  und  einer  um- 
fassenden humanistischen  Biklung  hervorgehen.  — 

Das  Pamphlet  über  das  Recht  der  Könige  und  Obrig- 
keiten bildet  den  Abschluss  einer  hochbedeutenden  schrift- 
stellerischen Epoche  Milton's  und  leitet  zugleich  zu  einer 
anderen  nicht  minder  wichtigen  über.  Beinahe  acht  Jahre 
waren  verflossen,  seit  seine  Feder  zuerst,  der  Ausführung 
jener  grossen  poetischen  Vorsätze  entzogen,  sich  dem  Gebiet 
der  öffentlichen  Angelegenheiten  zugewandt  hatte.  Er  hatte 
in  dieser  Zeit,  seinem  eigenen  Ausdruck  nach,  die  „drei  Arten 
von  Freiheiten,  ohne  die  ein  erträgliches  Leben  nicht  möglich 
ist,  die  religiöse,  die  häusliche,  die  politische"  nach  bestem 
Wissen  und  Können  zu  vertheidigen  gesucht,  durchdrungen 
von  dem  Glauben,  dass  die  Freiheit  nicht  aus  „äusseren 
kriegerischen  Erfolgen",  sondern  aus  einer  „sittlichen  Lebens- 
ordnung" hervorgehe.  Als  ein  Tagesschriftsteller  im  grössten 
Stil  hatte  er  sich  eine  vollkommene  Unabhängigkeit  zu  er- 
halten gewusst  und  konnte  jedem  niedrigen  Verdacht  gegen- 
über die  Sache,  die  er  vertrat,  durch  den  Werth  der  eigenen 
Persönlichkeit  erhöhen.  „In  häuslicher  Abgeschiedenheit,  ohne 
Entgelt"  hatte  er  „der  Kirche  und  dem  Staate  seine  Dienste 
geleistet".  „Mir  genügte",  erzählt  er  mit  gerechtem  Stolz, 
der  Friede  meines  Gewissens,  die  Achtung  aller  Guten  und 
der  Gebrauch  des  freien  Wortes  selbst.  Andere  kamen  ohne 
Mühe  in  den  Besitz  von  Einkünften  und  Ehrenstellen;  ich 
habe  nie  um  etwas  gebeten,  noch  durch  meine  Freunde  um 
etwas  bitten  lassen,  niemand  hat  mich  in  flehender  Stellung 
an  den  Thüren  des  Senats  oder  in  den  Vorzimmern  der 
Committees  gesehen.  Ich  lebte  fast  durchaus  zurückgezogen 
zu  Hause  von  meinem  eigenen  Vermögen,  das  mir  freilich 
grossen  Theils  während  der  bürgerlichen  Unruhen  oft  vor- 
enthalten blieb  (^),  ertrug  die  Last  drückender  Steuer  und 
Hess  mir  eine  massige  Existenz  genügen". 

Milton  hatte  nicht  die  Absicht,  diese  Art  des  Daseins 
mit  einer  anderen  zu  vertauschen.  Grosse  wissenschaftliche 
Pläne  beschäftigten  seinen  Geist:  die  Herstellung  eines 
lateinischen   Wörterbuchs,   die  Abfassung  eines  Systems   der 


Abschluss  einer  Epoche.  449 

christlichen  Theologie,  endlich  die  Fortführung-  und  Beendigung 
einer  Geschichte  des  englischen  Volkes  von  den  Anfängen 
bis  auf  seine  eigene  Zeit,  ein  Werk,  von  dem  schon  „vier 
Bücher  vollendet  waren". (i)  Er  hoffte,  nachdem  er  mit  der 
letzten  politischen  Schrift  sein  Gewissen  erleichtert  hatte, 
„genügende  Müsse"  zur  Lösung  dieser  umfassenden  Aufgaben 
zu  finden.  Da  kam  ihm  ..ganz  unvermuthet"  eine  Aufforderung 
zu,  die  seinem  Wirken  eine  andere  Richtung  gab.  Der  Staats- 
rath  des  neuen  Gemeinwesens,  das  man  im  Begriff  war,  auf 
blutigem  Grunde  zu  errichten,  trug  ihm  das  Amt  eines 
Sekretärs  der  „fremden  Sprachen"  an.  Indem  er,  ohne  sich 
lange  zu  bedenken,  einschlug,  trat  er  auf  die  grosse  Bühne 
des  öffentlichen  Lebens,  und  die  Stimme,  die  bis  dahin  nur 
in  der  Heimat  gehört  worden  war,  fand  bald  einen  lauten 
Widerhall  in  Europa. 


Stern,   Milton  u.   s.   Zeit.      I.   2.  29 


I 


Anmerkungen  und  Anhänge. 


29' 


Anmerkungen. 


Erstes  Kapitel. 

Seite 

6  ')  C.  S.  P.  Dom.  Ser.  Charles  I.  Vol.  XIII.  217.    ■^)  C.  S.  P.  XIII.  632. 

7  ^)  C.  S.  P.  Xin.  361,  377,  448  etc.,  XIV.  99,  113,  224,  405  etc. 

8  *)  Reich  an  pikanten  Bemerkungen  sind  die  Briefe  E.  Norgate's,  C.  S. 

P.  XIV.  248,  269. 

9  ^Th.  Windebank  an  R.  Reed,   Berwick,  22.  Juni   1639,    C.   S.  P. 

XIV.  341. 

10  ^)  Eine  aus  dieser  Zeit  stammende  Korrespondenz  zwischen  den  Co- 

venanters,  den  Predigern  und  Professoren  der  ref.  Schweizer-Kantone 
und  Laud,   die  sich  im  Züricher  Staats-Archiv  befindet,  soll 
an  anderer  Stelle  bekannt  gemacht  werden. 
•^)  Hall  an  Laud  28.  Sept.  1639,  C.  S.  P.  XIV.  526. 

11  ')  Diese  von  Ranke  vorzüglich  aufgeklärten   diplomatischen  Verhält- 

nisse, die  hier  nur  leicht  berührt  werden  können,  empfangen  hie 
und  da  ein  neues  Streiflicht  durch  die  C.  S.  P.  z.  B.  1639,  p.  27, 
112,  113,  vgl.  Burton:    The  history  of  Scotlaud  (1870)  VII.  91  ff. 

12  i)C.  S.  P.  XIV.  4.55,  vgl.   Edinburgh- Review  (1873),  Vol.  137, 

p.  184  ff. 
15  0  Edinburgh -Review  a.   a.  0.   190  ff.    Was  Strafford's  Worte  in 
Hardwicke's  State-Papers  II.  284  beta-ifft:  „He  will  bring  8000  foot, 
2000  horse"   etc.,   so   muss  man  bedenken,    dass  er  durch  Bristol 
gereizt  war. 

17  i)Def.  sec.  W.  VI.  289. 

18  ^)  S.  die  Abbildung  und  die  Bemerkungen  in  D.  Laing,  Biogi-.  Notices 

of  Th.  Young,  p.  24. 
'-)Wood.    A.  0.  II.  23.' 
■')  Epitaphium  Damonis  P.  W.  III.  87—94.    P.  W.  Preface  p.  H  fi. 

19  1)  The  Reason  of  Church- Government  W.  III.  144,  145. 

20  ^)  Notes   of  B.  Jonson's  Convers.  w.  W.   Drummond,  Shakesp.  -  Soc. 

1842,  p.   10. 

21  ^)  S.  eine  Beschreibung  der  fraglichen  Blätter  des   Milton'schen  Ms. 


454  Anmerkungen. 

Seite 

und  seine  Geschichte  bei  Mass on  II.  103 — 115,  P.  W.  II.  175—180. 
partielles  Fac-Simile  bei  Sotheby  PI.  III.— X. 

22  ^)  Die  Vermiithung  von  Peck ,   dass   die   englische  Uebersetzung  von 

Buchanan's  Baptistes  v.  J.  1642  von  Milton  herrühre,  hat  keine 
stichhaltigen  Gründe  für  sich,  vgl.  Francis  Peck,  New  Memoirs 
of  the  Life  and  Poetical  Works  of  John  Milton  1740.   Todd  I.  221. 

23  i)Masson  II.  121. 

24  ^)Masson's  Deutung  (II.  113)  ist  daher  als  überfein  zu  verwerfen, 

vgl.  Baeda   IV.   26  und  Milton' s  bist,  of  Britain  (Ed.  St.  John 
Y.  291). 
•-)S.  Godwin:  Lives  of  E.  and  J.  Phillips,  S.  4.  E.Phillips:  Life 
of  Milton  daselbst  als  Anhang,  S.  362.  Ueber  Agar  s.  ferner  Massen 
II.  100,  daselbst  98  das  Testament  des  Vaters  Phillips. 

25  OS.  E.  Phillips  a.  a.  0.  Aubrey.    Wood. 

■-)  S.  über  die  Strasse  von  Aldersgate  und  ihre  Bewohner  J.  Hunt  er: 
Milton  24 — 27  nach  dem  „Book  of  the  Names  and  Sm-names, 
Degrees,  Ranks  and  Qualities  of  all  the  Inhabitants  of  the  Ward 
of  Aldersgate,  London,  July,  1641". 

32  0  lieber  die  Streitfrage  betr.   „Vane's  Notes",  die  sich  an  die  Ver- 

öffentlichung v.  S.  E.  Gardin  er:  The  first  two  Stuarts  and  the 
Puritan  revolution  (Epochs  of  modern  history  1876)  p.  111,  112 
angeknüpft  hat,  s.  Athenaeum  1876,  June  3,  10,  17,  24.  Wenn 
auch  viel  dafür  spricht,  das  von  der  Hist.  Mss. -Commission  mit- 
getheilte  Dokument  für  authentisch  zu  halten,  so  lässt  sein  Wort- 
laut doch  mehrere  Deutungen  zu. 

33  ') Hunter  26,  Massen  IL  358. 

36  ') Nicht  zugänglich  ist  mir  J.  Jones:  Memoirs  of  the  Life,  Writings 

and  Sufferings  of  J.  Hall  1820.  Eine  autobiographische  Skizze  (auch 
aufgenommen  in  Wordsworth:  „Eccles.  Biogi'aphy"  2.  Ed.  1818, 
Vol.  V.  etc.)  befindet  sich  vor  Hall's  Works  III.  Ueber  die  Satiren 
speciell  s.  Satires  by  J.  Hall  ed.  W.  Singer  1824,  über  das  Zu- 
standekommen des  Werkes:  „Episcopacy  by  divine  riglit"  (W.  III. 
119—193)  s.  M  a  s  s  0  n  II.  124  ff.  W  h  a  r  t  o  n :  History  of  the  treubles 
and  tryal  of  Land  1695,  p.  374  ff. 
0  Clarendon  (Ed.  1826)  II.  110. 

37  0  Leider  steht  mir  bei  der  Ausarbeitung  die  Ausgabe  der  Ussher'schen 

Werke  v.  Elrington  1847,  16  Bde.,  nicht  zu  Gebote,  vgl.  den 
vortrefflichen  Artikel  v.  Scholl  in  Herzog's  Real-Encyklopaedie 
f.  prot.  Theologie. 
42  i)C.  J.  und  L.  J. ,  Rushworth  abridg'd  IH.  356  ff  Pari.  hist. 
II.  773  ff.,  792  ff.  The  Letters  and  Journals  of  Robert  Baillie 
ed.  D.  Laing  1841—42,  I.  301  ff  Neal  11.  361  ff 
")  Clarendon'«  Darstellung  der  Geschichte  dieser  Bill  ist  bekanntlich 
grundfalsch.     S.  Godwin:    History  of  the  Commonwealth   I.  60  ff. 


Erstes  Kapitel.  455 

«eite 

44  »)C.  J.  imd  L.  J.,  Pari.  hist.  II.  814  ff.  Rushworth  abr.  IV.  97  ff. 
N  e  a  1 II.  In  dem  Abdruck  der  Rede  Yane's  bei  F  o  r  s  t  e  r :  Statesmen 
351,  352  steht  irrig  als  Datum  „June  11"  statt  „June  12".  Wenn 
Weingarten  52  am  16.  Juli  1641  eine  förmliche,  neue  Konsti- 
tution der  Kirche  durch  die  Gemeinen  votirt  sein  lässt,  so  beruht 
dies  vermuthlich  auf  Godwin  I.  63  (doch  hat  dieser  als  Datum 
17.  Juli),  der  sich  aber  nur  auf  Whitel  ocke  46  und  W.  San- 
derson:  history  of  the  Life  and  Raigne  of  King  Charles  1658, 
p.  422,  stützt.  Verney's  Notes  of  the  long  parliament  (Camden- 
Soc.  1845),  8.,  9.  Juli  1641,  stimmen  nicht  damit  überein. 

46  i)ParL  hist.  IL  789. 

47  ^)  An   Humble    Remonstrance    to    the    High    Court     of   Parliament. 

Hall's  Works  IIL  201—208.     lieber  das  Datum    des  Erscheinens 
s.  Baillie  I.  293. 

48  i)Z.  B.  die  Schrift:  The  Way  Towards   The  Finding  Of  a  Decision 

of  The  Chief  Controversie  now  debated  Concerning  Church  Govern- 
ment, London  .  .  1641.    Br.  M.  108,  b.  36. 
^)  S.  z.  B.  An  Appeal  to  Every  Impartiall,  Judicious  and  Godly  Reader: 
whether  the  Presbyterie  or  Prelatic  Be  the  better   Church  Govern- 
ment .  .  London 1641.    Br.  M.  -^ — . 

'')  S.  m.  Aufsatz:  üeber  die  polit.  Poesie  Englands  1640 — 60:  in 
V.  Sybel's  hist.  Z.  S.  XXVL  413,  XXVII.  215. 

•*)  S.  z.  B.  Irenaei  Philadelphi  (nach  dem  Katalog  des  Br.  M.  „Lewis 
Dumoulin")  Epistola  Ad  Renatum  Veridaeum  In  qua  Aperitur  My- 
sterium Iniquitatis  novissime  in  Anglia  redivivum  et  excutitur 
Über  Josephi  Halli,  quo  asseritur  Episcopatum  esse  juris  divini. 
Eleutheropoli  1641   (am  Schluss:  „Dabam  Islingtonii  primo  ab  urbe 

nr\r\     ^     in 

Londino  lapide  an.  1640  Novembris  tertio   die".   Br.   M. 


vgl.   d.   kräftige   Gegenschrift 


1 

70a.  e.  17 


2 
49  ^)  An  Answer  |  To  A  Book  Entitvled  |  An  Humble  |  Remonstrance.  |  In 

which  I  The  Originall  of  L-.  .    °         .  is   discussed  |  And  Quaeres 
lEpiscopacyJ  '  ^ 

propounded  Concerning  both  |  The  Parity  of  Bishops  and  Presbyters 

in  Scrip  |  ture  Demonstrated.  |  The  occasion  of  their  Imparity  in 

Antiquity  |  discovered.  ]  The   Antiquity    of  Ruling    Eiders   in    the 

Church  I  vindicated.  |  The  Prelaticall    Church    Bpwnded  | 

Written   by   Smectymnws.      (Darunter   mit   Tinte    anscheinend 

von    späterer    Hand :    Steph.    Marshai.      Ed.    Calamy.      J.    Young. 

M.  Newcommen.    W.  Spurstow)  London,  |  Printed  for  J.  Rothwell 

and  are  to  be  sold  by  T.  N.  at  the  |  Bible  in  Popes  -  Head  -  Alley 

1641  I  104  S.  4".    Br.  M.  '^^  f   ^'.    Bezüglich    des   Datums    des 


456  Anmerkungen. 

Seite 

Erscheinens  ist  der  Eintrag  in  den  Reg.  von  Stat.  Hall  bestimraend, 
s.  Masson  II.  219. 

49  2)Marvell:   The  rehearsal  transpos'd  P.  2.  1673,  S.  61,  „a  word  of 

a  Cipher".  Butler:  Hudibras  (Ed.  Bell  I.  p.  160).  Polit.  ballads 
publ.  in  England  during  the  Commonwealth  ed.  Th.  Wright^ 
Percy-Society  III.  p.  230,  s.  auch  W.  Wilkins:  Polit.  ballads 
of  the  17.  and  18.  centuries  (1860)  I.  129. 
')  Clievelandi  Vindiciae  (1677)  p.  35 — 39,  vgl.  p.  45  in  seinem 
Gedicht  „The  mixt  assembly"  die  Hinweisung  auf  „Madam  Smec", 
eine  weitere  Anspielung  p.  69  in  „Rupertismus". 

50  i)Baillie  I.  366. 

'^)  S.  eine  interessante  Biographie  Marshall's ,  aber  von  feindlicher 
Tendenz,  im  Br.  M.  1418.  d.  57  The  Life  and  Death  of  Stephen 
Marshai  .  .  .  London  .  .  MDCLXXX,  vgl.  Brook:  The  Lives  of 
the  Puritans  1813  III.  241  ff.  und  Neal,  Reg.  Ich  beziehe  mich 
auch  auf  die  im  Br.  M.  aufbewahrten  Predigten  Marshall's  und 
C.  S.  P.  D.  S.  1637,  p.  545. 

51  i)Wood:  Fasti  L  281.    Neal,  Register.      Mein  Urtheil  stützt  sich 

auf  die  zahlreichen  im  Br.  M.   aufbewahrten  Predigten  Oalamy's; 
als  ein  Muster  hebe  ich  hervor  „Englands  Antidota  against  the  Plague 

of  Civil  Warre  1644".    Br.  M.     j^'^ ,  vgl.  Butler,  Hudibras  (Ed. 

Bell)  n.  147,  189. 

"jNeal,  Register.  Eine  panegyrische  Biographie  enthält  die  Schrift: 
The  Dead  Saint  Speaking  Or  a  Sermon  Preached  Upon  Occasion 
of  the  Death  of  .  .  .  M.  Newcomen  ...  by  J.  F.  (John  Fairfax, 
wie  aus  einer  Ms.-Notiz  hervorgeht)  London  1679.    Br.  M.  4903  f. 

"jWood:  Fasti  I.  242.  Neal,  Reg.,  kurze  Biographie  in  Wortliing- 
ton's  Diary  II.  1.  p.  200.  Die  Schrift:  „Tract  entitled  true  and 
faithful  relation  of  a  worthy  discourse  between  colonel  John 
Hampden  and  colonel  Oliver  Cromvell",  anscheinend  von  Spurstow, 
dem  Zeugen  des  Gesprächs  geschrieben,  herausgegeben  London, 
Chapman  and  Hall  1847,  mir  zuerst  im  Br.  M.  unter  No.  81229 
bekannt  geworden,  kann  ich  nur  für  eine,  fi'eilich  sehr  geistreiche 
und  nicht  ungeschickte  moderne  Fiktion  halten.  Denn  sie  verwerthet 
nur  sonst  bekannte  Materialien  aus  Zeitungen  und  Reden,  Crom- 
well  nennt  sich  selbst  in  ihr  „the  brewer  of  Pluntingdon"  (p.  13), 
der  Zeit  vorgreifend  ist  p.  20  der  Ausdruck  „the  newe  modell" 
gebraucht,  .ebenso  passen  p.  52  die  independentischen  Bemerkungen 
nicht  für  das  Datum  des  angenommenen  Gesprächs. 


Zweites  Kapitel.  457 

Zweites  Kapitel. 

Seite 

57  ^)  Def.   sec.   W.   VI.   290. 

^)  Für  die  Datirung  der  ersten  Milton'schen  Streitschriften  lassen  uns 
Thomason  wie  die  Registers  von  Stationers'  Hall  im  Stich.  Dass 
die  Schrift  „On  Reformation"  die  erste  war,  sagt  M.  in  der  cit. 
Stelle  Def.  sec.  selbst.  Sie  muss  nach  dem  12.  Mai  1641  erschienen 
sein,  denn  in  der  That  kann  sich  die  Anspielung,  die  sie  gegen 
Ende  (S.  66)  auf  eine  Petition  „for  their  Bishopricks,  Deaneries, 
Prebends,  and  Chanonies"  enthält,  nur  auf  die  Petition  der  Univer- 
sitäten vom  12.  Mai  beziehn  (s.  o.  S.  46).  Ich  nehme  somit  das 
Gott.  Gel.  Anz.  1871  p.  1581  gegen  Masson  Gesagte  zurück. 
Später  als  Juni  kann  die  Schrift  nicht  erschienen  sein,  da  für  die 
folgenden  dann  kein  iRaum  wäre. 

^)  Great  Brittains  [Ruine  Plotted  By  Seven  Sorts  Of  Men ;  Discoved 
(sie!)  and  counterplotted  etc.  Commended  in  a  letter  to  a  Friend 
■  now  recommended  to  the  Honoiu-able  Parliaments  Consideration. 
By  a  true-hearted  well-wisher  to  great  Brittanes  happinesse.  London, 
Printed  for  Thomas  Underhill  and  are  to  be  sold  at  the  signe  of 
the  Bible  in  Woodstreet.  MDCXLI,  31  S.    Br.  M.   E.  134.    No.  31. 

*)  Of  I  Reformation  |  Touching  |  Church-discipline  |  in   ]  England:  i 

And  the  cavses  that  hither-  |  to  have  hindred  it.  |  Two   Bookes,  | 

written  to  a  Freind.  |  Printed,  for  Thomas  Vnderhill  1641.    90  S. 

4".    W.  III.  1—71.    Deutsch  b.  Bernhardi:  John  Milton's  polit. 

Hauptschriften,  Berlin,  Koschny  1874  tf.  II.  295 — 353.    Unter  den 

V    908 
Exemplaren   dieser  Schrift  im  Br.  M.  ist  eines  —^ —  (nach  alter 

19  P  C  ^ 
Bezeichnung  35  — '- — :^ — —-),  auf  dessen  Titel  handschriftlich  be- 
merkt ist:  „By.  mr- :  John.  Milton"  .  .  „Ex  Dono  Authoris."  In 
dem  Traktat  selbst  finden  sich  mehrere,  nach  meiner  Zählung 
acht,  handschriftliche  Verbesserungen,  darunter  zwei  Marginalien, 
S.  6  Z.  3  V.  u.  „she"  statt  „we"  und  S.  7  Z.  9  v.  u.  „the  dis- 
cipline  which  is"  statt  „the",  welches  durchstrichen  ist.  Diese  Ver- 
besserungen im  Text  scheinen  in  der  That,  wie  auch  Masson  II. 
248  annimmt,  von  Milton  selbst  zu  stammen.  Dagegen  muss  ich 
die  Vermerke  auf  dem  Titel  einer  anderen  Hand,  mit  ziemlich 
grosser  Gewissheit  der  Thomason's,  zuschreiben,  s.  d.  Anhang. 

60  ^)  George  Montaigne  1628  Erzbischof  von  York,  vgl.  Rawson  Gar- 

diner II.    175.     Danach  ist  die  Note  b.  Bernhardi  313   über  den 
„bekannten  Montanus"  zu  verbessern. 

61  ^)  Im  "Widerspruch   zu    der  Skeptik,   mit   der   er   hier    diese  Ueber- 

lieferung  betrachtet,  steht  eine  Stelle  im  Eikonoklastes  W.  III.  464. 
Irriger  Weise  nennt  er  den  Neffen  Konstantin's  „Commodus". 


458  Anmerkungen. 

Seite 

61  2)  Nach  Kannegiesser's  Uebersetzung. 

62  ')]Sach  Hertzberg' s  Uebersetzung  (1866)  S.  73. 

63  ^j  Ebenso  in  der  cit.  Schrift:  „Great  Brittains  Ruine  plotted",  p.  8,  14. 
68  ')  The  Judgnient  of  Doctor  Rainoldes  touching  the   original  of  Epis- 

copacy,  more  largely  confirmed  out  of  Antiquity,  by  James,  Arch- 
bishop  of  Arniagh.  Das  Datum  des  Erscheinens  ergiebt  sich  aus 
den  Registers  in  Stationers'  Hall:  „21.  May  1641  Mr.  Downes 
AVarden  E.  The  judgnient  of  Dr.  Reynolds  now  largely  confirmed  , . 
by  .  .  Bishop  of  Armagh."  lieber  die  1658  von  Bernards  ver- 
öffentlichte U.  Schi'ift:  „The  Reduction  of  Episcopacy  unto  the 
form  of  synodical  government  received  in  the  ancient  church  .  .  . 
Proposed  in  the  year  1641",  s.  Ussher's  Works  Ed.  Elrington 
I.  209,  XII.  527  ff.  Ueber  Reynolds  s.  Wood  A.  0.  I.  339. 
")  Ygl.  B  a  u  r :  Kirchengeschichte  der  drei  ersten  Jahrhunderte  3.  Ausg. 
S.  272.  Ritschi:  Die  Entstehung  der  altkathol.  Kirche.  2.  Aufl. 
(1857).     S.  408. 

70  ')  Of  I  prelatical  |  episcopacy,  [  and  |  whither  it  may  be  deduc'd  fi-om 

the  Apostolical  times  by  vertue  of  those  Testi  |  monies  which  are 

alledg'd  to  that  purpose  |  in   some  late  Treatises:  |  One  whereof 

goes  under  the  Name   of  |  James   |  Arch-bishop   |   of  |  Armagh.  \ 

London,  Printed  by  R.  0.  &  G.  D.  for  Thomas  |  Vnderhill,  and  are 

to  be  sold  at  the  signe  of  the  Bible,  in  Wood-Street,  1641.    24  S. 

E    164 
4".    W.  III.  72—93.    In  dem  Exemplar  des  ßr.  M.  -^tk—  ist  auf 

dem  Titel  handschriftlich  bemerkt :  „By  JohnMilton".  Auch  dieseNotiz 
kann  ich,  entgegen  M  a  s  s  o  n  II.  251,  nicht  Milton's  Hand  zuweisen, 
sondern  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  der  Thomason's.  Für  die 
Datirung  der  Schrift  ist  beim  Fehlen  aller  sonstigen  Hilfsmittel  nur 
zu  bemerken,  dass  Milton  sie  in  jener  Aufzählung  Def.  sec.  an 
zweiter  Stelle  nennt. 

71  ')  S.  Baur  a.  a.  0.  p.  157. 

■-)  Er  nennt    ihn    91:    ,,Ignatius    or    rathor    the   Perkin    Warbeck   of 
Ignatius." 

72  ^)  A  I  Defence  |  Of  The  |  Humble  Remonstrance,  |  Against  the  f'rivolous 

and  false  exceptions  of  |  Sniectymnuus  |  .  .  .  .  By  the  Author  of  the 
said  Humble  Remonstrance.  |  Seconded  ^in  -way  of  appendance)  with 
the  judgement  1  of  the  famous  Divine  of  the  Palatinate,  |  D.  Abra- 
hamus  Scultetus,  |  .  .  .  .  Concerning  the  Divine  Right  of  Epis- 
copacie,  ]  and  the  No-right  of  Lay-Eldership.  |  .  .  .  London,  |  Printed 
for  Nathaniel  Butter  in  Pauls  |  Church-yard  at  the  pyde-Bull  neare  | 
St.  Austins  gate  1641.  Hall's  Works  Vol.  III.  (1662)  211—278. 
Die  Schrift  Hall's  selbst  enthält  in  dem  mir  vorliegenden  Exemplar 
168  S.  (doch  ist  p.  84  —  89  ein  Sprung  in  der  Paginirung  .  Der 
Eintrag  in  den  Registers  von  Stationers'  Hall  ist  vom  12.  April  1641. 


Zweites  Kapitel.  459 

Seite 

72  "-)  p.  52  in  den  Worten  „o  u'r  office"  (nämlich  d.  Bisthum)  lässt  er  die 
Maske  ganz  fallen. 

74  1)  Herzog:  Encykl.  f.  d.  prot.  Theol. 

-)  Abgedruckt  in  Criticorum  sacrorum  T.  VII.  P.  2,  410  ff. 

^)  A  Yindication  |  Of  The  [  Ans-wer  To  The  Hvmble  |  Remonstrance, 
From  The  |  Vnjust  Imputations  Of  |  Frivolovsnesse  And  |  False- 
hood:  I  Wherein  |  the  cause  of  fLiturgy  and  Episcopacyj  is  further 
debated.  |  By  The  Same  Smectymnws.  |  London  Printed  for  John 
Rothwell  at  the  Sunne  in  [  Paul's  Churchyard.  1641.  In  den 
Registers  von  Stationers'  Hall  eingetragen  26.  Juni  1641. 

75  ')  Alexis:  Li\Te   de  Secrets  15H3   (ursprünglich  Italienisch).     J.  B. 

Porta:  Magia  naturalis  1619,  s.  Bayle  und  Zedier, 
-)  Def.  sec.  p.  290  .  .   ,^et  ministris   facundiam  hominis ,   ut  ferebatur 
aegi'e  sustinentibus,  suppetias  tuli." 

76  \)  S.   d.   Bemerkungen  von   A.    B.    Grosart    in   Donne's  Poems  IL 

p.  XXX  nach  J.  P.  Collier. 

-)  S.  die  Beziehungen  auf  Hall's  Satiren  in  „An  Apology"  etc.  W.  III. 
292.  Uebrigens  citirt  Milton  hier,  wie  schon  Singer:  Satires  by 
J.  Hall  p.  45  bemerkt,  irrig  die  sechste  statt  der  siebenten  Satire 
aus  Hall's  zweitem  Buche. 

^)  Animadversions  |  upon  |  The  Remonstrants  |  Defence,  |  against  Smec- 
tymnws. I  London,  |  Printed  for  Thomas  Vnderhill,  and  are  i  tobesold 
attheSiglieoftheBibleinWoodstreet,1641.  68  S.  4".  W.  IIL 184— 249. 

Ich  finde  im  Br.  M.  -Apj —  ein  Exemplar,  auf  dessen  Titelblatt  die 

Ms. -Notiz:  „written  by  mr-  John  Milton",  die  nach  meiner  Ansicht 
von  Thomason's  Hand  herrührt.  Was  die  Datirung  der  Schrift  be- 
trifft, so  wird  man  sich  mit  Masson  für  den  Juli  entscheiden  müssen. 
S.  202  ist  die  Rede  von  „this  bot  season".  Nach  dem  28.  Jidi  kann 
die  Schrift  nicht  wohl  erschienen  sein,  da  sie  auf  den  an  diesem 
Tage  eingetragenen  Traktat  von  Hall:  „A  short  answer  to  the 
tedious  Vindication  of  Smectymnuus"  keine  Rücksicht  nimmt.  Der 
Satz  p.  233  „As  for  your  young  schollers  that  petition  for  Bishop- 
ricks and  Deaneries"  etc.  wird  auf  die  Uuiversitäts-Petitionen  vom 
12.  Mai  gehn. 
82  1)  Masson  II.  260,  244.  Ich  habe  die  Frage  schon  in  den  Gott. 
Gel.  Anz.  (1871)  p.  1.583  behandelt. 

84  ^)  S.  die  zusammenfassende  Darstellung   des   „Incident"   bei  Burton 

VIT.  145 — 152,  ausserdem  über  Montrose's  Betheiligung:  Sanford 
406  £  nach  d'Ewes  Ms.,  vgl.  Mark  Napier:  Memoirs  of  the 
Marquis  of  Montrose  1856  I.  Ch.  17 — 20  und  die  Verhörsprotokolle 
in  dem  Report  of  the  R.  Commission  on  bist.  Mss.  No.  IV.  (1874) 
P.  L  163-170. 

85  ^)Vgl.  die  Depesche  Sabran's  b.  Ranke  III.  71. 


460  Anmerkungen. 

Seite 

88  ^  Ich  beziehe  mich ,  von  anderen  bekannten  Quellen  abgesehn ,  auf 
„A  Remonstrance  of  the  ßarbarous  Cruelties  .  .  .  Committed  By  the 
Irish  Rebeis  etc.  Collected  out  of  the  Records  at  Dublin  by  Thomas 
Morley  Gent.  Being  the  examinations  of  many  who  were  eyewit- 
nesses  of  the  same  and  justified  upon  oath  by  many  thousands  etc. 
publ.  by  speciall  command  and  authority,  London  .  .  1644".  ßr.  M. 
E.  .50 
31    • 

90  i)Diary  and  Corresp.  of  J.  Evelyn  IV.  97. 

91  ^) Forster:  G.  Remonstrance  (Essays  p.  26).    Sanford  434. 
2)Parl.  history  II.  927—930. 

')  Grundlegend  für  das  Folgende  ist  Forster:  The  Debates  on  the 
grand  remonstrance  (in  „Historical  and  biographical  essays"  1858, 
separat  1860). 

93  i)Parl.  bist.  II.  946—964. 

94  *)  S.  die  kritischen  Bemerkungen  zu   Clarendon,  Verney,  Nalson  bei 

Forst  er  Essays  155  ff.,  vgl.  Sanford  446,  447. 
2) Pari.  bist.  II.  974. 

96  1)  Hunter  p.  2G. 

")  The  I  Reason  |  Of  Church  government  [  Urg'd  against  i  Prelaty  |  By 

Mr.  John  Milton  j  In  two  Books  |  London  |  Printed  by  E.  G.  for 

John    Rothwell,    and    are    to    be   sold  |  at   the    Sunne  in   Paul's 

Church-yard.    1641.  4".   65  S.    W.  III.  94^184.    In  dem  Exemplar 

F    1 37 
des  Br.  M.      '  auf  dem  Titel  die  Ms.-Notiz,   die  nach  meiner 

Ansicht  nicht,  wie  Masson  II.  361  annimmt,  von  Milton's,   sondern 
von  Thomason's  Hand  stammt:  „Ex  Dono  Authoris". 

97  ^)  Ausser   ihm    der    Schotte   John    Durie   (s.    über   diesen    Kap.    6), 

der  sich  zwar  nicht  direkt  für  Beibehaltung  des  Bisthums  in  irgend 
welcher  Form  ausspricht,  sondern  in  „a  briefe  declaration  of  the 
severall  formes  of  government  received  in  the  reformed  churches 
beyond  the  sea"  nur  einen  kurzen  Ueberblick  über  die  Verfassungen 
der  reformirten  Kirchen  des  Festlandes  giebt,  der  sich  allerdings 
im  Sinne  der  Episkopalisten  verwenden  Hess. 
;)  The  Original  of  Bishops  and  Metropolitans  briefly  laid  down  etc. 
Ussher's  Works  VII.  41 — 73.  Ausserdem  bezog  sich  auf  die 
,  Frage  die  kleine  Ussher'sche  Schrift  „A  geographicall  and  histo- 
ricall  disquisition  touching  the  Lydian  or  Proconsnlar  Asia  and  the 
Seven  Metropoliticall  Churches  contained  therein",  die  gleichfalls 
in  jenem  Sammelbande  sich  vorfand. 

102  ')Kampschulte:  Calvin  1.  260. 

109  ';S.  98.    Vgl.  einen  weiteren  Hinweis   auf  die  Beschäftigung  mit  den 
Bildern  des  verl.  Parad.  S.   151:   „It  had   bin  a  small  maistery  for 


Zweites  Kapitel.  461 

Seite 

him  (God)  to  have  drawn  out  his  Legions  into  array  and  flankt 
them  with  his  thunder"  etc. 

112  ^)  Die  erwähnten  Aeusserungen  Milton's  tinden  sich  zerstreut  S.  127  flf. 

160,  163  ff.,  vgl.  meinen  Aufsatz:  John  Milton  und  der  Calvinismus 
in  d.  „Jahrb.  f.  Deutsche  Theologie"  XVII.  87—120. 
-)  Of  Reformation  a.  a.  0.  S.  64. 

113  ^)Liebert  S.  111. 

114  ^)  A  Short  Auswar  to  the  Tedious  Vindication   of  Smectymnuus    Pr. 

for  N.  Butter  etc.;  eingetragen  in  den  Registern  von  Stat.  Hall: 
„28.  Juü  1641"  (nach  Masson  II.  891),  Hall's  Works  III. 
383  ff. 

115  ^)  A  Letter  Lately  sent  by  a  Reverend  Bishop  [dahinter  mit  Ms.  Hall] 

From  The  Tower  Tö  A  private  Friend:  And  by  him  thought  fit  to 

F     134 

be  published.    London  Printed  in  the  yeare  1642.  Br.  M.   -—^ — • 

Der  Brief  des  Bischofs  unterzeichnet:  From  the  Tower  Jan.  24. 
1641.  Jo.  Norvic  ....  „Can  any  man  pretend  to  a  ground  of 
taxing  me  (as  I  perceive  one  of  lata  hath  most  unjustly 
done)  of  too  much  worldlinesse?"  Der  Brief  Hall's  findet  sich 
auch  in  seinen  Werken  III.  416 — 18  und  in  Wordsworth:  Eccl. 
Biogr.  V.  310  ff. 
■-)S.  Masson  III.   674,  Anm.     s)  Wood  Fasti  II.  40. 

116  i)An  Apology  etc.   (W.   III.   S.  276):   „For  having  all  this   while 

abus'd  the  good  name  of  his  adversary  with  all  manner  of  licence 
in  revenge  of  his  Remonstrant,  if  they  be  not  both  one  person,  or 
as  I  am  told,  Father  and  Son"  etc.  An  anderen  Stellen  hält 
er  sich  ausschliesslich  an  den  Sohn  Hall,  so  S.  293  „This  Champion 
from  behind  the  Arras  cries  out"  etc. 
'^)  A  Modest  I  Confutation  |  Of  A  Slanderous  and  Scurrilous  |  Libell 
Entitvled,  [  Animadversions  ]  Vpon  The  Remonstrants  |  Defense  | 
Against  |  Smectymnuus.  |  Kvh'oj  xuyw  t6v  7ri\9ov.  Diog.  apud 
Lucian  de  Hist.  concer.  |  Printed  in  the  yeer  MDCXLII.  40  S.  4". 
Br.  M.  E.  134.  Auf  dem  Titelblatt  mit  Ms.  (v.  Thomason?)  „against 
Mr.  Milton". 
119  ^)An  Apology  |  Against  a  Pamphlet  ]  caU'd  |  A  Modest  Confutation  | 
of  the  Animadversions  upon  ]  the  Remonstrant  against  |  Smectym- 
nuus. ]  London,  j  Printed  by  E.  G.  for  John  Rothwell,  and  are  | 
to  be  sold  at  the  signe  of  the  sunne  |  in  Paul's  Churchyard.  1642. 
59    S.     4".      W.   III.  250  —  326.     In   dem   Exemplar   des   Br.   M. 

E    147 

— ^ —  von  Thomason's  Hand  auf  dem  Titel  der  Ms.  \  ermerk :  „by 

Mr.  Milton  ex  dono  Authoris". 
^)  Es  kommt   darauf  an ,   welche  Deutung  man  den   Worten  Milton's 


462  Anmerkungen. 

Seite 

(S.  297)  geben  will,  in  denen  er  sich  über  die  Lobpreisungen  aus- 
lässt,  die  sein  Gegner  dem  Parlament  gespendet  hat:  .  .  „What  will 
he  then  praise  them  for?  not  for  any  thing  doing,  but  for  deferring 
to  do,  for  deferring  to  chastise  his  leud  and  insolent  compriests." 
Die  Bemerkungen  iiber  den  irischen  Aufstand  beweisen  nichts  fiu- 
die  Zeit  der  Abfassung. 

121  ^)  These  morning  haunts  are,  where  they  should  be  at  home  etc. 

123  i)Milton's  Works  Ed.  St.  John  III.  103,  Anm. 

-)  Milton  scheint  hier  die  „Confutation"  missverstanden  zu  haben. 
Das  Wort  „Mime"  bedeutet  in  ihr  den  Darsteller,  während  er  es 
auf  das  Dargestellte  bezieht. 


Drittes  Kapitel. 

130  ^)  Forster:   Arrest  of  the  tive  members  1860,  übergeht  dies,   sowie 

die  ausweichende  Antwort  des  Königs,  s.  C.  J.  367,  368. 

131  ')  Dass    der    französische    Gesandte   von    dem   Attentat    vorher   Mit- 

theilung machte,  geht  aus  Forster  328  hervor. 

135  *)d'Ewes:  Journal   of  the  House   of  Commons   Br.   M.    Harl.   Ms, 
162-166,  Vol.  I.  309  b. 

138  ')  Forster:  Statesmen  219,  218. 
'    ^)  Buff:  Die  Politik  Karl's  I.  in  d.  ersten  Wochen  nach  seiner  Flucht 
V.  London  und  Lord  Clarendon's   Darstellung  dieser  Zeit  (Heidel- 
berger Dissertation),  Giessen  1868. 

144  ')  S.  über  den  fraglichen  Sammelband  der  Lambeth-Library  (.jetzt  bez. : 
70.  F.  18,  4"),  den  ich  daselbst  einsehen  konnte:  Todd  (Ed.  1826) 

I.  224  ff.     Die  betr.  Schrift  findet  sich  im  Br.  M.  B.  ^\]}^ :  An  ] 

Argument  |  Or  Debate  In  Law:  |  Of  The  Great  Question  |  Concer- 
ning  The  Militia;  |  As  it  is  now  settled  by  Ordinance  ]  of  both  the 
Houses  of  I  Parlianient.  |  By  which  it  is  endeavoured  to  prove  the  | 
Legalitie  of  it  and  to  make  it  warrantable  |  by  the  fundamentall 
Laws  of  the  Land.  |  In  which,  Answer  is  also  given  to  all  Ob- 
jections  |  that  do  arise,  either  directly  or  collaterally  |  concerning  the 
same.   |  All  which   is  referred  to  the  judicious  Reader.  |  By  J.  M. 

0.  L.  (diese  Buchstaben  durch  Ms.  ergänzt:  .1.  Marsh  Canc.  Lin- 
colns Inn.)  London:  |  Printed  by  Tho.  Paine  and  M.  Simmons  for 
Tho.  Underhill,  I  at  the  Bible  in  Wood-street  1642.  43  S.  4",  auf 
dem  Titel  handschriftlich:  Sep.  30,  ebenso  auch  am  Schluss  der 
Vorrede  J.  M.  ergänzt  zu:  Marsh.  —  Was  die  anderen  anonymen 
Schriften  jenes  Sammelbandes  der  Lambeth-Library  betrifft,  so  ist 
No.  4  nichts  als  die  Deklaration  der  beiden  Häuser  betr.  die  Miliz, 

1.  März  1642,   mit  der  Antwort  des  Königs.     No.  2,  A  Soveraigne 


Drittes   Kapitel.  463 

Seite 

Salve  1  To  Cure  The  Blind  .  .  .  by  J.  M.  Esq 1643  (Br.  M. 

E   99  * 

•      )  ist  zwar  in  jenem  Sammelbande  ausdrücklich  handschriftlich 

als  von  ,,J.  Milton"  stammend  bezeichnet  und  würde  nach  Form 
und  Inhalt  seine  Autorschaft  nicht  ausschliessen,  wenn  sich  nicht 
S.  1  die  schon  von  Todd  bemerkte  Phrase  fände:  „Love  and 
duty  to  religion  and  my  country,  now  flaming  with  the  lire  the-;e 
men  have  kindled  .  .  .  hath  enforc'd  a  pen  ever  before  stil*, 
to  expose  itself  to  publick  censure".  No.  5,  „Jus  populi"  etc.  1644, 
eine  sehr  interessante,  durch  und  durch  demokratische  Schrift  kann, 
wie  schon  Todd  bemerkt  hat,  deshalb  nicht  von  Milton  stammen, 
weil  die  darin  vorgetragene  Theorie  über  die  Ehescheidung  seinen 
Ansichten  von  1644  widerspricht. 

147  ^)  S.  ausser  den  bei  Giiizot  I.  299  cit.  Belegen  die  Hiaweisung  auf 

die  Anspielungen  der  politischen  Gedichte  der  Zeit  in  meinem  Auf- 
satz in  Sybel's  bist.  Ztschr.  XXVI.  41-5. 

148  ^)  Forster:  Statesmen  S.  223  nach  Marshall's  Leichenrede. 

2)  C.  J.   2.  Sept.  1642,   S.  749,    vgl.  f.  d.  Weitere   Godwin  I.  81  ff. 
Neal  Ed.  1754  II.  29. 

149  ^)  Siehe    über    die    Theater    neben    Collier    vorzüglich    Hazlitt: 

English  Drama  and  Stage  (Roxburgh  Library  1867),  wo  ausser  Be- 
kanntem sehr  interessante  Pamphlete  etc.  mitgetheilt  sind;  daselbst 
auch  unter  den  Documents  No.  XXXI  und  XXXII  die  späteren 
Verordnungen  v.  22.  Okt.  1647  und  9.  Febr.  (11.  Febr.>  1648,  durch 
welche  die  Bühne  gänzlich  aufgehoben  werden  sollte.  Eine  geistvolle 
Zusammenstellung  poetischer  Erzeugnisse  der  Zeit  nach  den  Pai'- 
teien  geordnet,  bietet  H.  Morley:  The  King  and  the  Commons. 
Cavalier  and  Puritan  Song  1868. 

152  ^)  E.  Phillips  S.  371:  „For  I  am  much  mistaken  if  there  were  not 

about    this   time   a    design  in  agitation    of  making   him    adjutant- 
general  in  Sir  William  Wallers  Army"  etc.     (Vorher  geht  die  Er- 
wähnung der  Schrift  „on  Education"  v.  Juni  1644.) 
2)  Sotheby  p.  134.    PI.  XVIL    Mass  on  IL  483,  484. 

153  ^)  Die  Polemik  richtet  sich  gegen  Masson  II.    472  ff.,   vgl.  schon 

Gott.  Gel.  Anz.  1871,  S.  1577  ff 

154  1)  Def.  sec.  W.  VI.  249  i.  f. 

155  ^)  Ich  benutze   ausser  sonst  Bekanntem  einen  Sammelband  fliegender 

Blätter  im  Br.  M.   ^^\t  ^     „Sept.    29.    1642    The    Persons    to 

whom  the  Militia  of  the  Citie  of  London  is  committed".  Als  „Alarm- 
Places"  werden  u.  a.  genannt:  „Aldersgate-Street  by  Longlane  end 
(Captain  Ralph  Harrison),  Aldersgate  within  (Captain  Robert  Tich- 

burn)."     S.  d.  Gedicht  A  godly  Exhortation  etc.   CBr.  M.  — ^^ 


464  Anmerkungen. 

Seite 

allerdings  erst  v.  9.  Nov.  1642)  „When  armed  men  each  day  we 
meet  ]  In  every  lane  and  every  street.  |  When  al  our  streets  are 
chained  streight  |  And  Ordnance  plac'd  at  every  gate  |  T'is  time  for 
US  to  crie-  and  call  |  Good  Lord  have  niercy  on  us  all"  etc.  (vgl. 
Catal.  of  Prints  and  Drawings  in  the  Br.  M.  1870  P.  1). 

156  M  C.  J.  1642  Nov.  12. 

■-)  Häufig  ist  dadurch  Verwirrung  entstanden,  dass  May  (hist.  of  the 
parliament  etc.  1647)  Sonntag  zum  vierzehnten  macht. 

157  0  When  the  assault  was   intended  to  the  City,  P.  W.  IL  479.    Vgl. 

Sotheby.    „1642",  später  im  Ms.  ausgelöscht. 

')  So  besitzt  z.  B.  die  Bibliothek  v.  Trinity  College,  Cambridge,  ein 
Exemplar  der  Schrift  „on  Beformation  (M.  3.  22),  in  dem  sich  S.  22 
zu  zwei  Stellen  die  Worte  „Billingsgate  Language"  und  „meer 
railing"  finden,  von  derselben  Hand  des  17.  Jahrhunderts,  die  auf 
dem  Titelblatt  bemerkt  hat:  „by  Mr.  Milton".  Eben  dort  befindet 
sich  eine  grosse  Zahl  der  Originaldrucke  Milton' scher  Prosascliriften, 
sowie  der  Pamphlete  der  Halls  und  der  Smectymnianer. 

")  Füller:  The  holy  and  the  profane  State  Ed.  1841,  p.  274,  275, 
„with  such  language  as  neither  beseemed  bis  parts,  whosoever  he 
Avas  that  spoke  it,  nor  their  piety,  of  whom  it  was  spoken." 

*)Bramhairs  Works  (Oxford  1842)  IIL  476:  The  Serpent  Salve 
(erschienen  im  Frühjahr  1644)  .  .  „With  what  indignation  do  all 
good  Protestants  see  these  blessed  men  (Cranmer,  Ridley  etc.) 
styled  now  in  print  by  a  young  novice  „„halting  and  time-serving 
prelates""  etc. 

158  *)  A  True  Declaration  And  just  Commendation  of  The  Great  and  In- 

comparable  care    of  the  Right   Honourable  Isaac   Pennington   etc. 

E   99 
publ.  by  W.  S.,  London  1643  (April  27),   4".     Br.  M.  -^. 

161  ')  S.  die  betr.  Notizen  aus  den  Inner-Temple  books  und  den  Kirchen- 

büchern bei  Masson  II.  488,  489.  Vgl.  über  den  alten  Milton: 
Phillips. 

162  ')  Ich   benutze   eine  Reihe  von  Zeitungen  in   den  Sammelbänden   der 

„King's  Pamphlets"  Br.  M.  E.  99  und  E.  100  unter  dem  Titel: 
„Good  and  true  newes  from  Reading",  „Mercurius  bellicus" ,  „Cer- 
taine  Informations  from  severall  parts  of  the  kingdom"  etc. 


Viertes  Kai)itel. 

165  ')  Unsere  Kunde  über  die  Verhältnisse  der  Powells  beruht  wesentlich 
a\if  den  „Royalists  Composition-Papers",  die  aus  der  Zeit  der 
Revolution  stammen.  Zuerst  zum  Theil  verwerthet  von  Todd  I. 
68—93,  sind  sie  systematisch  edirt  von  W.  D.  Hamilton  (Carnden- 


Viertes  Kapitel.  465 

Seite 

Society  ISöÜ,  vgl.  Hunt  er:  Milton  S.  27 — 33,  der  aber  irrig 
Pfingsten  164:3  auf  den  14,  Mai  verlegt. 

166  ')  S.  d.  Auszüge  a.  d.  Registern  der  Pfarrei  v.  Foresthill  b.  Masson 

II.  500.     Ich  halte  dafür,  dass  Anna  Powell  in  der  bei  Hamilton 
S.  80  abgedruckten  Urkunde  Milton's  Frau  nicht  mit  zu  den  neun 
Kindern  rechnet,  für  die  sie  sorgen  müsse. 
-)  S    die  Notizen  v.  Bliss  in  Wood's  Life  (Ecclesiastical  Hist.  Soc. 
1848  S.  127)  und  d.  Verbesserungen  von  Masson  II.  500. 

167  1)  Phillips. 

"-)  Hamilton  a.  a.  0.  S.  53:  „Mr.  Milton  is  a  harsh  and  choUericke 
man  .  .  .  having  turned  away  his  wife  heretofore  for  a  long  Space 
upon  some  other  occasion". 

^)  Phillips:  „By  that  time  she  had  for  a  month  or  thereabout  led 
a  philosophical  life  (after  having  been  used  to  a  great  house,  and 
much  Company  and  joviality),  her  friends,  possibly  incited  by  her 
own  desire,  made  eai'nest  suit  by  letter  to  have  her  Company  the 
remaining  part  of  the  summer"  etc.  Aubrey  schmückt  dies  niu" 
aus,  weiss  auch  noch  zu  erzählen,  dass  die  junge  Frau  das  Schreien 
der  geprügelten  Neffen-  habe  hören  müssen  und  hat  den  falschen 
Zusatz,  sie  sei  fortgegangen  „M^ithout  her  husband's  consent". 
Wood  und  Toi  and  bringen  nichts  wesentlich  Neues. 

168  ^)  S.  Phillips.    367.     Dem   Sinne  nach    vollständig  übei'einstimmend 

Aubrey  mit  einigen  Zusätzen  und  Wood. 

169  ^)  „However  it  so  incensed  our  author,  that  he  thought  it  would  be 

dishonourable  ever  to  receive  her  again,  after  such  a  repulse;  so  that 
he  forthwith  prepared  to  fortity  himself  with  arguments  for  such  a 
rosolution  and  accordingly  wrote  two  treatises"  etc.  Wood  stimmt 
damit  überein.  Die  Annahme  dass  Phillips  sich  zwei  Mal  („Whitsun- 
tide"  und  „Michalemas")  im  Datum  geirrt  habe,  erscheint  unzulässig. 

170  ';  The  Doctrine  |  And  |  Discipline  |  Of  |  Divorce :  |  Restor'd  To  The 

Good  I  Of  Both  Sexes,  |  From  the  bondage  of  Canon  Law,  |  and 
other  mistakes,  to  Christian  freedom,  |  guided  by  the  Rule  ot 
Charity.  ;  Wherein  also  many  places  of  Scripture,  have  |  recover'd 
their  long-lost  meaning.  |  Seasonable  to  be  now  thought  on  in  the  | 
Reformation  intended  |  Matth.  13.  52.  I  Every  Scribe  instructed  to 
the  Kingdome  of  Heav'n,  is  like  the  Maister  |  of  a  house  which 
bringeth  out  of  his  treasurie  things  old  and  new.  |  London,  |  Printed 
by  T.  P.  and  M.  S.  In  Goldsmiths  |  Alley  1643.  |  4".  48  S.,  darauf 
2  unpaginirte  S.,  auf  denen  zwei  Auslassungen  nachgetragen  werden. 

Br.  M.  —Tr,      mit   Tinte   von    Thomason's    Hand   auf  dem  Titel: 

„Mritten  by  J.  Milton"  und  „Aug:  Ist"  Ich  hatte  dies  Exemplar, 
wie  die  u.  erwähnten  der  zweiten  Ausgabe,  schon  vor  dem  Er- 
scheinen des   di'itten  Bandes  v.  Masson  zu  Gesicht  bekommen. 

Stern,  Milton  u  s.  Zeit.    I.  2.  30 


466  Anmerkungen. 

Seite 

171  ^)  Judgment  of  M.  Bucer  W.  IV.  297  s.  u.  K.  6. 

172  ^)  Ich  habe    mich   mit  einigen   Andeutungen  begnügen   müssen.    Bei 

diesem  Anlass  bedauert  man  noch  mehr  als  sonst,  dass  uns  bisher 
eine  kritische  Ausgabe  der  Milton'schen  Prosa- Schriften  fehlt. 
Die  Ed.  Pickering,  nach  der  ich  citire,  nimmt  auf  die  erste  Aus- 
gabe gar  keine  Pdicksicht  und  ist  keineswegs  fehlerfrei.  Es  fragt 
sich  schon,  ob  nicht  im  Titel  statt  „condemning  of  sin"  zu  setzen 
wäre  „c.  as  sin",  wie  eine  handschriftliche  alte  KoiTektur  eines 
Exemplares  im  Br.  M.  (Sammelband  5175  c.)  verlangt.  S.  34  Z.  4 
muss  es  heissen  „Live"  statt  „Love",  S.  52  Z.  3  muss  „and  shut 
up"  wegfallen.  Andere  Ausgaben  sind  noch  fehlerhafter,  wie  sie 
z.  B.  in  n,  3  (Ed.  Pickering  p.  68  Z.  4  v.  u.)  „degree"  statt 
„decree"  setzen.  Uebersetzungen ,  die  diesen  folgen,  haben  daher 
Fehler  noch  weniger  vermeiden  können.  Neben  den  Auszügen  bei 
Liebert  und  Weber,  die  ich  auch  hier  benutzt  habe,  erwähne 
ich  „John  Milton's  Abhandlung  über  Lehre  und  Wesen  der  Ehe- 
scheidung .  .  nach  der  abgeküi'zten  Form  des  G.  Bur  nett.  Deutsch 
v.  F.  V.  Holtzendorff  1855,  Berlin,  L.  Steinthal"  und  W.  Bern- 
hard!'s  verdienstliche  Uebersetzung  in  „J.  Milton's  politische 
Hauptschriften  1874.  E.  Koschny",  Bd.  I. 
-)  The  I  Doctrine  &  Discipline  |  Of  |  Divorce;  1  Restord  to  the  good  of 
both  Sexes,  |  From  the  bondage  of  Canon  Law,  and  |  other  mistakes, 
to  the  true  meaning  of  Scrip-  |  ture  in  the  Law  and  Gospel  com- 
par'd.  I  Wherein  also  are  set  down  the  bad  consequences  of  |  abo- 
lishing  or  condemning  of  Sin,  that  which  the  |  Law  of  God  allowes, 
and  Christ  abolisht  not.  ]  New  the  second  time  revis'd  and  much 
augmented,  1  In  Two  Books;  |  To  the  Parlament  of  England  with 
the  Assembly.  |  The  Author  J.  M.  |  —  Dem  Spruch  Matth.  13.  52 
ist  hier  noch  angefügt  Prov.  18.  13  He  that  answereth  a  matter 
before  he  heareth  it  it  is  folly  and  shame  unto  him.  London :  | 
Imprinted  in  the  yeare  1644.  4".  82  S. ,  denen  3  unpag.  voraus- 
gehn,  am  Ende  ein   Druckfehler -Verzeichnis.     In   dem   Exemplar 

F    ^1 

des  Br.  M.  —^ —  ist  von  Thomason's  Hand   die  4  in  1644  durch- 
5 

strichen  und  „Feb.  2d.  1643"  auf  d.  Titel  vermerkt.  Mehrere  Ms, 
Verbesserungen  finden  sich  in  diesem  Ex.,  die  in  dem  Druckfehler- 
Verzeichnis  nicht  erwähnt  w.,  am  wichtigsten  die  Korrektur  „coiuii- 
ving"  statt  „contriving",  die  auch  noch  in  Ed.  Pickering  S.  67 
(II,  3)  einzuführen  wäre;  dieselben  Verbesserungen  finden  sich  in 
einem  anderen  Ex.  Br.  M.  117.  i.  59,  das  nur  als  ein  früherer  Ab- 
zug erscheint,  der  in  der  Paginirung,  „indicental"  statt  „incidental" 
(S.  65)  Verwirrung  hat.  Die  Hschr.  scheint  mir  iii  beiden  Fällen 
dieselbe  und  zwar  die  Milton's  selbst  zu  sein.  In  Lowndes 
Bibl.  Manual  (Ed.  Bohn  1864  III.  1565)  wird  ein  Exemplar  dieser 


Viertes  Kapitel.  467 

Seite 

Ausgabe  envälmt  „ex  dono  autoris  with  con'ections  by  the  author". 
Ein  Abdruck  der  zweiten  Ausgabe  auf  84  S.  erschien  1645,  s.  Br. 
M.  5175.  G.  mit  vielen  handschriftl.  Bemerkungen  aus  späterer  Zeit. 
Ed.  2,  W.  IV.  1—133. 

175  ^J  S.  abgesehen  v.  d.  bekannten  "Werken  von  Michaelis',    Ewald, 

Saalschütz  mit  Bezug  auf  das  mosaische  Eherecht,  die  Art. 
Ehe  (v.  Rüetschi  und  Göschen)  und  Scheidungsrecht 
(v.  Dove)  in  H  erzog:  Eeal-Encyklopädie  f.  prot.  Theol.  und  Kirche 
m.  661—707,  XIII.  485-501.  Richter:  Beiträge  z.  Gesch.  des 
Ehescheidungsrechtes  in  d.  evangel.  Kirche  1858  bes.  S.  67,  68. 
Burn:  Ecclesiastical  Law  ed.  Phillimore  1842  II.  495« — 505. 
Gneist:  Engl.  Verwaltimgsrecht  II.  §.  ISS»^- 

176  ^)  Def.  sec.  W.  VI.  29a. 

179  ^)  Bestimmtheit  in  der  Terminologie  darf  man  nicht  von  ihm  ver- 
langen; die  Ausdrücke  „Contract"  und  „Cov'nant"  wechseln,  aber 
auch  „Law"  kommt  vor. 

182  ^)  S.  Nippold:  Heinrich  Xiclaes  und   das  Haus   der  Liebe.    Ztschr. 

•f.  d.  hist.  Theologie  18(32,  III.  IV.  bes.  S.  .389—394. 

183  ^)  ,,In  such  an  accident  it  will  best  behove  om*  sobernesse  to  foUow 

rather  what  moral  Sinai  prescribes  equal  to  our  strength,  then 
fondly  to  think  within  our  strength  all  that  lost  Paradise 
relates."  (B.  2  K.  11  i.  f.) 

185  ^)  „The  Jesuits  and  that  sect  among  us  which  is  nam'd  of  Ai'minius 
are  wont  to  Charge  us  of  making  God  the  author  of  sinne"  etc. 
(B.  III.  K.  2,  S.  68),  vgl.  meine  Bemerkungen  in  den  „Jahrb.  f. 
Deutsche  Theologie"  XVII,  108.  Die  Korrektiu-  von  degrees  in 
decrees  scheint  mir  jetzt  unthunlich,  da  jenes  auch  in  Ed. 
Pickering  sich  findet. 

187  ')  Vgl.  V.  Harless:  Die  Ehescheidungsfrage.  Eine  erneute  Unter- 
suchung der  neutestamentüchen  Schiüftstellen,  1861. 

189  »)  An  Apology  etc.  W.  HI.  273. 

-)  II.  21  (S.  120)  „agaiust  the  will  and  consent  of  both  parties  or 
of  the  husband  alone." 

190  ^)  In  den  Registers  von  Stationers'  Hall :  ,,2.  Sept.  1645". 

-)  In  der  Sache  selbst  war  eine  Berufimg  auf  Seiden  unmöglich. 
S.  Usor  hebraica  (FrankAirt.  Ausg.  v.  1673)  p.  455  i.  f.  'L.  EL 
C.  33):  „Sed  prudentissima  proculdubio  est  libertatis  divortiorum 
coercitio"  etc. 

191  ^)  Phillips  366.     Er  lässt  indess  irrig  Ley  schon  unter  Jakob  Pre- 

sident of  the  Council  werden.   D.  Sonett  P.  W.  II.  480,  vgl.  11.  286, 
267,  über  Ley  neben  den  bei  Masson  III.  56  cit.  Gewährsmännern: 
Rawson  Gardin  er:    England   under   the  duke   of  Buckingham, 
Register  s.  v.  Ley,  Marlborough. 
2)  P.  W.  II.  479.  28<l 

30* 


468  Anmerkungen. 


Fünftes  Kapitel. 

Seite 

192  ')  L.  J.  26.  Jan.  1643,  vgl.  Sanford  550. 

193  1  L.  J.  10.  Sept.  1642. 

2    Neal  II.  494  ff.    Baillie  I.  365,  376;  II.  2  etc. 

194  ')  In  Deutschland   hat  der  Westniinster  Synode   eine  besondere  Be- 

achtung geschenkt:  Rudi  off  m  Ztschr.  f.  d.  bist.  Theologie,  1850. 
S.  238 — 297.  Von  englischen  Quellen  kommen  neben  den  all- 
gemein historischen  und  kirchenhistorischen  Werken  besonders  in 
Betracht:  Baillie,  die  Aufzeichnungen  von  Lightfoot,  Gilles- 
pie  und  die  Minutes  of  the  Sessions  of  the  Westminster  Assem- 
bly  of  Divines  Nov.  1644  to  March  1649,  Ed.  by  A.  F.  Mitchell 
and  J.  Struthers  1874,  die  mir  indess  leider  zu  spät  zukamen,  um 
sie  ausgiebig  benutzen  zu  können. 

198  ^)  S.  im  Br.  M.   101.   b.  81   Two   Speeches  spoken   at  a  commonhall 

Oct.  27.  1643.  1.  By  Sir  Henry  Vane.  2.  By  Master  Marsball. 
"Wherein  is  shew'd  the  reaydinesse  of  the  Scots  to  assist  the  king- 
dome  and  parliament  of  England  etc.,  zwei  sehr  lehrreiche  Reise- 
berichte. 

199  *)  S.  die  Worte  in  d.  Dedikation   des   Tetrachordon  an's  Parlament: 

,/rhat  which  I  saw  and  was  partaker  of,  your  vows  and  solemn 
covenant." 
203  *)  Forster:    Statesmen   230.     Die    Leichenpredigt:    Qqip'oiSCa   The 
Churches  Lamentation  For  The   Good  Man    bis   losse   etc.    1644, 
Br.  M.  113  i.  23.    4°. 

205  ')  S.  Andeutungen  von  Young's   Reden   in    den   Aufzeichnungen    der 

Schreiber  der  Synode  (Ms.  in  Williams'  Library,  London)  b.  Laing 
1.  c.  35  ff. 
«)  Baillie  II.  230,  260  etc. 

206  MS.  d.  interessante   Spottgedicht  auf  die  Westm.  Synode   „The  mixt 

assembly"  in  Clievelandi  Vindiciae  etc.  p.  42 — 45;  daselbst 
auch  die  unvermeidliche  Anspielung  auf  „Madam  Smec"  (s.  o.  S.  49), 

*)  Baillie  II.  266  „that  the  Jcwish  State  and  Church  was  all  one, 
and  that  so  in  England  it  nmst  be,  that  the  Parliament  is  the 
Church",  vgl.  II.  366. 

^)  üeber  Entwickelung  und  Schicksale  des  Inde])endentismus  und  die 
Pilgerväter  s.  d.  neuere  zusammenfassende  Dai'stellung  in  Rawson 
Gardiner:  Prince  Charles  etc.  II.  36—62.  Von  Special- Werken 
benutze  ich  Benjamin  Ilanbury:  Historical  Memorials  relating 
to  the  Independents  or  Congregationalists  from  their  rise  to  the 
restoration  ofthe  monarchy,  3  Vols.  1839—44.  Joseph  Fletcher: 
Tlie  history  of  the  revival  and  progress  of  Independency  in  Eng- 
land, 4  Vois.  1848—62.    Palfrey:  history  of New-England,  Vol.  1. 


Fünftes   Kapitel.  469 

Seite 

1858.   —   J.  Waddington:    Congregational  History   1.567—1700, 
London  1874,  kam  mir  leider  zu  spät  zu  Gesicht. 

207  ')  Robinson:  .Justification  of  Separation  1010,  s.  Hanbury  I.  214. 
^)  ,,the  body  of  the  congi-egation,  the  multitude,  called  the  church"  in 

der  Justification  of  Separation  s.  Weingarten  25. 
^)  „the   people   being   kings    .   .  thev   are   a   royal   priesthood"    etc. 
Hanbury  I,  254. 

208  ^)  Ueber  das   „triformed  presbytery,    three  kinds   of  eiders,   namely 

pastors,  teachers,  rulers"  und  die  Streitigkeiten  dai-über  s.  Fletcher 
III.  25. 
*)  Ueber  gewisse   Einschränkungen    dieses    Rechtes   diu'ch   Robinson 
s.  Hanbury  Reg. 

209  *)  Hanbury  I.  389,  Anm. 

^)  .,That  the  magistrate  is  not  to  meddle  with  religion 
or  matters  of  conscience,  nor  to  compel  men  to  this  or  that 
form  of  religion;  because  Christ  is  the  King  and  Lawgiver  of  the 
church  and  conscience."  So  wenigstens  berichtet  Robinson,  indess 
in  dem  Glaubensbekenntnis  von  1611,  auf  das  er  sich  bezieht, 
findet  sich  kein  Satz  der  Art;  überhaupt  hat  er  dies  oft  missver- 
standen, vgl.  d.  Art.  über  den  Eid.  Crosby:  The  history  of  the 
English  baptists  1738—40.  I.  App.  p.  71,  II.  App.  1.  —  J.  Ivimey: 
A  history  of  the  E.  baptists  1811,  p.  119,  Hanbury  I.  270,  E.  ß. 
Underhill  in  „Tracts  on  liberty  of  conscience  ed.  for  the  Han- 
serd-Knollys-Society"  1846  p.  91,  Fletcher  III.  .54  gehen 
über  die  Diflerenz  hinweg. 

210  ^)  Justification  of  Separation  s.  Fletcher  III.  45. 
•^j  Hanbury  I.  301,  302. 

212  ^j  S.  neben  Bancroft,   Palfrey  u.   d.   cit.  Werken  über  den  In- 

dependentismus :  R.  Baird:  Religion  in  the  U.  S.  of  America  1844. 
Rüttimann:  Kirche  und  Staat  in  Amerika  1871,  mehrfach  korrigirt 
V.  J.  P.  Thompson:  Kirche  und  Staat  in  d.  verein.  Staaten  v. 
Amerika  1873. 
2)  S.  z.  B.  Bradford:  History  of  Plymouth  Plantation,  Boston  1856, 
p.  425. 

213  1)  Fletcher  III.  125  ff.    Baird  184  ff. 

215  ^)Knowles:  Memoir  of  Roger  Williams,  Boston  1834.  Die  „biogra- 
phical  introduction"  in  dem  Abdruck  v.  K.  W.  „Bloudy  Tenent" 
in  den  Edit.  der  Hanserd-Knollys-Society,  London  1848.  (Ich  ver- 
danke der  Güte  des  Herrn  Professor  de  Hoop-Schefter  in  Amster- 
dam die  Uebersendung  einiger  Bände  dieser  Gesellschafts-Schriften 
aus  d.  „Bibliotheek  van  de  vereenigde  doopsgezinde  gemeente  te 
Amsterdam.")  S.  Greene  Arnold:  Histoi*y  of  the  State  of 
Rhode-Island,  New- York  1859,  I.  1 — 47.  (Diesem  Werke  schljesse 
ich  mich  mit  Bezug  auf  die  streitigen  Fragen  über  Williams'  Jugend 


47')  Anmerkungen. 

Seite 

anj.    Die  Biographieen  von  Garn m eil  und  Elton  haben  mir  leider 
nicht  vorgelegen.    Vgl.  d.  Aufsatz  von  Bü.  ding  er:    Bie  Gründung 
des  confessionslosen  Staates  („Im  neuen  Reich"  1871  II.  .561 — 575). 
216  ')  Knowles.S.  279. 

218  ^)  S.  d.  cit.  Schriften  in  den  „Tracts  on  Liberty  of  Conscience  ed.  for 

the  Hanserd-Knollys-Soc."  (vgl.  d.  Einleitungen):  „Religious  Peace: 
Or  A  Plea  for  Liberty  of  Conscience"  und  .;Ojections :  Answered  by 
Avay  of  Dialogue,  wherein  is  proved  By  the  Law  of  God:  By  the 
law  of  our  Land:  And  by  his  Majesties  niany  testimonies,  That 
no  man  ought  to  be  persecuted  for  his  religion"  etc.,  auf  der  Rück- 
seite „Persecution  for  Religion  Judg'd  and  Condemn'd :  In  a  Dis- 
course, between  an  Antichristian  and  a  Christian."  (Zuerst  1615, 
dann  1620)  vgl.  Fletcher  IIL  48—57,  Hanbury  L  224. 
•')  Tracts  o.  L.  of  C.  181—2.31  s.  namentlich  p.  225,  Crosby  L  124, 
130  ff.  IL  App.  2,  Ivimey  L  124  ff.,  IL  503  ff 

219  1)  Fletcher  III.  30  ff.,  189  ff. 

2)  S.  z.  B.  C.  S.  P.  Ch.  I.  Dom.  Ser.  XIV.  466 ,   vgl.  o.  B.  I.  S.  154. 

3)  Th.  Jackson:  The  Life  of  John  Goodwin  1822. 

220  ^)  Crosby  I.  App.  24  nach  einer  Ausgabe  v.  1646  vgl.  Näheres  I.  170 

Ivimey  175  ff.     lieber  Knollys  u.  Peters  s.  Palfrey  I.  585,  -586. 

2)  Worthington's  Diary  L  266. 

221  *)  The   Protestatiou  Protested,   or  a  Short  Remonstrance  etc.   1641, 

Hanbury  IL  69  ff. 
-)  L.  J.  16.  und  18.  Jan.  1641  Pari,  his t.  IL  990,  Hanbury  II.  66—68. 

3)  C.  J.  1642  Nov.  21  p.  857. 

*)  Reasons  against  the  Independent  Government  etc.  Weingarten  56, 
der  indess  irrig  1642  statt  1641  als  Datum  des  Druckes  angiebt,  s. 
Hanbury  IL  100  ff 

222  *)  The  Justification  of  the  Independent  Churches   of  Christ  etc.  1641, 

Hanbury  IL  108,  vgl.  Fletcher  IIL  244  ft'. 
•■')  Palfrey  L  581. 

224  ')  Neal  s.  v.  „scandalous  ministers"  etc.,  Minutes  of  the  W.  Assem- 

bly  542—546. 

225  ')  S.  neben  Füller  und  Neal  die  Darstellung  b.  Godwin  1.  301  ff. 

über  Young :  D.  L  a  i  n  g  1.  c.  13. 

228  i)Baillie  IL  110,  117  etc. 
■■')Neal  V.  p.  GVL 

229  »)Neal,  Hanbury  IL  221  ff,  Fletcher  IV.  Chapt.  1. 

231  M  Tüll  och:  Rational  theology  etc.  1872,  IL  3.    Dieses  Werk  lege  ich 

auch  für  das  Folgende  zu  Grunde. 

232  M  „In  other  things  I  will  take  no  man's  liberty  of  judgment  from 

him"  etc.  TuUoch  L  338. 

233  ')  Tüll  och  L  342,  433. 

235  ')  Tlie  bloudy  tenent  of  persecution  for  cause  of  conscience  etc.  1644 


Fünftes  Kapitel,  471 

Seite 

(Edited  for  the  Hanserd-Knollys-  Society  by  E.  Bean  Under- 
hill  1848),  namentlich  S.  141,  169,  203,  107,  257,  263,  315,  841, 
804,  263;  vgl.  Ballie  II.  191,  212,  397.  Die  andere  von  E.  B. 
Underhill  p.  XXXIY  erwähnte  Schritt  R.  Williams'  „Queries  of 
highest  consideration  proposed  to  Mr.  Thomas  Goodwin  .  .  presented 
to  the  High  Court  of  Parliament,  London  1644,"  liegt  mir  nicht  vor. 

286  ')  A  Reply  of  Two  of  the  Brethren  to  A.  S.  etc.  With  a  Plea  for 
liberty  of  Conscience  for  the  Apologist's  Church-Way;  against  the 
Cavils  of  the  said  A.  S.  Formerly  called  M.  S.,  to  A.  S.  (Adam 
Stewart)  2.  Ed.  1644  s.  Bailliell.  111,  180,  181,  184.  Hanbury 
IL  251,  341  &.  Jackson  116,  117. 
'^)  Weingarten  111. 

237  ^)  S.  Weingarten  102  ff.,  auch  f.  d.  Folgende  vgl.  Wood,  Baillie, 
Hanbury,  Fletcher. 
^)  „Dipper"  =  Taucher  mit  Bezug  auf  die  Ceremonie  der  Wiedertaufe. 

239  ')  S.  d.  Auszüge  aus  d.  „Gangraena"  b.  Masson  III.  143  ff. 

-)  Weingarten  109,  83.  Er  findet  den  Ausdruck  „Saints"  zuerst  in 
Burton's  protestation  protested  v.  1641  (nicht  1644  wie  W.  sagt) 
s.  0.  S.  221. 

240  ')  Weingarten  105. 

^)  Baillie  IL-  218,-  Tracts  on  Liberty  of  Conscience  270,  L. 

und  C.  Journals  9.  Aug. 
»)  Masson  IIL  163,  Predigt  v.  13.  Aug.  1644. 

241  0  An  Arke  against  a  Deluge  etc.  (22.  Oct.  1644)  Br.  M.  ^^  p.  29 

18 

„your  abhorring  of  the  mentioning  yea  of  the  very  thoughts  of  Tol- 
lerating all  opinions"  etc.  „For  my  part  (Right  Honourable)  if  God 
thinkes  fit,  I  should  rather  wish  to  lie  in  my  grave  than  live  to  be- 
hold such  an  intollerable  Tolleration." 

F    17 
2)Yines:    „The    Posture    of   David's    Spirit"    Br.    M.  ^^jj-   über 

Palmer  s.  S.  302. 

3)  Ich  führe  aussdr  „Englands  Antidota"  (s.  o.  S.  51  Anm.  1)  nur  die  Titel 

einiger  Predigten  an :  „The  great  danger  of  Covenant  brealdng,"  „An 

indictment  against  England  because  of  her  selfmurdering  divisions." 

E  320) 
In-e  ich  nicht,  so  richtet  sich  eine  Schrift  Calamy's  (B  r.  M,  —^ — = 

speciell  gegen  Burton.  Eine  Predigt  von  Young:  Hopes  Incurage- 
ment  etc.  preached  at  the  last  solemn  fast  Febr.  28.  1643  (1644)  4o, 
38  S.,  massvoll  in  der  Form,  bezeugt  eine  ähnliche  Gedankem'ichtung. 

242  1)  A  sermon  tending  to  set  forth  the  right  use   of  the   disasters  that 

■p    1 « 
befall  om-  armies  etc.,  London  1644,  Br.  M.  -^^j —  S.  31  „No  Reform 

of  Religion  now,  now  nothing  will  satisfie  some  but  a  Toleration  of 


472  Anmerkungen. 

Seite 

all  Religions  and  all  Opinions"  etc.  S.  40  „Duresce,  duresce  o  infelix 
Lantgravie." 

242  *)  The  duty  of  such  as  would  walke  worthy  of  the  Gospel :  to  endea- 

vor  Union  not  division  nor  toleration  opened  in  a  sermon  at  Pauls 
upon  the  Lords  day  Febr.  8.  1646  (v.  Thomason  mit  Tinte  die  6 
durchstrichen  und  1645  daneben  geschrieben)  etc.  I^ondon  1646 
S.  17  „an  universall  and  absolute  liberty  of  judgment  for  every 
man  to  differ  when  he  pleaseth  and  in  what  he  pleaseth,  to 
be  of  what  opinion  and  faith  he  will,  is  not  to  be  endeavoured  if 
it  might  be  attained,  nor  is  it  to  be  tolerated  or  permitted." 
Ueber  den  Covenant  S.  30. 

243  'j  Groanes  for  Liberty  Presented  From  the  Presbyterian  and  (formerly 

nonconforming)  Brethren,  reputed  the  ablest  and  most  learned 
among  them  in  some  Treatises  called  Smectymnuus ,  to  the  high 
and  Honorable  Court  of  Parliament  in  the  yearc  1641  by  reason  of 
the  Prelates  Tyranny.  Now  awakened  and  presented  to  themselves 
in  the  behalfe  of  their  nonconforming  Brethren  etc.  .  .  .  Also  Some 
Quaeres  For  the  better  understanding  of  Mr.  Edwards  last  Book 
called  Gangraena  etc.  (1G46).  Mir  ist  die  Schrift  nur  bekannt  aus 
dem  Sammelbande  Saltmarsh'scher  Pamphlete:  Some  Drops  of  the 
Viall,  powred  out  in  a  Season  when  it  is  neither  Night  nor  Day  or 
some  Discoveries  of  Jesus  Christ  bis  Glory  in  severall  Books  etc. .  . 
London  1646  (Br.  M.  4106.-  e.  4"  mit  Ms.  Bemerkungen  v.  einem 
Gesinnungs-Genossen).  S.  über  Saltmarsh:  Neal,  Wood  A,  0.  IL 
287,  Hanbury  III.  Reg.  daselbst  namentlich  167  ff. 

245  ^)  A  vindication  of  churches  commonly  called  independent  or  a  briete 

answer  to  two  books,    the  one  intituled  twelfe  considerable  serious 

questions  touching  church-government;  the  otlier  Independency  exa- 

mined,  unmasked,  refuted  etc.    Both  lately  published  by  William 

Prinne  .  .  .  By  Henry  Burton,  a  brother  of  his  and  late  companion 

in  tribulation  etc.  1644   (von  Thomason's  Hand    der  Ms.  Vermerk: 

E.  17 
Novemb.  14tii)  B  r.  M.  — ^ —  4".    S.  30  gegen  die  National  -  Kirchen, 

S.  39  ff.  iiber  Papisten  und  Anabaptisten  „Magistrates  may  not  tole- 
rate  opon  Popery  and  Idolatry  to  be  set  up  in  the  land,  but  the 
conscience  of  a  Papist  they  are  no  masters  or  judges  ot"  etc.  Ohne 
Zweifel  war  es  auch  Burton,  der  1646  die  Schrift  „Religious  Peace" 
(s.  0.  S.  218)  mit  einer  Vorrede  „To  the  Presbyterian  reader  .  .  . 
H.  B."  neu  herausgab  (s.  Tracts  o.  L.  o.  C.  p.  7). 

246  ')  l^aillie  IL  146,  170,  185. 

247  *)Carlyle  IV.   »i5   vgl.  f.   d.  Folgende  neben  Carlyle  besonders   die 

neue  Edition  d^r  Camden-S  ociety  (1875):  The  Quarrel  between 
the  oarl  of  Manchester  and  Oliver  Ciomwell:  An  episode  of  the  Eng- 
lish  civil  war.     rnpublished  docunicnts  relating  thereto  ed.  Bruce 


Sechstes  Kapitel.  473 

Seite 

and  Masson.  Ueber  die  Crawfords  hätten  hier  noch  die  Notizen  bei 
Sanford  (Long-Marston-Moorj  benutzt  werden  können. 

247  2)  Pef.  sec.  W.  VI.  318. 

248  ')  S.  das  gegen  Cromwell  gerichtete  Aktenstück  C  a  ra  d  e  n  -  S  o  c.  1.  c. 

72,  vgl.  60,  62.        •■')  Carlyle  I.  182. 

249  OBaillie  II.  111,  113,  166  ff.,  179. 

250  ')  S.   d.    genaueste  Beschreibung   der   Schlacht   in   J.  L.    Sanford: 

Studies  and  illustrations    of  the  great  rebellion  1858,   S.  580—616 
etwas  abweichend  Markham:  Life  of  Fairfax,  1870.    165 — 178. 
253  *)  S.  über  diese  Ereignisse  C  a  m  d  e  n  -  S  o  c.   1.  c.  p.  LIV— LXII ,   vgl. 

mit  Baillie  II.  229  ff.,  Carlyle,  C.  J. 
255  ')Camden-Soc.  1.  c.  S.  93,  Carlyle  I.  197. 

*)  Camden-Soc.  1.  c.  S.  79  aus  „CromAvell's  Narrative,"  einem  Akten- 
stück, an  dem  doch  \vohl  Cromwell's  Hand  nicht  allein  gearbeitet  hat. 
=')  Whitelocke  I.  343  ff".    Baillie  II.  245. 
258  ^)  Kronick  van  het  bist.  Genootschap  te  Utrecht  1870  p.  41. 

Sechstes  Kapitel. 

262  ')  Mitford  (W.  I.  p.  LVI)  hat  auf  die  Stellen  bei  Howell:  Familiär 

letters  und  Hall:  Cases  of  conscience  aufmerksam  gemacht.  Eben 
dort  und  bei  Todd  I.  p.  60  ff.,  die  übrigen  Aeusserungen,  die  sich 
gegen  Milton's  Ehescheidimgs-Theorie  richten. 

263  1)  Ich  benutze  ein  Exemplar  des  Br.  M.  E.  268.    1645  (mit  Tinte  der 

Vermerk  „Feb.  7.")  .  .  „Witnesse  a  Tractate  of  Divorce,  in  which 
the  bonds  of  marriage  are  let  loose  to  iaordinate  lust  and  putting 
away  Avives  for  many  other  causes  besides  that  which  our  Savioiu: 
only  approveth  namely  in  case  of  Adultery." 
-)  Mir  lag  nur  die  zweite  Ausgabe  von  Pagit's  Schrift  (1645)  vor:  s. 
d.  auf  Milton  bez.  Stellen  in  der  Vorrede  und  p.  142:  „Divorsers: 
These  I  terme  divorsers,  that  would  be  quit  of  their  wives  for  slight 
occasions,  and  to  maintaine  this  opinion  one  hatli  published  a  Trac- 
tate of  divorce"  etc.,  vgl.  Todd  1.  63. 

264  1)  S.  d.  Stellen  aus  Edwards'  Gangraena  bei  Masson:  III.  189—193, 
■•*)  Vgl.  A  catalogue  of  prints  and  di-awings  in  the  Br.  Museum  Div.  I. 

Pol.  and  personal  satires  (1870)  Nr.  666.  Political  ballads  etc.  ed. 
T.  Wright  (Percy-Soc.  1841)  p.  253. 
')  Forster  Statesmen  p.  279. 
266  ^)  Ich  beabsichtige  das  Andenken  an  Hartlib  ausführlicher  an  anderer 
Stelle  aufzufrischen.  Seine  zahlreichen  im  Br.  Mus.  aufbewahrten 
Druckschriften  haben  mir  vorgelegen,  ausserdem  mehrere  der  dor- 
tigen Ms.  Bände,  welche  Bruchstücke  seiner  unglaublich  ausgedehnten 
Korrespondenz  enthalten.  Besonders  wichtig  ist  Sloane-Ms.  649, 
in  welchem  auch  Milton  mehrfach  erwähnt  wird.     Zahlreiche  Briefe 


474  Anmerkungen. 

Seite 

Hartlib's  an  Robert  Boyle,  gleichfalls  mit  gelegentlicher  Erwähnung 
Milton's,  finden  sich  in  Boyle's  Works  (Ed.  1744)  Vol.  5,  an  Wor- 
thington in  Worthington's  Diary  and  Correspondence  ed.  J.  Cross- 
ley  (Chetham-Soc.  1847,  1855).  Die  von  Crossley  in  Aussicht  ge- 
stellte Biographie  Hartlib's,  wie  die  Durie's  und  Worthington's 
fehlt  noch.  Für  Hartlib  müssen  wir  uns  vorläufig  mit  der  gut- 
gemeinten aber  mangelhaften  Arbeit  von  Dircks:  A  biographlcal 
memoir  of  S.  Hartlib  etc.,  London  J.  Russell  Smith  (1865)  begnügen. 
266  ^)  Der  Vermittlung  des  H.  Dr.  Damus  verdanke  ich  folgende  Notiz  aus 
einem  Ms.  des  elbinger  Archivs,  enth.  biographische  Nach- 
richten über  verdiente  Elbinger,  allerdings  v.  Ende  d.  18.  Jahr- 
hunderts mid  jedenfalls  irrig  in  Betreff  von  Namen  und  Datum: 
„George  Hartlib,  dieser  hat  in  Heidelberg  studiert  und  sich  hernach 
in  Elbing  aufgehalten.  Ist  aber,  ich  weiss  nicht  durch  was  für  einen 
Zufall,  nach  Engelland  gekommen  und  daselbst,  ob  in  oder  ausser 
einem  Dienst,  weiss  ich  nicht,  1660  gestorben,  wie  Zamehl  (?)  p.  169 
berichtet."  Masson  III.  193  nimmt  als  sicher  an,  dass  Hartlib's 
Mutter  eine  Engländerin  war,  obwohl  es  aus  seiner  autobiogi'aphischen 
Skizze  (Dircks  2  ff.,  s.  auch  Kennet  Register  p.  867)  nicht  her- 
vorgeht. 

268  *)  Eine  gute  Würdigung  Hartlib's  s.  b.  TuUoch  Rational  Theo- 

logy  II.  427.  Er  wird  auch  nebst  Durie  mehrfach  erwähnt  in  Ave- 
Lallement:  Des  Dr.  Joachim  Jungius  Briefwechsel  1863. 

269  *)  S.  über  Durie  ausser   Bayle,    Wood,   einer   älteren   Dissertation 

von  Benzelius  (Mosheim)  de  J.  Duraeo  den  Art.  von  Henke  in 
Herzog's  Encyklopaedie,  vgl.  einen  Aufsatz  v.  B  r  a  n  d  e  s  im  Nordd 
Protestantenblatt  1871  Nr.  15,  20.  Ziu-  genaueren  chronologischen 
Bestimmung  der  früheren-  Thätigkeit  Durie's  ist  unentbehrlich  die 
Schrift  Hartlib's:  A  briefe  relation  of  that  wliich  hath  been  lately 
attempdted  to  procure  ecclesiasticall  peace  amongst  Protestants  Lon- 
don pr.  by  J.  R.  for  Andrew  Crooke  etc.  1641  Br.  M.  108,  b.  31, 
35  S  4"  und  die  spätere :  The  unchanged,  constaut  and  single-hearted 

E.  603. 
peace-maker  etc.  1650  Br.  M.   — ö —   Zahlreiche  werthvolle  Notizen 

f.  Durie's  späteres  Leben  in  Worthington's  Diary  (das.  I.  305 
cit.  Tinianus  Gesselius  bist.  Sacra  et  eccl.  1659—61  entli.  eine  Samm- 
lung Durie' scher  Papiere)  und  Vaughan:  The  protectorate  of  0. 
Cromwell  2  Vols.  1839.  Das  Züricher  wie  das  berner  Staats- 
Archiv  ist  reich  an  Nachrichten  über  Durie;  eine  Reihe  seiner 
Briefe  haben  mir  im  Oi'igiual  vorgelegen). 

270  ')  C.  S.  P.  Dom.  Ser.  1631-38  unter  Durie,  Roe,  Hartlib,  s.  daneben 

über  Durie's  Verhältnis  zu  Land:  Report  of  the  R.  Commission 
on  bist.  Mss.  Nr.  IV.  P.  I,  159—162,  592.   Einen  bisher  unbekannten 


Sechstes  Kapitel.  475 

Seite 

Brief  Hartlib's  an  Roe  (?)   vom  10.  August  1640  theilt  Masson  III. 
217  ff.  aus  dem  S.  P.  0.  mit. 

270  -)  Forster :  Statesmen  160. 

271  ^)  Dies  geht  hervor  aus  „A  briefe  relation." 
-)  A  briefe  relation  s.  o.  S.  269  Anm.  1. 

^)  Hartlib  hat  in  diesen  Jahren  noch  durch  zwei  andere  Schiüften  die 
Aufmerksamkeit  auf  Durie  gelenkt:  1)  Motion  tending  to  the  publick 
good  of  this  age  etc.    The  copies  of  certain  letters  written  by  J.  D. 

publ.  byS.  Hartlib,  London  1642  Br.  M.  — "^^ —  4".    2)  A  copy 

of  J.  Dury's  letters  presentend  in  Sweden  to  the  Lord  Forbes  briefly 

intimating   the   necessity   of  a  common  fundamental  confession   of 

faith  etc.,   publ.   by  S.  Hartlib.    London  (Nov.  15)    1643  Br.   M. 

E.  251 

— g —  4".    Ich  habe  diese  Schriften  indess  nicht  eingesehen. 

*)  The  copy  of  a  letter  written  to  Mi-.  Alexander  Henderson.   London. 

E.  87 
Printed  in  the  yeare  1643,  14  p.  Br.  M.      .-      4°  ohne  Unterschrift, 

aber  auf  dem  Titel   der  Vermerk  von  Thomason's   Hand   „by  Mr. 
Hartlib,  Feb.  first  1642"  (nicht  „Feb.  6"  wie  Masson  III.  220  hat). 

272  ^)  A   faithfull    and   seasonable   advice,    or  the  necessity   of  a  corre- 

spondencie  for   the  advancement   of  the   protestant   cause    humbly 

suggested  to  the  great  councell  of  England  assembied  in  parliament. 

E.  87 
Printed  by  John  Hammond  1643  4".    4  Bl.  Br.  M.     ,  .      auf  dem 

Titelblatt  von  Thomason's  Hand:  „Ex  dono  Authois  (sie!)  S.  Hart- 
lib Feb.  6.  1642." 
^)  The    uecessity    of   some    nearer    conjunction    and    correspondency 
amongst  Evangelical  Protestants  for  the  advancement  of  the  nationall 
cause  and  bringing  to   passe   the   effect  of  the  covenant.    London 

E.  16. 
Printed  1644,  4"  8  S.  Br.  M.     j^    Auf  dem  Titel  von  Thomason's 

Hand:^,,By  Mr.  Hartlib  Xovemb.  9tii.'- 

273  ^)  Nach  Zoubek:    Zivot  J.   A.   Komenskeho    (s.  u.)  p.   38  soll  ihm 

von  einem  reichen  Herrn  1632  ein  Schloss  angewiesen  sein,  damit 
er  in  demselben  mit  zwanzig  englischen  Jünglingen  wohne  und  ihre 
Studien  leite.  Z.  stützt  sich  vermuthlich  auf  die  Notiz  in  Comenius 
böhmischer  Didaktik  Ed.  1849,  S.  170  Cap.  28). 
^)  In  der  Schrift  „The  true  and  readie  way  to  learne  the  Latine  tongue" 
etc.  V.  16.54. 

274  ^)  In  der  Schrift  „The  reformed  school  by  John  Dury,  London  printed 

by  R.  D.  for  Rieh.  Woodnothe  s.  a.  81  S.,  vorher  geht  „the  Publi- 
sher  to  the  Reader,"  unterschrieben  „Thy  most  willing  Servant  for 


476  Anmerkungen. 

Stite 

the  advancement  of  Piety  and  Learning  Samuel  Hartlib."     B  r.  M. 
10.  31.  a.  11. 
1 

274  ^)  S.  über  ilin  Sclimid:  Encyclop.  d.  Erziehungs-Wesens,  Raum  er: 
Gesch.  d.  Pädagogik  (vgl,  Register),  Palacky:  ZS.  d.  Böhm.  Mu- 
seums (1829),  Gindely:  Ueb.  d.  J.  A.  Comenius  Leben  und  Wirk- 
samkeit i.  d.  Fremde  i.  d.  Sitzungsberichten  d.  Wiener  Akad.  phil.  bist. 
Gl.  XV,  482—552  (1855),  D.  Benham:  The  School  of  infancy 
etc.  m.  Sketch  of  the  life  of  Com.  London  1858,  die  Biographie  .v 
Zoubek  (Zivot  J.  A.  Komenskeho)  Prag  1871,  Beiträge  z.  Lebens- 
geschichte des  Comenius  (Prispt'vky  k  zivotopisu  Komenskeho)  v. 
J.  Goll  in  ZS.  d.  Böhm.  Museums  1874  p.  259—277  (mit  besonderer 
Benutzung  der  von  Goll  im  Br.  Mus.  entdeckten  Schrift:  Historia 
Revelationum  Ch.  Kotteri  etc.,  durch  welche  manche  Punkte  in  C. 
Biographie  in  neues  Licht  gesetzt  werden).  Ueber  des  C.  Ver- 
hältnis zu  Hartlib  und  England  kommen  neben  den  gedruckten 
Werken  die  schon  von  Gindely  und  Zoubek  benutzten  Briefe  in  Be- 
tracht, welche  das  böhm.  Museum  in  Prag  besitzt  (s.  Gindely 
485).  Es  sind  mehr  als  120  Briefe  des  C.  an  verschiedene  Personen 
und  mehrere  an  ihn.  Eine  nicht  geringe  Anzahl  ist  von  des  C. 
eigener  Hand  geschrieben ,  ein  Theil  hat  sich  im  Koncept  erhalten. 
Die  anderen  sind  in  einzelnen  Theken  auf  seinen  Befehl  nieder- 
geschrieben worden  etc.  Die  Güte  meines  Freundes,  des  H.  Dr. 
Goll  in  Prag,  der  meine  Nachforschungen  über  Comenius  überhaupt 
unterstützt  hat,  hat  mir  ermöglicht,  diese  Korrespondenz  des  C,  so- 
weit sie  hier  in  Betracht  kam,  zu  benutzen.  Beiläufig  seien  noch 
erwähnt  die  Gelegenheits-Schriften  v.  Seyffarth  und  Pappen- 
heim 1871. 

276  ')  Zoubek  36,  117  Nr.  45,  Gindely  493,  497.  Gindely:  Dekrety 
jednoty  bratrske  1865,  p.  306—311  (D.  d.  Brüder  -  Unität ,  Mit- 
theilung von  Goll).  Raum  er  II.  96  nach  Auszügen  aus  d.  Schi'ift 
„Unum  necessarium"  etc. 

278  ')  Zoubek  34,  35. 

279  ')  Brief  des  Comenius  an   Hartlib   (Ms.   in   Prag)  s.  d.:  „S.  P. 

Clarissime  vir  patuit  quidem  jam  ante  mihi  amicitiae  tuae  janua, 
quum  per  germanum  tuum,  aliquoties  me  salutari  et  de  quibusdam 
iiioneri  voluisti,  magis  autem  nunc  praebita  mihi  ansa  est  familiarius 
te  compellendi,  postquam  et  nostris  legatis  (Vechnero  et  Laurino)  te 
tam  affabilem  et  communis  miseriae  exulum  gentis  nostrae  tam  com- 
paticntfm  praebuisti,  quem  scilicet  et  scriptis  quibusdam  didacticis 
(quamvis  hactenus  nondum  mihi  sint  redditae)  donare  et  aliorum 
iiinicitia  augere  voluisti.  I).  Stresonem  intelligo,  qui  ad  me  tuo  mo- 
iiitu  litteris  datis  suum  de  rationis  usu  et  abusu  elegans  jam  et  poli- 
tum  scriptum  communicavit  .  .  .  Patere  nii  H. ,   ut   tibi  lioc  in  loco 


Sechstes  Kapitel.  477 

Seite 

effundam  cogitatioiies  meas.  Cupio  adnioduni  posse  me  in  hoc 
exilio  saltem  Didacticam  magnara,  Viridarium  et  Pansophiam  absol- 
vere,  quia  metuo,  si  Deus  nos  patriae  restitiiat,  per  negotia  eccle- 
siastica  non  datum  iri  tantum  otii,  ut  his  vacare  queam.  Affirmare 
qiiippe  ausus  es  apud  affinem  meum  D.  Yechnerum,  nisi  obstitisset 
conatibus  tuis  Anchorani  temeritas,  effecturum  te  fuisse,  ut  pro  januae 
reclusione  annuatini  mihi  ad  vitae  dies  100  libr.  sterl.  cederet.  Si  ita 
equidem  te  amo  mellite  amice,  qui  de  me  tarn  insigniter  mereri  sta- 
tueras. At  si  tibi  non  desunt  rationes,  en  merendi  iterum  occasio 
non  tarn  de  me,  quam  de  re  communi  totius  Christianae  juventatis. 
Nimirum,  si  vel  unicas  centum  1.  a  studioTum  patronis  (quibus  floren- 
tissime  Anglia  abundat)  impetraveris,  impetrari  ego  posse  spero,  ut 
in  laborum  societatem  pertraham  ei'uditissimos  viros  Yechneros  .  .  . 
Interim  si  non  in  promptu  tibi  res  est,  nihil  etiam  peto  nisi  ut 
orare  pro  nobis  non  intermittas"  .  .  .  Dieser  undatirte  Brief  eröffnet 
die  Korrespondenz  zwischen  C.  und  H.  Dessen  Briefe  sind  leider 
nicht  erhalten.  Die  Zeit,  in  der  dieser  Brief  geschrieben  ist,  be- 
stimmt sich  nach  der  Zeit  des  Erscheinens  der  ersten^  Auflage  von 
Anchoran's  Schrift.  Ich  bin  nur  im  Stande  das  Jahr,  in  dem  die 
dritte  Auflage  erschien  (1637)  anzugeben.  Ueber  Hörne  s.  Wood 
A.  0.  II.  178. 

279  *)  S.  Dircks  a.  a.  0.  S.  51:  Conatuum  Comenianorum  praeludia  ex 
bibliotheca  S.  H  .  .  .  .  Oxoniae,  Excudebat  Guilelraus  Turnerus. 
Academiae  Typogi-aphus  4°.  Anno  1637  (die  Vorrede  a.  d.  Leser 
unterschrieben:  Samuel  Hartlib).  —  Eeverendi  et  clarissimi  viri 
Johannis  Arnos  Comenii  pansophiae  prodromus  etc.  12".  Londini 
1639  (die  Vorrede  wiederum  unterschrieben  Samuel  Hartlibius  .  . 
Cal.  Jan.  Anno  1639).  Nach  Massen  III.  198  in  den  Registers 
von  Stationers'  Hall  bereits  eingetragen:  „Oct.  17.  1638." 
3)Gindely  490. 

*)  S.  den  Bericht  des  Comenius  in  d.  autobiograph.  Skizze  vor  T.  2 
seiner  Opera  didactica  1657.  Ich  benutze  ausserdem  die  mir  durch 
Goll's  Güte  zur  Verfügung  gestellten  Auszüge  aus  einer  im  Druck 
befindlichen  Ai'beit  Zoubek's  über  „Comenius  Zeitungen  aus 
London"  (ZS.  des  Böhm.  Museums  1876).  Von  diesen  bisher  ganz 
unbekannten  „Zeitungen"  befindet  sich  ein  gedrucktes  Exemplar 
(d.  8/18  Oct.  1641  „ad  amicos  Lesnae  in  Polonia  agentes)"  in  der 
Un.-Bibl.  zu  Leipzig.  Als  Autor  des  encyklopädistischen  Planes'' 
nennt  C.  den  „sehr  gelehrten  Mann  N.  (?)  Harrison." 

280^^)  Neben  dem  früher  Citirten  werden  hier  die  Briefe  des  Comenius, 
deren  Ms.  sich  in  Prag  befindet,  Hauptquelle.  Eine  ganze  Reihe 
derselben  aus  London,  geschrieben  vom  5/15  Nov.  1641  bis  9.  Mai 
1642,  an  L.  de  Geer  und  Hottonus  gerichtet,  liegt  mir-  auszüglich 
vor.   Ich  führe  daraus  an:  .  .  „Praesertim  cum  et  hie  labores  bonos 


478  Anmerkungen. 

Seite 

bene  ageiidi  aperiri  videatur  campus;  quaniquam  uon  sine  impedi- 
mentorum  metu.  Utut  est  expectandus  mihi  erit  commissae  legationis 
meae  eventus,  qualisqualis  futurus  est."  (5./15.  Nov.  1641.)  „Quan- 
tum ad  me,  ex  prioribus  meis  intelligei'e  potuisti,  me  hoc  in  loco 
multorum  Christi  sen'orum  causa  legatione  tungi,  ad  quaerendum 
diuturnae  egestatis  levamen  aliquod  simulque  tarnen  agere  cum 
amicis  loci  hujus  illa,  per  quae  studia  nostro  Deo  et  posteritati 
probare  liceat  .  .  .  Unde  porro  sequitur,  nee  me  ante  legationem 
finitam  impetratamque  a  meis  dimissionem,  nee  in  accipienda  oblata 
vocatione  eorum,  qui  consiliorum  et  laborum  consortes  sunt,  respectum 
seponere  posse"  (9./19.  Dec.  1641).  „Verum  est,  existimasse  hie 
arnicos  (quos  negotii  conscios  fecit  Dom.  Hartlibius  unum  et  alterum) 
commodiorem  ibre  sedem  hoc  in  loco  .  .  .  Tum  vero  quia  spes 
publicae  tranquillitatis  hoc  in  regno  (quae  mutare  jam  videntur)  in 
integro  tum  erat,  nee  relabi  tarn  facile  conciliis  jam  coeptis  satis 
decorum    fuit"    (9./19.   Dec.   1641)    .  .    „Terrent   me  public!  motus 

quorum  exitus  solus  novit  Dens Me  hoc  in  loco  intimi  amici 

mei  (Duräus  et  Hartlibius)  retinere  conantur  per  duos  tresve  menses, 
suadentes  ut  ante  discessura  hinc  omnes  pansophicos  (annis  14  varie 
congestos  et  hucusque  per  Chartas  sparsim  disjectos)  conceptus 
recolligam  et  redactos  in  aliquem  ordinem  sibi  quoque  exemplar 
relinquam,  ue  scilicet  si  me  mors  aut  alius  infaustus  itinerum  casus 
Chartas  meas  mihi  eripiant,  omnia  intereant  simul.  Quorum  con- 
siUo  .  .  propemodum  pai'cere  decrevi"  (s.  d.  nach  6.  Feb.  1642)  .  . 
„Nondum  autem  ad  vos  venio,  quia  memoriain  meae  hie  hospi- 
tationis  honestam  relinquere  cogito  et  propemodum  uecessarium 
est,  parte  quadam  lucubrationum  mearum  hiemis  praeteritae  ante 
discessum  meuni  hie  typis  descripta.  Qua  etiam  ratione  fiet,  quod 
ut  fieret  suadebas,  specimen  novum,  elegans  mirum  et  multis  in- 
speratum  Pansophicorum  nostrorum  conatuum  dabitur  in  publicum" 
(an  Hottonus  9.  Maji  1642,  in  Folge  dessen  erschien  1043  Danzig 
„Piusophiae  diatj'posis  ichnogi'apliica  et  orthographica",  s.  Zoubek 
p.  116  No.  43).  Er  schrieb  ausserdem  in  London  „Via  lucis 
vestigata",  das  aber  erst  später  erschien,  s.  Zoubek  Xr.  42. 

'^)  A  Reformation  of  Sehooles  .  .  .  Written  many  years  ago  in  Latine 
by  that  Reverend,  Godly,  Learned  and  famous  Divine  Mr.  John 
Arnos  Comenius  .  .  .  And  now  upon  the  request  of  raany  translated 
iüto  English  and  publ.  by  Samuel  Hartlib  for  the  general  good  of 
this  Nation  .  .  1642  (nach  d.  Reg.  v.  Stat.  Hall,  eingetragen  „Jan. 
12.  1642",  s.  Masson  III.  220).  4".  94  S.  Br.  M.  830.  8.  b. 
(S.  d.  genauen  Titel  b.  Direks  52.) 

•■')  Zoubek:  Zeitungen  des  C.  Nach  diesen  war  C.  schon  am  21.  Sept. 
in  London. 
281  *)Goll  2(t.5  nach  Mittheilungen  a.  d.  elbinger  Archiv. 


Sechtes  Kapitel.  479 

Seite 

282  ^)  S.  d.  Einleitung  zu  T.  2  der  Opera  didactica. 

^)  Zoubek  43,  49,  53,  Comenius  an  L.  de  Geer.  Elbingae  18./28. 
Nov.  1642 :  „Augere  tibi  impensas  citra  necessitatem  nolo  praeser- 
tim  si  in  Hartlibium  et  Fundanium  aliquid  pro  hoc  anno  (uti  roga- 
bam)  derivatum  est".  C.  ad  Wolzogenium  (s.  Gindely  496) 
Elbingae  8.  Oct.  st.  n.  1643:  „Quid  autem  Hartlibii  mei  superestne 
aliqua  memoria?  Suadere  ipsimet  tentaveram,  ut  particularem  ali- 
quam  suscipere  Interim  ne  sperneret  vocationem.  Quid  mibi  respon- 
derit,  ex  adjacentibus  vide.  Indignatur  propemodum,  quod  a 
sublimioribus  revocare  audeam,  veritus,  ut  ne  ipse  abjiciam  liastam. 
Multa  sperat,  multa  satagit,  multos  Stimulare  et  favere  qui  se  pub- 
lice dedunt,  non  intermittit  optimus  vir.  Quid  faciemus?  Juvandus 
est  utique,  tarn  precibus  apud  Deum,  quam  modis  et  rationibus  aliis 
possibilibus,  ne  succumbat.  Ego  quod  ibidem  piorum  quorundam 
liberalitas  nitro  mihi  obtulerat  couferre  quotannis  ad  operis  usque 
elaborationem  (circiter  libras  40  vel  aliquanto  supra)  ipsi  transsig- 
naveram  ad  amanuenses  alendum  et  alias  necessitates.  Sed  belli 
calamitas  facit,  ut  ille  desertum  se  et  in  angustiis  constitutum 
sentiet.  Si  patroni  bona  pace  liceret,  ego  hinc  aliquam  illi  mitterem 
summulam  etc." 

■"')  Hier  kommt  namentlicb  Sloane  Ms.  649  in  Betracht,  s.  über 
J.  Ravius:  Zoubek  57,  Gindely  500,  über  Kinner:  Zoubek  60, 
62,  64.     S.  Weiteres  o.  im  Text  S.  400. 

■*)  „te  incentor  omnium  Bonorum  in  Anglia".    Sloane  Ms.  649  f.  31 
aus  einem  Briefe  des  Nürnbergers  Böhmer  an  H. 
283  ^)  C.  S.  P.  Dom.  Ser.  Charles  I.  Vol.  XIV,  104. 

^)Prynne,  Ganterburie's  Doome  1646,  p.  539  &.  Wharton: 
bist,  of  the  troubles  and  tryal  of  W.  Land  1695,  p.  377. 

^)  A  Short  letter  modestly  entreating  a  friend's  judgment  upon  Mr. 
Edwards  his  booke,  he  calleth  an  Anti-Apologie:  with  a  lai-ge 
but  modest  answer  thereunto.  London,  Printed  according  to  Order 
1644.  (Die  Schrift  hat  mir  nicht  vorgelegen,  nach  Masson  III. 
231  trägt  das  im  Br.  M.  befindliche  Exemplar  den  Ms.  Vermerk 
„Sept.  14".)     lieber  Woodward  s.  Wood:  Athenae  Ox.  II.  540, 

*)  An  epistolary  discourse,  wherein  (amongst  other  particulars)  these 
foUowing  questions  are  briefly  resolved  I.  Whether  or  no  the  State 
should  tolerate  the  independent  government?  II.  If  they  should 
tolerate  it,  how  farre,  and  with  what  limitations?  III.  If  they 
should  not  tolerate  it,  what  course  should  be  taken,  to  bring  them 
to  a  conörmity  with  the  presby terials  ?  Written  by  Mr.  John  Dury  to 
Mr.  Tho.  Goodwin     j 

]VIr.  Philip  Nye  >  Published  by  a  friend  for  more  common  use 

Mr.  Samuel  Hartlib  ) 
(vielleicht  H.   selbst)  .  .  pr.  f.  Ch.   Greene  etc.   1644   (Ms.  Note: 


1^  T»    f* 


478 


Seite 


bene  ageiuli  a|H^#  vidr- 

;   quamquam  non  sine  imp»  , 

meiitonun  inct' 

IS  mihi  erit  commissae  legatioi 

nieae  evontn^ 

-t  •'•    fö./lO.  Nov.  1641.)    .,guai, 

tum  ad  111 

■    l)Otuisti,  me  hoc  in  loco 

miiltoruiii    'II 

•jatione  fungi,  ad   quaerendum 

iliiiturnac    vgc^ 

d     simuhjue    tarnen   agere  ouiu 

ainicis  loci  hn 

'i  1    noi^tro  Deo   et  pc-'  mai 

probare  liceal 

IUI-,   nt'c  me   ante  legaiiunc-ni 

finitani  impcti 

-ionem,  nee  in  accipienda  oblata 

vocatione  eoruii.,  ,,  v  .,,  , 

iliorum  consortes  sunt,  respec(|W 

seponere  possc"  ftflO.  1 

,, Verum   est,   existimasse  ^H 

ainicos  (quos  i 

'Olli.  Hartlibius  unum  et  altei^H 

coinmodioreiii 

loco  .  .  .    Tum   vero   ipiia  ^^M 

publicae  tran(|i 

Kjuae  mutare  jam   vidcntur^H 

integro  tum  ov 

•  ih-  conciliis  jam   coeptis  ^H 

decorum    fuit"    (^.   D« 

..Terrent   me  publici  n^H 

quorum  exitus      '^^  - 

.  Me  hoc  in  loco  intimi  ^^M 

niei  (Duräus  et 

onantur  per  duos  tresve  m^^| 

suadentes  ut  , 

-  pansophicos  lannis  H^^H 

congestos   et 

{  irsiin    disjectos)   C^^^^M 

recoUigam   et   icdfcs    in 

^rdinem   sibi    quoque  d^^^H 

relinquani,  iio  s-cilj  ,  si  in 

iilius  infaustus  itinen^^^^| 

Chartas  meas  mihi  ripiaii 

reant   simul.     Quo^^^^H 

silio  .  .  propeiJiüdÄ  parc 
„Nondum    autcm   i  vos 

(s.  d.  nach  6.  Feb.^^^^f 

ia   memoriam  meae  h^^^^| 

talionis   hone^-' 

et   propemodum    ne^^^^^M 

est,  parte   qn; 

iiearum  hiemib  praiio^^^^H 

discessum  meu 

Qua  etiam  i                ^^^H 

ut  fieret  suadt 

T'legans   miruin  ^^^^^^| 

speratum  Pans- 

> :  1 ,  a  uuiiiJ^HlH|ri^^^^^^^H 

(an  Hottonii 

" '^^^^^^^^^^^^^^^^^^1 

„P:  usophiae  u 

t  l^^^^^^^^^^^^^^^^^H 

p.   116    No.   4 

1  j^^^^^^^^^^^^^H 

vestigata",  das 

'^)  A  Reformation 

by   that  Rever 

Amos  Comeuiu 

'm^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H 

iato  English   ai^d  Mj^^^^^ 

this  Nation  .  .  lij-^^^^^f 

12.    1642",   s.  Maf. 

(S.  d.  genauen  Titel.   ._^^_^ 

^)Zoubek:  Zeitunge  d^^^l 

^^^^^^^^^^^^^^H 

in  London.              ^^^^^H 

281  ')  GoU  2h5  nach  Mi^^^B 

^^^^^^^^^m 

Sechstes  Kapitel.  481 

Seite 

ford   I.    CLXXXI,    woselbst    die   Milton'schen   Noten   nicht  ganz 
korrekt  wiedergegeben  sind. 

298  ')Cowley's  Works  (Ed.   1710)  II.  608—623  „A  proposition  for  the 

advancement  of  experimental  philosophy",  s.  bes.  S.  618  ff.  „The 
School",  vgl.  W  0 r  t  h  i  n g 1 0  n '  s  Diary  I.  284  ff.  356,  366.  B  o y  I e' s 
Works  V.  397. 
'')  S.  über  Aschani,  Milton,  Locke:  „The  Schoolmaster ,  Essays  on 
practical  education"  London  1836  vgl.  üb.  d.  Versuch  einer  Aus- 
führung einiger  Milton'scher  Ideen:  „The  Pamphleteer"  (Vol.  XVII, 
London  1820,  p.  121  ff.):  „Milton's  plan  of  education  in  his  letter 
to  Hartlib  with  the  plan  of  tbe  Edinburgh  academical  Institution, 
founded  thereon". 

299  ')  TheJvdgment  |  of  |  Martin  Bucer  |  Concerning  |  Divorce.  |  Written  to 

Edward  the  sixt,  in  his  se-  I  cond  Book  of  the  Kingdom  of  Christ,  j 
And  now  Englisht.  |  Wherin  a  late  Book  restoring  the  |  Doctrine 
and  Discipline  of  Divorce,  |  is  beer  confirm'd  and  justify'd  by  the  | 
authoritie  of  Martin  Bucer.  |  To  the  Parlament  of  Enr'  d.  |  John 
3.  10.  I  Art  thou  a  teacher  of  Israel,  and  kiiow'si  not  these 
things?  I  Publisht  by  Autb'^iitie.  |  London,  |  Printed  by  Matthew 
Simmons ,  1644.  24  pag.  S.,  denen  14  unpag.  vorausgehn  2  folgen 
Br.  M.  ir  k.  16.  4".  W.  IV.  '^88—342.  Der  Eintrag  in  den 
Registers  von  Stationers'  Hall  :  „15.  July  1644,  Matt.  Symmous 
Entred  for  his  copie  under  the  band  of  Mr.  Downeham  and  Mr. 
Parker  warden :  The  Judgment  of  Martin  Bucer  Concerning  divorse 
written  to  king  Edw.  ye-  6t'i-  in  his  second  l)ooke  of  the  kingdouie 
of  Christ  englished  by  Mr.  Milton." 
2)  S.  298  „wel-nigh  three  months". 

300  *)  De  regno   Christi  Jesu   servatoris   nostri  libri  II  ad  Eduardum  VI 

etc.,  erster  Druck,  sechs  Jahre  nach  Butzers  Tod,  dem  König 
Christian  von  Dänemark  dedicirt  „Basileae  MDLMI  s.  Baum: 
Capito  und  Butzer  (1860)  S.  565,  609.  Auch  auf  diese  Widmung 
weist  M.  hin. 
302  *)  Palmer:  The  glasse  of  God's  providence  etc.  s.  d.  Stelle  b. 
Todd  L  64. 

305  ')  Br.  M.  ^^gJ^,  C.  J.  II.  411  etc. 

306  ^)  G  n  e  i  s  t :  Selfgovernment  I.  262,  263,   die  historischen  Einleitungen 

zu  den  Ausgaben  der  Areopagitica  v.  Arber  und  Haies,  (woselbst 
die  gen.  Aktenstücke  wiederabgedruckt  sind).  Nicht  zugänglich  war 
mir:  The  Charter  and  Grants  of  the  Company  of  Stationers  ot 
the  City  of  London  now  in  force  —  London  Pr.  by  R.  Nutt  in  the 
Old  Baily  ÄIDCCXLl  Repr.  by  W.  Tyler,  Bridgewater  Square,  Lon- 
don   1825.     D.  Namen    der   parlamentarischen   Censoren  in  C.  J. 

m.  138. 

Stern,  Milton  u.  s.  Zeit.     I.  2.  31 


482  Anmerkungen. 

Seite 

307  *)  .  .  „and  mine  containing  but  tlie  same  tliing,   shall  in  a  time  of 

reformation,  a  time  of  free  speaking,  free  writing,  not  find  a 
permission  to  the  Press."  Die  Worte  scheinen  Masson  bei 
seinen  scharfsinnigen  Ausführungen  entgangen  zu  sein. 

308  1)  C.  J.  24.  Aug.  1644:  „Ordered  that  the  Petition  from  the  Company 

of  Stationers  be  read  on  Monday  morning  next",  26.  August  1644: 

„The  humble   Petition  of  the  Company  of  Stationers  etc 

They  are   diligently   to  inquire  out  the  authors  ,•  printers  and  pub- 
lishers  of  the  Pamphlets  against  the  Immortality   of  the   Soul  and 
Concerning  Divorce."   Die  Auffindung  verdankt  man  Masson, 
von  dessen  Auffassung  (III.  273)  ich  allerdings  etwas  abweiche. 
2)  L.  J.  18.  Sept.  11)44. 

309  ^)  S.    die   werthvollen   Aufschlüsse   üb.    d.    Stationers'   Company   von 

Wither,  der  freilich  Partei  ist,  in  „The  Schollers  Purgatory"  (Mise. 
Works  of  G.  Wither  pr.  f.  the  Spenser-Society  1.  Coli.  1872, 
p.  16,  17,  24,  119,  124,  131  etc.). 
^)  Areopagitica ;  |  A  |  Speech  |  Of  M'-  John  Milton  |  For  the  Liberty 
of  Vnlicens'd  |  Printing,  |  To  the  Parlament  of  England.  |  Darauf  das 
Motto   aus   den  „Flehenden"  London,  [  Printed  in  the  Yeare,  1644. 

■p      IQ 

Br.  M.  713.  f.  11.    Ein  anderes  Exemplar  daselbst    -^ —  mit  dem' 

handschriftlichen  Vermerk  Thomason's:  „Ex  dono  Authoris.  No- 
vember 24."  (S.  12  Z.  8  dieses  Exemplares  die  Korrektur  „war- 
faring"  statt  „wayfaring",  vgl.  Ed.  Haies  S.  96  und  Anhang.) 
40  S.  4".  W.  IV.  395—449,  neuere  englische  Ausgaben  in  den 
Ar  her -Reprints  und  v.  J.  W.  Haies  Oxford  1874  (Clarendon 
Press  Series),  deutsche  Uebersetzungen  v.  Roepell  1851,  Bern- 
hard i  I.  38 — 76.  Wieso  Geffroy  in  seiner  geistvollen  Etüde 
sur  les  Pamphlets  .  .  de  Milton  1848  S.  233  zu  der  Behauptung 
kommt:  „Le  manuscrit  de  1' Areopagitica,  ainsi  que  celui  des  petits 
poümes  de  Milton  est  ä  la  bibliotheque  bodleienne",  weiss  ich  nicht. 

311  *)  Ed.  Haies  p.  57:  „And  as  for  regulating  the  presse,  let  no  man 
think  to  have  the  honoui*  of  advising  ye  better  then  your  selves 
have  done  in  that  order  publisht  next  before  this:  that  no 
book  be  printed,  unlesse  the  printers  and  the  authors  name,  or 
at  least  the  printers  be  registered."  Milton  scheint  hier  un- 
genau, nach  dem  Gedächtnis  citirt  zu  haben.  Von  den  erxvähnten 
Verordnungen  wenigstens  spricht  die  vom  29.  .Januar  1642  nur 
von  Veröffentlichungen,  geschehen  „without  the  consent  and  name 
of  the  author",  die  vom  9.  März  1643  berührt  die  Frage  gar 
nicht. 

313  *;  „It  is  not  forgot,  since  the  acute  and  distinct  Arminius  was  per- 
vertcd  meerly  by   the  porusing  of  a  namelesse  discours  writt'n   at 


Sechstes  Kapitel.  483 

Seite 

Delf,  which  at  lirst  he  took  in  hand  to  confute,"  vgl.  oben  S.  ISö 
und  meine  Bemerkungen  in  den  „Jahrb.  f.  Deutsche  Theologie" 
XVII.  109.  Ein  Vergleich  mit  Milton's  Commonplace-Book  S.  1 
zeigt  deutlich,  wie  sich  der  Dichter  in  der  Schätzung  des  .,Malum 
morale"  mit  Tertullian  und  Lactantius  begegnete. 

315  *)Bernhardi  53  versteht  die  Stelle  falsch, 

316.^)Liebert  162. 

317  ^)  „muiug  her  mighty  youth"    Liebert    162  missverständlich:    .,der 

seine  Jungen  der  INIittagssonne  entgegenträgt"  etc. 

318  ^)  „Professors"  s.  die  Note  bei  Haies  127. 

322  ^)  S.  d.  Auszüge  aus  Lilburne:  A  copy  of  a  letter  to  master  Prynne 

und  Robinson's  anonym  erschienenen  Traktat:  The  arraignment  ol 

persecution   in    Prynne:   A   fresh    discovery    of  prodigious    new 

4105    c 
wandering  blazing  stars  1645  p.  7 — 10  Br.  M.  --'--,  vgl.  auch 

die  Bemerkungen  von  S.  Richai'dson  in   „The  Necessity  of  Tolera- 
tion,  1617  (Tracts  on  Liberty  of  Conscience  p.  256)". 
-) Daher    die  heftigen  Angi'iffe   gegen  ihn  in  Edwards'  Gangraena 
und  andererseits    seine  Vertheidigung   durch   Saltmarsh  in  „An 
expostulation  with  Mr.  Edwards"  etc. 

323  ^)  S.  A  perfect  diurnall  of  some  passages  in  parliament  Xo.  304  f.  May 

21.  to  May  28.  1649,  abgedr.  bei  Birch:  Milton's  Works  I.  p.  XXX; 
bei  Toland  und  in  White  locke  lautet  der  Name  irrig  Mabol, 
Mabbol  Tieg.  v.  W.  „Mabbold"),  auch  verlegt  Toland  das  Ereignis 
irrthiimlich  in's  Jahr  1645,  indem  er  es  zu  einem  „effect"  der  Ai-eo- 
pagitica  macht,  vgl.  C.  S.  P.  Dom.  Ser.  1649  p.  127,  danach  war 
Mabbot's  Entfernung  vom  Censor-Amt  keine  freiwillige. 

2)  Ranke  E.  G.  III.  235. 

*)  Haies  a.  a.  0.  p.  XLH  hätte  noch  die  Brochure  „Areopagitica 
secunda  or  speech  of  the  shade  of  J.  j\Iilton  on  ^Ii-.  Sergeant  Tal- 
fonds Copyright  extension  bill  London  1838"  (Br.  M.  2387)  erwähnen 
können.  Freilich  handelt  es  sich  hier  nur  um  die  Frage  des  Nach- 
drucks. 

324  ^)RoepeIl  wie  Bernhardi  verstehen  die  Stelle  falsch. 

325  ^)  So  erzählt  er  in  „Soft  Answers  Unto  Hard  Censures:   Relating,  I. 
"    To  a  book  printed  without  Licence.    A  füll  Accompt  given  there- 

of  .  .  .  etc.    Printed  according  to  Order,  for  John  Hancock;  at  the 

entrance  into  Popes-head  Alley,  out  of  Cornhill  1645.      In  dem  Ex. 

E.  268 
des  Br.   M.  — r. —  vonThomasons  Hand:  „Feb.  5tii'',  und  „1645" 

verändert  in  „1644")  14  S.  4".  Die  Schi'ift,  welche  ohne  Licenz  er- 
schienen wai",  lautete:  „Inquiries  Into  the  causes  of  ourmiseries  etc. 

31* 


484  Anmerkungen. 

Seite 

E.  22 
published  .  .   in   the   very  close   of  tliis    year  l(.i44  Br.  M.     ■  ^ 

22  S.  4«.    . 

325  '^)  Woodward  erzählt  in   der  cit.  Sclirift,    man  habe  ihn  gefragt  nach 

„a  libellous  paper   against  the  Lords   which  my  soul  abominates." 

326  i)L.  J.  VII.  91,  92,  97,  115,  116,  118.    Zuerst  hat  m.  Wissens  God- 

win  I.  351  auf  die  Einträge  aufmerksam  gemacht,  vgl.  Wood,  der 
irrthümlicb  nur  von  „three  books  of  Marriage  and  Divorce"  spricht 
.  .  „but  that  House  (H.  of  Lords),  whether  approving  the  Doctrine 
or  not  favouring  bis  Accusers,  did  soon  dismiss  him." 

-)  Nach  den  Registers  von  Stationers'  Hall:  7.  Nov.  1644. 

^j  P  r  y  n  n  e :  Twelfe  considerable  serious  questions  touching  Church 
government  etc.,  1044  auf  einem  Exemplar  im  Br.  M.  von  Tho- 
mason's  Hand  der  Vermerk:  „Sept.  16".  Da  mir  die  Schrift  nicht 
vorliegt,  citire  ich  nach  Masson  HI.  299:  „many  Anabaptistical, 
Antinomian,  Heretical,  Atheistical  opinions,  as  of  the  Soul's  Morta- 
litj',  Divorce  at  Pleasure  etc.,  lately  broached,  preached,  printed 
in  this  famous  city;  which  I  hope  our  Grand  Council  will  speedily 
and  carefuUy  suppress  etc." 

*)  Tetrachordon :  1  Expositions  1  Upon  |  The  foure  chief  places  in  Scrip- 
ture,  1  which  treat  of  Mariage,  or  nullities  in  Mariage.  [ 

(Gen.  1.  27.  28.  compar'd  and  explain'd  by  Gen.  2.  18.  23.  24. 
Deut.  24.  1.  2. 
Matth.  5.  31.  32  with  Matth.  19.  froöi  the  3d    v.  to  the  llt''. 
1  Cor.  7.  fi-om  the  lOtb  to  the  16ti'. 
Wherein  the  Doctrine   and   Discipline    of  Divorce    as   was  |  lately 
publish'd,  is  confirm'd  by  explanation  of  Scrip-  |  ture,  by  testimouy 
of  ancient  Fathers,    of  civill   lawes  |  in  the  Primitive   Church,   of 
famousest  |  Reformed  Divines,  |  And  lastly,  by  an  intended  Act  qf 
the  Parlament  and  |  Church  of  England  in  the  last  yeare  of  |  Ed- 
ward the  sixth.  |  By  the  former  Author  J.  M.  |  Hierauf:  das  Motto 
aus  Eiu'ip.  Medea.    London:   Printed  in  the  yeare  1045:  4"  0  un- 

E.  271 
pagin.  und  98  pag.  Seiten  Br.  M.  — jn —  mit  Ms.  Vermerk  von  Tho- 

mason's  Hand:  „March  4tii  1644",  zugleich  ist  die  5  in  1645  durch- 
strichen. S.  73  Z.  3  V.  u.  das  f  in  If  durchstrichen  (vgl  Ed.  Picke- 
ring IV.  251),  dieselbe  Korrektur  im  Br.  M.  108  b.  53,  wo  hinter 
dem  I  noch  ein  Komma  mit  Tinte  eingefügt  ist.  —  W.  IV.  133—285. 
Für  die  Zeit  des  Erscheinens  ist  noch  die  Stelle  aus  der  Widmung 
wichtig:  „Which  I  had  done  long  since"  etc. 

330  'j  Scripture  and  reason  pleaded    for  defensive  armes   or   the   whole 

controversie  about  subjects  takiiig  up  armes  1643. 

331  *)  An  Answer  to   a  Book,   Intituled ,  1  The  |  Doctrine   and  Discipline 

Of  !  Divorce,  |  Or,  |  A  Plea  for  Ladies  and  Gentli^wniiuMi ,  |  and  all 


Sechstes  Kapitel.  485 

Seite 

other  Maried  Women  |  against  Divorce.  |  Wherein,  |  Both  Sexes  are 
vindicated  from  all  bondage  (sie ! )  of  Canon  |  Law ,  and  other 
mistakes  whatsoever:  And  the  unsound  Principles  of  the  Author 
are  examined  and  fuUy  confuted  by  j  authority  of  Holy  Scripture, 
the  Laws  of  this  Land,  |  and  sound  Reason.  |  Concil.  Anglic.  Anno 
670.  Can.  10  |  Nullus  conjugem  propriam  nisi  j  ut  sanctum  Evan- 
gelium do  I  cet,  I  fornicationis  causa  relinquat :  ]  London,  |  Printed  by 
G.  M.  for  William  Lee  at  the  Turks-Head  in  Fleet —  |  street,  next 

E.  17 
to   the  Miter  Taverne.  1644.  4"  44  S,   Br.  M.  — r^ — ,    darauf  von 

Thomason's  Hand  der  Ms. -Vermerk:  „Novemb.  19."  In  den  Reg. 
von  Stat.  Hall:  „ultimo  Octobris  1644.  Mr.  Lee  Entred  for  bis 
copie  under  the  hands  of  Mr.  Carill  and  ]NIi'.  Whitaker  warden: 
An  Answer  to  a  booke  intituled:  The  doctrine  and  discipline  of 
divorse  etc." 

332  ^)  Colasterion:  |  A  1  Reply  To   |  A  j  Nameless  Answer  |  Against  |  The 

Doctrine  and  Discipline  of  Divorce.  |  Wherein  |  The  trivial  Author 

of  that  Answer  is  disco  |  verd  theiLicencer  couferr'd  with,  and  thej 

Opinion  which  they  traduce  defended.  j  By  the  former  Author,  J. 

M.  j  Prov.  26,  5.  |  Answer  a  Fool  accordiug  to  bis  foUy,   lest  hee 

be  v*'ise  in  bis  own  conceit.  \  Printed  in  the  Year,   1645-    4"  27  S. 

E.  271 
Br.  M.  — y, — ,  darauf  von  Thomason's  Hand:  March  4tii  1644,  mit 

Durchstreichung  der  5.  —  W.  IV.  848^ — 379.  Dass  „Tetrachordon"  vor 
„Colasterion"  von  Milton  in  Arbeit  genommen  wurde,  scheint  aus 
der  Widmung  von  T.  hervorzugehen.  Die  Stelle  „I  shall  here  briefly 
Single  one  of  them"  hätte  sonst  keinen  rechten  Sinn.  Vgl.  über  die 
Datirung  Thomason's  d.  Anhang. 

333  *)  S.  über  Caryl:   Neal,   Wood,  die  Register  b.  Whitelocke  imd 

in  Burton's  Diary  etc. 

334  ')  E.  Hyde   to    Secr.   Nicholas.   Jersey    April  7.    1647 :    „Find   great 

benefit  by  reading  ill  books,  such  as  Lilburne's  Prynne's  and  Mr. 
Milton's  on  Wedlock"  s.  Cal.  of  the  Clarendon  State  Papers 
1872,  p.  372. 

2)A  Glasse  for  the  Times  etc.    1848  Br.  M.     "^q"  -  s.  d.  Stelle  bei 

Todd  I.  63.  In  dem  aus  dem  Sion-College  (s.  o.  S.  360j  hervor- 
gegangenen Werke :  „A  testimony  to  the  truth  of  Jesus  Christ  and 
to  our  solemn  league  and  covenant  .  .  .  subscribed  by  the  ministers 
of  Christ  within  the  province  of  London  (darunter  auch  Cal  am  y) 
Dec.  14.  1647"  erscheint  in  dem  Verzeichnis  der  Häresieen  auch 
Milton's  Lehre  v.  d.  Ehescheidung,  s.  Neal  III.  328. 
*)  Regii  sanguinis  clamor,  A.  Morus  etc.  s.  Theil  2. 


486  Anmerkungen. 

Seite 

Siebentes  Kapitel. 

337  ^)  Buch  X.  937    flf.   Böttger's   Uebersetzung  m.    einigen  Aenderungen, 

vgl.  Samsoii  Agon.  v.  725  ft'. 
*'»  .,The  Chief  promoter  of  her  fi'owardness''  Wood. 

338  ^)  Das   einzige  Datum,  nach   dem  sich  hier   die  Chronologie  richten 

kann,  ist  Phillips  Notiz :  „The  first  fruit  of  her  return  to  her  hus- 
band  was  a  brave  girl,  born  within  a  year  after"  zusammengehalten 
mit  dem  bekannten  Datum  der  Geburt  von  Anna  Milton,  29.  Juli 
1646.        ^'i  ]y[asson  II.  129,  208,  III.  39. 

339  1)  S.  d.  Registers  v.  Stat.   Hall,   daselbst  u.  „0.  Octobr.  1645":   „Älr. 

Mozeley  Entred  for  bis  copie  under  the  band  of  Mr.  Nath.  Brent 
and  both  the  wardens  a  booke  called  Poems  in  English  and  Latyn 
by  Mr.  John  Milton."  Vgl.  Moseley's  Vorrede  abgedruckt  in  P.  W. 
II.  384.  Lobverse  Moseley's  vor  den  Werken  Beaumont's  und  Flet- 
cher's  Ed.  Dyce  I.  p.  LXVI. 

340  ^)  Joannis   Miltoni  Angli  Effigies  Anno   Aetatis   Vigess :    pri.   W.   M. 

Sculp.     Vgl.  B.  I.  S.  120  s.   iib.  d.  Bild   die  Bemerkungen  v.  J.  F^ 
Marsh  a.  a.  0.  149  ff. 
*)  Tetracho  rdon  W.  IV.  140  heisst  es  v.  F.:  „yet  answers  nothing, 
but  instead  thereof  (for  which  I   do    not  commend  his   marshal- 
ling)  sets  Moses  also  among  the  crew  of  his  Anabaptists." 

341  ')  Poems  |  Of  Mr.  John  Milton,  1  Both  English  and  Latin,  |  Compos'd  at 

several  times.  Printed  by  his  true  Copies. :  The  Songs  were  set  in  Musick 
by  I  Mr.  Henry  Lawes  Gentleman  of  |  the  Kings  Chappel,  and  one] 
of  His  Majesties  |  Private  Musick.  |  Baccare  frontem  |  Cingite,  ne 
vati  noceat  mala  lingua  futuro,  |  Virgil,  Eclog.  7.  |  Printed  and 
publish'd  according  to  |  Order.  |  London,  |  Printed  by  Ruth  Raworth 
for  Humphrey  Moseley,  |  and  are  to  be  sold  at  the  signe  of  the 
Princes  |  Arms  in  S.  Pauls  Church-yard.  1645.  |  8«.  Br.  M.  E.  1126 
auf  dem  Titel  von  Thomason's  Hand:  „Jan.  2^."  In  einem  anderen 
dem  Br.  M.  gehörigen  Exemplar  der  Originalausgabe  befindet  sich 
jenes  Gedicht  „The  Epitaph"  im  Ms.,  welches  H.  Morley  mit  un- 
zureichenden Gründen  Milton  hat  zuschreiben  wollen.  S.  Morley: 
The  King  and  the  Commons  (1868)  p.  XXIII.  ff.,  vgl.  v.  Sybel's 
histor.  ZS.  XXVI.  405,  XXVH.  210.  Eine  Beschreibung  der  Aus- 
gabe V.  1645  in  P.  W.  II.  165  ff. 
2)  S.  d.  Sonett  und  Nachweise  P.  W.  II.  4S2,  290—293,  II.  476  vgl. 
B.  I.  S.  203.  In  dem  Ms.  Wood  19  D.  in  der  Bodleiana  (Catal. 
8564)  heisst  es  von  II.  Lawes:  „In  the  tinie  of  the  Rebellion  he 
lived  in  London  and  taught  Ladies  to  sing." 

342  ')  P.  W.  II.  483,  292. 

*)  S    ül).  P.  Young:  Wood  F.  0.  l.  170.   Fac-Simile  b.  Sotheby  121. 


Siebentes  Kapitel.  487 

Seite 

"SVenn  J.  Vossius,  gestützt  auf  einen  Bericht  seines  Oheims  Fr. 
Junius,  „qui  cum  eo  (nämlich  Milton)  familiaritatem  colit,"  den 
Dichter  einen  „discipulum  Patricii  Junii"  nennt  (Burmanni  Syl- 
loges  Epist.  etc.  T.  III.  öl 8,  J.  Vossius  an  N.  Heinsius,  8.  Juli  1651) 
so  liegt  hier  ohne  Zweifel  eine  Verwechselung  mit  Thomas  Young 
zu  Grunde. 

343  *)  S.  d.  Gedicht  und  Nachweise  P.  W.  III.  94  ff.,  547  ff.,  II.  377—381 

Faesimile  bei  Sotheby.  Ich  halte  nach  eigener  Einsicht  in  Oxford 
doch  auch  die  Handschrift  der  „Ode"  flu-  die  Milton's.  In  dem 
Bändchen  der  Prosa-Schriften  finden  sich  Korrekturen  von  seiner 
Hand.  Vgl.  über  J.  Rons  (Bibhothekar  seit  1620,  f  1652)  bei  W. 
Dünn  Macray:  Annais  of  the  Bodl.  Library  1868  Reg. 

344  ')  S.  d.  Stellen  aus  Edwards'  Gangi'aena  und  Baillie's  Dissuasive 

etc.,  angeführt  b.  jVLasson  III.  467,  daselbst  auch  über  die  Zeit  des 
Erscheinens  dieser  Werke. 
^)  On  the  detraction  which  followed  upon  my  writing  certain  treatises 
P.  W.  n.  480,  481,  288  IH.  468^72. 

345  ^)  Die  Erwähnung  von  „shallow  Edwards"  und  „Scotch  What  d'ye 

call"  neben  „A.  S."  und  „Rutherford"  könnte  allerdings  gerade  auf 
die  Jahre  1646  oder  1647  als  Entstehungszeit  des  Sonetts  deuten, 
indess  seine  Stellung  im  Cambridge-Ms.  und  die  Thatsache,  dass  es 
daselbst  nicht  von  Milton's  Hand  geschrieben  ist,  würden  der  Ver- 
muthung  Raum  lassen,  dass  es  einige  Jahre  später  gedichtet  sei. 
Die  Notiz  Milton's  im  Camb.-Ms.  bezieht  sich  nur  auf  die  Anord- 
nung, erlaubt  aber  keinen  Rückschluss  auf  die  Entstehungszeit,  s. 
P.  W.  II.  179. 
^)  On  the  new  forcers  of  conscience  under  the  long  parliament  P.  W. 
H.  481,  289,  290,  dazu  die  vorzüglichen  Erläuterungen  Masson's  H. 
472—476. 

353  *)  John  Roland  Phillips:  Memoirs  of  the  civil  war  in  Wales  and 
the  Marches  1642—49,  2  Vols.  1874,  ein  Werk,  von  dem  ich  leider 
allzuspät  habe  Kenntnis  nehmen  können. 

355  ')  Bruce  hat  in  der  Einleitung  zu  den  „Letters  of  Charles  I.  to  H. 
Maria"  (Camden- Society  1856)  p.  XIV  weitere  Aufklärungen  über 
die  Glamorgan  -  Angelegenheit  versprochen,  die  auch  nach  den  kri- 
tischen Bemerkungen  von  Lingard  u.  a.  noch  sehr  erwünscht  wäre 
(vgl.  Letters  18,  25,  28),  doch  ist  dieses  Versprechen,  soviel  mir 
bekannt,  nicht  erfüllt  worden. 

357  1)  Carlyle:  Cromwell  L  216,  231.        ^j  Baillie  II.  268  vgl.  270. 

358  'jBaillie  IL  318  ff. 

359  ')Neal,    Godwin   II.    Chapt.    20,   Jackson   85,   Hanbury  HI., 

Ivimey  169  fi'.,  vgl.  Baillie  II.  299,  280  C.  J.    29.  Jan.  1646. 

360  >)  Baillie  IL  326  (2-5.  Nov.  164-5). 

361  MNeal  III.  25-5—263  C.  J.  1.  c.  L.  J.  16.  Jan.  Ui46,  Baillie  IL  337. 


488  Anmerkungen. 

Seite 

361  2)  C.  J.  23.  26.  Juli,  19.  23.  Aug.,  17.  Sept.  1645.    L.  J.  8.  Nov.  1645, 
vgl.  Neal  und  Rushworth. 

363  *)  L.  J.  20.  Oct.  1645,  C.  J.  27.  März,   1.  17.  April  etc.,   14.  21.  Nov. 

1645  etc.,  .5.  März  1646,  vgl.  Rushworth  abridg'd  V.  577,  Neal 
III.  244. 

364  i)C.  J.  1646  3.  Febr.,  5.  14.  27.  23.  März,   1.   3.   8.    11.   16.   21.   24. 

April.     L.  J.   1646  13.   14.   23.  März.    Baillie  II.   360  ff.,   Neal 
III.  252. 
'365  ^)  C.  J.  17.  22.  April  1646.    Minutes  of  the  Westm.  Ass.  22.5,  448  ff. 
(30.  April  1646). 

366  ')  Charles   I.   in   1646.    Letters  of  K.   Charles  I.   to  Queen  Henrietta 

Maria  ed.  b.  J.  Bruce  (Camden-Soc.  1856). 

367  ^)  Clarendon:    State    Papers    II.    226,    227    (2.   März    1646),    vgl 

Evelyn:  App.  116  Montereuils  Schreiben  vom  21/31  August  1645 
b.  Ranke  VIII.  166,    wonach  schon   seit  jener  Zeit  Verbindungen 
zwischen  dem  König  und  den  Independenten  bestanden. 
*)  Letters  1.  c.  11  vgl.  über  Karl's  I.  Interpretationskünste  84.    Carte: 
Life  of  Ormond  (Ed.  1856)  VI.  358  (26.  März  1646). 

368  ^)Letters  22  etc.     Daraus,   dass   der  König  auch  hier,  seiner  Ge- 

mahlin gegenüber,  Glaraorgan  desavouirt,  wird  man  noch  nicht 
schliessen  dürfen ,  dass  dieser  wirklich  seine  Vollmachten  über- 
schritten hatte,  sondern  nur,  dass  Karl  sich  wie  gewöhnlich  an  eine 
reservatio  mentalis  hielt.  Vgl.  25,  f.  d.  Uebrige  s.  Letters  15, 
24,  25. 
*)  S.  ü.  d.  französische  Einmischung  V.  1642  an  Genaueres  bei  Ranke 
E.  G.  VIII.  153  ff.,  III.  240  ff.    Bruce  1.  c.  für  1646. 

369  *)  Nach  R.  Murray  (Letters  72)  wurde  vom  Covenant  gar  nicht  ge- 

sprochen,  weil   man   dessen  Annahme  für  eine   selbstverständliche 
Bedingung  hielt. 
870  1)  Letters  32-39. 

372  ijParl.  Hist.  IIL  474  ff.     C.  und  L.  J.  Baillie  IL  377,  Neal  bes. 

in.  279. 

373  1)  Baillie  IL  378  ff     C.  J.  22.  Juli  1646. 

374  »;  Letters  ed.  Bruce  27,  23,  7J   (17.  Oct.  1646).    Vgl.  d.  „Memoire 

du  Roy  ä  M.  de  Bellifevre"  31.  Dec.  1646  b.  Ranke  Vlll.  187. 

376  *)  „Premierement    sa   conscience,"    sodann    aber    auch    „raison   de 

Testat"  s.  Ranke  VIU.  185. 

377  i)Letters  bes.  80,  81    „and  certainly  if  tho  pulpits  teach  not  obe- 

dience  (which  will  never  be  if  Presbyterian  government  be  absolutely 
established) ,  the  king  will  have  but  small  comfort  of  the  militia" 
etc.  Für  die  Erkenntnis  der  Ideen  der  Königin  ist  besonders 
wichtig  ihr  für  Bellievre  bestimmtes  M(5moire  bei  Ranke  VlII. 
175—181. 
*)  Ranke  III.    255   nach   einem   Briefe   des   optimistischen   Bellievre, 


Siebentes  Kapitel.  489 

Seite 

Bruce:  Letters  57  vgl.  dagegen  Ranke  VIII.  182,  woselbst  man 
in  dem  Satze  „Or  vous  savez"  etc.  nicht  sowohl  die  Meinung  Hen- 
rietta  Maria's  als  Mazarin's  zu  finden  hat. 

377  -^Letters  92,  93,  97. 

378  ')  Da  sich  in  den  Letters  ed.  Bruce,  die  oft  genug  von  Davenant 

sprechen,  auch  nicht  der  mindeste  Anhalt  für  die  bekannte  Claren- 
don'sehe  Erzählung  seiner  Mission  findet,  so  wird  man  auch 
diesen  Bericht  zu  den  absichtlich  ausgeschmückten  rechnen  dürfen. 
Der  König  hätte  seiner  Gemahlin  den  Auftritt  schwerlich  verheim- 
licht, und  bei  Clarendon  liegt  die  Tendenz  auf  der  Hand.  Man 
sollte  fast  glauben,  er  habe  seine  Erzählung  auf  Karl's  Brief  vom 
30.  März  1646  (Bruce  29,  30)  basirt. 

379  ^)  G.  Burnet:  Memoirs  of  the  Lives  and  Actions  ot  James  and  Wil- 

liam Dukes  of  Hamilton  Ed.  1852  S.  368—371.  Entscheidend  für 
den  Ursprung  des  merkwürdigen  Aktenstückes,  das  sich  auch  in 
Rushworth  befindet,  werden  die  Worte  sein :  „By  the  copy  extant 
written  with  Lanerick's  band."  Burnet's  chronologische  Be- 
stimmung entbehrt  des  Grundes,  während  die  Hiudeutung  im  P.  S. 
auf  die  „general  assembly,  now  sitting  in  Scotland,"  wie  Masson 
HI.  500  richtig  bemerkt,  dazu  nöthigt,  den  Entwurf  in  den  Juni  1646 
zu  verweisen. 
*)  Clarendon  St.  Papers  IL  275,  vgl.  265-267.  Bruce:  Letters  73, 
75,  vgl.  63  ff.  Baillie  IL  39^^396,  509,510.  Burnet:  Hamiltons 
378.  Ich  weiche  in  der  chronologischen  Einreihung  von  Ranke  HL 
259  ff.  ab,  der  mir  die  Instruktionen  für  die  erste  und  die  zweite  be- 
absichtigte Mission  Murray's  durcheinander  zu  werfen  scheint.  Als 
endgiltige  Instruktion  für  die  erste  Mission  hat  man  das  Schreiben 
vom  15.  Okt.  1646  zu  halten.  Die  frühere  Korrespondenz  Karl's 
mit  den  Bischöfen  von  London  und  SaUsbury  darf  hier  übergangen 
werden. 

380*)  Burnet:    Hamiltons   .381  —  389,    Bruce:    Letters,    Pari.    bist. 
H.  537. 

384)  1)  Hamilton  112,  122. 

385  ')  Hamilton  110. 

386  1)  Vgl.  Cal.  of  S.  P.  D.  S.  lf;49— 50  Register  s.  v.  Appletree. 

*)  S.  d.  genauen  urkundlichen  Materialien  bei  Hamilton,  vgl.  Toddl. 
263  f.  d.  Frage  der  Mitgift  v.  Milton's  Frau,  J.  Hunter  31,  32. 
Hier  datirt  das  „Certificate  of  the  Solicitor  for  Sequestration  in  the 
County  of  Oxford"  auch  vom  17.  Juni.  Unerklärlich  ist  mir  hier 
die  Höhe  des  letzten  Postens  von  241  £,  vgl.  mit  den  entspr.  Posten 
des  Inventars  bei  Hamilton  S.  92  oder  94. 

387  ')  Hamilton  p.  7.5.        -1  E.  Phillips  370. 

^)  Phillips  1.  c.  vgl.  den  Eintrag  von  Milton's  Hand  in  der  Familien- 
bibel, den  ich  indess  nach  Einsicht  von  Add.  Ms.  4244  f.  52^  (der 


490  Anmerkungen. 

Seite 

Kopie  von  Birch)  abweichend  von  Hunter  34  folgendermassen 
lese:  „Anne  my  daugbter,  was  born  July  the  29ti>,  tbe  day  of  the 
Montlily  Fast,  between  six  and  seaven,  or  about  balf-an-hour  after 
six  the  Evning  1646." 

388  0  Hunter  82  L.  J.  15.  Juli.     C.  J.  16.  Juli  1646  Hamilton  111. 

389  ')  Hamilton  Appendix  No.  II— VI. 

2)  S.  üb.  d.  Datum  Hamilton  51,  125. 

3)  S.  d.  Testament,  aufgefunden  v.  Massen,  daselbst  III.  636,  637. 

390  ^)  S.  üb.  d.  „negative  oath"  Neal  II.  475.    Er  bestand  in  dem  Schwur, 

nichts  gegen  das  Parlament  unternehmen  zu  wollen. 
2)  Hamilton  62,  63,  128—130. 

391  ')  P  h  i  1 1  i  p  s ,  s.  d.  Eintrag  b.  M  a  s  s  o  n  III.  643. 

Aclites  Kapitel. 

392  1)  Carolo  Dato  Patricio  Florentino.   Londino  Aprilis  21,  1647  W.  VII. 

384—387;  vgl.  Marsh,  Sotheby  122,  Masson  III.  654,  655. 

393  ^)  Esequie  della  Maestä  Christiana  di  Luigi  XIII  ...  In  Firenze  nella 

Stamperia  di  S.  A.  S.  1644  4°  (s.  Fontani:  Elogio  di  Dati  p.  244). 

394  ^)  Phillips:  .  .    „who  upon   his  father's   sickning  and   dying  soon 

after,  went  away"  etc.  (Masson  III.  640  scheint  die  Stelle  auf  den 
Tod  des  alten  Powell  zu  beziehen).  Hamilton  1.  c.  86,  87.  Die 
Zahl  „1641"  S.  86  u.  ist  ein  Druckfehler  für  „1647". 

395  ')  S.   im    allgemeinen  über  Milton's   Unterrichtsthätigkeit  Phillips; 

„Richardo  Hetho"  gilt  Ep.  fam.  13  (W.  VII.  389),  „Richardo  Jonesio" 
Ep.  fam.  19,  22,  25,  30  1.  c.  Die  Beziehungen  zu  L.  Ranelagh, 
Boyle,  Oldenburg,  mit  denen  sich  diejenigen  zu  Hartlib,  Durie  u.  a. 
vertiechten,  sind  im  zweiten  Theile  genauer  zu  verfolgen.  Vorläufig 
sei  nur  auf  W  o  r  t  h  i  n  g  t  o  n '  s  Diary  ed.  Crossley  (Register)  und 
Boyle' s  "Werke  (Ed.  1744  mit  der  Biographie  von  Birch)  verwiesen. 
''jWood  vgl.  Debrett's  Peerage  of  England,  Scotland  and  Ireland, 
Irish  Compendium  (1727). 

396  ')  S.  d.  Bemerkungen  von  Masson  in  der  Einleitung  zum  Sonett  XX, 

das  sich  au  Lawrence  richtet  P.  W.  II.  301  ff.  Phillips  p.  377 
nennt  „young  Lawrence"  unter  den  „particular  friends",  ebenso  und 
„above  all"  den  „Cyriack  Skinner"  s.  über  diesen  vorläufig  P.  W. 
II.  304  die  Einleitung  zu  den  beiden  Sonetten  XXI,  XXII  und  über 
die  Familie  Skinner  namentlich  Hamilton  a.  a.  0.  Register  und 
Sumner  in  der  Einleitung  zur  Uebersetzung  der  Doctrina  Christiana 
(Milton's  Works  ed.  St.  John  Vol.  IV).  Wood:  A.  0.  II.  591  nennt 
ilin  ..Scholar  to  Jo.  Milton",  verwechselt  ihn  aber  mit  dem  jüngeren 
Daniel  Skinner.  Bei  Aubrey  heisst  Skinner  „his  disciple".  Packer 
w.  b.  Aubrey  i.  f.  genannt. 


Achtes  Kapitel.  491 

Seite 

898  *)  M  a  s  s  0  n  III.  254  ist  neben  Danty  (s.  o.  Anm.  1  zu  292)  noch 
„Riff's  geometry"  unbekannt  geblieben.  Ohne  Zweifel  ist  Peter  Ryif 
aus  Basel  gemeint,  der  1552 — 1629  lebte  und  u.  a.  1600  Francof.  „quae- 
stiones  geometricas  in  Euclidis  Elementa"  herausgab  (s.  Athen ae 
Rauricae  und  Basler  Chroniken  I.  13).  Der  Mathematiker 
„Christian  Urstisius,,  (Wurstisen)  ist  nicht,  wie  Masson  angiebt,  ein 
Italiener,  sondern  der  bekannte  baseler  Gelehrte,  dessen  „Elementa 
arithmeticae"  in  Basel  1579  erschienen. 

399  OBoyle's  Works  I.  22  ff.,  V.  2-56  ff. 

2)  Considerations  Tending  To  the  Happy  AccompJishment  of  England's 
Reformation  in  Church  and  State.  Humbly  presented  to  the  Piety 
and  Wisdome   of  the  High  and  Honourable  Court  of  Parliament. 

E.  389' 
Br.  M.  — ^ —  (Ms.- Note  v.  Thomason  „May  1647"),  Vorrede  unter- 
schrieben: „Samuel  Hartlib",  am  Schluss  d.  Datum  1647  vgl.  Dircks 
58.  Eine  zweite  Schrift  Hartlib's,  hierauf  bezüglich:  „A  further 
Discovery  of  the  Office  of  Publick  Address  etc.  (1648  4°  34  S.)  in 
Harl.  Mise.  VI.  13—26. 

400  *)  The  Advice  of  W.  P.  to  Mr.   Samuel  Hartlib   for  the  Advancement 

of  some  particular  Parts  of  Learning  London  .  .  1648  (unterzeichnet 
„Jan.  8,  1648"),  abgedruckt  in  Har leian-Miscellany  4°  VI_ 
1 — 13.  Im  Anfang  seiner  Schrift  bezieht  sich  Petty  sehr  lobend  auf 
Hartlib's  „Considerations".  S.  5  ,,for  the  more  explicit  imder- 
stauding  of  our  meaning  herein,  we  refer  to  Mr.  Pell's  most  excel- 
lent  Idea  thereof,  written  to  Master  Hartlib."  Näheres  über  Pell 
im  zweiten  Theile. 
2)Zoubek.  S.  64  Br.  M.  Sloane  Ms.  649,  5a  „Excerpta  Literarum 
D.  Kinneri  Ad  Samuelem  Hartlibium  Eibinga  19.  Junii  1647  . .  „Sol- 
licitum  te  esse,  ut  Parlamenti  vestri  subsidiis  ea  vestro  in  Regno  ad 
finem  perducantur  non  mala  est  intentio,  sed  nescio  an  ex  voto 
meo  .  .  neque  enim  a  me  solo  uno  et  directio  tanti  operis  et 
effectio  inter  breviculos  menses  expectari  debet.  Aliis  adsignare 
constitui  characteristicam,  aliis  anatomiam,  aliis  alia  etc."  9.  Aprilis 
1648  über  sein  ,,Elucidarium  didacticum",  auch  „Consilium  didacti- 
cum"  .  .  „Si  scholae  vestrae  e  fundamentis  reformandae  fuerint, 
expectetis  oportet,  dum  vel  Comenii  Pansophia  vel  mea  Didactica 
vel  melior  quaedam  via  prodeat."  Hierauf  folgen  weitere  Briefe 
von  K.  an  H.  (23.  Juli  1648  . .  „Quantum  mittere  debeas,  tuae  dex- 
teritati  committo  etc.  Fac  ergo  mi  Hartlibe  amici  officium  .  .  . 
Indignor  temporum  injuria  militumque  rapacitate  ceteras  meas  Char- 
tas in  Öilesia  quondam  periisse.")  —  Ueber  d.  von  Hartlib  heraus- 
gegebene Schrift  „A  Coutinuation  of  Mr.  John- Arnos -Comenius- 
School-Endeavoiu'S.     Or    a  Summary  Delineation    of  Dr.   Cj-prian 


492  Anmerkungen. 

Seite 

Kinner  Silesian  bis  Thoughts  concerning  Education  etc.  1648"  iBr.  M. 

E.  470 
2g      Ms.-Note  „Nov.  lOth"),  s.  Dircks  p.  53. 

401  ^)  Sloane  Ms.  649  p.  229  ff.,  199a  — 202,  271. 

'')  C.  an  H.  11/21  Jan.  1647.  Z.  grössten  Theil  aus  dem  prager  Ms. 
abgedruckt  b.  Giudely  546,  547. 

^)  Comenius  an  Herbert  von  Cberbury  1647  5/15  Juni.  C.  an  Hartlib  1647 
5/15  Juni:  .  .  .  „Cogitationes  illas  Tuas  de  Communicationis  officio 
erigendo  transtulit  in  Latinum  P.  F.  (Fundanius  ?)  eorum  in  gi-atiam  qui 
Anglica  non  intelligunt  .  .  .  Conatus  vester  de  omnium  Gentium  et 
Linguarum  Scriptura  bene  me  oblectavit . .  .  Millies  praestaret  babere 
linguam  unam  etc  (vgl.  über  ähnliche  Gedanken  des  Mersennus : 
G  i  n  d  e  1  j'  494)  . .  Academiae  Londini  fundationem  (iis  rationibus,  quae 
Scripte  illo  consignatae  sunt)  habeo  pro  initio  complementi  illius 
nostri  voti,  quod  „viae  Lucis"  Cap.  XVIII  (vgl.  ZoubekS.  116 Nr.  42) 
expressimus.  Procedat  ergo  res  in  sancto  Dei  nomine,  nulla  obstante 
invidia  .  .  .  Modo  Dens  illorum  flectat  animos,  ut  qui  res  tantas 
possunt,  velint  etiam  etc."   Prager  Ms. 

402  *)Boyle's  Works  (Birch:  Life  of  Boyle)  I.  p.  20,  24,  28. 
*)  S.  d.  Daten  aus  den  Journalen  b.  Dircks  10 — 12. 

ä)  Die  relativ  günstigen  Vermögens-Umstände  des  alten  Milton  ergeben 
sich  aus  den  Nachrichten  bei  Phillips  und  Aubrey.  (Wood 
sagt  freilich:  „The  estate  whicb  bis  fatber  left  him  was  but  indiffe- 
rent, yet  by  bis  frugality  he  made  it  serve  him  and  bis").  Ebenso 
legt  Milton  in  dem  cit.  Brief  an  Dati  nahe,  dass  er  mit  seiner 
Lehrthätigkeit  sich  den  Lebens -Unterhalt  zu  verdienen  gedacht 
hatte:  .  .  „turbulentissimus  .  .  Britanniae  .  .  Status,  qui  animum 
meum  .  .  ab  studiis  excolendis,  ad  vitam  et  fortunas  quoquo 
modo  tuendas  necessario  convertit." 

*)  Phillips  371. 

403  ^)  Nine  Psalms   etc.  mit  der  Datum- Angabe  in  der  Edition  von  1673 

P.  W.  III.  4—18,  vgl.  II.  310—315. 
^)  Das  Original  im  Besitz  von  J.  Marsh  (vgl.  Chetham  Society  1. 
c.  p.  2,  15),  ein  Abdruck  bei  Fontani:  Elogio  di  C.  R.  Dati  1794 
S.  68 — 74.  Der  Schluss,  welchej"  Grüsse  von  „Coltellini,  "Francini, 
Chimentelli,  Frescobaldi,  Galilei"  (dem  Sohn  Vincenzo)  erwähnt, 
weicht  vom  Original  ab,  vgl.  M  a  s  s  o  n  111.  683. 

404  ')  Dati's  ital.  Brief  abgedruckt  bei  Mitford:    Life  of  Milton  (Works 

Ed.  Pickering  I.  p.  CXCV). 
*)  „Mary  my  Daughter  was   born  on  Wednesday  Oct.  25  on  the  Fast 
Day  in   the  Morning  about   six  a  Clock   1648."    Add.  Ms.  4244, 
ungenau  abgedruckt  bei  Hunter  34. 
408)  S.  d.  französische  Korrespondenz   b.  Ranke  E.  G.  VIII.  188—198. 


Achtes  Kapitel.  493 

Seite 

409  *)Ludlo\v's  Memoirs  (Ed.  1751)   78  „These  men  will  never  leave 

tili  the  army  pull  them  out  by  the  ears." 

410  ')Carlyle  I.  278—282  (Royston  10.  Juni  1647).     Es  wu-d    hier  aus 

Gründen  stilistischer  Eigenthümlichkeit  Cromwell's  Feder  zuge- 
schrieben. 

414  *)  Pari.  hist.  III.  472.     „That  there  be  a  repeal  of  all  acts  .  .  impo- 

sing  any  penalty  for  not  coming  to  church,  er  for  meeting  else- 
where  for  prayer  or  otber  religious  duties,  exercises  or  Ordinances." 

415  ^)  „That  no  Magistrates   in  Matters   of  Religion   meddle  further  than 

as  nursing  Fathers  and  then  all  Children  shall  be  fed,  though  they 
have  several  Faces  and  Shapes." 

415  2)  Die  Schi-ift  von  H.  Peters  fuhrt  den  Titel :  „A  Word  for  the  Army 

and  two  words  to .  the  Kingdom  to  clear  the  one  and  eure  the 
other  .  .  London  pr.  by  M.  Simmons  .  .  1647"  (Harl.  Mise  V. 
569  ff.).  Das  Datum  des  Erscheinens  schliesse  ich  aus  den  Worten 
p.  570:  „Master  A.  Nicholls  lately  with  us  at  Kingston  before  his 
flight,"  vgl.  Pari.  hist.  III.  773. 

416  ^)The  Fairfax  Corresp  on  dence   (Memorials    of  the  civil  war 

1849)  I.  394—396. 

*)  „That  liberty  of  conscieuce  be  allowed  to  all  men ,  and  that  none 
molest  or  injm-e  one  another  for  their  conscience"  etc.  Die  Un- 
voUständigkeit  dieser  Vorschläge  erhellt  daraus,  dass  u.  a.  über  die 
Miliz  kein  Wort  gesagt  wird.  Auch  bleibt  noch  immer  fraglich, 
was  von  diesem  fragmentarischen  Entwurf  allein  auf  Fairfax 
Rechnung  zu  schreiben  ist,  der  immerhin  in  der  Ueberschrift  die 
vorläufige  Formel  wählen  konnte :  „It  is  mutually  agreed  on  between 
our  Sovereign  Lord  King  Charles  and  his  Excellency  Sir  Thomas 
Fairfax,  with  his  Council  of  War." 

^)  Nach  den  kritischen  Bemerkungen  von  Guizot  in  den  Erläuterungen 
zu  den  Memoiren  von  Berkley  (Collection  des  Mem.  etc.  IV.  231 — 240) 
wage  ich  nicht,  die  ganze  Nachricht  von  einem  aufgefangenen,  ver- 
rätherischen  Brief  des  Königs  einfach  über  Bord  zu  werfen,  wenn 
auch  die  oft  erzählten  Neben-Umstände  erdichtet  sind. 

417  ^)C.  J.    1647,    13.   U.  Oct.     L.  J.    1.   2.   Nov.    Rushworth   abr. 

VI.  276. 

425  i)Parl.  hist.  IIL  1005—1011. 

426  ijParl.  hist.  III.  1078—1127. 

428  *)  Dies  wird  durch  die  Ausführungen  von  Markham:  Life  of  Fairfax 
343  bewiesen. 

430  i)Godwin  IL  667,  Guizot  II.  296,  Forster  (Statesmen)  373 
machen  Bradshaw  zu  einem  Verwandten  Milton's ,  was  nur  auf  die 
Annahme  zurückzuführen  wäre,  dass  Milton's  Mutter  eine  Bradshaw 
gewesen,  und  jedenfalls  schwer  glaublich  ist,  da  Milton  in  der  be- 
kannten Stelle  Def.  sec.  es  erwähnt  haben  würde.    Nach  E.  Foss: 


494  Anmerkungen. 

Seite 

A  biogr.  Dictionary  of  the  Jiulges  of  England  (1S70)  s.  v.  Bradshaw 
hat  dieser  Milton  in  seinem  Testament  10  £  vermacht. 

430  '^)  Godwin  IL  (568,   Guizot  II.  297,  indem  er  die  Stelle  b.  Godwin 

missversteht,  macht  Coke  zu  einem  ;,ami  intime  de  Milton." 
^)  S.  d.  kritischen  Bemerkungen  bei  Markham  349. 

431  *)  ,,0n  the  Lord  General  Fairfax  at  the  siege  of  Colchester,"  so  lautet 

der  ursprüngliche  Titel  im  Cambridge -Ms.  P.  W.  II.  293 — 295, 
482.  lieber  die  Einzelheiten  der  Belagerung  von  Colchester  s.  C. 
R.  Markham:   A  Life  of  the  great  Lord  Fairfax  1870,  309—335. 

432  ^)  Die  vorzüglichsten  Stellen,  aus  denen  sich  Milton's  Urtheil  erkennen 

lässt,  sind:  Def.  prima  Cap.  10,  Cap.  6  (W.  VL  1(36  ff.  122). 
Eikonoklastes  Cap.  26  (III.  498  ff.)  Def.  sec.  (VI.  317). 

433  ^)  The  Tenure  Of  |  Kings  |  And  |  Magistrates  |  Proving,  |  That  it  is 

LawfuU,   and  hath  been  |  held  so  through  all  Ages,  for  any,  |  who 

have  the  Power,  to  call  to  accou'nt  a  |  Tyrant,  or  wicked  King,  and 

after  |  due  conviction,  to  depose,  and  put  |  him  to  death;  if  the  or- 

dinary  Ma  |  gistrate  have  neglected,    or  |  deny'd  to   doe  it.  |  And 

that  they,   who  of  late,   so   much  blame  |  Deposing,   are   the  Men 

that  did  it  themselves.  |  The  Author,  J.  M.   („ilton"   dahinter  von 

Thomason's  Hand)  London,  |  Printed  by  Matthew  Simmons,  at  the 

Gilded  Lyon    in  Aldersgate   Street,    1649     (Die  9   von  Thomason 

durchstrichen,  statt  dessen  von  ihm  notirt:  „Feb.  13  1648")  42  S.  4" 

E.  542 
B  r.  M.  — yy — .     Die  zweite  Ausgabe  weicht  im  Titel  ab :  .  .  .  any, 

who  I  .  .  Tyrant,  or  |  w.  K..  a.  a.  d.  c,  to  |  d.,  a.  p.  h.  t.  d.;  i.  t. 
ordina-  |  ry  Magistrate  have  neglected,  or  de-  |  uy'd  to  doe  it.  |  .  .  . 
Published  now  the  second  time  with  some  additions ,  and  raany 
Testimonies  also  added  out  of  the  best  &  learnedst  a-  |  mong  Pro- 
testant Divines  asserting  the  position  ol  this  book.  |  The  Author, 
J.  M.  („ilton"  von  Thomason's  Iland)  ...  S.,  nextdoore  to  the 
Gil-  I  Lyon  (sie)  i.  A.  S. ,   ItioO  (von  Thomason  durchstrichen  und 

E.  593 
statt  dessen  geschrieben:   „1649  Feb.  Li")  60  S.  4"  Br.  M.  ^fj— 

Diese  Ausgabe  ist  aufgenommen  in  die  Works  ed.  Pickering 
IV.  450  —  501  und  wird  im  Folgenden  mit  Berücksichtigung  der 
Varianten  von  der  ersten  benutzt.  Diese  Varianten,  deren  bedeu- 
tendste darin  besteht,  dass  in  der  zweiten  Ausgabe  die  ganze  Partie 
von  S.  489  u.  an  „And  that  they  be  not"  etc.  bis  zum  Schluss  neu 
hinzugekommen  ist,  lassen  sich  aus  den  Angaben  bei  Birch  I. 
341—363  verfolgen.  Die  Stelle,  in  der  M.  selbst  über  die  Schrift 
spricht,  in  Def.  sec.  W.  VL  292.  Uebersetzung  b.  Bernhardi  II. 
257—294. 

436  ')Neal  III.  448—454,  Rushworth,  Pari.  bist.  etc. 


Achtes  Kapitel.  495 

Seite 

436  *)  A  thuiider-clap  to  Sion-Colledge  or  a  catalogicall  hint  of  the  pulpit 

inveteracy  and  apostacy  of  that  miscliievous   asserablv  or  mystery 

of  iniquity  at  Sion  -  CoUedge.    By  S.  T.  a  cordiall   friend  to  truth 

E.  542 
and  peace  etc.    London  .  .  .  1648,  6  Bl.  4'^  Bv.  M.  — ^j —  i.f.:„Aud 

you  can  like  RoyaKsts  professe  and  declare  in  your  pulpits  against 
the  legal,  just  proceedings  of  parliament  .  .  .  Mr.  Calamie,  that 
old  Conformist,  will  never  leave  tiirning  and  conforming  for  the 
best  advantage  of  his  Interest;  but  miist  divulge  such  nonsensicall 
doctrines  as  these,  to  contound  the  eares  of  his  Auditory." 

442  ^)  Milton   ist   noch   sehr   milde   im   Vergleich   zu   John   Cook :   King 

E.  542 
Charles  his   case  etc.  .  .  1649  (Br.  M.  — ö — ,  Ms.  Note:   „Feb.  9, 

1648",  vgl.  App.  Y.  Ludlow's  Memoirs  Ed.  1751).  Mitunter  macht 
es  aber  den  Eindruck,  als  habe  er  Cook's  Schrift  benutzt. 

443  1)  In  Milton's  Commonplace-Book  (Ed.  Camden-Soc.  1876)  p.  83  findet 

sich  die  Stelle  aus  C.  de  Seissel's  Grande  Monarchie  de  France 
1519,  lateinisch  1548,  angeiiihrt. 
')  Dass  Holinshed  seine  Quelle  ist,  ergiebt  sich  aus  dem  Commonplace- 
Book  p.  22.  Die  betr.  Stelle  bei  Holinshed  (Chronicles  of  England) 
IL  16.  z.  .1.  1072).  lieber  die  Verwechselung  mit  den  Vorgängen  zu 
Berkhampstead  von  1066  und  die  mythische  Geschichte  des  Abtes 
Friedrich  von  St.  Alban's  s.  Lappenberg  E.  G.  11.  111  und 
F  r  e  e  m  a  n :  Norman  Conquest  IV.  802  ff. 

445  ')  Milton's  Commonplace-Book  S.  22,  25,  27,  30—33,  39,  43,  55,  56. 

446  ^)  Rights  of  the  Kingdom  etc.  London  1649,  p.  24  ff. 

*)  Vgl.  Sa  dl  er  1.  c.  78  „But  there  be  some  yet  more  especiall  Peeres, 
and  that  not  only  to  the  Kingdome,  but  to  the  King  also  and 
therefore  called  the  Peers;  not  among  themselves  only;  for 
so  are  also  the  Commons;  Peers  to  each  other:  But  They  are  the 
Peers  of  the  Ivingdom  and  to  the  King'-'  p.  77  „If  I  should  say, 
the  Commons  in  Parliament  are  and  were  the  Kingdom's  Peers,  as 
well  as  the  Lords,  I  might  vouch  an  old  Authority,  as  good 
as  the  Antient  Modus  of  Parliament"  etc.  Sadler  hat  später  als 
Milton,  nach  dem  Tode  des  Königs,  geschrieben.  ^Milton  stützt 
sich  bei  seiner  Kenntnis  der  Geschichte  anderer  Völker ,  wie 
sich  aus  s.  Commonplace-Book  38  ergiebt,  auf  den  auch  sonst 
vielfach  von  ihm  benutzten  B.  de  Girard,  Seigneur  du  Haillan 
(1535 — 1610),  dessen  „histoire  generale  des  rois  de  France"  zuerst 
1596  erschien. 

^)  S.  d.  auf  diese  Gesandtschaft  bezüglichen  Aktenstücke  bei  Guizot 

n.  App.  IX. 


496  Anmerkungen. 

Seite 

448  ^)  Das  Natürlichste  ist  bei   den  Worten:    „tametsi  hoc  civili  tumultu 

magna  ex  parte  saepe  detentis" ;  an  das  gelegentliche  Ausbleiben 
des  Miethzinses  zu  denken,  auf  den  Milton  nach  dem  Tode  seines 
Vaters,  der  mehrere  Häuser  besessen  hatte,  rechnen  mochte.  Viel- 
leicht spielt  er  auch  auf  sein  Gläubiger  -  Verhältnis  zu  den  Powells 
an.  Die  Uebersetzungen  der  ganzen  Stelle  bei  "Weber,  Lie- 
be rt,  Bernhardi  sind  ungenau,  weil  sie  nicht  der  lateinischen 
Original- Ausgabe  der  De  f.  sec.  (W.  VI.  292)  folgen. 

449  i)Def.  sec.  1.  c.  Phillips  (vgl.  o.  S.  398).      , 


Anhang  I. 


Der  Buchhändler  George  Thomason. 

Der  Name  des  Buchhändlers  George  Thomason  ist  im  Vorigen  häufig 
erwähnt  worden.  Jedem,  dem  die  Entstehungsgeschichte  des  Brit.  Mus. 
bekannt  ist,  wird  dieser  Name  kein  fremder  sein.  Es  war  Thomason, 
„of  the  Rose  and  Crown,  in  St.  Paul's  churchyard",  welcher  einen  uner- 
müdlichen Eifer  auf  die  Sammlung  von  etwa  30000  Publikationen  aus  der 
Zeit  der  englischen  Revolution  verwandte,  und  es  war  diese  unschätzbare 
Sammlung,  die  nach  mannichfachen  Schicksalen  von  Georg  III.  erworben 
und  dem  ßr.  M.  geschenkt  wurde,  woselbst  sie  den  Titel  der  „King's 
Tracts"  erhalten  hat.  (S.  Näheres  b.  Edwards:  Memoirs  of  Libraries, 
1859,  I.  455  ff.  und  Lives  of  the  Founders  of  the  British  Museum,  1870, 
I.  330  ff.)(*)  Nachforschungen  an  Ort  und  Stelle,  deren  Ergebnis  H.  E. 
Maimde  Thompson  die  Gefälligkeit  hatte  mir  mitzutheilen ,  haben  ermög- 
licht über  die  Handschrift  Thomason's  zu  Schlüssen  zu  gelangen,  welche 
auch  für  eine  Biographie  Milton's  nicht  ganz  werthlos  sein  dürften.  Es 
kann  kein  Zweifel  darüber  bestehn,  dass  die  zahlreichen  Ms.-Bemerkungeu, 
die  sich  namentlich  auf  den  Titel  -  Blättern  vieler  Stücke  der  Sammlung 
Thomason's  befinden,  im  ganzen  und  grossen  von  seiner  Hand  herrühren.  (*) 


1)  Es  glebt  im  Br.  M.  zwei  alte  Ms. -Kataloge  dieser  Sammlung,  einen  im  „Reading- 
Koom",  einen  anderen  „in  the  Keeper's  Kom".  Vor  diesem  befindet  sich  gleichfalls  in  Ms 
eine  Geschichte  der  Sammlung,  von  anderer  Hand  hezeichnet  als  „Mr.  Thomason's  Note  ahout 
his  Collection",  aber  auch  ein  gedrucktes  Aktenstück ,  mit  Zugrundelegung  des  vorigen ,  nach 
Thomason's  Tode  abgefasst,  allem  Anschein  nach  als  Ankfmdigung  für  den  beabsichtigten 
Verkauf  der  Sammlung.  Es  soll  dies  gedruckte  Dokument  sein,  welches  sich  in  den  mir  nicht 
zugänglichen  Werken  von  W.  Beloe:  Anecdotes  of  Literature  ü.  248  und  Knight  Hunt: 
The  fourth  estate  I.  94  ff.  wiedergegeben  findet ,  und  doch  soll  sich  K.  Hunt  auf  das  „curious 
autograph"  beziehn  (Mittheilung  v.  E.  M.  Thompson). 

'■!)  Eine  sichere  Probe  von  T.  Hand  (court  -  band)  findet  sich  in  der  Notiz  eines  der 
Bände  von  1643 :    „Memorandum  that    Col.   Will.  Legg.   &  Mr.  Arther  Treavor  were  implojed 

by  bis  Majestie  K.  Charles  to  gett  for  his  present  use  a  pamphlet they  both  came  t  o 

m  e ").  Von  seiner  Hand  (Italian  band)  rührt  auch,  wie  Sachverständige  versichern,  der  Katalog 
der  Sammlung  im  ,,Reading-Koom".  Dagegen  derjenige  in  „the  Keeper's  Koom"  stellt  sich 
als  eine  Kopie  dar,  die  indess  zu  Lebzeiten  Thomason's  gemacht  wurde,  wie  aus  einer  Note 
von  seiner  Hand  hervorgeht. 

Stern,  Milton  u.    s.  Zeit.     I.  2.  32 


498  Anhang  I. 

Da  diese  Notizen  nun  aber  meistens  in  der  Zufügung-  eines  Datums  oder 
Namens  bestehen,  erhalten  sie  eine  nicht  geringe  Bedeutung.  Viele  jener 
Erzeugnisse  der  Tagespresse,  denen  Thomason  seine  Beachtung  zuwandte, 
erschienen  anonym,  für  viele  macht  das  Schweigen  der  „Stationers- 
Eegisters"  es  unmöglich,  die  Zeit  ihres  Erscheinens  einigermasseufgenau 
zu  bestimmen.  Der  unermüdliche  Sammler,  von  dem  man  annehmen  darf, 
dass  er  wohlunterrichtet  war  und  dass  er  sich  möglichst  bald  einer  neuen 
literarischen  Erscheinung  zu  bemächtigen  suchte,  hilft  uns  in  beiden  Fällen 
aus.  Schon  aus  diesem  Grunde  war  es  nöthig  bei  einer  -Besprechung  der 
Milton'schen  Schriften  Eücksicht  auf  ihn  zu  nehmen.  Nur  davor  wird 
man  sich  hüten  müssen,  anzunehmen,  dass  die  Datum- Bezeichnung  Tho- 
mason's  genau  den  Tag  der  Publikation  der  jeweiligen  Druckschrift  habe 
bekunden  sollen.  Sie  bezieht  sich  offenbar  vielmehr  nur  auf  den  Tag, 
an  welchem  das  Stück  in  Besitz  des  Sammlers  übergieng,  sodass  ein  ge- 
wisser Spielraum  nach  dem  Termin  der  Veröffentlichung  wohl  möglich 
M'ar.  Masson  ist  meiner  Ansicht  nach  z.  B.  III.  451,  indem  er  diese 
Thatsache  ausser  Acht  liess,  zu  einem  irrigen  Schluss  gelangt. 

Die  Notizen  Thomason's  bieten  dem  Biographen  Milton's  indess  noch 
ein  anderes  Interesse.  Von  den  bisher  erwähnten  Veröffentlichungen  Mil- 
ton's tragen  vier  (of  Reformation,  The  Reason  pf  C.  G. ,  An  Apology, 
Areopagitica)  in  Exemplaren  der  Sammlung  Thomason's  auf  dem  Titel  die 
Worte  „Ex  Dono  Authoris".  Im  ersten  und  dritten  Fall  ist  noch  hinzugefügt 
„By  Mr.  [John]  Milton",  und  im  ersten  finden  sich  im  Texte  Verbesserungen, 
die  vonMilton's  Hand  selbst  herzurühren  scheinen,  aber  auch  das  betr.  Exemplar 
der  Areopagitica  enthält  eine  wichtige  Korrektur,  welche  Kundige  nicht  an- 
gestanden haben  der  Feder  Milton's  zuzuweisen  (s.  o.  S,482  vgl.  466).  Hingegen 
die  Worte  „Ex  Dono  Authoris"  scheinen  mit  eben  so  grosser  Sicherheit  Tho- 
mason's Hand  zugesprochen  werden  zu  dürfen  wie  die  Notizen  auf  den  Titeln 
der  betr.  Exemplare  von  „Of  prelatical  Episcopacy",  „Animadversions", 
„Doctrine  and  D.  of  D."  erste  u.  zweite  Ausg.,  „Of  Education",  „Tenure  of  M. 
and  K."  erste  und  zweite  Ausg.  etc,  Notizen,  durch  welche  u,  a.  sattsam  bezeugt 
wird,  dass  Thomason  fähig  war  die  Anonymität  Milton's  zu  durchschauen. 
Man  hat  das  „ex  Dono  Authoris"  für  eine  Form  der  Widmung  des  Autors 
halten  wollen ;  allein,  ganz  abgesehen  von  der  Frage  der  Handschrift,  erscheint 
es  nicht  viel  natürlicher  diese  Worte  dem  Empfänger  in  den  Mund  zu  legen, 
zumal  wenn  sich,  wie  in  dem  Exemplare  der  Schrift  „Of  Reformation"  noch 
hinzugefügt  findet  „By  Mi-  John  Milton"?  (vgl.  meine  gegen  Masson  ge- 
ricliteten  Bemerkungen  Gott.  Gel.  Anz.  1871,  S.  1582,  1583,  mit  denen 
sich  diejenigen  E.  J.  Für nivall's  im  Athenaeum  1873,  Nov.  1,  p.  564 
begegnen).  Hierdurch  wird  nun  aber  eine  Verbindung  zwischen  Milton 
und  Thomason  erwiesen ,  welche  um  so  natürlicher  erscheint,  da  T.  auch 
von  Ilartlib  hie  und  da  einen  Beitrag  für  seine  Sammlung  erhalten  zu 
haben  scheint  (s.  o.  Anm.  1  zu  S.  272).  Thomason  war  allerdings,  wie 
aus  dem  Vorworte  zum  Kataloge  seiner  Sammlung  hervorgeht,    ein  guter 


Anhang  IL   Auszüge  aus  den  Protok.  der  Akademie  der  Svogliati.    499 

Royalist,  doch  erschien  auch  in  seinem  Verlag :  The  history  of  the  Par- 
liament  of  E.  etc.  by  T.  May  1647.  Mit  INIilton's  Namen  fand  sich  der 
seinige  \äelleicht  schon  in  dem  Album  der  Familie  Cardonius  vereint 
(s.  Buch  I.  295). 


Anhang  II.    (Nachtrag  zu  Buch  I.) 


Auszüge  aus  den  Protokollen   der  Akademie  der 
Svogliati.  (1) 

In  den  Atti  dell'  Academia  degli  Svogliati  (Magliabecchiana  cl.  IX. 
(cod.  60)  finden  sich  für  den  August  1638  vier  Sitzungen  erwähnt,  ohne  dass 
Milton  als  anwesend  genannt  wird.  Ebensowenig  in  den  Sitzungen  vom 
2.  und  9.  September.  Dagegen  findet  sich  unter  „A  di  16.  di  Settembre" : 
,,I  Signori  Accademici  ragunati  in  numero  competente  furono  lette 
alcune  composizioni  e  particolarmente  il  Giovanni  Miltone 
Inglese  lesse  una  poesia  latina  di  versi  esametri  molto 
erudita."  In  den  zwei  folgenden  September-Sitzungen  wird  M.  nicht  er- 
wähnt. Im  Jahre  1639  „A  di  17.  di  Marzo":  „Neil  Accademia  si  trova- 
rono  li  Signori"  .  .  .  folgen  die  Xamen,  darunter  an  zehnter  Stelle 
„Miltonio".  II  4^0  [G.  Bartolommei]  lesse  et  esphcö  il  7.  cap.  dell' 
eticä  sopra  la  quäle  alcuni  dissero  alcune  cose.  Furonportati  dal 
sesto  [Rist.  Antinori],  dal  decimo  [dal.  X.]  e  dall'  undecimo  [Girolami] 
e  letti  alcuni  nobili  versi  latini".  „A  di  24.  Marzo":  „Si  ragunö 
l'Accademia,  nella  quäle  furono  li  Signori  AI.»  P.  Pr.e  fPitti  Presidente?], 
Buommattei  Console  [Con.e]  Cavalcanti  Censore  [Cen.e] ,  Bartolommei  Segre- 
tario  [Bart.i  Seg.<*],  Cavaliere  [Cav.i]  Valori,  il  Residente  della  Serenissima 
Republica,  Miltonio,  Doni,  C^)  Rena,  Girolami,  Gaddi.  II 4*°  lesse  et  esplicö 
im  cap.  deir  etica,  a  cui  fece  alcuni  estemporanei  argomenti  l'ultimo.  Furon 
recitate  oltre  un  elogio  et  un  sonetto  dal  Signor  Cavalcanti  diverse  poesie 
Toscane  delli  Signori  Bartolommei,  Buommattei  e  Doni,  che  lesse  una  scena 
deUa  sua  Tragedia,  e  diverse  poesie  latine  del  Signor  Miltonio 
e  un  epigramma  dal  Signor  Girolami."  „A  di  31.":  „Xell  Accademia  si 
trovarono  li  Signori"  .  .  .  folgen  die  Namen,  an  zehnter  Stelle  „G.  Mil- 
tonio". In  den  folgenden  Protokollen  wird  er  nicht  mehr  erwähnt. 
Das  „Giornale  degli  Atti  dell'  Accad.  degli  Apatisti"  (Magliabecchiana  cl. 
IX.  cod.  1)  beginnt  erst  m.  d.  J.  1669. 

')  Nach  gefälligen  Mittheilungen  des  H.  Dr.  phil.  B.  Mangold  in  Florenz. 
2)  Hierdurch  wird  d.  B.  I.  286  über  Doni  Gesagte  ergänzt. 


32  = 


Druckfehler  und  Berichtigungen. 

Seite     70  Zeile  20  v.  o.  statt:    hätte,  lies:     hätten, 
,,        76      „       19  V.  o.  hinter  „Smectymnuus"  einzuschieben:  Anm.  3). 
,,       119      „        14  V.  o,  statt:    Buchhändler,     lies:     Buchhändler    er- 
schienen, 
ihr,  lies  :    sein. 

Massachussetts,  lies:  Massachusetts, 
die  Christenheit,  lies :  d  a  s  C  h  r  i  s  t  e  n  t  h  u  m. 
Prinz,  lies:  Prince. 
Smectymianer,  lies:  Smectymnianer. 
alle  übrigen  Formalitäten  zu  verletzen,  lies : 
mit     Verletzung     aller     übrigen 
Formalitäten, 
ihm,  lies:  ihn. 
1  V.  o.    das  Anführungszeichen   hinter   befördern    statt 
hinter  erstrebte  zu  setzen. 

Man  bittet  überall  statt  Satyre,  Satyriker,  satyrisch  zu  lesen:    Satire, 
Satiriker,  satirisch. 


169 

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ri.>rov"---clir  Itnfl'iii-liJruckorci.    Stephan  Geibol  &  Co.  in  Altenlmi-g. 


Verlag  von  DUNCKER  &  HUMBLQT  in  Leipzig. 

Max  Duncker, 

Aus  der  Zeit  Friedrichs  des  Grossen  und  Friedrich  Wilhehiis 
III.  Abhandlungen  zur  preussischen  Geschichte,  gr.  8. 
1876.  12  M.;  geb.   13  M.  40  Pf. 

Inhalt:  Eine  Flugschrift  des  Kronprii  zen  Friedrich.  ^  Die  Schlacht  von  Kollin.  — 
Die  Besitzergreifung  von  Westpreussen.  -  •  Preussen  während  der  französischen  Occu- 
pation.  —  Eine  Milliarde  Kriegsentschädigung,  welche  Preussen  Frankreich  gezahlt  hat. 
—  Die  Mission  des  Obersten  von  Knesebeck  nach  Petersburg. 

Julius  Eckardt, 

Russische  und  baltische  Charakterbilder  aus  Geschichte  und 
Literatur.  Zzueite  Auflage  der  »Baltischen  Culturstudien<. 
34  Bogen,     gr.     8.     1876.  10  Mark. 

Inhalt;  Philipp  Wigel,  der  deutsche  Nationalrusse.  —  Die  altgläubigen  Sectirer  in 
Russland,  Oesterreich  und  der  Türkei.  —  P.  M.  Leontjew  und  die  russische  Presse.  — 
Die  „neue  Formel  der  Civilisation".  —  Jwan  Turgenjew  und  seine  Zeitgenossen.  — 
Ernst  Gideon  von  London.  —  Eine  livländische  Spukgeschichte.  —  Albert  Hollander.  — 
Ferdinand  Walter. 

Bilder  aus  der  Petersburger  Gesellschaft.     Vierte  Auflage.     8. 

Preis  6  M.  40  Pf. 

Inhalt:  Die  Grossfürstin  Helene.  —  Graf  Peter  Schuwaloff.  —  Die  Gräfin 
Antoinette  Bludoff.  —  Die  Grafen  Adlerberg.  —  Die  Brüder  Miljutin.  —  Fürst 
Gortschakoff.  ~  Graf  Protassoff.  —  P.  A.  Walujeff.  —  General  Ignatjeff.  —  Unsere 
Ünterrichtsminister.  —  Journalisten  und  Schriftsteller. 

Neue  Bilder  aus  der  Petersburger  Gesellschaft.  Zweite  Auf- 
läse.    8.  Preis  2  Thlr. 

Inhalt:  Die  Nationalitäten.  —  Kaiserliche  Brüder  und  Söhne.  —  Fürst  Bismarck  in 
St.  Petersburg.  —  Literatur  und  Literaten  unter  Kaiser  Nicolaus  I.  —  Puschkin  und 
Dantes.  —  Das  höhere  Beamtenthum.  —  Wassily  Ostroff  und  die  Akademie  der 
Wissenschaften. 

Karl  Emil  Franzos, 

Aus  Halb-Asien.  Culturbilder  aus  Galizien,  der  Bukowina, 
Südrussland  und  Rumänien.     Zwei  Bände.     1876. 

10  Mark;  geb.  12  Mark. 

Inhalt: 

I.  BAND.  ,,Aus  Halbasien"  (Einleitung).  —Der  Aufstand  von  Wolowce.  —  Jüdische 
Polen.  —  Schiller  in  Barnow.  —  Von  Wien  nach  Czernowitz.  —  Zwischen  Dniester 
und  Bistrizza.  —  Ein  Culturfest.  (Das  Jubiläum  der  Bukowina ;  die  Gründung  der 
Universität  Czernowitz.)  —  Rumänische  Frauen.  —  Jancu  der  Richter.  —  Gouvernanten 
und  Gespielen.  —  Todte  Seelen.  —  Ein  jüdisches  Volksgericht.  —  Der  schwarze  Abra- 
ham. —  Nur  ein  Ei. 

II.  BAND.  Kossuth-Jagden.  —  Auch  ein  Hochverräther.  —  Der  lateinische  Ka- 
nonier. —  Der  Schnapsgraf.  —  Am  Altare.  —  Wladislaw  und  Wladislawa.  —  Im  Hafen 
von  Odessa.  —  Die  Leute  vom  „wahren  Glauben".  —  Der  Richter  von  Biala.  —  Nikolaj 
Pawloff. 


Verlag  von  DUNCKER  &  HUMBLOT  in  Leipzig. 

Wilhelm  von  Giesebrecht, 

Deutsche  Reden.  2  Mark  40  Pf. 

Inhalt:  Die  Entwickelung  der  modernen  deutschen  Geschichtswissenschaft.  —  Der 
erste  deutsche  Missionär  in  Preussen.  —  Ueber  einige  ältere  Darstellungen  der  deutschen 
Kaiserzeit.  —  Die  Entwickelung  des  deutschen  Volksbewusstseins.  —  Der  Einfluss  der 
deutschen  Hochschulen  auf  die  nationale  Entwickelung. 

Leopold  von  Ranke, 

Deutsche   Geschichte   im   Zeitalter   der  Reformation,     Fünfte 
Auflage.     Sechs  Bände,     gr.  8.  30  M.;  geb.  36  M. 

Leopold  von  Ranke, 

Die    römischen    Päpste     in    den    letzten    vier    Jahrhunderten. 
Sechste  Auflage.    3  Bände,  gr.  8.     Preis  16  M.;  geb.  20  M. 

Julian  Schmidt, 

Bilder  aus  dem  geistigen  Leben  unsrer  Zeit.  Preis  8  M. 

Inhalt:  Die  neue  Generation.  —  Der  Einfluss  des  preussischen  Staats  auf  die  deut- 
sche Literatur.  —  Studien  über  die  romantische  Schule.  —  Walter  Scott.  —  Sainte  Beuve 
und  die  französische  Romantik.  —  Edward  Bulwer.  —  George  Eliot.  —  Paul  Heyse.  — 
Iwan  Turgenjew.  —  Erkmann  Chatrian. 

Julian  Schmidt, 

Bilder    aus    dem    geistigen   Leben    unsrer  Zeit.     Neue  Folge. 

Preis  8  M. 

Inhalt:  Dickens.  —  F.  Caballero  und  Alt-Spanien.  —  Lamartine.  —  Pariser  mora- 
lische Velleitäten.  —  Heine.  —  Pierliner  Plaudereien.  —  Der  Krieg  gegen  Frankreich. 


Julian  Schmidt, 

Neue  Bildei:  aus  dem  geistigen  Leben  unsrer  Zeit. 

Preis  8  M. 

Inhalt;  Fragmente  über  Shakespeare.  —  G.  Gervinus.  —  Wilibald  Alexis.  —  Her- 
man  Grimm.  —  Fricdr.  Spielhagen.  —  Fritz  Reuter.  —  Die  Philosophie  und  das 
Katheder. 

Julian  Schmidt, 

Characterbilder  aus  der  zeitgenössischen  Literatur,     gr.     8. 

Preis  8  M. 

Inhalt:  iL  F.  Strauss.  -  P..  Auerbach.  —  O.  Ludwig.  —  M.  Jokai.  -  Turgenjew 
n.  Pi.semski.  —  Studien  über  den  englischen  Roman.  —  P.  Heyse.  —  K..  Rosenkranz.  — 
M.  Haupt.  -  Hoffmann  von  Fallerslcben.  —  F.  Halm.  -  F.  GriUparzer. 


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