MILTOIs^
UND SEINE ZEIT.
ERSTER THEIL.
1608—1649.
T
MILTOjN
UND SEINE ZEIT.
Von
ALFRED STERN.
ansserord. Professor der Gesciüchfe a. d. rnkersität Bo)i.
ERSTER THEIL.
160S~ltU9.
Erstes Buch. Vor dem Ausbruch der Revolution.
LEIPZIG.
Vi:iiLA(; VON DUNCKER & HUMBLOT.
1»77.
JEn<77-.n.-,/ ;-, .V.ni ■' liuL-h-
fflIlLiTOH. JÜTTAl'o.^IL.
Das Recht der Uetersetzung wie alle andern Rechte vorbehalten vou der
Verlagshuchhandluns
V 0 r w 0 r t.
Als ich anfieng, mich mit den Werken John Milton's
bekannt zu machen, lag mir der Gedanke fern, mich an seiner
Biographie zu versuchen. Erst das genauere Studium vor-
züglich seiner prosaischen Schriften liess mich diesen Plan
ernstlich in"s Auge fassen. Auch schien mir seine Ausführung
durch frühere deutsche Leistungen, welche demselben Gegen-
stande gewidmet sind, nicht überflüssig gemacht worden zu
sein. Wir besitzen geistvolle Essays, wie die von Treitschke
und Pauli, eine gute Besprechung der prosaischen Haupt-
werke Milton's von G. Weber, auf welche neuerdings eine
Uebersetzung derselben von Bernhardi gefolgt ist, eine fein
ausgearbeitete biographische Skizze von Lieb er t u. a. m.
Indessen an einer umfassenden Lebens-Beschreibung Milton's,
welche sein Werden und Schaffen im Zusammenhang mit der
Geschichte seiner Zeit zu schildern versuchte, hat es uns bis-
jetzt gefehlt.
In der That wird es immer gewagt erscheinen, ein aus-
geführtes Bild von einer der schriftstellerischen Grössen einer
fremden Nation zu zeichnen, selbst wenn ihm nicht so manche
unserer Anschauung ungewohnte Züge beizumischen Avären,
wie es in diesem Falle nöthig ist. Dazu kommt, dass der
grösste geistige Vertreter des Puritanismus in England selbst
kürzlich einen Biographen gefunden hat, mit dem es kaum
möglich erscheint zu wetteifern, weil sein Fleiss und seine
VI Vorwort.
Genauigkeit einem jeden, der nach ihm dasselbe Fehl betritt,
nur wenig übrig zu lassen drohen. Als ich mich anschickte,
Hand an"s Werk zu legen, fand ich den 1859 erschienenen
ersten Band des Lebens Milton."s von David Masson be-
reits vor. Während ich mit der Ausarbeitung beschäftigt war,
wurden zwei weitere Bände desselben Werkes veröffentlicht, und
in diesen hat dei" Verfasser die Darstellung beinahe bis zu dem
Punkt geführt, welcher dem ersten Theile meiner Arbeit als Ziel
gesteckt war. Nur eine der wichtigsten politischen Schriften
Milton's kommt hier noch zur Behandlung, die dort für die
Fortsetzung aufgespart geblieben ist. Fast jede Seite des ersten
Theiles meines Buches wird Zeugnis dafür ablegen, was es den
Forschungen jNIasson's verdankt. Nicht minder ist mir die muster-
hafte Ausgabe der poetischen Werke Milton's, welche dieselbe
Hand besorgt hat, von grösstem Nutzen gewesen. Endlich halien
die manniAifachen mündlichen wie schriftlichen Belehrungen
und sonstige Zeichen der Theilnahme, mit denen H. Masson
meinen Studien zu Hilfe kam, mich zum herzlichsten Danke
gegen ihn verpflichtet.
Ermuthigt durch den Zuspruch von dieser Seite, nahm
ich keinen Anstand, an dem einmal gefassten Plane festzu-
halten. Denn immerhin war dem Biographen Milton's, der
zunächst für deutsche Leser schrieb, eine andere Aufgabe ge-
stellt als demjenigen, welcher ein englisches Publikum im Auge
hatte. Hier mochten die einundzwanzighundert Seiten, welche
den ersten viei'zig Jahren des Dichters gewidmet sind, nicht
als zu viel erscheinen, dort wird es fast als ein Wagnis gelten,
der Schilderung desselben Zeitabschnittes soviel Raum gewährt
zu haben, als es geschehn ist. Im einen Fall war die wört-
lidie Mittheilung von Aktenstücken und Namens -Listen von
Interesse, im anderen war es geboten sich mit kurzen Aus-
zügen und Andeutungen zu begnügen. Beim englischen Leser
lit'ss sicii di(^ Bekanntschaft mit den wichtigsten Milton'schen
Werken entw(Mler voraussetzen oder durch den einfachen Ab-
druck charakteristisclier Stellen am leichtesten vermitteln, für
unsre Z\veck(^ war es nothwendig, die schriftstellerischen Erzeug-
nisse des Diclitcrs wie des Politikers Milton genau zu analy-
Vorwort. VII
siren, um die Möglichkeit ihrer Kritik und ihrer Vergleichimg
mit entsprechenden Erscheinungen seiner Zeit zu gewähren.
Mit diesen Erwägungen verband sieh die Hoffnung, die bis-
herigen Darstellungen hie und da berichtigen oder ergänzen
zu können.
Ein längerer Aufenthalt in England, der für die Aus-
führung meines Planes unerlässlich war, erwies sich in jeder
Beziehung als lohnend. Dank der Gefälligkeit, mit "welcher
man mir in Cambridge wie in Oxford begegnete, war es
mir im Sommer 1871 möglich, an dem einen Ort in der
Bibliothek des Trinity- College den kostbaren Ms. Band
der Milton'sehen Gedichte einzusehn, au dem anderen in der
Bodleiana namentlich die Biographie Milton's von Aubrey
nach der Handschrift mit den gemachten Abdrücken zu ver-
gleichen, sowie die Mss. Aubrey's und Wood's für andere
Zwecke zu verwerthen. In London konnte ich aus den Re-
gistern von Station er s' Hall eine Reihe von xVuszügen
machen, die nicht allein für die genaue Zeitbestimmung des
Erscheinens einzelner Druckwerke, und darunter vieler der
Milton"schen, von Wichtigkeit sind, sondern durch die es auch
möglich sein wird zu beweisen, dass Milton selbst, der Ver-
fasser der Areopagitica, eine Zeit lang die Rolle des Censors
gespielt hat. In der erzbischöflichen Bibliothek von Lam-
beth war ein interessanter Sammelband jSIilton'scher Schriften
zu prüfen. Die Benutzung des Public Record- Office,
durch Sir Thomas Duffus Hardy bereitwillig gestattet
und durch das Entgegenkommen der Herren H. C. und W. D.
Hamilton erleichtert, erwies sich, von anderem abgesehn,
für die Entstehungs-Geschichte und Kritik der Milton'schen
Staatsbriefe von besonderem Werthe. In erster Linie waren
aber die Schätze auszubeuten, welche die Bibliothek des b ri ti-
sch an Museums in sich birgt. Fühle ich mich dem Institut
als solchem zum Ausdruck der Dankbarkeit verpflichtet, so
vorziiglich gegenüber H. E. Mann de Thompson, der mit
einem unermüdlichen Eifer meine Kachforschungen an Ort und
Stelle unterstützt und meine späteren Anfragen beantwortet
hat. Die reiche Sammlung der „King's Tracts" bot Mittel
VJll Vorwort.
der Aufklärung- jener ganzen bewegten Epoche, der Milton
angehört, wie sie an keiner Stelle sonst zu finden sein werden.
Mehrere Mss. traten hie und da zur Ergänzung des Bildes
hinzu. Waren die meisten von ihnen nicht unbekannt, so ist
eines, Sloane-Ms. 649. so viel ich sehe, bisher noch nicht ge-
bührend beachtet worden. Es ist von Interesse zur Beurthei-
lung der Wirksamkeit Samuel Hartlib's, dessen Anregung
man ]\Iilton"s Schrift über die Erziehung verdankt. Eben diesem
Ideenkreise gehört grossen Theils die anziehende Korrespon-
denz zwischen Hartlib und Comenius an, die sich handschrift-
lich im böhmischen Museum zu Prag befindet. Von
Gindely bereits benutzt, wurde mir diese Quelle durch die
Güte meines Freundes, des H. Dr. Goll in Prag, vollständig
zugänglich gemacht. Auf eine andere Persönlichkeit, die sich
den Bestrebungen jener Zeitgenossen Milton's anschliesst,
John Durie, sowie auf die auswärtige Politik des Protektorats
werden aus den Materialien des Züricher Staats- Archivs
einige Streiflichter fallen. Direkteren Bezug auf Milton selbst
haben die xVuszüge aus den Protokollen der flor entin er
Akademie der Svogliati, w' eiche bisher der Aufmerk-
samkeit entgangen sind. Auf Anregung des H. Dr. K. Hil le-
hr and durch H. Dr. B. Mangold kopirt, kamen sie mir
leider zu spät zu, als dass sie an gehöriger Stelle hätten
eingerückt werden können. Sie finden sich daher unter den
Anhängen des zweiten Buches als Nachtrag,
Wenn trotz aller Bemühungen der Gewinn an neuem Mate-
rial ein bescheidener blieb, so wurde es möglich von einigen
literarischen Erscheinungen der jüngsten Zeit nicht geringen
Nutzen zu ziehn. Die Sammlung der Calendars of State-
Papers, im rüstigen Fortschreiten begriften, dient mehr als
alles sonst der Erkenntnis der allgemeinen Geschichte. Die
vor/iiglichen Tvlitionen älterer englischer Dichter durch A, 1>.
(irosart sind für literar-historische Zwecke um so willkom-
mener, je schwieriger es auf dem Festlande nicht selten ist,
sich di(! Original -Ausgaben zu verschaflen. V(m Milton's
C o u\ m 0 n j) 1 a c e - B o 0 k (herausgegeben von A, J, II o r w o o d ,
Camdcn-Society 1876), das eine unmittelbare Bedeutung für
Vorwort. IX
die Biographie des Dichters besitzt, hat mich die Gefälligkeit
H. S. Rawson Gardiner's noch die Druckbogen einsehen
lassen, wie ich denn diesem Gelehrten überhaupt für das
Interesse, das er meiner Arbeit gezeigt hat, vielen Dank
schulde.
Zum grössten Theile am Sitze einer Hochschule ge-
schrieben, deren Mangel an literarischen Hilfsmitteln sich
leider nur allzu oft fühlbar macht, hätte sie mit unüberwind-
lichen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, wenn ihr nicht die
Liberalität der Universitäts-Bibliothek meiner Vaterstadt Göt-
tingen zu Gute gekommen wäre. Auch so indess M'ar Voll-
ständigkeit in Beschaffung des Materials nicht immer zu er-
reichen, und ich werde nicht selten genöthigt sein, mit Piück-
sicht hierauf, um die Nachsicht des Lesers zu bitten. Gegen
einen anderen naheliegenden Vorwurf hoffe ich durch die
Natur meiner Aufgabe selbst geschützt zu sein. Man wird
vielleicht finden, dass die allgemeinen Ereignisse mit unbilliger
Ausführlichkeit besprochen werden, dass unter ihnen die
kirchenpolitischen eine ungebührliche Stelle einnehmen, und
dass der Faden der Biographie in dem bunten Gewebe an-
scheinend abseits liegender Thatsachen mitunter verloren gehe.
Man wolle indessen bedenken, dass sich mehrere der hervor-
ragendsten Schriften Milton's gar nicht Avürdigen lassen ohne
genaueste Kenntnis der Ereignisse, die sie behandeln, dass
die Frage über das Verhältnis von Kirche und Staat für jene
ganze Zeit und für Milton besonders eine der grössten,
wenn nicht die grösste von allen gewesen ist, und dass die
Vielseitigkeit seines Helden auch den Biographen nöthigt,
ihm auf die verschiedensten Gebiete zu folgen. Auch müssen
manche Fäden schon zeitig angeknüpft werden, deren Wieder-
aufnahme erst bei der Schilderung der späteren Lebensjahre
des Dichters möglich sein wird. Mein Bestreben war, mir die
Worte eines unserer ersten Historiker als Norm dienen zu
lassen: „Freiheit und Nothwendigkeit in ihren Verhältnissen,
Collisionen und Wechselwirkungen zu zeigen, ist das untrenn-
bare Geschäft aller Geschichtschreibung, und die Biographie,
X Vorwort.
ein Theil derselben, kann unmöglich ein anderes Gesetz haben
als jene".
Das Bild, welches diesem Theile vorgesetzt worden ist,-
mit Benutzung der von Macmillan & Co. überlassenen Platte,
ist dasjenige des einundzwanzigjährigen Milton (s. B. I. S. 120).
Der zweite Theil dieser Biographie, welcher sie abzu-
schliesseu bestinnnt ist, wird das dritte und vierte Buch „Unter
der Republik und dem Protektorat", „Unter der Restauration"
enthalten. Da mir ein reiches Material vorliegt, und die Aus-
arbeitung begonnen hat, hoffe ich ihn dem ersten baldigst
nachfolgen lassen zu können.
Göttiugen. 16.. September 1876.
Alfred Stern.
Erstes Buch.
Vor dem Ausbruch der Revolution 1608—1639.
Inlialts-Verzeiclinis.
Einleitung' S. 3 — 13.
Erstes Kapitel.
Elternhaus und Erziehung- S. 14 — 47.
Abstammung 14, 15. Der Vater 16, 17. Die Mutter. Geburt Mil-
ton's 18. Geschwister. Das elterliche Haus 19, 20. John Lane, Hum-
phrey Lownes 21, 22. — Das alte London 23—27. — Thomas Young 27—30.
Verhältnis zu Young. Die Paul's-Schule 30. Der ältere Gill 31. Alex.
Gill, der Sohn 32. Karl Diodati und seine Familie 33. Unterricht in
der Paul's-Schule 34 — 36. Häuslicher Fleiss und Lektüre 36 — 38. Du
Bartas , Sylvester 38. Paraphrase der Psalmen 114, 136. 39.
Elegie an Young 40, 41. Der jüngere Gill, poetischer Mentor 42. —
Verheiratung von Milton's Schwester mit E. Phillips 43. Europa und
England 44 — 47.
ZAveites Kapi tel.
Die Lehrjahre auf der Universität Camhridg-e . . S. 48 — 122.
Die englischen Universitäten. Colleges 48 , 49. Tutoren. Unter-
schiede der College -Genossen 50. Terms. Quadriennium und Trien-
nium 51. Baccalaureus, Magister artium 52. Doctor. Beamte. Auf-
nahme Milton's in das Christ-College 53. Christ-College. Bainbrigge,
Meade 54, 55. Chappell. Gell. Tovey. Power 56, 57. Chappell,
Milton's Tutor ' 57. Cambridger Celebritäten 58. Leben im College.
Studentische Sitten 59. Puritanismus und Formenzwang 60. Eegierungs-
antritt Karls I. Die Pest 60, 61. Milton's Ode auf den Tod der
kleinen Phillips 62. Gedichte auf Andrews, Feiton, Gost-
lin, Ridding 63. Gedichte auf die Pulververschwörung
63, 64. Protestantische Befürchtungen C5. Briefwechsel mit Dio-
XII Inhalts- Verzeichnis.
tlati 06. Erste Eleuie 67. Siebente Elegie 68. Briefwechsel
mit YouHi; und Gill 69, 70. John Cleveland 70. Die Brüder King
71. Gedicht: „Natiiram non pati senium" 72. — Allgemeine
Universitätsereignisse 73. Buckingham und die cambridger Kanzlerwahl
74 — 7(}. Buckingham's Politik 77. Buckingham's Besuch in Cambridge.
Der König in Cambridge 78. Scheitern der Expedition nach Rochelle.
Petition of Eight 79. Ermordung Buckingham's. Process Gill's 80. —
Bestrafung Milton's in Cambridge 81 — 83. Tovey, Milton's Tutor. Milton
Baccalaiireus 84. — Elegie auf den Frühling. Elegie an Dio-
dati 85. Ode auf den Morgen von Christi Geburt 86. Oden
auf die Beschneidung und Passion 87. Komödie in Cambi-idge
87, Holland und Chateauneuf in Cambridge. Stubbe's Fraus honesta
88. Die Pest in Cambridge 89, 90. Gedichte auf Hobson. Epi-
taph der Marquise von Winchester 90, 91. Christoph Milton
im Christ-College. Das Königspaar in Cambridge 92. Selbstmord des
Vicekanzlers Butts. Milton Magister artium 93. „At a solemn mu-
sick" 94. — Eückblick auf den Studiengang 94 — 96. Milton's rhe-
torische Essays. Erste College-Rede 97, 98. Ferien-Rede
1628 im College. Verhältnis zu den Kommilitonen 99 — 102. Pro-
Insio 102 — 104. Maske der aristotelischen Prädikamente
104, 105. Dritte College-Rede. Universitäts-Rede „Non
dantur" etc 106. Univ. -Rede über die Harmonie der Sphä-
ren 107. Univ. -Rede gegen die Scholastik 108, 109. Rede
zum Lobe der Wissenschaft 110, 111- Aufklärung und Natur-
wissenschaft 112. Rückblick auf die rhetorischen Essays 113. Milton's
Idealismus 114. Einfluss des Ramus 115. Einfluss Plato's 115. Ge-
dicht über ,,die platonische Idee" etc. 116, 117. Einfluss
Bacon's 118, 119. Lebensweise und äussei-e Erscheinung 120. Milton's
Urtheil über das Universitätsleben 121. Schluss der Univer-
sitätszeit 122.
Drittes K a }) i t e 1.
Kinlir niid Slaat S. 123 — 161.
Lebenspläne. Brief und Sonett 12.'{ — 125. Der geistliche Be-
ruf 126. — Aussichten für den Puritaner 127. Das göttliche Recht des
Bisthums 128, 129. Hochkirchenthum und Absolutismus 130 — 132.
Land 133, 134. Parlamentarisches Interregnum 134. Auswärtige Politik
13.">. Innere Politik 136 H. Sternkamnier. Provinziall)elir)rden 137.
Finanzielle Auflagen 138. Das kirchliche Regiment. Stärkung des Pu-
ritanismus 138—140. Die Sabbathfeier 140, 141. Arminianismus und
Cnlvini.snius 112, 143. Formenzwang 144.' Furcht vor Rekatholisirung
145, 146. Lage der Katholiken 147. 14S. Kirchliche Visitation und
.Jurisdiklion. Holic Kommission Ms. 14!(. Process Leighton 150. Vcr-
Inhalts-Verzeichnis. XIII
folgung der Puritaner 151. Lecturers 152. Auswanderung 153. Die
Kirche in Schottland 154. Die Kirche in Irland 155. Der Hof 156,
157. Die puritanische Partei. — Milton giebt die geistliche Laufbahn
auf 15S— 161.
Viertes Kapitel.
Blick auf die gleichzeitlgre poetische Literatur Eng--
land's S. 162—199.
Einleitung 162, 163. Das Drama. Ben Jonson 164. Chapuian.
Marston. Dekker. Munday. Heywood. Massinger. Webster. Ford,
May. Cartwright. Kaudolph 165, 166. Shirley, Davenant 166, 167.
Theater 168. Epos und Lyrik. Spenser 169, 17U. Fairfax. Drayton.
Drummond 171. Giles und Phineas Fletcher 172, 173. W. Browne
173^ — 175. Reaktion gegen die Spenserianer 176. Wissenschaft und
Poesie 177, 178. Davies. Stirling. Brooke. John Donne 179, 180.
Cleveland. Cowley 181. Carew 182, 183. Herbert. Crashaw. Quarles
184, 185. Veränderter Charakter der Lyrik. Suckling. Herrick. Ha-
bington. Lovelace. Waller 186 — 188. — Poesie und Hofpartei 189. An-
griffe auf den Puritanismus 190. Theater und Puritanisnius. Prynne:
,,Histriomastix" 191, 192. Poesie und Puritnnismus 193. Wither
194 — 198. Schlussbetrachtung 199.
Fünftes Kapitel.
Die Lehrjahre in Horton S. 200 — 261.
Milton in Horton. Studien 20ü — 202. Besuche von London. Die
Brüder Lawes 203. Theater 204, 205. Die Gills und Ben Jonson 206.
Landleben. Sonett an die Nachtigall 207. Mailied 208.
L'Allegro und II Penseroso 208—212. — Die Gräfin v. Derby
212, 213. Milton's Arcades 214—216. — Die Familie Bridgewater.
Maskenspiele 216 — 220. Aufführung des Comus. Inhalt 220 — 228.
Quellen. Erycius Puteanus: Comus 229, 230. Ben Jonson: Pleasure
reconciled to Virtue 231. Peele: The Old Wive's Tale 231, 232. Flet-
cher: The faithful shepherdess 232, 233. Stil des Comus 234—236.
Kritik des Comus 237, 238. Leitende Idee 239. — Griechische
Uebersetzung des 114. Psalmes 239. Tod von Milton's Mutter
239. Veröftenthchung des Comus 240. Briefwechsel mit Diodati
2)0, 241. Lycidas 241, 242. Puritanische Tendenz 242. — Höhe-
punkt des Laud'schen Systems 243. Processe gegen Prynne, Burton,
Bastwick 244. Gelderpressuugen. Schiftsgeld 245. Wentworth in Ir-
land 246 — 248. Die neuen Kauones und das neue Liturgiebuch für
Schottland 249, 250. Unruhen in Edinburg. Covenant 250, 251. —
Milton und Shakespeare. Gedieh*- auf Shakespeare 252, 253.
XIV Inhalts- Verzeichnis.
Milton und Spenser 254. Milton über Dichter und Dichtkunst
255— 25S. Sehnsucht nach Italien 259. Verheiratung von Christoph
Milton 259. Sir Henry Wotton 259—261.
Sechstes Kapitel.
Die Waiideijahre S. 262 — 296.
Keiseplan 262. Paris. Hugo Grotius 263, 264. Genua. Pisa 264,
2(i5. Florenz 265. Akademieen 266 — 268. Gaddi. Coltellini. Dati.
Buommattei. Chimentelli. Francini. Frescobaldi. Malatesti 269 — 273
Brief an Buommattei 274, 275. Galilei 275—280. Rom 2S0, 281.
F. Barberini. Holstenius. Leonora Baroui. Doni. Salsillus. Selvaggi
2S2— 287. Neapel. Manso 287—289. Gedicht für Manso 289—291.
Rückweg nach Rom und Florenz 291. Bologna. Ferrara. Italienische
Gedichte 292, 293. Venedig 293. Genf. G. Diodati 294, 295. Heim-
kehr 296.
Anmeikuiis^eii und Aiihäug-e S. 297 — 348.
Anmerkungen.
Anhang I.
Die Ulteste Bioi?rapliie ^lilton's S. 335— 344.
Anhang IL
Die Genealoffie von MiIton*s Mutter ... . S. 345 — 348.
Erstes Buch.
Vor dem Ausbrucli der Eevolution.
1608—1639.
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1.
I
Einleitung.
Das Andenken des englischen Dichters und Denkers,
dessen Leben zu schildern ich mir vorgesetzt habe , ist mit
allem, was sein Vaterland und mit vielem, was Europa zu
seiner Zeit in Bewegung setzte, aufs "engste verknüpft. In
gebundener und ungebundener Rede, im Thun und Leiden
hat er an mächtigen Ereignissen lebhaften Antheil genommen.
Durch innere Neigung dazu gedrängt, sich vom Geräusch der
Welt in die stille Werkstatt des Künstlers und Gelehrten zu-
rückzuziehn, hat er sich doch nicht enthalten können, in den
Kämpfen des Tages seine Stimme zu erheben, bald zum
Schlachtruf, bald zur Klage, mit den Worten schneidigen Hohnes
und mit dem Pathos heiligen Zornes, in ruhiger wissenschaft-
licher Darlegung und im Sturme dichterischer Begeisterung.
Es giebt wenig bedeutende Fragen, die, damals aufgeworfen,
in seiner Brust nicht ein Echo, aus seinem Munde nicht eine
Antwort gefunden hätten, und man hat wohl Hecht gehabt,
in seinen Aeusserungen, welche das Drama eines halben Jahr-
hunderts begleiten und die sich nicht selten zur Höhe all-
gemeiner Gültigkeit erheben , gleichsam die Stimme des
antiken Chores zu erkennen. Obwohl sein Leben an äusseren
Wechselfällen nicht eben reich ist, nöthigt es den Diirsteller
dennoch , die grossen geschichtlichen Vorgänge in den Kreis
seiner Betrachtung zu ziehn. Es kann nicht genügend ver-
standen werden, wenn nicht der historische Hintergrund, von
dem es sich abhebt, einigermassen erhellt wird. Und so ist
4 Einleitung.
es uneiTässlich , wenigstens mit ein Paar flüchtigen Zügen an
einige Seiten des kirchlichen und politischen Zustandes der
Nation, welcher Milton geschenkt wurde, zu erinnern.
An jeder anderen Stelle, wo die Reformation Eingang
gefunden hatte, war der Bruch mit den Ueberlieferungen des
Mittelalters entschiedener gewesen als in England. Unter
Heinrich VIII. führte sie sich ein mit der vollständigen Tren-
nung von Rom und der Klöster- Aufhebung, aber nachdem
sie die Gewissen von der Despotie des Pa|stes befreit hatte,
fand sie ein neues oberstes und einziges Haupt der Kirche
im König. Unter Eduard VI. setzte sie sich fort durch die
energischen Aenderungen im Dogma und Kultus, aber die
Reaktion, welche unter der katholischen Maria eintrat, stellte
die ganze vorangegangene Entwickelung" wieder in Frage.
Erst nachdem diese Feuerprobe überstanden war, wurden
durch die grossen Gesetze Elisabeth's die festen Grundlagen
der anglikanischen Staatskirche gelegt, wie sie sich nach den
Schwankungen der verflossenen Jahre in' der Folgezeit aus-
bildete. Indem die Wiederaufnahme der Suprematie dem
Königthum auf inner -kirchlichem Gebiet eine unbeschränkte
Herrschaft gab , und indem die Begründung der Uniformität
alle Glieder der Nation ohne Duldung von Abweichungen dem
Rahmen der einen Staatskirche einfügte, war allerdings ein
Zustand geschafl'en , der selbst in den engsten Kreisen eine
öffentliche Fortsetzung der alten Kirche unmöglich zu machen
drohte. Auch waren die dogmatischen und rituellen Satzun-
gen , wie in den reformirten Gebieten des Festlandes , nicht
mehr äusserlich aufgezwungene Formeln, sondern der Aus-
druck lebensvoller Ueberzeugung grosser Volksniassen. Eng-
land war reformirt, und dennoch hatte seine Reformation, in-
mitten der gefährlichsten Gegensätze durchgeführt und von
einem sehr stai-k ausgeprägten fürstlichen Willen geleitet,
von den mittelalterlichen Formen vieles bewahrt. Vor allem
nach der Seite der Verfassung boten sich wesentliche Unter-
schiede von den Bildungen dai', welche auf deutschem, schwei-
zer und schottischem Boden in's Leben getreten waren. Hier
hatte sich dm-chweg die Vei-änderung im Kampf mit dem
Einleitung. 5
Bisthum vollzogen, in England .wurde das Bisthum, das in
der Geschichte seiner Reformation eine so grosse Rolle ge-
spielt hatte, als solches erhalten. Der Anspruch der ununter-
brochenen apostolischen Succession, an dem dieses Bisthum
festhielt, begründete seine hierarchische Stellung. Als Inha-
ber des durch ihre Handauflegung wirkenden Mysteriums be-
wahrten Erzbischöfe und Bischöfe das Recht der Ordination.
Ihnen verblieb, in Unterordnung unter die königliche Gewalt,
kirchliche Verwaltung und geistliche Jurisdiktion für ein nicht
geringes Geliiet von Civil- und Strafrecht. Sie besassen als
Mitglieder des Oberhauses Antheil an der Legislative. Ihre
Einkünfte vom Kirchengut gewährten ihnen und den mit ihnen
zusammenhängenden geistlichen Instituten bedeutende mate-
rielle Macht. An sich abhängig vom Monarchen, als oberstem
Leiter der Kirche, nahmen sie selbst eine durchaus aristo-
kratische Stellung über der Pfarr- Geistlichkeit ein, deren
Verhältnisse gleichfalls vielfach von denen anderer protestan-
tischer Länder abwichen. Zum grösseren Theile in der Hand
weltlicher Patronatsherren, denen die Präsentation des Rec-
tors oblag, zum kleineren, mit Bisthümern, Kathedralkirchen,
Colleges u. s. w. verknüpft oder im Besitz einzelner Laien,
durch blosse Vikare für das Seelsorgeamt versehen, waren
die geistlichen Stellen ebensewenig erwählte Organe der Ge-
meinde, für deren Dienst sie bestimmt waren, wie ausser-
ordentlich ungleichmässig dotirt. AVährend der persönlich
wirksame Rector im vollen Genuss der Ländereien und Zehn-
ten seiner Pfründe stand, sah sich der Vikar auf einen Theil
derselben beschränkt und oft nur nothdürftig besoldet. Hülfs-
geistliche, ohne Ausstattung mit Kirchengut, auf Gehalt und
Gebühren angewiesen , traten hinzu. Das ganze System ent-
hielt die doppelten Gefahren der Pfründenhäufung in einer
Hand und der mangelhaften Besetzung der geistlichen Stellen,
der Entfremdung von der Gemeinde und der Abhängigkeit
von den Verleihern.
Mit dieser Bewahrung kirchlicher Verfassungsformen,
welche die Reformation an vielen anderen Stellen guten Theils
über den Haufen geworfen hatte, verband sich die Neigung
ß Einleitung.
auch auf sonstigen Gebieten des religiösen Lebens das Alte
wenn nicht zu erhalten , so doch möglichst wenig zu ver-
ändern. Im Dogmatischen blieb allerdings, trotz einiger
Abweichungen von den Bestimmungen aus der Zeit Eduard's,
die Neuerung gründlich genug, aber im Rituellen erinnerte
noch vieles an die Erscheinung der alten Kirche, deren An-
hänger man durch Schonung von Aeusserlichkeiten eher zu
versöhnen hoffen mochte. Die durch das allgemeine Gebet-
buch vorgeschriebene Liturgie mit ihren mechanischen Re-
sponsorien, die wiederholte Kniebeugung, der Gebrauch des
Ringes bei der Trauung, die Bezeichnung der Täuflinge mit
dem Symbol des Kreuzes, die künstlerische Ausschmückung
des Gottesdienstes durch die Fülle musikalischer Zuthaten,
die Auszeichnung des Priesters durch den üblichen Ornat:
Alles dies war mehr oder weniger nicht ohne Absicht katho-
lischem Muster entlehnt.
Der Widerstand gegen einzelne dieser Reminiscenzen an
die mittelalterlichen Formen, das Bestreben der Kirche ihre
ursprüngliche Reinheit und Einfachheit zu verleihen, gieng
bis auf die Zeiten Eduard's VL zurück. In der anfänglichen
Weigerung des zum Bischofsitz von Gloucester berufenen
Hooper, das „aaronische Priestergewand", das Symbol „der
Gemeinschaft mit dem Antichrist" , anzulegen , ist der erste
Keim des Puritanismus zu erkennen, der sich in den Jahren
des Exils durch innige Berührung mit den Häuptern der cal-
vinistischen Reform kräftigte und unter Elisabeth den Kampf
mit der Staatskirche aufnahm. Die ganze Regierungszeit der
grossen Königin war mit den bitteren Streitigkeiten und Ver-
folgungen erfüllt, zu denen die puritanischen Bestrebungen
den Anlass gaben. Nach dem Ceremonial wurde schon die
Verfassung der Kirche Gegenstand der Kritik und des An-
griffs. Das Parlament, mit puritanischen Sympathieen erfüllt,
forderte das Recht der Initiative auch für die innere kirch-
liche Gesetzgebung. Ilie und da wurde in vereinzelter Kühn-
heit die Suprematie selbst und damit das rechtlich bestehende
Verhältnis von Kirche und Staat bestritten. — Schon damals
bihleten sich innerhalb des englischen Puritanismus, dem das
Einleitung. 7
unnach sichtliche Gebot, sich den Satzungen der Staatskirche
zu fügen, entgegentrat, die Anfänge von zwei Richtungen aus,
deren Gegensatz für spätere Zeiten die grösste Bedeutung
erlangte. Es war nicht unnatürlich, dass mehr als einer der
puritanischen Bekämpfer der bestehenden Kirchenformen seine
Blicke nach der Kirche von Genf lenkte , welche in dem be-
nachbarten nördlichen Königreich als nachahmungswerthes
Muster betrachtet wurde.
In der That nahm das System des Presbyterianismus,
wie es sich in Schottland unter schweren Kämpfen durchzu-
setzen wusste, nicht nur in den äusseren Formen des Gottes-
dienstes die ganze Strenge und Nüchternheit des calvinisti-
schen Princips an, sondern auch der Verfassung der Kirche
wurde, nicht ohne bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten in
der Ausprägung, der Stempel desselben Geistes aufgedrückt.
Auch diese Kirche war dazu bestimmt, unduldsam gegen jede
Abweichung, alle Glieder der Nation zu umfassen, aber sie
kannte keinen geistlichen Supremat der Staatsmacht. Die
scharfe Sonderung der kirchlichen und bürgerlichen Gewalten
bildete ihren obersten Grundsatz, und doch verlangte sie ein
Zusammenwirken beider zu demselben Zweck. Wie sie selbst
eine Unterwerfung der Obrigkeit unter ihre Disciphn forderte,
so schärfte sie ihr die Verpflichtung ein, ihr für die Wahrung
des reinen Glaubens, die Ausübung ihrer Jurisdiktion Schutz
und Unterstützung zu leihen. Im Gegensatz zur anglikani-
schen Kirche gab sie sich eine demokratische Grundlage, in-
dem sie einer Erhaltung des Bisthums in jeder Gestalt wider-
strebte, die Stelle des Geistlichen wenigstens nicht gegen den
Willen der Gemeinde besetzt wissen wollte und vor allem
den Begriff des Kirchenamtes nicht auf das des Minister, als
Verkündigers des göttlichen Wortes, beschränkte. Als eben-
bürtige Genossen, kraft göttlichen Rechtes, traten ihm er-
wählte Aelteste aus der Gemeinde zur Seite. Im Ortskirchen-
rath, im Presbyterium, das einer grösseren Zahl von Gemeinden
in einem Bezirk entsprach, in dei- Provinzial- Synode, endlich
in der höchsten Instanz, der General Assembly, fand das In-
stitut der Aeltesten seine Stelle und diente vorzüglich der
g Einleitung.
Mitwirkung bei der Erhaltung strenger moralischer Zucht und
geistlicher Jurisdiktion. Noch ehe diese Form der schottischen
Kirche sich gänzlich ausgebildet und die volle staatliche An-
erkennung erhalten hatte, war in England hie und da das
leidenschaftliche Verlangen aufgetaucht, über den Trümmern
der anglikanischen Staatskirche eine presbyteriale National-
kirche aufzubauen. Ohne dass man auf eine Synodal -Ver-
bindung bedacht war, wirkten die Nonkonformisten an vielen
Stellen auf die Errichtung von Presbyterien hin, und die wis-
senschaftlichen Vorkämpfer dieser Partei suchten ihr Ideal
kirchlicher Verfassung als einzig schriftgemäss und absolut
bindend nachzuweisen. Indessen war gegen Ende des sech-
zehnten Jahrhunderts von Robert Browne, nicht ohne Ein-
wirkung holländischer Emigranten, eine geistige Bewegung
ausgegangen, die sich gleicher Weise gegen Anglikanismus
wie Presbyterianismus richtete. Die Brownisten strebten
nicht darnach, die eine kirchliche Form, welche alle Glieder
der Nation zwangsweise in sich schliessen sollte, durch eine
andere zu ersetzen. Sie forderten das Recht der Separation,
das Recht der Verbindung einzelner zu freien Gemeinden, die
weder die Autorität von Bischöfen noch die von Presbyterien
oder Synoden über sich zu dulden hätten. Aus diesem Grund-
satz unbedingter Freiwilligkeit liessen sich für die Ausbildung
von Verfassung und Gottesdienst der einzelnen Kongregation
weitere Folgerungen ziehen, durch welche die Verwaltung der
Gemeinde- Angelegenheiten der Mehrheit zugewiesen und die
bindende Vorschrift ritueller Formen verworfen ward. So
wenig Browne selbst sich der Vei-theidigung eines grossen
und zukunftreichen Principes durchaus würdig zeigte, so bedeu-
tend war der Erfolg seiner Lehre. Aber gegen sie, durch welche
die Staatskirche als „Reich des Antichrists" gebrandmarkt
wurde, schien es nöthig, noch schärfere Mittel anzuwenden,
als gegen die übrige Macht des Puritanismus. Dasselbe Ge-
schleclit, welches die Ausübung von Messe und Ohrenbeichte
juit dem Tode l)estraft sah, sah auch Mitglieder brownistischer
Konventikel der Hand des Henkers überliefert. Die Qualen
grausamer Haft lichteten ihre Reihen, und schon wurden ein-
Einleitung. ■ 9
zelne zu dem Entschluss gedrängt, den theiiren Boden der
Heimat zu verlassen.
Wenn der englische Puritanismus nach Elisabeth's Tode
seine Hoffnungen auf einen König gesetzt hatte, der in Schott-
land gross geworden war, so sah er sich bald aufs bitterste
enttäuscht. Jakob hasste das kirchliche System seiner Hei-
mat und hatte die entschiedensten Versuche gemacht, in ihr
auf's neue die Anfänge eines Episkopates zu begründen.
Die grosse Petition puritanisch gesinnter Geistlicher, die ihm
auf englischem Boden entgegentrat, das Manifest der Pai-tei.
welches die Erage der Verfassung unberührt liess, aber Cere-
monieen und Entweihung des Sabbath, die Schäden des Patro-
uats und die Missbräuche der geistlichen Gerichtsbarkeit
gleichzeitig angriff', hatte keine weiteren Folgen als eine er-
gebnislose Konferenz, welche den König entschlossen zeigte,
die bestehenden Formen aufrecht zu halten. Die hundertein-
undvierzig Canones des Jahres 1604 mit ihren Strafandrohun-
gen beugten den Klerus fester als je unter das Joch der
Konformität, und der Puritanismus hatte eine neue Periode
des Duldens durchzumachen. —
Man weiss, wie viel die Begründung der anglikanischen
Kirche dazu beigetragen hat, dem englischen Königthum des
sechzehnten Jahrhunderts seine mächtige Stellung zu geben.
Unzweifelhaft waren die Schwächung des grossen kriegerischen
Adels und die Gewalt socialer Bedürfnisse nothwendige Vor-
aussetzungen für die Erhebung jener „neuen Monarchie" ge-
wesen , unter deren Schutz Gentry . Freisassen und Bürger
theilweise eine höhere politische Stufe erklimmen konnten,
die arbeitenden Klassen in Stadt und Land eine gewisse Für-
sorge fanden, Handel, Schiffahrt und Gewerbe einen gross-
artigen Aufschwung nahmen und glückliche Versuche einer
Ausbreitung der wiedergeborenen Bildung gemacht wurden.
Auch konnte, mit Ausnahme der katholischen Maria, die
Persönlichkeit der Herrscher aus dem Tudor- Geschlecht bei
allen Flecken, die ihrem Charakter anhaften mochten, so sehr
als der Ausdruck echt englischer, nationaler Gefühle gelten,
dass ihnen schon um deswillen eine ausserordentliche Aus-
10 Einleitung.
dehnung der königlichen Prärogative verziehen ward. Vor
allem der glänzende Zauber, der die heroische Gestalt Elisa-
beth's umgab, das volle Bewusstsein, mit ihr und unter ihr
in der vordersten Reihe eines Weltkampfes zu stehn, der
frische Hauch urwüchsiger Kraft, der unter ihrem Scepter das
öffentliche und geistige Leben durchdrang: Alles, was ihr An-
denken in den Herzen des Volkes heiligte , wirkte zusammen,
ihr eine thatsächliche Gewalt zu geben, die sehr geeignet
war, den Besitzer zum Missbrauch zu verführen. Aber die
stärkste Aufforderung, das Wesen der Verfassung zu Gunsten
einer unbeschränkten Monarchie zu verändern, lag in dem
einseitigen Zuwachs an Macht, den die Krone mit dem kirch-
lichen Supremat erhalten hatte. Inmitten eines Staatswesens,
welches durch Parlament, Gerichtsverfassung und gewisse
Grundrechte den königlichen Willen für die weltliche Seite
der Regierung band, gab es einen reinen Beamtenstaat, durch
welchen auf kirchlichem Gebiet alle Unterthanen in absoluter
Weise beherrscht werden sollten. Der Oberkirchenrath („High
Court of Commission") mit seinen ausserordentlichen Gewal-
ten, die ihn der Inquisition annäherten, wurde durch geist-
liche und weltliche Beamte nach widerruflichem Willen des
Monarchen besetzt. Die beiden Häuser der geistlichen Kon-
vokation, jene periodische Vereinigung der Prälaten mit den
Vorstehern und Vertretern der Kapitel sowie denen der Pfarr-
geistlichkeit, beibehalten schon zum Zwecke der Besteuerung,
waren, ohne die frühere Selbstständigkeit gefügige Werkzeuge
in der Hand des neuen Herren. Sein Recht, sie zu berufen
und ihren Beschlüssen zuzustimmen, erhielt dadurch, dass der
gesammte Klerus sich in eine Art abhängiger Bureaukratie
hatte verwandeln müssen, erst volle Bedeutung. Selbst die
Wahl von Erzbischöfen und Bischöfen hieng thatsächlich vom
Gutdünken des Monarchen ab. An der Spitze dieser streng
gegliederten Hierarchie von Kirchenbeamten war er auch zu
allen übrigen Unterthanen , die dem Laienstande angehörten,
in ein neues Veiliiiltnis getreten. YAn grosser Theil in den
verschiedensten Lebensstellungen war, wie der Klerus, ver-
pfliclitet, den Supremats -Eid zu leisten. Allen drohte die
Einleitung. W
Gefahr eines geistlichen Ausnahmegerichtes. Und von selbst
mussten die Zustände des königlichen Kirchenregimentes auf
die gesammte Staatsverwaltung zurückwirken. Ein „Dua-
lismus des kirchlichen und weltlichen Staates" war vorhanden,
der einer neuen, für die englische Verfassung gefährlichen
Theorie das Leben geben konnte. „Das Königthum hatte die
unabweisbare Tendenz erhalten, den Staat zu einer Verwal-
tungsordnung nach dem Muster der Kirche umzubilden, die
Tendenz zum Absolutismus. " (') — Es begegnete in dieser
Tendenz der Strömung, .welche gleichzeitig die grossen Staats-
wesen des Festlandes ergriffen hatte, und deren Gewalt ein
Glied der innigen Gemeinschaft romanisch -germanischer Völ-
ker sich nicht so leicht entziehen konnte.
Aber wenn es an anderen Stellen gelang, die ständische
Verfassung zu vernichten oder der Vernichtung nahe zu brin-
gen, so ruhte sie jenseits des Kanals auf festeren Grundlagen,
die wohl erschüttert, aber nicht zertrümmert werden konnten.
Der Geist der Selbstverwaltung, der in diesem Lande gross
geworden war, die Summe der Gemeinde -Institutionen, in
denen er sich ausdrückte, waren die unbezwingbaren Boll-
werke, an welchen das Streben nach absoluter Herrschaft
sich brechen musste, und hinter welchen der alten Verfassung
des Reiches eine letzte Zuflucht gewahrt bheb. Inzwischen
hatten eben unter den Tudors viele Ursachen dazu beigetra-
gen, einen Zustand vorzubereiten, in dem ein anderes Element
dieser Verfassung, das Haus der Gemeinen, sich mit einem
höheren Bewusstsein seiner Macht durchdringen konnte. Die
Stellung der weltlichen und geistlichen Pairs war durch die
Rosenkriege und durch die Reformation zu ihren Ungunsten
verändert worden. Auch wurde die Selbstständigkeit des
Oberhauses zunächst in der Folge durch die massenhafte Er-
hebung in die Pairie noch mehr geschwächt. Das Unterhaus
dagegen erhielt erhöhte Bedeutung, indem nach dem Ruin
der grossen kriegerischen Baronie, beim allmählichen Empor-
rücken der Gesellschaftsklassen, ein neuer politisch berechtig-
ter Mittelstand in Grafschaften und Städten entstand, der
sich neben den höheren Klassen durch Ausbilduno- des Kirch-
12 Einleitung.
Spiels zu grösserer Thätigkeit im öffentlichen Leben auf-
gerufen sah, über die reichen Quellen landwirtschaftlicher
und bürgerlicher Arbeit gebot und an den fortgeschrittenen
Ideen einer gleichmässigen Bildung Theil nahm. Ein höheres
Selbstvertrauen dieses Mittelstandes war nicht zu verkennen.
Es inusste nach und nach auch in der Persönlichkeit seiner
Vertreter zum Vorschein kommen, die aus den Reihen der
reichen, juristisch und politisch geschulten, städtischen und
ländlichen Gentry emporstiegen. Weit entfernt davon, etwas
von den alten parlamentarischen Rechten opfern zu wollen,
erhielt das Haus der Gemeinen die stille Tendenz, sie in aus-
gedehnterem Sinne zu deuten.
Unter Elisabeth waren zahlreiche Anzeichen einer Span-
nung im Staatsw^esen zu bemerken, aber ein Bruch wurde
jedes Mal vermieden. Wenn die Königin die tieferen Gründe
der langsam wirkenden Veränderung nicht erkannte, so Hess
sie ein glücklicher Takt diese Veränderung wenigstens em-
pfinden. Sie trug Sorge, den Kampf mit einer Versammlung
nicht zum äussersten zuzuspitzen, in welcher, der willkürlichen
Schaffung neuer Wahlflecken und der willkürlichen Einwir-
kung auf die Wahlen zum Trotz, ein wachsender Geist der
Unaljhängigkeit sich Ausdruck verschaffte. In wichtigen Fra-
gen, wie in der Frage der Monopolien, gab sie mit gross-
artiger Offenheit nach. Der Grundsatz des Rechtes der Steuer-
bewilligung wurde nicht geläugnet. Der Grundsatz des Rechtes,
an der Gesetzgebung Theil zu nehmen, wurde nur für das
kirchliche Gebiet bedeutend eingeschränkt. Niemals wurde
eine Theorie verfochten, welche das Parlament als ein über-
flüssiges Glied am Staatskörper bezeichnet hätte, und dieses
selbst l)ehauptete schrittweise sein Recht, über seine inneren
Angelegenheiten das höchste Tribunal zu sein. Aber auch
von dieser Seite wurde gegen eine Fürstin in einzigartige!'
Stellung eine wohlbedachte Nachgiebigkeit geübt. Man er-
schöpfte sich in demüthigen Aeusserungen und wagte nicht
immer das freie Wort zu schützen. Man duldete Verordnun-
gen, auch wenn sie nicht durch die Noth des Augenblicks zu
entschuldigen waren, und Zwangsanlehen, auch wenn ihre
Einleitung. |3
EintreibuDo- die persönliche Freiheit gefährdete. Man verzieh
der Verwaltung, in einzelnen Fällen das gemeine Recht zu
durchbrechen, und es gab eine ganze Klasse der Bevölkerung
in deren grausamer Verfolgung die Regierung der protestan-
tischen Masse, deren Fanatismus aus religiösem Hass und
patriotischem Argwohn zusammengesetzt war, noch nicht ge-
nug that.
Auf diese Weise war ein System geschaffen, das wenn
nicht immer die Vortheile, so doch die thatsächlichen Folgen
„willkürlicher und konstitutioneller Regierung" mit einander
verband (^). Es konnte seiner Natur nach nur von kurzer
Dauer sein. Indem das fremde Geschlecht der Stuarts das
heimische der Tudors ablöste, wurde die Spannung der kirch-
lichen und politischen Verhältnisse vergrössert, und der Riss
zwischen den einzelnen Bestandtheilen dieses Staatswesens
herbeigeführt. Sobald es der religiösen Opposition des Puri-
tanismus gelang, sich mit den Ideen politischer Opposition
voller zu durchdringen, mussten die parlamentarischen An-
sprüche eine doppelte Wucht erhalten. Sobald das fremde
Königsgeschlecht, verführt durch die theologischen Anschauun-
gen eines ergebenen Klerus, begann, die Grundsätze des Kir-
chenregiments auf die Staatsverwaltung zu übertragen, musste
sich der Absolutismus zu einer einheitlichen Theorie ab-
schliessen. Ein feindlicher Zusammenstoss der beiden gestei-
gerten Gegensätze wurde unvermeidlich.
Den Jahren, in denen er sich vorbereitete, gehört Mil-
ton's Jugend an. Der Mann fand seine Stelle in der stürmi-
schen Zeit des Kampfes, da neue Gebilde in Kirche und Staat
zu dauerndem Bestände sich durchzuringen suchten. Nachdem
diese Versuche gescheitert, die früheren Gewalten wiederge-
kehrt waren, sah der alternde, blinde Dichter mit geistigem
Auge zurück auf die zertrümmerten Ideale wie auf ein ver-
lorenes Paradies.
Erstes Kapitel.
Elternhaus und Erziehung.
\> as uns Milton selbst über seinen Stamm mittheilt,
beschränkt sich auf die wenigen Worte: „Londini sum natus,
genere honesto." Es ist möglieh, wenn auch nicht eben wahr-
scheinlich, dass er hiemit doch mehr habe andeuten wollen,
als dass er einem ehrbaren bürgerlichen Hause entsprossen
sei. Alte Familien - Tradition vom Vater auf den Sohn ver-
erbt, mochte auf einen vornehmen Ursprung zurückweisen.
Ein ehrwürdiges Geschlecht, die „Miltons von Milton", sollte
vor Menschen- Gedenken in Oxfordshire gesessen und in den
Kriegen der weissen und rothen Hose seinen Besitz und da-
mit seinen Glanz eingebüsst haben. Der Dichter selbst, wie
wohl schon des Dichters Vater, bediente sich eines Wappens,
das ohne Zweifel den alten Insignien des Geschlechtes ent-
sprechen sollte. Indess alle Nachforschungen, diese Miltons
von Milton zu entdecken, sind vergeblich gewesen. Auch die
von E. Phillips, dem Neflen Milton's, erwähnten Familien-
Denkmale haben sich weder in der Kirche von Milton bei
Abiiigdoii noch in jener des Dorfes Great-Milton in Oxfoi-dshire
auffinden lassen (').
Allerdings kann man den Namen Milton in den Annalen
englische)- Gcscliichte bis in's vierzehnte Jahrhundert hinauf
in nicliieren Familien nachweisen. Seitdem erscheint er in
verschiedenen Grafschaften, wie er auch vielfach zur Bezeich-
Abstammung. 15
nung einer Ortschaft, eines Dorfes oder Weilers auftritt. Immer-
hin ist es möglich, dass zwischen dem Familien -Namen und
der topographischen Bezeichnung ein Zusammenhang statt-
findet der Art, dass jener die Herkunft aus einem „middle-
town" („mid-town, milltown") ausdrücken sollte ('). Auch in
Oxfordshire tauchen lange vor der Geburt des Dichters
Familien seines Namens auf, vor allem in einer Gruppe von
Dörfern .in geringer Entfernung östlich von Oxford, am Rande
des königlichen Forstes von Shotover gelegen: Beckley, Els-
field, Stanton St. John's.- In dem zuletzt genannten lebte um
die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ein „Henri Mylton",
dieser ohne Zweifel des Dichters Urgrossvater , von dem uns
freilich nichts überliefert ist als sein Testament. Selbst diese
spärliche Quelle genügt, uns über die nächsten Angehörigen
des Erblassers in Kenntnis zu setzen. Eine Tochter, Isabelle,
erhält ein halbes Malter Gerste und ein Rind, welches Richard,
der Sohn, bis zum vierten Jahre aufziehen soll. Ein gewisser
Rowland Mylton und Alice Mylton werden' gleichfalls mit je
einem halben Malter Gerste bedacht. Die Ehefrau Agnes soll
zwei Pferde, zwei Kühe und das gesammte Hausgerät empfan-
gen. Was uns mehr interessirt als diese einfachen Verfü-
gungen, die einen Einblick in den ländlichen Haushalt des
Testators gewähren, ist die Thatsache, dass er sich durch
seine Ausdrucksweise, die Erwähnung „unserer 1. Frau St.
Maria und der Gemeinschaft der Heiligen" unstreitig als Katho-
liken kennzeichnet. Auch sein Weib Agnes ist, den Worten
ihres Testamentes zu Folge, nicht lange nach ihm, als gläu-
biges Glied der Kirche gestorben, welche im Zeitalter Elisa-
beth's die verfolgte war (2).
Richard Milton blieb dem väterlichen Glauben treu. Sein
Name findet sich zwei Mal in den s. g. Recusant- Rolls, den
Verzeichnissen, in welchen Jahr für Jahr die Geldbussen ein-
getragen wurden, die wegen Versäumnisses des anglikanischen
Gottesdienstes in der Pfarrkirche zu zahlen waren. Das eine
Mal (13. Juli 1601) wird er für den Zeitraum von drei Monaten
mit sechzig i^., sodann, da sein Widerstand nicht gebrochen
wurde, noch ein Mal mit derselben bedeutenden aber gesetz-
1(3 Der Vater.
liehen Strafsumme belastet. Es ist beraerkenswerth, dass kein
anderer Milton in Oxfordshire als Anhänger des alten Glau-
bens genannt wird , wiewohl es feststeht, dass gerade in der
Umgegend von Stanton St. John's das Werk gewaltsamer Be-
kehrung durchaus nicht überall erfolgreich war(').
Die Standesbezeichnung des Richard Milton drückt sich
durch ein dem Namen beigesetztes „yeoman" aus; dass er
irgend ein Forstamt. im Walde von Shotover verwaltet habe,
ist urkundlich nicht überliefert. Günstige Vermögens - Um-
stände, durch einen Steuer-Eintrag in den Subsidy-Rolls von
1577 genugsam bezeugt, mögen den Freisassen in den Stand
gesetzt haben, seinem Sohne John eine Erziehung zu geben,
welche diesen spater dazu befähigte, einen einträglichen Lebens-
beruf zu ergreifen. Die Pfarre Stanton St. John's war nur
ein Paar englische Meilen von Oxford entfernt, so dass der
Knabe unschwer in der alten Universitäts-Stadt den Jugend-
Unterricht empfangen konnte. Daraus mag sich die Sage ge-
l)ildet haben, die in die erste Biographie seines Sohnes, des
Dichters, übergegangen ist, der Vater desselben sei im College
von Christ-Church zu Oxford gebildet worden, eine Nachricht,
die durch Nachforschungen in diesem College keine Bestäti-
gung erhalten hat.
So ist auch jene bekannte Erzählung mehr sagenhaft als
geschichtlich, welche die Uebersiedelung des älteren John
Milton nach London berichtet. Sein Vater, der eifrige Katholik,
der in standhafter Anhänglichkeit an den alten Glauben eine
zweimalige schwere Strafe ertrug, entdeckte, so lautet die Er-
zählung, dass sein Sohn der verhassten Lehre des Protestan-
tismus zuneige. In seiner Kammer fand er die Bibel in engli-
scher Uebersetzung, das unverkennbare Zeichen der Ketzerei.
Im Zorn verstiess, enterbte er den Jüngling, welcher nun,
um sein Glück zu suchen, die ländliche Heimat verliess und
sicli der Hauptstadt des Reiches zuwandte. Hier, in London,
fand er bei einem erprobten Freunde liath und Hülfe. Dieser
Freund, ein Notar von Ruf, erm(')glichte ihm, so heisst es, die
üblichen sieben Lehrjahre, welche zur Vorbereitung auf das
Notariat erfordert wurden, zu überspringen und durch eben
Der Vater. 17
diesen Beruf sein Leben zu fristen und einen glücklichen Haus-
halt zu gründen (^).
Eine erst kürzlich gemachte Entdeckung hat uns belehrt,
dass diese etwas romantische Ueberlieferung nicht ganz mit
der Wahrheit übereinstimmt. In den Verzeichnissen der lon-
doner Scriveners" Company fand sich nämlich ein Eintrag des
Inhalts, dass am 27. Februar 1599 (1600) John Milton, Sohn
des Richard Milton von Stanton, vormals Lehrling bei dem
londoner Bürger und Notar James Colbron , als Meister in
die Innung aufgenommen worden sei(^).
Aus diesem Eintrag geht hervor, dass der ältere John
Milton in der That eine Lehrzeit durchgemacht hat. Da diese
nach der Regel sieben Jahre dauerte, James Colbron aber,
wie Nachforschungen ergeben haben, selbst erst am ersten
April 1595 das Meisterrecht erlangte, so hat man zu ver-
muthen, dass John Milton schon vorher einige Jahre einem
andern Meister gedient hat. Wenn es ferner richtig ist, was
mir noch nicht hinlänglich bewiesen scheint, dass der „Scri-
vener" in damaliger Zeit nicht über einundzwanzig oder zwei-
undzwanzig Jahre alt sein durfte, um sein Amt antreten zu
können (^), so hätte der Streit mit dem Vater, die Entfernung
aus dem elterlichen Hause, der Uebertritt zum Protestan-
tismus vor dem vierzehnten Lebensjahre des- Sohnes stattfinden
müssen.
Möglich immerhin, dass dieser schon in so früher Jugend
den Kampf durchzufechten hatte und mit dem Kampfe jene
ernste, puritanische Lebensanschauung sich zu eigen machte,
die er der Seele seines grossen Sohnes einpflanzte. Möglich
auch, dass der Verstossene in der Schreibstube eines älteren
Bekannten für einige Jahre als Lehrling Aufnahme fand, bis
er in die Aufsicht James Colbron's übergieng. Soviel scheint
sicher, dass der eifrige junge Mann, nachdem er selbstständig
geworden war, durch Klugheit, Fleiss und Rechtschatienheit
in kurzer Frist zum wohlhabenden Bürger wurde. Schon
im Jahre 1600 oder um diese Zeit konnte er sich einen eignen
Hausstand gründen (•*), über das Alter seines Weibes Sarah
wissen wir aber nichts und über ihren Familien-Xamen sind
Stern, Milton u. s. Z. I. 1. ' 2
18 Die Mutter. — Geburt Milton's.
wir bis heute so im Unklaren, dass wir nicht mit Sicherheit
entscheiden körinen, ob sie eine geborene Bradshaw, Haughton
oder Caston gewesen ist (s. d. Anhang).
Bei zunehmendem Wohlstand erlangte der rührige Ge-
schäftsmann den Besitz mehrerer Häuser, deren zwei in Bread-
street , recht im Herzen der City gelegen, mit Namen genannt
werden. Das eine, das Haus „zur Rose", mag ihm in den
ersten Jahren seiner Geschäftsthätigkeit als Bureau gedient
haben, in dem andern, dem Hause „zum fliegenden Adler"
(„Spread-Eagle^') tinden wir ihn seit 1603 eingerichtet (i). Es
spricht manches dafür, dass das Haus seinen Namen erst von
seinem neuen Besitzer erhalten und nicht etwa, dass dieser
erst den schon vorhandenen Namen des Hauses zur Bildung
eines Phantasie -Wappens benutzt hat. Nicht ohne Grund
würde jenes Sinnbild gewählt worden sein, als es galt nach
der Sitte der Zeit, das Haus mit einer Devise auszuzeichnen,
welche, über derThür befestigt, in jenen Tagen unsere praktisch-
prosaische Numerirung ersetzte. Nicht nur, dass das Wappen
der Scriveners" Company diesem Hausschilde einigennassen
entsprach (-), sondern eben dieses Sinnbild scheint mit geringer
Veränderung für das Wappen der ritterlichen Ahnen, jener
„Miltons von Milton" gegolten zu haben. Ein Doppeladler
mit ausgespreizten Fittichen und Krallen zierte des Dichters
Petschaft, eben dieses Siegel findet sich auf keinem geringeren
Dokument als auf dem Vertrag über die Veröft'entlichung des
„verlorenen Paradieses" zwischen dem Autor und dem Buch-
händler Simmons(^).
In diesem Hause zum „fliegenden Adler" wurde dem Notar
Milton am neunten December 1608 um halb sieben Morgens
ein Sohn geT)oren, welcher am 20. desselben Monats in der
Taufe den Namen des Vaters, John, empfieng(*). Eine Schwester,
Anna, war vermuthlich um einige Jahre illter, ein Bruder,
Christoph, kam erst im December 1615 zur Welt. Zwischen
diesen beiden wuchs der Knabe auf; von drei weiteren Ge-
schwistern war eines schon 1601 gleich nach der Geburt weg-
gerafft worden, die beiden anderen nachgeborenen starben im
zartesten Altci-. Wahrscheinlich gehörte auch die Grossmutter
Geschwister. — Das elterliche Haus. 19
mütterlicher Seits, Ellen, Wittwe des Paul Jefferys oder Jeffray,
vermiithlich ihres zweiten Gatten, bis zu ihrem Tode (Febr.
1610 — 1) der kleinen Familie an(').
Es war, das sind wir anzunehmen berechtigt, ein Haus,
geschmückt mit allen Tugenden soliden Bürgerthums , das
Haus zum „Spread-Eagle", in welchem der junge John Milton
gross ward. Die Mutter, schon mit dem dreissigsten Jahre so
schwachsichtig, dass sie die Brille nicht entbehren konnte,
durch rechtschaffenen, wohlthätigen Sinn in der Kachbarschaft
bekannt (-), der Vater, frithe in der Schule des Lebens gereift,
schon zeitig am Tage in den mannichfaltigen Geschäften uner-
müdlich thätig, die sich an seinen einträglichen Beruf knüpften.
Dazu ohne Zweifel über dem ganzen Hauswesen ein Hauch
puritanischer Frömmigkeit ausgebreitet, die dem Dichter für
sein Leben als Regel vorschrieb, den Tag mit dem Lesen der
Bibel zu beginnen, und welche ihn gewiss jeden Sonntag den
Weg zu der nahen Allerheiligen-Kirche einschlagen liess, deren
Kanzel Richard Stocke, der Freund des hervorragenden
puritanischen Pfarrers von Rotherhithe, Thomas Gataker's,
zweiunddreissig Jahre lang in würdigem Eifer innehatte (^).
Aber es wäre weit gefehlt, wenn man annehmen wollte,
das ernste religiöse Element sei das einzige gewesen, welches
das Leben des miltonschen Hauses beeinflusste. In seinen
Räumen ward auch das Schöne gepflegt um des Schönen
willen, vielleicht auch da, wo der rigorose Puritanismus es als
Zeichen weltlicher Lust über die Schwelle gebannt haben
würde. Der Vater Milton war von früher Jugend an auf musi-
kahschem Gebiet mehr als ein Dilettant. In einer allgemeinen
Biographie älterer englischer Komponisten wird sein Name
nicht vergessen (•*). Die Sammlung von Madrigals „The Triumphes
of Oriana", zum Ruhme der jungfräulichen Königin Oriana-
Elisabeth vom Jahre 1601, enthält neben den Gaben der be-
kanntesten Tondichter der Zeit auch einen Beitrag des älteren
Milton. Von den ]\Ielodieen zu den „Teares and Lamentations
of a Sorrowful Soule", die William Leighton 1614 veröffent-
lichte , gehören drei der Feder des kunstsinnigen Notars von
Bread-street an und in der ravenscroftschen Zusammenstellung
2*
OQ Das elterliche Haus.
geistlicher Melodieen von 1621 erscheinen zwei, dem Text der
Psalmen 5. 27. 55. 66. 102. 138 angepasst, unter Milton's
Namen. Melodieen, welche in der Kirche wie in der Familie,
zu Glockenspiel und als Ammenliedchen ihre Volksthttmlich-
keit lange bewahrt haben sollen (')• Von anderen kiinstleri-
schen Leistungen des alten Milton hören wir, ohne dass es
möglich wäre ihr Dasein nachzuweisen. So soll er für den
Landgrafen von Hessen einen Gesang gesetzt und zur Be-
lohnung von dem Fürsten eine goldene Medaille erhalten
haben. Ein „In Nomine", dem König von Polen überreicht,
brachte ihm gleichfalls neben dem Ruhm eine goldene Denk-
münze und Ehrenkette ein, falls nicht etwa die eine Nach-
richt mit der andern verwechselt worden ist(=*). In späteren
Jahren stellte der Sohn dem Talent des Vaters das beste
Zeugnis in folgenden Worten aus: „Du selbst, durch die Gabe
der Musen beglückt, verstehst es tausend Töne zu richtigem
Takt zu vereinigen und die Singstimme in tausend Melodieen
zu variiren, mit Recht magst du Erbe von Arion's Namen sein" (^).
An den Segnungen einer so ausgesprochenen Anlage musste
die ganze Familie Theil nehmen.
"Wenn des Tages Arbeit vorbei war, so erklang das fried-
liche Haus in Bread-street von Gesang und Spiel, und es waren
nicht nur die pathetischen Worte des Psalmisten, welche dem
Gedächtnis des Kindes für immer eingeprägt wurden, sondern
seine Phantasie hatte sich auch mit Oriana und mit den „er-
röthenden Rosen" und den Nymphen Diana's zu beschäftigen.
Soviel ist gewiss, dass Milton, von dem Vater unterrichtet
und selbst mit einer guten Stimme begabt, damals jene Nei-
gung für die Musik gewann, die ihn sein Leben lang nicht
verlassen hat, ihm die Nacht der Blindheit freundlicher machte
und ihn selbst unter den Anfällen schmerzhafter Krankheit
Trost im Liede hnden Hess. In seiner Schrift über die Er-
ziehung der Jugend wies er „den feierlichen und göttlichen
Havmonieen der Musik" eine hohe Stelle an und pries die
„religiösen, kriegerischen und geselligen Lieder, welche, wofern
weise Männer und Propheten nicht gänzlich irren, eine grosse
Macht in sich tragen , Charaktere und Sitten zu mildern und
John Laue. 21
ZU veredeln" (^). An zahlreichen Stellen seiner Gedichte finden
sich die verständnisvollsten Hindeutungen auf das Reich der
Töne (2), und schon der musikalische Wohllaut seiner Verse
erlaubt den Schluss, dass des Dichters Ohr ein feingebil-
detes war.
Von poetischem Talent oder überhaupt literarischer Be-
gabung scheint weder die Mutter noch der Vater etwas auf
den Sohn zu vererben gehabt zu haben. Ueber die Eigen-
schaften der ersten sind wir leider gar nicht weiter unter-
richtet, dem Vater aber hat der Dichter selbst, wenn man anders
seine Worte so auffassen darf, die Domäne der Poesie gleich-
sam abgesprochen. Während er, wie schon erwähnt, seine
musikalische Begabung rühmt, fügt er hinzu: „Indem sich
Phoebus uns beiden mittheilen wollte, hat er diese Gaben mir
verliehen, jene dir, dem Vater, und jeder von uns beiden nennt
einen Theil des Gottes sein eigen" (^j. Und in der That das '
einzige Erzeugnis der poetischen Laune des alten Milton lässt
nicht bedauern, dass es das einzige ist. Es ist ein Sonett,
so platt, prosaisch und geschmacklos, wie nur je eins in engli-
scher Sprache geschrieben worden, gerichtet an John Lane,
und einer Abschrift von dessen Epos Guy, Earl of Warwick.
in der guten Absicht freundschaftlicher Schmeichelei vorge-
setzt (•^). Glücklicherweise ist auch dieses Epos der Veröffent-
lichung entgangen, obschon es nach der S. 132 stehenden
Licenz zu schliessen (Jul. 13. 1617 John Taverner as in the
original)^unzweifelhaft dafür bestimmt war. Man urtheilt nicht
zu hart, wenn man versichert, dass der Ton des ganzen Werkes
dem schwunghaften Anfang von Strophe 67 Canto IV ent-
spricht, welcher lautet:
„As whcn oue Standes in Sussex Wincbelsy
And sendes bis sowtbeast eye glance o'er tbe brine".
Auch die sonstigen bekannten Ueberreste von John Lane's
Muse „Triton's Triumph to the Twelfe Months, husbanded
and moralized", der kühne Versuch Chaucer's unvollendete Er-
zählung des Squire fortzusetzen, sind der bescheidenen Sphäre
handschriftlichen Daseins nie entrückt worden (^j. Wenn
Edward Phillips dieses Schicksal beklagt und die Ansicht aus-
22 John Lane. — Humphrey Lownes.
spricht, die Veröffentlichung seiner Werke würde Lane einen
Namen gewonnen haben, ,, nicht viel geringer als der Drayton's,
wenn nicht ihm gleich und anderen Spenser Zunächststehen-
den" ('), so darf man diesen Mangel an Kritik wohl auf Rech-
nung der Familien-Tradition setzen, die Lane als Hausfreund
von Phillips Grossvater, als Vertrauten des alten Milton be-
zeichnete. In der That zeigen sowohl dessen holperige Verse
zum Preise Lane's, sowie eine gelegentliche rühmende Erwäh-
nung der „süssen Melodieen Milton's" (2) durch den Dichter
des Guy Warwick, dass sich beide Männer sehr nahe standen.
Mag auch Lane selbst dem jungen John Milton bei dem Ver-
kehr in dessen väterlichen Hause wenig poetische Anregung
gegeben haben, so war er doch immerhin der „feine, alte
gentleman aus dem Zeitalter der Königin Elisabeth", der
belesene Kenner Chaucer's, Spenser's, Sidney's und der ganzen
vergangenen Epoche der Literatur, endlich wahrscheinlich über-
haupt der erste Schriftsteller, mit dem der Knabe in Be-
rührung kam.
Wer sonst von Freunden und Nachbarn dem miltonschen
Hause nahe stand , lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass Humphrey Lownes,
der Drucker und Buchhändler, welcher in Bread-street-hill
unter dem Zeichen des Sternes ansässig war, zu den Bekannten
des gel)ildeten Notars gehörte (^), einige der kaufmännischen
Nachbarn mögen mit ihm in Verbindung gestanden, Lehrlinge,
Schreiber und Diener, deren vier, Peter Jones. William Bolde,
Thomas Bower, John Hutton uns gelegentlich genannt worden
sind(^), werden sein Haus belebt haben.
Verlorene Mühe wäre es heute dieses Haus zu suchen.
Wo sicli gegenwärtig das unermüdliche Leben des Tages in
Cheai)si(lc drängt und treibt, und die ewig wechselnde Men-
schen-Welle auch die engeren Nebenstrassen überfluthet, stehn
wir wohl auf demsell)en Boden, der den Dichter getragen hat,
aber die Formen der Gebäude, die Giebel und Erker, die
Mauem und Tliürme, welche seinem Auge die ersten Eindrücke
Das alte London. 23
der Aussenwelt gaben, sind verschwunden. Der grosse Brand
von 1666, der hier im Herzen der City am heftigsten wüthete,
hat alles vernichtet. Noch im Jahre 1754 erscheint auf der
Karte von London ein „Black-Spread-Eagle-Court", der erste
Hof zur Linken auf Bread-street, von Cheapside aus gerechnet.
Auch die Bezeichnung dieses Hofes, die letzte sichtbare Er-
innerung an das Geburtshaus John Milton's, hat modernen
Zahlen und Firmen Platz gemacht. Doch dürfen wir annehmen,
dass die Lage der Strasse, wie sie nach dem Brande wieder
aufgerichtet wurde, im ganzen jener vom Anfang des sieb-
zehnten Jahrhundei'ts entsprach. Auch damals erstreckte sich
Bread-street , so genannt, „weil in alter Zeit hier Brot ver-
kauft wurde", von Cheapside aus in südlicher Richtung
dem Flusse zu. Wenn der Knabe über die Schwelle des
väterlichen Hauses trat, das gleichsam unter dem Schutze
der Bow-Kirche und ihrer berühmten Glocken stand, so fand
er sich auf der durch zahlreiche Schenken, Gasthäuser
und Schauläden reicher Kaufherren buntbelebten Strasse (^).
Und gerne mögen wir gedenken, dass unter ihren lärmenden
Tavernen eine war, deren Schild nicht gewöhnliche Spiess-
bürger und Zecher über die Schwelle lockte: Die historische
Schenke zur ,, Seejungfrau-, in der sich die erlauchte Tafel-
runde der Shakespeare, Ben Jonson, Beaumont und Fletcher
zum Spiele unübertroffenen Witzes und geistvollen Gesprächs
bei Sekt und Taback versammelte. Wo sich Bread-street mit
Watheling- Street kreuzte, fiel der Blick des Knaben zur Linken
auf die bekannte Allerheiligen-Kirche, Watheling-street selbst
zeigte ihm die Gewölbe der reichen Tuchhändler und Verkäufer
von Wollen-Stoften aller Art, deren Sitz vorzüglich hier war.
Weiter auf Bread-street musste er an der Halle der „Einsalzer"
vorbei, bis er an die Pfarrkirche St. Mildred the Virgin ge-
langte. Vor allem aber mochte seine Einbildungskraft durch
jenes grosse Gebäude mit seinen alten Schwibbogen bei der
Einmündung von Basing-lane in Bread-street erregt werden,
jene s. g. „Gerrards-Hall", an die sich wundersame Märehen
von dem Riesen Gerrard und seiner langen Stange anknüpften.
In Knightrider-street empfieng ihn der Lärm des Fischmarktes,
24 D^s alte London.
und hieran schloss sich nach Süden zu das Wirrsal enger,
winkhger Gässchen, welche bergab dem Flusse und seinem
vielbewegten Leben zu leiteten.
Ein Gang nach Norden vom väterlichen Hause aus führte
nach Cheapside , dem geräuschvollen Durchgangspunkt des
grössten Verkehrs, in dessen Nähe sich die stattlichsten Ge-
bäude unter allen Privat-Häusern der Stadt befanden, wo sich
die gellenden Stimmen von Käufer und Verkäufer mischten,
Sammt und Seide, Linnen und Garn, fremdes Gewürz und
Geflügel zur Schau lagen, Harfenspiel, Pfeifen, Gesang ertönte,
und über das Treiben der Strasse emporragend die ehrwür-
digen Monumente des reichverzierten Stein-Schaftes (Standard in
Cheap), des alten „Kreuzes von Cheapside" und der Bau der
Wasserkunst das Auge fesselten.
Und überhaupt wäre schwer zu ermessen, welchen Ein-
druck nicht nur die nächste Umgebung, sondern die ganze
mächtige Stadt auf den empfänglichen Sinn des jungen Milton
machen musste. Obwohl . die Einwohnerzahl des damaligen
London, schwerlich voll zweimalhunderttausend, der von South-
wark, des kleinsten der Boroughs des heutigen London nicht
gleich kam, so war es doch immerhin eine „königliche, schöne,
grosse, weütbegriftene und lange Stadt" (^), der Mittelpunkt des
Welthandels, das Stelldichein für die Vertreter aller Nationen
und Sprachen Europa's, ja darüber hinaus. Noch war und
blieb für lange Zeit London-Bridge die einzige Brücke, welche
den Strom überspannte. Auf zwanzig Bogen aus Quaderstein
ruhte der Bau, der als ein Wunderwerk betrachtet wurde,
auf jeder Seite stand eine Häuser-Reihe, so dass das Ganze
mehr einer Strasse ähnlich sah. Von hier aus mochte die kind-
liche Neugier das Treiben der grossen Wasserstrasse, die Be-
wegung der ein- und ausladenden Arbeiter auf den Werften,
das Bild der vor Anker liegenden Schiffe beobachten. Und
wie diese Gesanunt-Erscheinung von der thätigen Gegenwart
redete, so riefen stattliche Bauwerke in der Nähe und Weite
die Eiimierung an die Vergangenheit zurück und dienten dazu,
in dem Kiialten jenen Sinn für die Geschichte seines Volkes
y.u wecken, der dem Mann in allen Kämpfen und Bestrebungen
Das alte London. 25
Waffen zur Abwehr wie zum Angriff geliehen hat. Da sah er
den Tower, der so enge mit den Geschicken der Stadt, ja des
Landes verknüpft war, in seinen Räumen ,,die schönen tapezeria.
umbheng und küssen", in seiner Rüstkammer ,,vül und man-
cherley altfrenkhische Sachen, insonderheüt ein grausame an-
zahl pflitschpfeil sanipt deren dozu gehörigen bogenn"(^). Die
■ Gildhalle mit ihrer schönen Kapelle liess ihn die Macht und
das Ansehen der städtischen Verwaltung ahnen, von den zahl-
reichen geistlichen Gebäuden musste ihm die alte St. Pauls-
Kirclie mit ihrem architektonischen Gefolge von Schule und
Kreuz die Erinnerung an jene Tage zurückrufen, welche dem
puritanischen Sinn als Tage des Triumphes gelten konnten,
da die durchgreifende Hand kühner Reform mit den prunk-
vollen Stätten des alten Glaubens in blinder Zerstörung auf-
geräumt hatte. In dem Mittel -Flügel der Kirche, der als
Durchgang benutzt wurde, drängte sich wie in einer Börse
des Geistes und Witzes zusammen, was London an Grössen
unter den Schriftstellern, Höffingen und KauÜeuten besass,
und gleich hinter der Kathedrale zogen die ausgelegten Bücher
und Bilder, deren Hauptquartier schon damals jene Gasse
Paternoster-Row war, die Augen des umher Wandernden auf
sich. Von hier aus hatte er einen weiten Weg zu machen,
um in die vornehmen Stadt-Theile des Westens zu gelangen,
wo ihn das Bankett- Haus von Whitehall, die eben erst voll-
endete Schöpfung Inigo "Jones', Park und Alleen an die Nähe
des Hofes mahnten, während die grosse Halle von Westminster
und St. Stephen's-Kapelle als redende Zeugen der wichtigsten
parlamentarischen Vorgänge in der Geschichte des Landes
erschienen. Andere Empfindungen musste in dem jungen
Puritaner der Gedanke an die nahe Sternkammer erregen,
jenen Raum, dessen Decke mit goldenen Sternen bemalt war,
und der dem gefürchteten Staatsgerichtshof den Namen ge-
geben hatte. Vor allem aber wird er die ehrwürdige West-
minster-Abtei und ihre Schätze mit derselben Theilnahme be-
trachtet haben, wie es wenig Jahrzehnte vorher ein ehrlicher
Deutscher, dessen Reiseeindrücke uns aufbewahrt sind, gethan
hat: die „epitaphia der Könige", den „Stuhl, geringfügig und
26 Das alte London.
schlecht, auf welchem gemelte König von England gekrönt
werden" (^), und nicht zuletzt das Grabmal Chaucer's, welcher
noch damals trotz Shakespeare als grösster Dichter Englands
gepriesen wurde, und dicht dabei das Monument Edmund
Spenser's, der das Zeitalter beherrschte, und dessen Genius
gar bald auch über den jungen Beschauer seine Macht aus-
dehnte.
Schwerlich durfte er alle Seiten des hauptstädtischen
Lebens kennen lernen, das in diesen Strassen, um diese Hallen
und Bauwerke pulsirte. Zwar schon der tägliche Anblick des
gr^ssartigen Verkehrs und der geschäftigen Menge erschloss
ihm die Augen für jene klare Erkenntnis der Vielgestalt
menschlicher Antriebe und Thätigkeit, die dem Dichter, dem
Schriftsteller unentbehrlich ist. Festliche Anlässe verliehen
dem Bilde einen noch grösseren Farbenreichthum. Vor allem
die Feierlichkeiten, welche am Tage der Wahl des Lord-
Mayors stattfanden, die Procession auf dem Flusse bis West-
minster, die dabei zur Schau tretende Entfaltung bunter Kleider-
pracht, der Ritt durch die gedrängte Menge zurück zur
Guildhall: Alles dies hatte für das Kind des siebzehnten Jahr-
hunderts nicht weniger „ein gewaltig und stattliches Ansehen",
wie für den weitherverschlagenen Reisenden vom Ende des
sechzehnten, der sein Erstaunen über den Anblick von unver-
gleichlicher Pracht nicht verbirgt.
Dagegen wäre zu bezvveitlen, ob die ernste und religiöse
Zucht, die in dem Hause von Bread-street herrschte, dem Knaben
gestattet hat, an den fröhlichen Maifesten Theil zu nehmen, das
grausame Spiel des Bärenzwingers anzuschauen oder die Komö-
dien-Häuser, gerade damals „sonderlich lustig zuzusehn"(2)
zu besuchen. In späterer Zeit war Milton, wie wir bemerken
werden, keineswegs Puritaner bis zu dem Grade, dass er sich
dem strahlenden Zauber der englischen Bühne dieser Epoche
hätte entziehen mögen. Alles in allem waren schon damals
in seiner Geburtsstadt die Elemente, welche auf ein jugend-
liches CJemüth wirken konnten, Geistiges und Materielles,
Tugend und Laster, Elend und Macht so gemischt, wie es
ein weltkluger Schriftsteller einer etwas späteren Zeit theils
Thomas Young. 27
darlegt, theils andeutet, indem er alles Gesagte in die vier
Rathschläge zusammenfasst, welche an diesem Ort zu befolgen
seien: Gott dienen, fleissig sein, sein Geld zusammenhalten
und sich vor schlechter Gesellschaft hüten. (^)
Es wird Zeit sein zu betrachten, in welcher Weise die
zweite dieser Vorschriften in der Entwicklung des jungen
Milton ihre Stelle fand. Denn immerhin musste Erziehung,
Lehre und geistige Schulung seinem Charakter einen mäch-
tigeren Eindruck geben, als durch die blosse örtliche Umge-
bung, durch den Boden, auf dem er erwuchs, geschehen konnte.
„Von meinen Kinderjahren an , so berichtet der Dichter
selbst, wurde ich Dank dem unermüdlichen Eifer und der
Sorge meines Vaters, dem Gott es lohnen möge, durch be-
sondere Lehrer sowohl zu Hause wie in der Schule in den
Sprachen und einigen Wissenschaften unterrichtet." (2) Von
den Hauslehrern kennen wir nur einen, allerdings eine nicht
unbedeutende Persönlichkeit, die im Laufe der Darstellung
noch mehrfach aufzutreten hat. Thomas Young war ein Schotte
von Geburt. Sein Vater, William Young, bekleidete das
Predigtamt in den vereinigten Pfarren Loncardy und Red-
gorton in Pertshire und unterzeichnete in dieser Eigenschaft
die Protestation von 42 Geistlichen gegen die Einführung des
Episkopats in Schottland vom 1. Juli 1606. Der Sohn, ge-
boren 1587, ergriff nicht nur den Beruf des Vaters, sondern
erbte auch von diesem die entschieden puritanische Gesinnung.
Er erhielt seine Bildung im Gymnasium zu Perth und sodann
in der Universität St. Andrews, wo er 1602 im St. Leonard's
College immatrikulirt wurde und 1606 den Grad des Magister
Artium erlangte. Wo und in welcher Stellung er die nächsten
Jahre zugebracht hat, ist nicht gewiss zu sagen. Möglicher
Weise hat er seine Studien in Deutschland fortgesetzt, wo
sein Name später bekannt wurde, oder er hat als Gehülfe eines
puritanischen Predigers vielleicht auch als Privatlehrer sein
Leben gefristet. (^)
Dass Milton's Vater diesem Manne die Ausbildung seines
28 Thomas Youug.
Kindes anvertraute, beweist wolil zur Genüge, dass er, der
Sohn des streng katholischen Freisassen von Stanton St.
John's, einem so oft beobachteten psychologischen Vorgang
gemäss, als er vom Täterlichen Glauben abfiel , nun auch das
äusserste Extrem, die pui'itanischen Anschauungen, ergriff.
Doch knüpft sich gerade an die Verbindung Young's mit John
Milton ein eigenthümlicher Streit darüber, inwieweit dieser
ein äusserliches Abzeichen des strengsten Puritanismus eben
seinem Lehrer zu danken habe. Aubrey berichtet nämlich
von dem Dichter: ,,Im Jahre 1619 war er zehn Jahr alt, wie
auf seinem Bilde . . . Sein Lehrer wai- damals ein Puritaner,
in Essex, welcher sein Haar kurz schnitt. "(i) Von
einem Lehrer Milton's ,,in Essex" ist uns nirgend sonst etwas
überliefert. Aubrey allein hat, ohne dass wir wüssten woher,
diesen verwirrenden Zusatz, von sonstigen Quellen abweichend,
während er ohne Zweifel auf Young anspielt. Aber was be-
deuten die räthselhaften Worte: „welcher sein Haar kurz
schnitt"? Die allgemeine Annahme gieng. früher dahin, hier-
mit solle gesagt werden, Young, dei' Puritaner, habe sein
Haar nach der Sitte der „Rundköpfe" kurz abgeschnitten ge-
tragen. Mit Recht haben Spätere an dieser Erklärung, welcher
die Form des Zusatzes wenig entspricht und mit der sich das
uns ei'haltene Bild Young's nicht vereinigen lässt (^), An-
stoss genommen. Sie beziehen vielmehr die Worte auf den
jungen Milton , dessen üppiger Lockenwuchs der unbarm-
herzigen Scheere des puritanischen Lehrers zum Opfer gefallen
sein soll. Und in der That können sie auf ein Bild des
zehnjährigen John Milton, das uns aufbewahrt ist, ebendasselbe,
von welchem Aubrey spricht, als ein Beweismittel hindeuten.
Wii- verdanken es höchst wahrscheinlich dem geschickten
IMnsel des Holländers Cornelius Jansen und finden in der That-
sache , dass ein Maler von dieser Bedeutung von dem Notar
Milton jenen Auftrag erhielt, einen Beweis dafür, dass dieser
schon frühe die geistige Bedeutung des Sohnes erkannt hat.
Es ist ein liebliches Kindergesicht, das uns mit ernsten Augen
unter oinei- gewölbten Stirn her anschaut. Mund und Augen-
brauen sind von edler Bildung, und das ganze Köpfchen, wie
Thomas Young. 29
es in der abstehenden Halskrause von Spitzen und dem eng-
anliegenden Sehnürwamms feststeckt, hat einen eigenthüm-
lichen Reiz durch den Gegensatz von Kindlichkeit und Ernst,
die sich in ihm mischen. (*) Das Haar erscheint allerdings
kurz geschnitten. Dennoch wird man sich durch jene Erklä-
rung schwer befriedigt fühlen, welche den Thomas Young sein
Lehramt in einer so eigenthümlichen Weise antreten und
einen so gewaltsamen Eingriff in ein Gebiet machen lässt,
das ohne Zweifel der Mutter Milton's eignete. Man weiss,
dass der Ausdruck „Rundkopf", ein Spott - Wort der Höflinge,
sehr mit Unrecht ohne Unterschied auf alle Gegner ihrer
Sache angewandt, einer späteren Zeit angehört, Milton selbst
erscheint als junger INlann , nach der Ueberlieferung von Bild
und Wort, mit einem Reichthum hellbrauner Locken ge-
schmückt, dessen sich keiner der van Dyck'schen Kavalier-
Köpfe zu schämen haben würde. Sollte daher nicht die An-
nahme erlaubt sein, dass Aiibrey, der das Bild des Zehnjäh-
rigen kannte, dort die bekannte, verspottete Haartracht sah
und um die puritanischen Grundsätze von Milton's Lehrer
wusste, in dem Bestreben eines falschen Pragmatismus jenen
erläuternden Zusatz anbrachte, von dessen Richtigkeit er
überzeugt sein mochte? Wie dem auch sei, im Jahre 1619,
vielleicht schon früher, hatte Young die Aufgabe übernommen,
John Milton zu unterrichten. Diesem wurde der Lehrer,
dessen feiner, etwas ironischer Gesichtsausdruck im Bilde auch
für uns etwas Ansprechendes hat, sehr bald zum Freunde,
und die Verbindung zwischen beiden dauerte fort, auch nach-
dem Young um den Anfang 1622 England verliess, um der Nach-
folger William Lee's im Amte eines Predigers der englischen
Kaufleute zu Hamburg zu werden. (2)
Von den Privatbriefen Milton's sind zwei an seinen alten
Lehrer gerichtet, ausserdem widmete er ihm die vierte seiner
Elegieen und in späteren Jahren trat er Young auf einem
gemeinsamen Kampfplatz noch näher. Durch den etwas
schwiilstigen und gezierten Stil der Briefe bricht doch un-
verkennbar das Gefühl inniger Dankbarkeit durch, das Milton
mit dem Entfernten verknüpfte: „Ich rufe Gott zum Zeua-en
30 Verhältnis zu Young. — Die Pauls -Schule,
an , dass ich dich wie einen Vater liebe. In der Sehnsucht
nach dir glaube ich dich immer anwesend , meine , mit dir
zu reden, dich zu erblicken . . . und schmeichle auf diese
Weise meinen Kummer durch den leeren Wahn deiner Gegen-
wart hinweg." (F.p. fam. 1.) Zugleich dankt er dem Lehrer
für das werthvolle Geschenk einer hebräischen Bibel, die
ihren Weg aus dem hamburger Predigei-- Hause in das Stu-
dirzimmer des jungen londoner Puritaners gefunden hatte.
Koch deutlicher zeigt die erwähnte Elegie (^), so vielfach sie sich
auch in ovidischer Phraseologie, in schulmässiger Nachahmung
bewegt, wie schön das Verhältnis zwischen Schüler und
Lehrer, und wie klar sich jener des anregenden Einflusses
bewusst war, den dieser auf seine geistige Entwicklung aus-
geübt hatte:
Dir dem Führenden nach betrat ich, ein Neuling, der Musen
Stätten und des Parnass' alten geheiligten Hain,
Schlürfte pierische Becher und netzte von Clio begnadet
Drei Mal den seligen Mund mit dem kastalischen Nass.
Er beklagt den Freund, der, aus der Heimat verbannt,
mit seinem Weibe und seinen Kindern auf fremder Erde,
von den Schrecken des deutschen Krieges umtobt , sich küm-
merlich ernähren müsse , und was auch in diesen Worten
künstlich hervorgerufene Uebertreibung sein mag, so scheinen
sie doch darauf hinzuweisen, dass Young wegen seiner reli-
giösen Ansichten , die ihn mit dem herrschenden System in
Konflikt brachten, genöthigt gewesen war, für einige Jahre
sein Vaterland zu verlassen.
Mit den Erziehern der Jugend auch im späteren Leben
durch Freundschaft verbunden sein, gewährt edlen Geistern
eine glückliche Befriedigung, indem sie zwei Epochen gleich-
sam zu einer verschmolzen sehen. Milton ward dieses Glück
zu Tlieil und nicht nur mit Bezielmng auf Thomas Young.
Ausser diesem waren es vorzüglich die Lehrer der St. Pauls-
Schule, denen er die jugendliche Bildung zu danken hatte.
Unter den zahlieichen Unterrichts- Anstalten des damaligen
London nahm die Schule zu St. Paul eine hervorragende
Stelle e'm.C') Im Jahre 1512 von Jolm Colet, dem humani-
Der ältere Gill. 31
stischen Freunde und Gesinnungsverwandten des Erasmus,
dem Dechanten von St. Paul, förmlich begründet und mit
reichen Mitteln ausgestattet, sollte sie ursprünglich dem freien
Unterricht von 153 Kindern dienen. Colet übertrug kurz vor
seinem Tode die Sorge für die neubegründete Anstalt der
Krämer - Zunft , und wenn im Laufe der Zeit auch in den
Unterrichts- Gegenständen gewisse Veränderungen eintraten,
auch die Zahl der Schüler wohl nicht durch die erste "Be-
stimmung des Gründers beschränkt geblieben sein mag, so
behielt die Anstalt im ganzen und grossen doch jenen Cha-
rakter, den dieser ihr hatte verleihen wollen, und bei der
Schulung der jungen Geister wirkte der Genius William Lily's,
des berühmten Grammatikers, durch ein Jahrhundert nach.
Ihm war die ehrenvolle Aufgabe geworden, der erste Leiter
der Schule zu sein. Sieben gelehrte Männer waren ihm auf
diesem Posten gefolgt, bis die Führung des Vorsteher- Amtes
im Jahre 1608, dem Geburtsjahre Milton's, dem Alexander
Gill zufiel.
Leider sind GilFs schriftstellerische Arbeiten zu schwer
zur Einsicht zu erhalten , als dass sich ein erschöpfendes Ur-
theil über seine Fähigkeiten wagen Hesse. Doch gieng die
Meinung der Nachwelt dahin, dass er ..als ein gelehrter Mann,
hervorragender Latinist, Kritiker und Theologe zu schätzen
sei, und dabei eine so ausgezeichnete Methode des Unter-
richts gehabt habe, dass ihn niemand zu seiner Zeit übertraf.
Daher sahen es auch viele bekannte Persönlichkeiten in Staat
und Kirche als grösstes Glück an, von ihm erzogen worden
zu sein".(^) Bei vielen mochte sich denn doch in das Ge-
denken an dies Glück eine minder fröhliche Erinnerung
mischen. Ein so vortrefflicher Schulmann Alexander Gill auch
gewesen sein mag, so scheint er doch in der Strenge der
Zucht des Guten etwas zu viel gethan zu haben, und man
erinnerte sich noch in späterer Zeit mit leisem Schauder sei-
ner „Peitschanfälle". Ich finde sogar, dass diese pädagogi-
schen Wuthausbrüche in einem der gequälten Schüler das
poetische Talent weckten, dessen Frucht, eine höchst cynisch-
derbe Ballade, dem Verfasser mehr Ruhm eingebracht haben
32 Alexander Gill, der Sohn.
soll, als alle Predigten, die er in späteren Jahren der Welt
schenkte (^).
Neben dem älteren Gill wirkte sein Sohn, gleichfalls
Alexander mit Vornamen, als Unterlehrer. Er war um 1597 ge-
boren, also nur etwa eilf Jahre älter als Milton, hatte seine Bil-
dung im Trinity College zu Oxford gewonnen und schon in
jungen Jahren einen gewissen Ruf erlangt. Er galt nämlich
für ■ einen der besten lateinischen Dichter seiner Zeit und
zeigte sein Talent bei den verschiedensten Anlässen, welche
das öffentliche Leben bot. Auch in griechischen Versen hat
er sich versucht, dagegen giebt das w^enige, was von seiner
englischen Poesie erhalten ist, nicht eben einen sehr vortheil-
haften Begriff' von seiner Begabung. Eine im londoner Staats-
Archiv aufgefundene Elegie, „gewidmet dem ewigen Gedächt-
nis der schönsten und tugendhaftesten Lady, Mistress Pene-
lope Noel, Tochter des Lord Viscount Campden", strotzt von
unnatürlichen Uebertreibungen und geschmacklosen Concetti,
das erhaltene Fragment eines anderen englischen Gedichtes
brachte ihn, wie man sehen wird, in grosse Ungelegenheiten,
ja in wirkliche Gefahr, wie ihn überhaupt ein allzu beweg-
liches Temperament zu einem soliden Halt des Lebens nicht
kommen liess. Doch mag er eben durch sein lebhaftes Na-
turell doppelt anregend auf die Jugend gewirkt haben (2).
Diese beiden Männer, Vater und Sohn Gill, leiteten die
Schule von St. Paul, zu der Zeit, da der junge Milton in sie
eintrat. Dass sie dem väterlichen Hause in Bread-street so
nahe lag, mochte die Wahl besonders empfehlen.
Milton's Eintritt in die Schule muss einige Zeit vor dem
Jahre 1622, also zu einer Zeit, da auch Thomas Young noch
in England verweilte, geschehen sein. Denn im Anfang dieses
Jahres schied Karl Diodati , um die Universität Oxford zu
besuchen, aus der St. Pauls- Schule aus, und gerade diesen
hatte sich John Milton, so viel man weiss, bei dem Besuche
dergleichen Schul -Anstalt zum Freunde gewonnen. In Karl
Diodati haben wir den Herzens- Vertrauten des Dichters zu
sehen, welcher nach allem, was wir von dem Verhältnis
wissen, einen Freund von gleicher Geistes- Verwandtschaft
Karl Diodati und seine Familie. 33
und Treue in seinem übrigen Leben nicht wiedergefunden hat
und auch diesen nur allzu frühe verlor. Die Familie Diodati
hatte wegen ihrer protestantischen Glaubens- Ansichten ihre
Heimat Lucca verlassen müssen und sich in Genf angesiedelt.
Dort fand Giovanni Diodati (geb. 3. Juni 1576), als theologi-
scher Schriftsteller, Lehrer und Prediger ausgezeichnet, eine
rühmliche Stellung. Sein Bruder Theodor, 1574 geboren, hatte
Medicin studirt und 1615 in Leyden den Doctor-Grad erwor-
ben. Er kam in jungen Jahren nach England, heirathete
eine Engländerin von gutem Stand und Vermögen und ge-
wann sehr leicht durch eine uns bezeugte galante Jovialität
und höchst glückliche Kuren, die er durch Anwendung starker
Aderlässe ausgeführt haben soll, eine ausgedehnte und vor-
nehme Praxis. Unter seinen Patienten werden nicht Geringere
genannt, als der Prinz Heinrich und seine Schwester Elisa-
beth, die nachmalige unglückliche Königin Böhmens. In dem-
selben Jahre, wie dem Notar in Breadstreet, wurde dem be-
schäftigten Arzt, der damals in Brentford wohnte, ein Sohn
geboren, welchen gleiches Alter, muntere Laune und eine
frühzeitige Entwicklung gar bald in der Pauls -Schule mit
Milton zusammenführte (^).
Wir können uns einigermassen vorstellen, welchen Bil-
dungsgang die beiden Freunde in der Anstalt durchzumachen
hatten, und wie diese selbst sich ihnen darstellte. Ihr Grün-
der hatte eine besondere Vorliebe für „Aufschriften und Mot-
tos" gehabt, und so musste den Knaben bei jedem Schritt,
fast an jedem Fleck des Gebäudes, im Vestibül, über den
Thüren, über der Büste Colet's selbst ein Denkspruch ent-
gegentreten, der ihre Aufmerksamkeit fesselte. Am bedeut-
samsten klangen die Worte, welche jedes Fenster der Innen-
seite trug : „Lehre, lerne oder geh" (Aut doce , aut disce, aut
discede). Diesem ernsten Motto gemäss sollten die Schüler
in einer Reihenfolge von acht aufeinander folgenden Klassen
der Art gebildet werden, dass sie „als vollendete Grammati-
ker, gute Redner und Poeten, im Lateinischen, Griechischen
und Hebräischen und mitunter in anderen orientalischen
Sprachen, (deren Unterricht also wohl nicht obligatorisch war),
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. Q
34 üuteiTiclit in der Pauls -Schule.
gut beschlagen, zum Abgang auf die Universität reif seien".
Wie das Hebräische in dem ursprünglichen Schulplane Colet's
fehlte, so hatte dieser dem Wechsel der Zeit zufolge sich
noch einige weitere Aenderungen gefallen lassen müssen. Es
braucht kaum versichert zu werden, dass der junge Milton
von einem Schul -Kaplan nichts mehr sah, welcher nach des
Stifters Absicht in der Kapelle der Schule täglich Messe
lesen und für die Kinder beten sollte, dass er gleichfalls
Colet's papistischen Katechismus in seiner ursprünglichen Ge-
stalt nicht mehr in die Hand bekam, aber schwerlich Hess
man ihn auch noch Schriftsteller, wie Lactantius, Prudentius,
Sedulius, Juvencus, Baptista Mantuanus lesen, welche dem
englischen Humanisten vom Beginn des sechzehnten Jahrhun-
derts als würdigste Vertreter der „wahren lateinischen Sprache"
galten. .Statt ihrer durfte er, gemäss dem Fortschritt, welchen
die philologische Wissenschaft inzwischen gemacht hatte, viel-
mehr den Zauber der römischen Klassiker in Poesie und
Prosa kennen lernen und vor allem den unvergänglichen
Schätzen des griechischen Geistes näher treten. Zu Colet's
Zei-ten waren sie noch so wenig Gemeingut, dass dieser für
die Auswahl des Direktors die bescheidenen Bedingungen auf-
stellte, es solle sein ein „Mann gesund an Körper, brav,
tugendhaft, gelehrt in der guten und reinen lateinischen Li-
teratur und auch im Griechischen, wenn ein solcher ge-
funden werden kann"(').
Eines aber hatte sich von der Zeit der Gründung her
in dem Schulplan erhalten: William Lily's Grammatik der
lateinischen Sprache. Als Lehrbuch der englischen Sprache
hat, wie man vermuthen möchte, das interessante Werkchen,
Logonomia Anglica, gedient, welches Alexander Gill der Vater,
der Leiter der Anstalt selbst, verfasst hatte. Dies Buch musste
in der That auf die Kenntnis Milton's von der Muttersprache,
ja auf die Bildung seines Geschmacks von einigem Einfluss
sein. In der Widmung an den König Jakob, wie in der Vor-
rede an den Leser trat ihm der Geist eines Philologen ent-
gegen, welcher von der hervorragenden Bedeutung der Sprache
so überzeugt ist, dass er in ihr einen höheren Kuhm erblickt
Unterricht in der Pauls -Schule. 35
als in kriegerischer Tapferkeit , wissenschaftlicher Bildung.
Glanz des Genies, Feinheit der Sitten oder irgend welcher
materiellen Grösse; daneben aber der Geist eines Puristen,
welcher besonders dem Angelsächsischen zu Liebe das eng-
lische Alphabet zu erweitern wünscht, die reine englische
Sprache für die feinste, reichste, seelenvollste und beredteste
von allen Sprachen der Welt erklärt, das Eindringen des
fremden, romanischen Elements, das er Chaucer's Einfluss zu-
schreibt, auf's heftigste verdammt und zuletzt in die Worte
ausbricht: „Oh, ihr Engländer, euch rufe ich an, in deren
Adern das Blut der Väter rollt, haltet fest, haltet fest, was
von den Resten eurer eingebornen Sprache noch übrig ge-
blieben, und wo. noch die Spuren eurer Vorfahren zu sehen
sind, fasst in ihnen festen Fuss". Die vier Theile des Werkes
selbst, Grammatik, Etymologie, Syntax, Prosodie, boten dem
jungen Schüler viel Lehrreiches und Anregendes. Er erhielt
einen systematischen Ueberblick über den Bau und die Ge-
setze seiner Muttersprache, wurde mit den Haupt -Grundsätzen
der Rhetorik und Metrik (^) vertraut, und fand das ganze
Gerüst trockner Regeln durch eine lebhafte Ausdrucksweise
und eine Fülle gutgewählter Beispiele aus Ben Jonson, Stani-
hurst's Aeneis - Uebersetzung , Philip Sidney, Spenser's Shep-
heard's Calender und, von anderen zu schweigen, vorzüglich
aus der Feen -Königin höchst anmuthig verkleidet. Gill'S
Buch wird heute wohl nur von wenigen beachtet sein, aber
man kann doch nicht umhin, die vergilbten Blätter mit einer
gewissen Ehrfurcht zu betrachten, aus denen ein grosser
Dichter vermuthlich die erste Kenntnis von dem Handwerks-
zeug und den Handgritfen seiner Kunst entnommen hat.
Sucht man zusammenzufassen, welche Wissenszweige der
junge John Milton in dem Unterricht von Privatlehrern und
während seiner Schulzeit sich zu eigen machte, so wird man
in der Annahme nicht fehlgehen, dass er des Lateinischen,
Griechischen, Hebräischen mächtig, in Rhetorik, Poetik und
Kenntnis der Muttersprache völlig ausgebildet, sowie mit der
beliebten Kunst. Verse nach antikem Muster zu schmieden,
vertraut geworden war. Wir dürfen vermuthen, dass ihm die
3*
36 Häuslicher Fleiss und Lektüre.
Anfangsgründe der Mathematik, allgemeine historische, jeden-
falls - religionsgeschiehtliche Kenntnisse nicht fremd blieben.
Dass er schon damals das Studium der französischen und ita-
lienischen Sprache begonnen, erscheint kaum glaublich (0-
Aber auch so wird man die Masse des Bildungsstoffes, welche
bis zum siebzehnten Jahre aufgenommen und verarbeitet wurde,
gross genug finden,
Dass dies möglich war, dass Milton schon in der Jugend
den Grund zu jener umfassenden Gelehrsamkeit legte , die
das Staunen seiner Zeitgenossen wurde, erklärt sich neben
ausserordentlichen Anlagen aus einem ausserordentlichen
Fleisse, der freilich theuer genug erkauft werden musste.
„Mein Vater bestimmte mich, als ich noch Kind war, für das
Studium der Wissenschaften, und diese ergriff ich mit solchem
Eifer, dass ich vom zwöften Lebensjahre an kaum je vor Mit-
ternacht von der Arbeit aufstand, um schlafen zu gehen, und
das war die erste Ursache des Verderbens meiner Augen, zu
deren natürlicher Schwäche häufige Kopfschmerzen hinzu-
kamen. Da dieses alles meinen Eifer im Lernen nicht auf-
hielt, Hess er mich in der Schule und zu Hause von anderen
Lehrern täglich unterrichten, und sandte mich, nachdem ich
mehrere Sprachen erlernt und nicht geringe Neigung für die
Sttssigkeit der Wissenschaft (philosophiae) gefasst hatte, nach
Cambridge, die eine unserer Landes -Universitäten" (-), Dieses
einfach bestimmte Urtheil, welches Milton selbst, durch schmä-
hende Angriffe herausgefordert, im Jahre 1654 über jene
Periode der Jugend fällte, wird in der That von allen son-
stigen Gewährsmännern durchaus bestätigt. Wir hören, dass
der frühreife Jüngling bis in die tiefe Nacht hinein mit den
Aufgaben für die Schule wie mit eignen Arbeiten beschäftigt
war, sodass sein Vater das Hausmädchen zu seiner Bedienung
wachen liess, und dass diese Gewohnheit, der er auch später
noch nicht entsagen konnte, die Gefahr seiner Erblindung
heraufljeschwor.
Und bei alledem ist eines der wesentlichsten Bildungs-
elemente, welches ohne Zweifel in diesen nächtlichen Studien
vertreten war, nocli nicht ein Mal gedacht worden, der natio-
Häuslicher Fleiss und Lektüre. 37
nalen Literatur. Schon das eben besprochene Werk des Lehrers,
Alexander Gill's, musste den Schüler auf die glänzende Reihe
von Meistern gebundener und ungebundener Rede hinweisen,
deren sich das damalige England mit gerechtem Stolze rüh-
men durfte. Der Purist war nicht so einseitig, dass er Chau-
cer, dem Dichter, seine Bewunderung hätte versagen, und der
Rigorist nicht so streng, dass er Ben Jonson, den Künstler,
nicht hätte gelten lassen wollen. Von den literarischen
Grössen Englands , deren Reihe durch diese beiden Namen
begrenzt wurde, mochten wie in jedem londoner Bürgerhause
so auch in dem Hause des gebildeten Notars zum „Spread-
Eagle" nicht wenige durch einen stattlichen Folio- oder Quart-
Band vertreten sein. Historische und juristische Werke, wie
sie damals im höchsten Ansehn standen, eines Stow, Camden,
Seiden lagen dem Gesichtskreis dessen am nächsten, der selbst
ein halber Jurist und Gelehrter war, theologische Schriften,
aus dem Zeitalter der Reformation und der späteren inneren
Kämpfe der englischen Kirche, eines Latimer und Parker,
Cartwright und Hooker konnten der Aufmerksamkeit des Be-
kenners strengreligiöser Grundsätze nicht leicht entgehn. Aber,
so viel wir von seinem Naturell wissen , verschloss er sein
Haus auch schwerlich vor jener bunten Schaar dichterischer
Geister aus dem Zeitalter Elisabeth's, mochten sie im Drama
oder in der Lyrik ausgezeichnet sein, unter denen denn doch
wieder Edmund Spenser als Liebling der Zeit hervorragte.
Dessen Werke pflegten damals wohl in noch anderen „Be-
suchszimmern beständig zu liegen", als allein in jenem der
Mutter Abraham Cowley's, welcher aus dieser Quelle zuerst,
wie er uns so köstlich erzählt, mit Entzücken vom goldenen
Nass der Poesie schöpfte(^). Auch John Milton mochte es
begegnen; dass ihm zufällig das Zauber -Buch in die Hand
fiel , und dass er „unendlich entzückt wurde von all' den Ge- -
schichten von Rittern, Riesen, Ungeheuern und tapferen Ge-
schlechtern, die er überall dort fand . . und von dem Ge-
klingel der Reime und dem Tanze der Rhythmen".
Ein poetisches Werk verdient indess noch besonders her-
vorgehoben zu werden, dessen Einwirkung auf Milton's Geist
38 Du Bartas. Sylvestei*.
sich aufs bestimmteste nachweisen lässt. Es ist Josua Syl-
vester's gekingene Uebersetzung des Du Bartas. Guillaume
de Saluste, Seigneur du Bartas, „der Patriarch der prote-
stantischen Poesie", erscheint in der zweiten Hälfte des sech-
zehnten Jahrhunderts als würdigster literarischer Vorkämpfer
der Hugenotten, für deren Sache er unter Heinrich IV. nicht
nur die Feder, sondern auch das Schwert zu führen wusste.
Seine religiöse Anschauung bricht in allem durch, was er ge-
schrieben hat, am nachhaltigsten in seinem Hauptwerke, wel-
ches er sterbend unvollendet hinterliess: den „göttlichen
Wochen und Werken". Hier war der kühne Versuch gemacht,
durch eine poetische Behandlung so ziemlich des gesammten
Inblischen Stoftes ein grossartiges Lehrgedicht zu schaffen,
welches an der Hand religiöser Ueberlieferungen Geschichte
und Natur, Menschliches und Göttliches in einem Rahmen zu-
sammenfassen sollte. „Die Schöpfung der Welt" bildet den
ersten Theil des Buches, „die erste Woche", und die Unter-
abtheilungen, die einzelnen Gesänge dieses Theiles, schliessen
sich naturgemäss den sieben Schöpfungstagen an, welche unter
dem beständigen Einfluss der biblischen Urkunden zu ge-
nauester Schilderung alles Unorganischen und Organischen,
vom Chaos bis zum Menschen , veranlassen. Von den sieben
Abschnitten (Tagen) des zweiten Theiles (Woche) sind nur
die vier ersten vollendet, welche sich mit Adam, d. h. dem
Besitz und Verlust des Pai-adieses, Noah, Abraham und David
beschäftigen, die Fortsetzung sollte in den drei „Tagen" Ze-
dekias, Messias und der ewige Sabbath abgehandelt werden.
Bei aller Steifheit der Disposition und einer häufigen Ab-
wechselung schwülstiger Bilder und lehrhafter Aufzählung
verläugnet sich doch in schwungvoller, begeisterter Rede das
Talent und mehr noch die Gesinnung des Verfassers keines-
wegs , und dem war es zu danken , dass das Buch eine un-
gemeine Verbreitung fand, in viele fremde Sprachen übersetzt
wurde und in sechs Jahren dreissig Auflagen erlebte.
In England hatte das Werk, welches so recht den puri-
tanischen Anschauungen kongenial war, in der Gestalt einer
vortretflichcii Uebersetzung einen weiten und begeisterten
Paraphrase der Psalmen 114, 136. 39
Leserkreis gewonnen. Der „silberzüngige" Josua Sylvester (^)
hatte sich dieser Aufgabe unterzogen, ein Mann, äusserst ge-
wandt in fremden Sprachen, Calvinist von Gesinnung, von Eli-
sabeth, Jakob und vor allem vom Prinzen Heinrich wegen
der Lauterkeit seines Charakters und der Feinheit seiner
eignen Dichtungen hochgeehrt. Doch konnten ihm diese nicht
die allgemeine Bewunderung in dem Grade zuwenden, wie
seine Uebertragung des französischen Sängers. Dieser genoss
in der That, in englischem Gewände fast als ein nationaler
Dichter gefeiert, eine seltene Volksthümlichkeit , und um die
Wette drängten sich die Auflagen und die Verse zu seinem
Preise.
Unter solchen Umständen konnte es nicht fehlen , dass
auch John Milton die Bekanntschaft des Sylvester-Du-Bar-
tas machte, selbst wenn Humphrey Lownes nicht der Verleger
des Werkes gewesen wäre, jener Buchhändler und Drucker
welcher Milton's väterhchem Hause so nahe wohnte, vielleicht
befreundet war(^). Wir mögen wohl denken, dass der fromm-
empfindsame Knabe die hochtönenden Verse des hugenottischen
Sängers mit demselben Entzücken in sich sog, wie der junge
Goethe die leidenschaftlichen Hexameter des verehrten Dich-
ters der Messiade , ja für jenen Fall haben wir den deutlich-
sten Beweis in den eignen ersten Versuchen des jugendlichen
Genius.
Denn schon hatte sich in Milton selbst der Trieb poeti-
schen Schaffens geregt. Nach Aubrey's Zeugnis war er mit
zehn Jahren ein Dichter. Für diese Behauptung, wenn sie
begründet ist, lässt sich der Beweis nicht erbringen, wohl
aber sind uns Verse des Fünfzehnjährigen erhalten. Es ist
die englische Paraphrase der Psalmen 114 und 136. Mit
dieser bescheidenen Thätigkeit seine dichterische Laufbahn
zu eröffnen, lag dem Knaben besonders nahe, da er damit sich
in einer so beliebten Modeform der Zeit bewegte und durch
die väterlichen Kompositionen von kleinauf genug Beispiele
der Art kennen gelernt hatte (3). Viel ist über diese beiden
Versuche geschrieben worden, mehr als sie verdienen, denn
bei aller Klarheit des Ausdrucks und bei allem Wohlklang
40 Elegie au Young.
der Reime lässt sich, ja Hesse sich bei dieser Aufgabe schwer-
lich ein Talent von ungeahnter Grösse erkennen. Die Verse
würden, wie sich Johnson ausdrückt, in einer grossen Schule
wohl ein Lob erhalten, aber nicht Staunen erweckt haben (^).
Zu einem Ergebnis hat aber die Untersuchung beider Ge-
dichte geführt, eine Untersuchung, wie sie aufmerksamer
kaum ein Naturforscher bei der Prüfung eines mikroskopischen
Präparats anstellen kann, zu dem Erweise, dass die Belesen-
heit des jugendlichen Dichters eine sehr umfassende gewesen
sein muss. Und mag es auch übertriebener kritischer Eifer
sein, bei jedem Anklang an schon Bekanntes nicht die Er-
findung Milton's, sondern die blosse Kopie Buchanan's, Spen-
ser's, Drayton's u. a. sehn zu wollen, so wird kein Unbefan-
gener läugnen, dass die Anklänge an Du-Bartas-Sylvester's
„göttliche Wochen und Werke" auf mehr als blossem Zufall
beruhen, welcher zwei Geister unabhängig von einander den-
selben Ausdruck für denselben Sinn finden lässt (2),
Von ungleich grösserem dichterischen W^erth ist die latei-
nische,'an Thomas Young gerichtete, schon erwähnte Elegie,
die erste selbstständige poetische Leistung, die dem Sechzehn-
jährigen alle Ehre macht. Auch hier, und wie könnte dies
anders sein, treten Erinnerungen an die Lektüre vielfach her-
vor, in erster Linie sind es die lateinischen Elegiker und
namentlich Ovid, welche zum Vorbild gedient haben. Milton
berichtet selbst ein Mal, dass er neben den Rednern und Ge-
schichtsschreibern des Alterthums besonders die „sanften
elegischen Dichter" in der Jugend gelesen habe , die „man
häufig in den Schulen findet" und dass er die Nachahmung
des angenehmen Klanges der Schriften dieser wie jener Autoren
höchst leicht gefunden , in ihrem Studium seine liebste Er-
holung gesucht habe (^). Aber hier zeigt sich doch schon,
dass der eigene dichterische Genius in dem fremden Gewand
sich selbst zu zeigen weiss, man kann sagen, es ist weniger
eine Nachahmung der Antike als ein Wetteifer mit der An-
tike. Voll von individuellem Leben ist die Schilderung des
hamburger Pfai-rhauses , wohin die Elegie gesandt wird, und
die feine Sinnigkeit der Gedankenverbindung des ganzen Ge-
Elegie an Young. 41
dichts, wie es von der Ausmalung der Gefahren und Hülf-
losigkeit des verbannten Freundes zu der frommen Mahnung
überleitet, auf Gott zu vertrauen und mit der Zuversicht
eines Wiedersehens auf der väterlichen Erde versöhnend
abschliesst, legt von dem Geschmack wie von dem Gefühl des
Dichters das beste Zeugnis ab. Zugleich zeigt sich schon
hier jene Eigenheit, welche aus der Verbindung klassischer
und theologischer Bildung hervorgeht, antike Gleichnisse und
Bilder in naiver Unbefangenheit mit solchen zn mischen, die
sich in beiden Testamenten vorfanden.
Fragen wir, welche Persönlichkeit aus Milton's Bekann-
tenkreise die Stelle des anregenden, theilnehmenden, vielleicht
miteifernden literarischen Gefährten eingenommen habe, dessen
ein jugendliches dichterisches Talent so leicht nicht entbehren
wird, so könnte man zunächst wieder au Thomas Young den-
ken. Man hat eine Bestätigung dieser Ansicht in den früher
citirten Versen finden wollen, in denen Milton seinen Leh-
rer den „Führer zu den Stätten der Musen" nennt, eine über-
feine Kombination hat sogar geschlossen, gerade Young müsse
seinen Schüler mit Du-Bartas bekannt gemacht und dadurch
in die „göttlichen Geheimnisse der religiösen Poesie" einge-
weiht haben, weil in jenen Versen von den „heiligen Hai-
nen des Parnass" die Rede ist(^). Aber dies Beiwort konnte
dem Musensitz sehr wohl gegeben werden ohne jeden Bezug
auf etwa gedachte heilige, d. h. religiöse Stoffe, und sodann
bleibt es überhaupt natürlicher, in jenen Versen eine ein-
fache Anspielung auf die Unterweisung im Verständnis der
antiken Poesie zu erblicken.
Wahrscheinlicher ist, dass Karl Diodati an den ersten
Uebungen der Feder seines Schulfreundes Antheil nahm, wenn
auch von der Ferne her, da er seit 1622 in Oxford studirte.
Diodati selbst hat sich in Versen versucht, wir besitzen von
ihm ein Gedicht auf den Tod Camden's, das nicht schlechter
und nicht besser zu sein scheint, als andere Gelegenheits-
Oden der Art (2), noch in späteren Jahren sendet er Milton
eine dichterische Beschreibung des Christfestes und dieser
berichtet ihm dafür von den „Flügen seines Pegasus" (^}.
42 Der jüngere Gill, poetischer Mentor.
Aber die erste Stelle des ästhetischen Richters und auf-
munternden Berathers nahm, irren wir nicht, Alexander Gill,
der Sohn, ein. welchen ein richtiges Verhältnis seines Alters
zu dem seines Zöglings am besten zu diesem Vertrauensamte
befähigte, und der selbst seine Feder so vielfach zu rhythmi-
schen Auslassungen ansetzte. Dass Milton diese überschätzte,
so lange ihm selbst noch der kritische Blick fehlte, wird nie-
manden Wunder nehmen, der sich in die Beziehung eines
strebenden Jüngers zu einem älteren Freunde, welcher die
gleiche Kunst übt, hineindenkt. Eine Ueberschätzung war
es aber sicher, wenn Milton ein uns übrigens unbekanntes
Gedicht Alexander Gill's „wahrhaft grossartig und von der
Majestät der Poesie durchhaucht" nennt, wenn er Virgil's
Genius darin wiederfindet und sich überhaupt noch sehr Be-
deutendes vom Verfasser verspricht (^). In reiferem Alter
drückt sich seine Begeisterung über eine andere poetische
Sendung schon etwas kühler, mehr im Tone konventioneller
Komplimente aus (2), aber es charakterisirt das Verhältnis
durchaus , wenn er von der Universität aus seine eignen Er-
zeugnisse dem Freunde übersendet, als „einem sehr strengen
Richter in Sachen der Poesie und einem sehr aufrichtigen Be-
urtheiler seiner, des Schreibers, Leistungen", wenn er ihn
dringend bittet, ihm die eignen Schöpfungen mitzutheilen, und
wenn er mit Sehnsucht der fast beständigen Unterhaltungen
mit Gill gedenkt, von dem er niemals ohne „oifenbaren
literarischen Gewinn" fortgegangen sei(^).
Unter solchen Beschäftigungen und Strebungen vergiengen
die Jahre, nicht ohne dass ein oder das andere Ereignis das
gleichförmige, still - fleissige Leben des Heranwachsenden mehr
oder minder aufregend unterbrochen hätte. Zunächst trat
eine Aenderung in der kleinen Familie ein. Milton war
zwischen der Schwester Anha und dem Bruder Christoph
gross geworden. Dieser , sieben Jahre jünger als er selbst,
besuchte mit ihm die Pauls- Schule (•*), unzweifelhaft mehrere
Verheiiathung von Milton's Schwester mit E. Phillips. 43
Klassen unter ihm, jene um einige Jahre älter als John, fand
vermuthlich(0 gegen Ende' 1624 in Edward Phillips den
Mann ihres Herzens, welchem sie mit einer anständigen Mit-
gift in den eignen Hausstand folgte. Sie blieb in London,
denn Edward Phillips stammte zwar aus Shrewsbury, war
aber in jungen Jahren in die Hauptstadt gekommen und hatte
in der königlichen Kanzlei (Crown office in Chancery) Be-
schäftigung gefunden. Der königliche Clerk in diesem Amte
hatte selbst oder vertreten durch einen anderen in bestimmten
Fällen den Lord- Kanzler zu begleiten, die Formulare zur
Einberufung des Parlamentes und die Ausschreiben für Neu-
wahlen abzufassen, vielfache Kommissionen der Gerichtsbarkeit
auszufertigen u. s. w. (^). Es scheint so, als habe Phillips das
Amt des Vertreters unter Bembo, dem ersten Angestellten,
verwaltet. Die Verwandtschaft seiner Thätigkeit mit der des
Notars Milton mochte beide leicht zusammenführen.
Einige Jahre früher trat ein Ereignis ein, das freilich
über den Kreis der Familie hinausgriff, aber doch für sie,
und namenthch für ihr Haupt, nicht geringes Interesse haben
musste. Die Scriveners Company wurde, nachdem sich unter
ihren Mitgliedern Zwistigkeiten über die Zahlung einer Steuer
erhoben hatten, am 28, Januar 1617 durch königliches
Patent in eine regelrechte Korporation verwandelt und er-
hielt demnach neue Statuten; der Name von Milton's Vater
tritt freilich bei dieser Umwandlung nicht auf (2).
Vor allem aber drangen die Nachrichten von den Bege-
benheiten der grossen Welt, Nachrichten, die für ein prote-
stantisches Herz wenig erfreulich waren, auch in das stille
Bürgerhaus von Bread-street(*). Zwar von der wahnsinnigen
Pulververschwörung, gegen deren Mordplan sich ein langes
Gedicht und vier seiner Epigramme richten (^), erfuhr John
Milton selbst nur durch die Erzählung der älteren Familien-
genossen , die sich noch der schreckensvollen Bewegung er-
innerten, welche die Stadt an jenem Novembertage 1605
durchzitterte, als man in den Kellern des Parlament - Gebäu-
des die Pulvertonnen, Reisig, Holz und den kathohschen Fa-
natiker Guv Fawkes in seinen letzten Vorbereitungen entdeckt
44 Europa und England.
hatte. Dagegen jenes Tages der Trauer mochte er sich
wohl dunkel erinnern , an dem Prinz Heinrich für immer die
Augen schloss, der ritterliche, mit den edelsten Gaben aus-
gestattete Jüngling, die Hoffnung des ganzen Landes und
nicht am wenigsten der Puritaner, denen sich mit der Aus-
sicht auf die Nachfolge des ungleich weniger beliebten Bru-
ders Karl eine düstere Zukunft eröffnete.
Und von nun an gieng dem Heranwachsenden immer
deutlicher das Verständnis für den wirren Lauf der Dinge in
Staat und Kirche auf. Mit Bewusstsein erlebte er wohl schon
den festlichen Abschluss jenes verhängnisvollen Ehe -Bundes
zwischen dem Kurfürsten von der Pfalz, Friedrich, und Eli-
sabeth, der Tochter Jakob's von England. Mit Erbitterung
und Abscheu folgte er den Berichten über das Günstlings-
Regiment am königlichen Hofe, die aufregenden Processe,
welche die gleissende Lasterhaftigkeit der höheren Schichten
der Gesellschaft vor aller Augen enthüllten, die parlamenta-
rischen Verhandlungen, welche immer deutlicher den Gegen-
satz des eigenwilligen Königs zu den tiefsten Gefühlen seines
Volkes an den Tag brachten. Zwei Begebenheiten der inneren
Geschichte des Landes mussten sich dem Gedächtnis des
Knaben unauslöschlich einprägen. Als er im zehnten Lebens-
jahre stand, fiel unter dem Beil des Henkers das Haupt
Walter Raleigh's, des Odysseus an Avundersamen Fahrten und
Abenteuern , des edelsten Ritters der elisabethanischen Tafel-
runde. Was auch seine persönlichen Fehler waren, seine
letzten Worte, auf dem Schaffet gesprochen, als man ihn auf-
forderte, sein Haupt nach Osten zu wenden: „Was thut's,
wie der Kopf liegt, ist das Herz nur am rechten Fleck",
diese zusammenfassende Parole seines Lebens fand Widerhall
in der Masse des Volkes, welches wusste, dass soviel Grösse
spanischen Wünschen geopfert war (1G18 Oktbr. 29). Drei Jahre
später wurden Hauptstadt und Land durch den Proeess gegen
Bacon, den Lordkanzler des Reiches, in Spannung versetzt, dem
für eine grosse Anzahl von Fällen Bestechung vorgeworfen
wurde, und welcher nach seinem eignen Ausdruck unter
Europa und England. 45
der Anklage zusammenknickte wie ein „gebrochenes Rohr".
(April 1621.)
Neben solchen Vorgängen von mehr individueller Bedeu-
tung, die aber doch den ganzen Zustand des Reiches offen-
barten, liefen, selbst wieder ineinanderverschlungen, Begeben-
heiten allgemeinen Inhalts, welche die Jugendjahre Milton's
erfüllten. Der grosse festländische Krieg, in der böhmischen
Hauptstadt entzündet, brach aus, und sicher so lebhaft wie
einer seiner Landsleute verfolgte der junge Milton aus der
Ferne mit Schrecken die Ausdehnung des Brandes. Er
wusste seinen alten Lehrer, Thomas Young, mitten in den
Wirren des Krieges, Alexander Gill, dessen Theilnahme an
den späteren Ereignissen des Kampfes durch mehrere Ge-
dichte bezeugt ist, wird auch damals die neuesten Berichte
aus Deutschland mit Eifer aufgenommen und mit seinem
Schüler durchgesprochen haben, vor allem aber war es der
gläubige Protestant, der glühende Feind des Pa!tstthums, der
über die Fortschritte der katholischen Heere ergrimmt, über
die Haltung der eignen Regierung beschämt werden musste.
Die puritanischen Herzen schmachteten nach dem Augen-
blick, da England seine Waffen zum Schutze der bedrängten
Glaubensbrüder erheben könnte. Sie verwünschten die Neu-
tralität und waren noch immer in dem Glauben befangen,
die spanische Macht sei die gefährlichste Feindin ihrer reli-
giösen und nationalen Interessen, und der Kampf gegen diese
in der alten Weise der Drake's und Raleigh's sei Sache der
Ehre und des Vortheils. Jakob hätte sich gerne in der Stelle
des allgemeinen Schiedsrichters behauptet, aber er wagte
nicht, das Schwert zu ziehen, dessen der Richter eben so
wenig entbehren kann, wie der Wage. Er hätte gerne die
Pfalz für seine Tochter und ihr Geschlecht zurückerobert ge-
sehn , aber er wünschte um keinen Preis mit Spanien zu
brechen, dessen verschlagener Gesandter die verhassteste
Persönlichkeit in England war. Ja, seit geraumer Zeit schweb-
ten zwischen den Höfen von Madrid und von London Ver-
handlungen, welche die argwöhnischen Gemüther mit Bangen
46 Europa und England.
erfüllten. Der Erbprinz Karl sollte eine Verbindung mit
einer spanischen Infantin eingehn. Wenn Jakob sich von
diesem Plane eine friedliche Lösung der pfälzischen Frage
versprach, so malte die Phantasie des Volkes sich die Rück-
kehr jener dunklen Gewalten aus, die einst die Armada gegen
die englische Küste entsandt hatten. Indessen trotz aller
Hindernisse giengen die Verhandlungen weiter, Anfang 1623
trat der Prinz, den vertrauten Buckingham als Mentor zur
Seite, die Reise zu dem verhassten Hofe an, um den Vertrag
abzuschliessen. In allen puritanischen Familien liefen die
düstersten Befürchtungen um. Es war wie eine Erlösung von
schw-erem Alpdruck, als sich nun doch die Angelegenheit zer-
schlug, der längstersehnte Bruch mit Spanien, die Verlobung
des Prinzen mit Henrietta Marie von Frankreich erfolgte, die
freilich katholisch, zugleich aber Heinrich's IV. Tochter war.
Man hoffte, dass Frankreich, als Alliirter, den Kampf für die
Pfalz aufnehmen werde und ahnte nicht, dass, feierlichen
Versprechungen entgegen , beim Abschluss des Heiraths-
Vertrages geheime Zusicherungen zu Gunsten der englischen
Katholiken gemacht waren, deren Duldung dem Puritanismus
als unverträglich mit dem Staatswohl galt(^). — Bei so viel
Unkenntnis der thatsächlichen Verhältnisse und engherzigen
Vorurtheilen auf der einen Seite und so viel Schwankungen
und Mangel an Aufrichtigkeit auf der anderen Seite waren
die schwersten Konflikte für die Zukunft unvermeidlich.
Der heranwachsende Sohn des Puritaners musste alle diese
Fragen nothwendig vom Standpunkt der Partei aus betrach-
ten. Die Monarchie , unter der er gross wurde , war nicht
der Art, ihm unbezwingbare Achtung vor dieser Staatsform
einzuflössen , und der Monarch , welcher an der Spitze stand,
war nicht der Art, ihn mit den Mängeln der Staatsform zu
versöhnen. — Fast gleichzeitig, erfolgte der Abschluss der
Laufl)ahn dieses Monarchen und der Abschluss der ersten
Lebensperiode Milton's. Wenige Wochen vor dem verhäng-
nisvollen Thronwechsel, welcher Karl zur Königswürde er-
hob, bezog Milton siebzehnjährig die Universität. Hinter ihm
Europa und England. 47
lag die Zeit gesunder Entwicklung an Körper und Seele im
trauten Familienkreise, frommer und ernster Erziehung durch
ein würdiges Elternpaar, angestrengten Fleisses in Schule und
Haus, der Schliessung jugendlicher Freundschafts -Bündnisse,
erster Regungen eines ahnungsvollen Genius , mit einem
Worte das, was in den Kämpfen und Leiden des Mannes-
alters auch durch den Zauber des Rückerinnerns stärken und
erhalten kann: Eine glückliche Jugend.
Zweites Kapitel.
Die Lehrjahre auf der Universität Cambridge (*),
Die Verfassung der beiden alten englischen Hochschulen
und das in den Schranken dieser Verfassung sich bewegende
Leben , noch heute von den entsprechenden Erscheinungen
des Festlandes so wesentlich verschieden, erscheint in Mil-
ton's Zeit noch bei weitem stärker mit dem Stempel befrem-
dender Alterthümlichkeit behaftet und lässt sich in kurzen
Umrissen nur schwer der gegenwärtigen Anschauung näher
bringen. Beschränkt sich der Blick auf das zunächst in Be-
tracht kommende Cambridge, so findet man in den Statuten
aus dem zwölften Regierungs - Jahre Elisabeth's nach allen
Schwankungen der Zeit der Reformation und Gegenreformation
eine feste Grundlage, auf der sich die spätere Epoche auf-
baute (^). Es ist bekannt genug, dass die eigentliche, schola-
stische Universität seit dem Ende des fünfzehnten und dem
Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in den nach Wesen und
Entstehung von ihr unterschiedenen Colleges fast ganz und
gar aufgieng. Diese konviktorischen Vereine, in die gelehrte
Körperschaft eingefügt, im späteren Mittelalter beständig an
Zahl gewachsen und grösstentheils mit den reichsten Mitteln
an Grund und Boden ausgestattet wie durch fortgesetzte Stif-
tungen von Wohlthätern beschenkt, drängten so ziemlich das
ganze akademische Leben in sich zusammen, seitdem sie sich
mit Glück zu Trägern der neuen humanistischen Bildung
Die englischen Universitäten. — Colleges. 49
gemacht hatten. Aus blossen gemeinsamen Wohnstätten derer,
welche die Universität besuchten, zu selbstständigen Lehr-
anstalten geworden, bewahrten sie in Disciplin und Einrich-
tung jenen klösterlichen Charakter, dessen Grundzüge sich
in ihnen allen wiedererkennen lassen, so zahlreiche Abwei-
chungen im einzelnen durch den Willen, grössere oder ge-
ringere Freigebigkeit des Stifters und spätere Gesetzgebung
hervorgebracht worden waren.
Ehrwürdige Gebäude, zum Theil von staunenswerther
Pracht der Architektur,- mit weiten Höfen und schattigen
Gärten, wohlgeptiegten Rasenplätzen für das Kugelspiel und
besonderen Räumen zum Ball -Werfen, stillen Gemächern für
die Bücherei und alterthümlichen Hallen für die gesellige
Zusammenkunft, umschlossen, wie in einer kleinen Welt für
sich, eine eng verbundene Genossenschaft von Jünglingen, die
mitunter fast noch Knaben glichen, und Männern, denen die Ehe-
losigkeit zur Pflicht gemacht war(i). Jeden Morgen und jeden
Abend rief die Glocke der Kapelle zu bestimmter Stunde
zum gemeinschaftlichen Gottesdienst. Zur Mahlzeit versam-
melte man sich in der grossen Halle. Eine je nach dem
Grad verschiedene Kleidertracht war mit derselben Ausführ-
lichkeit vorgeschrieben, wie sie nur der Stifter eines mönchi-
schen Ordens jemals erdenken konnte. Nach der Strenge
der ursprünglichen Statuten war es Pflicht der Studenten, im
Gespräch miteinander sich des Lateinischen, Griechischen
oder Hebräischen zu bedienen , ausser in den Erholungs-
Stunden, sich in ihren Zimmern des Karten- und Würfel-
Spiels zu enthalten, ausser in den festlichen Tagen der Weih-
nachtszeit, in denen die Karten gestattet waren. Sie hatten
eine besondere Erlaubnis einzuholen, wenn sie die Mauern
des College verlassen wollten (2), Schenken, Schaustellungen,
Tanzplätze, Stier- und Bären -Hetzen in der Stadt und die
Vergnügungen ihrer Markttage zu vermeiden und sich zu
gemessener Stunde, je nach der Jahreszeit und dem Statut
um acht, neun oder zehn Uhr(^) wieder an den Thoren des
College einzufinden, dessen Schlüssel das Haupt der Anstalt,
der Master, in seiner Kammer verwahrte. Ein ausgebildetes
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. 4
50 Tutoren. — Unterschiede der College- Genossen.
System von Strafen sollte' dazu dienen, die Befolgung dieser
Vorschriften zu erzwingen , und die Behörden der Universi-
tät, wie die des College theilten sich in die Strafgewalt. Je
nach der Schwere des Falles wurde auf Geld, Carcer, Ver-
weisung für bestimmte Zeit (Rustieation) oder für immer er-
kannt. Nach den Statuten jenes College, in welches -Milton
aufgenommen wurde', um von anderen abzusehn, war für die
Bestrafung Jüngerer unzweifelhaft körperliche Züchtigung zu-
lässige^).
Im Mittelpunkte des ganzen College -Lebens als dasjenige
Element, welches der gesammten Anstalt Farbe und Charakter
giebt, steht das Tutoren - System. Das College, nach aussen
hin durch sein Haupt, den Master, vertreten, zerfällt gleich-
sam wieder in eine Reihe kleinerer Gemeinheiten, indem sich
jedes Mal ein Paar der jungen Hausgenossen der besonderen
pädagogischen Aufsicht eines der Aelteren (Fellows) anver-
traut, den sie als ihren Tutor erwählen. Abgesehen von
der Lehrthätigkeit, welche diese Tutoren den enger- mit ihnen
verbundenen Stipendiaten und Kostgängern zuwenden, sind
sie ihnen für die grösseren Fragen der geistigen Bildung wie
für die kleineren Sorgen des Lebens gesetzte Helfer und Be-
rather. Sie haben die Pflicht, die Sitten und Studien ihrer
Zöglinge mit besonderer Sorgfalt zu überwachen. Sie
suchen bei der Auswahl von Stube und Stubengenossen das
Beste zu treffen, denn der Zögling hat kein Zimmer, mitunter
nicht ein Mal ein Bett allein zur Verfügung. In Krankheits-
fällen sind sie die ersten, sich der Untergebenen anzunehmen,
ihre Sorgfalt erstreckte sich bis auf die Anschaffung von
Büchern und Kleidern, wie sie überhaupt die pekuniären An-
gelegenheiten der Studenten , ein häufig sehr unerfreuliches
Geschäft, an Stelle des Vaters verwalteten (^).
Keineswegs standen alle Mitglieder des College in Betreff
ihrer finanziellen Unteihaltung auf gleicher Stufe. Eine ge-
wisse Anzahl war auf stiftungsmässige Einnahmen verwiesen :
Der Vorsteher, die Fellows, die verschiedenartig berechtigten
Stipendiaten unter den Studirendcn (Scholars). Aber die Mehr-
zahl der Studenten hatte die Kosten von Wohnung, Tisch,
Terms. — Quadriennium und Trienuium. 51
Erziehung ii. s. w. zu ersetzen. Auch hier gab es noch Un-
terschiede. Am meisten zahlten die greäter pensioners oder
fellow-commoners, reicher Eltern Söhne, welche dafür gewisse
Vorrechte genossen, die lesser pensioners, weitaus an Zahl
die bedeutendste Klasse, folgte in der Reihe, und unter ihnen
standen die ärmeren sizars , welche am wenigsten zu zahlen,
am meisten zu dienen hatten.
Nach den elisabethanischen Statuten war das akademische
Jahr in drei Abschnitte (Terms) getheilt. Der erste begann
am 10. Oktober und endete am 16. December, durch die
Weihnachtsferien vom zweiten getrennt. Dieser erstreckte
sich vom dreizehnten Januar bis zum zehnten Tage vor Ostern.
Nach den Oster -Ferien, am eilften Tage nach dem Fest, be-
gann der Mitt- Sommer -Term, welchen am Freitag nach der
feierlichen Schlussversammlung der Universität (Commencment-
Day)(^) die langen, dreimonatlichen Ferien ablösten. Solcher
akademischen Jahre wurden ursprünglich sieben erfordert, um
den Besitz der scholastischen Würden zu verdienen. Denn
in der Vermischung von Universitäts- und Kollegial -System,
wie es sich aus der Verbindung mittelalterlicher und neuerer
W^issenschaft gebildet hatte , blieben diese Würden Ziel und
Ende der Studienzeit. Diese theilte sich demnach folgen-
dermassen ein: Auf die Zulassung in das College erfolgte die
Immatrikulation bei der Universität, der erste Schritt auf der
wissenschaftlichen Laufbahn. Von da an war eine Zeit von
vier Jahren (in Milton's Tagen nur mehr 11 Terms statt 12) (2)
zu durchlaufen, 'in welcher die ordnungsmässige Vorbereitung
auf die Erlangung des Bakkalaureats Statt fand. In dem
ersten dieser vier Jahre war nach den Statuten der Gegen-
stand des Studiums: Rhetorik, im zweiten und dritten Logik
(Dialektik); (^) im vierten Philosophie. Der Unterricht sollte
sowohl im College bei den Tutoren wie in den öffentlichen
Vorlesungen der Universitäts - Professoren genommen werden.
In dem letzten dieser vier Jahre war der Student verpflichtet,
an den akademischen Disputationen zwei Mal als Respondent
und Opponent Antheil zu nehmen, d. h. Thesen aufzustellen
und gegen Angriffe zu vertheidigen , wie aufgestellte seiner-
52 ßaccalaureus. — Magister artium.
seits anzugreifen. Auf diese lateinischen Wortgefechte wurde
er durch ähnliche Rede - Uebungen im College schon vorbe-
reitet. Hierauf war noch eine Prüfung im College, ein mehr-
tägiges akademisches Examen und eine Reihe von Förmlich-
keiten abzumachen, ehe die Ernennung zum ßaccalaureus
artium erfolgte.
Nun war die erste Staffel auf der Leiter akademischer
Ehren erreicht, die Periode des Nicht - Graduirtseins (Under-
graduateship) und für viele, welche nicht höher strebten, wenn
sie überhaupt so lange ausgehalten hatten, die Periode ihres
Universitäts- Lebens abgeschlossen. Diejenigen, welche den
nächsten Grad erstrebten, hatten weitere drei Jahre die öffent-
lichen Vorlesungen, und zwar nach den Statuten Philosophie,
Astronomie, Zeichnen und Griechisch, zu hören. Ausserdem
hatten sie den Disputationen der Magislri artium zu folgen,
selbst drei Mal öffentlich, zwei Mal im College zu disputiren
und eben dort eine Deklamation zu halten. Hierauf wurden
sie in höchst feierlicher Weise unter einer Fülle alten Cere-
moniells an den grossen Festtagen der Universität , den ve-
speriae comitiorum oder den Comitia (Commencment-Day)
selbst zu magistri artium kreirt. Verändert waren die Regeln
vor Milton's Zeit hauptsächlich insoweit, dass der ursprüng-
liche Lehrstoff des Triennium zum Theil schon mit dem des
Quadriennium verbunden wurde, und dass das Lehr -Amt von
den öffentlichen Professoren grössten Theils auf die Privat-
Tutoren übergegangen war(*).
Mit diesem Formalismus, der ganz und gar auf der mit-
telalterlichen Anschauung der sieben freien Künste beruhte^
und ein selbstständigcs koi'poratives Auflvonnnen der Fakul-
täten verhinderte, war aber erst eine artistische Grundlage,
man möchte sagen das für nöthig erachtete Mass allgemeiner
wissenschaftlicher Bildung gewonnen , an welcher in gleicher
Weise Anthcil zu haben für alle gleich rühmlich erachtet
wurde, mochten die einzelnen auch im späteren Leben die
Lanzette des Chirurgen führen oder auf der Richterbank sitzen,
die Kanzel besteigen oder den vielfachen Problemen der Phi-
losophie ihr Nachdenken widmen. Von hier aus trennten sich
Doktor. — Beamte. — Aufnahme Milton's in das Christ-College. 53
die Wege je nach dem erwählten Fach, und erst nach Ablauf
von neuen sieben Jahren, für welche wiederum bestimmte Vor-
träge, Vorlesungen, Disputationen und Formen vorgeschrieben
waren, konnte der Doktor-Grad der Jurisprudenz und Medicin
erlangt werden ; noch fünf Jahre länger währte die Fahrt zum
Port des theologischen Doktor-Grades.
Fasst man endlich mit einem Blick die hauptsächlichen
Beamten der akademischen Körperschaft in's Auge, den Kanzler,
auf seinem Ehrenposten meist dem hohen Adel angehörig, da-
mals doch noch ein politischer Patron , den Vicekanzler und
unter ihm die polizeiliche Behörde, die beiden Proctors (Pro-
curatores), bei welchen für die Versammlung der Kollegial-
Vorsteher die ausübende Gewalt ruhte, eine Reihe von Unter-
beamten und Hülfs-Personal, bis zu den Pedellen herab, und
denkt man sich das ganze oligarchische Getriebe durch eine
Kette von Vorschriften und Ceremonieen in Bewegung gesetzt,
die zum Theil im Lauf der Darstellung noch berührt werden
müssen, so möchte wenigstens im ganzen und grossen ein Bild
von den Verhältnissen gegeben sein, in welche John Milton
versetzt wurde.
Am zwölften Februar 1625 erfolgte seine Aufnahme in
das Christ-College zu Cambridge (^). Er trat in der Eigen-
schaft eines „lesser pensiouer" ein. Wir hören nicht, dass er
als Zögling der Pauls -Schule ein jährliches Stipendium ge-
nossen, wie die Zunft der Krämer es bis zum Betrage von
sechs oder von zehn Pfund jungen Studirenden während ihres
siebenjährigen Cursus zu gewähren pflegte, wenn sie aus jener
Anstalt hervorgegangen (='), Wenn man bedenkt, dass Sir
Simonds d'Ewes in der höheren Rang-Klasse eines fellow-
commoner seinem wenig freigebigen Vater, wenn auch ver-
geblich, erklärte, er könne mit dem jährlichen Zuschuss von
50 ^ nicht anständig auskommen (2), so wird man in der An-
nahme nicht irren, dass diese Summe für die Bedürfnisse und
den Stand John Milton's so ziemlich genügt habe.
In der Reihe von sechzehn konviktorischen Anstalten,
welche im Jahre 1621 alles in allem fast 3000 Mitglieder
enthielten (^) , nahm Trinity- College, wenn auch nicht nach
54 - Christ-College. — Bainbrigge. — Meade.
Ehrwürdigkeit des Alters, so doch nach dem Reichthum an
stiftungsmässigem Besitz und nach der Zahl seiner Genossen
unstreitig den ersten Platz ein. In letzter Beziehung stand
ihm St. John's College am nächsten, erst hierauf folgte Christ-
College, gegründet 1505, um die Zeit, da Milton in das College
eintrat, mit einem Master, 13 Fellows, 55 stiftungsraässig be-
rechtigten Scholaren versehn, zu denen noch 196 zahlende
Studenten, Armen-Schüler, Bedienstete u. s. w. hinzukamen.
Jedes College hatte seine eigne Tradition, nach der es sich
mit grösserem oder geringerem Recht einer Anzahl würdiger
Zöglinge rühmte, die aus seinem Schoss hervorgegangen waren.
So war Christ-College stolz auf Hugh Latimer, den Reformator
und Märtyrer, auf John Leland, den gelehrten Antiquar, auf
den sprachkundigen Richard Carew und seinen berühmteren
Zeitgenossen, den „unvergleichlichen", ritterlichen Dichter,
Philip Sidney(i). Eine ganze Schaar von hohen, und höchsten
Würdenträgern der Kirche hatte aus diesem Quell der Bildung
geschöpft, und Füller glaubt ohne Schmeichelei auf dieses
College den Spruch des Weisen anwenden zu dürfen: „Viele
Töchter bringen Reichthum ; du aber übertriffst sie alle".
Als Milton in das College eintrat, war dessen Master
Thomas Bainbrigge, von dem in der That kaum mehr be-
kannt ist, als dass er diesen Posten ein Viertel Jahrhundert
von 1G20 — 1645 innehatte, und dass er den Ruf eines „strengen
Lehrers" genoss(^). Seinem Charakter wird durch die Korre-
spondenz Meade's nicht immer das beste Zeugnis ausgestellt.
Etwas mehr wissen wir liber einige der dreizehn Fellows zu
sagen, von denen sich mehrere in der englischen Kirchen- und
Gelehrten-Geschichte einen Namen zu machen gewusst haben.
Der Bekannteste ist Joseph Meade (1586—1638). Schenkt
man seinen Biographen Glauben, so war er, allerdings in
einer Zeit, da die Theilung geistiger Arbeit noch nicht eben
weit ausgebildet war, ein Mann von seltener Vielseitigkeit, „ein
scharfer Logiker, ein sorgfältiger Philosoph, ein geschickter
Mathematiker, ein ausgezeichneter Astronom, ein grosser Phi-
lolog, ein Meister vieler Sprachen und in geschichtliclien und
chronologischen Studien sehr weit fortgeschritten" (^). Doch
Meade. 55
hatte er eine bestimmte Lieblings-Neigung, der er mit dem
Eifer innerer Ueberzeugung nachhieng. Selbst damals waren
die aufgeklärtesten Köpfe nicht selten noch in dem Glauben an
astrologische Wahrheiten und die Divinations-Gabe gewisser
auserwählter Geister befangen (^). Und so wurde Joseph
Meade durch die Verbindung seiner theologischen, astrono-
mischen und geschichtlichen Studien dazu geführt, sich jenen
dunklen Partieen der Bibel zuzuwenden, welche den Chiliasten
von jeher so viel Stotf für ihre überschwänglichen Prophe-
zeiungen dargeboten hatten. Meade schenkte der Welt einen
„Schlüssel für die Erklärung der Apokalypse", er sagte, und
darin betrog ihn seine Ahnung nicht, gewaltige Erschütterungen
von Staat und Kirche für die nächste Zeit voraus. Eben des-
halb drang er, ein bitterer Feind des Katholicismus, auf die
Vereinigung aller protestantischen Christen. Seine Lebens-
weise konnte die Neigung zur Beschaulichkeit und Grübelei
nur begünstigen. Selten kam er aus seiner stillen „Zelle"
zum Vorschein, höchstens um an schönem Sommertag in Feld
und Wiesen Pflanzen zu suchen. Merkwürdig genug ent\Yickelte
er. aber gegenüber den Angelegenheiten der grossen Welt die
Wissbegier eines eifrigen Xeuigkeits- Jägers, und diese Eigen-
schaft macht uns seinen Briefwechsel mit Sir Martin Stute-
ville so werthvoll, dem er in einem Athem, oft in einer etwas
weichlichen Art, von den kleinen Vorfällen des College- und
Üniversitäts-Lebens und den grossen kriegerischen Ereignissen
der Zeit, . eigner Krankheit und Misstimmung und den Perso-
nalien des Hofes zu London getreulich Bericht erstattet. Als
Tutor war er für die seiner besonderen Obhut anvertrauten
Zöglinge durch seine Persönlichkeit wie durch die Methode
seines Unterrichts von grösstem Werth , ein wohlgewachsener
Mann, mit blitzenden Augen, dunkler Gesichtsfarbe, im Urtheil
mild, immer zur Unterhaltung aufgelegt. Er besass die seltene
Kunst, dem eignen Lehreifer den rechten Zaum anzulegen und
dem Naturell seiner Schüler eine freiere Entwicklung zu
gönnen. Nachdem er ihre Fähigkeiten im allgemeinen erkundet
und ihnen demgemäss die besten Rathschläge gegeben und
die Aufgaben vertheilt hatte, liess er jeden den Tag über
56 , Chappell.
nach der Art, wie es ihm beliebte, sein Werk vollbringen;
erst Abends kamen alle in sein Zimmer um ihm ihre Arbeiten
vorzulegen. Dann forschte er mit der Frage „Quid dubitas?"
vor allem nach den Zweifeln, die den einzelnen bei ihren
Studien aufgestossen sein möchten, denn er war der Ansicht,
dass man nur durch Zweifel der Wahrheit näher komme, be-
antwortete ihre Fragen und entliess sie mit Gebet und Segen
in ihre Gemächer.
Nächst Meade ragte AVilliam Chappell (1582—1649), innig
mit jenem befreundet, aus der Reihe der Fellows von Christ-
College hervor. An umfassendei- Gelehrsamkeit blieb er hinter
Meade weit zurück, was von seinen Schriften bekannt ist, be-
schränkt sich rein aufs theologische Gebiet. Dagegen hatte
er einen Vorzug, der in jenen Tagen nicht gering angeschlagen
wurde, nämlich in den üblichen Disputationen sich auf die
Kunst des Angriffs und der Vertheidigung in höchstem Masse
zu verstehen; „mit Schwert und Schild gleich tapfer". Als
König Jakob 1615 die Universität mit einem Besuch beehrte,
w^ar Chappell zu der Rolle des Opponenten in einem theologischen
Wort-Turnier erwählt, welches vor dem Könige stattfand. Er
schlug nicht nur seinen Gegner völhg aus dem Felde, sondern
besiegte auch seine Majestät, welche selbst, einer angeborenen
Neigung folgend, für den Geschlagenen den Kampf wieder
aufnahm. Kein Tutor hatte zu seiner Zeit mehr oder bessere
Schüler, soviel Sorge . verwandte er auf ihre Erziehung; noch
Henry More spricht mit höchster Achtung von Chappell, als
seinem alten Lehrer (^). Leider sind wir über den Cha-
rakter des Mannes nicht näher unterrichtet, aber wir wissen,
dass er, in späteren Jahren ein entschiedener Anhänger des
Laud'schen Systems, 1634 zum Vorsteher des Trinity-College
in Dublin ernannt wurde. Daselbst begegneten seine armi-
nianischen Ansichten heftigem Widerstände. Indess, von
Strafford und Land als ein höchst brauchbares Werkzeug für
iiiie Pläne angesehn, erlangte er 1638 das Bisthum von Cork,
CIdyne und Ross und behielt daneben seine erste Stelle bei,
was gegen die Gesetze war. Es ist demnach nicht unglaub-
lii'li , dass Chappell schon früher jene Ansichten vertrat und
Gell. Tovey, Power. — Chappell, Milton's. Tutor. 57
unter seinen Schülern auszubreiten suchte, die an höchster
Stelle begünstigt wurden, und dies würde ein nicht unwich-
tiges Moment für Milton's Lebensgeschichte abgeben (^).
Von geringerer geistiger Bedeutung als die Genannten
waren, um von den andern zu schweigen, Robert Gell, an-
scheinend wie Meade dazu ausersehn Sir Stuteville mit Neuig-
keiten zu versehn, Nathanael Tovey, welcher zu der Zeit
als Milton eintrat, als Professor der Logik in dem College
wirkte, und William Power, der senior Fellow, welcher für
einen heimlichen Papisten- galt, und gegen dessen sittliches
Verhalten, wenn anders Meade so zu verstehen ist, schwere
Vorwürfe zu erheben waren (-).
Wäre Joseph Meade nicht schon mit Schülern überhäuft
gewesen, so hätte es recht wohl geschehn können, dass dieser
würdige . IMann den londoner Ankömmling zur Aufsicht er-
hielt (2). So aber wurde er der Obhut W. ChappelFs anver-
traut.
Nach der W^ahl des Tutor war die Wahl des Zimmers
keine so einfache Sache. Der Master des College hatte in
diesem Punkt eine diskretionäre Gewalt, und wir hören, dass
Bainbrigge diese gar sehr missbrauchte, wenn der Vortheil
seiner Verwandtschaft in Frage ,kam(^). Milton's Zimmer, wie
sie noch heute • gezeigt werden , eine kleine Stube und eine
noch kleinere Kammer daneben, lagen in dem älteren Theil
des Gebäudes. Ohne Zweifel hatte er sie, wenn nicht mit
mehreren, so wohl mit Robert Pory zu theilen, der gleichfalls
aus London gebürtig, mit ihm in der Pauls-Schule unter Alexan-
der Gill herangebildet, wenig Tage nach ihm im College auf-
genommen war. Von den übrigen damals eingetretenen Stu-
denten wurden Richard Earle aus Lincoln und Edward Fresh-
water aus Essex unter ChappelFs Aufsicht gestellt und so-
mit in den engsten Zusammenhang mit Milton gebracht (^).
Nachdem er einmal in dem neuen Kreise sich eingelebt
hatte , musste sein Blick biild über die engen Mauern des
eignen College hinweg auf das Treiben und die hervorstechend-
sten Persönlichkeiten der ganzen Universität hinschweifen. Von
den Lehrern waren ohne Zweifel alles in allem die berühm-
58 Cambridger Celebritäten. — I>eben im College.
testen Dr. John Preston, Master des Emaniiel College, die be-
deutendste pädagogische Kraft in ganz England , in Predigt
und Schrift der Nachahmer keines Geringeren als Calvin's,
ein anerkannter Führer der Puritaner und als solcher, wie
behauptet wurde, eine Zeit lang vom Herzog von Buckingham
benutzt, um auf die Partei zu wirken. Der Professor An-
drew Downes galt für den grössten Kenner des Griechischen
in der Christenheit, abgesehn von den Griechen von Geburt.
Abraham Wheelock, Fellow von Cläre Hall, glänzte in solchem
Masse als Kenner des Arabischen und Persischen, dass er
„der Königin Saba, als sie zu Salomo und den Männern des
Ostens, als sie zu Herodes kamen, zum Dolmetscher hätte dienen
können". Von den übrigen Fellows sei nur William Spurstow
von Catherine-Hall erwähnt, der spätere presbyterianische
Geistliche, dessen Lebenswege mit denen Milton's sich noch
kreuzten, und Richard Howlett von Sidney-Sussex College,
welcher acht Jahre vorher Oliver Cromwell's Tutor gewesen
war. Das Amt der öffentlichen Beredtsamkeit hatte George
Herbert inne, den schon damals ein frommer Wandel und das
sich entfaltende dichterische Talent berühmt gemacht hatten (^).
Aus dem grösseren Kreise der Studiengenossen diejenigen
herauszufinden, welche Talent, oder Charakter auf eine glän-
zende Laufbahn hinwiesen , konnte dem Ankömmling nicht
leicht werden. Doch aber mochte er sich in späteren Jahren
erinnern, dass er gleichzeitig mit den Dichtern Waller und
Randülph und mit dem Kirchenhistoriker Thomas Füller die-
selbe akademische Luft eingeathmet hatte, deren Hauch in
der Universitäts- Geschichte des letzten noch so deutlich zu
spüren ist.
Immerhin war erst in zweiter Linie die Universität, in
erster das eigne College dasjenige Bereich , in welchem sich
Milton's Studien und Leben nach den bekannten Kegeln zu
bewegen hatten. Um fünf Uhr Morgens hatte er beim Früh-
Gottesdienst in der Kapelle zu erscheinen (^), dann folgte die
Arbeit des Tages, getheilt in den Unterricht im Einzel-College
unter Aufsicht des Tutors oder besonderer Lehrer, und in die
Voi'lesungen, welche in den allgemeinen Auditorien der Univer-
Studentische Sitten. 59
sität gehört wurden. Neben dem Unterrieht füllte die Theil-
nahme an den Disputationen hier wie dort den Tag oder fast
nur den Morgen, denn nach der Mahlzeit, zu der sich um
zwölf die Mitglieder des College in der Halle versammelten
und nach Rang und Ordnung setzten, wurden der vorge-
schriebenen Arbeit nur wenig Stunden gewidmet. Die übrige
Zeit bis zum Abend-Gottesdienst und Abend-Essen um sieben
gehörte jedem einzelnen. Indess wäre es ein Irrthum zu
glauben, dass die Strenge der elisabethanischen Statuten in
allen übrigen Punkten zu Milton's Zeit noch aufrecht erhalten
gewesen wäre. In den zwei Menschen- Altern , welche seit
ihrer Abfassung vergangen, waren die Ansichten freier und
die Sitten lockerer geworden. Es war nicht mehr möglich
die jungen Geister hinter, den Kloster-Mauern zu halten und
von der Aussen weit abzuschli essen. Abgesehen von der nicht
allzu grossen Entfernung der Hauptstadt und ihrer Genüsse
bot die Stadt Cambridge selbst, so klein sie war, mancherlei
gefährliche Anziehungs-Punkte, vor allem die berühmten drei
Schenken zum Delphin, zur Rose, zur Mitra. In einem
andern Wirtshaus, dem „ehernen George", neben Milton's
College hatte sogar mancher Studirende seine dauernde Woh-
nung aufgeschlagen, was ganz gegen die Gesetze war(i). So
gut wie andere durfte sich ^lilton die Freiheit nehmen, im
Cam zu baden und die Umgegend zu durchschweifen. Die
alte einfache und würdevolle Tracht war der neuen Mode ge-
wichen, und die akademische Jugend stolzirte mit gekräuselten
Locken, breiten Manschetten und Spitzen-Kragen, Puffen und
Schleifen von verschwenderischer Fülle einher. In den Colleges
war Rauchen, Spielen, Schwören, Trinken und Fluchen nichts
Seltenes (^). Man verspottete die Religion und witzelte über
das, was frommen Gemüthern als heilig galt.
Sitte und INIoral wurden oft in der aller bedenklichsten
Weise verletzt, und die Erwähnung eines einzelnen besonders
starken Falles erpresst dem ehrlichen Joseph Meade den Ausruf:
„Guter Gott, wie lebt man hier!"(^) Alles dies waren Dinge,
welche von puritanischen Geistern, wie Simonds d'Ewes, und es
gab deren noch mehrere in Cambridge, dem Universitäts-Leben
60 Puritanismus und Foimenzwang. — Regierungs-Antritt Karls I.
heftig vorgeworfen wurden. Aber auch die andere Partei, die
Partei der herrschenden antipuritanischen Kirchen - Gewalt
hatte sich über mancherlei zu beklagen. Sie, welche überall
die Geister unter das Joch ihrer Formen zu zwingen suchte,
musste bemerken, dass viele Mitglieder der Universität sich
dem vorgeschriebenen kirchlichen Ceremoniell nicht anschlössen.
In Trinity-College beugten bei der Nennung des Namens Jesus
nur wenige die Kniee, viele blieben beim Gebet sitzen oder
knieeten und neigten sich nicht nach der Vorschrift, sondern
ganz nach ihrem Gefallen, andere improvisirten sogar die
Worte des Gebets (*), und auf solche Weise wurden" die „jungen
Scholaren angeleitet dem Einzel-Geist vor dem öffentlichen,
den ofüciell nicht gebilligten Gebeten ihrer eignen Erfindung
vor der anerkannten Liturgie der Kirche den Vorzug zu geben".
Hatten die Spaltungen auch nicht jenen gehässigen Charakter
angenommen, wie in Oxford, war auch nach den früheren
Kämpfen das Uebergewicht der bischöflichen Partei in Cam-
bridge entschieden, so war doch eine nicht unbedeutende
puritanische Partei zurückgeblieben, und man bemerkt auch
hier im Hintergrunde, als Vorbereitung für kommende er-
schütternde Ereignisse, überall den geheimen Kampf zweier
Streitmächte, von denen die eine durch eine übertriebene
Strenge und Askese zum Spott aufforderte, die andere durch
Ueppigkeit und Formalismus den ernsten, religiösen Sinn
verletzte.
Zunächst waren es aber nicht diese Gegensätze, sondern
Angelegenheiten allgemeiner Art, die Milton's Interesse er-
regten und nicht selten seine dichterische Kraft in Bewegung
setzten. Die Todtenfeier für König Jakob und die Beglück-
wünschung Karls I. zum Antritt der Regierung wie zur Ver-
mählung gaben der Universität zu festlicher Versammlung und
poetischen Ergüssen Anlass. In allen Gebetformeln u. s. w.
war nun das „König Jakob" in „König Karl" umzusetzen,
und Milton erlel)te in seinem College den Scherz, dass ein
P)ac(alauieus, der die Psalmen über Tisch vorzulesen hatte,
in dem I^fer, den alten Namen mit dem neuen zu ver-
Die Pest. 61
tauschen , den „Gott Jakobs", wie er ihn gedruckt vorfand,
in einen „Gott Karls" verwandelte (^).
Nachrichten ernsteren, ja schwerwiegenden Inhalts kamen
Milton von London zu. Dort gieng ein unheimlicher Gast von
Haus zu Haus: die Pest. Vom Mai 1625 bis zum März 1626
forderte sie ihre Opfer. Man konnte ein Mal rechnen , dass
in zwanzig Wochen 40,000 w'eggeratft waren. In der Woche
vom Uten bis 18ten August starben an der furchtbaren Krank-
heit 4463 Menschen. Handel und Verkehr standen still, die
Reichen flohen, Meister' wie Lehrlinge bettelten in den
Strassen (2). Man ordnete öffentliche Fast- und Busstage an,
um dem Unheil zu begegnen.
In Cambridge hatte man die grösste Angst vor der An-
steckung, bei jedem plötzlichen Todesfall dachte man an die
Pest. Einzelne schreckenerregende Berichte gelangten brief-
lich zur Kunde der Bewohner von Christ-College. Ein Vater
suchte mit seinen sieben Kindern dem Unheil "zu entfliehen
und eilte aufs Land, er musste sie alle sieben dort be-
graben (^). Ein Mitglied des College erhielt von seinem Vater
die wöchentlichen Todtenlisten gesandt, aber man scheute sich,
diese , die möghchen Träger des Krankheitsstoffes , weiter zu
verschicken , obwohl der alte Hobson, der als Brief-Bote jede
Woche den Weg von Cambridge nach London zurücklegte,
Befehl hatte alles sorgsam zu durchräuchern (^). — Milton,
der die Herbstferien 1625 vermuthlich mit seinen Eltern zu-
sammen verbrachte, hatte zwar keine Ursache einen Angriff
der tückischen Krankheit auf das Eltern-Haus in Bread-street
zu beklagen. Doch kam ein Todesfall in seiner Familie vor, der
ihm nahe gieng. Im Winter 1625 auf 1626 starb kurz nach
der Geburt ein Töchterchen seiner Schwester, Anna Phillips,
und der Bruder tröstete die betrübte Schwester mit einer
englischen Ode, welche immer ein liebliches Denkmal seiner
jugendlichen Muse bleiben wird (^). Es war nichts zum ersten
Mal Erfundenes, ein rasch hinweggeraft'tes Geschöpf mit der
Blume zu vergleichen, die der anhauchende Kuss des Win-
ters tödtet, aber gerade bei diesem Gegenstand, der die Ge-
fahr gekünstelter Uebertreibung bei Ausführung des Bildes so
QO Miltou's Ode auf den Tod der kleinen Phillips.
nahe legte, zeigte sich das Talent des jugendlichen Dichters
in anmuthsvollen Formen eines der Spenser-Stanza nahe ver-
wandten Versmasses. Vergleiche aus dem Alterthum, fast
übermässig gehäuft, kann uns der ehemalige Schüler Alexander .
Giirs und lesser pensioner von Christ-College nicht erlassen,
aber zugleich erhält die Wirklichkeit ihr Recht. Noch gegen
Ende taucht der echt puritanische Gedanke auf: „Warum
konntest du nicht auf Erden bleiben, uns mit deiner gottge-
fälligen Unschuld zu schützen, dessen Zorn zu sänftigen, den
Sünde uns zum Feinde machte, das ungestüme schwarze Ver-
derben abzuwehren oder die mörderische Pest zu vertreiben,
zwischen uns und den verdienten Schlag zu treten ? Doch dies
Amt kannst du jetzt da vollbringen wo du bist."
Es ist, als ob in dieser und der nächsten Zeit Milton's
]\Iuse vorzugsweise mit den Gedanken an Trauer und Tod
beschäftigt gewesen wäre. Am 21. September 1626 starb
Lancelot Andrews, der Bischof von Winchester, der berühmte
Patron der Gelehrten seiner Zeit. Cambridge stand er be-
sonders nahe, da er einst Master von Pembroke College ge-
wesen war, und so ist es erklärlich, dass ihn Milton in einer
lateinischen Elegie feierte, die er in späteren Jahren, als seine
kirchenpolitischen Ansichten sich in direktem Gegensatz zu
denen Andrews' entwickelt hatten, mit getheilten Empfin-
dungen beurtheilen musste('). „Bekümmert und schweigend
sass ich allein und meine Seele bedachte viel Trauriges. Zu-
erst schwebte mir das Bild der schrecklichen Verwüstung
vor, welche die Leichengöttin auf Englands Boden angerichtet
.... dann dachte ich an den Tod des ruhmreichen Feldherrn
und seines tapfern Waffenbruders (^), aber vor allem klage ich
über dich, würdigster Prälat." Und nun folgt eine sehr
farbenreiche Vision, in welcher der unter die Schaaren der
Engel Entrückte in priesterlichem Ornat, verklärter Gestalt
den Augen des Dichters erscheint. Kurze Zeit nachher
(5. Okt. 1626) rief der Tod eines andern hohen Würden-
trägers der Kirche, der gleichfalls Master von Pembroke-Hall
gewesen, Nicholas Felton's. des Bischofs- von Ely, wiederum ein
lateinisches Gedicht hervor. In diesem, ähnlich wie in dem
Gedichte auf Andrews, Feiton, Gostlin, Ridding. 63
vorhergehenden, ist gewiss das Merkwürdigste jene früh vor-
handene Neigung, die sich später so vorwiegend entwickelte,
das Bereich des Ueberirdischen, die Herrlichkeit des Himmels,
als Sitz des Göttlichen, die Musik der Engel mit allen Mitteln
der Phantasie zu schildern, die denn doch dem spröden Stoff
gegenüber nicht völlig ausreicht (0.
Machen schon diese beiden Trauergedichte den Eindruck
des Schulmässigen, lateinischer Stilübungen in Versen, so noch
mehr eine Ode und eine Elegie, welche zwei Männer feiern,
deren Tod freilich die grösste Beachtung in Cambridge linden
musste. Dies war. der Vicekanzler der Universität, John
Gostlin (t 21. Okt. 1626), ein bedeutender Mediciner, den
eigne Kunst so wenig rettete, „wie die Wissenschaft ver-
borgner Kräuter den Machaon oder Chiron" (^), und Ptichard
Ridding, der Ober-Pedell, welcher so oft „ausgezeichnet durch
seinen glänzenden Stab die akademische Jugend zusammen-
zurufen pflegte, und den nun der Tod hinweggerufen hat, der
letzte Pedell" (^). Fast sollte man meinen, dies letzte Gedicht
sei mit denen aus anderen Colleges nach alter Sitte an
das Bahrtuch geheftet worden, es schliesst: „Nun traure
0 Akademie in dunklem Gewände, deine Thränen benetzen
die schwarze Bahre, die Elegie ergiesse ihre Trauer-Weise,
und in der ganzen Universität halle der Klag-Gesang wider."
Unzweifelhaft stand ein anderes lateinisches Gelegenheitsge-
dicht des Jahres 1626 in direktem Zusammenhang mit den
Anforderungen oder doch den Wünschen des College. Fast
ein Jahr nach Entdeckung der Pulver-Verschwörung (20. Okt. ,
1606) war durch Dekret des Vicekanzlers und der Häupter
zu Cambridge verordnet, dass das Andenken jenes verhäng-
nisvollen Tages, des fünften Novembers, jedes Jahr durch eine
Predigt in der Kirche St. Mary und Nachmittags in der herr-
lichen Kapelle von King's College durch eine Rede des öffent-
hchen Redners oder eines Stellvertreters gefeiert werden
sollte (^). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ausserdem die
einzelnen Colleges den Tag festlich begiengen, und man darf
vermuthen, dass Milton's 226 lateinische Hexameter (^) auf den
fünften November zu solchem Zweck verfasst wurden. Sehr
g^ Gedichte auf die Pulver- Verschwörung.
auffällig bleibt, dass sich Milton die recht dramatische Seite
des Vorwurfs, die Entdeckung des Verbrechers mitten unter
seinen Mordwerkzeugen ganz hat entgehen lassen. Statt
dessen erhalten wir die Uebertragung von allegorischen Figuren
und der Maschinerie des antiken Epos auf die modernen Zu-
stände. Der König der Hölle verlässt sein Reich und ent-
zündet überall Krieg und Unheil. Nur die kleine Insel Eng-
land sieht er glücklich und friedlich. Dies kann er nicht er-
tragen, er fliegt unter Donner und Blitzen nach Rom und findet
dort den Pabst in feierlicher Procession am Vorabend des St.
Peter-Tages. Nachts naht er in der Gestalt eines Franzis-
kaners dem Schlummernden und ruft ihn auf, die erlittene
Schmach, die Vernichtung der Armada, das Martyrium so
vieler Heiligen zu rächen. Gerade jetzt versammelt der König
den Rath der Edlen, wenn man den Palast und sie mit ihm
in die Luft sprengt , so mag der Franzose , der Spanier in
das Reich einfallen und die Zeiten der katholischen Maria
zurückführen. Erwacht, ruft der Ober-Priester Roms Mord
und Verrath aus ihren grässlichen Höhlen und giebt ihnen
seine Befehle. Aber Gott sieht vom Himmel herab und ver-
lacht die schändlichen Anschläge. Schon ist Fama in ihrem
weitausschauenden Thurme mit tausend Thoren und Fenstern
in Bewegung, sie eilt auf Gottes Befehl nach Fingland, die
Verbrecher werden entdeckt, und fortan „giebt es keinen
grösseren Festtag im Jahre als den fünften November". —
Wie die beginnende Renaissance das moderne Leben in die antiken
Formen zu pressen sucht, aber den Zwiespalt zwischen Form
und Wesen noch nicht gänzlich überwindet, so werden wir bei
dieser Schöpfung Milton's wie bei den meisten anderen aus dieser
jugendlichen Epoche unaufhörlich daran gemahnt, wie sehr sich
dci- Dichter zwingen muss, seine lebendige Vorstellung in Sprache
und Anschauung der Antike zu bannen. Er wählt seine Bilder
aus den Psalmen, und dabei müssen ihm Ovid, Properz und
Lucan ihre Worte leihen, der Pabst ist der babylonische „Ober-
Priester" und der Teufel der „Vater der Eumeniden", der
Tiber giebt Thetis heimliche Küsse und zugleich schreiten die
Bettelmönche in feierlicher Procession einher. Bei dieser ganz
Protestantische Befürchtungen. 65
unorganischen Verbindung, welche aus der Vermischung der
verschiedenen Bildungs-Elemente hervorgieng, die die Schule
und nun auch das College dem Dichter gewährten, kann die
Einheit des poetischen Empfindens nicht gewahrt werden.
Aber um so mächtiger bricht das Gefühl jugendlichen Hasses
in politischer wie religiöser Beziehung auch durch die klassi-
sche Gewandung hindurch.
Man muss bedenken, in welcher Zeit das Gedicht ent-
stand. Der festländische Krieg nahm die ungünstigste Wen-
dung für die Sache des Protestantismus. Christian von Braun-
schweig war gestorben, Mansfeld stand mit einem Fuss im
Grabe. Der König von Dänemark war aus dem Felde ge-
schlagen, Tilly rückte unaufhaltsam in Nord-Deutschland vor,
Wallenstein drängte Bethlen-Gabor zum Frieden. England,
weit entfernt davon, eine seiner würdige Stellung in dem
grossen Kampfe einzunehmen, trieb ungeahnten Stürmen ent-
gegen. Zwei Parlamente waren bereits aufgelöst, nachdem
in den wichtigsten Fragen innerer und äusserer Politik, ja
des Verfassungsrechtes selbst, der Gegensatz zwischen ihnen
und der Regierung immer schärfer geworden war. Wie die
Pläne des Herzogs von Buckingham in nichts zerrannen, durch
eine grosse Liga im kontinentalen Kriege dem Hause Habs-
burg entgegenzutreten und die Pfalz' zurückzugewinnen, so
war im Herbst 1625 die Expedition der englischen Flotte
gegen Cadix schmählich gescheitert und hatte nur dazu ge-
dient, den traurigen Zustand der englischen Verwaltung und
Wehrkraft zu offenbaren. Die Ueberlassung englischer Schiffe
an Frankreich musste den Verdacht rechtfertigen, dass sie zur
Bekämpfung der Hugenotten in Rochelle hergegeben worden
seien (^). Die Anwesenheit katholischer Priester in der Um-
gebung der Königin, die zeitweilige mildere Handhabung der
Strafgesetze gegen die Anhänger der römischen Kirche, die
Sprache dem Hofe nahestehender Geistlicher hatte den arg-
wöhnischen Puritanismus schwer verletzt. Man fühlte in seinen
Kreisen eine beständige Angst ,,vor dem verfluchten Geschleclit
der Jesuiten, der Seminar-Priester und Mordbrenner, die immer
bereit stehen die Kohlen der Zwietracht anzublasen" (-). —
Stern, Milton u. s. Z. I. 1. 5
(3ß Briefwechsel mit Diodati.
Kichts erklärlicher, als dass der junge Dichter, in Erinnerung
an ein fanatisches Unternehmen, das noch heute im Gedächtnis
der Nation fortlebt, alle Befürchtungen und die ganze Leiden-
schaft eines schwarzsichtigen Puritaners in seinen Versen zum
Ausdruck bringt. Für den Pabst ist ihm keine Beschimpfung
zu stark (s. v. 75.), in einem der vier schon erwähnten Epi-
gramme, die sich auf denselben Gegenstand beziehen, nennt
er ihn, dem theologischen Jargon der Zeit folgend: „Das
Thier".
Glücklicher Weise sind die angeführten Gelegenheits-Ge-
dichte nicht die einzigen, welche uns aus diesen ersten Univer-
sitäts-Jahren Milton's aufbewahrt sind, und insoferne es auf
das biographische Interesse ankommt, wird das, was sonst
aus dieser Zeit vorhanden ist, zum Einblick in das Werden
und Wachsen des Dichtergeistes weit dienlicher sein als das
Genannte. Es ist vor allem der Freundschaftsbund mit Dio-
dati, der Milton einige der kostbarsten Perlen seiner lateini-
schen Poesie abgewonnen hat. Diodati hatte, bei weitem jünger
als der Freund mit vierzehn Jahren (1622), die Pauls-Schule
verlassen und die Universität Oxford bezogen. Aber die Ver-
bindung zwischen den beiden Jugendfreunden blieb ununter-
brochen bestehn, auch zu der Zeit, als Milton gleichfalls auf
die Hochschule abgegangen war. Durch die Ferien konnten
beide in London zusammengeführt werden, und in der Zwischen-
zeit musste der Briefwechsel die Gegenwart ersetzen. Man
besitzt noch zwei Briefe Diodati's an Milton, merkwürdiger
W^eise in griechischer Sprache geschrieben (^). Der erste dieser
Briefe lässt sich auch nicht annähernd datiren, sehr möglich,
dass er zu einer Zeit geschrieben wurde, da beide Freunde
in den Ferien in London waren. Es ist in dem Briefe die
Rede von einem zwischen ihnen besprochenen Ausflug, den
nur das eingetretene stürmische und unbeständige Wetter hin-
auszuschieben zwingt. Diodati fordert aber in nmnterer Laune
den Freund auf für morgen guten Muthes zu sein und eine
heitrere Stimmung anzunehmen als gewöhnlich, da am folgen-
den Tage sicher alles, Luft, Sonne, Fluss, Bäume und Vögel,
P>dc und- Menschen, lächeln wird. Dieselbe anheiternde
Erste Elegie. 67
Pylades-Natur zeigt Diodati in dem zweiten Briefe. Er schil-
dert seinen zeitigen Aufenthalt, offenbar einen Land-Aufenthalt,
den Zauber des Frühlings, die Blüthen-Fülle und den Gesang
der Vögel. Nur eins fehlt ihm zu seinem Glück, eine be-
freundete Seele. Er sehnt sich nach Milton : „Aber du Wunder-
barer, warum verschmähst du die Gaben der Natur, warum
fesselst du dich Tag und Nacht an deine Bücher und Studien ?
Lebe, lache, geniesse der Jugend, der Stunden ... In allem
andern, glaub' ich, stehe ich dir nach, nur darin bin ich dir
voraus, ein Mass im Arbeiten zu kennen" . . .
Man wird schwerlich irren , wenn man in Milton's erster
lateinischer Elegie die Antwort auf diesen zweiten Brief findet.
Diese Elegie ist gleichfalls im Frühling, höchst wahrscheinlich
1626, geschrieben, aus ihr würde erhellen, dass Diodati sich
damals in Cheshire aufhielt (^). Das Gedicht ist in London
verfasst, unter eigeuthümlichen Umständen, über die noch zu
berichten sein wird. Nur soviel sei schon hier erwähnt, dass
der Aufenthalt in der Hauptstadt, fern von den Studien des
College, nicht ganz freiwillig war. Aber der Dichter ist keines-
wegs geneigt, dies zu beklagen. „Hier darf ich, ruft er
Diodati's Frage beantwortend aus, meine Müsse den gefälligen
Musen widmen, und die Bücher, die mein Leben sind, fesseln
mich völlig. Aber den Ermüdeten nimmt der pomphafte Ptund-
bau des Theaters auf, und die geschwätzige Bühne lockt mich
zu ihren Beifallsrufen." Nun folgt in genialer Verkürzung
eine Zusammenfassung der Bühnen-Stofife aller Zeiten, wobei
der klassisch Gebildete doch vorwiegend antike Muster wählt.
Die uralten Typen des Lustspiels werden skizzirt: Der junge
Verschwender, der Process-frohe Anwalt, der verschlagene
Sklave, der dem verliebten Sohn gegen den betrogenen Vater
hilft, das Mädchen ; das sich zum ersten Mal fragt, ob, was
sie empfindet, Liebe sei oder nicht. Aber daneben verlangen
auch die Gestalten der Tragödie ihr Recht, sei's dass der
unglückliche Jüngling hinsinkt, eh' er vom Liebesgenuss ge-
kostet, sei's dass der Rächer eines furchtbaren Verbrechens
wieder aus der Unterwelt aufsteigt und die schuldbeladenen
Seelen erschüttert (^), sei's dass das Haus des Pelops oder des
5*
ßg Siebente Elegie.
edlen Ilos wehklagt, sei's dass Kreon's Palast der Ahnen Blut-
schande büsst. Aber nicht allein die Stadt und ihre Freuden
fesseln den Dichter. Der Frühling lockt ihn in den nahen
Ulmen-Hain und zu den schattigen Spaziergängen der Vor-
stadt. Der Betrachtung, die sich hier anschliesst, sind wir
bis jetzt bei Milton noch nicht begegnet. „Dort kannst du
oft, gleich mildscheinenden Sternen, die Schaar der Mädchen
vorüberwandeln sehn; ach, wie oft hat mich das Wunder einer
schönen Gestalt entzückt, würdig Jupiters Zeitalter zu erneuen,
wie oft habe ich Augen gesehn, heller strahlend als Edelsteine,
und Nacken weisser als die elfenbeinerne Schulter des Pelops,
und edle Stirnen und fliegendes Haar, Amors goldnes Netz . . .
Zurück ihr oftgerühmten Herolden, ihr Mädchen Persiens . .
und ihr Nymphen Griechenlands . . der erste Preis gebührt
den Jungfrauen Britanniens. Du thurmgekröntes London
schliesst in deinen Mauern alle Schönheit der Erde ein."
Ganz dazu gemacht, die allgemeinen Andeutungen dieser
jugendlichen Stimmung zu ergänzen, erscheint die ohne Zweifel
zwei Jahre später, im Mai 1628 abgefasste siebente lateinische
Elegie. Der Schauplatz, auf den uns der Dichter führt, ist
wieder jene Villen-umkränzte, ländliche Umgebung Londons,
„wo die Bürger lustwandeln" (')• Wieder wallt die dichte
Schaar der Göttinnen vorüber, aber dies Mal steht Milton
nicht als kritischer Beschauer der wundervollen Formen, welcher
Vergleiche mit den antiken Heroinen seiner Lektüre aus-
malt. Ihm geschieht wie Dante. Amor, dessen Pfeile bisher
stets von seiner Brust abgesprungen waren, den er immer mit
bittrem Spott verjagt hat, ist diesen Morgen schon dem Lager
des Dichters mit höhnenden Worten genaht, jetzt führt er
dem Umherwandernden eine liebliche Venus gleiche Gestalt
entgegen, und fortan ist es um seine Ruhe geschehn. Er ist
von dem Gotte besiegt: „Nimm', nein lass mir diese Gluthen,
ach jeder Verliebte fühlt süssen Schmerz. " Für die Erkennt-
nis der jugendlichen Geistes-Bildung Milton's sind uns diese
beiden Elcgieen von unschätzbarem Werth. Was seinem Alter
und seiner Phantasie natürlich wai-, bricht durch die Sprache
Ovid's und TibuHs mit unmittelbarer Lebendigkeit durch.
Briefwechsel mit Young. QQ
Freilich war, auch nach Diodati's Charakteristik, der Sinn des
Dichters vorwiegend ein ernster, auf strenge Gelehrten-Arbeit
gerichtet. Aber der Jüngling, der die Nacht bei seinen
Büchern heranwacht, der von allem Hass gegen das römische
Priesterthum durchglüht ist, will sich vor dem Schönen in
Natur und Kunst nicht klösterlich abschliessen. Gleich weit
entfernt von mönchischer Askese, wie von höfischem Leicht-
sinn, sucht er sich schon früh zu dem Ideal des Menschen
heranzubilden, dem keine Seite des Lebens unnahbar ist, weil
ihre Verbindung erst eine* ganze Natur machen kann. Wir
mögen gern glauben, dass der heitre Sinn Diodati's auf die
geistige Richtung INIilton's auch aus der Ferne nicht ganz un-
bedeutend wirkte, fast scheint es, als sei auch diese Elegie
gerade für das Auge des Freundes bestimmt gewesen, wie
um ihm zu beweisen, dass der Autor doch nicht ganz in sei-
nen Büchern vergraben sei(^).
Diodati war nicht der einzige der alten Freunde, mit
welchem Milton auch während seiner cambridger Epoche den
Zusammenhang erhielt. Endlich wurde sein früher ausgespro-
chener Wunsch erfüllt: Thomas Young, der Lehrer seiner
Jugend, kehrte aus dem kriegdurchtobten Deutschland in die
Heimat zurück. Ein gewisser John Howe, welcher in Stow-
market, in der Grafschaft Suffolk, wohnte, präsentirte den
Kapellan der englischen Gemeinde zu Hamburg, den man in
der Heimat noch nicht ganz vergessen hatte, als Vikar der
vereinigten Pfarreien St. Peter und St. Mary in Stowmarket.
Young zögerte nicht anzunehmen, zumal die Pfründe die für
die damalige Zeit sehr anständige Höhe von 300 ^. erreichte.
Am 27. März 1628 wurde er in sein Amt eingesetzt, welches
er bis zu seinem Tode inne hatte (2). Milton brauchte sich
nun nicht mehr über die Fülle der Meere und Berge zu be-
klagen, die sich zwischen ihn und seinen Freund drängten.
Die Gelegenheit diesen wiederzusehn war leicht und wurde
ohne Zweifel mehr als ein Mal benutzt. In einem Brief vom
21. Juli 1628 verspricht er noch für den Sommer seinen Be-
such, in Beantwortung einer an ihn ergangenen Einladung (^).
Noch heute zeigt man in Stowmarket, nicht weit vom Pfarr-
70 Briefwechsel mit Gill. — John Cleveland.
hause, einen Maulbeerbaum , den der Dichter der Sage nach
geptianzt haben soll, wie denn ein anderes Exemplar von
gleich erlauchtem Ursprung im Garten von Christ -College
nicht fehlen darf.
Dass auch das Verhältnis zu Alexander Gill, dem Sohne,
das alte blieb , wird uns durch zwei Briefe aus dem Jahre
1628 bezeugt (^), und am Ende dieses zweiten finden wir so-
gar die deutlich ausgedrückte, sehr beachtenswerthe Klage,
wie wenig sich Milton im ganzen durch die Genossen des
College angesprochen fühlte. „Wahrhaftig, schreibt er, bei
uns ist, soviel ich weiss, kaum einer oder zwei, der nicht der
Philologie und Philosophie gleich baar und unkundig ohne
Federn zur Theologie hinflöge, zufrieden sie auch nur so oben-
hin zu Studiren, soviel eben genügen mag, um ein Predigt-
chen , so gut es gehn will , zusammenzuleimen und mit ge-
stohlenen , abgetragenen Lappen zu flicken. Es ist wirklich
zu fürchten, dass allmählich unter unserm Klerus jene pfäffi-
sche Unwissenheit eines früheren Zeitalters (sacerdotalis illa
superioris saeculi ignorantia) einreisst. Ich finde in der That
fast gar keine Studiengenossen und würde gewiss nach Lon-
don blicken, wenn ich nicht während dieser Sommer - Ferien
mich in eine tiefe literarische Müsse zurückzuziehn und mich
sozusagen ganz in der Festung der Musen einzugraben ge-
dächte."
Zum Glück für den Schreiber dieser schwermüthigen
Zeilen gab es unter seinen Kameiaden doch einige, welche
von jener beschämenden Hegel auszunehmen waren. Im Jahre
1627 am 4. Septbr. nahm Christ-College einen vierzehnjährigen
Ankömmling auf, dessen Name in späteren Jahren eine Zeit
lang sicher in der Geschichte der englischen Tages -Literatur
berühmter war, als der seines von denselben Mauern um-
schlossenen Genossen Milton. Es war John Cleveland, der
Sohn des Pfarrers zu Ilinckley in Leicestershire(=^). Seine
scharfe Satyre', seine unläugbare Redner- und Dichter -Gabe
machten ihn weit und breit bekannt, im Bürgerkrieg war er
einer der ersten literarischen Vorkämi)fer der royalistischen
Sache. Man möchte vermuthen, dass seine Art zu denken
Die Brüder King. — Gedicht: „Naturam nou pati senium". 71-
und ZU dichten derjenigen John Milton's schon frühe wenig
entsprechend gewesen sei, doch hat man im Auge zu behalten,
dass beide in der Jugend als Mitglieder desselben College in
enge Verbindung kamen.
Schon vor Cleveland im Jahre 1626 am 9. Juni wurden
zwei Brüder vornehmen Standes in das Christ- College auf-
genommen und der Sorge Chappell's übergeben, von denen
der eine nachweisbar Milton sehr nahe trat. Es waren die
Söhne des Sir John King, Sekretärs für Irland, Roger und
Edward, beide in Irland -geboren , aber unter dem bekannten
Pädagogen Farnaby in London erzogen ('). Roger, dam.als
sechzehnjährig, stand Milton an Alter näher, sehr möglich,
dass er ihm auch bald ein vertrauter Gefährte wurde , be-
zeugt ist dies nur von dem jüngeren, damals vierzehnjährigen
Edward King. Durch besonders hervorragende geistige Eigen-
schaften scheint sich dieser nicht eben ausgezeichnet zu haben.
Was wir von seinen schulmässigen poetischen Schöpfungen be-
sitzen: Lateinische Gelegenheits -Verse zur Feier der Geburt
königlicher Prinzen und Prinzessinnen, zur Beglückwünschung
des Königs nach der Rückkehr aus Schottland 1633, sodann
einem College - Drama vorgesetzte Strophen : Alles dies scheint
nicht auf ein feines poetisches Gefühl hinzuweisen. Doch
giebt Milton später dem Freunde ausdrücklich das Lob: „Er
wusste selbst zu singen und den stolzen Reim zu formen".
(Lycidas. V. 10. 11.)
Es wäre von Interesse, neben den Erwähnten den Namen
noch eines der College - Genossen zu erfahren, zu welchem
Milton in vertrautem Verhältnis stand. Es muss einer der
Aelteren gewesen sein, ein Fellow, und er muss sowohl das
Talent Milton's wie dessen Geneigtheit gekannt haben, es
andern zu Gefallen zu verwenden. In dem schon erwähnten
Brief an Gill vom 2. Juli 1628 (s. o. S. 42) bemerkt Milton:
„Ein Mitglied unseres College, welches bei der philosophi-
schen Disputation an den akademischen Comitien (Commenc-
ment) als Respondent aufzutreten hatte, musste nach jährlich
wiederkehrender Sitte ein Gedicht über die streitigen Fragen
verfassen. Da er selbst aber schon lange über diese leichten
72 Gedicht: „Naturam non pati senium".
Spielereien erhaben und ernsteren Dingen zugewandt ist, so
betraute er meine Jugend mit der Aufgabe. Ich sende dir
nun das Gedruckte." Zu den FormaUtäten dieses jährlichen
Coramencments gehörte, dass lateinische Verse über die These
des jeweils auftretenden Respondenten von den Pedellen unter
die Zuhörer vertheilt wurden. Nun war es zwar an der
Tagesordnung, lateinische Verse zu machen, aber dem einen
flössen sie doch leichter von der Feder als dem andern, Mil-
ton half also einem älteren Genossen aus der Noth, und noch
dazu in ziemlicher Ueberstürzung, da ihm die Zeit zur Ab-
fassung knapp zugemessen war. Doch merkt man dies der
„leichten Spielerei" nicht an. Ihr Thema wie das der auf-
geworfenen Streitfrage lautete: „Die Kraft der Natur ist nicht
in der Abnahme begriffen" (^). Wir wissen noch, was dazu
veranlasst hat, diese Frage zum Gegenstand des Streites zu
machen. Ein Jahr vorher 1627 hatte George Hakewill, da-
mals Archidiakon von Surrey, einen Trakta.t geschrieben, dessen
Titel und Motto seine Tendenz klar machten. Hakewill
wollte dem immer wieder auftauchenden Satze entgegentreten,
dass die Natur unter dem Gesetz zunehmender Erschlaffung
stehe. Er war ein Schriftsteller von nicht gewöhnlicher Be-
deutung, eine Zeit lang Kaplan des Prinzen Karl, und so
machte sein Buch einiges Aufsehn. Noch 1635 erschien eine
dritte Auflage, an Widerlegungs - Versuchen war kein Mangel,
jener Fellow von Christ-College nahm Hakewill's Ansicht wie-
der auf. Milton hatte also eine philosophische Frage zu be-
handeln und that es in würdevoller Weise, in der sich gleich-
zeitig ein grosser Schwung der Phantasie und ein festes
Vertrauen auf die Leitung eines „allmächtigen Vaters" in
edler Sprache kund geben. Das Gedicht ist zugleich deshalb
merkwürdig, weil es, soviel wir wissen, das erste Gedruckte
ist, das aus Milton's Feder hervorgegangen. Indessen hat
man vergebens einem Exemplar dieses fliegenden Blattes
nachgespürt.
Allgemeine Universitäts- Ereignisse. 73
Wir haben bisjetzt den grösseren Ereignissen, welche die
Universität Cambridge während der ersten vier Jahre von
Milton's Studienzeit in Bewegung setzten, noch keinen Blick
zugewandt, und doch fehlte es an solchen keineswegs. Der
Gegensatz der puritanischen und antipuritanischen Partei
war, wie erwähnt, auch in diesem Kreise bemerklich, und
kaum war Milton in ihn versetzt worden, so hatte er schon
Gelegenheit, Zeichen des Kampfes zu gewahren. Schon im
Januar 1625 (8. Juli) überreichte das erste Parlament Karl's I.
dem König eine Petition, "in der man sich über die Zunahme
des Pabstthums und zahlreicher Missbräuche auf beiden Uni-
versitäten beklagte und Wiederherstellung der alten Zucht
verlangte. Der König versprach in seiner Antwort vom
8. August Abhülfe durch die Vermittlung des Kanzlers. In-
dess die überstürzte Auflösung des Parlaments (12. August)
machte eine weitere Verhandlung des Gegenstandes unmög-
lich (^). Trotzdem war die Drohung nicht spurlos vorüberge-
gangen. Am 19. December 1625 wurde vom Vicekanzler und
eilf Häuptern der Colleges ein Dekret erlassen, in welchem
vor allem eingeschärft wurde, dass in Zukunft kein weib-
liches Wesen wes Alters oder Standes in einem College die
Betten in den Privatzimmern machen, sich in der Halle,
Küche oder Speisekammer aufhalten, Tischkost, Brot oder
Bier in die Studentenstuben tragen solle. Ausgenommen
von diesem Verbot waren nur die Krankenwärterinnen, auch
diese wie die Wäscherinnen sollen in reifem Alter und gutem
Ruf stehen: Frauen oder Wittwen. Junge Mädchen sollen
unter keinen Umständen Zutritt zu den Studentenwohnungen
haben ("2). Die Reform- Versuche blieben hiebei nicht stehn.
Ehe sein zweites Parlament zusammentrat, richtete Karl an
den zeitigen Kanzler von Cambridge, den Grafen von Suffolk,
einen Brief, in dem er unter Hinweisung auf die frühere Pe-
tition Suffolk aufforderte, den Vicekanzler und die Häupter
der Colleges zu einer gründlichen Betrachtung der eingeriss-
nen Missbräuche zu veranlassen. Suffolk kam diesem Befehl
nach, er beschwor die Genannten, mit aller Anstrengung, wie
ein Mann, den „l^ßg^ verbannten Pilgrim, die Disciplin", wie-
74 Buckingham und die Cambridger Kanzler- Wahl.
derheimzuführen. Aber wenige Wochen nachher am 28. Mai
machte der Tod seinen Bemühungen ein Ende(').
Es wurde somit die Neuwahl eines Kanzlers nöthig, und
diese zog die Universität sofort in die grossen Parteikämpfe,
welche damals England bewegten. Nach den Statuten war
das Recht der älteren, den Colleges angehörigen Mitglieder
der Universität (regents), den Kanzler durch Stimmenmehrheit
innerhalb der nächsten vierzehn Tage nach Erledigung des
Sitzes frei zu wählen,- unbestritten (^). Hier zeigte sich aber,
wie der mächtige Wille des Hofes die Unabhängigkeit der
Universität in Fesseln zu schlagen vermochte. Wenige Wochen
vorher hatte das zweite Parlament den lange vorbereiteten
Schritt gewagt, Buckingham, den ersten Minister, den empor-
gekommenen Günstling, der sein eigenes Interesse mit dem
des Staates zu vermischen gewohnt war, auf den sich Ehren
und Pieichthümer in verschwenderischer Fülle gehäuft hatten,
wegen der verderblichen Massregeln seiner Politik nach innen
und aussen anzuklagen. Der Riss zwischen dem König und
dem leitenden Minister auf der einen, der parlamentarischen
Opposition und der Masse des Volkes auf der anderen Seite
hatte sich in kurzer Zeit immer mehr erweitert. Der grosse
Kampf um die Macht zwischen den beiden Elementen der
Verfassung war ausgebrochen, dessen Vorposten -Gefechte
schon unter die Herrschaft Jakob's fallen. Das Parlament
gegenüber einer Regierung, die das geforderte Vertrauen
weder verdiente noch genoss, durchdrang sich immer mehr
mit dem Bewusstsein, die Leitung der nationalen Angelegen-
heiten als sein Recht zu betrachten. Weder die Beziehungen
zum Auslande noch die kirchlichen Verhältnisse wollte <es dem
Entscheide der Krone überlassen. Es verweigerte Subsidien,
die zur erfolgreichen Unterstützung protestantischer Bundes-
genossen auf dem Festlande gefordert wurden, da es nicht
im Kaiser und in der Liga, sondern in Spanien das Ziel der
Bekämpfung sehn wollte. Es nahm vor aller Bewilligung das
Recht der Untersuchung von Regierungshandlungen in An-
spruch, es forderte N'erantwortlichkeit der Minister, Besetzung
der höchsten Posten mit Männern seines Vertrauens. Der
Buckingbam uud die Cambridger Kanzler - Wahl. 75
König glaubte seine Prärogative zu veitheidigen, wenn er sich
diesen Forderungen entgegenstellte. Er fuhr fort, die aus-
wärtigen Angelegenheiten sowie die kirchlichen Angelegenhei-
ten als seine Domäne zu betrachten. Er glaubte sich für
die Weigerung von Subsidien entschädigen zu dürfen, indem
er die übhchen Zölle von Ein- und Ausfuhr (Tonnen- und
Pfundgeld), über deren Bewilligung kein Gesetz zu Stande
gekommen war , forterhob. Er deckte den Minister durch
seine eigene Person. Beide Theile beriefen sich auf Prä-
cedenzien der Vorzeit. 'Aber das Parlament hatte meist den
Vortheil, Gewohnheiten und Gesetze früherer Jahrhunderte
aufweisen und aus ihnen kühnere Folgerungen ziehen zu
können, die niemals aufgehoben, sondern durch die starke
monarchische Gewalt des 16. Jahrhunderts, der man in kri-
tischen Zeiten vertraut hatte, zurückgedrängt waren. Gegen
Buckingham kam die lang verhaltene Entrüstung zum Aus-
bruch. Ein Comittee von acht Mitgliedern des Unterhauses
f_egte dem Oberhause die Anklage vor. Der König Hess am
11. Mai zwei von den Commissären, Digges, der die Anklage
eingeleitet, und Eliot, den Patrioten von grossartiger Beredt-
samkeit und Energie, der die Anklagepunkte summirt hatte,
in den Tower werfen, aber die Hartnäckigkeit des Unterhau-
ses, welches jede weitere Verhandlung weigerte, bis seine
beiden Mitglieder freigelassen seien, und das sich von den
Lords unterstützt sah, zwang ihn nachzugeben. Es hiess dem
Parlament einen Schlag in's Gesicht versetzen, wenn der Kö-
nig jetzt zu Wege bringen konnte, dass der verfolgte Minister
von einer der beiden Landes -Universitäten zum Kanzler er-
wählt wurde. — Unvermuthet traf Dr. Wilson, ein Kaplan
des Bischofs von London , in Cambridge ein. Er brachte
bloss den mündlichen Auftrag, die Wahl des Herzogs sei der
Wunsch und der Wille seiner Majestät. Die Universität ge-
rieth in die grösste Aufregung. In einer Versammlung der
Kollegial- Vorsteher kam es zu hitzigen Berathungen, die
Mehrzahl war bereit, sich dem Willen des Königs zu fügen,
andere warfen ein, Wilson's Vollmachten seien ganz ungenü-
gend, man werde sich in Widerspruch mit dem Parlament
76 Buckingham und die cambridger Kanzler- Wahl.
setzen, ewige Schande auf sich laden und der Universität
wegen ihrer kriechenden Gefügigkeit die allgemeine Verach-
tung und den allgemeinen Hass zuziehn. Wenigstens möge
man die gesetzliehe Frist von vierzehn Tagen abwarten. Um
alle Hebel anzusetzen , langte der Bischof von London in
eigner Person an, zugleich Mason, der Sekretär des Herzogs,
und ein Brief des Bischofs von Durham des Inhalts, dem
König werde die Wahl des Herzogs sehr angenehm sein.
Nun wurde eine förmliche Maschinerie des Bearbeitens in
Bewegung gesetzt. Der Bischof wirkte auf die Masters, diese
auf die Fellows. Als der Wahltag (1. Juli) herankam, flohen
viele aus der Stadt, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden.
Die Minorität hatte in letzter Stunde einen Gegenkandidaten
aufgestellt in der Person des Grafen von Berkshire, eines Soh-
nes des letzten Kanzlers. Indessen der Herzog siegte, wenn
auch mit kleiner Majorität. Die antipuritanische Partei
triumphirte, in Clare-Hall wurden am Abend grosse Festlich-
keiten bereitet. „Was wird das Parlament zu uns sagen,
schreibt Meade , haben unsre Abgeordneten in ihrer dem
Oberhaus zugesandten Anklage- Akte den Herzog nicht ver-
urtheilt ? "
In der That fühlte das Unterhaus die Beleidigung sehr
wohl und äusserte sich unwillig über die ihm angethane
Schmach. Es fasste den Beschluss, dass eine Deputation der
Universität über den Hergang der Wahl gehört werden sollte,
aber der König setzte sein Verbot entgegen, da der Univer-
sität Freiheit der Wahl gebühre. Am 15. Juni wurde auch
dieses Parlament, da es auf der Entlassung des Ministers be-
stand, aufgelöst. Buckingham seinerseits schrieb der Univer-
sität einen Dankbrief und cntliess den Abgeordneten der
akademischen Körperschaft mit einei* Ehrenkette. Auch
Karl I. versicherte die Universität seiner königliclien Billigung.
Der Herzog hatte durch die neuerlangte Würde nicht an
llulnii gewonnen. Aus dem Ende des Jahres 1626 scheinen
einige sehr deutlich auf ihn gemünzte Verse zu stammen,
die sich in Mcade's Korrespondenz vorfinden und vielleicht in
Buckingham's Politik. 77
seinem College entstanden sind(>). Sie zeigen drastisch, wie
die Stimmung gegen Buckingham war.
Ueberlegt man, welche abenteuerlichen Pfade Bucking-
ham's Politik auf's neue eingeschlagen hatte , so wird man
diese Verurtheilung nicht zu hart finden. Buckingham War
nicht der Verbrecher, der „Sejanus" , als welchen ihn EHot
gebrandmarkt hatte. Aber er hatte keine der Eigenschaften,
die ihn zur Leitung eines grossen Staatswesens befähigt haben
würden. Im Inneren zog er ein System schmählicher Günst-
lingswirtschaft gross , nTich aussen zeigte er sich als ein
politischer Dilettant. In seinen eben so ehrgeizigen wie un-
klaren Plänen sich an die Spitze eines grossen kriegerischen
Unternehmens zu Gunsten des Protestantismus zu stellen, riss
er den König zu den thörichtsten Abenteuern hin und opferte
nutzlos die kostbarsten Kräfte des Landes. Nicht genug, dass
alle Unternehmungen gegen die österreichisch -spanische Mo-
narchie gescheitert waren, er brach auch mit Frankreich.
Die Ziele Frankreichs und Englands waren schon in dem
Augenblick, da die beiden Königshäuser sich verbanden, sehr
verschiedene gewesen, und vieles kam zusammen, eine rasche
Entfremdung beider Mächte herbeizuführen. Unerquickliche
Streitigkeiten über den französischen Hofhalt der jungen Kö-
nigin, die Unmöglichkeit offen zu bekennen und durchzufüh-
ren, was in geheimer Abrede zu Gunsten der englischen
Katholiken versprochen war, Wegnahme französischer Schiffs-
ladungen, die, für spanische Häfen bestimmt, als Contrebande
betrachtet wurden: Alles dies hatte zusammengewirkt, eine
gereizte Stimmung des französischen Hofes gegen England
hervorzurufen. Der Versuch Karl's L, sich zum Protector der
Hugenotten aufzuwerfen, diente nur dazu, deren Lage zu ver-
schlimmern und Louis XIII. wie Piichelieu gegen die Kühn-
heit fremder Intervention zu erbittern. Im Anfang des Jahres
1627 war der Bruch zwischen Frankreich und England ent-
schieden. Buckingham trug sich mit den grössten Hoffnungen.
Während in England ein Zwangs -Anlehen wachsendem Wider-
stand des Volkes begegnete, gedachte er durch Befreiung
des heldenmüthigen Rochelle sich die Herzen seiner Lands-
78 Buckiugham's Besuch in Cambridge. — Der König in Cambridge.
leute zu^ücl<zuge^Yinnen und durch einen grossen Erfolg alle
Ungesetzlichkeiten und Gewaltsamkeiten der Regierung zu
rechtfertigen. Ehe er sich selbst auf den Kriegsschauplatz
begab, hielt er sieh für verpflichtet, die Universität Cambridge
mit seinem Besuche zu beehren und seine neue Würde officiell
anzutreten (3. März 1627). Wiederum konnte Milton Zeuge
der einer gelehrten Körperschaft so wenig anstehenden Unter-
würfigkeit sein, mit der sie einen ihr aufgezwungenen Kanzler
empfieng. Die Glocken läuteten, die Festlichkeiten und Ban-
kette folgten sich, der Herzog selbst bezeigte sich gegen
jedermann ungemein gnädig. Man möchte vermuthen, dass
Bainbrigge, der Master von Milton's College, nicht der letzte
der unterthänigen Schmeichler war(^).
Im Frühhng des folgenden Jahres (1628) empfieng die
Universität einen noch höheren Gast. Der König, damals in
der Nähe auf der Jagd, kam nach Cambridge, wie es scheint
ohne jedes Gepränge und nur flüchtig (^). Bainbrigge war
Yicekanzler des Jahres, schon vorher hatte er die Ehre, vor
dem König zu predigen, auch hier wieder konnte Milton die
Charaktere seiner nächsten Umgebung studiren.
Aber inzwischen war die Expedition Buckingham's, welche
Rochelle befreien sollte, gänzlich gescheitert, kostbares eng-
lisches Blut war umsonst geflossen, die eingeschlossenen Hu-
genotten waren hülfloser als je. Man kann sich vorstellen,
welchen Eindruck diese Unglücks -Nachrichten in Cambridge
hervorriefen , wie sie in den einzelnen Colleges , sei es mit
Furcht, sei es mit Zorn, besprochen wurden. Meade berichtet
davon am 17. November, in dem Augenblick, da alle Glocken
zum Andenken an die Königin Elisabeth läuteten. In der
That lag es sehr nahe, Vergleiche zu ziehn zwischen dem
ruhmreichen Regiment der grossen Königin und dem schimpf-
lichen Regiment des unfähigen Ministers (^). Dieser so gut
wie der König war entschlossen, die unlieilvolle Bahn, die
sie betreten hatten, nicht zu verlassen. Aber es gab imr eine
Mögliclikeit, die fiir die Kriegführung nötliigen Mittel zu be-
scJuiilen. Devote Predigten hatten das Zwangsanlehen empfoh-
len, zahli-eiche Verhaftungen Widerstrebender waren vor-
Scheitern der Expedition nach Rochelle. — Petition of Right. 79
gekommen, andere waren zur Strafe mit Einquartierung
bedacht oder zum Dienst auf der Flotte gepresst worden.
Aber kein Zwang konnte zur Deckung des vorhandenen De-
ficits, geschweige denn zur Beschaffung der nöthigen Summen
dienen. Die Stimmung der Bevölkerung w^urde immer be-
denklicher, es blieb nichts übrig, als auf's neue ein Parlament
zu berufen.
Während alle Beschwerden des Volkes und die ganze
Leidenschaft der Opposition hier zum Ausdruck kamen und
in der Petition of right niedergelegt wurden (7. Juni 1628),
rüstete der als „Wurzel und Quelle alles Unheils" bezeich-
nete und verwünschte Buckingham einen neuen Kriegszug zur
Befreiung Rochelles. Selbst inmitten dieser Geschäfte hatte
er als Kanzler mit der Universität Cambridge zu verhandeln.
Zwischen dieser und den londoner Buchhändlern war ein
Streit ausgebrochen über das der Universitäts- Presse aus-
schliesslich zustehende Recht gewisse Bücher zu drucken.
Bainbrigge als Vicekanzler dankte dem mächtigen Herzog für
seine Unterstützung in dieser Angelegenheit (7. Juli 1628),
und der Ton seines Schreibens kann als ein Muster des höfi-
schen Stils jener Tage gelten. Wie man dem Könige gegen-
über in der Sprache niedriger Schmeichelei seine Loyalität
zu beweisen sich bestrebte, so auch gegenüber dem allmäch-
tigen Minister. „So lange wir Euch anschauen, ßo lange wir
Eure Kniee umfassen, achten wir die Wuth der Sterblichen
gering". Die Antwort des Herzogs vom 30. Juli bewegte
sich in sehr gnädigen Ausdrücken: „Er habe die Anstalt der
Gerechtigkeit seines königlichen Herrn und dem Wohlwollen
einiger Freunde empfohlen, dort werde sie Schutz finden,
wohin ihn auch immer der Befehl seines Herrn und das Wohl
des Staates rufen werde" (^).
Drei Wochen später (23. August) in Portsmouth, wo die
letzten Vorbereitungen des Kriegszuges gemacht wurden, traf
den Herzog in der Halle seines Hauses der Mordstahl Fel-
ton's in's Herz. Nicht nur das Gefühl der Privatrache
wegen einer erlittenen Zurücksetzung , auch der Fanatismus
politischer Leidenschaft hatte die Hand des Mörders geführt.
30 Ermordung Buckingham's. — Process Gill's.
Noch im Tower verharrte er bei der Ansicht, dass seine That
der Kirche und dem Staate Gutes bringen und von Gott ver-
geben werde, und die Masse, die sein Gefängnis umdrängte,
rief ihm Worte des Trostes und der Ermuthigung zu. War
dies Ereignis erschütternd genug, als dass es spurlos an Milton
hätte vorübergehn können, so kam auch ein persönliches Mo-
ment hinzu, welches sein höchstes Interesse an den Tod des
Herzogs zu fesseln im Stande war. Milton's Lehrer und Ver-
trauter, Alexander Gill, der jüngere, hätte bei dieser Gelegen-
heit beinahe sein Vermögen und seine Ohren eingebüsst. Eine
lose Zunge scheint er immer gehabt zu haben, aber damals
war es gefährlich, dieser freien Lauf zu lassen, da Laud und
die Sternkammer eine schneidende Censur übten, Gill stand
in lebhaftem persönlichen und brieflichen Verkehr mit einer
Anzahl von Freunden in Oxford , mit William Grinkin M. A.
in Jesus College, M. Pickering von Trinity College u. a. Kurz
nach der Ermordung des Herzogs stattete Gill seinen Oxfor-
der Freunden wieder ein Mal einen Besuch ab ; man verkehrte
im Garten, im Keller von Trinity College, in Pickering's Zim-
mer und schwatzte über die Dinge in Staat und Kirche. In
der Weinlaune entschlüpften Gill die Worte, der König sei
mehr dazu gemacht, in einem Laden in Cheapside zu stehn
mit einem Schurzfell angethan und zu sprechen: „Was steht
zu Befehl", als ein Königreich zu regieren, der Herzog sei
zur Hölle hinabgestiegen, um dort Jakob zu begegnen, und,
indem er Felton's Wohl ausbrachte, er sei traurig, dass Feiton
ihn der Ehre beraubt habe, eine so tapfere That auszuführen.
Wer auch der Angeber gewesen, und es scheint fast, als habe
der später so berühmt gewordene Chillingworth diese traurige
Rolle gespielt (^), Laud bekam von diesen „vaterlandsverräthe-
rischen Aeusserungen" Wind. Eines Tages (6. September)
wurde Gill aus der Pauls -Schule abgeholt, in das Gefängnis
von Westminster geworfen und von Laud inquirirt. Der Ge-
fangene gestand fast alles ein, aber nun wurden auch seine
Oxforder Freunde in den Process verwickelt. Bei Pickering
wui'd eine Haussuchung vorgenommen, zahlreiche Briefschaften
von Gill und solche ohne Unterschrift aufgefunden , in denen
Bestrafung Miltou's in Cambridge. 81
man verdächtige Anspielungen fand. Damals wurde wohl
auch ein Gedicht GilFs mit Beschlag belegt, welches aus einer
Epoche stammte, da der Herzog noch lebte, das aber freilich
von den bittei'sten Schmähungen gegen ihn erfüllt war. Auch
auf Grinkin lenkte sich der Verdacht. Am 6. November stand
er mit Gill vor der Sternkammer. Gill wurde dazu ver-
urtheilt, seine kirchlichen und akademischen Grade zu ver-
lieren , ein Ohr in London , das andere in Oxford sich ab-
schneiden zu lassen, 3000 £ zu zahlen und auf unbestimmte
Zeit in Haft zu bleiben. Nur die Thränen seines alten Vaters,
und dessen kniefällige Fürbitte beim König, wie versichert
wird, auch Laud's und des Grafen von Dorset Vermittlung
vermochten sein Loos zu mildern. Nachdem er zwei Jahre
lang gesessen hatte, erliess ihm 30. November 1630 königliche
Gnade die weiteren Strafen an Freiheit, Leib und Vermögen (^).
Wenn im Vorhergehenden die Ereignisse zusammen ge-
fasst sind, welche während der ersten vier Jahre von Milton's
Studien ihn in der Nähe und aus der Ferne berührten, gleich
geeignet, ihn dann und wann zu selbstständigen schöpferischen
Leistungen aufzufordern wie sein ürtheil über die INIenschen
seiner Umgebung und hervorragende Charaktere der -Zeit
zu bilden, so bleibt noch ein rein persönlicher Vorfall zu er-
wähnen, über welchen vielleicht von jeher mehr geforscht und
geschrieben worden ist als über irgend einen andern Punkt sei-
ner Lebensgeschichte. Namentlich seit Johnson, offenbar von
Partei - Ansichten geleitet, das Andenken des Menschen Milton
zu verunglimpfen strebte, während er das Andenken des Dich-
ters so ziemlich bestehen Hess, hat sich in das Für und "Wider
der Frage eine Leidenschaft gemengt, die wenig geeignet wai",
die Untersuchung zu klären. Wir erinnern uns jener an Dio-
dati gerichteten Elegie, die aus dem Frühling 1626 zu stammen
schien, und in welcher der Dichter die Freuden der londoner
Spaziergänge und Theater beschreibt. In der Einleitung
dieser Elegie finden sich folgende merkwürdige Sätze, die ein
Stück Lebensgeschichte Milton's enthalten: „Mich, ruft er
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. 6
32 Bestrafung Milton's in Cambridge.
aus, schliesst gegenwärtig jene Stadt ein, welciie die Themse
mit den Wellen der Fluth bespült, und freudig lass" ich mich
vom väterlichen Heim umfangen. Wenig liegt mir jetzt am
Herzen , den schilfreichen Cam wieder aufzusuchen , und die
Sehnsucht nach meinen mir kürzlich verbotenen Zimmern quält
mich nicht (0- Die kahlen Wiesen ohne sanfterr Schatten ge-
fallen mir nicht, wie wenig passt jener Ort für die Jünger
Apollo's! Auch behagt es mir nicht, die Drohungen eines
harten Lehrers zu ertragen und anderes, dem mein
Naturell sich nicht unterwerfen mag. Wenn das
Verbannung heisst: zu meines Vaters Haus gekommen sein
und sorgenfrei sich angenehmer Müsse zu freuen: dann ver-
schmähe ich weder den Namen noch das Loos eines Verbann-
ten und geniesse das Exil mit Freuden." Hierauf folgt die
Schilderung seines zwischen den Musen und der Erholung
getheilten londoner Lebens, und erst am Schluss wird jenes
Thema wieder mit den Worten berührt: „Es steht fest,
dass ich zu den binsenumwachsenen Marschen des Cam zurück-
kehre und mich dem heiseren Gemurmel der Hochschule wie-
der nahe." Darüber kann kein Zweifel sein, dass diese Worte
sich auf etwas anderes beziehn , als einen blossen Ferien-
Besuch bei den Eltern. Zu deutlich ist von einer Verbannung
die Rede, und zugleich wird der Universität wie der Stadt
Cambridge in Ausdrücken gedacht, welche darthun, wie wenig
beide Milton's Naturell zusagten. Ferner ist zu beachten,
was über die Strenge des Lehrers, seine Drohungen und an-
deres dem Dichter Unerträgliches gesagt wird. — Am natür-
lichsten wird die Annahme erscheinen, dass Milton mit zeit-
Aveiliger Verbannung (Ilustication) bestraft wurde, und dass
ein Zwist mit einem Lehrer, vermuthlich seinem Tutor Chap-
pell, den Anlass dazu gab. Chapi)ell huldigte, wie bemerkt,
antipuritanischen Anschauungen. Man würde versucht sein,
zu vernuithen , dass die entgegengesetzte Gesinnung seines
Schülers einen Grund zu ihrem Zwist abgegeben habe, falls
dieser sich nicht anders erklären liesse. Die erwähnten Worte
jener P^.legie werden ergänzt durch einen Satz in Aubrey's
Biographie des Dichters. Hier heisst es : „His first tutor there
Bestrafung Milton's in Cambridge. 83
(in Cambridge) was Mr. Chappell, from whom receiving some
imkindnesse, (whipt him), he was afterwards, (thoiigh it see-
med opposite to tlie rules of the College), transferred to tlie
tiiition of one Mr. Tovell, who dyed parson of Lutterworth."
In diesem Satze hat das „whipt him", wie man denken
kann , von jeher den grössten Anstoss erregt. Nun ist zwar
nicht zu läugnen, dass die allgemeinen Statuten von Cam-
bridge für Jüngere diese Strafe des Schiagens mit der Ruthe
zuliessen(^), und dass sie auch in Christ - College in gewissen
Fällen gestattet war. Mit welchem Alter man in Cam-
bridge anfieng , als erwachsen betrachtet zu werden , lässt
sich nicht genau ermitteln, nach den oxforder Statuten von
1635 mit dem sechzehnten Jahr, welches Milton schon über-
schritten hatte, als er die Universität bezog. Indess die Form,
in welcher Aubrey seine Nachricht einführt, ist zu beachten.
Jener Satz kommt in einem Abschnitt vor, der auf Mitthei-
lungen von Milton's Bruder beruht, allein gerade das „whipt
him" ist offensichtlich von Aubrey später erst darübergeschrie-
ben, und dass er in dieser Anekdoten -Jägerei etwas sucht,
häufig auch Unverbürgtes aufnimmt, ist bekannt. Auch für
die Worte der Elegie „und anderes meinem Naturell Un-
erträgliches" wird sich noch eine Deutung linden lassen, die
es durchaus nicht nöthig macht, sie, wie man gethan, auf die
Thatsache der körperlichen Züchtigung zu beziehn. Keiner
der späteren Angi'iflfe gegen Milton erwähnt, dass er in Cam-
bridge jene schimpfliche Strafe erduldet habe, dagegen von
seiner zeitweihgen Verbannung wissen sie nicht nur, sondern
sie übertreiben sie und bringen sie in lebhafter Phantasie mit
ganz andern Vorfällen seines Lebens in Verbindung. Noch
in einer bekannten Schrift von 1652 heisst es: „Man sagt,
der Mensch sei, wegen seiner Schandthaten von der Univer-
sität Cambridge vertrieben, aus seinem Vaterlande geflohn
und nach Italien gegangen" (2). Soviel scheint festzustehn,
dass Milton, vermuthlich im Frühling 1626, mit seinem Tutor
Chappell einen Streit hatte, der das Einschreiten des ]\Iasters
Bainbrigge nöthig machte, dass der Dichter die Strafe der
Rustication erlitt und nicht nur die Oster -Ferien, sondern
84 Tovey Milton's Tutor. — Milton Bakkalaureus.
auch einen Theil des Mittsommer -Terms jenes Jahres in Lon-
don verbrachte, und dass er bei seiner Rückkehr in Tovey
einen neuen Tutor erhielt (^). Dieser hat ihm schwerlich
Grund zu Klagen gegeben, andernfalls wäre fünf Jahre später
wohl nicht auch Milton's Bruder seiner Aufsicht anvertraut
worden. — Man kann sich vorstellen, wie der Dichter der
Ode „Auf den Tod gines schönen Kindes" und der lateinischen
Elegieen sich in Cambridge unter den Tracy, Stuteville, Hig-
ham u. s. w. vorkam, welche selbst in den Briefen Meade's
als Muster flacher Unbedeutendheit erscheinen.
Gewiss ist, dass jene Strafe Milton keinen der gesetzlich
erforderten Terms verlieren liess, die zur Erlangung des Bakka-
laureats nöthig waren. Er erhielt diesen ersten akademischen
Grad im Jahre 1629, -26. März, zugleich mit allen denen,
welche mit ihm in's College eingetreten waren (2). Es war
dafür gesorgt, dass niemand den Grad eilangen konnte, dessen
Ansichten über die Verfassung, die Disciplin und den Ritus der
Kirche mit denen der herrschenden Macht nicht überein-
stimmten. König Jakob hatte darauf gedrungen, dass, wer
immer zum Bakkalaureat zugelassen werden wollte, vorher an
Eides Statt die drei Artikel des Canon 36 zu unterschreiben
hatte, in denen er den königlichen Supremat in geistlichen
wie in weltlichen Dingen zugab, zu gleicher Zeit ankannte,
dass das Common-Prayer-Book nichts dem Worte Gottes Ent-
gegenstehendes enthalte und für ihn verbindlich sein solle, end-
lich erklärte, sich den 39 Artikeln von 1562 zu unterwerfen (3).
Auch Milton hatte sich diesem Zwang zu fügen. Nunmehr
galt es, den nächsten Grad des Magister Artium zu erlangen
und somit in dem erforderten Triennium die akademische
Laufbahn abzuschliessen.
Fassen wir die äusseren Ereignisse dieser drei Jahre
(1629 — 32) zusammen, soweit sie Milton berülnen, und be-
achten wir vorzugsweise wieder, inwiefern sie sein poetisches
Talent in Bewegung setzten oder beeinflussten, so werden wir
über beides weniger zu sagen finden als für die ersten vier
Elegie auf den Frühling. — Elegie an Diodati. 85
Jahre seiner Studienzeit nöthig schien. Gleichsam an der
Schwelle dieser Periode begegnet man einer lateinischen
Elegie „Auf das Kommen des Frühlings", in der sich neben
einer wunderbaren Beherrschung der Sprache eine Lebhaftig-
keit des Empfindens und eine reine Freude an dem Wieder-
erwachen der Natur, freilich immer in klassischem Gewände,
kund giebt, die genugsam beweist, dass in dem „rauhen
Gemurmel der Schule" und in der Fluth sophistischer Dispu-
tationen der Mensch, der Dichter Milton nicht untergegangen
war(^). Wenige Monate" nach Abfassung dieses Gedichtes am
Commencment - Tage (7. Juli 1629) hatte Milton die Freude,
seinen Freund Karl Diodati in Cambridge zu sehn. Es war die
Sitte der Zeit, dass, wer es irgend ermöglichen konnte, wenn
er auf einer der beiden englischen Universitäten den Magister-
Grad erlangt hatte, sich nach einiger Zeit in demselben Grade
bei der andern „inkorporiren" liess. So erfolgte denn damals
in Cambridge die Inkorporation Diodati's, der am 8. Juli des
vorhergehenden Jahres in Oxford M. A. geworden war (2).
Wohin sich Diodati nun gewandt hat, ist nicht zu sagen, so-
viel ist gewiss, dass er auf dem Lande, vielleicht wieder in
Cheshire, seinen Aufenthalt nahm. Eine lateinische Elegie
jMilton's vom Ende des Jahres 1629, an den Freund gerichtet,
trägt die Ueberschrift „An den auf dem Lande weilenden
Karl Diodati" (3), und zeigt uns zugleich den fortgesetzten
lebhaften Gedankenaustausch beider Jünglinge. Diodati hatte
am 13. December dem Freunde ein Gedicht geschickt, wohl
auch eine lateinische Elegie , und ihre geringere Güte damit
zu entschuldigen gesucht, dass unter den Festlichkeiten und
Gastmählern des Decembers, zu denen ihn Freunde eingeladen,
es schwer sei, den Musen zu dienen. Der wahre Dichter
erhebt sich, und sei es unbewusst, über den äusseren Anlass
zu der Höhe allgemeiner Anschauung. So Milton in diesem
Fall. „Die Poesie, so schreibt er, und Bacchus vertragen sich
sehr wohl. Pindar's und Horazens Verse athmen die Gluth
des Weines; die leichte Elegie ruft viele Götter zu ihrer
Hülfe herbei : Bacchus, Erato, Ceres, Venus und Cupido. Aber
der epische Dichter, welcher vom Olymp, frommen Helden,
86 Ode auf ,,den Morgen von Christi Geburt".
Heroen, dem Rathschluss der Götter und dem Reich der Un-
terwelt singt, der soll massig leben; Kräuter seien seine un-
schuldige Nahrung, klares Wasser in hölzernem Becher stehe
neben ihm, er trinke aus reiner Quelle massige Züge, schuld-
los sei seine Jugend und keusch, streng sein Wandel und
seine Hand ohne Makel. So sollen Tiresias und Linus und
Orpheus und Homer gelebt haben, der den Odysseus durch
alle Versuchungen hindurchführt.
Denn den Göttern ist heilig der Sänger, Unsterblicher Priester."
Man fühlt es durch, welcher von beiden der hier unter-
schiedenen Klassen von Dichtern sich Milton's Interesse zu-
wendet. Schon in dieser frühen Epoche regt sich das später
so unverkennbar zu Tage tretende Bewusstsein von dem hei-
ligen, dem gleichsam religiösen Wesen epischer Dichtung, und
damit eng verbunden die puritanische Anschauung des Lebens,
die gerade in dem Punkt der vegetarianischen Massigkeit, in
dem sich Milton mit Rousseau begegnet, noch so vielfach in
seinen Werken auftritt (^). Der Schluss der Elegie leitet auf
ein anderes Gedicht über: „Willst du wissen, was ich selbst
thue, so höre; wir singen die himmlische Geburt des Friedens-
Königs und des glücklichen Zeitalters, das die heiligen Bücher
verheissen haben, und das Schreien des Gottes -Kindes, wel-
ches mit dem Vater das überirdische Reich regiert, unter dem
Dach des ärmlichen Stalles und den Himmel mit dem neuen
Stern und die Chöre der Engel und die Flucht der Götter
Griechenlands. Diese Gabe haben wir dem Geburtstag Christi
geweiht, jener Morgen hat sie mir vor Tagesanbruch gebracht.
In heimischen Lauten ausgedrückt, erwartet das Werk dein
Urtheil, du sollst es hören und mein Richter sein." Die An-
spielung brift't die Ode „Auf den Morgen von Christi Ge-
burt" (2), nach langer Zwischenpause wieder das erste niilton-
sche Gedicht in englischer Sprache, dem wir begegnen. Auf
vier einleitende, in grossartiger Ruhe gehaltene Strophen folgt
die Hymne, bewegter in Versmass und Ton, nicht immer frei
von unnatürliclien I>ildern und Gedankenverbindungen, häufig
wieder sehr an Sylvester-Du-Bartas anklingend, aber von einer
tiefen religiösen Begeisterung durchglüht. Die Vermuthung
Oden auf die „Besclmeidung" u. „Passion". — Komödie in Cambridge. 87
hat viel für sich, dass um dieselbe Zeit auch die beiden Oden
„Upon the Circumcision" (1. Januar) und das Bruchstück der
Ode „The Passion" geschrieben worden sind(^). Diese knüpft
in ihren Anfangs - Versen sogar geradezu an die Ode auf den
Tag von Christi Geburt an, und die gehobene Sprache in
allen drei Gedichten trägt denselben Charakter. Auch hier
fehlt es nicht an geschmacklosen Concetti, wie wenn es z. B.
von den Thränen heisst, „sie seien so geformt, dass sie in
Gestalt ordentlicher Buchstaben niederfallen würden". Aber
wie wenig der Dichter .<elbst sich über die Unreife jugend-
licher, unter dem Bann zeitgenössischer Geschmacklosigkeiten
stehender Erzeugnisse damals täuschte, beweist die Notiz,
w^elche er bei der Herausgabe der achten Strophe eben dieses
Gedichts zugefügt hat: „Der Autor Hess das Gedicht unvoll-
endet, da er den Gegenstand für seine Jahre zu hoch fand
und sich durch den Anfang nicht befriedigt fühlte".
Wenn Milton an den grossen Festtagen des christlichen
Jahres in sich selbst den Antrieb zum dichterischen Schaffen
fand , — und nichts berechtigt dazu , die angeführten Oden
als blosse College - Uebungen aufzufassen, — so näherte ihn
das Universitäts - Leben von einer ganz anderen Seite dem
poetischen Gebiet. In London hatte er sich keineswegs vom
Theater -Besuch zurückgehalten, aber auch die Universität
hatte ihre „Komödie" (-)• Bei festlichen Anlässen, Besuchen
hoher Herrschaften führten die Studenten eines College unter
Leitung eines älteren Mitgliedes, das zugleich oft der Dichter
war, vor den fremden Besuchern und der ganzen akademischen
Körperschaft dramatische Spiele auf, in denen allerdings die
lateinische Sprache vorherrschte. Mitunter wurde auch ein
Stück, für eine bestimmte Gelegenheit gemacht, später noch
öfter wiederholt, so Georg Ruggle's lateinische Komödie: Igno-
ramus: die zuerst vor dem König Jakob im März 1615 zur
Aufführung kam (3). Als König Karl im Frühling 1628 Cam-
bridge einen so flüchtigen Besuch abstattete, waren ihm zu
Ehren in der Fastenzeit theatralische Aufführungen vorbereitet
worden. Die grosse Halle von Trinity-College war ganz ge-
eignet, diesem Zweck zu dienen, von den Schauspielern er-
88 Holland u. Chateauneuf in Cambridge. — Stubbe's „Fraus honesta".
langten einige ausserordentlichen Beifall. Die „Komödie"
scheint Mittags begonnen zu haben, sie pflegte so lange zu
dauern, dass kränkliche Leute, wie Meade, das lange Sitzen
nicht aushalten konnten (').
Ein neuer Anlass, die Schauspielerkunst auszuüben, bot
sich 1629 im September, als der damalige Kanzler, Lord Hol-
land, mit dem französischen Gesandten M. de Chateauneuf
nach Cambridge kam, bei welcher Gelegenheit es an Fest-
reden und Festessen nicht fehlte. Auch Christ-College wurde
durch die Gegenwart der hohen Gäste beehrt, wir besitzen
noch die Anrede, mit der sie hier empfangen wurden. Es
war nicht ^lilton's jNIund, der die Worte konventioneller
Schmeichelei zu äussern hatte, sondern der seines Antipoden
im Dichten und Denken : John Cleveland's. Er beginnt natür-
lich mit dem „heiligen Schrecken", den die „erhabene Gegen-
wart" seiner Seele einflösst, und welcher ihn fast verhindert,
ihr Ohr zu belästigen, „wo der Rathschluss der Könige ge-
Avohnt hat". „Aber das Ansehn ist ebenso gottlos wie das
Anreden. Blitze sind in beider Augen, wenn jemand deren
Glanz anzublicken wagte, würde er vom Strahl getroÖen wer-
den" (2). Für die scenische Darstellung war vermuthlich wie-
derum Trinity- College der Schauplatz, zumal ein Fellow dieses
College, Philip Stubbe, das Thema geliefert hatte. Soweit
mir seine Komödie , betitelt „Fraus honesta" , welche schon
älteren Datums war und 1632 veröffentlicht wurde (^), nach
Auszügen bekannt ist, strotzt sie neben terenzischer Phraseo-
logie von einer Plumpheit des Ausdrucks und einer Fülle
flacher Gedanken, welche den Dichter der religiösen Oden
und Hymnen eigen angemuthet haben muss, falls er unter den
Zuschauern war('^). Die dramatische Kunst als solche schätzte
er hoch, was er .aber von dieser Karikatur der dramatischen
Kunst dachte, lässt sich mit seinen eignen Worten wieder-
geben. In dem Streit über die Frage der Kirchenverfassung,
in dem er in den Mannes - Jahren als Vorkämpfer auftrat,
wurde er persönlich von einem Gegner angegriifen und be-
zichtigt, sich in Bordellen und Schauspielhäusern herumzu-
tieiben , da er in seinen Schriften eine so genaue Bekannt-
Die Pest in Cambridge. 89
Schaft mit solchen Lokalen und ihrem Zubehör verrathe.
Milton's Antwort darauf lautete so: „Da das Hörensagen von
einem Kopfputz, einer Perrücke und einer Maske so nothwen-
dig eine Bekanntschaft mit dem Theater voraussetzt, was
hinderte mich diese zu machen? Da man in den Colleges
so viele der jungen Gottesgelehrten, und gerade die, welche
am meisten Neigung zur Gottesgelahrtheit verriethen, so häufig
auf der Bühne sehn konnte, wie sie ihre geistlichen Glieder
verzerrten und verdrehten nach allen den possenhaften und
unanständigen Gesten von" Trinculos(^), Buffos und Kupplern,
indem sie die Scham jenes Amtes, welches sie innehatten oder
doch zu erreichen im Begriffe waren, vor den Augen von
Höflingen und Hofdamen mit ihren Bedienten und „„Mam-
sells"" bloss stellten. Während sie agirten und überagirten,
war ich unter andern jungen Scholaren Zuschauer; sie hielten
sich für rechte Leute, und ich hielt sie für Narren, sie
machten schlechte Witze, und ich lachte Hohn, ihre Aus-
sprache war schlecht, und mein Gefallen war schlecht, und,
den Atticismus vollzumachen, sie blieben stecken, und ich
zischte" (2). —
Wenn der Besuch hoher Persönlichkeiten und die zu
ihrer Ehre gegebenen Feste auf kurze Zeit den Ernst der
gewöhnlichen Studien unterbrachen, so trat im Sommer 1630
eine Störung ein, die aus ganz besonderen, bedenklichen Grün-
den hervorgieng. Als 1625 kurz nach dem Ptegierungsantritt
Karl's L die Pest auf's furchtbarste in England gewüthet
hatte, war Cambridge verschont geblieben, dies Mal musste
es dem Würgengel seinen Tribut zahlen. Durch einen Sol-
daten aus Yorkshire eingeschleppt, verbreitete sich die Krank-
heit mit rasender Schnelligkeit. Schon am 23, April gab man
gedruckte Todtenlisten heraus. Die ganze Universität löste
sich auf, und in Christ -'College setzte man sich in förmlichen
Belagerungs- Zustand. Die Thore wurden verschlossen, hinaus-
gehn durften nur die Fellows, eingelassen wurde niemand
ohne Zustimmung der Mehrzahl der stiftungsberechtigten Mit-
glieder. Fleischer, Bäcker und Lichtzieher brachten ihre
Waare an das Thor, wo der Koch und der Hausmeister sie
90 Pest in Cambridge. — Gedichte auf Hobson.
in Empfang- nahmen. Alles nöthige, selbst weibliche, Dienst-
Personal erhielt im College Wohnung und Kost. Der Barbiei
war zugleich Thürhüter. Die kleine Genossenschaft, welche
zurückgeblieben war, lebte Gefangenen gleich und hoffte nur
auf den Mondwechsel, denn man glaubte, dieser bringe zur
Erscheinung, ob jemand angesteckt sei oder nicht, weshalb
auch die Verdächtigen einen ganzen Monat eingeschlossen
wurden. Meade flüchtete nach Dalham zu seinem Freunde
Stuteville, sobald er sicher war, dass seine Nähe diesen und
seine Familie nicht in Angst setze. Milton war ohne Zweifel
schon früher abgereist und hatte sich vernmthlich zu seinen
Eltern begeben. Noch am 20. Oktober, als Meade in's Col-
lege zurückkehrte, fand er nur die Fellows Tovey, Milton's
Tutor, Siddal und Power und nur einen Scholaren zu ihrer
Bedienung anwesend. Erst am 28. November fanden sich
genug zusammen, um in der Halle zu essen. Von den Be-
amten und Bediensteten des College waren acht theils selbst
von der Krankheit ergriffen worden und ihr zum Opfer ge-
fallen oder doch ihre Angehörigen, oft ihre ganze Familie.
Am 16. December erst fand die officielle Wiedereröffnung der
Universität statt, und um diese Zeit mag auch Milton zurück-
gekehrt sein. Das Elend in der Stadt Cambridge war so
gross gewesen, dass am 25. Juni eine Proklamation des Kö-
nigs zu öffentlichen Sannnlungen aufgefordert hatte. Muthig
hatte der Vicekanzler Dr. Butts von Corpus -Christ -College
auf seinem Posten ausgehalten, von allen Scholaren verlassen,
er stellte einen deutschen Arzt an für Behandlung der
Kranken in den Baracken (').
In indirektem Zusammenhang mit der Pest stand ein
Todesfall, der in Cambridge einiges Aufselm machte, hier aber
nicht erwähnt zu werden verdiente', wenn er Milton nicht zu
zwei kleinen Gedichten veranlasst hätte. Der alte Thomas
Hobson, welcher als Bote den Weg von Cambridge zur Schenke
zum Stier in London, Bishopsgate-Street, mit seinem Pferde
und seinem beladenen Wagen so oft zurückgelegt hatte, musste
während der Pest-Zeit das so lange gewolmte Geschäft auf-
geben. Aber die Ruhe bekam ihm schlecht, im Winter 1630
Gedichte auf Hobson. — Epitaph der Marquise v. Winchester. 91
auf 1631 starb er 86 Jahre alt. Nicht nur, dass er von
seinem ansehnlichen Vermögen durch Schenkung bei Leb-
zeiten wie testamentarisch einen Theil der Stadt Cambridge
zuwies für Errichtung eines Arbeitshauses, Verbesserung der
Wasserkunst etc.(^): sein Name war und ist, wie man ver-
sichert, sogar noch heute, in der Stadt und Universität
populär. Die sprichwörtliche Redensart : Hobson's choice ; this
or nothing: gilt noch jetzt. Sie schreibt sich daher, dass
jeder, der einen Gaul aus des schlauen Hobson Stall entleihen
wollte, nur den ersten cfer Thür zunächst stehenden oder
vielmehr gestellten nehmen durfte. Milton hat dem alten
Post-Boten zwei Grabschriften gewidmet, recht schwache Er-
zeugnisse seines Genius, offenbar einer flüchtigen Laune ent-
sprungen, die auch so ernst nicht genommen sein wollen.
Es lag hier so nahe alle jene kleinen Wort- und Sinn-Spiele
zu verwerthen, dass das Ende der Reise nun gekommen, der
Mangel an Ladung Hobson's Leben schmerzbeladen gemacht
habe, und indem Milton diese Gelegenheit nicht vorübergehn
liess, zeigte er doch einen gewissen Humor, dem man sonst
fast nie in seinen Gedichten begegnet (2).
Einen ganz andern Ton schlägt das kurze Zeit nachher
gedichtete Epitaphium an, in welchem der plötzliche Tod der
durch Schönheit und Geist ausgezeichneten Marquise von
Winchester (f April 1631) beklagt wird. Ben Jonson. Dave-
nant und andere beliebte Dichter widmeten dem Ereignis
ihre Verse. Milton's Gedicht, nach einigen Künsteleien im
Anfang zum zarten Ausdruck wirklichen Gefühls fortschreitend,
sieht allerdings aus, wie aus einer Sammlung von Cambridger
Versen herausgeschnitten, zu der sich für diese Gelegenheit
mehrere vereint hätten , doch hat sich bisjetzt ein solcher
Sammelband nicht finden lassen (^).
Inzwischen giengen Milton's Studien ihren ruhigen Gang
fort, nicht ohne dass er Grund gehabt hätte, sich über seine
Stellung im College einigermassen zu beklagen. Seinen Jahren
und seinem so vielfach gezeigten Talent zum Trotz hatte er
keine der einträglichen Fellow- Stellen erhalten, und er em-
pfieng eine solche weder im Sommer 1630, als einer der Fellows
92 Christ. Milton i. Christ-College. — Das Königspaar i, Cambridge,
sein Amt niederlegte, noch bei einer späteren Vakanz im College.
Sein Streit mit Chappell und seine ganze hinlänglich bekannte
Denkart mögen ihm geschadet haben, und es konnte ihn
bitter berühren, dass durch eigenmächtige Vermittlung des
Königs der viel jüngere, aber vornehme E. King jene Stelle
erhielt, ohne dass sein Verhältnis zum Freunde dadurch im
mindesten getrübt worden wäre (')• Neben King hatte Milton,
wenigstens vom Frühling 1631 an eine vertraute Seele in
seiner Nähe, nämlich seinen Bruder Christoph. ^Dieser wurde
am 15. Februar 1631 in's Christ- College aufgenommen und unter
Aufsicht Tove} 's gestellt, welcher einst statt ChappelFs der Tutor
des älteren Bruders geworden war (2). Möglicherweise wurde
]\lilton"s Aufmerksamkeit noch auf Henry More gelenkt, der
am 31. December 1631 eintrat und später, als Gründer der
platonischen Schule der englischen Philosophie der Stolz
seines College wurde (^). In diese letzte Studienzeit fiel noch
ein unterbrechendes Ereignis. Am 19. März 1632 kamen der
König und die Königin nach Cambridge. Wieder reihte sich
Festlichkeit an Festlichkeit, und die Komödie nahm darunter
nicht die letzte Stelle ein. Dies Mal machten sich zwei
Nebenbuhler den Rang streitig: Peter Hausted von Queen's
College und Thomas Randolph von Trinity College, jener mit
dem Stück „TheRivall Friends", dieser, der bekanntere Dichter,
mit den „ Jealous Lovers " ("*). Hausted setzte zwar durch,
dass seine Komödie zuerst aufgeführt wurde, aber er hatte das
Unglück mit ihr durchzufallen, möglicher Weise deshalb, weil
sie den Zuschauern zu moralisch war, sich gegen Simonie
und Missbrauch der geistlichen Gewalt richtete. Dagegen
gefielen die leichteren Verse Randolph's, die sich einem so
anstössigen Thema fernhielten, allgemein. INIilton's Gedanken,
wie wir sie nach seinem Urtheil über diese akademischen
Theater -Uebungen haben kennen lernen, mögen denen Sir
Simonds d'Ewes nicht sehr unähnlich gewesen sein. Dieser
gieng, während sie in Trinity - College ein thörichtes Stück
gaben, das den meisten der Hörer misshel, in die Bibliothek
des College und sah daselbst verschiedene alte Handschriften
an, welche ihm so viel Vergnügen machten, wie ihn die Nichtig-
Selbstmord des Yicekauzler Butts. — Milton Magister Artium. 93
keit des Hof -Wesens bekümmerte (i). Das Thema des Hau-
sted'schen Stückes konnte damals zur Zeit der Laud'schen
Kirchenherrschaft den hohen und liöchsten Personen nur
wenig gefallen; der König machte, wie es scheint, durch den
Mund des Kanzlers, Lord Holland, dem zeitigen Vicekanzler,
Dr. Butts, demselben, welcher in der Pest-Zeit so muthig aus-
gehalten hatte, bittere Vorwürfe über die Zulassung einer
solchen Komödie. Was auch sonst noch hinzugekommen sein
mag, Butts nahm sich die königliche Ungnade so zu Herzen,
dass er sich am 1 . April, am Oster-Morgen, in seinem Zimmer
in Corpus -Christ- College erhängte (-). Das war das letzte
Ereignis von allgemeinem Interesse, welches Milton in Cam-
bridge erlebte, und in diesem trat ihm am Ende seiner
Studienzeit die ganze Verwirrung der Rechts- und Moral-
Begriffe der Zeit in ihren politisch -kirchlichen Ursachen und
den aufregendsten Ergebnissen recht deutlich vor Augen.
Im Mitt- Sommer -Term 1G32 gieng das Triennium, das
er nach Erlangung des Bakkalaureats in Cambridge zu ver-
bringen hatte, zu Ende. Am Commencment-Day, dem 3. Juli,
emptieng er, zugleich mit 206 Bakkalaureaten der Universität,
den Grad des Magister Artium (^). Den Mittelpunkt dieses
jährlich wiederkehrenden Universitäts - Festes bildeten die
lateinischen Disputationen, deren Träger vorwiegend nach
bestimmten Regeln ausgewählte Mitglieder des grossen Kreises
derer waren, welche zu Magistri Artium kreirt werden sollten
(Inceptors). Ein Präsident (Moderator) leitete die Verhand-
lung, eine andere Persönlichkeit (Father) führte die Kandi-
daten ein. Gew^ohnhei tsrecht hatte die Anwesenheit eines
koncessionirten Spassmachers (Praevaricator, Varier) zur Regel
gemacht. Diesem waren an diesem Tage lateinische Witze
und Seiten -Hiebe aller Art erlaubt und er hatte den Ernst
der Feier zu erheitern (*) , ähnlich wie der Clown zum Ele-
ment des Drama's geworden war. Dabei stimmten die For-
malien in den verschiedenen Fakultäten keineswegs überein.
Die ganze Umgegend strömte in die Stadt zu diesem Festtage,
dessen Anstrengungen in einer reichen Fülle von Wein und
„roasted beef" ihren Lohn fanden. Der Feier machte die
94 Rückblick auf den Studien-Gang.
Aufführung eines geistlichen Musik -Stückes ein Ende, und
bei dieser oder ähnlicher Gelegenheit hat Milton wohl den
Gedanken jener fein empfundenen Verse empfangen, die uns
den begeistei'ten Jünger der heiligen Cäcilie offenbaren (').
Um den Grad des M. A. zu erlangen, hatte Milton wieder
jene drei Artikel zu unterschreiben, welche schon dem
Bakkalaureus vorgelegt worden waren, und nachdem dies ge-
schehn, war seine Cambridger Epoche geschlossen, die gesetz-
liche Vorschrift einer weiteren fünfjährigen Anwesenheit nach
Erlangung des M. A. Grades war schon längst in Abgang
sekommen.
Bei einem Rückblick auf das, was der Unterricht im
College und in der Universität ihm in sieben langen Jahren
geboten hatte , konnte sich der junge Milton nicht sehr be-
friedigt fühlen. Der Gesammt-Charakter der hier betriebenen
Studien bestand wesentlich in einer Verbindung von Philo-
logie mit Scholastik, wie sie durch die geistigen Bewegungen
von Humanismus und Reformation als ein Kompromiss zwi-
schen Altem und Neuem festgestellt worden war. Allerdings
scheint den mathematischen und naturwissenschaftlichen Dis-
ciplinen eine mehr bevorzugte Stellung eingeräumt worden zu
sein als es in Oxford der Fall war, aber auch dabei traf man
nicht selten eine sonderbare Auswahl der Hülfsmittel. Nach
den Statuten Elisabeth's sollte für die öffentlichen Vorlesungen
in der Arithmetik „Tonstall oder Cardan etc.", in der Geo-
metrie „Euklid", in der Kosmogra})hie „Mela, Plinius, Strabo
oder Plato ", in der Astronomie „Ptolemäus'' zu Grunde ge-
legt werden (2). Daselbst werden als Lehrbücher der Philo-
sophie genannt: „Aristoteles Problemata, Ethik oder Po-
litik, Plinius oder Plato", für die Logik „des Aristoteles
Bücher von der Auffindung der Trugschlüsse oder Cicero's
Topik". für Rhetorik „(,)uintilian, Ilermogenes oder Cicero".
Die Aut()l)iographie des Simonds d'Ewes, der sieben Jahre
vor Milton in das St. John's College eintrat und daselbst
Eückblick auf den Studien-Gang. 95
zwei Jahre verweilte, dient vortrefflich dazu, das Bild des
üblichen Studienganges zu ergänzen. Er nahm, wie er be-
richtet, aus freien Stücken an den theologischen öffentlichen
Vorlesungen Theil, desgleichen an denen über Rhetorik und
Griechisch. In seinem College wohnte er „den Problemen,
Sophismen, Deklamationen und anderen scholastischen Uebun-
gen" an, zu eigener Mitwirkung gelangte er aber wegen der
Kürze seines Aufenthaltes in Cambridge nur zwei Mal im
Disputiren und zwei Mal im Deklamiren (^). Nebenher giengen
die Studien mit dem Tutor. Die ganze Logik des Seton
wurde durchgenommen, das beliebteste Lehrbuch dieser Art,
daneben Theil e von B. Keckermann und P. du Moulin. In
der Ethik legte der Tutor Gehus (?) und einen Theil des AI.
Piccolomini zu Grunde, in der Natur -Lehre einen Theil des
J. Magirus(2), in der Geschichte einen Theil des Florus. Da-
zu traten die Privat - Arbeiten des Schülers. Er vollendete
die Lektüre des Florus und machte sieh Auszüge aus dem
Buche, die anderen erwähnten Schriftsteller las er fleissig für
sich durch. Ausserdem erwähnt er als Gegenstände des
Einzel - Studiums : Gellius attische Nächte, einen Theil von
Macrobius Saturnalien, vor allem aber Aristoteles Physik,
Ethik und Politik nebst verschiedenen Büchern über Logik.
Zur Erholung dienten in den Abendstunden Stephens' Yer-
theidigung des Herodot und Spensers Feenkönigin. Daneben
durfte der Versuch nicht fehlen, einige Oden und die Poetik
des Horaz in die ^Muttersprache zu übersetzen. Selbstständige
Essays wurden gewagt, und nach dem Muster von A. Gellius
u. a. entstanden unter der Feder des eifrigen Studenten Ex-
cerpte und Sammlungen.
Milton war mehr als der ehrenwerthe Sir Simonds d'Ewes,
seine Erziehung war eine ungemein sorgfältige gewesen, er
verweilte fast sieben volle Jahre in Cambridge, und sein Vater
sah nicht ängstlich aufs Geld. Nicht nur, dass der Unter-
richt im College bei den Tutoren und in Gemeinschaft mit den
übrigen Studien-Genossen ihm nach den hergebrachten Piegeln
zu Theil wurde, auch ausserhalb des College, besonders
während des Trienniums bot sich Gelegenheit, den Vorlesungen
96 Rückblick auf den Studien-Gang. ,
der Universitäts - Professoren zu folgen. Da lehrten Downes
und Herbert, denen beiden Creighton in ihren Stellen folgte,
Griechisch und Rhetorik, Den Lehrstuhl des Hebräischen
hatte Robert Metcalfe inne, vermuthlich gehörte auch Milton
unter die Zahl seiner Schüler (^). Es erscheint nicht unmög-
lich, dass er auch den Vorlesungen des gelehrten Holländers,
des Dr. Dorislaus, beiwohnte, dessen staatsrechtliche Theorie
sich in Milton's späteren Schriften wiederfindet. Auf eine
Stiftung des Lord Brooke hin und mit Erlaubnis des Königs
1627 nach Cambridge gesandt, um Geschichts- Vorträge zu
halten, nahm er Tacitus Annalen zu seinem Thema und
sprach bei der Gelegenheit aus, es gebe kein Recht der
]\Ionarchie, woferne es nicht in der freiwilligen Unterwerfung
des Volkes liege. Selbstverständlich gieng das nicht ohne
Rüge hin, und man bedeutete dem leidener Juristen, dass,
was in seinem Vatei"lande mit Beifall proklamirt werde, unter
(!em Scepter Karl's L keine Duldung finden könne (-)• Un-
zweifelhaft gewann Milton durch siebenjährige Studien
der Art, mit denen sich ein eiserner Fleiss ausserhalb der
Lehrstunden verband, jene umfassende Kenntnis der Schriften
des Alterthums, von der beinahe jede Seite seiner späteren
Werke Zeugnis ablegt. Schon jene Jugend-Gedichte, die der
Cambridger Epoche angehören, geben einen vollgültigen Be-
weis für seine erstaunliche Belesenheit. Er spielt mit den
Gleichnissen, mit den gesammten Anschauungen der Antike,
er zielt, häufig beinahe nur um seine Gelehrsamkeit auf den
Markt zu bringen, so absichtlich gesucht auf Namen und
Thatsachen aus dem Kreise griechischer und römischer Bil-
dung ab, dass es mitunter recht schwer ist, die uisprüngliche
Quelle aufzufinden, aus der er seine Kunde geschöpft hat.
Aber wenn die philologischen Kenntnisse, die er sich hier
erwarb, seine Anschauung erweiterten und seinen Geschmack
läuterten, konnte er sich durch jenes zweite hauptsächliche
Bildungs- Element beglückt fühlen, das Cambridge ihm bot?
Fand er, wie der junge Pvichard Baxter, vorzügliches Gefallen
„an den Büclicin der Aquinas, Scotus, Duraudus, Ockam und
ihrer Schüler", zu denen man mit gutem Gewissen manche
Milton's rhetorische Essays. — Erste College-Eede. 97
dei- Autoren rechnen konnte, die ihm in die Hand gerieben
werden ? Dünkte es auch ihn erspriesslieh sich mit den „üeti-
nitionen, Distinktionen , dem Quod sit, Quid sit oder dem
Quotuplex" u. s. w. zu beschäftigen ?(') War er stolz auf
jenen Jargon der Schule, der, wie man noch im achtzehnten
Jahrhundert klagte, einzig und allein dazu diente, end- und
nutzlose Streitigkeiten rein formaler Natur in barbarischem
Latein zu führen? (2)
Er hat selbst die Antwort darauf gegeben in einigen
Erzeugnissen seiner Feder, die noch aus den Studienjahren
stammen, ja welche durch die bestehenden VorscJiriften ge-
fordert wurden. Es sind sieben ., rhetorische Versuche", einige
jener „Probleme, Sophismen, Deklamationen und scholastischen
Uebungen'', an denen im College, wie in der Universität sich
zu betheiligen auch Milton genöthigt ward. Zuerst im Jahre
1674, dem letzten Lebensjahre Milton's, zugleich mit seinen
Privat=Briefen dem Buchhändler zu Gefallen veröffentlicht, um
das Bändchen zu füllen, und öfter ohne Sorgfalt wieder ab-
gedruckt, haben sie nur selten eine genauere Beachtung ge-
fundene^). Sie enthalten indessen nicht nur sehr schätzbare
biographische Notizen, sondern sie geben auch eine erwünschte
Aufklärung darüber, wie Milton über den Werth gewisser
Cambridger Studien dachte, und welchen Weg seine eigene Nei-
gung nahm. Um ein vollständiges Bild seiner damaligen Epoche
zu gewinnen, darf man nicht unterlassen, sie genauer zu be-
trachten. Die erste der im College gehaltenen Reden (No. 1)
gehört, wie ich glaube begründen zu können, dem Frühjahr
1628 an. Ihr Thema lautet: „Was ist herrlicher, der Tag oder
die Nacht ?"('*) Milton nimmt die Partei des Tages. Er
führt seine Aufgabe nicht ohne Geist und Phantasie durch.
Die liebevolle Ausmalung des Kleinlebens der Natur, wie der
Tag durch den Gesang der Vögel begrüsst wird, wie der
Hahn die Schläfer erweckt, wie Butterblume und Rose ihre
Kelche der Sonne öffnen und sie leise bitten, mit ihrem Kuss
die Thau-Thränen zu trocknen, dies alles, fein ausgeführt,
kündet den Dichter des „Allegro" schon voraus. Nicht min-
der gelingt ihm ein „Lied in Trauertönen von der Einsam-
stem, Milton u. s. Z. I. 1. "J
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98
Erste Collese-Kode.
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keit der Nacht", in deren Schatten sich Wüstlinge und Spieler,
Räuber und Mörder bergen, deren einziges Gutes, der Schlaf,
selbst nur ein Bild des Todes ist. Bei ^Yeitenl höher in-
dess als das sachliche Interesse dieser SchulUbung, der es an
mythologischen Gleichnissen und ^Yitzigen Wendungen nicht
fehlt, ist das biographische. Indem sich ^lilton im Beginn
der alten rhetorischen Regel erinnert , vor allem gelte es die
Gunst der Hörer zu gewinnen, beklagt er sich, dass ihm die
Lösung dieser Aufgabe wohl nicht gelingen werde. „Wie
kann ich, ruft er aus, auf euer Wohlwollen hotfen, da ich
in dieser grossen Vei-sammlung fast ebenso viele mir feindlich
Gesinnte sehe, wie ich Köpfe erblicke? So viel kann Eifer-
sucht, Vei-schiedenheit der Studien oder die Ye^•schiedenheit
der Ansichten bei Betreibung dieser Studien, auch auf der
rnivemtät, zur Erzeugung von Streitigkeiten beitragen. . .
Mchtsdestominder sehe ich, um nicht ganz muthlos zu werden,
wenn ich nicht irre, hier und dort einige, die mir still-
schweigend deutlich zu vei-stehen geben, wie sehr sie mir
wohlwollen. Deren Beffall , wie wenig ihrer sind , soll mir
lieber sein als der Beifall der zahllosen Hunderte von Uner-
fahrenen, denen Yei-stand, Kritik und gesundes ürtheil fehlt,
die sich auf einen schäumenden und wahrhaft lächerlichen
Wortschwall etwas einbilden. Nimmt mau solchen die von
modernen Autoren zusammengebettelten Lappen weg, beim
unsterblichen Gott splitternackt würden sie aussehn und nach
Verbrauch der unnützen Worte und gedrechselten Phrasen
könnten sie keinen Laut von sich geben gleich Stummen
oder den Fröschen von Seriphos'" C^). In diesem Tone werden
die „Zwerge der Rednerkunst •' noch eine Weile angegritfen,
dann tahrt Milton fort: ,,Wenn einer hier anwesend ist, der
jede Friedensbedingimg abweist und mir ewisen Krieg zu-
gescliworen hat, so halte ich es nicht unter meiner Würde, ihn
jetzt zu bitten und anzutiehu, da&s er seinen Groll einen Auiieu-
blick vergesse und ein billiger Richter dieses Stmtes sei,
denn die Schuld des Rednei"S, wenu er überhaupt schuldig,
st>ll der Güte und VortreÖlichkeit der Sache nicht schaden.
Wenn ihr aber glaubt, das Gesagte sei zu bissig uud zu
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Ferien-Eede 162S im College. — Verhältn. z. d. Kornmilitoneu. 99
bitter gewesen, so will ich bekennen, class dies in meiner
Absicht gelegen, denn der Beginn meiner Rede soll dem
ersten Grauen eines Morgen gleichen, aus dessen leichtem
Gewölk der schönste Tag hervorgeht." Hiermit wird der
Uebergang zum eigentlichen Thema, dem Lobe des Tages,
gewonnen. Die biographische Wichtigkeit dieser einleitenden
Sätze liegt auf der Hand. Alan sieht, dass Milton viele
Feinde in seinem College hatte wie es scheint von der Sorte
der hohlköpfigen Redekünstler; deren geistlose Art zu stu-
diren seinem Spott nicht' entgieng.
Indess sein Verhältnis zu diesen besserte sich, und seine
freimüthigen Worte wurden günstiger aufgenommen als er
dachte. Man erfährt dies aus einer anderen umfangreichen Rede,
die wenige Monate später, nach dem Schluss des Mitt-Sommer-
Terms, am Anfang der grossen Ferien 1628 gehalten wurde(i).
Milton hatte die Absicht, diese Ferien angestrengt fleissig in
Cambridge auszuhalten (s. S. 70), als ihm der Auftrag wurde,
nach alter Sitte die Mühen der vorangegangenen Studienzeit
durch eine festliche, erheiternde Rede abzuschliessen , oder,
wie er sich ausdrückt, seinen Fleiss ,,auf Spielereien zu ver-
wenden und neue Thorheiten auszudenken." Der Schauplatz
war wieder die Halle oder Kapelle des eignen College, aber
das Publikum bestand dies Mal aus der ganzen akademischen
Jugend, „Mich bewog, sagt Milton am Anfang seiner Rede
(No. 6), zur Uebernahme dieser Rolle, eure mir ganz kürzlich
erwiesene Freundlichkeit, meine College-Genossen; denn als
ich vor mehreren Monaten eine Rede vor euch zu halten
hatte, glaubte ich eine Arbeit von mir, wie immer geartet,
würde euch wenig gefallen, und Aeacus und Minos würden
mir mildere Richter sein als irgend einer von euch. Da
erntete ich ganz gegen meine Erwartung und Hoifnung . . .
einen ungewöhnlichen, allgemeinen Beifall selbst von denen,
welche mir sonst wegen zwiespältiger Ansichten in Betreff
der Studien ganz feindlich und gehässig gesinnt waren" (^).
lieber die Feinde in seinem College hatte sich Milton
also nicht mehr zu beklagen. Ohne Befangenheit konnte er
sich dies Mal an die Thesis, um die es sieh handelte, machen,
100 Verhältnis zu den Kommilitonen.
,.dass gelegentliche spasshafte Uebmigeu den plülosophisclien
Studien nicht im Wege stehn". Wie man bemerkt, fordert
die Aufgabe selbst den ßedner schon auf, Witz und Humor
zu entfalten, wie es der Zweck der Versammlung verlangte.
Denn besser Hess sich ja die Vereinbarkeit strengen Studiums
und munterer Laune gar nicht zeigen, als wenn diese durch
einen aufs Ernste gerichteten Geist kundgegeben wurde, der,
wie er selbst andeutet, von Haus aus zu solchen Suiten und
Schwänken gar nicht hinneigte. Er häuft daher zunächst,
vielleicht nicht ganz ohne ironische Nebengedanken, einen
wahren Bombast von Komplimenten für seine Zuhörerschaft,
welche er der des Demosthenes und Aeschiues, Hortensius
und Cicero vergleicht. Mochte dies schon die Heiterkeit er-
regen, so noch mehr der Versuch, aus der Gescliichte der
Literatur und der Staaten die These zu beweisen, wobei denn
Homer als Dichter des Frosch- Mäuse -Krieges, Sokrates als
Witzbold gegenüber Xantippe, Perikles und Philipp von
Macedonien, Caesar und Pompejus ihre Rolle spielen müssen.
Aber unter dem Scherz wird sich auch manches Körnchen
Ernst verbergen. Viele der Universitäts- Brüder Milton's
mögen ihm sehr verargt haben, dass er sich dem üblichen
Gange studentischer Denk- und Lebensweise nicht anschloss.
Er war, das musste man wissen, ein sehr selbstständig
denkender Kopf, bis tief in die Nacht brannte in seinem
kleinen Zimmer die Studir-Lampe , unerschöpflich quoll ihm
die Ader der Dichtung, was andere als rechte, würdige
Gegenstände des Studiums betrachteten, entgieng seinem Spott
nicht, und gegen die Anmassung hohler Gesellen richtete sich
seine Ironie. Er war zwar nicht der griesgrämige Puritaner,
zu dem ihn die Parteileidenscliaft kurzsichtiger Gegner hat
stempeln wollen, alier \Yie seine Studien-Neigungen, sich nicht
in der breiten Fahrsti-asse bewegten, so liess er sich auch
in den Stunden der Erliolung nicht von den Banden
studentischer Gewohnheit fesseln und hatte seine eigne Art,
sich an Welt und Menschen zu erlustigen. Wenigstens
klingt es fast wie eine Art von Selbstvertheidigung, wenn
er in einem Atliem nicht sehr respektvoll vom „Dornge-
Verhältnis zu den Kommilitonen. 101
strüpp der Logik" spricht, Witz, inite Laune, artige
Scherze dagegen preist und dann fortfährt: . . . „Wenn je-
mand aber nicht für witzig und feinsinnig gelten will, dann
nehme er es nicht übel, wenn er bäurisch und rüpelhaft ge-
nannt wird. Wir kennen eine gewisse engherzige Sorte von
Menschen recht wohl, die selbst ganz ohne Witz und Humor
sind, aber ihre Nichtigkeit und Einfältigkeit stillschweigend
für was Rechtes halten, und wenn sie irgend eine witzige
Bemerkung hören, diese sofort auf sich beziehn. Und wahr-
lich verdienen sie so behandelt zu werden, wie sie es mit
Unrecht argwöhnen, dass sie vom Spotte aller gegeisselt wer-
den, bis sie beinahe daran denken , sich aufzuhängen. Aber
dieser Abfall von Menschen soll der Freiheit einer feinen
Ironie keinen Zügel anlegen." Auch nach einer anderen
Seite theilt Milton fühlbare Hiebe aus. Die Ausschreitungen
der übermüthigen Studenten -Laune bei den Disputationen
waren von der akademischen Obrigkeit vielfach scharf ge-
tadelt worden. Im Jahre 1608 wurde verordnet, dass „jede
Possenreisserei und närrische und unpassende Spässe, die
theatralisches Gelächter hervorrufen", bei den Disputationen
am Commencment-Day vermieden werden sollten, obwohl
„gi-aziöse Witze mit gelehrter Eleganz geläutert" für die
Philosophen erlaubt und namentlich bei dem Praevaricator
erwünscht waren. Ein ähnliches Dekret war 1626 mit Bezug
auf die College- und Uni versitäts - Disputationen ergangen (^).
Die Studentenschaft auf das pochend, was ihr als gutes Recht
erscheinen mochte, nahm diese Verbote, welche die Strenge
veralteter Statuten wieder hervorkehrten, ohne Zweifel schlecht
auf. In Cleveland's College- und Universitäts-Reden kommen
offenbar mehrere Anspielungen hierauf vor(^). Ohne Zweifel
treffen ebenso Milton's Worte diese Seite: „Vielleicht sind
einige bärtige Magister hier, sehr finstere und pedantische, die
sich für grosse Catos nicht bloss für kleine Catochen halten,
das Gesicht in die Falten stoischer Strenge gelegt und mit
seitwärts nickendem Kopfe. Die klagen und wimmern, wie
doch alles heute sich verwirre und verschlechtere , dass,
statt einer Erklärung der „Pricrum" des Aristoteles durch
102 Verhältnis zu den Kommilitonen. — Prolusio.
die neugebackenen Bakkalaureaten ( '), Spöttereien und thö-
riclite Witze schamlos und unzeitig' gemacht ^vel•den, und dass
auch die heutige Uebung, die unsre Ahnen mit gutem Recht
und Takt angeordnet haben, um für die Rhetorik oder Philo-
sophie daraus eine herrliche Frucht zu gewinnen (dies ist
wohl ironisch gemeint!), seit kurzem zu einem schalen Possen-
spiel verschlechtert sei. Für diese habe ich sofort eine Ant-
wort bereit. Mögen sie erfahren, wenn es ihnen unbekannt
ist, dass die Wissenschaften kaum von fernher zu unsern
Küsten verpflanzt waren, als die Gesetze unsrer Uni-
versität zuerst gemacht wurden. Und weil die Kenntnis der
griechischen und lateinischen Sprache damals sehr wenig ver-
breitet war, so war es ganz passend, um so fleissiger und eif-
riger nach dieser zu streben und zu trachten. Wir aber,
obw^ohl wir im Moralischen den Vorfahren nachstehn, sind
doch gebildeter, dürfen diejenigen Studien verlassen, die uns
nicht viel Schwierigkeit machen und uns zu denen wenden,
die sie, wenn sie Zeit dazu gehabt, auch ergriften hätten."
Gesetze werden ja auch meistens von Haus aus mit grösserer
Schärfe abgefasst, damit sie sich allmählich dem geänderten
Zeitbewusstsein anschmiegen können. Dass aber eine ofti-
cielle Billigung dieser Scherze dem Ernst des Studiums
schade, ist nicht zu fürchten, wer ganz in diesen ,, Kindereien
und diesem theatralischen Spielwerk" aufgeht und seine Stu-
dien darüber vernachlässigt, wird weder hier wie dort etwas
leisten, denn auch zu rechtem Scherz gehört die Grundlage
ernster Arbeit.
Auf die Rede (Oratio) folgt nun das unterhaltende Spiel
(Prolusio), dessen Ton ))lützlich ein ganz anderer wird als der
des Vorhergehenden. Es scheint Sitte gewesen zu sein, bei
diesem zweiten Theile der s. g. Festlichkeit die tollsten und
derbsten Hanswurstiaden aufzutischen, je toller und dei-ber,
desto erwünschter. Wenn man diese immer in gewähltem
Latein ausgedrückten, aufeinandergehäuften Rohheiten und
Unfläthigkciten durchliest, so wird man eine sehr geringe
Meinung von der Höhe des damaligen studentischen Geschmacks
und Feingefühls erhalten, aber zugleich bedauern, dass ein
Prolusio. 103
Milton genöthigt war, diese Seiltänzer - Sprünge des Witzes
eines niedrigsten Theater-Clowns mitzumachen, die selbst dem
Naturell eines Cleveland zu bedenklich vorkommen mochten.
Es macht beinahe den Eindruck, als ob Milton, wie um sieb
für den angethanen Zwang zu rächen, nun auch alle Grenzen
des guten Geschmacks überspringen wollte, und wunderbar
bleibt nur, dass er diese jugendliche Leistung, die fast allein
zur Beleuchtung eines Stückes Kulturgeschichte von Werth
ist, später der Presse anvertraute. INIanches muss uns freilich
befremdlich erscheinen, weil wir die Sitte und die Kuustaus-
dräcke der Zeit nicht hinlänglich genau kennen. Der Eedner
klassificirt und charakterisirt die um ihn versammelte Stu-
dentenmasse wie ein Koch die Gerichte seiner Speisekarte (^).
Ohne Zweifel verstecken sich hier Anspielungen auf einzelne
Klassen der Studenten, wie der Graduates und Uudergraduates,
auch wohl auf einzelne Colleges, deren jedes seinen Spitz-
namen haben mochte. Möglicher Weise liegen auch Wort-
spiele vor, indem die Namen einzelner der Anwesenden satyri-
sirt wurden, in welchem Fall die ofticiellen Bücher vielleicht
noch Aufschluss geben könnten, wenn sich die Mühe des
Suchens verlohnte. Gleichfalls werden, wenn ich die Worte
recht verstehe, die Universitäts- Beamten, Pedelle u. s. w.
welche die unruhige akademische Schaar in Ordnung zu
halten hatten, mit einigen Seitenhieben bedacht, die eines
stürmischen Beifalls gewiss sein konnten(^).
Sodann forderte ein im Herkommen begründeter Aus-
druck schon von selbst zu den gesuchtesten und nicht immer
sehr anständigen Witzeleien heraus. Es war vermuthlich Ge-
brauch, dass der jedes Mal bei dieser Gelegenheit als Fest-
redner Erwählte mit dem Titel ., Vater" bezeichnet wurde,
ähnlich wie bei einer anderen akademischen Feier (s. S. 93), und
dass ihm wieder mehrere der Anwesenden, gleichsam als Ge-
hülfeu, unter der Bezeichnung von „Söhnen" beigegeben
wurden, mit denen in Gemeinschaft er eine Art dramatischen
Scherzes in Scene zu setzen hatte (^). Natürlich war es ein
erwünschter Stoff, diese plötzlich, in so jungen Jahren erlangte
Vaterschaft nach allen Seiten hin zu beleuchten. Milton's Fall
104 Prolusio. — Maske der aristotelischen Prädikamente.
war aber noch ein besonders humoristischer. Man pflegte ihn
in Cambridge wegen der ausserordentlichen Schönheit und
Eeinheit des Teints ,,das Fräulein von Christ -College" zu
nennen (.^), Das plötzlich zum Vater gewordene Mädchen
lässt sich diese Gelegenheit nicht entgehn, den Spottvögeln
zu antworten und sich gegen Vorwürfe zu vertheidigen,
die man gegen seine Mannhaftigkeit, in dem Sinn, wie der
studentische Comment sie auffasste, erhoben haben mochte.
„Von einigen, ruft Milton aus, bin ich kürzlich ,,das Fräulein"
genannt worden. Warum scheine ich ihnen zu wenig zu einem
Mann? . . . Etwa weil ich mich nie dazu aufgeschwungen
habe, mit Gewalt die grössten Humpen zu leeren, oder weil
meine Hand nicht am Pfluge rauh geworden, oder weil ich
nie wie ein Vielibube von sieben Jahren bis in den Mittag
hineingeschnarcht habe, oder vielleicht deshalb, weil ich meine
Mannheit niemals auf die Art erprobt habe wie diese lieder-
lichen Mädchen- Jäger; ach könnten sie nur eben so leicht den
Esel los werden wie ich das, was Weibisches in mir ist. Seht,
wie einfältig und unbedacht sie nur (bis vorwerfen, was ich
mir mit gutem Recht zur Ehre anrecline''.
Milton hält sich nicht viel länger l)ei diesem interessanten
Thema auf, sondern tlieilt unter beständigen Wortwitzen und
lächerlichen Verdrehungen seine Absicht mit, seine Söhne
mit den Namen der zehn Prädikamente des Aristoteles zu
bezeichnen und mit ihnen in englischer Sprache den Scherz
fortzusetzen. Hier aber bricht die Rede mit der Bitte um
aufmerksames Gehör ab, ohne die Fortsetzung, die in Aus-
sicht gestellt war, zu liefeiii.
Sie ist unschwer in einem der englischen Gedichte Mil-
ton's zu erkennen, das denjenigen Erklärern, die seinen
Zusammenhang mit der Rede nicht erriethen, grosse Schwierig-
keiten machen musste(-). Man hat das Gedicht mit Glück
als das ., Maskenspiel der zehn aristotelischen Prädikamente"
charakterisirt. Es ist in der That auf dialogische Form be-
rechnet, nur dass freilich einige ..Scenen", die noch zu dieser
scholastischen Maske gehörten, vennutlilich, weil sie in Prosa
geschrieben waroi), ausgefallen sind. Kiu spröderer poetischer
Maske der aristotelischen Prädikamente. 105
Stoff Hess sich nicht denken. Allerdings würde es König
Jakob's höchstes Wohlgefallen erregt haben zu hören, wie
Milton in seiner Eigenschaft als „Vater", die Rolle des „Ens"
gegenüber seinen „Söhnen", agirte, zehn Studenten, die
in der gelehrten Maskerade die zehn aristotelischen Katego-
rieen darstellten; wie die „Substanz" als „ältester Sohn"
zuerst angeredet wurde, „Quantität und Qualität" in Prosa
sprachen, darauf „Relation" bei Namen aufgerufen ward
u. s. w. Aber in Milton's Worten würde er schwerlich viel
von dem scholastischen Jai-gon bemerkt haben. Der Dichter
hat hier in der That das Möglichste geleistet. Aus der kalten
Masse logischer Definitionen weiss er noch den Funken
der Poesie herauszuschlagen. Allerdings nimmt er zunächst
bei der Ueberleitung von der lateinischen Rede, auf sein
eigentliches Thema keine Rücksicht. Er begrüsst die Mutter-
sprache, die er um Gunst für seine Aufgabe anfleht, und man
merkt ihm an, dass er sich erst hier in seinem wahren Ele-
mente fühlt. Er sagt es geradezu, dass, was vorangegangen,
das „Schlechteste" gewesen sei, ihrer unwerth. Und schon
dämmert in seiner Seele die Sehnsucht, diese geliebte Mutter-
sprache einst für eine epische Dichtung zu verwenden, für
die Schilderung der Wunder von Himmel und Erde, der
Thaten von Königen, Königinnen und Heroen, mit einem
Worte für einen würdigeren Gegenstand, wie man seinen
Gedanken auszuführen versucht ist, als für diese geistlosen,
scholastischen Spielereien, zu denen die Sitte der Zeit ver-
dammte. Indessen selbst die Anrede an die „Substanz" wird
poetisch durchhaucht, und auf einen Stoff, welcher der Phan-
tasie so wenig Nahrung bot, wird sinnig das Mährchen von
den guten Feen und der bösen Fee, die der Wiege des Neu-
geborenen nahen, angewandt. Bei dem Aufruf der „Relation"
endlich : „Rivers, steht auf, mögt ihr der Sohn des Tweed oder
Ouse oder Don sein" etc. : muss ein Wortspiel zwischen dem
Namen des Studenten, der diese Rolle zu agiren hatte, eines
Neulings im College und dem englischen „Rivers" (Flüsse)
herhalten, um die humoristische Frage nach der Abkunft
dieses „neuen Gewässers" anzuregen und durch eine poetische
106 Dritte College-Rede. — Uuiversitäts-ßede ,,Non dantur'' etc.
Aiifzählimg euglischer Flüsse vom Tweed bis zur Themse die
Dürre des philosophischen Themas wohlthätig zu befeuchten.
Dasselbe Spiel scholastischer Begriffe und Schulausdrücke
wie hier waltet in der College-Rede (No. 4), deren schwerlich
freiwillig gewählte Thesis lautet: „Bei der Zerstörung irgend
eines Dinges findet keine Wiederauflösung zur ursprünglichen
Materie statt," (') Es wäre qualvoll, die Windungen, in denen
sieh die Schulfrage bewegt, zu verfolgen und die technischen
Ausdrücke, mit denen Milton seine Hörer überschüttet, die
„entitas actualis", das „essentiale", die „formae accidentariae"
und den „uralten Lehrsatz, dass die Quantität der Materie folgt,
die Qualität der Form" weitläuftig zu erklären. Er selbst em-
pfindet die Qual und hält mit seinem Urtheil über diese Art
von Philosophie nicht zurück. Seine Worte sind beinahe die des
Schülers im Faust. .,Es ereignet sich oft, dass, wenn man dicke
Bände der Philosophie durchliest und sich Tag und Nacht
mit ihnen beschäftigt, dass man das Buch dummer aus der
Hand legt als man vorher war." Was der eine behauptet,
wird sofort vom andern widerlegt, der Streit geht in's Un-
endliche fort, und der arme Leser kommt sich vor, als stände
er zwischen zwei reissenden Thieren. ,,Und, um aufrichtig zu
sein, es verlohnt der Mühe nicht, zu untersuchen, bei w^em
die Wahrheit sei, denn oft entbrennt der furchtbarste Streit
von Hunderten von Philosophen über Dinge' \on der alier-
geringsten Bedeutung''. Milton macht kein Hehl daraus, dass
ihm diese geistlosen Spitzfindigkeiten zum Ueberdruss und
Ekel sind, und selbst darin scheint eine leise Ironie zu
liegen, wenn er bei Anführung einer Stelle aus Aristoteles
Metaphysik bemerkt: Wer diesem widerspricht, wahrlich,
den darf ich einen wahren Ketzer nennen.
Indessen nicht allein die Disputationen im College, sondern
auch die in den öfi'entlichen Räumen der gesammten Uni-
versität nöthigteu Milton, seine Kraft und Zeit an Dinge zu
wenden, die ihm innerlich widerstrebten. Es genüge auf den
Titel der fünften Rede liinzuweisen (^). Man darf dreist be-
haui)ten, dass Milton die Einleitung zu eigner Erliolung ge-
sehriebeu hat. Sic handelt in Kürze ül)er die Grösse des
Universitäts-Rede über die Harmonie der Sphäreu. 107
römisclien Reiches und die Yölkenvauderimg, und von hier
zu den „formae partiales" liess sich in der That nur ein sehr
gezwungener Uebergang finden. Eine andere der Universitäts=
Reden, nach dem bescheidenen Ton zu schliessen eine der
Erstlingsarbeiten dieser Art, hielt sich wenigstens auch an's
Ueliersinnliche (No. 2). Sie handelte über „die Harmonie der
Sphären"(^), ein Thema, dessen geheimem Zauber sich Milton
auch in seinen Gedichten nicht hat entziehen mögen. Und
so berichtet er hier über die Meinung des Pythagoras ,, jenes
Gottes der Philosophen "• und des Plato „jenes besten Dol-
metschers der IVIutter Natur." Den ersten vertheidigt er
gegen die Verdrehungen seiner bildlichen Ausdrücke durch
Aristoteles, ,,des Pythagoras und Plato Nebenbuhler und
beständigen Yerläumder, der sich aus den erschütterten
Ansichten solcher Männer einen ^Yeg zum Ruhme bahnen
wollte". Wenn wir die „Symphonie der Gestirne", die
„Melodie des Himmels" nicht hören, so haben wir die
Schwäche unsres Ohres anzuklagen, das solchen himmlischen
Gesäugen zu lauschen nicht im Stande oder nicht würdig ist.
Schuld daran ist die Auflehnung des Prometheus, der deu
Menschen dieses Glück genommen (in anderem Zusammenhang
würde es heissen der Sündenfall Adam's); nur wenn wir reine
und sündlose Herzen hätten, schliesst der junge Puritaner,
würde jenes goldene Zeitalter, jener paradiesische Zustand
der Unschuld wiederkehren, der uns in den Stand setzte, die
Musik der wandelnden Himmelskörper zu vernelimen. Die
lateinische Prosa drückt ganz denselben Gedanken aus wie
die englischen Verse des Gedichtes „Auf ein geistliches Musik-
stück" (2).
Vermuthlich in späterer Epoche, als der schücliterne Ton
verlassen werden durfte, ist jene merkwürdige Universitäts-Rede
(No. 3) gehalten worden, in welcher sich die zahlreichen kleinen
Ausfälle gegen das scholastische System zu einem energischen
Massen-Augriffzusammengefasst finden (3). Milton erklärt, dass
ihn bei diesem Angriff der Wunsch beseele, seine Zuhörer zu
veranlassen, „jene riesenhaften und wahrhaft monströsen Bände
der sogenannten subtilen Doktoren seltener vorzunehmen und die
log Uuiversitäts-Rede gegen die Scholastik.
rauhen Streitfragen der Sophisten mit etwas weniger Eifer
zu betreihen". Dem einzehien gewähren sie weder Freude
noch Bildung, dem Gemeinwesen nützen sie nichts. Man
merkt ihnen an, dass sie aus mönchischen Höhlen stammen,
will sagen, den Geist des Mittelalters. Wer sich in diese
Erzeugnisse des Wahnwitzes vertieft, verdummt und macht
sich durch grobe Unwissenheit höchst lächerlich, sobald er
ein j\Ial einen anderen Gegenstand zu behandeln hat. „Oft
habe ich , wenn mir hie und da der Zwang aufgelegt wurde,
diese Spitzfindigkeiten zu durchforschen, und Verstand und
Augen mir durch die Lektüre eines Tages blöde geworden
waren, oft habe ich Halt machen müssen, um Athem zu
schöpfen und habe dann, ein trauriger Trost, das Pensum
mit dem Auge gemessen; da ich aber immer sah, dass noch
mehr übrig blieb, als ich schon durchlesen hatte, so wünschte
ich mir, statt mich mit diesen Narrheiten zu nudeln, lieber
den Stall des Augias zu reinigen und pries den Hercules
glücklich, welchem Juno in ihrer Gutmüthigkeit eine solche
Qual zu tragen niemals auferlegt hatte . . . Glaulit mir,
werthe Genossen, wenn ich wider meinen Willen mich in
dieser geistlosen Kasuistik bewege, so kommt es mir vor, als
wanderte ich zwischen rauhen und unebenen Haiden, weiten
Einöden und steilen Gebirgstliälern." Die Musen haben mit
diesen dunklen Studien nichts zu thun, auf dem Parnass ist ihren
Anhängern höchstens ein kleines, dorniges, abgelegenes Win-
kelchen angewiesen. Poesie, Rhetorik, Geschichte, jede in
ihrer Art erhebt und veredelt den menschlichen Geist. Aber
diese „nichtigen Wort-Gefechte" erfreuen höchstens ein rohes,
streitsüchtiges Naturell. Der Fortschritt der Wissenschaften
ist durch die Scholastik, wie „durch einen l)ösen Geist",
unberechenbar aufgehalten worden, und dem Vaterlande hat
sie v,'edei- Ehre noch Nutzen gebracht. Zwei Dinge heben
und schmücken ein Land : hohe IJeredtsainkeit und tapfere
Thaten: weder jene noch diese sind duicli die scholastischen
Streitigkeiten gefördert oder hervorgerufen.
Hören wir nun nach diesen Aeusserungen der Er])itte-
nuig, welche anderen Gegenstände des Studiums der Jugend-
Universitäts-Rede gegen die Scholastik. 109
liehe Reduer seinen Genossen empfiehlt, welche neue Grund-
lage der Bildung er an Stelle der veralteten, von ihm der Zer-
trümmerung preisgegebenen zu setzen gedenkt: „Wie viel
besser würde es sein, ihr Glieder dieser Akademie, wie viel
würdiger eures Namens, bald mit den Augen gleichsam die
ganze Erde zu durchwandern, wie sie in den Karten dar-
gestellt ist, und die Stätten, welche die alten Heroen be-
treten haben, zu schauen Und die Lande zu durchschweifen,
welche Kriege, Triumphe und die Gesänge berühmter Dichter
geadelt haben; bald die -stürmische Adria zu durchschitfen,
bald ohne Gefahr den flammenspeienden Aetna zu besteigen,
dann wieder die Lebensweise der Menschen und vortreffliche
Verfassungs-Zustände der Völker zu studiren; ferner die na-
türliche Beschaffenheit aller leidenden Wesen zu untersuchen
und sodann den Geist auf die geheimen Kräfte von Steinen
und Kräutern hinzuwenden. Auch solltet ihr nicht zaudern,
meine Zuhörer, euch zum Himmel aufzuschwingen und dort
die vielgestaltigen Erscheinungen der Wolken und die zu-
sammengepresste Kraft des Schnees und den Ursprung der
Thau-Thränen des Morgens betrachten; alsdann durchschaut
ihr die Behältnisse des Hagels und späht die Geräthe der
Blitze aus, und es sollte euch die Absicht Jupiters oder der
Natur nicht verborgen sein, wenn ein grausiger und unge-
heurer Komet dem Himmel Brand droht, und die kleinsten
Sterne sollten euch sichtbar sein, so viele ihrer zwischen den
beiden Polen ausgestreut sind; ja dem Lauf der Sonne solltet
ihr als Gefährten folgen, die Zeit zur Messung aufrufen und
Eechnung ihres ewigen Ganges fordern. Aber euer Geist
soll nicht durch die Schranken unseres Erdkreises begrenzt
und gefesselt werden, sondern über die Marken der sinn-
lichen Welt hinausschweifen und zuletzt, was das Höchste ist,
lernen sich selbst zu erkennen und zugleich jene heiligen
Geister und ideellen Mächte, mit denen ihm nach diesem
Leben ewig zusammenzuwohnen bestimmt ist. Doch wozumehr?
In allem diesem sei euch der geliebte Aristoteles der Meister,
welcher uns dies grössten Theils in seinen gelehrten und
vortrefflichen Schriften zum Lernen hinterlassen hat. Schon
WQ Rede zum Lobe der Wissenschaft.
sein Name bewegt euch, akademische Freunde, wie ich be-
merke, ihr werdet schrittweise zu dieser Ansicht gebracht
und gleichsam unter seiner Führung schneller zu ilir hinüber-
gezogen."
Den würdigen Abschluss dieser jugendlichen Reden bildet
die siebente, die möglicher Weise unter den Vorbereitungen
auf die Erlangung des Magister-Grades ihre Stelle fand und dann
vielleicht im Winter 1631 auf 1632 in der Kapelle von Christ-
College gehalten worden ist(^). Es handelt sich wieder um
eine jener w^eitgefassten Thesen, welche viehnelir darauf an-
gelegt waren, den jungen Männern Gelegenheit zu geben, ihre
Beherrschung der lateinischen Sprache zu zeigen und mit
klassischen Reminiscenzen zu prunken, als sachlich Bedeuten-
des und Neues vorzubringen. Einer sollte den Satz verthei-
digen, dass die Wissenschaft (Ars im scholastischen Sinne)
die Menschen glücklicher mache als die Unwissenheit, ein
anderer umgekehrt, dass die Unwissenheit die I\Ienschen glück-
licher mache als die Wissenschaft. Offenbar war anfangs
diese letzte Aufgal)e Milton zugewiesen, man darf vermuthen,
dass er sie, auch ohne sich auf Rousseau s Discours sur
les sciences et les arts stützen zu können, geistreich gelöst
haben würde. Aber wir haben doch dabei gewonnen ,- dass
die Unwissenheit einen anderen Kämpen gefunden hat, und
Milton luinmehr Gelegenlieit wurde, in ungebundener Rede dem
Wissen ein Triumphlied zu weihen, welches eines der l)e-
zeichnendsten Erzeugnisse seiner Jugend ist. Es sind nicht
die scharfen, verstandesklaren Sätze Bacon's aus der Einleitung
des Buches „Ueber die Werth und die Ausdehnung der
Wissenschaften ", denen wir hier begegnen. Milton's Latein
ist voller, gewählter als das des Philosophen, aber der Geist
seiner Rede ist der Bestrebungen seines grossen Zeitgenossen
nicht unwerth. Mit seinen vierundzwnnzig Jahren hat Milton
erkannt, dass Wissen die Grundlage alles Grossen und Herr-
lichen, Unwissenheit d^i'wurzel alles Niedrigen und Laster-
haften ist. Nicht, als ob ihm das etliische Moment hinter
de»! intellektuellen zurückträte, als ob ihm selbstzufriedene
15ucli-(ie]ehrsamkeit die Energie frischen Handelns ersetzen
Rede zum Lobe der Wissenschaft. 111
könnte. Ich weiss, ruft er aus, dass Genuss wahren Glückes
ohne Reinheit des Charakters nicht möglich ist, und dass oft
die gelehrtesten Männer die Sklaven aller schlechten Leiden-
schaften, die ungelehrtesten die edelsten Naturen waren.
Aber damit ist für den Gegner nichts bewiesen. Es gilt viel-
mehr Wollen und Wissen zu vereinigen, dieses zum Führer
jenes zu machen, nur so lässt sich das höchste Glück der
Individuen und der Nationen begründen. Freilich der Weg
zu diesem Ziele ist beschwerlich; „die Kunst ist laug und
kurz ist unser Leben", der alte Spruch drängt sich der Er-
innerung des Redners auf, aber er weist ihn ab, er ist sicher,
dass Fleiss und Methode ihn in sein Gegentheil wandeln
können. Sollen wir uns durch den „nächtlichen und morgend-
lichen Fleiss von Handwerkern und Landleuten'' beschämen
lassen, sollen wir unsre Gesundheit ängstlich schonen, statt
die Schätze unsres Geistes zu mehren? Nein, kein Tag ver-
streiche ohne Arbeit, den schwarzsichtigen Zweiflern zum Trotz,
welche prophezeien , dass ja doch alle Arlieit durch die Zer-
störung der Jahrhunderte, durch den endlichen Weltbrand
verge])lich gemacht werde. „Recht handeln ohne des Ruhmes
zu achten, ist über allen Ruhm erhaben."
Sucht man nun zu ergründen, welche Zweige des Wissens
Milton am höchsten stellt, so trifft man wieder densellien
Gedankengang, der die Insher behandelten Reden so überaus
merkwürdig macht. Von denjenigen Gegenständen, welche
Jahrhunderte lang als die eigentlichen Grundlagen der Bil-
dung lietrachtet worden waren, sagt er: „Wie zahlreich sind
die verächtlichen Possen der Grammatiker und Rhetoren?
Man meint die einen bei Behandlung ihrer Kunst barbarisch,
die anderen geradezu kindisch reden zu hören. Was ist
Logik? Die Königin der Wissenschaften fürwahr, wenn sie
würdig behandelt wird, aber ach, welch ein Wahnsinn herrscht
in der Untersuchung ? es sind nicht Menschen, sondern Gimpel,
die von diesen Disteln und Dornen leiten." Den höchsten
Genuss gewährt dagegen das Studium der verschiedenen
Länder und der Geschichte der Staaten und Völker, ihrer
Verfassung und Kultur, aber vor allem das Studium der Natur
112 Aufklärung und Naturwissenschaft.
und ihrer Kräfte. „Wie herrlich, das Wesen des Himmels und
der Gestirne zu erfassen, alle Be\Yegungen und Schwankungen
der Luft, mag sie durch den erhabenen Schall des Donners
oder durch den Schein der Kometen unerfahrene Gemüther
erschrecken, mag sie zu Schnee und Hagel erstarren, oder
sanft und mild in Eegenform oder im Thau niederwallen, dann
die wechselnden Winde kennen zu lernen und alle Dämpfe und
Dünste, die Erde und Meer aushauchen; die geheimen Kräfte der
Pflanzen und Metalle zu wissen, die Natur, und wenn es
möglich ist, das Empfinden der lebenden Wesen zu verstehn,
sodann den Bau und die Pathologie des menschlichen Körpers
und zuletzt die göttliche Kraft und Gewalt des Geistes und
der s. g. Laren, Genien und Dämonen, wenn irgend eine Kennt-
nis von diesen zu uns hat gelangen können." Wer sich zu
dieser Höhe aufgeschwungen hat, „für den fällt das Zufällige,
das Unvorhergesehene im Leben weg, seinem Gebot scheinen
die Sterne zu gehorchen, ihm dienen Erde und Meer, Winde
und Stürme sind ihm unterthan; Mutter Natur selbst hat sich
ihm zu eigen gegeben, als wenn ein Gott der Weltherrschaft
entsagt und ihm Recht, Gesetze, Verwaltung, wie seinem Statt-
halter, überwiesen hätte."
Man darf Milton's Rede eine Apotheose der Aufklärung
nennen und zwar einer Aufklärung, welche aus dem Schosse
der Naturwissenschaften hervorgehn soll. Noch ahnt er deren
Bedeutung mehr, als dass er sie im einzelnen begründen könnte
oder wollte, er giebt nur die allgemeinsten, nicht immer klaren
Gesichtspunkte an, und reisst sich selbst von gewissen mysti-
schen Begriffen nicht völlig los, aber das Ziel, welchem die
folgenden Generationen zustrebten, erkennt er in voller Deut-
lichkeit, und seine Hoffnungen eilen dem Zeitalter entgegen,
welches den Gedanken des Kosmos verwirklichen werde.
Das Fehlen dieser Üniversitäts- und College-Reden in Mil-
ton's Werken wüi'de eine unausfüllbare Lücke zurücklassen.
Schon in formeller Beziehung würden wir sie ungern unter den
Jugend-Arbeiten des Dichters vermissen. Ihr Latein ist nicht
immer frei von ahsichtliclier (Geziertheit, aber es legt ein so kräf-
tiges Zeugnis für die unvergleichliche Beherrschung der Sprache
ab und bewegt sich nicht selten in so schwungvollen Perioden,
Rückblick auf die rbetorischeu Essays. 113
dass wir unaufhörlich an den Dichter der Elegieeu gemahnt
werden. John Cleveland genoss wegen seiner lateinischen Univer-
sitäts-Reden eines besonderen Rufes, aber ein ruhiges Urtheil
wird unschwer zugestehn, dass dieselben auch nach der äusseren
Form nicht entfernt mit den fein ausgearbeiteten , umfang-
reichen Vorträgen seines College-Genossen zu vergleichen sind.
Eine ausserordentliche Belesenheit lässt sich ferner in diesen
nicht verkennen. Mit vollen Händen schöpft der Autor auch
hier wieder aus den Schätzen der antiken Literatur, aber er
citirt zugleich Werke wie 'Brant's Narrenschiff und Erasmus
Lob der Narrheit, er berührt die Geschichte der Völkerwan-
derung und skizzirt den Zustand des türkischen Reiches. Un-
schätzbar ist aber der Einblick in Milton's Denkweise, Stu-
dien und Neigungen, mit einem Worte in die Entwicklungs-
Geschiehte seines Geistes, den die Kenntnis dieser jugend-
lichen Versuche ermöglicht. Ein durchaus selbstständig den-
kender Geist tritt uns entgegen, der sich vor der Autorität
des Hergebrachten nicht beugt, sondern in Lehre und Leben
seine eignen Wege zu wandeln den Muth hat. Er widersetzt
sich dem Zwange der üblichen Lehrmethode in gleicher Weise,
wie er von dem rohen, renommistischen Treiben der Studenten-
welt sich fern hält. Und jedes Mal kleidet sich seine Kritik
in das Gewand so schneidiger Worte, dass die Ueberlieferung
sehr wahrscheinlich klingt, welche schon dem cambridger
Kollegiaten einen gewissen Grad von Selbstbewusstsein zu-
schreibt (^). Dies Bewusstsein des eignen Werthes gründete
sich zum Theil unzweifelhaft auf die Ueberlegenheit im Wissen
und Können, ebensosehr aber, wenn nicht hauptsächlich, auf
das Gefühl sittlicher Reinheit und Würde. Wenn uns bei
flüchtiger Rückschau auf die gesammte jugendliche Thätigkeit
des Dichters etwas als hervorstechendes Merkmal erscheint,
so ist es die Thatsache, dass er das Gebiet derberer Sinnlich-
keit fast niemals und nur mit scheuem Flügel streift, das Ge-
meine vollends liegt hinter ihm (2), in Stoff und Form strebt
seine Muse wie seine Rede nach dem Höchsten und Göttlichen,
Himmel und Erde zugleich möchte sie umfassen und selbst
niederem Vorwurf ringt sie erhabene Seiten ab. Wenn irgend
Stern, Milton u. s. Z. I. 1. 8
1X4 Milton's Idealismus.
jemand, so erscheint der jugendliche Milton als eine idealisti-
sche Natur. Dass sein sittenstrenger Ernst, der sich denn
doch der Ironie über die Thorheiten der anderen nicht ent-
halten konnte, ihm anfangs wenig Freunde unter den Genossen
verschaffte, beweisen die besprochenen Reden ganz klar. Un-
läugbar hatte Milton gegen zahlreiche Widersacher zu kämpfen,
die an der Selbstständigkeit seines Wesens Anstoss nahmen
und seine scharfe Zunge fürchteten, erst im Frühjahr 1628
scheint er sich die allgemeine Gunst erworben zu haben. Jener
ersten Periode gehört auch die briefliche Klage an, in der
er sich gegen Gill über die Unebenbürtigkeit seiner College-
Genossen ausspricht. Gleichfalls in diese Zeit fällt sein Streit
mit dem Tutor Chappell, seine vorübergeliende Verbannung
von Cambridge, und erst in diesem Zusammenhang betrachtet
wird das Ereignis klar. Neben der Strenge seines Lehrers
war es „anderes seinem Naturell Unerträgliches", worüber sich
Milton beschwerte, wogegen er ankämpfte. Die Streitigkeiten
mit der Masse der Studenten hatten, wie er ausdrücklich sagt,
hauptsächlich ihren Grund in „Verschiedenheit der Studien oder
Verschiedenheit der Ansichten bei Betreibung dieser Studien",
womit, wie nach allem Vorigen wahrscheinlich ist, auf die von
Milton verabscheute Scholastik, namentlich die scholastischen
Disputationen, angespielt wird, die von der grossen Masse der
Universität als Krone aller Wissenschaft betrachtet wurden.
Da nun Chappell in eben diesen Disputationen seine vorzüg-
liche Stärke hatte, so liegt es nahe zu vermuthen, dass er seinen
Schüler in diesen Künsten mit Eifer zu üben suchte, dass dieser
sie aber seinem Naturell unerträglich fand und gegen den
Lehrer eben so wenig mit der Sprache zurückhielt wie gegen
seine Mitschüler.
Es macht den Eindruck, als ob sein Widerwille gegen
ein System, das sich unter den schützenden Namen des Aristo-
teles stellte, hie und da gegen diesen selbst seinen Zorn her-
vorrufe. An anderen Stellen spricht er von dem grossen
Denker indess mit holier Achtung und scheint sich des Unter-
sciiiedes zwischen ihm und denen, die diese Firma benutzten,
wohl bewusst zu sein. Seine ganze Neigung wendet sich
Eiufliiss des Ramus. — Einfluss Plato's. 115
jedoch anderen geistigen Mächten zu, durch die er sich an
stärkenden Ideen zuführen lässt, was er an scholastischem
Ballast über Bord Avirft. Man weiss, dass Petrus Ramus im
sechzehnten Jahrhundert mit Energie versucht hatte, die Fesseln
der alten Methode zu brechen und sie auf ihrem eigentlichen
Gebiet, der Logik, durch selbstständige Arbeiten zu bekämpfen.
Es lässt sich nicht genau feststellen, in wie weit die Univer-
sität Cambridge in den Krieg verwickelt wurde, der in der
Folge zwischen Ramisten und Aristotelikern entbrannte. Wäh-
rend in Oxford die alte Partei jeden Widerspruch durch Mittel
bekämpfte, die der Würde der Lehrfreiheit wenig anstanden (^),
wurde in Cambridge gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts
George Downame (Downham) der Apostel der ramistischen
Lehre, in deren Geiste auch seine „Commentarii in P. Rami
. . . Dialecticam, Frankfurt 1616" abgefasst sein sollen. Aber
es scheint doch nicht, als wenn sie sich lange gegen ihre Vor-
gängerin hätte behaupten können. Immerhin mag sie gerade
während Milton's Studienzeit noch bedeutende Anhänger ge-
habt haben, und es ist beachtenswerth, dass er selbst in spä-
teren Jahren schriftstellerisch in dieser Richtung thätig war.
Unvergleichlich wichtiger war es indessen, dass sich für
Milton wie einst für die Jünger der Renaissance und des
Humanismus ein reicher Quell geistigen Genusses in den
Schriften Plato's eröffnete, durch deren emsiges Studium er
sich für die Qualen entschädigte, die eine verhasste Lehrme-
thode ihm auferlegte. Nach den Statuten scheinen die plato-
nischen Werke allerdings nur eine unbedeutende Stellung im
Lehrplane eingenommen zu haben, aber gänzlich ausgeschlossen
waren sie doch nicht (^). Während nun Milton in die Geheim-
nisse der platonischen Philosophie eingeführt wurde, musste
er bemerken, dass seine eigene Vorstellungsweise in so manchen
Punkten mit der des athenischen Weisen übereinstimmte. Die
Lehre von der Präexistenz der menschlichen Seele, von der
Seelenwanderung, und dass alles Wissen nur ein Rückerinnern
sei, passte zu jenem schon öfter bemerkten Hange Milton's,
die Kluft zwischen dem Gebiet des Irdischen und Ueberirdi-
schen zu überbrücken. Seine puritanische Denkart, die sich
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Gedicht über die „Platonische Idee" etc. W]
blick, über diese Theorieen wie über alle Irrthümer, denen er
sonst begejniete, die Lauge herber Satyre auszugiessen(^). —
War es der Denker Plato, welcher abgesehn von solchen Ein-
zelheiten eine gewaltige Anziehung auf den cambridger Stu-
denten ausübte, so nicht minder Plato der Dichter.
Angewidert von der sclialen Kost fader Scholastik fand
Milton hier die erhabenste Beredtsamkeit und die lieblichste
Schilderung, die wundervollsten Bilder schöpferischer Phantasie
in Gleichnis, Allegorie, Fabel und die treffendsten Aussprüche
der Lebensweisheit, künstlerische Fühiiing eines angeregten
oft witzigen Dialogs und eine tiefe Kenntnis der menschlichen
Natur: Alles durch das Streben nach Harmonie, nach dem
Ausdruck reiner Schönheit bedingt. Die Form der platoni-
schen Schriften, durch welche sie unsterblich gemacht würden,
auch wenn ihr spekulativer Inhalt werthlos geworden wäre,
fesselte den Dichter, hier trat ihm der „grösste Fabulator"
entgegen, und die Philosophie erschien ihm
Göttlich reizend,
Nicht hart und rauh, wie stumpfe Thoren wähnen,
Harmonisch gleich der Laute des Apoll i^-).
Es war zum Glück dafür gesorgt, dass die ideelle Einwirkung
des „grössten Fabulators" auf Milton's Bildung ein heilsames
Gegengewicht erhielt. Im Zeitalter Kepler's und Galilei's unter-
wühlten andere, mächtigere Kräfte den unsicheren Boden, auf
welchem die fortgeerbte Bildung der vergangenen Jahrhunderte
ruhte. In England selbst war ein reger Wetteifer für das
Studium der Naturwissenschaften erwacht. Erst sechs Jahre,
ehe Milton die Universität verliess, war die Feder der Hand
entfallen, die den kühnen Versuch gemacht hatte, die Wirkungen
des neuen Geistes in einem grossartigen System zusammen-
zufassen, einen Plan der gesammten Wissenschaften zu ent-
werfen, der das Wesen der Scholastik in ihrer ganzen Nichtig-
keit enthüllte. Wie viele Blossen der wissenschaftliche nicht
weniger als der politische Charakter Franz Bacon's sich auch
gegeben hat, wie mangelhaft und anfechtbar seine Versuche
und Einzel- Angaben auch sind, sein Ruhm als Bahnbrecher,
als Prophet der modernen Richtung wird unvergänglich bleiben.
^18 Einfluss Bacon's.
Indem er von der sinnlichen Erfahrung ausgieng, die Unter-
suchung der natürlichen Dinge als nothwendige Grundlage der
Forschung betrachtete, die mühsame Arbeit kleiner Experi-
mente den allgemeinen Abstraktionen, wenn nicht selbst konse-
quent vorausgehen Hess, so doch vorausgehen zu lassen auf-
forderte, drehte er die aus dem Mittelalter überkommene Denk-
weise der Menschen geradezu um und eröffnete den Blick in
eine neue Welt. Auf die Universitäten war die Bacon'sche
Philosophie allerdings noch ohne merklichen Einfluss ge-
blieben ('). Ihr Schöpfer fühlte selbst, dass die Luft von Oxford
und Cambridge seinem eignen Genius feindlich sei. Aber es
lässt sich nicht glauben, dass die Werke des Mannes John
Milton während seiner Studienzeit unbekannt geblieben sein
sollten. Mit Cambridge war Bacon's Name mannichfach ver-
knüpft. Hier hatte er seine Studienjahre verbracht und zu-
erst jene tiefe Abneigung gegen die pseudo-aristotelische Philo-
sophie gefasst, der Universität Cambridge hatte er seine Schrift
„über die Weisheit der Alten" gewidmet, in ihrer Bibliothek
ein Pracht - Exemplar der „Instauratio magna", mit einer
eigenhändigen Dedikation versehn, kurz vor seinem Tode nieder-
gelegt. Milton, der so leicht Gelegenheit hatte, die Bücher
seines grossen Zeitgenossen kennen zu lernen, musste sich durch
die Uebereinstimmung von dessen Ansichten mit den seinigen
auf's äusserste betroffen und gestärkt fühlen. Abgesehn davon,
dass sich einzelne Lieblings -Gedanken, wie z. B. über die
Musik der Sphären, auch hier leise angedeutet fanden, dass
hier wiederholt wenn auch mitunter in kritischer Weise auf
Petrus Ptamus Bezug genommen wurde: vor allem, wie Bacon
mit epigrammatischer Schärfe über die Scholastik und ihre
Ausläufer urtheilte, und was er ihren leeren Wortspielereien
entgegensetzte, war Milton aus der Seele gesprochen. Hier
wurde die „Schule des Aristoteles eine dreiste und prahleri-
sche" genannt, wie er selbst sie nennen mochte. Hier las er,
dass, wer sich die Freiheit seines Urtheils zu wahren, von
dem gewöhnlichen Gange abzuweichen erkühne, allein stehe und
als ein Revolutionär verschrieen werde, was er selbst erfahren
hatte (^). „Die jetzt gebräuchliche Logik dient mehr dazu, die
Einfluss Bacon's. 119
Irrthümer, welche auf üblichen Begriffen berahen, zu befestigen
und zu stützen als die Wahrheit zu erforschen, sodass ihr
Schaden grösser ist als ihr Nutzen." „Vergebens wird ein
grosser Fortschritt in der Wissenschaft erhofft aus dem Auf-
häufen und Aufpropfen von Neuem auf Altes, sondern der An-
fang ist von den untersten Fundamenten aus zu machen, wenn
man sich nicht in einem beständigen Kreise drehen soll". .,Es
bleibt uns nur die eine und einzige Art der Lehre, dass die
INIenschen zu den einzelnen Erscheinungen selbst und ihren
Reihen und Ordnungen hingeführt werden, dass sie sich eine
Zeit lang ihrer Dogmen begeben und beginnen sich mit den
Dingen selbst vertraut zu machen" (^). , . Waren es nicht eben
diese Anschauungen, welche jene rednerischen Versuche Mil-
ton's durchdrangen, hatte er nicht mit Nachdruck im Gegen-
satz zu den Nichtigkeiten der Wortgefechte auf das Studium
von Astronomie, Meteorologie, Geologie, Botanik u. s. w. hin-
gewiesen, ganz im Geiste des Vaters von Salomon's Haus in
der „Neuen Atlantis'", welcher als den Endzweck desselben
bezeichnet: ,,Die Erkenntnis der Ursachen und geheimen Be-
wegungen der Dinge und die Erweiterung der Marken der
menschlichen Herrschaft zur Hervorbringung alles Erreich-
baren" ( 2). In der That suchte Milton, ähnlich wie in späterer
Zeit John Locke, bei der Abwendung von der Scholastik eine
Zuflucht in der Betrachtung der Natur und ihrer Gesetze, und
war seine Neigung auch nur die eines Dilettanten, mischt sie
sich, seinem Genius gemäss, mit trügerischen Bildern dich-
terischer Phantasie, so war doch damit eine Saite angeschlagen,
deren Stärke sich in der Folge nichts weniger als ab-
schwächte.
Schon diese Hinneigung zum Studium der Natur, mit der
sich unverkennbar eine Hinneigung zum Studium von Politik
und Geschichte verband, zeigt deutlich genug, dass der über-
fleissige Jüngling weit entfernt davon war, in ein Gewebe
beschaulicher Gedanken eingesponnen, dem Leben und seinen
reellen Anforderungen fremd zu bleiben. Er hatte vielmehr
das Bestreben, in sich den ganzen Menschen zu bilden, ohne
das nie ein grosser Dichter geworden ist. Seine Stimme formte
120 Lebensweise und äussere Erscheinung.
sich ZU reinem "Wohlklang, vom Vater hatte er gelernt die
Orgel zu spielen, sein Ohr war geübt, und bei der Aufführung
von Vokal- oder Instrumental-Musik war er im Staude eine
Partie zu übernehmen. Er war nicht unerfahren in Fechter-
künsten, übte sich täglich im Gebrauch des Degens und hielt
sich, mit diesem an der Seite, auch dem Stärkeren gewachsen,
„bereit jeden offenen Angriff wie ein Mann zu strafen." Von
Wuchs war er nicht hervorragend, ein wenig unter Mittel-
grösse, aber seine Bewegungen drückten Grazie, seine Haltung
Muth und Energie aus. Hellbraunes, langes Haar umrahmte
ein ovales Gesicht von reiner, gesunder Farbe, aus dunkel-
grauen, nicht eben sehr scharfen Augen leuchtete der Genius
hervor. In erzwungener Selbstvertheidigung sagt er später
mit berechtigtem Stolz: „Für hässlich bin ich, so viel ich weiss,
von niemandem gehalten worden, der mich gesehen hat," und
sicher sollte es nicht in diesem Sinn verstanden werden, wenn^
ihn seine Genossen das „Fräulein von Christ-College" nannten (^).
Eine Mischung von mädchenhafter Weicliheit und männlicher
Entschlossenlieit ^Yird jeden eigenthümlich berühren, der des
Einundzwanzigjälirigen Bild betrachtet, von dem das Original
leider bis jetzt noch nicht wieder aufgefunden worden \st{^).
Die Gesammtheit dieser Eigenschaften hatte ihn fast allen
Mitgliedern der Universität, die ihn kannten, lieb und werth
gemacht, namentlich den Fellows seines eigenen College. Es
ist sehr glaublicli, dass am Ende seiner Studien-Zeit die letzten
Reste jener früheren, feindlichen Stimmung verflogen waren,
und viele den Wunsch ausdrückten, Milton möge bei ihnen
bleiben, auch nach seinem Weggang bnefliclie Verbindung
zum Zeichen der Achtung und Freundschaft mit ihm erhiel-
ten (^). Aber sein schaifes Urtheil über den allgemeinen Zu-
stand der Universität konnte sich, klar wie er dachte und
aufriclitig wie er sprach, trotz dieser Anerkennung seiner Per-
sönlichkeit nicht ändern, geschweige, dass er sich hätte ver-
sucht fühlen sollen, seine Tage in den klösterlichen Mauern
von Clirist-College zu l)esc]jliessen. Noch im Jahre 1642, als
ein Gegner ilim vorwarf, dass er nach einer ,, leichtsinnigen und
liederlichen Jugendzeit von der Universität in eine londoner
Milton's Urtheil über das Universitäts-Leben. |21
Vorstadt-Kloake ausgespieen worden sei", spart er in Beur-
theilung der gemeinten Hochschule und der Schwesteranstalt
nicht die herbsten Worte. „Die Vorstadt, sagt er, in der ich
wohne, ist meines Bedünkens ein anständigerer Platz als seine
Universität. Ich habe diese in der Zeit ihres besseren Zu-
standes und meiner eigenen jugendlichen Anschauung niemals
sehr bewundert, jetzt aber thue ich es um so viel weniger" (^).
Man sucht, ruft er in demselben Jahre aus, auf den Univer-
sitäten „gute und solide Kenntnisse" zu erlangen, aber man
wird „mit nichts gefüttei^t als mit den mageren und dornigen
Vorlesungen mönchischer, elender Sophistik." Die jungen
Leute verlassen die Universität entweder mit einer armseligen
„Bedienten-Bildung", die mit Heuchelei im Bunde vollkommen
ausreicht zum Broterwerb und zur Verblendung des unwissenden
Publikums, oder „überstudirt in unfruchtbaren Kontroversen".
Die Universitäten, welche die „Quellen der Wissenschaft und
Gelehrsamkeit sein sollten", erscheinen ihm unter der Leitung
der Staatskirche „vergiftet und strangulirt". Die Theologen
zumal tadelt er wegen der ungenügenden Bildung, die sie
vom Studium mit sich fortnehmen. Sie wissen nicht in „reinem
Stil zu sprechen oder zu schreiben", ihr Latein ist „barba-
risch", Griechisch ist den meisten unbekannt, im Hebräischen
sind mit wenigen Ausnahmen „ihre Lippen gänzlich unbe-
schnitten", und ihre Philosophie besteht in dem „saftlosen
Aberwitz des alten Paris und Salamanca". „Wenn irgend ein
Zimmermann, Schmied oder Weber ein solcher Pfuscher in
seinem Handwerk wäre, wie es die meisten von ihnen in ihrem
Berufe sind, so würde er aus Mangel an Kundschaft ver-
hungern". Hebung der Universitäts-Bildung, anständige Für-
sorge für „fähige Professoren jeder Wissenschaft" erwartet er
erst von der Zukunft (^). Aber auch nach einer anderen Seite
traf das Universitäts-Leben noch später sein Zorn. Im Jahre
1656 verweist er einem jungen Freunde, der in Oxford stu-
dirte, die blinde Bewunderung jener dort beliebten studen-
tischen Leibesübungen, mit denen die Jugend zu renommiren
pflegte, und fordert ihn auf, sich nicht an den Heroen physi-
J22 Schluss der Uni versitäts- Zeit.
scher Stärke, sondern an den Vorbildern der Gerecjitigkeit und
Massigkeit ein Beispiel zu nehmen (^).
Mit einem Worte: Das Wesen der damaligen englischen
Universitäten nach der Seite wissenschaftlichen Strebens wie
nach der Seite jugendlicher Erholung war nicht der Art einen
Milton zu befriedigen. Man mag bedauern, dass er beim Rück-
blick auf die sieben in Cambridge verlebten Jahre die Wirk-
lichkeit und das Ideal der Seele nicht in Einklang zu bringen
vermochte, für seine nächste Zukunft und für seine ganze
Lebensbahn waren die Eindrücke, die sein Geist hier empfangen
hatte, dennoch von grösster Bedeutung.
Drittes Kapitel.
Kirche und Staat.
Um die Zeit als Milton die Universität verliess, vielleicht
schon nachdem er von Cambridge geschieden war, nahm er
Gelegenheit, seine Gedanken über Lebens -Pläne und -Hoff-
nungen, wie sie sich im Herzen jedes zum Manne Werdenden
bilden, gegenüber einem älteren Freunde auszusprechen.
Dieser Freund , dessen Name uns unbekannt ist , möglicher
Weise einer der Genossen des Christ- College, hatte ihm Vor-
würfe über sein so rast- wie planloses Studium gemacht und
ihn ermahnt, sich auf den geistlichen Beruf, als ein festes
Ziel, mit ernster Zusammenfassung seiner Kräfte vorzuberei-
ten. Milton antwortet Tags darauf in einem längeren, in zwei
Entwürfen erhaltenen Briefe (^). In einigen einleitenden
Sätzen dankt er dem Mahner, an dessen redlichen Absichten
er nicht zweifelt und schickt sich an, ihm „ungefragt Rechen-
schaft über die Langsamkeit seines Lebensganges zu geben".
„Wenn Sie, wie Sie sagten, der Ansicht sind, dass allzugrosse
Lust des Studirens mein Fehler ist, und dass ich ganz und
gar darin aufgehe, meine Jahre im Schosse einer fleissigen
Einsamkeit zu verträumen, wie Endymion und der Mond nach
der Sage von Latmos, so bedenken Sie, dass, wäre es auch
nur die Lust des Studirens, mag sie nun aus bewusst schlech-
tem, gutem, oder natürlich gegebenem Grunde hervorgehn,
diese nicht so lange so starken und mannichfaltigen entgegen-
124 Lebenspläne.
wirkenden Kräften Stand halten könnte. Denn wäre der
Grund schlecht, warum sollten nicht alle die Lieblings - Hoff-
nungen, mit denen kecke Jugend und Eitelkeit flügge sind,
zusammt der Aussieht auf Vortheil , Stolz und Ehrgeiz mich
mächtiger vorwärts treiben, als eine armselige, gering ge-
achtete und unvortheilhafte Sünde der Wissbegier fähig wäre
mich festzuhalten? Durch diese schneidet sich ja der Mann
den Weg zum Handeln ab und macht sich zum hülflosesten,
schwachmüthigsten und waffenlosesten Geschöpf der Welt,
ganz unfähig das auszurichten, wonach alle Sterblichen am
eifrigsten streben: Seinen Freunden zu nützen oder seinen
Feinden zu schaden? Ist es aber als ein unwiderstehlicher
Drang der Natur anzusehn, so wirkt dem ein viel mächtigerer,
eingeborener Hang entgegen, der um diese Zeit sich im Leben
des Mannes geltend macht: Die Sehnsucht nach eigenem
Haus und Heerd, der nichts förderlicher zu sein gilt als der
frühe Eintritt in ein achtbares Gewerbe, und die nichts mehr
durchkreuzt als diese übertriebene Zurückgezogenheit. . . .
Auch arbeitet eben die Natur noch in feinerer Weise, uns
dem Dunkel zu langer Verborgenheit zu entreissen, nämlich
in dem Verlangen nach Ehre und Namen und unsterblichem
Nachruhm , wie es in der Brust jedes wahren Gelehrten
wohnt. . . . Endlich würde die Lust des Studirens, da sie doch
immer etwas Gutes erstrebt, . . rasch von der nutzlosen und
phantastischen Jagd nach Schatten und Einbildungen zu dem
wahren Gute hingelenkt werden, das aus schuldigem und
schleunigem Gehorsam jenes biblischen Befehls hervorgeht,
der aus der schrecklichen Züchtigung dessen erhellt, welcher
sein Pfund vergrub.
„Es ist also wahrscheinlicher, dass nicht die ziellose
Freude blosser Beschaulichkeit, sondern gerade die Erwägung
jenes grossen Befehles mich nicht mit derselben Hast, wie
viele andere, vorwärts drängt etwas zu wagen, sondern mich
zurückhält mit einer Art heiliger Scheu und frommer Vor-
sicht, wie am besten etwas zu wagen wäre. Und mir bangt
nicht davor, zu spät zu kommen, wenn ich dadurch nur den
Vortheil erreiche, besser gerüstet zu kommen. Denn die
Lebenspläne. 125
letzten verloren nichts, als der Herr des Weinbergs jedem
seinen Lohn austheilte. Und hier bin ich an einer Quelle
angelangt, voll genug, sich wie der Nil mit sieben Mündungen
in's Meer zu ergiessen. Aber dann müsste ich mich auch in
den Widerspruch gleichzeitiger El)be und Fluth verwickeln
und dasjenige thun, wegen dessen Unterlassung ich mich ja
vertheidige: Predigen und nicht Predigen. Damit Sie aber
sehen, dass auch ich etwas argwöhnisch gegen mich selbst bin
und recht wohl eine gewisse Saumseligkeit in mir bemerke,
bin ich so kühn, Ihnen einige meiner vor einiger Zeit(^) nie-
dergeschriebenen nächtlichen Gedanken zu senden, da sie sich
hier ganz passend anschliessen , eingekleidet in eine Petrar-
ca'sche Stanze, wovon ich Ihnen erzählte."
Und nun folgt jenes ernste, charakteristische Sonett, von
dem ich nur die vier ersten Zeilen in gebundener Rede wie-
derzugeben wage:
Wie bald der Jugend schlauer Dieb, die Zeit,
Im Flug mir dreiundzwanzig Jahre stahl ;
Die Tage fliehn mit Windes- Schnelligkeit,
Doch bleibt mein Spät -Lenz knosp- und blüthenkahl.
Der Dichter gesteht sich, dass sein Aussehn vielleicht noch
nicht verrathe, wie nahe er dem Mannes -Alter gekommen
und mag sich noch weniger „innere Reife" zusprechen. Aber
er will sich an dem Loose genügen lassen, mag es „kleiner
oder grösser, eher oder später" ihm zu Theil werden, zu dem
ihn „die Zeit und des Himmels Wille hinleiten". Der Puri-
taner, der gläubige Calvinist, fühlt sich bei allem, wenn er
„begnadet wird, es so zu nützen", „immer wie unter dem
Auge seines grossen Werkmeisters".
„Und nun, denke ich, — schliesst der Brief, — werden
Sie bereuen, diese Angelegenheit überhaupt berührt zu haben ;
denn wenn ich Sie nicht diese Zeit her überzeugt habe, so
habe ich Sie sicher gelangweilt. Dies allein mag daher schon
ein genügender Grund für mich sein zu bleiben, wie ich bin,
damit ich nicht, nachdem ich Sie allein ermüdet habe, mit
einer ganzen Gemeinde noch schlimmer verfahre" ....
Nicht ohne Grund finden sich jene Hindeutuugen auf
126 Der geistliche Beruf.
den Beruf des Predigers, als denjenigen, für den sich Milton
zu erklären aufgefordert wird und Bedenken trägt. Als er
die Universität bezog, geschah es in der That mit dem Ge-
danken, sich für das Amt der Kirche vorzubereiten. Dahin
waren seit seiner frühesten Jugend die Pläne und Hoffnungen
von Eltern und Freunden gegangen, den talentvollen Jüngling
eines Tages als Diener des göttlichen Wortes zu erblicken (').
Nach dem Abschluss der siebenjährigen Studienzeit galt es
sich zu entscheiden, ob diese Pläne ausgeführt werden sollten.
In welchem Sinne die Entscheidung erfolgte, wird man schon
vermuthen. Diese Kirche und diese Kirchengewalt, deren Dienst
der junge Magister sich weihen sollte, hatte ihn schon bei so
manchem Anlass die Härte und Unlauterkeit ihres Wesens wie
ihrer Mittel kennen und vei-abscheuen gelehrt. Hatte nicht eben
vor ihrer Verfolgung ein geliebter Lehrer zeitweise den hei-
mischen Boden fliehen müssen , so hatte sie einen andern, als
Verbündete der weltlichen Macht, mit schmachvoller Strafe
zu treffen gesucht. In Cambridge musste sie dem Studenten
bei der Geschichte der Kanzler -Wahl Buckingham's verächt-
lich und bei der Katastrophe des Dr. Butts wenigstens nicht
schuldfrei erschienen sein. Sodann aber war der gesammte
Eindruck, den Milton auf der Universität von dem Geiste
der herrschenden Theologie und ihrer Schüler erhalten hatte,
kein günstiger gewesen. Hier hatte er jene jungen Gottes-
gelehrten kennen gelernt, über dei-en Künste ein Predigtchen
zusammenzuflicken er sich so ironisch ausspricht, hier war ihm
jene „pfäffische Unwissenheit" entgegengetreten, die er so
bitter beklagt. Die ganze Einrichtung der Universität, vor
allem aber jene zwingenden Eidesformeln, an welche die Ge-
währung der akademischen Grade geknüpft war, Hessen ihn
den Druck der geistlichen Gewalt fühlen, deren Bestreben
dahin gieng, vor allen Dingen eine Gesinnung zu erzeugen,
oder doch als vorhanden erscheinen zu lassen, die der Ge-
sinnung der kirchlichen und staatlichen Gewalten entspräche.
Und möglicher Weise wurde in Cambridge Milton's Abnei-
gung gegen das Betreten der theologischen Laufbahn noch
von einer andern Seite her bestärkt. Es war nicht so schwer
Aussichten für den Puritaner. 127
einzusehn, class die herrschende kirchliche Richtung keine
treuere Bundesgenossin hatte als die Scholastik. Diese ge-
wöhnte die Geister schon früh daran, Fesseln zu tragen, und
erblickte eine gefährliche Feindin in der Naturwissenschaft,
die zu beständigen Zweifeln an den auf Mysterien begrün-
deten Ansprüchen der hierarchischen Autorität anregen musste.
Wie Milton über Scholastik und Naturwissenschaft dachte, ist
nun aber schon hinlänglich bekannt, und auch in diesem Falle
mochte seinen Erwägungen ein Wort seines Bacon zu Hülfe
kommen (^). Den grössten Einfluss auf seine Entscheidung
übte aber die Betrachtung aus, die sich über persönliche Er-
fahrungen hinweg auf den Gesammtzustand der englischen
Kirche und des englischen Staates hinlenkte, wie er damals
war und wie er sich in seiner weiteren Entwicklung für die
folgenden Jahre unschwer vorausahnen liess.
Puritanisch gesinnte Eltern hatten eine Zeit lang hoffen
können, ohne allzu grossen Gewissenszwang ihre Söhne im
Kirchendienst unterzubringen. Auf den erzbischöflichen Primat
des zelotischen Bancroft, welcher in den ersten Zeiten König
Jakob 's die kirchliche Konformität mit allen Mitteln der Ge-
walt zu erzwingen suchte, war bald nach Milton's Geburt
derjenige George Abbot's gefolgt, in dessen Augen puritanische
Gesinnung durchaus kein Fehler war, und der dem System
der Verfolgungen ihrer Anhänger ein Ziel setzte. Nachdem
sein Einfluss durch das Emporkommen des Gross - Siegel-
bewahrers Williams, Bischofs von Lincoln, verdrängt worden,
hatte der Puritanismus wenigstens keinen engherzigen Gegner
zu fürchten. Williams war viel mehr Politiker als Kleriker,
und die staatsmännische Ader war zu stark in ihm, als dass
ihn rehgiöser Eifer gegen diese oder jene Richtung hätte
Partei nehmen lassen. Es war die Zeit, in der sich Milton
zum Besuch der Universität vorbereitete, aber schon war eine
andere Strömung in der Kirche hervorgetreten, die während
seiner Studienjahre immer mächtiger wurde und bald die
herrschende genannt werden konnte. Man mag es schon aus
psychologischen Gründen erklärlich finden, dass die ersten
Würdenträger der anglikanischen Kirche die Tendenz erhielten,
128 Das göttliche Recht des Bisthums
ihrer Stellung eine höhere Weihe zuzuschreiben und für das
Bisthum sowohl gegenüber der Laienschaft wie der übrigen
Geistlichkeit eine unerhörte Gewalt in Anspruch zu nehmen.
Bei der unbedingten Abhängigkeit des kirchlichen Organis-
mus vom königlichen Supremat gab es kein anderes Mittel
für die Bischöfe, einige Selbstständigkeit gegenüber den bür-
gerlichen Gewalten zu erlangen, als für ihren Stand einen
übermenschlichen Ursprung zu behaupten und durch diesen
Zuwachs an ideeller Macht auch eine thatsächliche Macht
zurückzuerobern, ähnlich der, welche sich auf dem Boden der
alten Kirche fand. Bestrebungen dieser Art, die deshalb
nichts an Kraft verloren, weil man sich ihrer nicht immer
deutlich bewusst war, wurden durch die Kampf weise des Pu-
ritanismus selbst sehr entschieden unterstützt. Der leiden-
schaftlichste der puritanischen Vorkämpfer im Zeitalter Elisa-
beth's hatte sich nicht begnügt, die bestehende Kirchenver-
fassung mit Gründen der Vernunft anzugreifen, sondern die
presbyteriale , als die durch die Bibel allgemein vorgeschrie-
bene Norm, ihr gegenübergestellt. Der Dogmatismus von
dieser Seite rief den Dogmatismus von der anderen Seite her-
vor. Ehe zwei Jahrzehnte verflossen waren, tauchte die neue
Behauptung auf, die göttliche Vorschrift fordere den Episko-
pat, die Bischöfe, als Genossen eines wesentlich unterschie-
denen Standes, hätten kraft göttlichen Rechtes die Kirche
und den ihnen unterworfenen Klerus zu regieren, und ein
Läugnen dieser Sätze sei ketzerisch. Aus einem solchen
Princip Hessen sich die wichtigsten Folgerungen ableiten.
Einerseits konnte dadurch der Zusammenhang der englischen
Kirche mit den übrigen reformirten Kirchen gelockert, und
die "Wirksamkeit jeder nicht bischöflichen Ordination in Frage
gestellt werden. Andrerseits wurde eine grössere Annäherung
an das System der alten Kirche ermöglicht, und dem Bisthum
eine Bedeutung gegeben, mit der sich der reformatorische
Begriff des Priesterthums nicht mehr vertrug.
Indessen war, was man damals zu Gunsten eines gött-
lichen Rechtes des Bisthums vernommen hatte, zunächst nur
ein vereinzeltes Vorzeichen geblieben. Hooker's Epoche
Das göttliche Recht des Bisthums. 129
machendes Werk, in welchem die gi'ossen Streitpunkte in
voller Freiheit von dogmatischer Voreingenommenheit be-
leuchtet wurden, hatte nicht wenig dazu beigetragen, den
Strom der Kontroverse in ein sanfteres Bett zu leiten, und
eine Zeit lang Hess man die Frage der kirchlichen Verfassung
rulm. Aber die Ideen, welche noch das Zeitalter Elisabeth's
anzudeuten gewagt hatte, waren darum nicht erstorben. Sie
gewannen in Verbindung mit anderen an Stärke unter dem
Schutze König Jakob's und sie errangen den Sieg unter der Gunst
König Karl's, Eine Schule bildete sich im englischen Klerus
aus, reich an Kenntnissen, gelehrten und künstlerischen Inter-
essen hingegeben, freier von dogmatischen Banden als ihre
Gegner, aber entschlossen zur Anwendung gewaltsamer Mittel,
geneigt aus äusseren Formen ein Idol zu machen und nicht
gewillt, des Armes der Staatsmacht zu entrathen, um eine
widerstrebende Bevölkerung unter das Joch ihrer Vorschriften
zu beugen. Abgestossen von der fatalistischen Strenge der
genfer Prädestinationslehre, hatte diese Schule die mildete
arminianische Doktrin, trotzdem die Synode von Dordrecht
sie verdammt hatte, auf ihre Fahne geschrieben und schon
Jakob I., der in den eifrigsten Calvinisten auch die eifrigsten
Gegner seiner inneren und äusseren Politik erblicken musste,
für jene freiere Anschauung gewonnen. Ausserordentlich be-
wandert in den Schriften der späteren patristischen Theologie,
erfüllt von bewundernder Ehrfurcht vor Ritualien, die ein
graues Alter zu heiligen schien, fühlte sich eben diese Schule
in schroffem Gegensatz zu einer Lehre, welche gegen den
BegTift' einer geistlichen Kaste ankämpfte und alle schmücken-
den Formen verschmähte. Sie schrak zurück vor der starren
Energie eines religiösen Bewusstseins, welches keines äusseren
Zeichens und keines höheren Mittlers bedurfte und das so
manchen in den heissen Kampf gegen die Söldner Philipp's
von Spanien und gegen die Schaaren der Ligue begleitet
hatte. Sie durchdrang sich mit dem festen Glauben an eine
unerlässliche Einwirkung des Göttlichen auf das menschliche
Gemüth durch sinnliche Mittel, darauf berechnet, die Phan-
tasie zu erregen, und durch eine kirchliche Organisation,
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. 9
][30 Hochkirchenthum und Absolutismus.
deren Spitzen vom Glänze überirdischer Weihe umflossen
wären. In diesem Zusammenhang fand der Gedanke vom
götthchen Ursprung und vom göttlichen Rechte des Bisthums
seine Stelle. Es gab nur eine Kirchen - Verfassung , welche
dem Willen Gottes entsprach, — die bischöfliche. Der Parole
„ohne Bischof kein König" schloss die andere sich an, „ohne
Bischof keine Kirche". Das Amt des Bischofs selbst, seinem
Wesen nach von allen übrigen kirchlichen Aemtern unter-
schieden, verlieh seinem Inhaber eine Summe besonderer
Gnadengaben. Alle Befugnisse des Episkopats erschienen mit
dem Anspruch seiner geheimnisvollen höheren Weihe ge-
steigert. Für geistliche Aufsicht und Gerichtsbarkeit, für
Durchführung der alten und Einführung neuer Formen wurde
ein stärkerer Rückhalt gewonnen.
Das Streben nach einer solchen Erhöhung des Bisthums
hätte den Argwohn der monarchischen Gewalt erregen müssen,
wenn dieser nicht selbst die Aussicht eröfihet worden wäre,
aus jenen hochkirchlichen Theorieen Gewinn zu ziehn. Der
kirchliche Supremat der Krone wurde mit ihnen keineswegs
geläugnet, und es war ein Akt geschichtlicher Nothwendig-
keit, dass diejenigen den göttlichen Ursprung und das gött-
liche Recht des Königs betonten, die trotz ihrer eigenen an-
genommenen Erhabenheit doch nur aus dieser Quelle ihre
thatsächlichen Machtvollkommenheiten ableiten konnten. Auch
hatte die Vergangenheit gelehrt, dass nicht das Königthum,
sondern die parlamentarische Opposition den bestehenden In-
stitutionen der Kirche Gefahr drohe, und jede Erhöhung der
königlichen Gewalt war einer Schwächung der parlamenta-
rischen gleich zu achten. Ein natürlicher Trieb und ein wohl-
verstandenes Interesse wirkten zusannuen, um die Verfechter
der neuen kirchlichen Grundsätze auch zu Verfechtern poli-
tischer Theorieen zu machen, die wenn nicht völlig neu, so
doch seit langer Zeit auf englischem Boden nicht mit so an-
spruchsvoller Autorität geäussert worden waren. Schon die
Canones der Konvokation von 1G06, welche allerdings das
Licht der Oeffentlichkcit nicht sahen, betonten den Grundsatz
des duldenden Gehorsams für alle Fälle, und diese Doktrin
Hochkirchenthum und Absolutismus. 131
konnte dadurch nichts an entwürdigender Niedrigkeit ver-
lieren, dass sie durch die aufreizende Ermuthigung populären
Widerstandes seitens des Pabstthums hervorgerufen zu sein
schien.
Das Rechts - Lexikon Cowell's, das 1607 erschienen und
nicht ohne gute Gründe dem Erzbischof Bancroft gewidmet war,
hatte den Nutzen parlamentarischer Mitwirkung bei der Gesetz-
gebung nicht läugnen wollen, aber den Monarchen doch für
„absolut, . . über dem Gesetze stehend" erklärt und in sei-
nem Krönungseid kein Hindernis gefunden, von sich aus „ein-
zelne Gesetze zu ändern oder aufzuheben" {^). Man konnte
die Unterdrückung von Cowell's Buch erwirken , aber nicht
die Unterdrückung von Cowell's Ansichten. Häufig genug
wurden sie von den Anhängern der neuen kirchlichen Schule
offener oder versteckter geäussert. Im Jahre 1627 machten
die Predigten Sibthorpe's und Manwaring's das grösste Auf-
sehn. Ber eine hatte dem König die Befugnis „Gesetze zu
machen" zugeschrieben und den Unterthanen selbst dann ein
Recht zum Widerstand abgesprochen, wenn jene Gesetze etwas
Unmögliches oder gegen Gott und Natur auflegen sollten.
Der andere hatte vor dem König selbst zwei Mal verkündigt,
dass die Unterthanen sich einer Sünde schuldig machen wür-
den, wenn sie in „dringenden Fällen" auch unbewilligte,
massige Steuern „der höchsten Obrigkeit" zu entrichten sich
weigern würden, und er hatte bei dieser Gelegenheit die
heftigsten Ausfälle gegen das Parlament nicht gespart. Sein
Begriff von der monarchischen Gewalt war der höchst denk-
bare, wenn schon er sie zu gleicher Zeit in idealster Weise
auffasste. Das Königthum göttlichen Ursprungs, durch nichts
in der Welt beschränkt, erhaben auch über den Grössten,
sollte dazu bestimmt sein, auch dem Niedrigsten „seine sanfte
Sorgfalt und Vorsorge" zu widmen und über den kleinlichen
Rücksichten der Partei, als ein Abbild göttlicher Weisheit
und Gerechtigkeit, die grossen nationalen Interessen vertre-
ten (^). In einer Zeit, da der Kampf um die Frage der Ge-
setzlichkeit von Zwangs - Anlehen auf's heftigste entbrannt
war, mussten solche Lehren, mit dem ganzen Gewicht geist-
9*
132 Hochkirchenthum und Absolutismus.
liehen Ansehns vorgetragen, doppelt zum Widerspruch reizen.
Auch zeigte die Folge sehr bald, dass bei dieser „Gottähn-
lichkeit" des Königthums der Begriff der Allgüte und der
Allgerechtigkeit in dem einzigen Begriff der Allmacht, welcher
keine Grenze gezogen sein sollte, vollständig untergieng. Die
Weigerung des Erzbischofs Abbot, jener Predigt Sibthorpe's
die nöthige Druck - Erlaubnis zu ertheilen, hatte nur dazu
gedient, ihm die Strafe zeitweiliger Internirung und der Weg-
nahme seiner geistlichen Jurisdiktion zuzuziehn. In Montaigne,
dem Bischof von London, dem selbst die Genossen seiner
Partei einen sehr ungeistlichen Lebenswandel vorwarfen, er-
langte Karl L ein gefügigeres Werkzeug, und fortan wurde
Sibthorpe's wie Manwaring's Ansichten, die an höchster Stelle
sehr wohlthuend berührt hatten, die weiteste Verbreitung ge-
geben. Auch blieben gegenüber der Strafe, die das Parla-
ment Manwaring zuerkannte, demonstrative Anzeichen der
königlichen Gunst durch rasche Beförderung im Kirclfendienst
nicht aus. Es war nur ein Beispiel für viele, in denen man eben
die zu Würden und Aemtern erhoben sah, die sich durch Wort
und Schrift besonders verhasst gemacht hatten. Immer deut-
licher trat es hervor, dass die monarchische Gewalt mit ihren
absoluten Neigungen und die hochkirchliche Partei mit ihren
anspruchsvollen Bestrebungen gleichsam einen Versicherungs-
Vertrag auf Gegenseitigkeit gegründet hatten. Der Ausspruch
eines der hauptsächlichsten Vorkämpfer jener kirchlichen
Richtung: „Schütze du mich mit dem Schwert, und ich will
dich mit der Feder schützen" (^), konnte als Motto des engen
Bundes gelten, zu welchem Kirche und Staat, in Auffrischung
mittelalterlicher Grundsätze, gegen gemeinsame Widersacher
sich vereint hatten , und wirksamer noch als die Feder sollte
das Wort jener grossen geistlichen Ilülfsschaar werden, die
in immer strafferer Abhängigkeit von den Befehlen der wach-
samen Oberen gehalten ward.
Schon seit geraumer Zeit hatte die hochkirchlich - armi-
nianische Faktion, die sich zu gleicher Zeit zur Verfechterin
absolutistisciier Grundsätze aufwarf, ein geistiges Haupt er-
halten, dessen Ansehn beständig wuchs. Ein Jahr nachdem
Laud. 133
Milton die Universität verlassen hatte, wurde dem anerkannten
Führer auch die erste Stelle der Kirche zu Theil. William
Laud, durch bedeutende Kenntnisse unterstützt und durch
unruhigen Ehrgeiz vorwärts getrieben, war ohne grosse Mühe
allmählich in den Besitz einträglicher Stellen gelangt und
von Staffel zu Staffel auf der Leiter hierarchischer Würden
emporgestiegen. Auch traten gewisse Züge seiner Natur, die
ihn später eine so verhängnisvolle Rolle spielen Hessen, schon
ehe er zum Gipfel der Macht gelangt war, deutlich hervor.
Es mag dahin gestellt bleiben, ob er schon als Vorsteher des
St. John's College in Oxford den Denuncianten von Theologen
missliebiger Richtung gespielt und über die Erzeugnisse der
Presse in demselben Geiste eine Art privat -polizeihcher Auf-
sicht geführt hat. Im Jahre 1616 zum Dechanten von Glou-
cester ernannt, hatte er im Auftrage König Jakob's nichts
eihgeres zu thun, als mit allem Nachdruck eine Aenderung
der dortigen Stellung des Abendmahls -Tisches zu fordern,
da er es für eine Lebensfrage hielt, dass derselbe am öst-
lichen Ende des Chores hochaufgerichtet und noch dazu durch
Kniebeugungen der eintretenden Kirchendiener geehrt werde.
Die Aufregung, welche ein solches Vorgehn unter der Bevöl-
kerung Gloucester's hervorrief, war seinem Emporsteigen nicht
hinderlich. Wenige Jahre später erhielt er den Bischofssitz
von St, David's und erlangte damit einen grösseren Wirkungs-
kreis für die Durchführung seiner Grundsätze. Aber erst
nachdem Karl I. den Thron bestiegen hatte, eröffneten sich
ihm weitere Aussichten. Er stand schon seit einigen Jahren
im vollen Vertrauen Buekingham's und gelangte alsbald auch
beim König zu einem Ansehn, wie er es gegenüber Jakob
niemals genossen hatte. Eine von ihm verfasste Liste , in
welcher die Namen englischer Geistlicher mit 0. und P. als
orthodox und puritanisch bezeichnet waren, gab der Staats-
gewalt die nöthige Anleitung, um die Gutgesinnten zu beför-
dern und die Schlechtgesinnten zurückzusetzen. Seine Predigt
vor dem König nach der Eröffnung des ersten Parlaments
hatte den Monarchen als „unmittelbaren Stellvertreter Gottes
auf Erden" bezeichnet und erklärt, dass selbst das Parlament
134 Laud. — Parlamentarisches Interregnum.
nur von „diesem Verwalter Gottes" . . „Einfluss und Macht
erhalte" (0- Die Worte, die er bei Eröffnung des zweiten
Parlaments von der Kanzel herab hören Hess, hatten kein
anderes Ziel und suchten den Satz von der Nothwendigkeit
strengster Einheit von Kirche und Staat mit allem Nachdruck
einzuprägen (2). Als er das dritte Mal an der gleichen Stelle
stand, sprach er bei einem Rückblick auf die erlebten Kon-
flikte etwas elegisch, sein Auftreten hatte ihn schon zu einer
Zielscheibe der oppositionellen Angriffe gemacht. Zwar hatte
er vor der Veröffentlichung von Manwaring's Predigten ge-
warnt, aber seine Billigung der Ansichten Montague's, welche
den orthodoxen Calvinismus verletzten, sein vertrautes Ver-
hältnis zu dem verhassten Minister, seine Vertheidigung ab-
solutistischer Theorieen Hessen auch seinen Namen in der Re-
monstranz erscheinen, welche im Juni 1628 dem König über-
reicht ward(^).
Inzwischen waren ihm immer mehr Gnadenbeweise zu
Theil geworden. Er war seit 1627 Mitglied des geheimen
Raths. Er erlangte im Sommer 1628, als eine allgemeine Beför-
derung von Anhängern der hochkirchlichen Richtung eintrat,
das Bisthum von London und damit den unberechenbaren
Einfluss auf eine grosse, durch und durch puritanische Diöcese.
Der einzige Mann seines Standes, dessen Begabung er zu
fürchten gehabt hätte, der Gross - Siegelbewahrer Williams,
hatte schon seit drei Jahren wegen seines Gegensatzes zu
Buckingham sein Amt aufgeben müssen. Der einzige Mann,
der ihm überhaupt in der Gunst des Königs vorangieng,
Buckingham selbst, wurde durch den Stahl des Mörders weg-
geraflt. Noch lebte Abbot, der Erzbischof von Canterbury,
aller auch auf diesen Primat waren Laud schon Hoffnungen
gemacht. Ehe er ihn wirklich erlangte, trat jene kritische
Wendung im Staatsleben ein, welche dazu führte, England
ein eilfjähriges parlamentarisches Interregnum erdulden zu
lassen. Beim Wiederzusammentritt desselben Parlaments,
aus dessen Schoss die Petition des Rechtes hervorgegangen
war, im Januar 1629, hatte der Zwiespalt, der schon vor der
Prorogation hervorgetreten war, wiederum seinen schärfsten
Auswärtige Politik. 135
Ausdruck gefunden. Mochte der König die Petition des Rech-
tes in dem Sinn, wie er sie verstand, nicht gebrochen haben,
nach der Meinung des Hauses der Gemeinen war sie ge-
brochen. Mochten Laud und seine Genossen noch so gute
Protestanten sein, nach der Meinung des unduldsamen und
schwarzsichtigen Puritanismus war die Landesreligion durch
ihr Gebahren gefährdet. Nach den heftigsten Debatten über
geistliche und weltliche Gegenstände, inmitten der grössten
Aufregung, unter leidenschaftlicher Verwahrung gegen Neuerun-
gen der Religion, Erhebung und Zahlung des Tonnen- und
Pfundgeldes, gieng die Versammlung auseinander. Einige der
Führer der Opposition wurden festgenommen, und Eliot hatte
nach langer, qualvoller Haft in den düsteren Mauern des
Tower den Märtyrertod für die Sache zu sterben, der er mit
solchem Feuer gedient hatte.
Der Beginn der parlamentslosen Zeit bedeutete zu-
gleich das Ende der Epoche des Krieges. Nach dem Ab-
schluss des Friedens mit Frankreich waltete noch der Gedanke
vor, England freie Hand zu geben, um sich in Verbindung
mit den nordischen Mächten, den Niederländern und den Hansa-
städten, den Fortschritten der ligistischen und kaiserlichen
Waffen entgegenzuwerfen. Als aber der Rücktritt Dänemarks
Pläne der Art scheitern liess, wurden die Absichten gegen
das Haus Habsburg aufgegeben, und der Friedensvertrag auch
mit Spanien kam zu Stande. Die Staatsmänner, welche die
spanischen Interessen vertraten, gelangten wieder zu Ansehn,
dem Gross -Schatzmeister Westen, der ohne Parlament für die
Finanzen zu sorgen hatte, war eine friedliche Abkunft er-
wünscht, der König liess sich in Betreff der pfälzischen Frage
an einer allgemeinen Versicherung für die Zukunft genügen.
Zwar verlor er die grossen europäischen Angelegenheiten nicht
aus dem Auge, una es gab Momente, in denen er aufs neue
in dieser oder jener Richtung in sie einzugreifen versuchte.
Er verhandelte mit Gustav Adolf wie mit Oxenstjerna zu
Gunsten seiner pfälzer Verwandten und liess sich zu be-
trächtlichen Geldopfern herbei. In dem Bestreben, der mäch-
tigen niederländischen und der aufstrebenden französischen
136 Innere Politik.
Marine entgegenzutreten, war er mehr als einmal einem Bünd-
nis mit Spanien nahe , während er sich zu anderen Zeiten in
den grossen europäischen Machtfragen enger mit Frankreich
verknüpft und einer Allianz mit dem starken Leiter seiner
Politik geneigt fühlte. Er hat einmal den Versuch gemacht,
sich mit dem Kaiser über die Wiederherstellung seines Neffen,
des jungen Kurfürsten von der Pfalz, zu verständigen und
einige Jahre nachher den verfehlten Plan begünstigt, eben-
denselben an die Spitze des verwaisten Heeres Bernhard's von
Weimar zu stellen (^). Aber bei allen diesen hin und her
schwankenden Unternehmungen hielt er sich von einer thä-
tigen Einmischung in die festländischen Dinge zurück. Die
Sache des Protestantismus erschien dem argwöhnischen, grob
urtheilenden Engländer, der sich in das Zeitalter Elisabeth's
zurückträumte, und dem die wirklichen Verhältnisse wenig
bekannt waren, überall wie absichtlich aufgegeben. — In einem
Punkte jedoch hatte das gemeine Urtheil Piecht, dass im Weg-
fall des Parlamentes und der Unterstützung, die ein solches
allein gewähren konnte, die hauptsächliche Ursache jener zwei-
deutigen und schwächlichen auswärtigen Politik zu suchen sei.
Karl I. war indessen entschlossen , so bald nicht auf's
neue ein Parlament zu berufen, mit dem er drei Mal so üble
Erfahrungen gemacht hatte. Seine Absicht gieng dahin, ge-
stützt auf die dehnbaren Befugnisse weltlicher und kirchlicher
Gewalten, die königliche Macht den absoluten Regierungen
jenseits des Kanals innerlich anzunähern. In diesem Sinne
hatte das grosse Wort, welches Sir Robert Phelips im Par-
lamente von 1625 hatte fallen lassen: „Wir sind die letzte
Monarchie in der Christenheit, die ihre ursprünglichen Rechte
und ihre alte Verfassung bewahrt hat" : eine tiefe, historische
Bedeutung (2). Strebten die Gemeinen über diese alte Ver-
fassung selbst schon mit mehr oder weniger Bewusstsein hin-
aus, Hess sich über das formale Recht in diesem und jenem
Fall streiten, sie vertraten dennoch jenes ursprüngliche Recht
des Volkes, das duich keine Zeit verjähien konnte, und durch
dessen zähe Vertlieidigung sie mittelbar noch mehr als die
Zukunft allein des eigenen Vaterlandes bestimmten. Mit
Sternkammer. — Provinzial- Behörden. 137
ihrem Widerstände hatte der König- nun auf Jahre hinaus
nicht mehr zu rechnen, und die Bahn für die Einführung un-
umschränkter Monarchie schien frei zu sein. Das Privy-
Council , schon längst zu einem formlosen Kabinetsrath ge-
worden, als Mittelpunkt der ganzen Regierung, dehnte seine
unbestimmten Befugnisse in einer Weise aus, welche die Lan-
desverfassung gänzlich zu beseitigen drohte. Seine Verord-
nungen, die schonungslos selbst in das Privatrecht eingriffen,
„befahlen, was durch Gesetze nicht befohlen, und verboten,
was durch Gesetze nicht verboten war". Seine diskretionäre
Strafjustiz, vom Bedürfnis früherer Zeiten gefordert, mit Um-
gehung des nationalen Instituts der Geschworenen, in der
Sternkammer (^) ausgeübt, diente zu gleicher Zeit dazu, den
ungesetzlichen Verordnungen Gehorsam zu erzwingen und die
Staatskasse zu bereichern. Büssung und Zwangssteuer, In-
ternirung und Ausweisung , Haussuchung und Verhaftung,
Straferkenntnisse auf Geldzahlung von kleinen Summen bis
zu Tausenden von Pfunden , auf Gefängnis von kurzer Dauer
bis auf Lebenszeit, auf Ausstellung am Pranger und öffent-
liches Auspeitschen, auf Abschneidung der Ohren und Auf-
schlitzen der Nase : Das alles war auf die Thätigkeit der einen
Behörde zurückzuführen, welche ihre Verordnungsgewalt in
derselben Weise missbrauchte wie ihre Administrativ- Justiz,
für welche keine der Bürgschaften von Freiheit und Eigen-
thum des Engländers vorhanden, und von der eine Appellation
an eine höhere Instanz nicht möglich war.
Die grossen ausnahmsweise bestehenden Provinzial - Be-
hörden, dem Muster des Privy- Council angepasst, einst durch
besondere örtliche Verhältnisse hervorgerufen, waren gleich-
falls geeignete Mittel , um die üblichen Formen der Verwal-
tung, des gemeinen Rechts und der volksthümlichen Rechts-
pflege zu durchbrechen. Energischen Inhabern wurden durch
die Summe von Gewalten, die mit diesen Aemtern verknüpft
waren, zweischneidige W^ äffen in die Hand gegeben, gleich
fähig, zum gemeinen Besten wie zum Unheil verwandt zu
werden. Schon machte sich an der Spitze einer dieser Be-
hörden, als Lord -Präsident des Rathes des Nordens, der
138 Finanzielle Auflagen. — Das kirchliche Regiment.
Mann einen gTOSsen Namen, dessen Vergangenheit nicht auf
diese Laufbahn gedeutet hatte, dessen Zukunft Höheres barg:
Thomas Wentworth, der spätere Graf Strafford.
In den ersten Jahren der parlamentslosen Zeit traten
allerdings die Massregeln der absoluten Verwaltung noch
nicht in solcher Schärfe hervor wie in den späteren. Es
war noch nicht nöthig, auf Processe zu rechnen, um ver-
urtheilen zu können und auf Verurtheilungen , um die Straf-
summen möglichst hoch zu schrauben. Den Bedürfnissen des
Staates wurde vorzüglich durch Erhebung des Tonnen- und
Pfundgeldes genügt, über dessen Bewilligung kein Einver-
ständnis erzielt worden war, das der König trotzdem als ihm
zuständig betrachtete (^). Vorzüglich die Kaufleute fanden
darin einen Grund gerechten Missvergnügens, Aber bald tauch-
ten neue ungesetzliche Forderungen auf, die ein Gefühl des
Unwillens in weiteren Kreisen der Bevölkerung verbreiteten,
und <mit der Auflegung des Schiffsgeldes langten der Absolu-
tismus [der Krone und die Erregung der Massen auf ihrem
Gipfel an {^).
Neben den Gewaltsamkeiten auf diesem Gebiet nahm das
Kirchen -Regiment immer entschiedener einen Charakter an,
der das Misstrauen breiter Volksschichten auf's äusserste her-
ausforderte und den einzelnen im Besitz seiner theuersten
Güter und Freiheiten gefährdete. Hier war William Land
das treibende Element. Der kleine, bewegliche Mann mit
dem rothen Gesicht gelangte erst jetzt zur vollen Entfal-
tung seiner Pläne. Er versäumte nicht, mit ängstlicher Ge-
wissenhaftigkeit über seine Träume Buch zu führen, aber er
verlor über persönlichen Stinnnungen und Verstimmungen
niemals die klaren und einfachen Ziele aus den Augen, die
ihm vorschwebten. So häufig ihm der Widerspruch dieses
und jenes Kollegen im geheimen Pvath entgegentrat, so wusste
er den König völlig für sich einzunehmen und einen Eintluss
auszuüben, der weit über das eigentlich kirchliche Gebiet hin-
ausgieng. Auf diesem selbst trat er auch äusserlidi an die
Spitze, als ihm nach dem Tode des Erzbischofs Abbot im
Sommer 1633 der Sitz von Canterbury zu Theil ward. Von
Das kirchliche Eegiment. — Stärkung des Puritanismus. 139
jeder parlamentarischen Kontrole befreit und zugleich jeder
Mitwirkung einer geistlichen Konvokation enthoben, des Ver-
trauens seines 'Herrn ge^\iss und von grösstem Eifer für seine
Ideale erfüllt, arbeitete er unermüdlich mit den gleichgesinn-
ten Genossen, um durch königliche Verordnungen, scharfe
Aufsicht, Anmahnungen und Strafen den Zustand der Kirche
in seinem Sinn zu ändern. Er hatte ein offenes Auge für
manche ihrer Schäden, Avie für die ungenügende Besoldung
vieler Vikare, er suchte die gelehrten Studien mannichfach
zu befördern, aber die Aufgabe seines Lebens war ihm jene
„heilige Einigkeit", jene vollkommene Konformität auch im
Aeusserlichen herzustellen, ohne die ihm die Kirche „allen
Batterien des Teufels offen zu hegen" schien (i). Zelot, wie
er war, begnügte er sich nicht mit jenen moralischen Mitteln,
die er einst als unerlässlich für diesen Zweck angegeben
hatte, sondern schrak vor der Billigung foltei-ähnlicher Strafen
nicht zurück. Auf's engste mit der Staatsgewalt verbündet,
wie er sich wusste, hatte er nicht zu fürchten, von ihr ge-
hindert zu werden, sondern konnte vielmehr ihren starken Arm
in Anspruch nehmen , um mit den Feinden der wahren Re-
ligion auch die Gegner des Königs aus göttlichem Rechte zu
treffen. Er nutzte die Verbindung, wie sie zwischen der
anglikanischen Kirche und der monarchischen Gewalt bestand,
in einer Weise aus, die beiden das gleiche Verderben her-
aufbeschwor. Alle Unbilden, die man vom Kirchenregiment
zu erdulden hatte, waren nur unter Mitwirkung der Staats-
macht möglich, alle Rechtsbrüche, deren sich diese schuldig
machte, fanden in den höchsten Dienern der Kirche ihre
Vertheidiger.
Auf diese Weise gelang es dem neuen Prälatenthum, wie
es in Laud verkörpert erschien, die Gegner seines Kirchen-
regiments und die Gegner der Willkürherrschaft zu einer fest-
geschlossenen Phalanx um das Banner des Puritanismus zu
versammeln und im Puritanismus selbst gleichzeitig alle jene
Antriebe mit verstärkter Kraft wieder aufleben zu lassen, die
nacheinander seine Geschichte bezeichnet hatten. Einige der
alten Gegenstände des Streites hatten eine Zeit lang als auf-
140 Stärkung des Puritanismus. — Die Sabbathfeier.
gegeben gelten können. Es hatte Jahre gegeben, in denen
gegen Chorhemd und viereckige Kappe, gegen Ring und Kreu-
zeszeichen so gut wie gar kein Widerstand zu bemerken ge-
wesen war. Der Streit um die kirchhche Veiiassung, wie
man sie in der Bibel als vorgeschrieben zu finden glaubte,
hatte so gut wie ganz geruht, bis der Episkopat selbst mit
seinen neuen Ansprüchen zu seiner Wiederaufnahme reizte.
An Klagen über ungebührliche Ausdehnung der kirchlichen
Disciplin, über Pfründenhäufung und Sinekuren, über An-
stellung unfähiger Geistlicher und Nichtresidenz am Amtssitze
hatte es niemals gefehlt. Die „sabbatharische Frage", der
Streit um die Heilighaltung des Sonntags, der sich gegen
Ende des sechzehnten Jahrhunderts erhoben hatte, war unter
der Regierung Jakob's an einer Stelle mit grösserer Heftig-
keit aufgeflammt. Der Kampf um die calvinistischen Grund-
lehren, welcher auch auf dem Felde des Dogmas die Puritaner
unter die Waffen rief, hatte erst damals begonnen. — Die
Massregeln Laud's brachten zu Wege, dass alle diese verein-
zelten und zeitweise beruhigten Strömungen zu einer mäch-
tigen und reissenden Fluth zusammenflössen.
Unzweifelhaft war Land in mehr als einem Punkte seinen
Gegnern an Freiheit der Anschauung überlegen. Aber die Art
und Weise, mit der er sie zu dieser freieren Anschauung zu
bekehren suchte, Hess sie den besten Theil ihres Werthes
verlieren. — Die Sonntagsfeier, wie der Puritanismus sie an-
strebte, konnte nicht nach jedermanns Geschmack sein und
war dem englischen Volksgeist von Haus aus etwas durchaus
fremdes. Während die meisten, vom Hofmann bis herab
zum Bauern, am Sonntag nach dem Gottesdienst sich einer
heiteren, oft ausgelassenen Müsse hingaben, und um den Mai-
baum das Lachen der tanzenden Paare, aus der Schenke der
Jubel fröldicher Zecher erscholl , flüchtete sich der ernste
Puritaner am Tage des Herrn aus dem Getümmel der Welt
in die stille Beschaulichkeit seiner eigenen, frommen Gedanken
und enii)örte sich über die lärmenden F^ntweihungen des
„Sahbath" durch seine Mitmenschen. Streitigkeiten über die
Sonntagsfeier in Lancashire hatten 1618 König Jakob bewogen,
Die Sabbathfeier. 141
eine Deklaration, das s. g. Book of Sports, zu erlassen, worin
nicht wenige Belustigungen aufgezählt waren, deren Genuss
den Unterthanen Sonntags nach dem Gottesdienst gestattet
und nicht von anderen durch Wort oder That behindert werden
sollte. Der Befehl, welcher der gesammten Geistlichkeit des
Landes zur Pflicht machte, die Deklaration von der Kanzel
herab zu verlesen, hatte schon damals eine solche Aufregung
hervorgerufen, dass er zurückgezogen werden musste. Die
Gemüther schienen sich beruhigt zu haben, aber es bedurfte
nur eines neuen Anstosses, um die Bewegung wieder hervor-
zurufen. In einer Zeit, da von oben herab so manches Bei-
spiel der Frivolität gegeben wurde, und die Bande von Zucht
und Sitte auch in den unteren Ständen sich vielfach lockerten,
klammerten sich ernste Naturen um so fester an eine äussere
Fonn der Selbstzucht und Entsagung, welche nichts mehr als
die Willensstärke des einzelnen erforderte. Indessen Hessen
sich Reibungen zwischen den Bewohnern derselben Stadt,
desselben Dorfes nicht immer vermeiden. Das Ideal .der
Keuschheit und Massigkeit, welches die einen mit weltver-
achtender Strenge zu verwirklichen suchten, reizte den Spott
ihrer Nachbarn. Der brausende Uebermuth, welchem diese
zum Trotz alle Zügel schiessen Hessen, gab jenen zu tugend-
stolzen Klagen und Beschwerden Veranlassung. Diese Gegen-
sätze hatten sich in Somersetshire zu solcher Schärfe zugespitzt,
dass richterliche Verfügung hier die Abstellung gewisser Kirch-
weihfreuden geboten hatte, durch welche Rohheit und Unsitt-
lichkeit befördert worden waren. Die Verfügung war mit
Umgehung der geistlichen Oberbehörde zur Veröffentlichung
an die Pfarrer ergangen. Nicht genug damit, dass dieser
Eingritf in das Gebiet des kirchlichen Beamtenthums seine
Strafe fand : die Deklaration König Jakob's ward wieder her-
vorgesucht und der Pfarrgeistlichkeit in ganz England ein-
geschärft, sie zur allgemeinen Kenntnis zu bringen (18. Oktbr.
1633) (^). Puritanisch gesinnte Geistliche hatten vor einer
Gemeinde, deren Mehrheit vielleicht im Herzen gleichfalls
puritanische Ueberzeugungen hegte, von derselben Stelle, an
der das Wort Gottes ertönte , mit vor Unwillen zitternder
142 Arminianismus und Calvinismus.
Stimme zu verkündigen, dass Tanzen und Bogenschiessen,
Springen und Schwingen, Mai -Spiele und Pfingst-Bier dem
Tage des Herrn wohlanständig seien. Mochte der Geist, den
die Deklaration athmete , unendlich freier sein als der Geist
des Puritanismus : es war ein schwerer Gewissenszwang, die
amtliche Stellung des Klerus in dieser Weise auszubeuten
und die Vernachlässigung jenes Befehls zu einem strafwür-
digen Verbrechen zu machen.
Ein gleiches Verfahren wurde in den dogmatischen Strei-
tigkeiten eingehalten, die bis auf die letzten Jahre König
Jakob's zurückgiengen. Die theologische Ansicht William
Laud's strebte über die Schranken hinaus, in welchen der
gläubige Calvinist, dessen Denken sich um das Geheimnis der
Erwählung und Verwerfung bewegte, eine Stellung einnahm,
die ihm selbst den höchsten Grad moralischer Sicherheit
geben, aber zugleich zu einer unduldsamen Verachtung von
Millionen von Mitmenschen führen konnte. Der Calvinismus
mit seinem unerbittlichen Satze der Vorherbestimmung hatte
Grosses geleistet, als es galt, im verzweifelten Ringen mit der
wieder erstarkten Macht von Rom den Gegensatz zu ihren
Principien bis in die äussersten Folgerungen schonungslos
durchzuführen und den einzelnen mit einer todverachtenden
Glaubens - und Siegesgewissheit zu erfüllen. Aber dieses Ge-
fühl, das Leben als einen Kampf zwischen den Auserwählten
und den Verworfenen zu betrachten und sich selbst in den
furchtbaren Kreis eines ausschliessenden Dogmas gebannt zu
denken, hatte bei vielen Naturen milderen und versöhnlicheren
Anschauungen Platz gemacht. Der Arminianismus hatte in
England eine neue Zuflucht gefunden, nachdem er in Holland
zeitweise zurückgedrängt worden war. Die Männer der hoch-
kirchliclien Partei hatten ihn in ihren Reihen freudig auf-
genommen, mit dem Bewusstsein, ihn mit ihren übrigen Be-
strebungen in Verbindung setzen und ihn als Waffe gegen den
starren Puritanismus benutzen zu können. „Kein grösserer
Dienst konnte dieser milderen Anschauung geleistet werden,
als ihr zu gestatten, sich auf dem Wege der Ueberzeugung
Bahn zu brechen. Kein grösseres Unrecht konnte ihr zu-
Arminianismus und Calvinismus. 143
gefügt werden, als ihr Macht zu geben, ihre Gegner mit Ge-
walt zum Schweigen zu bringen "(^). Eben dies war aber
geschehn, sobald die Staatsgewalt für diese Ansicht gewonnen
worden war. Jakob hatte 1622 nicht in Form eines Rath-
schlags, sondern eines Befehls verkünden lassen, dass „kein
Prediger unter dem Range eines Bischofs oder Dechanten sich
künftig erkühnen solle ^ vor einer Zuhörerschaft aus dem
Volke über die tiefen Fragen der Prädestination, Erwähl ung,
Verwerfung oder der Universalität, Wirksamkeit, Widersteh-
lichkeit oder Unwiderstehlichkeit der göttlichen Gnade zu
predigen " {^). Ein Schrei der Entrüstung hatte sich unter
den Puritanern erhoben. Das Wort Gottes zu predigen und
auszulegen sei ein heiliges Recht des Christen, und die höheren
Würdenträger der Kirche seien nicht allein mit der Fähigkeit
richtiger Einsicht begnadet. Auch sah man die Unparteilich-
keit nur dem Scheine nach gewahrt, da bei Besetzung der
höheren Stellen nun auch auf die gewünschte dogmatische
Richtung geachtet ward. In der That schloss das Beiwort
„orthodox" in der Liste Laud's auch die Bedeutung „armi-
nianisch" in sich ein. Je mehr er zu Einfluss gelangte, desto
sichtlicher wurde das Eindringen des arminianischen Elements
in den Kirchendienst gefördert. Bei der Besetzung vakanter
Bisthümer und Dechaneien, bei der Vergabung königlicher
und bischöflicher Pfründen wurden arminianisch Gesinnte ent-
schieden bevorzugt. Die 1628 erlassene Deklaration, welche
dem officiellen Druck der neununddreissig Artikel vorgesetzt
worden war, hatte aufs neue das Verbot, streitige Dogmen
in Wort oder Schrift zu berühren, eingeschärft und der Kon-
vokation des Klerus unter Vorbehalt königlicher Erlaubnis
Gegenstände der Art überwiesen. Eben gegen diese Dekla-
ration, die während seines Recesses erlassen worden war,
hatte das Parlament noch die leidenschaftlichsten Angriffe
richten können, aber allen Ver\Nlinschungen zum Trotz blieb
sie bestehn, und ihre Uebertretung wurde schwer geahndet.
Hervorgegangen aus dem ehrlichen Wunsche, „faktiöse" Be-
wegungen zu beruhigen, erschien sie selbst als Aeusserung
einer Faktion. Es war erreicht worden, dass man die Theologie
144 Formeuzwang.
William Laud's und seiner Genossen als untrennbares Glied eines
verhassten kirchlich -politischen Systems betrachten rausste.
Wie Arminianismus und Papismus als ziemlich gleichbedeu-
tende Worte gebraucht wurden , so galt der grossen Masse
der Glaube an die unbedingte Prädestination und der Wider-
stand gegen die Gelüste der Absolutie als unzerreissbares
Symbol ein und derselben Gesinnung.
Das grösste Gewicht indessen legte das herrschende Kir-
chenregiment auf die strenge Beobachtung jener äusseren
Formen, durch die es dem einzelnen die Einwirkung der ver-
mittelnden Kirche bei jedem Schritt seines Lebens zum Be-
wusstsein zu bringen und das Amt des vermittelnden Priesters
selbst zu einer geheimnisvollen Erhabenheit zu steigern ge-
dachte. Alle die antiquarischen und ästhetischen Neigungen
der hochkirchlichen Schule kamen hier zur Verwendung. Alle
Hebel wurden angesetzt, um jene „Uniformität und Decenz",
jene „Schönheit der Heiligkeit" durchzuführen, wie der
Laud'sche Lieblingsausdruck für diese Seite seines Systemes
lautete. Nicht nur, dass mit lobenswerther Sorgfalt auf die
Herstellung verfallener Kathedralen und Kirchen gedrungen,
auf Ordnung und Würde beim Gottesdienst gehalten wurde:
der ganze künstlerische, auf sinnliche Wirkung berechnete
Apparat wurde wieder heraufbeschworen , von welchem für
das rigorose Gefühl des Puritanismus ohnehin noch allzu viele
Reste vorhanden waren. Das Innere der Gotteshäuser wurde
durch eine Fülle von Bildern, Schnitzereien und Figuren ge-
schmückt. In bunten Fenstern brach sich das gedämpfte
Licht. Krucifixe und die Gestalt der Mutter Gottes tauchten
wieder auf. Ueberall hatte sich in der östlichen Nische des
Chores der geweihte, mit Schranken umgebene Hochaltar zu
erheben, dem durch Kniebeugung in den Kathedralen Ehr-
furcht zu erweisen war. Wie Kirchen und Kapellen, so wur-
den die dem Kultus dienenden Geräthschaften , vor allem die
Abendmahlsgefässe, geweiht. Hie und da glich das Bild,
welches sich dem Beschauer des erzbischöflichen Gottesdien-
stes bot, die zahlreichen Verneigungen, Elevationen und Ado-
rationen, die Ceremonieen des geschmückten Würdenträgers
Furcht vor Rekatholisirung. 145
und seines geistlichen Gefolges, der Glanz der brennenden
Kerzen in prunkvollem, von Orgelton und Chor-Gesang durch-
brausten! Räume, ganz und gar dem blendenden Schauspiel,
das an den berühmten Kultusstätten der alten Kirche die
überwältigten Sinne berauschte. Die Formen des Messopfers
erschienen nachgeahmt. Land machte kein Hehl daraus, dass
der Altar die heiligste Stätte der Wohnung Gottes auf Erden
sei, heiliger als die Kanzel, „denn dem Leibe des Herrn gebühre
eine grössere Verehrung als dem Worte des Herrn"(^). Auch
wurden an hoher Stelle .Coelibat und Ohrenbeichte mitunter
warm empfohlen.
Man ist heute der Mühe überhoben, die Nichtigkeit der
Anklage naclizuweisen , welche am meisten dazu beigetragen
hat, Laud's tragisches Schicksal herbeizuführen und den Ver-
dacht zu entkräften, dessen blinde Gewalt nicht am wenigsten
dazu mitgewirkt hat, auch den König zu Fall zu bringen.
Land hat nicht daran gedacht, den Katholicismus als Landes-
Religion zurückzuführen, und der König war weit entfernt da-
von, sich bekehren zu lassen. Wenn man in Rom eine
Zeit lang mit solchen Hoffnungen sich trug, so musste man
bald die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung einsehn. Der Kleriker,
welcher einst gegen den Jesuiten Fisher die protestantische
Religion vertheidigt hatte, liess sich auch durch die Aussicht
auf den Kardinals-Hut nicht verlocken. Der Herrscher,
welcher sich als Mensch und König durch zahlreiche
Schranken in seinem Denken vom römischen Poutitikat und
dessen Lehren getrennt sah, erklärte dem päbstlichen Agenten
offen: „Zu einem Papisten werdet ihr mich nicht macheu."
Allerdings für Karl L wie für Land war der Gegensatz zum
Katholicismus durchaus nicht von gleicher Stärke wie für die
grosse Masse des Volkes. Der Pabst war ihnen nicht mehr der
Antichrist, und Rom nicht mehr das apokalyptische Thier.
Mit dem Erzbischof urtheilten nicht wenige Glieder der vor-
nehmen, feingebildeten Gesellschaft, dass die anglikanische und
die römische Kirche „nicht in wesentlichen, sondern nur in
nebensächlichen Dingen" verschieden seien, und bei denjenigen,
welche nicht geradezu im sicheren römischen Hafen nach
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. 1Q
146 Furcht vor Rekatholisirung.
stürmischer Lebensfahrt ankerten, bracli der Gedanke einer
höheren Einheit sich Bahn. Aber sie waren noch nicht im
Stande, sich jene höhere, humane Einheit als möglich zu
denken ohne die Einheit äusserer Zeichen, der sie mit Be-
wusstsein zustrebten. Indem sie sich von der Unduldsamkeit
der bisherigen Ueberlieferung freizumachen suchten, Hessen
sie sich selbst zu den grausamsten Zwangs-Massregeln fort-
reissen, um jede Abweichung von ihren Geboten zu unter-
drücken. Indem sie zwischen der Unfehlbarkeit von Rom und
der Unfehlbarkeit von Genf einen Mittelweg zu finden strebten,
erklärten sie das System ihrer eigenen Erfindung für unfehl-
bar, das weder katholisch war, weil es die Spitze des Pabst-
thums verschmähte, noch reformirt, weil es unentbehrliche
Grundpfeiler der Reformation umzureissen drohte. .
Es sind nur zu oft die irrigen Ideen, welche die treiben-
den Kräfte der Geschichte bilden. Die Masse des englischen
Volkes war im Irrthume, wenn sie Land für einen verkappten
Papisten und den König für geneigt hielt als reuiges Glied
in den Schoss der alleinseligmachenden Kirche zurückzukehren.
Aber dieser Irrthum bestimmte mehr als alles sonst die Ge-
schicke der Nation, und es gab Anzeichen genug, die ihn als
unwiderlegliche Wahrheit erscheinen lassen konnten. Im Dogma
wurde die äusserste Spitze, zu der die Reformation im Kampf
gegen Rom sich geschärft hatte, gewaltsam abgebrochen. Im
Ritus wurde die engste Annäherung an das katholische Muster
erzwungen. In der Verfassung der Kirche trat das priester-
liche Element mit unerhörten Ansprüchen auf. Verhandlungen
zwischen der Kurie und den Leitern von Staat und Kirche
fanden Statt, und dass man ihren wahren Charakter nicht
kannte, gab dem Misstrauen einer reizbaren Bevölkerung den
weitesten Spielraum. Einem Agenten der katholischen Königin
in Rom entsprach ein Agent des Pabstes am Hofe. Richard
Smith, Titular- Bischof von Chalcedon, ü])te in Lancashire in
voller Freiheit und mit allem äusseren Pomp aus päbstlichem
Auftrag l)ischöfliche Gerichtsbarkeit (^). Die ausländischen
Jesuiten -Seminare sandten zahlreiche, eifrige Zöglinge zu
Zwecken doi- Propaganda über den Kanal, und am Sitze der
Lage der Katholiken. 147
päbstlichen Macht widmete man dem Seelenheil der Ketzer
Ton der fernen Insel eine besondere Sorgfalt. In der That
vermehrten sich die Uebertritte znm Katholicismiis von Jahr
zu Jahr. Vornehme Engländer, die den heimischen Boden
als überzeugte Protestanten verlassen hatten, kehrten nach
einem Besuch der romanischen Länder mit den Gefühlen
eines INIortimer zurück. In England selbst verstanden nicht
selten die zarten Hände hochgestellter Damen das Netz
der Bekehrung auszuwerfen. Die Weston, Windebank, Cot-
tiugton, Porter und vor- allen Sir Kenelm Digby und Sir
Toby Matthews waren entweder offene oder heimliche An-
hänger und Förderer des Katholicismus , und wenn nicht
alle, die dieser Genossenschaft angehörten, die wichtigsten
Staats-Aemter inne hatten, so wurde durch sie doch bei Hofe
der mächtigste Einfluss ausgeübt.
Nichts konnte der Sache der Gewissensfreiheit gefährlicher
sein als der finstre Argwohn, den ein Ueberblick aller dieser
Erscheinungen in den Herzen der Puritaner erregte. Eng-
land hatte in den Zeiten, da politische und religiöse Gegen-
sätze sich zu decken schienen, eine unsühnbare Schuld gegen
diejenigen seiner Söhne auf sich genommen, deren einziges
Verbrechen darin bestand, der alten Kirche treu zu bleiben.
Flammten auch keine Scheiterhaufen mehr auf, so bestand
das System der schweren Geldstrafen für die Rekusanten und
der Verfolgung katholischer Priester gesetzlich noch fort.
Seit den geheimen Versprechungen, die Karl I. in seinem
Ehe- Vertrage zu Gunsten der englischen Katholiken gemacht
hatte, waren diese Gesetze, je nach der politischen Lage und
dem financiellen Bedürfnis, milder oder strenger ausgeführt
worden, und die letzte Rücksicht scheint in der Zeit des
parlamentarischen Interregnums niemals ihren Werth ver-
loren zu haben. Aber alles in allem hatte sich doch die
Lage der katholischen Unterthanen ausserordentlich gebessert.
An manchen Orten konnten sie ungestört Gottesdienst halten,
ihre Priester wurden nicht mehr verfolgt, die Geldstrafen
häufig gemindert oder erlassen. Sie versicherten niemals
bessere Zeiten gesehen zu haben, obgleich das Dasein der
148 Lage der Katholiken. — Kirchliche Visitation u. Jurisdiktion.
alten Gesetze ihnen noch immer gerechten Grnnd zu schweren
Besorgnissen gab. Aber auch dies Mal war ihr Unglück,
dass ihre gute Sache in der engsten Verknüpfung mit anderen
Interessen erschien, w^elehe die schlechtesten Bundesgenossen
im Kampfe- um die Glaubens- und Kultus-Freiheit sein mussten.
Als der spanische Gesandte Gondomar unter Jakob I. die
unterdrückten Rechte seiner Glaubens-Genossen vertrat, hatten
sie einen Beschützer gewonnen, der den Zwiespalt des Königs
und des Parlamentes das „grösste Glück" nannte, das sich
seit dem Auftreten des Ketzers Luther ereignet habe, der den
Staatslenkern an der Themse den Plan einer Theilung der
Niederlande unterbreitete, und dessen verstecktes Ziel die
Rekatholisirung von England bildete. Als unter dem Kirchen-
regimente Laud's eine gewisse Erleichterung eintrat, war sie
demselben Manne zu verdanken, der die Lehre vom leiden-
den Gehorsam der Unterthanen verkündigte, der verdächtige
Neuerungen auf dem Gebiet des religiösen Lebens einführte,
und dessen Duldsamkeit auf der einen Seite im bedenklich-
sten Gegensatz zu seiner Unduldsamkeit auf der anderen
erschien.
In der That sahen sich die Anhänger des Puritanismus
in der Geistlichkeit; immer schwereren Bedrückungen aus-
gesetzt, und die Laienscliaft, die ihre Gesinnungen theilte,
immer heftiger durch das lierrschende System verletzt. Die
Bischöfe der beiden Kirchen-Provinzen, in die das Land zer-
fiel, hatten durch Visitationen die strengste Aufsicht über den
kirchlichen Zustand ihrer Diöcesen zu üben und auf strikte
Einhaltung der vorgescliriebenen Formen zu achten. Zum
grössten Theile Anhänger der Laud'schen Richtung, giengen
sie meistens mit dienstbeflissenem Eifer an's Werk. Ihr in-
(|uisitorisches Verfahren erstreckte sich auch auf Glieder des
Laionstandes. Die Kirchen Vorsteher der einzelnen Kirch-
spiele wurden eidlich verpflichtet, sich an die Frage-Bogen
zu halten, in denen die Visitations-Artikel verzeichnet waren,
und unter den 897 Fragen, dei-en Beantwortung Bischof Wren
von Norwich forderte, war noch nicht die geringste, ob die
Pfarrl\iii(h;r heim Komimin und Gehen sich gegen den Chor
Hohe Kommission. 149
hin verneigten, und ob die Gräber in der Richtung von Ost
nach West gegraben, und die Leichen mit dem Kopf nach
Westen gelegt seien ('). Viele der Kirchenvorsteher weigerten
sich, den verlangten Eid zu leisten, und fortan wurde nicht
nur diese Weigerung, sondern auch der Versuch, sie in Wort
oder Schrift zu rechtfertigen, ein neuer Gegenstand der
, Strafe.
Die bischöfliche Jurisdiktion trat der Visitation ergänzend
zur Seite. In jener Diöcese von Norwich sollen im Zeitraum
von zwei Jahren und vier Monaten fünfzig Geistliche abgesetzt
oder mit schweren Strafen belegt worden sein. Die Laien-
schaft sah sich in unzähligen Fällen, von Erbschafts- und
Ehe-Processen bis zu Streitigkeiten über Kirchenstühle und
Stol-Gebühren den Erpressungen der geistlichen Gerichtsbar-
keit Preis gegeben, und die kirchliche Strafgewalt dehnte sich
in demselben Masse aus, in dem es praktisch erschien, die
Pönitenzen in Geldbussen umzuwandeln. Auf anderen Ge-
bieten konnte Land selbst eingreifen, wie er denn seit 1630
Kanzler von Oxford war und einige Jahre später das Recht
erlangte, als Metropolitan die beiden Universitäten zu visi-
tiren. (2) Aber der Haupthebel seiner Macht wurde jener
hohe Kommissionshof, der einst unter Elisabeth seine defi-
nitive Gestalt erhalten hatte, und bei dessen Verfolgung von
„Ketzereien, aufrührerischen Büchern, Ungehorsam, Verschwö-
rungen, falschen Gerüchten, verläumderischen Worten gegen
Supremats- und Uniformitäts - Akte etc." die grausamen
Formen des reinen luquisitions-Processes zur Anwendung
kamen (3). Es waren zum Theil dieselben Männer, welche
hier und in der Sternkammer sassen, und beide Tribunale
griffen durch ihre Thätigkeit ergänzend ineinander ein.
Der alte Kampf zwischen Juristen und Klerus über die
Kompetenz der geistlichen Gerichtsbarkeit schien auf allen
Stufen ganz und gar zu Gunsten des letzteren entschieden zu
sein. Wie das Schwert der Staatsgewalt nicht säumig war,
auszuführen, was der Mund des geistlichen Richters ge-
sprochen hatte, so suchten die geistlichen Tribunale den
Kreis ihrer Befusnisse rücksichtslos zu erweitern.
150 Process Leighton.
Von eleu Fällen barbarischer Straf-Justiz aus den ersten
Jahren der Laud'schen F.poche machte derjenige Alexander
Leighton's ein ausserordentliches Aufsehen. Leighton war ein
Schotte von Geburt, trat in seiner Heimat in den geistlichen
Stand, hatte aber ausserdem in Leyden den medicinischen
Doktorgrad erworben. Nach London verschlagen, scheint er
sowohl eine kleine religiöse Privat- Gemeinde um sich ver-
sammelt, wie auch ärztliche Praxis ausgeübt zu haben, aber
das eine wie das andere suchte man ihm unmöglich zu
machen. Im Jahre 1628 wurde er zum Fürsprech einer An-
zahl von Männern, die ihn „wegen der besten A rt dem Parlament
ihre Beschwerden vorzulegen" um Rath gefragt hatten. Er
erfüllte sie mit der Ueberzeugung, dass nur eine Abschaffung
des ganzen bischöflichen Systems das Heil bringen könne,
gewann sich, wie er lange nachher rühmte, für eine darauf
gerichtete Petition ein Paar hundert Unterschriften und be-
sorgte in den Niederlanden den Druck jener Schrift, welche
seine Ansichten näher darlegte und ihn zum Märtyrer machte.
In diesem „Appell an das Parlament oder Sion's Klage gegen
Prälatenthum" waren die leidenschaftlichsten Angritfe gegen
die Bischöfe und den bischöflichen Stand, Schmähungen der
Königin, „der Tochter Heth's", Freudenbezeugungen wegen
Buckingham's Ermordung aneinandergereiht. Ein erstes
Zeichen des wieder erwachenden Presbyterianismus, der seit
Jahren in England geschlummert hatte, zog das Libell des
fanatischen Schotten die Aufmerksamkeit der herrschenden
Gewalten besonders auf sich. Als der Autor im Juli 1629
nach England zurückkehrte, war das parlamentarische Inter-
regnum angebrochen. Am 17. Februar 1630 wurde er auf
einen von Laud unterzeichneten Haftbefehl des holien Kom-
missionshofes hin ei-griffen und fünfzehn Wochen lang in einer
ungesunden Zelle gefangen gehalten. Am 4. Juni fand die
Verhandlung vor der Stei-nkammer Statt. Dass der Ange-
klagte die ganze Urheberschaft des Pamphletes auf sich allein
nahm und sich weigerte, irgend einen der Anstifter und Mit-
wisser zu nennen, hat der einstimmig gefällten Sentenz jenen
abschreckenden Charakter barbarischer Härte gegeben. Das
Verfolgung der Puritauer. 151
Urtheil lautete auf lebenslängliches Gefängnis, Zahlung einer
Strafsumme von 10,000 Pf. St., Degradirang, Auspeitschen am
Pranger, öffentliche Brandmarkung des Gesichtes, Aufschlitzen
der Nase, Abschneiden der Ohren, und dies, um die Quälerei
zu verstärken, zu verschiedenen Terminen. Nachdem der
Spruch verkündet worden war, entblösste Laud sein Haupt,
um Gott mit erhobenen Händen für diesen Sieg zu danken.
Den Abend vor dem 5. November, welcher für den Beginn
der Marterung bestimmt war, gelang es Leighton mit Hülfe
von Freunden in einer Verkleidung zu entfliehen. Vierzehn
Tage darauf wurde er wieder gefasst, und man zögerte nicht,
mit peinlicher Genauigkeit dem Richterspruch gemäss zu ver-
fahren. Als ihm das lange Parlament nach zehn Jahren die
Freiheit wiedergab, konnte er kaum gehen, sehen und hören{^).
Es dauerte geraume Zeit, bis dieses Beispiel von Brutali-
tät erneut wurde, aber wenn hier die Art der Strafe den
tiefsten Eindruck hervorgebracht hatte, so trug die Masse der
Heimsuchungen nonkonformistischer Kleriker, welche von
Jahr zu Jahr stärker anschwoll, die Wirkung der bischöflichen
Kirchen -Politik gleichfalls in die weitesten Kreise. Man
hätte eine gewaltige Namensliste anzufertigen, um alle Opfer
der geistlich -weltlichen Verfolgung aufzuzählen. Der eine
hatte gesündigt, weil er über die ,,fünf Punkte", der andere,
weil er gegen die Bilder gepredigt hatte, dieser, weil er sich
geweigert, bei Nennung des Namens Jesus das Knie zu
beugen, jener, weil er einer Verlesung des „book of sports"
ausgewichen war. Glücklich, wer mit Geldstrafe oder zeit-
weiliger Enthebung vom Amte davon kam. Wie viele wur-
den ihrer Pfründen gänzlich beraubt, für Monate in's Ge-
fängnis geworfen und mit ihren Familien dem Elend Preis
gegeben. Auf diese Weise wurde alles gethan , um „ die
Kirche mit Glauben und Milde zu einer heiligen Einheit zu-
sammenzuschmieden'" (^) und jeden puritanischen Auswuchs
abzuschneiden. Es gab eine Klasse von Geistlichen, durch
welche der Puritanismus hoffen mochte, seine Ideale zu retten.
Das Institut der Eecturers, denen nach Unterschreibung des
Supremats, des Common-prayer-l)Ook und der 39 Artikel von
152 Lecturers.
den geistlichen Behörden Licenz ertlieilt wurde, war zur Zeit
Elisabeth's emporgekommen und hatte manchem, der durch
üebernahme einer ständigen Seelsorge leicht mit seinem Ge-
wissen in Konflikt kommen konnte, die Möglichkeit zur Aus-
übung des geistlichen Berufes gegeben. Die feurige, zwang-
lose Predigt weise der Lecturers fand unter einer puritanisch
gesinnten Bevölkerung grossen Anklang. Sie zogen im Lande
unüier, predigten in den Städten, namentlich an den Markt-
tagen und Sonntagnachmittagen, und bildeten im Dienst ein-
zelner Familien oder Korporationen gefährliche Nebenbuhler
für die bepfründete Pfarr - Geistlichkeit. Im Jahre 1626
hatten sich zwölf Puritaner, Geistliche, Juristen und reiche
Kaufleute , zu einer Compagnie vereinigt , deren Zweck
war, impropriirte Pfründen (') aufzukaufen, damit man über
eine Anzahl von Stellen verfügen und einen Theil der Ein-
künfte zur Besoldung von Lecturers, als Reiseprediger, auf-
wenden könne. Aber Laud's scharfes Auge hatte die drohende
Gefahr nicht übersehen. Den Aufkauf von Impropriationen
zu verhindern, war einer der Voi-sätze, den er in sein Tage-
liuch niederschrieb. Auch wurde jene Gesellschaft 1632 auf-
gelöst, und das von ihr angesammelte -Kapital konfiscirt. Und
schon Ende 1629 waren die schärfsten Instruktionen zur Be-
aufsichtigung der Lecturers ergangen, „dieser Kreaturen des
Volkes, — wie sie in dem ursprünglichen Entwurf genannt
werden, — die die Blasebälge seiner Empörung auf blasen" (2).
In der That wurde eine systematische Verfolgung der Lec-
turers mit den bekannten Mitteln eingeleitet und siegreich
durchgeführt.
Auf allen Seiten angegriffen, in ihren Pfarreien, während
ilirur Wanderung durch das Land, bis in's Innere des
Familien-Lebens von dem wachsamen Auge der geistliehen
Oberen verfolgt, in Burgen und Schlössern vornehmer Ge-
sinnungs-Genossen, in den gastlichen Häusern wohlhabender
Bürger vor dem Spälierblick dei- Häscher nicht sicher, in
beständigol- Gefahi-, ihres Gutes, ihrer Freiheit beraubt, wo
niclit gar srlimählich verstümmelt zu werden, sahen viele der
l)uritanischen Prediger kein anderes Mittel zur Kettuug vor
Auswanderung. 153
Aufieu, als ihr Vaterland zu verlassen und Stätten aufzu-
suchen, wo sie von hoher Kommission und Sterakammer nicht
erreicht werden könnten. In mehr als einer der norddeut-
schen und niederländischen Städte waren seit langer Zeit
englische Kaufmanns-Gesellschaften ansässig, denen eigene
Kapläne dienten. Vor allem war es Holland, das ein Asyl
für die Vertriebenen wurde, an zahlreichen Orten die Bildung
englisch -schottischer Gemeinden nach calvinistischem Muster
duldete und selbst independentischen Kongregationen Schutz
gewährte. Und schon wal-en jenseits des Oceans jene kolo-
nialen Gründungen begonnen worden, denen die politische
und kirchliche Gewaltherrschaft der Heimat immer neue
Kräfte zuführte.
Jahr für Jahr sammelten sich die Schaaren der Aus-
wanderer in den englischen Hafenstädten, und die Regierung
sah sich bald veranlasst, scharfe Massregeln gegen den freien
Abzug von Nonkonformisten zu trefteu, so sehr es in ihrem
Interesse gelegen hätte, den Gährungsstoff aus dem Lande
selbst zu entfernen. Aber sogar jene förnen Gebiete suchte
Laud seinem Willen zu unterwerfen. Es wurde 1634 dem
geheimen Rathe eine Vorlage unterbreitet, nach der nur
solche Geistliche bei den englischen Regimentern und Kauf-
manus-Gesellschaften im Auslande zugelassen werden sollten,
die sich in allen Dingen der Staatskirche konformirt hätten.
Auch sollte jeder Geistliche zur Verantwortung gezogen wer-
den, der als englischer Unterthan, wenn schon in irgend
einem Lande jenseits des Meeres, durch Wort oder Schrift
die Staatskirche angriffe. Im Sinne dieser Vorschläge
richtete Laud selbst einen warnenden Brief an die Kaufleute
von Delft(i). Bemühungen der Art blieben Dank der weiten
Entfernung und der Toleranz der Niederländer erfolglos.
Um so unnachsichtiger verfuhr Laud in seinem eigenen
Machtgebiet gegen die Gemeinden holländischer und wallo-
nischer Kaufleute und Handwerker, die seit langer Zeit in
England angesessen, ihren eigenen Kultus ausübten und sich
hiefür auf frühere Freibriefe beriefen. Die scharfen Verord-
nungen, nach denen die in England geborenen Kinder der
154 Die Kirche in Schottland.
Fremden sich der anglikanisclien Kirclie konformiren sollten,
hatten zur Folge, dass zahlreiche dieser gewerl)thätigen, wohl-
habenden Familien das Land verliessen. Man rechnet, dass
allein aus der Diöcese Norwich an dreitausend Wollen- und
Tucharbeiter auswanderten ( ^). Vollends die zerstreuten
kleinen Konventikel von Separatisten, die sich aus der grossen
puritanischen Masse noch aussonderten, mochten sie als
Brownisten, Anabaptisten, Fanatiker oder wie sonst gebrand-
markt werden, hatten auf keine Gnade zu rechnen. Sie ge-
hörten fast durchgängig den niederen Ständen an und ver-
sammelten sich in ärmlichen Schlupfwinkeln der Vorstädte von
London und in einigen anderen Orten des Landes, woselbst
sie die im Dienst der Kirche arbeitende Polizei unschwer
aufzuspüren im Stande war(^).
Es war eine nothwendige Ergänzung der Bestrebungen
Laud"s, dass er sein Ideal kirchlicher Konformität auch in
Schottland und Irland zu verwirklichen suchte. Schon war
es unter Jakob gelungen, im Kampfe mit dem Presbyteria-
nismus seines Erbreiches dort eine Organisation herzustellen,
die mehr als den blossen Titel von Erzbischöfen und Bischöfen
zurückführte, und durch Aufdrängung der fünf Artikel von
Perth im Rituellen wenigstens auf dem Papier ein Stück des
strengen Calvinismus verschwinden zu lassen. Aber die
mangelhafte Durchführung dieser Artikel zeigte deutlicher als
alles sonst, welche Widerstandskraft dem schottischen Pres-
byterianismus innewohnte. Sobald Land zu Ansehen ge-
kommen war, machte er seinen Einfluss geltend, um diesen
Widerstand zu brechen. Bei Gelegenheit des Krönungs-
besuches Karls, in dessen Begleitung auch Laud erschien,
im Sommer 1633, musste man in E(linl)urg die Formen des
anglikanischen Rituals bemerken. Das bischöfliche Element,
wie es in l)evorzugter Stellung dem Pai'lament eingefügt
worden war, fand auch im geheimen Rath von Schottland eine
starke Vertretung. Ein neues Bisthum von Edinburg wurde
gescliaffcn. Fin liöchster geistliclier Gerichtshof war in Thätig-
keit, dessen Cluirakter dem der hohen Kommission für Eng-
land augenähei-t war. Die kirchlichen General- Versammlungen
Die Kirche in Irland. 155
kamen in Abgang, der Adel hatte für seinen Einfluss, für den
Besitz der in seine Hand gefallenen Kirchengliter zu fürchten,
die Geistlichkeit für die Freiheit des Wortes und die Unab-
hängigkeit ihrer Stellung, und die ganze Masse des Volkes
für die alten Gebräuche, die sie bereit war, mit ihrem Leben
zu vertheidigen.
In Irland bestand eine bischöfliche Kirche, deren äussere
Organisation sich stattlich genug ausnahm. Aber nicht nur,
dass die überwältigende Masse der Bevölkerung, von natio-
nalem und religiösem Hass durchglüht, mit grimmigen Blicken
das aufgedrungene Geschöpf räuberischer Eroberung betrach-
tete, diese Kirche selbst, die kaum über 200,000 Bekenner
gebot, entsprach sehr wenig den Laud'schen Idealen. Ihre
materielle Lage war die elendeste, da die Laien bei der Sä-
kularisation den Löwen- Antheil für sich genommen hatten, ihre
Aufgabe des Unterrichts und der Seelsorge war äusserst ver-
nachlässigt, ihre Jurisdiktion gegenüber der mächtigen, katho-
lischen ^'olkskirche wenig mehr als ein blosses Wort, und
beim Ausbau ihrer Verfassung, ihres Kultus und ihres Dogmas
hatte sie Eigenthümlichkeiten angenommen, die sie sehr be-
deutend von der bischöflichen Kirche Englands unterschie-
den. Der Einwirkung hinübergewanderter presbyterianischer
Schotten und englischer Puritaner war es zu danken, dass
die Bischöfe auf manchen ihrer Ansprüche verzichteten, und
dass die Artikel vom Jahre 1616 bei weitem freier von An-
klängen an das Alte waren als die 39 Artikel der Kirche
von England. Auch hier beschloss Land einzuschreiten.
Männer aus seiner Schule, Anhänger der hochkirchlichen
und arminianischen Grundsätze erhielten gegenüber starren
Calvinisten bei Vergabung der Kirchen-Aemter den Vorrang.
Der Plan einer würdigeren Ausstattung der dortigen Kirche
wurde gefasst. Vor allem der Gedanke, die irischen Artikel
von 1616 abzuschaffen und durch die 39 Artikel zu ersetzen,
gieng seiner Verwirklichung entgegen.
Man sieht, zu wie umfassender Bedeutung die Bestre-
bungen Laud's und seiner Genossen sich steigerten. Ob er
selbst daran gedacht hat, das Erzbisthum von Canterbury
156 Der Hof.
ZU einem Patriarchat der britannischen Inseln zu erweitern,
bleibt ungewiss, unzweifelhaft bemühte er sich, die kirchliche
Einheit wie in England so in Schottland und Irland nach
Kräften herzustellen. Die Idee eines grossbritannischen Reiches
wurde, wie bereits unter Jakob, durch die Tendenzen des
Prälatenthums befördert, und diesem selbst eben deshalb auch
bei der äussersten Steigerung seiner Ansprüche die thätige
Beihülfe der Staatsmacht gesichert. Denn wie hoch sich auch
immer die bischöfliche Gewalt erhob, sie blieb nach wie vor der
königlichen untergeordnet, bereit, das absolutistische Verfahren
der Monarchie aus Gehorsam und Interesse zu vertreten.
Inmitten der ineinandergreifenden Bestrebungen von
Kirche und Staat stand der Hof. So locker die Sitten und
die Sprache der Gesellschaft auch sein mochten, die sich hier
versammelte, so bot er doch nicht mehr das grelle Bild der
Zuchtlosigkeit, wie zur Zeit Jakob's, in welcher der franzö-
sische Gesandte Tillieres, der keinen Grund hatte, den Moral-
Prediger zu spielen, sich scheute, die Dinge, die er zu sehen
bekam, in wahrheitsgetreuen Ausdrücken wiederzugeben, weil
es unmöglich sei, sie vor keuschen Ohren auszusprechen (^).
Karl I. galt für ein Muster häuslicher Moralität, eine vor-
nehme, gemessene Art kennzeichnete sein Auftreten. Aber
man hatte schon übergenug Erfahrungen darüber sammeln
können, dass ihm für das Sittliche im höheren Sinn der
Massstab fehle, und dass der äusserliche Anstand nur die
Maske eines ungezügelten Eigenwillens sei. Ein tief unwahrer
Zug beherrschte sein ganzes Wesen, und je weniger starke
Leidenschaften und ein weitreichender Verstand ihm zu Hülfe
kamen, desto mehr gewöhnte er sich daran, in absichtlichen
Zweideutigkeiten ein erlaubtes Mittel zu er])licken, um sich
aus einer augenblicklichen Verlegenheit zu befreien. Ein
Versprechen galt ihm als Nothbchclf und ein Woi'tbruch als
erlaubte Waffe. Die Königin hatte in der ersten Zeit der
Ehe, die (hirch so manche Streitigkeiten verbittert worden
war, keinen ]jolitischen EinHuss ausgeübt. Erst mit den
Jahren gelang es ihr bestimmend auf die Kathschlüsse ihres
Gemahls einzuwirken, der ihr in aufrichtiger Neigung ergeben,
Der Hof. 157
von ihrer geistvollen Lebendigkeit entzückt war. Vom Vor-
zug ihrer Religion wie von der Höhe des Herrscheramtes
gleich innig überzeugt, musste sie für alle antipuritanischen
Elemente die stärkste Stütze werden und in diesem Sinn be-
ständig auf ihi-e Umgebung, auf den ganzen Hof zuräck-
wirken. Hier liefen alle die Fäden zusammen, an welchen
sich das Dasein dieser geistreichen, vornehmen, lebensfrohen
Gesellschaft bewegte. Auf diesem glatten Parket begegneten
sich der gewiegte Staatsmann, der fremde Diplomat, die ver-
führerische Schöne, der leichtfertige Kavalier und der um-
schauende Sendling der Kurie. Bauschende Feste, glänzende
Maskenzüge, alle Künste, zu vereinter Anstrengung aufgefor-
dert und von einem feingebildeten Publikum gewürdigt,
schmückten das Leben. Meisterwerke des Alterthums, aus
weiter Ferne herbeigebracht, Perlen der italienischen Malerei,
durch glückliche Ankäufe erworben, entzückten das Auge.
Inigo Jones verwandte seine reiche Phantasie im Dienste dieser
Kreise. Van Dyck fand Vorwürfe, die es verdienten, von
seiner Hand auf die Leinwand gezaubert zu werden. Rubens
erschien in doppelter Eigenschaft als Künstler und als poli-
tischer Agent. Ben Jonson spendete dieser bunten Welt seine
schmeichlerischen Verse. — Die absolutistischen Massnahmen
der Regierung, die katholisirenden, künstlerischen Bestrebun-
gen der Kirche, die freie, höfische Bildung mit ihrem Sinn für
das Schöne: Das alles, sich gegenseitig verstärkend, verschmolz
zu einem imponirenden Ganzen.
Aber nicht minder schlössen sich die entgegengesetzten
Kräfte, die in der Nation wirksam waren, fest aneinander.
Viele Mitglieder des hohen Adels hielten sich vom Hofe fern.
Ein Theil der landsässigen Gentry, die grosse Masse der
städtischen und ländlichen Bevölkerung blickte mit ganz an-
deren Gedanken in die Zukunft, als die der herrschenden
Kreise waren. Es galt gerüstet zu sein für die Tage des
Kampfes, mit Zähigkeit auszuhalten in den Tagen der Ver-
suchung, Aber wer es mit den feindlichen Mächten auf-
nehmen wollte, musste sich selbst erst überwinden. Frei von
der modischen Frivolität in Sprache und Gebahren, ernst und
158 Die puritanische Partei. — Aufgeben der geistl, Laufbahn.
gemessen auch in den Stunden der Müsse, gestärkt durch
das mahnende Wort der Bibel, bildete sich das tapfere Ge-
schlecht, dessen Härten und Schroffheiten mit seiner Energie
und Sell)st-Zucht untrennbar verknüpft waren. Die sittliche
Strenge des starren Calvinismus, die argwöhnische Furcht
vor gewaltsamer Religions-Aenderung, der unbeugsame, männ-
liche Freiheitssinn gegenüber der brutalen Tyrannei kirch-
licher und staatlicher Gewalten: Das alles verband sich zu
der einen, geschlossenen Macht des Puritanismus. Wie sieh das
gottentstammte Königthum mit dem Schimmer religiöser
Weihe umgab, so war die Partei der kirchlichen Reform und
der politischen Opposition auf's innigste mit einander ver-
wachsen. — Es gab zwischen beiden Gegensätzen keine Ver-
söhnung. Denn über allem Getriebe persönlicher Feind-
schaften , kirchlicher Streitigkeiten , politischer Kämpfe er-
schienen sie, von einem höchsten Gesichtspunkt aus be-
trachtet, als zwei sich befehdende Weltanschauungen, die im
Beariff standen, sich den Besitz der Nation streitig zu machen.
In dem Augenblick, als Milton sich über seine Zukunft
zu entscheiden hatte, waren die Verhältnisse in Kirche und
Staat noch nicht in dem Masse gespannt, wie wir sie, hie
und da vorgreifend, hier skizzirt haben. Aber die Ziele, denen
das kirchliche und staatliche Regiment zustrebte, die Mittel,
die es zur Erreichung derselben .verwandte, lagen schon da-
mals vor aller Augen. Es war fast ein Akt der Nothwendig-
keit, dass Milton mit jenen Jugend-Träumen einer geistlichen
Thätigkeit vollkommen brach. So stark war seine theo-
logische Ader überhaupt nicht, dass er sich hätte angezogen
fühlen sollen zum Märtyrer, zum Opfer der Sternkammer
oder der hohen Kommission zu werden. Und zum geschmei-
digen Diener, zum Vertheidiger der geistlichen und politischen
Gewalt war er nicht geboren. „Als ich sah, welche Tyrannei
in die Kirche sich eingedrängt hatte, dass der, welcher in
den geistlichen Stand treten wollte, sich durch seine Unter-
schrift zum Sklaven zu machen und einen Eid darauf abzulegen
Aufgeben der geistlichen Laufbahn. 159
habe, der, ohne Dehnung des Gewissens, ein Meineid sein
oder ihn mit seinem Glauben in Widersprach setzen musste,
da zog ich ein tadelloses Schweigen dem heiligen Amt des
Redens vor, das nur durch Knechtschaft und Falschschwören
erkauft und begonnen werden konnte" (^).
Was Milton bei der Hindeutung auf einen geforderten Eid
im Auge hatte, ist nicht ganz klar. Wir wissen, dass er
schon zwei Mal, als er die Würde des Baccalaureus und die
des Magister zu erlangen im Begriff war, eine Eidesformel
zu unterschreiben hatte - und ohne Anstand unterschrieb
In der That enthielten aber die Eide, welche den angehen-
den Geistlichen abverlangt wurden, wesentlich nichts anderes,
als jene Universitäts-Eide. Freilich mochte man die Nöthi-
giing zur Unterschrift im einen Fall als eine akademische
Formalität, im andern als eine mit den ernstesten Folgen ver-
bundene Vei-pflichtung betrachten. Und überhaupt wollte
Milton das sklavische Verhältnis, in das der Geistliche zu
seinen Oberen zu treten hatte, wohl nur so drastisch wie
möglich bezeichnen (2). Genug, er leistete für immer auf die
Kanzel und das geistliche Gewand Verzicht. Der alte Milton,
wie alle Väter besorgt, den Sohn frühzeitig in einer festen
Lebensstellung zu sehen, scheint nun eine Zeit lang daran
gedacht zu haben, ihn auf die juristische Laufbahn zu ver-
weisen. Es existirt ein Exemplar des Buches „Natura
Brevium" von Fitz Herbert, einem bedeutenden Juristen aus
der Zeit Heinrichs VnL(2), in der Ausgabe von 1584, auf
dessen Titelblatt Milton's Name, von seiner Hand geschrieben,
zu lesen ist (Johes Milton : me possidet). Auf einem Vorsatz-
blatt am Anfang steht von derselben Hand: Det Christus
studiis vela secunda meis (Christus möge meine Studien be-
günstigen), und auf demselben Blatt etwas tiefer von einer
anderen Hand: Det Christus studiis vela secunda tuis
(Christus möge deine Studien begünstigen). Ich weiss nicht,
ob dieser zweite Wunsch, der sich doch wohl auf den Inhalt
des juristischen Werkes beziehen soll und wie eine Antwort
auf den ersten klingt, aus der Feder des alten Milton ge-
flossen ist(^). Man mag es vermuthen, wenn man einige
1QQ Aufgeben der geistlichen Laufbahn.
Verse eines lateinischen Gedichtes betrachtet, welches Milton
wahrscheinlich bald, nachdem er die Universität verlassen hatte,
an seinen Vater richtete (s. o. S. 20). Das ganze Gedicht
athmet die höchste Verehrung für den Vater und soll als
kleines Gegengeschenk für dessen grosse Gaben dargebracht
werden. „Verachte die heiligen Musen nicht und halte ihre
Werke nicht für eitel und fruchtlos", ruft er dem soliden aufs
Reale Gerichteten zu und erinnert ihn wie im Scherze da-
ran, dass er als Musiker selbst halb zu dieser Zunft gehöre.
„Warum solltest du dich also wundern, wenn du einen
Dichter zum Sohne hast. . . . Wenn du auch die zarten
Kamoenen zu hassen vorgiebst, so glaube ich doch nicht an
diesen Hass. Denn du hast mich nicht gezwungen, mein
Vater, auf der breiten Strasse zu gehen, wo der Markt
leichten Gewinnes sich öffnet, und die sichre, glänzende Hoff-
nung Gold aufzuhäufen blinkt. Du drängst mich nicht
zum Studium der Gesetze und der schlecht bewachten
Rechte des Volkes und verdammst mich nicht zum Anhören
des läppischen Frocess- Gezänks. Vielmehr leitest du mich,
beseelt von dem Wunsche meinen Geist durch Bildung zu
bereichern, fern von dem Getöse der Stadt zu einsamer Stelle
und lässt mich an der Seite Apoll's, als seinen glücklichen
Jünger, in seliger Müsse die aonischen Fluren durchs- andern"(^).
„Du drängst mich nicht" soll doch wohl nichts anderes heissen
als: ,,Du hast zwar gewünscht, mich in Amt und Würden zu sehen,
aber meine Abneigung gegen die Juristerei, (und sie tritt noch
mehrfach in Miltons Schriften hervor) (2), hat den Sieg über
deine Wünsche davon getragen." — Mit diesen Plänen war
es also auch nichts, und so blieb denn das übrig, was in jenen
Versen mit dem Gefühl innerer Befriedigung und Seligkeit im
Stil der Renaissance ausgesprochen wird. Milton erwählte
zunächst gar kein Nährfach, er durfte sich, Dank der Gross-
herzigkeit seines Vaters, mit den Seinigen wieder vereinigt,
in ländlicher Stille den Musen widmen. Wie mächtig hatte
sich in den vergangenen Jahren die dichterische Ader, die
schriftstellerische Neigung schcm in ihm geregt! Was er ge-
schaffen, war iiiolir als ein ärmliches Häufchen werthloser
Aufgeben der geistlichen Laufbahn. 161
Jugend- Versuche. Schon fanden seine Lehrer und Freunde,
dass in dem, ,,was er in Ausführung von Aufgaben oder nach
eigener Wahl in englischer oder einer anderen Sprache her-
vorgebracht hatte, Prosa oder Poesie, zumal aber in der
letzten, der Stil, gewissen lebendigen Anzeichen nach zu
schliessen, nicht untergehen werde "(^). Die folgenden Jahre
bildeten den Dichter.
Bevor wir diese Entwicklung betrachten, ist es unerläss-
lich, einen Blick auf die gleichzeitige poetische Literatur
England's zu werfen. Nur so wird es möglich sein, zu beur-
theilen, welche Stellung Milton damals in ihr einnahm.
Stern, Milton u. s. Z. I. 1. H
Viertes Kapitel.
Blick auf die gleichzeitige poetische Literatur
Englands (').
Zwei und ein halbes Jalirlmndert war beinahe verflossen,
seit Geoffrey Chaucer die schöpferische Tliat vollbracht hatte,
die Elemente des angelsäclisischen und normannischen Geistes
zu verschmelzen, Formen, die sich guten Theils ausländischen
Vorbildern ansclilossen, mit einem durch und durch volks-
thümlichen Gehalt zu füllen und der Nation in einem unver-
gleichbaren Werke freisclialtenden Dichter-Genius durch den
Zauber der Kunst die einheitliche Sprache zu weihen, in der
sich fortan iln- geistiges Leben bewegte. In den folgenden
wilden Jahrzehnten innerer und äusserer Käm])fe wurde die
weitere Entfaltung der poetischen Blüthen freilich gewaltsam
zurückgedrängt. Erst als der festgefügte nationale Staat mit
der Tudor- Dynastie sich aus den Wirren hervorgearbeitet
hatte, fand die englische Muse Zeit sich auf sich selbst zu
])esinnen. Das Wieder-Erwachen der Antike, der Aufschwung
der Wissenschaften, die Ausbreitung überrascliender Kennt-
nisse durch den Druck: Alles, was die Grösse der Epoche
des Humanismus ausmacht, kam auch der englischen Bildung,
der englischen Diclitung zu Statten. Man lernte die grossen
^histei- des Alterthums besser verstehn und Hess sicli von dem
breiten Sti-ome jener neuen Anschauung der grossen und der
Einleitung. 1(33
kleinen Welt treiben, dessen Wellen von Italien aus Europa
übei-flutheten.
Nach erfolgtem Bruch mit Rom, durch die Jahrzehnte
langen Kämpfe, im Inneren unter wechselnden Tendenzen der
Monarchie um die Gestaltung einer reformirten Staatskirche,
nach aussen gegen den Landesfeind um die Erhaltung der
politischen Selbstständigkeit, durch jene grossartige Anspan-
nung aller Volkskräfte, im Wettbetrieb des Kairfmanns und
des Kriegers zu Wasser und zu Lande, war ein tiefer Ernst
des Gedankens und ein • kühner Schwung der Phantasie zur
Geltung gekommen, deren vereinte Gewalt in erhabenen Wer-
ken der Poesie unvergänglichen Ausdruck fand, als jene viel-
umstrittenen Güter gesichert waren. Während die volksmässige
Dichtung in Liedern und Balladen fortlebte, Lyrik und Epos
von kunstvollen Händen gepflegt wurden, war aus verschie-
denen Wurzeln das Drama erwachsen und hatte sich nach
einer wilden Periode von Sturm und Drang zu jenen reinen
Gebilden abgeklärt, die man nicht nöthig hat mit Namen zu
bezeichnen.
Unter Elisabeths ruhmvoller Herrschaft hatten sich alle
jene Elemente der höchsten Entfaltung nationaler Poesie strah-
lend vereint gefunden. In den Jahren Jakobs I. hatte sie sich
noch üppig ausgebreitet und war zum Gemeingut geworden.
In den Zeiten Karls L sahen schon die Epigonen mit neidi-
scher Bewunderung auf den Glanz der Vergangenheit zurück.
Dennoch prangte auch um das Jahr 1632, als Milton den Ent-
schluss gefasst hatte, sich ganz dem Berufe des Schriftstellers
zu widmen, der englische Dichterwald noch in reicher Fülle.
Wie ein alter verwitterter Stamm, die Zweige über einen
dichten Nachwuchs junger Schösslinge ausgebreitet, ragte Ben
Jonson in das Zeitalter Karls I. hinein. Ein Leben voll von
Kämpfen und Abenteuern lag hinter ihm. Das überschwellende
Kraftgefühl jener selbstständigen Naturen der Renaissance-Zeit
und der ganze Reichthum acht englischen Humors und acht
englischer Laune waren in dem Manne verbunden, der in
seinen guten Tagen den Degen wie die Feder gleich wacker
geführt, mit Feinden und Gläubigem, dem Publikum und den
11*
1(34 Das Drama. — Ben Jousoii.
Genossen seines Berufes sich herumgeschlagen hatte und nun,
gekrönter Hofdichter, aber elend und gichtisch, „sein Leib wie
ein Berg, sein Gesicht wie ein Fels", die Tage hinschleppte.
Vergangen waren die Zeiten, da er in l)eriihmter Taverne beim
Glase Sekt mit Shakespeare und Raleigh, Beaumont und Fletcher
geistsprühende Gespräche ausgetauscht hatte, vergangen die
Zeiten seines höchsten Ruhmes, da er mit souveräner Meister-
schaft das bunte ihn umgebende Leben mit allen seinen Thor-
heiten und „humours" abschilderte, da er mit einem Aufwand
von prunkender Gelehrsamkeit und rednerischem Pathos zu
ersetzen suchte, was ihm an höchster dramatischer Kraft zu
erreichen versagt war, da er in geistvollen Maskenspielen gro-
teske und liebliche Gestalten zu einem schillernden Reihen
verschlang, der sich, wie es der Zauberstab des Meisters ge-
bot, nach den Weisen von Scherz und Ernst, Allegorie und
Satyre vor den Augen des entzückten Hofes bewegte. — Aller-
dings war Ben Jonson's dichterische Kraft noch nicht erschöpft.
Aber Eigenschaften seines Genius, die ihn schon früher um
den ersten Lorbeer gebracht hatten, traten mit dem Alter in
unverminderter Schärfe hervor. Er hatte eine angeborene
Neigung, in der Zeichnung der Charaktere bis an die Grenze
der Karrikatur zu gehn, er liebte mit seinem Wissen zu prun-
ken, er trug eine bittere Verachtung gegen herrschende Rich-
tungen des Geschmacks und der Sitte zur Schau und wagte
hie und da seine Zuhörerschaft abzukanzeln, während sie nur
von ihm belustigt sein wollte. Als er nach langer Pause 1625
mit seinem „Markt von Neuigkeiten" wieder auf der Bühne
erschien, fand er keine begeisterte Aufnahme. Sein „neues
Wirtshaus" wurde fünf Jahre später l)ei der ersten Auf-
führung ausgezischt. Der Dichter rächte sich durch Verse,
die in sehr unhöflichen Ausdrücken seinen Zorn kundgaben (^),
wies dem ausgestossenen Kinde seiner Muse im Druck eine
Zutiuchtsstelle an und suchte sich, die unentbehi-lichen Spen-
den Karls L im Beutel und das perlende Lieblings- Getränk
im lU'clici-, über die Ungunst der Zeit solange zu ti'östen, bis
er diese Quellen des Genusses wieder erschöpft hatte. Auch
so bewahite sein Name noch immer seinen alten Klang. Von
Chapman. Marston. Dekker. Munday. Heywood. 1(35
Alt und Jung, von Vornehm und Gering war „König Ben"
gekannt. Die jungen Schöngeister, Männer des Hofes und der
Wissenschaft, angehende Juristen und Kleriker, drängten sich
um seine charakteristische Gestalt und lauschten mit Ehr-
furcht und Begeisterung den scharfen Epigrammen und den
lustigen Einfällen, die aus seinem Munde erklangen. Diese
„Zunft Ben's", in welche aufgenommen zu werden für eine
hohe Ehre galt, hielt ihre Sitzungen unter Becherklang und
Liederschall in dem berühmten „Apollo-Saale" der alten Teu-
fels-Taverne bei Temple Bar. Fand der alte Dichter hier
nicht wie ehemals ebenbürtige Genossen, an deren Witz der
seine sich reiben konnte, so herrschte er dafür über die
jüngeren Genossen mit dem ganzen Anspruch und Gewicht
eines literarischen Orakels.
Nur wenige der grossen Dramatiker jener früheren Tage
weckten neben ihm noch durch ihre Persönlichkeit die Er-
innerung an das heroische Zeitalter englischer Poesie: Der
ehrwürdige fünfimdsiel)zigjährige Chapman, der Uebersetzer
Homers, welcher ehemals mit Ben Jonson und Marston in Ge-
meinschaft gearbeitet hatte, Marston selbst und Thomas Dekker,
beide einst mit Ben Jonson in poetischem Kriege, der viel-
seitige Anthony Munday und der noch fruchtbarere Thomas
Heywood. Aber andere Talente, die ihre dichterische Kraft
der Bühne widmeten, waren emporgekommen und standen
guten Theils unter dem Einfluss Ben Jonson's, wofern sie nicht
förmlich zu seineu „Sühnen", den Mitgliedern seiner ,, Zunft"
gehörten.
Philipp Massinger hatte gleich Ben Jonson die rauhe Seite
des Lebens erprobt und wusste gleich ihm in überscharfer
Zeichnung die niedrigen Triebe der menschlichen Natur zu
schildern und mit majestätischer Pihetorik die grössten Wir-
kungen zu erzielen, während er hie und da mit Shakespeare's
erschütterndem Pathos zu wetteifern gewagt hatte (^). Mit John
Webster, dessen „Vittoria Corombona" und „Herzogin von
Malfi" bereits veröffentlicht waren, hätte es so leicht keiner
in der nackten Darstellung des übertrieben Grässlichen auf-
genommen. Der wenig jüngere John Ford war bis dahin nur
IQQ Massinger. Webster. Ford. — May. Cartwright. Randolph.
durch seine ,, Melancholie des Liebenden" weiteren Kreisen
bekannt geworden. Aber bald trat in „Annabella und Giovanni",
dem „gebrochenen Herzen", „Perkin Warbeck" u. s. w. die
ganze bezaul)ernde Gewalt seiner ergreifenden Darstellung
glühendster Leidenschaft, seiner verführerisch melodiösen Aus-
drucksweise frei und selbstständig hervor, ohne dass Vorzügen,
die ihn als eines der ersten dramatischen Genies seines Volkes
erscheinen lassen, weise Beschränkung im Gebrauch seiner
Mittel und sichere Beherrschung eines höchsten ethischen
Masses entsprochen hätte. Jünger an Jahren, bei weitem
schwächer an Talent, aber ein erklärter Anhänger Ben Jon-
son's war Thomas May, der damals zu den Schöngeistern des
Hofes gehörte, später der Geschichtschreiber des langen Par-
lamentes wurde. Auch auf Cartwright und Randolph blickte
Ben mit Vaterstolz wie auf seine geistigen Söhne, und auch
sie standen zu den herrschenden Kreisen in enger Beziehung
oder doch in Wahlverwandtschaft zu ihren Bestrebungen. Der
eine, in Oxford gebildet, begann erst eben seine vielseitige,
bewundernswerthe Begabung zu entfalten, die keineswegs auf
das dramatische Feld beschränkt blieb. Der andere, in Cam-
bridge geschult, hatte ebendort, während Milton daselbst stu-
dirte, vor den Majestäten jenes Stück zur Aufführung gebracht,
das sich durch den unschuldigen Inhalt in den Augen des
Hofes vor dem seines anzüglicheren Universitäts- Genossen
Ha'usted ausgezeichnet hatte (s. o. S. 92) Nicht minder war James
Shirley, damals noch im Beginn seiner schriftstellerischen Lauf-
l)alin, vollständig in der Atmosphäre der „Kavaliere" gross
geworden, wenn es erlaubt ist diese Bezeichnung schon auf
die frühere Zeit anzuwenden. Wie seine Bühnen-Schöpfungen,
reife, schillernde Früchte einer ausserordentlichen Phantasie,
die mit den Stärken und Schwächen Beaumont's und Fletcher's
wetteifei-te , die bedenklichen Sitten und Anschauungen der
,. guten Gesellschaft" wie(lcrsi)iegelten, so hatten zu seiner
eigenen Bihhmg alle die Kiemente zusammengewirkt, die ihn
naturgemäss auf jene Seite drängen mussten. Im St. John's
College zu Oxfoi'd gewann er die Gunst William Laud's, als
(lieser Vorstehei- der Anstalt war. In den geistlichen Stand
Shirley. — Davenant. 167
aufgenommen, bewerkstelligte er seinen Uebertritt zum Katho-
lidsmus, dem sich das damalige Hochkiichentlium ohnehin in
so vielen Stücken anzunähern bestrebt schien. Bald darauf
kam er in die Hauptstadt, begann für die Bühne zu schreiben,
und wurde ein Schützling der Königin. William Davenant,
schon 1632 als Verfasser mehrerer Dramen und zahlreicher
schmeichlerischer Gedichte bekannt, errang in der vornehmen
Welt noch grössere Auszeichnung. Er war 1606 in jenem
Wirtshaus zur Krone in Oxford geboren, das für Shakespeare
bei seinen Keisen zwischen Stratford und London häufig als
Absteige-Quartier diente. Spätere luftige Sage hat darin einen
Anhalt gefunden, ihm statt des Wirtes den grossen Dichter
zum Vater zu geben. Er selbst, nach kurzem Airfenthalt im
Lincoln College zu Oxford als Page der Herzogin von Rich-
mond, sodann Lord Brooke's, an den Hof gelangt, hatte dies
Geschenk der öffentlichen Meinung nicht nöthig. Seine ersten
poetischen Leistungen hatten, trotz mancher Rohheiten und
Gewaltsamkeiten Talent genug gezeigt, um ihm eine ruhm-
volle Dichter-Laufbahn vorauszuverkünden. Sein ganzes Wesen
hatte so viel Anziehendes, dass er als witziger und galanter
Genosse der lebenslustigen Aristokratie Jahre laug unter den
ersten glänzte, bis jenes leichte Spiel der Hoffeste und dra-
matischen Masken-Scherze, an deren Erfindung er selbst so
lebhaft betheiligt war, durch ernstere Ereignisse abgelöst
wurde (^). .
Ueberblickt man diese stattliche Schaar dramatischer
Schriftsteller, die neben Ben Jonson thätig waren, erwägt man,
dass eine Reihe von weniger Bedeutenden den Genannten sich
anschloss, so wird man von einem Untergang des englischen
Dramas in dieser Zeit nicht sprechen wollen. Es trieb nicht
mehr so herrliche Blüthen wie wenig Jahrzehnte vorher, es
fiel mitunter in die bombastischen Gewaltsamkeiten der vor-
shakespeareschen Zeit zurück, es Hess nicht selten hinter ge-
künstelten Formen die Tiefe der Leidenschaft vermissen, aber
es war doch noch reich an eigenartigen, bedeutenden Schöpfim-
gen in Tragödie und Komödie. Ln engsten Zusammenhang
damit standen die Verhältnisse der Bühne. Noch immer bildete
168 Theater.
sie ein ungemein bedeutendes Element des hauptstädtischen,
des nationalen Lebens, wenn schon man sagen darf, dass sie
ihre Zeit des höchsten Glanzes gehabt hatte. Das Globus-
Theater unweit des Süd-Endes von London-Bridge und das
Fortuna -Theater in der Pfarrei St". Giles Cripplegate waren
nach den Bränden von 1613 und 1621 prächtiger als sie zuvor
gewesen aus der Asche erstanden. Auf diesem spielte die
Schauspieler-Gesellschaft des „Prinzen", jenes hatte im Sommer
die Tmppe „des Königs" inne, während ihr im Winter die
Bühne von Blackfriars zu Gebote stand. Mit Stolz konnte
diese Gesellschaft auf ihre Vergangenheit zurückblicken, Kichard
Burbadge, Shakespeare hatten ihr angehört, auch in Milton's
Jugendzeit nahm sie eine hervorragende Stelle unter den Kunst-
Genossen ein. Das Theater „zum rothen Ochsen" am oberen
Ende von St. John's Street, kurz vor dem Jahre 1633 erwei-
tert und wahrscheinlich der Wirkungsplatz der „Kinder der
Lustbarkeiten" (children of the revels), stand in ziemlich schlech-
tem Rufe, auch das „Phönix- oder Cockpit-Theater" in Drury-
Lane, auf dessen Brettern die „Schauspieler der Königin',
agirten, trug nicht eben zur Hebung der Moral und zur Er-
haltung eines anständigen Tones liei. „Rose" und „Schwan"
hatten schon längst aufgehört theatralischen Zwecken zu dienen,
und in dem Musen tenipel zur „Hoffnung" (Bankside) wechsel-
ten, nicht ganz unbeschadet der Geruchsnerven des Pul)likums,
dramatische Darstellungen mit Bärenhetzen ab. , Erst 1629
war auf dem Platze des alten Klosters von Whitefriars ein
neues Schauspielhaus in Salisbury-Court errichtet worden, wo
eine Gesellschaft unter Führung eines gewissen Richard Heton
der Natur den Spiegel vorhielt, nachdem die „Truppe des
Prinzen" vor 1635 diese Räume mit der grösseren Fortuna
vertauscht hatte (^). — Dei- Hof bezeigte auf alle Weise seine
Theilnaliiiie an der Bühnenkunst. Während der König mit
Gewalt sich ungesetzliche Einnahme-Quellen verschaffte, war
das Budget seines Intendanten der Lustbarkeiten keines-
wegs gering, und die Königin war entzückt davon sich se]l)st
mit ihren Damen auf den Brettern zu sehn. Um dem von
oben gegel)enen Beispiel zu folgen, drängten sich die Mit-
Epos und I.yrik. — Spenser. 169
gliedei- der gTossen Rechts-KoUegien, die auf vielfache Weise
mit dem Hofe zusammenhiengen, in einer Art von Begeisterung
dazu, dem Fürstenpaare zu schmeicheln. Maskonspiele, melo-
dramatische Aufführungen, kostumirte Aufzüge, wechselten mit
einander ab; kaum irgend eine Zeit war reicher an glänzen-
den Gelegenheits -Darstellungen der angedeuteten Art als
diese.
Folgte das englische Drama der Zeit mit mehr oder weniger
Glück noch immer den Impulsen, die es in der Epoche Eli-
sabeth's und Jakob 's empfg,ngen hatte, konnte Ben Jonson auf
diesem Gebiete für den vornehmsten lebenden Zeugen ruhm-
reicher Erinnerungen gelten, so übte für die lyrische und er-
Zcählende Dichtung ein anderer Name, welcher der Vergangen-
heit angehörte, eine ausserordentliche Macht aus. Edmund
Spenser ruhte schon über dreissig Jahre im Grabe, aber es
war, als wenn sein Genius gleich einem jener mächtigen Zau-
berer, die in der wunderbaren Mährchenwelt der romantischen
Poesie ihren geheimnisvollen Stab schwingen, die Geister noch
immer gefesselt hielte. Eine ganze poetische Welt war mit
seiner Feenkönigin und mit seinen kleineren Gedichten, wenn
nicht in's Leben gerufen, so doch mit neuen reizvollen Gebilden
erfüllt worden. Sie hatte ihre fahrenden Ritter und irrenden
Jungfrauen, ihre gewaltigen Riesen und ihre winzigen Zwerge,
ihre rauschenden Turniere und ihre dunklen Felsverliesse,
ihre grässlichen Ungeheuer und ihre verzauberten Schlösser.
Sie hatte auch ihre sanften Schäfer und ihre reizenden Schä-
ferinnen, ihre zarten Lämmer und ihre klagenden Nachtigallen,
plätschernde Quellen und grüne Matten, wehmüthige Rohr-
pfeifen und lustige Ringelreime. Bald beschwor die magische
Gewalt des Dichters die ganze Romantik des Mittelalters herauf,
bald flüchtete sich seine Phantasie in die erträumte Unschuld
und die erkünstelte Natürlichkeit eines pastoralen Daseins.
In beiden Fällen folgte Spenser dem Geiste seiner Zeit, dem
Geiste der Renaissance, der die überkommenen Stoffe und
Formen mit neuem Leben zu durchdringen suchte, die Grazien
des Heidenthums und die Engel des christlichen Himmels
miteinander verband. Unter den Abenteuern seiner frommen
270 Epos und Lyrik. — Spenser.
Ritter erschienen die „Götter Griechenlands" in üppiger I^arben-
gliith, und aus den bukolisclien Weisen erklangen die zarten
Töne des Minnegesangs. Niemand wird behaupten wollen,
dass der Engländer seine Aufgabe immer mit gleichem Glücke
gelöst habe wie die gTossen Meister Italiens, die von so mäch-
tiger Wirkung auf die Entwicklung der Literatur jener ganzen
Epoche gewesen waren. In den Gesängen des Epos kann die
sorgsamste Beschreibung und x4ufzählung von Einzelheiten uns
die sinnliche Frische Ariost's nicht ersetzen. Die Gestalten,
ohne plastische Rundung, vielfach schattenhafte Träger abge-
zogener Begrillte, zerfliessen zu blutlosen Phantomen, und das
fortgesetzte Räthselspiel doppelter Allegorieen lässt ein Ge-
fühl der Ermüdung und Uebersättigung zurück. Gleicher Weise
wird in den kleineren Dichtungen der reine Genuss nicht selten
gestört durch die gezierte Ausdrucksweise und die gesuchte
Beziehung auf Persönlichkeiten und Gegenstände des öffent-
lichen Lebens, für welche die einförmigen Motive jenes vom
Boden der Wirklichkeit abgelösten Hirtenlebens docli nicht
mehr hinreichen. Trotz alledem war es begreiflich, dass Spenser
auch auf die folgende Generation von ausserordentlichem Ein-
fluss war, dass er ihr, wie einem seiner Zeitgenossen, minde-
stens unter den nicht dramatischen als „der wahrste engli-
sche Dichter" galt.
Hier fand sich eine Einbildungskraft von verschwenderi-
scher Fi'uchtbarkeit, verbunden mit einer Sprache von ent-
zückendem Wohllaut. Vor allem waren die Schöpfungen dieses
keuschen Geistes gekennzeichnet durch einen hohen Idealismus,
der Plato's Spuren zu folgen schien. Im Tone der Begeiste-
rung suchte der Hymnus sich über die irdische Erscheinung
zur Anscliauung der göttlichen Urbilder zu erheben und die
weite Kluft antiker und cliristlicher Weltansicht zu über-
fliegen, die seit Jahrhunderten den Kultus des Schönen vom
Kultus des Guten getrennt liatte.
Es wüide den Rahmen dieser leichten Skizze überschrei-
ten, wenn im einzelnen nacligewieson werden sollte, wie die ver-
schiedensten Geister mehr oder weniger jenen spcnserschen
Anregungen gefolgt sind. Uebersetzungen und Original-
Fairfax. Drayton. Drummond. 171
Werke, Fairfax' vielbewunderte Anglisirung des befreiten Jeru-
salem und Drayton's langathmige poetische Topographie von
England, erzählende und lyrische Gedichte jeder Art hatten
die geistige Verwandtschaft mit den Kindern der spenser-
schen Muse nicht verläugnet. Spenser's Vorliebe für alter-
thüniliche Formen wurde von vielen der jüngeren Dichter ge-
theilt. Seine melodisch aufsteigenden und abfallenden Stanzen,
seine farbenreichen Beschreibungen mit ihrer Fülle glücklich
erfundener Beiworte und Vergleiche erschienen als nachahmens-
werthe Vorbilder. Bis na'ch Schottland hatte sich die Macht
seines Genius erstreckt, und die grünen Wälder von Haw-
thornden, in deren Schatten John Drummond sich ein roman-
tisches Heim gegründet hatte, klangen von den harmonischen
Weisen wider, die Spenser zuerst mit so feiner Anempfindung
an das Schöne in den wechselnden Erscheinungen der Natur
angeschlagen hatte. Eine förmliche Dichter-Schule hatte sich
an ihm gebildet, die sich, wie er, in der gefährlichen Kunst
des Symbolisirens und Allegorisirens gefiel, welcher gleich ihm
die Fiktion des Hirtenlebens als eine besonders glückliche
poetische Form galt, und selbst das Drama hatte sich mit-
unter in diesen beliebten Geleisen zu bew-egen.
Als Repräsentanten jener Spenserianer, für welche die
Allegorie zum Mittelpunkt des poetischen Schattens wurde,
konnten in der Zeit, da Milton's Genius sich zu entfalten be-
gann, die beiden Brüder Phineas und Giles Fletcher gelten,
ohne dass man sie als blosse Nachahmer geringschätzen dürfte (^).
Aus einer rechten Schriftsteller-Familie, Verwandte des grossen
Dramatikers gleichen Namens, beide in Cambridge gebildet
und Diener des geistlichen Standes, hatten sie sich durch zwei
Gedichte vor allem berühmt gemacht und ausdrücklich als Mit-
glieder der grossen Gefolgschaft Edmund Spenser's erklärt.
Der jüngere, Giles, hatte in seinem ,,Sieg und Triumph Christi
im Himmel und auf Erden'' u. s. w. eine überaus reiche Ein-
bildungskraft gezeigt. Er übertrug die Sprache Spenser's auf
einen rein religiösen Gegenstand, indem er Erscheinung, Ver-
suchung, Passion, Auferstehung und Himmelfahrt Christi schil-
derte, und erfüllte den biblischen Stoft' in Spenser's Art und
172 Giles und Phineas Fletcher.
doch in origineller Schöpferkraft, mit Personifikationen und
Schilderungen, von denen manche, wie die Ausmalung der
Höhle der Verzweiflung, den Zeitgenossen im allgemeinen un-
vergesslich gewesen zu sein scheinen, andere, wie die der
himmlischen Heerschaaren, des Satans und seiner Verführungs-
Versuche, insbesondere dem Schöpfer des „Verlorenen und
Wiedergewonnenen Paradieses" wohl frühe bekannt wurden.
Ueberhaupt wird sich nicht läugnen lassen, dass das gross-
artige Gedicht mit seinen Betrachtungen über Sündenfall und
Sündenvergebung, dessen Inhalt und Form Milton gleich sym-
pathisch sein nuissten, einen nachhaltigen Eindruck auf ihn ge-
macht hat, der selbst in vielen einzelnen anklingenden Wen-
dungen erkennbar ist(^).
Giles Fletcher war 1623, dreizehn Jahre nachdem sein
Gedicht in Cambridge erschienen war, gestorben. Sein Bruder
Phineas überle])te ihn um einige Jahrzehnte. Als frühere
poetische Leistungen P. Fletchers mögen hier nur erwähnt
werden jene von Hass gegen den Jesuitisnuis getränkte, kraft-
volle Dichtung, die in lateinischer und englischer Gewandung
als „Locustae" und „Apollyonists" 1627 in Cambridge heraus-
kam, das vielumstrittene, farbenglühende ,,Brittain's Ida", ein
Seitenstück zu Shakespeare's Venus und Adonis, das so lange
unter Spenser's Namen gegangen ist, unter welchem es sich
einführte (1628), und das 1631 anonym erschienene College-
Schauspiel „Sicelides". Indess erst 1633 trat, wiederum in
Cambridge, neben anderen Gedichten, wie den ,,Fischer-Eklo-
gen", sein Hauptwerk an's Licht, „die Purpur-Insel", ein
Titel, der an sich auch den scharfsinnigsten Kopf im voraus
schwerlich etwas vom Inhalt hätte ahnen lassen. „Die Purpur-
Insel" oder die „Menschen-Insel'", an deren pedantische Be-
sehreibung die kunstvollsten Verse verschwendet werden, war
nichts Geringeres als der Mensch nach allen seinen körper-
lichen und seelischen Kräften, wenn man so will, eine poeti-
sche Anatomie, Physiologie und Psychologie in einer Zusannnen-
fassung. Adern und Nerven werden als Ströme und Bäche
dieses Inselieiches mit der Genauigkeit eines Gencralstabs-
Werkes und eines medicinischen Atlas dargestellt. Der Ver-
W. Browne. 173
stand ist der Fürst, der die Insel beherrscht, seine Räthe,
Klugheit, Phantasie, Gedächtnis und die fünf Sinne, das ganze
Heer der Tugenden helfen ihm das Reich gegen den gefähr-
lichen Angriff der Laster vertheidigen. Einem so spröden
Stoff sind noch immerhin glänzende Seiten genug abgewonnen.
Viele der vorkommenden Personifikationen zeugen von ausser-
ordentlicher Gestaltungskraft. Man weiss, dass Milton auch
hier für eigene Schöpfungen die lebhafteste Anregung empfan-
gen, überhaupt Phineas Fletcher, auf welchen, wie auf seinen
Biiider, er nothwendig in Cambridge aufmerksam werden musste,
so eingehend studirt hat, v^ie kaum einen zweiten der zeit-
genössischen Dichter. Spuren dieses Studiums lassen sich
ungezwungen beinahe in jedem ]\Iiltou'sclien Gedichte finden;
am unverkennbarsten tritt der Einfluss der Fletcher'schen
„Locustae" und ,,Apollyonists" auf die Ausbildung von Alle-
gorieen wie Tod und Sünde, die Zeichnung der höllischen
Mächte und namentlich der Figur des Satans im verlorenen
Paradies hervor (^).
Die beiden Fletcher hatten keineswegs darauf verzichtet,
sich in ihrem dichterischen Beruf der konventionellen Rede-
wendung gemäss als Hirten einzuführen, die an den Ufern des
Cam ihre Heerden weiden und sich gegenseitig mit den ange-
nehmen Tönen ihrer Rohrpfeifen beglücken; indess das pasto-
rale Element der Spenser'schen Schule hatte nicht in ihnen,
sondern in William Browne seinen vollsten Ausdruck gefun-
den(2). Browne war 1588 in Tavistock (Devonshire) geboren,
hatte das Exeter-College in Oxford besucht, sodann manches
Jahr in London als INIitglied des Rechts-Kollegs von Cliftbrd
Lm vmd Inner Temple geweilt, dort einen Freundschaftsbund
mit vielen der angesehensten Kunstgenossen geschlossen und
lebte seit 1624 von der Hauptstadt entfernt. Als erste Probe
seines Talents war 1613 seine Elegie auf den Tod des Prinzen
Heinrich, Karl's I. Binder, bekannt geworden, dessen frühes
Ende so grosse Hoffnungen täuschte. Die Elegie fand später
mit leichten Aenderungen Aufnahme in jenes grosse Werk,
welches den Hauptruhm Browne's ausmachte: „Britannia's
Schäfergedichte", dessen zwei erste Bücher 1614 (?) und
1 74 W- Browne.
1616, sodann schon 1625 in zweiter Autlage erschienen waren,
während das dritte erst in unseren Tagen bekannt geworden
ist. Hier fand man sich ganz und gar im lieblichen Wunder-
lande jenes „süssen . . göttlichsten Spenser, . . der am besten
von allen Sterblichen die Klage eines Liebenden singen konnte"
(I. 193, 86). Britannien ist Arcadia, bewohnt von wackren,
sangeskundigen Hirten und huldvollen oder spröden Schäferinnen,
wie sie die Sonne nie schöner beschienen hat. Die Paare
suchen und fliehen sich, Nymphen tanzen durch den Wald
und nehmen mit allen heidnischen Göttern von Land und
Gewässer an den Schäfer-Freuden und -Leiden Theil, Lämmer
gehn verloren, Altäre flammen von ländlichen Opfer-Gaben,
liosmarin und Hagelnitte erquicken das Auge, und aus grünen
Zweigen singen Rothkehlchen und Nachtigall mit dem Chore
der Hirten um die Wette. In Wahrheit sind uns alle diese
Schäfer und Schäferinnen ebenso gleichgültig wie die „sanften
Heerden" der Schafe, die sie weiden. Wir sind kaum im
Stande, den Abenteuern dieser Celandine und Remond, Marina
und Fida zu folgen und noch weniger in jedem Falle eine
Lösung der mannichfachen Räthsel zu ahnen, die sich nicht
selten unter diesen allegorischen Wendungen verbergen mögen.
Wir werden wenig Geschmack gewinnen an so vielem, was
W^illiam Browne seinen Zeitgenossen als einen der würdigsten
Nachfolger Spenser's erscheinen liess: an seinem anspruchs-
vollen Prunken mit homerischen und virgilischen Reminiscenzen,
an seiner Liel)hal)erei für die Personifikation abstrakter Be-
grifte, wie Wahrheit, Streit, Erinnerung, so schöpferisch im
einzelnen seine Phantasie hier waltet, an seiner Ausmalung
des „Hauses der Reue", an dessen Wänden „Christall-Fläsch-
chen mit Thränen" aufgehängt sind (I. 146), oder an seiner
Schilderung der „Höhle des Hungers" mit ihren Bildern vom
belagerten Jerusalem, Hagar und Ismaül und Erysichthon
(L 184). Aber dabei hat das Gedicht Schönheiten, welche den
Genius seines Schöpfers als erhaben über die engen Schranken
des damals herrschenden Geschmacks zeigen. Er benutzt den
schwi»chg('ziiini)orten Rahmen der Handlung, um ihn mit ein-
gestreuten Scliildciuiigcn zu lullen. Wo sie sich frei erhalten
W. Browne. 175
von lästiger Allegorie, entrollen sie die lieblichsten Bilder, die
mit hingebendem Verständnis für die Kleinmalerei ausgeführt
sind. Die Reize des Landlebens, Sonnenaufgang und Aliend-
ruhe. Pflanzen- und Thierleben sind selten in englischer Sprache
mit so frischen Farben geschildert worden. Hier wetteifert
Browne nicht nur mit Spenser, sondern auch mit Chaucer,
mit dem er die Form der üblichen gereimten Yerspaare theilt,
um sie unter seiner Hand zu weicher Biegsamkeit umzu-
schmelzen. Auch er verwendet mit Glück den reichen Schatz
volksmässiger Lieder- und- Balladen-Dichtung und flicht dem
Kranze seiner Pastoralen solche am Wege abgeflückte „Blumen"
ein. Man braucht nur (L 148) seine Schilderung der lieb-
lichen Jungfrau zu lesen, die sich Abends in ihrer Kammer
entkleidet, um mit Achtung vor seinem Talent erfüllt zu werden
und sich zugleich zu überzeugen, wie zart und sittsam er eine
so verfängliche Scene wie diese zu nehmen weiss. Denn darin
zeigte er sich gleichfalls als echter Schüler Spenser's, dass
seine Muse bei aller Freude an sinnlicher Schönheit immer
keusch und „mädchenhaft" blieb und jenen platonischen Flug
zum Idealen nahm, in dessen Nähe nichts Rohes und Gemeines
Duldung finden konnte. Eben dies hat ohne Zweifel Browne
zu einem Lieblings-Dichter Milton's gemacht. Es wird sich
noch Gelegenheit finden darauf hinzuweisen, dass die Bekannt-
schaft mit Browne auf einige der vorzüglichsten Gedichte Mil-
ton's eingewirkt zu haben scheint. Hier sei nur erwähnt, dass
man ein Exemplar der (ersten) Folio-Ausgabe der ,,Britannia's
Pastorais" kennt, in welche eine Anzahl erklärender Rand-
bemerkungen eingezeichnet ist, die nach dem Urtheil bewährter
Autoritäten von keines anderen Hand als John Milton's, des
damaligen Besitzers jenes Exemplares, herrühren sollen und
die beweisen würden, mit welcher Aufmerksamkeit er das Werk
studirt habe (^). Auch die übrigen Dichtungen Browne's scheinen
lebhaften Anklang gefunden zu haben und spiegeln einen ähn-
lichen Geist wider wie sein Hauptwerk. Es sind des „Schäfers
Pfeife" (1614), eine Sammlung von Eklogen, vielfach von biogra-
phischem öder wohl gar politischem Interesse, berühmt beson-
ders durch eine Elegie auf den Tod eines in Frankreich
276 Reaktion gegen die Spenserianer.
ertrunkenen Freundes, das Maskenspiel des „Inner Temple"
(1615; , das die längst populäre Erzählung von Odysseus und
Circe behandelt, während die ,, vermischten Gedichte", in
denen sich sehr feine Züge finden, erst jetzt in einer sehr
brauchliaren Sammlung vorliegen.
Die Spenser'sche Dichterschule hatte unzweifelhaft selbst
in ihren spätesten Ausläufern noch viel von der eigenthüm-
lichen Grösse ihres Schöpfers bewahrt. Der ausgeprägte Sinn
für das Schöne im ganzen Bereich der Natur, die lebenswahre
und doch poetisch - duftige Farbengebung in der Beschreibung,
die formelle Gewandtheit in der Behandlung der Sprache:
Das alles waren Züge, die sich selbst noch in den meisten
der untergeordnetsten Erzeugnisse der Spenserianer erkennen
Hessen, Aber zu gleicher Zeit waren in den Werken der
Nachfolger jene Schattenseiten immer stärker hervorgetreten,
die man schon in den glänzendsten Leistungen des Meisters
hatte bemerken können. Die Sucht, durch das Mittel der
Allegorie allgemeine Begriffe, deren Wesen für eine dichteri-
sche Behandlung zu spröde war, dem Gebiet der Prosa zu
entrücken, hatte in erschreckender Weise zugenommen. Die
Freude an der reinen Beschreibung hatte nicht selten dazu
geführt, diese, statt sie einem höheren Zweck unterzuordnen,
zur Hauptsache zu machen und zu einem dürren Kataloge
einzelner Erscheinungen umzuwandeln. Die englische Poesie,
die noch eben erst im Wunderlande der Romantik und Ar-
kadiens geschwärmt hatte, drohte schon wenige Jahrzehnte
später in einer Wüste ausgeklügelter Prosaismen zu ver-
schmachten. Ohne dass man sich dessen immer deutlich be-
wusst gewesen wäre, trat eine Reaktion gegen die Spenser'sche
Richtung ein. Man war nicht mehr fähig, die schwere Ritter-
rüstung zu tragen, in deren Glänze sich Spenser noch einmal
gespiegelt hatte, und man wui'de des Schäferkleides, unter
dem er sich zum Quell der Natur geflüchtet hatte, bald über-
drüssig. Eine Dichterschule, nach ihren Varietäten etwas
willkürlich als philosophische, metaphysische, dialektische be-
zeichnet, kam im Gegensatz zu dem ursprünglichen Wesen
der Spenser'schen Schule empor, von welcher sie die Vor-
Wissenschaft und Poesie. 177
liebe für geistreiches Spielen mit Vorstellungen von zweifel-
haftem poetischen Werth und zügelloses Schwelgen in der
Detailschilderung übernahm, ohne ihre Naivetät und ihre
Phantasie, noch auch in allen Fällen ihre Reinheit und ihren
Adel zu theilen. Ihre Ausdrucksweise, selbst in den frühesten
Gedichten Milton's bemerkbar, erinnerte mitunter an den
Jargon des Euphuismus und war wie dieser unzweifelhaft
stark beeinflusst von den Geboten des literarischen Ge-
schmackes Italiens, welcher schon vor Marini in gesuchten
Concetti sich zur Geltung zu bringen gewusst hatte. Je ge-
ringer die schöpferische Kraft, desto erwünschter musste es
sein, unter der schützenden Flagge der Mode gesuchte Ver-
gleiche und aifektirte Wendungen für Poesie ausgeben zu
können, aber auch Dichter von bedeutendem Talent Hessen
sich ohne Widerstreben nach dieser Richtung hin fortreissen.
Man hat bemerkt, dass die Entwicklung der englischen
Wissenschaft, welche seit dem Anfang des siebzehnten Jahr-
hunderts, und besonders unter der Regierung Jakob's I. einen
so mächtigen Aufschwung genommen hatte, sehr viel dazu bei-
getragen haben wird, diese Geistesrichtung zu befördern.
Mag man über Bacon's Methode denken, wie man will, sie
übte unzweifelhaft auf die Hinwendung zum Studium der
Naturwissenschaft einen nachhaltigen Anstoss aus. William
Harvey überraschte durch seine epochemachenden Entdeck-
ungen. In dem umfassenden Geiste John Selden's, der
mit so vielen der zeitgenössischen Dichter befreundet w^ar,
erhielt die Rechtswissenschaft ihren glänzendsten Vertreter.
Profan- und Kirchen -Geschichte, klassische und orientalische
Philologie hatten durch Speed, Cotton, Camden, Spelman,
Hakewill, Ussher und viele andere Männer von Scharfblick
und Fleiss eine ausserordentliche Anregung empfangen. Mit
unglaublichem Eifer gefiel man sich darin, Einzelheiten aus
dem Gebiet der Historie und Geographie zu sammeln, In-
schriften und Antiquitäten aller Art nachzugehn. Die Ent-
wicklung der heimischen Industrie, die Ausdehnung des über-
seeischen Handels, die durch Reiseberichte täglich zunehmende
Kunde von fernen, erst jüngst erschlossenen oder kolonisirten
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. 12
178 Wissenschaft und Poesie. — Davies.
Erdtheilen erweiterte den geistigen Gesichtskreis und führte den
Gebikleten eine erdrückende Fülle von Thatsachen zu, die
stark genug war, um den freien Flug der Phantasie mit bleiernem
Drucke niederzuziehn. Eine berühmte Stelle aus der „Anatomie
der Melancholie" von Robert Burton (Ed. 1660 p. 3), der
selbst als ein ächter Zögling dieser encyklopädischen Bildung
gelten konnte, klärt in deutlichster Weise darüber auf, welchen
mehr als Rabelais'schen „Karneval von Ideen" diese berau-
schende Masse von politischen und historischen, astronomischen
und zoologischen, geographischen und physikalischen Wahr-
heiten oder Annahmen in den Köpfen hervorrief. — Man
möchte sagen: in der ersten kampferfüllten, jugendlichen
Epoche der „Kultur der Renaissance" waren Kunst und Wis-
senschaft wie Zwillings - Geschwister , zu einem Streben ver-
bunden, Hand in Hand gegangen, abgewandt von dem mön-
chisch - scholastischen Ideal , dessen Stolz darin bestanden
hatte, das Fleisch zu ertödten, mit freudigen Schritten der
neuen Zeit entgegen, die das so lange für sündlich gehaltene
Natürliche wieder zur Geltung brachte. Als der schwere
Sieg erfochten, die jugendliche Begeisterung verflogen war,
als im leidenschaftlichen Kampf um die Fragen von Staat und
Kirche der Raum für das künstlerische Behagen knapper
«vard, und für die von mittelalterlichen Fesseln befreite Wis-
senschaft die ernste Arbeit der Einzelforschung begann, da
änderte sich das Verhältnis der Geschwister, und wenn Jahr-
zehnte hindurch eine Art von Gleichberechtigung beider ge-
golten hatte, so trat für lange Zeit ein Uebergewicht des
mächtig erstarkten Wissens ein. Die reine Freude am Schö-
nen machte nicht selten der reinen Freude am Wahien Platz.
Das ganze Reich von Natur und Geschichte wurde geplündert,
nicht um es wie früher mit dem Feuer dichterischer Begei-
sterung zu durchdringen, sondern um seine Schätze wie in
einem Museum vor den Augen der erstaunten Lesewelt auf-
zuspeichern.
Ein Werk, wie die Purpur -Insel P. Fletcher's hatte schon
bedenkliche Spuren dieser Geschmacksrichtung gezeigt. Nächst
den mit Reflexionen durchtränkten Versen des Sir John Davies
Stirling — Brooke. — John Donne. 179
und des Grafen von Stirling waren ferner die Dichtungen des
edlen Fulke Greville, Lord Brooke (f 1628), guten Theils mit
politischen und national - ökonomischen Gedanken überladen ge-
wesen (^). Indess als das eigentliche Haupt der neuen Dichter-
schule ist mit Recht John Donne betrachtet worden, der erst
ein Jahr , ehe Milton die Universität verliess , als Dechant
der St, Paul's -Kirche gestorben war, dessen nachwirkende
literatur- geschichtliche Bedeutung ohne allzu grosse Kühnheit
beinahe über die ganze Lebenszeit Milton's bis tief in die
Restaurationsepoche hinein erstreckt werden darf(2). Dem
Manne, welcher zu Raleigh's Tafelrunde und zu Ben Jonson's
Freunden gehört hatte, dem die Atmosphäre des Hofes be-
kannt war, und der von der Kanzel herab an sein Wort eine
grosse Zuhörerschaft zu fesseln wusste, konnte unstreitig eine
bedeutende Welt- und Menschen - Kenntnis, scharfer Verstand
und umfassende Belesenheit, lebhafte Phantasie und beissen-
der Witz nicht abgesprochen werden. Alle Erzeugnisse seiner
Feder, die zu seinen Lebzeiten und bis zu der ersten Aus-
gabe der Gedichte von 1633 fast sämmtlich nur handschrift-
lich umliefen, hatten Zeugnis dafür abgelegt: seine poetischen
Episteln und seine Satiren, Elegieen, Sonette und Lieder
nicht minder wie die „göttlichen Gedichte" und die vielfachen
prosaischen Stücke aus der späteren Zeit seines geistlichen
Amtes, In den Satiren vor allem offenbarte sich eine seltene
Schärfe in der Beobachtung, mit der sich eine erfrischende
Lebhaftigkeit des Ausdrucks verband. Von den Liebesgedich-
ten und namentlich denen in Form der Elegie hat manches
den Reiz leidenschaftlicher Beredtsamkeit , wie z, B, des
Dichters Verweigerung der Bitte seines jungen Weibes, „ihn
als Page auf einer Reise in's Ausland begleiten zu dürfen".
Die Poesieen religiösen Inhalts, die zum Theil noch aus
Donne's kathohscher Epoche stammen (^), nehmen nicht selten
einen begeisterten Aufschwung. Die Kühnheit des Gedankens
und die Grazie des Ausdrucks überraschen oft bei ihm in
gleicher Weise. Aber zugleich wird man fast auf Schritt
und Tritt in dem künstlerischen Genuss gestört durch das
eitle Gepränge gelehrter Anspielungen und die gezwungene
12*
180 John Donne.
Verknüpfung verstandesmässiger Bilder, in denen der beweg-
liche Geist des Dichters sich bis zur Ermüdung gefällt. Eine
seiner Elegieen endigt mit den Worten : „Vergleiche sind ge-
hässig" (^), aber in der Praxis hat er sich wenig aus dieser
Gehässigkeit gemacht. Er plündert das Wörterbuch der
Technik und Chemie, des Militärwesens und der Geographie,
um seiner Neigung originell zu erscheinen^ genug zu thun.
Die Geliebte ist ihm sein „Amerika" und sein „Neufundland",
seine „Mine voll kostbarer Steine". Ein anderes Mal ist sie
ihm „mehr als der Mond", indem sie „Meere" von Thränen
anzieht, „um ihn in ihrer Sphäre zu ertränken". Ein Ge-
dicht über die Unbeständigkeit veranlasst ihn zu der Bemer-
kung, dass die See ausser der Donau auch noch den Rhein,
die Wolga, den Po in sich aufnimmt, und man muss froh sein,
dass er es hierbei hat bewenden lassen. Um in einem seiner
geistlichen Lieder zu zeigen, dass die Form des Kreuzes sich
überall in der Natur wie von selbst vorgezeichnet finde, ge-
nügt es ihm nicht , u. a. auf 'die Gestalt des schwimmenden
Menschen und des fliegenden Vogels hinzuweisen, sondern er
setzt noch hinzu:
„All the globe's frame and sphaeres is uothiug eis
But the Meridians crossing parallells".
Mit diesem Behagen an (jualvollen Gedankenspielen, das auch
die hässlichen Bilder abzuwehren sich nicht überwinden konnte,
verband sich sehr natürlich der Kitzel, ein Ganzes in seine
Theile zu zerlegen und die Vorstellung läppischer oder ge-
wagter Situationen für irgend eine Pointe auszubeuten, welche
den Anspruch erhob, geistreich zu sein, aber die Poesie völlig
zu Grunde richten konnte. In den Elegieen „das Anagramm"
und der „Vergleich" geht diese in Ernst und Ironie durch-
gefülirte Specifikation der „Elemente der Schönheit" oder
ihres Gegentheils in's Widerliche, nicht einmal die „Schweiss-
tropfen auf der Brust seines Mädcliens" werden uns von
Donne geschenkt. In einem anderen Gedicht „der Floh" sieht
sich der Dichter, trotz des Murrens der Eltern, mit seiner
Geliebten unwiderruflich veieint, da das nützliche Insekt so
freundlich gewesen ist, beide zu beissen und somit ihr Blut
Cleveland. — Cowley. 181
ZU verbinden. Es ist ihr „Hochzeit-Bett und -Tempel" ge-
worden, es tödten hiesse „ein Sakrilegium und einen drei-
fachen Mord" begehn.
Aus der grossen Zahl der jüngeren Schöngeister, die der
bestechenden Weise Donne's nacheiferten, verdienen zwei
besonders hervorgehoben zu werden, deren Namen in mehr-
facher Beziehung zu den Ereignissen erscheinen, die Milton's
Zeit bewegten und in Milton's Leben selbst eine gewisse Rolle
spielen. Dem einen sind wir schon als einem der Studien-
genossen im Christ -College begegnet, John Cleveland. Er
wurde 1634 Fellow im St. John's College und gewann schon
damals wegen seiner literarischen Gaben hohen Ruhm, der in
Folge seiner späteren Schicksale noch grösser ward. Wie die
Rede, die er einst, fast noch ein Knabe, vor dem französischen
Gesandten und Lord Holland gehalten, künstliche Verschnör-
kelungen aufgewiesen hatte, so strotzten seine viele Jahre
später veröffentlichten Gedichte, in jeder Weise Zeugnisse
seiner antipuritanischen Moral und Gesinnung, und oft werth-
volle Kommentare zu den politischen Ereignissen, von den
gesuchtesten Bildern und Vergleichen. Wenn sich auf Philhs'
Wangen Roth und Weiss mischen, so „trennt kein Bürger-
krieg ihr York und Lancaster". Wenn der König verkleidet
tiüchten, der „fürstliche Adler in eine Fledermaus zusammen-
schrumpfen" muss, so ist das eine „abscheuliche Stenographie
der Politik". — Bei weitem vielseitiger war Abraham Cowley,
der Sohn eines londoner Gewürzhändlers, 1632 erst vierzehn-
jährig, aber schon als zehnjähriger Zögling der Westminster-
Schule ein Dichter. Er wurde mit fünfzehn Jahren nach Ver-
öffentlichung seiner „poetischen Blumen" ein anerkannter
Autor, dessen Ruhm bis in die Tage von jNlilton's Alter be-
ständig wuchs, dessen Gesinnung, entschieden royalistisch wie
die Cleveland's, seine spätere Parteistellung und seinen Lebens-
weg bestimmte (^j. Hier genügt es, vorläufig darauf hinzu-
weisen, dass er sich auf jedem Gebiet der Poesie versucht
hat, als Lyriker aber die grössten Erfolge errang. Ein
leichter, gefälliger Witz stand ihm ebensowohl zu Gebote wie
ein gedankenvoller Ernst. Aber auf die zartesten Blüthen
132 Cowley. — Carew.
seiner Muse legte sich der Mehlthau der Donne'schen Affek-
tation. Cowley's spätere Zeitgenossen mochten es unüber-
trefflich finden, wenn ein Liebesgedicht vom „sanften Ocean"
sprach, der sein „schönes Albion" in seine Arme schliesst,
oder ein anderes darüber grollt, dass das gehebte Mädchen
drei volle Stunden bei der Morgentoilette verbringt, und die
Schönheit, sonst ein „konstitutioneller Staat", sich damit in
die „Absolutie" verwandelt. Ein jüngeres Geschlecht wird,
von Geschmacklosigkeiten der Art abgestossen, kaum begreifen,
dass derselbe Autor sich ihrer schuldig gemacht hat, dessen
Feder die musterhaften prosaischen „Essays" entstammt sind.
Niemandem , welcher die Erzeugnisse der Donne'schen
Schule betrachtet, kann es entgehn, wie bedeutend in ihnen
ein grob sinnliches Element vorwaltet. Zudringliche Hände
hatten den zarten Duft abgestreift, mit dem Spenser's Genius
alle Gegenstände überhaucht, den schützenden Schleier ge-
lüftet, mit dem seine keusche Muse das rein Animalische
verhüllt hatte. Das Verweilen bei Einzelheiten, das Haschen
nach Pikantem führte von selbst dazu, schlüpfrige, un-
reine Vorstellungen zu begünstigen und in dem Verhältnis
beider Geschlechter die physiologische Seite vorwiegend her-
vortreten zu lassen. Schon Donne, dessen sittlichem Wandel
später nichts vorzuwerfen war, und der im Alter so manchen
poetischen Reflex stürmischer Jugendtage bedauerte , hatte
hier den Weg gewiesen. Seine Elegie „An seine Geliebte,
als sie zu Bett gieng", leistet in der Behandlung des Nackten
alles nur Mögliche, Wenn derfeingebildete Cowley durch die
gesuchte, aber ebendeshalb im Grunde kalte Galanterie seiner
erotischen Verse meistens in gewissen Schranken gehalten
wurde, so that sich Gleveland später in Gedichten, wie „das
Fest der Sinne", „eine schöne Nymphe verspottet einen Moh-
ren, der ihr den Hof macht" u. a. , durchaus keinen Zwang
an und wurde schon dadurch einer der Lieblinge der Kava-
liere. Vor ihm hatte bereits Thomas Carew vielleicht das
Stärkste auf diesem Gebiete geleistet, was die englische Lite-
ratur der Zeit aufzuweisen hat(^). Carew, 1632 etwa vier-
unddreissig Jahre alt, hatte alle Freuden der Hauptstadt
Carew; 183
durchgekostet uud eine epikuräische Weltanschauung aus sei-
nen jugendlichen Erfahrungen entnommen, die bis zu seinem
frühen Ende (1638) vorhielt. Einer angesehenen Familie ent-
sprossen, im Corpus Christ -Qällege zu Oxford gebildet, hatte
er, taub gegen die Ermahnungen seines Vaters, ein lieder-
liches Leben geführt und es nur kurze Zeit in der Stellung
eines Gesandtschaftssekretärs bei Dudley Carleton, dem Ver-
treter Englands im Haag, ausgehalten. Indessen war er in
den höheren Schichten der Gesellschaft als ein witziger, poeti-
scher Kopf bekannt geworden, der sich durch Reisen und
Lektüre feine Bildung angeeignet hatte. Ben Jonson, Dave-
nant, Hyde gehörten u. a. zu seinen Freunden. Karl L fand
an ihm besonderes Wohlgefallen, gab ihm eine Stelle im Hof-
dienst und überhäufte ihn mit Wohlthaten. Zahlreiche Ge-
dichte Carew's auf den König, die Königin und sonstige Mit-
glieder der Hofkreise beweisen, wie nahe er ihnen gestanden
h^t. Uebrigens lag seine Hauptstärke in der erotischen Lyrik,
und hier zeigte er nicht selten eine anmuthige Leichtigkeit,
ja selbst zartes Gefühl in Sinn uud Vers. Aber die Grazie
seiner tändelnden Lieder wird nur zu häufig entstellt durch
jene Verirrungen des guten Geschmacks, die er dem „grossen
Donne-. wie er ihn nennt, entlehnte, „dem König, der das
ganze Reich des Witzes beherrschte". Echt Donne'sch ist
die Beschreibung aller Körpertheile der Schönen, in der der
Kopf einen ..Wunder -Globus", der Leib ein Land reich an
Schätzen, der Fuss „die Wurzel dieser göttlichen Ceder"
darstellen muss(^), aber wie hier bei aller Glätte der Form
die Zote nicht vermieden wird, so mischt sich fast immer ein
Tropfen des verführerischen Giftes in den perlenden Trank,
den der galante Kavalier in glänzender Schale kredenzt. Das
zierhch - neckische „Gebet eines Mädchens an Cupido" schliesst
mit einer unanständigen Zweideutigkeit, an mehr als einer
Stelle wird die unbedenkliche Moral des Wüstlings gepredigt
und die gluthvollen Verse, welche den Titel die ..Entzückung"
führen , können es dreist mit dem Gewagtesten aufnehmen,
was in der Zeit der Restauration geschrieben worden ist.
Solchen Ausschreitungen der Phantasie hätte als Motto jenes
184 Carew. — Herbert.
„Erlaubt ist, was gefällt", dienen können, dem Carew selbst
in dem bezeichneten Gedichte ohne alle Scheu Ausdruck lieh :
AU things are lawful there fliat may deligbt
Nature or unrestrahied appetite.
Es ist keine seltene Erscheinung, dass ein und derselbe
Zeitgeist in grob-sinnlichen und religiös-inbrünstigen Dichtungen
sich kundgiebt. Auch der Hymnus kann sensualistischen
Trieben dienen, und in der Epoche William Laud's, als der
Anglikanismus sich in seinen Formen zu künstlerischer Schön-
heit zu erheben, durch äussere Mittel auf die Sinne zu wir-
ken suchte, war es begreiflich, dass eine schwärmerische geist-
liche Poesie in denselben Kreisen mit Entzücken aufgenommen
wurde, die sich an frivolen Liedern der Lust ergötzten. Wie-
derum hatte John Donne, der Dechant von St. Paul, hier
den Weg gezeigt und in seinen Versen auf die Jungfrau
Maria, die Heiligen u. s. w. einen Ton angeschlagen, der ganz
in Uebereinstimmung mit Laud's Bestrebungen sehr stark an
katholische Weisen anklang. Selbst der leichtfertige Carew
hatte sich nicht enthalten können, einige Psalmen in's Eng-
lische zu übertragen. Als der vornehmste Vertreter der kirch-
lichen Poesie konnte indess George Herbert gelten (geb. 1593),
der den höfischen und gelehrten Kreisen gleich nahe gestan-
den hatte ('). Er war orator publicus der Universität Cam-
bridge gewesen, als Milton diese bezogen hatte. Weltmännisch
gel)ildet und nicht ohne den Ehrgeiz /eine politische Rolle
zu spielen, hatte er sich erst durch innere Kämpfe hindurch
zu arbeiten, bis er in der bescheidenen Stellung eines Land-
pfarrers volle Befriedigung fand und ein vieibewundertes
Muster seines Standes wurde. Donne, den Freund und Meister,
dem er nacheiferte, überlebte er um zwei Jahre. Erst nach
seinem Tode, datirt zuerst 1633, erschien eine Sannnlung
seiner geistlichen Gedichte, „der Tempel", welche sofort
grossen Absatz fand. Was Land , sein Gönner , unter der
„Schönheit der Heiligkeit" verstand, war hier von einem
Manne, der als Ideal des Anglikanismus dieser Zeit erschien,
in gebundener Rede kunstvoll, vielfach mit Donne'scher Ge-
suchtheit ausgedrückt. Das glatte Mosaik des Kirchenflurs,
Crashaw. Quarles. — Veränderter Charakter der Lyrik. 185
die bunten Fenster der Kapellen werden Gegenstände der Ver-
herrlichung und allegorischen Deutung. Ein förmliches Verlan-
gen nach der alten Heiligenanbetung bricht hie und da durch.
In der ganzen mystischen Ueberschwanglichkeit und sinn-
lichen Weichheit des katholischen Stils erschien die geistliche
Lyrik allerdings erst später in den Werken des hochbegabten
Richard Crashaw, des Sohnes eines hervorragenden londoner
Geistlichen (^). Damals (1632) studirte der Neunzehnjährige
in Cambridge (Pembroke-Hall) und folgte in seinen poetischen
Jugendversuchen mehr dem Muster Spenser's als Donne's.
Das Erscheinen von Herbert's „Tempel" machte auch auf ihn
grossen Eindruck, „Stufen zum Tempel" hiess die Sammlung
seiner „heiligen Gedichte", die zusammen mit den „Freuden
der Musen", Poesien weltlichen Inhalts, erst 1646 an's Licht
trat. Das Spielen mit sinnlichen Vorstellungen von Liebe
und Brautschaft, auf Gegenstände der religiösen Verehrung
übertragen, die. schmachtende Weichheit seiner bilderreichen
Verse erschien dort um so natürlicher, da Crashaw selbst den
Uebergang zum Katholicismus gemacht hatte und als Kano-
nikus der Kirche von Loretto endigte. An dem entgegenge-
setzten Ende der Skala religiöser Dichtung standen die Werke
von Francis Quarles, der in Milton's College in Cambridge
gebildet, im Dienste Elisabeth's, der Winterkönigin, gestanden
hatte, später Sekretär des Erzbischofs Ussher in Irland ge-
worden war(-). Was bis 1632 von ihm erschienen war, hatte
wenig Aehnlichkeit mit jenen lyrischen Ergüssen frommer Ge-
müther, welche auch dem religiösen Gebiet vorwiegend eine
ästhetische Seite abzugewinnen suchten. Er hatte sich mit Vor-
liebe Gegenstände des alten Testamentes ausgesucht, wie Jonas,
Esther, Hiob, Samson, seine Vorlage nicht ohne poetisches Ge-
schick, aber oft mit gesuchten Concetti in weitschweifigen eng-
lischen Versen wiedergegeben und zwischen die einzelnen Ab-
schnitte allgemeine „Betrachtungen" in gebundener Rede einge-
schoben. Auch die Klagelieder Jeremiae und das hohe Lied hatte
er unter dem Titel Sion's Elegieen und Sion's Sonette in der
jMuttersprache dichterisch umschrieben. Indem er sich mit jenem
Zwiegespräch des Liebenden und der Geliebten beschäftigte, das
186 Veränderter Charakter der Lyrik.
ihn selbstverständlich ein Zwiegespräch zwischen „dem Bräu-
tigam Christi und der Braut, der Kirche", zu sein dünkte, hatte
er einen Kreis von Vorstellungen gestreift, zu dem er sonst sich
wenig hingezogen fühlte. Die Gedanken an Tod und Ver-
wesung, an die sündige Natur des Menschen und die gött-
lichen Gerichte bewegen ihn mehr als alle anderen. Er liebt
es, darauf zurückzukommen, dass die Erde ein Jammerthal,
und der Mensch ein Frass für die Würmer ist; zu schildern,
wie die Posaunen des jüngsten Tages blasen, und die Gräber
sich öffnen. Dass er seiner Ueberzeugung an das Dogma der
Prädestination energischen Ausdruck gab, hieng damit zu-
sammen (^). Alles dies machte ihn zu einem Lieblings-
Schriftsteller der puritanischen Massen, noch ehe 1635 seine
„Embleme" erschienen, die sein populärstes Werk wurden.
Man würde ein sehr unvollständiges Bild vom Zustande
der schönen Literatur Englands jener Jahre erhalten, wenn
man sich nicht erinnerte , dass ausser den Genannten eine
grosse Zahl von beliebten Lyrikern blühte, die weder in der
Lascivität eines Carew, noch in der Mystik eines Crashaw,
noch in dem Pessimismus eines Quarles etwas suchten, son-
dern in einer allgemein passenden und verständlichen Sprache
innerlich und äusserlich individuell Erlebtes je nach Neigung
und Talent dichterisch gestalteten. Viele von den Meistern
des Dramas wären hier zu nennen, denen auch dies Gebiet
nicht fremd blieb, vor allen Ben Jonson, dem so manches
Gedicht in Form der Elegie, der Ode, des Liedes wie des
Epigramms und der Epistel gelang. Andere sind Lyriker
schlechtweg. Mancher von ihnen geht mitunter über die
Grenze des Schicklichen hinaus. Mancher erscheint hie und
da angesteckt von Donne'scher Manier. Aber auch, wo jenen
sch]üi)frigen und atfektirten Gedankenspielen gar kein Baum
gewälirt wird, stellt sich die Lyrik des Tages doch gi'und ver-
schieden von der der Spenser'schen Schule dar. Der grosse
Stil, die Kraft des Gedankens, das Feuer mächtiger Leiden-
schaft, die durch die künstliche Verhüllung hindurchgeleuchtet
hatte, war geschwunden. Für das Zioi-licho und Anmuthige
war iiocli Kaum. Man wetteiferte darin, in der graciösen
Suckling. Herrick. — Habington. Lovelace. 187
Sprache der yoriiehmen Gesellschaft kleine Gegenstände der
Galanterie, ein Band , einen Gürtel , eine Blume , poetisch zu
fassen, und durch die anakreontisch tändelnde Form blickt
oft genug wahres Gefühl hindurch. Besonders wohlthuend
werden mitunter die höfischen Schmeicheleien durch glück-
liches Zurückgreifen auf den Ton des volksmässigen Liedes
unterbrochen, das in dieser Zeit neben dem gedrechselten
Kompliment noch eine stiefmütterliche Duldung fand.
John Suckling und Robert Herrick, dieser geb. 1591, ein
alter Genosse der „Zunft^' Ben Jonson's, seit 1629 in Folge
der Gunst des Königs Vikar einer Pfarre in Devonshire, jener
geb. 1609, durch Reisen gebildet, Soldat unter Gustav Adolf,
nach seiner Rückkehr in die Heimat als einer der witzigsten
und leichtlebigsten Kumpane am Hof und in der Hauptstadt
gekannt, wussten in hundert Abwechslungen lachenden Mun-
des das unerschöpfliche Thema von Rebensaft und Liebe zu
behandeln. Das , .Pflücket die Rose, eh' sie verblüht" (^), ist
der beständig wiederkehrende Refrain ihrer von Witz und
Frohsinn übersprudelnden Verse. Suckling weiss dabei fast
noch besser als Herrick jene gesunde Volksweise meisterhaft
zn treffen , wie in seiner berühmten ,, Ballade auf eine Hoch-
zeit". Dagegen finden in den Gedichten des mit Catull wett-
eifernden Vikars und namentlich in denen aus seiner spä-
teren Zeit auch die weichen Hymnen des guten Anglikaners
ihre Stelle, wie in jener „Litanei an den heiligen Geist",
die Herbert keine Schande gemacht haben würde. Früher
als Herrik und Suckling, deren poetische Erzeugnisse erst in
den vierziger Jahren erschienen, war William Habington vor
der Oeffentlichkeit aufgetreten. Der Spross einer streng ka-
tholischen Familie aus Worcestershire , nach zweifelhafter
Ueberlieferung am Tage der verfehlten Pulververschwörung
zur Welt gekommen, erhielt er seine Erziehung im Auslande
in jesuitischen Anstalten. Als er nach England zurückgekehrt
war, wurde seine Liebe zu einer vornehmen Dame, deren Hand er
erlangte, für ihn als Menschen und Dichter bestimmend. Eben
sie ist die „Castara", die er in einer Reihe von Gedichten ver-
herrlichte, welche unter diesem Namen zuerst 1634 bekannt
188 Waller.
wurden. Die Leidenschaft des Liebenden, die Zuneigung des
Gatten, wie sie hier zum Ausdruck kommen, erscheinen von
einem zarten, oft beinahe kühlen Duft keuscher Empfindung
überhaucht, die von den groben Lascivitäten zeitgenössischer
Dichter nichts weiss, ohne indess ihre Affektation in der Form
immer zu versehmähen. Wärmer sind Habington's geistliche
Gedichte gehalten, die den frommen Katholiken nicht ver-
bergen!^). Was für ihn die „Gastara", wurde für Richard
Lovelace die „Lucasta", ohne dass er so glücklich gewesen
wäre wie jener. Seine tragischen Schicksale wie seine Dich-
tungen, die ihn gleicher Weise berühmt gemacht haben, ge-
hören einer späteren Zeit an; 1632 war er erst vierzehnjährig,
aber bald wurde er auf der Universität und am Hofe durch
Schönheit und Liebenswürdigkeit bekannt und in seiner gei-
stigen Richtung durch den Geschmack der vornehmen Welt
bestimmt. Von allen Vertretern dieser modernen, höfischen
Lyrik, wie man sie nennen möchte, hat indess schwerlich einer
einen grösseren Nanien erlangt als Edmund Waller (^). Nur
drei Jahre älter als Milton war er, als dieser die Universität
verliess, in politischen und literarischen Kreisen schon kein
Fremder mehr. Der Vetter John Hampden's und Oliver Crom-
well's, der frühe in Besitz des reichen väterlichen Erbes ge-
kommen, in Eton und in Cambridge gebildet war, hatte
bereits drei Mal im Parlament gesessen, ohne doch eine po-
litische Rolle zu spielen. Soviel indess war schon damals
sicher, dass Waller's schwankendes Naturell und die Einwir-
kung seiner streng royalistischen Mutter, trotz der nahen
Verwandtschaft mit jenen späteren Häuptern des Puritanismus,
ihn selbst nicht zu einem begeisterten Puritaner, stempeln
konnten. Er stand auf dem besten P\isse mit dem Hofe, und
seine ersten Gedichte hatten sich auf Ereignisse und Pers()n-
lichkeiten der höchsten Kreise bezogen. Schon hier hatte er
die Eigenschaften seines Talentes gezeigt, die in der Folge-
zeit noch deutlicher hervortraten, als er nach dem frühen
Tode seiner Gemahlin jene .,Saccharissa", die schöne und spröde
Lady Dorothea Sidney, und „Anioret" verherrlichte. Glätte
des Reimes, Eleganz des Ausdrucks, Veimeidung geschmack-
Poesie und Hofpartei. 189
loser Bilder sind ihm eigen, ohne dass man darüber vergessen
könnte, wie arm an tieferem Gefühl diese stets salonfähigen,
mühsam ausgefeilten Verse häufig erscheinen.
Wenn mau bedenkt, dass die englische Nation in jener
Zeit gleichsam in zwei Heerlager gespalten erscheint, bis da-
hin nur zum Geisteskampf gerüstet, um bald mit den Waffen
in der Hand als Kavalier« und Rundköpfe im Schlachtgetüm-
mel sich entgegenzutreten, und wenn man zu erkennen sucht,
welche der beiden grossen Parteien von der schönen Literatui'
des Tages wesentlich unterstützt wird, welcher diese selbst
im allgemeinen sich geistesverwandt fühlt, so kann kein
Zweifel darüber sein, wie man sich zu entscheiden hat. Es
wird zwar immer misslich erscheinen, die freien Jünger der
Kunst den engen Begriffen bestimmter Parteien des öffent-
lichen Lebens unterzuordnen. Sobald indessen diese als der
Ausdruck von zwei entgegengesetzten Weltanschauungen sich
darstellen, und die Thatsachen so deuthch sprechen wie hier,
wird ein solcher Versuch eher als erlaubt gelten können.
Sicherlich waren es nicht die Puritaner, zu denen die Masse
der genannten Dichter gezählt werden wollte, war es nicht
der Geist des Puritanismus , aus dem die Masse jener poeti-
schen Schöpfungen geboren wurde. Wie die übrigen Künste,
so erbliihte auch die Poesie damals noch vor allem am Strahl
der Fürstengunst. ]\Iit dem Hofe waren alle ästhetischen
Bestrebungen der Zeit aufs engste verknüpft. Wie viele der
erwähnten Schriftsteller haben hier Aufnahme und Unter-
stützung gefunden, wie viele haben später ihre Treue für die
Sache des Königs mit ihrem Blute besiegelt, Gefängnis, Ver-
bannung, bittere Noth für ihn getragen! Gleicher Weise stand
das herrschende kirchliche System zur zeitgenössischen Poesie
durchaus nicht in feindlichem Verhältnis^ Es war in sich
selbst von künstlerischen Bestrebungen erfüllt. Seine Würden-
träger, vielfach so enge mit den Hofkreisen und den Familien
des hohen Adels verbunden, gewährten, wie diese, dem Schö-
J90 Angriffe auf den Puritanismus.
nen nicht nur Duldung, sondern Ermuthigung. Einzelne hatten
selbst den Dichter - Lorbeer errungen und gewusst, ihre Verse
mit dem Geiste des Laud'schen Anglikanismus zu durchdringen.
Ein und dieselbe Weltansicht und Moral erfüllte jene glän-
zende, verwöhnte Gesellschaft, die im Theater die besten
Plätze einnahm, zu den Festen des Hofes zusammenströmte,
Morgens am ceremoniellen anglikanischen Kultus sich erbaute
und Abends galanten Abenteuern nachgieng, Ihrer Anschauung
•waren die aufregenden Scenen der Bühne, die prunkvollen
Maskenspiele, die weltlichen Lieder in ihrer Geziertheit und
Freiheit, die geistlichen Gesänge in ihrer Süsslichkeit und
Weichheit wesentlich angepasst. Aus diesen Kreisen konnten
die Dichter auf lebhaften Beifall rechnen, wenn sie den bie-
deren londoner Bürger als arglosen Hahnreih oder als be-
schwindelten Gläubiger mit unermüdlicher Wiederholung dem
Gelächter Preis gaben.
Oft genug hatten sie einen offenen Angritf auf die feind-
liche Macht des Puritanismus gewagt. In dem satyrischen
Werke John Marston's, der „Geissei der Schurkerei", waren
seine Anhänger einst als Heuchler mit zum Himmel gerich-
teten Blick gebrandmarkt worden, welche „die Religion zur
Kupplerin der Liederlichkeit machen". Der lustige Bischof
Corbct, dessen muntere Gedichte damals zwar noch nicht ge-
sammelt waren, versetzt den näselnden Brüdern, die Kreuz,
Chorhemd, Mitra verabscheuen und „neun Mal täglich pre-
digen", mit seiner poetischen Pritsche fühl])are Hiebe. Un-
zählig waren die hämischen Anspielungen, welche von der Bühne
herab gegen die „Gesichter ziehenden" Puritaner gemacht
wurden, die sich „die Kehle wund beten", die „aussehen als
wären sie aus Heiligkeit zusammengesetzt, mit ihrem Haare,
kürzer geschnitten als ihre Augenbrauen und ihrem Gewissen
gi'össer als der Ocean".
Aber währenddess gewann der Puritanisnnis in den Jahren
des Diiickes in Stadt und Land immer grösseren Anhang und
blieb selbst auf die Bewegungen der schönen Literatur niclit
ohne Eintluss. Tausende, für welche die Frage der Verwer-
fung oder Erwählung Mittelpuidd des Denkens, die Bibel
Theater und Puritanismus. 191
tägliche Geistesnahrung, die calvinistische Predigt eines Richard
Sibbes die liebste Erbauung war, betrachteten alle jene thea-
tralischen Aufführungen, jene bunten Maskenspiele, jene leich-
ten Liedchen von Liebe und Wein mit denselben vorwurfs-
vollen Blickei^, wie die marmornen Hochaltäre, die glänzenden
Gefässe, die prangenden Priestergewänder in den vom Orgel-
klang durchbrausten Kathedralen. Die Zeit, in der so viele
von der Staatskirche verfolgte Brüder im Gefängnis schmach-
teten oder über das Meer hatten fliehen müssen, dünkte sie
zu ernst für den Kultus, des Schönen und Sinnlichen. Sie
sahen die Gerichte Gottes vor der Thür stehn und forderten
Einkehr des Menschen in sich, Abwehr der weltlichen Lust.
Seit alten Zeiten hatte das Theater sich den besonderen
Groll der Puritaner zugezogen (i). Damals, unter der Regie-
rung Karl's L, waren sie um so rücksichtsloser in ihren An-
griffen geworden, je mehr sie sich ihrer wachsenden Macht
bewusst wurden, und je mehr die Bühnendichtung zu verwil-
dern begann. Sie sahen in der dramatischen Darstellung jeder
Art nicht nur aus persönlicher, sondern aus grundsätzlicher
Gegnerschaft eine Quelle der Verführung und Immoralität.
Wüstlinge und Spieler fanden sie mit immer grösserem Be-
hagen gezeichnet, Ehebruch und Blutschande mit lockenden
Farben dargestellt, Schwören und Fluchen zum förmlichen
Jargon gemacht, Redewendungen gemeiner Häuser ohne Scheu
vor Jung und Alt ausgesprochen, das Grässliche und Ueber-
spannte mit raffinirter Berechnung der Wirkung ausgemalt,
und nicht einmal in allen Fällen, wenn sich das Laster er-
brochen hatte, die Tugend wenigstens zu Tische sitzend.
Selbst wo das Unsittliche als nicht geschehen gedacht werden
konnte, wurde das Ohr durch die reizende Schilderung seines
möglichen Geschehens gekitzelt, und es ist nichts bezeichnen-
der, als dass die Idee zu Shirley's „Spieler", einem Lustspiel,
das hierin das Höchste leistete, vom König selbst stammte,
wie sich denn das Stück seines grössten Beifalls erfreute.
Schon im ersten Parlament Karl's I. wurde eine provisorische
Akte beschlossen, nach der neben Bären- und Stierhetzen
auch Zwischenspiele und öffentliche Schauspiele „am Tage des
192 Theater und Puritanismus. — Poesie und Puritanismus.
Herrn" für unstatthaft erklärt wurden (i). In demselben Jahre
erschien ein „kurzer Traktat gegen Bühnenspiele", gespickt
mit Citaten aus der Bibel und den Kirchenvätern, den Kon-
cils - Schlüssen und den Pandekten, heidnischen und christ-
lichen Autoren, um nachzuweisen, dass das Theater nicht in
die Reihe „der erlaubten YergTiügungen" gehöre (*). Eben
damals während der Pestzeit erschollen die bitteren Klagen
eines Pastoren in White-Cbapel darüber, dass die Nachmittags-
predigten in Abnahme kämen, während die Theater, „wo man
dem Satan dient", vergrössert und erweitert würden. Als
1629 zum ersten Male Schauspielerinnen, einer französischen
Truppe angehörig, aufzutreten wagten, wurden sie mit Zischen,
Schreien und Geschossen von Obstkernen von den Brettern
vertrieben. Drei Jahre später erschien jenes mit Gelehrsam-
keit und puritanischem Eifer getränkte Werk des Juristen
William Prynne, die „Schauspieler- Geissei" (Histrio - Mastix),
in welchem allen Theatern, diesen „Geschwisterkindern und
Nachbarn der Bordelle", dasselbe Schicksal angewünscht wurde,
welches das alte Globus- und das alte Fortunatheater „mit
höllischen Flammen" verzehrt hatte (3). Es war die Frucht
siebenjähriger Arbeit, ein literarisches Ereignis, das in gewissem
Sinne zugleich ein politisches wurde. Der dicke Quartband, in
dem man einen versteckten Angriff selbst auf die Königin zu er-
kennen glaubte, kostete, von anderem abgesehn, dem Ver-
fasser nicht nur seine Freiheit und seine Ohren, sondern rief
zugleich in den höheren Schichten der Gesellschaft einen wah-
ren Wetteifer hervor, sich in der Begünstigung der drama-
tischen Kunst als loyal gesinnt zu erzeigen, und verhalf somit
dem Theater in den nächsten Jahren zu einem neuen Auf-
schwung (*).
Inzwischen waren auf anderen Gebieten der schönen Lite-
ratur Spuren der Einwirkung puritanischen Geistes zu be-
merken, die im Laufe der Zeit nicht geringer wurden. Gerade
darin zeigt sich die Gewalt einer ideellen Macht am deutlich-
sten, dass sie selbst solche mit einem geheimen Banne zu
fesseln weiss, die ihr äusserlich feindlich gegenüber stehen.
Miin ei'staunt, aus den lachenden Liedern jener Kinder der
Poesie und Puritanismus. 193
Welt mitunter die ernsten Töne der Schwermuth und Ent-
sagung herauskliugen zu hören. William Cartwright's Strophen
durchweht mitunter ein Hauch von Weltschmerz, der wenig
zu dem lebenslustigen, auch im tiefsten Unglück optimistischen
Sinn der Kavaliere passt, in deren Reihen er gehörte. Der
resignirten Verse des eifrigen Royalisten Drummond, in denen
er das Leben einer Jagd vergleicht, den Menschen dem
Wilde, den Tod dem Nimrod, Lust, Krankheit, Neid, Sorge
seinen flinken Hunden, hätte sich keiner derer zu schämen
gebraucht, die später in den Schaaren der CromwelFschen
auserwählten Heiligen standen. Francis Quarles, der im
Bürgerkriege für den König litt, erscheint, wie erwähnt, als
Dichter durchaus von den Gedanken calviuistisch - puritanischer
Weltanschauung beherrscht. Unter den Spenseriauern insbe-
sondere lassen sich Züge der religiösen Denkweise und des
politischen Freiheitsgefühls des Puritanismus hie und da er-
kennen, wie denn Spenser selbst mit seinem Tugendenthusias-
mus wie mit seinem Hass gegen Rom, mit seinem sitthchen
Ernste wie mit seinem Lobe des genügsamen , guten Hirten
offen dem Puritanismus das Wort redete, ohne sich von ihm
die Freude an form- und farbenreicher Schönheit rauben zu
lassen. William Browne verwahrt sich dagegen, dass seine
„freigeborene Muse" wie Danae mit Gold gewonnen werden
könne, um den Grossen zu schmeicheln, und will nichts wissen
von den Freuden des Hofes und der Paläste (i). Die beiden
Fletcher hatten in ihren Hauptwerken religiöse und ethische
Fragen in einer Weise behandelt, die das Wohlgefallen puri-
tanischer Geister erregen musste, Phineas, der ältere der bei-
den Brüder, in dem nach einer Zeit jugendlicher Leidenschaft
eine innere Wandlung vor sich gegangen zu scheint, zeigt
sich wie in seinen „Apollyonists" so in den prosaischen Trak-
taten, die er hinterlassen hat, als Gegner des Arminianismus
und strengen Calvinisten(2).
Und einen Dichter hatte jene Zeit, welcher ganz und gar
als bewusster Vertreter des Puritanismus gelten konnte, und
der die Mode-Schriftsteller des Tages auf ihrem eignen, dem
literarischen Gebiet mit scharfen Waffen bekämpfte, wie er
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. ]3
194 Wither.
später als einer der Officiere des Parlaments-Heeres der Hof-
Partei auf dem Schlachtfeld entgegentrat.
George Wither aus Hampshire stand 1632 mit vierund-
vierzig Jahren bereits auf der Höhe seines Ruhmes und konnte
auf eine ereignisreiche literarische Laufbahn zurückblicken.
Während seiner Studienzeit im Magdalen-College zu Oxford,
später in London, wo er in Lincoln's Inn sich zum Rechts-
gelehrten bilden wollte, hatte sich seine Neigung zur Schrift-
stellerei entwickelt, die mit der Fähigkeit unglaublich rascher
Produktion verbunden war(^). Er war, wie so viele der da-
maligen Poeten, mit Klagegedichten auf den Tod des Prinzen
Heinrich und Epithalamien auf die Hochzeit der Prinzessin
Elisabeth und des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz hervor-
getreten. Es sollte wohl mehr als blosse konventionelle Form
sein, wenn er in den Epithalamien (p. 466) betonte, dass er
nicht zu „jenen helikonischen Schöngeistern gehöre, deren ge-
fällige Weisen für die Ijekannte Stimmung des Hofes passe,
sondern nur ein armer Schäfer vom Lande sei, der nöthigen-
falls Hirtenlieder auf der Rohrpfeife blasen könne." In der
That waren fast gleichzeitig seine zwei Bücher Satyren
(Abuses stript and whipt) erschienen, die der „l)ekannten
Stimmung des Hofes" wenig angepasst waren. Er hatte den
Muth, sie hohen und höchsten Persönlichkeiten in eigenen
Dedikations- Exemplaren zuzustellen. Als indess einzelne
Stellen des Werkes beleidigend für Männer in Amt und
Würden erfunden wurden, musste der Verfasser für einige
Zeit in's Gefängnis wandern. Audi im Kerker blieb seine
Muse nicht still. Hier entstand nicht nur eine Reihe von Ek-
logen (The Shepheards Hunting), den Freunden, die ihn besucht
und getröstet hatten, gewidmet, sondern auch eine freimüthige
Appellation an den König, die, wie man annimmt, zu seiner
Freilassung fülirtc. Von nun an überschwemmte er den
Bücher-Markt förmlich mit literarischer Waare von seiner
Hand. Weltliche und geistliche Gegenstände wechselten mit-
einander ab. Jenem Gebiete gehörte z.B. sein ,, Motto" an:
„Icli habe nichts, brauche nichts, sorge um nichts" (Nee habeo,
ne.c careo, nee curo), eine Art von moralischem Glaubens-
Wither. 195
bekenntnis, seine „Elegische Epistel Fidelia's", die Pastorale
„Tugend-Schön, die Geliebte Philavetes^', diesem seine me-
trische Paraphrase des Glaubensbekenntnisses und des Vater-
unser, seine „Gesänge Mosis und Hymnen des alten Testa-
ments", seine „Hymnen und Gesänge der Kirche", Im Jahre
1622 war unter dem Titel „Juvenilia" ein Theil seiner Dich-
tungen gesammelt erschienen (^). Indesse;i war sein Leben
nicht frei von mancherlei Verfolgungen gewesen. Er hatte
zeitweise wiederum Freiheits - Strafe und empfindliche Ver-
luste an Geld zu leiden gehabt. Er war sodann mit der Ge-
sellschaft der Buchhändler (Stationers Company) in heftige
Streitigkeiten gerathen. Diesen war das ihm vom König ge-
währte Privelegium, seine „Hymnen und Gesänge der Kirche"
selbst zu drucken, ein Dorn im Auge, um so mehr, da der
König, um ihnen weitere Verbreitung zu geben, gestattet hatte,
sie jedem Exemplar des englischen Psalm-Buches anzuhängen.
Bei dem reissenden Absatz entgieng der Koi-poration ein Ver-
dienst, den sie als ihr gehörig betrachtete. Sie suchte das
Publikum auf alle Weise vom Kaufe abzuschrecken, verklagte
Wither vor dem Parlament als „Monopolisten", hemmte den
Verkauf seiner übrigen Werke und schrak selbst vor An-
griffen auf seinen Privat - Charakter nicht zurück. In einer
eigenen Schrift: „Das Fegefeuer des Gelehrten, entdeckt in
dem Reiche der Stationers" suchte er sein gutes Recht zunächst
vor dem Erzbischof von Canterbury, als zuständiger Behörde, und
der Konvokation des Klerus (c. 1625) zu vertheidigen und die
Missbräuche jenes Institutes aufzudecken, dessen Mitglieder
sogar gewagt hatten, bei ihrem Vorgehn sich auf die Billigung
der geistlichen Autorität zu berufen. Auch Diener der Kirche
wurden hier von Wither mit scharfen Worten getadelt,
da ihr Standesdünkel sie zu Verbündeten der habsüchtigen
Stationers gegen den Laien gemacht hatte.
Dies alles hatte dazu gedient, Wither eine Popularität
zu verschaffen, die weniger seinem Talent als seinem Cha-
rakter, weniger der Form als dem Inhalt seiner Schriften zu
danken war. Man übersah, dass seine endlos hervorsprudeln-
den Verse häufig nur als gereimte Prosa erschienen und hielt
13*
196 Wither.
sich an die Gesiunuug des Autors. In ihm, als Menschen
und. Schriftsteller, erblickte der ernste, nüchterne, durch und
durch puritanische Mittelstand gegenüber jenen frivol und
geistreich tändelnden Hofdichtern eine Art Ideal, und Wither
konnte nicht ohne Grund sich rühmen, dass Tauseude und
Tausende sich um seine Bücher rissen. In manchen seiner
Erstlings-Werke hatte er sich unverkennbar als Spenserianer
bezeichnet, wie er denn u. a. mit William Browne, dem Ver-
fasser von „Britannias Schäfergedichten'' durch innige Freund-
schaft verbunden war("). Eine gewisse Zartheit und innige
Naturempfindung war auch Wither's arkadischen Dichtungen
nicht abzusprechen. In der Zerlegung des Schönen bis in die
kleinsten Einzelnheiten und ihrer verführerischen Beschrei-
bung wetteifert er mit jedem zeitgenössischen Autor, der sich
an der Arcadia oder an der Feenkönigin gebildet hatte (^).
Aber sein Naturell gebot ihm, noch mehr als den übrigen
Schülern Spenser's, gegenüber der sinnlichen Aufwallung eine
keusche Zurückhaltung zu wahren oder den Sturm der Ge-
fühle wohl gar durch kalte Vernunftgründe zu beschwichtigen
(so z. B. Sonnet 3, S. 818). Und bald kam die Zeit, da er
jene „kindischen Unvorsichtigkeiten" seiner jugendlichen Muse
beinahe ])e)-eute und bittere Worte über „die endlose Menge
thörichter Lieder und Balladen" zu machen wusste, „die
auf den Dienst des Fleisches und des Teufels berechnet sind."
Er sah in den ,, leichtfertigen und lockeren Gedichten" nur
eine „Schändung des Schriftsteller-Berufs, einen Verderb der
Jugend", Bausteine zum „Reiche der Sünde und des Satans",
und beschloss daher statt ihrer die „herrlichen Aeusserungen
des heiligen Geistes" in dichterischer Form wiederzugeben (^).
Aber schon früher hatte er sieh auf einem anderen Felde
versucht, auf dem er ebenso sicher w^ar, puritanischen Geistes-
verwandten zu begegnen, wie auf dem der biblischen Lyrik.
Als Satyriker hatte er allerdings unmittelbare Vorgänger
gehabt. Der Satyren von Donne und Marston haben wir
schon gedaclit, die Joseph HalFs werden in anderem Zusanmien-
hang gewürdigt wei'den. Was Witlier's gleicliartige Verse
auszeichnete, war (He rücksichtslose Schärfe, mit der er
Wither. 197
sich gegen die höheren Stände gewandt, der religiös-politische
Eifer des Puritaners, mit dem er den herrschenden Gewalten
entgegengetreten war. Er hatte nicht nur gewusst, mit
sicherer Hand einzelne Leidenschaften, wie Jähzorn, Eifer-
sucht, Grausamkeit abzuschildern, mit der feinen Beobachtungs-
Gabe eines Sebastian Brant so manche Modethorheiten der
Gesellschaft darzustellen, sondern er war muthig genug gewesen,
auch das Feld der Staatsverwaltung zu streifen. In den Zeiten
Jakob's musste es anzüglich erscheinen, auf die Hinneigung zu
Spanien und die vernachlässigte Kriegsrüstung des Landes hin-
zuweisen. Ebenso unliebsam klang das Wort, dass mancher
,,die Mittel des Heiles verabsäume aus Furcht, als Puritaner
gekennzeichnet zu werden." Beschwerden über die ungesetz-
liche Duldung von Rekusanten am Hofe, die „ Ueberfüllung
der Religion mit Ceremonieen ", die Missln-äuche der Uni-
versitäten, die Mängel des Ptechtes und der Gerichte waren
sämmtlich aus dersellien Quelle puritanischer Anschauungen
geflossen (^). Mit gutem Grunde hatte Wither in dem Vor-
wort an den Leser sagen können: ,, Erwartet nicht die künst-
lich gefügten Pteime Spenser's oder Daniers(2) oder die tiefen
Gedanken des jetzt hochangesehenen Jonson; sagt, es ist ehr-
lich und olTen geredet, das ist alles, was ich verlange."
Der stolze Sinn, unbekümmert um Autoritäten, sich seinen
Weg zu bahnen, nur der Stimme des Gewissens zu folgen,
war überhaupt einer der wesentlichsten Züge dieser starren
Natur. ,,Wenn sich niemand um meine Lieder kümmert, —
sagt er ein Mal, — lasse ich mir an mir selbst genügen und
bin mit meinem Beifall so zufrieden, als wenn die hal1)e Welt
mich^ hörte'' (ä). Diese echt puritanische Hervorkehruug des
individuellen Urtheils erschien beinahe zum Grotesken ge-
steigert, wenn Wither in der Form der Widmung alles Gute
seinem eigenen Selbst wünschte, dem er „nächst Gott, seinem
Fürsten und Lande am meisten verpflichtet sei." Sie gab
den Anlass zur Abfassung jenes selbstbewussten „Motto",
welches auf dem Titelbilde den Dichter mit Lorbeeren ge-
kränzt, durch göttliche Macht vor den Pfeilen seiner Feinde
geschützt zeigte und mit den Worten schloss: „Meine Seele
198 Wither. — Schlussbetrachtung.
ist mein Reich, und keines anderen Wille soll es belierrschen;
denn ich bin frei, und niemand hat mir die Freiheit gegeben,
niemand soll sie mir nehmen."
Ein so streitlustiger und stolzer literarischer Charakter
musste nicht nur bei der Obrigkeit, sondern in den Kreisen
seiner eigenen Berufsgenossen Anstoss erregen. Je höher seine
Popularität anwuchs, desto nöthiger schien es, den gefähr-
lichen Nebenbuhler zu bekämpfen. Ben Jonson, obwohl
Wither ihm sein Lob gespendet hatte (^), das alte Haupt der
lebenslustigen Dichter-Genossenschaft, dem nichts ferner lag,
als die ängstliche Moral des Puritanismus, hatte es schon 1624
unternommen, den mürrischen, hochmüthigen Sitten-Prediger
anzugreifen. In einem Maskenspiele, das am Hofe zur Auf-
führung kam, stellte er ihn in der Figur des „Chronomastix"
des „wackren Satyrs" mit glücklicher Benutzung seiner
Schwächen an den Pranger und suchte ihn in jeder Weise lächer-
lich zu machen (^). Indess blieb Wither die Antwort nicht
schuldig. In seinem Gedicht „Britannien's Mahner" (Britains Re-
membrancer 1628) schilderte er jenen weinseligen Apollo-Club,
das Tribunal, welches sich ein höchstes Urtheil über die
Dichter der Zeit anmasse, und berief sich auf seine Verdienste.
Zugleich hatte er einen neuen Ton angeschlagen, mit dem er
die erregte Stimmung der Massen traf. Er erschien als
Prophet und kündete seinem Volke Tage des Unheils voraus,
die sein geistiges Auge erblickte. Heer und Flotte, Häfen
und Festungen schienen ihm zum Untergang bestimmt, der
Reichthum der Städte, die Früchte des Feldes, die ganze
Fülle irdischer Güter und Freuden reif zur Vernichtung,
Gottes Gerichte nahe und die Schalen seines Zornes voll.
Es war die Vorahnung einer grossen Umwälzung, die schon
damals in der Dichtung des Tages zum Ausdruck kam.
In dieser Art wogten auf dem Gebiet der schönen Lite-
ratur die Geister durcheinande]-, als Milton sich entschloss,
frei ^•o1l den Fesseln eines Amtes, in ihre Reihen einzutreten.
Nachklänge dei' gewaltigen Ki-aft des Dramas, dunkle Stimmen
allegorischer Dichtung, arkadische Flötentöne, künstlich ver-
schniukelte Weisen, leichtfertig-tändelnde Liedchen, gluthvolle
Schlussbetrachtung. 199
und ascetische Hymnen flössen zu einem verwirrenden Chore
zusammen. Aber auch hier war zu erkennen, dass man sich
einem grossen Wendepunkt näherte. Die Zeiten des „lustigen
Alt-England", der Romantik, der ungetrübten Freude am
Schönen und Idealen giengen zu Ende. Der Ernst der Re-
flexion und der bürgerlichen Arbeit, des Ringens im politi-
schen Kampfe, der calvinistischen Strenge und Ausschliess-
lichkeit drängte sich vor. Eine Epoche brach an, welche dem
freien Aufschwung des dichterischen Genius wenig günstige
Aussichten versprach. ,
Fünftes Kapitel.
Die Lehrjahre in Horton.
In Buckinghamshire nahe bei dem Flecken Colnbrook,
vier bis fünf Stunden westlich von London, liegt das kleine
Dorf Horton. Die alte ehrwürdige Pfarrkirche inmitten des
Kirchhofes und die ringsum verstreuten Häuser des Dorfes
tauchen zwischen Bäumen und Buschwerk aus einer reichen
fruchtbaren Niederung auf, die zu Milton's Zeiten nicht
weniger als in unseren Tagen hundert abwechselnde Scenen
ländlichen Friedens darbot. Das Land ist von üppigen
Wiesen bedeckt, plätschernde Rinnsale führen durch sie hin
die Wasser des zertheilten Flusses Colne der Themse zu,
alter herrlicher Wald ladet auf allen Seiten in seinen kühlen
Schatten, und über die dichten Wipfel ragen westwärts die
stolzen Zinnen von Windsor empor. Hierhin nach Horton
hatte sich Milton's Vater zurückgezogen, um nach so manchem
Jahre angestrengten Fleisses seine alten Tage in gesunder
Landluft zu geniessen. Noch lebte ihm die treue Gefährtin;
die Tochter Anna, seit dem August 1631 verwittwet(^), blieb
mit ihren zwei kleinen Söhnen in London wohnen, ebendort
begann im September 1632 des Dichters Bruder Christoph
im Inner Teinple das Studium des Rechtes, für das er be-
stimmt wurde (^).
Möglicherweise fand der Umzug kurz vor oder in dem Jahre
1631 statt, wenigstens liess sich annehmen, dass der Dichter
Milton in Horton. — Studien. 201
die Herbstferien dieses Jahres inmitten der Reize von Wald
und Feld verbrachte, deren er in seiner siebenten College-
Rede mit solclier Bewunderung gedenkt (^). Vermuthlich
stand das nun längst vom Erdboden verschwundene Haus
und der zugehörige Landbesitz im Eigenthum der Familie
Bulstrode, die seit Jahrzehnten das Herrenhaus hinter der
Kirche, gewiss das stattlichste Privat-Gebäude im ganzen
Orte, einnahm. Es ist dieselbe Familie, aus welcher von
mütterlicher Seite der nachmals als Jurist und Politiker be-
rühmte Bulstrode Whitelocke stammte, der nur um wenige
Jahre älter war als Milton. Zu den Honoratioren des Ortes
gehörte selbstverständlich der Inhaber der Pfarrei, Edward
Goodal, in früheren Zeiten Gehülfe des puritanischen Geist-
lichen Thomas Gataker, seit 1631 im Genuss der Pfründe
von Horton {^). Auch seine kleine Kirche entgieng nicht den
prüfenden Blicken der geistlichen Yisitatoren. Unter den
Kirchenstühlen, an denen etwas auszusetzen war, vermuthlich
weil sie einen Zoll höher waren als die uniforme ,, Schönheit
der Heiligkeit" zuliess, befand sieh auch derjenige des alten
Milton (3). In diesen eng umschriebenen Kreis trat Milton
ein, als er seine Studien beendet hatte und den Entschluss
nicht fassen konnte, einen praktischen Lebensberuf zu er-
greifen. Wie wohl er sich aber in diesem sorglosen Still-
leben befunden habe , mag man sofort aus den Worten
sehliessen, mit denen er die sechs Jahre jener Lebensepoche
kennzeichnet: „Auf dem Landgut meines Vaters, w^ohin sich
dieser aut seine alten Tage zurückgezogen hatte, vertiefte ich
mich in schönster Müsse ganz und gar in die Werke der
griechischen und lateinischen Schriftsteller. Älitunter ver-
tauschte ich jedoch das Land mit der Stadt, sei es um hier
Bücher zu kaufen, oder um etwas Neues in der jNIathematik
und Musik zu lernen, womit ich mich damals erfreute" (*).
Mit gutem Grunde betont Milton bei dem kurzen Ueber-
blick über sein Thun und Treiben während jener Jahre sein
Studium der klassischen Literatur. Man hat behauptet, er
habe in jenem Zeitraum sämmtliche ü])erhaupt zugängliche
lateinische und griechische Schriftsteller gelesen, und wenn
202 Studien. — Besuche von London.
eine solche Behauptung auch unzweifelhaft übertrieben ist, so
wurden doch sicherlich die schon während der Schul- und
Universitäts-Zeit erworbenen Kenntnisse nach dieser Richtung
hin ungemein erweitert. Exemplare eines Lykophron und
eines Euripides, die, wie man weis, im Jahre 1634 in Milton's
Besitz übergiengen, neben der Einzeichnung seines Namens
mit Noten von seiner Hand versehn, mögen nur als verein-
zelte Stücke einer anwachsenden Bibliothek gelten, und es
gab andere Gelegenheiten genug, die ersehnten Schätze der
Alten sich zu verschaffen (^). Eben jene Jahre wird man als
die reifereren betrachten dürfen, in denen ihn noch stärker
als zuvor die „göttlichen Werke Plato's und des ihm eben-
bürtigen Xenophon" beschäftigten (-). Ein Brief, der gegen
Ende dieses Lebens-Abschnittes am 23. Sept. 1637 an Diodati
gerichtet ist, giebt dem Freunde gleichsam einen Rechen-
schafts-Bericht über die Studien des Schreibers: „Die Ge-
schichte der Griechen habe ich durch ununterbrochene Lek-
türe bis zu dem Momente verfolgt, in dem sie aufhörten
Griechen zu sein. Ich habe mich lange bei der dunklen Partie
der Geschichte der Italiener unter den Longobarden, Franken,
Deutschen aufgehalten, bis zu der Zeit, da ihnen durch Ru-
dolf, der Deutschen König, die Freiheit gegeben wurde; von
da an wird es wohl ratlisamer sein, die Geschichte jedes
einzelnen Staates Italien's gesondert zu lesen." Und am
Schlüsse des Briefes bittet Milton den Adressaten, ihm die
Geschichte Venedigs, man weiss nicht, ob von Bernardo oder
Pietro Giustiniano leihweise zu übersenden (^). Ueber der
Geschichte der Völker der Neuzeit wurde ihre Sprache und
Literatur nicht vernachlässigt. Wenigstens des Französischen,
und Italienischen, wohl auch des Spanischen, mag Milton damals
mächtig geworden sein. Beatrice's und Laura's Lob ver-
stand er in der Ursprache zu lesen, noch ehe er die Stätten
betrat, auf denen Dante und Petrarca gewandelt hatten (^).
Ein so Üeissiger Verkehr mit den grossen Geistern längst
entschwundener Zeiten wurde am besten durch einen Aus-
flug nach der nahen Hauptstadt unterbrochen. Hier empfieng
den .lüngling das rauschende Leben des Tages, beim Bruder
Besuche von London. — Die Brüder Lawes. 203
oder im Hause der Schwester fand er sichere Unterkunft,
durch Paternoster - Row schlendernd konnte er unter den
neuen Waaren des Büchermarktes wählen und sich mit den
eben ausgegebenen Stücken der Dramatiker oder den jüngsten
theologischen Traktaten beladen, an solchem Platz liess sich
am leichtesten ein Stelldichein mit den alten Freunden geben (^).
Aber hier in London fand sich auch Gelegenheit zu lernen
und ein angeborenes Talent weiterzubilden. Wer der Lehrer
der Mathematik gewesen sein mag, ist nicht zn sagen. Da-
gegen unter den bekannten und wegen ihres Unterrichtes all-
gemein geschätzten Musikern kamen ohne Zweifel zwei Männer
in Frage, mit deren einem Milton nachweisslich eben damals
in enge Verbindung trat.
William und Henry Lawes, die Söhne des William Lawes
von Steeple Langford, nahmen unter den musikalischen Grössen
ihrer Zeit einen hohen Rang ein. Beide waren in ihrer Kunst
von John Cooper unterrichtet worden, der sich, nach auch
uns bekannter Art, in einen Giovanni Coperario zu verwandeln
für nöthig gehalten hatte. Die beiden Lawes wurden Mit-
glieder der königlichen Kapelle, eines Instituts, das schon
lange vor der Zeit der Reformation bestanden hatte und
wegen der Vortrefflichkeit seiner Leistungen im Kirchen-
Gesänge hoch berühmt war. Die Brüder gehörten gleich-
falls zu den Kammer-Musikern Karl's L, lieferten zahlreiche
Kompositionen beliebter Dichterwerke und verkehrten in der
besten Gesellschaft (-). Noch bedeutender und geschätzter
als der ältere Bruder scheint Henry gewesen zu sein. Mit
neunundzwanzig Jahren trat er in die königliche Kapelle ein
und stieg hier von einer Ehrenstelle zur anderen empor. Die
ersten Dichter der Zeit, ein Waller, Carew, Cartwright, Herrick,
später auch Lovelace, waren stolz darauf, ihre Verse von
Lawes in Musik gesetzt zu sehen, mit vielen von ihnen war
er befreundet, Waller, Herrick u. a. widmeten ihm schmeichel-
hafte Strophen, auf Hobbes Tische pflegte fast immer ein
Heft seiner Lieder zu liegen. Mit Bewusstsein kämpfte er
gegen die Mode des Tages an, fast lediglich italienische Texte,
welche die wenigsten verstanden , für singbar zu erklären, er
204 Die Brüder Lawes. — Theater.
ironisirte diese Leidenschaft der Gesellschaft, diesen hiimourj
wie Ben Jonson gesagt haben würde, und drang auf die natio-
nale Einbürgerung seiner Kunst. Seine Stärke war die
Komposition von Liedern für eine Stimme, hier verstand er
nach Waller's preisendem Ausdruck „den Versen Leben zu
geben", die Worte mit der Melodie, die poetische mit der
musikalischen Phrase kunstgerecht zu decken ('). Henry
Lawes ertheilte in vornehmen Kreisen, vorzüglich im Gesänge
Unterricht, er mag auch Milton's Lehrer gewesen sein und
seine musikalischen Neigungen mannigfach angeregt haben.
Die Bekanntschaft mit den in allen Künstlerkreisen
heimischen Brüdern Lawes diente unzweifelhaft dazu, noch
ein anderes Interesse Milton's zu beleben. Man erinnert sich,
welches Entzücken Milton schon früher in dem „pomphaften
Rundbau des Theaters" empfunden und wie kühl er dagegen
die gespreizten Dilettanten- Versuche seiner üniversitäts-Ge-
nossen beurtlieilt hatte. Welche angenehmere Unterbrechung
der ruhig und gleichmässig dahin fliessenden Tage des Land-
lebens konnte es geben, als dann und wann die wahren Stätten
der Kunst aufzusuchen und inmitten der lauschenden Masse
ein Bild aller menschlichen Leidenschaften entrollen zu sehen.
Eben damals drängte sich die Theilnahme an den Schöpfungen
der dramatisclien Dichtung auf's neue mächtig vor. Der
Histriomastix von William Prynne, dessen Process sich im
P'ebruar 1634 abspielte, hatte jene Bewegung der höfischen
Kreise zu Gunsten der Bühne entfesselt, die in der Aufführung
von Sliirley's Maskenspiel „Der Triumph des Friedens" ihren
glänzendsten Ausdruck fand. Die vier Rechts-Kollegien ver-
anstalteten sie für Lichtmess 1634, um auf diese Weise ihren
vollen Abscheu vor dem puritanischen Berufsgenossen zu
erkennen zu geben, der es nocli dazu gewagt hatte, sein
Werk den Vorstehern von Lincoln's Inn zu widmen. Was
die Kunst und die Gelehrsamkeit des Tages vermochte, war
aufgeboten, um dies Fest zu schmücken. Ein Seiden ver-
geudete seine antiquarischen Kenntnisse an die Einrichtung
des Scliaugepränges und die Walil der Kostüme, Inigo Jones
gab die Scenerie an, William Lawes lieferte grossen Theils
Theater. — Die Gills und Ben Jonson. 205
die Musik. Wenn wir die glänzende Beschreibung lesen, in
Avelclier Bulstrode Whitelocke, damals eines der Mitglieder des
Comit^, den Strassen - Aufzug , die Auiführung, den ganzen
Pomp dieses Festes schildert, so schenken wir der Nachricht
Glauben, dass sich die Kosten auf beinahe 21,000 '£ belaufen
haben. Eine zweite Aufführung fand acht Tage später im
Kaufhause auf Kosten des Lordmayor statt. Hinter solchem
Luxus konnte der Hof nicht zurückbleiben, schon Fastnacht
desselben Jahres brachte er unter Mitwirkung des Königs
und vieler Adligen Carew'g Coelum Britannicum zur Darstellung.
Nach dem Urtheil des königlichen Intendanten war es das
schönste Maskenspiel seiner Zeit, und die Königin erklärte:
„Pour les habits eile n'avait rien vue de si brave". Dies
Mal hatte Henry Lawes die Komposition beigesteuert (0.
Es ist schwer glaublich, dass Milton, der den Lawes so
nahe stand, der an einem Ort mit den Bulstrodes, Verwanden
jenes Bulstrode Whitelocke, lel)te, dass er, dessen Bruder im
Inner Temple studirte, von jenen Aufführungen und Proben,
die ganz London theils mit lautem Entzücken, theils mit ver-
haltenem Ingrimm besprach, gar keine Notiz genommen haben
sollte. Wohl mochte ihm die hehre Kunst durch Schau-
stellungen der Art, bei denen sich eine gTobe Wirkung auf
die Sinne mit niedriger Schmeichelei verband, entweiht er-
scheinen. Auch die Strafe, welche Prynne zu erdulden hatte,
musste seinen Zorn erregen. Aber niemals konnte er ein
Puritaner in dem Sinne werden, dass er die Leistungen der
dramatischen Poesie als solche verworfen hätte. In seinem jüngst
entdeckteuKollektaneenbuche sieht man ihn sich gegen einen rigo-
ristisehen Kirchen-Vater ereifern und den Ausspmch verfechten,
dass es „in der ganzen Philosophie nichts Ernsteres, Heiligeres
oder Erhabeneres gebe als eine richtig angelegte Tragödie" C^),
Auch von anderer Seite her musste seine Theilnahme an
den theatralischen Ereignissen der Hauptstadt geweckt werden.
Sein Freund und Lehrer, der jüngere Gill, der uns schon von
früher her als ein zungenfertiger Spottvogel bekannt ist, wurde
eben damals in eine literarische Fehde mit keinem Geringeren
verwickelt, als dem alten Ben Jonson. Seit geraumer Zeit
206 Die Gills und Ben Jonson,
war der Dicliterkönig jener Tage gegenüber den Gills in
Kriegszustand. Er hatte es dem Vater Gill nicht verziehen,
dass er den puritanischen Lieblings-Poeten, den moralisirenden,
strengen Wither, an einer Stelle seiner Logonomia Anglica
den englischen „Juvenal" genannt hatte. Indem er Wither
dem Gelächter Preis gab , versetzte er auch seinem Apologeten
einige Seitenhiebe, „dem Schulmeister", der die Schuljugend
gleichsam nach den scharfen Sentenzen des modernen Juvenal
abstrafte, dem alten Gill, ül)er dessen handgreifliche Unter-
richts - Methode wir schon früher ein artiges Liedchen
haben singen hören, (s. o. S. 3L) Ende 1632 fand sich eine
passende Gelegenheit für den jüngeren Gill, den geschmähten
Vater an dem gewaltigen Angreifer zu rächen. Das Fiasko,
welches damals Ben Jonsons Drama ,,Das magnetische Fräulein"
machte, scheint den Misserfolg, den sein „Neues Wirtshaus"
1630 erfahren hatte, noch übertroffen zu haben. Es war
voraus zu setzen, dass auch dies Mal der gekränkte Dichter
die bedenkliche Ehrenrettung seines Dramas vornehmen würde,
welche eine auf der Bühne erlittene Niederlage nur schlecht
verdeckt: vom Theater-Publikum an's Lese-Publikum zu ap-
pelliren. Da blies der jüngere Gill wenig edelmüthig zum
Angriff. Er räth dem alten kranken Dichter sein Machwerk
doch lieber zu verbrennen, Clio und Polyhymnia zu lassen,
sich der Arbeit seiner jungen Jahre wieder zuzuwenden,' Trog
und Kelle wieder aufzunehmen. Ben Jonson's Antwort blieb
nicht aus. Ihr grober Ton zeigt, was man sich damals in
literarischen Fehden bieten konnte, zudem fasst sie den Gegner
an dem Punkte, wo er am verwundbarsten war: sie erinnert
ihn an seinen Process vor der Sternkammer , in dem er mit
so grosser Mühe seine Ohren gerettet hatte (^).
Von Unterhaltungen mit den Freunden ülier Gegenstände
dieser Art, von dem so mannichfach anregenden Leben und
Treiben der Hauptstadt kehrte John Milton immer wieder zu
seinem friedlichen Horton zurück. Hier konnte er, von Sorgen
frei, im frohen Gefühl der Gesundheit, unter einfachen un-
verdorbenen Menschen alle die unschuldigen Freuden des
Landle])cns kosten. Es waren vielleicht seine glücklichsten
Landleben. — Sonett an die Nachtigall. 207
Jahre. Sie bildeten ohne Zweifel seinen Natursinn, der von
nun an immer stärker in allem, was er dachte, hervortritt.
Die Morgendämmerung fand ihn wach, wie manches Mal mag
er auf freiem Felde den Aufgang der Sonne anbetend begrüsst
haben. Nah und fern winkte der Wanderung ein schönes
Ziel, durch Wiesen und Aecker führte der Weg zur Seite des
rauschenden Colne zu den Ufern der Themse. Hier mahnte
die Haide von Runnymede an die alte Zeit , da sie Schauplatz
der Beschwömng der magna Charta gewesen war. Dort er-
zählte die Hernes-Eiche .unweit Datchet von den lustigen
Abenteuern John Falstaff's. Die Thünne von Windsor riefen
durch den üppigen Park den Wandrer zu sich, und am west-
lichen Abhang des Schloss-Hügels lockten die stattlichen Ge-
bäude des College von Eton zur Einkehr. — Dem schöpfer-
ischen Genius wird das Leben zum Gedicht, und so halten wir
uns für berechtigt, das poetische Spiegelbild der mannichfaltigen
angedeuteten Erscheinungen von Land und Stadt, Natur und
Kunst in einigen Dichtwerken Milton"s zu erblicken, welche
wohl sämmtlich aus der Epoche von Horton stammen (^).
Dabei liegt es uns ebenso fern in diesen Gedichten mit ängst-
licher Sorgfalt biographische und lokale Beziehungen aufzu-
spüren, — so gewiss auch einzelne Theile der landschaftlichen
Umgebung Modell für den Dichter gewesen sind, — als seine
Kunstwerke nach dem Vorgange von Warton und Todd zu
einer Musterkarte von Reminiscenzen aus Ovid, Statins, Burton,
Spenser, Browne, Ben Jonson, Beaumont, Fletcher, Bocaccio,
Tasso und vielen anderen zu machen, so viel es auch für sieh
hat, dass u. a. namentlich Burton's beliebte ,, Anatomie der
Melancholie" dem Dichter von „FAllegro" und „il Penseroso" ge-
nau bekannt war. Nicht darauf kommt es hier an zu er-
kennen, welche Bilder und Ausdrücke Milton von anderen
entlehnte, sondern was den Zauber seines eigenen Genius aus-
macht. Billig steht das melodiöse Sonett „an die Nachtigall"
an der Spitze jener Reihe von Gedichten aus" der Zeit des
ländlichen Still-Lebens(-). Der Wortlaut seiner Verse lässt
sich nicht in einer Uebersetzung wiedergeben, man wird mit
einiger Verwunderung bemerken, dass Milton den auch sonst
208 Mai-Lied. — L'Allegro und II Peuseroso.
häufig von ihm berührten Gegenstand so zu sagen weltlicher
fasst als William Drummond, dessen schönes Sonett „Die
Kachtigall" sich mehr im puritanischen Gedankengang be-
wegt (^). Auch das kurze Frühling und Freude athmende
Lied auf den „Mai-Morgen" reiht sich seinem Gedankengang
nach hier an. Man hat mit Recht bemerkt, dass dieser Lenz-
Gruss besonders reizvoll wirkt durch den unerwarteten
Wechsel des Metrums, ein einfaches Mittel, dessen sich Milton
auch sonst mit feinem künstlerischen Takte bedient (2).
Das Lieblichste aber, was vermuthlich die Muse von Horton
geschaffen, ist unstreitig „rAllegro" und „il Penseroso", dieses
„Doppelgestirn beschreibender Poesie", welches einen Händel
nicht ohne Grund zum Wetteifer seiner Kunst augefordert hat.(^)
Jedes dieser beiden Stimmungs-Gedichte ist an sich ein Schatz,
zu wahrer Geltung aber kommen sie doch nur nebeneinander
gehalten, ähnlich den bezaubernden zusammengehörigen Reliefs
von Tag und Nacht, wie sie Thorwaldsen's Phantasie geboren
hat. Denn wie in Strophe und Antistrophe treten sich die
Glieder dieser beiden Selbst-Gespräche in ganz regelmä'Ssigem
Aufbau entgegen. Beide beginnen mit einigen präludirenden
Zeilen, deren Gedankengang sich völlig entspricht : hier heisst der
Dichter die „verhasste Melancholie" gehen, die „von Cerberus
und Nacht Geborne", um die Freude einzuladen, „Zephir's
und Aurora's liebliches Kind", dort verjagt er die „eitle
trügerische Lust" um die Schwernmth, die heilige Göttin, zu
begrüssen. Beide Bilder sind so geordnet, „dass sie sich vom
Landschaftlichen zum Menschlichen erheben" (**). In beiden
Diclitungen erstreckt sich die Antithese bis auf die einzelnen
Sätze, die überlegt gewählten Beiworte und selbst bis auf
das Versmass.
„Der heitere Mann tritt hinaus in den lachenden Morgen,
er hört die vielstimmige Frühmusik des Landlebens, die wir-
belnde Lerche, den krähenden Hahn, die gluckende Henne,
die von Ferne bellende und schmetternde Jagd, den pfeifenden
Bauer, das singende Milchmädchen, kurz eine ganze Pastoral-
symphonie". Sein Auge schweift mit Entzücken über die
Landschaft, Wald und Feld, Berg und Thal, die Zinnen des
L'AUegro und II Penseroso, 209
hohen Schlosses und das Dach der niederen Hütte umspannend.
Er belauscht ein ländliches Paar beim frugalen Mahle' und mischt
sich unter das fröhliche Völkchen "der Burschen und Mädchen,
die sich zum Klang' der Fiedel im Tanze schwingen:
Wo der Lust sich alle weihn
An dem Tag voll Sonnenschein,
Bis der Abendstern erwacht
Und der Thau im Grase lacht. —
• Dann wird gezecht ein braunes Bier
Und viel erzählt von dort und hier.
Die klagt wie manche liebe Nacht
Ein schwerer Alp sie stöhnen macht,
Und der spricht, wie er neulich da
Des Kobolds böses Irrlicht sah;
Wie treu ein Hausgeist sich bewies,
Und nie als trag sich finden Hess (^).
Nach solchen Gesprächen geht man zur Ruhe, „in Schlaf
gelullt durch die flüsternden Winde". Ein neuer Tag (-) führt
den Weg zur Stadt „in das geschäftige Summen der Menge"
zum Anblick glänzenden Turniers, wo Ritter und Barone vor
schönen Damen um den Preis kämpfen, zu festlichen Aufzügen
und pomphaften Maskenspielen. Und dann lockt das Theater
zu sich, wo neben dem „gelehrten Jonson", der „süsseste
Shakspeäre" herrscht, der „Sohn der Phantasie, der des
heimischen Waldes freie Lieder singt" (^). Endlich wiegen
sanfte Töne die Seele ein, die bezaubernde Stimme des Sängers
bewegt sich in reizvoller Koloratur, — wie sie Freund Lawes so
trefflich anzuwenden versteht, — und die geheimen Kräfte der
Harmonie sprengen ihre Fesseln. So sind die Tage „des heiteren
Mannes". Im Anklang an ein altes Lied ruft der Dichter aus:
Kannst du solche Freuden geben,
Frohsinn, will mit dir ich leben!
Wie anders „R Peuseroso", der sinnige, ernste Träumer!
Er lauscht am Abend dem melancholischen Liede der Nachti-
gall, der Mond bricht ab und an aus zerrissenen Wolken vor,
von ferne werden über den See die Schwingungen der Abend-
glocke herübergetragen. Oder er sitzt träumerisch im ein-
samen , dämmrigen Gemach , blickt sinnend in die glühende
Stern, Milton u. s. Zeit. LI. 14
210 L'Allegro und Tl Penseroso.
Asche, hört durch die Stille nur das Heimchen auf dem
Heerde und den Segensspruch des Wächters. Beim Schein
der Lampe wacht er die Mitternacht heran. Er blickt zu den
Sternen empor, die seine Phantasie, aus platonischer Quelle
schöpfend, mit den Gestalten eines höheren Lebens bevölkert.
Gleich dem Dr. Faust hält er mit den Elementar-Geistern,
den Natur - Dämonen geheime Zwiesprache. Und dann ent-
faltet er die Bücher der Dichtung: die majestätischen Ge-
stalten der antiken Trgödie steigen vor ihm auf, neben ihnen
finden die Helden der heimischen Barden ihre Stelle : Chaucer's,
Spenser's und der anderen Sänger ritterlicher Romantik, deren
Allegorie „mehr meint als sie sagt".
„Ein düsterer Morgen liricht an, die Winde seufzen und
stöhnen, und der Regen tröpfelt melancholisch". Die Sonne
dringt indess durch, vor ihren Strahlen flieht der Dichter in
den schattigen, abgeschiedenen Hain. An Baches Rande legt
er sich nieder, die summende Biene, die murmelnden Wellen
singen ihn in Schlaf, und wunderbar-geheimnisvolle Träume
umspielen seine Stirne. Erwacht, glaul)t er die liebliclie
Musik der Wald-Genien zu hören, er wandert seiner Stimmung
gemäss zur alten Kloster-Kirche, bewundert die mächtigen
Säulen, die gewölbte Decke:
V\'o gedämpft und ernst das Licht
Durch bemalte Scheiben bricht,
Feierlicher Orgel-Klang
Dröhnt zu vollem Chor-Gesang,
Dass die Gottes-trunkne Brust
Schwelgt in höchster Himmelslust.
Und zuletzt wünscht er sich für seine alten Tage eine
„friedliche Einsiedelei", ein „härenes Gewand", eine „moosige
Zelle", um als Klausner in dem grossen Buch der Natur, in
Sternen und Pflanzen lesen zu können:
„Bis die Erfahrung, reif und alt
Wuchst zu prophetischer Gewalt!,').
Kannst du mir solche Freuden geben,
Melancliolie, so will mit dir ich leben".
So klingen l)ei(lc Gedichte, wie sie die verschiedene
Wirkung der Musik auf den menschlichen Geist an rechter
L'AUegro und II Penseroso. 211
Stelle benutzt zeigen, gleichsam selbst musikalisch in sich ent-
sprechenden und doch verschiedenen Schwingungen aus.
Welchem von beiden der Vorzug zu geben, darüber ist in
England kaum je ein Streit gewesen. Wenn Goethe sich er-
innert, dass er, und mit ihm die gebildete deutsche Jugend
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, so wesentlich durch
den erasten, ja schwermüthigen Charakter der englischen
Poesie beeinflusst worden, so bemerkt er, dass Milton's Allegro
erst in heftigen Versen den Unmuth verscheuchen muss, ehe
er „zu einer sehr müssigen Lust'' gelangen kann(^).
Milton's Temperament war nun einmal der Art, dass er sich
dem Penseroso näher verwandt fühlte als dessen Gegensatz.
Wie lieblich auch das Bild der sonnenglänzenden Landschaft
sein mag, das er entrollt, wie glücklich er mit den eigenen
Betrachtungen die naiven Einfälle der Volks-Sage und Volks-
Dichtung, würzige Feldblumen, aus dem Bezirk des lustigen
Alt-England, verwebt : selbst durch Scherzen und Lachen zieht
sich der Faden ernster Beschaulichkeit, in seinem Frohsinn
ist, wie man gesagt hat, immer ein Stück von Melancholie.
Und diese Erscheinung wird durch eine andere Betrachtung
noch erklärlicher. Man hat die feine Bemerkung gemacht,
dass der Kontrast beider Gedichte sich über das Individuelle
erhebe, dass sie die Antithese durchklinge, „durch welche die
eine Hälfte der Nation von der andern, der Kavalier von
dem unter Schmerzen sich losringenden Puritaner geschieden
werde"(2). Der grosse Gegensatz, den wir im englischen Volks-
Geiste überhaupt unmittelbar vor dem Ausbruch der Revo-
lution als vorhanden anzunehmen uns für berechtigt halten,
wird im Allegro und Penseroso in idealer Weise verkörpert,
und zu welcher Partei sich Milton schlagen werde, kann nicht
zweifelhaft sein. Aber der freie Genius des Dichters ist
fähig, in raschem Fluge beide Gebiete des Denkens und
Fühlens zu streifen, die ernste Beschaulichkeit des Puritaners
sich zu wahren, ohne gegen die schönen Güter des Kavaliers
sich abzuschliessen , und über dem Zwiespalt der Parteien
das Ideal des Menschen zu retten. Wird doch der melancho-
lische Träumer von einem religiösen Kunst-Enthusiasmus er-
14*
212 L'Allegro und II Penseroso.
fasst, der mit dem strengen Calvinismus wenig gemein hat
und des Beifalls William Laud's und seines Königs sicher sein
konnte, bis denn doch die nüchterne Aufklärung, frei von
jeder Schwärmerei, lediglich auf die Naturwissenschaft ge-
gründet, bei ihm durchbricht.
Wenn l'Allegro und il Penseroso Gelegenheits-Gedichte
im besten Sinne sind, insoferne sie als der natürliche Ausdruck
individueller Stimmung erscheinen und dabei doch der Dar-
stellung allgemein menschlicher Ideen dienen, so trägt ein
anderes Erzeugnis der Muse Milton's, das gleichfalls der
Epoche von Horton angehören wird, den Stempel einer
auf Bestellung gelieferten Arbeit, ohne dass der Dichter sich
dabei etwas vergeben hätte.
Nicht weit von Horton in Harefield-House, eine Stunde
von Uxbridge, residirte die verwittwete Gräfin von Derby,
Alice, Tochter des Sir John Spencer von Althorpe, welche
auch nach dem Tode ihres zweiten Gatten, des Lord-Keeper
Sir Thomas Egerton, den stolzen Namen ihrer ersten Wittwen-
schaft beibehalten hatte. Dem zahlreichen jungen Nachwuchs
ihrer Sippe mochte sie wie eine ehrw^ürdige, lebendige Erin-
nerung an die elisabethanische Epoche erscheinen. Der
poetische Duft jener romantischen Tage umwob ihre Gestalt,
und Warton hat wohl Recht, wenn er sagt, „das Adelsbuch
dieser Gräfin sei die Dichtung ihrer Zeit." In ihrer Jugend
war sie mit ihren Schwestern von Edmund Spenser, der sich
mit Stolz dieser Verwandtschaft rühmte, in zierliclien Versen
gefeiert worden. Der Dichter der , .Feenkönigin" widmete ihr
1501 seine „Tliränen der Musen", pries sie als „Amaryllis"
in seinem Schäfergedicht ,, Colin Clout's come home again"
und l)ejammerte dasel])st den frühen Tod ilires 1594 verstor-
benen ersten Gatten, „Amyntas", „des edelsten Hirten, der
je auf dem Hafer-Rohr geblasen". Denn dieser seilest, Ferdi-
nando Stanley, Lord Strange, seit 1593 Graf von Derby, galt
für einen Meister des Verses und war jedenfalls ein Mäcen
rtor dichtei-ischen Genossenschaft seiner Zeit, wie denn Nash,
Die Gräfin von Derby. 213
Greene u. a. dem vornelimen Gönner ihre dankbare Huldigung
darbrachten(i). Die Verbindung mit dem zweiten Gemahl, dem
hochgestellten Staatsbeamten, knüpfte den Namen der Lady-
Alice noch enger an die grosse literarische Bewegung jener
Zeit. Zu ihren Ehren bei Gelegenheit eines Besuches, den sie
ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn, der Gräfin und dem
Grafen von Huntingdon, in Ashby-de-la-Zouch abstattete, wurde
1607 ein Maskenspiel aufgeführt, gespickt mit Komplimenten,
von Marston verfasst. Bei Hoffesten wirkte sie selbst in
theatralischen Unterhaltungen mit. An panegyrischen Wid-
mungen und dichterischen Huldigungen aller Art hat es ihr
zu keiner Zeit gefehlt (-).
Die ehrwürdige, durch das Leben geprüfte Dame konnte
sich einer zahlreichen, vornehmen Nachkommenschaft und
Verwandtschaft rühmen. Einer ihrer Töchter, der verwittweten,
durch schwere Schicksale heimgesuchten Lady Chandos und
ihren Kindern, hatte sie ein ständiges Asyl auf ihrem eigenen
Wittwensitz eingeräumt, aber oft genug wurde der schattige
Park von Harefield durch die muntere Gesellschaft der übrigen
von nah und fern herbeigeeilten Verwandtschaft belel)t, vor-
züglich bei Gelegenheit von Familienfesten, wenn der blühende
Kranz der Enkel und Enkelinnen die Herrin des Schlosses
umgab. Eine stattliche Zahl dieser Enkel gehörte dem Hause
John Egerton's, des Grafen von Bridgewater an ; denn dieser
hatte sich um dieselbe Zeit mit der zweiten Tochter der
Gräfin von Derby verbunden, in welcher diese selbst seinem
Vater, Sir Thomas, verwittwet wie sie, die Hand reichte.
Wie in anderen vornehmen Familien, ertheilte Henry Lawes
auch in der des Grafen von Bridgewater Unterricht in seiner
Kunst. Zweien von dessen Töchtern, Alice und Mary, hat er
1653 seine „Ayres und Dialogues" gewidmet und sich ihrer
in seiner Dedikation ausdrücklich als würdiger Schülerinnen
im Gesänge gerühmt.
Wurde Milton, wie zu vermuthen ist, durch die Liebe
zur Musik mit Henry Lawes häufig zusammengeführt, so lag
es für diesen nahe, das Talent des poetischen Freundes in
Anspmch zu nehmen, als es sich darum handelte, den Text
214 Die Gräfin von Derby. — Milton's ,,Arcades."
ZU einer musikalischen Aufführung zu erhalten, mit welcher
die jugendlichen Angehörigen der Gräfin von Derby diese
überraschen wollten. Freilich fehlt auch dafür der direkte
Beweis, dass gerade Lawes den musikalischen Theil der Auf-
gabe auf sich genommen habe, indess seine spätere Mitwirkung
bei der Darstellung des Comus lässt diesen Rückschluss un-
schwer zu (1). Genug, dass Militon's Genius diesem vor-
nehmen Kreise eine kostbare Gabe darbrachte: Die „Arka-
dier", „Theil einer theatralischen Unterhaltung" („Part of an
Entertainment"), „aufgeführt vor der verwittweten Gräfin von
Derby zu Harefield von einigen edlen Mitgliedern ihrer Fa-
milie, welche im Hirtengewand auf der Bühne erscheinen und
sich mit folgendem Gesang dem Ehren-Sitz nahen" (^). Die
Scene war offenbar im Freien, im Park, wo für die Gefeierte,
deren Geburtstag vielleicht Anlass zu dem fröhlichen Fest ge-
geben hatte (s.v. 4), ein erhöhter Sitz unter einem Baldachin,
etwa von bunten Lampen umgeben (s. v. 18), errichtet worden war.
]\ran hat sich den ländlichen Schauplatz von der ganzen ari-
stokratischen Gesellschaft, welche in Harefield-House abgestiegen
war, in belebten Gruppen erfüllt zu denken, die jüngeren
,. edlen Mitglieder der Familie" verkleidet, im Dunkeln ver-
borgen, auf das Zeichen des Beginns wartend. Ohne Zweifel
waren Lawes' sachkundige Schülerinnen, Mary und Alice, die
Töchter des Grafen von Bridgewater, unter ihrer Zahl, nicht
minder ihre Brüder John und Thomas, die bereits Fastnacht
1634, noch hall)e Kinder, bei der Aufführung von Carew's
Maskenspiel „Coelum Britannicum" bei Hofe mitwirkten.
Man hat angenommen, dass das Festspiel bei weitem
länger gewesen sei, als das uns Vorliegende, durch Prosa
und Maschinerie ausgefüllt ('^). Auch scheinen die Worte im
Titel: „Theil eines Theaterstückes" darauf hinzudeuten, wenn
sie nicht etwa den verbalen Theil des Spieles als getrennt
von dem musikalischen auszudrücken bestimmt sind. Gewiss
ist, dass, was Milton zu dem Werke beigetragen hat, drei
Gesilnge und ein vielleicht recitativischer Monolog, als ein in sich
wolil abgeschlossenes Ganzes erscheint. Ein Chor der herbei-
eilenden Nymplien und Hirten eröffnet das Spiel. Sie staunen
Milton's „Arcades". 215
über den Glanz der Majestät, erkennen in der Göttergleichen
die von ihnen Gesuchte, welcher sie ihre Wünsche darbringen
und deren Hoheit sie einigermassen bombastisch preisen. Der
Genius des Waldes tritt ihnen entgegen (^), bereit, die bunte
Schaar zu dem ersehnten Ziele zu führen. Damit ist die
IMöglichkeit einer Handlung schon abgeschnitten. Auf diese
kam es hier aber nicht an, wurde nur für den hauptsächlichen
Bestandtheil des Schaustückes, die Musik, der nothwendige
Text geboten. Und doch kommt der Dichter in dem episch
ausgesponnenen Monolog, des Wald-Genius zu seinem vollen
Recht. Wie dieser von seiner Vielgeschäftigkeit berichtet:
die schlanken Bäume zu nähren, säuselnde Lüfte zu wecken,
von den Pflanzen schädlichen Hauch abzuwenden, bösen Thau
von den Zweigen zu streifen, das Unheil von Blitz und Gift-
Wurm wieder zu bessern, im Abend-Dämmern die wachsame
Runde zu machen, beim Morgen-Grauen Sprossen und Ranken
zu überzählen: erinnert er an jene Mähren von dem geheim-
nisvollen Walten der Elementar-Geister, die von den ersten
Neigungen celtischer Bildung her tief im Volksglauben und
heimischer Sage wurzelnd, so häufig bei dem grossen Drama-
tiker der Nation hervorblicken und der wahre dichterische
Ausdruck für das sinnige Sich- Versenken in das Natur-Leben
sind. Aber im Verlauf seiner Rede verlässt der Wald-Genius
diesen gesunden Boden seiner Heimat und zeigt, dass er, wie
sein Schöpfer, bei Plato in die Schule gegangen ist. „Tief
in der Nacht, wenn Müdigkeit der Menschen Sinn verschlossen
hat, dann lausche ich der Hannonie der himmlischen Sirenen,
die auf den neun verschlungnen Sphären thronen und denen
singen, die die Todesscheere halten und die demantne Spindel
dreh'n, um die der Götter und der Menschen Loos sich
windet." Wohl wäre die Sphären-Musik am ehesten würdig,
den Ruhm der Gefeierten des Tages zu verkünden, da dies
aber unmöglich ist, verspricht der Genius die Kunst gerin-
gerer ihm dienstbarer Geister aufzurufen. An seine lange
Rede schliesst sich ein kurzer Gesang, die Auifordemng, ihm
mit Saitenklang zum Thron der „ländlichen Königin" zu folgen.
Ein Chor setzt ein, offenbar von den Landesbewohnern an
216 Die Familie Bridge^ater.
die Nymphen imd Hirten gerichtet: „Vevlasst Arkadiens
Flüsse und Berge, kommt mit euren Heerden zu uns, der
Herrin dieses Gebietes zu dienen , einer Königin , wie sie
ganz Arkadien nie gesehen hat."
Unter den Darstellern der „Arkadier" Hessen sich auch
die Kinder des Grafen von Bridgewater vermuthen, in dessen
Hause Henry Lawes als Musiklehrer wirkte. Eben diese
vornehme Familie ist es, für deren Kreis ein dramatisches
Werk Milton's bestimmt war, das an innerem Werth die Ar-
cades bei weitem übertrifft : „Der Comus". — Der Schwieger-
sohn der Gräfin von Derby, John Egerton Graf von Bridge-
water, nahm unter der Regierung Jakobs I. und Karls I. eine
sehr bedeutende Stellung ein. In seiner Jugend diente er
als tapferer Soldat gegen die irischen Rebellen. Nach dem
Tode seines Vaters, des berühmten Juristen und Lord-Kanzlers
(1617), ward ihm die diesem bestimmte Grafen-Würde ver-
liehen. Seine Talente und Kenntnisse machten ihn zu einer
der hervorragendsten Erscheinungen der englischen Aristo-
kratie, und seine Verbindung mit Lady Frances Stanley, der
Countess von Derby schönen und liebenswürdigen Tochter, der
eine zahlreiche Nachkommenschaft entspross, diente dazu,
seine gesellschaftliche Stellung noch zu erhöhen. Im Jahre
1631 vertraute ihm der König einen hochwichtigen Posten
an, indem er ihn zum Lord-President des Rathes von Wales,
der Marken und der vier dazu gehörigen englischen Graf-
schaften ernannte. Die Inhaber dieses beinahe viceköniglichen
mit umfassender gerichtlicher und militärischer Machtvoll-
kommenheit ausgestatteten Amtes pflegten in dem altberühmten
romantisch über der Stadt Ludlow gelegenen Schlosse zu re-
sidiren. Der Graf von Bridgewater siedelte indess nicht sofort
nach seiner officiellen Residenz über. Erst gegen Ende des
Jahres 1633 scheint er sich auf den neuen Schauplatz seiner
Wirksamkeit bogel)en zu hal)en. Seine Installation erfolgte
unter grossen Feierlichkeiten, aus der ganzen Nachbarschaft
strömte Adel und Gentry zusammen, um ihn zu begrüssen,
Die Familie Bridgewater. — Maskenspiele. 217
auch seine Familie folgte ihm, vielleicht erst etwas später,
nach. Einige seiner Kinder mögen den Gedanken gefasst
haben, die vielfachen Festlichkeiten, welche auf dem alten
Schloss zu Ludlow gegeben wurden, nach der Sitte der Zeit
durch eine theatralische Vorstellung zu krönen, die ihnen
selbst eine neue Gelegenheit böte, sich vor der versammelten
vornehmen Gesellschaft zu zeigen. Die beiden jüngsten
Söhne und die jüngste Tochter des Grafen haben in der That
die Hauptrollen des Fest-Spiels übernommen. Diese, Lady
Alice, zur Zeit der Aufführung vierzehn- oder fünfzehnjährig,
erscheint nach alten Bildnissen als eine überaus liebliche
Mädchen-Gestalt; jene, John, Viscount Brackley und Thomas
Egerton, beide nur um wenige Jahre jünger als die Schwester,
werden als vielversprechende, anmuthige Knaben geschildert {^).
Man setzte den Michaelis- Abend 1634 für die Aufführung an
und wandte sich ein zweitesmal an Henry Lawes, den ver-
trauten Rathgeber iu Kunst - Angelegenheiten dieser Art,
welcher die Inscenirung, die Lieferung des musikalischen
Beitrags und sogar eine der Bollen des Stückes auf sich
nahm. Er hatte den guten Geschmack, wiederum seinen
Freund Milton um die Anfertigung dessen in Anspruch zu
nehmen, was damals oft genug als Nebensache erschien, aber
in Wahrheit das Schwierigste war: des poetischen Textes.
So entstand der Comus, gleich den Arcades, aber freilich
weit werthvoller, ein Beispiel einer Dichtungs-Gattung, die
sich bei uns, noch dazu in verdorbener Form, höchstens auf
den vorstädtischen Bühnen zweiten Ranges erhalten hat, da-
mals aber, wie schon bemerkt, selbst bei Hofe in hoher Gunst
stand: ein Maskenspiel (Mask).
Die Maskenspiele, wie es scheint, wesentlich aus den
,,Dumb shows'' (Pantomimen) hervorgegangen, bewahrten in-
sofern die Erinnerung an ihren Ursprung, als prunkende
Kostüme, überraschende Dekorationen, Ballet und Musik auch
in ihnen immer die wichtigste Stelle einnahmen, während das
gesprochene Wort, der Dialog, nicht selten etwas stiefmütterlich
behandelt wurde. Der grosse hofmännische Philosoph giebt
in einem seiner Essays sehr genaue Anweisungen über die
218 Maskenspiele.
Musik, die Tanzbewegiingen, die Anzüge und Verkleidungen,
die sich am besten für Maskenspiele eignen, er entwickelt,
welche Farben bei Kerzenlicht am meisten Wirkung machen,
nichts, was dem Aeusseren angehört, ist ihm entgangen : über
den dichterischen Gehalt verliert er kein Wort {^). In der
That kam es den meisten Maskenspielen auf regelmässigen
Aufbau der Handlung, sorgfältige Durchführung der Situa-
tionen, feste Zeichnung der Charaktere gar nicht an. Allegorien
und mythologische Gegenstände, untermischt mit Anklängen
an die Romantik der Ritter-Zeit, gaben Gelegenheit, Halb-
götter, Heroen, Nymphen, Elfen, Kavaliere und Ungeheuer
in bunter Fülle vor den Augen der staunenden Zuschauer
auftauchen zu lassen. Der Maschinist hatte für Blitz und
Donner, Meeres-Rauschen und Wolken-Flor, Licht-Etfekte und
Versenkungen zu sorgen, Tanz und Gesang, dem phantastischen
Charakter des Uebrigen angemessen, war einzuflcchten. Der
Maske schloss sich parodistisch-possenhaft die sog. Antimaske
(anticmask) an, in welcher Personen des wirklichen Lebens
einen grotesken Gegensatz gegen die romantische Zauberwelt
zu bilden hatten. Dem Schäferspiel verwandt und gleich
diesem eine Nebengattung der Komödie, erschien das Masken-
spiel, vorwiegend auf sinnliche Wirkung berechnet, nur als
eine untergeordnete theatralische Gelegenheits-Dichtung, und
diente daher vorzüglich festlichen Anlässen, den Feierlichkeiten
von Krönungen, hoher Besuche, Hochzeiten, Geburtstagen.
Mit Freuden bemächtigte sich die vornehme Welt eines Mittels,
•welches geeignet war, wie kein anderes, Schönheit, Grazie,
Gewandtheit, gepaart mit dem Glänze von Perlen und Edel-
steinen, kostbaren und vei'führerischen Kostümen in blendender
Beleuchtung, unter den Klängen berauschender Melodien, sehen
zu lassen, und als die pedantische Gelehrsamkeit König Jakobs
und die Pninkliebe seiner Gemahlin in gleicher Weise ihre
Rechnung l)ei diesen mit mythologischen Anspielungen ge-
spickten Schaustücken fanden, erreichten die Maskenspiele
ihre höchste Höhe. Ben Jonson's Phantasie und Belesenheit
waren unei-inüdlich, immer, neue poetische Rahmen zur Auf-
nahme des farben])unten, prächtigen Bildes zu erfinden, in
Maskenspiele. 219
welchem jede Schöne des Hofes und jeder Kavalier seine
Stelle haben wollte. Nächst ihm, erklärte er, könne nur noch
Fletcher und Chapman ein Maskenspiel machen (^). Er gab
dem Maskenspiel eine gleichmässigere Gliederung. Er trennte
schärfer als bisher und durch Wechsel der Scene die eigent-
liche Maske von der sog. Antimaske. In jener erschienen
meistens voll Würde und Pracht die aristokratischen Lieb-
haber (Maskers im engeren Sinn) als Götter und Göttinnen^
personificirte Tugenden und Genien in luftigem Wolkensitz,
schönen Landschaften, hochragenden Tempelhallen, nur an
den schicklichen Menuets betheiligt. In dieser, dem komischen
Widerspiel der Maske, traten oft voll kecken Humors Satyrn,
Zwerge, Dämonen, Neger, Rüpel etc. auf, häufig durch ge-
miethete Schauspieler dargestellt, in Ober- und Unterwelt
mit tollen Sprüngen und ausgelassenen Tänzen sich umher-
treibend. Henry Lawes stattete meistens die Musik bei, der-
selbe oder ein anderer, wie Thomas Giles, ordnete das Ballet
an, aber die grosse Aufgabe des Maschinisten, Mechanikers,
Architekten und Malers lag auf den Schultern des genialen
Inigo Jones, dessen üppige Gestaltungskraft, an italienischen
Mustern genährt, über ein unerschöpfliches Füllhorn wunder-
voller Erfindungen gebot. Ja mit ihm trat das dekorative
Element zum Nachtheil des poetischen so sehr in den Vorder-
grund, wurde der Dichter als untergeordneter Libretto-Fabri-
kant von dem Architekten in jeder Hinsicht so sehr über-
vortheilt, dass Ben Jonson in Streitigkeiten mit seinem lang-
jährigen Mitarbeiter verwickelt wurde und es an Ausfällen
gegen ihn nicht fehlen Hess {^).
Schon diese Angelegenheit zeigt, wie ungesund die Grund-
lage jener höfischen Kunst war. Die primitive Einrichtung
der Bühne hatte den inneren Weith unvergänglicher Meister-
Werke der dramatischen Muse um so reiner strahlen lassen.
Mit der Begünstigung der äusserliehen Hilfsmittel sank die
dramatische Poesie. Dennoch wird niemand läugnen wollen,
dass Ben Jonson, trotz mancher abstossenden Rohheit und
dick aufgetragenen Schmeichelei, es nicht selten verstanden
hat, dieser poetischen Zwitterform, welche zwischen Gesell-
220 Aufführung des „Comus". — Inhalt
Schaftsspiel und Komödie in der Mitte steht, bedeutenden
Reiz zu verleihen, und unser Interesse an dieser Dichtungsart
wächst, wenn wir uns mit dem Gedanken vertraut machen,
dass selbst Shakespeare, unter dessen Händen freilich aus
rohen Bausteinen ein fertiges Kunstwerk wurde, im Sommer-
nachtstraum und im Sturm sich ihrer zu bedienen nicht ver-
schmäht hat.
Ein solches Maskenspiel war es, was am Abend des
29. Septembers lt334 dem neuen Lord-President von Wales,
seiner Gemahlin, seinem Hofstaat und der grossen Sehaar
seiner Gäste in jener stolzen Halle des Schlosses von Ludlow
vorgeführt wurde, die noch heute am Orte selbst die „Comus-
Halle" genannt wird(^). Beim Aufgehen des Vorhanges stellte
sich den Augen der Zuschauer ein „wilder Wald" dar; der
Schutzgeist, kein andererer als Henry Lawes, „schwebte herab
oder trat ein", je nachdem die Einrichtung der Bühne es
erlaubte. Er begann mit einem kurzen Liede, — ein Zuge-
ständnis, das der Dichter offenbar gegen seine Absicht dem
musikalischen Regisseur zu machen hatte. Erst hierauf folgte
die pomphafte Anrede, die in Wirklichkeit das Maskenspiel
in unseren Milton- Ausgaben einleitet:
Vor der gestirnten Schwell' an Jovis Hof
Ist meine Wohnung, wo das ew'ge Heer
Der lichtgestalten luft'gen (Jcister thront,
In milden Zonen ruhig klarer Luft,
Hoch über'm Qualm und Lärm des trüben Punkts,
Den Menschen Erde nennen.
Dahin ist der himndische Bote gesandt, um die gefährdeten
Menschenkinder zu schützen, deren reine Tugend in „dem
ekeln Dunst der Sünden -Welt" bedroht sein könnte, vor
allem die holden Sprossen des edlen Herrn voll Macht und
Ruhm, dessen Scepter die abendliche Küste des schönsten
Insellandes mit trotzigen, waffenstolzen Bewohnern erst kürz-
lich unterworfen ist. Sie ziehen des Vaters Hofe zu,
Jedoch es führt ihr Weg
Durcli dieses Waldes wildverschlungne Pfade,
Der mit den Schattenwipfeln graunvoll nickt
Und dem verirrten Wandrer finster droht.
Aufführung des ,,Comus". — Inhalt. 221
Und was vorzüglich bedenklich: In dieses Waldes Dickicht
haust Comiis, der gefährliche Sohn des Bacchus und der
Circo, der Ausbund üppiger Sinnenlust, der den müden
Wanderern nachstellt, sie nach Art der Mutter durch locken-
den Trank verzaubert, dass ihr Antlitz zu scheusslicher
Thierform entstellt, ihr Sinn zu schamloser Wollust erniedrigt
wird. Drum schiesst der Genius „schnell wie ein Stern im
Fallen blitzt", herab vom Himmel, den Zeus-Begnadeten zum
sichren Geleit. Doch will er erst das himmlische Regen-
bogen-Gewand ablegen, um, — hier wie in V. 494 macht der
Dichter dem Darsteller Lawes ein Kompliment, — es mit dem
Kleide eines Hirten zu vertauschen, der
In dieses hocherlauchten Hauses Dienst,
Mit sanftem Lied und süssem Flötenton
Der wilden Winde Wuth zu stillen weiss.
Auch ist er treu und wacht kraft seines Amts
Auf Bergeshöhn, zu helfen schnell bereit
In solchem Falle. — Doch ich höre schon
Den Schall verhasster Schritte; schnell hinweg!
Comus tritt auf, den Zauberstab in der einen, den Becher
in der andern Hand, mit ihm ein Haufen von Ungethümen,
mit Köpfen verschiedener wilder Thiere, sonst in Männer- und
Weiber- Gestalt, in glitzernden Gewändern. Sie stünnen,
Fackeln in den Händen, mit wildem und wüstem Lärai herein.
In bacchantischer, schon nach dem Versmass aufgeregter und
aufregender Anrede(i) fordert Comus seine Genossen auf, ein
wonnetrunkenes Nachtfest zu begehen; sie mögen eilen, ehe
der verrätherische Morgen sie überrasche; Kotytto, die ge-
heimnisvolle Göttin nächtlicher Lust sei ihnen hold:
Kränze, mitternächtge Schaar,
Dir mit Rosen-Duft das Haar;
Finstrer Ernst gieng längst zur Ruh,
Alter schloss die Augen zu.
Wer sein Feuer nicht verlor,
Ahme nach dem Sternen-Chor,
Der wachsam führt in nächt'gem Gleis
Der Mond' und Jahre schnellen Kreis.
222 Aufführung des „Comus". — Inhalt.
Der Sund, die See, die Brut, die sie bewohnt,
Hebt sich in schwankem Tanze mit dem Mond.
Es hüpfen über'n Ufersand
Muthwill'ge Feen und Elfen, keck gewandt.
Wo's Bächlein rauscht und Waldquell glänzt,
Spielt und tändelt buntbekränzt
Der Nymphen Schaar und kann nicht ruhn,
Was hat Nacht mit Schlaf zu thun?
Nacht kennt süsseren Genuss,
Venus wacht, weckt Liebes-Kuss.
Kommt, der Festesbrauch beginnt,
Sünde ist des Tages Kind.
Schlingt den Reihn und stampft den Grund
In phantastischem Ringelrund.
Es folgt ein wilder, orgienartiger Tanz. Comus unter-
bricht ihn, scheucht die ausgelassene Schaar in das Busch-
werk zurück, weil er den nahenden Tritt eines Mädchens
vernimmt und streut, um ihr Auge zu täuschen, dem er zu-
nächst als ein harmloser Landmann erscheinen will, magischen
Staub in die Luft. Der Zauber wurde wahrscheinlich durch
ein plötzlich über die Bühne strömendes blaues Licht ange-
deute|^. Während sich Comus zurückzieht, um zu horchen»
tiitt das Mädchen auf, — es war die anmuthige Lady Alice — ,
durch den wüsten Lärm von Comus Gefolge an diese Stelle
des Waldes gelockt. Sie hat die Brüder verloren, welche
seitab gegangen waren, um der ermüdeten Schwester kühlende
Beeren zu suchen. Die Nacht ist angebrochen, und tausend
ängstliche Gedanken sind durch den von Ferne vernommenen
und so plötzlich vei-stummten Tumult im Herzen der Jung-
frau erregt worden:
Von Nachtgespenstern, die versuchend locken,
Von Geister-Zungen, die in grauser Wildnis
An Strand und Moor des Menschen Namen rufen.
Doch sie ruft sich das Gewissen, den Glauben, die Hoff-
nung zu Hülfe:
Du Engel, auf den goldnen Flügeln schwebend,
Und du, der Keuschheit unbeflecktes Bild.
Aufführung des „Comus". — Inhalt. 223
Als ein vom Himmel gesandtes Zeichen sieht sie eine dunkle
Wolke sich mit dem silbernem Licht des Mondes säumen(^)
und lässt neubelebt, um sich ihren Brüdern kundbar zu
machen, ein Lied an die Nymphe Echo erschallen.
Comus tritt vor in Schäfertracht, noch unbemerkt von
dem Mädchen, ganz unter dem Eindruck, den die jungfräu-
liche Stimme selbst auf sein sinnlich -rohes Gemüth gemacht
hat. Die keusche Anmuth der Sängerin reizt ihn noch mehr,
er hegrüsst sie schmeichlerisch als ein Wunder, als die Kö-
nigin des Waldes. Sie weist sein Lob schüchtern von sich,
erklärt den Grund ihres Gesanges, lässt sich durch Fragen
eine Schilderung ihrer unglücklichen Lage entlocken, durch
die Theilnahme, die der Fremde zeigt, endlich durch seine
Betheuerung, er habe zwei Gestalten, den beiden Brüdern
ähnlich, gesehn, durch sein Versprechen, er wolle sie sicher
zu den Gesuchten geleiten, unschwer bewegen, ihm vertrauens-
voll zu folgen, um wenigstens für die Nacht eine Unterkunft
in seiner Hütte zu finden.
Kaum sind sie gegangen, so treten die Brüder auf, die
seit lange den Spuren der Verlorenen nachgeirrt. Der
jüngere — , Thomas Egerton, — voll Feuer und Leidenschaft,
fürchtet Gefahr und Unheil für die Schwester, vor allem
dünkt ihn ihre reizende Schönheit in dem nächtigen Dunkel
des Waldes unbeschützt vor dem Angriff eines verwegenen
Lüstlings (^). Der ältere — , John Viscount Brackley, — ge-
reifter und besonnener, mahnt den Bruder, nicht vor der Zeit
schwarzen Befürchtungen Kaum zu geben und versichert ihn,
dass die Schwester verborgene Kraft in sich trage, durch die
sie gegen Verführung und Gewalt gefeit sei :
Verborgne Kraft,
Zwar Himmels Gabe, doch ihr Eigenthum :
Die Keuschheit, mein' ich Bruder, Keuschheit ist's.
Die sie besitzt, trägt rings ein Stahlgewand;
Der Nymphe gleich, die Pfeil und Köcher führt,
Betritt sie öde Haide, ries'gen Wald,
Verrufne Berge, Wüsten voll Gefahr,
Wo vor der Keuschheit heil'gem Strahlen-Glanz
Kein roher Wilder, Räuber und Bandit
Der Jungfrau Reinheit zu beflecken wagt.
224 Aufführung des „Comus". — Inhalt.
Ein Ruf aus der Ferne unterbricht das Gespräch der
Brüder, sie lauschen, ung^ewiss, ob Freund oder Feind nahe,
der Aeltere ruft gleichfalls, Antwort tönt zurück, und plötz-
hch steht Thyrsis, der Schäfer in ihres Vaters Diensten, —
oder vielmehr der Schutzgeist in dieses Schäfers Tracht, —
vor den Ueberraschten. Er, der sie angstvoll aufsucht,
steigert ihre Besorgnisse, erzählt, dass Comus in diesem Walde
sein Unwesen treibe und beschreibt, wie er Abends von ferne
die süsse Stimme der singenden Herrin erkannt habe. Zit-
ternd für die ahnungslos Gefährdete sei er in ihre Nähe ge-
eilt, aber nur eben recht gekommen, um zu sehen, wie der
Dämon, tückisch verkleidet, der Jungfrau in den Weg ge-
treten , und zu hören , wie sie ihn vertrauensvoll nach den
Brüdern gefragt. Dem Vorsatz, mit dem Schwert in der
Faust dem Zauberer seine Beute abzuringen, tritt Thyrsis
entgegen ; Waffengewalt vermag nichts gegen jenes Künste,
sondern einzig die unscheinbare Wunderwurzel Haemony, die
ihm einst zum Dank für manchen Sang ein pflanzenkundiger
Schäfer gegeben, unter deren Schutze er eben den Schlingen
des Zauberers genaht und kraft deren er ihn in seiner Ver-
kleidung erkannt habe. Dies schützende Wunderkraut ver-
spricht er den Brüdern zu geben, und unter seiner Führung
und Anleitung eilen sie dem Befreiungswerke entgegen.
Die Scene verwandelt sich in einen prächtigen mit allen
Kostbarkeiten geschmückten Palast: sanfte Musik, Tafeln mit
Leckereien aller Art besetzt, Comus mit seiner Rotte, das
Mädchen sitzt auf einem verzauberten Sessel, er reicht ihr
den Becher, sie stösst ihn zurück und versucht sich zu er-
heben. Umsonst, ihre Glieder sind von dem Zauberer ge-
fesselt; aber „die Freiheit des Willens" kann er ihr nicht
rauben. Sie weigert sich standhaft von dem Becher zu kosten,
und diese Weigerung ruft das lange Zwiegespräch hervor,
den Kern des ganzen Maskenspiels, „gleichsam einen Rechts-
streit zwischen Sinnenglück und Sittengesetz", in welchem
dort alle Künste der Sophistik spielen, hier aller Unwille
herausgeforderter Unschuld überscliäumt.
In schmeichelnder Rede, die das Gefühl bestimmen, den
Aufführung des „Comus". — Inhalt. 225
Verstand überzeugen soll, sucht Comus die Sinnlichkeit des
Mädchens zu erregen. Wozu all' der Reichthum der Natur,
die unübersehbare Ueppigkeit ihrer Schöpfimg, als um uns
zum Genuss einzuladen? Es hiesse den Allgütigen beleidi-
gen, seinen Planen entgegenhandeln, wollten wir seine Gaben
nicht nutzen, die unverbraucht sich in wuchernder Fülle er-
drücken würden:
Hör' Mädchen, sei nicht spröde, lass den Schein
Des blossen Wortes : Keuschheit: dich nicht blenden.
Die Schönheit ist die Münze der Natur,
Zum Umlauf nicht zum Sammeln uns verliehn;
Ihr Segen ruht im wechselseit'gen Glück,
Doch ohne Wonne ist ihr Selbstgenuss.
Lässt du die Zeit entfliehn, welkt sie am Stock,
Vergessner Rose gleich, mit mattem Haupt.
Auf dieses „Carpe diem" antwortet die Jungfrau im Stile
einer ächten Puritanerin; ihre Theorie von den äusseren
Gütern der Natur und ihrer gerechten Vertheilung lautet
ganz anders:
Betrüger, nicht die Unschuld der Natur
Klag' an, als sollten ihre Kinder prassen
Von ihrem Ueberfluss. Sie theilt haushälterisch
Dem Guten nur von ihren Schätzen aus.
Der ihrem nüchternen Gesetz sich fügt
Und heiiger Regel karger Massigkeit.
Wenn jeder Edle, der jetzt darben muss.
Nur mäss'gen Antheil hätte nach Gebühr
An dem, was Schlemmerei und Ueppigkeit
In wüstem Unmass jetzt auf wen'ge häuft,
Dann war' der Segen der Natur vertheilt
In schönem Gleichmass ohne Ueberfluss.
Sie würde nicht von Fülle schwer erdrückt,
Dem Schöpfer würde bessrer Dank gezollt
Und schuld'ges Lob; denn vieh'sche Völlerei
Blickt nie vom üpp'gen Mahl zum Himmel auf,
Sie stopft sich voll, verdummt und undankbai-,
Und lästert den Erhalter. — Fahr' ich fort?
Hab' ich genug gesagt? Ihm, der es wagt
Ruchlos die Zunge mit Verachtungswort
Zu waffnen gegen sonnumstrahlte Keuschheit,
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. X5
226 AuflFührung des „Comus". — Inhalt.
Sagt' ich so gern ein Wort; allein wozu?
Du hast nicht Ohr, nicht Seele zu verstehu
Des Hochbegriffs erhabenes Geheimnis,
Das man enthüllen muss, um darzuthun
Die ernste Lehre der Jungfräulichkeit.
Du bist nicht würdig je ein grössres Glück
Zu kennen als dein gegenwärtig Loos,
Freu dich des Witzes, heitrer Redekunst,
Da du ihr Blend<jefecht so gut gelernt.
Du taugest nicht, dich überführt zu sehn.
Versucht' ich's doch, so würde mein Gemüth
Zu solchem Feuer heil'ger Leidenschaft
Von dieser reinen Sache Werth entflammt,
Dass stumme Wesen Mitgefühl empfänden,
Die Erde selbst mir liehe ihre Kraft
Erbebend, bis dein stolzer Zauberbau
Zu Trümmern bräche auf dein falsches Haupt (^).
Dieses Stück prunkender Tugend - Rhetorik lässt einen
Augenblick sogar den Vertreter des bösen Princips in innerster
Seele erschauern, doch noch ein Mal, und entschiedener,
drängt er das Mädchen von dem Zaubertrank zu kosten.
Da stürzen die Brüder herein mit gezogenen Schwertern,
entringen ihm den Becher, zerschmettern diesen am Boden.
Der Haufe der Ungethüme macht Miene sich zu widersetzen,
aber alle, Comus eingeschlossen, werden fortgetrieben. Der
Schutzgeist in Thyrsis Gestalt, der zugleich mit den Brüdern
angelangt ist, bemerkt zu seinem Schrecken, dass sie, seiner
fi'üheren Mahnung uneingedenk, Comus mitsammt seinem
Zauberstabe haben entfliehen lassen, der zur Entfesselung
der Jungfrau nötliig gewesen wäre. Doch ein Schutzgeist
weiss Rath: die Göttin des nahen Severn-Stromes , Sabrina,
als keusche Jungft-au verfolgter Jungfrauen Schützerin, wird
mit einem Liede zur Hülfe aufgerufen. Eine feierliche Be-
schwörung wird an sie gerichtet, bei der ersten Aufführung
im Schloss zu Ludlow auf Lawes' Betrieb, (abweichend von
der Angabe unserer Drucke und des ersten Entwurfs), in der
"Weise, dass der Schutzgeist und die Brüder sich in die Auf-
gabe theilten(2).
Sabrina, der Beschwörung gehorsam, steigt empor, von
AuflPührung des „Comus". — Inhalt. 227
ihren Nymphen begleitet, ein kurzes Lied singend. Sie be-
sprengt den Busen der Jungfrau mit Tropfen aus ihrem
reinen Quell, berührt drei Mal ihre Finger, drei Mal ihre
Lippen, legt ihre feuchtkalte Mcädchenhand auf den glühenden
Marmorsessel, — und der Zauber ist gelöst.
Sie enteilt, unter der Bühne versinkend, zu Amphitrite's
Schloss, das Mädchen erhebt sich vom Sessel, der Schutzgeist
richtet ein Danklied an Sabrina (^) und fordert die Geschwister
auf, ihm durch den Wald zu folgen zu dem Schloss des
Vaters :
Wo vereint zu Festes Pracht
Freundesschaar in dieser Nacht,
Glück zu wünschen ihrem Herrn ;
Schäferschwarm blieb auch nicht fern
In ländlich heitrem Tanzgewühl,
Und wir trefien sie beim Spiel.
Unsres Kommens späte Zeit
Mehrt die Lust und Fröhlichkeit.
Die Scene wechselt; die Zuschauer erblicken plötzlich
Stadt und Schloss Ludlow; Landleute führen ein bäuerliches
Ballet auf (2), es wird unterbrochen durch die Ankunft der
Geschwister und des Schutzgeistes. Er heisst in einem Liede
die Bauern zurücktreten, da jetzt ein anderer Tanz „von
leichteren Zehen nach Hofesart" zu beginnen sei. Nach
Vollendung dieses „hofmässigen" Tanzes, vermuthlich eines
Menuets der Geschwister, führt der Schutzgeist sie mit einem
zweiten Liede den Eltern zu und lässt es nicht an Kompli-
menten für die „drei schönen Sprossen" fehlen, deren Jugend,
vom Himmel früh versucht, über alle Prüfungen gesiegt hat.
Auf wiederholten Tanz folgt der Epilog des Schutzgeistes.
Nach Milton's Absicht sollte er grossentheils durch einen
phantastischen Hymnus gebildet werden, und er stellte es
Lawes frei, ihn zu singen oder zu recitiren. Lawes hatte
aber für die Aufführung diesem Hymnus schon zwanzig will-
kürlich veränderte Verse entnommen, um einen Gesang für den
Anfang des Stückes zu gewinnen (s. o. S. 220). Er liess daher
ohne Zweifel die ganze dort benutzte Stelle fort und gieng,
vielleicht mit Abwerfung seiner Hirtenverkleidung (^), zu dem
15*
228 Aufführung des „Comus". — Inhalt.
Schlussgesang über, mit dessen verhallenden Tönen der Schutz-
geist den Augen der Zuschauer langsam entschwand:
Nun mein Werk mit Glück vollbracht,
Flieg' ich oder hüpf ich sacht
Bis zum Erdenrand behend,
Wo sich langsam neigt das Firmament,
Schwinge dann mich, wie gewohnt.
Zu den Hörnei'n auf am Mond.
Menschenkinder stimmt mir bei,
Liebt die Tugend: sie ist frei,
Sie allein trägt euch empor
Ueber Stern' und Sphären-Chor,
Und wenn Tugend Schwäche zeigt,
Der Himmel selbst sich zu ihr neigt.
Die ungezwungene Leichtigkeit, mit welcher sich im Comus
der Absicht einer festlichen Huldigung die dichterische Er-
findung anschmiegt, kann zu dem Gedanken verleiten, dass wir
es hier eben nicht mit einer ganz freien Erfindung, sondern
mit einer wirklichen Thatsache, als Grundlage der poetischen
Schöpfung, zu thun haben. In der That giebt es eine Ueber-
lieferung, welche dieses glauben machen will.
Warton erzählt, nach einer handschriftlichen Notiz von
Oldys, die Kinder des Grafen von Bridgewater seien nach
einem Besuche von Verwandten in Herefordshire im Forst
von Haywood von der Nacht überrascht worden, und Lady
Alice sei sogar für kurze Zeit von den übrigen getrennt
und vermisst worden. Dieser Vorfall habe dem Dichter den
Plan des Comus eingegeben. — Diese sonst in keiner Weise
verbürgte Erzählung wird nicht oline Misstrauen aufzu-
nehmen sein. Man weiss, wie ieiclit aus den Fiktionen des
Dichters ein nie Geschehenes mit gläubiger Naivetät als wirk-
liches Ereignis abgezogen wird, und es wird nicht so bald
jemand von jener Anekdote liören, ohne zu argwöhnen, dass
sie eher auf dem Comus beruhen möge als Comus auf ihr.
Audi die Worte, mit welchen Lawes später dem älteren
Quellen. — Erjcius Puteanus: Comus. 229
Sohne des Grafen das gedachte Maskenspiel zueignete: es
habe den ersten Anlass seines Werdens ihm selbst und an-
deren Mitgliedern seiner Familie zu danken (i): werden voll-
ständig durch die oben gegebene Entstehungsgeschichte des
Dramas erklärt und setzen jenes Waldabenteuer keineswegs,
als wirklich geschehen, mit Nothwendigkeit voraus.
Man sieht sich daher genöthigt, um den Quellen des
Comus auf die Spur zu kommen, den Kreis der Untersuchung
über jene zweifelhafte Ueb erlief erung hinaus zu erweitern,
und, so wenig es auch die Aufgabe sein kann, jede Zeile des
Gedichts mit Parallel-Steilen aus früheren Werken alter und
neuer Literatur zu belegen, so unnabweisbar erscheint es,
die Hauptergebnisse der kritischen Forschung zusammen-
zufassen, in welche sich Engländer und Deutsche mit rühm-
lichem Eifer getheilt haben. Was zunächst die Hauptfigur
des Comus selbst betrifft, so weiss man, dass sie dem Alter-
thume nicht völlig fremd war und dass sie auch in der eng-
lischen Literatur schon vor Milton, bei Dekker und Ben
Jonson, wenn auch ganz flüchtig auftaucht. Wäre es nun
auch nicht undenkbar, dass die unermüdliche Beschäftigung mit
den Autoren des Alterthums Milton gleichfalls mit dem älteren
Philostrates bekannt gemacht hätte, so haben wir doch allen
Grund anzunehmen, dass dessen Schilderung des Gottes ihm
vielmehr durch das Medium eines modernen Schriftstellers,
erweitert und ausgeschmückt, zugänghch gemacht worden sei.
Es ist dies Erycius Puteanus (Hendrik v. Putten 1574 — 1646),
seit 1606 Professor der Beredtsamkeit und klassischen Literatur
zu Löwen, ein äusserst fruchtbarer Schriftsteller, welcher
1608 ein Werkchen mit dem Titel: Comus sive Phagesiposia
Cimmeria. Somnium (Lovanii): veröffentlichte (^). Da dieses
Werk 1634 einen Abdruck in Oxford erlebte, so mochte es
Milton, und dies genau zu der Zeit, da er mit der Dich-
tung des ludlower Festspiel beauftragt war, leicht in die
Hand fallen. Denn dass er es in der That benutzt hat, wird
jedem einleuchten, der sich die Mühe der Vergleichung nimmt.
Zwar die formelle Seite der Schöpfung des löwener Latinisten
konnte nicht zur Nachahmung reizen. Er schildert in weit-
230 Erycius Puteanus: Comus.
schweifiger Darstellung, in welcher langweilige Prosa mit
zierlich gedrechselten Versen und poetischen Citaten wechselt,
einen Traum, der den Autor mit mehreren seiner Freunde
in den Palast des Comus versetzt. Mit mehr Behagen als
Grazie unter langen moralisirenden Gesprächen und mit Auf-
bietung eines schwerfälligen allegorischen Apparats wird die
in eine Prügelei auslaufende Feier der lasciven Mysterien
dargestellt. Kein Zweifel: Die Charakterisirung des Comus
als eines entnervenden Gottes unbändiger Sinnenlust, das
Bild seiner äusseren Erscheinung, seines Gefolges, seines
Zauberschlosses, die ganze widerliche Verbindung zügelloser
Brunst und unmässiger Schlemmerei: Alle diese Züge fand
Milton als brauchbare Bausteine für sein Kunstwerk bei Ery-
cius Puteanus vor. Man darf, ohne den Worten Gewalt an-
zuthun, in einzelnen Ausdrücken, in der Form, die der einen
oder anderen Maxime gegeben ist, selbst in dem Liede der
Lust, durch welches der Dämon seine Genossen anfeuert
(Puteanus p. 46 —50), Anklänge entsprechender Stellen des
Milton'schen Maskenspiels heraushören (^). Nur dass hier An-
muth, Leichtigkeit, Rundung an Stelle von Steifheit, Schwer-
fälligkeit, Plattheit getreten ist, die dort ermüdet.
Ganz von selbst führte eine Stelle in Puteanus Arbeit
(p. 26) dazu, den Mythus von Circe mit der Gestalt des
Comus in Verbindung zu setzen. Die Ueberlieferung Homers
und Ovids liess sich um so leichter vor einem englischen
Publikum auffrischen, da auch Spenser gewissermassen in der
Feen-Königin IV, 12 und Browne in dem Maskenspiel des „Inner
Temple" von ihr Gebrauch gemacht hatten. Das Wunderkraut
Haemony als Nachbildung des homerischen Moly, der Zauber-
stab des Comus, sein thierköpfiges Gefolge war auf diese
Weise gegeben. In Circe verschaffte die Phantasie des Dich-
ters der „etwas zweifelhaften Gottheit" eine Mutter, während
sie Bacchus ohne viel Besinnen die Kolle der Vaterschaft
übertrug. — Einige Züge mag Milton ferner einem Ben Jon-
son'schen, 1619 bei Hofe aufgeführten, Maskenspiel (Pleasure
reconciled to Virtue) entlehnt haben, in welchem Comus,
-der Gott der Lust und des Bauches", mit seiner bacchanti-
Ben Jonson: Pleasure reconciled to Virtue. 231
sehen Schaar, vielleicht gleichfalls nach E. Puteaniis Anregung,
vorgeführt wird. Selbst der Konflikt zwischen Tugend und
Sinnenlust, der im Mittelpunkt der Handlung bei Milton steht,
ist hier, wie schon der Titel sagt, wenigstens berührt. Aber
fi'eilich lässt Ben Jonson „im bunten Gewühl künstlich ver-
schlungener Tänze und unter dem Glänze scenischer Deko-
rationen" den Zuschauer die grossen ethischen Gegensätze
ganz vergessen, die Lösung erfolgt rein äusserlich durch einen
Theatereffekt, indem Hercules den Schwärm des Comus ver-
jagt, und erst die Schlussverse des Maskenspiels rufen wieder
unabweisbar die Erinnerung an den moralisirenden Ausklang
von Miltons Schöpfung hervor. Wie er überhaupt den Spuren
des „gelehrten" Vorgängers mit Aufmerksamkeit folgte (^),
so mag er sich auch, — und durch niemanden war dies
leichter zu bewerkstelligen als durch Lawes, — Kunde von
jenem Maskenspiel erworben haben, noch ehe es durch den
Dnick veröffentlicht worden war(/).
Bisher ist indessen, nach Verwerfung jener verdächtigen
Anekdote (-), für das Gerüst der eigentlichen Handlung des
Comus, sofern von dieser überhaupt die Rede sein kann, kein
Vorbild genannt worden. Doch auch hieran hat man es nicht
fehlen lassen. Seit langer Zeit ist man gewöhnt, es in einer
phantastischen Komödie des lustigen George Peele: The Old
Wives Tale (zum ersten Mal gedruckt 1595) : zu erblicken, in
welcher die üppige Einbildung des Dichters und der uner-
schöpfliche Strom von Volksmährchen und Volksliedern sich
zum tollsten Zauberspuk vermischen (^j. Dass Milton dies
Lustspiel gekannt habe, hat nichts Unnatürliches, wie denn
der Versuch aus sonstigen Stellen seiner Werke seine Be-
kanntschaft mit Peele als sicher zu erweisen, mit Glück ge-
macht worden ist(^). Genug, dass in Peele's „Altweiber-
Geschichte" inmitten des Gewirres einer bunten Zauberposse
zwei Brüder ausgehen, ihre verlorene Schwester zu suchen,
dass diese sich in der Gewalt eines Magiers befindet, dass
dessen Macht mit Hülfe eines Dens ex machina gebrochen
wird. Von irgend welcher weiteren Analogie kann kaum die
Rede sein, man müsste denn sonderliches Gewicht darauf
232 Peele : The Old Wives Tale. — Fletcher : Faithful Shepherdess.
legen, dass auch hier das Mädchen sitzend gefunden wird,
dass zu ihrer Entzauberung das Zerbrechen eines gläsernen
Behälters nöthig ist, und dass sich eine Scene findet, in der
das Echo vorkommt, durch welche immerhin dem Dichter des
Comus die erste Idee jenes Liedes eingeflösst worden sein mag(^).
Uebrigens hat Sacrapant so wenig Aehnlichkeit mit Comus,
und Delia so wenig Gemeinschaft mit der spröden Jungfrau,
wie der von den Todten auferstandene Jack mit dem vom
Himmel herabgeflogenen Schutzgeist. Zu einer unterscheiden-
den Charakteristik der Brüder findet sich bei Peele auch
nicht der kleinste Ansatz, und von dem Kampfe der Gegen-
sätze der sittlichen Welt , auf welchem Miltons Dichtung be-
ruht, ist hier keine Rede.
Liess sich diese moralische Tendenz in Ben Jonson's
„Lust versöhnt mit Tugend" wenigstens flüchtig angedeutet
finden, so erscheint sie ausgearbeitet in einem berühmten
Schäferspiel Jolm Fletcher's, welchem man mit unbezweifeltem
Rechte den bedeutendsten Einfluss auf die Entstehung des
Milton'schen Comus eingeräumt hat. „Die treue Schäferin" (2),
im neidischen Hinblick auf die Lorbeeren Tasso's und Guarini's
gegen 1610 entstanden, hatte das Unglück bei der ersten
Auffühi'ung dem londoner Publikum entschieden zu missfallen,
dessen derber und, sagen wir, gesunder Geschmack sich in
die Sprache und Vorgänge der zarten, pastoralen Welt mit
ihren üblichen Schäfer-Freuden und -Leiden, soferne sie auf der
Bühne vorgeführt wurden, nicht finden konnte. Das Stück
erschien zwei Mal (vor Mai 1610 und 1629) im Druck, blieb
aber von den Brettern verschwunden, bis es am Dreikönigs-
Abend 1634 einer Aufführung vor dem Hofe in Somerset-
House gewürdigt wurde. Nun eroberte es sich auch mit Er-
folg für einige Abende die Büline von Blackfriars, erlebte
(1634) eine dritte Auflage und mag in der einen oder andern
Weise Milton bekannt geworden sein.
Es war genau die Zeit, in welcher ihn der Comus beschäf-
tigte, und es ist wohl ei-klärlicli, wenn er sich von Fletcher's
Muse zum Wettkampf angeregt fühlte. Freilich von dem
Gei-üste des Fletcher'schen Werkes war so gut wie gar nichts
Fletcher: Faithful Shepherdess. 233
für ihn zu gebrauchen. Der Plan clessel])en hat ebensoviel
Unnatürliches in seiner Anlage wie Unfertiges in seiner Aus-
führung. Das Verhältnis Thenot's zu der keuschen Clorin
reizt zum Lachen und erhält keine Lösung, der Gegensatz
dieser beiden zu Alexis und Cloe, — dieser Philine des Pas-
toral-Dramas, — ist mehr tastend versucht als streng ausge-
arbeitet, das Eingreifen der übiigen sich suchenden und
fliehenden Paare lässt es wohl zu einem leichten, phantastischen
Spiel, aber nicht zu dem Ansatz einer festgeschlossenen Intrigiie
kommen, die Tugendprob-e, welche so ziemlich die ganze
Gesellschaft vor Clorin's Hütte zu bestehen hat, ermüdet.
Aber neben so zahlreichen ' Mängeln enthält „die treue Schä-
ferin" eine Fülle von Schönheit und Lieblichkeit. Je weniger
gebunden sich die Phantasie des Dichters im losen Eahmen
der Handlung bewegen konnte, desto freigebiger verschwen-
dete sie ihre Schätze in zarten lyrischen Weisen und w'under-
vollen Bildern. Man wird nicht läugnen können, dass viele
einzelne Stelleu des Comus auf Fletcher's Vorbild zurückzu-
führen sind, wennschon man oft genug zu weit hierin ge-
gangen ist (1) und nicht genügend getrennt hat, was Fletcher
allein angehört, und was er mit der Spenser'schen Schule
theilt. Mitunter erstreckt sich die Aehnlichkeit bis auf das
Versmass der Lieder, der poetische Duft, der über diesen
lyrischen Partien zu schweben scheint, ist beiden gemein.
Dazu kommen deutliche Anklänge der FigTir des Schutz-
Geistes an die des Satyrs, welcher merkwürdiger Weise bei
Fletcher eine ähnliche Rolle zu spielen hat, wie Analogieen
zwischen Sabrina einerseits und dem Flussgott und Clorin
andrerseits. Vor. allem aber die Lehre, welche die leitende
Idee des Comus bildet, die Lehre von der unbesieglichen Gewalt
reiner Jungfräulichkeit, wird in Fletcher's Schäferspiel nicht
nur in mehreren kritischen Situationen auf die Probe gestellt
und in ihrem Gegensatz gebrandmarkt, sondern Akt 1, Scene 1
von Clorin beinahe ganz in derselben Form ausgesprochen
wie im Comus v. 420 ff. von dem älteren Bruder. Nur dass
die Darstellung Miltons abgemessener und strenger, seine
Auffassung des Gegenstandes würdiger und weihevoller erscheint,
234 Stil des Comus.
als die Fletcher's, der mit dem Ernst der Frage sein Spiel
treibt und sich niemals über die konventionellen Fiktionen
erhebt, die er fremden Mustern entlehnte. Wenn sich in
Fletcher's Maskenspiel der Satyr, nachdem sein Werk gethan
ist, in den abenteuerlichsten Bildern seiner nutzlosen Viel-
geschäftigkeit gefällt, so bringt der Schutzgeist bei Milton in
sechs kurzen Versen dieselbe Wirkung hervor, ohne durch
phantastische Ueberfülle die Reflexion zu ermüden. Wenn
sich dort der „tückische Schäfer" (und selbst andere der
Auftretenden, wie sogar Perigot Akt 1, Scene 2) mitunter
gemeiner Worte bedienen und widerliche Vorstellungen er-
wecken, so bewegt sich der leichtfertige Comus nur allzusehr
in einer gewissermassen aristokratischen Ausdrucksweise. Wenn
dort die Romantik so weit getrieben wird, dass die Kräuter
des Waldes lediglich dadurch eine heilende und Zauber
lösende Kraft erhalten, dass die Hand einer Jungfrau sie auf-
legt, so muss hier doch-, wenigstens eine Göttin als Retterin
bemüht werden.
Und so bewahrt sich auch der Stil des Comus gegenüber
den Quellen, die Milton, sei es bewusst oder unbewusst,
während des dichterischen Schaffens benutzt hat, seine volle
Selbstständigkeit. Man hat die Analyse dieses Stils mit
Glück mit einem Verfahren der Arithmetik verglichen. Denn
deutlich lassen sich mehrere Faktoren durch sorgfältiges
Studium aussondern. Als erster das klassische Element,
welches in dieser wie in den früher besprochenen Dichtungen
Milton's auf's stärkste vertreten ist. Die mehrfachen Anklänge
an homerische Redeweise, die unverkennbare Einwirkung
platonischer Lehren und Bilder, die Nachahmung der grie-
chischen Tragiker in der streng durchgeführten Stichomythie
(v. 277 — 290) und speciell des Milton genau bekannten Euri-
pides in einzelnen Wendungen und in den „processartigen
Eröi'terungen von Gegensätzen" v. 0G8— 813, eine Reihe von
Beiwörtern, welche dem Ovid, dem Iloraz u. s. w. entlehnt
sind, endlich die Aufnahme von Konstruktionen, die dem
Genius der englischen Sprache von antiken Mustern her erst
aufgedmngen werden müssen (z. B. v. 48): Alles dies gehört
Stil des Comus. 235
unstreitig hierher, wennschon Vorsieht in sorgsamer Unter-
scheidung dessen, was direkt der antiken Vorlage abgesehen
und dessen, was ohnehin schon sprachliches Gemeingut ge-
worden war, auch hier geboten ist.
Neben dem klassischen Element steht das biblische. Man
hat bemerkt, dass es in den späteren Dichtungen Miltons
stärker hervortritt; ganz zu übersehen ist indess der Antheil
keineswegs, der ihm im Comus gewährt wird. Die Krone,
welche die Tugend verleiht (v. 9), die Krone ewigen Ruhmes
(v. 973), die Sonne, die der Kammer des Ostens als ihrem
Ziele zueilt (v, 101): Das sind Bilder, um welche die biblischen
Urkunden das Menschengeschlecht bereichert haben. — Man
wäre genöthigt, das halbe Werk abzuschreiben, um im ein-
zelnen nachzuweisen, inwiefern sein Stil sich an den der mo-
dernen und zeitgenössischen Dichter anlehnt. Neben den
Engländern selbst kommen hie und da die Italiener in Be-
tracht, von denen Ariost und Tasso in den Uebersetzungen
von Harrington und Fairfax benutzt werden konnten. Eine
genaue Bekanntschaft des Dichters mit den hervorragenden
Dramatikern seines Heimatlandes wird man nach manchen
Wendungen des Comus annehmen dürfen. Vorzüglich aber
an einer Quelle, aus welcher er überreich geschöpft hat, darf
man nicht vorbeigehen, der üppigen Fülle von Beiworten,
Bildern, Vergleichen, welche die arkadische Schule, die Schule
Spenser's, in geschäftigem Eifer aufgehäuft hatte. Spenser selbst,
die beiden Fletcher, Browne, Drayton, Sylvester, Drummond,
der Graf von Stirling: Bei ihnen allen ist die Muse
Milton's zu Gast gegangen. Die ganze Schilderung der
Schicksale Sabrina's ist ein treues Echo des Tones Spenser'-
scher Idyllen, der pastoralen Beschreibung (v. 540 ff.) hätte
sich kein Spenserianer zu schämen, die Spenser'schen Lieb-
lingsblumen, wie Lilie und Asphodille, die Perlenschnüre an
der Hand der Wasser-Nymphen, die Bernstein-Tropfen, in
denen das goldene Haar gleichsam niederfliesst: Der ganze
„dekorative Apparat der Schule" kommt zur Verwendung.
Arkadische Lieblingsworte, wie „trim" (v. 120), das ahnungs-
volle „whilom" (v. 827), Participia wie „interwove" (544),
236 Stil des Comus.
„besprent" (542) finden ihren Platz. Die ganze Bildersprache
der Arkadier ist dem Dichter geläufig, seine ganze Phantasie
mit ihren Anschauungen durchtränkt.
Aber wie sehr würde man irren, wenn man glauben
wollte, alle diese Elemente, das klassische, das biblische, das
moderne, fremdländische wie heimische, ständen noch unvermittelt
neben einander, und der Dichter habe sich begnügt. Fremdes
zu entlehnen, ohne ihm durch eigene Zuthat höheren Werth
zu geben. Vielmehr darin zeigt sich seine Kraft, dass er mit
freier Benutzung fremder Motive, Geschaffenes neu schaffend,
die einzelnen Theile mit einander verschmelzend, den eigenen
Stil sieh bildet. Wie in seiner Anschauung die Philosopheme
des Alterthums und die christlichen Lehren sich durchdringen,
so mischen sich die Formen, welclie beiden zum Ausdruck
dienen, in seiner Diktion. Die Sprache des Psalmisten stösst
die Sprache des griechischen Weisen nicht ab, sondern wird
mit ihr verwandt. In einzelnen Fällen wird das Ueber-
fliessen der einen stilistischen Strömung in die andere nach-
weisbar, in anderen sind sie unmerklich verschwommen, aber
immerhin dürfen wir die Art, wie der Künstler verstanden
hat, die überkommenen Formen umzugiessen als Neu-Schöpfung,
als Renaissance, auch in diesem Sinn des Wortes, bezeichnen.
Er ist nicht der Sklave, sondern der frei schaltende Herr des
Materials, das er bei andern voifand und in seine Werkstatt
übernahm. Indem er einfache Vergleiche zu ganzen Situationen
erweitert (^), die höchstmögliche Anschaulichkeit in seine
Worte zu legen sucht und unbewusst beständig den Regeln
folgt, welche so viel Generationen später der Autor des Lao-
koon aufgezeigt hat, bringt er ganz neue Wirkungen hervor {^).
Mitunter giel)t er konventionell gewordenen, metaphorischen
Ausdrücken die „ursprüngliche Frische sinnlicher Anschauung"
dadurch wieder, dass er auf die erste Bedeutung der Worte
zurückgreift, die im Gebrauch so vielfach abgeschlifien war.
Mit einem Worte, mögen wir noch so sicher glau])en, nach-
weisen zu kininen, wo Milton von anderen angeregt wurde:
er hat in ehrlicher Ai'beit sein Eigenes geschaffen, worüber
man jenes vergisst, und der sinnige Ausspruch eines grossen
Kritik des Comus. 237
Meisters, dass in der Kunst der Diebstahl nicht erlaubt sei,
wohl aber der Todschlag, passt auch hier.
Gegenüber den angegebenen Vorzügen lassen sich die
Mängel des Comus nicht übersehen. Sie sind kaum von
jemandem schäi-fer hervorgehoben worden als von Johnson.
Er rühmt den Zauber der Sprache, den Reichthum der Bilder
in dem Gedicht, „als eine Reihenfolge von Versen ist es bewun-
dernswerth, aber als Drama", fügt er hinzu, „ist es mangel-
haft." Damit hat er den Kern der Sache getroffen. Gewiss
lassen sich einzelne drama.tische Züge nachweisen, welche auf
einer feinen psychologischen Beobachtung beruhen. Es ist
der Natur abgelauscht und bringt dramatische Wirkung her-
vor, wie sogar der sinnliche Comus, überwältigt von dem
Gesänge des Mädchens, vor dem Göttlichen dieser holden
Jungfräulichkeit sich beugt (v. 244 ff.), es ist ebenso ein
feiner, bühnenm.ässiger Zug, wenn derselbe Comus (v. 145)
seine Genossen ihren wilden Tanz abbrechen heisst, weil er
die Gegenwart eines keuschen Wesens ahnt. Aber einzelne
dramatische Züge machen kein Drama, und ein einzelner
psychologischer Treffer schafft noch keinen festgeschlossenen
Charakter. Beides, - ausreichende Handlung und bestimmte
Charakteristik, — wird ein unbestochenes Urtheil im Comus
vermissen. Diese ist in der verschiedenen Anlage der „Brüder",
des älteren bedächtigeren, des jüngeren stürmischen, allerdings
versucht, für die Zeichnung der „Schwester" reicht die dich-
terische Kraft schon nicht aus, denn dies Mädchen hat kaum
ein selbstständiges Leben, sie ist nur die Trägerin des Keusch-
heitsbegriffs, der Schutzgeist Hess sich überhaupt nicht indi-
vidualisiren, Comus endlich mit seinem Schwaime erscheint
nebelhaft und verschwommen. Gerade hier wäre eine derbe,
realistische Zeichnung am Platze gewesen, aber der Dichter
in dem falschen Drange des Idealisirens scheute vor ihr
zurück. Der Kampf der Tugend mit den feindlichen, dämo-
nischen ]\Iächten bewegt sich nur auf der ätherischen Höhe
der Rhetorik, und pomphafte Deklamation muss den Mangel
an Handlung ersetzen. Man kann Warton Recht darin geben,
wenn er eine unbewusste Nachwirkung jener cambridger
238 Kritik des Comus.
Prolusiones annimmt, deren Entstehungszeit hinter der dfes
Comus noch gar nicht so weit zurück kxg. Das ganze Ge-
spräch der Brüder (v. 331—480), höchst gedehnt, mit Philo-
sophemen angefüllt, ist in diesem Geschmack gehalten, der
moralisirende Dialog zwischen Comus und dem Mädchen
(v. 659 — 800) folgt derselben akadamischen Spur, und Comus
scheint sogar plötzlich Geste und Habit eines wohlweisen
Baccalaureus anzunehmen, wenn er, der Bacchus- und Circe-
Sohn, sich unversehens (v. 707) als Kenner des stoischen
Systems enthüllt. Andrerseits liegt in diesen Erzeugnissen
majestätischer Rhetorik, reich an tiefen Gedanken und pracht-
vollen Bildern, wie sie sind, eine der Hauptstärken des Ge-
dichts. Eine zweite ist in seinen lyrischen Partieen zu finden,
deren lieblicher Wohllaut nur von einem parteiischen Richter
geläugTiet werden konnte. Man kann sich wohl entschliessen,
über der schönen Verbindung dieser beiden Elemente die
Forderung eines festgeschlossenen dramatischen Gefüges zu
vergessen, wenn man bedenkt, dass es sich um ein Gelegen-
heits-Festspiel, um eine blosse „Maske" handelt. In der That
hat Milton diese dichterische Zwitteiform in einer Weise zu
benutzen verstanden, die allein schon den grossen Künstler
bezeichnet. Er bemächtigte sich des üblichen Apparates
von Wundern, Verzauberung und übermenschlicher Maschinerie,
aber weit entfernt, sich dadurch zum Possenhaften und Rohen
verleiten zu lassen, wie es z. B. in Ben Jonson's „Lust versöhnt
mit Tugend" abschreckend hervortritt, stellte er jene über-
kommenen Formen in den Dienst des ethischen Grundgedankens,
der seine Schöpfung l)chei-rscht. Wenn irgend etwas im Comus
an Tendenz anklingt, so ist es dieser Grundgedanke selbst.
Es wäre gesucht in den Worten (v. 745) „Schönheit nmss
sich am Hofe zeigen", eine gehässige Nebenbedeutung finden
zu wollen. Es wäre ebenso verfehlt, in einer scherzhaften
Wendung des Comus (v. 808) einen versteckten puritanischen
Angrift' auf die anglikanische Kirche zu vernmthen. Dagegen
die leitende Idee des Schauspiels ist ganz und gar der puri-
tanischen Weltanschauung entnommen.
Jenes Thema vom Reichthum der Natui-, und seine Ver-
Leitende Idee, — Griechische Uebersetzung des 1 1 4. Psalmes. 239
Wendung zum Anreiz der Sinnlichkeit, wie Comus sie versucht,
ist den Dramatikern der Zeit geläufig. Aber je bereitwilliger
die Mode des Tages unter dem Beifall der herrschenden
Kreise von der Bühne herab sich den Sieg der Verführung
und Unsittlichkeit gefallen Hess, desto entschiedener preist
der jugendliche Dichter den Triumph keuscher Jungfräulichkeit.
Im Gegensatz zu so manchem Genossen seiner Kunst ver-
schmäht er es auch hier nicht, den Spuren Plato's und
Spenser's zu folgen und eine vornehme Zuhörerschaft, aus
der mehr als einer Zeuge der verschwenderischen Hoffeste
gewesen sein mochte, lässt er Worte des Tadels darüber
hören, dass Ueppigkeit vieles auf wenige häufe.
Der Comus schien für längere Zeit die dichterische
Thätigkeit des Still-Lebens von Horton erschöpft zu haben.
Denn eine Uebersetzung des 114. Psalms in griechische Hexa-
meter ,.vor Tagesanbruch, beinahe noch im Bette fertiggemacht",
wie Milton dem poetischen Mentor, Alexander Gill, mittheilte,
kann nur als ein leidlich gelungener Versuch gelehrter Spielerei
betrachtet werden (^). Auch äussere Ereignisse aus dem
Leben des Dichters für die nächste Zeit sind nur spärlich
zu verzeichnen. Dass er nach herrsehender Sitte 1635 der
Formalität genügte, sich als Magister artium in Oxford, der
anderen Landes-Universität, „inkorporiren" zu lassen, ist
ziemlich sicher bezeugt'(^). Nicht ohne Interesse konnte er
vernehmen, dass am 17. November desselben Jahres sein alter
Lehrer Gill gestorben war, und der Sohn, sein Freund, die
erledigte Schulstelle erhielt (^). Aber aufs tiefste musste ihn
ein anderer Todesfall berühren. Mit dem Sommer 1636 hatte
sich die Pest wieder über das Land verbreitet. Auch die
Umgegend von Horton wurde von ihr heimgesucht, und so
mag ihr vielleicht das Leben von Milton's Mutter zum Opfer
gefallen sein, das, laut der einfachen Inschrift in der Doif-
kirche zu Horton, am 3. April 1637 endete (*). Das schmerz-
liche Ereignis, welches den kleinen Haushalt in Horton der
leitenden Hand beraubte, konnte nur dazu dienen, Milton
240 Tod von Milton's Mutter. — Veröffentlichung des Comus.
sich immer tiefer in seine Studien vergraben zu lassen. Doch
gerieth er darum mit den alten Freunden nicht ausser Zu-
sammenhang. Henry Lawes trat ihm dadurch noch näher,
dass er drei Jahre nach jener Aufführung des Comus im
Schlosse zu Ludlow, mit Genehmigung des Autors das kleine
Stück veröffentlichte. In der Widmung an Lord Brackley,
den älteren Bruder, in der sich Lawes als den Schutzgeist,
den Thyrsis der Auffühmng, bezeichnet, glebt er als Gmnd der
Veröffentlichung an, dass es ihm unmöglich werde, dem Ver-
langen aller Freunde, ein so „liebliches und vielbegehrtes"
Kunstwerk zu besitzen, durch immer neue Abschriften zu
genügen. INIilton's Name blieb ungenannt, aber der Dichter
hatte für den Druck nicht unbedeutende Verbesserungen und
Ergänzungen angebracht ( ^).
Die fortdauernde Verbindung mit Karl Diodati wird durch
zwei bei flüchtigem Aufenthalt in London 1637 geschriebene
lateinische Briefe bezeugt, aus denen hervorgeht, dass Diodati
vermuthlich in Ausübung des ergriffenen ärztlichen Berufes
im Norden weilte, während sein Vater, nicht sehr zu seiner
Freude, eine zweite Heirath eingegangen war. Aber auch
für die Erkenntnis des Gedankenkreises, in dem sich Milton
damals bewegte, sind beide Briefe sehr werthvoll. Hier giebt
er jenen Ueberblick über seine Lektüre; und erklärt, nicht
ruhen und rasten zu wollen, bis er „eine grosse Periode seiner
Studien", wie er sie sich vorgesetzt, beendet habe. „Was
Gott sonst über mich beschlossen hat, weiss ich nicht, aber
dessen bin ich gewiss: Er hat mir, wenn irgend einem, eine
ausseroi'dentliche Liebe zum Schönen eingeflösst. Ceres kann,
nach dem jMytlms, nicht mit solcher Inbrunst ihre Tochter
Proserpina gesucht haben, wie ich Tag und Nacht der Idee
des Schönen (rov y.alov Idtav) in allen Formen und Erschei-
nungen nachjage. Denn vielerlei sind die Gestalten des
Göttlichen ... Du fragst mich, was ich denke. Lass' Dir,
damit ich nicht erröthe, leise sagen und gestatte mir einen
Augenl)]ick ein grosses Wort zu sprechen: Beim Himmel, ich
denke an unsterblichen Nacliruhm. Ich lasse meine Flügel
wachsen und bereite mich zum Fluge, aber noch sind die
Briefvv^echsel mit Diodati. — Der „Lycidas". 241
Fittiche meines Pegasus zu schwach, um sich aufeuschwingen, wir
wollen bescheiden und weise sein"(^). Er deutet die Absicht
an, sich in eine der londoner Rechts-Innungen zurückzuziehen,
wo sich Gelegenheit zu „lieblichen und schattigen Spazier-
gängen" finde, und unter „einigen Genossen" eine „bequemere
Wohnung" sich biete, aber der Plan, wenn er überhaupt
ernstlich gemeint war, kam nicht zur Ausführung. Milton
blieb zunächst bei seinem Vater in Horton.
Eben dort entstand im Winter 1637 die berühmte englische
Elegie, welche dem Andenken eines dritten Freundes gewidmet
ist. Edward King, der jüngere der beiden Brüder, mit denen
Milton während der Studienzeit im Christ -College zu Cam-
bridge in Verbindung getreten war, hatte dort als Fellow und
Tutor fortgewirkt und sich auf den geistlichen Starfd vorbe-
reitet. Während der langen Ferien 1637 beabsichtigte er
einen Besuch in Irland, aber das Schiff, das ihn trag, war
noch nicht weit von der englischen Küste entfernt, als es an
einer Klippe strandete. Mit 'fünfundzwanzig Jahren fand der
vielversprechende Jüngling in den Wellen sein Grab. Das
Ereignis hatte am 10. August stattgefunden. Nach dem Wieder-
zusammentritt der Universität beschlossen die Freunde des
Ertrunkenen ihm ein gemeinsames poetisches Denkmal zu
stiften, wie es der Sitte des Tages entsprach und z. B. fast
gleichzeitig dem Andenken Ben Jonson's errichtet wurde.
Indessen erst 1638 erschien das Bändchen im Druck, das zu-
erst lateinische und griechische darauf englische Stücke ent-
hielt. In jenen hatten u. a. Richard Crashaw, Henry More,
Thomas Farnaby, der Lehrer, und Henry King, ein Bruder
des Verstorbenen beigetragen. Derselbe Bruder eröffnete die
Reihe der englischen Gedichte, unter denen solche von der
Hand J. Beaumont's, John Cleveland's etc. zu bemerken
waren (2). An letzter Stelle folgte das Klaggedicht Milton's,
der „Lycidas", wie er den Freund pastoral benannte, nur mit
seinen Initialen unterzeichnet, nach dem noch vorhandenen
Original-Ms. schon im November 1637 entstanden. Wie es
bei weitem das längste der Sammlung ist, so dürfen die übrigen
Stücke, dem poetischen Werthe nach nicht einmal mit diesem
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. 16
242 Puritanische Tendenz.
verglichen werden. Auch die Verse des Dichters Cleveland,
welcher bejammert, dass Neptun mit dem Ertrunkenen „eine
ganze Universität" erbeutet habe, erscheinen schal und ge-
sucht. Einen natürlichen und doch schwungvollen Ausdruck
findet das Gefühl dagegen in Milton's melodiösen, beruhigend
ausklingenden Stroplien, obgleich gerade hier das pastorale
Gewand, wie es von der Spenser'schen Schule erborgt war,
mit noch grösserer Vorliebe gewählt erscheint als jemals
vorher.
Aber die Elegie hat nicht bloss für die Schätzung des
Dichters Milton ihre Bedeutung. Inmitten der Klage um
den verlorenen Freund , beinahe gewaltsam herbeigezogen,
findet sich ein Angriff gegen die herrschenden kirchen-poli-
tisehen Zustände, welcher den tiefen Gegensatz kundgiebt, in
dem sich jMilton zu ihnen fühlte. Er lässt die Gestalt St. Peters
vor sich aufsteigen, der vom Herren zum Hirten-Amt be-
rufen, wohl in einem Pastoral-Gedicht seine Stelle finden konnte,
und legt ihm Worte der Trauer über den Verlust gerade dieses
Dieners in den Mund. Wie manchen anderen, dessen Beruf
es ist die „Schafe zu weiden", hätte der Apostel für den an-
gehenden Jünger seines Amtes, der so grosse Hoffnungen er-
-weckte, missen mögen! Wie viele sind ihrer, die nur um des
„Bauches willen sich in die Hürde eindrängen" um „beim
Schmause der Schafschur mit Gier für sich etwas zu erhaschen
und den geladenen Gast hinwegzustossen". Wie viele haben
nichts von dem gelernt, was zu einem guten Hirten geliört, . .
„schnarren auf ihren elenden Stroh-Pfeifen saft- und kraftlose
Melodieen", lassen die Schafe hungern, krank werden, verderben
„al)geselin von dem, was der grimme Wolf tagtäglich heinüich
packt und rasch zerfleischt". Aber der entrüstete Dichter,
der auch in jenem Bilde nur Si)enser's Vorgang zu folgen
brauchte, sieht die Hache heranzielm. Schon erblickt er
die mäclitige „zweiliändige Mascliine vor der Thür stelm, be-
i'eit einmal zum Schlage auszuholen und nicht wieder", jenes
scharfe, zweisclineidige Schwert, das nach der Apokalypse aus
dem Munde des Allmächtigen geht, und unter dem der puri-
tanische, die l)iblisclicii Geheimnisse deutende Engländer zu-
Höhepunkt des Laud'schen Systems. 243
gleich die beiden Theile der parlamentaiischen „Maschine"
verstehen mochte, die nuni schon seit Jahren ausser "Wirksam-
keit gesetzt war(^). Wenn es beinahe auiTallend erscheint,
dass Worte wie diese der Spürkraft der bischöflichen Press-
Polizei entgiengen, so begreift man andrerseits, dass Milton
später bei der Aufnahme des Lycidas unter seine gesammelten
Gedichte mit gerechtem Stolze dem Titel zufügte, dass er da-
mals „den Ruin des Klerus, als er auf seiner Höhe gewesen,
vorhergesagt habe".
In der That darf man behaupten, dass das System, wie
Land es vertrat, damals seinen Höhepunkt erreicht hatte. In
den wenigen Jahren, die seit der Abfassung des Comus ver-
flossen waren, hatte es sich in einer Weise entwickelt, welche
das Gefühl des unerträglichen Druckes in immer weiteren
Kreisen ausbreitete. Erst in diesen Jahren erfolgten die
Massen -Entsetzungen puritanischer Geistlicher, die Massen-
Verurtheilungen durch die Ausnahme-Gerichte. Erst damals
nahm die Auswanderung einen grossartigen Masstab an, und
auch die Schliche des „glimmen römischen Wolfes", schienen
dem argwöhnischen Puritanismus von Tag zu Tage gefähr-
licher zu werden. In der Verwaltung der Staats-Angelegen-
heiten gewann das klerikale Element je länger je mehr an
Stärke. Nach dem Tode Westends waren die Geschäfte der
Schatzkammer zuerst einer Kommission übertragen worden, zu
deren Mitgliedern Land gehörte. Erst Anfang 1636 erhielt
sein Freund, der Bischof von London, Juxon den erledigten
Posten. Der bischöfliche Leiter der Finanzen stand zugleich
an der Spitze des Admiralitäts-Amtes. Laud selbst war das
Haupt des Committee für die auswärtigen Angelegenheiten.
So wenig er allen Absichten des Königs ohne weiteres zu-
stimmte, war seine Stellung doch fester als je. Er blieb die Ziel-
scheibe des Hasses derer, die von dem herrschenden Regiment
Schädigung an Hab und Gut, Gefängnis und Verstümmelung
zu leiden hatten. Dem Jahre 1637, demselben, in dem der
Lycidas entstand, gehörten die drei Tendenz-Processe an, die
an Härte des Verfahrens alles Frühere hinter sich Hessen.
William Prynne hatte es auch im Gefängnis für seine Pflicht
16*
244 Piocesse gegen Prynne, Burton, Bastwick.
gehalten, seine Feder nicht ruhen zu lassen. Er wurde
wiederum vorgefordert, um sich wegen der Autorschaft belei-
digender Briefe und Flugschriften zu rechtfertigen. Mit ihm
zugleich wurden zwei andere puritanisch gesinnte Männer
dazu ausersehn, als Gegenstände einer abschreckenden Züch-
tigung zu dienen: Henry Burton, Prediger in London, und
John Bastwick, Arzt aus Colchester. Sie waren gleichfalls
schon früher wegen ihrer heftigen Angriffe gegen die Bischöfe
und die kirchlichen Neuerungen schwer bestraft worden, aber
auch in ihnen wurde durch die Grausamkeit der Verfolgung
die Freude am Märtyrerthum förmlich geweckt. Wie Prynne
benutzten sie die Müsse der Haft, um aufs neue ihrer Ent-
rüstung über das geistliche Regiment Luft zu machen. Das
Verfahren der Sternkammer gegen die drei Angeklagten setzte
sich über die einfachsten Formen der Gerechtigkeit hinweg,
und das Urtheil war dem Verfahren durchaus entsprechend.
Wie Prynne und Bastwick früher für unfähig zur Ausübung
ihres Berufs erklärt worden w^aren, so wurde Burton degra-
dirt. Jedem der Angeklagten wurde Zahlung von 5000 £
aufgelegt und le])enslänglicher Kerker zuerkannt. Und um
das Mass vollzumachen, wurden alle drei an ein- und dem-
selben Tage, dem 30. Juni 1637, am Pranger »ausgestellt, vor
aller Augen Burton und Bastwick die Ohren abgeschnitten,
Prynne, da er die seinigen nicht zwei Mal verlieren konnte,
die Stümpfe abgesägt, und das Brandmal S. L. (Seditious Li-
beller) auf die Backen eingebrannt. Bastwick's Weib liatte
während der grausamen Marterung bei ihm ausgehalten, er
selbst, wie die Leidensgefährten, gab der versammelten Masse
das Beispiel heroischer Standhaftigkeit. In diesen Männern
lebte etwas von der Gluth der ersten Christen, und ihre Leiden
weckten den Zorn und die Theilnahme von Tausenden, die
noch vor einigen Jahren ruhig und kühl gewesen waren.
Blumen waren auf ihren Weg gestreut worden, die Tücher
und Schwämme, die ihr Blut getrunken hatten, wurden von
grundsätzlichen Reliquien- Verächtern Reliquien gleich ver-
ehrungsvoll aufl)ewahrt. Man mochte sie in einsamer Haft vor
der Welt verschwinden lassen, ihr Andenken blieb unauslösch-
Geld-Erpressungen. 245
lieh im Herzen des Volkes. — In demselben Jahre traf der
Arm der ausserordentlichen Strafgewalt keinen Geringeren als
den Bischof Williams, der seit langer Zeit zurückgezogen -in
seiner Diöcese lebte, ohne mit einer Kritik über die herrschen-
den Zustände zurückzuhalten. Er hatte bis dahin der Ver-
folgung auszuweichen gewusst, aber es gelang dennoch ihm
den Process zu machen, der mit seiner Suspension endigte
und ihm eine Busse von 10,000 ^ und Haft im Tower auf
unbestimmte Zeit einti-ug(^).
Die fiskalischen Bedürfnisse hatten ohne Zweifel nicht
wenig dazu beigetragen die gemeinsame Arbeit von hoher
Kommission und Sternkammer zu einer ungeahnten Höhe zu
steigern. Aus eben dieser Ursache giengen die zahlreichen
Geldforderungen hervor, welche die Willkür - Herrschaft in
immer grösserem Masstab gegenüber einzelnen Klassen oder
gegenüber der Gesammtheit der Unterthaneu machte. Alte,
vergessene Feudal - Gerechtsame der Krone wurden aus dem
Staube hervorgesucht. Die versäumte Einholung der Forma-
lität des Ritterschlags bei der Krönung gab den erwünschten
Anlass zur Auflage von Bussen, Antiquirte Forstgerichte
zwangen den Eigenthümer von Grund und Boden gegenüber
ungeahnten Domanial- Ansprüchen mit grossen Strafsummen
sich abzukaufen. Polizei- Vorschriften, selbst wenn sie an sich
dazu geeignet waren, dem gemeinen Wohl der hauptstädtischen
Bevölkerung zu dienen, verloren ihren Werth, da sie sich in
ein Mittel der Geld-Erpressung verwandelten. Die verhass-
testen Monopolien tauchten wieder auf, und es gab fast keinen
der unentbehrlichsten Handels -Artikel, der nicht in ihren
Kreis gezogen worden wäre. — Die Forderung des Schiffs-
geldes war das letzte Glied in der langen Kette dieser Ge-
waltmassregeln. Es ist hier nicht der Ort die Geschichte
dieser Zwangs-Steuer zu erzählen, von welcher die Regierung
Karls I. schon ein Mal eben den ausgedehnten Gebrauch zu
machen gedacht hatte, den kein Vorwand irgend welcher Art
rechtfertigen konnte (2). Es ist unmöglich hier darzustellen,
in welchem Zusammenhang die Bestrebungen der auswärti-
gen Politik mit dieser Auflage standen, welchen Eindruck das
246 SchifFsgeld. — Wentworth iu Irland.
oberricliterliche Gutachten zu Gunsten der unerhörten Forde-
ning im Lande machte, mit welcher Spannung der merkwür-
dige Proeess verfolgt wurde, in dem John Hampden, seinem
Charakter getreu, mit seinem Rechte das Recht der parla-
mentarischen Verfassung vertheidigte. Undenkbar wäre es,
dass Milton nicht mit demselben Eifer, wie irgend einer seiner
Landsleute im Winter 1637 jede Nachricht über jene gericht-
lichen Debatten aufgenommen haben sollte, in denen sich der
Streit um zwanzig Schilling Schritt für Schritt zu einem Streite
um das Wesen des englischen Staates erweiterte.
"Wenn die kirchlich - politischen Zustände in England ein
immer trüberes Bild gewährten, so drohte den Fundamental-
Gesetzen des Landes die grösste Gefahr doch von Irland. Auf
diesem Boden entfaltete seit 1633 Wentworth' Genius in vice-
königlicher Stellung eine Thätigkeit, die gleichzeitig von der
Grösse seiner Fähigkeiten und von dem bedrohlichen Charakter
seiner weiteren Absichten Zeugnis ablegte. Wentworth hatte
einst zu den glänzendsten Rednern der parlamentarischen Oppo-
sition gehört, aber schon damals eine sehr eigenartige Stellung
eingenommen. Er war ein Gegner der Kriegspolitik und ein
Gegner der Berufung auf Präcedenzfälle. Seine Opposition
gieng nicht aus den Grundsätzen des Puritanismus hervor,
sondern aus dem Wunsch sich der Regierung unentbehrlich
zu machen. Mit seinem glühenden Verlangen nach Macht
verband sich die stolze Ueberzeugung, dass Macht in seinen
Händen dem Lande zum Besten gereichen w^erde. Seine An-
griffe gegen die Missbräuche der Verwaltung sollten nicht
dazu dienen diese für alle Fälle zu binden, und selbst wenn
er statt Eliot's eine Zeit lang die Führerschaft des Hauses
der Gemeinen in der Hand hatte, suchte er die Freiheiten des
Bürgers in einer Weise zu schützen, die der Krone eine dis-
kretionäre Gewalt beliess(^). Eine Natur, wie die seinige war,
konnte indcss leicht dazu verführt werden, im wirklichen Besitz
der Macht, die Regel zur Ausnahme und die Ausnahme zur
Regel zu machen, und der Mann, auf dessen Betreiben einst
eine „Akte zur besseren Sicherung des Privat-Eigenthums und
der persönlichen Freiheit" ausgearbeitet wurde, darf immer-
Wentworth in Irland. 247
hin ein Apostat genannt werden, wenn man bedenkt, dass er
Jahre lang seine besten Kräfte einer Regierung gewidmet hat,
deren Handlungen darauf hinausliefen, dem Eigen thum und
der persönlichen Freiheit des Engländers jede Sicherheit zu
nehmen.
Seitdem sein Versuch zwischen dem König und dem Unter-
haus zu vermitteln gescheitert war, hatte seine politische Lauf-
bahn eine neue Wendung genommen. Er erwarb die lang-
ersehnte Gunst Karl's I. und Erhebung in die Pairie. Die
Präsidentschaft des Rathes des Nordens stellte ihn auf einen
der wichtigsten Posten, die Aufnahme in den geheimen Rath
(Nov. 10. 1629) machte ihn zum Mitglied der Regierung, die
Ernennung zum Lord Deputy von Irland führte ihn auf ein
Feld, das seines Ehrgeizes würdig war. Man weiss, wie er
hier mit eiserner Hand wilde Zustände zu ordnen suchte, wie
er airf die Begründung der Leinwand-Industrie, die Entwick-
lung des Handels Ijedaeht war, die Küste vor den Piraten,
den gemeinen Mann vor den Uebergriffen der Grossen be-
schützte. Der aufgeklärte Despotismus, wie er ihn vertrat,
schrak aber auch vor den Akten reiner Gewalt nicht zurück,
er reizte bei aller Vorsicht den Gegensatz von Katholiken und
Protestanten thatsächlich neu auf, indem er ihn zur Stärkung
der königlichen Autorität zu benutzen suchte, er machte das
Parlament zu einer gefügigen Bewilligungs-Maschine, er stellte
eine stehende Kriegsmacht her, die leicht noch anderen Zwecken
als denen der Sicherung nach aussen und innen dienen konnte.
Man mochte, was in Irland geschah, zum Theil mit der Be-
sonderheit der dortigen Verhältnisse entschuldigen. Aber die
Gefahr lag darin, dass eine Uebertragung des irischen Re-
gierungs-Systems auf das ganz;e Reich zu fürchten war und
durch die dort angesammelten ^Mittel der königlichen Macht
ermöglicht schien. Wentworth machte in seinem vertrauten
Briefwechsel aus seinen Ansichten kein Hehl. Die gewalt-
samsten Massregeln, die auf englischem Boden in Anwendung
kamen, erhielten nicht nur seine Billigung, sondern sie schienen
ihm noch nicht einschneidend genug. Man kann nicht sagen,
dass er daran gedacht hat, das Parlament in England ganz auf-
248 Wentworth in Irland.
hören zu lassen, aber er wollte es auf den Stand herabdrücken,
den das irische unter seiner Diktatur eingenommen hatte. Er
wünschte nicht nur für die Seemacht, sondern auch für die Auf-
stellung eines Landheeres den König von parlamentarischer
Bewilligimg unabhängig zu machen, und die monarchische
Gewalt schien ihm „nur auf einem Beine zu stehn", wenn das
richterliche Gutachten über die Rechtmässigkeit des Schiffs-
geldes nicht in diesem Sinne ergänzt werde. Die Patrioten
wussten wohl, warum sie den Hauptfeind der englischen Frei-
heit in diesem grossartig begabten INIann zu sehen hatten,
dessen hohe Stirn während tiel)erhafter Arbeit so finster um-
wölkt schien, und dessen verführerischer Liebenswürdigkeit
im freundschaftlichen Verkehr so leicht niemand wiederstelm
konnte ; der im Kampfe mit seiner schwankenden Gesundheit,
gehasst von mehr als einem Mitglied der Hof kreise, vom König
selbst nicht immer völlig gewürdigt, mit rastloser Energie den
Zielen zustrebte, die er sich gesteckt hatte.
Von Wentworth war zu erwarten, dass er das Seinige
thun werde, um den Laud'schen Grundgedanken von der im-
bedingten Nothwendigkeit kirchlicher Konformität auch in
Irland zu verwirklichen. In jener ül)eraus merkwürdigen
erst kürzlich aufgelündenen Rede, mit der er sich als Präsi-
dent des Rathes des Nordens einführte, hatte er seinen „kind-
lichen Gehorsam gegenüber der Kirche" l^etont und die engste
Verbindung, die gegenseitige Unterstützung staatlicher und
kirchlicher Behörden als unerlässlich für das Heil des Landes
gepriesen ('). Mit Land stand er ununterbrochen in Gedanken-
Austausch, und dessen ganzes System, vorzüglich aber sein
Ankämpfen gegen die faclimässigen Vertreter des gemeinen
Rechtes, liatte seinen vollen Beifall. Freilich maclite er aus
den grossen Schwierigkeiten kein Hehl, die bei der Eigen-
tliümliclikeit der irischen Verliältnisse einer gewaltsamen
Durcliiühi-ung re]igi()ser Konformität im hochkirchlichen Sinne
sich entgegen stellen würden. Al)er er brachte denn doch
zu Wege, dass sich die geistliche Konvokation 1634 dazu ver-
stand, einen Kanon anzunelimen, durch welchen die 39 Ar-
tikel der anglilvanischen Kirche anerkannt wurden. Man
Die neuen Kanoues für Schottland. 249
musste sich vorläufig an diesem Ei-folg genügen lassen und
dulden, dass einige Prälaten auch noch die irischen Artikel
von den Predigtanits-Kandidaten unterzeichnen Hessen, und
dass die irische Kirche sich noch manche Abweichung zu be-
wahren wusste, die mehr den puritanischen Ideen entsprach.
Währenddess hatte Land seine Vorbereitungen getroffen,
um die Annäherung der Kirche von Schottland an diejenige
Englands weiter zu fördern. Ein neues Buch kanonischer Ge-
setze, von den schottischen Bischöfen vorbereitet, unter Laud's
Einfluss revidirt und vom König 1635 bestätigt, war darauf
angelegt den Presbyterianismus zu vernichten. Es stellte bei
Strafe der Exkommunikation den königlichen Supremat fest,
machte die Berufung von General-Versammlungen vom Willen
des Monarchen abhängig, erklärte jeden Versuch die Schrift-
widrigkeit des Bisthums nachzuweisen für strafwürdig, gab
den Bischöfen selbst neue, ausgedehnte Rechte, verbot den
Geistlichen die Abhaltung der religiösen Privat-Versammlungen
sowie extemporirte Gebete und enthielt ausführliche Vor-
schriften über Taufsteine, Altäre, Kirchenschmuck, Amts-
kleidung, wie sie dem Sinne Laud's für „Schönheit der Heilig-
keit" gemäss waren. Die willkürliche Proklamirung wie der
als „papistisch" gebrandmarkte Inhalt dieser Kanones erregte
im schottischen Volke einen Sturm des Unwillens. Sein na-
tionaler Stolz und sein religiöses Gefühl bäumten sich auf.
Aber man hatte sich noch auf anderes gefasst zu machen.
Schon die Kanones kündigten das Erscheinen einer neuen
Liturgie an und bedrohten jeden "Widerstand gegen dieselbe
mit Strafe. Je längere Zeit ihre Vorbereitung in Anspruch
nahm, desto lebhafter wurden die Befürchtungen, mit denen
man ihrer Veröffentlichung entgegensah. Im December 1636
liess der schottische geheime Rath, erhaltenem Befehl zu
Folge, unter Trompetenschall zu Edinburg einen Aufruf ver-
kündigen, durch welchen die Unterthanen bei Strafe aufge-
fordert wurden, sich den Bestimmungen des neuen liturgischen
Buches zu fügen, das auf ähnliche, willkürliche Weise zu
Stande gekommen war wie die Kanones. Aber erst im Früh-
ling 1637 bekam man die ersten gednickten Exemplare zu
250 Däs neue Liturgiebuch für Schottland. — Unruhen in Edinburg.
Gesicht. Und nun erwachte im Lande John Knox' der alte
puritanische Geist. Es war nicht genau die anglikanische
Form des Gottesdienstes, der man sich fügen sollte, aber die
vorgeschriebenen Worte, das Formular für die Austheilung
des Aljendmahls regten das calvinistische Gefühl der Massen
noch stärker auf, als es durch unveränderte Einführung des
englischen Rituals hätte geschehen können. Der Sturm kam
am 23. Juli in Edinl)urg zum Ausbruch, als in der Kirche
St. Giles ein wilder Tumult die Vorlesung der Liturgie un-
möglich machte. Die einheimischen geistlichen und weltlichen
Gewalten standen der Protest-Bewegung, die beinahe das
ganze Land eifasste, machtlos gegenüber. Nobility, Gentry,
Geistlichkeit und Bürgerschaften hielten fest zusammen,
schritten zu einer förmlichen Anklage der Bischöfe und gaben
sich eine Organisation, die geeignet war, dem legalen Wider-
stand gegen das ganze bischöfliche System Nachdruck zu ver-
leihen. Als der König jeden Akt der Nachgiebigkeit schroff
zurückwies, die Bischöfe und die verhassten Neuerungen durch
seine eigene Autorität deckte, da erhob sich Schottland zu
einer grossartigen Manifestation, die das Symbol der Yer-
tlieidigung des Presbyteriauismus wurde. Wie man sich in
früheren Zeiten, als es noch den Kampf mit dem Katholicis-
mus galt, durch feierliches Gelübde verpflichtet hatte, die
„wahre Beligion" unerschütterlich aufrecht zu halten und
alle \'eränderungen in Dogma, Bitus und Verfassung abzu-
wehren, so 1)eschloss man diesen Covenant mit Gott und mit
einander gegenü])er der drohenden Gefahr zu erneuen. Man
gieng auf die Formel von 1580 zurück, fügte die Parlaments-
Akten hinzu, durch welche die Beschlüsse der General- Ver-
sammlung bestätigt worden waren, und machte die Anwendung
von den früheren Bestimmungen auf den gegenwärtigen Fall,
indem man in den anglikanischen Neuerungen eben jene
papistischen Bräuche fand, welche die Väter verdammt hatten.
Mit demselben Enthusiasmus, der einst die Tausende fortge-
rissen liatte, sich unter dem Zeichen des Kreuzes zu scliaaren,
drängte sich am 28. Februar 1G38 die Masse in der Kirche
und auf dem Kirchhof von Greyfriars zu Edinburg, die Per-
Covenant. 251
gament-Urkuiide des Covenant zu imterzeiclinen, und dem
hier gegebenen Beispiel folgten Stadt und Land in mächtig
aufflammender Begeisterung.
Die Frühlingsmonate 1638 , in denen die Nachrichten
von der wachsenden schottischen Bewegung nach England
gelangten, kündigten auch hier eine gefährliche Zunahme der
Spannung aller Verhältnisse an. Hampden's Process gieng
seinem Ende entgegen, obwohl das Schluss-Urtheil erst im
Sommer erfolgte. War je ein Sieg der Tyrannei ein Pyrrhus-
sieg, so war es dieser. Noch während des Processes war der
Widerstand gegen die Eintreibung des Schiffsgeldes gewachsen,
was man über die Meinungs- Verschiedenheiten der Richter
vernahm, hatte die Wirkung, ihn in bedenklicher Weise zu
steigern. Deutliche Zeichen der Sympathie des englischen
Puritanismus mit den schottischen Covenanters traten hervor
und Hessen sich durch antikatholische Demonstrationen der
Regierung nicht irre machen. Am Hofe durchkreuzten sich
die Einwirkungen der spanischen und fi-anzösischen Politik,
mit der sich wiederum so manche persönliche Intriguen und
Feindschaften verschlangen. Der König, schon längst durch
mehr als einen der vornehmsten Lords auch von deren Un-
willen über die herrschenden Zustände unterrichtet, sah sich
immer mehr isolirt und war selbst nicht im Stande seine ge-
drückte und sorgenvolle Stimmung zu verbergen (^).
Noch war nicht abzusehen, welche Richtung die öffent-
lichen Angelegenheiten nehmen würden, als jNIilton sich ent-
sehloss, das eng umschriebene Leben von Horton aufzugeben.
Er mochte glauben, jene „grosse Periode seiner Studien" be-
endet zu haben, deren Abschluss er gegenüber dem Freunde
als unerlässlich bezeichnet hatte. Er fühlte sich in gewissem
Sinne fertig, und nur im Strom der Welt konnte die Kraft
des Charakters gestählt werden, welche das in der Stille
gebildete Talent zu ergänzen hatte. — Seine poetische Indivi-
dualität hatte sich während jener Lehrjahre in entschiedener
252 Milton und Shakespeare.
Weise gestaltet, und es hält nicht schwer zu erkennen, welche
Muster der heimischen Literatur vorzüglich für ihre Aus-
bildung massgebend gewesen sind. Man hört namentlich in
England Shakespeare und Milton so oft in einem Athem
nennen, dass es sich wohl der Mühe verlohnt, nachzuforschen,
mit welchen Gesinnungen dieser auf jenen zurückblickte, und
ob von einer Einwirkung des einen auf den anderen die Rede
sein kann. Es darf nicht auifallen, dass in Milton's Kollek-
taneen-Bueh sich kein einziges Citat aus Shakespeare befindet.
Dieses Schicksal theilt er, von Chaucer und P. Sidney abge-
sehen, mit allen Dichtern seiner Nation. Selbst Spenser hat
nur wegen seiner Abhandlung über Irland Aufnahme gefunden.
Milton hatte nicht nöthig als „geflügelte Worte" oder als be-
sonders verwendbar zum Schmucke eigener Arbeiten sieh
Stellen von heimischen Autoren zu notiren, die ihm guten
Theils im Gedächtnis waren. Aber an Zeugnissen seiner
Verehrung für Shakespeare fehlt es darum nicht. Sieht man
von den Gelegenheits- Versen „Naturam non pati Senium"
ab, die doch nur in kleinen Kreisen verbreitet waren, so ist
das früheste Gedruckte, das man von Milton besitzt, -ein
Gedicht auf Shakespeare. Es stammt aus dem Jahre 1630
und ist unter dem Titel: „Ein Epitaph auf den bewunderns-
würdigen dramatischen Dichter W. Shakespeare": mit anderen
Lobversen anonym der Shakespeare'schen Folio-Ausgabe von
1632 vorgedruckt (^). Trägt es auch am Schlüsse Spuren des
Donne'schen Geschmacks, der sich sonst wohl in den frühesten
Gedichten Milton's findet, so legt es doch vollgültiges Zeug-
nis für die hohe Verehrung ab, die der cambridger Student
Shakespeare widmete :
Wozu bi-aucht meines Shakespeare hehr Gebein
Ein hochgethürintes Monument von Stein?
Wozu soll sich sein heiliger Staub hienieden
Verbergen unter stolzen Pyramiden?
Du theurer Sohn df(s Kulims, sein grosser Erbe,
Was brauchst du Stein, dass nicht dein Name sterbe?
In unserm Geist, der dich bewundernd nennt,
Schufst du dir selbst ein dauernd Monument:
Wir schöpfen aus den Blättern deiner Werke
Milton und Shakespeare. 253
Gleichwie aus Göttermunde Trost und Stärke:
Du machst durch deines Geistes hohen Schwung
Uns selbst zu Marmor vor Bewunderung,
Dass, solch erhabnes Grabmal zu erwerben,
Selbst Könige wünschten, so wie du zu sterben.
Höchst bezeichnend ist sodann die Art und Weise, in
welcher der „süsseste Shakespeare" im „Allegro" genannt wird
(s. 0. S. 209). Dem „gelehrten Ben Jonson" wird er gegenüber ge-
stellt als das „Kind der Phantasie, das des heimischen Waldes
freie Lieder singt". Es ist kein erschöpfendes Urtheil und
soll keines sein. Wie- die Erwähnung Shakespeare's im
Allegro gemacht wird, so hat man in erster Linie nur an
einen Hinweis auf die Komödien zu denken. Aber man sieht,
wie glücklich hier eine der grossen Seiten des Dichters ge-
troffen ist, eben die, welche der jungen Genossenschaft unsrer
Sturm- und Drang-Periode so ganz kongenial war, und welche
Voltaire zu seinem Ausspruch von der „Einbildungskraft eines
trunkenen Wilden" verführte. Die Hervorhebung dieses
Gegensatzes von Ben Jonson und Shakespeare war eine schon
im siebzehnten Jahrhundert durchaus übliche. Sie findet sich
in Flecknoe's „Discourse of the English stage" (1664) und
in Phillips' ,.Theatrum poetarum" (1672) ebenso wieder (0-
Phillips' Aeusserungen haben ein um so grösseres Interesse,
da man guten Grund hat in ihnen die seines Oheims, John
Milton's selbst, zu sehen. Es muss an anderer Stelle genauer
untersucht werden , in wiefern Milton auf die Arbeit seines
Neffen eingewirkt hat. Hier sei nur auf die grosse Aehnlich-
keit hingewiesen, die selbst in den Worten zwischen Phillips'
Urtheil und den Versen des Allegro besteht. Darf man an-
nehmen, dass ihr Milton's Autorität zu Grunde liegt, so wäre
es nicht erlaubt daran zu zweifeln, dass er im Alter, nachdem
der strenge Puritanismus durch die frivole Reaktion abgelöst
worden war, über den grössten Dichter seines Landes noch
ebenso dachte wie in der Jugend. Jedenfalls kann nichts
verkehrter sein, als in einer Aeusserung aus dem Jahre 1649,
in der Shakespeare als einer der Lieblings-Schriftsteller des
gefangenen Königs erwähnt wird, eine Veränderung in Milton's
254 Milton und Spenser.
Urtheil zu Ungunsten Sliakespeare"s erkennen zu wollen (i).
So hoch er ihn aber auch halten mochte, sein eigenes dichter-
isches Werden konnte nicht durch ihn bestimmt werden.
Es fällt freilich nicht schwer, in einer ansehnlichen Zahl von
Stellen Milton'scher Gedichte Anklänge an Shakespeare, wie an
die übrigen Dramatiker der Zeit Elisabeth's und Jakob's nach-
zuweisen, man mag bei dem Sclmtzgeist im Comus mitunter
an Ariel erinnert werden, aber für den Dichter von wesent-
lich lyrischer und epischer Begabung war, wenn man ihn
sich als Schüler denken will, ein anderer der Meister.
Milton war nach Dryden's Ausspruch der „poetische Sohn
Spenser's", und Dryden hielt sich zu einem solchen Urtheil
um so mehr für berechtigt, da ihm der Mund des blinden
Dichters selbst gestanden hatte, Spenser sei „sein Urbild" ge-
wesen (^). In der That hat die Betrachtung der Gedichte aus
der Epoche von Horton gezeigt, wie viel Milton Spenser und
den Spensehanern verdankte und wie nahe verwandt er sich
ihnen fühlte. Die Freude an der Allegorie, der lebhafte Natur-
Sinn, die arkadische Gewandung, selbst so manche Eigenthümlich-
keit der Sprache und der Technik des Verses ; Das alles liess
Milton als einen Ausläufer der Spenser'schen Schule erscheinen.
Mit ihr theilt er jene Selmhucht, die „Idee des Schönen" in
allen Erscheinungsformen aufzufinden und dichterisch zu ge-
stalten. Auf dem Boden klassischer Bildung heimischer als
irgend eines ihrer Glieder, erscheint er in seiner Jugend als
der letzte grosse englische Dichter der Ilenaissance. Und
doch fühlt jeder, dass er kein blosser Nachahmer ist, dass
schon damals ein Zug von Ursprünglichkeit durch seine
Schöpfungen hindurchgeht, dass seine dichterische Persönlich-
keit sich schon damals aus der Reihe der Vorgänger scharf
abhel)t. Es führt in jeder Weise irre, wenn man sagt, „Milton
verhalte sich zu Spenser wie etwa Schiller zu Wieland",
duich den „älteren Diclitcr und dessen Schüler" sei die „Sprache
für ihn vorbereitet worden" (^). Aber das ist unbestreitbar,
cliai-akteristisch für den jugendlichen Genius Milton's ist die
rhetorische Neigung, die ilm vor der Weicliliclikcit und Ge-
ziertheit mancher Spenserianer bewahrte, aber zugleich auch
Milton über Dichter und Dichtkunst. 255
die Gefahr mit sich führte, der künstlerischen Unbefangenheit
und dem freien Spiel der Phantasie etwas Tendenzmässiges
beizumischen. Die Ueberzeugung von der Untrennbarkeit
äusserer und moralischer Schönheit, der Glaube, dass jene ohne
diese ein „leerer Schein" sei, die Verachtung „niedriger
Geister", deren Begriff von Liebe, das Erzeugnis „sinnlicher
Lust", sich nicht „über das schwere Irdische zu himmlischen
Höhen erheben" kann, der ganze platonische Idealismus, wie
er die Spenser'schen Hymnen durchklingt, erscheint bei
Milton zu einer gewissen polemischen Leidenschaftlichkeit ge-
steigert, wie sie der innigeren Verbindung puritanischer
Anschauung mit der Bildung der Renaissance entsprach.
Es lässt sich danach schon denken, wie Milton's Urtheil
über einen grossen Theil der zeitgenössischen Dichter lautet.
Er steht hier ganz auf der Seite George Wither's, der scharfe
Worte hatte hören lassen über die „Poeten dieser Tage, die
den Dunst von Lust und Wein athmen und sich gegenseitig
mit Lorbeeren bekränzen" (^). In jenem einer College-Ptede
eingeschobenen Gedichte hatte Milton von der Muttersprache
für seine „nackten Gedanken" die „reichsten und schönsten
Kleider" erbeten, wie sie den „tiefsten Geistern und dem
auserlesensten Verstand" gefallen. Aber er hatte sich ver-
wahrt gegen diese „neumodischen Lappereien und den werth-
losen Putz, der die Gecken des Tages entzückt" (^). In einer
seiner Prosaschriften, die wenige Jahre nach dem Abschluss der
Epoche von Horton erschien, erhob er Klage darüber, dass
die „Jugend täglich Gift sauge aus den Schriften und Zwischen-
spielen (writiugs and interludes) unkeuscher und unwissender
Dichterlinge". „Sie haben — , so wirft er ihnen vor, — kaum
jemals davon gehört, was den Begriff eines wahren Gedichts
ausmacht, welche Charaktere der Darstellung werth sind, und
was einem jeden von ihnen anständig und schicklich ist. Sie
pflegen meistens schlechte Grundsätze so zu überzuckern, dass
man die süsse Pille gern herunterschluckt, andrerseits den
Vorschriften der Tugend einen herben und sauren Geschmack
zu geben." Und an dieser Stelle drängen sich Milton die
bedenklichen Folgen eines solchen Zustandes in so lebhaften
256 Milton über Dichter und Dichtkunst.
Farben auf, dass er ernstlich vom Staate Abhülfe verlangt.
Er wünscht, dass die Obrigkeit nach dem Beispiel „berühmter
Regiemngen des Alterthums" wie um die Erhaltung der
Kechtsordnung so um die „Einrichtung der öffentlichen Feste
und Lustbarkeiten" sich kümmere, damit sie nicht wie bisher
als „Reizmittel der Trunkenheit und Wollust" dienen, sondern
zur Stärkung von „Gerechtigkeit, Massigkeit, Tapferkeit".
Er giebt zu verstehn, dass die Kanzel nicht der einzige Ort
sein dürfe, der zur geistigen Erhebung und zur sittlichen Kräf-
tigung der Massen verwandt werde, sondern dass eine ästhe-
tische Erziehung bei „bestimmten Festen, in den Theatern
und Hallen, oder wo sonst das Volk Erholung und Bildung,
mit einander zu verbinden geneigt sein mag", nothwendig
hinzukommen müsse (^), — Diese Worte gehören allerdings
einer Zeit an, in welcher die puritanische Bewegung in der
Nation schon nicht mehr die zurückgedrängte war, aber es
wird erlaubt sein , auch aus ihnen zu schliessen , was Milton
schon einige Jahre vorher bei einem Umblick auf dem eng-
lischen Parnass empfand. Er fühlte sich ebenso abgestossen
von der grossen Masse der Erscheinungen dramatischer wie
nicht dramatischer Poesie. Webster und Ford, Shirley und
Davenant, Donne und Carew, Randolph und Cleveland nach
dem^ was ihm von ihren Schöpfungen auf die eine oder andere
Art bekannt geworden war, mochten zu denen gehören, deren
„überzuckertes Gift" oder deren „werthlosen Putz" er ver-
achtete. Er selbst hatte, wie seine frühesten Gedichte be-
weisen, sich von dem Banne der donneschen Manier nicht
immer frei zu halten gewusst. Nun aber war in ihm mehr
als in irgend einem anderen eingetroffen , was Carew nach
dem Tode Donne's als Befürchtung ausgesprochen hatte. Er
war einer der „poetischen Freigeister", welche die von Donne
vorgezeichneten Bahnen verliessen und sich den „alten Idolen"
zuwandten, den Idolen Spenser's, und dies nicht deshalb
allein, weil er hier wahren dichterischen Gehalt und wahre
künstlerische Form vorfand , sondern , weil ihm Spenser auch
als der „weise und ernste" galt, der „Lehrer"' moralischer
Grösse (2).
Milton über Dichter und Dichtkunst. 257
Denn darin fühlte sieh Milton vorzüglich so scharf ge-
trennt von der grossen Masse der mitlebenden Dichter, dass
er die Aufgabe des Poeten anders auffasste, der Poesie im
Leben der Nation eine ganz andere Stelle anwies, als sie es
zu thun schienen. Der Dichter war ihm gleichsam eine
religiöse Persönlichkeit, wie Wither sich ausgedrückt hatte,
„ein Prophet, inspirirt von Gott"(^). Der Genius des Dich-
ters, heisst es in der citirten Prosaschrift, ist „eine Gabe
und Offenbarung Gottes, die nur selten, aber doch einigen in
jedem Volk verliehen wird, obgleich die meisten sie miss-
brauchen. Er hat die Kraft, neben dem Predigtamte, in der
Masse des Volkes den Samen der Tugend und der Sittlich-
keit auszustreuen, die Unruhe der Gemüther zu mildern und
die Empfindungen zu schönem Einklang zu stimmen, in er-
habenen und schwungvollen Hymnen den Thron und die Herr-
lichkeit des allmächtigen Gottes zu preisen, und was er in
seiner Allweisheit in seiner Kirche schafft und schaffen lässt,
den siegreichen Todeskampf der Märtyrer und Heihgen, die
Thaten und Triumphe gerechter und frommer Völker zu be-
singen, die stark durch den Glauben die Feinde Christi schlu-
gen, und den Abfall ganzer Pieiche und Staaten von der Ge-
rechtigkeit und der wahren Gottesverehrung zu beklagen.
Was in der Religion heilig und erhaben, in der Tugend lieb-
lich und ehrwürdig ist, was in allem Wechsel des äusseren
Glückes und in den feinen Windungen und Strömungen des
inneren Lebens der Menschen Leidenschaft oder Bewunderung
erregt : Alles das schildert der Dichter mit leichten und festen
Zügen. Alle Lehren des Guten und Edlen kleidet er in Bei-
spiel und Bild; darum rührt er vornehmlich die sanften und
zarten Herzen, die den Anblick der Wahrheit nur dann er-
tragen können, wenn sie in reizendem Gewände erscheint;
und wie jetzt der Weg des Rechten so viele hart und rauh
dünkt, wennschon er in Wirklichkeit sanft und lieblich ist,
so zeigt ihn der Dichter allen Menschen lieblich und sanft,
wäre er in Wirklichkeit auch noch so rauh und hart" (2).
Dieselbe Auffassung findet sich mit noch grösserer Ent-
schiedenheit in einer anderen der früheren Prosaschriften
Stern, Milton u. s. Z. I. 1. 17
258 Milton über Dichter und Dichtkunst.
Milton's wieder. Hier erzählt er, wie er sich frühe daran
gewöhnt habe, bei der Beurtheilung der grossen Schriftsteller
den ethischen Masstab über dem ästhetischen nicht zu ver-
gessen. Eben darum machten Dante und Petrarca so grossen
Eindruck auf ihn , die in ihrem Preise Beatrice's und Laura's
nur „hohe und reine Gedanken entfalteten ohne irgend welche
Ausschreitung". Als er sodann die erhabenen Werke ritter-
licher Romantik kennen lernte, las er „im Eide jedes Ritters",
dass er bis zum letzten Blutstropfen die Ehre der Jungfrau
vertheidigen wolle und „verdachte es dem Dichter, wenn einer
in Wort oder That seinen Eid brach, so wie man es dem
Homer verdacht hat, dass er Unanständiges von den Göttern
geschrieben". Das Studium „Plato's und Xenophon's", die
„Vorschriften der christlichen Religion" bestärkten ihn in
dieser Werthschätzung des Sittlichen in der Kunst wie im
Leben. Es entwickelte sich in ihm „eine gewisse Zartheit
des Gemüths, ein ehrenhafter Stolz, eine Selbstachtung wegen
dessen, was er war oder was er werden mochte". Er brauchte
sich nicht, wie jene Ritter, durch einen Eid zu verpflichten,
denn er fühlte : „Jeder freie und edle Geist ist als ein Ritter
geboren". Immer mehr durchdrang er sich mit der lleber-
zeugung, dass der grosse Künstler auch ein grosser Charakter
sein müsse. ,,Ich bestärkte mich, sagt er, in der Ansicht,
dass, wer es nicht vergeblich unternehmen will, hohe Dinge
würdig zu besingen, selbst vorher ein wahres Gedicht sein
müsse, d. h. ein harmonisches Urbild der besten und rühm-
lichsten Züge"(i).
Man bemerkt, wie der jugendliche Milton gleichsam auf
der Grenzscheide von zwei Zeitaltern steht. Abgestossen von
der Frivolität und Manierirtheit der Modedichter flüchtet er
sich zurück zu jenen reinen Gebilden der Renal sancezeit.
wie sie Spenser's Hand vorzüglich geschaffen hatte. Er fühlt
sich durch die Gemeinsamkeit des Enthusiasmus für das sitt-
lich Schöne und die schöne Sittlichkeit besonders zu ihm hin-
gezogen, aber dieser Enthusiasmus erscheint schon nicht mehr
in der vollen Freiheit der früheren Epoche. Die Kraft der
puritanischen Ideen, dem Entscheidungskampf mit den feind-
Sehnsucht nach Italien. — Verheirathung von Christoph Milton. 259
liehen Mächten nahe, droht, ihn von grossen Gebieten ganz
abzulenken und ausschliesslich auf das der didaktisch-religiösen
Dichtung hinüberzuleiten. Es bedurfte nur einer lebhaften
Theilnahme an den gewaltigen Kämpfen, die sich vorbereiteten,
einer stärkeren Durchdringung mit den biblischen Vorstellun-
gen, um Milton aus dem letzten Dichter der englischen
Renaissance zum ersten, zum grössten des Puritanismus zu
machen. —
Zunächst indess hatten die Ideen der Vergangenheit noch
das Uebergewicht. Es drängte Milton, das Land zu sehen,
von welchem die neue Bildung ausgegangen war, an Ort und
Stelle die Erinnerungen der Antike auf sich einwirken zu
lassen und die Fülle gegenwärtiger Schönheit in sich aufzu-
nehmen. Er entschloss sich , im Frühling 1638 eine Reise
nach Italien zu unternehmen. Den Vater, der auch hier wie-
der seinen Wünschen kein Hindernis in den Weg legte, konnte
er benihigt in Horton zurücklassen, Christoph Milton, der
Bruder des Dichters, mit dem Rechtsstudium im Inner-Temple
beinahe fertig, hatte sich, so jung er noch war, mit einem
londoner Bürgermädchen, Thomasine Webber, verlobt. Man
darf annehmen, dass die Hochzeit noch vor Milton's Abreise
stattfand, und dass das junge Paar seinen Wohnsitz in Horton
aufschlug, in dessen Pfarr-Registern unter dem 26. März 1639
sich der Tod eines Söhnchens bezeugt findet (^). Milton hatte
das Glück, für seine Reise aus bester Hand schätzbare Em-
pfehlungen zu erhalten. Im nahen Eton lebte als Vorsteher
des College Sir Henry Wotton (geb. 1568), der in seinem
langen Leben viel gesehen und den Ruhm eines der feinst
gebildeten Engländer erlaugt hatte. Auf der Universität und
durch mehrjährige Reisen gründlich geschult, war er Sekretär
des Grafen von Essex gevrorden und den Grössen der dama-
ligen englischen Gesellschaft, Raleigh, Donne, Bacon u. s. w.,
nahe getreten. Nach Essex Fall war er geflüchtet und hatte
den Rest von Elisabeth's Regierungszeit in Florenz verbracht.
Eine geheime Sendung des Grossherzogs von Toskana an Jakob
von Schottland gewann ihm dessen Gunst, dieser rief ihn,
als er König von England geworden war, zurück und betraute
IT*
260 Si'" Henry Wotton.
ihn mit inelirfachen diplomatischen Missionen , bei denen
"Wotton freilich keineswegs grosse politische Talente ent-
wickelte. Am wichtigsten für ihn selbst wurde auch jetzt
wieder der Aufenthalt in Italien. Er war Jahre lang Ge-
sandter in Venedig und nahm den lebhaftesten Antheil an
dem grossen Streit der Republik und der Kurie, der Paolo
Sarpi auf den Schauplatz rief. Fürsten, Gelehrte und Künstler
waren ihm vertraut geworden, Beza und Arminius, Casaubo-
nus und Kepler hatte er während seines Wanderlebens kennen
gelernt. Getäuscht in seinen Hoffnungen, eine angemessene
Stelle im inneren Staatsdienst zu erhalten, nahm er die Vor-
steherschaft von Eton- College an und lebte dort seit 1624
in würdiger Müsse, gastfrei und jedem Strebenden gefällig,
mit dem Ordnen seiner Kunstsammlungen und literarischen
Plänen beschäftigt, immer bereit, aus dem Schatze seiner Er-
fahrungen und Erinnerungen das junge Geschlecht zu belehren,
von loyaler Gesinnung, aber dabei tolerant in Sachen der Re-
ligion, ähnlich wie der berühmte, gelehrte Fellow seines Col-
lege, John Haies (^).
Ein besserer Rathgeber für eine festländische Reise war
nicht zu finden als Wotton, der, nach Donne's Ausdruck,
„unangesteckt von Deutschlands Schismen, Frankreichs Leicht-
fertigkeit, des schönen Italiens Falschheit alles Beste aus ihnen
gesogen und die alte Treue mit sich heimgebracht hatte" {^).
Ein Brief Wotton's an Milton vom 13. April 1638, ganz in
der anmuthig- verbindlichen Weise des elisabethanischen Zeit-
alters abgefasst, bezeugt, dass die Bekanntschaft des Dichters
mit dem alten Herrn, vermuthlich durch John Haies ver-
mittelt, erst kurz zuvor sich angeknüpft hatte. Nach einem
Besuche Milton's in Eton hatte er Wotton durch einen Brief
(vom 6. April) und durch Uebersendung eines Exemplares des
Comus erfreut. Dies Gedicht war Wotton schon bekannt,
aber hier fand er erst Gelegenheit, den Autor mit Kompli-
menten wegen eines Werkes zu überschütten, „dessen gleichen
er in englischer Sprache noch nicht gesehn habe". Mündlich
und brieflich hatte Milton sich ohne Zweifel über seine Reise-
absichten geäussert. Er empfieng nun von Wotton den dringen-
Sir Henry Wotton. 261
den Kath, an Paris nicht vorüberzueilen und Empfehlungen an
Michael Branthwait, der Wotton von Venedig her bekannt
war, und welcher damals als Hofmeister, vermuthlich im
Hause des englischen Gesandten Lord Scudamore, in Paris
lebte. Von Branthwait Hess er ihn nähere Anweisungen für
Italien erwarten, er selbst empfahl den Weg durch Frank-
reich nach Marseille, dann zu Schiff nach Genua und von
dort nach Toskana. Halb im Scherz, halb im Ernst gab er
ihm eine Reiseregel, die er einst zu Siena im Hause eines
durch's Leben geprüften Römers erhalten hatte. „Signor
Arrigo mio, — hatte sich der erfahrene Italiener verlauten
lassen, — i pensieri stretti e il viso sciolto" , damit komme man
sicher durch die ganze Welt. Es war eine der Lieblingsanek-
doten Henry Wotton's, und mit diesem freundschaftlichen
Rath : „Verschlossnes Herz und offne Augen" : sowie mit einem
Passirschein , den ihm Henry Lawes verschafft hatte , machte
sich Milton Mitte April 1638 auf den Weg(i).
Sechstes Kapitel.
Die Wander jähre.
Dass ein junger Engländer seine Erziehung durch eine
festländische Reise abschloss, war im siebzehnten Jahrhundert
nicht minder üblich als im neunzehnten. Schon damals war
das Reisen ein Studium geworden. James Howell, selbst ein
erfahrener Reisender, hat eine genaue Instruktion für das
Reisen herausgegeben, Locke widmet diesem Gegenstande
in seinem Werke über die Erziehung vortreffliche Betrach-
tungen, und der grosse Bacon hatte es nicht für zu gering ge-
halten, in einem seiner geistvollen Essays alles zusammen-
zustellen, was nach seiner Ansicht ein junger Mann, der auf
die Wanderschaft geht, zu beobachten habe. Seine Regeln
mochten Milton vorschweben, als er im Frühjahr 1638 das
stille Horton und den Boden der Heimat verliess. Er hatte
zwar nur einen Diener, keinen Mentor bei sich, wie er Bacon
für solchen Fall am Platze schien, denn er war bereits in
dem Alter, „in welchem der junge Mann keinen Gouverneur
gebraucht, weil er sich selbst gouvernirt". Aber die übrigen
Anforderungen Bacon's waren in ihm erfüllt. Er kannte die
Sprachen der Länder, die er betreten wollte, er gieng darauf
aus, in der Fremde diejenigen Kreise aufzusuchen, die der
lebenskluge Philosoph empfahl, er ist ihm auch darin einiger-
massen gefolgt, dass er nach seiner Rückkehr „die bereisten
Reiseplan. 263
Länder nicht ganz dahinten Hess", sondern einen Briefwechsel
mit ausländischen Bekannten erhielt.
Der Engländer von damals wandte sich gewöhnlich zu-
erst nach Frankreich, dessen Hauptstadt schon seit lange ein
reizvoller Anziehungspunkt war. Pann folgte die Tour durch
Italien, das Land, dessen Natur- und Kunstschätze dem Nord-
länder von je als herrliches Ziel vorschwebten, in dessen Volk,
den Erben der Antike, er die Träger der feinen klassischen
Bildung verehrte. Nicht selten hielt er zum Schluss in Genf,
der festen Burg des Calvinismus, eine letzte Einkehr. So reiste
John Cook lange Jahre, ehe er gegen Karl L die Anklage-Akte
abfasste, fast den gleichen Weg, wenig später als Milton, nahm
John Boyle(^). Nur selten verirrte sich der Reisende von jenseits
des Kanals nach Deutschland, und damals bot unser Vater-
land am wenigsten Anlass zu einer Lustfahrt. Der furcht-
bare Brand, welcher auf Böhmens Gefilden entglommen war,
wüthete nun schon in das zwanzigste Jahr, und noch war
keine Hoffnung ihn gelöscht zu sehen. Es war die -Zeit , da
Richelieu die Rolle des Führers gegen das Haus Habsburg
übernommen hatte, aber die unsagbaren Leiden der deutschen
Gaue wurden um nichts gemindert, je mehr auch das reli-
giöse Moment des Kampfes durch das rein politische zurück-
gedrängt ward. Deutschland, das „Domicil der Freiheit",
wie es später vom Dichter genannt wird(^), war zum Domicil
der Barbarei geworden, und der Puritaner verfolgte aus der
Ferne mit schmerzlichen Gefühlen die Entwickelung des blu-
tigen Schauspiels. Milton machte zunächst in der französi-
schen Hauptstadt Halt. Paris, schon damals das Herz von
Frankreich, hatte in eben jener Zeit durch die umfassende
Thätigkeit des Kardinal-Ministers, hinter welchem die Persön-
lichkeit des Monarehen zurücktrat, neue Impulse eines frischen
Lebens und vielfache künstlerische und wissenschaftliche
Denkmale und Institute erhalten, die zu Zierden der Stadt
wurden. Die Akademie, ein Prachtbau für die Sorbonne,
das Palais royal, der botanische Garten waren begründet.
Der Luxemburg -Palast, das grosse Denkmal der Maiia von
Mediei, stand noch nicht lange. Mit Corneille trat das Drama
264 Paris. — H. Grotius. — Genua. — Pisa.
in eine neue Aera ein. Von dem vielseitigen Leben und
Treiben dieser grossen Stadt umfangen, konnte Milton auch
zu einigen dort ansässigen Persönlichkeiten von Interesse in
engere Beziehungen treten. Durch Wotton war er an Michael
Branthwait empfohlen worden, der nach längerem Aufenthalt
in Venedig wohl befähigt war, ihn für die italienische Reise
zu berathen. Durch Branthwait oder andere Mittelspersonen
Amrde er dem Lord Viscount John Scudamore zugeführt (^),
einem der damaligen englischen Gesandten am Hofe vonVersailles.
Und dieser vermittelte die Bekanntschaft des Dichters mit
einem der berühmtesten und geistvollsten Männer, die damals
in Paris lebten. Es war Hugo Grotius, schon längst bekannt
durch seine Werke, wie durch seine Schicksale, als schwedi-
scher Gesandter am fi-anzösischen Hofe eifrig mit dem Plane
einer Vereinigimg der protestantischen Kirchen beschäftigt,
für den ihn der Schotte Durie gewonnen hatte (^). Um Laud
für diesen Gedanken zu erwärmen, bediente er sich, fi-eilich
ohne Erfolg, 1637 der Vermittlung Scudamore's, und dieser
konnte, als Milton den Wunsch äusserte, den berühmten Ge-
lehrten zu sehn, ihm auf's leichteste Zutritt bei ihm verschaffen.
Wir hören nur, dass Grotius den Besucher freundlich auf-
nahm (^) und dürfen vennuthen, dass dieser in ihm nicht nur
den grossen Juristen und Historiker, sondern auch den reli-
giösen Freidenker verehrte, den nur die Klugheit seiner Frau
aiis qualvoller Haft gerettet hatte.
Der Aufenthalt in Paris dauerte nur kurze Zeit. Nach eini-
gen Tagen verliess Milton die Stadt (^), von Scudamore mit Em-
l)fehlungsbriefen an englische Kaufleute ausgerüstet, auf die er bei
seiner Wanderung stossen würde. Er wählte nicht den Seeweg
von Marseille nach Genua, wie Wotton ihm gerathen hatte, son-
dern zog den Landweg nach Nizza vor. Und nun stand er
auf dem Boden Italiens, in die üppige Landschaft, in das bunte
Leben des Südens versetzt, angehaucht von balsamischer Luft,
das Meer zu seineu Füssen. Das Scliiif trug ihn nach Genua,
nach kurzer Rast in der herrlichen teiTassenförmig aufsteigen-
den Freistadt erreichte er den lebhaften Hafen von Livonio
und (li-ang von doit im Inneren des Landes nach Pisa vor.
Florenz. 265
Indess die Meiivwürdigkeiten der ehrwürdigen Stadt, der Dom,
das Baptisterium mit seiner Marmorkanzel von der Hand des
Nicolo Pisano, der schiefe Thurm, das Campo-Santo mit seinen
Bogengängen, Wandbikleni und Grabmalen: Das alles scheint
den Dichter nicht sehr lange aufgehalten zu haben. Er strebte
nach Florenz, der Medicäer-Stadt, die ihm immer als die herr-
lichste unter ihren Schwestern erschienen war. Hier an den Ge-
staden des Arno, umschwebt von der Ennnemng an Dante
und die Gestalten, die er geschaffen, hat er zwei glückliche
Monate verbracht. Wohin immer sein Blick sich wandte, er
traf auf Gegenstände, in denen der künstlerische Reiz mit dem
gescliichtlichen Antheil zu mächtiger Wirkung zusammenfloss.
Das INIalerische der Lage, in welcher Hoheit und Grazie ver-
schwisteii ei-schienen, der reiche Kranz schimmernder Villen
und Dörfer zwischen dem üppigen Grün der Anhöhen, im
Inneren der Stadt die altberühmten Kunstschöpfungen, Dom,
Gampanile, Baptisterium, die Kirchen mit stolzen Kuppeln
und schlanken Thürmen, die ernste Pracht der Paläste, vor
allen des Palazzo vecchio, des Pitti-Palastes und des Palastes
derUftizien, die berauschende Fülle der Monmnente, Statuen,
Bildwerke: Ein wahrer Strom von blendender Schönheit
drang auf den Fremdling ein, der unter dem grauen Nebel
seiner Themse nie etwas dem Aehnliches erblickt hatte. So
manchen glücklich geretteten Schatz der Antike konnte sein
entzücktes Auge hier treffen. Fra Bartolommeo, Andrea del
Sarto, Raphael, Ghiberti, Michel Angelo, Benveuuto Celliui
sprachen zu ihm in Farbe, Erz und Marmor. Die Schatten
der grossen Medicäer, Savonarola's, Macchiavelli's, traten ihm
bei jedem Schritt entgegen. Aber alle überragte die hehre
Gestalt des ernsten Sängers, dem er selbst als geistesverwandt
gelten konnte.
Doch es waren nicht nur die Todten, welche Sinn und
Gedanken des Fremdling-s in dieser Stadt zu fesseln wussten.
Das damalige Florenz barg in sich eine Gesellschaft fein-
gebildeter, anziehender Naturen, die Milton Einlass in ihren
Kreis gewährten. Wohl waren die Tage der höchsten Blüthe
italienischer Kunst und Literatur vorüber. Unheilvoll lähmte
266 Akademieen.
der Druck der neu erstarkten Kirche den geistigen SchAvung
dieser edlen Nation, die sich, zerrissen und unselbstständig,
ihrer inneren Zusammengehörigkeit kaum bewusst war. Er-
schlafft und selbstzufrieden spiegelte sie sich im Glanz überkom-
menen Ruhmes. Formelle Gewandtheit musste die Grösse
der Erfindung, rhetorischer Prunk die Tiefe des Gedankens
ersetzen. Die Secentisti spielten bei allem kranipfliaftem Be-
mühen als schöpferisch zu erscheinen, die traurige Rolle der
Epigonen, und wenn die Künste der Malerei und der Musik
noch schöne Blüthen trieben, so thaten die Poeten wenig
mehr als dürre Reiser auf die Stämme pfropfen, die unter
Ariost's und Tasso's Händen gross geworden waren. Nirgendwo
trat dies so deutlich hervor, wie in den eigenthümlichen lite-
raiischen Vereinen und ästhetischen Kränzchen, die zu keiner
Zeit so üppig gediehen wie damals. Es waren die „Akade-
mieen", als deren Vorbild man wohl jene „Platonische Aka-
demie" betrachten kann, die der Stolz des Cosimo von Medici
gewesen war, in der sich Marsilio Ficino, Pico von Mirandola,
Angelo Poliziano zur Wiedererweckung hellenischen Geistes
die Hand gereicht hatten. Das Beispiel von Florenz hatte
Nachahmung gefunden. In Rom, Neapel, Venedig waren
ähnliche Schöpfungen entstanden, im Laufe des sechzehnten
Jahrhunderts gab es schon kaum eine mittlere Stadt Italiens,
die nicht ihre Akademie gehabt hätte. Manche der alten
Institute giengen zu Grunde, so auch jene florentiner Genossen-
schaft, aber es traten so viel neue an ihre Stelle, dass ihre Zahl
sich im siebzehnten Jahrhundert in die Hunderte belief. Sie
trugen mit Absicht gewählte, wunderliche Namen. Aus der
Fülle der römischen Akademieen ragten die besonders der
Pfleg"e der Naturwissenschaft zugewandten „Lincei", die
„Umoristi" und „Ordinati" hervor, in Bologna die „Gelati",
in Ferrara die „Intrepidi", in Neapel die „Oziosi". In Flo-
renz hatten sich vor allem zwei neue Gesellschaften erhoben,
die „Academia Fiorentina", gegründet 1540, und die „Aca-
demia della Crusca", gegründet 1582. Jene hatte die Auf-
gabe, die toskanische Mundart rein zu halten, den Adel des
Ausdrucks zu befördern, die Eleganz des Stils zu heben und
I
Akademieen. 267
kannte kein höheres Vorbild als Petrarca. Diese sammelte
den Wortschatz, untersuchte ihn und bereitete das grosse
Lexikon vor, das ihren Namen trägt. Der Zweck der einen war
mehr ästhetischer, der der andern mehr wissenschaftlicher Natur.
Im allgemeinen war die sociale Bedeutung der Aka-
demieen nicht gering anzuschlagen. Unvergleichlich weniger
geistesfrisch und ursprünglich als ihre Vorgänger, die
Humanisten, aber bei weitem geschmackvoller und ge-
wandter als so manche ihrer Nachahmer, wie z. B. unsere
Peg-nitzschäfer , suchten .die Akademiker oft mit mehr Eifer
als Fähigkeit der Nation, der es an politischer Einheit ge-
brach, geistige Centren zu schaffen und die Thätigkeit des
Gelehrten und Künstlers zu befeuern. Ausgegangen von der
Beschäftigimg mit dem klassischen Alterthum und den antiken
Sprachen , hatten sich viele jener Anstalten der heimischen
Mundart und Literatur zugewandt. Im schattigen Garten, im
hohen Vereinssaale oder im Hause eines ^Mitglieds kam man
zusammen, ein Präsident leitete die Verhandlung, jeder trug
als Akademiker einen hochtrabenden Namen. Aufsätze wurden
verlesen, Gedichte deklamirt, rhetorische Uebungen gehalten.
An dem Gehörten ward ästhetische Kritik geübt, der Leistung
Lob und Tadel gespendet. Hie und da wurden gelehrte
Fragen besprochen, ein neues Musikstück zur Aufführung ge-
bracht, ein neues Bild den Augen der Kunstkenner vorgelegt.
Unzweifelhaft hatte das alles sehr bedenkliche Seiten. Viel
leeres Wortgeklingel, viel überaus Geziertes und Konventionelles
kam da zu Tage. In solchen abgeschlossenen Kreisen lag
die Gefahr gegenseitiger Vergötterung und hochmüthiger Er-
hebung zum Glauben an die Unfehlbarkeit des akademischen
Urtheils sehr nahe. Die ganze Summe kritisireuder Mittel-
mässigkeiten und dilettantischer Anstrengungen konnte die
Kraft des ursprünglichen Genies nie ersetzen, sondern höch-
stens beirren und in enge Fesseln schlagen. Aber es musste
wieder wohlthuend berühren, Greise und Jünglinge, den hoch-
gebornen Mäcen und den bürgerlichen Künstler zu anmuthi-
gem Gespräch, zu freudigem Gedankenaustausch vereint zu
erblicken, alle von idealem Streben erfüllt, durch freie Um-
268 Akademieen.
gangsformen mit einander verbimckn(^). Der Engländer vor
allem, plötzlicli auf diesen Boden gestellt, sah sich in ein
ganz neues gesellschaftliches Element versetzt. Auch in seinem
Lande gab es Kreise, wo die Kunst um der Kunst willen ge-
pflegt ward, und das Schöne den Gegenstand lebhafter Unter-
haltung bildete. Der Hof Karls I. war dafür die rechte Stätte.
Das Sammeln von Antiken, die Bewunderang eines Gemäldes
von Rubens, die Kritik einer neuen Schöpfung Ben Jonson's:
Das alles gehörte nun ein Mal zum Dasein dieser vornehmen
Gesellschaft, die sich in Hamptoncourt und Whitehall be-
wegte. Der König se]l)st galt für einen der besten Kunst-
kenner. Der ganze Hofstaat und ein grosser Theil des hohen
Adels folgte dieser Richtung mit mehr oder weniger wahrem
Enthusiasmus und Verständnis, Stralford's Briefwechsel mit
seinen Hinweisungen auf Donne und van Dyck legt Zeugnis
dafür ab. Aber alles dies war Mie ein Privilegium der vor-
nehmen Welt. Durch selbstgesetzte Schranken von dieser
getrennt, schloss sich das ehrenwerthe, arbeitsame, puri-
tanische Bürgerthum um so strenger von der ästhetischen
Atmosphäre ab. Mit unennüdlichem Fleiss und praktischem
Geschick verrichtete es sein Tagewerk ohne eine andere Er-
holung zu suchen als die Ruhe des Sabbaths. Die Nation drohte
der Einseitigkeit zu verfallen, ihre Kraft im Kampf des Lebens
und in geistigen Sorgen zu verbrauchen, ohne durch allgemein-
menschliche Bildung entschädigt zu werden, die darauf ver-
zichtet, dem Bedürfnis des Augenblicks zu dienen. Die Ein-
seitigkeit der Italiener war eine andere. Sie schöpften den
leichten Schaum vom Becher des Schönen, ohne durch ener-
gische politische und bürgerliche Arbeit den Labetmnk ver-
dient zu hal)en. Aber dem aufs Ideale gerichteten Sinn Mil-
tons mochte dieses zunächst entgehn, und das Entzücken über
die feine Sitte, das geistige Streben, das liebenswürdige Ent-
gegenkommen der Florentiner nalun ihn ganz gefangen.
Er hatte das Glück vielen von ilmen nahe zu treten, die
sich durch Gelehi-samkeit und Bildung auszeichneten, aus
deren Zaiil er Jacopo Gaddi, Carlo Dati, Frescobaldi, Coltel-
Gaddi. — Coltellini. 269
lini, Buommattei, Chimentelli (Clementilli), Francini ausdrück-
lich hervorhebt (1).
Jacopo Gaddi aus einer florentiner Patriciei-familie war
unstreitig einer der ersten Schöngeister seiner Vaterstadt.
Seine lateinischen Gedichte (1628), seine „Allocutiones et
Elogia" (1636), sowie andere Erzeugnisse seiner Feder, die
später noch übertroffen wurden durch sein Werk „De Scripto-
ribus non Ecclesiasticis Graecis, Latinis, Italicis" (zwei Bände
1648, 1649) hatten ihm schon einen Namen gemacht. Durch
seine weitausgebreitete Bekanntschaft und Korrespondenz,
seine Theilnahme an der. Accademia Fiorentina u. a. war er
bereits eine beachtenswerthe literarische Persönlichkeit ge-
geworden. Aber seine eigentliche Stellung erlangte er erst
als Haupt seiner Akademie der „Svogliati". Ihre Sitzungen
wurden in seinem Hause gehalten, wo sich eine gute Biblio-
thek und Gallerie befand. Die schriftstellerischen und künst-
lerischen Grössen gehörten dem Klubb an, und sein Stifter
Hess nicht so leicht einen Fremden von irgend welcher Be-
deutung die Stadt passiren, ohne sich zu versagen, ihn ein-
zuführen.
Agostino Coltellini, dessen Familie ursprünglich aus Bo-
logna stänmite, nach dem Abschluss seiner Studien in Pisa
und Florenz, in dieser seiiler Geburtsstadt als Advokat an-
sässig, strebte gleichfalls nach dem Ruhme, als Gründer einer
neuen Akademie Unsterblichkeit zu erlangen. Ungleich mehr
für die schönen Künste als für sein Brodstudium begeisterte
begann er 1631 , mit seinem achtzehnten Jahr, Freunde und
Bekannte bei sich zu versammeln, um die langen Winter-
abende durch gemeinsame Uebungen in der antiken und vater-
ländischen Literatur, in Beredtsamkeit und Poesie zu erheitern.
Aus diesen Zusammenkünften, die lebhaften Anklang und viele
Nachahmungen fanden, erwuchsen zwei Gesellschaften. Die eine,
mit dem Titel „Universität", zur Pflege der strengen Wissenschaf-
ten bestimmt, die andere, die eigentliche „Akademie", in welcher
Abhandlungen über Gegenstände der Geschichte, Poesie, Er-
ziehung verlesen, ohne Leidenschaft kritisirt, in dichterischen
Improvisationen gepriesen wurden, Sonette, Oden, Kanzonen
270 Dati.
zur Deklamation kamen, und in leichtem Spiel des Geistes
auf sinnreiche Räthselfragen sinnreiche Antworten folgten.
Die ]\Iitglieder beider Gesellschaften hiessen bezeichnend die
„Apatisti''. Sie hatten genau ausgearbeitete Statuten, Cen-
soren, einen Präsidenten und maurerische Bezeichnungen.
„Ostilio Coutalgeni", so hiess Coltellini als Apatista, war in
dem Jahre, welches ]\Iilton nach Florenz führte, nicht Präsi-
dent der Gesellschaft. Dies Ehrenamt lag damals in der
Hand des „Udeno Nisieli", mit seinem bürgerlichen Namen
Benedetto Fioretti, der sich durch ästhetische und theologische
Schriften bekannt machte.
Unter ihm waltete als Sekretär der neunzehnjährige
Carlo Piuberto Dati („Currado Bartoletti") aus Florenz, ein
frühreifes Talent, von seiner Kindheit an mit Galilei bekannt,
schon in seiner Jugend wegen seiner rednerischen Gaben be
wundert. Im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts erwarb er
sich durch vielfache Schriften grossen Ruhm. Eine Samm-
lung ..Florentinisclier Prosaisten", Biographieen antiker Maler,
philologische, philosophische, naturwissenschaftliche Aldiand-
lungen. Reden, Gedichte, Briefe rühren von seiner Hand.
Alle Akademieen seiner Vaterstadt zählten ihn wohl zu ihren
Mitgliedern, in mehreren, wie in der Crusca und der Fioren-
tina bekleidete er ehrenvolle Posten. Auf Wunsch seines
Vaters widmete er sich zwar dem Geschäfte des Goldschlägers,
aber seine Neigung zog ihn innner wieder zu den Wissen-
schaften und Künsten zurück. Wie er später den Nikolaus
Heinsius mit Enthusiasmus aufnahm (^), so war sein Haus allen
gebildeten Fremden gastlich geöffnet, und seine hülfreiche
Hand jedem strebsamen Ausländer gewiss. Die ganze graziöse
Liebenswürdigkeit italienischen Naturells scheint in dem feu-
rigen Jüngling zum Ausdruck gekommen zn sein (2).
Mitglied aller genannten Akademieen, aber reifer an Jahren
als die Erwähnten war Benedetto Buommattei, 1581 in Florenz
gel)oren. Als Diener der Kirche hatte er in Rom, Venedig,
Padua gelobt. Seit der Mitte der zwanziger Jahi-e wii'kte er
literarisch und lehi-end in seinem engeren Vaterlande und
beschenkte die Welt mit einigen Schriften, von denen die-
Buommattei. Chimentelli. Franciui. Frescobaldi. 271
jenigen über die toskanische Sprache am meisten geschätzt
werden. In diesem Punkt war er Autorität. Erst 1643 er-
schien sein lange vorbereitetes Hauptwerk: „Della lingua Tos-
cana, libii due": eine Leistung, deren Werth durch die An-
zahl der Auflagen, die das Buch erlebte, vollgültig bezeugt
wurde (^). Valerio Chimentelli, geb. 1620 in Florenz, hatte
gleichfalls schon einen gewissen Ruf. Seine Studien drehten
sich mehr um die Literatur der Alten, wie er denn später in
Pisa einen Lehrstuhl des Griechischen, dann der Beredtsamkeit
und Politik inne hatte. Francini dagegen glänzte in den
Akademieen seiner Vaterstadt durch Poesieen in der IVIutter-
sprache, und auf diesem Felde wird auch Frescobaldi, ein alter
Freund Coltellini's sich mühelos Lorbeeren erworben haben.
Von allen Genannten scheint sich keiner enger an Milton
angeschlossen zu haben als Carlo Dati. Mit ihm hat er noch
nach Jahren in Briefwechsel gestanden, ihn erwähnt er zu-
gleich mit Francini in seinem lateinischen Gedicht Epitaphium
Damonis v. 137, und Dati war auch der rechte Mann, den
schönen, redegewandten Fremdling überall einzuführen. Vor
allem zu den „Apatisti" und „Svogliati" wird er so Zutritt
erhalten haben, denn diese mögen vorzüglich unter den Privat-
Akademieen zu verstehn sein, die er, nach eignem Zeugnis,
häufig besuchte (^). Da lernte er, von einem Cirkel zum an-
dern geführt, kennen, was Florenz an literarischen Grössen
in sich barg, da hörte er die jüngsten Erzeugnisse der Muse
seiner neuen Freunde und sass mit den andern über ihnen
zu Gericht. Aber er selbst wurde gedrängt , sich an den
dichterischen Wettkämpfen zu betheihgen, und er Hess sich
nicht lange bitten. Konnten sie seine englischen Verse
nicht verstehn, so hatte er doch mit poetischen und pro-
saischen Jugendversuchen in lateinischer Sprache aufzuwarten,
die ihm im Gedächtnis geblieben waren. Und er entschloss
sich sogar trotz fehlender Bücher und Müsse einiges andere
„zusammenzustöppeln", vermuthlich doch gleichfalls in latei-
nischer oder griechischer Sprache, welches nicht in seine
Werke aufgenommen zu sein scheint (^).
Die Italiener, und vor allen die akademischen Dilettanten
272 Buommattei. Chimentelli. Francini. Frescobaldi.
der damaligen Zeit, waren mit Lobsprüchen niemals geizig^
aber eine Ode Francini's und ein lateinischer Brief Dati's^
vernnithlich ein Stammbuchblatt oder das Begleitschreiben
für eine freundliche Gabe des Andenkens, gehen in liombasti-
schen Ausdrücken des Entzückens und der Bewunderung über
das gewöhnliche Mass fast hinaus. Francini preist England,
das wogenumgürtete, die Heimat übermenschlicher Heroen, in
deren Brust die verbannte Tugend ein Asyl findet. Von dort
ist der Wanderer gekommen, einzig nach Kunst und Wissen
begierig. Aus den Besten wählt er überall die Besten aus,
ihrer eignen Sprache kundig. Für ihn hat Jupiter bei
Babels Thurmbau die Sprachen nicht verwirren können, denn
er beherrscht nächst seiner Muttersprache das Idiom Spaniens
Frankreichs, Tusciens, Griechenlands und Roms. Er durch-
schaut die tiefen Geheimnisse der Natur in Himmel und Erde
und erreicht dabei das höchste Ziel eines sittlichen Charak-
ters. Die Zeit hat für ihn keine Schwingen, denn seinem
Gedächtnis ist gegenwärtig, was Sanges- und Geschichtswür-
diges war. — Francini verzichtet zuletzt darauf, das Lob des
Besungenen würdig zu preisen, wenn er an dessen eigne dich-
terische Gaben denkt:
Dammi tua dolce cetra,
Se vuoi ch' io dica del tuo dolce canto,
Ch' inalzaudoti all' Etra
Di farti uomo Celeste ottiene il vanto;
II Tamigi il dirä che gl'e concesso
Per te, suo cigno, pareggiar Permesso(').
Carlo Dati nimmt den Mund nicht weniger voll. Sein Schrei-
ben wendet sich ,,an den Jüngling, der auf Reisen viele,
durch Studium alle Gegenden der Erde erschaut hat, der,
wie ein neuer Ulysses, überall alles von allen lernen will, an
den Sprachbeherrscher, in dessen Mund todte Lliome der Art
zum Leben erwachen, dass sie alle zu arm für sein Lob er-
scheinen, . . . dessen Gedächtnis die ganze Welt umfasst, in
dessen Kopf die Weisheit, in dessen Willen das glühende Ver-
langen nach Ruhm, in dessen Mund Beredtsamkeit; der mit der
Astronomie als Führerin die harmonischen Klänge der himm-
Malatesti. 273
lischen Sphären (i) belauscht, der an der Hand der Philoso-
phie die Zeichen der Naturwunder entziffert, welche die Grösse
Gottes darstellen, der durch eifriges Studium der Schriftsteller
die Geheimnisse des Alterthums, die Ruinen der Vergangen-
heit, die Labyrinthe der Wissenschaft erforscht, wiederher-
stellt, durchschreitet etc. (2).
Francini wie Dati legen neben der Betonung von Milton's
linguistischen Kenntnissen ein besonders starkes Gewicht
auf seine naturwissenschaftliche Bildung, durch die er sich
den Zeitgenossen Galilei's vorzüglich empfehlen konnte. Neben
diesen beiden wollte ein -anderes hervorragendes Mitglied die-
ser akademischen Kreise in der Huldigung gegenüber dem
feingebildeten, anmuthigen „Fremdling vom fernen Ufer des
Oeeans" nicht zurückbleiben. Es war Antonio Malatesti, schon
damals, noch vor Herausgabe seiner „Sfinge" sowie anderer
Poesieen, als Dichter bekannt, als Maler nicht ungeschickt,
durch mathematische Kenntnisse ausgezeichnet und durch ein
Sonett Galilei's geehrt. Er glaubte dem Gaste, dessen ästhe-
tische Neigungen ihm schwerlich genau bekannt waren, eine
Ehre zu erweisen, indem er ihm eine Reihe von Sonetten im
Manuscript widmete, welche als au eine ländliche Schöne (,,La
Tina") gerichtet gedacht waren und unter einer anständigen
Hülle höchst derbe Zweideutigkeiten verbargen. Der Titel
seines Werkes lautete: „La Tina: Equivoci Rusticali di An-
tonio Malatesti, composti nella sua Villa di Tajano il Settembre
dell anno 1637: Sonetti Cinquanta: Dedicati all' 111. Signore
et Padrone Onoratissimo Signor Giovanni Milton, nobile
Inghlese". Das Manuscript, von Milton in die Heimat zurück-
gebracht, hatte eine eigenthümliche Geschichte, bis es an's
Licht der Oeffentlichkeit gelangte (^).
So mancherlei Beweise freundlichen Entgegenkommens,
so herzliche Zeichen gastfreien Sinnes konnten auf ^Milton's
empfängliches Gemüth nicht ohne Eindruck bleiben. Es war
sicher mehr als ein banales Kompliment, wenn er dem Bene-
detto Buommattei in einem noch in Florenz (10. September
1638) geschriebenen Briefe gesteht, das alte Athen, das alte
Rom verschwinde ihm neben Florenz, und er sei geradezu ver-
Stern, Milton n. s. Z. I. 1. 18
274 Brief au Buommattei.
liebt in die Italiener (^). Auch sonst zeigt dieser ausser-
ordentlich fein durchdachte und gewandte Brief ein verständ-
nisvolles Eingehen auf die Bestrebungen jener florentiner
Kreise , vor allem aber auf diejenigen Studien , welche sich
Buommattei zur Lebensaufgabe gemacht hatte , und deren
Werth Milton vollauf beurtheilen konnte. In ihm selbst war
unzweifelhaft eine bedeutende philologische Ader. Mit den
Sprachen der alten wie der modernen Völker hatte er sich
seit jeher eifrig beschäftigt, auch das Idiom der Menschen,
unter denen er damals weilte, war ihm so wohl bekannt, dass sie
selbst darüber erstaunten. Nichts Erwünschteres konnte ihm
begegnen, als in Buommattei einen Mann zu treffen, der die
Gesetze dieser Sprache zum Gegenstande seiner eindringenden
Forschung gemacht hatte und eben an ein grösseres Werk
über diesen Gegenstand die letzte Hand legte. Er wünscht
ihm Glück zu seinem Unternehmen, das dem Staate und der
Bürgerschaft zu Paihm und Vortheil gereichen werde. Zu-
gleich bittet er ihn aber, zu Nutz und Frommen der lernbe-
gierigen Ausländer einen Anhang über die richtige Aussprache
des Italienischen hinzuzufügen und, — wie er schon im münd-
lichen Gespräch über diese Frage öfter hervorgehoben, —
eine Liste der vorzüglicheren Tragödien- und Komödien-
Dichter, Briefsteller, Dialogiker, Geschichtschreiber zu ent-
werfen, die den allbekannten grossen Autoreu der toskanischen
Mundart sich anschliessen. In schöner Weise lässt er sich
über den Werth der Reinheit der Sprache und ihrer Pflege
vernehmen: „Nach meiner Meinung gebührt dem Manne der
höchste Ruhm, der seine Mitbürger zu einem gesitteten Zu-
stand überzuführen und durch die Weisheit seiner Gesetze in
Krieg und Frieden zu leiten weiss. Aber die zweite Stelle
räume ich dem ein, welcher die Art und Weise des Sprechens
und Schreibens, die aus guter alter Zeit überliefert worden,
in seinem Volk durch Regel und Vorsclirift zu festigen strebt. ..
Vergleichen wir die heilsamen Leistungen beider, so dürfen
wir sagen: der eine giebt der bürgerlichen Gesellschaft Recht
und Gesetz, der andei-c den schönen Schnuick feiner Bildung.
Der eine erweckt hohen Muth und stolze Entschlossenheit
Brief an Buommattei. — Galilei. 275
gegen den Landesfeind, der von aussen angreift, der andere
bekämpft durch kluge Zucht der Sprache und die Hülfsschaar
guter Schriftsteller den schlimmen Feind, der im Inneren der
Menschenseelen haust und die Geister verwüstet: die Bar-
barei. Man halte es nicht für gleichgültig, ob ein Volk rein
oder unrein, und wie es überhaupt täglich zu reden pflegt . . .
denn Worte, ohne Sinn und Geschmack gebraucht oder falsch
und schlecht ausgesprochen, deuten sie nicht stark auf die
Stumpfheit und Trägheit von Geistern, die für die Knecht-
schaft reif sind ? Aber nie ist uns von einem Reiche oder von
einem Staate berichtet worden, der nicht wenigstens so ziem-
lich geblüht hätte, solange seine Bürger noch ihre Sprache
liebten und rein hielten."
Der ganze Brief macht fast den Eindruck, als sei er auf
Buommattei's Wunsch niedergeschrieben worden, gleichsam als
Zusammenfassung aller der Gedanken, die Milton ihm gegen-
über ausgesprochen hatte, und die er bei seiner Arbeit ver-
werthen konnte (^).
Alle die genannten fiorentiner Freunde waren feine Na-
turen, strebsame Geister: ein grossartiges Genie war nicht
unter ihnen. Aber ein solches, eine der ersten Zierden des
ganzen italienischen Volkes, lernte Milton kennen. Noch lebte
Gahleo Galilei. Nachdem die römische Inquisition ihn wegen
seiner ketzerischen Ansichten über die Bewegung der Erde
1633 verurtheilt und zur Abschwörung derselben gezwungen
hatte, war er zuerst in einer Villa des Grossherzogs von Tos-
kana bei Rom, darauf in Siena internirt worden, bis man ihm
Ende 1633 gestattet hatte, sich nach seinem Landgut bei
Arcetri in der Nähe von Florenz zurückzuziehn. Er bat um
Erlaubnis, nach Florenz übersiedeln zu dürfen, um sich
dort ärztlich behandeln zu lassen, die Bitte wurde ihm am
23. März 1634 abgeschlagen. Seine Lieblingstochter, Maria
Celeste, wie sie mit ihrem Klosternamen hiess, wurde ihm
durch den Tod entrissen. Vergeblich bemühten sich einfluss-
reiche Personen um seine Begnadigung. Inzwischen blieb er.
leidend und gebrochen wie er war, unausgesetzt thätig. Nach
wie vor durchforschte er Nachts die Räume des Himmels mit
18*
276 Galilei.
den weittragenden Werkzeugen, an deren Ausbildung er selbst
so grossen Antheil hatte. Noch in dieser letzten Zeit hatte
er die Libration des Mondes entdeckt. Seine wissenschaft-
liche Korrespondenz riss nicht ab. Aber schon begann das
Lieht seiner Augen völlig zu erlöschen. Erst da erhielt er,
„mehr einem Leichnam als einem lebenden Menschen gleich"
und völlig erblindet, im März 1638 Freiheit, in sein Haus
nach Florenz zurückzukehren. Bei Strafe lebenslänglicher
wirklicher Einkerkerung und Exkommunikation war es ihm
verboten, in die Stadt auszugehen und mit irgend jemandem
über seine verurtheilten Ansichten zu sprechen. Beständig
überwachte ihn die Inquisition. Erst ausdrückliche Erlaubnis
verstattete ihm während des Osterfestes den Gang in eine
nahegelegene Kirche. Ein Besuch, der ihm zugedacht war,
wurde verboten, soferne die Persönlichkeit ketzerisch oder
aus einem ketzerischen Lande sei. Selbst im Falle der Be-
sucher aus einem katholischen Lande komme und der katho-
lischen Religion angehöre, sollte die Lehre von der doppelten
Erdbewegung nicht im Gespräche berührt werden. Auch P.
Castelli, der treue Schüler Galilei's, erhielt nur unter dieser
Bedingung Erlaubnis, den Meister hie und da aufzusuchen.
Indessen konnten doch in Florenz ansässige deutsche Kauf-
leute dem kranken Gelehrten Namens der holländischen Re-
gierung einen Brief und eine goldene Kette, deren Annahme
er freilich weigerte, persönlich übergeben.
Da die Annäherung an Galilei in Florenz so sehr er-
schwert war, wird es sehr zweifelhaft erscheinen, ob Milton
ihn in der Stadt selbst hat kennen lernen. Allerdings konnte
Dati am ehesten eine solche Bekanntschaft vermitteln. Allein
er mag es für rathsam gehalten haben, eine Gelegenheit ab-
zuwarten, die den Zutritt des ketzerischen Fremdlings zu dem
blinden Greise erleichterte. Galilei begab sich während des
Sommers 1638 mehrmals nach Arcetri und P]nde 1638 kehrte
er, aus welchem Grunde auch immer, für den Rest seines
Lebens nach seiner dortigen Villa zurück. Vielleicht erst
nach dieser Uebersiedelung Galilei's, während seines zweiten
Aufenthaltes in Florenz, ist Milton seiner ansichtig geworden.
Galilei. 277
Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er auch den Sohn Vincenzo
Galilei, des Vaters Pfleger und Gehülfen, kennen gelernt;
wenigstens sendet dieser später durch Dati mit anderen John
Milton seinen Gruss.
Jedenfalls kann darüber kein Zweifel sein: der Besuch
bei dem grössten der damaligen Italiener hat einen mächtigen
Eindruck auf jMilton gemacht. Mit Stolz erzählt er nach
Jahren (1644) in seiner Schutzschrift für die Freiheit der
Presse beim Anlass seiner Erinnerung an Italien: „Dort fand
und besuchte ich den berühmten Galileo, er war alt gewor-
den, in Haft der Inquisition, weil er in der Astronomie anders
gedacht hatte, als die Franciskaner und Dominikaner Cen-
soren dachten" (^). Und im „verlorenen Paradies" kehren mehr-
fache Anspielungen auf Galilei wieder. Nicht nur der Märtyrer
der Wahrheit, der grosse Naturforscher war es, der zumeist
die Theilnahme dessen wecken musste, dem ja auch die floren-
tiner Freunde etwas überschwänglich nachrühmten, dass er
verstehe, die Zeichen der Naturwunder zu entziffern, dessen
von Bacon'schem Geist durchhauchte Jugendversuche mit sol-
chem Entzücken von der Vorstellung reden, „das Wesen des
Himmels und der Gestirne zu erfassen", „die kleinsten Sterne
zu betrachten, so viele ihrer zwischen den beiden Polen sicht-
bar sind". Der grosse Astronom und seine Beschäftigung
tauchen vor dem Gedächtnis des Dichters auf, während er
Himmel, Hölle und Paradies mit seinen Gestalten bevölkert.
Die Erwähnung von Satans rundem Schild führt ihn (I. 286 ff.)
zu einem grandiosen Vergleich mit
des Mondes Scheibe,
Wann sie durch's Glas Toskaniens Künstler sieht
Des Abends von Fiesole's Gebirg
Und in Valdarno, neues Land entdeckend
Sammt Fluss und Bergen auf dem fleckigen Kreise.
An einer anderen Stelle (V. 262) nennt er sogar, etwas skep-
tisch in seinen Ausdrücken, den Namen des Astronomen:
So wie bei Nacht
Das Glas des Galilei, minder sicher.
Vermeinte Länder in dem Mond entdeckt (2).
278 Galilei.
Aber auch eine dritte, gewöhnlich weniger beachtete Stelle
des „verlorenen Paradieses" scheint nicht ausser Zusammen-
hang mit dem Andenken des italienischen Gelehrten zu stehn.
Es ist der Beginn des achten Buches, wo Adam seine Zweifel
darüber ausspricht, dass die Erde stillstelm soll, die übrigen
Gestirne sie umkreisen (VIII. 15 ff.):
Erblick' ich dieser Welt erhabnen Bau,
Den Himmel sammt den Sternen und erwäge
Die Grösse beider, — diese Erde nur
Ein Fleck, ein Sandkorn, ein Atom, verglichen
Mit jenem Firmament, so voll von Sternen,
Die zahlreich unbegreiflich weite Räume
Durchrollen müssen, (denn dies zeigt ihr Schwinden
Und ihre schnelle Rückkehr Tag für Tag),
Und nur der dunklen Erde Licht zu leihn
Für Tag und Nacht, dem einen winzgen Punkt,
Sonst völlig nutzlos in dem grossen Plan, —
Oft staun' ich dann, warum die sorgsam weise
Natur ein solches Missverhältnis litt:
So viele Körper mit Verschwenderhand
Zu schaffen, die doch edler sind und grösser,
Zu diesem einen Zweck; von ihren Sphären
Rastlosen Kreislauf fordern Tag für Tag,
Indess die Erde ruhig weilt, die doch
In kleinerem Kreis sich leicht bewegen könnte ;
Die ohne Regung so ihr Ziel erreicht,
Bedient von edler'n Wesen als sie selbst,
Und als Tribut unzähliger Tagereisen,
Mit Schnelligkeit, die sich nicht messen liisst,
Ihr dargebracht, Wärme wie Licht emp längt.
Die langathmige Antwort, welche der Erzengel Raphael
unserm wissbegierigen Urahn ertheilt, ist höchst bemerkens-
werth. Sie ist es nicht eben wegen der moralischen Betrach-
tung, dass „Glanz und Grösse" nicht den Masstab für die
Beurtheilung des wirklichen Werthes abgeben dürfen, und
dass also die Erde, „wenn auch klein und glanzlos", vielleicht
mehr „echtes Gutes" in sich bergen könne als die Sonne,
„die (»de leuchtet". Sie ist es vielmehr wegen der astrono-
mischen Theorie, zu deren Dolmetsch der himmlische Bote
sich macht. Er geht allerdings davon aus die Zweifel zu be-
Galilei. 279
antworten, die Adam ausgesprochen hat. Aber er benutzt
diesen Anlass, um die Gedanken seines Zuhörers noch weiter
zu führen. Bei der einen Bewegung der Erde, die dieser als
möglich angedeutet hatte, bleibt er nicht stehn. Er entwickelt
die Grundzüge des kopernikanischen Systems, nachdem er
des ptolemäischem mit sichtlichem Spott gedacht hat. Gott
., belächelt — nach seinen Worten — die spitzfindigen Mei-
nungen" der Menschen,
Wenn sie entwerfen einen Himmelsriss,
Der Sterne Lauf berechnen und Systeme
Erfinden um sie wieder einzureissen,
Auf neue denken, um den Schein zu retten,
Mit ihren Linien des Himmels Kugel,
So centrisch wie excentrisch rings umgürten,
Cyklen und Epicyklen, Kreis' in Kreisen.
Er wirft dagegen die Idee hin:
Wie, wenn die Sonne Mittelpunkt
Der Welt, und andre Sterne, angezogen
Durch sie und durch sich selbst zugleich getrieben,
In mannichfacheu Kreisen sie umwandeln?
Den irren Lauf bald hoch, bald niedrig gehend
Bald vor- bald rückwärts und bald stille stehend
Siehst Du an sechsen schon, wie wenn vielleicht
Der siebente Planet die Erde wäre,
So fest sie auch erscheint, und doch unmerklich
In dreifach unterschiedner Art bewegt?
Der Erzengel hütet sich, dies als sicher hinzustellen. Er
erklärt :
Gott schuf, um seine Wege zu entziehn
Dem Menschensinn, den Himmel von der Erde
So fern, dass leicht der ird'sche Blick sich täuscht
Und nichts gewinnt, versteigt er sich zu hoch.
Er räth dem Adam, sich nicht mit dem Nachdenken über
„verborgene Gegenstände" zu quälen, diese Dinge Gott zu
überlassen, ihm zu dienen und „sich des Paradieses und seiner
schönen Eva zu freuen". Adam ist damit zufrieden, er will
das süsse Dasein nicht mit Grübeleien verderben. ,,Zu wissen,
was im Leben täglich vor uns liegt, ist höchste Weisheit".
So nuiss der Mensch vor dem Sündenfall sprechen. Erst
dieser „Piiesenschritt in der Geschichte der Menschheit" ruft
280 Galilei. — Rom.
die Forschung hervor. Für einen Kopernikus oder Galilei ist
freilich kein Platz im Paradiese. Aber auffällig bleibt es
doch, dass der Erzengel Raphael auch von Land und Feldern
auf dem Monde spricht, als hätte er, freilich mit starker
Phantasie, die sich bis zur Ausmalung von Wolken auf-
schwingt, durch ein Galilei'sches Fernrohr geselin, auffäUig
nicht minder, dass er „von anderen Sonnen mit ihren Mond-
Trabanten" (v. 148: „and other suns perhaps with their atten-
dant moons thou wilt descry") redet, als wäre ihm Galilei's
Entdeckung der Jupiters- Monde bekannt gewesen. — So
lange wirkte die Erinnerung an den Weisen vom Arno in
Milton's Seele nach(^).
Mit Befriedigung konnte er auf die acht Wochen seines
Aufenthaltes im schönen Florenz zurückblicken, als er, etwa
gegen Ende September, nicht lange nach Abfassung jenes
Briefes an Buommattei, diese Stadt verliess, um über Siena
seinen Weg nach Rom zu nehmen. Wiederum ungefähr zwei
Monate (etwa Oktober und November 1638) wurde hier Stand-
quartier gemacht, eine Zeit, fast zu kurz für den klassisch
gebildeten, in der Geschichte so wohl bewanderten Reisenden,
der in wenig Wochen die alte Aufgabe lösen sollte, dies ewige
Rom und alle seine grossen Erinnerungen und Monumente
mit echt englischer Gewissenhaftigkeit in sich aufzunehmen {^).
Ueber den Trümmern des alten Rom hatte sich das neue
Rom zu stolzer Schönheit erhoben und nahm mit all' dem
glänzenden Schmuck der Renaissance, mit dem ganzen pomp-
haften Apparat der neukatholischen Kirche, mit dem auf-
dringlichen bunten Leben auf Markt und Gasse Auge und Ohr
des nordischen Wanderers gefangen. Die Namen Raphael
und Michel Angelo erhielten erst hier für ihn ilire volle Wahr-
heit. Die Spuren der umwälzenden wie schöpferischen Bau-
thätigkeit der Kirchenfürsten des sechzehnten Jahrhunderts
waren auf Schritt und Tritt zu verfolgen. St. Peter, an dessen
Riesenbau erst kürzlich Maderna's Hand durch Bernini's ab-
gelöst worden, war 1626 feierlich geweiht. Eine Fülle neuer
Kirchen und Paläste war dem Boden entstiegen. Aber schon
war man in's Zeitalter des Barockstils eingetreten, die ent-
Rom. 281
fesselte Laune begann die reinen Formen zu verbilden und,
wie in der schönen Literatur, durch üppige Verschnörkelung
und dekorative Ueberladung auf den täuschenden Effekt hin-
zuarbeiten.
Die Regierung des Kirchenfürsten, welcher damals die
dreifache Krone trag, Urban's VIU. (1623 — 44) hatte den
Charakter der Hauptstadt um weniges geändert (^). Sie war
und blieb auch äusserlich der Mittelpunkt einer noch immer
grossartigen, weltumspannenden Macht, geschmückt mit dem
Schimmer so vieler geistlicher Hofhaltungen, deren Häupter,
die Kardinäle, wetteifernd mit ihrem Oberhaupte als ]Mäcene
von Kunst und Wissenschaft zu glänzen liebten. Höchstens
ein neues Element war hinzugetreten. INIaffeo Barberino, dies
war Urban's VIII. ursprünglicher Name, wie er eigenwillig und
selbstbewusst während des dreissigj ährigen Krieges gegen das
Haus Habsburg eine selbstständige politische Rolle zu spielen
versuchte, war auch sehr darauf bedacht seine Hauptstadt
durch bedeutende kriegerische Anstalten zu sichern. Die Be-
festigungen der Stadt auf dem rechten Tiber-Ufer wurden auf
sein Geheiss verstärkt, vor allem nach 1626 die Basteien der
Engelsburg in Angriff genommen, die auf der Landseite das
von der eigentlichen Burg gebildete Quadrat umschlossen, um
später durch neue noch stärkere Vertheidigimgsmittel ver-
mehrt zu werden. Uebrigens aber zeigte sich auch Urban VHL,
welcher seine eignen lateinischen Gedichte drucken Hess, ge-
lehrten und künstlerischen Bestrebungen nicht minder glmstig
wie rein geistlichen. Er errichtete das Kollegium der Propa-
ganda, welches den künftigen Missionären aller Länder ein
Asyl bot, er sorgte für die Ausbreitung des christlichen Glau-
bens in Afrika, aber auch eine stattliche Reihe von Kirchen
und Klöstern wurde unter ihm erneut oder geschaffen, wie
SS. Domenico e Sisto, S. Concezione, S. Niccolö da Tolen-
tino, S. Francesco dl Paola etc., das Monument der Mark-
gräfin Mathilde in S. Peter errichtet, die vatikanische
Bibliothek bereichert (2). Der Palazzo Barberini mit Bernini's
gewundener Treppe trägt seinen Namen. Freilich liegieng er
auch die Barbarei die Bronce - Ornamente der Decke des
282 F. Barberiui.
Pantheon fortzunehmen, um sie zum Guss von Kanonen der
Engelsburg und zur Verfertigung des plumpen Altar-Taber-
nakels der Peterskirche zu verwenden, ^Yas seinem Geschlecht
den beissenden Denkvers eintrug:
Quod non feceruut Barbari, fecore Barberini.
In der That arbeiteten Urban's Verwandte mit ihm selbst
durchaus in gleicher Richtung. Nie zuvor hatte der Nepotismus
so in Blüthe gestanden wie damals. Mehr noch als die Peretti,
Aldobrandini, Borghese, Ludovisi verstanden es die Barberini
das hohe Amt eines der ihrigen für sich auszubeuten und, durch
Geld und Ehren bereicliert, eine festgeschlossene aristokratische
Genossenschaft zu bilden. Im Laufe von Urban's Regierung
soll seine Familie durch die Summe von 105 Millionen Scudi
bereichert worden sein, deren Höhe indess Zweifel an ihrer
Richtigkeit erweckt hat. Viele von seinen Verwandten ge-
langten zu grossem Einfluss und hoher Stellung. Sein jüngerer
Bruder Antonio ward Kardinal, sein älterer Don Carlo General
der Kirche. Dessen drei Söhne schwangen sich gleichfalls
empor. Der mittlere Don Taddeo erhielt die Würden des
weltlichen Nepoten und hatte schon 1635 ein Jahres-Einkommen
von 100,000 Scudi. Seine Brüder Antonio und P^rancesco sassen
wie ihr Oheim im Kardinals -Kollegium. Von diesen hatte
keiner so grossen Einfluss auf den Pabst wie der zuletzt Ge-
nannte, Francesco, dessen geschmeidiges und bescheidenes Na-
turell sich sowohl nach oben den Launen des Oheims zu fügen
wie nach imten zahlreiche Freunde zu gewinnen wusste. Der
Kardinal Francesco Barberini war der Gönner aller Künstler
und Gelehrten. Er hatte eine bedeutende Bibliothek gegründet,
sein Palast war der Sammelplatz der wissenschaftlichen und
schöngeistigen Welt des damaligen Rom. Auch ein Deutscher
stand als sein Sekretär zu ihm in nahem Verhältnis, ein Mann,-
dessen Name einen guten Klang hatte und weit über das Weich-
bild von Rom hinaus l)erühmt war. Es war Lucas Holsten,
latinisirt Holstenius, der 1596 in Hamburg geboren und als
Protestant erzogen worden war. Er hatte in Leyden Philo-
logie und Arzneikunde studirt, Italien und England bereist
und sich von 1622 — 25 in Oxford und London aufgehalten.
Holsteuius. 283
In Paris war er mit dem Kardinal Barberini, der als Legat
dort weilte, bekannt geworden und hatte sich bewegen lassen
zum Katholicismus und in seine Dienste überzugehen. Seit
1Ö27 lebte er, als einer der Vorsteher der Vatieana, in Rom.
Seine Edition des Porphyrius und anderer griechischer Autoren
hatte ihm hohen Ruhm eingebracht, in seinem Amte war er,
namentlich als Kenner und Sammler griechischer Codices
unschätzbar. Dazu stand er, ein vielgereister Mann und
eifriger Korrespondent, inmitten der grossen Gelehrten-Repu-
blik und zählte Männer wie Grotius, Heinsius, Vossius zu
seinen Bekannten (^).
Milton hatte das Glück diesem Manne näher zu treten.
Es läge nicht fern zu vermuthen, dass Hugo Grotius ihn an
Holstenius gewiesen, wie der grosse Jurist diesem schon früher
zwei reisende Freunde empfohlen hatte, im Vertrauen „auf seine
deutsche Treue". Indess jNIilton selbst in einem später an
Holstenius geschriebenen Briefe deutet an, dass er die werth-
volle Bekanntschaft mit dem Bibliothekar der Vatieana einem
gewissen Alexander Cherubini verdankte, einem gelehrten
jungen Römer, mit dem vielleicht die florentiner Freunde in
Verbindung standen (^). Er kann nicht genug rühmen, wie
freundlich Holstenius ihn aufgenommen, als er ihn im Vatikan
aufsuchte. Er führte ihn in die inneren Räume, zeigte ihm
die kostbare Büchersammlung, Hess ihn seinen Reichthum
griechischer Handschriften, zum Theil mit eignen Anmerkungen
versehn, bewundern und verabschiedete ihn reich beschenkt
mit zwei Exemplaren einer jener griechischen Ausgaben, die
er veranstaltet hatte. Aber er begnügte sich nicht damit,
sondern that noch mehr. Sein Herr und Gönner, Francesco Bar-
berini, hatte die Engländer, welche Rom berührten, ganz be-
sonders unter seinen Schutz genommen. Er genoss die Gunst
der Königin Henrietta ]\Iaria, der er einst eine goldene ge-
weihte Rose überbracht hatte. Die Söhne des Sekretärs Winde-
bank sind entzückt von der Aufnahme, die sie bei Barberini
gefunden haben, ein anderer reisender Engländer nennt ihn
im März 1639 mit Begeisterung „den feinsten Gentleman in
der ganzen Welt" und weiss von sehr annehmbaren Zeichen
284 Leouoi-a Baroui.
jenes Wohlwollens zu erzählen, die in einer Epoche wachsen-
der Konversion wohl nicht immer so unschuldig gemeint waren
wie sie aussahen (^). Durch Holstenius wurde der Kardinal
auf ]Milton aufmerksam gemacht und erzeigte sich gegen ihn
A'on derselben anmuthigen Zuvorkommenheit, die man an dem
einflussreichen Kirchenfürsten überhaupt zu rühmen wusste.
Bei Gelegenheit einer jener musikalischen Unterhaltungen,
die er dem Publikum mit grossem Prunk in seinem Palast zu
geben pflegte, gieng er dem englischen Fremdling bis an die
Thüre entgegen, suchte ihn aus dem Gedränge heraus und
geleitete ihn an seiner Hand in der ehrenvollsten Weise in
die festlichen Räume. Am folgenden Tage machte Milton zum
Zeichen des Dankes seine Aufwartung. Wiederum verschaffte
Holstenius ihm Zutritt und Gelegenheit, mit dem hohen Würden-
träger der Kirche ein langes Gespräch zu führen. Genug:
Man war so herablassend wie möglich gegen den liebenswürdigen
Ketzer vom fernen Inselreich. — Ohne Zweifel trat ihm auch
im Palaste Barberini's jene Leonora Baroni entgegen, deren
Erscheinung einen nicht geringen Eindruck auf den Dichter
machte. Sie war die Tochter der Adriana von Mantua, die
man nur die „Schöne" nannte; beide gehörten zu den berühm-
testen Sängerinnen ihrer Zeit, zusammen mit Caterina, Leo-
noi'a's Schwester, l^ildeten sie das vollkommenste Terzett, das
man höi'en konnte. Leonora gebührte vor allem der Preis.
Sie wai- nicht so schön wie ihre Mutter, aber anmuthig, sitt-
sam und vom feinsten Verständnis für ihre Kunst durchdrungen,
so dass sie sich selbst an eigene Kompositionen wagte. Wer
sie gehört hat, wie sie sich von ihrer Mutter mit der Laute
von ihrer Schwester mit der Harfe begleiten Hess, oder wie
sie sell)st die Theorbe zum Gesänge schlug, schildert den hohen
Genuss in entzückten Worten. Es regnete Kanzonen und
Sonette zu ihrem Preise, ein ganzes Bändchen mit griecliischen,
lateinischen, italienischen, französischen, spanischen Gedichten,
ihrem Ruhme geweiht, wurde in Rom gedruckt (^). Auch
Milton brachte ihr den Triljut seiner Huldigung dar. Von
seinen lateinischen Epigrammen sind drei, so fein gedacht wie
gefoiint, der Sängerin gewidmet (^). Die beiden letzten mögen
Leonora Baroni. 285
erst nach seiner Rückkehr von Neapel gedichtet sein, wenig-
stens können dafür sprechen die Anspielungen auf die Grotte
von Posilippo, die Erinnerung an die Sirene Parthenope, die
nach des Dichters Meinung in Leonora Baroni fortlebt, und
an jene andere Leonora, deren Reize Tasso zum Wahnsinn
getrieben haben sollen. Das erste Epigramm, von solchen
geschichtlichen und lokalen Bezügen frei, ist eben deshalb
vielleicht am zartesten empfunden:
Jeglicliem Meuschen zu treuem Geleit, o glaubt es ihr Völker,
Ward aus den himmlisclien Höhn gütig ein Engel gesellt.
Höher fürTrahr denn alte bist du Leonore begnadet,
Denn aus deinem Gesang redet vernehmlich ein Gott.
Ist es nicht Gott, so ist es ein andres himmlisches Wesen,
Welches den Busen durchdringt heimlich mit zaubrischer Macht,
Zaubrischer Macht gelingt es die sterblichen Saiten der Stimme
Zu der Fülle und Kraft ewigen Wohllauts zu weihn.
Jener göttliche Hauch, der alle Geschöpfe beseelet,
Schweigend beseelet er sie: Sprache gewinnt er in dir.
Liebert, an dessen Werk (S. 45) ich mich bei dieser Ueber-
tragung einigermassen angeschlossen habe, macht die feine,
wenn auch vielleicht etwas zu weit gehende Bemerkung, „es
gehe aus Milton's Berichten über seine Reise, wie auch sonst
aus seinen Schriften hervor, dass er an der tönenden Kunst
eine reinere Freude gefunden habe als an der bildenden. Ob-
wohl er Grieche genug w\ar, um den Werth der letzteren
lebendig zu empfinden, so war er doch zu sehr Protestant,
um nicht zu erkennen, dass das neue von den Päbsten ge-
pflegte Heidenthum mit seiner lächelnden, schmeichelnden,
lockenden Schönheit auch seine sehr gefährliche Seite hatte.
Als er daheim, im puritanischen England sein Gedicht „il
Peuseroso" schrieb, da war ihm die holde Bildnerkunst des
Südens Gegenstand der Sehnsucht, hier aber in Italien merkte
er bald, dass ihr Reiz zum Gifte werden und ein ganzes Volk
zu weicher Sinnlichkeit, zu gedankenlosem Leichtsinn, zu
unmännlicher Trägheit verführen könne. Die Musik dagegen
hielt er für das, was sie in Wahrheit ist, für die eigenthüm-
liche Kunst der christlichen Welt: ihr flüssiges Element schien
ihm am besten geeignet, dem Geiste zu folgen, der sich in
286 Leonora Baroui. — Doni. Salsillus.
seine eignen Tiefen versenkt. Der Himmel, den er uns später
in seiner grossen Dichtung aufscliliesst, hallt wider von Harfen-
spiel und Chorgesang, dagegen befinden sich vortreffliche Bau-
meister, Bildhauer und Maler unter den Bewohnern seiner
Hölle". Ist auch in diesen Worten etwas mehr über die italie-
nischen Reiseeindrücke vermuthet als wir wissen, so bleibt
in der That auffallend, dass über die grossartigen Werke
der bildenden Kunst in diesem Lande in Milton's Schriften
keine Aeusserung zu bemerken ist. Man hat geglaubt annehmen
zu sollen, INIichel Angelo's Darstellung der Schöpfung und der
ersten ]\Ienschen an der Decke der sixtinischen Kapelle, die
biblischen Gemälde nach Raphael in den Loggien des Vatikans,
Bandinelli's jMarmorfigiiren von Adam und Eva u. s. w. hätten
auf die Entstehung des „Verlornen Paradieses" einigen Ein-
fluss gehabt (0. Es ist möglich, ohne dass es nachweisbar
wäre. Ob Milton von den römischen Künstlern seiner Zeit
den einen oder andern, Bernini, Barromini, Algardi, Quenois,
kennen lernte, bleibt gleichfalls ungewiss. Dagegen ist die
Annahme gerechtfertigt, dass er, vermuthlich durch Holstenius'
Vermittlung, den Literaten und Schöngeistern in ihren aka-
demischen Vereinigungen nicht fremd blieb. Zwar von den
bedeutendsten Theilnehmern dieser gelehrten und literarischen
Kreise können wir keine persönliche Beziehung zu Milton nach-
weisen. Giovanni Battista Doni, ein Florentiner von Geburt,
vielseitig gebildet und schriftstellerisch thätig, vor allem be-
rühmt wegen seiner Arbeiten über Geschichte und Theorie
, der Musik, wird allerdings von Milton ein ]\ial gegenüber
Holstenius erwähnt, er scheint aber gerade dann nach Rom
zurückgekehrt zu sein, als Milton die Stadt für immer ver-
lassen hatte (2). Ein Schriftsteller geringeren Ranges, mit
welchem er verkehrte, ist uns indess, dem Namen nach bekannt :
Johannes Salsillus. Er war, wie es scheint, kein unbedeuten-
des Mitglied der Akademie der „Fantastici". Wenigstens finden
sich in einem Bändchen (Jledichte, das diese Gesellschaft her-
ausgab („Poesie de' signori Academici Fantastici; Roma 1637")
nicht wenige Kinder seiner ]\Iuse(3). An ]\lilton hat er ein
lateinisches Epigramm gerichtet, in welchem er den Engländer
Selvaggi.- — Neapel. Manso. 287
preist, der eines dreifachen Dichter-Lorbeers, für die griechi-
sche, lateinische, italienische Sprache, werth sei(i). Salsillus
war kränklich; Milton widmete ihm daher ein Dankgedicht
in lateinischen jambischen Hinkversen (Skazontes), in dem er
den Gesundheitszustand des römischen Freundes bedauert. In
diesen Versen bringt er eine gut berechnete Wirkung hervor
durch den Gegensatz der von ihm erwähnten klassischen Stätten
aus der Umgebung Roms, auf denen der warme Hauch des
südlichen Himmels ruht, und der eignen nordischen Heimat,
an deren rauhe Winde er gedenkt (^).
Zu den römischen Bekanntschaften mag endlich auch ein
gewisser Selvaggi gehört haben, welcher Milton in einem latei-
nischen Distichon als elienbürtig dem Homer und Virgil preist
und vielleicht eine Ahnung davon hatte, dass gerade das Epos
die Stärke des Engländers sei (3). Aber auch die landsmann-
schaftlichen Beziehungen traten in Rom nicht zurück. ]\Ian
weiss wenigstens, dass Milton, Puritaner wie er war, am 30. Okt.
1638 mit seinem Diener und einigen Landsleuten im „engli-
schen Kollegium" gespeist hatC).
Zwei reichbelebte Monate waren verflossen, als er Rom
verliess um die Strasse nach Neapel einzuschlagen. Ein glück-
liches Ungefähr führte ihn während der Fahrt mit einem Ere-
miten zusammen, durch dessen Vermittlung er an seinem
neuen Reiseziele gerade den Mann kennen lernte, dessen
Freundschaft mehr als die irgend eines andern Neapolitaners
ihm werth sein musste. — Giambattista Manso, Marquis von
Villa, gel). 1561, gehörte zu den ausgezeichnetsten Edelleuten
seiner Heimat. Mit der Feder nicht minder gewandt als mit
dem Sehwerte, mit Glücksgütern gesegnet und, ohne direkte
Erben, befähigt nach Gutdünken über dieselben zu verfügen,
hatte er sich zur Lebensaufgabe gemacht, unter den Augen
der misstrauischen spanischen Herrschaft die vaterländische
Bildung und ihre Träger nach Kräften zu fördern und zu
schützen. Nicht nur, dass er in Neapel die Akademie der
„Oziosi" und das Kolleg „dei Nobili" gründete: jene nach
Art der sonstigen italienischen Akademieen, dieses eine An-
stalt um die jungen Adligen Neapels in geistigen und körper-
288 Neapel. Manso.
liehen Uebmigen zu bilden: er machte sich selbst als Schrift-
steller einen geachteten Namen. Von ihm rührten her „I
Paradossi ovvero Dialoghi deir Amore" (1608), sodann die
zwölf Dialoge „Erokallia" oder „Liebe und Schönheit" (1618
und 1628) und „Poesie Nomiche, divise in Rime amorose,
sacre e morali" (1635), eine Sammlung seiner Jugendgedichte.
Kein Werk trug ihm aber mehr Ehre ein als die Biographie
des unglücklichen Dichters, an dem er selbst zum Wohlthäter
geworden war: sein Leben Tasso's (1619). Ein Opfer seines
tragischen Geschicks, verfolgt von den wahnsinnigen Gebilden
seiner Phantasie, ruhelos umherirrend war der Dichter des
befreiten Jerusalem 1588 zur Schwelle des jugendlichen Manso
gelangt. Der nahm ihn auf in seiner Villa zu Neapel und
Bisaccia, umgab ihn mit aller Sorgfalt rührender Freundschaft,
gewährte ihm wiederholt ein gastfreies Obdach und hatte die
Genugthuung, dass der von den Furien Gequälte ihn bis zur
Todesstunde als getreuen Pylades hoch hielt. Manso's Name
tritt im 20. Buch des eroberten Jerusalem (v. 141) als der
eines der „Cavalieri magnanimi e cortesi" auf, Manso heisst'
einer der Sprecher in Tasso's Dialog „über die Freundschaft' \
der schon im Titel diesen Namen trägt, dessen Ruhm im An-
fang mit vollen Tönen gepriesen wird. Fortan war Manso's
Name mit Tasso's für die Italiener untrennbar verbunden (^).
Noch ein zweiter italienischer Dichter hatte sich Manso's
Gunst zu erfreuen: Giambattista Marini (1569 — 1625). Erst
eine spätere Zeit hat über seine schwülstige Atfektation und
gezierte Sinnlichkeit den Stab gebrochen, damals war sein
,,Adonis" in aller Munde, und Manso war stolz darauf, auch
diesem Jünger der Musen in seinem bewegten Leben ein
()bdach geboten zu halben. Auch mit Marini's Biographie
soll er sich beschäftigt haben. Und wie Manso's „Poesie
Nomiche" unter andern schmeichlerischen Versen sechs Sonette
von Tasso angehängt sind, so drei von Marini (-).
Einen besseren Führer in der wundervollen Stadt des
Südens als den ehrwürdigen siebenundsie])zigjälirigen Manso
hätte Milton nicht linden können. Unter seiner Leitung ver-
band sich der gegenwärtige Zauber des brausenden Lebens
Neiipel. Maiiso. — Gedicht für Manso. 289
auf Strassen und Plätzen, des entzückenden Ausblicks auf den
Golf und die Inseln und den ^'esuv mit der stolzen Erinne-
rung, dass Tasso's trunknes Auge, von demselben Führer be-
lehrt, dieselbe Schönheit geschaut hatte. Manso erzeigte dem
Fremdling, den der Eremit ihm zugeführt hatte, die freund-
liche Höflichkeit, die man üb.erhaupt an ihm rühmte. „Er
führte mich — so erzählt ]Milton selbst — durch die ein-
zelnen Theile der Stadt und den Palast des Vicekönigs und
suchte mich mehrmals in meinem Gasthause auf. Wir dürfen
annehmen, dass er ihn auch in seiner Villa nahe bei der Grotte
des Posilippo und dem ^mythischen Grabe Virgil's empfangen
hat, in denselben Räumen, aus deren Fenstern Tasso und
]Marini auf das Meer zu ihren Füssen hinabgeblickt hatten (^).
Vielleicht hat er ihn auch in die Gesellschaft der Oziosi ein-
geführt und mit anderen Berühmtheiten Neapels bekannt ge-
macht. Doch gab es etwas, das seiner Gastfreundschaft ge-
wisse Schranken setzte. „Beim Abschied entschuldigte er sich
sehr ernstlich bei mir, dass er mir nicht noch grössere Dienste
erwiesen, wie er es dringend gewünscht hätte. Es sei aber
in dieser Stadt nicht möglich gewesen wegen meiner unvor-
sichtigen Aeusserungen in Sachen der Religion" (-). Ganz
dasselbe drückte ^lanso in einenran ^Nlilton gerichteten Distichon
aus, mit dem er an eine bekannte Aeusserung Gregorys des
Grossen über die angelsächsischen Jünglinge anknüpfte:
War' er so fromm als schön, verständig und edel gesittet,
Wahrlich ein Engel erschien' dann mir der englische (iasti^).
Die Verse, welche Milton bei seinem Scheiden aus Neapel
dem Gastfreund als Gegengabe zurückliess, zeigen, dass dieser
leise Vorwurf ihr Verhältnis nicht hat trüben können. — Milton's
Absicht war gewesen, mit Neapel seine Reise noch nicht ab-
zuschliessen, sondern noch Sicilien und Griechenland aufzu-
suchen. Aber die Nachrichten, die er (gegen Ende des Jahres
1638) in Neapel aus der Heimat erhielt, mahnten ihn ab
von der Erfüllung dieses Lieblingswunsches. Der lange
zui-ückgehaltene Stunn drohte endlich loszubrechen. Schott-
land wfir in offnem Aufstand, das englische Volk brachte
Stern. Milton n. s. Zeit. I. 1. 19
290 Gedicht für Manso.
dem Naclibarlande seine Sympathieeu entgegen, die Verlegen-
heiten des Königs wuchsen, die Revolution stand vor der
Thür. Unter solchen Umständen entschloss sich Milton dazu,
den Rückweg einzuschlagen. „Es schien mir, — sagt er — ,
unwürdig zum Vergnügen gemächlich umherzureisen , wäh-
rend die Mitbürger zu Hause für die Freiheit kämpften (^),"
Ehe er aber Neapel verliess, sandte er dem Manso, „um sich
dankbar zu erzeigen", eine grosse Epistel in lateinischen
Hexametern (2). In geschmackvoller Weise ohne pomphafte
Aufdringlichkeit preist er den italienischen ]\Iäcenas. Seine
Verbindung mit Tasso und ]\Iarini, das Grabdenkmal, das er
diesem gesetzt, die schriftstellerischen Werke, die er beiden
gewidmet hatte, werden erwähnt. Milton, der von ferne Ge-
kommene, wünscht dem „Vater Mansus" ein langes Leben
und bittet ihn die nordische Muse nicht zu verschmähen.
Ist doch schon ein Mal einer ihrer Jünger, Chaucer (Tityrus,
wie er hier mit Spenser'schem Ausdruck genannt wird), zu
diesen südlichen Landen gezogen. Und wie er nun weiter den
„von den Göttern geliebten Greis" zu preisen nicht müde
wird, in eleganter Verwerthung des antiken Mythen-Stoftes,
zumal den Spuren des Euripides folgend, legt er gegenüber
dem italienischen Schöngeist den Beweis dafür ab, dass auch
ihm im „kälteren Norden" der Geist der Renaissance aufge-
gangen ist. Am merkwürdigsten aber ist die Stelle, wo er
mit einer feinen Wendung in stolzer Zuversicht seine eignen
poetischen Pläne andeutet (v. 78 ff.):
Möchte ein gütig Geschick mir solchen Freund doch gewähren,
Welcher die Jünger ApoH's würdig zu kränzen verstände,
Wenn ich das Königsgeschlecht der Heimat einstmals besinge,
Arthur, der si( h im Keiche der Feen zum Kampfe noch rüstet,
Oder die tapfre Schaar der Tafelrunde, die Helden,
Innigem Hunde vereint, und, (reiclit mir die Kraft zum Beginnen),
Unter der Briten (Gewalt die sächsischen Reihen zerschmettre.
Nach Sitte der Alten gab Manso dem Scheidenden, der
ihn so schmeichelhaft besungen, Gastgeschenke mit auf den
Weg, zwei Becher mit reicher Schnitzerei nach eigner Er-
findung von seiner Hand geziert(-''), und suclite auch so zu
Gedicht für Manso. — Rückweg nach Rom und Florenz. 291
iiiildeni, was etwa Verletzendes in seinen frommen Vorwürfen und
in seinem ironischen Epigramm entlialten gewesen sein konnte.
Milton hatte nur zu bald Gelegenheit zu bemerken, dass
Manso mit seinem Urtheil nicht allein stand. Als er den Boden
Italiens betrat, hatte er, entgegen dem Warnungsruf .,1 pen-
sieri stretti e il viso sciolto" sich zum Grundsatz gemacht,
mit seiner Meinung über Gegenstände der Religion in keiner
Weise hinter dem Berge zu halten. Nicht dass er ohne jeden
Anlass seine abweichende Meinung den anders Denkenden
aufgedrängt hätte, aber, von ihnen befragt, gieng er mit uner-
schrockener, vielleicht nicht selten satirischer Sprache aus
sich heraus. Allzudeutlich stellten sich ihm inmitten der ver-
feinerten Kidtur die unseligen Folgen der Priesterherrschaft
auf Schritt und Tritt dar, als dass er hätte schweigen können
oder wollen. Die florentiner Freunde nahmen seine .„Freiheit
der Sprache mit ausserordentlicher Nachsicht" auf, einzelne
Italiener gaben ihm im Gespräch die Verderlilichkeit dei"
jesuitischen Einwirkung auf die Jugend und Erziehung zu,
aber nicht überall konnte der Freimuth des redegewandten
Ketzers auf gleiche Verzeihung rechnen (^) Er war im Begriff,
nach Rom zurückzukehren, als ihn Kaufleute, gestützt auf
briefliche Nachrichten, vor der Ausführung dieses Planes
warnten. Englische Jesuiten sollten es in Rom auf ihn ab-
gesehn, ihm dort einen Hinterhalt gelegt haben. Er hätte
nicht Milton sein müssen, um nicht noch fester in seinem
Vorsatze zu werden. Er kehrte nach Rom zurück und ver-
weilte dort wiederum fast zwei IVIonate. Er erzählt uns nichts
von den Einzelheiten dieses zweiten Aufenthaltes in der
ewigen Stadt, nichts über seinen erneuten Verkehr mit Hol-
stenius, Salsillus, sein Erscheinen in den Akademieen oder dem
Palast Barberini's, aber er versichert: ,,Wenn ich darum ge-
fragt wurde, verbarg ich niemandem, wer ich sei und, wie
zuvor, vertheidigte ich in der Stadt des Pabstes selbst die wahre
Religion („orthodoxam religionem") mit grösstem Freimuth,
wenn jemand sie angriff (2)". Als die Zeit seines römischen
Aufenthaltes abgelaufen war, schlug er (etwa Mitte Feliruar
1639) den Rückweg nach Florenz ein. Mit Ungeduld hatten
]9*
292 Bologna. Ferrara. Italienische Gedichte.
die Fieunde ihn erwartet, sie enipfiengen ihn ,, nicht anders,
als wäre er in sein Vaterland zurückgekehrt". Die Tage in
Florenz werden verflossen sein wie die des ersten Besuches,
getheilt zwischen dem Genuss von Kunst und Natur, freund-
schaftlicher Geselligkeit und wissenschaftlicher Belehrung.
Wie bemerkt, wurde vielleicht erst damals Milton's Bekannt-
schaft mit Galilei vermittelt. Näheres erfahren wir über jene
Zeit nicht, nur der schon erwähnte Brief an Holstenius vom
30. März 1639 macht Mittheilung von dem vergeblichen Ver-
suche, für diesen römischen Freund Abschriften aus einem
medicäischen Codex zu nehmen, der sich in der streng ge-
hüteten Laurentiana befand. Neue zwei Monate wurde Milton
durch die Arno-Stadt gefesselt, nur ein Paar Tage entzog er
ihr um Lucca zu besuchen, eine Stadt, aus der das Geschlecht
des Jugend genossen Diodati entstammt war. Dann kam die
Stunde, welche gebot, auch von der Hauptstadt Toscana's
und den florentiner Freunden Abschied zu nehmen, und
jeder Abschied bedeutete einen Schritt nordwärts, der Grenze
des herrlichen Landes näher. Fr überschritt die Apenninen
und berührte auf seinem Wege Bologna, den Sitz der altbe-
rühmten Universität, und Ferrara, die ehemalige Residenz der
Este, mit der die Namen Ariost's und Tasso's für immer ver-
knüpft waren. Vielleicht ist es die lebhafte Erinnerung an
diese Heroen der Literatur des Landes, der Wunsch in ihrer
Sprache mit ihnen zu wetteifern, gewesen, was Milton antrieb
einige italienische Gedichte in sein Beise-Tagebuch einzu-
zeichnen, die wenn nicht sämmtlich, so doch zum Theil zu
eben dieser Zeit entstanden zu sein scheinen. Es sind fünf
Sonette und eine Kanzone, nach dem Urtheil von Italienern
ziemlich korrekt in der Form, von melodischem Fluss, nur
hie und da, vor allem im vierten Sonett, entstellt durch
schwülstige und gesuchte Bilder, wie der falsche literarische
(Jeschmack der Zeit nach dem Vorgang Marini's sie liebte.
Uns sind diese Dichtungen nicht nur wegen ihres ausländi-
schen Gewandes merkwürdig, sondei-n auch wegen ihi-es Gegen-
standes, dem wir noch nicht häufig in Milton's Versen be-
gegnet sind. Die Liebe, von deren Wonnen und Schmerzen
Bologna. Ferrara. Italienische Gedichte. — Venedig. 293
junge Poeten nie genug zu singen wissen, wird von Milton's
ernster Muse sehr stiefmütterlich liehandelt. Selbst wo er
gesteht vom unentrinnbaren Pfeil getroffen zu sein, kommt es
niemals zur rtieklialtlosen Aeusserung eines tiberwallenden,
sinnlichen Empfindens. In diesem Puukt hat der Puritaner
dem Poeten entschieden geschadet. Diese italienischen Strophen
sind indess Liebes-Gedichte reinsten Wassers, mitunter nur
der Abklatsch der konventionellen erotischen Phraseologie,
meistens aber der unverkennbare Ausdruck wahrer Leiden-
schaft. Und es ist nicht mehr die zartere Schönheit des
Nordens, welche der Dichter preist: Blonde Locken, „Amors
goldenes Netz", und der rosige Hauch weicher Wange. Ein
anderes Schönheitsideal ist ihm |im Süden aufgegangen: Stolze
Gestalt, dunkle Brauen und feurige Augen. Verlorene Mühe,
dem Modell dieses südlichen Schönheitslüldes nachzuspüren,
wenn anders die sechs Gedichte überhaupt auf eines allein
abzielen. Ganz willkürlich sind sie sämmtlich auf Leonora
Baroni bezogen, weil im ersten und dritten Sonett von dem
lierrlichen Gesang der Schönen die Rede ist. Bemerkens-
werther ist, dass gleichfalls in dem ersten Sonett der Schau-
platz an den „Ueno" verlegt wird, einen Strom, den Unkun-
dige mit unserm Rhein verwechselt haben, unter dem aber
vielmehr der FIuss in der Nähe von Bologna gemeint ist.
Eben dies hat uns berechtigt, jene italienischen Gedichte an
dieser Stelle zu erwähnen (^;. — Das nächste Ziel nach Bologna
und Ferrara war Venedig. Die Lagunen-Stadt mit allem,
was sie Grossartiges in sich barg, fesselte den Wanderer einen
]Monat(^). Noch ein Mal trat ihm das bunte, rauschende
Leben der südlichen Gross-Stadt entgegen, und noch viele
Jahre nachher spricht er von dem Lärmen der Gaukler, Quack-
salber, Salben verkauf er und Marktschreier, die dort ihre
wohlduftende und heilkräftige Waare anpriesen. Hier in
Venedig schiffte er auch die Schätze ein, die er während der
Reise gesammelt hatte. Er selbst erwälmt nur Bücher, sein
Neffe Phillips, der die Gegenstände oft genug wird gesehn
haben, spricht auch von „einem oder zwei Kistchen auser-
lesener Musikwerke dei- besten italienischen Meistei-, die da-
294 Genf. G. Diodati.
iiials blühten, Luca Mareuzo (Marenza, Marenzio), Monte
Verde, Horatio Vecclii, Cifa (Cifra), Fürst von Venosa und
anderer (^).'- Auch die Gastgeschenke, die ihn in der Heimat
an die fernen Freunde erinnern sollten, werden einen Theil
der Fracht ausgemacht haben. Mit leichtem Gepäck konnte
er weiter reisen. Verona und Mailand hielten ihn nur kurze
Zeit auf, dann gieng es den Alpen entgegen; ein letzter Rück-
blick auf das unvergessliche Land, und der Saumpfad über
den grossen St. Bernhard entführte ihn unwiderruflich seinen
gesegneten Marken.
Milton wollte an der Königin des Leman nicht vorbeigehn.
Die Stadt Genf war ihm nicht bloss wie jedem englischen
Puritaner die ehrwürdige Burg Gottes, auf deren Zinnen das
Banner Calvin's entfaltet worden war, aus deren Thoreu Jahr
für Jahr gelehrte und muthige Streiter für die reine Lehre in
alle Lande auszogen. Er hatte noch einen besonderen Grund,
für kurze Zeit in ihr einzukehren. Hier lebte und wirkte
als ein treuer Diener der Kirche neben den Spanheim, Tron-
chin, Le Clerc der berühmte Giovanni Diodati, dessen Name
]\Iilton seit frühester Jugend vertraut sein musste, der bei
vomb ergehendem Aufenthalt in England (1627) ihm vielleicht
persönlich bekannt geworden war(2j. Er war der Onkel seines
Jugendfreundes Karl Diodati, genau bekannt mit Wotton, auf
dessen Antrieb er nach Venedig gekommen war, um sich der
lieform-Arl)eiten eines Paolo Sarpi und anderer Venetiauer
anzunehmen, deren Kampf gegen Jesuitismus und Pabst-
thum zeitweilig die kühnsten Hoffnungen in protestantischen
Herzen erweckt hatte. Seine Bemühungen für die Sache
seiner Glaubensgenossen in Italien und Frankreich, seine
Theilnahme an der Dordrechter Synode, seine italienische
Bibel-Uebersetzung, eine stattliche Anzahl theologischer Ar-
beiten, endlich seine i)raktisclie Wirksamkeit als Lehrer und
Prediger in seiner Vaterstadt (•') hatten seinen Namen zu
einem dei- ei'sten in der reformirten Welt gemacht. Was
Wunder, dass Milton sich sehnte, naclidem ihn die „Weih-
raucli-geschwängerte katliolische Atmosphäre Italiens" so lange
umfangen liatte, hier in vollen Zügen die schaife und reine
Genf. G. Diodati. 295
Luft des Calviuismus zu atlimen ! Er war ein täglicher Gast des
angesehenen Theologen in derselben Villa am östlichen Ufer des
Sees, die schon so manchen seiner Landsleute, wie John Cook, Isaak
Wake beherbergt hatte und welche in unserm Jahrhundert einen
zweiten grossen Dichter von jenseits des Kanals in ihre INIauern
aufnahm: Lord Byron (^). Unzweifelhaft lernte er durch Diodati's
Vermittlung einige der gelehrten Grössen von Genf kennen.
Das kleine Gemeinwesen, welches trotz seiner Kleinheit eine
europäische ]\Iacht war, forderte seine Bewunderung heraus.
Jahre nachher rühmt er, wie es sich in engen Grenzen, zwischen
mächtige Nachbarn eing'ekeilt, durch kluge und energische
Politik auszeichne, Frieden und Freiheit bewahre und seinen
Bürgern mit mehr Erfolg gewähre, was kaum die reichsten
und mächtigsten Könige ihren Unterthanen zu bieten im
Stande seien (^). — Auch ein charakteristisches Zeichen von der
Hand des ernsten Dichters ist uns aufliewahrt, welches er in
der ernsten Stadt Calvin's zurückliess. Man kennt das Album
eines neapolitanischen Edelmannes, des Camillus Cardonius (Car-
douin, Cerdogni), der seit 1608 mit seiner Familie in Genf
lebte und Engländern daselljst Sprachunterricht ertheilte.
Dje Familie gehörte vermuthlich der Gemeinde reformirter
Flüchtlinge an, und es war leicht durch Diodati mit ihr be-
kannt zu werden. Viele Engländer und Schotten (z. B. Walter
Strickland, John Cook, George Thomason, John Junius „a
Scotch Scholar") treten in diesem Album mit Gedenkzeilen
auf. Kein Geringerer als Thomas Wentworth (z. J. 1612)
erscheint darunter. Für 1639 nennen sich z. B. Richard
d'Ewes, Edw. Ayscough und zum eilften Juni 1639 ein ge-
wisser Daniel Boughton. Am Tage vorher hatte sich Milton
in folgender Weise mit Benutzung der Schlussverse seines
Comus eingezeichnet :
— if Vertue feeble were
Heaven itselfe would stoope to her.
Coelum non animum muto dum trans mare curro.
Junii 10. 1639. Joannes ^liltonius Anglus(3).
Es war gleichsam der Scheidegruss, den er der Fremde
zurief. Denn von Genf führte ihn der Weg wieder durch
296 Heimkehr.
Frankreich an densel1)en Stätten vorliei. die er schon das
Jahr vorher berührt hatte, bis er die Meereskiiste erreichte,
von wo ihn das Schiff zum heimatlichen Boden hinübertrug.
Etwa x\nfang August 1639 betrat er ihn wieder, ungefähr
fünfzehn Monate hatte er im Auslande verweilt (i).
Die Zeit der Wanderjahre Avar vorülier. Sie war für
Milton von unschätzliarer Bedeutung. Für einen von Haus
aus so strengen und keuschen Geist war die Bekanntschaft
mit der üjjpigen Farl)engluth und Formenfülle des Südens
doppelt wünschenswerth ; der Dichter konnte nur durch sie
gewinnen. Wohl hatte die glänzende Aussenseite dieser
italienischen Kultur sein scharfes Auge ül)er ihren inneren
Verfall nicht getäuscht. Er hatte die Weisen des Landes
klagen hören über die „Sklavenketten, die dem Geiste ange-
legt seien", sie hatten ihm gestanden, dass „während vieler
Jahre in ihi-em Lande nichts geschrieben sei als Süsslichkeit
und Schwulst'% sie hatten ihn glücklich gepriesen, ,,dass er
in einem Lande der Gedankenfreiheit geboren worden (in
such a place of philosophic freedom, as they supposd" England
was). Und das erhob ihn und Hess ihn die rein ästhetische
Seite der Bildung nicht überschätzen. ,, Obwohl ich wusste,
dass England gerade damals unter dem Joche der Prälaten
am schmerzlichsten seufzte, nahm ich doch den Glauben
anderer Vidker an seine Freiheit füi" ein Tfand künftigen
Glückes (2)". A])er freilich ohne Kampf konnte dies Glück
nicht errungen werden , und der Kämi)fer musste reinen
Herzens sein, wenn er sich mit dem Glauben an den Sieg
seiner Sache durchdringen wollte. Auch dieser Stolz auf die
innere Lauterkeit war ihm während der Wanderzeit nicht
verloren gegangen: „Ich rufe (iott zum Zeugen an, dass ich
an all' jenen Orten, wo so manches erlaubt ist, rein und
imbefleckt von Schmach und Schande gelebt liabe, niemals
von dem Gedanken verlassen, dass ich wohl vor den Augen
der Menschen, aber nie vor den Augen Gottes mich l)ergen
k()nne('')."
Von diesem Gefühl getragen begann er eine neue Epoche.
Anmerkungen und Anhänge.
Hcäiifig gebrauchte Abkürzungen.
P. IV. =: Tlie Poetical Works of Jolin Miltoii. Ed. witli Introductioii, Notes and an Essay on
llilton's Englisli by David Massen. 3 Yols. London, Macniillan and Co. 1874.
W. = The Works of John Milton in Verse and Prose pr. from the original editions with a
Life of the author hy the Kev. John Mitford. 8 Vols. Bickers and Son, London and
Eton. 1867. (Facsimile der Ausg. v. Pickering, 1851.)
Aobrey = A. (Collections for the Life of Milton) s. Anhang I.
Wood = W. Athenae et Fasti Oxonienses. Ed. 1721 (Leider liegt mir die Ed. Bliss nicht vor).
Phillips =: P. Life of Milton (Zuerst vor Milton's „Letters of State" 169-1), abgedruckt, wie
auch Auhrey, hei W. Godwin: Lives of Edward and John Philips, nephews and
pupils of Milton etc. London, 1815. App. II.
Todd = T. Sonie Account of the Life and Writings of John Milton , letzte Auflage 1826 in s.
Ausgabe der '„Poetical Works of Milton".
Keightley = K. An Account of the Life, Opinions and Writings of J. Milton. London, 1855.
Slassou = M. The Life of John Milton narrated in connexion vfith the Political, Ecclesiasti-
cal and Literary History of his Time, bis jetzt 3 Vols. 1859—73. London, Macniillan
and Co.
Llebert = L. Milton. Studien zur Geschichte des englischen Geistes. Hamburg, Meissner. 1860.
Huuter = H. Milton. A Sheaf of Gleanings after his Biographers and Annotators. London.
J. Kussell Smith. 1850.
Slarsh = J. Fitchett M. Papers connected with the affairs of Milton and his family
(Chetham -Society 1851).
Hamilton = W. Douglas H. Original Papers illustrative of the Life and Writings of J.
Milton (Camden-Society 1859).
Sotlieby = Samuel Leigh S. Ramblings in the Elucidation of the Autograph of Milton.
London, 1861.
Br. M. = British Museum.
C. S. P. ^ Calendar of State Papers.
C. J. und L. .1. = Commons' Journals und Lords' J.
Anmerkungen.
Einleitung.
Seite
11 i)Gneist: Das Englische Vervvaltungsrecht (2. Aufl. 1867) I. 533,
Gesch. d. Selfgovernment (2. Aufl. 1863) I. 255.
13 ^) John Langton Sanford: Studies and illustrations of the great
rebellion, 1858, p. 34.
Erstes Kapitel.
14 1) Defensio secimda. W. VI. 286. Aubrey. Phillips. (Er ver-
wechselt offenbar das Milton hei Abingdon in der Grafschaft Berks
mit dem Milton in Oxfordshire, auf das er abzielt.) Wood
(Fasti I. 262). Vgl. Burmanni Sylloges epistolarmn a viris
illustribus scriptarum (Leidae 1727) T. III. 603, N. Heinsius an
J. Vossius 1651 15. Kai. Junii „Ludovicus Elzevirus adfii-mat
certo sibi constare, hominem (Milton) esse et nobili loco natiun
et opulentiun" etc. ähnlich 276, dagegen 618, Vossius an Heinsius
8. Juli 1651 „non quidem nobili, sed tarnen generosa, ut ipsi
loquuntur , ortum stirpe" (mit Berufung auf seinen Oheim Junius )
15 ^)Masson: I. 6. Hunter: 6 ff.
-) Die beiden Testamente, datirt v. 21. Nov. 1558 und 9. März
1560—61 , eröffnet im März 1559 und 14. Jan. 1560—62 sind auf-
gefunden von Massen (s. I. 15, 16) in Oxford, Bishop's Kegistry.
„Piowland Milton" ist vielleicht identisch mit dem bei Hunt er 4
erwähnten. Zweifelhaft bleibt, obTdie in Agnes' Testament genannte
„daughter" Richard Milton's Frau Jbezeichnen soll.
16 ^) Hunt er 2, vgl. Burn: Eccles. Law, Ed. Phillimore III. 408. Die
1859 von Mr. Hyde Clarke gemachte Entdeckung (s. u.) stellt
ausser 'Zweifel, was ziu' Zeit, als Hunter und Masson schrieben,
noch nicht ganz feststand, dass des Dichters Grossvater Richard
Milton geheissen und in Stanton St. John's gewohnt habe. Die
Lage dieses Dorfes entspricht auch den Worten bei Aubrey im
Stammbaum, möglich immerhin, dass zeitweise Holton (Haiton)
der Wohnsitz des Richard M. gewesen ist.
300 Anmerkungen.
Seite
17 i)Aubrey, Wood, Phillips.
2) Athenäum, Nr. 1638 (1859 March 19) p. 390; vgl. daselbst die
Bemerkungen Mr. Hyde Clarke's, des Entdeckers.
^) Danach wäre der ältere John Milton 1578 oder 1579 geboren und
hätte, da das Datum seines Todes feststeht (1647), ein Alter von
68 oder 69 Jahren erreicht, was allerdings mit Aubrey's Angabe
nicht stimmen würde, dass er zu 84 Jahren ohne Brille gelesen
habe. Vgl. Athenäum a. a. 0.
*) Das erste Kind („a chrisora child" d. h. welches vor der Taufe
starb) ward am 12. Mai 1601 begraben. Masson I. 27.
18 ^) Aubrey. Man darf vermuthen , dass das Haus zum „Spread-Eagle"
unter dem „ n e w s h o p of John Milton, scrivener in Bread Street,
London" verstanden ist, welcher in einem von Hunt er entdeckten
Dokument (Br. M. Landsdowne Mss. 241 f. 58 in Kopie) erwähnt
wird; s. Hunter 10, Masson I. 1, 2. Masson verweist a. a. 0.
auf ein zweites an gleicher Stelle f. 363 befindliches Dokument,
das, aus dem Bureau des alten Milton hervorgegangen, von Hunter
übersehen worden ist. Die Gefälligkeit des H. E. Maunde Thompson
setzt mich in Stand noch ein drittes Aktenstück der Art, und zwar
im Original, nachzuweisen. Es befindet sich gleichfalls im Br. M.
Harl. Charter 112. D. 19. Es ist ein Schuldschein, durch den sich
Thomas Shelley von Worminghurst, John Alford von Affington und
Sir Henry Gering von Burton co. Sussex verpflichten, der Schnei-
derin Anna Stone von London 210 £. zu zahlen, zahlbar „at the
nowe dwelling house of John Milton, Scrivener, in Bread streete
in London. Dat. 2. Dec. 1615. Signed in the presence of William
Bolde servant of John Milton."
*) S. d. Abbildung in Stow: The Survey of London etc. Ausgabe
von 1633, p. 638, ferner bei R. Seymour: A Surveye of the
cities of London and Westminster 1735, II. p. 386. „Their Arms
are: Azure, an Eagle with Wings expanded, holding
in his Mouth a Penner and Jnkhorn, Standing on a Book, al Or."
^) Jetzt in einem der Schaukasten des B r. M. s. ein Facsimile in
Mitfords Ausg. v. M. Werken I. CLXXXIX und P. W. I. 4, vgl.
den heraldischen Eintrag in Add. Ms. Br. M. 12225 f. 162 „Mylton:
Argent a doubleheaded eagle, displayed gules, beaked and mem-
bered azure." Masson 1. 4; über ein etwas abweichendes Silber-
Petschaft, dessen Geschichte bis auf Deborah, des Dichters jüngste
Tochter, zurückzuvcrfolgen ist, s. Marsh: (Chetham S ociety
Vol. XXIV ]). 21) und Masson I. 3, dessen Entscheidung der sich
hieran knüpfenden Streitfrage gewiss zu billigen ist.
■*) Extract from the Kegister of Allhallows, Breadstreet bei Todd I. 1.
19 ') S. die Daten vorzüglich aus den Registern von AlILallows bei Masson
I. 27. 22, vgl. den Anhang über die Genealogie von Milton's Mutter.
Erstes Kapitel. 301
Seite
19 -) Aubrey. Defeusio secunda W."_,V1. 2ö6 „probatissima et eleemosynis
per viciniam potissimum nota "
^) lieber Stocke: Wood: Fasti I. 150, seine Grabscbrift in Sey-
mour: Survey of the Cities of London and Westniinster 1733, S. 708.
Einige Briete von Gataker's Hand im Beruer Staats- Archiv
(Conv. Archiv VIII, Epit. bist, et epist. viror. claror.)
*) Diese Biographien in lexikographischer Form befinden sich unter
den Mss. Wo od 's in der Bodleiana, Nr. 8564 des Katalogs, der
Band selbst bezeichnet: Wood. 19. D. S. 133: „Milton Jobn a musi-
tian living in the reigne of Elizab. and K. Jam. wea have some of
his compositions in the publick musick school at Oxon. but whether
he hath any extant I cannot teil."
20 ') Todd VI. 336, Hunter 11.
^) Vielleicht Moritz von H. -Kassel,, vgl. Cohn: Shakespeare in
Germany, 1865, Reg. Eine Verwechselung beider Nachrichten er-
scheint mir immerhin möglich. Aubrey spricht von dem ersten
Fall und von einem „song of fourscore parts", Phillips nach
Hörensagen von dem zweiten und von einem „In Nomine of forty
parts.''
8) Silvarum L. Ad Patrem, 56—60 P. W. III. 79, vgl. Aubrey
(dessen Worte „he had an organ" etc. ich freilich auf d. Dichter
beziehe), Phillips.
21 1) On Education (W. IV. 391) s. u. B. H. K. 6.
2) At a Solemn Musick, P. W. IL 412. L'AUegro v." 135. Par. L. 1.
V. 549 ff. Wood sagt, dass er in der Musik „became excellent
and by the help of his Mathematics could compose a Song or
Lesson . . He had a delicate tuneable voice, an excellent ear, could
play on the Organ and beare part in vocal and instrumental Music."
"jAd Pati-em Silvar. L. VJ. 335.
*) Dies Sonett zuerst erwähnt bei Todd I. 4, abgedruckt, wenn
auch modernisirt bei Hunter 12, Masson I. 43, befindet sich
unter der Ueberschrift : „Johannes Melton Londinensis civis, amico
suo viatico in Poesis Laudem S. D. P." auf Fol. 2^. des Ms.
„The corrected historie of Sir Gwy, Earle of Warwick, surnamed
the Heremite, begun by Don Lidgate, monck of St. Edraundes
Berye; but now dilligentlie exquired from all Antiquitie by John
Lane 1621." (Br. M. Hart. Mss. 5243, nicht 6243, wie bei Hunter
steht.) Vermuthlich ist, was wir in Harl. Ms. 5243 vor uns sehen,
die Kopie eines Clerk, den Lane vielleicht in dem Bureau seines
Freundes Milton, des Notars, am leichtesten fand. Das Ganze ist
von derselben Hand geschrieben, mit Korrekturen von einer anderen,
möglicherweise der des Autors, durchzogen, vgl. die Bemerkungen
von Zupitza: Zur Literaturgeschichte des Guy von Warwick in
d. Sitzungsberichten der Wiener Ak. 1873. Bd. 74, p. 645.
302 Anmerkungen.
Seite
21 s) Hunter a. a. 0. Masson I. 42.
22 ^j E. Phillips: Theatrum Poetarum Anglicar.orum, first publ. in
1675 and now enlarged by additions etc. 1800, p. 818. Er nennt
ilin „a fine old Queen Elizabetli's gentleman".
2) Masson I. 43.
^) Dunster: Considerations [ou Milton's early reading etc. 1800,
S. 7, 55, 230.
*) S. 0. S. 18, Anm. 1; ferner W. DouglasHamilton45.
28 ^) Stow: Survey of London 1599 (verglichen mit der Ausgabe von
1633 imd mit der Ausgabe von John Strype 1720) S. 279 ff.
Leider stand mir für die folgende Schilderung die Ausgabe Stow's
von 1603 und Cunningham's Handbook of London nicht zu
Gebote, nützlich war mir Pauli: London im Mittelalter, in den
Bildern aus Alt-England, 2. A., 1876, obwohl sich der Essay auf
eine frühere Epoche bezieht, und vorzüglich W. B. Eye: England
as Seen by foreigners in the days of Elizabeth and James L 1865,
woselbst Eichel, Hentzner etc. herangezogen werden, vgl. Vatke:
Ein Gang durch London z. Zeit Jakobs I. (Im neuen Reich 1878.)
24 ^) S. die im Folgenden noch mehrfach benutzten „Reisen des Samuel
Eichel von Ulm", herausgegeben von Ha ssler in der Bibliothek
des Literarischen Vereins in Stuttgart 1866, Nr. 86. Eichel berichtet
vom Ende des sechzehnten Jahrhunderts in naiver Treue. Nach
Cunningham's Angabe (Masson I. 29) rechnete man 1603 die
Einwohnerzahl von Ijondon auf 150,000, nach Correr's Relation
um 1610 (Rye 272) auf 300,000.
25 ijEichel's Reisen S. 24.
26 ») Eichel's Reisen S. 28.
2) Eichel: „Ittem es gübt auch ballheüser, werden auch täglichen
commedien gehalten, sonderlichen lustig zuzusehn, wann der königin
comedianten (er war zur Zeit Elisabeth's dort) agiren, aber
einem frembden, der düe sprach nicht kan, verdrüslich, das ers
nicht verstöth" etc. eine für die Geschichte des englischen Bühnen-
Wesens nicht uninteressante Stelle. Vgl. im ganzen bei Strype das
Eapitel: „Sports and Pastimes".
27 ') The Art of living in London OR A Caution how Gentlemen,
Countreymen and Strangers, drawn by occasion of businesse, should
dispose of themselves in the thriftiest way, not onely in the Citie,
but in all other populous places. As Also A direction to the
poorer sort that come thither |to seeke their Fortunes. By H.
P(echam) Printed for John Gylcs and are to be sold by Samuel
Rand, at his shop at Barnards June in Jlolborne. 1<)42. 4 151. 4".
Br. M. E. 145J20.
2) The Reason of Church Government (W. III. 144.) Vgl. Defensio
secunda, W. VL 286 i. f.
Erstes Kapitel. 303
Seite
27 ^) S. früher Zerstreutes über T. Young nunmehr zusammengestellt
in David Laing: Biographical Notices of Thomas Young. S. T. D.
Vicar of Stowmarket Suffolk. Edinburgh 1870.
28 ') „who cutt his haire short".
2) S, die Nachbildung durch Photo-Zinkographie vor dem Werkchen
von Laing, daselbst S. 18|Nachrichten über die Geschichte des Bildes.
3)Masson I. .51, Laing a. a. 0. S. 15, Anm. 1.
29 *) S. d. Gesch. d. Bildes , jetzt im Besitze von E. Disney, Esq. of
the Hyde, b. J. F. Marsh: On the engraved portraits and pretended
portraits of Milton i. d. Transactions of the bist. soc. of Lancashire
and Cheshire XIL (1860), 144, daselbst S. 136 einen Stich und einen
anderen vortrefflichen von E. Eadclyfte, bei Mass on 1. nach einer
vom Original genommenen Photographie.
2) Lappenberg: Th. Y^oung Capellan der Court der Merchant-
Adventurers zu Hamburg in d. Ztschr. des Vereins f. Hamb. Gesch.
I, 309 — 313, IL 649—651. Weitere Nachforschungen, die mein
Freund Dr. Koppmann die Güte hatte anzustellen, blieben erfolglos.
Lappenberg setzt sonderbarer Weise die 4. Elegie Milton's in's
Jahr 1620, indem er 1603 f d. Geburtsjahr des Dichters hält und
knüpft daran irrige Folgerungen betreffend den Sinn der Verse
71—74.
30 *) Die Datirung dieser Elegie, zusammengehalten mit Ep. fam. 1.,
macht ausserordentliche Schwierigkeiten. Der Versuch,, diese da-
durch zu lösen, dass man einen vorübergehenden Aufenthalt
Y''oung's in jEngland Anfang 1625 annimmt, wie ihn Masson P.
W. III. 494 ff. gemacht hat, scheint mir überkünstlich. Auch aus
anderen Gründen, die |ich in Gott. Gel. Anz. 1875, 842 — 844,
auseinandergesetzt habe, glaube ich annehmen zu dürfen, dass
Milton sich (wie im Falle von Silvarum Nr. 1) in der Datirung des
Gedichtes geiiTt hat, und dass sie „Anno aetatis 16" lauten sollte. —
Man möchte glauben, dass Y'oung's Unterricht auf die Bildung
von Milton's Handschrift eingewirkt habe, wenn man die Probe von
Y"oung's Handschr. (b. Laing 24) mit dem cambridger Ms.
vergleicht.
2) Die ausführlichsten Nachrichten über diese Schule finden sich zu-
sammengestellt bei Stojw ed. Strype, 1720, L 163—169, vgl. über
Colet: Wood Ath. Ox. I. 11, Weber: Geschichte der akatholischen
Kirchen und Secten von Grossbritannien. Leipzig 1845, I. 143 ff.
Knight: The Life of Colet 1823 und Seeboh.m: The Oxford
Reformers 1867 liegen mir nicht vor.
31 ») S. dies ürtheil über AI. Gill sen. (geb. 27. Febr. 1564, gest.
17. Nov. 1635) bei Wood Ath. Ox. I. 602. Daselbst eine Auf-
zählung der Werke Gill's u. a. Logonomia ;Anglica, Qua Gentis
sermo facilius addiscitur, von der mir die zweite Auflage von
304 Anmerkungen.
Seite
1621 vorliegt (London, Excudit Johannes Beale) , vgl. Strype
a. a. 0. S. 168.
32 ^) In der Bodleiana unter den Mss. Aubrey's befindet sich in
demselben Baude, der die Lebensbeschreibung Milton's enthält,
S. 28 die Biograj^hie des Dr. Thomas Triplett (s. über ihn Wood
Fasti IL 145). Von [diesem heisst es: „He went to school to
Dr. Gill as appeares by his Ballad, which will last longer than auy
Sermon that ever he made . . Our common friend George Ent went
to school to him who told me that he had forgot the smart of
his cid master Gill." Am Rande: „Dr. . . Gill (the father) was a very
ingeniöse person, as may appeare by his writings: notwithstanding he
had moodes and humours as particularly his whipping fitt" . . .
S. 29 folgt die Ballade, deren Ton so derb ist, dass ich nur die
Anfangsverse hierher setzen will : In Paul's churchyard in London |
There dwells a noble Firker | Take Iheed ye that pass | Lest you
tast of his Lash etc. Am Rande steht unter anderem : „Dr. Triplet
came to give his master a visit and he whipt him." Ebenda steht
ein Gedicht auf Gill, den Sohn, worüber u. K. 2.
^) Das im Text Gegebene stützt sich auf Wood Ath. Ox. II. 22 (da-
selbst eine Liste der gedruckten Werke des AI. Gill jun., unter
denen die nansoyu sive poetici conatus etc., London 1632, hervor-
ragen, und derer, die Wood im Ms. gekannt hat). Strype a. a. 0.
S. 168. Die im Staatsarchiv aufgefundenen Gedichte sind ab-
gedruckt bei W^ D. Hamilton 65 if. , über den Streit der
Gills mit Ben Jonson s. Kap. 4.
33 ^) Grundlage der Nachrichten über Diodati's Familie und ihn selbst
ist das bei Todd VI. 171, 359, ;H'amilton 45, Masson II. 81,
P. W. z. d. betr. Gedichten und Preface, T. W. Jones: Life of
W. Bedell (Camden - Society 1872), S. 141, 142 Zusammengestellte.
Die wichtigsten Quellen über das Verhältnis Milton's zu Karl
Diodati bilden die folgenden auf diesen bezüglichen Erzeugnisse
des Dichters : Eleg. I, VI, Epitaphium Damonis im 'Silvarum Liber,
das 4. italienische Sonett, Epist. famil. Nr. 6, 7. „Lepidum sodalem"
nennt ihn Miltön Eleg. I., 7. Vergl. zwei griechische Briefe Diodati's •
an Milton, abgedruckt bei Mitford: Life of Milton, vor der Aus-
gabe der Werke I. pp. CX, CHI, CXIV.
34 *) „if such might be gotten", s. Strype a. a. 0. S. 165 und ebenda
die Belege für das im Text Mitgetheilte. Zu Strype's Zeiten
kürzten die Lehrer, wie er berichtet, den oben angeführten Spruch
faulen Schülern gegenüber der Art ab, dass sie sagten- „aut flisce
aut discede."
35 ') Auch hier zeigt sich der Verfasser als strenger Kritiker, S. 145 :
„In summa, ita lasciviunt poetae nostri in carminum generibus, in
Erstes Kapitel. 305
Seite
rliythmis, et utriusque mixtiu'is, ut nihil fere excogitari possit, cujus
exempla apud illos abunde non reperies."
36 ^) Man vergleiche : Silvarum Liber Ad Patrem die Verse 82 — 84, welche
Masson I. 67 schon hier anzieht, während er sie P. W. III. 528
erst auf die Universitäts-Zeit bezieht.
2) Defensio secundaW. YI. 286, 287 : Pater me puerulum — Cantabrigiam
misit, vgl. Aubrey. Wood sagt: there (nämlich in Cambridge)
as at School for 3 Years before 't was usual with him to sit up
tili midnight at bis book, which was the first thing that brought
bis eyes into the danger of blindness. Ygl. Phillips.
37 1) The Works of Abraham Cowley in two volumes, 1710, II., 782.
39 1) Geb. 1563, gest. 1618, s. Wood Athen. Oxon. I. 594, E. Phillips:
Theatrum Poetarum 'Anglicanoruni (Ed. 1800), S. 277, Charles
Dunster: Considerations on Milton's early reading and the sta-
mina of bis Paradise Lost etc. 1800, S. 224 ff. Eine neue Aus-
gabe J. Sylvester 's ist angekündigt von A. B. Grosart fiu- die
„Chertsey Worthies Library."
^) S. 0. S. 22. Ich wiederhole absichtlich die kühnen Yermuthungen
nicht, welche Dunster a. a. 0. S. 229 hier anknüpft. Das vollstän-
dige Werk erschien bei Lownes 1605, 1611, 1613, 1621 mit Sylvester's
eigenen Gedichten, ebenso 1633, 1641. Ich benutze die „Oeuvi-es
poetiques" des S. du Bartas in der Ausgabe von 1608.
2) P. W. II. 389—392, III. 343 ff. „A Paraphrase on psalm CXIY.
„This and the following Psalm were done by the Author at fifteen
years old" (eine von Milton selbst hinzugefügte Bemerkung).
40 >) Samuel Johnson: The works of the English Poets (Ed.
Göttingen 1784) I. The Life of Milton, S. 5.
*) Man vergleiche die kritische Untersuchung bei Dunster a. a. 0.
S. 17 — 32 und bei Tod d, woselbst auch War ton's Bemerkungen
im Auszug zu finden sind.
3) An Apology etc. W. III. 268.
41 1) Dunster a. a. 0. 231.
^) In Camdeni Insignia; Oxon. 1624, s. Masson I. 85.
') El. YI. V. 3 (P. W. III. 53). „At tua quid nostram prolectat Musa
camoenam" etc. Ep. fam. W. YII. 378.
42 1) Ep. fam. W. YIL 370. AI. Gillio Maji 20. 1628: „Accepi literas
tuas et quae me mirifice oblectavere, carmina vere grandia et
Majestatem vere Poeticam, Yirgiliumque ubique Ingenium redo-
lentia."
2) Ep. fam. 5. AI. Gillio Dec. 1634. W. YII. 373.
3) Ep. fam. 3. AI. Gillio Cantabrigiae Julii 2. 1628. W. YIL 371.
„Haec quidem Typis donata ad te misi, utpote quem norim rerum
Poeticai'um judicem acerrimum et mearum candidissimum" etc.
nPhillips.
Stern, Milton u. s. Zeit. LI. 20
306 Anmerkungen.
Seite
43 *) Das Datum ist zu schliessen aus der Abfassungszeit von Milton's
Gedicht „On the Death of a fair infant" (das Kind seiner Schwester),
welches Gedicht dem Jahr 1626 angehört.
2) Massen I. 81, Anm. 1.
3)Strype a. a. 0. I. 220. Vgl. Seymour a. a. 0. II. 386. In
Maitland: The History of London (1739), S. 610, wird der
20. Januar als Datum der Inkorporation angegeben, s. auch Mas-
son I. 48.
*) S. f. das allgemein Historische Rawson Gardiner: History of
England fi'om the accession of James I. to the disgrace of chief-
justice Coke, 2 Vols. 1863. Prince Charles and the Spanish
marriage 1617—23, 2 Vols. 1869, A history of England under the
duke of Buckingham and Charles L, 2 Vols. 1875.
5) P. W. III. 59, 60, 65—72, s. Kap. 2.
46 ^) S. neben Guizot (1863) und Rawson Gardin er vorzüglich
J. Goll: Die Französische Heirath. Prag 1876.
Zweites Kapitel.
48 ^) Der folgenden allgemeinen Schilderung liegen zu Grunde: V. A.
Hub er: Die Englischen Universitäten, 2 Bde. 1839, 1840.
Th. Füller: The history of the üniversity of Cambridge. (Ed.
1840. London). (James Hey wo od): CoUections of Statutes for
the üniversity and the Colleges of Cambridge. London 1840. The
Autobiography and Correspondence of Sir Simonds d'Ewes, ed. J.
0. Halliwell, 2 Bde., London 1845, daraus als Auszug: College.
Life in the time of James the first, London 1851. C. H. Cooper:
Annais of Cambridge, 4 vols. 1842—62. Vor allem aber waren
die schon mehrfach benutzten „News-Letters from Joseph Mea de
to Sir Martin Stuteville, Nov. 1620 bis April 1631," Br. M. Harl.
Isis. 389, 390, 2 Bde., einzusehen. Sie werden im Folgenden unter
Meade's Corresp. citirt. Dagegen konnte ich leider nur in
Auszügen folgende Werke benutzen: Dyer: Privileges of the üni-
versity of Cambridge, History of the üniversity and Colleges of C.
2 Vols. 1814. Peacock: Observations on the Statutes. 1841.
') Englisch nach Dyer wieder herausgegeben 1838.
49 ^) „Nur bei den Vorstehern wurden Ausnahmen geduldet" Hub er IL 53.
*) Die Ausnahmen von dieser Regel berücksichtige ich hier nicht,
s. Kap. XLVII. der Statuten.
^) Nach den elisabethanischen Statuten fQr die Colleges (Nr. 34) sollen
die Thore im Winter um acht, im Sommer um neun Uhr ge-
schlossen werden; nach den Statuten von Christ College soll von
Michaelis bis Ostern niemand sj)iiter als neun, von Ostern bis
]\Iicliaelis niemand später als zehn Uhr in's College zurückkehren
' • Zweites Kapitel. 307
Seite
s. Massen I. 112, woselbst ein Ms. der Statuten von Christ College
benutzt wird.
50 ^) Massen I. 113. In den Statuten von Christ College heisst es im
Gegensatz zu dem vorhergehenden „adultus" : „alioquin virga corri-
gatur". Zuerst mitgetheilt bei Todd I. 16 nach Kap. 37 der
Statuten De Lectoris Authoritate in Discipulos, in welchem von
dem Fall die Rede ist, dass die Schüler „absent themselves from
certain Lectures".
^) Die Briefe Meade's geben die besten Belege. Ich greife nur ein-
zelnes heraus, was sich, wenn nichts Besonderes hinzugefügt ist,
auf seinen Zögling, ^den neu angekommenen Sohn Stuteville's be-
zieht. 26 March 162-5. (I. fol. 418 b.) „For his apparrell it is best
he should be fiirnisht like a gentleman both in respect of yoür-
selfe and the better to cover any other defect. His gowne there-
fore should be stuff etc." fol. 428 b- „For Mr. John I will take
Order (if you send money), that his gowne shall be suitable every
way to his condition. But I must desire you to give him a 11 s
in bis purse to pay for his admission 10 to the Colledge and the
lecturer 12 d. that I may keep my promise that it should never
be payd out of my band." In demselben Brief Ausführliches über
die Zimmer -Vertheilung: „For bedding wee shall make a shift per-
haps for a week, tili we know better what is needfull. If he keeps
in the new building, he must have a whole bedding because he
lyes alone . . if in another Chamber where he hath a bedfellow,
they must make a bed between them and Ms part will be more
or less according as his bedfellow is furnished." fol. 446a.. 25 May
1625: „When your letter was delivered me, I was paying the Draper
for your son's gowne" etc. IL fol. 139 1. 14. Oct. 1626: „I would
by my pupill some books he hath but a poore Study and nothing
but such books as he must needs have. Are you willing I should
lay out a matter of 30 or 40 Shillings to that purpose?" etc. Am
2. Dec. 1626 fol. 169 a. beklagt sich M. über die Saumseligkeit
seiner Zöglinge Higham und Tracy: „Neither he (Higham) nor
Mr. Tracy are so good Paymasters as I hoped for. But the latter
I think is only late (?) to forget his money, the other is not so
well stored." Sehr lehrreich sind auch die Nachrichten über das
College - Leben in der Autobiographie von Sir Simonds
d'Ewes. L 106—155.
51 ^) Der Name kommt daher, dass an diesem Tage die Graduirten ihre
Grade auszuüben begannen. Es sollte der erste Dienstag im
Juli sein. Stat. Eli sab. Kap. 2.
'»)Dyer, Privileges L .330.
«)Huber IL 347.
20*
308 Anmei klingen. •
Seite
52 ') Ausserdem war durcli Dekret vom 25. März 160ß die Entfernung
von der Universität in der Zeit zwischen dem Bakkalaureat und Er-
langung des Grades eines M. A. gestattet worden, Dyer I. 289—292.
Ö3 ^) „Johannes Milton Londinensis, filius Johannis, institutus fiiit in
literarum elementis sub Magistro Gill, Gymnasii Paulini praefecto;
admissus est pensionarius minor Feb. 12. 1624, sub Magistro Cha-
pell, solvitque pro ingi-essu 10 s." Auszug aus dem Entry-Book
von Christ-College bei Masson I. 88. Eine Kopie dieses Eintrags
nebst anderen auf Christ- College bezüglichen Notizen befindet sich
im Br. M. Harl. Mss.- Nr. 7036.
2)Strype, (Ed. 1720) I. 166.
3) The Autobiography of S. S. d'Ewes I. 119.
*) 1800 ist Downing College hinzugekommen. S. Cooper IV. 268,
467. Die Mitgliederzahl nach einer bei Masson I. 89 — 91 zu-
sammengestellten Liste.
54 ') Füller bist, of the university of Cambridge 134^ — 138. Wood.
2)Cole's Mss. vol. XX, p. 65 und Athenae Cantab. im Br. M.
angeführt bei Masson I. 99.
«) Füller: The history of the Worthies of England (Edit. 1840)
I. 519. Henry Ellis: Original Letters illustrative of English
history first series, 1824. Works of the pious and profoundly
learned J. Meade, 2 Vols. 1664 mit dem Leben des Autors.
55 ^) Man vgl. z. B. The Diary and correspondence of Dr. John Wor-
thington, herausgegeben von Crossleyin denEdit. der C h e t h a m -
Society (1847, 1855) V. IL P. 1. S. 4L
56 ') Worthington's Diary L 53 N.
57 ') Masson L 646, IL ,76 — 79, grossentheils nach Briefen aus dem
St. P. 0., vgh Biogr. ßrit. IV. 448. Füller Worthies IL 571.
Cooper: 111. 85. Life of Bedell in den Ed. der Camden-
Society 1872, p. 231.
*) d'Ewes, Autobiography IL 200—213. Gell starb 1665, s. Wor-
thington's Diary IL P. 1. S. 171. Masson L 107. Meade's
Brief v. 19. Mai 1627, Ms. IL f. 253 a.
3) Nach Meade's Correspondence kann man herausrechnen, dass er
allmählich den John Stuteville, Tracy, John Higham, Justinian Isham
zur Aufsicht übernahm.
*) Meade's Brief vom 17. Febr. 1627 (IL fol. 206 =i) „Our master
here hath the absolute dispose of Chambers and studics and
however the Statute limits his power by discretion to dispose according
to qualitie, desert and convenience, yet himselfe being the
only judge, that limitation is to no purpose. And to teil
tales forth of Schoole, our present Master is so addicted to his
kindred, that whero tbey may have a benefit, .there is no perswasion
wbosoever hath the injurie." Vgl. fol. 221 'i-, 225 •'■■
Zweites Kapitel. 309
Seite
57 S-) Ygi_ (jig yon M a s s 0 n I. 87 ff. veröffeDtlichte Liste. Milton's
Immatrikulation in den Universitäts-Büchem erfolgte erst am'9. April
1625 (s. den Eintrag bei Masson I. 124). Nach seiner Admission
in das College am 12. Februar muss er wieder nach London zurück-
gekehrt sein, wie das Datum des Briefes an Young (Ep. fam. 1),
Londino Martii 26, 1625, bezeugt.
58 *) Füller Worthies II. 517 über Preston, „the greatest pupil-monger
in England in man's memory". Wood I. fasti 183. Neal history
of the Puritans. Ueber Downes u. Wheelock: d'Ewes, Auto-
biography I. 139, 141. Füller III. 66. Näheres über Herbert in
Kap. 4.
*) Stat. Elisab. Nr. 39.,
59 ^) Cooper III. 265,;280— 283. „Common Disorders in the üniversity."
Von Chrisk Coli, heisst es allerdings ausdrücklich : „Their Service is
much reformed of late." Für das Folgende wird benutzt ein dem
Erzbischof Land 23. Sept. 1636 eingesandtes Aktenstück.
^) d'Ewes Autobiography I. 141.
^) Meade's Corresp. nach Erzählung jenes dunklen Versuchs von
Power (s. 0. S. 57 Anm. 2), II. foh 253 a. (19. Mai 1627). „Deus
hone quomodo hie vivitur!"
60 ^) „Prayers of every Man's own making (and sometimes sudden
conceiving too)" Cooper III. 281.
t)l 1) Cooper IIL 178. Meade's Corresp. 9. Apr. 1625 (L fol. 420 1.).
*)Meade theilt gewöhnlich die Todtenlisten mit bis zum 11. März
1626 (IL fol. 25a.). Corresp. 10. Sept. 1625 (L 487 a.). d'Ewes
Autobiography I. 278, vgl. 273.
^) Meade's Corresp. 17. Juli 1625, abgedr. in „Court and Times of
Charles I." (1848) L 43.
*) Meade's Corresp. 4. Sept. 1625, s. „Court and Times" I. 45.
5) On the Death of a fair Infant dying of a Cough. P. W. IL 392
bis 395, vgl. III. 345—347, üb. d. Art d. Datirung „Anno Aetatis 17"
s. IL 188. Vgl. Phillips 364.
62 1) Eleg. 3. In obitum Praesulis Wintomensis, P. W. III. 43^5,
489^92, II. 329—330. Vgl. auch Worthington's Diary I. 76.
*) Wenn dies, wie es den Anschein hat, eine Anspielung auf den Tod
Christian's von Braunschweig und Ernst's von Mansfeld ist, so
könnte das Gedicht erst gegen Ende d. J. geschrieben sein.
63 ^)In obitum Praesuhs Eliensis Silvarum 3, P. W. IIL 72—74,
520—524 II. 353.
2) In obitum Procancellarii medici, P. W. III. 64', 511—13, H. 352.
Vgl. über Gostlyn: Füller III. 489, hier wird als Todesjahr irrig
1625 angegeben. Milton's Datirung seines Gedichts in den Ausg.
V. 1645 und 1673 „anno aetatis 16" ist irrig.
310 Anmerkungen.
Seite
63 ') In obitum Praeconis Academiae Cantabrigiensis El. 2. P. "W. 113.
43-^5, 488—99, II. 328, 329. (Das Testament Ridding's ist nach-
weislich eröffnet 8. Nov. 1626.)
*) Dyer: Privileges I. 300.
5) Silvarum Lib. In Quintum Novembris. P. W. m. 65—72,
513-520, IL 353—354.
65 ') S. über die Angelegenheit, die hier nicht ausgeführt werden kann,
R. Gardiner: A history of England under Buckingham etc., I.
Chap. 7.
*) Worte Sir Th. Crew's, des Sprechers des ersten Parlamentes
Karl's I., s. R. Gardin er 1. c. I. 191.
66 ') Sie befinden sich im Er. M. Additional Mss. Nr. 5016 (nicht 5017,
wie Mitford sagt) folio 64, abgedruckt in Mitford's Ausgabe von
Milton's Werken, I. p. CXCm, CXCIV.
67 ') EI. I. P. W. III. 39-42, 486—488, II. 323—328. Das Datum
darf man mit einiger Sicherheit aus dem Umstände schliessen, dass
Milton seine Jugendgedichte in chronologischer Ordnung vorzuführen
beabsichtigt, das auf diese Elegie folgende Gedicht aber bezeichnet
ist „Anno Aetatis 17". Diodati war am 10, December 1625 in
Oxford B. A. geworden. („Wood Mss. in the Ashmolean 8506",
s. Masson I. 138.)
') Die Verse 41 ff. hat man auf shakespearesche Stoffe beziehen
wollen, doch aber eingesehn, dass „indelibata gaudia" zu dem Ge-
danken an Romeo nicht passen würde, während allerdings unter
dem „criminis ultor" sichHamlet's Geist oder Banquo's wohl
verbergen könnte. Dennoch neige ich mich dahin, auch hier eine
Bezugnahme auf antike Stoffe zu finden, welche Milton sonst an
dieser Stelle durchaus hervorhebt. Namentlich scheint er Seneca's
Tragödien im Auge gehabt zu haben; so möchte unter dem „Ultor"
vielleicht Laios zu verstehn sein, während zu dem „puer infelix"
allerdings die Persönlichkeit des Haimon aus der Antigene trefflich
passen würde. — Steevens Bezugnahme auf die „Ate" in dem
Drama „Locrine" erscheint gesucht.
68 OEl. VII. Anno aetatis undevigesimo; P. W. III. 56—59, 507—509.
II. 338—340.
69 ') Wenigstens deutet v. 91 auf eine direkt angeredete Person : „Crede
mihi, nullus sie infeliciter arsit." Der Elegie ist, vernnithlich bei
Gelegenheit der Herausgabe von 1645, eine Art von Epilog an-
gefügt, in welchem, halb im Ernste halb im Scherze, jener Jugend-
tliorheiten gedacht wird , die längst ihren Werth für den Dichter
verloren, seit die „uinbrosa Academia" ihn aufgenommen. Dies be-
deutet schwerlich, wie Warton meint, „in other words his retum
to the university," sondern seine Hinwendung zum ernsten, philo-
sophischen Studium. Vgl. auch die Worte „shady Spaces of philo-
Zweites Kapitel. 311
Seite
sophy" etc. in „An Apology etc." Works III. 272, s. P. W. UI.
.508, 599.
69») Vgl. Laiug .a. a. 0. S. 15 ff. Daselbst eine Abbildung des
Pfarrhauses.
s) Epist. famil. Xr. 4. Cantabrigia Julii 21. 1628, W. VII. 373.
70 *) S. oben S. 42 Londino Maji 20. 1628. (Die Datirung v. London,
Gill's Wohnort, und ausserhalb der Ferienzeit könnte auffallen,
wenn nicht auch El. 7 gleichzeitig Anspielungen auf London und
den Mai enthielte.) Cantabrigia Julii 2. 1628. Ep. fam. 2, 3.
W. VII. 370, 371. Ein Brief muss verloren gegangen sein, denn in
Ep.fam. 3 heisstes: „Negotium illud, de quo scripsi subobscurius," etc.
ohne dass sich in tiem Brief vom 20. Mai auch nur die dunkelste
Andeutung dieses negotium fände.
^) Km-ze biographische Notizen über Cleveland bei Füller II. 240,
Wood f. 0. I. 274, eine Lebens-Skizze vor „Clievelandi Vindiciae
Or Clieveland's genuine Poems, Orations, Epistels etc." London,
1677, welche Ausgabe mir zu Gebote steht, und nach der ich im
Folgenden citire. Das Datum von Cleveland's Aufnahme in das
Chi'ist - College entnehme ich dem Auszug aus dem „Entry-Book"
bei Masson I. 156, vgl. e. Artikel in „Gentleman's Magazine"
Febr. 1873.
71 ') Ueber die Brüder King, besonders Edward King, s. nach Todd
V. 4 ff. P. AV. zum Lycidas, b. Masson I. 146 den Eintrag aus
dem „Admissions-Book". Es ist auffallend, dass die liings als
lesser pensioners in das College eintreten. Vgl. Phillips 856.
72 *) Naturam non pati Senium, P. W. HI. 74—76, 524, 525. II. 354—358,
der Titel des Werkes v. Hakewill (s. üb. ihn auch Wood und
Todd) lautet: „Apologie of the Power and Providence of God in
the Government of the World; or an Examination and Censui'e of
the common Error touching Nature's perpetual and universal Decay."
D. Motto war dem Prediger Salomon. 7, 11. entnommen.
73 1) Masson L 131. 2)Cooper IIL 182,
74 ^) C. S. P. Dom. S. 1626, p. 236, 24b.
*) Nähere Bestimmungen Stat. Kap. 33. Ueber den Begriff' der
Regents Hub er IL 333.
77 ^) Meade's Corresp. abgedr. in „Court and Times" I. 107 und Ms. II.
fol. 70a — 75a. Cooper III. 185 ff. d'Ewes Autobiography I.
388. Vgl. Rawson Gardin er IL 66, 67. Das erwähnte Gedicht
in Meade's Corresp. Ms. IL 182 a. auf einem Blatt für sich : „Where
onely one doth rule and guyde the Shippe i That neither Card nor
Compas knew before, | The Master Pilot and the rest asleepe, | The
stately Ship is splitt upon the Shore. | But being awake they Start
up, Stare and cry | Who is in fault ! Nor I , nor I , nor I ; | So
312 Anmerkungen.
Seite
fares it with tbe rieh and royall State | Not guyded by tlie Master,
but bis Mate.'"
78 ^) Xäberes inMeade's Corresp. vom 3. und 10. März 1627, s. „Com't
and Times" I. 202.
2) Co 0 per i:i. 200.
■'')Meade's Corresp. II., fol. 320a., 17. Nov. 1627 Dat.: „Cbrist
Coli. Nov. 17 wben our belies in every cburcb are ringing bere in
memory of happy Q. Elisabeth". Unmittelbar vorher geht eine
Schilderung der Unglücksfälle der Flotte bei der Insel Rhe.
79 ^jCooper III. 203, 204.
80 ^) Diese Ansicht Avird bekämpft durch Tüll och: Rational Theology
and Christian Philosoph}-, 1872, I. 266 flf., s. indess d. nächste Anni.
und Rawson Gardin er II. 343.
81 ^) Das Material für die Geschichte dieses interessanten Falles ist jetzt
grössten Theils zusammengestellt bei Hamilton S. 67 — 71 (zuerst
bei Malsson I. 178), vgl. C. S. P. 1628—29, 1629—31 Reg. Aubrey:
Letters written by eminent persons IL 285. Meade's Corresp.,
Nov. 15. 22. 1627. Es scheint mir doch, als ob Chillingwortb der
Angeber gewesen sei, die Annahme wird bestätigt durch den Brief
Sam. Fisher's bei Hamilton 69. Zugleich ist dieser dadurch
merkwürdig, dass hier ein „Mr. Deodat" erwähnt wird, der der-
selben Meinung sei, vermuthlich Milton's Freund. In dem früher
von mir erwähnten Ms. der Bodleiana (s. 0. S. 32 Anm. 1) finde ich
ein Gedicht, das unzweifelhaft auf diese Angelegenheit geht. Ich setze
nur einige Verse hierher: „Gill ujion Gill: And for thy Blanketting
(Am Rande: he was tossed ina Blanket) | And many such a thing I
For which thy name in Towne doth ring | And none deserves so
111 I To heare as bad as Gill | Thy name is a proverb still.." Gegen
Ende heisst es: „But now remainst the vilest thing] Thy Ale-
House barking 'gainst the King | And all his brave and noble
Peers | For which thou venturcst for thy eares" (vgl. schon ß. Jon-
son's Works IL 438, Ed. Cunningham).
82 *) Nee dudum vetiti me laris angit amor. S. über die verschieden-
artige Auslegung P. W. III. 486.
83 ') Hey wo od 31, vgl. über noch späteres Vorkommen der körper-
lichen Züchtigung für Undergraduates: Academy 1874,p. 30 (Juli 11.).
^) Regii Sanguinis Clamor p. 8. „Ajunt hominem Cantabrigiensi
Academia ob flagitia pulsum dedecus et patriam fugisse et in
Italiam commigrasse" etc.
84 ') Offenbar ist „Tovell" bei Aubrey eine Namens-Verwechselung mit
„Tovey".
2) 8. die Liste bei Masson I. 184. ^) Hub er II. 135.
Zweites Kapitel. 313
Seite
85 >) El. V. Anno aetatis 20. In adventum veris. P. W. III. 69—53, 500—503,
II. 335, 336.
''j Masson I. 180 nach Br. M. Add. Ms. 5884 und Wood Ms. Ashm.
Mus. 8507.
*) El. VI. Ad Carolum Diodatum ruri commorantem. P. W. III. 53 — 56,
503 — 506, II. 336, 337. Die Zeit der Abfassung ergiebt sich aus
der Datirung der einliegenden Ode: „On the Morning of Chirist's
Nativity", welche 1629 ist, s. u. S. 86 Anm. 2.
86 ') Z. B. Paradise Lost V. 483, Penseroso 46.
') P. W. II. 399—408, 196, 197 III. 351—357. „On the Morning of
Christ's Nativity", nach der Ausgabe von 1645 mit 1629 als Datum
der Abfassung bezeichnet.
87 1) P. W. II. 408^111, 197; III. 357, 359.
*) Leider steht mir ein Aufsatz „On University-Plays" in der Ketro-
s p e c t i V e Review XII nicht zu Gebote.
^)Cooper III. 71, 84. „Ignoramus" wurde veröffentlicht 1630,
s. Lowndes.
88 ')Meade in „Court and Times" I. 325, 329.
*) Clievelandi Vindiciae p. 180. ^) London 1632 s. Lowndes.
*)Meade in „Court and Times" IL 29.
89 ') S. „Trinculo, a jester" in Shakespeare's Sturm.
2) „An Apology against a Pamphlet" etc. W. III. 267.
90 ') C 0 oper : III. 223—228. Ueber den Verlauf der Pest in Cambridge
und speciell die Lage von Christ College geben uns die Briefe
Meade's den besten Aufschluss. 1630. 17. 23. 24. A^pril, 20. 27,
Okt., 27. 28. Nov., 5. Dec. CorrespondencelL fol. 513a— 527a,
zum Theil abgedruckt in „Court and Times" IL Als Ergänzung zur
Bestimmung der I>okalität hat mir der Plan von Cambridge von
1634 vor Füllers history of the üniv. of C. gedient.
91 ^)Cooper: IIL 234.
2)P. W. IL 414, 415, 199— 202 IIL 364 vgl. The Fairfax Correspon-
dence, Memoirs of the Reign of Charles I ed. G. W. Johnson I.
p. LXVIII. Es finden sich in einer Sammlung von „Epitaphs"
(Titel fehlt, am Schluss Oct. 8, 1639 Imprimatur Matth. Clay, in
dem Ex. der Göttinger Bibl. angebunden „Wits Recreations, London
1640") unter No. 9 — 12, 56 noch weitere Grabschriften auf „Hobson
the Carrier". No. 96 daselbst entspricht mit einigen Varianten dem
aus Sancroft's Ms. mitgetheilten Fragment bei T o d d VI. 90.
3) P. W. IL 416—418, 202—204. IIL 365, 366.
92 ^) Brief Karls I. an Master und Fellows von Christ College vom 10.
Juni 1630, bei Massen I. 206, nach Br. M. Harl. Ms. 7036.
*) Eintrag aus dem Admission-Book bei Masson I. 210, welcher
das Factum zuerst bekannt gemacht hat.
314 Anmerkungen.
Seite
92 3) Eintrag bei Massen I. 215; vgl. über More: TuUoch: Rational
Theology- 11 303—410.
*) Wood 11. fasti, 29. Peter Hausted: The Rivall friends a Comedy.
London 1632, von demselben: Senile Odium Comoedia Cantabrigiae
publice Academicis recitata in Coli. Reginali ab ejusdem Collegii
Juventute, Cantab. 1681, daselbst andere Schriften von ihm. Ueber
Randolph s. Wood I. Athen. Ox, 244. The Jealous Lovers, ge-
druckt 1632, Lowndes.
93 1) d'Ewes Autobiography II. 67.
2) Brief vom 4. April 1632, C. S. P. 302. d'E w es II. 68 deutet doch noch,
wie mich dünkt, auf andere Gründe hin.
^) Auszug aus dem Graduation-Book bei M a s s o n I. 225.
*)S. Cleveland's Gedicht: ,.How the Commencment grows new
(Vindiciae p. 88 flf.) vgl. Cooper III. 280. Im übrigen vgl. über
die Formalitäten des Commencment-Day Kap. XXX der Statuten
v. 1570. Dyer I. 307. 286. 228—231. 236. 29:3—294 und einen An-
bang bei Peacock.
94 »)P. W. II. 412, 198; III. 360—362 At a solemn musick. Masson
setzt das Gedicht vermuthungsweise in's Jahr 1630, ebenso das
„On Time" (P. W. II. 411).
*) Stat. Kap. 4, vgl. Hub er IL 49, 94 u. s. w.
95 ^) Wovon d. eine Mal in den public schools, Autobiography of d'E w e s
L 120, 121, 140.
*) S. üb. d. genannten Autoren Masson I. 229; vgl auch üb. d. da-
mals beliebten Lehrbücher der Logik: A. de Morgan: On the
Syllogism, No. III , and on Logic in general (.Transactions of the
Cambridge philos. Soc. X. 227 Note zu § 4. 1864).
96 ^) Silvar L. ad Patrem 85. S. üb. d. Genannten Wood, Füller.
2)C. S. P. 1627 s. V. Dorislaus, vgl. 1628, 1632. In Folge gütiger
Uebersendung durch S. R. Gardiner liegt mir Wren's Brief an Land
im Wortlaut vor.
97 1) Tu 11 och: English Puritanism, 1861 S. 297.
^) R. Coke: A detection of the court and State of England, 1719, I.
16 ff.
^) Prolusiones oratoriae, W. 411 — 469. Masson in Bd. 1 hat sie zu-
erst nach Verdienst gewürdigt. Ich bemerke, wo ich von seiner
Ansicht abweiche oder sie zu ergänzen versuche.
■*) Utrum dies an nox praestantior sitV 1. c. 410—421. Man hat neuer-
dings unter den Mss. Sir F. Graham's zugleich mit Miltons Common-
place-Book auf einem einzelnen Blatt einen kleinen lateinischen
Essay, überschrieben „Mane citus lectum fuge", und darauffolgend
ein kleines lateinisches Gedicht „Carmina Elegiaca" aufgefunden,
das denselben Gedanken ausdrückt. Beide Stücke sind von A. J.
liorwood in der Edition des Commonplace-Book (C am den-
Zweites Kapitel. ' 315
Seite
Society 1876) p. 66' — 68 zum Abdruck gebracht. Am Rande des
Blattes fand sich „. . es Milton". Die Handschrift hat zwar, im
ganzen, wie 1. c. p. XYIII bemerkt wird, mit den sonst bekannten
Proben der Hand Milton's keine Aehnlichkeit. Allein man muss
zugeben, dass der ganze Stil der beiden Stücke entschieden der
Milton's, die Uebereinstimmung einzelner Wendungen mit Versen
des Allegro und vor allem der cit. Prolusio sehr auffallend ist.
Nichts liegt näher als in beiden Stücken Jugend-Versuche, vielleicht
Schulübungen Milton's zu sehn, die er selbst als zu unbedeutend
ausnahmsweise verschmähte zum Abdruck zu bringen.
98 ^) Man beachte die Aehnlichkeit dieser Worte mit denen in dem Brief
an Gill v. 2. Juli 1628, ?. o. S. 70.
99 ^) In feriis aestivis Collegii, sed concurrente, ut solet, tota fere aca-
demiae juventute. Oratio : Exercitationes nonnunquam ludicras
philosophiae studiis non obesse, 1. c. 441 — 449. Prolusio 449 — 456.
Die Anhaltepunkte f. d. Datirung, die zugleich massgebend sind f.
d. Datirung der vorherbesprochenen Piede, s. u. Anm. 2 zu S. 104.
*) propter studiorum dissidia.
101 ») Massen I. 257.
*) Ich glaube einige Stellen der „Oratio habita in Scholis publicis cum
Patri.s officio fungeretur" so verstehen zu müssen; s.S. 191. „Etiam
et filii mei hisce lepidis Exercitiis Interessent, nisi quod tuenda
sunt castra, observanda Statuta, ne caeteris jocantibus violarentui-"
etc. S. 192: „Crudele Decretum quod mutis execuit linguas" etc. vgl.
S. 189 die Anspielung auf das „novissimum decretum", 191 „statutis
magis morigeri".
102 *) Unter den Formalitäten , welche die Kandidaten f. d. Bakkalaureat
durchzumachen hatten, war die eine, dass sie sämmtlich eine Frage
aus Aristoteles lirccliTixa naÖTfoa beantworten mussten. Dies hiess
„Entering their Priorums" ; s. Masson I. 117 a. E.
103 *) Masson vermuthet dies , ich denke man darf es für bestimmt an-
nehmen, weil dieselben Bezeichnungen mit Speise und Getränk nach
Art eines Menü wieder angewandt werden, als von der Benennung
der „filii" die Bede ist, welche doch Studenten waren. S. 454. a. E.
„Nolo sub nominibus ferculorura filios meos epulandos vobis
tradere" etc.
^) Masson I. 259 vermuthet, die Stelle p. 450 „Academici . . . qui
me audituri per flammas et ignes irrupistis", „scintillans ille noster
Cerberus . . flammeo coruscans baculo" . . etc. gehe auf eine
Ceremonie, nach der die Studenten beim Eintritt in die Halle, wo der
Thürhüter und seine Gehilfen standen, durch Bauch und Flammen
zu gehen hatten. Eine ähnliche Sitte bei Einführung der „fi-eshmen"
finde ich allerdings erwähnt in W o o d's Biographie (Eccles. Soc.
1848 p. 34\ Die Ausdrücke können aber auch bildliche sein fiir
316 Anmerkungen.
Seite
die zornglülienden Gesichter der Pedelle (vgl. auch El. 2 „baculo
fulgente). Bei den Worten „tortuosos fumi globos evolvit" läge
es nahe, an einen Rauchenden zu denken.
^) Vgl. die citirte Rede Cleveland's.
104 ») Aubrey, nach ihm W o o d . . „The Lady of Christ's Coli."
*) At a vacation exercise in the College, part Latin, part English.
Anno aetatis 19. P. W. IL 395—398, vgl. IL 190—196. IIL
347 — 351. Schon Keigthley 255 hat den Zusammenhang erkannt,
W. G. Clark durch eine glückliche Entdeckung, die Masson
■weiter ausgeführt hat, v. 91. „Rivers arise" richtig verstehen
lassen. Die Datirung des Gedichtes (nach Milton's üblicher Methode
1628) bestimmt auch die Datirung der Rede. Sie wurde in den
Sommerferien 1628, vennuthlich im Anfang derselben, gehalten.
Damit stimmt ihr Beginn „Cum ex ea urbe (London) huc nuper
me reciperem," vgl. o. S. 68 El. 7 und Ep. fam. 2, durch welche
der Aufenthalt in London f d. Frühling 1628 bezeugt wird. Zu
Ep. fam. 3 stimmt vorzüglich die Bemerkung über das „otium
iiterarium". Mit der Datirung dieser Rede ist aber auch die von
Nr. 1 gewonnen, wenn man die Worte „nuperrime" und „ante prae-
teritos menses aliquam multos" nicht zu sehr ausdehnen will.
106 ') In Collegio etc. Thesis. In rei cujuslibet interitu non . datur reso-
lutio ad materiam primam, 1. c. 430 — 436.
*) Non dantur formae partiales in animali praeter totalem. 1. c.
437—441.
107 ^) In scholis publicis. De sphaerarum concentu, 1. c. 421 — 424. Die
Rede findet man auch abgedruckt und übersetzt in dem kritiklosen
Werke von F. Peck: New memoirs of de the Life and Poetical
Works of Mr. John Milton, London 1740, Nr. VIIL
^) S. 0. S. 94 V. 19 ff., vgl. dazu die gesammelten Stellen, auch „Merchant
of Venice" V. 1.
^) In scholis publicis. Contra philosophiam scholasticam. 1. c.
425—430.
110 ^) In sacrario habita pro arte oratio. Beatiores reddit homines ars
quam ignorantia, 1. c. 456 — 469. Das „pro arte" bezieht sich nur
auf das Thema der Rede und hat mit dem gradus M. A. nichts zu
thun. Die Worte im Anfang: „Testor ipse lucos et flumina et
dilectas villarum ulmos, sub quibus aestate proxime praeterita (si
dearum arcana eloqui liceat) summani cum musis gratiam habuisse
nie jucunda memoria recolo, ubi et ego inter rura et semotos saltus
velut occulto aevo crescere mihi potuisse visus sum", deuten dar-
auf hin, dass M. bald nach Ablauf der Herbstferien sprach. Worauf
sich diese Worte beziehen, darüber unten ein Mehreres.
113 ') Wood: „was esteemed to be a virtuous and sober Person, yec
not to be Ignorant of bis own Parts."
Zweites Kapitel. 317
Seite
113 ^) Nur die oben S. 102 berührte Prolusio bildet eine Ausnahme, man
weiss aber nicht recht, wo Ernst und Ironie in ihr sich scheiden,
115 ') Huber 11. 77. A. de Morgan 1. c. 181 und im Athenäum
1868 Aug. 8 (p. 179). lieber Downame s. Wood I f. 0. 124.
'') S. auch Hub er II. p. VI. unter den Nachträgen daselbst S. 76
über Oxford.
116 ^) Spenser: Hymn on heavenly beauty, v. 78 ff.
-) Einfluss platonischer Ideen in d. Prolusiones oratoriae, at a solemn
musick 6, Penseroso 88, Comus 110, 241, 457 — 463, 467 ff. Arcades
63 W. IV. 30, 32, 152; VIII. 76. Schilderung der Akademie VII.
462. Par. regained IV. 244 ff., 274 ff. S. über Milton's Verhältnis
zuPlato: Edinburgh.Review Vol. 87 (1848) bes. 323, 335, 336.
•■') De Idea Platonica quemadmodum Aristoteles intellexit, P. W. III.
76—78, 526—527- IL 358, 3-59.
117 ') Areop. W. IV. 416.
-) Comus 476 ff. — „(Plato) ipse fabulator maximus" De idea Plat.
etc. i. f.
118 ^) TuUoch: Piational theology and Christian philosophy in England
in the seventeenth Century, 1872,1. 350, II. 15 ff. Huber IL 172 ff.
2) Works of Bacon (Ed. Ellis and Spedding) L 197 VL 607 ff. L
526, 616, 663, 667 VI. 672.
119 ') Bacon L 158, 162. 2) ß acon IIL 156 vgl auch Milton W. IIL 262.
120 ') Def. sec. W. VI. 266; vgL Aubrey.
*) S. d. Geschichte d. Bildes b. Masson L 277. J. F. Marsh a. a.
0. S. 146 „The Onslow- Portrait". H. Marsh hatte die Gefälligkeit
mir aus den „Notes and Queries", die mir nicht zugänglich waren
(3. Ser. IV. 26, 11 Juli 1863. 3 Ser. VH. 405, 20. Mai 1865), eine
Kopie der Anfrage von Mr. Scharf und der Antwort eines Unge-
nannten zulfommen zu lassen, durch welche die Frage, wohin das
Original gekommen sei, nicht gelöst wurde. Ich habe im Sommer
1871 im South - Kensington - Museum ein Miniatur - Bild IVIil-
ton's gesehen : „Temporary Label Portrait of Milton by Petitot
French 17 cent. Lent by C. Goding Esq. No. 20" Brustbild, ziem-
lich jung, etwa 35 Jahre, aber mit blonden herabwallenden Haaren,
blauen Augen!
^) Aubrey, Wood!, Phillips. „Meique etiam desiderium 'apud
Collegii plerosque socios , a quibus eram haud mediocritcr cultus,
reliqui". Def. sec. 1652, W. VI. 287; vgl. An apology etc. 1642 W. IIL
265. Man würde Milton schon v. C. aus widersprochen haben, falls
seine Angaben unrichtig gewesen wären.
121 1) An Apology etc. W. IIL 266.
^) The Reason of Church Government. W. III. 178, Animadversions
etc. III. 232, 239. An Apol. IIL 309.
122 1) Ep. fam. 19, W. VII. 397.
318 Anmerkungen.
Seite
Drittes Kapitel.
123 ^) Die allgemeine Annahme geht dahin , dass der Brief noch in Cam-
bridge Dec. 1631 oder Anfang 1632 geschrieben sei. Sein Inhalt
würde aber sehr wohl zulassen, ihn in Horton erst gf^jchrieben sein
zu lassen, wobei unbestimmt bleibt , ob die Ermahnung des Freun-
des mündlich oder schriftlich war. Selbst das Sonett, das er ent-
hält (P. W. IL 475, vgl. 282), braucht nicht gerade am 9. Dec.
1631 geschrieben zu sein. Die Ueborschrift „On his being arrived
at the age of twenty-three" rührt nicht von Milton, wie Sotheby
54 (gegen Masson I. 291) hervorhebt. Von den beiden Brief-Ent-
würfen (in Milton's Ms. zu Cambridge, abgedruckt bei Birch:
Works of Milton, 1753, I. p. 4 flf., Biogr. Brit. 1760) folge ich
dem ausführlicheren (abgedruckt auch bei Symmons : Life of Milton,
1806, S. 47 ff. und Masson L 289—292).
125 ') „some while since" im ersten Entwurf.
126 ^) Reason of Church-government ; W. III. 150.
127 ^) Nov. Organum LXXXIX. (Works I. 196).
181 OHallam: Const. Hist. Rawson Gardiner: H. of E. 1603 — 16,
L 274 ff. 452 ff
^) Nach d. Auszügen b. Rawson Gardin er: England under Bucking-
ham and Charles I. Chap. 16.
132 ^) Richard Montague am Schluss s. Schrift: „Appello Caesarem" v.
1624 (s. R. Gardiner 1. c. IL 171).
134 ^) Laud's Works I. 93, ausgezogen b. R. Gar d in er 1. c. IL 17 L
^) P. H e y 1 i n : Cyprianus Anglicus or the history of the Life and
Death of William L. Archbishop of Canterbury, 1671, p 139 : „both
State and Church owe much to unity. Would you keep the State
in Unity? In any case take heed of breaking the peace of the
Church. The peace of the State depends much upon it. For divide
Christ in the minds of men, or divide the minds of men about their
hopes of Salvation in Christ, and teil me what unity there will be."
Von den modernen Biographieen Laud's hat mir die von Hook in
den „Lives ot the Archbishops of Canterbury" noch nicht vorgelegen.
Neben dem in den C. S. P. aufgehäuften Material sind besonders
werthvoll zur Beurtheilung von Laud's Thätigkeit die Visitations-
Papiere, mitgetheilt im „Report of the R. Commission on hist. Mss."
No. IV. (1874) p. 124 — 158. lieber Laud's persönliche Erscheinung:
d'Ewes Autobiography IL 100. "") Rushworth L 621.
136 ') S. d. betr. Abschnitte in Ranke's E. G. sowie Bruce's Einlei-
tungen zu den Bänden der C. S. P.
*) „Wee are the last monarchy in Christendome that retayne our ori-
ginal! rightes and constitntions", Debates in the house of Commons
in 1625 ed. by S. R. Gardinor (Camden-Socicty 1873) p. 110.
Drittes Kapitel. 319
Seite
137 ^) Man wird in einer Biographie Milton's keine Geschichte der Stem-
kammer erwarten. Ich halte mich wesentlich an die Ausführungen
von Pauli: E. G. V. .543 und Gneist, die Hallam berichtigen.
138 ') Dass die specielle Frage von tonnage und poundage nicht in der
Petition of Eight eingeschlossen sein sollte, wird man nach Rawson
Gardiner II. 310 ff. zugeben. Indessen sollte die P. o. R. immer-
hin, wie auch der Recensent in d. Edinb. Review 1876, No. 291,
p. 195 — 140 ausfuhrt, als ein allgemeines Gesetz gegen Erhebung
von Abgaben gelten, die vom Parlamente nicht ausdrücklich be-
willigt worden seien
*) Ich bin mir des tiefgehenden, nicht immer beachteten Unterschiedes,
der zwischen den Jahreij 1 629 — 34 und den folgenden bis zum Ende
der parlamentlosen Zeit besteht, sehr wohl bewusst. Allein die
Nothwendigkeit, das allgemein Historische zusammenzudrängen und
nicht zu Ungunsten des rein Biographischen zu bevorzugen, macht
es unerlässlich, schon hier einiges anzudeuten, was in Kap. 5 wieder
aufgenommen werden muss, und auch jene zweite Periode zu berück-
sichtigen, um wie vielmehr über den Zeitpunkt von 1632 mehrfach
hinauszugehen.
139 ^Heylin 139.
141 >)Heylin 241—244. Neal: Eist, of the Puritans. Ed. 1822, H.
212—218. C. S. P. 1633—34, p. XVII, 41, 231, 251,'275, 350, 351.
143 ^) Rawson Gardiner: Prince Charles etc. II. 2-34.
'') Rushworth I. 64, 65. Marsden: historv of the early Puritans
(18.50). S. .332 ff. etc.
145 *)Laud: Historj of the Troubles, p. 361, s. Weingarten: Die
Revolutionskirchen Englands, 1868, p. 45. Für das Folgende s. d.
grundlegende Darstellung v. Ranke. E. G. vorzüglich nach den
Berichten Cuneo's.
146 1) Neal H. 264.
149 ^) Burn: Eccles. Law. I. 404. Neal E. 245—248.
2) Rushworth II. 324 ff.
ä) Gneist: Selfgovernment I. 260, Verwaltungsrecht I. 504.
S. d. Acts of the Coiu't of High Commission in d. C. S. P. Charles I.
Dom. Ser.
151 *) S. d. neueste Behandlung des Leighton'schen Falles in den Edit,
der Camden-Society 1875. (The Camden Mscellany, Vol. 7.
Speech of Sir Robert Heath, Attorney- General in the case of
A. Leighton, in the Star Chamber June 4, 1630 ed. w. a preface
by the late J. Bruce by R. S. Gardiner.)
*) „Compacted together into an holy Unity with Faith and Charity."
Hey] in 139.
152 ^) So hiessen die in Laien-Hände übergegangenen Pfründen im Gegen-
satze zu den appropriirten, die im Besitz eines Bischofs oder
320 Anmerkungen.
Seite
einer geistlichen Körperschaft waren. In beiden Fällen wurden
Vikare, die nur einen Theil der Einkünfte bezogen, angestellt.
2)Rushworth II. 7, 30, 150 ff. Heylin 198. Neal II. 178 ff. 200.
153 ^Neal II. 260. Rushworth II. 249, 250. C. S. P. 1633—34,
p. XIV, vgl. Reg.
154 1) Rushworth II. 249 ff. 272 ff. Neal II. 232 ff. C. S. P.
1633—34; p. 556, 557. 1634—35; p. 360, 380.
2) S. z. B.: C. S. P. 1633—34, p. 538. 1635—37, p. 242, 504.
156 1) Sanford 86 nach Tilliere's Bericht vom 23. August 1621.
159 1) S. 0. Anm. 1 zu S. 126.
^) S. d. Auseinandersetzung bei Masson I. 292 f. Burn: Eccl. Law.
I. 164.
3)S. Füller Worthies I. 372.
160 ^) Die erste Nachricht von dem Dasein dieses Bandes und seine Ge-
schichte, die bis auf Milton's Wittwe zuriickgeht, gab Hunter 22.
Nach ihm war das Buch 1830 Eigen thum des Rev. Dr. Stedman.
Hunter kannte die Hs. des alten Milton nicht und konnte daher
nur vermuthen, dass sie hier vorliege.
*) Ad Patrem, P. W. 78—81, 527 ff., s. namentlich die Verse 71 ff.
3) S. z. B. : W. VII. 467.
161 ^) Reason of C. G. W. III. 144.
Yiertes Kapitel.
162 ^) Für diese Skizze, die nothw endig über das Jahr 1632 hie und da
hinausgi-eifen muss, ist es nicht möglich, jedes Mal die Werke von
Hallam, Taine, H. Morley u. s. w. zu citiren, die mir neben
dem entsprechenden Kapitel bei Masson von Nutzen gewesen sind.
Auch Editionen werden nur in dem Fall, dass mir solche aus
neuerer Zeit vorgelegen haben, angeführt. Besonderen DanJc schulde
ich den wei'thvollen Ausgaben von A. B. Grosart.
164 ^) Ben Jonson's Works, ed. Gifford-Cunningham IL 385.
165 ') üeber das „politische Element in Massinger" s. e. geistvollen Auf-
satz V. S. R. Gardin er in der Contemporary-Re\iew 1876.
167 *) Dramatists of the Restoration. The Dramatic Works of S. W.
D'Avenant, 1872 ff. — Inkonsequent ist es, wenn hier I. p. XXII
die Autorität von Betterton in Zweifel gezogen, p. LIII dagegen
gerühmt wird. Vgl. K. Elze: Sir W. Davenant (Jahrb. d. Deutschen
Shakespeare-Gesellschaft, IV. 121—160).
168 ') Collier: Annais of the Stage HL II. 70 ff.' Vgl. The English
Drama and Stage under the Tudor and Stuart Princes 154;3 — 1664.
Printed for the Roxburghe Library 1869. (Ed. W. C. Hazlitt.)
171 ') The Poems of Giles Fletcher. The Poems of Phineas Fletcher,
4 Vols. Ed. A. B. Grosart (The Füller Worthies' Library 1868,
Viertes Kapitel. 321
Seite
1869). Auch das von Grosart benutzte Exemplar der „Purple
Island" Br. M. 2.30 i. 23, das mit M-erthvollen handschriftlichen
Eandbemerkungen versehen ist, hat mir vorgelegen.
172 ^) S. Genaueres bei Grosart: Poems of Ph. Fletcher I. p. CLXXXm.
ff. CCX. ff., vgl, d. Register s. v. Milton. Von Christ's Victorie
and Triumph erschien 1632 in Cambridge eine zweite Aufl-age.
173 1) Gros art, namentlich I. p. CGLXXVIII. ff CCV ff Nur in
einigen Fällen scheint mir Grosart etwas» zu weit zu gehen.
-) The whole works of W. Browne, ed. W. C. Hazlitt, printed for
the Roxburghe Library, 1868, 1869. 2 Vols.
175 ') S. die cit. Ausgabe von Hazlitt I. p. XX. ff., vgl. Sotheby
S. 97 und Tab. XIV. . Ich hege einige Zweifel an der Sicherheit,
mit der man die Ms.-Xoten Milton zuschreiben will.
■179 1) The Works . . of Fulke Greville Lord Brooke ed. A. B. Grosart,
4 Vols. (Füller Worthies' Library 1870), s. daselbst IL p. LXXXVII.
den Hinweis auf einige Stellen, die auf Milton Eindruck gemacht
zu haben scheinen.
179 -) The Complete Poems of John Donne . . . ed. by A. B. Grosart
in two Volumes. (Füller Worthies' Library 1872, 1873.) Eine neue
Biographie, zugleich mit einer Sammlung der Prosa- Schriften
Donne's von A. Jessop, dem A. B. Grosart gefundenes Material
überlassen hat, steht zu erwarten.
^1 S. den überzeugenden Nachweis von A. B. Grosart, II. p. X — XVI.
180 ^) Freilich in anderem Zusammenhang: „Shee and Comparisons are
odious" (I. 185).
181 ^) W. C. Hazlitt giebtin seiner Bibliography of oldEnglish Literature
1633 als Datum der ersten Ausgabe von Cowley's Poetical Blos-
soms an, Masson I. 447 hat lü36, in welchem Jahre die zweite
Ausgabe erschien. Eine neue Ausgabe Cowley's ist zu erwarten
für die Chertsey Worthies Library von A. B. Grosart.
182 1) The Poems of Thomas Carew ed. W. C. Hazlitt. Printed for
the Roxburghe Library 1870.
183 ^) S. 121 ganz ähnlich ein Gedicht in P. Sidney's Arcadia (Ed. 11^5)
I. 248 ff., das überhaupt als Vorbild solcher Detail-Schilderung be-
trachtet werden kann.
184 ') The Complete AVorks in verse and prose of G. Herbert ed. A.
B. Grosart (Füller Worthies' Library), 3 Vols., 1874.
185 ^) The Complete Works of Richard Crashaw ed. A. B. Grosart
(Füller Worthies' Library), 2 Vols., 1872, 73.
"-) Eine kritische Ausgabe von Quarles steht zu erwarten für die
Chertsey Worthies' Library.
186 ^) S. Eleg. 13 in Sions Elegies Thi-enodia III. (in der mir vorliegen-
den Ausgabe der Divine Poems von 1638 p. 467).
187 ^) Herrick: „Gather ye rosebuds while ye may."
Stern, Milton U; s. Zeit. I. 1. 21
322 Anmerkungen.
Seite
188 ^) Ich benutze den Reprint von W. Arber 1870.
2)Poetical Works of Edmund Waller ed. R. Bell. 1854.
191 ^) S. den Aufsatz von C. Kingsley: Plays and Puritans in der
gleichnamigen Sammlung von Essays, Macmillan 1873.
192 ^) Statute 1, Charles I. cap. 1 touching theatrical exhibitions, abge-
druckt b. Hazlitt 1. c. (Roxburghe - Library 1869) p. 59 am
Schluss : „This Act to contynue untill the end of the first Session
of the next Parliament, and no longer." Vgl. Collier: Annais
of the Stage (1831) II. 1.
2) Abgedruckt von Hazlitt a. a. 0. p. 231—252.
■■') Collier III. 311, IL 22, 38—43, III. 298, 309. Weingarten 70
hat sich durch eine untergeschobene, von Prynne selbst bekämpfte
Schrift täuschen lassen, wenn er annimmt, dass dieser 1649 den
Histriomastix widerrufen habe, s Roxburghe-Library 1. c. 266 ff.
*) Vgl. auch die ironische Dedikation von Shirley's ßird in a cage
(Works IL) Indess ist hier, wie in den State-Trials , irrthümlich
als Datum des Prjune'schen Processes 1633 statt 1634 (Febr. 7)
angegeben, vgl. C. S. P.
193 ') W^orks of W. Browne 1. c. IL 68, eine Anspielung auf Gondomar
IL 275, einen charakteristischen Brief an S. B. Rudyard v. 29. Nov.
1640: I. p. XXXVL
2) The Poems of P. Fl et eher 1. c. L p. CXXV. CXVII. etc. Ob
Fletcher später in den Wirren der Revolution seine Pfarrstelle hat
aufgeben müssen , bleibt ebenso ungewiss , wie das Datum seines
Todes, s. 1. c. I. p. CLL ff.
194 ^) Juvenilia Poems by George Wither, 3 Parts. Printed for the
Spenser- Society 1871. Issue Nr. 9—11. Miscellaneous Works
of George Wither, 3 Collections. Printed for the Spenser- Society
1872—74. Issue Nr. 12. 13. 16. Eine neue Biographie Wither' s
von James Crossley ist in Aussicht gestellt. W. nennt seine
Satyren im Vorwort an den Leser „these first fruites of my In-
fant Muses".
195 ') Näheres über die Zeit der verschiedenen Publikationen b. Hazlitt
Bibliogi-aphy.
196 i)Browne's Works a. a. 0. Register s. v. Wither, L p. XXV.
In Wither 's „The Shepheards Hunting" (Spenser- Soc. Nr. 10,
p. 485 ff.) verbirgt sich vernuithlich Browne unter „Willie". Dass
auch „Faire-Virtue" eine Jugendarbeit war, sagt das Vorwort des
Stationer a. a. 0. p. 707.
'•^) S. z. B. p. 754 ff. Häufig erinnert die Beschreil)ung an eine ähn-
liche in Brittain's Ida. Auffällig ist die fast wörtliche Ucberein-
stimmung von Wither p. 7G9 „Smooth alike" etc. mit Fletcher a. a. 0.
p. 67 ; doch ist auch diese Wendung damals wohl konventionell
gewesen.
Viertes Kapitel. 323
Seite
196 3) Spenser-Soc. Nr. 12, p. 20, 21, 31, 37, .38, 137. Ein früheres
Urtheil Withers über die Dichter seiner Zeit Nr. 9, p. 291 ff.
197 i)Spenser-Soc. Nr. 9, p. 316, 274, 202, 203 ff., 197.
2) Samuel Daniel 1562—1619, Verfasser der „History of the civil
wars" etc.
^) The Mistresse of Philarete a. a. 0. Nr. 11, p. 739.
198 ^) S. d. oben cit. Stelle, vgl. ausserdem „Abuses" Lib. 2 Sat. 3
(p. 292).
^) Time vindicated to himself and to bis honours B. J. Works (Ed.
Gifford-Cunningham III. 169-176, vgl. I. .52).
Ettnftes Kapitel.
200 •)Masson I. 525.
2)D. Testament v. Phillips d. 12. Aug. 1631 b. Massen II, 98.
201 >) S. 0. S. 110; üb. El. 1 v. 49 ff., s. P. W. III. 487.
^) S. über die Lokalitäten und Personalien Masson I. 518 ff. Das
Haus, in welchem Milton wohnte, wurde um 1798 niedergerissen,
Todd I. 23. Ohne irgend welche Beweise beizubringen, lassen
War ton und Symmons das Landhaus von Horton im Eigenthum
des Grafen von Bridgewater stehen.
^) C. S. P. 1637, p. XXX.
*)Def. sec. W. VI. 287, vgl. E. Phillips 357. Eine irrige Be-
ziehung von El. IV. 26 auf diese Zeit b. Mitford XXH.
202 >)S. üb.' d. beiden Bände: Sotheby 108 ff., Tab. XV. Ich kann
mit diesem indess in der Beurtheilung des Spec. 1* nicht über-
einstimmen. Ob das Zeichen „at the corner" D. S. bedeutet, ist
zweifelhaft, jedenfalls entspricht die Handschrift nicht der im
zweiten Theil des Ms. der „Doctrina Christiana" (im Record-Office)
auftretenden.
2) An Apology; W. HI. 272.
3)Ep. fam. 7; W. VIL 377, vgl. Wachler, Gesch. d. histor. For-
schung und Kunst, I. 149, 152.
*)Ep. fam. 7; W. VH. 379, vgl. W. III. 270. Silvar. 1. ad Patrem
82—85 (P. W. III. 528), Francini's Ode (P. W. III. 37 v. 60).
203 1) S. z. B. Ep. fam. 5 (W. VII. 373) AI. Gillio e nostro suburbano
Dec. 4, 1634 . . „Vale, meque Die Lunae Londini (si Deus voluerit)
inter ßibliopolas expecta." Die Briefe 6 und 7 (Sept. Ib37) sind
aus London datirt. A. E. von Nr. 6 heisst es „jam cras sumus rus
illud nostrum redituri", das „ubi nunc sum" in Nr. 7 beziehe ich
auf Horton und kann daher an einen längeren Aufenthalt Milton's
in London, etwa für den ganzen Winter 1637, nicht glauben.
2) S. üb. d. Lawes nächst Todd V. 215—230: P. W. I. 220 ff., 231,
290—293, vgl. The old cheque book etc. ed. E. F. Rimbault
21*
324 Anmerkungen.
Seite
(Camden-Soc. 1872), s. v. Lawes. Ich folge der hier S. 200 und
'P.08 gemachten Angabe, betr. die Abstammung der Brüder Lawes,
in der Annahme, dass ihr urkundliche Zeugnisse zu Grunde liegen.
Nach d. gewöhnlichen Annahme sind die Lawes Söhne des „Tho-
mas Lawes a vicar choral of the church ot Salisbury", und diese
Xachi'icht findet sich auch in den oben, S. 19 Anm. 4, erwähnten,
unter W 00 d's Mss. in d. Bodleiana befindlichen Biographieen
englischer Musiker S. 115.
204 ') iS Waller's Gedicht „To Mr. Henry Lawes" etc. üb. Hobbes:
Aubrey, Letters etc. II. 623.
205 1) Whitelocke Memorials (Ed. 18-53) L 53 ff. Warton, hist. of
E. Poetry (ed. Hazlitt 1871) IIL 318, Works of Shirley ed. Dyce
VI. 253—285, L p. XXIII. ff., Poems of Carew ed. Hazlitt.
■^) Milton's Commonplace-Book (ed. by A. J. Horwood, Camden-
Society 1876) p. 50.
-206 1) Gill 1. c. p. 98 sagt bei Gelegenheit der „Metapher": „Nee te
pigeat a Juvenali nostro Georgio Withers, ubi satyrae asperitatem
speniit, frequentem audire Metaphoram" etc., vgl. über die Ange-
legenheit Ben Jonson's Works III. 172, IL 437, 438; Collier
II. 25, 43, 44.
207 ^) Nur vom Comus ist das Datum 1034 genau bekannt, doch sprechen
innere Gründe dafür, auch die übrigen zu erwähnenden Gedichte
jenen Jahren von Horton zuzuweisen, wenn man das Sonett und
den „Gesang auf den Mai-Morgen" wegen seines Platzes in der
Ausg. V. 1645 nicht an's Ende der cambridger Epoche setzen will,
vgl. die Einleitungen in P. W.
«) P. W. II. 475 To the Nightingale.
208 *) Drummond's Sonett : The Nightingale z. B. abgedruckt bei H.
Morley: The King and the Conimons p. 84.
2) P. W. IL 413. Song on Maymorning.
«) P. W. IL 418—29, 205—209. III. 366—389.
*)G.. Liebert 34, dessen feinsinnige Analyse, auch im Folgenden
benutzt, grosses Lob verdient.
209 ^) Nach der sehr freien Uebersetzung von Adolf Böttger. 4. Aufl.
S. 403.
^) So fasse ich mit Liebert das „then" in v. 117 gegen Warton
und Massen.
") Die bekannte Stelle, auf die noch in Kap. 5 einzugehen ist, lautet:
v. 131. „Then to the well-trod stage anon, | If Jonson's learned
sock be on, | Or sweetest Shakspeare, Fancy's child, | Warble bis
native wood-notes wild." Der Doppelsinn des „nativc" („heimisch"
und „natürlich") ist für die Beurtlieilung der Stelle zu beachten.
Ich schliesse mich in der Uebersetzung an Liebert an.
210 ') Liebert.
Fünftes Kapitel. 325
Seite
211 >) Dichtung und Wahrheit, T. 3, B. 13.
•■') Pauli: Aufsätze z. Engl. Gesch. (1869\ S. 353, vgl. 272.
218 ')The StanleyPapers I. 37—45 (Chetham-Soc. 1853), auch fiir
das Folgende.
*) Vgl. üb. d. Personalien P. W. II. 211 ff. Massonl. 559, gestützt
auf die Egerton-Papers (Camden-Soc. 1840), nimmt noch an,
dass die erste Aufführung des Othello 1602 bei Gelegenheit eines Be-
suches Elisabeth's in Harefield stattgefunden habe. S. indess über die
Fälschungen in jenen Dokumenten Ingleby: A complete view of
the Shakespeare-Controversy, 1861.
214 *) Dass Milton, unabhängig von Lawes, mit der Familie Egerton be-
kannt geworden sei,* lässt sich nicht nachweisen. Vgl. die pole-
mischen Bemerkungen von Keightley 119 — 122 und Masson I.
563, Anm.
2) P. W. IL 429 — 432, III. 389—395. Die Gründe , aus denen ich
mich nicht für gezwungen halte, d. Arcades mit Sotheby und neuer-
dings auch Masson (P. W. IL 210, 211) in d. cambridger Epoche
zu setzen s. Gott. gel. Anz. 1875, S. 839, 840, woselbst es aber
statt „Dec. 1632" heissen muss „Dec. 1631". Der Tod der Gräfin
V. D. (26. Jan. 1637) giebt nach d. einen Seite hin eine bestimmte
■ Zeitgrenze.
^) So War ton, dagegen wendet sich Keightley 278, 279, der aber
doch das „presented" im Titel zu eng fasst.
215 ^) Es scheint mir gesucht, mit Masson in dieser Gestalt einen der
Untergebenen der Countess oder gar Lawes zu erkennen.
217 ') S. über die Personalien der Bridgewater- Familie, die Lokalitäten
von Ludlow u. s. w. nächst T o d d die Bemerkungen in P. W. IL
227 — 260; über das Datum der Aufführung des Comus, Lawes' Mit-
wirkung, die Vertheilung der Rollen vgl. die erste Ausgabe von
1637 s. u. Anm. 1 zu S. 240.
218 1) Bacon Works VI. 467 „Of Masques and Triumphs". S. über die
Maskenspiele im allg. J. Schmidt: Ueber Ben Jonson's Masken-
spiele in Herrigs Archiv XXVII. 55 — 91. K. Elze im Jahrbuch
der deutschen Shakespeare-Gesellschaft III. 150, 151. IV. 132 ff.
219 ') Notes of B. Jonson's conversations with W. Drummond ed. Laing
(Shakespeare-Society 1842,) p. 4.
2) Elze a. a. 0. IV. 134, 135. Dramatic W. of Davenant IL 250 ff.
Vgl. Gifford in s. Memoirs of B. Jonson und B. J. Works III.
209 ff.
220 ') Comus, P. W. IL 433—468, vgl. die Einleitung IL 227—260 und
die Anmerkungen III. '395 — 444. An dieser Stelle (436—444) sind
die Varianten der beiden vorhandenen Mss. des Comus, des
Original-Ms. von Milton's Hand in Cambridge, und des s. g.
Bridgewater-Ms. (Br. Ms.), das der Aufführung diente und zahlreiche
326 Anmerkungen.
Seite
Balinenanweisungen enthält, unter sich und von den Drucken sorg-
fältig angegeben , und damit ist es unnöthig geworden auf T o d d
zu verweisen. Ich suche ein Bild von der wirklichen Darstellung
zu geben und bemerke, was ich, von dieser abweichend, aufnehme.
Bei der Uebersetzung sind benutzt worden Böttger und die sehr
anerkennenswerthe Arbeit von Immanuel Schmidt: Milton's Comus
übersetzt und mit einer erläuternden Abhandlung begleitet, Berlin
1860, Haude- und Spener'sche Buchhandlung (ursprünglich z. Th.
Programm d. Fried.- Wilh.-Gymnasiums). Ueber Lawes' Musik, (die
Komposition zu fünf Gesängen handschriftlich im Br. M. Add. Ms.
11518), s. ausser Todd und Masson: Hawkins: A general history
of the science and practice of music IV. 50 fl'. und Burney
A general history of music III. 380.
221 ^) Ich denke dabei nicht, wie Schmidt S. 22, an ein Recitativ.
223 *) Nach Schmidts guter Vermuthung zu v. 223 sollte auch dies durch
einen scenischen Effekt veranschaulicht werden. Uebrigens blieben
bei der Aufführung die mitgetheilten Verse (wie überhaupt 195 bis
225) fort, s. P. W. III. 441.
^) Nach meiner Meinung übersetzt Schmidt v. 358: „Of savage
hunger, or of savage heat" falsch mit „Des wilden Hungers
oder wilder Brunst" und Böttger viel richtiger: „Wenn sie
ein Raub dem ärgsten Durst und Hunger würde." Die „wilde
Brunst" als ein Grund der Furcht tritt erst v. 393 ff. als ein Neues
auf, auch v. 370 „Not being in danger, as I trust she is not", und
der Zusammenhang, in dem er steht, spricht gegen Schmidt's Deu-
tung. Uebrigens fehlen v. 357 — 3(i5 in den beiden Mss., s. P. W.
m. 441.
226 ^) Ueber diejenigen hier mit benutzten Stellen aus den Reden des
Comus und der Jungfrau, die Milton später erst zusetzte, oder die
bei der Aufführung weggelassen wurden, s. P. W. III. 441.
^) Stage-Direction des Br. Ms. nach v. 866 „The verse to singe or
not". Ich beziehe diese Anweisung nur auf v. 866 und werde
dazu noch durch das „To be said" vor v. 867 in Milton's Ms.
bewogen. Man beachte (gegenüber den Erklärungen v. Masson
und Schmidt) den Gegensatz von v. 854: „Warbled song" und
von V. 858 „and add the power of some adjuring verse", nach
Miltons Ms. ursprünglich: „and add the power of some streng verse."
227 ') Aus der Bühnen- Anweisung der Mss. nach v. 937: „Song ends"
geht hervor, dass von v. 890 — 937 der Gesang gedauert hatte, nach
dem Br. Ms. waren die Verse 938 — 957 bei d. Aufführung zwischen
dem Schutzgeist und dem ältesten Bruder vertheilt.
*) Nicht, wie Schmidt 23 meint, „um die Ankunft der Geretteten
zu feiern", sondern nach Milton's Intentionen zunächst, noch ehe
diese erscheinen, zu Ehren des neuen Lord-President, eine Idee, die
Fünftes Kapitel. 327
Seite
schon durch v. 952 vorbereitet war. Vgl. Stage-Direction im Br.
Ms.: „towards the end of these Sports" etc.
') Schmidt, der v. 976 ff. auch bei d. Aufführung beibehalten lässt,
verlegt dies zu v. 922. Nach d. iVerzeichnis der Kompositionen
wurde v. 1012 (mit Weglassung des „But") bis 1023 gesungen,
nur aus Versehn blieb im Br. Ms. stehn : „the Daemon sings or
says".
229 *) „This poem, which received its first occasion of birth from yourself
and others of your noble family" s. u. Anm. 1 zu S. 240.
^) S. Bayle und Zedier. Ich benutze des P. Schrift in folgender
Ausgabe: Eryci Puteani Comus, sive Phagesiposia Cimmeria.
6omnium. Additi sunt ejusdem autoris Thyrsi Philotesii sive
amor laconissans consolatio caecitatis. Argentorati, Sumptibus here-
dum Lazari Zetzneri. M.DC.XXVIII.
230 ') S. den Nachweis bei Schmidt a. a. 0. S. 28. 29. Obgleich es er-
klärlich wäre, wenn Milton, ein Mal mit Puteanus beschäftigt, auch
seinen übrigen Schriften Aufmerksamkeit zugewandt hätte, wird man
sich doch wohl zu hüten haben, folgende Stellen in Verbindung zu
setzen: Puteanus: Consol. Caecitatis, p. 269: „Habet et suas nox
voluptates". Comus: 123, 124 „Night hath better sweets to prove;
Venus now wakes, and wakens Love" P. C. C. p. 270 : „Virb pru-
denti, togato, uno verbo, Seni, in pectore dies est; istic cernit, ubi
scire et intelligere datum est." Comus 381, 382. „He, that has
light within his own clear breast, May sit i'the center, and enjoy
bright day".
231 ')B. Jonson's W. III. 121. 126. Godwin: Lives of Edward and
John Philips p. 387- 407 scheint mir die Abhängigkeit Miltons von
Ben Jonson i. a. stark zu übertreiben. Von Interesse ist auch d.
Stelle in Massinger's City Madam (Licensed May 2-5, 1632) Ed.
Cunningham, p. 44.5 A IV Sc. 2: „And the god of pleasure | Master
Luke, our Comus, enters."
^) M. Rapp scheint noch an ihr festzuhalten, wie er auch, ohne jeden
Grund, geneigt ist, anzunehmen, 3Iilton habe sich zur Zeit der Auf-
führung des Comus auf Ludlow-Castle befunden; s. Herrig's Ar-
chiv XX. 387.
=>) S. The Works of G. Peele ed, A. Dyce (1829), I. 203—251.
*J S. Schmidt's Bemerkung 8.32 zu v 69 der Arcades und Todd's
Notiz zu einer Stelle in den „Animadversions upon the Remonstrant's
Defence" etc., angeführt von Dyce Bd. I. p. XXXI. Mau ist indess
nicht genöthigt anzunehmen, dass Milton der Peele'sche „Edward I"
bei dieser Stelle vorschwebte, wenn ihm niu- die Ballade, auf der
er beruht, bekannt war.
232 *) Man hat auch auf das Lied Echos in Ben Jonson's: Cynthia's
328 Anmerkungen.
Seite
Revels (Works I. 151) und auf Brown e's „Inner TempleMasque"
(Works ed.Hazlitt II. 254, 255) hingewiesen.
2) The faithful shepherdess: Works of Beaumont and Fletcher
' ed. A. Dyce 1843, II. 1—121 vgl. I. p. XXXIII.
233 ') So gut wie gar keinen Zusammenhang mit der „Faithful shepher-
dess" kann ich erkennen in Comus 143, 312 ff. 393 ff, wo
Warton ihn auch hat finden wollen. Auch Schmidt a. a. 0.
scheint mir hie und da zu weit zu gehen, z. B. mit Bezug auf v.
796 ff.
236 ^) S. Schmidt ö8.
^)S. z. B. die Bemerkungen v. Schmidt S. 57 zu v. 221 — 225. S.
59 zu V. 21 ft:
239 ') P. W. III. 81, II. 365; d. Brief an Gill Dec. 4, 1634 W. VII. 373.
*) Wood. 3) Wood.
^)Masson I. 594, daselbst r>93 d. entsprechende Eintrag aus dem
Kirchenbuch.
240 ^) Br. M. C. 34.d.46. „AMaske 1 Presented | AtLudlow Castle, | 1634: |
On Michaelmasse night, before the | Right Honorable, | John Earl
of Bridgewater, Viscount Brackly, | Lord Praesident of Wales, And
one of I His Majesties most honoi'able | Privie Counsell. | Eheu quid
volui misero mihi! floribus austrum perditus | London | Prin-
ted for Hvmphrey Robinson, | at the signe of the Three Pidgeons
in I Pauls Church-yard. 1637." 4o 35 S.
241 1) C. Diodato Lond. Sept. 2, 23, 1637 W. VII. 376—378.
'^) B r. M. 239. k. 36 „ Justa I Edovardo King ] naufrago , | ab | Amicis
moerentibus, [ amoris [& l^rf/Vt^/ftp«'. | Sirectecalculumponas,ubique
naufragium est. | Pet. Arb. | Cantabrigiae | apud Thomam Bück, &
Rogerum Daniel, celeberrimae ! Academiae typographos. 1638." 4°,
36 S. darauf ein neuer Titel „Obsequies to | the memorie ] of
Mr. Edward | King, | Anno Dom. | 1638. | Printed by Th. Bück, and
R. Daniel, | printers to the Universitie of | Cambridge. 1638." 25
S. — p. W. IL 469—474 vgl. 261—276 III. 445. — Dass „R. C."
unter den Verfassern der ersten Partie Crashaw bedeute, ist auch
die Meinung von A. B. Grosart 1. c. I. XXXII. Milton's Gedicht
füllt p. 20 — 25. Man ist fast versucht, in Cleveland's Versen eine
leise Ironie auf die seines ehemaligen College-Genossen zu erblicken.
TIebrigens findet sich in der Ausg. v. Cleveland's Poems (1656) noch
ein kürzeres demselben Gegenstand gewidmetes Gedicht.
243 ') Das Material über die viel bestrittenen Verse 130, KU: „But that
two-handed engine at the door | Stands ready to smite once and
smite no more" hat Masson P. W. III. 454—456 zusammengestellt.
.\uch mir scheint es am natürlichsten in erster Linie an biblische
lieminiscenzen zu denken , und ich verweise noch auf Offenb. Joh.
3, 20 und Ebräer 4, 12; vgl. eine entsprechende Stelle aus Ains-
Fünftes Kapitel. 329
Seite
worth Animadversion to Mr. R. Clyfton's advertisement 1613 (b.
Weingarten 31): „with that two-edged sword, that proceedet hout
of Christ's mouth".
245 ') Hacket: Scrinia reserata (1693) II. 125, C. S. P, 1637, daselbst auch
über die Fälle v. Prynne, Bastwick und Burton.
-) S. Eawsou-Gardiner: H. of E. 1624— 2s, 11.197 (Febr. 11, 1628);
vgl. über den Zusammenhang des Schiifsgeldes mit der auswärtigen
Politik die Einleitungen von Bruce zu der C. S. P.
246 ') Dieses ürtheil stützt sich auf die neues ten-^ Untersuchungen von
Rawson Gardin er H. of E. 1624 — 28, nur mit dem Satze II.
321 über das Thema „Was he an apostate?" kann ich nicht über-
einstimmen. In der Fortsetzung von Eawson Gardiner's Arbeit
wird man neues Material ziu: Geschichte Strafford's erwarten dürfen,
während die Biographieen von Forster: Statesmen of the Common-
wealth of England (Ed. New- York 1846) und Macdiarmid: Lives
of British Statesmen (Ed. 1835) die „Letters and Dispatches" und
Radcliffe's beigedruckten Essay vorzüglich ausbeuten. Die Bio-
graphie von E. Cooper, 1874, 2 Vols., hat mir nicht vorgelegen.
248 ^) S. d. von Rawson Gardiner in der Bodleiana aufgefundene
Rede v. Dec. 1628, abgedruckt in der Academy 1875 Xo. 161.
p. 581—583.
251 ') S. den interessanten, allerdings erst auf den Juli 1638 bezüglichon
Bericht des Venetianers Zonka (S. R. Gardiner: Gleanings frora
the Venetian Archives 1628-37, Academy 1875, No. 186. p. 354).
252 ') On Shakespeare. P. W. II. 414. vgl. 198, 199. Ich gebe die Ueber-
setzung von Boden stedt (W. Shakespeare's Sonette in deutscher
Nachbildung, 2. Aufl. 1866, S. 9) und nur die 2 letzten Zeilen nach
Böttger. Leider gekn v. 9. 10 in der Uebersetzung verloren:
„For whilst , to the shame of slow-endeavouring art , T h y e a s y
numbers flow" etc. und diese sind besonders charakteristisch,
weil sie rühmen, was Milton fehlte. Gervinus: Shakespeare 3.
Aufl. I. 13 scheint anzunehmen, das Gedicht stamme aus IMilton's
Alter.
253 ^jFlecknoe: „Comparing him (B. Jonson) with Shakespeare you shall
see the difference betwixt Natiu'e and Art" etc. S. Roxburgh-
Library, 1869, p. 278) Phillips: Theatrum poetarum Anglica-
norum (Ich benutze Ed. 1800) p. 241. „Ben Jonson, the most
learned judicious and correct, generally so accounted, of our
English Comedians, and the more to be admired for being so, for
that ueither the height of natural parts, for he was no Shakespeare
. . . advanced him to this perfection" p. 240 : „William Shakespeare,
the glory of the English stage . . . never any expressed a more
lofty and tragic height, never any represented nature more purely
to the life, and where the polishments of art are most wanting, as
330 Anmerkungen.
Seite
probably bis learning was not extraordinary , he pleaseth with a
certain wild and native elegance" etc. vgl. Preface p. XXXVII.
254 ^) Eikonoklastes Ch. 1, W. III. 345, vgl. die Anmerkung in Ed. St.
John I. 326.
2)Dryden: Preface pref. to the Fables (Poet. W. Ed. 1811, III. 14).
3) Liebert 38.
2-55 ») Wither: The poet (abgedr. b. Morley 138).
2) S. 0. S. 105, V. 19, 20 lauten: „Not those new-fangied toys, and
trimming slight | Which takes our late fantastics with delight."
Das Göthe'sche „Gott sandte seinen rohen Kindern" u. s. w. ver-
wendet ein ähnliches Bild, wie Milton in diesem Gedicht.
256 ^) The Reason of Church-Government W. III. 147.
^) Carew: An Elegie upon the Death of Dr. Donne (Ed. Hazlitt
p. 94.) - Spenser wird von Milton in d. Areopogitica (W. IV. 412)
„our sage and serious Poet Spencer . . a better teacher then Scotus
or Aquinas" genannt.
257 ^) Wither: The poet. Sehr nahe berührt sich mit Milton's Auffassung
auch G. Fl et eher in der Vorrede zu „Christs Victorie", (Ed.
Grosart 71) der, wie ohne Zweifel auch Milton, wiederum von
Plato beeintiusst wird.
^) The Reason of Church-Government 1. c. Ich folge der sehr freien
Uebersetzung von Liebert 51 mit Heranziehung derjenigen von
G. Weber: John Milton etc. ursprünglich in Raumer's bist. Ta-
schenbuch 1852, 53 neuerdings aufgenommen in des Verf. Aufsätze
„zur Geschichte des Reformations Zeitalters," 1874 S. 446.
258 ^) An Apology against a pamplilet etc. W. III. 269 ff.
259 ') S. d. Auszüge b. Masson I. 685 „1639 An Infant sonne of Christo-
pher Milton, gent. , buried March the 26th." „1640 Sarah, the
daughter of Christopher and Thomasin Milton, baptized Aug. llth."
Vgl. den Stammbaum in Ed. Pickering, Vol. I.
260 ^) Wood, Walton: Reliquiae Wottonianae, Ed. 1672. The Life of
W. Bedell (Gamden-Society 1872), Rawson Gardiner: Eng-
land 1603—1610 II. 58 etc. Ueber Ilales s. TuUoch: Rational
Theology and Christian Philosophy 1872 I. 170-261.
'^)Donne's Poems ed. A. B. Grosart, II. 22.
261 ') Wotton's Brief, aufgenommen auch in die Reliquiae Wottonianae,
ist von Milton dem Comus später vorgedruckt worden. S. P. W.
II. 434, 435. vgl. Todd. Die Auflösung der Chiffren H. (Haies),
R. (Rouse) R. (Randolph) B. (Branthwait) S. (Scudamore) liegt
nahe. Die Zeit von Milton's Abreise wird durch Wotton's Postscriptum
bestimmt. Der Brief II. Lawes' , der den Eilaubnis - Schein des
„Lord Warden of the Cinque Ports" enthielt, ist zugleich mit Mil-
ton's Commonplace-Book aufgefunden und mit diesem (Camden-
Society 1><76, j). XVI) abgedruckt worden.
Sechstes Kapitel. ' 331
Seite
Sechstes Kapitel.
263 ^) Forster : Statesmen of the Commonwealth New-York 1846 p. 373.
Auch Henry Vane verweilte einige Zeit in Genf, s. Forster a. a.
0. p. 266 Boyle's Autobiographie Works I. 11 ff.
2) Pef. sec. W. VI. 310.
264 ') „Commendatum ab aliis nobilissimus vir Thomas (so irrthümlich)
Scudamorus . . . humanissime accepit." Def. sec. daselbst über die
weitere Reise. W. VI. 287. Näheres über Scudamore bei M a s s o n
1. 699.
*) Gibson's parochial history of Door, Holme-Lacy etc. (1727), auf
die sich Masson I. 703, IL 368 beruft, steht mir nicht zu Gebot.
S. zwei fi-eundliche, gleichgiltige Briefe an Land v. 5/15. März und
1/11 Mai 1635 in H. Grotii Epistolae (1687) No. 372, 402.
3) Phillips 358.
*) W 0 0 d ohne Quellenangabe : „the manners and genius of that
place being not agreable to his mind."
268 ^) S. über die italienischen Akademien : J. Jarkii Specimen historiae
academiarum eruditarum Italiae 1729, J. A. Fabricius: Conspe-
ctus thesauri litterarii Italiae, 1749, Tiraboschi: Storia della
Letteratura Italiana (Ed. 1822—1826). Hallam: Introduction to
the Literature of Europe etc. 1837—39, 4 Vols, s. Register.
•269 ^) Def. sec. 1. c. Viele dieser, wie überhaupt der italienischen Bekann-
ten Milton's, werden häufig erwähnt in Burmanni Sylloges episto-
larum a viris illustribus scriptarum t. 5. Leidae 1727, s. Register.
Nachrichten über ihr Leben und ihre Werke in Salvini: Fasti
Consolari dell' Accademia Fiorentina 1717, Negri: Istoria degli
Scrittori Fiorentini 1722, Mazzuc belli: Gli Scrittori d'Italia 1769,
Tirabo schi 1. c.
270 ^) H e i n s i u s : Epist. dedic. vor L. 3. der Elegien in s. Poemata, Ed.
1666, p. 33-35.
=')Fabroni: Vitae Italorum (1795) XVL 15—36. Fontani: Elogio
di C. R. Dati 1794. Freundliche Nachforschungen in Florenz
nach Dati's Briefwechsel (vgl. Fontani p. 252 und Salvini s. a.
1649) haben leider kein Resultat ergeben.
271 ') V. d. genannten Werke liegt mir die Original- Ausgabe vor.
'^) Def. sec. „quorum etiam privatas academias (qui mos illic, cum ad
literas humaniores tum ad amicitias conservandas laudatissimus
est) assidue frequentari".
•■') Epit. Damonis v. 1.33. P. W. III. 91, 540. „Ipse etiam tentare
ausus sum; nee puto multum | Displicui" etc. Reason of Church
Gov. (W. III. 144). Man könnte etwa an die griechischen Verse
,,Philosophus ad Regem" etc. (P. W. III. 82) denken, obwohl sie
einer späteren Zeit anzugehören scheinen.
332 ' Anmerkungen.
Seite
272 ') Keineswegs, Mie Massen I. 733 anzunehmen scheint, ein Schreib-
oder Druck -Fehler f. „Parnasso", was sich auch gar nicht reimen
würde, viehnehr der auf d. Helikon entspringende Fluss Permessus.
273 ^) Harmonicos coelestium sphaerarum sonitus", vielleicht eine An-
spielung auf den Essay: „De sphaerarum concentu", den Milton
voi'getragen haben mag, wie bereits Massen I. 731, 734 bemerkt.
2) Beide „Encomia", von Milton der Ausgabe seiner Gedichte von
1645 vorgedruckt, nicht eben sehr korrekt beiTodd VI. 161 — 164,
gut in P. W. III. 85-38.
ä)Negri 63,64, Tiraboschi VIII. 690, Masson I. 735 nach
Todd I. 33, 34 und einigen Artikeln in „Notes and Queries".
274 i)Ep. fam. 8 (W. VII. 380). Die Worte beziehen sich freilich in
erster Linie auf die Sprache.
275 ') Die von Milton gewünschte Liste fehlt allerdings in Buommattei's Werk.
277 1) Areopagitica (W. IV. 428) : „There (in Italien) it was that I found
and visited the famous Galileo grown old, a prisner to the Inqui-
sition, for thinking in Astronomy otherwise then the Franciscan
and Dominican licensers thought". Man weiss !nach dem im Text
Gegebenen, wie diese Stelle zu verstehen ist; es führt irre, wenn
Gätschenberger: Gesch. d. engl. Lit. III. 71 sagt: „Milton
besuchte auch G. damals im Kerker der Inquisition", noch weniger
richtig b. Liebert 48: „Er besuchte den grossen G. in Siena".
Von Masson im einzelnen abweichend, stütze ich mich auf K.
v. Gebier: Galileo Galilei, 1876 und Keusch: Der Galilei'sche
Process (Sybel's bist. Z.-S. 1875, Heft 3), welche die neuere
Literatur verwerthen. Indess steht bei Keusch, wohl in Folge eines
Druckfehlers, immer Aucetri statt Arcetri und wird bei Gebier 346
Milton's Besuch ein Jahr zu früh angesetzt. A. v. Reumont:
Gesch. Toscana's seit d. Ende des Florent. Freistaates, 1876, I. 554
hält die „Tradition" für wahrscheinlich, dass der Besuch in der
Villa II Gioiello bei Arcetri stattgefunden habe. In def. sec. wird
er gar nicht erwähnt.
^) Fernere Anspielungen auf das Teleskop Par. 1. III. 590 ff. „a spot
like M'hich perhaps | Astronomer in the Suns lucent orb 1 Trough
bis glazed optic tube yet never saw". Par. reg. IV. 40 ff.: „By
what Strange parallax, or optic skill | Of vision multiplied through air,
or glass I Of telescope, were curious to inquire." üeber Mondwolken
P. 1. V. 419.
280 ') Die Uebersetzung zum Tlieil nach Böttger. In dem Jugend-
gedicht: „Naturam non pati senium" (s. o. S. 71.) wird noch das
ptolemäische System angenommen (P. W. III. 524). In einer anderen
Stelle des Par. lost, wird jede Entscheidung vermieden, IV. 592 — 597.
Ob man P. 1. III. 575 hierher ziehen darf, ist zweifelhaft. Die
Stellen aus Milton's Prosa- Schriften, die Keightley 217 anführt,
Sechstes Kapitel. 333
Seite
um zu beweisen, dass Milton (auch nach seiner italienischen Reise
und selbst gegen Ende seines Lebens) am ptolemäischen System
festgehalten habe, sind nicht durchschlagend. Er spricht hier in
Bildern. Bei Gelegenheit des verl. Par. ist auf die Frage zurück-
zukommen.
280 2) Def. sec. W. VI. 288.
281 *) Ranke: Päpste II. 351 ff., Anal. Nr. 115 ff. v. Reumont: Ge-
schichte der Stadt Rom, Bd. III. Abth. 2, S. 611—623, 743.
2) V. Reumont a. a. 0. S. 740.
288 *) L. Holstenii epistolae ad diversos, Parisiis 1817, vgl. Zedier:
Univ.-Lex. Ueber F. Barberini: Eggs: Piu'pura docta (1714)
L. VI. 321—325.
2) H. Grotii . . Epistolae (Amstelodami 1687) Nr. 645, D. Holstenio
10. Sept. 1636. Milton: Ep. famil. (W. VII. 382) „Lucae Hol-
stenio Romae in Vaticano", dat. Florentii Martii 30, 1639, vgl. über
Cherubini: Jani Nicü Erythraei Pinacotheca, 1712, p. 722.
284 ^)C. S. P. D. S. Charles!, Vol. XIII. 525, vgl. a. a. 0. 1636—39
s. V. Barberini.
2)Bayle s. v. Baroni. Todd VI. 248. Der Sammelband hat den
Titel: „Applausi poetici alle glorie della Signora Leonora Baroni".
3) P. W. III. 61, 62. IL 341, 342.
286 1) T 0 d d L 35.
•^) S. den cit. Brief MiUon's , vgl. Salvini 504, Fabroni XVU.
141—187, Negri 245, Tiraboschi VIII. 417 ff.
^)Masson I. 745. Ich habe das Werk nicht in Händen gehabt.
287 ') P. W. in. 34. ^) P. W. HI. 82—84, 530—532.
=*) P. W. III. 35; über verschiedene Autoren Namens Selvaggi, s.
Massen I. 754, Anm. Liebert S. 44 scheint anzunehmen , der
fragliche Selvaggi sei ein Florentiner gewesen. Dagegen könnte
indess sprechen, dass man ihn dann in der Korrespondenz Miltons
mit Dati neben den übrigen erwähnt zu finden erwarten sollte.
*) S. über den Eintrag in dem „Travellers' Book of the English College
at Rome" p. XVI. v. M. Commonplace-Book (Camden-Soc. 1876).
288 ') Tiraboschi VIIL 52. J. Nycii Erythraei Pin. 600—602.
Opere di Tasso (Ed. 1735) IV. 245, VH. 472 ff.
2) T 0 d d VI. 345. M i t f o r d XXXIV.
289 ') Walker's bist, memoir of Italian tragedy (1799), woselbst sich
in App 5 Näheres über die Lage der Manso'schen Villa befinden soll,
habe ich nicht einsehen können.
-) ,,propterea quod nolebam in religione esse tectior". Def. sec. 1. c
') Nach Liebert 46: „Ut mens, forma, decor, facies, mos, si pietas
sie, I Non Anglus, verum hercle Angelus, ipse fores". P. W. UI. 34.
290 M Def. sec. 1, c. : „In Siciliam quoque et Graeciara trajicere volentem
me tristis ex Anglia belli civilis nuntius revocavit" etc. Der Aus-
334 Anmerkungen.
Seite
druck ist etwas zu stark; von einem „bellum civile" war damals
noch nicht die Rede.
*) Mansus P. W. III. 84 ff., 532 ff.
290 ^) S. ihre Beschreibung im „Epitaphium Damonis" v. 181 — 198.
291 >)Ep. fam. 10: Carole Dato Londino Aprilis 21 1647. W. VII. 386.
Of Reformation etc. W. III. 46, vgl. den Brief des N. Heinsius an
J. Vossius, Venedig, 1. März 1653 (Burmanni Sylloges T, 3, 669):
„Imo invisus est Italis Anglus iste, inter quos multo vixit tempore
ob mores nimis severos , cum et de religione libenter disputaret,
ac multa in Pontificem Romanum acerbe effutiret quavis occasione".
(H beruft sich kurz vorher auf Holstenius.)
*) Def. sec. 1. c.
293 ^)P. W. IL 476-478, 283—285. Es wäre denkbar, dass ein Theil
dieser Gedichte zu dem „Zusammengestoppelten" gehörte, das M.
in den Kreisen seiner ital. Freundevortrug, s. o. Anm. 3 zu S. 271.
-) Def. sec. etwa bis Mitte Mai 1639. Eine Erinnerung an Venedig
in Def. pro se contra AI. Morum, W. VI. 383.
294 i)E. Phillips: Life of Milton 1. c. p. 361, vgl. E. L. Gerber:
Neues Lexikon der Tonkünstler 1812 — 1814.
^) Man sehe statt aller biogr. Wörterbücher : Vie de Jean Diodati
theologien Genevois, 1576 — 1649 par E. de Bude, Lausanne 1869.
Hier wird p. 297 irrthümlich Milton's Freund, Karl D., zu einem
Sohne des Theologen gemacht. Auch sehe ich nicht, dass dem
Verf. die Beziehungen Milton's zu G. Diodati bekannt sind, vgl
Bedell's Life in den Ed. d. C am den- Society p. 142.
•'')Masson I. p. 778 vermuthet, Lucca und nicht Genf sei G. Dio-
dati's Geburtsort. Vgl. dagegen d e B u d e p. 22, 24 auch über das
Datum der Geburt.
295 *) F 0 r s t e r : Statesmen p. 373, d e B u d e 253, Elze: Lord BjTon p. 201.
2) Pro se contra Morum Defensio, W. VI. 398.
^) S. über das Album: Hunter p. 23 und über seine Geschichte,
Sotheby p. 106, daselbst T. XIV. Nr. IV. ein Facsimile des
Milton'schen Eintrags.
296 ') S. über die Clu'onologie von Milton's Reise: Keightley p. 20,
Treitschke: bist, und pol. Aufsätze, lässt Milton „drei reiche
Jahre" in Italien verweilen! Milton selbst Def. sec. \. c. p. 289
bezeichnet, ein wenig den Ereignissen vorgreifend, als Termin seiner
Rückkehr: „eodem ferme tempore quo Carolus, cum Scotis, rupta
pace (Vertrag von Berwick, 18. Juni 1639) bellum alterum quod
vocant Episcopale, rodintegrabat". Ueber die Dauer seiner Reise
lässt er keinen Zweifel : "„post annum et tres plus minus menses in
patriam revertor".
290 ■■') Areopagitica. W. IV. 428. »j Def. sec. W. VI. 289.
Anhang L
Die älteste Biographie Milton's.
Unter den Quellen zur Lebensgeschichte Milton's stehen, vde man
weiss , seine eigenen Schriften , und namentlich die autobiographische
Skizze in der Defensio secunda pro populo Anglicano an erster
Stelle. Als erster im Druck erschienener Abriss seines Lebens von der
Hand eines anderen ist derjenige in Wood's (1632—95) Athenae et
Fasti Oxonienses (zuerst 1691) zu erwähnen. Bald darauf, 1694, erschien
die Biogi-aphie des Dichters von der Hand seines Neffen E. Phillips zu-
gleich mit der englischen Ausgabe von Milton's „Letters of State". Zu
dem von Wood und Phillips Mitgetheilten ist von Toi and (1698 vor
der Ausgabe von Milton's Prosa- Werken, 1699 und 1761 separat) einiges
neue Material hinzugefügt worden. Die folgenden Biographen standen der
Zeit Milton's schon zu fern, als dass sie durch persönliche Erkundigungen
die bekannten Thatsachen um Nennenswerthes hätten vermehren können,
und erst mit dem Zurückgehn auf urkundliches Material gelang es neue
Ergebnisse zu gewinnen. Immerhin sieht man sich neben den Milton'schen
Schriften selbst vorzüglich auf Wood und Phillips angewiesen, eben damit
aber genöthigt, sich darüber klar zu werden, woher sie ihre Nachrichten
geschöpft haben. Was Phillips betrifft, so ist klar, dass sein nahes ver-
wandtschaftliches und sein enges persönliches Verhältnis zu seinem Oheim
ihm vortreffliche Mittel für die Lösung seiner Aufgabe an die Hand gab.
Auch bemerkt man leicht, dass er die erwähnte Partie der Defensio
secunda stark benutzt hat. Dennoch laufen mancherlei Irrthümer in
seiner Darstellung mit unter. So setzt er schon das Geburtsjahr seines '
Oheims falsch an, desgleichen das Datum seines Todes, seine Angabe
von Bücher-Titeln ist nicht immer genau, seine Xotiz über das Milton, von
dem die Familie stammen sollte (s. o. S. 14 Anm. 1), ist ebenso verwirrt wie
seine Mittheiluug, dass die Absicht bestanden habe, den Dichter zum „ad-
jutant-general in Sir William Waller's armj'" zu machen (s. Näheres in
Buch n.). — Wenn Wood nicht die gleiche persönliche Erfahrung zu Ge-
bote stand wie E. Phillips, und wenn er hie und da durch Yorurtheile
eingenommen zu sein scheint, so hatte er andere Vortheile für sich, die
336 Anhang I.
uns seine biographische Skizze werthvoU machen. Lange Zeit hindurch
mit den Vorbereitungen seiner Athenae et Fasti Oxonienses beschäftigt,
schrieb er in jedem Falle viel früher als Phillips. Er suchte sich mit
gi'osser Sorgfalt die biographischen Materialien zu verschaffen, und zum
Glück sind uns die Notizen seines Hauptgewährsmannes für die Lebens-
geschichte John Milton's aufbewahrt.
Dies war der Antiquar und Naturforscher John A u b r e y
(1627 — 97), welcher sich mit grossem Eifer bemühte für Wood, während
dieser sein Werk vorbereitete, von allen Seiten her Notizen zu sammeln (M.
Seine Materialien-Sammlung ist mit den Ashmolean Mss. in die Bodleiana
übergegangen und 1813 in nicht sehr befriedigender Weise in den „Letters
■written by eminent persons in the 17. and 18. centuries" etc., 2 Vols.,
London, veröffentlicht worden. Die Notizen für die Biographie Milton's
(AubreyMss. 4. part. HL) scheinen um das Jahr 1680 geschrieben worden zu
sein (P^ W. L 57, Go dwin: Lives of E. and John Philips 335, vgl. u. S. 343),
wie sich denn Aubrey nachweisbar unmittelbar nach Milton's Tode bemüht
hat, Daten für die Lebensgeschichte des Dichters zu sammeln und eine
Zeit lang hoffen durfte, Marvell im Interesse Wood's dafür zu gewinnen
(Masson I. p. IX.). Jedenfalls ist Aubrey's Biographie, wenn anders
seine Materialien-Sammhmg diesen Namen verdient, die älteste Biographie
Milton's, die man besitzt. Allerdings lauten die Urtheile der Zeitgenossen
über Aubrey nicht immer sehr günstig. Toland charakterisirt ihn freilich
als „a very honest man and most accurate in his account of matters of
fact," wenn auch als „extremely superstitious". Aber Wood selbst, der
ihm doch so viel verdankte, nennt ihn „a shiftless person, roving and
magotyheaded and sometimes little better than crased." Es heisst von
A. er sei gewesen „exceedingly credulous, would stufi' his many letters
sent to Wood with foUiries and misinformations , which sometimes would
guid him into the paths of errour". (Life of Wood 1. c.) Trotzdem sind
die Nachrichten Aubrey's über Milton's Leben, mit Vorsicht benutzt, höchst
schätzbar. Er hat Milton persönlich gekannt, er hat bei seinem Bruder,
bei seinem Neffen E. Phillips, bei seiner Wittwe und bei anderen Er-
Icundigungen eingezogen, und dass er häufig seine Autoritäten angiebt,
verleiht seinen Notizen noch höheren Werth. Freilich behalten diese
immer den Charakter des Abgerissenen, Skizzenhaften. Es fehlt nicht an
Widersprüchen, wie wenn es einmal heisst, Milton's festländische Reise
habe zwei Jahre gedauert, ein anderes Mal: ein Jahr. Auch die lebhafte
Phantasie scheint Aubrey hie und da zur Ausmalung unverbürgter Einzel-
heiten fortzureissen , wie sich namentlich zeigt, wenn man solche Stellen,
die er E. Philipps Mittheilungen verdankte, mit dem späteren Berichte
dieses selbst vergleicht.
'J Lifo of Woi)(l writt.'!! liy himscll' (Eeclesia.sticiü llistory Sociply 1848) S. 152
übor Aiilirey im Mg. Uose: New gßnfral liiogr. Dictionary 1857; ilio Momoirs of Aubroy
V. Brittoii, 1845 sind mir nur dem Titul nacli bekannt geworden.
Die älteste Biographie ]\Iilton's. 337
Aubrey's Notizen sind zuerst in den erwähnten „Letters written by
eminent persons", Vol. 2, P. 1, 439 — 450, unvollständig abgedruckt, darauf
besser, jedoch auch nicht genügend, in Godwin: Lives of E. and
J. Philips (1815), 335—349. Ich lasse sie nach einer vom Orig.-Ms. in
der Bodleiana genommenen Kopie folgen, in welcher der Gebrauch der
Minuskel durchgeführt, die Interpunktion selbstständig vorgenommen, und
eine Anzahl der üblichen Abküi'zungen stillschweigend aufgelöst worden
ist. Eine Stelle des Aubrey'schen Ms. Hess mich eine Zeit lang hoffen,
dass es gelingen könnte, noch eine bisher unbekannte originale Quelle der
Biographie Milton's aufzufinden. Es ist die Stelle: „Quaere Mr. Allam
ofEdmund's Hall, Oxon. of jVIr. J. Milton's Life, writt by himselfe v.
pagg." Ich glaube nicht irre, zu gehn, wenn ich damit folgende Bemerkung
in Hearne's account of Wood (App. 1 zum Life of Wood 1. c. p. 332)
in Zusammenhang bringe : „If you will believe what he himselfe says and
what I have often heard reported in Oxon, the greatest help he found
from any one person in that university, was from Mr. Andrew Allam,
vice-principal of St. Edmundshall, who died, to our author's great reluc-
tancy, an. 1685. This ingenious retired and modest person helped him very
much in the notitia of divers modern authors whilst jNIr. Wood himself
was day and night di'udging in those more ancient; and therefore Mr.
Wood hath deservedly given an high character of Mr. Allam." (Eine
beiläufige Erwähnung Allam's 1. c. p. 222.) Hierdurch wird es noch wahr-
scheinlicher gemacht, dass dieser Allam ein Leben Milton's abgefasst habe,
und es braucht nicht gesagt zu werden, von welchem Interesse es wäre,
desselben habhaft zu werden. Allein meine Bemühungen, die Papiere
Allam's, sei es in der Bodleiana oder in St.. Edmund's Hall aufzufinden
oder doch Kunde über ihren Verbleib zu erhalten, waren trotz der freund-
lichsten Unterstützung an Ort und Stelle vergeblich.
Mr. John Milton.(i)
Was of an Oxfordshire familie: his grandfather (a Rom.
Cath.) of Holton in Oxfordshire, near Shotover. His father was brought
up in the university of Oxon at Christ Church, and his grandfather disin-
herited him because he kept not to the Gatholique religion; q. he found
a bible in English in his Chamber; so thereupon he came to London and
1) Unter dem Worte „John" steht ein Wappenschild mit zwei kleinen Schrägbalken
gekreuzt, durch a als „argent" bezeichnet (das Bradshaw'sche W.), und ganz links auf der
Seite findet sich in roher Zeichnung das Miltonsche Wappen, ein Doppeladler, und daneben
die Worte: „Crest an Arme dexter (?) holding a Eagles heade & („h. &." ausgestrichen) neck
erased G.", d. h. erased Gules s. Massen I. 4 nach den Aspidora Segariana Add. Ms.
Br. M. 12225 fol. 162, zuerst aufgefunden von Hunt er.
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 1. 22
338 Anhang I.
■became a scrivener, (brouglit up by a friend of his, was not an apprentice),
and got a plentifull estate by it and left it off niany years before be dyed,
he "«'as an ingeniöse man, delighted in musique, composed mauy songs
now in print, especially that of Oriaua.
His mother was a Bradshaw, Christopher Milton (bis brother, the
Inner Temple) bencher.(*)
His son Jo. was borne in ßread-Street in London at the(*) Spread-
Eagle, which was his house, he had also in that street(^) another house,
the Rose, and other houses in other places. He was borne anno
Domini the day of . . . about a clock in. the(*)
He went to schoole to old Mr. Gill, at Paule's schoole, went, at his owne
chardge only(^) to Christ-College in Cambr. '') at fifteen, where he stayed
eight yeares at last: then he travelled into France and Italie. Had Sir
H. Wotton's commendatory letter. At Geneva he contracted a great Mend-
ship with the learned Dr. DeodatiC) of Geneva (vide his poems). He was
acquainted(8) with Sr. Henry Wotton, who(^) delighted in his Company,
ambassador at Venice. He was several years (quaere how many? resp.
two yeares) (*") beyond sea, and returned to England (*') just upon the
breaking out of the civill warres. He was Latin secretary to (") the par-
liament. Anno Domini 1619 he was ten yeares old, as by his picture,
and was then a poet. His schoolmaster then was a Pmütan, in Essex,
who cutt his haire Short.
He married his first wife Powell, of Fost-Hill, at Shotover,
in Oxonshire. She was a zealous royalist and went without her husband's
consent to her mother in the king's quarters, she dyed anno domini ....
She went from him to her mother's at . . . in the king's quarters neer
Oxford (**j anno Domini; and MTOte the triple chord about divorce. Anno
Domini .... by whom he had 4 children. Hath two daughters living ;
Deborah was his amanuensis, he taught her Latin and to reade Greeke (")
to him, when he had lost his eie-sight, which was anno Domini
He was scarce so tall as I am (Quaere quot feet I am high? Resp.
Of middle stature). He had light abroun (.'■''') hayre. His complexion ex-
') „His — beiicher" liab« ich geglaubt hier einschieben zu sollen; es steht im Original
zusammenhanglos für sich allein. „bencher" ist über ein durchstrichenes „barrister"
geschrieben.
') „Rose" ausgestrichen. •'') „there" ausgestrichen.
*) Aubrey Hess die Lücken stehen, bis er, vielleicht von Christopher Milton aus
einem Eintrag in die Familienbibel die Ergänzung erfahren hätte.
1^) „at — only" mit frischerer Tinte.
*>) „very young sc. about thirteen was the inost" ausgestrichen.
') „Carolo Diodati" ausgestrichen. ") „beyond sea with" ausgestrichen.
9) „was" ausgestrichen. '") „q. — yeares" von derselben Hand.
1') „abroad before" durchstrichen. >•■') „Oliver Cromwell" ausgestrichen.
") „8hn went — Oxford" mit späterer Tinte geschrieben und eingeschoben , darunter
•durchstrichen : „She parted from him".
'<) „and Hebrew 4." durchstrichen. '') „abroun" wohl = auburn über „browno" gesetzt.
Mr. John Milton. 33^
ceeding(^) fayre. (He was so faire that they called him the lady of
Christ-Coll.) Ovall face, bis eie a darke gray. His widowe has bis pic-
ture drawne very well and' like(*), when a Cambridge scbollar. Sbe has
his picture when a Cambridge scbollar, whicb ought to be engraven,
for the pictures before his bookes are not at all like him. He married
his second wife Mrs. Eliz. Minshull , anno . . the yeare before the sick-
nesse, a gentile(^) person, a peacefull and agreeable humour.(*)
After he was blinde, he wrote these following bookes, viz.
Paradise Lost,
Paradise Regained,
Grammar,
Dictionarie, imperfect q. {^)
He was a spare man. [2] He was an early riser, sc. at 4 o'clock
mane, yea after be lost bis sight. He bad a man read to bim. The
first tbing be read was the Hebrew bible, and that was at 4 b. mane V/.2 h.,
then be contemplated. (^) At 7 bis man came to him again and then
read to him and wrote (') tili dinner, the writing was as mucb as the
reading. His second daughter Deborah, could read to him Latin, Italian
and French and Greeke. Sbe married in Dublin to one Mr. Clarke (a
mercer sells silke etc.); very like her fatber. The otber sister is Mary,
more like her mother. After dinner be used to walke 3 or 4 hoiu-es at
a time, he always bad a garden, where he lived; went to bed about 9.
Temperate(^) rarely dranke between meales. Extreme pleasant('') in his
conversation and at dinner, supper etc. but satyricall.
He pronounced the letter R. very bard. (^") He had a delicate tun-
eable voice and had good (") skill.
His fatber instructed him. He bad an organ in his house, be played
on that most. His exercise was cbiefly Walking.
He was visited mucb by learned, more tban be did desire.
He was migbtily importuned to goe into France (^-) and Italie; for-
eigners came mucb to see bim and mucb admired bim and offered to him
gi-eat preferments to come over to tbem, and(^") the only inducement of
severall foreigners that came over into England , was cbiefly to see .
Oliver "' Protector and Mr. J. Milton and would see the bouse and
Chamber where be was borne. He was mucb more admired abrode
tban at bome.
His familiär learned acquaintance were Mr. Andrew Marvell, Mr.
Skinner, Dr. Paget, M. D. Mr. Skinner, who was his disciple.
1) „very" darunter gesclirieben. 2) .,very — like" mit frischerer Tinte. 3) ,.genf' Ms.
1) ,,a. p. a. a. h.' mit frischerer Tinte. 5) ^,Gr. D. i. q.'' mit frischerer Tinte.
'■) „thought" durchstrichen. ") ..again'' durchstrichen.
^) ..man'' durchstrichen. ") „at"' durchstrichen. '") Am Eande des Ms. ..Litera canina'»
11) „greaf" durchstrichen. i^) Fr. Ms.
13) „severall foreigners came" durchstrichen. i*) „0." Ms.
22*
340 Anhang I.
Jo. Drevden, Esq. Poet Laureate, who(*) very much admires him
and went to him to have leave to putt his Paradise Lost into a drama in
rhAmme. Mr. Milton received him civilly and told him that he would
give him leave to tagge his verses.
His widowe assures me that Mr. Hobbs was not one of his acquain-
"tance, that her husband did not like him at all, but he would grant(^2)
Mm to be a man of great parts and a learned man. Their interests and
tenets did run counter to each other(^). v. Mr. Hobbes Behemoth(*).
[3] From his brother(^) Chr. Milton:
When he went to schoole, when he was very young, he studied very
liard and säte up very late; commonly tili 12 or one o'clock at night,
and his father ordered the mayde to sitt up for him, and in those yeares
(10) composed many copies of verses, which might well become a riper
age. And was a very hard Student in the university and performed all
his exercises there with very good applause, His first tutor there was
Mr. Chapell, from whom receiving some unkindnesse, (whip't him) ('•'), he
was afterwards, (though it seemed opposite to the rules of the College),
transferred to the tuition of one Mr. Tovell, who dyed parson of Lutter-
worth.
I have been told, that the father composed a song of fourscore parts
for the Lantgrave of Hess, for which highnesse [sie] sent a meddall of
gold, or a noble present. (') He dyedC*) about 1647, buried in Cripplegate
church (^) from his house in the Barbican.
aJÜ^ Quaere Mr. Chr. Milton to see the date of his brothersC") birth.
1. Of Reformation. I i ^i ^ i i
^ , . , _, . ; qr. whether two books.
Agamst Frelatical Episcopacy.)
2. The Reason of Church Government.
3. A Defence of Smectymnuus.
4. The Doctrin and Disciplin of Divorce. I
5. Colasteriou. [ All these in prosecution
6. The Judgment of Martin Bucer. | of the same subject.
7. Tetrachordon (of divorce). j
8. Areopagitica viz. for the Libertie of the Presse.
Of Education.
Iconoclastes.
Tenure of Kings and Magisti-ates.
Defensio Populi Anglicani.
Defensio secunda contra Morum. His Logick.
') „who — verses" mit frisi'herer Tinte. -) darunter „aoknowledgo".
•>) „(1. r. e. t. e. o." stallt tilior „werf diametrically oppositn".
*) Diose ItoinerkimK ursprünglich mit lileistit't, spiiter mit Tinte überzogen.
'•) ,,bro." Ms. •') „whip't him" diirübergeschrioben. ') „o. a. n. p." darübergeschrieben.
'') .,in that year tliat the army marched through the city" ausgestrichen.
■') ,.cli." Ms. ">i ,,bro." Ms.
Mr. John Milton. 341
Defensio tertia.
Of the Powr of the Civil Magistrate in Ecclesiastical Affairs.
Against Hirelings (against Tithes).
Of a Commonwealth.
Against Dr. Griffith.
Of Toleration, Heresie and Schisme.
[4] He went to travell about the year 1638 and was abroad about
a years space, chiefly in Italy, immediately after bis retum he took a
lodging at Mr. RuseU's, a taylour, in St. Bride's church-yard; and took
into his tuition bis sister's two sons, Edw. and John Philips, the first 10,
the other 9 years of age, and in a year's time made them capable of
interpreting a Latin author ^t sight etc. and within 3 years they went
through the best of Latin and Greec poetts: Lucretius and Manilius, and
with him the use of the globes and some rudiments of arithmetics and
geometry(^), of the Latins; Hesiod, Aratus, Dionysius Afer, Oppian,
Apollonii Argonautica and Quintus Calaber. Cato, Varro und Columella
de re rustica were the very first authors they learn't.
As he was severe on one band, so he was most familiär and free in
his conversation to those, to whome most sowre in his way of education.
NB. He made his nephews songsters and sing from the time, they were
with him(-).
John Milton was born the 9th of December 160S die Veneris half
an hour after six in the morning. (')
From Mr. E. Philips: His invention was much more free and
easie in the ;equinoxes than in the solstices; as he more particularly
found in writing his Paradise Lost. Mr. Edw. Phiüps (his nephew and
then amanuensis) hath. (^)
All the time of writing his Paradise Lost his veine began at the
autumnall equinoctiall and ceased at the vernall or thereabouts (I be-
lieve about May) and this was 4 or 5 yeares of his doing it. He began
about 2 yeares, before the kingC^) came in and finished about 3 yeares
after the king'sC) restauration . .
Quaere Mr. J. Playford pro Wilby's sett of Orianas. In theC) 4tii
booke of Paradise Lost there are about 6 verses of satan's exclamation
to the sun, which Mr. Edward Philips (^) remembers about 15 or 16 yeares
before ever his poem was thought of, which verses were intended for the
1) „Arithm. and Geora." Ms.
2) Hier endet p. 4 des Ms., welche zur Hälfte leer ist. Es folgen nun zwei besondere
Quartbliittchen, bezeichnet 33. 34. 36. 37. lose an die übrigen Folio -Blätter angebunden,
nnd auf diesen das Stück des Ms. von „John Milton — widow preserve'", das ich ohne Pagini-
rung zum Abdruck bringe.
•■) „John — morning" anscheinend nicht von Aubrey's Hand. Darunter von . Wood'
Hand: „Why do you not set downe where Jh. Milton was borne?''
■•) „His invention — hath'' ausgestrichen im Ms. 3) „K." Ms. 8) „K's." Ms.
7) „2i>3 or 3rd ausgestrichen. ®) „E. Phi." Ms.
342 Anhang I.
beginning of a tragoedie, wliich he had designed but was diverted from
it by other businesse. (^)
Whatever he wrote against monarchie was out of no animositie to
the king's person, or out of any faction or interest, but out of a pure zeale
to the liberty of mankind, which he thought, would be greater under a
free state then under a monarchicall government. His being conversant in Livy
and the Roman authors and the greatnes he saw donne by the Roman
Commonwealth and the vertue of their great captaines (") induc't him to. (^)
His first wife (Mrs. Powell, a royalist) ('') was brought up and lived
where there was a great deale of Company and merriment, dancing etc.
And when she came to live with her husband at Mr. Russell's, in St.
Bride's churchyard('°'), she found it very solitarj', no Company came to her,
oftentimes heard his nephews beaten and cry. This life was irksome to
her, and so she went to her parents at Foste-hill. He sent for her (after
some time^i, and I thinke his servant was evelly entreated, but as for
wronging his bed, I never heard the least suspicions nor had he of that
any jealousie. (•*)
From Mr. Ahr. Hill: Memorandum: His sharp ^\Titing against
Alexander More of Holland, upon a mistake notwithstanding he had given
him by the ambassador (Quaere the ambassador's name of Mr. Hill?
Respondit: Newport the Dutch ambassador) all satisfaction to the con-
trary viz. that the booke (called „Clamor") was writt by Peter duMoulin.
Well that was all one;(') he having writt it, it should goe into the
world, one of them was as bad as the other. (»)
Quaere Mr. Allam of Edmund's {'■*) Hall, Oxon. of ]Mr. J. ^Nlilton's Life,
writt by himselfe v. pagg.
His sight began to falle liira at first upon his writing against Sal-
masius, and before 't was fuUy compleated one eie absolutely failed.
Upon the writing of other bookes, after that, his other eie decayed.
Write his name in red letters on his picture Mith his widowe to
preserve. (*°)
[7] Different relligions.(") Two opinions do not well on the same
boulster. She was a royalist and went to her mother neer Oxford,
the king's ('■-) quarters. I have perhaps so much charity for her that she
might not wrong Ins bed, but what man (especially contemplative), would
') Hier endet das mit .S3 bezeiclmete Quartblatt.
2) So im Ms. über „Commanders" geschrieben. '•^) Endo des Quartblatts .?4.
*) „a. r." darübergeschrieben. • S) ,,eh " Ms. ") Ende des Quartblatts 116.
') „when ho had'' durchstrichen.
'') „Newport — ambassador" . . . ,.that the b. — other" mit anderer Tinte, wahr-
scheinlich geschrieben, nachdem die Antwort von Mr. Hill eingelaufen war.
") „Kdm." Ms.
1») Knde des Quartblattes 37. Es folgt ein leeres Blatt (fol. gleich SS. 5. U.).
") „rell" Ms. Vor D. r. steht durchstrichen: „Ho married Eliz. 2d wife, Ao Dni 10. ."
14) ,K'B." Ms.
Mr. John Milton. 343
like to have a young wife environ'd by the sons [of Mars, and those of
the eriemi partie? He lived in several places, e. g. Holbom neer king's(')
gate. He died in Bunhill opposite the Ai-tillery garden-wall. His liar-
monicall and ingeniöse soule did lodge(*) in a beautifull and well-pro-
portioned body. „In toto nusquam corpore mendä fuit." Ovid. He had('')
a very good memory, but I believe that his excellent niethod of thinking
and disposing dtd much help his memory.
I heard that after he was blind, that he was writing in the heads
a Latin dictionary, vidua affirmat. She 'gave all his papers,(<) among
which this dictionary imperfect , to his nephew , that he brought up , a
sister's son .... . Philips, who lives neer the Maj^jole in the Strand.
She has a great many letters. by her from learned men of his acquaintance.
both of England and beyond sea. His eye-sight was decaying about
20 years before his death. Quaere when starke (^) blind? His father read
without spectacles at 84, his mother had very weake eies and used
spectacles presently after she was thirty years old. Of a very cheerful
humour.
He was very healthy, seldom took any physique, only sometimes
he took manna(*), and free from all diseases, only towards his later end
he was visited with the goute, spring and fall. He would be chearfull
even in his goute-fitts and sing.
He died of(') the goute Struck in, the 9^^ or lOtii of November 1674,
as appears by his apothecaryes booke. He lies buried in St. Giles
Cripplegate, upper end of chancell at thö right band. Vide (*). Memoran-
dum : his stone is now removed, for about 2 years since ( n o w 1681) the
two steppes to the communion table were raysed. I ghesse Jo. Speed
and he lie together.
Quaere his nephew Mr. Edw. Philips for a perfect catalogue of
his writings. Memorandum: He wrote a little tract of Education.
Memorandum: Mr. Theodore Haak, K. S. S. hath translated hälfe
his Paradise Lost into High Dutch, in such blank verse, which is very
well liked of by Germans. Fabricius , professor at Heidelberg, who sent
to Mr. Haak a letter upon this translation. Incredibile est quantum nos
omnes affecerit gravitas styli et copia lectissimorum verborum . . et v.
the letter.
Hierauf endigt [7], es folgt auf [8] der Milton'sche Stammbaum,
auf dessen Wiedergabe ich glaube verzichten zu dürfen. Sie würde voll-
ständig befriedigend nm- in Form des Facsimile erfolgen können, und in
dieser findet man den ersten Theil, der für die Frage der Genealogie von
^) „K's." Ms. ^) So über „dwelt" geschrieben. 3) „an extraordinarie'' ausgestrichen.
*) Daneben stehend: ,,In the hands of Moyses Pitt". 5) st. über „quite" geschrieben.
6) ,. seldom — manna" darübergeschrieben.
') „a feaver at his house in Jewin street about the 64th year of his age" durchstrichen.
^) „V.'" Ms. dahinter „his stone gi'ave stone" durchstrichen.
344 Anhang I.
Milton's Mutter -wichtig ist, bei Masson I. 6, Noch will ich Folgendes
als Zusatz zii dem Abdruck bei Godwin p. 347 bemerken: Ueber dem
Namen „Sarah Bradshaw" findet sich das Bradshaw'sche Wappen, Avie im
Anfang des Ms , unter den Worten „Edw. Phillips" ein durchstrichenes,
vor „Mary Powell" ein leeres Wappenschild, unter den Worten „Eliz. Min-
shull of Cheshire" ein Schild mit Stern und Mondsichel.
Catalogus Librorum. (')
.Ti o ■ ^ T j. • • ^ 3 i some writt
1. Poems S^oprinted, twice printed » , , . ^n
\ uut at lo.
2. Eikonoklastes printed at Of Reformation.
3. Pro Pop. Angl. Defensio contra Salmasium.
4. Tetrachordon. 4to- Of Divorce.
5. 1 „ ,. \ Lost. 4to.
6. i i Regain'd. 4*° Edw. Philips his chief amanuensis.
„ T . T-, • ., ,.x r, I Familiär.
7. Latm Epistles(^) 8- f ^^^^.^^^
8. Latin Grammar in English. Svo.
9. The History of Britain, from the first traditionall beginning, continued
to the Norman Conquest. 4*" London MDCLXX., for James Alestry,
Rose & Crown, Paul'sC'') Church Yard. Scripsit permulta (?) per
effigiem (pro falsare ?) 1670 aetate 62.
10. A Letter of Education to Mr. S. Hai'tlib (witli his Poems).
11. A Brief History of Muscovia, and other less known Countries lyeing
eastward(*) writt by the author's owne band, before he lost his sight:
and intended to have printed it before his death.
12. His Logick.
13. Idea Theologiae, in Ms. in the hands of Mr. Skinner a merchants
sonne in Marke Lane. Memorandum: There was one Mr. Skinner
of the Jerkers Office, up 2 paire of stayres at the Custom House.
14. He wTOte a Dictionary called Idioma Linguae Latinae from Mr. Packer,
who was his Scholar.
*) Am Hando dieses Verzeichnisses : „iSct tliem downe according to order of time."
*) „Eples." Ms. 3) ,,p's." Ms. ■*) Darüber geschrieben: „advertisement".
Anhang IL
Die Greiiealogie Yon Milton's Mutter.
Die Genealogie von Milton's Mutter zu bestimmen, macht grosse
Schwierigkeiten. Die überlieferten Nachrichten widersprechen sich in
folgender Weise:
1) Aubrey sagt im Texte: „His mother was a Bradshaw" und führt
sie in dem Stammbaum auf als „Sarah Bradshaw". Daselbst hat
er über dem Namen die Zeichnung eines Wappens angebracht, wel-
ches genau ebenso am Anfang des Textes, wenn auch für sich allein-
stehend, vorkommt und in der That dem bekannten Wappen der
Bradshaws von Bradshaw so gut entspricht, wie es von einer flüchtigen
Federzeichnung zu erwarten ist. (Massen I. 25).
2) Wood, indem er sich hier wie in der biographischen Skizze im ganzen
durchaus auf Aubrey's Mittheihmgen stützt, berichtet: „his Mother,
named Sarah, was of the ancient Family of the Bradshaws."
3) Edward Phillips bezeichnet die Mutter als „Sarah, of the family of
the Castons, derived originaly from Wales."
Zunächst widersprechen sich also Aubrey und Phillips. Dieser war
freilich der Enkel der in Frage stehenden Persönlichkeit, aber wir haben
zu erwägen, dass er sich etwas unbestimmt ausdrückt, dass wir ihn häufig
bedenklicher Vergehen zeihen müssen, dass er später schreibt als Aubrey.
Allerdings glaube ich Masson nicht beistimmen zu können, wenn er für
Aubrey den Christopher Milton Gewähi'smann sein lässt. Dass Christophers
Name ohne weitere Verbindung dem Satze „His mother was a Bradshaw"
angeschlossen wird, soll wohl nicht ein Quellen-Citat ausdrücken, sondern
ist eine beiläufige Bemerkung, kurz gefasst, um den Faden der Biographie
nicht zu unterbrechen. Aus diesem Grunde stehn beide Sätze auch fast
fi-agm entarisch für sich allein. Ferner haben die bis jetzt angestellten
Nachforschimgen in den Stammbäumen der Bradshaws kein Ergebnis ge-
liefert, welches Aubrey's Nachricht bestätigen könnte. W^äre eine auch
nur entfernte Verwandtschaft mit dem Präsidenten Bradshaw anzunehmen
gewesen, so sollte man meinen, John Milton würde eine Anspielung darauf
in der Defensio secunda (W. VI. 299) nicht unterdrückt haben. Dennoch hat
346 Anhang U.
Aubrey's zwei Mal ausdrücklich ausgesprochenes Zeugnis ein bedeuten-
des Gewicht.
4) In den Pfarr-Registem von Allhallows, Bread-Street, findet sich folgen-
der Eintrag: „The XXlInd daye of February a" 1610 [1610—11], was
bui'ied in this parishe IVIrs. Ellen Jefferys, the mother of Mr. John
Mylton's wyffe of this parishe." (P. W. Golden Treasury Ed. I. p. X.)
Dass hierunter die Schwiegermutter des „scrivener John Milton", also
die Grossmutter des Dichters, zu verstehn sei, ist zweifellos. Wenn diese
bei ihrem Tode als „Mrs Jefierys", ihre Tochter aber als eine geborene
Bradshaw oder Caston bezeichnet wird, so müsste man annehmen, dass
des Dichters Grossmutter als Wittwe Bradshaw oder Caston einem Jefferys
ihre Hand gereicht hätte. Aufiallig ist aber, dass der Name Jefferys,
allerdings geschrieben J e f f r e y, was öfter vorkam , noch ein Mal in der
Genealogie Miltons auftaucht. Man findet ihn auf der Aubrey'schen Stamm-
tafel rechts von dem Namen von des Dichters Grossvater. Die herkömm-
liche Meinung geht dahin, dass Aubrey durch seine Zeichnung habe aus-
drücken wollen, der Grossvater des Dichters sei mit einer Wittwe Jeffrey,
geborenen Haughton, vermählt gewesen.
Es ist Masson in der That gelungen, gestützt auf ein 1595 eröffaetes
Testament, einen „John Jeffrey of Haiton, in com. Oxon. husbandman"
und somit eine Familie dieses Namens ganz in der Nähe der Miltons
nachzuweisen (I. 17). Dass beide Grossmütter des Dichters nach dieser
Annalime denselben Namen getragen haben würden , erklärt Masson für
einen Zufall, dessen Bedeutung noch dadurch abgeschwächt wird, dass in
der That schon damals die Namen Jeffrey und Jefferys unterschieden ge-
braucht wiu-den. Es scheint indess doch nöthig, auf die merkwürdige
Thatsache etwas näher einzugehen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens
nämlich bin ich gar nicht fest davon überzeugt , dass Aubrey durch seine
Notiz und seine Zeichnung auf die Frau von Miltons Grossvater habe
abzielen wollen. Ich vermisse sowohl in meiner von Aubrey's Ms. ent-
nommenen Kopie wie auf der photographischen Wiedergabe in Masson's
Werk S. 7 eine Verbindung zwischen dem Namen Milton uud Jeffrey.
Man bemerkt vielmehr zwischen beiden eine bedeutende Lücke. Auch dass
die ganze Zeichnung ursprünglich durch einen Strich von dem übrigen
getrennt war, scheint anzudeuten, dass Aubrey sie als einen beiläufigen
Nachtrag angesehn wissen wollte, dessen Wichtigkeit aber doch so gross war,
dass er die trennende Linie wieder vernichtete. Sollte nicht denkbar sein,
dass er nach Vollendung der Stammtafel erfuhr, Milton's Mutter Sarah
sei eine geborene Iloughton, seine Grossmutter (Sarah's Mutter) sei in
zweiter Ehe mit einem .leffrey vermählt gewesen, dessen Wappen bedeu-
tungslos und daher dui'chstrichen wurde, und dass er das „Bradshaw" zu
tilgen vcrgass ? Zunächst würde diese Erklärung den Zufall vom doppelten
Vorkommen des Namens Jeffrey auOicben und vortrefflich mit dem Ein-
trag in den Kegisteni von Allhallows stimmen. Zweitens kommt aber zur
Die Genealogie von Milton's Mutter, 347
Bestärkung Folgendes hinzu: Francis Peck sagt in seinen New Me-
moirs of the Life and Poetical Works of Mr. John Milton 1740, indem
er Phillip's und Wood's Angaben korrigirt, S. 1: „Mr. Milton's mother
(I am informed) was a Hauhgton ofHaughton-Tower in Lancashire, as
appears by the arms of bis father and mother in pale, upon a board, a
quarter of a yard Square, some time since in the possession of bis widow.
Where, under bis fatber's arms is wrote Milton ... in Com. Oxon etc.,
linder his mother's Haughton of Houhgton-Tower in Com. Lanc."
Dieser Nachricht würde man zunächst wenig Glauben beizulegen ge-
neigt sein, da Peck diesen in den wenigsten Fällen verdient. Allein ein
Mal ist .die Autorität, auf die er sich beruft, „From a Letter of Roger
Comberbach of Chester Esq; to "William Cowper Esq; Clerk of the Par-
liament, dated 15. Dec. 1730", Avie Masson S. 23 nachweist, nicht nur
eine vertrauenswürdige, sondern in der vorliegenden Frage vermuthlich
besonders wohl unterrichtete Persönlichkeit, sodann steht auch fest, dass
sich unter dem Nachlass von Milton's Wittwe wirklich ein Gegenstand
der beschriebenen Art befand. S. d. Inventar, veröffentlicht von J. F.
Marsh 185-5 aus dem „Episcopal Piegistry von Chester" (Masson I. 4.
28): „Mr. Älilton's pictures and coat of arms."
Masson sucht sich so zu helfen, dass er das Wappen ursprünglich des
Dichters Grossvater angehören und durch dessen Sohn auf den Dichter
übergehen lässt. Wäre die von mir geäusserte Vermuthung richtig, so
würde, wie gesagt, das doppelte Vorkommen des Namens Jeffrey entfernt,
der Eintrag in den Piegistern von Allhallows würde mit Roger Comber-
bach's Notiz stimmen, man könnte sich sogar denken, wie aus einem un-
deutlich geschriebenen Hauhgton das Phillips'sche C a s t o n wurde. Die
Schwierigkeit, die sich an den Namen Bradshaw knüpft, bliebe allerdings
bestehn. Da indessen verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den
Bradshaws und Haughtons bekannt sind (Masson L 26), so liesse sich das
Vorkommen einer Verwechselung beider Namen allenfalls erklären. Ich
bin weit entfernt davon auf diese Vermuthung grossen Werth zu legen.
Wenn es nicht gelingt neues Material aufzufmden, dürfen wir nicht hoffen,
diese genealogische Frage endgültig zu entscheiden. Eine von Joseph
Lemuel Chester gemachte und im Athenaeum 1868, Nov. 7, S.»603
veröffentlichte Entdeckung scheint mir für diese Entscheidung ohne Ge-
wicht zu sein. Er fand bei Durchsuchung der marriage allegations in der
londoner bischöflichen Registratui- eine Urkunde, deren Sinn, nach seiner
Mittheilung, die auf Wiedergabe des Wortlauts verzichtet, folgender ist:
„On the 28th of August, 1602, William Truelove, of Hatfield - Peverill,
in the county of Essex, gentleman, aged about forty years, and who had
been a widower about seven years, alleged that he intended to marry
Margaret Jeff raye, of Newton Hall, in Great Dunmow, in the county
of Essex, a maiden, aged about twenty years, the daughter of Paul
Jeffr ay, of the parish of St. Swithin's, London, merchant taylor, deceased.
348 Anhang IT. Die Genealogie von Milton's Mutter.
with the consent of her mother, Ellen Jeffraye, widow, whose consent
was attested by John Milton, ot the parish of All Hallows Bread Street,
London, who married the sister of the said Margaret." Die
Register der Pfarrei St. Swithin's sind leider verloren gegangen, das Testa-
ment des Paul Jeffray war nirgends zu finden, auch von dem Resultat
weiterer Nachforschungen in dem Register der Merchant Taylors' Company,
auf welches Mr. Hyde Clarke im Athenäum 1868, Nov. 14, als eine
möglicher Weise ergiebige Fundgrube, aufmerksam macht, ist mir nichts
bekannt. Die Verschiedenheit der Schreibung Jeffray. und Jefferys
macht allerdings nichts aus , aber doch scheint mir der Schluss J. L.
Chester's sehr gewagt: „Nothing, I think, can be clearer than that the
poet's mother was the daughter of Paul Jeflfray (or Jefi"erys)... and ot Ellen
liis wife." Nach dem oben Mitgetheilten ^konnte Milton's Mutter recht
wohl die Tochter der Ellen Jeflfray oder Jeflferys sein, ohne dass ihr
Vater diesen Zunamen gefülu-t hat. Man konnte sie auch ganz wohl die
Schwester von Margai-et Jeflfray nennen, weil beiden die Mutter gemeinsam
war, endlich hindert nichts die Annahme, dass diese Mutter Ellen um
1681 sich zum zweiten Mal eben mit einem Jeflfray (Jeflferys) verheiratet
habe, sodass ihre Tochter Margaret Jeflfray 1602 „etwa 20 Jahre alt"
sein konnte.
Druckfehler und Berichtigungen.
Seite 22 Zeile 12 v. o. statt: väterlichen, lies: väterl ieli eni.
„ 97 „ 2 V. o. „ werden, lies: wurden.
„ 110 „ 10 V. u. „ Ueber die, lies: Ueber den.
„ 110 „ 4 V. u. „ den Wurzel, lies: die Wurzel.
„ ]f)5 letzte Zeile „ nur, lies: fast nur.
„ 175 Zeile 11 v. u. „ in welche, lies: in welches.
„ 1!)3 „ 8 V. u. „ zu scheint, lies: zu sein scheint.
„ 20.5 „ 16 V. o. „ Verwanden, lies: Verwandten.
„ 2-41 „ H V. u. „ In jenen, lies: Zu jenen.
„ 263 „ 13 V. o. „ Jolin Boyle, lies: llobert Boyle.
„ 328 letzte Zeile v. u. statt: Oflenb. Joh. 3, 20, lies: Offenb. Job. 1, 16.
Man bittet üljerall statt Satyre, Satyrikcr, satyrisch zu lesen: Satire,
Satiriker, satirisch.
l'ioror'Bclio Jlol'buclidruckerci. SteiiLan Oloiliol & Co. in Alteiibuig.
MILTON
UND SEINE ZEIT.
EKSTER THEIL.
1608—1649.
MILTON
UND SEINE ZEIT.
Von
ALFRED STERN,
nusserord. Professor der Geschichte a. d. Universität Bern.
EKSTER THEIL.
1608—164:9.
Zweites Buch. Während der RevoUition.
U«'-'
LEIPZIG.
VERLAG VON DUNCKER & llLMBI^oi
1877.
MILTON
UND SEINE ZEIT.
Von
ALFEED STERN.
Zweites Buch.
Während der Revolution.
1640-1649.
LEIPZIG.
VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT.
1877.
Das Recht der Uebersetzung wie alle andern Rechte %'orhehalten von der
Verlagsbuchhandlung.
Zweites Buch.
Während der Revolution 1640—1649.
Inhalts-Verzeiclinis.
Erstes Kapitel,
Nach der Rückkehr iu die Heimat S, 3 — 54.
Fortschritte der scUottischeu Bewegung 3 — 5. Erster Bischofskrieg
b — 8. Vertrag von Berwick. Neue Konflikte 9, 10. AVentworth 11
Kurzes Parlament 12, 13. Die neuen Kanones 13. Rüstungen -zum
zweiten Bischofskrieg 14. Die Schotten in England. Zusammenbruch
der Absolutie 15. Berufung des Parlaments. Vertrag von Eipon 16.- —
Milton nach der Eückkehr 17. Familie und Freunde IS. Epitaphium
Damonis 18, 19. Poetische Vorsätze. Plan eines nationalen Epos 19.
20. Dramatische Entwürfe 21 — 24. Aldersgate-Street 25. — Zu-
sammentritt des „langen Parlaments". Haus der Lords 26, 27. Haus der
Gemeinen 28, 29. Erste Massregeln des Parlaments 30, 31. Hinrichtung
!Strafford's 32. Vertrag mit den Schotten 33. — Die Frage der Kirchen-
verfassung '6'i. Erhaltungs-Partei. Bischof Hall 34. Hall's ,, Göttliches
Kecht des Bisthums" 35. Mittelpartei. Bischof Williams. Erzbischof
Ussher. Petition der Geistlichen 36, 37. Radikale Partei. Einwirkung
des Presbyterianismus. Londoner Massen-Petition 3S , 39. Erste De-
batten 40. Exklusions-Bill 41. Von den Lords verworfen 42. Aboli-
tions-Bill 43. Verfassungspläne 44. Anklage der Bischöfe. Reise des
Königs nach Schottland 45. — Theilnahme der Kation an der kirchlichen
Frage 46. Hall's „demüthige Remonstranz" 47, 4S. Der „Smectymnuus"
gegen Hall 49. Young, Marshall, Calamy , Kewcomen, Spurstow 50, 51.
Inhalt des Smectymnuus 51 — 54.
Zweites Kapitel.
Im Kampfe für die Reform der Kirche , . . . S. 55 — 128.
Milton's Theilnahme au der Frage der Kirchenverfassung 55, 56.
Milton's Schrift „über die Reformation" etc. 57 — 67. Gegen
VI Inhalts-Verzeichnis.
„die Alterthümler" 59—62. Gegen die „Weltlinge" und „Politiker"
62 — 65. Für Abschaftung des Bisthums 66, 67. — Rainolds und Ussher
68, 69. Milton gegen Ussher: „Ueber prälatisches Bisthum"
70—72. — Hall's „ Vertheidigung seiner demüthigen Hemonstranz"
72, 73. Eeplik der Smectymnianer 74. Milton's „Bemerkungen"
gegen Hall 75 — 82. Beurtheilung Hall's 76-78. Ideal des Geistlichen
79. Für Freiheit der Presse 80. Literarische Hilfsmittel 81,82. — Karl I.
in Schottland 8.5, 84. Wiederzusammentritt des Parlaments 85, 86.
Irische Rebellion 87. Rückwirkung auf England 88—90. Grosse Remon-
stranz 91, 9.2. Rückkehr des Königs 93, 94. Tumulte in London 95.
Verhaftung der zwölf Bischöfe 96. — Milton's Schrift „über das
Wesen der K irchen v erfassung" 96 — ] 13. Autobiographisches
98 — 100. Bibel und Tradition 101. Altes und neues Testament 102.
Gegen die Theokratie 103, 104. Ueber Schisma und Sekten 105. Gegen
Formenzwang und kirchliche Jurisdiktion 106. Kirche und Staat 107.
Ideal der Kirchenverfassung 108. -Milton's Presbyterianismus 109 — 112.
Gesetz und Freiheit 113. — Die Halls gegen Milton 114— 119. Milton's
„Schutzschrift" gegen die Halls 119—126. Autobiographisches
120—122. Angriffe gegen Hall 123. Ueber die Bildung der Geistlich-
keit 124. Ueber die Liturgie. Preis des Parlamentes 125, 126. Schluss-
betrachtung 127, 128.
Drittes Kapitel.
Beginn <lcs B^ivg-erkneg'es S. 129 — 162.
Attentat auf die fünf Mitglieder 129—133. Folgen 134, 135. Der
König verlässt London 136. Massregeln des Parlaments 136 — 1-38. An-
nahme der Bill über den Ausschluss der Bischöfe 139. Die Frage der
Militia 140, 141. Bruch zwischen König und Parlament 142, 143.
Schrift über die Militia von J. M. 144. Die neunzehn Propositionen 145.
Rüstungen des Königs 146. Rüstungen des Parlaments 147, 148.
Schliessung der Theater 149. Eröffnung des Krieges 150. Schlacht bei
Edgehill 151. — Milton nicht im Heere 152 — 154. Bedrohung und Rettung
London's 155, 156. Sonett Milton's 157. Fortgang des Krieges.
Einnahme von Reading 158, 159. Waller' s Komplott 160. Milton's
Vater will nach London übersiedeln 161, 162.
Viertes Kapitel.
Erste Heirat und er.ste Schrift ülier die Eliesclieidung- S. 163 — 191.
Die Familie Powell 163 — 165. Mary Powell 166. Die Flitterwochen
167. Abreise der jungen Frau 168, 169. Schrift über „die Lehre
Inhalts-Verzeichnis. VII
und Wissenschaft von der Ehescheidung" 169—190. Selbst-
bekenntnisse 173, 174. Absicht des Autor^s 175 — 177. Zweck der Ehe
178. Die Ehe ein Vertrag 179, 180. Das mosaische Recht 181—183.
Biblische Kritik 183 — 187. Unvollständigkeit der Ausführungen 187,
ISS. Die Stellung des Weibes 189. Sonett an Margarethe" Ley
190. Sonett an „eine Jungfrau" 191.
Fünftes Kapitel.
Presbyteriauer uud ludepeudenteu. Fortgang des
Bürgerkrieges S. 192—260.
Presbyterianische Hoti'nnngen 192, 193. Berufung und Eröfihung der
Westminster-Synode 194 — 197. Liga und Covenant mit den Schotten
197 — 199. Kriegsereignisse und Rüstungen 200 — 202. Tod Pym's 203. —
Parteien in der Sj'node. Presbyteriauer 204, '205. Erastianer 205, 206.
Independenten 206. Die ludependenten in Holland. John Robinson
206 — 20S. Ansicht über das Verhältnis von Kirche und Staat 209, 210.
Die Pilgerväter. New-Plymouth 211. Massachusetts. Connecticut. New-
Haven 212. Indepeudentismus von Neu-Englamd 21H, 214. Roger
Williams 215. Rhode-Island 216. — Rückwirkungen des Independentismus
auf England 217. Baptisten 218. John Goodwin 219. Thomas Goodwin,
Nye, Burroughs, Simpson, Bridge 220. Burton und Lilburne 220, 221.
Mrs. Chidley 222. — Debatten der Synode. Entsetzung von Geistlichen.
Veränderungen in Cambridge 222 — 225. Debatten über die Kirchenver-
fassung 226, 227. Die ,, apologetische Erzählung" 228. — Die Frage der
Gewissensfreiheit 229, 230. Die Latitudinarier 231 — 233. Trennung von
Kirche und Staat oder Landeskirche und Toleranz? 234. R. Williams
in England. Seine „blutige Lehre der Verfolgung" 234, 235. John
Goodwin und Gesinnungsgenossen 236. Forderung der Toleranz 237.
Sektenfurcht. Featley. Pagit. Edwards. Prynne 238 — 240. Intoleranz
der Sniectymuianer .241, 242. Saltmarsh's Angriffe gegen sie 243, 244 —
Das Heer und der Independentismus 245. Cromwell 246 — 248. Hoffnung
des Presbytcrianismus auf die Schotten 249. Schlacht von Marston-
Moor 250. Unfälle von Waller und Essex 251. Akkomodations-Ordon-
nanz 252, 253. Cromwell und Manchester 253 —255. Erste und zweite
Selbstentäusserungs-Ordonnanz 258, 257. Verhandlungen zu Uxbridge
25S. Hinrichtung Laud's 259.
Sechstes Kapitel.
Miltou als iudepeiidentisclier Schriftsteller . . . S. 261 — 334.
Milton und der Independentismus 261, 262. Milton als Sektenführer
263, 264. — Die Frage der Erziehungsreform 265. Samuel Hartlib 26G— 26S.
VIII Inhalts-Verzeichnis.
John Durie 26S — 270. Pläne einer Allianz der Protestanten 270—273.
Pädagogische Ideen 273, 274. Comenius 274 — 278. Comenius und
Hartlib 278^ 279. Comenius in England 280. Comenius in Elbing 281,
282. Hartlib's kirchlich - politische Ansichten 283 — 285. — Hartlib und
Alilton 285. Milton's Schrift ,,iiber die Erziehung" 285 — 298.
Absicht der Schrift 286, 287. Inhalt: Sprachstudien 288. „Sophisterei"
289, 290. Positive Vorschläge 290—296. Kritik 297, 298. — Zweite
Schrift über die Ehescheidung: „Urtheil Butzer's" 299 — 302.
Angriff Palmer's gegen Milton. — Die Censur und die Stationers' Com-
pany 303, 304. Die Presse und das Parlament 304—306. Milton's
Gesetzwidrigkeit 307. Angriff der Stationers auf Milton 308. Wither
über die Stationers 309. Milton's Areopagitica 309 — 322. Ur-
sprung der Censur 311. Nutzlosigkeit der Censur 312 — 316. Angriff
gegen die Presbyterianer 317 — 319. Grenze der Toleranz 319, 320.
Schädlichkeit der Censur 320 — 322. — Wirkung der Areopagitica 322,
323. Milton und die Stationers 324, 325. Prynue, Featley etc. gegen
Milton 326. — Dritte Schrift über die Ehescheidung: ,, Tetra-
chordon" 327 — 330. Autobiographisches 328. Stellung der Frau 329.
Wesen der Ehe 330. — Anonyme Schrift gegen Milton 331. Vierte
Schrift über die Ehescheidung: „Colas terion" 332 — 334.
Nachwirkungen der Milton'schen Scheidungstheorie 334.
Siebentes Kapitel.
Hiiusliches und Politisches 1645—1647 . . . . S. 335—391.
Rückkehr von Milton's Frau 335 — 337. Barbican-Street 33S. Heraus-
gabe der Gedichte 339, 340. Sonett an Lawes 341. Beziehungen zu
Thomason, P. Young, J. Kous. Ode für Rous 342, 343. Edwards
und Baillie gegen Milton 343. Sonette gegen die Presbyterianer
344—346. — Umbildung des Heeres 346, 347. Feldzug von 1645. Schlacht
bei Naseby 348 — 351. Folgen 352. Kapitulation von Bristol 353. Nie-
derlage Montrose's bei Philiphaugh 354. Der König in Oxford. Glamor-
gan in Irland 355, 356. — Cromwell für 'i'oleranz 356, 357. Furcht und
Massregeln der Presbyterianer 358, 359. Wiederaufnahme der Akkonio-
dations-Ordonnanz 359, 360. Einführung des Presbyterial-Systems 361.
Hemmnisse der Erastianer 362. Frage der Abendmahlsverweigerung und
der Schlüsselgewalt 363. Das Parlament gegen die Synode 364. Fragen
über das göttliche Recht 365. — Absichten des Königs 366, 367. Seine
Verhandlungen mit den Schotten 368, 369. Seine Flucht zn den Schotten
370. Verbandlungen zu Newcastle 371. Hoffnungen der Presbyterianer,
Befürchtungen der Independentcn 372, 373. Die neunzehn Propositionen
<les Parlaments 374. Karl I. über die Presbyterialvcrlassiing 375. Kath-
Inhalts- Verzeichnis. IX
schlage der Königin 376. Bemühungen Frankreichs 577. Mission Da-
venant's 378. Verhandlungen mit den Hamiltons und Mission W. Mur-
ray's 379, 380. Antwort auf die neunzehn Propositionen 380. Or-
mond'scher Friede 381. Kapitulation von Oxford 382. Abkommen des
Parlaments mit Schottland. Auslieferung des Königs 3S3. — Verlegen-
heiten der^ Powells 384 — 386. Die Powells in London. Geburt von
Anna Milton 387. Sorgen und Tod des alten Powell 388, 389. Christoph
Milton 390. Tod des alten Milton 391.
Achtes Kapitel.
In den letzten Zeiten .des König-thiuns . . . . S. 392 — 449.
Briefwechsel Milton's mit Dati 392, 393. Abzug der Po-
wells 394. Milton als Lehrer. Seine Schüler, Unterrichtsmethode und
Lehrbücher 394 — 398. Frage der Reform des Unterrichtswesens. Hart-
lib und seine Bestrebungen. Robert Boyle. William Petty, Kinner.
Comenius 398 — 401. Das ,, unsichtbare College" 401, 402. Milton in
High-Holborn 402. Psalmenübersetzung 403. Brief von Dati 403.
Geburt von Mary Milton 404. — Karl I. in Holmby 404. Konflikt
zwischen Heer und Parlament 405, 406. Die „Adjutatoren" 407. Ent-
führung des Königs durch Joyce 409. Forderungen des Heeres 410.
Anklage der eilf Mitglieder 411. Sturm gegen das Parlament. Rüstungen
der City 412. Einzug des Heeres. „Vorschläge" des Kriegsraths 413,
414. Programm von Hugh Peters 414, 415. Der König in Hampton-
court. Neue Vorschläge von Fairfii^. lutriguen des Königs 415, 416.
Letzte Versuche CrümweU's und seiner Freunde 417. Einwirkung der
Agitatoren 418. Flucht des Königs nach der Insel Wight 419. Vertrag
des Königs mit den Schotten 420. Zweiter Bürgerkrieg. Belagerung
A'ou Colchester 420, 421. Schlacht von Prcston. Cromwell in Schott-
land 422. Presbyterianismus in London, Ordonnanz gegen Ketzerei 423.
Vertrag von Newport 424. Stimmung des Heeres 425. Grosse Remon-
stranz der Armee 426. Abführung des Königs nach Hurst-Castle 427.
Pride's ,, Purganz" 428. Der König in Windsor. Das Unterhaus
,, souverän" 429. Der ausserordentliche Gerichtshof. Process und Hin-
richtung des Königs 430, 431. — Milton's Sonett auf Fairfax
431. Milton 'für das Heer und die Republik 433. Seine Schrift:
„Das Recht der Könige und Obrigkeiten" 433 — 4-17. Polemische
Tendenz. Gegen die Presbyterianer 434 — 440. Versöhnliche Absicht 440.
Politische Theorie 441, 442. Historische Beweise 443. Beweise aus der
Bibel 4-14. Begriff' des „Tyrannen" 445. Staatsrechtliche Kühnheiten
446. Protestantische Zeugnisse.; Religiöser Cirundton 447. Abschluss
einer Epoche 448, 449.
X Inhalts- Verzeichnis.
Anmerkungen und Anhäng-e S. 451 — 499.
Anmerkungen.
Anhang I.
Der Buchhändler (xeorgre Thoniason S. 497 — 499.
Anhang IL
Auszüge aus den Protokollen der Akademie der
STOgliati (Nachtrag zu Buch I) S. 499.
Zweites Buch.
Während der Revolution.
1640—1649.
Stern, Miltonfn. s. Z. I. 2.
Erstes Kapitel.
Nach der Rückkehr in die Heimat.
Die Zeit, zu der Milton in die Heimat zurückkehrte,
war eine Zeit fieberhafter politischer Erregimg. Nicht ohne
Grund war die bedroMiche Kunde gewesen, die ihn in Neapel
getroifen und aus dem hoffnungsvollen Traume aufgeschreckt
hatte, Sicilien und Griechenland, das Land seiner Sehnsucht,
mit Augen zu schauen. Grosses hatte sich während seiner
Abwesenheit im Vaterlande ereignet, Grösseres bereitete sich
vor. Der Covenaut, aufgesetzt nur wenig Wochen, ehe ISIilton
seine Reise antrat, war das Panier geworden, um das sich
ganz Schottland sammelte. Von der Hauptstadt aus durch-
flog er in hunderten von Exemplaren das Land. Geschäftige
Boten trugen die Urkunde zu den spärlichen Wohnungen der
entlegenen Thäler und Bergschluchten. Vornehm und Gering,
Jung und Alt nahm sie mit religiöser Inbrunst auf. Hie und
da wurden freilich Drohungen und Gewalt zur Erlangung
von Unterschriften angewandt. An einigen Stellen, wie in
und um Aberdeen, hatten die Anhänger des Bisthums das
Uebergewicht. Aber die Masse des schottischen Volkes in
erdrückender Mehrzahl, hatte sich durch feierlichen Eid-
schwur vor Gott verbunden, alle religiösen Neuerungen, die
mit Umgehung freier General- Versammlungen und Parlamente
gewaltsam eingeführt worden waren, abzuwehren. Die Fiktion
der Loyalität wurde noch aufrecht erhalten, mit der Ver-
4 Fortschritte der schottischen Bewegung.
theidigimg des „wahren Glaubens, der Freiheiten und Gesetze
des Keiches" sollte die Vertheidigung der königlichen Maje-
stät Hand in Hand gehn. Allein es war klar, dass der Schlag,
der die Bischöfe treffen sollte, nicht weniger den König ver-
letzen musste, der hinter ihnen stand.
König Karl, von Staunen und Erbitterung über den un-
erwarteten Widerstand eines ganzen Volkes erfüllt, befand
sich in der peinlichsten Lage. Gewohnt seinen Willen über
jedes Hindernis triumphiren zu sehn, fühlte er sich gegen-
über der schottischen Bewegung plötzlich ohne Macht. Schott-
land und England waren staatsrechtlich in nichts verbunden
als in der Person des gleichen Monarchen. Und wenn der
Gedanke verlockend war, diesen Anlass zu benutzen, um die
Schranken zwischen beiden Reichen niederzureissen und beide
der gleichen Despotie zu unterwerfen, so waren doch Zeit und
Sammlung nöthig. Es blieb nur ein Ausweg übrig: durch
Unterhandeln beides zu gewinnen. Der Marquis von Hamilton,
empfohlen durch das Ansehen, das er bei seinen Landsleuten
und durch das Vertrauen, das er bei seinem König genoss,
ward dazu ausersehen, die Verhandlungen zu leiten. Es ge-
lang ihm auf die Dauer nicht die Erregung zu beschwichtigen.
Er führte eine königliche Proklamation mit sich, deren Inhalt,
noch vor der Veröffentlichung bekannt geworden, den Wün-
schen der Schotten nicht genügen konnte. Sie betonte die
protestantische Gesinnung des Monarchen. Sie enthielt den
Verzicht auf die einseitige Einführung des verhassten litur-
gischen und kanonischen Buches. Sie versprach Reform der
hohen Kommission, Berufung der kirchlichen General-Ver-
sannnlung und des Parlaments zu passender Zeit. Aber in
den Augen des Adels wie des gemeinen Mannes wurden alle
diese Zugeständnisse werthlos gemacht durch das hinzugefügte
Verlangen des Rücktritts von ihrem Covenant. Vergeblich
machte Hamilton mehi-mals den Weg von Edinburg nach
London, um die Zustände Schottlands zu schildern und sieh
neue Aufträge zu liolen. Vergel)lich setzte er dem Covenant,
wie er das Symlx)] des volkstliümliclien Widerstandes ge-
worden war, die Redaktion des Jalires 1590 entgegen, durch
Fortschritte der schottischen Bewegung. 5
die es nicht so leicht möglich gemacht wurde, die jüngsten
Neueningen katholischen Gebräuchen gleichzustellen. Ver-
geblich waren mit der Aufforderung diesen königlichen Cove-
nant zu unterzeichnen die grössten Zusagen verbunden, vor
allem die Ausschreibung von General- Versammlung und Par-
lament. Die Masse des Volkes wollte seine Urkunde für
keine andere eintauschen, gewisse Unterzeichner der könig-
lichen machten diese erst recht verdächtig, indem sie ihrer
Unterschrift ausdmckliche Erklärungen zu Gunsten der bi-
schöflichen Kirche hinzufügten.
In der General-Vei-sammlung kam der Gegensatz zwischen
dem Willen des Volkes und dem Willen der Regierung, den
auch die geschickteste Vermittlung nicht ausgleichen konnte,
zum vollen Ausdmck. Am 21. November 1638 in der Kathe-
drale zu Glasgow eröffnet, von dem gelehrten, hochangesehenen
Alexander Henderson geleitet, schritt sie über alle Ein-
wendungen Hamilton's, des königlichen Kommissärs, und einen
Protest der Bischöfe hinweg und erklärte sich für berechtigt,
diese vor ihre Schranken zu ziehn. Hamilton verliess den
Ort der Berathung, am darauf folgenden Tage löste er
die Versammlung durch eine öffentlich verlesene Proklamation
auf und erklärte alle ihre Beschlüsse für ungiltig. Aber die
Versammlung blieb und wurde nicht wenig dadurch in ihrer
Standhaftigkeit bestärkt, dass der mächtige Graf von Argyle,
IVIitglied des schottischen geheimen Rathes, die Sache des
Köüigs verliess, Sie räumte auf mit allen Neueningen, die
unter königlichem Einfluss seit 1606 in der schottischen Kirche
eingeführt waren. Die fünf Artikel von Peith wurden abge-
schafft. Das Liturgie-Buch wie die Kanones mussten fallen.
Die hohe Kommission ward aufgehoben. Das Bisthum wurde
abgeschworen, sämmtliche Bischöfe abgesetzt, einige der Ge-
hasstesten exkommunicirt. Die schottische National-Kirche
in der ganzen Reinheit ihrer strengen Architektur, frei von
episkopalem Zierrath, ward unter dem Jubel des Volkes wieder
hergestellt.
Der König hatte das Zusammenbleiben der Assembly
nach ihrer Auflösung durch Hamilton für eine Handlung des
5 Erster Bischofskrieg.
HocliveiTaths erklärt. Es hätte ihn feige Schwäche bedünken
müssen, wenn er das widerspänstige Volk im Norden nun-
mehr seine strafende Hand nicht fühlen Hess. Aber auch die
Rücksieht auf England schien dies zu erfordern. Der grosse
Rechtshandel um das Schiifs-Geld, die gewaltsame Eintreibung
dieser Steuer, alle die gesteigerten Anforderungen geistlich-
weltlicher Unduldsamkeit, vor der nicht ein Älal die Stätte
der Todten sicher war(^), hatten die Geister in England in
immer höherem Grade erhitzt. Mit wachsender Spannung
lauschte man auf die Nachrichten aus Schottland. In der
dortigen revolutionären Opposition erkannte man etwas Ver-
wandtes. Das Volk der Schotten, von dem das englische
höchstens dann sprach, wenn es galt sich billige Witze über
die „Haferbrod-Esser" zu erlauben, erweckte mit einem Male
diesseits des Tweed Gefühle brüderlicher Sympathie. Des
Königs Proklamation „an seine geliebten Unterthanen", durch
welche er diese über die „aufrührerischen Praktiken und die
verrätherischen Absichten einiger Schotten" aufzuklären suchte,
verfehlte vollständig ihren Zweck. Dafür fielen der Regierung
anonyme Schreiben in die Hand, die dem König das Beispiel
Ahabs vor Augen führten und mit dürren Worten erklärten,
man sei nicht Willens gegen die Schotten zu kämpfen (2).
Sie schöpfte gegen einzelne Bürger ernstlichen Verdacht wegen
heimlicher Verbindung mit den Rebellen im Norden, Haus-
suchungen fanden Statt, Briefe wurden mit Beschlag belegt,
und die Stimmung wurde von Tag zu Tage schwüler.
Bei dieser Lage der Dinge wies Karl I. mit doppelter
Energie den Gedanken von sich, die Kriegs-Frage vor ein
englisches Parlament zu bringen. Hatte er sich ein Decennium
der verhassten Aufsicht dieses obersten Wächters der natio-
nalen Freiheiten zu entziehen gewusst, so war dieser Augen-
blick gespannter Leidenschaften der ungünstigste, ihn aufs
neue heraulzul)eschwören. Er rechnete auf die Mittel, welche
seine Willkür - Herrschaft in den letzten Jahren ihm in die
Hand gegeben hatte und appellirte an die loyale Hülfe der
ihm erge])enen Klassen. Der hohe Adel wurde zu persön-
licher Leistung, die Geistlichkeit sowie die grossen Korpora-
Erster Bischofskrieg, 7
tionen zur Zahlung von Subsidien aufgerufen, an die Katho-
liken, ihre Glaubensgenossen, wandte die Königin sich selbst.
In den nördlichen Grafschaften zeigte sich die Gentiy eifiig,
und die INIilizen wurden aufgeboten. Aber alles in allem
blieben die Ergebnisse weit hinter den Erwartungen zurück.
Wohl war mancher vom Adel bereit die alte Feudal- Ver-
pflichtung in ausgedehntem Masse zu erfüllen, aber viele
wussten sieh „mit blutendem Herzen" durch Krankheit oder
schlechte Venuögens-Umstände zu entschuldigen, ja die Lords
Saye und Sele und Lord Brooke erklärten, nur das Parlament
könne sie zur Leistung von Beihülfe vei-pflichten , nur im
Falle England von einem Eeinde angegriffen werde, würden
sie erscheinen. "Wohl folgte die hohe Geistlichkeit den Er-
mahnungen Laud's, mit vollen Händen zu geben, aber die
City von London verstand sich zu einer so geringen Summe,
dass der König sie mit Verachtung zurückwies. Auch gaben
die Katholiken heimlich ihr Seherflein, aber vom Vatikan
aus wurden sie ermahnt, nicht femer zwischen Angiikanem
und Puiitanern einen thörichten Unterschied zu machen, da
beide von der allein seligmachenden Wahrheit gleich weit
entfernt s'eien. Auch sonst fehlte alles was für die glückliche
Führung des Krieges nötliig war. James Wemys , der das Ar-
tillerie-Wesen leitete, beklagte sich bitter über die Mängel seines
Geschäfts-Zweiges, und manche vertrauliche Mittheilung über
die Schwierigkeit, die Mannschaften auszuheben und zu er-
halten, lief ein(i).
Um wie viel fiischer war die Energie, mit welcher die
Schotten ihren Widerstand organisirten. Vom Festland war
der kampfei-probte Alexander Leslie in die Heimath zuilick-
gekehrt, der unter Gustav Adolf seine Schule gemacht hatte.
Ihm folgte eine ganze Schaar mannhafter Landsleute, die bis
dahin in der schwedischen Amiee gedient hatten, um nun-
mehr auf vaterländischem Boden den Kampf gegen einen
Fürsten aufzunehmen, der es in ]\Iissachtung religiös-politischer
Unabhängigkeit dem Hause Habsburg gleich zu thun unter-
nahm. Leslie, unterstützt von seinen Waffengefährten und
einer Art von provisorischer Regiei-ung, die in Edinburg
8 Erster Bischofskrieg.
ihren Sitz hatte, brachte Zucht und Ordnung in die Landes-
Rüstung. Die junge Mannschaft, die sich zu den Fahnen
drängte, wurde geübt und eingetheilt, von Holland und
Schweden kam Geschütz und Munition, freiwillige Sammlungen
halfen dem Geldmangel ab. Ohne Zögern bemächtigte man
sich der wichtigsten festen Plätze, die Royalisten in Aberdeen-
Shire wurden niedergeworfen, und die ganze presbyterianische
Sieges-Zuversicht sprach aus den [feurigen Ennahnungen der
bibelfesten Prediger.
Währenddess nahmen die Operationen des Königs einen
kläglichen Verlauf. Auf dieser Seite war die Absicht ge-
wesen, die Flotte unter Hamilton gegen die schottische Ost-
ktiste zu senden, die Landmacht, bei der sich der König be-
fand, zur VertheidigTing oder zum Angriff an der Grenze im
Nordwesten aufzustellen. Aber die rasche Ueberwältigung der
schottischen Royalisten durch die Covenanters nöthigte Ha-
milton sich auf blosse Demonstrationen im Golf von Forth zu
beschränken. Das Heer, unter dem Grafen von Ai-uudel, mit
dem Grafen von Essex als General-Lieutenant und dem Grafen
von Holland an der Spitze der Reiterei, zuerst in Carlisle,
seit Ende Mai in Berwiek zusammengezogen, blieb, abgesehen
von ein Paar Streifzügen auf schottisches Gebiet, die nicht
eben rühmlich ausfielen, gleichfalls so gut wie unthätig.
Immer häufiger wurden die Klagen daräber, dass sich die
ausgehobenen Mannschaften auf dem Wege nach Norden des
Königs Dienst entzögen, um sich in ihre heimischen Graf-
schaften zu zerstreuen, die Verhaftung der Lords Saye und
Brooke hatte bei vielen vom Adel einen sehr üblen Eindi-uck
gemacht, mancherlei Intriguen und Misshelligkeiten der
leitenden Persönlichkeiten lähmten die einheitliche Bewegung,
in unmittelbarer Nähe des Königs wurden Zweifel an dem
Erfolge des Unternehmens laut(^).|
Unter diesen Umständen waren die Bedenken völlig ge-
rechtfertigt, mit wenig zuverlässigen, schlecht versorgten
Tnippen einen Angriff auf das wohldisciplinirte, kampflustige
Heer Leslie's zu machen, das sich dem königlichen gegenüber
gelagert hatte. Schon seit einiger Zeit waren Verhandlungen
Vertrag von Berwick. — Neue Konflikte. 9
im Gange ; im englischen Lager unter Theilnahme des Königs
fortgesetzt, führten sie am 18. Juni zur Pacifikation von
Berwick, welche diesen ersten „Bischofs-Kiieg" beendigte.
Diese „langohrige, kurzhaarige, atheistische, puritanische
Rotte des schottischen Covenant", wie einer der Höflinge
unter einer Fluth ähnlicher Ausdrücke des Kavalier-Jargon
die Feinde bezeichnete (^), hatte einen grossen und unblutigen
Erfolg davongetragen. Der König erkannte allerdings die
Gesetzmässigkeit der jüngsten General- Versammlung und der
leitenden Ausschüsse nicht an, aber er versprach für die
Ordnung der kirchlichen und politischen Angelegenheiten
Schottlands regelmässige General- Versammlungen und Parla-
mente zulassen zu wollen. Für den Zusammentritt von beiden
wurden nahe Termine festgesetzt. Ueber die Auflösung der
Tnippen, die Herausgabe der eingenommenen festen Plätze
u. s. w. wurden die nöthigen Vereinbarangen getroff'en. Eine
Abschafiung des Bisthums für immer wurde nicht ausdrücklich
bewilligt, aber man hielt sich zu der Annahme berechtigt,
dass auch hierüber das freie Ennessen der beiden Landes-
versammlungen zu entscheiden habe.
Die Pacifikation war kaum zu Stande gebracht worden,
als sich schon airTs neue bedenkliche Misshelligkeiten erhoben.
Die Interpretation des Vertrages, wie sie in erläuternden
Glossen der Covenanters erschien, wurde vom König übel auf-
genommen. In Edinburg kam es zu einer Volksbew^egung,
als das Schloss einem royalistischen Kommandanten zurück-
gegeben werden sollte. Der König selbst, der mit Aufgabe
des Planes, beiden Versammlungen beizuwohnen, nach London
zurückkehrte, war entschlossen, sein stillschweigendes Zuge-
ständnis, den Verzicht auf die bischöfliche Verfassung, nicht
als ein endgültiges zu betrachten und machte sieh mit dem
Gedanken eines zweiten Feldzuges vertraut. Inzwischen be-
stätigte die neue Generalversammlung der schottischen Kirche
die Beschlüsse der letzten und setzte fest, dass sie mindestens
einmal im Jahre zusammenzutreten habe. Nach Beendigung
ihrer Berathungen begann am 31. August das Parlament, nun-
mehr ohne prälatische Mitglieder, seine Sitzungen. Aber hier
10 Neue Konflikte.
trat die Unversöhnlichkeit der Gegensätze -wiederum aufs
stärkste hervor. Der König, hier wie in der Assembly, ver-
treten durch den Grafen von Traquair, als seinen Kommissär,
verhängte, dass das geisthche Element, in Abhängigkeit von
ihm selbst, auf die eine oder andere Weise Aufnahme im
Parlamente finde. Die Schotten zögerten nicht, ohne Rück-
sicht darauf zu nehmen, das übliche Committee der „Lords
of the Articles", dem die Vorberathung aller Beschlüsse oblag,
in veränderter Weise ausschliesslich aus Abgeordneten des hohen
Adels, der Gentry und der Bürgerschaften zu bestellen und
für das Parlament eine Reihe der wichtigsten Rechte in An-
spiTich zu nehmen, deren Besitz ihm eine ganz neue Stellung
gegeben haben würde. Die Versammlung wurde von Traquair
prorogirt, aber sie setzte sich der Prärogative einseitiger Auf-
lösung entgegen und Hess einen stellvertretenden Ausschuss
zurück (^).
Ein englischer Prälat, Bischoff Hall von Exeter, mochte
glauben, die „Insolenz" der Schotten, welche zugelassen habe,
dass die „einzig wahre und alte Kirchenverfassung von un-
wissenden Aufrührern so verächtlich niedergetreten werde",
könne durch Berufung einer allgemeinen Synode aller drei
Reiche, eine Art anglikanisches Koncil, bekämpft werden (2).
In Wahrheit war die ganze Bewegung über die religiösen Streit-
fragen, von denen sie ausgegangen war, hinausgewachsen. Neben
der kirchlichen Unabhängigkeit wurde eine bis dahin nicht
vorhandene politische Selbstständigkeit von den Covenanters
beansprucht, und um diese wie jene zu vertheidigen , hatten
sie sich bereits einer europäischen INIacht angenähert, die nach
alter Tradition als eine befreundete betrachtet werden konnte.
Es waren die Zeiten, in denen zwischen der auswärtigen Politik
Englands und Frankreichs unvereinbare Gegensätze hervor-
getreten waren. Eine spanische Flotte suchte an der engli-
schen Küste Schutz, ohne dass freilich dadurch eine Nieder-
lage, welche die Holländer ihr beibrachten, vermieden worden
wäre. Der Plan, den jungen Kurfürsten von der Pfalz an die
Spitze der weimarischen Annee zu stellen, wurde von Richelieu
durchkreuzt. Am Hofe zu Wliitehall übte die Königin-Mutter
Wentworth. 11
in Verbindung mit anderen Persönlichkeiten einen Einfliiss
aus, der den Absichten des Kardinal - j\Iinisters entgegenlief
und die spanischgesinnte Faktion unterstützte. Schon waren
gewisse Verbindungen zwischen Richelieu und den Covenanters
angeknüpft worden. Als das Verhältnis zwischen Frankreich
und England sich trabte, und zugleich der Zwist zwischen der
monarchischen Gewalt und den Schotten aufs neue hervor-
brach, hielt Bellievre, der französische Gesandte am englischen
Hof, es für angemessen, auch ohne dazu ausdrücklich bevoll-
mächtigt zu sein, mit den adligen Häuptern des schottischen
Presbyterianismus ein engeres Verständnis einzugehn(i). Die
Entdeckung dieser Verhandlungen bestärkte den König in
seinem Entschluss, den Begehren der Schotten mit den Waffen
in der Hand, und besser gerüstet als das erste Mal, entgegen-
zutreten. Seit dem Spätherbst 1639 verweilte Wentworth in
England, dem in Gemeinschaft vorzüglich mit Land und
Hamilton die Aufgabe zufiel, den König in seiner schwierigen
Lage zu berathen. Er hatte von Anfang an den ernsten
Charakter der schottischen Bewegung durchschaut und vor
einem überstürzten Angriff gewarnt. Uebrigens hatte er, wenn
auch sein Rath nicht gehört worden war, durch Zeichnung
einer bedeutenden Summe, moralische Einwirkung auf andere,
Uebersendung einiger Truppen und Erhaltung der Ruhe unter
der schottischen Kolonie seiner Insel, seine bekannte Loyalität
und Energie zu erkennen gegeben. Unter den Schmerzen
eines heftigen Gicht-Aufalls in England angelangt, Hess er sich
die alte Spannkraft des Willens nicht rauben und brachte den
kriegerischen Absichten seine volle Zustimmung entgegen. Aber
indem die Kriegsfrage vor dem geheimen Rathe erwogen wurde,
brach sieh die Ansicht Bahn, dass ein Parlament zur Bewilli-
gung der Mittel bei-ufen werden müsse. Man mochte darauf
rechnen, dass die Kunde von den schottisch-französischen Ver-
handlungen jede Opposition zum Schweigen bringen werde,
und für den schlimmsten Fall vei-sprachen die versammelten
Rathgeber des Königs die freigebigste Unterstützung zur Be-
schaffung ausserordentlicher Mittel. Dem englischen Parla-
ment sollte, gleichsam als Muster willigen Gehorsams, ein
12 Kurzes Parlament.
irisches vorausgehn. Wentworth, seit dem Anfang des Jahres
1640 zu jenem Range erhoben, den er bis dahin als Zeichen
des königlichen Vertrauens umsonst erbeten hatte, Graf
von Strafford und Lord-Lieutenant von Irland, eilte auf seinen
Posten, nachdem er dem Adel das Beispiel grossartigster
Aufopferung durch Zeichnung von 20,000 '£ gegeben hatte.
In vierzehn Tagen erreichte er, voll Thatkraft und Zuversicht,
in Irland seine Zwecke. Das Parlament gewährte sofort die
verlangten vier Subsidien und erklärte sich in demüthigster
Form zu jeder weiteren Leistung willig, eine Tmppenmacht
von 8000 Mann ward in Bereitschaft gesetzt, um im Nothfall
für den Krieg verwandt zu werden, die Insel war ruhig und
gesichert. Triumphirend kehrte Strafford nach England zu-
ilick, wo man sich auf die Eröffnung des Parlamentes vor-
bereitete.
Wenn der König die Befürchtung ausgesprochen hatte,
das Parlament könne sich widerspänstig zeigen, so hatte er
sich dies Mal wenigstens als einen guten Kenner der nationalen
Stimmung bewiesen. Noch zitterten die Schwingungen ge-
waltig nach, zu denen der Process Hampden's um das Schiffs-
geld den Anstoss gegeben hatte. Die Märtyrer - Geschichte
eines Steinmetzen von Dover, der sich erkühnt hatte, vor
anderen in der Auslegung der Bibel Abweichungen vom angli-
kanischen Dogma vorzubringen und sich gegen die bischöfliche
Kirchenveifassung auszusprechen, war erst ganz jungen Datums,
und einer der Amts)) rüder Laud's, Erzbischof Neile, dem es
an praktischer Erfahrung auf diesem Gebiet aus früherer Zeit
nicht fehlte, hatte in vollem Enist auf die Strafe der Ketzer-
Verbrennung, als ein noch immer geeignetes Mittel „exempla-
rischer Züchtigung", hingewiesen ('). Weder die politischen
noch die kirchlichen Verhältnisse waren dazu angethan, der
Versammlung, die sich am 13. April 1640 vereinte, den Cha-
rakter der Unterwürfigkeit zu geben, so gemässigt auch ihre
Sprache sein mochte. — Es braucht nur mit einem Wort
daran erinnert zu werden, wie schon die Wahlen eine schwere
Niederlage der Regierung bedeutet hatten, und wie bei den
Gemeinen voi- jeder Subsidien-Bewilligung eine ErörteiTing der
Kurzes Parlament. — Die neuen Kanones. 13
Beschwerden begonnen und verlangt TM.irde, Dass die Lords
sich zu einer Erklärung gegen diese Form des Geschäftsgangs
bewegen Hessen, erschien dem Unterhaus als ein Eingriff in
seine Privilegien. Dass der König für sofortige Subsidien-
Bewilligung seinen Anspruch auf das Schiifsgeld aufgeben zu
wollen versprach, brachte nicht die gewünschte Wirkung her-
vor, da man durch Eingehn auf diesen Pakt die Gesetzmässig-
keit der ungesetzlichen Auflage anerkannt haben würde. Noch
war über den Vorschlag kein Beschluss gefasst worden, aber
den Tag nach der Debatte über ihn (5. Mai) löste der König
unveiTOuthet das Parlament auf, von dem er wohl gar eine
Demonstration zu Gunsten der Schotten zu erwarten hatte.
Verhaftung einiger Mitglieder, Beschlagnahme der Papiere von
anderen, Erlass einer Proklamation, die in den stärksten Aus-
drücken die UnVerantwortlichkeit der monarchischen Gewalt
betonte, schloss sich an dieses jähe Ende des ,, kurzen Parla-
mentes." Das Gefühl, dem St. John, einer der Vertheidiger
Hampden's, unmittelbar nach der Trennung Ausdnick gegeben
hatte, ,,es müsse noch schlimmer kommen, um besser zu
werden", war ein allgemeines, und wenig Tage später wurde
durch einen Angiiff auf die erzbischöfliche Residenz und ernste
Strassentumulte der Beweis für die erregte Stimmung der
Massen geliefert.
Es blieb nichts übrig, da der Krieg gegen Schottland
einmal beschlossene Sache war, als sich auf ausserparlamen-
tarischem Wege die nöthigen Mittel zu verschaffen. Straftord
feuerte zu entschiedenem Vorgehen an, indem er auf die
irischen Streitkräfte hinwies, und er wurde u. a. von Land
durchaus unterstützt. Noch war die Konvokation der Geist-
lichkeit, die gleichzeitig mit dem Parlament ihre Sitzungen
begonnen hatte, versammelt. Sie blieb selbst allem Herkom-
men zuwider noch einige Wochen lang vereint. Nicht nur,
dass sie dem König für je sechs Jahre eine bedeutende Summe
bewilligte, sie verstand sieh sogar trotz des Protestes einer
Minderheit zur Festsetzung neuer Kanones, die den grössten
Anstoss erregten. Einer derselben legte dem gesammten
Klerus einen neuen und formell sehr mangelhaften Eid auf,
]^4 Rüstungen zum zweiten Bischofskriege.
durch den die Unveränderlichkeit der bischöflichen Kirche
beschworen werden sollte. Ein anderer betonte stärker als
je zuvor das göttliche Recht des Königthums, erklärte das
Besteuerungsrecht für einen Ausfluss „des Gesetzes Gottes,
der Natur und der Völker", verdammte den passiven Wider-
stand und verpflichtete die Pfarrgeistlichkeit, vier Mal im
Jahr der Gemeinde diese Scätze einzuprägen. Auf diese Weise
durch die Vertreter des Hochkirchenthums aufs neue in
der absolutistischen Tendenz bestärkt, hielt die Staatsgewalt
jedes Mittel für erlaubt, um zu ihrem Ziele zu gelangen.
Neben den Irland abgepressten Summen, den Beiträgen von
Lords und Klerus, den Gaben der englischen Katholiken
wurde auf scharfe Eintreibung des Schiftsgeldes sowie der
Auflage zur Ausrüstung und Unterhaltung der Truppen ge-
rechnet. Der City drohte man mit der Forderung eines
Zwaugsanlehens und mit der Aussicht auf eine Münzversehlech-
terung. Das Werk der Milizaushebung und Einquartierung
in den nördlichen Grafschaften wurde mit Eifer, aber unter
wachsenden Anzeichen der Widerspänstigkeit in der Bevölke-
rung, betrieben. Soldaten legten Hand an ihre Officiere, weil
sie in ihnen Katholiken vermutheten, und rissen die Altar-
gitter in den Kirchen nieder, an denen sie vorbeikamen. Hie
und da erschien es bedenklich, den Mannschaften überhaupt
Waffen in die Hand zu geben. Alle Versuche, mit Drohungen
und Gewalt Geld zu erpressen, reichten nicht aus, den Be-
dürfnissen der Rüstung zu genügen.
Indessen erhielten die Schotten Zeit, ihrerseits einem
Angriff zuvorzukommen. Das schottische Parlament trat eigen-
mächtig wieder zusammen und erweiterte seine letzten Be-
schlüsse. Die Kriegsvorbereitungen unter Leslie's Leitung
wurden wieder aufgenommen, und i'oyalistische Regungen un-
terdrückt. Im ständischen Ausschuss, auf dessen Thätigkeit
Argyle den grössten Einfluss ausübte, gewann die ganze Be-
wegung ihren Mittelpunkt. Es kann kaum bezweifelt werden,
dass eine enge Verbindung zwischen den Häuptern des englischen
Puritanismus und denen der Covenanters schon seit längerer
Zeit bestand, wenngleich die Unterschriften jener Lords,
Die Schotten iu England. — Zusammenbruch der Absolutie. 15
welche geradezu zum Einfall in England aufforderten, sich
später als gefcälscht herausstellten. Immerhin wurde den
Schotten Muth gemacht, die Offensive zu ergreifen. Am
20. August überschritt ihr Heer den Grenzfluss, der junge,
feurige Graf von Montrose war der erste, der am anderen
Ufer des Tweed den Fuss auf englischen Boden setzte. Unter
Verbreitung von Proklamationen, welche ihre „brüderliche"
Gesinnung aussprachen und auf die Gleichartigkeit der Inter-
essen beider von tyrannischer Herrschaft bedrohten Völker
hinwiesen, setzten die Schotten ihren Marsch fort und stiessen
erst am Tyne auf feindliche Streitkräfte. Ein kleines Schar-
mützel am 28. August endete mit einem entschiedenen Er-
folge. Die WiderWilligkeit der englischen Soldaten kam der
Ueberlegenheit der schottischen Stellung zu Hülfe, der Weg
über den Fluss wurde frei, selbst Newcastle ward den nor-
dischen Eindringlingen Preis gegeben.
An Stelle des erkrankten Grafen von Northumberland
hatte Strafford, siech und elend wie er war, das Kommando
übernommen, mit dem König in York sein Hauptquartier auf-
geschlagen und von dort aus eine Vorwärtsbewegung gemacht.
Die Nachricht von der Räumung Newcastle's , der trostlose
Zustand des Heeres nöthigte ihn, wieder nach York zurück-
zuweichen. Während die Schotten sich in den nördlichen
Grafschaften ausbreiteten, einen Platz nach dem anderen ein-
nahmen und nirgendwo einem Widerstände der Bevölkerung
begegneten, rissen alle Bande, welche bis dahin die englische
Gewaltherrschaft zusammengehalten hatten. Strafford, krank-
haft gereizt, stand dem meuterischen Geist des Heeres, den
Intriguen politischer Feinde am Hofe und unter den Grossen
machtlos gegenüber. An eine Ueberführung der irischen
Truppen wagte man im Ernste nicht zu denken, allein die
Furcht vor der möglichen Ausführung eines solchen Planes
Hess sich nicht bannen (^). Im Volke w^uchs die Erregung,
die gleichzeitig politischer und religiöser Art war, und wusste
sich auf mannichfache Weise Luft zu machen. Ein grosser
Theil der Geistlichkeit weigerte sich, den durch die neuen
Kanones vorgeschriebenen Eid zu leisten. Eine Petition einer
X6 Berufung des Parlaments. — Vertrag von Ripon.
Anzahl der angesehensten Lords verlangte schleunige Beru-
fung eines Parlamentes. Die City von London liess sich, trotz
der Abmahnungen der zurückgebliebenen Mitgheder des ge-
heimen Rathes, in demselben Sinne hören. — Der König ent-
schloss sich nachzugeben, das Parlament ward auf den dritten
November berufen. Schon vorher hatte er geglaubt, in der
Ladung der Peers zu einem grossen Rathe, einer Wiederauf-
frischung des völlig antiquirten Institutes, Abhülfe aus seinen
Verlegenheiten erwarten zu dürfen. Den in York eintreffen-
den Grossen wurde nunmehr nur die Aufgabe gestellt, eine
Abkunft mit den Schotten zu Wege zu bringen und die Mittel
zu beschaffen, die zum vorläufigen Unterhalt des königlichen
Heeres nöthig waren. Das letzte wurde durch die Beihülfe
des Gemeinderathes von London ermöglicht, der sich den
Gründen einiger an ihn entsandten Lords nicht verschloss.
Die Verhandlungen mit den Schotten, in Ripon begonnen,
führten zu dem Präliminarvertrag , der den nördlichen Graf-
schaften nach einem bestimmten Ansatz die finanzielle Er-
haltung des schottischen Heeres auflegte, bis der Abschluss
des Friedens die Räumung des eingenommenen Gebietes nach
sich ziehe (=^). In beiden Fällen hatte parlamentarische Be-
willigung für die gemachten Auslagen aufzukommen, und schon
dadurch musste diese Versammlung, noch ehe sich ihr Cha-
rakter ahnen liess, eine erhöhte Macht erlangen. Nicht min-
der bedeutete der Entschluss, in London selbst den Vertrags
mit den Schotten zu Ende zu führen, eine Gefahr für das
herrschende System. Seine Gegner in beiden Ländern wur-
den damit aufs natürlichste noch enger zu gemeinsamer
Aktion verbunden. Strafford, von den Schotten als verhass-
tester Feind verabscheut, mag vorausgesehen haben, was seiner
nach diesen Vorgängen wartete. Aber er blieb in England,
das die nächsten Wochen mächtig dui'ch die Wahlen auf-
geregt wurde, von deren Ausfall die Zukunft des Staates
abhieng.
Milton nach der Rückkehr. 17
Man möchte denken, dass Milton, in die Heimat zurück-
gekehrt, sich sofort mitten in die Parteikämpfe gestürzt hätte,
von denen er sie bewegt fand. Dem war aber nicht so. Als
er den Boden Englands wieder betrat, hatte der König aller-
dings die Möglichkeit des zweiten „Bischofs -Krieges" schon
in's Auge gefasst, aber die Dinge hatten sich noch nicht so-
weit entwickelt, wie es im Vorhergehenden in flüchtigen Um-
rissen skizzirt worden ist. Auch war Milton von Haus aus
keine politische Natur, erst der wachsende Sturm und Drang
der Zeit wies ihn auf die Fragen des Tages hin. Damals
hatte er noch die Hoifmmgf, in Ruhe die Eindrücke seiner
Reise verarbeiten und, was sein Inneres bewegte, schöpferisch
in dichterischer Form ausgestalten zu können. „Ich blickte, —
so sagt er selbst, — bei dieser Unruhe und Verwirrung des
Staates, für mich und meine Bücher nach einem sichern Stand-
ort aus und miethete eine geräumige Wohnung in der Stadt.
Dort fühlte ich mich glücklich, zu meinen unterbrochenen
Studien zurückkehren zu können und überliess den Lauf der
Staatsangelegenheiten mit Freuden nächst Gott denen, welche
das Volk mit dieser Aufgabe betraut hatte" (^). Man darf
annehmen, dass dieser Niederlassung in London, unmittelbar
nach der Rückkehr im Spätsommer 1639, zunächst ein kurzer
Aufenthalt in dem traulichen Horton, auf dem Lande, vor-
ausgieng. Dort fand Milton den Vater noch in alter Frische,
ebenso den Bruder Christoph mit seiner Frau. Im nahen
Eton lebte noch Henry Wotton, dessen Rath und Empfehlung
dem Reisenden so nützlich gewesen war, freilich nur noch
für kurze Zeit; hn December 1639 ist er gestorben. Andere
der alten Freunde waren in ihren alten Stellungen. Henry
Lawes, der Komponist des Comus fand als Künstler und
Lehrer steigenden Beifall. Thomas Young war noch immer
Vikar von Stowmarket. Seine puritanischen Grundsätze
waren sich gleichgeblieben, gerade im Jahre 1639 hatte er
unter dem Titel „Dies Dominica" und unter dem vorsichtigen
Pseudonym „Theophilus Philo -Kuriaces Loncardiensis" eine
Schrift veröffentlicht, welche die puritanische Idee des Sab-
baths an's Licht stellen sollte, und deren Titel- Vignetten recht
Stern, Milton u. s. Zeit I. 2. 2
18 Familie und Freunde.
deutlich die frommen Werke der „Leute des Lichts" , Bibel-
Lesen, Predigt, Krankenpflege etc. den leichtsinnigen Werken
der „Leute der Finsternis", Tanzen, Spielen, Schlemmen,
gegenüberstellen (1). Der junge Gill dagegen scheint eine
zeitgemässe Schwenkung gemacht zu haben. Einst in Gefahr,
durch einen Spruch der Sternkammer seiner Ohren beraubt
zu werden, hatte er sich Vor neuen Angriffen gegen die herr-
schenden Gewalten gehütet und lebte seitdem mit ihnen auf
gutem Fuss. Wenn Milton das alte intime Verhältnis mit
ihm überhaupt fortsetzte, so währte es nicht lange. Gill's
Stellung an der St. Pauls- Schule, die er nach dem Tode sei-
nes Vaters 1635 übernommen hatte, wurde unhaltbar; er ward
entlassen, begann privatim zu unterrichten und starb 1642 (^).
Von allen Genannten hatte keiner Milton so nahe ge-
standen , wie der eine Karl Diodati , der Vertraute seiner
Jugend. Aber diesen Einen fand er nicht mehr unter den
Lebenden. Bald nach Milton's Abreise war er gestorben.
Vom 27. August 1638 datirt der Eintrag seines Begräbnisses
in den Registern der Pfarrei St. Anne, Blackfriars, London.
Kurz zuvor war auch eine ,,Mrs. Philadelphia Deodate", ver-
muthlich eine Schwester, mit der er nach der Trennung vom
Vater zusammenlebte, hinweggeraflft, ein Bruder, Namens John,
war eben Wittwer geworden. Der Wanderer wird schon in
der Fremde, vermuthlich durch den genfer Diodati, erfahren
haben, welcher Verlust ihn betrofi'en hatte. Die Unruhe der
Reise hatte den Schmerz zurückgedrängt, im Angesicht der
gewohnten, heimatlichen Stätten, die ihm die Gestalt des
verlorenen Freundes stündlich zurückriefen, ergoss er ihn in
ein Trauergedicht, das er als immergrünen Kranz auf dem
frischen Grabe niederlegte (^). Es ist eine Elegie, nicht zwar
jener wunderbaren „Euphrosyne" vergleichbar, in welcher
Goethe ähnlich gestimmt, einen ähnlichen Gegenstand ergrei-
fend in klassisch gedämpften Lauten inniger Wehmuth be-
handelt hat. Die klagende Muse Milton's hüllt sich in das
Gewand der Sprache Virgil's und wandelt den abgemessenen
Schritt des Hirtengedichts, das nach Spenser's Vorgang so
viele Verirrungen des literarischen Geschmacks in England
Epitaphium Damonis. — Poetische Vorsätze. 19
hervorrief. Die Fiktion , dass der Schäfer Thyrsis den Tod
des befreundeten Schäfers Dämon erfährt, der immer wieder-
kehrende Refrain, Ite domum impasti; domino jam non vacat,
agni, die bis ins kleinste beobachtete Nachahmung des pasto-
ralen Costumes : alle diese Formen sind den Alten abgelauscht,
aber ohne eigenes Leben. Nur selten, bei dem Hinweis auf
Reiseerinnerungen, bei dem schwungvollen Sehluss bricht das
natürliche Gefühl durch die fremde, meisterhaft studirte Hülle
durch.
Eine Stelle enthält dies Gedicht, welche uns einen tiefen
Einblick in Milton's damalige Gedankenwelt eröffnet. Er
schildert, wie er sich in der Fremde das Wiedersehen mit
dem Freunde ausgemalt, wie er sich vorgesetzt, ihm die neuen
Lieder mitzutheilen, zu denen seine Muse sich zu erheben im
Begriff sei: nicht mehr weiche Hirtengedichte in klassischer
Sprache, sondern einen heimischen, heroischen Sang von der
Landung der Trojaner in England unter Brutus, vom Reiche
Imogen's, der Tochter des griechischen Königs Pandrasus, von
Brennus und Belinus und Arviragus, von Igraine, der Mutter
König Arthur's, deren Bette sich Uther Pendragon, durch
Merlin's List in Gorlois' Gestalt verwandelt, nahte. Ganz
ähnliche Pläne hatte er früher in dem Gedicht an Manso ent-
wickelt (s. B. L S. 290). Die romantische Dichtung des Mittel-
alters war ihm längst vertraut. Einige Jahre später, Anfang
1642, sprach er in anderem Zusammenhang den Gedanken
aus, dass er nach seiner Rückkehr aus Italien die Hoffnung
gehegt, ein unvergängliches Dichterwerk zu hinterlassen, und
dass die alte englische Geschichte einem englischen Tasso
den besten Stoff liefern könne, um „das Ideal eines christ-
lichen Helden zu schildern" (i). Es mag gezwungen erschei-
nen, aus einigen Versen des Ep. Damonis (v. 156 — 159) den
Sehluss zu ziehen, dass Milton schon einen ersten Versuch in
dieser neuen poetischen Richtung gemacht habe, unläugbar
ist, dass er der künstlichen lateinischen Dichtung förmhch
den Abschied giebt, wie er denn wirkhch später nur noch
unbedeutende Proben dieser Fähigkeit abgelegt hat. Seine
ganze Seele war erfüllt von dem Plane, ein englisches Helden-
2*
20 Plan eines nationalen Epos.
gedieht zu schreiben, er glaubte sich genug zu thun, wenn
er nur seinem Volke genug thue. In diesem Uebergang vom
Schulmässigen zum Nationalen lag ein Fortschritt, der doch
unzweifelhaft den Eindrücken der Reise zu danken war,
welche ihn die Bedeutung der grossen italienischen Dichter
für ihr zerrissenes Volk vollauf hatte kennen lehren. Han-
delte es sich aber um die Auswahl eines vaterländischen
Stoffes, so war es nur nöthig, auf's neue einen Griff in das
Füllhorn Gottfried's von Monmouth zu thun, und neben den
älteren britischen Sagen trat, wie von jeher, jener Sagen-
kreis, der sich um die Persönlichkeit des Königs Arthur ge-
bildet hatte, glänzend hervor. Von Chaucer bis Tennyson
haben die englischen Dichter dem Zauber dieser Romantik
nicht widerstanden. Spenser's Muster war im sechzehnten
und siebzehnten Jahrhundert auch hier von grosser Nachwir-
kung. Ben Jonson erklärte ausdrücklich, für ein heroisches
Gedicht gebe es keinen gleich trefflichen Vorwurf wie die
Artus- Sage (^). Sidney wie Dryden hatten den gleichen Plan
wie der Dichter der puritanischen Epoche, der jenen roman-
tischen Stotf im Alter mit dem biblischen des „verlorenen
Paradieses" vertauschte und den britischen Legenden nur in
seiner englischen Geschichte eine Stelle gewährte. Denn
bereits damals, als er noch in der Kraft der Jugend stand,
wurde jener Plan durch andere gekreuzt. Die Idee einer
Tragödie schob die eines Epos wieder in den Hintergrund.
Schon jetzt drängten sich jene Bilder vor, die erst nach Jahr-
zehnten feste Gestaltung erhielten, und in der Fülle der auf-
tauchenden Gebilde gieng damals der Beginn des Unterneh-
mens ganz verloren.
Wir sind so glücklich, eine genaue Liste der literarischen
Entwürfe von Milton's eigner Hand zu besitzen, welche dieser
Zeit angehören. Sie finden sich in dem kostbaren Folioband,
welcher eine Hauptzierde der Bibliothek des Trinity - College
von Cambridge ausmacht. Der Band war offenbar von Milton
dazu bestimmt, ihm als Sammelband seiner Dichtungen zu
dienen, auch frühere wurden mit Sorgfalt von ihm eingetragen,
nicht selten in bedeutender Abweichung vom späteren Druck.
Dramatische Entwürfe. 21
Von den bisher berührten Werken enthält der Band auf den
ersten drei Seiten die „Arcades", S. 4. 5 die Ode „At a so-
lemn music" (s. B. I. S. 94), S. 6. 7 das oben S. 125 erwähnte
Sonett nebst dem dazu gehörigen Briefe, S. 8 die Oden „On
Time" und „Upon the Circumcision", S. 13 — 29 den „Comus",
S. 31 — 34 „Lycidas", zu dem sich einige Korrekturen auf
S. 30 finden. Die folgenden sieben Seiten 35 — 41 (S. 42 ist
leer) enthalten die Skizzen der vielfachen erwähnten Eutwüife.
Es scheint mir nicht, als ob die Ordnung dieser Blätter vor
dem Einbinden eine andere gewesen sei, denn sie bedingt
die Hinweisungen und" Einschiebungen, die von einer Seite
zur anderen hinüber stattfinden. Merkwürdig bleibt dabei
immerhin, dass die einzelnen Stoffgebiete sich nicht systema-
tisch Seite für Seite folgen. Denn während S. 41, nebst Er-
gänzungen zu S. 40, dramatische Themata aus der „schottischen
Geschichte" enthält, werden auf S. 37 und 38 die Titel „bri-
tischer Tragödien" zwischen S. 35. 36 und 39. 40 eingescho-
ben, auf denen ausschliesslich Vorwürfe aus dem alten und
neuen Testament verzeichnet sind(^). — Was zunächst auf-
fällt, ist der Reichthum an dramatischen Gegenständen, deren
Titel Milton's Feder, als der Ausführung oder doch der Er-
wähnung würdig, aufs Papier geworfen hat. Im ganzen sind
99 Posten zu bemerken , von denen allerdings mehrere zu
einem Werk zusammengezogen sein würden, vier nur Varian-
ten ein und desselben Themas sind. Dieses, mit dem sich
die ganze Reihe eröffnet, fordert am meisten die Beachtung
heraus. Sein Titel lautet: „Das verlorene Paradies" (auf
S. 35 „Paradise lost" in drei Skizzen, in einer vierten auf
S. 40 „Adam unparadizd", darunter durchstrichen: „Adams
Banishment"). Die beiden ersten, kürzer gehalten, sind durch-
strichen, im dritten ist die Eintheilung in Akte und der all-
gemeine Gang der Handlung angegeben, im vierten, ausführ-
lichsten, durch breitere Skizzirung der Dialoge und Chöre der
vorgestellte Aufbau des Stückes noch deutlicher gemacht. Von
anderen Stoffen des alten Testamentes seien nur z. B. er-
wähnt: „Adam in der Verbannung" (nach der Vertreibung),
„die Sündfluth" , „die Zerstörung Sodoms" (sehr ausgeführt),
22 Dramatische Entwürfe.
„Diuah", „Thamar", „das goldene Kalb", „die Wachteln", „die
Murrenden". Von da an scheint Milton das alte Testament
guten Theils systematisch darauf hin angesehen und durch-
genommen zu haben, ob es dramatische Stoffe darbiete, denn
in strenger Reihenfolge und mit Angabe der bezüglichen Ka-
pitel erscheinen nach einander die Bücher Mosis, Josua, die
Richter, Ruth, die Bücher Samuelis, der Könige geplündert,
und es fehlen unter den Titeln der ungeborenen Dramen
weder Josua noch Samson, weder David noch Athalia. Den
Schluss der ganzen Reihe bilden: „Die Einnahme von Jeru-
salem", „Assa oder die Aethiopier" (nach 2 Chron. 14) und
die „drei Männer im feurigen Ofen" (nach Dan. 3). Aus dem
neuen Testament sind acht Stoffe angedeutet, fünf aus der
Geschichte Christi von der Geburt bis zur Auferstehung,
ausserdem Johannes der Täufer in ausgeführter Skizze (^),
„der mordende Herodes oder die weinende Rahel" und
„Lazarus".
In derselben systematischen Weise wie die Bibel wurden
die Annalen der älteren englischen Geschichte nach poetischen
Stoffen durchsucht. Auch hier aber war der Zweck drama-
tischer Behandlung der erste, denn es findet sich die Hin-
weisung auf einzelne Scenen, nur bei Erwähnung des Vorwurfs:
König Alfred: ist die Bemerkung hinzugefügt: „Man könnte
irgend einen Punkt aus Alfred's Regierung für ein heroisches
(d. h. episches) Gedicht benutzen, vorzüglich seinen Ausbruch
von Edelingsey (Aethelney) gegen die Dänen, seine Thaten
sind denen des Ulysses wohl vergleichbar". Baeda, W. von
Malmesbury, G. von Monmouth, Holinshed, Stowe und Speed
werden von Milton selbst als seine Autoritäten bezeichnet.
Bis zu der Epoche Edward des Bekenners setzt er diese Blu-
menlese fort. Bei weitem weniger Gegenstände notirte er
aus der älteren Geschichte Schottlands, vermuthlich gestützt
auf Bellenden's Uebersetzung der „Scotorum Historiae" von
Hector Boethius. Am bemerkenswerthesten erscheint „Mac-
beth" mit dem Zusatz : „Beginnend mit der Ankunft Malcolm's
bei Macduff. Die Sache mit Duncan kann durch Erscheinen
seines Geistes ausgedrückt werden". — So waren die Gedan-
Dramatische Entwürfe. 23
ken Milton's durch eine reiche Fülle poetischer Vorwürfe be-
schäftigt, für die er in erster Linie die Form des Dramas,
vielfach nach antikem Muster, in Aussicht genommen hatte.
Nur einer dieser Pläne kam in dieser Weise zur Ausführung,
der Samson, aus dessen Geschichte in jener Liste allerdings
der frühere Theil („Samson Pyrsophorus or Hybristes or Sam-
son Marrying or Ramath-Lechi") als besonderes Stück in Aus-
sicht genommen erscheint, während das tragische Ende sich
unter dem folgenden Titel „Dagonalia" verbirgt. Der Stoff
des „Verlorenen Paradieses", der damals schon Milton so leb-
haft beschäftigte, erhielt epische Form. Zu dem gleichfalls
epischen „Wiedergewonnenen Paradies" mochten sich Ansätze
in den Vorwürfen aus dem neuen Testament finden. Die ge-
schichtlichen Themata haben guten Theils in der späteren
„Geschichte Englands" wenigstens in ungebundener Rede eine
Verwerthung erhalten.
Schon aus dem Wechsel der Tinte, der heute noch deut-
lich wahrnehmbar ist, aus den Zusätzen und Einschaltungen,
die sich finden, kann man schliessen, dass jene Liste nicht in
einem Zuge auf's Papier geworfen, sondern allmählich ent-
standen ist. Sehr starke Gründe sprechen aber dafür, die
Zeit ihrer Entstehung in die nächste Periode nach Milton's
Rückkehr in die Heimat zu setzen, in der ihn gleichfalls der
Plan eines nationalen Epos beschäftigte. Die Stellung dieser
Notizen in dem Milton'schen Manuskript zwischen dem Lycidas
und einem Sonett auf Lawes (v. 1646) begünstigt diese An-
nahme. Die Handschrift spricht gleichfalls dafür. Sie ist
klar und fest, so dass sie jedenfalls noch der Epoche angehö-
ren muss, in welcher der Dichter sein volles Sehvermögen
besass, sie enthält aber nicht mehr die griechische Foi-m des
kleinen e, die Milton noch bei Niederschrift des Lycidas an-
wandte, sondern die lateinische, die er sich in Italien an-
gewöhnt hatte (^). Einer der Gegenstände aus der enghscheji
Geschichte („Ecfrid, König der Northumbrer, erschlagen im
Kampfe gegen die Picten, nachdem er vorher Irland verwüstet
und ohne Grund mit Leuten Krieg angefangen hatte, welche
die Engländer immer liebten") würde als eine deutliche An-
24 Wohnung iu London, Die beiden Phillips.
spielung auf den Kampf zwischen Karl I. und den Schotten
betrachtet werden können, wenn nicht eben diese anzüglichen
Ausdrücke sich schon in Baeda, Milton's Quelle, vorfänden (i).
Dagegen die Stelle aus einer schon (oben S. 19) erwähnten,
Anfang 1642 erschienenen Schrift dient zur Bestärkung jener
Vermuthung. Denn zu der hier gegebenen Uebersicht der
verschiedenen Gebiete, auf denen der Dichter sich versuchen
kann , erscheint die grosse Liste vielversprechender Titel fast
wue ein sorgfältig ausgeführter Kommentar.
Mit so mannichfachen poetischen Plänen beschäftigt, zwi-
schen die Anregungen und Erinnerungen der Reise, das eifrige
Studium der Bibel und der vaterländischen Geschichte getheilt,
bezog Milton etwa im Winter 1639 auf 1640 eine Wohnung
in London, um sich zum Trotz des hauptstädtischen Lebens
und der hochgehenden Wogen der Tagesereignisse ein fried-
liches Dichter- und Gelehrtendaseiu zu gründen. Er blieb
nicht lange auf sich allein angewiesen. Seine Schwester Anna,
seit 1631 verwittwet, hatte sich vermutWich vor der Rückkehr
ihres Bruders in die Heimat wiederverheirathet. Ihr zweiter
Mann, Thomas Agar, war ein naher Freund des verstorbenen
ersten und sein Amtsgenoss in der königlichen Kanzlei gewesen.
Die Wittwe seines Freundes Phillips brachte ihm aus erster
Ehe zwei Söhne zu, Edward (geb. August 1630) und John
(geb. 1631). Diese beiden Neffen, damals neun- und acht-
jährig, wurden der Gegenstand grosser Sorgfalt des Dichters.
Der jüngere Knabe, der mit ihm einen Namen trug, war ver-
muthlich sein Pathenkind. Milton verstand sich dazu, ihn
ganz und gar unter seine Obhut zu nehmen. Aber auch der
ältere kam regelmässig zu ihm, um mit dem Bruder den Un-
terricht des Oheims zu geniessen(2). Von Edward Phillips
erfahren wir, wo Milton damals wohnte, und andere Zeugen
ergänzen seine Angabe: im Hause eines Schneiders Rüssel,
„St. Prides Kirchhof, Fleet - Street" (oder „nahe bei Fleet-
Street"), an einem Punkte, der damals wie heute einer der
belebtesten der Weltstadt war, unweit des Stromes und der Ka-
Aldersgate- Street. 25
thedrale von St. Paul (i). Indess der brausende Lärm der
Umgebung war der beschaulichen Ruhe, die Milton ersehnte,
wenig günstig. Auch hatte sich bei dem eifrigen Bücher-
sammler und Liebhaber theurer Reiseerinnerungen so manches
in dem Junggesellen-Hausrath aufgehäuft, das in den engen
Räumen keinen Platz fand. Sehr bald, wie wir aus einer
erhaltenen Steuerliste ersehen jedenfalls im Jahre 1641, war
der Dichter in einer anderen, nicht sehr entfernten Gegend
Londons in einem hübschen Gartenhause installirt. Es lag
in Aldersgate -Street, die damals noch durch das Thor, das
ihr den Kamen gegeben, von der inneren Stadt geschieden
war. Die Strasse war eine der ruhigsten des damaligen Lon-
don. Noch war nichts von jenem bewegten Bilde vorhanden,
das sich heute an ihrem südlichen Anfang in St. Martin's-le-
Grand vor dem Generalpostamt entfaltet. Bis zu der Stelle,
wo sie durch Long-Lane und Barbican gekreuzt wird, er-
streckte sie sich nordwärts, die stattlichen Gebäude durch
luftige Zwischenräume getrennt, die weiter rückwärts für
freundliche Gartenwohnungen Platz liessen. Am Ende eines
solchen Seitenweges , „im zweiten Bezirk der Pfarrei St. Bo-
tolph", nicht weit von jenem Thore, in beinahe ländlicher
Abgeschiedenheit, stand Milton's Haus. Er hatte sehr solide
Nachbarschaft: einen Weber, einen Sachwalter, einen Pfarr-
schreiber, einen Rechnungsrath , verschiedene „Gentlemen",
wie er selbst sich ohne nähere Angabe bezeichnete, mit
grösserer oder kleinerer Dienerschaft. Alexander Gill , der
wenig solide alte Bekannte, wohnte ganz in der Nähe, der
Arzt Theodor Deodati, der Vater des verstorbenen Freundes,
nicht sehr weit entfernt, nahe beim St. Bartholomäus-Hospital.
Am Ende seiner Strasse, unweit des alten Karthäuserklosters,
das seit Jahren in eine grossartige Wohlthätigkeits- und Schul-
anstalt verwandelt war, sah sich der Dichter bald in freier
Natur. Seine eigene Wohnung theilte wie vordem sein jüng-
ster Neffe und eine Dienstmagd, deren Name „Jane Yates"
uns aufbewahrt ist (2). Nicht viel später entschloss er sich, auch
den älteren seiner Neffen, Edward Phillips, bei sich aufzu-
nehmen und beiden gab er das beste Beispiel ernsten Fleisses
26 Zusammentritt des langen Parlaments. — Haus der Lords.
und massigen Lebens. Nur selten machte er sich einen guten
Tag in Gesellschaft munterer Altersgenossen, wie eines gewissen
Mr. Alphry und Mr. Miller. Sie waren beide Juristen, Mit-
glieder der Rechtsschule von Gray's-Inn, die „beaus" jener
Tage, wie E. Phillips berichtet. Uebrigens war die Zeit
in dem versteckten Gartenhause von Aldersgate-Street streng
eingetheilt, und der Faden des Lebens spann sich glatt und
gleichmässig ab. — Indess so abgeschieden war weder das
Haus, noch so theilnahmlos das Herz seines Besitzers, dass
nicht sehr bald Eingang gefunden hätte, was ganz Eng-
land, ganz London vor allem bewegte. Und in kurzem riss
er sich selbst aus allen gelehrten und dichterischen Träu-
mereien los und trat mit scharfen Waffen und thatenlustig in
die Arena ein.
Am 3. November 1640 war durch den König, den eine
einfache Barke nach Westminster führte, ohne Pomp und
Pracht das Parlament eröffnet worden, welches in der Ge-
schichte den Namen des „langen Parlaments" erhalten hat.
Mit ihm begann eine neue Epoche, und die freudig gehobene
Stimmung der Massen liess keinen Zweifel darüber, dass man
sich der Bedeutung des Augenblicks wohl bewusst war. — Im
Hause der Lords glänzten die Namen jener Geschlechter,
deren Häupter in den folgenden Jahren grössten Theils eine
wichtige Rolle spielten. Seit geraumer Zeit war ein höherer
Sinn für Unabhängigkeit und Selbstständigkeit in die Pairie
zurückgekehrt, und einige der angesehensten Lords konnten
als entschiedene Vertreter des Puritanismus betrachtet werden.
Der Graf von Bedford galt als ihr Führer, aber sein früher
Tod machte die Hoffnungen zu Schanden , die man für das
beginnende Werk des Parlamentes auf ihn gesetzt hatte. Die
Grafen von Essex und Warwick, die Lords Kimbolton und
Brooke, der Viscount Saye und Seele nebst einigen anderen
hatten gleichfalls bereits zu den lebhaftesten Erwartungen
seitens der Gegner des herrschenden Regierungssystems be-
rechtigt. John Digby, Graf von Bristol, hatte, ohne irgend
Haus der Lords. 27
welche Gemeinschaft mit den populären Bestrebungen, Er-
fahrungen hinter sich, die ihm wenigstens zunächst in der
Opposition einen Platz anzuweisen schienen, allein der Sturm
der Ereignisse führte ihn bald genug auf die Seite des Königs
hinüber. — Dagegen wurden einige der Mitglieder des ge-
heimen Rathes, die in dieser Versammlung sassen, Genossen
der grossen puritanischen Partei. Der Graf von Northumber-
land, als Grossadmiral , brachte ihr ein bedeutendes Gewicht
zu. Der Graf von Holland, in Ungnade bei Hof gefallen,
eifrig bemüht, sich auf andere Weise eine politische Stellung
zu verschaffen, machte sein Haus zu einem Sammelplatz der
parlamentarischen Führer, die wesentlich durch seine Vermitt-
lung Fühlung mit der französischen Diplomatie behielten. Noch
war Strafford nicht erschienen, und die sonstigen weltlichen Ver-
treter der Regierung wie Cottington, Finch u. s. w. konnten
sich dem Gewaltigen nicht vergleichen. Auf der bischöflichen
Bank ragten neben Land einige, wie Juxou, Bischof von Lon-
don, und Hall, Bischof von Exeter, besonders hervor. Bischof
Williams von Lincoln, an dessen Persönlichkeit sich manche
Hoffnungen knüpfen mochten, musste erst aus der Haft des
Tower entlassen werden.
Im Hause der Gemeinen war eine Fülle von Talent,
Wissen und Charakter vereinigt, wie kaum in einer parlamen-
tarischen Versammlung Englands vordem. Neben soliden
Mitgliedern des Landadels sassen erprobte Juristen, neben
Männern, die im politischen Kampf ergraut waren, andere, die
jetzt erst auf die öffentliche Bühne traten und bald Meister ihrer
Rolle wurden. Einige stammten vom höchsten Adel ab, wenige
gehörten den kaufmännischen Kreisen an. Die Mehrzahl hatte
schon im kurzen Parlament gesessen und , so weit auch in
einzelnen Fragen die Meinungen auseinandergiengen, sich mit
den neuen Genossen in der entschiedenen Absicht zusammen-
gefunden, Rechenschaft für die Vergangenheit, Sicherheit für
die Zukunft zu fordern. Die unbestrittene Führerschaft hatte
auch jetzt, wie einige Monate vorher, John Pym. Seit den
Tagen Jakob's ein Vorkämpfer gegen die Uebergiifife der
Prärogative, immer thätig und wachsam, von unermüdlicher
28 Haus der Gemeinen.
Arbeitskraft und unbeugsamer Willensstärke hatte das Mit-
glied für Tavistock ein Ansehn innerhalb wie ausserhalb des
Hauses gewönnen, das ihm vom machtlosen Spott der Höflinge
bald den Namen „König Pym" eintrug. Seine Beredtsamkeit
entbehrte den idealen Schwung derjenigen Eliot's , aber sie
riss durch ihre Energie mit sich fort und überzeugte durch
ihre Klarheit. Seine Lebensanschauung war freier, seine Men-
schenkenntnis grösser, als die des Märtyrers der Sache, für
welche er ehemals Schulter an Schulter mit ihm gekämpft
hatte. Er suchte heitere Gesellschaft, er hatte Verbindungen
mit geistreichen Damen der vornehmen Welt wie mit dem
Vertreter der französischen Politik, aber alles musste den
Zwecken dienen, welchen er seine Ruhe, sein Vermögen, sein
Leben opferte. Kaum einer stand ihm so nahe, wie John
Hampden , dessen Name seit dem Process um das Schiffsgeld
in aller Munde war. Sein Vetter Oliver Cromwell, noch wenig
über den Bezirk seiner engeren Heimat hinaus bekannt,
Denzil Holles, der Schwager Strafford's, die Freunde Nathanael
Fiennes und Arthur Haselrig, der hochgeachtete Isaac Penning-
ton, einer der Aldermen von London, William Strode, William
Waller: alle diese mit einem dichten Schwärm gleichgesinnter
Genossen folgten Pym's kluger Führung und schaarten sich
um das Banner durchgreifender Reform. Einige andere stan-
den in noch grösserem geistigen Gegensatz zu dem Bestehen-
den. Henry Märten, sarkastisch und lebenslustig, gefürchtet
wegen seiner scharfen Zunge, gehörte zu diesen. Der Sohn
des Staatssekretärs, Henry Vane, welcher mit dreiundzwanzig
Jahren wiegen puritanischer Unbotmässigkeit die Heimat hatte
verlassen müssen und ein Jahr lang Gouverneur von Massa-
chusetts gewesen war, konnte als ihm geistesverwandt gelten.
Beide waren entschiedene Republikaner und von den höchsten
Idealen bürgerlicher und religiöser Freiheit erfüllt, mit denen
sich kein Staatskirchenthum in irgend welcher Form vertrug.
— Unter den Rechtsgelehrten von Fach, deren juristische
Weisheit der Opposition zu Gute kam, glänzten u. a. der
skeptische John Seiden, die Zierde englischer Wissenschaft,
der verschlossene Oliver St. John von Lincoln's Inn, durch
Haus der Gemeinen. 29
seine zweite Heirath mit Cromwell verwandt, seit seinem Auf-
treten als Hampden's Rechtsbeistand berühmt , Bulstrode
Whitelocke, welcher mit grossem Talent biegsamen Charakter
verband, Sir Simonds d'Ewes, der, uns zum Yortheil, unermüd-
lich war, während der Sitzungen des' langen Parlamentes sich
flüchtige Notizen zu machen.
Eine bedeutende Gruppe sammelte sich allmählich um
Edward Hyde und den Lord Falkland, die beiden jugendlichen
Genossen, denen bald die Aufgabe zufiel, in dieser kritischen
Zeit das zweifelhafte Unternehmen der Bildung einer Mittel-
partei zu wagen. Dachte" das vornehm erzogene Weltkind
Falkland freier über kirchliche Fragen als der doktrinäre
Anglikanismus des Juristen Hyde es zugeben wollte, so fühlten
sich doch beide durch die Gleichartigkeit ihrer Lebensan-
schauungen, durch den Wunsch, die nöthigen Reformen von oben
ausgehen zu sehen, durch alte Bekanntschaft innig verbunden.
Der Dichter Edmund Waller, John Colepepper aus der Gentry
von Kent, George Lord Digby, der Sohn des Grafen von Bri-
stol, mit vielen anderen wurden die Mitglieder jener Gefolg-
schaft und thaten beim Fortschreiten der Bewegung das Ihrige
zur Scheidung der Parteien.
Die Regierung war vorzüglich durch die beiden Staats-
sekretäre Windebank und Vane vertreten, die Zahl der ihr
unbedingt ergebenen Mitglieder des Hauses war verschwin-
dend. Sie musste die Hoffnung aufgeben , einen ihrer An-
hänger, den sie für das Amt des Sprechers in's Auge gefasst
hatte, überhaupt gewählt zu sehen und entschloss sich, William
Lenthall dafür in Vorschlag zu bringen, einen jungen Anwalt,
der keineswegs ein heroischer Charakter war, aber in einem
kritischen Augenblicke sich seiner Aufgabe gewachsen zeigte und
unter wechselnden Verhältnissen eine bedeutende Rolle spielte.
Von nun an war die gespannte Theilnahme des Landes
und der Hauptstadt auf die Berathungen in der alterthüm-
lichen, schmalen St. Stephan's - Kapelle gerichtet, in der das
Haus der Gemeinen allmorgendlich unter Gebet zusammen-
trat. Mit methodischer Sicherheit, Schritt für Schritt, gieng
es seinen Weg. Mochte der König in seiner Eröffnungsrede
30 Erste Massregeln des Parlaments.
betont haben, wie nöthig es vor allem sei, die „rebellischen"
Schotten aus dem Lande zu entfernen, mochten die Lords
eine gemeinsame Konferenz befürworten, um eine Ueberein-
kunft mit den nach London gekommenen schottischen Kom-
missären zu Wege zu bringen: das Unterhaus machte zu
seiner ersten, wichtigsten Aufgabe, alle die Unbilden in Be-
tracht zu ziehen, welche die Zeit der Willkür verschuldet
hatte, ihre Thaten zu sühnen, die Thäter zu strafen. Das
ganze Register gesetzloser Handlungen, welches die letzten
Jahre englischer Geschichte so mächtig hatten anschwellen
lassen, wurde Blatt für Blatt umgewandt und vor aller Augen
offen gelegt. Eine Reihe von Kommissionen war eifrig ge-
schäftig , die Beschwerden im einzelnen zu untersuchen , die
massenhaft von Stadt und Land einliefen. Zeugen wurden
vernommen, von der Tribüne, von der Kanzel, auf den öffent-
lichen Plätzen erschollen die Anklagen, die Presse fühlte sich
frei, Flugblätter und Spottgedichte wandten sich gegen die
Härte der Bischöfe, die Feilheit der Richter, den Uebermuth
der Höflinge. John Lilburne, der einst durch die Strassen
von London gepeitscht worden war, und der grässlich ver-
stümmelte Alexander Leighton kehrten aus dem Gefängnis
zurück, Prynue, Burton und Bastwick wurden aus ihrer Haft
auf den Inseln von Jersey, Guernsey und Scilly befreit und
langten unter dem Jubel der Bevölkerung in der Hauptstadt
an, wo ihrer reiche Entschädigungen für die erlittenen Qualen
warteten. Man athmete auf; nach langer, dumpfer Zeit des
Duldens gab es wieder eine rettende höchste Vertretung der
Nation.
Bei diesen Handlungen blieb die Thätigkeit des Parlaments
nicht stehn. Es stiess aus seiner Mitte solche aus, die sich
an den ungesetzlichen Auflagen betheiligt hatten, es forderte
als sein Recht, die vornehmsten Rathgeber der Krone als
Delinquenten zur Rechenschaft zu zielm. Strafford, der den
Muth hatte, dem Wunsche seines Königs gemäss, in London
sich einzustellen, sah sich am 11. November im Hause der
Lords, vor denen John Pyni an der Spitze von 300 Gemeinen
die Klage wegen Hoehverraths gegen ihn erhoben hatte, ver-
Anklage Straffords, — Uebergewicht des Parlaments. 31
haftet, wenig später, nachdem er hier in der alten, stolzen
Haltung erschienen war. Den Erzbischof Land traf dasselbe
Schicksal. Gegen mehrere andere Bischöfe und Richter wurde
Anklage erhoben. Der Staatssekretär Windebank floh über
den Kanal. Der Gross -Siegelbewahrer Finch hatte ein Ver-
hör zu bestehn, konnte aber sodann den Weg nach Holland
einschlagen, Cottington liess man gleichfalls Zeit, sich zu ent-
fernen. Der Hof war wie betäubt. Der König sah sich mit
einem Male seiner sämmtlichen Stützen beraubt, gegenüber einer
Versammlung, die im Bewusstsein ihrer Obmacht alle Gewalt
im Staate an sich riss. Ihre weiteren Beschlüsse legten neues
Zeugnis von ihrer Entschiedenheit ab. Das Schiffsgeld ward
für ungesetzlich erklärt, das Urtheil von Hampden's Process
kassirt, die noch vorhandenen letzten Beiträge wurden zurück-
gegeben. Die Monopole fielen, für Erhebung von Tonnen-
und Pfundgeld wurde parlamentarische Bewilligung als noth-
wendig proklamirt. Die Unabhängigkeit der Richter wurde ver-
stärkt, Sternkammer, hoher Kommissionshof aufgehoben, die
Ausnahmegewalt der Provinzialräthe fast vollständig beseitigt.
Die Wiederkehr der Willkürherrschaft sollte unmöglich ge-
macht werden durch die Bill , dass das Parlament alle drei
Jahre versammelt werden müsse, nöthigenfalls durch freie
Wahlen der Bürger selbst, wenn König, Peers und Beamte
ihrer Pflicht der Wahlausschreibung vergässen, und durch
den Zusatz, dass in den ersten fünfzig Tagen kein Parlament
ohne seine Zustimmung prorogirt oder aufgelöst werden solle.
Die Sicherheit des tagenden Parlaments wurde durch die
weitere Bill verbürgt), dass der König dieses überhaupt nur
im Einverständnis mit ihm selbst auflösen dürfe.
Karl I. hatte nicht ohne inneres Widerstreben alle diese
Forderungen zugestanden, die sich Schlag auf Schlag bis zum
Sommer 1641 folgten und dem Parlament eine grössere Macht
verliehen, als der Geist der alten englischen Verfassung jemals
hätte hoffen lassen. Auch der Entschluss, den geheimen
Rath durch die Aufnahme von Männern, wie Essex, Warwick,
Saye und Sele, Bristol u. s. w., zu verstärken, konnte ihm
nicht leicht werden, ohne dass damit die Geschäftsweise der
32 Uebergewicht des Parlaments. — Hinrichtung Stvaflford's.
Kabinetsregierung aufgegeben worden wäre. Wenig ernst
gemeinte Pläne, die Hänpter der Opposition durch Ver-
leihung der hohen Staatsämter zu gewinnen und an die Sache
des Königthums zu ketten, Intriguen der rastlosen Königin,
die für ihre englischen Glaubensgenossen nicht weniger be-
sorgt war wie für den Glanz der Krone, ein Komplott, in
Hof- und Soldatenkreisen geschmiedet, zum Zweck der Be-
freiung Strafford's: alles dies hatte während jener Zeit hinter
den Konussen gespielt. Es hatte die Folge, die Führer des
Parlaments zur Vorsicht zu mahnen und bei ihrer unbeug-
samen Energie festzuhalten. In dem Process des Grafen
Straiford, dem grossen Ereignis, das Wochen lang ganz Lon-
don in Aufregung setzte, kam das zu Tage. War nach dem
Wortlaut und Sinn der Gesetze wie gegen Strafford's glän-
zende Vertheidigung die Klage des Hochverraths unwirksam,
so erschien vielen die alte Form eines eigenen Gesetzes, einer
„bill of attainder", auf diesen Fall anwendbar, in welchem
die irischen Gewaltsamkeiten und die mehrdeutigen Drohungen
nach Auflösung des letzten Parlaments, Handlungen und
Worte den gefährlichen Gegner belasteten ('). Vom Unterhause
mit grosser Mehrheit angenommen, mit der Zustimmung des
Oberhauses versehn, erhielt die Bill nach peinlichem Schwan-
ken die Bestätigung des Königs , der sich kurz zuvor für das
Leben seines treuesten Dieners verbürgt hatte und sein Ge-
wissen nun durch die jesuitischen Sophismen seiner Bischöfe zu
beruhigen suchte. Der geopferte Minister hatte selbst die be-
wundernswürdige Entsagung gehabt, seinem Herrn zu dem
Schritt zu rathen, der seinen Untergang bedeutete. Aber
nachdem er den Entschluss des Königs erfahren hatte, soll
er ausgerufen haben: „Verlasst euch nicht auf Fürsten und
Menschenkinder, denn es ist kein Heil in ihnen". Als er am
Morgen des 12. Mai 1641 festen Schrittes den Weg zum
Schaffot gieng, streckte Land aus dem Fenster seines Ge-
fängnisses segnend die Hand nach ihm aus. Dies eine Bild
bezeichnete deutlicher als alles den Umschwung der Dinge.
Noch eine grosse Angelegenheit war zu erledigen, die Be-
friedigung der Schotten, deren Heer noch immer im Norden
Vertrag mit den Schotten. — Die Frage der Kirchenverfassung. 33
stand, deren Kommissäre in London verhandelten. Den Füh-
rern des Parlaments war jene Anwesenheit der schottischen
„Bi'üder" auf englischem Boden nicht undienlich, um ihren
Fordermigeu mehr Nachdruck zu geben. Die Gelder, die
man flüssig zu machen wusste, um den Unterhalt der Schotten
zu bestreiten , waren nicht umsonst gezahlt. Erst im Spät-
sommer 1641 wurde England von der schottischen Einquartie-
rung befreit, während das königliche Reet gleichzeitig auf-
gelöst wurde. Auch Milton wurde selbstverständlich zur Zah-
lung der Kopfsteuer herangezogen, die das Parlament zur
Deckung jener aus dem Kriege erwachsenen Kosten auf jeden
Engländer legte, der über sechzehn Jahre alt und nich
unterstützungsbedürftig war. Wenn sich die Notiz in einer
Steuerrolle findet, dass er säumig mit der Zahlung war, so
lässt sich vielleicht sein Wunsch, die Schotten möglichst lange
in England festgehalten zu wissen, als Erklärungsgrund an-
führen (')•
Alles Erwähnte gehörte wesentlich dem politischen Ge-
biet an, aber daneben kam auch die andere Seite der grossen
Bewegung, die religiöse, zu ihrem Recht. Unter doppeltem
Druck hatte man die Jahre daher gelitten, Staat und Kirche
im engsten Bunde hatten die Leidenschaften herausgefordert,
politische Opposition und Puritanismus waren verschmolzen.
Von Anfang an war das Parlament gegen das so lange ge-
schützte kirchliche System vorgegangen. Die letzten Be-
schlüsse der geistlichen Konvokation wurden für ungültig
erklärt, Kommissionen in den einzelnen Grafschaften ernannt,
um Hochaltäre, Kreuze, Heiligenbilder und ähnliche von Land
befohlene Neuerungen zu beseitigen, in denen der Argwohn
des Volkes ein verstecktes Spiel mit dem Katholicismus^ er-
blickte , die alten gehässigen Bestimmungen gegen die An-
hänger der römischen Kirche in wiederholte Erinnerung ge-
bracht. — Aber dabei wollte man nicht stehn bleiben. Es
galt die gesammte Verfassung der Kirche zu ändern, auch
Stern, Milton u. s. Zeit. T. 2. 3
34 Erhaltungspartei. — Bischof Hall.
hier der Reform zum Siege zu verhelfen, die eine Wiederkehr
Laud'scher Zustände unmöglich machte und dem dunklen
Trieb der Massen deutlichen Ausdruck gab.
Noch immer hatte die bestehende Kirchenverfassung nicht
zu unterschätzende Anhänger. Sie liess sich in keinem wich-
tigen Punkte verändern, ohne die grössten politischen und so-
cialen Interessen in Mitleidenschaft zu ziehn. Ein Angriff
auf die grundlegenden Akte des sechzehnten Jahrhunderts
bedeutete eine Schwächung des Königthums. Ein Angriff auf
das Institut des Patronats kam einem Umsturz gewisser Ord-
nungen von Gesellschaft und Eigenthum gleich. Die beiden
Universitäten, von Haus aus Stützen der Staatskirche, fürch-
teten an Einfluss und Vermögen mit einer gründlichen Neuerung
zu verlieren. Die Pfarreien waren guten Theils mit Geschöpfen
Laud's besetzt und als solche von jeder Aenderung bedroht.
In der Mehrzahl der Bischöfe endlich musste sich der Trieb
der Selbsterhaltung, der Wunsch, eine Macht im Staate zu
sein, bei vielen auch geistlicher Hochmuth und Fanatismus
gleichzeitig aufgerufen sehn, sich gegen jede durchgreifende
Reform zu stemmen. Indessen gerade das Bisthum hatte
zufolge der Stellung, die es in den letzten Jahren eingenom-
men, den ersten Sturm zu bestehn, der für die weiteren, ge-
waltigeren Umsturzversuche der Revolutionsepoche in den
Wall der überlieferten Kirchenverfassung Bresche brach. Bereits
vor dem Zusammentritt des^ kurzen Parlamentes im Februar
1640, als es galt, den gefährlichen schottischen Th^orieen ent-
gegenzutreten , war von einem der englischen Prälaten der
Grundgedanke, aus dem sich die bischöllichen Ansprüche ab-
leiteten, noch einmal mit grossem Aufwände von Gelehrsam-
keit entwickelt worden. Der Bischof von Exeter, Joseph Hall,
hatte sich dazu verstanden, ein Mann, dessen Name zu den
gefeiertsten des englischen Episkopats gehörte. Als er 1(327
dreiundfünfzigjährig den Bischofsstuhl von Exeter bestieg,
hatte er sich unter den prosaischen und poetischen Autoren
seines Vaterlandes bereits eine achtunggebietende Stellung
errungen. In seiner Jugend, nachdem er kaum die Universität
Cambridge verlassen hatte, war er mit Satyren hervorgetreten,
Hall's „Göttliches Recht des Bisthums". 35
deren erste drei Bücher, „die zahnlosen Satyren", 1597 er-
schienen, während schon ein Jahr darauf drei weitere Bücher
„bissiger Satyren" folgten. Sie wurden populär und erlebten
bald neue Autlagen, indess die geistliche Presspohzei den
Druck verbot und die Exemplare, deren sie habhaft werden
konnte, für den Scheiterhaufen bestimmte. Es waren nicht
ungeschickte Nachahmungen bekannter Muster der römischen
Literatur. Die Glätte der Form, die Energie des Ausdrucks,
die Freiheit von Concetti verliehen ihnen hohen Werth, wenn
auch hie und da in Folge allzu grosser Prägnanz eine gewisse
Dunkelheit nicht vermieden wurde. Das Werkchen trug dem
Verfasser den Namen des ,, englischen Persius" ein. In den
folgenden Jahrzehnten, während Hall im Kirchendienst empor-
gestiegen war, hatte er sich durch zahlreiche Prosaschriften
auch noch den Namen des „englischen Seneca" verdient.
„Meditationen" und „Episteln", Streitschriften gegen die rö-
mische Kirche und gegen die Brownisten, Betrachtungen über
geistliche und weltliche Gegenstände verschiedener Art : alles
hatte den scharfen, sinnigen Beobachter, den sorgfältigen, bil-
derreichen Stilisten gezeigt, der durch eine allzu grosse Vor-
liebe für lehrhafte Gemeinplätze nur hie und da ermüdete.
Seine ganze Denkweise konnte ihn nicht zu einem fanati-
schen Anhänger der Laud'schen Schule machen, und er war zeit-
weise wegen seiner Mässigung den Verfechtern der hochkirch-
lichen Theorieen sehr verdächtig gewesen. Indessen gerade ihn
wusste Land dazu anzutreiben, das „göttliche Recht des Bis-
thums" mit seiner gewandten Feder zu vertheidigen, und Hall
verstand sich dazu, sein Werk einer Revision des gestrengen
Oberen zu unterwerfen , dem er anfänglich nicht entschieden
genug in seinen Sätzen gewesen M^ar. Der Behauptung vom
göttlichen Ursprung der Presbyterialverfassung war in dem
Buche Hall's „Bisthum aus göttlichem Recht" die analoge mit
Bezug auf den Episkopat entgegengetreten, und wenn es sich
in erster Linie darum zu handeln schien, die Anschauungen
der aufrührerischen Schotten zu bekämpfen, so war doch die
Absicht unverkennbar , auch dem englischen Puritanismus
einen Damm entgegenzuwerfen. Nicht ohne Geschick erschien
36 Mittelpartei. — Bischof Williams. — Erzbischof Ussher.
die Selbstständigkeit des Bisthums, wie es hier begründet
•wurde, gegenüber der Papal- Theorie gewahrt, zugleich aber
auch die Gewalt des Monarchen, dem das Buch sogar gewid-
met war, in keiner Weise verletzt. Ironie und Ernst mischten
sich in der Behandlung eines Themas, das mit Berufung auf
die Bibel, Kirchenväter, Auszüge aus den Koncilsschlüssen
und spätere Schriftsteller durchgeführt worden war, und Hall
konnte jedenfalls nach dieser Leistung, die seine Vergangen-
heit vergessen liess, als einer der Hauptvertheidiger der herr-
schenden Kirchenverfassung gelten (').
Indessen sahen sich die Verehrer des Grundsatzes vom
„göttlichen Recht des Bisthums" einer gewaltigen Opposition
gegenüber. Man kann zwei Strömungen in ihr unterscheiden,
eine gemässigte und eine radikale. Die erste wollte die In-
stitution des Bisthums nicht aufheben, aber die Bischöfe von
den Bänken des Hauses der Lords entfernen, ihre Macht be-
schränken, ihren Ansprüchen entgegentreten. Sie läugnete,
dass die Verfassung der englischen Kirche anderen als mensch-
lichen Ursprung habe und schrak daher auch vor Verände-
rungen dieser Kirche, Minderung ihres Aufwandes in den
höchsten, Aufbesserung der unteren Stellen, Beschränkung
geistlicher Gerichtsbarkeit, Reformen des Ritus in keiner
Weise zurück. Ein grosser Theil der Parlamentsmitglieder
in beiden Häusern war dieser Ansicht, die sich durch Nach-
giebigkeit nach beiden Seiten hin zu empfehlen schien. Aus
der Reihe der Bischöfe selbst glaubte man, soweit nicht der Ver-
lust der politischen Stellung in Frage kam, auf den ehrgeizigen
Bischof Williams von Lincoln zählen zu können, der zwar den
Presbyterianismus als ein System bezeichnet hatte, das nur
„für Sehneider, Schuhmacher und dergleichen Menschen, aber
nicht für Edelleute und Gentlemen passe" (2), welcher indess,
zumal nach sehien letzten p]rfahrungen im Tower, nothwendig
wenig begeistert dafür war, das Laud'sche Gebäude mit allen
seinen Auswüchsen zu stützen. Aus reineren Motiven schien
der Primas von Irland, Jakob Ussher, Erzbischof von Armagh,
geneigt zu sein, einen Mittelweg einzuschlagen. Geboren in
Dublin 1581 und erzogen im Trinity - College daselbst, hatte
Petition der Geistlichen. — Radikale Partei. 37
er sieh in kurzem wegen seiner umfassenden Gelehrsamkeit
einen Namen gemacht und war zur höchsten Würde in der
irischen Kirche emporgestiegen. In dieser schwierigen Stel-
lung, unter der fanatischen celtisch - katholischen Bevölkerung
an der Spitze einer schlecht ausgestatteten, vom Volke grim-
mig gehassten Kirche, hatte er den Bemühungen Laud's keinen
Widerstand leisten können, allmählich jene von ihm gepflegten
calvinistischen Eigenthümlichkeiten der irischen Kirchenver-
fassung zu verwischen und sie möglichst dem strengen Hoch-
kirchenthum anzubequemen, wie Laud es in England durch-
geführt hatte. Aber man hatte Grund zu vermuthen, dass
Ussher sich einer bedeutenden Veränderung nicht widersetzen
werde , dass er vielmehr geneigt sei , den Schwerpunkt der
Kirchenverfassung in Synoden zu verlegen, deren Leitung den
Bischöfen als Superintendenten verbleiben solle, während sie
viele ihrer Privilegien verlieren würden (^). Er war im Früh-
ling 1640 von Irland herüber gekommen, er hatte in jenem
Gewissensrath, den Karl I. um sich versammelte, den Monar-
chen beschworen, sich in Strafford's Sache nur nach der
Stimme seines Inneren zu entscheiden, er hatte den feige
Verlassenen auch auf seinem Gange zum Richtplatz begleitet.
Sein Charakter bürgte für die Lauterkeit seiner Gesinnung.
Auch aus den Reihen der unteren Geistlichkeit wurden
Stimmen laut, welche das Bisthum als solches noch fortbe-
stehn lassen, die bischöfliche Verfassung aber gründlich ver-
ändern wollten. Vor allem machte eine von siebenhundert
Geistlichen unterzeichnete Petition , die am 23. Januar 1641
dem Hause überreicht wurde, grosses Aufsehn. Sie enthielt
eine Reihe von Beschwerden, deren Abstellung man forderte :
über die Theilnahme der Bischöfe an der weltlichen Regie-
rung im Parlament, ihre ausschliessliche Macht für Ordination
und geistliche Gerichtsbarkeit, die übermässige Dotation von
Dechaneien und Kapiteln. In ähnlicher Weise sprachen sich
zahlreiche andere Petitionen aus.
Wurden hiermit Forderungen aufgestellt, die mit den Be-
strebungen der ihrer Bildung entgegengehenden parlamenta-
rischen Mittelpartei noch verträglich waren, so kannte die
38 Einwirkung des Presbyterianismus.
grosse Partei des Radikalismus in den Fragen der Kirchen-
verfassimg noch weniger Schonung des Bestehenden. Sie
wollte Abschaffung des Bisthums „mit Stumpf und Stiel"
(„root and brauch"), Erzbischöfe, Bischöfe, Dechaneien und
Kapitel sollten fallen, das grosse Kirchengut zerschlagen, der
Ritus vereinfacht, mit einem Worte alles, was an mittelalter-
liche Verhältnisse erinnerte, gründlich vertilgt werden. Die
Einkünfte der Hierarchie sollten den unteren geistlichen
Stellen, den Staatsbedürfnissen, der Volksbildung zu Gute
kommen. England sollte endlich nachholen, worin es bei der
Kirchenreformation hinter den anderen germanischen Völkern
zurückgeblieben war. Noch schwebte den eri-egten Gemüthern
keine scharfe, im einzelnen bestimmte Verfassungsform vor,
und nur der gemeinsame Gegensatz, in dem man sich gegen
die bischöfliche Tyrannei verbunden wusste, hielt für kurze
Zeit Elemente zusammen, die nicht im mindesten mit ein-
ander verwandt waren. Doch war unstreitig der schottische
Presbyterianismus für viele das Ideal. Die frühere Hinnei-
gung des englischen Puritanismus zu der Presbyterialverfassung
wachte wieder auf. Für diese hatten soeben die nordischen
Brüder ihren siegreichen Kampf geführt. Mit den schottischen
Kommissären war Alexander Henderson nach London gekom-
men, von allen eifrigen Presbyterianern, die vom Geiste Knox'
durchdrungen waren, der Eifrigste, der Moderator jener glas-
gower Generalversammlung von 1638, mit ihm zugleich drei
andere hervorragende schottische Geistliche, Robert Blair,
Georg Gillespie, Robert Baillie, dessen Feder wir die werth-
vollste Kunde jener Zeiten verdanken. Die Predigten dieser
mit Herzlichkeit aufgenommenen Männer in der Kirche St.
Antholin, die man ihnen eingeräumt hatte, wurden eifrig be-
sucht, und die londoner Bürgerschaft fieng an, sich immer mehr
für einen Zuschnitt der kirchlichen Verfassung zu erwärmen,
wie ihn die schottischen Freunde zu schaffen und festzuhalten
gewusst hatten. Manchen Politikern der Volkspartei em])fahl
sich eine gewisse Annäherung an das schottische Muster nicht
minder. Sie wussten , einen wie holien Werth die Covenan-
ters auf die kirchliclie Uebereinstimmung legten. Auf diese
Londoner Massen -Petition. 39
Weise schien ein dauerndes Ziisammengehn der beiden Na-
tionen verbürgt, deren Einigkeit das stärkste Hindernis gegen
die Rückkehr königlicher Willkür sein musste. In jedem
Falle waren Sympathieen für den Presbyterianismus allen
denjenigen die besten Genossen, die es auf eine völlige Ver-
nichtung des Bisthums abgesehn hatten, und im Kampfe gegen
dieses im damaligen Augenblicke mit weiterstrebenden gei-
stigen Mächten zu einem Bunde vereint. So setzte sich denn
diese radikale Partei aus zahlreichen Anhängern zusammen.
Wenn in der Geistlichkeit selbst nur die Minderzahl sich zu
ihr zu bekennen wagte," wenn sie unter dem höheren Adel
nur einzelne Vertreter zählte, so hatte sie unbestritten die
Mehrzahl des englischen Mittelstandes in Stadt und Land für
sich. Die grossen Städte, London an ihrer Spitze, waren ihre
Hauptquartiere, die Leiter der äussersten parlamentarischen
Opposition waren ihr entweder aufrichtig zugethan oder hielten
es für gerathen, sich ihrer Kraft aus Gründen der Politik zu
bedienen.
Die erste gewaltige Waffe dieser Partei war eine Massen-
Petition, von 15,000 Unterschriften begleitet, durch den Alder-
man Pennington am IL December 1640 im Namen der Bürger
von^ London vorgelegt. Sie forderte Abschaffung des bischöf-
lichen Regiments „mit allen seinen Anhängseln, Wurzeln und
Zweigen" und wurde durch diesen Ausdruck zum Panier der
ganzen Partei. Andere Petitionen in gleichem Sinn liefen
ein. Aber auch die Vertheidiger der Hochkirche begannen
sich zu rühren und in mehreren Anschreiben zu betonen, dass
das Bisthum in England so alt sei wie das Christenthum
selbst, von den Aposteln eingesetzt, im Kampfe für die Re-
formation bewährt, zur religiösen Erbauung geeignet und mit
der bürgerlichen Regierung in solcher Harmonie, wie sie nie-
mals eine andere Kirchenverfassung erreichen könne.
Die drei Hauptansichten, welche über die Frage der Kir-
chenverfassung vorhanden waren, hatten ihren Ausdruck ge-
funden, das Parlament hatte sich zu entscheiden, ob es den
alten Zustand erhalten, ob es ihn gänzlich über den Haufen
werfen oder ob es die Bischöfe schützen, ihre Macht aber be-
40 Erste Debatten.
schränken wollte. Von der ersten grossen Debatte an, welche
über diese Fragen am 8. und 9, Februar 1641 das Haus be-
schäftigte, war so viel klar, dass der Kampf zwischen den
Anhängein der gemässigten und denen der radikalen Reform
ausgefochten werden müsse. Die Partei, welche die Hoch-
kirche, wie sie bestand, mit allen ihren Vorrechten ganz un-
verändert erhalten wollte, hatte von den Beschlüssen des
Hauses in keinem Fall etwas zu hoffen. Im Sinne der Pe-
tition jener siebenhundert Pfarrer, die das Bisthum selbst
noch bestehn lassen wollten , sprachen mit hervorragender
Beredtsamkeit namentlich Falkland und Digby. Sie hielten
es nicht für angemessen, der Kommission jene radikale lon-
doner IMassen -Petition zur Berücksichtigung zu überweisen.
Digby verglich sie, in richtiger Ahnung der presbyterianischen
Tendenz, witzig mit einem Kometen, geboren aus dem Gift-
hauch der verderbten Hierarchie, dessen Unheil verkündender
Schweif nach Norden deute, er nannte das Streben, mit
dem Bisthum gänzlich aufzuräumen, eine Utopie, und Falk-
land war bemüht , die Personen von der Sache zu trennen
und die erste Ausbreitung des Christenthums wie die Durch-
führung der englischen Reformation dem Bisthum zuzuschrei-
ben. Aber indem sie das Institut als solches verth eidigten,
deckten sie schonungslos die Auswüchse auf, die, nachdem es
in die Hände Laud's gefallen war, sein Wesen schändeten,
und forderten sehr einschneidende Heilmittel. Falkland hält
den Bischöfen einen Spiegel ihrer Vergangenheit vor und
schreckt nicht davor zurück, ihnen ihre Gerichtsbarkeit wie
ihre Sitze im Hause der Lords zu entziehen, denn weder das
eine noch das andere dünkt ihn „göttliches Recht". Digby
zählt ihr ganzes Sündenregister auf und fordert, als Programm
für die Zukunft, Zurückführung der Bischöfe auf ihre „Stellung
in der Urkirche", Einschränkung ihrer Diöcesen und Revenuen,
Mitwirkung von Versammlungen des Klerus bei ihrer Ver-
waltung, Ausschluss von der Führung weltlicher Geschäfte.
Kach solchen Angriffen war für die Hauptverfechter der lon-
doner Petition wenig Stärkeres mehr zu sagen. Nur dadurch
traten sie schärfer auf, dass sie aus allen jenen Vordersätzen,
Exklusions-Bill. 41
deren jeder ein Verdammungsurtheil war, einen anderen
Schluss zogen. Wie Vane bei einer späteren Gelegenheit zu
verstehen gab : Wenn die Frucht so schlecht ist, so muss der
Baum selbst schlecht sein.
Das Ergebnis der Sitzung war der radikalen Partei gün-
stig. Eine, wenn auch nicht grosse, Mehrheit überwies alle
Petitionen und so auch die der Fünfzehntausend von London
der schon bestehenden Kommission und verstärkte diese durch
Vane, Fiennes und einige ihrer Gesinnungsgenossen. Am
9. März 1641 stattete die Kommission ihren Bericht ab, der
keineswegs günstig für *die Prälaten ausfiel. Zwar das Bis-
thum selbst Hess er noch unangetastet. Aber über die politische
und richterliche Gewalt der Bischöfe, ihre ausschliessliche
Macht in den inneren Angelegenheiten der Kirche bei Ordi-
nation und Censur, das schädliche Uebermass der Einkünfte
von Dechaneien und Kapiteln brach er den Stab. Das Haus
hob zunächst nur den wichtigsten Punkt hervor , sprach sich
dahin aus, dass „die legislative und richterliche Gewalt der
Bischöfe im Hause der Peers sehr hinderlich für die Aus-
übung ihres geistlichen Amtes und schädlich für den Staat
sei" (10. März) und dehnte am folgenden Tage diese scharfe
Yerurth eilung auf jede gerichtliche Thätigkeit des gesammten
Klerus aus, mit Vorbehalt einer ausdrückhchen Bill. An
einer solchen konnte es nicht fehlen. Unter dem Titel : „Eine
Akte, um Bischöfe und andere geistlichen Standes zu verhin-
dern, sich in Staatsangelegenheiten zu mischen", passirte sie in
dritter Lesung am 1. Mai 1641 das Haus der Gemeinen. Das
Ziel war damit gesteckt, den hohen Klerikern ihr politisches
Vorrecht zu nehmen, ein kühner Anfang war gemacht, Staat-
liches und Kirchliches von einander zu scheiden.
Das Haus der Lords hatte sich selbst schon mit der
grossen kirchenpolitischen Frage beschäftigt. Eine Kommis-
sion unter dem Vorsitz des Bischofs Williams war eifrig be-
schäftigt, Reformen des Laud'schen Systems zu vereinbaren
und zog Gelehrte und Geistliche jeder Parteifarbe als Zeugen
und Sachverständige zu den Besprechungen heran. Als in-
dess jener Gesetzentwurf des Unterhauses zur Berathung
42 Von den Lords verworfen. — Abolitions - Bill.
stand, zeigte sich, wie zähe die Prälaten sieh an den Besitz
der Macht zu klammern gesonnen waren. Wenn Hall die
richterliche Gewalt der Bischöfe äussersten Falles beschrän-
ken, wenn Williams ihren Ausschluss vom geheimen Rath und
vom Amt der Friedensrichter zugeben wollte : sobald die
Hauptfrage zu entscheiden war, ob die Bischöfe ihrer Sitze
im Parlament beraubt werden sollten, waren sie unerschütter-
lich in entschiedener Gegenwehr. Eine Reihe von Lords welt-
lichen Standes unterstützte sie bei ihrer Vertheidigung gegen
einen Angriif, der einer der Grundlagen englischer Verfassung
galt, und am 8. Juni wurde die Bill vom Oberhause in dritter
•Lesung verworfen (^).
Nun aber wiederholte sich das Mährchen von den sibylli-
nischen Büchern. Die mildere Ansicht, die das Bisthum selbst
noch hatte retten wollen, w^ar verworfen : die radikale, die es
gänzlich vernichten wollte, trat an ihre Stelle. Schon am
27. Mai , als sich das Ergebnis der Abstimmung im Hause
der Lords bereits voraussehen Hess, wurde im Unterhause
eine Bill „für die gänzliche Unterdrückung und Abschaffung
aller Erzbischöfe und Bischöfe, ihrer Kanzler und Kommissäre,
Dechanten, Dechaneien und Kapitel, Erzdiakonen, Präbendarien,
Kantoren und Stiftsherren und anderer Unterbeamten aus der
englischen Kirche" eingebracht und zwei Mal gelesen (^). Ihre
entschiedene Fassung verrieth, dass sie den Vane, Cromwell
Haselrig ihren Ursprung verdanke. Sie wai-en klug genug,
ihren eigenen Eifer zurückzudrängen und Sir Edward Deering,
einen der beliebtesten Redner des Hauses, mit der Verthei-
digung des Gesetzentwurfes zu betrauen. Dieser entledigte
sich seiner Aufgabe mit getheiltem Herzen. Er erklärte, dass
er die Reform dem gänzlichen Ruin vorziehe, in erster Linie
für das „ursprüngliche, gesetzliche und rechtmässige Bisthum"
sei und nur aus Noth sich zu dem klassischen Dichterwort
bekenne, dass man die unlieilbare Wunde mit dem Messer
ausschneiden müsse, um nicht die gesunden Theile leiden zu
lassen. Eben dies war den Radikalen völlig genug. Das
Haus verwandelte sich in ein Committee zur Berathung des
Gesetzes und nahm, so grosse Schwierigkeiten der zum Vor-
Abolitions-Bill. 43
sitzenden erwählte Hyde derselben in den Weg warf, die
Hauptpunkte an. Die Begründung der Bill, in welcher die
Schädlichkeit der bischöflichen Verfassung für Kirche und
Staat ausgesprochen war, gieng durch. Am 12. Juni wurde
positiv angenommen, dass die Aufliebung der Aemter von
Erzbischöfen, Bischöfen, Kanzlern und Kommissären eine
Klausel des Gesetzes bilden solle. Henry Vane hatte mit
der ganzen Leidenschaft des puritanischen Idealismus diesen
Standpunkt verfochten. Gegenüber der kirchengeschichtlichen
Gelehrsamkeit, mit der man das Bisthum stützen wollte, wies
er darauf hin, dass das Pabstthum nicht bessere Autoritäten
für sich in Anspruch nehme. Nicht Christus habe diesen
Stand in die Kirche eingeführt, sondern der Geist des Hoch-
muths, der zuerst einige als Bischöfe über ihre Mitpresbyter,
dann andere als Erzbischöfe über ihre Mitbischöfe erhob, bis
zuletzt die Monarchie des Pabstthums fertig da stand, die sich
vermass, Kaisern und Königen zu gebieten. Er zählte noch-
mals auf, was das bischöfliche Regiment neuerdings in Eng-
land verschuldet habe. Es hat die gewissenhaftesten Prediger
abgesetzt, Schaaren von Gläubigen, die sich den anbefohlenen
Neuerungen nicht fügen wollten, grausamen Martern unter-
worfen und in die Verbannung gejagt, alle ergebenen An-
hänger jener Formen des Götzendienstes befördert, England
von den protestantischen Kirchen des Auslandes getrennt, den
Despotismus unterstützt; seine Gewaltmassregeln befürwortet,
den Krieg zwischen England und Schottland entzündet: hin-
weg also mit diesen Philistäern, die uns gleich Samson unsrer
beiden Augen, der Freiheit des Gewissens und der bürger-
lichen Freiheit, berauben wollen.
Am 15. Juni wurde bei der Fortsetzung der Berathung
den Dechanten und Kapiteln, Erzdiakonen und Pfründnern,
Kantoren und Stiftsherren das Urtheil gesprochen , die Län-
dereien von Dechanten und Kapiteln , mit Vorbehalt einer
Entschädigung der Betroffenen und der Rechte des Königs,
sollten der Einziehung verfallen zu Zwecken dor Volksbildung
und Wohlthätigkeit. Und so gieng man, unterbrochen durch
vielfache andere drängende Geschäfte, Schritt für Schritt
44 Verfassuugspläne.
weiter in der vorgezeichneten Richtung, die gesammte Kir-
chenverfassung über den Haufen zu werfen und eine partielle
Säkularisation anzubahnen. Mit Nothwendigkeit wurde man
dazu geführt, in Betracht zu ziehn, welches Gebäude an die
Stelle des alten treten solle. Der lange erwartete Entwurf
von Williams, der am 1. Juli den Lords vorgelegt wurde, be-
gegnete nur einer kühlen Aufnahme, obwohl er u. a. darauf
abzielte, in die bestehende bischöfliche Verfassung ein Kolle-
gium von Beisitzern einzuführen, in deren Ernennung der
König und das Parlament sich zu theilen hätten. Bei den
Gemeinen fand Edward Deering seinen ursprünglichen Stand-
punkt wieder, indem er am 21. Juni dafür sprach, in ein und
demselben Akt das bisherige Prälatenthum zu stürzen und
das „primitive Bisthum" herzustellen. Die Diöcesen sollten
verkleinert und möglichst den Shires angepasst werden, in
jeder derselben hätte das Parlament ein Kollegium von zwölf
oder mehr würdigen Geistlichen nach Art eines „primitiven
Presbyteriums" zu ernennen, über dieses einen Oberleiter zu
setzen, den man Bischof, Aufseher, Präsidenten, regierenden
Aeltesten nennen möge. — Man sieht, wie das Bestreben, die
Kirche unter parlamentarische Kontrole zu bringen, für Dee-
ring bestimmend war, während er von der Presbyterialver-
fassung doch nur den Jargon entlehnte, ohne im mindesten
an ihre Ueberführung auf englischen Boden zu denken. Einer
solchen blieb dagegen der Raum gewahrt, wenn man sich mit
dem Negativen begnügte, die bischöfliche Verfassung zu besei-
tigen und vorläufig durch Kommissäre aus dem Stande der Laien
und. Geistlichkeit die Diöcesangeschäfte besorgen zu lassen (^).
Aber während über diese Fragen die Meinungen weit
auseinandergiengen , wurde ein neuer Angriffspunkt gefun-
den und benutzt. So lange die Bischöfe im Oberhause
sämmtlich das Gewicht ihrer Stimmen in die Wagschaale
wai-fen, war nicht daran zu denken, einen Gesetzentwurf
durchzubringen, der über den jüngst verworfenen noch weit hin-
ausgieng und ihren Stand als solchen gänzlich auflieben sollte.
Es kam darauf an, sie von iiiren Sitzen zu entfernen oder zu
freiwilligem Weichen zu bewegen. Noch war man nicht dazu
Auklage der Bischöfe. — Reise des Königs nach Schottland. 45
geschritten, die Theilnehmer der letzten geistlichen Konvoka-
tion, deren Beschlüsse für ungültig erklärt worden waren, zur
Rechenschaft zu ziehn. Dies Mittel schien zur Einschüchte-
rung geeignet. Am 4. August wurden dreizehn Bischöfe, dar-
unter auch Hall, vom Unterhause wegen ihrer Theilnahme
an jenen Beschlüssen vor den Lords angeklagt, und ihr Ver-
hör sowie weiteres Verfahren gegen sie gefordert.
Indess wurde in der nächsten Zeit der Fortschritt der
Reformbewegung unterbrochen, und die gefassten Beschlüsse
blieben liegen. König Kai'l entschloss sich plötzlich zu einer
Reise nach Schottland, mit dem man sich eben erst über den
endgültigen Vertrag verständigt hatte. Er hatte die Absicht,
die dem Misstrauen des Parlaments nicht entgieng, die Pa-
trioten Schottlands und Englands zu trennen und dort neue
Kräfte für den Widerstand gegen die Allmacht der londoner
Versammlung zu gewinnen (10. August). Das Parlament
sandte ihm zur Ueberwachung eine Kommission nach, in der
sich Lord Fiennes und Hampden befanden, unter dem offi-
ciellen Auftrag für die Erfüllung des mit den Schotten ge-
schlossenen Vertrages Fürsorge zu treffen. Die Versammlung
selbst, von so langer, fieberhafter Thätigkeit ermüdet, nahm
die drückende Hitze und das erneute Wüthen der Pest zum
Anlass, vom 9. September bis zum 20. Oktober ihre Sitzungen
zu unterbrechen. Beide Häuser Hessen Ausschüsse zurück;
der des Unterhauses stand unter der wachsamen Leitung
John Pym's. Er trug Sorge dafür, dass einige fast in letzter
Stunde gefasste Beschlüsse des Unterhauses, in Betreff der
Wiederherstellung der alten Kommunionstafeln, der Entfernung
von Krucitixen, Marienbildern und katholischem Kultusgeräthe,
sowie Einhaltung des sabbatharischen Rigorismus u. s. w.,
obgleich man die Zustimmung der Lords nicht hatte erhalten
können, dennoch nach Kräften im Lande befolgt würden.
46 Theilaahme der Nation au der kirchlichen Frage.
Zehn Monate, überreich an bedeutungsvoller Tliätigkeit,
waren vorüber. Die Vertretung des Volkes, nach langer Zeit
der Missachtung zum freien Gebrauch ihrer Kräfte gelangt,
hatte nicht nur die zahlreichen Ursachen des geistlich - welt-
lichen Druckes, unter dem man geseufzt hatte, abgestellt, son-
dern sich eine so gebietende Stellung und so ausgedehnte
neue Rechte errungen, wie sie bis dahin nicht besessen wor-
den waren. Das Ansehen der Krone verblasste vor dieser
Macht, die mit dem Ungestüm einer gewaltigen Naturkraft
vorwärts drängte. Der stolzeste Diener des Monarchen war
ihr zum Opfer gefallen , der geistliche Genosse seiner Pläne
war in sicherer Haft, andere waren geflohen. Und schon war
es deutlich geworden, dass die unwiderstehliche Bewegung
nicht nur auf Sicherung und Erweiterung der politischen
Rechte, sondern auch auf eine gänzliche Veränderung der
kirchlichen Einrichtungen abziele, die eine unabsehbare Rück-
wirkung auf das gesammte Dasein des Staates im Gefolge
haben musste.
Im englischen Volke waren alle parlamentarischen Vor-
gänge dieser zehn Monate mit wachsendem Eifer verfolgt wor-
den, kaum ein Gegenstand erregte indessen eine so allgemeine
Theilnahme wie die grosse Frage der Reform der Kirchen-
verfassung. Die Petitionen für und wider, auf die Frage in
ihrer Allgemeinheit ausgedehnt, oder auf einzelne Punkte be-
schränkt, hatten sich gedrängt. Neben Bürgern und Geist-
lichen hatten sich auch die beiden Universitäten zu Gunsten
der alten Institute hören lassen (12. Mai 1641), ohne doch
ihr Verfahren mit Erfolg gekrönt zu sehen ('). Da die Presse
ihrer Banden ledig war, blieb man bei Petitionen, die sich
an's Parlament richteten, nicht stehen. Eine ganze Literatur
über die wichtigste Tagesfrage trat an's Licht. Die Behand-
lung religiöser Gegenstände hatte immer für das lesende eng-
lische Publikum einen ausserordentlichen Reiz, hier handelte
es sich aber in der That um Streitpunkte, deren Entschei-
dung nicht nur für die Beruhigung ängstlicher Seelen oder
für die Lehre wissenschaftlicher Forschung wichtig war, son-
dern welche sofort im Ringen der Parteien praktische Anwen-
Hall's „demüthige Remonstranz". 47
dung finden musste. Alle die Fragen, welche bis auf unsere
Tage Theologen, Historiker, Juristen zum Wetteifer angespornt
haben, jene dunklen Gebiete aufzuhellen, ohne durch eine so
vielseitige Behandlung an Anziehungskraft zu verlieren, wur-
den damals mit geringeren wissenschaftlichen Hülfsmitteln,
mit weniger Kritik, aber mit einer Leidenschaft und Lebhaf-
tigkeit behandelt, welche die nahe Beziehung auf die Wirk-
lichkeit bemerken Hess. Wie man sich die Organisation der
ersten christlichen Gemeinden zu denken habe, inwieferne die
ihnen eigenthümlichen Aemter auf die Apostel und durch
-diese auf Christus zurückzuführen seien, was man unter den
ursprünglichen snio-/.onoi und jtQEaßvTEQOi verstehen müsse,
welche Veränderungen dieses Urzustandes durch die nächst-
folgenden Jahrhunderte hervorgemfen worden: das waren die
Gegenstände, welche weit über die gelehrten Kreise hinaus
mit eben dem Eifer besprochen wurden , . mit dem man ehe-
mals ein neues Stück Beaumont's und Fletcher's beurtheilt
hatte, oder mit dem man den fabelhaften Berichten über das
fabelhafte Goldland im fernen Westen gefolgt war.
Zunächst war der streitbare Bischof Hall mit einer Schrift:
„Eine demüthige Remonstranz, gerichtet an das hohe Parla-
ment": Ende Januar 1641 hervorgetreten (^). Er führte sich
zwar auf dem Titel nicht mit seinem Namen ein, aber jeder-
mann konnte aus der Uebereinstimmung des Verlags und der
Eigenthümlichkeit des Stils den sicheren Schluss ziehen, dass
hinter diesem „getreuen Sohne der Kirche" der gewandte Ver-
fechter des „göttlichen Rechtes des Bisthums" sich verberge.
Hall erhob bittere Klage über die schmähsüchtigen Angriffe
der „wüthenden und boshaften Geister" gegen die heilige
Kirchenverfassung, welche von den Zeiten der Apostel, ohne
Unterbrechung bis auf den gegenwärtigen Tag, sich herleite.
Alsdann suchte er das Alter und den Werth vorgeschriebener
fester Formen des Gebets zu erweisen und damit die Gesetz-
lichkeit der anglikanischen Liturgie zu stützen, ohne doch
den freien Aufschwung improvisirten Gebetes, wie die gläu-
bigen Puritaner es liebten, mit Laud'scher Pedanterie aus der
Kirche ausschliessen zu wollen. Um so zäher hielt er fest
48 Hall's „demüthige Remonstranz".
an dem Satze, class die Bischöfe, in scharfem, sachlichem Un-
terschiede von den Presbytern, durch die Apostel selbst ein-
gesetzt und mit der ausschliesslichen Macht der Weihe und
geistlichen Gerichtsbarkeit ausgestattet seien. Die Art und
Weise, wie er dem Parlamente schmeichelte, einen Ton be-
leidigter Unschuld anschlug, das Dasein mancher Mängel zu-
gab, um in der Hauptsache einer Reform der herrschenden
Kirchenverfassung entgegenzuarbeiten , machte seine Schrift
doppelt gefährlich.
An Bundesgenossen konnte es Hall nicht fehlen. Sie
suchen meistens in steifer, scholastischer Form aus biblischen
Citaten den Beweis zu erbringen, dass Christus bei der ersten
Einrichtung der Kirche eine gewisse Rangordnung der geist-
lichen Beamten festgesetzt, die durch die Apostel weiter ver-
erbt, auch in England zur Gültigkeit gelangt sei und die
Bischöfe berechtige, „durch gesetzliche Wahl und Ordination
mittelst Handauflegung" taugliche Geistliche zu bestellen und
vermöge der ihnen innewohnenden Schlüsselgewalt geistliche
Gerichtsbarkeit auszuüben (^).
Aber auch die Gegner gebrauchten ihre Waffen. Die
verschiedenartigsten Formen des literarischen Angriffs wurden
versucht. Neben langathmigen Abhandlungen , in denen die
schweren Geschosse prunkender Gelehrsamkeit versendet wur-
den, drängten sich die leichten Plänklerhaufen all egorisir ender
oder satyrischer Pamphlete vor, in denen das Prälatenthum
mit Hohn übergössen, seine Laster in einer Reihe aufgezählt
und nicht selten den Vorzügen der Presbyterial Verfassung
gegenübergestellt wurden (-). Wenn das eine Mal die ganze
puritanische Leidenschaft in derber englischer Prosa aus-
strömte, so schleuderte ein ander Mal der „Rundkopf" gegen
Mitra und Bischofsgewand, gegen Kapitel und ihre „papistischen
Ceremonieen" seine grinnnigen Verse (^). Joseph Hall insbe-
sondere hatte sich mehr als einen Widersacher heraufbeschwo-
ren. Schon jene erste Schi-ift über das göttliche Recht des
Bisthums hatte ihm den Vorwurf eingetragen, dass er noch
Gel in's Feuer giesse(^). Gegen seine neueste Leistung, die
..demüthige Remonstranz, gerichtet an das hohe Parlament",
Der Smectymnuus gegen Hall. — Yoimg. 49
erhoben sich sofort nicht nur Stimmen aus dem schottischen
Lager, der festen Burg des Presby terianismus , sondern aus
den Eeihen der reformlustigen englischen Geistlichkeit selbf-t.
Unter sehr langathmiger Ueberschrift trat um den 20. März
1641 „eine Antwort auf ein Buch, betitelt eine demüthige
Remonstranz", an's Licht, und der Verfasser dieser hundert-
undvier Seiten langen Antwort kündigte sich unter dem ge-
heimnisvollen Namen „Smectymnuus" an(^). Smectymnuus
klang sehr wunderbar und hatte jedenfalls den Vorzug, dass
man das Buch schon um seines Titels willen nicht so leicht
vergessen konnte. Noch Marvell erinnerte 1673 an dies ,. Ge-
heimwort", Butler im Hudibras spricht spottend von der
„kanonischen Kravatte von Smeck", in einem der nach der
E,estauration entstandeneu satirischen Gedichte ruft der „ent-
lassene Soldat" bei einem wehmüthigen Rückblick auf die
Wandlungen, die er durchgemacht hat, aus: „Smectymnuus
hat mich zuerst gewonnen" (2). Mit scharfem Witze hat sich
gleich nach dem Erscheinen des Buches John Cleveland in
seinem Gedichte „Smectymnuas oder die Klub - Geistlichen"
über den „Kobold -Namen" lustig gemacht, von dem er nicht
weiss, ob er syrischen, arabischen oder welschen Ursprungs
ist. Seine Anspielungen auf die „fünf Gesichter, die unter
einer Maske stecken", zeigen indess, dass die Entstehung des
Namens und des Buches keineswegs ein Geheimnis war(^).
In der That war es eine Genossenschaft von fünf Män-
nern, englischen Geistlichen der radikalen Richtung des
Puritanismus , die sich zu dem gemeinsamen Werke mit ein-
ander vereinigt und aus den Anfangsbuchstaben ihrer Vor-
und Zunamen das mystische Wort „Smectymnuus" geschaffen
hatten: Stephen Marshall, Edmund Calamy, Thomas Young,
Matthew Newcomen, W {= U. U.) illiam Spurstow. — Einer aus
dieser Reihe ist für uns kein Fremder. Thomas Young war
niemand anders als der Lehrer John Milton's, der Vikar von
Stowmarket, der mit seinem Schüler durch freundschaftliche
Bande eng verknüpft war und seine alte puritanische Gesin-
nung erst wenig Jahre zuvor durch sein Werk über den Sab-
bath kundgegeben hatte. Auch hatte er nach dem Zeugnisse
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 4
50 Marshall. — Calamy.
des kundigen Baillie die Hauptarbeit zu dem Smectymnuus
geliefert (^). Indessen auch die Genossen seiner Arbeit ver-
dienen einige Worte. Sie haben sämmtlich in der stürmischen
Zeit der englischen Revolution ihre Rolle gespielt und sich
mit den Ansichten und Wegen Milton's häufig gekreuzt.
Stephen Marshall, der Sohn eines armen Handschuh-
machers von Godmanchester in der Nähe von Huntingdon,
hatte eine gelehrte Bildung im Emanuel - College zu Cam-
bridge erhalten und war Vikar von Finchingfield in Essex
geworden, woselbst er sich äusserlich zu konformiren wusste,
ohne dem Argwohn der kirchlichen Behörden zu entgehen.
Seit 1640 hatte er die Stelle eines Lecturer Jan der Kirche
St. Margaret, Westminster, inne. Er iwar auch nach dem
Zeugnis seiner Gegner ein äusserst gewandter Prediger, volks-
thümlich in Sprache wie Gedankenrichtung und von grosser
Wirkung, wo immer er Gelegenheit fand, sich hören zu lassen.
Seine Ausdrucksweise erscheint mitunter derb, die Form seiner
zahlreichen Predigten ist vielfach steif und schleppend durch
Wiederholungen , dennoch wurde er im Laufe der Revolution
einer der ersten der parlamentarischen Kanzelredner und zu
den wichtigsten geistlich - politischen Missionen verwandt. An
jener Kommission, die unter Bischof Williams Vorsitz die Re-
formen der Landeskirche berieth, hatten Marshall und Calamy
so gut wie ihr literarischer Gegner Hall Antheil gehabt. Am
17. November 1640 hatte Marshall an dem vom Parlament an-
gesetzten Fasttag mit Dr. Burges vor dem Hause der Ge-
meinen gepredigt, und seitdem erscheint sein Name bei offi-
ciellen Gelegenheiten der Art immer wieder; seine Predigten
wurden alsbald gedruckt und eine Quelle der Erbauung für
fromme Gemüther (2). Edmund Calamy's Name hatte unter
den feurigen Puritanern keinen {schlechteren Klang als der
Stephen Marshall's. Calamy, gleichfalls in Cambridge gebildet,
hatte als Pfarrer von St. Edmunsbury in Suffolk, in Young's
Nachbarschaft, den Befehlen des Laud'schen Kirchenregiments
zähen Widerstand entgegengesetzt und die vorgeschriebenen
Cei-omonieen, wie z. B. die Verneigung vor dem Altar, stand-
haft vermieden. Er verlor daher seine Stelle, erlangte aber
Newcomen. — Spurstow. — Inhalt des Smectymnuus. 51
1639-40 einen Predigtstuhl in der Gemeinde von Alderman-
bury im Herzen von London, unweit der Aldersgate - Strasse,
die Milton bezog. Alsbald wurde er einer der beliebtesten
Kanzelredner der Stadt, auch das Parlament hat bei den ver-
schiedensten Anlässen seine Dienste nicht minder in Anspi-uch
genommen, wie Marshall's, was durch die Protokolle und die
vielfachen Einträge in den Registern der Buchhändler, sowie
die zahlreichen, uns aufbehaltenen Predigten Calamy's be-
währt wird. In diesen erscheint er nicht selten an Talent
und Leidenschaft Stephen Marshall selbst überlegen. Aechtes
Pathos, dichterische Bil-der sind ihm eigen, mitunter erhebt
er sich zu gi'ossartigem Schwünge. Der witzige und loyale
Butler hat nicht vergessen, in der Zeit der Restauration
ihm wie Marshall einen literarischen Fusstritt zu versetzen {^).
Ein minder bedeutendes Kirchenlicht war Matthew Newcomen,
Pfarrer in Dedham (Essex), erst in späterer Zeit als Mitglied
der Westminster- Synode nach London geführt, woselbst er
denn auch hie und da als parlamentarischer Kaplan Veirwen-
dung fand. Von dem leichten und liebenswürdigen Witz, der
dem Menschen Nowcomen nachgerühmt wird, ist in dem Pre-
diger nichts zu finden, wohl aber gesuchte Gelehrsamkeit und
zelotische Engherzigkeit, von der wir noch Proben bemerken
werden (^). William Spurstow endlich, der Fünfte im Bunde
der Smectymnianer , während der Studienjahre Milton's in
Cambridge Fellow der Catherine -Hall daselbst, war Rector
der Pfarrei von Great Hampden in Buckinghamshire, in enger
Verbindung mit dem grossen Patrioten John Hampden, der
zu seiner Gemeinde gehörte, und daher selbstverständlich zum
thätigsten Angriff auf das bisehöfliche System angewiesen (3),
Das waren die Männer, welche sich zusammengethan
hatten, um Bischof Hall's „demüthige Remonstranz" zu ver-
nichten. Man muss gestehn, dass sie sich ihrer Aufgabe mit
gi'ossem Eifer angenommen haben. In Nachahmung ihres
Gegners wenden sie sich gleichfalls an die „Lords und Ge-
meinen" und begründen, wamra sie eine Schrift beantworten,
die weder als „demüthig" noch als 'eine „Remonstranz" er-
scheine, vielmehr an leidenschaftlichen rhetorischen Ausfällen
52 Inhalt des Smectymnuus.
reich sei. Sie halten den Schein der Anonymität ihres Wider-
sachers fest, aber sie können sich doch nicht versagen, die
Worte eines gewissen Dr. Hall anzuführen, der einst ge-
schrieben habe: „Wenn unsere Ahnen auferstehen und sehen
würden, wie ihre Töchter in Cheapside mit ihren Fächern und
ßeifröcken einhergehen, sie würden nicht wissen, was für eine
Art von Wesen das ist, und sagen: Die Natur hat sich ver-
gessen und ein Monstrum hervorgebracht". Genau so stehe
es mit der Liturgie, die einst im ehrwürdigsten Gebrauch ge-
wesen, nun zur Litanei geworden sei, der papistischen Form
verwandt und daher verhasst und gründlicher Aenderung be-
nöthigt Bei weitem ausführlicher wird die Frage über Wesen
und Alter des Bisthums behandelt. Mit dem ganzen Aufwand
von Gelehrsamkeit, wie er ihnen zu Gebote stand, suchen sie
Hall's Behauptungen Schritt für Schritt zu widerlegen. „Sind
nicht — rufen sie aus — die Kirchen von Frankreich, Schott-
land , der Niederlande würdig des Namens christlicher Ge-
meinden, und wer weiss nicht, dass bei diesen das bischöfliche
Regiment nicht nur mündlichen, sondern thätlichen Wider-
spruch erfahren hat?" Mit grosser Entschiedenheit wird so-
dann die Behauptung durchgeführt, Presbyter und Bischof
seien anfangs ganz identische Bezeichnungen gewesen, und ein
sachlicher Unterschied zwischen beiden habe nicht stattgefun-
den. „Erst allmählich hat das Bisthum alle Ehre und Macht
des Presbyteriums verschlungen, wie Pharaoh's magere Kühe
die fetten". Die Unterscheidung zwischen beiden, die Ent-
wicklung eines besonderen Standes der Bischöfe, war nicht
göttlichen, sondern rein menschlichen Ursprungs. Jene ur-
sprünglichen Bischöfe lassen sich aber in Anbetracht ihrer
Erwählung, ihrer Ordination, ihrer Amtsthätigkeit, ihrer Juris-
diktion u. s. w. gar nicht mit den Bischöfen der englischen
Kirche vergleichen. Der Unterschied zwischen jenen alten
Bischöfen und den anglikanischen ist grösser als der zwischen
diesen und dem „Gross -Bischof von Rom". Demnächst wird
der Versuch gemacht nachzuweisen, dass in den ersten Ge-
nicMiiden noch ein gesondertes Institut „regierender Aeltester"
bestanden habe, über den Diakonen, an der Leitung der kirch-
♦ Inhalt des Smectymnuus. 53
liehen Angelegenheiten zugleich mit den lehrenden Aeltesten
betheiligt, wodurch sich dann der Uebergang zu dem Ideal der
schottischen Kirchenverfassung leicht bewerkstelligen Hess.
Unterlassen wir eine Kritik dieser Ansichten über die Ge-
stalt der Urkirche, die ohne bestimmte chronologische Angaben
vorgetragen werden, bemerken wir nur, wie sehr die Verfasser
des Smectymnuus bemüht sind, das englische Prälatenthum
und ihren Gegner mit dem populären Makel papistischer
Sympathieen zu behaften. Beruft sich Hall auf das hohe
Alter des Bisthums, so erwidern sie: „Mit diesem Grunde
klammert sich der Pabst' so fest an seinen Stuhl in Rom wie
unsere Bischöfe an die ihrigen" (S. 19), neimt er sich einen
„getreuen Sohn der Kirche", so wittern sie hinter diesem
Worte nichts Gutes: „Diese Episkopalisten machen es wie
die Papisten, blenden die Augen des armen Volkes mit dem
herrlichen Namen der Kirche , der heiligen Mutter Kirche,
Sie reden immer nur von dieser, nie von der Schrift oder
von Gott dem Vater" (S. 89). Wie die Katholiken die ganze
Bedeutung der Kirche in den Pabst legen, so die Episkopa-
listen in die Konvokation der Bischöfe und ihrer Genossen-
schaft „mit Ausschluss des christliclien Volkes und der Pres-
byter des Reiches". Nach dieser Betonung der Nothwendig-
keit einer demokratischen Kirchenverfassung wird auch die
Frage aufgeworfen, ob der Satz: Kein Bischof, kein König,
und keine Ceremonieeu, kein Bischof: nicht der königlichen
Autorität sehr nachtheilig sei, und damit der wundeste Fleck
des krankhaften Zustandes berührt. — Ein kurzes, pathetisches
Gebet zu Gott, auf das Parlament den Geist der Weisheit
ausgiessen zu wollen, bildet den Abschluss der eigentlichen
Streitschrift. Aber noch eine Nachschrift ist ihr angefügt,
ein historischer Nachweis, wie bittere Früchte von Hochmuth»
Aufruhr, Verrath das Bisthum seit der Errichtung des Sitzes
von Canterbury in England getragen habe. Die Liste der
Erzbischöfe von Canterbury wird gemustert, und wenn der
Haupttheil der Schiift mit Citaten aus der Bibel und den
Kirchenvätern pi-unkte, so sind hier zahlreiche Verweise auf
54 Inhalt des Smectymnuus.
bekannte Geschichtschreiber wie Baeda, Holinshed, Stowe,
Speed und die . Reichsgesetze eingestreut.
Auf diese Weise, gestützt auf geschichtliche Erfahi-ung
wie auf die kirchenrechtliche Ansicht, die sie sich über den
primitiven Zustand der christlichen Gemeinden gebildet hatten,
leidenschaftlich und gelehrt, suchten die fünf puritanischen
Geistlichen das ihnen verhasste Idol der bischöflichen Ver-
fassung mit vereinten Kräften zu zertrümmern. Noch war
der Eindi-uck', den ihr Auftreten hervorgebracht hatte, nicht
verwischt, als ein Grösserer auf dem Kampfplatz erschien,
um seine mächtige Stimme für die gründliche Reform der
heimischen Kirchenverfassung zu erheben.
Zweites Kapitel.
Im Kampfe für die Reform der Kirche,
Milton hatte den Lauf der öffentlichen Angelegenheiten
denen überlassen wollen, „welche das Volk mit dieser Auf-
gabe betraut hatte". Er lebte in seinem stillen Gartenhause
in Aldersgate - Street seinen Studien und der Erziehung seiner
Neffen. Seine Phantasie schuf sich eine Welt von poetischen
Träumen, die nach fester Gestaltung rangen. Mitten in dieses
dichterische Still -Leben fielen Schlag auf Schlag die grossen
Ereignisse des Tages. War jedes von ihnen geeignet, ihn
aus seiner Ruhe aufzurütteln, so konnte vor allem die Frage
der Reform der Kirchenverfassung, die Aufregung, die sich
ihretwegen Londons bemächtigte, die Sturmfluth der Petitionen
und Streitschriften, die sie hervorrief, ihn nicht in der Rolle
des gleichgültigen Zuschauers verharren lassen. Er war Eu-
ritaner nach Erziehung und Neigung, er hatte während der
Lehrjahre Gelegenheit genug gehabt, jene bischöfliche Kirche
hassen zu lernen, welche die Willkür der Staatsmacht ver-
theidigte, um diese als Büttel für eigene Gewaltthaten zu ge-
brauchen, er hatte sich zum Dienste dieser Kirche nicht ent-
schliessen können, weil er nicht zu heucheln verstand. Drei
Jahre vorher war mitten in seiner Klage um den ertrankenen
Freund, Edward King, der lange verhaltene Ingrimm gegen die
„schlechten Hirten", das sich mästende Hochkirchen thum, zum
56 Milton's Theiluabnie au der Frage der Kircheuverfassung.
Durchbruch gekommen, er hatte von einer „zweihändigen
jNIaschiue" gesprochen, die schon voi- der Thüre bereit stehe,
um ein ]\Ial zum vernichtenden Schlage auszuholen und nicht
wieder. Hatte ihm unter diesem Bilde das englische Parla-
ment mit seinen beiden Häusern vorgeschwebt, so sah sich
seine Ahnung nicht betrogen. Es Hess sich alles dazu an,
seine Prophezeiung wahr zu machen, und er selbst musste, von
solchen Gefülileu gegen die Kirchenverfassung erfüllt, zu den
Radikalsten unter den Radikalen gehören. So war die Sache
der Smectynniianer gegen Bischof Hall auch die seine, ihre
Schrift musste ihm um so wichtiger sein, da sein alter Lehrer,
Thomas Young, den Grundstock für sie geliefert hatte. "Wir
dürfen annehmen , dass er, in das Geheimnis der Autorschaft
eingeweiht, durch Young's Vermittlung mit denjenigen seiner
Genossen bekannt geworden war, die sich damals in London
aufhielten, am ehesten mit dem feurigen Prediger von Alder-
manbury, Edmund Calamy, dessen Pfarrei von seiner Woh-
nung nicht weit entfernt war, William Spurstow war gleich-
zeitig mit ihm als Fellow in Cambridge gewesen, Cleveland,
der den Kamen Smectymnuus nicht genug verspotten konnte,
hatte mit ihm z gleich dem Christ- College angehört. All-
gemeine und persönliche Interessen wurden durch die An-
gelegenheit berührt.
Da riss es den Dichter mit unwiderstehlicher Gewalt aus
seinem friedlichen Gedankenkreise hinein in den Kampf der
Parteien. „Ich sah — so berichtet er selbst — dass mit die-
sen ersten Anfängen ein Weg zur Erlangung wahrer Freiheit
sieh eröffne, dass das gesammte bürgerliche Leben von den
Fesseln der Sklaverei befreit werden würde, wenn man mit
einer Reform der Kirchenverfassung beginne ; und da ich mir
von Jugend auf über das Verhältnis von Kirche und Staat
bestimmte Begriffe gebildet hatte, so gelangte ich zu der
Ueberzeugung , dass ich mich, um nicht auf eine nützliche
Verwendung meiner Kräfte zu verzichten, dem Vaterlande,
der Kirche und so vielen Bmdern bei ihrem nmthigen Kampfe
für die Sache des Evangeliums nicht entziehen dürfe. Ich
entschloss mich daher, wiewohl meine Seele damals von ganz
Miltoa's Schrift „über die Eeformation". 57
anderen Gegenständen erfüllt war, alle Kraft meines Talentes
und meines Fleisses jener Sache zu widmen" (^).
Es war nicht thörichte Eitelkeit, sondern der unbesieg-
bare Drang eines für Wahrheit und Freiheit schlagenden
Herzens, was den ernsten Denker aus seiner Einsamkeit her-
vortreten liess und ihn die besten Jahre seines Mannesalters
auf dem lärmenden Kampfplatz fesselte. — Die Wogen der strei-
tenden Ansichten giengen hoch, als Milton, etwa Ende Mai
oder Anfang Juni 1641 , die erste seiner flammenden Flug-
schriften über die Frage der Kirchenverfassung auf den litera-
rischen Markt warf(2). Der Buchhändler Thomas ünderhill,
bei dem sie erschien, war als Verleger von Pamphleten der
radikalen puritanischen Partei wohl bekannt. Es ist bemer-
kenswerth, dass unter seiner Firma gleichfalls im Jahre 1641
eine kircheupolitische Streitschrift herauskam, die nicht nur
in ihrer ganzen Tendenz, sondern auch in ihrer äusseren Form
die grösste Aehnlichkeit mit Milton's Broschüre hat, ohne
dass es mir möglich wäre, genauer anzugeben, welche der
beiden Schriften zuerst erschienen war (2). Beide haben die
Form eines an einen Freund gerichteten Briefes, und wenn
sie für Milton nicht eine ganz willkürlich gewählte Fiktion
war, so mag man immerhin die Vermuthung aufstellen, dass
Thomas Young dieser „Freund'- sein sollte, der seinen ge-
lehrten, in die Entstehungsgeschichte des Smectymnuus ohne
Zweifel eingeweihten Schüler vielleicht aufgefordert hatte,
seine eigene Meinung über die grosse kirchlich - politische
Frage auszusprechen.
Milton's Schrift trägt den Titel: „Ueber die Reformation
in Betreff der Kirchenverfassung in England und die Ur-
sachen, die sie bis jetzt gehindert haben, in zwei Büchern,
geschrieben an einen Freund" (^). Mit dieser Fassung des
Themas trifft Milton sofort den Kern der Frage. Er will
darlegen, warum die Reformation in England nur eine Halb-
heil geblieben sei. Man bemerke: nicht vom Dogma ist die
Rede; in der ganzen Schrift vermöchte die orthodoxe Spür-
kraft nichts von den dogmatischen Abweichungen zu finden,
die man dem Milton der späteren Jahre zum Vorwurf ge-
58 Milton's Schrift „über die Reformation".
macht hat ; hier ruft er die dreieinige Gottheit an und erklärt
den Arianismus an mehr als einer Stelle für ketzerisch. Seine
Feder hat es nur mit der „Disciplin", mit der Verfassung, der
Kirche zu thun, um welche vor allen Dingen der Kampf der
Parteien sich drehte. — Nach einer wortreichen, etwas hoch-
trabenden Einleitung , in welcher die Verderbnis der mittel-
alterlichen Kirche mit glühenden Farben geschildert wird,
kommt er auf die strahlende, heilvolle Reformation zu sprechen,
die jene finstere Nacht durchbrach. Und mit dem ganzen
Stolze des Engländers betont er in einiger Uebertreibung,
dass an „Wiclif's Predigt alle folgenden Reformatoren ihre
Fackeln angezündet haben", um gleichzeitig die Frage auf-
zuwerfen, wie es gekommen, dass England dennoch so weit
hinter den reformirten Kirchen des Auslandes zurückge-
blieben, ja mit seinem Festhalten am Begriff der bischöf-
lichen Weihe^und an den halb römischen „sinnlosen Ceremo-
nieen" wie durch ein Schisma von ihnen getrennt sei. Ein
Ueberblick über die Geschichte der englischen Reformation
von Heinrich VIII. bis Elisabeth giebt die Antwort. Was
Heinrich VIII. betrifft, so hat er mit Rom gebrochen nicht
sowohl aus innerem reformatorischen Drange, als aus dem
Bestreben nach dem Besitz des Supremats. Seine Bischöfe
hatten dem Pabst zwar den Gehorsam gekündigt, aber die
unduldsamen Grundsätze des Pabstthums behalten, wie die
blutigen sechs Artikel beweisen. Auch unter Edward VI.
wurde in Folge äusserer und innerer Unruhen die Reforma-
tion keine vollständige, und die Bischöfe benahmen sich wie
vordem als gefügige Werkzeuge der wechselnden Politik.
Und von solcher Leidenschaft zeigt sich der Autor gegen die
Träger der damaligen bischöflichen Gewalt erfüllt, dass er e&
wagt, selbst den theuersten Ueberzeugungen der Masse in's
Gesicht zu schlagen. Ridley, Latimer, Cranmer, alle die,
welche unter der Schreckensherrschaft der blutigen Maria
ihren protestantischen Glauben mit dem qualvollsten Tode
besiegelt hatten, wurden als Märtyrer verehrt, ihre angebe-
teten Namen boten der ganzen Institution des Bisthums einen
glänzenden Schild. Aber Milton wai- nicht der Mann, sich
Gegen die „Alterthümler". 59
vor Autoritäten zu beugen. Wer für einen Theil erkannter
Wahrheit in den Feuertod geht, ist deshalb nach seiner Mei-
nung noch nicht in allem und jedem unfehlbar. Nicht das
Bisthum hat jenen Männern die himmlische Kraft des Mär-
tyverthums gegeben, so wenig wie durch dieses das Bisthum
verth eidigt werden kann; vielmehr hat diese Würde selbst
jene gTit angelegten Naturen zu vielen schlechten Handlungen
verführt. — Wenn auch unter Elisabeth die Reform nicht völlig
durchgeführt, sondern das Bisthum beibehalten wurde, so er-
klärt sich das aus der Lage der Königin, die ihr gebot, nach
so heftigen Erschütterungen, zwischen so feindlichen Parteien
einen Kompromiss zu schliessen. Milton erkennt diese Motive
in richtiger Würdigung an, indem er Camden's Darstellung
folgt, ohne sich sklavisch an sie zu halten, aber er bedauert
die Thatsache aufs höchste und nimmt für die Puritaner
Partei, deren Verfolgungen er andeutet.
Damit ist er an die Schwelle seiner eigenen Zeit gelangt
und versucht es, die Gegner einer durchgreifenden Reforma-
tion, welche dieser letzten Epoche angehören, deutlicher zu
unterscheiden. Er theilt sie in drei Klassen: die Alterthümler,
die Weitlinge und die Politiker. — Den Alterthümleru folgt
er zunächst auf ihren Fechtboden, die Bei-ufung auf Kirchen^
väter und Koncilsakten, so geringschätzig er auch sonst über
die „ungefügen Volumina der Tradition" sich ausspricht. Ge-
stützt auf umfassende kirchengeschichtliche Kenntnisse sucht
er zu beweisen, dass selbst mit diesen Zeugnissen das angli-
kanische Bisthum nicht vertheidigt werden könne, das Bisthum
der ersten Jahrhunderte vielmehr einen ganz anderen Cha-
rakter gehabt habe. Man kann nicht sagen, dass er die ein-
zelnen Perioden der Entwicklung auseinander zu halten ver-
sucht habe. Es ist schlechtweg von „jenen alten Zeiten" die
Rede, ohne irgend welche Rücksicht auf die historische Aus-
bildung der einzelnen Institute. Ganz allgemein wird be-
hauptet, dass das Bisthum in jenen als „reiner" gerühmten
Zeiten ein Gemeindeamt gewesen, aus freier Wahl hervorge-
gangen, seine Träger an den Beirath der Aeltesten gebun-
den, durch keinen höheren Rang über sie erhaben. Milton
60 Gegen die „Alteithümler".
zieht zur Erhärtung dieser Sätze ein Citat aus den vielbestrit-
tenen ignatianischen Briefen heran, deren Aechtheit oder Un-
verfälschtheit anzufechten er an dieser Stelle sich hütet,
er beruft sich auf bekannte Aussprüche Cyprian's, die er in
seinem Sinn zu verwenden weiss, auf das Koncil von Nicäa
u. s. w. und lässt sich dazu verleiten, kühne Schlüsse aus der
Geschichte der griechischen Kirche zu ziehen. Nach diesen
Auseinandersetzungen ruft er mit sichtlichem Hohn den „Alter-
thümlern" zu, wenn sie das anglikanische Bisthum nach dem
„primitiven" liilden wollen, so müsse der Bischof auch gewählt
werden durch die Gemeinde, Diöcesan- Gerichtsbarkeit, Reve-
nuen, Lords -Titel müssen fallen. „Dem Bischof darf nichts
bleiben als brüderliche Gleichheit, äusserste Massigkeit, häu-
figes Fasten, eifriges Beten und Predigen, beständiges Wachen
und Arbeiten in seinem Amt". Und als wären diese Anspie-
lungen auf alles das, was das damalige englische Bisthum
grossen Theils vermissen liess, nicht genug, fügt er noch hinzu,
was das für ein Leckerbissen für den durch Sekt und Schwan-
braten verwöhnten Prälatengauraen sei, das möge der alte
Bischof Montaigne bezeugen, ein Mann, der allen Lesern von
Miltons Schrift als ein Hauptwerkzeug der ihochkirchlichen
Bestrebungen, aber auch als ein Hauptsehlemmer bekannt
sein musste(').
Bis hierher hat sich Milton absichtlich gegenüber den
„Alterthümlern" in eine ungünstige Stellung gesetzt, indem
er ihre Autoritäten ohne Kritik gelten liess. Nun aber greift
er diese selbst an. Zugegeben, jene ersten Jahrhunderte
könnten zur Vertheidigung der bestehenden bischöflichen Ver-
fassung angerufen werden, so folgt daraus nichts. Denn in
jenen „besten Zeiten" wurde die Reinheit des Christenthums
schon befleckt und verderbt, die besten Männer jener Zeiten
wurden von dem Verderbnis angesteckt, ihre besten Schriften
endlich bedenklich verfälscht. Wiederum wird eine stattliche
Reihe von Zeugen aufgerufen: Clemens', Ignatius, Justin der
Märtyrci-, Ircnäus, TertuUian, Origenes, Eusebius, Hegesippus
u. s. w. : sowohl um zu l)eweisen, wie wenig ideal der Zustand
der Kirche in den ersten Jahrhunderten gewesen, als auch,
Gegen die „Alterthümler". Q\
(lass die Werke der Kirchenväter voll von Irrthümern und
Missverständnissen der Schrift seien, dazu noch verfälscht
durch willkürliche Auslassungen und Einschiebsel späterer
Zeit. Mit besonderer Schärfe wird das Zeitalter Konstantin's
besprochen. Dieses erschien den Gegnern als mustergültig,
da zwischen Staat und Kirche jene Einheit herrschte, wie sie
Laud und seine Anhänger erstrebten. Aber Milton sieht die
Regierung des mächtigen Kaisers ganz und gar nicht mit
ihren Augen an. Er findet nichts Gutes an ihm, zählt mit
Behagen seine Verbrechen auf, macht sich lustig über die
ihm zugeschriebene Reliquienverehrung und weist auf die
schädlichen Folgen hin, welche der inneren Entwicklung der
Kirche daraus erwuchsen , dass sie zur Reichskirche ward.
Auf die Fabel von Konstantin's Schenkung kommt er erst an
anderer Stelle (S. 39) zu sprechen (i). Die Verspätung seiner
Taufe und die zeitweilige „Begünstigung der Arianer" rechnet
er ihm schon hier, ohne den zweiten Punkt kritisch zu be-
leuchten, zum Fehler an. Während er selbst sich in bilder-
reichem Pathos erschöpft, ruft er sich mächtige Bundesgenossen
zu Hülfe. In geschickter Weise übersetzt er die auf Kon-
stantin bezüglichen Stellen aus einem Sonett Petrarca's und
dem vierunddreissigsten Gesang des Orlando furioso, während
er Dante's berühmte Verse dem neunzehnten Gesang der
„Hölle" entnimmt:
Welch Unheil hat gezeugt, o Constantin,
Dein Uebeitritt nicht, deine Schenkungsgabe,
Die du dem ersten reichen Fabst veriiehn (^).
Je bitterer sich Milton über jene vielgepriesenen ersten
Jahrhunderte auslässt, je weniger er die von der Gegenpartei
angerufenen Kirchenväter als Autorität will gelten lassen, desto
entschiedener weist er auf die Bibel, als einzige Richtschnur,
hin. Cypiian, Lactantius, Athanasius, Augustin u. s. w. müssen
selbst nach ihren eigenen Worten zur Unterstützung dieses
Gesichtspunktes dienen. Allerdings enthält die Bibel dunkle
Stellen, aber „was man am nöthigsten wissen muss, ist auch
am leichtesten zu verstehn, . . das Wesen der Wahrheit ist
Deutlichkeit und Helle, . . und Gottes Weisheit hat die
62 Gegen die „Weitlinge" und „Politiker".
Vernunft tauglich und passend für ihren Gegenstand, die
Wahrheit, geschaffen, wie das Auge für die äussere Welt".
Die beständige Berufung der „Alterthümler" auf Koncilien-
beschlüsse und Sentenzen der Kirchenväter, oft nur ein Prun-
ken mit Büchertiteln, ist daher ganz unnöthig, und es er-
scheint fast als ein Wink für die Verfasser des Smectymnuus,
wenn Milton sagt, die Prediger, welche für die Reform der
Kirche schreiben, mögen die Methode ihrer Gegner m<^ht be-
folgen, sich auf ihre patristischen Ausflüchte nicht einlassen,
sondern ihnen nur die Bibel, „wie einen diamantenen Spiegel
entgegenhalten, bis ihre trüben Augen von ihrem Glänze ge-
blendet werden". —
Viel kürzer als die „Alterthümler" werden die „Weit-
linge" abgefertigt, die zweite Klasse von Gegnern der Reform,
die Leute, denen es überhaupt nicht auf sittliche Zucht
ankommt, sondern nur auf sinnliclie Lust und äusserliche
Formen, deren Ideal der lustige Bruder ist, von dem Chaucer
singt :
Er hörte freundlieli stets die Beichte an
Und absolvirte höchst gefällig dann,
Und wo er gute Spenden nur empfieng,
Da war auch seine Pönitenz gering (*). —
Noch eine Klasse von Gegnern bleibt übrig, die „Politiker".
Ihnen ist das ganze zweite Buch der Milton'schen Schrift ge-
widmet. Ehe dieser Gegenstand selbst in Angriff genommen
wird, stellt eine grossartige Einleitung die wahren Grundsätze
der Staatskunst, wie sie unter den Alten namentlich Aristo-
teles ausgesprochen, aber auch die Bibel bestätigt habe, in
scharfen Gegensatz zu den Theorieen der modernen Staats-
künstler, die sich auf die Sätze Loyola's und Malvezzi's stützen.
Während dort unter guter Regierung verstanden wird, ein
Volk zu bilden in Weisheit, Tugend und „Gottähnlichkeit",
ist das Ideal des „modernen Politikers", ein Volk für die
Despotie mürl)e zu machen, Raub (ungesetzliche Besteuerung)
unter dem Titel des öftentlichen Wohles zu rechtfertigen.
Recht und Gesetz zu beugen und den Nationalgeist durch
Sinnenkitzel und Verdummung zu brechen. So widersetzen
Gegen die „Politiker". 63
sich denn die „Politiker" der Reform aus Gründen der „Staats-
Raison" (reason of State). Sie behaupten, die Verfassung der
Kirche müsse der Staatsverfassung konform sein, und für eine
Monarchie passe nur die bischöfliche. Beide Behauptungen
sollen widerlegt werden. Gegen die erste wendet sich nament-
lich der Hinweis auf die jüdische Theokratie, die sich unter
allen Regierungsformen gleich geblieben sei , sodann die Be-
merkung, das Amt des Geistlichen, Lehren, Ermahnen, Tadeln,
Bannen und vom Banne Lösen, greife nicht im mindesten in
die Staatsverwaltung ein, und es sei daher völlig grundlos,
die „nach aller UebereinStimmung durch göttliche Vorschrift
bestimmte Verfassung der Kirche" wie eine „Magd politischen
Rücksichten aufwarten zu lassen".
Gegen die zweite Behauptung richtet sich ein streng
historischer Beweis, um darzuthun, dass das monarchische
Princip seit alter Zeit in den Bischöfen keine Stütze, sondern
vielmehr sehr gefährliche Feinde gehabt habe. Mit Berufung
auf ZeugeQ der Literatur, unter denen wieder Petrarca und
Chaucer vorkommen, schildert Milton die Ueberhebung cfer
Bischöfe nach Konstantin's Zeit im byzantinischen Reich, das
Emporkommen des Bischofs von Rom , seine Ansprüche auf
alle Königreiche nach der ausgebildeten Papaltheorie, um mit
besonderer Ausführlichkeit und nicht ohne Tendenz in der
"Wiedergabe der Thatsachen bei einer Darstellung des Unheils
zu verweilen, welches so mancher Bischof der englischen Mo-
narchie zugefügt habe. Es ist eine ähnliche Methode histo-
rischer Beweisführung, wie die Verfasser des Smectymnuus
sie angewandt hatten, nur nicht in ihrer steifen und kunst-
losen Art der Aufzählung. Mit Anführung eines Ausspruches
von Paolo Sai-pi geht Milton sodann zu einer besonderen Be-
leuchtung des gegnerischen Lieblingssatzes über: „Kein Bischof,
kein König". Er zerzaust ih;i mit allen Mitteln der Ironie,
der Beredtsamkeit und Erbitterung. Der ganze Ingrimm des
Puritaners über die Leiden, welche die kirchliche Despotie
dem englischen Reiche zugefügt habe, kommt zum Ausbruch (^).
Die Bischöfe haben freie Engländer in die Wildnis Amerika's
über den Ocean getrieben; „es giebt aber kein schlimmeres
54 Gegen die „Politiker".
Vorzeichen für ein Volk, als wenn seine Söhne, um dem un-
erträglichen Druck daheim zu entgehn, sich gezwungen sehn,
in Schaaren "ihr Vaterland zu verlassen". Die engherzige,
mit papistischen Formen liebäugelnde Priesterpolitik hat Eng-
land nach aussen hin isolirt und dem Beherrscher Frankreichs,
einem katholischen Fürsten, die Rolle des „Beschützers" des
festländischen Protestantismus überlassen. In England selbst
haben die Bischöfe und ihre Genossen das Volk durch Miss-
achtung der Strenge des Sabbaths, (die Veröffentlichung des
„book of Sports" (s. Bd. I S. 141), durch gottlose Aufforderung
zu Sinnenlust und Würfelspiel zu entmannen versucht, während
doch die Freiheit jedes Volkes auf ,, männlicher und ernster
Arbeit, Massigkeit und strenger Achtung vor der Ehe" be-
ruht. Ihre Ceremonieen und ihre Gerichtsbarkeit, die „zwei
Blutegel, die das Reich aussaugen", ihre kostbaren Tempel,
Bilder vmd Altardecken, ihre Erpressungen, Sportein und
Strafgelder, Symbole des „Antichrists, des Mammons - Sohnes",
haben den Wohlstand des Volkes und des Staates schwer ge-
schädigt, während es nöthig wäre, Schulhäuser zu bauen, und
während mancher arme Pfarrer für sich und die Seinigen
kaum das tägliche Brod hat. Ihre Predigten müssen dazu
dienen, das Volk zum Aufruhr und zum Bürgerkrieg aufzu-
reizen, denn „zum Trotz unserer Magna Charta und dem
Andenken unserer Vorfahren, welche ihre Freiheiten der nor-
mannischen Räuberhand mit ihrem Herzblut und mit Helden-
Kühnheit abgerungen haben, lassen sie seit Jahren nicht ab,
die höchsten und theuersten Gesetze, Statuten und Parlaments-
schlüsse, den heiligen Vertrag und Bund (tlie holy Cov'nant
of Union and Marriage) zwischen König und Land durch ver-
drehte und verrenkte Bibelsprüche zu verhöhnen und mit
Füssen zu treten". Aber neben der Freiheit des Volkes grei-
fen sie auch die Suprematie des Königs an. „Statt sich ein
eifriges Bibelstudium angelegen sein zu lassen, ziehen sie Ka-
nones und Dekretalen heran, um unter dem Vorwand geist-
lichen Rechtes weltliche Angelegenheiten ihrem Urtheil und
ihrer Einmischung zu unterwerfen." Sie häufen Reichthümer
auf, stützen sich auf ihren Einfluss als Pairs, auf ihren Besitz
Gegen die „Politiker". — Für Abschaffung des Bisthums. 65
an Gütern, um ihre Gerichtsbarkeit über alles auszudehnen,
im Geheinirath zu befehlen und die höchsten Staatsämter an
sich zu reissen . . . Ihr Haupt (Land) erstrebt ein von der
Krone unabhängiges Patriarchat. „Sie wollen die Laienschaft
nur deshalb unter die unbeschränkte Herrschaft des Königs
beugen, um den König selbst zu einer Art Mündel ihrer Hier-
archie zu machen". Und nach allem diesem hetzen sie Eng-
länder und Schotten, die durch Natur und Religion innig ver-
bundenen Brüder, zum Biirgerkriege gegeneinander und die
Irländer beiden in den Rücken, je nachdem es die Gelegen-
heit mit sich bringe.
Hier unterbricht sich Milton, um Gott zu danken. .,dass
er von seinem hohen himmlischen Wachtthurm aus diese
Pläne" durchschaut und zu Schanden gemacht, zugleich aber,
um Engländer und Schotten zu ermahnen, der schönen Ein-
tracht nie zu vergessen , die sie gegenüber den letzten Er-
eignissen beseelt hatte. Er folgt durchaus der damals herr-
schenden Strömung, er nimmt nur wieder auf, was in den
Proklamationen der Schotten selbst schon Ausdruck gefunden
hatte, wenn er sagt: ,, Gehet Hand in Hand ihr beiden Völ-
ker, um euch niemals trennen zu lassen; werdet das Loblied
und der Heldengesang der Nachwelt; verdient dies zu sein,
aber strebt nur nach Tugend, nicht nach Erweiterung eurer
Grenzen, (denn was nützt es, einen welken Siegeslorbeer aus
den Thränen Unglücklicher zu gewinnen?) und strengt euch
an, den reinen Gottesdienst in der Kirche und Gerechtigkeit
im Staate herzustellen; dann werden die grössten Schwierig-
keiten sich vor euch glätten, der Neid wird zur Hölle fahren,
List und Tücke werden zu Schanden werden . . . ja fremde
Nationen werden darum buhlen , euch zu dienen , denn Herr-
schaft und Sieg sind nur die Dienstmannen von Gerechtigkeit
und Tugend."
Das ganze Sündenregister der Bischöfe war erschöpft,
konnte noch länger davon die Rede sein, dass die bischöfliche
Verfassung eine Stütze der Monarchie sei. diese letzte im
konstitutionellen Sinne aufgefasst? Vielmehr wird erklärt,
dass die Reform mit gänzlicher Abschaifuug des Prälatenthums
Stern. Milton u. s. Zeit. I. 2. 5
66 Für Abschaffung des Bisthums.
beginnen müsse. An seine Stelle soll eine Kirchenverfassung'
treten, welche die englische Kirche den reformirten Schwester-
kirchen wieder annähert. Auch verdient eine solche Kirchen-
verfassung in Wahrheit das Lob , auf derselben Grundlage
wie die Staatsverfassung zu beruhen. „Kein Staat irgend
einer Zeit, auch Sparta und Rom nicht ausgenommen, wie
sehr beide vom weisen Polybius gepriesen worden sind, war
Je zu einer solchen Harmonie gestimmt und in solchem
Gleichgewicht der Kräfte . . wie das Gemeinwesen von Eng-
land, wo unter einem freien, selbstständigen König (a free
and untutored monarch) die edelsten , würdigsten und weise-
sten Männer durch Zustimmung und Wahl des Volkes zur
obersten und endgültigen Entscheidung der wichtigsten An-
gelegenheiten ermächtigt sind." Soll nun die Kirchenver-
fassung mit dieser Staatsverfassung in Einklang stehen, so
muss auch für jene der Grundsatz der Betheiligung des Vol-
kes durchgeführt werden. „Unter dem souveränen Fürsten,
dem Statthalter Christi mit dem Scepter David's, sollen die
frömmsten und gelehrtesten Geistlichen in ihren verschiedenen
Aemtern für Belehrung und Sittenzucht (instructing and dis-
ciplining) des Volkes sorgen", aber dessen „freie Wahl"
soll sie zu ihrem Amte weihen. ,,Und warum will man der
Frömmigkeit und Gewissenhaftigkeit der Engländer, als Glie-
der der Kirche, die Wahl ihrer Geistlichen vorenthalten, deren
Berufskreis in nichts den König berührt (to functions that
nothing concern a monarch), während man der weltlichen
Klugheit derselben Engländer, als Glieder des Staates, die
Wahl ihrer Altgeordneten zum Parlament anvertraut, in wel-
chem es sich um die Interessen des Königs handelt?" Ein
geistlicher Stand dieser Art, aus demokratischer Wurzel er-
wachsen , wird freilich der äusseren Ehren und Güter der
Bischöfe entbehren, und im Hause der Lords werden „scho-
lastische und feige Emi)orkömmlinge" nichts mehr drein zu
reden haben.
Milton ist darauf gefasst, dass einer so radikalen Ansicht
der Kiiiwurf gemacht werde, den die parlamentarische Mittel-
partei schon ei-Iiohen liatte, „man solle sich vor (U'r Ueher-
Für Abschaffung des Bisthums. (37
stürzung in die äussersten Extreme hüten". Er lässt diesen
Einwand nicht gelten. ..Wenn die zwei Extreme Laster und
Tugend, Lüge und Wahrheit sind, so werden wir je besser
und weiser, je grösser das Extrem von Tugend und Wahrheit
ist, in das wir uns stlirzen". Er zeigt, dass kein ernstlicher
Widerstand im Volke oder von auswärts gegen die Abschaffung
des Prälatenthums zu erwarten sei, er fasst noch ein ]\Ial alle
Vorwürfe gegen dasselbe zusammen, er sucht alle Bedenken
zu widerlegen, er betont, auch in den Kirchen-Versammlungen
(assemlilies) der neuen Organisation werde der Supremat des
Königs aufrecht erhalten werden, er weist auf die refonnirten
Kirchen des Auslandes hin, bei denen keine jener Befürchtungen
eines Eingriffs in die Staatsgewalt sich bestätigt finde, er lässt
zuletzt den ganzen Strom seiner überwallenden Empfindungen,
seiner Sorgen und Wünsche in ein inbrünstiges Gebet aus-
münden, in dem er den dreieinigen Gott anfleht, die Kirche
Englands nicht den gierigen Wölfen Preis zu geben, das so oft
beschützte, aus Bürgerkriegen und vor der Armada gerettete
Vaterland in seine Obhut zu nehmen und die schwarzen Pläne
seiner Feinde, die sich mit dem spanischen Tyrannen ver-
bündet hätten, zu vernichten. — Wer sich der dichterischen Ab-
sichten Milton's erinnert, wird es verstehn, wenn nach diesen
Sätzen, welche die ^Majestät der Psalmen und die Leiden-
schaft Luthers athmen, gesagt wird: „Dann erschallt vielleicht
zwischen den Hymnen und dem Hallelujah der Heiligen eine
Stimme, die mit lautem Tone in neuer, erhabener Weise deine
göttliche Gnade und deine wundervollen Gerichte in diesem
Lande durch alle Zeiten singen und preisen wird". Und noch
bemerk enswerther ist, dass die Phantasie des Dichters am
kommenden Tage des jüngsten Gerichts alle die Vertheidiger
der Religion und des Vaterlandes ihren Lohn an himmlischen
„Fürstenthümern, Legionen und Thronen'- empfangen lässt,
während sie die Feinde des wahren Glaubens, die Unterdrücker
der bürgerlichen Freiheit in den tiefsten und finstersten Pfuhl
der Hölle hinabstossen sieht, wo sie von den Füssen aller
andern Verdammten getreten werden.
68 Rainolds und Ussher.
Diese erste Flugschrift, durch die sich ^Milton an dem
literarischen Kampfe über die grosse Tagesfrage lietheiligte,
enthielt ein ganzes Trogramm. Sie hob nicht einzelne Punkte
heraus, sondern fasste die Frage in ihrer weitesten Bedeutung,
sie wandte sich nicht gegen einzelne Persönlichkeiten, sondern
an die Gesammtheit der Nation. Die zweite demselben Gegen-
stande gewidmete Schrift trug einen anderen Charakter. Sie
war durch eine der vielen Vertheidigungen des Bisthums her-
vorgerufen und erhielt daher eine wesentlich polemische Form.
Gegen keinen Geringeren trat ]\Iilton diesmal, freilich noch
mit geschlossenem Visier, in die Schranken als gegen jenen
Erzbischof von Armagh, Jakob Ussher, den man mindestens
nicht unter die zähesten Gegner jedes Reform - Gedankens
rechnen durfte. Er hatte sich indess durch die inständigen
Bitten seines Kollegen, des Bischofs Hall, bewegen lassen, seine
Stimme, die eines achtungsvollen Gehörs sicher sein konnte,
für die mit dem gänzlichen Untergang bedrohten bischöfllichen
Institutionen zu erheben und Ende Mai 1641 in diesem Sinne
eine Schläft erscheinen lassen: „Das Urtheil des Doctor Pvai-
noldes über die ursprüngliche Form des Bisthums, bestätigt
und l)ekräftigt durch Beweise aus dem Alterthum"(*). In dieser
Arbeit war zunächst eine frühere Schrift des Dr. Reynolds
(Rainolds), des ehemaligen Vorstehers des Corpus Christi College
in Oxford, vom Jahre 1584 nach ihrem Wortlaute mitgetheilt.
Reynolds hatte erklärt, die von den Aposteln eingesetzten
Presbyter hätten in den verschiedenen Gemeinden einen aus
ihrer jMitte als Präsidenten oder Moderator gewählt. Als ein
solcher sei z. B. der „Engel von Ephesus" zu betrachten, (einer
von den ,, Engeln der sieben Gemeinden" der Offenl)arung
Johannis I. 20, mit dei'en Deutung so viel Missbraucli ge-
tiieben worden ist) (2) und eben diese seien von den Kirchenvätern
Bischöfe g(^nannt. Es war mit diesen Allgemeinheiten für die
hochkirchliche Ansicht noch wenig gewonnen, wenn schon jene
„Engel-Theorie" auch in den Schriften Hall's und dcM- Ent-
gegimug der Smectymnianer eine grosse Rolle g'esjjielt liatte.
Usshei- knti])fte aber dennoch gerne an den Namen Reynolds
an, weil diesei- puritanische Gesinnungen gelia1)t, sogar ein
Raiuolds und Ussher. (39
Bisthum ausgeschlagen hatte, also gewiss ein unverdächtiger Zeuge
war. Er selbst bot sodann alle Gelehrsamkeit auf, um, soweit
seine eigene Gesinnung ihm dies erlaulite, diesen mageren
Reynolds' sehen Brocken für den Gaumen des orthodoxen Angli-
kanismus zu würzen. Es steht ihm fest, dass die Engel der
sieben Gemeinden sieben Bischöfe waren, mit dem Recht der
Oberleitung und des Vorsitzes ausgestattet. Er häuft latei-
nische und griechische Citate, um zu beweisen, dass Timotheus
jener Engel, der erste Bischof, von Ephesus gewesen sei. Be-
sonderes Gerächt legt er auf das Zeugnis des Irenäus, da
diesem durch Polykarp K>unde von seinen Unterhaltungen mit
Johannes geworden sei, und Johannes selbst scheint ihm in
Ephesus, nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Patmos, eine
Art von Primat über die sieben Bischöfe ausgeübt und somit
dem Haupte jener Gemeinde eine Metropolitanwürde vererbt
zu haben.
Auch diese Ausführungen konnten noch immer darauf be-
rechnet sein, ein gemässigtes in seinen Kompetenzen be-
schränktes Bisthum zu erhalten. Aus eben diesem Geiste der
Vermittlung war jener erst viele Jahre später vollständig be-
kannt gewordene Entwurf einer Reform der Kirchenverfassung
hervorgegangen, in welchem für Erhaltung der Kirchenzucht
den Kirchen Vorstehern ein Recht der Mitwirkung in den
wöchentlichen „Kirchspiel-Höfen" und der Pfarrgeistlichkeit
ein Recht der jNIitwirkung in den Monats-Diöcesan- und Pro-
vinzial-Synoden eingeräumt wurde. Indessen gerade die Ver-
mittlungs-Versuche mussten den Vorfechtern des Radikalismus
gefährlicher erscheinen als der hochkircliliche Fanatismus, der
überhaupt in nichts nachgeben wollte. Auch hatte Ussher
immerhin den Grundgedanken des Episkopal-Systems, die Klee
seines göttlichen Ursprungs niclit Preis gegeben, und eben diese
galt es vor allen Dingen zurückzuweisen. Milton entschloss
sich den Kampf mit Ussher aufzunehmen.
Die kleine im Laufe des Sommers 1641 erschienene Schrift,
in der er sich die grimmige Freude machte, dies ganze herr-
liche Gebäude kirchengeschichtlicher Gelehrsamkeit des Primas
von Irland umzureisseu, führte den Titel: ,,Ueber prälatisches
70 Miltou gegen Ussher: „Ueber prälatisches Bisthum".
Bisthuiii, und ob dasselbe aus den apostolischen Zeiten her-
geleitet werden kann'' etc. ('). Gleich in der Einleitunj^- wird der
Grundgedanke mit aller Schärfe ausgesprochen, der schon den
kritischen Theil des früheren Pamphlets l)estinnnt hatte: das
Bisthum ist entweder menschlichen oder göttlichen ürsprangs;
wenn menschlichen, so ist es uns erlaul)t es beizubehalten oder
es abzuschaften, je nach Bedürfnis; wenn göttlichen, so weise
man dies aus der Bibel nach. ,,Denn die Schrift allein ist
das einzige Buch göttlicher Autorität, das wir besitzen". Man
konmie aber nicht mit s. g. Beweisen des Alterthums, als z. B.
den Kirchenvätern. Denn diese sind nichts anderes, als „was
die Zeit oder die sorglose Hand des Zufalls von Alters her bis
auf die Gegenwart in ihrem grossen Schleppnetz emporgezogen
hat, sei es Fisch oder Meergras, Muschel oder Strauchwerk
ohne Auslese und ohne Wahl-'. Nach dieser kräftigen Ver-
spottung der ,,Alterthümler", deren Ussher einer in Milton's
Augen war, geht er dazu üljer, dessen Gewährsmänner unter
das Messer seiner Kritik zu legen. Niemand wird behaupten
wollen, dass Milton's Kenntnisse sich mit denen Ussher's, der
grossen Autorität auf diesem Geljiet, hätte messen können.
Ob dieser sich ihm al)er an Unbefangenheit des Urtheils ver-
gleichen konnte, wird man l)ezweifeln dürfen. Milton folgt
dem Gegner Schritt für Schritt durch alle jene gelehrten Citate.
Nicht ohne eingeflochtene ironische Bemerkungen weist er
nach, wie wenig verlässlich die Editionen der Koncils-Schlüsse
seien, wie wenig klassische Zeugen diese Koncilien selbst für
den Zustand der alten Kirche. Das angebliche Bisthum
des Timotheus findet er durch nichts ])ewiosen, ähnlich wie-
er ])eiläutig sicli für die Meinung „vieler gelehrten und weisen
Protestanten" ausspricht, dass der Aufenthalt St. Peters als
Bischofs zu Uoni eine Fabel sei (p. 79). r)ei einzelnen jener
Zeugen seines Gegners verweilt er mit höhnischem Behagen.
Wenn Ussher einen anonymen Traktat über Timotheus Mar-
tyrium erwähnt, den Photius citirt, „der beinahe neunhundert
.lahre nach Christus lebte", wai'um hat er nicht auch ,.aus
(kmiselben Autor das Märtyrerthum der sielten Schläfer ange-
fidiit •. die ;{72 Jalire oliiie Nahrung in einer Höhle einge-
Milton gegen Ussher: „Ueber prälatisches Bisthum". 71
schlössen sich eines gesunden Schlafes erfreuten? Wenn er
auf Polykrates und seinen Brief an den römischen Bischof
"Victor so grosses Gewicht legt, warum hat er vergessen zu
sagen, dass Victor sich durch diesen Polykrates bei dem Streite
über das Passah trotz aller Autoritäten, die Polykrates bei-
brachte, nicht überzeugen liess, sondern ihn sammt allen asiati-
schen Gemeinden in Bann that?(^) Die berühmten ignatiani-
schen Briefe unterzieht er einer zersetzenden Kritik, die von
um so grösserem Interesse ist, da, wie man weiss, gerade sein
Gegner Ussher, einige Jahre später den Schlüssel zur Aus-
scheidung der Interpolationen fand und die Vermuthung äusserte,
dass eine syrische Uebersetzung vorhanden sein müsse (-),
Und so wird mit schonungslose!' Hand, ohne Scheu vor
hochklingenden Namen, mitunter mit einer allzu rationalistischen
Leichtigkeit, der ganze „Nebel" von Zeugnissen zerrissen, mit
dem die Episkopalisten das Licht der Wahrheit verdunkeln.
Es fehlt nicht an dichterischen Bildern, mit denen Milton"s
Phantasie auch den an sich trocknen Gegenstand auszuschmücken
liebt, wie wenn von „dem reinen evangelischen Manna" die
Rede ist, dem die Verehrer der patristischen Literatur „die
befleckten Schnitzel und Brocken einer fremden Tafel" bei-
mischen wollen. Auch ironische Ausblicke auf die vielfachen
Häresien jener verehrten ersten Jahrhunderte der Kirche oder
eine spitze Bemerkung, wie die, dass die ältesten Bischöfe
Britanniens „vorzüglich wegen ihrer Armuth bemerkenswerth
seien", werden nicht zurückgehalten. Als Ergebnis bleibt ihm
bestehn : ein Bisthum , im Sinne der englischen Prälaten, auf
apostolische Einsetzung zurückführbar, hat es nicht gegeben.
Zugegeben auch, dass jene von ihnen angeführten Persön-
lichkeiten Bischöfe genannt, zugegeben, dass sie würdige
Männer, zugegeben selbst, dass sie an die Spitze der verschie-
denen Gemeinden von den Aposteln gestellt waren: dass sie
von diesen einen höheren Rang als die übrigen Geistlichen
(above the presbytery) erhalten hatten, ist nicht zu beweisen.
Mögen Timotheus und Titus als Helfer (fellow-labourers) der
Apostel immerhin einen „ausserordentlichen Posten' l)ekleidet
haben, mögen selbst einzelne bedeutende Männer in den un-
72 Hall's Vertheidigung seiner ,,demüthigen Remonstranz".
mittelbar uacliapostolischeii Zeiten eine hervorragende Stellung
gehabt haben, wie Polykarpus , man darf daraus so wenig auf
eine ursprünglich verfassungsmässige Einrichtung schliessen,
wie etwa aus der Stellung Calvin's in der genfer Kirche auf
ein genfer Bisthum oder aus der Stellung Perikles' im atheni-
schen Staat auf eine athenische Monarchie. Bischöfe und
Presbyter sind nach der Bibel vielmehr identisch, und wer
diese aufgiebt, um der späteren Tradition zu folgen, der ver-
lässt den eigentlichen Boden der Pveformation, kämpft mit den
Waffen der Romanisten, die auf eben diese Weise die Lehre
vom Primat des römischen Bischofs verfechten, und öffnet dem
Pabstthum Thor und Thür, indem er das Bisthum vertheidigt. —
Wie man sieht, stimmt Milton mit seinem alten Lehrer
Thomas Young und seinen vier geistlichen Genossen nicht nur
in dem Kern der wissenschaftlichen Frage vollständig überein,
sondern er befolgt auch die Politik der Verfasser des Smectym-
nuus, die des Beifalls der puritanischen Masse gewiss war,
das englische Prälatenthum als eine Art Vorstufe zur Rück-
kehr zum Pal)stthum darzustellen.
Inzwischen waren eben jene fünf Genossen nicht unbe-
helligt geblieben. Bischof Hall hatte es nicht über sich ge-
winnen können, dem Angriff Stillschweigen entgegenzusetzen,
der durch ,,Smectymnuus" gegen seine „dcmüthige Remon-
stranz" gemacht war. Bereits Mitte April 1641 war seine
umfangreiche Antwort erschienen: „Vertheidigung der demü-
thigen Remonstranz gegen die frivolen und falschen Einwürfe
des Smectymnuus"('). Auch hier wieder bewahrte der Bischof
die Maske der Anonymität, o])wohl er mehifach (p. 9. 140
und im Vorwort zur Uebersetzung des Scultetas) seinen Namen
anführt (2). Aber das Bewusstsein seiner verletzten hierarchi-
schen Würde kann er deshalb nicht verläugnen. Es spricht
sich aus in der vorangeschickten Widmung an den König, in
der er in denunciatorischem Tone v(m seinen „impotenten
Gegnei-n" i-edet, es findet seinen Ausdruck in der voi'nehm-
herablassendcii Art, mit (kn- er diese selbst behandelt. Er
Hall's Vertheidigung seiner „demüthigen Remonstranz". 73
nennt sie ,, Brüder" und hatte demnach gewiss von ihrem geist-
lichen Charakter, wo nicht von ihren Namen, Kunde. Indem
er die Art und Weise eines väterlichen Freundes nachahmt,
weiss er doch giftige Bemerkungen über ,, Irrlehrer" und
„Schmachschriften" einzuflechten und selbst einzelne sprach-
liche und stylistische Versehen seinen Gegnern aufzumutzen,
wie z. B. dass sie das Wort „Areopagi" für die Richter des
Areopags gebraucht hatten. Auch sonst zeigt jede Seite des
Pamphlets den gewandten Schriftsteller und Polemiker. Mit
Eifer weist er den Vorwurf zurück, mit dem Papismus zu lieb-
äugeln, was ihm nicht eben schwer gemacht war; als Mann
von Bildung beruft er sich ein Mal auf einen witzigen Ausspruch
Bacon's (p. 44). Vielfach wendet er die Methode an, den
Gegnern vorzuwerfen, dass sie gegen Windmühlen gefochten
hätten, wie er denn gar nicht habe läugnen w^ollen, dass der
Bischof in vielen Fällen an den Rath und Beistand seines geist-
lichen Presbyteriums gebunden sei (p. 59), oder er weicht ihnen
geschickt aus, wie er sich denn durchaus nicht gegen eine
Betheiligung der Gemeinden an der Bischofswahl erklären zu
wollen verspricht, ., falls seiner Majestät und dem Staate" diese
Aenderung gefallen sollte. So wiederholt er seine Zugeständ-
nisse in Betreff der Liturgie, er behauptet selbst (p. 52), sogar
die Ordination sei nicht in dem Sinne Monopol der Bischöfe,
,,dass sie ihre Hände allein auf das Haupt eines Geistlichen
legen", ohne indess diesen seiner sonstigen Theorie wider-
sprechenden Satz näher zu erläutern und namentlich ohne zu
erklären, wie sich diese milden Ansichten zu der harten Praxis
des englischen Prälatenthums verhalten.
Mit Entschiedenheit hält er abei- die Grundlage seiner
ursprünglichen Behauptung fest. Der Episkopat, als eine über
den Presbytern stehende Behörde, mit der ausdrücklichen Be-
fugnis der Ordination und Jurisdiktion, ist apostolischen, und
insoferne die Apostel vom heiligen Geiste inspirirt waren, gött-
lichen Ursprungs und in dieser Weise durch ununterbrochene
Succession fortgepflanzt. Selbstverständlich dienen in erster
Linie wieder Timotheus und Titus und die bekannten Citate
als Beweismittel. Einen besonderen Abschnitt widmet der
74 Scultetus. — Replik der Smectymnianer.
Biscliof der Behauptung, dass das Institut von Laien-Aeltesten
im modernen Sinn, unterscliieden von den „Pastoi'en", ein Be-
standtheil der frühesten Kirchen-Verfassung" gewesen und sucht
seinen Gegnern damit die Brücke abzubrechen, die von ihren
Reformplänen zu der kirclilichen Organisation der schottischen
Brüder liinül^erführen sollte. Ebenso fertigt er die historische
Nachschrift der Smectymnianer für sich ab und erklärt, sie
sei grössten Theils ein Plagiat aus der Schrift von Leighton
(Sion's Plea against tlie Prelaty 1628) und einer anderen von
Prynne (Breviate of the Bishops intollerable usui-pations etc.
1637). Wie sein Kollege Ussher sich die Autorität von Rey-
nolds zu Hülfe gerufen hatte, so fügt Hall seinem Werke in
englischer Uebersetzung zwei Urtheile des Scultetus an, des
berühmten Heidelberger Professors, welcher 1612 im Gefolge des
Kurfürsten Friedrich England besucht und die dortigen theolo-
gischen Grössen selbst kennen gelernt hatte (^). Sie sind beide
den Bemerkungen des deutschen Gelehrten zu den Briefen an
Timotheus und Titus entnommen (-). Das eine dieser Urtheile
Hess sich trefflich für Hall's Ansicht vom Ursprung des Bis-
thums verwenden, das andere weist nach, dass in keiner der
dafür beigel)rachten Stellen des neuen Testaments von Laien-
Aeltesten die Rede ist.
Die Veifasser des Smectymnuus nahmen sich einige Zeit,
um eine Replik vom Sta])el zu lassen, die denn IVeilich über
zweihundert Seiten füllte (•'). Ihre Ende Juni 1641 erschienene
,,Verthei(ligung der Antwort auf die demüthige Remonstranz"
ist wiederum dem Parlamente gewidmet, bereits in froherer
Stinnnung, da es sich ,, durch edle, auf den Frieden und das
Wohl des Staates abzieleiule Handlungen" nun schon bewährt
habe. Es ist selbstverständlich, dass sie die ganze Summe
der sti-eitigan Fragen in aller Breite der Beweisführung wieder
dui'chlaufen. Noch innner halten sie scheinbar an der Fiktion
fest, als sei ihnen der Name ihres Gegners unbekannt, aber
sie gewinnen dadurch um so bessere Gelegenheit, ihm starke
Dinge zu sagen. Sie können nicht glauben, dass sie es mit
Bischof Hall zu tluiii lialx'n, ..da jede Seite den grössten Hoch-
muth atlinie-, sie IVaucn mit einem Seitenhiebe auf HalFs
Milton's „Bemerkungen" gegen Hall. 75
satyrische Schriftstellerei : „Was ist eiii-e ganze „Remonstranz"
anders als eine Deklamation und was eure „Vertlieidigung"
anders als eine Satyre"? Ihre historische Nachschrift nehmen
sie gegen den Vorwurf des Plagiats entschieden in Schutz.
Der Autorität Scultet's stellen sie die Autorität Rivet's ent-
gegen. Den Vorwurf mit dem Styl und der Grammatik auf
schlechtem Fuss zu stehn ge])en sie mit Zinsen zurück. Hall
hatte von einigen ihrer Einwürfe gesagt, sie seien nur „leichter
Schaum, der von selbst untersinken werde". Sie bemerken
am Rande mit kleinerem Druck: „Ein philosophisch gebil-
deter Gentleman war zufäHig beim Lesen dieser Stelle zugegen.
Er war so entzückt von diesem kostbaren Geheimnis eines
„leichten von selbst untersinkenden Schaumes", dass er uns
aufs dringendste ersuchte, den „Remonstranten" um Veröi^'ent-
lichung des Recepts anzugehn, „leichten Schaum von selbst
untersinken zu lassen", um es den Geheimnissen des Alexis
oder den Wunder-Experimenten des Baptista Porta hinzuzu-
fügen" (1).
Man hat mit Recht die Frage angeregt, ob nicht eine
bestimmte Persönlichkeit unter dem philosophisch gel)ildeten
Gentleman zu verstehn sei, welche niemand anders sein würde
als Milton. In der That nuiss er die Schrift des Bischofs Hall
in eben der Weise beurtheilt halben, die hier vorausgesetzt
wird. Er selbst giebt dafür ein vollgültiges Zeugnis ab in
dem- Pamphlet, in welchem er seinen Gefühlen Luft machte,
dem dritten in der Reihe seiner kirchenpolitischen Druck-
werke. Er mochte sich überzeugt haben, dass die schwere
Gelehrsamkeit seiner geistlichen Freunde gegen den feder-
gewandten Bischof eines Bundesgenossen bedürfe (2). Er
mochte sich auch besonders gereizt fühlen, diesen, den ge-
feierten englischen „Persius" und „Seneca", dessen literari-
schen Charakter er voreingenommen nicht höher achtete als
seinen politischen und kirchlichen, die furchtbare Geissei seiner
Ironie fühlen zu lassen. Aus einem der späteren Pamphlete
Milton's lässt sich ganz deutlich erkennen, dass ihm die schrift-
stellerische Vergangenheit des Bischofs wenig gefiel. Schon
das schien ihm tadelnswertlr, dass Hall sich einst in etwas
7ß Beurtheilung HhU's.
stolzeil Versen als den ersten englischen Satyriker gepriesen
hatte, während Donne's Satyren wenigstens handschriftlich
schon vorhanden waren (^). Aber auch den Zweck jener Dicli-
tungs-Gattung hatte Hall in Milton's Augen verfehlt. Er fand
in ihm nicht den Muth eines Wither die „Laster der Grossen"
anzugreifen , sondern nur den , die Laster der niederen Ge-
sellschaft zu tadeln, „in jede Schenke zu kriechen, wo ein
Polizeidiener mehr gefürchtet wird als eine Satyre". Nimmt
man dazu, dass eine Stelle der HalFschen Satyren (L 8) einem
Ausfall gegen die puritanische Lieblings-Dichtiing, metrische
Uebersetzung biblischer Stücke, nicht unähnlich sah, so be-
greift sich, warum der Dichter Hall in Milton ebensowenig
Sympathieen erwecken konnte wie der Bischof, und die Härte,
mit der er diesen l)ehandelt, wird sich auch ein wenig aus
der feindseligen Stimmung gegen jenen erklären lassen (2).
Jedenfalls kommt die stärkste Geringschätzung zum Aus-
druck in den etwa im Juli 1641 erschienenen anon} men „Bemer-
kungen zu der Vertheidigung des Remonstranten gegen Sinec-
tynmuus". Der Titel war gut gewählt, denn die äussere Form
der Schrift ist der Art, dass aus Hall's ,, Vertheidigung" ein-
zelne Sätze herausgerissen und jedes Mal von einer mehr oder
weniger saftigen „Antwort-^ Miitons begleitet werden. Bei
dieser Art eines unfreiwilligen Zwiegesprächs ist der Gegner
fi-eilich gleich von Anfang an in Xachtheil gesetzt, er muss
sich seine Worte unbarmherzig zerpflücken lassen, während
sein Widerpart sich nach Belieben aussprechen kann. Milton
hält es für nöthig sich in der Vorrede bei den ,,sanftmüthigeren
Christen" wegen der Heftigkeit seines Angriffes zu entschuldigen.
Er weiss, dass man dem Verläumder nicht in seiner Sprache
antworten soll , aber gegenüber einem „notorischen Feinde der
Wahrheit und des Friedens des Vaterlandes", welcher seiner
„Zungenfertigkeit" vertraut und vor allen anderen die Usur-
pation und den Pseudo-Episkopat der Prälaten mit allen ihren
Ceremonieen, Liturgieen und Tyranneien zu verthcidigen sucht,
muss die christbclic Milde aufhören. Einen solchen (hirf man
schon etwas rauher anfassen, und mit den Worten der Ent-
rüstuim da)f sicli aucli hie und da ein bitteres Lachen ver-
Beurtheilung Hall's. 77
binden. Jene Znn.ücnfertigkeit war es nicht allein, die gerade
Hall als einen des Angrilfs besondei-s würdigen Gegenstand
erscheinen liess. Seine versteckte Kampfweise, mit der er die
fünf Geistlichen in einem Athem ..liebe Briider" nannte und
mit den giftigsten Schmähnngen überschüttete, seine Hall)-
heit, mit der er scheinbare Zugeständnisse machte, um sich
in Wirklichkeit einer gründlichen Reform zu widersetzen, die
sittliche Schwäche, welche Miltons Parteilichkeit in seinem
Auftreten zu finden glaubte, gaben ihm zu einei- ganz anderen
Sprache Anlass, als er sie gegen üssher geführt hatte. Schmä-
hvmgen, Witzworte, Ausbrüche des Zornes und des Hohnes
wechseln mit einander ab und unterbrechen die dialektischen
Ausführungen, in denen mit gewohnter Meistei'schaft der Sprache
die eigentlichen Streitfragen ])ehandelt werden. Hall, dem
grossen Logiker, wird mehrfach in allen scholastischen Formen
klar gemacht, dass es mit seiner Logik schlecht bestellt sei. Hall,
dem berühmten Stylisten, werden grobe stylistische Fehler vorge-
halten. Hiebei darf denn der ,,von selbst untersinkende Schaum"
nicht fehlen. ,,Das ist mehr, als Cardanus sich hat träumen
lassen . . . gewiss werden dann eines Tages auch schwere Blei-
gewichte von sell)st schwimmen. Und dem Manne soll man
trauen, dessen Theologie England mit Rom versöhnen will und
dessen Philosophie die Natur und das Chaos zu Freunden macht,
sine pondere habentia pondus". Der Dichter Hall muss liittere
Aeusserungen über seine „zahnlosen Satyren" hören, aljer auch
sein späteres Werk „Mundus alter et idem", ein satyrisches
Erzeugnis seiner Phantasie, das man als eines der Vorbilder
von Gulliver's Reisen betrachten kann . wird nicht geschont.
Auf die Bemerkung der Smectymnianer. in vielen Ländern sei
das Bisthum unbekannt, hatte Hall spottend erwidert: Gewiss
z. B. auch in China, Japan. Peru, Brasilien, Neu-England,
Virginia und in tausend anderen Ländern, was das aber zur
Sache thue? Milton beeilt sich seine geographischen Citate
in sehr zweideutiger Weise zu unterstützen (p. 213). Er will
ihm einige ,. grosse und reiche Länder" nennen, wo man sicher
sei, mindestens seit Konstantin's Zeiten Bischöfe anzutreffen,
nämlich Crapulia, Pamphagonia, Yvronia etc., lauter Bezeich-
78 Beurtheilung Ilall's.
nimgen für das mit leiblicher Nahrung wohl ausgestattete
Schlaraffenland. ^Yelches Hall nach eben jenen Provinzen mit
behaglicher Breite in seinem Phantasie! )ilde der „anderen und
derselben Welt" vor Jahren geschildert hatte. Ueberhaupt hebt
Milton in dieser Schrift mit besonderer Bitterkeit den Luxus
der anglikanischen Würdenträger hervor. Er weist sie sehr
nachdrücklich auf die Armuth und Einfachheit Christi und der
Apostel hin, deren unmittelbare Nachfolger zu sein sie vor-
geben (p. 216), er deckt schonungslos auf, dass es sich bei
dem ganzen Streite sehr wesentlich um Geld und Gut handle,
welches die englische Hierarchie aus ehemaligen „Revenuen
des Fegefeuers und der Simonie der Seelenmessen" überkommen
habe und nun nicht fahren lassen wolle (p. 217), er deutet an,
dass dieses aufgehäufte Kirchengut sich vortrefflich zu einer
Reform der verrotteten Institute der Universitäten werde
lirauchen lassen, deren grosse Mängel er aus eigener Erfah-
rung kannte, er spricht seine volle Verachtung gegen jenen
„Miethlings-Klerus" (hireling clergy) aus, dem schon während
seiner Lehrjahre der Sinn „nach einer fetten Präbende, Dechanei
oder Bischofs-Stelle steht" und hofft von der Beseitigung jener
„Lockspeisen" ebenso viel für den religiösen Sinn wie die Prä-
laten und ihr Anhang füt ihre persönlichen Interessen fürchteten.
„In Sachen der Religion — ruft er aus — ist nichts
unerträglicher als ein gelehrter Narr oder ein gelehrter Heuchler.
Der eine steckt immer in leeren Träumereien, als ein thörichter
Schwachkopf, von dem die Menschheit keinen Nutzen hat, der
die Welt mit eitlen und müssigen Fragen besäet ... — wahr-
lich ein schlichter ungelehrter Mann, der gemäss seiner ange-
borenen Erleuchtung ein gutes Leben führt, ist besser und
weiser und dient seinen Mitmenschen mehr zur Erbauung ....
Der andere benutzt seine sophistischen Künste und seine ganze
Tielehrsamkeit nur, um seine unersättliclie Habgier und Ehr-
suclit als fromm und i"ec]itgläul)ig ersclieincn zu lassen, indem
er seine niedrigen und ])etrüglichen Grundsätze mit einem
glatten und glcissenden Firnis ülierzieht" . . Gegen die Aus-
gesucbtbeit (Um- bischöHichcn Küche regnet es Anzüglichkeiten,
die fast an Ilutten's Feder erinnern, auf die Frage des Re-
Ideal des Geistlichen. 79
monstranten aber, ol) irgend ein Klerns in der Welt so viel
ansgezeichnete Gelehrte und Prediger aufweisen könne wie
zur Zeit derjenige von England, hat Milton nur jene Antwort
des bitteren Lachens: ..Ha, ha, ha-' (p. 241).
Und so wechselt er ab in Wendungen, denen es an Schärfe
nicht fehlt, in denen aber oft der gute Geschmack der Leiden-
schaft des Kampfes zum Opfer fällt. Doch wird dies leichte
Geplänkel mehr oder weniger unhöflicher Bemerkungen mit-
unter wohlthätig durch grössere Massen festgeschlossener Ge-
dankenreihen durchbrochen, in denen dann wieder das hohe
sittliche Pathos des Dichtörs zum Ausdruck kommt. So ent-
hält die Schrift eine ideale Schilderung vom Amte des Geist-
lichen, wie Milton es sich im Gegensatz zum Zerrltilde des
Hochkirchenthums ausmalte, er, welchen das herrschende
System selbst einst abgeschreckt hatte die geistliche Lanfliahn
zu betreten. Es ist nicht jenes behaglich-sentimentale Idyll
des englischen Landpredigers, das ihm vorschwebt, sondern
die hohe Gestalt des ehrwürdigen Sitten - Lehrers , dessen
feuriges W^ort zündend in die Massen einschlägt. ,, Wahr-
haftig, es giebt kein Amt, das mehr Ehre bringt , das einen
grossen Geist mehr befriedigen kann und einer edleren und
freieren Pflege bedarf als das, der Bote und Herold himm-
lischer Wahrheit von Gott für den Menschen zu sein und
durch die treue Arbeit heiliger Lehre . . . Gottes Schöpfung
im kleinen nachzuahmen, seineu Geist den Seelen einzu-
flössen, . , . die kalten und finstren Herzen der Hörer zu
durchdringen und aus Nacht und Wüste einen frischen Quell
seliger Erkenntnis und guter Werke zu erwecken''. Ein solcher
., wahrer Hirte" fordert für seine grossen Mühen entweder
nichts, wenn er ohne das auskommen kann, oder nur das be-
scheidene Mass, das des Lebens Nothdurft erheischt, er fühlt
sich nicht entehrt, wenn er nichts mit Gerichts-Sitzungen zu
thun hat, in denen den ,, verstockten Sündern" der Geldlieutel
erleichtert wird, er strebt nicht danach von den Leuten ,,Lord"
genannt zu werden, denn Lords und Fürsten werden ihn gerne
,, Vater" nennen, er drängt sich nicht dazu, eine Stelle im
Parlament zu erhaschen, denn seine Weisheit kann ihn selbst
80 Für Freiheit der Presse.
zum Lehrer des Parlaments machen, wie es denn herrlicher
und wirksamer ist, durch die Macht der Ideen und der Ueber-
zeugnmg die Menschen zum Guten zu leiten als sie durch
Zwangsmittel und Gesetzesstrenge vom Bösen zuiiickzuhalten.
Dem Stande der Geistlichen, in diesem idealen Sinne aufge-
fasst, soll alles Kastenwesen fern bleiben. Gott kann Fürsten
und Adlige zu diesem hohen Berufe begeistern so gut wie
andere. Die Prälaten wollen freilich eine solche Kaste bilden,
sehen geringschätzig auf die grosse Masse herab, „und doch
findet man gemeiniglich bei einem Laien mehr vernünftige
Erkenntnis als bei einem Dutzend Bischöfen" (p. 237, 207). —
In demselben hohen Tone redet er von dem Segen der Press-
freiheit, welche die Prälaten so lange Jahre unterdrückt hatten
,, durch ihre mönchischen Einschränkungen, ihre Verzeichnisse
der verbotenen Bücher, ihre Knebel und Zäume, ihre Macht
die Druck-Erlaul)nis zu ertheilen, die man nur von irgend
einem bezahlten, engherzigen, ungelehrten Kaplan erlangen
konnte", dessen Auge das Werk nur flüchtig durchblickte, dessen
Hand aber gar nicht flüchtig im Streichen war. Damals fühlte
sich die Freiheit der Rede, „das Herrlichste, das der Mensch
besitzt", „wie ein keuchender Schwindsüchtiger beengt und ein-
geschnürt", was Wunder, wenn nun, da wieder ein Parlament
versanunelt ist, „in der Zeit der Jubelfeier, der Wiederaufer-
stehung des Staates" die lange verfolgte Wahrheit mit über-
mässiger Gewalt hervorln-icht? Mancher Fürst hat es, wie
Harun al-Raschid, für gut befunden, Nachts verkleidet die
Strassen seiner Hauptstadt zu durchwandern, um sich mit eigenen
Augen, nicht getäuscht durch Schmeichler und Wohlredner,
vom wahren Zustand des Volkes und seinen Bedürfnissen zu
tibei'zeugen. Eben diesen Dienst kann die Freiheit der Presse,
wenn sie sonst nichts Gutes mit sich brächte, leisten. Sie führt
gleichsam zu einer „anntomischen Zerlegung der verborgensten
und feinsten Theile der Wirkliclikeit", sie belehrt niclit nur
die ganze Nation, sondern gewährt auch dvii Fürsten und
Koh-hen, welche den Gefülilen der Masse ferne steim, einen
klai-en Einblick in jedes schleicbt-nde ITel)el und jedes zurück-
geliiiltciic Gute. „Es wi'uv hai-t. es wäre (IrückcMid für ein
Literarische Hülfsmittel. 81
Königreich freier Geister", wenn die aus so sclimiUilichen Ban-
den erlöste Presse sieh die Censur „wegen schmähsüchtiger
Libelle" gefallen lassen müsste, wie Hall nicht übel Lust ge-
zeigt hatte sie gegen seine Widersacher anzurufen (p. 190).
Der grosse Vortheil, den der allseitig gebildete Milton in
seinen Ausführungen vor den geistlichen Verfassern des Sniec-
tymuuus voraus hat, besteht darin, dass er mit freiester Aus-
wahl über den ganzen Schatz antiker und moderner Literatur
gel)ietet und mit glücklichem Takt aus diesem einzelnes als
Schmuck seiner Darstellung herausgreift. Allerdings für die
wesentlichen Streitpunkte, um die es sich beim Kampfe HalFs
und seiner Gegner handelte, zog er selbstverständlich die ihm
so wohl bekannten theologischen Belegstellen gleichfalls an,
und benutzte sie zu den schärfsten Urtheilen über die Ordi-
nation, welche die Bischöfe ausschliesslich für sich in Anspruch
nahmen, „dies äussere Zeichen des Handauflegens, das nichts
schaffen, nichts übertragen kann, da nur die innere Stinune
Gottes den Geistlichen macht", über die Jurisdiktion der Prä-
laten, „Kanzler, Suffragane, Delegaten und Officiale mit dem
ganzen höllischen Schwärm von Gerichtsboten und Bütteln" —
diesen „Eingriff in die staatliche Amtsgewalt' ^ — über die
Liturgie, deren Form, an katholische Vorbilder erinnernd, „phan-
tastisch und abgöttisch" erschien, und die, wie er einst in
Cambridge selbst hatte erleben können, den puritanischen
Gläubigen an Stelle des freien Gebetes „mit Gewalt auf^ge-
zwungen" worden war. Indessen treten doch die theolo-
gischen Citate in dieser Schrift, welche den Schöngeist Hall
so gut zu meistern bestimmt war wie den Bischof, bedeutend
hinter anderen aus weltlichen Quellen zurück. Hatte der
„Remonstrant" den Bacon für sich angeführt, so diente ihm
sein Gegner mit gleicher Münze. Neben derben heimischen
Sprüchwörtern erscheinen lateinische Dicta, neben Anführungen
aus Lucian sehr anzügliche Verse des „bewunderten" Spenser.
Die griechische Mythologie wie die römische Geschichte werden
für die Zwecke des Autors ausgenutzt, ein Wort Savonarola's
erscheint ihm höchst brauchbar, und wo ihn seine klassischen
Erinnerungen verlassen, erfindet sein dichterischer Sinn rasch
Stern, Milton u. s. Zoit. I. 2. 6
82 Literarische Hülfsmiltel.
eine reizende Fabel im aesopisclien Stil, deren Nutzanwendung-
auf den Fall der Bischöfe er sich vorbehält bis „zum Schluss
des Parlaments".
Man liat bemerkt, dass jene Kaclischrift des Smectym-
nuus, die Aufzählung der geschichtlichen Thatsachen, welche
flir die Verderblichkeit des englischen Bisthums anführbar
waren, von Milton mit besonderem Kachdruck gegen Hall in
Schutz genommen wird. Hall hatte die Verfasser des Smec-
tymnuus des Plagiats u. a. aus Prynne's „Kompendium", einer
l)lossen ,.Zusammenstoppelung von Geschichten" beschuldigt.
Milton antwoi'tet darauf: . . , ,,Die Sammlung (von Belegstellen
aus Geschichts-Werken) , das mögest du wissen, war aus so
zuverlässigen Autoren dieses Faches entnonnnen. wie sie keine
l)ischöfliche Bibliothek besser enthalten kann; und der die
Zusammenstellung gemacht hat, sagt ausserdem, dass er in
einem ähnlichen Fall die Hülfe von Kompendien oder histo-
rischen Zusannnenstoppelungen weniger nötliig hal)en wird, als
Ew. Ehrwürden die von Postillen und Blumenlesen, um ihre
Predigten zu flicken". Aus dieser Stelle vorzüglich ist der
Schluss gezogen worden, kein anderer als Milton habe jene
Nachschrift zu dem Smectymnuus oder wenigstens Notizen dazu
geliefert i ^). So geisti'eich diese Vermutlmng ist, so wage ich
doch nicht mich ihr anzuschliessen. Die Ausdrücke Milton's
sind zu allgemein gehalten, der Ton in diesem Theile seiner
Schrift von dem in den vorhergehenden zu wenig verschieden,
als dass sich mit Bestinnntheit sagen Hesse, hier habe es sich
dem Autor nicht um Vertheidigung der Smectymnianer, son-
dern um die eigene Vertheidigung gehandelt. Auch ist schon
bemerkt worden, dass Milton sellist in seiner Sclirift über „die
Keformation" das gleiche geschichtliche Material ganz anders
zu verwenden weiss. Man sieht auch nicht ein, warum die
fünf Geistliclieii, um so hindläutige Quellen auszusc]»rei])en, wie
es Ikeda, Holinslied, Stowe waren, die Hülfe ihres gelehrten
Freundes liätten anrufen müssen, um so weniger, da sie später
in der „Vertheidigung ihrer Antwort auf die Pemonstranz"
p. y>. sel])st den Ausdruck gebrauchen: „our histories
record of llai-old", sodass sie diese ,, histories" doch gekannt
Karl I. in Schottland. 83
hal)en müssen. Zweifelhaft wird es erscheinen, oh der Smec-
tynniuiis Milton schon vor dem Druck im Ms. l)ekannt wurde,
wenn er auch um das Geheimnis der Autorschaft gewusst
haben mag. Denn schwerlich wäre ilini. dem Freunde der
Naturwissenschaft, dem A^erehrer Galilei"s, jener bedenkliche
apodiktische Satz der Smectymnianer entgangen, mit dem sie
eine Behauptung ihres Gegners abzutrumpfen suchen: ..Wir
werden sofort zeigen, dass in dieser Behauptung niclit mehr
Wahrheit liegt, als wenn er mit Anaxagoras gesagt hätte: Der
Schnee ist schwarz, oder mit Copernicus: Die Erde
bewegt sich und der Himmel steht still".
Inzwischen war die grosse kirchenpolitische Frage durch
den Gang der Ereignisse ein Stück weitergebracht worden.
Der König verfolgte bei seiner Reise nach Schottland in
erster Linie das Ziel die Sache der Schotten von der Sache
der Engländer zu trennen. Im Korden augelangt, erklärte er
sich daher mit allem, was gegen seine ursprünglichen Ab-
sichten geschehen war, für einverstanden, gab für die Ernennung
der höchsten Staatsbeamten und der Mitglieder des geheimen
Raths sogar seine Prärogative auf und Hess sich für seine
Person den reinen presbyterianischen Gottesdienst gefallen.
Er versäumte nichts, sich Argyle, der die Ansprüche des schotti-
schen Adels und des schottischen Presbyterianismus gebiete-
risch vertrat, so gefügig als möglich zu zeigen und musste
dulden, dass selljst Hamilton, der alte Vertraute und Berather
in den schottischen Angelegenheiten, mit jenem mächtigen
Magnaten und seinen Genossen gemeinsame Sache machte.
Indessen gab es Gegenstände, über welche eine Vereinigung
schwierig schien, und es konnte niemandem verborgen bleiben,
wie wenig man im scliottischen Lager dem plötzlich umgewan-
delten Monarchen traute. Noch vor der Zeit, in welcher in
England heimliche Pläne einer Reaktion gegen die Fortschritte
der parlamentarischen Macht geschmiedet worden waren,
hatten sich auch in Schottland ähnliche dem König günstige
Bestrebungen geregt. Eine Partei hatte sich unter dem Adel
6*
84 Karl I. in Schottland.
gebildet, welche zwar die hiscliöfliche Kirclien -Verfassung
keineswegs in ihrem Heimathmde zuriickzuführeu gedachte,
der al>er die oligarchische Herrschaft Argyle's und seines An-
hangs unerträglich war. An ihrer Spitze stand jener Graf
von Montrose, jugendlich -feurig, das Herz von ehrgeizigen
Wünschen erfüllt, die durch das eifrige Studium der antiken
Schriftsteller genährt, in den kalten Formen des Presbyte-
rianismus keine Befriedigung finden konnten. Zwar war er
der erste im Heere der Covenanters gewesen, der sein Boss
über den Tweed geführt und den Fuss auf englischen Boden
gesetzt hatte, aber seine durch und durch royalistische Ge-
sinnung, die nur eine Zeit lang geschlummert hatte, und vor
allem seine Eifersucht auf die lieherrschende Stellung Argyle's,
des „Königs Campbell", hatten ihn schon im Winter 1640 auf
1641 verleitet, einen geheimen Briefwechsel mit Karl I. zu
beginnen und wenig später einen geheimen Bund mit Lord Napier,
Sir Archibald Stewart von Blackhall und anderen Grossen
abzuschliessen , der seine Spitze gegen Argyle richtete. Die
Entdeckung dieser Umtriebe hatte im Juni 1641 zur Verhaf-
tung Montrose' s und seiner Freunde geführt. Sie sassen in
sicherem Gewahrsam im Schloss zu Edinburg, als Karl dort
anlangte. Der König, welchen die Erinnerung an Strafford
verfolgte, wünschte um jeden Preis diese Männer zu retten,
dei-en vertrauliche Aufforderungen wesentlich dazu beigetragen
hatten, ihn zu seiner Reise zu bewegen. Argyle war geneigt
sie zu schonen, aber so gross war das Misstraucn, das man
in seinem Kreise hegte, so bedeutend die Furcht vor Intriguen
der Höflinge, die Monti'ose's Faktion geneigt waren, dass Argyle,
und mit ihm Hamilton und dessen Bruder, der Graf von Lanark.
plötzlich aus iMÜnburg verschwanden, da ihr Leben von einem
Komplott bedroht sei (12. Okt.) Der König betheuerte vor
dem schottischen Parlament seine Unschuld, die Geflüchteten
kehrten nach einiger Zeit zurück, aber das räthselliafte Er-
eignis liatte jedenfalls nicht dazu gedient, die Stellung Karls
zu verstärken (^). Zwar kam man überein, die gefangenen
Iloyalisten straflos ausgelin zu lassen, indess die Leitung aller
Staatsgesdiäfte gieng auf die Mitglieder des presbytei'ianischen
Wiederzusammeutvitt des Parlaments. 85
Adels über, welclie zuerst den Kampf gegen den König orga-
nisirt hatten. Dieselben Männer, die noch vor kurzem als
Rebellen gebrandmarkt worden, sahen sich jetzt durch Ehren-
und Gnadenliezeugungen ihres Fürsten überhäuft, niemand
mehr denn Argyle. Als Karl sein Stammland im November
1641 verliess, 'hatte er die stolzen Magnaten befriedigt, die
presbyterianische Geistlichkeit beiiüiigt, die Masse des Volkes
aufs neue mit loyalen Gesinnungen erfüllt. Von Schottland
glaubte er keine Einmischung in die Verhältnisse Englands
fürchten zu müssen, wenn die Stunde gekommen wäre, sich
dort den Wogen der Revolution entgegenzuwerfen, welche die
Grundlagen der Kirchenverfassung unterwühlte, und vor deren
Gewalt auch die Verfassung des Staates nicht unerschüttert
bleiben konnte (^).
Am 20. Oktober war das englische Parlament wieder zu-
sammengetreten. Die wenigen Wochen der Ruhe, die es sich
gegönnt hatte, waren für die Entwicklung der Parteiverhält-
nisse von grösster Bedeutung gewesen. Der fieberhaften Auf-
regung der Debatten für kurze Zeit entzogen , zurückgekehrt
in die friedliche Stille ihrer Landsitze waren viele der Parla-
mentsmitglieder zum Nachdenken darüber gekommen, wie weit
man schon gegangen sei, und zum Entschluss, nicht weiter
zu gehn. Jene letzten einseitigen Verordnungen des Hauses
der Gemeinen, die auf Aenderung des Ritus im puritanischen
Sinn Bezug hatten, waren doch vielfachem Widerspruch be-
gegnet. Hervorragende Männer, die keineswegs zu den Fana-
tikern der Laud'schen Schule gehörten, wie Bischof Williams,
erklärten sie für ungesetzlich. Ueberhaupt musste die Unter-
brechung der Sitzungen die Bestrebungen aller derer begün-
stigen, welche zwar Reformen der Kirchen Verfassung verlangt
hatten, aber das Bisthum beibehalten wollten, und w^elche
bereit gewesen waren, zur Sühne der Vergangenheit und zur
Sicherung der Zukunft mitzuwirken, weitere Angriffe auf die
Prärogative der Krone indess für unstatthaft hielten. Die
parlamentarische Mittelpartei, deren Ansätze schon vorher
deutlich bemerkbar gewesen waren, hatte sich völlig zu Gun-
sten des Königs und der Prälaten ausgebildet und begann
8(3 Wiederzusammentritt des Parlaments.
den ungleichen Kampf mit den Männern des entschiedenen
Fortscliritts. Im Hause der Lords, dessen Gesammtcharakter
von Anfang an mehr der Erhaltung als der Veränderung des
Bestehenden zugeneigt war, konnte sie, zumal so lange die
Bischöfe noch mitwirkten, unstreitig auf die Mehrzahl rech-
nen und hatte in dem zur Pairie erhobenen Lord Digby einen
überaus fähigen Vorkämpfer erhalten, dessen Vater, Graf
Bristol , gleichfalls wiederum mit dem König versöhnt war.
Im Hause der Gemeinen gebot sie wenigstens über eine sehr
achtungswerthe Minorität, an deren Spitze Falkland, Cole-
pepper, Deering, E. Waller etc. traten; ihr leitender Führer
wurde Edward Hyde, welchen des Königs persönliche Gunst
vollständig gewonnen hatte. Es lag in der Natur der Dinge,
dass diese Partei, nachdem sie sich in entschiedenen Gegen-
satz zu den alten Genossen gestellt hatte, immer weiter auf
der Bahn der Nachgiebigkeit gegen den Hof getrieben wurde,
bis der Bruch erfolgte, welcher den Bürgerkrieg hervorrief.
Auf der anderen Seite kehrte die Mehrzahl der Mitglie-
der des Unterhauses mit verstärkter Entschlossenheit in die
St. Stephens -Kapelle zurück, auf dem betretenen Wege muthig
vorwärts zu gehn. Den einen war es Gewissenssache, nicht
zu ruhen, bis das Bisthum über den Haufen geworfen sei,
Vane und Cromwell, Haselrig und Märten stellten die kir-
chenpolitische Frage in den Vordergrund. Andere waren von
dem Gedanken durchdrungen, dass man weiter gehen müsse,
weil dem König, der bei allen Veränderungen in den Regie-
rungsstellen immer mehr sein eigener Minister wurde, nicht
im mindesten zu trauen sei: diese rein politische Auffassung
vertrat namentlich John Pym. Aus dem Bericht, welchen er
im Namen des während des Recesses thätigen Ausschusses
dem Hause erstattete, leuchtete eine solche Befürchtung deut-
lich hervor. Man hatte von jenem räthselhaften Ereignis der
Flucht Argyle's und Hamilton's und den Gerüchten, die sich
daran knüpften , durch Bi'iefe Hampden's und seiner mit ihm
in Scliottland weilenden Genossen vernommen. Man raunte
sich zu, unter denen, welche einen Anschlag gegen schot-
tische Grosse geplant, seien Papisten, man äusserte lebhafte
Irische Kebellion. 87
Besorgnis über einen Zusammenhang zwischen jenen Intri-
guanten und einer „gleichen Partei" in England, deren Spuren
man während der pailamen tarischen Ferien in vielfachen un-
ruhigen Bewegungen der soldatischen Kreise bemeikt zu haben
glaubte. — Sofort wurden die Wachtposten in der Stadt ver-
stärkt und beide Häuser ersuchten den Grafen Essex, den
militärischen Vertreter des Königs diesseits des Trent, das
Lokal ihrer Sitzungen Tag und Nacht mit einer Schutzgarde
aus den Milizen von Westminster zu versehn. Demnächst
nahm man den Angriff gegen die Bischöfe wieder auf. Das
Haus der Lords wurde aufgefordert zu einem raschen Verfah-
ren in Sachen der Anklage, welche vor dem Recess gegen die
dreizehn Bischöfe erhoben war. Die Lords verstanden sich
zum Beginn der Verhandlung für den 10. November. In-
zwischen war bei den Gemeinen schon am zweiten Tage ihrer
Wiedervereinigung wiederum eine Bill eingebracht und am
23. Oktober in dritter Lesung angenommen worden, nach der
..alle Personen geistlichen Standes unfähig sein sollten, welt-
liche Gerichtsbarkeit und Äutoiität auszuüben''. Sie nahmen
damit ihren früheren Antrag auf, forderten aber nunmehr nach
einem gründlichen Vortrag John Pym's von den Lords, dass
über diese Bill mitzustimmen den Bischöfen insgesammt, auch
den nicht angeklagten, verwehrt sein solle.
Während man in dieser Weise energisch vorgieng, langte
die furchtbare Kunde der blutigen Gräuel in England an,
deren Schauplatz in eben diesen Tagen Irland gewesen war.
Seit der starken. Hand Strafford"s die Zügel der Ptegiening
entrissen waren, hatten sich auf der grünen Insel die dämo-
nischen Gewalten religiösen und nationalen Fanatismus neu
geregt, die er mit eisernem Griff für Jahre gebändigt hatte.
Das Heer, das er dort gebildet hatte, ward aufgelöst, die
geistlichen und weltlichen Ausnahmegerichte, wie in England,
beseitigt, der neu ermannte Lord -Lieutenant, Graf Leicester,
verweilte noch fern von seinem Posten. In dem Augenblick,
da das Parlament in Westminster sich ungestüm gegen die
Träger der letzten Willkürherrschaft erhob, fühlte die celtisch-
katholische Masse jenseits des St. Georgs -Kanals die Gunst
88 Rückwirkung auf England.
des Augenblicks gekommen , um auf ihre Weise das Unrecht
von Jahrhunderten zu rächen. Unter den treibenden Kräften
war zunächst die religiöse Leidenschaft überwiegend. Die
Katholiken, seit Generationen auf jede Weise in dieser ihrer
Eigenschaft geknechtet und beraubt, aufgehetzt durch Agenten
im Priestergewande , die nach den Verwaltungsgrundsätzen
Strafford's in grösserer Masse aus Spanien, Italien, den Nie-
derlanden hatten eindringen können, ohne Unterschied der
Abstammung, waren entschlossen, die protestantischen Ansied-
lungen zu vernichten und der Kirche, zu der sich die unge-
heure Mehrzahl der Bevölkerung bekannte, die Güter zurück-
zuerobern, welche die Habsucht der puritanischen Fremdlinge
ihr entrissen hatte. Am verabredeten Tage des heiligen Igna-
tius (23. Oktober) stürzten sich die wuthberauschten Schaaren,
unter Führung wilder Häuptlinge, in denen die Desmonds und
Tyrones wiederauilebten , allenthalben auf die Wohnsitze der
ahnungslosen englisch -schottischen Protestanten. Mit Mühe
wurde Stadt und Schloss Dublin in letzter Stunde gewarnt
und gerettet, wenige andere feste Plätze konnten sich halten,
alle übrigen, das flache Land waren der Wuth der Rebellen
Preis gegeben. Im Schlaf überfallen, von Haus und Hof in
die Einöde gejagt, durch ausgesuchte Folterqualen gemartert,
fanden Manner, Weiber, Kinder in wenig Stunden zu Tausen-
den ein grässliches Ende.
Am 1. November langten die ersten Nachrichten von
dem geschehenen Unheil in London an. Waren es anfangs
dunkle Gerüchte, welche noch nicht die ganze Wahrheit ahnen
Hessen, so erhielt man bald furchtbare Gewissheit. Jeder
Tag brachte neue entsetzliclie Einzelheiten. Achtzig in einer
Grafschaft ertränkt, kleine Kinder buchstäblich in Stücke ge-
hauen, schwangere Frauen bestialisch gemordet: das waren
die Bilder, welche in den düster -kalten Novembertagen der
Phantasie der Engländer sich aufdrängten (i). Im Parlament
zog man in grösster Eriegvuig in Berathung, wie den ver-
lassenen Brüdern, die dem Blutbad entgangen waren, zu helfen
sei, im ganzen Lande begann man für sie zu sammeln. Aber
indem sich alle (Jedanken jenen Küsten zuwandten, von denen
Eückwirkung auf England. 89
sich durch den Winternebel klagende Stimmen und Racherufe
erhoben, wurden viele der puritanischen Herzen mit schweren
Sorgen erfüllt. Seit Jahren hatte der Masse des englischen
Volkes das Schreckgespenst einer gewaltsamen Wiederaufrich-
tung des Papismus vorgeschwebt. Eben dieser Gedanke hatte
wesentlich dazu beigetragen, die Bewegung zu entfesseln, von
der man vorwärts getrieben wurde, und ihr die Richtung
gegen die verhassten hochkirchlichen Institutionen zu geben,
die man als krypto- katholisch betrachtete. In den Debatten
des Parlaments, in den Erzeugnissen der Presse, in den Ge-
sprächen der Bürger jvar die Hindeutung auf „papistische
Faktionen und Umtriebe" ein stehendes Wort, um die Be-
fürchtungen zu bezeichnen, die man vor den Gesinnungen des
Hofes und namentlich vor dem Kreise der Königin beständig
hegte. Gerade damals wurden die alten Besorgnisse einer
Hinneigung des Hofes zu Spanien durch die Gunst, in der
Bristol und Digby standen, aufs neue erregt. Man wusste,
dass sich Straftbrd's Herrschaft in Irland duldsamer gegen
die Katholiken gezeigt hatte, als die ängstliche Intoleranz des
Puritanismus es billigen konnte, dem jeder, der die Messe
anhörte, schlechtweg als Staatsfeind galt. Man vernahm, dass
die Proklamationen der irischen Rebellen dem Könige Treue
und Schutz gegen die „Unterdrücker seiner Prärogative" ver-
hiessen. Ihr Heer nannte sich bald das „Heer des Königs",
bald „das Heer der Königin", ja sie hatten die Frechheit, den
Wortlaut eines angeblichen königlichen Befehls zu veröffent-
lichen, durch welchen sie zum Handeln ermächtigt seien.
Wir wissen längst, dass Karl ohne Schuld an dem Gemetzel
der Oktobertage gewesen ist, aber wie die Stimmung in Eng-
land war, erscheint es begreiflich, wenn ein Theil der Massen
sich mit dem finstersten Argwohn erfüllte. Andere Bedenken
hatten die parlamentarischen Führer. Das Elend der fernen
puritanischen Brüder, die das nackte Leben hinter die be-
drohten Mauern weniger Festungen gerettet hatten, rief um
schleunige Hülfe. Jeder Tag, den man zögerte, Truppen an
die bedrohten Küsten zu werfen, wurde zum unerträglichen
Vorwurf. Aber die Aufstellung eines Heeres konnte eine ge-
90 Eückwirkuiig auf England.
fälirliche Waffe in der Hand des Königs werden, und die
Pläne, die man Strafford zugeschrieben hatte, mochten sicli
damit verwirklichen. Wenn man zur Absendung von Truppen
sehr bereit war, so wünschte man die Ernennung ihrer Führer
nicht dem König zu überlassen. Wenn die Bürger von Lon-
don geneigt waren, Geld zu geben, so machten sie ihre Be-
willigung von Bedingungen abhängig. Das schottische Parla-
ment bot zehntausend der eben entlassenen Soldaten unter
Führung schottischer Führer zur Bekämpfung der Rebellen
an, der König hatte gegen die Ueberführung einer so starken
schottischen Streitmacht auf irischen Boden Bedenken. Er
machte auf die erste Nachricht hin, die er über das irische
Ereignis erhielt, gegenüber dem vertrauten Sekretär Nicholas
die vieldeutige Bemerkung: „Ich hoffe, die bösen Nachrichten
aus Irland werden einige dieser Thorheiten in England ver-
hindern" (^). Die Rebellion der Katholiken musste ihm ge-
wissermassen als Bundesgenosse gegen die Macht des purita-
nischen Parlamentarismus erscheinen.
Unter solchen Umständen herrschte das begreifliche Ge-
fühl der Unsicherheit und des Misstrauens vor, welches, durch
die wildesten Gerüchte von Komplotten und Attentaten ge-
steigert, in den nächsten Verhandlungen des Parlaments zum
Ausdruck kam. Es gab zwei Positionen, aus denen es galt,
den König zu verdrängen, um sich die Zukunft zu sichern:
sein Recht, die höchsten Ilathgeber der Ivrone nach freiem
Belieben zu wählen, und sein Recht, über die Streitkräfte des
Landes von sich aus zu verfügen. Die politischen Ziele, denen
man zustrebte, waren damit in aller Schärfe ausgesprochen.
Man wollte ein Ministerium, aus der Mehrheit des Parlamentes
genommen, und eine Laudesvertheidigung unter parlamenta-
rischer Leitung. Pyni betonte in einer Konferenz mit den
Lords am 10. November, die reich war an heftigen Ausfällen
gegen die staatsfeindlichen Prineipien des Papismus, welche sich
eben in Irland aufs neue gezeigt und doch noch im Rathe
d<.'s Königs Vertreter hiitten, wie dringend nöthig es sei, die
„üblen Rathgeher" (hirch solche ersetzt zu sehn, „die vom
Pai-lamcnt g('l)illigt seien". Einige Taue voihor war auf Crom-
Grosse Remonstranz. 91
■weH's Antrag beschlossen worden, in jener Konferenz mit den
Lords ihre Zustimmung zum Erlass einer Ordonnanz zu er-
bitten, welche den Grafen Essex ermächtigen sollte, weitere
Beschlüsse vorbehalten, die Milizen des Reiches diesseits des
Trent nach Gutdünken zur Vertheidigung des Landes aufzu-
bieten (i). Die Instruktionen, welche an die noch in Schott-
land befindlichen Kommissäre des Parlamentes abgiengen,
redeten gleichfalls deutlich genug. Sie legten dar, was man
bis dahin für Irland in aller Eile gethan habe, forderten aber
zu gleicher Zeit dazu auf, von dem König alles Unheil auf
die Schultern der schlechten Rathgeber abzuwälzen. Eine
Ablösung dieser „Begünstiger des Papismus", dieser ..Feinde
des Friedens", durch Männer des parlamentarischen Vertrauens
werde erwartet. Für den Fall einer Täuschung dieser Er-
wartung wurde eine Verfügimg über die Büttel zur Ki'iegfüh-
rung ohne Rücksicht auf die Mitwirkung des Monarchen in
Aussicht gestellt (-). — Während man auf diese Weise das
irische Ereignis gegen das Königthum auszubeuten suchte,
wurde im Hause der Gemeinen selbst ein anderes hochbedeu-
tendes Werk in Angriff genommen. Schon mehrfach war der
Gedanke angeregt worden, eine „Remonstranz" zusammenzu-
stellen, eine Uebersicht der Beschwerden, deren Ursache die
Willkiirherrschaft der Vergangenheit gewesen, nebst einer An-
gabe der Mittel, die zu ihrer gründlichen Abstellung erfor-
derlich seien (^). Durch wichtigere Geschäfte in den Hinter-
grund gedrängt, wurde die Arbeit nunmehr mit erneutem
Eifer aufgegriffen. Die Debatten über die Remonstranz wur-
den gleichsam zum Prüfstein für das Machtverhältnis der
Partei der Hyde, Falkland, Colepepper und der Partei der
Pym, Hampden, Cromwell. Zum ersten Male traten die Ge-
gensätze, die sich im Schosse der Versammlung ausgebildet
hatten, feindlich auseinander. Nach den gewaltigsten Rede-
kämpfen erfolgte am 22. November mit einer Mehrheit von
eilf Stimmen die Annahme. Augenblicklich aber erhob sich ein
neuer Kampf. Auf den Antrag, das Aktenstück, das fast mehr
auf die grosse Masse, als auf den König berechnet war, sofort
durch den Druck verbreiten zu lassen, erfolgte der Wider-
92 Grosse Remonstranz.
Spruch der Royalisten. Hyde erklärte, ohne Zustimmung der
Lords sei dies ungesetzlich und gab zu verstehen, dass er,
falls es doch geschehe, Protest einlegen müsse. Colepepper
sprach in demselben Sinn. Eine weitere unvorsichtige Aeusse-
rung eines ihrer Genossen führte zu einer stürmischen Scene,
indem die ganze gemässigte Partei mit Geschrei ihren An-
schluss an einen solchen Protest erklärte. Einige schwangen
ihre Hüte, andere zogen ihre Schwerter aus der Scheide.
Auch die Gegenpartei gerieth in Feuer und Flammen, ein
Handgemenge drohte, nur Hampden's Besonnenheit führte die
Ruhe zurück. Man entschied sich gegen den Druck (wenn
auch nicht gegen anderweitige Veröifentlichung) ohne aus-
drückliche Erlaubnis des Hauses und gieng um zwei Uhr
Morgens tief erregt aus einander.
In den zweihundertundsechs Artikeln dieser so mühsam
erkämpften Piemonstranz war alles zusammengefasst, was die
puritanische Mehrheit bewegte. Es war ein Ptückblick auf
die Vergangenheit und ein Manifest für die Zukunft zu glei-
cher Zeit. Nächst einer völlig puritanisch gefärbten Skizze
der früheren auswärtigen und inneren Politik wurden die
noch vorhandenen vermeinten Gefahren angedeutet und die
noch ausstellenden Mittel zu ihrer" Vermeidung als unabweis-
bare Förderungen angegeben. Sie umfassten wiederum das
staatliche und kirchliche Gebiet zu gleicher Zeit: Ernennung
der hohen Staatsbeamten gemäss parlamentarischem Ver-
trauen und Entlassung der verdächtigen, schärfste Ueber-
wachung der Machinationen von Papisten, „deren Grundsätze
auf die Ausrottung aller Protestanten abzielen", Reform der
Kirchenverfassung durch das Parlament, Einschränkung der
Macht der Prälaten, vor allem ihre Enthebung von weltlichen
Aemtern, Entfernung der „abgöttischen Ceremonieen und der
]\Ionumente der Idolatrie", „Reinigung der Quellen der Ge-
lehrsamkeit, der beiden Universitäten" u. s. w. Schon hier
wurde auf die Nothwendigkeit hingewiesen, eine „allgemeine
Synode" der würdigsten englischen Geistlichen zu berufen,
denen es obliege, „mit Unterstützung einiger ausländischer"
Amtsbi-üdcr dem Parlament Vorschläge für das grosse Werk
Rückkehr des Königs. 93
kirchlicher Reform zu machen. Unbedingt ward der Ge-
danke abgewiesen, „einzehien Individuen oder Kongregationen
Freiheit des Kultus zu gestatten". „Konformität durch das
ganze Reich" war auch jetzt wie zur Zeit der Laud'schen
Herrschaft die Parole. Nur die Rollen waren gewechselt, das
Schauspiel drohte dasselbe zn bleiben (').
Drei Tage nach der Annahme der grossen Remonstranz
langte der König wieder in London an. Der Empfang , den
er im Lande wie in der Hauptstadt gefunden hatte, stimmte
ihn sehr zuversichtlich. Er war entschlossen, den neuen par-
lamentarischen Ansprüchen nicht nachzugeben. Schon einen
Tag nach seiner Ankunft gab er seinen Vorsatz kund, dem
Parlament die während seiner Abwesenheit aufgestellte Garde
zu entziehen, da seine Gegenwart ihm Schutz genug gewähren
werde. Am 1. December nahm er in Hamptoncourt die Re-
monstranz nebst der sie begleitenden Petition entgegen, in
welcher u. a. noch ein Mal die Nothwendigkeit betont wurde
die „malignanten" Rathgeber aus ihren wichtigen Stellungen
und die Bischöfe aus ihren weltlichen Aemtern zu entfernen.
Der König warf während der Verlesung der Petition nur hie
und da ein Wort ein und stellte eine Erwiderung für die
Folge in Aussicht, ohne die gewünschte Zusicherung zu er-
halten, dass man bis dahin mit der Veröffentlichung der Re-
monstranz warten werde. Den Tag darauf erschien er selbst,
um sich über den Mangel an Vertrauen des Parlamentes und
die Zögerung in Sachen der Hülfe für Irland zu beklagen.
Während man diese schwielige Frage nicht aus den Augen
verlor, kam vieles zusammen, die Erregung zu steigern und
die Debatten noch mehr zu erhitzen. In der Nähe des par-
lamentaiischen Sitzungslokales sammelten sich lärmende Volks-
haufen. Schon war ein Zusammenstoss zwischen den Bürgern
und einer neuen, vom König gegebenen Garde des Parlamen-
tes erfolgt, gegen welche dieses selbst remonstrirte. Ausser-
halb Westminster wurden die Demonstrationen gegen Bischöfe
und papistische Lords immer stürmischer, und am 11. De-
cember langte eine Riesenpetition der Bürgerschaft in diesem
Sinne bei den Gemeinen an. Vier Tage vorher hatte Arthur
94 Rückkeln- des Königs.
Haselrig" eine Bill über die Organisation der Land- und See-
macht des Reiches eingebracht, welche die erste Lesung pas-
sirte ('). Ein unvorsichtiger Schritt des Königs führte einen
neuen Sieg der Opposition herbei. Noch stand die Bill über
das Pressen von Mannschaft für den irischen Krieg zur Be-
rathung, als der König am 14. December die Gemeinen zu
den Lords entbot und die Bemerkung machte, er werde jener
Bill nur unter ausdrücklicher Wahrung seiner Prärogative,
welche er durch den vorsichtigen Wortlaut der Bill bedroht
sah, die Bestätigung geben können. Sofort traten beide Häuser
zusammen , um den geschehenen Eingrift' in eine schwebende
Berathung als einen Bruch ihrer Privilegien zu konstatiren.
Sie überreichten Karl L einen gemeinsamen Protest und
zwangen ihm eine Art von entschuldigender Erklärung ab.
Inzwischen hatten die Gemeinen nicht länger gezögert, auch
den Druck der grossen Piemoustranz zu beschliessen. Erst
darauf erfolgte die Veröffentlichung einer Antwort des Königs,
nicht eben befriedigend, wenn auch milde- in der Form, mit
einigen Seitenhieben auf die Keckheit von Pamphletisten und
Predigern, unter denen sich Milton und seine Freunde ge-
troffen fühlen mochten (^).
Von allen Fragen wurde diejenige, w^elche für sie ein
besonders grosses Interesse hatte, die dringendste, die Frage
über den Ausschluss der Bischöfe aus dem Hause der Lords.
Fast in demselben Augenblick , in dem das Unterhaus sieh
wiederum lür P^ntfernung der Bischöfe aus dem Parlament erklärt
hatte, während eine starke Partei für Aufhebung des ganzen
Instituts war, hatte der König eine Reihe von bischöflichen
Stellen, die seit längerer Zeit leer standen, neu besetzt. Unter
den Beförderten war Hall, der Gegner Milton's und der Smec-
tymnianer, welcher das Bisthum Norwich erhielt, und Williams,
von dem nichts mehr in den Kreisen der Op])Osition zu er-
warten war, welchem das Erzbisthum York zu Theil wurde.
Er war es, dem man eine unerwartete Lösung der grossen
Frage vordankte, deren Behandlung die Lords bestiuidig zu
vei-zögern gewusst hatten. Eben dieses Zaudern hatte die
Aufregung in London gesteigert und jene DemonstrationeTi
Tumulte in London. 95
hervoi'iieriifen, die den Gegensatz eines grossen Theiles der
Bevölkerung und des rovalistischen Lord Mayors u. a. often-
barten. Die Unrulie in den büi-gerliclien Kreisen nahm zu,
als man erfuhr, dass der beliebte AYilliam Balfour. ein Schotte,
in seiner Stellung als Gouverneur des Tower vom Colonel
Lunsford ersetzt worden sei. der wegen seiner Rohheit ver-
hasst, wegen seiner kirchlich-politischen Stimmung verdächtig
war. Die Kaufmannschaft gerieth in Besorgnis, die Gold-
und Silberbarren im Tower in solchen Händen zu wissen.
Die Gemeinen ersuchten die Lords, mit ihnen um Zurück-
nahme dieser Ernennutfg zu bitten. Obgleich die ]\Lijorität
der Lords einen solchen Eingriff in die Prärogative ablehnte,
forderten die Gemeinen die übrigen auf, als ^Männer von Ehre
für das öffentliche Wohl zu handeln, und eine Minorität von
zweiundzwanzig Lords unterzeichnete am 24. December in der
That einen Protest gegen den beschlossenen Aufschub der
Angelegenheit auf den siebenundzwanzigsten. Als der König
nun Lunsford eutliess und den nicht viel weniger unpopulären
John Byron an seine Stelle setzte, brachte dies keine gute
Wirkung hervor. Immer zahlreicher waren die Zusammen-
rottungen von Bürgern und Lehrlingen um Westminster ge-
worden. Auch am Morgen des 27. December, als Lunsford's
Entlassung kaum bekannt geworden sein konnte, strömte
eine erregte ^Lnsse dort zusammen. Je mehr die Bischöfe
dazu mitgewirkt hatten, die Lords von entschiedenem Vor-
gehen zurückzuhalten, desto heftiger richteten sich beleidi-
gende Pvufe gegen sie. Erzbischof Williams, der an einen
der Schreier Hand anlegte, sah sich seilest durch den Tumult
bedroht. Lunsford erschien mit einem Haufen kriegerischer
Genossen, Angehöriger des aufgelösten Heeres, die vom König
unterhalten wurden, auf dem Platze, es kam zum Handge-
menge, zum Blutvergiessen.
Die Lage war der Art, dass die Bischöfe nicht mehr ohne
Gefahr an den Berathungen theilnehmen zu können schienen.
Da veranlasste der persönlich gereizte W'illiams eilf seiner
gerade anwesenden Kollegen, mit ihm eine Protestation zu
unterzeichnen, an den König und an das Haus der Lords
96 Verhaftung der zwölf Bischöfe.
gericlitet. in der sie die Uiimöiiliclüveit begründeten, unter
obwaltenden Umständen ihren Pflichten nachzukommen und
im voraus alle während ihrer Abwesenheit vorkommenden
Akte für null und nichtig erklärten. Der König Hess den
Protest durch den Grosssiegell)ewahrer vor den Pairs verlesen.
In einer Conferenz, die diese mit den Gemeinen hielten,
erhoben die letzten gegen die Bisehöfe, die es gewagt, im
voraus parlamentarische Beschlüsse für ungiltig zu erklären,
die Anklage des Hochverraths. Noch am sellien Abend (30.
December) wurden sie, an der Barre des Oberhauses knieend,
davon in Kenntnis gesetzt, sie wurden in Haft genommen,
zehn von ihnen, darunter Hall, in den Tower geschickt.
Die geschilderten Ereignisse mussten auf Milton einen
eben so tiefen Eindruck machen wie auf seine Mitbürger.
Wir besitzen noch ein Zeugnis dafür, wie bereit er war,
sein Theil zur Linderung der Noth jener irischen Opfer bei-
zutragen. Auf einer „Sammelliste für Irland" erscheint sein
Name mit dem Vermerk von 4 i^, während in dem ganzen
Bezii'k niemand sonst die Summe von 2 il^ überschreiten
mochte ('). In den kirchenpolitischen Kampf, der durch die
Gefangennehmung der Bischöfe eine so gewaltsame Wendung
erfahren hatte, griff er durch eine vierte Flugschrift ein,
deren hohe Bedeutung schon aus ihrem Titel erhellt: Das
Wesen der Kirchenverfassung, klargestellt gegen das Prälaten-
thum(^). Diese Schrift nuiss dem Anfang des Jahres 1642
angehören. Nach der einen Seite wird das Datum ihres Er-
scheinens durcli die Jahreszald 1641 auf dem Titel bcstinnnt,
die nach damaliger Sitte den Zeitraum bis zum 25, ]März 1642
umfasste, nach der anderen Seite ist durch die l^hnvähnung
der Gefangonnehmung der Bischöfe die Gi-enze gezogen. Am
Ende der Schrift wird nämlich niit Bitteikeit jenes „auf-
rühreiischen" Versuches der Prälaten gedacht, „alle i)ailamen-
tarischen Pieschlüsse zu kreuzen und ungiltig zu maclien."
schon daraus die kühne Folgerung gezogen, dass „sie nicht
von Rechtswegen Mitglieder des Hauses seien", und mit Genug-
Milton's Schrift über „das Wesen der Kirclienverfassuug". 97
thuung erwähnt, dass ihr Trotz nunmelir „in starken Mauern"
eintieschlossen worden sei. Gleicher Weise wird vom irischen
Aufstand, als einem erst kürzlich eingetretenen Ereignis ge-
sprochen, dessen ganze Gewalt der Schreiber schmerzlich
empfindet (S. 135 flf.)- Er sieht im Geiste „den armen be-
trül)ten Rest der Landsleute an der Küste des Meeres sitzen"
und die Stunden Ins zur Ankunft der verzögerten englischen
Hülfe „mit ihren Seufzern, die Minuten mit ihren Thränen,
mit den Blutstropfen ihrer Wunden zählen." Er mft das
Ehrgefühl seiner Nation zur Bekämpfung ,,des barbarischen
Haufens der Rebellen" ^n, aber er will den Kampf nicht nur
durch Waifen, sondern auch durch eine Reform der Kirche
geführt wissen. Denn nach seiner Ansicht ist die Rebellion
nicht zum wenigsten durch die Schuld der Prälaten hervor-
gerufen, welche ungenügend für Belehrung und Seelsorge der
irischen Unterthanen gesorgt, und Papisten wie Götzendiener
geduldet und begünstigt haben, während ihnen für die wackeren
Brüder aus Sehottland keine Schmähung zu schlecht war.
Unter dem Eindruck der Zeitereignisse verfasst, wie diese
vierte Flugschrift somit erscheint, verdankt sie ihren Ursprung
zugleich dem Wunsche, einem Druckwerk entgegenzutreten,
welches von bisehöflicher Seite in den literarischen Kampf üher
die Frage der Kirchenverfassung geworfen war. In Oxford
war im Jahre 1641 eine Sammlung von Traktaten erschienen
(Certaine briefe treatises written by diverse learned men,
concerning the ancient and moderne government of the
church), in der ein gemässigtes Bisthum von verstorbenen und
lebenden Autoren vertheidigt und den Stürmern und Drängern
des Puritanismus ein gewaltiger Block geschichtlicher und
theologischer Gelehrsamkeit in den Weg geworfen wurde.
Unter den Lebenden tritt wiederum Ussher auf, der Erz-
bischof von Armagh(^), mit welchem Milton schon ein Mal
einen Strauss ausgefochten hatte, und der hier u. a. jenes
Urtheil des Dr. Reynolds (s. oben 68) weiter, auch mit Bezie-
hung auf das alte Testament , ausführte (-). Unter den
Verstorbenen nahm neben Hooker, Brerewood etc. Bischof
Andrews von AVinchester mit seinem skizzenhaften Versuch,
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 7
98 Autobiographisches.
(las Urliild des Bisthums im jüdischen Priesterthiun zu finden^
eine liervorragende Stelle ein, derselbe, dem Milton einst al&
Cambridger Student 1626 eine verehrungsvolle Elegie gewidmet
hatte (s. oben B. I. S. 62). Hier trat er ihm wie Ussher scharf
entgegen und ergriflt' den Anlass, die ganze Streitfrage um-
fassender und von einem höheren Gesichtspunkte aus zu be-
handeln als in irgend einer der früheren Schriften.
Wie er diese Arbeit einem anderen Verleger anvertraute,
demselben, welcher den ,,Smectynmuus" übernommen hatte,
so schlug er nun auch das Visier der Anonymität auf, hinter
dem er bisher gekämpft hatte. Er unterzeichnete sich mit
vollem Namen und hielt es zugleich für angebracht, seinen
Lesern über seine eigene Persönlickkeit einige Mittheilungen
zu machen und sein Auftreten in dem literarischen Kampfe
dadurch gleichsam zu rechtfertigen. Das zweite Buch der
Schrift ist überaus reich an autobiographischen Bemerkungen,
und an mehr als einer Stelle haben wir schon Nutzen aus
ihnen gezogen. Hier finden sich jene Andeutungen über seine
Jugendbildung, seine Universitätserfahrunj^en, seinen Bruch
mit der Theologie, seine italienischen Erlebnisse, welche
andere spärliche Nachrichten so glücklich ergänzen. Hier
macht er vor allem aus dem Dichterberuf, den er in seiner
Brust fühlt, kein Geheimnis, entwickelt seine Ansichten über
die Poesie und ihre Jünger und legt in einer unnachahmlichen
Art stolzer Bescheidenheit ein offenes Bekenntnis der dich-
terischen Vorsätze ab , welche ihn nach der Bückkehr in die
Heimat bewegt hatten. Er deutet die Formen und Gegen-
stände an, deren Auswahl seinen Genius beschäftigt hatte:
ein vaterländisches Epos, „für das die Gedichte Homers,
Virgils, Tassos ein ausführliches, das Buch Hiol) ein kürzeres
Modell bilden", ein Di-ama nach dem Vorl)ild des Sophokles
und Euripides oder in der „pastoralen" Weise des hohen
Liedes, „aus zwei Personen und einem Doppelchor bestehend,
wie Origenes mit Becht vernuithet", oder dem „majestätischen
Bilde" der Apokalypse entnommen, in deren Auslegung er
sich mit Pareus begegnet, pomphafte Oden und llyunuMi, in
welchen Tiiidar und Callimachus vorzi'mlicli . die mosaischen
Autobiographisches. 99
Bücher und die Propheten uniibertreftlicli und „üljer alle
Arten lyrischer Poesie erhaben erscheinen/" Er giebt zu ver-
stehen, dass das Dichtwerk, wie er es erträumt, kein Werk
sein soll, „das aus der Hitze der Jugend oder dem Dunst des
Weines geboren wird, wie es mit Leichtigkeit der Feder eines
verliebten Laften oder eines versgewandten Schmarotzers ent-
fliesst", auch nicht ,, durch Anrufung der Dame Gedächtnis
und ihrer Sirenen-Töchter geschaffen'', sondern ,, durch frommes
"Gebet zu jenem ewigen Geiste, der seine Seraphim aus-
sendet mit dem heiligen Feuer seines Altars, um die Lippen
der Auserwählten zu berühren und zu weihen", wohl vorbe-
reitet durch fleissiges Studium, anhaltende Beobachtung, Ein-
sicht in alle schönen und edlen Künste und Geschäfte. Er
wagt es, auf solche stolze Worte hin den Leser zu liitten,
..ihm noch für einige wenige Jahre vertrauensvoll Frist zur
Entrichtung der damit übernommenen Schuld zu gewähren"
und setzt gleichsam seine Ehre zum Pfände dafür, dass er
nicht leichtsinnig so hohe Erwartungen erregt.
Ueberhaupt sind ihm diese Selbstbekenntnisse nur ent-
rissen worden durch die Beschuldigimg, dass ihn der „Kitzel der
Eitelkeit" gereizt habe, „in seinen grünen Jahren gegen
Männer von hohem Ansehen aufzutreten". Er hat nun gezeigt,
dass ihn andere Gegenstände mehr anziehen, „zu denen ihn
der Genius seiner Natur gewaltig hintreibt", er versichert,
dass er nicht aus freier Wal^ eine undankbare, aber unauf-
schiebbare schriftstellerische Arlieit übernommen hat, bei der
er nach seiner Meinung „nur den Gebrauch seiner Linken
hatte und hinter sich selbst zurückblieb". Es ist etwas
Höheres, was ihn angetrielien hat, „seine ruhige und liebliche
Einsamkeit voll heiterer und hoher Gedanken zu verlassen
und sich auf der stürmischen See lärmenden und groben Ge-
zänkes einzuschiffen, dem hellen Glanz der Wahrheit, der
reinen Luft entzückender Studien zu entsagen und dafür den
trlil)en Dunst dumpfiger Foliantengelehrsandveit einzutauschen".
Zunächst schon der Gedanke, dass auch die Poesie, dass .,ein
freier und reicher Geist nicht blühen kann, bis nicht das
Land von dem drückenden Joch des prälatischen Pfatfenthums
100 Autobiographisches,
befreit ist". Vor allem aber das Bewusstsein der Pflicht, die
ihm . dem Sehenden , gleich einem ,, Jeremias oder Tiresias"
gel)ot. ohne Rücksicht auf Tadel, ohne Aussicht auf Lohn die
Stimme für das als wahr Erkannte und voraus Geahnte zu
erheben. ..Wenn Gott es befiehlt, in die Posaune zu stossen
zu trauernder Klage oder zu schmetterndem Kampfruf, so
liegt es nicht mehr im freien Willen des Menschen, was er
sagen und was er verschweigen soll. . . Ich bin entschlossen,
den ehrlichen Freimuth und die unerschrockene Rede meiner'
Jugend, wo icli sie in einer so wichtigen Sache wie das Wohl
der Kirche für dienlich erachte, als den besten Schatz und
Trost meines Alters niederzulegen, woferne mich Gott eines
solchen würdigen sollte. Und wäre es die niedrigste Dienst-
leistung, wenn Gott durch seinen Geheimboten, das Gewissen,
sie von mir heischt, Schmach über mich, wenn ich ihm nicht
Folge leistete!"
Seine Phantasie malt sich in platonischer Weise aus,
welche seelische Qualen ihm zeitleliens bevorstehen würden,
falls er gescheut hätte, sich in den Kampf zu mischen. Im
Falle der Niederlage würde ihm sein Gewissen zurufen:
„Furchtsamer und Undankbarer . . was nützt nun dein Weh-
klagen? Als es Zeit war, hast du keine Silbe von allem,
was du gelesen und gelernt hast, vorbringen können, und doch
haben andere im Schweisse ihres Angesichtes arbeiten müssen,
damit du die stille Müsse desi^)enkens geniessen konntest.
Du hattest Eifer, Talent, Beredtsamkeit , wenn es galt, ein
eitles Ding mit dichterischem Schmuck zu verzieren, aber als
es galt, die Saclie Gottes und seiner Kirche zu vertheidigen,
wozu dir deine Zunge gegeben war, hat Gott vergebens ge-
lauscht, ol) ei- auch deine Stimme unter denen seiner muthigen
Diener hören werde. Du warst stumm, wie ein Thier, so
bleibe nun das, wozu dich dein thierisches Scliweigen gemacht
hat." Im Falle des Sieges würde ihn dieselbe innere Stimme
nicht minder strafend anreden: ,,0 (hi träger und ausgestos-
sciKM- Knecht, die Kirche ist nun von ilireii Banden liefreit
(luifli die unablässigen Mühen so \wWv ilirei- wahivn Diener,
die sicli /u ilircr Vertlieidigung erliobeii, willst du jetzt deinen
Bibel und Tradition. 101
Antlieil an ilirtr Freude haben? Aber wozu du? Kannst
du dich irgend eines Wortes, irgend einer That rühmen, durch
welche du zur Erriugung des Friedens beigetragen hast? Was
du jetzt reden oder schreiben oder erforschen darfst, ist nur
ein Almosen von anderer Leute thätiger Weisheit und Tapfer-
keit. Wage es nicht, jetzt durch irgend ein Wort oder irgend
eine That deinen früheren trägen und kindischen Sinn al)zu-
streifen, denn wenn du es wagst, so ist deine Kühnheit nur
ein schmählicher Raul) an den mühevollen Verdiensten
anderer. Was vorher deine Sünde war, ist jetzt deine Pflicht:
verworfen und ehrlos *zu bleiben." Betrachtungen der Art
lagen demjenigen besonders nahe, der einst für den Dienst
der Kirche bestimmt gewesen, aber durch das System der
Bischöfe selbst davon abgeschreckt worden war.
Auf solche Weise rechtfertigt Milton sein Eintreten in
den Kampf, in welchem diese vierte seiner Flugschriften eine
der hervorragendsten Stellen einnimmt. Schon ihre äussere
Anlage, ihre Eintheilung in Bücher und Kapitel zeigt, dass
es ihrem Verfasser dies Mal nicht nur auf Polemik, sondern
auf systematische Darlegung der ganzen Frage der Kirchen-
verfassung ankam. Auch jetzt wieder stellt er sich in echt
calvinistischer Weise auf den Boden der Vorschriften der
Bibel, denn ihm ist „in ihrem heiligen Texte alle Weisheit
entfaltet." Stärker als je zuvor spricht er sich gegen die
,. schwerfälligen Volumina der Tradition" aus, obgleich er auch
liier in Kirchenvätern und Koucilsakten sich nicht weniger
bewandert zeigt wie in der späteren Literatur der Bodin und
Salmasius. Er verhöhnt die Männer, „deren Gelehrsamkeit
und Glaube auf der Fülle der Randglossen beruht" und ver-
gleicht sie sehr unsanft „guten Saumthieren, die ihr Tagewerk
gethan zu haben glauben, wenn sie ihre Pferdelast von Citaten
und Ivirchenvätern vor der Thüre niedergelegt haben, und
man ihnen die Packsättel abgenommen hat." Dem gegenüber
und gegenüber allem Trotzen auf „Prärogativen, Gewohnheit,
Akten, Statuten" wiederholt er immer das eine Wort: „die
Schrift". Hiebei weicht er indess nicht unerheblich von dem
Gedankengange des strengen Calvinismus ab, in dem, wie
102 Altes und neues Testament.
man sich glücklich ausgedrückt hat , das Christeiithum fast
wie der Islam zu einer Eeligion des Buches wird(^). Er lässt
nel)en der Schrift für das Gel)iet der Moral „jene ungeschrie-
benen Gesetze und Ideen, welche die Natur in unsere Herzen
eingegraben hat" bestehen (S. 109) und er unterscheidet aufs
schärfste zwischen der allgemeinen Giltigkeit des alten und
des neuen Testaments. Allerdings hat sich ]\Iilton, wie der
gesammte Puritanismus , sein Leben hindurch mit Vqrliebe
in dem Gedankenkreise, des alten Testaments bewegt. Wie
ihm später Ahab , Isabel , Athalia als ]\Iuster gottloser Re-
genten gelten, so gleichen ihm hier die Prälaten der ver-
führerischen Buhlerin, indem sie dem in ihrem Schosse ein-
geschlummerten Simson-Könige „die Locken seiner Gesetze
und gerechten Kron-Prärogativen , in denen seine Schönheit
und Kraft besteht, abschneiden" und ihn „Käthen des Unrechts
und der Gewalt" überliefern, welche gleich den Philistern ihm
„das Augenlicht klaren Erkennens rauben". (S. 181.) Aber
bei dieser Vorliebe für alttestamentarische Bilder suchte sich
Milton die Kritik für die Anwendbarkeit alttestamentarischer
Vorschriften für die Gegenwart besser als andere zu bewahren,
obgleich er, wie wir noch bemerken werden, in einem Einzel-
fall auch auf das mosaische Gesetz zurückgriff. Dies war von
l)esonderer Bedeutung in einer Zeit, in der man von bischöf-
licher Seite versucht hatte, aus der Vergleichung mit der
theokratischen Verfassung des jüdischen Volkes für die eigene
Sache Kapital zu schlagen.
Ein grosser Theil des ersten Buches der Milton'schen
Streitschrift ist der Zurückweisung dieser Ansieht gewidmet.
Zunächst gedenkt er im Vorbeigehen ironisch der „uner-
sättlichsten Altei-thünder", die das Bisthum wohl gar bis Adam
hinauf verfolgen wollen, er meint, — und unwillkürlich
blicken seine poetischen Träume wieder durch, — dann sei
Lucifer noch vor Adam der „erste Prälaten-Engel"' gewesen,
und beide seien „elendiglich degradirt worden, weil sie über
ihren Stand (orders) hinausgestrebt hätten". Denmächst wendet
er sich gegen die ernstlichen Gegner, welche mit dem Ur-
sprung des Bisthums wenigstens „l)is zu Aaron und seinen
Gegen die Theokratie. 103
Söhnen" hinaufgehen wollen, und setzt sich hier namentlich
mit Andrews und Ussher auseinander. Ein Satz des letzten:
,,Das Bisthum heruht tlieils auf dem Vorbilde, welches Gott
im alten Testament gegeben, theils auf der Nachahmung des-
selben durch die Apostel" giebt ihm erwünschten Anlass sich
ausführlich über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium
auszusprechen. Er l)emerkt, das im alten Testament nieder-
gelegte Gesetz sei entweder politischer oder moralischer
Natur, dies Wort im weitesten Sinn, mit Einschluss der re-
ligiösen Vorschriften, gebraucht. Das erste zum Muster zu
nehmen, habe nie eine christliche Nation sich für verbunden
erachtet, das zweite sei aber an sich schon im neuen Testa-
ment enthalten und brauche nicht aus einer „untergeordneten
Urkunde erborgt zu werden". Das klassische Zeugnis des
Paulus wird für diese Darlegung benutzt und aus allem in
bekannter Weise der Schluss gezogen, dass mit dem Er-
scheinen Christi das ganze Ceremonial-Gesetz und Priester-
thum des alten Bundes verschwunden sei ,,und sich wie ein
Schemen in Luft aufgelöst habe". Aber auch an sich ist es
ganz unzulässig, einen Zusammenhang zwischen dem Bisthum
und dem Hohepriesterthum des alten Bundes bestehen zu
lassen. „Aaron und seine Söhne waren die Fürsten ihres
Stammes, ehe sie zum Priesterthum geweiht wurden, den
persönlichen Vorrang, den sie vor den anderen Leviten hatten,
empfiengen sie nicht allein von ihrem Amte, sondern Israeliten
ihn zum Theile ihrem Amte zu ; die Hohepriester wurden von
da an nicht, wie unsere Bischöfe, aus der ganzen Zahl der Le-
viten gewählt, sondern waren geborene Erben jener Würde".
Man müsste also erst eine bestimmte Adelskaste von Prälaten
schaffen, um die Analogie zu begründen, und dann wäre, wie
gegen Andrews bemerkt wird, die folgerichtige Nachahmung
des Hohe-Priesterthums die Zuspitzung zur Macht des „Gross-
Hierarchen, des Pabstes". — Wie sich denken lässt, spielte
in der ganzen Beweisführung der Prälaten der Begrilf der
Ordination wieder eine grosse Rolle. Milton springt mit ihm,
wie bei früheren Gelegenheiten, sehr frei um. Ein höherer
Rang scheint ihm für den Ordinirenden aus den bekannten
104 Gegen die Theokratie.
Stellen der Schrift in keiner Weise gefolgert werden zu
können. Erklärt er sich hier auch nicht, wie einst die Re-
formatoren, in so deutlicher Weise für das allgemeine Priester-
thum, so ist ihm doch ,. jeder Geistliche ein Träger der Per-
son Christi" in Mittheilung der „Geheimnisse der Erlösung''^
mit ..der Macht zu binden und zu lösen". Er versteigt sich
sogar dazu, das Beispiel der Pabstwahl heranzuziehen und
darauf hinzuweisen, dass ,,der Pabst nicht durch seinen Vor-
gänger gemacht werd§. sondern durch die Kardinäle, die also
zu einem höheren und grösseren Amt ordiniren und konse-
kriren als ihr eigenes ist".
So viel glaul)t Milton, mit der Gewandtheit eines schlag-
fertigen Sachwalters, der jüngsten Kampfweise der Gegner
entnehmen zu dürfen , dass sie der Berufung auf das neue
Testament selbst nicht mehr recht trauen. Sie wünschen
..ihre Hierarchie auf den sandigen Grund des Gesetzes zu
bauen", da sie nicht mehr wagen ,,ihre stolzen Giebel im
Schutz des Evangeliums zu erheben". Eben deshalb werden
die streitigen Stellen des neuen Testaments hier weniger aus-
führlich behandelt als in den früheren Schriften. Einige
andere Gründe dagegen, auf welche sich die Anhänger des
Bisthums zu berufen pflegten, erhalten eine um so breitere
Widerlegung. Sie fassten nicht sowohl die theoretische als
die praktische Seite der Frage in's Auge und waren eben da-
durch darauf berechnet auf ängstliche Gemüther Eindruck zu
machen. Das Bistimm, so hiess es, sei eingeführt, um dem
Schisma der Kirche entgegen zu wirken, und mit seinem Fallle
würde England unfehlbar dui-ch eine Fluth von Sekten über-
schwemmt werden. Gegen den ersten dieser Sätze sucht
Milton den historischen Beweis anzutreten, über dessen Rich-
tigkeit oder Mangelhaftigkeit ein Urtheil zu fällen wir uns
versagen. Er findet einmal kein Bisthum , wo ein deutliches
Schisma voi-gelegen habe, wie nach des Paulus Zeugnis unter
den Korinthern, er findet andrerseits das Schisma der Kiiche
nirgends grösser, die häi-etischen Streitigkeiten zu keiner Zeit
heftiger, als in der, da es Bischöfe zu geben anfieiig und be-
mft sich (bifür auf die Kirchen- Geschichte der ersten Jahr-
Uebei* Schisma und Sekten. 105
hunderte. Das Bistlium scheint ihm daher .,von Gott gegeben
oder viehnehr zugelassen in seinem Zorne wie einst das
Königthum liei den Juden'', und wenn sein Zweck wäre, die
Einheit der Kirche darzustellen, so würde es wiederum nur
folgerichtig sein, darauf hinzuwirken, dass jeder Streit „in dem
entscheidenden Ausspruch oder Kanon eines Erzprimas oder
protestantischen Pabstes sein Ende finde'-. Von hier aus
macht er die Nutzanwendung auf die Verhältnisse seines
Vaterlandes. Allerdings die englischen Bischöfe verhindern
ein Schisma, wenn Schisma verhindern gleichviel bedeutet
,,mit Verfolgung aller kundigen und eifrigen Christen", nach
Art der Politik, wie sie in Italien und Spanien befolgt wird,
in derselben Weise, mit der sich der Winter gegen den Früh-
ling rühmen kann, „alles schädliche und stinkende Unkraut
zu zerstören, alle bösen Dünste nieder zu halten", aber frei-
lich auch ,,alle heilsamen Kräuter und alle erquickenden
Thautropfen" im starren Frost zu ertödten. Hierauf ermahnt
er seine Landsleute, sich nicht in Schrecken setzen zu lassen
durch die Namen Brownisten, Familisten, Anabaptisten und
ähnliche, die nun an Stelle der Puritaner gesetzt w^urden.
Den Einbruch solcher Sekten in Aussicht zu stellen, die Ver-
fechter der Pieform mit dem Namen von Sektirern zu brand-
marken, sei ein alter, verbrauchter Kunstgriff, unzählige Male,
wie z. B. einst im Falle der Lollarden und Hussiten, be-
trügerisch angewandt. Er hat das Vertrauen zum englischen
Volk, dass es sich ,, durch einen solchen Nebel von Namen,
der vor seine Augen geworfen wird, nicht um seinen Glauben
und seine Eeligion betrügen lassen werde'-, und schleudert
den Vorwurf der Sektirerei auf die bischöfliche Partei zurück,
die „mit den Papisten ein Herz und eine Seele", ja in „den
meisten Grundsätzen selbst papistisch'' sei. Er geht sogar
soweit in Sekten und Schisma an sich nox^h gar nichts Unheil
Verkündendes zu sehn, sie ,,als die Wehen, welche der Ge-
burt der Reformation vorausgehen", zu betrachten und würde
in ihrem Dasein nur einen Ansporn mehr finden, jene Eefor-
mation in Angriff zu nehmen. Genau ebenso fertigt er, wie
bereits erwähnt, den Einwurf ab, der von der irischen Ee-
IQQ Gegen Formenzwang und Jurisdiktion.
bellion hergenommen war. Die beiden letzten Kapitel des
ersten Buches seiner Schrift sind durchaus der Widerlegung
dieser Vorwände gewidmet, hinter denen das bedrohte Bis-"
thum Deckung suchte.
Im zweiten Buch wird nach jenen autobiographischen
Auslassungen noch einmal kraftvoll zusammengefasst, was sich
gegen das Prälatenthum , gegen das liischöfliche Regiment
irgend sagen Hess. Es war dem Puritanismus aus der Seele
geredet, wenn Milton sich höhnisch und zornig aussprach
gegen jenes System des „äusseren Widerscheins innerer Heilig-
keit und Schönheit", den Prunk der Priester - Gewänder und
die Fülle der Ceremonieen, ,. durch welche die Frömmigkeit
der rohen Masse erweckt werden sollte", den zwingenden For-
malismus der Aeusserlichkeiten , der mit dem Auftreten und
den Absichten des Stifters des Christenthums in Widerspruch
stehe und „zurückführe zur höllischen Sophisterei des Papis-
mus". Es war ebenfalls nur der Ausdruck eines Jahrzehnte
hindurch verhaltenen puritanischen Grolles, wenn er mit
flammenden Worten die „hochmüthigen , simonistischen Ge-
richtshöfe" der Bischöfe angriff, wo mit „Sportein und Ge-
bühren gehandelt ward, Bestechung das Angebot machte, . . .
Busse, Demüthigung, Bekenntnis, die Seufzer eines reuigen
Herzens nach Pfennigen verschachert wui-den, und die jung-
fräulich-reine Einfalt des P^vangeliums sich zur . . öffent-
lichen Dirne verwandeln musste".
Dieser Theil von Milton's Schrift erhält dadurch eine be-
sondere Wichtigkeit, dass er hier zum ersten Male Gelegen-
heit findet seine Gedanken ül)er das Verhältnis von Kirche
und Staat im Zusammenhange darzulegen. In der That war
eine solche Erörterung an dieser Stelle gar niclit zu umgelien.
Wenn irgendwo, so zeigte sich bei der Ausübung der bi-
schöfiichen Gerichtsbarkeit, dass die Staatskirche genöthigt
war, „von der weltlichen Autorität Macht zu erborgen", und
die grosse Frage drängte sich jedem ernsten Beurtlieiler un-
al)weisl)ar auf, inwieferne diese „weltliche Autorität" über-
haupt l)erechtigt oder verpflichtet sei, sich auf kirchlichem Ge-
liict zu l)ethätigen. Man darf sagen, dass Milton, wie er ül)er-
Kirche und Staat. 107
haupt aiif die ersten Gedanken der Eeformation zurückgeht,
sich auch hier mit den Epoche machenden Anschauungen
Luthers begegnet, welche in dessen früheren Schriften und
namentlich in dem Büchlein „Von weltlicher Obrigkeit, wie
weit man ihr Gehorsam schuldig sei" (1523) in voller Klar-
heit hervorgetreten waren. Dass die weltliche Ol^rigkeit ein
selbstständiges Recht des Daseins habe, dass ihre Aufgabe
indess darin bestehe, äusseren Frieden zu schaffen, nicht die
Menschen ..fromm zu machen", dass sie nur auf ,,Leib und Gut
und was äusserlich auf Erden ist", nicht auf das religiöse
Gebiet sich erstrecke, diese wuchtigen Sätze des deutschen Re-
formators, mit denen er die Fesseln der mittelalterlichen Welt-
ansicht sprengte, ohne sie selbst später in ihrer Reinheit
aufrecht zu halten, trafen ganz und gar mit Milton's Ge-
danken zusammen. ..Die Staatsgewalt — behauptet er —
hat es nur mit dem äusseren Leben des Menschen zu thun,
dass heisst nicht etwa allein mit dem Körper, sondern auch mit
dem Geiste in allen seinen durch Handlungen hervortretenden
Aeusserungen, was in der Schrift der äussere Mensch genannt
wird. . . . Sein allgemeiner Zweck in Betreff der Gesammt-
heit ist der äussere Friede und Wohlstand des Gemeinwesens
und bürgerliche Wohlfahrt in diesem Leben. Sein specieller
Zweck in Betreff des Einzelnen ist, ihm durch Verhängung
von Strafen . . . klar zu machen, dass es weder bequem,
noch nützlich, noch löblich ist, in diesem Leben Unrecht zu
thun". Indessen der Staat trifft mit ..allen seinen äusseren
Mitteln nur die Wirkung nicht die Ursache-, einem Arzte
gleich, der nur den Wundrand mit Pflastern bearbeitet. Auf-
gabe der kirchlichen Gemeinschaft ist es, sich mit der Seele
des Menschen zu befassen, für ihren sündigen kranken Zu-
stand Heilmittel zu finden. Diese dürfen aber nur geistiger
Xatur sein. Wie der Staat kein Recht hat üljer die Grenzen
seines bezeichneten Gebietes hinauszugehen, so beweist die
Kirche dadurch am besten ihren göttlichen Ursprung, dass
„sie fähig ist, ohne staatliche Unterstützung durch den frei-
willigen Gehorsam der Menschen ihr grosses Werk zu thun".
Sie hat kein Recht das Mittel der Staats-Gewalt für sich in
108 Ideal der "Kirchenverfassung.
Anspruch zu nehmen ; „was man heute kirchliche Jurisdiktion
nennt, sollte nichts anderes sein als eine christliche Censur"
. . ohne die ,, 'Strafgewalt eines weltlichen Gerichtes" (juris-
dictive power"). Man würde durchaus fehl gehen, wenn man
der Ansicht wäre, in dem Angeführten habe sich Milton's Ur-
theil über diese grundsätzliche Frage erschöpft. Häufig ge-
nug ist er auf ein Thema zurückgekommen, das, durch die
Wogen des Tages-Kampfes hoch emporgehoben, nicht am
wenigsten den Inhalt seines gesammten geistigen Lebens aus-
machte. Er hat es noch ganz besonders behandelt und es un-
zählige Male beiläufig berührt, er hat ergänzt und ausgeführt,
was hier mangelhaft und nur skizzirt oder, Avie die Frage der
Schule, ganz unberücksichtigt erschien, aber im wesentlichen
ist er bis zu seinem Ende einem Gedanken treu geblieben,
der für ihn und so viele andere hervorragende Zeitgenossen
gleichsam der Polar-Stern des Denkens geworden war.
Bisher ist nur von dem negativen Theile der Milton'schen
Schrift die Rede gewesen, in welchem er sich gegen das
Prälaten tlium und die gesammte bischöfliche Verfassung wendet.
Indessen steht diesem ein positiver Theil gegenüber, in
welchem sein Ideal kirchlicher Verfassung dargelegt wird.
Schon aus den früheren Schriften liess es sich ahnen, hier
aber tritt es in voller Klarheit hervor. Es findet sich zwar
nicht im Zusammenhange , in einem besonderen Kapitel ge-
schildert, aber es lässt sich unschwer aus einzelnen zerstreuten
Stellen der Schrift erkennen und zusannnensetzen. Kein
Zweifel, dass Milton damals ein überzeugter Anhänger des
Presbyterianismus gewesen ist. Es hatte schon einen stark
presl)yteriaiiischen Beigeschmack, wenn in den ersten Kapiteln
ein besonders grosses Gewicht gelegt wurde auf die „Disciplin
der Kirche'', ,,die wichtigste und ernsteste Sache im ganzen
Leben des Menschen'', „das sichtbare Abbild der Tugend''.
Dem nachgeborenen Jünger der Renaissance stehen Klassiker
und Bil)el zu Gebot, um diesen Gedanken auszuführen. In
seinem Xenophon und Livius findet er die Trefflichkeit eines
Heeres nach der Güte seiner „Disciplin" bemessen, nach der
Bereitwilligkeit „den Befehlen des Anführers zu gehorchen".
Milton's Presbyterianismns. 109
Disciplin sieht er sell)st in den Heerscliaaren der Engel, „bei
denen keine Unordnung zu fürchten", indem sie durch den
Willen Gottes ,,nach ihren himmlischen Fürstentliümern und
Satrapieen" abgetheilt sind(^). Selbst „im Reiche der Seligen
im Paradiese" bemerkt er eine gewisse Disciplin, da das ganze
Revier des neuen Jerusalem ausgemessen und nach seinen
Quartieren bezeichnet ist. Disciplin kann daher auch die
Kirche nicht entbehren, und zu glauben, dass der ,, Unterricht",
die „Predigt" für die Kirchgenossen ausreiche, wäre eben so
verkehrt wie ,,alle Aerzte von London auf die Kanzeln der
Stadt" zu stellen, „alle -Kranken in jeder Pfarrei" sich ver-
sammeln, und ihnen dort ohne Anwendung weiterer Mittel
„eine gelehrte Vorlesung über Seitenstechen, Gicht und Schlaf-
sucht" halten zu lassen. Die Kirchenform nun, in der er
eine solche Disciplin ausgeübt wissen will, ist ihm die pres-
byterianische. Der ganze Streit dreht sich nach seinen Worten
in der Einleitung darum, ol) die Verfassung der englischen
Kirche ,,presbyterianisch oder prälatisch sein soll"; nur darum,
ol) diese oder jene Form von Gott gewollt ist, kann es sich
handeln (S. 107), ein Drittes l)leibt ganz und gar ausge-
schlossen. Und seine Ansicht ist, dass die Kirchenverfassung,
wie die Apostel sie angeordnet halben, und an die man sich
daher zu halten hat, „keine andere sein kann als die mit
Presbytern und Diakonen" (S. 96). Weit entfernt davon, für
dies Ideal Gründe der Zweckmässigkeit in Anspruch zu nehmen
und für die ganze Frage sich den Mass -Stab wechselnden
menschlichen Urtheils gefallen zu lassen, knüpft er wiederum
an die hinlänglich liekannten Stellen des neuen Testamentes
an, die ihm als Ausfluss des göttlichen Willens verbindlich er-
scheinen, und stellt dem „göttlichen Recht der Bischöfe" airf
diese Weise ,,ein göttliches Recht der Presbyter" gegenül)er
(S. 120). Unterlassen wir auf's neue dieser geschichtlich-
dogmatischen Begründung zu folgen, um vielmehr die ein-
zelnen Theile des Milton'schen Verfassungsplaues , soweit sie
erkennbar sind, in's Auge zu fassen.
Dass der Geistliche durch die Gemeinde gewählt werden
solle, dieser Satz stand ihm schon seit seiner ersten Schrift
110 Wahl des Geistlichen. — Laien - Aelteste.
über die Reformation entschieden fest. Hier lässt er zu dem
Geistlichen jeder Gemeinde gleichfalls durch Wahl der „Kon-
gregation" eine ,,ge^^'isse Anzahl würdiger und fronnner
Brüder" aus dem Laienstande als Gehülfen hinzutreten, die er
ganz nach schottischem Stile Presbyter nennt. Er führt diese
Einrichtung auf die Apostel und durch sie auf den heiligen
Geist zurück und setzt auseinander, dass der Unterschied von
Laien und Klerus den ersten Zeiten des Christenthums über-
haupt fremd gewesen, die Bezeichnung Klerus von Petrus
..allem Volke Gottes" gegeben und erst von den Päbsten im
engeren Sinn gefasst worden sei. Nach ihm hat jeder ..gute
Christ" ein Recht darauf, nicht „von derjenigen Stelle im geist-
lichen Regiment ausgeschlossen zu werden, zu der ihn ,, seine
christlichen Tugenden und sein durch das Auge und Zeugnis
der Kirche erprobter guter Wandel befähigen". Die kirchlichen
Aemter „sollten jedem Christen - Menschen offen stehn, auch
dem Laien, wenn sein Verstand, sein Glaulje, sein Benehmen
ihn dazu tüchtig machen". Erst dann würde „die Gemeinde des
Herrn ilire wahre Gestalt wieder erhalten" und als ,,eine
heilige Familie ... als Haus und Stadt Gottes erscheinen".
Diese Laien-Aeltesten, ,,die nicht durch den eklen Geruch
von Gewinn und Sportein angelockt . . sondern durch das Gefühl
nachbarlicher Liebe und Pflicht getrieben. worden sind", treten
mit dem Pfarrer zu einem „Parochial-Konsistorium" zusammen
(entsprechend der schottischen „Kirk- Session"), das in sich
eine Synode im kleinen ist. Von dieser Zelle aus entwickelt
sich sodann die Form der Kirchenverfassung in organischer
Weise von unten nach oben, immer breiter anwaclisend, fest
und sicher „wie eine Phalanx", während das Prälatenthum in
monarchischer Weise sich schrittweise zu einer „Pyramide" zu-
spitzt. Der Zwischenglieder des „Presl)yteriums" und der „Pro-
vinzial-Synode" wird allerdings von Milton hier nicht gedaclit,
sondern sofort die höchste Instanz, die „General -Asseml)]y",
erwähnt. Er vergleicht sie den allgemeinen Koncilien, und
diese ei-scheinen ihm wiederum „nach apostolischem Muster
als allgemeine Presbyterien". Denn Kap. 15 der Apostel-
gesi-liiclitc beweist ihm, dass von einem Koncil ,,kein treuer
Kirclienzucht. l\1
Christ ausgeschlossen wurde, dem Kenntnisse und Frömmig-
keit den Eintritt verschaffen mochten". Eine solche „General-
Assembly", aus Geistlichen und Laien bestehend, dient dazu
die Einheit der Kirche zu erhalten, „ein Schisma zu ver-
hüten". Wichtiger aber noch erscheint die Verbindung jener
beiden Elemente in den unteren und oberen Instanzen, um
die vielgeridimte „Disciplin" der Kirche aufrecht zu halten,
die den eigentlichen Eckstein des presbyterianischen Gebäudes
bildet. Und hier stellt er jener bischöflichen Gerichtsbarkeit,
die den Arm des weltlichen Machthabers für sich in Anspruch
nimmt, die puritanische Kirchenzucht gegenüber, welche
lediglich geistliche ]\Iittel in Tliätigkeit setzen soll. Mit er-
greifender Beredtsamkeit schildert er den Gang dieses ^'er-
fahrens kirchlicher Censur. Das lasterhafte Mitglied der Ge-
meinde gilt ihm als „krank", sorgsamer Behandlung mit
geistiger Arznei bedürftig. Sie wird ihm zuerst in Form
„sanfter Ermahnung" von dem Seelsorger gereicht. Nach
mehrfacher fruchtloser Wiederholung verwarnt ihn dieser „in
Gegenwart von zwei oder drei dazu bestimmten frommen
Brüdern, seine theuerste Gesundheit besser in Acht zu nehmen",
Ist dies vergeblich, so zieht er noch mehr Genossen zu und
lässt es an .,, feurigen, wohlgezielten Vorwürfen" nicht fehlen.
Das nächste Mittel l)esteht darin, dass der Prediger alle
Schrecken seiner Beredtsamkeit los lässt, ,,um in die ver-
borgensten Winkel des Herzens einzudringen", ,,die Verstockt-
heit des Sünders l)is zu Zuckungen der Verzweiflung zu er-
schüttern" und ihn „durch die Pforte des Todes zum Leben
zurückzuführen", während gleichzeitig die ganze Gemeinde
sich in „Beschwörungen, Bitten, Klagen, Gebeten" erschöpft.
Zeigt sich der Sünder auch jetzt noch nicht von seiner Krank-
heit geheilt und zur Reue bereit, so bleibt für die Gemeinde-
Genossen nur noch eines übrig: der Bann. ,,Im Namen
Gottes und der Kirche lösen sie ihre Gemeinschaft mit ihm,
erfassen den schrecklichen Schwamm des Bannes (excomnumion
S. 171) und erklären ihn für ausgewischt aus der Liste der
Erbschaft Gottes und im Gewahrsam des Satans bis zu seiner
Reue. Obwohl dieser furchtbare Richterspruch weder Leib
\\2 Kirchenzucht.
noch Leben berührt, noch irgend weltlichen Besitz, hat er
doch eine so eindringliche Kraft, dass er schneller als irgend
ein chemischer Schwefel (chiniicall sulphur) oder jener (elek-
trische) Blitz, der die Haut nicht verletzt, aber die Einge-
weide durchzuckt, die Seele im innersten versengt. Aber
selbst diese schreckliche Erklärung ist der Kirche zu keinem
anderen Zweck erlaubt, denn als eine kräftige und gründlich
reinigende Arznei zu dienen, wenn die Krankheit nicht weichen
will, eine Abtödtung zum Leben, eine Art von Rettung durch
Yernichtung". Wenn ,,der verirrte Wanderer" durch Reue,
die Botin des Himmels, von seinem gefährlichen Wege zurück-
geleitet wird, wenn der Kranke gesundet und für andere keine
Gefahr der Ansteckung mehr droht, so nehmen ihn die Brüder
„mit unglaublichen Freudenbezeugungen" wieder in ihre Mitte
auf und suchen ihn für die erlittene Qual und Schande zu
trösten (^).
Man sieht, die kirchliche Zucht, wie sie Milton als Ideal
vorschwebt, verstösst nicht deshall) gegen die inquisitorische
Praxis der hohen Kommission, um der inquisitorischen Pi-axis
eines calvinischen Konsistoriums den Platz zu räumen. Wie
sie schlechterdings eine Mitwirkung der staatlichen Gewalten
verschmäht, so kennt sie keine Strafen, wie diese sie anwenden,
und handelte es sich um einen Servet. ,,Sie sucht, — wie
Milton in einer früheren Schrift entwickelt hat, — nicht den
Körper zu beraul)en oder zu zerstören, sondern die Seele zu
retten'\ sie weiss nichts von Gefängnis oder Geldbusse noch
weniger von ,, Schlägen, Ketten oder Enterbung" sondern wirkt
nur ,, durch väterliche Ermahnung und christlichen Tadel", sie
gleicht einer zärtlichen Mutter, ,,(lio ilir Kind mit schrecken-
den Worten über den Abgrund hält, damit es lerne, wo Ge-
fahr ist" (2). Man hat mit vollem Rechte bemerkt, dass diese
strenge Schule der Moral, von Milton in ei'uster Zeit gegen-
über der vonielimeii L('iclitk'l)igkoit gepi-iesen und doch ganz
und gar auf die ihi- iinicwolmonden geistigen Mittel beschränkt,
ibni nur der besondere Ausdruck einer allgemeinen AVahrheit
Will', die un;il»]iängig von den wecliselnden Formen der Er-
scbciiiuiig. fiii- iillc Zeiten und alle Nationen Geltung hat.
Gesetz und Freiheit. 113
,,Gute Gesetze sind kraftlos ohne gute Sitten, die politische
Vollkommenheit stützt sich auf die moralische, der freie Staat
fordert freie Menschen"! '). In der That leiht Milton demselben
Gedanken (S. 165) Worte: „Man hält die Furcht für eine
vortreffliche "Waffe des Gemeinwesens, ehrenhafte Scham ist
eine weit bessere . ., denn wo Scham, da ist Furcht, aber wo
Furcht, ist noch nicht immer Scham". Eine solche Scham, „eine
gegenseitige edle und christliche Achtung ist die Amme und
Hüterin der Frömmigkeit und Tugend". Allein hier liegt
immerhin, wie Milton's Scharfblick nicht entgieng, und wie die
Geschichte des Puritanisnuis zur Schadenfreude seiner Gegner
oft genug bewies, die Gefahr der Heuchelei, „der geheimen
Abfindung mit den Lieblings-Lastern" sehr nahe. Wirksamer
noch ist das innere Ehrgefühl, das keines Beifalls und keines
Tadels von anderen bedarf. „Die fromme und gerechte
Achtung vor uns selbst ... ist die Hauptquelle, aus der alle
guten und edlen Thaten entspringen".
Mochte Milton bei seinem Versuch, der verabscheuten bi-
schöflichen Verfassung das Glanzbild der presbyterianischen
gegenüber zu stellen, immerhin in vielem, was er aussprach
und was er verschwieg, der strengen schottischen Richtung
eines Henderson oder Baillie nicht ganz genügen, von einem
erhabeneren Gesichtspunkt aus, als der seinige war, liess sich
der Bau nicht betrachten, zu dem John Knox einst den Grund-
stein gelegt hatte. — Man wird nicht beweisen können, dass
der Dichter gerade durch seine Schrift etwas zu dem Todes-
stoss beigetragen habe, der bald darauf die bischöfliche Ver-
fassung traf. Aber kurze Zeit verstrich, und die feierliche
Beschwörung des Parlaments, mit der er pathetisch schloss,
„ein schleuniges Urtheil zu fällen gegen den grossen Uebel-
thäter, das Prälatenthum", zeigte sich wirksam. Ihm selbst
war indessen in dem heissen Kampfe der Geister, in den er
eingegriffen hatte, noch keine Ruhe geschenkt. Ein hämischer,
aus dem Hinterhalt gemachter Angriff, der sich recht eigent-
lich gegen seine Person richtete, rief ihn noch ein Mal unter
die Waffen.
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2.
114 Die Halls gegen Milton.
Etwa ein halbes Jahr war verflossen, seitdem die Smec-
tymnianer die. ..Vertheidigimg ihrer Antwort auf die demüthige
Remonstranz" des Bischofs Hall hatten erscheinen, lassen, und
seit Milton mit seinen „Bemerkungen zu der Vertheidigung
des Remonstranten gegen Smectymnuus" seinen fünf geist-
lichen Freunden beigesprungen war. Den fünf kampflustigen
Pastoren hatte Hall sehr bald eine „kurze Antwort" gegeben,
die trotz ihrer Kürze immerhin mehr als hundert Seiten
füllte (1). Der ungenannte Verfasser der „Bemerkungen" musste
länger auf eine Erwiderung warten. Zuerst mag Hall, wie
er am Ende seiner „kurzen Autwort" angedeutet hatte, ge-
wünscht haben, den Streit nun ruhen zu lassen. Dann kamen
die stürmischen Parlaments-Sitzungen der letzten Monate des
Jahres 1641, darauf die unerwartete Katastrophe, die zur
Verhaftung der Bischöfe führte. Erst hinter den Mauern des
Towers, welche den Bischof mit seinen Gefährten bis Anfang
Mai 1642 einschlössen^ fand er Müsse, sich mit dem gefähr-
lichen Gegner zu beschäftigen, der eben so wenig Achtung
vor seiner kirchlichen Würde wie vor seinem schriftstellerischen
Rufe gezeigt hatte. In der That war gänzliches Schweigen
nicht zulässig. Dieser neue Gegner hatte eine Art zu schreiben,
die sich von der pedantischen Weise der fünf Pastoren sehr
merkbar unterschied. Er hatte sich auch des schweren Streit-
kolbens der Gelehrsamkeit liie und da bedient, aber doch mit
Vorliebe das leichte Rappier des Spottes geschwungen und
den schöngeistigen Bischof damit empfindlich verwundet. Er
hatte neben Aeusserungen, deren Derbheit und Rohheit die
Grenze des Schönen weit überschritten, Spuren feinen Ge-
schmackes, ja dichterischen Genies gezeigt, die dem Ver-
fasser der „zahnlosen Satiren", dem „englischen Persius und
Seneca" am wenigsten entgehen konnten.
In einer kleinen, so viel ich sehe, hiefür noch nicht be-
nützten Schrift des Bischofs findet sich eine Stelle, aus der
man schliessen kann, dass er sich im Januar 1642 in seinem
Gefängnis mit Miltons Persönlichkeit beschäftigt hat. Die
Schrift liat die Form eines von Hall an einen Freund ge-
sandten Briefes, in dem er sich mit Eifer gegen die Anschul-
Die Halls gegen Milton. 115
(ligungen seiner Feinde veitheidigt, nebst angehängter Ant-
wort des Freundes (H. S.), weleliei- ihm durchaus beistimmt.
Hall rühmt sich, immer zu den Gemässigten gehört, die Ge-
wissensfreiheit in keiner Weise unterdrückt, sich nie als heim-
lichen Freund des Papismus und Arminianismus gezeigt zu
haben. Er beruft sich auf seine Erklärungen gegen die
Neuerungen in Lehre und Ritus vor dem Committee des
Hauses der Lords. Er verwahrt sich feierlich gegen den Vor-
wurf, „den kürzlich jemand sehr ungerechter Weise gegen
ihn erhoben habe", dass er in höherem Grade Weltmann sei,
als sich mit seinem Berufe vertrage (^). Solch ein Vorwurf
Hess sich allerdings aus der Milton'schen Schrift und nament-
lich aus seinen hämischen Bemerkungen über „Mundus alter
et idem'- unschwer herauslesen. Aber hierbei liess sich
Hall nicht genügen. Es konnte ihm nicht schwer werden,
über die Persönlichkeit seines Gegners sich Kunde zu ver-
sehatfen, zumal dieser gar keinen besonderen Grund hatte,
auf Wahrung seiner Anonymität zu sehen und sogar eben
dahin gelangt war, in seiner Schrift „über das Wesen der
Kirchen Verfassung'- sie aufzugeben. Einer der Söhne des
Bischofs, Georg Hall, scheint gerade in jener Zeit Pfarrer von
St. Botolph (Aldersgate) gewesen zu sein, also in unmittel-
barer Xähe von Milton's Wohnung (-). Ein älterer, Robert
Hall, damals Kanonikus in Exeter(^), aber häufig in London
anwesend, hatte möglicher Weise noch mit Milton zusammen
in Cambridge studirt und konnte sich dort über Milton's
Vergangenheit Aufschluss geben lassen. Wir wissen nicht,
welche Berichte von dieser und jener Seite einliefen, ob mög-
licher Weise Milton's Umgang mit Mr. Alphry und Mr. Miller
„den beaus jener Tage" (s. o. S. 26), und seine früheren un-
angenehmen Erfahrungen in Cambridge als schätzbares Ma-
terial zur Flechtung jenes ganzen Gewebes von Verläum-
dungen benutzt wurden, wie es unter den Händen der ge-
schäftigen Halls entstand. So viel ist sicher, dass Milton
darin nicht irrte, wenn er später behauptete, man habe fönn-
liche Xacliforschungen nach seiner Persönlichkeit und Ver-
gangenheit angestellt (,,and I am credibly informed he did
8*
116 Verleumdungen Milton's,
iiiquire'-. An Apology, S. 263 i. f.), und auch darin wird er
das Richtige erfahren haben, dass sein guter Name gemein-
schaftlich vom Vater und (vermuthlich dem älteren) Sohn
Hall in den Stauh gezogen worden war(^). Allerdings lässt
sich der Antheil des einen und des anderen nicht deutlich aus-
scheiden, indesswird man doch aus mancher Wendung schliessen
dürfen, dass der alte damals im Tower sitzende Hall sehr
wesentliche Stücke zu der Schmähschrift geliefert hat, welche
freilich in seinen Werken keine Aufnahme fand.
Sie führt den Titel „Eine bescheidene Widerlegung eines bos-
haften und possenhaften Libells, betitelt Bemerkungen zu der Ver-
theidigiuig des Eemonstranten gegen Smectymnuus" und kann
als ein rechtes Muster der Art und Weise gelten, mit der
sich damals hochgelnldete schriftstellerische Gegner zu be-
handeln pflegten (^). In der Anrede an den Leser wird der
Feind, welcher hier vernichtet werden soll, ein ,, possenhafter
Komödiant" (scurrilous Mime) genannt, der sich bei dem Streit
zwischen Prälaten und Smectymnianern „auf die Bühne ge-
stürzt habe, ein leilihaftiger (nach seiner eigenen Meinung
grimmiger, finstrer, scharfer) Narr". Man behauptet zwar
nichts weiter von ihm zu wissen, als was er selbst in seinem
Libell angedeutet habe, und muss sich daher begnügen, aus
seiner Art zu schreiben auf seinen Charakter und Lebens-
wandel zu schliessen. Indess ist dies nur eine Fiktion. Denn
gleich darauf heisst es, der Gegner habe seine Logik bei Seton
und Downame, den auch Milton angeführt hatte, gelernt, also
in Camln'idge (s. o. B. L 95, n5), a])er er sei nach einem lüder-
lichen Leben, wie er selbst es als Kegel für die Studenten
geschildert hatte, von der Univei-sität ,,in eine londoner Vor-
stadt-Kloake ausgespieen", wo man seitdem unter zwei liebeln
gelitten habe: der Pest und ihm. Demnächst müssen Miltons
eigene Worte dazu dienen, als Strick für seine Moral gedreht
zu wei'den. In seinei- von Bildern und Vergleichen strotzen-
den Schrift waren ihm Worte Avie „alte Mäntel, falsche Barte,
l'errücken, Masken, nächtliche Eaufholde" und schlimmere ent-
fahren, welche hier in dem Gedanken, dass der Styl den
Menschen bezeichne, scJir frei benutzt werden. „Wo er seine
Verleumdungen Milton's. 117
Morgenbesuche macht, heisst es von Milton, weiss ich nicht,
aber wer ihn nach Tisch finden will, der suche ihn in Schau-
spielhäusern und Bordellen". Denn nur dort lässt sich eine
solche Sprache lernen, die an Fluchen und Sektrausch ge-
mahnt. — Nicht minder missfällig werden andere Aeusserungen
Miltons beurtheilt. Sie sind „grässliche Blasphemieen", und
an jeden, „der Christus liebt und diesen elenden Ungläubigen
kennt'", ergeht die menschenfreundliche Auftbrderung ,,ihn zu
Tode zu steinigen, um nicht für seine Straflosigkeit zu büssen".
I)anel)en nimmt es sich denn sehr eigenthümlich aus, wenn
Gott gebeten wird, dem* Verirrten seine Sünden zu vergeben,
und die Hoffnung Ausdruck erhält, dass er selbst noch die
der Kirche geschlagenen Wunden heilen möge. In der darauf
folgenden Vorrede wird wieder eine Blumenlese aus Milton's
Schrift gegeben und hinzugefügt: „Solch' eine Sprache sollte
man kaum aus dem Munde gemeiner Bettler an einem heid-
nischen Altar erwarten". Audi die übliche Frage, wer ihn
denn gezwungen sich in diese Dinge zu mischen, stellt sich ein.
Erst darauf beginnt die eigentliche „Widerlegung", in
Paragraphen abgetheilt mit Citaten aller Art reichlich ver-
sehen. Auch hier fehlt es nicht an persönlichen Ausfällen
gegen Milton. Er wird ein ,, krittelnder Dichterling" genannt,
aus einem seiner anzüglichen Vergleiche wird geschlossen,
dass er ,,mit seiner Wäscherin auf vertrautem Fuss stelle",
vor allem werden dem Verfasser „der Bemerkungen" sell)st-
stichtige Absichten untergeschoben. Sein ganzes Streben gehe
dahin, eine reiche Wittwe oder die Stelle eines Lecturer oder
beides zu erhalten; um „die Wittwe- durch Entfaltung seiner
Talente zu gewinnen, habe er in seine Schrift ,,ein theatra-
lisches, gross-sprecherisches Gebet" eingeschoben, wie sich denn in
der That ein Meisterstück pathetischer Beredtsamkeit in Form
eines Gebetes daselbst fand. Und dieser Gedanke gefiel den
Halls so sehr, dass sie am Schluss nochmals auf ,.das Haus
der Wittwe, eine Pfarrei, Vikarei und Lecturer - Stelle" als
Gegenstände der Sehnsucht ihres Widersachers zurückkonunen.
Ein bedeutender Theil ihrer Schrift hat es sodann mit der
Vertheidigimg des angegriffenen Bischofs zu thun, und liier
118 Vertheidigimg Hall's und des Bisthums.
werden die Farben oft so stark aufjietragen, dass man geneigt
sein sollte, diese Stellen der kindlichen Verehrung des Sohnes
Hall zuzuschreiben. Das Martyrium des Bischofs wird nicht
ohne Geschick hervorgehoben, seine Persönlichkeit wird von
den Ungesetzlichkeiten, die etwa vorgekommen sein mögen,
scharf getrennt, er wird als ein Mann der rechten Mitte ge-
schildert, welcher die Religion zu vertheidigen Willens sei
gegen die „prunkliebenden, ceremoniesüchtigeu Formalisten",
aber auch „gegen den Schwärm finsterer und unwissender
Sektirer", als ein ehrwürdiger Charakter, der durch Wort
und Schrift, bei Hof und in seinem Amt freimüthig und fest
aufgetreten, als ein Muster der Massigkeit und Sitten-Rein-
heit, wie sie durch ,. seine gute Gesundheit, seine frischen
Wangen, seine hellen Augen" u. s. w. bei hohem Alter be-
zeugt werde. Auch seine jugendliche Muse wird lebhaft in
Schutz genommen, und die Erwähnung der „zahnlosen Satiren"
giebt Anlass zu Erörtemngen über das Wesen der Satire
„die von Alters her jede Art gemischter Schriftstellerei be-
deutet habe, was wir heute Essays nennen". Die eigent-
lichen Gegenstände des Streites, Bisthum, Liturgie u. s. w.
werden daneben nicht vergessen, und das „indej^endentische,
anarchische Kirchenregiment" (any such independent anarch-
icall Government), wie man es auf der Gegenseite erstrebe,
wird mit herben Worten verurtheilt. Besonders auffällig er-
scheint die Art, mit der vom Parlamente gesprochen wird.
Nicht der hier vertheidigte Remonstrant (Hall) und seine
Gesinnungsgenossen widersetzen sich dem Parlament, sondern
ihre (gleich Milton) radikal gesinnten Gegner, „die mit sanfter
Schmeichelei gegenüber diesen Mitgliedern des Hauses und
mit roher Gewalt gegenüber jenen die ganze Vereinigung von
König, Pairs, Gemeinen über den Haufen zu werfen drohen".
.Die Sonne bescheint keine wackerere, edlere Konvokation
(Convocation; als die des Königs, der Pairs und der Gemeinen.
Ihre aliwägende Gerechtigkeit und weise Mässigung wird sich
ewig zum 'i'iiu]ii])h anrechnen können, „dass sie bis jetzt ver-
schoben liabcii zu thun, was ohne ruhige TTeberlegung zu
tliun miniiissige Heftiukeit einerseits, (hiiigende Forderung
Milton's „Schutzschrift" gegen die Halls. 119
andrerseits sie antreiben wollte". Wie diese Worte deutlich
den politischen Takt bekunden, durch welchen hier das
Schicksal des gefangenen Hall zum Besten gewandt werden
sollte, so legen sie ein sehr sicheres Zeugnis dafür ab , dass
die in Kede stehende Schrift nicht nach dem fünften, jeden-
falls nicht nach dem vierzehnten Februar 1642 verfasst sein
kann. Am fünften trat das Haus der Lords dem Gesetz-
entwurf über den Ausschluss der Bischöfe bei, am vierzehnten
gab der König seine Zustimmung.
Nicht lange darauf erschien Milton's Antwort: Eine Schutz-
schrift gegen ein Pamphlet, betitelt eine bescheidene Wider-
legung der Bemerkungen zu der Vertheidigung des Remonstran-
ten gegen Smectymnuus. Sie war zwar anonym dem früheren
Verfahren angemessen, aber bei demselben Buchhändler, der
sein letztes unterzeichnetes Werk verlegt hatte (^). Die Schiift
wird nach dem vierten Februar 1642 abgefasst sein, denn sie
gedenkt der Petitionen der Lehrburschen und Frauen, die da-
mals eingereicht worden waren, um den grundsätzlichen Aus-
schluss der Bischöfe aus dem Parlament zu er\Yirken (S. 302),
Ob indess zur Zeit ihrer Abfassung dieser Ausschluss schon
Gesetzeskraft erlangt hatte, bleibt unsicher, wennschon es
wahrscheinlich ist (2). Die Art und Weise, mit welcher hier
vom König geredet wird, zeigt, dass jedenfalls der volle Bruch
zwischen ihm und dem Parlament noch nicht erfolgt war.
Denn er wird noch, in gutem Vertrauen auf seine Willigkeit
und presbyterianischer Ansicht einer Xationalkirche gemäss,
aufgefordert, sich dadurch seines Titels, „Vertheidiger des
Glaubens" würdig zu zeigen, dass er „den Unterhalt der Kirche
gebührender Massen vertheile", damit alle Theile des Landes
gleichmässig die Wohlthat der Predigt genössen, dass er „das
Aergernis der Ceremonien" abstelle und die „Usurpation der
Bischöfe" beuge.
Es war natürlich, dass Milton auch in dieser Schrift sich
veranlasst sah, sehr viel von seiner eigenen Person zu sprechen
120 Autobiographisches.
und die autobiographisehen Bekenntnisse, die er früher ab-
gelegt hatte, somit aufs beste zu ergänzen. Er hat Zeit
seines Lebens etwas darauf gehalten, die Sache, der er diente,
nicht nur durch den Glanz seines Talentes, sondern auch
durch die Fleckenlosigkeit seines Charakters verherrlichen zu
können. Indem er nun seinen guten Namen von den Halls in den
Koth gezogen sah, fand er es nöthig, das Publikum über die Ge-
schichte seiner Studienzeit, seines Bildungsganges, seiner
dichterischen Bestrebungen weiter aufzuklären, und die Seiten,
die er hierauf verwendet, haben uns bereits an mehr als einer
Stelle zur Ergänzung anderweitiger Nachrichten gedient.
Des eigenen Werthes sich vollauf bewusst, erkennt er das
Missliche einer Aufgabe, die ihn nöthigte, seine eigene Partei
zu nehmen und den Leser in einer grossen Zeit mit Persön-
lichkeiten zu behelligen. Aber er findet seine Rechtfertigung
darin, dass die Gegenpartei beabsichtigt habe, „nicht sowohl
ihn sell)st zu treffen, als in ihm die Wahrheit, die er ge-
schrieben, gehässig zu machen und die evangelische Lehre zu
schmähen, die sich der Tradition der Prälaten entgegensetzt".
Das erste, was er bekämpft, ist der Vorwurf, dass er mit
seiner Parteinahme für die Smectymnianer sich in Dinge ge-
mischt liabe, die nicht seines Amtes seien. Es war dies die
übliche Taktik dei- Männer von „imponivender Autorität" und
„grossem Namen" gegenüber dem namenlosen Laien. Aber
Milton tritt ihr entgegen. Er beruft sich auf seine „Freund-
schaft" zu den Verfassern des Smectymnuus und spricht es
hier ziendicli unumwunden aus, dass er zwar zu ihrer Ge-
lehrsamkeit und Solidität vollstes Vertrauen gehabt, a])er es
nützlich gefunden habe, gegen „die gezierte und stichelnde
Schreibweise" des Remonstranten ihnen den Beistand seiner
leichtei-en Waffen zu leilien. Ueberhaupt erklärt er, auch ab-
gesehen von der Rücksicht auf jene Freunde, in dem ent-
brannten Kampfe gar nicht unparteiisch haben bleiben zu
können. Man soll nicht fragen, warum dieser oder jener sich
vordrängt, das richtet sich nicht nacli dem Alter oder der
Jugend, sondei'ii (hinadi, ob Gott einem offensichtlich ,,(lenWillen,
den Geist und das Wort verleilit". Fr behauptet gleichsam unter
Autobiographisches. 121
dem Eindruck einer Art von Inspiration gestanden zu haben,
was der tiefen religiösen Stimmung, die unverkennbar in seinen
Schriften liervorgetreten war, entspricht.
Er wendet sich darauf zu einer Erwiderung der Vorwürfe,
welche man gegen sein Privatleben geschleudert hatte. Was
über seine Universitäts-Zeit gesagt worden war, entkräftet er
durch das Zeugnis seiner dortigen Bekannten. Die Grob-
heit, dass er nächst der Pest einer londoner Vorstadt-Kloake
lästig falle, giebt er mit doppelten Zinsen durch den Satz
zurück, sein Gegner, „der rohe Gassenkehrer", leide selbst
an einer schlimmeren Pest: im Oberstübchen. Die hämische
Anspielung auf seine „unbekannten Morgenbesuche" entreisst
ihm eine Schilderung der glücklichen Stunden, die er in der
Frühe des Tages genoss(^): „Im Winter, oft ehe der Klang
einer Glocke den Menschen zur Arbeit oder zum Gebet er-
weckt, im Sommer, wenn die ersten Vögel zwitschern. Da
werden gute Schriftsteller studirt oder vorgelesen, . . dann
geht es an nützliche Arbeiten und ritterliche Uebungen, den
Körper gesund und kräftig zu erhalten, damit er dem Geiste
leicht und willig folge, wenn die Sache der Religion und die
Freiheit des Landes starke Seelen in starken Leibern nöthig
hätte, um Stand zu halten und den Posten zu vertheidigen".
Noch ausführlicher verweilt er bei dem Versuch, aus
seiner Sprache zu schliessen, dass er zu den geAvohnheits-
mässigen Besuchern von Schauspielhäusern und Bordellen ge-
höre. Diese Zusammenstellung allein musste ihm, der die
dramatische Kunst als solche verehrte, schon sehr lächerlich
vorkommen. Er begnügt sich auf die nicht eben sehr mora-
lischen Theater- Vorstellungen seiner ehemalisehen theologischen
Studien-Genossen zu verweisen, die er einst mit angesehn hatte,
(s. 0. B. I. S. 89) und weiss selbst durch diese Erinnerung dem
hochkirchlichen Gegner eins zu versetzen. Demnächst deckt er
das Verfehlte und Boshafte der gegnerischen Methode auf, aus
seinen bildlichen Ausdrücken Schlüsse auf die Art seines
Lebenswandels zu ziehen. Es wird ihm leicht, aus den Jugend-
Schriften des alten Hall Rede- Wendungen und Schilderungen
auszuheben, die auf die Moralität des Autors ein viel
122 Autobiographisches.
schlimmeres Licht weifen würden. Auch weiss er sich ge-
schickt des dialektischen Kunstgriffs zu bedienen, dem Gegner
vorzuhalten, dass wer mit der Ausstattung und dem Jargon
von schlechten Häusern so bekannt zu sein vorgebe, wohl
eben so wenig in ihnen selbst ein Fremdling sein dürfe. Um
aber ein für allemal dem verläumderischen Gerede von seiner
Immoralität ein Ende zu machen, flicht er, mehr um sein
Publikum aufzuklären, als um den Halls entgegenzutreten,
jene klassische Darlegung über das Wesen der Poesie und
ihr Verhältnis zum Sittlichen ein, wie es ihm aus seiner Beschäf-
tigung mit den grossen Geistern der Vergangenheit klar geworden
war (s. 0. B. I. S. 257). Mit demselben Stolz, mit dem er „von
den nächtlichen Studien und Arbeiten", gesprochen hatte, „auf
die er eine ganze Jugend verwandt", berichtet er, ohne den
Spott der Welt zu fürchten, dass humanistische Bildung und
christliche Erziehung, verbunden mit „einer gewissen natür-
lichen Zurückhaltung", „ihn weit geringere Ausschweifungen
haben verachten lassen als die des Bordells". An wenig
Stellen hatte er Gelegenheit den puritanischen Moral - Begriff
so deutlich hervorzukehren wie hier, und man wird nur da-
durch über den engeren puritanischen Gedankenkreis empor-
gehoben, dass den Aussprüchen der Bibel über den Werth der
Keuschheit die Berufung auf die „edelste Philosophie" der
Alten vorausgeht. — Man hatte sich nicht begnügt, seine un-
schuldigen Worte gehässig auszulegen, sondern auch sie zu
verstümmeln und auseinander zu reissen ; das gemahnt ihn an
die Prälaten- Art, puritanische „Nasen zu brandmarken und
aufzuschlitzen". ]\Ian hatte „nach Art der Anstifter der Bar-
tholomäusnacht" unverblümt „die Parole ausgegeben" ihn
als einen „elenden Ungläubigen zu Tode zu steinigen"; das
dünkt ilm „die aufreizende und henkermässige Sprache" eines
Schülers Loyola's und beweist ihm, dass l)ei genügender Macht
der Remonstrant und seine Genossen in England die Gegner
des Bistluims el)enso behandeln würden, wie die Kebellen in
Irland die Protestanten behandelten. Man hatte ihm selbst-
süchtige Absichten auf eine reiche Wittwe oder eine Lecturer-
Stelle vorgewoifen, er erklärt nicht ohne ironisches Behagen
Angriffe gegen Hall. 123
den Gegner für einen sehr schlechten Propheten; bisher habe
ihm trotz Studien und Reisen noch nie das Nöthige gefehlt,
und, was die Heirats-Gedanken betreffe, so sei ihm ein wohl-
erzogenes Mädchen mit geringem Vermögen lieber als die
reichste Wittwe.
Beinahe in jedem Theile dieser nothgedmngenen Selbst-
vertheidigTing hatte Milton zugleich den Gegner schonungslos
angegriffen und an mancher Stelle, die er ihm ausserdem
widmet, übertraf er noch die Schärfe seiner früheren „Be-
merkungen". Die rücksichtslose Derbheit seiner Ausdmcke
zeigt aufs neue, dass ilan gegenüber kein „Prälat oder Erz-
prälat hoffen durfte als etwas Besonderes zu gelten", ja dass
ihm der Titel „Bischof" nicht für einen „Segen" sondern für
„das grösste Unglück" galt. Schon die Aufschrift des gegner-
ischen Pamphlets „Bescheidene Widerlegung etc." erscheint
ihm von pfäffischer Heuchelei eingegeben. Er erklärt das Bei-
wort „Bescheiden" für ebenso unpassend wie die feierliche
Dedikation einer Passions - Predigt an den Heiland, — eine
Geschmacklosigkeit, deren sich kein Geringerer als Bi-
schof Hall schuldig gemacht hatte (^). Er zersaust dessen
frühere Schriften, die „zahnlosen Satiren" und die „andere
Welt" in der unbarmherzigsten, nicht immer sehr kritischen
Weise und findet gerade hier jene komödiantenhafte, wein-
selige Gedanken-Eichtung , die man ihm hatte vorwerfen
wollen. Mitunter nimmt er dabei den Ton schulmeisterlicher
Pedanterie an, wie wenn er stilistische Nachlässigkeiten des
Gegners anstreicht, oder wenn er, mit den Waffen philo-
logischer Gelehrsamkeit ausgerüstet, ihm klar zu machen
sucht , was man unter einer Posse (Mime) zu verstehen
habe(-). Mitunter schwingt er sich aber auch zu hoher Be-
redtsamkeit auf, wie wenn er darlegt, dass der menschliche
Geist volle Freiheit haben müsse, sich dieser oder jener Dar-
stellungsfonn zu bedienen, bildloser und allegorischer, ernster
und scherzender, pathetischer und ironischer, je nach Neigung
und Gelegenheit. Es wurde ihm nicht schwer sich dafür auf
das Beispiel griechischer und römischer Schriftsteller, der
Propheten und Apostel, ja Christi seilest zu berufen. In
124 Ucber die Bildung der Geistlichkeit.
eigener Sache deckt er sicli aber recht absichtlich durch den
stolzen Hinweis auf Luther, von dessen heiligem Zorn er den
Prälaten gegenüber etwas in sich fühlte. Auf diese Weise
nimmt er für sich das Kecht in Anspruch „die Freiheit der
Presse, wie sie für beide Seiten bestehe" zu benutzen und
stellt diesem Verfahren das frühere der Bischöfe entgegen, ihre
Widersacher mundtodt zu machen durch den Kerker, „wo man
ihnen Tinte und Papier verweigerte".
Wie man sieht, mischt sich auch hier in das persönliche
Geplänkel immer wieder der Streit um die allgemeinen Fragen,
welche die Gemüther erregten. Die härtesten Worte fallen
über den Mangel an Bildung der hochkirchlichen Geistlichkeit
(s. 0. B. I. S. 121) ; es wird gesagt, dass sich in jeder Gemeinde des
Königreichs „einfache und tüchtige jMänner finden liessen, die
ihr gutes Gewissen die rechte Art geistlichen Unterrichts ge-
lehrt habe, welche l)al(l genug die prunkenden Füttern des üb-
lichen barbarischen Lateins und die gezierte Aetferei des geschnie-
gelten Kanzel-Schauspielers durchschauen würden". Nicht min-
der heftig wird der Unfug der Anhäufung von Pfründen in einer
Hand getadelt, mit dem sich die Abwesenheit von ausreichen-
den Seelsorgern in hunderten von Gemeinden verband. „Die-
selben Leute — heisst es — , welche die treuen Hirten von
ihren Heerden verjagen und eine Theuerung geistlicher Speise
venirsachen , schwelgen von der Arbeit gedungener Unter-
pfarrer (hireling curates)", vergeuden selbst die für die Armen-
pflege und Erhaltung der Kirchen bestimmten Gelder und
leben wie Grafen. Vor allem die anglikanische Liturgie mit
ihrem Formelzwang, ihren „mageren und trocknen" Aus-
drücken, „ihren Wiederholungen und Geschmacklosigkeiten"
wird aufs neue mit dem gnii/en puritanischen Eifer, die Fesseln
eines freien, religiösen Aufschwungs abzustreifen, als einer der
Reste papistischer Gcl)räuche, bekämpft. „Wenn wir in der
That dem Pabstthum und dem Aberglaulien einen Scheide-
biief gegeben haben, warum sagen wir denn nicht, wie zu
einer geschiedenen Frau: „..Nimm alles, was dir gehört mit
dir und lass es hinter dir herziehn?"" Warum sind wir bei
unsrer Trennung von Rom niclit so klug gewesen? Ali! gleich
Ueber die Liturgie. — Preis des Parlamentes. 125
einer schlauen Elielireclienn hat sie beim Scheiden alle
ihre schmachtenden Blicke und lockenden Worte nicht ver-
gessen : „ ..Behalte diese Briefe noch, diese Erinnerungszeichen,
diese wenigen Schmucksachen, ich bin nicht so begierig nach
dem, was mein ist, möge es bei dir das Andenken bewahren
dessen — was ich bin? nein — aber dessen, was ich einst
war: schön und lieblich in deinen Augen"", Und jene weich-
herzigen Reformatoren Hessen sich nach Art Verliebter be-
siegen durch die Worte einer „Buhlerin". — So ruft Milton
auch hier wieder die eigene poetische Gestaltungskraft zu
Hülfe, ohne indess Bundesgenossen aus alter und neuer Zeit,
sei es ein Zeuge des Alterthums oder der heimische Gower,
zu verschmähen. Sein ceterum censeo bleibt: „Wir werden
niemals frei werden, bis wir nicht Prälatenthum und
Kirchenfrevel als ein und dasselbe Ding von Grund aus aus-
rotten."
Eine Stelle der gegnerischen Schrift erforderte indess
noch eine besondere Beachtung. Es war die, welche so ge-
flissentlich in vollen Tönen das Lob des Parlaments gesungen
hatte. Milton empfindet fast eine Art von Eifersucht darüber,
dass einer von der bischöflichen Partei sich diesen Gegen-
stand erwählt und, wie er behauptet, schmählich misshandelt
hat. Hatte man doch gewagt jener höchsten Körperschaft des
Reiches den Namen einer Konvokation zu geben, der an
und für sich schon für den Puritaner einen gehässigen Bei-
geschmack hatte und an „viereckige Mützen und Mönchs-
kappen" gemahnte, hatte man doch das Parlament gepriesen
nicht sowohl, wegen dessen, was es gethan, als wegen dessen,
was zu thun es bis dahin unterlassen hatte. Diesem heuch-
lerischen Lobe setzt Milton sein eigenes entgegen, das keine
Einschränkung kennt und das höchste Gefühl des Triumphes
athmet. Es thut ihm wohl, nach so vielfachem, bitterem Tadel
auch einmal aus vollem Herzen loben zu können, und seine
Worte werden zu einer Apotheose der miterlebten Ereignisse
„der Rettung der gesunkenen Religion und des Gemein-
wesens, welche die Besten lange gewünscht, aber bei der ver-
zweifelten Läse der Dinge kaum zu hoft'en den ]\Iuth gehabt
126 Preis des Parlamentes.
hatten". Die Mitglieder des Parlamentes sind ihm „Väter
des Vaterlandes, Göttern gleich, denen täglich Bitten und
Danksagungen zuströmen". Ihre Weisheit, ihre Standhaftig-
keit dünkt ihn um so rühmlicher, da sie grossen Theils von ad-
liger Abkunft in ihrer Jugend den schädlichen Einflüssen
der Schmeichelei, des Reichthums, der Verführung ausgesetzt
waren und ihre Bildung an den Stätten empfangen hatten,
„welche die Gärten der Frömmigkeit und wahren Wissen-
schaft sein sollten, aber zu Brutstätten des Aberglaubens und
hohler Scholastik geworden waren". Er findet keinen Grund,
irgend eine ihrer Handlungen zu verschweigen , am wenigsten
die Verurtheilung Strafford's, durch welche sie „mit einem
Streiche die verlorenen Rechte und Freiheitsbriefe wieder
gewannen, welche die Vorfahren nach so vielen Kämpfen kaum
aufrecht erhalten konnten". Er möchte die erfolgreichen Ar-
beiten des Parlaments mit den in Dichtung und Geschichte
lioch berühmten Thaten der grauen Vorzeit vergleichen, aber
er fühlt, dass sie darunter leiden würden, „denn die Heroen
des Alterthums befreiten die Menschen von solchen Tyrannen,
die sich an einer Erzwingung des äusseren Gehorsams genügen
Hessen und dem Geiste erlaubten nach Möglichkeit frei zu
sein, sie aber haben uns von einer Doktrin der Tyrannei
erlöst, welche selbst die innere Ueberzeugung knechten und
verderben wollte".
Ueberblickt man die fünf Milton'schen Flugschriften, die
sich auf die kirchliche Reform-Frage beziehen, nach Form und
Inhalt, so wird man zugeben müssen, dass ihnen in dem
literarischen Kampfe der Zeit eine der ersten Stellen gebührt.
Wohl tlfeilen sie auf mehr als einer Seite mit anderen Er-
zeugnissen der damaligen Presse den Fehler ungeschlachter
Grobheit, deren wir uns entwöhnt haben. Wohl erscheint in
ihnen der freie Fluss der englischen Prosa häufig gehemmt
durch schwerfällige Wen(huigen, die, aus der Vertrautlieit des
Autors mit den alten Sprachen erklärlich, uns fremdartig an-
mutlien. Audi über andere Mängel können wir nicht hinweg-
sehen. In der Hitze des Gefechtes werden, dem Argwolm des
herrschenden Puritanismus gemäss, Thatsachen angenommen,
Schlussbetrachtung. 127
welche die Gegner aufs schwerste belasteten, deren Beweis
sich indessen nicht immer hätte erl)ringen lassen. Ebenso
weicht in der Schätzung früherer Ereignisse das ruhige Urtheil
mitunter dem Sturm der Parteileidenschaft. "Widersprüche und
Inkonsequenzen sind nicht gänzlich vermieden. Während es
wünschbar erscheint, dass dem religionslosen Staate kirchliche
Aufgaben entzogen werden, gilt der Monarch doch noch als
„Statthalter Christi , der das Scepter David's führt" (III. 57).
In demselben Athem, in welchem Toleranz gefordert wird für
den Puritaner, wird sie dem Katholiken verweigert. — In
manchem hat sich Miltön zeitlebens nicht über den Stand-
punkt erhoben, den er hier einnimmt, in anderen Fragen ist
er sehr bald über den Gedankenkreis seiner Jugend hinaus-
geschiitten. Immerhin standen schon damals den angegebenen
Mängeln glänzende Vorzüge gegenüber, die keine der zeitge-
nössischen Federn mit der seinigen theilen konnte. Seine
Schriften entfalteten einen Reichthum an Kenntnissen auf den
verschiedensten Gebieten, der in Anbetracht seiner Jugend
bewundernswerth erscheinen durfte. Sie strotzten förmlich
von weittragenden Gedanken und wussten sie nicht selten in
ein so glänzendes Gewand zu kleiden, dass man den philo-
sophischen Kopf mit dem Genius des Dichters und Redners
im Bunde erkennen musste. Aber noch heller leuchtete aus
jedem Worte der Charakter des Schriftstellers hervor, der
sich mit feurigem Eifer in den Kampf gestürzt hatte für das,
was er als Sache des Gewissens und der Freiheit seines Volkes
betrachtete, der sich über den Dunstkreis persönlichen Ge-
zänkes aufgeschwungen hatte zu der reinen Höhe allgemeiner
Ideen. *
Wenn diese Schriften Milton als entschiedensten Gegner
der damals bestehenden Staatskirche ausweisen, so lassen sie
auch darüber keinen Zweifel, welche Kirchenverfassung und
welche Staatsverfassung ihm damals genehm waren. Noch ist
er entschiedener Anhänger des Presbyterianismus und der
Monarchie. Aber während er der presbyterianischen Kirchen-
Verfassung eben den göttlichen Ursprung zuweist, den die
bischötliche für sich in Anspruch nahm, macht er gewisse
128 Schlussbetrachtung.
Aeusserungen tili er die Sekten, die mit der orthodoxen pres-
byterianisclien Ansicht schon nicht mehr im Einklang waren.
Nicht minder fasst er die parhimentarische Autorität in einer
Weise auf, die mit dem Königthum, wie es bisher bestanden
hatte, kaum noch verträglich zu bleiben drohte. Und schon
waren Ereignisse eingetreten, welche die grosse Bewegung des
englischen Volkes weitergeführt hatten, und unter deren Ein-
wirkung auch Milton's kirchlich-politische Anschauungen fort-
schritten.
Drittes Kapitel.
Beginn des Bürgerkrieges.
Seit der Verhaftung der Bischöfe herrschte in den parla-
mentarischen Kreisen ein Gefühl der Besorgnis für die nächste
Zuknnft, welches nur zu bald durch die Thatsachen eine Be-
stätigimg erhielt. Man hatte die Ahnung, dass der Hof einen
Hauptschlag vorbereite, ohne dass sie sich in bestimmte For-
men gekleidet hätte. Der König suchte seine Stellung zu
verstärken, indem er Falkland und Colepepper in den ge-
heimen Eath aufnahm, mit der Absicht, den einen zum Staats-
sekretär, den anderen zum Kanzler der Schatzkammer zu
machen, während Hyde, mit Digby von grösstem Einfluss, einen
officiellen Posten noch nicht bekleidete. Das Haus der Ge-
meinen, über die Pläne des Hofes keineswegs beruhigt und
durch dunkle Warnungen Pym's mit Argwohn erfüllt, traf einige
Sicherheitsmassregeln und bat den König um Erneuerung
jener Sehutzwache unter Essex. Karl I. setzte in seiner Er-
widerung „sein Königswort" zum Pfände, dass der Schutz
jedes einzelnen Mitgliedes vor Gewaltthat ihm so theuer sei
und bleiben werde wie die Erhaltung seiner selbst und seiner
Kinder (3. Januar 1642). Während diese Antwort im Unter-
hause bekannt wurde, erschien vor den Lords Sir E. Herbert,
der Attorney-General, um im Namen des Königs ein Mitglied
des Oberhauses, Lord Kimbolton, und fünf Mitglieder der Ge-
meinen, Pym, Hampden, Haselrig, Strode. Holles, des Höch-
stem, Milton u. s. Zeit. I. 2. 9
130 Attentat auf die fünf Mitglieder.
verraths anzuklagen. Was das Parlament einst gegen Straf-
ford als BeschuldigTing erhoben hatte, Versuch die Funda-
mental-Gesetze des Reiches zu untergraben, ward ihnen, den
Führern des reformlustigen Puritanismus , Schuld gegeben.
Man bezichtigte sie u. a. der einstigen verrätherischen Ver-
bindung mit den Schotten, Verführung des Heeres, Vorberei-
tung des Krieges gegen den König. Die Lords, weit entfernt
davon ihren Genossen in Haft nehmen zu lassen, hörten seine
heftige Gegenerklärung an und wählten ein Committee, um
die Gesetzlichkeit der Anklage zu untersuchen. Fast gleich-
zeitig mit der Nachricht von diesen Vorgängen kam dem
Unterhause Kunde zu, dass königliche Diener in die Woh-
nungen der angeklagten Mitglieder eingedrungen seien, um
sieh ihrer Papiere zu bemächtigen und ihre Pulte und Thüren
zu versiegL'ln. Sofort erklärten die Gemeinen das Geschehene
für einen Brach ihrer Privilegien, traten mit den Lords in
Berathung über den Schutz der Rechte und der Sicherheit
des Parlaments und befahlen Verhaftung jener Personen, Ab-
reissung der Siegel. Währenddess erschien nach Erlaubnis
des Hauses der königliche Sergeant at Arms, um einer Bot-
schaft seines Herrn zu Folge Auslieferung der fünf Mitglieder
zu forder«. Das Haus entschloss sich nach kurzer Berathung,
dem Monarchen zu erwidern, dass man seine Botschaft, welche
die Privilegien des Parlaments berühre, in ernste Erwägung
ziehen, sich baldmöglichst über eine Antwort schlüssig machen
und inzwischen dafür Sorge tragen wolle, dass die fünf Mit-
glieder sich jeder *esetzlichen Anklage stellten. Sie wurden
daher, einer nach dem andei-en, vom Sprecher verpflichtet, bis
auf weiteres Tag für Tag im Hause zu erscheinen. Aufs
neue wurde an den König das Verlangen einer Garde ge-
richtet, mit der er selbst und das Parlament einverstanden
sei(^). Inzwischen forderte das Unterhaus den Lord Mayor
auf, einen Theil der Milizen zu seinem Schutze aufzubieten.
Unter allgemeiner Aufregung gieng der Tag zu Ende.
In der Nacht vom dritten auf den vierten Januar wurde
in Whitehall, wie es scheint, ohne Zuziehung der neuen Mi-
nister unter aufreizender Theilnahme der Königin, der Ent-
Attentat auf die fünf Mitglieder. \^\
scMiiss gefasst, Gewalt anzuwenden. Um ^Mitternacht ward
der Lord ^Nlayor geweckt, um einen königliclien Befehl ent-
gegenzunehmen, der ihm einschärfte, ohne Vollmacht des
Monarchen keine ]\Iilizen aufzubieten, wie das Unterhaus sie
zu seinem Schutz verlangt hatte, vielmehr jeden Tumult mit
bewaffneter Hand zu unterdrücken. Der Tower war in Ver-
theidigimgszustand. Die Mitglieder der Rechtskollegien er-
hielten Befehl vom König, „sich bereit zu halten". Gegen
Morgen strömten bewaiffnete Kavaliere, Höflinge, abgedankte
Officiere im Palast zusammen. — Als das Haus der Gemeinen
seine Sitzung begann, hatte man Kunde von der di'ohenden
Gefahr. Die Geschäfte nahmen nichtsdestominder ihren Gang.
Falkland berichtete, dass der König der Deputation erwidert
habe, er werde noch im Laufe des Morgens seine Antwort
senden. Die Anklage- Akte wurde von den fünf Beschuldigten
aufs schärfste kritisirt, und eine Konferenz mit den Lords be-
gehrt, „um den Autoren und den Verbreitern des skandalösen
Libells nachzuforschen", sowie über die Garde in Whitehall
Klage zu führen, welche die Freiheit der Debatte verhindere.
Der Stadtrath erhielt eine Mittheilung von den bedenklichen
Anzeichen, die Rechtskollegien eine Auifordenmg, sich über
ihre Aljsichten zu erklären. Um zwölf Uhr unterbrach das
Haus für eine Stunde die Sitzung. Als man wieder zusammen-
trat, hörte man durch eine Botschaft der Lords, dass der
König am gestngen Tage seine . Antwort in Betreff der Garde
noch verschoben habe. Demnächst nahm man beruhigende
Antworten der Rechtskollegien entgegen. * Aber die Spannung
wuchs, als man näheres über die Ansammlungen Bewaffneter
in Whitehall erfuhr, und sich zugleich die Kunde verbreitete,
welche den fünf Bedrohten inzwischen zugekommen war, dass
es sich um ihre ErgTeifimg handle. Noch verhandelte man
damber, ob sie bleiben sollten oder nicht, als athemlos der
fi-anzösische Kapitän Langres, ein Bekannter des Abgeord-
neten Fiennes, an der Thür erschien und diesem mittheilte,
der König selbst sei schon im Anzug ('). Der Sprecher Lent-
hall, durch Fiennes benachiichtigt , kündigte es dem Hause
an. In weiser Erwägimg der Umstände, die sehr geeignet
]^32 Attentat auf die fünf Mitglieder.
waren, Blutvergiessen herbeizuführen, gab dieses den fünf Mit-
gliedern Erlaubnis, sich zu entfernen. Der erregte Strode
wollte nicht weichen, ein Freund drängte ihn gewaltsam den
Gefährten nach. Ihre Barke stiess kaum vom Ufer ab, als
der König mit ein Paar hundert Bewaffneten in der grossen
Halle von Westminster erschien. Die Hauptmasse bildete
hier Spalier, er selbst mit seinem Neffen, dem Prinzen Karl
von der Pfalz, schritt über die Treppe durch den Vorsaal zur
Thüre des Hauses, aber eine Anzahl der Bewaffneten drängte
ihm bis dahin nach. Er ermahnte sie, „bei ihrem Leben nicht
weiter zu gehen'' und trat mit seinem Neffen in den Saal,
dessen Thüre offen bliel). Alles erhob sich baarhäuptig, der
König durchschritt grüssend die Reihen.
Und nun erfolgte jene denkwürdige Scene, die sich in
dem Journal des Hauses der Gemeinen nur durch eine grosse
Lücke darstellt, bei deren aufregendem Verlauf nur zwei Per-
sonen die Ruhe behielten, sich Notizen zu machen, jener Sir
Simonds d'Ewes, das schreibfertige Mitglied des Hauses, und
der junge Untersekretär John Rushworth, dessen Aufzeich-
nungen Karl L mit einigen Veränderungen von seiner Hand
am folgenden Tage veröffentlichen Hess. Nach einem Blick
der Enttäuschung auf den leeren Platz John Pym's begab
sich der König zum Sitz des Sprechers mit den Worten:
,,Herr Sprecher, icli muss für kurze Zeit um Ihren Stuhl
lütten.'" Ohne sich niederzusetzen l)lickte er sich lange im Hause
um und l)egann dann zu reden: „Gentlemen, ich bedauere
den Anlass, weswegen ich hierher gekommen bin. Gestern
habe ich einen Sergeant at Arms aus triftigen Gründen ent-
sandt, um einige zu verhaften, die auf meinen Befehl des
Hochverrathes angeklagt waren. Ich erwartete darauf Gehor-
sam, aber keine Dei)utation. Und ich muss euch hier er-
klären, ül)Wohl nie ein König in England war, der mehr über
die Aufrechthaltung eurer Privilegien wachte, als ich, so sollt
ihr doch wissen, dass in Fällen von Hochverrath niemand ein
Privilegium hat. Und deshalb bin ich gekommen, um zu
sehn, ob einer der Angeklagten hier ist." Er hielt einen
Augenblick inne. ..Ich sehe keinen von ihnen, ich denke, ich
Attentat auf die fünf Mitglieder. 133
sollte sie kennen." Nach einer neuen Pause fuhr er fort: ..Denn,
Gentlemen , ich muss euch sagen, dass, solange diese keines
leichten Vergehens, sondern des Hochverraths angeklagten
Personen hier sind, ich nicht erwarten kann, dass das Haus
den rechten Weg geht, wie ich ihn von Herzen wünsche.
Deshalb bin ich gekommen, um euch zu sagen, dass ich sie
haben muss, wo immer ich sie finde." Auf die Frage: „Ist
INIr. Pym hier?" verharrte alles in Schweigen, ebenso auf die
Frage nach Holles. Der König wandte sich daher an den
Sprecher Lenthall. Der kniete nieder und erwiderte: ..Ma-
jestät, ich habe weder 'Augen zu sehen, noch eine Zunge zu
sprechen von diesem Platze aus, wenn nicht das Haus mir
Auftrag dazu giebt, dessen Diener ich an dieser Stelle bin,
und bitte ehrerbietigst um Verzeihung, dass ich keine andere
Autwort geben kann." Auch hier zurückgewiesen, schaute
der König selbst noch ein Mal nach den Gesuchten aus und
fügte einige Worte hinzu, in denen er theils Früheres wieder-
holte, wie dass er „niemals Gewalt beabsichigt hal)e", theils
die Erwartung aussprach, dass ..man ihm die ausgeflogenen
Vögel, sobald sie zurückgekehrt seien, senden werde." Er
schloss mit der Versicherung: ,, Andernfalls werde ich sie selbst
zu finden wissen." Als er den Saal uumuthig verliess, tönten
ihm die lauten Rufe ..Privilegium. Privilegium" nach. Draussen
harrte seiner das Gefolge. Ein Theil dessellien, die geladenen
Pistolen in der Hand, hatte eine drohende Haltung einge-
nommen und ungeduldig wie auf ein Kommando gewartet.
Das Haus, ohne in irgend ein Geschäft einzutreten, vertagte
sich bis zum folgenden Mittag.
Währenddess veränderte sich das Ansehn der Stadt. In
einem Hause von Coleman-Street, im Herzen der City, hielten
sich die fünf Verfolgten auf. die Bürgerschaft war entschlossen,
sie sich nicht entreissen zu lassen. Die Läden wurden ge-
schlossen, ^lenschenmassen durchwogten die Strassen, be-
ängstigende Gerüchte flogen von Mund zu Mund., die Thore
wurden gesperrt, die ganze Nacht erschollen die Paife der auf-
und abmarschirenden Wachen. Am folgenden ]\Iorgen erschien
die Rede des Königs im Druck nebst einer Proklamation, der
134 Folgen.
ZU Folge die Häfen des Eeiches für den Fall eines Flucht-
versuchs der Fünf geschlossen werden sollten. Die Aufregung
nahm zu, als man hörte, dass er selbst ohne kriegerisches Ge-
folge in der Guildhall zu erscheinen im Begriif sei. In den
Strassen empfiengen ihn die Rufe „Privilegien des Parla-
ments", ein Blatt Papier ward in seinen Wagen geworfen mit
der Aufschrift: „Zu deinen Zelten Israel". In Guildhall ward
er von den Behörden der Stadt mit höchster Ehrerbietung
aufgenommen, hielt eine Ansprache, in der er das Misstrauen
der Gemeinde zu zerstreuen suchte und auf Auslieferung der
Angeklagten bestand. Aber selbst hier aus den Reihen des
Gemeinderaths und der draussen sich drängenden Volksmasse
musste er entgegengesetzte Rufe vernehmen, unter welchen
der „Privilegien des Parlaments" den andern „Gott segne den
König" übertönte. Er lud sich in freundlicher Herablassung
bei einem der Sheriffs zum Essen ein; als er Nachmittags
dessen Wohnung verliess, um nach Whitehall zurückzukehren,
verfolgten ihn wieder jene unliebsamen Worte.
Am selben Nachmittage versammelte sich das Untei'haus
bei verschlossenen Thüren. Während einige aus der royalisti-
scheu Minorität das Verfahren des Königs zu entschuldigen
suchten, setzte die Mehrheit eine schon vorher entworfene
Deklaration gegen den Bruch der Parlaments-Privilegien durch.
Es ward beschlossen, sich bis zum eilften zu vertagen und in-
zwischen ein Committee zu wählen, dessen Sitz in Guildhall
sein sollte. Ihm wurde zur Aufgabe gestellt, die Mittel der
Sicherung von Stadt und Reich in Erwägung zu zielin. Auch
die irischen Angelegenheiten sollten nicht vergessen werden.
Den Lords ward Mittheilung davon gemacht, sie vertagten sich
■ gleichfalls. Indem das Parlament auf diese Weise, wie jene
, fünf Mitglieder, sich unter den Schutz der City stellte, wurde
zwischen beiden das Band noch enger geflochten. Während
das Committee in Thätigkeit trat und alsbald den fünf Ange-
klagten wieder Zutritt gewährte, verwandelte sich die City,
erschreckt durch das Gerücht von gewaltsamen Al)sichten
Digliy's 1111(1 Luiisford's, in ein Lager. Der Ruf nach Watten
wurde bis in die Vorstädte hinein laut, am sechsten Januar
Folgen. 135
traten 40,000 Mann in voller Küstung, nahe an 100,000 mit
Hellebarden, Schwertern, Keulen zusammen, der Lord Major
Gourney, dem die Bewegung über den Kopf wuchs, hatte
Mühe, die Massen zu zerstreuen (^). Die neuen Proklamationen
des Königs, in denen er allen Unterthanen Festnehmung der
Fünf anbefahl und ihre Beherbergung verbot, riefen neue
Gegenmassregeln hervor. Eine Deputation des Gemeinderaths
machte ihm ehrerbietige aber ernste Vorstellungen. Das
Committee übertrug den Oberbefehl ül)er die Miliz der City
und die Aufsicht über den Tower dem puritanisch gesinnten
Kapitän Skippon, der 'in Holland seine Kriegsschule durch-
gemacht und sich vom gemeinen Soldaten emporgearbeitet
hatte. Eine Schutzgarde von acht Compagnieen für den
Wiederzusammentritt des Parlaments wurde gebildet. Nur
solche wurden in sie aufgenommen, die sich eidlich verpflich-
teten, „die wahre reformirte Religion gegen Papismus und
papistische Neuerungen, die Macht und Privilegien der Parla-
mente, die gesetzlichen Ptechte und Freiheiten der Unterthanen
zu schützen". Die Kanzeln erschollen am Sonntag von feu-
rigen Predigten über Sprüche der Psalmen. Aus Buckingham-
shire kamen viertausend berittene Pächter und Freisassen,
den Protest des Parlamentes als Wahrzeichen am Hute, mit
einer Petition wegen des Geschehenen und bereit für ihren
Landsmann John Hampden und das Parlament „zu leben und
zu sterben". . Junge Kaufleute und Lehrlinge boten ihre
Dienste an, die Schiffer und Matrosen der Them eboote baten
um die Ehre, das Parlament von der Wasserseite zu ver-
theidigen, wenn es zu seinem gewöhnlichen Sitzungsorte zurück-
kehre.
Der König wie seine Gemahlin fanden es unerträglich,
den Triumph der Pym und Hampden zu sehen. Auch mochten
sie durch das Gefühl der Furcht geleitet werden, während sich
ihnen ausserhalb der Hauptstadt Mittel der Vergeltung bieten
konnten. Am 10. Januar verliessen sie mit kh'inem Gefolge
Whitehall und begaben sich zuerst nach Hampt(tncourt, dann
nach Windsor. Am folgenden Morgen, im Sonnenglauze eines
schönen Wintertages, hielten die Fünf auf geschmückter Barke
136 Der König verlässt London. — Massregeln des Parlaments.
ihren Triumplizug durch das doppelte Spalier der Kähne auf
dem Strome und der Milizen auf beiden Ufern. Unter Jubel-
i-ufen und Böllorschtissen landeten sie am Strande von West-
minster und wurden von ihren Gefährten an altgewohnter
Stelle stehend empfangen. Den Bürgern von London wurde
in beredten "Worten John Pym's gedankt, die Petition aus
Buckinghamshire mit Freuden entgegengenommen, die ernste-
sten Vorsichtsmassregeln zum Schutze des Parlaments ge-
troffen.
Das Ereignis hatte mit einem vollständigen Triumph der
Fünf und ihrer Gesinnungsgenos'sen geendigt, und sie beeilten
sich in den nächsten Wochen ihn nach allen Seiten hin aus-
zubeuten. Indem sie in äusserlicher Wahrung der konsti-
tutionellen Fiktion die Person des Königs ausserhalb jeder
Debatte stellten und bei jedem Schritt, den sie thaten, ebenso
sehr seine Ehre, wie die Privilegien des Parlaments und das
Wohl des Landes betonten, brachten sie Karl I. eine beschä-
mende Niederlage nach der anderen bei. Sie machten sich
daran, das Geschehene bis ins einzelne zu untersuchen, for-
derten Beweise für die erhobene Anklage, Namhaftmachung
der „Übeln Rathgeber", die den König missleitet hätten.
Alle, die liei dem Attentat auf die parlamentarischen Privi-
legien mitgewirkt hatten, sahen sich ihrerseits mit Verfolgung
bedroht, um wie vielmehr solche, die an der Spitze Bewaff-
neter mit feindlichen Absichten in der Nähe Londons er-
schienen, wie Digby und Lunsford. Je weniger man nach
diesen Erfahrungen Grund hatte, dem geflüchteten Hofe und
seinem Anhang von Kavalieren zu trauen, je mehr man
royalistische Anschläge auf Hüll zu befürchten hatte, desto
heftiger wurden die Angriffe gegen die „Malignanten", denen
auch, unter beständigem Hinweis auf das irische Blutbad, die
„Papisten" gleichgestellt wurden, und die man besonders in
der Umgebung der Königin erblickte. Und indem die Führer
des Unterhauses vorsichtig auf den äussersten Fall liedacht
waren, schritten sie olme Zagen zu weiteren Massregeln,
welche deutlich bewiesen, dass man sich mitten im Zustande
der Revolution, wenn nicht schon am Anfang des Bürger-
Massregelu des Parlaments. 137
krieges befand und nicht mehr fähig war, die alten Grenzen
der Staatsgewalten zu bewahren. Eine feierliche Proklamation,
in alle Grafschaften versandt, ermahnte das Volk, sich in Yer-
theidigungsziistand zu setzen, für Walfen und Munition zu
sorgen, die ]\Iagazine zu füllen und zu hüten, keine Aus-
hebung zu dulden, keinen festen Platz auszuliefern ,,ohue die
Autorität seiner Maj estät , ausgedrückt durch die bei-
den Häuser des Pari amen ts"'. Der Tower wurde be-
wacht, Anordnungen zur Sicherung der grossen Häfen und
Arsenale erlassen , mit Hülfe ^ der reichen Kaufleute für die
Bedürfnisse der Finanzen Sorge getroften, eine Namensliste
fiir die Ausfüllung der höchsten Posten des Aufgebotes ent-
worfen, der König darum angegangen, das Kommando der
festen Plätze und der Milizen diesen Männern des parlamen-
taiischen Ver-rauens zu übergeben. So spitzten sich die be-
gehrlichen Wünsche der Mehrheit des Unterhauses wieder zu
den zwei Forderungen zu. die schon früher aufgetreten waren :
Aenderung der Verwaltung in ihrem Sinn, Verzicht auf die
Veifügiing über die Streitkräfte der Nation. Aber daneben
blieb die grosse Frage nicht vergessen, welche Monate lang
ganz England in Athem gehalten hatte, die Frage der Pie-
foi-m der Kirchenverfassung, der Beseitigung des bischöflichen
Regiments, vor allem der Ausschliessung der Bischöfe aus der
Legislative. Gerade damals umbrauste der Sturm der Peti-
tionen mit erneuter Gewalt die Thüren des Parlaments. Von
Stadt und Land, von Vornehm und Gering langten ungestüme
INIahnungen in Westminster an, am 4. Februar erschien, als
ein Gegenstand royalistischen Spottes, sogar eine Deputation
von londoner Frauen, und wenn der irische Jammer, das
Idol der Messe, der Erzfeind William Land, die papistischen
und schlechtgesinnten Rathgeber der Krone in den meisten
Petitionen eine grosse Eolle spielten, so wurde am wenigsten
vergessen, wie unaufschiebbar es sei, den „abergläubischen
Bischöfen" ihre Stimmen im Hause der Lords zu nehmen.
Die Lords suchten, wo es nicht auf Abwehr drohender
Gewaltsamkeiten ankam, dem unaufhaltsamen Drängen der
Gemeinen Einhalt zu thun. Sie klammerten sich an eine
138 Massregeln des Parlaments.
einigermassen nachgiebige Botschaft des Königs, um ihre
Freude darüber kundzugeben, in der Hoffnung, dass der wilde
Strom immer neuer Forderangen damit abgedämmt würde.
Ihre Mehrheit war nicht gewillt, die königliche Prärogative
anzugreifen und, mit einem späteren Ausdruck des Unter-
hauses zu reden, „mehr zu thun, als je die Vorfahren gethan
hatten, weil sio mehr gelitten als diese". Aber schon mussteu
sie während 'iner Konferenz aus dem Munde John Pym's
Worte hören, die einen überraschenden Ausblick in die Zu-
kunft eröffneten: „Die Gemeinen werden sich freuen bei der
Rettung des Reiches, eure Mitwirkung und Hülfe zu besitzen ;
sollten sie aber diese missen, so wird das sie nicht entmuthi-
gen, ihre Pflicht zu thun. Und mag das Reich untergehen
oder gerettet werden (aber ich hoffe, es wird mit Gottes
Hülfe gerettet), so werden sie liedauern, dass die Geschichte
dieses Parlamentes der Nachwelt zu erzählen haben wird, dass
das Haus der Gemeinen in solcher Gefahr gezwungen war,
das Reich allein zu retten" (^). Unter den Lords selbst traten
die Gegensätze immer schärfer hervor, die Minorität war seit
lange, wie für andere Forderungen der Gemeinen, so für den
Ausschluss der Bischöfe gewonnen, am 5. Februar gab das
Oberhaus endlich der vielumstrittenen Bill seine Zustimmung,
nach welcher alle Personen geistlichen Standes unfäliig sein
sollten, „irgend eine weltliche Gerichtsbarkeit oder Autorität
auszuüben". Eines der Hauptbegehren des fortgeschrittenen
Puritanismus war damit erfüllt, eines der Hauptziele der
Milton'schen Streitschriften erreicht, einer der wichtigsten
Schritte auf der Bahn gemacht worden, welche der Trennung
des kirchlichen und staatlichen Gebietes zustrebte,
]\Ian dari' annehmen, dass die royalistische Mehrheit der
Lords bei diesem Akt der Nachgiebigkeit im Einverständnis
mit den Absichten des Hofes handelte (^). Man hatte sich
hier Ende Januar, nachdem der Anschlag auf Hüll misslungeu
war, entschlossen, gefügig zu erscheinen. Man lioffte durch
Zugeständnisse von minder Wichtigem Zeit zu gewinnen, um
das Wichtigste zu retten und im günstigsten Fall Verlorenes
wiederzugewinnen, das man im Nothstande aufgegel)en hatte,
Annahme der Bill über den Ausschluss der Bischöfe. 139
ohne sich damit für die Zukunft gebunden zu halten. Unter
dem Vorwand, ihre Tochter nach Holland zum Prinzen von
Oranien. dem ihr bestimmten Gemahl, zu begleiten, sollte die
Königin sich mit den Kronjuwelen nach dem Festland be-
geben, um Anleihen zu machen, Munition zu beschaffen, Sol-
daten anzuwerben. Der König wollte währenddess langsam
in die nördlichen Theile des Reiches zurückweichen, seine
Streitkräfte sammeln, inzwischen die Verhandlungen mit dem
Parlament fortsetzen. Daher die versöhnliche Sprache des
Königs, selbst mit Bezug auf die Streitfrage über die jVIiliz,
sein Wunsch, die Angelegenheit der fünf Mitglieder in Still-
schweigen zu begraben, seine Einwilligung, das Kommando
des Tower auf einen von den Gemeinen in Vorschlag ge-
brachten Mann übergehen zu lassen. Auch in der Frage des
Ausschlusses der Bischöfe vom Oberhause überwand er sich
nachzugeben, wiewohl damit die alte bischöfliche Verfassung
selbst einen schweren Stoss erhielt. Diese Frage war doch
weit minder bedeutend als die der Verfügung über die Miliz,
weit weniger geeignet, zum Ausgangspunkt eines äussersten
Widerstandes gemacht zu werden als diese. Die Königin,
als Katholikin, hatte keinen Grund sich für die Privilegien
des anglikanischen Bisthums, zumal angesichts ihrer nächsten
Pläne, zu erwärmen, und wenn Falkland und Colepepper von
diesen auch nicht im einzelnen unterrichtet sein mochten, so
waren sie nach ihrer ganzen freieren Geistesrichtuug weit
entfernt davon, die Gewissensbedenken ihres streng anglika-
nisch gesinnten Freundes Edward Hyde zu theilen.
Am 14. Februar erfuhr das Parlament durch eine Botschaft
des Königs, dass er nächst der Bill über die Anwerbung von
Mannschaft für den irischen Krieg jener anderen über den
Ausschluss der Bischöfe seine Zustimmung gegeben habe.
Er fügte hinzu, dass er die weitere Frage „über Verfassung
und Liturgie" ganz und gar der Weisheit des Parlaments
überlasse und bat nur, dass man ihm nicht einzelne Theile, son-
dern ein ganzes System der Pieform vorlegen möge. Zugleich
suchte er die argwöhnische Intoleranz des Puritanismus zu
befriedigen, indem er versprach, auf strenge Durchführung
140 Die Frage der Militia.
der Strafgesetze gegen Rekusanten und römische Priester zu
achten.
Einige Tage später fuhr die Königin von Dover ab, be-
gleitet vom Prinzen Rupert von der Pfalz, der nach England
geeilt war, um sich seinem Oheim zur Yei-fügung zu stellen.
Der König selbst schlug mit dem Prinzen von Wales und
dem Herzog von York den Weg nach Norden ein.
Eben dieser Zeit und den nächstfolgenden Monaten ge-
gehörten die wichtigen Verhandlungen mit dem Parlamente
an, welche unmittelbar zum Bruch, zum Beginn des Bürger-
krieges führten.
Es waren sehr verschiedene Gegenstände, welche damals
zwischen König und Parlament zur Sprache kamen, noch
immer unter Festhaltung der Fiktion, als betrachte man die
Trennung der Staatsgewalten als ein vorübergehendes Ereignis,
während in Wahrheit beide Parteien sich schon als Feinde
ansahen, eifrig rüsteten und durch Druckschriften aller Art
die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen suchten.
Im Vordergrund stand aber die schon so häufig berührte
Frage über ..die Militia". Hier zeigte sich, wie weit und wie
richtig Stratibrd gesehn hatte, indem er in den 1)estehenden
Verhältnissen der Militärverfassung des Landes ein Haupt-
hindernis für die Herstellung einer Staatsgewalt erblickte,
welche den Monarchen thatsächlich absolut und das Parla-
ment thatsächlich zu einem blossen Schatten gemacht haben
würfle. Aber auch die Fülirer des Parlaments waren sich
frühe klar darüber geworden, dass alle die einschneidenden
konstitutionellen Bestimmungen, die sie theils bereits durch-
gesetzt hatten , theils noch durchzusetzen hofften, keine ver-
lässliche Bürgschaft ihrer Dauer in sich trügen, wenn nicht
die administrativen Gewalten der Krone auch auf jenem Ge-
l)iet beschränkt würden. lieber die Tliatsache, dass man
etwas Neues ei-strebe, mochte unter den Häuptern der Partei
wiedemm ein mehr oder minder klares Bewusstsein herrschen,
über die Nothwendigkeit dieser Bestrebung war unter ihnen
keine Meinungsverschiedenheit. Man hatte den grossen Vor-
theil, auch in dieser Frage immer mit dem Hinweis auf Ir-
Die Frage der Militia. 141
land operireu zu könuen, dessen elender Zustand schleunige
Abhilfe forderte, und damit zugleich das puritanische Gefühl
des Hasses gegen den Papismus zu treffen, während das An-
erbieten des Königs, selbst das Kommando gegen die Rebellen
zu übernehmen, nur aufs neue den populären Argwohn er-
weckte und den Entschluss, auf dem eingeschlagenen "Wege
zu verharren, entschieden kräftigte.
Unmittelbar, nachdem Karl I. das vorläufige Opfer ge-
bracht hatte, sich mit dem Ausschluss der Bischöfe aus dem
Oberhause einverstanden zu erklären, wurde ihm der Ent-
wurf der Ordonnanz des Parlamentes vorgelegt, welche aus-
fiihrliche Bestimmungen über die Miliz und eine Namensliste
der Männer enthielt, denen sie anvertraut sein sollte. Der
König erklärte nach einigem Zögern die Vorlage in der ein-
gereichten Fonn für unannehmbar. Sein Widerspruch rich-
tete sich nicht sowohl gegen die in Vorschlag gebrachten
Personen, an denen er nichts auszusetzen fand, soweit nicht
London und entsprechende Korporationen in Frage kamen.
Aber er verwahrte sich gegen die Ausdehnung ihrer militäri-
schen Befugnisse mit Umgehung seiner Person und er wei-
gerte sich vor allem, auf sein Recht des Widerrufs jener
Vollmachten zu Gunsten des Parlaments zu verzichten. Die
Rückantwort des Parlamentes führte eine drohende Sprache.
Das Unterhaus erklärte die Worte des Königs für eine voll-
kommene Weigerung, seine Rathgeber in dieser Frage für
Feinde des Staates und Verschwörer gegen die Sicherheit des
Königs und den Frieden des Reiches. Es gab, mit dem Ver-
langen Karls I. in direktem Widerspruch, seine volle Billigung
mit dem Unternehmen einzelner Landestheile kund, sich in
Vertheidigungszustand zu setzen. Es riss die Lords zur Ab-
sendung einer Botschaft mit. welche dem König erklärte, die
Gefahren des Staates könnten keinen Aufschub erdulden, und
wenn er sich nicht entschliessen könne, seine sofortige Zu-
stimmung zu den gemachten Vorschlägen zu geben, werde
man genöthigt sein, über die Miliz unter Autorität l)eider
Häuser des Parlamentes zu verfügen. Auch baten sie um
seine und des Prinzen von Wales Rückkehr in die Nähe der
142 Bruch zwischen König und Parlament.
Hauptstadt. Einer solchen Sprache setzte der König um so
bestimmter seine Weigerung entgegen, je weiter er sich nach
Norden entfernte, und er war schon in Newmarket angekom-
men, als Lord Pembroke, der ihn drängte, wenigstens auf
beschränkte Zeit die Militia aufzugeben, von ihm die Ant-
wort erhielt: ,,Nein, bei Gott, nicht für eine Stunde.'"
Das Parlament liess sich inzwischen nicht aufhalten. Alle
anderen Geschäfte traten hinter dem der kriegerischen Rüstung
zurück. Die Frage der kirclilichen Reform, welche anfangs die
Hauptsache gewesen war , wurde in den Hintergrund gedrängt.
Wennschon William Land in Verhaft blieb, so dachte man
nicht daran, die zwölf Bischöfe länger festzuhalten und gab
ilmen Anfang Mai die Freiheit. — Schon vorher hatten die
Gegensätze sich mehr und mehr verschärft, obgleich die Ver-
handlungen niemals abbrachen. Das Parlament fasste den
entscheidenden Beschluss, die Ordonnanz über die Miliz
selbstständig durchzuführen. Der König erklärte dies für
einen Bruch der Grundgesetze des Reiches und verbot allen
Unterthanen der Ordonnanz Folge zu leisten. Das Parlament
antwortete, „dass ihm selbst als höchstem Gerichtshof des
Reiches zustehe, auszusprechen, was Landesrecht sei" aind
brandmarkte jeden Versuch, dies in Zweifel zu ziehn, als
einen Bruch seiner Privilegien. Unwillkürlich gelangte man
dazu, von dem thatsächlichen Zwiespalt aus auf die allge-
meinsten Theorieen vom Urciuell der Staatsgewalt zurück-
zugehn und bewies schon dadurch, welche Fortschritte der
revolutionäre Gedanke gemacht hatte. Am 23. April hatte
der König unerwartete Gelegenheit, dies selbst zu erproben.
John Hotham, der Befehlshaber der Stadt Hüll, deren er sich
mit ein Paar lumdert Reitern zu bemächtigen gedachte, den
Geboten des Parlaments getreu, verweigerte ihm den Einlass.
Karl I. erklärte ihn daraufhin füi- einen Verräther, unter-
brach seine Verbindungen mit London, heng einen von Hüll
dortiiin entsandten Boten ab. Das Parlament billigte das
Benehmen Hotham's, nannte das Verfahren des Königs gegen
ihn, eines dei- Mitglieder des Unterhauses, gesetzwidrig und
Bruch zwischen König und Parlament. 143
entsandte eine Kommission mit strengen Vollmachten nach
Norden.
Das energische Zusammenwirken von Ober- und Unter-
haus, die rasche Bewältigung einer ungeheuren Last von Ge-
schäften, die ilicksichtslose Schärfe einzelner Massregeln
ward allein dadurch ermöglicht, dass sich allmählich die
royalistischen Mitglieder entfernten, und fast nur diejenigen
zurückblieben, welche entschlossen waren, wenn es zum Kriege
käme, auch gegen den König die Waffen zu führen. Ein
grosser Theil der Lords eilte nach York zum König, aber
eben die puritanisch Gesinnten waren nicht darunter, die
Karl L ausdrücklich zu sich entboten hatte und die er nun,
wie Essex und Holland, ihrer Hofämter entsetzte. Der Lord-
Keeper Littleton schickte heimlich das grosse Siegel zum König
und folgte selbst nach. Viele von den Gemeinen giengen
denselben Weg, nächst Hyde hielten es auch Falkland und
Colepepper nicht mehr für gerathen, in London zu bleiben.
Ln Laufe des Mai und Juni hatte sich in York eine Art von
Gegenparlaraent versammelt, von allen Seiten strömte der
loyale Adel hierher zusammen, der König empfieng aus den
Grafschaften des Nordens und Westens mannichfache Zeichen
der Sympathie, er wandte sich, nicht ohne heftigen Wider-
sprach zu erfahren, an Gentry, Freisassen und Pächter der
Nachbarschaft um Hülfe für den bevorstehenden Kampf, er
erhielt eben damals die erste Sendung von Kriegsmaterial,
welches die Königin auf dem Festlande angekauft hatte. Als-
bald trafen in den einzelnen Grafschaften die Ordonnanz des
Parlaments über die Miliz und der vom König gegebene Auf-
trag (Commission of array) der Truppenaushebung aufeinander,
den durch beide Häuser ernannten Lord - Lieutenants traten
die Bevollmächtigten des INIonarchen gegenüber, über das
ganze Pieich hin wurde der Zwiespalt getragen und erfüllte
Städte und Dörfer, Strassen und Märkte mit wildem Tumult.
Unter den Flugschriften, deren damals eine grosse Zahl
die Frage der Militia mit leidenschaftlichem Eifer behandelte,
ist eine, welche man mitunter der Feder John Milton's zuge-
schrieben hat. Sie setzt sich vor, wie schon ihr Titel an-
144 Schrift über die Militia von J. M.
deutet, zu beweisen, dass das Recht auf Seiten des Parla-
mentes sei und allen erhobenen Einwendungen zu begegnen.
Abgesehen davon, dass sie von jenem Thomas Underhill ver-
legt ist, mit welchem Milton schon in Verbindung stand, kann
das J. M. auf dem Titel im ersten Augenblick verführerisch
erscheinen. Dazu kommt, dass der Name des Dichters .als
der des Autors nicht nur von Oldys in Ms. Zusätzen zu
E. Phillips Leben Miltoii's, sondern auch vom zweiten Grafen
von Bridgewater, dem ..älteren Bruder" des .,Comus", auf dem
Titel der Flugschrift selbst verzeichnet sein soll. Endlich
findet sie sich in einem interessanten Sammelbande der erz-
bischöflichen Bibliothek von Lambeth, welcher auf altem Ein-
band die gedruckte Bezeichnung trägt: „Tract'^ By John Mil-
ton", in der That einige Hauptschriften des Dichters enthält,
ausserdem aber einige andere, die ein altes handschriftliches
Inhaltsverzeichnis auf der ersten Seite gleichfalls ihm zu-
eignet. Auch von dem in Rede stehenden Traktat heisst es
hier ausdrücklich ..Sein Argimient betreifend die j\niitia"(i).
Bei flüchtigem Durchblättern könnte der Inhalt dieses sehr
lehrreichen Pamphlets, welches einen klaren Einblick in die
ganze Streitfrage eröft'net, wohl dazu verleiten, in Ueber-
einstimmung mit jenen Angaben es Milton zuzuschreiben.
Der Verfasser hält zwar das Recht der Verfügung über die
Miliz für eine Prärogative der Krone, aber er bejaht die
Frage, ,.ob die beiden Häuser des Parlaments, wenn das König-
reich in unmittell)arer Gefahr ist, und der König verweigert
es in Belagerungszustand zu setzen, das Recht haben, durch
ihre Ordonnanz ohne Zustimnumg des Königs die Miliz anzu-
ordnen". Eiiit'. „unmittelbare Gefahr" wird ihm aus dem Zu-
stande Irlands klärlich bewiesen, denn es ist sicher, dass der
Pabst und seine Anhänger ,,mit ilirem heiligen Vater, dem
Teufel"', den Untergang des Protestantisnuis planen. Auch
hält er das Parlament für vollkommen berechtigt, über die
Iiiiniinenz der Gefalir von sich aus zu urtlieilon. Der König
hat seine Krone empfangen nur unter der stillschweigenden
Bedingung, „die Gesetze, das Leben und die Freiheiten der
Unterthanen zu vertheidigen'', er wird durch schlechte Rath-
Die neunzehn Propositionen. X45
geber yeifülirt, sich darüber hinwegzusetzen, aber diese , .wer-
den l)akl die Mitra über die Krone stellen'-. Der Autor hegt
den Wunsch, dass Gott die Augen des Königs öffnen möge
und nimmt als Wahlspruch an: ,.Pereant privilegla regis ne
pereat regnum.'- Wenn Milton diese Sätze wohl hätte unter-
schreiben können, so finden sich doch andere, die seiner Ge-
dankenrichtung wenig entsprachen. Schon damals hätte er
sich schwerlich zu der Behauptung verstanden, „dass alle
Macht göttlichen Ursprungs sei, und so vorzüglich die des
Königs". Auch würde er eine schärfere und vor allem weniger
schulmässige Sprache geführt haben, als es liier geschieht.
Denn die ganze Schrift, ausgestattet mit Verweisungen auf
Präcedenz - Fälle und Werke über das englische Staatsrecht,
deutet auf eine streng fachmännische, juristische Ausbildung
des Verfassers. In der That wird denn auch ein Jurist, John
Marsh, durch einen vertrauenswürdigen Ms. -Vermerk in
dem Exemplare des britischen jSIuseums als Autor bezeichnet,
und damit die Vermuthung beseitigt, als habe Milton die
Feder in der grossen politischen Streitfrage ergriffen, w^elche
im Sommer 1642 jedes englische Haus mit Aufregung erfüllte.
Nur bei wenigen war noch ein Mal inmitten dieser Auf-
regimg die Hoffnung aufgelelit, der Bürgerkrieg werde sich
vermeiden lassen, indem der König die neunzehn Vorschläge
des Parlaments annehme, in denen es im Laufe des Juni
seine gesteigerten Fordemngen zusammenfasste. Sie bedeu-
teten in der That eine vollständige Aenderung der Verfas-
sung, eine Aufhebung der königlichen Prärogative nach allen
Richtungen, und Karl I. hatte sie entriistet zurückgewiesen.
Es war kein Zweifel mehr möglich: die nächsten Monate
mussten englische Schwerter englisches Blut vergiessen sehn.
Während Schottland nach vergeblichen Vermittlungsversuchen
mit lebhafter Spannung das sich entwickelnde Drama ver-
folgte, in Irland die eingeborenen Katholiken, seit der Synode
von Kilkenny fester organisirt, aus dem Zwiespalt des Königs
und des Parlaments den grössten Vortheil zogen,,, bot Eng-
land das Schauspiel von zwei geschäftigen Kriegslagern, deren
Vorposten schon die ersten Scharmützel miteinander bestanden.
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 10
146 Rüstungen des Königs.
Der König war eifrig beschäftigt, sein Heer zu orga-
nisiren. Im Norden und Westen waren die Aushebungen
seiner Bevollmächtigten erfolgreich. Schaaren von Freiwilligen
aus den höheren Ständen eilten in ritterlicher Kampflust
herbei. Die rauhen Waliser folgten seinem Aufruf. Was
vom Landadel in Yorkshire und der Nachbarschaft noch ka-
tholisch war, blieb nicht zurück. Officiere der alten Armee
boten ihre Dienste an. Mancher, der in Deutschland seine
Kriegsschule gemacht hatte, hoffte auch hier sein Glück zu
finden. Das Gefühl der Standesehre, der Familientradition,
der Heilighaltung königlicher Majestät und alter Institutionen
verband sich mit der Lust nach Abenteuern, der Hoffnung
auf Gewinn, dem Wunsche glänzenden Lohnes von schöner
Hand. Kein edlerer Vertreter der Partei der „Kavaliere"
war denkbar als Falkland, der selbstlos aber entschieden der
Sache der Monarchie sich zur Veifügung stellte, nachdem er
so lange den Absolutismus bekämpft hatte. Noch immer war
der Mangel an Geld und Material sehr empfindlich, aber man
suchte ihm auf mancherlei Weise abzuhelfen. Kriegsvorräthe,
die für Irland bestimmt waren, wurden aufgefangen, Anleihen
bei den Getreuen geistlichen und weltlichen Standes gemacht,
die Universitäten aufgefordert, ihr Silbergeschirr zum Ein-
schmelzen darzubringen, weitere Hilfe von den Katholiken
mehrerer Grafschaften geboten, von dem Geschick der Königin
erwartet. An die Spitze des in der Bildung begriffenen
Heeres wurde Lord Lindsey gestellt, der einst vor Rochelle
freilich keine Gelegenheit gehabt hatte, sich Lorbeeren zu
erwerben. Das Kommando der Reiterei blieb dem Prinzen
Rupert von der Pfalz aufbehalten, der im Begriff war, vom
Festland zurückzukehren, um England die folgenden Jahre
hindurch vor seinen gleich wilden wie kühnen Schaaren er-
zittern zu lassen.
Das Parlament fasste den Beschluss, eine Armee auf-
zustellen, wie die Formel lautete, ..für die Sicherheit der
Person des Königs, die Vertheidigiing beider Häuser und
derer, die ihren Befehlen gehorclit hatten, die Erhaltung der
wählen Religion, der Gesetze, der Freiheiten, des Friedens
Rüstungen des Parlaments. 147
des Reiches." Es vertraute die Fühning dieses Heeres dem
Grafen von Essex an, dessen grosser Name allein eine Macht be-
deutete. Hervorragende Mitglieder der puritanischen Partei aus
beiden Häusern, wie die Lords Kimbolton, SayeundSele, Brooke,
Holles, Hampden übernahmen das Kommando der Eegimenter
die sich in ihre Farben kleideten. Andere standen in der
Reiterei, an ihrer Spitze der junge Graf von Bedford, welcher
später zwei Mal die Partei wechselte, unter den übrigen
Obersten William Waller, unter den Hauptleuten ein Sohn
von Pym, Arthur Haselrig, Oliver Cromwell. Jeder war in
seinem heimatlichen Bezirke thätig, die Aufstellung, Aus-
rüstung, Einübung der Mannschaft zu betreiben, den könig-
lichen Kommissären, den Royalisten der Grafschaft entgegen-
zutreten. Keiner blieb hinter dem anderen zurück in der
Darbiingung der gTÖssten Geldopfer. Manchem gelang schon
damals eine beherzte That, wie es Cromwell glückte, sich in
Cambridge des Magazins der Burg zu bemächtigen und den
Silberschatz der Kollegien abzufangen. Ein unberechenbarer
Vortheil war es, dass die Flotte dem Parlamente in die Hände fiel.
Die puritanische Masse in Stadt und Land folgte mit
flammender Begeisterung dem Vorgang ihrer Führer. Frei-
willigen-Corps begannen sich zu bilden, Geldsammlungen
giengen erfolgreich von Haus zu Haus. Nirgends stieg der
Enthusiasmus höher als in London, dem grossen Hauptquartier
der parlamentarischen Partei, wo es gelungen war, den Magistrat
im Sinne des entschiedenen Puritanismus umzuändern und
einen Vertheidigungs-Ausschuss zu bilden, der für die Rüstung
der städtischen Milizen sorgte. Die City streckte 100,000 £
vor. Jedes Geschlecht, jedes Alter, jeder Stand drängte sich
dazu, sein Theil zur Unterstützung des Parlamentes beizu-
tragen. Die Goldschmiede plünderten ihr Lager, bürgerliche
Haushaltungen sandten ihr Silbergeschirr, arme Mädchen und
Frauen brachten Fingerhüte und Nadeln. Wie beim Beginn
unsrer Freiheitskriege entäusserte sich manche des einzigen
treugehüteten Kleinoi^s, des Traurings. Kaum war man fähig,
in der Guildhall alles in Empfang zu nehmen und unterzu-
bringen (^).
10*
]^48 Rüstungen des Parlaments.
Inmitten der grossen Bewegung stand als leitende Macht
der „Siclierlieits- Ausscliuss", den das Parlament aus einigen
der angesehensten Mitglieder beider Häuser gebildet hatte.
Seine Seele und die Seele der gesammten Thätigkeit auf
dieser Seite war John Pym. Von dem Augenblick an, da der
Krieg unvermeidlich erschien, bis zum letzten Tage seines
Lebens entfaltete der Achtundfünfzigj ährige eine staunens-
würdige Energie. Von früher Morgenstunde bis zum Abend,
vom Abend bis Mitternacht bewältigte er eine ungeheure Last
von Geschäften, in guten wie in bösen Tagen mit der gleichen
ruhigen Sicherheit, bald auf dem Schlachtfeld in Berathung
mit Hampden, bald im Lager zur Anspornimg Essex', bald
im Saale von Westminster, bald in der Guildhall, um seine
]\Iitbürger durch zündende Worte zu ermuthigen(i). Der
ganzen Bewegimg blieb der Stempel des Puritanismus auf-
gedrückt. Die Prediger forderten mit dem Feuer alttesta-
mentarischer Propheten zum Kriege gegen die Verächter des
wahren Glaubens auf. Mehrere der beliebtesten folgten den
Regimentern als Kapläne in's Feld. Um den „Zorn des all-
mächtigen Gottes" zu l)eschwichtigen, dessen strafende Hand
in der Entflannnung des Bürgerkrieges sichtbarlich erschien,
wurden neue Beschlüsse gegen katholische Priester, Kapu-
ziner und ., Denkmäler des Götzendienstes" gefasst(-). An
Fasttagen war kein Mängel, der Sal)bath wurde in puritani-
scher Strenge und Freudlosigkeit gefeiert, nicht viel später
das verhasste Book of Sports öffentlicli durch den Henker
verbrannt, eine Fülle von Bildwerken und bunten Kirchen-
fensteiTi zerstört. Auch die Bühne, die alte Feindin des puri-
tanischen Rigoi-ismus, eiitgieng niclit der Ungunst der Zeiten.
Die Schauspieler hatten längst bemoi'ken müssen, „dass die
Zeiten vorüber seien, da sie sich in den Strassen aufblähen
konnten wie Höflinge", und ihr Schicksal war von ihnen
vorausgesehen. Am 2. September 1642 ergieng die erste
Verordnung des Parlaments gegen dramatische Aufiführungen
für die Dauer des öffentliclien Unglücks. Sie ward motivirt
durch den traurigen Zustand von Irland und England und
legte dem Volke statt „tlieatralischer Darstellungen, in denen
Schliessung der Theater. 149
nur zu häufig- Lascivität und Frivolität zum Ausdruck kom-
men", vielmehr an's Herz, zu fasten, zu beten und sich den
., nützlichen Gedanken der Reue, der Versöhnung und des
Friedens mit Gott" zu ergeben. Den Schauspielern blieb
nichts übrig als sich durch bissige Verse zu rächen, viele
schlugen sich zum König durch. Auch von den Dichtern
haben nicht wenige, wie Shirley, Davenant, Cleveland, Cart-
wright, Quarles, Lovelace, Suckling, für den König mit dem
Schwerte wie mit der Feder gekämpft oder doch für die
Sache des Königs Kerker und Elend erduldet (*).
Solcher Gestalt hatte der klaflfende Riss, welcher seit
lange die englische Gesellschaft trennte, sich zu einem Ab-
grund erweitert, den friedliche Verständigimg nicht mehr
überbrücken konnte. Kavaliere und Rundköpfe, wie die
;Masse der Puritaner sehr mit Unrecht von ihren Gegnern ge-
nannt wurde, standen sich zum Bnidei-kampfe l)ereit mit den
Waffen gegenüber. Jene hatten im gebirgigen Nordwesten
ihren Rückhalt, die Anhänger der alten Staatskirche und der
mit ihr verbundenen Institute, die überwiegende Masse des
hohen Adels, der grössere Theil der landsässigen Ritterschaft
stand auf ihrer Seite, nicht wenige Officiere, die in den
Niederlanden oder in der Pfalz das Kriegshandwerk gelernt
hatten, zogen für sie den Degen. Diese fanden in den Nie-
derungen des Süd-Ostens ihre vorzügliche Stärke, ausser der
reichen Hauptstadt waren ihnen die meisten gewerl)treiben-
den Kommunen des Reiches ergeben, die Häupter einiger der
ältesten Geschlechter, ein nicht geringer Theil der Gentry,
die Masse der unabhängigen kleinen Grundbesitzer verfochten
ihre Sache. Hintersassen, Pächter, Dienstleute vertheilten
sich unter die Mannschaft, je nachdem royalistischer oder
parlamentarischer Einfluss beim Aufgebot der Grafschafts-
milizen den Sieg davontrug. Tüchtigere kriegerische Erfah-
rung, Einheit des Kommandos, ritterliche Begeisterung auf
Seiten des Königs wurden aufgewogen durch grössere Zahl,
reichere Hülfsmittel, unerschütterliche politisch-religiöse Ueber-
zeugung auf Seiten des Parlaments.
150 Eröfi'uung des Krieges.
Wie die Dinge lagen, musste dem König nichts wichtiger
sein, als Zeit. zu gewinnen. Am Abend des 22. August hatte
er in Nottingham, wohin er vorgerückt war, mit gi-ossem Cere-
moniell seine Standarte aufrichten lassen und in alter feier-
licher Weise die getreuen Lehensmanuen aufgefordert, sich
um ihn zu schaaren. Aber die feudale Entbietung hatte da-
selbst wenig Erfolg gehabt, die grösseren Orte, die er einzu-
nehmen versucht hatte, blieben fast säramtlich unbezwungen,
in Portsmouth wurde Oberst Gering so sehr bedrängt, dass
er sich bald genöthigt sah, den Platz den parlamentarischen
Truppen auszuliefern. Karl I. hatte daher wiedenim Ver-
handlungen mit den Machthabern in London angeknüpft. Da
sie nicht zum Ziel führen konnten, und Essex' Heer sich all-
mählich um Northampton sammelte, schlug er den W^eg nach
den westlichen Provinzen ein und brachte es dort, wo die
royalistische Gesinnung lebhaft erwachte, binnen kurzem auf
mehr als zehntausend Mann. Essex, der schon vorher von
seiner Ueberlegenheit wenig Gebrauch gemacht hatte, raffte
sich aucli jetzt nur langsam dazu auf, sich gleichfalls nach
W^esten in die Nähe von Worcester zu bewegen. Während
er hier still lag, konnte sich Prinz Rupert, der seit einigen
Wochen bei seinem königlichen Oheim angelangt war, mit
seinen kecken Reitern eines ei-sten Eifolges gegen vorgescho-
bene Truppen des Parlamentes rühmen. Das Ganze war
wenig mehr als ein Scharmützel gewesen, auch zog Essex
bald darauf in Worcester ein, avo sich l)is dahin eine könig-
liche Garnison gehalten hatte, aber der moralische Eindruck
war nicht gering, und man versuchte sogar, sich auf's neue
in Verhandlungen einzulassen. Der König verweigerte indess
„aus den Händen von Verräthern eine Petition entgegen-
zunehmen" und fasste den muthigen Entschluss, mit seiner
sattsam verstärkten Armee den Weg nach Südosten einzu-
schlagen, um sich durch einen raschen Anfall der schwach
gedeckten Hauptstadt zu l)emächtigen. Es gelang ihm, Essex
zwei Tagemärsche abzugewinnen, unter seinen Scluiaren war
alles voll Siegeshoffnung. Indessen wurde es ihm nicht mög-
lich, eine Sclilacht zu vermeiden, der auszuweiclien sein
Schlacht bei Edgehill. 151
grösstes Interesse gewesen wäre. In Eilmärschen rückte
Essex vom "Westen heran und brachte ihn bei Edgehill zum
Stehen. Hier erfolgte am 23. Oktober die erste grosse
Schlacht des Krieges. Ihre Opfer waren nicht genug, auf
Seiten des Königs fiel Lord Lindsey, der das Kommando ge-
führt hatte, der Graf von Forth, welcher seine Schule unter
Gustav Adolf gemacht hatte, wurde sein Nachfolger. Den
Sieg schrieben beide Theile sich zu, aber in der That war
es eine Täuschung, wenn man in London triumphirte. Denn
da Essex. von dem Holländer Dalbier berathen, sich begnügte,
dem König Verluste beigebracht zu haben, ihm aber auch
jetzt die Strasse nach der Hauptstadt offen liess, so w^ar die
Abwendung der nächsten Gefahr nur dem Ungeschick und
der Saumseligkeit des Feindes zu verdanken. Sei es nun,
dass die politischen Rathgeber in der Nähe des Königs von
der Gesinnung Falkland's, aus Furcht vor der drohenden Re-
aktion, vom sofortigen Vormarsch auf die Hauptstadt abmahn-
ten, sei es dass der König sich selbst noch zu schwach dafür
hielt: er vergeudete seine Zeit damit, kleinere Ortschaften
einzunehmen, in Oxford zu rasten und liess auf seiner Linken
Essex die Möglichkeit einen Flankenmarsch zur Deckung
London's auszuführen.
Unter denen, welche daselbst dem Gange der Ereignisse
mit Spannung folgten, w-ar John Milton. Man sollte denken,
ihn am ehesten im Heere suchen zu müssen. Die unab-
hängige Stellung, die er im Leben einnahm, hätte ihn noch
viel eher als tausend andere zu dem Entschluss drängen
können, für dieselbe Sache das Schwert zu ergreifen, die er,
wenn schon nur von einem Gesichtspunkt aus, so leidenschaft-
lich mit der Feder vertheidigt hatte. Mancher der alten
Bekannten stand im Heeresverband in dieser oder jener Stel-
lung. Stephen Marshall, einer der Smectymnianer. war Feld-
kaplan bei Essex, ein anderer, William Spurstow^ im Regi-
mente Hampden's. Isaac Dorislaus, der ehemalige Professor
;152 Milton nicht im Heere.
der Geschichte in Cambridge, wurde jetzt im Fache der Mi-
litärgerichtsbarkeit verwandt. Mehr als einer der anderen
Bekannten wird mit der Waffe gedient haben. Indess Milton's
Name zeigt sich weder im Heere noch in den Milizen und
Freiwilligen von London. Allerdings findet sich bei seimm
Neffen E. Phillips die verführerische Notiz, er müsse sich sehr
irren, wenn man nicht ein Mal daran gedacht habe, seinen
Oheim zum Adjutant- General in William Waller's Armee zu
machen, der Plan sei aber gescheitert bei der Reorganisation
des Heeres, die Wallers Abgang nach sich zog(^). Indess
diese Nachricht ist so vorsichtig gehalten, ihre chronologische
Einreibung so unbestimmt, die innere Unwahrscheinlichkeit
in Betracht der Höhe jenes Postens so gross, dass mau kein
Ge'wicht darauf legen darf. Gleicher Weise ist es nur ein
Spiel des Zufalls, wenn sich im zweiten Regiment der Trained
Bands von London ein John Melton als Quartiermeister des
Colonel Isaac Pennington in den Listen vorfindet. Der kleine
Unterschied der Namensformen würde zwar, wie sich nach-
weisen Hesse, nichts ausmachen, und die Thatsache, dass der
Dichter mit jenem Isaac Pennington, seit dem Herbst 1642
an Stelle des royalistisclien Gourney Lordmayor von London,
später genau bekannt war, könnte als bestärkendes Moment
hinzutreten. Aber man hat diesen Quartiermeister John Melton
mit grosser Wahrscheinlichkeit in einer anderen londoner
Persönlichkeit gefunden und sogar eine Vergleichung seiner
Handschrift mit derjenigen des Dichters vornehmen können,
welche nur Unkundige über den wahren Sachverhalt in
Zweifel lassen dürfte (^). — Hat sich der Dichter iniAvirk-
lichen Militärdienst nicht nachweisen lassen, so ist man
Avenigstens bestrebt gewesen, ihm eine so gründliche Kenntnis
des Kriegshandwerks zuzuschreiben, dass sich daraus seine
Theilnahme an militärisclien Uebungen von selbst ergeben
würde. Es ist hingewiesen auf alle jene Stellen des „Ver-
lorenen Paradieses'", welche die Kämpfe zwischen den hölli-
schen und liimiidisclien lleerscluiaren mit bewundernswerther
Genauigkeit und ausserordentlicher Herrschaft über die tech-
nischen Ausdrücke beliandcln. Es ist aufmerksam gemacht
Milton nicht im Heere. 153
worden auf die merkwürdigen pädagogischen Vorschläge seiner
Schrift über die „Erzielmng" (v. 1644), in denen er mit Wäime
nicht nur für gymnastische Uebungen, sondern für eine Art
fönnlicher Jugendwehr eintritt und sich über den Unterricht
einer solchen ausführlich verbreitet. Die Schlussfolgening hat
sich aufgedrängt, dass, wer mit solcher Sachkunde zu schrei-
ben verstehe, selber praktische Erfahrung im Exerciren und
Manoeuvriren gehabt, den Kompagnie- und Bataillons - Dienst
verstanden, von den Aufgaben des Officiers bei Paraden und
Revuen, ja vom Artilleriewesen etwas gelernt haben müsse.
Da der Exerciiplatz der. Artillery-Company der City in Fius-
bury-Square nicht weit von seiner Wohnung lag, und bei den
bedrohlichen Zeitläuften militärische Uebungen daselbst eifrig
betrieben Avurden, hat man sich in dem Gedanken gefallen,
in Milton einen regelmässigen Theilnehmer derselben zu sehen.
Indessen erscheinen die Gründe einer solchen Vermuthung
wenig zureichend. Gewiss: Milton war kein vertrockneter
Stubengelehrter, dem die Ausbildung der körperlichen Kräfte
gleichgiltig gewesen wäre. Wie er als Student den Degen
wohl zu führen wusste, so liebte er eben damals in „ritter-
lichen Uebungen'' einen Theil des Morgens zu verbringen
(s. 0. S. 121). Aber er sagt ausdrücklich, dass es ,.zu Hause" ge-
schehe. Auch hiesse es seine dichterische Kraft sehr unter-
schätzen, wenn man ihr nicht zutrauen wollte, von selbst im
Stande gewesen zu sein, jene Eigenthümlichkeiten des Militär-
wesens nach Form und Inhalt getreulich wiederzugeben. Nur
zu häufig will die Kritik in derselben W^eise, wie es hier ge-
schehen ist, zu viel beweisen. Sie hat Shakespeare schon in
den verschiedensten Benifsarten finden wollen, weil er jede,
von der er spricht, von Grund aus zu kennen scheint, und
sie würde aus den Versen des Wilhelm Teil unfehlliar heraus-
lesen, dass Schiller die Schweiz aus eigener Anschauung ge-
kannt habe, wenn nicht zufällig das Gegentheil notorisch wäre.
Ebenso wenig kann die Stelle aus Milton's Schrift über die Erzie-
hung beweisen, bei welcher dem Autor, wie er selbst andeutet,
antike Vorbilder vorschwebten, womit sich möglicher Weise die
Erinnerung an Manso's Kolleg „dei Nobili" verband ( ^). Er würde
254 Milton nicht im Heere.
schwerlich verfehlt haben, in den autobiographischen Ab-
schnitten seiner Selbstvertheidigungen gegen Salmasius oder
Morus seine militärischen Uebungen zu erwähnen, wenn sich
dies mit der Wahrheit hätte vereinigen lassen. Statt dessen
hat er Gelegenheit genommen, viele Jahre später gegen einen
hämischen Widersacher sich olTen vor aller Welt darüber
auszusprechen, warum er beim Beginn des Bürgerkrieges
nicht zu den Fahnen geeilt sei: „Wenn ich mich den Mühen
und Gefahren des Krieges entzog, so geschah es nur, um auf
andere, nützlichere Weise, und nicht mit geringerer Gefahr
meinen Mitbürgern zu dienen. Denn w^eil ich von Jugend
auf gelehrten Studien ergeben war und mich immer stärker
an Geist als an Körper gefühlt hatte, so hielt ich mich vom
Kriegswesen fern, da irgend ein gemeiner Soldat von kräfti-
gerem Körper es mir darin unschwer zuvorgethan hätte, und
wandte meine Kräfte auf anderes, worin ich mehr leisten
konnte. Und so trug ich mit meinem besseren Theil nach
Kräften dazu bei, das Wohl des Vaterlandes und unsere ruhm-
reiche Sache zu vertheidigen"(^). Man muss, um die Stelle
richtig zu würdigen, bedenken, dass sie geschrieben worden
ist, nachdem der Autor schon mehr als ein Mal gewagt hatte,
mit seiner Feder die Sache der englischen Kevolution und
Republik ohne Furcht vor royalistischer Verläumdung und
Nachstellung in Schutz zu nehmen. — Wenn Milton, von solchen
Gedanken geleitet, nicht ohne Selbsterkenntnis, aber auch nicht
ohne Stolz, es seiner Natur für mehr entsprechend hielt, auch
in Zukunft die „Wahrheit statt durch das Schwert durch
Gründe zu vertheidigen", so mussten sich ihm Tag für Tag
dennoch kriegerische Bilder aufdrängen, und die Gedanken an
den Waflfenkampf seine Seele erfüllen.
Schon vor der Schlacht von Edgehill, als eine Ueber-
rumpelung der Hauptstadt durch den König drohte, hatte sie
ein kriegerisches Ansehn gewonnen. Die Milizen der City
und der Vorstädte, mit den ihr zugeströmten Freiwilligen
unter ihrem populären General Skippon hielten sich ])ereit.
Jeder Kompagnie war dei- Sammelplatz l)estinunt, und zwei
solcher Alai-mstellen waren in unmittelbarer Nähe von Mil-
Bedrohung und Kettung Londons. 155
ton's Wohnung. Wachen wurden aufgestellt, Ketten über die
Strassen gezogen, Kanonen an die Thore postirt, unter eifriger
Betheiligung von Frauen und Kindern an Erd werken gearbeitet.
Die Lcäden wurden geschlossen, und alle Bürger aufgefordert,
wenn Nachts Alarm geschlagen würde, Lichter an den Haus-
thüren aufzuhängen. Pferde wurden für militärische Zwecke
requirirt, Sicherheitsmassregeln gegen Verdächtige getroffen,
zur Deckung der Ausgaben jene Konfiskationen der Güter von
„Delinquenten" begonnen, die im Verlauf des Bürgerkrieges
fortgesetzt den gerechten Zorn der Kavaliere aufs höchste
erregten. Man glaubte* sich, nach dem Ausdruck eines unzu-
friedenen Volksdiehters jener Tage, „in einer von den Türken
belagerten Stadt" zu befinden (i). — Nachdem die Schlacht
von Edgehill geschlagen, Essex mit seinen Regimen tei-n an-
gelangt war, athmete man freier auf. Aber bald zeigte sich,
dass man im königlichen Lager nicht entmuthigt und trotz der
Zögemng doch nicht Willens war, den Absichten auf die
Hauptstadt zu entsagen. Von Oxford aus machte Prinz Ru-
pert bedrohliche Bewegungen. Bereits hatte der König Reading
eingenommen, bald stand er in Colnbrook, auf denselben Ge-
filden, die Milton in friedlichen Zeiten von Horton aus so
oft durchstreift hatte. Schon Hessen die kecken Reitei- des
Prinzen Rupert sich hie und da auf den Landsitzen der
reichen londoner Bürger in der Nähe der Stadt blicken.
Hier war alles voll Aufregung, getheilt zwischen der Furcht
vor einem Angriif und der Hoffnung auf einen Frieden. Denn
inzwischen wurden beständige Verhandlungen mit dem König
geführt, während deren er freilich entschlossen war, seinen
Marsch unaufhaltsam fortzusetzen. Man war noch mitten in
diesen Verhandlungen ])egriffen, als am 12. November von
Westen her hörbarer Kanonendonner die Londoner belehrte,
dass sie auf keinen Waffenstillstand zu rechnen hatten, und dass
der Feind nur noch ein Paar Stunden von ihnen entfernt sei.
Auf Ruperts Rath war ein stürmischer Angriff' auf Brentford
erfolgt, dessen ganze Wucht die kleine Besatzung unter Holles
traf. Die zu Hilfe eilenden Regimenter von Brooke und
Hampden waren nicht fähig gewesen, den Platz zu behaupten.
156 Bedrohung und Rettung Londons.
und als Essex, aus dem Hause der Lords abgerufen, mit fri-
schen Trappen anlangte, konnte er wenig mehr thun als die
ermatteten Schaaren aufnehmen. Aber auch im königlichen
Lager trag man Bedenken, den Sieg durch einen Vormarsch
auf die Hauptstadt zu verfolgen und gab dieser Zeit, sich zu
sammeln. Die Nacht und der folgende Tag vergiengen unter
äusserster Erregung für die londoner Bürgerschaft. Mit der
Furcht vor dem drohenden Unheil mischte sieh wilde Erbit-
terang über das Geschehene. Man betrachtete es als einen
Akt wortbrüchiger Hinterlist, man erhitzte sich durch die
umlaufenden Erzählungen von der barbarischen Grausamkeit
und Zügellosigkeit der Schaaren des Prinzen Rupert und ver-
band sich zu dem festen Entschluss, Haus und Hof. Weib und
Kind gegen sie zu schützen. Eine fieberhafte Thätigkeit
wurde entfaltet. Die städtische Miliz und die Freiwilligen,
ei-nmntert durch die Zurufe und Ansprachen ihres Führers
Skippon, setzten sich auf der grossen Strasse nach Westen
in Bewegung, um sich mit Essex' Regimentern zu verbinden.
Das Parlament rief die Lehrburschen zu den Fahnen, mit dem
Versprechen, die Lehrzeit dafür abzurechnen. Proviant, Mu-
nition, Geschütze, Lazarethgegenstände wurden schleunigst
zu Wasser und zu Lande an die gefährdeten Stellen ent-
sandt (^). Binnen kurzem standen 24,000 Mann unter Essex'
Kommando, im Angesicht vieler Mitglieder beider Häuser und
einer INIasse von Zuschauern, auf dem Anger von Turnham-
Green, eine Meile von Brentford, in Schlachtordnung auf-
gestellt. Es blieb bei einigen Scharmützeln, Essex war zu
einem ernstlichen Angriff um so weniger zu bewegen, da sich
eine tiuchtähnliche Bewegung unter den berittenen Zuschauern
aus der Stadt auch einigen Theilen der Trappen mitzutlieilen
drohte, und der König konnte ungestraft seinen Rückzug über
Reading nach Oxford bewerkstelligen. Zwischen ihm und
London ])ezog das parlamentarische Heer Winterquartiere in
Windsor(2).
Von Milton besitzen wir aus diesen kritischen Tagen eine
interessante Reliquie. Es ist ein Sonett, welches in vollen-
deter Form eine aus Kiiist und Scherz gemischte Stimmung
Sonett Milton's. 157
zum Ausdruck bringt. In dem Cambridger Ms. der Milton'-
schen Gedichte findet es sich von einer fremden Hand mit
dem Titel: „An seine Thüre, als die Stadt einen Angriff er-
wartete." Milton selbst hat diesen Titel durchstrichen und
dafür gesetzt: „Als der Stadt der Angriff drohte, 1642",
dann aber in den Ausgaben seiner Gedichte das Sonett ohne
TJeberschrift abdrucken lassen. Eben so selbstbewusst wie
launig beschwört er den Kavalier, der seiner wehrlosen Pforte
nahe komme, bei seiner Ehre, das Haus und seinen Herrn
zu schützen. Denn er, der Dichter, kann belohnen durch den
weit hinschallenden Preis seines Mundes. Hat doch selbst
Alexander Pindars Haus geschont, und ein Chor des Euripides
die Sieger Athens gerührt (^). — Die Verse sind nur ein
leichtes phantastisches Spiel und wären trotz ihrer Pteinheit
schwerlich ein Sicherheitspass für den Mann gewesen, dessen
stürmische Beredtsamkeit sich so laut gegen alles gewandt
hatte, was den Herzen der Kavaliere heilig war. Denn man
darf annehmen, dass seine bisherige schriftstellerische Thätig-
keit nicht unbemerkt geblieben war. Abgesehen von den früher
erwähnten handschriftlichen Notizen, die sich in einigen
Exemplaren jener Pamphlete befinden, stösst man hie und da
auf andere, welche gleichfalls jener Zeit anzugehören scheinen
und die eine herbe Kritik des Autors in sich schliessen(-). Tho-
mas Füller hatte sich nicht enthalten können, in einem 1642
veröffentlichten Werke (Holy and profane State) auf den Ver-
fasser des Schriftchens über die Reformation hinzuweisen,
welcher die verehrten Märtyrer der anglikanischen Kirche
„mit einer Sprache getadelt hatte, die weder ihm selbst an-
ständig war, wer immer er sei, noch der Frömmigkeit der
Männer, auf die sie gemünzt war"(^). Und nur wenig später
wiederholte der irische Bischof Bramhall dieselben Vorwürfe
nur in schärferer Form gegen den literarischen ,, Novizen",
der Seneca's Wort wahr mache, dass „die verächtlichsten Leute
*immer die loseste Zunge haben" (^).
Mit dem Rückzug nach Oxford war allerdings den Kava-
lieren die Möglichkeit entzogen, an den verhassten ,, losen
Zungen" von der Art Milton's ihr Müthchen zu kühlen. Die
158 Fortgang des Krieges. Einnahme von Reading.
Hauptstadt behielt zwar noch längere Zeit ein kriegerisches
Ansehn. Noch am 27. April 1643, als der König wiedenim
eine Voi'w^ärtsbewegiing gemacht hatte , wurden die Verthei-
digungsmassregeln, die der vorsichtige Lordmayor Pennington
traf, von der Bürgerschaft in Schutz genommen, und das
Schreckhild der Ermordung von Weibern und Kindern aus-
gemalt, im Falle die Stadt in die Hand der Feinde fiele (i).
Inzwischen waren diejenigen, welche gehofft hatten, der
Krieg werde durch eine Schlacht entschieden werden, immer
gründlicher enttäuscht worden. Während auch im Winter 1642
auf 1643 bis in den Frühling hinein vergebliche Verhand-
lungen zwischen beiden Parteien gepflogen wurden, dehnte sich
der Schauplatz des Kampfes immer weiter aus, nahm er eine
dem Parlament keineswegs günstige Gestalt an. Im mittleren
England hatten zwar die parlamentarischen Sympathieen und
Kräfte ein entschiedenes Uebergewicht , aber al)gesehen von
der Stellung des Königs in Oxford, hatte manche glückliche
Waft'enthat den Kavalieren hier zu Erfolgen verhelfen, gegen
welche Essex' Unthätigkeit unrühmlich abstach. Erst im April
1643 unternahm er mit erdrückender Macht die Belagerung
von Reading, ohne nach der Einnahme (27. April), nach welcher
sein Heer durch Krankheiten geschwächt wurde, etwas Ernst-
liches gegen das Hauptquartier des Königs zu wagen. Er gab
diesem dadurch die Möglichkeit, die grosse Erhebung zu unter-
stützen, welche von dem celtischen Cornwallis zu seinen Gunsten
ausgegangen war und eine für die Sache des Parlaments sehr
bedenkliche Ausdehnung nach Osten zu erlangen drohte. Einer
nach dem andei-en der parlamentarischen Generale wurde ge-
schlagen, William Waller, dem seine Erfolge in den südöst-
lichen Grafschaften den Beinamen „Wilhelms des Eroberers"
eingetragen hatten, erlitt im Sommer 1643, nach dem Westen
entsandt, zwei schwere Niedeilagen , Ende Juli fiel Bristol,
die zweite Stadt des Reiches, mit allen ihren Vorräthen in
die Hand des Prinzen Rupert. Im Norden liiclt der Graf,
von Newcastlc mit ausserordentlichem Geschick die Sache des
Kimigs aufrecht, und die Begeisterung der Royalisten wurde
nicht wcni;: (hulurch gestärkt, dass Ende Febmar 1643 die
Fortgang des Krieges. Einnahme von Reading. 159
Königin, nach Ueberwindung vieler Gefahren zu Wasser und
zu Lande, mit neuen Kriegsvorräthen in York anlangte, um
sieh einige Monate später wieder mit dem König zu vereinigen,
Das Parlament hatte auf diesem nördlichen Kriegsschauplatz
ein besonderes Heer unter Lord Ferdinande Fairfax aufgestellt,
der selbst aus einer alten Familie von Yorkshire stammte, den
Krieg gesehen hatte und Mitglied des Unterhauses war. Unter
ihm stand sein Sohn, Thomas Fairfax, damals dreissigj ährig,
der schon in den Niederlanden gedient hatte, und dessen Name
bereits in den beiden Feldzügen gegen die Schotten bekannt
geworden war. Auch hier entwickelte er unter wechselnden
Erfolgen nicht geringes Talent, indessen schien der Feldzug
für die parlamentarische Sache eine um so unglücklichere
Wendung zu nehmen, da man nicht ein Mal verhindern konnte,
dass die Royalisten einen Versuch machten, nach Lincolnshire
vorzubrechen und die östlichen Grafschaften zu bedrohen.
Hier aber, wo von Anfang an eine der Hauptstärken des
Parlaments gewesen war, brach sich die stürmische Welle der
royalistischen Erfolge. Es war vor allem das Verdienst Oliver
Cromwells, dem die örtlichen Verhältnisse genau bekannt waren,
die „Association" der sechs Grafschaften Norfolk, Suffolk, Essex,
Cambridge, Herts, Hunts mit derselben Energie zu durch-
dringen, die ihn selbst belebte, und sie zu einer grossen mili-
tärischen Macht umzuwandeln. Seit dem März 1643 Oberst,
entfaltete er eine bewundernswürdige Thätigkeit. Er selbst,
der viei-undvierzigj ährige Grandbesitzer, der den Krieg nie
gesehn hatte, bildete sich erstaunlich schnell durch eiserne
Anstrengung und geniale Auffassung zum Meister des Kriegs-
handwerks. Seine Rekruten wählte er aus dem tüchtigen,
wohlhabenden Stande der Freisassen und kleinen Bauern, die
er zu musterhaften Soldaten zu drillen und unter die Gebote
strenger Zucht zu beugen wusste. Cambridge wurde befestigt,
Geld und Kriegs-Material beschafft, die Anhängerschaft des
Königs durch einige scharfe Beispiele geschreckt. Um Lin-
colnshire von den royalistischen Schaaren zu reinigen, drang
Cromwell dort ein und sprengte mehr als ein Mal die Ueber-
zahl der Feinde auseinander. Aber unmöglich war es, nach
160 Waller's Komplott.
Yorkshire vorzubreclien zur Unterstützung der Fairfax. deren
Lage in Folge einer grossen Niederlage bei Atherton - Moor
(30. Juni 1643) immer bedenklicher ward.
Stand es um die parlamentarische Kriegfiihrung im allge-
meinen nicht zum besten, so gesellten sich manche andere trübe
Erfahrungen hinzu. Bei einem Zusammenstoss mit Prinz Rupert,
am 18. Juni, ward John Hampden tödtlich verwundet, der Milton
wohlbekannte Regiments-Kaplan John Spurstow war Zeuge der
letzten Momente dieser edlen Persönlichkeit, die im Angesicht
des Todes keinen anderen Gedanken hatte als „die Rettung
des blutenden Vaterlandes". Desertionen aus den Reihen des
Heeres namentlich schottischer Officiere kamen vor, und mit
knapper Noth wurde der Plan der treulosen Hothams vereitelt,
den Platz Hüll dem Könige auszuliefern. In London selbst
spann die Verschwörung ihre verborgenen Fäden, und es waren
nicht immer nur giftige Schmähungen der royalistischen Balla-
den und Zeitungen, wie vor allem des in Oxford erscheinenden
Mercurius Aulicus, durch die sich Pym und seine Genossen
bedroht sahen. Ende Mai 1643 kam man einem weitver-
zweigten Komplott auf die Spur, zu dem sich solche, die vor
Gewaltsamkeiten nicht zurückschreckten, mit anderen verbun-
den zu haben schienen, denen es mehr auf eine grosse fried-
liche Demonstration ankam. Es hat durch die Mitwirkung
des Dichters und Parlaments-Mitgliedes F^dmund Waller seinen
Namen empfangen. Er zeigte nach der Entdeckung die ganze
Schwäche seines Charakters. Seine Aussagen belasteten eine
Anzahl von Personen und überlieferten mehrere, darunter seineu
Schwager, dem Todesurtheil. Er selbst konnte nach kurzer
Haft mit der Zahlung von 10,000 ^ und dem Exil das Leben
ei'kaufen. Die schwankende Stinnnung des Generals P^ssex,
die verführerischen Künste der Royalisten und der eigene
"Wunsch, einen l)illigen Ausgleich hergestellt zu sehn, Hessen
nach so viel erlittenen Verlusten selbst im Parlament bei
vielen den Entsehluss reifen, sich dem König mit Vorschlägen
des Friedens zu nalien. Die Mehi-heit der Lords war dafür,
auch in der Stadt gab es eine starke Partei, die von gleichen
Gedanken bewegt wurde, aus den Volksliaufen, die sich vor
Milton's Vater will nach London übersiedeln. 161
Westminster ansammelten, konnte man Scliimpfworte der Weiber
auf Pym vernehmen. Es becliiifte der ganzen Energie dieses
Führers, der sich nie männlicher gezeigt hatte als damals, der
eifrigen Thätigkeit des Lord-Mayors Pennington, kräftiger
Gegendemonstrationen der Bürgerschaft, ermuthigender An-
sprachen der Prediger, um im Unterhause die Annahme der
von den Lords gemachten Vorschläge wieder zu Fall zu bringen
und Essex zum Ausharren anzuspornen. Indessen verliessen
einige der angesehensten Lords wie Bedford, Holland, Nor-
thumberland die Sache des Parlaments, die erst durch das
Eingreifen neuer Momeirte eine entschiedene Wendung zum
Besseren nalmi.
Von allen den berührten Ereignissen kann keines so sehr
Milton's persönliches Interesse erregt haben wie die Belage-
rung von Reading durch Essex im April 1643. Denn er wusste
in der eingeschlossenen Stadt seinen Vater und Bruder allen
Gefahren und Entbehrungen ausgesetzt. Der Bruder Christoph
Milton hatte nach Vollendung seiner Rechtsstudien am 26. Ja-
nuar 1640 Verwendung im Inner Temple gefunden und noch
einige Zeit mit dem Vater in Horton gelebt, wie aus dem
Eintrag der Taufe seiner Tochter Sara im dortigen Kirchen-
buche vom 11. AugTist 1640 hervorgeht. Bald darauf indess
muss seine Familie den friedlichen Landsitz mit dem nicht
sehr weit entfernten Städtchen Reading vertauscht haben, denn
nach dem Kirchenbuche der dortigen Pfarrei St. Lorenz wurde
daselbst am 27. August 1641 eine Tochter eines ..Milton Esq.'",
unter dem er zu verstehen sein wird, auf den Namen Anna
getauft ('). Der alte MiltxDu machte die Uebersiedelung mit.
Christoph Milton bekannte sich keineswegs zu den politischen
Grundsätzen seines Bruders, er hatte keinen Anlass beim Be-
ginn des Bürgerkrieges sich von einem Ort zu entfernen, der
Oxford, dem royalistischen Hauptquartier, näher lag als London,
und so geschah es, dass die nächsten Verwandten des Dichters
das Schicksal der Stadt zu theilen hatten. Wir besitzen noch
die manuichfaltigsten Zeitungs-Nachrichten, in welchen der
Hauptstadt oft überti-iebene Kunde von dem Zustande des be-
lagerten Ortes gegeben wurde. Mit Spannung musste Milton
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 11
1(32 Milton's Vater will nach London übersiedeln.
vernehmen, dass der Kommandant des Platzes, „ein Papist,
der mehrere Mordthaten auf dem Gewissen hat", auf Essex'
Aufforderung, Weiber und Kinder herauszulassen, geant\Yortet
habe, sie sollten alle mit ihm sterben, ,,eine Grausamkeit, wie
die Zeitung hinzusetzt, unerhört unter den Wilden Amerikas
geschweige unter Christen", dass Weiber bei den gefährlichen
Erdarbeiten der Festung verwendet würden, ein Verfahren,
für das der Berichterstatter nur bei den „Türken" . Analogieen
findet, ja dass Frauen und Eander von den Kavalieren benutzt
würden, um die „Breschen auszufüllen". Man athmete auf, als
man erfuhr, dass sich am 27. April 1643 die Stadt ergeben
habe unter der Bedingung ehrenvollen Abzugs der Besatzung,
Schonung der Einwohner an Leib und Gut, Sicherheit der
Entfernung im Laufe der nächsten sechs Wochen für diejenigen,
welche die Stadt zu verlassen wünschten. Dieser letzte Artikel
enthielt eine Begünstigung der Royalisten, für denjenigen, der
sich auf parlamentarisches Territorium begeben wollte, war
die Einhaltung eines solchen Termins unnöthig(i). Der alte
INIilton w^ar in diesem Falle. Er hatte sich entschlossen Keading
zu verlassen, das doch immer durch die Wechselfälle des Krieges
bedroht war, und sich im Hause seines älteren Sohnes in London
niederzulassen. Ehe er indessen in Aldersgate-Street erschien,
waren in dem Haushalt des Dichters Veränderungen einge-
treten, die einen wichtigen Schritt seines Lebens bedeuteten.
Viertes Kapitel.
Erste Heirat und erste Schrift über die
Ehescheidung.
In der letzten seiner kirehen -politischen Streitschriften
vor dem Ausbruch des Krieges hatte Milton den hämischen
Vorwurf gewinnsüchtiger Heirats-Gedanken von sich zu weisen
gehabt. Er hatte es mit den Worten gethan, ein wohlerzo-
genes Mädchen mit geringem Vermögen solle ihm lieber sein
als die reichste Wittwe. Es ist nicht mehr als eine Vermu-
thung, dass der Vierunddreissigjährige, der sich bis dahin für
einen Dichter auffallend kühl gegen das schöne Geschlecht
verhalten hatte, mit diesen Worten ein verstecktes Bekenntnis
ablegte. Gewiss, dass er erst nach mehr denn Jahresfrist, als
sich die Zeiten wild verwandelt hatten, den Schritt that, der eine
solche Vermuthung rechtfertigen würde. Um Pfingsten 1643,
(21. Mai) oder etwas später unternahm er, nach dem Be-
richt seines Neffen Edward Phillips, eine Reise airfs Land,
ohne dass jemand aus seinem Hause einen besonderen Grund
dafür wusste oder es für mehr als eine Erholungsreise hielt.
Nach einem Monat kehrte er als Ehemann zurück. Die Er-
wälüte war „Mary, die älteste Tochter des Mr. Richard Powell,
damaligen Friedensrichters, von Foresthill bei Sliotover in
Oxfordshire".
Richard Powell war, vorzüglich wohl durch die Verbin-
dung mit Anna Moniten, deren mütterliche Familie Archdale
11*
\Q^ Die Familie Powell.
in Oxfordshire begütert war, eben dort zu Hab und Gut ge-
Ivonnnen und nahm keine unbedeutende gesellseliaftlielie Stel-
lung ein. Seine Frau hatte ihm die ansehnliche Mitgift von
3000 £ zugebracht, er verfügte über Ackerland, Wiesen, Bau-
lichkeiten, Erträgnisse in Whatley, theils als Eigenthümer,
theils als Pächter, sein Hauptbesitz bestand in dem Landgut
Foresthill, das er nebst allem Zubehör durch zwei Pacht-Ver-
träge von 1621 und 1623 bis zum Jahre 1672 sich gesichert
hatte. Die Einrichtung des gutsherrlichen Hauses, aus einem
Inventar des Jahres 1646 erkennbar, war den nothwendigen
Bedürfnissen des Besitzers ganz entsprechend. Die ,, Halle''
das „grosse und kleine Besuchszimmer" standen zum Empfang
von Freunden und Bekannten offen, zwölf Zimmer und Kammern,
nach der Sitte der Zeit mit Teppichen, Vorhängen, schweren
Tischen und Stühlen, mächtigen Betten ausgestattet, waren
für die zahlreiche Familie und die Gäste gerüs.tet. Für Küche
und Keller, Backhaus und Brauhaus, Käserei und Milchkammer
war wohl gesorgt. Nebst Karren und Wagen standen zwei
Kutschen bereit, und über das ganze nicht geringe Hauswesen
schaltete Mrs. Powell, deren Gemach weitaus die beste Ein-
richtung erhalten hatte. Die jährlichen Einkünfte von den
Besitzimgen von Whatley wurden auf 40 i^, die von Foresthill
auf mehr als 270 £ geschätzt, was etwa dem Dreifachen in
heutigem Gelde entsprechen würde. INIr. Powell hatte in-
zwischen seine Einnahmen noch anderweitig zu vermehren ge-
sucht. Schon seit längerer Zeit befanden sich die nahege-
legenen königlichen Forste Shotover und Stow-Wood in einem
Zustande grosser Verwahrlosung. Die Forst -Beamten ver-
säumten ihre Ptlicht, der Kachwuchs wurde nicht geschont,
das Unterholz verwüstet, die Gehäge schlecht ei-halten. Der
König mochte daher glauben ein gutes Geschäft zu machen,
als er die Ausnützung dieser darniederliegenden Waldungen,
die grossen Stämme ausgeschlossen, auf sechzig Jahre gegen
einen jährlichen Zins von 100 ■£, vom eilften Jahre an zahbar,
dem Bischof von r)xfoi-d überliess, der beim Baue eines Land-
hauses in der Nähe Bauholz aus dem Walde erhalten und
seinen Zustand kennen gelernt hatte. Von diesem empfieng
Die Familie Powell. 1Ö5
Eicliard Powell das Areal als Unterpäcliter auf iieimmulfünfzig
Jahre, mit der Belastung nach den ersten zehn Jahren nicht
nur die dem Könige schuldigen 100 £, sondern auch dem
Bischof jährlich die gleiche Summe zu zahlen und den Wald
in Ordnung zu halten. Die darauf bezüglichen Verträge
datirten aus den Jahren 1636 und 1637, zu welcher Zeit
Poweirs Vermögensverhältnisse schon nicht mehr sehr glän-
zend gewesen zu sein scheinen. Seit einiger Zeit war er in
die Lage gerathen, sich unter Verpfändung von Gütern und
Einkünften beträchtliche Summen haaren Geldes verschaffen
zu müssen, auch in der Folgezeit nahmen seine Verlegenheiten
zu, selbst auf das Gut von Foresthill hatte er von Sir Robert
Pye, späterem Mitgliede des langen Parlaments, der ihm aus
mehr als einer Klemme herausgeholfen hatte, 1400 '£ auf-
nehmen müssen, an deren Abtragung er nicht denken konnte.
Unter denjenigen, zu welchen Richard Powell seit langer
Zeit im Verhältnis des Schuldners stand, war auch die
Familie Mlton. Sie stammte, wie wir wissen, aus Oxfordshire,
des Dichters Grossvater hatte in unmittelbarer Nähe von
Foresthill gewohnt, unverl)ürgte Ueberlieferung lässt ihn sogar
ein Forstamt in eben jenem Walde von Shotover bekleiden,
auf dessen Ausnutzung Richard Powell ein Monopol zu erlangen
wusste. Wie immer das Verhältnis zwischen Powell und den
Miltons sich angeknüpft hatte, und welche uns unbekannte
Rechtsgeschäfte vorausgegangen sein mögen, sicher ist, dass
schon der kundige Vater des Dichters für seinen Sohn einen
Vertrag mit Powell nebst William Hearne von London, „Bürger
und Goldschmidt", geschlossen hatte, nach welchem diese dem
Dichter das Recht des begünstigten Gläubigers für 500 M ein-
räumten, woferne nicht durch Zahlung der wirklichen Schuld
binnen der Frist eines halben Jahres dieser Vertrag annullirt
würde. Die Urkunde datirte vom 11. Juni 1627, und da in
der bestimmten Fiist die vorgesehene Annullirung nicht er-
folgt war, blieb Richard Powell für 500 £ der Schuldner John
Milton's('). Dieser war zu der Zeit, als sein Vater ihm diese
Summe sicherte, Student in Cambridge, und möglicher Weise
hat er erst später Kunde davon erhalten. Aber die Bezie-
166 Mary Powell.
hungen, in welche er hierdurch zu den Powells gesetzt wurde,
neben dem Familien - Zusammenhang , der zwischen seinem
Vater und einzelnen Gliedern des Hauses Milton in Oxfordshire
noch immer bestanden haben wird, konnten ihn veranlassen
schon flüher sich öfter im Dorf und auf dem Gut Foresthill
blicken zu lassen.
Hier war inzwischen eine stattliche Kinderschaar heran-
gewachsen. Die Pfarr-Eegister von Foresthill zählen von 1621
bis 1639 sechs Söhne und fünf Töchter auf, von denen noch
im Jahre 1649 zehn am Leben waren (^). Von den Söhnen
waren zwei, Richard 1637 sechzehnjährig, Jakob 1640 sieb-
zehnjährig, im Christchurch-College der nur eine Stunde von
Foresthill entfernten Universitäts-Stadt Oxford eingetreten (2).
Von den Töchtern war ]\Iary die älteste, im Januar 1625
geboren, beim Ausbruch des Bürgerkrieges nicht volle sieb-
zehn Jahre alt. Möglich, dass Milton sie von früher gekannt,
sie in der Zwischenzeit hie und da gesehen hatte und dass er
im Frühling 1643 im Gedanken an sie jene Reise unternahm,
von der er als Ehemann zurückkehrte. Möglich, dass ihn zu-
nächst der Wunsch die Seinigen zu sehn nach Reading führte,
dass er von dort, um an die alte Schuld zu mahnen, den Weg
nach Foresthill einschlug, und hier aus der Hand des alten
Powell nicht sein Geld, aber die Tochter empfieng, wie der
Adam seines späteren grossen Gedichtes, „von Frauenreize sanft
besiegt". — In jedem Fall hätte manches gegen diese Ver-
bindung sprechen können. Milton war ein reifer INIann, und
Mary Powell hatte kaum den Uebergang vom Ivinde zur Jungfrau
gemacht. Ihm war das ernste, gleichförmige Leben des selbst-
genügsamen Denkei's vei-traut. Sie war in einem grossen gast-
freien Hause, unter ländlichen Vergnügungen, verwöhnt und
ungebunden, aufgewachsen. Er hatte kirchlich-politische Giimd-
sätze offen ausgesprochen, die schon seine Reise in diese Gegen-
den zu einer gefahrvollen machen mussten, da sie das Haupt-
(|uai-tier der Kavaliere waren, und der König selbst, umgeben
von glänzendem Hofstaat und kriegerischem Gefolge, ganz in
der Nähe, im Christchurch-College, seine Residenz aufge-
schlagen hatte. Sie gehörte einer Familie an, die durch innere
Die Flitterwochen. 167
Neigung, geschäftliches Interesse, Lage des Wohnortes auf die
Seite des Königs geführt wurde, und es spricht manches für
die Vermuthung, dass die Brüder, als ihr College von Karl I.
mit Beschlag belegt und die Universität in ein Lager verwan-
delt wurde, sich gleich anderen Studiengenossen unter die
Fahne des Königs sehaaiien.
Von allen diesen Bedenken scheint IV'ßlton indess keines
zurückgehalten zu haben. Zum Staunen seiner beiden Neffen
wie der Hausmagd Jane Yates brachte er eine junge Frau
nach Aldersgate-Street mit sich zurück. Das Paar kam nicht
allein. „Einige ihrer nächsten Verwandten, — wohl mehrere
der Geschwister — , begleiteten die junge Frau in ihre neue
Wohnung, welche gar nicht zu ihrer Aufnahme hergerichtet
war . . , mehrere Tage wurden zur Feier der Hochzeit und zur
Bewirtung der Freunde der jungen Frau festlich verbracht.
Endlich nahmen sie Abschied, kehrten nach Foresthill zurück
und Hessen die Schwester allein, vermuthlich' nicht sehr zu
ihrer Freude, wie sich in der Folge zeigte" (^). In der That
war das eheliche Glück von sehr kurzer Dauer. Es ist eine
reine Verleumdung, wenn sich IVIilton's Schwiegermutter bei
einer späteren Gelegenheit zu der Aeusserung hinreissen Hess,
die nirgends sonst bestätigt wird, sein Temperament sei „rauh
und cholerisch" (2). Aber er hätte wissen müssen, dass ein
verzogenes, lebenslustiges Wesen von siebzehn Jahren auch
in Gesellschaft des gutmüthigsten Ehemannes bald Heimweh
bekommen wird, wenn dieser sich mit seinen Büchern in seine
vier Wände einschliesst, ohne die Arbeit des eigenen Geistes
durch viel anderes als den gleichförmigen Unterricht von zwei
Knaben zu unterbrechen. Schon nach ungefähr einem Monat
war sie des „pliilosophischen Lebens" müde und sehnte sich
nach dem elterlichen Hause und seinen Lustbarkeiten zurück (^).
Von dort kam, vielleicht nicht ohne ihr Zuthun, die Einladung,
den Rest des Sommers l>ei den Ihrigen zu verbringen. Es
war eine etwas starke Zunmthung, die nach den ersten Wochen
des Zusammenlebens dem jungen Ehemanne gemacht wurde.
Doch gab er seine Einwilligung unter der Bedingimg, dass sie
um jMichaelis zurückkehre.
IQ^ Abreise der jungen Frau.
Bald nachher kam Milton's Vater aus Keading, um fortan
seine Tage in Ruhe bei seinem Sohne in London zu verbringen.
Eben damals entsehloss sich Milton, die Zahl seiner Schüler
zu vergrössern und einige Söhne von Freunden zu sich in's
Haus zu nehmen, um sie mit seinen Neffen zu erziehen und
zu unterrichten. ..Als Michaelis herankam, — erzählt der eine
dieser Neffen E. Phillips, — und von der Rückkehr seiner
Frau nichts verlautete, mahnte er sie brieflich. Als er
keine Antwort empheng, schrieb er noch einige Male, ohne
eine Erwiderung zu erhalten. Zuletzt sandte er einen Boten
mit einem Briefe ab und drang auf ihre Rückkehr. Aber der
Bote kam wieder, nicht nur ohne irgendwie befriedigende Ant-
wort, sondern berichtete, soweit ich mich erinnere, dass man
ihn in etwas verächtlicher Weise heimgeschickt habe. Höchst
wahrscheinlich lag diesem Benehmen der Umstand zu Grunde,
dass die Familie im ganzen und grossen der s. g. Kavalier-
Partei zugethan war, möglicher Weise einige ihrer Mitglieder
im Heere des Königs standen, der damals -in Oxford sein Haupt-
quartier hatte, und dessen Sache eine günstige Wendung nehmen
zu wollen schien, und dass sie bereuten die älteste Tochter
des Hauses einem Manne gegeben zu haben, dessen Ansichten
den ihrigen so sehr entgegenliefen, und fürchteten, es werde
dies einen Schandfleck auf ihrem Wappenschilde bilden, im
Falle der Hof den Sieg davontrage'- (^).
Man hat keinen Grund anzunehmen, dass dieser Bericht
etwas Falsches enthalte und sieht, wie unter der Einwirkung
der politischen Gegensätze das häusliche Glück des Dichters
zerstört wurde. Die Frage ist nur, ob man sich die Entwick-
lung der Familien-Tragödie nicht noch rascher zu denken hat,
ob Milton nicht schon früher, in den ersten Wochen der Ehe,
zur Erkenntnis seines Fehlgriffs gekommen ist. Phillips, der
nach der Erinnerung seiner Jugend schreibt, scheint dem aller-
dings zu widersprechen. Nach ihm wurde Milton durch die
Weigerung seiner Frau so sehr ei-zürnt, dass er es für ent-
ehrend hielt, sie je wieder aufzunehmen. „Er begann sich mit
Gi-ünden zu einem solchen Entschluss zu stärken, und so ent-
standen seine zwei Traktate, durch die er beweisen wollte.
Abreise der jungen Frau. 1(39
dass es gegen die Yernimft und durch die Schrift nicht be-
beweisbar sei, ein Ehepaar, das nach Geniüth und Tempera-
ment nicht für einander passe oder eine gegenseitige Abnei-
gimg habe, z^Yingen zu wollen, ihr ganzes Leben lang anein-
ander geschmiedet zu sein"*(^). Schon das erscheint tragisch
genug, dass ein Schriftsteller ein Paar INIonate nach der Hoch-
zeit, gereizt durch das Benehmen der Frau, keinen besseren
Stoif für seine Feder tindet, als die Frage der Ehescheidung
zu behandeln. Aber es liegen Thatsachen vor, welche be-
weisen, dass der Hergang noch tragischer war. Ein Exemplar
jener ersten Schrift über die Ehescheidung trägt von zuver-
lässiger Hand auf dem Titelblatt die Datumbezeichnung des
ersten August 1643. Sie muss also vorher abgefasst sein, zu
der Zeit, da nach Phillips' Angaben die junge Frau noch im
Hause des Gatten weilte, unter ihren Augen, wenn auch schwer-
lich mit ihrem Wissen. Man kann sich danach das trübe Bild
der Flitterwochen ausmalen : sie von der Sehnsucht nach dem
lustigen Schwann der Gespielen und Bekannten verzehrt und
zur Gesellschaft eines Mannes verurtheilt, dessen einsamem
Gedankenflug sie nicht folgen konnte, er durch die Furcht
einer qualvollen Zukunft gemartert und bestrebt, darin Trost
zu finden, dass er seinen Fall zum Ausgangspunkt einer allge-
meinen Betrachtung machte. In diesem Zusammenhang be-
kommt die spätere Aeusserung der Schwiegermutter einigen
Sinn, Milton selbst habe ihre Tochter fortgesandt. Was
mochte in Rede und Gegenrede vorhergegangen sein? Konnte
nicht die Aufforderung von .Foresthill seinen Wünschen ent-
sprechen, ihn mit der schwachen Hoffnung erfüllen, die Ent-
fernung werde in einiger Zeit die Gegensätze mildern, die
Keigimg wachsen lassen?
Unmittelbar nach der Abreise der jungen Frau trat die
Hauptschrift an's Licht, in welcher Milton als Verfechter einer
Theorie auftrat, welche den Geboten von Kirche und Staat
und den allgemeinen Ansichten der Zeit aufs schroffste wider-
sprach. Sie fühlte den langathmigen Titel: „Die Lehre und
Wissenschaft von der Ehescheidung zum Besten beider Ge-
schlechter aus den Banden des kanonischen Rechtes und anderer
170 Erste Schrift über die Ehescheidung.
Irrthümer im Sinne christlicher Freiheit wiederhergestellt nach
dem Gesetz der Liebe, wobei auch viele Stellen der Schrift
ihren lange missverstandenen Sinn wieder erhalten, nützlich bei
der bevorstehenden Reform erwogen zu werden" (^). In dieser
ihrer ersten Gestalt entwickelt die Schrift allerdings die Grund-
gedanken des Verfassers in hinlänglicher Klarheit. Er hält
die Ansicht, welche sich einer Lösung des Ehebandes wider-
setzte und höchstens in gewissen scharf begränzten Fällen eine
Trennung der Gatten zuliess, für schlechthin verwerflich. Statt
dessen fordert er, dass sogar schon Erkenntnis der Unver-
träglichkeit und Abneigung von Geist und Gemüth ein Recht
auf vollständige Lösung des ehelichen Bandes geben soll, „zu-
mal wenn keine Kinder da sind, und gegenseitige Einwilligung
vorhanden ist" (S. 21). Zu dem Behuf zieht er Stellen des
alten und neuen Testaments heran, um sie in seinem Sinn zu
erklären, stützt er sich auf Gründe der Vernunft und des
öffentlichen Wohls, sucht er sich Bundesgenossen bei hervor-
ragenden Schriftstellern, die diesen Gegenstand behandelt
hatten. Dies alles wird auf achtundvierzig Seiten im Zusam-
menhang, ohne Abtheilung von Büchern oder Kapiteln be-
handelt, der N?,me des Autors wird nicht genannt.
Allein in dieser Form ist die Schrift nicht in Milton's
Werke übergegangen. Wenig Monate später wurde eine zweite
Auflage nöthig und diese ist es, welche die mit so viel Kühn-
heit verfoclitene Lehre weiteren Kreisen bekannt gemacht hat.
Milton selbst deutet gelegentlich an, dass da^ erste Erscheinen
seiner Schrift ihm mancherlei Anfechtung zuzog, und welche
Gedanken ihn bei der zweiten Pklition leiteten. „Gott schien
mich prüfen zu wollen, ob ich allein den Muth hätte eine
gereclite Saclie gegen eine Welt von Missachtung zu verthei-
digen und fand mich muthig. Ich verschwieg meinen Namen,
weil ich den Leser damit weder für noch gegen mich ein-
nehmen wollte. Als ich aber hörte, dass ich am Stil von den
meisten erkannt wäre, (ohne dass ich wüssto, welche Mängel
ihn so scharf charakterisiren), und dass einige von der Geist-
lichkeit zu schmälien und anzugreifen begannen, was sie nach
glaublichem Bericht gar niclit gelesen liatten, da hielt ich es
Erste Schrift über die Ehescheidung. 171
für angezeigt, einen Namen sehen zu lassen, der solch eine
unbescheidene Art des Tadels leichtlich verachten konnte, und
die Sache selbst mit noch stärkeren Gründen und genaueren
Untersuchungen zu verfechten. Auf diese Weise war dafür
gesorgt, dass derjenige, welcher sich etwa dazu verstehn wollte
statt blosser Schmähungen uns seine Gelehrsamkeit und christ-
liche Weisheit bei der Lösung dieses Problems hören zu lassen,
seine Kraft nicht gegen ein namenloses Pamphlet zu verschwen-
den brauchte" ('). In diesen stolzen Worten hat Milton nur
in allgemeinen Umrissen angedeutet, wie sehr sich ihm unter
der Hand der Rahmeij seines Werkes ausdehnte. Der äussere
Umfang ist beinahe auf das Doppelte gewachsen, was sich
theils aus einer Erweiterung des früheren Textes, theils aus
der neu auftretenden Zufügung einer Widmung an das Par-
lament und die seit kurzem versammelte sog. Westminster-
Synode erklärt. Diese Widmung ist denn auch mit dem vollen
Namen „John Milton" unterzeichnet. Der Text ist hier in
zwei Bücher, jedes Buch in Kapitel getheilt, wodurch der
Aufbau des Ganzen wesentlich an Klarheit gewonnen hat.
Für manche Kapitel, (wie namentlich B. I, K. 1, 6, 8. B. II,
K. 2, 4 — 7, 11, 14, 17, 21), erscheinen in der früheren Aus-
gabe nur die ersten Ansätze gegeben, oder ein so interessantes
Kapitel wie das dritte des zweiten Buches, in welchem über
den Ursprung der Sünde gehandelt wird, tritt ganz neu auf.
Zum grossen Theil sind die Zusätze aus dem vertieften Stu-
dium des Verfassers hervorgegangen, dessen kirchengesehicht-
liche und kirchenrechtliche Gelehrsamkeit Autoritäten wie
Calvin, Beza, Fagius, Paraeus, Perkins, Ptivetus, Grotius, Sei-
den in erhöhtem Masse heranzieht, sei es um sich auf sie zu
stützen, sei es um gegen sie zu polemisiren. Zum Theil kommen
die Zufügungen aber auf Rechnung des überlegenden, ge-
schmackvollen Schriftstellers, der, im Bewusstsein für eine wich-
tige Sache aufzutreten und von der Grösse seines Berufes er-
füllt, sich nicht so leicht an den Erzeugnissen seiner Feder
genügen liess. Er schöpft dies zweite Mal mit volleren Händen
aus den Schätzen der antiken Literatur und schmückt seine
Rede namentlich durch Berufung auf seinen Lieblingsautor,
172 Erste Schrift über die Ehescheidung.
Plato (z. B. S. 89 „But still" - 91 .,reacl of-, 98 „Let no"
— 99 „down"). Er fügt, um das Auge des Lesers zu er-
quicken, bunte poetische Fiiden in das graue Gewebe seiner
Beweisführung ein, wie denn die „Liebesgeschichte-' von Eros
und Anteros erst der zweiten Auflage (L 6) angehört. Er feilt
an einzelnen Wendungen und Ausdrücken, sei es um kleine
Unebenheiten zu beseitigen oder seiner Periode durch Füllung
einen schöneren Wohlklang zu geben (z. B. S. 81 b. d. Ueber-
setzung a. d. Hebräischen, 85 Z. 7 v. u. ist ,,under — com-
fort" zugesetzt, S. 82, Z. 5 v. o. „and" statt ,,for" etc.). Häufig
erscheint seine Meinung verschärft, niemals abgeschwächt.
]\Ian erhält durch die Vergleichung Gelegenheit in die Werk-
statt seiner Gedankenarbeit zu blicken, und die Prüfung fällt
nur zu Gunsten des kundigen Meisters aus(^).
Auch der Titel dieser zweiten Ausgabe lautet etw'as
anders: „Die Lehre und Wissenschaft von der Ehescheidung
zum Besten beider Geschlechter aus den Banden des kano-
nischen Rechtes und anderer Irrthümer wiederhergestellt nach
der wahren Meinung der Schrift durch Vergleichung des
alten und neuen Testaments, wobei zugleich dargestellt wird,
wie schlimme Folgen es hat, das als Sünde zu verbieten und
zu verdammen, was Gottes Gesetz erlaubt, und Christus nicht
verboten hat" u. s. w. {^). Will man dem Autor gerecht
, Averden, so wird man gut thun, seine Ansicht in dieser aus-
gebildeten Form zu hören. — Man wird geneigt sein, vor allen
Dingen zu fragen, ob sich in der Schrift nicht Aufschlüsse
über sein eigenes Schicksal, autobiograiihische Bekenntnisse
voi-finden. In der That kommen Stellen vor, die ganz und
gar den Eindruck machen, als habe der Verfasser seine eigenen
tragischen Eifahrungen bei der Niederschrift vor Augen gehabt.
„Auch ein vorsichtiger Mann", heisst es, „kann in seiner Wahl
irren . . die elirbarsten und tugendhaftesten sind in diesen
Dingen am wenigsten geübt, und wer weiss nicht, dass die
schamhafte Schweigsamkeit einer Jungfrau oft nur die Hülle
einer angeborenen Träglieit und Stumpfheit ist, die ein Hin-
derais für jeden vertrauten Verkehr (conversation) bildet?
Auch wild die Freiheit des Zutritts nicht gewährt oder gewagt.
Selbstbekenntnisse. 173
durch die man sich ein genaues Urtheil bihlen könnte, bis
es zu spät ist; und taucht irgend ein Argwohn gegen die
Charakterverschiedenheit auf, was ist gewöhnlicher, als die
Ueberredung der Freunde, bei näherer Bekanntschaft werde
sich alles bessern? Endlich ist es sehr erklärlich, dass die,
welche ihre Jugend züchtig verlebt haben, in manchem nicht
sehr scharfsichtig sind und es doch sehr eilig halien, die
Hochzeitsfackel anzuzünden. Soll nun ein Mann um seines
keuschen Irrthumes willen sein ganzes Lebensglück verwirken
und aller Mittel der Erlösung beraubt sein? Die, welche am
lockersten gelebt hab^n, sind meist in Folge ihrer kecken
Gewohnheiten sehr glücklich in ihrer Wahl, weil ihre wilden,
wechselnden Leidenschaften, wie eben so viele Ehescheidungen,
ihnen Erfahrung gegeben haben. Der Mann von strengen
Grundsätzen dagegen, der den Schein der Züchtigkeit ehrt
und unter ihrem Schleier jede gesellige Tugend zu finden
hofft, kann leicht betrogen werden, wenn auch nicht mit
einem unfruchtbaren Körper, so doch mit einem Geist, der
sich für jeden anderen idealen Verkehr (due conversation)
unzugänglich und für die höchsten Zwecke der Ehe kalt und
todt erweist. Und was für ein Glück, was für eine Hilfe
solch' eine Gefährtin für's Leben dem Manne gewährt, das ist
weniger schmerzlich zu vermuthen . als zu erfahren".
(S. 26). Noch deutlicher scheint eine andere Stelle auf eigene
Herzenserfahrangen hinzuweisen: ,,"Wenn ein Mann seine Ju-
gendjahre makellos verlebt und seine Hoffnungen auf die
höchsten irdischen Freuden für eine glückliche Ehe aufge-
spart hat, . . wenn ein solcher sich nun an einen unver-
söhnlichen Misston der Natur gebunden sieht und in der,
welche er als Genossin süsser und trauter Gemeinschaft er-
träumt hatte, ein Bild aus Thon und Phlegma erkennt, wenn
ihm keine Hoffnung gelassen ist, die Fessel zu brechen, dann
wird er, und sei er auch der gläubigste Christ, an der Tugend
verzweifeln und mit Gottes Vorsehung hadern". (S. 31).
Einen ähnlichen Ausbruch verzweifelter Stimmung lassen die
"Worte durchblicken, dass der beständige Anblick getäuschter
Hoffnungen ohne die Möglichkeit einer Heilung den Betro-
174 Selbstbekenntnisse.
genen, „zumal wenn er von Natur zur Melancholie geneigt ist,"
in einen Zustand versetzen müsse, nicht unähnlich dem „der
Verworfenen." (S. 24).
Man bemerke, dass diese Andeutungen persönlichen
Leides sich immer auf ein und dei'selben Grenze bewegen.
Auf das sittliche Verhalten der Frau, welche die Ursache
dieses Leides ist, wird auch nicht der leiseste Schatten ge-
worfen. Ihrer Weigerung , in das Haus des Gatten zurückzu-
kehren, ihrer „Desertion", wird nicht gedacht und kann nach
der Zeit, in welcher die Schrift zuerst abgefasst wurde, noch
gar nicht gedacht werden. Es ist immer und einzig die Klage
ü])er die Unmöglichkeit „passenden und gleichartigen Ge-
dankenaustausches" (fit and matchable couversation), über
die „Unvereinbarkeit zweier Geister", über die „Fesselung
einer lebenden Seele an einen todten Körper", in welcher
sich der in seinen idealen Erwartungen Betrogene gleichsam
gefällt. Er wird nicht müde auszumalen, wie nur unver-
söhnlicher, gegenseitiger Hass die Folge sein kann, wie alle
guten Eigenschaften bei solchem Zustand zu Grunde gehen
müssen, und ein „edler Geist'" für alle seine Handlungen die
rechte Spannkraft verliert. Denn für einen solchen giebt es
keine grössere Unbill, als „nicht geliebt und doch gefesselt
sein". Solche Klagen, die doch zum grossen Theil Selbstan-
klagen sind, machen um so eher den Eindruck tiefster Empfin-
dung, mit je wärmeren Farben im Gegensatz das Bild wahrer
Lie])e und die Seligkeit ehelichen Zusanunenseins ausgemalt
wird. AusPlatound der Bibel schöpft auch hier der klassisch
gebildete Puritaner seinen Begriff der Liebe. Sie ist das
Kiijtl der Armuth, vom Uebei-fluss im Garten des Jupiter
erzeugt. Sie ist stärker als der Tod, viele Wasser können
sie nicht löschen, noch die Ströme sie ertränken. Sie ent-
springt aus der brennenden Sehnsucht des Einsamen. Ihr
Wesen besteht nicht im Anreiz sinnlicher Lust, sondern in
„dem reinen und natürlichen Wunsche, sich in ehelicher Ge-
meinschaft mit einer zum Umgang passenden Seele zu ver-
binden".
Absicht des Autors. 175
Mlton mochte diesen und jenen Satz aus der Tiefe per-
sönlichen Empfindens herausschreiben, aber nicht deshalb
hatte er die Feder ergritfen, um vor der Welt ein sentimentales
Schauspiel aufzuführen. Was er litt, hatten Hunderte vor
ihm gelitten und mussten Hunderte nach ihm leiden, wenn
das Gesetz nicht Abhilfe gewährte. Noch waren auch unter
den protestantischen Schriftstellern diejenigen in der Minder-
zahl, welche bei der Lehre der Ehescheidung der milderen
Ansicht huldigten und den Rahmen der Scheidegründe mannich-
fach erweitert hatten. Unter diesen war unüberwindliche Ab-
neigung — eben das, was Milton hervorhob, — nur ganz
vereinzelt als zulänglich erachtet worden, und es konnte als
ein Wagnis gelten, diese freie Auffassung mit offenem Visier
zu vertheidigen , geschweige denn den Anschluss der Gesetz-
gebung zu fordern. Das englische Eherecht vollends, obwohl
es mit dem Sakramentsbegriff gebrochen hatte, hielt in der
Lehre über die Scheidung an der kanonischen Theorie fest,
indem es das giltig geknüpfte Eheband als unlösbar be-
trachtete und nur in gewissen Fällen wie Ehebruch, bösliche
Verlassung u. a. eine dauernde oder zeitige Trennung von
Tisch und Bett durch das geistliche Gericht verstattete (^).
El)en dies war genug, um Milton zu reizen. Mit Feuer
ergriff er den Gedanken, sein persönliches Unglück zu einer
Quelle des Heiles für seine Mitbürger zu machen, sie mit
derselben tiefernsten Ueberzeugung zu erfüllen, welche unter
Schmerzen in ihm selbst gewachsen war. Idealist in grösstem
Stile, wie er es nun einmal war, setzte er sich über alle
praktischen Erwäg-ungen und Bedenken hinweg und hatte
nur den einen Gedanken der Reform im Auge, mit dem er
sich schmeichelte, wenn er Eingang in die Gesetzgebung
fände, „auf ein Mal mit sanfter Hand zehntausend Thränen
aus dem Leben der Menschen auszuwischen."
Nichts war natürlicher, als dass er in der zweiten Auf-
lage seinen revolutionären Vorschlag der Aufmerksamkeit der
beiden höchsten gesetzgebenden Versammlungen des Staates
und der lürche, dem Parlament und der Synode, empfahl und
nichts angemessener, als dass er dabei die grosse politische
J76 Absicht des Autors.
Bedeutimg der Frage hervorhob. Die bürgerliche Freiheit
schien ihm undenkbar ohne die häusliche Freiheit als ihre
Grundlage. Und diese hinwieder galt ihm als nichtig, wenn
der j\Iann, zu einer Ehe wider Willen verurtheilt, die „un-
würdigste Knechtschaft tragen muss". ,,Kein Gewaltstreich
der Tyrannei kann das Gemeinwesen schwerer treffen, als
dies häusliche Unglück die Familie. Sagt nur allen Hoffnungen
einer wahren Reform des Staates Lebewohl, so lange ein
solches Uebel unerkannt und unbeachtet in unseren Häu-
sern sitzt, von dessen Beseitigung nicht nur das geistige
und sittliche Leben unserer Erwachsenen, sondern auch die
geordnete und sorgsame Erziehung unserer Kinder abhängt".
„Es ist unerspriesslich und gefährlich für das Gemeinwohl,
wenn das Hauswesen, aus dem die Kraft und der Muth zu
allen öffentlichen Unternehmungen erblühen muss, zwieträchtig
und schlecht bestellt ist." In diesem Sinn konnte Milton
später bei einem Rückblick auf seine schriftstellerische Thätig-
keit in der Frage der Ehescheidung wiederum mit leiser An-
deutung eigener Erfahrungen betonen, dass er es für um so
nöthiger gehalten habe, sich ihr zuzuwenden, weil „damals
Mann und Frau oft in l)itterster Feindschaft unter einander
lebten, er daheim mit den Kindern, sie im Lager der Gegner,
von wo sie dem Gatten Tod und Verderben drohte" (^).
Indem er sich nun anschickte, einer gründlichen Reform des
Scheidungsrechtes das Wort zu n-den und die Vertreter dei- Na-
tion aufforderte, die Gesetzgebung über die Ehe, ,,dies Erbbesitz-
thum und Freigut der Menschheit, diese natürliche Freiheits-
urkunde des Hauses, aufs neue zu prüfen", stiess er sich
wenig daran, dass er der geheiligten Tradition von Jahrhun-
derten in's Gesicht schlug. Er wusste, dass „die Gewohn-
heit unter allen Lehrern und Meistei-n, die jemals gelebt
haben, derjenige ist, welcher die meisten Schüler in Glauben
und Sitte nach sich gezogen hat", und dass sie im Schutz-
uiid Trutzbündnis mit dem In-thum jeden Fortschritt ver-
hindern würde, wenn sich nicht ab und zu im Laufe der
Jahrhunderte die Vereinigung „kluger und frommer" Männer
dagegen ('rh(')he. Freilich verhehlte er sich nicht, dass jeder
Absicht des Autors. 177
begabte Verfechter einer Reforni mit den Vorwürfen des
., Doktrinarismus", der „Laune", der „Neuerungssucht", mit
„tausend müssigen Redereien und Verdächtigungen" verfolgt
werde. Aber er sagte sich, dass „die Wahrheit durch äussere
Berührung ebensowenig besudelt werden könne wie der
Sonnenstrahl, dass sie immer gleich einem Bastard zur Schande
dessen, der ihr das Leben gegeben, zur Welt komme, bis die
Zeit, eher die Amme ^Is die Mutter des Kindes, es gewaschen
und gebadet habe".
Von besonderem Vortheil war, dass die Tradition, gegen welche
er ankämpfte, als ein Ausfluss katholischer Anschauungen erschei-
nen konnte, und unter dieser Firma eben damals so vieles von dem
argwöhnischen Puritanismus verfolgt wurde. Milton steht denn
auch nicht an, von diesem dialektischen Schachzug den ausge-
dehntesten Gebrauch zu machen. Das „kanonische Recht", der
„Wust kanonischer Unwissenheit" sind Schuld an der Aufrecht-
erhaltung tadelnswerther Beschränkungen selbst unter den
Protestanten. „Wagt man auch nicht mehr zu behaupten,
dass die Ehe ein Sakrament, dass sie ein Mysterium sei . .,
so bekleidet man sie doch mit einer so furchterregenden
Heiligkeit und verleiht ihr unzerreissbare Ketten, als sollte
sie wie eine indische Gottheit verehrt werden, deren Macht
man anbetet, nicht sowohl weil sie segnet, als weil sie ver-
nichten kann." „Die grösste Last in der Welt ist der Aber-
glaube, nicht allein der Ceremonieen in der Kirche, sondern
auch der eingebildeten Sündenpopanze zu Hause . . Der Aber-
glaube des Papisten ist: Rühre nicht an, koste nicht, wenn
Gott beides erlaubt; der unsrige ist: Trenne nicht, scheide
nicht, wenn Gott und die Menschenliebe es gestatten, ja
heischen". Und wie Milton schon früher den Schatten Wiclif s
heraufbeschworen hatte, um seine Engländer anzuspornen, im
Kampfe für die Freiheit der Kirche dieses Namens sich würdig
zu zeigen, so erinnert er hier neben ihm an Willibrord, Win-
frid, Alkuin, ja selbst an die alten Druiden, auf dass Eng-
land seines alten Vorzugs nicht vergesse, die Völker zu lehren,
wie man leben müsse und ein grossartiges Beispiel gebe, das
weit über die Ufer des Tweed und der normannischen Inseln
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. j2
178 Zweck der Ehe.
nachwirken werde. Demselben Zuge nationalen Stolzes folgt
er, indem er, gegen die Gewohnheit der zeitgenössischen Ge-
lehrten, in der Muttersprache schreilit. Eben dies Gefühl
dmckt sich in dem Wunsche aus, das Parlament möge sich
durch Annahme seines Vorschlages einen ruhmvolleren Titel
verdienen, als ihn einst England's Könige von der Kurie
empfangen hatten. Diese uannten sich ,,Vertheidiger des
Glaubens", jenem winkt der Ehrennahme „Vertheidiger der
Menschenliebe".
Indess mit diesen Mitteln der Rhetorik war noch nichts
gethau. Es war nöthig, Gründe beizubringen, um die beab-
sichtigte Reform des Scheidungsrechtes zu vertheidigen. Wer
die Ehe selbst als die idealste Gemeinschaft auffasste, bei
welcher der Zweck, dem Triebe der Sinnlichkeit zu genügen,
die Gattung fortzupflanzen, entschieden zurücktrat hinter dem
Zweck, einem „schönen und glücklichen Geistes verkehr" zu
dienen und den traurigen Zustand der Einsamkeit durch die liebe-
volle Gemeinschaft von zwei gleichgesinnten Seelen zu ersetzen,
dem konnte es nicht schwer werden, aus der Natur des Ver-
hältnisses selbst Argumente für seine Ansicht zu schöpfen.
„Man liest uns in der Liturgie vor, dass wir nicht heiraten
sollen, um der fleischlichen Lust genug zu thun, gleich den
sinnlosen Thieren, die keinen Verstand haben", aber das
Recht der Scheidung ist der Art, als wäre die thierische
Paarung der einzige Zweck, ,,das Ehebett die Hauptsache in
der Ehe". Denn die Ehe wird als nichtig betrachtet, „wenn
die Katur das Vermögen der Sinnlichkeit gehemmt oder zer-
stört hatte", aber das Band soll unauflöslich bleiben, wenn
es zweifellos ist, dass in Folge der Unvoi-träglichkeit zweier
Naturen Friede und Glück nicht erlangt werden können.
Diese Ansicht dünkt Milton ,,roli und p()lielhaft". Er sieht
in ihr „eine frevelhafte Barbarei sowohl gegen die Ehre der
Ehe, als die Würde des Menschen . . gegen die Grösse des
Christentimms und alle menschliclion Rücksichten der Kultur".
Er stellt allen Gcsetzesl)cstinnnungen ein Gesetz entgegen,
„älter und tiefer begründet als die Ehe selbst, keinen Zwang
auszuüben geuen (Vw oline Sclmld liogebonon Eigenthümlich-
Die Ehe ein Vertrag. 179
keiten der Natur", (S. 17) er spricht es mehr als ein Jahr-
hundert vor Rousseau mit Rousseau'scher Kühnheit aus : „Was
gegen die Natur ist, ist gegen das Gesetz" (S. 85).
Diesen mehr philosophischen Betrachtungen, welche sich
an die etwas schwankende Begriffsbestimmung der Ehe an-
schlössen, wie Miltons Idealismus sie wollte, war schon hie
und da ein zweiter Gedanke von etwas grösserer Schärfe bei-
gemischt gewesen , mit welchem andere , wie namentlich
Samuel Pufendorf, so entschieden er übrigens Milton entgegen-
trat, bei der Behandlung dieses Themas besonders operirt
haben. Die Ehe ist nach- Miltons klaren Worten ein Vertrag ('),
„ein solcher kann aber keine bindende Kraft halben einem ur-
sprünglichen und hauptsächlichen Zweck seiner Eingehung
und dem einer oder beider der übereinkommenden Parteien
zuwider." Wird also durch die Ehe nicht erreicht, was als
ihr vornehmster Zweck angegeben worden ist, so muss es
erlaubt sein, den Vertrag wieder aufzuheben. Es war nicht
sowohl die Schwierigkeit der juristischen Konstruktion, als
die Gewöhnung an die religiöse Denkweise, welche Milton
hier indess nicht zu voller Klarheit durchdringen Hess. Gegen
den Sakramentsbegriff der Ehe hatte sein puritanischer Sinn
sich gewehrt, aber je höher er ihre ethische Bedeutung auf-
fasste, desto weniger konnte er sich dazu entschliessen, das
Institut ganz und gar vom religiösen Boden loszulösen. Er
betont, dass es durch ,, Gottes Fügung gegeben sei", dass es
auf „Gottes Einsetzung" zurückgehe und bezieht sich auf die
biblischen Einsetzungsworte (S. 23, 46). Andrerseits legt er
Gewicht darauf, dass die Ehe als „eine menschliche Gemein-
schaft" (human society S. 52) betrachtet werde und zieht daraus
alle die Schlüsse, zu denen er sich nach der Vertragstheorie
für berechtigt hielt. Eine klare Vereinigung beider Anschau-
ungen war ihm nicht möglich. Es war nur ein in den Augen
der Frommen bedenklicher Nothbehelf, wenn er auch solche
Verträge für zerreissbar erklärte, die unter Gottes Mitwirkung
oder selbst zwischen Gott und den Menschen geschlossen
waren, woferne der von ihm beabsichtigte Zweck nicht erreicht
würde. Im vorliegenden Falle fand er diesen aber ganz in
12*
180 Die Ehe eiu Vertrag.
seinem Sinne ausgedrückt durch die Worte: „Es ist nicht
gilt, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehülfin
machen, die lim ihn sei'\ Worte, die sich ganz und gar mit
seiner Auflassung des vornehmsten Zieles ehelicher Gemein-
schaft zu decken schienen. So wenig nun auch das Bestreben,
die theologische und die moderne Ansicht zu vereinigen, ge-
lingen konnte, so wirksam musste es sich erweisen, dass jene
nicht mehr allein das Feld beherrschte. „Wer heiratet, —
heisst es in der Widmung, — beabsichtigt so wenig, sich zu
seinem eigenen Verderben zu verschwören, als derjenige,
welcher Treue und Gehorsam schwört, und wie sich ein ganzes
Volk zu einer schlechten Regierung verhält, so der einzelne
Mensch zu einer schlechten Ehe. Wenn jenes nach dem sou-
veränen Gesetz der Liebe (the sovereign edict of charity)
gegen Autorität, Vertrag, Statut nicht allein sein Leben,
sondern auch seine billigen Freiheiten vor unwürdiger Knecht-
schaft schützen darf, so kann dieser eben so wohl gegen einen
Privat- Vertrag, den er nie zu seinem Unheil eingehen wollte,
sich aus unerträglichen Qualen in einen billigen Frieden und
gute Euhe retten" (S. 9). Man sieht, wie sich die freien, auf
die Vertragstheorie basirten Grundsätze des politischen und
liäuslichen Gebietes berühren, wennschon an dieser Stelle
hinzugefügt wird, „dass Gott auch gegen den Tyrannen nie
ausdrückliche Erlaubnis des Widerstandes, sondern nur Ver-
nunft, Liebe, Charakter und gute Beispiele zur Vertheidigung
verliehen habe."
Alle die vorgebrachten Erwägungen waren, wenn man so
will, rechtsphilosophischcr Art. Zu einer Zeit und unter
einer Nation, die gewohnt gewesen wäre, sich auf diesen
Boden zu stellen, hätten sie genügen können. In der ersten
Hälfte des siebzelniten .lahi-hunderts, inmitten der Strömung
des englischen Puritanisnuis, erschienen sie unzureichend.
Auch war die ganze Gedankenrichtung Milton's der Art, dass
es ihm in erster Linie darauf ankommen musste, seine Ansicht
auf andere Weise zu begründen. Wie für die Frage der
Veifassuiigsreform (kn- Kirche, so für die Frage einer Beform
der I';iiegesetzge])ung gilt ihm eines vor allem als beweisend:
Das mosaische Recht. 181
die Bibel. Er, der überall sonst die Tyrannei des Buchstabens
zu brechen sucht, bleibt, wie die meisten seiner Vorgänger
des sechzehnten Jahrhunderts, an den Buchstaben der Bibel,
als eines Buches von göttlichem Ursprung, gebunden. Und
wenn ersieh früher gegen die Ueb ertragung alttestamentarischer
Vorschriften auf die modernen Verhältnisse verwahrt hatte,
weil damals seine Sache darunter gelitten hätte, so wagt er
es hier, die Kluft der Jahrtausende zu überspringen, weil ihm
das, was ihm als Gesetz Mosis galt, ein Mittel an die Hand
gab, seinen Reformgedanken unter dessen ehrwürdigen Schutz
zu stellen. Es giebt schwerlich eine zweite Schrift Milton's,
in welcher, trotz des muthigen Widerspruches gegen den bloss
äusseren Schein konventioneller Anständigkeit, das humanistische
Element seiner Bildung so sehr hinter dem biblischen zurück-
träte, der Jünger der Renaissance so sehr von dem Jünger
des Puritanismus überholt würde, wie diese. Denn anders ist
es nicht: er versucht jenes alte Gesetz des Deuteronomiums,
das ihn ein „höchst nothwendiges, höchst liebevolles" zu sein
dünkt, wieder in Erinnerung zu rufen, ja nachzuweisen, dass
es nur „unter dem Kehricht kanonischer Unwissenheit" ver-
graben gewesen, aber niemals „von dem, der einzig die Befugnis
dazu gehabt hätte, widerrufen worden sei". Dieser Gegenstand
ist es, um den sich seine ganze Schrift dreht, da ihm der
Muth fehlt, die Krücke des Bibelwortes wegzuwerfen. Der
Mann soll das Recht haben, der Frau einen Scheidebrief zu
geben, wenn sie nicht Gunst in seinen Augen findet, und er
etwas Missfälliges an ihr entdeckt, das ist die Bestimmimg,
die er zur biblischen Grundlage seines Vorschlages macht.
Er sellist denkt freilich nicht daran, diese Bestimmung im
weitesten Sinne zu nehmen, sondern versteht unter dem „Miss-
fälligen" eben jene Ursachen der Al)neigung, durch deren
Vorhandensein nach seiner Ansicht der Hauptzweck der Ehe-
gemeinschaft verfehlt wird. Indessen verhehlt er sich nicht,
dass der \Yortlaut des Gesetzes auch irgend welchen physi-
schen Gegenstand des Missfallens in sich schliessen und daher
leicht zum „Deckmantel schlechter Absichten" werden kann.
Immerhin konnte schon die Idosse Beziehung auf ein Gesetz,
k
182 Das mosaische Eecht.
(las aiif einer weit zunickliegenden Kulturstufe gegeben, in
ganz abweichenden socialen Verhältnissen einige natürliche
Korrective fand, für die Gegenwart zu den bedenklichsten
Schlüssen führen. In England zumal waren damit jedem
Gegner der Reform bequeme Waffen in die Hände gegeben,
da man noch immer nicht müde wurde, der liehre der Fami-
listen, die an Heinrich Niclaes' Namen anschloss, im Zusammen-
hang mit Anabaptisten und Antinomianern schwere sittliche
Vorwürfe zu machen ('). Milton war sich dieser natürlichen
Schwäche seines Ständpunktes wohl bewusst und war darauf
bedacht, möglichen Angriffen von vornherein die Spitze abzu-
brechen. Xicht ohne Gewandtheit sucht er gerade das Dasein
excentrischer Lehren jener Sekten zu seinem Vortheil auszu-
beuten. Indem er jedes vorschnelle Urtheil über ihre „fana-
tischen Träume", die so vielfach missverstanden wurden, ver-
meidet und darauf aufmerksam macht, dass diese Sektirer
von Haus aus meistens ,,sehr religiös und keineswegs aus-
schweifend" seien, giebt er zu bedenken, ob nicht ihre zum
Sinnentaumel führenden Doktrinen hauptsächlich „aus der
Einschränkung einer gewissen gesetzmässigen Freiheit" ent-
springen möchten, ,, welche den Menschen gegeben werden
sollte und die ihnen verweigert wird" (I, 14). Er betont, dass
gerade die bestehende Gesetzgebung Unzucht und Ehebruch
befördere, dass gerade unter der Herrschaft des Katholicismus,
der an der ^ Unauflöslichkeit der Ehe festhalte, die gröbste
Unsittlichkeit nichts Seltenes sei. „Wer die vernünftige Seele
des Menschen durch Gesetze weise bescluänken will, der
mußs zuerst sell)st davon Kunde haben, wie weit das Gebiet
rechtmässiger Freiheit reicht". „Ehrliche Freiheit ist die
grösste Feindin ehrloser Frechheit". Gesetze dürfen nicht
„auf Wesen von heroischer Tugend", sie müssen auf den
,,Mittelsclilag von Mensclien" bei'echnet sein. Andernfalls
führen sie zu Heuchelei, zu „erzwungener Tugend, die einem
über (las Ziel hinausgeschosson(m Pfeile gleicht", zu einer aus
Verkennung der menschlichen Katur hervorgehenden Tyrannei^
die sich früher oder später in einem „plötzlichen, breiten
Ausbruch offenen Lasters" rächen wird. Wir leben nun ein-
Daa mosaische Recht. 133
mal nicht mehr im Paradiese „und dürfen uns folglich nicht
alles das zutrauen, was dem verlorenen Paradiese angehört" (^).
Der Staat masse sich daher nicht an, durch Zwang das Mar-
tyrium einer unglücklichen Ehe aufrecht zu halten, sondern
er mache sich den Grundgedanken des weisen mosaischen
Gesetzes zu eigen, die Frage des Scheidens dem Urtheil des
individuellen Gewissens zu überlassen, und sorge nur fiir die
Auflösung ,, unter billigen Beding-ungen". Wenn er so handelt,
dann „werden die Orte der Prostitution weniger besucht, das
Bett des Nachbarn wird weniger gefährdet sein, dem Joche
einer weisen und männlichen Zucht wird man sieh' allgemein
fügen, ein ehrbares und wohlgeordnetes Leben wird im Gemein-
wesen erblühen". Al)er innner wieder wird betont, dass das
Gesetz deshalb mit der Sünde keinen Vertrag schliessen, dass
..die Gerechtigkeit, die Königin der Tugenden, nicht von
ihrem Herrschersitze herabsteigen soll, um sich mit dtr Sünde,
ihrem rebellischen Erbfeinde, auf unwürdige Bedingungen hin
zu vergleichen'-. — Auf diese Weise sucht Milton einen so
nahe liegenden Einwurf dem Gegner mit doppelter Münze
zurückzugeben. Seine Aufgabe wäre leichter gewesen, wenn
er es nicht für nöthig gehalten hätte, sich an den biblischen
Ausspruch zu binden. Nachdem es einmal geschehen war,
sah er sich selbst gezwungen, ihm stillschweigend sofort eine
vom Wortlaut abweichende, beschränkende Auslegung zu
geben.
Indessen diese Schwierigkeit war noch die geringste, eine
weit grössere schien durcli die Widersprüche des alten und
neuen Testamentes gel)Oten zu werden, und ]\Iilton, der sich
auch hier von der l)il)lischen Autorität nicht frei zu machen
und auf einen lediglich philosophischen Boden zu stellen wagte,
l)edurfte sehr sophistischer Künste, um die einzelnen Stellen
der Schrift unter einander in Einklang zu bringen , die
Aussprüche des Evangeliums zu retten und den ange-
zogenen Wortlaut des Gesetzes darüber doch nicht zu ver-
lieren. Man kennt jenen Streit der Schulen Hillel's und
Schammai's über den Grund, der zur Sclieidung berechtige.
Wenn jene in Uebereinstimmung mit dem Wortlaut des Ge-
184 Biblische Kritik.
setzes dem Manne die Scheidung um jeder INIissfälligkeit
willen gestatten wollten, so suchten diese der Willkür des
]\Iannes dadurch zu steuern, dass sie die Worte des Gesetzes
nur auf den Fall einer sittlichen Blosse des Weibes be-
schränken wollten. Christus, von den Pharisäern um seine
Meinung befragt, stimmte in aller Schärfe sachlich der Schule
Schammai's bei, und dieser Entscheid liess sich auch in der
Bergpredigt finden. Er erklärte, jenes weitergehende Gesetz
sei nur um der Herzenshäi-tigkeit des jiidischen Volkes willen
gegeben worden in Abweichung von der ursprünglichen gött-
lichen Absicht, nach welcher Mann und Weib ein Fleisch
sein sollen. — Lauter Fallstricke auf dem Wege, den Milton
zu gehen beabsichtigte! War wirklich zwischen den Aus-
sprüchen des alten und neuen Bundes ein so schroffer Wider-
spruch vorhanden, wie konnte sich Milton auf jenes für seine
Reform vorschlage berufen? Und weiter: stand wirklich die
göttliche Verordnung durch Moses so sehr im Gegensatz zum
göttlichen Willen bei Erschaffung des Menschen, wurde Gott
selbst nicht dadurch „zum Urheber der Sünde" gemacht?
Milton verschmäht es, durch kleinliche Ausflüchte sich
über diese Schwierigkeiten hinwegzusetzen. Er verachtet es,
sich mit dem Ausdruck ,, Dispensation" statt „Gesetz" zu helfen,
er erklärt, dass von einer solchen nur bei unwesentlichen
Ceremonial- Satzungen die Rede sein könne, er bekämpft die
Ansicht, die Scheidung sei durch das Gesetz erlaubt aber
nicht gebilligt, sie sei eine ägyptische Gewohnheit gewesen,
von Moses seinem Volk nur widerwillig nachgelassen, und was
sonst im Laufe dt^- Jahrhunderte vorgebracht worden war, um
die Widersprüche zu heben. Nach seiner Ansicht muss alles an
sich auf's schönste zusammenpassen. „Das Gesetz Mosis
wusste, was es erlaubte, und das Evangelium wusste, was es
verbot", aber Gott, dei- in beiden redet, hat deshalb nicht
..zwei Willen". Es kommt nui- darauf an, sich von der „pe-
dantischen Wortgläubigkeit" frei zu machen uiul die Aus-
sprüche der Bibel richtig zu verstehen. Und nun macht sich
sein Rationalismus daran, in sehr gewaltsamer W^Mse ein solches
Verständnis hcrbeizufühivii. — Zuerst gnlt es, jene göttlichen
Biblische Kritik. 185
EiusetzuDgs\Yorte . die eine Uiitrenubarkeit der Ehe festzu-
stellen schienen, mit dem freien mosaischen Recht in Einklani>"
zu bringen, der Ansicht entgegenzutreten, als habe Gott die
„Sünde in die Substanz des Gesetzes einpfropfen wollen", als
könne „die Sünde in den nicht strafenden, gnädigen Willen
Gottes eingeimpft werden-' (B. IL K. 3 a. E.).
Wenn man sich erinnert, dass hiennit die Grundfrage vom
Ursprung des Uebels gestreift wurde, mit der sich die Spekulation
von Jahrhunderten beschäftigt hatte, dass der calvinistische
Puritanismus in seiner dogmatischen Richtung von ihr be-
stimmt wurde, und dass Miltons unsterbliches Gedicht eben
diese Frage zum Gegenstand hat, so wird man gespannt sein
zu erfahren, in welcher Weise er sich an dieser Stelle mit
ihr abfindet. Man kann nicht sagen, dass es ihm besser ge-
länge als anderen, das Mysterium dieses Central-Dogmas auf-
zuhellen, sondern nur so viel, dass er sich hier noch zu den
entschiedenen Gegnern des Arminianismus rechnet (^). Das schien
ihm aber eine ganz unerlaubte Anwendung der Prädesti-
nations-Lehre zu sein, dass Gott „seinem heiligen Volke'^
,, einen Freibrief für das ungewisse Böse um des gewissen Guten
willen" solle gegeben haben. Unter diesen Umständen lilieb
nur eine Erklärung möglich: jener Ausspruch ,.sie werden
ein Fleisch sein" kann nur den Sinn haben, dass sich auch
die Seelen von Mann und Weib in Uebereinstimmung befinden,
da sie sonst zwei ,.aneinandergeketteten Leichnamen" gleichen
würden, und jener Zusatz Christi ..was Gott zusammengefügt
hat, soll der Mensch nicht scheiden" hat die Voraussetzung,
dass „die Gemüther von INIann und Weib zu gegenseitiger
Erquickung und Liebe zu einander passen", denn gerade zu
diesem Zweck hat, Gott, welcher dem Manne eine „Gehülfin"
geben wollte, jene ..Zusammenfügung" vorgenommen (IL 16).
Man bemerkt unschwer, wie sich die ganze Darstellung im
Kreise dreht und das als sicher annimmt, was erst bewiesen
»werden soll. Das aber war nun ein Mal der natürliche INIangel
einer Methode, welche in demselben Augenblick eine Berufung
auf die Bibel für unentbehrlich hielt, in welchem anderen
eine pedantische Wortgläubigkeit vorgeworfen wurde. Der
185 Biblische Kritik.
Unterschied ist allerdings nicht zu verkennen, dass Milton
von einer sklavischen Unterordnimg unter den Wortlaut der
Bibel weit entfernt ist. Er sucht sich an hermeneutische
Regeln zu halten und, gestützt auf sie, die ferneren Schwierig-
keiten zu beseitigen, welche die Aussprüche des neuen Testa-
mentes über die Frage der Ehescheidung in sich schlössen.
..Alle Stellen der Schrift deren Buchstabe zu gerechten
Zweifeln veranlasst, müssen dadurch erklärt werden, dass man
in Betracht zieht, bei welcher Gelegenheit jede Sache nieder-
geschrieben ist und durch den Vergleich mit anderen Text-
stellen" (S. 58). „Es giebt kaum einen Ausspruch im Evan-
gelium, der nicht mit Einschränkungen und Unterscheidungen
gelesen werden muss, um richtig verstanden zu werden", denn
„Christus giel^t nicht volle Erklärungen oder fortlaufende
Reden, sondern seine Aussprüche sind oft einsilbig, . . wie
Perlen hierhin und dorthin verstreut" (S. 113). Wenn Christus
daher die Scheidung für unerlaubt erklärt, ausser im Fall
des Ehebruchs, so muss man bedenken, dass es die Pharisäer
waren, die ihn befragten, ., welche das Gesetz missdeuteten und
auf jeden kleinen, streitigen Grund irgend welcher Art aus-
dehnten". Solchen anmassenden Versuchern gegenüber war
es nöthig nachdrücklich die ,, negative Seite des Gesetzes" zu
betonen, al)er unzweckmässig „jene natürlichen und ständigen
Hindernisse des körperlichen und geistigen Zusammenlebens"
zu berühren, an welche das mosaische Gesetz gleichfalls ge-
dacht hat. Er wandte, wie auch in anderen Fällen, „gleich
einem klugen Arzte" ein Uebermass gegen das andere an, um
so auf die richtige Mitte zurückzuführen und züchtigte die
Anmassung der Frager, indem er sie auf das paradiesische
Muster der ersten Einsetzung der Ehe hinwies. In ähnlicher
Weise sucht Milton die anderen ihm hinderlichen Stellen un-
schädlich zu machen. Bei den Worten „wegen eurer Hei'zens-
Härtigkeit" u. s. w. hat man auf das „euer" den Nachdruck
zu legen, denn damit sollten nur ironisch die Frager genötliigt
werden, ,,ihre eigene unbegrenzte Zügellosigkeit zu tadeln".
Krsflieiiit auch gegeiuil)er (k'ii Jüngern, wie in der Berg-
predigt, jene strenge Ansicht nicht zurückgenommen , so hat
Biblische Kritik. 137
man zu erwägen, dass sie „von derselben hergebrachten Frei-
heit . . angesteckt waren". „Es war damals nicht Zeit mit
'ihrem schwachen und voreingenommenen Glauben über eine
Sache zu streiten, über welche einige biblische Erleuchtung
mit etwas Aufmerksamkeit von ihrer Seite sie später genug-
sam aufklären konnte". Auch Hessen Christi Schlussworte über
seine wahre Meinung k;einen Zweifel: „Das Wort fasset nicht
jedermann, sondern denen es gegeben ist".
Es ist nicht nöthig die verschlungenen Pfade des Milton'-
schen Rationalismus weiter zu verfolgen , ihm in der Ver-
gleichung mit anderen .biblischen Stellen nachzugehen, seine
Kritik entgegenstehender Ansichten mitzumachen, seine Be-
merkungen über den schwankenden Sinn des Wortes noqvda
zu wiederholen ('). Als bezeichnend für seine Methode, in
der so viel Aengstlichkeit mit so viel Kühnheit gepaart ist,
sei nur noch darauf hingewiesen, dass selbst der paulinische
Ausspruch: „Es ist besser freien als Brunst leiden", sich nicht
auf das sinnliche Verlangen, sondern auf jene reine Sehnsucht
nach dem Zusammensein mit einer gleichgesinnten Seele be-
ziehen lassen muss. Als Ergebnis bleibt für Milton bestehen,
dass Gesetz und Evangelium, weit entfernt davon in der von ihm
behandelten Frage sich zu widersprechen, vielmehr einander
bestärken. „Moses erlaubt die Scheidung, aber nur in Fällen,
die unversöhnbar und der Trennung mehr benöthigt sind als
Ehebruch. Christus verbietet sie, aber nur für Fälle, die bei-
gelegt werden können und geringer sind als Unzucht".
Man wird es begreiflich finden, dass Milton auf seine
philosophischen und theologischen Ausführungen nicht ein
förmliches System des Ehescheidungsrechtes folgen lässt, wie
er es sich vorstellt. In Wahrheit kam es ihm nur darauf
an, den Reform-Gedanken anzuregen und theoretisch zu be-
gründen. Sein Geist war viel zu wenig auf die praktischen
Einzelheiten gerichtet, seine Bildung viel zu wenig die des
scharfen Juristen , als dass man in dieser Beziehung Voll-
ständigkeit von ihm verlangen dürfte. Nirgends sind die
anderen etwa denkbaren Scheidungsgründe übersichtlich auf-
gezählt, wennschon Religions- Verschiedenheit, Nachstellungen,
288 Un Vollständigkeit der Ausführungen.
Unvermögen gelegentlich berührt werden. Niemals wird auf
die Frage eingegangen, was aus den Kindern, was aus dem
Vermögen der Geschiedenen werden soll. Scheidung und an-
fängliche Nichtigkeit werden nicht immer klar auseinander
gehalten. Eben so wenig wird zwischen den Fällen unter-
schieden, in denen das Eheband vollständig gelöst, oder nur
das Zusammenleben auf bestimmte oder unbestimmte Zeit
aufgehoben werden sollte. Eine Mitwirkung der „Obrigkeit"
bei Streitigkeiten über INIitgift und Witthum, eine „Aufstellung
gerechtei" und billiger Bedingungen durch das Gesetz" (S. 121,
125) wird allerdings in Aussicht genommen, und so sollte man
meinen, dass der richterlichen Entscheidung alles vorbehalten
bliebe. Aber so mächtig ist der Einfiuss der alttesta-
mentarisclien Anschauung, dass Milton trotzdem „dem Familien-
haupte" die Macht zusprechen will, der Frau einen Scheide-
brief zu geben. Er verlangt allerdings, — ein echt pres-
byteranischer Zug — ,,dass die alte Sitte in Gegenwart des
Geisthchen und würdiger, ausgewählter Aeltesten beobachtet
werde", welche den Mann ermahnen sollen, nicht leichtfertig
gegen den Geist der Worte Christi zu handeln (S. 129), aber
in letzter Linie gestattet dem Mann „die Erhabenheit seiner
Schöpfung in dieser Sache sich selbst Gesetz zu sein, da er
das Haupt des anderen Geschlechtes ist, welches für ihn ge-
schaffen worden" (S. 123).
Es könnte auf den ersten Blick den Anschein haben, als
sei bei diesem Verfahren auf den Schutz des Weibes, „das
der Mann nicht kränken darf", besonders Bedacht genommen.
„Es würde eine unziemliche Beleidigung der zurückgezogenen
und verschleierten Keuschheit dieses Geschlechtes sehi". alle
die zarten Angelegenheiten, die bei der Frage einer Scheidung
in Betracht kommen können , vor einen Gerichtshof zu ziehen
und „jenen bezahlten Meistern im Zungengefecht" Preis zu
geben. Besser daher eine Verhandhing in den vier Wänden
des Hauses vor jenen wenigen Zeugen, eine „stillschweigende
Entlassung". Aber in Wahrlieit verletzt den modernen Leser
der Sclirift Miltoiis nichts mehr, als die Ilücksichtslosigkeit, mit
der ei(hin-]iweg die Literessen des Weibes beliandelt. Schon bei
Die Stellung des Weibes. 189
einer anderen Gelegenheit hatte er das weibliche Geschlecht
als das „unvollkommenere" bezeichnet (i), hier kam, ganz ab-
gesehen von seinen eigenen Erfahrungen, so manches zu-
sammen, um ihn in der barbarischen Ansicht zu bestärken,
dass es keine Gleichberechtigung beanspruchen könne. War
nicht nach der Schöpfungs-Geschichte das ^Yeib für den ]Mann
geschaffen, um ihm eine Gehülfin zu geben? War sie es nicht,
welche „den Verlust des Paradieses" herbeiführte? War jenes
alte Gesetz nicht offensichtlich zu Gunsten des Mannes gegeben?
Es war kein Zweifel darüber möglich. Nichts war leichter
als die Meinung derer z.u widerlegen, welche behauptet hatten,
die Scheidung sei eher zu Gunsten der Frauen als der Männer
gewährt worden, als darzulegen, dass „Gott in seinem Gesetze
mehr ]\Iitleid mit dem Manne als mit der Frau gehabt habe'-.
Man kann sogar verfolgen, wie in der zweiten Ausgabe der
Milton'schen Schrift ? dieser Gedanke mit besonderer Liebe
weiter ausgearbeitet worden ist. So wird denn selbst Hein-
rich VIII. bei seinem Verfahren, „für seine häusliche INIacht
die Befugnis einer rechtmässigen Ehescheidung in Anspruch
zu nehmen" nicht getadelt. Vielmehr erscheint die ganze
englische Reformation gleichsam als göttliche Belohnung dafür,
dass der König in dem einen Punkt der Ehescheidung zuerst
die römische Tyrannei entdeckt hatte. jNIit hinlänglicher
Klarheit wird ausgesprochen, dass eine Zustimmung der Frau
nicht nothwendig sei. Allerdings wird sie als erwünscht be-
zeichnet (s. 0. S. 170), aber „dem Willen und der Zustimmung
beider Parteien" wird ohne Bedenken der Wille „des Ehemanns
allein" untergeschoben (2). Und hier geht die Sophistik des
Schriftstellers so weit, dass er auch dies als durchaus nicht
nachtheilig für die Frau darzustelfen sucht. „Denn gesetzt den
Fall, die Frau willigt nicht ein, so ist die Scheidung ent-
weder gerecht und also verdient, oder ungerecht . ., und in
diesem Falle ist es ein Glück von einem ungerechten Mann
getrennt zu werden". — Ueber solchen Härten darf man
nicht vergessen, dass an anderen Stellen der Schrift laut genug
das Gebot der Nächstenliebe als Norm für die ganze Ent-
scheidung der schwierigen Frage verkündigt wird, dass nur
190 I^i^ Stellung des Weibes. — Margarethe Ley.
ein grosses Piincip ausgesprochen werden sollte, dessen Aus-
führung im einzelnen der Zukunft vorbehalten blieb. Einer
freieren Auffassung des Scheidungsrechtes Bahn zu brechen,
blieb die Hauptsache. Und wie sich Milton dafür schon hier
u. a. auf den ihm wohlbekannten Hugo Grotius, „einen Mann
von umfassender Gelehrsamkeit", berufen konnte, wie der
grosse, vaterländische Jurist John Seiden, den er gleichfalls
rühmend erwähnt, zwei Jahre nachher (^) in seiner „Uxor
Ebraica" mit mehr Sachkenntnis, Unbefangenheit und Vor-
sicht die verschiedenartigen Auslegungen der biblischen Stellen
aneinanderreihte (^), so hat die spätere Gesetzgebung der
Völker unsrer Kultur, wenn auch mit grösserei- Zurück-
haltung, die Bahnen verfolgt, welche Milton's prophetischer
Blick ihr vorzeichnete.
Es lässt sich denken , welchen Eindruck es in Forest-
hill gemacht haben wird, als man von Milton's schriftsteller-
ischer Thätigkeit erfuhr. Nach solchen Vorgängen musste
die junge Frau noch mehr in dem Wunsche bertärkt werden,
von der Schwelle des erzürnten Gatten fern zu bleiben und
im leichtlebigen Kreise der Ihrigen die Tage zu vertändeln.
Milton selbst hat eben damals im Umgang mit einer älteren,
durch Geist und Bildung ausgezeichneten Frau Trost und Er-
holung gesucht. Es war Lady Margai'ethe Ley, die Tochter
von James Ley, der schon unter Jakob L in den wichtigsten
Staatsämtern, zuletzt als Lord-Schatzmeister, wenn nicht den
Namen eines grossen Talentes, so doch eines leinen Cha-
rakters erlangt hatte, von Karl L zum Grafen von Marlborough
erhoben, aber aus seiner Stellung entfernt worden war, um
Weston Platz zu machen. Sein Tod war unmittelbar nach
der Auflösung des dritten Parlamentes Karls L erfolgt, und
das Gerücht scheint unnöthigerweise angenommen zu haben, dass
zwischen seinem Schmerz über dies Ereignis und seinem Ende
irgend ein Zusammenhang stattgefunden habe. Die Tochter
war die Erbin seiner Tugenden und schwärmte in der Er-
innerung an den verehrton Vater. Mit einem Kapitän Hob-
son, einem gebildeten Mann, verheiratet, machte sie in Lon-
don ein Haus aus, in welchem Milton kein Fi'iMudling war.
Sonett an „eine Jungfrau". 191
Auch die vornehme Dame schätzte den Dichter hoch und
liebte seine Gesellschaft. Er riss sich hie und da aus seiner
Einsamkeit los, um einen Abend in ihrem Kreise zu ver-
bringen, und eines seiner Sonette spricht seine Verehrung für
die Freundin aus, deren Gespräch das Andenken an den ver-
storbenen ehrenhaften Staatsmann wieder auffrischte. Un-
zweifelhaft war man in diesem Hause durch und durch parla-
mentarisch gesinnt, wennschon der junge Graf Marlborough.
Margarethens Neffe, mit Auszeichnung im Heere des Königs
diente (^).
Indessen muss in dieser Zeit der unfreiwilligen Wittwer-
schaft noch ein anderes weibliches Wesen von jugendlicheren
Reizen auf IVIilton Eindruck gemacht haben. Es findet sich
ein Sonett von seiner Hand, das nach der Stellung, die es im
Cambridger Ms. und in der ersten Ausgabe der Gedichte ein-
nimmt, eben jener Epoche angehören muss. Es enthält keine
Andeutungen über Namen und Herkunft der Gepriesenen,
auch fehlt ihm jeder tiefere, leidenschaftliche Zug. Nur die
keusche Bewunderung erhält einen fast religiösen Ausdruck,
mit welcher der Dichter die ..kluge und reine Jungfrau" be-
trachtet, die ..in der ersten Jugendblüthe den breiten und
blumigen Weg weise vermieden hat, um mit den wenigen
den Hügel himmlischer Wahrheit zu erklimmen" (-). Immer-
hin waren auch solche Verse, in denen eine moderne „Maria
und Ruth" verherrlicht wurde, falls überhaupt Kunde von
ihnen nach Foresthill gelangte, wenig geeignet ]Mary Powell
zu erbauen. Wie leicht konnten durch hämische Gerüchte
von solchen Gedanken ihres Mannes, in Verbindung mit seiner
neuen Theorie von der Ehescheidung, auch ihr gefährliche
Waffen in die Hände gespielt werden. — Zunächst indessen
hatten die häuslichen Sorgen im Leben des Dichters hinter
grösseren Gegenständen seiner Aufmerksamkeit zurückzutreten.
Die Entwicklung der politischen Ereignisse, die Scheidung der
Parteien forderten seine höchste Theilnahme heraus. Er
war mit den bewegenden Fragen der Zeit zu innig verwachsen,
als dass er fähig gewesen wäre, sich im Kummer persönlicher
Erlebnisse zu verzehren.
Fünftes Kapitel.
Presbyterianer und Independenten. Fortgang
des Bürgerkrieges.
Politische und religiöse Momente hatten zusammengear-
beitet, die revolutionären Kräfte in England zu entfesseln;
auch beim Fortgang der Bewegung wirkte das eine beständig
auf das andere ein. Während der Puritanismus Englands sich
in Waffen tummelte und Mühe hatte gegen den kriegskun-
digen Feind das Feld zu behaupten, war in seinem eigenen
Lager der Kampf der Geister über die Frage entbrannt, welche
Gestalt die Kirche in dem reformirten Staatswesen erhalten
sollte, das man ersehnte. Darüber herrschte nunmehr so ziem-
lich Einigkeit, dass mit dem Bisthum voll und ganz gebrochen
werden müsse. In einer Deklaration vom 10. Sept. 1642 hatten
beide Häuser des Parlamentes sich in den stärksten Ausdrücken
gegen die bischöfliche Verfassung der englischen Kirche, als
ein Hindernis für die religiöse Reform und schädlich für den
Staat, erklärt und auf das bestimmteste ihie Aufhebung ver-
heissen. Im Anfang des Jahres 1643 passirte eine Bill des
Inhalts beide Häuser, und man beeilte sich, sie unter die
Friedens-Bedingungen aufzunehmen, die man eben damals im
Begriff war dem König vorzulegen (^). Der tiefgreifende Be-
schluss, welcher die gesannnte alte Organisation der Kirche
so gut wie über den Haufen warf, ehe man sich die Grundzüge
einer neuen klar gemacht hatte, wai-, wie jene Deklaration,
Presbyterianische Hoffnungen. 193
wesentlich diircli die Anmahiimigen der Schotten hervorgerufen
worden (\. Allerdings hätten die Häupter des schottischen
Preshyterianisnuis es noch lieber gesehen, wenn die Brüder in
England sich sofort über eine allgemein verbindliche Form
der Kirche schlüssig gemacht hätten, welche derjenigen ihres
eigenen Landes angepasst gewesen wäre. Sie verhehlten
keineswegs, dass nach ihrer Ansicht die presbyterianische
eben den göttlichen Ursprung habe, den sie der bischöflichen
absprachen , und dass ihnen zur Erhaltung des Friedens in
allen Reichen des Königs die Aufstellung eines einzigen Glau-
bensbekenntnisses, eines.einzigen Rituals, einer einzigen Kirchen-
verfassung Avünschbar erscheine. Schon hatte Alexander Hen-
derson sich daran gemacht ein solches Programm zu entwerfen,
das der Ansicht des englischen und schottischen Volkes in
gleicher Weise genügen könne, und er war nur deshalb von
dem Unternehmen abgestanden, weil es ihm doch zweifelhaft
geworden war, ob England geneigt sein werde, den schottischen
Presbyterianismus ohne unvorherzusehende Aenderungen anzu-
nehmen (^j. Immerhin malte sich in den Köpfen der eifiigen
schottischen Presbyterianer das Bild der zukünftigen englischen
Kirche als eine möglichst getreue Kopie ihrei" eigenen aus.
Sie rechneten für die Verwirklichung desselben auf die sym-
pathische Stimmung des englischen Bürgerstandes m der Haupt-
stadt. Sie zählten auf die Beschlüsse der grossen Synode,
welcher die Aufgabe zufiel, nach dem Xiederreissen des
Episkopalbaues etwas anderes an seine Stelle zu setzen.
Schon längst war der Zusammentritt einer solchen Synode
in Aussicht genommen. Unter den Petitionen, die dem Parla-
mente zugekommen waren, war auch dieser Gegenstand nicht
vergessen. In der grossen Remonstranz war ein entsprechen-
der Artikel aufgenonunen worden. Die neunzehn Propositionen
hatten auf ihn hingedeutet. Die Deklaration vom 10. Sept.
hatte ihn wiederholt, und immer war die Meinung gewesen, in
einer solchen Versammlung sich auf den Beirath einiger ge-
lehrter Mitglieder der schottischen Kirche zu stützen. Auch
hatte das Parlament schon im Frühjahr 1642 Anstalten ge-
troffen, um eine Bill vorzubereiten, die den Beginn der Synode
Stern, Milton u. s. Zeit.. I. 2. 13
I
X94 .lierufung einer Synode.
ermöglichen sollte. Eine Namensliste von Männern, die für
das beabsichtigte Werk geeignet erschienen, wurde entworfen,
der Art, dass das Unterhaus für die einzelnen englischen Graf-
schaften, London und die Universitäten besonders gerechnet,
in Vorschlag gebrachte Persönlichkeiten auswählte, das Ober-
haus seine Zustinunung gab und das Recht erhielt von sich
aus vierzehn hinzuzufügen. Der Bruch mit dem König, der
Beginn des Krieges verzögerten die Ausführung. Erst am
12. Juni 1643 erschien eine Ordonnanz beider Häuser, die den
Zusammentritt der Synode auf den 1. Juli 1643 ansetzte. Der
Zweck der Versammlung war hier deutlich bezeichnet. Die
Berufenen nebst denjenigen, die das Parlament aus seiner
eigenen Mitte ernannte, sollten über eine neue Kirchenver-
fassung berathschlagen, die dem Worte Gottes gemäss, für die
Herstellung des inneren Friedens geeignet und einer Annähe-
rung an die Form der schottischen Kirche und der anderen
reformirten Gemeinschaften fähig sei. Gleichsam eine
konstituirende Versammlung für die Fragen von Verfassung
aber auch von Dogma und Ritus der Kirche, ähnlich jenen
grossen Koncilien früherer Zeiten, aber auf den Umkreis einer
Nation beschränkt, wünschte man zu besitzen (^).
Allein dieser Versammlung wsly jede Möglichkeit freier Bewe-
gung entzogen. Das Parlament hatte ihre Mitglieder ernannt, das
Parlament behielt sich ihre Auflösung vor. Es setzte die Zahl der
Beschlussfähigkeit auf vierzig fest, es gab der Versammlung eine
Geschäfts-Ordnung, es bestimmte den Präsidenten. Die Gegen-
stände der Berathung wurden der Versammlung von den beiden
Häusern oder von einem allein zur Begutachtung vorgelegt.
Ohne ihre Erlaubnis war eine Veröffentlichung der Debatten
verboten. Ohne ihre Zustimmung erhielt kein Beschluss bin-
dende Kraft. Auch die Ansicht der Minorität war ihnen auf
deren Verlangen mitzutheilen, auch von dem Dissens eines
einzelnen Mitgliedes konnten sie Kunde fordern. Sehr unähn-
lich der General Assembly des Nachbarlandes, war diese engli-
sche Versammlung dazu bestimmt, ein blosser Debattir-Klub
zu werden, ein Geschöpf des Parlamentes, d. h. der damaligen
Staatsgewalt. Eine solche Plinschränkung des Grundsatzes
Beruf iiug einer Synode. ^ 1U5
kirchlicher Selbstbestimmung erklärte sich zum Theil aus dem
Hass, den die Gewaltsamkeiten des Laud'sclien Systems, wie
sie namentlich in den geistlichen Gerichtshöfen hervorgetreten
waren, auf sich geladen hatten. Man wünschte sich auf jede
Weise vor der Wiederkehr ähnlicher Zustände zu schützen,
ohne sich klar darüber zu sein, dass sie eben nur durch die
Hilfe möglich geworden waren, welche der Staat der Kirche
geliehen hatte. Zum Theil aber war es wohlerwogener Grund-
satz, dem mau mit vollem Bewusstsein folgte, die Kirche in
allem und jedem vollständig dem Willen des Staates unter-
zuordnen und jene Synode unter dem Gesichtspunkt einer
Kommission von Sachverständigen zu betrachten, deren Vor-
schläge man sich vorbehielt anzunehmen oder zu verwerfen.
Namentlich einige der hervorragendsten Juristen waren
einer Lehre zugethan, die den Vorzug der Einfachheit zu haben
schien, indem sie jeder Zweiseitigkeit der Gewalten entgegen-
trat, und auf welche noch dazu der ganze Verlauf der engli-
schen Reformations-Geschichte hinwies. Gewissermassen Vor-
läufer von Hobbes, betonten sie in erster Linie die Ansprüche
der Staatsgewalt, unter deren Aufgaben auch die Organisation
des kirchlichen Lebens falle. Bulstrode Whitelocke gehörte
zu ihnen, dem es niemals schwer fiel, die eben vorliegende
Sache mit juristischen Gründen zu vertheidigen, der gelehrte
John Seiden, welcher daneben in dogmatischen Fragen einen
ausserordentlich freien Standpunkt einnahm u. a. m. Wenn
die strengen Presbyterianer sich dadurch verletzt fühlen mussten,
dass auf dieser Seite häutig eine skeptische Anschauung reli-
giöser Probleme durchbrach, und dass das göttliche Recht jeder
kirchlichen Verfassungsform, also auch der von ihnen verfoch-
tenen, geläugnet wurde, so konnten sie sich darin mit jenen
Anhängern der Staats- Allmacht verstehen, dass es nur eine
Kirchenform geben dürfe, der sich die Masse unterzuordnen
habe, eine National-Kirche, vom Staate gestützt und erhalten.
Man hätte gewünscht einige Anhänger des P^piskopal-
Systems-, darunter Bischof Ussher in der Versammlung zu haben,
um auch diese Partei vertreten zu sehn. Indessen die Männer,
welche man mit Piücksicht darauf ausgewählt hatte, erschienen
13*
196 Eröffnung der Westminster-Synode.
entweder gar nicht oder verschwanden sehr bakl, ziiinal es
der König an einer Proklamation gegen die Beschlüsse der
Versammlung . nicht fehlen liess. Um so bedeutsamer trat in
kurzem eine kleine Gruppe von Puritanern hervor, die sich,
im Gegensatz zur übrigen Masse, zu ganz eigenartigen Ge-
danken über die Fragen der Kirchen -Verfassung erhob.
Noch w^ar die Zahl der Erschienenen sehr klein, noch
konnte man von den verschiedenen Parteien kein klares Bild
erhalten, als am festgesetzten Tage, dem 1. Juli 1643, die
feierliche Eröifnung der Synode durch einen Gottesdienst in
der Kapelle Heinrichs VIT. von Westminstcr-Abtei im Beisein
beider Häuser des Parlamentes stattfand. Vor allem die Ab-
geordneten aus Schottland, auf deren Herbeiziehung man so
grossen Werth legte, wurden damals und in den nächstfolgen-
den Sitzungen noch vermisst. Erst der Verlauf, den die poli-
tischen Angelegenheiten nahmen, führte sie nach England zu
jener Westminster-Synode, wie die Versamndung von ihrem
ersten Sitzungslokale in der Folge genannt wurde. Der Gang
des Krieges liess es den parlamentarischen Führern immer
nöthiger erscheinen die Hilfe der Schotten zu erlangen, die
sich bis dahin neutral gehalten hatten. Es war der Haupt-
gedanke John Pym's, und die Ereignisse des Sommers 1643
waren ganz dazu angethan, ihm neue Anhänger zu gewinnen.
Wenn für staatsmännische Köpfe wie Pym die politische Noth-
wendigkeit eines solchen Bundes massgebend war, so erblickten
die eifrigen Presbyterianer Englands nur in ihm eine sichere
Gewähr für die Durchführung ihres kirchlichen Systems. Auch
die Schotten waren geneigt aus ihrer Zurückhaltung heraus-
zutreten. So gross die Zugeständnisse gewesen waren, die
Karl I. den schottischen Magnaten und der presbyterianischen
Geistlichkeit gemacht hatte, so kannte man doch den Charakter
des Königs hinlänglich genau, um nicht, bei entschiedenem
Triumph seiner Waffen in England, für die Fortdauer der er-
kämpften Rechte zu fürchten. Schon waren die alten Gegensätze
zwischen den Hamiltons und Argyles wieder in voller Schärfe
zum Vorschein gekommen. Von Montrose, der im Verkehr
mit der Königin st md, war im eigenen Lande das Schlimmste
Eröffnung der Westminster-Synode. 197
ZU erwarten, über eine Verbindung des Königs mit den irischen
Rebellen dachte man argwöhnischer als je. Auch hier wirkten
politische und religiöse Interessen nebeneinander. Im Juni 1643
trat gegen den Willen des Königs die Ständeversammlung in
Edinburg zusammen. Der König suchte ihr wenigstens einen
bestimmten Kreis von Berathungs-Gegenständen vorzuschreiben.
Sie hielt sich daran nicht gebunden und riss sich vollständig
von der königlichen Autorität los, indem sie den Abschluss
einer Allianz mit der parlamentarischen Pai'tei in England
in's Auge fasste. Indessen eine solche Allianz hatte auch
ihren Preis. Wenn sich die Schotten dazu entschlossen, ihr
Blut in dem englischen Bürgerkrieg zu vergiessen, so wollten
sie damit auch für sich einen dauernden Zustand des Friedens
erkämpfen. Nach den Erfahrungen, die sie gemacht hatten,
schien ihnen dies Ziel unerreichbar, wenn nicht auch in England
und Irland dieselbe Kirchenverfassung durchgeführt werde, die
sie selbst zu schaffen und zu schützen gewusst hatten. Nicht
nur eine Garantie ihrer eigenen kirchlichen Unabhängigkeit
sollte ihnen genügen, das englische Volk hatte sich zu ver-
pflichten, gleich weit entfernt von der Duldung des Bisthums.
das man soeben gestürzt hatte, und von der Duldung der unab-
hängigen religiösen Gemeinschaften, die im Entstehen waren,
ein möglichst getreues Nachbild des Presbyterianismus in's
Leben zu rufen, der nur in Schottland nationale Wurzeln hatte.
Die Einigung der Pteiche, wie die Stuarts sie angestrebt hatten,
sollte, sich somit auf anderem Wege vollziehen. —
Es war die Aufgabe der englischen Kommissäre des Par-
laments und der Westminster-Synode, welche im Juli 1643
den Seeweg nach Schottland einschlugen, die dortige Stände-
Versammlung und General Assembly zum Abschluss einer poli-
tischen Allianz zu bewegen, ohne sofort die ganze Zukunft
der englischen Kirchen-Verfassung der Willkür der Schotten'
Preis zu geben. Vorzüglich dem Geschick des jungen Henry
Vane, des hervorragendsten der parlamentarischen Abgesandten,
war es zu danken, dass man eine Formel fand, die den Ab-
sichten der Schotten genügte, während er selbst den Grund-
satz der Gewissensfreiheit, den er vertrat, damit zu wahren
198 Liga und Covenant mit Schottland.
lioffte. ^ Neben ihm tragen die Abgeordneten der Westminster-
Synode nach Kräften dazu bei, die Schwierigkeiten zu ebnen :
der eine, Philip Nye, der den kirchlich-politischen Anschau-
ungen Vane's nicht fern stand, der andere, jener Stephen
Marshall, Milton's Bekannter, den seine geachtete Stellung
unter den Presbyterianern der Heimat zu dieser Mission be-
stimmt hatte (^). Alexander Henderson, dem Leiter der General
Assembly, fiel die Aufgabe zu, den Entwurf der wichtigen
Urkunde abzufassen. Er gieng auf das Vorbild des „Covenant"
zurück, der bis dahin nur eine nationale Bedeutung gehabt
hatte. Schon darin war der religiöse Charakter des Vertrages,
wie die Schotten ihn aufgefasst wissen wollten, deutlich aus-
gesprochen. Es bedurfte erst der Zufügung des Ausdrackes
„Liga" um auch die politische Bedeutung des Aktenstückes,
auf die es den Engländern in erster Linie ankam, klarzustellen.
„Liga und Covenant", wie das Dokument nunmehr hiess, von
General Assembly und Ständen in Edinburg mit Enthusiasmus
begrüsst, hatte gleichfalls die Form eines Eides, zu dem sich
Laien und Geistliche der Reiche England, Schottland, Irland
verbinden sollten. Der Schwur zielte vor allem ab auf die
Erhaltung der reformirten Kirche in Schottland gegen die
gemeinsamen Feinde, auf eine Pteformatiou der Religion in
England und Irland nach Dogma, Ritus, Verfassung „gemäss
dem Worte Gottes — die Aufnahme dieser dehnbaren
Klausel hatte Vane durchgesetzt — und gemäss dem Muster
der besten reformirten Kirchen", auf die engste Verbindung
der Kirchen der drei Königreiche im Glaubensbekenntnis,
rituellen Vorschriften und äusserer Organisation. Die Urkunde
enthielt demnächst die Verpflichtung hinzuwirken auf Vertil-
gung von „Papismus , Prälatenthum , Aberglauben, Ketzerei,
Schisma, Profanation". Sie nahm endlich eine energische Ver-
•theidigung der Privilegien der Parlamente und der Volks-
freiheiten, „der Person und Autorität des Königs", in Verthei-
digung dieser Freiheiten und der „wahren Religion", Bestra-
fung der Malignanten „die den König von seinem Volke trennen",
Herstellung eines dauernden Friedens in Aussicht, unter ent-
Liga und Covenant mit Schottland. 199
schiedener Verwahrung, als denke man daran, die monarchische
Prärogative zu schmälern.
Da man sich der Annahme dieses Vertrages auch durch
das englische Volk versichert halten konnte, so zögerte man
in Edinburg nicht länger Abgeordnete auszuwählen, die nach
dem längst geäusserten Wunsche der Engländer an der West-
minster-Synode Theil nehmen sollten. Noch ehe sie in London
erschienen, war „Liga und Covenant" dort bekannt geworden.
Die Berathungen von Synode und Parlament hatten zur Folge,
dass man in dem Artikel, der zur Bekämpfung des Pi'älaten-
thums verpflichtete, dies Wort ausdrücklich im Sinne der bis-
herigen anglikanischen Hierarchie interpretirte, ein Zugeständnis
an diejenigen Engländer, welche wenigstens mit dem l)ischöf-
lichen Titel nicht unbedingt brechen wollten. Alle Bedenken
waren nunmehr beseitigt, und mit religiösem Ernste schickte
das englische Volk, soweit es auf Seiten des Parlamentes stand,
sich an, den feierlichen Pakt mit den Schotten zu beschwören.
Synode und Parlament machten den Anfang. Am 25. Sept.
leisteten die Mitglieder des Unterhauses und der Westminster-
Versammlung in der Kapelle St. Margaret den Eid und setzten
ihre Namen auf das Pergament. Die Lords folgten nach. In
den Pfarrkirchen wurde das Aktenstück von den Kanzeln ver-
lesen und unterschrieben. Eine spätere Verfügung des Par-
lamentes (Feb. 1644) gieng dahin, dass jeder Mann, der das
achtzehnte Jahr überschritten habe, selbst über die Grenzen
der britischen Inseln hinaus, zur Unterzeichnung anzuhalten
sei. Den Generalen und Festungs- Kommandanten wurden
Abschriften zugesandt, um sie in Umlauf zu setzen. Die Namen
der sich Weigernden sollten bemerkt werden, sie galten als
„Malignanten" und hatten üble Folgen zu gewärtigen. Auch
Milton hat, wie wir wissen, seine Unterschrift gegeben (i).
Wenn in England dennoch mancher dieser gewaltsamen Probe
seiner Gesinnungstüchtigkeit sich zu entziehen wusste, so gieng
man in Schottland mit wahrer Begeisterung an die Beschwö-
rung und Unterzeichnung. Laien und Geistliche, Adel und
Bürger drängten sich zu dem Werke, das ihnen ein gottge-
fälliges zu sein schien, die Tage der freudigen Aufnahme
200 Kriegsereignisse und Rüstungen.
des nationalen Covenant von 1638 schienen wiedergekehrt,
nur dass es sich dies Mal um einen Bund mit den Brüdern
in England handelte. Alles dies war nur Vorbereitung der
materiellen Hilfe, die das englische Parlament von Schottland
erwartete. Ein schottisches Heer sollte haldmöglichst die
Grenze überschreiten und jene nördlichen Grafschaften schützen,
in denen die Sache des Royalismus so grosse Erfolge davon-
getragen hatte. Der Sold und Unterhalt dieses schottischen
Hilfsheeres war von England zu bestreiten, wo man, gedrängt
durch die Noth, vor mannichfachen Erpressungen, die sich
gegen die „Delinquenten" und „iNIalignanten" richteten, ja
selbst vor Einführung der Accise nicht zurückgeschreckt war.
Iiulem man mit Sehnsucht der schottischen Hilfe ent-
gegensah, hatte man auch die Genugthuung, die kritische
Lage, welche der Schauplatz des Krieges im Sommer 1C43
darbot, allmählich zu überwinden. Im August und Anfang
September richtete sich die hauptsächhche Theilnahme auf
das Schicksal der Stadt Gloucester, zu deren Belagerung der
König selbst sich aufgemacht hatte. Die Bürgerschaft leistete
einen heroischen Widerstand , das Parlament machte ausser-
ordentliche Anstrengungen , und binnen kurzem war Essex
wieder fähig, mit einem 'stattlichen Heere zum Entsatz her-
anzurücken. Weder militärische Schachzüge noch Friedens-
vorschläge konnten ihn aufhalten, am 8. September hatte er
den Platz befreit und mit Vorräthen versorgt. Er beeilte
sich zum Schutze der Hauptstadt wiederumzukehren, die
durch das abgezogene Heer des Königs bedroht war. Bei
Newbury suchte ihm dieses am 20. September den Weg zu
versperren. Indess so tapfer hielten die londoner Milizen den
Anprall von Rupert's Reiterei aus, so wirksam zeigte sich
Essex' Geschütz, dass ihm der Feind das Schlachtfeld über-
liess und seinen Marsch nach Osten nicht zu stören wagte.
Der Kampf hatte dem König einen seiner edelsten Verthei-
(liger geraubt, Lord Falkland. Er fiel, des tragischen Schau-
spiels überdrüssig, in dem er selbst eine Rolle übernommen
hatte, die seiner weichen Natur widerstrebte. Am Tage nach
der feierlichen Annahme des Covenant hielt Essex seinen
Krie£;;sereiguisse und Rüstungen. 201
Einzug in London. Er wurde mit Ehren überhäuft, als Retter
des Vaterlandes begriisst, alle seine früheren Missgriffe waren
vergessen. Dennoch waren die übrigen parlamentarischen
Armeen nur dem Namen nach seinem Kommando unterstellt.
In Wahrheit gewannen sie immer grössere Selbstständigkeit
und empfiengen vom Parlament in letzter Linie ihre Befehle:
das in der Bildung begriffene Heer des populären William
W^ aller, für die Aktion im Süd-W^esten bestimmt, das Nord-
heer unter den beiden Fairfax, die Macht der östlichen Graf-
schaften, in welcher Crom well's Genius wirkte. Seit kurzem
hatte der Graf von Manchester, wie er nach dem Tode seines
Vaters hiess, einst als Lord Kimbolton durch den Staats-
streich Karl's L zugleich mit den fünf Gemeinen bedroht, auf
diesem Schauplatz das höchste Kommando übernommen. Noch
im Oktober 1643 wurde Lincolnsliire vollständig von den
Royalisten gesäubert und in die Association der östlichen
Grafschaften eingereiht. Ci-omwell , der auch hier das Beste
gethan, dessen Leben im Gefecht in äusserster Gefahi- ge-
schwebt hatte, rückte bald darauf zum. General -Lieutenant
Manchesters airf und setzte seine erfolgreiche Thätigkeit fort.
Der Marquis von Newcastle sah sich genöthigt, die Belage-
rung von Hüll aufzugeben, wo er Lord Fairfax eine Zeit lang
eingeschlossen hatte. Auch hier schien somit eine günstigere
W^endung für die Sache des Parlamentes einzutreten.
Aber auch der König war niclit unthätig geblieben. Den
Covenant brandmarkte er als aufrührerisch und liochveri-ätlie-
risch. Hatte sich das Parlament dadurch mit den Schotten
verbunden, so scheute er vor einer Annäherung an die irischen
Piebellen nicht zurück. Graf Ormond, Protestant, aber von
puritanischen Tendenzen völlig entfernt, an Stelle des zurück-
gehaltenen Grafen Leicester Befehlshaber der englischen Streit-
kräfte auf der grünen Insel im Namen des Königs , wusste
nicht nur den Aufständischen mit Energie entgegenzutreten,
sondern auch jedes Eingreifen dei' parlamentarischen Behör-
den und Anhänger zu verhindern. Er brachte alsdann den
Abschluss eines Waffenstillstandes auf ein Jahr zu Wege, und
erreichte sogar vom irischen Rath zu Kilkenny, der es nie-
202 Kriegsereignisse und Rüstungen.
mals an Versicherungen der Loyalität hatte fehlen lassen,
eine Subsidien - Bewilligung von 30,000 i^ (September 1643).
Zehn Regimenter, welche bis dahin gegen die Aufrührer im
Felde gestanden, wurden nach England übergeführt, um dort
unter den Fahnen des Königs gegen die Truppen des Parla-
mentes zu kämpfen. Der Abscheu, den die Nachricht von
diesen Vorgängen in England erregte, war um so grösser, da
man Grund zu der Befürchtung hatte, dass sich unter jenen
Regimentern mordlustige, papistische Iren einschleichen und
bald in grösserer Zahl als Söldner des Königs nachfolgen
würden. Auch fühlten sich danach nicht wenige Anhänger
des Königs bewogen, seine Sache zu verlassen. Um dieselbe
Zeit war der feurige Montrose bei der königlichen Familie in
Oxford augelangt. Er hatte längst zur Ueberführung eines
irischen Kontingentes nach Schottland gerathen und sich an-
heischig gemacht, mit seiner Hilfe den schottischen Covenan-
ters in den Rücken zu fallen. Seine Vorschläge wurden von
Karl I. damals mit Wärme aufgenommen, während sich Ha-
milton, dessen diplomatisches Verhalten gegenüber der Partei
des Covenants den leidenschaftliehen Höflingen zweideutig er-
schien, Verhaftung gefallen lassen musste. Unter die Mittel
moralischer Verstärkung der Stellung des Königs mochte
man rechnen, dass er sich Anfang 1644 überwand, für
kurze Zeit ein Gegenparlament in Oxford zu versammeln.
Eine sehr bedeutende Zahl von Mitgliedern des Unterhauses
war zu ihm übergegangen, die Zahl der Loids, welche sich bei
ihm eingefunden hatten, war bei weitem grösser, als die der
in London zurückgebliebenen, welche ganz und gar zu zer-
schmelzen drohte. Wenn der Versuch dieser oxforder Ver-
sammlung, den Frieden herbeizuführen, auch scheiterte, so war
sie doch immer gut genug, zur Auflage einiger Steuern
ihre Zustimmung zu geben.
Auf beiden Seiten war man somit zu dem Feldzug von
1644 gerüstet, in den kraft Liga und Covenant die Schotten
einzugreifen hatten. — Der Mann , welchem vor allen das
Verdienst gebührte, diese Wendung herbeigeführt zu haben,
hat die Entwicklung der Ereignisse nicht mehr erlebt , die
Tod Pym's. 203
seine Meisterhand vorbereitet hatte. Am 8. December 1643
war John Pym, dessen Kräfte fast übermenschliche Anstren-
gungen ausgehalten hatten , hinweggerafft worden. Wohl
wussten die Royalisten, warum sie der Nachricht seines Todes
zujauchzten, wie die Parlamentarier, was sie an ihm verloren
hatten. Die Grabrede, welche Stephen Marshall vor den Mit-
gliedern beider Häuser, der Synode und einer klagenden
Menge hielt, gab diesem Gefühl einen würdigen Ausdruck (^).
Der Leichnam ward in der Abtei von Westminster bestattet.
Das Parlament votirte zehntausend Pfund, um die Schulden
zu decken, die das grpsse Mitglied des Unterhauses im Dienste
des Vaterlandes gemacht hatte.
Während diese Ereignisse die Gemüther beschäftigten,
hatte sich die Westminster -Synode, seit dem Eintritt der
kälteren Witterung in die sogenannte Jerusalem -Kammer
verpflanzt, mit Eifer an ihr Werk gemacht. Als erstes Ge-
schäft hatte das Parlament ihr eine Kevision der neunund-
dreissig Artikel vorgeschrieben. Schon waren ihre Committees
wie das Plenum daraufhin in voller theologischer Arbeit be-
griffen, als im Oktober 1643 eine neue parlamentarische Ver-
fügung die schleunige Beschäftigung mit anderen Gegenständen
erforderte. Wollte man dem mit den Schotten abgeschlossenen
Vertrage genügen, so war es nöthig, den Plan einer neuen
Kirchenverfassung und gottesdienstlichen Ordnung vor allem
übrigen in Angriff zu nehmen. Eben darauf waren die An-
weisungen des Parlamentes gerichtet, und Monate lang wur-
den nun die Fragen der urkirchlichen Pegierungsform und
Aemter, der Ordination und Disciplin , der Liturgie und der
Ceremonieen, Fragen, welche die Milton'schen Streitschriften
sämmtlich berührt hatten, mit allem dem Aufwand von kir-
chengeschichtlichen und sprachwissenschaftlichen Kenntnissen
erörtert, wie sie einem so gelehrten Zeitalter und einer so
gelehrten Versammlung anstanden. Aber die wichtigste dieser
Fragen, welche sich auf die Verfassung bezog, war der Art,
204 Parteien in der Synode. — Presbyteriauer.
(lass sie die Gegensätze in voller Schärfe an's Licht bringen
musste, die in der Synode vertreten waren. Erst jetzt wurde
es möglich, die einzelnen Gruppen, in die sie zerfiel, von ein-
ander zu sondern. Berufen zur Reform der englischen Kirche,
enthielt die Versammlung, ursprünglich auf anderthalbhundert
^litglieder berechnet, im Laufe der Zeit in ihrem Bestände
vielfach geändert, sehr natürlich grösstentheils Männer des
geistlichen Standes. Indessen hatte das Parlament Sorge ge-
tragen , aus seinen beiden Häusern eine Anzahl von Laien
allzuordnen, und auch in der schottischen Deputation war das
Laienelement vertreten. Für die Scheidung der Parteien war
dieser Gegensatz von Klerikern und Laien freilich gleich-
giltig, da hier tiefere Gründe, in den allgemeinen Anschau-
ungen gelegen, in Frage kamen.
Es konnte kein Zweifel darüber sein, dass man nach dem
Wegfall der Freunde des Prälatenthums drei Gruppen in der
Synode zu unterscheiden hatte. Die erste wurde durch die
Anhänger des Presbyterianismus gebildet. An ihi-er Spitze
standen als Presbyteriauer von strengster Observanz die De-
putirten aus Schottland, die sich freilich nicht eigentlich als
Mitglieder bezeichnet wissen wollten, aber fast sämmtlich
kraft ihrer Nationalität, Gelehrsamkeit und Beredtsamkeit
den grössten moralischen Einfiuss ausübten. Alexander Hen-
derson, der erprobte Kämpe der schottischen Kirche, der seit
lange auch auf den Gang der Staatsgeschäfte eingewirkt hatte,
war gleichsam ihr oberster Anführer. Drei hervorragende
Theologen, Rutherford, Gillespie, Baillie, bildeten seinen Stab.
Zwei derselben waren der Bevölkerung Londons gleichfalls
nicht fremd: Gillespie, dem wir werth volle Aufzeichnungen
über die Synode verdanken, und Baillie, dessen Feder auch
jetzt unermüdlich war, festzuhalten, was er erlebte. Auch
die Laien- Aeltesten, welche Schottland seinen Grundsätzen
völlig getreu nach London entsandt hatte, Lord Maitland und
Johnstone von Warriston, nahmen an den Verhandlungen leb-
haften Antheil. Gelegentlich erschienen auch andere, und
unter ihnen Argyle, auf den Bänken der Synode. Von <leu
englischen Geistlichen standen unzweifelhaft die fünf Ver-
Presbjterianer. 205
fasser des Smectyiiinuus , Milton's Fi-eunde, die sämmtlich in
die Synode berufen worden waren , jenen strengen schottischen
Presbyterianern am nächsten. Ihr Anselien war beständig ge-
wachsen , bei den wichtigsten Anhässen wurden ihre Talente
gebraucht, und Männer wie Young, der alte Lehrer Milton's,
Calamy, Marshall gehörten zu den thätigsten Mitgliedern der
Versammlung- (1). Nur mit dem letztgenannten war der strenge
Presbyterianer Raillie nicht immer zufrieden (^j. Eine über-
wältigende ^lajorität ihrer Amtsbrüder, in der man die ehr-
würdigsten Namen zählte, stand auf ihrer Seite, obgleich'
einige von der unbedingten Noth wendigkeit der Einführung
und der grossen Ausdehnung der Befugnisse von Laien -Ael-
testen nicht so ganz überzeugt waren, andere wenigstens den
bischöflichen Namen, wennschon in einer vom Früheren ganz
abweichenden Bedeutung, gerne gerettet hätten. Immerhin
gaben diese in entscheidenden Momenten ihren Widerspruch
auf, um sich von den Verfechtern des strengen Presbyterial-
Systems nicht zu trennen. Einige dei* Abgeordneten des
Parlamentes, u. a. von den Lords Manchester und der Anfang
1644 hinzugefügte Essex, Maynard und Clotworthy von den
Gemeinen, wenn sie den Sitzungen beiwohnen konnten, liehen
eben dieser Partei ihre Unterstützung. In den bürgerlichen
Massen der grossen Städte, vor allem Londons, aber auch
unter dem hohen und niederen Adel hatte sie einen unver-
ächtlichen Anhang.
Eine zweite Gruppe bildeten die Erastianer, wie man
sich gewöhnte, sie nach jenem Erastus des sechzehnten Jahr-
hunderts zu nennen, Männer, welche die theologischen Be-
rathungsgegenstände vorwiegend vom politischen Gesichtspunkt
aus betrachteten und aus der Kirche wiederum eine Einrichtung
des Staates zu machen wünschten. Ihre Zahl konnte sich
nicht im entferntesten mit der der Presbyterianer messen.
Doch war ihre Bedeutung nicht gering. An Gelehrsamkeit
durften ihre Mitglieder es unschwer mit jenen aufnehmen, an
Schärfe waren sie ihnen nicht selten überlegen. Hier glänz-
ten die rechtsgelehrten ]\Iitglieder des Unterhauses St. John
und Whitelocke. Sie wurden noch überstrahlt von John Sei-
206 Erastianer. — Independenten.
den, der sich darin gefiel, durch seine ausgebreiteten Kennt-
nisse und seine unverhohlene Skeptik die schwerfällige Gelehr-
samkeit der presbyterianischen Geistlichen zu verwirren, nach
Cleveland's Worten ein Mann, „in dem mehr Theologen
steckten als in dem ganzen Sanhedrin" ('). Abei- auch zwei
Kleriker, Coleman und Lightfoot, wie Seiden gross als Orien-
talisten, theilten dieselben Ansichten über das Verhältnis von
Kirche und Staat, und waren immer schlagfertig, Beweise
dafür beizubringen, dass „wie bei den Juden Staat und Kirche
eins gewesen, so auch in England das Parlament die Kirche
sei" (^). Die grosse Stärke dieser Partei lag ausserhalb der
Versammlung. Sie wusste, dass das Parlament, nachdem es
sich ein Mal in Besitz der kirchlichen Gewalt gebracht hatte
und selbst die Synode in strengster Abhängigkeit hielt, zum
grössten Theile den erastianischen Grundsätzen huldigte,
wennschon sehr viele seiner Mitglieder zugleich in vielen
Punkten presbyterianisch gesinnt waren. Gelang es in dem
W^erke, zu dem man vereinigt war, beides zu verbinden, so
waren die Gründe des Zwiespalts zwischen Männern wie Hen-
dersou und Lightfoot hin weggefallen.
Aber eine dritte, an Zahl noch kleinere Gruppe war vor-
handen, die sozusagen in kirchlich -politischen Dingen eine
ganz andere Sprache redete wie die Presbyterianer, und mit
deren Mitgliedern daher eine Verständigung fast unmöglich war.
Sie leben in der Geschichte fort unter dem Namen der Indepen-
denten, ein Name, welcher das Wesen dieser Partei treffend be-
zeichnete und die frühere Benennung Brownisten, sowie die
andere Kongregationalisten allmählich verdrängte f/'). In der
That knüpfen sie an die Ideen jenes Robert Browne an (s. o.
B. I. S. 8), die in England gewaltsam verfolgt, an anderer Stelle
ein Asyl gefunden hatten und während der Regierung Jakob's
und Karl's I. zu welthistorischer Bedeutung gewachsen waren.
Zunächst in dem duldsamen Holland hatten sich kleine Ge-
meinden Geflüchteter gebildet, unter deren Geistlichen John
Robinson in Leyden durch Talent und Charakter hervorragte.
Indem er bis zu seinem Tode 1625 mit Wort und Schrift für
die Gedanken wirkte, deren Verlheidigung ihn mit so vielen
Die Independenten in Holland. — John Robinson. 207
anderen des Vaterlandes beraubt hatte, gab er dem leiden-
schaftlichen, negirenden Brownismus eine lebensfähige, positive
Gestalt. Er hütete sich, gleich einem seiner Leidensgenossen,
John Smyth, den Gegensatz zur anglikanischen Kirche so weit
zu treiben, dass er eine Wiedertaufe für nöthig erachtete,
womit denn der Weg zur grundsätzlichen Verwerfung der
Kindertaufe gewiesen war, aber er hielt mit aller Entschie-
denheit an den Grundgedanken des Brownismus fest und bil-
dete sie weiter aus. In Beti-eff der Verfassung behauptete er
das Recht der Autonomie jeder Gemeinde, jeder „Kongrega-
tion", die ihm schon da als vorhanden galt, „wo zwei oder
drei Gläubige sich von der Welt trennen, um sich zur Ge-
meinschaft des Evangeliums und zum Bunde Abraham's zu
vereinigen" (^). Diese Autonomie widersprach nicht einer ge-
legentlichen Zusammenfassung der einzelnen Kongregationen
zum Zweck gemeinsamer, unverbindlicher Berathungen, aber
sie widersprach der Unterordnung dieser Kongregationen „unter
eine höhere geistliche absolute Autorität ausser der Christi
und der heiligen Schrift". Sie trat dem Begriffe einer Lan-
deskirche, einer Abstufung nach Provinzen und Diöcesen feind-
lich gegenüber und wünschte die ganze historisch gewordene
Organisation des kirchlichen Lebens in freie (independeute)
Gemeinden aufzulösen, die ohne irgend welche Nöthigung nach
reinem Belieben in nähere Verbindung treten könnten. Wie
sich hierin der individuelle Anspruch dem Zwange äusserer
Autorität entgegensetzte, den man in der Heimat hatte er-
dulden müssen, so wirkte eben dieser Geist der Selbststän-
digkeit in der Ausgestaltung der einzelnen Kongregation und
führte zu demokratischen Bildungen, wie sie der Calvinismus
im Princip wohl zugegeben, in der Praxis aber immer ab-
geschwächt hatte. Die Schlüsselgewalt, als deren Inhaber die
Katholiken den Pabst, die Anglikaner die Bischöfe, die Pres-
byterianer das Presbyterium betrachteten, lag nach Robinson
in der gesammten Gemeinde (2). „Jeder Christ ist, nach den
Worten des Henry Ainsworth zu Amsterdam, ein König und
Priester Gottes, um die Sünde auszuspähen, zu rügen und zu
vertilgen" (^). Der urreformatorische Gedanke vom allgemei-
208 Die Independenten in Holland. — John Robinson.
nen Priesterthum wachte wieder auf. Er sollte die Ein-
setzung von Kirchenbeamten, wie Pastoren für die Seelsorge,
Lehrern für religiösen Unterricht, anderen Aeltesten zur Mit-
wirkung bei Handhabung der Kirchenzucht, Diakonen für die
Verwaltung der Geldbeiträge, nicht verhindern, aber die
Gemeinde, aus deren Wahl sie hervorgiengen , sollte ihre
Souveränität nicht zu ihren Gunsten abdanken (i). Wurden für
die Wahl zum geistlichen Amt auch gewisse Fähigkeiten vor-
ausgesetzt, so gab es keine geheimnisvolle Weihe mehr. Die
Verhandlungen des Aeltesten -Kollegs waren öffentlich, die
Gemeinde hatte ihre Zustimmung zu seinen Beschlüssen zu
geben, seine Censuren zu bestätigen.
jVIan hat volles Recht, die konstitutionellen Grundsätze
dieser früheren Independenten aus dem inneren religiösen
Gedanken abzuleiten, der sie beseelte. Derselbe natürliche
Zug, der sich in so vielen der Sekten des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts findet , der Drang , das religiöse
Leben des Einzelnen zu vertiefen , alles Gewohnheitsmässige,
auf Nöthigung Beruhende fernzuhalten, beherrscht auch die
Geister jener Independenten. Als berechtigtes Glied der
Kongregation erschien nur der, welcher wahrhafte Zeichen
der göttlichen Erwählung aufweisen konnte. Eine Auffor-
derung, dem Impulse des Augenblicks zu folgen und durch
Aeusserungen religiöser Inbrunst seine Erwählung kundzuthun,
war damit gegeben, zugleich aber das Streben, jeden lästigen
Formenzwang zu durchbrechen, welcher der gemeinsamen An-
dacht dienen sollte. Wer jede ein für alle Mal vorgeschrie-
bene Gebetsform, selbst das Vater -Unser, für ersetzbar hielt
durch den augenblicklichen Erguss des jubelnden oder ge-
quälten Herzens, wer dem Einzelnen, je nachdem der Geist
ihn trieb, das Recht der Prophetie, der freien Rede zur Er-
bauung der Gemeinde, einräumte (^), der konnte ein geistliches
Privilegium, ein^n Ausschluss der Gesammtheit von der Ver-
waltung ihrer Angelegenheiten nicht anerkennen.
Man sollte glauben , der Independentismus Robinson's
und der ihm gleich Gesinnten hätte sich jede direkte Ein-
miscliuiig des Staates in die religiösen Interessen der Bürger
Ansicht über das Verhältnis von Kirche und Staat. 209
verbitten müssen. Es würde seinen übrigen Grundsätzen ent-
sprochen haben, vom Staate nichts mehr zu verlangen, als
dass er die einzelnen Kongregationen, wie wir sagen würden,
unter dem Gesichtspunkte des Vereinsrechtes betrachte, ohne
sich selbst mit ihren Aufgaben zu belasten, geschweige
denn eine bestimmte religiöse Erziehung von sich aus vorzu-
schreiben und zu leiten. Ausdrücke wie die, dass die angli-
kanische Kirche, weil ausschliessliche Staatskirche, ein „Baby-
lon" sei, schienen einer solchen Auffassung zu entsprechen,
Worte Robert Browne's selbst, allgemein gehalten wie sie
waren, schienen sie zu -rechtfertigen. Auch befanden sich in
der That die ersten Flüchtlings -Gemeinden, die in Holland
nur Duldung genossen, thatsächlich in der Lage, ganz und
gar auf ihre eigenen Hilfsmittel und die ihnen etwa inne-
wohnende geistige Anziehungskraft angewiesen zu sein. Für
die „Bedürfnisse der Kirche", und darunter den „Unterhalt"
ihrer Diener, werden „Beiträge" der Gemeinde in Aussicht
genommen (1). Und in der baptistischen Gemeinde John Smyth's,
die, von den übrigen Independenten getrennt, ihren Grund-
gedanken zu den äussersten Konsequenzen durchzuführen
wusste, scheint man bald nach dem Tode des Stifters offen
die Meinung vertreten zu haben: „Der Staat hat sich nicht
in die Angelegenheiten der Religion und des Gewissens ein-
zumischen, oder den Menschen diese oder jene Form der Re-
ligion aufzuzwingen, weil Christus der König und Gesetzgeber
der Kirche und des Gewissens ist" ^).
Allein bei den übrigen In depeii deuten herrschte über
diesen Punkt eine Unklarheit, die sich nur aus der Macht
der Gewohnheit erklärt, an den überkommenen Begriffen ver-
gangener Kulturepochen, die mit anderen der modernen Zeit
in unlösbarem Widerspruch standen, zähe festzuhalten. Der-
selbe Robinson, welcher überall sonst die Unabhängigkeit des
Individuums aufs stärkste betont, welcher die Lutheraner
deshalb tadelt, dass sie bei Luther, die Calvinisten, dass sie
bei Calvin stehen bleiben , kann sich doch nicht des Gedan-
kens erwehren, dass die Erhaltung dessen, was ihm der reine
Glaube ist, ebenso zu den Aufgaben des Staates gehöre, wie
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 14
210 Ansicht über das Verhältnis von Kirche und Staat.
die Erhaltung der öffentlichen Ordnung. „Dass eine fromme
Obrigkeit mit Zwang öffentliche und notorische Abgötterei
unterdrücken, wie auch Vorsorge dafür treffen soll, dass die
göttliche Wahrheit nach Gottes Befehl in ihren Staaten ge-
lehrt und verkündigt werde, darüber hege ich keinen Zweifel.
Vielleicht ist es ihr auch erlaubt, ihre Unterthanen bei Strafe
zu zwingen, zum Zw^ecke ihrer Belehrung und Bekehrung zu-
zuhören und die Strafe zu vollstrecken, sofern sie nach ge-
höriger Belehrung der Kirche nicht beitreten" (^). Von her-
vorragenden Independenten, die mit Ptobinson das Exil theilten,
liegen ähnliche Aeusserungen vor. Das Glaubensbekenntnis
einer londoner independentischen Kongregation, welche Henry
Jacob nach der Rückkehr in die Heimat gegründet hatte,
vom Jahre 1616, verurtheilte allerdings die erzwungenen Zehn-
ten und jede Art von Staats -Steuern zu Kultuszwecken. Es
empfahl zur Vermeidung von Heuchelei, als Mittel des Unter-
halts für den Geistlichen, freiwillige Beiträge der Gemeinde,
„womit die Apostel ihre Zeit zufrieden sein Hessen". Aber
dasselbe Bekenntnis enthielt auch den zweideutigen Satz:
„Wir glauben, dass wir und alle wahren sichtbaren Kirchen
überwacht, in Ordnung und Frieden gehalten und nächst
Christus, wenn es Noth thut, auch in Sachen der Religion durch
die weltliche Obrigkeit geleitet (governed) werden sollen" (-).
Wenn damit mehr als ein blosses Aufsichtsrecht gemeint w^ar,
wie man es dem Staate überhaupt nicht streitig machte, wenn
es nur eine Umschreilning jenes Robinson'schen Gedankens
von den religiösen Aufgaben der Obrigkeit sein sollte, so war
schwer abzusehn, wie die übrigen Grundsätze des Indepen-
dentismus mit diesem auf die Dauer sich vertragen würden.
Indessen w'ährend jene Kongregationen in Leyden, Am-
sterdam, Middelburg, Emden ein bescheidenes Dasein fristeten,
später in Arnheim, und Rotterdam, mit einiger Unterstützung
der Behörden, grössere Bedeutung gewannen, hatte sich
dem Indepcndentisraus ein anderes ungeheures Gebiet er-
öffnet, auf dessen jungfräulichem Boden seine Bedeutung
wuchs. War man in Holland auch dem hohen Kommissions-
hof, dem Kerker und dem Henker entflphen, so fühlte man
Die Pilgerväter. — New-PIymouth. 211
sich doch von einem befriedigenden Zustande weit entfernt.
Die Mitglieder von Eobinson's Gemeinde in Leyden, meistens
auf dem Lande gross geworden, hatten unter der industriellen
Bevölkerung, wo jede Stelle durch die arbeitsamen Eingebo-
renen besetzt war, mit der bitteren Noth des Lebens zu
kämpfen, Sprache, Sitten, Klima des Landes waren ihnen
ungewohnt. Vergeblich war ihre Hoffnung, hier jenes Ideal
einer heiligen, friedlichen Gemeinschaft zu verwirklichen, wenn
ihre Söhne schon begannen, un; gutes holländisches Gold sich
anwerben zu lassen, um im Lager die Sorgen des Flücht-
lingslebens abzuschütteln. Nicht wenige schauten nach einem
günstigeren Asyle aus. Die Küsten jenseits des Weltmeeres
winkten ihnen um so verlockender, als es dort ein Gebiet
gab, das Territorium der Virginia -Company, auf dem man
hoffen durfte, Zuzug aus der Heimat zu erhalten, ohne, bei
gehöriger Entfernung, der eifersüchtigen Unduldsamkeit der
bisherigen Kolonisten zu verfallen. — Wie sie mit I\Iühe ein
Patent erlangten, mit knapper Noth die Mittel zusammen-
brachten, wie sie unter dem Segen Robinson's und den Ge-
beten ihrer zurückbleibenden Brüder von Delfthaven ab-
segelten, um in Southampton mit dem Rest ihrer Gefährten
zusammenzutreffen , wie ein ärmliches Schiff sie über die See
trug in eine unbekannte Wildnis, weit ausserhalb des Ge-
bietes, dessen Autorität sie zugewiesen waren, wie sie sich
selbst eine Verfassung gaben und trotz Hunger und Krankheit,
Sturm und Kälte, hinter sich das Weltmeer, vor sich die
Stämme der Indianer, an jener Felseuküste von New-Plymouth
sich ansiedelten, die ihr prüfender Blick erwählte: das alles
sind Thatsachen von so einfacher, heroischer Grösse, gleich-
zeitig Zeugnisse angelsächsischer Zähigkeit und gläubiger Zu-
versicht, dass ihrer die Geschichte niemals vergessen kann.
Wenig mehr als zwei Jahrzehnte waren seit der Ansie-
delung der Pilgerväter verflossen, als die Kolonisation jener
Küsten, von England aus, bereits einen grossartigen Aufschwung
genommen hatte. Während der Laud'schen Gewaltherrschaft,
gelockt durch kommercielle Aussichten, waren etwa zwanzigtau-
send Menschen dort angelangt, um Pflanzungen zu begründen,
14*
212 Massachusetts. Connecticut. New-Haven.
deren rechtlicher Zusammenhang mit dem Mutterlande mehr
oder weniger Idar war. Neben New-Plymouth waren, von
einzelnen vorgeschobenen Posten abgesehen, jene volkreicheren
Ortschaften an der Bai von Massachusetts, sowie die ersten
Kolonieen am Fluss Connecticut und von New-Haven erwachsen.
Indessen konnte es zweifelhaft erscheinen, ob die Ent-
wicklung der kirchenpolitischen Verhältnisse hier einen so
wesentlich anderen Gang nehmen werde wie in Europa (').
lieber das Meer getrieben durch die Härte der englischen
Hierarchie, in beständiger Angst, von ihren Emissären und von
der Regierung des Mutterlandes beunruhigt, durch das Ein-
schleichen von Papisten und Sekten in der friedlichen Aus-
bildung ihres Staatswesens gestört und des Zuzugs von Ge-
sinnungsgenossen beraubt zu werden, glaubten die puritanischen
Kolonisten regelmässig sich nicht anders schlitzen zu können,
als wenn sie die Einheit des religiösen Bekenntnisses, wie sie
es verstanden, von Staatswegen aufrecht zu halten suchten.
In Connecticut war allerdings die Aufnahme in die Vollbür-
gerschaft nicht ausdrücklich abhängig gemacht von der Zu-
gehörigkeit zu einer der innerhalb der Grenzen zugelassenen
kirchhchen Genossenschaften. Aber in Massachusetts wie in
New-Haven war dies die unumgängliche Bedingung, um der
politischen Ptechte theilhaftig zu werden. Selbst in der ur-
sprünglichen Gründung von New-Plymouth scheint für die
Ausübung des städtischen Wahlrechtes, neben dem Besitze
guten Leumundes, Rechtgläubigkeit in den Fundamenten der
Religion gefordert worden zusein. Bei ■ den anfänglichen, ein-
fachen Verhältnissen konnten kirchliche und politische Ge-
meinschaft als gleichbedeutend betrachtet werden, wie denn
der eine Ausdruck anscheinend für den anderen angewandt
wird (2). Man findet, dass die Magistrate an den Synoden
Theil nehmen, und dass die Geistlichen die vornehmsten Be-
rather der Obrigkeit sind. "V^^nn die ersten Pilgerväter eine
mildere Praxis bewahrten, so schienen die folgenden Ankönmi-
linge der einen Tliookratie nur deshalb entflohen zu sein, um
eine neue zu begründen. Es genügt, an die Gesetze gegen
Blasphemie und Idolatile, wegen Ileiliglialtung des Sabbaths
Independentismus von Neu-England. 213
und Erzwingung des regelmässigen Kirchenbesuches, an die
rücksichtslose Strenge in ihrer Durchfülirung und Anwendung,
an die Quäker- Verfolgungen und Hexen -Processe mit einem
Worte zu erinnern, um den Gedanken abzuwehren, als habe
man in den neuen Gemeinwesen des Armes der Staatsgewalt
bei der Ausgestaltung des religiösen Lebens oder zur Auf-
rechthaltung religiöser Unduldsamkeit entbehren wollen. Aller-
dings Hessen sich die puritanischen Kolonisten von idealen
Absichten leiten. Wie sie hie und da die Bibel als sub-
sidiäres, wenn nicht gar als einziges Gesetzbuch auch für die
Verhältnisse des bürgerlichen Daseins betrachteten, so sollte
dieses selbst zu einem Abbild der göttlichen Eegierung im
kleinen werden. Eben dadurch ward eine Grenzverwischung,
ähnlich der, welche man auf der anderen Seite des Oceans
bitter beklagt hatte, unvermeidlich.
Allein ein Gegensatz zwischen den kirchlichen Zu-
ständen dieser Kolonieen und denen des Mutterlandes war
vorhanden, der von folgenreichster Bedeutung wurde. Die
Verfassung der Kirche in diesen Kolonieen war independen-
tisch. Durch den Hass gegen das bischöfliche System waren
ihre Gründer vor einer Kopie dieser Form hinlänglich ge-
schützt. Aber sie hatten auch keinen Anlass, die Hierarchie
der Presbyterial -Verfassung auf den neuen Boden zu ver-
pflanzen. Es konnte nicht ohne Wirkung auf die Gesinnungen
der späteren Ankömmlinge bleiben, dass in jener ersten An-
siedlung von New-Plymouth der Geist John Robiuson's fort-
lebte. Selbst solche, die mit der ausdrücklichen Erklärung
die Heimat verlassen hatten, ihr nicht als Separatisten Lebe-
wohl zu sagen, fanden bei einer Berührung mit diesen Sepa-
ratisten, dass deren Grundsätze über die Fragen kirchlicher
Verfassung ihren eigenen sehr nahe ständen und zögerten
nicht, die thatsächliche Freiheit, deren sie sich in dieser Ent-
fernung von den heimatlichen Behörden erfreuten, gegen deren
Verfügungen auszubeuten f^). Entsprechend dem losen Ver-
bände bürgerlicher Gemeinden, auf deren lokale .Selbstvei*wal-
tung keine höhere Macht einwirkte, sahen sich die Ausgewan-
derten zum Zwecke religiöser Uebungen in autonomen Kon-
214 ludependentismus von Neu-England.
gregationen vereint, von denen keine über die andere eine
regelmässige administrative oder gerichtliche Autorität aus-
übte. Es war damit nicht gesagt, dass nicht in den einzelnen
Kolonieen, wie auch Robinson es zugegeben hatte, hie und
da gemeinsame Berathungen mehrerer Kongregationen, auch
wohl Ermahnungen der einen durch die andere, gelegentlich
selbst förmliche Synoden stattfinden könnten. Im übrigen
verwaltete jede ihre Angelegenheiten selbstständig. Sie war
frei in der Aufnahme neuer Mitglieder. Sie wählte ihre Be-
amte, für deren Bezeichnung und Wirkungskreis die mehr
oder minder scharfe Trennung des Presbyterbegriffes bedeutend
blieb. Sie beanspruchte Unabhängigkeit in der Verwaltung
ihrer Angelegenheiten und namentlich in der Erhaltung der
kirchlichen Zucht. Sie beliess jedem ihrer Genossen das
Recht der .,Prophetie" zur Lösung religiöser Zweifel und zur
Erbauung der übrigen.
Durch das blosse Dasein dieser independenten Gemeinden,
so streitig auch einzelne Fragen ihrer Verfassung sein moch-
ten, wurden weitere Abweichungen von dem, was in der
Heimat galt, vorbereitet. Dort herrschte eine am Staate auf-
gerichtete Ivirche, mit dem ganzen Zustand der Vergangenheit
verwachsen, durch Patronat und Bepfründung auf feste Besitz-
verhältnisse hingewiesen. Hier stand man, losgerissen von
jener Kette der Geschichte, auf einem unberührten Boden,
jede Kongregation für sich, aus dem freien Willen der An-
könunlinge gebildet. Mochte anfangs, als kirchliche und poli-
tische Gemeinde sich deckten, die Pflicht aller, für die Zwecke
des Kultus beizusteuern, natürlich erscheinen, mochte noch
für eine lange Spanne Zeit die Fürsorge für Kirche und
Kirchendiener als bürgerliche Angelegenheit betrachtet wer-
den, in der Folge musste jener Grundsatz der Freiwillig-
keit für die Unterhaltung der kirchlichen Anstalten und Be-
amten dennoch bedeutungsvoll werden. — Der ludependentis-
mus führte hier gleichfalls zu Bildungen, sehr verschieden
von den entsprechenden der alten christlichen Welt. Auch sie
hiengen noch immer durch stärkere oder schwächere Fäden,
in älinliclier Weise, wie die europäische Menschheit sie fast
Roger Williams. 215
durchaus für unerlässlich hielt, mit der Staatsgewalt zu-
sammeu. Aber iu ihnen lebten zu gleicher Zeit andere
ideelle Kräfte, welche nur mächtig genug zu werden brauch-
ten, um im Verlauf der Generationen auch diese Fäden zu
zerschneiden. Und schon war an einer Stätte der neuen
Welt mit voller Entschiedenheit selbst dieser äusserste Schritt
gemacht worden.
Seit 1631 lebte in Amerika Eoger W^illiams, welchem
der unsterbliche Ruhm gebührt, der Gründer des konfessions-
losen Staates gewesen zu sein(^). Er war etwa 1599 geboren,
ohne Zweifel von waliser Herkunft, ein Mann von felsenfester
Ueberzeuguugstreue uiid selbstloser Menschenliebe. In Cam-
bridge zum Theologen vorgebildet und für den geistlichen
Beruf bestimmt, sah er sich gleichzeitig mit so vielen anderen
Ende 1630 dazu gedrängt, sein geknechtetes Vaterland zu
verlassen, um sich jenseits des Oceans vor Sterukammer und
hoher Kommission zu retten. Hier war er in verschiedenen
geistlichen Stellungen in Salem, New-Plymouth und wieder
in Salem thätig, aber was er offen auszusprechen und mit
Wärme zu vertheidigen wagte, zog ihm, welcher den Ver-
folgimgen der heimatlichen Gewalten entronnen war, Ver-
folgungen seitens der kolonialen Behörden zu. Es war schon
unerträglich, dass dieser strenge Puritaner eine förmliche
Lossagung von der anglikanischen Kirche forderte. Es er-
schien als gefährliche Schwärmerei, dass er die ganze Theorie
des Entdeckerrechtes der europäischen Nationen läugnete und
nur den eingeborenen Bewohnern, den Indianern, ein Ver-
füguugsrecht über den Grund und Boden zugestand. Aber
als Erzfeind der Gesellshaft enthüllte er sich, indem er durch
Wort und Schrift vertheidigte , dass dem Staate kein Recht
zustehe, die Zugehörigkeit zu einer kirchlichen Genossenschaft
zu fordern, einen Eid auf den Kamen Gottes aufzulegen,
Blasphemie, Idolatrie und Störer der Sabbathruhe zu strafen.
Als seine Gemeinde um seinetwillen l)ei einer Landforderung
benachtheiligt wurde, und ein Appell au die übrigen in der
Kolonie bestehenden erfolglos blieb, gieng er soweit, ihnen
alle Gemeinschaft aufzukündigen und sich bitter über die
216 Rhode-Island.
Obrigkeit zu äussern. Der Generalhof der ganzen Kolonie
^Massachusetts sprach 1635 seine Verbannung aus. AVegen
Erkrankung ^\:ard ihm die Frist der Abreise erstreckt, er
liess jedoch nicht davon ab, in seinen vier Wänden seine
Ueberzeugung kund zu thun. Man fasste den Plan, ihn nach
England zurückzuschaflfen. Er wurde noch rechtzeitig ge-
warnt und floh, Weib und Kind zurücklassend, durch Schnee
und Eis, in die Wälder. Von den Indianern hatte er nichts
zu fürchten. Er war der erste Europäer, der ihnen ohne
Bekehrungszwecke nahe getreten war, ihre Sprache erlernt
hatte, ihr Wohlthäter wurde. Von ihnen erhielt er ein Ge-
biet an der Karragansett-Bai, auf dem er im Sommer 1636
den Grund zur Stadt Providence legte. Einige ihm an-
hangende Kolonisten hatten sich bei ihm eingefunden. Die
Seinigen zogen ihm in das neue Asyl nach, Fremde erlangten
unter vortheilhaften Bedingungen Aufnahme. — Eine Generation
später zählte das kleine Gemeinwesen zwischen zwei- und
dreitausend Seelen. War seine Verfassung streng demokra-
tisch, so wurde ausdrücklich anerkannt, dass die Majorität
der aufgenommenen Familienhäupter ,,nur in weltlichen Dingen"
verliindliche Beschlüsse fassen könne. Williams verglich den
neuen Staat einem Schiff, auf welchem „Katholiken und Pro-
testanten, Juden und Türken" friedlich zusammenfahren
müssten, nicht verpflichtet, dem Gottesdienste des Schiff's-
predigers beizuwohnen oder von ihrem eigenen abzustehn,
und dabei dennoch dem gemeinsamen Gesetz und den Befehlen
des Kapitäns unterworfen {^). Er nahm 1638 die energische
Airs. Hutchinson nebst ihrem Anhang unter seinen Schutz auf.
Sie war wegen heftiger, den Frieden gefährdender dogmati-
scher Streitigkeiten als Antinomianerin gleich ihm gezwungen
worden, aus Massachusetts zu weichen, nachdem Henry Vane
wähi-end der kurzen Zeit, in der er den Gouverneurposten
innegehabt, vergeblich versucht hatte, seinen Grundsatz der
Toleranz mit der Aufrechthaltung der öftentlichen Ordnung
zu versöhnen. Die neuen Ankönnnlinge siedelten sich auf
jener Insel an, die, gleichfalls von den Eingeborenen erworben,
den Namen Ilhode Island ei-hielt. Auch hier wurde der (ie-
Rückwirkung des Independentismus auf England. 217
nuss der bürgerlichen Rechte ganz unabhängig vom Bekenntnis
gemacht, und Freiheit des Gewissens in Sachen des Glaubens
zum Gesetz erklärt. Allerdings sahen sich diese neuen
Pflanzungen, trotz fortbestehender herzlicher Beziehungen
zwischen Williams und den Freunden in Massachusetts, von
einer Verbindung mit den Nachbarkolonieen, von allem Handels-
verkehr mit ihnen getrennt, ja sogar in ihrer Unabhängigkeit
bedroht. Als Massachussetts mit New-Plymouth, Connecticut,
New-Haven im Mai 1643 zu Boston unter dem Namen der
„vereinigten Kolonieen von Neu -England" eine engere Kon-
föderation schloss, unteiTiahm Williams selbst auf einem hol-
ländischen Schiff von* New -Amsterdam aus die Reise nach
Europa und erlangte in der That mit Hilfe Vane's am 14.
März 1644 vom Parlamente für die vereinigten Providence-
Pflanzungen in der Narragansett - Bai eine Urkunde, die ihr
Staatswesen anerkannte und ihren Bürgern das Recht verlieh,
es nach ihrem Gutdünken zu gestalten.
Die geschilderte Ausbildung des Independentismus in
Holland und Amerika konnte nach dem Ausbruch der Revo-
lution nicht ohne bedeutende Rückwirkung auf England blei-
ben, selbst wenn hier inzwischen die independentischen An-
sichten nicht ohnehin Wurzeln getrieben hätten. In Wahrheit
hatten diese aber trotz aller Wachsamkeit der kirchlichen
und staatlichen Behörden niemals vollständig ausgerottet wer-
den können. Immer hatten geheime Konventikel fortbestan-
den, deren Mitglieder in einer Zeit, da einzelne Opfer wegen
„Ketzereien" noch den Scheiterhaufen zu besteigen hatten,
es nicht über sich gewinnen konnten, den Boden der Heimat
zu verlassen. Noch zur Zeit König Jakob's hatten sie eine
Verstärkung erhalten, als Ende 1611 oder Anfang 1612 unter
Thomas Helwisse und John Murton die Reste der Baptisten-
gemeinde von Smyth, um 1616 Henry Jacob mit einigen Ver-
trauten aus Holland zuilickkehilen , um gesonderte Kongre-
gationen in London zu bilden. Die Wirksamkeit der ersten
218 Baptisten.
lässt sich nur durch den Einblick in einige merkwürdige
Flugschriften verfolgen, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus
dem Kreise ihrer Mitglieder stammen. In der einen, betitelt
„Religiöser Friede oder ein Wort für Gewissensfreiheit" (1614),
suchte Leonard Busher, ein armer londoner Bürger, dem
König und dem Parlamente klar zu machen, dass „Monarchen
und Staatsbeamte nur weltliche Angelegenheiten mit dem
welthchen Schwert, Bischöfe und Prediger die geistlichen
Angelegenheiten mit dem W^orte und Geiste Gottes zu leiten,
und keiner von beiden sich in das Amt des anderen einzu-
mischen hätte". Er berief sich darauf, dass in Konstantinopel
Juden, Christen und Türken friedlich zusammenlebten, um
freilich fast in demselben Athem es doch als „Pflicht des Kö-
nigs und des Staates zu erklären, die Bekehrung ihrer Unter-
thanen durch das W^ort Gottes zu erstreben". Mit grösserer
Folgerichtigkeit sprach sich der Verfasser der zweiten, dialo-
gischen Schrift, ohne Zweifel John Murton, aus. Die Magi-
stratur ist ihm ,,eine Macht dieser Welt", berechtigt und ver-
pflichtet, zu Schutz und Strafe, „das weltliche Schwert" zu
führen. Ohne solche Autorität würden „die Menschen nicht
leben können", die Ptechtsordnung würde zu Grunde gehn.
„Aber lasst uns nicht weiser sein als Gott, ihm Mittel zur
Ausbreitung seines Evangeliums zu ersinnen," denn solches
„ist nicht von dieser W^elt"(^). Eine „Bittschrift vieler treuer
Unterthanen" , die sich mit Unrecht als „Anabaptisten" ge-
brandmarkt fühlten, führte im Jahre 1620 mit grosser Beredt-
samkeit den gleichen Gedanken aas. Die Bittsteller verwahrten
sich aufs feierlichste gegen den Vor^Yurf „für sich oder an-
dere die geringste Freiheit von der strengsten Beobachtung
eines bürgerlichen Gesetzes zu ei'streben", welches abziele
auf „die Bewahrung der Person, der Krone, des Staates, der
Würde S. Majestät", aber sie wandten sich mit Entschieden-
heit gegen die Theorie der ,, Gelehrten", „dass die Könige
von Gott ermächtigt seien, ebenso für die Gottesverehrung
zu sorgen, wie ihnen die Erhaltung der Ilechtsordnung zwi-
schen Mensch und Mensch obliegt" (2). — Die zweite Kongre-
gation, im Geiste Bobinson's gestiftet und von baptistischen
John Goodwin. 219
Tendenzen weit entfernt, äusserte sich weit weniger bestimmt
über die Grenzen, die der Staatsgewalt gegenüber dem religiösen
Bedürfnis des einzelnen zu ziehen seien (s. o. S. 210), ohne darum
den Verfolgungen zu entgelm. Doch wusste sie selbst unter der
despotischen Verwaltung Laud's ihre Zusammenkünfte kümmer-
lich fortzusetzen, so oft sie auch genöthigt war, den Ort zu
wechseln, so viele ihrer Mitgheder ins Gefängnis wandern
mussten, so manche es vorzogen, den Weg nach Amerika
einzuschlagen (^),
Je stärker der Druck des staatskirchlichen Despotismus
wurde, desto mehr Anhang fanden diese freien Gemeinden
bei den unteren Volksklassen. Mehr als ein Mal wurden
Versammlungen von ,,Brownisten" und ,, Anabaptisten" denun-
cirt(-), und selbst auf dem Lande, in Kent, Norfolk, Glou-
cestershire, vorzüglich in AVales, tauchten Kongregationen auf,
deren jede Unabhängigkeit für sich in Anspruch nahm, und
deren Separatismus öfter an dem Satze der Kindertaufe zu
rütteln wagte. In London gab es sogar einen in Cambridge
vorgebildeten, angestellten Prediger, den Vikar von St. Ste-
phen's in Coleman Street, John Goodwin, dessen wohlausge-
arbeitete Predigten, neben Abweichungen vom strengen calvi-
nistischen Dogma, wie man sie auch den Baptisten vorwarf,
einige Hinneigung zum Independentismus verriethen, und
welcher angesehene Bürger, wie Isaac Pennington, zu seinen
anhänglichsten Pfarrkindern und Hampden"s ]Mutter zu seinem
Bekanntenkreise zählen konnte (=*). Auch war es nicht be-
deutungslos, dass 1637 Henry Vane, der Sohn eines englischen
]\Iinisters, zurückkehrte, ein Mann, der eben unter den Inde-
pendenten von Massachusetts eine grosse Rolle gespielt hatte.
Indessen einen entschiedenen Aufschwung nahm der eng-
lische Independentismus erst dann, als das lange Parlament
zusammengetreten war, und plötzlich alle Fesseln gelöst wur-
den. Der begeisterte Ptuf nach einer Reform in England
drang über das ]\Ieer und führte manchen Hoffenden in die
Heimat zurück. Während die Auswanderung nach Amerika
plötzlich nachliess, langten von dort nicht wenige einst Ver-
triebene in England an und entschlossen sich zu bleiben, um
220 Th. Goodwin, Nye, Burroughs, Simpson, Bridge.
ihre Kraft dem alten Vaterlande zu widmen. Der Baptist
Hanserd Knolly's, der sich kaum in Massachusetts sicher hatte
fühlen können, der Pastor von Salem, Hugh Peters, den das
Leben schon von Ort zu Ort getrieben hatte, mit einigen
Gefährten im Interesse der Kolonie entsandt, waren die Be-
deutendsten. Andere, Laien und Geistliche, folgten zu vor-
übergehendem oder dauerndem Aufenthalt nach. Mit Roger
Williams erschien bald darauf für einige Zeit der am weite-
sten fortgeschrittene Führer der independentischen Geister,
von dem man wusste, dass er sich erst kürzlich zu den Bap-
tisten geschlagen hatte, um alsbald an dem Werthe jeder be-
stehenden kirchlichen Gemeinschaft zu zweifeln. Auch wurde
eben damals (1643) im Namen von sieben baptistischen Kongre-
gationen ein förmliches Glaubensbekenntnis in London ver-
öffentlicht, welches ausdrücklich die Pflicht der Obrigkeit
hervorhob, die ..Gewissensfreiheit, ohne die alle anderen Frei-
heiten nicht nennenswerth sind, zu schonen" (^).
Leichter wurde es den in Holland lebenden Independenten,
ihre Päickkehr zu bewerkstelligen. Von den dort verweilen-
den englischen Geistlichen dieser Richtung langten im Winter
1640 auf 1641 fünf auf dem heimischen Boden an: Thomas
Goodwin, der in Arnheim einer Kongregation vorgestanden
hatte und nun eine ähnliche in London selbst begründete,
Philipp Nye, der in Holland mit Goodwin zusammengewirkt
hatte und, trotzdem er Stephen MarshalFs Schwiegersohn war (2),
von nun an in der Pfarrei von Kimbolton (Hunts) independen-
tische Grundsätze vertrat, Jeremias Burroughs, Sidrach
Simpson, William Bridge, welche sämmtlich in Rotterdam thätig
gewesen waren und nun in England grossen Zulauf hatten, der
erste in Yarmouth, die beiden' anderen in der Hauptstadt.
Burton und Lilburne, zwei jener vorzüglichsten Opfer
des anglikanisihen Staatskirchenthums, waren durch ihre
Leiden unwiderruflicli zu independentischen Ansichten bekehrt
worden, die schon vorher ihren Neigungen entsprochen hatten.
Von allen früheren indeitendentischen Schriften machte keine
so grosses Aufsehen, wie eine „kurze Remonstranz-' von Burton
(1041), in welcher er sich mit wenig Achtung über eine
Burtou und Lilburne. 221
„Nationalkirche" aussprach und neben ihr mindestens Dul-
dung selbststäudiger Kongregationen forderte (i). Im Hause der
Lords brachte Bischof Hall zur Sprache, dass an achtzig Kon-
gregationen von Sekten, geleitet von ..Schuhflickern, Schnei-
dern und Hutmachenr', aufgetaucht seien, und es war eine
blosse Formalität, wenn diese Versammlung es ein ^lal für
nöthig hielt, die arretirten Theilnehmer eines solchen Konven-
tikels zu verwarnen (2).
Je näher die Aufgabe heranrückte, statt des blossen Ein-
reissens des alten Gebäudes der Kirchenverfassung Hand an
die Errichtung eines jieuen zu legen, desto mehr wurden sich
die Presbyterianer der tiefen Kluft bewusst, die sie von den
ludependenten trennte. Bis dahin w\aren sie Hand in Hand
mit ihnen gegangen , voll des Lobes über ihren Eifer gegen
die Bischöfe und ihr inniges religiöses Bewusstsein. Bald
fiengen sie au, in ihnen die gefährlichsten Rivalen zu ahnen,
nicht lange dauerte es, so schlug die alte Waffenbrüderschaft
in die bitterste Feindschaft um. Am 2L November 1642 be-
klagte sich ein londoner Kaufmann, Mr. Shute, welcher sich
immer vorzudrängen wusste, beim Parlament, dass die „Ma-
lignanten" den Gutgesinnten der City vorwürfen, sie wünsche
eine „independente Verfassung der Kirche*', und forderte gegen
diese Beleidigung Protest (^). Schon das Jahr vorher bejam-
merte der eifrig presbyterianische Geistliche Edwards in
einem weitverbreiteten Pamphlet, ,,dass sich Satan aus einem
Engel der Finsternis in einen Engel des Lichtes verwandle,
und dass der Independentismus zurückbringen werde, w^as er be-
kämpfe: Libertinismus, Profanation. Ketzereien" (*). Die pres-
byterianischen Federn schienen in Gift getaucht, wenn sie auf
die Anhänger des „Brownismus" und „der amerikanischen Reli-
gion" („New England way") zu sprechen kamen. Sie malten
den bevorstehenden Einbruch der furchtbarsten Sekten, als
Anabaptisten und Baptisten, mit den schwärzesten Farben
und wiesen mit Schadenfreude darauf hin, dass jenes Princip
der Duldung jenseits des Oceans selbst Schift'bruch erlitten
habe. Die Independenten blieben die Antwort nicht schuldig.
Auch von ihrer Seite regnete es Flugschriften. Selbst eine
222 Eurton und Lilburne.
Frau, ]\Irs. Katlierine Chidley, schon bei Jahren und Mitglied
einer londoner Winkelgemeinde, ergriff das Wort und sie
hatte den Muth, Edwards zu erwidern, dass es ein Zeichen
unentschuldbarer Schwäche gewesen sei, in den Kolonieen
Leute auszuweisen, die weder den Frieden des Staates, noch
den Kultus anderer gestört hätten, lediglich wegen abweichen-
der religiöser Ansichten, wie es nach ihrer Meinung Williams,
Mrs. Hutchinson u. a. geschehen war(i).
So giengen die Wogen des Streites zwischen Presbyteria-
nern und Independenten schon hoch, noch ehe die Westminster-
Synode zusammengetreten war. Indessen konnte dies nur als
ein Vorspiel der Kämpfe gelten, die sich entspannen, als neben
der Masse der Presbyterianer auch einige ihrer Gegner Sitz
und Stimme in der Versammlung erhielten. Das Parlament
war entschlossen, auch diese Partei zu hören. Einige seiner
feurigsten Mitglieder, wie Cromwell, St. John, Haselrig u. a.,
hätten sogar nicht ungerne mehrere hervorragende indepen-
dentische Geistliche aus den amerikanischen Kolonieen für das
bevorstehende Werk in London anwesend gesehn und sandten im
Bunde mit anderen eine darauf abzielende briefliche Auffor-
derung über das Meer (2). Als die Verwirklichung dieses
Planes indessen dort Schwierigkeiten machte, und die Stim-
mung der Majorität nicht soweit gieng, musste man sich be-
gnügen, die fünf geistlichen Vertreter des milderen Indepen-
dentismus, welche aus Holland in die Heimat zurückgekehrt
waren, in die Synode aufgenommen zu sehen. Einer von
ihnen, Philipp Nye, hatte sich schon bei der Verhandlung mit
den Schotten nützlich gemacht und trat in der Versammlung,
neben Goodwin und Burroughs, bei den Berathungcn bedeut-
sam hervor. Alle fünf waren Männer von akademischer Bil-
dung und Bercdtsamkeit. Von den Laiendcputirten , soferne
diese nicht durch andere Geschäfte in Anspruch genommen
waren, konnten sie auf den gleichgesinntcn Henry Vane zählen,
auch der von den Lords entsandte Viscount Saye and Sele neigte
sich ihnen zu. Wie stark der Zug zum Lidependentismus
überhaupt in der englischen Gesellschaft war, bei Staatsmännern
und iü'iegei-n, in den mittleren und unteren Schichten, welche
Debatten der Synode. 223
Kraft ihm aus diesem Anhange erwuchs, hatte sich erst in
der Foke zu zeigfen.
Bei den Berathungen der Synode blieb die Einigkeit der
verschiedenen Parteien in manchen Fragen ungestört. Da
die Gegensätze nicht das dogmatische Gebiet betrafen, so
gieng die Revision der 39 Artikel, soweit sie geführt wurde,
ohne Streitigkeiten vor sich. Auch über die rituellen Ver-
änderungen konnte man sich verständigen. Eine neue Ueber-
setzung der Psalmen von Francis Pious, einem Mitglied des
Unterhauses, wurde adoptirt. Eine neue Gottesdienstordnung,
mit Entfernung alles dessen, was als Anklang an katholische
Formen den Puritanismus seit jeher verletzt hatte, wurde in
ihren Grundzügen vereinbart, wiewohl die ludependenten nicht
ohne einige BesorgTiis waren, damit ihrem Gedanken von der
Nothwendigkeit des freien, nicht vorgezeichneten Gebetes etwas
zu vergeben. Andere Aufgaben machten gleichfalls eine rasche
Erledigung nöthig. Es schien nicht möglich zu warten, bis
die Synode Vorschläge über ein neues Kirchenregiment ge-
macht hätte und inzwischen die Dinge sich selbst zu über-
lassen. Die anglikanische Kirche befand sich in völliger Auf-
lösung. Wo der König die Oberhand hatte, wurden die puri-
tanischen Geistlichen vertrieben und sahen sich genöthigt, mit
den Ihrigen brodlos und hilflos in sichere Gebiete zu flüchten.
Wo das Parlament die Oberhand hatte, waren schon längst
in seinem Auftrage Untersuchungen gegen Geistliche von
schlechtem Lebenswandel und von Laud'scher Parteifarbe („scan-
dalous ministers") im Gange. Je dringlicher es wurde, die
vertriebenen Puritaner zu entschädigen, je höher die Leiden-
schaften stiegen, desto unbarmherziger war man, die miss-
liebigen und royalistischen Kleriker ihrer Pfründen zu ent-
setzen und ihres Eigenthums grossen Theils zu berauben.
Im Laufe des Krieges wurden auf gewaltsame Weise, gering
gerechnet, mehr als anderthalbtausend Stellen frei, deren
Wiederbesetzung unumgänglich war. Das Parlament vertraute
224 Entsetzungen von Geistlichen etc. — Veränderungen in Cambridge.
einem aus der Synode liervorgegangenen Committee die Auf-
gabe au, die einzelnen Bewerber zu prüfen und ilim darüber
Bericht zu erstatten. Ebenso überliess es vorläufig, auf Ratli
der Synode, Kommissionen ausgewählter Geistlichen das Ge-
schäft, Ordinationen vorzunehmen, um das Eindringen uner-
wünschter Elemente zu verhindern. Der Puritanismus hatte
sich so lange über den Mangel an „geistlicher Nahrung"
durch die Predigt des Wortes Gottes beklagt. Auch diesem
Uebelstande sollte abgeholfen w^erden, indem die Einforderung
entfremdeter Zehuten von verfallenen „Delinquenten -Gütern"
Mittel an die Hand gab, die Pfründen zu vergrössern und
Lecturer-Stellen zu gründen (^).
Fand eine gründliche „Reinigung" der Pfarrgeistlichkeit
Statt, somusste sich die Aufmerksamkeit der Reformlustigen auch
auf die Universitäten lenken, welche die stärksten Bollwerke des
hochkirchlichen Systems gewesen waren. Eine Reform. der Kirche
war nicht zu denken, so lange die höchsten Erziehungsanstalten
des Klerus in dem Zustande verharrten, welcher den Zorn und
Spott eines Milton so oft herausgefordert hatte. Oxford war
zw^ar im Bereich des Feindes, aber ah Cambridge Avar man
um so eher entschlossen Hand anzulegen, da diese Stadt sich
inmitten des treuesten parlamentarisch gesinnten Gebietes be-
fand. Schon im Januar 1644 erhielt Crom welFs Vorgesetzter,
der Graf von Manchester, welcher an der Spitze der Association
der östlichen Grafschaften stand, vom Parlament den gewich-
tigen Auftrag, Kommissionen einzusetzen, deren Machtvoll-
kommenheit sehr bedeutend war. Sie waren berechtigt, alle
]\Iitglieder der Universität, Lehrer wie Schüler, wie auch alle
Geistlichen und Schulmeister der Grafschaften vor sich zu
rufen, deren Lebenswandel anrüchig, deren Gesinnung noto-
risch royalistisch sei, und welche ihr Amt verlassen hätten,
ohne im Dienst des Parlamentes abwesend zu sein. Nach ge-
bührender Untersuchung und Zeugenverhör seitens dieser
Kommissionen war der Graf ermächtigt, nach seinem Gut-
dünken die Unfähigen und Unwürdigen zu entsetzen, ihre
Einkünfte zu sequestrircn, mit Vorbehalt des üblichen Fünflei
füi- die Frauen und Kinder, und die erledigten Stellen anderen
Veränderungen in Cambridge. 225
ZU übertragen, welche die Synode gebilligt hatte. Die Folge
war eine vollständige Umwälzung in den Personalverhältnissen
der Hochschule, Vertreibung fi'üherer Mitglieder, Einführung
neuer: ein Process, der sich bis in das Jahr 1645 hinein
erstreckte. Vielfach war die Annahme oder Ablehnung von
,,Liga und Covenant'' der Prüfstein. So milde und versöhn-
lich der Charakter des Grafen auch war, so wurden bei dieser
Gelegenheit, welche die Gesinnungstüchtigkeit des einzelnen
der puritanischen Sonde aussetzte, die grössten Härten und
Gehässigkeiten nicht vermieden. An wenig Ereignissen der
Revolution wird Milton so viel Antheil genommen haben, wie
an diesem, welches ihm so wohl bekannte Institute und Personen
betraf. Er musste hören, dass von den sechzehn Vorstehern
der Colleges nur fünf vor den Augen der gestrengen Visita-
toren Gnade gefunden hatten, und dass etwa die Hälfte aller
Fellows ihrer Pfründen beraubt und einer ungewissen Zukunft
preisgegeben waren. Unter den fünf Vorstehern, die sich in
die neue Aera hinüberzuretten wussten, war auch Thomas
Bainbrigge, das Haupt von Christ -College, mit welchem
Milton während seiner Studienzeit nicht zum besten gestanden
hatte. Mochte ihm dessen Erhaltung als ein zweifelhafter
Gewinn erscheinen, so musste er mit Theilnahme begrüssen,
dass zwei seiner Bekannten, Mitarbeiter am Smectymnuus,
zwei der erledigten Vorsteherposten erhielten. Sein alter
Lehrer, Thomas Young, wurde an Stelle Richard Sterne's,
eines der Kapläne Laud's, zum Master von Jesus-College ge-
macht, William Spurstow erhielt eine gleich ehrenvolle Stelle
in Catherine Hall. Ausser ihnen, wurde noch manches Mit-
glied der Synode bei der neuen Besetzung bedacht, ohne
dass es deshalb aufgehört hätte, den Sitzungen beizuwohnen.
Auch sonst traf die Wahl hervorragende Männer puritanischer
Gesinnung. Die Disciplin der Hochschule nahm einen stren-
geren Charakter an, Fleiss und Sittlichkeit der Studenten
wurden überwacht, der Sabbath mit rigoroser Gewissenhaftig-
keit eingehalten (1).
Unzweifelhaft kamen alle diese Massregeln vorwiegend
dem Presbyterianismus zu Gute. Bei dem Uebergewichte,
Stern, Milton n. s. Zeit. I. 2. 15
226 Debatten über die Kirchen^Verfassuug.
welches seine Anhänger in der Synode hatten, deren Mit-
wirkung und Rath bei allen diesen Veränderungen gebraucht
wurde, verstand es sieh von selbst, dass man in erster Linie
die Männer presbvterianischer Richtung bedachte. Diese
zogen in hellen Haufen in die erledigten Pfarreien und in die
verödeten Colleges ein. Viele, wie z. B. Thomas Young, be-
hielten neben ihren neuen Pfründen auch die alten, ohne
Rücksicht darauf, dass eben diese Pfründenhäufung seitens der
Prälatisten, so lange sie selbst die Verfolgten gewesen waren,
ihren heiligen Zorn hervorgerufen hatte.
Die kleine independentische Gruppe der Versammlung gieng
über persönliche Verhältnisse der Art mit Stillschweigen hinweg.
Denn schon war man mitten in sachlichen Debatten begriffen,,
bei welchen die zuerst gewahrte Einigkeit schwinden, und deren
Ausgang unendlich wichtiger sein niusste als alles, was bisher
zur Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse geschehen war.
Die Frage der kirchlichen Verfassung, von allen die wich-
tigste, war in Angriff' genommen und rief innerhalb wie
ausserhalb der Synode heftige Kämpfe hervor. Die grosse
presbyterianische Majorität trat, mit wenig Ausnahmen in ge-
schlossenen Reihen, mit ihrem fertigen, den Schotten ent-
lehnten System auf den Plan. Handelte es sich um die
Kirchenämter, so wussten sie mit den bekannten Citaten der
Schrift die mächtige Stellung der Presbyter zu vertheidigeu.
Handelte es sich um die Ordination, so wussten sie den Begriff'
einer ununterbrochenen Succession „einer feierlichen Absonde-
rung einer Person für ein öffentliches Kirchenamt" festzu-
halten und dem Presbyterium einzelner Bezirke das Recht
einer gründlichen Prüfung des Kandidaten und der Ordi-
nation durch Handautiegung zu wahren. Handelte es sich
endlich um die gesammte Organisation der Kirche, so stand
ihnen fest, dass es nur eine, die ganze Nation umfassende,
Landeskirche geben dürfe. Kraft göttlichen Rechtes wäre
diese in presbyterialer Weise zu ordnen, sodass Parochial-
Konsistorium, Presbyterium (classis), Provinzial- und National-
Synodc sich übereinander auf])auen würden, mit eben der-
sulhen von unten nach oben zunehmenden Befugnis der Aufsicht,
Debatten über die Kirchen-Verfassung. 227
Gesetzgebung und vor allem der geistlichen Strafgewalt zur
Erhaltung der Disciplin, wie die Kirche John Knox' sie kannte.
Nicht wenige dieser Beschlüsse hatten schon bei den
Erastianern lebhaften Widerstand gefunden. Sie läugiieten
schlechtweg den göttlichen Ursprung der Presbyterial- Verfas-
sung. Sie widerstrebten der ausgedehnten Kompetenz der
Kirchenbeamten dieses Systems. Sie sträubten sich vorzüg-
lich dagegen, dass diese, Pastoren und L aien-Ael teste , die
unumschränkte Macht haben sollten, in Lehre und Leben
fehlende Glieder der Kirche (Ignorant and scandalous persons)
nach ihrem Gutdünken vom Genuss des Abendmahls auszu-
schliessen und zu exkommuniciren. Denn sie fürchteten, dass
damit auf's neue Uebergrifte der geistlichen Gewalt in die
staatliche Gerichtsbarkeit ermöglicht würden.
Indessen versparten die Erastianer ihre hauptsächliche
Kraft auf die Verhandlungen des Parlaments, in dem sie stark
genug zu sein hofften, um aus den Beschlüssen der presbyte-
rianischen Majorität der Synode auszumerzen, was sie gefähr-
lich für die Autorität des Staates zu sein dünkte. Bei weitem
zäher war der Widerstand der kleinen Gruppe gemässigter Inde-
pendenten, für deren Ziele es sich in der That um Sein oder
nicht Sein handelte. Sie gaben zwar zu, dass in der Bibel eine
bestimmte kirchliche Veifassungsfonn vorgezeichnet und daher
göttlichen Ursprung^ei, aber sie fanden sie in independenten
Kongregationen. Sie waren sehr bereit, die Noth wendigkeit
kirchlicher Zuchtmittel, wie Anmahnung und Exkommuni-
kation zuzugestehn, aber sie anerkannten keine höhere In-
stanz über der einzelnen Gemeinde, um sie in Anwendung zu
bringen. Allein mochten sie mit eben so viel Würde wie
Wärme ihre Sache vertheidigen, mochten sie alle Gelehrsam-
keit aufbieten, um die ersten christlichen Gemeinden als Bei-
spiele ihrer Anschauung zu erweisen: im ganzen und grossen
standen die „fünf dissentirenden Brüder", wie mau die aus
Holland zurückgekehrten independentischen Geistlichen nannte,
mit ein Paar anderen Mitgliedern, die sich ihnen in dieser
oder jener Frage anschlössen, einer erdrückenden Majorität
gegenüber. Allerdings weiss selbst Baillie ihre Beredtsam-
15*
228 Die „apologetische Erzählung".
keit, Gelehrsamkeit und Gewandtheit zu rühmen (^), aber kam
es zur Abstimmung, so triumphirten ihre Gegner. Es sollte
in England keine autonomen Kongregationen geben. Es sollte
auch in Zukunft jeder einzelne gezwungen sein, der einen
vom Staate organisirten und privilegirten Kirche anzugehören,
die nur den prälatistischen Namen mit dem presbyterialen
vertauscht hatte. Selbst der Grundsatz der Wahl des Geist-
lichen oder auch nur der Zustimmung der Gemeinde war durch
hinzugefügte Beschränkungen bis zur Unkenntlichkeit abge-
schwächt worden. Ein magerer Satz wie der in dem Artikel
über die Ordination, dass „in ausserordentlichen Lagen, bis
eine geordnete Verfassung vorhanden, etwas Ausserordent-
liches, aber der Regel so nahe als möglich Stehendes, geschehen
dürfe", konnte die Independenten nicht für alle Niedei-lagen
ihres Princips entschädigen (2). Es blieb ihnen nichts übrig
als jedes Mal ihre abweichende Meinung zur Berichterstattung
an's Parlament zu Protokoll zu geben.
Aber zu gleicher Zeit sorgten sie dafür, an die öffentliche
Meinung Berufung einzulegen und das Volk über den wahren
Charakter ihrer Bestrebungen aufzuklären. Schon in den
letzten Tagen des Jahres 1643 hatten sie eine mit ihren
Namen unterzeichnete „apologetische Erzählung" erscheinen
lassen, welche von Haus aus für das Parlament bestimmt
war. Mit grosser Bescheidenheit entwickelten sie in dieser
Schrift ihre Grundsätze, versprachen die äusserste Nachgiebig-
keit, soweit ihr Gewissen sie ihnen erlaube, beschworen aber
die Vertreter der Nation, sie, friedliche Bürger, solange man
ihnen keine Gesetzwidrigkeit nachweisen könne, durch Zurück-
weisung ihrer geringen Wünsche, durch Weigerung der Dul-
dung ihrer unbedeutenden Abweichungen nicht aufs neue in's
Exil zu treiben. Es war bezeichnend für ihren Standpunkt,
dass sie die Berufung der Synode als einen Akt der „Staats-
weisheit" betrachteten und dass sie für gewisse Fälle kirch-
licher „Sentenzen" eine obrigkeitliche „Hilfe und Unter-
stützung" nicht für unstatthaft hielten. Die Schrift machte
selbst bei vielen ihrer Gegner einen guten Eindruck, aber
andere, Schotten wie Engländer, traten mit leidenschaftlicher
Die Frage der Gewissensfreiheit. 229
Heftigkeit gegen diese inclependentischen Anmassungen auf.
Wieder war es jener Thomas Edwards, der sich im Sommer
1644 mit seiner Antapologia, einem gewichtigen Quartanten,
an die Spitze der presbyterianischen Heeresschaar stellte,
um nach einer Fluth giftiger Schmähungen die „Schönheit,
Ordnung, Stärke der Presbyterial -Verfassung mit der Häss-
lichkeit, Unordnung, Schwäche der independentischen" zu ver-
gleichen und sich selbst gegen eine blosse Toleranz der letzten,
neben einer presbyterianischen Landeskirche, als gegen Bibel,
Liga und Covenant, Pflicht des Staates und der Kirche mit den
stärksten Ausdrücken zu erklären (^).
Von Tag zu Tage wurde es klarer, dass der Streit zwi-
schen Presbyterianern und Independenten über einen blossen
Hausstreit innerhalb der grossen puritanischen Partei weit
hinauswuchs. Je länger er andauerte, je mehr die Streiten-
den genöthigt wurden, auf die tieferen Gründe ihres Gegen-
satzes zurückzugehn , desto deutlicher enthüllte sich als der
wahre Gegenstand dieses Kampfes der grosse Grundsatz von
der Gewissensfreiheit des einzelnen auf dem Gebiete des
religiösen Lebens. | — Es hat einen eigenthümlichen Reiz,
welthistorische Ideen auf ihre Ursprünge hin zu verfolgen,
um gleichsam am Rande des rieselnden Bergquells des mäch-
tigen Stromes gedenken zu können, der aus ihm geworden ist,
an dessen Ufern sich stolze Städte erhoben haben, und dessen
Wellen dem Meere kostbare Lasten entgegentragen. Aber
je verlockender ein solcher Weg stromaufwärts ist, desto mehr
Fehlgängen ist der Wanderer ausgesetzt. Manches Gewässer,
das ihm das ursprüngliche zu sein scheint, versiegt in der
Hitze des Sommers, manches verliert sich in Sand und Sumpf,
bald kommt er zur Erkenntnis, dass überhaupt nur der all-
mähliche Zusammenfluss hunderter von Strömen den einen in
seiner unwiderstehlichen Grösse gebildet hat. Wer es unter-
nehmen wollte, die Geschichte der Idee der Gewissensfreiheit
unter den Völkern unserer Kultur zu sehreiben, würde un-
230 I^iß Frage der Gewissensfreiheit.
zweifelhaft mehr als eine Erscheinung, welche den Zeiten vor
dem Auftreten des Independentismus angehört, in das Bereich
seiner Darstellung ziehn müssen. Mit der Reformation war für
das Wachsthum und die Ausbreitung dieses Gedankens erst
der Boden gegeben. Die Thatsache, dass die Einheit der
alten Kirche gebrochen war, nöthigte gegenüber den bestehen-
den Verhältnissen von selbst dazu, die späteren Generationen
auf die Möglichkeit vorzubereiten, sich die Anhänger ver-
schiedener Bekenntnisse in einem Staatswesen als friedlich
vereinbar zu denken. Aber die anderthalb Jahrhunderte,
welche auf den Bruch der alten Kirche folgten, sahen diese
unumgängliche Folge des grossen Ereignisses fast nirgends
verwirklicht. In allen Blättern ihrer Geschichte ist es mit
Blut verzeichnet, dass noch Gegenstand der gewaltigsten
Kämpfe war, was kraft historischer Noth wendigkeit kein
Wille hindern konnte. Nicht nur die alte Kirche sträubte
sich dagegen dies anzuerkennen, auch die verschiedenen Ge-
meinschaften, die sich auf neuer Grundlage gebildet hatten,
übernahmen von jener den Grundsatz der Verfolgung. Mit
so grosser Beredtsamkeit von ihren Stiftern nicht selten das
Princip der Duldung verfochten war, so lange man sich selbst
von der Duldung ausgeschlossen wusste^ so bald war es ver-
gessen worden, wenn man selbst zur Macht gelangt war. Bei
der engen Verbindung der politischen und religiösen Gegen-
sätze war die Erbitterung des Kampfes noch verschärft wor-
den. Die Scheiterhaufen, welche die Katholiken den An-
hängern der Reform, diese ihren gemeinsamen Gegnern und
den Vertretern abweichender Meinungen unter sich, und alle
den Verweifern der Kindertaufe und sonstigen Sektirern hier
und dort anzündeten, legten abwechselnd flammendes Zeugnis
dafür al), wie grosser Opfer man die erträumte Seligkeit des
Mitmenschen und die Sicherung des eigenen Wohles für werth
hielt. Mochten auch im Laufe der Jahrzehnte die Verfol-
gungen nach Art und Masse geringer geworden, mochte hier und
dort aus Ei'schöpfung der Kräfte ein Waffenstillstand eingetreten
sein, es hatte doch nicht vermieden werden können, dass der grosse
europäische Krieg entbrannte , der ungeachtet aller mitwirken-
b
Die Latitudinarier. 231
den politischen Momente von den religiösen Gegensätzen seinen
Ausgang genommen hatte, welche eine grosse Nation l)ewegten.
Noch immer war das Wort Luthers nicht zur Wahrheit
geworden, das er bei seiner plötzlichen Rückkehr von der
Wartburg in Wittenberg gesprochen hatte: „Sagen will
ich's, schreiben will ich's, aber zwingen, dringen mit Ge-
walt will ich niemanden". Noch immer waren die Stim-
men vereinzelt geblieben, welche die edelsten Geister von
hüben und drüben, aus den Reihen der grossen religiösen
Genossenschaften und der aufgeklärten Sekten, ein Thomas
Monis, ein Sebastian Franck, ein l'Hospital, ein Wilhelm von
Oranien, erhoben hatten. Da erwuchsen im siebzehnten Jahr-
hundert dem einsamen Gedanken Vorkämpfer aus englischem
Blute, die ihn mit unbesieglichem Muth verfochten, mit über-
zeugender Kraft zum Gemeingut von Tausenden machten, mit
willenskräftigem Ernst in das Staatsleben einführten.
Man hat in neuerer Zeit versucht, den sog. Latitudina-
liern das hauptsächlichste Verdienst an dieser Entwicklung
zuzuschreiben, ^lännern, denen die Weite der dogmatischen
Auffassung, die sie mit den holländischen Remonstranten
theilten, den Namen gegeben hat. Ein geistvoller Schrift-
steller, der sie zum Gegenstande einer besonderen Studie ge-
macht hat, nennt sie geradezu „die Begmnder unserer mo-
dernen religiösen Freiheit" (i). Auch lässt sich nicht läug-
nen, dass viele von ihnen Sätze ausgesprochen haben, die
sich ebensowenig mit der Engherzigheit des Hochkirchen-
thums wie mit deijenigen des Presbyterianismus vertnigen.
Falkland selbst, der durch seinen Tod seine Anhänglich-
keit an den König besiegelt hatte, war einer von denen ge-
wesen, die bei aller Festigkeit der Ueberzeugung in gewissen
Dingen niemals von anders Gesinnten gering dachten oder
den Verkehr mit ihnen abbrachen. Der scharfsinnige John
Haies, Canonicus von Eton, pflegte zu sagen, er würde sofort
die anglikanische Religion aufgeben, wenn sie ihn nöthige zu
glauben, dass andere Christen verdammt wären. Er hatte
erst 1642 ein Werk über „Schisma und Schismatiker" heraus-
gegeben, dass bis dahin auf Wunsch William Laud's der Oeffent-
232 Die Latitudiuarier.
lichkeit vorenthalten geblieben war, und in welchem „Ketzerei
und Schisma" „theologische Vogelscheuchen" genannt wurden.
Koch deutlicher hatte sich sein Freund William Chillingworth
ausgesprochen, der, nach kurz andauernder Bekehrung
zum Katholicismus , von seinem Pathen Laud in den Schoss
der anglikanischen Kirche wieder aufgenommen, gelernt hatte,
an der Unfehll)arkeit des individuellen Urtheils zu zweifeln und
dadurch zu toleranten Anschauungen geführt worden war. In
seiner „Religion der Protestanten", 1637, hielt er allerdings
an der Autorität der Bibel fest, aber „in anderen Dingen
w^ollte er niemandem die Freiheit seines Urtheils rauben,
niemanden für einen schlechten Menschen oder Christen hal-
ten, niemanden wegen abweichender Meinungen weniger lie-
ben" (^). Was er von jedem forderte, war nur, „zu glauben,
dass die Schrift das Wort Gottes sei, zu suchen, ihren wahren
Sinn herauszufinden und danach zu leben" und er eiferte da-
gegen, dass man Leute „verfolge, verbrenne, verfluche, ver-
damme, weil sie nicht Menschenwort gleich Gottes Wort
unterschreiben wollten". Nur dieser Grundsatz „gerechter
und voller Freiheit" könne „die Christenheit zur Wahrheit
und Einheit" führen. Beide Männer hatten William Laud
und den Hofkreisen nahe gestanden, so sehr auch ihre Ideen
von der Praxis Laud's und KarFs I. Lügen gestraft wurden,
Chillingworth war sogar fast als ein Märtyrer der royalisti-
schen Sache Anfang 1644 in Chichester gestorben. Die
gleiche politische Gesinnung theilte Jeremy Taylor, welcher
in seinem Werke „über die Freiheit der Prophetie" (1647)
erklärte: „Es ist sehr übel, dass wir alle Papisten, Anabap-
tisten und Sakramentirer für Narren und schlechte Menschen
halten, da es sicherlich unter allen diesen Sekten sehr viele
weise und gute Menschen neben den Irrenden giebt". Und
jene Cudworth und Whichcot, die bei der Visitation von
Cambridge mit der Vorsteherschaft von zwei Colleges bedacht
wurden, haben sich mit derselben aufgeklärten Duldsamkeit
ausgesprochen, welche ein Stillingfleet, Worthington, Henry
Moro u. a. gleichfalls theilten.
Die Latitudinarier. 233
Man sieht, wie sehr sich diese Geister über die allge-
meinen Ansichten ihres Zeitalters erhoben. Aber sollte es
wirklich erlaubt sein, in ihnen „die Begründer unserer mo-
dernen religiösen Freiheit" zu finden? Abgesehen davon, dass
viele von ihnen erst nach der Epoche des Independentismus
schrieben, dessen geistiger Einwirkung sie nicht fremd bleiben
konnten, kennt ihre Achtung vor der Gewissensfreiheit an-
derer doch sehr bestimmte Schranken. An der Bibel, als
Offenbarung des göttlichen Willens ; wollen sie nicht rütteln
lassen, und was war damit gewonnen, wenn der Streit um
ihren „wahren Sinn" aufs neue begann? Sie scheinen in
jedem Falle nur Anhänger des christlichen Bekenntnisses im
Auge zu haben, und man wird bezweifeln dürfen, ob z. B.
der Jude Gnade vor ihren Augen gefimden haben würde. Bei
manchen, die sich nicht mit der Weitherzigkeit Taylor's äussern,
wird es sogar fraglich, ob nicht etwa allein die Protestanten
ihrer Duldung theilhaftig werden, die Katholiken aber schlecht-
weg ausgeschlossen werden sollen. Sie verfolgen fast immer
den praktischen Zweck, die Kluft der dogmatischen Unter-
schiede zu überbrücken und einer Einheit der christlichen
Kirchen zuzustreben, womit, — das hatte Laud's Beispiel
am besten gezeigt, — von selbst wieder religiöser Verfolgung
eine Handhabe geboten wurde. Vor allem: das Verhältnis
von Kirche und Staat fassen sie entweder unklar oder in
einer Weise auf, die wenig geeignet war, die Gewissens-
freiheit zu befördern. Weil sie den Gedanken einer „Gemein-
schaft des religiösen Lebens" nicht aufgaben, hielten sie fast
durchgängig am Begriff einer Nationalkirche fest. Und Stil-
lingfleet sagte in seinem Werke „Irenicum" (1659) ausdrück-
lich: „Da eine Freiheit aller Meinungen unabweislich darauf
abzielt, den Frieden der Nation zu untergraben und sie in
beständige Wirren zu stürzen, so können die Staatsbehörden
ihr Amt nicht verwalten, wenn sie nicht Macht haben, diese
Freiheit einzuschränken" (i). In jedem Falle blieb alles, was
die Latitudinarier früher oder später verkündigten, Erzeugnis
einzelner in kleinerenKreisen wirkender Köpfe, während schon
längst von anderer Seite der Versuch gemacht worden war,
234 Trennung von Kirche und Staat oder Landeskirche und Toleranz '?
den Grundsatz der Gewissensfreiheit, bald in voller Unbe-
schränktheit, bald innerhalb gewisser Grenzen in's Leben ein-
zuführen.
Nichts wird dem Independentismus diesen Ruhm rauben
können. Das blosse Bestreben, sich in unabhängigen Ge-
meinden zusammenzuschliessen , nöthigte mit der Zeit von
selbst zu einer Vertheidigung der Gewissensfreiheit. Das
neue Princip kirchlicher Verfassung erlangte eine Bedeutung,
welche weit über die Kreise derjenigen hinausgieng, auf die
es bereclmet war. Und zwar auf zwiefache Weise wurde es
fruchtbar. Man war entweder dahin gelangt, von der Inde-
pendenz der einzelnen Kongregationen fortzuschreiten zu der
Independenz jeder religiösen Genossenschaft von der Staats-
gewalt, oder man hatte wenigstens Duldung für diejenigen
Kongregationen verlangt, welche in Verfassung, Ritus, Dogma
eine höhere Autorität über sich anzuerkennen sich weigerten.
Es war klar, dass das eine das andere ausschloss. Wer dem
Staate überhaupt das Recht absprach, sich fördernd oder hin-
dernd um die religiösen Bedürfnisse der Bürger zu kümmern,
hatte nicht erst Toleranz zu fordern. Wer Toleranz für sich,
und möglicher Weise für einige andere, verlangte, konnte daneben
sehr wohl eine vom Staat bevorzugte, organisirte, erhaltene
Kirche gelten lassen. Jenes war die Behauptung einiger der
baptistischen Sektirer gewesen, Mrs. Chidley hatte in diesem
Sinne sich ausgesprochen, vor allem Roger Williams hatte als
der erste gewagt, ein Staatswesen unter Proklamirung dieses
Grundsatzes in's Leben zu rufen. Eben damals verweilte er in
England, um Anerkennung seiner Kolonie zu erlangen und zögerte
nicht, sich über die bewegende Tagesfrage auszusprechen.
In seinem Werke „Die blutige Lehre der Verfolgung
wiegen Gewissensfragen" liess er P'.ngland ein kostbares Ver-
mächtnis zurück. Unter den Unbequemliclikeiten der Reise
gesehrieben, wie es ist, enthält es bunt aneinandergereihte
Bestandtheile , Ansprachen an das ' Parlament und den Leser,
Auszüge aus einer baptistischen Schrift über die Gewissens-
freilieit, eine Entgegnung von amerikanischer Feder etc.
Williams' eigene Meinuni"' tritt in Form von Dialogen zwischen
R. Williams in England. Seine „blutige Lehre der Verfolgung". 235
„Wahrheit" und „Frieden" hervor, welche die intoleranten
Ansichten der Gegner kommentiren. Die Theoiie der Tren-
nung von Kirche und Staat, wie Williams sie verstand, wird
hier in skizzenhafter Weise entwickelt. „Yerführeiische
Lehrer," — heisst es — , „Heiden, Juden, Türken oder Anti-
christen können dabei doch den bürgerlichen Gesetzen gehor-
same ünterthanen sein."' „Eine nationale Kirche, ist von
Jesus Christus nicht gestiftet worden." „Die Menschen zur
Frömmigkeit oder zum Gottesdienst zwingen zu wollen, ist die
hauptsächliche Ursache zur Zerstörung des bürgerlichen Frie-
dens" und schafft „eine Nation von Heuchlern". „Jesus
Christus hat nie eine Erhaltung der Geistlichen seitens der
Unbekehrten und Ungläubigen verlangt." Durch die bürger-
liche Gewalt können sie nicht dazu gezwungen werden, denn
es ist „keine bürgerliche Angelegenheit". Aber „die, welche
die Menschen zum Gottesdienst zwingen, zwingen sie auch
dafür zu zahlen". Nur zwei Arten des Unterhaltes der Geist-
lichen sind schriftmässig : „Freiwillige Beiträge" der Gläubigen
und ,,fleissige Arbeit ihrer eigenen Hände". — Wenn Wil-
liams selbst sich auf die Lehre Christi beruft, so verwirft er
nichtsdestominder aufs entschiedenste den Gedanken eines
christlichen Staates. Die Zulassung zu den Staatsämtern will
er nicht abhängig machen vom Bekenntnis. Es giebt „tau-
send gesetzliche Staatsgewalten, die nie von Jesus Christus
etwas gehört haben, ... ein gläubiger Beamter ist um nichts
mehr ein Beamter als ein ungläubiger . ., und die Christen-
heit kann ihm keinen Zuwachs an Machtvollkommenheit
geben." Und damit ja kein Zweifel darüber bleibe, was er
bei dieser Trennung des religiösen und politischen Gebietes
in die Domäne des Staates verweise, giebt er zu verstehn,
dass Schulen und Universitäten nicht kirchliche Institute zu
sein haben. Sie haben folgerichtig mit der religiösen Er-
ziehung nichts mehr zu thun, sie sind Anstalten, um den
Bürger zu bilden, für die verschiedenen Berufsarten des Le-
bens tüchtig zu machen, „für Sprachen und Künste", wie
Williams sieh ausdrückt (^).
Einen ähnlichen Standpunkt wie Williams, wenn auch von
23Ö J- Goodwin und Gesinnungsgenossen.
dessen Klarheit entfernt, nahm jener John Goodwin ein, der Pfarrer
von Coleraan-Street, dessen Abweichungen vom orthodoxen Calvi-
nismiis der presbyterianisehen Mehrheit auf der Synode nicht
weniger verdächtig waren wie seine freie Auslegung desCovenant.
Er antwortete unter dem Pseudonym M. S. einem der zahlreichen
Angriffe, die sich gegen die „Apologie" der fünf independen-
tischen Geistlichen gerichtet hatten, und wurde bei einer neuen
Auflage seiner Schrift von zweien derselben unterstützt (^).
Baillie, von der Kühnheit des Mannes erschreckt, hatte ganz
Recht, wenn er in einem Briefe vom Anfang Mai 1644 Good-
■win's Ansicht darin zusammenfasste : „Er ist ein bittrer Feind
des Presbyterianismus und spricht sich offen für eine volle
Gewissensfreiheit aller Sekten, ja selbst von Türken, Juden, Pa-
pisten aus." Disputationen, Ermahnungen, geistliche Censuren
im Schoss der einzelnen Gemeinden und einer gegen die an-
dere schloss Goodwin nicht aus, auch gieng er darin, nicht
folgerichtig, weiter als Williams, dass er der bürgerlichen
Behörde in unbestimmten Ausdrücken zur Pflicht machte, die
Geistlichkeit auf die sorgsame Erfüllung ihres Berufes hinzu-
weisen. Andere Eingriffe des Staates in das religiöse Gebiet
hielt er nicht für statthaft. — Aehnlich scheint der dunkel
redende Verfasser einer Flugschrift (the compassionate Sa-
maritan, 1644) gedacht zu haben, w^elcher erklärte: „Die
Doktrin der Verfolgung in Gewissensfragen, wie sie Calvin,
Beza und die Geistlichen Neuenglands aufrecht erhalten, ist
Schuld an all' dem Blut der Seelen, das von Alters her um
Rache schreit" (2). Hier waren die Gewalten von Massachu-
setts, die einen Williams vertrieben hatten, um ihre Staats-
kirche aufrecht zu halten, ausdrücklich auf eine Linie ge-
stellt mit dem genfer Reformator, auf dessen Antrieb Servet
zum Scheiterhaufen geführt worden war.
Wenn Roger Williams mit voller Bestimmtheit, dieser
und jener sonst nicht mit gleicher Schärfe sich dahin ausge-
sprochen hatte, dass die Pflege der religiösen Interessen und
die Organisation des kirchlichen Lebens den einzelnen Bürgern
zu überlassen sei, und dass hierin keine Beschränkung der
Willkür erfolgen dürfe, soferne sie nicht gegen die btirger-
Forderung der Toleranz. 237
liehen Gesetze verstiessen, so erhoben andere Jünger des
Independentismus , welche die Kraft nicht hatten, durch ein
Princip die Tradition von Jahrhunderten umzustossen, weniger
hohe Ansprüche. Sie hatten nichts dagegen, wenn der Staat
eine Kirche privilegire, ihr Dogma, ihren Ritus, ihre Ver-
fassung seiner Prüfung unterwerfe, die Erhaltung ihrer Diener
garantire, ihre Institute unterstütze. Aber sie forderten neben
dieser anerkannten Nationalkirche, welche keine andere als
die presbyteriale zu werden drohte, Toleranz für andere, die
ihr nicht anzugehören wünschten. Es lässt sich nicht genau
feststellen, wer alles, nach ihrer Ansicht, zu diesen anderen
gehören sollte, und inwieferne sie sich hie und da mit den
Latitudinariern oder Männern wie Seiden, berührten. Im
ganzen und grossen hielten sie an der Meinung Robinson's
fest, ohne ihre Unklarheiten aufzuhellen oder sich ihrer nur
bewusst zu werden. Sie hätten^ wie er, gewünscht, dass der
Staat seiner Strafgewalt unterwerfe, was ihnen als „notorische
Abgötterei" galt, aber sie widersetzten sich aufs lebhafteste
der Forderung, ihre independenten Gemeinden aufzulösen und
in jene Nationalkirche einzutreten. Die fünf independentischen
Mitglieder der Synode beschränkten ihr Verlangen der Dul-
dung auf jene „unbedeutenden Abweichungen", deren sie sich
gegenüber dem Presbyterianismus allein bewusst waren.
Burton wollte nur „offenkundige Ketzerei, Blasphemie, Ido-
latrie" von ihr ausgeschlossen wissen. Eine bestimmte Grenze
war nicht gezogen und liess sich nicht ziehen. Wer anfangs
Toleranz gefordert hatte aus Egoismus, musste allmählich
dazu gedrängt werden, Toleranz zu fordern aus Grundsatz.
Eben das war es, was der Presbyterianismus auch gegen
die Vertreter des milderen Independentismus auszunutzen
versuchte. Wenn er ihnen heute gewährte, was sie verlangten,
wer bürgte dafür, dass nicht morgen tausend andere dasselbe
forderten ? Und hier bot sieh dem überzeugten Presbyterianer
ein entsetzliches Bild. Man kennt jenes „Chaos barbarischer
Sektennamen", das uns von dieser Seite überliefert worden
ist(^). Werke, wie „The Dippers dipt"(2) von Featley,
einem gemässigten Episkopalisten, der aus der Synode ent-
238 Sektenfurcht. Edwards, Frynne etc.
fernt wurde, oder wie Ephraim Pagit's, des Pfarrers von
St. Edmund, Lombard Street, Heresiographie, oder des Schotten
Baillie „Warnung vor den Irrthümeru der Zeit" haben das
Ihrige gethan, sie in die Literatur einzusehwärzen. Fast noch
wirksamer waren zwei andere Bücher von ähnlicher Tendenz.
Das eine hatte jenen William Prynne zum Verfasser, der
mit Burton ein Märtyrer des Laud'schen Zelotismus gewesen,
aber, sehr ungleich seinem Leidensgefährten, wie Bastwick ein
feuriger Vorkämpfer des zelotischen Presby terianismus geworden
war. Es führte den vielversprechenden Titel : „Eben gemachte
Entdeckung einiger Unheil verkündender Kometen und Feuer-
brände, die sich selbst neue Lichter nennen, aber Kirche und
Staat aufs neue in Brand stecken werden." Das andere und
gefährlichste von allen stammte aus der Paeder desselben
Edwards, der schon durch seine frühere Thätigkeit bei den
Presbyterianern zu hohem Ansehen gekommen war. Es nannte
sich: „Gangraena oder Katalog und Enthüllung vieler der
Irrthümer, Ketzereien, Blasphemien und verderblichen Prak-
tiken der Sektirer dieser Zeit". Die genannten Werke er-
schienen in den Jahren 1645 und 1646, fast sämmtlich er-
lebten sie nicht wenige Auflagen, mit abschreckenden Illustra-
tionen geschmückt, bereichert und erweitert. Ihre Absicht
geht dahin, beim Volke und beim Parlament den Indepen-
dentismus und seine Forderung der Toleranz in Verruf zu
bringen, indem sie mit grausamer Lust ein Bild der zahllosen
verabscheuungswürdigen Sekten entwerfen, welche in England
eingedrungen seien und gleich dem Independentismus Duldung
verlangten. Wie man denken kann, nehmen die Anabaptisten
die erste Stelle ein, aber ein ganzes Heer anderer Sektirer
schliesst sich ihnen an: Antinomianer, ^velche sich derselben
Abweichungen vom Dogma schuldig machten, wie jene mittler-
weile von den Indianern erschlagene Mrs. Hutchinson ; Läugner
der strengen Trinitätslehre, wie Arianer und Socinianer; Fa-
milisten. Chiliasten, „Seekers", welche die Herstellung der
„wahren Kirche" von der Zukunft erwarteten und ihrer
Möglichkeit für die Gegenwart widersprachen; Divorcers,
welche „um geringer Ursachen willen" die Schei-
I
Sektenfurcht. Edwards, Prynne etc. 239
dung erlauben wollen u. a. m. Mit Abscheu wiesen die
presbyterianischen Federn darauf hin, dass schon hie und da
die Frauen in den Versammlungen dieser und jener Sektirer
das Wort nähmen. Indem sie einzelne Sätze ihrer Lehren
und Schriften auszogen, fanden sie nicht nur das Predigtamt
ausdrücklich auch für das weibliche Geschlecht in Anspruch
genommen, sondern selbst Theorieen entwickelt, die sich gegen
das Waffentragen wie das Sondereigenthum richteten und
somit die Grundlagen der Gesellschaft anzutasten schienen.
Sehr erwünscht war es alsdann, zu gleicher Zeit auf Aussprüche
hinweisen zu können, .wie die, dass jeder Freiheit des Ge-
wissens und der Prophetie haben müsse, dass jeder Kaufmann,
Buchhändler, Fuhrmann auch Prediger sein könne, dass
Zehnten und ein fester Gehalt für den Geistlichen unstatthaft
seien, dass der Staat Blasphemie und Atheismus nicht strafen
dürfe. Alles dies Hess sich auf independentische Wurzeln
zurückführen (').
Unzweifelhaft sah die Angst des Presbyterianismus nicht
ganz klar. Viele der Unterschiede von Sekten, welche er
machte, waren gar nicht vorhanden. Manche „Häresie" wurde
nur von einzelnen kühnen Geistern getheilt, ohne dass diese
eine Gemeinde um sich hätten bilden können oder nur bilden
wollen. Absichtliche oder unabsichtliche Missverständnisse
und Entstellungen, näher oder ferner liegende Erinnerungen
an die Sekten des sechzehnten Jahrhunderts, voreilige Schlüsse,
die aus einzelnen Aeusserungen und Erscheinungen gezogen
wurden : das alles wirkte zur Herstellung jener Anklagelisten
zusammen, welche die Presbyterianer so eifrig waren zu ent-
weifen. Was hier mit dem Namen von Sekten gebrandmarkt
wurde, waren im Grunde fast durchaus „nur in einander
verschwimmende Nuancirungen der einen grossen enthusiasti-
schen Partei der Heiligen", wie alle diejenigen sich nannten,
die sich einer inneren Heiligung, einer unmittelbaren Inspi-
ration bewusst waren, eben das, was dem Independentismus
von Anfang an eigen gewesen war(^). Allerdings liess sich
nicht läugnen, dass einzelne organisirte Genossenschaften in
nicht geiinger Zahl Eingang gefunden und sich namentlich
240 Sektenfurcht. Edwards, Prynne etc.
der niederen Volksklassen bemächtigt hatten, wie denn die
Baptisten, welche das Hauptgewicht auf die Verwerfung der
Kindertaufe legten und alle äusseren kirchlichen Formen ver-
schmähten, 1644 siebenundvierzig Gemeinden zählten (').
Ebenso waren in der That dogmatische Zweifel, wie sie dem
strenggläubigen Presbyterianismus Schauder einflössten, in
weitere Kreise gedrungen. Und vor allem jener Gi"undsatz
von der Gewissensfreiheit gewann täglich an Boden. Um so
eifriger w'ehrten sich die Presbyterianer der Synode gegen
die verlangte Toleranz. Sie versagten sie den gemässigten
Independenten, ihren fünf Genossen, um sie nicht den radikalen,
den „Sektirern" gewähren zu müssen. Sie erreichten dadurch
nur, dass beide sich in diesem Punkt vollständig vereinigten.
Toleranz wurde die immer lautere Forderung des Tages.
Die Presbyterianer wandten alle Mittel an, um sie zum
Schweigen zu bringen. Die Synode beschloss auf ihren An-
trag, gegen den Protest von Nye und anderen, beim Parla-
ment über das Wachsthum von Anabaptisten, Antinomianern
und sonstigen Sektirern Klage zu führen (7. Aug. 1644). Einzelne
Führer wurden denuncirt und sollten verhört werden. Das Par-
lament liess das letzte Buch Roger Williams verbrennen, häufige
Fasttage anordnen und sich von hervorragenden Mitgliedern
der Synode Predigten halten, in welchen die Grundsätze der
Gewissensfreiheit und Duldung für Teufelswerk erklärt wurden
und in welchen zur Freude der schottischen Kommissäre,
energische Hinweisungen auf Liga und Covenant vorkamen,
durch die man die strikte Einführung des presl)ytei*iani-
schen Systems vorgezeichnet glaubte (2). Eine reiche Fülle
solcher officieller Predigten ist uns erhalten, und man
braucht nur einen Blick in sie zu werfen, um sich von der
Heftigkeit des Kampfes einen Begrift" zu machen. , Da be-
jammert Thomas Hill die Aussicht, dass London „ein Amster-
dam wei'den würde, wenn man die Thüren so weit ötfnen
wolle, alle Religionen zu dulden" {^). Obadjah Sedgwick sieht
nur eine Rettung: den Abscheu des Parlamentes „vor dem
Worte, ja vor dem blossen Gedanken einer Duldung aller
Meinungen der Kirche", denn nachdem man sich einmal vor-
Intoleranz der Smectymnianer. 241
genommen, eine Konformität in der Kirche herzustellen, liege
darin ein Spott Gottes selbst". „Ich würde, ruft er ein
ander Mal aus, wenn Gott es will, lieber im Grabe liegen,
als leben, um eine solche nicht zu tolerirende Toleranz zu
sehen" (^). Andere Mitglieder der Synode, wie Yines und
Palmer redeten dem Parlamente eben so eifrig ins Gewissen (2).
Auf den Kanzeln der Stadt wurde dasselbe Thema verarbeitet,
indem man die Zuhörerschaft vor Heidenthum und Muham-
medanismus erzittern Hess, und wer nicht Gelegenheit oder
nicht genug daran hatte, durch das Wort zu wirken, griff
wie die unermüdlichen Edwards und Prynne zur Feder.
Zu den eifrigsten Gegnern der Toleranz gehörten Milton"s
Freunde, die fünf Verfasser des Smectymnuus. Wir würden
es aus den Worten ihrer independentischen Gegner wissen,
wenn nicht einige von ihnen selbst dafür Zeugnis ablegten. Es
war Stephen Marshall, der Namens der Synode vor den Häusern
des Parlaments erschien und mehrere der Sektenführer denun-
cirte. Edmund Calamy wandte sich mit Flammenworten
gegen das „Streiten um Meinungen", die „selbstmörderischen
Parteiungen" und forderte dazu auf, am Covenant festzu-
halten und Gottes Zorn durch Reue und Zerknirschung zu
versöhnen. (2) Matthew Newcomen, der, seinem Biographen
zu Folge, einen Traktat gegen die Toleranz der Juden ge-
schrieben, wenn auch nicht veröffentlicht hatte, war nicht
der Mann, hier zu schweigen. Für den 12. September 1644,
als man sehr schlechte Nachrichten von der Armee aus dem
Westen erhalten hatte, war ein Fasttag angesetzt, und New-
comen beauftragt, vor dem Parlament die Predigt zu halten.
Das war eine Gelegenheit, den zerknirschten Zuhörern ihre
Sünden zu Gemüthe zu führen und strafende Worte auszu-
sprechen, die über die jNIauern der Kapelle St. INIargaret
nach Stadt und Land, zu den Bürgern und zum Heere hinaus-
dringen sollten. „Oh wie sehr fürchte ich, — ruft der fromme
Redner aus, — dass eure Sünden das Unheil herbeigeführt
haben, das uns betroffen hat . . . Stolz und Luxus, Fleisch-
essen und Weintrinken, sich in Scharlach kleiden, mit empor-
gerecktem Nacken einhergehen in einer Zeit wie diese! . .
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 16
242 Intoleranz der Smectymnianer.
Das Parlament, die Synode verachtet, die Reformation in
Dogma, Ritus, Verfassung verachtet! Die Menschen wünschen
sich wieder nach Aegypten zurück . . keine Reform der Kirche,
nichts kann einigen Leuten genug thun, als eine Toleranz
aller Religionen und Meinungen. Kirchenverfassung, Disciplin
gilt einigen als eine Fiktion, anderen als Tyrannei. Ah, Brüder,
das reizt den Zorn Gottes". Er beschwört die Vertreter der
Nation, gegen die Ketzer und Schismatiker nicht eine falsche
Milde zu üben und versteigt sich, als ein Mann von historischer
Bildung, so weit, ihnen das Wort „Landgraf, werde hart" in's
Gedächtnis zu rufen (^). Ganz in demselben Sinn sprach er
einige Monate später in der Paulskirche. Er spickte seine
Predigt mit Citaten aus protestantischen und katholischen
Schriftstellern und wird den ehrsamen Bürgern nicht wenig
durch seine Gelehrsamkeit imponirt haben. Die Hauptsache
war auch hier, zu beweisen, dass „eine allgemeine und ab-
solute Glaubensfreiheit für jedermann, wann und worin er
wolle, nicht erstrebenswerth sei, wenn überhaupt möglich,
und wenn möglich, nicht zu dulden". Er versucht zwar für
erlaubte Meinungsabweichungen gewisse Grenzen zu ziehen,
die Nothwendigkeit der Uebereinstimnmng auf das „Funda-
mentale und Wesentliche" zu beschränken, aber eben dieses
sieht er im Presbyterianismus, wie ihn die Schotten durch
den Covenant England aufzudringen wünschten. Er nimmt
diesen Vertrag gegen die independentischen Angriffe in
Schutz. Er beklagt es bitterlich, dass Leute ihn jetzt herunter-
reissen, „die ein Paar Jahre vorher geglaubt haben würden,
Gott nicht genug dafür danken zu können". Er wendet sich
gegen Ende mit aller Heftigkeit gegen diejenigen, welche
eine Einigung für unmöglich erklären, „und für Toleranz im
weitesten Sinn, selbst für Papisten, Juden und Türken sind" (2)-
Es konnte den Independenten nicht schwer werden,
Milton's Freunden zu antworten. War nicht aus ihrer Feder
jener berühmte Traktat Smectymnuus hervorgegangen? Liessen
sich nicht viele Sätze desselben, welche damals der Presby-
terianismus gegen das intolerante Prälatenthum aufgestellt
hatte, nun mit Glück gegen den intoleranten Presbyterianismus
Saltmarsh's Angriffe gegen sie. 243
verwenden? Mr. Saltmarsh, der, in Cambridge gebildet, in
den geistlichen Stand eingetreten war, zu den Häuptern der
Antinomianer gerechnet wurde und später als einer der
Kapläne .in Fairfax' Heere eine Rolle spielte, zögerte nicht,
dies zu benutzen und die Feinde mit ihren eigenen Waffen
zu schlagen. Er schrieb ein Pamphlet „Seufzer nach Frei-
heit, dem hohen Parlament im Jahre 1641 dargebracht von
den (früher nicht konformistischen) presbyterianischen Brüdern,
die man für die Fähigsten und Gelehrtesten hält, in einem
Traktat, genannt Smectymnuus, aus Anlass der Tyrannei
der Prälaten, wieder auferweckt und ihnen selbst darge-
bracht zu Gunsten ihrer nicht konformistischen Brüder" (^).
Damit niemand im Unklaren darüber bleibe, „wer dieser
Smectymnuus sei", werden die Namen der fünf Verfasser
mit Hervorhebung ihrer Anfangsbuchstaben genannt. Und
nun zieht Saltmarsh einzelne Sätze aus dem Smectymnuus
aus, um jedesmal die Frage an die Autoren zu richten, ob
sie nicht für andere als bilhg gelten lassen wollen, was sie
einst für sich selbst als Recht in Anspruch genommen hatten.
In der That Hess sich die Parallele glänzend durchführen.
Selbst darüber hatten die fünf Presbyterianer, die Nonkonfor-
misten von damals, sich beklagt, dass die Bischöfe sie „in
ihrer Hofsprache" mit den Namen „Häretiker und Schisma-
tiker" belegt hatten, denselben Namen, welche die Presby-
terianer jetzt gegen die Nonkonformisten der Gegenwart
schleuderten. Gegenüber solchen Thatsachen hatte der Autor
gutes Recht, den „ehrwürdigen Geistlichen presbyterianischer
Richtung" zuzurufen: „Brüder, so haben einige von euch
unter dem Bisthum, unter der Tyrannei jener Kirchenver-
fassung geseufzt. Oh, wie zartfühlend waren eure Gewissen
damals wegen der usurpirten Herrschaft, der aufgezwungenen
Formen, damals als ihr noch die Leidenden wäret. Aber
jetzt, da eure Brüder sich euch so wenig konformiren wollen,
wie ihr einst euch den Prälaten, da ihr die Herrscher seid,
und eure Brüder die Leidenden, habt ihr jene Zeiten und
Umstände völlig vergessen". Es war eine treffende Blustra-
tion des Satzes, dass den Parteien im Besitz der Macht die
16*
244 Saltmarsli's Angriffe gegen sie.
Grundsätze der Zeiten ihrer Machtlosigkeit nur zu bald aus
dem Gedächtniss entschwinden, und dass sie nicht nach ihren
Zielen gemessen zu werden verdienen, welche jede für sehr
edel hält, sondern nach ihren Mitteln, welche nur allzu häufig
die eine von der anderen zu erborgen pflegt.
Je mehr man die Frage der Toleranz auf indepen-
dentischer Seite durchdachte, desto näher lag es, sie dadurch
zu vereinfachen, das sman überhaupt die theokratische Idee
aufgab , nach welcher der Staat sich mit religiösen Aufgaben
befassen sollte. Wie schwer es den meisten auch werden
mochte, dieser Gewohnheit zu entsagen, und wie viel Unklar-
heiten der ringenden Geister im einzelnen übrig blieben, so
hat doch dieser und jener den entscheidenden Schritt gewagt,
der ihn von den milderen „fünf dissentirenden Brüdern" mehr
zu dem ganz und gar mit der Vergangenheit brechenden
Baptisten Robert Williams hinüberführte. Als ein solcher
bekannte sich jener Burton, indem er zwei Schriften „seines
Leidensbruders und ehemaligen Gefährten in der Trübsal",
William Prynne, bekämpfte. Burton hatte früher die Ein-
richtung einer Nationalkirche nicht schlechthin für unstatthaft
erklärt, daneben aber die Duldung von Gemeinden verlangt,
die sich dieser staatlich organisirten Kirche nicht konformiren
wollten. Hier spricht er sich dahin aus, dass es überhaupt
keine Staatskirche (political state-church-government) geben
dürfe, weil „ausser der der jetzt völlig zerstreuten Juden"
eine solche gar nicht als göttlichen Ursprungs nachweisbar
sei. Es kommt so ziemlich auf Williams' Ansicht heraus,
obgleich die näliere Ausführung fehlt, wenn Burton sagt:
„Der Staat hei-rscht über den Körper, nicht über die Seele . .
Christus allein ist Herr unseres Gewissens, und keine mensch-
liche oder irdische Gewalt darf sich ihm dabei an die Seite
stellen." Immerhin hatte er nur das religiöse Gebiet im
Auge, aber auf diesem sollte volle Freiheit gelten. „Was
das Gewissen eines Menschen betrilft, wenn er noch so sehr
irrt, wie z. B. ein Papist, . . so steht es trotzdem weder euch
(den presbyterianischen Geistlichen), noch irgend jemandem
sonst in der Welt zu, anders darauf einzuwii'ken , als durch
Das Heer und der Independentismus. 245
Belehrung und Ermahnung . . Zwang dürft ihr nicht an-
wenden". Freilich wagte er aus diesen Vordersätzen noch
durchaus nicht die praktischen Folgerungen zu ziehen, vor
denen Williams nicht zuriickbebte. Er macht noch einen
Unterschied zwischen der Toleranz des Einzelnen und der
Toleranz eines öffentlichen Kultus. „Der Staat braucht nicht
zu dulden, dass Papismus und Idolatrie offen im Lande auf-
gerichtet werden, aber über das Gewissen eines Papisten ist
er nicht Meister oder Richter". (i). Der Fortschritt vom
blossen Verlangen der Duldung zum Verlangen völligen Ver-
zichtes des Staates auf Bildung einer Landeskirche war bei
alledem unverkennbar.
Die Presbyterianer sahen mit immer grösserer Bangigkeit
in die Zukunft. Was halfen alle ihre Siege bei den Abstim-
mungen der Synode, alle Fasttage und Predigten, alle schönen
Worte des Parlamentes, alle Appellationen an die gesammte
reformirte Kirche in Europa, alle Aufmunterungen der Schotten,
wenn Schriften wie die von Saltmarsh und Burton immer eifrigere
Leser fanden, und die Forderung der Toleranz, wenn nicht
gar die des Verzichtes auf Einrichtung einer Nationalkirche,
immer mehr Anhänger im Volke gewann? Und was beson-
ders bedenklich war, diese verderblichen Meinungen griffen
von Tag zu Tage weiter im Heere um sich. Ja man be-
merkte mit Schrecken, dass ganze Ptegimenter sich von der
presbyterianischen Rechtgläubigkeit zu häretischen Schwär-
mereien abgewandt hatten oder doch vollständig indepen-
dentisch gesinnt waren, und dass dieser Independentismus des
Heeres eine ganz andere Energie in sich berge, als der der
„fünf dissentirenden Brüder". Schon am 2. April 1644 erwähnt
Baillie, dass „einige Offi eiere und Soldaten sogar Antinomianer
und Anabaptisten" seien. Am 26. April glaubt er mit Sicher-
heit mittheilen zu können: „Die Independenten haben es so
eingerichtet, dass von den Officieren und Soldaten im Heere
Manchester's, gewiss auch in dem des Generals (Essex) und
246 Cromwell.
wie ich höre, in Waller's Armee gleicherweise mehr als zwei
Drittel es mit ihnen hält, und dies die Entschlossensten und
Zuversichtlichsten für die Sache des Parlaments," (^) Traf
diese Behauptung für die Armee von Essex und Waller auch
nicht zu, so hatte sie doch für die Manchester's einen guten
Sinn. Manchester selbst zwar gehörte nicht zu denen, welche
der Presbyterianismus zu fürchten hatte. Der Mann von
„angeborener Höflichkeit, Feinheit und Gutmüthigkeit", wie
ihn selbst der Gegner Clarendon schildert, hatte sich aller-
dings schon als Lord Kimbolten durch politischen Freimuth
der Art ausgezeichnet, dass Karl I. ihn neben den fünf Mit-
gliedern des Unterhauses beim Versuche seines Staatsstreiches
als Opfer auswählte. Allein in Sachen der Eeligion war er, wie
die Masse seiner vornehmen Standesgenossen auf parlamentari-
scher Seite, von den demokratisch-toleranten Ansichten derlnde-
pendenten weit entfernt. Dagegen derjenige, welcher in seinem
Heere schon den grössten Einfluss ausübte, war zugleich ent-
schiedener Widersacher der presbyterianischen Engherzigkeit:
Oliver Cromw^ell. Bei-eits am 2. April 1644 nennt ihn Baillie
den „grossen Independenten", und in der That hatte der kühne
Lieutenant-General aus seiner Gesinnung kein Hehl gemacht.
Man kennt jenes denkwürdige Gespräch zwischen Hamp-
den und Cromwell, in w^elchem dieser seinem Verwandten
die Nothwendigkeit einer Umbildung der parlamentarischen
Armee entwickelte, die sich damals keineswegs im Ueber-
gewichte gegen die des Königs befand. Er erkannte ganz
richtig, worin die Stärke der Kavaliere lag, wenn er betonte,
dass es „Söhne von Edelleuten" seien, „jüngere Söhne, Männer
von Rang und Ehre". Diesem Gefühl der „Kavalier-Ehre"
wünschte er ein anderes, mächtigeres geistiges Element ent-
gegenzusetzen, als er es in den „alten unfähigen Kellnern,
Weinzapfern und solcher Art Leute" fand, wie er verächtlich
das Soldatcnniaterial nannte, das sich beim Beginn des Krieges
auf parlamentarischer Seite so vielfach aus der städtischen
Masse rekrutirte. Er entschloss sich „Leute anzuwerben,
welche Gottesfurcht im Herzen trugen, die ihr Gewissen trieb",
und er erlebte den Triumph, „dass sie nie geschlagen wurden,
Cromwell. ' 247
sondern, wo sie vor den Feind kamen, Sieger blieben" {^).
Er wünschte mit anderen Worten dem Antriebe der feudalen
Loyalität durch einen stärkeren zu begegnen, dem der reli-
giösen Idee, wie sie ihn selbst in allem Denken und Handein
durchdrang. Nirgendwo beherrschte sie die Gemüther so übei*-
mächtig, wie in jenen zahlreichen independenten Kongre-
gationen, bei den enthusiastischen ..Heiligen", die, wie er
selbst, ihre Zeit als „den grossen Tag der göttlichen Macht
und Heimsuchung" betrachteten und die sich durch den Finger
des Höchsten, als unmittelbare Werkzeuge seines zürnenden
Willens, geleitet glaubten. Was Wunder, wenn Cromwell bei der
Auswahl seiner Soldaten und Officiere auf diese hochgespannte
gläulnge Stimmung besonders Rücksicht nahm und es nun
verstand, seine Regimenter mit einem Enthusiasmus für ihre
Sache zu erfüllen, der an den Todesmuth der arabischen
Schaaren gemahnt, denen die Fahne des Propheten voran-
wehte. Seine Mannschaften sammelten sich zu extemporirter
Predigt und zu freiem Gebet, sangen Psalmen und erhoben sich
an Stellen der Schrift, aber dann stürzten sie sich mit dem
rücksichtslosen Fanatismus des Prädestinationsglaubens auf
den Feind. In seinem Lager wurde nicht geflucht und nicht
gerauft, Frauen und Würfel waren verbannt, eine eiserne,
ohne Murren ertragene Disciplin machte es, wie jMilton für
eine spätere Zeit sich ausdrückt, zur „besten Schule nicht
nur der Kriegskunst, sondern des Glaubens und der Fröm-
migkeit" (^). Jeder war hier willkommen, der sich tüchtig
erwies, ohne dass er eine Probe auf seine Rechtgläubigkeit
abzulegen gehabt hätte. Bald wusste man, dass unter Offi-
cieren wie Soldaten eine Menge jener radikalen Sekten Ver-
treter hatte, deren blosser Käme dem orthodoxen Presby-
terianer verhasst war, und welche sämmtlich, wie der mildere
Independentismus, Toleranz auf ihre Fahne geschrieben hatten.
Man spottete über die „Visionen und Oftenbarungen", welche
manche dieser kräftigen Reiter, die sich „Gottselige" nannten,
gesehen haben wollten, aber der Spott hörte auf, als man
bemerken zu müssen glaubte, dass dieser oder jener „gut-
gesinnte Officier" von seinem Posten entfernt würde, um
-248 Cromwell.
„diesem albernen Volke" Platz zu machen C^). Die „Gutge-
sinnten" hätten vielmehr eine Ausstossung aller dieser sektire-
rischen Elemente gewünscht und legten, wo sie die Macht
dazu hatten, ihren presbyterianischen Massstab bei der Beur-
theilung von Officieren und Soldaten an.
Schon friiher kam es darüber hie und da zu Konflikten,
welche ernstere Misshelligkeiten vorausverkündigten. In Man-
chester's Heere z. B. war der Schotte Laurence Crawford, nach
dem Anrücken der nordischen Hilfsmacht von Manchester als
Major-General in seine Armee aufgenommen, schon kraft seiner
Nationalität der Hauptvertreter dieser engherzigen presbyteriani-
schen Richtung. Als er einen Officier besti'aft und suspendirt
hatte, dessen Hauptverbrechen darin bestand, dass er zu den
Anabaptisten gehörte , zog er sich von Cromwell (10. März
1644) ein Schreiben zu, welches den ganzen Gegensatz dieser
Geister enthüllte. „Hütet euch, — gab ihm Cromwell zu
hören — heftig zu sein oder euch durch andere zur Heftig-
keit hinreissen zu lassen gegen solche, denen nicht viel mehr
vorzuwerfen ist, als dass sie mit euch in Sachen der Religion
nicht durchaus übereinstimmen . . Der Staat hat sich bei der
Auswahl seiner Diener nicht um ihre Gesinnungen zu kümmern;
wenn sie ihm nur ehrlich dienen, das genügt". (2) Seitdem
herrschte zwischen Cromwell und Crawford unversöhnliche
Feindschaft, und da dieser das volle Vertrauen Manchester's
erlangte, so wurde auch der General sehr bald mit bitteren
Gesinnungen gegen den „grossen Independenten" erfüllt.
Die Presbyterianer hatten gegenüber der mächtig an-
schwellenden ihnen so widerwärtigen Strömung eine Hoffnung,
auf deren Verwirklichung sie mit Sicherheit rechneten. Im
Januar 1G44 hatte das schottische Hilfsheer unter Leslie,
Grafen von Leven, mehr als 20000 Mann stark, Liga und
Covenant gemäss, die englische Grenze überschritten. Ein
„Committee beider Königreiche", nach dem Orte seiner
Sitzungen das „Committee von Derby-Haus" genannt, ward
gebildet, welches selir gegen P'ssex' Wunsch die Oberleitung
des gesammten Militäi-wesens in die Hand nahm und sich
mit den Führern der einzelnen Armeen in direkte Verbindung
Hoffnung des Presbyterianismus auf die Schotten. 249
setzte. Hatten in dieser Behörde, welche die hervorragendsten
Officiere, wie Essex, Waller, Manchester, Cromwell selbst in
sich schloss, die Engländer selbstverständlich das grösste
Uebergewicht, so waren doch auch die Schotten vertreten.
Wenn es gelang, den schottischen Einfluss zur Geltung zu
bringen, die ähnlich gesinnten angesehenen englischen INIit-
glieder mit fortzureissen und vor allem durch grosse Erfolge
des schottischen Heeres eine moralische Stütze zu erhalten,
so war man sicher, über alle Bestrebungen des Independen-
tismus zu triumphiren und die verhasste Forderung der Tole-
ranz zum Schweigen zu bringen. In Baillie's Briefen kehren
daher die Ausdrücke des Bedauerns über das Zögern des
schottischen Generals und der Hoffnung auf seine Siege immer
wieder. Alle Disputationen mit den Independenten seien
nutzlos; wenn nur die schottische Armee vorrücke oder siege,
so werde das die beste Verstärkung der Gründe sein.(^) Aber
während sich die Presbyterianer in diesen Erwartungen wiegten,
nahm der Krieg eine Wendung, die ihnen nichts weniger als
erwünscht sein konnte.
Indessen Essex und Waller gegen Oxford heranrückten,
und den König dort in die bedenklichste Lage zu bringen
drohten, gelang es im Norden den beiden Fairfax, sich mit
den Schotten zu vereinigen, die bis dahin zum Unwillen ihrer
englischen Freunde jeder grösseren Aktion vorsichtig ausge-
wichen waren. Zugleich setzte sich die Armee der Association
der östlichen Grafschaften unter Manchester und Cromwell in
Bewegung, überschritt den Humber und verband sich mit den
Schotten und den Fairfax zur Belagerung von York, der
wichtigsten Stadt des Nordens, hinter deren Wälle Newcastle
sich hatte zurückziehen müssen. Ihm zu Hilfe hatte im
Auftrag des Königs Prinz Rupert sich aufgemacht, dem kurz
zuvor eine Waffenthat nach der anderen im Westen gelungen
war. Er brach in Yorkshire ein, und indem die Belagerungs-
armee ihm entgegenzog, sah sich die bedrohte Stadt durch
die blosse Nachricht seiner Ankunft schon befreit. Es gelang
ihm sodann, die anrückenden Feinde zu täuschen und sich
den Weg zu Newcastle zu bahnen. Dieser hatte gute Gründe,
250 Schlacht von Marston-Moor.
eine Feldschlacht zu widerrathen, aber Rupert brannte darauf,
durch eine grosse That den verhassten Gegner zu vernichten,
berief sich auf eine angebliche Ermächtigung des Königs und
riss Xewcastle wider dessen bessere Ueberzeugung mit sich
fort, dem verbündeten englisch-schottischen Heere entgegen-
zutreten. Als man in der Abenddcämmerung des 2. Juli (1644)
die ersten Flintenschüsse wechselte, war die von den Presby-
terianern so lange herbeigesehnte Gelegenheit gekommen,
durch die sie ihren Freunden, den Schotten, den höchsten
Siegespreis verschafft zu sehen wünschten. Aber so tapfer
auch auf allen Seiten um Marston-Moor gekämpft wurde, und
so lebhaft nach dem Siege der Streit darüber losbrach, wem
er vorzugsweise zuzuschreiben sei, so klärte sich die öffentliche
Meinung dahin ab, dass Cromwell und seinen Eisenseiten
nicht der geringste Lorbeer gebühre. In der That war das
Centrum der parlamentarischen Armee schwer bedrängt, der
rechte Flügel in voller Auflösung gewesen, als der linke
Flügel unter Cromwell und David Leslie, von der Verfolgung
des Feindes zurückkehrend, alles Verlorene wieder gut machte
und die, ihres Triumphes schon sicheren, royalistischen Regi-
menter zersprengte. Der furchtbar erbitterte Kampf hatte
zu einem vollständigen Siege für die Sache des Parlamentes
geführt. Newcastle, der Rolle, die er zu spielen gehabt hatte,
müde, schiffte sich nach dem Festlande ein, Rupert führte
die Trümmer des Heeres in eiliger Flucht nach Lancashire,
York ergab sich, die Schotten rückten nach Norden, um die
Stadt Newcastle zu erobern. (^)
Der grosse Erfolg von Maston-Moor erschien in um so
glänzenderem Lichte, je weniger glücklich an anderen Stellen
gegen den König gekämpft worden war. Dieser hatte sich in-
zwischen mit Geschick der gefährlichen Umklammerung der
beiden gegen Oxford heranrückenden Armeen nach Norden
zu entziehen gewusst, war, während Essex sich den west-
lichen (irafschaften zuwandte, wieder vorgerückt, um Waller
eine emptindlichc Niederlage beizubringen, und hatte (kmach
in Verbindung mit seinem Neften, dem, Prinzen Moritz von
der Pfalz, die Armee von Essex in die gefährlichste Lage
Unfälle von Waller und Essex. 251
gebracht. Allerdings hatte Essex inzwischen im Westen nicht
geringe Erfolge davongetragen und sogar die Königin, die
sich in Exeter von ihrer letzten Niederkunft erholte, genöthigt,
vor dem Kriegsgetümmel über das Meer nach Frankreich zu
entfliehen. Aber er liess sich verlocken, sich in das gebirgige
Cornwallis einzulassen, in der Hoffnung, dem König diese
treueste Provinz vor seiner Ankunft zu entreissen. Inmitten der
feindlichen Bevölkerung, von aller Hilfe abgeschnitten, durch
überlegene Streitkräfte in die Enge getrieben, entschloss sich
der parlamentarische General lieber zu den grössten Opfern
und Demüthigungen, als dass er sich durch die wiederholten
Anerbietungen des Königs hätte gewinnen lassen. Die Reiterei
schlug sich durch, Artillerie und Fussvolk mussten kapituliren,
nachdem ihr Führer, von ein Paar Officieren begleitet, sie in
verzweifelter Stimmung verlassen hatte, um die Küste zu ge-
winnen und zu Schiff in Sicherheit zu gelangen. Auf diese
Katastrophe hatte Newcomen in seiner elegischen Predigt an-
gespielt, (s. 0. S. 241 j und die Presbyterianer hatten in der
That Grund genug zu beklagen , dass von den Generälen ihrer
Gesinnung einer nach dem andern geschlagen wurde.
Inzwischen war auch das bisher leidliche Einvernehmen
zwischen Manchester und Cromwell getrübt worden. Die Art
und Weise, wie Manchester den Sieg von ]\Iarston-Moor verfolgte,
war weder im Sinne CromweH's noch des Derby-Haus-Coiii-
mittee gewesen. Während alles darauf ankam , sich an
Eupert's Fersen zu hängen, seine blitzschnellen Bewegungen
zu überwachen und ihn zu vernichten, ehe der König von
seiner Expedition gegen Essex zurückkehrte, schützte ]Man-
chester beständig lokale Interessen, die Ptücksicht auf die
östlichen Grafschaften, aus denen sein Heer rekrutirt war,
]\Iangel an Mitteln und Leuten vor, und begnügte sich mit
geringfügigen Triumphen und der Einnahme einiger festen
Plätze. Ein grosser Theil seiner Officiere war mit ihm ein-
verstanden, aber Cromwell war seit Wochen mit dem grössten
ünrauth , wenn nicht mit Argwohn gegen die zögernde Krieg-
führung seines Vorgesetzten eifüllt. Er machte gegenüber
von Freunden aus seinen Sorgen kein Hehl und scheint nicht
252 Unfälle von Waller und Essex.
wenig dazu beigetragen zu haben, die Machthaber in London
gleichfalls in eine etwas gereizte Stimmung zu versetzen.
Auch jetzt AYieder war jener Schotte Crawford das haupt-
sächliche Element des Zwiespaltes im Heere, und Cromwell
wird sich gegen ihn, den Verläumder der Independenten, um
so heftiger gewandt haben, je weniger er damals schon wagte,
Manchester selbst anzugreifen. Ge\Yiss ist, dass alle drei im
Laufe des September in London erschienen, und dass Crom-
well hier die Entlassung Crawford's durchzusetzen suchte,
dessen militärische Erfolge seinem religiösem Zelotismus durch-
aus nicht immer entsprochen hatten. Wenn Cromwell diese Al)-
sieht auch nicht gelang, so benutzte er doch seine Anwesenheit,
um, im Bunde mit seinen independentischen Freunden des Par-
laments, einen Beschluss hevorzurufen, welcher die Presbyte-
rianer innerhalb und ausserhalb der Synode wie ein Blitz aus
heiterm Himmel traf.
Es war klar, dass die Synode entschlossen war, jeden
Widersprach niederzustimmen, England das Joch der Pres-
byterialverfassung aufzulegen und keine Toleranz zu ge-
währen. Dem musste rechtzeitig ein Damm entgegengeworfen
werden, sollten sich nicht die Helden von Marston -Moor
um ihre Hoffnungen betrogen sehen. Cromwell und Vane
wären, nach Baillie's Meinung, „für eine Freiheit aller Reli-
gionen ohne Ausnahme" gewesen, sie Hessen sich indess bei
dem Wortlaut der sog. Akkomodations- Ordonnanz genügen,
durch deren Annahme das Haus der Gemeinen am 13. Sep-
tember alle presbyterianischen Herzen sehr unangenehm über-
raschte. Nach dieser Ordonnanz sollte das grosse Committee
beider Häuser mit dem Committee der Synode und den
schottischen Kommissären die Meinungsverschiedenheiten in
Erwägung ziehen, die sich im Schoosse der Synode über die
Frage der Kirchenveifassung geltend gemacht hätten, und
womöglich eine Einigung zu Wege bringen. Sei dies nicht
möglich, so hätten sie auf Mittel und Wege zu sinnen, wie
„zarte Gewissen, die sich nicht in allen Dingen der ange-
nommenen Ptogel unterwerfen können, gemäss dem Worte
Gottes und dem öffentlichen Frieden geschont werden möchten".
Akkomodations-Ordonnanz. 253
Die milde Sprache dieser Ordonnanz war insofern deutlich
genug, dass sie dem Presbyterianismus vorläufig die Hoffnung
auf die von ihm für unerlässlich gehaltene vollkommene Ein-
heit des religiösen Lebens benahm und der verhassten Tole-
ranz wenigstens eine Hinterthüre öffnete (^).
Indessen wurden die Aussichten des Presbyterianismus
noch trüber in Folge der Veränderungen, die wenig später
mit dem gesammten Heerwesen vor sich gingen. Die Gene-
rale waren kaum zum Heere zurückgekehrt, als sich das alte
Spiel, Vorwärtsdrängen von Seiten der londoner Behörde,
Zögeruugen auf Seiten Manchester's, wiederholte. Während
dess nahte der von den Männern der That herbeigewünschte
Zusammenstoss heran. In den schottischen Hochlanden hatte
der ritterliche Abenteurer Montrose für seinen König die
Fahne der Empörung erhoben und sich mit den irischen
Mannschaften verbunden, welche seinem alten Lieblingsplan
zufolge an die schottische Küste geworfen waren. Der König
kehrte triumphirend aus dem Westen zurück und bedrohte
die Hauptstadt. Es war wichtig, ihm entgegenzutreten, ehe
sich Prinz Paipert mit ihm vereinigen konnte, um nicht alle
Früchte des Sieges von Marston-Moore auf einmal verloren
gehen zu lassen. Mit grosser Opferwilligkeit hatte man Essex'
und Waller's Armee wieder hergestellt, und da der erste sich
unfähig fühlte, London zu verlassen, übernahm Manchester
den Oberbefehl über das kombinirte Heer. Nach vielfachen
Zögerungen stellte er den König bei Newbury (27. Oktober
1644) auf demselben Schlachtfelde, das schon einmal den
Kampf des royalistischen und des parlamentarischen Heeres
gesehen hatte. Der Ausgang der Schlacht wurde zwar als
ein Sieg für das Parlament betrachtet, aber der König durfte
ungehindert seinen Marsch in der Richtung auf Oxford fort-
setzen. Vergeblich drang Cromwell auf eine energische
Verfolgung, Manchester liess es sogar zu, dass der König,
nimmehr mit Paipert vereint, einige Zeit später Geschütz und
Bagage ganz ungestört aus der Burg von Donnington abholen
konnte.
Da brach der lange verhaltene Unwille über diese Art
254 Cromwell uud Manchester.
Kriegführung los und brachte die tieferen Gründe der Zwistig-
keiten zum Vorschein, die bis dahin mehr gefühlt als offen
ausgesprochen worden waren. Der Gegensatz, welcher seit
Monaten nicht nur die Regimenter unter Manchester, sondern
die gesammten Streitkräfte des Parlaments spaltete, war ein
Gegensatz religiöser und politischer Natur zu gleicher Zeit.
Es war nicht nur die Frage der Toleranz, durch die sich
Presbyterianer und Independenten getrennt sahen, vielmehr
gestaltete die Rücksicht auf eben diese Frage das Verhältnis
beider Parteien zum König, zur Kriegführung gegen ihn auf
verschiedene "Weise. Die Presbyterianer, ohnehin unter den
adligen Herren und dem wohlhabenden Bürgerstande besonders
stark vertreten, wünschten zu einem billigen Ausgleich mit
dem König zu kommen und ihn zu bewegen, ihre Bedingungen
anzunehmen, unter denen das Anerkenntnis der ausschliesslich
presbyterianischen Kirchenverfassung nicht die geringste war.
Die Independenten, besonders zahlreich in den unteren Ständen,
von enthusiastischen Ideen eines furchtlosen Radikalismus
getragen, wünschten ihn gänzlich seiner Kraft zu berauben,
um einen solchen Ausgleich unmöglich zu machen, dem ihr
Grundsatz der Toleranz zum Opfer gefallen wäre. Jene fanden
in den schottischen Bundesgenossen ihren Rückhalt und
wogen ängstlich, wie sie, die Möglichkeiten der Zukunft gegen
einander ab. Diese lehnten sich gegen den fremden Zwang
auf und liessen sich durch die augenblicklichen Impulse der
Leidenschaft bestimmen. In Manchester und Cromwell selbst
traten sich diese Gegensätze in voller Klarheit gegenüber.
Als der vornehme Lord von seinen Officieren aufgefordert
wurde, die Schmach von Donnington-Castle durch einen AngriJGf
auf den abziehenden Feind wieder gut zu machen, erklärte
er sich ärgerlich dagegen und soll als Grund angeführt haben:
„Wenn wir den König auch neunundneunzig Mal schlagen,
wird er und seine Nachkommenschaft doch immer König
bleiben und wir Unterthanen ; aber wenn er uns nur einmal
schlägt, so werden wir gehängt, und unsere Kinder sind
verloren". Cromwell dagegen wird das unerschrockene Wort
zugeschrieben, er werde sich nicht davor scheuen, in der
Cromwell und Manchester. 255
Schlacht die Pistole auf den König abzufeuern, wie auf einen
anderen (i).
Am 25. November erstatteten Waller und Cromwell, vom
Hause der Gemeinen dazu aufgefordert, Bericht über die
letzten Ereignisse. Cromwell erhob mündlich wie schriftlich
schwere Anklagen gegen das militärische Verhalten seines
Vorgesetzten, die er Punkt für Punkt zu begründen suchte.
Aber er hielt auch mit dem schwersten Vorwurf nicht zurück,
dass nach seiner Ansicht nicht nur Unfähigkeit Manchester's
an dem Erlebten die Schuld trage, sondern „grundsätzliche
Unlust, den Krieg durch einen vollständigen Sieg, und der
Wunsch, ihn durch einen Vergleich zu beendigen, und zwar
auf Bedingungen hin, für deren Aufstellung es nachtheilig
wäre, den König zu tief herabzubringen", (2) Manchester ver-
theidigte sich am 28. November vor dem Hause der Lords,
das damals noch aus etwa dreissig Mitgliedern bestand. Von
seiner Seite wui'den zwei Aktenstücke, das eine militärischen
Inhalts, das andere voll persönlicher Angriffe gegen Cromwell
wegen seiner gehässigen Aeusserungen über die Lords, die
Schotten und die Synode einer Konferenz beider Häuser unter-
breitet. Die ganze Angelegenheit wurde durch niedergesetzte
Committee's in Angriff genommen, und das Haus der Ge-
meinen legte um so mehr Gewicht darauf, da ihnen zweifel-
haft war, ob durch die persönlichen Angriffe Manchester's
gegen eines ihrer Mitglieder nicht auch die Privilegien des
Hauses verletzt seien. Zeugen w^urden vernommen, Verthei-
digiingsschriften von Manchester vorbereitet, in denen auch
jener Schotte Crawford seine Galle gegen Cromwell aus-
schüttete. Man gieng sogar so weit in den vornehmen pres-
byterianischen Kreisen, bei einer Zusammenkunft in Essex'
Hause, an der sich auch die schottischen Kommissäre be-
theiligteu, ernstlich in Erwägung zu ziehen, ob es nicht
möglich sein werde, Cromwell als „Incendiary", der Unfrieden
im Staate anfache, zur Strafe zu ziehen und liess sich nur
durch die sachlichen Einwendungen der Rechtskundigen,
Whitelocke und Maynard, davon abbringen. (^)
Inzwischen enthüllten die Führer des Independentismus im
256 Erste und zweite Selbstentäusserungs-Ordonnanz.
Heere und im Parlamente ihre wahre Absicht. Für sie han-
delte es sich keineswegs, und am allerwenigsten für Cromwell
um einen persönlichen Streit. Sie waren bereit, alle persön-
lichen Händel zu begraben, wenn es ihnen gelaug, einen anderen
Zug in die Kriegführung zu bringen, eine Umbildung des
Heerwesens hervorzurufen. Auch hatte sich das Unterhaus
selbst einer solchen bereits geneigt erklärt, indem es am
23. November das Derby-Haus-Kommittee aufgefordert hatte,
„eine Gestaltung der Miliz in Erwägung zu ziehen, nach
welcher die Streitkräfte in den dem öffentlichen Wohle ange-
messensten Zustand versetzt würden". Am 9. December 1644
brach Cromwell daher das Eis mit jener charakteristischen
Rede, die mit den Worten begann: „Jetzt ist es Zeit, zu
sprechen oder für immer zu schweigen" und die den Antrag
eines Parteigenossen vorbereitete, dass während des Krieges
kein Mitglied des Hauses ein militärisches oder bürgerliches
Kommando haben solle. Diese „Selbstentäusserungsbill", von
Vane wie Cromwell unterstützt, ward am 19. December mit
grosser Mehrheit vom Unterhause angenommen, aber die
Lords konnten sich nicht dazu entschliessen, „die grossen
Stellen und Kommandos" aufzugeben, die der Krieg ihnen in
die Hand gespielt hatte. Sie verwarfen am 15, Januar 1645
die Bill, da man noch keinen Ueberblick über die Reorga-
nisation des Heeres habe. Sofort wurde die Angelegenheit
des Streites zwischen Cromwell und Manchester wieder auf-
genommen, da für den Verzicht auf ihre Verfolgung die An-
nahme jener Bill stillschweigende Bedingung hatte bilden
sollen. Indess auch dies Mal erfolgte nichts weiter. Denn es
gelang den Independenten, eine noch viel bedeutendere Aen-
derung des Heerwesens durchzusetzen, als jener erste Antrag
in sich schloss, und damit giengen Zeit wie Neigung für die
Untersuchung gegenseitiger Beschuldigungen verloren.
Von den Lords dazu provocirt, das Schema einer Umbildung
des Heerwesens vorzulegen, und gegen die Fehler der bisherigen
obersten Leitung nicht blind, hatte sich das Unterhaus sofort
an's Werk gemacht. Es hatte vom Derby-Haus-Comraittee,
in welchem gleichfalls der Wunsch nach einer Reform alle
Erste und zweite Selbstentäusserungs-Ordonnanz. 257
Parteimcksichten besiegte, Bericht eingefordert und schon
bis zum 28, Januar 1645 den Plan der neuen Organisation
durchberathen. Danach sollten die bestehenden Armeen in
eine verschmolzen werden, deren Kommando man Thomas
Faiifax anvertrauen wollte, welcher sich im Norden so gut be-
währt hatte. Die Stelle des Lieutenant-Generals war offen
gelassen, vermuthlich da man Cromwell nicht entbehren zu
können glaubte, ohne dass man wagte, ihn namentlich aufzu-
führen. Die Eintheilung iin einzelnen wurde vorgezeichnet, der
Sold auf Beiträge der Grafschaften angewiesen. Die Lords
wagten nicht zu widerstehen, aber sie versuchten wenigstens
einiges für ihre Autorität und die Sache des Presbyterianismus
zu retten. Ihre Erfolge waren indess nicht sehr gross. Das
Recht, die Ofticiere zu ernennen, blieb dem obersten Führer
gewahrt, das Parlament behielt nur die Form der Be-
stätigung. Zur Unterzeichnung von Liga und Covenant
sollten , weitere Bestimmungen vorbehalten , die Ofticiere
binnen eines Termins von zwanzig Tagen nach ihrer Bestäti-
gung, nicht aber die Gemeinen, verpflichtet sein, womit denn
der Aufnahme der separatistischen Elemente in die Ptegimenter
nichts im Wege stand. Auf die Annahme des Reorganisations-
Entwurfes (15. Februar 1645) folgte schon am 3, April 1645
eine zweite Selbstentäusserungs-Ordonnanz. Sie griff nicht so
umfassend wie die erste der Zukunft vor, sondern bestimmte
nur, dass alle Mitglieder des Parlamentes, die nach dem
20. November 1640 Civil- oder militärische Kommandostellen,
abgesehen von denen der Flotte, innegehabt, sie im Laufe von
vierzig Tagen zu räumen hätten.
Der parlamentarische Feldzug war keineswegs glücklich
für die Presbyterianer gewesen. Sie sahen alle die gleich-
gesinnten Generale vornehmen Ranges ihrer wichtigen Stellen
beraubt, sie hatten eine neue Kriegsmacht zu fürchten, in
welcher der Geist religiöser und politischer Unabhängigkeit
von alten Autoritäten noch viel üppiger zu wuchern drohte,
als in der alten, und sie waren nicht einmal ganz sicher, ob
es gelingen würde, den „grossen Independenteu'', der ihre
Kreise schon so oft gestört hatte, dauernd fernzuhalten.
Stern, Milton u. s. Zeit. 1.2. ]T
258 Verhandlungen zu Uxbridge.
Gleichzeitig war ilmeii eine andere Hoffnung zu Schanden
geworden. Seit Wochen wurde zwischen Abgeordneten des
Königs und Abgeordneten des Parlaments von England und
Schottland, neben denen wiederum u. a. der Prediger Mar-
shall nicht fehlen durfte, zu Uxbridge über eine Aus-
söhnung verhandelt. Die Schotten vorzüglich waren sehr
eifrig gewesen, diese Verhandlungen herbeizuführen, da der
anwachsende Independentismus Englands es immer zweifel-
hafter erscheinen liess, ob Liga und Covenant ihrem Sinne
gemäss durchgeführt werden würden. Die Einführung der
noch der Berathung unterliegenden Kirchenverfassung war
denn auch eine der ersten Bedingungen, welche dem König
vorgelegt wurde, daneben stand die Forderung, die irischen
Rebellen preiszugeben und die Frage der Militia im Vorder-
grunde. Bei der Abneigung des Königs, das Bisthum aufzu-
geben, bei der Schwierigkeit, mit Bezug auf die Miliz ein
Kompromiss zu finden und bei der Eigenthümlichkeit seines
Verhältnisses zu der katholischen Macht in Irland schien es
kaum möglich, eine Vereinigung herbeizuführen. Ohne Werth
war das Anerbieten, zu dem sieh Karl I. einmal gegenüber
dem holländischen Gesandten herbeiliess: einer allgemeinen
Synode, an der Vertreter aller protestantischen Kirchen Theil
zu nehmen hätten, die religiöse Frage zu unterbreiten (^).
Zum gänzlichen Abbruch der Verhandlungen wurde er ver-
muthlich durch die Nachrichten entschieden, welche er aus
dem Norden empfieng, und die seine Hoffnungen auf einen
nahen Triumph sehr hoch spannten. In den Fortschritten,
welche der kühne Parteigänger des Königs in Schottland
machte, lagen die Gründe der schwersten Besorgnis für den
englisch - schottischen Presbytei-ianisnms. Aus unscheinbaren
Anfängen hatte sich Montrose's Streitmacht zu einer ernst-
lichen Gefahr für die schottischen Gewalthaber entwickelt.
Mit seinen Hochländern und den Irländern, über die er ver-
fügte, hatte er die ül)erraschendsten Bewegungen ausgeführt
und am 2. Febniar bei Inverlochy dem grossen Argyle
eine schwere Niederlage lieigebracht. Wenn sein Glück sich
gleich blieb, so wurde es fraglicli, ob das schottische Hilfs-
Hinrichtung Laud's. 259
heer, das im nördlichen England stand, nicht bald im
eigenen Lande zu tlum finden würde, und mit seiner Ent-
fernung wäre das einzige militärische Gegengewicht entfernt
worden, welches die Presbyterianer dem Independentismus
entgegenzustellen hatten.
Unter diesen niederdrückenden Umständen fanden sie
nur in zwei Triumphen ihren Trost. Zunächst sahen sie,
neben einigen anderen, der Verrätherei und der Mitwirkung
beim irischen Aufstand Angeklagten, den verhassten Greis
zum Schaffet geführt, der als die Verkörperung des alten
Systems kirchlicher Tyrannei erschien. William Land, in
enger Haft gehalten, wa'r niemals von ihnen vergessen worden,
und presbyterianische Prediger vor allem hatten b ständig
daran gemahnt, den Zorn Gottes durch das Blut dieses Haupt-
schuldigen zu versöhnen. Nach langem Process wurde er
durch Bill of attainder, über deren Bestätigung durch den
König man sich hinwegsetzte, verurtheilt und am 10. Januar
1645 enthauptet. Ausser einem seiner Kapläne wurde ihm
bei seinem letzten Gange noch die Begleitung von zwei pres-
byterianischen Geistlichen, darunter Marshall, aufgedrungen.
Noch grösser war der Jul^el im presbyterianischen Lager
darüber, dass trotz aller Hindernisse und trotz der ver-
dächtigen Akkomodations-Ordonnanz, wie sie durch CromwelFs
Einfluss durchgesetzt w^orden war, das Parlament den wich-
tigsten Beschlüssen der Synode beigestimmt hatte. Der neue
Entwurf einer Kirchenverfassung wie der einer Gottesdienst-
ordnung für England waren dem Parlament überreicht worden,
beide durchaus presbyterianischen Gepräges. Am 4. Januar
1645 hatte das Parlament die neue Gottesdienst-Ordnung an-
genommen. Am 23. desselben Monats genehmigte das Haus
der Gemeinen einige Resolutionen, in welchen die wesentlichen
Grundsätze der Presbyterialverfassung gebilligt wurden, und
der Zulassung independenter Gemeinden kein Raum gewährt
zu sein schien. Das Oberhaus gab den hauptsächlichsten
dieser Resolutionen seine Zustimmung. Die General- Assembly
in Edinburg ratiticirte die Beschlüsse der Synode, das
schottische Parlament führte die neue, gemeinsame Gottes-
17-^
260 Hinrichtung Laud's.
dienst Ordnung bereits ein. Trotz so vielfacher Enttäu-
schungen hofften die Presbyterianer dennoch zuversichtlich,
ihr Ideal kirchlicher Einheit in beiden Ländern zu verwirk-
lichen und die Hydra des Independentismus, der Sekten
und der Toleranz zu ersticken.
Sechstes Kapitel.
Milton als independentischer Schriftsteller.
Der grosse Streit zwischen Presbyterianern und Inclepen-
denten, welcher die bisher einige Masse der Puritaner spal-
tete und der Ptevolution eine neue Wendung zu geben drohteV
konnte Milton nicht gleichgiltig lassen. Die fünf Verfasse^^
des Smectymnuus, denen er einst in ihrem Kampfe mit dem
Bischof Hall, beigesprungen war, gehörten zu den Scäulen des
Presbyterianismus. Er selbst hatte der bischöflichen Kirchen-
verfassung, zu deren Sturz er sein Theil beigetragen, einst
das Ideal einer anderen gegenüber gestellt, in welcher unschwer
die Grundzüge der presbyterialen zu erkennen gewesen waren
(s. 0. S. 108—113). Man sollte danach vermuthen, ihn in den
Reihen derer zu finden, welche für die Ansichten der Schotten
und der Majorität der Synode in die Schranken traten und die
sich von den ,,fünf dissentirenden Brüdern" mit souveränem
IVIitleid, von Cromwell und seinen stürmischen Genossen mit
zitterndem Schauder abwandten. Aber war er der Mann,
sich durch alte Freundschaft in die engen Kreise der Partei
bannen zu lassen und, dem Traumbilde erzwungener kirch-
licher Einheit zu Liebe, den Gedanken der Toleranz zu
opfern? Sein Charakter, nicht fähig dieselbe Rolle aufzu-
nehmen, aus der er eben einen verhassten Gegner verdrängt
hatte, seine Bildung, auf breiterem GiTinde ruhend als die
seiner theologischen Freunde, Hessen ihm die Wahl nicht
262 Miltou und der ludependentismus.
schwer werden. Die Form galt ihm nichts, wo es Noth that
den freien Geist zu retten, und fortan wurde er einer der In-
dependenten, ja unzweifelhaft der geistreichste, überlegenste
Vorkämpfer der independentischen Ideale.
An Vorzeichen dieser entschiedenen Wendung hatte es nicht
gefehlt. Der ästhetisch angelegten Natur des Dichters war die
kalte Strenge des Presbyterianismus immer etwas Fremdes ge-
wesen. Der Feder des furchtlosen Schriftstellers waren Worte
entströmt über die eingebildete Gefahr von Schisma und Sekten,
den natürlichen Beruf des Einzelnen zur Ausfüllung kirchlicher
Aemter, das Verhältnis von Kirche und Staat, welche vor den
Augen presbytei'ianischer Leser keine Gnade finden konnten.
Es nahm sich fast wie Ironie aus, wenn in der Widmung der
Schrift über die Ehescheidung, die sich nicht weniger an die
Synode wie an das Parlament richtete, die Mitglieder daran
erinnert wurden, das mancher von ihnen oft „verläumdet
w^orden sei, unter dem Vorwande einer Pveform für seine eigenen
Nebenzwecke zu arbeiten". Und es entsprach jedenfalls dem
heiligen Ernste presbyterianischer Anschauung sehr wenig,
wenn ebendort die Frage des Ehescheidungsrechtes als ein
würdiger Gegenstand für die Behandlung durch die Synode
erklärt und die Zänkereien um „Dependenzen und Indepen-
denzen", deren Ausgang unabsehbar sei, gleichsam in Gegen-
satz dazu gestellt worden waren. Vor allem aber hatte sich
Milton durch eben diese Schrift, welche der herrschenden,
strenggläubigen Anschauung geradezu in's Gesicht schlug, als
einen der gefährlichsten Sektirer gebrandmarkt, die überhaupt
auf dem langen Verzeichnis des unduldsamen Presbyterianis-
mus figurirten. Was James Howell den „Wahn eines armen,
schwachköpfigen Windbeutels" nannte, wovor sich Bischof
Hall mit einem „Wehe mir, wohin ist die Welt gekommen"
bekreuzte, das konnte der Spürkraft und dem Anathem der
presbyterianischen Schwarzröcke nicht entgehen (^). Deutlich
genug zielte Milton auf Angriffe dieser Art in der Vorrede
zur zweiten Auflage seiner Schrift ab (s. o. S. 170), und wenn
sie damals noch keine greifbare Gestalt gewonnen hatten,
so traten sie sehr bald schwarz auf weiss hervor.
Milton als Sektenführer. 263
Schon durch clenEpiskopalistenFeatley, den seine kirchlich-
politischen Gesinnungen aus der Synode entfernt und in's Ge-
fängnis geführt hatten, ward ihnen der Weg gewiesen. Obgleich
seine Schrift „The Dippers dipt" ausschliesslich die Ketzereien
der Wiedertäufer zum Gegenstande zu haben schien, rechnete
er ihnen doch auch „andere höchst verdammliche Lehren" zu,
„welche abzielen auf fleischliche Lust, Familismus und einen
Mischmasch aller Religionen". Zum Zeugnis dessen führte er
in einem Athem an: des Amerikaners Williams' Schrift „die
blutige Lehre der Verfolgung", ein Pamphlet betitelt die
„Sterblichkeit des Menschen", in welchem jeder Unter-
schied zwischen Körper und Seele im Hinblick auf ihre Fort-
dauer, wenn auch nicht ihre Auferstehung geläugnet wurde,
und „einen Traktat über die Ehescheidung, in welchem die
Bande der Ehe gelöst werden zu Gunsten ausschweifender
Lust und der Erlaubnis die Frauen zu Verstössen aus vielen
anderen Gründen ausser dem, welchen unser Heiland allein
billigt, nämlich im Falle des Ehebruchs" (^). Die ,,Heresio-
graphie" Ephraim Pagit's übernahm ganz dieselben Worte
aus Featley's Buch und erweiterte dessen Urtheil mit. Be-
nutzung von Milton's Schrift. Auch war hier gleich der
Name für die neue Sekte gefunden, wennschon diese selbst
noch gar nicht da war, und fortan galt Milton, bisher noch
ein Officier ohne Soldaten, als Führer der „Divorcers", „die
um geringer Ursachen willen ihre Weiber los zu sein
wünschen". Später wurde hie und da selbst der Name
„Miltonisten" statt dessen gebraucht (2). In Baillie's „War-
nung vor den Irrthümern der Zeit", vor allem aber in dem
grössten Arsenal der streitlustigen Presbyterianer, in Edwards'
Gangraena war man sicher, auch auf Waffen zu stossen, die
recht eigentlich zum Gebrauch gegen die neue Sekte der
Divorcers geschmiedet waren.
Auch wurde hier sofort der Versuch gemacht nachzuweisen,
wohin diese neue Lehre in Wirklichkeit führe. In London gab es
eine gewisse Mrs. Attaway, von Beruf eine Spitzeuhändlerin, wohn-
haft in Coleman-Street. eine der bekanntesten unter den Frauen,
welche in dieser Zeit der Erleuchtung sich gleichfalls für berechtigt
264 Milton als Sektenführer
hielten, ihre religiösen Gefühle in öffentlicher Rede, zunächst
vor ihres Gleichen, kund zu thun, bald aber ein eifriges Pu-
blikum aus beiden Geschlechtern zu Rede und Gegenrede um
sich sammelten. Dass sie in ihren Konventikeln papistische
Grundsätze aussprach, war noch nicht das Schlimmste. Sie
sollte sogar einigen glaubwürdigen Männei-n, die sich aus
Neugier in ihre Winkelversammlung verirrt hatten, eröffnet
haben, dass ihr Milton's Theorie von der Ehescheidung be-
achtenswerth erscheine, und dass sie näher darüber nachdenken
wolle. Denn ihr Mann „sei einer von den Unheiligen, wandle
nicht den Weg Sion's und rede nicht die Sprache Kanaans".
Edwards weiss denn auch zu erzählen, welche Folgen dies
weitere Nachdenken gehabt habe. Aus einer Korrespondenz,
die er sich verschafft haben will, geht hervor, dass Mrs. Atta-
way, während ihr unheiliger Mann im Felde stand, einen
Ersatz in einem anderen fand, der allerdings gleichfalls seine
bisherige Ehehälfte und mehrere Kinder zu verlassen hatte (^).
Selbstverständlich wurde Milton für derartige Erscheinungen
verantwortlich gemacht. Fortan galt er in presbyterianischen
Kreisen als Verfechter der freien Liebe, plumpe Holzschnitte
stellten den „Divorcer" dar, wie er sein Weib mit Stock-
schlägen von sich treibt, die satirischen Balladen der Zeit
fanden darin einen erwünschten Stoff'(^). Neben der Lehre,
welche den Unterschied der Substanz von Körper und Seele
läugnete, und neben Roger Williams' Forderung, dass der
Staat die religiösen Gemeinschaften unter dem Gesichtspunkt
des Vereinsrechtes betrachten solle, gab es kaum eine Ketzerei,
die so sehr den Zorn der Presbyterianer herausforderte, wie
Miltons Bestrebungen für eine Reform des Seheidungsrechtes.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er damals schon die per-
sönliche Bekanntschaft der beiden merkwürdigen independen-
tischen Geister, Williams und John Goodwin, gemacht Iiatte.
Im Hause seiner Freundin Margarethe Ley mochte er um so
eher Gelegenheit haben, Henry Vane nahe zu treten, da deren
Bruder einst den geistreichen Independenten bei seiner Rück-
kehr aus Amerika in die Heimat begleitet hatte (^). In jedem
Falle war das Band zwischen ihm und den Presbyterianern
Frage der Erziehung s-Reforni. 265
für immer zerrissen. Milton war gegen die Verleumdungen
und Angriffe von dieser Seite, mochten sie in Wort oder
Schrift sich zeigen, nicht unempfindlich. Auch drängte es ihn,
für die freie Meinungs-Aeusserung, welche dem Presbyterianis-
mus ebenso unerträglich erschien wie einst dem Bisthum,
eine Lanze zu brechen. Aber zuvor ergriff er einen anderen
Gegenstand, dem eine nicht geringere Bedeutung zukam, und
in dessen Behandlung er sich nicht weniger von alten Autori-
täten losriss.
In Zeiten grosser socialer, politischer oder religiöser Be-
wegungen wird eine Frage immer wieder auftauchen und die
ringenden Geister beschäftigen: die Frage der Erziehung.
Ein jeder, dem es Ernst ist, den Idealen, die ihm vorschweben,
Raum zu verschaffen, wird nichts dringender wünschen, als
das heranwachsende Geschlecht zu ihrer Verwirklichung
fähig zu machen. Ein jeder, der sich dem Strome entgegen
zu stemmen sucht, wird es nöthig finden, in seinem Sinne auf
die Jugend einzuwirken. „Wer die Jugend in der Hand hat, hat
die Zukunft", dieses richtigen Gedankens der Jesuiten ist man
sich mehr oder minder klar bewusst. Denn so viel sich auch
durch brutale Gewalt, polizeiliche Wachsamkeit, die Straft'ord-
schen Mittel von Lohn und Strafe ausrichten lässt, jeder fühlt,
dass ihnen ohne die Zucht des Geistes die nachhaltige Wirkung
fehlt. Milton lag es doppelt nahe, seine Aufmerksamkeit der
Reform der Jugendbildung zuzuwenden. Er war sich klarer
darüber als andere, wie ungeheuere Vernachlässigungen sich
die Staatskirche in der Leitung des Volksunterrichtes hatte
zu Schulden kommen lassen, und an welchen Mängeln auch
die höchsten Bildungs- Anstalten der Nation krankten, die
gleichfalls mit dem Staatskirchenthum so enge verwachsen
waren. In seinen Schriften über die Reform der Kirche hatte
er beides berührt, am häufigsten und leidenschaftlichsten den
Zustand der Hochschulen, der ihm aus Jahre langer An-
schauung bekannt war. Ein Jünger des grossen Denkers,
266 Samuel Hartlib.
dessen Einwirkung seine prosaischen Jugendversuche so deut-
lich offenbaren, konnte er gegen ein Thema nicht gleichgiltig
sein, das Bacon an mehr als einer Stelle seiner Werke mit
den Blitzen seines Geistes beleuchtet hatte. Dazu kam, dass
ihm jeder Tag die Probleme der Erziehung nahe legte.
Er selbst war Lehrer, nach der Abreise seiner Frau hatte
sich die Zahl seiner Zöglinge noch vermehrt, der Trieb über
pädagogische Fragen nachzudenken musste nothwendig in ihm
geweckt werden. Doch darf man bezweifeln, ob er seine
Ansichten öffentlich ausgesprochen haben würde, wenn nicht
ein in England lebender Deutscher ihn dazu aufgemuntert
hätte.
• Dieser merkwürdige Mann, der mit den grössten Gelehrten
seiner Zeit in Verbindung stand, aber heute so gut wie ganz
in Vergessenheit gerathen ist, hiess Samuel Hartlib (^).
Sein Vater stammte aus Danzig, hatte für den König von
Polen Kaufmanns - Geschäfte geführt und war zweimal mit
vornehmen polnischen Damen vermählt gewesen. Samuel
Hartlib entstammte indess erst einer dritten Ehe, die der
Vater vermuthlich in Elbing geschlossen hatte. Dorthin über-
zusiedeln hatte ihn das übermächtige Wachsthum der Jesuiten
in Polen bewogen. Der junge Hartlib wuchs in guten Ver-
hältnissen auf, denn sowohl sein Vater wie sein Grossvater
waren unternehmende und glückliche Kaufleute. Auch der
letzte, bis dahin Geschäftsführer der englischen Kaufmanns-
Gesellschaft in Danzig, hatte seinen Sitz nach Elbing verlegt
und dadurch zwischen England und der Familie Hartlib
mannichfache Verbindungen geknüpft. Diese wurden um so
enger, nachdem sich zwei Schwestern von Samuel's Mutter
auf sehr vortheilhafte Weise nach England verheiratet hatten,
und es war nicht unnatürlich, dass er selbst, möglicher Weise,
nachdem er in Heidelberg studirt hatte, in London erschien,
zuerst etwa 1628, um alsdann seinen dauernden Wohnsitz
hier aufzuschlagen (^). Man hatte ihm z^Yar seit seiner Kind-
heit viel von der Vornehndieit seines Geschlechtes erzählt,
aus dem manche Mitglieder als kaiserliche Käthe oder reichs-
städtische Syndici zu Ansehen und Ehren gelangt seien, er
Samuel Hartlib. 267
aber dachte, wie er sich ausdrückt, wenig über seinen Stamm-
baum nach, sondern „war mehr darauf bedacht Gottes Ge-
schöpfen nützlich und seiner Kirche dienlich zu sein als Reich-
thum und Ehren zu erwerben". In der That trat er fortan
bis an sein Lebens-Ende mit einer Uneigennützigkeit und
Begeisterung für die verschiedensten idealen Bestrebungen
auf, die ihren Lohn nur in sich selbst trug. Er scheint
zwar ein kaufmännisches Gewerbe getrieben zu haben, aber
dies vernachlässigte er jedenfalls ganz und gar zu Gunsten
der zahlreichen wissenschaftlichen und gemeinnützigen Fragen,
die ihn rastlos beschäftigten. Durchmustert man die Schriften,
die er in einem nicht übermässig langen, später durch Krank-
heit und Mangel oft gedrückten Leben verfasst hat, den
Briefwechsel, den er über alle Länder Europas hin zu führen
wusste, so ist man über die Beweglichkeit dieses Geistes er-
staunt, der sich mit fieberhafter Hast von einem Gegenstande
zum anderen wendet. Die grössten politischen und religiösen
Fragen finden bei ihm dieselbe Theilnahme wie die minu-
tiöseste Beobachtung des Astronomen oder das mühsame Ex-
periment des Chemikers. Heute schreibt er über eine neue
Methode der Erziehung, morgen über eine neue Methode des
Ackerbaues. Die Zucht der Seidenraupen und der Bienen hat
nicht minderes Interesse für ihn wie eine neue Art der Stein-
Operation oder ein neues Teleskop. Er steht mit weltlichen
und geistlichen Grossen, aber mehr noch mit einheimischen und
ausländischen Gelehrten in persönlicher oder brieflicher Verbin-
dung. Hobbes, Boyle, Wren, Ray, Gronov, Oldenburg, Hevel,
Gassendi gehören zu dem weiten Kreise seiner Bekannten. Ueber
jede naturwissenschaftliche Entdeckung, über jede literarische
Neuigkeit weiss er sich und andere auf dem Laufenden zu er-
halten. Selbst durchaus kein wissenschaftliches Genie, immer
mehr empfangend als schöpferisch, gleicht er einem jener In-
sekten, die den Samen von einer Blüthe zur anderen tragen.
Es ist nicht schwer die Quelle nachzuweisen, aus welcher
alle Bestrebungen Hartlib's flössen. Unzweifelhaft war auch in
ihm jener Bacon'sche Geist, der Drang nach empirischer Be-
herrschung der Dinge, wie der Drang seinem Geschlechte den
208 Samuel Hartlib.
gi'össtmögliclien Nutzen zu leisten von übermächtiger Wirkung.
Indem ihm aber vielfach die wissenschaftlichen Vorkenntnisse ab-
giengen, und sein Idealismus die thatsächlichen Schranken über-
fliegen wollte, bot er nicht selten das Bild einer eigenthümlichen
Verbindung praktischer Weltklugheit und mystischer Schwär-
merei. Das ganze siebzehnte Jahrhundert ist reich an wohlmeinen-
den Dilettanten, die durch eine Art naturwissenschaftliches Wun-
der — , wenn das Wort erlaubt ist, — der Menschheit ein plötz-
liches Glück zu verschaffen hoffen und alles, was sich auf
ihre Bestrebungen bezieht, mit einer gewissen freimaurerischen
Geheimthuerei umkleiden. Auch suchen sie nicht selten
förmliche Gesellschaften zum Zweck der Ausführung ihrer
Pläne zu bilden. Wenn man sie hört, glaubt man sich
bald in die Zeit des Paracelsus, bald in die Zeit Cagliostro's
versetzt. Hartlib war einer der vornehmsten dieser stets
opferbereiten, menschenfreundlichen, hoffenden Idealisten. Galt
es auch nicht den Stein der Weisen zu finden, so doch dürres
Land in fruchtbaren Boden zu verwandeln, ein Lebens-Elixir
zu bereiten, das perpetuum mobile herzustellen. Mitunter
fiel der Jünger der Naturwissenschaft ganz und gar in den
Aberglauben des Mittelalters zurück. Mitunter ahnte er
aber auch die Bestrebungen einer fernen Zukunft voraus (^).
Zwei Gegenstände waren es vorzüglich, die seit Jahren
Hartlib's Geist beschäftigt und seinen Namen in weiteren
Kreisen bekannt gemacht hattcMi, beide weit von einander ab-
liegend, aber mit gleichem I'ifer von ihm erfasst: eine
engere Verbindung der protestantischen Mächte und eine
Reform des Schulwesens. Es waren zwei Gebiete, auf denen
er sich mit einer anderen vielgenannten Persönlichkeit be-
gegnete, die manche Eigenthümlichkeiten mit ihm theilte und
die, wie er, für Milton's Leben nicht gleichgiltig blieb.
Es war John Durie (Duräus), geboren um 1595, der Sohn
eines schottischen Geistlichen, den dieV erfolgungen König Jakob's
nach Leyden getrieben hatten. John Durie machte 1611 da-
selbst seine Studien, hielt sich später einige Zeit in Oxford auf,
wurde 1027 Prediger der englischen Kaufmanns-Gesollschaft
in Elbing und dort von Dr. Godemann, einem der „Geheim-
John Durie. 269
räthe" Gustav Adolfs für einen Plan der Vereinigung aller
protestantischen Kirchen gewonnen. Für diesen Zweck er-
füllte er sich mit derselben Begeisterung wie Hartlib für die
seinigen und gelangte, gleich' diesem, auf seinen zahlreichen
Reisen und durch seine ausgedehnte Korrespondenz, immer
in irenischen Unterhandlungen thätig, mit einer grossen Zahl
europäischer Berühmtheiten in Berührung. Sir Thomas Roe,
auf einer diplomatischen Mission in seine Nähe gelangt, wie der
Kanzler Oxenstjerna unterhielten sich mit ihm eingehend
über seine Pläne, Gustav Adolf selbst Hess sich, wohl aus
politischen Gründen, auf sie ein. Durie hatte, durch die
Kriegsereignisse von 1630 von seinem Amte befreit, ein un-
stetes Wanderleben geführt und in Wort und Schrift für seinen
Gedanken Propaganda gemacht. Abwechselnd war er in Eng-
land, Sachsen, Hessen, der Pfalz, Heill^ronn, Frankfurt, in den
Hanse-Städten, Holland, Schweden, Dänemark, den weifischen
Staaten erschienen, um immer wdeder in England aufzutauchen.
Mündlich oder brieflich hatte er mit Abbot, Land, Hall, Ussher
u. a. verkehrt und 1641 wandte er sich an die schottische
General-Assembly. Calixt arbeitete mit ihm Hand in Hand,
Grotius ward durch ihn angeregt. Als die Westminster- Sy-
node zusammengetreten war, brachte man Durie's Berühmt-
heit den Zoll, ihn 1643 als Ersatzmann eines bald nach Er-
öffnung der Synode verstorbenen Mitgliedes zu wählen. Hier
hielt er sich im allgemeinen zu den Presby terianern , ohne
doch ihre starre Ausschliesslichkeit zu theilen. Seinen grossen
Plan und seine festländischen Verbindungen verlor er um so
weniger aus den Augen, da er als Geistlicher der englischen
Kaufleute in Rotterdam (1645) ohnehin zu einem beständigen
Kommen und Gehen genöthigt wurde (^).
Mit Hartlib war Durie schon in Elbing bekannt geworden,
und jener, sofort Feuer und Flamme für den ursprünglich
schwedischen Unions- Gedanken, wurde seit seiner Ueber-
siedelung nach England einer der thätigsten Propagandisten
von Durie's Sache und blieb beständig in das Geheimnis seiner
vielverschlungenen Verhandlungen eingeweiht. Durie rühmt
ihn dem vertrauten Sir Thomas Roe als einen Mann der vor-
270 Pläne einer Allianz der Protestanten.
Züglichsten Eigenschaften, „ehrlich und wahrhaft, diskret und
in den Geschäften gewandt", dazu des „Polnischen, Hol-
ländischen, Englischen, Lateinischen mächtig" , würdig mit
einer passenden Stelle bedacht zu werden. Er empfiehlt ihn
der Gunst seiner Lordschaft um so mehr, da der Freund
„Mangel leidet, weil er gegen arme Gelehrte zu freigiebig
war und sich dem Geschäft des Unterrichts und der Erziehung
von Kindern allzu uneigennützig gewidmet hat". Er lässt
ihm die Vorschläge Oxen^tjerna's, seine eigenen Briefe an
englische Prälaten mittheilen, benutzt ihn als Zwischenträger
zwischen diesen und ihm selbst und bedient sich seiner als
eifrigen und verlässlichen Korrespondenten (^).
Hartlib seinerseits glaubte der Welt nicht vorenthalten zu
sollen, was die Lebens-Aufgabe seines Freundes war und was
ihn selbst zu so grosser Theilnahme anregte. Man muss fort-
während bedenken, wie gewaltig die geheime Furcht vor einer
gewaltsamen Zurückführung des Katholicismus zur Ent-
fesselung der englischen Revolution mitgewirkt hatte. Jenes
Wort Pym's, das er im kurzen Parlament gesprochen hatte,
nach Herstellung der äusseren Formen des Papismus werde
man versuchen , ihnen den Lebens - Odem des papistischen
Geistes einzublasen(2), wurde die Parole der gesammten puri-
tanischen Partei. Je tiefer dei' Argwohn gegriffen hatte, das
englische Hochkirch enthum habe es auf eine Verständigung
mit Rom abgesehen, je mehr durch den Ausbruch der irischen
Rebellion die Angst des Puritanismus aufgestachelt wurde, je
weniger er den Plänen des Hofes traute, desto dankbarer er-
schien die Aufgabe, den gesammten Protestantismus als Bundes-
genossen aufzurufen und sich, blind gegen den Gang, welchen
der grosse deutsche Krieg genommen hatte, die ganze euro-
päische Politik einseitig nach religiösen Partei-Gesichtspunkten
geleitet zu denken. Hartlib suchte die kirchlichen Unions-
Gedanken seines Freundes in diesem Sinne auszubeuten. Alle
jene Korrespondenzen, Verhandlungen, Disputationen hatten
bisher kein greifbares Ph-gebnis gehabt, ja hie und da den
Argwohn und die Eifersucht einzelner Zions- Wächter erregt.
Um wieviel grösser war der Triumi)h, wenn es gelang, sie
Pläne einer Allianz der Protestanten. 271
nur als Mittel zum Zweck zu benutzen, durch die Verhand-
lungen über das Dogma eine engere Verbindung der Staaten
herbeizuführen und der grossen Liga der Katholiken, deren
Wahnbild den Puritaner bis in seine Träume verfolgte, eine
grosse Liga der Protestanten entgegenzusetzen.
Hartlib machte sich zuerst im Jahre 1641 daran, aufs ge-
naueste über die bisherigen Bemühungen seines Freundes Durie,
der eben nach England zurückgekehrt war(^), und Anfang
1641 selbst eilf Traktate „betreffend den kirchlichen Frieden
unter den Protestanten" veröffentlicht hatte, Bericht zu er-
statten (2) und das grosse Publikum zu erwärmen. Er knüpft
die besten Wünsche daran und macht (S. 33) die Betrachtung :
„Wir finden es durchaus nothwendig selbst für unsere zeitliche
Sicherheit demgemäss zu handeln. Denn wenn wir uns diese
Sorge nicht angelegen sein lassen, so ist es sehr wahrschein-
lich, dass die Zwistigkeiten der protestantischen Staaten und
Kirchen, die viele von ihnen zu einer Beute ihrer Feinde ge-
macht haben, sie zuletzt alle dem Verderben überliefern'-' {^).
Eine andere Schrift, erst 1643 mitten im Bürgerkriege ver-
öffentlicht, hat die Form eines an Alexander Henderson ge-
richteten Briefes vom 4. Oktober 1641, Vermuthlich hatte
Hartlib den berühmten schottischen Theologen während
seines zeitweiligen Aufenthaltes in London kennen gelernt,
wie er sich denn seinen „treuen Freund und Diener in
Christo" unterzeichnet (^). Er theilt ihm seine schweren Ge-
danken über den Zustand der Pfalz mit, der in Folge des
grossen Krieges ein unsäglich trauriger war, charakterisirt
den Kurprinzen („the sweetnatured Prinz Elector") als einen
jungen Mann von gutem Urtheil und Fähigkeiten, aber als
sehr biegsam und spricht die Befürchtung aus, dass diejenigen,
welche die Restauration des pfälzischen Hauses wollen, zu
wenig auf Gott sehen. Vor allem entwickelt er aber seine
Gedanken über die drohende Gesammtlage Eui-opas. Nach
seiner Ansicht wird von feindlicher Seite eine Vereinigung
von Protestantismus und Papismus angestrebt, bei welcher
selbstverständlich der erste das Opfer bilden soll. Die Vor-
gänge in England, durch den Ausbruch der Revolution zum
272 Pläne einer Allianz der Protestanten.
Glück gekreuzt, scheinen ihm klar dafür zu sprechen. Aber
auch der „Kardinal in Frankreich", obwohl ein Feind Habs-
burgs, wirkt für diesen Plan , päbstlichem Befehl gemäss,
mit. Den Beweis für seine Vermuthungen scheinen ihm
die geheimen Verhandlungen eines gewissen Frater Va-
lerius Magnus zu liefern, über dessen Mission in Deutschland
und Polen er durch einen Bekannten Nachricht erhalten haben
will. Er selbst wünscht dagegen eine Verbindung aller Prote-
stanten in's Werk gesetzt zu sehn, begründet auf eine „theolo-
gische Korrespondenz der GeistHchen", deren Kosten durch eineu
Beitrag des Staates (des Königs) gedeckt werden sollten.
Ganz in demselben Sinne erschien fast gleichzeitig eine
andere Schrift von seiner Hand, die sich an eine höhere Instanz,
an das englische Parlament, richtete (^). Im Jahre 1644 kam
er noch ein Mal auf diesen Gedanken-Gang zurück {^). Er
bezog sich dies Mal auf Liga und Covenant, um die Aus-
führung daran zu knüpfen, wie nöthig eine Verbindung aller
Protestanten durch Europa sei, dem drohenden Sturme zu
widerstehen. Aus drei Ursachen scheinen ihm die Wirren
von Staat und Kirche in Europa hervorzugehen : erstens „aus
der Usurpation einer geistlichen Macht über die Seelen der
Menschen", zweitens „einer absoluten weltlichen Herrschaft
über Leib und Gut der Unterthanen", drittens dem „Mangel
an Einigkeit und Verständigung zwischen denen, die sich von
dem einen und dem anderen Joch freimachen und ihre Reli-
gion und ihre natürlichen Rechte vertlieidigen wollen" etc. Die
zweite dieser Gefahren, die einer absoluten Universal-Monarchie,
wie sie das Haus Habsburg lange erstrebt hat, ist, dank Schwe-
den und Frankreich, nicht mehr zu fürchten, wohl aber die erste,
welche vom Pabst und seinen Anhängern heraufbeschworen
wird, unter die auch die englischen Prälaten (our Lordly
Bishops) zu rechnen sind. „Der Pabst in Opposition gegen
den Protestantismus, der seine Hierarchie beinahe über den
Haufen geworfen hat, arbeitet daran, sich zu erhalten und
durch den Umsturz der protestantischen Staaten und die Ver-
nichtung ihrer Kirchen seine frühere Macht wieder zu ge-
winnen, vorzüglich in Deutschland und Grossbritannien".
Pläne einer Allianz der Protestanten. 273
Er benutzt dazu zwei Mittel: die Vereinigung aller katho-
lischen Fürsten und die Propaganda durch Emissäre. Nur
eine Vereinigung der Protestanten kann dem entgegentreten,
und dem englischen Parlament, dessen Reformwerk die ganze
katholische Welt in Aufregung versetzt, liegt es ob voranzu-
gehen. Der zwischen Schottland und England geschlossene
Bund sollte auch über den Kanal hin ausgedehnt werden.
Eine theologische Korrespondenz, am ehesten mit den nächsten
Nachbarn, den Niederländern, sollte die Einleitung zu einer
engeren Verbindung bilden, „um die Anschläge des gemein-
samen Feindes zu kreuzen". Sodann wäre es von Nutzen, die
Angelegenheiten der aimen Pfalz an die Hand zu nehmen,
wobei ein Committee beider Königreiche und einige Mit-
glieder der Synode dem Kurprinzen ihren Rath zu leihen
hätten. Mit Rücksicht darauf hätte man durch den Agenten
so lange Unterhandlungen zu pflegen, bis der Abschluss einer
förmlichen Liga mit anderen protestantischen Mächten möglich
wäre.
Man sieht, wie Durie's Gedanken immer durchblicken,
hier aber eine ganz andere, politische Gestalt gewinnen. Wie
viel Unklares und Naives in diesen Vorstellungen Hartlib's
enthalten war, wie schief er namentlich die Stellung Richelieu's
beurtheilte, braucht nicht gesagt zu werden. Immerhin bieten
seine Aeusserungen Interesse, nicht nur als Zeugnis seines
Geistes, der sich hier mit dem des gesammten englischen
Puritanismus begegnete, sondern auch als Vorspiel politischer
Tendenzen, die sich unter Cromwell's Protektorat mächtig
geltend machten, und denen auchMilton keineswegs fremd blieb.
Diesen weitfliegenden religiös-politischen Ideen machte in
Hartlib's geschäftigem Hirn ein anderer Gedanke den Platz
streitig; der Gedanke einer Reform der Jugend-Bildung. Er
selbst war, wie aus einem Briefe Durie's hervorgeht, als
Lehrer uneigennützig thätig(i). Er bekennt ein Mal (1644),
dass seit zwanzig Jahren das Aufsuchen von Methoden um
das Lernen zu fördern ein wichtiger Gegenstand seines Stu-
diums gewesen sei (^). Ein anderes Mal sagt er: „Ich ge-
stehe oifen, dass unter allen Gegenständen, denen ich mein
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 18
274 Pädagogische Ideeu. ;
Denken und Mühen gewidmet habe, — und sie erstrecken
sich auf jedes fromme und vernünftige Werk im ganzen Be-
reich der Christenheit, — keiner ist, der meinem Herzen
näher läge, als der der Erziehung der Kinder nach christ-
lichen Grundsätzen (in the way of Christianity). Denn, alles
wohl erwogen, werden wir bemerken, dass diese Bestrebungen
allein, und nichts sonst, fähig sein können, eine Reform in
unserer Epoche hervorzubringen ; . . auf die junge Generation
muss man einwirken, um sie vor schlechten und verderb-
lichen Gewohnheiten zu bewahren". Demgemäss empfiehlt er
vor allem die Heranbildung guter Lehrer, denn da „die
Schulen die natürlichen Quellen entweder der Korruption oder
der Reform sind, so ist der Schulmeister in einem wohlge-
ordneten Staate nicht weniger wichtig als der Geistliche oder
der Beamte, denn keiner von beiden kann ohne ihn lange
gedeihen oder bestehen" (^). Aus allen Aeusserungen Hartlib's,
sowie aus seinen unausgesetzten Bemühungen beim Parlament,
geht einerseits hervor, dass er sich, wie Roger WilliamS; klar
darüber war, dass die Schule Staats-Anstalt sein müsse. Aus
allem, was wir über seinen religiösen Standpunkt wissen,
wird man ferner schliessen dürfen, dass ihm eine Erziehung
nach christlichen Grundsätzen keine Begünstigung einer dog-
matischen Ausschliesslichkeit, sondern eine Heranbildung zum
sittlichen Ideal des Menschen bedeuten sollte, wie er es in
den Grundzügen des Christenthums vorgezeichnet fand. Auch
hier fällt es nicht schwer, die Einwirkung Bacon'scher An-
regungen auf ihn wie auf Durie zu entdecken, der sich später
in ähnlichem Sinn mit pädagogischen Fragen beschäftigte.
Fragt man aber, woher beide den Iniialt ihrer Reform-Ge-
danken nahmen, so tritt eine andere hervorragende Gestalt
in den Gesichtskreis.
Unter den grossen pädagogischen Schriftstellern des sieb-
zehnten Jahrhunderts nimmt schwerlich einer eine gleich be-
deutende Stellung ein wie Johann Ainos Comenius (-)• Er
Comenius. 275
war 1592 in Mähren, in Ungriscli-Brod, geboren. Früh ver-
waist, erhielt er eine nicht sehr regelmässige Erziehung, ohne
indess, wie man häufig angenommen hat, im Knaben- Alter den
Schulunterricht ganz zu entbehren. Von grossem Einfluss auf
seine ganze Bildung waren die Lehren der böhmischen Brüder,
zu deren Gemeinschaft sich vermuthlich schon seine Eltern
gehalten hatten. In der Absicht sich in dieser Sekte dem
geistlichen Beruf zu widmen, machte er von 1612 — 1614 seine
Studien in Herborn und Heidelberg. Auch in den Nieder-
landen hielt er sich auf. In die Heimat zurückgekehrt, über-
nahm er zunächst die Leitung der Brüderschule in Prerau,
sodann die der Schule, von Fulnek, woselbst er zugleich als
Seelsorger wirkte. Von hier 1622 durch die Wirren des
Krieges vertrieben, in welchen die Intoleranz der Feinde den
Nachfolgern Johannes Hus' das Dasein erschwerte, fand er
bei diesem oder jenem adligen Herrn eine Zufluchtsstätte,
verweilte vorübergehend 1625 und 1626 in Berlin und im
Haag und sah sich beim Fortgange der Verfolgung, gleich
vielen anderen seiner Glaubensgenossen, 1628 genöthigt, sein
Vaterland zu verlassen. Er schlug seinen Sitz in Polnisch-
Lissa auf, woselbst sich schon eine starke Gemeinde böh-
mischer Brüder befand. Hier leitete er nicht nur das Gym-
nasium mit solchem Talent, dass viele polnische Edelleute
ihre lünder zur Erziehung dorthin sandten, sondern stand auch
als Prediger und Berather unter seinen vertriebenen Lands-
leuten in hohem Ansehn. Er war der geistige Mittelpunkt
der Emigration, auf ihn sahen alle, in der Hoffnung durch
seine Vermittlung den Ptückweg in die geliebte Heimat er-
schlossen oder doch ihr Elend durch Unterstützung theil-
nehmender Gönner gemildert zu sehn. Ein solcher Mann,
mit so vielen seiner Brüder das Opfer kirchlicher Unduld-
samkeit, von den versöhnlichsten Gesinnungen beseelt und
durch einen unbesieglichen Idealismus über alle Gefährden
und Härten des Lebens hinweggehoben , musste den Unions-
Bestrebungen Durie's die wärmste Theilnahme entgegenbringen.
In der That haben allem Anschein nach Briefe, welche Durie
an die böhmischen Brüder und namentlich an die Senioren
18*
276 Comeuius.
der Gemeinde von Lissa richtete, 1636 ähnliche Gedanken in
Comenius erweckt, denen er bis zum Tode treu geblieben ist (^).
Indessen seine eigentliche Lebens-Aufgabe sah er in et-
was anderem : in einer Reform der Jugendbildung. Neben
der praktischen Lehrthätigkeit, in der er sich in diesem Sinne
bewegte, war er schon seit Jahren auch als Schriftsteller für
diesen Gegenstand thätig und erlangte in kurzem einen Ruf, der
über die Marken Europas hinausgieng. Wenn auch auf ihn,
neben Früheren, vorzüglich Bacon von grossem Einfluss war,
so übten die pädagogischen Forderungen Wolfgang Ratich's
(1571 — 1635) auf seinen Geist eine noch unmittelbarere
Wirkung aus. Doch war er in vielem ganz selbstständig und
von umfassenderen Ideen bewegt. Der schwere Kampf, welcher
seit den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts gegen
das herrschende Unterrichts-System begann, einerlei ob es sich
in den Lehranstalten der Protestanten oder der Jesuiten
äusserte, fand in ihm seinen vorzüglichsten Helden, und, wie
viel Phantastisches und Unpraktisches seinen Vorstellungen
nicht selten anhaftete, er wurde der wahre Bahnbrecher für die
grossen Reformatoren der Erziehung in den folgenden Zeiten.
Verlnndung des Sachlichen mit dem Sprachlichen, Er-
setzung der übermässigen mechanischen Dressur des Ge-
dächtnisses durch Beförderung der Anschauung und des
Denkens , Selbstthätigkeit der Schüler statt sklavischen Nach-
betens, körperliche Uebungen, helle, mit Tafeln und Bildern
versehene Sclmlstuben, statt der blossen geistigen Abrichtung
in dumpfen Räumen, Berücksichtigung der Muttersprache statt
der ausschliesslichen Tyrannei des Lateinischen, allgemeine
Einführung von Volks - Schulen neben den gelehrten: das
waren die Forderungen, die Comenius mit unermüdlichem
Eifer erhob, für deren Verwirklichung er neue Methoden des
Unterrichts entwarf, Studienpläne ausarbeitete, Schull)ücher
schrieb. Er warf beiläufig noch manchen anderen Gedanken
in die Welt, wie er denn dem weiblichen Geschlecht die
h()heren Wissens-Gel)iete nicht verschlossen haben wollte, auf
die (liis männliche Monopol gelegt hatte. Er liess sich, in
dem Gedanken, das Lateinische zur Weltsprache zu machen,
Comenius. 277
ZU manchen Wunderlichkeiten verleiten und gerieth dadurch
hie und da in Widerspruch mit sich selbst. Aber das Wesent-
liche seiner Ideen lag in jenen Sätzen ausgedrückt. Er wollte
dem Kinde nicht unverdauliche, scholastische Distinktionen
beibringen, sondern es allmählich vom nächstliegenden Sinn-
lichen zum ferneren Abstrakten hinleiten. Er wollte es fähig
machen, einst, mit festem Charakter und nützlichen Kennt-
nissen ausgerüstet, sich einen Platz in der Gesellschaft zu
erringen, auf die Gefahr hin sein Gedächtnis mit den Ge-
setzen der Physik statt mit den Tusculanen des Cicero be-
lastet zu haben. Er wollte Menschen bilden, nicht Philo-
logen.
Diejenige Schrift, die den Namen des Comenius zuerst
in die weitesten Kreise ül)er die Erdtheile liis nach Asien
trug, zahlreiche Auflagen und Uebersetzungen erlebte, war
seine „Janua linguarum reserata", „ das Thor der Sprachen
geöffnet" (1631), in der er seine neue Methode die Sprachen,
insbesondere das Latein, zu lehren, mittheilte und das Princip
aufstellte, das Erlernen der Sprache müsse mit dem Kennen-
lernen der durch die Sprache bezeichneten Dinge verbunden
wenden. Aus Schweden, dessen Angelegenheiten Oxenstjerna
leitete, kam ihm in Folge des Ansehens, das diese Schrift
ihm erworben hatte, 1638 die Aufforderung zu, das dortige
Schulwesen zu reformiren. Er versprach seinen Beirath, lehnte
aber das Amt selbst ab, um seine ganze Kraft der Wirk-
samkeit durch die Feder zu widmen. Er hatte seit lange
mächtige wissenschaftliche Pläne: die Ausarbeitung einer
grossen Didaktik, die er eben aus dem Böhmischen in's La-
teinische zu übersetzen begann, in der das Ideal eines allge-
meinen Unterrichtsplanes von der Kleinkinderschule bis zur
Universität rein theoretisch entwickelt wurde, die Herstellung
einer Reihe von Büchern theils zum sprachlichen Unterricht,
wie verschiedener Wörterbücher und Grammatiken, theils zum
realen Unterricht, einer Weltgeschichte, einer allgemeinen
Dogmatik, endlich einer Pansophie, die den ganzen Schatz
menschlicher Weisheit, nach bestimmten Grundsätzen geordnet,
in sich zu vereinigen hätte. Man sieht, wie das encyklopä-
278 Comenius und IJartlib.
distische Bestreben der Zeit auch in Comenius, und in ihm
nicht weniger grossartig wie bei Bacon, zum Durchbruch
kommt. Was er zur Ausführung dieser ungeheuren Werke,
in deren Herstellung er das Glück der Menschheit sah, sich
wünschte und für unentbehrlich hielt, war ein Mäcenas, um
die verschiedenen Mitarbeiter zu bezahlen, die er bei der
Behandlung so vieler auseinander liegender Gegenstände nicht
entl)ehren zu können glaulite. Eine förmliche Societät, an
einem ruhigen Ort sorgenlos versammelt, mit Büchern und
sonstigen Hilfsmitteln ausgestattet, unter seiner Leitung,
würde am meisten seinen Wünschen entsprochen haben. Er
hoffte noch von einem polnischen Grossen die nöthige Unter-
stützung zu- erhalten, als ihn Samuel Hartlib bewog sich nach
England zu begeben.
Zwischen dem Vaterlande Bacon's und Comenius bestan-
den alte Verbindungen, und mit Hartlib stand er seit lange
in freundschaftlichem brieflichen Verkehr(^). Vermuthlich hatten
zuerst die comenianischen Schriften die Aufmerksamkeit Hart-
lil)'s auf den slavischen Pädagogen gelenkt. Durch einen
Bruder, der wohl in der Heimat geblieben war, hatte er Ge-
legenheit gehal)t, ihm Grüsse zu senden. Alsdann hatte er sich
mit der ihm eigenen Opferwilligkeit zweier Sendlinge der
böhmischen Brüder angenommen, die im Interesse der Ver-
triebenen nach England geschickt wurden, und deren einer,
D. Wechner, ein Verwandter des Comenius war. Seitdem
war Hartlib unablässig bemüht, dem fernen Freunde, dessen
grossartige Pläne ihn ganz und gar gefangen hatten, in England
Gönner zu erwecken, ihm womöglich ein festes Einkommen
zu verschaffen, damit er im Stande sei, jene weitläufigen
wissenschaftlichen Werke der Welt zu schenken. Er hatte
gehofft, ihm durch die Einführung der Epoche machenden
Schrift, der „Janua linguarum reserata", in's englische Pub-
likum eine solche feste Rente zu sichern. Indessen schon
1034 hatte der Schulmann Thomas Hörne einen lateinisch-
englischen Auszug aus ihr veröffentlicht. Vermuthlich wenig
S])äter brachte Jolin Anchoran, Licentiat der Theologie, eine
englische Ueberarbeitung, die schon 1G30 eine vierte Auflage
Comenius uud Hartlib. 279
erlebte, und der Verfasser sah sich dadurch um die Früchte
seines Fleisses gebracht, die Hartlib's Optimismus geglaubt
hatte, ihm retten zu können (^). Umso eifriger war er, seine
Landsleute mit den ^Yeltbeg•lückenden Ideen seines Freundes
bekannt zu machen, welche dieser ihm schriftlich mitgetheilt
hatte. Eine kleine Schrift, die im Jahre 1637 erschien, wurde
im Jahre 1639 durch ein Paar Blätter ergänzt, in denen die
Gruadzüge der „grossen Didaktik" mitgetheilt wurden {'^).
Unzveifelhaft war Durie, für den der geistvolle Verbannte
ein nicht geringeres Interesse hatte, in alle diese Bestrebungen
eingeTeiht. Dafür wusste denn auch Comenius sich keinen
besseien Gehilfen für sein pansophisches Werk zu denken als
Hartlil), von dem er rühmt, dass ihm „an Umfang der Kennt-
nisse, m täglich bedeutenderer Schärfe des Verstandes und
an Eife- dem Gemeinwohl nützlich zu werden" niemand gleich
komme (^).
j\Iit dem Ausbruch der Kevolution stiegen die Hoffnungen,
die Hartib für seinen Freund hegte, auf's höchste. Ueberall
war der .^uf nach Reform laut geworden, auch für eine Re-
form des Erziehungs-Wesens liess sich vieles hoffen. Vor
allem war die Idee nicht ohne Anhänger, im Gegensatz zu
den beiden alten hochkirchlich-konservativen Universitäten die
Gründung tiner Art von Hochschule in London oder in nicht
zu grosser Terne von der Hauptstadt in's Werk zu setzen
und ihr die Einkünfte irgend eines Institutes zu überweisen.
Savoy, Chels>,a-College, Winchester-College wurden genannt.
Der alte Traim Bacon's lebte in den Köpfen wieder auf. Der
Vorsatz des Caneuius, eine grosse Gelehrtengesellschaft zu pan-
sophischen Arleiten zu vereinigen, liess sich möglicher Weise
in dieser Fonnin'sWerk setzen, und wenn man seinen Worten
Glauben schenk, hatte ein Committee des Parlamentes sich
bereits günstig über einen ihm vorgelegten Plan geäussert,
aus den wiehtigslsn Schriftstellern aller Zungen eine Art von
Encyklopädie zusammenzustellen ('*).
Comenius wu-de bei so bewandten Aussichten in der
That bewogen einen Rufe nach England zu folgen, den Hart-
lib beim Parlament ausgewirkt hatte, und langte am 21. Sept.
280 Comenius in England.
1641 in London an. Er unternahm die grosse Reise im Interesse
nicht nur seiner pädagogischen Pläne, sondern auch seiner hilfs-
bedürftigen Glaubensbrüder, von einigen derselben begleitet, um
von dem Mitleid der Engländer, dem die Gemeinden der Vertrie-
benen schon so viel verdankten, weitere Unterstützung zu a-
bitten(i). ggj HartHb wie Durie konnte er der freundlichslen
Aufnahme gewiss sein. Beide waren offenbar von seiner Persön-
lichkeit wie von seinen Ideen vollständig bezaubert und bestärk-
ten ihn noch in der hohen Meinung, die er von der wundeithä-
tigen Kraft seiner Lehren hatte. Auch sorgte Hartlib dafür, aufs
neue die Aufmersamkeit von England auf seinen aus so veiter
Ferne nach London herbeigeeilten Freund zu lenken, iidem
er Anfang 1642 unter dem Titel: „Eine Reform der Sc'iulen"
eine Uebersetzung der lateinisch niedergeschriebenen Grund-
sätze der Didaktik des Comenius, in ausführlicherer Gestalt
als früher, zum Besten der Nation erscheinen Hess (^). Keben
Hartlib und Durie rühmte Comenius unter den Freunien, die
ihm herzlich entgegen kamen, Pell und Haak , zwei Männer,
die gleichfalls Milton nicht unbekannt blieben. Auch »\^illiams,
der Bischof von Lincoln , der den berühmten Frendling zu-
gleich mit Hartlib und Durie zur Tafel lud, versp'ach seine
Pläne zu unterstützen, unter welchen zunächst wohl diejenigen
verstanden werden müssen, die sich auf die Verbesserung des
Looses seiner Glaubensgenossen bezogen (^). Indessen an die
Erreichung des hauptsächlichen Zieles, an die Gritidung einer
gelehrten Societät aus Staats-Mitteln unter Comenus' Leitung,
zur Förderung seiner Arbeiten, war doch nicit zu denken.
Als Comenius in London erschien, war das Parlament eben
vertagt. Nach Wiederaufnahme seiner Sitzungei beabsichtigte
man allerdings eine Kommission niederzusetzen, am seine Sache
an die Hand zu nehmen. Da kam die Nachricit vom irischen
Aufstand, das Attentat auf die fünf Mitglieder, der Bruch
zwischen König und Parlament, die Vorbereitung des Bürger-
krieges. Vergeblich suchten Hartlib und EUrie den Freund
festzuhalten, vergel)licli wurden ihm vor londoner Buch-
händlern u. a. Geld-Versprechungen gemarht. Er cntschloss
sieh, das Anerbieten eines reichen niederlänlischen Kaufmanns,
Comenius in Elbing. 281
Ludwig de Geer, anziinelimen, der in Schweden ansässig war,
und durch seinen Verwalter Hotton, einen Verehrer der pan-
sophischen Ideen, wie auch direkt schon längst mit ihm unter-
handelt hatte. Durch seineu neuen Gönner mit Reisegeld für
sich und seine Gefährten, durch Durie vom Haag aus mit
Empfehlungsbriefen an J. IMatthiae, den Stockholmer Professor,
Hofprediger und Lehrer der Königin Christine, versehen, reiste
er etwa 1642 nach Schweden ab. Er hatte daselbst merk-
würdige Unterredungen mit Oxenstjerna und Johann Skyte,
dem Kanzler der Universität Upsala, und entschloss sich auf
ihre Einwendungen hin seine hochfliegenden pansophischen
Pläne zunächst aufzugeben und sich näherliegenden didak-
tischen Aufgaben, dem Unterricht, der Ausarbeitung von Schul-
büchern und namentlich der Erleichterung der lateinischen
Studien zu widmen. Unzweifelhaft gieng die Absicht jener
Männer dahin, Comenius seinen etwas phantastischen Ideen
zu entziehen und der praktischen Beschäftigung mit einer
Schul-Reform anzunähern, die in erster Linie Schweden zu
Gute kommen sollte. Sein neuer ^Mäcenas war ganz derselben
Ansicht, und da Comenius in Schweden religiöse Vorurtheile
gegen seine Person fürchtete, siedelte er sich in Elbing an
(Okt. 1642), von Herrn de Geer durch Geldsendungen unter-
stützt und durch dessen Wohlthätigkeit sogar befähigt, die
Noth seiner darbenden Glaubensbrüder zu lindern.
Er zog, wie das seine Art war, mehrere Gehilfen zur Vor-
bereitung seiner literarischen Arbeiten heran. Indessen wurde
sein Verhältnis zu seinem Patron durch mancherlei Misshellig-
keiten getrübt. Diesem schritten die Arbeiten nicht rasch
genug fort, er war unwillig, dass Comenius auf Ansuchen des
Stadtrathes von Elbing (1644—1645) die Stelle eines ausser-
ordentlichen Professors am Gymnasium annahm (^), sich an
Synoden betheiligte und somit anderweitig über seine Zeit
verfügte. Comenius seinerseits wurde durch die strenge Kontrolle
gereizt und fand die Unterstützung nicht immer ausreichend.
Auch drängten sich unter die Mitglieder, wie es scheint, un-
lautere Naturen ein. Der letzte Grund so mancher Miss-
helligkeiten, die jedoch immer wieder durch die idealistische
282 Comeuius in Elbiug.
Gesinnung von beiden Seiten aufgehoben wurden, war der,
dass Comenius sicii wie in's Joch gespannt vorkam, während
er sich von der Ausführung jener pansophischen Pläne Un-
sterblichkeit versprach.
Eben dies war die Ansicht seiner englischen Freunde,
vor allem Hartlib's. Da dieser zu Elbing, seiner Vaterstadt,
die natürlichsten Beziehungen hatte, riss seine Verbindung
mit Comenius niemals ab. Er ermahnte ihn seiner grossen
Aufgabe eingedenk zu sein, der Welt „die Wege der wahren
Weisheit zu eröffnen" und von der „kleinlichen Beschäftigung
mit dem Lateinischen" abzustehn(^). Auch Comenius hatte
seiner nicht vergessen. Er war bemüht von dem Goldregen,
den sein Gönner so freigebig spendete, neben einem gewissen
Fundanius, welcher für die encyklopädische Arbeit ausersehen
war, dem Hartlib einiges zuzuwenden. Auch wies er ihn
auf Geld -Versprechungen an, die ihm englische Adlige ge-
macht hatten (-). Je mehr in Folge der unruhigen Zeiten
und seiner unbegrenzten Opferwilligkeit Hartlib's Vermögens-
umstände zurückgiengen, desto erwünschter musste jede Unter-
stützung der Art ihm sein. Wie mit Comenius so stand Hart-
lib auch mit mehreren seiner Gehülfen in Briefwechsel. Johann
Ravius, Professor der Eloquenz in Danzig, der Schlesier Cyp-
rian Kinner, Dr. med., welche eine Zeit lang Comenius bei
seinen Arbeiten unterstützten, tauscliten mit ihm von Zeit zu
Zeit Mittheilungen über wissenschaftliche Fragen aus und
wussten ihn gleichzeitig finanziell auszubeuten. Aber sie
waren nicht die einzigen, mit denen der immer rastlose
Hartlib über seine Lieblingsideen korrespondirte. Man muss
über die Vielseitigkeit seiner Beziehungen erstaunen, wenn
man den Spuren seines Briefwechsels nachgeht (•').
Es würde an sich nichts Auffälliges gehabt haben, wenn
ein so strebsamer Mann, der „Ansporn aller Guten in Eng-
land", wie ihn einer seiner Korrespondenten nennt (''), auch
Milton angezogen und für seine Bestrebungen gewonnen hätte.
Es kam aber noch dazu, dass Hartlib's religiöse und politische
Gesinnung der Art war, dass ihr die Sympathiecn des Dich-
ters nicht fehlen konnten. Jene Schriften, in welchen eine
Hartlib's kirchlich-politische Ansichten. 283
engere Verbindung der Protestanten empfohlen wurde, stem-
pelten Hartlib zum Puritaner. Als der erste Biscliofskrieg
vorbereitet wurde , und einzelne Persönlichkeiten in London
verdächtig waren, mit den Schotten in Verbindung zu stehen,
ergieng der Befehl, ihn in seinem Hause zu vernehmen (1. Mai
1639) (^). Im Process gegen Laud wurde er als Zeuge auf-
gerufen, um auszusagen , dass der Prälat den John Durie bei
seinen Unionsbestrebungen nicht unterstützt habe vmd Samm-
lungen für die pfälzische Geistlichkeit entgegengetreten sei (2).
Aber Hartlib war weit entfernt davon, sich den intoleranten
Presbyterianern anzuschliessen. Als von dieser Seite Edwards'
hasserfüllte Antapologie erschien, die sich gegen die indepen-
dentischen Mitglieder der Synode richtete, gab Hartlib einen
Briefwechsel heraus, den er mit seinem Freunde Hezekiah
Woodward, einem puritanischen Geistlichen, geführt hatte,
und in welchem über die Unduldsamkeit der Presbyterianer
der Stab gebrochen wurde (■'). Mit den beiden angesehen-
sten jener iudependentischen Geistlichen, Goodwin und Nye,
muss er sogar auf vertrautem Fusse gestanden haben.
Wenigstens richtete sich John Durie vom Haag aus an alle
drei in ausführlichen Worten, in denen er ebensowenig die
Unklarheit seiner Ansichten wie die Milde seiner Gesinnung
verläugnete(^). In dem Schreiben an Hartlib vom yV- März
1644, einer Antwort auf dessön Anfrage, verhehlt er sich zwar
nicht, dass „die geistlichen Aufgaben des Reiches Gottes nicht
dem Beamten des Staates angehören", hält diesen dann aber
doch, „da das Gewissen des Staates sich zum Christenthum
bekennt", für verpflichtet, für die Gottesverehrung zu sorgen
und das Einreissen von Verwirrung zu verhüten. Im ganzen
bleibt er auf presbyterianischem Standpunkt stehen, ohne sich
an den Schmähungen gegen die Independenten zu betheiligen.
Auch mit Comenius tauschte Hartlib seine Gedanken über die
englischen Parteizustände und den Independentismus aus.
Wenigstens hielt dieser mit seinen Aeusserungen darüber in
Briefen an ihn wie auch später in einer Druckschrift nicht
zurück.
284 Hartlib's kirchlich - politische Ansichten.
Wie eingenommen gegen die extremen Parteien und das
fortgesetzte Blutvergiessen in England er auch war, wie sehr
ihm das Dogma der Independenten vom göttlichen Ursprung
ihrer Kirchenverfassung als ein irriges erschien, er sprach
sich doch mit aller Entschiedenheit gegen die Methode eines
Edwards aus, die Staatsgewalt gegen die „Ketzereien" anzu-
rufen. Er wollte den Kampf nur mit geistigen Mitteln ge-
führt wissen, entdeckte in den Bestrebungen des Independen-
tismus die „Perle der christlichen Freiheit" und verwahrte
sich gegen jeden Gewissenszwang (^). Leider sind uns die
Kückäusserungen Hartlib's auf diese Bemerkungen seines
Freundes nicht aufbewahrt, wir haben indessen allen Grund
zu vermuthen, dass er mit noch grösserer Entschiedenheit die
Sache der Gewissensfreiheit gegen presbyterianische Unduld-
samkeit vertrat. Hatte er ja doch von den Aufgaben des
Staates einen viel zu hohen Begriff, als dass sich damit für
ihn vertragen hätte, die Staatsmacht als Büttel einer kirch-
lichen Körperschaft gegen die übrigen empfehlen zu sollen.
Wenn sich dies schon darin gezeigt hatte, dass ihm das
Erziehungswesen zu den wichtigsten Aufgaben des Staates ge-
hörte, so hatte er sich anderweitig geäussert, indem seine
Phantasie beim Beginn der Revolution, als die kühnsten Wün-
sche erwachten, das Idealbild eines Kulturstaates mit ein Paar
flüchtigen Strichen entworfen hatte. In eingestandener Nach-
ahmung der Utopie des Morus und der neuen Atlantis des
Bacon liess er durch einen Reisenden einem Gelehrten „das
Königreich der Seligen", Makaria, beschreiben, als Vorbild
für England, und man würde kaum mit Sicherheit sagen jiür-
fen, dass die merkwürdige Schrift von Hartlib herrühre, wenn
nicht seitdem dieses Wort „Makaria" eine grosse Rolle bei
ihm spielte (-). Wie in allen Staatsromanen alter und neuer
Zeit schleicht sich auch hier, dem Autor unbewusst, oft ein
unerträglicher Despotismus, unter der Maske der Freiheit ein,
aber das Werkchcn ist zu gleicher Zeit reich an Gedanken,
die eine spätere Zeit, die namentlich der spätere Socialismus
wieder aufgenommen hat. Die Sorge für das materielle Wohl
wird nachdrücklich betont, und es ist dem Verfasser eigen-
Hartlib und Milton. 285
thümlich, unter dem „grossen Rath" sieh noch fünf gesonderte
„Käthe", fünf Ministerien für Ackerbau, Fischerei, Land- und
Seehandel, Kolonisation zu denken. Er stellt sich ausser-
ordentliche Verbesserungen der Agrikultur und des Verkehrs-
wesens vor, kennt eine staatlich geordnete Auswanderung, um
der Uebervölkerung vorzubeugen und eine auf Gewerbestati-
stik begründete Regelung der Arbeitsverhältnisse (^). Aber
zugleich ist ihm jeder Pfarrer mit den Naturwissenschaften
vertraut, jeder Seelsorger auch heilkundig, was den Vortheil
hat, dass er bei „Behandlung der Seelen" nicht in's Blaue
hinein experimentiren wird. Auch malt er sich eine solche
Ausbreitung von Kenntnissen durch die Presse aus, „dass das
gemeine Volk, seiner eigenen Rechte und Freiheiten kundig,
nicht durch Gewalt beherrscht werden kann".
Man sieht, es war trotz aller phantastischen Zuthaten kein
unbedeutender Geist, und nicht mit unbedeutenden Gegen-
ständen beschäftigt, der sich zu der Freundschaft und Ach-
tung so vieler hervorragender Männer auch Milton's Zuneigung
gewann und ihn zur Herausgabe einer seiner anziehendsten
Schriften veranlasste. Keinem anderen als Hartlib ist das
Büchlein „von der Erziehung" gewidmet, das Anfang Juni
1644 erschien, und dessen Vorwort, an jenen Freund gerichtet,
am deutlichsten aussprach, wie hoch der Dichter von seinen
Bestrebungen dachte (^). Er gesteht, dass er trotz der Wich-
tigkeit des Gegenstandes für den Augenblick sich nicht dar-
auf eingelassen haben würde, über die Erziehung zu schreiben,
da ihn gegenwärtig andere bedeutsame Fragen (die Unter-
suchungen über die Möglichkeit einer Reform der Ehegesetz-
gebung) stark in Anspruch nähmen. i\.uch die dringenden
Bitten des Freundes würden ihn noch nicht bewogen haben,
seine Thätigkeit auf diese Weise zu zersplittern, wenn er ihn
nicht für pädagogische Reformen mit einem Eifer, der ihm
selbst Hochachtung für Comenius abgezwungen, thätig gesehn
hätte. Er nennt den grossen slavischen Pädagogen nicht mit
286 Miltou's Schrift „über die Erziehung".
Namen, sondern spricht nur von einem Manne, „den die gütige
Vorsehung aus der Ferne hierhergesandt hatte, um dieser
Insel Gelegenheit und Anregung zu einer grossen Wohlthat
zu geben". Auch lässt er unbestimmt, ob er Hartlib die
persönliche Bekanntschaft des Comenius verdanke, oder ob
ihm nur durch die begeisterten Berichte des Freundes Kunde
von dessen Plänen geworden sei. In jedem Fall giebt er sich
dem Enthusiasmus Hartlib's nicht willenlos hin , ja er macht
kaum ein Hehl daraus, dass er die comenianischen Schriften
seiner näheren Aufmerksamkeit nicht gewürdigt habe. Denn
nach einer Reihe von Komplimenten über das Ansehen seines
Freundes in der gelehrten Welt, seinen ausgedehnten Brief-
wechsel, seine aufopfernden Bestrebungen innerhalb und ausser-
halb Englands, erklärt er sich zwar bereit, durch das ge-
schriebene Wort zu fixiren, was sie beide „in gelegentlichen
Gesprächen" erörtert haben, aber er fügt, und gewiss nicht
absichtslos, hinzu: „Ich will Sie mit der Aufzählung dessen
verschonen, was ich hiebei alten berühmten Autoren vei-danke,
und ich fühle mich nicht geneigt, zu untersuchen, was viele
neuere Januas und Didaktiken, mehr als ich jemals
lesen werde, vorgeschlagen haben".
Hartlib mochte durch diese Anspielung nicht sehr an-
genehm überrascht sein, er konnte indess schon aus dem
Vorwort erkennen, dass der Dichter, unabhängig von dem
Pädagogen, dem gleichen Ziele zustrebe wie dieser. Der
Reformgedanke, den Milton sich seit lange in der Stille ge-
bildet hatte, gieng auf eine Erziehung „an Ausdehnung und
Umfang viel bedeutender, und doch der Zeit nach viel kürzer
und viel leichter zu erreichen, als die bisher übliche". Diesen
Gedanken will er nicht in breiter Ausführlichkeit, sondern so
kurz als möglich entwickeln. Denn das, was er zum Besten
der Nation auszusprechen hat, „sollte lieber rasch gethan als
gesagt werden". Es sind nur „einige Bemerkungen", gleich-
sam die „Blüthe des Nachdenkens vieler Jahre", und man
würde daher auch hier einen ganz falschen Mass-Stab anlegen,
wollte man ein völlig ausgearbeitetes System erwarten. Nicht
minder wäre es irrig, in Milton's Schrift den Abriss eines
Absicht der Schrift. 287
Erziehungsplaiies für beide Geschlechter, für alle Stände mid
vom zartesten Kindesalter an finden zu wollen. Er denkt
nur an die Erziehung des Knaben und Jünglings etwa „vom
zwölften bis zum einundzwanzigsten Jahr", und selbst hierbei
steht ihm nur die Jugend der höheren Stände (our noble and
our gentle youth), welche die Unkosten der Erziehung be-
streiten könnten, vor Augen. Nicht, dass aristokratische
Ueberhebung ihn das Fehlende hätte vergessen lassen. Er
deutet selbst am Schlüsse an, dass er sich der Beschränkung
seines Themas sehr wohl bewusst sei. Aber er war so ge-
wissenhaft sie sich aufzulegen, um nur davon zu sprechen,
wozu ihn die eigene Erfahrung befähigte, die er lernend an
sich, lehrend an anderen gemacht hatte. Trotz dieser will-
kürlichen Beschränkung hält er dennoch mit einer allgemeinen
Definition des Lernzweckes nicht zurück. Er findet ihn darin,
„dass wir den Fall unserer Ureltern wieder gut machen sollen
durch Wiedererlangung einer richtigen Erkenntnis Gottes, die
uns befähigt, ihn zu lieben, ihm nachzuahmen, ihm so ähn-
lich wie möglich zu werden, indem wir unsere Seelen mit
wahrer Tugend erfüllen, die im Verein mit der himmlischen
Gnade des Glaubens die höchste Vollkommenheit ausmacht".
Und wenn diese allgemeine Definition in Folge des puritani-
schen Jargons ziemhch unfassbar bleibt, so ist die Definition
derjenigen Erziehung um so klarer, von der er allein hier
handeln will. Diese ist ihm „vollkommen und würdig", wenn
sie „einen Mann dazu bildet, allen privaten und öffentlichen
Pflichten in Krieg und Frieden gerecht, geschickt und hoch-
herzig nachzukommen", mit anderen Worten, wenn sie den
jungen Engländer der höheren Stände — , und diesen allein
hat er im Auge — , nach Kenntnissen und Charakter tüchtig
macht, eine ordentliche Stelle im bürgerlichen Leben, es sei
nun welche es wolle, gehörig auszufüllen. Der Ausführung
dieses Gedankens sieht der Autor nun die bisherige Erzie-
hungsmethode entgegenstehn , bei der mehr Zeit „auf die
blossen Lappereien von Grammatik und Sophisterei drauf
geht", als er für seinen pädagogischen Plan nöthig zu haben
glaubt. Und wenn er auch nicht eben sehr achtungsvoll von
288 Inhalt. — SjDrachstudien.
Coraenius' Schriften gesprochen hatte, so zeigt sich hier, dass
er sich ihrem Geiste durchaus verwandt fühlte. Dieselbe
herbe Verurtheilung einer Jugendbildung, die über dem
Sprachlichen das Sachliclie so ungebührlich vernachlässigte,
die es hochmüthig verschmähte , vom Sinnlichen aufzusteigen
zum Geistigen, findet sich auch hier.
Milton wäre der letzte gewesen, der sich dem Studium
der Antike feindlich gegenüber gestellt hätte. Er verstand
es wohl, warum man „die Sprachen derjenigen Völker vor-
züglich lehre, welche . . der Weisheit am eifrigsten nach-
strebten". Aber die Sprache ist ihm „doch nur das Werkzeug,
um uns die Kenntnis wissenswerther Dinge zu vermitteln".
„Wenn sich ein Sprachgelehrter auch rühmen sollte, alle
Zungen, wie sie sich beim babylonischen Thurmbau schieden,
innezuhaben und er hätte die werthvollen Dinge, deren Kunde
sie überliefern, nicht ebenso gut studirt wie die Wörter und
Lexika, so wäre er nicht so hoch als ein gelehrter Mann zu
achten, wie der erste beste Bauer oder Handwerker, der
seinen Bedarf an Kenntnissen nur durch seine Muttersprache
erworben hat. Daher kommen die vielen Missgriffe, welche
den Unterricht im allgemeinen so widerwärtig und fruchtlos
gemacht haben. Da versclnvendet man sieben oder acht Jahre
damit, gerade so viel elendes Latein und Griechisch zusam-
menzukratzen, als man sonst leicht und mit Vergnügen in einem
Jahre hätte lernen können. Und was unsere Fortschritte
hierin so sehr hindert, ist der Zeitverlust theils in Folge zu
häufiger unnöthiger Ferien in Schulen und Universitäten,-
theils in Folge einer widersinnigen Methode, die Kinder von
unentwickeltem Geist dazu zwingt, Aufsätze, Verse und Reden
auszuarbeiten, die ein reifes Urtheil, einen durch lange Lek-
türe und Erfalii-ung bereicherten Kopf, einen eleganten Stil,
eine fiuchtbare Erfindung voraussetzen," Er sieht darin den
Versuch, „unreife Früchte abzupflücken", er leitet daraus als
eine natürliclie Folge die „grässlichen Barbarismen und Angli-
cismen" ab und kennt statt dessen nur eine richtige Methode,
die Sprachen zu lernen: zuerst Schaffung der nothwendigen
grammatikalischen Unterlage, gesichert durch „Auswendig-
„Sophisterei". 289
lernen", dann die Anwendung der grammatikalischen Formen
„im gründlichen Durchgehen eines ausgewählten, kurzen
Uebungsbuches", darauf abei- , .zusammenhängende und ver-
ständig ausgewählte Lektüre reiner Autoren", „von denen die
Jugend jetzt kaum nippt", durch deren Studium sie mit der
Sprache zu gleicher Zeit auch die ,, guten Sachen", von denen
sie handeln, den stofflichen Inhalt der Antike, kennen lernen
würde.
Bis dahin war nur von den Verkehrtheiten des Sprach-
unterrichtes, der Vorbildung für die Universität, die Rede ge-
wesen, aber auch gegen die Methode der Hochschulen, gegen
ihre Vernachlässigung des Wissenswerthen zu Gunsten der
„Sophisterei" hatte Milton die Schale seines Zornes auszu-
giessen. Er hält es lediglich für einen Rest der „scholastischen
Dummheit barbarischer Zeiten", dass die „jungen immatriku-
lirten Neulinge, statt zuerst in den leichtesten, der sinnlichen
Anschauung zugänglichen Gegenständen unterrichtet zu wer-
den, sich gleich bei ihrem Eintritt mit den allergeistigsten Ab-
straktionen der Logik und Metaphysik beschenken lassen
müssen". Sie haben „eben erst die grammatikalischen Un-
tiefen und Sandbänke verlassen, auf denen sie festsassen, um
ohne Sinn und Verstand ein Paar Worte mit armseliger Kon-
struktion zu lernen, und sehen sich nun plötzlich unter einen
anderen Himmelsstrich versetzt, um mit ihren Köpfen ohne
Ballast in den bodenlosen und stürmischen Abgründen der
Kontroverse hin- und hergeschleudert zu werden". Kein
Wunder, wenn ihnen von alledem ganz wüst zu Sinn wird,
„wenn sie grössten Theils in Hass und Verachtung gegen das.
Studium entbrennen, da man sie die ganze Zeit mit lumpigen
Phrasen und Wortgeklingel hinhält, während sie etwas Rechtes
und Erfreuliches zu lernen hofften". Da werden sie denn
bald „durch Armuth oder jugendliches Ungestüm" auf ver-
schiedene Wege gedrängt, der eine „zu einer ehrgeizigen,
feilen oder unwissend -zelotischen Gottesgelahrtheit", der an-
dere zum „Handwerk der Jurisprudenz", von dem er „fette
Processe und reichliche Sportein" erhofft, diese zu den Staats-
geschäften, „ohne Grundsätze und wahre Bildung", sodass
Stern, Milton n. s. Zeit. I. 2. 19
290 „Sophisterei".
sie „Schmeichelei, Hofkünste und tyrannische Maximen für
den Gipfel der Weisheit halten und ihre dürren Herzen mit
wirklichem oder erheucheltem Sklavensinn füllen, jene — und
sie wären , wenn Leute von guter Moral , noch die Vernünf-
tigsten — in die Zurückgezogenheit von Müsse und Genuss,
in der sie ihre Tage in Lust und Freuden verbringen". Das
sind die Früchte einer Erziehung in Schule und Universität,
bei der jede Einheit der Bildung verloren geht, weil man
gezwungen wird, „blosse Worte und solche Dinge in erster
Linie zu lernen, die besser ungelernt blieben^'. Man sieht,
wie der Ligrimm eigener Erfahrung, die Einwirkung Bacon'-
scher Grundsätze und doch wohl auch der geistigen Atmo-
späre, in der ein Hartlib athmete, in Milton jene Reaktion
gegen das Bestehende gross gezogen hatten. Die Philologen
von Fach steiften sich darauf, dass das Studium des Baues
der alten Sprachen und ihrer Feinheiten das erste allgemeine
geistige Bildungsmittel sein müsse, er tritt diesem Ausspruch
mit Entschiedenheit entgegen, indem er für die Lektüre mehr
Raum gewinnen will. Sie quälten den Schüler fast ein Jahr-
zehnt lang mit den Experimenten dieser geistigen Turnkunst,
er beweist ihnen, dass man dabei nicht einmal Lateinisch
und Griechisch lerne. Die Universitäten setzten mit ihrem
scholastischen Lehrplan das begonnene Werk fort, er erklärt
als Folge, dass der junge Mann gerade das nicht gelernt
habe, gerade das nicht geworden sei, was ihm für's Leben zu
wissen und zu werden von Werth hätte sein müssen.
Indem er sich nun anschickt, seinerseits positive Reform-
yorschläge zu machen, tritt er allerdings mit gewohnter Kühn-
heit dem Bestehenden entgegen, aber er hält doch in wichtigen
Punkten daran fest. Auch nach ihm, wie es l)isher nationale
Eigenthümlichkeit geblieben war , soll die Universität die
eigentlich fachmässige Bildung noch nicht gewähren. Die
^lusteranstalt, deren Bild er entwirft, ist zu gleicher Zeit
Schule und Hochschule, insoferne diese dasjenige Mass all-
gemeiner Bildung vermittelt, welches etwa zur Erlangung des
iVLagistergrades genügt. In dieser allgemeinen Bildung denkt
er sich ferner noch philosophische Studien im weiteren Sinn
Positive Vorschläge. 291
mit theologischen verbunden. Nur für „die Jurisprudenz
oder Medicin" will er neben der ihm vorschwebenden Aka-
demie „besondere Colleges" bestehen lassen. Auch stellt er
sich, nach dem oxforder und cambridger Muster, ein Zusam-
menwolmen der Zöglinge in den akademischen Anstalten vor,
deren jede aus „einem geräumigen Haus mit Grund und Bo-
den" bestehen soll, für einhundertundfünfzig Insassen einge-
richtet, von denen etwa zwanzig für die Bedienung (i) nöthig
sind, alle unter Leitung eines Oberaufsehers. Demgemäss
soll auch der Tisch in dem gemeinsamen Wohnhaus genommen
werden, „sowohl um Zeit zu sparen, als auch um der Lüder-
lichkeit vorzubeugen", \md die Nahrung soll selbstverständlich
gesund sein und das richtige Mass nicht übersteigen. Solcher
Anstalten denkt sich Milton eine Masse über das Land zer-
streut, „in jeder Stadt, wo sich ein Bedürfnis danach zeigt",
um „überall Kenntnisse und Bildung auszubreiten", ohne dass
gesagt wäre, inwieferne Staat, Gemeinde und Private zur
Gründung und Erhaltung der Institute zusammenwirken sollten.
Wichtiger iudess als seine Angaben über die „Aeusser-
lichkeiten der Ideal - Anstalt", die ihm vorschwebte, sind seine
Aeusserungen über die „Studien" und die „Uebungen", die
er in sein Programm aufnehmen will. Die Studien sollen
allerdings wie bisher mit dem Erlernen der klassischen Spra-
chen beginnen, nur dass daraus nicht wie bisher durch unver-
dauliche prosaische und metrische Aufgaben ein „eselmässiges
Mahl von Dornen und Saudisteln" gemacht werden soll. Mit
dem ersten grammatikalischen Unterricht im Lateinischen soll
die Angewöhnung einer reinen Aussprache Hand in Hand
gehen, und bei dieser Gelegenheit giebt der Autor, eingedenk
seiner italienischen Erinnerungen, seinen Landsleuten einen
Hieb, die „als Nordländer in der kalten Luft den Mund nicht
weit genug aufmachen, um eine südliche Sprache anmuthig
zu reden, sondern die Worte in sich hinein murmeln". Als
erste Uebungsbücher, um die Schüler in den grammatika-
lischen Regeln zu befestigen, sollen solche dienen, deren In-
halt ihnen zu „Tugend und rechter Arbeit" Lust macht,
Bücher also von moralisirender Tendenz, die direkt oder in-
19*
292 Positive Vorschläge.
direkt über Fragen der Erziehung handeln, wie im Griechi-
schen die einschlägigen Stücke des Cebes, Plutarch, im La-
teinischen Quintilian etc. Zu gleicher Zeit soll der Lehrer
jede Gelegenheit benutzen, an seine Erklärung der betreffen-
den Schriftsteller feurige Ermahnungen zu knüpfen, in den
empfänglichen Gemüthern „Eifer zum Lernen, Bewunderung
der Tugend, Verachtung alles Kindischen, Lust zu allem Männ-
lichen zu wecken". Dabei muss sein eigenes Beispiel das
Beste thun, doch soll, wenn es Noth thut, auch die „Ein-
flössung einiger Furcht" nicht fehlen. Auf eben dieser Schul-
stufe sollen die ersten Regeln der Arithmetik und die An-
fangsgründe der Geometrie „wie spielend nach der alten Art"
gelernt werden. Nach Tisch aber bis zur Schlafenszeit sollen
die „Grundbegriffe der Religion und die biblische Geschichte"
den Tag beschliessen. Auf der folgenden Stufe kommen die
römischen Ackerbau -Schriftsteller (Cato, Varro, Columella)
daran, „deren Sprache zwar schwierig, deren Gegenstand aber
leicht verständlich und von praktischer Wichtigkeit ist". Es
lassen sich Vorträge über Geographie und Naturlehre, De-
monstrationen an Globus und Karte, auch mit Benutzung
moderner Schriftsteller (1), daran schliessen. Ebenfalls werden
jetzt die Elemente des Griechischen nach der schon früher
befolgten Methode gelernt. Auch in dieser Sprache sollen,
nach Ueberwindung der grammatikalischen Schwierigkeiten,
Schriftsteller wie Aristoteles und Theophrastus zuerst gelesen
werden, weil sie sich mit den natürlichen Dingen beschäftigen,
wie denn auch im Lateinischen Autoren wie Vitruv, Seneca,
Mela, Celsus, Plinius, Solinus eintreten. Diese ganze Lektüre
bleibt in stetem Zusammenhang mit dem theoretischen Unter-
richt in Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Geographie und
allgemeiner Naturlehre. Erst darauf folgt die praktische An-
wendung der Summe naturwissenschaftlicher Kenntnisse, einer-
seits mit Zuhilfenahme der Trigonometrie bis zur Befestigungs-
kunst, Architektur, Ingenieur - und Schifffahrtskunde, anderer-
seits, niichst Meteorologie, Mineralogie, Botanik, Zoologie, bis
zur Anatomie und der Kenntnis einiger Regeln der Arznei-
wissenschaft. Es wird vorausgesetzt, dass die Zöglinge der
Positive Vorschläge. 293
Anstalt Gelegenheit haben, hie und da Anleitung von Männern
der Praxis wie Jägern, Fischern, Gärtnern, Apothekern, Archi-
tekten, Ingenieuren, Aerzten u. s. w. zu erhalten, und dass
solche, zum Theil für gutes Geld, „ein so hoffnungsvolles
Seminar gern unterstützen werden". Alles soll dazu dienen,
die Beobachtungsgabe der jungen Leute zu schärfen, ihnen
die Möglichkeit zu geben, in allen Lebenslagen der äusseren
Natur beherrschend gegenüberzutreten. Aber auch hier tritt
ergänzend die Lektüre solcher klassischer Dichter ein, die,
Avie Hesiod, Theokrit, Aratus, Nikander, Lucrez, Manilius,
Virgil in seinen Georgiken u. a. nur dann schwer zu ver-
stehen sind, wenn man die Gegenstände der Natur, die sie
behandeln, nicht aus eigener Anschauung kennt.
Bis dahin ist erst eine umfassende Kenntnis der äusseren
Welt gewonnen, nun ist der Geist reif genug, um die Gesetze
der moralischen Welt zu erfassen, „die Gegensätze von Gut
und Uebel zu beurtheilen". Da empfehlen sich die einschlä-
gigen Schriften von Plato, Xenophon, Cicero, Plutarch, Dio-
genes von Laerte u. s. w\ , neben denen „am Schlüsse des
Tagewerkes ein Spruch David's oder Salomon's oder der
Evangelien und der apostolischen Schriften" nicht vergessen
werden darf. Auch in der Poesie wird ein Fortschritt von
den Naturschilderungen zu den Dichtungen mit moralischen
Zwecken gemacht. Ausgewählte Komödien kommen an die
Reihe, griechische und lateinische, aber auch italienische, denn
diese Sprache „kann in Nebenstunden leicht gelernt werden",
nebst einigen passenden Tragödien, wie die Trachinierinnen
und Alkestis. Nun geht es rüstig weiter zum Sittlichen in
seiner höchsten Potenz, zum Staate(^). Volkswirtschaft, Po-
litik, Geschichte, Ptechtskunde werden berücksichtigt, auf
dass die Zöglinge einst „in gefahrvollen Lagen des Gemein-
wesens sich nicht gleich einem armen, schwankenden Rohr
erzeigen, mit wankender Gesinnung, wie so viele unserer
grossen Räthe sich erzeigt haben, sondern auf dass sie starke
Säulen des Staates seien". Hier werden sie denn mit den
Normen des ersten grossen Gesetzgebers, Moses, vertraut ge- ■
macht, durch die Legislationen eines Lykurg, Solon, Zaleucus,
294 Positive Yorschlägp.
Charondas hiudurchgeführt zu den römischen Gesetzen, von
den zwölf Tafeln bis Justinian, um endlich beim heimischen
Rechte anzulangen. In ausgewählten antiken Historikern und
Epikern, in den grossen attischen Tragikern, soferne sie
„Staats -Aktionen" behandeln, wie bei den Rednern des Alter-
thums finden sich für alle Fragen, die hier zur Sprache kom-
men, Belege, welche verdienen, nicht nur gelesen, sondern
„zum Theil auch auswendig gelernt und mit feierlichem An-
stand vorgetragen zu werden". Sonntags und Abends bleibt
für das Studium der „höchsten theologischen Fragen'^, alter und
neuer Kirchengeschichte noch Zeit, und dies kann selbstver-
ständlich nicht gründlich betrieben werden, wenn nicht schon
vorbei" Hebräisch gelernt ist. „Und es dürfte keine Unmög-
lichkeit sein, — fügt der erbarmungslose Milton hinzu, —
damit die Lehre des chaldäischen und syrischen Dialekts zu
verbinden".
Den 'Abschluss und die Krone des Ganzen bilden „die
organischen Künste", in der Reihenfolge von Logik, Poetik,
Rhetorik. Erst jetzt, nachdem der Scholar „eine allgemeine
Einsicht in die Dinge gewonnen hat", kann er die Form bil-
den. Er weiss etwas, nun ist es Zeit, ihn zu befähigen, seinem
Wissen „in Rede und Schrift einen klaren, eleganten, dem
Gegenstande angemessenen Ausdruck zu verleihen". Auch
hier wieder bietet sich die Flille klassischer Autoren, und
wenn für die Logik kein Moderner, nicht einmal Ramus, wie
man erwarten sollte, neben ihnen genannt wird, so treten für
die Poetik neben Aristoteles und Horaz auch Castelvetro,
Tasso, Mazzoni ein. Und keineswegs ist unter der Poetik
blos Prosodie zu verstehen , sondern die tiefe Einsicht in die
Gesetze der Kunst, welche die jungen Leute befähigen würde,
zu erkennen, „was für verächtliche Geschöpfe unsere gewöhn-
lichen Reimer und Theater -Dichter sind", und einzusehen,
„welch ein heri-licher und rühmlicher Gebrauch für göttliche
und' menscliliche Zwecke von der Poesie gemacht werden
könnte". Sind sie so vorgebildet, dann wird es geschehen,
•dass „man mit Ehrerbietung und Achtung an ihren Lippen
hängt, wenn sie im Parlamente oder im Rathe das Wort neh-
Positive Vorschläge. 295
men". Auch werden dann auf den Kanzeln andere Gesichter,
andere Gestikulationen und anders durchgearbeitete Predigten
erscheinen als diejenigen sind, die wir jetzt aushalten müssen,
und die für uns oft eine eben so grosse Geduldsprobe sind,
wie irgend eine sonst, von der man uns predigt.
Auf die Skizze des Studienganges der Ideal- Akademie
folgt diejenige der „Uebungen", die ein höchst nöthiges Ge-
gengewicht gegen die Büchergelehrsamkeit zu bilden haben.
Geht diese selbst schon immer mit praktischen Versuchen
Hand in Hand, so sollen zunächst anderthalb Stunden vor
Tisch, oder auch mehr, je nachdem die Schüler früh auf-
stehen, ausschliesslich füi' Leibesübungen und Ausruhen be-
stimmt sein. Die Uebung in den Waffen „auf Hieb und
Stich" macht den Anfang, als besonders geeignet den Körper
kräftig und geschmeidig zu machen, der Lungenthätigkeit
und dem Wachsthum zu dienen, wie auch den persönlichen
Muth der Jünglinge zu heben. Der moralisirende Pädagog
verlangt als Ergänzung „passende Vorlesungen und Beleh-
rungen über wahre Tapferkeit und Standhaftigkeit, damit sie
die Feigheit des Unrecht- Thuns hassen lernen". Demnächst
wird der nationalen Uebung des Ringens gedacht. Die
Zwischenzeit des Abkühlens und Ausruhens vor Tisch wird
durch die „Erquickung feierlicher und göttlicher Harmonieen
der Musik'' ausgefüllt, der sie zuhören oder die sie lernen,
sei es, dass ein einzelner in freier Phantasie ,,mit stolzen
Fugen" die Orgel bearbeitet, oder „die volle Symphonie mit
künstlichen, ungeahnten Wendungen die wohldurchdachte Me-
lodie eines guten Komponisten ziert". Auch Gesang aller
Art, religiösen, kriegerischen, weltlichen Charakters mit Be-
gleitung der Orgel oder Laute ist zu pflegen. Denn die Musik
hat eine hohe pädagogische Bedeutung, sie mildert die Sitten
und sänftigt die Leidenschaften. Sie mag auch nach Tisch
als Ueberleitung zu neuer Arbeit benutzt werden. Diese
dauert bis zwei Stunden vor dem Abendessen, die wieder
körperlichen Uebungen gewidmet sind. Ein Lärmzeichen oder
Losungswort ruft die Jünglinge „nach römischer Art" zu mili-
tärischen Exercitien, die je nach der Jahreszeit im Freien
296 Positive Vorschläge.
oder im Hause abgehalten werden. Sie üben sich zuerst als
Infanteristen, später, wenn sie gross genug sind, lernen sie
reiten. Die Aufstellung in Schlachtordnung , das Marschiren,
ein Lager schlagen, die Kunst des Befestigens, Belagerns,
Beschiessens wird ihnen beigebracht, die Taktik und Strategie
alter und neuer Zeit entwickelt. Es sieht wie ein Seitenblick
auf die zweifelhaften Erfolge gewisser presbyterianischer Ge-
nerale aus, wenn Milton bemerkt: Junge Leute von solcher
Vorbildung würden ihrem Vaterlande als tüchtige Feldherren
dienen können, „sie würden nicht dulden, dass die ihnen an-
vertrauten trefflichen Heere, trotz häufigen Nachschubs, aus
Mangel an tüchtiger Disciplin wie kranke Federn im Winde
zerflattern, dass ihre unfähigen Obersten von ganzen zwanzig
Mann in einer Kompagnie die Löhnung einer betrüglichen
Stammrolle verprassen oder zu heimlichen Schätzen zusam-
menraffen, und dass nur ein elender Rest übrigbleibt" u. s. w.
Aber noch andere gesunde Unterbrechungen der Arbeit
werden empfohlen , — häufige Ausflüge in der guten Jahres-
zeit, längere Reisen nach zwei- oder dreijährigem Studium,
in grösseren Abtheilungen unter kundiger Führung, durch's
Land und an die Küste, um lür die Thätigkeit des Städters
und des Bauern, für Handel und Gewerbe, für das Getriebe des
Hafens und die Aufgaben der Marine den Blick zu erweitern.
Für eine solche „hoffnungsvolle Jugend" wird man dann nicht
mehr die „Monsieurs von Paris" nöthig haben, ,,um sie in
ihre thörichte und verschwenderische Obhut zu nehmen und,
in Possenreisser , Aften und Hanswürste verwandelt, wie-
der zurückzusenden". Vielmehr werden sie, wenn sie mit
drei- oder vierundzwanzig Jahren die Welt sehen wollen, um
ihre Erfahrungen zu bereichern, überall mit Achtung auf-
genommen werden und die Freundschaft der Besten an allen
Orten gewinnen. Ja, dann werden vielleicht andere Völker
ihrer Erziehung halber England besuchen oder seine Einrich-
tungen bei sich nachahmen. —
Das ist die Skizze des Milton'schen Reformplanes, „ein
Bogen, wie er stolz bemerkte, den nicht jeder spannen kann,
der sich einen Schulmeister nennt". Unser Zeitalter, das
Kritik. 297
Zeitalter, welches den Grundsatz der Arbeitstheilung auf seine
Fahne geschrieben hat, wird geneigt sein, zu fragen, ob es
sich überhaupt jemals verlohnt habe, den Versuch zu machen,
diesen Bogen zu spannen, und es wird die Träume des reform-
lustigen Dichters belächeln. Aber es sollte nicht ungerecht
in der Beurtheilung eines ..pädagogigischen Idylls" sein, dessen
Autor in einer Zeit lebte, die so viele Zweige der Wii^sen-
schaft, welche heute hoch entwickelt sind, erst im Ansatz sah.
Es sollte ferner erwägen, dass das zähe Festhalten am Her-
gebrachten auf der einen Seite den erzürnten Schriftsteller
andererseits dazu trieb , seine Forderungen auf Berücksich-
tigung der Realien so 'weit als nur denkbar zu fassen. Es
sollte seinen begeisterten Worten dasjenige entnehmen, was
noch heute nach mehr als zweihundert Jahren nichts an
Wahrheit verloren hat, und dasjenige entschuldigen, was auf
Rechnung der unvermeidlichen Abhängigkeit des Autors von
dem Geiste seiner Zeit zu setzen ist. Hierzu gehört aber
vor allem die eigenthümliche Art, in welcher Milton jenem
comenianischen Verlangen, Sachkenntnis und Sprachkenntnis
mit einander zu verbinden, genügen will. Die Tradition
der Universität mochte hier doch in etwas einwirken, aber
es sieht zugleich so aus, als wenn er mit den Philologen von
Fach, deren Uebermacht auch er sich entgegenstemmt, einen
heimlichen Vertrag schliessen wollte. Die alten Sprachen
sollen noch immer die Grundlage der einen, allgemeinen, hu-
manen Bildung sein, aber man soll durch sie zur Kunde alles
dessen angeleitet werden, was man gelernt haben muss, um
nicht bei jedem Schritt des Lebens, bei jeder stummen Frage
der umgebenden Natur beschämt die grösste Unwissenheit
und Hilflosigkeit eingestehen zu müssen. So ist es zu er-
klären, dass er den Aratus zugleich als astronomisches (^),
den Theophrast als botanisches, den Pomponius Mela als geo-
graphisches Lehrbuch benutzt wissen will, dass er nur schüch-
tern daneben auf moderne Hilfsmittel und Autoren verweist,
dass von den Meisterwerken der heimischen Literatur, die
er so hoch verehrte, überhaupt keines Aufnahme in den Rah-
men des eigentlichen Lehrplanes fand , sondern dass die Be-
298 Ki-itik.
scliäftigung mit den vaterländischen Prosaikern und Dichtern
ganz und gar der Müsse des einzehien überlassen blieb.
Dass ein. solches Kompromiss seinen Zweck durchaus ver-
fehlt haben würde, ja sogar seine sehr komische Seite hat,
wird niemand läugnen. Aber es ist bezeichnend, dass ein Geist
von ganz anderem Gepräge, der nachweisbar gleichfalls in
den Bann der Comenianisch - Hartlib'schen Ideen gezogen
ward, dass der Dichter Abraham Cowley einige Zeit später
dieselbe Methode forderte, den Schülern gleichzeitig Sprach-
kenutnis und Sachkenntnis beizubringen, und dass er sich bei
der Auswahl der antiken Autoren, die er zu diesem Behuf
in Vorschlag brachte, ersichtlich sehr enge an das Milton'sche
Vorbild anschloss(^). — Für Milton selbst kamen neben jenen
Reform -Ideen seiner Zeit, die ihm Hartlib übermittelte, un-
zweifelhaft, wie er sogar andeutet, Erinnerungen an berühmte
Institute des Alterthums, vielleicht auch der Gedanke an jenes
Kolleg „dei Nobili" in Betracht, das sein Freund Manso in
Neapel gegründet hatte (s. o. B. I. S, 287). Vor allem aber das
Bestreben, nach Bacon's Anweisung zwischen dem Wissen und
dem Nützlichen, zwischen dem Nützlichen und dem Guten
eine Brücke zu schlagen, das glühende Verlangen, nach dem
Muster der Renaissance - Heroen, den ganzen Menschen voll
und frei auszubilden, leitet seine Feder, wie es seinem eignen
Leben von früh auf die Richtung gegeben hatte. Locke hat
es nicht verschmäht, sich in vielem, bewusst oder unbewusst,
Milton anzuschliessen(-), die bahnbrechenden pädagogischen Re-
formatoren des achtzehnten Jahrhunderts nehmen jenen Grund-
gedanken wieder auf, und ein grösserer Dichter, als er war,
hat den folgenden Generationen ein leuchtendes Beispiel der
Verwirklichung jenes Menschheits- Ideales hinterlassen.
Mehr als ein Satz der Milton'schen Schrift über die Er-
ziehung war geeignet, das Zartgefühl der Presbyterianer zu
verletzen. Was er über gewisse Officiere hatte einfliessen
lassen, klang wie eine schadenfrohe Herausforderung. Was
er über gewisse Kanzelrcdner geäussert hatte, schien nicht
Zweite Schrift über die Ehescheidung: „Urtheil Butzer's". 299
minder auf die beliebten Prediger des Tages gemünzt zu sein,
wie auf die verdrängten Diener der Episkopalkirclie. Und
der ganze revolutionäre Ton seines Werkchens gemahnte nur
allzu deutlich an die stürmische Art des Independentismus.
Aber noch weit bedenklicher war es, dass dieser schreibfer-
tige Autor schon fünf Wochen später mit einem neuen Traktat
auf dem Plane erschien, in welchem er seine verabscheuungs-
würdige Theorie von der Ehescheidung nachdrücklicher zu
vertreten wagte. (^) Wer es wusste, dass Martin Putzer einem
sehr freien Scheidungsrecht gehuldigt hatte, in welchem neben
Wahnsinn, unheilbarer Krankheit u. s. w. auch unheilbare
und unüberwindliche Abneigung als ScheidungsgTund zugelas-
sen, und dass diese Ansicht von Sarcerius weiter ausgeführt
worden war, den musste es Wunder nehmen, dass Milton in
seiner Schrift über die Ehescheidung es verschmäht hatte, sich
auf die Autorität des strassburger Reformators zu stützen. Und
doch hätte ihm dies um so näher gelegen , mit je grösserer
Vorliebe er sich auf Fagius berufen hatte, der gleichzeitig
mit dem berühmteren Putzer aus der Heimat gewichen war,
um in England unter der Regierung Edward's VI. einen neuen
Wirkungskreis zu suchen. Indessen er gesteht selbst ein,
dass ihm erst etwa ein Vierteljahr nach Veröffentlichung der
zweiten Ausgabe, also Anfang Mai 1644, Kunde von Putzer's
Aeusserungen über dieselbe Materie zukam, die ihn so leb-
haft beschäftigte (2). Er schildert das freudige Erstaunen,
das ihn ergriff", als er eine auffallende Uebereinstimmung
zwischen seiner Peweisführung und derjenigen der grossen
reformirten Autorität entdeckte, nicht ohne mit einem ge-
wissen Stolz die Selbstständigkeit seines eigenen Urtheils her-
vorzuheben. Denn nicht „mit Zahlen und Namen", sondern
„mit Gründen" will er kämpfen. Aber er fühlt sich nicht
wenig durch die Genossenschaft solcher Geister wie Fagius
und Putzer gestärkt, gegen die „Peleidigungen seiner Ver-
leumder" gedeckt und gegen die „blinden Vorwürfe und Pe-
argwöhnungen seiner vorlauten Gegner" geschützt.
Das Urtheil Putzers war aber von um so grösserer Pe-
deutung, da es, in England abgegeben, für einen englischen
300 Zweite Schrift über die Ehescheidung: „Urtheil Butzer's".
König bestimmt und dem englischen Volke gleichsam als ein
Vermächtnis hinterlassen war. Denn Milton findet seine
eigenen Ansichten nicht nur bestätigt in verschiedenen früheren
Schriften Butzer's, die sich auf Stücke des neuen Testaments
beziehen, in dem „summarischen Vergriff" und Religion, die
man zu Strassburg hat nun in die achtundzwanzig Jahre ge-
lehrt" (von 1548), sondern vorzüglich in dem lateinischen
Werke „vom Eeiche Christi", jener berühmten „christlichen
Politik", die für König Eduard VI. als eine Anweisung, sein
Volk glücklich zu machen, geschrieben worden war, und deren
Vollendung das Lebenswerk des Reformators krönte (^). Die
ungemeine Ausführlichkeit, mit der Butzer hier das Thema
von der Ehescheidung behandelt hat, spricht Milton dafür,
dass sein Vorgänger gleichfalls der Meinung gewesen, dass
„Ehe und Familie" die Grundlagen jedes Gemeinwesens seien,
dass jede „Reform des Gebäudes selbst" unmöglich sei, so
lange es mit jenen Grundlagen nicht richtig bestellt sei, dass
„alle politischen Freiheiten und Rechte keinen Werth haben",
wenn die Fesseln nicht abgestreift werden, welche „Pabst-
thum und Aberglauben" dem einzelnen gegen die Gesetze
„Gottes und der Natur" angelegt haben. Den hauptsächlichen
Inhalt von Milton's Schrift macht daher eine Uebersetzung
der einschlägigen Stellen des Butzer'schen Werkes aus, wobei
er sich indessen Abkürzungen und Zusammenziehungen nicht
versagt. An die Spitze stellt er eine Reihe von Zeugnissen
der gewichtigsten Gewährsmänner, fremder wie einheimischer,
die sich über Butzer wie Fagius gleich lobend aussprechen.
Darauf folgt eine längere Ansprache an das Parlament und
am Schluss nach den Auszügen aus Butzer ein kurzes „Post-
scriptum".
Eben jene Ansprache an das Parlament bezeichnet un-
widerleglich, welche Fortschritte die geistige Entwickelung
Milton's in kurzer Zeit gemacht hatte, und wie bald er aus
einem Vertheidiger ein Gegner des Presbyterianismus ge-
woi'den war. Dessen eigentliches Organ war die Westminster-
Synode. Ihr gehörten unzweifelhaft jene „einige von der Geist-
lichkeit" an, die Milton's erstes Buch über die Ehescheidungs-
Zweite Schrift über die Ehescheidung: „Urtheil Butzer's". 301
frage verlästerten. Ihrer Majorität standen die frommen
Denuncianten nahe , die sich anschickten , ihn anf die Pro-
skriptionsliste ihrer Ketzerverzeichnisse zu setzen. Milton
zögerte nicht, die ehrwürdige Versammlung, die, kaum im
Besitze einer gewissen Macht, die Unduldsamkeit der Bischöfe
nachahmte, seine herbe Kritik, ja seine zornige Verachtung
fühlen zu lassen. Seine erste Schrift über die Ehescheidung
in ihrer erweiterten Gestalt war noch dem Parlament und
der Synode gemeinsam gewidmet gewesen. Hier fällt die
Synode nicht nur weg, sondern recht absichtlich wird gleich
im Eingang gesagt, der Autor empfehle seinen Fund keinem
anderen Urtheil, als derii „der frommen Lords und Gemeinen".
Das Parlament, „das Haus der Gerechtigkeit und der wahren
Freiheit", wird mit Schmeicheleien überschüttet. Ihm gilt der
Ptuf: ,.Ihr seid jetzt auf dem ruhmvollen Wege zu unsterb-
lichen Thaten, betraut mit der unschätzbaren Aufgabe, unsere
Freiheiten zu sichern. Ihr seht ein Volk, das sich danach
sehnt, nach unsäglichen Leiden der ganzen Christenheit das Bei-
spiel einer vollkommenen Reform zu geben. Wagt es, so gross,
so erhaben in der Vollführung eurer edlen Absichten zu sein,
wie die herrliche und ganze Höhe der Wahrheit und Tugend
selbst ist, so frei von der Piücksicht auf Präcedentien und
Vorschriften, wie euer unbestrittener himmlischer Beruf es
zu sein euch ein Recht giebt!" Sieht das nicht aus wie eine
Aufforderung an das Parlament, mit den Berathungen der
Synode kurzen Process zu machen, auf die Bedenklichkeiten
der presbyterianischen Mehrheit keine Rücksicht zu nehmen
und das Werk der Reform selbst zu ergreifen? In der That,
was über die presbyterianischen Angreifer gesagt wird, kann
eine solche Vermuthung nur bestärken. Sie müssen höi"en,
dass der Autor „von ihrer Profession wie von ihrer Gelehr-
samkeit" mehr erwartet hatte. Sie müssen sich sagen lassen,
dass er, ein Laie, erst ihre Aufmerksamkeit auf Butzer lenken
muss, der längst gelehrt hat, was sie für „ein neues und ge-
fährliches Paradoxon" verschreien. Sie werden vor das
Dilemma gestellt, die grossen Reformatoren, die Mitbegründer
der englischen Kirche, deren Leichen unter Maria der Katho-
302 Angriff Palmer's gegen Milton.
lischen „wieder aufgegraben und verbrannt wurden", gleich-
falls zu verdammen, oder gelten zu lassen, was er, ohne nur
einer freundlichen Widerlegung gewürdigt worden zu sein, seit
Jahresfrist behauptet hat. Ja, es wird ihnen gedroht, die rich-
tigste Antwort auf ihre ,,thörichte Voreiligkeit" sei ein „offenes
Tadels - Votum" (round reproof), und ein solches konnte doch
nur vom Parlament gegen Mitglieder der Synode erwartet
werden. Nimmt man dazu, dass die letzten Worte des „Post-
scriptum" auf die „geheime Macht der Ignoranz und geist-
lichen Knechtschaft" hindeuten, „die unter neuen Formen und
Verkleidungen wieder emporzukommen beginnt", so begreift
man, dass von nun an das Tischtuch zwischen Milton und
dem Presbyterianismus vollständig zerschnitten war.
In der Synode hatte man den erhaltenen Schlag wohl ge-
fühlt. Als sie nach kurzen Ferien Anfang August 1644 wie-
derzusammentrat, und eines der Hauptmitglieder ihrer Majo-
rität , Herbert Palmer , der neue Master von Queen's College
in Cambridge, mit dazu ausersehen wurde, am 13. August,
einem jener ausserordentlichen Fasttage, vor seinen Kollegen
und dem gesammten Parlament die Predigt zu halten, liess
er sich die gute Gelegenheit nicht entgehen, Milton zu
brandmarken und den Arm des weltlichen Richters gegen
ihn aufzurufen. Er gebrauchte den üblichen Kunstgritf, in
schwarzen Farben auszumalen, was alles sieh unter der For-
derung der Gewissensfreiheit verberge und seiner Zuhörer-
schaft die Frage vorzulegen, ob sie es diesem Worte zu Ge-
fallen dulden wolle. Und bei diesem Anlass wird auch Milton
der Gnade des Richters empfohlen. „Wenn jemand unter
dem Vorwand der Gewissensfreiheit Polygamie für erlaubt
erklärt, oder Ehescheidung aus anderen Gründen, als Christus
und die Apostel sie kennen, (und ein gottloses Buch
der Art ist herausgekommen, ohne die Censur
passirt zu haben, obgleich es verbrannt zu wer-
den verdiente, und der Autor ist so frech gewe-
sen, seinen Namen darauf zu setzen und es euch
zu dediciren!) oder die Freiheit Itlutschänderischer Ehe, —
wollt ihr Toleranz gewähren für alles dies?"(') — Der Alarm-
Die Censur und die Stationers' Company. ^03
ruf war ernst gemeint, und es dauerte nicht lange, so wurde
der Feldzug gegen den gefährlichen Independenten eröffnet.
Indem man aber für gut hielt, die „Stationers' Company" als
Vortruppe zuerst in's Feuer zu schicken und Milton wegen
seiner Uebertretung der Pressgesetze anzugreifen, gab man
ihm Anlass, den Kampf auf ein ganz anderes Feld hinüber-
zuspielen. Alles Persönliche, ja selbst der vorliegende Re-
formvorschlag, der in presbyterianischen Kreisen so viel böses
Blut machte , trat zurück gegen die Nothwendigkeit , ein
grosses Princip zu vertheidigen. Die Presbyterianer wünsch-
ten ihren Gegner mundtodt zu machen, sie veranlassten ihn
zur Abfassung seiner Schrift über die Freiheit der Presse.
Das Institut der Censur von Druckwerken war in Eng-
land von einer Hand in die andere übergegangen, aber, wie
oft es auch den Herrn gewechselt hatte, an seine Abschaffung
wagte niemand zu denken. Indem unter der Regierung der
blutigen Maria, eingestandener Massen zur Unterdrückung der
„Ketzerei", 1556 eine eigene Korporation, die „Stationers' Com-
pany", "in London gegründet worden war, mit ausserordent-
lichen Machtbefugnissen zum Zweck der Herstellung und des
Vertriebes von Druckschriften, sah sich die Presse einer Ueber-
wachung ausgesetzt, bei welcher das Interesse der Regierung
und der Eigennutz der Zunft zusammenwirkten. Unter Eh-
sabeth blieb die einflussreiche Korporation, die ihr Statut er-
mächtigte, Haussuchungen wegen verordnungswidriger Druck-
werke zu halten, sie gewaltsam aufzugreifen und zu verbrennen,
bestehen , aber die beiden Universitäten , als die einzigen
Plätze ausserhalb Londons, erhielten gleichfalls Anerkenntnis
des Rechtes, je eine Presse zu besitzen. Zugleich wurde die
Einregistrirung aller Druckereien gefordert, und das Recht,
nach vorgängiger Prüfung und Sichtung die Druckerlaubnis zu
ertheilen, an bestimmte amtliche Persönlichkeiten gebunden.
Allmählich koncentrirte sich, abgesehen von gewissen
Ausnahmen, das Censorenamt in der Hand des Erzbischofs
von Canterbury und des Bischofs von London, in deren
304 I^'ß Censur und die Stationers' Company.
Auftrag" ihre Kapläne und andere Stellvertreter dem Manu-
skript das gewichtige „Imprimatur" ertlieilten. Einen ver-
hängnisvollen. Abschnitt in der Geschichte der englischen
Presse bezeichnete alsdann die Herrschaft William Laud's.
Von seinem Geiste war jenes Dekret der Sternkammer vom
11. Juni 1637 eingegeben, in welchem gleichzeitig die privi-
legirte Stellung der „Stationers' Company" befestigt, und die
Censur auf die denkbar höchste Höhe emporgeschraubt wurde.
Nach den einzelnen Materien wurden die Censurbehörden be-
stimmt, unter denen wieder der Erzbischof von Canterbury
und der Bischof von London das weiteste Feld für sich be-
anspruchten. Ausser ihrer Autorisation , ausgedrückt durch
das Attest des Censors , ..dass das Buch nichts gegen den
christlichen Glauben, die Lehre und Verfassung der englischen
Kirche, den Staat und die guten Sitten" enthalte, war noch
gegen eine kleine Gebühr ein Eintrag in die Register der
„Stationers' Company" erforderlich , wodurch Schutz gegen
Nachdruck gewährt ward. Die anonyme Veröffentlichung eines
Druckwerkes, einer Karte, eines Bildes wird verboten, die
Einfuhr von Drucksachen aus dem Ausland in jeder AVeise
erschwert. Für die Drucker wird eine besondere Gewerbe-
Koncession vorgeschrieben, und ihre Zahl wie die der Lettern-
giesser wird bestimmt. Die „Stationers' Company" ist von
der Anlage jeder neuen Druckerei zu benachrichtigen, wie ihr
auch jede Fabrikation, jeder Import von Pressen und Lettern
anzuzeigen ist. Ihr bleibt ein allgemeines Aufsichtsrecht, die
Befugnis, Haussuchungen zu halten, ordnungswidrige Drucke
mit Beschlag zu belegen und die Gesetzesübertreter vor die
Behörden zu bringen. Verlust der Koncession, der Pranger
und Auspeitschen , endlich völlig" arbiträre Strafen der Stern-
kammer und der hohen Kommission werden Zuwiderhandelnden
angedroht.
Mit dem Zusammentritt des langen Parlaments wurden
alle Fesseln der Pressgesetzgebung durchbrochen. Die alten
Censurbehörden wurden mit dem Strome der Ileformbeschlüs&e
weggeschwenmit, und die übliche Eintragung in die Register
der Stationers kam in Abgang. Jede Woche sah einen Hau-
Die Presse und das Parlament. 305'
fen von Flugschriften erscheinen, deren Autoren, Verleger und
Drucker völlig auf eigene Faust handelten, vielfach ohne An-
gabe des Namens des Verfassers, und ]\Iilton hatte bei seinem
Federkampfe gegen das Bisthum selbst das beste Beispiel
völliger Ungebundenheit gegeben. Inzwischen griff das Par-
lament hie und da mit rauher Hand in das Treiben der
Presse ein. Die Lords erliessen eine Ordonnanz, durch
welche die Beamten der Stationers' Company ermächtigt wur-
den, die Exemplare eines Buches aufzugreifen und zu ver-
nichten, das auf den Namen Ussher's aus Bruchstücken einer
seiner Predigten zusammengestellt und in Umlauf gesetzt
worden war. Die Commons liessen den Drucker von Bur-
ton's „Protestation protested" auf sechs Wochen gefangen
setzen , ernannten ab und zu Censoren und gritfen mehr als
ein Mal zu dem alten Mittel zurück, gewisse Druckschriften
verbrennen zu lassen (^). Indessen machte sich das Bedürfnis
nach einer allgemeinen Regulirung immer fühlbarer. Politi-
scher und kirchlicher Voreingenommenheit war die ungeheure
Macht der öffentlichen Meinungsäusserung verhasst, zumal
sich beim Fortschreiten der Bewegung und namentlich seit
dem Beginn des Krieges das Zeitungswesen immer üppiger
entfaltete. Das zünftige Interesse der Stationers drängte
gleichfalls auf eine Rückkehr zu den Grundgedanken des
alten Systems, die so sehr in Missachtung gerathen waren,
dass selbst einzelne Genossen der Company Verlagsartikel
ihrer Kollegen nachdruckten und vertrieben.
Auf eine parlamentarische Verordnung vom 29. Januar 1642,
welche „Master" und „Wardens" der Stationers' Company ein-
schäifte, darauf zu achten, dass nichts ohne Einwilligung und
Namenszufügung des Autors im Druck erscheine, folgte eine
andere vom 9. März 1643, welche ausführlichere Bestimmun-
gen enthielt. Nach dieser wurde dem „Committee for Exa-
minations" oder je vieren seiner ]Mitglieder Vollmacht ertheilt,
Haussuchung halten zu lassen, um Pressen, die zum Druck
„skandalöser und lügnerischer Pamphlete" verwandt worden,
zu vernichten, die auffindbaren Exemplare mit Beschlag zu
belegen und die betheiligten Autoren, Drucker und Verbreiter
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 20
306 ^^^ Presse und das Pai-lament.
zur Strafe zu ziehen. Indessen weitaus die grösste Bedeutung
hatte die umfangreiche Verordnung beider Häuser vom 14. Juni
1643, welche, in ihrer Einleitung gestand, dass alles bisher
Versuchte keine Wirkung gehabt hatte. Sie führte , von
den Artikeln gegen Nachdruck u. s. w. zu schweigen, die
Censur in vollem Umfange wieder ein, indem sie für jedes
•zum Druck bestimmte Manuskript die vorgängige Licenz eines
oder mehrerer Censoren erforderte, deren Einsetzung beiden
Häusern oder einem von ihnen vorbehalten blieb. Sie ver-
langte ferner, dass darauf „nach alter Sitte", unter Nennung
des Druckers, der Eintrag in das Registerbuch der Stationers'
Company erfolge. Sie erneuerte für die Vorsteher dieser
Company, nebst den anderen zu dem Zweck Ernannten, die
Pflicht und die Vollmacht, Nachsuchung zu halten nach Win-
kelpressen und ihren Inhabern, welche keine Koncession
erhalten hatten, „skandalöse" und „uncensirte" Drucke
veröffentlichten, sowie sonstiger Verstösse gegen die Verord-
nung schuldig waren. Nicht minder wurden sie ermächtigt,
solche Pressen und Druckwerke mit Beschlag zu belegen und
die Autoren nebst allen bei der Herstellung und dem Ver-
trieb Betheiligten, bis zum Einhefter und Buchbinder herab,
den Parlamentshäusern oder dem „Committee of Examination"
zum Zwecke „weiterer Bestrafung'' vorzuführen. — Schon
eine Woche später wurden für einzelne Gruppen, ähnlich wie
in dem verrufenen Dekret der Sternkammer, die Censoren
ernannt: Geistliche, von denen die Mehrzahl der Synode an-
gehörte, unter ihnen der Smectymianer Edmund Calamy,
für Werke aus dem Ge])iet der Theologie, richterliche Beamte
für Schriften juristischen Inhalts u. s. w. Die Censur „klei-
ner Pamphlete, Bilder und dei-gleichen" wurde dem Sekretär
der Stationers' Company anvertraut (^).
Es war klar, dass auch auf diesem Gebiete die ,,neue
Freiheit" von <ler alten Knechtscliaft sich den Mantel erl)or-
gen wollte. Aber Milton war auch hier entschlossen, es auf
den Kampf ankommen /u lassen. Sein Traktat über die p]he-
selieidung war wenig Wochen nacli P>rlass dieser Verordnung
erschienen, ohne die Censur passirt zu haben, ohne in die
Milton's Gesetzwidrigkeit. 307
Register der Stationers' Company eingetragen zu sein, ja ohne
den vollen Namen des Druckers auf dem Titelblatt zu tragen.
Vielleicht lag hier bloss eine Vergesslichkeit vor, vielleicht
die Furcht, die Druckerlaubnis der geistlichen Herren nicht
zu erhalten. Aber die zweite Autlage verstiess ebenso gegen
die neue Vorschrift, und doch gab sich Milton in ihr als Autor
mit seinem Namen zu erkennen, ja er Avidmete sie demselben
Parlament, welches jene Verordnung erlassen, derselben Synode,
welche ein so starkes Kontingent zu der neuen Censurbehörde
iiestellt hatte. Erst bei Veröffentlichung der folgenden Schrif-
ten über die , .Erziehung" und ,,Butzer's Urtheil" waren die
vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllt worden. Aber schon
war der Entschluss gefasst, Milton, den Verfechter ketzerischer
Lehren, anzugreifen, ja es sieht fast so aus, als habe er vorher
Göwusst, welchen Angriifspunkt man wählen werde. Gegen
Ende seines Traktats über Butzer hebt er hervor, dass Butzer's
Werk „in den frömmsten Städten" gedruckt werden dürfe,
Vlass des Erasmus von ihm benutzte Bemerkungen zu den be-
treffenden Stellen des neuen Testamentes sogar unter Autö-
risation Leo"s X. erschienen seien und immer wieder neu auf-
gelegt würden. ,.ünd wenn meine Schrift,' fährt er fort, welche
dasselbe enthält, in einer Zeit der Reform, in einer Zeit der
Freiheit des Wortes und der Schrift keine Druckerlaubnis
finden soll (^) . wahrlich dann rufe ich die weisesten Männer
zu Zeugen auf, ob Wahrheit unter uns jetzt Wahrheit und
Freiheit Freiheit bleiben darf, oder ob sie nicht wieder nach all
unserem Mühen und Hoffen durch neue Ketten bedroht sind ! "
Ein kleiner Schachzug läuft hier mit unter, den man
Milton zu Gute halten wird. Noch hatte er die Probe nicht
gemacht, ob man ihm die Druckerlaubnis verweigern werde,
aber dass er sie gegen das Gesetz einzuholen versäumt hatte,
konnte man ihm vorwerfen. Indess die Art, in welcher kurz
darauf der eifrige Presbyterianer Palmer das Versäumnis auf
der Kanzel vor Synode und Parlament zur Sprache brachte,
Hess keinen Zweifel darüber, dass in der That die geistlichen
Censoren das Manuskript eher für den Scheiterhaufen als für
den Druck empfohlen haben würden. Und wenn nun eilf
20*
308 Angriff der Statiouers' gegen Milton.
Tage später (24. August) eine Petition der „Stationers' Com-
pany" vor das Parlament gebracht ward, in der u. a. offenbar
über das ordnungswidrige Erscheinen der Milton'schen Schrift
Klage geführt wurde, was lag näher, als zu vermuthen,
dass hinter der Company die presbyterianische Geistlichkeit
stecke ?(^) Der Vorstand der Company, trotz aller Stärke
zünftiger Gesinnung, wie die sonst dazu Berufenen, hatten so
manchen Monat verstreichen lassen, ohne den Fall, in welchem
die parlamentarische Verordnung herausfordernd verletzt war,
ihrer Pflicht gemäss zu verfolgen , und doch war Milton's
Brochure in zwei Auflagen erschienen und hatte Aufsehen ge-
macht. Erst der Fingerzeig, den sie von Palmer erhielten,
musste den Stationers den Weg weisen. Allerdings wurden
die Absichten, welche Anlass zu der officiellen Denunciation
gegeben hatten, nicht erreicht. Zwar wurde die Petition der
um vier Mitglieder verstärkten „Kommission für die Press-
Angelegenheiten" überwiesen, zwar sollte diese die Parteien
verhören, weitere legislatorische Massnahmen vorbereiten und
den Autoren, Druckern und Verlegern der zwei von den Sta-
tioners angeführten Traktate, deren einer der Milton'sche
war, „sorgfältig nachforschen". Aber das drohende Gewitter
kam nicht zum Ausbruch. Ob man sich scheute, eine vor
Monaten erschienene, dem Parlament selbst gewidmete Schrift
und ihren Autor zu verfolgen, der als Vorkämpfer der parla-
mentarischen Sache bekannt war, ob die Mehrzahl der Kom-
mission mit den presbyterianischen Heiss-Spornen nicht sym-
pathisirte, genug der letzte Theil der Aufgabe, welcher der
Kommission zugewiesen war, scheint als eine blosse Forma-
lität betrachtet worden zu sein. Aber auch eine neue Ver-
ordnung über die Pressverhältnisse, die in den Journalen
beider Häuser gelegentlich erwähnt wird, scheint keine son-
derliche Bedeutung gehabt zu haben (^). Nicht ohne guten
Grund hat man vernmthet, dass der SÄeg des Independentis-
mus, der in der Annahme der Accomodation- Order (13. Sep-
tember 1644) gelegen war, auch auf diesem Gebiet den pres-
byterianischen Eifer in etwas abgekühlt habe.
"Wither über die Stationers. 309
Das werthvollste Ergebnis der ganzen Angelegenheit wai-
Milton's Schi-ift über die Freiheit der Presse. Erst zwei
Jahrzehnte früher hatte ein anderer englischer Dichter sich
mit Ausführlichkeit und Leidenschaft über die herrschenden
Press Verhältnisse geäussert. George Wither in seinem Streite
mit der Company der Stationers (s, B. I. S. 195) hatte sie mit
den schwärzesten Farben gemalt. Er nannte sie „Bücher-
hausirer, meistens unwissende Burschen, die nur die Namen
und Preise der Werke kennen". Er verglich die Buchhändler
der Company der „dritten Plage Aegyptens" und warf ihnen
vor, dass sie durch ihren Eigennutz und durch ihre Willkür
alle übrigen Gewerbe der Company, die Autoren, ja das Ge-
meinwesen und alle Wissenschaften in Alihängigkeit von sich
gebracht, dass sie sich eine Ceusur angemasst hätten, die den
Autoritäten von Kirche und Staat zugehöre. Aber weiter
hütet er sich zu gehn. Das Ideal eines „ehrlichen Buch-
händlers" ist ihm ein solcher, der nie, „auch nicht um des
grössten Gewinnes willen ein Buch veröffentlicht, das auf
Schisma oder Profanation abzielt". Den „gewöhnlichen Buch-
händler" tadelt er deshalb, dass er, um zu verdienen, jeden
seiner Kunden, „von welcher Sekte oder Konfession er sei",
mit Büchern ,, seiner Gesinnung" versorge. Seine Angriffe
gelten nicht der Censur, sondern den Stationers, die sie zu
umgehen oder gegen den Widerspruch der Autoren selbst in
die Hand zu nehmen gewusst hatten (i). — Ganz anders
Milton. Auch er hatte die Stationers nicht vergessen, die
sich von seinen Gegnern hatten vorschieben lassen. Aber
die Hauptsache war ihm, die Censur zu Fall zu bringen,
mit der man ihm und anderen den Mund verschliessen
wollte , und welche ihm um nichts Meniger die „Freiheit der
Rede, das Herrlichste, was der Mensch besitzt", einzuschnüren
schien, weil sie nicht mehr von einem „bezahlten und unge-
lehrten" bischöflichen Kaplan gehandhabt wurde.
Gegen Ende Novemlier 1644 war die kleine Schrift „für
die Pressfreiheit" in Umlauf, deren griechischer Titel: Areo-
pagitica : sofort auf die Form vorbereitete, welche Milton dies
Mal für seine Zwecke zu verwerthen am räthlichsten fand (2).
310 MiltOD's ,.Areopagitica".
Wie einst Isokrates „von seinem Privatlianse aus" jene areo-
pagitisclie Rede „an das Parlament von Athen" gerichtet
hatte, so wendete er, der Einzelne, wenn schon „auf Andringen"
und im Namen solcher, die „über das gewöhnliche Bildungs-
mass erhaben, die Wahrheit in anderen fördern und von an-
deren empfangen wollten", in fingirter Ansprache sich an das
Parlament seines Vaterlandes. Es ist der Zauber der ,, alten
und schönen Bildung Griechenlands", der seinen Gedanken
diese bestimmte Gestalt giebt, den er sich in immer neuen
Verweisungen auf das klassische Alterthum zu Hilfe ruft,
der schon in dem mit Vorbedacht aus seinem Lieblingsdichter,
Euripides, gewählten Motto athmet:
Auch das ist Freiheit, wenn der Herold ruft im Volk :
„Wer will der Stadt heilsamen Rath evtheilen?"
Und wer es will, der ist berühmt, wer aber nicht,
Der schweiget. Wo ist gleichere Gerechtigkeit?
Und völlig nach der Weise antiker Vorbilder weiss er
seine Rede einzuleiten. Die Andeutung ehrfurchtsvoller Be-
fangenheit, zu der hohen Versammlung zu sprechen, die ge-
schickte Bewerbung um ihre Gunst durch volltönendes Lol)
ihrer Verdienste und dabei doch die stolze Erklärung, den-
selben Freimuth im Tadel wie im Lobe offenbaren zu wollen:
das alles sind Züge, die den gelehrigen Schüler der Alten
kennzeichnen. Aber diese antike Maske ist durchsichtig ge-
nug, um beständig das Antlitz des modernen Politikers
durchblicken zu lassen, der überzeugt ist, dass zwischen der
„Grossherzigkeit" des Parlamentes und „jenem eifersüchtigen
Hochmuth der Prälaten und Kabinetsräthe" ein Unterschied
liestehe, und dass der hohen Versammlung „öffentlicher Rath"
besser gefallen werde, als „anderen früheren Staatsmännern
öffentliche Schmeicheleien". Sofort geht er auf die Sache
selbst, eine Kritik der parlamentarischen Verordnung vom
14. Juni 1643, ohne weitere Scheu über. Er hat nicht die
Absicht, jene Bestimnmngen zu tadeln, die sich gegen den
Nachdruck richten. Auch über den durch die Verordnung
nicht aufgehobenen Grundsatz, dass der Name von Autor und
Drucker eingetragen werden müsse, geht er mit einer merk-
Ursprung der Censur. 311
würdigen Oberflächlichkeit hinweg (^). Der einzige Punkt, gegen
den er sich wendet, ist die Wiedereinführung der Censur.
Er beginnt mit einem geschichthehen Rückblick auf
ihren Ursprung und hat hier wieder den Vortheil, auf die
populären Sympathieen des Puiitanismus zählen zu können.
„Ihr würdet euch schämen," — ruft er aus — ,.einzugestehn,
von welchen Erfindern ihr sie entliehen habt." Und nun
schöpft er aus dem reichen Quell seiner philologisch -histori-
schen Gelehrsamkeit, um an das Verhalten der Staatsbehörden
von Athen, Lakedämon und Ptom gegenüber den durch die Schrift
fixirten Erzeugnissen des menschlichen Geistes zu erinnern,
nicht ohne kleine Seitenhiebe gegen die ,,an Musen und
Büchern armen Lakedämonier" fallen zu lassen, aber auch
nicht ohne über den Unterschied stillschweigend hinweg-
zugehn, der zwischen dem von ihm bekämpften Institut und den
Strafgesetzen des Alterthums bestand. Bei den kirchlichen Mass-
nahmen, die dem Mittelalter angehören, hält er sich nicht lange
auf, um sofort zu jenen Indices der „verbotenen Bücher-
überzugehn, „welche, wie er sich ausdrückt, das Koncil von
Trient und die spanische Inquisition zusammen erzeugt haben"".
Auch bringt er einige jener Fornnilare des „Imprimatur" zum
Druck, wie er sie u. a. in einem italienischen Werke, das
ihm in Florenz aufgestossen sein mochte, gefunden hatte,
„Oft," sagt er spöttisch, sieht man auf der Piazza eines ein-
zigen Titelblattes fünf Imprimatur zusammen, die sich gegen-
seitig mit ihren glatzköpfigen Verbeugungen bekomplimentiren
und zunicken, ob der Autor, der bestürzt am Fusse seines
Briefes dabei steht, unter die Presse oder unter den Schwamm
soll". Diese „theuren Antiphonieen und niedlichen Respon-
sorien" haben die Prälaten und ihre Kapläne nachgeahmt
und „äffisch römelnd das Kommandowort gleichfalls lateinisch
niedergeschrieben, als ob die gelehrte grammatische Feder,
die es schrieb, ohne Latein keine Tinte fahren lassen wollte,^
oder vielleicht, weil nach ihrer Ansicht keine gemeine Sprache
würdig sei, den reinen Begrift' eines ,,,,Imprimatur"" auszu-
drücken, oder endlich, wie ich hoffe, weil unser Englisch, die
Sprache von Männern, welche stets mit Ehren in der vordersten
312 Nutzlosigkeit der Ceusur.
Reihe für die Freiheit gekämpft haben, nicht leicht servile
Buchstaben genug finden würde, um solch eine diktatorische
Anmassung englisch zu schreiben'^. Wenn dies nun aber der
„Stammbaum" der Censur -Erfinder ist, wenn die Massregel
aus der römischen Kirche auf die Prälaten übergegangen und
Ton diesen durch „einige Presbyter" wieder freundlich auf-
genommen worden ist, so darf man annehmen, dass das Par-
lament sich dieser Vorgeschichte des Institutes nicht bewusst
war, als es „ohne jede böse Absicht" zum Erlass seiner Ver-
ordnung „sich drängen Hess".
Indessen die Erfinder mochten schlecht sein, aber die
Erfindung gut. Es war also nöthig, auf die Sache selbst,
den möglichen Nutzen oder Schaden einer Presse einzugelm,
welche nicht die geheime , Jury" der Censur, das „verborgene
Urtheil des Rhadamanthus und seiner Kollegen^' passirt hatte.
Man muss es dem Sohne seiner Zeit zu gut halten, dass er
es wieder für nöthig erachtet, mit Hinweisungen auf „Moses,
Daniel und Paulus" zu exemplificiren , welche sich nicht ge-
scheut haben, aus den Schriften der „Aegypter, Chaldäer und
Griechen" Nutzen zu ziehn, dass er die Kirchenväter wegen
ihrer unverbotenen, „genussreichen und eifrigen Studien" in
den Schriften des Heidenthums lobt und dass er sich auf den
Spruch beruft : „Prüfet alles und das Beste behaltet", wie auf
jenen anderen : ,,Dem Reinen ist alles rein". Wichtiger als
diese seiner Bildung entsprechende Einkleidung seiner Ge-
danken ist es, diese selbst ihrem wesentlichen Inhalt nach
zu betrachten. Nichts ist l)emerkenswertlier , als dass hier
jene Idee über das Verhältnis des Guten zum Bösen wieder
entwickelt wird, die schon durch so manche der Milton'schen
Schriften durchgeschimmert hatte, und auf der im Grunde
das grösste Werk seiner Muse sicli aufbaute. „Gut und Böse
wachsen auf denisell)en Felde in dieser Welt, fast untrenn-
bar, mit einander auf, . . . aus der Schale eines gekosteten
Apfels sprang die Erkenntnis des Guten und Bösen, wie an-
einandergewachsene Zwillinge, in die Welt, und vielleicht ist
(lies die Strafe, welcher Adam verfiel: das Gute und das
Böse, d. h. das Gute aus dem Bösen zu erkennen."
Nutzlosigkeit der Censur. 313
,.Es giebt freilich Leute, welche die göttliche Vorsehung an-
klagen, dass sie dem Adam zu sündigen erlaubte. Thörichte
Schwätzer ! Als Gott ihm Vernunft gab, gab er ihm Freiheit
zu wählen, denn Vernunft ist nichts als Vermögen der Wahl;
er wäre sonst ein lediglich künstlicher Adam gewesen, gleich
dem Adam im Puppenspiel !'• Und so spricht Milton fast in
demselben Athem, in dem' er den Arminius zwar ,, scharfsinnig
imd klar", aber doch einen ., Verführten" nennt! ]Man sieht.
wie er, ohne sich dessen klar bewusst zu sein, selbst schon
derselben ..Verführung- erlegen war(i).
Bildete nun diese Würdigung des Uebels in der Welt, als
einer ,. Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute
schafft", einen Grundstein der ganzen philosophischen An-
schauung des Dichters, schien ihm ,,die Kenntnis des Lasters
in dieser Welt für die Bewährung der Tugend, die Prüfung
des L'rthums für die Befestigung der Wahrheit höchst nöthig"
zu sein, ja kannte er überhaupt keine Tugend, die „sich ver-
steckt, in ein Kloster zurückzieht" und nicht, wie die Jung-
frau in seinem Comus, mit den Lockungen des Lasters kämpft
und die „Probe" doch besteht, so war es klar, dass ihn das
blosse Erscheinen schlechter Bücher durchaus noch nicht
als etwas so Bedenkliches erschrecken konnte. Er konnte
sich dabei wieder auf eines der angesehensten Parlaments-
mitglieder selbst, den von ihm so hochverehrten John Seiden,
„den ersten Gelehrten dieses Landes", berufen. Hatte dieser
doch in seinem berühmten Werke „De jure naturali et gen-
tium juxta disciplinam Ebraeam", das schon für die Ehe-
scheidungsschrift herangezogen worden war, „nicht nur durch
gewichtige Autoritäten , sondern durch scharfsinnige Gründe
mit beinahe mathemathischer Sicherheit bewiesen, dass eine
Kenntnis, Lektüre und Sammlung aller ISIeinungen, ja aller
Irrthümer, der raschen Erreichung dessen, was am w^ahrsten
sei, vorzüglich diene". ,,Wie ein Narr ganz sicher ein ^'arr
bleibt mit dem besten Buche oder ohne jedes Buch, so kann
ein Weiser, einem guten Läuterer gleich, aus dem schlech-
testen Buche noch Gold gewinnen; . . er wird von einem
314 Nutzlosigkeit der Ceusur.
thörichten Pamphlet besseren Gebrauch machen als der Narr
von der Bibel.'"
Hinweg also mit einem Institut, welches mit dem An-
spruch auftritt, dem Menschen seine geistige Nahrung vorzu-
schreiben, während jeder „reife ]Mann" ein Recht darauf hat,
seine „Diät" selbst zu bestimmen. Hier war der Punkt, an
welchem die Vertheidiger der Censur einsetzten. Es sind
nicht alle „reif", und es wird viel Gift statt guter geistiger
Nahrung ausgeboten, folglich muss es einen Schutz für die
gefährdete unmündige Masse geben. Aber hier hat auch
Milton's Beredtsamkeit mit einer für alle Zeiten giltigen
Siegesgewissheit den Nachweis geliefert, dass der beabsich-
tigte Zweck niemals erreicht werden kann. Denn was müsste
alles vorausgesetzt werden, um die befürchtete „Ansteckung"
unmöglich zu machen ! Zunächst der Censor selbst, der „über
Tod und Leben eines Buches zu Gericht sitzt", müsste „vor
allen anderen Bürgern mit Unfehlbarkeit und Unverdorben-
heit begnadet sein", ein Mann „von Fleiss, Gelehrsamkeit
und Urtheil über das gewöhnliche ]\Iass, . . . dann kann es
aber kein langweiligeres und widerwärtigeres Tagewerk für
ihn geben, als unaufhörlich und ohne Wahl Bücher, Pamphlete,
dickbändige Werke . . und das alles noch dazu als undeut-
liches Geschmiere lesen zu müssen". Auch sind, fügt er iro-
nisch hinzu, die gegenwärtigen Censoren, Männer, die theil-
weise ihrer neuen Stellung zu Gefallen „ihr geistliches Amt
vernachlässigen müssen", offenbar ihrer Bürde schon recht
müde; zum Zeugnis dessen dienen .,ihre vielen Entschuldi-
gungen gegenüber denen, welche sich so manchen Weg machen
müssen, um die Druck - Erlaubnis zu l)etreiben". „Man mag
also voraussehn, welcher Art ihre Nachfolger sein werden,
entweder unwissend, befehlshaberisch, nachlässig, oder niedrige
Geldmacher." Sodann ist zu erwägen, dass man eine Masse
höchst religiöser Bücher, und die Bibel an ihrer Spitze, aus
der Welt schaffen müsste, ebenso eine Reihe heidnischer
Autoren, deren fremde Sprache der Verbreitung ihres Inhalts
durchaus nicht im Wege steht, zumal sich an den Fürsten-
höfen immer Leute finden werden, die das aus ihnen „einge-
Nutzlosigkeit der Censur. 315
sogene Gift" wieder von sich geben und von da auch in die
Massen des Volkes überleiten. Man müsste überhaupt „alle
schon früher ohne Censur gedruckten anstössigen Bücher ver-
bieten, sie in eine Liste bringen, damit jedermann wisse,
Avelches Buch verboten sei und welches nicht, ausländische
Bücher so lange in Verwahrung halten, bis sie durchlesen
und gebilligt worden sind". Schon dies Geschäft würde eine
Masse von Beamten erfordern. Ein neues Heer solcher Leute
wäre nöthig, um in Büchern, die „zum Theil nützlich, zum
Theil schädlich" sind, die nöthigen Streichungen vorzuneh-
men, „damit die Gelehrten - Republik keinen Schaden leide".
Mit einem Worte,* man müsste ganz „auf das Muster von
Trient und Sevilla" zurückgehn. Und selbst damit wäre noch
nichts gewonnen. Was hilft gegen alle Verführungen eine
Censur der Bücher, wenn sie nicht mit einer Censur „aller
Vergnügungen" Hand in Hand geht. Dieselbe Strenge müsste
sich auf alles erstrecken, was den Menschen ergötzt. „Keine
Musik dürfte erschallen, kein Lied komponirt oder gesungen
werden, ausser solchen von ernstem und dorischem Charakter.
Die Tänzer müssen unter Censur gestellt werden, damit die
Jugend keine Geste, keine Bewegung, keine Haltung lerne,
als die, welche von Amtswegen für ehrbar erklärt wird, . . es
würde die Arbeit von mehr als zwanzig Censoren erfordern,
alle Lauten, Violinen, Guitarren in jedem Hause zu unter-
suchen, sie dürften nicht mehr klimpern wie bisher, sondern
ihre Melodieen müssten censirt werden (^). Und wer soll alle
die Arien und Madrigals zum Schw^eigen bringen, die in den
Kammern Zärtlichkeiten flüstern? Die Fenster auch und die
Balkone müssen in Obacht genommen werden, denn da stehn
arge Bücher mit gefährlichen Titelblättern zum Verkauf."
Und so brauchte man Censoren für „Dudelsack und Fiedel",
für „Essen und Trinken", für die „Kleider und für den freien
Verkehr beider Geschlechter, wie er der Sitte des Landes
entspricht". Man würde niemals mit Censiren fertig, und
„M'ährend man aufräumt, würde der Haufen erst recht an-
wachsen". Das ganze ängstliche Bemühen würde dem Be-
mühen ,. jenes Biedermannes gleichen, der die Krähen durch
316 Nutzlosigkeit der Censur.
Schliessung seines Parkthores einzusperren dachte". Und
dass speciell damals in London alle Vorsicht nichts helfe,
wird dem Autor durch die Thatsache bewiesen, dass Woche
für Woche ,.jenes höfische Libell" (die royalistische Zeitung
Mercurius aulicus) „noch mit feuchten Blättern" in der Haupt-
stadt ausgestreut wurde.
Nächst der freien, von puritanischem Rigorismus so weit
entfernten Auffassung des Lebens, wie sie in diesen Betrach-
tungen sich abspiegelt, ist am bemerkenswerthesten der
Widerwille gegen staatliche Bevormundung, gegen die Viel-
regiererei, der sich in ihnen ausspricht. Die ausserordent-
liche Vorliebe, welche Milton für die platonischen Schriften
hatte, ist oft erwähnt worden. Nichtsdestominder erklärt er
den platonischen Staat für eine ,, Utopie", für eine Ausgeburt
„der genialen Trinkgelage eines Nachtmahles der Akademie".
„Der Staat, sagt er, soll regieren , aber nicht kritisiren".
Er will, wie in den Schriften über die Ehe, das Gebiet dei*
Gesetzgebung und das Gebiet der freien Sittlichkeit streng
geschieden wissen ,,und vertritt wieder das persönliche Recht
des verständigen, gewissenhaften Bürgers gegen die Anmas-
sung der Staatsbehörde, die überall für ihn denken und ihm
alles eigene Handeln verbieten will"(^). Die wahre Staats-
kunst sieht er darin, richtig zu erkennen, „in welchen Dingen
das Gesetz verbieten und strafen darf, und welche Dinge
man nur der Ueberzeugung zu überlassen hat", und wirk-
samer als alle Strafgesetze sind ihm jene „ungeschriebenen
oder doch zwanglosen Gesetze einer tüchtigen Erziehung".
Es war klar, dass damit der tiefe principielle Gegensatz
berührt wurde, der Presbyterianer und Independenten von ein-
ander trennte, und dass die Schrift für die Freiheit der
Presse zu einem Angriff auf diejenigen werden musste, welche
die höchste Freiheit von allen, die Freiheit des Gewissens,
durcli die Schranken einer ausschliesslichen Staatskirche ein-
engen wollten. Auch geht Milton der Behandlung der bren-
nenden Tagesfrage durchaus nicht aus dem Wege, ja man
kann sagen, dass er etwas darin sucht, sich mit der ganzen
Ueberlegenheit seines freien Geistes der Macht des Presbyte-
Angriff gegen die Presbyterianer. 317
rianismus entgegenzuwerfen, seine bedenklichen Seiten aufzu-
decken und ihn durch eine spielende Ironie zu reizen. In
keiner seiner früheren Schriften finden sich so viele Anzüg-
lichkeiten in Betreff „der phantastischen Furcht vor Sekten
und Schismen", in keiner so heftige Ausfälle auf die ., präla-
tische Tradition, unabhängige Gewissen und christliche Frei-
heiten in menschliche Kanones und Vorschriften einzwängen
zu wollen". Er sagt es gerade heraus : „Ich werde es weder
vor Freund noch Feind verhehlen, . . wenn es wieder zum
Inquiriren und Censiren kommt, wenn wir so furchtsam vor
uns selbst und so argwöhnisch gegen alle Menschen sind, dass
wir jedes Buch und das Rauschen jedes Blattes fürchten, ehe
wir noch seinen Inhalt kennen, wenn Leute, die noch eben
den Mund kaum zum Predigen öffnen durften, jetzt herkom-
men, um uns das Lesen zu verbieten, ausgenommen von dem,
was ihnen beliebt, . . dann wird es bald ausser Zweifel stehn,
dass Bischöfe und Presbyter dem Namen wie der
Sache nach für uns dasselbe bedeuten". Und indem
er sieh dem Fluge seiner dichterischen Einbildungskraft über-
lässt, ruft er aus: „Mich dünkt, ich sehe im Geiste eine edle
und grosse Nation sich erheben, einem Riesen gleich, der aus
dem Schlaf erwacht und seine unüberwindlichen Locken
schüttelt. Mich dünkt, ich sehe sie einem Adler gleich ihre
mächtige Jugend erneuen (i) und ihre ungeblendeten Augen
am vollen Glanz der Mittagssonne entflammen, .... und wäh-
renddess flattert der ganze Schwärm ängstlich geschaarter
Vögel, zusammen mit denen, welche das Zwielicht lieben, er-
schrocken umher und kündet krächzend eine Zeit der Sekten
und Schismen voraus".
Mit solchen Aeusserungen über die presbyterianische
Richtung überhaupt verbinden sich andere über den Standes-
dünkel der Geistlichkeit und die herrschende Ueberschätzung
des klerikalen Elementes, -welche zeigen, wie bedeutende
Fortschritte Milton's Ideengang auch in diesem Punkte seit
seinen ersten kirchenpolitischen Schriften gemacht hatte, und
wie offenkundig er sich in die Reihen der äussersten Indepen-
denten stellte. „Ein Mensch kann ein Ketzer sein, obwohl
318 Angrift' gegen die Presbyterianer.
er die Wahrheit bekennt. Wenn er etwas glaubt, nur weil
sein Pastor so spricht oder die Synode so beschliesst, ohne
einen anderen Grund zu kennen, so wird, wenn auch sein
Glaube richtig ist, die Wahrheit selbst in ihm zur Ketzerei.
Es giebt keine Bürde, welche manche lieber einem anderen
aufladen möchten, als die Mühe und Sorge für ihre Religion.
Es giebt, wer weiss das nicht, Protestanten und Puritaner(i),
die in einem ebenso heillos unbedingten Glauben leben und
sterben wie irgend ein papistischer Laie von Loretto." Und
nun folgt jene köstliche Schilderung, deren sieh keiner der
Satiriker der Restaurationszeit zu schämen haben würde,
von dem „reichen Mann, der seinem Vergnügen und Gewinn
zugethan ist, und dem die Religion als ein so verwickelter
Handel, so voll von Bagatell-Rechnungen erscheint, dass es
ihm vor lauter Mysterien unmöglich wird, ein Kapital in die-
sem Geschäft anzulegen". Er möchte aber doch gern „für
religiös gelten, mit seinen Nachbarn darin gleichen Schritt
halten". „Was thut er also, er entschliesst sich, die Plackerei
aufzugeben und sucht sich einen Factor, dem er die ganze
Leitung seiner religiösen Geschäfte übergiebt, einen Prediger
von Ruf und Ansehn. Dem überträgt er das ganze Waaren-
lager seiner Religion mit allen Schlössern und Schlüsseln und
macht diesen Mann selbst zu seiner Religion", Und nun
ist seine Religion „ausser ihm", ein ,, bewegliches Individuum,
geht und kommt zu ihm, je nachdem der Biedermann sein
Haus besucht". Er fetirt und beherbergt ihn, „seine Religion
kommt Abends nach Hause, betet, wird freigebig gespeist
und prächtig gebettet, steht wieder auf, wird begrüsst und
nach dem Malvasier oder irgend einem wohlgewürzten Trank
und nach besserem Frühstück, als der hatte, der seinen
Morgenhunger gerne mit unreifen Feigen zwischen Bethania
und Jerusalem gestillt hätte, geht seine Religion um acht
Uhr aus und lässt ihren freundlichen Ernährer im Laden
zurück, wo er den ganzen Tag ohne seine Religion Handel
treibt". — Man sieht: es ist der weltkundige Dichter, der
hier den Gritiel führt, und der Dichter ist es, der ,jene an-
dere Sorte" schildert, die, wenn sie hört, „dass nichts ge-
Grenze der Toleranz. 319
schrieben werden soll, als was das Zollhaus gewisser Zöllner
passirt hat, die allein das Tonnen- und Pfundgeld jeder frei ge-
sprochenen Wahrheit zu bestimmen haben", dann sofort mit
Freuden ihre eigene Einsicht aufgiebt und sich eine ,,Rehgion
zurechtmachen und zuschneiden lässt, wie man will". Sein
unabhängiger, sein independenter Sinn sträubt sich dagegen,
dass sich das eben vom bischöflichen Regiment befreite Volk
wieder ,,vor bestimmten Plätzen und Versammlungen und
äusserlichem Beruf beugen soll", und „nicht in der Wegnahme
der Priesterröcke und Bischofsmitren"' sieht er bereits „das
Glück der Nation" erfüllt, sondern in einer Reform anderer
„ebenso wichtiger Dinge in der Kirche wie im häuslichen
und politischen Leben".
Wenn es nach solchen Aeusserungen zweifelhaft sein
konnte, inwieferne sich Milton damals noch einen gesonderten
Stand der Geistlichen als nöthig gedacht habe, so lässt sich
die Grenze, die seine Toleranz zog, mit grösserer Sicherheit
bestimmen. Allerdings seine Polemik gegen „das eiserne Joch
äusserer Konformität", seine Ermahnung, man solle nur „der
Wahrheit Raum geben , sie nicht binden" und ihr dann ge-
trost den „Kampf mit der Lüge" überlassen, seine Bemer-
kung, dass „ein wenig edelmüthige Klugheit, ein wenig gegen-
seitige Schonung und einige Gran Nächstenliebe" alle Strei-
tenden zu „einem brüderlichen Suchen nach Wahrheit ver-
binden würde": das alles sollte vermuthen lassen, in Mlton
einen der ersten Verfechter unumschränkter Gewissens- und
Kultus-Freiheit zu finden. Aber hier zeigten sich die Grenzen
der puritanischen Bildung des Dichters. Zu einer Duldung
des Katholicismus wollte er sich nicht verstehn und er hat
sich, inmitten der kirchlich-politischen Strömungen seiner Zeit,
sein Leben lang nicht über den Widerspruch erhoben, Reli-
gions-Freiheit zu fordern und die Religions - Freiheit des Ka-
tholiken für eine politische Unmöglichkeit zu erklären. „Ich
spreche nicht für die Toleranz von Papismus und offnem
Aberglauben, denn wie dieser alle Religionen und bürgerliche
Obrigkeiten vernichtet, so sollte er selbst vernichtet werden,
vorausgesetzt, dass vorher alle Mittel der Güte und Freund-
320 Grenze der Toleranz. — Schädlichkeit der Censur.
lichkeit, den Schwachen und Verführten zurückzugewinnen^
angewandt worden sind." Es sind doch nur die „Nachbar-
Differenzen oder eher -Indifferenzen in Dogma und Verfas-
sung", die er im Auge hat, die Abweichungen also, die sich
auf dem Boden der Reformation gebildet haben , immerhin
ein gewaltiger Fortschritt gegenüber den Ketzerrichtern der
Synode, aber doch nicht die Erhebung zu dem freien Stand-
punkt eines Williams und Goodwin.
Man kann diese Bemerkungen über Presbyterianismus
und Independentismus, über Zelotismus und Toleranz, wie sie
sich an verschiedenen Stellen von Milton's Schrift zerstreut
finden, als ebensoviele Abschweifungen von seinem eigentlichen
Thema betrachten. In Wahrheit wird aber über ihnen der
Faden der Beweisführung selbst, auf die es in erster Linie
ankam, niemals fallen gelassen. War ein geschichtlicher
Rückblick auf die Entstehung der Censur geworfen, war eine
philosophische Grundlage für das berechtigte Dasein von
Geistesprodukten jeder Art gewonnen, war endlich schlagend
bewiesen worden, dass die Massregel ihren Zweck verfehlen,
den beabsichtigten Nutzen gar nicht mit sich führen würde,
so blieb der weitere Nachweis des positiven Schadens, den sie
im Gefolge habe, noch übrig. Gleich im Anfange der milton-
schen Schrift waren einige kühn hingew^orfene , epigramma-
tische Sätze zu lesen: „Bücher sind nicht todte Dinge, son-
dern sie enthalten einen Lebenskeim in sich, ebenso wirksam,
wie der Geist, aus dem sie stammen", „es ist nicht schlimmer,
einen IMenschen tödten, als ein gutes Buch", eine „lange
Folge von Zeitaltern reicht oft nicht aus, eine verstossene
Walirlicit wiederzugewinnen, deren Verlust ganzen Nationen
zum Unlicil gereicht". In ihnen spricht sich die liolie Ach-
tung vor der Macht der Ideen in der Geschichte aus, und
diese musste einen der grössten Fehler darin erkennen, die
Ideen selbst im voraus kontisciren zu wollen.
Demnächst war die moralische Seite der Einrichtung nicht
zu vergessen. Sie entwürdigt den Schriftsteller, den Gelehrten,
der nach „allen seinen Anstrengungen und mitternächtlichen
Studien" gleich einem „Schuljungen" an der Hand seines „Hof-
Schädlichkeit der Censur. 321
meisters" vor der Oeffentliclikeit erscheinen miiss, und dessen
Worte unter einer solchen patriarchalischen Aufsicht keine
Autorität beim Leser mehr haben können. Sie entwürdigt die
Wissenschaft selbst, welche der Freiheit als Lebensluft bedarf
und die bald zu Grunde gehen wird, wenn der einzige Weg zu
einem „angenehmen Leben" sein wird, „in allen höheren Fragen
unwissend und gedankenfaul zu sein und nur der gewöhn-
lichen Weltklugheit nachzustreben". Sie entwürdigt „die
ganze Nation", die sich ein Armuthszeugnis dadurch ausstellen
lassen muss, dass sie, wie einst das Volk Israel, nicht
„ihre eigenen Aexte und Pflugschaaren schärfen darf" und
dulden muss, dass man aus der ganzen Wissenschaft im
Lande ein „zum Abstempeln aufgestapeltes Waarenlager
mache". Sie entwürdigt endlich die Censoren selbst und
unter ihnen nicht am wenigsten die Geistlichen, die doch
ihrer ganzen Thätigkeit, ,, ihren unablässigen Predigten", ihren
haufenweise gedruckten Sermonen eine bessere Wirkung zu-
schreiben sollten , als mit der Furcht verträglich erscheint^
dass ihre „Heerden" durch „den Hauch jedes neuen Pam-
phletes" in ihrem „Katechismus und christlichem Wandel" be-
unruhigt werden könnten. — Alle Mittel der Beredtsamkeit,
L'onie und Begeisterung, den ganzen Stolz des humanistisch
gebildeten Denkers bietet Milton bei diesem Abschnitt auf,
ohne dabei auf einen beschränkten Gelehrtendünkel zu pochen.
Im Gegentheil, das patriotische Hochgefühl, dem er schon
so oft Ausdruck gegeben, die Ueberzeugung, dass gerade dem
enghschen Geiste in allen Schichten des Volkes die Aufgabe
der Reform für sich und die Menschheit in erster Linie zu-
gefallen sei, durchglüht mit einem heiligen Feuer seine Zeilen.
Hier flicht er jene Erinnerung an Galilei und das Urtheil der
Italiener über den englischen Freiheitssinn ein. Hier mahnt
er an den alten Piuhm der englischen Wissenschaft, an die
Thatsache, dass Jahr für Jahr der „ernste und genügsame
Siebenbürger von den entferntesten, gebii-gigen Grenzen Russ-
lands und über die hercynische Wildnis hinaus nicht seine
Jugend, sondern gesetzte Männer aussende, um in England
die Landessprache zu lernen und Theologie zu studiren' .
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 21
322 Schädlichkeit der Censur.
Auf's neue beschwört er den '-chatten Wiclifs herauf, aus
dessen Munde die „erste Botschaft und der erste Posaunen -
stoss der Reformation für ganz Europa erklungen war", und
untrügliche Zeichen sprechen ihm dafür, dass Gott beschlossen
hat, „in dem neuen grossen Lebensabschnitt seiner Kirche . . .
die Reformation selbst zu reformiren". dass er sich, „wie das
seine Art ist, zuerst seinen Getreuen, seinen lieben Engländern,
offenbart", und dass die Stunde der Befreiung gekommen,
„deren Andenken alle Umwälzungen überdauern wird, die
dieser Welt noch bevorstehn". — ..Erwägt es, Lords und Ge-
meine, welcher Nation ihr angehört, deren Regierer ihr
seid. . . blickt hin auf diese gewaltige Häuptstadt, eine Stadt
der Zuflucht, das Wohnhaus der Freiheit, umgeben und um-
schlossen von Gottes Schutz. Wahrlich, es sind in ihr nicht
mehr Ambosse und Hämmer thätig, um das Zeughaus des
Krieges mit Panzern und Waffen zu füllen für die zum Schutz
der bedrängten Gerechtigkeit gerüstete Wahrheit, als Federn
und Köpfe, die beim Schein der Studirlampe neue Gedanken
aufsuchen und erwägen, um sie der nahenden Reform gleich-
sam zum Zoll der Huldigung darzubringen, als eifrige Leser,
die alles prüfen und der Gewalt der Vernunft und Ueber-
zeugung beistimmen.... Es ist die Freiheit, Lords und
Gemeine, welche eure eigene beherzte und glückliche Politik
uns verschafft hat, die Freiheit, welche die Amme aller grossen
Geister ist" ....
Man weiss, dass diese flammende Ansprache ihren Zweck
nicht erreicht hat. Allerdings die Agitation gegen die Censur
liess nicht nach. Wenn nicht mit dem Milton'schen Pathos,
so doch mit deutlicher Benutzung seiner Arbeit griffen andere
Gegner des Presbyterianisnms, wie John Lilburne und Henry
Robinson, oft in derb - witziger Weise auch die Pressgesetze
des Parlamentes an('). Allerdings einer der geistlichen Cen-
soren, Mr. Bachiler, machte von seinem Amt einen so mihlen
Gebrauch, dass er zum Schrecken der Presbyterianer selbst
Bücher passii-en liess, in denen ,,eine Toleranz aller Sekten"
befürwoilet ward (2). Und ein anderer Censor, Mr. Mabbot,
legte einige Jahre später (1649) seine Stelle nieder, unter
Wirkung der Areopagitica. 323
ausführlicher Angabe von Gründen, welche den klaren Be-
weis dafür abgeben, dass er in der Praxis zu denselben Er-
gebnissen gelangt war, die der Theoretiker Milton mit solcher
Beredtsamkeit betont hatte ('). Aber das Parlament blieb
gegen die Forderung taub und fügte den schon bestehenden
Verordnungen mehr als einmal verschäifte Bestimmungen
hinzu. In England erlosch das Institut der Censur überhaupt
erst mit dem Jahre 1694, und manche bittere Erfahrung war
nöthig, um dem englischen Beispiel an anderen Stellen
Europas Nachahmung zu verschaffen. Und doch hat Milton
nicht vergeblich geschrieben. Auch sein Buch war kein
„todtes Ding", und nicht ohne Grund hat man es auf die
Höhe erhoben, welche ., einige populäre Schriften von Luther
oder die Provinzialbriefe von Pascal" einnehmen (^). In seiner
Heimat ist es inehi-fach in dem Kampf um die Pressfreiheit
als Bundesgenosse aufgeboten und zu einem beinahe volks-
thümlichen Werke geworden (^). Mirabeau hat es am Vor-
abend der Revolution bei seinen Landsleuten eingebürgert,
und auch in Deutschland kennt man von den so wenig ge-
kannten Schätzen der Milton'schen Prosa noch am ehesten
diesen, weil er nach Form und Inhalt am mindesten einer
bestimmten Zeit anzugehören scheint. Selbst wo die Frage
der Censur ausser dem Spiele bleibt, und es überhaupt nur
gilt, die Freiheit des schriftstellerischen Berufes zu verthei-
digen, stellt sich der mächtige Schatten des Dichters als
Ivampfgenoss ein. Nicht als ob er fähig oder gewillt gewesen
wäre, die Rechtsfragen im einzelnen zu behandeln, die diesem
Gebiete angehören , sondern weil der Geist , von dem er
Zeugnis ablegt, in den Worten gipfelt: „Gebt mir die Frei-
heit, zu erkennen, zu sprechen und meine ehrliche Ueber-
zeugung geltend zu machen vor allen übrigen Freiheiten."
Hatte sich Milton durch seine früheren Schriften das
ganze presbyterianische Heerlager zu Feinden gemacht, so
war sein letztes Werk dazu angethan, auf jener Seite zur
21*
324 Milton und die Stationers.
äussersten Wuth anzustacheln. Zunächst indess war es wie-
derum die Company der Stationers, die gegen ihn zu Felde
zog, sei es nun, dass sie einem Wink der presbyterianischeu
Führer folgte, sei es, dass der eigene Eifer sie antrieb. Denn
Milton hatte nicht nur, wie das nicht anders zu erwarten,
gegen die Censur geschrieben, ohne den Censor zu fragen
und zugleich alle übrigen Formalitäten zu verletzen, auf deren
Innehaltung den Stationers zu achten oblag, sondern er hatte
sich zu verletzenden Angriffen auf die Innung selbst hinreissen
lassen.
j\Iit Berufung auf das Urtheil ungenannter befreundeter
Buchhändler spricht er die Vermuthung aus, „der Betrug
einiger alter Privilegien -Besitzer und Monopolisten des Buch-
händler-Gewerbes" habe durch den Vorwand, die Armen der
Company in ihren Kechten und das Eigenthum des einzelnen
schützen zu wollen, dem Parlamente jene Verordnung abge-
schmeichelt, um, gestützt auf sie, „eine Oberherrschaft über
ihre Nachbarn auszuüben, Männer, die nicht deshalb ein ehr-
liches Gewerbe treiben, dem die Wissenschaft Dank schuldig
ist, um Vasallen anderer zu sein". Ja, er fügt sogar die
malitiöse Bemerkung hinzu: „Einige von ihnen hatten, wie
man glaubt, noch einen anderen Zweck, indem sie um diese
Verordnung petitionirten, nämlich dass, wenn sie die Macht
in Händen hätten, royalistische (malignant) Bücher um so
leichter verbreitet werden könnten, wie der Erfolg denn auch
zeigt" (0.
Die Gelegenheit zu einem Versuche, für diese Anzüglich-
keiten Rache zu nehmen, liess nicht lange auf sich warten.
Am 9. Deceniber 1644 forderten die Lords den Master und die
Wardens der Stationers' Company vor sich, um von ihnen den
Autor eines anonymen Libells „gegen die Pairie des Reiches"
zu erkunden. Sie konnten weder Autor noch Drucker aus-
findig machen, führten a])er am 13. December einen Burschen
vor, Lehrling in einem Strumpfwaaren-Geschäft, der bei der
Verbreitung der Flugschrift ertappt worden war. Dieser war
indess ohne Arg auf ein verstecktes Paket derselben gestossen
und wurde als schuldlos entlassen. Wiederholt am 26. und
Milton und die Statiouers. 325
28. December wurden der Lordmayor und die S'tationers auf-
gefordert, weitere Schritte in der Sache zu thun. Die letzten
gaben auf die zweite Anfrage die Antwort, dass ihre Nach-
forschungen nach dem Autor und Dnicker noch immer er-
gebnislos seien, beklagten sich aber zugleich über das häufige
Erscheinen „skandalöser Bücher von verschiedenen, wie z. B.
Hezekiah "Woodward und John Milton". Sie deckten sich
also durch einen klugen Streich, indem sie zu verstehn gaben,
wie schwer ihr Amt ihnen gemacht wäre, wenn auf geschehene
Denunciation nichts erfolge. Woodward war jener Freund
Samuel Hartlib's, der dessen freie religiöse Ansichten theilte
(s. 0. S. 283), ein eifrigef Pampliletist und Anhänger John Good-
wins, aber keineswegs, wie Milton, ein grundsätzliclier Gegner
der Censur. Erhielt sie sogar für ein ganz wohlthätiges Institut,
um den Autor vor Uebereilung zu bewahren und seine Aeusse-
rungen von einem objektiven Richter beurtheilen zu lassen.
Er hatte sich aber doch entschlossen, eine seiner Schriften
ohne Licenz drucken zu lassen, weil die Censoren sich ge-
radezu geweigert hatten, sie zu lesen (^). Milton war vor
Monaten denuncirt worden, weil er sich bei Herausgabe seiner
Schrift über die Ehescheidung nicht um die gesetzlichen For-
men gekümmert hatte, einer Schrift, die von einem angesehenen
Kanzelredner vor dem Parlament gebrandmarkt worden war.
Abei- die Untersuchung war eingeschlafen, und der Angeklagte
hatte die Keckheit gehabt , mit den anzüglichen , uncensirten
und unregistrirten Areopagitica hervorzutreten. Die Lords
schienen die Sache ernster zu nehmen. Noch am selben Tage
(28. December) ermächtigten sie zwei Richter, Woodward und
Milton verhören zu lassen, desgleichen andere Personen, welche
Master und Wardens der Stationers' Company nennen würden;
eine Konfrontation zwischen diesen und den Vorgeforderten
sollte stattfinden, und das Verhör sich auch auf das gegen
die Lords geschleuderte Libell richten. Von Woodward lässt
sich nachweisen, dass er verhört und alsbald entlassen worden
ist(^). Es wurde über den Fall am 31. December 1644 den
Lords Bericht erstattet. Was Milton betrifft, so ist es, nach
der Notiz eines seiner Biographen, wahrscheinlich, dass er
326 Piynne, Featley etc. gegen Milton.
gleichfalls vorgeladen wurde. Aber man hat es jedenfalls
nicht für der Mühe werth gehalten, seinen Namen im Proto-
koll zu erwähnen, woferne es überhaupt zum Bericht an das
Haus der Lords gekommen ist. Der Autor der Areopagitica
hatte auch an dieser Stelle nichts zu fürchten, und dieser
zweite Sturm, den man wegen seiner freien Ansichten gegen
ihn erregen wollte, war ebenfalls ohne Schaden vorüber-
gezogen (^).
Inzwischen war Milton entschlossen, seine Theorie des
Scheidungsrechtes, deren Bekanntmachung die Gegner zu den
Waffen gerufen hatte, nicht aufzugeben. Die Predigt Palmer's
war im Druck erschienen (^). William Prynne, der fanatische
Widersacher der Independenten, hatte in seinen zwölf Fragen
über die Kirchenverfassung nicht nur gegen Roger Williams
gezetert, der „für jedermann, sei er nun Jude, Türke, Heide,
Papist, Araiinianer, Anabaptist" Glaubens- und Kultusfreiheit
gefordert habe, sondern seinen Warnruf zugleich gegen an-
dere ketzerische Meinungen erhoben , die durch den Druck
verbreitet worden seien, und als Beispiele die Schriften iiber
„die Sterblichkeit der Seele" und „Scheidung nach Belieben"
angeführt (^). Im Anfange des Jahres 1645 war ferner jener
Angriff Featley's erfolgt, der Milton gleichfalls in die Reihen
der gefährlichsten Erzketzer stellte (s. o. S. 263). Und endlich
war noch gegen Ende des Jahres 1644 eine förmliche Gegen-
schrift gegen die Milton'sche hervorgetreten, welcher der Censor
taktlos genug gewesen war, eine besondere Belobigung voraus-
zuschicken.
Eine erste Erwiderung auf einige dieser Angriffe bildete
eine neue Schrift Milton's, die etwa im Anfange des März
1645 erschien. Sie ist von den Abhandlungen, die Milton
der Frage des Scheidungsrechtes gewidmet hat, die umfang-
reichste , aber auch für den modernen Leser die ungeniess-
barste und kann in Kürze skizzirt werden , da sie im Sach-
lichen den früheren Schriften wenig Neues zufügt (*). Ihr
Dritte Schrift über die Ehescheidung: „Tetrachordon". 327
eigenthümlicher Titel: Tetrachordon: rührt daher, dass die
vier Hauptstellen der Bibel, „in welchen über die Ehe und
Nichtigkeit der Ehe" gehandelt wird, aus der Genesis, dem
Deuterononiium , dem Evangelium Matthäi und dem ersten
Korinth erb rief, hier im Zusammenhange erklärt, miteinander
verglichen und auf ihre Uebereinstimmung hin geprüft wer-
den. Eine nicht zu verachtende Gelehrsamkeit wird auf-
geboten zur Verstärkung der schon früher beigebrachten
Zeugnisse und Autoritäten, welche diese Stellen betreffen.
Man könnte einen Abriss einer Geschichte des christlichen
Eherechts, soweit er Milton möglich wurde, seinem Traktat
entnehmen. In den Schriften der Kirchenväter und in den
Koncilsschlüssen , im römischen und kanonischen Eecht zeigt
er sich auch hier wieder wohlbewandert, und in dem Heere
seiner Gewährsmänner, unter denen man indess namentlich
Sarcerius vermisst, sind ,, Felix Bideubachius" und „Wesem-
bechius" noch nicht die Geringsten. ]\fan merkt dem Schrift-
steller an, dass er sich einst auf den geistlichen Stand vorbereitet
hatte. Seine Bibliothek war reich an theologischen Werken, wie
sein kürzlich aufgefundenes Kollektaneen-Buch beweist.
Seine Art und Weise, die biblischen Aussprüche für
seine Zwecke zu verwerthen, bleibt die gewohnte. Er
wendet sich auch hier wiederholt gegen die Wortklauberei
der „disputirenden Theologen" und stellt dem Formahsmus
der ..närrischen Kanonisten" das „einzige Gesetz der Liebe"
entgegen, wie es „in unsere Herzen geschrieben sein soll".
Er selbst indessen kann sich, wie in der ersten Schrift, auf
der einen Seite gleichfalls der sklavischen Abhängigkeit vom
Bibelworte nicht entschlagen, während er sich auf der anderen
Seite wiederum zu den gewagtesten Deutungen genöthigt
sieht. Wir verzichten darauf, die Schlangenwege seiner
Interpretation zu verfolgen und bemerken nur, dass er sie
gleichfalls durch Herbeiziehung alter und neuer Autoritäten
bis auf Diodati und Spanheim zu stützen sucht und durchaus
von der Richtigkeit seiner Erklärung überzeugt zu sein scheint.
Mehr als einmal zeigt er sich als ein Meister aller der Kunst-
griffe einer schulgerechten Dialektik, obwohl er im allge-
328 Autobiographisches.
meinen der Ansicht ist, „dass die Schrift in ihrer Majestät
sich nicht zu künstlichen Theoremen, Definitionen und
Koroilarien, wie ein Professor auf dem Katheder erniedrigen
lassen dürfe", und ohschon die Kasuistik, zu der er sich ge-
drängt sieht; ihm wie ein „christlicher Talmud" vorkommt.
Einen gewissen Stolz, dass es ihm nach „dem schwächlichen
Verständnis so vieler Jahrhunderte" gelungen sei, alle Stellen
der Bibel mit einander in Einklang zu setzen und diejenigen,
welche sich anmassen, „Lehrer zu sein", durch Gelehrsam-
keit übertroffen zu haben, kann er nicht verbergen. Er
glaubt gleichsam eine grosse Entdeckung gemacht zu haben,
die nicht mit dem „Athem dieses Zeitalters" untergehn werde.
Auch l)emüht er sich, beim Leser keinen Zweifel daran auf-
kommen zu lassen, dass alle die Autoritäten, die er beibringt,
nicht seine ,, Lehrer", sondern seine „unerwartet gefundenen
Zeugen" seien, sodass die Ehre der selbstständigen Forschung
ihm gewahrt bleibt. Eine ausserordentliche Bedeutung ge-
wann unter diesen Zeugnissen der Entwurf einer Revision
des kanonischen Rechtes, wie ihn zur Zeit Eduards VI. eine
Kommission der angesehensten Laien und Kleriker ausgear-
beitet hatte, und in diesem Entwürfe der auf die Scheidung
bezügliche Artikel , aus dem sich für Milton's freie Ansicht
Kapital schlagen Hess.
Versucht man es, in diesem Werke autobiographische
Aeusserungen des Dichters zu entdecken, so mag man sie
immerhin in den schmerzvollen und leidenschaftlichen Worten
finden, in denen er aufs neue das schwere Geschick beklagt,
das einen Mann zur „unwürdigsten und niedrigsten Sklaverei"
verdanuTit und ihn durch den unnatürlichen Zwang einer un-
glücklichen Ehe bis zum Ueberdruss des Lebens bringen
kann. Andrerseits findet sich eben hier eine Schilderung
des Glückes der Ehe, die durch den Gegensatz der eigenen
Erlebnisse nichts an Wärme verliert. Der Autor macht sich
lustig über das Wort Augustin's, dass ein männlicher Freund
eine bessei-e Unterhaltung für Adam gewesen wäre, wenn es
sich nur darum gehandelt hätte, zu verhindern, „dass der
Mensch allein sei". „Es giebt, sagt er, einen eigenthümlichen
Stellung der Frau. 329
Heiz im Eheleben, ganz abgesehn von den Freuden des Ehe-
bettes, den kein anderer Umgang ersetzt. Kein Mensch kann
die Spannkraft seines Geistes, sei es in Verrichtung frommer
Werke oder in gelehrten Studien bewahren, ohne mitunter
von den Anstrengungen des Denkens und der Arbeit auszu-
ruhn . . . Vv'ir sind nicht im Stande, immer geistig oder prak-
tisch beschäftigt zu sein, sondern wir bedürfen der süssen
Erholung, in der die Seele, gleichsam der strengen Schularbeit
entflohen, wie ein froher Jüngling auf der Ferien-Wanderung,
in harmlosem Zeitvertreib ihre Feierstunden geniesst; sie
kann das nicht ohne Gesellschaft und in keiner Gesellschaft
besser als in der des änderen Geschlechtes^ welches in seiner
Verschiedenheit uns so ähnlich, in seiner Aehnlichkeit so ver-
schieden von uns ist und dadurch zu einer Quelle gegensei-
tigen Wohlgefallens wird." Man sieht, die „wir" sind stets
„wir Männer", das Weib gilt noch immer nach dem Bibel-
wort als , .ausdrücklich für den j\Iann geschaffen, und er als ihr
Haupt". „Sie ist für die Ehe gemacht, die Ehe aber für
ihn." Von ihr ist durch jenen Apfelbiss „die Sünde ausge-
gangen, nichts billiger, als dass sie auch verhältnismässig
niedriger steht". Doch fehlt es gegenüber diesen Aussprüchen
der Härte und Selbstüberhebung nicht ganz an Zeugnissen,
durch welche nicht zwar ein gleiches, aber doch ein bedeu-
tendes Recht der Frau anerkannt wird. „Der Mann soll sie
nicht als seine Dienerin betrachten , sondern ihr einen Theil
an der von Gott. ihm verliehenen Herrschaft vergönnen, wenn
nicht zu gleichem, so doch zu einem nicht geringen Theile,
als seinem eigenen Bilde und Stolz. Denn er darf in der
That nicht wenig stolz darauf sein, dass ein ihm so ähnliches
Geschöpf ihm unterworfen ist. Freilich können auch Ausnahmen
vorkommen, wenn sie ihn an Klugheit und Geschicklichkeit
übertrifft, und er freiwillig nachgiebt. Dann gilt das höhere
und natürlichere Gesetz, dass der Weisere den weniger Weisen
leiten soll , mag es nun Mann oder Frau sein."
So wenig Milton eine weitere Ausführung dieses Gedankens
über eine ihm verständliche'Art vonEmancipation der P'rau ver-
sucht, so viel lässt auch hier wieder seine Definition der Ehe selbst
330 Wesen der Ehe.
an juristischer Schärfe vermissen. Er definirt die Ehe .,als
eine göttliche Institution, welche Mann und Weib in einer
für die Bedürfnisse und Annehmlichkeiten des häuslichen
Lebens geeigneten Liebe verbindet''. Aber er verwahrt sich
zugleich dagegen, sie zu einem Mysterium machen zu wollen
und wendet, soferne sie die wesentlichen Bedingungen nicht
erfüllt, die seine Definition voraussetzt, auch' den Namen
„bürgerlicher Vertrag", „bürgerliches Band" auf sie an. Erst
später ist es ihm gelungen, sich zu voller Klarheit über diese
Frage durchzuringen.
Beinahe von grösserem Interesse, als die Schrift selbst,
ist die vorausgehende Widmung an das Parlament. Indem
Milton auch jetzt wieder, und zwar mit Umgehung der von
eben diesem Parlament erlassenen Pressgesetze, den Muth
b.at, seine „W^aare" lediglich „unter den Schutz dieses Frei-
hafens" zu stellen, lässt er es sein Erstes sein, Herbert Pal-
mer für seine aufreizende Denunciation zu züchtigen. Er
wirft ihm vor, dass er schwerlich sein Buch gelesen, dass er
sich von der Kanzel herab sehr ungeistlicher Invektiven
schuldig gemacht und in dem späteren Druck seiner Predigt
auf Butzer's Urtheil, welches er freilich ohnehin hätte kennen
müssen, gar keine Rücksicht genommen habe. Dass er selbst
seine Ansicht mit seinem Namen vertreten habe, dünkt ihn
nicht sowohl ,, frech", als ehrenhaft und er stellt diesem
Verfahren die Feigheit eben Palmer's gegenüber, der sich an
einem anonymen Traktat, in dem der Krieg gegen den König
gerechtfertigt wurde, betheiligt hatte (^). Sodann wehrt er
sich gegen Featley, dem er seinerseits „eine eingefleischte
prälatische Widerspänstigkeit gegen das herrschende Kirchen-
und Staatsregiment" Schuld giebt. Im allgemeinen findet
er in seinen Gegnern nur „Ignoranz und ungelehrte Einbildung"
und dankt dem Parlament ausdrücklich mit stolzen Worten
dafür, dass es „mit ruhiger Ueberlegung" der „voreiligen
Hitze" und der „nichtssagenden Gravität" seiner Ankläger
W^idcrstand geleistet habe. So macht er das Parlament
gleichsam zur Partei in eigener Sache, ohne sich deshalb zu
niedrigen Schmeicheleien herabzulassen.
Anonyme Schrift gegen Milton. 331
Vermuthlich hatte die langwierige Arbeit, welche die Abfas-
sung des Tetrachordon erforderte, Milton verhindert, sofort jener
Gegenschrift zu antworten, die schon Ende des Jahres lt>44 in
Umlauf war, und zugleich nach zwei anderen Seiten hin wuch-
tige Hiebe auszutheilen. Schon am letzten Oktober 1644 war
vorschriftsgemäss in die Register von Stationers' Hall ein Pam-
phlet eingetragen, das die Aufschrift führte „Antwort auf
ein Buch, betitelt: die Lehre und Wissenschaft von der Ehe-
scheidung" u. s. w. (^) Ein Autor war nicht genannt, aber die
Druckerlaubnis war von der Censurbehörde eingeholt und
unter dem 14. November ertheilt worden. In seiner Freude
über den Inhalt der Schrift hatte der Censor Joseph Caryl,
Prediger von Lincoln's Inn und Mitglied der Synode, seine
Druckerlaubnis mit dem Wunsche motivirt, „die Stärke des
Ehebandes und die Ehre des Ehestandes zu sichern gegen
die traurigen Uebertretungen und gefährlichen Verführungen",
zu denen „in Folge gewölinlichei- Unzufriedenheit unruhige
Geister und unbeständige Leute" hinneigen könnten, indem
sie sich auf Milton's Ansichten stützten.
In der That war der Hauptzweck der anonymen Schrift,
Milton's Argumente Schritt für Schritt zu widerlegen, und
bei diesem Bestreben wurden einige schwache Seiten der
jNIilton'schen Theorie nicht schlecht gefasst. In der Sache
selbst werden dem mosaischen Gesetz zwar bedenkliche Er-
klärungen unterlegt, aber es wird doch gegenüber den Mil-
ton'schen Interpretations-Künsten daran festgehalten, dass es
eine Eigenthümlichkeit des älteren jüdischen Volkes gewesen
sei, welche Christus nicht gebilligt habe. Mcht minder wer-
den die gefährlichen Folgen des freien Scheidungsrechtes, in
dem Umfange, wie es Milton befürwortete, entwickelt. Da-
neben fehlt es nicht an scharfen Bemerkungen über den Mil-
ton'sehen Stil, dessen bilderreiche Rhetorik sich allerdings
von der gangbaren Heerstrasse weit entfernte. Indessen zeigt
sich der Autor seinem Gegner doch nicht gewachsen. Er
sucht zwar seine Ausführungen mit philologischen Notizen zu
verbrämen, aber er lässt sich hierbei mehrere Fehler ent-
schlüpfen. Er strebt nach witzigen Wendungen, aber er
332 Vierte Schrift über die Ehescheidung: „Colasterion".
weiss weder Flachheiten, noch Wiederholungen zu vermeiden.
Er macht nach seiner Phraseologie und nach seinen Citaten den
Eindruck eines Mannes, dem die Jurisprudenz nichts Fremdes
war , aber auch hier decken vielfache Verstösse das Hand-
werksmässige seiner Bildung auf. Mit Milton's persönlichen
Verhältnissen scheint er nicht ganz unbekannt zu sein. Er
weiss, dass seine Wohnung in Aldersgate-Street gelegen ist.
Er wirft ihm vor: „Wir glauben, dass, was dich betrifft, dir
in der That keine Frau hinlänglich unterhaltend erscheint,
wenn sie nicht Hebräisch, Griechisch, Lateinisch, Französisch
spricht und gegen das kanonische Recht so gut wie du disputiren
oder wenigstens mit dir darüber reden kann". Unverzeihlich
erschien, dass bei diesem Angriff immer nur auf die erste
unvollständige Auflage der Milton'schen Schrift über die Ehe-
scheidung Bezug genommen wurde, davon zu schweigen dass „das
UrtheilButzer's" ganz unberücksichtigt blieb. Bezeichnend dafür,
wess Geistes Kind der Autor war, konnte die Aeusserung sein,
wenn Milton's Schrift nicht mit ein bischen hübscher Sprache
überzuckert wäre, so würde alle Welt sie für werth erklären,
durch den Henker verbrannt zu werden.
Milton gab seiner Erwiderung, die etwa gleichzeitig mit
dem ,, Tetrachordon" wiederum ohne Einhaltung der gesetz-
lichen Formen erschien, den Titel „Colasterion", d. h. „Züch-
tigung", und bereitete den Leser damit auf den Ton vor,
den er hier anzuschlagen gedachte (^). In der That kann auch
diese kleine Schrift als ein Muster der unverblümten Rede-
weise gelten, welche das siebzehnte Jahrhundert bei hterari-
schen Streitigkeiten erträglich fand. Am besten kommt noch
William Prynne weg, dem sein Ausdruck ,, Scheidung nach
Belieben" vorgehalten wird. Von einem Manne, „der so viel
für die Wahrheit gelitten", hätte Milton nicht erwartet, dass
er seinen Mund zu „Lüge und Verleumdung" aufthun würde,
und er glaul)t, erwarten zu dürfen, dass er seinen Ausspruch
widerrufen werde. Schon viel unsanfter wird der übereifrige
Censor Mr. Caryl angefasst. Caryl nahm unter seinen Amts-
brüdern eine angesehene Stellung ein, man wusste, dass er
mit einem grossen Kommentar zu dem Buche Hiob beschäf-
Vierte Schrift über die Ehescbeidung: „Colasterion". 333-
tigt sei, der auch in zwölf Quartanten (1648 — 66) erschien.
Dass er in der Synode eher dem milderen Independentismus
als dem strengen Presbyterianismus zuneigte , konnte Milton
nicht abhalten, ihm seine INIeinung zu sagen (^). Er erinnert
ihn also sehr ernstlich daran, wie weit er seine Kompetenz
als Censor überschritten habe, er giebt ihm zu verstehn, dass
ein Mann von seiner Gesinnung, der die schwerste Seelen-
qual mit „gewöhnlicher Unzufriedenheit" auf eine Stufe stellt^
am wenigsten fähig sei, die Geschichte des Dulders Hiob zu
erklären, er findet, dass ihm in diesem Falle seine sonstige
„Ehrlichkeit, Frömmigkeit und Klugheit" ganz abhanden ge-
kommen sei und macht, nicht ohne einen speciellen Grund,
ihn für jede einzelne Blosse, die sich sein Schützling giebt,
in eigener Person A^erantwortlich.
Aber alle Grenzen der Höflichkeit und des guten Ge-
schmacks werden tiberschritten, indem Milton seinem Gegner
selbst zu Leibe geht. Er erzählt, wie er mit grossen Erwar-
tungen die so lange ersehnte Erwiderung in die Hand ge-
nommen, wenn schon es ihn stutzig gemacht habe, dass sich
ihr Verfasser mit dem Visier der Anonymität decke. Bald
indess sei ihm der Grund dieser Vorsicht klar geworden.
Denn beim Durchblättern der ersten Seiten sei ihm eine
solche Unkenntnis des Griechischen und Hebräischen, eine
solche Stümperhaftigkeit des Ausdrucks in der Muttersprache
und zugleich eine solche Nichtigkeit im Sachlichen vor Augen,
getreten , dass er vollkommen begriffen , warum der Autor,
der den Eindruck eines gebildeten „Handwerkers" mache,
aus Scham seinen Namen verschwiegen habe. Er will denn
auch vernommen haben, dass schon früher eine Antwort auf
seine Ehescheidungsschrift von einer „Mehrheit von Köpfen"
ausgeheckt und zur Hälfte gedruckt worden, und dass der
Vornehmste in dem Komplott wirklich eine Art „Aufwärter"
gewesen sei, den sein Ehrgeiz getrieben habe, sich als dilettanti-
scher Winkel-Advokat aufzuthun. Seine Verbündeten waren
einige jener „theologischen Gelbschnäbel", wie sie von der
Universität zu kommen und auf eine fette Pfarrei zu lauern
pflegen. Daher die Verbrämung mit juristischen und theo-
334 Nachwirkungen der Miltou'scben Scheidungstheorie.
logischen Floskeln, daher die wunderbare Erscheinung, dass
immer nur die erste Auflage der Milton'schen Schrift citirt
war. Indessen wie das Machwerk nun wirklich in die Welt
ausgieng, war es revidirt von einem „angesehenen Geist-
lichen", ,,aus Liebe zur Sache", und dieser angesehene Geist-
liche selbst war nach Milton's fester Ansicht niemand anders
als der Censor Mr. Caryl. Mag diese von ihm vorgetragene
Entstehungsgeschichte der gegnerischen Schrift nun richtig
oder falsch sein, er weiss sie jedenfalls nach Kräften für sich
auszubeuten. Der Censor, der beim Revidiren „geschlafen
haben muss", der „Kaplan mit seinen Antiquitäten", der
„widerliche Narr", der in einer Gestalt als ein „Bedienter
nach Anlage und Beschäftigung, ein Idiot an Lebensart und
ein Advokat aus Eitelkeit" erscheint: sie alle müssen sich in
dem komischen Reigen tummeln, in dem Milton's bittere Laune
sie vorführt. Er will ,,mit diesem Ferkel, dem nie ein Buch
vorgekommen ist, nicht über Philosophie disputiren" und seine
,, "Worte nicht an diesen geistlosen Klumpen von Gegner ver-
schwenden". Zuletzt sieht er jedoch ein, dass er in seinen
Ausdrücken zu weit gegangen ist und sucht sich durch das
Beispiel des Hercules zu decken, der auch den Augiasstall
habe ausmisten müssen.
Auf diese grobe Abfertigung ist eine weitere Gegenschrift
gegen Milton's Scheidungs-Theorie nicht mehr erschienen.
Aber vergessen war darum die Sache keineswegs. Während
sich Edward Hyde einige Zeit nachher in seinem Asyl auf
Jersey an Milton's Schriften über diese Frage ergötzte (^),
während die Ketzerkataloge nach wie vor auch Milton's ge-
dachten, glaubte ein presbyterianischer Schriftsteller 1648
die neue Doktrin nur erwähnen zu dürfen, um sie der allge-
meinen Verurtheilung Preis zu geben (2). Von späteren Geg-
nern wurde diese Frage immer wieder aufgegriften(^) und die
Satiriker der Restaurationszeit hal)cn in ihr reichen Stoff" ge-
funden.
Siebentes Kapitel.
Häusliches und Politisches 1645 — 47.
Indem IMilton seine Schrift „Tetrachordon" dem Parla-
mente widmete, hatte er das zweideutige Wort einfliessen
lassen: „Wenn das Gesetz nicht zeitig Vorsorge trifft, so muss
sich das Gesetz, wie recht und billig ist, die Folgen seines
Mangels gefallen lassen". Es konnte scheinen, als deute er
seine Geneigtheit an, den bestehenden Vorschriften zum Trotz
die praktischen Folgerungen seiner Scheidungs-Theorie zu
ziehen. Seit beinahe zwei Jahren war sein junges Weib von
ihm entfernt, seine Briefe waren unbeantwortet geblieben, sein
Bote war höhnisch heimgeschickt worden. Wenn dem Dichter
gleich von Anfang an klar geworden war, wie sehr er sich
bei seiner Wahl getäuscht hatte, so musste ein solches Be-
nehmen ihn immer mehr in dem Wunsch bestärken, die qual-
volle Fessel, die ihn für's Leben binden sollte, abzuschütteln.
In der That lässt sein Neffe in seinen Erinnerungen an den
Oheim durchblicken , dass von dem Plane einer neuen Ver-
bindung die Rede war, ohne sich oder seinen Lesern klar zu
machen, wie diese bei der bestehenden Gesetzgebung hätte
ermöglicht werden können. „Nicht sehr lange, sagt er, nach
dem Erscheinen dieser Traktate (über das Scheidungsrecht),
als mehrere seiner Bekannten sich wegen der Erziehung ihrer
Söhne an ihn wandten, . . . bemühte er sich um eine grössere
336 Rückkehr der Frau.
Wolmuug und fand bald eine passende. Aber in der Zwischen-
zeit vor seinem Umzug trat ein Ereignis ein, welches zwar
seine ganze Lebensbahn nicht änderte, aber einer grossen An-
gelegenheit . . ein Ende setzte, die nach mehr als wahr-
scheinlicher Vermuthung eben damals im Gange war. Dies
war der Plan seiner Verheiratung mit einer der Töchter des
Dr. Davis, einem sehr hülischen und klugen Mädchen, die
aber, wie ich gehört habe, diesem Vorschlag abgeneigt war",
Wir wissen nicht, wer jener Dr. Davis war, und ob vielleicht
die Tochter, um welche es sich handelt, dasselbe Mädchen ist,
welches in einem der Milton'schen Sonette aus diesen Jahren
(s. 0. S. 191) gepriesen wird. Begreiflich erscheint jedenfalls,
dass sie keine Neigung zeigte, ein so ungewisses und bedenk-
liches Verhältnis einzugehn.
Indessen eine Wirkung hatte, nach Phillips, der ganze
Plan doch gehabt. Die Familie Powell hatte „Nachricht da-
von" erhalten, und da die Sache des Königs gerade sehr schlecht
stand, in Folge dessen auch die Vermögens-Verhältnisse des
alten Powell immer bedenklicher wurden, und, was Phillips
übergeht, die früheren politischen Erwägungen nun wegfielen,
so „setzten sie alle Hebel an, um die junge Frau wieder auf
den Grund und Boden zurückzuversetzen, auf dem sie sie kurz
zuvor eingepflanzt hatten". Und nun erzählt derselbe Ge-
währsmann mit kurzen Worten den Plan, auf den die Powells
„zuletzt verfielen". Ganz in der Nähe von Milton's Hause,
in St. ]\Iartins-le-Grand Lane, wohnte einer seiner Verwandten,
ein gewisser Blackborough, den er, wie man wusste, öfter zu
besuchen pflegte. Auf diese Besuche hatten „die Freunde
von beiden Seiten" gerechnet ,,wenn auch aus verschiedenen
Motiven", die einen in seinem Interesse, die anderen in dem
der Familie Powell. Eines Tages also „als er seinen gewöhn-
lichen Besuch machte, war seine Frau in einem anderen Zimmer
l)ereit, und plötzlich ward er überrascht durch den Anblick
eines Wesens, das er nie wieder zu sehn verhoff"t hatte, und
das demüthig auf den Knioon seine Verzeihung erflelite. Er
mochte anfangs vermuthlich sich unnuithig und widerwillig
stellen, al)er theijs seine eigene edle Natur, die der Versöli-
Rückkehr der Frau. 337
nung geneigter war als beharrlichen Zorn- und Rachegedanken,
theils energisches Zureden der Freunde auf beiden Seiten Hess
ihn das Geschehene vergeben und für die Zukunft Frieden
schliessen. Zuletzt kam man überein, dass sie in einem be-
freundeten Hause bleiben sollte, bis er in seiner neuen Woh-
nung in Barbican eingerichtet, und alles zu ihrem Empfang
fertig wäre. Sie nahm daher zunächst im Hause der Wittwe
Webber (bei St. Clements-Kirche) ihren Aufenthalt, deren
zweite Tochter viele Jahre vorher mit dem anderen Bruder
(Christoph Milton) verheiratet worden war."
Da die Phantasie freien Spielraum hat, aus diesen mageren.
Notizen sich das Bild der Versöhnung beider Gatten auszumalen,
so ist man mit Vorliebe auf einzelne Stellen der poetischen Werke
]\lilton"s zurückgegangen, um aus ihnen frischere Farben zu
entlehnen. Und vorzüglich in einer Stelle aus dem verlorenen
Paradiese mag, abgesehen von einigen für unsere Eitermutter
schmeichelhaften Ausdrücken, das Gedenken eigener Erlebnisse
pulsiren, jener Stelle, in welcher Adams Mitleid mit der ver-
führten Verführerin , die er eben noch als Schlange verflucht
hat, zum Durchbruch kommt (^):
sie schwieg und weinte; ihre demuthreiche,
Bewegungslose Lage, bis Vergebung
Von ihm für die gestandne Schuld ihr ward,
Erregt in Adam Mitleid. Weicher schlug
Sein Herz für sie, die jüngst sein Leben war,
Sein einziges Entzücken, kummervoll
Zu seinen Füssen flehend jetzt gestreckt.
Ein solch Geschöpf voll Schönheit bittet ihn,
Den sie erzürnt erst hatte, um Verzeihn,
Beistand und Rath. Entwaffnet stand er da,
Sein Groll entwich ....
Wir wissen zwar, dass Mary Powell keineswegs jüngst
..sein Leben, sein einziges Entzücken" war, auch ihre Schön-
heit kann nach den Ausdrücken der Milton"schen Eheschei-
dungs-Schriften nicht von dem bestrickenden Zauber Evas ge-
wesen sein, aber der Dichter verzieh der Bereuenden dennoch,
zumal die Tochter die Hauptschuld ihres Trotzes auf die Mutter
abzuwälzen suchte (2). — Schwerlich konnte nach allem Vor-
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 22
338 Barbicau-Street.
angegangenen die Ehe eine glückliche sein, und die harte
Benrtheilung des weiblichen Geschlechtes, ,, dieses schönen
Fehlers der Natur", die Milton durch's ganze Leben begleitete.
mag in den bitteren Erfahrungen jener Jahre wurzeln. Aber
bald nachdem die Versöhnung erfolgt war, etwa im Spät-
sommer 1645, fand sich die ganze Familie, das junge Paar,
der Vater ]\Iilton, die beiden Neffen, Edward und John Phillips,
nebst den üljrigen Pensionären in der neuen geräumigen Woh-
nung vollzählig beisammen (1). Sie lag nur wenig Minuten
von der bisherigen entfernt in der vorstädtischen Barbican-
Strasse. Hier befand sich auch die Stadtwohnung der gräf-
lichen Familie Bridgew^ater, deren Haupt, einst in fröhlichen
Tagen durch die Aufführung des Comus geehrt, seitdem schwere
Zeiten durchgemacht und sich nur widerwillig zur Unterzeich-
nung des Covenant verstanden hatte (-). Uebrigens blieb der
Charakter der Nachbarschaft der gleiche, ruhig und beinahe
ländlich, für ein tiaus des Lehrens und Lernens ganz ange-
messen.
Vermuthlich war es eines der ersten Geschäfte Milton's
nach dem Umzug eine neue literarische Ueberraschung vorzu-
bereiten. Freilich nicht wieder eine jener verfänglichen Flug-
schriften; mit dieser Art von Veröffentlichungen hatte er für
längere Zeit abgeschlossen. Vielmehr hatte er den begreif-
lichen Wunsch, sich der Welt auch von einer anderen, einer
besseren Seite zu zeigen und sein vornehmstes Talent zur
Geltung zu bringen. Noch Avar ausser dem Comus und dem
Lycidas so gut me gar nichts von seinen Poesieen weiteren
Kreisen bekannt geworden. Es bedurfte nur der Aufforderung
eines gewandten Verlegers, um ihn zu einer Sammlung seiner
Gedichte zu liewegen. nunii)hroy Moseley, ein Freund der
schönen Literatur, der im December 1644 Waller's Gedichte
herausgegeben hatte, später die dichterischen Erzeugnisse der
Cowley, Crashaw, Cartwright als Verlags-Artikel führte, eine
Masse der dramatischen Meisterwerke aus der Zeit Elisabeth's
und Jakob's für den Neudruck erwarb und hie und da wohl
einen Lobvers eigenen Fabiikates lieferte, gieng, wie er selbst
mittheilt, Milton um eine Herausgabe seiner poetischen Werke
Herausgabe der Gedichte. 339
an und konnte sie am 6. Okt. 1645 vorschriftsgemäss in die
Register von Stationers-Hall eintragen. Er versprach sich,
laut der Versicherung seines Vorwortes an den Leser, keinen
grossen materiellen Ge\Yinn von dem Unternehmen, in einer
Epoche, „da das unbedeutendste Pamphlet verkäuflicher ist,
als die Werke der gelehrtesten Männer", aber er war über-
zeugt, sich „um seine Zeit wohl verdient zu machen", indem
er ein so wahres Musenkind an's Licht brächte, wie es seit
den Tagen Spenser's nicht gesehen worden sei. Mit dessen
Gedichten setzte er die englischen Milton's in einen sehr
schmeichelhaften Vergleich ('). Nichts natürhcher, als dass
Milton einem so kunstsinnigen Verleger, der die eigenthüm-
liche Richtung seines jugendlichen Talentes so glücklich be-
zeichnet hatte, vor allen denen, welche seine prosaischen Trak-
tate veröffentlicht hatten, den Vorzug gab. Ein dünner Oktav-
band brachte daher zuerst auf 120 Seiten, was von enghschen
und italienischen Dichtungen bisher vorhanden war, mit Aus-
schluss der Elegie auf den Tod der kleinen Phillips und der
poetischen College -Uebung von 1628. Dann folgten auf
88 Seiten die lateinischen Dichtungen, zunächst die in elegi-
schem Versmass, darauf die übrigen unter dem Gesammt-
namen der ,,Sylvae"; zwei griechische Versuche, die Ueber-
setzung des 114. Psalmes und ein anderes charakteristisches
Fragment (Philosophus ad regem quendam etc.) waren zwischen
sie eingeschoben. Vor dem Comus waren die ehrenden Zeilen
von Lawes und Wotton so wenig vergessen, wie vor den latei-
nischen Gedichten die Komplimente der italienischen P'reunde.
Ein kurzes Vorwort des Dichters suchte den Abdruck der
letzten zu rechtfertigen. Er rechnete sich .,die Meinung weiser
und berühmter Männer" zu einer hohen Ehre an, wies aber
die Zumuthung ab, als wolle er mehr Lob verlangen „als billig
sei". Die möglichst genaue Angabe der Entstehungszeit fast
jedes Gedichtes, die ausdrückliche Bemerkung, dass die lateini-
schen grössten Theils vor seinem zwanzigsten Jahr verfasst
seien, das bezeichnende Motto aus Virgils siebenter Ekloge:
alles deutet auf die Absicht hin, dem lesenden Publikum klar
zu machen, wo die eigentliche Stärke des Autors liege, der
22*
340 Herausgabe der Gedichte.
ihm bis dahin fast nur als stürniischer Pamphletist bekannt
ge\Yorden war.
Nur der Kupferstich vor dem Bändchen, welcher auch mit
den Gesichtszügen des Dichters vertraut machen sollte, war
in Gefahr alles zu verderben. ]\Iilton's Brustbild erschien
hier in einer allegorischen Umrahmung so unähnlich wie
möglich, mit einem halb grimmigen, halb stupiden Gesichts-
ausdruck, einer Stirne, die Salmasius später als ,, eisern"
bezeichnen konnte, in steifer Haltung und alles in allem wie
absichtlich karrikirt. Der Künstler, der dies Machwerk auf
Wunsch des Verlegers geliefert hatte, war nicht der unbe-
deutende ]\Iann, zu dem ihn Milton später hat stempeln wollen,
William Marshall hat als beliebter Zeichner und Stecher
manchen Titelkupfer der Zeit geliefert und wurde namentlich
von Moseley häufig in Anspruch genommen. Er pflegte eine
Skizze nach der Natur zu machen, aber die Umschrift dieses
Porträts, in lächerlichem Kontrast zu dem mürrischen Aus-
druck des keineswegs bartlosen Gesichtes, deutet an, dass
er jenes frühere Bild des einundzwanzigjährigen Milton gleich-
falls als Vorlage benutzt hat (^). Nun hatte der Dichter schon
ohnehin Grund genug, Marshall nicht sehr gewogen zu sein.
In Featley's „Dippers dipt", woselbst des Ketzers Milton ge-
dacht war, hatten sich Karrikaturen von Marshall's Hand zur
Verspottung der einzelnen Sekten befunden. Schon in seiner
Abwehr gegen Featley hatte der Angegritfene in einem unver-
kennbaren Wortspiel auch den Kupferstecher bedacht (^). Mög-
lich, dass die Erinnerung daran jNIilton von Anfang an gegen
]\Iarshall einnahm und ihn unwillig machte, dem Künstler öfter
zu sitzen; gewiss, dass er sich nicht versagen konnte, als der
Stich fertig war, eine geistreiche Rache zu nehmen. Er drang
nicht auf eine Vernichtung der Platte, aber er liess ein Motto
von vier griechischen Versen unter das Brustbild setzen, von
deren Inhalt der Stecher keine Ahnung hatte. Sie enthielten
eine bittere Kritik ^larshairs selbst und gaben ihn dem Ge-
lächter der Freunde Preis, die zwischen dem Original und
dem Nachbild vergleichen konnten. Mit diesen Zeilen giengen
Bild und Buch in die Welt, aber die Feinde Milton's haben
Sonett an Lawes und Katharina Thomson. 341
dennoch beständig Gelegenheit genommen, sich an seiner ver-
pfuschten Physiognomie über Gebühr zu weiden (i).
Einige kleine Gedichte, welche in diesen Jahren entstan-
den sein müssen, konnten bis auf eines erst nach langer Zeit
in einer späteren Auflage der Poesieen dem grösseren Publikum
bekannt werden. Als das dünne aber inhaltreiche Bändchen
unter Moseley's Firma erschien, waren sie vermuthlich sämmt-
lich noch gar nicht vorhanden. Dahin gehört das preisende
Sonett an den „Freund" Henry Lawes, dem höherer Ruhm
zugesprochen wird als jenem Dante'schen Freunde, Casella.
Es war derselbe Lawes, der auch auf dem Titel der Milton'-
schen Gedichte als Komponist der Gesänge zu den Arcades
und zum Comus figurirte. ]\Iit dem geschätzten jNIusiker konnte
der Dichter die früheren Beziehungen um so leichter wieder
anknüpfen, je häufiger Lawes Gelegenheit hatte seine Strasse
aufzusuchen, die auch seine alten Gönner, die vornehme
Familie der Bridgewater, beherbergte. Politische INIeinungs-
verschiedenheit konnte das alte Freundschaftsband nicht zer-
reissen. Die Brüder Lawes waren freilich, wie das bei ihrer
Stellung kaum anders zu erwarten war, royalistisch gesinnt.
Der ältere William war sogar zu den Fahnen des Königs ge-
eilt und hatte, zu grossem Kummer Karl's L. bei der Belage-
rung von ehester (Okt. 1645) den Tod gefunden. Henry hatte
währenddess in London gelebt und sich durch Gesang-Unter-
richt ernährt. Das Gebiet der Kunst musste für ihn wie
Milton ein neutrales sein. Mitten in den Wirren der Revo-
lution (9. Febr. 1646) hat dieser ihm ein Denkmal in jenen
ehrenvollen Versen gesetzt, und Lawes war stolz darauf, sie
1648 seinen „ausgewählten Psalmen" Vordrucken zu können,
die ebenfalls in Moseley's Verlag erschienen und keinem anderen
als dem besiegten König selbst gewidmet sind(-).
Einige andere poetische Schöpfungen beweisen, dass Lawes
nur ein Glied eines grösseren Freundeskreises war, dem sich
Milton in diesem Lebensabschnitt nahe fühlte. Freilich die eine,
wiederam ein Sonett von unvergleichlicher Zartheit und Innig-
keit, ist der melancholische Abschiedsgruss an eine „christliche
Freundin", welche „diese irdische Last des Todes, die man
342 Beziehungen zu Thomasou, P. Young, John Rons.
Leben nennt und die uns vom wahren Leben scheidet, sanft
abgestreift" hatte. Wir kennen nur ihren Namen, Katharina
Thomson, und den Tag ihres Todes, den 16. Dee. 1646, aber
aus den tief empfundenen Worten des Dichters geht hervor,
wie nahe die fromme, mildthätige Verstorbene ihm gestanden
haben muss(^). — Einen humoristischen Charakter trägt dagegen
ein lateinisches Gelegenheitsgedicht, das sich durch eine eigen-
thümliche metrische Form auszeichnet, und dessen Inhalt zu
einer Erwähnung anderer Bekannten Milton's veranlasst. Er
hielt etwas darauf, diesen und jenen durch Dedikations-Exem-
plare seiner Schriften zu erfreuen. Einer der bekanntesten Flug-
schriften-Sammler dieser Zeit, der Buchhändler George Thomason
hat, obgleich er royalistisch gesinnt war, eine ganze Anzahl der
literarischen Erzeugnisse Milton's gleich nach ihrem Erscheinen
von ihm zum Geschenk erhalten (s. d . Anhang) . Ebenso Hess er für
den gelehrten Schotten Patrick Young, welcher der königlichen
Bibliothek in St. James vorstand, es aber mit dem Parlamente
hielt, ein Bändchen seiner bisherigen Prosa-Schriften, mit Aus-
nahme der Skizze über die Erziehung, zusammenstellen und
schmeichelte ihm mit dem W^orte, „er wünsche sich wenige
Leser wenn sie ihm nur glichen" (^). Und etwa gleichzeitig
gieng eine ähnliche Sendung an einen anderen Bibliothekar
von Piuf ab, der den ausdrücklichen Wunsch geäussert hatte,
IMilton's Schriften zu erhalten, und welchem dieser mit der
ausdrücklichen Absicht willfahrte, die Schätze seines Geistes
der Nachwelt überliefert zu sehn. Es war John Rous, der
Vorstand der berühmten Bodleiana, dessen Bekanntschaft Milton
möglicherweise schon 1635 gemacht hatte, (s. o. B. L S. 239) und
der sich inmitten des royalistischen Oxford eine politische Ge-
sinnung bewahrte, die ihn die Denkweise des Dichters würdigen
liess. Auf seine Bitten hatte ihm Milton alles, was er bisher in
Prosa hatte erscheinen lassen, und zugleich das Bändchen
seiner Gedichte zugesandt und sich versprochen, dass die Auf-
nahme seiner Werke „in die altberühmte Bibliothek, wie in
einen Tempel ewigen Gedächtnisses", einen Schutz gegen den
„bösen Willen und die Verleumdung" seiner Feinde bilden
Edwards und Baillie gegen Milton. 343
werde. Er hatte ein eigenhändiges Verzeichnis der einzelnen
übersandten Stücke am Anfange des Sammelbandes der Prosa-
Traktate hinzugefügt, aber das Bändchen der Gedichte, das
auch auf dieser Liste stand, war in Folge irgend eines unglück-
lichen Zufalls nicht angekommen. Rous erbat sich dies daher
von neuem und hatte den Vortheil, zu gleicher Zeit eine
am 23. Jan. 1647 verfasste, kunstvolle lateinische 0(^.e von der
Hand Milton's zu erhalten, die sich in dem nunmehr richtig
anlangenden Exemplar der Gedichte eingeklebt fand. So launig
das mögliche Schicksal jenes ersten verlorenen Exemplares
hier behandelt wird, so bricht doch gleichzeitig die ernste Be-
trachtimg über den „tjaurigen Bürgerkrieg", der den Musen-
sitz Oxford so schwer geschädigt hatte, durch. Und am Schluss
wird wieder mit Siegesgewissheit die Hoffnung ausgesprochen,,
dass einst ..die Enkel" und ein ..klügeres Zeitalter" billiger
als die Gegenwart über diese Aeusserungen seines Geistes,
die der Autor dem Schutze des wackeren Bücherbewahrers
anvertraute, urtheilen werden (^).
Milton hatte gute Gründe, so deutlich auf die Verleum-
dungen und Angriffe anzuspielen, deren richtige Würdigung
er erst von einer fernen Zukunft erwartete. War sein Weib
auch zurückgekehrt, hatte er selbst die Kontroverse über die
anstössige Frage der Ehescheidung ruhen lassen, so hatte man
doch im presbyterianischen Lager seiner nicht vergessen.
Seine letzten Schriften, die sich mit jenem Thema be-
schäftigten und vorzüglich „Tetrachordon" hatten den grössten.
Unwillen erregt, und unter den presbyterianischen Schrift-
stellern, deren Ketzerverzeichnisse die Zeit über die ihr drohen-
den Gefahren aufklärten, hatten zwei sich veranlasst gesehn,
Milton beim Namen zu nennen. Beide waren Männer von
Bedeutung, jener Thomas Edwards, der im ersten Theil seiner
Gangraena, Anfang 1646, „Milton's Lehre von der Eheschei-
dung" als „Irrthum, Ketzerei und Blasphemie Nr. 154" be-
zeichnet hatte, und jener Piobert Baillie, das wichtige schotti-
sche Mitglied der Synode, dessen „Warnung vor den Irrthü-
mern der Zeit" Ende 1645 in ihrem ersten Theile nicht dem
Independentismus als solchem SchuJd geben Avollte, was ,,Mr.
344 Sonette gegen die Presbyteriauer.
Milton" und in ähnlicher Weise höchstens dieser oder jener
aus ,,Neu-England-' über ,,die volle Freiheit sein Weib zu Ver-
stössen" gelehrt habe(^). Auch kamen beide in Fortsetzungen
dieser Schriften wiederholt auf Milton zurück.
So vielfachen Angriffen ausgesetzt, griff auch er wieder
zu den Waffen. Aber wenn er sich bisher gegenüber dem
Presbyterianismus, wie einst gegenüber dem Prälatismus, des
Streitkolbens wuchtiger Prosa bedient hatte, so schoss er nun,
durch die Herausgabe seiner Gedichte wieder auf sein altes
Feld zurückgeführt, seine scharfen poetischen Pfeile gegen ihn
ab. Freilich wurden seine Verse erst lange nachher durch
den Druck bekannt, aber sie mögen doch damals wenigstens
Freunden des Dichters nicht vorenthalten worden sein. Für
polemische Zwecke musste die Form des Sonetts, welche Milton
seit seiner italienischen Reise mit sichtlicher Vorliebe pflegte,
ihm erst recht geeignet scheinen. Legte sie ihm auch eine
gewisse Beschränkung auf, so war sie dem Ausdruck reiner
Reflexion entschieden günstig und konnte durch einschnei-
dende Wendung vorzüglich gegen den Schluss hin höchst wirk-
sam werden. Unter dem gemeinsamen Titel: „Auf die Ver-
leumdung, die meiner Abfassung gewisser Traktate folgte",
sind zwei Sonette etwa Anfang 1646 entstanden, von denen
das eine mehr einen humoristischen, das andere mehr einen
pathetischen Charakter an sich trägt (2). Dieses scheint zu-
folge der Cambridger Handschrift der Milton'schen Gedichte
das frühere zu sein. Es spricht grob genug von dem „barba-
rischen Lärm der Eulen, Kuckucks, Esel, Afiien und Hunde",
der sich gegen ihn erhoben, welcher seinem Geschlecht die
„alte P'reiheit" zurückerobern wollte:
Nach Freiheit brüllen sie in blinder Wuth
Und murren, will die Wahrheit sie befrei'n.
Sie meinen „Frechheit", wenn sie „Freiheit" schrci'n;
Denn wer die liebt muss weise sein und gut.
Sie aber sind für solchen lluhm zu klein,
Trotz aller Opfer so an Gut wie Blut.
Das andere Sonett dagegen macht sich lustig über das
begreifliche Erstaunen , mit dem man einen Titel wie den
Sonette gegen die Presbyterianer. 345
„Tetrachordon" begrüsst hatte. Es wäre vergebliche Mühe,
die Reimkunststücke nachahmen zu wollen, die Milton mit
Zugrundelegung des fremden Wortes in den Quadernarien
zum besten giebt. Wie zum Trotz zeigt er, dass es möglich
ist, Reime darauf zu finden. Aber er fragt zugleich seine
ungelehrten Kritiker, ob denn dies bespöttelte Wort so viel
schwerer zu behalten und auszusprechen sei, als die schotti-
schen Namen Gordon, Colkitto, Macdonell, Galasp, die damals
in aller Munde waren, deren drei letzte ein und dieselbe Per-
sönlichkeitbezeichneten, jenen gigantischen Hochländer, welcher,
wie mehrere der Gordons, Montrose bei seinem abenteuer-
lichen Kampfe für die Sache des Königs zur Seite stand. Das
waren Erinnerungen, die den Presbyterianern nur unangenehme
Empfindungen erwecken konnten.
Noch empfindlicher mussten sie aber durch ein drittes
Gedicht verletzt werden, ein Sonette colla coda, dessen Ent-
stehungszeit allerdings nicht mit Gewissheit anzugeben ist(^).
Sein ursprünglicher Titel : „Auf die Gewissenstyrannen", wurde
später im Druck durch die Erweiterung : „Auf die neuen
Gewissenstyrannen unter dem laugen Parlament" noch mehr
verdeutlicht (2). Niemand anders als die presbyterianische
Geistlichkeit in Bausch und Bogen ist damit gemeint, aber
die persönlichen Angriffe, die Milton von dieser Seite erfahren
hatte, bewogen ihn, bei der ersten Niederschrift sogar des
„ohrenlosen Prynne" zu gedenken, sodann aber u. a. den
„seichten (nach dem ersten Koncept den „verrückten") Edwards"
und den „Schottischen wie heisst er doch" mit welchem un-
zweifelhaft Baillie gemeint ist, ausdrücklich hervorzuheben.
Das sind die Leute, „von denen sich Männer im Druck als
Ketzer gebrandmarkt sehen müssen, deren Leben und Gelehr-
samkeit, Glaube und Reinheit der Absicht vom Apostel Paulus
hochangesehn gewesen sein würden". Das ist die Genossen-
schaft, die sich der „Prälatenherrschaft entledigt", die Liturgie
abgeschworen hat, um das alte System in anderer Form wieder
aufzurichten, vielfache Aemter und Würden in einer Hand zu
vereinigen, die „von Christus befreiten Gewissen zu knechten"
und durch ihre „Hierarchie mit ihren Klassen- Versammlungen
346 Umbildung des Heeres.
ZU herrsehen". Aber der Dichter hofft, dass alle diese „Schliche,
schlimmer als die von Trient", entdeckt, und dass die herrsch-
süchtigen Pläne des neuen Klerus zu Schanden gemacht werden.
Er rechnet auf das Parlament und hat in epigrammatischer
Kürze das Wort der Anklage herausgefunden, das nach seinen
Wünschen die Vertreter der Nation den „neuen Gewissens-
tyrannen" entgegenschleudern werden. Es ist nur eine Ver-
schärfung jenes Ausspruches der Areopagitica, „dass Bischöfe
und Presbyter dem Namen wie der Sache nach dasselbe be-
deuten", durch das Spielen mit dem Worte „Presbyter" (Aeltester)
besonders geistreich, aber ebendeshalb am besten in originaler
Fassung erkennbar:
,,New Presbyter is but old Priest writ large".
Es war für einige Zeit das letzte Wort, das Milton's Zorn
dem Presbyterianismus zurief. Auch dieses in seiner vernich-
tenden Härte wird erst erklärlich, wenn man sich erinnert,
welchen Gang die grossen Angelegenheiten von Staat und
Kirche inzwischen genommen hatten.
Nach den durchgreifenden Beschlüssen des Parlaments
war die Reorganisation des Heeres mit raschen Schritten im
Frühjahr 1645 vorwärts gegangen. Allerdings an mancherlei
Hindernissen einer so gründlichen Umänderung, der Ver-
schmelzung der bestehenden Armeen in eine und des Wechsels
in den wichtigsten Posten, hatte es nicht fehlen können.
Aber die Absichten derer, welche auf Neuordnung des Mili-
tärwesens gedrungen hatten, wurden doch erreicht. Ein ein-
heitliches Heer von über 20,000 Mann kam zu Stande, dessen
Zusammensetzung und Leitung sich nach eben den Grund-
sätzen richtete, welche Cromwell bisher in seinem beschränkten
Kreise angewandt hatte. Die Rücksichten auf eine bestimmte
religiöse Richtung, auf Ansprüche von Stand und Alter traten
zurück hintoi- dem Endzweck, ein tüchtiges und gefügiges
Instrument für die energische Führung des Krieges zu
Umbildung des Heeres. 347
schaffen. In der Masse der Regimenter waren jene Sekten,
deren Erinnerung- den strengen Presbyterianer schaudern Hess,
vielfach vertreten. Neben den Trägern altberühmter Namen
in den oberen Ofticierstellen, erblickte man u. a. einen John
Hewson, der von Haus aus ein Schuhmacher, einen Thomas
Harrison, der zuvor Schreiber bei einem Advokaten gewesen
sein soll, einen John Okey, dem die Royalisten eine Reihe
von untergeordneten Berufsarten, vom Kärrner bis zum Licht-
zieher, nachrechneten. So auffallend die Jugend vieler der
höheren Officiere erscheinen musste, so grosse militärische
Talente waren unter ihnen verborgen, und dieser und jener,
den seine Fähigkeiten* in der Folge hoch emporhoben, war
Milton persönlich genau bekannt oder konnte später von ihm
dem Kreise seiner Freunde zugerechnet werden. Crom-
weirs Verwandtschaft war bei der Besetzung der höheren
Posten nicht schlecht bedacht worden, und den genialsten
Soldaten selbst wollte man in dem Rahmen des neuen Heeres
nicht missen. Zu der Zeit als man über die zweite Selbst-
entäusserungs-Ordonnanz schlüssig wurde, befand sich Crom-
well mit Waller auf einer Expedition im Westen. Von ihr
zurückgekehrt, erhielt er sofort von dem „Committee der
beiden Königreiche" einen neuen militärischen Auftrag in
Oxfordshire, dessen er sich mit gewohntem Geschick ent-
ledigte, noch ehe die vierzig Tage verstrichen waren, nach
deren Ablauf auch er, als Parlamentsmitglied, sein Kommando
niederzulegen hatte. Aber zunächst verlängerte eine parlamen-
tarische Ordonnanz die Frist wie für andere, so für den Unent-
behrlichen auf weitere vierzig Tage. Danach kam am 10. Juni
1645 eine Petition des Höehstkommandirenden und anderer
Officiere zur Verlesung, die in einem kritischen Augenblick
des Krieges Cromwell dringend für die leer gelassene Stelle
des Lieutenant-Generals erbat, und der man sich um so
w^eniger zu widersetzen wagte, da der Wortlaut der neuen
Selbstentäusserungsbill einer Wiederanstellung einzelner Par-
lamentsmitglieder nicht entgegenlief. Man wä,hlte auch jetzt
noch die Form wiederholter Fristerstreekung, ohne daran zu
denken, sie jemals widerrufen zu wollen.
348 Feldziig von 1645.
So hatte der Independentismus durch die neue Orga-
nisation entschieden an Kraft gewonnen. Vom Inhaber des
höchsten Postens hatten die Preshyterianer nichts zu hoffen.
Die zweite Stelle nahm der „grosse Independent" selber ein,
der von Anfang an das treibende Element des Ganzen war.
Unter den Feldpredigern spielten hervorragende Independenten,
•wie jener aus Amerika herübergekommene Hugh Peters,
keine kleine Rolle, Und die IMasse des Heeres fühlte sich
als eine einheitliche Körperschaft, deren Glieder stolz darauf
waren, als freie Engländer und nicht des Soldes wegen die
Waffen ergriffen zu haben, fähig, religiösen Enthusiasmus mit
strengster Disciplin zu verbinden, heute mit Gesang und
Gebet in frommen Konventikeln vereint, um morgen als
Männer von unbedingtem Gehorsam und todverachtendem
Muth dem Feinde entgegenzutreten. —
Der Feldzug des Sommers 1645 offenbarte, welche Kraft in
demneuen Heere verborgen lag, so sehr sich auch hie und da noch
die Mängel fühlbar machten, die jede grosse Umbildung der Art
bei ihren ersten Proben mit sich zu führen pflegt. Der König
hatte freilich seine besten Hoffnungen auf die Verwirrung ge-
setzt, die im Augenblick dieser Umbildung auf der Seite seiner
Gegner eintreten müsse, und sich überhaupt entsprechend
der sanguinischen Art seines Naturells ein reiches Bild der
kommenden Erfolge ausgemalt. Aus Schottland von Mont-
rose tönte Siegesbotschaft auf Siegesbotschaft zu ihm herüber.
Von den katholischen Rebellen Irlands, mit denen er heimlich
über einen Frieden verhandeln liess, erwartete er ansehnliche
Hilfe. Durch die Bemühungen der Königin hoffte er in der
zusammengewürfelten Armee des Herzogs von Lothringen
werthvolle Unterstützung zu erhalten. Auch brachte ihm der
Beginn des Feldzuges mehr als einen Triumph. Im Westen,
dessen loyale Bevölkerung den jungen Prinzen von Wales
freudig in ihrer Mitte begrüsste, stand seine Sache vor-
trefflich. Selbst Taunton, eine der wichtigsten parlamentarischen
(Jarnisonen, durch Robert Blake's heroische Vertheidigung
unsterblich geworden, schien mehr als ein Mal den unsäglichen
Leiden der Belagerung erliegen zu müssen. In den Mittel-
Feldzuff von 1645. S49
landen, unterstützt durch die Prinzen Rupert und Moritz von
der Pfalz, nahm der König nach wie vor eine bedrohliche
Stellung ein, bereit, je nach dem gegen die Hauptstadt, die
östliche Association oder nordwärts vorzubrechen. Durch
frische Truppen aus dem Westen verstärkt, mit Rupert
glücklich vereint, machte er sich im Mai in der That in dieser
letzten Richtung auf und schien dadurch die Absicht einer
Vereinigung mit ]\Iontrose kundzugeben. Kaum wurde die
Nachricht seines Anmarsches bekannt, als ehester, so wichtig
wegen der Verbindung mit Irland, das parlamentarische Be-
lagerungsheer abziehen sah, und das schottische Heer im
Norden, das sich nur zögernd etwas vorwärts bewegt hatte,
eilig wieder zurückwich. Inzwischen hatte sich Fairfax, aus
den westlichen Grafschaften herbeigerufen, mit Cromwell ver-
bunden, und beide schickten sich an, Oxford zu belagern, den
Sitz des Prinzen von York, das Hauptquartier des Royalismus^
dessen Eroberung in Abwesenheit des Königs nicht unmöglich
erschien. Aber schon hatte dieser selbst eben deshalb die
Richtung seines Zuges geändert. Er wandte um nach Stafford-
shire, drang weiter südöstlich in Leicestershire ein und
stürmte am 30. ]\Iai die Stadt Leicester, deren Bürgerschaft
die ganze Zügellosigkeit der Kavaliere zu erfahren hatte.
Sofort eilte Cromwell den bedrohten östlichen Grafschaften
zu Hilfe, Fairfax brach die Belagerung von Oxford ab, um
dem König entgegen zu ziehen, in London war alles, unter
dem Eindruck der letzten Nachrichten, voll Eifer, dem Heere
Verstärkungen zugehen zu lassen. Man sehnte sich nach einem
entscheidenden Schlage, und der König hatte das Seinige
gethan, die Möglichkeit eines solchen herbeizuführen.
Auf der einen Seite, von seinem Neffen Rupert gedrängt,
seinen Marsch nach Norden wieder aufzunehmen und dadurch
die Feinde hinter sieh herzuziehen, auf der andern, von
Lord Digby, Oxford zu Hülfe zu eilen, hatte er weder in
dieser noch in jener Richtung entschiedene Schritte gethan^
sondern in sorglosem Optimismus inne gehalten, um Ver-
stärkungen abzuwarten. Da zog sich das Netz des Verderbens
um ihn zusammen. Fairfax koncentrirte um Northamptoii
350 Schlacht von Naseby.
seine Streitkräfte. Cromwell, eben damals vom Hause der
Gemeinen als General-Lieutenant bestätigt, traf mit seiner
Reiterei bei ihm ein. Noch dieselbe Nacht machte Henry
Treten, der von der Jurisprudenz zum Soldatenhanchverk
übergegangen war, und den ganz England bald als Cromwell's
genialen Schwiegersohn kennen lernte, einen rekognoscirenden
Angriff, welcher bewies, dass der König nunmehr doch auf's
neue den Weg nach Norden einschlagen wolle. Aber die
überlegenen Feinde so dicht auf den Fersen, liess sich diese
Absicht nicht mehr ausführen. Es blieb nichts übrig, als die
Schlacht zu wagen, und Karl I. entschloss sich, dem Feinde
entgegenzurücken. So kam es am 14. Juni zu dem Ent-
scheidungskampfe, der seinen Namen vom Dorfe Naseby er-
halten hat, auf dessen Anhöhen die parlamentarische Armee
sich ordnete. Ihre Reiterei, Cromwell zur Rechten, Ireton
zur Linken, bildete die Flügel, Skippon stand mit dem
Fussvolk im Centrum. Auf einer ähnlichen Bodenerhebung,
südlich von Harborough, stellte der König seine Truppen auf,
gleichfalls die Masse des Fussvolks eingerahmt von der Ka-
vallerie, Prinz Rupert auf dem rechten Flügel, Sir Marmaduke
Langdale auf dem linken. Auf beiden Seiten fanden die Ge-
schütze günstige Stellungen auf den Anhöhen, beide hatten
ansehnliehe Reserven hinter sich. Wie gewöhnlich riss auch
hier Ruperts Ungestüm zum überstürzten Angriff gegen den
besonnenen Gegner fort. Auch blieb ihm selbst sein altes
Reiterglück treu. In unwiderstehlichem Ungestüm sprengte
er Ireton's Schwadronen auseinander, ihr Führer, mit ver-
zweifelter Wuth kämpfend, wurde verwundet und gerieth vor-
üboi-gehend in Gefangenschaft. Aber auch darin blieb der
wilde Prinz sich gleich, dass er, rücksichtslos vorwärts stür-
mend, durch die Reserven in's Lager und in die Bagage der
Feinde einbrach, wodurch er sich starke Verluste zuzog und
auf dem Schlachtfeld weilhvolle Minuten versäumte. Hier
hatte währenddess das Fussvolk in erbittertem Kampfe mit
einander gerungen. Unter den Augen des Königs hatten
seine Regimenter mehrere der Gegenseite geworfen, Skippon
ward schwer verwundet, Fairfax sprengte, nachdem ein Säbel-
Schlacht von Naseby. 351
hieb ihn seines Helmes beraubt, baarhäuptig durch die
Reihen und suchte durch persönliche Tapferkeit die Ordnung
wieder herzustellen. Die Entscheidung kam auch dies Mal
von Cromwell. An seinen Eisenseiten prallte der feindliche
Angriff ab, aber seinem eigenen Ansturm, dem Feuer der
Karabiner, den Hieben der Schwerter war der Gegner nicht
gewachsen. Er trieb ihn in die Flucht, wandte sich, um
dem Fussvolk Luft zu machen, erfüllte die feindlichen Regi-
menter mit panischem Schrecken und hatte noch Kräfte
genug zum letzten Stoss zur Verfügung, während der König
mit Wort und That umsonst sich bemühte, aus den Trümmern
seines Schlachthaufens und Ruperts abgehetzten Schaaren
€ine neue Truppe des Widerstandes zu bilden. Als alles ver-
loren war, floh er an der Spitze der zusammengerafften Reiterei
in der Richtung nach Leicester. Seine Kanonen, seine Fahnen
und Waffen, sein Lager nebst den Damen vornehmen und niederen
Standes, die den Kavalieren gefolgt waren, wurde erbeutet.
Es war verhängnisvoll für den König, dass hier auch
«in grosser Theil seiner Briefschaften in die Gewalt seiner
Feinde gerieth. Man erhielt einen überraschenden Ein-
blick in seine Korrespondenz mit der verhassten Königin,
seine Unterwürfigkeit unter ihre Rathschläge, seine Absicht,
fremde Truppen in's Land zu führen, seine Pläne, den Katho-
liken als Preis für ihre Unterstützung Befreiung von den
Strafgesetzen zu gewähren, sein Verlangen, sich gegen frühere
Zugeständnisse des Parlaments zu entledigen, seine diplo-
matischen Intriguen und Winkelzüge. ISiemals war der
Gegensatz seiner feierlichsten Erklärungen und seiner wirk-
lichen Intentionen so deutlich hervorgetreten. Die öffentliche
Vorlesung der Papiere vor der londoner Bürgerschaft in der
Guildhall, die Bekanntmachung durch den Druck erregte
einen Sturm der Entrüstung in den puritanischen Gemüthern,
die sich aufs neue überzeugt hielten, die Freiheiten des
Landes und den Bestand des Protestantismus nur durch
siegreiche Beendigung des Kriege i^chützen zu können.
Inzwischen hatte das parlamentarische Heer seinen ausser-
ordentlichen Sieg mit Eifer verfolgt. Leicester musste kapi-
352 • Folgen.
tuliren. Der König gab sehr bald die Absicht auf, nach
Norden zu entweichen, und warf sich an die Grenze von
Wales. Prinz Rupert trennte sich von ihm, um Bristol zu
halten. Aber Schlag auf Schlag zertrümmerten die feind-
lichen Schaaren alle Hoffnungen, welche den Royalismus bis
dahin in den südwestlichen Grafschaften erhoben hatten.
Das tapfere Taunton sah sich nun endgiltig befreit. Die
königlichen Truppen unter Goring wurden zersprengt. Ein
fester Platz nach dem andern fiel in Fairfax' und Cromwell's
Gewalt. Das Landvolk, das sich in diesen Gegenden eine
selbstständige Organisation gegeben hatte, anfangs, um
sich gegen die soldatische Gewalt von beiden Seiten zu
wehren, alsdann für einen Ausgleich mit dem König thätig,
konnte den Siegeslauf der parlamentarischen Truppen nicht
aufhalten. Zugleich kam die Nachricht von kriegerischen
Erfolgen des Parlaments im Norden, von der Einnahme Car-
lisle's durch das Hilfsheer der Schotten, ihrem entschiedenem
Vorrücken nach Süden, ihrer Einschliessung Hereford's. Von
Irland, vom Festland war so bald keine Hilfe zu erwarten.
Mehr als einer der Vertrauten, Prinz Rupert selbst von.
Bristol aus, rietheu dringend zum Frieden.
Karl I. hatte ein Auge für den drohenden Ruin, aber
im Moment der höchsten Bedrängnis hielt er entschiedener
als je daran fest, die von den früheren Monarchen über-
kommene „kirchliche und militärische Gewalt der Krone"
nicht mindern zu lassen und „seine Freunde nicht aufzu-
geben". Und von einer Seite winkte der königlichen Sache
noch eine Hoffnung. Montrose hielt den ganzen Sommer auf
seiner Siegeslaufbahn nicht inne und trieb die Streitkräfte
der Covenanters, wo immer er auf sie traf, auseinander. Da
der König nicht wagen konnte, mit dem Material, das er
aus Wales aufgeboten hatte, den bedrängten südwestlichen
Grafschaften zu Hilfe zu eilen oder den Entsatz von Here-
ford zu versuchen, führte er mit wenig Reiterei, ohne von
den Schotten belästigt zu werden, einen kühnen Zug quer
durch's Land in nordwestlicher Richtung aus, zog in Notting-
lianishirc einige Verstärkungen an sich und rückte bis Doncaster
Kapitulatiou vou Bristol. 353
vor, um von dort eine Vereinigung mit Montrose zu bewerk-
stelligen. Aber die schottische Reiterei unter David Leslie,
vom Hereforder Belagerungsheer losgelöst, war ihm auf den
Fersen, parlamentarische Truppen waren im Anrücken, sein,
eigener Anhang war schwach, und er beeilte sich, um einer
Katastrophe zu entgehen, sich wieder südwärts zu wenden.
Am 29. August langte er in Oxford an.
Xoch einmal riss ihn die Nachricht des grössten Sieges
Montrose's bei Kilsyth (15. August), der Glasgow und Edinburg
in seine Gewalt gab, zu neuen Unternehmungen fort. Er brach
auf, um Hereford zu entsetzen, aber schon ehe er anlangte,
hatten die Schotten die* Belagerung aufgehoben, um sich, er-
schreckt durch die Berichte aus der Heimat, ihren Grenzea
wieder zu nähern. Er beabsichtigte darauf Bristol zu Hilfe zu
kommen, dessen Einschliessung Fairfax begonnen hatte. Aber
da er die von Piupert vertheidigte Stadt auf lange Zeit für wider-
standsfähig hielt, zog er sich wieder, wie nach der Schlacht von
Xaseby, einige Tage auf das Schloss Ragland zu dem getreuen
Marquis von Worcester zurück, dem grossen katholischen
Lord, dessen Sohn, Lord Herbert, Graf von Glamorgan, heim-
lich für den König in Irland thätig war. Da traf ihn die uner-
wartete Botschaft, dass Prinz Rupert nach einem Sturm der
Belagerer Bristol, den Hauptstützpunkt des Royalismus im
Westen, überliefert habe (IL September). Aufs neue er-
schien die Vereinigung mit Montrose als einzige Rettung (i).
Durch die Berge von Xord- Wales gieng der schwierige "Weg,
dessen nächstes Ziel die Befreiung des wieder belagerten
ehester bildete. Aber obwohl der König in die Stadt ge-
langte, geriethen die Royalisten doch zwischen das Feuer der
Belagerer und der Verfolger. ]\Iit empfindlichem Verlust sah
sich der König auch jetzt von der Strasse nach Norden ab-
gedrängt. Zugleich musste er erfahren, dass auch dort seine
letzte Stütze gebrochen, dass Montrose am 13. September bei
Philiphaugh im Forst von Ettrick an der Grenze beider Länder
von Leslie's Reitern überfallen , und dass aus dem glänzenden
Sieger in wenig Stunden ein machtloser Flüchtling geworden war.
Die Lage Karls. L wurde immer verzweifelter, und der
Stern, Miltou u. s. Zeit. I. 2. 23
354 Niederlage Montrose's bei Philiphaugh.
Plan, England zu verlassen, um sich den Winter auf der Insel
Anglesey zu verschanzen, tauchte auf. Er wurde aufgegeben,
ohne dass der gefahrvolle Marsch nach Newark Aussicht auf
irgend welchen Erfolg hätte bieten können. Hier stellte Prinz
Rupert sich wieder ein, mit welchem der König nach dem
jähen Verluste Bristols auf Digby's Betreiben vollständig ge-
brochen hatte. Eupert erwirkte zwar vom Kriegsrath eine
Ehrenerklärung, aber der Riss zwischen ihm und dem König,
durch Kränkungen seiner militärischen Freunde erweitert,
gieng so tief, dass nach einer lieftigen Scene der Prinz nebst
seinem Bruder zu dem Entschluss gelangte, England zu ver-
lassen. Sein Gegner im königlichen Rath, Lord Digby, auf
einem tollkühnen Zuge nach Schottland begriffen, von wo ihm
täuschende Nachrichten eines neuen Erfolges Montrose's zu-
gekommen waren, entgieng eben damals mit knapper Noth
und Hinterlassung wichtiger Papiere der Gefangenschaft und
hatte Mühe, sich nach Irland zu retten. Und so sah sich
Karl inmitten seines Unglücks derer beraubt, an denen er
bisher einen Halt gefunden hatte, und durch die Gegensätze,
die sich in seiner unmittelbaren Nähe unter den Höflingen
und Soldaten regten, schmerzlich berührt.
Nachdem seine Aussichten von Monat zu Monat trüber
geworden, und die ganze Zeit seit Naseby in nutzlosen Märschen
vergeudet worden war, brach er mit ein Paar hundert
Reitern auf, um, von Ort zu Ort gehetzt, im alten Haupt-
([uartier Oxford für den Winter wenigstens Ruhe und Bequem-
lichkeit zu finden. Die Versöhnung mit seinem Neften, die
liier erfolgte, konnte keine Entschädigung für die ungeheuren
Verluste bieten, welche die Sache des Royalisnuis in diesem
W^inter durch das ganze Reich erlitt. Der grosste Theil der
königlichen Garnisonen, die Schlösser der Kavalieie, die bis
dahin ausgehalten hatten, öffneten vor dem Donner von
Fairfax' und CromwelFs Geschützen die Thore. In Coi-n-
wallis und Devonshire, dem letzten bedeutenden Sitz der
königlichen Macht, lähmte die Uneinigkeit zwischen dem Rathe
des Prinzen von Wales und dem militärischen Kommando
den Widerstand. Desertion und Insubordination sahen sich
Der König in Oxford. — Glamorgau in Irland. 355
durch mehr als ein Beispiel von oben ermuthigt. Der Prinz
von Wales mit seinem Gefolge, Hyde, Colepepper etc. wurde
genöthigt, auf die Scilly-Inseln überzusetzen (2. März 1646).
Der tapfere Sir Ralph Hopton folgte ihm nach, als seinen
Truppen nichts übrig blieb, als die Waffen zu strecken. Sir
Jacob Astley, im Begriff, die Richtung nach Oxford zu nehmen,
wurde in Gloucestershire zur Ergebung gezwungen. Und Oxford
selbst, schon seit Ende 1645 von parlamentarischen Truppen
bewacht, ward im Frühjahr 1646, nachdem jene Burgen des
Boyalismus gebrochen waren, immer enger umschlossen.
In Schottland war die Herrschaft der Coveuanters neu
befestigt. Montrose bemühte sich vergeblich, in den Hoch-
landen einen zweiten Aufstand zu orgauisiren, und Argyle
nahm an den Genossen seines romantischen Gegners eine
blutige Rache. Noch schwerer war die Einbusse, welche das
königliche Ansehen durch die Entwickelung der Dinge in
Irland erlitt. Schon längst stand Glamorgan, gestützt auf
private Vollmacht des Königs, welche über die des Statt-
halters Ormond weit hinausgieng, mit den irischen Katho-
liken und dem päbstlichen Nuntius für Irland in Verbindung.
Es war ihm im August 1645 gelungen, einen Friedensvertrag
zu Stande zu bringen, nach welchem eine starke irisch-katho-
lische Hilfsleistung im englischen Bürgerkrieg mit Gewährung
freier Religionsübung und Ueberlassuug aller seit dem Ge-
metzel von 1641 ergriffenen Kirchengüter belohnt werden
sollte. Ein Abkommen, das, für vertraute Rathgeber des
Königs selbst ein tiefes Geheimnis, und seinerseits unter
dem stillen Vorbehalt möglicher Verwerfung getroffen, ein
schweres Unrecht durch ein anderes zu sühnen drohte, und
dessen Bekanntwerden das reizbare protestantische Gefühl
bei Freund und Feind in den schwärzesten Befürchtungen
bestärken musste(^). Schon traf Glamorgan Anstalten, in Ge-
mässheit des geheimen Vertrages jene gefürchtete cel tische
Mannschaft auf englischen Boden überzuführen, als das Parla-
ment den Wortlaut des Paktes und andere darauf bezügliche
Papiere, die ein glücklicher Zufall ihm in die Hand gespielt
hatte, veröffentlichen Hess. Es war der schwerste Schlag,
23*
356 Cromwell für Tolerauz.
der Karl versetzt werden konnte, besonders empfindlich, da
er inmitten der Verhandlungen erfolgte, die er von Oxford
aus mit seinen . Gegnern angeknüpft hatte. Wenn er selbst
kühn genug war, Glamorgan's Verfahren als durchaus eigen-
mächtig zu bezeichnen, so konnte dies den allgemeinen Arg-
wohn eben so wenig entkräften, wie dass Ormond und Digby
für kurze Zeit Glamorgan in Haft nahmen. — Seit Naseby
war eine Niederlage auf die andere gefolgt. Nicht mehr auf
die eigene Kraft, nur noch auf den Zwiespalt der Gegner
war einige Hoffnung zu setzen.
In der That war die Kluft, die sich zwischen den beiden
Parteien des Puritanismus aufgethan hatte, immer breiter
geworden. Der Independentismus hatte mit jedem neuen
Siege der umgebildeten Armee eine neue Stärkung erhalten.
Die Briefe, welche Cromwell nach so unerwarteten Erfolgen
an den Sprecher des Hauses richtete, waren als eben so viele
Willensäusserungen dieses Heeres zu betrachten, dessen Masse
den Piath zu London nicht verderben lassen wollte, was die
That auf dem Schlachtfelde errungen hatte. „Ehrliche Leute,
— heisst es nach Naselty — dienten euch wacker bei dieser
Aktion. Sir, sie sind treu, ich bitte euch im Namen Gottes,
entmuthigt sie nicht. Ich wünsche, diese Aktion möge alle,
die es angeht, dankbar und demüthig machen. Wer sein
Leben für die Freiheit seines Landes wagt, . . verlässt sich
auf Gott wegen der Freiheit seines Gewissens und auf euch
wegen der Freiheit, für die er kämpft." Noch ausführlicher
Hess er sich nach der Einnahme von Bristol hören. Sie ist
ihm das „Werk Gottes", und die Soldaten fühlen sich al&
..Werkzeuge zum Puhme Gottes und zum Heile ihres Landes" ..
„Presbyterianer, Independenten, alle haben hier denselben
Geist des Glaubens und des Gebets . . sie sind einig, nicht
durch Parteinamen getrennt, schade, dass es irgendwo anders
ist! Alle die glauben, haben die wirkliche Einheit, die sehr
herrlich ist, weil imierlich und geistig, in dem Leibe (der Kirche)
Cromwell für Toleranz. 357
und in ihrem Haupte (Christus). Denn jeder Christ, wenn
er auch sonst (mit anderen) in bestimmten Formen, nach
sog. Uniformität, vereint ist, wird doch um des Friedens
willen alles thun und erstreben, was sein Gewissen ihm
erlaubt. Und unter Brüdern sehen wir in geistigen Dingen
auf keinen Zwang, als auf den der Erleuchtung und Vernunft.
In anderen Dingen, zur Schreckung der Bösen und zur Be-
lohnung der Guten, hat Gott das Schwert in die Hände des
Parlaments gelegt. Wer sich dagegen sträubt, kennt die
Schrift nicht, wer euch das, unter welchem Vorwand auch
immer, entringen will, wird hoffentlich nicht zum Ziele
kommen" (^). — Dunkel genug bleibt auch hier an mehr als
einer Stelle die abgerissene Sprache des mächtig erregten
Mannes, aber so viel geht aus seinen Worten hervor, dass
er die Staatsgewalt sehr ernstlich abmahnt, in Fragen des
Gewissens einen Zwang auszuüben, dass er dem Grundsatz
der Duldung abweichender Gestaltung des kirchlichen Lebens
sehr nachdrücklich das Wort redet. Es war nicht der Inde-
pendentismus eines Rogers Williams, der dem Staate überhaupt
jede Befugnis kirchlicher Organisation absprach, und unter
der Vollmacht, die ,.Bösen (evil-doers) zu schrecken" konnte
sich ein gutes Stück staatlicher Tyrannei gegen Glauben,
Kultus und Kirchen - Verfassung bergen, aber es war doch
noch weniger die Engherzigkeit der zelotischen Presbyterianer,
welche nur ein einziges Schema gestatten wollten, nach dem
sich jeder seine Seligkeit sollte zuschneiden lassen.
Auch war man sich auf dieser Seite mit Schmerzen bewusst,
wie wünschenswerth es sei, jenem siegreichen Heere, dessen
Abgott eine solche Sprache zu führen wagte, und in dessen
Eeihen man bittere Worte des Spottes über die Synode hören
konnte, ein militärisches Gegengewicht entgegenzustellen.
Auf die Thaten der Schotten kam es dafür auch dies IMal an.
Wäre das Heer seiner Landsleute nur in guter Verfassung,
meint Baillie am 25. April 1(345, ..so würden alle diese Wolken
schwinden . wir würden die Herzen dieses Volkes zurückge-
winnen und mit allen Sektirern nach Belieben verfahren" (^).
Aber statt slorreicher Thaten der schottischen Hilfsarmee
358 Furcht der Presbyterianer.
liörte man den ganzen Sommer hindurcli nur von den Triumphen
^Montrose's, und selbst als sie, nachdem Fairfax und Cromwell
das Beste gethan, sich vorwärts bewegt hatte, brach sie bald
genug wieder nach Norden auf, um den parlamentarischen
Truppen die Hauptarbeit zu iiberlassen. Geraume Zeit nach
der Besiegung Montrose's rafften sich die Schotten zur Be-
lagerung Newark's- auf. Allein das gute Verhältnis der beiden
Nationen war gestört, und die gegenseitigen Klagen und Be-
schwerden hatten eine gereizte Stimmung zuriickgelassen.
Forderte man im schottischen Lager den riickständigen Sold,
so wies man von London aus auf die Plätze, welche die
Bundesgenossen in Händen hielten, und den Zustand der
Landschaften hin, in denen sie kampirt hatten. Das englische
Sondergefühl gegen die nordischen Nachbarn, die noch vor
kurzem begeistert als Brüder begrlisst worden waren, fieng an,
sich hie und da zu regen, nicht ohne ein Bewusstsein davon,
dass durch die fremden pres])yterianischen Institutionen, die
dem Lande aufgezwungen werden sollten, ihre Hilfe zu theuer
erkauft sei. Baillie berichtet von dem w^^chsenden Wider-
willen gegen die schottische Nation. Er fürchtet einen voll-
ständigen Bruch der beiden Völker. Er sieht mit Schrecken
die „Entmuthigung der Synode", die Zunahme der Sekten
und findet für alles das den Grund in dem Mangel eines
tüchtigen Heeres seiner Landsleute (^).
Lidessen, wenn der Presbyterianismus nicht auf grosse
Waflfenerfolge verweisen konnte, so hatte er einigen Grund,
sich anderer Siege zu rühmen. In London war die Bürger-
schaft im ganzen und grossen nach wie vor für ihn begeistert.
Die gesammte Geistlichkeit der Hauptstadt, mit Avenigen Aus-
nahmen, war i)resbyterianisch. Goodwin und Burton, welche
zu diesen Ausnahmen gehört hatten, wurden vom Parlamente
ihrer Stellen entsetzt. Ueberhaupt zeigte sich das Parlament
gegenüber dem Andringen des unduldsamen Klerus durchaus
nicht immer von gleicher Apathie, wie in dem Falle John
Milton's. Paul Best, der die Dreieinigkeit läugnete, nahm
man fest, um ihm den Prozess auf Leben und Tod zu
machen, John Lilburne, der, immer zum Streite aufgelegt^
Massregeln des Presbyterianismiis. 359
seine Stelle im Heere aufgegeben hatte, um den Kampf mit
den Presbyterianern fortzusetzen, hatte sich gleichfalls Ver-
haftung zugezogen. Baptistische Gemeinden wurden gestört,
baptistische Prediger eingekerkert, das Glaubensbekenntnis
der sieben londoner Gemeinden wurde mit Beschlag belegt (').
Die sog. Akkommodations-Ordonnanz, die, unter Cromwell's
Einwirkung zu Stande gebracht, der Gewissensfreiheit einigen
Schutz gewähren sollte, konnte das siegreiche Fortschreiten des
Presbyterianismus nicht aufhalten. Trotz der Verhandlungen,
die auf Grund jener Ordonnanz stattgefunden hatten, hatte das
Parlament die Hauptzüge der presbyterianischen Verfassung
votirt. Die independentischen Mitglieder der Synode, die fünf
bekannten durch zwei Gesinnungsgenossen verstärkt, waren auf-
gefordert, einen Gegenentwurf vorzulegen. Als aber im Laufe
des Jahres 1645, ohne Piücksicht auf die independentischen Ge-
wissen, die näheren Bestimmungen zur Ausführung des pi-es-
byterianischen Systems ergiengen, hielten sie es für unwürdig,
der brutalen Gewalt der Thatsachen ihre Theorien entgegen-
zustellen und reichten der Synode am 13. Oktober eine kurze
Remonstranz ein.
Das Parlament griff unter diesen Umständen wieder auf
seine Akkommodations-Ordonnanz zurück. Aufs neue wurden
Committeeverhandlungen zwischen beiden Parteien unter Theil-
nahme der abgeordneten Parlamentsmitglieder und der schotti-
schen Kommissäre eröffnet. Nun aber rächte sich die Beschränkt-
heit, mit welcher die Presbyterianer eine das ganze Volk um-
fassende, ausschhessliche Kirchenform gefordert und als solche
in angstvoller Eile die ihrige beim Parlamente durchgesetzt
hatten. Ihre Gegner zogen sich einfach auf ihren alten günstigen
Standpunkt zurück, Toleranz zu fordern. Mochte die presbyte-
rianische privilegirte Staatskirche immerhin bestehen, sie selbst
verlangten nur, nicht gezwungen zu werden, sich ihr anzu-
schliessen. Sie baten, ihnen zu gestatten, „die Ordination in
ihren eigenen Kongregationen vorzunehmen", sich „mit solchen
Kongregationen zu verbinden, die ihnen zusagen würden", in
diesen selbstständig die „kirchlichen Censuren" auszuüben, ohne
gezwungen zu werden, sich der geistlichen Gerichtsbarkeit und
360 Wiederaufnahme der Akkomodations-Ordonnanz.
Yerwaltiiiig der presbyterianischen Staatskirche zu unterwerfen
und in den presbyterianischen Pfarrkirchen ihres Wohnortes zu
kommuniciren.. Ein bedeutender Fortschritt gegen früher, eine
entschiedene Annäherung an die Tendenzen des Heeres war
darin zu erkennen, dass ihre Bitte um Toleranz, wenn Bailhe
Glauben zu schenken ist, sich nicht nur auf „sie selbst",
sondern auch auf „andere Sekten" bezog (^). Noch dünkte es
die independentischen Geistlichen möglich, bei alledem eine
gewisse Verbindung mit der Staatskirehe festzuhalten. Sie
fühlten sich in den „meisten wesentlichen Punkten mit ihren
Brüdern einig", im Dogmatischen und Kituellen, in den Be-
stimmungen für die Qualifikation der Gemeindebeamten wie
der Gemeindemitglieder. Gelegentliche Gemeinschaft der
Heilsmittel, gegenseitige Aushilfe schien ihnen erwünscht.
Sie giengen so weit, der „Weisheit der Legislation" überlassen
zu wollen, die Zahl der Kongregationen zu beschränken.
Die Presbyterianer fanden in dieser Nachgiebigkeit nur
einen Grund mehr, jene Forderungen zu verwerfen. Sie
suchten wiederum durch die Worte „Schisma" und „Sekten"
zu schrecken und verlangten strikte Uniformität, als einzig dem
Heile der Gesellschaft und dem Covenant entsprechend. Auch
wussten sie zu diesem Zweck einen wirksamen Druck auf das
Parlament auszuiiben. Die londoner Geistlichkeit, die seit
einiger Zeit regelmässige Zusammenkünfte im Gebäude des
Sion College hielt, verfasste ein Schreiben an die Synode
(18. December 1G45), in welchem gegen die „Toleranz, die
grosse Diana der Independenten und aller Sektirer", ange-
kämpft wurde. Man wusste ihm nach seinei- Ueberreichung
(1. Januar 1646) sofortige Verbreitung durch den Druck zu
geben. Die städtischen Behörden von London hielten einen
Fasttag und tiberreichten am 15. und 16. Januar 1646 beiden
Häusern eine Petition, in der sie schleunige Vollendung der
Kirchenverfassung und Unterdrückung aller Sekten forderten.
Aus Schottland kamen gleichfalls Anmahnungen, sich strenge
an die Urkunde von Liga und Covenant zu halten. Am
0, März 1646 fand die letzte Sitzung des grossen Committee
in Sachen der Akkommodations-Ordonnanz Statt. Die Presby-
Einführung des Presbyterial-Systems. 361
terianer erklärten, man scheine auf der Gegenseite Gewissens-
freiheit nicht nur für sich, sondern für alle ^Menschen zu
fordern, das vertrage sich aber nicht mit der Vorschrift des
Covenant, einer engen Verbindung der Kirchen in den drei
Eeichen zuzustreben. Burroughs erwiderte im Namen der
Independenten, sie seien entschlossen zu dulden oder einen
andern Fleck Erde aufzusuchen (M.
Währenddess war auf Betreiben der Synode eine parla-
mentarische Massregel auf die andere gefolgt, um das pres-
byterianische System im einzelnen auszubilden. Am 23. August
1645 verbot eine Ordonnanz bei schwerer Strafe den weiteren
Gebrauch des Common -Prayer- Book selbst für die Haus-
andacht und führte die neue Gottesdienstordnung in allen
Pfarreien ein. Im September ergiengen Anweisungen in die
Grafschaften, um für die Wahl der Laien- Aeltesten durch
Geistliche und volljährige Gemeindemitglieder, die den Cove-
nant angenommen, unverheiratete Dienstboten ausgenommen,
für die Eintheilung der Wahlkreise u. s. w, das Nöthige vor-
zubereiten. Gegen Ende desselben Monats war London, als
Kirchenprovinz, in zwölf Presbyterien oder Classes getheilt,
in jedem dieser Bezirke durch das Parlament eine Anzahl
von Examinatoren, ein Drittel Geistliche, zwei Drittel Laien,
ernannt, denen es obliegen sollte, die erwählten Aeltesten auf
ihre Tüchtigkeit und Moralität hin zu prüfen. Am* 8. No-
vember wurde eine lange Verordnung erlassen betreffend die
künftige Ordination von Geistlichen durch die Presbyterien.
Alle Vorschläge der Synode waren hier berücksichtigt, alle
rigorosen Grundsätze bezüglich der Zulassung eines Kandidaten,
seiner Prüfung auf Befähigung, RechtgTäubigkeit, Sittlichkeit
adoptirt. Die durch die Bischöfe geschehenen Ordinationen
w^urden indess ebenso für giltig erklärt wie die d(n- schotti-
t^cl\en und irgend einer anderen reformirten Kirche (-).
Allerdings waren diese Fortschritte nicht ohne vielfache
Zögerungen und heftige Kämpfe gemacht worden, und es war
nicht allein die independentische Strömung, die sie aufzu-
halten gesucht hatte. Die Erastianer. die gelehrten Juristen,
wie Seiden, Whitelocke, St. John, hielten ihr Augenmerk
362 Hemmnisse der Erastianer.
beständig darauf gerichtet, durch die neue Kirchenverfassung
die geistliche ]\racht nicht mit Mitteln auszustatten, die sie
befähigen könnte, sich der Abhänßigheit vom Staate zu ent-
ziehen. Wenn ihre Ansichten in der Synode nicht zum
Durchbruch kommen konnten, so wussten sie ihnen im Parla-
mente Geltung zu verschaffen. Im Hause der Gemeinen
schlössen sich ihnen die independentisch gesinnten Staats-
männer als natürliche Verbündete gegen den Presbyterianismus
an, und deren Eeilien v.urden durch die zahlreichen parla-
mentarischen Ergänzungswahlen, zu denen man seit den Er-
folgen des Sommers 1045 die Möglichkeit fand, bedeutend
verstärkt. Von besonderer Wichtigkeit war es, dass die Armee
eine starke Vertretung durch diese Neuwahlen erhielt. Offi-
ciere wie Blake, Hutchinson, Ludlow, Montague, Algernon Sidney,
William Sydenham, Fleetwood, Ireton, denen bis in den Anfang
des Jahres 1646 Sitze zu Theil wurden, gehörten entschieden
der independentischen Richtung an, und mehrere von ihnen
standen zu Cromwell im innigsten Verhältnis. Je stärker
diese Elemente eindrangen, desto hitziger wurde der Kampf
zwischen ihnen und ihren presbyterianischen Gegnern, die denn
doch auch manchen Zuwachs erlangten. Und schon ehe das
Haus durch diese P^rgänzungen sich füllte, war es gelungen,
der Synode mehr als einen empfindliclien Streich zu versetzen.
Ein ausschliesslich göttliches Recht der Presbyterial-
verfassung wurde nicht anerkannt, und damit die Grund-
lage hinweggenommen, auf welche die Schotten und ihre eng-
lischen Freunde ihr Gebäude als unerschütterlich aufrichten
wollten. Die Gewalt, durch Entziehung des Abendmahlsge-
nusses eine geistliche Strafe aufzulegen und durch Ex-
konnnunikation von der Kirchengemeinschaft auszuschliessen,
wagte man den neuen kirchlichen Organen nicht zu versagen.
Aber während die Verfechter der Staatsallmacht kein Bedenken
trugen, ihnen die Beihilfe der Friedensricliter zum Zweck
der Zeugniserzwingung zur Verfügung zu stellen, versuchten
sie ihi-er Thätigkeit in anderer Weise bestimmte Schranken
zu setzen. Das Tarlament verlangte von der Synode eine
genaue Aufklärung darül)er, wen alles sie unter den „un-
Frage der Abendmahlsverweigerung und der Schlüsselgewalt. 363
wissenden und anstössigen" („ipnorant and scandalous") Per-
sonen verstehe, gegen die sie Pastoren und Aelteste, gestützt
auf Beiclit- und Zeugen-Aussagen, mit der Handhabung jener
kirchlichen Zuchtmittel ausgerüstet wissen wollte. Nach langen
Verhandlungen kam die specificirte Liste der „Unwissenden
und Anstössigen" zu Stande, in der sich der Atheist und
Dreieinigkeitsläugner neben den Mörder und Ehebrecher, der
Gegner des Dogmas von der Erbsünde und der Auferste-
hung neben den Sabbathbrecher und Trunkenbold gestellt
fand. Ausdrücklich war indessen bemerkt, dass den Inhabern
der geistlichen Jurisdiktion die Untersuchung aller Angelegen-
heiten, die Leib und Loben, Hab und Gut beträfen, entzogen,
dass einem vor ihnen abgelegten Zeugnis oder Bekenntnis
keine gerichtliche Beweiskraft eingeräumt und jedem, der sieh
durch das geistliche Verfahren beschwert fühle, eine letzte Be-
rufung an das Parlament freigestellt sein sollte. (') Die Zöge-
rungen, welche durch die Verhandlungen hierüber herbeige-
führt wurden, mussten die eifrigen Presbyterianer mit Un-
willen erfüllen. Eine Abstimmung, die am 3. Feliruar 1646
im Unterhause stattfand, zeigte ihnen noch deutlicher, wie
wenig verlässlich diese Versammlung für die strenge Verwirk-
lichung ihrer Lieblingspläne sei. In einer Deklaration w^ar
von „der Schonung zarter Gewissen, so weit diese mit dem
Worte Gottes und dem Frieden des Kelches vereinbar sei",
die Rede. Nur mit der kleinen Majorität von sieben Stimmen
wurde wenigstens vor „dem Frieden des Reiches" auch noch
der „Frieden der Kirche" eingeschmuggelt, womit sich die
presbyterianische Ausschliesslichkeit gesichert fühlen mochte.
Aber sie sah sich aufs neue bedroht, als der heftigste Streit
um die sog. Schlüsselgewalt entbrannte.
Am 5. März 1646 wurde, als Ergebnis der stattgefundenen
Verhandlungen, in feierlicher Weise den Lords eine grosse
Ordonnanz zugestellt, welche die Grundzüge des presbyteriani-
schen Systems zusammenfasste. Sie enthielt indessen unter
Nr. XIV eine verfängliche Klausel. Nach dieser sollten in jeder
Provinz Kommissäre des Parlaments über solche „anstössige
Vergehen" urtheilen, die bisher nicht ausdrücklich aufgezählt
■364 Das Parlament gegen die Synode.
worden seien, und nur nach ihrer Prüfung und mit ihi-er Zu-
stimmung sollte in diesem Falle eine Suspension von der
Zulassung zum Abendmahl durch die Aeltestenschaft statt-
finden düifen. Auch war, wenn in einem solchen bisher nicht
registrirten Falle eine Weigerung der Zulassung zum Abend-
mahl seitens des Geistlichen vorkam, dem bedrohten Gemeinde-
mitglied ein Appell an die Entscheidung des Parlaments durch
dessen Kommissäre freigestellt. Ueberhaupt drohte, nach
dem unbestimmten Wortlaut der Ordonnanz, jenen Kom-
missären eine Art von Oberaufsichtsrecht über die geistlichen
Gerichtshöfe zugedacht worden zu sein, die sich aus der
Furcht vor einerneuen Auflage der bischöflichen Jurisdiktion sehr
wohl erklärte. Die grösste Aufregung bemächtigte sich der
Presbyterianer, als die Lords, trotz des Protestes einer Mino-
rität, die Ordonnanz mit jener Klausel am 14. März annahmen.
Die schottischen Kommissäre wie die Synode schickten sich
dazu an, Widerspruch einzulegen. Die Geistlichkeit der City
trat unter die Waffen. Die Bürgerschaft selbst hatte schon
früher Einwendungen gegen einzelne Punkte der Ordonnanz
gewagt. Als dies Verfahren vom Parlamente, wie einst gegen-
über dem König, für einen Bruch seiner Privilegien erklärt wurde,
rüstete sich die City unter den Gebeten der presbyterianischen
Geistlichkeit zu kräftigeren Demonstrationen. Indessen da
das Parlament fest blieb, und eben damals die glücklichsten
Nachrichten vom letzten Kriegsschauplatz anlangten, wurde
aller Groll bei einem gemeinsamen Festmahl vergessen.
Mit der Synode, die auf Marshall's Antrag und unter
MarshaH's Führung am 2o. März eine Petition gegen jene Klausel
eingebracht hatte, wurde ein ernsteres Woii gesprochen. Auch
diese Petition einer vom Parlament berufenen Körperschaft
wurde als Bruch der parlamentarischen Privilegien betrachtet,
und den geistlichen Petenten in solenner Weise mitgetheilt,
dass es ihnen nicht zustehe, „zu debattiren oder zu votiren,
ob ein von lieiden Häusern erlassenes Gesetz mit dem Worte
Gottes ül)ereinstimme oder nicht, bis sie dazu aufgefordert
worden seien" (^). Und bei dieser Strafe Hessen es die „ver-
bündeten Erastianer und Independenten," wie Baillie ganz
Fragen über das göttliche Eecht. 365
mit Recht die Gegner des strikten Presbyteiianismus be-
zeichnete, nicht einmal bewenden. Am 17, April 1646 erliess
das Haus der Gemeinen eine ausführliche Deklaration, um
über die „wahren Absichten des Parlaments in Betreff der
Kirchenverfassung aufzuklären" und den vielfachen Beschul-
digungen, als denke man daran, von Liga und Covenant ab-
zuweichen, energisch entgegenzutreten. Mit voller Entschie-
denheit trat die Deklaration für die Presbyterialverfassung
ein, aber sie rechtfertigte daneben das Parlament, welches
sich nicht dazu verstehen könne, „beinahe zehntausend (geist-
lichen) Gerichtshöfen eine willkürliche und unbeschränkte
Gewalt zu geben". Auch behielt sie parlamentarischer Ent-
scheidung die Frage vor, wie „für zarte Gewissen, die nicht
in den Fundamentalsätzen der Religion abwichen, der Art
gesorgt w^erden könne, dass das Wort Gottes und der Friede
des Königreiches damit bestehen bleibe." Nicht genug damit:
die Erastianer und Independenten vereinigten sich dazu, der
Synode, die so sehr auf das göttliche Recht der Presbyterial-
veifassung in allen ihren Theilen gepocht hatte, neun Fragen
vorzulegen, die an sich wie eine Beleidigung der frommen
Körperschaft klangen. Ueber eben jenes göttliche Recht von
Presbytern, Presbyterien, Provinzial- und National-Synoden.
u. s. \y. wurde Bericht gefordert. Eine Belegung mit Stellen
der Schrift ward verlangt, jedes einzelne geistliche ^Mitglied
der Synode, das bei den Debatten gegenwärtig sein würde,,
sollte gehalten sein, seinen Namen und sein Votum zu unter-
schreiben, die Verneinenden hatten ihren Dissens zu begrün-
den. Es war klar, dass damit aufs neue ein Zankapfel in
die Reihen der Versammlung geworfen wurde (0.
Immer deutlicher trat der innere Widerspruch, in dem man
sieh hüben und drüben bewegte, zu Tage. Das Parlament er-
klärte offen, dass es selbst „in allen geistlichen wie weltlichen
Sachen der höchste Gerichtshof sei", und verschloss sich der
Einsieht, dass mit einem solchen Anspruch der Gewissenszwang
früherer Zeiten nur den Namen vertauscht habe. Die Synode
forderte Unabhängigkeit der Presbyterialbehörden für die
Handhabung kirchlicher Zucht und wollte doch der Beihilfe
366 Absichten des Köuigs.
der bürgerlichen Gewalten nicht entbehren, über die man
während der Laiid'schen Vorherrschaft so bitter geklagt hatte.
Die Independenten zogen aus diesen Widersprüchen den
grössten Yortheil, und ihre Partei empfieng einen um so stär-
keren Rückhalt, da gegen Ende April Cromwell und ausser
ihm viele Officiere, die seine Gesinnungen theilten, nach
London zurückkehrten.
Der König war von Oxford aus diesen Zwistigkeiten
zwischen Presbyterianern und Erastianern wie Independenten,
zwischen Bürgerschaft und Parlament, zwischen Schotten und
Engländern mit Spannung gefolgt. Man weiss aus seinem
vertrauten Briefwechsel mit seiner Gemahlin, wie rastlos er
während dieser Zeit nach allen Seiten hin die gewohnte Lust
der Intrigue spielen liess(^). Während sich das Verderben
immer enger um seine zeitige Residenz zusammenzog, glaubte
er, in völliger Verkennung der Thatsachen, mit allen Parteien
unterhandeln zu können, um sich über alle zu erheben. Nur
selten überkam ihn ein klares Gefühl von der ganzen Gefahr
seiner verzweifelten Lage. Im ganzen war er entschlossener
als je, in allen wesentlichen Punkten nicht nachzugeben,
überzeugt davon, dass Gott ihn endlich für frühere Schwächen
und Zugeständnisse, bei denen er sein Gewissen augenblick-
lichem Vortheil geopfert, genugsam gestraft habe und ihn
entweder als Sieger oder als Märtyrer aus dem Kampfe her-
vorgehen lassen wolle. In dieser fast mystischen Stimmung
hielt er auch gegenüber den abweichenden Ansichten der
Königin daran fest, der presbyterialen Kirchenverfassung, wie
sie in England in Wirksamkeit treten sollte, seine Anerken-
nung zu versagen. Unter solchen Umständen blieben alle
Botschaften, die während des Winters 1645 auf 1646 zwischen
Oxford und London hin und hergiengen, erfolglos. Vergeblich
hatte der König darauf gerechnet, dass man ihm gestatten
werde, in der Hauptstadt sel])st persönlich zu verhandeln, da
er hoffte, durch sein Erscheinen die Loyalität der Bürgerschaft
Absichten des Königs. 367
ZU wecken und den Zwist der Parteien zu verschärfen. Das
Parlament antwortete mit einem Widerspruch gegen jeden Ver-
such der Art, mit Ausweisung verdächtiger Personen, Ver-
stärkung der militärischen Vorsichtsmassregeln. Nicht minder
scheiterten die Versuche des Königs, mit den Führern des
Independentismus anzuknüpfen. Ohne Aussicht, die Pläne der
Presbyterianer mit seinen Vorsätzen zu vereinigen, hatte er
bereits Henry Vane und dessen Gesinnungsgenossen sondiren
lassen. Für den Fall, dass man bei einer persönlichen Ver-
handlung auf Annahme der Presbyterialverfassung bestände,
hatte er auf ein Bündnis der Royalisten mit den Indepen-
denten hingedeutet, um jenes „tyrannische System aus dem
Königreich auszurotten". Er hatte hoffen lassen, die Freiheit
des Gewissens achten zu wollen, woferne man auch dem
seinigen keine Gewalt anthue(^). Aber wer hätte den Ver-
sprechungen eines Fürsten trauen wollen, der seit jeher ge-
wohnt war, jede Nachgiebigkeit mit einem stillen Vorbehalt
der Zurückziehung im geeigneten Moment zu liegleiten, der
seine Worte absichtlich zweideutig fasste, um sich Hinter-
thüren offen zu halten und der inmitten der Verhandlungen
mit beiden Parteien dem vertrauten Digby mittheilte, seine
Absicht sei, ihre gegenseitige Vernichtung herbeizuführen,
„um in Wahrheit wieder König zu sein" ! (-).
Auch schweiften seine unruhigen Gedanken gleichzeitig nach
anderen Eichtungen. Während das Bekanntwerden der Mission
Glamorgan's den protestantischen Fanatismus von ganz Eng-
land in Aufruhr versetzte, hoffte er, durch Ormond, auf billigere
Bedingungen hin, einen Frieden mit den katholischen Piebellen
Irlands zu Wege zu bringen und sich damit ein Heer und
Hilfstruppen zu verschaffen. Während er jeden Gedanken
an kriegerische Absichten aufgegeben zu haben schien, trug er
sich mit dem Plane, sich mit einiger IMannschaft an irgend eine
Stelle in der Nähe der Küste zu weifen und dort die fremden
Söldner zu erwarten, die er sich von den Bemühungen der
Königin versprach. Während für seine eigene Sache und
für die Sache der Toleranz nichts wichtiger sein konnte, als
die Duldung der Katholiken nicht mit der Bekämpfung seiner
368 Seiue Verhandlungen mit den Schotten.
Gegner in Zusammenhang zu setzen, machte er die Auf-
hebung aller Strafgesetze gegen die Katholiken Englands zum
Preise für ihre Unterstützung und suchte sich hiefür den mora-
lischen Beistand des Pabstthums zu sichern (^).
Aber die erste Stelle in seinen Kombinationen nahmen die
Verhandlungen mit den Schotten ein, die neben allen diesen
geheimen Umtrieben einherliefen. Die französische Politik
übernahm die Vermittlung. Bisher durch den englischen
Bürgerkrieg eines gefährlichen Rivalen entledigt und durch
die glückliche Bekämpfung des Gesammthauses Habsburg zu
einer ausserordentlichen Machtstellung erhoben, hatte Frank-
reich, damals von Mazarin geleitet, wohl ein Interesse, die
englische Monarchie geschwächt zu sehen, aber ein nicht ge-
ringeres, ihren Untergang zu verhindern. Die Herstellung'
einer englischen Republik, von der man eine Annäherung an
die niederländische befürchten zu müssen glaubte, erschien
in jeder Weise, mochte man die moralische Einwirkung oder
den materiellen Nachtheil in's Auge fassen, als unzulässig.
Schon seit längerer Zeit war die französische Diplomatie be-
müht, zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln, um
das Königthum mit gemässigter Gewalt sicher zu stellen.
Hiefür suchte sie in erster Linie die alten Beziehungen zu
den Schotten auszunützen, denen nichts wichtiger sein musste^
als sich gegen den Independentismus mit dem König zu ver-
binden. Zwar widerstrebte ihr deren Forderung, die volle
Durchführung des Covenant in England zur Grundlage jedes
Ausgleiches zu machen. Als indess ohne Zugeständnisse in
Sachen der Religion eine Hilfe der Schotten auf keine Weise
zu erlangen war, und einflussreiche Grosse, wie der Graf von
Holland, als einzigen Rettungsweg bezeichneten, dass der
König sich dem schottischen Heere anvertraue, suchten die
Leiter der französischen Politik auch in jenem Punkte die
Hindernisse hinwegzuräumen, die sich dem Friedenswerke
entgegenstellen könnten (^). Die Absicht war, unter französi-
scher Vermittlung und gleichsam unter französischer Garantie
den König mit den Schotten und beide mit dem englischen
Presbyterianismus gegen den Independentismus zu verbinden
Seine Verhandlungen mit den Schotten. 369
und ein Königthum herzustellen, das Frankreich zu Dank und
zur Unterstützung seiner Politik verpflichtet gewesen wäre.
Den Schotten wurde dafür die Beihilfe Frankreichs für die
Durchführung aller Ansprüche, die sie gegen England geltend
machen könnten, in Aussicht gestellt. In eben diesem Sinne
war Karl's Gemahlin unermüdlich thcätig. Durch ihr per-
sönliches Auftreten in Frankreich wie durch ihre brieflichen
Einwirkungen auf den König suchte sie den Abschluss des
schottischen Vertrages auf jede Weise zu Stande zu bringen.
Auch hierfür schien ihr ein Zugeständnis, welches sich auf
die kirchliche Verfassungsfrage bezogen hätte, als das leich-
teste von allen, obwohl sie selbstverständlich das Interesse
ihrer Glaubensgenossen in England nicht aufgeben und die-
jenigen in. Irland nicht geopfert wissen wollte.
Indessen war das Ergebnis dieser geheimen Verhandlungen
ein ganz anderes, als sie zu hoffen wagte. Es kann kaum
ein Zweifel darüber bestehn, dass die Zusagen des schottischen
Abgesandten Murray in Paris dort als genügend aufgefasst
wurden, um sie dem König zur Annahme zu empfehlen (^).
Auch scheint der französische Unterhändler in England, Mon-
tereuil, von den schottischen Kommissären in London noch
weitere Versprechungen, wie die der Aussöhnung mit den
royalistischen Parteigängern, und unter ihnen Montrose's, er-
halten zu haben. Genug, König Karl schmeichelte sich
mit der Hoffnung, dass die Schotten ihn in ihrem Lager auf-
nehmen würden „als ihren natürlichen Souverän, mit Freiheit
des Gewissens und der Ehre, sicherem und ehrenvollem Schutz
seines Gefolges" und wies sogar Montrose an, was er von
Streitkräften habe, mit den schottischen vor Newark zu ver-
einigen. Freilich machte er sich noch auf heftige Kämpfe
über die Frage der Miliz, der irländischen Rebellen und seiner
Anhänger gefasst. Und vor allem über die Angelegenheit
der lürche war vorher kein bestimmtes Abkommen getroffen.
Er hatte trotzdem die Hoffnung, die Schotten auch darin
zu befriedigen und doch nichts „gegen sein Gewissen zu
thun".
Aber diesen Illusionen folgte die Enttäuschung auf dem
Stern, Milton n. s. Zeit. I. 2. 24
370 Seine Flucht zu den Schotten.
Fusse. Auf welcher Seite auch durch Missverstand oder Absicht
gefehlt worden sein mag, neuere Nachrichten, welche Montereuil
nach Oxford überhrachte, bezeugten, dass die schottischen
Machthaber unter ganz anderen Bedingungen dem König Auf-
nahme im Lager gestatten wollten. Von allen jenen Zuge-
ständnissen war keine Rede, eine Amnestie der Royalisten
w^ard nicht versprochen, Montrose mit Verbannung bedroht.
Und so ängstlich war man bemüht jeden Argwohn des eng-
lischen Parlamentes zu vermeiden, dass der König ersucht
wurde, in jedem Falle wie zufällig auf der Flucht nach Schott-
land begriffen, bei ihnen zu erscheinen (^). Der König war
über die Treulosigkeit der „abscheulichen Schurken" empört.
Ein wilder Plan jagte den anderen. Er wollte nach Lynn
entfliehen, um dort Truppen zu sammeln. Er wollte zur See
nach Schottland entweichen, falls Montrose ihm Mannschaft
zuführen könne. Er wollte England verlassen, um sich nach
Irland oder Dänemark oder Frankreich zu begeben. Er be-
schwor die Königin, für den Fall dass er untergehe, als „die
Tochter ihres Vaters", die Erbansprüche des Prinzen von
Wales tapfer zu vertheidigen. Aber jene kühnen Pläne
wurden eben so wenig verwirklicht, wie die Hoffnungen, mit
welchen er noch jetzt von den independentischen Officieren oder
der presbyterianischen Bürgerschaft London's günstige Nach-
richten erwarten mochte.
Der Aufenthalt in Oxford wurde indess von Tag zu Tag
für ihn gefährlicher. In der Nacht des 27. April entschloss
er sich zu fliehen. Verkleidet, von nur zwei Vertrauten be-
gleitet, stahl er sich durch die Belagerer. Er schlug den
Weg nach London ein und verweilte ein Paar Stunden an-
gesichts der Hauptstadt auf den Höhen von Harrow. Aber
er fand nicht den Muth, das Ueberraschende zu wagen und
plötzlich in London zu erscheinen. Nach abenteuerlichen
Kreuz- und Querfahrten, auf denen er vergeblich Nachrichten
von Montrose einzuziehen suchte, stellte er sich bei Montereuil
und darauf im schottischen Hauptquartier selbst vor Newark
ein. Er wurde mit äusseren Zeichen der Ehre aufgenommen,
aber er war in der That ein Gefangener. Nachdem Newark
Verhandlungen in Newcastle. 371
kapitulirt hatte und dem englischen Truppentheil, der sich bei
der Belagerung- betheiligt hatte , überliefert worden war,
führten die Schotten ihren König nordwärts mit sich nach
Newcastle.
Noch einmal wurde er hier der Mittelpunkt des allge-
meinen InteressQ^und der Gegenstand der vielfachen Ver-
handlungen, die das ganze Jahr 1646 ausfüllten, stark noch
in seiner Schwäche, da jede Partei selbst damals von seinen
Entscheidungen etwas zu fürchten oder zu hoffen hatte. Es
mag genügen nur kurz an die wichtigsten Gesichtspunkte zu
erinnern. Die Schotten setzten auch jetzt alle Hebel an, um
ein politisches und kirchliches Eegierungs-System in England
festzustellen, das sich mit dem ihres eigenen Landes in Ein-
klang befinde. Der König sollte neben den übrigen Be-
schränkungen monarchischer Gewalt vor allem die presby-
teriale Staatskirche anerkennen. Ihn selbst bearbeitete der aus
London herbeicitirte Henderson, um ihm die Vortrefflichkeit
der Presbyterial - Verfassung klar zu machen und seine Ge-
wissens-Bedenken hinwegzuräumen. Man gieng soweit, von
ihm persönlich Annahme des Covenant und Einführung der
neuen Gottesdienst-Ordnung in der Hausandacht seiner Fa-
milie zu fordern. Darin waren alle anwesenden Partei-
führer einig, Argyle, der nach Montrose's Niederlage wieder
in alter Macht stand und in Newcastle wie in London er-
schien, Hamilton der, durch die Kriegsereiguisse befreit, wieder
beim König Gehör fand und die Neutralen, „die es mit keinem
verderben wollten", dass ohne völliges Aufgeben der Epis-
kopalkirche kein Friede geschlossen werden könne.
Der englische Presbyterianismus, vor allem sein Anhang
in Parlament und Hauptstadt, jubelte bei der Aussicht, die
sich ihm eröffnete. Das Ziel, welches die Flucht des Königs
genommen, die Aeusserungen , die er nach London gerichtet
hatte, vieldeutig wie sie waren : alles schien doch darauf hin-
zuweisen, dass er seinen Frieden mit den Presbyterianern
machen wolle. Man sah in froher Ahnung die Zwistigkeiten
zwischen Schotten und Engländern gehoben, den Covenant in
beiden Ländern durchgeführt, die irischen Gräuel, puritanischen
24*
372 Hoffnungen der englischen Presbyterianer.
Idealen gemäss, gesühnt, ein Königthum, dem die Macht zu
schaden genommen, eine Kirche, die von der Pest der Sekten be-
freit wäre. Die Bürgerschaft der Hauptstadt erhob sich zu neuen
Demonstrationen, in denen sich die Stimme religiöser Eng-
herzigkeit gegenüber „Ketzereien und Blasphemieen" und das
Verlangen nach einem Vertrage mit dem König und Fest-
halten am schottischen Bündnis gleichzeitig hören liess. Die
presbyterianischen Führer im Hause der Gemeinen , Holles,
Stapleton, Clotworthy fassten wieder Muth und fanden an
mahnenden Anschreiben "der schottischen General- Assembly
einen neuen Rückhalt. Auch kam man trotz Erastianern und
Independenten in der Durchführung des neuen Kirchensystems
tüchtig vorwärts, freilich ohne seine volle Reinheit bewahren
zu können. Vergeblich blieben die Versuche, eine einhellige
Antwort auf jene verfänglichen Fragen über das „göttliche
Recht" zu vereinbaren, so wie auch die Bemühungen der haupt-
städtischen Geistlichkeit und Gemeindebehörden, die geist-
liche Strafgewalt ausschliesslich auf die neuen kirchlichen Or-
gane zu übertragen. Man musste sich mit den Aenderungen
begnügen, durch welche eine parlamentarische Ordonnanz vom
3. Juni die früheren Bestimmungen gewissermassen abschwächte
und durch die ihnen. Weiteres vorbehalten, nur für drei Jahre
Giltigkeit verliehen wurde. Es konnte doch immerhin als ein
Gewinn betrachtet werden, dass die einzelnen Aufsichtsbe-
hörden, welche früher in Aussicht genommen worden waren,
durch eine Centrai-Kommission ersetzt werden sollten. Die
presbyterianische Geistlichkeit entschloss sich, wenn auch un-
gern, vorläufig das Gebotene als eine Abschlagszahlung an-
zunehmen, getröstet durch das Versprechen, dass die Liste
der „Unwissenden und Anstössigen" noch eine Verlängerung
erfahren werde (^).
Endlich konnte man nun die presbyterialc Maschinerie
spielen lassen. Am 19. Juli sollten die zwölf Presbyteiien
(Klassen) Londons die Ael testen wählen. Bis zum dreizehnten
August war in fast allen Pfarreien die "Wahl und Prüfung
erfolgt. Baillie's Hoffnungen giengen hoch. Er erblickte in
den einzelnen Parochieen den Geistlichen und die Laien-Ael-
Befürchtungen der Independenten. 373
testen in Thätigkeit, er erwartete den Zusammentritt der
Klassenversammlungen, zu denen jede Pfarrei den Geistlichen
und einige Aelteste zu entsenden hatte, er sah eine erste
Provinzial-Versammlung, aus Repräsentanten der Klassen ge-
bildet, voraus. Lancashire schickte sich an, das Beispiel
London'ß nachzuahmen, kühne Phantasie mochte sich das Bild
der neuen englischen Nationalkirche, so ziemlich nach schot-
tischem Muster vollendet, vorspiegeln. Eine neue metrische
Version der Psalmen hatte nur noch die Bestätigung der
Lords zu erhalten, und da das Haus der Gemeinen am 22.
Juli die Synode ausdrücklich aufforderte, die Vollendung des
neuen Glaubensbekenntnisses und Katechismus zu beeilen, so
konnte man auch diese Lücken baldigst auszufüllen hoffen und
sich einer Beantwortung jener erastianischen Fragen vom „gött-
lichen Rechte" entziehen (^). Der Presbyterianismus war auf
der ganzen Linie im Fortschreiten.
Die Independenten im Gegentheil sahen das Gut der Ge-
wissensfreiheit stärker gefährdet als je. Die Flucht des
Königs zu den Schotten erfüllte sie mit den grössten Bedenken.
Je fester ihre Gegner in beiden Ländern sich wieder zu-
sammenschlössen, um gemeinsam die monarchische Gewalt auf
ihre Seite zu ziehn, desto gereizter war die Sprache, die aus
independentischem Lager gegen die nordischen Nachbarn sich
hören Hess. Man wünschte, da der Krieg so gut wie beendet
war, mit ihnen abzurechnen und England von der Gegen-
wart ihrer Truppen zu befreien. In der Armee war auch
jetzt diese einheitliche Stimmung vorherrschend, und wo noch
ein Heerestheil dem Presbyterianismus eine Stütze zu bilden
drohte, wie die Brigade des General-Major Massey, arbeitete
man an seiner Auflösung durch das Parlament. Denn bei den
Gemeinen fiel das Gewicht der independentischen Stimmen, je
mehr die Lücken durch Nachwahlen ausgefüllt wurden, je
schwerer in die Wagschale. Eben diesem Umstand war
es wohl zu verdanken, wenn das Ultimatum, das Mitte Juli
an den König nach Newcastle abgieng, einen schärferen Cha-
rakter trug, als den Schotten und ihren Freunden lieb war.
In neunzehn Propositionen, anschliessend an die uxbridger
374 Diß neunzehn Propositionen des Parlaments.
Verhandlungen, fasste das Parlament die Bedingungen zu-
sammen, unter denen es sich zur Wiederaufnahme des Monarchen
bereit erklärte. Anerkennung der Presbyterialverfassung^
Unterzeichnung des Covenant und Erzwingung seiner An-
nahme in allen drei Reichen, Verschärfung der Strafgesetze
gegen die Katholiken, Ueberlassung der Militia auf zwanzig
Jahre, Ausschluss der vornehmsten „Delinquenten" von der
Amnestie, Verzicht auf Leitung des Krieges in Irland, Be-
stätigung der unter dem grossen Siegel des Parlaments er-
lassenen Akte: in diesen Sätzen waren die wichtigsten auf
Kirche und Staat bezüglichen Forderungen zu finden, die zur
Annahme oder Verwerfung vorgelegt wurden. Die Schotten
konnten sich immerhin mit ihnen einverstanden erklären und
thaten alles, um die Annahme herbeizuführen. Die Indepen-
denten hatten nur von ihrer Verwerfung etwas zu hoffen.
Man weiss, wie es zu dieser gekommen und, trotz aller
Versuche ein Einverständnis zu Wege zu bringen, bei dieser ge-
blieben ist. Zu keiner Zeit hat Karl I. sich so deutlich darüber
ausgesprochen, warum er sich nicht entschliessen könne in
die Aenderung der englischen Kirchenverfassung zu willigen,
wie damals im geheimen Briefwechsel mit der Königin. Er
hatte schon einige Monate vorher das presbyterianische System
deshalb für unannehmbar erklärt, „weil es nie anders als
durch Pvebellion in ein Land eingedrungen sei". Er hatte den
Zusammenhang hervorgehoben, der zwischen diesem Kirchen-
regiment und der Schwächung monarchischer Gewalt bestehe.
Er erblickte ihn in der presbyterianischen „Ilauptmaxime", dass
„alle Könige unterthan seien dem Königreich Christi, dessen Ver-
walter sie allein (die kirchlichen Organe) sind, da der König nur
eine Stimme und kein Veto bei ihren Versammlungen hat"(^).
Und unzweifelhaft war hier eine grosse Verbindung ideeller
Mächte mit vollem Rechte aufgedeckt worden. Wer die Einwir-
kungen verfolgte, welche vor allem in Schottland die politische
Theorie von dem kirchlichen System erfahren hatte, konnte es
begreiflich finden , wenn der König von den Nachahmern eben
dieser schottischen Verfassung, von den Anhängern der LIcen
.!ohnKnox' fürchtete: „Sie werden die Doktrin (in England) ein-
Karl I. über die Presbyterial-Verfassuug. 375
führen, welche den Aufruhr für erlaubt erklärt, und dass die
höchste Gewalt im Volke ruht, welchem die Könige (wie sie
sagen) Rechenschaft geben und von dem sie gestraft werden
müssen, wenn sie unrecht thun." Dazu kam aber, dass durch
die Art und Weise, wie dieAeuderung der kirchlichen Verfassung
in England vor sich gieng, unter der Leitung und Autorität
des Parlaments, eben diesem jener Supremat zu Theil zu
werden drohte, den während des Bestehens der bischöflichen
Verfassung der König besessen hatte. Der Streit um die
Form, ob „episkopal" oder „presbyterial" erschien Karl I.
daher als einer der geringsten, dagegen betonte er, dass
man „unter dem VorAVande einer gründlichen Reform, (wie
sie es nennen), beabsichtige, alle Gewalt der Herrschaft auf
kirchlichem Gebiet von der Krone auf die beiden Häuser des
Parlamentes zu übertragen". Er Hess freilich ausser Er-
wägung, dass im Independentismus jene Lehre von der Volks-
Souveränität noch viel stärkere Wurzeln hatte, und dass die
Ansichten über das Verhältnis von Kirche und Staat auf dieser
Seite noch viel weniger einen kirchlichen Supremat des König-
thums gestatteten. Aber mit den Verfechtern dieser radikalen
Anschauungen hatte er sich zunächst nicht auseinander zu
setzen. Genug, wenn es ihm gelang dem Andringen derjenigen
Gegner Stand zu halten, deren erste Forderung das Aufgeben
der bischöflichen Verfassung zu Gunsten der presbyterialen
ausmachte.
Und es waren nicht nur die Gegner, welche ihn in seiner
Ueberzeugung schwankend zu machen, seine Berufung auf Ge-
wissen und Krönungseid zu widerlegen suchten. Mit Schmerzen
musste der gefangene, von argwöhnischen Blicken umlauerte
Monarch bemerken, dass er in einer der wichtigsten Fragen
sich wieder mit seiner Gemahlin in Widerspruch befand, deren
Rath er in allen anderen Stücken sich unterwürfig zeigte,
deren Briefe in seiner bedrängten Lage sonst seinen einzigen
Trost bildeten. Allerdings einer Annahme des Covenant,
einer allgemeinen Aufzwingung desselben in allen drei Reichen,
einer Auslieferung Irlands an die Rache des Puritanismus
setzte auch sie, aus Interesse für ihre eigene Religion und
376 ßathschläge der Königin.
deren Anhänger, den entschiedensten Widerspruch entgegen.
Aber der Episkopal-Verfassung das Wort zu reden hatte sie
keinen Grund. Als Katholikin und Französin sah sie die
kirchliche Frage Englands mit ganz anderen Augen an, wie
etwa ein Staatsmann vom Schlage Hyde's, der in eben dieser
Zeit, mit anderen Flüchtlingen in Jersey geborgen, seinen
Gesinnungen in seinem grossen Geschichtswerk Ausdruck gab.
Die Berather, welche in ihrer Nähe weilten, vor allen Lord
Jermyn, dessen Verhältnis zu ihr vielleicht schon damals ein
mehr als freundschaftliches war, und Lord Colepepper, den
der König „in Sachen der Religion wenig schätzte", drangen
gleichfalls auf unbedingte Nachgiebigkeit in der Kirchenfrage.
Auch stimmte zu den Tendenzen dieses Kreises, dass die Er-
ziehung' des Prinzen von Wales, dessen Uebersiedelung nach
Paris in ihre Nähe die Mutter durchgesetzt hatte, der Sorgfalt
eines Thomas Hobbes anvertraut wurde.
Wie wenig konnte sich der König durch die Anschauungen
befriedigt fühlen, für die ihn seine Gemahlin und ihre Um-
gebung zu gewinnen suchte. Hier war alles lediglich poli-
tische Erwägung ohne jede Rücksicht auf Bewahrung oder
Aufgeben der alten religiösen Formen, ihm erschien das Fest-
halten an der Form der Episkopalkirche selbst als ein Akt
des politischen Interesse (^). Hier wurde, wie seit jeher, nichts
dringender l)etont, als die Nothwendigkeit, in der Frage
über die Miliz, als Mittel alles Verlorene zurückzugewinnen,
den Zähesten Widerstand zu leisten, ihm wurde gerade in
dieser Angelegenheit ein Zugeständnis jetzt leichter. Er
hatte einst in den Ausschluss der Bischöfe aus dem Parlament
gewilligt, um das Verfügungsrecht über die Miliz auch „nicht
für eine Stunde" aufzugeben. Nun dünkte ihn nächst der „sünd-
lichen" Opfei'ung Strafiford's nichts von allem Vergangenen so
sehr Ursache des göttlichen Zornes und der Reue werth zu
sein, als die „grosse Ungerechtigkeit gegen die Kirche", die
er in der Zustimmung zu jener Bill erl)lickte. Er fand, dass
man in Fi-ankreich einen ganz falschen Begriff von der Bedeu-
tung des Instituts der englischen Militia habe und deutete an,
dass auch sie mit der Anerkennung der Presbyterial-Verfassung
Bemühungen Frankreichs. 377
von geringem Werthe für die königliche Macht sein werde.
Ohne Bewahrung der alten Kirchenverfassung erschien sie ihm
„als ein Schatten". ,,Wenn von den Kanzeln nicht Gehorsam
gepredigt werde", glaubte er auch von dem Yerfügungsrecht
über die Streitkräfte des Landes wenig Nutzen erwarten zu
dürfen (0. Nach allen Niederlagen und Demüthigungen, in der
verzweifeltsten Lage zog er sich auf den Standpunkt des Laud'-
schen System's zurück. Die Kirche war ihm Dienerin des
Monarchen, verpflichtet in seinem Sinn auf die Gemüther ein-
zuwirken, und er vergass nur hinzuzufügen, dass dieser Ver-
sicherungs-Vertrag von Thron und Altar wie ehemals auf Gegen-
seitigkeit beruhen, dass das Schwert des supremen Königs
wiederum die geistlichen Richtersprüche der Bischöfe voll-
strecken würde.
Die Königin wurde indessen nicht müde ihren Gemahl zum
Aufgeben der Episkopal-Verfassung zu bewegen. Sie sah sich
in ihren Bemühungen durch die französische Politik unterstützt,
die in dem neuen Botschafter Bellievre einen weiteren Agenten
in England und Schottland erhielt. Zwar erschienen auch den
Staatsmännern Frankreichs die Vorschläge von Newcastle vor-
züglich wegen ihrer politischen Ansprüche als ganz unan-
nehmbar, aber sie mochten hoffen, dass die eine unumgäng-
liche Koncession der Presbyterial-Verfassung die englischen
Presbyterianer versöhnen und die Waffen der Schotten dem
König zur Verfügung stellen werde. Und diese Koncession
schien dadurch erleichtert, dass sich zeitweise die Aussicht
eröffnete, die Unterzeichung des Covenant durch den König
selbst hinwegfallen zu lassen (-).
Karl L Hess sich auch hierdurch nicht erschüttern. Er
war und blieb der Ueberzeugung, dass auf die Unterstützung
der Schotten nicht gerechnet werden könne, weil ihre Be-
dingungen immer unannehmbar sein würden. Er hielt sich
vor allen Dingen versichert, dass sie mindestens davon nie-
mals abgehn würden, die strikte Durchführung des Covenant
in England zu fordern, und hierin den entschiedensten Wider-
stand zu leisten, ermuthigte ihn auch seine Gemahlin (3).
Um so fester rechnete sie darauf, dass schon die Annahme
378 Mission Daveuant's.
der Presbyterial- Verfassung die Schotten bewegen würde, sei
es zur Herstellung eines „guten Friedens", sei es zum „Kriege"
ihre Dienste zu leihen. Nicht genug damit, dass sie brieflich
auf den König einzuwirken suchte, sie entsandte Ende Sep-
tember einen persönlichen Mahner. Es war William Davenant,
derselbe Davenant, der einst als lebenslustiger höfischer
Dichter eine so glänzende Laufbahn begonnen hatte. Mit
dem Ausbruch der Eevolution w^ard er als einer der ent-
schiedensten royalistischen Parteigänger mannichfachen Ge-
fahren entgegengeführt. Wie Bückling war er 1641 angeklagt
worden, an der ]\Iilitär-Verschwörung gegen die Sicherheit
des Parlaments betheiligt gewesen zu sein. Er hatte zu ent-
fliehen versucht, wurde aber zweimal eingefangen, bis es ihm
endlich gelang zur Königin nach Frankreich zu entkommen.
Von hier war er mit Kriegsvorräthen nach England zurück-
gekehrt, hatte als General -Lieutenant der Artillerie in New-
castle"s Heer gedient und sich durch die Tapferkeit, die er bei
der Belagerung von Gloucester bewiesen, 1643 die Eitterwürde
verdient. Nach der ungünstigen Wendung des Krieges hatte
er sich wieder in der Nähe der Königin eingefunden und war
katholisch geworden. Der Dichter hatte als Diplomat kein
Glück. Er emptieng keine bessere Antwort als die Briefe
seiner Herrin und kehrte ohne etwas ausgerichtet zu haben
nach Frankreich zurück (^).
Je weniger Karl L in der Frage der Kirchenverfassung
endgiltig nachzugeben entschlossen war, desto sicherer hoffte
er, gleichsam als göttliche Belohnung für seine Standhaftig-
keit, auf eine glückliche Zukunft. Seine Illusion war, dass
„seine Sache die aller Monarchen der Christenheit sei", und
seine Rechnung gieng darauf, dass sich eine starke Partei
, jenseits des Kanals" für seine Wiederherstellung bilden
müsse. Aber wiihrenddess verhandelte er nacheinander und
nebeneinander mit den verschiedenen Parteien, deren Zwie-
spalt er nach wie vor doch noch zu seiner eigenen Erhebung
zu benutzen gedachte. Mit den vornehmsten der schottischen
Faktions-Häupter behielt er Fühlung. Da Montrose Schott-
land Anfang September verlassen hatte, und die „Neutralen"
Verhandlungen mit den Hamiltons. — Mission Will. Murray's. 379
sich nicht hervorwagten, so kamen nur die Anhänger Argyle's
und Hamilton's in Betracht. Diese letzten spielten in der
Rechnung des Königs die grösste Rolle. Während er nicht
müde wurde, der Königin seine wahre Meinung über die Presby-
terial-Verfassung zu sagen, hatte er vermuthlich den Hamiltons
schon im Juni das lächerliche Angebot gemacht, den grössten
Theil von England jener Verfassung zu überlassen, für einige
Diöcesen indessen das Bisthum zu reserviren(i). Währender
den neunzehn Propositionen des Parlaments eine aufschiebende
Antwort hatte zu Theil werden lassen, suchte er unter der
Hand in London ein Abkommen zu tretien. Anfang September
war William Murray b*ei ihm eingetroffen, sein früherer Page,
der, erst kürzlich als Spion verhaftet, nur durch schottische
Vermittlung aus dem Tower befreit worden war. Die schot-
tischen Kommissäre in London rechneten darauf, dass er den
König in ihrem Sinn bearbeite, indessen die Vollmachten, die
er von Karl I. für seine Missionen emplieng, waren sehr wenig
nach ihrem Geschmack. Er erschien im Oktober in London,
ermächtigt im Namen des Königs, die Militia für die Zeit seines
Lebens aufzugeben, im Falle man verspräche, nach Ablauf von
fünf Jahren ein „regelmässiges Bisthum" herzustellen. Allein
die schottischen Kommissäre, welche vor allem Annahme des
Covenant forderten, verhinderten ihn von seinen Instruktionen
Gebrauch zu machen (2).
Ein zweiter Entwurf von Vorschlägen wurde nach seiner
Rückkehr zwischen ihm und dem König verabredet. Wenn das
erste Mal nur ein Kompromiss mit den Presbyterianern beab-
sichtigt gewesen war, so zielte man nun darauf ab, die Inde-
pendenten zu gewinnen. Die Presbyterial-Verfassung war auf
drei Jahre zugestanden, aber schon während dieser Zeit sollte
eine Toleranz solcher stattfinden, „die aus Gewissens-Skrupeln
sich nicht in allem und jedem ihr konformiren könnten". Dem
königlichen Haushalt selbst blieb Kultusfreiheit vorbehalten.
Nach Ablauf der bestimmten Zeit sollte die definitive Kirchen-
verfassung auf gesetzlichem Wege eingeführt werden, auf
Grundlage der Berathungen der Synode und eines parlamen-
tarischen Committees. Auch blieb dem König das Recht ge-
380 MissionWill. Murray's, — Antwort auf die neunzehn Propositionen.
wahrt, zwanzig Geistliche seiner Wahl der Synode hinzuzu-
fügen. Für diese Zugeständnisse wurden freilich andere ab-
geschwächt, wie denn der Verzicht auf die Miliz sich auf
10 Jahre beschränkte. Ehrlich war auch dies Mal das könig-
liche Wort nicht gemeint. Als Karl I. am 4. December
diesen Entwurf Hamilton' s Bnider zur Durchsicht zuschickte,
fügte er bezeichnend genug die Bemerkung hinzu, er sei be-
reit die Klausel zu Gunsten der Independenten zu streichen,
ja die stärksten Erklärungen gegen sie aufzunehmen, woferne
man übrigens von Schottland her seine Propositionen unter-
stütze. Allein da man sie hier in jeder Weise ungenügend
fand, so unterblieb ihre Absendung. Die Antwort auf die
neunzehn Propositionen, welche nach langer Zögerung am
20. December endlich nach London abgieng, war wieder aus-
weichend und verwies alles Weitere auf persönliche Unter-
handlung ( ^).
Das ganze Bild einander ablösender Entwürfe hinterlässt
den Eindruck eines leeren Spieles, mit dem der König nichts
bezweckte, als den einen seiner Gegner durch den anderen
zu täuschen, sich selbst aber in nichts zu binden. Dazwischen
taucht die Kunde von dem Plane einer royalistischen Er-
hebung auf, der Gedanke zu Gunsten des Prinzen von Wales
abzudanken oder doch zeitweise zurückzutreten, damit dieser
sehe, wie weit sein Gewissen ihm erlaube, in der Frage der
Kirchenverfassung und des Covenant gegenüber den Schotten
nachzugeben, und ob er etwas damit gewinne, die Idee, sich
durch die Flucht aus der schottischen Gefangenschaft zu be-
freien. Noch einmal gegen Ende des Jahres machte Montereuil
in Schottland den Versuch, mit dem Hinweis auf die Mög-
lichkeit französischer Unterstützung, eine Partei für den
König unter die Waffen zu bringen. Aber man hielt hier
am Bunde mit England fest, forderte Annahme der neunzehn
Propositionen , und vor allem des Covenant. Es war das
Werk der Geistlichkeit, des geschäftsführenden Ausschusses
der General -Assembly, welche über die Hamilton'sche Partei
den Sieg davon trug, indem sie einen wirksamen Druck auf
das Parlament in Edinburg ausübte. Selbst die Aufnahme
Ormond'scher Friede. 381
des Königs im Lande wurde verboten, falls er nicht seinen
Frieden mit dem englischen Volke gemacht habe.
Während dessen war in London die Entscheidung ge-
fallen. Der Krieg war so gut wie beendigt. In Irland allein
wüthete er noch fort. Allerdings, sehr zur Unzeit für den
König, hatte Ormond, seit Anfang 1644 Lord-Lieutenant, am
28. Juli 1646 einen Frieden mit den Aufständischen verein-
bart, durch den er Namens des Königs für eine Hilfsmacht
von 10000 Irländern, Aufliebung der Pönal -Gesetze gegen
die Katholiken und Zulassung zu einem Theil der öffentlichen
Aemter zusagte. Es war ganz im Sinne Frankreichs gesche-
hen, welches, seinen gi-ossen politischen Interessen gemäss, der
Verbindung der spanischen Macht mit den fanatischen Einge-
borenen entgegenzutreten, und wie in Schottland so auf der
grünen Insel seinen Einfluss geltend zu machen wünschte.
Aber von zwei Seiten wurde dieser Ormond'sche Vertrag
leidenschaftlich angegriffen. Der gesammte Puritanismus in
allen drei Reichen war über diese Nachgiebigkeit, die mit
einer so erschreckenden Gefahr verbunden war, empört. Der
Nuntius Rinuccini hingegen, gestützt auf den Klerus, verwarf
den Pakt als ungenügend, setzte sich selbst an die Spitze
des Widerstandes und riss die alt -irische Bevölkemng zur
Weiteiführung des Kampfes mit sich fort. Das Land blieb
im Zustand wildester Fehde, der Schauplatz ringender In-
trigiien, von drei Heeren bestritten. Die Masse der celtisch-
katholischen Bevölkerung, der sich die Katholiken von engli-
scher Abkunft theilweise anschlössen, stand unter der Lei-
tung des Nuntius, der sehr geneigt war, Irland ganz und
gar von der englischen Herrschaft loszureissen. Die kleine
anglikanische Partei, nebst vielen Adligen der altenglischen
Kolonie, suchte unter Ormond Dublin und einige andere
Plätze für den König zu behaupten. Das Parlament ver-
fügte über zerstreute schottisch - englische Streitkräfte, denen
durch Ernennung Lord Lisle's zum Lord -Lieutenant -General
eine einheitliche Leitung gegeben wurde. Je stärker sich
Ormond von den katholischen Rebellen bedrängt sah, desto
mehr wurde für ihn die Nothwendigkeit zwingend, sich den
382 Kapitulation von Oxford.
parlamentarischen Streitkräften anzunähern, um dadurch seine
Positionen wenigstens der englischen Nationalität zu retten,
und schon hatte er gegen Ende des Jahres 1646 einen dahin
zielenden Vertrag in AngriiT genommen.
Während hier Kriegsgetümmel und Verhandlungen mit
einander abwechselten, kehrte auf der anderen Seite des
Georg -Kanals der langentbehrte Friedenszustand zurück.
Eine der königlichen Garnisonen nach der anderen war in die
Hände der Parlamentarier gefallen. Am 24. Juni hatte auch
Oxford, nach fortgesetzter Belagerung durch Fairfax, Cromwell
und Skippon kapitulirt. Der Besatzung war ehrenvoller Abzug
gewährt worden, die Prinzen von der Pfalz erhielten Freiheit
das Land zu verlassen, das Eigenthum der Bürger und der
Colleges ward gewährleistet. In England und Wales blieb
für die Waffen nur noch wenig zu thun übrig. Unter diesen
Umständen war nichts natürlicher, als dass in erster Linie
die Heimkehr des schottischen Hilfsheeres in Frage kam.
Die Schotten selbst sahen doch, trotz Independenten und
Sekten, so manches von dem erreicht, was sie durch die
Waffenbrüderschaft mit dem englischen Volke zu erreichen
gehofft hatten. Li dem Augenblick, da sie Henderson, den
geachtetsteu Vorfechter ihres kirchlichen Systems verloren,
(t 19. August 1646), kam eben dieses System in der grossen
Metropole des Nachbarlandes zur Durchführung. Die Synode
schritt in ihren Arbeiten rüstig vorwärts. Das Parlament
leistete der presbyterianischen Strömung keinen weiteren
Widerstand. Das sehr zusammengeschmolzene Haus der
Lords, durch Essex' Tod (Sept. 1646), freilich eines Haupt-
vertreters des Presbyterianismus beraubt, war dieser Richtung
fast durchaus zugethan, im Hause der Gemeinen hatte sie
durch die späteren Nachwahlen an Kraft noch gewonnen.
Eine Ordonnanz vom 9. Oktober 1646 hatte einen neuen
wichtigen Schritt auf dem Wege der kirchlichen Gesetz-
gebung gethan, indem die Abschaffung der bischöflichen Ver-
fassung formell erklärt, und die Einziehung des Bischofs-Gutes
„zum r.esten des Gemeinwesens" in Aussicht genommen wurde.
Was allein den Lidependentismus noch gefährlich zu machen
Abkommen des Parlaments mit Schottland. 383
schien, das siegreiche Heer, musste aller Wahrscheinlichkeit
nach, mit der Entfernung der Schotten, gleichfalls sich baldigst
autiösen, und schon wurden aus dem presbyterianischen Lager
Stimmen laut, welche diese Forderung hören Hessen.
Indessen, so bereit die Schotten auch sein mochten, Eng-
land sich selbst zu tiberlassen, man war nicht im Stande dies
Ziel zu erreichen , ohne INIonate dauernde hitzige Verhand-
lungen, in denen sich die Frage der Ablohnung der nor-
dischen Bundesgenossen mit der Frage des Rechtes, über die
Person des Monarchen zu verfügen , beinahe unlöslich ver-
schlang. Nachdem zur schweren Bekümmernis der Presbyte-
rianer und unter leidenschaftlichem Anreiz der Indepeudenten
die nationalen Antipathieen wieder auf's stärkste rege ge-
worden und sich in Wort und Schrift heftig Luft gemacht
hatten, wurde die Geldfrage allein erledigt und eine Verein-
barung über die Auszahlung von 400000 £ getroffen, deren
erste Hälfte den Schotten, ehe sie das Reich verliessen, ent-
richtet w^erden sollte. Eine in der City eröffnete Anleihe
stellte die Summe zur Verfügung, die unter dem militärischen
Schutze Skippon's nach Norden befördert wurde. Einige
Tage später wurde dem Hause der Gemeinen eine Petition
der City behändigt, die sich in Klagen über die Last des
Heeres ergieng und die Forderung enthielt, es baldigst aufzu-
lösen und Frieden mit dem König zu macheu. Es erscheint fast
begreiflich, wenn Karl L unter diesen Umständen noch immer
auf den Zwiespalt der Parteien rechnete. Und doch entschied
sich eben damals sein Schicksal. Das Parlament fasste den
Beschluss, dass während weiterer Verhandlungen Holmby-House
in Nordhamptonshire dem König zum Aufenthalt gegeben
werden sollte, und sandte eine Anzahl von Kommissären ab,
um ihn von Newcastle dorthin zu geleiten. Sie wurden selbst-
verständlich von presbyterianischen Geistlichen begleitet,
Joseph Caryl, jenem Censor, dem Milton so arg zugesetzt
hatte, und Stephen Marshall, dem Smectymnianer. Die
Schotten waren entschlossen, nachdem alle Verhandlungen mit
dem Könige gescheitert waren , ihn seinen englischen Unter-
thanen zu überlassen. Newcastle wurde von ihren Kommis-
384 Auslieferung des Königs. — Verlegenheiten der Powell's.
sären und Truppen geräumt, und Skippon hielt seinen Einzug
(30. Januar). Einige Tage später setzten sich die Abgesandten
des Parlaments mit ihrem König unter kriegerischer Eskorte
nach Süden in Bewegung.
Milton hätte nicht er selbst sein müssen, wenn ihm die
ganze Summe jener entscheidenden Ereignisse nicht mit der-
selben Theilnahme erfüllt haben sollte, wie das ganze Land.
Auch haben wir uns für berechtigt gehalten in einigen seiner
Verse den Reflex bestimmter Vorgänge dieser Zeit, der
kirchenpoHtischen , die ihn am nächsten berührten, wieder
zu finden. Indessen auch sonst kam neben dem allgemeinen
sein persönliches Interesse in Betracht. Wie früher die Be-
lagerung und Uebergabe von Reading für sein Hauswesen im
engsten Sinn des Wortes von Bedeutung gewesen war, so da-
mals die EinSchliessung und Kapitulation von Oxford. Hier,
im königlichen Hauptquartier, weilten die Eltern und Ge-
schwister seiner jungen Frau, die sich hinter die schützenden
Mauern geflüchtet hatten. Die Vermögensverhältnisse der
Familie waren während des Krieges immer weiter zurückge-
gangen. Von den Gläubigern des alten Powell war noch
der ungefährlichste Milton selbst, dem von den 1000 i^, die
seine Frau als Mitgift hatte erhalten sollen, und von 300 i^,
die von seiner ursprünglichen Forderung noch ausstanden,
und für die ihm 1640 der freie Besitz in Whatley verpfändet
worden (^), bis dahin nichts zu Gesicht gekommen war. Da-
gegen waren andere Verpflichtungen, für deren Erfüllung
Powell Güter und Einkünfte verpfändet hatte, dringend ge-
nug. Der gute Royalist hatte ausserdem ohne Zweifel be-
deutende Opfer für die Sache seines Königs gebracht, und
seine Verluste wurden noch grösser, als die pai-l amen tarischen
Truppen sich auf seinen Besitzungen einquartierten, und sein
Hab und Gut den fiskalischen Massregeln der Feinde ausge-
setzt war. Eben damals, während er selbst mit den Seinigen
in Oxford eingeschlossen war, im Mai oder Anfang Juni 1640
Verlegenheiten der Powells. 385
legte der Hauptgläubiger, Sir Robert Pye (s. o. S. 165), kraft
ihm eingeräumten Rechtes auf das Landgut von Foresthill
Besehlag. Insofern hatte dies sein Gutes, dass damit einer
drohenden Sequestration durch das Parlament vorgebeugt
wurde. Indessen wurde nicht abgewandt, dass die parlamen-
tarischen Sequestratoren für die Grafschaft Oxford die fahrende
Habe, die sich in Foresthill befand, und die sonstigen Ver-
mögensstücke des alten Powell, als eines „Delinquenten", zur
Strafe einzogen. Sie erschienen, drei Mann hoch, um ein
genaues Inventar aufzunehmen , durchmusterten Höfe und
Ställe, Zimmer und Kammern, Küche und Keller, Brauhaus
und Backhaus und schätzten die einzelnen Gegenstände, Korn
und Vieh, Möbel und Kleider, Vorräthe und Geschirr bis in's
kleinste. Einen bedeutenden Posten machten die aufgestapelten
Holzmengen aus, die Mr. Powell auf Lager hatte. Zwei Wiesen-
gründe wurden, weil in Folge der Einquartierung von Ka-
vallerie aufgezehrt, nicht geschätzt, ebensowenig ein anderes
Stück Land bei Foresthill, das nicht auf Sir R. Pye über-
gegangen war, und die Besitzungen in Whatley.
Fast der ganze Hausrath, Vieh und Vorräthe, eine Quan-
tität Holz abgerechnet, auf die ein anderer Anrecht hatte,
wurde für den Spottpreis von 335 '£ an einen gewissen Mr.
^Matthew Appletree aus London losgeschlagen, ohne Zweifel
einen jener geriebenen Spekulanten, die wie die Raben den
parlamentarischen Truppen in die royalistischen Gebiete nach-
folgten. Er machte sich, nachdem er zwanzig Schillinge an-
gezahlt hatte, sofort daran, die kleineren Stücke der guten
Beute wegzuschleppen, und als sich die Thore von Oxford
öffneten, sah sich die Familie Powell in der elendesten Lage.
Der eilfte Artikel der Kapitulations - Urkunde gestattete allen
in der Stadt befindlichen Personen, die nicht mit Namen aus-
genommen wären, sich zu begeben, wohin sie wollten, und
binnen sechs Monaten ihr mit Sequester belegtes Hab und
Gut durch Zahlung festgesetzter Sühne zurück zu gewinnen (i).
Aber die unglücklichen Powells mussten erfahren, dass ihr
Hab und Gut grossen Theils nicht nur unter Sequester gelegt,
Stern, Milton u. s. Z. I. 2. 25
386 Verlegenheiten der Powells.
sondern verkauft und verschleudert worden war. Die ausge-
leerten Räume von Foresthill, von Sir R. Pye mit Beschlag
belegt, gewährten ihnen kein Obdach. Ein Ueberschlag, den
der alte Powell machte, lehrte ihn, dass er während der
Kriegsjahre alles in allem etwa 3000 £ eingebüsst habe.
Sein Unmuth musste um so grösser sein, da es bei jenem
Sequestrations- und Trödelgeschäft durchaus nicht ehrlich
hergegangen zu sein schien. Die Taxation und Verrechnung
konnte manchen Einwurf hervorrufen. Es legte bedenkliche
Schlüsse nahe, dass ein Mr. Matthew Appletree der glückliche
Käufer gewesen war, während ein Mr. Thomas Appletree
in dem Committee der Grafschaft von Oxford sass, welches
das ganze Verfahren autorisirt hatte (^). Noch viel schwerer
wurden aber alle Betheiligten belastet, wenn sich eine Be-
hauptung als richtig erweisen liess, welche die Powells bei
späterem Process geltend zu machen suchten. Sie erklärten
nämlich, dass die Verfügung des Committee zur Sequestration
erst vom 17. Juni 1646 stamme, während das Inventarium
und die Verkaufsurkunde mit dem Datum des 16. Juni be-
zeichnet war , und sie Hessen durchblicken , dass hier eine
Ungenauigkeit , wenn nichts Schlimmeres, vorliege, deren
Zweck gewesen sei, das wahre Datum jenes Geschäftes zu
verdecken. Nach ihrer Aussage fand der Verkauf erst
„einige Tage nach der Gewährung der besagten Artikel (der
Kapitulation von Oxford)" statt, und w^aren diese gröblich
durch den Handel verletzt (2). Wie immer sich dies verhielt,
Mr. Powell hielt es für rathsam zunächst für das, was sich
von seinem Hab und Gut noch retten liess, die Busse des
„Delinquenten" innerhalb der geforderten sechs Monate zu
zahlen uud sich zu dem Zweck nach London zu begeben, w^o
man versuchen konnte auch für das erlittene Unrecht sich
Genugthuung zu verschaiTen. Nicht zum w^enigsten wird seinen
Entschluss bestimmt haben, dass er heften durfte, eben dort
im Hause seiner Tochter für sich und die Seinigen eine
Unterkunft zu finden. Es war zwvar hart für die Powells nach
allem, was vorangegangen wai-, Milton als Bittende zu nahen,
Die Powells lu Loudou. — Geburt vou Auua Miltou. 387
härter wohl noch für die Mutter als für den Vater, indess
der Sturm auf das gute Herz des Dichters musste gewagt
werden. Einige Tage nach der Kapitulation von Oxford, am
27. Juni erhielt Mr. Powell einen von Fairfax unterzeichneten
Passirschein (^) und machte sich mit seiner Frau und einigen
seiner Kinder auf den Weg nach London. Er hatte sich in
der Gesinnung seines Schwiegersohnes nicht getäuscht. Die
Eltern seines Weibes nebst mehreren ihrer Brüder und
Schwestern, alles in allem eine „gute Anzahl", fanden in
ihrem Unglück unter seinem Dache ein Asyl (2). Mit seinen
zwei Neffen, den übrigen Pensionären und seinem alten Vater
war es keine kleine Familie, die das Haus in Barbican er-
füllte. Man war erst einige Wochen zusammen, als die Ge-
sellschaft noch einen Zuwachs durch eine neue Weltbürgerin
erhielt. Am 29. Juli gegen Abend kam Milton's Frau mit
ihrem ersten Kinde nieder. Es war ein „prächtiges Mädchen,
obwohl es, sei es in Folge natürlicher Anlage, sei es in Folge
von Mangel an gehöriger Sorgfalt, je mehr und mehr elend
aufwuchs" (^). Der Name Anna, den es erhielt, konnte eben
sowohl ein Kompliment für Milton's Schwester, Mrs. Agar,
wie für die alte Mrs. Powell bedeuten.
Während die Frauen um das Neugeborene beschäftigt
waren, gieng der alte Powell sorgenvoll umher. Er war kaum
«in Paar Wochen im Hause seines Schwiegersohnes, als er
erfahren musste, dass seine Angelegenheiten eine noch üblere
Wendung nahmen, als sich anfangs voraussehen liess. Jene
Verschleuderung seiner fahrenden Habe war schon schlimm
genug, indessen Hess sich hoffen, den Klauen des Mr. Appletree
noch einiges zu entreissen. Nun aber kam es dahin, dass
das Parlament selbst sich an seinem Hab und Gut vergriff,
und wie gegen dieses Recht zu erhalten sei, liess sich nicht
absehn. Die ganze Angelegenheit bietet ein schlagendes Bei-
spiel für die Härte und Willkür, mit der das Privateigen-
thum der „Malignanten" behandelt wurde, wennschon im
einzelnen manches dunkel bleibt, namentlich auch nicht klar
wird, wie sich das Parlament mit dem Käufer, Mr. Appletree,
25*
388 Sorgen des alten Powell.
auseinander gesetzt hat. Genug, dass auf die Klagen der
Gemeinde von Banbury (Oxfordshire), der halbe Ort sei ab-
gebrannt, Kirche, Pfarrhaus, Gefängnis ruinirt, eine parla-
mentarische Ordonnanz vom 16. Juli 1646 den Einwohnern
auf ihr Ansuchen „Balken und Bretter, die ein gewisser Mr..
Powell, ein Malignant, aus den Waldungen von Forest -Wood
bei Oxford ausgehaueu hatte, und die, nicht über 300 ^£
werth, unter Sequester lägen", für die Herstellung der öffent-
lichen Gebäude zur Verfügung stellte. Der Ueberschuss sollte
von denjenigen Mitgliedern beider Häuser, die dem Committee
für Oxford angehörten, nach ihrem Ermessen an „gutgesinnte
Privatpersonen " (w^ell affected persons) besagter Stadt zum
Aufbau ihrer Häuser vertheilt werden. Auch hier scheint
nicht alles rein zugegangen zu sein. Es war noch unbedenk-
lich, dass Mr. Powell selbst eben diese Holzvorräthe auf 400
£ schätzte, aber es stellte sich später, wenn der Behauptung
der Powells zu trauen ist, heraus, dass die Gemeinde von
Banbury einen grossen Theil des Älaterials gar nicht ver-
brauchte, sondern durch Verkauf desselben die r.nständige
Summe von 110 £ herausschlug (')•
Wollte Mr. Powell noch etwas von dem Seinigen retten,
so war es dringlich die nöthigen Schritte zu thun. Er reichte
daher am 6. Aug, 1646 dem Committee, welches in Goldsmiths'
Hall sass, und dem die Sühne- Angelegenheiten der „Delin-
quenten" oblagen, eine Petition ein, in der er sich auf die
Kapitulation von Oxford berief und zur Erlegung der Sühne-
Summe zugelassen zu werden bat. Er fügte am 21. No-
vember 1646 eine Uebersicht seiner traurigen Vermögensver-
hältnisse hinzu, nach der seine Strafe abzuschätzen wäre. Er
leistete am 4. December einei). Eid auf die Richtigkeit seiner
Angalien und nahm am selben Tage die unangenehme For-
malität auf sich, den Covenant zu unterschreiben. Am 8,
December endlich kam die Entscheidung der überhäuften
Behörde. Sie war wenig tröstlich. Nach Prüfung der
Angaben Powells, die seinem Interesse nach bald zu hoch,
bald zu niedrig sein konnten, ohne Rücksicht auf seine
Schulden und Verluste wurde die Zahlung einer Strafsumme
Tod des alten Powell. 389
von 180 £ , dem Doppelten seiner muthmasslichen Jalires-
Eiiikünfte, gefordert ('). Erst wenn diese bezahlt war, konnte
an weitere Schritte zur Wiedererlangung des Verlorenen ge-
dacht werden. Aber der alte Powell wurde allen Sorgen
entrückt. Möglich, dass ihn die Erlebnisse der letzten Mo-
nate gebrochen hatten; gewiss, dass er in den ersten Tagen
des Jahres 1647 in Milton's Hause starb (2). Sein Testament
vom 30. December 1646 zeigte, dass er die Hoffnung noch
nicht aufgegeben hatte, dass das Landgut von Foresthill
wieder in den Besitz seiner Familie kommen werde, obwohl
er es kluger Weise in jener Uebersicht seiner Vermögens-
verhältnisse nicht erwähnt hatte. Er gedachte jenes Sir
Robert Pye, der für seine Schuld das Gut mit Beschlag be-
legt hatte, in freundschaftlichster Weise und setzte voraus,
dass sein ältester Sohn Richard sich später mit den alten Be-
kannten auseinander setzen werde. Diesem Sohn lag es in
erster Linie auch ob, als „Executor" die übrigen gefährdeten
oder verlorenen Güter nach Kräften wieder beizubringen, in
zweiter Linie war die Wittwe mit dieser Aufgabe betraut, die
zu ihrer Lösung vor allem voraussetzte , dass man mit der
Zahlung der Sühne wirklich Ernst mache. Die ausstehende
Mitgift von Milton's Frau konnte unter den obwaltenden
Umständen nur im allgemeinen der Rücksicht der Erben em-
pfohlen werden (3). Es waren wenig erfreuliche Gegenstände,
welche in diesen Tagen den äusseren Kreis des Lebens im
gastfreien Hause des Dichters ausfüllten, aber noch unerquick-
licher wurde sein Verhältnis zu der Familie seiner Frau in
späterer Zeit, als die Wittwe Powell, die für ihren ältesten
Sohn den Auftrag übernommen hatte, sich daran machte,
die Vermögens - Verhältnisse der Familie in Ordnung zu
bringen.
Damals waren es nicht allein die Powells, deren Fähr-
lichkeiten und Sorgen, eine Folge ihrer politischen Sym-
pathieeu, Miltpn"s besondere Theilnahme herausforderten. Sein
Bruder Christoph, der nach der Einnahme von Reading
durch die parlamentarischen Truppen 1643 zunächst dort
390 Christoph Milton. -
•wohnen geblieben war, hatte seine royalistische Gesinnung
keineswegs aufgegeben. Er hatte sogar eine vom König unter
dem grossen Siegel von Oxford aus erlassene Kommission
übernommen, „die Freunde des Parlaments in drei Graf-
schaften zu sequestriren". Später muss er sich nach Exeter
begeben haben, und nach der Einnahme dieser Stadt 1646,
war er nach London geeilt, um durch Leistung der vorge-
schriebenen Formalitäten und Strafen seine Güter zu retten.
Vermuthlich bot ihm das Haus seiner Schwiegermutter ein
Obdach, so dass nicht auch er zum Haushalt des Bruders
gehörte. Er hatte am 20. April 1646 den Covenant unter-
schrieben, am 28. August den sog. Negativ-Eid geleistet (^)
und am 7. August seine Petition um Zulassung zur Busse und
eine Uebersicht seines Vermögens eingereicht. Der wohlbewan-
derte „Rechts-Konsulent" wusste von fahrender Habe nichts
anzugeben, da alles, was er besessen, „ihm genommen und zum
Besten des Staates verwandt worden sei". Nur ein kleines An-
wesen in London, gelegen „in der Pfarrei St. Martin, Ludgate",
das vor dem Kriege jährlieh 40 i^ getragen habe, wollte er
durch Zahlung der Strafsumme aus dem Sequester zu lösen
haben. Für dieses wurde ihm am 7. Sept. eine Strafsumme
von 80 ^ aufgelegt, deren erste Hälfte er am 24. desselben
Monats zu zahlen hatte. Die übrigen 40 ^ waren ein Viertel-
jahr später zu entrichten, und es wurde dem „Delinquenten"
angedeutet, dass das Parlament möglicher Weise für sein Ver-
gehen noch weitere Busse verlangen werde. In der That be-
ruhigte man sich auch nicht bei seiner Angabe, wurde um so
misstrauischer, da er mit Zahlung des Restes seiner Busse im
Rückstande blieli, und Hess noch Jahre nachher in den Graf-
schaften von Berks und Suflfolk nachforschen, ob nicht ihm
gehörige Besitzungen nachweisbar seien, deren Dasein er ver-
schwiegen habe (2).
Während diese Schicksale nahestehender Personen Milton
mehr oder minder in Mitleidenschaft zogen, traf ihn ein schwerer
Schlag, der sein Haus aufs neue in Trauer versetzte. Einige
Wochen nachdem Mr. Powell gestorben war, schloss der alte
Tod des alten Milton. 391
Vater des Dichters die Augen. Er hatte seine letzten Jahre
,.ganz zurückgezogen in frommer Ruhe gelebt ohne die aller-
geringste Störung". Nur die Ankunft so vieler Schutz suchender
Gäste mochte auch seine Behaglichkeit in etwas gestört haben.
Der Eintrag seines Begräbnisses in der Kirche St. Giles,
Cripplegate datirt vom 15. März 1647 (^). Der Sohn hat keinen
Ausdruck für das Gefühl gefunden, das seine Brust durch-
zog, als dort im Chor die Steinplatte sich über dem Sarge
schloss.
Achtes Kapitel.
In den letzten Zeiten des Königthums.
Von den uns erhaltenen Privatbriefen des Dichters, deren
Zahl leider eine "nur zu spärliche ist, beansprucht einer, der
bald nach dem Tode des alten Milton geschrieben worden ist,
einen nicht geringen Werth. Er richtet sich an Carlo Dati,
jenen strebsamen florentiner Freund, der einst den Fremdling
aufs herzlichste aufgenommen hatte, und lässt uns die Stim-
mung des Schreibers genügend erkennen (^). Als Milton seinem
Jugendfreunde, Karl Diodati, in jenem Gedicht „Epitaphium
Damonis'' ein dauerndes Andenken stiftete, hatte er, noch
ganz erfüllt von den Eindrücken der italienischen Reise, der
florentiner Bekannten, und Dati's wie Francini's mit Nennung
ihres Namens, in schmeichelhafter Weise gedacht. Entweder
hatte er damals eine Abschrift des Gedichtes odei* später einen
Ausschnitt aus dem Bändchen von 1G45, der es enthielt, nach
Florenz geschickt, um auf diese Weise den einen oder den
anderen der dortigen Freunde „zum Schreiben zu bewegen".
Er selbst hatte nicht gewagt sich an einen von ihnen zu
wenden, um „nicht die übrigen zu verletzen''. Da kam ihm
mitten in den Sorgen, die ihm die letzte Zeit gebracht hatte,
„ganz unerwartet" ein Schreiben Dati's zu, in dem sich „Ele-
ganz des Ausdrucks und freundschaftliche Gesinnung mit
einander stritten'', und das ihn in seiner damaligen Lage wahr-
Briefwechsel mit Dati. 393
haft erquickte. Freilich musste er zu seiner Bestürzung er-
fahren, dass Dati schon früher drei Briefe abgesandt hatte,
die un wiederb ringhch verloren waren, und sodann zwang ihm
diese Erinnerung an die glücklichen Tage von Florenz, von
dem er sich so „schwer losgerissen hatte", eine sehr melan-
cholische Betrachtung ab : . . „Ich muss oft mein Loos beklagen.
Diejenigen, an die ich durch bloss nachbarschaftliches oder sonst
werthloses Verhältnis aus Zufall oder von Gesetzes wegen ge-
bunden bin, eben diese, durch nichts anderes mir theuer,
hocken täglich bei mir, fallen mir beschwerlich, ja quälen mich
beim Himmel, wenn die Laune ihnen danach steht, halb zu
Tode. Diejenigen aber, die mir an Bildung, Geistesrichtung
und Studien so nahe standen, sind mir fast alle entweder
durch den Tod geraubt oder durch eine so grosse räumliche
Trennung meinen Augen entzogen, dass ich zu einem beinahe
ganz einsamen Leben verdammt bin".
Es ist ein trübes Bild, das diese Worte enthüllen. Wir wissen,
was unter dem „gesetzlichen Bande" zudenkenist^ welches Milton
eine drückende Fessel war , und können uns ausmalen, wie die
verwittwete Schwiegermutter mit der Schaar der übrigen Kinder
Powell in dem stillen Gelehrtenhause schaltete. Da Avandten
sich die Gedanken des Dichters den theuern Gräbern zu, deren
letztes sich erst eben über dem Leichnam des Vaters geschlossen
hatte, und seine Sehnsucht schweifte nach der „lieben" sonnen-
beglänzten Stadt am Arno, wo so viele „traute Freunde be-
haglich zusammenlebten". Dati hatte Nachrichten über die
literarischen Beschäftigungen Milton's erbeten und als Probe
seiner eigenen Leistungen, wie sich vermuthen lässt, seine
Beschreibung der florentiner Leichenfeier Ludwig's XIIL über-
schickt (^). Milton nahm diese sehr beifällig auf und konnte
in ihr nichts von dem „kaufmännischen" Stile finden, auf
den Dati scherzhaft angespielt hatte. Er selbst dagegen er-
klärt, in den traurigen Wirren seines Vaterlandes der schrift-
stellerischen Müsse ziemlich entbehrt zu haben, ohne ein Hehl
daraus zu machen, dass er „nicht weniges in der Mutter-
sprache veröffentlicht habe". Eben dieser Umstand, dass er
sich englischer Prosa bedient hatte, hält ihn davon ab, seine
394 Abzug der Powells. — Milton als Lehrer.
Schriften dem Urtheil der florentiner Freunde zu unterwerfen.
Auch hätten sie schwerlich an allem Geschmack gefunden.
Scheint es Milton doch sogar nöthig, dem Versprechen einer
Uebersendung seiner lateinischen Gedichte die Bitte hinzuzu-
fügen, man möge entschuldigen, was ,, auf einigen Seiten Bitteres
gegen den Pabst gesagt sei". Er schliesst mit Grüssen an
Coltellini, Francini, Frescobaldi, Malatesti, Chimentelli und
die ganze „Akademie Gaddi's" und mit dem Vorschlag, sich
über ein Mittel sicherer Korrespondenz zu verständigen. Die
Benutzung kaufmännischer Boten scheint ihm das Einfachste,
und seinerseits will er das Geschäft einem „Buchhändler Jakob"
übertragen „oder seinem Herrn, mit dem er genau bekannt sei".
Der Brief an Dati kann noch nicht lange abgesandt
worden sein, als wenigstens ein Grund der Klage, welcher
Milton hier Ausdruck gegeben hatte, entfernt wurde. Die
Wittwe Powell mit ihren ledigen Kindern verliess das Haus
ihres Schwiegersohnes. Es bleibt unklar, wohin die Familie
sich wandte. Hatte einer der Gläubiger, Sir Robert Pye, viel-
leicht nicht ohne dabei das Interesse der befreundeten Po-
wells im Auge zu haben, Foresthill in Beschlag genommen,
so hatte ein anderer, ein Verwandter, Sir Edward Powell,
noch im Januar 1647 auf die ihm verpfändeten Besitzungen
von Whatley seine Hand gelegt. In jedem Fall blieben die
Vermögensverhältnisse der Powells sehr bedenkhche, und Milton
hatte noch sein Theil an den daraus erwachsenden Unan-
nehmlichkeiten zu tragen (^).
Nach dem Abzug der unliebenswürdigen Gäste war das
Haus in Barbican, dem Ausdruck von Milton's Neffen zufolge,
wieder ganz „ein Haus der Musen". Ruhe und Fleiss kehrten
in seine Räume zurück, und mit grösserem Eifer, als es in
der letzten Zeit möglich gewesen war, konnte Milton dem
Beruf genügen, den er in freier Wahl auf sich genommen
hatte. Seine Feinde haben ihn nicht besser zu verspotten
geglaubt, als wenn sie ihn einen „Schulmeister" nannten. In-
dessen , so sehr ein solches Amt ihm Ehre gebracht und von
ihm Ehre empfangen haben würde, einer Schule im eigent-
lichen Sinn des Wortes hat er nie vorgestanden. Seitdem er
Schüler. 395
sich wieder in der Heimat eingelebt hatte, waren seine beiden
Neffen seiner Erziehung anvertraut worden, und er hatte sie
ganz und gar zu sich genommen. Mit der Zeit entschloss er
sich auch andere Knaben zu unterrichten, von denen diese
und jene als Pensionäre Kost und "Wohnung bei ihm hatten.
Das geräumigere Haus in Barbican war bezogen worden, weil
ihre Zahl angewachsen war. Immerhin darf man sie sich nicht
zu gross denken. Es waren, ausser den beiden jungen Ver-
wandten Milton"s, „Söhne einiger Gentlemen, mit denen er
intim befreundet war", und man ist im Stande die Namen
einiger von ihnen anzug;eben. Zwei sind als Adressaten Milton'-
scher Privatbriefe in sptäterer Zeit nachweisbar : Ptichard Heth
(13. Dec. 1652), damals bereits Inhaber einer Pfarrei, und
Richard Jones, der spätere Graf von Ranelagh, der allerdings
1647 erst sieben Jahre alt war, an welchen Milton mehrere
anziehende Briefe in den fünfziger Jahren gerichtet hat. Er
war der Sohn der geistreichen und hochgebildeten Lady
Piauelagh, der Schwester des berühmten Naturforschers Robert
Boyle, und die Bekanntschaft mit dieser ausgezeichneten Fa-
milie diente dazu, den Dichter in den folgenden Jahren einer
Genossenschaft hochstrebender Naturen anzunähern, zu denen
er sich aus mancherlei anderen Gründen hingezogen fühlte (^).
Ein Neffe der Lady Ranelagh, der Sohn ihrer verwittweten
Schwester, der junge Graf Richard von Barrimore, wird eben-
falls als einer der Milton'scheu Schüler bezeichnet, und zu
gleicher Zeit mit ihm ein gewisser „Sir Thomas Gardiner von
Essex"(^). Es hat viel für sich den Genannten den jungen
Henry Lawrence anzureihen, der 1647 höchstens vierzehn-
jährig gewesen sein könnte. Sein Vater stieg während der
Republik zu hohen Ehrenstellen empor, und er selbst wurde
nachweisbar einer der anhänglichsten der jüngeren Freunde
Milton's. Mit grösserer Sicherheit lässt sich Cyriack Skinner,
der Enkel des grossen Juristen Coke, als Schüler Milton's
bezeichnen, und da er 1647 mindestens zwanzig Jahre alt war,
wird er zu den frühesten Zöglingen des Dichters gehört haben.
Auch ist durch mehrere Zeugnisse festzustellen, dass zwischen
ihm und Milton später die innigste Verbindung bestand. Ein
396 Unterriclits-Methode und Lehrbüclier.
gewisser Packer dagegen, der gleichfalls den Unterriclit
Miltons genossen haben soll, ist nur dem Namen nach be-
kannt (^).
Die Verschiedenheit des Alters, die zwischen einzelnen
der Genannten bestand, macht es unwahrscheinlich, dass sie
sämmtlich zu gleicher Zeit Milton's Sorge anvertraut waren.
Auch mögen sie nicht die einzigen gewesen sein, die von seiner
Belehrung Nutzen zogen. Immerhin ist so viel klar, dass
INIilton als Pädagoge, ohne einen Unterschied zwischen adlig
und bürgerlich zu machen, sich den Bedürfnissen von Ange-
hörigen der höheren Stände anzupassen hatte, an die ja auch
lediglich bei Abfassung seiner Schrift über die Erziehung ge-
dacht worden war. Es ist nun nicht schwer zu verfolgen, wie
die Grundsätze, die dort der Schriftsteller vertreten hatte, vom
Praktiker bei seinem Tagewerk befolgt wurden. Zunächst
legt Edward Phillips, welcher hierfür der beste Gewährsmann
sein kann, ein besonders starkes Gewicht darauf, dass die
„Unterrichts-Methode" seines Oheims wie „sein Gespräch und
seine Schriften auch nicht im mindesten nach Pedanterie ge-
schmeckt hätten". Auch sonst wird berichtet, dass Milton
„Strenge mit Freundlichkeit und Freiheit im Gespräch" sehr
gut zu verbinden gewusst habe. Selbst vortrefflich musika-
lisch gebildet und von der pädagogischen "Wichtigkeit der
Musik lebhaft überzeugt, hat er sicherlich diese Kunst nicht
von seinem Unterrichtsplane ausgeschlossen. Von seinen Neffen
wird ausdrücklicli bezeugt, dass sie bei ihm singen lernten.
Die Hauptsache war aber das Studium der Sprachen, und
zwar in eben der Weise, wie die Schrift über die Erziehung
entwickelt hatte, zugleich als Mittel des Studiums der Realien.
Vom „zehnten bis zum fünfzehnten oder sechzehnten Jahr"
lasen seine Schüler eine Reihe antiker Autoren durch, „von
denen man in den Schulen fast nie etwas hört" : „Von den
lateinischen die vier grossen Autoren de re rustica" (mit Ein-
schluss des Palladius), sodann das Werk des Cornelius Celsus
über die Arzneikunde, „einen grossen Theil von Plinius Natur-
geschichte, Vitruv's Architektur, Frontinus Strategemata, dazu
die l)oiden vortrefflichen Dichter Lucretius und Manilius", von
Uuterricbts-Methode und Lehrbücher. 397
den Griechen Hesiod, Aratus, Dionysius Afer, Oppian, lauter
Schriftsteller von didaktisch-naturwissenschaftlicher Richtung,
ausserdem die geistlose Nachahmung des Homer von Quintus
Smyrnaeus und die Argonautica des Apollonius, von Prosaikern
Plutarch, Xenophon, die militär-wissenschaftlichen Werke des
Aelian und Polyaenus, das astronomische des Geminus.
Man bemerkt, wie enge sich die Auswahl dieser kurso-
rischen Lektüre an die Normen anschliesst, die Milton in
seinerSchrift aufgestellt hatte. Allerdings mag er, wie sein Neffe
andeutet, die Absicht gehabt haben, „beim Unterricht seine
eigene Kenntnis zu erweitern", und so mögen die Schüler diesen
oder jenen Schriftstelleu haben in Kauf nehmen müssen, dessen
Studium zur Verbesserung ihres lateinischen oder griechischen
Stiles schwerlich etwas beitragen konnte. Jedenfalls darf man
nicht annehmen, dass damit das Programm der alten Literatur,
mit welcher sie vertraut werden sollten, erschöpft war. Aus
welchem Grunde immer es sei, Edward Phillips nimmt auf
alle diejenigen Autoren keine Rücksicht, die nach dem fünf-
zehnten oder sechzehnten Jahr an die Reihe kamen, und doch
hatte Milton's Plan gerade für diese spätere Zeit die reinsten
Erzeugnisse des antiken Geistes aufgehoben. Dafür erhalten
wir weiteren Bericht über die anderen Gebiete des Wissens,
welche die Zöglinge an Milton's Hand beschritten. „Die haupt-
sächlichen orientalischen Sprachen, das Hebräische, Chal-
däische und Syrische wurden so weit gelernt, dass es möglich
ward, den Pentateuch zu durchlesen, vom Targum oder der
chaldäischen Paraphrase einen Begriff zu erhalten und ver-
schiedene Kapitel Mathaei im Syrischen zu verstehn". Daneben
fehlte es denn nicht am Unterricht in den mathematischen
Diseiplinen, Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie, Astronomie,
den neueren Sprachen, Geschichte und Geographie. Moderne
Hilfsmittel und Lehrbücher, denn doch viel entschiedener
als der Theoretiker es vorgesehn hatte, wurden herangezogen.
Freilich waren auch solche darunter,, die durch spätere Zusätze
mundgerecht gemacht, sich aus dem Zeitalter der Scholastik von
Jahrhundert zu Jahrhundert fortgeerbt hatten, wie des Joannes
a Sacrobosco ( John Holy wood aus dem 13. Jahrhundert) Traktat
398 Frage der Reform des Unterrichtswesens.
„de sphaera" mit den Kommentaren des Jesuiten Clavius
11. a., wo denn freilich, wie sich denken lässt, vom koperni-
kanischen System keine Spur zu entdecken war. Oft diente
ein und dasselbe Werk auch hier zur Erlernung" des Sprach-
lichen und Sachlichen, wie das französisch geschriebene geogra-
phische Lehrbuch von Davity oder Giovanni Villani's Ge-
schichtswerk (^).
Nicht genug damit: auch der Sonntag brachte seine
Arbeit. Da wurde je ein Kapitel des griechischen Testaments
gelesen und Milton's ,, gelehrte Erläuterung desselben" ange-
hört. Darauf diktirte er „von Zeit zu Zeit ein Stück eines
Traktates, den er für nützlich hielt aus den Schriften der
fähigsten Theologen zusammenzustellen, die über diesen Gegen-
stand geschrieben hatten, Amesius, Wollebius u. s. w., nämlich
ein vollkommenes System der Theologie". — So vielfältig waren
die Beschäftigungen, zu denen die jungen Bewohner des Hauses
in der Barbican-Strasse angehalten wurden, und man darf
vermuthen, dass auf ihre körperliche Ausbildung nicht weniger
Rücksicht genommen wurde wie auf ihre geistige.
Man wird nicht viel Gewicht auf die Behauptung Edward
Phillips' legen wollen, sein Oheim habe gerade damals, im Jahre
1647, einige Aussicht gehabt, den Plan der Errichtung eines
„akademischen Institutes" verwirklicht zu sehn, nach eben
dem Muster, das seine Schrift über die Erziehung vorgezeich-
net hatte. Aber soviel ist gewiss, dass die Frage einer Re-
form des Unterrichtswesens die Geister noch immer bewegte.
Das Parlament hatte durch sein rücksichtsloses Eingreifen in
die Universitätsverhältnisse nichts Dauerndes geschaffen, aber
die allgemeine Theilnahme an der wichtigen Frage noch ge-
steigert. Hatte sich früher Cam])ridge grosse Personal -Verände-
rungen gefallen lassen müssen, so wurde nach der Kapitu-
lation von Oxford dieses Hauptquartier des hochkirchlichen
Royalismus von presbyterianischen Predigern überschwemmt
und im Auftrag des Parlaments durch eine Visitations - Kom-
mission lieimgesucht. Diese begegnete allerdings dem zähe-
sten Widerstände gegen Covenant und parlamentarische Auto-
Hartlib und seine Bestrebungen. Eobert Boyle. 399
rität überhaupt, sodass man sich zu einer gewaltsamen Aus-
stossung der uufügsamen Elemente entschloss.
Auch damals wird in England schwerlich jemand den Gegen-
stand einer Reform des Unterrichts fester ins Auge gefasst haben
als Samuel Hartlib. Er war überhaupt, wie innner, von den
mannichfaltigsten Ideen, den Nutzen und das Wohl seiner Mit-
menschen zu fördern, ganz erfüllt. Sein Briefwechsel mit dem
jungen Robert Boyle, der damals begann, dreht sich um die
verschiedensten Gegenstände von Lehre und Leben : Die Her-
stellung von allgemeinen Schriftzeichen und Windbüchsen,
anatomische Entdeckungen und Experimente betreifend das
vacuum, Copernicus und Durie, Mersenne und Gassendi(0.
Er selbst gab eine Schrift heraus, die in einem eigenthüm-
lichen Gemisch von Praktischem und Phantastischem dem
Parlament die Einrichtung von zwei Agenturen, eine für die
weltlichen, eine für die geistlichen Angelegenheiten, als zweck-
dienlich für durchgreifende Reformen empfahl. Es ist nicht
nöthig darauf einzugehen, in welcher Weise er sich die nütz-
liche Thätigkeit dieser Anstalten ausmalt, die als nationale
Annoncen- und Nachweis -Bureaus jedem Gelegenheit geben
sollen, Rath zu ertheilen und sich Rathes zu erholen. Auch
die sonstigen Vorschläge die er macht, wie für die Ausbrei-
tung des Christenthums unter „Juden, Türken und Heiden",
die Unterhaltung einer „brüderlichen Korrespondenz mit den
Nachbarkirchen" u. s. w\ können hier übergangen werden.
Was auch in dieser Schrift deutlich hervortritt, ist das klare
Bewusstsein von der Noth wendigkeit, die Schuleinrichtuugen
zu verbessern und das Erziehungswesen zu einer der wichtig-
sten Staatsaufgaben zu machen (-).
Für diese pädagogischen Fragen konnte jeder Strebende
sicher sein, in Hartlib einen theilnehmenden Berather zu finden.
Erst kürzlich war der junge William Betty, dessen Name bald
hochberühmt wurde, vom Festlande zurückgekehrt, wo er sich
die umfassendsten Kenntnisse erworben hatte. Mathematisch
gebildet, ausgezeichnet als Mediciner, von national-ökonomi-
schen Ideen erfüllt, war er ganz und gar der Mann, sich mit
Hartlib auf ein und demselben Felde zu begegnen. Eben damals
400 William Petty. — Kinuer.
war er bemüht, ein Patent für eine Maschine seiner Erfindung zu
erhalten, durch die es ermöglicht wurde, zwei Schriftstücke
zu gleicher Zeit herzustellen. Um diese Zeit liess er ein
„Gutachten, gerichtet au Mr. Samuel Hartlib, über die Förde-
rung einiger Wissenszweige" erscheinen, in dem er auch jene
Erfindung besprach, aber zugleich seine pädagogischen Ideen
darlegte (^). Seiner ganzen geistigen Richtung nach stellte er
sieh noch viel entschiedener auf den Nützlichkeits-Standpunkt
als irgend ein anderer seiner Zeitgenossen, dei* dies Thema
berührt hatte. Den Sprach-Unterricht will er nicht verdrängen,
aber bedeutend vereinfachen und verkürzen. Dagegen soll der
Unterricht in Mathematik und ihrer praktischen Anwendung,
Zeichnen, Holzschneiden, Optik, Architektur etc. durch Hilfs-
mittel aller Art gefördert werden, und womöglich,, jedes Kind,
auch vom höchsten Stande, in der Jugend irgend ein anständiges
Gewerbe lernen". Der Begriff des unentgeltlichen, obligato-
rischen Volks-Unterrichtes lässt sich in seinen Sätzen finden.
Mit Petty's praktischen Bestrebungen hatte einer der aus-
wärtigen Korrespondenten Hartlib's wenig gemein, mit dem
er sich gleichfalls durch das Interesse an pädagogischen Fragen
verknüpft fühlte. Es war jener Dr. Kinner, aus Schlesien,
einer der Mitarbeiter des Comenius, der ihn indess Ende
1647 entliess. Kinner kam ihm zu theuer zu stehn, die
Arbeiten rückten nicht recht fort, und dennoch klagte der
Schlesier, er sei überladen. Dafür machte sich dieser an
Hartlib, rühmte ihm ganz im Tone des Meisters den unge-
heuren Werth des didaktischen Werkes, an dem er arbeite,
schwelgte wie dieser in pansophischen Träumen und verlangte
mit bedenklichem Eifer vor allem Unterstützung durch baares
Geld. Hartlib hat denn wenigstens 1648 eine englische Ueber-
setzung einer lateinischen Skizze Kinner's herausgegeben (^).
Al)er Kinner war nicht der einzige, mit dem Hartlib über
die Fragen einer Erziehungs- und Unterrichts-Reform korrespon-
dirte. Unzweifelhaft kam bei dem Gedankenaustausch, den er
mit diesem und jenem sonst darüber pflog, viel Dilettantisches,
ja geradezu Komisches zu Tage. Einer seiner Bekannten will
im Lande selbst Kolonieen gegründet wissen, in denen nur
Comeuius. 401
Lateinisch, Griechisch, Hebräisch gesprochen wird, und in
welchen die Kinder diese Sprachen erlernen sollen, ein Vor-
schlag, der ihn auf die Frage der Toleranz der Juden führt.
Aber unter eben den Schriftstücken, die aus Hartlil)'s Naeh-
lass zu stammen scheinen, finden sich auch allgemeine Be-
trachtungen über den Zweck des Jugendunterrichts im Milton'-
schen Geiste, welche die Schule „als ein Vorspiel des Lebens"
betrachten, in „dem alles vorkommen soll, was den Menschen
zum Menschen macht" (^).
Es lässt sich denken, dass über anderen Freunden Comenius
nicht vergessen w^urde. Hartlib stand mit dem grossen, in
seine Arbeiten vertieften Pädagogen fortwährend in Verbin-
dung. Er muss die Klagen des Freundes über den lang-
samen Fortgang seiner Werke und seine wachsenden Geldver-
legenheiten anhören, zugleich auch sich selbst den Rath geben
lassen, seine Zeit und Kraft nicht für andere in so vielerlei
humanen Beschäftigungen zu zersplittern, sondern nach einer
bestimmten Lebensstellung für sich und die Seinigen auszu-
schauen (-). Ein anderes Mal vermittelt er ein Büchergeschenk
Herbert's von Cherbury an Comenius, und dieser hinwiederum
theilt Hartlib mit, dass sein letztes Werkchen zum Besten
derer, die kein Englisch verstehen, in's Lateinische übersetzt
w^orden sei, nimmt Antheil an dem Versuch, „eine Schrift für
alle Völker und Sprachen" herzustellen und vor allem an
dem Plane der Stiftung einer londoner Akademie (3). In der
That drängte sich dieser letzte Gedanke wieder stark in den
Vordergrund, Schon damals waren die ersten Anfänge jener
„Societät" vorhanden , deren förmliche Gründung einige Zeit
später Epoche in der Geschichte der Naturwissenschaft gemacht
hat. Unter den Männern, deren Name in der Vorgeschichte der
Royal Society eine Rolle spielt, sind mehrere, die auch zu
Milton in Beziehung traten , und Hartlib nahm an ihren Be-
strebungen regen Antheil. Boyle nennt jene Männer, die sich
seit 1645 bald hier, bald dort in London zu naturwissenschaft-
lichen Zwecken versammelten , in einem Briefe vom Februar
1647 die Pfeiler des „unsichtbaren" oder nach ihrer
eigenen Bezeichnung des „philosophischen College" und lässt
Stern. Milton u. s. Zeit. I. 2. 26
402 Das „unsichtbare College". — Milton in Higb-Holborn.
(loch ein anderes Mal keinen Zweifel darüber, dass Hartlib
gleichsam „von Gott zur Hebamme und Ernährerin" desselben
gemacht worden sei (^). Noch war nicht zu sagen, was sich aus
diesen Anfängen herausarbeiten würde, und in Hartlib's Kopf
mochte am wenigsten volle Klarheit über ihre Bedeutung
herrschen. Denn er war überhaupt viel mehr dazu gemacht
anzuregen und zu vermitteln, als selbstständig wissenschaftlich
zu arbeiten. So sehr hatten indessen seine Schriften und seine
ganze bisherige Thätigkeit die Aufmerksamkeit der leitenden
Persönlichkeiten auf ihn hingelenkt, dass ihm am 25. Juni 1646
die Summe von 100, am 31. März 1647 die Summe von 300 j^ „in
Anbetracht seiner Verdienste" vom Parlamente bewilligt wurde.
„Mit Piücksicht auf seine und seiner Familie augenblickliche
grosse Bedürftigkeit" sollte die Auszahlung möglichst rasch
erfolgen. Dagegen blieb es fruchtlos, dass er gleichzeitig aufs
dringendste dem Committee für die Universität Oxford als
Kandidat für eines der dort erledigten Beneficien empfohlen
wurde (-).
Mit welcher Theilnahme immer Milton die Bestrebungen
seines Freundes Hartlib, namentlich soweit sie sich auf das
Unterrichtswesen bezogen, verfolgt haben mag, er selbst hatte
keinen Anlass, aus seiner bescheidenen, privaten Wirksamkeit
hervorzutreten. Noch im Laufe des Jahres 1647, vermuthlich
weil der Tod seines Vaters ihn in den Besitz eines gewissen
Vermögens gesetzt hatte (^), entschloss er sich sogar, die Zahl
seiner Schüler wieder einzuschränken. Im Spätsommer oder
im Herbst vertauschte er das geräumige Haus von Barbican,
in dem sich für eine Anzahl von Pensionären Platz gefunden
hatte, mit einer kleineren Wohnung in High - Holborn , die
von ihrer llückseite den freien Ausblick auf „Lincoln's Inn
Fields" gewährte. War auch damals schon diese Gegend eine
der belebtesten, so hat man sich doch zwischen den einzelnen
Hilusern mehr Luft und Licht zu denken. Der grüne Platz
von Lincoln's Inn war zum Theil noch offen, und die Umge-
bung hinderte nicht, ein „ruhiges, den Studien gewidmetes
Leben zu führen" (■^). Die dichterische Thätigkeit trat frei-
lich auch jetzt noch hinter diesen Studien zurück. Das erste
Psalmen-UebersetzuDg. — Brief von Dati. 403
Zeichen des poetischen Genius Milton's, das uns wieder be-
gegnet, ist eine metrische Uebersetzung der neun Psalmen
80 — 88 aus dem April 1648 (^), und dieser Versuch kann als
eine sehr geringfügige Probe seiner Fähigkeiten gelten. Un-
zweifelhaft hatten die damals veranstalteten neuen Uel:)ertra-
gungen der Psalmen , welche sich darum stritten , die in
Schottland und England im sechzehnten Jahrhundert recipirten
zu verdrängen, auch Milton zum Wetteifer herausgefordert.
Aber sein ängstliches Bemühen, sich möglichst enge an den
Urtext anzuschliessen , ein Bemühen, dem er sogar durch
Randverweisungen auf das Hebräische Ausdruck giebt, war
der freien, poetischen Form sehr wenig günstig. Uebrigens
mag die Auswahl gerade dieser Psalmen nicht ganz un-
abhängig von den Zeitereignissen gewesen sein, und in den
englischen Reimen Milton's, rauh und ungefügig, wie sie sind,
erscheint die hebräische Muse ganz in den Dienst des sorgen-
vollen, aber gottvertrauenden Puritanismus gestellt.
Jedenfalls war kein grösserer Gegensatz denkbar, als der
dieser ernsten, religiösen Stimmung und jener spielend - ästhe-
tischen, die einige Zeit vorher in einem Erwiderungsbriefe
des Florentiner Carlo Dati (vom 1. November 1647) zu Tage
getreten war. Es musste wieder liebe, alte Erinnerungen
wecken, wenn Milton in den gewählten und schmeichelhaften
italienischen Worten die Persönlichkeit des Freundes in ihrer
ganzen Anmuth entgegentrat. Aber wie eigenthümlich mocli-
ten ihn, inmitten der grossen Kämpfe seines Vaterlandes, die
kleinlichen philologischen Bemerkungen über Stellen aus Pe-
trarca, Chiabrera, Tibull, Ovid, Horaz u. s. w. berühren, die,
auf sechs Folioseiten vertheilt, so recht ein Zeugnis für die
schöngeistige Müsse des Schreibers ablegten. Ebenso erinnerte
die dringende Aufforderung, einem kürzlich verstorbenen flo-
rentiner Dichter, Francesco Rovai, einen poetischen Nachruf
zu weihen, ganz und gar an die Sitten jener akademischen
Kreise, denen es so leicht wurde, schönklingende Verse auf
Bestellung zu liefern (2). Auch hat Milton dem Wunsche
Dati's schwerlich entsprochen. Dagegen seine gedruckten
lateinischen Gedichte, deren antikatholische Stellen der Freund
26*
404 Geburt von Mary INIilton. — Karl I. in Holmby.
sich bereit erklärte „entschuldigen" zu wollen, langten in
zwei Exemplaren in Florenz an. Selbstverständlich fand sich
Dati zur Absendung eines Dankbriefes (4. December 1648)
aufgerufen und in diesem liess er es auch an Personalnach-
richten nicht fehlen, die für Milton ein Interesse haben muss-
ten. Dati selbst war Nachfolger des im December 1647 ver-
storbenen Giovanni Doni auf dem Lehrstuhl der Literatur an
der florentiner Akademie geworden. Chimentelli hatte die
Professur der griechischen Literatur in Pisa erhalten. Fres-
cobaldi, Coltellini, Francini, Vincenzo Galilei, des grossen Ga-
lilei Sohn, „und unzählige andere", hatten den englischen
Freund, wie ihre Grüsse bezeugten, nicht vergessen (^). — Nicht
lange, ehe dieser Brief in Milton's Hände kam, am 25. Okto-
ber 1648 war diesem sein zweites Kind geboren worden, wie-
der ein Mädchen, das wohl nach der Mutter Mary genannt
wurde (2). Es war für längere Zeit das einzige Familien-
ereignis, von dem uns Kunde geworden ist. Um so bedeu-
tender griffen die öffentlichen Angelegenheiten in das Dasein
Milton's ein. Der Gang, den sie seit der Auslieferung des
Königs durch die Schotten genommen hatten,- führte ein Er-
gebnis herbei, welches für das Leben des Dichters nicht weniger
entscheidend wurde wie für das seiner Nation.
Seit Karl L sich im Schloss zu Holmby, überwacht von
den parlamentarischen Kommissären und den presbyterianischen
Geistlichen Caryl und Marshall, in anständiger Haft befand,
hatte der Gegensatz der beiden grossen kirchlich - politischen
Parteien Englands einen immer schärferen Charakter ange-
nommen. Der Kampf, welcher bis dahin nur mit Wort und
Schrift geführt worden war, drohte sich in einen Kampf der
Waffen zu verwandeln. Denn die Mächte, welche sich gegen-
überstanden, waren das independentische Heer und die pres-
byterianische Mehrheit des Parlaments. In den ersten Mo-
naten des Jahres 1647 war ein Beschluss auf den anderen
gefolgt, der darauf abzielte, dem Independentismus seine
Konflikt zwischen Heer und Parlament. 405
stärkste Waffe zu entreissen. Es konnte keine bessere Recht-
fertigung für das Vorgehen der Presbyterianer gedacht werden,
als sie durch die traurigen Verhältnisse Irlands von selbst
geboten wurde. Dort schien die Anwesenheit jenes kampf-
erprobten Heeres dringend nothwendig zu sein, während man,
nach äusserlich hergestelltem Frieden, in England hoffen
durfte, seiner entbehren zu können. Dort mochten jene
trotzigen, selbstbewussten Krieger gegen den gemeinsamen
Feind ihre besten Kräfte verbrauchen, während man, ihrer
entledigt, freie Hand erhielt, sich über alle Forderungen von
Toleranz und Gewissensfreiheit hinwegzusetzen. Schritt für
Schritt giengen die Presbyterianer im Parlament in dieser
Richtung vor und trugen bei jeder wichtigen Abstimmung den
Sieg davon. Für England wurde die Zahl der Garnisonen,
die beizubehalten rathsam schien, festgesetzt und beschlossen,
ausser den nöthigen Besatzungstruppen nur eine massige Ka-
valleriemacht bestehen zu lassen. Mit Mühe wurde wenigstens
Fairfax der Oberbefehl gerettet, aber unter ihm sollte kein
Officier höheren Rang haben, als den des Obersten, und alle
wurden verpflichtet, den Covenant zu unterschreiben und sich
der festgesetzten Kirchenverfassung zu konformiren. Nicht
minder bedeutete der Ausschluss der Parlamentsmitglieder
von den Kommandantenstellen, — gewissermassen die Rache
für die frühere Selbst -Entäusserungs- Bill, — einen Schlag
gegen den Independentismus , dessen vornehmste militärische
Vertreter zum Theil erst kürzlich im Parlament einen Sitz
gefunden hatten. Aber die grösste Niederlage gedachten
seine Gegner ihm beizubringen, als es galt, über die Streit-
kräfte, die für den Dienst in Irland bestimmt werden sollten,
Verfügungen zu treffen. Diese 12,600 Mann, der Masse nach
aus dem alten Heere rekrutirt, konnten noch immer gefähr-
lich werden, wenn sie in der Hand der independentischen
Führer gelassen wurden. Es wurde beschlossen, das Kom-
mando dem unschädlichen und populären Skippon anzutragen
und ihm den presbyterianischen Massey als General - Lieute-
nant beizuordnen (2. April 1647).
406 Konflikt zwischen Heer und Parlament.
Noch ehe es so weit gekommen war. hatte das Heer sich
hören lassen. Es war nicht gewillt, ohne Bürgschaften für
die Zukunft auseinanderzugehen. Seine Glieder fühlten sieh
nicht als gewöhnliche Söldner, sondern als freie Bürger, welche
die Ideale, für die sie gekämpft hatten, nicht geopfert sehen
wollten. Dazu kam, dass die Löhnung noch im Rückstände,
Ersatz für geschehene Leistungen ungewiss war. Das Miss-
trauen der Hauptstadt und der presbyterianischen Mehrheit
wurde durch ein Votum vom 17. März bezeugt, nach dem
den Truppen verwehrt wurde, sich London mehr als fünfund-
zwanzig Meilen zu nähern. Im Heere andererseits wuchs die
Unzufriedenheit und Besorgnis. Es ist hier nicht möglich,
die einzelnen Stadien seines Widerstandes genauer zu ver-
folgen. Unter den Officieren in Fairfax' Hauptquartier trat
er zuerst zu Tage. Zahlung des rückständigen Soldes, Indem-
nität für die während des Krieges geschehenen Handlungen,
Gewissheit über die Bedingungen des irischen Dienstes, vor
allem die Persönlichkeit der Führer: das waren die haupt-
sächlichsten Gegenstände der Verhandlungen, die zwischen
dem Lager und dem Parlament stattfanden, der Aktenstücke,
die aus dem Kreise der Officiere hervorgiengen. Allerdings
war eine Anzahl von ihnen, nachdem Skippon das Kommando
angenommen hatte, bereit, sich auf den Dienst in Irland ein-
zulassen. Aber die Mehrheit wollte sich von ihren alten Füh-
rern nicht trennen, den englischen Boden vor Zusicherung
gewisser Bedingungen nicht verlassen. Auf's schwei'Ste niuss-
ten sich diese tapferen Krieger verletzt fühlen, wenn die
Theilnehmer an ihrer energischen Petition vom Parlamente
als Feinde des Staates und Friedensstörer gebrandmarkt, ein-
zelne ihrer Genossen vor den Schranken des Unterhauses, wie
Angeklagte, wegen ihres jüngsten Verhaltens vernommen wur-
den. Auch die Neu -Ordnung der londoner Miliz, aus deren
Leitung man die independentischen Elemente entfernte, wurde
als eine Art von Beleidigung empfunden.
Der Widerstand der Officiere war schon bedenklich ge-
nug, aber noch bedrohlicher wurde die Bewegung, als sie sich
der Masse der Soldaten bemächtigte. Die einzelnen Regi-
Die Adjutatoren. 407
nienter schickten sich an, aus ihrer Mitte Vertreter zu wählen,
die aus Agenten und Adjutatoren wahrhafte Agitatoren wur-
den. Das Heer verwandelte sich in eine Art von Neljen-
parlament und zögerte nicht, auch mit allgemeinen politischen
Forderungen hervorzutreten. Die ersten Anzeichen dieser
merkwürdigen Erscheinung kamen Ende April zu Tage. Im
Namen von acht Regimentern ergieng an Fairfax, Cromwell,
Skippon eine Adresse, welche über die ehrenrührigen Beschul-
digungen der Armee bittere Klage führte, den presbyteria-
nischen Parteihäuptern das Streben nach Gewaltherrschaft vor-
warf und vor der Auflösung oder Ueberführung nach Irland
Befriedigung der erhobenen Forderungen und Sicherung der
Rechte und Freiheiten der Unterthanen verlangte. Die Vor-
legung dieser Adresse durch Skippon und Cromwell, die Ver-
nehmung der drei Soldaten , durch die sie an jenen gelangt
war, machte auf das Unterhaus doch Eindruck (30. April).
Die nächsten Wochen wurden durch Versuche ausgefüllt, das
Heer zu versöhnen und zum Gehorsam unter die bürgerliche
Gewalt zurückzuführen. Das Haus zeigte sich in der Frage
der Löhnung und Indemnität entgegenkommend. Skippon,
Cromwell, Ireton, Fleetwood wurden abgesandt, um auf die
Officiere und durch diese auf die einzelnen Regimenter zu wir-
ken. Indessen die Verhandlungen hatten nicht das gewünschte
Ergebnis. Die Zugeständnisse des Parlaments erschienen un-
genügend, Officiere und Soldaten fühlten sich in ihren Be-
strebungen miteinander verbunden. Indem das Parlament über
die schleunige Auflösung der Infanterieregimenter, an verschie-
denen Stellen und für bestimmte Termine, Beschluss fasste, war
jede weitere Unterhandlung abgeschnitten und die Krisis her-
beigeführt. Hie und da kam es zu Meuterei und Gewaltsam-
keiten. Eine Petition der Agitatoren ersuchte Fairfax, dem
ganzen Heere sofort einen Sammelplatz zu bestimmen. Ein
Kriegsrath von etwa zweihundert Officieren, unter deren Zahl
CromweH's Schwiegersohn, Ireton, war derselben Ansicht.
Fairfax willigte ein, und am 4. Juni trafen dreizehn Regimenter
auf der Heide von Kentford bei Newmarket zusammen, um
eine Art von Soldaten - Covenant gegen eine überstürzte Ab-
408 Entführung des Königs durch Joyce.
dankung zu bescliliessen, die einer Abstellung ihrer Beschwer-
den vorausgienge.
Währenddess war die Person des Monarchen in die Ge-
walt des Heeres gebracht worden. Die Furcht, dass die
Presbyterianer zu einem Uebereinkommen mit dem König ge-
langen könnten, in dem nur ihre Interessen berücksichtigt
würden, hatte nicht am wenigsten dazu beigetragen, die ge-
reizte Stimmung der Armee gegen Parlament und Hauptstadt
zu steigern. In der That fanden Verhandlungen zwischen den
vornehmen presbyterianischen Führern und Karl I. Statt, von
denen auch die Königin unterrichtet war. Die französische
Diplomatie, die in London anwesenden Schotten, einige Damen
von politischem Einfluss, wie die Gräfinnen von Carlisle und
Devonshire, bemühten sich in dieser Richtung. Die Haupt-
stadt, welche seit dem Mai die erste Provinzialsynode in ihrer
Mitte tagen sah, war unter lebhafter Einwirkung einer zelo-
tischen Geistlichkeit nach wie vor wesentlich presbyterianisch
gesinnt. Zahlreiche Royalisten, die nach der Uebergabe der
Garnisonen sich hierhin gewandt hatten, thaten ihr Möglich-
stes, um die Bevölkerung gegen das Heer und für den König
einzunehmen. Er selbst erklärte sich bereit-, die Einführung
der Presbyterial - Verfassung auf drei Jahre, Ueberlassung der
Miliz auf zehn Jahre zuzugestehen, die unter dem grossen
Siegel erlassenen Akte zu bestätigen und forderte Fortsetzung
und Abschluss der Verhandlungen in London. Die Lords be-
schlossen daraufhin seine Ueberführung von Holmby nach
Oatlands. Inzwischen erschien seinen Freunden in der Haupt-
stadt ein anderer Weg geeigneter. Man rieth ihm, sich, wie
auf der Flucht von Holmby, in die City zu begeben, vom
Lord-Mayor und der Bürgerschaft begleitet, im Parlamente
zu erscheinen und hoffte von einem solchen Schritt für die
Sache der Monarchie wie des Presbyterianismus das Beste (0-
Das independcntische Heer hatte zu fürchten , dass alle
Früchte seiner Anstrengungen verloren giengen, wenn es nicht
gelang, der Ausführung jener Pläne zuvorzukommen. In der
Nacht vom zweiten auf den dritten Juni erschien der Cornet
Joyce mit ein Paar hundert Reitern vor dem Schloss Holmby,
Entführung des Königs tlurcli Joyce. 409
erlangte Einlass, da die Besatzungstruppeu mit den seinigen
fraternisirten, und nöthigte die parlamentarischen Kommissäre,
jeden Gedanken an Widerstand aufzugeben. Noch spät Abends
am dritten verschaffte er sich Zutritt zum König und Hess
ihn über seine Absichten nicht in Zweifel. Am folgenden
Morgen setzte der König seine Verhandlungen mit ihm fort.
Die einzige Vollmacht, die Joyce vorzuweisen hatte, war die
schmucke Reitertruppe hinter ihm, und Karl I. fand, dass sie
„in sehr deutlichen Buchstaben geschrieben" sei. Nachdem
er die. Versicherung erhalten hatte , dass ihm nichts gegen
Ehre und Gewissen widerfahren solle, war er nicht ungern
bereit, seine bisherigö Haft zu verlassen. Noch konnte er
von dem letzten Vorsehlag, sich unter den Schutz der City
zu stellen, keine Kunde haben, und man darf bezweifeln, ob
er sich auf das Unternehmen eingelassen haben würde. Er
hatte den presbyterianischen Zwang jeden Tag bitter empfinden
müssen, da ihm nicht einmal Kapläne nach eigner Wahl ge-
stattet worden waren. Bei den Independenten war er wenig-
stens davor sicher, mit den Marshall und Caryl an einem
Tisch essen zu müssen und, wohlvertraut mit dem Zwiespalt
zwischen Heer und Parlament, wie er war, durfte er sich mit
der Hoffnung schmeicheln, auch im Lager Nutzen für sich
daraus zu ziehen. Am Nachmittag des vierten Juni setzte
sich der Eeitertrupp mit dem König und den unmächtigen
Kommissären des Parlaments in der Pachtung nach Newmarket
in Bewegung.
Karl I. war aus einem Gefangenen des Parlaments ein
Gefangener des Heeres geworden, in wessen Auftrag auch
immer Joyce, der völlig frei ausgieng, gehandelt hatte. Fair-
fax, welcher mit einer Anzahl der höheren Ofüciere einige
Tage später den König sah, betheuerte seine Unschuld. Die
Presbyterianer, deren sich eine ungeheure Aufregung bemäch-
tigte, sahen in Cromwell den Urheber des Geschehenen. Er
hatte sich eifrig bei den Verhandlungen mit dem murrenden
Heere betheiligt, aber schon früher mit voller Klarheit vor-
ausgesehen und vorausgesagt, dass das Gebahren der Presby-
terianer zu einem feindlichen Zusammenstoss führen werde (^).
410 Stellung Cromwell's. — Forderungen des Heeres.
Sie scheinen damals die Absicht gehabt zu haben, ihn in ihre
Gewalt zu bringen, allein er hatte London rechtzeitig verlassen
und war bei jener Zusammenkunft mit dem König gegenwärtig
gewesen. Welcher Art seine Thätigkeit in der nächsten Zeit
gewesen ist, lässt sich nur vermuthen, nicht feststellen. Es
waren Wochen ängstlicher Spannung, wie sie London seit der
ersten Periode des Bürgerkrieges nicht mehr erlebt hatte.
Die Verhandlungen zwischen der Armee und dem Parlamente
rissen zwar nicht ab, aber seine Zugeständnisse wurden nicht
beachtet, seine Befehle nicht befolgt. Die Regimenter erschie-
nen bald näher, bald ferner von der Hauptstadt, und je nach-
dem wechselte hier die Stimmung zwischen Furcht und Zu-
versicht. Man rüstete sich zum Widerstände, zum Schutz
des Parlamentes und nahm selbst Officiere der ehemaligen
königliehen Armee in Dienst, Aber man wagte doch nicht,
es zum Aeussersten kommen zu lassen. Die Manifeste, welche
aus dem Heer an Parlament und City gelangten , redeten eine
immer deutlichere Sprache. Eines, von Fairfax, Cromwell,
Ireton und zehn anderen der höchsten Officiere unterzeichnet,
warnte den Lord -Major, die Aldermen und den Gemeinde-
rath, nicht „einige wenige egoistische Leute dem Wohle des
Staates vorzuziehen". Es betonte, dass die Soldaten sich
auch als englische Bürger fühlten. Es erhob Einspruch gegen
die Entlassung, ehe nicht der „Friede des Reiches und die
Freiheiten der Unterthanen" in der Weise, wie man sie vor
dem Ergreifen der Waffen verstanden, gesichert seien. Es
verwahrte das Heer gegen die Beschuldigung, die „Regierung
verändern" oder die einmal beschlossene Kirchenverfassung
beseitigen zu wollen. Aber es nahm in bescheidenster Form
Gewissensfreiheit für „jeden friedlichen Bürger" in Anspruch
und stellte, im Namen der Soldaten, die materiellen Forde-
rungen hinter jenen ideellen zurück (^). Wenn möglicher
Weise diese Sprache Cromwell selbst angehörte, so konnte
Ireton als Autor anderer Aktenstücke gelten, die den Reihen
des Heeres entstammten. Bedeutende Gedanken traten in
ihnen zu Tage, Grundzüge einer politischen Reform, die nicht
nur die Macht des Königs ausserordentlich herabdrücken, son-
Anklage der eilf Mitglieder. 411
dern auch die Dauer des Parlaments in bestimmte Schranken
einschliessen , die Repräsentation des Volkes auf einer brei-
teren Grundlage herstellen sollte. Nicht sofort wurden Neu-
wahlen verlangt, aber sie wurden als nothwendig bezeichnet,
und unabhängig davon war das Verlangen, eine Anzahl von
Älitgliedern ausgestossen zu sehen, denen man „Delinquenz",
Korruption, unrechtmässige Wahl', Missbrauch ihrer Stellung
vorwarf. Gegen eilf Mitglieder, die bei Namen genannt wur-
den, richtete sich am 16. Juni eine förmliche Anklage. Es
waren die Führer der Presbyterianer, Denzil Holles an ihrer
Spitze, in dem die Armee ihren bittersten Feind erkannte.
Man forderte ihren vorläufigen Ausschluss von den Sitzungen.
Diese drohende Sprache blieb nicht ohne Eindruck, aber
sie erreichte noch nicht ihren Zweck. Im Stillen wurden
weitere Rüstungen in London betrieben. INIan hoffte mit dem
König, der nach Richmond übersiedeln sollte, zu einem Ab-
schluss zu kommen und hielt fest daran, die eilf bedrohten
Mitglieder bei ihren Rechten zu schützen. Eine neue x\n-
näherung des Heeres erschütterte den Muth der Presbyteria-
ner. Beschlüsse zu Gunsten der Armee wurden gefasst, auf
eine Entfernung des Königs vom Heere leistete man Verzicht,
die eilf Mitglieder erbaten und erhielten Urlaub. Selbst der
londoner Miliz sollte kraft parlamentarischer Verordnung ihre
alte Leitung wiedergegeben werden. Alles dies war unter
wachsender Aufregung der Bürgerschaft geschehen. In der
Cit}' hatte der Presb^terianismus nach wie vor seine Stärke,
hier wirkte das anfeuernde Wort der Prediger, auch der
Royalismus gewann gegenüber den Forderungen der Soldaten
täglich an Kraft. Zwischen Bürgern, Milizen, Lehrburschen
und Matrosen kam eine Art von Covenant zu Stande, der
darauf abzielte, die schleunige Rückkehr des Königs zu er-
wirken, das Heer dagegen fernzuhalten und auf diese Weise
einen Vertrag zu ermöglichen, wie er den Idealen des Pres-
byterianismus entsprochen haben würde. Man gelobte sich
in ..dieser gemeinsamen Sache Gottes und des Königs keine
Neutralität irgend einer Art dulden zu wollen" und war eifrig
damit beschäftigt, Unterschriften zu sammeln.
412 Sturm gegen das Parlament. — Rüstungen der City.
Das Parlament, in welchem nach Entfernung der eilf Mit-
glieder das independentische Element sich stärker fühlte, war
nicht gesonnen, diesem Drucke nachzugeben. Es erklärte am
24. Juli die Verbreitung und Unterzeichnung jenes Covenant für
Hochverrath. Der folgende Tag, ein Sonntag, diente zur Vorbe-
reitung des Sturmes, der am 26. Juli losbrach. Petitionen des
Gemeinderaths. von Bürgern, Lehrburschen und jungen Leuten
forderten Kassirung der letzten Beschlüsse über die städti-
sche Miliz und gegen jenen Covenant, Zurückberufung der eilf
Mitglieder. Eine tumultuirende Menge umdrängte die Häuser,
von den Fenstern herab wurden Steine auf einzelne der Lords
geschleudert, die Gemeinen, welche länger Stand zu halten
suchten, in ihrem Sitzungslokal von wilden Eindringlingen be-
droht. Die beiden anstössigen Beschlüsse wurden wider-
rufen, aber die Tumultuanten hatten nicht lange Ursache sich
ihres Triumphes zu freuen. Als sich beide Häuser nach
kurzer Vertagung am 30. Juli versammelten , fehlten die
Sprecher und viele Mitglieder. Sie hatten ijn Lager eine Zu-
flucht gesucht, das Heer war im Anmarsch, um die Ruhe in
der Stadt wiederherzustellen und die Geflüchteten zurückzu-
führen. Einige Tage lang schien sich alles zu einem blutigen
Kampfe anzulassen. Das verstümmelte Parlament und die
City arbeiteten Hand in Hand. Die eilf presbyterianischen
Führer nahmen wieder ihre Sitze ein, zwei von ihnen, Waller
und Massey, traten an die Spitze der städtischen Streitkräfte,
die Verschanzungen, welche die Stadt einst gegen den Anfall
der königlichen Truppen hatten decken sollen, wurden armirt.
Allein die Kriegslust der City hielt nicht lange vor. Auch
die independentische Partei hatte ihre Anhänger, die in Be-
wegung geriethen, auf Southwark und andere der Vorstädte
war kein rechter Verlass , und je weniger man über die Ab-
sichten des Pleeres in Zweifel sein konnte, desto zaghafter
wurde die Stimmung der Bürgerschaft. Verhandlungen mit
Fairfax führten zur Unterwerfung unter seine Gebote.
Am G, August hielt der General mit vier Begimentern, die
geflüchteten Sprecher und Parlamentsmitglieder zu Wagen in
der Mitte, seinen friedlichen Einzug. Lorbeerzweige schmück-
Eiuzug des Heeres. — „Vorschläge" des Kriegsraths. 413
ten die Hüte der Soldaten. ^In Hyde - Park standen Lord-
Mayor und Aldermen, in Charing- Gross der Gemeinderath
zum Empfang bereit. Am folgenden Tage erfolgte der Durch-
marsch des ganzen Heeres, welches für einige Zeit Quartiere
in der Kähe bezog. Die Independenten versäumten nicht,
ihren unblutigen Sieg auszubeuten. Fairfax war zum Con-
stable des Tower ernannt w^orden. Alle in der Zwischenzeit
gefassten Parlamentsbeschlüsse wurden umgestossen, zwei der
eilf presbyterianischen Führer ihrer Sitze im Hause der Ge-
meinen beraubt und gefangen gehalten, während die übrigen
auf die eine oder andere Art hatten flüchten können. Gegen
den Lord - May or , einige Aldermen und solche, die an den
letzten Vorgängen einen bedeutenden Antheil gehabt zu haben
schienen, wurden Anklagen erhoben. Sieben von den Lords,
die nach den Tumulten zurückgeblieben waren, sahen sich in
derselben Weise bedroht.
Die Hauptfrage blieb, ob es gelingen werde, den König
und die Parteien zur ehrlichen Annahme eines dauernden
Friedensvertrages zu vereinigen. Wenn das Parlament sich
dem Andrängen der Schotten nicht entziehen konnte, Karl L
aufs neue die Bedingungen von Newcastle zu unterbreiten,
so hatten die hervorragenden Officiere schon seit Wochen be-
sondere Verhandlungen mit ihm gepflogen. Man kennt jene
„Vorschläge'- Thomas Fairfax' und seines Kriegsraths, die in
ihrer Redaktion vom 1. August 1647 die Grenze bezeichnen
mögen, bis zu welcher die Officiere damals in jenen Verhand-
lungen zu gehen geneigt waren. Es konnte sehr wohl im
Interesse eines aufgeklärten Königthums ausgebeutet w^erden,
v.enn hier wiederum Einspruch gegen eine Permanenz des
Parlaments, sowie die Machtfülle der Committees erhoben,
wenn eine Reform des Wahlrechts, sowie wichtiger Theile der
bürgerlichen Gesetzgebung gefordert wurde. In der kirch-
lichen Frage war von dem Independentismus weniger Zwang
zu erwarten , als vom Pi-esbyterianismus. Von einer Auflage
des Covenant sollte nicht mehr die Rede sein, und jede Bei-
hilfe der Staatsgewalten zur Erzwingung kirchlicher Strafen
wegfallen. Dabei ward freilich auch die frühere Jurisdiktion
414 „Vorschläge" des Kriegsratbs.
clei- Bischöfe und die Xöthigung zum Gebrauche des Common-
Prayer-Book verurtheilt, ohne dass man aufgegeben hätte,
„Papisten und papistische Ptekusanten" nach wie vor als
Staatsverbrecher schlecht^Yeg zu betrachten. Geschickt genug
war jedes Wort über die Gestalt der künftigen Landeskirche
vermieden, jedenfalls aber freien Kongregationen das Recht
des Daseins gewahrt (i). Auch entsprach es ganz und gar
den independentischen Grundsätzen, wenn man die „herr-
schende unbillige und lästige Art, die Geistlichen durch Zehn-
ten zu erhalten", verändert wissen wollte. Mit einer Erklärung
sehr umfassender Amnestie und einer Milderung der Buss-
gelder wäre den Royalisten wiederum ein Zugeständnis ge-
macht worden. In anderen grossen politischen Fragen war
freilich von den Urhebern dieser Vorschläge nichts zu er-
warten. Sie forderten die Militia auf zehn Jahre für das
Parlament, auf ebensolange das ausschliessliche Recht, die
hohen Staatsämter zu besetzen. Die irischen Rebellen blieben
der Rache des Puritanismus Preis gegeben. Bezeichnend war
es, dass man für nöthig hielt, sich ausdrücklich gegen den
Gedanken zu verwahren, als wolle man diese Vorschläge auch
für Schottland zur Norm machen. Im Gegentheil musste es
den independentischen Officieren darauf ankommen, den Ein-
fluss des nördlichen Reiches möglichst fern zu halten.
Unzweifelhaft hatten sie mit diesen Vorsclilägen, die am
6. August durch Henry Vane auf den Tisch des Hauses der
Gemeinen niedergelegt wurden, noch nicht ihr letztes Wort
gesprochen. Es giebt eine Flugschrift des Feldkaplans Hugh
Peters, der den leitenden Persönlichkeiten des Heeres sehr
nahe stand, vermuthlich vom Ende August, in welcher weitere
Absichten hervortreten. Die allgemeinen Reformen, die man
von der Zukunft erwartete, erscheinen hier noch bedeutender.
Wiederum taucht die Forderung auf, das Stimmrecht gleich-
massiger zu vertheilen, die Zehnten als solche aufzuheben,
Verbesserungen in der Rechtspflege eintreten zu lassen. Aber
zugleich wird dem Staate zur Pflicht gemacht, „Akademieen
für Xobility und Gentry zu errichten", wie sie Milton im
Sinne hatte, und „bessere Methoden des Unterriclits zu be-
Programm von Hugh Peters. — Der König iu Hamptoucourt. 415
fördern, wie sie Hartlib erstrebte". Für das kirchliche Leben
wird zwar nicht der Grundsatz der Freiwilligkeit nach Roger
Williams Weise angenommen, aber eine gleichmässige Fürsorge
des Staates für die Angehörigen aller Bekenntnisse gewünscht (^).
Die Toleranz Hugh Peters' geht so weit, selbst Juden im Lande
zulassen zu wollen. Liefen diese Sätze den Principien des
Presbyterianismus direkt entgegen, so mussten sich seine An-
hänger durch andere Theile dieses independentischen Pro-
gramms nicht minder verletzt fühlen. Es wollte die Schotten
wohl als „Nachbarn und Freunde", aber nicht als „Herren
und Meister" gelten lassen. Es nahm neben dem Parlament
einen „Staatsrath von zöhn oder zwölf ehrlichen und wohlge-
neigten Männern" in Aussicht, unter denen sich, da nichts
über die Art ihrer Wahl gesagt war, jeder die Gesinnungs-
genossen des Schreibers denken konnte. Wenn aber die Vor-
schläge des Kriegsraths einer solchen Behörde nur die Leitung
der ausw^ärtigen und militärischen Angelegenheiten bis auf
Weiteres hatten übertragen wollen, so wollte ihr der Feld-
kaplan das Recht geben, dem Parlament sein Pensum vorzu-
schreiben, damit es seine Thätigkeit nicht in „Kleinigkeiten"
wie bisher zersplittere, sowie auch die kirchlichen Verfassungs-
fragen zu regeln (^).
Vorläufig blieben indessen alle Aeusserungen der Art nur
Fingerzeige für das, was man einige Jahre später annähernd
verwirklicht sah. In derselben Zeit sogar, in welcher sie ge-
than wurden, entschloss sich Fairfax, wohl im Einverständnis
mit höheren Officieren, dem König viel grössere Zugetändnisse
anzubieten, als in ihren früheren Vorschlägen enthalten ge-
wesen waren. Karl L hatte diese eingehend besprochen,
ohne sich für ihre Annahme zu erklären. Nichts desto min-
der blieb seine persönliche Lage nach wie vor eine giite.
Man begegnete ihm in achtungsvoller Form und liess ihm
grosse Freiheit der Bewegung. Er stattete diesem und jenem
Schloss seinen Besuch ab , empfieng alte Vertraute und sah
seine Kinder bei sich. Anglikanische Geistliche weilten in
seiner Nähe. Einige Tage, ehe das Hauptquartier der Armee
nach Putney rückte, siedelte er nach dem Palast von Hampton-
416 Neue Vorschläge von Fairfax. — Intriguen des Königs.
Court über (24. August), und eben hier Avurden neue Vor-
schläge ausgearbeitet, die auf die Herstellung des Friedens
in den „drei Königreichen" abzielten (^). Sie nahmen eine
Verlegung des Parlaments nach Oxford und seine baldige Auf-
lösung in Aussicht, desgleichen eine Zurückziehung der Trup-
pen aus London. Die Ausnahmen von der allgemeinen Amnestie
wurden auf wenig Namen beschränkt, Reformen der Rechts-
pflege blieben nach wie vor ein Theil des Programms. Der
wichtigste Artikel betraf aber wieder die kirchliche Frage.
Es war nicht möglich, sich mit klareren Worten für eine Wie-
derherstellung des Bisthums in seine „unzweifelhaften Rechte
nach den alten Gewohnheiten, Gesetzen und Statuten" an-
heischig zu machen, als es hier geschah. Aber zu gleicher
Zeit war die Bedingung hinzugefügt, dass „allen Menschen
Gewissensfreiheit gewährt werde, und keiner den anderen in
Sachen des Gewissens belästige oder verletze " (-). —
Es war das Unglück Karl's I. , sich in den entscheidend-
sten Momenten über den wahren Charakter seiner Lage zu
täuschen. Auch damals glaubte er aus dem Gegensatz der
mannichfachen Anträge, die ihm gemacht worden waren, den
Vortheil ziehen zu können , sich über alle hinwegzusetzen,
statt diesen oder jenen ehrlich anzunehmen. Gegen die wieder-
holten Propositionen des Parlaments spielte er die ersten Vor-
schläge des Kriegsraths aus. Hinter dem Rücken des Kriegs-
raths unterhandelte er mit den Schotten. Er schien den
Cromwell und Ireton sein ganzes Vertrauen zu schenken, und
doch bedurfte es nicht erst eines auf mythische Weise auf-
gefangenen Briefes, um sie über die wahren Absichten des
Monarclien zu unterrichten (^). — Inmitten der sich kreuzenden
Intriguen jener September- und Oktoberwochen blieb die
kirchliche Frage nach wie vor die wichtigste. Von ihrer
Lösung hieng vor allem das Verhältnis Englands zu Schott-
nd ab, und es war verhängnisvoll für den König, dass er
selbst, mochte dies Verhältnis ein friedliches bleiben oder
sich kriegerisch gestalten, für den Augenblick nur zu ver-
lieren hatte. Der Friede zwischen beiden Landein erschien
nicht haltbar, ohne strengste Durchführung des Presbyterial-
Letzte Versuche Cromwells u. s. Freunde. 417
Systems. Der Krieg zwischen beiden Ländern war nicht
denkbar, ohne Berufung der Schotten auf die Heiligkeit des
monarchischen Rechtes. In beiden Fällen wurde das indepen-
dentische Heer verletzt, in dessen Gewalt der Monarch ge-
fallen war, und im zweiten musste er selbst als Ursache, wenn
nicht als Urheber des neuen Blutvergiessens gelten.
Unter diesen Umständen war es von doppelter Wichtigkeit,
dass Cromwell und seine Freunde noch einen Versuch machten,
für die Lösung der kirchlichen Frage einen Mittelweg zu finden.
Sie hatten im Gegensatz zu entschiedeneren Parteigenossen dafür
gestimmt, dass das Parlament die Verhandlung mit dem König
wieder aufnehme, aber sie suchten die neuen Vorschläge mit
den Literessen des Independentismus zu vereinigen. Am
13. Oktober brachten sie ein Votum zu Wege, nach welchem
die Presbyterialverfassung an eine bestimmte Zeitgrenze ge-
bunden sein sollte. Der Termin war zwar in sehr weite Ferne
gerückt, bis zum Ende der nächsten Session des Parlaments,
indessen zu gleicher Zeit doch für solche, die sich dem Pres-
byterianismus nicht konformiren wollten, Kultusfreiheit ge-
währleistet. Doch blieben noch so viel Ausnahmen bestehen,
dass sie die Regel guten Theils aufhoben. Nicht nur die
Kathohken waren von jeder Duldung ausgeschlossen, sondern
auch diejenigen, die vom Gebrauch des Common -Prayer- Book
nicht lassen wollten, und deren Zurückweisung vom Abend-
mahl wegen gewisser AbAveichungen vom christlichen Dogma
durch frühere Ordonnanz gerechtfertigt worden war. Endlich
bewegte man sich auch hier wieder in dem verhängnisvollen
Kreise, eine wie immer beschränkte Toleranz grundsätzlich zu
fordern und in demselben Augenblick alle Staatsbürger zu
verpflichten, „das Wort Gottes zu hören". Man sieht dem
ganzen Kompromiss das Bestreben an, eine Formel herzustellen,
die nicht sowohl dem religiösen Bedürfnis des Einzelnen als
den entgegengesetzten Anforderungen der grossen Parteien
entsprechen sollte {^). Wenn es gelang , den König hiefür zu
gewinnen, so mochte sich eine Vereinigung ihrer aller über
diesen Gegenstand hoffen lassen.
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 27
418 Einwirkung der Agitatoren.
Indessen schon waren andere Kräfte in Bewegung ge-
rathen, deren Einwirkung das ganze Gewebe kluger Berech-
nungen zerriss. Neben dem Kriegsrath der Officiere hatte
das Institut der Agitatoren seine volle Bedeutung bewahrt.
Von ihnen und von der Masse der Soldaten waren jene Ver-
handlungen ihrer Oberen mit dem König höchst misstrauisch
betrachtet worden. In diesen Kreisen spottete man über die
ceremoniellen Höflichkeiten, die im Palast von Hampton-Court
ausgetauscht und über die ängstlichen Rücksichten, die in
den Häusern zu Westminster genommen wurden. John
Lilburne, gefangen wie er war, hatte in den Regimentern
fanatische Anhänger. Die Schotten, welche in schulmeister-
lichem Tone vor einer Freiheit des Gewissens als einer Frei-
heit aller Irrthümer und Ketzereien warnten, galten ihnen als
Anstifter eines neuen Bürgerkrieges, der König, welcher mit
allen Parteien spielte, als der „Hauptdelinquent, der grosse
Mörder", den man zur Rechenschaft ziehen müsse, „so gut
wie einen Kesselflicker oder Kaminfeger" , die Lords , welche
sich der revolutionären Strömung entgegenstemmten , als die
„Auswüchse gerechter Regierung", für deren politische Existenz
kein natürlicher Grund vorhanden sei. In den Schriftstücken,
die aus den Reihen der Soldaten hervorgiengen , sprach ein
völlig republikanischer Geist, der zu gleicher Zeit jedem staat-
lichen Zwange in Sachen der Gottesverehrung widerstrebte.
Cromwell's und Ireton's Regimenter waren aufs lebhafteste
bei der Bewegung betheiligt, sie drohte alle Bande der Dis-
ciplin zu durchbrechen. Der Kriegsrath glaubte diese nicht
anders wiederherstellen zu können , als wenn er massvolle
Strenge gegen die Rädelsführer mit einiger Nachgiebigkeit
gegen die soldatischen Begehren verbände. Jedes Verständnis
mit dem König war von da an abgebrochen, und wenn in
den stattfindenden Versammlungen die Frage des Königthums
selbst eine offene blieb, so zeigten sich die Officiere doch ge-
neigt, andere weitgehende politische Vorschläge der Agitatoren
zu beiücksichtigen. Unzweifelhaft wirkten die demokratischen
Tendenzen, die damit einen Erfolg errungen hatten, auch auf
die nächsten Beschlüsse des Parlaments zurück.
Flucht des Königs nach der Insel Wight. 419
Noch waren die Unruhen im Heere nicht völlig gedämpft,
als man in London erfuhr, dass der König von Hamp ton- Court
nach der Insel Wight entflohen sei (11. November). Was
immer seinen Entschluss ernstlich bestimmt hatte, sein Unter-
gang wurde dadurch herbeigeführt. In Wahrheit ein Gefan-
gener, fühlte er sich frei genug, um zäheren Widerstand zu
leisten und gefährlichere Intriguen zu spinnen. Je weiter die
„vier Bills", die als wesentliche Vorbedingungen von beiden
Häusern im December vereinbart wurden, über die früheren
Anträge hinausgiengen , desto entschiedener war er in ihrer
Ablehnung. Je deutlicher der Protest der schottischen Kom-
missäre gegen diese jüngsten Vorschläge ihn die Erbitterung
des nordischen Presbyterianismus kennen lehrte, desto sicherer
rechnete er auf seine bewaffnete Intervention. In der That
wurde das Verhältnis zwischen den Machthabern der bei-
den Länder immer gespannter. Was in England geschah,
lief den Absichten der Schotten direkt entgegen. Nachdem
der König die vier Bills verworfen hatte, erklärte das Parla-
ment, ihm in Zukunft keine weiteren Anträge mehr machen,
keine Botschaft von ihm entgegennehmen zu wollen. Jeder-
mann ward bei Strafe des Hochverraths geboten, ohne Er-
laubnis beider Häuser gleichfalls keine Verbindung mit ihm
zu unterhalten (3., 15. Jannuar 1648). Die Haft des Königs
im Schloss von Carisbrooke wurde enger als je zuvor. Alle
Brücken zwischen ihm und seinem Volke sollten abgebrochen
sein. Man proklamirte gleichsam die Republik, ohne den
Namen zu nennen und empfieng dafür die freudige Versiche-
rung des Kriegsrathes und des Heeres, die „Ordnung des
Königreichs ohne König" gegen alle Feinde schützen zu
wollen. Alle früheren Misshelligkeiten schienen vergessen,
die noch vorhandenen Lords hatten sich fast ohne Widerrede
gefügt, in den allmächtigen Committees, in der Verfolgung
von MaHgnanten uud Delinquenten, in der schwer zu kon-
trollirenden Verwaltung sequestrirter Güter und drückender
Auflagen trat das Uebergewieht der herrschenden Faktions-
häupter noch stärker als bisher zu Tage. Die höchste Exe-
kutivgewalt wurde in die' Hände derjenigen Lords und Ge-
27*
420 Vertrag des Königs mit den Schotten.
meinen gelegt, welche dem Committee der beiden König-
reiche angehört hatten, und man trug Sorse, die entstandenen
Lücken durch independentische Grandees auszufüllen. Jenes
Committee der beiden Königreiche selbst, einst dazu berufen^
der Eintracht von England und Schottland Ausdruck zu geben^
war damit aufgelöst. Die schottischen Kommissäre wurden
höflich in ihre Heimat entlassen, Liga und Covenant waren
thatsächlich zerrissen.
Schon vorher hatten die schottischen Kommissäre mit Karl L
jenen geheimen Vertrag geschlossen, welcher den zweiten
Bürgerkrieg heraufbeschwor. Der König entschloss sich, Liga
und Covenant, sowie die Presbyterialverfassung in England
auf drei Jahre anzuerkennen, freie Kultusübung für sein
eigenes Haus vorbehalten. Der Covenant sollte niemandem
aufgezwungen, die endgiltige Gestalt der englischen Kirche
unter dem Beirath einer neuen Synode auf parlamentarischem
Wege vereinbart werden. Auf Unterdrückung von Sekten
und Ketzereien Avar Bedacht genommen. Für diese Zu-
geständnisse, welche den Grundsatz der Toleranz aufopferten
und das Institut des Bisthums einer ungewissen Zukunft über-
liessen, machte sich Schottland anheischig, eine persönliche
Friedensunterhandlung des Monarchen in London zu Wege
zu bringen oder mit den Wafien diejenigen Theile seiner Prä-
rogative zu schützen, deren Preisgebung ihm angesonnen war.
Mochten diese Bedingungen den strengen Presbyterianern
vom Schlage Argyle's und den Vertretern der schottischen
Kirche nicht genügen, mochten sich hunderte von warnenden
Stimmen gegen eine Verbindung mit den englischen Royalisten
erheben : die Partei Hamilton's, welche das ganze Abkommen
geplant hatte, behielt den Sieg, ein Heer von 40,000 Mann
rüstete sich , zur Befreiung des Königs aus der Hand der
„Sektirer" die englische Grenze zu übersciireiten, Hamilton
selbst schickte sich an, das Kommando zu übernehmen.
Und nun brach in England, vorbereitet durch royalistische
Komplotte, genährt durch die Unzufriedenheit grosser Volks-
niassen, auf allen Seiten der Sturm gegen die herrschenden
Gewalten los. Seit Monaten waren die Kavaliere in der Hei-
Zweiter Bürgerkrieg. — Belagerung von Colchester. 421
-mat wie im Exil fieberhaft thätig gewesen. Der Aufstand in
Wales hatte das Signal gegeben. Berwick wie Carlisle fielen
in die Hände royalistischer Parteigänger, die mit den Schotten
in Verbindung standen und den ganzen Norden zu insurgiren
drohten. In London kam es zu gefährlichen Tumulten der
presbyterianisch gesinnten Bevölkerung. Petitionen aus den
Grafschaften des Südens und Ostens forderten Zurückberu-
fung des Königs und Auflösung des Heeres. In Kent standen
Tausende unter Waffen, um gegen die Hauptstadt zu mar-
schiren. Die Flotte revoltirte, ein Theil der Schiffe nahm den
Weg zur holländischen Küste, um im Herzog von York, der
erst kürzlich seiner Haft entsprungen war, oder im Prinzen
von Wales einen neuen Admiral zu finden. Das ganze Ge-
meinwesen erbebte bis in seine Grundfesten, und nur der
furchtbarsten Energie gelang es, auf allen Punkten der Be-
wegung Herr zu werden. Während Lambert im Norden aus-
hielt, Cromwell den Westen bändigte, w^usste P^ airfax in den
der Hauptstadt zunächst gelegenen Gebieten die Empörung
zu ersticken. Was sich von Aufständischen aus Kent über
die Themse nach Essex hatte retten können, verband sich
mit den dort erschienenen Royalisten und warf sich in die
Mauern von Colchester. Wochen lang, vom 13. Juni bis zum
28. August, richtete sich das hauptsächliche Interesse auf die
denkwürdige Belagerung dieser Stadt, deren Einwohnerschaft,
parlamentarisch gesinnt, wie sie seit jeher gewesen, gezwungen
w^urde, unsägliche Leiden durchzumachen. Der Hunger
nöthigte die heldenmüthigeu Yertheidiger, auf die härtesten
Bedingungen hin zu kapituhren. Die höheren Officiere hatten
sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, zwei von ihnen,
die sich besonders verhasst gemacht hatten, wurden nach dem
Spruch des Kriegsgerichts erschossen , das Schicksal der
übrigen , darunter der Lords Norwich und Capel , blieb der
Bestimmung des Parlaments überlassen. Noch während der
Belagerung von Colchester war der Graf von Holland , um
Königthum und Presbyterianismus zugleich zu vertheidigen,
mit adligen Genossen an der Spitze einer Reiterschaar zu
Kingston in drohender Nähe der Hauptstadt aufgetreten. Allein
422 Belagerung von Colchester. — Schlacht von Prestou.
seine Pläne wurden vereitelt, er selbst gerieth in Gefangen-
schaft. Nicht minder vergeblich waren die Unternehmungen
des Prinzen von Wales, der mit den abtrimnig gewordenen
Schiffen zuerst vor Yarmouth, dann vor der Themsemündung
erschien, um reichbeladene Kauffahrer zu kapern und den
Handel der Londoner zu stören. Graf Warwick sammelte
eine stattliche Seemacht, vor welcher der Prinz nach Holland
entwich , und als der Admiral des Parlaments ihm hierhin
folgte , kehrten die meisten der abgefallenen Seeleute zum
Gehorsam zurück.
Die Bedeutung aller dieser Vorgänge wurde indessen
durch das eine ruhmvolle Ereignis verdunkelt, welches über
die Betheiligung der Schotten an diesem zweiten Bürger-
kriege entschied. In Folge der allgemeinen Erhebung der
Kavalierpartei in England sah sich Hamilton genöthigt, früher,
als in seinen Absichten gelegen hatte, zum Angriff zu schrei-
ten. Am 8. Juli rückte ein schottisches Heer, dessen Stärke
hinter dem ursprünglichen Ansätze weit zurück blieb, über
die Grenze. Es verband sich mit einem Theil der Royalisten
des Nordens, empfieng einen Zuwachs von ein Paar tausend
Mann aus Irland und drang unter Verwüstungen bis Lan-
cashire vor. Hier aber setzte Cromwell der schottischen In-
vasion ein jähes Ende. Er war nach dem Abschluss des waliser
Feldzugs herbeigeeilt, hatte sich mit Lambert verbunden und
zerschmetterte mit seinen decimirten Regimentern die feind-
liche Uebermacht durch jene gewaltigen dreitägigen Schläge,
die sich unter dem Namen der Schlacht von Preston zusammen-
fassen lassen (17. — 19. August). Die Zahl der Gefangenen
kam der ihrer Besieger fast gleich, Hamilton selbst musste sich
wenig Tage nach seiner Niederlage auf der Flucht ergeben.
Die nördlichen Grafschaften wurden mit Ausnahme von Car-
lisle, Berwick und einiger kleineren festen Plätze vollständig
zurückerobert. In Schottland selbst erhoben sich die strengen
Presbyterianer gegen die Partei der Hamiltons, eine neue
Regierung wurde gebildet, an deren Spitze Argyle und seine
Gesinnungsgenossen standen. Um sie gegen die Reste der
gegnerischen Faktion zu unterstützen und Schottland den
Cromwell in Schottland. — Presbyterianismus in London. 423 .
Sehrecken des englischen Namens fühlen zu lassen, über-
schritt Cromwell die Grenze. Man beeilte sich, ihm Carlisle
und Berwick herauszugeben, der grosse Independent wurde
von den vornehmen Covenanters mit Ehren begrüsst, und
Edinburg emplieng ihn als Triumphator in seinen Mauern.
Die furchtbarste Krise war durch die Tapferkeit des
Heeres überwunden, aber während es im Namen des Parla-
ments gegen die Parteigänger und Verbündeten des Königs
im Felde stand, hatte eben dieses Parlament aufs neue ver-
sucht, mit dem König ein Abkommen zu treften. Nichts
natürlicher, als dass mit dem Ausbruch des zweiten Bürger-
krieges die presbyterianische Partei in den Berathungen zu
Westminster wieder das Uebergewicht erhielt. Von den In-
dependenten wurde so mancher durch den Drang der Um-
stände den parlamentarischen Geschäften entzogen, von den
Presbyterianern wagten sich viele, die sich in der letzten
Zeit ängstlich zurückgezogen hatten, wieder an's Licht. Ge-
meinderath und Bürgerschaft setzten es durch, dass der City
Genugthuung für dasjenige gegeben wurde, was sie sich beim
Einmarsch der Fairfax'schen Regimenter im vergangenen Som-
mer hatte gefallen lassen müssen. Die städtische Miliz wurde
mit Officieren ihrer Wahl besetzt, ein Kommandant des Tower
von ihr ernannt, die militärischen Wachtposten wurden zu-
rückgezogen , die damals verhafteten Mitglieder der Stadt-
behörden, sowie andere bei jenen Tumulten betheiligt Gewe-
sene freigelassen. Es war nur folgerichtig, dass auch die
angeklagten und theilweise geflüchteten Parlamentsmitglieder
eingeladen wurden, ihre Sitze wieder einzunehmen.
Schon einige Wochen vorher (2. jMai) hatte derErlass einer
lange ersehnten Ordonnanz „zur Vermeidung des Wachsthums
und der Ausbreitung von Ketzerei und Blasphemie" vorausver-
kündet, was man von dem neuen Erwachen des Presbyteria-
nismus für die Gewissensfreiheit zu erwarten habe. Auf eine
Reihe von „Ketzereien", wie Läugnen des Daseins und der
Allmacht Gottes , der Dreieinigkeit und der Gottheit Christi,
der Auferstehung und des jüngsten Gerichts ward die Todes-
strafe gesetzt, auf eine Reihe „geringerer Irrthümer" Ge-
424 Ordonnanz gegen Ketzerei. — Vertrag von Newport.
fängnis. Man hatte von Glück zu sagen, dass die Behauptung,
„die Presbyterialverfassung sei unchristlich oder ungesetzlich"
noch zu den „geringeren Irrthümern" gerechnet werden sollte.
Es hatte nicht lange gewährt, so waren auch die Ver-
handlungen mit dem König wiederangeknüpft woiden. Am
28. April ward von den Gemeinen dreierlei votirt. Die Fun-
damentalverfassung des Staates, die Verbindung von König,
Lords und Gemeinen sollte nicht geändert werden. Der In-
halt der nach Hampton - Court gerichteten Vorschläge sollte
die Grundlage einer neuen Debatte über den Frieden des
Reiches bilden. Die früheren Beschlüsse gegen den Verkehr
mit dem König sollten niemanden bei Gelegenheit dieser De-
batte in seinen Anträgen beschränken. Die zahlreichen Pe-
titionen, welche im Laufe des Sommers der Stimmung von
Stadt und Land Ausdruck gaben, kamen den Neigungen der
Presbyterianer zu Hilfe. Man beschloss, von jeder Prälimi-
narbedingung abzusehen und in Newport auf der Insel Wight
den Vertrag mit dem Monarchen zu vereinbaren. Die Kom-
missäre, deren Vollmachten vierzig Tage dauerten, waren wie-
derum von einigen geistlichen Mitgliedern der Synode begleitet,
unter deren Zahl weder Nye noch Marshall fehlen durfte.
Nichts wäre wichtiger gewesen, als wenn es den Royalisten
gelungen wäre, den König aus der Gewalt seiner militärischen
Wächter zu befreien. Da diese Versuche scheiterten , schien
seine Lage ihm keine Wahl zu lassen, als ohne Zaudern und
ehrlich seinen Frieden mit den Presbyterianern zu machen,
ehe das independentische Heer Zeit finde, mit dem Schwerte
den sorgsam geschürzten Knoten zu durchhauen. Aber auch
diesmal sah Kail I. in dem Eifer, den man zur Schau trug, ihm
entgegenzukommen, nur einen Anreiz zur Ausübung der alten
Kunst: Worte zu machen, um mit Worten Zeit zu gewinnen.
Allerdings zu wesentlichen Zugeständnissen Hess er sich her-
bei. Er wollte die MiÜtia auf zwanzig Jahre aufgeben, nicht
minder das Recht der Ernennung zu den wichtigsten Aemtern.
Seine gegen das Parlament erlassenen Deklarationen sollten
annullirt, die Akte, die unter dem grossen Siegel desselben
ergangen, anerkannt werden. Die Presbyterialverfassung wurde
Vertrag von Newport. — Stimmung des Heeres. 425
auf drei Jahre gewährleistet, die Veräusserung der Kirchen-
güter in gewissen Grenzen bewilligt. Aber in anderen Fragen
blieb er fest, und die Frage einer gänzlichen Aufgabe der
bischöflichen Verfassung stand an ihrer Spitze. In Wahrheit
waren seine Ausflüchte, Bedenken und Einwürfe wenig mehr
als verbrauchte Kriegskünste. Er dachte nicht an den Ab-
schluss eines Vertrages. Er hoffte auf Hilfe aus Irland, vom
Prinzen von Wales, von der Königin, vielleicht noch von
Schottland. Seine Vertrauten wussten aus seinen geheimen
Korrespondenzen, was sie von seinen Zugeständnissen zu halten
hatten. Vergeblich rechnete man von Woche zu Woche auf
günstigere Antw^ort, verlängerte man ein Mal auf das andere
Mal die gesetzte Frist. Die Zeit verrann , ohne dass man
zum Abschluss gekommen wäre , und schon w^aren drohende
Stimmen aus dem independentischen Lager laut geworden.
Eine grosse londoner Petition, die im Namen Tausendei' zu
sprechen vorgab, hatte am 11. September den radikalsten
Wünschen das Wort geliehen. Sie erklärte die Vertreter des
Volkes, ohne Rücksicht auf König und Lords, für Inhaber der
„höchsten Autorität des Volkes", verurtheilte die „lästige Bürde
der Zehnten" und die Strafgesetze gegen „Meinungen" oder in Be-
treff „übernatürlicher Dinge" und forderte Sühne an den „Haupt-
urhebern und Anstiftern der früheren oder der letzten Kriege" (^).
Petitionen aus Newcastle, York, Hüll sprachen in ähnlichem
Sinn, hie und da selbst mit deutlicherem Hinweis auf den
König. Nirgendw^o trat dieser Geist so anspruchsvoll und ent-
schieden zu Tage wie im Heere. Alles, was früher die Sol-
daten erregt hatte, riss sie nach den letzten Ereignissen mit
verstärkter Kraft zu unwiderstehlicher Leidenschaft fort. Das
Blut ihrer Brüder sollte nicht wiederum umsonst verspritzt
sein. Sie wollten nicht gesiegt haben, um sich vor einer
Partei zu beugen, die mit Todesstrafen und Gefängnis das
Seelenheil der Nation zu retten unternahm, und um einen
König auf den Thron zurückzuführen, den sie als Hauptschul-
digen verfluchten. Ihre Löhnung blieb aus, ihre Zukunft war
nicht gesichert. Das Gefühl persönlicher Verletzung verband
sich mit dem religiös - politischen Fanatismus, der sie beseelte.
426 Gi'osse Remonstranz der Armee.
Regiment nach Regiment Hess seine Wünsche in das Haupt-
quartier nach St. Alban's an Fairfax gelangen. Hervorragende
independentische Officiere und Parlamentsmitglieder schürten
das Feuer. Der Generalrath der Officiere liess sich dazu
drängen, eine „grosse Remonstranz" aufzusetzen, und Faii-fax
konnte sich dem Begehren nicht entziehen, sie am 16. No-
vember an's Parlament zu senden und warm zu befürworten.
Das grosse Manifest der Armee sprach eine sehr deutliche
Sprache. Es fasste die bisherigen Beziehungen zwischen Par-
lament und Heer zusammen und wandte sich gegen die
„Heuchelei" der Presbyterianer. Es zeigte die Nichtigkeit der
Versuche , mit einem Manne , wie Karl I. , einen ehrlichen
Frieden zu schliessen und forderte Abbruch aller Verhand-
lungen. Den Petenten war das „Heil des Volkes das höchste
Gesetz", eine Repräsentation, die in bestimmten Zwischenräu-
men aus freien, möglichst gleichen Wahlen hervorgehe, die
höchste politische Instanz, und, wenn das Wohl des Volkes
in Frage stehe, auch der König verpflichtet, vor dieser Rechen-
schaft abzulegen. Sie forderten demnach, dass am König,
als am „Kapitalurheber aller Wirren", Gerechtigkeit voll-
streckt werde. Sie verlangten exemplarische Bestrafung sei-
ner hauptsächlichen Gehilfen. Der Prinz von Wales und der
Herzog von York sollten bei Strafe der Absetzung aufgefor-
dert w^erden, sich in bestimmter Frist zur Untersuchung ihres
Verhaltens zu stellen. Die Ansprüche der Soldaten sollten
befriedigt werden. Für die Neuordnung der politischen Ver-
hältnisse wurden bestimmte Vorschläge gemacht. Sie nahmen
einen baldigen Schluss des tagenden Parlaments in Aussicht,
eine Reformbill für die regelmässige Ablösung der künftigen
Parlamente und das Wahlrecht, mit provisorischem Ausschluss
von Malignanten, eine Repräsentation, die durch nichts gebun-
den sein sollte, als die Rücksicht auf die „Fundamentalsätze
des gemeinen Rechts, der individuellen Freiheit und Sicher-
heit", ein Königthum, falls ein solches überhaupt beibehalten
werde, aus Wahl der Volksvertretung hervorgehend und ohne
das Iteclit eines Veto(').
Abführung des Königs nach Hurst-Castle. 427
Es war die stärkste Amnuthung, die bis dahin vom Heere
an das Parlament gelangt war, und noch fand dieses Kraft
genug, sich nicht durch sie einschüchtern zu lassen. Aber
während hier Worte gemacht wurden, wurde dort gehandelt.
Es kam zunächst darauf an, sich der Person des Königs gegen
jeden Versuch der Entführung zu versichern. Hammond,
Gouverneur der Insel Wight, dessen Bedenklichkeiten bekannt
waren, verliess auf Fairfax' Befehl gegen den Willen des Par-
laments seinen Posten. Vier Tage darauf, im Morgengrauen
des ersten December, wurde der König unter sicherer Eskorte
nach dem einsamen Felsenschloss von Hurst an der Küste
von Hampshire abgeführt. Der nächste Schritt galt dem Par-
lament. Es hielt noch immer standhaft an seiner Autorität
fest, obwohl mit der Verlegung des Hauptquartiers nach
Windsor die Gefahr eines Gewaltstreiches näher gerückt war.
Es verschob die Berathung über die Remonstranz. Es zeigte
keine Eile, die schuldigen Gelder anzuweisen. Am 30. No-
vember langte eine Deklaration Fairfax' und des Generalrathes
der Officiere an, welche über dieses Verhalten Klage führte,
den Ausschluss „korrumpirter und abtrünniger Mitglieder"
als wünschenswerth bezeichnete und den Vormarsch der Armee
nach London ankündigte. Am folgenden Tage erblickte man
die Vorposten an der Ecke von Hyde-Park, den 2. Decem-
ber nahm Fairfax sein Hauptquartier in Whitehall, seine Re-
gimenter waren in der Stadt und in den umliegenden Ort-
schaften vertheilt. Er hielt auf strengste Bewahrung der
Disciplin, der Gemeinderath war aufgefordert worden, 40,000 '£
für Zahlung der Soldrückstände flüssig zu machen.
Von Waffen umgeben, blieb die presbyterianische Majo-
rität unerschüttert. Am 4. December wurde ein Protest gegen
die gewaltsame Abführung des Königs votirt, denselben Tag
und die ganze folgende Nacht hindurch über seine letzten
Zugeständnisse debattirt, um fünf Uhr Morgens, nach einer
eindrucksvollen Rede William Prynne's, der erst kürzlich im
Unterhause seinen Sitz eingenommen hatte, der Beschluss ge-
fasst, sie zu weiterer Verhandlung über den Frieden für ge-
nügend zu erklären. Die Lords, auf die Zahl von fünfzehn
428 Pride's „Purganz".
zusammengeschmolzen , stimmten bei. Der nächste Tag sah
jene Scene brutaler Gewalt, wie sie ohne Yorwissen des Feld-
herrn (^) durch einige independentische Führer des Parlamentes
und des Heeres vorbereitet worden war. Als die Mitglieder
des Unterhauses sich nach Westminster begaben, erblickten sie
statt der städtischen Milizwachen den Hofraum, die Halle,
den Vorsaal, die Treppen von militärischen Posten besetzt.
Colonel Pride hielt eine Namensliste aller derer in der Hand,
auf deren Ausschluss es abgesehen war. Man Hess nieman-
den ohne Prüfung passiren, wer Widerstand wagte, wurde
ergriffen. Im ganzen sahen sich einundvierzig , darunter
Frynne, Massey, William Waller, verhaftet, Holles hatte sich
vorher in Sicherheit gebracht. Während ihre Kollegen sie
reklamirten, wurde im Namen Fairfax' und des Generalrathes
der Officiere eine Petition vorgelegt, die nichts Geringeres
forderte, als Wiederaufnahme des Verfahrens gegen jene im
Jahre 1647 angeklagten Mitglieder, Ausschluss von einigen
neunzig anderen, denen man Schuld gab, die Schotten herbei-
gerufen zu haben, Zurücknahme des Beschlusses, auf's neue
mit dem König zu verhandeln. Am nächsten Tage setzte die
bewaffnete Macht ihr Werk fort. Die „Purganz Pride's", wie
der Volkswitz das Ereignis nannte, hatte das Parlament auf
gewaltsame Art um hundertdreiundvierzig Mitglieder beraubt,
und das Attentat des Königs vom 4. Januar 1642 konnte,
gegen diesen Akt gehalten, für einen schülerhaften Versuch
gelten. Die Paar Dutzend Mitglieder, die sich noch einfan-
den, widerriefen alle Beschlüsse, welche vom Heer verurtheilt
worden waren, das Haus der Lords schien sich von selbst in
nichts auflösen zu wollen , in der Stadt wagte man nicht an
Widerstand zu denken.
Die Militärgewalt war allmächtig. Während Fairfax von
den politischen Veihandlungen seine Hand zurückzog, wurde
unter den Führern Cromwell die treibende Kraft. Wochen
lang war er durch die Belagerung von Schloss Pontefract in
Yorkshire ferngehalten worden, aber mit Ilath und That hatte
er die Bewegung des Heeres unterstützt. Für ihn und seine
Genossen gab es nach dem, was die letzten Monate gebracht
Der König in Windsor. — Das Unterhaus „souverän". 429
hatten, kein Schwanken mehr. Am 23. December, nach einem
Fasttag, an welchem Hugh Peters in einer Predigt seine Zu-
hörer beschworen hatte, die Kinder Israel aus der ägyptischen
Sklaverei zu befreien, beschloss das Haus der Gemeinen,
durch ein Committee berathen zu lassen , wie gegen den
König und andere Kapitalverbrecher zu verfahren sei. Eben
diesen Tag langte der König, ohne zu ahnen, welchem Schick-
sale er entgegengehe, unter starker Bedeckung in Windsor
an. Sein Loos wurde durch die Beschlüsse besiegelt, die am
Xeujahrstage das Haus der Gemeinen passirten. Es wurde
nach den Fundamentalgesetzen des Pteiches für Hochverrath
erklärt, dass der König 'gegen das Parlament und Königreich
von England Krieg erhebe. Eine Ordonnanz ernannte einen
Gerichtshof von etwa hundertundfünfzig Mitgliedern, um über
„Karl Stuart" das TJrtheil zu fällen. Zwölf Lords, darunter
mehrere, die an die Spitze der Richterliste gestellt waren,
fanden sich zusammen, um mit Einhelligkeit und Leidenschaft
beide Vorschläge zu verwerfen (2. Januar). Ihr Widerstand
machte es nothwendig, die Liste der Ordonnanz abzuändern
und auf Grund der Souveränität des Volkes die Gemeinen,
als gewählte Vertreter desselben, ohne Piücksicht auf die Mit-
wirkung von König oder Peers, für Inhaber der „höchsten
Gewalt" zu erklären (4. Januar). — Die Theorie von weit-
reichender Bedeutung, welche zuerst nur Eigen thum einiger
gewesen war, sodann, verbunden mit der Idee der Gewissens-
freiheit, in den Pteihen des Heeres Aufnahme gefunden hatte,
wurde in eben dem Augenblicke vom Parlament proklamirt,
da dieses Parlament selbst zum gefügigen Diener der Militär-
macht geworden war.
Von nun an gab es kein Hindernis mehr, das die Aus-
führung dessen, was beschlossene Sache war, hätte aufhalten
können. Vergeblieh suchten die Lords den Lauf der Ereig-
nisse zu hemmen , indem sie eine Ordonnanz vorzubereiten
geneigt schienen, nach der es für die Zukunft als Hochver-
rath gelten und durch das Parlament gerichtet werden sollte,
wenn ein König Krieg gegen das Parlament und Reich von
England erhebe. Nachdem sich die zurückgebliebenen Ge-
430 1^61' ausserordentliche Gerichtshof. — Process gegen den König.
meinen für alleinige Inhaber der Volks -Souveränität erklärt
hatten, betrachteten sie das andere Haus kaum noch als vor-
handen. Der ausserordentliche Gerichtshof konstituirte sich,
indem John Bradshaw, ein Jurist von Ruf, zum Präsidenten
gewählt (^), vier andere Rechtsgelehrte zu Vertretern der An-
klage ernannt wurden. Unter diesen war der Holländer Do-
rislaus, der Milton von Cambridge her bekannt sein konnte,
und John Cook, der einst wie er in Rom sich offen gegen
das Pabstthum ausgesprochen, in Genf bei Diodati Aufnahme
gefunden hatte (-). Uebrigens zog sich mehr als die Hälfte
der bestimmten Richter von den Berathungen zuiiick. Fair-
fax sah man nur in der ersten vorbereitenden Sitzung.
Am 19. Januar wurde der König nach dem Palast von St.
James, von da nach Whitehall gebracht. Am folgenden Nach-
mittag stand er zum ersten Male in der überfüllten Halle von
Westminster vor denen, in deren Hand sein Leben gegeben war.
Ausser Bradshaw waren Sechsundsechzig von ihnen anwesend,
unter diesen Cromwell, Ireton, Ludlow, Lilburne, Henry Mär-
ten, Alderman Pennington. Als Fairfax' Name aufgerufen
worden war, hatte seine Gemahlin von einer der Gallerieen
herabgerufen : „Er ist nicht hier und wird niemals erscheinen,
ihr thut Unrecht, ihn aufzuführen" (3). Da der König die
Autorität des Tribunales läugnete und jede Antwort auf die
Anklage weigerte, so wurde das ganze Verfahren zu einer
blossen Formalität. Am 27. Januar wurde der Spruch ver-
kündigt, durch welchen Karl Stuart als Tyrann', Verräther,
Mörder und Feind der Nation zur Hinrichtung durch's
Sehwert verurtheilt wurde. Ein letztes verzweifeltes Ringen
des Königs, um nach der Verlesung noch zu sprechen, war
vergeblich. Die Wachen führton ihn ab, und aus Soldaten-
munde erklangen die Rufe: „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit",
während unter dem Volke der Wunsch sich Luft machte:
„Gott rette eure Majestät".
Geistliche Uebungen, Abschied von den beiden in Eng-
land weilenden Kindern, Vorbereitungen auf die Trennung
vom Leben, füllten die Stunden, welche dem Fürsten noch
blieben. Wie er vor seinen Richtern Unerschrockenheit und
Hinrichtung des Königs. — Milton's Sonett auf Fairfax, 431
Würde gezeigt hatte, so bewahrte er Ruhe und Gleichmuth
bis zum letzten Augenblick. Am Morgen des 30, Januar be-
stieg er, aus einem ausgebrochenen Fenster der Bankett-Halle
von Whitehall in's Freie geführt, das schwarzverhangene
Schaffot, das sich inmitten starker Truppenmassen zu Pferde
und zu Fuss und unzähliger Volksschaaren erhob. Er hielt
eine Ansprache, die von den wenigsten gehört werden konnte,
in der er sich den Märtyrer des Volkes nannte, legte sein
Haupt auf den Block und gab mit ausgestreckten Händen
selbst das Zeichen. Sein abgeschlagenes Haupt, als das eines
Yerräthers, wurde hoch emporgehoben dem Volke gezeigt,
und ein lange nachhallender Schrei des Entsetzens entrang
sich den Massen.
Während der ganzen stürmischen Zeit, welche aufs neue
die englische Nation in ihren Tiefen aufwühlte, und in der
mit dem König das Königthum zu Fall kam, blieb Milton's
Muse fast ganz verstummt. Ein einziges Sonett ist uns auf-
behalten, das, während des zweiten Bürgerkrieges geschrieben,
der damaligen Stimmung des Dichters energischen Ausdruck
verleiht (^). Es richtet sich an Fairfax und zielt auf jenes für
die Entscheidung des Kampfes so wichtige Ereignis ab, das
den früheren Lorbeeren des Feldherrn neue hinzufügte: die Be-
zwingung der Stadt Colchester. Der gehobene Ton des Ge-
dichtes spricht dafür, dass es nach dem Eintreffen der Siegesbot-
schaft in London Ende August oder Anfang September 1648 ver-
fasst worden ist, und die zürnende Erinnerung an die „Hydra-
Köpfe neuer Empörung" und den „falschen Norden" würde
genugsam bekunden, welche Stellung Milton gegenüber den
Ereignissen einnahm, auch wenn es sich nach seiner ganzen
Vergangenheit nicht schon von selbst vermuthen liesse. Er
stand auch in dieser Krisis in der vordersten Reihe der in-
dependentischen Phalanx, ja schärfer Hess sich das Urtheil
über die Presbyterianer nicht fassen, als es am Schluss dieses
Sonetts ausgesprochen wurde.
432 Milton als Anhänger des Heeres.
Oh, noch ein schön'rer Lorbeer wartet dein,
— Denn Krieg erzeugt nur endlos wieder Krieg —
Wahrheit und Recht von Fesseln zu befrein,
Und Treu und Glauben von den Wunden heilen
Oifnen Betrugs. Was nützt der blut'ge Sieg,
Wenn Eaub und Habsucht in das Land sich theilen?
Eben diese Vorwürfe hatten vor allem Officiere und Sol-
daten gegen die presbyterianischen Führer geschleudert,
Milton identificirte sich vollkommen mit den Tendenzen des
Heeres. Offenbar war das schon beim Beginn des Streites
zwischen diesem und dem Parlament der Fall gewesen. Wo
immer er in seinen späteren Schriften auf die Ereignisse der
Jahre 1647 und 1648 zu reden kommt, nimmt er für dies
Heer ,,der tapfersten, treuesten Bürger" aufs entschiedenste
Partei (^). Die Dinge waren damals, nach seiner Ansicht
dahin gekommen, dass sich die Anwendung von Gewalt nicht
mehr vermeiden Hess, und „die Independenten waren die ein-
zigen, die sich bis zuletzt treu blieben und ihren Sieg zu be-
nutzen verstanden". Im Kampf mit einer Partei, die den
Ruhm des „unbesieglichen Heeres beneidete", die es einigen
zelotischen Geistlichen zu Gefallen „schimpflich auflösen und
nach Irland verbannen wollte", die beabsichtigte, sich „eher
in die Sklaverei des Königs zurückzubegeben als ihren Brü-
dern einen Antheil an der mit ihrem Blut erstrittenen Frei-
heit einzuräumen", im Kampf mit Leuten, „die sich bis zu
diesem Grade der Härte verstiegen", wäre es „Feigheit und
Thorheit gewesen", wenn man sich des Heeres nicht bedient
hätte, das gegen die „londoner Krämer und Handwerker
und die hetzenden Prediger auf unserer Seite stand", um
„die Freiheit und das öffentliche Wohl zu retten". Er
billigt daher vollkommen die Wegführung des Königs von
Holml)}-, den Marsch der Regimenter durch die Stadt, selbst
die gewaltsame Ausstossung der presbyterianischen Mitglieder
oder, wie er sich ausdrückt, „der Parteigänger der Schotten"
nach dem zweiten Bürgerkriege, die „Reinigung" des Parla-
mentes, welche Pride durchgeführt hatte. Aber hiebei blieb
er nicht stehn. Nachdem er soweit gegangen war, zögerte
Milton für Republik. 433
er auch nicht, den letzten Schritt zu machen, vor dem selbst
entschiedene Genossen der Partei zurückbel)ten. Es schien
ihm völlig gerechtfertigt, dass Karl I. in der Weise, wie
es geschah, der Process gemacht wurde, und er unternahm
es sofort, dies Verfahren vor aller Welt zu vertheidigen.
Einst, als er begonnen hatte, sich in den Streit um die
Ptefoim der Kirchenverfassung zu mischen, hatte er kein Be-
denken getragen, ohne Vorbehalt von dem „freien, selbst-
ständigen König, dem souveränen Fürsten, dem Statthalter
Christi mit dem Scepter David's" zu sprechen. Noch 1644
in der Widmung seiner ersten Schrift über die Ehescheidung
hatte er mit dem Geständnis nicht zurückgehalten, dass
„Gott selbst gegen den Tyrannen nie ausdrückliche Erlaubnis
des W^iderstandes gegeben habe", die sich jenem mosaischen
Gesetz vergleichen könne, mit dem er damals die Tyrannei
des „häuslichen Elends" zu brechen gedachte (s, o. S. 180j. Von
solchen Erwägungen war nach dem, was die letzten Jahre
gebracht hatten, nicht mehr die Rede. Wie Milton selbst
für seine Person Republikaner geworden war, so fand er das
Ereignis, welches die Einführung der Republik ermöglichte,
ganz in der Ordnung. Es ist die kleine Schrift über das
„Recht der Könige und Obrigkeiten", in der er seine An-
sichten über die grosse Tagesfrage zu entwickeln begonnen
hatte, noch ehe ihr die blutige Lösung zu Theil geworden
war(^). Denn das geht aus einzelnen Stellen des Pamphletes
aufs klarste hervor, dass ]\Iilton schon vor der Verurtheilung
des Königs, ja w^ohl schon vor Beginn des Processes die Feder
angesetzt hatte. Dies letzte sollte man wenigstens aus den
W^orten schliessen, mit denen er diejenigen tadelt, welche
Protest einlegen gegen den Vorschlag anderer, den König „vor
Gericht zu stellen" (S. 452 „protest against those that talk
of bringing him to the tryall of Justice, w'hich is
the sw^ord of God" etc.). In jedem Fall beweisen sie, dass
Karl I. noch lebte, als Milton sie niederschrieb, und eine
Reihe anderer unzweideutiger Ausdrücke macht diese An-
nahme über jeden Zweifel erhaben. Andrerseits ist es ge-
wiss, dass das Pamphlet erst nach der Hinrichtung des Königs
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 28
434 Seine Schrift über das „Recht der Könige". — Polemische Tendenz.
die Presse veiiiess. ]\Ian würde diesen Schluss aus der Ms.-
Datiriing eines Exemplares (13. Februar) noch nicht mit
voller Sicherheit ziehen dürfen, wenn diese nicht durch Mil-
ton's eigene Worte gewährt würde. Er kommt in der Skizze,
die er einige Jahre später von seinem Leben entwarf, auf
jenes Werk zu sprechen. Wenn er hier sagt: „Ueber das
monarchische Recht habe ich nicht eher irgend etwas ge-
schrieben, als bis der König, vom Parlament für einen Feind
erklärt und im Felde besiegt, als ein Gefangener vor Gericht
stand und zum Tode verurtheilt wurde": so bleibt der ganze
Termin des Beginnes der Niederschrift, wie des Erscheinens
im Druck noch immer unklar. Vollkommen deutlich dagegen
ist der Zusatz: „Das Buch kam erst nach dem Tode des Kö-
nigs heraus und war mehr in der Al)sicht gesehrieben, die
Gemüther der Menschen zu beruhigen, als um den Richter-
spruch über Karl herbeizuführen, der Sache der Obrigkeit
und damals schon vollzogen wvar".
Indessen bei allem Bestreben, „die Gemüther zu be-
ruhigen", hatte die Schrift, wie schon ihr Titel andeutete,
auch eine polemische Tendenz. Diese wird von Milton am
bezeichneten Orte ebenfalls zugegeben. „Als einige presby-
terianische Geistliche, die früher KarVs erbittertste Feinde
gewesen waren, eifersüchtig auf das Uebergewicht der Inde-
pendenten im Parlamente, gegen den Richterspruch desselben
wider den König ein Geschrei erhoben (nicht sowohl über
die That selbst ergrimmt, als darüber, dass sie nicht von
ihrer Faktion herbeigeführt worden war), als sie nach besten
Kräften Lärm schlugen und sogar zu l)ehaupten ^Yagten, dass
die protestantische Lehre, und dass alle reformirten Kirchen
ein so gewaltsames Urtheil gegen einen König verabscheuen,
da hielt ich es für meine Pflicht, einer so ottenkundigen Un-
wahrheit laut zu widersprechen" u. s. ^\. Man wird diese
Worte nicht auf die Goldwage legen dürfen. Dass vom Par-
lamente sell)st das ürtheil ül)er den König gefällt worden sei,
war nicht ganz dein wirklichen Hergang entsprechend. Dass
die presbyterianischen Geistlichen nicht ül)er die That, son-
dern darüber, dass sie von der gegnerischen Partei ausge-
Presbyterianische Demonstrationen. 435
gangen, ergrimmt gewesen seien, war ein nicht eben feiner rhe-
torischer Kunstgriff. Und so wird sich Milton's Polemik wider
eben jene Geistlichen richten sollen, nicht bloss wegen ihres
Protestes gegen das gefällte Urtheil, sondern überhaupt wegen
ihres Verhaltens während der ganzen letzten kritischen Zeit.
In der That hatten es die presbyterianischen Pastoren
an schriftlichen und mündlichen Aeusserungen des höchsten
Unwillens über den Gang der Ereignisse nicht fehlen lassen.
Während seitens der alten prälatistischen Geistlichkeit nur
zwei, Dr. Gauden und Dr. Hammond, Proteste und Adressen,
in denen das göttliche Recht des Königthums behauptet wurde,
an Faii-fax und den Kriegsrath zu senden gewagt hatten, war
der presbyterianische Klerus mit seinem ganzen Aufgebot und
mit angstvollem Eifer für Karl I. thätig gewesen. Die noch
anwesenden Mitglieder der Westminster-Synode sprachen sich
dringend für seine Freilassung aus. Aus dem üblichen Klub
im Sion's- College gieng ein Aktenstück hervor, das, von
siebenundvierzig Geistlichen unterzeichnet, in Form eines
Briefes an Faiiiax und den Kriegsrath, dem General am 18.
Januar 1649 überreicht ward, und in welchem mit Muth und
Würde die Gewaltakte des Heeres verurtheilt wurden. Die
Schreiber beiaefen sich auf „Liga und Covenant", auf das
„Wort Gottes" und „das Urtheil einheimischer und auswär-
tiger protestantischer Geistlichen, welche die Praktiken der
Jesuiten betreffend den Widerstand gegen die gesetzmässige
Obrigkeit durch Privatpersonen und den Königsmord , von
wem und unter welchem noch so blendenden Vorwand er ge-
schehe, verwerfen, verabscheuen und perhorresciren". Nicht
minder hatte sich eine ,,Vertheidigung der londoner Geist-
lichkeit" gegen den Vorwurf, als hätten die Presbyterianer
durch ihr früheres Vorgehen den Process des Königs herbei-
geführt, unter Berufung auf den Covenant, an's Volk ge-
wandt. Es hatte an ähnlichen Demonstrationen auch ausser-
halb Londons nicht gefehlt. Aus dem Laienstande war
William Prynne wieder in den vordersten presbyterianischen
Reihen erschienen mit einem noch in der Haft verfassten „kurzen
Memento an die gegenwärtige, unparlamentarische Junta in
28*
436 Presbyterianische Demonstrationen.
Betreff ihrer Absichten und ihres Verfahrens, Karl Stuart,
ihren gesetzmässigen König von England, abzusetzen und
hinzurichten". (1. Januar). In Sehottland waren die letzten
Vorgänge mit nicht geringerer Entrüstung beobachtet worden,
und die schottischen Kommissäre, unterstützt von solchen der
schottischen Kirche, hatten als Bundesgenossen der presbyte-
rianisehen Brüder in England gewirkt, um Karl I. , ihren
König von Schottland, zu retten (i). Als das Urtheil ge-
sprochen worden, und es galt, noch das Schlimmste abzuwen-
den, hatte sich dieser Eifer verdoppelt. Einige Wochen lang
hatte es für die Kanzeln nur ein einziges Thema gegeben,
und eine grosse Reihe von Flugschriften, die meistens um
dieselbe Zeit wie diejenige Milton's erschienen, beschäftigte
sich in diesem oder in jenem Sinne mit der aufregenden Frage
des Tages. Mehrere der alten Bekannten des Dichters,
der Autoren des Smectymnuus, scheinen sich besonders leb-
haft bei jenen presbyterianischen Demonstrationen betheiligt
zu haben. Die Namen von Marshall, Calamy, Spurstow
tauchen hie und da in den Versammlungen der Geistlichkeit
und unter den Aktenstücken auf, welche von dieser aus-
giengen. Gegen Calamy schleudert ein fanatischer Gegner
den damals am wenigsten passenden Vorwurf , • er wisse sich
immer seinem Vortheil nach zu drehen und verbreite ., un-
sinnige Doktrinen, um seine Zuhörerschaft irre zu machen" (-).
Dies konnte Milton nicht abhalten, seinem Urtheil über
das Auftreten der Presbyterianer und des presbyterianischen
Klerus insbesondere die grösste Schärfe im Ausdruck zu
geben. Auf einzelne der von dieser Seite erfolgten Aeusse-
rungen nimmt er ersichtlich Bezug. Er ermahnt die Schwan-
kenden „sich nicht entmuthigen zu lassen durch neue, ab-
trünnige Popanze, die unter dem Schein, Rath zu geben, ihre
belfernden Monitorien und Mementos aussenden, in denen
nichts steckt als der Aerger einer getäuschten Faktion". Er
warnt davor, sich nicht betrügen zu lassen, durch die „Igno-
ranz oder die notorische Unwissenheit und Inkonsequenz hin-
und herschwankender Pastoren, welche die Keckheit haben,
Stellen der Schrift für sich vorzubringen, aus denen sie zu
Milton gegen die Presbyterianer. 437
ihrem Nutzen je nachdem einen doppelten Sinn herauslesen".
Indem er am Schluss dem Klerus im allgemeinen einige be-
deutungsvolle, gute Rathschläge ertheilt, wie z. B. keine po-
litische Rolle spielen, nicht „bei jedem Tumult und Aufruhr"
der Anstifter sein zu wollen, dafür aber „mehr zu studiren"
und der Seelsorge besser zu warten, „Pfründenhäufung und
alle Art von Simonie" zu verabscheuen und nicht „wie ge-
frässige Wölfe sich den fettesten Bissen auszusuchen", indem
er jedem Satze einen ironischen Beigeschmack zu geben
weiss, vergisst er weder der Westminster-Synode noch jenes
Sion - College , dem er ohnehin noch auf einen persönlichen
Angriff die Antwort schuldig war (s. Anm. 3 zu S. 334). „Sie
mögen es sich zu Herzen gehn lassen, dass ihre Synode, die
zu einer Reform der Kirche berufen war, . . das Parlament
imi eine Neuordnung ihrer Zehnten . . anbettelte, und wie
sie sich mit einträglichen, geistlichen Stellen, zu denen ihre
amtliche Thätigkeit in keinem Verhältnis stehn konnte,
reichlich ausstaffirten. Mögen sie sich immerhin in Konsisto-
rien mit ihren Aeltesten und Diakonen versammeln, nach
^Iter kirchlicher Regel zur Erhaltung der Kirchenzucht, jeder
in seiner Parochie, aber nicht als ein Haufe von Klerikern
in ihrem dünkelhaften Sion zum leckeren Mahl oder um
Komplotte zu schmieden und die einfältigen Laien zu prellen
luid zu betrügen, wie die Prälaten zum Besten ihres Stolzes
und ihrer Habsucht es zu thun pflegten". Wie sich denken
lässt, wurden auch die Schotten bei dieser Gelegenheit be-
sonders bedacht. Die Geschichte Schottlands bot Milton ge-
rade die besten Waffen. Wenn sie die Gmndsätze ihrer
eigenen Vorväter verläugnen, wenn sie die Engländer der
„Freiheit für weniger würdig halten als sich selbst", so hört
er aus ihnen „nur die Stimme der Faktiou, aber nicht die
der Wahrheit und der Reformation" sprechen. Im Covenant,
auf den sie sich mit ihren englischen Freunden beriefen,
findet er von Anfang an in Folge „ihres Misstrauens in eine
gute Sache" und der „Unzuverlässigkeit treuloser englischer
Geistlichen" „unnöthige Worte ungebührlicher Treue gegen
ihren Feind eingeschoben", deren zweideutige Fassung nur
438 Milton gegen die Presbyterianer.
dazu diente, neuen Vorwand zum Bürgerkrieg zu gewähren.
Allerdings fallen auch gegen die wenigen Vertreter des Prä-
latentliums, die sich hatten hören lassen, einige Hiebe, aber
die Hauptsache bleibt die Bekämpfung der Presbyterianer.
Es ist bemerkenswerth, dass Milton auch hier die persön-
liche Fehde nicht vergisst, in der zuerst sein Gegensatz gegen
diese Partei kund geworden war. Wenn er gleich in der
Einleitung seiner Schrift die Worte fallen lässt, wer die
„häusliche Sklaverei" ertrage, der werde dem entsprechend
auch die Tyrannei der Staatsgewalt stützen, so wird jeder
Leser an den Streit über die Ehescheidungstheorie erinnert
werden. Indessen diese Anspielung bildet nur die Ueber-
leitung zu dem vorliegenden Thema. Es war nun freilich
nicht schwer, die Presbyterianer des Widerspruches mit ihrer
eigenen Vergangenheit zu überführen, wennschon die Leiden-
schaft des Autors manches historische Factum übertreibt oder
schief auffasst. Das was sie jetzt mit dem Makel der „Illoya-
lität und schlimmerem" behaften, — so lautet der einfache
Satz Milton's, — ist nur die „nothwendige Folge ihrer eigenen
früheren Handlungen". „Die Geschichte der (letzten) sieben
Jahre, die noch in aller Gedächtnis lebt", beweist das. „Sie
haben gegen ihren König gekämpft und Waffen getragen,
ihm seine Würde und Weihe abgesprochen, ihn von ihren
Kanzeln und in ihren Pamphleten verflucht". Sie haben, in-
dem sie den Eid der Unterthanen - Treue brachen, „faktisch
den König vollständig abgesetzt . . , trotz der feinen Klausel
des Covenant, seine Person, Krone und Würde zu erhalten . . ,
sie haben ihn für vogelfrei erklärt, geächtet, als einen Reljellen
und Staatsfeind gel)randmarkt . . . , sie haben den Befehl, von
den Waffen Gebrauch zu machen, gegeben, wenn sie auch
wussten, dass sein Leben dadurch gefährdet war. Und hätte
ihn nicht ein glücklicher Zufall oder die Flucht gerettet, wie
oft hätten sie ihn tödten können, da ihre Artillerie . . gerade
dahin gerichtet wurde, wo sie ihn stehen sahen." Der König
in ihm ist also, diese Wendung gebraucht Milton, schon durch
sie getödtet worden. Gefangen , besiegt und auf die tiefste
Stufe der Erniedrigung gebracht, war er nur noch ein „Ver-
Milton gegen die Presbyterianer. 439
brecher, den die Hand der unparteiischen Gerechtigkeit nicht
mehr zu schonen hatte, als irgend einen anderen gewöhnlichen
Mensehen". Der Autor erinnert sich freilich wohl, „durch
wessen unvergleichliche Tapferkeit nächst Gott" dies Ergebnis
herbeigeführt worden ist, aber er will diese „Geschichte der
Undankbarkeit" der Presbyterianer nicht erzählen, um sich
nicht von seinem Thema abziehn zu lassen. Es genügt ihm,
„bewiesen zu haben, dass sie im eigentlichen Sinne des Wortes
den König getödtet haben". Woher, fragt er, kommt nun
der plötzliche Umschwung? Eben noch wurde jeder ver-
flucht, der nicht die Waffen gegen diesen „Ahab", diesen
„Tyrannen, den Feind* Gottes und seiner Heiligen", ergrilT,
und plötzlich, obwohl er sich „unbekelirt, verstockt" und ohne
Reue über das vergossene Blut „ihrer kostbaren Heiligen
und Märtyrer" zeigt, ist er „der gesetzliche Herr, der
souveräne Gebieter, der unantastbare Gesalbte Gottes!"
Man wird ebensowenig in der gegebenen Erklärung dieses
Widerspruclies , wie in der vorhergehenden Statuirung des-
selben die unparteiische Ruhe des Historikers erwarten
dürfen. In jNIilton spricht der Vorkämpfer der independenti-
schen Partei, und dieser hatte nur die schwachen Seiten der
Gegner aufzudecken. Sie würden die vorliegenden Folgen
ihrer eigenen Handlungen , seiner Meinung nach , gar nicht
missbilligeu , ,,wenn sie nur zum ausschliesslichen Vortheil
ihrer Faktion gereichten". „Als die Hoffnung, in den Klassen-
und Provinzial-Yersammlungen Herren zu werden, sie leitete,
als sie im Fett der Pfründenmasse schwelgten, zu einer grös-
seren Schande der Religion, denn alle die Sekten und
Ketzereien, gegen die sie predigen, da war es gut, gesetzlich
und mit den höheren Mächten verträglich, gegen die Person
des Königs und einen Theil seiner Lords und Gemeinen zu
kämpfen oder auf beide Häuser einen gewaltsamen Druck
auszuüben . . . Aber nun, da man ihre censorische Herr-
schaft nicht mehr allein gelten lassen will, da Wahrheit und
Gewissen befreit werden, Zehnten und Pfründenhäufung nicht
länger geduldet werden sollen . . ., wenn nun angeklagte Mit-
glieder ausgeschlossen und festgenommen, wenn Delinquenten
440 Versöhnliche Absicht.
ohne Ausnahme nach dem gemeinen Landesgesetz gegen
Mord vor Gericht gestellt werden, so gilt das mit einem Male
nichts geringerem gleich, als Korah, Dathan und Al)iram".
Nicht minder deutlich ist eine spätere Stelle, in der er den
Gegnern vorwirft, dass sie nicht eher daran gedacht hätten,
mit dem König zu unterhandeln, „als bis ihr Hass gegen das
Heer, das sie befreit hatte, . . sie heimlich mit solchen ver-
band, die sie selbst so oft als Verworfene verdammt hatten."
Es braucht nicht gesagt zu werden, wie in den angeführten
Sätzen die grössten Rechtsfragen mit bedenklicher Leichtig-
keit als reine Machtfragen behandelt worden sind. Die Be-
deutung der Worte Milton's liegt darin, dass er scharf und
richtig hervorhebt, wie die Frage der Toleranz, welche das
independentische Heer vertrat, gleichsam den Einschlag in
dem geschichtlichen Gewebe der letzten Jahre gebildet hatte.
Sie hatte vor allem den Kampf zwischen Independenten und
Presbyterianern, zwischen Heer und Parlament hervorgerufen,
auf indirekte Weise den zweiten Bürgerkrieg und damit das
Schicksal des Königs herbeigeführt.
So heftig die Gegner von Milton angegriffen wurden, so
bemüht er sich doch zu gleicher Zeit, einer Versöhnung der
Parteien das Wort zu reden. Er betont, dass „viele Mit-
glieder der presbyterianischen Partei gute und treue Christen"
seien, aber veiführt durch „einige von hitzigem Temperament",
durch die Prediger, die er möglichst von den Laien zu trennen
sucht. Er ermahnt diese, ,,ihre ersten Grundsätze nicht auf-
zugeben, sich keine Gewalt und Herrschaft über Gleich-
berechtigte anzumassen, keinen Zwang auszuüben auf Ge-
bieten, die ihn nicht vertragen, vor allem auf dem der Reli-
gion, welche zur Sünde wird, wenn sie nicht freiwillig ist".
In den Independenten zeigt er ihnen ihre „besten Freunde
und Genossen, . . die in nichts ihre Freiheiten zu beschränken
gedenken, woferne nicht sie es Freiheit nennen, die Gewissen
anderer zu l)inden". Im König andrerseits weist er ihnen
den „alten, schlauen Feind" nach, der sie bloss als Mittel zu
benutzen gedachte, ohne „nur eine Minute mit den Drohungen
seiner Rache zurückzuhalten". Es liegt etwas Staatsmänni-
Politische Theorie. 441
sches darin, wie er mitten in seinen Invektiven innehält, um
daran zu erinnern, dass sie alle ein Volk bilden, und insofern
konnte er später behaupten, sein Pamphlet sei geschrieben
worden, um ,,die Gemüther der Menschen zu beruhigen".
Diese Auseinandersetzung mit den Presbyterianern bildet
indessen gleichsam nur die Schale für den Kern der milton-
schen Schrift. Schon ihr Titel deutete an, dass es dem Autor
auf mehr ankam, als auf Polemik, dass er die grosse Tages-
frage grundsätzlich zu behandeln gedachte. Bereits mehrfach
in seinen früheren Pamphleten hatte er das engere staats-
rechtlichß Gebiet gestreift. Hier setzte er sich nun zu seiner
eigentlichen Aufgabe, dtn Beweis zu führen, „dass es für ir-
gend jemanden, der (lie Macht dazu hat, gesetzlich ist und
zu allen Zeiten dafür gegolten hat, einen Tyrannen oder
schlechten König zur Rechenschaft zu ziehn, und wenn er
seiner Schuld überführt worden ist, ihn alizusetzen und mit
dem Tode zu strafen, sobald die ordentlichen Behörden dies
versäumt oder verweigert haben". — Es würde verlockend
sein, schon hier dem Zusammenhang oder dem Gegensatz der
Ideen Milton's mit denen anderer hervorragender Schriftsteller
der Zeit nachzugehn, ihnen ihre Stellung in der Geschichte
der politischen Theorieen anzuweisen, sie auf ihre Ursprünge,
wie auf ihre Wirkungen , auf ihre Schwächen , wie auf ihre
Stärke hin zu verfolgen. Eine solche Untersuchung bleibt
indessen besser verspart für die Schilderung des epoche-
machenden literarischen Kampfes zwischen Milton und Salma-
sius, in welchem die Principien der Volks - Souveränität und
der Legitimität, aufs schärfste zugiespitzt, sich entgegentraten.
Begnügen wir uns an dieser Stelle nur, die wesentlichsten
Marksteine des Milton'schen Gedankenganges in's Auge zu
fassen.
Wie Milton sieh möglichst auf dem Gebiet der reinen
Theorie zu halten sucht, so lehnt er als ,, unmöglich in einer
allgemein gehaltenen Abhandlung" von sich ab, die „beson-
dere Tyrannei" Karl's I. nachzuweisen. Hier müssen „An-
klageakte und Beweisverfahren" die nöthigen Merkmale jenes
Verbrechensbegriifes liefern, und diese Aufgabe soll den
442 Politische Theorie.
„obrigkeitlichen Gewalten oder wenigstens den rechtsehaflfeneren
Gliedern derselben und des Volkes, wenn es auch die Mino-
rität ist, überlassen bleiben". Nur eine flüchtige Erinnerung
an einige wirkliche oder vermeintliche Regierungshandlungen
des Königs soll dem Leser das Bild einer Persönlichkeit vor
Augen führen, auf die ohne nähere Begründung jener Aus-
druck zu passen scheine (^^). Ohne weiteren Aufenthalt geht
Milton dazu über, die Entstehung der obrigkeitlichen und
königlichen Gewalt insbesondere, auf seine Art zu erklären,
um sie jenes geheimnisvollen Zaubers zu entkleiden, der
ihrem Träger unter allen Umständen als Schild dienen sollte.
Er abstrahirt zunächst von allem Geschichtlichen, indem er
von dem allgemeinen Satze ausgeht, dass „alle Menschen von
Natur frei geboren sind", nach der Bibel „im Vorrang vor
anderen Geschöpfen zum Herrschen, nicht zum Gehorchen er-
schaffen". Erst als der Sündenfall in seinen Folgen Unrecht
und Gewalt nach sich zog, in dem Kriege aller gegen alle,
kam es zum „Abschluss von Bündnissen", zum Zwecke gegen-
seitigen Schutzes. Der Ursprung von Städten und Staaten
wird von freien Verträgen der Art abgeleitet, und ein neuer
Akt der Freiwilligkeit, hervorgerufen durch das Bedürfnis der
Gesellschaft, führte zur „Einrichtung einer Autorität", zur
„Wahl" eines oder mehrerer der Weisesten und Klügsten,
eines „Königs" oder von „Beamten". Auf diese als „Bevoll-
mächtigte und Beauftragte" wurde übertragen, was „von Haus
aus jeder einzelne und alle zusanmien besessen hatten": die
Autorität, Recht und Frieden zu wahren. „Wer ernstlich er-
wägt, warum unter freien Menschen einer von rechtswegen
Macht und Jurisdiktion über die anderen hat, wird keinen
anderen Grund oder Zweck herausfinden".
Eine Zeit lang, fährt Milton fort, verwalteten Magistrate ihr
Amt wohl, bis sie sich durch die in ihre Hand gelegte Maclit-
fülle zum Unrecht verleiten Hessen. Er lässt in Folge dessen Ge-
setze „erfunden" werden, sei es von der Gesammtheit oder unter
ihrer Zustimmung, um die ])isher absolute ol)rigkeitliche Gewalt
„zu beschränken". „Wie die Obrigkeit über das Volk ge-
stellt war — fügt die zweite Ausgabe der Milton'schen Schrift
Historische Beweise. 443
hinzu — , so das Gesetz über die Obrigkeit". Er findet, als
auch dies noch ungenügend erschien, im weiteren die „Auf-
stellung von Bedingungen, die Abnahme von Eiden" bei der
„ersten Einsetzung von Königen und Magistraten'", mitunter
zugleich den ausdrücklichen Vorbehalt, dass „das Volk seiner
Pflicht des Gehorsams ledig wäre, wenn jene ihren Eid nicht
hielten". „Räthe uud Parlamente" scheinen ihm aus eben
diesem Grunde der obrigkeitlichen Gewalt „hinzugefügt",
nach dem Ausdruck des Claude de Seissel „als ein Zaum für
die Könige" (^). Ihre Macht „ist ihnen also vom Volke zum
allgemeinen Besten anvertraut worden, bei der Gesammtheit
aber bleibt die Quelle 'der Macht unwiderruflich, wenn man
nicht das natürliche Geburtsreeht aller läugnen will".
Mit dem historischen Beweise für die Konstruktion seiner
staatsrechtlichen Theorie macht Milton es sich sehr leicht. Er
behauptet nur, dass die „heidnische und christliche Geschichte"
Belege in Masse für seine Ansicht liefert, will aber „lange Citate
sparen" und sich lediglich auf die ,, deutsche, französische,
italienische, arragonische und nicht am wenigsten die schot-
tische Geschichte" berufen. Auch ist er naiv genug, mit Ho-
linshed, den er noch dazu missversteht, zu behaupten, dass
Wilhelm der Eroberer nach seiner Krönung ,,in St. Alban's"
einen zweiten Eid habe leisten müssen, „ehe das Volk ihm
gehorchen wollte" (2). Dagegen werden die einzelnen Fol-
gerungen, die sich aus dem aufgestellten Hauptsatz ziehen
Hessen , sorgfältig angegeben. Der König ist nicht Herr des
Volkes, — nur Anmassung und Schmeichelei kann an solchem
Titel Gefallen finden, — der König kann seine Würde nicht
kraft Erbrecht behaupten, — die Unterthanen würden damit
zu „Sklaven, zu einer Heerde Vieh", es wäre ein Verrath an
der Würde der Menschheit", — der König ist „nicht Gott
allein verantwortlich", — alle Eide werden damit „zum Spott",
alle Gesetze, die er zu halten schwört, hinfällig , — das Volk,
„so oft es ihm gut dünkt" kraft „der Freiheit und. des Rech-
tes, das freigeborene Männer haben, sich so regieren zu lassen,
wie es ihnen am besten gefällt", darf den König „wählen oder
444 Beweise aus der Bibel.
verwerfen, behalten oder absetzen, selbst wenn er kein Ty-
rann ist".
Neben Aristoteles, Euripides, Livius u. s. w. wird nun
doch in erster Linie, der Richtung des Zeitalters gemäss, die
Bibel geplündert, um diese Sätze zu bekräftigen. Und wie-
derum wendet Milton jene Taschenspieler -Kunststücke der
Interpretation an, durch die es nicht schwer wurde, un-
günstigen Aussprüchen der Schrift einen beschränkenden Sinn
zu geben und sie mit anderen verwerthbaren in Einklang zu
bringen. Wenn er im fünften Buch Mosis 17, 14 die Worte
findet: „Ich will einen König über mich setzen", so sprechen
diese ihm selbstverständlich für das Wahlrecht des Volkes,
wenn aber „David im 51. Psalm zu Gott ruft": ,,„An dir
allein hab' ich gesündiget"", so können „was immer seine
Meinung war, die pathetischen Worte eines Psalmes keine
sichere Entscheidung einer Frage in sich schliessen, für deren
Lösung es andere, untrügliche Regeln in Masse giebt".
Wenn Petrus 1. Ep. 2. 13, 16 die Obrigkeit eine ,, mensch-
liche Ordnung" nennt und gebietet ihr unterthan zu sein „als
die Freien", so liess sich das ohne weiteres gegen die Ver-
fechter des göttlichen Rechtes der Monarchie verwenden,
wenn aber Paulus, Römerbrief 13, 1, verkündet: „Es ist keine
Obrigkeit ohne von Gott'', so heisst das, ähnlich wie Bellarmin
es einst verstanden hatte, so viel, dass Gott den Menschen
diese Auskunft in's Herz gelegt hat zum Zwecke der Friedens-
bewahrung und es bezieht sich nur auf „gesetzliche und ge-
rechte Obrigkeit". Selbstverständlich findet sich die Anmer-
kung, dass „die Juden gegen den Rath Gottes sich einen König ge-
wählt hal)en", und „weise Autoren" haben nach Milton's Worten
betont, „dass sie sich seitdem stark der Sklaverei zuneigten".
Nach dieser Erörterung des vermeintlichen Ursprungs und
von Haus aus beschränkten Rechtes obrigkeitlicher Autorität
und insl)esondere der Könige folgt eine kurze Definition des
allgemeinen „Tyrannen-Begrifts". „Tyrann ist der, welcher . .
ülnic Rücksicht auf Gesetz und Gemeinwohl für seine Zwecke
und die seiner Faktion seine Regierungsgewalt ausbeutet".
„Wie ein gerechter König ein allgemeiner Landesvater, so ist
Begriff des „Tyrannen". 445
der Tyrann ein allgemeiner Feind". Gegen einen solchen
darf man verfahren wie gegen „eine Pest und einen Zerstörer
der Menschheit". Er gilt gleich dem „Landesfeind", ja die
Gemeinschaftlichkeit der Nationalität lässt sein Verbrechen
noch schwerer erscheinen. Der Kosmopolit erklärt, dass nicht
die räumliche Trennung Feindschaft erzeugen könne, aber dass
Feindschaft trennen müsse. „Wer Friede mit mir hält, sei
es in der Nähe oder in der Ferne, gilt mir in allem, was
menschliche Bildung betrifft, als Engländer und Nachbar; aber
ein Engländer, der alle menschlichen, bürgerlichen und reli-
giösen Satzungen vergisst, . . . obwohl im selben Mutterschoss
geboren, ist nicht besser denn ein Türke, Saracene und Heide"*
Sein Kosmopolitismus ist, wie man sieht, noch immer durch
die Religion beschränkt. Historische Belege reihen sich an,
um zu zeigen, dass es mitunter für ,, rühmlich und heroisch
gegolten" habe, selbst „ohne Process einen schändlichen
Tyrannen zu tödten". Es wäie voreilig annehmen zu wollen,
dass Milton den Tyrannenmord damit habe billigen und
empfehlen wollen. Aber das Verfahren, das man in England
einschlug, erschien um so eher gerechtfertigt, wenn man jene
äusserste Doktrin durch starke Autoritäten verfochten sah.
Andere Beispiele beziehen sich auf die Billigung der bewaff-
neten Erhebung gegen „Tyrannen" und des richterlichen Ver-
fahrens gegen sie. Die biblische Geschichte, wie die der
Griechen und Römer, die Vergangenheit des eigenen und der
fremden Völker wird herangezogen, und es giebt wenig Milton-
sche Schriften, für die sich die Sammlung des Materials so
deutlich aus dem Kollektaneenbuch des Dichters verfolgen
Hesse, wie diese (i). Wie sich denken lässt, spielt England
bei diesem Ueberblick die Hauptrolle. Bis auf Gildas, den
er „den ältesten aller unserer Historiker" nennt, geht Milton
zurück, um aus ihm zu beweisen, dass zwei „britische Könige",
wie sie aus Volkswahl hervorgegangen, später abgesetzt und
mit dem Tode gestraft w^orden seien. An das Schicksal
Richards H. wird erinnert, passende Aussprüche aus Matthäus
Paris, „dem besten unserer Historiker", aus Thomas Smith
„De republica Anglorum" u. a. werden angeführt.
446 Staatsrechtliche Kühnheiten.
Was Sadler in demselben Jahre 1649 in seinen „Rechten
des Reiches" näher auszuführen versuchte (^), fasst Milton in die
Worte zusammen: „Ein eifriges Studium unserer alten Gesetz-
bücher lehrt, dass den Pairs und Baronen das Recht zustand,
über den König zu richten". Er versteigt sich im Anschluss
an diesen Satz sogar zu der kühnen Behauptung, dass der
Name Pairs, „seine (des Königs) Gleiche", daher stamme!
Und kaum weniger kühn ist der weitere Satz, der mit er-
sichtlichem Bezug auf die Weigerung der Lords, der Anklage-
Akte der Gemeinen zuzustimmen, niedergeschrieben worden
ist: „Da Herzöge, Grafen, Marquis, wie ich in unserer eigenen
Geschichte und derjenigen anderer Völker finde, ursprünglich
nicht erbliche, leere Titel waren, sondern Namen für Aemter
des öffentlichen Vertrauens, die mit dem Amte selbst auf-
hörten, so bin ich der Meinung, dass jeder ehrenhafte Mann
im Parlament, (denn das Wort Baron bedeutet nichts mehr)
zum Wohle des Staates für einen würdigen Pair und Richter
des Königs gelten kann" (-), — Hier finden sich denn auch
jene Verweisungen auf die Geschichte Schottlands, bekannte
Sentenzen John Knox' u. a. vorzüglich nach Buchanan. Der
Krieg der schmalkaldischen Bundesgenossen, dem Autor aus
Sleidan bekannt, muss wohl oder übel gleichfalls seiner Kette
historischer Beweise sich einfügen. Aus de Thou schöpft er
seine Kenntnis der Geschichte des Abfalls der Niederlande,
und an diese erinnert er um so lieber, da die Generalstaaten
noch in letzter Stunde durch eine ausserordentliche Gesandt-
schaft zu Gunsten des Königs zu wirken versucht hatten (^).
Milton mahnt sie daran, dass seit sie selbst ihren König abge-
setzt, „kein Staat der Welt so sehr gedeihe", aber er be-
schwört sie „ihre Nachbarn, die denselben Pfad betreten, des-
halb nicht scheel anzusehn".
Dieser Theil der Milton'schen Sclirift ist in der zweiten
Auflage l)edeutend erweitert worden. Eine Kraftstelle wie
die: „Es ist nicht der Ruhm eines protestantischen Staates,
noch nie einen König zum Tode verurtheilt, wohl aber der
Ruhm eines protestantischen Königs, noch nie den Tod ver-
dient zu haben", hat erst damals Aufnahme gefunden. Die
Protestantische Zeugnisse. — Religiöser Grundton. 447
Belege aus der schottischen Geschichte sind erweitert worden.
Vor allem die letzten Seiten mit den gehäuften „Zeugnissen
wahrer Lehrer des Protestantismus", Luther's und Zwingli's,
Calvin's und Butzer's, Knox' und Cartwright's, Fenner's und
Goodman' u. s. w. sind ganz neu hinzugekommen. Auch
eine Anspielung auf das Werk „Schrift und Vernunft", an
dem der presbyterianische Gegner H. Palmer mitgearbeitet
hatte, (s. 0. S. 330) wurde hier angebracht, um als Beweis-
stück dafür zu gelten, dass die Vordersätze der presby-
terianisclien Partei eben zu der Folgerung führen müssten,
gegen deren Anerkennung sie sich sträubten, und um wiederum
zu einer höhnischen Betrachtung der Denkweise und des
Charakters der Geistlichkeit jener Partei überzuleiten. —
Mit welchen Gefühlen immer die Milton'sche Schrift ge-
lesen werden mag, der religiöse Grundton, der sie durchdringt,
wird nicht verkannt werden. Man meint mitunter die Stimme
alttestamentarischer Strenge und Leidenschaft zu vernehmen.
Wer den „Uebelthäter" trifft, ist nur das Werkzeug des
„Zornes Gottes". Es ist recht eigentlich ein frommes Werk,
„eine unvergleichliche Handlung, auf welche die Nachkommen,
wenn sie nicht ganz entartet sind, mit Stolz zurückblicken
werden", ein Muster für andere Völker, eine Warnung für
künftige Tyrannen, um was, nach Milton's Ansicht, es sich
handelte. Er bezweifelt nicht, dass „ein freies, reformirtes
Gemeinwesen", aus der blutigen That hervorgehen werde.
„W'ie Gott in alter Zeit den Juden zürnte, die ihn und seine
Leitung verwarfen, um einen König zu wählen, so wird er
uns segnen und beglücken, die wir einen König verwerfen,
um ihn allein zu unserem Führer zu machen". Die republi-
kanische Idee, auf dem Grunde religiöser Ueberzeugung
ruhend, der alten parlamentarischen Ordnung nicht minder
entgegengesetzt, wie dem alten Königthum, mit eben dem
Enthusiasmus ergriffen, der das siegi-eiche Heer durchglühte,
findet in Milton's vor nichts zurückschreckenden Worten
ihren Ausdruck. Auch hier erscheint er als Herold des Inde-
pendentismus, nur dass sich in ihm mit den biblischen Remi-
niscencen die ideellen Einwirkungen verbinden, die aus der
448 Abschluss einer Epoche.
Werthschätzung des klassischen Alterthums und einer um-
fassenden humanistischen Biklung hervorgehen. —
Das Pamphlet über das Recht der Könige und Obrig-
keiten bildet den Abschluss einer hochbedeutenden schrift-
stellerischen Epoche Milton's und leitet zugleich zu einer
anderen nicht minder wichtigen über. Beinahe acht Jahre
waren verflossen, seit seine Feder zuerst, der Ausführung
jener grossen poetischen Vorsätze entzogen, sich dem Gebiet
der öffentlichen Angelegenheiten zugewandt hatte. Er hatte
in dieser Zeit, seinem eigenen Ausdruck nach, die „drei Arten
von Freiheiten, ohne die ein erträgliches Leben nicht möglich
ist, die religiöse, die häusliche, die politische" nach bestem
Wissen und Können zu vertheidigen gesucht, durchdrungen
von dem Glauben, dass die Freiheit nicht aus „äusseren
kriegerischen Erfolgen", sondern aus einer „sittlichen Lebens-
ordnung" hervorgehe. Als ein Tagesschriftsteller im grössten
Stil hatte er sich eine vollkommene Unabhängigkeit zu er-
halten gewusst und konnte jedem niedrigen Verdacht gegen-
über die Sache, die er vertrat, durch den Werth der eigenen
Persönlichkeit erhöhen. „In häuslicher Abgeschiedenheit, ohne
Entgelt" hatte er „der Kirche und dem Staate seine Dienste
geleistet". „Mir genügte", erzählt er mit gerechtem Stolz,
der Friede meines Gewissens, die Achtung aller Guten und
der Gebrauch des freien Wortes selbst. Andere kamen ohne
Mühe in den Besitz von Einkünften und Ehrenstellen; ich
habe nie um etwas gebeten, noch durch meine Freunde um
etwas bitten lassen, niemand hat mich in flehender Stellung
an den Thüren des Senats oder in den Vorzimmern der
Committees gesehen. Ich lebte fast durchaus zurückgezogen
zu Hause von meinem eigenen Vermögen, das mir freilich
grossen Theils während der bürgerlichen Unruhen oft vor-
enthalten blieb (^), ertrug die Last drückender Steuer und
Hess mir eine massige Existenz genügen".
Milton hatte nicht die Absicht, diese Art des Daseins
mit einer anderen zu vertauschen. Grosse wissenschaftliche
Pläne beschäftigten seinen Geist: die Herstellung eines
lateinischen Wörterbuchs, die Abfassung eines Systems der
Abschluss einer Epoche. 449
christlichen Theologie, endlich die Fortführung- und Beendigung
einer Geschichte des englischen Volkes von den Anfängen
bis auf seine eigene Zeit, ein Werk, von dem schon „vier
Bücher vollendet waren". (i) Er hoffte, nachdem er mit der
letzten politischen Schrift sein Gewissen erleichtert hatte,
„genügende Müsse" zur Lösung dieser umfassenden Aufgaben
zu finden. Da kam ihm ..ganz unvermuthet" eine Aufforderung
zu, die seinem Wirken eine andere Richtung gab. Der Staats-
rath des neuen Gemeinwesens, das man im Begriff war, auf
blutigem Grunde zu errichten, trug ihm das Amt eines
Sekretärs der „fremden Sprachen" an. Indem er, ohne sich
lange zu bedenken, einschlug, trat er auf die grosse Bühne
des öffentlichen Lebens, und die Stimme, die bis dahin nur
in der Heimat gehört worden war, fand bald einen lauten
Widerhall in Europa.
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 29
I
Anmerkungen und Anhänge.
29'
Anmerkungen.
Erstes Kapitel.
Seite
6 ') C. S. P. Dom. Ser. Charles I. Vol. XIII. 217. ■^) C. S. P. XIII. 632.
7 ^) C. S. P. Xin. 361, 377, 448 etc., XIV. 99, 113, 224, 405 etc.
8 *) Reich an pikanten Bemerkungen sind die Briefe E. Norgate's, C. S.
P. XIV. 248, 269.
9 ^Th. Windebank an R. Reed, Berwick, 22. Juni 1639, C. S. P.
XIV. 341.
10 ^) Eine aus dieser Zeit stammende Korrespondenz zwischen den Co-
venanters, den Predigern und Professoren der ref. Schweizer-Kantone
und Laud, die sich im Züricher Staats-Archiv befindet, soll
an anderer Stelle bekannt gemacht werden.
•^) Hall an Laud 28. Sept. 1639, C. S. P. XIV. 526.
11 ') Diese von Ranke vorzüglich aufgeklärten diplomatischen Verhält-
nisse, die hier nur leicht berührt werden können, empfangen hie
und da ein neues Streiflicht durch die C. S. P. z. B. 1639, p. 27,
112, 113, vgl. Burton: The history of Scotlaud (1870) VII. 91 ff.
12 i)C. S. P. XIV. 4.55, vgl. Edinburgh- Review (1873), Vol. 137,
p. 184 ff.
15 0 Edinburgh -Review a. a. 0. 190 ff. Was Strafford's Worte in
Hardwicke's State-Papers II. 284 beta-ifft: „He will bring 8000 foot,
2000 horse" etc., so muss man bedenken, dass er durch Bristol
gereizt war.
17 i)Def. sec. W. VI. 289.
18 ^) S. die Abbildung und die Bemerkungen in D. Laing, Biogi-. Notices
of Th. Young, p. 24.
'-)Wood. A. 0. II. 23.'
■') Epitaphium Damonis P. W. III. 87—94. P. W. Preface p. H fi.
19 1) The Reason of Church- Government W. III. 144, 145.
20 ^) Notes of B. Jonson's Convers. w. W. Drummond, Shakesp. - Soc.
1842, p. 10.
21 ^) S. eine Beschreibung der fraglichen Blätter des Milton'schen Ms.
454 Anmerkungen.
Seite
und seine Geschichte bei Mass on II. 103 — 115, P. W. II. 175—180.
partielles Fac-Simile bei Sotheby PI. III.— X.
22 ^) Die Vermiithung von Peck , dass die englische Uebersetzung von
Buchanan's Baptistes v. J. 1642 von Milton herrühre, hat keine
stichhaltigen Gründe für sich, vgl. Francis Peck, New Memoirs
of the Life and Poetical Works of John Milton 1740. Todd I. 221.
23 i)Masson II. 121.
24 ^)Masson's Deutung (II. 113) ist daher als überfein zu verwerfen,
vgl. Baeda IV. 26 und Milton' s bist, of Britain (Ed. St. John
Y. 291).
•-)S. Godwin: Lives of E. and J. Phillips, S. 4. E.Phillips: Life
of Milton daselbst als Anhang, S. 362. Ueber Agar s. ferner Massen
II. 100, daselbst 98 das Testament des Vaters Phillips.
25 OS. E. Phillips a. a. 0. Aubrey. Wood.
■-) S. über die Strasse von Aldersgate und ihre Bewohner J. Hunt er:
Milton 24 — 27 nach dem „Book of the Names and Sm-names,
Degrees, Ranks and Qualities of all the Inhabitants of the Ward
of Aldersgate, London, July, 1641".
32 0 lieber die Streitfrage betr. „Vane's Notes", die sich an die Ver-
öffentlichung v. S. E. Gardin er: The first two Stuarts and the
Puritan revolution (Epochs of modern history 1876) p. 111, 112
angeknüpft hat, s. Athenaeum 1876, June 3, 10, 17, 24. Wenn
auch viel dafür spricht, das von der Hist. Mss. -Commission mit-
getheilte Dokument für authentisch zu halten, so lässt sein Wort-
laut doch mehrere Deutungen zu.
33 ') Hunter 26, Massen IL 358.
36 ') Nicht zugänglich ist mir J. Jones: Memoirs of the Life, Writings
and Sufferings of J. Hall 1820. Eine autobiographische Skizze (auch
aufgenommen in Wordsworth: „Eccles. Biogi'aphy" 2. Ed. 1818,
Vol. V. etc.) befindet sich vor Hall's Works III. Ueber die Satiren
speciell s. Satires by J. Hall ed. W. Singer 1824, über das Zu-
standekommen des Werkes: „Episcopacy by divine riglit" (W. III.
119—193) s. M a s s 0 n II. 124 ff. W h a r t o n : History of the treubles
and tryal of Land 1695, p. 374 ff.
0 Clarendon (Ed. 1826) II. 110.
37 0 Leider steht mir bei der Ausarbeitung die Ausgabe der Ussher'schen
Werke v. Elrington 1847, 16 Bde., nicht zu Gebote, vgl. den
vortrefflichen Artikel v. Scholl in Herzog's Real-Encyklopaedie
f. prot. Theologie.
42 i)C. J. und L. J. , Rushworth abridg'd IH. 356 ff Pari. hist.
II. 773 ff., 792 ff. The Letters and Journals of Robert Baillie
ed. D. Laing 1841—42, I. 301 ff Neal 11. 361 ff
") Clarendon'« Darstellung der Geschichte dieser Bill ist bekanntlich
grundfalsch. S. Godwin: History of the Commonwealth I. 60 ff.
Erstes Kapitel. 455
«eite
44 »)C. J. imd L. J., Pari. hist. II. 814 ff. Rushworth abr. IV. 97 ff.
N e a 1 II. In dem Abdruck der Rede Yane's bei F o r s t e r : Statesmen
351, 352 steht irrig als Datum „June 11" statt „June 12". Wenn
Weingarten 52 am 16. Juli 1641 eine förmliche, neue Konsti-
tution der Kirche durch die Gemeinen votirt sein lässt, so beruht
dies vermuthlich auf Godwin I. 63 (doch hat dieser als Datum
17. Juli), der sich aber nur auf Whitel ocke 46 und W. San-
derson: history of the Life and Raigne of King Charles 1658,
p. 422, stützt. Verney's Notes of the long parliament (Camden-
Soc. 1845), 8., 9. Juli 1641, stimmen nicht damit überein.
46 i)ParL hist. IL 789.
47 ^) An Humble Remonstrance to the High Court of Parliament.
Hall's Works IIL 201—208. lieber das Datum des Erscheinens
s. Baillie I. 293.
48 i)Z. B. die Schrift: The Way Towards The Finding Of a Decision
of The Chief Controversie now debated Concerning Church Govern-
ment, London . . 1641. Br. M. 108, b. 36.
^) S. z. B. An Appeal to Every Impartiall, Judicious and Godly Reader:
whether the Presbyterie or Prelatic Be the better Church Govern-
ment . . London 1641. Br. M. -^ — .
'') S. m. Aufsatz: üeber die polit. Poesie Englands 1640 — 60: in
V. Sybel's hist. Z. S. XXVL 413, XXVII. 215.
•*) S. z. B. Irenaei Philadelphi (nach dem Katalog des Br. M. „Lewis
Dumoulin") Epistola Ad Renatum Veridaeum In qua Aperitur My-
sterium Iniquitatis novissime in Anglia redivivum et excutitur
Über Josephi Halli, quo asseritur Episcopatum esse juris divini.
Eleutheropoli 1641 (am Schluss: „Dabam Islingtonii primo ab urbe
nr\r\ ^ in
Londino lapide an. 1640 Novembris tertio die". Br. M.
vgl. d. kräftige Gegenschrift
1
70a. e. 17
2
49 ^) An Answer | To A Book Entitvled | An Humble | Remonstrance. | In
which I The Originall of L-. . ° . is discussed | And Quaeres
lEpiscopacyJ ' ^
propounded Concerning both | The Parity of Bishops and Presbyters
in Scrip | ture Demonstrated. | The occasion of their Imparity in
Antiquity | discovered. ] The Antiquity of Ruling Eiders in the
Church I vindicated. | The Prelaticall Church Bpwnded |
Written by Smectymnws. (Darunter mit Tinte anscheinend
von späterer Hand : Steph. Marshai. Ed. Calamy. J. Young.
M. Newcommen. W. Spurstow) London, | Printed for J. Rothwell
and are to be sold by T. N. at the | Bible in Popes - Head - Alley
1641 I 104 S. 4". Br. M. '^^ f ^'. Bezüglich des Datums des
456 Anmerkungen.
Seite
Erscheinens ist der Eintrag in den Reg. von Stat. Hall bestimraend,
s. Masson II. 219.
49 2)Marvell: The rehearsal transpos'd P. 2. 1673, S. 61, „a word of
a Cipher". Butler: Hudibras (Ed. Bell I. p. 160). Polit. ballads
publ. in England during the Commonwealth ed. Th. Wright^
Percy-Society III. p. 230, s. auch W. Wilkins: Polit. ballads
of the 17. and 18. centuries (1860) I. 129.
') Clievelandi Vindiciae (1677) p. 35 — 39, vgl. p. 45 in seinem
Gedicht „The mixt assembly" die Hinweisung auf „Madam Smec",
eine weitere Anspielung p. 69 in „Rupertismus".
50 i)Baillie I. 366.
'^) S. eine interessante Biographie Marshall's , aber von feindlicher
Tendenz, im Br. M. 1418. d. 57 The Life and Death of Stephen
Marshai . . . London . . MDCLXXX, vgl. Brook: The Lives of
the Puritans 1813 III. 241 ff. und Neal, Reg. Ich beziehe mich
auch auf die im Br. M. aufbewahrten Predigten Marshall's und
C. S. P. D. S. 1637, p. 545.
51 i)Wood: Fasti L 281. Neal, Register. Mein Urtheil stützt sich
auf die zahlreichen im Br. M. aufbewahrten Predigten Oalamy's;
als ein Muster hebe ich hervor „Englands Antidota against the Plague
of Civil Warre 1644". Br. M. j^'^ , vgl. Butler, Hudibras (Ed.
Bell) n. 147, 189.
"jNeal, Register. Eine panegyrische Biographie enthält die Schrift:
The Dead Saint Speaking Or a Sermon Preached Upon Occasion
of the Death of . . . M. Newcomen ... by J. F. (John Fairfax,
wie aus einer Ms.-Notiz hervorgeht) London 1679. Br. M. 4903 f.
"jWood: Fasti I. 242. Neal, Reg., kurze Biographie in Wortliing-
ton's Diary II. 1. p. 200. Die Schrift: „Tract entitled true and
faithful relation of a worthy discourse between colonel John
Hampden and colonel Oliver Cromvell", anscheinend von Spurstow,
dem Zeugen des Gesprächs geschrieben, herausgegeben London,
Chapman and Hall 1847, mir zuerst im Br. M. unter No. 81229
bekannt geworden, kann ich nur für eine, fi'eilich sehr geistreiche
und nicht ungeschickte moderne Fiktion halten. Denn sie verwerthet
nur sonst bekannte Materialien aus Zeitungen und Reden, Crom-
well nennt sich selbst in ihr „the brewer of Pluntingdon" (p. 13),
der Zeit vorgreifend ist p. 20 der Ausdruck „the newe modell"
gebraucht, .ebenso passen p. 52 die independentischen Bemerkungen
nicht für das Datum des angenommenen Gesprächs.
Zweites Kapitel. 457
Zweites Kapitel.
Seite
57 ^) Def. sec. W. VI. 290.
^) Für die Datirung der ersten Milton'schen Streitschriften lassen uns
Thomason wie die Registers von Stationers' Hall im Stich. Dass
die Schrift „On Reformation" die erste war, sagt M. in der cit.
Stelle Def. sec. selbst. Sie muss nach dem 12. Mai 1641 erschienen
sein, denn in der That kann sich die Anspielung, die sie gegen
Ende (S. 66) auf eine Petition „for their Bishopricks, Deaneries,
Prebends, and Chanonies" enthält, nur auf die Petition der Univer-
sitäten vom 12. Mai beziehn (s. o. S. 46). Ich nehme somit das
Gott. Gel. Anz. 1871 p. 1581 gegen Masson Gesagte zurück.
Später als Juni kann die Schrift nicht erschienen sein, da für die
folgenden dann kein iRaum wäre.
^) Great Brittains [Ruine Plotted By Seven Sorts Of Men ; Discoved
(sie!) and counterplotted etc. Commended in a letter to a Friend
■ now recommended to the Honoiu-able Parliaments Consideration.
By a true-hearted well-wisher to great Brittanes happinesse. London,
Printed for Thomas Underhill and are to be sold at the signe of
the Bible in Woodstreet. MDCXLI, 31 S. Br. M. E. 134. No. 31.
*) Of I Reformation | Touching | Church-discipline | in ] England: i
And the cavses that hither- | to have hindred it. | Two Bookes, |
written to a Freind. | Printed, for Thomas Vnderhill 1641. 90 S.
4". W. III. 1—71. Deutsch b. Bernhardi: John Milton's polit.
Hauptschriften, Berlin, Koschny 1874 tf. II. 295 — 353. Unter den
V 908
Exemplaren dieser Schrift im Br. M. ist eines —^ — (nach alter
19 P C ^
Bezeichnung 35 — '- — :^ — —-), auf dessen Titel handschriftlich be-
merkt ist: „By. mr- : John. Milton" . . „Ex Dono Authoris." In
dem Traktat selbst finden sich mehrere, nach meiner Zählung
acht, handschriftliche Verbesserungen, darunter zwei Marginalien,
S. 6 Z. 3 V. u. „she" statt „we" und S. 7 Z. 9 v. u. „the dis-
cipline which is" statt „the", welches durchstrichen ist. Diese Ver-
besserungen im Text scheinen in der That, wie auch Masson II.
248 annimmt, von Milton selbst zu stammen. Dagegen muss ich
die Vermerke auf dem Titel einer anderen Hand, mit ziemlich
grosser Gewissheit der Thomason's, zuschreiben, s. d. Anhang.
60 ^) George Montaigne 1628 Erzbischof von York, vgl. Rawson Gar-
diner II. 175. Danach ist die Note b. Bernhardi 313 über den
„bekannten Montanus" zu verbessern.
61 ^) Im "Widerspruch zu der Skeptik, mit der er hier diese Ueber-
lieferung betrachtet, steht eine Stelle im Eikonoklastes W. III. 464.
Irriger Weise nennt er den Neffen Konstantin's „Commodus".
458 Anmerkungen.
Seite
61 2) Nach Kannegiesser's Uebersetzung.
62 ')]Sach Hertzberg' s Uebersetzung (1866) S. 73.
63 ^j Ebenso in der cit. Schrift: „Great Brittains Ruine plotted", p. 8, 14.
68 ') The Judgnient of Doctor Rainoldes touching the original of Epis-
copacy, more largely confirmed out of Antiquity, by James, Arch-
bishop of Arniagh. Das Datum des Erscheinens ergiebt sich aus
den Registers in Stationers' Hall: „21. May 1641 Mr. Downes
AVarden E. The judgnient of Dr. Reynolds now largely confirmed , .
by . . Bishop of Armagh." lieber die 1658 von Bernards ver-
öffentlichte U. Schi'ift: „The Reduction of Episcopacy unto the
form of synodical government received in the ancient church . . .
Proposed in the year 1641", s. Ussher's Works Ed. Elrington
I. 209, XII. 527 ff. Ueber Reynolds s. Wood A. 0. I. 339.
") Ygl. B a u r : Kirchengeschichte der drei ersten Jahrhunderte 3. Ausg.
S. 272. Ritschi: Die Entstehung der altkathol. Kirche. 2. Aufl.
(1857). S. 408.
70 ') Of I prelatical | episcopacy, [ and | whither it may be deduc'd fi-om
the Apostolical times by vertue of those Testi | monies which are
alledg'd to that purpose | in some late Treatises: | One whereof
goes under the Name of | James | Arch-bishop | of | Armagh. \
London, Printed by R. 0. & G. D. for Thomas | Vnderhill, and are
to be sold at the signe of the Bible, in Wood-Street, 1641. 24 S.
E 164
4". W. III. 72—93. In dem Exemplar des ßr. M. -^tk— ist auf
dem Titel handschriftlich bemerkt : „By JohnMilton". Auch dieseNotiz
kann ich, entgegen M a s s o n II. 251, nicht Milton's Hand zuweisen,
sondern mit grosser Wahrscheinlichkeit der Thomason's. Für die
Datirung der Schrift ist beim Fehlen aller sonstigen Hilfsmittel nur
zu bemerken, dass Milton sie in jener Aufzählung Def. sec. an
zweiter Stelle nennt.
71 ') S. Baur a. a. 0. p. 157.
■-) Er nennt ihn 91: ,,Ignatius or rathor the Perkin Warbeck of
Ignatius."
72 ^) A I Defence | Of The | Humble Remonstrance, | Against the f'rivolous
and false exceptions of | Sniectymnuus | . . . . By the Author of the
said Humble Remonstrance. | Seconded ^in -way of appendance) with
the judgement 1 of the famous Divine of the Palatinate, | D. Abra-
hamus Scultetus, | . . . . Concerning the Divine Right of Epis-
copacie, ] and the No-right of Lay-Eldership. | . . . London, | Printed
for Nathaniel Butter in Pauls | Church-yard at the pyde-Bull neare |
St. Austins gate 1641. Hall's Works Vol. III. (1662) 211—278.
Die Schrift Hall's selbst enthält in dem mir vorliegenden Exemplar
168 S. (doch ist p. 84 — 89 ein Sprung in der Paginirung . Der
Eintrag in den Registers von Stationers' Hall ist vom 12. April 1641.
Zweites Kapitel. 459
Seite
72 "-) p. 52 in den Worten „o u'r office" (nämlich d. Bisthum) lässt er die
Maske ganz fallen.
74 1) Herzog: Encykl. f. d. prot. Theol.
-) Abgedruckt in Criticorum sacrorum T. VII. P. 2, 410 ff.
^) A Yindication | Of The [ Ans-wer To The Hvmble | Remonstrance,
From The | Vnjust Imputations Of | Frivolovsnesse And | False-
hood: I Wherein | the cause of fLiturgy and Episcopacyj is further
debated. | By The Same Smectymnws. | London Printed for John
Rothwell at the Sunne in [ Paul's Churchyard. 1641. In den
Registers von Stationers' Hall eingetragen 26. Juni 1641.
75 ') Alexis: Li\Te de Secrets 15H3 (ursprünglich Italienisch). J. B.
Porta: Magia naturalis 1619, s. Bayle und Zedier,
-) Def. sec. p. 290 . . ,^et ministris facundiam hominis , ut ferebatur
aegi'e sustinentibus, suppetias tuli."
76 \) S. d. Bemerkungen von A. B. Grosart in Donne's Poems IL
p. XXX nach J. P. Collier.
-) S. die Beziehungen auf Hall's Satiren in „An Apology" etc. W. III.
292. Uebrigens citirt Milton hier, wie schon Singer: Satires by
J. Hall p. 45 bemerkt, irrig die sechste statt der siebenten Satire
aus Hall's zweitem Buche.
^) Animadversions | upon | The Remonstrants | Defence, | against Smec-
tymnws. I London, | Printed for Thomas Vnderhill, and are i tobesold
attheSiglieoftheBibleinWoodstreet,1641. 68 S. 4". W. IIL 184— 249.
Ich finde im Br. M. -Apj — ein Exemplar, auf dessen Titelblatt die
Ms. -Notiz: „written by mr- John Milton", die nach meiner Ansicht
von Thomason's Hand herrührt. Was die Datirung der Schrift be-
trifft, so wird man sich mit Masson für den Juli entscheiden müssen.
S. 202 ist die Rede von „this bot season". Nach dem 28. Jidi kann
die Schrift nicht wohl erschienen sein, da sie auf den an diesem
Tage eingetragenen Traktat von Hall: „A short answer to the
tedious Vindication of Smectymnuus" keine Rücksicht nimmt. Der
Satz p. 233 „As for your young schollers that petition for Bishop-
ricks and Deaneries" etc. wird auf die Uuiversitäts-Petitionen vom
12. Mai gehn.
82 1) Masson II. 260, 244. Ich habe die Frage schon in den Gott.
Gel. Anz. (1871) p. 1.583 behandelt.
84 ^) S. die zusammenfassende Darstellung des „Incident" bei Burton
VIT. 145 — 152, ausserdem über Montrose's Betheiligung: Sanford
406 £ nach d'Ewes Ms., vgl. Mark Napier: Memoirs of the
Marquis of Montrose 1856 I. Ch. 17 — 20 und die Verhörsprotokolle
in dem Report of the R. Commission on bist. Mss. No. IV. (1874)
P. L 163-170.
85 ^)Vgl. die Depesche Sabran's b. Ranke III. 71.
460 Anmerkungen.
Seite
88 ^ Ich beziehe mich , von anderen bekannten Quellen abgesehn , auf
„A Remonstrance of the ßarbarous Cruelties . . . Committed By the
Irish Rebeis etc. Collected out of the Records at Dublin by Thomas
Morley Gent. Being the examinations of many who were eyewit-
nesses of the same and justified upon oath by many thousands etc.
publ. by speciall command and authority, London . . 1644". ßr. M.
E. .50
31 •
90 i)Diary and Corresp. of J. Evelyn IV. 97.
91 ^) Forster: G. Remonstrance (Essays p. 26). Sanford 434.
2)Parl. history II. 927—930.
') Grundlegend für das Folgende ist Forster: The Debates on the
grand remonstrance (in „Historical and biographical essays" 1858,
separat 1860).
93 i)Parl. bist. II. 946—964.
94 *) S. die kritischen Bemerkungen zu Clarendon, Verney, Nalson bei
Forst er Essays 155 ff., vgl. Sanford 446, 447.
2) Pari. bist. II. 974.
96 1) Hunter p. 2G.
") The I Reason | Of Church government [ Urg'd against i Prelaty | By
Mr. John Milton j In two Books | London | Printed by E. G. for
John Rothwell, and are to be sold | at the Sunne in Paul's
Church-yard. 1641. 4". 65 S. W. III. 94^184. In dem Exemplar
F 1 37
des Br. M. ' auf dem Titel die Ms.-Notiz, die nach meiner
Ansicht nicht, wie Masson II. 361 annimmt, von Milton's, sondern
von Thomason's Hand stammt: „Ex Dono Authoris".
97 ^) Ausser ihm der Schotte John Durie (s. über diesen Kap. 6),
der sich zwar nicht direkt für Beibehaltung des Bisthums in irgend
welcher Form ausspricht, sondern in „a briefe declaration of the
severall formes of government received in the reformed churches
beyond the sea" nur einen kurzen Ueberblick über die Verfassungen
der reformirten Kirchen des Festlandes giebt, der sich allerdings
im Sinne der Episkopalisten verwenden Hess.
;) The Original of Bishops and Metropolitans briefly laid down etc.
Ussher's Works VII. 41 — 73. Ausserdem bezog sich auf die
, Frage die kleine Ussher'sche Schrift „A geographicall and histo-
ricall disquisition touching the Lydian or Proconsnlar Asia and the
Seven Metropoliticall Churches contained therein", die gleichfalls
in jenem Sammelbande sich vorfand.
102 ')Kampschulte: Calvin 1. 260.
109 ';S. 98. Vgl. einen weiteren Hinweis auf die Beschäftigung mit den
Bildern des verl. Parad. S. 151: „It had bin a small maistery for
Zweites Kapitel. 461
Seite
him (God) to have drawn out his Legions into array and flankt
them with his thunder" etc.
112 ^) Die erwähnten Aeusserungen Milton's tinden sich zerstreut S. 127 flf.
160, 163 ff., vgl. meinen Aufsatz: John Milton und der Calvinismus
in d. „Jahrb. f. Deutsche Theologie" XVII. 87—120.
-) Of Reformation a. a. 0. S. 64.
113 ^)Liebert S. 111.
114 ^) A Short Auswar to the Tedious Vindication of Smectymnuus Pr.
for N. Butter etc.; eingetragen in den Registern von Stat. Hall:
„28. Juü 1641" (nach Masson II. 891), Hall's Works III.
383 ff.
115 ^) A Letter Lately sent by a Reverend Bishop [dahinter mit Ms. Hall]
From The Tower Tö A private Friend: And by him thought fit to
F 134
be published. London Printed in the yeare 1642. Br. M. -—^ — •
Der Brief des Bischofs unterzeichnet: From the Tower Jan. 24.
1641. Jo. Norvic .... „Can any man pretend to a ground of
taxing me (as I perceive one of lata hath most unjustly
done) of too much worldlinesse?" Der Brief Hall's findet sich
auch in seinen Werken III. 416 — 18 und in Wordsworth: Eccl.
Biogr. V. 310 ff.
■-)S. Masson III. 674, Anm. s) Wood Fasti II. 40.
116 i)An Apology etc. (W. III. S. 276): „For having all this while
abus'd the good name of his adversary with all manner of licence
in revenge of his Remonstrant, if they be not both one person, or
as I am told, Father and Son" etc. An anderen Stellen hält
er sich ausschliesslich an den Sohn Hall, so S. 293 „This Champion
from behind the Arras cries out" etc.
'^) A Modest I Confutation | Of A Slanderous and Scurrilous | Libell
Entitvled, [ Animadversions ] Vpon The Remonstrants | Defense |
Against | Smectymnuus. | Kvh'oj xuyw t6v 7ri\9ov. Diog. apud
Lucian de Hist. concer. | Printed in the yeer MDCXLII. 40 S. 4".
Br. M. E. 134. Auf dem Titelblatt mit Ms. (v. Thomason?) „against
Mr. Milton".
119 ^)An Apology | Against a Pamphlet ] caU'd | A Modest Confutation |
of the Animadversions upon ] the Remonstrant against | Smectym-
nuus. ] London, j Printed by E. G. for John Rothwell, and are |
to be sold at the signe of the sunne | in Paul's Churchyard. 1642.
59 S. 4". W. III. 250 — 326. In dem Exemplar des Br. M.
E 147
— ^ — von Thomason's Hand auf dem Titel der Ms. \ ermerk : „by
Mr. Milton ex dono Authoris".
^) Es kommt darauf an , welche Deutung man den Worten Milton's
462 Anmerkungen.
Seite
(S. 297) geben will, in denen er sich über die Lobpreisungen aus-
lässt, die sein Gegner dem Parlament gespendet hat: . . „What will
he then praise them for? not for any thing doing, but for deferring
to do, for deferring to chastise his leud and insolent compriests."
Die Bemerkungen iiber den irischen Aufstand beweisen nichts fiu-
die Zeit der Abfassung.
121 ^) These morning haunts are, where they should be at home etc.
123 i)Milton's Works Ed. St. John III. 103, Anm.
-) Milton scheint hier die „Confutation" missverstanden zu haben.
Das Wort „Mime" bedeutet in ihr den Darsteller, während er es
auf das Dargestellte bezieht.
Drittes Kapitel.
130 ^) Forster: Arrest of the tive members 1860, übergeht dies, sowie
die ausweichende Antwort des Königs, s. C. J. 367, 368.
131 ') Dass der französische Gesandte von dem Attentat vorher Mit-
theilung machte, geht aus Forster 328 hervor.
135 *)d'Ewes: Journal of the House of Commons Br. M. Harl. Ms,
162-166, Vol. I. 309 b.
138 ') Forster: Statesmen 219, 218.
' ^) Buff: Die Politik Karl's I. in d. ersten Wochen nach seiner Flucht
V. London und Lord Clarendon's Darstellung dieser Zeit (Heidel-
berger Dissertation), Giessen 1868.
144 ') S. über den fraglichen Sammelband der Lambeth-Library (.jetzt bez. :
70. F. 18, 4"), den ich daselbst einsehen konnte: Todd (Ed. 1826)
I. 224 ff. Die betr. Schrift findet sich im Br. M. B. ^\]}^ : An ]
Argument | Or Debate In Law: | Of The Great Question | Concer-
ning The Militia; | As it is now settled by Ordinance ] of both the
Houses of I Parlianient. | By which it is endeavoured to prove the |
Legalitie of it and to make it warrantable | by the fundamentall
Laws of the Land. | In which, Answer is also given to all Ob-
jections | that do arise, either directly or collaterally | concerning the
same. | All which is referred to the judicious Reader. | By J. M.
0. L. (diese Buchstaben durch Ms. ergänzt: .1. Marsh Canc. Lin-
colns Inn.) London: | Printed by Tho. Paine and M. Simmons for
Tho. Underhill, I at the Bible in Wood-street 1642. 43 S. 4", auf
dem Titel handschriftlich: Sep. 30, ebenso auch am Schluss der
Vorrede J. M. ergänzt zu: Marsh. — Was die anderen anonymen
Schriften jenes Sammelbandes der Lambeth-Library betrifft, so ist
No. 4 nichts als die Deklaration der beiden Häuser betr. die Miliz,
1. März 1642, mit der Antwort des Königs. No. 2, A Soveraigne
Drittes Kapitel. 463
Seite
Salve 1 To Cure The Blind . . . by J. M. Esq 1643 (Br. M.
E 99 *
• ) ist zwar in jenem Sammelbande ausdrücklich handschriftlich
als von ,,J. Milton" stammend bezeichnet und würde nach Form
und Inhalt seine Autorschaft nicht ausschliessen, wenn sich nicht
S. 1 die schon von Todd bemerkte Phrase fände: „Love and
duty to religion and my country, now flaming with the lire the-;e
men have kindled . . . hath enforc'd a pen ever before stil*,
to expose itself to publick censure". No. 5, „Jus populi" etc. 1644,
eine sehr interessante, durch und durch demokratische Schrift kann,
wie schon Todd bemerkt hat, deshalb nicht von Milton stammen,
weil die darin vorgetragene Theorie über die Ehescheidung seinen
Ansichten von 1644 widerspricht.
147 ^) S. ausser den bei Giiizot I. 299 cit. Belegen die Hiaweisung auf
die Anspielungen der politischen Gedichte der Zeit in meinem Auf-
satz in Sybel's bist. Ztschr. XXVI. 41-5.
148 ^) Forster: Statesmen S. 223 nach Marshall's Leichenrede.
2) C. J. 2. Sept. 1642, S. 749, vgl. f. d. Weitere Godwin I. 81 ff.
Neal Ed. 1754 II. 29.
149 ^) Siehe über die Theater neben Collier vorzüglich Hazlitt:
English Drama and Stage (Roxburgh Library 1867), wo ausser Be-
kanntem sehr interessante Pamphlete etc. mitgetheilt sind; daselbst
auch unter den Documents No. XXXI und XXXII die späteren
Verordnungen v. 22. Okt. 1647 und 9. Febr. (11. Febr.> 1648, durch
welche die Bühne gänzlich aufgehoben werden sollte. Eine geistvolle
Zusammenstellung poetischer Erzeugnisse der Zeit nach den Pai'-
teien geordnet, bietet H. Morley: The King and the Commons.
Cavalier and Puritan Song 1868.
152 ^) E. Phillips S. 371: „For I am much mistaken if there were not
about this time a design in agitation of making him adjutant-
general in Sir William Wallers Army" etc. (Vorher geht die Er-
wähnung der Schrift „on Education" v. Juni 1644.)
2) Sotheby p. 134. PI. XVIL Mass on IL 483, 484.
153 ^) Die Polemik richtet sich gegen Masson II. 472 ff., vgl. schon
Gott. Gel. Anz. 1871, S. 1577 ff
154 1) Def. sec. W. VI. 249 i. f.
155 ^) Ich benutze ausser sonst Bekanntem einen Sammelband fliegender
Blätter im Br. M. ^^\t ^ „Sept. 29. 1642 The Persons to
whom the Militia of the Citie of London is committed". Als „Alarm-
Places" werden u. a. genannt: „Aldersgate-Street by Longlane end
(Captain Ralph Harrison), Aldersgate within (Captain Robert Tich-
burn)." S. d. Gedicht A godly Exhortation etc. CBr. M. — ^^
464 Anmerkungen.
Seite
allerdings erst v. 9. Nov. 1642) „When armed men each day we
meet ] In every lane and every street. | When al our streets are
chained streight | And Ordnance plac'd at every gate | T'is time for
US to crie- and call | Good Lord have niercy on us all" etc. (vgl.
Catal. of Prints and Drawings in the Br. M. 1870 P. 1).
156 M C. J. 1642 Nov. 12.
■-) Häufig ist dadurch Verwirrung entstanden, dass May (hist. of the
parliament etc. 1647) Sonntag zum vierzehnten macht.
157 0 When the assault was intended to the City, P. W. IL 479. Vgl.
Sotheby. „1642", später im Ms. ausgelöscht.
') So besitzt z. B. die Bibliothek v. Trinity College, Cambridge, ein
Exemplar der Schrift „on Beformation (M. 3. 22), in dem sich S. 22
zu zwei Stellen die Worte „Billingsgate Language" und „meer
railing" finden, von derselben Hand des 17. Jahrhunderts, die auf
dem Titelblatt bemerkt hat: „by Mr. Milton". Eben dort befindet
sich eine grosse Zahl der Originaldrucke Milton' scher Prosascliriften,
sowie der Pamphlete der Halls und der Smectymnianer.
") Füller: The holy and the profane State Ed. 1841, p. 274, 275,
„with such language as neither beseemed bis parts, whosoever he
Avas that spoke it, nor their piety, of whom it was spoken."
*)Bramhairs Works (Oxford 1842) IIL 476: The Serpent Salve
(erschienen im Frühjahr 1644) . . „With what indignation do all
good Protestants see these blessed men (Cranmer, Ridley etc.)
styled now in print by a young novice „„halting and time-serving
prelates"" etc.
158 *) A True Declaration And just Commendation of The Great and In-
comparable care of the Right Honourable Isaac Pennington etc.
E 99
publ. by W. S., London 1643 (April 27), 4". Br. M. -^.
161 ') S. die betr. Notizen aus den Inner-Temple books und den Kirchen-
büchern bei Masson II. 488, 489. Vgl. über den alten Milton:
Phillips.
162 ') Ich benutze eine Reihe von Zeitungen in den Sammelbänden der
„King's Pamphlets" Br. M. E. 99 und E. 100 unter dem Titel:
„Good and true newes from Reading", „Mercurius bellicus" , „Cer-
taine Informations from severall parts of the kingdom" etc.
Viertes Kai)itel.
165 ') Unsere Kunde über die Verhältnisse der Powells beruht wesentlich
a\if den „Royalists Composition-Papers", die aus der Zeit der
Revolution stammen. Zuerst zum Theil verwerthet von Todd I.
68—93, sind sie systematisch edirt von W. D. Hamilton (Carnden-
Viertes Kapitel. 465
Seite
Society ISöÜ, vgl. Hunt er: Milton S. 27 — 33, der aber irrig
Pfingsten 164:3 auf den 14, Mai verlegt.
166 ') S. d. Auszüge a. d. Registern der Pfarrei v. Foresthill b. Masson
II. 500. Ich halte dafür, dass Anna Powell in der bei Hamilton
S. 80 abgedruckten Urkunde Milton's Frau nicht mit zu den neun
Kindern rechnet, für die sie sorgen müsse.
-) S die Notizen v. Bliss in Wood's Life (Ecclesiastical Hist. Soc.
1848 S. 127) und d. Verbesserungen von Masson II. 500.
167 1) Phillips.
"-) Hamilton a. a. 0. S. 53: „Mr. Milton is a harsh and choUericke
man . . . having turned away his wife heretofore for a long Space
upon some other occasion".
^) Phillips: „By that time she had for a month or thereabout led
a philosophical life (after having been used to a great house, and
much Company and joviality), her friends, possibly incited by her
own desire, made eai'nest suit by letter to have her Company the
remaining part of the summer" etc. Aubrey schmückt dies niu"
aus, weiss auch noch zu erzählen, dass die junge Frau das Schreien
der geprügelten Neffen- habe hören müssen und hat den falschen
Zusatz, sie sei fortgegangen „M^ithout her husband's consent".
Wood und Toi and bringen nichts wesentlich Neues.
168 ^) S. Phillips. 367. Dem Sinne nach vollständig übei'einstimmend
Aubrey mit einigen Zusätzen und Wood.
169 ^) „However it so incensed our author, that he thought it would be
dishonourable ever to receive her again, after such a repulse; so that
he forthwith prepared to fortity himself with arguments for such a
rosolution and accordingly wrote two treatises" etc. Wood stimmt
damit überein. Die Annahme dass Phillips sich zwei Mal („Whitsun-
tide" und „Michalemas") im Datum geirrt habe, erscheint unzulässig.
170 '; The Doctrine | And | Discipline | Of | Divorce : | Restor'd To The
Good I Of Both Sexes, | From the bondage of Canon Law, | and
other mistakes, to Christian freedom, | guided by the Rule ot
Charity. ; Wherein also many places of Scripture, have | recover'd
their long-lost meaning. | Seasonable to be now thought on in the |
Reformation intended | Matth. 13. 52. I Every Scribe instructed to
the Kingdome of Heav'n, is like the Maister | of a house which
bringeth out of his treasurie things old and new. | London, | Printed
by T. P. and M. S. In Goldsmiths | Alley 1643. | 4". 48 S., darauf
2 unpaginirte S., auf denen zwei Auslassungen nachgetragen werden.
Br. M. —Tr, mit Tinte von Thomason's Hand auf dem Titel:
„Mritten by J. Milton" und „Aug: Ist" Ich hatte dies Exemplar,
wie die u. erwähnten der zweiten Ausgabe, schon vor dem Er-
scheinen des di'itten Bandes v. Masson zu Gesicht bekommen.
Stern, Milton u s. Zeit. I. 2. 30
466 Anmerkungen.
Seite
171 ^) Judgment of M. Bucer W. IV. 297 s. u. K. 6.
172 ^) Ich habe mich mit einigen Andeutungen begnügen müssen. Bei
diesem Anlass bedauert man noch mehr als sonst, dass uns bisher
eine kritische Ausgabe der Milton'schen Prosa- Schriften fehlt.
Die Ed. Pickering, nach der ich citire, nimmt auf die erste Aus-
gabe gar keine Pdicksicht und ist keineswegs fehlerfrei. Es fragt
sich schon, ob nicht im Titel statt „condemning of sin" zu setzen
wäre „c. as sin", wie eine handschriftliche alte KoiTektur eines
Exemplares im Br. M. (Sammelband 5175 c.) verlangt. S. 34 Z. 4
muss es heissen „Live" statt „Love", S. 52 Z. 3 muss „and shut
up" wegfallen. Andere Ausgaben sind noch fehlerhafter, wie sie
z. B. in n, 3 (Ed. Pickering p. 68 Z. 4 v. u.) „degree" statt
„decree" setzen. Uebersetzungen , die diesen folgen, haben daher
Fehler noch weniger vermeiden können. Neben den Auszügen bei
Liebert und Weber, die ich auch hier benutzt habe, erwähne
ich „John Milton's Abhandlung über Lehre und Wesen der Ehe-
scheidung . . nach der abgeküi'zten Form des G. Bur nett. Deutsch
v. F. V. Holtzendorff 1855, Berlin, L. Steinthal" und W. Bern-
hard!'s verdienstliche Uebersetzung in „J. Milton's politische
Hauptschriften 1874. E. Koschny", Bd. I.
-) The I Doctrine & Discipline | Of | Divorce; 1 Restord to the good of
both Sexes, | From the bondage of Canon Law, and | other mistakes,
to the true meaning of Scrip- | ture in the Law and Gospel com-
par'd. I Wherein also are set down the bad consequences of | abo-
lishing or condemning of Sin, that which the | Law of God allowes,
and Christ abolisht not. ] New the second time revis'd and much
augmented, 1 In Two Books; | To the Parlament of England with
the Assembly. | The Author J. M. | — Dem Spruch Matth. 13. 52
ist hier noch angefügt Prov. 18. 13 He that answereth a matter
before he heareth it it is folly and shame unto him. London : |
Imprinted in the yeare 1644. 4". 82 S. , denen 3 unpag. voraus-
gehn, am Ende ein Druckfehler -Verzeichnis. In dem Exemplar
F ^1
des Br. M. —^ — ist von Thomason's Hand die 4 in 1644 durch-
5
strichen und „Feb. 2d. 1643" auf d. Titel vermerkt. Mehrere Ms,
Verbesserungen finden sich in diesem Ex., die in dem Druckfehler-
Verzeichnis nicht erwähnt w., am wichtigsten die Korrektur „coiuii-
ving" statt „contriving", die auch noch in Ed. Pickering S. 67
(II, 3) einzuführen wäre; dieselben Verbesserungen finden sich in
einem anderen Ex. Br. M. 117. i. 59, das nur als ein früherer Ab-
zug erscheint, der in der Paginirung, „indicental" statt „incidental"
(S. 65) Verwirrung hat. Die Hschr. scheint mir iii beiden Fällen
dieselbe und zwar die Milton's selbst zu sein. In Lowndes
Bibl. Manual (Ed. Bohn 1864 III. 1565) wird ein Exemplar dieser
Viertes Kapitel. 467
Seite
Ausgabe envälmt „ex dono autoris with con'ections by the author".
Ein Abdruck der zweiten Ausgabe auf 84 S. erschien 1645, s. Br.
M. 5175. G. mit vielen handschriftl. Bemerkungen aus späterer Zeit.
Ed. 2, W. IV. 1—133.
175 ^J S. abgesehen v. d. bekannten "Werken von Michaelis', Ewald,
Saalschütz mit Bezug auf das mosaische Eherecht, die Art.
Ehe (v. Rüetschi und Göschen) und Scheidungsrecht
(v. Dove) in H erzog: Eeal-Encyklopädie f. prot. Theol. und Kirche
m. 661—707, XIII. 485-501. Richter: Beiträge z. Gesch. des
Ehescheidungsrechtes in d. evangel. Kirche 1858 bes. S. 67, 68.
Burn: Ecclesiastical Law ed. Phillimore 1842 II. 495« — 505.
Gneist: Engl. Verwaltimgsrecht II. §. ISS»^-
176 ^) Def. sec. W. VI. 29a.
179 ^) Bestimmtheit in der Terminologie darf man nicht von ihm ver-
langen; die Ausdrücke „Contract" und „Cov'nant" wechseln, aber
auch „Law" kommt vor.
182 ^) S. Nippold: Heinrich Xiclaes und das Haus der Liebe. Ztschr.
•f. d. hist. Theologie 18(32, III. IV. bes. S. .389—394.
183 ^) ,,In such an accident it will best behove om* sobernesse to foUow
rather what moral Sinai prescribes equal to our strength, then
fondly to think within our strength all that lost Paradise
relates." (B. 2 K. 11 i. f.)
185 ^) „The Jesuits and that sect among us which is nam'd of Ai'minius
are wont to Charge us of making God the author of sinne" etc.
(B. III. K. 2, S. 68), vgl. meine Bemerkungen in den „Jahrb. f.
Deutsche Theologie" XVII, 108. Die Korrektiu- von degrees in
decrees scheint mir jetzt unthunlich, da jenes auch in Ed.
Pickering sich findet.
187 ') Vgl. V. Harless: Die Ehescheidungsfrage. Eine erneute Unter-
suchung der neutestamentüchen Schiüftstellen, 1861.
189 ») An Apology etc. W. HI. 273.
-) II. 21 (S. 120) „agaiust the will and consent of both parties or
of the husband alone."
190 ^) In den Registers von Stationers' Hall : ,,2. Sept. 1645".
-) In der Sache selbst war eine Berufimg auf Seiden unmöglich.
S. Usor hebraica (FrankAirt. Ausg. v. 1673) p. 455 i. f. 'L. EL
C. 33): „Sed prudentissima proculdubio est libertatis divortiorum
coercitio" etc.
191 ^) Phillips 366. Er lässt indess irrig Ley schon unter Jakob Pre-
sident of the Council werden. D. Sonett P. W. II. 480, vgl. 11. 286,
267, über Ley neben den bei Masson III. 56 cit. Gewährsmännern:
Rawson Gardin er: England under the duke of Buckingham,
Register s. v. Ley, Marlborough.
2) P. W. II. 479. 28<l
30*
468 Anmerkungen.
Fünftes Kapitel.
Seite
192 ') L. J. 26. Jan. 1643, vgl. Sanford 550.
193 1 L. J. 10. Sept. 1642.
2 Neal II. 494 ff. Baillie I. 365, 376; II. 2 etc.
194 ') In Deutschland hat der Westniinster Synode eine besondere Be-
achtung geschenkt: Rudi off m Ztschr. f. d. bist. Theologie, 1850.
S. 238 — 297. Von englischen Quellen kommen neben den all-
gemein historischen und kirchenhistorischen Werken besonders in
Betracht: Baillie, die Aufzeichnungen von Lightfoot, Gilles-
pie und die Minutes of the Sessions of the Westminster Assem-
bly of Divines Nov. 1644 to March 1649, Ed. by A. F. Mitchell
and J. Struthers 1874, die mir indess leider zu spät zukamen, um
sie ausgiebig benutzen zu können.
198 ^) S. im Br. M. 101. b. 81 Two Speeches spoken at a commonhall
Oct. 27. 1643. 1. By Sir Henry Vane. 2. By Master Marsball.
"Wherein is shew'd the reaydinesse of the Scots to assist the king-
dome and parliament of England etc., zwei sehr lehrreiche Reise-
berichte.
199 *) S. die Worte in d. Dedikation des Tetrachordon an's Parlament:
,/rhat which I saw and was partaker of, your vows and solemn
covenant."
203 *) Forster: Statesmen 230. Die Leichenpredigt: Qqip'oiSCa The
Churches Lamentation For The Good Man bis losse etc. 1644,
Br. M. 113 i. 23. 4°.
205 ') S. Andeutungen von Young's Reden in den Aufzeichnungen der
Schreiber der Synode (Ms. in Williams' Library, London) b. Laing
1. c. 35 ff.
«) Baillie II. 230, 260 etc.
206 MS. d. interessante Spottgedicht auf die Westm. Synode „The mixt
assembly" in Clievelandi Vindiciae etc. p. 42 — 45; daselbst
auch die unvermeidliche Anspielung auf „Madam Smec" (s. o. S. 49),
*) Baillie II. 266 „that the Jcwish State and Church was all one,
and that so in England it nmst be, that the Parliament is the
Church", vgl. II. 366.
^) üeber Entwickelung und Schicksale des Inde])endentismus und die
Pilgerväter s. d. neuere zusammenfassende Dai'stellung in Rawson
Gardiner: Prince Charles etc. II. 36—62. Von Special- Werken
benutze ich Benjamin Ilanbury: Historical Memorials relating
to the Independents or Congregationalists from their rise to the
restoration ofthe monarchy, 3 Vols. 1839—44. Joseph Fletcher:
Tlie history of the revival and progress of Independency in Eng-
land, 4 Vois. 1848—62. Palfrey: history of New-England, Vol. 1.
Fünftes Kapitel. 469
Seite
1858. — J. Waddington: Congregational History 1.567—1700,
London 1874, kam mir leider zu spät zu Gesicht.
207 ') Robinson: .Justification of Separation 1010, s. Hanbury I. 214.
^) ,,the body of the congi-egation, the multitude, called the church" in
der Justification of Separation s. Weingarten 25.
^) „the people being kings . . thev are a royal priesthood" etc.
Hanbury I, 254.
208 ^) Ueber das „triformed presbytery, three kinds of eiders, namely
pastors, teachers, rulers" und die Streitigkeiten dai-über s. Fletcher
III. 25.
*) Ueber gewisse Einschränkungen dieses Rechtes diu'ch Robinson
s. Hanbury Reg.
209 *) Hanbury I. 389, Anm.
^) .,That the magistrate is not to meddle with religion
or matters of conscience, nor to compel men to this or that
form of religion; because Christ is the King and Lawgiver of the
church and conscience." So wenigstens berichtet Robinson, indess
in dem Glaubensbekenntnis von 1611, auf das er sich bezieht,
findet sich kein Satz der Art; überhaupt hat er dies oft missver-
standen, vgl. d. Art. über den Eid. Crosby: The history of the
English baptists 1738—40. I. App. p. 71, II. App. 1. — J. Ivimey:
A history of the E. baptists 1811, p. 119, Hanbury I. 270, E. ß.
Underhill in „Tracts on liberty of conscience ed. for the Han-
serd-Knollys-Society" 1846 p. 91, Fletcher III. .54 gehen
über die Diflerenz hinweg.
210 ^) Justification of Separation s. Fletcher III. 45.
•^j Hanbury I. 301, 302.
212 ^j S. neben Bancroft, Palfrey u. d. cit. Werken über den In-
dependentismus : R. Baird: Religion in the U. S. of America 1844.
Rüttimann: Kirche und Staat in Amerika 1871, mehrfach korrigirt
V. J. P. Thompson: Kirche und Staat in d. verein. Staaten v.
Amerika 1873.
2) S. z. B. Bradford: History of Plymouth Plantation, Boston 1856,
p. 425.
213 1) Fletcher III. 125 ff. Baird 184 ff.
215 ^)Knowles: Memoir of Roger Williams, Boston 1834. Die „biogra-
phical introduction" in dem Abdruck v. K. W. „Bloudy Tenent"
in den Edit. der Hanserd-Knollys-Society, London 1848. (Ich ver-
danke der Güte des Herrn Professor de Hoop-Schefter in Amster-
dam die Uebersendung einiger Bände dieser Gesellschafts-Schriften
aus d. „Bibliotheek van de vereenigde doopsgezinde gemeente te
Amsterdam.") S. Greene Arnold: Histoi*y of the State of
Rhode-Island, New- York 1859, I. 1 — 47. (Diesem Werke schljesse
ich mich mit Bezug auf die streitigen Fragen über Williams' Jugend
47') Anmerkungen.
Seite
anj. Die Biographieen von Garn m eil und Elton haben mir leider
nicht vorgelegen. Vgl. d. Aufsatz von Bü. ding er: Bie Gründung
des confessionslosen Staates („Im neuen Reich" 1871 II. .561 — 575).
216 ') Knowles.S. 279.
218 ^) S. d. cit. Schriften in den „Tracts on Liberty of Conscience ed. for
the Hanserd-Knollys-Soc." (vgl. d. Einleitungen): „Religious Peace:
Or A Plea for Liberty of Conscience" und .;Ojections : Answered by
Avay of Dialogue, wherein is proved By the Law of God: By the
law of our Land: And by his Majesties niany testimonies, That
no man ought to be persecuted for his religion" etc., auf der Rück-
seite „Persecution for Religion Judg'd and Condemn'd : In a Dis-
course, between an Antichristian and a Christian." (Zuerst 1615,
dann 1620) vgl. Fletcher IIL 48—57, Hanbury L 224.
•') Tracts o. L. of C. 181—2.31 s. namentlich p. 225, Crosby L 124,
130 ff. IL App. 2, Ivimey L 124 ff., IL 503 ff
219 1) Fletcher III. 30 ff., 189 ff.
2) S. z. B. C. S. P. Ch. I. Dom. Ser. XIV. 466 , vgl. o. B. I. S. 154.
3) Th. Jackson: The Life of John Goodwin 1822.
220 ^) Crosby I. App. 24 nach einer Ausgabe v. 1646 vgl. Näheres I. 170
Ivimey 175 ff. lieber Knollys u. Peters s. Palfrey I. 585, -586.
2) Worthington's Diary L 266.
221 *) The Protestatiou Protested, or a Short Remonstrance etc. 1641,
Hanbury IL 69 ff.
-) L. J. 16. und 18. Jan. 1641 Pari, his t. IL 990, Hanbury II. 66—68.
3) C. J. 1642 Nov. 21 p. 857.
*) Reasons against the Independent Government etc. Weingarten 56,
der indess irrig 1642 statt 1641 als Datum des Druckes angiebt, s.
Hanbury IL 100 ff
222 *) The Justification of the Independent Churches of Christ etc. 1641,
Hanbury IL 108, vgl. Fletcher IIL 244 ft'.
•■') Palfrey L 581.
224 ') Neal s. v. „scandalous ministers" etc., Minutes of the W. Assem-
bly 542—546.
225 ') S. neben Füller und Neal die Darstellung b. Godwin 1. 301 ff.
über Young : D. L a i n g 1. c. 13.
228 i)Baillie IL 110, 117 etc.
■■')Neal V. p. GVL
229 »)Neal, Hanbury IL 221 ff, Fletcher IV. Chapt. 1.
231 M Tüll och: Rational theology etc. 1872, IL 3. Dieses Werk lege ich
auch für das Folgende zu Grunde.
232 M „In other things I will take no man's liberty of judgment from
him" etc. TuUoch L 338.
233 ') Tüll och L 342, 433.
235 ') Tlie bloudy tenent of persecution for cause of conscience etc. 1644
Fünftes Kapitel, 471
Seite
(Edited for the Hanserd-Knollys- Society by E. Bean Under-
hill 1848), namentlich S. 141, 169, 203, 107, 257, 263, 315, 841,
804, 263; vgl. Ballie II. 191, 212, 397. Die andere von E. B.
Underhill p. XXXIY erwähnte Schritt R. Williams' „Queries of
highest consideration proposed to Mr. Thomas Goodwin . . presented
to the High Court of Parliament, London 1644," liegt mir nicht vor.
286 ') A Reply of Two of the Brethren to A. S. etc. With a Plea for
liberty of Conscience for the Apologist's Church-Way; against the
Cavils of the said A. S. Formerly called M. S., to A. S. (Adam
Stewart) 2. Ed. 1644 s. Bailliell. 111, 180, 181, 184. Hanbury
IL 251, 341 &. Jackson 116, 117.
'^) Weingarten 111.
237 ^) S. Weingarten 102 ff., auch f. d. Folgende vgl. Wood, Baillie,
Hanbury, Fletcher.
^) „Dipper" = Taucher mit Bezug auf die Ceremonie der Wiedertaufe.
239 ') S. d. Auszüge aus d. „Gangraena" b. Masson III. 143 ff.
-) Weingarten 109, 83. Er findet den Ausdruck „Saints" zuerst in
Burton's protestation protested v. 1641 (nicht 1644 wie W. sagt)
s. 0. S. 221.
240 ') Weingarten 105.
^) Baillie IL- 218,- Tracts on Liberty of Conscience 270, L.
und C. Journals 9. Aug.
») Masson IIL 163, Predigt v. 13. Aug. 1644.
241 0 An Arke against a Deluge etc. (22. Oct. 1644) Br. M. ^^ p. 29
18
„your abhorring of the mentioning yea of the very thoughts of Tol-
lerating all opinions" etc. „For my part (Right Honourable) if God
thinkes fit, I should rather wish to lie in my grave than live to be-
hold such an intollerable Tolleration."
F 17
2)Yines: „The Posture of David's Spirit" Br. M. ^^jj- über
Palmer s. S. 302.
3) Ich führe aussdr „Englands Antidota" (s. o. S. 51 Anm. 1) nur die Titel
einiger Predigten an : „The great danger of Covenant brealdng," „An
indictment against England because of her selfmurdering divisions."
E 320)
In-e ich nicht, so richtet sich eine Schrift Calamy's (B r. M, —^ — =
speciell gegen Burton. Eine Predigt von Young: Hopes Incurage-
ment etc. preached at the last solemn fast Febr. 28. 1643 (1644) 4o,
38 S., massvoll in der Form, bezeugt eine ähnliche Gedankem'ichtung.
242 1) A sermon tending to set forth the right use of the disasters that
■p 1 «
befall om- armies etc., London 1644, Br. M. -^^j — S. 31 „No Reform
of Religion now, now nothing will satisfie some but a Toleration of
472 Anmerkungen.
Seite
all Religions and all Opinions" etc. S. 40 „Duresce, duresce o infelix
Lantgravie."
242 *) The duty of such as would walke worthy of the Gospel : to endea-
vor Union not division nor toleration opened in a sermon at Pauls
upon the Lords day Febr. 8. 1646 (v. Thomason mit Tinte die 6
durchstrichen und 1645 daneben geschrieben) etc. I^ondon 1646
S. 17 „an universall and absolute liberty of judgment for every
man to differ when he pleaseth and in what he pleaseth, to
be of what opinion and faith he will, is not to be endeavoured if
it might be attained, nor is it to be tolerated or permitted."
Ueber den Covenant S. 30.
243 'j Groanes for Liberty Presented From the Presbyterian and (formerly
nonconforming) Brethren, reputed the ablest and most learned
among them in some Treatises called Smectymnuus , to the high
and Honorable Court of Parliament in the yearc 1641 by reason of
the Prelates Tyranny. Now awakened and presented to themselves
in the behalfe of their nonconforming Brethren etc. . . . Also Some
Quaeres For the better understanding of Mr. Edwards last Book
called Gangraena etc. (1G46). Mir ist die Schrift nur bekannt aus
dem Sammelbande Saltmarsh'scher Pamphlete: Some Drops of the
Viall, powred out in a Season when it is neither Night nor Day or
some Discoveries of Jesus Christ bis Glory in severall Books etc. . .
London 1646 (Br. M. 4106.- e. 4" mit Ms. Bemerkungen v. einem
Gesinnungs-Genossen). S. über Saltmarsh: Neal, Wood A, 0. IL
287, Hanbury III. Reg. daselbst namentlich 167 ff.
245 ^) A vindication of churches commonly called independent or a briete
answer to two books, the one intituled twelfe considerable serious
questions touching church-government; the otlier Independency exa-
mined, unmasked, refuted etc. Both lately published by William
Prinne . . . By Henry Burton, a brother of his and late companion
in tribulation etc. 1644 (von Thomason's Hand der Ms. Vermerk:
E. 17
Novemb. 14tii) B r. M. — ^ — 4". S. 30 gegen die National - Kirchen,
S. 39 ff. iiber Papisten und Anabaptisten „Magistrates may not tole-
rate opon Popery and Idolatry to be set up in the land, but the
conscience of a Papist they are no masters or judges ot" etc. Ohne
Zweifel war es auch Burton, der 1646 die Schrift „Religious Peace"
(s. 0. S. 218) mit einer Vorrede „To the Presbyterian reader . . .
H. B." neu herausgab (s. Tracts o. L. o. C. p. 7).
246 ') l^aillie IL 146, 170, 185.
247 *)Carlyle IV. »i5 vgl. f. d. Folgende neben Carlyle besonders die
neue Edition d^r Camden-S ociety (1875): The Quarrel between
the oarl of Manchester and Oliver Ciomwell: An episode of the Eng-
lish civil war. rnpublished docunicnts relating thereto ed. Bruce
Sechstes Kapitel. 473
Seite
and Masson. Ueber die Crawfords hätten hier noch die Notizen bei
Sanford (Long-Marston-Moorj benutzt werden können.
247 2) Pef. sec. W. VI. 318.
248 ') S. das gegen Cromwell gerichtete Aktenstück C a ra d e n - S o c. 1. c.
72, vgl. 60, 62. •■') Carlyle I. 182.
249 OBaillie II. 111, 113, 166 ff., 179.
250 ') S. d. genaueste Beschreibung der Schlacht in J. L. Sanford:
Studies and illustrations of the great rebellion 1858, S. 580—616
etwas abweichend Markham: Life of Fairfax, 1870. 165 — 178.
253 *) S. über diese Ereignisse C a m d e n - S o c. 1. c. p. LIV— LXII , vgl.
mit Baillie II. 229 ff., Carlyle, C. J.
255 ')Camden-Soc. 1. c. S. 93, Carlyle I. 197.
*) Camden-Soc. 1. c. S. 79 aus „CromAvell's Narrative," einem Akten-
stück, an dem doch \vohl Cromwell's Hand nicht allein gearbeitet hat.
=') Whitelocke I. 343 ff". Baillie II. 245.
258 ^) Kronick van het bist. Genootschap te Utrecht 1870 p. 41.
Sechstes Kapitel.
262 ') Mitford (W. I. p. LVI) hat auf die Stellen bei Howell: Familiär
letters und Hall: Cases of conscience aufmerksam gemacht. Eben
dort und bei Todd I. p. 60 ff., die übrigen Aeusserungen, die sich
gegen Milton's Ehescheidimgs-Theorie richten.
263 1) Ich benutze ein Exemplar des Br. M. E. 268. 1645 (mit Tinte der
Vermerk „Feb. 7.") . . „Witnesse a Tractate of Divorce, in which
the bonds of marriage are let loose to iaordinate lust and putting
away Avives for many other causes besides that which our Savioiu:
only approveth namely in case of Adultery."
-) Mir lag nur die zweite Ausgabe von Pagit's Schrift (1645) vor: s.
d. auf Milton bez. Stellen in der Vorrede und p. 142: „Divorsers:
These I terme divorsers, that would be quit of their wives for slight
occasions, and to maintaine this opinion one hatli published a Trac-
tate of divorce" etc., vgl. Todd 1. 63.
264 1) S. d. Stellen aus Edwards' Gangraena bei Masson: III. 189—193,
■•*) Vgl. A catalogue of prints and di-awings in the Br. Museum Div. I.
Pol. and personal satires (1870) Nr. 666. Political ballads etc. ed.
T. Wright (Percy-Soc. 1841) p. 253.
') Forster Statesmen p. 279.
266 ^) Ich beabsichtige das Andenken an Hartlib ausführlicher an anderer
Stelle aufzufrischen. Seine zahlreichen im Br. Mus. aufbewahrten
Druckschriften haben mir vorgelegen, ausserdem mehrere der dor-
tigen Ms. Bände, welche Bruchstücke seiner unglaublich ausgedehnten
Korrespondenz enthalten. Besonders wichtig ist Sloane-Ms. 649,
in welchem auch Milton mehrfach erwähnt wird. Zahlreiche Briefe
474 Anmerkungen.
Seite
Hartlib's an Robert Boyle, gleichfalls mit gelegentlicher Erwähnung
Milton's, finden sich in Boyle's Works (Ed. 1744) Vol. 5, an Wor-
thington in Worthington's Diary and Correspondence ed. J. Cross-
ley (Chetham-Soc. 1847, 1855). Die von Crossley in Aussicht ge-
stellte Biographie Hartlib's, wie die Durie's und Worthington's
fehlt noch. Für Hartlib müssen wir uns vorläufig mit der gut-
gemeinten aber mangelhaften Arbeit von Dircks: A biographlcal
memoir of S. Hartlib etc., London J. Russell Smith (1865) begnügen.
266 ^) Der Vermittlung des H. Dr. Damus verdanke ich folgende Notiz aus
einem Ms. des elbinger Archivs, enth. biographische Nach-
richten über verdiente Elbinger, allerdings v. Ende d. 18. Jahr-
hunderts mid jedenfalls irrig in Betreff von Namen und Datum:
„George Hartlib, dieser hat in Heidelberg studiert und sich hernach
in Elbing aufgehalten. Ist aber, ich weiss nicht durch was für einen
Zufall, nach Engelland gekommen und daselbst, ob in oder ausser
einem Dienst, weiss ich nicht, 1660 gestorben, wie Zamehl (?) p. 169
berichtet." Masson III. 193 nimmt als sicher an, dass Hartlib's
Mutter eine Engländerin war, obwohl es aus seiner autobiogi'aphischen
Skizze (Dircks 2 ff., s. auch Kennet Register p. 867) nicht her-
vorgeht.
268 *) Eine gute Würdigung Hartlib's s. b. TuUoch Rational Theo-
logy II. 427. Er wird auch nebst Durie mehrfach erwähnt in Ave-
Lallement: Des Dr. Joachim Jungius Briefwechsel 1863.
269 *) S. über Durie ausser Bayle, Wood, einer älteren Dissertation
von Benzelius (Mosheim) de J. Duraeo den Art. von Henke in
Herzog's Encyklopaedie, vgl. einen Aufsatz v. B r a n d e s im Nordd
Protestantenblatt 1871 Nr. 15, 20. Ziu- genaueren chronologischen
Bestimmung der früheren- Thätigkeit Durie's ist unentbehrlich die
Schrift Hartlib's: A briefe relation of that wliich hath been lately
attempdted to procure ecclesiasticall peace amongst Protestants Lon-
don pr. by J. R. for Andrew Crooke etc. 1641 Br. M. 108, b. 31,
35 S 4" und die spätere : The unchanged, constaut and single-hearted
E. 603.
peace-maker etc. 1650 Br. M. — ö — Zahlreiche werthvolle Notizen
f. Durie's späteres Leben in Worthington's Diary (das. I. 305
cit. Tinianus Gesselius bist. Sacra et eccl. 1659—61 entli. eine Samm-
lung Durie' scher Papiere) und Vaughan: The protectorate of 0.
Cromwell 2 Vols. 1839. Das Züricher wie das berner Staats-
Archiv ist reich an Nachrichten über Durie; eine Reihe seiner
Briefe haben mir im Oi'igiual vorgelegen).
270 ') C. S. P. Dom. Ser. 1631-38 unter Durie, Roe, Hartlib, s. daneben
über Durie's Verhältnis zu Land: Report of the R. Commission
on bist. Mss. Nr. IV. P. I, 159—162, 592. Einen bisher unbekannten
Sechstes Kapitel. 475
Seite
Brief Hartlib's an Roe (?) vom 10. August 1640 theilt Masson III.
217 ff. aus dem S. P. 0. mit.
270 -) Forster : Statesmen 160.
271 ^) Dies geht hervor aus „A briefe relation."
-) A briefe relation s. o. S. 269 Anm. 1.
^) Hartlib hat in diesen Jahren noch durch zwei andere Schiüften die
Aufmerksamkeit auf Durie gelenkt: 1) Motion tending to the publick
good of this age etc. The copies of certain letters written by J. D.
publ. byS. Hartlib, London 1642 Br. M. — "^^ — 4". 2) A copy
of J. Dury's letters presentend in Sweden to the Lord Forbes briefly
intimating the necessity of a common fundamental confession of
faith etc., publ. by S. Hartlib. London (Nov. 15) 1643 Br. M.
E. 251
— g — 4". Ich habe diese Schriften indess nicht eingesehen.
*) The copy of a letter written to Mi-. Alexander Henderson. London.
E. 87
Printed in the yeare 1643, 14 p. Br. M. .- 4° ohne Unterschrift,
aber auf dem Titel der Vermerk von Thomason's Hand „by Mr.
Hartlib, Feb. first 1642" (nicht „Feb. 6" wie Masson III. 220 hat).
272 ^) A faithfull and seasonable advice, or the necessity of a corre-
spondencie for the advancement of the protestant cause humbly
suggested to the great councell of England assembied in parliament.
E. 87
Printed by John Hammond 1643 4". 4 Bl. Br. M. , . auf dem
Titelblatt von Thomason's Hand: „Ex dono Authois (sie!) S. Hart-
lib Feb. 6. 1642."
^) The uecessity of some nearer conjunction and correspondency
amongst Evangelical Protestants for the advancement of the nationall
cause and bringing to passe the effect of the covenant. London
E. 16.
Printed 1644, 4" 8 S. Br. M. j^ Auf dem Titel von Thomason's
Hand:^,,By Mr. Hartlib Xovemb. 9tii.'-
273 ^) Nach Zoubek: Zivot J. A. Komenskeho (s. u.) p. 38 soll ihm
von einem reichen Herrn 1632 ein Schloss angewiesen sein, damit
er in demselben mit zwanzig englischen Jünglingen wohne und ihre
Studien leite. Z. stützt sich vermuthlich auf die Notiz in Comenius
böhmischer Didaktik Ed. 1849, S. 170 Cap. 28).
^) In der Schrift „The true and readie way to learne the Latine tongue"
etc. V. 16.54.
274 ^) In der Schrift „The reformed school by John Dury, London printed
by R. D. for Rieh. Woodnothe s. a. 81 S., vorher geht „the Publi-
sher to the Reader," unterschrieben „Thy most willing Servant for
476 Anmerkungen.
Stite
the advancement of Piety and Learning Samuel Hartlib." B r. M.
10. 31. a. 11.
1
274 ^) S. über ilin Sclimid: Encyclop. d. Erziehungs-Wesens, Raum er:
Gesch. d. Pädagogik (vgl, Register), Palacky: ZS. d. Böhm. Mu-
seums (1829), Gindely: Ueb. d. J. A. Comenius Leben und Wirk-
samkeit i. d. Fremde i. d. Sitzungsberichten d. Wiener Akad. phil. bist.
Gl. XV, 482—552 (1855), D. Benham: The School of infancy
etc. m. Sketch of the life of Com. London 1858, die Biographie .v
Zoubek (Zivot J. A. Komenskeho) Prag 1871, Beiträge z. Lebens-
geschichte des Comenius (Prispt'vky k zivotopisu Komenskeho) v.
J. Goll in ZS. d. Böhm. Museums 1874 p. 259—277 (mit besonderer
Benutzung der von Goll im Br. Mus. entdeckten Schrift: Historia
Revelationum Ch. Kotteri etc., durch welche manche Punkte in C.
Biographie in neues Licht gesetzt werden). Ueber des C. Ver-
hältnis zu Hartlib und England kommen neben den gedruckten
Werken die schon von Gindely und Zoubek benutzten Briefe in Be-
tracht, welche das böhm. Museum in Prag besitzt (s. Gindely
485). Es sind mehr als 120 Briefe des C. an verschiedene Personen
und mehrere an ihn. Eine nicht geringe Anzahl ist von des C.
eigener Hand geschrieben , ein Theil hat sich im Koncept erhalten.
Die anderen sind in einzelnen Theken auf seinen Befehl nieder-
geschrieben worden etc. Die Güte meines Freundes, des H. Dr.
Goll in Prag, der meine Nachforschungen über Comenius überhaupt
unterstützt hat, hat mir ermöglicht, diese Korrespondenz des C, so-
weit sie hier in Betracht kam, zu benutzen. Beiläufig seien noch
erwähnt die Gelegenheits-Schriften v. Seyffarth und Pappen-
heim 1871.
276 ') Zoubek 36, 117 Nr. 45, Gindely 493, 497. Gindely: Dekrety
jednoty bratrske 1865, p. 306—311 (D. d. Brüder - Unität , Mit-
theilung von Goll). Raum er II. 96 nach Auszügen aus d. Schi'ift
„Unum necessarium" etc.
278 ') Zoubek 34, 35.
279 ') Brief des Comenius an Hartlib (Ms. in Prag) s. d.: „S. P.
Clarissime vir patuit quidem jam ante mihi amicitiae tuae janua,
quum per germanum tuum, aliquoties me salutari et de quibusdam
iiioneri voluisti, magis autem nunc praebita mihi ansa est familiarius
te compellendi, postquam et nostris legatis (Vechnero et Laurino) te
tam affabilem et communis miseriae exulum gentis nostrae tam com-
paticntfm praebuisti, quem scilicet et scriptis quibusdam didacticis
(quamvis hactenus nondum mihi sint redditae) donare et aliorum
iiinicitia augere voluisti. I). Stresonem intelligo, qui ad me tuo mo-
iiitu litteris datis suum de rationis usu et abusu elegans jam et poli-
tum scriptum communicavit . . . Patere nii H. , ut tibi lioc in loco
Sechstes Kapitel. 477
Seite
effundam cogitatioiies meas. Cupio adnioduni posse me in hoc
exilio saltem Didacticam magnara, Viridarium et Pansophiam absol-
vere, quia metuo, si Deus nos patriae restitiiat, per negotia eccle-
siastica non datum iri tantum otii, ut his vacare queam. Affirmare
qiiippe ausus es apud affinem meum D. Yechnerum, nisi obstitisset
conatibus tuis Anchorani temeritas, effecturum te fuisse, ut pro januae
reclusione annuatini mihi ad vitae dies 100 libr. sterl. cederet. Si ita
equidem te amo mellite amice, qui de me tarn insigniter mereri sta-
tueras. At si tibi non desunt rationes, en merendi iterum occasio
non tarn de me, quam de re communi totius Christianae juventatis.
Nimirum, si vel unicas centum 1. a studioTum patronis (quibus floren-
tissime Anglia abundat) impetraveris, impetrari ego posse spero, ut
in laborum societatem pertraham ei'uditissimos viros Yechneros . . .
Interim si non in promptu tibi res est, nihil etiam peto nisi ut
orare pro nobis non intermittas" . . . Dieser undatirte Brief eröffnet
die Korrespondenz zwischen C. und H. Dessen Briefe sind leider
nicht erhalten. Die Zeit, in der dieser Brief geschrieben ist, be-
stimmt sich nach der Zeit des Erscheinens der ersten^ Auflage von
Anchoran's Schrift. Ich bin nur im Stande das Jahr, in dem die
dritte Auflage erschien (1637) anzugeben. Ueber Hörne s. Wood
A. 0. II. 178.
279 *) S. Dircks a. a. 0. S. 51: Conatuum Comenianorum praeludia ex
bibliotheca S. H . . . . Oxoniae, Excudebat Guilelraus Turnerus.
Academiae Typogi-aphus 4°. Anno 1637 (die Vorrede a. d. Leser
unterschrieben: Samuel Hartlib). — Eeverendi et clarissimi viri
Johannis Arnos Comenii pansophiae prodromus etc. 12". Londini
1639 (die Vorrede wiederum unterschrieben Samuel Hartlibius . .
Cal. Jan. Anno 1639). Nach Massen III. 198 in den Registers
von Stationers' Hall bereits eingetragen: „Oct. 17. 1638."
3)Gindely 490.
*) S. den Bericht des Comenius in d. autobiograph. Skizze vor T. 2
seiner Opera didactica 1657. Ich benutze ausserdem die mir durch
Goll's Güte zur Verfügung gestellten Auszüge aus einer im Druck
befindlichen Ai'beit Zoubek's über „Comenius Zeitungen aus
London" (ZS. des Böhm. Museums 1876). Von diesen bisher ganz
unbekannten „Zeitungen" befindet sich ein gedrucktes Exemplar
(d. 8/18 Oct. 1641 „ad amicos Lesnae in Polonia agentes)" in der
Un.-Bibl. zu Leipzig. Als Autor des encyklopädistischen Planes''
nennt C. den „sehr gelehrten Mann N. (?) Harrison."
280^^) Neben dem früher Citirten werden hier die Briefe des Comenius,
deren Ms. sich in Prag befindet, Hauptquelle. Eine ganze Reihe
derselben aus London, geschrieben vom 5/15 Nov. 1641 bis 9. Mai
1642, an L. de Geer und Hottonus gerichtet, liegt mir- auszüglich
vor. Ich führe daraus an: . . „Praesertim cum et hie labores bonos
478 Anmerkungen.
Seite
bene ageiidi aperiri videatur campus; quaniquam uon sine impedi-
mentorum metu. Utut est expectandus mihi erit commissae legationis
meae eventus, qualisqualis futurus est." (5./15. Nov. 1641.) „Quan-
tum ad me, ex prioribus meis intelligei'e potuisti, me hoc in loco
multorum Christi sen'orum causa legatione tungi, ad quaerendum
diuturnae egestatis levamen aliquod simulque tarnen agere cum
amicis loci hujus illa, per quae studia nostro Deo et posteritati
probare liceat . . . Unde porro sequitur, nee me ante legationem
finitam impetratamque a meis dimissionem, nee in accipienda oblata
vocatione eorum, qui consiliorum et laborum consortes sunt, respectum
seponere posse" (9./19. Dec. 1641). „Verum est, existimasse hie
arnicos (quos negotii conscios fecit Dom. Hartlibius unum et alterum)
commodiorem ibre sedem hoc in loco . . . Tum vero quia spes
publicae tranquillitatis hoc in regno (quae mutare jam videntur) in
integro tum erat, nee relabi tarn facile conciliis jam coeptis satis
decorum fuit" (9./19. Dec. 1641) . . „Terrent me public! motus
quorum exitus solus novit Dens Me hoc in loco intimi amici
mei (Duräus et Hartlibius) retinere conantur per duos tresve menses,
suadentes ut ante discessura hinc omnes pansophicos (annis 14 varie
congestos et hucusque per Chartas sparsim disjectos) conceptus
recolligam et redactos in aliquem ordinem sibi quoque exemplar
relinquam, ue scilicet si me mors aut alius infaustus itinerum casus
Chartas meas mihi eripiant, omnia intereant simul. Quorum con-
siUo . . propemodum pai'cere decrevi" (s. d. nach 6. Feb. 1642) . .
„Nondum autem ad vos venio, quia memoriain meae hie hospi-
tationis honestam relinquere cogito et propemodum uecessarium
est, parte quadam lucubrationum mearum hiemis praeteritae ante
discessum meuni hie typis descripta. Qua etiam ratione fiet, quod
ut fieret suadebas, specimen novum, elegans mirum et multis in-
speratum Pansophicorum nostrorum conatuum dabitur in publicum"
(an Hottonus 9. Maji 1642, in Folge dessen erschien 1043 Danzig
„Piusophiae diatj'posis ichnogi'apliica et orthographica", s. Zoubek
p. 116 No. 43). Er schrieb ausserdem in London „Via lucis
vestigata", das aber erst später erschien, s. Zoubek Xr. 42.
'^) A Reformation of Sehooles . . . Written many years ago in Latine
by that Reverend, Godly, Learned and famous Divine Mr. John
Arnos Comenius . . . And now upon the request of raany translated
iüto English and publ. by Samuel Hartlib for the general good of
this Nation . . 1642 (nach d. Reg. v. Stat. Hall, eingetragen „Jan.
12. 1642", s. Masson III. 220). 4". 94 S. Br. M. 830. 8. b.
(S. d. genauen Titel b. Direks 52.)
•■') Zoubek: Zeitungen des C. Nach diesen war C. schon am 21. Sept.
in London.
281 *)Goll 2(t.5 nach Mittheilungen a. d. elbinger Archiv.
Sechtes Kapitel. 479
Seite
282 ^) S. d. Einleitung zu T. 2 der Opera didactica.
^) Zoubek 43, 49, 53, Comenius an L. de Geer. Elbingae 18./28.
Nov. 1642 : „Augere tibi impensas citra necessitatem nolo praeser-
tim si in Hartlibium et Fundanium aliquid pro hoc anno (uti roga-
bam) derivatum est". C. ad Wolzogenium (s. Gindely 496)
Elbingae 8. Oct. st. n. 1643: „Quid autem Hartlibii mei superestne
aliqua memoria? Suadere ipsimet tentaveram, ut particularem ali-
quam suscipere Interim ne sperneret vocationem. Quid mibi respon-
derit, ex adjacentibus vide. Indignatur propemodum, quod a
sublimioribus revocare audeam, veritus, ut ne ipse abjiciam liastam.
Multa sperat, multa satagit, multos Stimulare et favere qui se pub-
lice dedunt, non intermittit optimus vir. Quid faciemus? Juvandus
est utique, tarn precibus apud Deum, quam modis et rationibus aliis
possibilibus, ne succumbat. Ego quod ibidem piorum quorundam
liberalitas nitro mihi obtulerat couferre quotannis ad operis usque
elaborationem (circiter libras 40 vel aliquanto supra) ipsi transsig-
naveram ad amanuenses alendum et alias necessitates. Sed belli
calamitas facit, ut ille desertum se et in angustiis constitutum
sentiet. Si patroni bona pace liceret, ego hinc aliquam illi mitterem
summulam etc."
■"') Hier kommt namentlicb Sloane Ms. 649 in Betracht, s. über
J. Ravius: Zoubek 57, Gindely 500, über Kinner: Zoubek 60,
62, 64. S. Weiteres o. im Text S. 400.
■*) „te incentor omnium Bonorum in Anglia". Sloane Ms. 649 f. 31
aus einem Briefe des Nürnbergers Böhmer an H.
283 ^) C. S. P. Dom. Ser. Charles I. Vol. XIV, 104.
^)Prynne, Ganterburie's Doome 1646, p. 539 &. Wharton:
bist, of the troubles and tryal of W. Land 1695, p. 377.
^) A Short letter modestly entreating a friend's judgment upon Mr.
Edwards his booke, he calleth an Anti-Apologie: with a lai-ge
but modest answer thereunto. London, Printed according to Order
1644. (Die Schrift hat mir nicht vorgelegen, nach Masson III.
231 trägt das im Br. M. befindliche Exemplar den Ms. Vermerk
„Sept. 14".) lieber Woodward s. Wood: Athenae Ox. II. 540,
*) An epistolary discourse, wherein (amongst other particulars) these
foUowing questions are briefly resolved I. Whether or no the State
should tolerate the independent government? II. If they should
tolerate it, how farre, and with what limitations? III. If they
should not tolerate it, what course should be taken, to bring them
to a conörmity with the presby terials ? Written by Mr. John Dury to
Mr. Tho. Goodwin j
]VIr. Philip Nye > Published by a friend for more common use
Mr. Samuel Hartlib )
(vielleicht H. selbst) . . pr. f. Ch. Greene etc. 1644 (Ms. Note:
1^ T» f*
478
Seite
bene ageiuli a|H^# vidr-
; quamquam non sine imp» ,
meiitonun inct'
IS mihi erit commissae legatioi
nieae evontn^
-t •'• fö./lO. Nov. 1641.) .,guai,
tum ad 111
■ l)Otuisti, me hoc in loco
miiltoruiii 'II
•jatione fungi, ad quaerendum
iliiiturnac vgc^
d simuhjue tarnen agere ouiu
ainicis loci hn
'i 1 noi^tro Deo et pc-' mai
probare liceal
IUI-, nt'c me ante legaiiunc-ni
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^^^^^^^^^^^^^^H
in London. ^^^^^H
281 ') GoU 2h5 nach Mi^^^B
^^^^^^^^^m
Sechstes Kapitel. 481
Seite
ford I. CLXXXI, woselbst die Milton'schen Noten nicht ganz
korrekt wiedergegeben sind.
298 ')Cowley's Works (Ed. 1710) II. 608—623 „A proposition for the
advancement of experimental philosophy", s. bes. S. 618 ff. „The
School", vgl. W 0 r t h i n g 1 0 n ' s Diary I. 284 ff. 356, 366. B o y I e' s
Works V. 397.
'') S. über Aschani, Milton, Locke: „The Schoolmaster , Essays on
practical education" London 1836 vgl. üb. d. Versuch einer Aus-
führung einiger Milton'scher Ideen: „The Pamphleteer" (Vol. XVII,
London 1820, p. 121 ff.): „Milton's plan of education in his letter
to Hartlib with the plan of tbe Edinburgh academical Institution,
founded thereon".
299 ') TheJvdgment | of | Martin Bucer | Concerning | Divorce. | Written to
Edward the sixt, in his se- I cond Book of the Kingdom of Christ, j
And now Englisht. | Wherin a late Book restoring the | Doctrine
and Discipline of Divorce, | is beer confirm'd and justify'd by the |
authoritie of Martin Bucer. | To the Parlament of Enr' d. | John
3. 10. I Art thou a teacher of Israel, and kiiow'si not these
things? I Publisht by Autb'^iitie. | London, | Printed by Matthew
Simmons , 1644. 24 pag. S., denen 14 unpag. vorausgehn 2 folgen
Br. M. ir k. 16. 4". W. IV. '^88—342. Der Eintrag in den
Registers von Stationers' Hall : „15. July 1644, Matt. Symmous
Entred for his copie under the band of Mr. Downeham and Mr.
Parker warden : The Judgment of Martin Bucer Concerning divorse
written to king Edw. ye- 6t'i- in his second l)ooke of the kingdouie
of Christ englished by Mr. Milton."
2) S. 298 „wel-nigh three months".
300 *) De regno Christi Jesu servatoris nostri libri II ad Eduardum VI
etc., erster Druck, sechs Jahre nach Butzers Tod, dem König
Christian von Dänemark dedicirt „Basileae MDLMI s. Baum:
Capito und Butzer (1860) S. 565, 609. Auch auf diese Widmung
weist M. hin.
302 *) Palmer: The glasse of God's providence etc. s. d. Stelle b.
Todd L 64.
305 ') Br. M. ^^gJ^, C. J. II. 411 etc.
306 ^) G n e i s t : Selfgovernment I. 262, 263, die historischen Einleitungen
zu den Ausgaben der Areopagitica v. Arber und Haies, (woselbst
die gen. Aktenstücke wiederabgedruckt sind). Nicht zugänglich war
mir: The Charter and Grants of the Company of Stationers ot
the City of London now in force — London Pr. by R. Nutt in the
Old Baily ÄIDCCXLl Repr. by W. Tyler, Bridgewater Square, Lon-
don 1825. D. Namen der parlamentarischen Censoren in C. J.
m. 138.
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 31
482 Anmerkungen.
Seite
307 *) . . „and mine containing but tlie same tliing, shall in a time of
reformation, a time of free speaking, free writing, not find a
permission to the Press." Die Worte scheinen Masson bei
seinen scharfsinnigen Ausführungen entgangen zu sein.
308 1) C. J. 24. Aug. 1644: „Ordered that the Petition from the Company
of Stationers be read on Monday morning next", 26. August 1644:
„The humble Petition of the Company of Stationers etc
They are diligently to inquire out the authors ,• printers and pub-
lishers of the Pamphlets against the Immortality of the Soul and
Concerning Divorce." Die Auffindung verdankt man Masson,
von dessen Auffassung (III. 273) ich allerdings etwas abweiche.
2) L. J. 18. Sept. 11)44.
309 ^) S. die werthvollen Aufschlüsse üb. d. Stationers' Company von
Wither, der freilich Partei ist, in „The Schollers Purgatory" (Mise.
Works of G. Wither pr. f. the Spenser-Society 1. Coli. 1872,
p. 16, 17, 24, 119, 124, 131 etc.).
^) Areopagitica ; | A | Speech | Of M'- John Milton | For the Liberty
of Vnlicens'd | Printing, | To the Parlament of England. | Darauf das
Motto aus den „Flehenden" London, [ Printed in the Yeare, 1644.
■p IQ
Br. M. 713. f. 11. Ein anderes Exemplar daselbst -^ — mit dem'
handschriftlichen Vermerk Thomason's: „Ex dono Authoris. No-
vember 24." (S. 12 Z. 8 dieses Exemplares die Korrektur „war-
faring" statt „wayfaring", vgl. Ed. Haies S. 96 und Anhang.)
40 S. 4". W. IV. 395—449, neuere englische Ausgaben in den
Ar her -Reprints und v. J. W. Haies Oxford 1874 (Clarendon
Press Series), deutsche Uebersetzungen v. Roepell 1851, Bern-
hard i I. 38 — 76. Wieso Geffroy in seiner geistvollen Etüde
sur les Pamphlets . . de Milton 1848 S. 233 zu der Behauptung
kommt: „Le manuscrit de 1' Areopagitica, ainsi que celui des petits
poümes de Milton est ä la bibliotheque bodleienne", weiss ich nicht.
311 *) Ed. Haies p. 57: „And as for regulating the presse, let no man
think to have the honoui* of advising ye better then your selves
have done in that order publisht next before this: that no
book be printed, unlesse the printers and the authors name, or
at least the printers be registered." Milton scheint hier un-
genau, nach dem Gedächtnis citirt zu haben. Von den erxvähnten
Verordnungen wenigstens spricht die vom 29. .Januar 1642 nur
von Veröffentlichungen, geschehen „without the consent and name
of the author", die vom 9. März 1643 berührt die Frage gar
nicht.
313 *; „It is not forgot, since the acute and distinct Arminius was per-
vertcd meerly by the porusing of a namelesse discours writt'n at
Sechstes Kapitel. 483
Seite
Delf, which at lirst he took in hand to confute," vgl. oben S. ISö
und meine Bemerkungen in den „Jahrb. f. Deutsche Theologie"
XVII. 109. Ein Vergleich mit Milton's Commonplace-Book S. 1
zeigt deutlich, wie sich der Dichter in der Schätzung des .,Malum
morale" mit Tertullian und Lactantius begegnete.
315 *)Bernhardi 53 versteht die Stelle falsch,
316.^)Liebert 162.
317 ^) „muiug her mighty youth" Liebert 162 missverständlich: .,der
seine Jungen der INIittagssonne entgegenträgt" etc.
318 ^) „Professors" s. die Note bei Haies 127.
322 ^) S. d. Auszüge aus Lilburne: A copy of a letter to master Prynne
und Robinson's anonym erschienenen Traktat: The arraignment ol
persecution in Prynne: A fresh discovery of prodigious new
4105 c
wandering blazing stars 1645 p. 7 — 10 Br. M. --'--, vgl. auch
die Bemerkungen von S. Richai'dson in „The Necessity of Tolera-
tion, 1617 (Tracts on Liberty of Conscience p. 256)".
-) Daher die heftigen Angi'iffe gegen ihn in Edwards' Gangraena
und andererseits seine Vertheidigung durch Saltmarsh in „An
expostulation with Mr. Edwards" etc.
323 ^) S. A perfect diurnall of some passages in parliament Xo. 304 f. May
21. to May 28. 1649, abgedr. bei Birch: Milton's Works I. p. XXX;
bei Toland und in White locke lautet der Name irrig Mabol,
Mabbol Tieg. v. W. „Mabbold"), auch verlegt Toland das Ereignis
irrthiimlich in's Jahr 1645, indem er es zu einem „effect" der Ai-eo-
pagitica macht, vgl. C. S. P. Dom. Ser. 1649 p. 127, danach war
Mabbot's Entfernung vom Censor-Amt keine freiwillige.
2) Ranke E. G. III. 235.
*) Haies a. a. 0. p. XLH hätte noch die Brochure „Areopagitica
secunda or speech of the shade of J. j\Iilton on ^Ii-. Sergeant Tal-
fonds Copyright extension bill London 1838" (Br. M. 2387) erwähnen
können. Freilich handelt es sich hier nur um die Frage des Nach-
drucks.
324 ^)RoepeIl wie Bernhardi verstehen die Stelle falsch.
325 ^) So erzählt er in „Soft Answers Unto Hard Censures: Relating, I.
" To a book printed without Licence. A füll Accompt given there-
of . . . etc. Printed according to Order, for John Hancock; at the
entrance into Popes-head Alley, out of Cornhill 1645. In dem Ex.
E. 268
des Br. M. — r. — vonThomasons Hand: „Feb. 5tii'', und „1645"
verändert in „1644") 14 S. 4". Die Schi'ift, welche ohne Licenz er-
schienen wai", lautete: „Inquiries Into the causes of ourmiseries etc.
31*
484 Anmerkungen.
Seite
E. 22
published . . in the very close of tliis year l(.i44 Br. M. ■ ^
22 S. 4«. .
325 '^) Woodward erzählt in der cit. Sclirift, man habe ihn gefragt nach
„a libellous paper against the Lords which my soul abominates."
326 i)L. J. VII. 91, 92, 97, 115, 116, 118. Zuerst hat m. Wissens God-
win I. 351 auf die Einträge aufmerksam gemacht, vgl. Wood, der
irrthümlicb nur von „three books of Marriage and Divorce" spricht
. . „but that House (H. of Lords), whether approving the Doctrine
or not favouring bis Accusers, did soon dismiss him."
-) Nach den Registers von Stationers' Hall: 7. Nov. 1644.
^j P r y n n e : Twelfe considerable serious questions touching Church
government etc., 1044 auf einem Exemplar im Br. M. von Tho-
mason's Hand der Vermerk: „Sept. 16". Da mir die Schrift nicht
vorliegt, citire ich nach Masson HI. 299: „many Anabaptistical,
Antinomian, Heretical, Atheistical opinions, as of the Soul's Morta-
litj', Divorce at Pleasure etc., lately broached, preached, printed
in this famous city; which I hope our Grand Council will speedily
and carefuUy suppress etc."
*) Tetrachordon : 1 Expositions 1 Upon | The foure chief places in Scrip-
ture, 1 which treat of Mariage, or nullities in Mariage. [
(Gen. 1. 27. 28. compar'd and explain'd by Gen. 2. 18. 23. 24.
Deut. 24. 1. 2.
Matth. 5. 31. 32 with Matth. 19. froöi the 3d v. to the llt''.
1 Cor. 7. fi-om the lOtb to the 16ti'.
Wherein the Doctrine and Discipline of Divorce as was | lately
publish'd, is confirm'd by explanation of Scrip- | ture, by testimouy
of ancient Fathers, of civill lawes | in the Primitive Church, of
famousest | Reformed Divines, | And lastly, by an intended Act qf
the Parlament and | Church of England in the last yeare of | Ed-
ward the sixth. | By the former Author J. M. | Hierauf: das Motto
aus Eiu'ip. Medea. London: Printed in the yeare 1045: 4" 0 un-
E. 271
pagin. und 98 pag. Seiten Br. M. — jn — mit Ms. Vermerk von Tho-
mason's Hand: „March 4tii 1644", zugleich ist die 5 in 1645 durch-
strichen. S. 73 Z. 3 V. u. das f in If durchstrichen (vgl Ed. Picke-
ring IV. 251), dieselbe Korrektur im Br. M. 108 b. 53, wo hinter
dem I noch ein Komma mit Tinte eingefügt ist. — W. IV. 133—285.
Für die Zeit des Erscheinens ist noch die Stelle aus der Widmung
wichtig: „Which I had done long since" etc.
330 'j Scripture and reason pleaded for defensive armes or the whole
controversie about subjects takiiig up armes 1643.
331 *) An Answer to a Book, Intituled , 1 The | Doctrine and Discipline
Of ! Divorce, | Or, | A Plea for Ladies and Gentli^wniiuMi , | and all
Sechstes Kapitel. 485
Seite
other Maried Women | against Divorce. | Wherein, | Both Sexes are
vindicated from all bondage (sie ! ) of Canon | Law , and other
mistakes whatsoever: And the unsound Principles of the Author
are examined and fuUy confuted by j authority of Holy Scripture,
the Laws of this Land, | and sound Reason. | Concil. Anglic. Anno
670. Can. 10 | Nullus conjugem propriam nisi j ut sanctum Evan-
gelium do I cet, I fornicationis causa relinquat : ] London, | Printed by
G. M. for William Lee at the Turks-Head in Fleet — | street, next
E. 17
to the Miter Taverne. 1644. 4" 44 S, Br. M. — r^ — , darauf von
Thomason's Hand der Ms. -Vermerk: „Novemb. 19." In den Reg.
von Stat. Hall: „ultimo Octobris 1644. Mr. Lee Entred for bis
copie under the hands of Mr. Carill and ]NIi'. Whitaker warden:
An Answer to a booke intituled: The doctrine and discipline of
divorse etc."
332 ^) Colasterion: | A 1 Reply To | A j Nameless Answer | Against | The
Doctrine and Discipline of Divorce. | Wherein | The trivial Author
of that Answer is disco | verd theiLicencer couferr'd with, and thej
Opinion which they traduce defended. j By the former Author, J.
M. j Prov. 26, 5. | Answer a Fool accordiug to bis foUy, lest hee
be v*'ise in bis own conceit. \ Printed in the Year, 1645- 4" 27 S.
E. 271
Br. M. — y, — , darauf von Thomason's Hand: March 4tii 1644, mit
Durchstreichung der 5. — W. IV. 848^ — 379. Dass „Tetrachordon" vor
„Colasterion" von Milton in Arbeit genommen wurde, scheint aus
der Widmung von T. hervorzugehen. Die Stelle „I shall here briefly
Single one of them" hätte sonst keinen rechten Sinn. Vgl. über die
Datirung Thomason's d. Anhang.
333 *) S. über Caryl: Neal, Wood, die Register b. Whitelocke imd
in Burton's Diary etc.
334 ') E. Hyde to Secr. Nicholas. Jersey April 7. 1647 : „Find great
benefit by reading ill books, such as Lilburne's Prynne's and Mr.
Milton's on Wedlock" s. Cal. of the Clarendon State Papers
1872, p. 372.
2)A Glasse for the Times etc. 1848 Br. M. "^q" - s. d. Stelle bei
Todd I. 63. In dem aus dem Sion-College (s. o. S. 360j hervor-
gegangenen Werke : „A testimony to the truth of Jesus Christ and
to our solemn league and covenant . . . subscribed by the ministers
of Christ within the province of London (darunter auch Cal am y)
Dec. 14. 1647" erscheint in dem Verzeichnis der Häresieen auch
Milton's Lehre v. d. Ehescheidung, s. Neal III. 328.
*) Regii sanguinis clamor, A. Morus etc. s. Theil 2.
486 Anmerkungen.
Seite
Siebentes Kapitel.
337 ^) Buch X. 937 flf. Böttger's Uebersetzung m. einigen Aenderungen,
vgl. Samsoii Agon. v. 725 ft'.
*'» .,The Chief promoter of her fi'owardness'' Wood.
338 ^) Das einzige Datum, nach dem sich hier die Chronologie richten
kann, ist Phillips Notiz : „The first fruit of her return to her hus-
band was a brave girl, born within a year after" zusammengehalten
mit dem bekannten Datum der Geburt von Anna Milton, 29. Juli
1646. ^'i ]y[asson II. 129, 208, III. 39.
339 1) S. d. Registers v. Stat. Hall, daselbst u. „0. Octobr. 1645": „Älr.
Mozeley Entred for bis copie under the band of Mr. Nath. Brent
and both the wardens a booke called Poems in English and Latyn
by Mr. John Milton." Vgl. Moseley's Vorrede abgedruckt in P. W.
II. 384. Lobverse Moseley's vor den Werken Beaumont's und Flet-
cher's Ed. Dyce I. p. LXVI.
340 ^) Joannis Miltoni Angli Effigies Anno Aetatis Vigess : pri. W. M.
Sculp. Vgl. B. I. S. 120 s. iib. d. Bild die Bemerkungen v. J. F^
Marsh a. a. 0. 149 ff.
*) Tetracho rdon W. IV. 140 heisst es v. F.: „yet answers nothing,
but instead thereof (for which I do not commend his marshal-
ling) sets Moses also among the crew of his Anabaptists."
341 ') Poems | Of Mr. John Milton, 1 Both English and Latin, | Compos'd at
several times. Printed by his true Copies. : The Songs were set in Musick
by I Mr. Henry Lawes Gentleman of | the Kings Chappel, and one]
of His Majesties | Private Musick. | Baccare frontem | Cingite, ne
vati noceat mala lingua futuro, | Virgil, Eclog. 7. | Printed and
publish'd according to | Order. | London, | Printed by Ruth Raworth
for Humphrey Moseley, | and are to be sold at the signe of the
Princes | Arms in S. Pauls Church-yard. 1645. | 8«. Br. M. E. 1126
auf dem Titel von Thomason's Hand: „Jan. 2^." In einem anderen
dem Br. M. gehörigen Exemplar der Originalausgabe befindet sich
jenes Gedicht „The Epitaph" im Ms., welches H. Morley mit un-
zureichenden Gründen Milton hat zuschreiben wollen. S. Morley:
The King and the Commons (1868) p. XXIII. ff., vgl. v. Sybel's
histor. ZS. XXVI. 405, XXVH. 210. Eine Beschreibung der Aus-
gabe V. 1645 in P. W. II. 165 ff.
2) S. d. Sonett und Nachweise P. W. II. 4S2, 290—293, II. 476 vgl.
B. I. S. 203. In dem Ms. Wood 19 D. in der Bodleiana (Catal.
8564) heisst es von II. Lawes: „In the tinie of the Rebellion he
lived in London and taught Ladies to sing."
342 ') P. W. II. 483, 292.
*) S ül). P. Young: Wood F. 0. l. 170. Fac-Simile b. Sotheby 121.
Siebentes Kapitel. 487
Seite
"SVenn J. Vossius, gestützt auf einen Bericht seines Oheims Fr.
Junius, „qui cum eo (nämlich Milton) familiaritatem colit," den
Dichter einen „discipulum Patricii Junii" nennt (Burmanni Syl-
loges Epist. etc. T. III. öl 8, J. Vossius an N. Heinsius, 8. Juli 1651)
so liegt hier ohne Zweifel eine Verwechselung mit Thomas Young
zu Grunde.
343 *) S. d. Gedicht und Nachweise P. W. III. 94 ff., 547 ff., II. 377—381
Faesimile bei Sotheby. Ich halte nach eigener Einsicht in Oxford
doch auch die Handschrift der „Ode" flu- die Milton's. In dem
Bändchen der Prosa-Schriften finden sich Korrekturen von seiner
Hand. Vgl. über J. Rons (Bibhothekar seit 1620, f 1652) bei W.
Dünn Macray: Annais of the Bodl. Library 1868 Reg.
344 ') S. d. Stellen aus Edwards' Gangi'aena und Baillie's Dissuasive
etc., angeführt b. jVLasson III. 467, daselbst auch über die Zeit des
Erscheinens dieser Werke.
^) On the detraction which followed upon my writing certain treatises
P. W. n. 480, 481, 288 IH. 468^72.
345 ^) Die Erwähnung von „shallow Edwards" und „Scotch What d'ye
call" neben „A. S." und „Rutherford" könnte allerdings gerade auf
die Jahre 1646 oder 1647 als Entstehungszeit des Sonetts deuten,
indess seine Stellung im Cambridge-Ms. und die Thatsache, dass es
daselbst nicht von Milton's Hand geschrieben ist, würden der Ver-
muthung Raum lassen, dass es einige Jahre später gedichtet sei.
Die Notiz Milton's im Camb.-Ms. bezieht sich nur auf die Anord-
nung, erlaubt aber keinen Rückschluss auf die Entstehungszeit, s.
P. W. II. 179.
^) On the new forcers of conscience under the long parliament P. W.
H. 481, 289, 290, dazu die vorzüglichen Erläuterungen Masson's H.
472—476.
353 *) John Roland Phillips: Memoirs of the civil war in Wales and
the Marches 1642—49, 2 Vols. 1874, ein Werk, von dem ich leider
allzuspät habe Kenntnis nehmen können.
355 ') Bruce hat in der Einleitung zu den „Letters of Charles I. to H.
Maria" (Camden- Society 1856) p. XIV weitere Aufklärungen über
die Glamorgan - Angelegenheit versprochen, die auch nach den kri-
tischen Bemerkungen von Lingard u. a. noch sehr erwünscht wäre
(vgl. Letters 18, 25, 28), doch ist dieses Versprechen, soviel mir
bekannt, nicht erfüllt worden.
357 1) Carlyle: Cromwell L 216, 231. ^j Baillie II. 268 vgl. 270.
358 'jBaillie IL 318 ff.
359 ')Neal, Godwin II. Chapt. 20, Jackson 85, Hanbury HI.,
Ivimey 169 fi'., vgl. Baillie II. 299, 280 C. J. 29. Jan. 1646.
360 >) Baillie IL 326 (2-5. Nov. 164-5).
361 MNeal III. 25-5—263 C. J. 1. c. L. J. 16. Jan. Ui46, Baillie IL 337.
488 Anmerkungen.
Seite
361 2) C. J. 23. 26. Juli, 19. 23. Aug., 17. Sept. 1645. L. J. 8. Nov. 1645,
vgl. Neal und Rushworth.
363 *) L. J. 20. Oct. 1645, C. J. 27. März, 1. 17. April etc., 14. 21. Nov.
1645 etc., .5. März 1646, vgl. Rushworth abridg'd V. 577, Neal
III. 244.
364 i)C. J. 1646 3. Febr., 5. 14. 27. 23. März, 1. 3. 8. 11. 16. 21. 24.
April. L. J. 1646 13. 14. 23. März. Baillie II. 360 ff., Neal
III. 252.
'365 ^) C. J. 17. 22. April 1646. Minutes of the Westm. Ass. 22.5, 448 ff.
(30. April 1646).
366 ') Charles I. in 1646. Letters of K. Charles I. to Queen Henrietta
Maria ed. b. J. Bruce (Camden-Soc. 1856).
367 ^) Clarendon: State Papers II. 226, 227 (2. März 1646), vgl
Evelyn: App. 116 Montereuils Schreiben vom 21/31 August 1645
b. Ranke VIII. 166, wonach schon seit jener Zeit Verbindungen
zwischen dem König und den Independenten bestanden.
*) Letters 1. c. 11 vgl. über Karl's I. Interpretationskünste 84. Carte:
Life of Ormond (Ed. 1856) VI. 358 (26. März 1646).
368 ^)Letters 22 etc. Daraus, dass der König auch hier, seiner Ge-
mahlin gegenüber, Glaraorgan desavouirt, wird man noch nicht
schliessen dürfen , dass dieser wirklich seine Vollmachten über-
schritten hatte, sondern nur, dass Karl sich wie gewöhnlich an eine
reservatio mentalis hielt. Vgl. 25, f. d. Uebrige s. Letters 15,
24, 25.
*) S. ü. d. französische Einmischung V. 1642 an Genaueres bei Ranke
E. G. VIII. 153 ff., III. 240 ff. Bruce 1. c. für 1646.
369 *) Nach R. Murray (Letters 72) wurde vom Covenant gar nicht ge-
sprochen, weil man dessen Annahme für eine selbstverständliche
Bedingung hielt.
870 1) Letters 32-39.
372 ijParl. Hist. IIL 474 ff. C. und L. J. Baillie IL 377, Neal bes.
in. 279.
373 1) Baillie IL 378 ff C. J. 22. Juli 1646.
374 »; Letters ed. Bruce 27, 23, 7J (17. Oct. 1646). Vgl. d. „Memoire
du Roy ä M. de Bellifevre" 31. Dec. 1646 b. Ranke Vlll. 187.
376 *) „Premierement sa conscience," sodann aber auch „raison de
Testat" s. Ranke VIU. 185.
377 i)Letters bes. 80, 81 „and certainly if tho pulpits teach not obe-
dience (which will never be if Presbyterian government be absolutely
established) , the king will have but small comfort of the militia"
etc. Für die Erkenntnis der Ideen der Königin ist besonders
wichtig ihr für Bellievre bestimmtes M(5moire bei Ranke VlII.
175—181.
*) Ranke III. 255 nach einem Briefe des optimistischen Bellievre,
Siebentes Kapitel. 489
Seite
Bruce: Letters 57 vgl. dagegen Ranke VIII. 182, woselbst man
in dem Satze „Or vous savez" etc. nicht sowohl die Meinung Hen-
rietta Maria's als Mazarin's zu finden hat.
377 -^Letters 92, 93, 97.
378 ') Da sich in den Letters ed. Bruce, die oft genug von Davenant
sprechen, auch nicht der mindeste Anhalt für die bekannte Claren-
don'sehe Erzählung seiner Mission findet, so wird man auch
diesen Bericht zu den absichtlich ausgeschmückten rechnen dürfen.
Der König hätte seiner Gemahlin den Auftritt schwerlich verheim-
licht, und bei Clarendon liegt die Tendenz auf der Hand. Man
sollte fast glauben, er habe seine Erzählung auf Karl's Brief vom
30. März 1646 (Bruce 29, 30) basirt.
379 ^) G. Burnet: Memoirs of the Lives and Actions ot James and Wil-
liam Dukes of Hamilton Ed. 1852 S. 368—371. Entscheidend für
den Ursprung des merkwürdigen Aktenstückes, das sich auch in
Rushworth befindet, werden die Worte sein : „By the copy extant
written with Lanerick's band." Burnet's chronologische Be-
stimmung entbehrt des Grundes, während die Hiudeutung im P. S.
auf die „general assembly, now sitting in Scotland," wie Masson
HI. 500 richtig bemerkt, dazu nöthigt, den Entwurf in den Juni 1646
zu verweisen.
*) Clarendon St. Papers IL 275, vgl. 265-267. Bruce: Letters 73,
75, vgl. 63 ff. Baillie IL 39^^396, 509,510. Burnet: Hamiltons
378. Ich weiche in der chronologischen Einreihung von Ranke HL
259 ff. ab, der mir die Instruktionen für die erste und die zweite be-
absichtigte Mission Murray's durcheinander zu werfen scheint. Als
endgiltige Instruktion für die erste Mission hat man das Schreiben
vom 15. Okt. 1646 zu halten. Die frühere Korrespondenz Karl's
mit den Bischöfen von London und SaUsbury darf hier übergangen
werden.
380*) Burnet: Hamiltons .381 — 389, Bruce: Letters, Pari. bist.
H. 537.
384) 1) Hamilton 112, 122.
385 ') Hamilton 110.
386 1) Vgl. Cal. of S. P. D. S. lf;49— 50 Register s. v. Appletree.
*) S. d. genauen urkundlichen Materialien bei Hamilton, vgl. Toddl.
263 f. d. Frage der Mitgift v. Milton's Frau, J. Hunter 31, 32.
Hier datirt das „Certificate of the Solicitor for Sequestration in the
County of Oxford" auch vom 17. Juni. Unerklärlich ist mir hier
die Höhe des letzten Postens von 241 £, vgl. mit den entspr. Posten
des Inventars bei Hamilton S. 92 oder 94.
387 ') Hamilton p. 7.5. -1 E. Phillips 370.
^) Phillips 1. c. vgl. den Eintrag von Milton's Hand in der Familien-
bibel, den ich indess nach Einsicht von Add. Ms. 4244 f. 52^ (der
490 Anmerkungen.
Seite
Kopie von Birch) abweichend von Hunter 34 folgendermassen
lese: „Anne my daugbter, was born July the 29ti>, tbe day of the
Montlily Fast, between six and seaven, or about balf-an-hour after
six the Evning 1646."
388 0 Hunter 82 L. J. 15. Juli. C. J. 16. Juli 1646 Hamilton 111.
389 ') Hamilton Appendix No. II— VI.
2) S. üb. d. Datum Hamilton 51, 125.
3) S. d. Testament, aufgefunden v. Massen, daselbst III. 636, 637.
390 ^) S. üb. d. „negative oath" Neal II. 475. Er bestand in dem Schwur,
nichts gegen das Parlament unternehmen zu wollen.
2) Hamilton 62, 63, 128—130.
391 ') P h i 1 1 i p s , s. d. Eintrag b. M a s s o n III. 643.
Aclites Kapitel.
392 1) Carolo Dato Patricio Florentino. Londino Aprilis 21, 1647 W. VII.
384—387; vgl. Marsh, Sotheby 122, Masson III. 654, 655.
393 ^) Esequie della Maestä Christiana di Luigi XIII ... In Firenze nella
Stamperia di S. A. S. 1644 4° (s. Fontani: Elogio di Dati p. 244).
394 ^) Phillips: . . „who upon his father's sickning and dying soon
after, went away" etc. (Masson III. 640 scheint die Stelle auf den
Tod des alten Powell zu beziehen). Hamilton 1. c. 86, 87. Die
Zahl „1641" S. 86 u. ist ein Druckfehler für „1647".
395 ') S. im allgemeinen über Milton's Unterrichtsthätigkeit Phillips;
„Richardo Hetho" gilt Ep. fam. 13 (W. VII. 389), „Richardo Jonesio"
Ep. fam. 19, 22, 25, 30 1. c. Die Beziehungen zu L. Ranelagh,
Boyle, Oldenburg, mit denen sich diejenigen zu Hartlib, Durie u. a.
vertiechten, sind im zweiten Theile genauer zu verfolgen. Vorläufig
sei nur auf W o r t h i n g t o n ' s Diary ed. Crossley (Register) und
Boyle' s "Werke (Ed. 1744 mit der Biographie von Birch) verwiesen.
''jWood vgl. Debrett's Peerage of England, Scotland and Ireland,
Irish Compendium (1727).
396 ') S. d. Bemerkungen von Masson in der Einleitung zum Sonett XX,
das sich au Lawrence richtet P. W. II. 301 ff. Phillips p. 377
nennt „young Lawrence" unter den „particular friends", ebenso und
„above all" den „Cyriack Skinner" s. über diesen vorläufig P. W.
II. 304 die Einleitung zu den beiden Sonetten XXI, XXII und über
die Familie Skinner namentlich Hamilton a. a. 0. Register und
Sumner in der Einleitung zur Uebersetzung der Doctrina Christiana
(Milton's Works ed. St. John Vol. IV). Wood: A. 0. II. 591 nennt
ilin ..Scholar to Jo. Milton", verwechselt ihn aber mit dem jüngeren
Daniel Skinner. Bei Aubrey heisst Skinner „his disciple". Packer
w. b. Aubrey i. f. genannt.
Achtes Kapitel. 491
Seite
898 *) M a s s 0 n III. 254 ist neben Danty (s. o. Anm. 1 zu 292) noch
„Riff's geometry" unbekannt geblieben. Ohne Zweifel ist Peter Ryif
aus Basel gemeint, der 1552 — 1629 lebte und u. a. 1600 Francof. „quae-
stiones geometricas in Euclidis Elementa" herausgab (s. Athen ae
Rauricae und Basler Chroniken I. 13). Der Mathematiker
„Christian Urstisius,, (Wurstisen) ist nicht, wie Masson angiebt, ein
Italiener, sondern der bekannte baseler Gelehrte, dessen „Elementa
arithmeticae" in Basel 1579 erschienen.
399 OBoyle's Works I. 22 ff., V. 2-56 ff.
2) Considerations Tending To the Happy AccompJishment of England's
Reformation in Church and State. Humbly presented to the Piety
and Wisdome of the High and Honourable Court of Parliament.
E. 389'
Br. M. — ^ — (Ms.- Note v. Thomason „May 1647"), Vorrede unter-
schrieben: „Samuel Hartlib", am Schluss d. Datum 1647 vgl. Dircks
58. Eine zweite Schrift Hartlib's, hierauf bezüglich: „A further
Discovery of the Office of Publick Address etc. (1648 4° 34 S.) in
Harl. Mise. VI. 13—26.
400 *) The Advice of W. P. to Mr. Samuel Hartlib for the Advancement
of some particular Parts of Learning London . . 1648 (unterzeichnet
„Jan. 8, 1648"), abgedruckt in Har leian-Miscellany 4° VI_
1 — 13. Im Anfang seiner Schrift bezieht sich Petty sehr lobend auf
Hartlib's „Considerations". S. 5 ,,for the more explicit imder-
stauding of our meaning herein, we refer to Mr. Pell's most excel-
lent Idea thereof, written to Master Hartlib." Näheres über Pell
im zweiten Theile.
2)Zoubek. S. 64 Br. M. Sloane Ms. 649, 5a „Excerpta Literarum
D. Kinneri Ad Samuelem Hartlibium Eibinga 19. Junii 1647 . . „Sol-
licitum te esse, ut Parlamenti vestri subsidiis ea vestro in Regno ad
finem perducantur non mala est intentio, sed nescio an ex voto
meo . . neque enim a me solo uno et directio tanti operis et
effectio inter breviculos menses expectari debet. Aliis adsignare
constitui characteristicam, aliis anatomiam, aliis alia etc." 9. Aprilis
1648 über sein ,,Elucidarium didacticum", auch „Consilium didacti-
cum" . . „Si scholae vestrae e fundamentis reformandae fuerint,
expectetis oportet, dum vel Comenii Pansophia vel mea Didactica
vel melior quaedam via prodeat." Hierauf folgen weitere Briefe
von K. an H. (23. Juli 1648 . . „Quantum mittere debeas, tuae dex-
teritati committo etc. Fac ergo mi Hartlibe amici officium . . .
Indignor temporum injuria militumque rapacitate ceteras meas Char-
tas in Öilesia quondam periisse.") — Ueber d. von Hartlib heraus-
gegebene Schrift „A Coutinuation of Mr. John- Arnos -Comenius-
School-Endeavoiu'S. Or a Summary Delineation of Dr. Cj-prian
492 Anmerkungen.
Seite
Kinner Silesian bis Thoughts concerning Education etc. 1648" iBr. M.
E. 470
2g Ms.-Note „Nov. lOth"), s. Dircks p. 53.
401 ^) Sloane Ms. 649 p. 229 ff., 199a — 202, 271.
'') C. an H. 11/21 Jan. 1647. Z. grössten Theil aus dem prager Ms.
abgedruckt b. Giudely 546, 547.
^) Comenius an Herbert von Cberbury 1647 5/15 Juni. C. an Hartlib 1647
5/15 Juni: . . . „Cogitationes illas Tuas de Communicationis officio
erigendo transtulit in Latinum P. F. (Fundanius ?) eorum in gi-atiam qui
Anglica non intelligunt . . . Conatus vester de omnium Gentium et
Linguarum Scriptura bene me oblectavit . . . Millies praestaret babere
linguam unam etc (vgl. über ähnliche Gedanken des Mersennus :
G i n d e 1 j' 494) . . Academiae Londini fundationem (iis rationibus, quae
Scripte illo consignatae sunt) habeo pro initio complementi illius
nostri voti, quod „viae Lucis" Cap. XVIII (vgl. ZoubekS. 116 Nr. 42)
expressimus. Procedat ergo res in sancto Dei nomine, nulla obstante
invidia . . . Modo Dens illorum flectat animos, ut qui res tantas
possunt, velint etiam etc." Prager Ms.
402 *)Boyle's Works (Birch: Life of Boyle) I. p. 20, 24, 28.
*) S. d. Daten aus den Journalen b. Dircks 10 — 12.
ä) Die relativ günstigen Vermögens-Umstände des alten Milton ergeben
sich aus den Nachrichten bei Phillips und Aubrey. (Wood
sagt freilich: „The estate whicb bis fatber left him was but indiffe-
rent, yet by bis frugality he made it serve him and bis"). Ebenso
legt Milton in dem cit. Brief an Dati nahe, dass er mit seiner
Lehrthätigkeit sich den Lebens -Unterhalt zu verdienen gedacht
hatte: . . „turbulentissimus . . Britanniae . . Status, qui animum
meum . . ab studiis excolendis, ad vitam et fortunas quoquo
modo tuendas necessario convertit."
*) Phillips 371.
403 ^) Nine Psalms etc. mit der Datum- Angabe in der Edition von 1673
P. W. III. 4—18, vgl. II. 310—315.
^) Das Original im Besitz von J. Marsh (vgl. Chetham Society 1.
c. p. 2, 15), ein Abdruck bei Fontani: Elogio di C. R. Dati 1794
S. 68 — 74. Der Schluss, welchej" Grüsse von „Coltellini, "Francini,
Chimentelli, Frescobaldi, Galilei" (dem Sohn Vincenzo) erwähnt,
weicht vom Original ab, vgl. M a s s o n 111. 683.
404 ') Dati's ital. Brief abgedruckt bei Mitford: Life of Milton (Works
Ed. Pickering I. p. CXCV).
*) „Mary my Daughter was born on Wednesday Oct. 25 on the Fast
Day in the Morning about six a Clock 1648." Add. Ms. 4244,
ungenau abgedruckt bei Hunter 34.
408) S. d. französische Korrespondenz b. Ranke E. G. VIII. 188—198.
Achtes Kapitel. 493
Seite
409 *)Ludlo\v's Memoirs (Ed. 1751) 78 „These men will never leave
tili the army pull them out by the ears."
410 ')Carlyle I. 278—282 (Royston 10. Juni 1647). Es wu-d hier aus
Gründen stilistischer Eigenthümlichkeit Cromwell's Feder zuge-
schrieben.
414 *) Pari. hist. III. 472. „That there be a repeal of all acts . . impo-
sing any penalty for not coming to church, er for meeting else-
where for prayer or otber religious duties, exercises or Ordinances."
415 ^) „That no Magistrates in Matters of Religion meddle further than
as nursing Fathers and then all Children shall be fed, though they
have several Faces and Shapes."
415 2) Die Schi-ift von H. Peters fuhrt den Titel : „A Word for the Army
and two words to . the Kingdom to clear the one and eure the
other . . London pr. by M. Simmons . . 1647" (Harl. Mise V.
569 ff.). Das Datum des Erscheinens schliesse ich aus den Worten
p. 570: „Master A. Nicholls lately with us at Kingston before his
flight," vgl. Pari. hist. III. 773.
416 ^)The Fairfax Corresp on dence (Memorials of the civil war
1849) I. 394—396.
*) „That liberty of conscieuce be allowed to all men , and that none
molest or injm-e one another for their conscience" etc. Die Un-
voUständigkeit dieser Vorschläge erhellt daraus, dass u. a. über die
Miliz kein Wort gesagt wird. Auch bleibt noch immer fraglich,
was von diesem fragmentarischen Entwurf allein auf Fairfax
Rechnung zu schreiben ist, der immerhin in der Ueberschrift die
vorläufige Formel wählen konnte : „It is mutually agreed on between
our Sovereign Lord King Charles and his Excellency Sir Thomas
Fairfax, with his Council of War."
^) Nach den kritischen Bemerkungen von Guizot in den Erläuterungen
zu den Memoiren von Berkley (Collection des Mem. etc. IV. 231 — 240)
wage ich nicht, die ganze Nachricht von einem aufgefangenen, ver-
rätherischen Brief des Königs einfach über Bord zu werfen, wenn
auch die oft erzählten Neben-Umstände erdichtet sind.
417 ^)C. J. 1647, 13. U. Oct. L. J. 1. 2. Nov. Rushworth abr.
VI. 276.
425 i)Parl. hist. IIL 1005—1011.
426 ijParl. hist. III. 1078—1127.
428 *) Dies wird durch die Ausführungen von Markham: Life of Fairfax
343 bewiesen.
430 i)Godwin IL 667, Guizot II. 296, Forster (Statesmen) 373
machen Bradshaw zu einem Verwandten Milton's , was nur auf die
Annahme zurückzuführen wäre, dass Milton's Mutter eine Bradshaw
gewesen, und jedenfalls schwer glaublich ist, da Milton in der be-
kannten Stelle Def. sec. es erwähnt haben würde. Nach E. Foss:
494 Anmerkungen.
Seite
A biogr. Dictionary of the Jiulges of England (1S70) s. v. Bradshaw
hat dieser Milton in seinem Testament 10 £ vermacht.
430 '^) Godwin IL (568, Guizot II. 297, indem er die Stelle b. Godwin
missversteht, macht Coke zu einem ;,ami intime de Milton."
^) S. d. kritischen Bemerkungen bei Markham 349.
431 *) ,,0n the Lord General Fairfax at the siege of Colchester," so lautet
der ursprüngliche Titel im Cambridge -Ms. P. W. II. 293 — 295,
482. lieber die Einzelheiten der Belagerung von Colchester s. C.
R. Markham: A Life of the great Lord Fairfax 1870, 309—335.
432 ^) Die vorzüglichsten Stellen, aus denen sich Milton's Urtheil erkennen
lässt, sind: Def. prima Cap. 10, Cap. 6 (W. VL 1(36 ff. 122).
Eikonoklastes Cap. 26 (III. 498 ff.) Def. sec. (VI. 317).
433 ^) The Tenure Of | Kings | And | Magistrates | Proving, | That it is
LawfuU, and hath been | held so through all Ages, for any, | who
have the Power, to call to accou'nt a | Tyrant, or wicked King, and
after | due conviction, to depose, and put | him to death; if the or-
dinary Ma | gistrate have neglected, or | deny'd to doe it. | And
that they, who of late, so much blame | Deposing, are the Men
that did it themselves. | The Author, J. M. („ilton" dahinter von
Thomason's Hand) London, | Printed by Matthew Simmons, at the
Gilded Lyon in Aldersgate Street, 1649 (Die 9 von Thomason
durchstrichen, statt dessen von ihm notirt: „Feb. 13 1648") 42 S. 4"
E. 542
B r. M. — yy — . Die zweite Ausgabe weicht im Titel ab : . . . any,
who I . . Tyrant, or | w. K.. a. a. d. c, to | d., a. p. h. t. d.; i. t.
ordina- | ry Magistrate have neglected, or de- | uy'd to doe it. | . . .
Published now the second time with some additions , and raany
Testimonies also added out of the best & learnedst a- | mong Pro-
testant Divines asserting the position ol this book. | The Author,
J. M. („ilton" von Thomason's Iland) ... S., nextdoore to the
Gil- I Lyon (sie) i. A. S. , ItioO (von Thomason durchstrichen und
E. 593
statt dessen geschrieben: „1649 Feb. Li") 60 S. 4" Br. M. ^fj—
Diese Ausgabe ist aufgenommen in die Works ed. Pickering
IV. 450 — 501 und wird im Folgenden mit Berücksichtigung der
Varianten von der ersten benutzt. Diese Varianten, deren bedeu-
tendste darin besteht, dass in der zweiten Ausgabe die ganze Partie
von S. 489 u. an „And that they be not" etc. bis zum Schluss neu
hinzugekommen ist, lassen sich aus den Angaben bei Birch I.
341—363 verfolgen. Die Stelle, in der M. selbst über die Schrift
spricht, in Def. sec. W. VL 292. Uebersetzung b. Bernhardi II.
257—294.
436 ')Neal III. 448—454, Rushworth, Pari. bist. etc.
Achtes Kapitel. 495
Seite
436 *) A thuiider-clap to Sion-Colledge or a catalogicall hint of the pulpit
inveteracy and apostacy of that miscliievous asserablv or mystery
of iniquity at Sion - CoUedge. By S. T. a cordiall friend to truth
E. 542
and peace etc. London . . . 1648, 6 Bl. 4'^ Bv. M. — ^j — i.f.:„Aud
you can like RoyaKsts professe and declare in your pulpits against
the legal, just proceedings of parliament . . . Mr. Calamie, that
old Conformist, will never leave tiirning and conforming for the
best advantage of his Interest; but miist divulge such nonsensicall
doctrines as these, to contound the eares of his Auditory."
442 ^) Milton ist noch sehr milde im Vergleich zu John Cook : King
E. 542
Charles his case etc. . . 1649 (Br. M. — ö — , Ms. Note: „Feb. 9,
1648", vgl. App. Y. Ludlow's Memoirs Ed. 1751). Mitunter macht
es aber den Eindruck, als habe er Cook's Schrift benutzt.
443 1) In Milton's Commonplace-Book (Ed. Camden-Soc. 1876) p. 83 findet
sich die Stelle aus C. de Seissel's Grande Monarchie de France
1519, lateinisch 1548, angeiiihrt.
') Dass Holinshed seine Quelle ist, ergiebt sich aus dem Commonplace-
Book p. 22. Die betr. Stelle bei Holinshed (Chronicles of England)
IL 16. z. .1. 1072). lieber die Verwechselung mit den Vorgängen zu
Berkhampstead von 1066 und die mythische Geschichte des Abtes
Friedrich von St. Alban's s. Lappenberg E. G. 11. 111 und
F r e e m a n : Norman Conquest IV. 802 ff.
445 ') Milton's Commonplace-Book S. 22, 25, 27, 30—33, 39, 43, 55, 56.
446 ^) Rights of the Kingdom etc. London 1649, p. 24 ff.
*) Vgl. Sa dl er 1. c. 78 „But there be some yet more especiall Peeres,
and that not only to the Kingdome, but to the King also and
therefore called the Peers; not among themselves only; for
so are also the Commons; Peers to each other: But They are the
Peers of the Ivingdom and to the King'-' p. 77 „If I should say,
the Commons in Parliament are and were the Kingdom's Peers, as
well as the Lords, I might vouch an old Authority, as good
as the Antient Modus of Parliament" etc. Sadler hat später als
Milton, nach dem Tode des Königs, geschrieben. ^Milton stützt
sich bei seiner Kenntnis der Geschichte anderer Völker , wie
sich aus s. Commonplace-Book 38 ergiebt, auf den auch sonst
vielfach von ihm benutzten B. de Girard, Seigneur du Haillan
(1535 — 1610), dessen „histoire generale des rois de France" zuerst
1596 erschien.
^) S. d. auf diese Gesandtschaft bezüglichen Aktenstücke bei Guizot
n. App. IX.
496 Anmerkungen.
Seite
448 ^) Das Natürlichste ist bei den Worten: „tametsi hoc civili tumultu
magna ex parte saepe detentis" ; an das gelegentliche Ausbleiben
des Miethzinses zu denken, auf den Milton nach dem Tode seines
Vaters, der mehrere Häuser besessen hatte, rechnen mochte. Viel-
leicht spielt er auch auf sein Gläubiger - Verhältnis zu den Powells
an. Die Uebersetzungen der ganzen Stelle bei "Weber, Lie-
be rt, Bernhardi sind ungenau, weil sie nicht der lateinischen
Original- Ausgabe der De f. sec. (W. VI. 292) folgen.
449 i)Def. sec. 1. c. Phillips (vgl. o. S. 398). ,
Anhang I.
Der Buchhändler George Thomason.
Der Name des Buchhändlers George Thomason ist im Vorigen häufig
erwähnt worden. Jedem, dem die Entstehungsgeschichte des Brit. Mus.
bekannt ist, wird dieser Name kein fremder sein. Es war Thomason,
„of the Rose and Crown, in St. Paul's churchyard", welcher einen uner-
müdlichen Eifer auf die Sammlung von etwa 30000 Publikationen aus der
Zeit der englischen Revolution verwandte, und es war diese unschätzbare
Sammlung, die nach mannichfachen Schicksalen von Georg III. erworben
und dem ßr. M. geschenkt wurde, woselbst sie den Titel der „King's
Tracts" erhalten hat. (S. Näheres b. Edwards: Memoirs of Libraries,
1859, I. 455 ff. und Lives of the Founders of the British Museum, 1870,
I. 330 ff.)(*) Nachforschungen an Ort und Stelle, deren Ergebnis H. E.
Maimde Thompson die Gefälligkeit hatte mir mitzutheilen , haben ermög-
licht über die Handschrift Thomason's zu Schlüssen zu gelangen, welche
auch für eine Biographie Milton's nicht ganz werthlos sein dürften. Es
kann kein Zweifel darüber bestehn, dass die zahlreichen Ms.-Bemerkungeu,
die sich namentlich auf den Titel - Blättern vieler Stücke der Sammlung
Thomason's befinden, im ganzen und grossen von seiner Hand herrühren. (*)
1) Es glebt im Br. M. zwei alte Ms. -Kataloge dieser Sammlung, einen im „Reading-
Koom", einen anderen „in the Keeper's Kom". Vor diesem befindet sich gleichfalls in Ms
eine Geschichte der Sammlung, von anderer Hand hezeichnet als „Mr. Thomason's Note ahout
his Collection", aber auch ein gedrucktes Aktenstück , mit Zugrundelegung des vorigen , nach
Thomason's Tode abgefasst, allem Anschein nach als Ankfmdigung für den beabsichtigten
Verkauf der Sammlung. Es soll dies gedruckte Dokument sein, welches sich in den mir nicht
zugänglichen Werken von W. Beloe: Anecdotes of Literature ü. 248 und Knight Hunt:
The fourth estate I. 94 ff. wiedergegeben findet , und doch soll sich K. Hunt auf das „curious
autograph" beziehn (Mittheilung v. E. M. Thompson).
'■!) Eine sichere Probe von T. Hand (court - band) findet sich in der Notiz eines der
Bände von 1643 : „Memorandum that Col. Will. Legg. & Mr. Arther Treavor were implojed
by bis Majestie K. Charles to gett for his present use a pamphlet they both came t o
m e "). Von seiner Hand (Italian band) rührt auch, wie Sachverständige versichern, der Katalog
der Sammlung im ,,Reading-Koom". Dagegen derjenige in „the Keeper's Koom" stellt sich
als eine Kopie dar, die indess zu Lebzeiten Thomason's gemacht wurde, wie aus einer Note
von seiner Hand hervorgeht.
Stern, Milton u. s. Zeit. I. 2. 32
498 Anhang I.
Da diese Notizen nun aber meistens in der Zufügung- eines Datums oder
Namens bestehen, erhalten sie eine nicht geringe Bedeutung. Viele jener
Erzeugnisse der Tagespresse, denen Thomason seine Beachtung zuwandte,
erschienen anonym, für viele macht das Schweigen der „Stationers-
Eegisters" es unmöglich, die Zeit ihres Erscheinens einigermasseufgenau
zu bestimmen. Der unermüdliche Sammler, von dem man annehmen darf,
dass er wohlunterrichtet war und dass er sich möglichst bald einer neuen
literarischen Erscheinung zu bemächtigen suchte, hilft uns in beiden Fällen
aus. Schon aus diesem Grunde war es nöthig bei einer -Besprechung der
Milton'schen Schriften Eücksicht auf ihn zu nehmen. Nur davor wird
man sich hüten müssen, anzunehmen, dass die Datum- Bezeichnung Tho-
mason's genau den Tag der Publikation der jeweiligen Druckschrift habe
bekunden sollen. Sie bezieht sich offenbar vielmehr nur auf den Tag,
an welchem das Stück in Besitz des Sammlers übergieng, sodass ein ge-
wisser Spielraum nach dem Termin der Veröffentlichung wohl möglich
M'ar. Masson ist meiner Ansicht nach z. B. III. 451, indem er diese
Thatsache ausser Acht liess, zu einem irrigen Schluss gelangt.
Die Notizen Thomason's bieten dem Biographen Milton's indess noch
ein anderes Interesse. Von den bisher erwähnten Veröffentlichungen Mil-
ton's tragen vier (of Reformation, The Reason pf C. G. , An Apology,
Areopagitica) in Exemplaren der Sammlung Thomason's auf dem Titel die
Worte „Ex Dono Authoris". Im ersten und dritten Fall ist noch hinzugefügt
„By Mr. [John] Milton", und im ersten finden sich im Texte Verbesserungen,
die vonMilton's Hand selbst herzurühren scheinen, aber auch das betr. Exemplar
der Areopagitica enthält eine wichtige Korrektur, welche Kundige nicht an-
gestanden haben der Feder Milton's zuzuweisen (s. o. S,482 vgl. 466). Hingegen
die Worte „Ex Dono Authoris" scheinen mit eben so grosser Sicherheit Tho-
mason's Hand zugesprochen werden zu dürfen wie die Notizen auf den Titeln
der betr. Exemplare von „Of prelatical Episcopacy", „Animadversions",
„Doctrine and D. of D." erste u. zweite Ausg., „Of Education", „Tenure of M.
and K." erste und zweite Ausg. etc, Notizen, durch welche u, a. sattsam bezeugt
wird, dass Thomason fähig war die Anonymität Milton's zu durchschauen.
Man hat das „ex Dono Authoris" für eine Form der Widmung des Autors
halten wollen ; allein, ganz abgesehen von der Frage der Handschrift, erscheint
es nicht viel natürlicher diese Worte dem Empfänger in den Mund zu legen,
zumal wenn sich, wie in dem Exemplare der Schrift „Of Reformation" noch
hinzugefügt findet „By Mi- John Milton"? (vgl. meine gegen Masson ge-
ricliteten Bemerkungen Gott. Gel. Anz. 1871, S. 1582, 1583, mit denen
sich diejenigen E. J. Für nivall's im Athenaeum 1873, Nov. 1, p. 564
begegnen). Hierdurch wird nun aber eine Verbindung zwischen Milton
und Thomason erwiesen , welche um so natürlicher erscheint, da T. auch
von Ilartlib hie und da einen Beitrag für seine Sammlung erhalten zu
haben scheint (s. o. Anm. 1 zu S. 272). Thomason war allerdings, wie
aus dem Vorworte zum Kataloge seiner Sammlung hervorgeht, ein guter
Anhang IL Auszüge aus den Protok. der Akademie der Svogliati. 499
Royalist, doch erschien auch in seinem Verlag : The history of the Par-
liament of E. etc. by T. May 1647. Mit INIilton's Namen fand sich der
seinige \äelleicht schon in dem Album der Familie Cardonius vereint
(s. Buch I. 295).
Anhang II. (Nachtrag zu Buch I.)
Auszüge aus den Protokollen der Akademie der
Svogliati. (1)
In den Atti dell' Academia degli Svogliati (Magliabecchiana cl. IX.
(cod. 60) finden sich für den August 1638 vier Sitzungen erwähnt, ohne dass
Milton als anwesend genannt wird. Ebensowenig in den Sitzungen vom
2. und 9. September. Dagegen findet sich unter „A di 16. di Settembre" :
,,I Signori Accademici ragunati in numero competente furono lette
alcune composizioni e particolarmente il Giovanni Miltone
Inglese lesse una poesia latina di versi esametri molto
erudita." In den zwei folgenden September-Sitzungen wird M. nicht er-
wähnt. Im Jahre 1639 „A di 17. di Marzo": „Neil Accademia si trova-
rono li Signori" . . . folgen die Xamen, darunter an zehnter Stelle
„Miltonio". II 4^0 [G. Bartolommei] lesse et esphcö il 7. cap. dell'
eticä sopra la quäle alcuni dissero alcune cose. Furonportati dal
sesto [Rist. Antinori], dal decimo [dal. X.] e dall' undecimo [Girolami]
e letti alcuni nobili versi latini". „A di 24. Marzo": „Si ragunö
l'Accademia, nella quäle furono li Signori AI.» P. Pr.e fPitti Presidente?],
Buommattei Console [Con.e] Cavalcanti Censore [Cen.e] , Bartolommei Segre-
tario [Bart.i Seg.<*], Cavaliere [Cav.i] Valori, il Residente della Serenissima
Republica, Miltonio, Doni, C^) Rena, Girolami, Gaddi. II 4*° lesse et esplicö
im cap. deir etica, a cui fece alcuni estemporanei argomenti l'ultimo. Furon
recitate oltre un elogio et un sonetto dal Signor Cavalcanti diverse poesie
Toscane delli Signori Bartolommei, Buommattei e Doni, che lesse una scena
deUa sua Tragedia, e diverse poesie latine del Signor Miltonio
e un epigramma dal Signor Girolami." „A di 31.": „Xell Accademia si
trovarono li Signori" . . . folgen die Namen, an zehnter Stelle „G. Mil-
tonio". In den folgenden Protokollen wird er nicht mehr erwähnt.
Das „Giornale degli Atti dell' Accad. degli Apatisti" (Magliabecchiana cl.
IX. cod. 1) beginnt erst m. d. J. 1669.
') Nach gefälligen Mittheilungen des H. Dr. phil. B. Mangold in Florenz.
2) Hierdurch wird d. B. I. 286 über Doni Gesagte ergänzt.
32 =
Druckfehler und Berichtigungen.
Seite 70 Zeile 20 v. o. statt: hätte, lies: hätten,
,, 76 „ 19 V. o. hinter „Smectymnuus" einzuschieben: Anm. 3).
,, 119 „ 14 V. o, statt: Buchhändler, lies: Buchhändler er-
schienen,
ihr, lies : sein.
Massachussetts, lies: Massachusetts,
die Christenheit, lies : d a s C h r i s t e n t h u m.
Prinz, lies: Prince.
Smectymianer, lies: Smectymnianer.
alle übrigen Formalitäten zu verletzen, lies :
mit Verletzung aller übrigen
Formalitäten,
ihm, lies: ihn.
1 V. o. das Anführungszeichen hinter befördern statt
hinter erstrebte zu setzen.
Man bittet überall statt Satyre, Satyriker, satyrisch zu lesen: Satire,
Satiriker, satirisch.
169
»
4 V.
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217
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55
1 V.
o.
ri.>rov"---clir Itnfl'iii-liJruckorci. Stephan Geibol & Co. in Altenlmi-g.
Verlag von DUNCKER & HUMBLQT in Leipzig.
Max Duncker,
Aus der Zeit Friedrichs des Grossen und Friedrich Wilhehiis
III. Abhandlungen zur preussischen Geschichte, gr. 8.
1876. 12 M.; geb. 13 M. 40 Pf.
Inhalt: Eine Flugschrift des Kronprii zen Friedrich. ^ Die Schlacht von Kollin. —
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Antoinette Bludoff. — Die Grafen Adlerberg. — Die Brüder Miljutin. — Fürst
Gortschakoff. ~ Graf Protassoff. — P. A. Walujeff. — General Ignatjeff. — Unsere
Ünterrichtsminister. — Journalisten und Schriftsteller.
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St. Petersburg. — Literatur und Literaten unter Kaiser Nicolaus I. — Puschkin und
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I. BAND. ,,Aus Halbasien" (Einleitung). —Der Aufstand von Wolowce. — Jüdische
Polen. — Schiller in Barnow. — Von Wien nach Czernowitz. — Zwischen Dniester
und Bistrizza. — Ein Culturfest. (Das Jubiläum der Bukowina ; die Gründung der
Universität Czernowitz.) — Rumänische Frauen. — Jancu der Richter. — Gouvernanten
und Gespielen. — Todte Seelen. — Ein jüdisches Volksgericht. — Der schwarze Abra-
ham. — Nur ein Ei.
II. BAND. Kossuth-Jagden. — Auch ein Hochverräther. — Der lateinische Ka-
nonier. — Der Schnapsgraf. — Am Altare. — Wladislaw und Wladislawa. — Im Hafen
von Odessa. — Die Leute vom „wahren Glauben". — Der Richter von Biala. — Nikolaj
Pawloff.
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und die französische Romantik. — Edward Bulwer. — George Eliot. — Paul Heyse. —
Iwan Turgenjew. — Erkmann Chatrian.
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Inhalt: Dickens. — F. Caballero und Alt-Spanien. — Lamartine. — Pariser mora-
lische Velleitäten. — Heine. — Pierliner Plaudereien. — Der Krieg gegen Frankreich.
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man Grimm. — Fricdr. Spielhagen. — Fritz Reuter. — Die Philosophie und das
Katheder.
Julian Schmidt,
Characterbilder aus der zeitgenössischen Literatur, gr. 8.
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Inhalt: iL F. Strauss. - P.. Auerbach. — O. Ludwig. — M. Jokai. - Turgenjew
n. Pi.semski. — Studien über den englischen Roman. — P. Heyse. — K.. Rosenkranz. —
M. Haupt. - Hoffmann von Fallerslcben. — F. Halm. - F. GriUparzer.
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