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MITTHEILUNGEN
DES KAISERLICH DEUTSCHEN
AiidHiiöLOGiuiiEi \mmn
ATHENISCHE ABTHEJLUNG
BAND XXni
1898
MIT FUENFZEHN TAFELN.
Vt». '''^.^^^
ATHEN
HART II & VON III RS T
1898
Athen.— Druck von GKBRUEDER PERRIS . — Univeisilacls- Strasse, 51.
INHALT
Seite
W. Amelung, Schie(lso;ericht zwischen Poseidon und
Athene 235
F. VON Bissing, Stierfan«i; auf einem ägyptischen Holz-
getass der XVIII. Dynastie (Tafel VII. VIII) . 242
Chr. Blinkenberg, Epidaurische ^^'eihgeschenke . . 1
A. CoNZE, Archaische Skulpturen aus Chios. . . . 155
W. DoERFFKLD, Das griechischc Theater Vitruvs. II. . 326
2t. N. ApaFüTMUS, IlsTpatx eTriYpx^p-/; tou Mo'JTtio-^ . 202.368
E. Drerl'p, Ein athenisches Proxeniedekret für Aristo-
teles 369
M. Fraenkel, Epigraphisches aus Mustoxydis 'H Ai-
yivaia 157
R. Herzog und E. Ziebarth, Das Theater von Neu-
Pleuron (Tafel XII. XII a) 314
» » Reisebericht aus Kos 441
F. Hiller von Gaerthingen, Einige vergessene Am-
phorenhenkel aus Rhodos 232
» » Inschriften aus Rhodos 390
J. II. IIolwerda .jr, IlapaotTivia. IläpoSoi. Ofipia/CTOu . 382
A. KoKRTE, Kleinasiatische Studien III. Die phrygi-
sclien Fels denkmäler (Tafel I- HI) .... 80
L. Pollak, Priamos bei Achill (Tafel IV) . ... 169
H. VON Prott, Enneakrimos, Lenaion und Atovuoiov ev
XijAvaK; 205
» » Nachtrag dazu 367
0. RuBENsoHN, Kerchnos (Tafel XIII. XIV) . . . 271
Fr. Ruehl, Inschriften aus Eski-Schehir . . . . 161
L. Savignoni, Due lekythoi di Tanagra (Tavola V) . 404
G. VVerkr, Die Flüsse von Laodicea 178
Tu. \\'iegam), Das Theater zu Priene( Tafel XI j . , 307
Seile
A. Wilhelm, Die sogenannte Hetäreninschrift aus Paros 409
» » AltattisclieSchriftdenkmäler{Tafel IX.X). 466
P. WoLTKus, Inschrift aus Hierapolis 154
» » Epigramm aus Smyrna 267
» » Prähistorische Idole aus Blei .... 462
W. Zahn, Vasenscherben aus Klazomenai (Tafel VI) . 38
E. ZiKBARTH, Inschriften aus Athen 24
» » Die Strabon -Schollen des Cyriakus von
Ankona 196
» » s. R. Herzocx.
Litteratur 357. 493
Funde 163.359.494
Sitzungsprotokolle 166. 499
Ernennungen 499
Berichtigungen 368. 499
EPIDAURISCHE WEIHGESCHENKE
J
Die meisten der im epidaurischen Asklepiosheiligtum auf-
gefundenen Steine mit Volivinscliriflen waren, wie gewöhn-
lich, dazu bestimmt, besonders gearbeitete Weihgeschenke zu
tragen. Sie haben deshalb fast durchgehends eine regelmässige,
vierseitige Form, oft mit einfachem Profil oben und unten.
Abweichende Formen kommen unter den Basen nur verein-
zelt vor; die bekanntesten Beispiele sind die als Schiffsvor-
derteil gearbeitete Basis, vermutlich einer Nike, von der ich
AsKL. S. 154 eine schlichte Skizze gegeben habe^ und die
in der Expedition de More'e II Taf. 80 abgebildete Drei-
fussbasis, deren Inschrift Askl. S. 127 veröffentlicht ist.
Ausser den genannten Basen sind aber auch anders gear-
beitete Steine gefunden, die keine besonderen Weiligeschenke
getragen haben, sondern an sich als Analheme zu betrachten
sind. Es sollen davon hier zunächst eine Reihe von tischähn-
lich geformten Steinen, im zweiten Abschnitt einige steinerne
Wasserbecken besprochen werden 2.
Ein kleiner Kalksteinblock (0,72'M., 0,28 br., 0,35h.) bil-
det die Form des gewöhnlichen dreibeinigen Tisches nach^.
Es hebt sich an den Seiten der Rand der Tischplatte in nie-
drigem Relief hervor; in derselben Weise ist an beiden Lang-
* Mit Askl. wird auf dos Verfassers Asidepios ug lians fraender i Hieron
vetl Epiilaurus ( Kopeiiliagcn I8'J3) verwiesen.
2 loh biu Herrn Ivavvadias für die Erlaubniss zur Veröffentlichung zu
grossem Danlie ver|)llichlet.
3 Eine schematische Zeichnung dieses Stücivs ist in meiner Aldiandlung
Les inscriptions d' lipidaure (Nordisk lidsskriß for filohxji, 3 raekkc, III S.
163) gegeben, wo das Aller der Insehrilt wol zu niedrig geschätzt ist; sie
wird ins 4.-3. Jahrhundert gehören.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXUL 1
CHR. BLINKENBERG
Seiten und an der einen Schmalseite je ein Bein dargestellt.
; an der einen Langseite die Insc
AAMAPETAAMEOHKE
Der Rand trägt an der einen Langseite die Inschrift
Seine Erklärung findet dies Weihgeschenk in der bekannten
Verwendung des Tisches im Kulte des Asklepios ; es lässt sich
gewissermassen mit den kleinen Altären vergleichen , deren
in späterer Zeit so viele im Hieron geweiht sind, und ist als
verkleinerte Nachbildung eines wirklichen Tisches zu be-
trachten.
Anders liegt die Sache mit den im folgenden zu besprechen-
den, tischähnlich geformten Steinen, welche hier nach Skizzen
und Photographien, die ich im Frühling 1896 aufnahm, ab-
gebildet werden.
Sil».
r C E N
Fig. 1
Flu. 2
1. Nahe bei dem grossen Altar im Flieron befindlich. Grauer
Kalkstein. Die Ränder der Platte und die Beine sowie ihre
Verbinduno-sleiste an den Schmalseiten treten am Block re-
liefartig hervor. Die Enden der Tischplatte waren frei aus-
gearbeitet, sind aber abgeschlagen. Länge, so weit erhalten,
1,15'", Breite 0,60, Höbe 0,50. An der abgebildeten Schmal-
seite zwischen den Tischbeinen steht die Inschrift (Buchsta-
benhöhe etwa 0,0'25):
apke^iaao^
ays:anapo^
AHE0ETAM
AoaavSpOi;
äveOexav
EPIDAURISCHE WEIHGESCHENKE
welche mitten auf der Oberfläche, wenn ich die sehr undeut-
lichen Spuren richtig aufgefasst habe, in dieser Form wieder-
holt wird :
A P K E C I A
NE EH
'Ap>i£(7iX[>.o;],
Auc>a[vSpo]?
[a]ve[6]6v.
Der Rand der Oberfläche ist ganz wenig erhöht. An beiden
Enden sind flache Furchen eingearbeitet; rechts befinden sich
dazwischen die 0,014-0,02'° hohen Zeichen
M X H — O I
Die VVeihinschrift ist von Kavvadias, Fouilles d" Epidaiire
Nr. 109 veröfTentlicht ', mit Erwähnung der undeutlichen
Wiederholung in der Mitte; die Form des Steins bezeichnet er
als die eines Tisches oder Bettes.
2. Dicht neben Nr. 1, mit welchem dies Exemplar, das
keine Insciirift träi»!, ziemlich o;enau übereinstimmt. Es ist
aus demselben Material und in ähnlicher Weise gearbeitet ;
auch die Masse sind dieselben: L. 1,27'". Br. 0,59, H,0,50;
die Platte ist in ihrer ganzen Länge erhalten. An der Ober-
f
Fio. 3
' Es wird liier 'ApxsaiXao? gelesen; der driUletzte Buchstabe hat aber ivei-
nen Querstrich. Zu ApxeoiXXo; vgl. z. B. TEXsaiXXa.
4
CttR. BLINKENBERG
fläche befinden sich ausser den flachen Furchen, die mit Nr.
1 übereinstimmen, auch eingeritzte dünne Striche, die sich
m
er-
Fig. 4
dadurch wol als späterer Zusatz kundgeben, dass sie in Nr. 1
fehlen; jedenfalls dürften die in der Nähe des Randes befind-
lichen kurzen Striche so aufzufassen sein. Das eine Ende des
Unterteils des Tisches ist nur rauh bearbeitet.
3. Jetzt ausserhalb des Museums aufgestellt. Roter Kalk-
stein. Nur teilweise erhaUen ; 0,78"^ 1.. 0,48 br., 0,51 h. An
Fig. 5
Fig. 6
der abgebildeten Schmalseite steht die in das 4. Jahrhundert
gehörende Inschrift:
E P r I A o ^
AOAYMAMTO
A H E O E M
'AOauj;!.avTo[;]
Z..^f\... 1
* Der erstgenannte Dedikant dürfte wegen der zeitliclien Übereinstimmung
und der Seltenticit des Namens mit dem Vater des öflers vorliommenden
EPIDAURISCHE WEIHGESCHENKE 3
An der einen Langseite ist der Stein unter der Tischplatte
ziemlich sor^fältiij we'iiiiiearbeitet, an der anderen mehr rauh
gelassen. Oben auf der Platte befinden sich links flache Fur-
chen, dann folgen dünne Striche; der rechte Teil fehlt ganz,
ist aber, nach Ausweis der beiden Stücke Nr. 1-2, wie der
linke zu ergänzen.
4. Neben Nr. 3 aufgestellt. Roter Kalkstein, Höhe 0,45.
Der Unterteil ist gut erhalten , die Platte aber rings abge-
schlagen ; ihre obere Fläche ist so übel mitgenommen, dass
Fig. 7
Fig.
ich die Furchen zwar sehen, aber ihre genaue Form nicht
feststellen konnte. Die schematische Fig. 8 zeigt das Verhält-
niss des unteren Teils zur Platte; die punktirte Linie giebt
ungefähr den ursprünglichen Umfang der letzteren an. Das
Stück träo;t keine Inschrift.
Nr. 1 - 4 geben in Stein Holztische verschiedener Form
wieder, und zwar Nr. I-? einen vierbeinigen, Nr. 3-4 einen
dreibeinigen Tisch. In Bezug auf die letztgenannten mag auf
Blümners Untersuchungen', die hierdurch eine neue Bestäti-
gung erhalten, verwiesen werden. Die Übereinstimmung der
Höhenmasse (Nr. 1: 0,50; Nr. ^: 0,50; Nr. 3: 0,51; Nr. 4:
0,45j macht es wahrscheinlich. dass wir es hier nicht mit ver-
'ApiaTapyo; 'EpyO.ou (niclit 'EpY'^ou) idenfiscli sein. S. Nordiik tidsskriß for
ßluUuji, Ny raekke, X S. •^Glj; 3 raekke, III S. 167,51; Kavvadias, Fouilles
d'lipidaure Nr. 110; vgl. unten S. 22 Anni. 2. Fouilles d'l-'pidaure Nr. 56.
* Archäologische Zeitung 1884 S. 179- 192. 285-286. 1885 S. 287-290.
Baunieisler.s Denkiiiälcr III S. 1317-19.
CHR. BLINKENBERG
kleinerten Nachahmungen, sondern mit Gegenständen natür-
liclier Grösse zu thun haben; denn sonst würden die steinernen
Nachbildungen, die von verschiedenen Personen herrühren,
doch wol grössere Verseil iedenhoit aufweisen. Es waren eben,
wie sicli herausstellen wird. Tische, die wirklich gebraucht
werden sollten. Dass sie aus Stein statt aus Holz gemacht
werden, findet durch die Aufstellung unter freiem Himmel
genügende Rrkliirung. Den modernen Tischen an Grösse weit
nachstehend, stimmen sie mit den antiken, wie diese uns durch
Vasenbilder bekannt sind, so ziemlich überein.
Wozu sie bestimmt waren, ergiebt sich aus der näheren
Betrachtung der Vorrichtungen auf der Oberfläche. Dass die
bei allen vier Stücken wiederkehrenden eingearbeiteten Fur-
chen nicht nachträglich gemacht sind, ersieht man bei Nr. 1
schon daraus, dass die Inschriften darauf Bezug nehmen. In
der Erklärung muss von dieser Vorrichtung, die also mit der
Bestimmung der Tische zusammenhängt, ausgegangen wer-
den. Es lässt sich meines Erachlens nur entweder an Rechen-
oder an Spieltische denken, und zwar fällt die erstere Mög-
lichkeit weg, wenn man in Betracht zieht, dass die erhalte-
nen Exemplare aller Wahrscheinlichkeit nach nur einen Teil
der einst vorhandenen darstellen; es wäre nicht einzusehen,
wozu eine grössere Zahl von Rechenbrettern gedient haben
sollten K Das Hieron war ja kein mathematisches Institut. Da-
gegen ist eine Mehrheit von Spieltischen an einer von vielen
müssigen Leuten besuchten Stelle sehr wol verständlich. Dass
die Heiligkeit des Orts nach griechischen Vorstellungen durch
das Spielen nicht gefährdet wurde, braucht nicht des näheren
ausgeführt zu werden ^.
' Es ist ausserdem noch zu licmcikcn, dass das Reclienbrcll, wie wir es
aus dem salaminischen Exemplar licnnen, anders gestaltet war (Rangabö,
AnliquiU's hcAl&niques II Taf. 19; vgl. Pauly -Wissowa, RealeiieYclopädie,
iiiui Darcmbeig-Saglio, Dirtionnaire unter ahnrus. Arch. Anzeiger 18!(0 S.
144, 61. Areh.-epigr. MiUlicilungen XX S. Dl, 24 (Willielin ).
^ Ausserdem kann auf die bekannte Nacliricbt vom Heiligliini der Alliena
ökiras (s. Preller-Robert, Griechische Mythologie I S. 205) verwiesen wer-
den.
EPIDAURISCHE WEIHGESCHENKE 7
Wir brauchen aber nicht dabei stehen zu bleiben. Die lit-
terarische und monumentale Überlieferung giebt uns die Mittel,
den Namen und die ungefähre Art des Spiels zu bestimmen.
Den eben beschrieijenen Spieltischen darf man niimlich zwei-
fellos den in dem gleich anzuführenden Vers cnllialtenen Na-
men TZinnk 7:£vT£Ypa_uip-a beilegen. Die'hervorstechende Eigen-
tümlichkeit der Vorrichtung sind eben die an beiden Enden
der Tischplatten wiederkehrenden Systeme von je fünf Fur-
chen, eins für jeden Spieler. Sie stimmen mit der bei PoUux
(9,97) erhaltenen Nachricht sehr genau überein: e-s-.Sy; Se 'Ir,-
©01 p.£V elmv Ol TTETToi, TCSVTE V £X,y.T£pO; TÖJV 7iai{,0VT(üV £l/_sV STTl
TTSVTS Ypa(7.|X(0V, £'./.0TO3? £ipr,Ta!. 2j0^0)4A£'.
•/.al -Kinnt. TTEVTEypaixaa x.ai xütoüiv ßoXai.
Tüiv %\ 'zh-ze Ttöv i/.aTEpwOEv ypx'j.y.(ji^ u.ifj't] Tt? r^v (Epk ypay.ar/'
xai 6 tÖv £)t£i6£v xtvcjv 7:£ttÖv sttoiei -apoip-iav (c /civ£i -röv ä(p' t£-
pä;». Es sind hiermit die Worte bei Eustathios zur Odyssee
I, 107 (p. 1397, "28) zu vergleichen: to'j; Sk ttetgoü; X£'y£'. (ö tx
TTfipi 'E>,Xr,vix.r,: xaiSia; ypsc^j/a; ~j ^j;7]Cpou; £ivai -ö'vte, ai«; £7cl ttevte
ypauLfxdJv £7rat?^ov £X,aT£'pci)Ö£v , tva EnacTo; xwv ttetteuovtcov i'^^r, rä;
xx6 iauTÖv T:ap£T£iv£T0 o= ^■/tti f)i' a'JToiv x.al l/.et'o ypaaayj,
Tjv l£py.v (ÖvÖl/.x^ov (Ö; xvcoTspo) ^-/iXo'jTai, £-fi ö v'.x,cöa6V0(; £77' i-'^yj'--
TYiv a'jTV/v i£Tai. Ö0£v KT,'. 7Ta.po'.y.'!a , x,'.v£(v tÖv ä©' (fipaci;, Xiöov övi-
XaSr;, iizl twv iiT£yvwr7a£'vwv x.at kiyxv/]: ßor.OEixi; o£oa£'v(ov. Die
hieraus zu entnehmende Beschreibung ist im Grunde so deut-
lich, dass man die Form der Spielbretter, wie sie uns jetzt
bekannt ist, in der Hauptsache hätte construiren kimnen. Es
waren an beiden h^nden je tünf Linien, auf welchen die fünf
Steine der beiden Spieler gesondert aufgestellt waren , die
mittlere hiess ispx ypay.a-/i''; der dort aufgestellte Stein hatte
eine besondere Bedeutung und wurde nur im Notfall gezogen.
* Im Naü::Xto; Ilupxa£tJ«, Fragm. 40-2 Wagner, 39t) Nauek.
2 Kaum Polcmon, wie Wclcker vermutete (Griecli. Tragödien I S. (Z'2).
^ Vgl. nucli Euslatliios zur Odyssee I, 107 (p. 1396,61): kr.l rMts -fpcLiLu.aXi
Tis 4"'i?o"S ETtOouv, wv f) fjieai) Upi ixaXeiTo; Scliol. Plal. Leg. VII p. 820 C:
ly^ii (£;/£?) Se 7i^vT€ YpafAuia?, oiv J) [x^ur) ■^zai^ij.r, itpoc exaXet'o ; Schol. Tlieocril.
VI, 18 [xe'ariv tiüeaaiv oi nat'^ovTS? (j^rjipov r\i; o-jy(^ ä;:Toviat xtX.
^^ CHR. BLINKENBERG
Auf den Spieltischen Nr. 1-2 scheinen die zwei ersten Striche
jederseits durch ein Kreuz verbunden zu sein ; ich konnte aber
darüber bei meinem ßesuche im Hieron im Frühlinij; 1896 zu
keiner sicheren lilntsclieiduni; kommen.
Das 'Fünfstrich' wird von Hermann - Blümner (Griech.
l^rivataltertümer S. 511. wo weitere litterarisclie Zeugnisse
angeführt sind) mit Recht unter denjenigen Spielen aufgeführt,
bei denen es sowol auf Glück als auf Berechnung ankam, in-
dem das Ziehen der Steine zum Teil von dem Falle der drei
Würfel abhing. Die Spieltische waren deshalb mit einer nie-
driojen Randerhöhuno; versehen, damit die Würfel nicht auf
die Erde fielen.
Dieselbe Verbindung von Würfeln und Brettsteinen bietet
ein meines Wissens einzigartiges Denkmal in der kopenha-
gener Antikensammlung ^ Es ist die thönerne Nachahmung
eines Spieltisches, in Athen erworben, 0,37 1., 0,12 br. 0,14 h.,
in der Art der korinthischen Vasenmalerei mit Vögeln und
Rosetten dekorirt. Die Oberfläche, die hier nach Ussings (s. un-
ten Anm. 1; Abbildung verkleinert wiedergegeben wird, weist
Fig. 9
neun Querstriche auf, die zweifellos alle ursprünglich an bei-
den Enden mit ovalen Steinen besetzt waren; jetzt fehlen drei.
Zwei Würfel sind erhalten; in der Mitte sieht man noch die
' Von I. L. Ussing veröfTentlicht in der Abhandlung Nije Erhvervelser tu
Antiksamlingen i Kjöbenhavn { Videnskabernes Selskabs Skrißer, 5 raekke, 5
Bd. III, 1884) S. 3-b, Taf. 1.
EPIDAURISGHE WEIHGESCHENKE y
Spur des dritten, der wie die zwei anderen sechs Augen auf-
gewiesen haben wird. Wir haben somit eine Darstelluno; des
gewonnenen Spiels: alle Striche sind in Folge des glücklich-
sten Wurfs* voll besetzt. Das Stück muss entweder als Tem-
pelanathein oder als Totenbeigabe aufgefasst werden ; für bei-
des liessen sich genügende Analogien beibringen. Man könnte
versucht sein, das thünerne Tischchen in ganz nahe Verbindung
mit den epidaurischen zu setzen durch die Annahme, das aus
Versehen 9 statt 10 Striche darauf gezeichnet worden seien;
die Arbeit ist auch in anderer Beziehung ungenau, indem die
Summe der Augen auf den gegenüber stehenden Seiten der
Würfel nicht sieben ist, wie es im Altertum die Regel war
(Eustalhios zur llias XXII1,88) Doch stehtdieser Annahme die
grosse Zahl der Spielsteine entgegen; der litterarischen Über-
lieferung nach hatten die beiden Spieler beim 'Fünfstrich '
nur je fünf Steine.
Dagegen ist meiner Ansicht nach eben das Spiel i-rr! ttevte
Ypaafy.d)v in einer anderen Klasse von Denkmälern dargestellt,
nämlich in den bekannten Vasenbildern, die zwei llopliten
einander gegenübersitzend zeigen ^. Auf die mannigfachen Va-
riationen kann ich hier nicht eingehen ; es soll nur hervor-
gehoben werden, dass die aus den sorgfältigst ausgeführten
Exemplaren des llaupttypus zu entnehmenden Einzelheiten mit
dem Auseinandergesetzten genau übereinstimmen. Aut der be-
kannten Amphora desExekias [Monumenti delV inst. II Taf.
22; Wiener Vorlegeblätter 1888 Taf. 6, 2) sitzen die Krieger
auf vierseitigen Blöcken ; in der Mitte steht ein etwas grösserer
Block, der den epidaurischen Steintischen recht ähnlich ist und
ihnen in der Grösse entspricht. Die Bewegung der Hände kann
nicht missverstanden werden: die Krieger sind im Begriff ei-
nen Zug mit den (nicht dargestellten) Spielsteinen zu machen.
< S. Hermann-Blümner, Griecli. Privatallcrlümer ö. 513 Anm. 2, beson-
ders die Stelle aus Diogenian 5, 4: t6 a^v tpi? ä; ttjv TravTEXfj vixtjv SriXot, und
Eustatllios zur Odyssee I, 1U7: napoiiju'a enl tcjv |jlt)5£v 8ia uii'aoy xivouveuovtwv
tÖ i) Tpi? ef rj Tpel; xüöoui ( = tpsT; pioväSa? ).
a Welcker, Alle Denkmäler III S. I -24,
<0 CHR. BLINKENBERG
Die beigefügten Inschriften AyCkioc, — Tsaapa, Aiavxo; — xpia be-
ziehen sich aber, wie das Neutrum* zeigt, und wie Welcker
und Ussing es richtig ausgesprochen haben, nicht auf die
Steine (ttettoi, (J/Yicpoi , sondern auf die Augen der Würfel.
Das Spiel wurde also sowol mit Würfeln als mit Steinen ge-
spielt. In anderen Vasenbildern desselben Typus ist ein Ver-
such gemacht die Spielsteine zur Darstellung zu bringen, in-
dem sie auf dem Rande des im Profil gesehenen Spieltisches
gemalt sind und zwar gewöhnlich weiss und schwarz ab-
wechselnd. Die Zahl der zum Vorschein kommenden Steine
ist verschieden , was aus der gewöhnlichen Ungenauigkeit
in nebensächlichen Dingen zu erklären ist; in einigen Fällen
aber sind sicher 10 Steine da, d. h. eben die für das 'Fünf-
strich ' bezeugte Zahl, so lleydemann, Vasensammlungen zu
Neapel Nr. 2460, Monument/ dclV inst. 1 Taf. 56,2. Furt-
wängler, Vasensammlung zu Berlin Nr. 1870.
Es geht aus dem Gesagten hervor, dass ich die Bemerkun-
gen, die Furtwängler an die Abbildung des jüngsten Exem-
plars der besprochenen Darstellung knüpft (Arch. Anzeiger
189-2 S. 102 f.), nicht als richtig anerkennen kann. Er nimmt
die welckersche Deutung auf (Alte Denkmäler 11! S. 6 ff.) : 'es
sind zwei Melden gedacht, die vor dem Kampfe durch Wür-
feln ihr Schicksal zu erfahren suchen; als Göttin des Schlach-
tengeschicks ist Athena gegenwärtig, die auf unserem Bilde
so deutlich dem Einen den Sieg verleiht'; sie trägt nämlich
auf der Rechten eine Nike, die den jüngeren der Helden krän-
zen zu wollen scheint. VA'ie man sich diesen Vorgang denkt,
ist mir unklar. Dass zwei feindliche Krieger (etwa ein Tro-
janer und ein Grieche) nicht in dieser Weise vor dem Kampfe
beisammen sitzen können um ihr Schicksal zu erforschen, ist
klar. Und wenn es zwei Krieger ein und desselben Heeres
sind, was heisst es dann, dass Athena dem l^^inon den Sieg
verleiht? Das ist doch wol der poetisch -malerische Ausdruck
* Vgl- den Vers des Euripidcs (Wagnc r Nr. t.92, Nauck Nr. 888 ß^eXrjx'
'A/i^^XeÜ? 5jo xüGo) xat T^Txapa.
EPIDAURISCHE WEIHGESCHENKE 11
dafür, dass der Eine gewinnt, der Andere verliert. Der Sieg.
den die Gottheit dem l^nen verleiht, ist also nicht der im
blutigen Kampf. Wir dürfen somit auch dies Vasenbild zu den
Darstellungen des Spiels rechnen, und zwar ist wahrscheinlich
eben das Spiel i-l xevte ypauu.cjv gemeint. Denn auf dem Stein-
block in der Mitte sind bei dem Helden links vier, bei dem
rechts sitzenden fünf schwarze Punkte gemalt; dass links nur
vier sichtbar sind, würde vielleicht, wenn nicht Flüchtigkeit
der Zeichnung daran Schuld ist, durch die uns unbekannten
Vorgänge des Spiels genügende Erklärung finden. Es wäre
wol möglich, dass der Spieler eben einen Stein aufgehoben hat
um ihn zu versetzen, was auch sonst vorkommt ; doch scheint,
nach gütiger Mitteilung von Dr. Erich Pernice, die Hand des
Spielers nichts zu halten.
Athena kommt in den besprochenen Vasenbildern sehr
häufio; vor. Es wird dadurch die Scene dem alltä2;lichen Leben
entrückt; die Krieger sind nicht gewöhnliche Soldaten, die sich
im Lager die Zeit durch ein Spiel vertreiben, sondern sie ge-
hören in die lleroenwelt. So wie hier erscheint Athena doch
nur im Epos. Dass wirklich im Epos brettspielende Krie-
ger vorkamen, darauf führen auch andere Zeugnisse. Nach
Polemon zeigte man in der Troas den Stein, auf welchem die
Griechen im Lager spielten (Eustathios zur llias II, 308 p.
228, 1 ff.= Preller, Polemonis fragm. 31). In Argos wurde
erzählt, dass Palamedes die von ihm erfundenen xuSoi im
Tempel der Tyche geweiht halte (Pausanias 2, 2Ü. 3, vgl. Eu-
stathios, Od. I, 107); diese h]rlindung wurde aber nach So-
phokles im Lager vor Troja getnacht (i^^ustathios, llias II, 308
= Sophokles Fragm. '«51 Wagner, 438Nauck). Es giebt also
ausser der Tragödie und den bildlichen Darstellungen min-
destens zwei Überlieferungen, die sich auf die troische Sage,
d. h. auf das Epos, beziehen'. Wenn das Epos eine Spiel-
scene enthielt, wird das Vorkommen brettspielender Heroen
' Auch die Freier auf Itliaka spielton ja inil 7:£aao' ( a 107). Das.s die von
Aliii»ii (Atlicnaios I, 16f, von Eustalliios p. liClJ, 10 aus;j:esclirielton I mit-
12 CHR. DLINKENBERG
im Drama' und im polygnotischen Gemälde^ besser verständ-
lich. Es wird ferner niclit als Zufall zu belraehten sein, dass
diejenigen ^'asenbilder, in welchen die Scenedurcli Beischriften
erläutert ist, übereinstimmend die Namen Achilleus und Aias
darbieten •'; diese dürften ebenso wie die Gegenwart der Athena
für das Epos vorauszusetzen sein.
Durch die vorstehende Untersuchung ist, so viel ich sehe,
die Bestimmung der epidaurischen Steintische genügend ge-
sichert. Dass es Spieltische waren, stellte sich schon aus der
unmittelbaren Anschauuns; als wahrscheinlich heraus. Die Vor-
richtungen an der Oberfläche zeigten sich mit einem thöner-
nen Tischchen, das wegen des Vorhandenseins der Würfel
zweifellos einen Spieltisch darstellt, im Wesentlichen überein-
stimmend. Es ergab sich, dass die litterarische Überlieferung
über das Spiel IkI tttevts ypajxu.cöv genau zu den Steintischen
passt. Endlich fanden sich ähnliche Objekte dargestellt in ei-
ner Reihe von Vasenbildern, die aller Wahrscheinlichkeit nach
sich auf dasselbe Spiel beziehen. Es kann deshalb eine Ei-
gentümlichkeit, die sich auf einem der epidaurischen Tische
findet, und die beim ersten Blick eher für ein Rechenbrett als
für ein Spiel passend scheint, an dem Ergebniss der Unter-
suchuno; nichts ändern.
Ich meine die schon oben S. 3 wiedergegebene Inschrift
M X H — O I
Wegen der Abnutzung der Oberfläche sind die Zeichen zwar
geteilte Nachricht über das ithakcsische Penelope- Spiel zu dcrii lioincri-
schen f^u-evot £v pivolat ßowv nicht pa.s.st, .sciieint klar.
' Euripidcs, Fragm. 692 Wagner, 888 Nauck. Iphigenia in Aulis 103 11'.
( Palamedos und Prolosilaos ).
2 Pausanias 10, 31,1 ( Palamo(l(!s und Thcrsilcs).
3 Amphora des Exekias (oben 8.9); Calalugue of vases in the British
Museum 11, B 211 ; Jalin, Vasensaninilung zu München Nr. 5b7 ; schwarz-
Ggurige Lckythos in Boston Arch. Anzeiger 1896 S. 96; vgl. das Fragment
einer rottigurigen Schale bei Hartwig, Gricch. Meistersebalen S.277 Fig. 39,
fiPiDAURiscME Weihgeschenke 13
nicht alle sehr deutlich, ich hahe sie aber bei wiederholter
Untersuchung in günstiger Beleuchtung alle sicher festgestellt.
Sie waren schön eingemeisselt, nicht leicht eingeritzt. Die For-
men können mit der Weihinschrift gleichalterig sein. Daraus,
dass die Fünferzeichen fehlen (vgl. Keil, Athen. Mitth. 1895 S.
61 fl". ), darf hier nichts über das Alter gefolgert werden; es
ist eben keine vollständige Zahlenreihe. M X H sind allgemein
bekannt; — ist in den epidaurischen Bauurkunden das Zeichen
für lO Drachmen, I für einen Obol. Aus der Stellung ergiebt
sich, dass O eine Drachme bedeutet; das Drachmenzeichen in
den Bauurkunden ist ein Punkt , im Grunde wol dasselbe
Zeichen '. Wegen der zwei Einerzeichen muss die Reihe Wert-
angaben, nicht 'reine Zahlen ' (vgl. Keil, a. a. O. S. 64)
darstellen.
Die Zeichen scheinen nun zunächst für ein Rechenbrett am
besten zu passen ; diese Möglichkeit soll auch nicht vollständig
in Abrede gestellt werden. Gegen eine solche Auffassung
spricht aber, dass die Zahlenreihe nicht vollständig war. Das
Publicum, das sich im llieron aufhielt, hätte bei seinen Abrech-
nungen gewiss das Zeichen des Chalkus mehr gebraucht als
das Zeichen für 10000 Drachmen. Ich gebe deshalb einer an-
deren Erklärung, die mit der erwiesenen Bestimmung der
Steintische besser im Einklang steht, den Vorzug. Es sind
sechs Zahlen da, und sechs sind die Seiten des Würfels. Beim
TT^eidToSoXivSa konnte den verschiedenen Würfen ein beliebiger
Wert gegeben werden (Pollux 9,95 f.Eustathios.zurllias XXIII,
88)^. Das Spiel musste um so spannender werden je grös-
ser der Unterschied zwischen dem besten und dem schlech-
testen Wurf war. Die grossen Summen, die dabei herauska-
men, könnten ja imaginär sein oder nachher dividirt worden
sein. Das hier Gesagte erhält eine Illustration und die Bezie-
' Das O auf der Darciosvase (Ileydemann, Va.sensaminlungen zu Neapel
Nr. 3253) wird von Ussing a. a. O. als Dracluuonzeioheii aufgcfasst, doch
viellciclil iiiil Unreclil.
^ llerinanii - IMümru'r, Privataltorlüinor S. 513.
14
CHR. BLlNKENBEnO
luing der erwähnten Zahlzeichen auf das Würfelspiel eine Be-
stätigung; durch einen griechischen Würfel aus Terrakotta,
dessen Seiten nicht wie gewöhnlich mit einem bis sechs Au-
gen, sondern in nachstehender Weise mit Zahlen bezeichnet
sind ^
Fig. lü
Es bleibt noch zu untersuchen, von welchen Leuten die
hier besprochenen eigenartigen Weihgeschenke gestiftet sind.
Diese Frage wird aber besser im folgenden Abschnitt mit Zu-
ziehung weiteren Materials behandelt werden.
II
Im Hieron ist eine nicht geringe Anzahl steinerner Tröge
und Becken gefunden worden. Einige haben die Expedition
de Morde II Taf. 34 Fig. \ (Lykaion) abgebildete Form
und werden zum Tränken für die Reittiere der Einkehrenden,
für die heiligen Hunde u. s. w. gedient haben.
Mehr Aufmerksamkeit verdient, schon wegen der VVeihin-
* In der Kopenhagener Antiken.saminlung-,i846 in Allieii erworben. Länge
der Seilen 0,045. Die Zeichen sind sehr lief (bis 0,008) eingegraben; der
Würfel war also wahrscheinlich nicht etwa als Votivslück oder Totenbei-
gabe gemacht, sondern trotz des Materials zum wirklichen Gebrauch be-
stimmt. Auf der Akropolis sind drei thönerne Würfel, 0,03-0,04 gross ge-
funden worden. Ein noch viel grösserer Würfel aus geltranntem Thon, in
Vechlen gefunden, wird Bonner Jahrbücher 9 S. 31 erwähnt.
epiDauriscHe \veihgeschenK.e 15
Schriften, die Fig. 11 abgebildete Form von Wasserbecken.
Fig. H
Es war ursprünglich eine grosse Anzahl davon vorhanden ;
inn Folgenden kann ich, ohne Vollständigkeit beanspruchen zu
dürfen, 18 Exemplare' anführen. Die Form ist durchgehend
dieselbe: ein flaches, rundes Becken von einem meistens nach
oben sicii etwas verjüngenden, Cylinder getragen, das Ganze
aus einem Blo(;k einheimischen Kalksteins gefertigt^. In der
Grösse weichen die verschiedenen Exemplare nur wenige Cen-
timeter von einander ab; es genügt deshalb die Dimensionen
des abgebildeten Stückes anzugeben: Gesamthöhe 0,73, Durch-
messer des Beckens 0,73'".
Wegen der angeführten Übereinstimmungen , wozu noch
hinzukommt, dass die Becken alle etwa dem 4. Jahrhundert
vor Chr. angehören und grösstenteils unter denselben Ver-
« S. 17-23, Nr. 1-12 und 14-19.
2 Eine Ausnahme bililel nur Nr. 13 (unten S. 19 ). Nr. 12 ( von gewöhn-
licher Form ) war aus zwei Stücken zusammengesetzt; nur das cylinder-
förmige Unierteil ist erhallen, an dessen oberer Fläche sich drei Dühel-
löcher zur BelesLigung des gesondert gearheileten Beckens finden. Bei den
meisten Exem|)larcn sind die Ränder des Beckens abgeschlagen, was zur
Verkennung der Form^geluhrt hat; vgl. Fouilles d'Epidaurc Nr. 103. 'E^r)-
[XEpi? äp)(^atoXoYixr) 1894 S. 18.
46 CHft. BLINKENBEhÖ
Iiältnissen gestiftet sind, werden sie alle demselben Zweck ge-
dient haben. Man würde sie wol zunächst, weil sie in einem
Heiligtum standen , als Weihwasserbecken auffassen. Diese
Erklärung lässt sich aber angesichts der grossen Zahl der er-
haltenen Exemplare nicht aufrecht halten. Auch für die von
Asklepios im Traume gebotenen Abwaschungen können sie
nicht bestimmt gewesen sein, denn diese sollten x-jzb töc; .cpiva;
geschehen {Fouilles d'Epidaure Nr. 1, Z. 6 und 63). Es
bleibt somit nur übrig, sie als gewöhnliche Waschbecken zu
erklären, zum Gebrauch des im Mieron sich aufhaltenden Pu-
blicums. Dafür passt auch sehr gut die solide, etwas plumpe
Form, die bei heiligen Geräten weniger verständlich wäre
Die erwähnten Wasserbecken sind mit einem genügend be-
kannten Gerät vergleichbar, das in sehr vielen Vasenbildern
mit Toiletlenscenen ' vorkommt. Es scheint durch die Ver-
bindung zweier ursprünglich getrennter Teile entstanden zu
sein: eines flachen, wol metallenen Beckens und eines säulen-
artigen Untersatzes. Das Becken lose aufgesetzt kommt z. B.
Elite ceramograpilique I V Taf. 1 5 (=Blümner, Kunstgewerbe
II S. 127) vor^; der Untersatz hat z. B. auf der strengen rot-
figurigen Schale Gerhard A. V. Taf. "2 "2, 5 noch die Form
einer ionischen Säule. Nachdem die Verbindung der beiden
Elemente eingetreten ist, wird das Gerät allmählich einheit-
licher und harmonischer geformt, indem der Untersatz sich
nach unten mehr erbreitert •'. Die Vasenbilder zeigen das
< Viele Beispiele von Stephani, Compte-rendu pour 1865 S. 93 angeführt;
vgl. Hartwig, Griech. Meisterschalen S. 599.
2 Vgl. die Iliupersis des Polygnolos, Paus. 10, 26, 9: l~>'-^f,; x^ AaoStxr)
ünoataTT];T£ X^Öou xai XouxTJpiöv eotiv sjiI xö U/ioaTOCTT) yaXxoSv. Die früher öfters
(z. B. Visconti, Aluseu Pio-Clemenlino II Taf. 2) als Danaide aufgefasste
Statue stellt ein Mädchen dar, das ein Wasserbecken auf einem Untersatz
zureclit stellt um sich zu waschen. Die häutige Verwendung dieses Motivs
für Brunnenfiguren hat Ilclhig (Saniniiungen in Rom I S. 208) beleuchlet.
3 Diese in den jüngeren Vasenbildern (z. B. lilile cdramographiquc IV Taf.
75 und 78) sehr häufig vorkommende Form ist durch die unten angeführte
Nr. 13 vertreten.
EPIDAURISCHE WEIHGESCHENKE
17
Becken sowol im Freien < als im geschlossenen Räume aufge-
stellt, von Männern und Frauen, zum Waschen der Hände und
zum Abwaschen des ganzen Körpers benutzt. Blümner 2 ver-
gleicht es zutreffend mit den jetzigen Waschtischen.
Die Aufschriften befinden sich bei Nr. 1-12 und 14-19,
wie aus Fig. 1 1 hervorgeht, am oberen Teile des Untersatzes.'
Ich führe zunächst 13 in der Formulirung ziemlich genau
übereinstimmende Aufschriften an.
1. Oben Fig. 11 abgebildet. Buchstabenhöhe 0,03-0,03i
AP + I AO€
TEAE^A^
TeXeaa?.
2. Buchstabenhöhe 0,04-0,045.
EPKTPATO^
AA I K P A T I A A€
A^ K A A P I n I
'E7ci(TTpaT0<;,
AaixpaTtSa;
'AffjtXaTTicüt.
3. Buchstabenhöhe 0,04-0,05.
AAIKP/\ IAA€
EP I^T P ATO^
A^ K A A P I a I
Aaixpa[T]tSa<;,
ETvidTpaTO?
'AaxXaTCiöt.
4. Buchstabenhöhe 0,03-0,04.
EP O^
AAI lAA^
A€ K A A P I n I
'ETrftCTpax^og,
Aai[xpaT]iSa{
'Aax'K'f]!: 1(1)1.
< Gerhard A. V. Taf. U\, 4.
2 Das Kunslgewcrhe im Altcrlum II S. 128.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXUI.
18 CHlt. BLlNKENBERG
5. ASKL. S. 121, 3.
A A X A P H € Aax,cäcpyi?.
6. 'E<py:a£pt(; a.pyxio'koyiy.y) 1894 S. 18, 7.
€nKPATH€ Sü))tpocTyi?,
A A X A P H ^ Aayäpv);.
7. Buchstabenböhe 0,015-0,02.
O P K I ^ [A]6p-4i?,
TPATHNIAA^ [SlrpxTcoviSa;
E O E N [ivleÖev.
8. Nordisk tidsskrift for filologi, 3 raekke III S. 163, 1 .
AafjLOTreiOyi?,
KaX>.iK(Ji)v.
9. Buchstabenhöhe 0,02-0,0'25.
( "^ ! A O K A H € [4apL?]o)tXY5?,
M A X O € [Aaj^aayo?.
10. 'E(pY)[X£pl? ap/ato^oyiityi 189'5 S. 18, 6. Buchstabenböhe
0, 015-0,02.
T E A n N TeXwv
PEIOIAA^ rieieiXa;
ANE0HKATAN av£e-/)>tiTav.
11. Buchstabenböhe 0,025-0,035.
API^TOXO€ 'Apidxoxo;,
EPIKP^TH^ 'L:-ix.päTY)?.
ßPlDAUhlSCHE WElHGESCttENÜE 19
12. Fouilles cTEpidaiire S. 56, Nr. 117. Buchstabenhöhe
0,025-0,035.
AA/AOXAPH^ AafAO/apr,?,
TEI_^AMENO€ TeiTaasvo?.
13. Becken von der S. Iß. Anm. 3 erwähnten Form, aus
zwei Stücken grauschwarzen Steins gemacht. Den Fuss sah
ich 1896 im Hieron; vom oberen Teil ist etwas mehr als die
Hälfte erhalten (1896 beim Museum aufgestellt). Durchmesser
des Beckens 1,07™, Dicke bis 0,075, flöhe des Fusses 0,50.
Die rechts unvollständige Inschrift befindet sich auf dem
oberen, 0.04 breiten Rande des Beckens'; Buchstabenhöhe
0,022-0,03. Das Sigma ist unten unvollständig,
AYK AlOOi^API AujtaiOo;, 'Apt['7T0T6XY,<; oder ähnlich]
Es geht aus diesen Aufschriften zur Genüge hervor, dass
die betreffenden Waschbecken als Weihgeschenke dem Askle-
pios dargebracht sind, mag sein Name da stehen oder nicht.
Denn die Personennamen im Nominativ können nur als Sub-
jekt zu äveOri>c-/Tav (oder ävsOexav), das meistens nicht ge-
schrieben wurde, aufgefasst werden, und Weihungen, die
keinen Götternamen enthalten, sind an den Hauptgolt des Hei-
ligtums gerichtet; dieser war aber jedenfalls in der ersten
Hälfte des 4. Jahrhunderts noch Asklepios allein, während in
den folgenden Jahrhunderten das Hieron officiell (aber auch
nur officiell 2) Apollon und Asklepios gemeinsam gehörte. Die
häufige Verwendung der Formel führte dazu, dass überflüssige
Wörter (/.xi, 'Ai/.XotTr'.dJi, iveöixxv ) ausgelassen wurden^. Die
' in den Vasenbildern h;ii;t die Aussenseile des Beckens bisweilen eine
Aursclirift (z. B. AHMOSIA, Baiiincislcrs Denkmäler I Fig. 219), was im
Hieron nicht vorkommt und viellciclil nur malerisclie Freiheit ist.
2 Vgl. AsKL. S. 33 ir., wo diese Frage erörtert ist.
3 Vgl. die später gewöhnliche FornierAjroXXwvi 'Aa/.Xa;:twi (Askl. S. 33 IT.),
die neulich in dem athenischen 'Aa/.XrjKutx'Aaüvtoi ein genau entsprechendes
Seitenstück erhalten hat (Athen. Millh. 189G S. 294).
20
CHR. BLINKENBEUÖ
Aufschrift Nr. 1 z. B. sagte dem damaligen Publicum des
Heiligtums eben so viel als 'A^ylloc, )cal TeXe'ax? ' An/SkaiziCii otve-
Sie sagte aber bei aller Kürze gewiss noch mehr. Die in
den 12 Aufschriften (denen zweifellos auch Nr. 13 hinzuzufü-
gen ist) sländio; wiederkehrende Verbindung von zwei Man-
nernamen lässt sich nicht als Zufall betrachten. Es kommt
Fig. 12
hinzu, dass dieselbe Verbindung auch sonst unter ähnlichen
Verhältnissen auftritt. Ein Stein, dessen Form die Skizze Fig.
12 veranschaulicht ', trägt auf der Scbmalseite Ä die Auf-
schrift (Buchstabenhöhe 0,02-0,025):
T I M A N O H ^
AMO I AYTO^
ANEOETAN
'Au.<pi>.uTO(;
aveöexav.
Ferner sind hier anzuführen die zwei oben (S. 2-4 , Nr. 1 und 3)
abgedruckten Dedikationsinschriften der Spieltiscbe. Die grosse
Zahl dieser Weibungsformeln macht es meines Erachtens ganz
< Gesamtlänge 1,77, Breite 0,885, Dicke 0,22™. An der Obernäche drei
beckcnälinliclic Verliefiingcu; die niiltlerc, runde liat einen Durchmesser
von 0,745, eine Tiefe von 0,095; die beiden seitlichen sind 0,735 lang, 0,41
breit, 0,07 tief. Dies sonderbare Weihgeschenk dürfte vielleicht nach dem
oben Angeführten als drei in einem Stück vereinigte Waschbecken aufzu-
fassen sein. — Ein ähnlicher Stein (mit nur zwei ungefähr quadratischen
Vertiefungen) von 1,40 Länge, 0,83 Breite, 0,30 Dicke war, so weit ich sehen
konnte, ohne Inschrift.
EPIDAURISCHE WEIHGESCHENKE 21
unmöglich in den Dedikant en etwa Rruder- oder Freundes-
paare zu sehen. Wir haben es hier vielmehr mit einer ständigen
Sitte zu thun, die nur dann zu verstehen ist, wenn die Wei-
henden Mitglieder eines ständigen Collegiums waren. Was
das für ein CoUegium war, ersieht man aus den Aufschriften
zweier Wasserbecken von der gewöhnlichen, durch Nr. 1-12
vertretenen Form.
14. Buchstabenhöhe 0,02-0,03. Foailles cVEpidaure ^.
54, Nr. 103.
lAPoMMA/AoHE 'lapoavaaove
A A X A P H ^ Aa^xpr,?
KAEKOEMEY^ EXsiaeeveu;,
AAKPI^AA(J)EIAEY€ Axxpi? Aa^stSeu?
AHE0H KATAM äveO-zix.zTav.
15. Buchstabenhöhe etwa 0,025.
lAPOMMA/AoNE 'lapopaaovs
A A K P I € Aocxpt?
AA0EIAEY€ AacpsiSeu;,
A A X A P H ^ Aa^apri?
KAEI€0ENEY€ K^ei-reeveu;
AHE0HKATAM ocveÖ-^jczTav.
Es war also im 4. Jahrhundert eine wenigstens ziemlich regel-
mässige Sitte, dass die lliaromnamonen, wol beim Anfang
oder Ende ihrer Funktion, ein Weihgeschenk stifteten, und
zwar scheinen sie solche Stiftungen vorgezogen zu haben, die
dem Publicum des Heiligtums nützlich sein konnten, ohwol
Beispiele von Weihgeschenken gewöhnlicherer Art (Statuetten
und dergl.) auch nicht fehlen '. Die hier besprochenen \A'asch-
' Allerdings sind nur noch die Basen erhallen: Kavvadias, Fouilles d'lipi-
daure, Nr. 102. Bliukenbcrg, Nordisk lidsskriß for filolugi, N. H. X S. 273,
XX. Kavvadias, 'E!fri[xep'i; äp/aioXoyixT) 189'i 8. IS, 8.
22 CHR. BLINKENBERG
becken und Spieltische gehören in die Zeit der grossen Bau-
thäligkeit und sind nach der vorstehemlen Auseinandersetzung
als Zugaben seitens der Miaromnamonen zu den vom [leiligtum
officiell für die Bequemlichkeit der Gäste getroffenen Vorrich-
tungen aufzufassen K
Nur Nveni^e Wasserbecken sind unter anderen Umständen
geweiht; sie entstammen derselben Zeit wie die anderen, und
man ist wol berechtigt anzunehmen, dass die Dedikation von
der nachgewiesenen Sitte beeinflusst war. Ich führe die fol-
genden von mir notirten Aufschriften nur kurz an. Die Dedi-
kanten von Nr. 19 waren nach dem oben gesagten Hiaromna-
monen, die in diesem Falle ihre Weihung nur an einen andern
Gott gerichtet haben.
16. Buchstabenhöhe 0,027-0,03.
n P A T A < npaT[i]a?
A ^ K A A P I O I 'A'yKka.Tzm
lAPEY^EQM lapeuaewv 2
A N E O H K E äveÖnxe.
n. Buchstabenhöhe etwa 0,025.
T I M A P 1 € T A Tt|;.apt<jTa
A P T A M I T I 'ApxäaiTi
AEKATAN S
ejcaxav.
Die Inschrift ist schon C. I. G. 1172 veröffentlicht, wo die
erste Zeile auf Grund der Abschrift riMAPISTA vermutungs-
weise als navapiTTo. gelesen und in der zweiten 'Apräu-uTi ge-
schrieben ist.
' Vgl. ferner die von den Hiaroranamonen geweihte Sitzbank: Kavva-
dias, Fouilles d'Epidaure Nr. 259.
2 Eine Weihung beim Antritt des Priestertums findet sich aurh in einer
unveröfrenlliebleu Insclirift: 'Api^iap/o; 'EpyiXou (vgl. oben S. 4 Anni. ! )
jiapEÜ; Xa/u)v AaxXaTitüit [ xai 'AnoXXwvi äv£Oir)X£, wo Xa/^wv die erwünschte
Auskunft giebt.
EPIDAURISCHE WEIHGESCHENKE 23
18. Bruchstück, 0,51 hoch. Buchstabenhöhe 0,02-0,035.
A A M O A A AaijLÖAa
AAMATPI Aä{xaTpi.
19. Buchstabenhöhe 0,015-0,025.
€ ü 3E E N O ^
Sw^evog,
O 1 A P H €
©läpy);
A P O A A ^ N 1
'Atcö^Xwvi
Kopenhagen, September 1897.
»t* y "H
CHR. BLINKENBERG.
INSCHRIFTEN AUS ATHEN
1. Fragment aus weissem Marmor (18"" hoch, 15 breit), in
der Mitte gebrochen. Gefunden bei den Ausgrabungen am
Nordwestabhang des Areopags.
.EPEAI AOHNAI
ASiPOAl AA O ^
APOMETPA r
10
EPMHIEA/ YKEIO
O \X
i i i^e peü^y i a
ä ömhiisita ^emo
es:ebao A/ iom
O I S!/ E I PO
PY O Wz '70Y
ÜH Wt.
iJEpeai 'AOirivai-
a; rioXiocSo;
ocTTOfxeTpa
'EpjxTit il Auy.sio
Ol?
lepeöduva
eS]86[i.YU lOTap-EVO
i; eSSoji-aiov
Ol? XeiTuo-
yv(l){j!,(i)v
nuOaicr[Ta]i(; Ou-
wv . . .
INSCHRIFTEN AUS ATHEN 25
Offenbar haben wir es mit dem Fragment einesOpferkalen-
ders zu thun. Üie]Zahlen rechts und links von der erhaltenen
gehören zur ersten und dritten Columne. Da im Einzelnen
vieles dunkel bleiben wird, geben wir nur kurze Bemerkungen
zur VVorterklärung.
Z. 3. oi.-z6ij.eTpx. Dieses Wort ist nur noch zu belegen aus
der Inschrift C. I. A. IV, 1 S. 5 4 Nr. 555» (etwas älter als die
vorliegende Inschrift), wo es in ähnlichem Zusammenhange
steht (Z. 4. hciy.>. x7:6u.iTpx). Es muss einen bestimmten Teil
von den Opfergaben bedeuten, welcher der Priesterin, als ihr
Vorrecht, zugemessen wird.
Z. 7. UpscÖT'jva, nicht (spu'T'jva, wie das Corpus hat, steht
auch auf dem Stein C. I.A. II 610 Z. 6.
Z. 9. oU ).£t7T0Yva)a(i)v. Aristophanes von Byzanz bezeugt ^
dass in der attischen Kultsprache das Wort ^si-oyvcou.wv ange-
wendet sei, um ein Opfertier zu bezeichnen, welches den Milch-
zahn, den yvciacov, schon verloren hat, also ein ausgewachsenes.
Unser Stein bietet die erste urkundliche Bestätigung dieser
Überlieferung. Zur weiteren lexikographischen Litteratur über
das Wort vgl. Aristophanis Byz. fragmenta coli. Nauck S. 99.
Z. 11. zu n^jHxiaTrii vgl. G. I. A. IV, 2 11901' . nQOc .
2. Der Stein G. I.A. IV, 2 813 b trägtauf der Rückseite oben
die Inschrift:
I S
OONIAHNOIAErErO
TOYrENOY^EPII E
0£oli;
Öoviöüiv oio£ yeyo-
vÖTg; . . . . J Tou yevou; etvI [K]e ....
' Eustalh. ad Odyss. p. 1404 tin. Tä TeXsia eT:i nXei'artDv yEvwv xal xaTTjpTu-
xrfxa XetuoYvoJ[j.ova xaXeiTai oia xö (ATjxeTi e/Jiv oSovra; T0Ü5 YvtiifjLOvaj xaXouuLc'vou;,
ot's £7ciYivc6axouaiv 01 E[Ji7;£tpoi toüj Jtpwto6dXou5" ö 5£ xouto ypäij^aj "Apiato^ ävTjj X5'-
yEi xal 'AttixtJv xiva ow8dxr,oa OucaOai Xiyo^ivr^'j XeiTioyvaijjiova, oiov TsXsiav,
26 E. ZIEIURTH
darunter in grösseren, viel späteren Buchstaben
MHAE loYTOAEY
T E P O N
AM(t) I OAAH5:
0 I A I N O :S (() I A INOY
EVaNYMEY^
EP I M H A ElO Y
ANTITO YAM
0 I o A A oY s:
Nl KIASKAAAIMA
XOYA'OA'^'^T'
TcOOV
cptOa'Xou;
Ntx,ioc? KxXkiy.x-
Diese Inschrift ist erst eingehauen als von dem ursprüng-
lich mehr als doppelt so breiten Stein reciits (von der Vor-
derseite aus gerechnet) ein grosses Stück grade abgeschnitten
war, jedenfalls weil das schöne Marmorstück eine andere
Verwendung fand.
Die Datirung [iizl] MrSsto'j tö Ssuxspov bestätigt, was schon
HomoUe im Bull, de corr. hell. 17, 172 A. an dem Bei-
spiel des Archon Argeios nachwies, dass in späterer Zeit eine
Iteration des Archonten- Amts zulässig war. Dass speziell Aie-
deios dreimal Archon gewesen ist, war schon aus der Inschrift
C. I. A. III 1014 bekannt, über welche llomolle a. a. 0. zu
vergleichen ist. Das zweite Archontat des Medeios fällt nach
HomoUe etwa in das Jahr 80/79, nach Schöffer (bei Pauly-
VVissowa s. v. Archontes) in das Jahr 84/83 vor Chr. Ein
<I>0.ivo? <^'.X^vO'J E'jcovua^'j; ist Epliebe 6x1 'AttoDvoSwoo'j apyovTO?
(45/44 vor Chr.) C.I.A. II 481, also nicht mit dem unsrigen
identisch. Der Zweck der Inschrift scheint die Autzeichnung
der zur Vornahme gewisser kultlicher Handlungen für jedes
Jahr designirten r.xi^zq, äy.cpiOaXe^ zu sein ; im Behinderungs-
falle konnte an Stelle des designirten, avxt xoo äy.'piOaXoij;, ein
anderer eintreten. Man denkt dabei an die bekannte Stelle in
Plut. Thes. 22 (vgl. Eustath. ad II. XXII 495 p. 1283), nach
der am Pyanopsienfeste ein -nrai; äa^-.OaXr,; die elpeatcöv/) trug
INSCHRIFTEN AUS ATHEN 27
und sie an der Thür des Apollo-Tempels niederlegte, anderes
s. bei Pauly-Wissowa s. v.
Unter dieser Inschrift ist der Stein halb weggebrochen und
stark abgescheuert, aber man erkennt noch drei Zeilen in
kleineren Schriftzügen, als die vorhergehenden:
^AXOS: ^E I PA KaXXi1;j.a/o; A£tpa(Stü>Tn?)
AM(I) lOAAHS: äu-^iOaV;);
3. Oberes Stück einer auf beiden Seiten beschriebenen Stele
aus pentelischem Marmor mit Aetoma und Rand oben, ge-
funden auf der Akropolis im Jahre 1884, jetzt im National -
Museum. Breite 32'"", Höhe U^-", Dicke 16'"". Die Renntniss die-
ses Steines verdanke ich Herrn Dr A. Wilhelm, dem ich auch
sonst für die Einführung in das epigraphische Museum und
für seine Mithülfe beim Lesen von Inschriften in zahlreichen
Fällen, sowie für empfangene Belehrung zu Danke verpflichtet
bin. Der Stein bietet der Entzifferung ganz besondere Schwie-
rigkeiten, da er eingemauert gewesen ist und vielfach mit ei-
nem harten Mörtel überzogen war, auch die sichtbaren Buch-
staben durch Wasser stark gelitten haben. Erst durch Ent-
fernung des Mörtels gelang die Lesung der Buchstaben auf
dem Aetoma und vieler anderer. Auf meine Bitte hat auch
11. von Prott den Stein geprüft, und ihm verdanke ich die
Lesung der entscheidenden Zeilen a, 4 und 7.
(S. den Text auf S. 28. 29).
Auf der rechten Seite von a können bis zum Bande nur
wenige Buchstaben fehlen, wie die Überschrift und die Bück-
seite lehrt, welche dort beginnt. Z 8 ist fast bis zum Bande
erhalten. Es fehlen etwa 4 Buchstaben. Z. 1 hat nach Au<TtäS7);
wahrscheinlich noch das Demolikon iiestanden : v<rl. J. Penn-
dort", De scribis reipublicae At/unwnsnim S. II i. Danach
ist die Zeilenlänge auf über 70 Stellen zu veranschlagen. Die
Ergänzung wird erschwert durch die ungewöliuliclic Fassung
des Dekrets. Nach £(]/7i(pi<iO!xi Z. 5 fehlt Se, also ist eine Ab-
28
E. ZIEBARTH
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INSCHRIFTEN AUS ATHfiN §9
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30 E. ZIEBAHTH
weicliung von der Formel: Exaivsaai ij.ev - i<\in'^inf)xi. c^s (vgl.
Wilhelm, Hermes 24, 115) vorauszusetzen. Z. 8 habe ich
nicht entziffern können, die rechte Iliilfte liest man ziemlich
deutlich, die linke ist stark versintert.
ö. Z. \ vielleicht Bl£v]Si(pxv7)[(;. Rechts von der zweiten Co-
lumne sind Spuren von Gol. 'S Z. 5-12 zu erkennen, d zeigt
kleinere Buchstaben wie a. ist aber ebenfalls otoi/tiSov ge-
schrieben und stammt aus gleicher Zeit. Danach haben auf
der Rückseite mindestens vier, wahrscheinlich aber fünf Rei-
hen von Namen gestanden. Da nun die Höhe des Steins nach
seiner Dicke ( 16"" j zu schliessen nicht unbeträchtlich gewe-
sen sein wird, so können über hundert Namen auf der Rück-
seite üPslanden haben. Wir haben also das Fracment eines
Psephisma etwa aus dem Anfange des vierten Jahrhunderts
vor uns, durch welches einer grossen Zahl von Leuten, welche
ausschliesslich naoh ihrem Beruf bezeichnet werden, anschei-
nend das Bürgerrecht (Z. .^) verliehen wird.
Wer diese Leute waren und was für Verdienste sie sich
erworben halten, ist in Z. 4 und 7 ausgesprochen. Es sind
die Männer ögoi r7uvx.a-rv)A0ov änro (I>'jAr;; ' und die, welche zwar
nicht zu den Piiyle- Kämpfern gehörten (?;, cuvey-ic/ovTo Ss ty;[x
[y.y./r,v Tr,f;. Mov'.yia.rrt Sehen wir uns nun nach der litterarischen
Überlieferung um, welche diesem arg verstümmelten Fragment
zu Hülfe kommen muss. Über die Belohnung der Helden von
Phyle,der Befreier des Vaterlandes, ist die Haupistelle Aeschin.
III 187. 1 88, die ich ganz ausschreiben muss. 'Ev Toivuv tw Mti-
Tpcöoi Trapx tÖ ßo'jAE'jT'optov, 7]v sSoTs So)p£xv TOi<; y.7cö «I^uX-Oi; (psü-
yovxa tÖv Syjp.ov x.aTaYayoÜT'.v, s'jTiv irtav. -/^v i/iv yap 6 t6 (j/7)Cp'.iTa3t
Ypä<I/a; 7.7.1 v'./.r,r7a<; 'Apytvo; ö i/. KoiXy)^, £t; fcov x,aTaYay6vT(ov tov
Sv^aov, £'ypai|;6 Ss TupöiTOv (viv auTOt? £i? Ouaiav jcai ävaOy;[/.aTa oo'jvat
yaia; Spayp.z; (-/.xi toöt' scxtv i'XaTTOv r, hi^y. ^pay^a'. Kar' xvopa
e-ztaiTOv), sTcetra JteXeoEi CTSCpavoöcÖai Öa^Xoö 'JT£(p4:v(i) auxöJv e'/ca-
' Vgl. Acscliili. 111 l'Jü 0paaü6oüXov . . sva töjv auYxaTEXOo'vxiüv auTw «nö
*.Xr-,'.
tNSCHRIFTE>f AUS ATHEN 3l
(JTOV, (X.W Ol» j^pu'Jt}) . • y-OL'. ouSe TO'JTO i'.y.r, -pa;ai •/.i'Ke'JV., ä>X
anpiSwi; Tr,v ßouXr/V (T/ce^j/apLev/iv ocoi a'jxüiv £7:1 4>u>.-?) 67coXiopx.-/)0yi-
(jav, 0T£ Aax.sSai^a&vtoi xai ol Tpii/.ovxa -poTE^aXXov toi? x.aTaXa-
ooCci <I>'j)^r(V. "Oti 0 äXr,07i "kiybi, äva.yvcÖGcTat üaiv xö ']/7;'pi<5u.a.
^ricpKju.a TTspi Scopea? toi? (xtcö 4>'jXy5?- In dem Psephisma des
Arcliinos muss also wörtlich gestanden haben, einmal die
nicht ungewöhnliche Formel: Souvat Se a^Toi? eI? Övcriav xai
ava6y;t/.aTa J^i^iai; Spayaä?, zweitens : CT£<pavüi(jai Se £>caaTOv aü-
Tüiv ÖxaXoö GT£<pzvw, femei" noch, t-/;v Se [io'j).r,v Gy,i'lxnbx'. öao:
aüxöiv 6::t <I>uViq £-o>.'.op>'.7;07;'7av. Alles dies steht nicht auf dem
Stein, soweit er erhalten ist; trotzdem muss ein enger Zusam-
menhang zwischen jenem Psephisma und unserem Stein be-
stehen, ja es kann in ihm der Anfang des Psephisma des
Archinos thatsächlicli vorliegen. Denn die Phyle- Kämpfer
sind nur einmal belohnt worden, und die ersten beiden der
genannten Formeln pflegen gegen Schluss eines Dekrets zu
stehen, und auch die dritte braucht nicht am Anfange gesucht
zu werden. Betrachten wir unter dieser Voraussetzung den
Stein genauer. Verliehen wird den Helden von Phyle das
Bürgerrecht. Also hatten sie es vorher nicht, mindestens nicht
alle, in der That war vorauszusetzen und ist auch ausgespro-
chen (von Clerc, Les meteques S. 4 '29), dass unter den Ver-
bannten und speziell den ä^ö <J>u>.7i<; die Metöken in grosser
Zahl vertreten waren, da sich gegen sie die Verfolgung der
Dreissig ganz besonders gerichtet hatte, und da überhaupt
Handel und Gewerbe seit der Einnahme des Piräus tiurch
Lysander ganz darniederlagen. Dazu stimmen die teilweise
recht fremd üindischtMi NauKMi auf der Bückseite des Steins.
Neben den Phyhi- Kämpfern ist aber auch von den Munichia-
Kämpfern die Bede (Z. 7). Wir lernen also, dass das Dekret
des Archinos nicht ausschliesslich den Phyle- Siegern galt,
sondern überhaupt den Bellern des Vaterlandes in dem gros-
sen Jahre iüS. Aiscliines ermähnt dies nicht, weil er das De-
kret nur zu einem bestimmten Zwecke heranzieht, nicht seinen
ganzen Inhalt bespricht. Die Munichia- Kämpfer erscheinen
von den anderen getrennt, werden also auch eine andere Be-
32 K. ZIERAKTH
lohnnng erhalten haben. Und wirklich ist hei Xenophon,
Hellen. II 4, 25, wo von den Ereignissen gleich nach der
Schlacht bei Munichia erzählt wird, iiherliefert. dass denen,
welche erst in Munichia zu der Schaar des Thrasybul stiessen,
wenn sie Fremde waren, die Isotelie versjDrochen wurde. Da-
nach vermute ich in Z. W. etwa: evat ^s aÜTOt? laozilnx^] >ta-
öicTirep 'AOrivaioii;.
Leider ist es mir im Übrigen nicht gelungen, diese wertvolle
historische Urkunde weiter zu eroänzen. Nur der Archon lässt
sich noch ermitteln. Die Friedensverhandlungen und die end-
gültige Neuordnung der Verhältnisse zogen sich zwei Jahre
hin, erst im Jahre 4 01/0 kam die Verständigung Tirpö? toui; h
'EXeuctvt £i^oi)tri<javTa; zu Stande iizi Sevatvexo-j ap;;(^ovTO? (AristOt.
Hol. 'AOtiv. 40, 4). Derselbe Archon muss auch über unserem
Psephisma gestanden haben , da der Name keines anderen
Archon dieser Jahre auf -o? endigt.
Die historische f^edeutung der neuen Urkunde kann hier
nur angedeutet werden. Archinos hatte schon einmal Gelegen-
heit gehabt, sich mit der Belohnung der Befreier des Vater-
landes zu befassen, gleich im Jahre 403. Damals hatte Thra-
sybul für sie alle in Bausch und Bogen, die ex. Ilstpaie'dx;,
die Verleihung des Bürgerrechts beantragt. Archinos aber, der
in der Vermehrung der Bürgerschaft um solche Elemente, wv
evioi ^avspöi^ TiTotv SouXoi (Aristoteles), nur den Keim neuer Un-
ruhen für den Staat sah, war es gelungen, durch eine Klage
xapav6[X(i)v das Zustandekommen dieses Psephisma zu vereiteln
(Ariatot. lloX. 'AO. 40, ?. Aeschin. III '95), wodurch z. B. der
Redner Lysias hart getrolTen wurde, der nun trotz der grossen
Opfer, die er im Kriege gebracht hatte, nur Isotele blieb (IMut.
Vit. orat. S. ii'M)/'). OtTenbar war es hierbei nicht die Absicht
des Archinos, jede Belohnung zu hintertreiben, sondern er
wollte nur eine passende Abstufung je nach Verdienst eintre-
ten lassen. Denn es war allerdings ein grosser Unterschied,
ob Jemand wirklich zu der ersten kleinen Schaar gehört hatte,
die mit Thrasybul von Theben kam, den Handstreich gegen
Phyle wagte und dort von den Truppen der Dreissig belagert
INSCHRIFTEN AUS ATHEN 33
wurde, oder ob er zu denen gehörte, die unmittelbar nach
dem Abzug der Üreissig von Phyle sich einstellten (Xenoph.
Hell. II 4, 5 'ifi^-n duvsiXeYp.e'votJv ei? t-^v <I>u>.y)v Trspi iTTTaxodio-j; und
kurz darauf § 10 Xaßwv 6 0pa<ju€o'jXo; tou? x-kq 'P'Ar^t;, zeci
y^ikioui -/iSy) ^'jveiXeypLEvoui), oder ob er endlich erst in Munichia
auf die direkte Versprechung der Isotelie hin dem siegreichen
Zuge sich anschloss. Man wird also zur Feststellung dieser
Verhältnisse, die gewiss nicht so einfach war, weil Listen
schwerlich geführt waren, eine Untersuchung angestellt haben,
und so kam es zwei Jahre später zu dem endgültigen Be-
schlüsse, für den eben die genauen Unterscheidungen unter
den zu Belohnenden charakteristisch gewesen zu sein scheinen.
Es bleibt noch die Frage zu entscheiden, wer auf der Rück-
seite verzeichnet stand. Waren es alle die in dem Psephisma
Belohnten, also sowohl die neuen Bürger wie die neuen Iso-
telen ? Nach Aischines durchaus glaubwürdiger Angabe be-
trug die Zahl der x-ko <I>uXy5<; über hundert, während die sonsti-
gen Angaben zwischen 30 und 70 schwanken. Oben haben
wir berechnet, dass auch auf dem Stein für mehr als hundert
Namen Platz gewesen ist, und die Zahl ist mit Aischines
ganz in Übereinstimmung wenn wir annehmen, dass die fünf
Columnen nicht die ganze Rückseite füllten, also etwa je 25-30
Namen enthielten. Die Zahl der mit der Isotelie Beschenkten
dagegen wird eine sehr grosse gewesen sein, die nicht mehr
auf dem Steine Platz findet. Die Wahrscheinlichkeit spricht
also dafür, dass die ganz oder teilweise erhaltenen 19 Namen
den Helden von IMiyle angehören'.
Zur Einzelerklärung sind noch einige Bemerkungen nötig.
ö.Z.\. Die Abkürzung rEQP findet sich schon C.l.A. IV, 2
773 '^ Z. 22 (FEinP), von J. Simon, Abkürzungen auf griech.
Inschriften, Zeitschrift für die Österreich. Gymnasien 1891,
' Aus der liltcrarisclien Überlieferung können wir, soweit ich sehe, ausser
den Führern der Schaar, den beiden Thrasylnilen und dem Archinos, nur
den Ergükles namhaft machen, gegen den Lysias Hede 28 gerichtet ist. Er
war Stratege gewesen und ein angesehener Mann , wie viele andere unter
ihnen (vgl. Lysias 13, 62).
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXHI. 3
34 E. ZIEBARTÜ
673 tY., noch nicht berücksichtiirt, vgl. 768c Z. 19 FEQPro.
Z. 4. Zu öp£(i>;c(6ao;) vergleiche die Abkürzungen in der eben
citirten Inschrift Col. 11,15 OPEÜKO und ^ Gol. 1,5 OPEQ.
Z. 7. övo5c6(-o?) war bisher nur bekannt aus dem Fragment
des Alexis (Frg. 13 K.) bei Pollux7, 19 xöv Se vOv j^.u'Xo/cötcov
ovoJtOTTOv ^AXe^i; 6ip7)>t£v ev 'AjxcpcjJTtSi'
TOiV TOU; ä^ETWVa; TCJVOS X,07Ct6vT{OV OVO'J?.
Die Deutuno; Bhimners, Technoloii;ie I, 31 auf ein Instrument
zum Schälten des Mühlsteins ist nunmehr abzulehnen. Zwei-
felhaft kann nur sein, ob es einen lieruf bezeichnet, der nach
ovo;, Esel, benannt ist* oder nach ovo;, Mühlstein, wie Meineke
erklärte eoriim uniis qui molares istos lapides caedunt.
Wahrscheinlich ist das Letztere, so das der övo/cotco; zu den
Steinarbeitern zählt.
Z. 8. Zu dem Anfang EAAIOF habe ich das richtige
Wort nicht gefunden. Man könnte an £>^aio7r(wX-o?) denken,
doch ist das F durchaus sicher.
Z. 10. Das O am Schlüsse ist nicht ganz sicher, es scheint
aber ein runder Buchstabe dazustehen.
Col. II Z. 9. Der äy3t'X(;.(aTOTCoi6;) KcüCk\.v.c, ist, soviel ich sehe,
unbekannt.
4. Fragment einer Herme aus weissem Marmor (wie C.I.A.
III 1095. 1096. 1133), jetzt im National- Museum, Fundort
unbekannt. Vorderseite und linke Seitentläche erhalten, 57""
hoch, 21'"" breit.
a.
I N N
(t)ANEIKOZTPATo2
0 lAoAEi:noToZA0P
4)|Ä0YMEN02Br2MIAN
AnoÄÄQNlOZBAASTo
5 A B A Z K A N T O Z 0EO TEN
^ Vgl. die Erklärung von Stephanus: qui asinariam molam vel Sror im-
pellit et agilal.
INSCHRIFTEN AUS ATHEN 35
EY(})PANTIAH2EniTYI
A^EiANAP02AEI(t)lA
ZTE^ANOZONHZIMO
EYTToPoZhPAKÄElAoYS
10 4)1 AOMO^ ZOSEYTYXIAOY
HPAKAEIToZ AYnUooZE
ZTPATaNATToAAQNIoY
KAE^NMHTPoAnPoYN'K
AAKIBIAAHZEYTYXOYOPEF
15 AIOA AHZ ATToA Ahn lo Y M A
ArAGoTToYsAAMYPoYEYTTA
KAAAinnoZOKAIMoYlATH
PoAinnoznPAIITEAoYZETTAr
ATTIKOSZnzIKAEoYZZEiZT
20 ETTIKTASZQSIMOYAIONYZIO
5:YM(t)EPaN lAoNIKoYHZY)
- II / 2 I 4) / OIAOZEPATT
OZSßZIK vEoYZEYÜO
ZiinYloYOAAAoZ
25 A0 SZnsiMoYAGHNA
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<I>tXoup.ev6<; BwpiKxv
'ATToXXtövio; BXaaxo
5 'A€a(7>CaVT0? 0£OT£t[[XOu]
EucppavTiöYi; 'E7VtTUY[yav . . .]
'AXe^avSpo; A£i^i)^[ou]
STEcpavo; 'OvTiaifJLOu
Euxopo<; 'Hpay.>.£tSou S
10 <I>t>.6^aouGO{ Eüxuj^tSou
'HpOt)C>.£lTO? ['HjS'JTTVOO; 'E
STpdtTCOV 'A7ro)^X(oviou
KXewv MyirpoScöpo'j Ni)c
'A^K'-SikSyii; Eutu^ou 0p£7Tr[T6(;]
15 AKixkrii 'AtcoAXcoviou Ma
'AyaOÖTCoui; Aap-upou EuTra
KxXKnzTZOi; 6 5tai Mo<|'iaTri[(;J
'PoStTCTCOc Opa^tTE^ou? 'Euay
'Attix.ö? S(i)ai)t>.£Ou<; Se^gt
20 'ETTiJtTa? Zwct^ao'j A',ovu(Tio[(;]
XuL/.(p£p(ov <lH)^ovix,ou 'Htu)^
'E7uä[YaOo](; i0/ $i>>0(T£pa7c[i(;]
o; Süxjik'Xsou? EÜ7ro[p..]
ZwTuupou ©aXXoc
25 ? Zwciaou 'Aöy)va
; EuTC6po[u] A6Ü)tt7c[7rO?]
5. Fragment einer älinliclien Liste aus etwas älterer Zeit,
ebenfalls im National- Museum.
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Athen.
INSCHHIFTEN AUS ATHEN 37
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MHTPoAr^Po^AloNYZ
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PAAINOZ
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Ni)t]o)tpäTr;
Nixepw«; 'A(pOov5t
Zwcrty-icov Aviy.rjTpiou
5 ZcÖTTupo; Xpnni^.ou
Toyv/.bi Xpricifj-ou
MviTpoScopo? Aiovua[iou]
Ko(j[jt,t(i)v 'PaSivoö
'PaSivö?
10 'AXe^avSpo? IIü)X>.[i(ovo<;]
EjüxpxTCsXo? 'A<ppoS[tciou]
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ERICH ZIEBARTH.
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VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI
(Hierzu Tafel VI)
Bei der bis jetzt so geringen Anzahl von Gefässen und Scher-
ben, die sicher in Kleinasien gefunden sind, gewinnt jedes
hinzukommende Stück eine besondere Bedeutung. Rann es
uns doch die Möglichkeit geben, eines der zahlreichen Gefässe
oder eine ganze Gattung von solchen , die man ihrem Stile
nach in das kunstgebiet des griechischen Ostens setzen darf,
an einem bestimmten Orte festzulegen.
Die aufTaf. 6 in Originalgrösse abgebildeten Scherben wur-
den im Gebiet des alten Klazomenai gefunden und von Herrn
Misthos in Smyrna erworben. Aus seinem Besitz kam die
grössere Scherbe (Nr. 1) in das Nationalmuseum zu Athen
(Inv. 5610). Die Erlaubniss zu ihrer VerötYentlichung ver-
danke ich der Freundlichkeit des Herrn [)r. Stais. Die klei-
nere Scherbe (Nr. '2) blieb im Besitz der Wittwe Misthos.
Der Abbildung liegt eine vor längerer Zeit genommene Photo-
graphie des Herrn Dr. Ileberdey zu Grunde; das Original
selbst ist augenblicklich nicht zugänglich und mir aus eigener
Anschauung nicht bekannt.
Unsere Betrachtung muss also von dem ersten Fragment
ausgehen. Der Thon ist fein, im F^ruch und auf der Innen-
seite lederfarben, die äussere Oberlläche ist graubraun. Der
nicht sehr glänzende Firniss ist dunkelbraun, wo er dünn auf-
getragen, olivfarben, an manchen Stellen ist er rotbraun ge-
worden.
Nicht unwichtig ist es, sich zu vergegenwärtigen, wie der
Maler verfuhr. Er legte zunächst den Rumpf der Figuren, das
Haupthaar samt der Mütze des stehenden Mannes, den Thron
und das vordere Pferd mit dunkelbrauner Firnissfarbe an.
Dann malte er die Gesichter, die Arme, das Gerät in der
VI
A. RHO.MAIDES, ATHEN.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 39
Hand des Stehenden, den Thron und das zweite Pferd mit
Weiss. Dieses ist abgesehen vom Throne und den Teilen der
Arme, die sich von dem Körper abheben, unmittelbar auf den
Thongrund gesetzt.
Mit dünnem Firniss wurden dann die Umrisse und die
Innenzeichnung der weissen Teile, mit dunklerem die Barte
und das Attribut in der linken Hand des stehenden Mannes
gemalt. Am Throne, an Nase und Mund des Sitzenden und an
Brust und Bein des Pferdes fehlen die Firnissumrisse. Dass
diese sonst erst nach dem Auftrag des Weiss gezogen wurden,
geht daraus hervor, dass das Weiss bisweilen über die Um-
risse hinausgreift ohne sie zu decken.
Weiter wurde bei den mit Firniss aufgesetzten Teilen die
Innenzeichnung und fast durchgehend auch der Kontur ge-
ritzt, auch der linke Fuss des Thrones ist umrissen. Die Bitz-
linie am Kontur des Mantels der sitzenden Frau nimmt deut-
lich auf die schon vorhandene linke Hand Bücksicht, eine
Faltenlinie greift in das Weiss der Armlehne über. Ebenso sind
die Linien an Brust und Bein des Pferdes und am linken Fusse
des Thrones deutlich in das schon vorhandene Weiss geritzt.
Nur an der Brust der Frau ist die Bitzlinie durch das Weiss
der erhobenen Hand gedeckt, der Maler hat also nachträs-lich
die Linie noch einmal überfahren.
Erst nach den Bilzlinien ist das stets auf den Firniss ge-
setzte Violelt aufgetragen, denn es nimmt deutlich auf sie Bück-
sicht. Die vorletzte Faltenlinie unten am Mantel des stehenden
Mannes ist durch das Bot gedeckt, an einigen Stellen greift
das Bot auf das Weiss über.
Zuletzt wurden die weissen Kreuze auf den Gewändern, die
Punkte u. s. w., auch die Zähne des ersten Pferdes gemalt.
Wenn wir so sehen, dass nach dem Auftrag von Weiss wie-
der mit Firniss gemalt wurde, dass die rote Deckfarbe durchaus,
die weisse teilweise auch nach der Gravirung aufgesetzt
wurde, so kommen wir zu dem Schluss, dass alle diese \'or-
gänge ungefähr zu derselben Zeit d. h. V(>r dem (Iclinitiven
Brennen staltfanden.
40 R- ZAHN
Die Scherbe zeigt ein ausgespartes Bildfeld; über ihm, durch
zwei Firnisstreifen getrennt, den Rest einer anderen Darstel-
lung.Deren Ebene stösst in stumpfem Winkel an die Ebene des
unteren Bildfeldes. Das Gefass war also eine llydria.
Auf einem Throne, dessen Sitz durch eine schwarz gemalte
Sphinx mit weissem Streifen am Flügel gestützt w'ird, sitzen
nach links gewandt ein bärtiger Mann und eine Frau. Das Auge
des Mannes ist, wie bei den anderen Personen, länglich ge-
bildet. Er trägt einen kleinen Schnurrbart, der wie aus der
Nase herauswachsend gezeichnet ist, und einen V^ollbart, der
eigentümlich in die Wange hinein vorspringt. Bekleidet ist
er mit einem langen [schwarzen Chiton, der nur unten zum
Vorschein kommt, und einem Mantel, der mit Ausnahme des
die linke Schulter und den Oberarm bedeckenden Teiles rot
gemalt ist. Beide Kleidungsstücke sind mit weissen Sternchen
verziert. Um den Hals hat er ein Band. Die Frau zu seiner
Rechten trägt ein rotes Gewand mit weissen Sternchen — es
soll wol auch der Mantel sein — ein Halsband, einen runden
Ohrring mit eingezeichnetem Kreuz und eine weisse Binde
im Haar. Die Haltung der Hände beider Figuren deutet auf
heftige Gemütsbewegung.
Vor den Sitzenden steht ein bärtiger Mann. Sein Schnurr-
bart ist wie bei dem andern Manne gezeichnet, am Vollbart
ist der Firniss teilweise abgesprungen; er hatte offenbar
auch die erwähnte charakteristische Form. Mit der linken
Hand fasst dieser Mann ein Rerykeion, mit der rechten hält
er den Sitzenden ein Thymiaterion vor. Noch kräftiger als
bei den anderen Figuren spricht sich seine Erregung durch
die plötzliche Wendung des Kopfes aus. Seine Tracht besteht in
einem schwarzen Chiton mit kurzen Ärmeln und einem roten
Mantel. Der Chiton war auch mit weissen Sternchen ge-
schmückt; der Ärm(3l ist geknöpft zu denken, er lässt das weisse
Fleisch an einigen Stellen durchschauend Der Mantel ist un-
' Vgl. die Zeichnung der Annel auf den Scherben Jahrbuch 1895 S. 41
Fig. 4. 44 Fig. 7; Anlüge Dcnknuäier II Taf. 21, 1.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 41
ter der rechten Achsel nach vorn gezogen und über die linke
Schulter zurückgeworfen. Um den Hals trägt auch dieser Mann
ein Band, auf dem Kopfe eine anliegende rote Mütze, die oben
in einen Knopf mit weissem Punkte endigt, am Rande durch
ein gravirtes Band mit weissen Punkten verziert ist^
Hinter dem Manne kommen zwei Pferde heran : von beiden
ist nur der vordere Teil des Kopfes, des Halses und der Brust
und je ein erhobenes Vorderbein erhalten. Charakteristisch ist
die starke Bildung des Halses und der Brust. Das erste Pferd ist
schwarz gemalt, nur an seinem Halse ist ein roter Fleck. Seine
Schnauze ist stark gegen den Hals zurückgezogen. Die Zähne
sind weiss gemalt. Die Innenzeicimung ist gravirt. Wie bei
den anderen Pferden, auf die wir noch zu sprechen kommen
werden, sind die Hautfalten oben am Halse und am Maule
und die Muskellinie unter dem Auge mit Sorgfalt angegeben.
Der Zügel, an dem ein viereckiges Blättchen als Schmuck sitzt,
ist gravirt. Das Zaumzeug ist durch weisse Punkte ange-
geben, der grösste, in dem die drei Reihen zusammentreffen,
ist mit einem geritzten Kreis umgeben. Diese Punkte sind
jedenfalls als Metallverzierung der Riemen zu verstehen ^.
Um den Hals trägt das Tier ein gravirtes Band mit weissen
Punkten und Anhängseln. Merkwürdiger Weise sind auch längs
der eingeritzten Begrenzungslinie des Brustmuskels weisse
Punkte aufgemalt. Quer über die Brust verlaufen drei Ritz-
linien, die sich vorn in einem spitzen Winkel trelTen und die
Muskellinie sowol wie das Gehänge schneiden. Der rote Fleck
an dem Schnittpunkt der Linien ist wol nur zuiTällig. Auf
ihre Bedeutung werden wir später zurückkommen.
Das zweite Pferd ist weiss. Die Riemen des Zaumzeuges sind
mit verdünntem, die Punkte darauf mit dunklerem Firniss ge-
malt. Fs wirft den Kopf ungestüm in die Höhe.
Von der Darstellung auf der Schulter unseres Gefässes hat
' Vgl. die Mütze des Perseus auf der Scliüssel von .'igiiia, Arch. Zeitung
1882 Taf. 9.
2 Vgl. Pernice, Griechisches Pferdegeschirr 8. 30.
42 R. ZAHN
diese Scherbe nur einen geringen Rest erhalten. Ich erkenne
rechts zwei auf den Boden gesetzte menschliche Füsse, schwarz
gemalt und mit liitzlinien umzogen, links den Rest des Ge-
sässes, ebenfalls schwarz, und das Ende eines Köchers. Dieser
ist rot gemalt und hat rechts eine durch Rilzlinien umgrenzte
schwarze Leiste mit weissen Punkten. Es war also ein gefal-
lener Schütze dargestellt.
Das zweite Fragment , das auch in Klazomenai gefunden
wurde, stammt offenbar von der Schulter einer Hydria. Man
erkennt selbst in der Photographie die Bruchstelle des Halses,
das ihn umgebende Stabornament ist erhallen. Die Scherbe
zeigt völlige Übereinstimmung in Stil und Technik mit derso-
eben besprochenen. Ich verdanke nähere Angaben der Freund-
lichkeit des Herrn Dr. Böhlau , der vor dem Original no-
tirte: 'Der Thon hat eine graurote Farbe; das Weiss ist auf
den Thongrund aufgesetzt, wie sich an Arm und Pferd fest-
stellen lässt. Helm, Schild, Wagen, Teile des Pferdes sind
violettrot'. Da nun die Kreislinie unter der Darstellung in ihrem
o
Verlauf zu der entsprechenden des ersten Fragmentes passt, so
können wir mit grosser Wahrscheinlichkeit behaupten, dass
beide Stücke demselben Gefäss angehören'.
Wir sehen ein Zweigespann in vollem Lauf nach links ja-
gen. Die Mähne der Pferde weht kräftig zurück. Das vordere,
schwarze Pferd hat den Kopf geradeaus gerichtet, das hintere,
weisse, wirft ihn zurück in die Höhe. Innenzeichnung und
zum Teil auch der Kontur sind bei dem ersten gravi rt, bei
dem zweiten mit hellem Firniss aufgemalt. Man beachte die
Angabe der Härchen über den Hufen. Das schwarze Pferd
trägt einen breiten Gurt um den Hals, an dem es den Wagen
zieht. Er ist mit Ritzlinien umgeben und weiss gefüllt. Unter-
halb des Gurtes trägt es denselben Schmuck, wie das Pferd
des Bauchbildes. Der Wagenstuhl, rot und am Rande mit
' Mail crwarlcl allerdings unten an diesem Fiagnicnl einen Rest der
zweiten Kreislinie, allein in der IMiotuf^iapliie sieht ilie Ülieilläelie des Tho
nes an dieser Slelle ziemlich weiss aus, sie scheint im Original nicht mehr
intakt zu sein.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 43
der beliebten Reihe weisser Punkte geschmückt, hat oben
einen Ring, an dem die Zügel festgebunden werden konnten.
Das sechsspeichige Rad ist aus freier Hand gemalt und wie
der Wagenstuhl mit Ritzlinien umzogen. Auf dem nach oben
gebogenen Ende der Deichsel sitzt ein dem Wagen zugekehrter
Greifenkopf K
Der Lenker des Gespannes ist ein bärtiger Krieger, der ebenso
gezeichnet ist wie die Figuren der anderen Scherbe. Er trägt
einen Helm, dessen Busch über das Stabornament hinaus auf
den flals der Hydria übergegriffen haben muss ; mit der
Rechten hält er zwei Zügel, mit der Linken den Schild mit
Schilddecke, den Speer, dessen Spitze mit einer gewissen Sorg-
falt angegeben ist, und das andere Zügelpaar. Die Konturen des
Helmes, des Schildes und seiner Decke sind geritzt, der Schild-
kreis ist aus freier Hand gezogen. Von dem roten Grunde des
Schildes hebt sich ein weisses Gorgoneion ab. Auch bei ihm
sind Innenzeichnung und Umrisse, wie es scheint, mit heller
Firnissfarbe gemalt. Wollten wir uns den Krieger auf dem
Wagen stehend denken, so wäre vielleicht tür seine Beine kein
genügender Raum vorhanden. Er ist wol vielmehr im Be-
griff, auf den Wagen zu springen. Ein Rest des noch auf dem
Boden stehenden Beines ist unterhalb der Schilddecke erhalten,
man erkennt auch zwei mit verdünntem Firniss gezeichnete
Muskellinien. Dass der Krieger auf das in vollem Lauf befind-
liche Gespann steigt, hat nichts Au Hallendes'. Die Kompo-
sition ist den Darstellungen von Apobaten entlehnt, wie sie
uns der neue klazomenische Sarkophag in London zeigt [Mo-
numents Piot IV Taf. ö).
Links unter den Pferden bemerkt man einige gerade Li-
nien, vielleicht Speere von Gefallenen, über die das Gespann
dahinjagt.
Es erübrigt noch einen für die Deutung besonders wichtigen
Rest zu betrachten. Man bemerkt unter dem Wairenstuhl hin-
' Vgl. übor diesen Rcliinuck weiter unten.
2 Aucli in spälerer Zeit ivonnnt das nocli vor: Museo Ihrbonko VIII Tai'.
14. Friedericlis -Wolters Nr. 1997.
44 R. ZAHN
ter dem Rade einen länglichen weissen Fleck mit einigen dun-
keln Linien, der sich bei näherem Zusehen als ein ßein mit
nach unten gerichtetem Fusse herausstellt. Wir haben es also
mit einer Darstellung der Schleifung Heklors zu thun, und
zwar der ältesten und der ersten aus dem Gebiete der jonischen
Kunst. Vergleichen wir sie mit den zuletzt von A. Schneider,
Der troische Sagenkreis S. 27 ff. zusammengestellten attischen
Bildern, so ergeben sich wesentliche Unterschiede. Wie auf
jonischen Bildern überhaupt, wird der Wagen nur von zwei
Pferden gezogen. Achilleus lenkt ihn selbst, während er auf
den attischen Bildern neben seinem Lenker steht oder neben
dem Wagen einher eilt. Hektor muss hier das Gesicht nach unten
gekehrt haben, dort liegt er auf dem Rücken. Aus dem unter
der Darstelluno; erhaltenen Streifen können wir den Durch-
messer des Schulterkreises auf rund 20.5™ bestimmen. Wie
wir von anderen Hydrien wissen, nimmt das Schulterbild
gewöhnlich nicht ganz zwei Fünftel der den Hals umgebenden
Zone ein. Es ist uns also nur ein kleines Stück des Ganzen
erhalten. Aus dem Rest oben auf Fragment 1 sehen wir, dass
hinter^ dem Gespann des Achilleus eine Rampfscene folgte.
Wir werden mit grosser Wahrscheinlichkeit über dem ge-
fallenen Schützen zwei sich bekämpfende Krieger anzunehmen
haben. Der Gefallene muss nach den vorhandenen Resten
etwas kleiner gebildet gewesen sein als die anderen Figuren.
Eine Analogie dazu liefert uns die Amphora mit jonischen
Inschriften bei Gerhard, Auserlesene Vasenbilder 111 Taf.
205, 3. Das Schulterbild griff über das Bildfeld |des Bauches
an beiden Seiten etwas hinaus.
Die attischen Bilder zeigen gewöhnlich hinter dem Wagen
den Grabhügel des Patroklos, um den Hektor geschleift wird.
Dass wir in der weissen Stelle rechts unten auf unserer Scherbe
auch den Rest desTymbos erkennen dürfen, ist mir unwahr-
scheinlich, denn der Körper des Hektor und das Bein des
' Das Gespann reclits von den Resten auf Fragment \ anzusetzen geht
darum nicht, weil das Sclmllcrbild dann zu weil über das Bildfeld des Bau-
ches hinausgreifen würde.
Vasenscherben aus klazomenaI ib
Achilleus hätten sich von dem weissen Grabmal nicht genügend
abgehoben. Für den Fall, dass man den weissen Fleck nicht
als zufällig, etwa als Versinterung ansehen will, möchte ich
vorschlagen, ihn als Rest des Gesässes und des Oberschenkels
von Hektor zu betrachten. Dem Maler hätten dann Bilder des
in sein Schwert gefallenen Aias vorgeschwebt (vgl. Longpe-
rier, Muse'e Napoleon III Taf. 66). Diese für einen Geschleif-
ten so unnatürliche Stellung hätte der Maler wol deshalb ge-
wählt, weil er bei einem ganz ausgestreckt auf dem Bauche
Liegenden mit der Zeichnung des Gesichtes und der Arme in
Verlegenheit gekommen wäre. [)\q, Rückenlage wiederum, die
auf attischen Darstellungen die übliche ist. hat er vermieden,
weil bei ihr die Zeichnung der unten am Wagenstuhl ange-
bundenen Füsse Schwierigkeiten machte. Ausserdem würde
jene Stellung noch den Vorteil bieten, dass der leere Raum
über dem Leichnam etwas verkleinert wird. Er war vielleicht
durch ein Eidolon oder einen fliegenden Vogel gefüllt.
Wir dürfen annehmen, dass das Gespann die Mitte des
Schulterbildes einnahm. Dann bleibt rechts von ihm gerade
für ein Kämpferpaar Raum übrig. Wie wir die Komposition
nach links hin vervollständigen sollen, lässt sich natürlich
nicht mehr sagen. Es ist reichlich Raum für zwei Figuren
vorhanden. Dass hier der Tymbos war, ist nicht glaublich.
Hätte der Maler ihn für nötig gehalten, so hätte er ihn wol
hinter dem Wagen angebracht. Auf die Reste unter den Pfer-
den, die auf einen Gefallenen schliessen lassen, wurde schon
hingewiesen.
Der Maler hat sich genau an die Schilderung des Epos ge-
halten. Er gibt uns die Scene wieder, wie Achilleus, selbst sein
Gespann lenkend, den Leichnam Rektors von dem Schlacht-
felde wegsclileift. Die Bilder, die uns die spätere Schleifung
um den Grabhügel des Patroklos zeigen, verraten dadurch,
dass sie Achilleus meist neben seinem Wagen herlaufen las-
sen, und durch die Zusatzfiguren (vgl. A.Schneider a. a. O.
S. 27 ff.) weniger Klarheit und weniger Anlehnung an das
Epos Sie haben eben das beliebte fertige Schema eines eilenden
46 I\. ZAHN
Gespannes mit laufenden Kriegern daneben', durch Hinzu-
fügunji eines Grabhügels und der Leiche Ilektors individualisirt.
Versuchen wir nun auch für die erste Scherbe eine Deutung
zu finden. Zunächst wird man bei dem Paare auf dem Throne
an Götter denken. Dagegen spricht aber eine kleine Beobach-
tung. Bei der Frau wie bei dem stehenden Manne fallen die
Haare als Locken in die Stirne. Der sitzende Mann hat keine
Locken, seine Stirne ist ziemlich hoch. Ich glaube, der Maler
AvoUte bei ihm das Schwinden der Haare zum Ausdruck brin-
gen. Ist dies richtig, so haben wir es mit einem Sterblichen,
nicht mit einem Gotte zu thun^. Es ist demnach ein Herr-
scherpaar, das auf dem Throne sitzt, der stehende Mann vor
ihm seiner Tracht nach ein Herold Er hält gerade den Ge-
bietern das Tliymiaterion hin, da ereignet sich etwas hinter
seinem Rücken, das alle drei Personen in Erreo;uno; versetzt.
Es kommen zwei Pferde heran, im Galopp, wie man aus
der mit den Pferden des Schulterbildes übereinstimmenden
Haltung ihrer Köpfe schliessen kann. Dass die Vorderfüsse
nicht mehr gestreckt sind, beweist nichts dagegen, denn es
gibt gerade im Gebiete der jonischen Kunst genug Beispiele
von galoppirenden Pferden mit derselben Haltung der Beine ^.
Man wird nach der Darstellung des Schulterbildes auch bei
< Vgl. Gerhard, A. V. II Taf. 94. 136.
2 Man hat allerdings die Figur eines weisshaarigen Mannes mil Kerykcion,
der dem Zug der Göttinnen und des Hermes zum Parisurteil vorausgeht, für
Zeus erklärt (Amphora in München, Jahn Nr. 123; Gerhard A. V. III Taf.
170). So noch Schneider, a. a. 0. S. 102. Es ist natürlich nur ein Greis
(vgl. üümmlcr, Rom. Milthcilungen 1887 S. 174, VIII), der zu dem Ty-
penvorrat dieser Vasenklasse gehört, wie uns die Amphora Rom. Mit-
theilungen 1887 Taf. 8, I lehrt. Er ist wo! nur zur Füllung in diese Kom-
position hineingcselzt. Dass man überhaupt hei diesen Bildern es mit der
Deutung einzelner Figuren nicht zu genau nehmen darf, zeigt die Amphora
in Paris, auf der bei der Erlegung des Minolauros ein unhärtiger Mann mit
Kerykeion und ein Greis mit einem Hasen in der Hand erscheinen (vgl.
Dümmler a. a. O. S. 174, VII, dessen Beschreibung nicht ganz genau ist).
3 Vgl. den neuen Sarkophag in London, Monumenls Piul IV Taf. 4-7,
das Thonrelief im Cabinel des Mödailles zu Paris, Gazelle arclUuLogiquc 1883
Taf. 49.
Vasenscherben aus KLAzoAfENAi 47
diesen Pferden zunächst an ein Gespann denken. Allein der
Vergleich zeigt uns wichtige Unterschiede. Das Pferd des Schul-
terbildes trägt um den Hals den breiten Gurt, mit dem es an
der Deichsel befestigt ist, und der sich regelmässig so bei Wa-
genpferden auf jonischen Denkmälern findet (vgl. die Bilder
der Thonsarkophage, das eben genannte Thonrelief u. s. w.),
und darunter das Band mit den Anhängseln. Das Pferd auf
dem Bauchbilde trägt nur letzteres und zwar an der Stelle, wo
das andere den Gurt hat. Diesen in den wagrechten Ritzlinien
unterhalb des Zierbandes zu sehen geht nicht, weil sie nach
vorn zusammenlaufen. Der Gurt wäre auch zu schmal. Die
unteren Pferde haben Zügel, die den angeschirrten Pferden zu
fehlen scheinen. Wenn wir somit unsere Pferde nicht wol an
einen Wagen gespannt denken können, bleibt uns nur übrig
ihnen einen Reiter zu geben. Nun gibt uns aber auch ein be-
kanntes Monument die Deutung an die Hand.
Auf der P>an9oisvase sitzt Priamos, auch durch die hohe
Stirne als Greis gekennzeichnet, vor der Stadtmauer. Auf ihn
eilen Antenor und Polyxena zu. Hinter ihnen sieht man Troi-
los galoppirend, von Achilleus beinahe ereilt, und einige Göt-
ter. Wenn wir ähnlich unser Bild ergänzen, so ist die Er-
regung, die sich in der Haltung der drei Personen ausspricht,
vollkommen erklärt. Auch die horizontalen Ritzlinien auf
der Brust des Pferdes linden nun ihre Deutung. Es sind die
Spitzen der kleinen Wurfspeere, die Troilos führt; auf der
Francoisvase hält er sie nach oben gerichtet. Hinter den Pferden
werden wir den laufenden Achilleus ergänzen. Damit ist aber
der verfügbare Raum noch nicht gefüllt. Wir dürfen in ihn
vielleicht die fliehende Polyxena oder zuschauende Götter,
möglicher Weise auch nur Genossen des Achilleus einsetzen.
Wir besitzen aus dem Gebiete der jonischen Kunst nur eine
Darstellung des Troilosabenteuers auf der Amphora bei Ger-
hard, Auserlesene Vasenbilder 111 Tai". 185. Auf ihr wird
Polyxena von Troilos getrennt durch zwei Krieger bedroht.
Etwas Ähnliches könnte auf der linken Seite unseres Bildes
gemalt gewesen sein. Die gegebene Erklärung der Scherbe
48 R- ZAHN
erhält, wie ich glaube, durch die Darstellung auf der Schulter
noch mehr Wahrscheinlichkeit; beide Bilder schildern das
Unglück des Troerkönigs.
Bezeichnend sind die Unterschiede, die sich bei einem nähe-
ren Vergleich mit dem Werke des Klitias ergeben. Auf dem
attischen Bild sitzt Priamos allein auf einem gewöhnlichen
Sitze. Der jonische Maler lässt ihn auf einem Throne sitzen,
gibt ihm seine Gemahlin an die Seite und stellt vor beide ei-
nen Herold, der sie durch den Duft des Weihrauchs ergötzt.
Er hat sich viel mehr bemüht, den königlichen Hofhalt zur
Anschauung zu bringen. Er wird dabei zunächst von Uemi-
niscenzen aus dem Epos beeinflusst worden sein. So mag ihn
die Scene, wie Hekabe neben Priamos von der Mauer aus
den Tod des Hektor sieht, veranlasst haben, auch in seinem
Bilde die unglückliche Mutter darzustellen. Dass die Königin
neben dem König sitzt, ist homerische Sitte. So sitzt Helena
neben Menelaos (S r21 ff.), Arete neben Alkinoos (^ 305 ff.),
es sei auch daran erinnert, wie Helena mit Priamos auf der
Stadtmauer sitzend das Heer der Achaier betrachtet. Auch die
Bedienung des Herrschers durch den Herold ist homerisch.
Ich glaube jedoch, dass in der Darstellung des letzteren mit
dem Thymiaterion bei dem Maler auch eine gewisse Kenntniss
des Ceremoniells an orientalischen Fürsten höfen mitgewirkt
haben kann. Man erinnere sich an die assyrischen und persi-
schen Bildwerke, die den König thronend und hinter ihm seine
Wedelträger zeigen. Besonders möchte ich auf das Relief von
Kujundschik hinweisen, auf dem wir Assurbanipal mit seiner
Gemahlin in der Laube sehen. Bäucherbecken stehen am Bo-
den, eine Reihe von Dienern bemüht sich um das Herrscher-
paar.
Der jonische Maler gibt uns nicht, wie Klitias, das Lokal
an, in dem wir uns den König zu denken haben. Möglicher-
weise entnahm er seine Figuren einem grösseren Vorbilde, in
dem auch auf die Umgebung Rücksicht genommen war. Ähn-
lichen Abkürzungen grösserer Kompositionen werden wir noch
begegnen.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 49
Wenn wir uns nach verwandten Stücken für unsere Scher-
ben im Gebiete der jonischen Vasenmalerei umsehen, werden
wir keine näiieren Parallelen ßnden als die Scherben aus Teil
Defenneh in Ägypten '. Zunächst können wir uns die Form un-
seres Gefässes nach der Hydria bei Dümmler a.a.O. S. 45,
Antike Denkmäler II S. 8 Taf. 21, 1 vorstellen. Die vor-
treffliche Farbentafel der Antiken Denkmäler kann uns am
besten den bunten Eindruck auch unserer Scherben vergegen-
wärtigen. Allerdings ist die Thonoberlläche unseres Stückes
mehr grau, allein dies wird nur Schuld des Brennens sein.
Ich erinnere mich auch unter den Scherben von Defenneh
solche gesehen zu haben, welche nicht die lebhafte Farbe hat-
ten, wie die abgebildeten Proben. Die Technik stimmt ganz
überein mit der unserer Scherben. Das Weiss ist unmittelbar
auf den Thongrund gesetzt und hat Innenzeichnung und zum
Teil auch Umrisse in verdünntem Firniss. Die geritzten
Konturlinien sind reichlich verwendet. Auch das Fleisch
der Männer ist, wie ich nachgewiesen zu haben glaube ^,
mitunter weiss gemalt. Dass es auf unseren Scherben fast
durchweg weiss ist — bei dem Schützen scheint es , seinen
Füssen nach zu urteilen, allerdings schwarz zu sein — während
auf den Scherben von Defenneh mehr das Schwarz vorherrscht,
ist ohne Belang. Denselben Unterschied können wir zwischen
einzelnen Stücken der Gattung der cäretanerllydrien gewahren.
Ich möchte noch auf Übereinstimmungen in der Zeichnuns
hinweisen. Ungemein ähnlich ist das schwarze Reitpferd auf
unserem Fragment 1 dem Pferde auf der ägyptischen Scher-
be, das den weissen Knaben trägt [Tanis 11 Taf. 29, 4;
Antike Denkmäler II Taf. 21, 2). Man beachte namentlich
die liebevolle Zeichnung des Maules mit den Zähnen, den
Hautfalten , die Muskellinie unter dem Auge. Die Auf-
zäumung und der Schmuck des Pferdes ist auf beiden Stücken
< Flinders Pctrie, Tanis II Taf. 29. 30; Dümmler, Jalirbuch 1S95 S. 38 0".;
Antike Denkmäler II Taf. 21.
2 Darstellung der Barbaren S. Gl Anni. 2.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 4
50 R. ZAHl^
identisch. Auch das Pferd auf einer Scherbe von Naukralis,
die ebenfalls zur Gattung von Defenneh gehört, ist zu verglei-
chen [Catal. ()/' i'ases in t/ic Brit. Museum II B 103. 14
Nr. 3. abgebildet Jahrbuch 1896 S. 268). Beide Pferde, wie
auch die Wagenpferde auf der oben angeführten Hydria aus
Defenneh, zeigen die sonderbaren Reihen weisser Punkte
längs den Muskellinien ^ Für die Bildung der Hände, die ei-
gentümlich gezeichnete Schulter, die Verzierung der Gewän-
der, den Schnitt des Ärmels, die Form des Ohrrings, die Hals-
bänder der Männer wird man leicht die Parallelen auf den
genannten Scherben finden; sie alle aufzuführen, erscheint mir
überflüssig.
Dass die Maler der ägyptischen Scherben auch aus dem Epos
schöpften, hat Petersen durch den Nachweis einer Darstellung
des kirkeabenteuers gezeigt (Jahrbuch 1897 S.55). Vielleicht
dürfen wir auch eine Deutung des so häufig dargestellten rei-
tenden Knaben wagen, der bis jetzt seiner weissen Färbung
wegen immer für eine Frau erklärt wurde ^. Auf den älteren
attischen Bildern, die Troilos und Polyxena am Brunnen zei-
gen, ist Troilos von einem oder mehreren Männern, meist
Kriegern begleitet. Als Beispiel erwähne ich eine zu der Gat-
tung der tyrrenischen Amphoren gehörende Hydria Annali
delC Inst. 1866 Taf R. Mehrere Eigentümlichkeiten in die-
sen Darstellungen, auf die ich an anderer Stelle zu sprechen
komme-', veranlassen mich, sie mit der jonischen Kunst in
Verbindung zu bringen. Es scheint mir nun gar nicht un-
denkbar, dass wir in dem jugendlichen Reiter der Scherben
von Defenneh mit seinem bewaiTneten Begleiter nur eine Ab-
kürzung der Komposition haben, die das Vorbild für die atti-
* Solche Vorbilder lial vii-llcirlil der ItöoUscIie Töpfer Gaincdes lienülzl ;
seine Tiere zeigen dieselbe Eigentündicbkeit übertri(d)on. Vgl. die Kanne
Wiener Vorlegebiälter 1888 Taf. 1, 2 und 7 und den Kanlliaros Bulletin de
corr. hell. 1897 S. 450, der gewiss von derselben Hand ist.
2 Catal. of vases in llie liril. Mus. II B 110, 1-3 Stücke aus Defenneh, B
102, 32 Fragment aus Naukralis. Vgl. Dümmler a. a. 0. S. 30 und 31i f.
3 Darstellung der Barbaren.
Vasenscherben aus klazomenai 5i
sehen Maler abgab. Auf der Scherbe ausNaukratis (B 105,32)
hielt der Knabe einen kleinen Speer in der Hand, dessen
Spitze über dem Rücken des i^'erdes noch erhalten ist. Eine
weitere Scherbe (B IIb, 4), offenbar mit derselben Darstel-
lung, ist darum bemerkenswert, weil der Knabe noch ein
Handpferd hat, wie auf unserer Scherbe 1.
Nach den eben angeführten Übereinstimmungen sind wir
wol zu dem Schlüsse berechtigt, dass unsere Scherben und die
aus Defenneh derselben Fabrik angehören. Flinders Petrie
(a. a. 0. S. 62) und ihm folgend Dümmler (a. a. 0. S. 36)
haben für letztere lokale Herstellung angenommen. Petrie
glaubte zu dieser Annahme gezwungen zu sein durch die Beo-
bachtung, dass die Keramik vonNaukratis so auffallend wenig
Berührungspunkte mit der von Daphnai zeigt. Er konnte sich
diese Erscheinung bei einem Import aus dem Mutterlande
nicht erklären. Aber diese Folgerung ist nicht zwingend '. Wir
' Dass die andere in Defenneh häufige Gattung, die sogenannten Situlen,
an Ort und Stelle gemacht wurde, erscheint mir auch nicht sicher. Pelrie
(Tanis II S. 62) glaubt nanienllich in der Form ägyptischen Elnfluss zu er-
kennen. Dass die Form aber auch sonst in griechischer Keramik vorkommt,
beweist das ilalisch- korinthische Gefäss in München (Jahn Nr. 946; Lau,
Die griechischen Vasen Taf. 5,2). Die Form verhält sich zu den schlanken
Amphoren, von denen die meisten oben besprochenen Scherben von De-
fenneh stammen (vgl. Jahrbuch 1895 S. 39) und die schon in der Zeit des
geometrischen Stiles ausgebildet wurden ( vgl. Öalzmann, Camiros Taf. 4b;
Couze, Anfänge der Kunst Taf. cl,i) wie die spätere Pelike zur gewöhnlichen
Amphora. Die älteste der Situlen [Tanis II Taf. 25, 3; vgl. Dümmler, Jahr-
buch 1895 S. 37) zeigt in ihrer Dekoration noch reichliche geometrische
Elemente, die späteren haben Bauchstreifen uiil Pahnetten und Lotosblüten,
ganz wie aut rhodisclien Gelassen (vgl. besonders die Amphoren in Karls-
ruhe, Winuefeld Nr. 32-34). Wären nun die Gelasse in Daphnai selbst
hergestellt, so müsste man für diese Fabrik eine der des Mutterlandes eut-
sprecheutle Entwicklung aus dem geometrischen zum orientalischen Stil
oder einen bcsländigen Import fremder Vorbilder annehmen, von denen
keine Spuren gefunden wurden. Lässt man da nicht einfacher die Gelasse
selbst importirt sein ?
Dass auf einer Scherbe [Tunis II Taf. 26,3. 29,2) ein Beschnittener dar-
gestelll ist, kann auch nicht für engere Beziehungen zu Ägypten beweisene
Man erinnere sieh, wie gut der Maler der cäretaner Ilydria mit dem Bu-
sirisabenteuer die Ägypter kennt. Auch auf der rotügurigen allischen Pelik.
52 ft. ZAHN
wissen auch sonst, dass gewisse Fabriken fast ausschliesslich
nach einem einzigen Ort geliefert haben ; man denke z. B. an
die cäretaner Hydrien. Ferner erklärt sich in Naukratis die
grosse Mannigfaltigkeit der Keramik daraus, dass die Stadt
eine gemeinsame Gründung mehrerer Städte war, in die wol
jeder die in seiner Heimat hergestellten Gefässe mitbrachte.
Daphnai dagegen, wo doch nur griechische Söldner und viel-
leicht einige Gewerbetreibende wohnten, konnte sein Bedürf-
niss^bei nur einer Fabrik decken. Übrigens macht Dümmler
selbst darauf aufmerksam, dass Stücke der Gattung von De-
fenneh in Naukratis vorkommen. Neben den schon erwähnten
Fragmenten B 102, 32 mit weissem Reiter und B 103, \ -i Nr.
3 mit schwarzem Reiterrechne ich hierher noch die Scherbe B
102, 28 mit der Darstellung eines Hopliten und eines skytiii-
schen Schützen, deren Fleisch auch weiss gemalt ist ^ Viel-
leicht gehört hierher auch die Scherbe mit dem Sirenenaben-
teuer (B 103, 19 Fig. 43), wieder einer Darstellung aus dem
Epos.
Dümmler findet in der Zeichnung ägyptische Elemente.
So erinnert ihn die Stilisirung der Pferde an ägyptische Dar-
stellungen. Auffallender ist, wie ich glaube, die Übereinstim-
mung mit assyrischen Bildern. Nicht nur die Bildung des
Körpers mit der stark vortretenden Brust, dem dicken Halse
und der genauen Durchbildung des Maules ist assyrisch, son-
dern auch die ganze Anschirrung und der Schmuck des Pfer-
des^. Auch der auf der Deichsel vorne aufgesetzte Tierkopf fin-
iiii atlienisclien Nalionalmuseum iDumont- Cliaplain , C^ramiques de la
Grice propre I Tal". 18) sind die Äg.ypler Ijcsclmitlen daigcslellt.
♦ Das Stück wird abgeljüdet: Darstellung der Barbaren.
2 Wie slarlv der Einfluss der assyrisclicn Kunst auf die kleinasiatiscli-
griecliisclie Kunst war, zeigt besonders das Tlionreiier Gazelle archfuluyique
1«88 Taf. 49. Bezeielinend ist nauicnliicli die Modeilirung des Beines an
der Stelle, wo es an den Leib ansetzt. Die Verniittk-i in war wul die lictti-
tische Kunst, man vergleiebe z, B. das Relief bei Huniann und Pucbslein,
Reisen in Kleinasien und Nordsyrien Taf. 46 und bei Perrot-Cliipicz, Hi-
slüire de l'art IV S. 553, auf dem das Pferd denselben Schmuck trägt, wie
die assyriscben und die griccbiscbeu Pferde.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 53
det sich regelmässig bei assyrischen Wagen. Dass die Reiter
auf Decken reiten entgegen der gemeingriechischen Gewohn-
heit, geht wol auf denselben Einfluss zurück ; das assyrische
Reitpferd trägt regelmässig eine Decke*.
In der Figur mit dem Lendenschurz auf dem von ihm a. a.
0. S. 41 Fig. 4 abgebildeten Fragmente sieht Dümmler einen
Nichtgriechen und erinnert sich bei ihm an ägyptische Dar-
stellungen gefangener Neger. Nun ist aber der Lendenschurz
als Männertracht- durchaus nicht selten auf jonischen Denk-
mälern. Auf einer polychromen Scherbe von der Akropolis,
die zu der in Naukratis so häufig vorkommenden Gattung ge-
hört, trägt ihn Herakles. Ebenso ist er die Tracht der Wagen-
lenker und der sich übenden Krieger auf dem neuen klazo-
menischen Sarkophag in London ^. Weiter tragen ihn die
Komasten auf den Fikellura- Amphoren und auf einer böoti-
schen Schüssel im athenischen Nationalmuseum Nr. 418,
die in der Zeichnung an jene Amphoren erinnert^. Die
sonderbare Verdrehung der Brust des Mannes erklärt sich
aus der Ungeschicklichkeit des Malers, die sich gerade bei
der Zeichnung der Brust und Schulter zu verraten pflegt.
Eine entsprechende Verzeichnung findet sich auf der eben
erwähnten böotischen Schüssel: Ein Flötenbläser kniet nach
links, auch sein Kopf ist dahin gewandt, dagegen ist der
Oberkörper von vorn gezeichnet und er hat nur einen Arm
an der rechten Schulter. Ähnlich muss das Gebilde auf der
Scherbe gewesen sein; den roten Fleck oben, den Dümmler
als Bart oder den Rest einer auf der Schulter getragenen Last
ansieht, halte ich für das Ende des Haares (vgl. die Tanzen-
den auf der Scherbe Fig. 6 bei Dümmler a. a. 0.).
* Vergleiche aucli den Fries von Xanthos im Brittischen Museum, Cala-
logiie of Greek sculplure I Nr. 86 und die orientalisch-griechischen Gemmen
in Berlin, Furtwängicr, Besclircibung der geschnittenen Steine im Anti(]ua-
rium Taf. 4, 180. 182. 183. Siehe auch unten S. 5b Anm. 2.
2 Munumenls Piol IV Taf. 4. 5.
3 Sic wird in dem vor!)ereileten Werke über das thebanische Kabireu-
heiliglum abgebildet werden.
54 R. ZAHN
Die Frage nacli der Herkunft derGcfiisse von Defenneli wird
durch unsere Scherben entscliieden, Ihre Herstellung ist im
Heiinatlande zu suchen. Denn man wird nicht annehmen wol-
len, dass aus der lokalen Fabrik von Daphnai Gefässe nach
Jonien importirt wurden. Ich will noch erwähnen, dass auch
auf der Akropolis zwei Fragmente gefunden sind, welche, so-
weit man dies ohnedirecte Vergleichung sagen kann, denselben
Thon,wie die Defennehware, und die für diese charakteristi-
schen abwechselnd schwarz, rot und weiss gemalten Halbmonde
haben. Dasselbe Ornament in mehreren Reihen übereinander,
die durch das ebenfalls in Defenneh so häufige Stabornament ^
mit Punkten getrennt werden, zeigt ein grosser fragmentirter
Skyphos aus dem Heiligtum des Zeus Aphesios bei Megara ^
im Museum von Eleusis. Auch der lederfarbene Thon des Ge-
fässes erinnert an unsere Gattung. Wir dürfen also vielleicht
das Urteil Dümmlers, dass das Ornament der Halbmonde von
den Verfertigern der Amphoren von Defenneh der Fikellura-
gattung entlehnt wurde, gerade umkehren.
Die Scherben von Defenneh wurden zum grossen Teil zu-
sammen gefunden mit den Verschlüssen von Amphoren, die
mit den Namen des Psamtik II und Amasis gestempelt waren.
Bald nach dem Regierungsantritt des Amasis muss die grie-
chische Besiedelung von Daphnai aufgehört haben, denn wir
wissen aus Herodot (II 15 4.178.179), dass er die griechischen
Söldner nach Memphis verlegte, die andern Griechen aber auf
Naukratis beschränkte^. So bekämen wir also für die Scher-
ben als Zeitgrenzen ungefähr die Jahre 595 und 565 [Tanis II
S. 58 f.). Wenn die Gefässe importirt sind, kann ihre Fabrika-
tion noch etwas länger gedauert haben, doch ist dies nach dem
ganzen Charakter der Stücke nicht gerade wahrscheinlich. Die
klazomenischen Scherben gehören jedenfalls nicht zu den äl-
< Vgl. Dümmlor a. a. O. S. .30.
2 Vf,'l. Pliilios und Lolliii.s;, 'E?r,iJiepl; io/. 1890 S. 21 ff.
•'' Wir liahcn keinen Grund an der Möglichkeit der Durclifül)runp; einer
solchen Massregel zu zweifeln, wie dies Düininler a. a. O. S. 3ü lliut.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 55
testen Stücken der Gattung, denn sie zeigen schon Faltenlinien
in den Münteln. Auch die Decke am Schilde weist wol auf eine
etwas jüngere Zeit hin. Sie ist ganz gewöhnlich bei den Krie-
gern auf den klazomenischen Sarkophagen. Das Verhältniss
dieser zu unseren Scherben ist etwa wie das der strengen at-
tischen Meister Exekias und Amasis zu dem älteren Sophilos.
Wenn wir nun die Sarkophage etwas vor und nach der Mitte
des sechsten Jahrhunderts ansetzen müssen ', so dürfen wir mit
unseren Scherben und den Stücken von Defenneh gewiss einige
Jahrzehnte über diesen Zeitpunkt hinaufgehen.
Dass wir die Entstellung der Sarkophage in demselben en-
geren Kunstkreise zu suchen haben, wie die der besprochenen
Scherben, scheint mir nicht zweifelhaft zu sein. Ein Stück
wie die Hydria Antike Denkmäler II Taf. 21, 1 nähert sich
durch ihre sorgfältigere, strengere Zeichnung schon merklich
den Bildern der Sarkophage, andererseits sind die londoner
Fragmente {Journal of Hell, studies 1883 Taf. 31, Antike
Denkmäler 1 Taf. 16, 3. 4) oder Stücke wie der Sarkophag
in Konstantinopel {Revue des etudes ^recques 1895 S. 161 ff.)
und der im Louvre {Bulletin de corr. hell. 1895 Taf. 1. 2)
noch nicht viel entwickelter, als die Gefässe. Die Pferde auf
diesen beiden Sarkophagen sind die nächsten Verwandten der
Tiere auf der Hydria.
ZwisclK^n beiden Denkmälerklassen bestehen viele Überein-
^ Wenn man die Sarkophage miteinander vergleicht, so scheinen mir die
Unterschiede nicht so gross, dass man genötigt wäre, sie ihrer Entwicklung
nacii auf eine so lange Zeit zu verteilen, wie dies Joubin, liullelin de corr.
hell. 1895 S. 00 f. thut. Auch das Prinzip seiner chronologischen Anord-
nung ist hinfällig; dereine neuorworhene Sarkophag in Berlin (Antike Denk-
mäler II Taf. 25) hat neben den ausgesparten Figuren auf hellem Grunde,
die also den rolfigurigen Vasen entsprechen, im unleren Bildfehl auch noch
die rhodischen Tiere.
Mein(^ Aiisetzung beruht auf dem Vergleiche mit der attischen Keramik.
S. lieinach, Revue des Stades grecques 1S95 S. 170 will aus der Geschichte
der iStadt das Jahr 5'iÜ, als sie auf die Insel verlegt wurde, als terminus ante
quem für die Sarkophage bestimmen. Aber die in ihnen Bestatteten könnten
auch Grundbesitzer gewesen sein, die bei der Verlegung der Stadt zurück-
geblieben waren.
56 R. ZAHN
Stimmungen in Einzelheiten. So kehren die vorhin bei den
Pferden auf denSclierben hervorgeliobenen ßigentümlichkeiten
der Rörperbildung und der Ziiumung auf den Sarkophagen
wieder. Man kann sie am besten bei den vollendet gezeichne-
ten Pferden auf dem neuerworbenen Stück in Berlin studiren,
das bald in den Antiken Denkmälern 11 Taf. -20 veröffentlicht
werden wird. Nicht selten ist am Ende der Deichsel der Grei-
fenkopf angebracht ^ Die Reiter reiten auf Satteldecken 2.
Auf dem Helm kommt der eigentümliche Stirnaufsatz ^ vor
{Mori. deW Inst. XI Taf. 53). Weiter findet sich der Schopf
am Hinterkopf, den der Knabe auf dem Fragment aus Nau-
kratis (Jahrbuch 1896 S. 568) trägt, als Haartracht für Rei-
ter und Wagenlenker, einmal auch für Frauen oder Göttinnen^.
Man vergleiche schliesslich noch das grosse Gorgoneion auf
dem Schild des Kriegers Journal of Hell. stad. IV, 1883, Taf.
31 mildem Schildzeichen des Achilleus auf unserer Scherbe 2.
Auffallend ist zunächst, dass auf den Sarkophagen das Weiss
als Fleischfarbe, das auf unseren Scherben so reichlich ver-
wendet ist, nicht vorkommt. Der Grund ist ein technischer. Die
Maler ritzen die Innenzeichnung nicht ein, sondern sie malen sie
< Monumenti deW Inst. XI Taf. 54. Bulletin de corr. hell. 1895 S. 85.
Monuments Piot IV Taf. 4. 5. Vgl. auch das schon erwähnte Thonrelief
Gazette archeologique 1883 Taf. 49 und das Relief von Kyzikos Bulletin de
corr. hell. 1894 S. 49.3. Melische Amphora, Conze, Melische Thongefässe
Taf. 4; auf der Amphora 'E^rjaspU ip/. 1894 Taf. 13 ist der Greifenkopf
durch einen Schwanenkopf ersetzt. Bei assyrischen Wagen ist das Deichsel-
ende regelmässig- durch einen Tierkopf geschmückt.
2 Antike Denkmäler I Taf. 46, 5. Journal of Hell, studies 1883 Taf. 31.
Bulletin de corr. hell. 1892 S. 244. Vgl. auch das Bronzerelief Antike Denk-
mäler II Taf. 14.
3 Vgl. Greenwell, Num. Chron. 1893 S. 91 und Dümmler, Jahrbuch 1895
S. 40, wo die Litleratur zusammengestellt ist. Es ist der 9aXo? nach Reichel.
Homerische WalTen S. 116. Beziehungen zu der klazomenischen Keramik
haben viclleiclit auch die Gcrässc in Form eines behclinlen K()i)fcs mit der-
selben Helmform und tl(;m Stirnaul'salz, die auch in ägyplisciicui Porzellan
nachgeahmt wurden. Vgl. Gazette arcliiologique 1890 S. 14.ö f. Taf. 28, 2. 3,
Notizie degli scavi 1894 S. 347.
* Man. delV Inst. XI Taf. 54. Monuments Piot IV Taf. 4-6. Antike Denk-
mäler II Taf. 2(i. Vgl. Studniczka, Jahrbuch 1891) 6. 26S.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 57
mit feinen Linien in Weiss auf. Von der Verwendung des
verdünnten Firnisses für die innenlinien auf weissen Partien
waren sie aus irjjjend einem Grunde auch abgekommen :
die figürlichen Schildzeichen sind nur als weisse Silhouetten
gemalt. Dies ging bei dem menschlichen Körper nicht an und
so verzichteten sie darauf, ihn weiss zu malen.
Eine Umschau in unserem Denkmälervorrate liefert uns
noch weitere Stücke, die in diesen engeren Kreis gehören.
Nur kurz sei auf die Scherben von Kyme hingewiesen, deren
nahe Verwandtschaft mit den Sarkophagen schon Dümmler
hervorgehoben hat (Römische Mittheilungen 1888 S. 162).
Ein recht entwickeltes hierher zu rechnendes Gefäss ist der
Deinos mit Kampfdarstellung im Louvre, Bulletin de corr.
hell. 1893 S. 428 Taf. 18 (Pottier)^. Die eine Helmform mit
dem Stirnaufsatz und, worauf ich besonders aufmerksam mache,
den den Mund ausdrückenden kleinen Bogenlinien vorn auf der
Backen klappe 3 findet sich genau so wieder auf dem Fragment
von Defenneh, Antike Denkmäler 11 Taf. 21, 3, die andere mit
dem eigentümlich hohen Schädel, dem kleinen Augenloch und
dem mehrfarbigen Helmbusch auf dem schon genannten Frag-
ment aus Naukratis, Catalogue of vases in theBrit. Mus. II
B 102, 28. Beide Helme sind auch ganz ähnlich auf den Sar-
kophagen vertreten, worauf schon Pottier hingewiesen hat. Mit
letzteren verbinden den Deinos vor allem die Schildzeichen,
' Wenn wir mit Recht die Sarkophage zu den Gefässen in ein so nahes
Verhältiiiss bringen, kann das verschiedene Verfahren nicht auf zeitlichem
Unterschied beruhen, sondern es rauss sich aus technischen Gründen her-
leiten, wieC. Smith, Journal of Hell, studies VI, 1885, S. 185 angenom-
men hat.
2 Die eben dort als Fig. 1 und Fig. 2 abgebildeten Deinoi möchte ich
nicht hierher rechnen. Sie gehören zu einer anderen jonischen Familie, über
welche die Litleratur zuletzt von Masner, Sammlung antiker Vasen und
Terracotlen im K. K. österreichischen Museum zu Nr. 215 und von Poltier
a.a.O. S. 4?4 zusammengestellt ist. Üass sie zu unserem Kreise allerdings
Beziehungen hat, werden wir unten S. tiO sehen
3 Vgl. Carapanos, Üudonc Taf. .■.."). Olympia IV Taf. 63, 10-27. Catal, of
Greek cui/u in Ihe llril. Museum, lonia Taf. 5, '22.
58 R. ZAHN
auf die in dem ganzen Kreise viel Sorgfalt verwendet wurde.
Auf einem Schilde war ein Gorgoneion dargestellt wie auf
dem [Bruchstück eines Sarkophages in London', besondere
Beachtung verdient der laufende Silen als Füllung des Schild-
rundes. Er ist bis jetzt viermal bei Kriegern auf den Sarkopha-
gen erhalten'^. Einen directen Hinweis auf Klazomenai gibt uns
schliesslich das letzte zu nennende Scliildzeichen, das Vorderteil
eines geflügelten Ebers. Es ist das Wappen der Stadt, wie uns
die Münzen lehren. Das Schuppenmuster und die Rosetten,
mit denen der Köcher eines Schützen verziert ist, sind auch
auf den Sarkophagen beliebte Ornamente ^ In der Zeichnung
des Gewandes zeigt sich bei den Figuren des üeinos ein be-
deutender Fortschritt gegenüber den Scherben von Defenneh
und ihren Verwandten wie auch gegenüber den meisten der
Sarkophage. Der Maler hat sich schon ganz ernstlich bemüht,
die Falten des Gewandes der Natur entsprechend wiederzu-
geben^.
In gewisse Beziehung zu unserem Kreise möchte ich auch
die Würzburger Amphora bei Gerhard, Auserlesene Vasen-
bilder Taf. 194 bringen. Schon Dümmler hat für die wagen-
besteigende Frau auf der Hydria von Defenneh auf sie hin-
gewiesen (Jahrbuch 1895 S. 46). Für ein jonisches Original,
wie er glaubt, kann ich sie nicht halten, denn auf dem Gegen-
stück in Berlin 2154 erscheinen neben anderen Eigentümlich-
keiten,die auf etruskische Kunst hinweisen, Männer mit langen
oben gekrümmten Tuben, die wir sonst nur von etruskischen
Wandgemälden her kennen ^. Es ist nicht nötig, die einzelnen
Beziehungen der Amphora zu unserem Kreise aufzuzählen.
* Oben S. 56. Vgl. auch das Gorgoneion auf Münzen von Klazomenai,
Calal. of Greek coiiis in Ihe lirilish Museum, lonia Taf. 0, \. 5.
2 Antike Denknicäler I Taf. 45; 46, 2. liulklin de corr. hell. 18!)5 8. 88.
Monuments Piot IV Taf. 4. 5.
3 Antike Denkmäler I Taf. \h. II Taf. 26. Hall, de covr. hell. I8'.15 Taf. 1.
-• Ähnlich ist die Bchandkiiig der Fallen auf der cäretaiicr llydria in how-
Aon, Calal. of Ihe vases in Ihe Ih'it. Museum II B 51) Taf. 2.
■' Vgl. auch Darstellung der Barbaren .S. 66 f.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI -^9
Ich will nur auf ein Schildzeichen, eine laufende Frau, hin-
weisen, das uns sofort an die oben besprochenen Bilder er-
innert.
Zu all diesen bis jetzt genannten keramischen Produkten
zeigt auch ein plastisches Werk mehrfache Beziehungen, ich
meine das Bronzerelief von Perusfia, Antike Denkmäler 11 Tat.
14. Man beachte unter anderem, wie auffallend die Bildung
der Füsse mit der auf dem Deinos im Louvre übereinstimmt.
Die Helme zeigen wieder den Stirnaufsatz. Auch eine noch
nicht erwähnte Eigentümlichkeit, die Freude an der Darstellung
der fremden Schützen, teilt das Relief mit unserem Kreise.
In nicht so enger Beziehung zu ihm, aber unter den übri-
gen jonischen Vasen am nächsten, steht die Gattung der cäre-
taner Hydrien'. Auch auf diesen ist z. B. Weiss als Fleisch-
farbe für beide Geschlechter verwendet. Das Weiss wird al-
lerdings mit Ausnahme der Ornamente auf Firnissgrund
gesetzt, aber die Umziehung der Konturen mit Firniss lässt
schliessen^, dass es einst auch in dieser Fabrik auf denThon-
grund gesetzt wurde. Auch die Ropftypen , die sorgfältige
Zeichnung der Pferde u. s. w. sind recht verwandt.
Kehren wir noch einmal zu unseren klazomenischen Scherben
zurück. Es ist natürlich, dass wir für Einzelheiten in dem grossen
Gebiet der jonischen Kunst noch manche Berührungspunkte
finden. So kann man für die Verzierung der Gewänder die
Amphora in München mit dem Parisurteil vergleichen (Jahn
Nr. 123. Gerhard, Auserlesene Vasenbilder 111 Taf. 170). Weiter
mag auf die grosse Ähnlichkeit der Kopfbildung des Priamos
mit der des Alton auf dem Wandu;emälde der Tomha dcl vec-
chio in Cornelo hingewiesen werden {Monunienti dclC Inst.
IX Taf. 14, la). Dieser Typus, bei dem von der Nasenspitze
an bis zum Hinterkopf eine gleichmässig gebogene Linie ver-
< Schon Dünimlcr, Köm. Mittheilungen 1888 S. ir.6 IT. und Potlier, Hul-
lelin de corr. hell. lS!)-2 S. ^:h'6 IT. halten diese Ilydrien in einen solchen Zu-
saninieiihaiig p:eltraeht.
2 Vgl. die Ilydria in Wien, Masuer Xr. '2i8 Taf. 2.
60 R. ZAHN
iäiift,ist gerade der alten kleinasiatisch-jonischen Kunst eigen,
er lindet sich besonders deuLlicli bei dem Marmorkopf aus
Hieronda* im Brittisclien Museum, dem in Konslantinopel ^
und einer der Branehidenstatuen-^. Diese Sitzfiguren, l)esonders
die des Chares, bieten uns aiicli für die Traclit und ihre Wie-
dergabe in der Kunst die besten plastischen l^arallelen, ab-
gesehen von einigen später zu erwähnenden Werken.
An die Komposition unserer Scherbe 1 erinnert uns sehr das
Bild einer jonischen Amphora in München^. Auf einem Klapp-
stuhle sitzt, in der Tracht unserem Priamos sehr ähnlich, ein
bärtiger Mann mit Scepter. Vor ihm steht ein Jüngling mit
Schale und Kanne, um ihm einen Trunk zu reichen. Auch er
wendet das Gesicht vom Gebieter ab nach zwei Pferden hinter
ihm, die von einem anderen Jüngling getränkt werden. Es
ist ganz glaublich, dass der Maler ein Bild aus der Ileroenzeit
geben wollte, ob er aber an eine bestimmte Scene dachte, ist
mir sehr fraglich. Man kann sich in dem Sitzenden den reisi-
gen Nestor oder irgend einen andern Helden vorstellen, der
sich nach der Schlacht ausruht und die Wartung seiner Pferde
beaufsichtigt. Studniczka glaubt mit Sicherheit Diomedes zu
erkennen , der sich der erbeuteten Rosse des Rhesos freut,
doch liegt kein zwingender Grund zu der Deutung vor. Denn
das Bild auf der anderen Seite der Amphora (S. 143), das
ihn offenbar bei seiner Erklärung beeinflusst hat, kann nicht
auf die Dolonie bezogen werden -^ Die zwei Krieger grei-
fen nicht die Figur zwischen sich , sondern einander selbst
an. Auch die an den Füssen des Laufenden anofewachsenen
* Abgebildet bei Rayet und Thomas, Mild Taf. 27, wiederliult bei Cülli-
gnon, Sculplure grecque I S. 174.
2 Gazelle arcliiologique 1884 Taf. 13; Uullelin de corr. hell. 1884 Taf. 10.
Collignon a. a. O. S. 175.
3 Newton, Discoveries Taf. 75. Rayct und Thomas a. a. O. Taf. 26, 2.
Collignon a. a. 0. S. 169.
•* Jahn Nr. 583. Abgebildet und besprochen von Studniczka, Jahrbuch
1890 8. 146. Vgl. oben 8. 57 Aiim. 2.
^ Auch Murray, Munumenls Piul IV S. 39 f. hat gegen Studniczkas Dei}-
tung Widerspruch erhoben.
^ASENSCHERBEN AUS KLAZOi<E>fAl 6<
Flügel passen schlecht zu Üolon'.VVir müssen uns also mit der
alten Deutung auf irgend ein dämonisches Wesen begnügen.
Interessant ist das liild mit der Trankung der Pferde da-
durch, dass es uns zeigt, wie diese Maler mit Typen arbeiten.
So erklärt sich auch die Studniczka nicht ganz verständliche
Stellung des Knechtes, der die Pferde tränkt, einfach, wenn
wir bedenken, dass sie eigentlich in den Komosdarstellungen
für einen in Tanzstellung aus dem Misclikessel Schöpfenden
ausgebildet ist^.VVenn wir die Darstellung auf unserer Scherbe
richtig erschlossen haben , so hätten wir in dem Bilde der
münchener Ampliora wieder ein hübsches Beispiel der Ty-
penübertragung, auf die Löschcke in den Bonner Studien S.
24 8 hingewiesen hat-^.
Die Macht der bildlichen Tradition zeigt sich auch in den
Werken, die wol jedem bei der Betrachtung unserer Scherbe
in den Sinn gekommen sein werden, den spartanischen Reliefs^.
Aber nicht nur die Komposition erinnert an unsere Scherbe,
sondern auch namentlich die Tracht und ihre Stilisirung. Man
beachte den Mantel der männlichen Figuren mit den schrä-
gen Faltenzügen und den auf dem Rücken niederhängenden
Zipfeln und die geknöpften Ärmel der Frau (auf dem Relief
in Berlin). Wir werden also auch das Vorbild des spartani-
schen Künstlers im Osten zu suchen haben. Dorthin weisen
auch die Sandalen des Mannes, die auf Bildern aus dem joni-
' Sludniczka a. a.O. S. 144 sagt, die Figur frage Halbstiefel mit Flügeln,
doch sind in seiner Zeichnung die Zehen deutlich angegeben.
a Vgl. z.B. das kyrenäische Bild Aich. Zeitung ISSlTaf. 1?,1, die Scherbe
von Kyme, Rom. Mittheilungen 1888 Taf. 6, die Amphora aus Rliodos,
Journal of flcH. studies VI, 1885, S. 181.
3 Wie stark diese Tyiienüberlragung in der archaischen Kunsl wirkt, zeigt
die Darslelinng eines ( Iplcrs an Alliena auf einer bilotiselien Schale [Juiir-
nal of Hell. sind. 1, 1880, Taf. 7), die man mit leichler Mühe in die Sccne, wie
Achilleus den Troilosam Brunnen belauert, umsetzen kann. Das sontlerbare
Geräte unter der Schlange ist eigentlich der Untersatz vor dem Brunnen,
auf den die llydria gestellt wird (vgl. Annali delV Inst. \S('S Taf. /?).
* Milchböler, Athen. Millheilungen 1877 Taf. 20-'24. Furlwängler, Samm-
lung Sabouroir I Taf. 1.
6i
R. ZAHM
sehen Kunstoobiet besonders häufiii; dargestellt wurden S und
besondei'S die Schnabelschulie, auf die schon Furtwängler in
diesem Sinne aufmerksam gemacht hat^.
Noch ein Gefäss, auch stark fragmentirt, ist uns aus Kla-
zomenai erhalten ; wir bilden es hier unter Figur 1 in halber
Fig. 1 a
Fig. 1 b
Grösse des Originals ab. Die zu Grunde liegende Zeichnung und
die nähere Angabe über den Fundort verdanke ich Herrn Dr.
Böhlau. Er hat die Stücke selbst in Vurla gesehn, wo sie
höchst wahrscheinlich beim Graben nach Sarkophagen ge-
funden wurden.
< Vgl. Jahrbuch 1898 S. 2Ü Anm. 9.
2 Sammlung Sabouroir zu Taf. 1. Auf S. 24 der Einleitung wci.sl er auf
Beziehungen zu hctlili.scben Reliefs hin. Vgl. auch die Darstellungen auf
Buccherovasen, über die Milchhüfcr, Anfänge der Kunst S. 229 spricht.
Vasenscherben aus klazomenai 63
Der Thon ist im Bruch dem der anderen Scherben sehr
ähnlich, aber weniger fein. Die Oberfläche ist lederbraun. Sie
erscheint durch die Drehringe ganz geriefelt. Der Firniss ist
chokoladebraun, stellenweise auch so rot geworden, dass man
ihn fast für rote Farbe halten könnte. Als Deckfarbe ist weiss
verwendet für die Innenzeichnung, wie bei den Sarkophagen
aus Klazomenai, und für die Gesichter (auf den Thongrund
aufgetragen mit roher Innenzeichnung in rotem Firniss). Das
Gefäss war ein kleiner, nach unten sich stark verjüngender
Deinos. Der obere Durchmesser betrug 6"", die Höhe etwa 8"".
Die Zeichnung ist sehr roh und flüchtig. Auf dem Stück a
sehen wir zwei von einander abgewendete menschenköpfige
Vögel; der Flügel des einen ist merkwürdig verrenkt. Links
ist der Rest des Gesichtes eines dritten Vogels zu erkennen.
Die Scherbe a schliesst oben am Kand an das Stück b an.
Links von dem Gesicht des dritten Vogels ist der Rest seines
Flügels erhalten, der ebenso merkwürdig gezeichnet war, wie
der des andern. Den Rest weiter links kann ich mir nur als
grosse herabhängende Knospe erklären'. Ganz links ist der
Schwanz eines Hahnes erhalten.
Auf dem Rande ist in Weiss die Inschrift aufgemalt:
AOHNArOI>H:EpMHI:HC
Die Buchstaben zeigen durchaus die Formen des jonischen
Alphabetes Kleinasiens. Gewisse Schwierigkeiten machen nur
die zwei letzten Buchstaben. iMan erwartet an dieser Stelle
einen Beinamen des Hermes, etwa "O^io?, aber H als Hauch-
laut zu nehmen, geht bei diesem Alphabet nicht an ^. Der
zweite Buchstaben kann wol nur O sein; es ist allerdings grös-
ser geraten als das vorhergehende. Eine Verbindung r,o lässt
sich nicht gut denken. Ls bleibt also wo) nichts anderes
übrig, als in r) den Artikel zu sehen und in o den Anfang
^ Vgl. Micali, Monumenli ineäili (1844) Taf. 43, 3.
2 öiiiylli, Greek Dialecls, lonic S. 324 f. Iloirmann, Die griechisclicn Dia-
lekte Ili ö. 545. 547.
64 R- ZAHN
des Namens des Gatten oder des Vaters der Weihenden.
Die Schrift macht einen recht entwickelten Eindruck, doch
wird man sie nicht gerade spät ansetzen dürfen. Sie ist nur
weniii; jünjj;er — man vergleiche die Form des A — als die auf
tiefe Schalen aufgemalten Inschriften aus dem Heiligtum der
Aphrodite in Naukratis [Naucratis 11 Taf. 21, 739-747,
768), die man nicht viel nach dem Anfang des ö. Jahrhunderts
wird datiren dürfen.
Die Darstellung bietet natürlich wenig, was sich mit un-
seren anderen Scherben vergleichen liesse. Doch scheint mir
die Bildung der Sphinx am Throne des Priamos den men-
schenköpügen Vögeln sehr verwandt. Auch die Tierstreifen
auf den schlanken Amphoren von Defenneh können heran-
sezosen werden. Für die Form des Gelasses selbst ver-
weise ich auf den Deinos mit Tierfriesen, der bei Westropp,
Handbook of arcliaeology S. 306 abgebildet ist'. Er gehört,
wie man selbst aus der kleinen Abbildung sehen kann, zu
der von Dümmler in den Römischen Mitlheilungen 1887 S.
171 fY. behandelten Klasse jonischer Vasen, im obersten Fries
kehren die beiden von einander abgekehrten Vögel mit Men-
schenköpfen unseres Gelasses wieder.
Die Verwendung von Sirenen und anderen Fabelwesen zum
hauptsächlichen Schmuck von Gelassen und die grosse herab-
hängende Knospe erinnern uns an Produkte einer italisch-
jonischen Fabrik, die Dümmler in den Rom. Mittheilungen
1888 S. 174 ff", besprochen hat. Besonders ist auf die schon
erwähnte Amphora beiMicali, Monumenti iV/ec//// (1844)Taf.
43, 3 zu verweisen, ihre schlanke Form und ihre Einteilung
zur Aufnahme des Bildschmuckes erinnert sehr an die Am-
phoren von Defenneh (vgl. Jahrbuch 1895 S. 39. ''i3,6)2.
' Eine älinliclie, aber nach unten sich weniger zuspitzende Form hat das
ebenlalls junische Gefass in den Munumenli ddi Inst. I Taf. '27, 29, wälirend
die drei im liullelin de curr. hell. 1«!)3 S. 424 IT. vcrölVcntliclilen Dcinoi im
Louvre und der in Wien, Masner Taf. 5, mehr kugelig gcl)iidct sind.
2 Dieselbe Einteilung haben übrigens auch die von Dümmler, Rom. Mit-
lheilungen 1887 S. 171 fr. besprochenen Amphoren.
Vasenscherben aus klazomenai 65
Ich halte es darum nicht für unmöglich, dass ähnliche, aber
sorgfältiger, als unser kleiner Deinos, ausgeführte Stücke mit
Tieren etwa in der Art der Sirenen auf dem Sarkophag Antike
Denkmäler I Taf. 45 die Vorbilder für die italische Fabrik
abgaben*. Auf die Punkte unterhalb des Stabornamentes, die
den italischen Gefässen und denen von Üefenneh gemeinsam
sind, hat schon Dümmler, Jahrbuch 1895 S. 39 Anm. 8
hingewiesen. Dass in der Fabrik flüchtigere Exemplare vor-
kommen, zeigt die Amphora bei Gsell, FoiiUles de Vulci
Taf. 18. 19. Gerade diese bietet in der Verwendung der brei-
ten weissen Linien eine hübsche Analogie zu der weissen In-
nenzeichnung auf unserem Deinos. Noch näher verwandt nach
der Flüchtigkeit der Zeichnung und der Darstellung ist eine
Amphora dieser Gattung in Würzburg (Urlichs Nr. 42), die
ich aus einer Zeichnung des Herrn Professor Wolters kenne.
Sie zeigt auf jeder Seite zwei abgewendete Sirenen, deren
Schwänze sich berühren. Die Innenzeichnung auf den Flü-
geln ist wie bei unserem Deinos in Weiss aufgesetzt. An der
Mündung befindet sich eine weiss aufgemalte etruskische In-
schrift. Darum trage ich kein Bedenken, die ganze Klasse einer
etruskischen Fabrik zuzuweisen, und sehe in ihr neben der
oben S. 58 angeführten Amphora in Würzburg einen weiteren
Beleg für die besondere Einwirkung unseres klazomenischen
Kreises auf die etruskische Kunst^.
Der Freundlichkeit des Herrn Dr. Böhlau verdanke ich die
< Zu den Sphingen mit den Zitzen vgl. die Tiere auf einer Büchse mit
Ohrenhenkeln in der Sammlung Ualvert aus Thyrahra (Photographien des
alhenisehen Institutes, Kieinasien Nr. 3 und 5). Sie gehört wol einer loka-
len kleinasialischen Gattung an.
2 Zwischen dieser Würzburger Amphora und der eben besprochenen etruski-
schen Gattung, doch dieser durch die ausschliessliche Verwendung der
weissen Deckfarbe näher, steht die Hydria in London mit der Darstellung
eines Seekampfes [Calal. of tlic vases in ihe lintish Museum II B CO). Die
fremden Bogenschützen sind natürlich aus der jonischen Vorlage übernom-
men und können darum nicht als Grund gegen etruskische Fabrikation
verwendet werden, wie dies Heibig in den Sitzungsberichten der Akademie
zu München 1897 II S. 287 will.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXni. 5
66 R. ZAHN
Kenntniss noch einer Scherbe aus dem griechisclien Osten, die
hier nach einer von ilim zur Verfü^ijung gestellten Zeichnung
als Fig. 2 in zwei Drittel der natürlichen Grösse abgebildet
wird.
Die Scherbe ist von Humann in Smyrna erworben und
wahrscheinlich kleinasiatischer Provenienz. Sie ist im Feuer
gewesen, daher lässt sich Sicheres über das Technische nicht
sagen. Der Thon hat Glimmerbeisatz, der geringer, als z. B.
bei der samischen Thon wäre, aber immerhin doch auffällig
Fig. 2.
genug ist. Er hat jetzt eine lichtbraune Färbung auf der Ober-
fläche der Vorderseite; die Innenseite ist mit einer schwarzen
kohlehaltigen Erdschicht überzogen. Der Firniss ist braunrot,
sehr ungleichmässig. Das Weiss (an Flügeln, Schwanz der
Sirene und Mähne, Hinterbein und Bauch der Löwen) ist grau
gebrannt. Innenzeichnung und der Kontur am Gesicht der
Sirene sind geritzt.
Über die Form des Gefässes liegt mir leider keine Angabe
vor. Es war, wie es scheint, eine Amphora mit begrenzten
Scbulterfeldern und umlaufender Zone, also mit einer I^aum-
einteilung, wie die der oben S. 64 genannten Gefässe.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 67
Böhlau dachte bei der Scherbe an eine Beziehung zu der
schon öfter erwähnten Klasse, die in den Rom. Mittheilungen
1887 S. 171 ff. zusammengestellt ist. Allein in dieser wird
die Fleischfarbe der Frauen durch Weiss bezeichnet *, während
die Sirene auf unserer Scherbe ein schwarzes Gesicht hat.
Auch die Bildung der Tiere auf unserer Scherbe scheint mir
von den sorgfältigen wie den flüchtigen Produkten jener Klasse
gleich weit entfernt zu sein. Ich wage darum nicht, unsere
Scherbe mit ihr in einen näheren Zusammenhang zu bringen.
Verwandter scheinen mir die Tiere auf den Pinaxfragmenten
von Naukratis, soweit man nach der Abbildung Naucratis
11 Taf. 9, 1. 2 urteilen kann. Ich mache besonders auf die
Zeichnung der Tatzen und den Streif am Hinterschenkel auf-
merksam. Auch die Tiere auf dem ebenda Fig. 3 abgebilde-
ten grossen Gefäss scheinen mir ähnlich zu sein.
Wir haben also gesehen, dass um die Scherben und die
Sarkophage von Klazomenai eine Reihe von Gefässen oder
Bruchstücken verschiedenen Fundortes sich gruppirt, die
entweder zu demselben Kunstkreis gehören oder wenigstens
als von ihm abhängig sich herausstellen. Wir sind berech-
tigt, das Centrum in Klazomenai zu suchen, denn die zahl-
reichen dort gefundenen Sarkophage ^ weisen auf eine be-
deutende Thonindustrie an Ort und Stelle hin. Dass sie von
anderswoher eingeführt wurden, ist bei ihrer Grösse nicht
wahrscheinlich 3. Der Name des Ortes, der an die Stelle des
alten Klazomenai nach dessen Verlegung auf die kleine ge-
genüberliegende Insel getreten war, XOxpiov bei Strabo (XIV
1, 36) scheint nach seiner Verwandtschaft mit x^^pa auch
< Eine Ausnahme bildet nur die Sirene Micali, Monumenti inediti (1844)
Taf. 36, 1, wenn I.ei ihr das Weiss nicht geschwunden ist, wie es bei der
Sphinx Rom. Milthciliingcn 1887 Taf. 8, 1 geschohon zu sein scheint.
^ Die voiisiandigsle Zusaninienslellung gibt Heinach, Hevue des Hudes
grecques 1895 S. 161 if. Zu den dort aufgezählten kommen noch die zwei
neuen Stücke in Berlin (Antike Denkmäler II Taf. 25. '26) und der neue
Sarkophag in London (Monumenls Piot IV Taf. 4-7) hinzu.
^ Vgl. Reinach a. a. 0. ö. 170.
68 R- ZAHN
auf das Vorhandensein von Töpfereien hinzuweisen'. Allein
der alte Name ist Xutöv, wie wir aus einer attischen Inschrift^
des Jahres 387/86 und aus Ephoros bei Stephanus Byz. s.v.
vs'issen. Er hat natürlich mit i^t()x nichts zu thun, doch
bleibt die Möglichkeit, dass die spätere Anlehnung des Na-
mens an x^'^?'^ durch eine am Orte befindliche Töpferindustrie
sich erklärt.
Deutlich spricht für einheimische Kunst die schon erwähnte
Übereinstimmung der Schildzeichen des Gorgoneion und des
geflügelten Ebers auf Gelassen und Sarkophagen mit Münz-
bildern von Rlazomenai. Vielleicht dürfen wir in diesem Zu-
sammenhang auch noch auf die Schafe des neuen berliner
Sarkophages (Antike Denkmäler 1! Taf. '26) hinweisen. Die
Münzen, die zuerst nur einen VVidderkopf, dann das ganze
Tier als Bild tragen-', zeigen uns dieselbe charakteristische
Bildung mit dem kleinen Hörn, der krummen Nase und der
kahlen Stirne.
Unter den wenigen Nachrichten, die wir über Klazomenai
besitzen, finden sich einige, die uns zeigen, dass die Stadt in
alter Zeit recht bedeutend gewesen sein muss. Dem Alyattes
leistete sie sehr erfolgreichen Widerstand (Herodot I, 16). Sie
besass ihr eigenes Schatzhaus in Delphi (Herodot I, 51). Schon
im siebenten Jahrhundert gründete sie Abdera (Herodot 1 , 1 68).
Eine gemeinsame Kolonie von Milet und Klazomenai war
Kardia, die grösste Stadt des thrakischen Chersonnes (Strabo
VII, 51). Auch zu den in Naukratis vertretenen Städten ge-
hörte Klazomenai (Herodot U, 178), es ist also ganz natürlich,
dass sich so viele Erzeugnisse seiner Keramik in Ägypten fan-
den. Auf Handelsbeziehungen mit dem Westen weisen die
vielfachen Spuren kluzomenischer Kunst, denen wir in Etru-
rien begegneten.
Wir sind berechtigt von klazomenischer Kunst zu sprechen,
< Vgl. Dennis, Journal of Hell. stud. IV, 1883, S. 21.
2 Athenische Mitlheilungcii 1882 S. 174 IT.
3 Catal. ofGreek coins, Imia Taf 6, 6, 10-17.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 69
weil die Bilder der keramischen Produkte uns im grossen
Rahmen der jonischen Kunst eine besondere Formengebung
zeigen und die Übereinstimmung mit einigen Münztypen der
Stadt auf eine grössere , allgemeine Kunstübung schliessen
lässt, von der beide Zweige abhängig sind. Allein es bleibt
die Frage, ob diese Formengebung Klazomenai zuerst allein
eigen oder von Anfang an über ein grösseres Gebiet verbreitet
war. Eine Entscheidung können nur weitere Funde in Klein-
asien bringen. Es scheint allerdings, dass die Münzbilder
verschiedener Orte uns thatsächlich eine Beeinflussung von
Klazomenai her verraten. Die Frage verdient eine eingehende
Untersuchung ; ich muss mich hier zunächst mit Andeutungen
begnügen.
Auf Elektronmünzen von Lesbos sehen vi^ir wundervoll mo-
dellirte Pferdevorderteile [Troas Taf. 31, 18. 19)', deren un-
gemein grosse Ähnlichkeit mit den Pferden auf dem neuen
berliner Sarkophag (Antike Denkmäler 11 Taf. 26) sofort in
die Augen springt. Besonders zu beachten ist die Zeichnung
der Mähne und die merkwürdige Punktreihe längs der Brust-
muskellinie, wie bei den Pferden der besprochenen Scherben.
Weiter dürfen wir den Athenakopf auf Münzen von Methymna
{Troas Taf. 36, 6. 7) mit den Köpfen auf dem berliner in
der Art rotfiguriger Vasen bemalten Sarkophag (Antike Denk-
mäler 11 Taf. 25) zusammenbringen. Er hat dieselbe Form
des Helmes mit dem verschieden variirten Stirnaufsatz, der
auch für die Helme auf klazomenischen Vasen so charakte-
ristisch ist. Aber auch die Bildung des Kopfes selbst zeigt
grosse Verwandtschaft, man beachte das Profil und die Zeich-
nung des Auges. Dass diese Übereinstimmung sich nicht aus
der gleichen Kunstentwicklung in beiden Städten erklärt, son-
dern dass Lesbos von Klazomenai bceinflusst ist, ergibt sich
daraus, dass wir die genannten klazomenischen Münzbilder,
das Gorgoneion, den geflügelten Eber und den VVidderkopf,
Ich citirc nach Calal. of Greek coins in tlie Brit. Museum.
70 R- ZAHN
ebenso stilisirt auf den Elektronstücken von Lesbos wieder-
finden *.
Auf einer Elektronmünze von Phokaia sehen wir einen
behelmten Kopf ^ — vom Gesicht sieht man nur das Auge —
der durchaus mit Köpfen auf dem Deinos im Louvre über-
einstimmt {Bulletin de corr. hell. 1893 Taf. 18). Man
beachte wieder die Angabe des Mundes durch die kleinen
Bo2;enlinien auf den Backenklappen ^. Auch das weibliche
Köpfchen auf einem andern phokäischen Stücke [lonia Taf.
4,1) dürfen wir wol mit klazomenischen Typen in Verbindung
bringen. Auf andern Münzen erscheint auch der Widderkopf
{lonin Taf. 4, 17).
Auf Münzen von Abydos [Troas Taf. 1, 1-5) und Apollo-
nia am Rhyndakos [Mysia Taf. 2, 2-4) sehen wir das Gorgo-
neion mit den weitabstehenden Schlangen.
Das Vorderteil eines geflügelten Ebers, ebenso stilisirt wie
auf den Münzen von Klazomenai, findet sich auf Stücken von
Kyzikos^, Samos^ und Jalysos^. Für eine Entlehnung spricht
< lonia Taf. 6, 1-6 (Klazomenai). Troas Taf. 31, 6-17 (Lesbos).
a lonia Taf. 5, 22.
3 Vgl. oben S. 57 Anm. 3.
* Mysia Taf. 5, 15; Greenwell, Coinage of Cyzicus Taf. 5, 33. Bei Kyzikos
mag auch noch einmal das von Joubin veröfTentlichte Relief in Konstan-
tinopel erwähnt werden (Bulletin de corr. kell. 1894 S. 491 ff.). Er hat mit
Recht seine Verwandtschaft mit den Bildern auf den Sarkophagen hervor-
gehoben.
5 lonia Taf. 34, 16-19. Gardner, Samos and Samian coins, Numismatic
chronicle 1882 Taf. 2, 9. 10. 12-15. Vgl. S. 48 ff.
G Caria Taf. 35, 1-5. Vgl. S. Gl, wo auch auf Münzen von Kyrene mit
demselben Bilde hingewiesen wird, die im Num. Chron. 1891 Taf. 1, 8. 9
veröffentlicht sind. Der Typus wird wol aus Kleinasien übernommen sein.
Vgl. Ilead, Hisloria nummorum S. 727.
Zwisclien Rhodos imtl Klazomenai ergeben sich auch sonst mehrfache
Bezieluingen. Ich will davon absehen, dass die Tiere und die Füiloriianiente
in den unteren Streifen der Sarkophage fast dieselben sind, die wir auf rho-
dischen Gefässen linden. Dieser Stil scheint in Kleiiiasien weit verbreitet
gewesen zu sein. Wiclilig ist ein in Kamiros gefundener Tbonsarkophag,
jetzt im Britliscben Museum (SalzMiaiin, Necropule de Camiros Taf. 28), der
nach dem Urteil von C. Smith {Journal of Hell, stuäies VI, 1885, S. 183)
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 7!
besonders bei den Typen letzterer Stadt die Punktreilie, die
entweder längs der Buglinie oder auf dem Halse wie ein Hals-
band angebracht ist. Dieselbe Erscheinung kehrt wieder bei
dem gewöhnlich ungeflügelten Eber auf den lykischen Mün-
zen'. OtVenbar sind die Vorbilder durch Jalysos vermittelt,
gehen also auch auf Klazomenai zurück.
Die Vorliebe für diese Reihen von Punkten in der älteren
klazomenischen Kunst leitet sich jedenfalls aus der Abhängig-
keit von Metallarbeiten^ her,bei denen sie sich aus der Technik
desPunzens erklärt. Man kijnnte sich also denken, dass sie bei
den Tieren wie bei den Gewändern, Waffen und anderen Ge-
genständen einfach als Ornament ^verwendet wurden. Bei dem
Pferde auf der Hydria von Defenneh (Antike Denkmäler H Taf.
21, 1) sind sie auch auf das Hinterteil gesetzt. Da sie sich
nun aber fast ausschliesslich an der ßuglinie finden, lässt
sich vielleicht noch eine besondere Erklärung für sie geben.
Auf den klazomenischen Münzen sind die Punkte längs des
vorderen, der Buglinie entsprechenden Flügelrandes ange-
bracht und sollen die kleinen Federchen ausdrücken. Es
scheint mir nun nicht unmöglich, dass man später die Punkte
als zum Tier gehörig betrachtete und sie auf die Buglinie
aufsetzte, auch wenn man die Flügel wegliess. Ist dies rich-
tig, so müssen wir annehmen, dass auch die Punktreihen
und von Joubin (Bullelin de corr. hell. 1895 S. 70 Anm. 1 ) eine späte lokale
Nachalimuiii; eines klazomenisclien Vorliildes ist. Auch die Stilisirung der
Rose auf den rliodisclien Münzen ist dieselbe, wie bei denen, die anf den
klazomenisclien Bildern in die Darstellung liereinianken (vgl. Rom. Mit-
theilungen 1888 Taf. 6, Antike Denkmäler II Taf. 26, Monumenls Piut IV
Taf. 4-7).
< Lycia Taf. 1 (T. — Es lindet sich auch der geflügelte Typus, z. B. Taf.
6, 16. Vgl. Caria S. Ci.
2 Vgl. die Schilde ans der Zeusliölile in Kreta, Musco äaliano II, Allante,
Taf. 1-3 und die Sphingen auf einem Helm im Louvre, Lipperheide, Antike
Helme Nr. 366 (S. 57 und 516 der vorläuligen Ausgabe).
3 Bei den Sphingen auf den eben erwähnten kretischen Schilden (a.a.O.
Taf. 2. 3) sind die Punktreihen nur Ornament. Auf dem Heim ist fast der
ganze Kontur der Sphingen mit runktrcihen ciugcfasst.
72 R. ZAHN
bei den Pferden der besprochenen Seherben und der Mün-
zen von Lesbos der Rest ehemaliger Reflügeking sind. Und
wirklich sehen wir auch, dass auf den von unserer Gattung
beeinflüssten etruskischen Gefiissen * hiiufig getliigelte Pferde
dargestellt sind, bei denen die kleinen Federn am Vorderteil
des Flügels durch Reihen kleiner gravirter Kreischen ausge-
drückt werden, die den aufgemalten Punkten auf den Flügeln
der Sphingen im obersten Streifen des berliner Sarkophages
(Antike Denkmäler I Taf. 44) entsprechen. Die gegebene Er-
klärung mag zunächst merkwürdig erscheinen, doch finde ich
eine entsprechende Entwicklung in der Erscheinung, dass
besonders auf attischen Bildern die eigentlich zur Verzierung
der Schenkelschienen dienenden Spiralen auf die nackten
Schenkel der Krieger als Ornament gezeichnet werden ^.
Der eine der neuerworbenen Sarkophage in Berlin (Antike
Denkmäler II Taf. 25), auf dem die Figuren hell ausgespart
vom dunkeln Grunde sich abheben, fordert uns zum Vergleiche
mit den frühen attischen Werken gleicher Technik auf. Ihre
Einführung wird jetzt gewöhnlich mit dem Namen des Ando-
kides in Verbindung gebracht ^. Aber nicht nur in der Technik
besteht eine Verwandtschaft, auch die Kopftypen auf dem Sar-
kophage zeigen eine merkwürdige Ähnlichkeit mit denen auf
rotfigurigen Gefässen der Fabrik des Andokides*. Beiden sind
die oben flachen , wagrecht in die Länge gezogenen Schädel,
die ohne Absatz in die Stirne übergehende Nase, die vorsprin-
genden Lippen, die geschwungenen Augenlider gemeinsam. Aber
auch eine Reihe Vasenbilder des jüngeren schwarzfigurigen
< Vgl. Römische Mittheilungen 1888 S. 174 ff. und oben S. 64.
2 Vgl. Furtwängler, Olympia IV S. 160 zu Nr. 996.
3 Vgl. Lösclickc, Allien. Mittheiluiigen 1879 S. 40 f. Furtwängler, Ber-
liner phil. Wochenschrift 1894 S. 112. Hauser, Jahrbuch 1895 S. 158.
Hartwig bei Ilelbig, iSitzungsberichle der Akademie zu München 1897 II
S. 261.
^ Vgl. besonders die Köpfe auf der Amphora in Berlin 2159 (Gerhard,
Trinkschalen und Gefässe Taf. 19. 20), ferner die von Norton im American
ournal of arrhneolugy 1896 8. 1 ff. besprochenen und z. T. abgebildeten,
jmeist nicht signirten Gefässe.
VASENSCHERBEN AUS KLAZOMENAI 73
Stiles, die mir dieselbe Hand zu verraten scheinen, wie jene
rotfigurigen ', zeigen auffallende Anklänge an die klazomenische
Kunst. Den Nachweis dieser Gefässe und ihre Besprechung
verspare ich für eine eingehendere Behandlung des Kreises
des Andokides und seiner Stellung im jüngeren schwarzfigu-
rigen und frührotfigurigen Stile, die ich bald zu geben hoffe.
Nur folgende drei Beispiele mögen uns zeigen, worin der Fort-
schritt gegen die älteren Meister des schvvarzfigurigen Stiles
sich offenbart: Es ist die Amphora einer englischen Samm-
lung, Gerhard, Auserlesene Vasenbilder II Taf. 108 , die
Hydria in Berlin, Furtwängler 1896, Gerhard, A. V. IV Taf.
249. 250, und die Hydria^ im Museo Gregoriano II (Aus-
gabe A) Taf. 13, 1 (=:Ausgabe B Taf. 10,1). Was uns auf-
fällt, ist das Streben, die Falten an den Gewändern, besonders
die Abtreppungen am Saume, wiederzugeben , den Körper
durch Innenzeichnung, mitunter auch durch Angabe der Be-
haarung naturgetreuer zu bilden, schliesslich auch den Schräg-
ansichten am Körper und an unbelebten Gegenständen ^ ge-
recht zu werden.
Den Anfang zu einer richtigen Faltenzeichnung haben wir
schon auf dem Deinos im Louvre gefunden^. Die Abtreppung
der Falten an dem niederhängenden Gewandzipfel zeigen uns
< Schon Lösclicke, Athen. Mittheilungen 1879 S. 41 machte auf ihre Ver-
wandtschaft mit den frühen rottigurigon Bildern aufmerksam.
2 Von der Sorgfalt der Zeichnung gibt die Abbildung keine Vorstellung.
3 Man beaclite die richtige Zeichnung des schräg gesehenen Schildes, die
sich auf beiden Hydrien lindet. Sie erscheint wieder auf der rotligurigen
Amphora des Andokides in Berlin und auf der Schale in München, die
Hauser ihm zuschreibt (Jahrbuch iS95 Taf. 4). Er macht auch schon auf
diese Erscheinung aufmerksam (S. 154). Sie ist um so merkwürdiger, als
selbst Euphronios und seine Genossen die Schilde meist nicht richtig per-
spektivisch zeichnen. Erst Oncsimos hat das Problem wieder gelöst (Hart-
wig, Meisterschalen Taf. o9, 2. Vgl. auch S. 537). Wir sehen also,dass wir
in diesen frühen perspektivischen Versuchen auf unseren Vasen nicht etwa
eine Rückwirkung des jüngeren Kreises auf die älteren Meister erkennen
dürfen.
* Vgl. oben S. 57.
74 R. ZAHN
die Sarkophage in Berlin, Antike Denkmäler I Taf. 44. 11
Taf. 26. Besonders bei dem zweiten ist die Zeichnung schon
recht entwickelt. Eine reichliche Angabe der Muskulatur be-
merken wir auf dem londoner Sarkophage [Monuments Piot
IV Taf. 4-7). In ihrer ganzen Vollendung aber zeigt sich die
Erscheinung auf dem eben erwähnten neuen Sarkophage in
Berlin, besonders bei den Tieren. So sind bei den Pferden
nicht nur die Muskeln , die Hautfalten , die Haare über den
Hufen, sondern auch die Adern am Bauche angegeben. An der
Hand der Göttin in der Mitte sind die Knöchel ausgedrückt.
Man beachte die gut gezeichnete Hand, welche die Zügel des
linken Gespannes hält. Auch die Oberansicht des Fusses, die
zweimal auf den angeführten attischen Gelassen vorkommt,
scheint bei dem neben der jonischen Säule stehenden Jüngling*
auf dem londoner Sarkophag wiedergegeben zu sein {Monum.
Piot IV Taf. 6 E). Ich glaube in der Abbildung noch eine
Spur der Zeichnung des Fusses zu erkennen, ferner schliesse
ich aus der geringeren Ausbuchtung der linken Wade, dass
das Bein von vorn gesehen wird. Zu beachten ist auch, wie
der Maler das Umschauen nicht mehr durch eine unnatürliche
Umdrehung des Kopfes zum Ausdruck bringt, sondern ihn leicht
geneigt zeichnet^. Es offenbart sich darin ein entschiedener
Fortschritt gegenüber den sich umblickenden Figuren auf dem
älteren berliner Sarkophag (Antike Denkmäler I Taf. 44).
Eine Rückenansicht wollte der Maler des Gefässes aus Kyme
geben (Rom. Mittheilungen 1888 Taf. 6). Sie ist ihm zwar
misslungen, aber wir können immerhin aus seinem Versuche
schliessen, dass er Vorbilder kannte, in welchen das Problem
angefasst wurde.
' Die Figur ist kein Eidolon, wie Murray S. 38 (glaubt, sondern sie ist
wol einer grösseren palästrischen Darstellung, entnommen. Sie hält einen
Wurfspeer, die Finger der rechten Hand liegen in der Ankyle. Dass die
Figur auf ein Vorhild der grossen Kunst zurückgehl, wird diircii eine fast
genau ihr entsprechende auf einem etruskisehen Wandgemälde aus Chiusi
wahrscheinlich (Monumenti delV Inst. V Taf. 16).
3 Vgl. Hartwig, Meislerschalen S. 161 f.
Vasenscherben aus klazomenai 75
Finden wir so alle die Erscheinungen, die uns auf den ge-
nannten attischen schwarzfigurigen Bildern eine neue Ent-
wicklung ankündeten, im Gebiete der klazomenischen Kunst
wieder und kommen gewisse Einzelheiten in der Zeichnung,
der Tracht u. s. w. hinzu, die sich nur aus einer Abhängigkeit
der attischen Vasenmalerei von jener fremden Kunst erklären,
so werden wir dieser auch den Ansloss zum Wechsel der Tech-
nik zuschreiben dürfen.
Diese Neuerung in der Keramik hat sich in Klazomenai
herausgebildet, wo, wie uns die Sarkophage lehren, die Zeich-
nung in Konturen neben der Silhouettenmalerei nie auf-
gehört hatte* und in der grossen Kunst wol immer geübt
worden war. Dass wir angesichts der Sarkophagbilder auf
eine Blüte der monumentalen Malerei in jener Stadt schlies-
sen dürfen, ist einleuchtend.
Die Beobachtung Löschckes ^ dass die frühen rotfigurigen
Werke des Kreises des Andokides in enger Beziehung zu den
bemalten Stelen stehen, die eine entsprechende Technik zei-
gen, lässt sich mit unserer Ansicht ganz gut vereinen.
Wenn wir in der attischen Vasenmalerei den Einfluss von
Klazomenai erkennen, so ist es wahrscheinlich, dass er auch
auf die grosse Malerei gewirkt hat. Die attische Stele des Ly-
seas3 zeigt ihn ganz deutlich in der Zeichnung des Gewan-
des. Diese Kunst kann nach Attika durch Gemälde vermittelt
worden sein , glaublicher ist mir aber, dass klazomenische
Künstler in Attika selbst thätig w^aren. Gerade in die Zeit,
da ihr Einfluss in Attika sich uns offenbart, fällt das Vor-
dringen der Perser gegen die kleinasiatischen Griechenstädte.
' Dies zeigt sich an dea sogenannten rliodischen Tierstreifen. Vgl. na-
menllicli die ganz in Umrissen gezeicluieten Panther aul' dem Saikopliag im
Louvre, liullelin de rurr. hell. 1S95 Taf. 2. Auf dem heriiner Sarkophag ist
bei den unleren Köpfen der Grund noch nicht schwarz gedeckt, es ist also
nicht der dunkle Grund das Wesentliche, sondern die Urarisszeichnung.
2 Athen. Mitllieihingen 1879 S. 40 f.
3 Athen, Mittheilungen 1879 Taf. 1 ; Couze, Die attischen Grabreliefs l
Taf. 1.
76 R. ZAHN
Wir wissen, dass die Klazomenier aus Furcht vor den Persern
ihre Stadt auf eine nahegelegene Insel verlegten*. Es ist wol
denkbar, dass unter diesen Umständen manche Künstler es
vorzogen, ihr Vaterland zu verlassen und sich nach dem un-
ter der Herrschaft des Peisistratos aufstrebenden Athen zu
wenden. Vielleicht sind uns noch Werke von ihnen erhalten
in der fragmentirten Stele in Berlin mit dem Jünglingskopf^
und dem Marmordiskos mit dem Bildniss des Arztes Aineios^.
Bei jenem erinnert die Form des Schädels, die Bildung des
Auges, der freundliche Gesichtsausdruck sehr an die Köpfe
des so oft erwähnten Sarkophages, bei diesem wird das ei-
gentümliche Profil mit der zurückweichenden Stirne, die
hohe Stellung der Augenbraue^ und der lange Bart^ sich
* Pausanias VII, 3, 8. S. Reinach, Revue des Hiules grecques 1895 S. 167 f.
hat gewiss Recht, wenn er die Verlegung der Stadt mit dem ersten Vor-
dringen der Perser in Zusammenhang bringt. Sie konnte ja nur Sinn haben
zu einer Zeit, als den Persern noch keine Flotte zur Verfügung stand.
2 Conze a. a. 0. Nr. 8 Taf. 6, 2, wo die Litteratur angegeben ist.
Pottier hat den Kopf mit Werken des Euphronios verglichen, er scheint
mir aber sicher älter zu sein. Auch der Kopf in Umrisszeichnung auf einer
altischen Schale, den Winter, Arch. Zeitung 1885 S. 198 f. mit ihm ver-
gleicht, zeigt den Einfluss der klazomenischen Kunst. Köpfe und Büsten
als Verzierung zu verwenden ist eine Eigentümlichkeit der klazomenischen
und überhaupt der jonischen Kunst (vgl. die klazomenischen Sarkophage
Mon. delV Inst. XI Taf. 53, Antike Denkmäler II Taf. 25, den rhodisclien
Sarkophag Salzmann, Camirus Taf. 28, die Scherbe aus Myrina Pottier und
Reinach, Necropole de Myrina Taf. 51, die jonischc Amphora in Berlin 1674).
Sie ist vielleicht ein Erbteil aus der mykenischen Kunst, vgl. den Silber-
becher 'E9ri(jL£pi? äpx- 1888 Taf. 7 und Perrot-Chipiez VI S. 813 (s. auch
Böhlau, Jahrbuch 1887 S. 46 f.). So wirkt auch in den in Umrissen ge-
zeichneten Büsten auf Schalen der Kleinmeister, über die Winter a. a. 0.
S. 189 f. handelt, die neue Kunst auf die älteren Vortreter des schwarz-
figurigen Stiles noch ein. Weiteres werde ich in meiner Besprechung des
Kreises des Andokides beibringen.
3 DragendorfT, Jahrbuch 1897 S. 1 f.
* Dieselben Eigentümlichkeiten zeigen die behelmten Köpfe auf dem Sar-
kophage Antike Denkmäler II Taf. 25. Vgl. auch die Köpfe auf unserer
Scherbe 1.
5 Für die Form des Bartes vergleiche die Scherben von Defenneh Tanis
II Taf. 30, 1. 2; Jahrbuch 1895 S. 43. 44.
Vasenscherben aus klazomenai 77
auch eher aus der Formenfrebung der jonisehen Kunst als
dem Streben nach Portrüthaftigkeit erklären. Üragendorff
macht auf den Unterschied der Zeichnung der Füsse gegen-
über der Stele des Lyseas aufmerksam. Das vordere Glied
der Zehen ist nach oben gebogen, wie in der Plastik bei den
chiotischen Figuren.
Klein, Euphronios^ S. 46 ff. hat das Aufkommen des rotfi-
gurigen Stiles mit dem Einfluss des Kimon von Kleonai zu-
sammengebracht. Hartwig^ macht mit Recht dagegen auf-
merksam, dass nicht in der veränderten Technik die grosse
Neuerung in der Vasenmalerei zu suchen ist, sondern in den
Fortschritten der Zeichnung. Er findet darum den Einfluss
des Kimon in den Werken des Kreises des Euphronios wie-
der. Allein wir haben gesehen, dass die Eigentümlichkeiten,
die bei Euphronios und seinen Genossen allerdings zur vollen
Ausbildung gelangt sind, ganz deutlich schon auf älteren at-
tischen Gelassen hervorzutreten beginnen. Die Vollendung der
Zeichnung auf einigen Sarkophagen berechtigt uns zu der An-
nahme, dass die grosse Malerei in Klazomenai schon um die
Mitte des 6. Jahrhunderts eine Höhe erreicht hatte, die etwa
der des attischen strengen rotfigurigen Stiles entsprach.
Wie steht es nun aber mit Kimon von Kleonai? Von sei-
nen Verdiensten spricht eingehender nurPlinius, N. II. 35, 56
( = Overbeck, Schriftquellen 377) : et qui prinius in pictura
marern a femina discreverit, Eiunariun Athenienseni, ß-
guras omnis imitari ausuni, qidqiie inventa eins excolue-
rit, Cimonem Cleonaeuni. Hie calagrapha irwenit, hoc est
obliquas imagines, et varie fonnare uoltus, respicientis,
suspicientisve vel despicientis .Articulis niembra distinxit,
venas protiilit^ praeterque in veste rugas et sinus invenit.
Wir werden diese Stelle am besten durch die Beobachtunü;en
'Uustriren, die wir früher bei den klazomenischen Sarkopha-
' Meisterschalen S. 14. Die ganze Frage ist von ilim eingehend S. 154 (T.
bebandelt.
78 R. ZAHN
gen machten. Man erinnere sich der Gewandzeichnung und
der sorgfältigen Angabe der Muskulatur und sogar der Adern
bei den Pferden auf dem Bilde Antike Denkmäler II Taf. 26.
Auch die catagrapha, deren Bedeutung Hartwig richtig er-
kannt hat*, fehlten nicht.
Wenn Rimon zu dem athenischen Maler Eumarus in ein
Verhältniss gebracht wird, so werden wir schliessen,dass der
Gewährsmann des Plinius die Möglichkeit gehabt hat, Bilder
beider Meister mit einander zu vergleichen und aus ihnen den
bedeutenden Fortschritt des Kimon gegenüber dem älteren
Maler zu erkennen, und dazu wird wol in Athen die Gelegen-
heit vorhanden gewesen sein.
Den Namen des Kimon erfuhr er wahrscheinlich aus der
Künstlerinschrift. Von einer Blüte der Malerei in Kleonai
weissen wir nichts, dagegen erfahren wir aus Pausanias VII,
3,9, dass der grössere Teil der ursprünglichen Bewohner von
Klazomenai keine Jonier, sondern Leute aus Kleonai und
Phleius waren. Das Andenken an die alte Heimat hat sich
gewiss in den klazomenischen Familien bewahrt , und so
scheint es mir möglich, dass Kimon, den wir nach dem Ge-
sagten in den Kreis der klazomenischen Kunst setzen müssen,
in einer Künstlerinschrift die Abstammung seiner Familie aus
Kleonai erwähnte und so zum Kleonäer wurde ^. Wir hätten
also in ihm den Hauptvertreter der klazomenischen Kunst in
Athen.
Der Entwicklungsgang der attischen Malerei, wie wir ihn
hier zu schildern versuchten , entspricht vollkommen dem
der attischen Plastik. Beide Kunstzweige erfuhren zu der-
selben Zeit von Osten her den Einlluss einer bedeutend weiter
< Meistersclialen S. 156 fT.
2 Ähnlich heisst es von Thaies hei Ilcrodol I, 170x6 äv^xaOev y^vo? Eo'vtot
4)oivixos (vgl. Diogenes Lacrl. I, 32). Der König Kleomenes nennt sich als
Nachkomme des Herakles Achäer (Herodot V,72). Auch die Schwierigkeit,
dass Alkamenes Athener und Leninier genannt wird, löst sich in ähnlicher
Weise. Vgl. Brunn, Künstlergeschichte I S. 234.
Vasenscherben aus klazomenai 79
fortgeschrittenen Kunst, sie nahmen das, worin die Jonier
ihnen überlegen waren, auf, aber sie verloren ihre Eigenart
in dieser Zeit des Lernens nicht. Die Bilder des Euphronios
und seiner Genossen können uns einen Begriff davon ^^eben,
wie die attische Malerei es verstand, das Fremde sich anzu-
eignen, weiterzubilden und doch dabei ihre Selbständigkeit
zu wahren.
Athen, im April 1898.
ROBERT ZAHN.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III.
(Hierzu Tafel I-III)
Die phrygischen Felsdenkmäler.
Seit Leake im Januar 1800 auf dem Wege von Sidi-Gasi
nach Chosrew- Pascha- Han eine Anzahl grosser skulpirter
Felswände, vor allem das sogenannte Midasgrab entdeckte ^
haben diese Skulpturen auf alle Besucher des kleinasiatischen
Hochlandes eine starke Anziehung ausgeübt. Der ästhetische
Eindruck so alten und bedeutenden Menschenwerkes mitten
in öden, jetzt nur dünn bevölkerten Waldthälern, das Rätsel-
hafte ihrer deutlich lesbaren und doch nur halb verständlichen
Inschriften, die Fremdartigkeit ihrer Kunstformen, in die doch
wieder Hellenisches eingemischt schien, alles kam zusammen,
um die Phantasie des reisenden Laien wie den Forschungs-
trieb des Gelehrten mächtig anzuregen.
Eine neue Epoche für unsere Ivenntniss der phrygischen
Denkmäler begann, als Ramsay anfing ihnen die seltene Ener-
gie seiner Forscherarbeit zuzuwenden. Auf immer wieder-
holten Reisen hat er den Bestand der bekannten Denkmäler
mehr als verdoppelt und wir verdanken ihm gerade einige
der schönsten und merkwürdigsten Stücke. Wir dürfen an-
nehmen, dass seinem Spürsinn und Finderglück kaum noch
wesentliche Überreste entgangen sind ; ich wenigstens habe
bei mehrfachem Durchstreifen des ganzen Gebietes nur ein
einziges grösseres Denkmal hinzufügen können. Es ist zu
beklagen, dass Ramsay seine in den verschiedensten Zeit-
schriften zerstreuten Forschungen noch immer nicht in einer
grösseren Publikation zusammengefasst hat; bisher unterrichtet
^ Leake, Journal of a tour in Asia Minor S. 20-36.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 81
man sicli über seine Entdeckungen am bequemsten durch den
fünften Band von Perrots llistoire de Cart dans V antiquile .
Leider ist Ramsays Stilgefühl weniger glänzend als sein Fin-
derglück und noch geringer ist seine zeichnerische Begabung.
So kam es, dass eine beträchtliche Anzahl seiner bedeutenden
Funde bisher nur in unzureichenden Abbildungen vorlagen
und daher auch von Perrot, der im Jahre 186? einen Teil der
Denkmäler selbst kennen gelernt hatte, historisch nicht richtig
gewürdigt sind.
Ich hielt es daher für nützlich, das gesamte Material noch
einmal eingehend zu untersuchen, auch so weit möglich pho-
tographisch aufzunehmen und verwandte auf diese Arbeit einen
Teil der Sommermonate 1894 und 1895. Dem warmen wis-
senschaftlichen Interese des Generaldirektors der anatolischen
Eisenbahn, Herrn von Rühlmann hatte ich es zu danken,
dass im Sommer 1895 der Photograph Berggren unter mei-
ner Leitung einige wohlgelungene Aufnahmen mit einem
grösseren Apparat, als mir sonst zur Verfügung stand, machen
durftet Derselben Förderung hat sich dann im Sommer 1896
Professor F. von Beber in noch viel ausgedehnterem Masse zu
erfreuen gehabt und in seiner Abhandlung über die phrygi-
schen Felsendenkmäler (Abhandlungen der K. bayerischen
Akademie der Wissenschaften XXI) liegen jetzt fast alle Mo-
numente in vortrefflichen Lichtdrucktafeln nach Berggrens Pho-
tographien vor'^. Eine Wiederholung der jetzt so gut veröf-
< Vgl. Arcli. Anzeiger 1895 S. '231 .
2 Durunlcr bcliiulcn sicli auch zwei der von Berggren unter meiner Leitung
angeferliglon Pliolograpliien (Tat". 3 und Fig. II ). Dass sie für mich aul-
genommen waren, kann dem Herausgeber ebenso wenig unbekannt ge-
blieben sein wie, dass ich inil einer Arbeit über die Felsdenkmäler be-
scliäl'tigl war.denuer ciürl meinen AursatzAllien. Millheihiiigcn XX 6.1-19,
in dem ich sie ankündige. Fig. 11 bildet er ein erst von mir erlorsehtes
Denkmal ab ohne es selbst überhauid gesehen zu haben. Nicht einmal die
Lage dieses wichtigen Grabes ist ihm bekannt, er bezeichnet es als unweit
von Liycn liegend, von dem es etwa Tb""» enllernl ist. Eine vorherige An-
frage bei mir wäre wol in jedem Fall angebracht gewesen, und würde ihn
zum wenigsten vor der falschen Ortsangabe bewahrt haben.
ATHEN. MITIHEILUMGEN XXUI. 6
82 A. KOERTE
fentlichten Werke hätte diesen Aufsatz unnütz belastet, ich
verweise daher ein für alle Mal auf die reberschen Lichtdrucke
und beschränke mich auf die im Text sowie auf Taf. 1-3
mitgeteilten Probend
Zwei Grundirrtümer standen meines ßrachtens bisher einer
richtigen geschichtlichen Würdigungder phrygischen Felsdenk-
mäler im Wege: Erstens galten alle, oder doch fast alle grös-
seren Monumente für sepulcral, und zweitens glaubte man in
ihnen eine fortlaufende Reihe zu besitzen, die den allmäh-
lichen Wandel des phrygischen Stils und den wachsenden
EinOuss des Hellenismus Schritt für Schritt etwa vom IX.
Jahrhundert bis zur Diadochenzeit zu verfolgen erlaubten. Die-
sen beiden Sätzen stelle ich folgende entgegen :
1. Das sogenannte Midasgrab und alle ihm ähnlichen Fas-
saden mit geometrischen Mustern sind Rultstälten.
2. Die Denkmäler zerfallen in zwei scharf getrennte Grup-
pen, zwischen denen eine Lücke von mindestens 600 Jahren
klafft; alle Werke, die den Einfluss der reifen griechischen
Kunst zeigen, gehören in die römische Kaiserzeit, in das IL
bis IV. Jahrhundert nach Chr.
I. Die altphrygischen Denkmaeler.
A. Die Felsfassaden ohne Grabkammer.
Die erste Frage, die sich bei der Betrachtung der grossen
phrygischen Felsfassaden mit geometrischen Mustern auf-
drängt, ist die nach ihrem Zweck. Werke von solcher Gr()sse
und so sorgfältiger Ausarbeitung, die dem unmittelbaren prakti-
schen Gebrauch nicht dienen können, sind entweder für die
Götter oder für die Toten bestimmt; zwischen diesen beiden
Möglichkeiten kann man schwanken, und die Gelehrten ha-
' Taf. 2 ist nach einer berpgrensctien, die ülirigen Alihilduiiijen im Wc-
senlliclicn nach meinen Aui'naiinien licrgcslelil. Die Origiiialijhulogiaphien
sind hei Berggren (Konslantinopel, Grande nie de P6ra) und heim Dcul-
schen Institut zu Allicn käullich zu haben.
rhototjplo B. UUlllcil, M.-i.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 83
ben sich, wie bemerkt, ganz überwiegend für die zweite ent-
schieden*. Die hierlier geliörigen Denkmäler sind, in der
Reihenfolge, in der wir sie betrachten wollen, folgende:
a) Jasili-kaja, das sogenannte Midasgrab. Abgeb. Taf. 1.
Reber Taf. 5, schlechter ^ bei Texier, Description de l'Asie
Mineure Taf. 56. Perrot-Ghipiez Fig. 48,49; vgl. Ramsay,
Journal of Hellenic studies X, 1889, S. 156-161.
b) Arslan-kaja bei Düver. Abgeb. Taf. 2 und Fig. 3. Re-
ber Taf. 3 und Fig. 5, schlechter Ramsay, Journal of Hel-
lenic studies V, 1884, Taf. 44 S. '242 und 245. Perrot-Ghi-
piez Fig. 108-110.
c) Delikli-tasch bei Tauschanly. Abgeb. Fig. 4. Perrot,
Exploration, de la Galatie et de la Bithynie Taf. 5. 6.
Perrot-Ghipiez Fig. 50-57.
d) Denkmal von Bakschisch. Abgeb. Reber Taf. 8. Perrot-
Ghipiez Fig. 61-63, vgl. unsere Fig. 6.
e) Mal-tasch bei Hairan-Veli. Abgeb. Reber Taf. 4. Ram-
say, Journal of Hellenic studies 111, 1882, Taf. 21. Perrot-
Ghipiez Fig. 60.
f) Rütschük-jasili-kaja nahe dem Midasdenkmal. Abgeb.
Fig. 7 und 9. Reber Taf. 6, schlechter bei Texier Taf. 58 und
Perrot-Ghipiez Fig. 59 und 128.
g) Hassan -bey-kaja, das sogenannte Grab der Arezastis.
Abgeb. Reber Taf. 7. Ramsay, Journal of Hellenic studies
IX, 1888, S. 380 Fig. 13. Texier Taf. 59. Perrot-Ghipiez
Fig. 58.
a. Jasili-kaja (Midas- Denkmal).
Das sogenannte Midasgrab hat durch seine Grösse, seine
* Für die sepulcralc Beslimmung haben sicli vor allem Ramsay (vgl. be-
sonders Journal of Hellenic studies IX, 1888, S. 381. X, 1889, S. 156 ff.) und
Reber S. 560 ff. erklärt, Bedenken dagegen haben betreffs einiger dieser
Denkmäler l'errol-Chi|)iez {Ihsloire de l'arl V S. 102 uinl 900) und Radet
[Notivelles archivcs des inissions srienlificjues VI S. 457) erhoben; vgl. auch
Kretschmer, Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache S. 233.
2 Gänzlich unzureichende ältere Abbildungen erwähne ich in dieser Liste
nicht, sie sind bei Perrot- Chipiez notirt.
84 A. KOERTE
Inschrift und als zuerst entdecktes Denkmal stets besonderes
Interesse erregt, auch ich will deshalb mit seiner Besprechung
beginnen, wiewol es für die Entscheidung der uns zunächst
beschäftigenden Frage weniger wichtig ist. Taf. 1 giebt die
Felswand und besonders ihr Verhältniss zur Umü^ebuno; eut
wieder, für feinere Finzelheiten der Ornament irung ist die
schöne Abbildung bei Reber ausgiebiger. Der stattliehe, vorn
in einer Breite von über 16™ und in einer Höhe von fast 17'"
skulpirte Fels besitzt gar keine Tiefe; wie eine von Biesen-
hand aufgerichtete Stele steht er da, und man muss sich wun-
dern, dass er trotz eines tiefen Spalts in der Mitte den Un-
bilden des Wetters noch immer trotzt. Mit tadelloser Sauber-
keit sind das reiche Mäanderornament des Hauptfeldes, das
Schachbrettmuster der Seitenborten und die mannichfachen
Balken und Leisten des Giebels gearbeitet. Der Wirkung
kommt jetzt das schöne dunkle Rotgelb des Felsens sehr zu
Gute, aber als einst die ganze Fläche in strahlender Buntheit
prangte, muss der Gesamteindruck noch stärker gewesen sein'.
Ebenso sorgfältis; sind die beiden Inschriften, die <i;rosse\Veih-
Inschrift links über dem Giebel und die kleinere Künstlerin-
schrift auf der rechten Seitenborte in den Fels gehauen ; von
ihrem freien sicheren Zug geben freilich die ängstlich ge-
kritzelten Nachbilduno;en bei Reber keine richtige Vorstel-
lung^. Ich wiederhole beide in griechischen Minuskeln.
* Obwol von allen vorröniischen F'elsfassaden einzig der Delikli-tascli
noch jetzt Farbspuren aufweist, liat doch Reber sicherlich mit I^echt bei al-
len eine weitgehende Bcmaiiiiig angenommen (S. 574).
2 Die linguistisciie Litteratiir über die altpinygisclien Inschriften führt
Kretsclinier, Einleitung in dieGeschichte der griechischen Sprache S.'217f.
auf. Die Abbildungen und Umschriften, die Reber mit Hülfe der Photogra-
phien Berggrens von den Nummern 1, 2, 6, 7, 8, 9 der ramsaysehen Samm-
lung {Journal of Ihe Ruijal Asialir Society XV Taf. 1-3i hergestellt hat 'um für
weitere Erklärungsversuche eine ganz sichere Grundlage zu scIialTen', sind
leider durchaus nicht zuverlässig und ein bedeutender Rücksehrilt gegen
Ramsay. Gleich das erste Wort der Inschrift Nr. 1 lautet nicht Axt? son-
dern Ate«, wie auch Berggrens Photographie erkennen lässt. In derselben
Inschrift ist der schwer bestimmbare fünfte Buchstabe des fünften Wortes
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 85
Nr. 1. Ate? Ap-casFai; Ax.svavoXaFoc MiSai >,xFa7r(?)Tae'. Fx-
vax,T£t sSas«;
Nr. '2. Botßx Msi/eFai? HpoiTaFo? y.qi^^avaFs^^o: oi xeveaxv
eyae?.
Dass die kaum 1™ tiefe Nische' der Felsfassade viel zu flach
ist, um als Grabkammer zu dienen, wird jetzt allgemein aner-
kannt. Eine verborgene Grabkammer hinter der Nische, an die
man früher gedacht hat, ist durch die geringe Tiefe des gan-
zen Felsens ausgeschlossen, welche unsere Taf. 1 besonders
gut erkennen lässt. Ausserdem hat Hamsay mit mühevoller
Kletterei ermittelt, dass auch von oben kein Schacht in den
Fels hinab führt. Um gleichwohl den sepulcralen Charakter
des Denkmals zu retten, hat er neuerdings [Journal of Helle-
nic studies X, 1889, S. 160 f.) eine kleine Grotte links neben
der Felsfassade als zugehörige Grabkammer angesprochen.
Als ich sie 1894 sah, war sie '2,44"" breit, links 1,24'°, rechts
0,80'" tief, und an der Vorderkante links 1,20'", rechts 0,40"°
hoch. Dass sie früher etwas tiefer gewesen und durch Ab-
nicht gleich dem ersten desselben Wortes, sondern steht nach meiner durch
Berggrens Photographie bestätigten Abschrift dem FI in FIpoiTaFos der Nr. 2
am nüchslen.es wird also weder XaFaXiaci noch XaFapTast sondern XaFa-ia£t
zu lesen siMn. In Nr. 6 habe auch ich mir A/£vavoXaFav 'sLatt AxivavoXaFav
als möglicli notirl, und die Pliotograi)hie scheint das zu bestätigen, aber
dieselbe Photographie lehrt auch, dass Ramsay und ich die folgenden Worte
richtig Ti^e? [lOYpo Favax aFap^ gelesen haben (vgl. Kretschmer, a. a. 0.
S.239), während Reber schreibt \((,iq Y(?)o.po Favax ayaes. In Nr. 8 endlich
fehlen bei Reber die drei letzten Buchstaben ae^ gänzlich, die doch selbst
auf der Photographie, freilich weniger gut als auf dem Stein, lesbar sind.
In Nr. 7 hat Reber gegen Ramsays erste Publication Recht, wenn er Xa<^sT
statt Xa^/iT schreibt, aber diese Verbesserung hat Ramsay selbst bereits
vollzogen (Journal of Hellenic studies X, 1889, S. 188) und auch Kretsch-
mer bat sie auf Grund meiner Abschrift angenommen ( a. a. 0. S. 218
Anin. 4).
' Reber, der S. bC»:* die Tiefe auf 1,80'» 'im Mittel des rauben Grundes '
angiebt, bat zu der wirklichen Tiefe der Nische die der rohen von antiken
oder modernen Sehalzgräbcni in die Nischenwand gehackten Höhlung hin-
zugefügt; seine Massangabe ist also für die Keunlniss des alten Denkmals
wertlos.
86 A. KOERTE
splitterung des Felsens vorn an Ausdehnung verloren habe, hat
Ramsay aus der Zerstörung des ersten Buchstabens ihrer In-
schrift (Nr. 3 bei Ramsay a. a. 0.) wol mit Recht gefolgert,
erheblich ist der Grössenverlust aber keinenfalls, denn die
Decke senkt sich vorn ziemlich stark und würde bei einer
beträchtlichen Verlängerung nach vorn den Boden berühren'.
Diese unregelmässige, winklige, kleine Grotte passt zu der
mächtigen Fassade neben ihr ganz und gar nicht, sie hat auch
mit den sicheren Grabkammern, die wir kennen, in Ausstat-
tung, Grösse und Form nicht die geringste Ähnlichkeit, und
deshalb scheint mir Ramsays Annahme ganz unmöglich; eher
trifft wol Perrots Vermutung, man habe Opfergaben in ihr
niedergelegt, das Richtige. Reber giebt denn auch (S. 567)
Ramsays Grotte preis und ist 'vorläufig der Ansicht, dass
sich die Ruhestätte des Königs Midas eher unter dem Schutt
vor dem Grabmal finden dürfte'. iJa er auch S. 564 von einer
'sicher auf mehrere Meter zu schätzenden' Verschüttune; re-
det, möchte ich ausdrücklich betonen, dass von dem Denk-
mal auch nicht ein Zoll verschüttet ist. Die untere Grenze
der bearbeiteten Fassade ist überall sichtbar und darunter
springt der unbearbeitete gewachsene Fels stark vor, wie auch
unsere Tafel erkennen lässt ; es ist also nicht abzusehen, wie
vor der Fassade eine Grabkammer in den Felsen gehauen sein
konnte, die mit dem Denkmal noch irgend welchen Zusam-
menhang hatte. Die gewaltsamen Versuche ein Denkmal als
Grab hinzustellen, bei dem ein Platz für die Leiche schlechter-
dings nicht zu finden ist, erhalten den Schein einer Berechti-
gung durch die bestechende Deutung, die Ramsay {Journal
of Hellenic stiidies X, 1889, S. 186) einem Worte der In-
schrift Nr. 2 gegeben hat. Er bringt ai5C£v6(xav mit dem neu-
phrygischen xvoujxav zusammen und erklärt es als Grab'^. Es
^ Leider ist die Grolle jolzt verscliwundcn ; 1895 habe icli sie vergohlieh
gesucht, sie scheint bei Anlage des auf unserer Tafel links sichtbaren Stalls
von den Tscherkessen zerstört zu sein.
"^ Dieselbe Deutung geben Turp, Abliandluugcn der wissenschaftlichen
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 87
wäre erfreulich, wenn unsere Kenntniss der phrygisehen Spra-
che so sicher begründet wäre, dass alle sachlichen Bedenken
gegenüber sprachlichen Erklärungen verstummen müssten ;
aber dem ist leider nicht so, nach dem offenen Eingeständniss
eines besonnenen Linguisten, der die kleinasiatischen Sprachen
jetzt wol am besten beherrscht. Rretschmer verwirft (a.a.O.
S. ^132 f.) Ramsays Übersetzung, weil eben das Denkmal kein
Grab ist, und deutet ar/C£v£t7.av als 'diese Skulptur, eingegra-
bene Arbeit'. Die Bestimmung des Midasgrabes kann also
aus den Inschriften nicht mit Sicherheit erschlossen werden,
und sie würde ein Rätsel bleiben, wenn uns nicht andere
Werke derselben Art zu Hülfe kämen.
Bevor ich auf diese eingehe, muss ich aber eine stilistische
Frage erörtern, die sich an die Dekoration des Midasgrabes
knüpft. Ramsay hat in seiner Besprechung der perrotschen
Abbildung des Denkmals {Journal of Hellenic studies X,
1889, S. 149 ff.) mit Recht hervorgehoben, dass in dem Mäan-
derornament der Hauptfläche die erhabenen Streifen die glei-
che Breite haben wie die vertieften, so dass sich das ganze
Muster aus gleichen Quadraten zusammensetzen lässt. Diese
von ihm in zwei Skizzen (a. a 0. S. 150 und 151) veran-
schaulichte Thatsache hat nun Ramsay bestimmt, den gesamten
Schmuck dieser und ähnlicher Fassaden aus der Nachahmung
von Wänden mit farbigem Kachelbelag zu erklären.
Für diese Auffassung scheint in der That ein kleines Denk-
mal zu sprechen, das Ramsay a. a. 0. S. 151 nur kurz er-
wähnt. Etwa 400"" südlich vom Midasdenkmal lieo;t am un-
teren Rande des Felsplateaus eine 1,50'" hohe, 1,45'" breite
und 0,96'" tiefe Nische, deren drei Wände gleichmässig mit
dem nachstehend Fig. 1 skizzirten Schachbrett- Muster in fla-
chern Relief verziert sind; den Boden bedeckt eine anscheinend
nur dünne Schuttschicht. Der Eingang hatte eine wahrschein-
Gesellschafl in Kristiania, llist. pliil. Kla.sse 1804, Nr. 2. S. 7, und Solm-
scn, Zeitsclnifl für vcij^lfii-iiriulc Siiracliforscliiiiig- 34 S. 61.
A. KOERTE
lieh ganz glatte Umrahmung, die nur links leidlich erhalten
ist; über ilim befindet sich ein stark zerstörter Giebel, der
p* -ü J-b .;Ä .j-lJ
Fig. 1
zum grösseren Teil wieder durch ein in Quadrate zerlegbares
Muster ausgefüllt ist; vgl. die beistehende Skizze Fig. '2. Die
Ähnlichkeit der Nischenwändc mit einem Rachelbelag, wie
Fig. 2
wir ilm jetzt für Küchen oder Badezimmer verwenden, ist un-
bestreitbar, aber sie allein reicht meines Erachtens doch nicht
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 89
hin, um die Üel^orationsweise der grossen Fassaden zu er-
klären. Gleich bei dem Midasdenkmal lässt sich zwar das
Hauptfeld in einzelne Kai helvierecke auflösen, die Seiten-
borten aber nicht, wie auch Reber bemerkt (S. 576), weil
hier immer vier auf die Spitze gestellte Quadrate ein horizon-
tales umgeben, und noch weniger kommt man mit der Theo-
rie bei dem Kütschük- jasili - kaja aus. Auch bebt Perrot,
der an Ramsays früherem Versuch, die Dekorationsweise aus
der Teppichweberei herzuleiten, festhält, sehr richtig hervor
(S. 902), dass Kacheln eine natürliche Verkleidung für Zie-
gelwände aber niemals für Holz sind , während doch die
Schachbrettmuster mit Vorliebe gerade da auftreten, wo mit
Sicherheit Holzbalken zu erkennen sind , nämlich bei den
Giebelwangen und den Mittelstützen der Giebel*.
Einen andern Weg der Erklärung hat Reber S. 572 ff. ein-
geschlagen. Sämtliche Bestandteile der Giebel erklärt er un-
bedingt überzeugend^ aus dem Holzbau, die Giebelwangen
sind die Verschalungsdielen der Dachsparren, oder der darüber
gelegten Pfetten, die Akroterien sind die überragenden ge-
kreuzten Enden dieser Dielen, und die kleinen verrieo;elten
Doppelthüren, die sich am Kütschük- jasili- kaja und Has-
san-bey- kaja zu beiden Seiten der Firststütze finden, sind
Luken, durch welche der Speicherraum unter dem Dach von
aussen zugänglich war. Freilich ist die Nachahmung des phry-
gischen Hausgiebels nicht immer ganz streng durchgeführt,
die Akroterien haben im Fels <>eleiifentlich Formen an^enom-
man, die sie im Holz gewiss nicht hatten, und Sphingen, die
wir im Giebel von Arslan-kaja finden (Taf. 2 "i , gehörten
^ Eine solche Giebelstütze werden wir nach dem Muster sämtlicher an-
derer Fassaden auch beim Midasdenkmal aniiehnien dürfen, wo die Giebel-
mille zerslürt ist.
2 Nur das eine vermag ich selbst der Autorität dos Architekten nicht zu
glauben, dass man jemals schlüge Giebeldächer aussen mit Lehm oder Let-
ten belegt hat. So üblich der Lehmbclag im Orient von jeher für horizontale
Dächer gewesen ist, bei Giebeldächern ist er unerhört, der erste Regen w ürdc
ihn ja hinunlerspülen.
90 A. KOERTE
sicherlich nicht in den Giebel hölzerner Wohnhäuser, aber
im Wesentlichen sind die Formen eines äusseren Hausgiebels
gewahrt. Reber versucht dann auc'i die grossen Wandllächen
als unmittelbare Nachahmuniij wirklicher Haus wände zu er-
weisen, aber dieser Nachweis ist ihm nicht geglückt. Er er-
kennt die Verwandtschaft dieser Flächen mit Teppichen an
und meint, gewebte Vorhänge wie sie im Innern der plirygi-
schen Häuser wirklich hingen, seien aussen am Haus in Be-
malung nachgeahmt worden. Wo ist es aber erhört in der
Architektur, dass die Aussenwände eines Baus ihre Formen
dem zufälligen Schmuck des flaus- Innern entlehnen, dass mit
Verzicht auf alle Fenster, mit Unterdrückung aller constructi-
ven Glieder, der Balken und Stützen, die Hauswand als Tep-
pich maskirt wird, über dem dann ein Holzgiebel stützenlos
in der Luft schwebt? Ich glaube, dass alle Versuche, die ge-
samte Dekoration der phrygischen Felsfassaden aus einer ein-
zigen Technik herzuleiten, sei es nun der Holzbau, die Tep-
pichweberei, oder der Ziegelbau mit Rachelbelag, notwendig
scheitern müssen, denn das Charakteristische für sie ist ge-
rade, dass sie mit dem architektonischen Aufbau nicht Ernst
machen. Selbst bei dem Denkmal von Bakschisch, das die
Formen eines Holz- Hauses am treuesten wiederufiebt, sind
viele Einzelheiten unorganisch, der Verzierung halber hinzu-
gefügt; welch ein Abstand gegen die peinliche Treue, mit der
die Lykier in den ältesten Denkmälern die kleinsten Einzel-
heiten ihrer Holzhäuser nachbilden. Ohne Frage wird der
ästhetische Eindruck auch der besten Fassaden durch das
Willkürliche ihres sorgfältig gearbeiteten Schmucks etwas be-
einträchtigt; es drängt sich dem Beschauer ein leises Missbe-
hagen auf, weil er die einzelnen Teile nicht organisch ver-
binden kann. Gerade dieser Mangel organischen Zusammen-
schlusses des Ganzen führt die Phantasie immer wieder auf
den Vergleich mit Teppichen; denn was bei den Felstässaden
stillos wirkt, macht eben den Stil der Teppichweberei aus.
Mit unbeschränkter Freiheit entlehnt die Teppichweberei der
Natur und den verschiedensten Techniken Formen, mit denen
"thm^h
V.-
Fbototfplo B. Uulilcn. U.OIadbicIl.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III.
91
sie in ungebundener Laune spielt. Es verdient Beachtung, dass
eine der schönsten neueren orientalischen Teppicharten, die
von Bokiiara, fast ganz auf Nachahmung der Kacheltechnik
gegründet ist; das Mittelfeld weitaus der meisten Bokhara-
Teppiche lässt sich in viereckige Kacheln zerlegen, deren Fu-
gen durch dünne blaue Linien wiedergegclien werden. Die phry-
gischen Steinmetzen wollten den Felswänden einen gefälligen
farbenreichen Schmuck verleihen, und dafür benutzten sie
mit derselben Freiheit, die sich die Teppichweberei zu allen
Zeiten genommen, Motive der verschiedensten Techniken,
bald die des Holzbaus, bald die der farbigen Kachelverklei-
dung, bald die gewebter Vorhänge. Diese verschiedenen Ent-
lehnungen können wir wol feststellen, aber wir thun den
Werken Gewalt an, sobald wir eine der Quellen, aus denen
die Phantasie des rein decorativen Künstlers schöpfte, für die
einzige erklären, und aus ihr sämtliche Motive herleiten wollen.
b. Arslan-kaja.
Eine Stunde südöstlich von der Eisenbahnstation Düver er-
hebt sich dicht bei einem kleinen See ' ganz isolirt das Arslan-
kaja (Löwenfels) genannte Denkmal, eine der wertvollsten
Entdeckungen Ramsays. Spitze Felskegel , die als riesige
rotgelbe Zacken einzeln oder in Gruppen auf den grünen
Matten stehen, finden sich in diesem Teile Phrygiens recht
häufig, aber wenige sind durch Gestalt und Lage so eindrucks-
voll wie dieser, den die Hand eines phrygischen Künstlers zu
einem merkwürdigen Denkmal formte. Der untere Teil des 7"
breiten und etwa 15'" hohen Blockes ist auf drei Seiten geglättet
und mit Relief geschmückt, die Rückseite und die Spitze sind
' Auf dem von Reber S. öii liauptsächlich nach ofTicicIlem türkischem
Material niilgeleilleu Kärtchen des phrygischen Denkuüilerliezirks ist die
gegenseitige Lage von Fels und See unrichtig angegeben; Arslan-kaja ist
durch keinen l^ergrücken vom See golrennt und höchstens 500™ von ihm
enUernt. Aul' Kieperts j;ritsser Karle des westlichen Kleinasicns ist der Sach-
verhalt ricliligcr gezeichnet.
9?
A. KOEHTE
unbearbeitet geblieben. Der vulkanische TufT, aus dem der
Kegel bestellt, wird dicht über dem l^rdboden von einer ho-
rizontalen Schicht weichen Sandsteins unterbrochen, die der
Witterung ungleich weniger Widerstand geleistet hat als das
vulkanische Gestein ; doch hat das Denkmal dadurch keine
wesentliche Einbusse erlitten, weil der Künstler diese Schicht
nicht mit in seine Fassade zo£j. Bei der ü-anz ungeschützten
Lage ist das Denkmal leider viel stärker durch die Unbilden
der Witterung beschädigt, als die meisten andern, dennoch ist
es möglieh über die Art der Anlage und selbst über den Stil
mit ziemlicher Sicherheit zu urteilen. Die ganze Nordostseite
des Blocks wird durch einen mächtigen aufgerichteten Löwen
in flachem Belief gefüllt (Fig. 3). Er stemmt beide Vordertatzen
Fig. 3
an diejechte Giebelecke der llauptfassade; sein leider zerstör-
ter Kopf würde der (jiebelbekrönung der Vorderseite an Höhe
etwa gleichkommen. Die Ausführung ist frisch und sorglältig.
Die andere Nebenseite enthält nur noch geringe Beste eines
bedeutend kleineren, geflügelten Vierfüsslers. der in ruhiger
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 93
Bewef^Linji; nach reclils schreitet. Rumsay bezeichnet ihn {Jour-
nal of Hellenic studies V, 1 884, S. 247) sicherlich mit Recht
als Greifen, denn der Umriss eines spitzen Schnabels ist mit
hinreichender Deutlichkeit zu erkennen' Die nach Südosten
gekehrte Vorderseite erinnert stark an das Midasdenkmal. dem
sie freilich an Breite sehr beträchtlich nachsteht (etwa 7'" ge-
gen IG'/./")- Wie dort sehen wir die Hauptiläche durch ein
geometrisches Muster in flachem Relief ausgefüllt, wie dort
öffnet sich unten eine Nische mit Thürumrahmung und wie
dort krönt ein Giebel mit Akroterion das Ganze. Im Einzelnen
sind aber alle Formen verschieden. Die starke Zerstörung
macht es zwar unmöglich, den kunstvollen Verschlingungen
des Flächenornamentes ürenau zu folüfen. aber so viel ist doch
klar, dass es von dem des Aiidasdenkmals abweicht und selt-
samer Weise ist über der Mitte der Nische eine Rosette in
das geometrische Muster gesetzt. An Stelle der breiten Borten
des Midasdenkmals fasst hier eine einfache Reihe spitz über
einander gestellter Vierecke beiderseits die Fläche ein. Die
untere Giebelleiste trägt eine Inschrift, deren EntzitYerung wol
niemals ganz gelingen wird ; auf einer bei besonders günstiger
Beleuchtung aufgenommenen Photographie glaube ich u..Tu.a-
T£pav zu erkennen, doch bleibt die Lesung unsicher. Das ge-
gen die Verschalungsdiele etwas zurücktretende Sparrenglied
des Giebels trägt ein reingriechisches Mäanderornament, die
Hörner des besonders grossen Akroterion sind an ihren Enden
mit augenartigen Kreisen verziert, so dass sie Ramsay irrtüm-
lich für Schlangenköpfe hielt. Im Giebel stehen zu beiden
Seiten der mit einer sehr zerstörten Palmette verzierten First-
stütze zwei leidlich erhaltene Sphingen. Der Raumfidlung
wegen sind die Leiber sehr langgestreckt und die Beine ziem-
lich kurz. Die verhällnissiiiässig kleinen Flügel sind aufge-
bogen,die in Vorderansicht dargestellten Köpfe haben so sehr
gelitten, dass ihre Gesichtszüge nicht mehr zu erkennen sind,
< Heber (S. 561) irrt, wenn er es für walirscheinlieli hält, dass das Tier
ein Löwe sei.
94 A. KOERtE
nur die grossen Ohren und je eine lange Schulterlocke lassen
sich unterscheiden. Wichtiger noch als dieser nach griechi-
scher Art mit fiiiürlichem Schmuck ^pfiillte Giebel, auf dessen
Stil ich noch zurückkommen werde, ist die Ausoestaltuno; der
Nische. Dass die Nische, deren Umrahmung mit der des Mi-
dasdenkmals fast ganz übereinstimmt, den Eingang in den
Fels bedeutet, ist hier zur sinnlichen Anschauung gebracht;
die beiden Thorflügel sind weit aufgethan und an die Nischen-
wände angelegt, von ihrer peinlich genauen Ausführung in
allen constructiven Einzelheiten giebt Rebers vortreffliche Zeich-
nung und Beschreibung (S. 560) das beste Bild. Im Hinter-
gründe der 2.30'" breiten, 1,90'" tiefen, 2,40"^ hohen Nische
sitzt eine aro; zerstörte menschliche Gestalt umgeben von zwei
stehenden Löwen, die ihre Tatzen an das Haupt der Figur
legen. Trotz der starken Verwitterung sieht man, dass die
Figur einen hohen rundlichen Aufsatz auf dem Kopf trägt und
die rechte Hand an die Brust, die linke in den Schoss gelegt
hat. Das Sitzbild zwischen den beiden Löwen stellt natürlich
die grosse Göttermutter dar, die Matar Kubile, wie sie in
einer gleichzeitigen Inschrift (Nr. 11 bei Bamsay) heisst. Ihr
Sitz sind die Berge, deshalb führt sie nach den verschiedenen
Gebirgen die Namen Dindymene, Sipylene, Idaia, und dass
die {xy)T7ip öpsia (Eurip. Hei. 1301) ganz eigentlich drinnen im
Berg hausend gedacht wird, sagt unser Denkmal so deutlich
wie nur möglich. Eingeschlossen in der Tiefe des Felsens thront
sie, aber hier hat sie einmal ihre Pforten aufgethan, und die
Gläubigen, die zu ihr pilgern, können mit eigenen Augen
schauen, dass die Göttin ihnen leibhaftig nahe ist. So klar wie
in unserem Denkmal ist diese Vorstellung von der Felswohnung
der Göttin sonst nirgends ausgesprochen, aber die beiden
kleinen Felsnischen mit ihrem Bilde, die Bamsay (bei Perrot
S. 158 Fig. 110) und Beber (S.585 Fig. 10) entdeckt haben,
drücken wenn auch weniger deutlich ganz denselben Gedanken
aus. Auch das berühmte grosse Bild der Göttin am Sipylos [V^v-
voijhsloirc de iavt IV Fig. 305. Athen. Miltheilungen 1888
Taf. 1 ) wird nicht anders zu verstehen sein, obwol hier die
tLElNASIATISCHE STUDIEN. III. 95
architektonische Umrahmung fehlt. Ein langes Fortleben hat
sodann die griechische Kunst dieser Darslellungsform der
Göttermutter gesichert. Erst das Denkmal von Arslan-kaja
macht die merkwürdige Thatsache verstündlich, dass Rybele
in der griechischen Kunst von den alten kymäischen Idolen '
bis herab auf die hellenistische Zeit mit Vorliebe eingezwängt
in einen Naiskos dargestellt wird. Die kleinasiatischen Grie-
chen übernahmen von Phrygern und Lydern das uralte Bild
der im Berge thronenden Göttin, und wenn sie sie auch in
den Einzeldarstellungen von ihrem Bergsitze loslösten, so blieb
doch die an die alten Felsbilder erinnernde Nischenumrahmung
etwas der Göttin Eigentümliches , das sich neben jüngeren
freieren Bildungen mit echt religiöser Zähigkeit hielt. Die äl-
testen griechischen Darstellungen, die von Kyme, sind ja
älter als der Arslan-kaja, aber den Schlüssel zu ihrem V'er-
ständniss giebt das jüngere Bild, weil es in jener Landschaft
geschatfen wurde, die das Wesen der f7.r;Ty;p öpeia von den älte-
sten Zeiten vor der phrygischen Einwanderung (vgl. Kret-
schmer, Einleitung S. 194 f.) bis zum Ausgang des Heiden-
tums am treuesten bewahrt hat.
Die ausschliesslich religiöse Bedeutung des Arslan-kaja
scheint mir über jeden Zweifel erhaben. Perrot S. 152 hat sie
auch nicht verkannt, aber Bamsay, dem sich Reber (S. 562f.)
anschliesst,hält an der Journal of Hellenic studiesN, 1884,
S. lö^ gegebenen Erklärung fest: / feel convinccd tliat the
monument is sepulcral. Wenn Bamsay für seine Auffassung
die aus römischer Zeit gut bekannte phrygische Sitte anführt,
den Toten in enge Verbindung mit einer Gottheit zu bringen,
den Grabstein ihm und dem Gotte^ gemeinsam zu weihen, so
' Bulletin de correspondance liellönique 1889 S. 545 IT. vgl. Jouliin, Musde
Imperial Olluman, calalogue des xcitlplures Nr. 32-34; auch die driUo Num-
ruer ist ein Bild der GöUermuUer, nicht der Alheiia Polias wie Joubiu vor-
schlägt; die Talzeil und Teile des Löweuleibes auf ihrem Öchoss sind sicher
zu erkennen.
2 In der späteren Zeil ist die mit dem Toten vereinigte Gottheit stets
96 A. KOERTE
wird man ilim den Rückschluss aus der späteren Zeit auf al-
tere reliniöse Vorstell uni>;en «ewiss zu";eben, aber daraus folgt
noch nicht die Berechtiguno; ein Denkmal, dem all und jede
Andeutung einer sepulcralen Bestimmung fehlt, für einen
Grabstein zu erklären. Es ist Willkür ein irgendwo in der
Nähe verborgenes Grab anzunehmen ', wenn ein Denkmal in
seiner ganzen Ausdehnung sichtbar und aus sich heraus als
Kultstätte durchaus verständlich ist. Arslan-kaja ist kein Grab
sondern ein Heiligtum und diesem festen Punkt muss man
die ähnlichen Fassaden angliedern, deren Bestimmung we-
niger leicht zu verstehen ist.
Beim Jasili-kaja ist freilich der Fäva^ MiSa? an die Stelle
der Göttermutter getreten, aber das macht nichts aus. Dass
Midas ein Gott ist, den die Phryger aus ihrer europäischen
Heimat mit nach Asien gebracht haben, ist schon mehrfach
ausgesprochen worden^. Als die Eroberer dann den Dienst
der altkleinasiatischen Muttergottheit ( Hamsay, Journal IX,
1888, S. 307, Kretschmer S. 194) annahmen, ja zu ihren begei-
sterten Dienern wurden, da musste auch der alte Stammesgott
Midas zum Kreise der Göttermutter in irgend welche Beziehung
Zeus, meist mit dem Beinamen ßpovTtöv ; die Göttermutter kommt, soviel
icli sehe, ni(;lit auf Grai)steinen vor.
* Reber hilft sich wieder mit der Annahme einer Verschütlunir. Ange-
sichts unserer Taf. 2 ist es kaum nötig zu erklären, dass das Monument
selbst nicht im geringsten verschüttet ist. Auch von dem rohen Felsen ist
vorn ein gutes Stück sichtbar, sicherlich könnte also eine Grabstätte keinen
unmittelbaren Zusammenhang mit dem Denkmal haben. Wenn er weiter
sagt: 'Würde das Grab mit der Kriegerfassade bei Arslan-tasch nicht durch
atiiiospiiärisehe Einflüsse gesprengt und dadiircli die Kammer blossgelegt
sein, so würde man, da dicThüre wol schon in früher Zeit verschüttet war,
von einem Grabraum wahrscheinlich nichts wissen', so entbehrt diese Be-
hauptung jeder Begründung. Nichts ist gewisser, als dass die TInir jenes
Grabes bis zu seinerZerstörung nicht verschüttet war. HäUe dieThürüllnung
bereits vorher im Boden gesteckt, so könnte sie jetzt niclil llach, natürlich
etwas eingesunken, auf dem Boden liegen, denn der Stein halte keinen
Platz zum Umkippen gehabt.
'^ Kretschmer, Einleitung S. 199; Dieterich, I'hilolugus LH S. 5; Kuhnert
in Roschers Lexikon II S. v961 f.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. IIl. 97
gesetzt werden. Er sank zum Heros herab und hiess der Er-
bauer des Tempels von Pessinus (Üiod. III, 59) oder aber der
Sohn der Kybele (Mygin. fab. 191 und 274). Dadurch dass
später die historischen Könige Phrygiens den Namen Midas
abwechselnd mit dem des Gordios führten, wurde der Gott
Midas in der Überlieferung ganz zurückgedrängt, manches
was ihm zukam, wurde nun den menschlichen Königen bei-
gelegt. Vielleicht gehörte auch der Thron, den Herodot (I, 14)
in Delphi sah, ursprünglich dem Gotte Midas (vgl. Ueichel,
Vorhellenische Götterkulte S. 17). Den göttlichen Sohn der
Kybele haben wir in dem Fava^ MiSa? des Denkmals zu er-
kennen, und es ist nicht wunderbar, dass auf ihn eine ursprüng-
lich für die Göttermutter erfundene Form der Kultstätte über-
tragen wurde. Vielleicht deutet auch der Name des Dedikanlen
Ates=Attis auf einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem
Rybelekult. Attis ist der heilige Name, den der Oberpriester
der Göttermutter noch in hellenistischer Zeit führt (Athen.
Mittheilungen 1897 S. 16 f.), und diese Hieronymie ist sicher-
lich sehr alt. Nur ein Mann in hervorragender Stellung kann
die gewaltige Fassade geweiht haben; ein Phrygerkönig ist es
nicht gewesen, denn die heissen ständig Midas und Gordios,
da liegt es nahe in dem Ates der Inschrift den Oberpriester
der Göttermutter zu erkennen, der neben seinem sacralen Na-
men auch den bürgerlichen Arkiaevais Sohn des Akenanolas
angab.
Dass sich das Midasdenkmal ungezwungen nach dem Mu-
ster von Arslan - kaja erklären lässt, leuchtet ein; aber giebt
es nicht Fassaden, die dem Midasdenkmal eben so nahe stehen
wie Arslan -kaja und doch deutlich erweisbare Gräber sind?
Das ist fi'cilicli die allgemeine, auch von Perrot geleilte An-
sicht, aber sie ist irriy;.
c. Delikli- lasch.
Das entscheidende Denkmal ist die Delikli-tasch (der durch-
löcherte Stein) genannte Fassade, die im äussersten Westen
ATHEN. MrrTHElLUNGEN XXlIl. 7
98
A. kOERTE
Phrygiens in einem kleinen Seitenthal des Rhyndakos liegt.
Von Hamilton entdeckt und ganz flüchtig skizzirt {Resear-
c/ies I S. 97) ist dies Monument von Perrot auf seiner galati-
schen Expedition genau untersucht und in sorgtältigen Zeich-
nungen veröffentlicht worden' ; die Gesamterscheinung giebt
auch unsere Fig. 4 wieder. Einen gewaltigen Felsblock aus
■\.
i^f*^
-1 ^*' ^ i^Y^
r^'ß
Fig. 4
vulkanischem Gestein, dessen Südfassade weithin sichtbar ist,
haben natürliche r^nfliisse in alter Zeit in drei Teile ge-
spalten und Menschenhand hat den mittleren zu einem selt-
samen Denkmal von schlichter, fast roher Grösse i^estaltet.
Die Spitze des Felsens hat die Form eines ziemlich steilen
gleichschenkligen Dreiecks ohne jeden weiteren Schmuck er-
halten, so dass man schwanken könnte, ob dem Künstler ein
Giebel oder eine Pyramide als X'orbild vorgcschwejjt hat Nach
unten schliesst sich zunächst, durch einen schmalen Absatz ge-
schieden, eine ebenfalls glatte trapeztörmige Fläche an; ihr
< Weniger gelungen ist der perspectivisclie Schnitt, den Chipiez nach den
alten Zeichnungen für die Ilistoire de Vart V Abb. hi cunslruirl lial.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 99
unterer Rand bricht plötzlich ganz unregelmässig ab, und die
glutle Felswand wird auf einer Strecke von etwa drei Meiern
durch eine roh ausgehauene Wölbung unterbrochen, die un-
gefähr aussieht wie eine sich überschlagende Meereswoge. Auf
diese l.iicke folgt nach unten wieder eine glatt bearbeitete Flä-
che mit unregelmässiger Obei'kante, die anscheinend nicht ge-
nau in der Fbene der oberen Felswand liegt, sondern gegen
sie ein wenig vorspringt. Ein grosser Teil dieser 3,20™ hohen
Fläche wird von einer breiten, ganz flachen Nische eingenom-
men, deren Umrahmung sehr an das Midasdenkmal erinnert;
drei niedrige Stufen sind ihr vorgelagert, in die Mitte der Ni-
schenwand ist von modernen oder antiken Schatzgräbern ein
rundes Loch gehauen, das einem schlanken Menschen den Zu-
gang zu dem dahinter gelegenen Schacht gewährt. Dieser
Schacht, dessen Wände nur roh behauen sind', ist auf dem
Grunde 1,80'" lang und 1,2V" breit. In einer Höhe von 2,40'"
über seiner Sohle ist in die V^orderwand ein Absatz von 0,20'"
Breite ziemlich unreoelmässiof einG:ehauen. wieder 1,10'" höher
PCO- '
umgiebt ein schärfer hervorgehobener Absatz, an den Lang-
seiten rund 0,25'", an den Schmalseiten rund 0,35'" breit, den
Schacht, dessen lichte Weile hier nur 1,52 zu 1,21'" beträgt.
Schon diese Abmessuniiren machen es sehr bedenklich, den
Schaciit für ein Grab zu halten. Könnte auch auf der Schacht-
sohle ein Toter von mittlerer Grösse zur Not ausgestreckt lie-
gen, so ist die obere ülfnung zweifellos zu klein, um eine
wagerecht ausgestreckte Leiche durchzulassen, der Tote müsste
einfach in die Gruft geworfen worden sein, und das wider-
spricht dem sonst bekannten Brauch der Phryger. Ich will
kein Gewicht darauf Icm-n, dass der Schacht, bei einem Grabe
doch die Ilaupisache, nur ganz nachlässig gearbeitet ist, aber
von besonderer Wichtigkeit ist die Art seines oberen Abschlus-
ses.ln den vier Ecken des vorhin erwähnten Absatzes (vgl.
* Cliipioz Perspective (Penot Fig. 52) giebt von den Grössenveihältiiissen
1111(1 der Arlicil des SclKiclitcs keine riclitiuc Vorslolliiiii:.
100
A. KOERTE
Fig. 5 nach Perrot), finden sich vier etwa 0,15™ breite, 0,10*"
lan";e und 0,06'" tiefe Einarbeitun";en, und an dem oberen
Fig. 5
Rande des Schachtes, 90"" über dem Absatz keliren ähnliche
Einarbeitungen von 0,20'" Breite, 0,1 4™ Länge und 0,10™ Tiefe
wieder. Perrot nimmt nun (S. 93) einen doppelten Verschluss
durch grosse Steinplatten an, die auf den Einarbeitungen auf-
lagen. Aber diese Annahme ist unmöglich. Wer den Schacht
mit einer Steinplatte schliessen wollte, der würde die Kanten
der Platte in ihrer ganzen Länge auf allen vier Rändern des
Absatzes haben ruhen lassen; es wäre geradezu widersinnig,
wenn der Steinmetz sich die doppelte Mühe der Einarbeitun-
gen in den Felsrand und des Aushauens von Zapfen an den
Steinplatten gemacht hätte, da hierdurch die Festigkeit des
Verschlusses nicht im mindesten erhöht wurde. Die viereckigen
Einarbeitungen sind an beiden Stellen nur als Lager für Holz-
balken verständlich, und wir müssen sie in Zusammenhang
bringen mitandern gleichartigen Einarbeitungen ' an der rohen
gewölbten Felswand 2'" über der Mündung des Schachtes, die
auch auf Fig. 4 sichtbar sind. Wer die ganze Fels wand betrachtet,
' Perrol glaubt diese S. 97 zur Aufnahme hrcmzcncr Zierrale bcstiramt,
al)er dafür sind sie viel /u gross und die naelilässige Bcarhcilimg der IIüli-
lungswand heweisl, dass sie nicht siehU)ar sein sollte.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 101
wird nicht im Zweifel sein, dass nach Absicht des Künstlers
unmöglich der obere und untere sort^taltig bearbeitete Teil der
Fassade durch die klafiende Lücke der roh gehauenen Höhlung
auseinander gerissen werden sollte, und doch ist es sicher, dass
diese Höhlung gleichzeitig mit der ganzen Anlage gearbeitet
wurde, denn nur sie ermöglicht die Anlage des Schachtes. Die
Einarbeitungen nun lehren uns, dass hier eine Holzconstruc-
tion aushalf; die Lücke der Fassade war maskirt durch eine
Bretterwand, deren obere Stützen in den Einarbeitungen der
llöhlungswand ruhten. Unten griff diese Bretterwand, deren
Form und Conslruction wir im Einzelnen natürlich nicht
mehr feststellen können, vielleicht etwas über den Mündungs-
rand des Schachtes über; dafür spricht eine auch auf Perrots
Abbildung 50 sichtbare Einarbeitung, die sich aussen rechts
ein wenig unter der Schachtbrüstung befindet. Die Einschie-
bung von Holzteilen in die Felsfassade war deshalb nicht stö-
rend, weil die noch jetzt in sicheren Resten erhaltene Be-
malung (vgl. Perrot Abb. 56) den Unterschied des Materials
verdeckt haben wird. Zwischen Holzwand und Felshöhlung
entstand dann eine Art Kammer über dem Schacht, und die
Einarbeitungen in dem Schachtabsatz werden den Tragbalken
eines hölzernen Bodens als Lager gedient haben. War aber der
Schacht, wie die Einarbeitungen meines Erachtens mit Be-
stimmtheit erschliessen lassen, nicht durch grosse Felsblöcke,
sondern durch einen Ilolzdeckel verschlossen, erhob sich vorn
über ihm eine Holzwand, so ist seine \'erwendung als Ruhe-
statt eines Toten, gegen die schon seine geringen Abmessungen
sprachen, gänzlich ausgeschlossen. Bei genauerer Überlegung
sieht man auch, dass sich die Nische vorn an der Fassade sehr
schlecht mit der sepulcralen Bestimmung des Schachtes ver-
trägt. Wer zur Bestallung eines Toten einen Schacht von 4,40'"
Tiefe in den Fels haut, hat die Absicht die Leiche gegen jeg-
liche Entweihung ganz sicher zu stellen, und dieser Zweck
wird durch die Anlage der Nische völlig vereitelt. Bequemer
kann man es ja einem Grabräuber gar nicht machen. als indem
man ihm an der äusseren Felswand den Ruheplatz des Toten
102 A. KOERTE
durch eine Scheinthür bezeichnet und dort die Felswand so-
weit verdünnt, dass wenige Schläge mit einer Hacke genügen,
um einen Zugang zum Schacht zu (")tTnen.
War also der Delikli - tascli kein Grab, so kann auch dieses
Denkmal nur als Kultstätle errichtet sein. Die Nische bedeutet
hier genau so wie am Arslan-kaja den Eingang zur Wohnung
der Göttermutler, und der Schacht ist eine Opfergrube; er ist
von oben bis zu dem Punkt in den Felsen getrieben, wo hin-
ter der Scheinthür die Göttin thronte, damit das IMut der
Opfertiere ja ganz sicher bis zum Sitz der Mutter Kybele
drang. Damit erklären sich alle Einzelheiten, die der Annahme
einer sepulcralen Verw^endung des Schachtes im Wege stehen,
seine Lage unmittelbar hinter der Nische, die geringen Ab-
messungen seiner Mündung, die nachlässige Bearbeitung sei-
ner Wände und der Bretterboden als oberer Abschluss.
Opfergruben sind ja auch auf griechischem Boden nichts Un-
gewöhnliches ; sorgfältige Anlagen der Art haben sich in
dem samothrakischen und thebanischen Rabirenheiligtum are-
funden (Untersuchungen auf Samothrake I S. '21, Athen. Mit-
theilungen XIII S. 95), und die iayapat des Heroenkultes, de-
nen wir schon in Mykene begegnen, sind den Opfergruben
wenigstens nahe verwandt (Rohde, Psyche S. 33). Wie das
Blut des Opfertieres den Unterirdischen in die Erde hinabge-
gossen wird, so lässt man es für die aviT-zqp öpsia in das Innere
des Felsens rieseln, das ist eine so natürliche Vorstellung, dass
sie zur Erklärung eines Denkmals wie Delikli- tasch völlig
ausreicht. Vielleicht dürfen wir aber noch weiter o;ehen und
die Art der Anlage mit dem seltsamen Opferbrauch der Tauro-
bolien und Rriobolien in Verbindung bringen, die im späten
Altertum eine so wichtige Bolle im Kult der GfUtermutter und
des Attis spielen'. Nach Prudentius anschaulicher Schilderung
in der Passio Romani (TCspl (jTSfpävcov X 1006 ff.), wurde der
' Vgl. Mar(|u;ir(ll, Röinisclie Staatsvorwalüing III S. S7 f. Pi'clIcr-.Tdidan,
Römisclio M.vlliolu^iii II S. 3'.j3. Zi|ii)(;ls Beliaiidluiii;- der TainoliDlioii in der
Fcslschril'l für Fricdländer S. VJ8 IV. .scheint mir wenig glüeklicli.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 103
ZU Weihende in feierlicher Tracht in eine Grube gesenkt, diese
mit einem vielfach durchbohrten Bretterboden geschlossen und
darüber der geschmückte Opferstier geschlachtet. Sein Blut
drang durch Löcher und Spalten des Holzbodens und benetzte
Körper und Gewand des Versenkten, der blutüberströmt her-
ausgezogen und mit Jubel als rein und wiedergeboren begrüsst
wurde. Ich möchte nicht unterlassen, wenigstens darauf hinzu-
weisen, dass Delikli - tasch zur Feier einer solchen Bluttaufe
sehr geeignet erscheint. In dem Felsenschacht fand ein stehen-
der Mann reiclilich Platz, und der hölzerne Boden über ihm
würde zu Prudentius Schilderung vortrefllich passen. Frei-
lich sind Herkunft und Entstehungszeit der Taurobolien, die
uns zuerst im Jahre 134 nach Chr. begegnen {CLL. X 1596)
und den Höhepunkt ihrer Verbreitung im IV. Jahrhundert
erreichen, noch ganz dunkel, und ein so vorzüglicher Kenner
spätheidnischer Kulte wie Franz Cumont hat den ursprüng-
lichen Zusammenhang der Bluttaufe mit dem Kybeledienst
überhaupt in Abrede gestellt'. So kann die äussere Überein-
stimmung einer Kultstätte wie Delikli -tasch mit den für Tau-
robolien erforderlichen Anlagen sehr wol ein täuschender
Zufall sein, und so lange keine Mittelglieder die Lücke zwi-
schen dem VIL oder Vill. Jahrhundert vor, und dem II.
Jahrhundert nach Christi Geburt ausfüllen, wird man aus ihr
für das Alter des naiven, derb sinnlichen Kultbrauches nichts
folgern dürfen. Nur die Verwendung von Opfergruben im
Kult der GiUtermutter können wir aus den Taurobolien als
allen Brauch erschliessen und in der That wird soeben eine
Opfergrube in dem Kybeleheiligtum hellenistischer Zeit in
< Revue arch. 1S88,XII, S.132 fT., Revue de phüolngie 1893 S. 19.5, Pauly-
Wissowa I S. '?03l. Cuinoiil leitet den Ritus aus dem Kult der persisehen
Anallila ab, ohne ganz dutclisclilagende Gründe dafür vorzubringen. Die
Anabila wird in keiner einzigen Taurobolieniiisebrift genannt, nur einmal
CLL. X 1596 die Venus Caelesla [\],d:\^ ist docii bedenklicli. Und wie kommt
die persiselie Gütliii des berruelittiidcii ilimmelswasserszu den elithonischen
Opfergruben V
104 A. KOEHTE
Priene bekannt '. Möglicherweise hat der Schacht des Denk-
mals auch noch grausigere Opfergaben aufgenommen als das
strömende Blut des Opfertiers; Herr F. Cumont macht mich
auf folgendes Scholion zu Nikander Alex. 8 aufmerksam :
Ao€pivY)(; Ö3t>>(Z[jt.ai" tottoi iepoi, ÜTröysioc, äva/.siaevoi T-(i 'Pea, Öttou
IxTeuvouLEvoi Tot ^.riSex xaTexiOevTO oi xö "Attei y.ai ty) 'Pea Xa-
Tp£U0VT6? ".
Es ist nicht ausgeschlossen , dass der religiöse Charakter
des Denkmals früher noch leichter zu erkennen war als jetzt.
An der Wand der Nische ist unter dem von den Schatzgräbern
geschlagenen Loch ein 0,50'" breiter, rauher und etwas er-
habener Streifen sichtbar, und noch deutlicher hebt sich auf
dem Boden der Nische in der Mitte eine Erhöhung von 0,06™
ab, die nach vorn 0,45"" weit zu verfolgen ist. Es ist wol
möglich, dass hier ursprünglich ein Idol der Göttin stand, wie
in den beiden oben (S. 94) erwähnten Nischen. Der Fels bricht
so leicht in senkrechten Flächen — auch der Wulst über der
linken Ecke der Nische ist ganz glatt abgesplittert — ,dass die
Absplitterung des ganzen Idols beim Durchbrechen des Loches
zum Schacht wol denkbar ist; eine andere Erklärung für die
unzweifelhaften Erhebungen des Grundes vermag ich wenig-
stens nicht zu geben
Ein besonderes Interesse würde Delikli - tasch noch bean-
spruchen, wenn Perrot Becht hätte mit der Annahme (S. y"? f.),
dass einige seltsame eingeritzte Linien l^este einer Inschrift in
vorgriechischen 'troischen ' BuclisLaben seien. S(>ine Abbildung
57 giebt ein treues Bild von diesen Liniengruppen, aber ich
zweifle, ob sie wirklich Schriftzeichen sind. Der schmale linke
Innenpfeiler der Nischenumrahmung wäre ein sehr merk-
würdiger Platz für eine Weihinschrift, und die Zeichen haben
in ihrer gegenseitigen Stellung etwas so Zufälliges, dass ich
geneigt bin, sie für bedeutungslose Kritzeleien zu halten.
* Aldi. Anzeiger 1897 S. 182.
2 Auf dieselbe Sache gelil wol Hesyclis Glosse KüoeXa- opr) «l>puYi'a? xal 4'v-
xpa xai 0 äXaii.0 1.
KLEINASIATISCHE STCDIEN. III. 105
Spuren roter Farbe, die Perrot in ihnen wahrgenommen hat,
habe ich nicht beobachtet. In Evans sorgfältiger Zusammen-
stellung vorphönikischer Schv'ikze'ichen {Journal of Hellenic
stiidies XIV, 1894, S. •2;0 ff. Taf. 1 ) findet sich kein genau
entsprechendes Zeichen ' , aber die Möglichkeit, dass die Linien
doch Schriftzeichen sind und mit den von Evans behandelten
Zeichengruppen zusammenhängen, kann ich natürlich nicht in
Abrede stellen. Auch ohne diese Zeugen besonders hohen Alters
lässt sich Delikli-tasch als das älteste der phrygischen Fels-
denkmäler erweisen; Formen und Verhältnisse sind bei ihm
viel unbeholfener, unentwickelter als bei den anderen Fassaden
und die plastischen Verzierungen der grossen Flächen fehlen
noch ganz. Um so mehr Beachtung verdient es, dass dies älteste
Denkmal von einer treuen Nachahmung bestimmter Archi-
tekturformen weiter entfernt ist, als irgend ein anderes; deut-
lich ausgeprägt ist nur der Eingang in den Fels, auf den es
eben vor allem ankommt.
d. Denkmal von Bakschisch.
Auf den Delikli-tasch lasse ich das Denkmal von Bakschisch
folgen, das ihm zwar zeitlich ziemlich fern steht, aber in der
Anlage wichtiue Übereinstimmungen zeigt. Bei diesem zier-
liehen und höchst malerisch am Bergabhang zwischen schönen
Bäumen gelegenen Monument ist in der That die W'irkung
eines Hausbaus an2;estrebt , nicht nur die Fassade ist aus-
geliauen , sondern der einzf^ln vorsj)ringende Felsblock hat
auch seitlich teilweise glatte Wände erhalten, und selbst das
Giebeldach ist roh angedeutet. Aber hinten ist der Bau von
dem gewachsenen Felsen nicht gelöst, er geht in den steilen
Felsabhang über, dem er wie ein Propylon vorgelagert ist.
Einen ziemlich grossen Teil der 3,40'" breiten Vorderseile"*'
nimmt die etwa 1,50"' breite Nische ein, die eine grösste Tiefe
* Sayces Versuclie, sie mit Iroischcn Rpiiinwirleln in ZiisaniiiKMiliang zu
bringen (hei Sclilieniann, Ilios S. 769) solieinen mir niclil i;liicklii'li.
2 Die kleineren Verliiiltiiisse iles Denkmals halten es mit i^ieh gehraeht,
dass von den drei Teilen der Fassade des Midasdenkinals Seilenhorte. K14-
406 A. KOERTE
von 0.90™ besitzt. Nach Perrots Grundriss (Abb. 62) und Re-
bers Beschreibung (S. 578) befindet sicli hinter ihr eineGrab-
kammer.und damit Nväre ja Iroilich dieFrai;e nach der Bestim-
muno; cles Denkmals entschieden, aber in \N irklichkeit ist der
Hohlraum keine Kammer' sondern nur ein offener Scliacht.
Wie beim Delikli- lasch ist von der Nische aus in unbestimm-
barer Zeit ein Loch zum Schacht durchgebrochen , das mir
gestattete, wenigstens mit dem Oberkörper hindurch zu kriechen
und die Bodentläche des Schachtes zu messen. Während die
Abmessungen der Schachtmündung 1,19 zu 0,7 •2'" betragen,
misst die Sohle 1, 18 zu 0,68'", die roh gearbeiteten Wände sind
also senkrecht wie bei einem Schornstein von oben nach un-
ten geführt. Üassein Raum von 1,18'" Länge und 0,68'" Breite
keine Kammer genannt werden kann, und für einen Toten
nicht gross genug ist, leuchtet ohne weiteres ein. Mithin ist
bei diesem Denkmal der Schacht ebenso wie beim Delikli -
tasch als Opfergrube zu erklären.
Reber hält (S. 577) das Denkmal von Bakschisch für das
jüngste von allen und das kann richtig sein, entschieden wider-
sprechen muss ich aber seiner Behauptung, dass an ihm per-
sische Einflüsse bemerkbar seien. Ks finden sich nämlich an
allen Ecken der Cassetten, in welche die Fassade eingeteilt ist,
innen und aussen runde Scheiben angesezt, die Reber für spira-
ientörmige Endungen des Cassettenrahmenwerks erklärt und
ebenso w ie die dazwischen quer vor die Balken gelegten l^ollen
oder Polster mit den Doppelspiralen der bekannten jonisiren-
den Säulen in den Palästen von Persepolis und Susa in Zu-
samenhang bringt^. Diese runden Glieder sind aber keine
nachlässig ausgeführten Spiralen, sondern recht sorgfältig gear-
beitete Rundbalkenköpfe mit sauber eingezeichnetem Kreis,
chenmuster und Nische hier das Flächciinuister fortp:pfallen ist: die Borte
schliesst unmiUcIhar an die Nische an.
* Nach Wilsons hei Perrol wiedcrgcgchcncr Skizze wäre sie ein liauni
von 2,40 zu ^Sö™ Grundfläche.
2 Dieulaf«..v, Carl anli'jue de la Pcrse III Fig. 105; Stolze, Pholographieen
von Persepolis I Taf. 67; Perrol- Chipicz V Fig. 312.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 107
der wol die Jahresrino;e oder die Scheidung von Rinde und
Ilolzkern andeuten soll. Allerdinjijs ist der äussere Kreis nir-
gends ganz von der Ecke gelöst, weil das sehr mühsam ge-
wesen wäre, aber dass die Hollen an dem F\ahmenwerk nur
anliegen, nicht aus ihm volutenarlig herauswachsen, das
erkennt man mit Sicherheit bei den im Giebel zu beiden
Seilen der Firslstütze angebrachten Stücken (s. Fig. 6). Das
Fig. 6
Glied ist demnach als Endi^uno; eines senkrecht zur Fassade
liegenden runden Holzbalkens aufzufassen, wie sie an lyki-
schen Grabmälern so häufig vorkommen'. Freilich sind diese
Balken köpfe an unserer Fassade nicht wie bei den lykischen
mit construclivem V^orständniss angebracht, sondern mit jener
spielenden Willkür gehäult. die ich oben (S. 90 f. ) als Eigen-
tümlichkeit der phrygischen Felsdenkmäler zu erweisen suchte.
Auch die quer vorgelegten Polster, die Reber wol zunächst
auf den Gedankf^ an persische Säulen gebracht haben, stam-
men zweifellos nicht aus l^ersien, denn sie kommen genau so
schon am Delikli - tasch vor (Perrot Abb. 51, 52, 5'«, 55),
und dies Denkmal ist sicher älter als die frühesten Anfänge
persischer Kunst. Es wäre ja auch ein höchst seltsamer Vor-
gang, wenn die persische Umbildung (vgl. Dieulafby a.a.O.
S. 76f ) des jonischen V'olutenkapitells von Persepolis nach
< Tcxier, Dcscnplion dr IWsir mincurc lU Taf. 201. 2-27,3; BiMimiorf,
Reisen I Fiy. t'i, 37,80; I'errüt-Cliipioz V Fi^. 249,250,260,201,204,266.
108 A. KOERTE
Phrygien gewandert und hier gänzlich missverstanden ange-
wandt wäre.
Ich sehe mithin keinen Grund, das Denkmal in die Zeit der
Perserherrschaft oder gar bis ins vierte Jahrhundert hinab zu
drücken. Nur seine relative Datirung ist möglich; es scheint
ziemlich am Ende der echtphrygischen Werke zu stehen.
e. Mal-tasch.
Von allen phrygischen Denkmälern sind wir über den Mal-
tasch (Schatzstein) am schlechtesten unterrichtet, w^eil er das
einzige verschüttete ist. Sein Entdecker Hamsay hat zwar 1889
einen Ausgrabungsversuch gemacht, aber er konnte nur einen
kleinen Teil freilegen lassen, und die wenigen späteren Be-
sucher haben zu ihrem lebhaften Bedauern sein Werk nicht
fortsetzen können. Bekannt ist also nur der Giebel, der oberste
Streif des Flächenmusters und folgendes Stück einer am linken
Rande senkrecht nach unten laufenden Inschrift' vaTtaei^ov va.
Das sichtbare Stück der Fassade steht dem Midasdenkmal und
Arslan - kaja sehr nahe, und gern würden wir Aufklärung
haben über die Bildung ihres unteren Teiles. Hinter der Fas-
sade führt wie in Bakschisch und beim Delikli-tasch ein senk-
rechter Schacht von 1 ,50 zu 1,56"' lichter Weite in den Felsen
hinab. Die Grösse dieser Abmessungen legt hier den Gedan-
ken an ein Grab zunächst nahe, aber natürlich muss dies eine
mangelhaft bekannte Denkmal nach den übrigen besser er-
forschten beurteilt werden, und bei genauerem Zusehen er-
weisen sich die Massverhältnisse des Schachtes für ein Grab
keineswegs passend. Um einen Toten hinabzusenken braucht
man keinen Schacht von 1,50'" Breite auszuhauen, dagegen
wird man ihn unbedingt länger machen als 1,56™. Also ist
* Vgl. Kretschmer, Einleitung S. 219. Reber S. 564; in dem Jahr, das
zwisclicn Hieiiieiii und Ilohers Besuch liegt, ist anscheinend schon wieder
ein Biiclislalic der vorlreIVlich geschriehonen nnd gut erhaltenen Iiischrin
zugcschwemnit worden ; bald wird jede Spur von lianisavs Arbeit ver-
schwunden sein.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 109
auch diese Fassade ebenso zu beurteilen wie die beiden an-
dern mit dahinter liegendem Schacht.
f. Kütschük-jasili - kaja.
Eine besondere Stellung nehmen die beiden unweit des
Midasdenkmals gelegenen Fassaden ein, die bei den Bauern
Rütschük-jasili - kaja (kleiner Schriftfels) und Hassan -bey-
kaja (Fels des Hassan -bey) heissen. Diesen beiden fehlt nicht
nur der Schacht, wie dem Midasdenkmal und dem Arslan-
kaja, es fehlt ihnen auch anscheinend die Nische, die wir bei
allen andern Fassaden mit Ausnahme des verschütteten Mal -
tasch feststellen konnten. Der Kütschük - jasili - kaja liegt am
Westrande desselben Plateaus auf dem sich das Alidasdenk-
mal befindet ^ hoch oben am Fels, und würde gewiss mehr
Beachtung gefunden haben , wenn sein mächtiger Nachbar
nicht immer den Liiwenanteil von Zeit und Aufmerksamkeit
der Reisenden für sicii beansprucht hätte. Berggrens Pho-
tographie, nach der Bebers Tafel ö und unsere Fig. 7 ange-
fertigt sind, ist in diesem Falle ganz besonders wertvoll, weil
die älteren Abbildungen, auch die bei Perrot (Fig. 59) in
wichtigen Punkten ungenau sind. Unterhalb des Giebels, des-
sen getreu nachgebildete Speicherluken ich bereits oben S. 89
erwähnte, folgt zunächst ein Streifen mit Lotosknospen und
Palmetten, dann die Einfassungsborte des leeren, ein wenig
vertieften Hauptfeldes. Sie ist ähnlich wie bei dem Denkmal
von Bakschisch in Quadrate geteilt, die mit über Eck gestell-
ten Vierecken gefüllt sind 2. Beber hat nun die bisher unbe-
^ Auf liaiiisays Plaiules ganzen Plateaus Jourtial of Hell, sludies IX, \S8S,
S.375 Fig. 11 lelilt dies Denkmal leider: .sein Platz wäre zwischen </ate 6' und
gale E, wie Rainsay selbst iiaelitriiglicli bemerkt hat Uuurnal uf Hell, studies
X, 1889, S.1Ü4). Das Studium der wertvollen Arbeilen des hervorragenden
Forschers wird leider recht olt durch die Verwirrung erschwert, die boshafte
Kobolde in seinen Skizzen und Manuscripten anzurichten lieben.
2 Ich habe gleich allen l'rühereu Heisenden Spuren dieses Musters auch
an den horizontalen Seitenburtcn zu sehen geglaubt, wie ich gegen Reber
S. 568 hervorheben luöehtc.
110
A. KOERTE
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Fig. 7
kLEINASlATISCHE STUDIEN. III. Hi
merkte Thatsache festgestellt, dass die Fassade unvollendet ge-
bliehen ist. Die geringe flöhe des Hauptfeldes gegenüber seiner
bedeutenden Breite und der Grösse des Giebels weicht von
den hei allen andern Denkmälern beobachteten Verhältnissen
so auffällig ab. dass sie unmöglich von vornherein beabsichtigt
sein konnte'. Man möchte, wenn man das Denkmal ansieht,
den unteren Teil der Fassade aus der Erde graben, aber der
gewaclisene F'els schliesst unmittelbar an den jetzigen Unter-
rand an. l\eher hat auch eine Vermutung über den Grund der
NichtVollendung, Das Midasdenkmal ist nach ihm das Grab
des bei Herodot 1, 35 genannten letzten Königs dieses Namens
und dessen Sohn Gordios, der Vater des Adrastos, war gerade
dabei sich ein nicht weniger schönes Grabmal zu errichten,
als die Perser Ivroisos Reich zerstörten und damit auch der
Herrschaft des lydischen Vasallen Gordios ein Ende machten;
im Jahre 5iö wurde also die Arbeit an dem Denkmal abge-
brochen. Diese llvpothese überhebt lieber der unangenehmen
.Notwendigkeit bei diesem Denkmal, das Niemand für ver-
schüttet halten kann, einen Platz für die Leiche ausfindig zu
maclien, aber Hebers eigene Tafel und unsere Fig. 7 lehren,
dass er den Sacli verhalt falsch aufgefasst hat. Freilich, die
Fassade wurde nicht so ausgeführt, wie sie geplant war, sei es
dass der 1^'els unten zu stark vorsprang und seine Abarbeitung
mehr Mühe verursachte, als man berechnet hatte, sei es
dass ein Sprung im Gestein die Vollendung störte, aber mim
hat sich doch geholfen und das schöne Werk nicht unbenutzt
gelassen. Etwa zwei Meter unter der linken Ecke der Fas-
sade an einer Stelle des Felsens, die bei regelrechter Ausführung
des Denkmals hätte fortgesprengt werden müssen, ist
das Gestein geglättet und eine einfache Nische mit Giebel,
Firststülze und geschwungenem Akroter in den Fels gehauen.
Diese kleine Anlage scheinen bisher alle Heisenden übersehen
' Die älteren Zeielincr setzen, wo! unbewusst, die Fläche nach unten so
weil fort, dass sie den Proportionen der andern F'assadeii entsprielit; selbst
Ranisays kritischem Auge scheint dieser Fehler in Perrols Abbildung ent-
gangen zu sein.
W'! A. koErte
zu haben ; auch ich liabe sie nicht bei dem mehrmaligen Be-
such der Stätte, sondern erst auf Herggrens Photographie ent-
deckt. Zufällig hat sich der Arbeiter mit der Messlatte ge-
rade vor die Nische gestellt; dadurch wurde ich auf die Stelle
aufmerksam und konnte dann auf meinen eigenen Aufnahmen
sowie auf solchen des Herrn Major von Diest noch Einzelhei-
ten besser feststellen. Natürlich ersetzen diese Beobachtungen
an Photographien, die Pig. 7 verwertet sind, nicht die Be-
sichtigung des Denkmals selbst, aber die Hauptsachen lassen
sich doch ermitteln. Die Nische war mit Giebel und Akroter
rund 3'" hoch, der Giebel 2'" breit, die eigentliche Nische
wenig mehr als 0,50'" breit und von geringer Tiefe; der linke
Flügel des Akroters und ungefähr ein Drittel des Giebels sind
jetzt abgesplittert, Giebelbalken, Firststütze und Akroter sind
verhältnissmässig dick. Die ganze Anlage ist sehr einfach und
schmucklos. Da die kleine Nische und die grosse Fassade bei
regelrechter Durchführung nebeneinander nicht hätten bestehen
können, sind zur Erklärung des jetzigen Zustandes zwei Mög-
lichkeiten gegeben. Entweder war die Nische älter und die
grosse Fassade sollte sie ersetzen, bei der Ausführung stellten
sich aber Bedenken ein, die alte Ivultstätte zu zerstören und
so Hess man lieber die neue Fassade unvollendet, oder aber
die kleine Nische wurde nachträglich hart unter die grosse
Fassade gesetzt, als deren Vollendung aus irgend welchen
Gründen aufgegeben wurde. Ich halte die zweite Möglichkeit
für ungleich wahrscheinlicher, denn im ersten Fall hätte man
die Fassade ohne Gefährdung der Nische noch reichlich einen
Meter weiter nach unten ausführen können. Die Schmucklosig-
keit der Nische, die man als Zeichen höheren Alters ansehen
könnte, erklärt sich auch, wenn sie ein nachträglich hinzu-
gefügter Notbehelf war ; reichen Schmuck hatte man oben an
der Fassade genugsam angebracht, jetzt kam es nur noch dar-
auf an, die dort fehlende Kullnische, den Einuanüf in den Fei-
sen anzudeuten. An sich wäre freilich die Nische gross genug
für eine kleine selbständige Kultstätte; wir haben mehrere
Beispiele entsprechender Anlage von etwa der gleichen Grösse;
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III.
113
Zu den beiden mit Kybele-Idolen ausgestatteten Nischen in der
Umgegend von Liyen (s.S 94 ) kommt die oben S.88 beschrie-
bene und teilweise abgebildete Nische mit den Kachelmustern
an den Innenwänden, und für höchst wahrscheinlich halte ich
es, dass die von Heber S. 575 Fig. 6. B abgebildete Anlage
nicht, wie er meint, ein Kindergrab, sondern gleichfalls eine
bildlose Rultnische ist'. Von besonderer Wichtigkeit für das
Verhältniss dieser kleinen Nischen zu den grossen Fassaden
ist endlich ein kleines Denkmal, das ich ziemlich weit nörd-
lich von dem eigentlichen Gebiet der Felsdenkmäler im Por-
sukthale fand; seine Lage werde ich S. 1 i^ bei Besprechung
eines grossen benachbarten Grabes (o-) genauer bezeichnen. Lei-
der ist die skulpirte Schicht der geglätteten Felswand vielfach
abgesprungen und nur der beistehend in Fig. 8 abgebildete
Fig. 8
Rest des Denkmals erhalten. Man erkennt einen steilen Giebel,
' Reltor hat dies mir unhekannlc Monuinoiit 'Iiocli oben am östlichen
Steilrand der Akiopolis von Jasili-kaja' nur aus der Entfernung zeieiinon
können; seine AMiildunj; slininit mit der Er.satznisclie des Kütscliük - ja-
sili-kaja aulVallend überein.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 8
114 A. KOERTE
dessen beide untere Ecken fehlen, und darüber das charakteri-
stisclie rundgebogene Akroterion, weiter eine breite Firslstütze,
in die längliche Vierecke abwechselnd rechts und links von
der Balkenmitte eingeschnitten sind, und unter dem Giebel-
balken wird gerade noch der Rest eines ähnlichen geometri-
schen Muslers sichtbar. Etwa 0,50'" tiefer ist eine rund 0,60™
breite. 0,40'° hohe Nische von höchstens 0,8ü'° Tiefe in den
Fels gehauen '. Trotz seiner Kleinheit und Dürftigkeit — der
Giebel wird etwa 1,50'" breit gewesen sein — ist dies Denk-
mal otYenbar eine Nachahmung der grossen Felslassaden, mit
denen es die Ausgestaltung des Giebels und die geometrischen
Verzierungen gemein hat. Die Nische hat hier ihre Thürform
verloren, möglicherweise erfüllte sie zugleich den Zweck des
Schachtes und diente zur Aufnahme kleiner Weihgaben. Dass
die kleine offene Nische keine Grabstätte sein kann, ist ohne
weiteres klar, und um so vveitvoller ist ihre Verwandtschaft
mit den grossen Fassaden für deren Beurteilung.
Bevor ich die Besprechung des Kütschük-jasili-kaja schliesse,
muss ich noch auf den Ornamentstreifen unter dem Giebel ein-
gehen. Perrot, der Fig. 12« nach einer ramsayschen Skizze
eine im Ganzen treue Abbildung ^ des Ornamentes giebt, hält
(S. 1 92) die Bestandteile für Eicheln und Eichenblätter und ver-
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Fig. 9
mutet, der phrygische Künstler habe vom Osten her das Motiv
der ivOtosknospp und Palmelte übernommen, aber an die Stelle
' Auf der AbhildiiiiK erscliciiil sie zu dunkel und darum zu lief.
2 Fig. 9 wiedeiliidl diese Aljhildunjj in verseliiedencn Punkten nach den
Pliotograpliien und meinen Notizen bericbligt.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 115
der fremdartigen Pflanzen Frucht und Blatt eines heimischen
Baums gesetzt. Reber, der die Teile Palmetten und Knospen
nennt, meint (S. .068) der Fries lasse erkennen, 'dass die hel-
lenische Umbildung des orientalischen Motives den Phrygern
bekannt geworden sein musste' — aber wir können weiter ge-
hen ; das Ornament ist hellenischer Besitz, eine treue Nach-
ahmung ostgriechischer Vorbilder. Wenn ich auch kein hel-
lenisches Kunstwerk anführen kann, dessen Ornament sich mit
dem Fries vijllig deckt, so lassen sich doch alle seine charak-
teristischen Eigentümlichkeiten im ostgriechischen Kunstkreise
nachweisen. Üie Verbindung von Lotos und Palmette durch
Ranken, die aus dem Kelch des Lotos herauswachsen und auf
ihren Spiralen die Palmette tragen, kehrt auf fas^t allen cäre-
taner Hydrien wieder', nur steht bei den mir bekannten
Exemplaren eine Lotosblüte an Stelle der Knospe und die ein-
zelnen Blätter der Palmette sind von einander gelöst ^. Es
genügt, geschwungene Seitenblälter an die Knospen des phry-
gischen Ornaments anzufügen, um es dem Fig. 10 abgebilde-
FiG. 10
ten Palmettenstreifen der cäretaner Hydria in Wien (Masner,
Sammlung antiker Vasen im Österreich. Museum Nr. -218
< Dümniler, Rom. Mittlieilimgen III S. IfififT. ; Pottier B. C. H. XVI
S. 254 11'., Löschcke, Allioii. Miltlieiliinpeii XIX S. 5U"i Anni. Die oslgrie-
cliisclie Herkunft dieser Vasenklasse leugnet jetzt wol Niemand mehr, wenn
der Fabriealionsort aucli noch nicht fest steht.
2 Noch etwas freier aber sonst üliereinstimmend sind die PalnuMlen und
Blüten auf dem von Polticr //. C. //. XVI S. 247 Kig. 3 abi;el»ildeten Bruch-
stück eines klazonicnischcn Öarkophages.
116
A. KOERTE
Taf. 2) nahezu gleich zu machen. Die Bildung der Knospe
mit den gesciiwungenen Relchhiättern und der Teilung durch
einen Mittelstricli findet sicli ganz ähnlich auf dem Bronze-
beschlag von Bomarzo (Antike Denkmäler 1 Taf. 21,5) sowie
auf vielen rhodischen Vasen (z. B. Salzmann, Necropole de
Camiros Taf. 32. 37), und die Fächerform der Palmette ist
älteren ostgriechischen Denkmälern ganz geläufig. Auf den
neuerdings von Savignoni [Monumenti dei Lincei W\ S,
277 ff.) in musterhafter Beweisführung als jonisch erwiesenen
Stabdreifüssen kommt ein dem phrygischen sehr ähnliches
Ornament vor, nur sind die Lolosknospen zwischen den Pal-
metten zu Eicheln geworden. Wie leicht die Knospe in die
Fig. H
Eichelform übergeht, lehrt sehr gut eine in Caere gefundene
architektonische Terakotte des Berliner Museums, die wie eine
schlechte Nachahmung des phrygischen Frieses aussieht. In
Fig. 11 ist sie mit der freundlichen Genehmigung der Mu-
seumsverwaltung abgebildet, liier gleichen einige der läng-
lichen Gebilde zwischen den ganz verwahrlosten Palmetten
Eicheln, andere wieder sind sicherlich Knospen. Dieseetruski-
sche Terrakotte ist von den ostgriechischen Vorbildern genau
so abhängig wie der phrygische Fries, der mit geringem Ge-
schick in die nationale geometrische Dekoration eingefügt ist.
g. Hassan - bey - kaja.
Der Fels des Hassan- bey, der 2""° nördlich des Midasdenk-
mals am Wege nach Tschukurdscha liegt, gleicht dem eben
besprochenen Denkmal sehr, aber seine Breite (3,80'") ist nur
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. It7
etwa halb so gross als die des Kütscbük - jasili - kaja. Die
Giebel beider Fassaden sind ganz gleich, auch die Seitenborlen
des Hauptfeldes stimmen genau überein, nur ist das Muster
an der rechten Seite des Hassan - bey - kaja zweimal neben ein-
ander gesetzt*, und die Stelle des Palmeltenfrieses vertritt ein
Inschriflstreifen. Das Hauptfeld ist völlig leer, eine viereckige
Einarbeitung dicht unter der Mitte der oberen Borte scheint
mir alt, ich vermag aber ihren Zweck nicht anzugeben. Da
man an der fertigen Ausführung des Denkmals nicht zweifeln
kann, ist das Fehlen der Nische sehr auffallend ; ich halte es
für möglich, dass sie durch Bemalung auf dem Hauptfelde
angedeutet war. Das Denkmal unterscheidet sich von allen
andern auch dadurch, dass die Fassade durch einen gegen 3'°
hohen ^ glatten Sockel vom Boden getrennt ist. vor ihm tritt der
gewachsene Fels zu Tage und somit ist auch hier das \'or-
handensein eines mit der Fassade irgendwie zusammen hän-
genden Grabes ausgeschlossen.
Nicht ins Gewicht fallen diesem Befunde gegenüber alle
Deutungsversuche der langen Inschrift, die rechtsläufig auf
dem Balken unter dem Giebel beginnt, dann linksläufig hart
über dem Giebel weitergeht, und endlich in doppelter Windung
auf dem rohen Fels über dem Denkmal fortgeführt ist (Nr. 8
und 7 bei Hamsay) Fpsx'jv Tsya-oC C^^T'jT'jxaC ae-^svoC axevavo-
XaFo; ^ ae^ u.a.T£pav ap£^a'7Tiv ^ovo/. ay.£vxvoXaFo[;l ^oascaiT u.a-
TepsC, eF6T6)t(jeTi^ oFsFiv ovoL/.a.v 'Xatj'ET 'ky.'/.syox.i^ FcvaFTuv aFra^
(AaT6peJ[. Diese Inschrift ist als Ganzes noch durchaus unver-
* Auf der linken Seite war der äussere Streifen vielleiclit mit demselben
Musler bemalt, skulpirt war er nicbt. wie icb gegen Rel)er S. 570 Itemerke,
vgl. Ilamsay, Journal of HeUenic slitdies X S. 16"2.
2 Wie lieber aucli hier wieder sagen kann (S.570) 'Scliuttaufböbuni; un-
bestimmbar' begreife icb nicht; seino eigene Tafel 7 h'hit, dass auch iiichl
eine Fingerbreite des Sdckels verschüttet ist.
3 Die punktirlen Buchstaben gebe ich nach Ramsay (Bezzenbergers Bei-
träge XIV S. 30'J), sie sind möglich aber unsicher.
* Das Sigma in Akenanolavos ist sicher, wie ich gegen Ramsay bervor-
bebe.
H8 A. KOERTE
Ständlich; festzustehen scheint mir nur, dass Arezastis das
Weib des Akenanolas und die Mutter des Vrekys war, dagegen
halte ich es keineswegs für sicher, dass der Sohn ihr dies
Denkmal errichtet hat*. Es liisst sich ja nicht einmal bewei-
sen, dass FpsKuv Nominativ ist; ich halte es für mindestens
ebenso möglich, dass der Name gleichfalls im Accusativ steht
und der Sinn der Inschrift etwa ist: den Vrekys und seine
Mutter Arezastis soll schützen die Huld der Mutter vom
Berge usw. Auch die neben der rechten Seitenborte herab-
laufende und über dem Sockel nach links einbiegende In-
schrift, die man dem Steinmetz zuteilen möchte (Nr. 9 Ram-
say) aravi^Ev Kup^ave^ov xavs^epTo^ klärt uns nicht auf. Über
die Inschriften des ganzen Denkmals kann man viel vermu-
ten, aber fast nichts beweisen; darum ist es methodisch falsch,
gerade diese Fassade als Schlüssel für das Verstandniss der
anderen benutzen zu wollen.
Sollte aber wirklich Vrekys das Denkmal zu Ehren seiner
Mutter Arezastis haben ausführen lassen, so wäre in der That
diesmal die Tote vereint mit der Göttin gedacht und mit einem
Kultplatz geehrt worden, wie er der Göttermutter zusteht. Dass
eine solche Verbindung zu dem, was wir aus späterer Zeit
von dem phrygischen Volksglauben wissen, durchaus passt,
gestehe ich Hamsay gern zu (vgl. oben S. 95). Dies ändert
aber nichts an der Thatsache, dass die eigenartige kunstform
der prächtigen Felsfassade für den Kult der Gottermutter er-
funden ist und mit der Toten bestattu ng nichts zu thun hat.
Neben den grossen Fassaden mit ihren Nischen, die den
Eingang zu dem Sitze der Göttermutter drinnen im Berg
schmücken, giebt es in Phrygien aus derselben Zeit noch andere
Stätten d(^rGoltesverehrung, nämlich unbedachte Felsaltäre mit
vorgelagerten Stufen. Bamsay, der zuletzt Journal of Hel-
leriic studies X S. 167 f. Fig. 20-24 solche am Felsplateau
' Man würrlo in diesem Falle den Namen der Müller eher im Daliv als im
Accusaliv erwarten.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 119
des MidasfJenkmals gelegene Altäre sehr ausführlich behandelt
hat^ verkennt meines Eraehtens die ihnen zu Grunde liegende
religiöse Vorstellung. Er sieht unter Zustimmung Perrots den
Gegenstand der Anbetung in dicken oben abgerundeten Stein-
tafeln, die sich auf der obersten Stufe zweier Altäre erheben
und bei den andern anscheinend zu ergänzen sind. Der Name
ßaiTuXoi, den er ihnen beilegt, kommt aber nur rohen, vom
Himmel gefallenen Meteorsteinen wie z.B. dem pessinuntischen
Kybelestein zu (vgl. Tümpels Artikel Baitylia in Pauly-Wis-
sowas Real - Encyclopädie II S. '2779 ff.), zudem ist bei dem
grössten und best erhaltenen Exemplar ( Ramsay Fig. 23;
Perrot -Chipiez Fig. 106; Reber Fig. 9) dieser oben abge-
rundete Pfeiler aus dem Felsen selbst gehauen, also ein in-
tegrirender Restandteil des .\ltars, kein darauf gestellter Fe-
tisch. Die richtige Deutung dieser Anlagen hat bereits Sarre
anlässlich der Besprechung eines verwandten, von ihm in der
lykaonischen Salzwüste entdeckten Denkmals gegeben (Reise
in Rleinasien S. 104, Arch. Epigr. iMittheilungen XIX S. 34);
es sind Throne für die unsichtbare Gottheit und die oben ge-
rundete Steinplatte ist die Rückenlehne, die man je nach Be-
lieben aus dem Felsen selbst herausmeisselte, oder gesondert
auf der Sitzdäche anbrachte. Wie ausserordentlich verbreitet
der Throncultus seit den ältesten Zeiten in Hellas und vor al-
lem in Asien war, und wie zäh er sich behauptet hat, lehren
Reicheis vortreffliche Untersuchungen über diese Kultlorm
(Vorhellenische Gölterculte, Kapitel 1 ). Der Thron ist dem un-
sichtbaren Gott als Sitz bereitet, und wenn eine jüngere, am
ikonischen Kult hängende Zeit ein Bild der Gottheit dabei zu
sehen wünscht, dann stellt sie wol eine Bildsäule auf den Sitz
(Reichel S. 13ff. ), aber schwerlich hat man je die Umrisse
einer Gülterfiiiur auf die Rücklehnc des Throns sreritzt. Ich
verma«]; daher die Bo^enlinieii aul der Rückwand des erwähn-
ten Throns, die nach aussen in rohe Spiralen auslaufen, nicht
* Vgl. auch Ramsay, Journal of Hellenic slwlies III, 1882, S. 12 (T. Fig. 4
Taf. '21,«; Perrol-Cliipiez S. l'iO IT. Fig. lOl-lUti. Reber S. 58-2 11". Fig. 8, 9.
120 A. KOERTE
mit Ramsay, Perrot und Reber für Götterbilder zu halten *,
sondern sehe in ilinen nur eine einfache Verzierung der
Lehne'. Höchstens könnte der doppeke Bo^^en andeuten, dass
der Thron als Doppelsitz gedacht ist wie der durch Hiller von
Gärtringen auf Chalke bei Rhodos entdeckte Doppelthron des
Zeus und der Hekate (Arch. Epigr. Mittheilungen XVll S, 3
Fig. 2), aber nötig ist diese Annahme keineswegs.
Die Throne sind von Haus aus nur für Himmelsgötter be-
stimmt ; überzeugend führt Reichel a. a. 0. S. 35 folgende Ent-
wiekelungsstufen auf: natürlicher Berg als natürlicher Götter-
thron, natürlicher Berg mit künstlichem Thron, künstlicher
Berg mit künstlichem Thron, künstlicher Thron. So werden
auch die Throne am Felsplateau von Jasili-kaja einem phry-
gischen Himmelsgotte gelten. Es scheint aber, dass man in
Phrygien auch der Göttermutter Throne errichtet hat, und dass
diese dann folgerichtis: nicht auf dem Fels sondern in ihm
standen. Ramsay hat im Journal of the Royal Asiatic so-
cietT/ XV Taf. 3 ein seltsames Denkmal veröffentlicht, das
dem grossen Löwengrabe gegenüber liegt: In den Felsen ist
eine ziemlich flache, fast 5'° breite, 1,60-2,00™ hohe Nische
ohne jeglichen architektonischen Schmuck und von nicht ganz
regelmässiger Form gehauen, und etwa in ihrer Mitte befinden
sich vor der Nischen wand drei bis vier 1'° breite, stark zer-
störte Stufen, die kaum etwas anderes gewesen sein können als
ein Sitz für die Göttin. Dass diese Nische der Göttermutter
geweiht war, lehren die ersten Worte einer gerade über den
Stufen an der Nischenwand angebrachten Inschrift Marap Ku-
^'.lil^. Diese eigentümliche Verbindung von Götterthron und
' Dass Reber S. 584 in den beiden Kreisen sogar zwei im Profil einan-
der zugekehrte Gesichter erliennt, ist eine erstaunliche Leistung der Phan-
tasie.
2 Ich bemerke noch gegen Perrot und Reber, dass kein Grund vorliegt,
die rechte Seite des Denkmals für zerstört zu hallen; die Stufen schneiden
rechts von dem Thronsitz gradlinig ab, ein dem linken entsprechender
rechter Flügel war also nie vorhanden.
3 Den letzten Buchslaben habe ich C gelesen und das scheinen Abklatsch
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. <24
Felsnische steht, so viel ich sehe, bisher allein da, aber der
Einfluss des Throns ist vielleichl auch in den Fällen anzu-
nehmen, wo einer Kultnische der Göttermutter Stufen vorge-
lagert sind wie bei Delikli-tasch und dem kleinen von Reber
entdeckten Denkmal (S. 585 Fig. 10); auch vor der Nische des
Midasdenkmals glaubte ich Reste von Stufen zu erkennen.
B. Die Felsgräber.
Die Zahl der altphrygischen Felsgräber ist nach Abzug al-
ler mit Unrecht dazu gerechneten Denkmäler ziemlich klein;
mir sind nur folgende grössere Grabanlagen bekannt :
a) Das zertrümmerte Löwengrab bei Hairan-veli. Abgeb.
Taf. 3; Ramsay, Journal of Hellenic studies ill, 1882,
Taf. 18. 19 Fig. 6, 7; IX, 1888, S. 354 ff. Fig. 1-9; Per-
rot-Chipiez Fig. 65-71, 117-122; Reber Taf. 2 Fig. 2.
b) Arslan-tasch (Löwenstein) in unmittelbarer Nähe des
vorigen. Abgeb. Ramsay, Journal of Hellenic studies III,
1882, Taf. 17; IX, 1888, Fig. 10; Perrot -Chipiez Fig. 64;
Reber Taf. 1 .
c) Grab am Ostabhang des Plateaus von Japuldak. Abgeb.
Ramsay, Journal of Hellenic studies lII, 1882, Taf. 28, 4;
IX, 1888, Fig. 27; Perrot- Chipiez Fig. 75; Reber Fig. 3
und 4.
d) Grab links neben dem Midasdenkmal mit besonders sorg-
fältig ausgestaltetem Innern. Abgeb. Texier, Description de
VAsie mineure Taf. 57. Perrot- Chipiez Fig. 123-126.
e) Kleines Grab am Abhang von Pischmisch-kaleh. Abgeb.
Perrot, Exploration S. 146; Perrot -Chipiez Fig. 72-74.
f) Hamam-kaja bei Tschukurdscha. Abgeb. Ramsay, /o«r-
nal of Hellenic studies X, 1889, S. 165 Fig. 18.
und Photographie zu bestätif^'cn, Ramsay liest neuerciings Journal of Hel-
lenic studies IX S. 371 Ku6iX£ Ilaifap, schwerlich mit Rocht; den Schluss
der stark zerstörten Inschrift las ich gleicii ihm to^sv. Unverständlich m
piir, wie er auch dies Denkmal für sepulcral halten kann.
122 A. KOERTE
g) Grössere Grabanlage im Porsukthal nahe bei Köktsehe-
kissik. Abgeb. Fig. 13-15; Reber Fig. 11.
Unter diesen nimmt das zuletzt genannte nach Lafire und
Ausstattung eine ganz besondere Stellung ein und erfordert
daher eine gesonderte Besprechung, während die übrigen in
folgenden Hauptpunkten übereinstimmen. Der Eingang ist ganz
niedrig, selten mehr als 1'" hoch, nur gebückt oder kriechend
kann man ihn passiren und der Zugang zu dieser mehr einem
F'enster als einer Thür ähnlichen Öffnung ist absichtlich mög-
lichst erschwert*. Die Grabkammer des Arslan - tasch z. B.
ist nur mit Hülfe langer Leitern, die mir leider fehlten, zu-
gänglich, und das Grab von Japuldak öffnet sich nach einem
so steilen Abhang, dass der Zutritt zu ihm höchst beschwer-
lich, ja selbst gefährlich sein würde, wenn nicht in spätrö-
mischer Zeit der Fels vom westlichen Abhang her durch-
brochen wäre. Ganz ähnlich steht es mit Hamam-kaja, nur
ist die Höhe des Felsens geringer. Während also die Aussen-
wand in der Regel die Formen einer Hausfassade nicht nach-
bildet ahmt das Innere des Grabes in allen mir bekannten
Fällen das eines Hauses nach 2. Mag das Grab ein [a,b,e,f),
oder zwei (c, d) Kammern enthalten, immer ist die Decke
als hölzerne Giebeldecke ausgestaltet, in a und d mit sorij;-
fältiger Angabe der einzelnen Deckbalken. Die Rammern ent-
halten niemals vertiefte Ruhestätten für die Toten, sie sind
entweder ganz leer [b, c, /') oder mit steinernen Toten bänken
{a, d, e) ausgestattet. Die Nachahmung der im täglichen Le-
ben gebrauchten Ruhebänke ist am besten durchgeführt in d,
wo die Kopfkissen und die geschwungenen Metallfüsse pla-
stisch angedeutet sind; Guilleaumes Skizze (Perrot-ChipiezFig.
196) giebt ein gutes Bild von dem Innern dieses interessanten
Grabes, nur ist das linke Totenlager fälschlich verdoppelt;
^ Nur das unter d aufgeführte Grab hat eine grössere Thür, vielleicht ist
aber seine Fassade bei späterer Wiedcrl)cnulznng verändert; der Rund-
bogen über der Thür passt nicht zu den zweifellos alten Formen des In-
neren.
2 Nur im Arslan -tasch ist die Kammer ganz roh gelassen.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. ^23
der Irrtum lässt sich mit Hülfe des Grundrisses Fig. 1^4 leicht
berichtigen.
So verschieden der äussere künstlerische Schmuck der ge-
nannten Gräber ist, in den Hauptzügen der Anlage gehören
sie doch deutlich einem Typus an und weichen durchaus von
den später zu besprechenden jüngeren Werken ab. So lange
man die Felsfassaden mit geometrischen Ornamenten eben-
falls für Gräber hielt, schien die Frage nach dem zeitlichen
Verhälmiss zweier so verschiedener Gräbertypen sehr wichtig,
und sie ist verschieden beantwortet worden : Während Perrot
(S. 2 29 ff.) die geometrischen Fassaden als die ältesten Kunst-
werke Phrygiens dem Ausgang des achten und dem siebenten
Jahrhundert zuweist, und mit dem zertrümmerten Löwengrab
bis zur zweiten Hälfte des sechsten herabgehen will, erklärt
Ramsay, Journal of Hellenic studies III, 188*2, S. *^8 die
Denkmäler mit figürlichem Schmuck für älter als die geome-
trisch verzierten, die er eher ins achte als ins siebente Jahr-
hundert setzen möchte, und weist Journal X, 1889, S. 154
unter Berufung auf seinen früheren Aufsatz den Arslan-tasch
ins neunte Jahrhundert ^ Reber endlich datirt den Arslan-
tasch auf 8Ü0-700,das zertrümmerte Löwengrab bald nach
700, und lässt die Epoche der geometrischen Fassaden vom
Ausgang des siebenten Jahrhunderts bis zum Beginn der Per-
serherrschaft reichen. Alle diese Datirungen sind falsch, weil
sie von einer, wie wir sahen, irrigen Voraussetzung über den
Zweck der geometrisch verzierten Denkmäler ausgehen. Da
die geometrischen Fassaden eine ganz andere Bestimmung ha-
ben, verwenden sie nalurgemäss auch andere Mittel der De-
koration , und es hindert nichts, sehr verschieden verzierte
Werke für annähernd gleichzeitig zu halten. Ich bin überzeugt,
dass sämtliche bisher erwähnten Denkmäler, die Kultstätten
' Wie er den Journal of Ilrllenir sliidies IX, 1888, S. 3ß6 verfoehlenen
Ansatz des zerlnirninerten liöwoiigiabes auf ungefähr 700 mit seinem Sy-
stem in Einklang bringen will, weiss ich nicht, denn dies Grab gehört doch
offenbar zu seiner crsien Klasse.
424 A. KOERTE
wie die Gräber, der Zeit vom Ausgang des siebenten bis zur
Mitte des sechsten Jahrhunderts, also einer verhältnissmässig
kurzen Epoche angehören '. Zu diesem Ansatz berechtigt mei-
nes Trachtens ein Vergleich mit Werken des ostgriechischen
Kunstkreises, der bisher auffallender Weise noch nie ernsthaft
versucht ist. Ich möclite ihn im Anschluss an das interessan-
teste der Felsgräber vornehmen.
Es ist ein unglücklicher Zufall, dass uns das reichste und
sorgfältigst gearbeitete aller phrygischen Gräber in einem trüm-
merhaften Zustande vorliegt, der die Reconstruction des Gan-
zen vorläufig unmöglich macht. Was ohne Ausgrabungen zu
erreichen war, hat Ramsay geleistet, dessen hingebender Ei-
fer sich nirgends glänzender bethätigt hat als an diesem von
ihm entdeckten Torso ; aber ein gesichertes Verständniss des
ganzen Werkes kann hier nur eine Untersuchung mit Hacke
und Spaten bringen, und es ist dringend zu wünschen, dass
diese jetzt durch die Nähe der Eisenbahn erleichterte Arbeit
bald vogenommen wird.
Das Grab war in einem vorspringenden Felsblock derartig
angelegt, dass die Nord- und Ostseite im gewachsenen Felsen
steckten, währen die West- und Südseite frei standen und mit
Reliefs geschmückt werden konnten. Feuchtigkeit, Frost und
Erdbeben haben den Bau gesprengt , der grösste Teil der
Wände liegt in gewaltigen Blöcken am Boden, nur ein Stück
der Nord wand haftet noch am Felsen. Mit seiner Hülfe lässt
sich die Breite der Kammer auf 6,30™ berechnen und von der
inneren Einrichtung ein Bild gewinnen, Die Kammer hatte
eine Giebeldecke mit Nachahmung der Holzbalken und ent-
hielt an der Ost- und Südseite je ein Totenlager, in der Süd-
westecke einen Steinsitz mit plastisch angegebenen Füssen.
Die ganze Nordwand entlang zog sich eine Art Ausbau, dessen
Boden in Bankliöhe liegt und jedenfalls auch als Totenbett
diente; seine wagerechte Decke stützten zwei kurze Säulen
* Vor den Einfall der Kiinmerier wird nur Delikli -lasch mit einiger
"Wahrscheinlichkeit zu setzen sein.
IIL
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 1?5
mit eigentümlichen Palmettenkapitellen. Von der südlichen
Aussenvvand haben sich zwei Bruchstücke erhalten, die Süd -
westecke mit dem kolossalen Kopf und Rachen eines Löwen
(Taf. 3, 1 ) und ein kleinerer Rest (Taf. 3, 4), auf dem Ram-
say die gegen einander gestemmten Tatzen eines zweiten Lö-
wenpaars zu erkennen meint. Er nimmt demnach auf der
Südseite drei riesige Löwen an, der eine soll hochaufgerichtet,
die Vordertatzen auf einen Pfeiler gestellt nach der Ecke
schauen, während hinter ihm zwei andere gleichfalls hoch
aufbäumend ihre Vorderpranken gegen einander stemmen.
Diese Reconstruction unterliegt aber schweren Bedenken ; zu-
nächst wäre die ästhetische Wirkung der drei gleichen, zu kei-
ner Gruppe vereinigten Tiere möglichst unglücklich, zweitens
setzt Ramsays Annahme eine Kammerlänge von 9,40™ voraus,
die an sich auffallend ist und mit den vorhandenen Resten
kaum vereinbar erscheint. Die VVestwand ist vornüber ge-
fallen, also jetzt weiter von der feststehenden Ostwand ent-
fernt als früher; wie sollen da so viele riesige Blöcke in der
Lücke zwischen beiden (am besten auf Rebers Tafel 2 zu be-
trachten) untergebracht werden, und wo sind die gewaltigen
Steinmassen geblieben? Dass der untere Teil der Kammer-
wand jetzt in der Erde steckt, ist klar, aber dasselbe für die
grössere Hälfte des Oberteils anzunehmen, gestattet meines
Erachtens der Befund nicht. Endlich aber, und das ist die
Hauptsache, kann ich die fraglichen Reste nicht für zwei Lö-
wentatzen halten. Die in stumpfem Winkel an einander stos-
senden Stücke sind nach Ausweis unserer Taf. 3, 4 keines-
wegs gleich, wie sie es als Tatzen gleicher Tiere sein müssten;
der augenartigen Kugel an dem rechten kürzeren Stück ent-
spricht kein ähnlicher Bestandteil des linken, das ja freilich
für eine Raubliertatze gelten kann ^ Was dargestellt war, weiss
ich nicht, aber ein Tatzenpaar war es schwerlich und damit
' Blunts Zeichnung Journal III S. ?2 isl,gerade weil er keine Vermutung
über die Bedeutung des Fragments haUe, treuer als die Abbildungen Iq
Rainsays späterem Aufsatz.
l26 A. KOERTE
wird Ramsays ganze Reconstruction recht unwahrscheinlich.
Ich bedaure lebhaft, keinen andern Herstellungsversuch vor-
schlagen zu können ; man wird die Ausgrabungen abwarten
müssen.
Das Hauptstück des Grabes, der riesige Löv^enkopf der Süd-
westecke ist Taf. 3, 1 aufgerichtet abgebildet, während er in
seiner jetzigen Lage die Schnauze zur Erde kehrt; diese Dre-
hung der Photographie zwang dazu, das umgebende Erdreich
fortzulassen; der linke Rand unserer Abbildung ist also nur
die Grenze des über der Erde sichtbaren Teiles des Blockes,
kein Bruch , wie man meinen könnte. Es ist überraschend,
wie sehr der Kopf in seiner natürlichen Haltung an Leben und
Ausdruck gewinnt.
Das erhaltene Stück des Tiers misst vom unteren Rande
bis zum Scheitel '2,25'", die Höhe des ganzen Löwen würde
in der von Ramsay angenommenen Stellung etwas über 6"
betragen; ich halte es aber nicht für ausgeschlossen, dass er
sass und nur den Oberkörper aufgerichtet hatte ' wie z. B.
ein Löwe auf dem kürzlich von Couve verötYentlichten alten
attischen Gefäss ('Ecpr.fxspi? äp/atoloyiKyi 1897 Taf. 6), dann
würde sich seine Höhe auf etwa 4,50'" vermindern. Das Auf-
fallendste an dem Werk ist die starke gleichmässig durchge-
führte Stilisirung aller Teile. Die Schultermuskeln gleichen
einer Bandschlinge, die Zotten der Mähne sind von der Stirn
bis zum Nacken durch eine Reihe gleichmässiger Löckchen
angedeutet und vorn begrenzt ein schmaler vom Ohr zum
Hals laufender Wulst mit Fischgrätenmuster die Mähnenpar-
tie; auch die fleischigen Teile der Schnauze sind in regel-
mässige Wülste zerlegt. Dass der Künstler keinen Löwen aus
eigener Anschauung kannte, lehrt die Bildung des flach an-
liegenden dreieckigen Ohrs, der grossen weit vor(|uellenden
Augen und des geöffneten Rachens, in dessen Unterkiefer nur
' Löwen in dieser Slelluiig lioinnicn melirfacli auf den plnygiselien Fcis-
gräbern der Kaiserzeit vor, die den alten Gräbern nianelicMolive entlehnen,
z. B. in Ajas-in und Bey-köi.
kLElNASIATISCHE STUDIEN. III. Hl
der vorderste halb abgebrochene Zahn als Reisszahn, alle an-
dern als Mahlzähne gestaltet sind. Die Zähne des Oberkie-
fers sind abgebrochen. Die Zunge scheint vorne über die Unter-
lippe herabzuhängen. Die Stilisirung ist bisher allgemein auf
den Einfluss des Ostens.aufAssyrer, Hethiter oder Syro-Kappa-
dokier zurückgeführt worden, aber bei keinem dieser Völker
findet man für die Einzelheiten des Werks so genaue Analo-
gien wie bei den Griechen. Es wird mitunter vergessen, dass
auch die archaische griechische Kunst in einer Zeit die Kör-
performen lebender Wesen ornamental zu stilisiren liebt, und
gerade an solchen fremdartigen Geschöpfen wie Greifen, Sphin-
gen, Löwen betiiätigt sich diese Neigung besonders gern. Mag
auch der Triel) zum Stilisiren ebenso wie die F'abelwesen
selbst aus dem Osten stammen, die Griechen haben aus den
übernommenen Elementen neue und selbständige Gebilde ge-
schaffen (vgl. Furtwänglers Artikel Gryps in l\oschers Lexi-
kon), und ein hellenischer für dekorative Zwecke geprägter
Löwentypus scheint mir unserin ja auch rein dekorativ ver-
wendeten Löwen zu Grunde zu liegen. Auf Taf. 3 sind unter
2 und 3 in beträchtlicher Vergrösserung zwei Elektron-Münzen
des Berliner Münz-Kabinets abgebildet, die wichtige Verglei-
chungspunkte bieten. Die Abdrücke, welche den Abbildungen
zu Grunde liegen, verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn
H. Gabler. Babelon weist diese Drittelstatere [Reime Numis-
matique XIII, 1895, S. 318 tY.) mit überzeugenden Gründen
Milet zu, und setzt sie in die zweite Hälfte des sechsten Jahr-
hunderts. Auch diese Löwenköpfe sind ornamental stilisirt;
der Knopf mit kurzen Strahlen auf der Stirn ist ganz phan-
tastisch und, wie Furtwängler (a a. O. S. 1758) bemerkt hat,
dem bekannten Knopt des archaischen Greifentypus nächst ver-
wandt. Man beachte auch, wie bei dem unteren Exemplar (3)
die Zähne als runde l^erlen wiedergegeben sind. Mit dem
phrygischen Löwen teilen die Münzen die übertrieben llei-
scliige, gleichsam geschwollene Bildung der Schnauze und vor
allem die eigentümliche Mähnenbehandlung. Genau derselbe
Wulst mit dem Fischgrätenmuster kehrt bei ihnen als vordere
{2i A. kOERTE
Begrenzung der Mähne zwischen Ohr und Hals wieder, nur
läuft das Muster bei den Münzen aufwärts, auf dem Relief
abwärts. Eine Reihe kurzer Striche, den Löckchen des Reliefs
entsprechend, zieht von der Stirn bis in den Nacken und die
zwischen diesen Grenzen liegende Mähnenfläche ist in Nr. 2
durch kurze schräge Striche , in Nr. 3 durch Punkte be-
lebt. Auch auf dem Relief war die Hauptmasse der Mähne
nicht übergangen; noch sind geringe aber sichere Umriss-
spuren flach eingegrabener spitzer Zotten über dem Schulter-
muskel und hart an dem Fischgrätenmuster in Höhe des Un-
terkiefers sichtbar , und wir dürfen sie uns auf die ganze
Fläche zwischen Wulst und Löckchen ausgedehnt und durch
Farbe belebt denken. Dass eine weitgehende Bemalung die
Wirkunsj des Reliefs hob, glaube ich mit Bestimmtheit aus
den am Auge erhaltenen Spuren folgern zu dürfen ; auf un-
serer Tafel ist der dunkle Kreis der Pupille deutlich zu er-
kennen '.
Dieselbe Wiedergabe des vorderen Mähnenrandes durch ein
Fischgiätenmuster findet sich auch bei dem Löwen eines
Bronzebeschlags von Polledrara {Journal of Hellenic studies
XIV, 1894, Taf. 8), der sicherlich dem ostgriechischen Runst-
kreis angehört.
Noch ungleich näher als die Münzen und der Bronze -Be-
schlag steht aber dem Relief in der Gesamtwirkung der Lö-
wenkopf, welcher die bekannte macmillansche Lekythos des
Brittischen Museums [Journal of Hellenic studies X, 1889,
Taf. 5, noch besser Xi, 1890, Taf. 1-2) krönt, so seltsam es
scheinen mag, ein Kolossalrelief mit einem 68'"™ hohen Ge-
fässchen zu vergleichen. Hier haben wir dieselbe übermässig
fleischige Bildung der Schnauze, denselben breiten Rachen,
< Ich habe diese Spuren nicht am Original, sondern zuerst auf meiner,
der Tafel zu Grunde liegenden Photographie bemerkt. Da ich sie dann auch
auf drei anderen von Bcrggren und mir zu verschiedenen Zeilen gemachten
Aufnahmen wieder fand, scheint mir eine Täuschung durch Zufälle der Be-
leuchtung ausgeschlossen.
ktEINASlATISCHE STUDIEN. IH. '29
die eng anliegenden dreieckigen Ohren — freilich kleiner und
höher sitzend — die gleiche seltsame Mähnenbehandlung. Zwar
fehlt die hintere Reihe der Löckchen, ihre Stelle nimmt der
Henkel ein, aber die Hauptmasse der Mähne wird hier wie
dort durch spitze aufgemalte Zotten angedeutet und ihren vor-
deren Abschluss bildet eine schmale einfach gestrichelte Borte,
deren Wirkung sich von dem Fischgrätenmuster nicht sonder-
lich unterscheidet. Alle diese Übereinslimmungen sind ebenso
viele Abweichungen von dem naturgetreuen Bilde eines Lö-
wen, sie können also nicht zufällig sein, sondern müssen ei-
nem von der dekorativen Kunst ausgebildeten Löwentypus
angehören, i'ass dieser Typus aber eine hellenische Schöp-
fung war, scheint mir durch das protokorinthische Gefäss er-
wiesen.
Wer sich bei der Betrachtung des Löwen von dem starken
Einfluss griechischer Vorbilder noch nicht überzeugt hat wird
sich dessen Anerkennung kaum entziehen können, wenn er
die Skulpturen der Westseite mit gi'iechischeii Werken ver-
gleicht. Das Ilauptstück der Westfassade befindet sich an dem-
selben Eckblock w ie der Löwe, ist aber dem Boden zugekehrt
und tief in die Erde eingesunken. Ramsay hat ISSl ein Loch
darunter aushöhlen lassen, das die Möglichkeit gewährt die
Skulpturen zu untersuchen, doch ist es nicht leicht, von einem
Kolossalrelief ein Bild Zugewinnen, wenn man auf dem Rücken
unter dem Felsblock liegt und das Relief in kellerartiger Dun-
kelheit in einer Entlernung von "20"" über sich hängen sieht.
Natürlich ist eine auf Grund solchen Studiums entworfene
Skizze sehr unvollkommen , und es verdient Bewunderung,
dass es Ramsay und llogarth überhaupt gelungen ist, ein in
den llauptzügen gesicheltes Bild der Fassade zu geben. Mit
Benutzung eines kleineren daneben liegenden Bruchstücks, das
Arm und Watfenreste eines Kriegers zeigt, hat Ramsay folgende
Composition hergestellt [Journal IX, 1888, S. 3ö3 Fig. 9):
Zwei mit Helm, Schild, Panzer. Schwert und Speer ausgerü-
stete Krieger richten die Spitze ihrer Walle auf ein gewalliges
Gorgoneion, an das sich unlen der Rahmen des viereckigen
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIll. 9
130 A. KOERTE
Einsanssloches zur Grabkammer anscliliesst. Der rechte' Krie.
ger ist bis zur Hüfte erhalten, von dem linken sind nur die er-
wähnten Reste auf einem kleineren Block und die Speerspitze
neben dem Gorgoneion vorhanden. Einige Kleinigkeiten glaube
ich in Ramsays Skizze berichtigen zu können, wiewol ein
sicheres Urteil erst nach Freilegung des Blocks möglich sein
wird. Auf der Stütze des Helmbuschs ist ein rundes Auge an-
gegeben,die Stütze demnach sicher als Vogelkopf gestaltet, der
Helm reicht nicht so weit in den Nacken hinab, ein hinten ab-
gerundeter Haarschopf quillt unter seinem Rand hervor, und
der wagerechte Streifen vor dem Leib des Mannes ist wol ein
Gurt über dem ein SchwertgritY sichtbar wird. Ferner glaubte
ich an dem Gorgoneion spitze Ohren und über der Stirn einen
Kranz breiter Buckellocken wahrzunehmen.
Dass die Bewaffnung der Krieger der griechischen ent-
spricht, ist Ramsay natürlich nicht entgangen, er sucht aber
diese Übereinstimmung durch eine künstliche Hypothese zu
erklären (a. a. O. S. 364 f.): Herodot erzählt 1, 171, dass die
Karer Helmbusch, Schildzeichen und Schildhandhaben er-
funden hätten, deshalb hält Ramsay die Bewatlnung des Re-
liefs für die karische, die auch den Phrygern als den nächsten
Verwandten der Karer eigentümlich gewesen sei. Diese An-
nahme ist höchst bedenklich. Zunächst waren Phryger und
Karer keineswegs verwandt, w'ie die vortreftlichen Untersu-
chungen Kretschmers (Einleitung S. 376 1!'.) ergeben haben,
und dann sind die Worte Herodots, der überdies von einer
weit zurückliegenden Zeit, vor Eroberung der Inseln durch
die Hellenen, spricht, viel zu allgemein, um gerade diese be-
stimmte Form des Helms und der andern Wallen als karisch
zu erweisen. Das Eigentümlichste an dem metallenen mit Na-
senschirm versehenen Helm ist der Busch, der auf einer nie-
drigen Stütze in Form eines Vogelkopfes ruht und in zwei
' Nicht der linke, wie es auf Saint- Elmc Gauliers sonst sciir gescliicivtcr
Zeichnung bei Feirot Fig. 117 (z. T. wiederliolt bei Dareinberg und Saglio,
Lirliunnaire II, 2 S. l-i'iO) dargesteill ist.
kLtiKASIATlSCME StUDlEN. 111. 131
langen Spitzen gleichmässig nacli vorn und hinten herab-
wallt'; das ist eine der vielen Formen, die der Helmbuseh bei
den Griechen angenommen hat, freilich keine der üblichsten.
Auf den älteren Vasen herrschen zwei andere Formen vor,
der Busch sitzt entweder in seiner ganzen Länge ohne Stütze
auf dem Helmkopf selbst auf ^ oder aber er wird von einer
hohen Stütze getragen, fällt nur hinten in langer Spitze herab
und ist vorn gerade abgeschnitten. Neben diesen mit Vorliebe
auf denselben Denkmälern verbundenen Formen, kommt aber
auch eine dritte zwischen beiden siehende vor, der Helm mit
niedriger Stütze und gleichmässig nach vorn und hinten wal-
lendem Busch. Das älteste mir bekannte Beispiel ist eine zu
den Ausläufern des Dipylonstils gehörige Vase , die Pernice
Athen. Mittheilungen XVH, 1892, S. 214 Fig. 3 und Taf.
10, 2 verofl'entlicht hat. Etwas jünger, aber noch dem sieben-
ten Jahrhundert angehörig ist dann die Vase des Aristonothos
(Mon. dl' IV Inst. IX Taf. 4; Wiener Vorlegeblätter 1
Taf. 1, 8, vgl. Robert bei Pauly- VVissowa M S. 966 unter
Aristonophos) , deren ostgriechischer Ursprung wol ausser
Zweifel steht; auf ihr sind alle Krieger mit solchen Helmen
ausgestattet. Zwei weitere Beispiele bietet der bekannte Eu-
phorbos- Teller (Salzmann, Ne'cropole de Caniiros Taf. 53;
Ikunn, Kunstgeschichte I Fig. 1 i4j, und zeitlich am nächsten
wird dem phrygischen Relief die Darstellung eines gleich be-
helmten Kriegers auf einem klazomenischen Sarkophag stehen
(Antike Denkmäler 1 Taf. 46, 4). \\'enn wir endlich den-
selben Helm auf einem etwas jüngeren lykischen Belief (Per-
rot-Ghipiez Fig. 279) wieder linden, so dürfen wir auch dies
Beispiel bei der bekannten Abhängigkeit der lykischen Kunst
aus lonien herleiten. Für den X'ogelkopf der Stütze kann ich
z. B. auf eine cäi etaner Ilydria [Man. deil Inst. VI Taf. 78),
also wieder ein ostgriechisches Werk, verweisen. Auch der
< Penol liäll S. 175 den Buscl) sellsamorWei.se für eine Metallsclieibe.
2 Einen solclien zum Verglcicli mit den plirjgiselion wenip: geeigneten
Helm bildet Penol Fig. ll'J ab.
132 A. KOI'HTß
runde llaarscliopf. den icli iinlor dein Helm walirzuneliinen
«glaubte, kehrt auf ostoriecliischen Vasen wieder; er ist der
jonisclie Krobylos (vgl. Studniczka, Arch. Jalirbueli XI S.
267 f.)- Diese Frisur ist zwar bei bebelmten Kriegern selten,
kommt al)er doch vor, z. B. auf einer V^ase des Duris (Wie-
ner \'orlegebUitter VII Taf. I \
Die angeführten Beispiele stellen es ausser Frage, dass die
Krieger reingriechisehe Waffen tragen, und wer die Streiter
auf dorn iMiphorbos-Teller oder den des khizomenischen Sar-
kophags mit ihnen vergleicht, wird nicht im Zweifel darüber
sein, dass der phrygisclie Künstler den ganzen Typus des Kämp-
ferpaars dei- ostgriechischen Kunst entnommen hat; in der Aus-
führung ist ihm freilich alles steifer und derber geraten als
wir es bei seiner V^oi'lage voraussetzen dürfen. Dass die un-
kriegerischen. Phryger (vgl. Göttinger gelehrte Anzeigen 1897
S. 390) selbst jemals solche Waffen getragen haben, wie Ram-
say annimmt, bezweifle ich sehr. In Xerxes Heer waren sie
nicht wie die Griechen, sondern fast genau so wie die Paphla-
gonier ausgerüstet (llerodot V'll, 73), und da die gleiche Be-
waffnung der Armenier ausdrücklich durch ihre Abstammung
von den Phrygern erklärt wird, muss diese Rüstungsart die-
sen von Alters her eigentümlich gewesen sein. Schwerlich
wären sie zu den primitiven geflochtenen Helmen der Paj)bla-
gonier zurückgekehrt, wenn sie ein paar Menschenalter früher
griechische iVletallhelme geführt hätten. An eine naturgetreue
Darstellung selbstgesehener Vorgänge denkt eben der phrygi-
sche Steinmetz gar nicht; seine Krieger sind genau so deko-
rativ, wie sein Löwe ; aus der Fremde hat er sie fertig bezogen.
Mit dem Gorgoneion wird es nicht anders stehen, obwol
ich für dies keine so schlagenden Analogien beibringen kann.
Seine Beui'teilung wird durch das Fehlen der Bemalung noch
erschwert, die ott'enbar bei ihm sehr reichlich angewendet
war. Vor allem waren die Augen nur aufgemalt, und auch
der Bart svird durch Farbe angedeutet gewesen sein. Die tieri-
schen Ohren, die an jonisclie Silenstypen erinnern, sind bisher
bei reingriechischen Goi'goneien nicht nachgewiesen und mö-
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 133
gen eine Zutliat des plirygischen Künstlers sein ; die Umrah-
mung der Stirn mit regelmässigen l^öckchen findet sich ähn-
lich bei dem kleinen Gorgoneion der erwähnten macmillan-
schen l.ekvtlios und bei einer hochalterlümlichen kleinasia-
tischen Elektronmünze, die man vermutungsweise Parion zu-
geteilt hat ^ Hamsay nimmt an (a. a. 0. S. ;-{64), dass die ganze
Figur derGorgo knieend, in dem altertümliclien Laufschema,
dargestellt gewesen sei, aber das scheint mir ganz unglaub-
lich. Wenn man sich wirklich die barocke Idee eines Grab-
eingangs durch den Leib der Gorgo gefallen lassen wollte, so
müsste dann doch wenigstens seine Umrahmung als Körper
oder Gewand gebildet sein, auch könnten die Arme und
Schultern unmöglich fehlen. Die Fratze ist meines Erachtens
als Apotropaion über den Eingang gestellt, so wie man sonst
etwa einen Phallos über dem Grabe anbringt'. Im Grunde ist
es also gar nicht das Gorgoneion, das die Krieger bekämpfen,
sondern Krieger und Gorgoneion bedrohen gemeinsam Jeden,
der sich der Ptorte naht, um den Frieden des Grabes zu stö-
ren. Die Häufung zweier apotropäischer Motive erzeugt den
Schein eines Kampfes zwischen ihnen.
Es war nötig, den starken Eintluss der griechischen Kunst
auf die phrygische an einem Beispiel ausführlicher nachzu-
weisen; bei den andern Denkmälern derselben Klasse kann
ich mich nun kurzer fassen. Ohne weiteres schliesst sich zu-
nächst Arslaii-kaja (Taf. '.* und Fig. 3) an; der griechische
iMäander spricht hier ebenso laut für hellenischen Einfluss wie
die in starker Hundung emporgebogenen Flügel der Sphingen;
denn diese Flügelbildung hat Furtwängler als Eigentum der
Griechen erwiesen ( Uoschers Lexikon I S. 1758). Der Löwe
der Nordoslseite (Fig. 3i. für dessen kolossale Klauen z. B.
* Calalüijiie uf Greck ruiiii. hnia Taf. ?, li, Fmlwäiiglor in Rdschers
Lexikon I S. 1708; \^l. Baltclcui, Hevue yianisuuitiijur Xlll, 1SU5, Ö. 40.
2 Als Phallus (lonU'l rcnul S.l.'J vicllciflil mit Hoclil den si-ilsanien Ge-
pensland am Gialic vnii .lajuihLik, zu dosten ScitL-ii «aliisfliiMMlifh zwei
Slicre, joilenralls niclil Plfid und Stier stellen.
134 A. KOERTE
das frühattische Gefäss 'E^rmepl; ip/. 1 897 Taf. 6 eine Ana-
lo2;ie bietet, ist von den Sphingen nicht zu trennen; in seinem
breiten etwas weiclien Stil erinnerte er mich an den Fries von
Assos. Dieser Löwe steht aber wiederum in dem Verzicht auf
strenge Stilisirung dem grossen Löwengrab ( Arslan - tasch)
sehr nahe, und schon desiialb werden wir für dies ein ähn-
liches Verhältniss zur griechischen Kunst annehmen dürfen;
von irgend welchem nordsyrischen luntluss kann ich nichts an
ihm bemerkend Die Ähnlichkeit mit dem mykenischen Lö-
wenthor, die wol jedem Beschauer auffällt, erklärt sich dann
ganz anders, als Ramsay (S. 369 ff.) meint, der das Löwen-
thor in das Vill. Jahrhundert hinabdrücken und das Motiv
aus Phrygien herleiten will 2. Das Verhältniss ist gerade um-
gekehrt: Die auswandernden Achäer, die in der neuen Heimat
zu Joniern wurden, haben einen Rest ihres reichen Erbes an
Kunstformen mit in die neue Heimat gerettet und dort ebenso
treu gehütet, wie ihre heimischen Sagen. Das Fortleben my-
kenischer Motive in den ostgriechischen Vasen ist längst beo-
bachtet worden ( Furtwängler, Bronzefunde von Olympia S.
45) und wir dürfen hoffen, das Gleiche in der grossen Kunst
wahrnehmen zu können, wenn wir erst einmal mehr altjoni-
sche Werke besitzen. Einstweilen giebt das phrygische Felsen-
grab wenigstens einen Nachhall der altmykenischen nach
Jonien hinübergeretteten Weise. Der Zusammenhang beider
Denkmäler ist kaum zu bestreiten, und es ist Willkür eines
von ihnen aus dem Zusammenhang der ihnen benachbarten
Werke herauszureissen ; folglich muss das phrygische Grab
viele Jahrhunderte jünger sein als der mykenische Thor-
schmuck, und als Vermittler zwischen beiden sind nur die
Jonier denkbar.
' Rebers gewundene Sätze (S. 547 AM, die den nordsyriselien Einfluss
beweisen sollen, hediirfen keiner Widerlep:ung. Seine irrii^e Auflassung über
den Zweck der g(;oMietriselicn Fassaden und ihr zeilliclies Verliilllniss zu
den Fclsgrcäbcrn hat ihm den Weg zu deren stilistischer Würdigung ver-
sperrt.
2 Ähnlich urteilt Brunn, Kunstgeschichte I S. 28.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 135
Die Übereinstimmung beider Reliefs geht freilich bei ge-
nauerem Zusehen nicht ganz so weit, wie man anfangs meint.
Auf beiden Denkmälern sehen wir zwei mächtige aufgerichtete
Löwen, die ihre Vordertatzen auf eine hohe Basis setzen und
einen Pfeiler zwischen sich haben ; aber die mykenischen Lö-
wen sind viel ruhiger in ihrer Haltung als die phrygischen
und sie kehrten ihre jetzt verlorenen Köpfe dem Beschauer
zu, während jene in Seitenansicht dargestellt sind. Uniäugbar
wird der apotropäische Zweck durch die Haltung der phrygi-
schen Löwen weniger klar zum Ausdruck gebracht ; sie fahren
zwecklos aufeinander los, dagegen gestattet die Kopfdrehung
der mykenischen keinen Zweifel darüber, wem ihr Drohen
gilt. Schon hierin verrät sich , dass der phrygische Steinmetz
von der eigentlichen Bedeutung des alten Typus kein so kla-
res Bewusstsein hatte, wie der mykenische und noch deutlicher
lehrt dies ein Vergleich der Architekturglieder zwischen den
Tieren.
In Mykene ist die Säule mit allen ihren Teilen durchaus
klar und genau wiedergegeben, der Pfeiler des Arslan-tasch
hat unten die flüchtige Andeutung eines Sockels und oben
geht er stark ausladend aber ohne deutlichen Absatz in eine
Art Balken über, dessen von Beber (S. 545) bemerkte T-
Form meines Erachtens keinerlei architektonische Bedeutung
hat. Der Steinmetz hat von der Felsoberfläche so viel stehen
lassen, als die Tierkörper gestatteten ; so sind der Nackenlinie
der Löwen folgend die ankerarligen Haken an dem oberen
Streifen stehengeblieben. Der ganze Querbalken samt Ansätzen
ist also im Grunde ein VVerkzoll . der nur an den sorgtSltig
gearbeiteten Kanten des Feisblocks forlgonommen ist. Auch
der Pfeiler zwischen den Tieren ist für diesen Künstler nicht
viel meiir als ein Streifen Werkzoll; darum hat er den Ver-
such einer scharfen architektonischen Gliederung gar nicht ge-
macht. Auch die Ausführung der Tiere verdient das Lob nicht,
das ihnen Beber auf Kosten der mykenischen IJhven spendet;
ihre stärkere Wirkung beim ersten Anblick beruht wesent-
lich auf der Erhaltung der köpfe. Gewiss sind sie flott und
136 A. KOEHTE
wirkunü;svoll entworfen, aber es fehlt das Streben, die Rinzel-
fornien treu wiederzugeben*. Wie mülit sieb der mykeni-
sche Künstler uns alle Gliedmassen der Tiere, die beiden Vor-
der- und die beiden Hinterbeine zu zeigen, der Pbryger maeht
sich die Sache leichter; von den zurückstehenden Hinterbeinen
sind nur die Oberschenkel angedeutet und die entsprechen-
den Vorderbeine fehlen gänzlich. Um die Verschiedenheit
beider Werke kurz auszudrücken : die mykenischen Löwen
wirken trotz ihrer ünbeholicnheit monumental, die phrygi-
schen nur dekorativ. Auf eine bemerkenswerte Übereinstim-
mung beider möchte ich zum Schluss noch hinweisen. Ham-
say (S. 568 Anm. 3) und Reichel ( Homerische Waffen S. 16
Anm.) haben die Tiere des Löwenthors gewiss mit Recht für
weiblich erklärt, und für die des Arslan - tasch ist dasselbe
Geschlecht mit Sicherheit aus den Jungen zu erschliessen, die
unter den Alten neben dem Eingang liegen. Die Nackenbildung
scheint zwar für Löwinnen nicht recht zu passen, wie Reber
richtig bemerkt (S. 547), aber damit nimmt es ein dekorativer
Künstler nicht so genau; gerade in der jonischen Kunst kom-
men bemähnte Löwinnen mit Zitzen nicht ganz selten vor (vgl.
Petersen, Rom. Mittheilungen IX S. 291 Anm. 2) und diese
eigentümliche Bildung hat sich in Phrygien zäh behauptet.
In Siwri-hissar fand ich eine aus Pessinus stammende Löwen-
figur, auf deren Leib eine späte Grabschrift eingegraben war
(Athen. Mittheilungen XXil S. AS Nr. 31 ); die Zitzen waren
deutlich angegeben, aber am Nacken ein Mähnenrest erhalten,
der Kopf lehlte. Die Verbindung bemähnter Löwen mit 1^3-
wenjungen ist also ein weiteres .Anzeichen für die Abhängig-
keit des phrygischen Steinmetzen von jonischen Vorbildern.
Mit ebenso wenig Recht wie bei dem Arslan -tasch hat man
hethitischen Rinfluss bei einem Felsrelief angenommen, das
* Die auf Rainsays Ski/zc {Journal I.\ S. 368) angegebenen Einzelheiten
kann ich zürn grossen Teil nicht l'ür liclitig halten. Sicher ist ferner, dass
die.se Zeicliung die Gesamlwirkung gänzlich verdirbt; so plump und gleichsam
ausgestopft sehen die Löwen di-iin dixli iiiclil aus.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 137
ich hier anschliessen will , obwol es nicht zu einem Grabe
gehört. Wenn man vom Midasdenkmal zum Felsplateau em-
porsteigt, bemerkt man rechts neben einem Felsaltar ein 0,75'"
hohes, 0,62'" breites Helief, das Fig 1? nach meiner Photo-
■•■ .'.'"•-J-'-T'J
■ 3
Ä(iJwtfdi\W!MWiu«'3i.i.J.-. .=.
uiU'.miisii^täiWi
Fig. 1-:
graphie wiedergiebt ^. Die Rrhaltung ist leider schlecht, na-
mentlich das Gesicht der Figur ist stark beschädigt, auch ge-
stattet die Roheit der Arbeit kaum von einem bestimmten Stil
zu reden, aber zuvorsichllich darf man sagen, dass alle jene
* Ültor die von Raiiisay etwas weiter abwärts beoltachteten Reliefs {Juur-
nal III S. 6 IT. ) wage ich ebenso wenig etwas zu sagen, wie über das^jvon
iliMi am Hamani-kaja beineriilc {Journal X S. 165), jedoch |kann ich
Penols Zweifel an iiireni a!t[>liry,i;isehen Ursprung (S. 171) nicht teilen.
2 Die bisherigen Aiibililungcn Juiirnal of Ilellcnw sludies III S. 9, Perrot'
Chipie/. IV Fig. :^53, Athen. Mitlheihingen XIV S. 182 un.i Reber S. 583
sind mehr oder weniger un/.ul.inglieii ; in unserer Abbildung ist der Stil
etwas verweichlieht, aber die Einzelheiten sind treuer ajs auf den älteren
wiedergegeben,
138 A. KOERTE
Eigentümlichkeiten der Tracht und Bewegung fehlen, an denen
hethitische oder syrokappadokisclie Werke auch bei sciilechter
Erhaltuno; so leicht zu erkennen sind. I)ar<j;estellt ist ein nach
rechts gewendeter Mann in Schrittstellung; sein faltenloses
Gewand reicht bis ans Knie, auf dem vielleicht bärtigen Kopf
trägt er anscheinend eine eng anliegende Kappe ', unter der
hinten ein aufgebundener llaarschopf hervorquillt. Ob seine
Füsse beschuht sind, ist nicht zu erkennen, jedenfalls stecken
sie nicht in hethitischen Schnabelschuhen: über seiner
Schulter wird ein Geafensland sichtbar, den ich für einen
Köcher halten möchte, und in der Kechten trägt er einen Stab
von eigentümlicher Form. Der ziemlich dicke Stock läuft oben
gabelartig in zwei dünne geschwungene Enden aus. deren
Spitzen auf meiner Photographie mit Sicherheit zu erkennen
sind, auch am Original habe ich sie gesehen ; ob diese h]nden
unmittelbar über der Gabelung einmal verschränkt sind wie
bei der gewöhnlichen Form des griechischen Kerykeion, weiss
ich nicht bestimmt zu sagen; der Fels ist gerade an dieser
Stelle stark beschädigt. Nach der Photographie ist mir solche
Verschränkung nicht wahrscheinlich und die in der Abbildung
gegebene Form wird richtig sein. Die von Ramsay S. 9 mit
Recht hervorgehobene Verwandtschaft mit dem griechischen
Kerykeion wird dadurch nicht beeinträchtigt, denn dies ist von
Haus aus nichts als eine gegabelte Rute, ein Zwiesel (Preller-
Robert, Griechische Mythologie I S.U-2; Münsterberg, Arch.
Epigr. Mittheilungen XV S. 142), dessen Enden keineswegs
immer verschränkt sind (vgl. Rom. Mittheilungen II Taf. 8,1),
auch ebenso gut zweimal wie einmal verschlungen sein kön-
nen (Gerhard, Auserlesene Vasenbilder III Taf. 17Ü). Das
Kerykeion berechtigt uns aber nicht, die Figur des Reliefs
Hermes zu nennen, wie Ramsay vorschlug, denn es ist ur-
sprünglich ein Symbol der llerrschergewalt, das dem gött-
lichen oder menschlichen Botschafter der geheiligten Majestät
* Möglicher Weise ist der Knjil' unbedeckt zu denken.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 139
gleichsam zur Beglaubigung eingehändigt wird *. So trägt auf
der Dodwellvase Agamennnon das Kerykeion und auf den bei-
den angeführten Gefässen, die derselben jonischen Fabrik ent-
stammen, finden wir es einmal in der Hand des Zeus, das
andere Mal führen es zehn Geronten. Demnach werden wir
die Figur des phrygischen Reliefs als einen göttlichen oder
menschlichen Herrscher bezeichnen dürfen ; eine genauere
Bestimmung ist unmöglich. Die beiden Gegenstände vor ihm
kann ich nicht für hethitische Hieroglyphen halten, denn sie
haben mit keinem dieser Zeichen Ähnlichkeit, ebenso bedenk-
lich scheint mir aber Rebers Deutung als Opfergaben auf einem
Altar. Der Schein eines Altars entsteht dadurch, dass rings
um die beiden Gegenstände nur so viel Reliefgrund vertieft
ist, als eben nötig war, also unten und oben weniger als für
die menschliche Figur. Den unteren Gegenstand weiss ich
nicht zu benennen, der obere ist kein Nyogel , sondern wol
zweifellos eine phrygisehe Mütze und als einzige altphrygische
Darstellung des einzigen noch heute lebendigen Erzeugnisses
der phrygischen Kultur nicht ohne Interesse. Nicht als Opfer-
gaben, auch nicht als Hieroglyphen sondern als Attribute
werden die beiden Dinge dem Bilde des Herrschers beigefügt
sein Von Bedeutung ist es, dass die einzig«^ Figentümlichkeit,
die sich mit Sicherheit an einen fremden Kulturkreis anknüp-
fen lässt, das Kerykeion, wieder nicht nach dem Osten, son-
dern nach Jonien weist.
Von den Felsgräbern, an denen sich die Abhängigkeit von
der jonischen Kunst des VII. und VI. .lahi hunderls am besten
beobachten lässt, sind die geometrisch verzierten Kultstätten
zeitlich gar nicht zu trennen. Die Brücke zwischen beiden
Denkmälerklassen schlägt der Arslan - kaja. der durch seine
Skulpturen ebenso unlöslich mit den Felsgräbern wie durch
seine ganze Anlage und seine Inschrilt mit den geometrischen
* Ich vcrrlnnke diosen Hinwois Löschrke, von dem wir eine erscliöpfende
Bcliandiuiig des iiiteressaiilt'U Slotls crlioiren dürtcii.
140 A. KOERTE
Fassaden verkniipft ist. Diese Fassaden mit ihren reichen
iMustern sind die selbständigsten lu'zeiignisse der phrygischen
Kunst, um so wichtiger ist es. dass aueii sie sich dem über-
mächtigen jonischen Einfluss auf die Dauer nicht liaben ent-
ziehen können. Spiiingen und Mäander des Arslan - kaja sind
ebenso sicher hellenisch wieder Lotosknospen- und Palmetten-
Fries des Kütschük- jasili - kaja , dessen Herkunft ich oben
(S. 1 1 4 ff. ) nachgewiesen habe.
Wenn wir von den geometrischen Mustern absehen, steht
es um die phrygische Kunst nicht anders wie um das phrygi-
sche Alphabet; alles Wesentliche ist von den kleinasialischen
Griechen entlehnt, nur Einzelheiten sind nach Hedürfniss ge-
ändert und hinzugethan. Dieser Sachverhalt kann nicht mehr
überraschen, seit wir wissen, dass in der ersten Hälfte des
sechsten Jahrhunderts auch echte Erzeugnisse der jonischen
Plastik (Athen. Mittheilungen XX S. 1 ff. ) und Keramik
(Ebenda XXII S. 27 f.) nach dem phrygischen Hochlande
eingeführt worden sind.
Fragen wir uns nun. wann dieser mächtige Einfluss des Hel-
lenismus begonnen hat, so bietet die Zurückdrängung der
Kimmerier den natürlichen terminiis a quo. Ich sehe keinen
Grund, eines der phrygischen Denkmäler^zu denen uns ost-
griechische Werke des siebenten und sechsten Jahrhunderts
die meisten Analogien gegeben haben, für älter zu halten als
rund ö.]0. Damals war die Macht der Kimmerier gebrochen,
Lydien hatte das IJntertanenverhältniss zu Assyrien gelöst und
war wieder in die Reihe der asiatischen Grossmächte einge-
treten (vgl. Radet, La Lydie et le mondc grec S. 132).
Durch die Vorherrschaft der halbhellenisirten Lyder wurde
den Joniern der Zugang zum Innern Kleinasiens geöffnet. Eine
tiefe Kluft trennt die im engeren Sinn phrygischen Denkmä-
ler von allen Kulturresten, die sich auf dem weiten Hochlande
aus älterer Zeit erhallen haben 2. Die lielicfs von Gjaur - ka-
' Nur Dclikli - tascli i.sl wol älter.
? IJbcr dir.sc vgl. bcsomicrs liiisclilcld, Die Frisciiiciii fs in Klein-
feLEINASIAtlSCHE STUDIEN. III. iki
lessi, Eflatun - hiinar, Fassilar und Ihris, die Hieroglyphen
von Bey - köi und Kölitolu haben mit den Werken, die uns
beschäftigten, so gut wie nichts gemein, sie hängen ebenso
deutlich von der alten Kunst dos Ostens ab wie jene von der
des Westens. Dass zwischen beiden Gruppen die Übergänge
fehlen, dass sie so fremd neben einander stehen, erklärt sich
leicht, wenn sie sich zeitlich nicht berührten : zwischen beide
fällt eben der Schrecken der Kimmerierherrschaft. während
welcher jede Kunstübung aufhörte. Man hat gemeint, die
grossen Felsdenkmäler hätten nur in (h^r Zeit nationaler Selb-
ständigkeit entstehen können, aber das beruht auf einerstarken
Überschätzung ihrer Eigenart. Eine selbständige, wurzelechte
phrygische Kunst hat es so wenig gegeben wie eine lydische
oder karische. Die alten Landeskönige hatten, wie vor allem
die Sculpturen von Gjaur- kalessi zeigen, ihren Bedarf an
Kunsttypen von Osten her bezogen, und als nach der Kim-
meriernot das reiche Land sich schnell erholte, da konnten
die Fürsten, die nun unter lydischer Oberhoheit herrschten,
für ihre prächtigen Grabmäler und Kultstätten die ausländi-
schen Vorbilder gleichfalls nicht entbehren. Die bescheidenen
Reime nationalen Stils wurden eifrig gepflegt, aber das reiche
Erbe der Jonier musste aushelfen.
Mit der gleichen Wahrscheinlichkeit wie der Beginn des
jonischen Einflusses lässt sich m. E. sein Ende daliren ; wol
keines der besprochenen Werke ist jünger als das Jalir 5 '»6,
in dem das Lyderreich dem Perserkönige erlag. Nur ein ein-
ziges Denkmal ist mir bekannt, das möglicher Weise etwas
jünger sein kann als der Sturz des Kroisos, und dies erfordert
eine eingehendere Besprechung
iütwa 70'"" n(>rdlich von Arslan-kaja. dem nördlichsten
Denkmal der zusammenhängenden Gruppe befindet sich eine
stattliche Grabanlage (g in der S. 121 f. aufgestellten Liste),
asien und das X'olk di-r Ilillilcr ( Aldiaiidliiiigcii dfr BnliiuT Akademie
1886).
142 A. KOERTfi
deren Kenntniss ich Herrn Ingenieur de Philippi verdanke*.
Sie liegt etwa '2'"" von der Station Küklsche - kissik der Eisen-
bahnlinie Eskischeliir - Kutaja entfernt am felsigen Südrand
des Porsuklhals, dessen nicht unbeträchtliche Breite hier haupt-
sächlich durch sumpfige Wiesen ausgefüllt wird. Von aussen
sichtbar ist nur (s. Fig. 13) in einem roh vertieften Rahmen
Fig. 13
ein niedriger schmuckloser Giebel von etwa 4,00'" Breite und
0.60'" Höhe, der auf einem in zwei breitere und zwei schma-
lere Streifen gegliederten Gebälk aufliegt. I^ie Ähnlichkeit,
die der untere Teil des Gebälks durch die Absätze mit dem
jonischen Epislyl gewinnt, kann Zufall sein, denn auch der
nur zur Hälfte erhaltene rechte Seitenpfeiler ist in gleicher
Weise in zwei Streifen geteilt. Der Giebel war in seiner Mitte
' Wenige ScIiriU von ihr eiitfernl liegt da.s kleine S. 11. S Fig. 8 ab-
gebildete Denkmal.
fctfelNASIATISCHE STUDIEN. III.
143
gestützt, wie ein kurzer viereckiger Stumpf lehrt; da sich an
diesem keine Spuren eines runden Kapitells finden und auch
den Seitenpleilern die Kapitellhiidung fehlt, wird die Stütze
wol ein einfacher viereckiger Pfeiler geN\esen sein. Ausge-
schlossen ist die Möglichkeit freilich nicht, dass sie in Form
einer Säule gebildet war, wie bei einigen paphlagonischen
Felsgräbern, die seitlich ähnlich begrenzt sind und doch in
der Mitte Säulen haben ( llirschfeld, l^aphlugonische Felsen-
gräber, Abhandlungen der Berliner Akademie, 1885, Taf. 2
und 4). Erheblich breiter als die Fassade ist der dahinter ge-
legene Saal (s. Fig. 14); er hat eine Breite von 7,80'" und
Fig. 14
eine Tiefe von 3,15'". Die aussen in Folge der Zerstörung der
Pfeiler weniger kenntliche Nachahmung der Holzarchitektur
ist in diesem l\aum sehr sorgfältig ausgeführt ( s. Fig. 15).
Die dem j^^iiigang gegenüber liegende Wand wird gegliedert
durch zwei Thüren und drei Scheinfenster mit der Nach-
ahmung gradlinig prolilirter llolzrahmen. Zwischen je einer
^44 A. KOERTE
Tliiir- und Fensteröffnung treten als Träger der flachen Bal-
kendecke Pfeiler von etwa 0,40"' Breite etwas aus der Wand
iiervor. ihre Köpfe sind durch Platten in der Form von Bret-
FiG. 15
tern verstärkt. Ganz entsprechend sind die Schmalseiten ge-
staltet, ein Pfeiler in der Mitte und zwei etwas schmälere in
den Fcken hahen an der linken Wand zwei Scheinfenster an
der rechten ein Scheinfenster und eine kleine Thür mit drei
niedrigen vorgelagerten Stufen zwischen sich; auch an der Vor-
derwand sind zu heiden Seiten des Ringangs zwei Schein-
fenster angebracht. Aus diesem Saal, der das Innere eines
einfachen Holzhauses mit nüchterner Treue wiedergiebt, ge-
langt man durch die kleine Pforte rechts in eine schmucklose
Kammer von 2.30 zu 2,10'" Grundfläche, während die beiden
Thüren der Längswand in einen gnisserer gleichfalls kahlen
liaum von 6,00 zu 3.00'" führen. An diesen schliessl sich hin-
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 145
ten eine Nische von 2,10'" Tiefe und unregelmässiger Rück-
wand an, die ganz oder zum Teil später hinzugefügt zu sein
scheint, als man das alte Grab als Kirche benutzte. Vielleicht
enthielt die Nische ursprünglich ein Totenbett und wurde
von den Christen zur Apsis ausgestaltet. Sicher spät ist ferner
ein roh in den Boden der Hauptkammer gehauenes Schacht-
grab und allerlei Kritzeleien an den Wänden des Vorsaals.
Üass die Kammern so schmucklos, der Vorraum dagegen
sorgfältig verziert ist, lässt voraussetzen, dass er dem Toten-
kult diente, während man die Kammern nicht zu betreten
pflegte. Die ganze Grabanlage hat durch die Witterung und
die Hirtenfeuer stark gelitten; die Arbeit ist nicht so fein wie
am Arslan - kaja oder dem zertrümmerten Löwengrab, aber
doch leidlich sorgfältig. Von dem T^'pus der übrigen Felsen-
gräber weicht dies ganz erheblich ab; die bequem zugäng-
liche 3'" hohe Doppelthür mit dem Giebel darüber und der
grosse sorgfältig ausgestattete Vorsaal haben in Phr^'gien kein
Seitenstück, dagegen stimmt es auffällig mit den von Hirsch-
feld untersuchten paphlagonischen Felsengräbern überein.
Auch diesen ist die Giebelfassade mit einer oder mehreren
Stützen und die offene Halle vor der eigentlichen Grabkammer
eigentümlich; freilich ist die Vorhalle nirgends so gross und
so liebevoll ausgestattet, wie bei dem Grab von Köktsche-
kissik. in den Einzelheiten steht ihm am nächsten das von
Hirschfeld mit Nr. 111 bezeichnete Grab von Iskelib (a. a. 0.
Taf. 6 S. 19 f., Perrot-Chipiez V Fig. 144-148) mit einem
zerstörten Mittelpfeiler, geräumiger Vorhalle und sorgfältiger
Nachahmung der llolzarchitektur in der Grabkammer selbst.
Das Totenlager ist liier in einer Nische an der Rückwand an-
gebracht, so wie ich es bei dem phrygischen Grabe vermutet
habe. In den llauptzügen stimmt das Grab von Köktsche-
kissik so auffällig mit den paphlagonischen überein, dass wol
irgend eine Verbindung zwischen ihnen trotz der grossen
räumlichen Trennung anzunehmen ist, wenn wir auch vor-
läufig noch nichts über die Art der N'erbindung feststellen
können. Hinweisen möchli' ich nur darauf, dass es nicht an
ATHEN. MITTHBILUNGEN .\.\lll. 10
146 A KOERTE
Anzeichen für eine Slammes-Verwandtschaft der Paphlagonier
und Pliryger fehlt (vgl. besonders Herodot VII, 73; E. Meyer,
Geschichte des Altertums I S. 300). Leider geben die paphla-
gonischen Gräber für die Datirungdes phrygischen wenig aus,
denn die genauen Untersuchungen llirschfelds haben keine
sichern Anlialtspunkte für ihre Zeitbestimmung ergeben '.
An dem phrygischen Grabe mutet zunächst der Giebel ganz
griechisch an und verleitet zu einem späten Ansatz; Reber, der
das Grab selbst freilich nicht gesehen hat, will sogar bis in
hellenistische Zeit hinabgehen ( S. 587), was angesichts der
paphlagonischen Gräber unmöglich ist". Andrerseits macht die
strenge, nüchterne Nachahmung der Holzarchitektur, die an
Pfeilern, Balken und Giebel auf jeglichen künstlerischen
Schmuck verzichtet, fast einen älteren Eindruck als der grös-
sere Formenreichtum der paphlagonischen Gräber, und so
vermag ich keine Datirung zu geben. Da jedoch Felsengräber
in Phr Villen vom V. Jahrhundert vor Chr. bis zum Beginn des
IJ. Jahrhunderts nach Chr. bisher sonst nicht nachgewiesen
sind ^, halte ich es für bedenklich, dies eine zweifelhafte Stück
erheblich jünger anzusetzen als den Sturz des Lyderreichs.
Seine Unterschiede von den übrigen altphrygischen Felsen-
gräbern können ebenso gut durch örtlichen als durch zeit-
lichen Abstand erklärt werden.
II. Die Felsgraeber der roemischen Kaiserzeit.
Die von mir zuerst bei der VVinckelmannsfeier des atheni-
schen Instituts 1894 vorgetragene Ansicht, dass alle bisher dem
V. und IV. Jahrhundert vor Chr. zugewiesenen phrygischen
Felsengräber Werke der römischen Kaiserzeit seien, ist inzwi-
^ Er sclieint geneigt ilir Aller zu überschätzen.
2 Wenn er von Akrulericnspuren redet, so ist er wol dureli die Photo-
graphie gelausciil; ich halic wenigstens keine solchen Spuren wahrge-
nommen.
3 Vgl. das folgende Kapitel dieser Studien.
KLEINASlATIbCHE STUDIEN. III. 147
sehen dureh Reber in dem wertvollen Schlussteil seiner Ab-
handlung an der Hand vorzüglicher Abbildungen so eingehend
begründet worden, dass ich mich über diese Gräber "kürzer
lassen kann als ursprünglich im Plane meiner Arbeit lag.
Gern sehe ich mich durch ihn der Xotuendigkeit überhoben,
neue Abbildungen von diesen unerfreulichen, lange Zeit so
seltsam überscliätzten Denkmälern zu geben, aber es bleibt mir
doch noch mancherlei über sie zu sagen, da Reber aus dem
Thatbestand die Folgerungen nicht mit der nötigen Bestimmt-
heit zieht. Ich gebe zunächst wieder eine Liste der wichtige-
ren in diese Klasse gehörigen Denkmäler und ihrer Abbil-
dungen *.
a) Gerdek-kaja, dorisches Grab bei Tschukurdscha. Ab-
geb. Reber Taf. 9 und Fig. 12; Texier, Descriptiua de l'A-
sie nuneure Taf. ÜU. Üi ; Perrot- Chipiez Fig. yi. Stewart,
Ancient monuments uf Lydia and Phrygia Tat. 1-2.
h) Solon-Grab von Kümbet. Abgeb. Reber Tat. 10 Fi^^.
13; Perrot, Exploration de La Galatie et de la Bithynie
Tat. 7 ; Periot- Chipiez Fig. 83-09, schlechter Stewart, An-
cient monuments of Lydia and P/irygia Tat. 6. 16.
c) Alle Gräber der grossen A'ekropole von Ajas-in -. iMehrere
von ihnen sind abgebildet bei Reber Taf. 11 und 12, ¥'\^.
14, 15; Ramsay, Joiir/uU of Hciienic studies 111, IbS'i,
Taf. 2t) --^9; Periot- Chipiez Fig. IT-öv! und 92-97.
d) Mehrere Gräber am VVestabhang des Felsplateaus von
Japuldak. Abgeb. Reber Fig. 16 und lö; Ramsay, Journal
of IJellcnic studies X, 16^9, Fig. 28-33; Perrot - Chipiez
Fig. 9ü.
< VoUsläiuligkeit der Angaben über die Abbildungen ist aiicli bior nicbt
erstrebt, ungenügende .^kizzen wie die \un Bailb erwabne ieb absielitiieb
nicbl.
'^ Hanisay und ibin luigend l'errul benennen aucb die altplirjgiscben um
den Arsian- labcb gruiipirlen Lenkuiaier naeh dem Durle Ajas-iu. Da diese
aber von Ajas-in über eine Ölunde enllernl sind und in einen andern Tiial
liegen, einplieblt es sieb inclir, sie naeb dem naebslen l)urle Hairan-veli
zu benennen.
148 A. KOERTE
e) Grab bei Demirli. Abgeb. Reber Fig. 17.
f) Grab bei Bey-köi, beschrieben von Ramsay, Journal
of Hellenic studies IX, 1888, S. 372. In dem flachen Bo-
gen der Vorhalle sitzen zwei Löwen, deren Vorderpfoten ei-
nen Stierschädel (?) berühren. Innen drei Arcosolien.
Was diese Gräber von den altphrygischen am deutlichsten
scheidet, ist die Form des Totenlagers; wer für die Verwahr-
losung des Stils ihrer Fassaden kein Auge hat, kann durch
einen Blick in ihr Inneres leicht feststellen, ob ein Grabmal zu
dieser Klasse gehört. Während die altphrygischen Kammern
entweder ganz leer sind, oder Steinbänke für die Leichen ent-
halten, finden sich in den spätphrygischen ausnahmslos To-
tenlager, die wie Krippen aussehen, und von den anatolischen
Bauern auch gern als Krippen benutzt werden: In die Kam-
merwände sind booen-, ausnahmsweise auch ofiebelförmisje
Nischen gehauen, die unten in sargartige Höhlungen für die
Leichen übergehen (s. Reber Fig. 15-17). Diese Grabform,
für welche die christliche Archäologie den inschriftlich be-
zeugten (vgl. Victor Schnitze, Die Katakomben S. 76 f.) Na-
men Arcosolien eingeführt hat, ist in der römischen Kaiser-
zeit von Italien aus in die Provinzen gedrungen. Weitaus am
zahlreichsten sind sie in den christlichen Katakomben. Schon
die in ihren Anfängen bis ins erste Jahrhundert nach Chr.
zurückgehende christliche Nekropole von S. Gennaro dei Po-
veri in Neapel enthält Arcosolien in Menge, dann finden wir
sie in den Katakomben von Rom, Sicilien, Kyrene, Melos,
Syrien, überall als die vornehmere Grabform neben den billi-
geren loculi. Wie fast alle in Felsnekropolen verwendeten For-
men dem Holz- oder Steinbau entlehnt sind, so auch die Ar-
cosolien, und zwar weist der runde Bogen deutlich auf den
römischen Gewölbebau als Vorbild. Es scheint mir nicht un-
denkbar, dass die Arcosolien aus den Nischen der Columba-
rien herzuleiten sind; im Prinzip sind sie von den Bogenni-
schen, wie sie z. B. im Columbariuni der Livia (Piranesi,
Antichitä di Roma III, 26) in vielen Reihen übereinander
an den hohen Wänden angeordnet sind, nicht sehr verschie-
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 149
den, nur sind sie viel grösser, weil die untere Höhlung nicht
nur die Aschenurne sondern den ganzen Leichnam aufnehmen
soll. An Columbarien fühlt man sich besonders erinnert, wenn
die Arcosolien in zwei Reihen übereinander liegen (Reber
Fig. 14, 15). Ebenso gut kann das Arcosoliengrab aber auch
durch das Zusammenwachsen einer gewölbten Nische mit ei-
nem frei darin stehenden Sarkophag entstanden sein (vgl.
Schnitze a. a. 0. Fig. 10; Pacho, Voi/af^e dans la Marma-
riqiie et La Cyrena'ique Tat". 39 und 55). Sicher ist. dass
wenigstens in spaterer Zeit die Arcosolien nicht auf die Fels-
nekropolen beschränkt waren; in Central - Syrien kommen aus
Stein erbaute Grabmäler mit Arcosolien (Vogue, La Sijrie
centrale Taf. 70-73) und daneben in den Felsen gehauene
vor (Vogue Taf. 80. 81, 88, 89 ). Die syrischen Gräber sind
zwar christlich und gehören zum Teil erst in das V. Jahr-
hundert nach Chr.. stimmen aber mit den phrygischen in
allen wesentlichen Punkten (iberein; gleich jenen sind sie Fa-
miliengräber mit 3 bis 6 Grabstätten, keine Massengräber nach
Art der Katakomben, im Innern ganz entsprechende Kammer-
gräber heidnischen Ursprungs auf der Insel Melos beschreiben
Ross (Intelligenzblatt der Allgemeinen Litteraturzeitung 1838
Nr. 40 S. 326) und Prokesch - Osten (Denkwürdigkeiten II
S. 204); nach der einen darin gefundenen Inschrift C.I. G.
2439c gehören sie in die Kaiserzeit '. Die Arcosolien sind aber
keineswegs immer im Innern von Grabkammern angebracht,
wol noch häufiger sind sie einzeln in den freistehenden Fels
gehauen; so kommen sie massenhaft in Phrygien, aber auch
in Syrien (Vogue Taf. 73, 90), aul Thera {Moii. dcll Inst.
III Taf. 25, 2 und 3 = Ross, Arch. Aufsätze II Taf. 11. 12)
und selbst in Lykien vor, wo im Allgemeinen die alten Grab-
formen auch in der späten Zeit mit grosser Zähigkeit festge-
halten werden, h^ins dieser lykischen .Vrcosolien, die Petersen
und Luschan bei dem Dorf Alifaradin sahen (Reisen in Ly-
' Prokesch - Oston hält sie zwar für uiall, aber seine Beschreibung be-
weist das Gegenteil,
450 A. KOERTE
kien Taf. 25 S. 167 f.), ist durch seine Datirung auf das Jahr
269 nach Chr. besonders interessant.
Dieser kurze Überblick wird zu dem Beweise genügen, dass
die Arcosolien eine in Italien aufgekommene Grabform sind,
die allmäblicli immer weitere Verbreitung gefunden hat; die
meisten in den Provinzen bekannten Beispiele gehi)ren dem
III. bis V. .Jahrhundert an, auch von den plirygischen kann
ich keins für vorhadrianisch halten. Reber scbeint geneigt
(S. 587), wenigstens das dorische Felsgrab von Tschukurdscha
um 100 Jahre älter anzusetzen. Aber aus dieser Zeit sind Ar-
cosolien meines Wissens im Osten nicht nachzuweisen ; die
Architekturformen scheinen mir in der Zeit Iladrians und
selbst der Antonine ebenso gut möglich, und die hohe mate-
rielle Blüte des Hochlandes, wie eine so stattlicbe Anlage sie
zur Voraussetzung hat. beginnt nach Ausweis der Inschriften
erst im zweiten Jahrhundert '.
Die aus der inneren Anlage erschlossene Datirung der Grä-
ber wird durch ihre Fassaden schlagend bestätigt; ich darf
dafür auf Bebers Abbildungen und Ausführungen (S. 589 ff.)
verweisen. Eine für die Spätzeit sehr charakteristische Ein-
zelheit am Solonorab von Kümbet. die Perrot allein schon
hätte abhalten sollen, das Grab ins V. oder iV. Jahrhundert
zu setzen (S. 232), hat auch Reber nicht recht hervorgeho-
ben. Unter den Köpfchen, die zwischen den Kragsteinen des
Giebels angebracht sind , befinden sich neben Löwen und
Gorgonenköpfen auch zwei unverkennbare Theatermasken spä-
ter Form; die eine nimmt an der linken Seite den zweiten
Platz von unten, die andere den obersten auf der rechten Seite
ein. An demselben Grab möchte ich noch zwei Punkte gegen
' Rebers Datirunjj:en sind merkwürdig widerspruchsvoll. Auf S. 541 lesen
wir, dass 'einige Felsengräber iui Berglatid von einer seihst hier wieder er-
wachten Wohlhabenheit um die letzte Zeit der Republik oder zu Anfang
der Kaiserzeit sprechen ' während er S. 5S7 das älteste dieser Gräber 'nicht
vor die Zeit um Christi Geburt fallend ' ncnnl. Das Solontrrab von Kümbet
gehört nach S. 545 in die Zeit um Christi Geburt, nach S. 589 in die An-
toninenzeit.
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 151
Reber richtig stellen. Neben dem Eingang ist rechts ein Buckel-
ochse ^ und links, wie Stewart richtig angiebt, ein Gorgoneion
in geringen, aber für die Deutung ausreichenden Resten er-
halten. Ferner lautet die Inschrift über der Thür zur zweiten
Grabkammer nach meiner Absciirift und meinem \bklatsch
COAUUN^rfl . . . NOC B was ich unter der, in dieser Zeit
und Gegend vvol möglichen Voraussetzung, dass die gerundete
und die eckige Form des Sigma wechseln , zu SoXwv 2^ö>.cri\o?6'
ergänzen möchte^. Dass diese Inschrift nicht nachträglich
hinzugefügt, sondern mit der ganzen Anlage gleichzeitig ist,
braucht nach dem Gesagten kaum betont zu werden.
Damit beschliesse ich die Betrachtung der phrygischen Fels-
denkmäler-^ und möchte nur noch einmal kurz hervorheben,
welche kulturgeschichtlichen Folgerungen sich aus ihnen er-
geben. Bisher stellte man sich das Verhältniss des weiten
phrygischen Hochlandes zum Hellenismus sehr ähnlich vor
wie das Lykiens. Dort lässt sich, wie Benndorf (Reisen in
Lykien und Karien S. 11 1 ) so schön ausgeführt hat, der grie-
chische Einfluss seit der Einverleibung des Landes in die joni-
sche Satrapie immer deutlicher erkennen ; nicht ohne Schwan-
ken, aber doch ohne Unterbrechung nimmt der Hellenismus
zu — besonders stark in der zweiten Hälfte des IV. Jahrhun-
derts— und die Kaiserzeit vollendet nur. was lange Jahrhun-
derte angebahnt hatten. Ganzanders in Phrygien: Siegreich
war die glänzende Kultur der jonischen Städte in der Mcr-
< Der Buckclochse ist auf kleinasiatisclien Denkm/ilern der Kaiserzeit
ziemlich Iiäulig; die von Perrol S. 13-2 angeführton Beispiele lassen sich
dureh die Listen Kerns (Athen. Mitüieiliingen 1892 S. 277) und Kellers
(Thiere des classischen Alterllmnis S. 68) vermehren. AniTallend war mir,
dasselbe Tier bereits durfli eine mykenisclie TerrakoUe der Sehliemann-
schen Sammlung in Berlin ( Inv. 8810) dargestellt zu linden.
2 Stewart las XlöXwv ;:ovo;, Perrot S. 135 SdXwv x£[!](Tai) kvOa, Reher üd-
Xwv £. i. X. k'vOa.
•■* Einige hvzanlinisehe Feiskirehen übergehe ich. Eine solehc hei Ajas-in
hat Reher S. ;)!I7 aligeliildct und hesehrieheii, eine andere bei Kessik- lasch
wird Strz>g()wski aut'Grund meiner Aiiriialiiiien in der By/antinisehen Zeit-
schrift behandeln.
152 A. KOERTE
mnadenzeit hierhin vorgedrungen, jonische Schrift und joni-
sclie Kunsttypen, selbst jonische Marmorwerke und jonische
Tliongefässe hatten Eingang gefunden, aber die Perserherr-
schaft zerriss alle Fäden, die Phrygien mit dem Westen zu
verknüpfen begannen. Wir haben in Phrygien nicht ein ein-
ziges W'erk wie das Amyntasgrab , oder das Heroon von
Trysa; griechische Vasen und Terrakotten des V. und IV. Jahr-
hunderts fehlen durchaus, nicht ein griechischer Inschriltstein
aus vorhellenistischer Zeit ist bisher zu Tage gekommen. Zu
dieser Abschliessung des Landes gegen Westen trug jedenfalls
die Stellung sehr viel bei, die es in der persischen Monarchie
einnahm. Während Lykien, Rarien und Pamphylien mit Jo-
nien und der Aiolis zur ersten Satrapie gehörten, war Phry-
gien mit Bithynien, Paphlagonien und Kappadokien , also
lauter östlichen Landschaften zur dritten Satrapie vereinigt
(Herodot 111, 90) Jahrhunderte lang liegt das Land wie im
Schlaf, kein Kulturrest giebt von der Zeit der Perserherrschaft
Kunde. Der Sturz des Perserreichs hat in diesem Gebiet dem
Hellenismus keineswegs zu einem schnellen Siege verholten.
Städtegründungen der Diadochen haben auf das eigentliche
Hochland zunächst kaum einen nachweisbaren Einfluss ge-
habt, denn der Keltensturm liess das zarte Ptlänzchen der hel-
lenischen Kultur nicht aufkommen. Auch die Bedeutung der
Attaliden für die llellenisirung Phrygiens wird in der Regel
sehr überschätzt. Wol haben sie der Göttermutter in Pessinus
einen schönen Tempel gebaut (Strabo XII, 567) und die Prie-
sterschaft gegen die Barbaren unterstützt, aber die kostbaren
Steine, welche uns ihren Briefwechsel mit den Priestern er-
halten haben ^ lehren doch auch, wie vorsichtig sich die Kö-
nige in diesen Gegenden bewegen mussten. und sie sind die
einzigen grösseren Inschriften aus vorrömischer Zeit, die wir
bisher auf dem Hochland gefunden haben. Selbst das Jahr-
hundert von der Gründung der Provinz Asia bis auf Augustus
* Arch. Epigr. Mitlheilungen VIII S. 95 ff. vgl. Stähelin, Gesphichte der
kleinasiatischen Galater S. 91 ff,
KLEINASIATISCHE STUDIEN. III. 153
hat da noch nicht viel geändert, erst die römischen Kaiser
haben das weite Land der abendländischen Kultur wirklich
erobert, weil sie ihm die Grundbedingungen einer höheren
Entwickelung schenkten, gesicherten Frieden und eine geord-
nete Verwaltung. Etwa seit der Regierung Hadrians ist der
glänzende Aufschwung allenthalben zu verfolgen, der seinen
Höhepunkt in der ersten Hälfte des Hl. Jahrhunderts erreicht.
Überall erheben sich prächtige Tempel*, Theater und Bäder,
überall treibt man mit Statuen und Ehrendecreten Luxus,
weiht den alten Landesgöttern Altäre und Reliefs mit grie-
chischer Inschrift, und schmückt selbst in iJörfern gern die
Grabsteine mit einem griechischen Epigramm. Damals ent-
standen auch die Felsgräber, die mit den alten Zeugen einer
früheren Glanzzeit des I^andes wetteifern sollten, aber freilich
an monumentaler Wirkung hinter ihnen zurückbleiben.
Die mächtig vordringende Kraft der jonischen Kultur in der
Mermnadenzeit, und dann wieder die gewaltige Kulturleistung
des alternden Hellenismus unter der weisen Leitung Roms,
das sind die beiden weltgeschichtlichen Erscheinungen, von
denen Phrygiens Felsendenkmäler mit beredter Zunge zu uns
sprechen.
Bonn.
A. KÖRTE.
-^|^-H^
* Unter Hadrian ist z.B. dor bosterhallene griechische Tempel Phrygiens,
der 2Jeustempel von Aizanoi erbaut.
INSCHRIFT AUS HIERAPOLIS
Im C. I. G. 3916, und darnach in den Altertümern von
Hierapolis von Judeich S. 171, 336 wiederholt, steht eine
Grahschrift, welche so anhebt: 'H copö? x.at 6 ß(ojjt.6(; y-xl 6 irspi-
K)Okoc, T:a; £(Jtiv 'Axo'XT.coviou too MevivSpou tou 'A7ro)>'X(j)v{ou
2EKOYNAAPOYAOY. Dies letzte Wort hat Franz im C./.^.
zu Il£>couvS[i]a[vjou bessern wollen, Judeich hat es unangetastet
wenn auch unerklärt gelassen. Seine Deutung giebt eine In-
schrift aus Ankyra, die in den Athen. Mittheilungen 1896 S.
467 veröffentlicht ist. Wir finden darin : Fl. AlT^iw .... nspya-
(/.y)vö, ETctoö^cp [<JO'ja]aapouov), KoX'X-ziyiov e'^ovti Iv Po>p/(fi töv aoua-
u.apouS[(;)v], und weiterhin rauxT^v t-^v gtiq^iov Trapiwv cpiXe X*'P^
xal evTrr? ysiyvcÖTJCtov (70up,p.apoüSr)V xeij^.evov sv SaTreSw. Eine zweite
dort angeführte Weihinschrift eines Aou)tio? Bstwvio? 'A)^£^av-
Spo: <70'j(7.u.apou^Y)? bietet dasselbe rätselhaft scheinende Wort.
Seine Deutung war uns nicht geglückt. Hülsen hat nun (Rom.
Mittheilungen 1897 S. 87) die einleuchtende Erklärung ge-
geben, dass es sich in beiden Fällen um einen Gladiator han-
delt, der den Rang einer summa rudis erreicht hatte. Dar-
nach ist wol klar, dass wir es hier mit einer secimda rudis
zu thun und also crs^ouvSapouSou zu lesen haben.
Athen, 18 Mai 1898.
PAUL WOLTERS
ARCHAISCHE SKULPTUREN AUS CHIOS
Meine Freunde finden in einem meiner Notizbücher die
Skizzen zweier Torsen, welche icii im Jahre 1858 in der Xüizx
auf Ghios sah. Da inzwischen sonst keine Kimde von den
Stücken verlautet zu sein scheint, so ist die beistehende Wie-
dergabe der Skizzen vvol am Platze. Eine Erinnerung an die
Originale habe ich nicht mehr und kann also nur mitteilen,
was über sie in meinem Notizbuche beigeschrieben ist, zu-
nächst, dass beide Stücke von Marmor und überlebensgross,
die Formen dickschwammig und flach waren, das Haar auch
im Rücken der Figuren herabfiel.
Auf der Brust der einen Figur will die Skizze otYenbar
i \: V. (
k «/v^yvl-f . ' H '^ 'Mi t^^^^
die Einsatzspur einer Zuthat angeben ; es ist eine grössere
viereckige Verliefung, umgeben von kleineren Löchern. \'er-
mutlich war der aufgebogene linke Unterarm hier befestigt.
Die Grösse der Ansatzspur lässt darauf schliessen, dass sich
vor der Brust nicht nur die linke Hand, sondern auch ein von
ihr gehaltener Gegenstand befand. Zu vergleichen sind die von
156
A. CONZE, ARCHAISCHE SKULPTUREN AUS CHIOS
Cheramyes geweihte Figur ausSamos und die ihr verwandten
(Athen. Mitth. 1892 S^ 40, 19. ?ü. S. 44, 42).
Die Arme der zweiten Figur erscheinen scharf gebogen
und die Unterarme eng an den Körper gedrückt gehoben.
0?!/
'• 1 «IVi
UM
'bC*AJt.h
a
I3eigeschrieben habe ich noch, wahrscheinlich in wört-
licher Wiedergabe einer mir mündlich gemachten Aussage:
E/_ü) (XTTO T-/1V 'AtTU-/1V £t? TOV "Ay. 'I(i)3CVV71V V.TZQKXXOi Et? TOt
"KOLT-'riU.XTOL.
Studniczka giebl mir an, dass die 'Atguc^ eine Strasse von
Chics ist (vgl. Athen. Mitth. 1888 S. 165, 3), mit xaTriy.aTa
müssen dort befindliche Keltern gemeint sein.
Endlich finde ich noch beigeschrieben: 'Makufi', wie auch
sonst für 'Vakuf, 'Vakufi' vorkommt (vgl. Wilhelm in
Arch. epigr. Mittheilungen aus Österreich - Ungarn 1897 S.
96,64). Die Torsen scheinen mir demnach als geistliches Ei-
gentum bezeichnet worden zu sein, sei es als christliches, sei
es als türkisches, denn das Wort kommt in beiden Beziehungen
vor (Paspatis, Xiaxöv yXcoodaptov S. 241 ).
CONZE.
EPIGRAPIIISCIIES AUS MUSTOXYDIS, H AiriNAIA
In meinem Aufsatze 'Epigraphisches aus Aegina* (Abhand-
lungen der Berliner Akademie 1897) hatte ich (S. 5 Anm. 3)
mein Bedauern auszusprechen. duss ich Mustoxydis periodische
Publikation 'H Atytvaiy. aus dem Jahre 1831 nicht benutzen
konnte. Jetzt hat mir H. von Prott aus dem Exemplar des
athenischen Instituts den gesamten epigraphischen Inhalt jener
Zeitschrift ausgezogen, und ich glaube meinen Dank für diese
ausserordentliche Mühewaltung am besten dadurch zu bezei-
gen, dass ich sie der ÖtYentlichkeit nutzbar mache: ich möchte
daher hier alles verzeichnen, was für uns noch von Wert ist,
um für epigraphische Dinge die Benutzung des schwer erreich-
baren Werkes künftig überllüssig zu machen. Um keinen
täuschenden Schein zu erwecken, sind dabei auch für die In-
schriften die gewöhnlichen Typen verwendet, welche Musto-
xydis benutzt.
I. Zunächst ergiebt sicli eine Anzahl neuer Nachträge' zu
meiner erwähnten Abhandlung, nach deren Nummern ich
aufzähle :
3 steht bei Mustoxydis S. 189 n. 19 in folgender Gestalt
APXIKAI'JIÜY
PAMi\uVi:ios
Wir erfahren, dass der Stein aus Salamis ist. Herr von Prott
hat sicher richtig gesehen, dass meine Nummer 7 (Kampanis
Inventar des Museums von Aegina n. 325: 'Af/'.Xapiou) damit
identisch ist.
5 (Kampanis n. 115) steht bei Mustoxydis S. 187 n. 5 und
< VkI. diese Zeilsohrifl ?e, ISDT, S. 349 f. D.'in Absatz auf S. 350 i.st Lei
der Conclvlur iü Allicu unricliliger Weise die Zitier 3 vorgesetzt worileu.
^58 M. FRAENKEL
ist C. I. A. IM 1'281. Salamis als Fundort wird bestätigt;
Z. 5 Anfang giebt er ^uXTiJÜK, so dass der Stein damals viel-
leicht besser erhalten war und die Variante Z. 4 EIAOr
Beachtung verdient; Z. 8 . . TVKO . .
6. Mustoxydis S. 189 n. 25 hat als salaminisch MENE
KPATEIA. Wie Herr von Prott bemerkt, ist Identität mit
meiner Nr. b (Rampanis n. 118: ^xkxijJ.c,. Mevs/cpäTYi?) sehr
wol möglich.
12. C.l.A II 2-275 ist nach Mustoxydis S. 189 n. 10 aus
Salamis, nach Rampanis n. 346 aus Aegina, wonach ich die
Inschrift einem attischen Rleruchen zugeteilt hatte. Auf wessen
Seite der Irrtum ist, wird sich kaum ausmachen lassen; doch
haben bisher alle anderweitigen glaubwürdigen Zeugnisse,
auch die von Mustoxydis, Rampanis Provenienzangaben be-
stätigt.
19. Mustoxydis S. 189 n. 27 :
KH*l>:OAOPOS
nOAIAPXOY
A4)IANAI0S
Identität mit C. LA. II 2842; Ky^tpiGöScopoc | IloT^uapyou | 'A-
[j(jat6? ist ebenso wenig zu bezweifeln als meine Gleichsetzung
dieser Inschrift mit Rampanis n. 9 : « Kvicp. FoX.» Aber wieder
giebt Mustoxydis Salamis, Rampanis Aegina als Herkunft an.
Dass Le Bas den Stein nach Salamis giebt, hat gar kein Ge-
wicht; denn die grosse Unzuverlässi^d<eil seiner Provenienzan-
gaben für die Bestände des aeginetischen Museums habe ich
vielfach nachgewiesen, und sicher ist sein Zeugniss neben dem
des Sammlungsvorslehers und des Ephoros kein selbständiges
drittes.
30. C. I. A. III 1689 bei Mustoxydis S. 189 n. 7 correet
und vollständig erhalten :
ET^ANHS
EllIFENOT
ETÜNTMETi]
EPIGRAPHISCHES aus MUSTOXYDIS, H AiriNAIA 159
II. Zu attischen Inschriften, die ich in meiner Abhandlung
nicht zu erwähnen halte, ergiebt sich Folgendes:
a) C. I. A. II 2300. Mustoxydis (S. 189 n. 11) bestätigt
die Herkunft aus Salamis, ebenso für
b) CIA. II 2322 (ebenda n. 12;, das ohne jede Lücke
gegeben ist.
c) C. I. A. II 2366 {aPiraeeo Athenas translatayt) steht
fehlerhaft bei Mustoxydis S. 189 n. 15. Wertvoll ist für uns
die Renntniss.dass der Stein im Museum von Aegina gewesen
ist: wir gewinnen also einen neuen Beweis für die in meiner
Abhandlung S. 1 1 hervorgehobene Thatsache. dass Teile des
Museums beim Transport nach Athen im Piräus abhanden
gekommen sind. Eine weitere Bestätigung liefert C. I. A. MI
1329, welcher Stein nach einer handschriftlichen Notiz von
Ludwig Ross in einem der dei der Akademie der Wissen-
schaften aufbewahrten Tagebücher sich im Museum von Aegina
befand, aber nach Pittakis, 'EcpYiaspl«; 614 u.trv/.ou.i'^fi-i) U toO
riEipaieci)!; (nicht, wie Ditten berger sagt : a in Piraeeo inven-
tum ref'ert Pittakis t)).
III. Folgende vier Inschriften aus Salamis habe ich im
C. I. A. nicht gefunden (Mustoxydis S. 190):
a) 'Eile, TYiv TOi^ov [xiÄ? O'.xiai;
AM*AINETHN
b) Et; tÖv oi)COv ivö; äypoixou
AEKEAEA
c) El; TViv exÄ^TOdiav tcöv 'Aytwv 'AtcoctoXwv
KPATHS
©EArENOTS
•A?.] ANH0EN
160 M. FRAENKEL, EPIGRAPHISCHES AUS MUSTOXYDIS, H AIFINAIA
d) Ei? T7)v iv.vXrtci.xs tt]; 'TiraTravTYii;
sünoAis
SÜTEAOTS
. . AETE
Z. 3 wol M6]>.[i]t6[u(; zu lesen.
IV, S. 224 ff. werden Inschriften aus Skiathos nach Co-
pien des einheimischen Lehrers Epiphanios mitgeteilt: C.I.G.
2153 und 2154, beide in übler Gestalt, besonders die erste,
die am Anfang aus der zweiten interpolirt ist und deren
Schluss durch die bei einer Kaiserehrung lächerliche Formel
{xvsia? xäpiv ersetzt wird. Danach ist der Wunsch Mustoxydis
sehr berechtigt, dass die folgenden beiden Stücke utcö -nr^eov
Ygyupa^jjjiEvou c)<p9aXu.o'j gesehen würden, namentlich das zweite.
a) AiOo? TSTpaywvoi; e/^wv eva tcpiTTTcov avöpa.
ZQnTPOE ©EIOS APXÜN
b) AiOo? TeTpscycüvo?, s/^cov Suo yuvai>ca? yluTtTÖ.? eXXviviJcoi; lixa-
xai TOJ csu-vo) Twv ivout;.3CT(i)v.
i\A*NH KAE ilK XAPITÜ
KPITÜ IMEÜNOS A(=)IA NOS
PEA
Berlin.
M. FRANKE L.
■^^IF?-
INSCHRIFTEN VON ESKI-SCHEHIR
Herr Dr. F. Peiser von hier kam in diesem Winter bei ei-
nem Auslluge auf der anatolischen Eisenbahn zufallig dazu,
wie einige Grabstelen dos alten Dorylaion, die eben ausge-
graben worden waren, behufs Verwendung zu modernen Bau-
ten zerstört werden sollten. Es gelang ihm, die Steine noch
vorher zu photographiren und er hatte die Güte mir diese
Photographien mitzuteilen.
1. Marmorplatte an den Seiten durch schmale Pilaster be-
grenzt, ^oben wol durch eine Art Giebel abgeschlossen. Den
oberen Teil nimmt ein Relief ein darstellend einen nach rechts
sehenden Adler mit gespreizten Flügeln und einem Kranz im
Schnabel. Der Adler steht auf einer Kugel und hält zwei Lor-
berbüsche mit den Krallen fest. Darunter:
ACKAACACK 'Acx^ä? 'Adjt
A A - K A I B P O Y T T >.a xai BpouTx
lAAMIA-EENE ta 'Ap.ia Seve
K A • T E K N UU ■ r A ¥ x.x T£)tv(p yXu
KYTATUU-ZHEAN 5 x.uTäTo) C^,aav
T I E T H O K T UU xi err) Öxto)
MNHMHEXAPIN pri(^.r,? yäpiv.
Die Grabschrift der 'A^ioOea, Schwester des hier genannten
Seneca, ebenfalls von den Eltern gesetzt, hat A. Körte, Göt-
tingische gelehrte Anzeigen 1897 S. 414,73 verölTenllicht.
ich kenne kein Bildwerk mit genau enlspi'ecliender Dar-
stellung und bin geneigt eine \'ermutung für richtig zu halten,
welche mir Otto Keller mitteilte. Er glaubt, der Bildhauer
habe eine Vorlage benutzt, auf der der Adler ein Blitzbündel
in den Klauen hielt, und dies irrtümlich durch die Lorber-
zweige ersetzt.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXlll. 1 1
162 FR. RUEHL, INSCHRIFTEN VON ESKI - SCHEHIR
2. Marmorplatte; oben ein Relief darstellend die Büste ei-
s Mannes und ein
Rahmen. Darunter
nes Mannes und einer Frau in einem kreisförmigen erhabenen
ni2TH(J)IAANAPn
TONAETYMBON
AMMI A E T E Y ä E
0AEITA-2:YN FAMOS
5 AHMO20EN^2^AI
AESTEMHTPIZo
(t)PONIMNHMH5:
APIN AHMOZGE
u^ Tpcr^BlZTOZ
Üktty) tptXxvopG) I t6vö6 tuulSov | 'Au.ij.icc
TvailSec T6 [A'/ixpi aa)|<ppovi [7.vr)u,7); | [yjxpiv,
Ayi|jt.O(jO£[vY)]i; TTpecÖKTTO«;
Es sind seehsfüssige Jamben. Versmass und Sinn lehren,
dassumten mindestens noch eine Zeile folgte, die aber auf der
Photographie nicht mehr zu sehen ist. Die Buchstaben sind
sehr schön und regelmässig zwischen vorgezeichnelen Linien
eingehauen. Der Name 'Au.^.ix kommt in ßski-Schehir auch
vor bei Radet, En Phnjgie S. 161,36. Göttingische gelehrte
Anzeigen 1897 S. 414, 71.
Königsberg i. P.
FRANZ RÜHL.
-^'^^m^-**--
FUNDE
Eleusis. Am südlichen Abhang des Akropolishügels waren
schon von Herrn Philios einige Gräber geometrischer Periode
aufgedeckt worden ('E^r.p.epi; äp/. 1889 S. 171 ); an derselben
Stelle hat nun Herr Skias seit 1895 gegraben, und einen Be-
gräbnissplatz aufgedeckt, der keinerlei Spuren irgend welcher
Benutzung in der Zeit nach, wol aber solche aus den Zeiten vor
der Herrschaft des geometrischen Stiles zeigt. Ausser den ge-
wöhnlichen Gräbern dieses Stiles und grossen Gefässen, welche
die unverbrannten Leichen von Kindern oder die verbrannten
von Erwachsenen aufgenommen hatten, wurden auch Brand-
stätten entdeckt. Ein besonders reiches Grab, enthielt ausser 69
Gefässen noch andere Beigaben, besonders drei Skarabäen und
eine Isisstatuette aus ägyptischem Porzellan (vgl. die vorläufige
Notiz Athen. Mitth. 1895 S. 374). Zugleich mit geometrischen
wurden auch Gefässe mit eingeritzten Mustern entdeckt, wie sie
Wide bei Aphidna gefunden hat. im Fortschritt der Ausgra-
bung mehrten sich die Brandstellen , die hier in mehreren
Schichten übereinander, zugleich mit mancherlei Resten meist
nachlässig gebauter Mauern erschienen. Diese Art des Fundes
ermöglicht es, an den Stellen wo diese Reste der Leichenver-
brennung in ungestörten Schichten über einander liegen, die
zeitliche Abfolge der darin gefundenen Reste mit Sicherheit
festzustellen. Es ist Herrn Skias so gelungen, Reste my keni-
scher und vormykenischer Keramik in ihrer historischen Rei-
henfolge zu bestimmen. Ein Bericht wird demnächst in der
'E^YiixspU ipj^. 1898 erscheinen.
Nördlich von Pylos, an der Küste gegenüber der Südspitze
von Prote ( bei Vromoneri, vgl. Philippson. Peloponnes S. 343)
hat Herr \. ÜTravToOpo; in einer nocii jetzt '.\. llerpo; heissen-
den Gegend die Reste einer grossen, dem h. i'elros geweihten
Kirche aufgedeekt. Die kurze Fundbeschreibung erwähnt be-
sonders viele Fragmente von buntem Glas (doch wol Mosaik-
164 FUNDE
reste) und hebt die noch zu erschliessende Pracht und Grosse
des Baues hervor. Schon früher seien hier Grabsteine christ-
licher Zeit gefunden, auch zwei Säulen mit der Inschrift Eni
KÜNSTA(vTivou). "A(TTu, 20 'lav. 1898.
In Makedonien ist beim Dorfe Kopanowo , lO""" nördlich
von Verria (Be'poia), 8 ■"" südöstlich von Niaussa etwa vor ei-
nem Jahre ein Grabrelief gefunden und nach Salonik geschallt
worden. Die Stele aus hellem feinem Kalkstein zeigt unter ei-
nem flachen Giebel die Inschrift
K A e on ATP A(t>i A inno Y ^
AION YC OAOTOCT ApeOCeAT
ZONSnOHCEN
K>.£0TC3CTpa ^iXiTTTCou, AiovuaoSoTo; TocSso? £auT(cp) ^üiv l7r6"10<J£V
Der siebtletzte Buchstabe von Z. 2 könnte B oder P sein,
wahrscheinlicher ist ersteres. Über dem A von iauTö ist Y
hinein korrigirt; für das (o war kein Platz mehr. Auffällig ist
die Form des g> in ^wv. Das vi in ettöyigev ist ganz schmal ein-
geflickt; es scheint vorher sTcotcev da gestanden zu haben. Der
Name TäSi; (?) scheint neu.
Unter der Inschrift ist in eingetieftem Felde eine nach rechts
sitzende reich bekleidete Frau dargestellt, vor der ein Mädchen
steht und ihr einen runden , scheibenförmigen Gegenstand
entgegenstreckt. Dahinter, am rechten Rande, ist ein Baum
mit Schlange sichtbar. In einem zweiten Felde darunter ist
ein nach rechts sprengender Reiter in Chiton und Chlamys
angebracht.
(Mitteilung des Herrn L. Bürchner, nach einer von Herrn
A. Ba.ylx^i.xkrii in Salonik übersandten Photographie).
Aus Salonik teilt uns Herr J. H. Mordtmann folgende In-
schrift mit :
'Auf einem grösseren Marmorblock, welcher bis vor kur-
zem unbeachtet ausserhalb des Kalamariathores an dem Wege
lag, welcher von der Obeliskfontaine nach der Campagne
führt, steht folgende Inschrift:
FUNDE 165
kOlNToNKAIKL
ZTPATHroNA
ToNAYTH2:zr
H r
Um den Stein vor Verschleppung und Zerstörung zu be-
wahren, veranlasste ich seine Überführung in den hiesigen Ko-
nak (Regierungsgebäude), von wo er demnächst ins Kaiser-
liche Museum nach Konstantinopel geschafft werden soll. So
viel ich sehe ist diese Inschrift die älteste uns aus dem Stadt-
gebiete von Salonik erhaltene. iMan liest :
KotvTov Kaixe[>.',ov MeteXXov
Offenbar ist gemeint Q. Caecilius Motellus Macedonicus, cos.
611 u. c, welcher nach der Besiegung des s. g. Pseudophi-
lippus 148 Makedonien als römische Provinz organisirte.
In welcher Eigenschaft er vom Senate entsandt worden war,
ist meines Wissens bisher nicht bekannt. Vellejus Paterculus
I ll,? nennt ihn Q. Mctellus praetoj\ Florus 1,30 dagegen
consid\ da aber Melellus erst nach dem makedonischen Feld-
zuge das Consulat bekleidete. so war daraus mit Sicherheit zu
schliessen, dass er den Titel praetor pro consule führte,
vgl. Marquardt-Mommsen' IV S. 387 f. 2 S. 519 f. Momm-
sen C. I. L. I S 188. Dies wird durch unsere Inschrift be-
stätigt, denn es unterliegt wol keinem Zweifel, dass Z.2<TTpx-
TYiyöv ä[v6u7raTOv und nicht etwa dxpaTTjyöv a[uTO)cpicTopa ( =
dictator, vgl. Polyb. III 87) zu ergänzen ist.'
Bei dem im Mouaeiov xxi (iiSXioOö/.-/^ TT,:, E'JxyysXtKri; (J^oXt/; III
(1880) S. 89 fT. von G. Weber beschriebenen Tumulus und
Heiligtume von Belevi südöstlich der Bahnstation Kos-Bu-
nar hat E. S. 'lop^xviSy:; einiMi 1,06'" langen, 1'" breiten. 0.38
dicken Marmorblock gefunden, auf dem steht
H A I A A E 2
('Ap{xovia, Smyrna (^ »l'sfop. 1898).
166 SITZUNGSPROTOKOLLE
Derselbe Herr teilt uns folgende Inschrift mit :
Marmorblock 0,48™ hoch, Ü, 68 breit, gefunden mittwegs
zwischen Belevi und TCiirje; (Djibia) an einem Brunnen; Buch-
staben 3,75-2,75"° hoch und /.. T. in Ligatur. ( Rtwas ab-
weichend veröfYentlicht in der 'Apaovia, Smyrna 5. MapT.1898).
AOYKION(j)ABION
X E I A Q N A
TONAAMnPOTATON
K A I A I Z Y n A T O N
5 EÜAPXONPnMHS
K A e az I i7 M
. . O . . O...AIOZ
H M Q NAYTOKPA
TOP2E B AZTOZ
10 ..A...AYPHAI
AouittON' <I>a€tov I Xsi'Xwva | tÖv XajjLTrpoTaTOv [ xal o\c, UTuarov |
£7rap)(^ov 'Pö)[j.Yi(; ....
Die Inschrift fällt nach 204 nach Chr., dem Jahre des zwei-
ten Gonsulates des L. Fabius Gilo, über den zuletzt Bitterling
Arch. epigr. Mittli. 1897 S. 34 ff. gehandelt hat; vgl. Proso-
pographia 11 S. 45. Der Schluss der Inschrift bleibt bei der
lückenhaften Abschrift besser unergänzt.
SITZUNGSPROTOKOLLE
5. Jan. 1898. W. Doerpfeld, Die Ausgrabungen beim
Areopag. — O. Rubensohn und R. Zahn, Über die dabei ge-
fundenen Gräber der Dipylonzeit. — P. Wolters legt das
Nuni. chronicle 1897 Taf. 5,2 veröffentlichte Tetradrachmon
des Nabis vor. — J. Svoronos, Die kleisthenische Volksver-
sammlung und das lykurgische Theater. II,
SlTZUNGSfROTOKOLLE 467
19. Jan. 1898. W. DoERPFELD, Aus Ithaka. — A.Wilhelm,
Zwei attische Inschriften [C. I.A. 1! 20. IV, 1 S. 23,116/^).
— P. Wolters, Eine neue Vase des SophiJos (Arch. Jahr-
buch 1898 S. 13).
2. Februar 1898. E. Ziller, Zur Frage der Beleuchtung
des Parthenon. — P. Ravvadias, Ein V^olksbeschluss des Al-
kibiades. — W. Doerpfeld, Altertümer von iMegara.
16. Februar 1898. l\. Zuiy, Klazomenische Keramik. —
E. Ziebarth, Archaische Inschrift aus Brahami. — J. Svoro-
Nos, Eine homerische Insel (Syrie). 1.
2. März 1898. J. Svoronos , Eine homerische Insel (Sy-
rie). 11. — H. VON Prott, Die llephaistien.
Prott: Die Vermutung, dass bei Aristoteles, 'Aötjv. 7:oX. 54,7 als dritte
Peuteteris die Hepliaistieu und in ilem letzten öatze die Anipliiaraieu ([vüv]
5i ;cpciay.£iTat [xa'i Aapiäoataj ir.i Krj-^iao^wvto; i'py(_ovTOs ) einzusetzen seien,
von denen aus oropisclien Inscliril'ten feststellt, dass ilire Penteteris unter
dem Archontat des Kepliisophon eingefülirt ist, lässt sich bei genauer In-
terpretation des Aristoteles und Pollux (Vlll 1U7) sowie der Hephaistien-
insclirift C.I.A. IV 1 S.64 f. nicbt halten (vgl. AVilamowilz, Aristoteles und
Athen I S. 229 f.; Wilhelm, Anzeiger der Wiener Akademie 1895 S. 3911'.;
Keil, Hermes 1895 S. 473 IT.). Denn abgesehen von den zu der Vermutung
nicht stimmenden Zügen des Papyrus werden 1) nach Aristoteles die Pen-
teteriden von den Icportoioi xat' Eviauidv, nach der Hephaislieninschril'l da-
gegen die llephaistien von einer aus der ßouXTJ erlosten Festkommission,
nach den oropischen Inschril'len die Amphiaraien von gewählten EnijjLcXTjTai
verwaltet. 2) Bei Aristoteles ist nicht /.al xojtojv oGospiia iv tcü aJi(l) £v[iauTili]
Y^v£[Tat, was hei l'ünl' penteterischen Festen sinnlos ist und nur durch drei-
fache Änderung der Überlieferung ( Wilamowitz-Kaihel^ in einen allenfalls
erträgliehen iSinn umgewandelt werden kann, sondern mit Kenjon xai xou-
Twv oü6£|jM'a £v zG) aÜTöi £vYivE[Tai zu lesen. Der Zusatz war namentlich für den
Nicht -Athener nicht üherllüssig, da es in der That merkwüidig ist, dass
von den fünf Penleteriden nur eine, die Panathenaien, in Athen gefeiert
werden, worin sich ein Stück attischer Geschichle abspiegelt. Pollu.\, dessen
Zurückführung auf Aristoteles schon durch den von ihm begangenen Fehler
(eöuov Ouaiaj -ca« jie vT£TT)pi6a«; gesichert ist, hat seine Quelle richtig lokal
verstanden und daher den .Salz xai xoutwv , . . evYiv£xai fortgelassen, aber
dafür die Bezeichnungen der Feste in lokalem Sinne verändert (£v Bpaypwvi,
'EX£uatvi). Es sind aho nach wie vor als dritte Penteteris die Herakleien von
Maralhon anzusehen, die mit panhellenischem Agon verbunden waren und
schon deshalb trielcrisch oder penlelerisch gewesen sein müssen, bei Pol-
lux ist aber vielleicht 'HpaxX£t6(Lv nicht zu ändern, weil man eine Sage von
der Stiftung der Herakleien durch die Heraklidcn auch ohne Überlieferung
16Ö SITZUNGSPROTOCOLLE
als wahrscheinlich annehmen darf. 3) In dem Satze der Hephaistieninschrift
Tj]v 5e X[a(A7C(x8a Ttoieiv Tfji tievJtettjpiSi [xai xois 'H«p]aiaTtoi? ist man mit Un-
recht Schölls Erklärung: 'an der penteterisclien und an der Jahresfeier der
Hephaisticn' gefolgt, was griechisch nur durch t7;i 7:£VTSTr)p[8c xal v^t a(x(pi-
ETrjptSt Twv 'HyataTiwv wiedergegeben werden könnte. Die richtige Deutung
hatte längst Kirchholf gegeben, der t^i Ä£vt£TT]pi8i von den grossen Panathe-
naien verstand. Diese Deutung wird vollkommen sicher, wenn man die Stelle
der Inschrift verbindet mit Polemons Nachricht über die loL^nzä^ti im Ke-
raraeikos (Hermes 1873 S. 437 11'.). Die Schwierigkeit, wie in der Hephai-
stieninschrift etwas über die grossen Paiiallienaien festgesetzt und wie dabei
der bestimmte Artikel (t/jv 5s Äa^TiaSa) gebraucht werden kann, erklärt
sich daher, dass durch die Inschrift eine kultliche Beziehung zwischen dem
Feste des Prometheus, dem als altattischen Fcuergotte die älteste XajjiTräs
gefeiert wurde, des jüngeren Hephaistos und der Allieua Polias, der unter
dem Hanimersclilag des Prometheus geborenen Genossin des Hephaistos, her-
gestellt wurde, indem man die Einführung der am Promethcusaltare in der
Akademie beginnenden Xa[j.7tas der Proraethien an den grossen Panathe-
naien und Hephaistien beschloss. Wenn Aristoteles die Amphiaraien
ebenso wie den Demarchen und den £7iiiJ.£XrjTri5 xöiv xpyivwv von Oropos nicht
erwähnt, so ist als Erklärung dafür wol nur möglich, dass üropos nicht
erst durch den lamischen Krieg, sondern durch den Erlass Alexanders über
die Rückkehr der Verbannten von Athen getrennt ist, das in diesem Punkte
dem Könige nachgegeben haben wird, während es Samos zu halten suchte.
16. März 1898. 0. Rubensohn , Ein eleusinisches Kult-
gerät.— A. AA'iLHELM, Epigraphisclie Mitteilungen. — E. An-
GELOPULos, Über die Häten des Piräus.
Wilhelm: Eine von A. Milchböfer in Markopulo nachgewiesene alter-
tüniliclie Herme trägt Reste einer zweizeiligen Inschrift, in der sich das
erste Distichon des Anth. Pal. VI, 144 überlieferten, angeblieh simonidei-
schen Epigramms erkennen lässt. Augenscheinlich ist das urspüngliche
Gedicht in sjjätercr Zeil ebenso erweitert worden, wie dies Wilamowilz an
anderen Simonides zugeschriebenen Ejiigrammcn erwiesen hat. — Das
nur durch Fourmont bekannte simonideische Epigramm 0. I. G. Sept. I 53
hat sich in einer Kirche bei Megara vermauert wieder linden lassen. —
Über die auf den lokrischen Mädchentribut bezügliche Inschrift von Vitri-
nitsa vgl. jetzt Jahreshefle des österreichischen Instituts I, Beiblatt S. 50.
30. März 1S98. Sp, Lambkos, Inschriften aus Megara. — \\.
Herzog, Das Theater in Pleuren. — W. Doerpfeld, Die Bau-
werke des alten Ägyptens.
Geschlossen 25. Mai 1898.
IV.
PRIAMOS BEI ACHILL
(Hierzu Tafel IV)
Das Vasenbild, welches mit froundlioner Einwilligunp; des
Herrn Generaleplioros Kavvadias auf Tal". \. nach einer Zeich-
nung des Herrn Gillieron publicirt wird, befindet sich auf
der Ijckythos Nr 486 des Nationalmuseums in Athen. Die
31,5"° hohe, in Koropi in Altika 1877 gefundene Lekythos
kam im selben Jahre unter Nr. 1916 in die Sammlung der
Arch. Gesellschaft. Das Gefäss hat ein wenig gelitten. Einige
Abschürfungen machen sich besonders im Bilde unangenehm
bemerkbar. Auf der Schulter tragt die schon entwickeltere For-
men z'^igende, schwarzfigurige i.ekythos aneinander gereihte
Lolosknospen und dai'über Strichelchen Das Bild auf dem
Bauche des Gefässe.s ist oben durch ein Ornament begrenzt,
welches einen zwischen zwei Reihen von Knöpfen im Zick-
zack gespannten Paden nachahmt. Nach unten zu schliesst ein
thongrundiger Streifen ab. Neben lliichtigen linden wir im
Hauptbilde sorgsamer ausgeführte geritzte Teile; an einigen
Stellen ist Weiss und Botbraun (letzteres in der Abbildung
durch SchralVirung w'iedergegeben ) als Deckfarbe benützt.
Auf einen nach links auf einer kline gelagerten, unterwärts
bekleideten bärtigen Mann eilen von links ein Greis und zwei
Frauen zu : von rechts kommt ihnen eine dritte entgegen. Das
Gesicht des Gelagerten, welches auf die Herannahenden ge-
richtet ist, ist ein wenig missglückt; es entbohrt des schärferen
Proliles, denn der Pinsel strich hier zu breit. In der Rechten
hält er ein langes Messer, mit dcni linken riileranne stützt er
sich auf ein Polster, die Handlung der Linken ist durch die
Verletzung der Vase unklar. Das Gewand, welcln-s ihm Schoss
und Beine verhüllt, ist wie bei den anderen Gestalten spär-
lich getüpfelt. Hinter seinem Kopfe breitet sich Laubwerk aus.
Vor der Kline, deren Fuss reich geschnitzt ist, sieht das nie-
drigere Speisetischchen mit länienartig Iifiimiciliängcnden.
ATHEN. MITTHEILIINOEN X.\MI. 1*2
170 L. POLLAK
weissgestreiften Gegenständen, und diesseits von ihm liegt auf
dem Boden der nackte Körper eines bärtigen Mannes, dessen
Kopf in 'Podesstarre nicht zu Boden gesunken ist. Die Arme
hält er steif an die fliiften angelegt. Der von links her nahende
Greis trägt im weissen, lang in den Nacken fallenden Haar
eine rotbraune Binde; Chiton und llimation sind mit Streifen
derselben Farbe verziert. Flehentlich streckt er die Hände
nach dem auf der Kline liegenden Manne aus. Hinter dem
Greise folgen zwei Frauen (Fleischteile weiss) in jonischen
Chitonen und iiber die linke Schulter geworfenen Himatien, mit
brauner Binde im Haare. Auch sie heben flehend die Hände.
Auffallend disproportionirt ist ihr Hinterkopf geraten. Eine
dritte, den geschilderten in Haltung wol ähnliche weibliche
Gestalt steht rechts vom Liegenden.
Die Erklärung des Bildes bietet keine Schwierigkeiten. Ein
Held auf (l(M' Kline beim Male, vor ihm, verächtlich auf den
Boden hin^ewoi-teu die Leiche eines bärtigen Mannes, ein
Greis, der bittend sich näliert — wem fi^le nicht augenblicklich
Priamos Besuch bei Achill ein? Eine Bestätigung scheint diese
Deutung auch in den Buchstal)en zu finden, welciie oberhalb
der Arme des Priamos sichtbar werden. Man kann in ihnen
wol die Anfangsbuchstaben des Namens 'A^t>>['X£'jcl erblicken.
Hingegen ergeben die Buchstaben hinler Achill keinen Sinn.
Zuletzt hat Benndorf ^ die auf die iJisung Hektors bezüg-
lichen Denkmäler gesammelt Seitdem hat sich das Material
beträchtlich vermehrt. Hier folge, was seit Benndorfs Katalog
hinzugekommen ist :
a) das Bronzerelief von Olympia: Furtwängler, Bronzen von
Olympia Taf. 39, 701.
b) das Relief am GrifTe eines griechischen Bronzespiegels,
verölYentlicht von Furtwängler in den Historischen und phi-
lologischen Aufsätzen E. Curtius gewidmet Taf. 4 S. 179 ff.
c) ein übereinstimmendes Bronzerelief von der athenischen
Akropolis publicirt von Wolters in den Athen. Mittheilungen
' Aiinali deW J.sliiiilu KSOö S. -.'il If.
PRIAMOS BEI ACHILL 171
1895 S. 478 Tuf. l'i. 1, wiederholt American. Journal of
arch. 1896 S. 353. Vgl. A. de Ridder, De ecti/pis cjuibus-
dam aencis qiiac falsa vocantur arf^ivo - corinthiaca S. 10.
d) unsere Vase.
e) rolfiii;uri»e Kraterfragmente veröfTenllicIit in den Wiener
Vorlegehiällern 1890/91 Taf. 9, 6-9.
f) Relief eines lioinerisclien Bechers in Berlin, abgehildet
von Robert im 50. Ikrliner Winckelmannsprogramme S.90.
g) ein gleiches, ehemals hei van Branleghem, Fröhner Ca-
talogue van Branleghem Nr. 30 '2.
h) Sarkophagfragmont in .Athen, vSyhel. Katalog der Skulp-
turen 4797, Athen. Milth 1884 S 5UT Robert, Sarkopliag-
reüefs II Taf. '2'i, 52.
i) ein gleiches in Theben , Körte, Athen. iNlitlh. 18'8 S.
416, Robert a. a. 0. Tat. 22 -'23, 50.
k) und Ij zwei im Museum von Sparta, Dressel -Milchhöfer
Athen. Mitth. 1877 S. 396 iNr. 223- 2-24 , Robert a.a.O. Taf.
24, 51. 53.
m) Sarkophagfragment in der Stadtmauer von .\dalia, ab-
gebildet Lanckoronski, Städte Pamphyliens uml Pisidiens I
S. 17 und Robert a.a.O. Taf. 24, 54.
n) ein gleiches in Taormina (fraglich ob hieher gehörig)
Robert a. a. O. Taf. 24, 55.
o) ein gleiches in Ostia, Robert a a. 0. Taf. 24. 58.
p) ein gleiches in Rom, Matz-Duhn, Antike Bildwerke HI
4063, Robert a. a 0. Taf. 24, 56.
q) das pompejanische Bild, Maass Man. dcU' Ist. XI Taf.
30, Ann. dcli Ist. 188! S. 125 ff.
r) Gemme im brittischen Museum, Smith. Catalogiie of
engraved gems in the British Museum Nr. 141''».
s) Carneol in Paris, publiciil von Babelon. Le cabinet des
antiijues ä la bibliothvque nulionulr Taf. 47 Nr. 15 S. 163.
t) Fragment einer tabula iliacu in Paris. Jahn- Michaelis
Bilderchroniken Taf. 3, I).
u) Bronzerelief an der tensa vapitolinu. Bullet tino co-
mufiule y Taf 11-15 S. 113 IV. vyl. auch Hevdcmaiiii,
172 L. POLLAK
Berichte der säclisisclien Gosellscliaft 1878 S. 124 ff».
Als älteste der uns erhaltenen l)nrs[elliini!;en der Xürpa über-
liaupt gibt sich das olympisclie Relief argivischer llerknnft(rt')
und seine wol dein gleichen Gulturkreise entstammenden Re-
pliken {b, c) zu erkennen. Die Sage ist in gedrängter Kna|)p-
heit dargestellt. Achill stehend, vor ihm der tote liektor auf
dem Boden, Priamos von Hermes geleitet — das ist Alles. Von
dieser Schlichtheit bis 7a\ Brygos, dessen Hand wir wol den
herrlichen wiener Skyphos^ zuschreiben diirlen , war zeitlich
wie künstlerisch ein weiter Weg. Kurz deutet das l^pos an
(XXIV, 475), dass Priamos bei Achill eintritt, nachdem die-
ser eben geschmaust hat. Wenn Luckenbach*' sich an das
'nachdem' klammert und daraus dem Vasenmaler einen Vor-
wurf schmiedet, so hat mit Recht A. Schneider^ nach Benn-
dorfs V^organg (a. a. O. S. 2'i4) dies zurückgewiesen. Aber
nicht Brygos gebührt diese malerische li]rweiterung der knap-
pen Scene Das Vorbild lag seiner Zeit voraus. Unsere Vase,
welche einige Decennien älter sein wird als das wiener Ge-
fäss, ist wol das früheste Beispiel dieses Typus, den wir im
Gegensatze zu jenem argivischen als einen echt attischen l)e-
zeichnen dürfen. In wesentlichen Momenten stimmen mit die-
sen zwei Gelassen noch zwei andere überein. l^s ist dies eine
scbwarzfigurige Lekythos -* (Arch. Zeitung ISoi Taf. 72, 3)
und die münchner strenge rotligurige Schale Jahn 404 (Over-
beck, Heroengallerie Taf. V(J, 3 ; Klein, Lieblingsinschriflen
S. 3'j Nr. 20). Beide sind gewiss schlecht abgebildet, doch ge-
nügt ein Blick, um zu erkennen, dass die eben genannte Le-
' Unsicher ist, üb der Tiojaiier bei Priamos ein kraleräliiiliclies Gefiiss
oder einen Panzer auf der linken Scliulter Uägl, keinesfalls ist es iingrande
piatlo; die Schale in Prianis Händen ist /um mindesten zweifelhaft.
■'' Monumenii deW Isiilulo VII 1 Tai'. "27, Masiior, Sammlung antiker Vasen
und Terracollen Nr. 328, Hartwig, Meislerschalen S. :jü3 f.
3 \'orhältiiiss der N'ascnhilder zu den üediohlen des epischen Isyklos (im
XI. Suj)plementhande zu Meckeisens Jahrbüchern) S. 5U'J.
* Der Iroische Sagenkreis S. 35.
^ Mit Recht hat Robert (Bild und Lied S. I'J) die Meinung Luckenbachs
(a. a. U. S. JÜ9) zurückgewiesen, dass Achill hier zum Spotte und Hohne
den Becher reiche.
PRiAMOs m:i ACHILL 173
kylhos z(i (](Mi spätesten Erzeugnissen der scliwarzfigurigen
Technik gehijrt und iiiclit älter ist als die zwei strengen rotü-
gurigen Darstellungen. Alle vier Vasenhilder stimmen darin
übeivin, dass sie Achill aut der Kline heim Male* darstellen,
während lleklor den /.Ove? Tpa-=i^r,£; gleich unter oder vor der
Kline liegt, dass Priamos von linksher naht, hald königlich
würdevoll, hald seine Würde vergessend im tiefen Schmerze
die Hände zum gewalligen Sieger erhehf. Aher in einem
Punkte unterscheidet sich wesentlich unsere Lekythos von den
anderen Vasenhildern. nämlich durch die Begleitung des Pria-
mos. Während sie auf dem wiener Gelasse aus den reiche /orpa
tragenden Troern und Troerinnen besteht ^ auf dem münch-
ner es Hermes war, der ühereinstimmend mit dem Epos
Priamos verlässt, sohald er ihn zu Achill geführt hat, auf der
späten schwarzfigurigen Lekythos zwei Jünglinge mit einem
Pferde die Begleitung bilden, erblicken wir hier Priamos von
zwei Frauen gefolgt, während eine dritte rechts von Achill in
entsprechender Stellung erscheint. Die Deutung der Frauen
hinter dem Greise kann keinem Zweifel unterliegen. Sie gehö-
ren zur Familie des Priamos. Mit ihm zugleich kommen sie,
mit ihm bitten sie; hingegen wird man die weibliche Gestalt
rechts von Achill wol besser Briseis benennen, wie sie, aller-
dings nicht so heftig erregt, auf der münchner Schale darge-
stellt ist''. Mit der Schilderung des Epos stiuinit unsere \'ase
nicht. Nur Idaios begleitet (XXIV, ;-{->ö. 47U) den von Her-
mes geführten Priamos ins Lager der Griechen. Wieso kam
nun ein Vasenmaler des 6. Jahrhunderies dazu, die weiblichen
Angehörigendes Priamos mit darzustellen? Der Unterschied in
der AuITassung ist zu gross, als dass man annehmen könnte, er
habe dies aus eigener Erlindung gethan. Man muss vielmehr
die (Quelle suchen, aus welcher er schöpfte.
' Vf,H. Kiiilincr, Arcli. Jalirl)ucli 1892 S. 27.
' Kinc der ällcslcii Darsl.'limi^M'n der GesrlirnlvL' liajiciuItMi Troer war
wol die des Balli\kles am ainjkläisclH'ii Tlirone des Apuilon; vgl. Klein in
den Arch. epigr. MiUli. IX S. 149, 159Anni. 9.
^ Vgl. Aldi. .lahrluich 1894 8. 156.
174 L- POLLAK
Doch betrachten wir vorher die anderen Denkmäler, welche
ebenfalls die Familie des Priamos bei der Lösung Ilektors
darstellen. Es sind nur Sarkophage. Zu den schon in Benn-
dorts Aufzählung unter s, k und / angeführten kamen noch i
und m unseres Nachtrags hin/Ai. Etwa sieben Jahrhunderte
liegen zwischen unserer Vase und dem 'griechisch-römischen*
Sarkophage von p]phesos s (Robert a. a. 0. Taf. '2*2 -23, 47)
und die Kluft erweitert sich bei den anderen noch mehr. Nach
so langer Zeil taucht also wieder dieses Motiv auf. Aber noch
später sind die litlerarischen Quellen, welche diese Version
wiedergeben. Bei Dictys Gretensis III "^O wird Andromache,
bei Cedrenus \'ll I) noch Polyxena genannt und beide fügen
ausserdem Astyanax und Laomedon hinzu und im Wesent-
lichen stimmen mit ihnen andere, allerdings auch späte Auto-
ren überein V AulTallend genug, dass erst in so späten Nach-
richten die Familie Priams eingeführt wird. Aber diese Ein-
führung war nicht eine Neuerung, welche auf ihre Rechnung
zuschreiben ist, unser Vasenbild führt uns vielmehr an die
reine ungetrübte Quelle, welche durch viele unbekannte Rinn-
sale hindurch erst im späten getrübten Niederschlag er-
halten blieb. Mit dem Epos stimmt unsere Lekythos nicht,
eine freie Erfindung des Vasenmalers ist nicht anzunehmen,
Einfluss der Fragödie ist in dieser Zeit unmöglich, es bleibt
keine andere Quelle als die gleichzeitige damals blühende Ly-
rik. Was Ber^k '^ geahnt hat, wurde besonders durch Robert'
weitergeführt und nun erst beginnt man der I^yrik den von
ihr geübten Einlluss zuzugestehen, liier sei nur an die Be-
deutung erinnert, welche Stesichoros, der ataviTr,; 'OfA7)co'j für
die 'Iliou TTEpT'.; und Orestie besitzt. Auf die Skolienpoesie
wurde das llerakles-lverberos-Bild einer berliner Schale^ zu-
' Vgl. Benndorf a. a. 0. S 255 Aiiin. 1 und Rolterl, Sarkophaj^relicfs II
S. 61 Anm. !.
2 GriocIiisclK! Lilteralurgeschiclile II S. 21)6.
3 Bild und Lird S. 1\ 11'. vgl. Kiildcr in den Athen. Miüh. i8S4 S. 1 (T,
und ü. Jahn, Ahhaudiungon der sächsischen Gescll.schafl VIII S. 707 11".
■' Ilailwi- im Aldi, .lahrhurho IS'.),-; S. lOS.
PRIAMOS BEI ACHILL 175
ruckgefülirl, während die Darstellung der Opferung Polyxenas
auf einer Amphora bei Bourguignon • als durch Ibykos beein-
flussl hingestellt wurde. Dass die neugefundenen Dichtungen
des Bakchylides besonders die bildliche Fassung des Theseus-
mylhos milbedingt haben , kann man wol jetzt schon be-
haupten'^. In unserem Falle können wir bis jetzt nicht einen
bestimmten Namen nennen, denn gerade für die Lyrik fliesst
die Überlieferung ungemein spärlich. Dass aljer die Kämpfe
umTroja in diesem Kreise mit \'orliebe besungen wurden, geht
aus den Titeln hervor, welche uns erhalten blieben. Das iMo-
tiv, die Bitte Priams durch die Mutler, Frau und Schwester
des Gelötelen zu verstärken. big menschlich nahe und der lyri-
sche Dichter wird es sich nicht haben entgehen lassen, den
Hörer zu rühren. Wenn schon das ruhig und behaglich breit
dahinfliessende Epos gerade in den XOrpa mächtig ans Herz
greifende Töne anstimmt, so hat gewiss auch die Lyrik den
dankbaren Vorgang in ihrem Sinne ausgesponnen.
\\'urde nun für unser Lekythosbild die Lyrik als Quelle
wahrscheinlich gemacht, so erklärt sich die Anwesenheit der
Familie Priams bei llektors Lösung auf den genannten Sarko-
phagen anders. Gewiss hat Bobert (Sarkophagreliefs II S. 61)
das Bichtige getroffen, wenn er den Grund dafür 'lediglich
in dem Zusammenschweissen verschiedener N'orlagen sucht '
und annimmt, dass die 'ursprünglich für eine Darstellung der
lliupersis erfundene linke Seitengruppe ohne Weiteres aus
einem anderen Zusammenhang herübergenommen ist'.
Wenden wir uns nun einigen Einzelfragen zu, welche un-
ser Bild anregt, so fällt vor Allem der Blick auf die Zweige,
welche jenseits .\chills sichtbar werden. Sie geben in dieser
Darstellung keinen Sinn, denn die Kline. auf vNelcher Achill
ruht, ist doch sicher nicht im Freien, sondern innerhalb ei-
' Hauser im Arcli. .Ialirl»urli 1893 S. 103: vgl. dagepon Lö.schcke, Athen.
Millh. 181)7 S. 263.
' Vgl. Kenyon, The poems of liacchylides S. 157; doch scheint mir gerade
der von Krnyon consliuirti' Ziisaniinoiihan); mit diM' Fran^oisvase nicht sehr
überzciigi-nd zu sein.
176 L. POLLAK
nes Zeltes zu denken. Aber man kann noch nachweisen, wie
der Maler dazu kam, diese Rinzelheil hier anzubringen. Die
Gestalt des «gelagerten Dionysos mit dem Hankenwerke war
den Malern scdiwarzfiguriger Bilder ungemein geläufig. Halle
der Maler einen gelagerten Achill zu malen, der sich nur wenig
von einem ruhenden Dionysos unterschied, so brachte er schon
aus Gewohniieil auch hier, wiewol an unpassender Stelle, das
Laub an, welches ihm bei letzterem immer vorschwebte'.
Noch ein Zweites verdient besondere Beachtung. Es sind
dies die zwei länglichen Gegenstände, welche von dem Speise-
tischchen herabliängen. Auch in diesem Punkte berührt sich
unser Bild mit dem wiener Skyphos. Bekanntlich hat Benn-
dorl ^ die auf letzterem befindlichen länienartig herunter hän-
genden Speisen als ungesäuertes Fladenbrot erklärt. Seine Er-
klärung hat von einer Seile ^ Widerspruch erfahren. Vielleicht
vermag unsere Lekythos in dieser Frage einen Fortschritt zu
bringen. Es sind nämlich auf unserem Bilde die fraglichen
Gegenstände mit einem breiten weissen Längsstreifen versehen.
Was für einen Sinn hätte dieses Weiss, wenn wir eine Wie-
dergabe von Brot annehmen, welches noch dazu in absonder-
lich gezackter Form dargestellt wäre? Viel näher liegt der
Gedanke, dass wie Brygos auf dem wiener Skyphos durch
dunkle Streifen blutige Fleischstücke, unser Vasenmaler mit
der weissen Deckfarbe Feit ^ wiedergeben wollte und sich
nicht anders helfen konnte, als dass er seiner Technik gemäss
einen Teil mit Weiss deckte.
In gleicherweise werden auch die weiss und rotbraun ge-
malten Gegenstände zu erklären sein, welche im Bilde einer
schwarzfigurigen Amphora in Neapel (3358) ^ auf einem üpfer-
' Älmlicli crklüicii sicli, und zwar aus Contaiiiinalion, die WalTeii l)ciin
trauernden Achill der korintliisclienChytra, Arcli. Jahrbiicli 1892 Taf. I S.27.
2 Eranos VinUuhonensis S. 373.
3 Liiwy in liüm. MiUheilungen 1894 S. 98.
* Vgl. I. Müllers Haiidlnich 2 IV 1, 2 S. 121.
s Liihtjert in den Annali delV Istiiulu 1865 Tat. f' S. 83 (r. = Schreiber,
Kullurlii.storisclier Bilderatlas Taf. '20, 3.
PniAMOS BEI ACHILL '""^
tische und in dor Hand des Libirenden figuriren. und von
besonderer Wichtigkeit ist das l^liineusbild der Ilydria bei
Slackelberg, Gräber der Hellenen Taf. 38, auf dem die nach
links eilenden Harpyien nach Flasch (Arch. Zeitung 1880 S.
140), lange Fetzen, wol Fleischstücke halten, während das
Brot auf dem Tische vor Phineus ganz entschieden rund ist. in
zwei weiteren Phineusdarstellungen auf den londoner Vasen E
291 und 302, Arch. Zeitung 1880 Taf. 12, 1.2 hat Walters
im Catalogue of the Greek and Etruscati vases iil auf
dem Speisetischchen ' piirple nieat and flowers' erkannt. Ei-
nen weiteren Beleg für die Richtigkeit der hier ausgesproche-
nen Ansicht bietet das Bild einer schwarzfigurigen, ziemlich
sorgfältig ausgeführten Oinochoe, die ich bei einem römi-
schen Antiquar im Jahre 1896 sah und im Folgenden be-
schreibe. Ein bärtiger bekränzter, nach rechts stehender
Mann mit weissem Schurze um die Lenden hält mit der Lin-
ken eine auf einer säulenähnlichen niedrigen Basis liegende
Schweinskeule, welche mit beiden Händen ein ihm gegenüber
stehender Jüngling ergriffen hat. Der ältere Mann schwingt
mit der Rechten das lange Messer und ist im Begriffe auf die
Keule einzuhauen, unter der eine grosse Amphora mit Stan-
genhenkeln steht. Hinter dem Fleischstocke steht ein Tischchen
mit drei herabhängenden zackigen Stücken, welche in der Mitte
je eine von oben nach unten laufende geritzte Linie zeigen,
also durch den Zusammenhang evident als Fleischstücke cha-
rakterisirt sind. Die Scene spielt im Freien, \vie ein jenseits
des Tischchens sich erhebender Baum, an dem die zweite
Keule hängt, lehrt. Die Bekränzung des bärtigen Mannes legt
den Gedanken nahe, dass uns hier vielleicht ein Ausschnitt
aus dem l^ilde eines feierlichen Males oder Opfers geboten
wird, wie wir ihm z. B. im Friese von Gjölbaschi ' begegnen.
Rom, im Februar 1898.
LUDWIG POLLAK,
' Benndorf, Ilcroon von Gjölbaschi -Trysa Taf. Ili .^. 167 f.
DIE FLÜSSE VON LAODICEA.
I.ykos, Kadmos, Kapros, Eleinos und Asopos.
Wie sch\vieri<i; es ist, auf kleinasiatiscliem Boden in geo-
graphischen und topographischen Fragen zu allseitiger Über-
einstimmung zu gelangen, beweist aufs neue der kürzlich er-
schienene 11. Teil der Cities and bishop?'ics of Phrj/^ia
von Professor Ramsay. Bis jetzt hatte man für das Lykosthal
im allgemeinen folgende Gleichsetzungen angenommen : Ly-
kos = Tschuruk-su ; Kadinos= Gök - bunar- su ; Kapros
= Baschli -tschai ; Asopos= Gümüsch -ischa'i ; der Elei-
nos blieb unbestimmt. Nach Hamsays neuester Ansicht muss
der Gök-bunar-su Kapros heissen, folglich die Stadt bis
an den Ak-kan reichen, der Kadmos und der Eleinos aber
weiter im Osten gesucht werden. Diesen Aufstellungen möchte
ich einige Bemerkungen gegenüber stellen'.
Es mögen gleich hier die drei wichtigsten Zeugnisse folgen,
die auf diese Frage Bezug haben.
1) Herodot Vli 30: ... eTCtx.STO ic, KoAOcax; TTÖAtv aeyaXviv
<I>p'jyt7i;, £v TY) AuKO; TiozcL^hc, £<; yxrs^oL yvi; err^äX^wv ä<pavi^£Ta.i*
ETTEiTa oix (Txaotwv (!)(; Trevxe j/.ä'XtOiTä •/.r\ ävatpatvöu.svo; e/Cf^iooi y.ai
ouTO? ei? tÖv MatavSpov.
2) Strabo XII 578: 'EvxaOOa ^e x-xl o KäTrpo; Kxi 6 Au/to«; <tu(x-
oi^Xei T(i> MaiävSpti) tzotxu.&, •nroxau.oi; eOu.eyeOT)!; äcp'oü xai r, Tzpot;
TÖ AOxw Aao^iiteia XeyeTat. "T7:£px.£tTat Sk tt,; -Kolifüi opo; KaSixo;,
6^ 00 xai 6 Aox.o; pei xai aA>.Oi; ou.wvjuloi; tw öpet. Tö tt^eov ö oü-
TO; 6-6 yr,; p'j£i; , Etr' ävaxotj/ai; «tuvettetev ei^ xauTO TOt? aXXoi^
TCOTaiAOi;, £{x(paiv(i)v «aa t6 ro^üxpiOTOv x-/;«; ^(^wpai; xat xö £u-
OglffTOV.
' Zu vgl. isl dazu uioine Karle der Gegend iui .lalnhiicli dos arcli. In-
sliluts XIII, 1898, Taf. 3.
DIE FLUESSE VON LAODICEA 179
3j Plin. H. N. V, 29. H : Im/jos/fa Lnodicea est Lyco
fliimini latera adluentibus Asopo et Capro.
Treten wir zuerst an die Lykosfrage heran ; es hat kaunn ein
anderer Fluss Ramsay so viel beschäftigt. In den Athen. Mit-
iheilungen 1891 S. 194 habe ich das angebliche \'ersch\vin-
den des Lykos hei Kolossai beschrieben und glaubte den
Schluss ziehen zu müssen, dass ein eigentliches Verschwinden
niemals Statt gefunden hat. Wiederholte Besuche der Stelle
haben mich in dieser .Vnsicht nur bestärkt; es bleibt wol nichts
übrig als die Annahme, dass Herodot eine Volkssage, die er
von phrygischen Handelsleuten in Milet erfahren, wiedergiebt.
Den Lauf des Lykos durch die enge, tiefe und wilde Schlucht
hat der Volkswitz zu einem unterirdischen gesteigert. Professor
Ramsay bespricht wiederholt alle Möglichkeiten (Church in
the Rom. Empire S.4 76; Cilies and bishoprics of Phnj-
gia I S. 210), um flerodots Aussage und die Legende des
Erzengels Michael zu rettpn. kommt aber zu dem Schluss,
t/iat there in no probabi/ity t/tat the Lycos ever durin<^
any historical period fJowed throu<^Ii an Underground
chasm five stadia long in this pari of its course. Trotz-
dem will er die Thatsache nicht ganz annehmen. 'This State-
ment, hoivever, docs not iniplij tliat the stream ans al-
ways open to view. It is still in some places half con-
cealed from view, as M^ W. says, and so we niust ad mit
the possibility t/iat incrustations from the streams that
join it, both on north and south, may have at a former
period completely overarched it for a little way' . Er
beruft sich dafür auf 'a scientific training as a practical
geologist in a ivifness '. Es fragt sich nun. ob ein prakti-
scher Geologe allein im Stande ist . zwischen modernen
Tropfsteinbildungen, wie man sie an der Südwand des obern
Eingangs der Schlucht sieht, und den gewachsenen Kalk-
steinschichten in der Mitte, unter welchen sich das Wasser
einen kurzen Durchgang gegraben, zu untersclieiden. Jene
Tr()[)fstninbilliing(':) sianimen übrigens von Bewässerungs-
kanälen her, die vom grossen Kanal bei Ilonas abgeleitet wer-
180 G. WEBER
den. An der Nordseite befinden sicli solche Ablagerungen nicht.
Dass übrigens Ramsay diesem Argument ad hominem
wenio; Wert beilegt, beweist eine andre Theorie. die er vorträgt.
Auf Strabos Angabe gestützt meint er: This can onlij mean
thnt the Lycos flows for more than 20 niiles Under-
ground, thcn appears above f^round (bei Kodja - hasch ),
and fjoivs tonrirds the Kadmos and the Maeander. ...the
real source of the Lycos is in the lakc of Anava ( Cities
and bishoprics I S. 210). Er setzt dann hinzu: Now there
are united in Herodotus's account two poi/tts, \) {\'it/iin
the very city of Colossai, the Lycos enters a deep cleft
in the ground, 2) the Lycos issues from an Underground
Channel and flows to the Maeander . Each point is true
and each is stated by the e?je-iritness, Strabo; it is only
the Union of the two by Herodotus that is incorrect. This
is characteristic of the faithful repeater of evidence at
secondhand. Wie verhalten sich nun diese [Behauptungen den
Thalsachen gegenüber?
Der Adji-tus-göl (See von Anava), wie der Tus-tschölü
auf dem lykaonischen Plateau, ist ein echter seichter Salz-
see, dessen Wasser im Sommer verdunstet und die dicke Salz-
kruste zurücklässt. Hamilton (I S. 508) hat das richtig be-
merkt; meine eigenen Beobachtungen stimmen mit ihm über-
ein. Bei Appa bin ich im August 2 Kilometer weit auf dieser
Salzkruste zu Fuss auf dem See vorgedrungen'; nirgends war
Wasser zu sehen; nichts als die harte, glitzernde Salzfläche
fiel ins Auge. Die frischen Spuren von Eselhufen, vom gegen-
überliegenden Ufer kommend, haben mir bewiesen, dass zu
dieser Jahreszeit der See, wenigstens an dieser Stelle, trocke-
nen Kusses zu überschreiten ist. Darf man nun annehmen,
dass er einen unterirdischen Ablauf habe? In diesem Falle
hätte sich doch nie eine Salzkruste auf der ganzen Ober-
fläche bilden können. Zweitens hätte der See in der Sommer-
' Ziivoyävrj?, aÜYYpajJ-lJ-a Twcpiooixov xoü oüXXoyou twv Mupaataiwv « 'AvaxoX^t »
I 8 1i)2.
DIE FLUESSE VON LAODICEA t«l
zeit niclit Wasser genug um die reichen Quellen bei Koclja-
bascli zu speisen Ja nocli mehr, diese Quellen sind gar nicht
salzig, wie es Hamsay selbst zugeben muss. Wo wäre dann das
Salz geblieben? Die Lösung dieses geologischen Rätsels bleibt
man uns schuldig.
Strabo (XII 58Ü) sagt von diesem See: r, ^e u-sTa^o AaoSt-
pxv v/v. TCeAxyix o'jTx. Dieser unangenehme Geruch fällt dem
Reisenden heute wie im ersten Jahrhundert auf; ist es nicht
bezeichnend, dass Strabo, der die Gegend bereist hatte, nichts
von irgend einer Verbindung zwischen diesem See und d(!n
Quellen des l^ykos ( Kodja- hasch ) anführt, da er doch ganz
genau diejenige der Quellen des Marsyas und des Mäanders
mit dem See Aulokrene ano;iebt? Hingegen sagt er iianz he-
stimmt: 'Y-ip-KsixoLi Sk zin^ tcöXew? (Laodicea) 000; Ka^u.o? , e;
ou x.ai 6 A'jx.o; pei.
Drittens endlich würden die 90 englischen iMeilen unter-
irdischen Laufes, die Ramsay dem Lykos zuweisen möchte,
nicht mit der Angabe Strabos tö 7r).eov S' oOto; O-ö yr,; p'jd^
(im Falle sie sich auf den Lykos bezieht, was nicht bewiesen
ist) übereinstimmen; die Entfernung zwischen dem See von
Anava und den Quellen bei Kodja- hasch ist nur 17 engli-
sche Meilen; dagegen beträgt diejenige von diesen Quellen bis
zum Mäander über 20 Meilen. Da wäre es doch kaum möglich
zu behaupten, dass der Lauf des Lykos zum grössten Teil un-
terirdisch sei.
Nachdem wir gesehen, wie Ramsay sich alle erdenkliche
Mühe gibt, llerodols Aussage sich zurecht zu legen, gehen wir zu
Strabo über, den er stets, und mit Recht, als Augenzeugen an-
führt: anz/t/ting Strabo stajs i's clcar (uul (nie to t/tc fdcts
of t/ic prcscnl day . Nichts ist zutretTender als dieser Salz;
allein es hängt alles von der Art und Weise ab, wie man den
alten Geographen zu verstehen hat. Liest man den Anfangs
stehenden Paragraphen Strabos durch, so ergibt sieh, dass er
vom Lykos zwei Thatsachen feststellt: 1) der Lykos, ein be-
trächtlicher Fluss. gibt der Sladt Laodicea ihren bezeichnenden
ist G. WEBER
Beinamen und '?) er hat seine Quelle am Fusse des Kadmos;
weiter nielils. Strabo spricht dann von einem andern Plusse,
der demselben Berge entspringt und dessen Namen trägt, und
setzt hinzu: t6 -A£ov ö o'jto: üttÖ yf.c; Ö'jsi;, eit' ävaxü^j/a? (tov£7C6-
cev il; TaÖTo Toi; xWok; TuoTxy.oii;. In diesem Satz liegt der
Kernpunkt der ganzen Frage; bezieht ersieh auf den Lykos
oder auf den Kadmos?
Arundell ( Dtscoverics in Asia Minor S. 171 ) erwähnt, dass
Strabos Kxegeten den fraglichen Satz auf den Lykos bezichen.
AmedeeTardieu in seiner französischen Übersetzung teilt diese
Ansicht; allein ist sie gerechtfertigt? Weder Arundell noch
A. n. Smith {Journal of Hellenic studies 1887 S. 224)
konnten es annehmen. Angesichts des wirklichen Verschwin-
dens des Gök-bunar-su nahe bei seiner Quelle haben diese
Reisenden Strabos Satz einfach — und nach den Gesetzen der
Grammatik — auf den Fluss Kadmos bezogen. Die Exeueten,
die den Duden des Gök-bunar nicht kannten' und von Ilero-
dots Angabe beeinflusst waren , haben ihn anders ausgelegt
und sogar behauptet, dass die Erwähnung des Kadmos eine
Copislenglosse wäre. Diesen Einfluss,den eine anerkannte Au-
torität auf spätere Schriftsteller ausübt, erkennt man sogar an
dieser Stelle. Strabo, der Kolossai ganz sicher besucht und eben
keine Spur vom Verschwinden des Lykos bemerkt hatte, be-
gnügt sich anstatt Herodot direkt zu widersprechen ihn still-
schweigend zu widerlegen, indem er vom Lykos nur die zwei
anü;eführten Thalsachen berichtet, dai]fe";en das wirkliche Ver-
schwinden des Kadmos desto bestimmter hervorhebt. Nur
ist zu bemerken, dass auch er zu weit geht. Der unterirdische
Lauf des Kadmos ist kurz (etwa lOU Meter); aber die Sache
erklärt sich leicht. Strabo hat wahrscheinlich weder die Quelle
von Gök-bunar besucht noch den engen und liefen Lauf des
Flusses bis Ak- kan gesehen. An diesem Punkte, wo die grosse
Strasse nach Osten vorbeiführt, hat er den Kadmos aus einer
' Arundell ist, su viel icli weiss, der erste, der itiu erwähnt.
DIE FLUESSE VON LAODICEA l83
wilden Schlucht hervorbrechen sehen ; es war Cur ihn die
Stelle 6'!t' iv3C)C'r]/a; U. S. W.
Aus den oben angeführten Stellen Ramsays geht klar hervor,
dass er den besagten Satz Strabos auf den Lykos beziebt; seine
ganze Theorie über diesen Fluss beruht auf dieser Interpre-
tation. Doch liest man in seinen Antiq. of South. Phry^^ia
S. 5: the Kadnios, Gok- Biinar- Su, was recognized both
by Arwidell and by Hamilton ; the remarks of A. H.
Smith (Hell. Stud. 1887 p. 22k) seem to me correct.
Diese fiemerkungen aber sind diejenigen Arundells. nämlich,
dass der betrelTende Satz Strabos sich nicht auf den Lykos
sondern auf den Kadmos beziehe. In Cities and bishoprics
l,'2 S. 785, bei Gelegenheit seiner neuesten Bestimmung der
Flüsse von Laodicea, spricht ersieh in diesem Punkt noch
bestimmter aus: My identißcation of the Laodicean rivers
depended on two fundamental assumptions: \) that the
Kadmos has been rightly identißed by Arundell, Hamil-
ton and A. H Smith, with Gcuk-Bunar- Sa (the reason
being that Strabo describes a Duden in tlie former, and
there is a Duden in the latter ■. 2) that Pliny's account
may be set aside as inexact. Auf der näcbsten Seile sagt er
weiter: Geuk -Bunar- Su must be the Kapros. If this be
so, the Kadmos must be not Geuk - Bunar -Su, but one
oj the other streams which flow out of Mt Kadmos ; and
if a Duden could be found on one of them, the case
would be complete.
Also ganz das Gegenteil von dem. was er oben annahm;
denn dass Strabos Satz tö x^eov V oöto; u. s w. sich gleich-
zeilig auf den Kadmos und den Lykos bezieben kann, wird
doch Niemandem einfallen. Folglicb ist doch zuzugeben, dass
alle Schlussfolgorungen. die auf diesem Widerspruch fussen,
mit der grössten Vorsiclit zu behandeln sind.
Mit Arundell und A. II. Smith habe ich bis hieher die Gleich
Stellung des Gök-bunar-su mit dem Kadmos vorausgesetzt.
Aber ehe ich das hier beij;rimde. muss ich die Fraij:e nach dem
Kapros erörtern. Bekanntlich hatte Ramsay seit Jahren den
l84 G. WEBEA
Rapros nach Saraköi versetzt, gestützt auf Strabos Text, be-
sonders aber auf seine Erklärung einer Münze von Laodicea '
die eine Frau darstellt zwischen einem Wolf, AYKOC, und
einem Eber, KATTPOC ''. Diese beiden Namen sollten nun
nach ihm die Grenzen des Weichbildes der Stadt bezeichnen,
eine ziemlich moderne Idee, die wenig mit dem sakralen Cha-
rakter der antiken Münzen in Einklang steht. Jetzt gibt Ram-
say diese Gleichstellung auf. In n ivcll- weighed review of
Part /, in Berl. Philol. ^\och. 1896 p. 4ö5, D' Partsc/i
objects to niy npportioning of the river nanies ; and I
think he has groiind for his objection ( I, '2 S. 785). Allein
anstatt seinem Rezensenten nach den Angaben des Plinius in der
Gleichstellung des Baschli- tschai mit dem Kapros zu folgen,
verlegt er diesen Namen auf den Gök - bunar- su, unter dem
Vorvvande, der Baschli-tschai is a poor streani, and, more-
over the city clearly extended far beyond the narrow li'
mits of the walls .... Finally, Bashii - Tchai is a niere
branch of Geuk-Bunar-Su, and does not riin direct into
the Lycos. Sind diese weittragenden Behauptungen nicht
auffallend, wenn der Verfasser selbst wiederholt betont, / never
devoted any tinie to thorough exploration of the Valley,
considering its topography to be settled. In fact there are
many districts of Phrygia ivhich I knoiv mach better
tlian the Lycos Valley, though I have passcd across the
Valley no less tJian li tinies.
Ramsay gründet seine Beweisführung auf die Worte Stra-
bos: 'EvraGÖoc. Se x,ai 6 Kocxpo? "/cat ö Auxo? (j'ju.6x^)>6i tu Maiscv-
Spcp TZOTXUM, TTOTauö: gOi/eysOr;;" i^p' ou x.ai r; Tvpö; tcö AOxw Axo-
Si)c£ia XeysTai. Der Geograph habe die zwei llauptflüsse (Tschu-
ruk-su und Gök - bunar- su ) als die den eigentlichen Ly-
kos bildenden darstellen wollen. Diese Ansicht, wie die Auf-
fassung der angeführten Münze, trägt eine moderne Färbung,
< Mionnel, Suppl. VII Nr. 460; B. Ilcad, Hisl. Nvm. S. 56G.
2 Kaiiisav übersel/.l KATTPOC, a tjual (Ziegt;). was sclioii Mioiinct ge-
lliaii Ijallt!, 13. iloaii Nagt liflilig KAnPOC=:rt buar (Eber).
DIE FLUESSE VON LAODICEA 185
welche der Text nicht reclitfertigt. Strabo erwähnt einfach den
Kapros*; für ihn ist der Lykos der beträchtliche Fluss. Bei
den Alten war es ja nicht nur die Wassermenge, die den
Flüssen Wichtigkeit verlieh; ihre Nützlichkeit, folglich ihr
sakraler Charakter, spielen eine hervorragende Rolle. Das ist
speziell der Fall mit dem Baschli -tschai. Alle Heisenden, die
Denisli besucht haben, wo die reichen Quellen dieses Flusses
liegen, bewundern die ausserordentliche Üppigkeit, welche sie
den Gärten der Umgegend verleihen. Aus denselben Quellen
wurde auch der grosse Aquädukt gespeist, der die Stadt mit
Wasser versorgte, wie ich es im Jahrbuch des arch. Instituts
XIII S. 1 nachgewiesen habe. Für die Laodiceer war der
Kapros der heilige F'luss xaT' eEo/r.v, dem sie nicht nur den
Reichtum ihrer Landhäuser bei Denisli, sondern überhaupt
die Möglichkeit in ihrer Stadt zu wohnen, verdankten. Die
Sache war so augenfällig, dass Strabo es für unnötig hielt,
sich weiter darauf einzulassen.
Eine Bekräftigung dieser Ansicht geben die Münzen. Der
Lykos und der Kapros in ihrer mannigfaltigen Darstellung
waren das Stadtwappen von Laodicea; der erste, weil er ihr
das bezeichnende Beiwort gab, der zweite wegen des le-
benspendenden Elementes, das er ihr lieferte. Nicht nur die
Münzen weisen dieses Motiv auf, auch die Ornamentik ver-
wandte es an den öffentlichen Gebäuden. Auf der Station
Appa befinden sich zwei reich profilirte Piedestale aus Lao-
dicea, die auf je einer Seite in Hochrelief einen Wolf und ei-
nen Eber tragen. Sollte es daher möglich sein , dass dieser
Name Kapros einem Flusse wie dem Gök-bunar-su zukäme,
der mit der Stadt in keiner wesentlichen Verbindung steht?
Ramsay ist genötigt die Stadt bis an den Ak-kan auszudehnen,
um eine solche Verbintiung herzustellen. Allein hierin wer-
den Kiepert und Partsch das Richtige getroffen haben (Ber-
liner philol. Wochenschrift 1896 S. 465-6).
< Etwas lose, was Rayct in seinem Milel I S. 7 veranlasste, die Worte
xai 6 Kir.po; als eine Copislenglosse anzusehen.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXHI. 13
186 G. WEBEft
Übrigens mi'jclite ich mir erlauben hier zwei wichtige Puniite
der Topograpliie von Laodicea des Nähern zu erörtern, näm-
lich die Strecke vom Baschli -tschai bis zum Ak-kan und
die Ver»n')sserun": der Stadt auf dem Plateau selbst.
Von der Ostecke des AJauerrin";s ^eht die antike Strasse
über das Thal des Baschli - Ischai und wendet sich dann links
am Fusse der nächsten Anhöhen entlang (dieses Plateau liegt
50 Meter h()her als die Station Gondjeli und befindet sich vor
der llügelreihe, welche die Lykos- l^]bene von der von Denisli
trennt)'. Gleich anfangs ist diese antike Strasse. 15'" breit,
noch sehr gut erkennbar, mit Grabanlagen und Sarkophagen
beiderseits auf eine weite Strecke hin cingefasst. Also ein
BcNveis.dass wir hier an dem I^] ingang einer Stadt und nicht
in (leren Mittelpunkt uns befinden. Bis Ak-kan Irifl't man
übrigens keine Spur von öffentlichen oder andern Gebäuden
an. Ebensowenig sind auf dem Plateau oben Buinen oder
Thonscherben zu finden; nichts als feiner Ackerboden ohne
die geringste Spur von Besiedelung. Nur am westlichen Ende
des Plateaus, der Stadt ";eü;en(iber. rasten aus dem Boden die
Fundamentmauern eines grösseren viereckigen Gebäudes her-
vor, wie ich ein ähnliches auf dem Ilüi^el oberhalb des Klär-
bassins des Arpiädukls gefunden habe.
Sollten Einwohner von Laodicea die Notwendigkeit gefühlt
haben die Stadt zu verlassen, so sind sie nach Denisli gezo-
gen , Radets Kaprima', das wol von früher her in zu enger
Verbinduno; mit der Stadt stand und zu grosse V^orteile bot,
um nicht von allen denen vori»;ezoij;en zu werden. die mit Acker-
bau und Schafzucht beschäl'tii't waren.
In Betreff des zweiten Punktes, d.h. der von Strabon (XII
577) erwähnten Verü;rösseruno; der Stadt ist zu bemerken, dass
einer.seits der Zustand der Buincsn, andererseits aber die In-
schriften beweisen, dass sie auf den Stadtliiigel beschränkt
blieb. Eine ältere Bingmauer, deren Überreste noch klar uacii-
' Siehe die genannte Kailen.skizze im Jaiirliiicli XIII Taf. 3.
2 Hevue des universilfs du Midi 1896 S. 20.
DIE FLUESSE VON LAODICEA 187
weisbar sind, teilt die Stadt in zwei Hälften; die höhere, nörd-
liche war die u.'.y.pyL xcÖTspov rjjr;y.. Im ersten Jahrhundert vor
Chr. wurde das niedere Plateau im Süden durch eine neue
Ringmauer in die Stadt hineingezogen. Das Stadion Amphi-
thealron, ausserhalb dieser Mauer liegend, wurde dann im
Jahr 79 nach Chr. {C.I.G. 3935) eingeweiht, das anstossen-
de Gymnasium (?) erst imJaiir 12'i {Cities and bishoprics I, 1
S. 72); unter Domitian {C. I. G. 39 '«9) erbaute der Freige-
lassene Tryphon das Tripylon an der Ostecke der Stadt, wo
heute noch die ßpistylblöcke mit der Inschrift am Boden lie-
gen. Ramsay glaubte, sie gehöre zu dem jetzt noch aufrecht
stehenden Tripylon am Westende der Stadt. Er hat nicht be-
merkt, dass Pococke [Desci^iption of the East 11,2 S.72) den
Baschli-tschai für den Asopos hält und den Rapros auf die
Westseite verlegt. Übrigens sind die auch auf dem Boden
umherliegenden inschriftlosen Epistylblöcke dieses erhaltenen
Tripylons architektonisch verschieden von denen im Osten,
gehören also nicht damit zusammen. 'I'ryphons Tripylon darf
für das von IMiilostratos erwähnte (Vit. Soph. I 25) Syrische
Thor angesehen werden.
Diese Thatsachen beweisen also hinreichend, wie die Ver-
grösserung der Stadt zu verstehen ist. Plinius Aussage im-
posita est Lyco jliimini, latera adlucntibiis Asopo et Ca-
pro kann sich also nur auf den Gümüsch- tschai und den
Baschli-tschai beziehen, wie es Partsch so prägnant ausge-
sprochen hat. Radet^ sagt ebenfalls: Laodice'e est baigne'e
par trois rivieres: e/i facade par le Lycus, sur les ßancs
par t'Asopos et le Capros. Ramsays Einwand , dass der
Baschli-tschai nur ein Nebenlluss des Gök- bunar-su sei,
verliert seine Kraft durch die Thatsache, dass der Zusammen-
lluss erst unteriialb Laodiceas erfolgt; der Kapros , an dieser
Stelle angekommen, hat der Stadt gegenüber seine Schuldig-
keit reichlich geleistet.
' IXevue des universilrs du Midi 189G ö. '20.
188 G. WERER
Es erübrigt noch zu iintersuclien , aus welchen Gründen
der NameKadmos dem Gök-bunar-su zukommt. Der stärkste
von allen dürfte wol sein, dass vom Ak-kan bis an die Ly-
kos- Schlucht oder Station Bödjeli sich kein Wasserlauf
überhaupt vorfindet, dem man diesen Xamen tieben könnte.
Den kleinen, aber ausdauernden Räch von Dereköi bei jener
Station brauchen wir für den Eleinos.
Doch sehen wir Strabos Text näher an : 'Y-TrsoxstTai })i zr,^
tcÖXeco; opo; Kaöu.oi;, i^ ou •/tai 6 Auxo^ pei kolI a^Xo; öpLwvuao? tö
opsi. Tö 7c).60v o' ouTO; uttÖ yy)? pu6i(;, eix' a,vax.'j(];a(; O'jveTre'rev et;
Taürö TOi; a'X>.oi<; TrOTap^oi; lu.'paivwv xux t6 TroXürpTiTOv tt^c /top«;
y.ai TÖ euTEiTTov. Bemerkenswert ist, dass Strabo den ganzen Berg-
stock— Honas-dagh mit Baba-dagh — als Kadmos bezeichnet;
denn nur der Baba-dagh (Salbakos) beherrscht die Stadt. Auf
dem hohen Sattel (1 i>00"') zwisclien beiden Gebirgen entspringt
der Tschukur-su, der erst tiefer unten, nachdem er das reich-
liche Wasser desGök-bunar (Kara-göl) aufgenommen, den
Namen Gök-bunar-su trägt, und ihn, bis zu seiner Mündung
in den Lykos beibehält. Die Quellen des Gök-bunar (öSÖ'"
Meereshöhe) bilden zuerst einen ziemlich grossen Teich, das
Wasser lliesst dann durch drei niedere antike Brücken unter
der Strasse durch über ein gegen Osten vorspringendes Pla-
teau, das auf seiner Ost- und Nordseite von einem etwa 30'°
hohen Ilügelrande begrenzt ist. Nach einem etwa iOO'" langen
Laufan diesem Hände angekommen verliert sich das Wasser
im Boden, um auf der anderen Seite in einer 80 Meter tiefen
Schlucht, der des Tschukui'-su, mit grossem Geräusch wieder
hervorzutreten. Es ist das von Arundell und A. II Smith be-
schriebene •/.Ä.TaSäOpov, von dem auch Strabo gehört halte,
nur dass er ihm, ^vie oben bemerkt, eine viel grössere Länge
zuschreibt.
Am Fusse der Alluvial- Hügel, die dem Kadmos vorlie-
gen, angelangt durchbricht der Fluss sie nicht, sondern biegt
westlich um und folgt iiinen in tiefem Bette bis zum Durch-
bruch von Ak-kan. Dieses zerrissene, höchst malerische
Thal lieisst bei den Türken Bagliirsak-dere (das Eingeweide-
DIE FLUESSE VON LAODICEA 189
Thal). Vom Ak-kan an hat der Gök-bunar-su ein regel-
mässiges , offenes F3ett bis zum Lykos. Als Strabo auf der
antiken Strasse an der Stelle, wo jetzt der seldschukische Kan
steht, ankam, sah er den Kadmos aus der wilden Schlucht
hervorbrechen (eW h>y.yyyliy.;): an dieser Stelle hat er allerdings
den grössten Teil seines Laufes, etwa IS^*", hinter sich; bis
zum Lykos sind es nur noch 3""" in der Luftlinie.
Strabo sagt dann weiter: cr'jvE-eacv ^ st? tx-jto rot; xXkmq tco-
TajjLoi?. Das heisst : er fällt zusammen, er vereinigt sich mit
den andern Flüssen. Ein Blick auf die Karte in dem Jahr-
buch des arch. Instituts XIII Taf. 3 zeigt, wie buchstäblich
genau sich der heutige Sachbestand mit dieser Angabe deckt.
Der Kadmos nahm zuerst den Kapros auf, weiterhin wahr-
scheinlich ebenfalls den Asopos und vereinigte sich dann ober-
halb der antiken Brücke mit dem Lykos. Selbstverständlich
beruht diese Auseinandersetzung auf Arundells Erklärung
der besagten Stelle Strabos; bezieht man den Satz t6 tvXsov S'
ouTo? u. s. w. auf den Lykos, so ist der Schwierigkeiten kein
Ende, wie wir gesehen.
Die antike Brücke habe ich durch einen glücklichen Zufall
c
im Sommer 1897 entdeckt. Sie beweist, dass der Lykos hier
sein Bett verändert hat. Sie bestand aus drei Bogen; der mitt-
lere allein steht noch aufrecht und zwar nur noch das Ton-
nengewölbe; von den zwei andern ist alles bis auf die niedern
Pfeiler abgetragen. Das Material sind grosse Kalksteinblöcke,
schlicht zurechtgehauen und ohne Kalk verbunden. Die Ge-
wölbespannungen sind 4,65; 5,50; 4,80'"; die Front der Pfei-
ler ist 3'" stark; die Breite der Brücke war 7,10'", ihre Länge
26,95"'. Sie erinnert an die Technik der grossen Brücke über
den Asopos in Laodicea , mit der sie wol gleichzeitig ist.
Demnach ging die alte Strasse von Laodicea nach Hierapolis
an dieser Stelle über den Lykos; bekanntlich kreuzt der heu-
tige Weg diesen Fluss eine Stunde weiter thalabwärts.
' Dieser Aorist (liiifh» wol cim^ pranimalikalisolic Wendung sein, dureli
die SU'abo fiust? und ävaxJ'la? niolivirt.
190 G. WEBER
Strabo beschliesst seine BeschreibunG; desKadmos mit einer
geologischen Ikmerkung, die auch nur liier zutrolTend ist.
Diese vom Gök-bunar-su durchbrochenen Alluvial-Hügel
haben einen solch eigentümlichen Charakter, dass er allen
Reisenden aufgefallen ist. Tchihatchef [Geologie V, 3, 159)
sagt von ihnen : Lcs coUines qui flanquent Ic Baba-Dagh
sont coniposees soit de marnes blanchcs incohcrentes oii
compactes feuilletees , soit de conglome'rat ou breche tres
solide, soit enßn de gres j'aunätre, friable , tombant eti
poussiere sous le marteau. Also ganz genau das, was Strabo
mit dem Ausdruck xoXuxp'/iTov ausspricht. Ramsay übersetztes
mit Recht mit porous. Ein solches Terrain ist selbstverständ-
lich den schlimmen Folgen der Erdbeben mehr ausgesetzt als
irgend ein anderes.
Alle diese Betrachtungen erweisen einerseits, mit welcher
Sorgfalt Strabo die Umgegend von Laodicea beschrieben, an-
dererseits wie sein Text mit dem heutigen Sachverhalt in
vollem Einklang steht.
Ausser den angeführten Münzen, die unter verschiedenen
Symbolen den Lykos und den Kapros darstellen, gibt es be-
kanntlich von Laodicea eine andere, unter Garacalla geschla-
gene Reihe Münzen, die einen complicirteren Revers auf-
weisen. Nach B. Ilead {Hist. Nuni. S. 556) sind es: R/iea
or Amaltheia, nursing infant Zeus, around are the three
Curetes beating their s/iields ivith their swords, at her feet
are four recunibent river-gods. Diese Beschreibung stimmt
genau mit der Münze, welche Ramsay, Cities and bishoprics
1,2 Taf. 1 zu S. 790 iNr. 3 in Lichtdruck wiedergiebt,wenn auch
seine Beschreibung abweicht (S. 433): Korybantcs dance
round Adrasteia , who runs , with the infant Zeus in
her arnis, between two river-gods {Lykos and. Kapros^
probably ).
Sollten diese vier Flussgötter nicht die vier Flüsse von Lao-
dicea, Lykos, Kapros, Asopos und Kadmos vorgestellt haben?
Die Namen sind zwar nicht beigeschrieben ( wie auf der Münze
von Apameia Ribotos); es bleibt also Vermutung. Sicher aber
DIE FLUESSE VON LAODICEA 191
scheint doch, dass diese vier Flussgötter sicli nur auf Flüsse
in der Nähe der Stailt beziehen können . und es wäre sehr
gewagt, einen von ihnen weiter im Oslen zu suchen, wie es
Ramsay mit dem Kadmos vorschlägt.
Übrigens, wie schon bemerkt, ist es thatsächlich unmöglich
das zu ihun. Votn Ak-kan bis zur Lykos-Schlucht gibt es nur
einen Wa.sserlaut' der in Belracht kommt, den Bach von Uere-
köi ; alle anderen auf den Karten verzeichneten existiren ent-
weder nicht oder sind einfach VVinlerbäche, neun Monate im
Jahr trocken, die bloss das Kegenwasser von der Nordseite der
Alluvial- Hügel dem Lykos zufuhren ; das ist besonders der
Fall bei dem Kaleh-tschai.
Die Inschrift bei Bödjeli -kaiveh ' mit der Ortschaft der
'EXsivoxarCfjiTwv nötigt uns den Fluss "EXeivo«; zwischen demGök-
bunar-su (Kadmos) und dem Lykos zu suchen, und da der
Bach von Dere-köi der einzige in dieser Gegend ist, so kommt
ihm auch dieser antike Name zu. Aber warum heisst diese
Ortschaft 'EXstvoxz-pix und nicht 'EAs-vo/cx^y-ix ? Denn sie kann
doch kaum anderswo gelegen haben als zwischen dem Gök-
bunar-su und dem Bach von Dere-köi. Dieser Einwand wäre
richtig, wenn man in dem Namen Eleinokapria einen ganz
bestimmten geographischen Ausdruck sehen wollte, der die
Grenzen des 'Jrtes ani:;ibt. Allein dessen Einwohner konnten
ebensowol ihre Abhänü;ii'keit von Laodicea dadurch bezeichnen
wollen, indem sie dessen heiligen Fluss (Kapros) in ihren
Ortsnamen aufnahmen.
Die genaue Lage dieser Ortschaft ist noch nicht bestimmt
nachzuweisen. Als die Eisenbahn gebaut wurde, sind zwi-
schen Ak-kan und Kaleii-köi auf der Nordseite der Bahn-
linie die sehr geringen Überbleibsel eines antiken Tempels
an das Tageslicht getreten: kanellirte Säulentrommeln, Archi-
trave u. s. vv., allein keine Inschrilten.
Es erübrigt uns noch den Fluss Asopos zu erwähnen;
' L(;B;is-Wad(lingt()ii Nr. IG'J3 a. Ilamsay, CUies and bisitoprics I, 1 S.
77 Nr. II.
192 G. WEBER
allein da er allseitig; mit dem Gümüseli - tscliai gleichi^estellt
wird, so ist eine weitere Besprcciiung unnötig;. Poeocke allein
[Descr. of the East II S. 72) hat die beiden Flüsse ver-
wechselt: To the east tliere is a snuill rivulet that may he
the Asoposjo the ^vest tliere is another sninll streani which
is probabLij the Capros oti which are four large piers of
a bridge. Chandlers falsche Ansetzung der Flüsse von Lao-
dicea ist hier kaum zu erwähnen*. Den Emir-Sultan-tschai^,
einen modernen türkischen Kanal, hielt er für den Lykos und
den Tschuruk - su für den Mäander.
Diese Zeilen waren geschrieben, als mir Herr J. G. G. An-
derson freundlichst seine interessante Arbeit A Summer in
Phrygia I zukommen liess-^. Fr bespricht darin auch die
vexed question of the Laodiceian rivers. Mit vollem Recht
hebt er hervor, dass the ßrst essential iti any scientific
discussioti of this question is evidently to know the course
of the various streanis or to have a correct map to show
it. Fr gibt auch eine Karte of the District of Laodiceia,
based on the Railway Survey. Da sie in kleinerem Masstabe
als die meinio;e im Jahrbuch des arch. Instituts XIII Taf. 3
"D"
ausj^efülirt ist, so umfasst sie ein weiteres Gebiet: im Osten
"r>
bis Kisil- kaklik, im Süden bis Themisonion; sie bietet also
eine erwünschte Ergänzung.
Mit Freude habe ich bemerkt, dass unsere Ansichten in man-
chen Punkten übereinstimmen: 1) in der Gleichstellung des
Dere-köi-Baches mit dem F le i nos, "l) in der AutVassung der
Bäche zwischen Gök-bunar-su und der Lykos-Schluclit, be-
sonders aber 3) in der Feststellung des Syrischen Thores an
der Ostecke des Mauerringes der Stadt Laodicea : The stones
* Travels in Asia Minor S. 284.
2 Siehe die Kartenskizze im Jahrhuch des arcli. Instituts XIII Taf. 3.
•^ Aus dem Journal of IJcllcnic .üuUics XVII >S. 3'J6.
DIE FLUESSE VON LAODICEA 193
(mit der Inschrift C.I. G. 8949) nnw lie at the soiith -east
extremity of the ruins beside t/ie Bash Buriar Tchai ' .
It is possible, therefore, that they belonged to the Sjjrian
Gateway, bat they cannot have beert part of the Epheslan
gate, as Prof. Ramsay supposes. Den Grund imben wir
oben angegeben. Allein in der Hauptfrage, der nach den Flüssen
Lykos, Kapros und Kadinos, verteidigt 11. Anderson die An-
sichten Hamsays und so behalten meine Gegenbemerkungen
ihren selbständigen Wert.
Den auffallenden Widerspruch des letzteren in der An-
nahme eines Duden (y.xTzgoOpov) am Lykos und am Ivadmos
beseitigt er einfach mit den Worten: it is apparently a slip
that leads hini {Ramsay) oti pp. 36 and 786 to accept
the other opinion, that there was a duden an the Kad-
mos. Beide Gelehrten stimmen darin iiberein , dass Stra-
bos Satz TO ttXsov S' outo? 'j-ö -(t^z ö'jsi: sich auf den Lykos
beziehe. Allein, wie oben bemerkt, wo ist dieser lange unter-
irdische Lauf des Tschukur-su nachzuweisen? Denn ihn aus
dem Adji-tus-göl unterirdisch kommen zu lassen geht, wie
wir gesehen, nicht an. Übrigens ist hier noch zu bemerken,
dass wenn ein Fluss iro-endwo in seinem Lauf verschwinden
soll, er doch vorher einen sichtbaren Anfang gehabt haben
muss. Der Adji-tus-göl hat aber nirgends einen Ablauf.
Also passt Strabos Beschreibung nicht auf den Tschukur-su.
Die Ansicht, dass Strabos Worte sich auf den Gök-bunar-
su beziehen könnten , sucht Anderson dadurch zu widerle-
gen, dass er sagt: the river does not disappear, the duden
is a separate phenomenon on the left bank. Es Hesse sich
darüber streiten, wenn der Tschukur-su das Hauptwasser
wäre. Allein das ist eben nicht der Fall. Im Sommer würde
der kleine Bach, der hoch oben vom Tschukur herunlertliesst,
niemals das l^ykosthal erreichen. Heule wie im Altertum
ist die eigentliche Quelle des Gök-bunar-su am Kara-göl
• Anderson nennt so den Basclili-tsclia'i.
194 G. WEBER
(wie ihn Kiepert nennt) zu suchen; in allen Jahreszeiten hat
diese reichlieii \> asser. Des Kluss hat von der (^)üelle an
einen Lauf von über 400 Metern, verscliwindet im x.xxäßoQpov
und fliesst dann im tiefen Tiial, wie wir oben gesehen. Die
Schlucht (iiniit ubrit;ens erst bei dieser Quelle an, nicht oben
in der Tschukur-ova. Ebenso sei hier noch einmal bemerkt,
dass der Gök-bunar-su diesen Namen bis an seine iMündung
in den Lykos beibehält. Emir- Sultan-tschai heisst der heim
Ak-kan abareleitete moderne Bewiisseruno;s- Kanal, der alle
Dörfer bis nach Schamli mit dem nötii!;en Wasser versorgt.
In Bezug auf den Kapros folgt Anderson den Ansichten
Ramsays. Strabo habe die beiden Flüsse Lykos und Kapros
als die Hauptflüsse {tlie c/iief rivers] angesehen; also ist
Gök-bunar-su der Kapros. Ohne auf die oben angeführten
Einwendungen zurückzukommen ist hier in Bezuü; auf die
Ausdehnung der Stadt bis an den Ak-kan folgender Beweis-
grund der beiden Gelehrten (S. 406) herauszuheben: Re-
mains can be traced nearly up to the Geuk Bunar water:
perliaps these are onh/ relici of the tombs lining the ^reat
road to the east, but it is not impossible that theij repre-
sent buildings. Ob er überzeugend wirkt, ist doch fraglich.
Dem Baschli- tschai oder Basch - bunar- tscha'i wird alles
Existenzrecht abgesprochen. // is a tnerc insignipcant brook,
wit/i no claiin to be called a river. Wollte man diesen Satz
gelten lassen, so hätte mancher Fluss in der griechischen Welt
kein Anrecht auf diese Bennenung. Übrigens hat der Baschli-
tschai Wasser das c;anze Jahr durch und bei der Stadt fliesst
er in einem ganz bestimmten, tiefen Tal. das niemals in das
Stadtgebiet einbegriffen war. Unter anderem wirft Ander-
son auch die Frage auf: Moreover, how can the advocates
of this View ( Kapros = Baschli -tschai j explain the coin
representing, in the usnal way , the chief rivers of the
city, K A TT P O C and A Y K O C ? Why is it that the Kapros
is always named alongside of the Lykos as the other
chief river of Laodiceia [e. g. this coin, Strabo, Cinna-
mus, and the terni Acxoxd.tpoc)? Die Antwort dürfte nicht
DIE FLUESSE VON LAODICEA 195
SO schwierig sein. Dass Strabo den Kapros nicht notwendiger
Weise als einen wasserreichen i-'luss darstellen wollte, haben
wir oben gesehen. Wenn dessen Name aber immer ange-
führt wird, so geschah dies 1) wegen seiner Wichtigkeit
für die Ansiedelung bei Denisli, 2) für die W^asserversorgung
der Stadt selbst durch den grossen Aquädukt, 3) wegen der
bestimmten Abgrenzung, die er im Süden der Stadt gab. Das
dürften einige der Ursachen' sein, die ihm such special
prominence gegeben haben, und nicht dem Asopos, wie
Anderson meint (S. 405). Dieser Fluss , viel grösser als
der Baschli- tschai , wie sein breites Bett bezeugt, und im
Winter besonders stark, floss eben nutzlos für die Stadt da-
hin; deshalb ein weiterer Beweis, dass Strabo nicht allein die
Menge des W'^assers im Auge hatte, als er die Flüsse Laodi-
ceas beschrieb, sonst hätte er den Asopos kaum übergehen
können ; denn die lange, hohe römische Brücke, die über ihn
führt, bezeichnet den Fluss doch hinlänglich.
Schliesslich sieht H. Anderson sich gezwungen, den Fluss
Kadmos mit dem Bach bei Kolossai zu identiüciren. The
Kadnios is probabli/ the river thatcomes (Unvn front hho-
nas, joitiing the Lycos at Colossae. Dann folgt Hamiltons
Beschreibung dieses Wassers. Als Beweisgrund wird ange-
führt, dass Strabos Salz to -Xeov S' o-Lto; u. s.w. sich auf den
Lykos beziehe. Man sieht, the question is still a vexed one.
Smyrna, Mai 1898.
G. WEBER.
' Iladcl, Revue des universiUs du Midi 1896 S. 21.
DIE STRABON-SCHOLIEN DES CYRIAKUS VON ANKONA
Im Jahre 1 'i47 verweilte Cyriakus bis zum ^5 Jan. in Con-
stantinopel und zwar, wie er selbst in einem Briefe von dort
sagt (angeführt bei De Rossi), codicis Strabonis Gracco a U-
brario excipiendi potissimum causa detentus. Diese Hand-
schrift glaubte Giov. Batt. de Rossi [Inscr. Christ. MS. 366)
wiederzuerkennen in dem Cod. Laur. XXVIli,15 des Strabo,
welcher Strabo Lib. XI -XVII enthält und zu Lib. XIII S.
622 am Rande des fol. 1 16 die Bemerkung hat : Kup'.xy.ö? ^'syä)
a'jxö? (xsxa^ü {Ji'jpivyii; y,x\ x.'Jay); si; xk to'j aüroO 'ATuöX'Xcrivo; Upoö
IpeiTirta ^v rtö uTrox,st|/,£vo) ^iOwt -zric, ttuXti; aey^'^TOic /.a; x.oc'X'Xi'Jtoi?
Ypaaaaai 7:a>,aior; toSs STriypaaaa supov APOAAQNl XPH
ZTHPini I 0IAETAIPO5:ATTAAOY<C. /. (?. 3527),
die nach der Meinung von Rossi und Kramer von der eigenen
Hand des Cyriakus herrührt ^
Doch übersah Rossi dabei die sonstigen Nachrichten, die uns
über ähnliche Strabon - Scholien des Cyriakus erhalten sind.
Sie führen erheblich weiter.
Es sind zwei scheinbar völlig von einander getrennte Über-
lieferungen.
I. Der hamburger Rechtsgelehrte Lucas Langermann (1625-
1686 vgl. C. I. L. IX S. xLviii), welcher ein lebhaftes In-
teresse für griechische und römische Inschriften besass, sah
apiid PatrtcLuni Juniuni einen Strabon -(^.odox mit griechi-
schen Scholien des Cyriakus und erhielt die l^rlaubniss, sich
daraus Excerple zu machen. Er teilte aus dieser Quelle dem
' Dieselbe Bemerkung, aber iiicbt, wie Rossi sagt, eadcm scholia stellt
auch im Cod. Par. 1.394 und veinihrte Villel)iiin zu der Meiuunu, die ganze
Ilandschrifl sei von C\Tial<Ms selbst gescbiieben (s. sein(! Beschreibung des
Qpdex bei Slrabo ed. ralconer praef.).
blE StRABON-SCHOLIEN DES CYRIAKUS VON ANKONA 19t
Reinesius die Inschriften mit, welche dieser veröffentlichte in
seinem Syntagma, und zwar:
I 241 S. 223. Delphis vidit Cyriacus Anconitanus: 0£oi?
iizl 'Ap'.ijTxvopa (6". /. G. 1694) e scholiis ejus ad Strabonem
Graecis manuscriptis excerpsit L. Lang.
I 242 S. 224. In templi Apollinis (juod inter Cumam et
Myrinam in Aeolide porla maxima lapia inscriptus visus a
Cyr. Anc. 'AT:6\lbisi xpi^TT. e scholiis ejusdem Cyr, descripsit
idem Lang. {C L (?."3527>.
I 243 S. 225. In oppidi Boeotiae Lebadiae diruto templo
vidit descripsit idem Cyr. "Hpa Ba-j^iSt. {C. LG. Sept. I 3097)
excerpsit e scholiis ejus in Strabonem idem Lang.
iil 85 S. 335. Hepertum Athenis e Cyr. Anc. scholiis ms.
ad Strabonem (^C.I.A. III 481) excerpsit concedente Patricio
Junio domino codicis Lucas Lang. JC.
111 86 S. 335. Ex iisdem scholiis mscr. excepit Langerm.
{C.I.G. 1323).
III 87 S. 336. In insula Calaurea quae jacet ante portam
Troecenis in sinu Argolico, vidit dictus modo Cyr. (C. 1. G.
1188) descripsit e schol. ad Strab. L. Langerm.
V 52 S. 386 (C. /. G. 1297 Z. 1-3). 'in arce Messeniae
Ithome vidit Cyr. Anc. Scholiastes Graecus Strabonis, e co-
dice exe. Lang.
VI 120 S. 457. Ex scholiis Cyr. ad Strabon. excerps. Lang.
<C. /. G. 1389).
VI 121 S 458. <( In oppido Laconico Taenaro» Cyriacus
in scholiis ad Strab. unde excerpsit Langermannus. (C. I. G.
1393).
Zu den Inschriften, die Langermann aus dem Strabon -
Codex des Cyriakus abschrieb , seheint lerner zu gehören
C.I. G. 3457 aus Sardes. liier giebt Ueinesius 111 84 S. 334
zwar nur an, er habe die Inschrift ex sc/ieäis La/i^cr//ia/t/n,
aber dass schon Cyriakus sie abschrieb, bezeugt der Codex
Hiccardianus 996, in dem sie steht; vgl. B. C. II. I S. 85
Nr. 21.
Dasselbe gilt wahrscheinlich von C. I. G. 3462, welche
lös fe. ZIEBARTH
Reinesius ebenfalls ex schedis Lucae Lnn^ermnnui 2;iebt
(VII 3b S. 5Ü8) und welche auch im Cod. Hiccard. steht
{B. C. H. \ ^. %K Nr. 15), wenn auch unter dem Fundort
Philadelphia.
II. Auf der anderen Seite benutzte Falconer zur Oxforder
Strabon-Ausgabe einen Codex collegü Etoncnsis, von wel-
chem er sagt : « chartaceus, recentior, Byzantii scriptus Li-
bros tan tum X continot. Ad marginem sunt notae, quarum
aliae argumenta tantum, aliae lecliones variantes, vel loco
praetermissa exhibent, conscriptae manu raro quidem recenti,
neque eadem ubique. Aliquando etiam reperiuntur Epigram-
mata, lilteris majusculis exarata, quorum nonnulla ab edi-
tore nostro annotationibus suis interjecta sunt. Tituli vel prae-
lationes scripti sunt litteris minoribus, manu diversa ab ea
qua notae reliquae exaratae sunt et scatent contractionibus...»
Die Scholion, die Falconer in seiner adnotatio mitteilt, sind
folgende :
Strabo ed. Falconer 1 S.ö^l xr.v liuXov] In MS. Etonensi
ad oram paginae scribitur: toSs syw K'jpiax.o«; ei? MeacyTiv.aitr/V
IlüXov STCiypaaaa eupov (^ C. 1. G. 13'23)> %vX vjvi %\ Ta'jxrjv eXät-
I S. 5*21 Z. 22. MS. Etonensis ad marginem paginae in-
scriptionem habet, in qua, ut mihi videtur, haec urbs dicitur
H POAIS TAINAPIfiN F. {C. I. G. 1393).
1 S. 531 Z. "^fU. Toö h ulo'j T7;v ^tXiav (XTieriTpaL/.asvou ] MS.
Etonensis ad oram paginae inscriptionem habet de Lacone,
^ Mit diesen griccliisclic'ii Worten vergleiclie mau den crlialtencn Text
über diesen Teil der griecliisciien Reise des Uyriakus : Inscri[)tioncs per 11-
lyricum... (Uomae 1747) S. xxx.xiv... «Ubi (sc. Pyli) Joanncm Palaeologum
pro Spartano principe Constantino pracfecluni inveni, ex quo bouorilice
suscoplus CO duee Jiliiju.ini in canipo ex iuili(|uis uioeiiibus partcin cou-
spcxiuius et ad uiarinoreani, (|uani et in agro setni dclossain coniiicriiuus
basim, lu»c nostrum iu Gordianiiui Caesarcni Epigraiuuia cousciiiplum
inveniunis. in ([uo Pi/lun a pusleris fUiylun dictaui, ul Slrabo ipse testatur,
apparet». Die Inseiirift l'elilt, allein es ist klar, dass Cyriakus hier die
uns in der Elon-Handscliril't erhaltene Inschrift uiilteilte, wie denn auch
sonst vielfach die versprengten Stückchen seiner Couimenlarii sich gegen-
seitig in glücklicher Weise ergänzen.
blE StRABON-SCHOLIEN DES CYIUAKUS VON ANKOKA i99
Euryclis fil'o, Taenari repertain (folgt C.I.G. 1389 Z. 1-5).
I. S. 542 Z. 16. MS. Etonensis ad marginem pag. ad
hunclocum inscriptionem habet sequentem : H EYFENEIA..
{C. I. G. 1188 Z. 1 -4).
I S. 601. Ad oram pag. MS. Etonensis haec sunt scripta:
Y)L/.£t? o£ £v Aeoxoia TOds e!; öp£'.v/;v y.opvor.v STrivpafj.y.a Eupov, tv tö
TcalaiGJ '/.xi spE'.Trio) tö x,ai — avTa/o'j y.iyxAxn'j.i'Jiii Ucqi 6 vuvl äy'-^^
'HXiav /.y.Xoöciv ( C /. 6^. Sept. I 3097, wo diese genaue
Anii;alje des ersten Fundorts nachzutraben ist; v«;!. auch Joh.
Schmidt, Athen. Mitlli. V S. 137).
IIS. 665. Ad oram MS. Etonensis haec inserta sunt:
Tcspl yäp T-?/; IlxAccov ttÖXecüc ei: 'AOiöva? to^e ETiiypxixaa Eupov
<(7. /.^. 111 481).
Vergleicht man diese beiden Scholien-Heihen mit einander,
so ergibt sich zunächst, dass sie nur eine Überlieferung dar-
stellen. Falconer teilt aus seiner Handschrift nur sechs In-
schriften mit, aber es scheinen mehr darin zu stehen. Diese sechs
kehren unter den von Lannermann mitgeteilten wieder. In der
Inschrift C.I.G. Sept. I 3097 gibt Heinesius nach Langermann
in Z. 4 die auffallende Lesung : lEpaTEÜ^x;, die sich in der son-
stigen Überlieferung der Inschrift nicht findet. Aber auch im
Etonensis steht: isparEoia;. V^on den Inschriften, die Langer-
mann allein hat, kann im Etonensis nicht stehen C. I. G.
3527, da sie zum XIII Buche des Strabon an den Rand ge-
schrieben war, ebenso die beiden Inschriften aus Sardes, falls
sie in dem Codex standen, den Langermann excerpirte. C. 1. G.
1694 dagegen steht vielleicht auch im Etonensis. Langermann
benutzte also einen Codex, in welchem sowol Buch X des
Strabon als auch Buch XIII enthalten war, d. h. der ganze
Strabon stand. Auch er scheint die Schollen in griechischer
Sprache gelesen zu haben, denn er sagt 'Cyriacus Anconitanus
Scholiastes Craccus Strabonis". Auf der anderen Seite bietet
der Etonensis einige Schollen in ihrer ursprünglichen grie-
chischen Foim ' und trägt am Schlüsse lolgende Subskription;
' Die griechische Kurm dieser Lcimiiala ist auch sonst vereiiuoll erhalten.
200 6. ZIEBARTH
6/CTr,«Jaü!.r,v Tr,voc Tr,v ßt&Xov i/t ßu^avTiou Yca(p£icav Tvxpx äya)^),ia-
vo'j S'.ay.övo'j UpoavyiuLovo? (piXou. Danach scheint es last sicher,
dass dcv Elonensis der von Cyriakus eigen liändiji; mit Noten
versehene Codex ist. den er in Byzanz kaufte. Eine Schwierig-
keit bleibt dabei noch bestehen, nämlich die, dass er nur Buch
I-X enthält, während Cyriakus thatsächlich auch zu Buch XIII
mindestens ein Scholion <i;emacht hat. Um sie zu heben, kann
man auf den Gedanken kommen, dass der Cod. Laur. XXVIII
15, der mit Buch Xi beginnt, die zweite Hälfte des gesuchten
Handexemplars des Cyriakus darstellt in der Tliat ist dies,
wie mir der Konservator der Handschriften der Laurentiana
Herr Cav. Prof. Dr. E. Bosta2;no freundlichst mitteilt, seine
Meinung wie auch die von James , der beide Handschriften
gesehen hat (vgl. James, Elton Coli. Catalogue S. 67). Eine
Entscheidung kann nur die genaue Vergleichung beider Hand-
schriften sehen. Von vorn herein erscheint mir dieser Sach-
verhalt wenig glaublich, weil dann die Subskription nicht am
Schlüsse der ersten Hälfte des Strabon stehen würde.
Es bleibt noch übrig eine dritte Erwähnung von Cyriakus-
Scholien in der Strabon - Ausgabe von Tzschucke. Dieser
schreibt in der Vorrede zu Band 1! S. xi : Emissae in Bata-
viam preces etiamnunc insistunt aguntque ut quae possidet
in tiiesauris ditissimis bibliotheca Lugdunensis scholia Graeca
Cyriaci Anconitani in Strabonem inde . . . eß'erantur, und als
er die Vorrede zum nächsten Bande schrieb, war sein Wunsch
erfüllt und er erzählt (Vorrede zu Band iii S. vi): Eodem
honestissimi librarii studio cum votis meis omninoque litte-
ris fato correplus fuisset Kuhnkenius, descripta ad me vene-
runt, quae desideraveram, scholia Graeca Cyr. Anc, qui Ge-
misti Plethonis aetate vixit. Sed quod ipso usu cognovi, exigui
So slclil im IU)rciilincr codex l'alaliiuis 4'J der liriclc des Cyriakus in dem
Biiclc Nr. 25 ( lcil\vei.se lieraiisgegelien von Targioni -TozzeUi, Viayyi della
Tuicana V 8. Vil) zu der Inselirill von Delphi U. 1. G. 1G*J4 t6 [iev yip eij t/jv
Toö Tiüüiou otTiüX/iovo? upoö jiAEupiv Y£Yfa[x[i^vov EOTiv. Vgl. i'crner die gricclii-
selien Lemmata im cod. Asiil.urii. 1174 (1103) l'ol. l'J'2, herausgegeben von
Mommsen, Ephem. cpigr. lll .oü.
DIE STRABOX-SCHOLIEN DES CYRIAKÜS VON ANKONA 201
illi sunt, immo nullius fere ad Strabonem momenti. Cumenim
sint pauca admodum et ad recentiorem Geograpliiam compa-
rata, tum maximain partem in inscriptionibus enarrandis ver-
santur.
Über diesen leydener Codex habe ich nichts in Erfahrung
bringen können. Es ist nicht unmöglich, dass er mit dem
Etonensis identisch, also später nach England verkauft ist ^
Unter allen Umständen aber verdient der Etonensis eine sorg-
fältige Prüfung, und der Zweck dieser Zeilen ist es, die Auf-
merksamkeit auf diese unbeachtete junge Strabon-Handschrift
zu lenken, die jedenfalls für den Text des Strabon wertlos ist,
aber für Cyriakus von grosser Bedeutung werden kann.
Athen.
ERICH ZIEBARTH.
"•'^■•■fetH^***'"
' Auch sonst sind die merkwürdigen Scholien nicht ganz unheachtet ge-
blieben.
Fabricius bemerkt in der Bibliothcca Graeca 4, 576: Cyriaci Anoctnitani
scholia in Strabonem Graeca quibus Lucas Langermannus, ICtus Ilanibur-
gensis usus esse dicilur ... frustra quaesivi. Interessant ist ferner, dass Mar-
quard Gude (16b5-1689) in seinen Bemerkungen zudem Thesaurus des
Gruter, die erst in der Ausgabe von 1707 stehen, zu S. CXXIX \ö=.C. I.G.
1694 sagt: haue vooeni (sc. ©col; ) apposui c\ Cyriaci Aiiconilani soholiis
nianuscriptis in Strabonem, und ebenso zu Z. 3 H PIN HZ: sie restitue ex
eodem Cyriaci ms. Denn diese Worte können den Glauben erwecken, als ob
aucii Gude die Scholien des Cyriakus im Original gelesen hätte. Nun er-
schien aber das Syntagma inscri[)tionum anlitiuarum des Thomas Rcine-
sius schon in Jaiiri' 1682 und Gude wird auch sonst direkt des IMagiats an
Reinesius lieschuldigt ( Larl'ehl, Grieeiiische Epigraphik S. 373). Er hat also
seine Kennlniss der Cyriakus -Scholien, die er nur an dieser einen Stelle
anzuführen scheint, zweifellos aus Reinesius geschöpft.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXllI. 14
HETPAIA EnirPA*H TOT M0T2EI0Y
TOü eTCKTTe'^ovTO? aüröv jAvviaeiou xoG •I>t>.07rä:r7roii, ÜTceoxvü) Trii ya-
paöpa?, öXiya ßyjixxTa izpo^ Ss^iäv xx; 'jtl/YiXörepov xoO sv Tvi aurorpuei
Tcerpa yvwtjTOu XaTOtxYiTOö iTCxaSäOpou, srl [;.'.a; twv £771 toö vwaa-
TO; >taT' £7:xXXr,Xou; C'»>v3c; e-iTroXaCooTcov AEioTrexpäiv ' £upr,vTai Y£-
Ypa[X|J!.£va xx6£"
E r 0 ^ ^ g 5 ^^ ^ f\l H
xaxa <j'jv£y9i rcpooSov «.tt' iXadiovoc uei^ova, (I)? £v xcö ■Tap£vx£0£t-
|X£V(p aTü£ix.ovi'jaa.xi oaiv£xai.
M'ojco; £/£t 7) £7:iYpa<p"o asTpo'j £vö; x-at £vö£x.a ix.axo'jxcöv xa o£
Ypäijt.{ji.axa u<|/o; 0,062 xö Tcptöxov ( E), 0,125 xö xEltuxaiov (H).
'Ytj/YiXoxaxov Tcavxtov xö 0 £'/£i OTÜey^oc, o(|/ou? 0,130. Tö {A£xa$u
N xai H SixfjxYiaa 0,060. T6 ?ie u.£xa^'j 0 xat N x.evov o'Xov 0,220,
OTCEp, (TX.07rOUU£V(OV XüJV X.Xxä XO Ü.SpO; XOUXO TOÖ CxiyOU [X£'.^6v(i)V öta-
<JTä<i£(i)v x(öv Ypxü.azTOJV /^ai ä(pxtpou{;.£vo'j xou Exaxfi'pwöfiv o'.aaxr;-
' 'Ev TW y' ::tva/.i (151. III) toü ujtö Cuitiiis xa'i Kaupert IxSeoojj-Ivou Alias von
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ST. N. APAFOrMHE, HETPAiA EiiirPA'tH Toif MorsEior 203
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Tou XtOo'j cpaivsTai öcOuto«; ütto /e'.pö? >ta'. oXw; eyouTa x,aTä cp'jTiv.
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TV)v ToiauT-rjv Ü7u60£(jiv i'yow.EV cTtoc; 8e (dyeiöexai) <})0)vn, to'jte-
(TTi ^covri 8t oiaot^CTCU xo enog, v6'op-a uXr^pE; iasv, äXX' aSr,-
XOV ETtS TlVl ivTauOa £^£V6yÖ£V.
T6 £v TÖ Xi6ü) )t£vöv i'<jci); ti<; OfiXYiCEt, xapa€X£77(iiv Tr;v oi7:Xr,v
xepaiav, vä aut;.7r)."ir)pä)Gr, Stä TcapevÖri/tY;; A, oüSevÖ; aXXou lyvou;
ypajjLjxaTO? , (Ix; £pp£Oy) , ©aivou.fivou ekeT, IIXtiv xai out(o; axaTä-
Xtitctov (j'jväyEToci t6' « ejtOQ 5' C(|)^d]vn » ■»! « tTiog Si: ^[djvn».
Tö ejxog i^TiXOev e{(; cpcö;, £Xap-i]/Ev, {(pavEpcoOyi; 'E^ESriXcoövi, £^£Cp(o-
vtoÖy); Tö 2\,6yiov ä7i:£S£iyÖr/, E^ETEXE'cÖr, ' ;
'EttI TTETpa? Xofpou « £vOa MouG-aiov äösiv /cocl äxoOavovTa yiGp»^
Ta<p7ivai XEyo'jTiv )) ^ v] Xe^i; ejco^, a7rpoaSox.7;T(ii: äTTavTöj'ja, )cai
(XKÖVTWV äviy£l TOV VOUV £i; TOt TTEpl TOÖ äpyaiOTXTO'J KJCOJIOIOÜ i-
p(.uopcö(; yvojuTa,
V.a\ IXUCrxiKCÖv xeA.excäv auvöexnc, xarä aiariaiv toö 'Opfpsco;,
i7uoir,(76 Se >cai i;|,ivov eig xiiv Anj.inxpa. Tevdkötepov yvwpi^oaE-
vo; ö>i uiö; 'Avxio^)ny,oi/, £(pyi[xii^6T0 ev toOtoi? (XTwoyovo; jaev IvEp-
x,u6vo;, äSE>,cpoö TOU TpiTCToXfifxou, 'ilö; S' EujjlöXtcou >cx'. 7:aT-/;p au-
' *Hoüyt05, ev X. ^öyia" diofaxa, (JiavTEÜ(iaTa, 7:po9Tj-:e'j[j.aTa, ^rjjxai, ypr,a(io;.
— 'Qs ä'vw ^pai'vETai £v xiIJ ä-£txovi'a(JiaTi, o-sp [Jist' äxpioeaxEpav toü Xi'Oou eieiaatv
xaTcay.euäoOT) niaTOTaxa uko toü xupiou Proll, tüiv i/vcöv fi ovt<üv xaiaspaviov, ö
Xdyoi ;tEpi ;:ap£ji.6oXf,5 A napE'Xxti teXeov.
' llauaaviou I, 26, 7.
504 rT. N. iPATorMHi:, nETiwu KnirPA-i-H toy moveeiok*
Ot; E'jaöXxo'j, Qpoci, ri 'E>.6U(jivio<;, kxI s'k; auxov, xaxä Ilaucaviav,
(XTTsS'.SovTO T3C tTiU tÖc (pspou-Eva uTcö To ovoaa EviioA-Ttia *.
OuTco S' £youciri; Tvi; Trspi aürou Travap^xia; Trapaoöasüx; , öc^iov
Trpoffoy?}; (paivgxai öri, £v 'A67)vai<;, 6 Xö^o? ö (pe'pojv t6 övoaa tou
MouTaiO'j, — Si3c tÖv ^.öyov ort £)cei '/CxOr/asvoi; £^pr;C)(j(.(i)0£i x.ai £V£>ca
TT^; O'/iU.i0? ort x,ai TEOxixasvo; £>c£i r,TO, — 6 XocpOi; outo?, ßooEioSu-
TiKtö; x,äT(i) Trpö; to Tf'paa, Trapä t7)v Ilvox.a, £v6x x£pi-ou vöv x.ei-
Tai tÖ i/tx.^Yi'jiS'.ov 'Ayiou AyiuLYiTpiou, toO £77i/ta)^0'jy-£vou Ao'jp.7rap-
Sxpv;, £ij^£ tÖ 0£<T{j(.oqp6piov, ie^ov xfig Au^mtoog', y)v TrpoiTOi; 6
Mo'j(jxio(; ufy.v/i(T6, xiig öedg xwv ^xuaTixcöv ooyicov xai TeA,e-
TÖJv, (öv ai^TTog nKOuexo ev 'Abnvaig cwöeTuc xai iSovinc"
OTt ai/cpov y.aT(OT£p(i), ü-£p tt/V x.p7]vyiv t7]v Evv£z-/tpo'jvov , ü-yioy£v
d^A.0 lepov SiTi^oüv Any,nTpoc, Köpng kcu TginToKiyuOV, tö
OTTO TY) 'A)tp07:6X£l 'E>,£'J(JIV10V '/.xl OTl ä(/,£(3(i)(; ÜTTEpxVO), £V aUTT) TY)
'AxOOTTÖ^El, /.aTÖ. TOC OpOTCU^ata, äv£}C£lTO YpaTCTY] £!)tä)V TOU (XTTlJtOU
YpYlTjJLwSoU" (JUVeXÖvtI S' £'!7r£tV, OTl ÖCTTOC; 6 X£pi TT/V dvETTiypa^OV Yl[JLüiV
Tcerpav J^oipo; y.aT£t^£TO ütÖ te Tri? avyjaiQi; -/.xl ttiq (^ri^-rii; tou
Tcavxpyatou 7upo<py)TOu /cai üttÖ twv «juyyEVüiv Tai? utt auxou auvT£-
öfiidat; [xudTDtaii; Te>,£Tai; Upcöv vo[/.iu.(dv tgüv £>.£u(7iviwv O'wv.
Mt) toi £'y(oa£v ivTauOa, utto X^'P^'' fJ'-eTayEVEdTEpai; Toiv £ux.>£i-
Seicov ypovcov ävocy£ypaay,£vov, (XTTOCfTCacraa excoi/C >i JCP^^V'^^ '^'^'^
(j6j/,vou Moudaiou ^ ;
'Ev 'AO-;ivai<;, T-?i 12 MapTiou 1898.
STE«I>ANOi: N. APArOTMHS.
-*J«-»— s^-— »|<J—
' nau3av(oj, aÜToOt zal TcpoaETi I, 14,3. IV, 1,.5. X, 5,6. 7,2. 9,11. 12,11.
no6).. xai 'HpdooTOv, IlXätüJva, ürpäotova, Aou/Ctavo'v, <I)iXoarpaTOv, 'ApJioxpa-
r/eüva [^out'Sav], Eüa^6iov y.Xn. Kata A'.oyivr, tov AaspTtov (BioixA;:. Jcpooi[j.tov, 3)
ö Mo'JiaTo? ETeXeiiTTjac x.at sTäarjjOÜyi £7ii loü Xdao'j, äXX' ev 'l>aXT|p-;), emypayevTo;
auTüi (ev uaTEpwT^pot? ßsSai'w; ypövoi; ) toü^e toü EXeyEiou'
K'j|J.dX7:o'j »i'Xov uiöv k'/£t ^aXTjpizöv ouoa;
MouaaTov, cpO;;xevov aü)[A' £7ti twoe täyu).
'Afioar;[jL£;a)TOv ev tojtoi? OTi xai £v «taXrjp'o SiacpEpdvxw; £Ttji.äTO fj Ar{[jLT)Tpa.
2 KivriOEt; C;:ovo;a ixrjnojj ev t^ ^pa^Et «etco; 8J ^wvr) » xpii;:TT)iai fj k'vvoia dVTl-
^(i?y.OU, w; X^yEi 7) auvrJÖEta, IJ/JTaaa Si? ttjv O^aiv £v r; Jj eJtiypaip'i' aXX' jj OEuti^a
ifiiaaij Sev £j:i6e6aitua£ xr^v EvTaüOa ünap^iv nj^oüc-
ENNEAKRUNOS, LENAION UND AI0NT2I0N EN AIMNAIS
Die berühmte Tliukydidesstelle über das älteste Athen (11,15)
hat das Missgeschick gehabt, nicht nur von der Interpretation
sondern auch von der Kritik aus in sehr verschiedener Weise
behandelt worden zu sein: tö Sk Tupö toütou (vor Theseus) yi
xApÖTZo'ki^ Y) vov oüda ttÖXi; t)'' >tat t6 utt' auTY]v Tzpb^ votov ij.a>iaTa
Texpafxfxevov. rs^aiopiov Se' xa yap ispä Iv auTvi tyj ä/Cp07:6X£'. x.al
a.Xkbi'j 6£ü)v ea-rt x.a'. tx s'^o) TCpo; touto to atpoc tt,; ttoXeco; {ascXXov
'iopuTai, t6 TS TOÖ Aiö; toö 'OXuaTCtou xal tÖ IluO'.ov xal tÖ ttjc; Fr,?
xoti TO 6v Xiavat? A'.ovuuou, (o tx ipyaiOTepa Aiovj'jtx Tfi owösy.aT'^
TCOieiTat £v y.r,\l 'AvOs^TYipiwvt , wt— ep xxi ol äx' 'A6Y,vai(ov "Icove;
ETI x.ai vov voat'^O'jmv tSpuTai Ss xai aX).a Uoic TauTri äp^aia. /.ai
TY| x.pr/v/) T"(i vuv aev tojv Tupavvwv outw cj/.s'jx'jZvtwv üivvea/tpouvo)
xaXo'jaEvr), to bs TraXai (pavcpwv tcüv T^rjyaiv oü'joiv KaXXippor, wvo-
{Jt.a7ut.ev7i gKEiv/i T£ eyyü; ou-j-ifi tx ttaeittou a^ix i^poivTO xal vOv eti
aTCO ToO äpj^aio'j Tirpo te Yap.ix,(öv y.xi iz xXkx tcöv (gpwv vo{/.iC6Tai
T(p uSaTi j^pT^aOxt. y.aXeiTXi Se ^ta ttiv TraXaiicv TXUTr, xaToixTiaiv
xai "^ ä/.pÖTToXti; jxe'ypi to'jSe eti utc' 'A^Yivaiwv ttoXi;. Über die Er-
klärung ist eine Einigung nicht erzielt worden und in dem
Streite über den Sinn der Worte ist der Wortlaut, so scheint
es, nicht immer genügend berücksichtigt worden. Wachsmuth,
der zuletzt den Text in den Neuen Beiträgen zur Topographie
von Athen (Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der
Wissenschaften XVlil S.l tY.) im ZusaininiMihange besprochen
hat, ändert mit anderen die Überlieferung an drei Stellen und
stellt sie nur an einer vierten, wo sie ebenfalls fast allgemein
geändert wird, wieder her. Er setzt vor xai aXXwv Oecäv eine
Lücke an, schreibt tö <^toO) ev Xiavai? AtovuTou, streicht t?, Sw-
SExxTr, und setzt nur statt exeivoi die Überlieferung der Hand-
schriften £/.£tvr, wieder ein.
Ob es nötig ist 'der sprachlichen Korroklheil halber' den
Artikel toö vor ev Ivj.^ xic, Aiovöto-j zuzufügen, während doch
206 H. VON PROTT
Götternamen häufig genug ohne Artikel stehen und die Volks-
versammlung SV A'.ovÜTou stattfindet, ist mir zwar sehr zweifel-
haft, aber für den Sinn der Stelle gleichgültig. Wichtiger, ja
vielleicht entscheidend ist äx.eivr,. Wachsmulh, der als älteste
Stadt nach Thukydides die Akropolis und ein mit ihr nicht
zusammenhängendes Stück im Südosten am llissos annimmt,
hat £)C£ivYi deshalb wieder in den Text eingesetzt, weil er, von
seinem Standpunkte aus ganz mit Recht, eine Hinweisung
darauf verlangte, fiir welches der beiden Stücke der von der
Enneakrunos handelnde Beweisabschnitt gelten solle. Er nimmt
ix.sivY) als Ortsadverbium { = iy.it:) und lässt mit ii nur diese
topographische Bezeichnung angeknüpft sein , übersetzt also
'den VVasserplatz , der jetzt Enneakrunos genannt wird, in
alter Zeit aber Rallirroe hiess und eben dort in der Nähe
liegt'. Alles dieses ist nicht unbedenklich. Der bestimmte
Artikel t6 ütt' aürr/v ivpoc votov iix'kt.nzoi. Tsrpaaaevov weist deut-
lich auf eine Verbindung dieses Stückes mit der Akropolis
hin und gar zu seltsam ist die Verbindung von lyyu? elvat mit
einem Ortsadverbium 'an einem Orte nahe sein'. Aber beides
zu2:eo;eben, die Anwenduno;, welche Wachsmuth von dieser
Erklärung macht (S. 20 ff.), ist noch bedenklicher: die Worte
Uiirr, eyy'j; out-^) 'sind zui'ückzubeziehen auf das vorausgehende
Tot'jT-o und melden so bestimmt wie möglich, dass sich die
Enneakrunos -Quelle in der Nähe der bisher besprochenen
Gruppe von Heiligtümern im Südosten der Stadt befinde '.
Auf die Schwierigkeit, welche dann das folgende zweite xa-jcvi
bereitet, will ich hier nur kurz hinweisen. Die Hauptsache
ist, dass Thukydides, der nach Wachsmuths Ansicht zuerst
von der Burg, dann mit den Worten toGto tö aepo? und täuty)
von dem südlichen Stücke spricht, mit dem entgegengesetzten
Pronomen £>csivr, unmöglich wieder dasselbe Stück bezeichnen
kann. Wachsmuth sagt zwar, 'Uihr, nehme das Vorerwähnte
wieder auf, wie öfters das Pronomen keivo!; auf denselben Be-
griff geht, der vorher durch einen Casus obliquus von auröc;
ausgedrückt ist'. Aber es geht ja gar nicht ein Casus obliquus
von aÜTÖ; sondern das Adverbium Taüxr) voraus. Wenn nun
ENNEAKRUNOS, LENAION UND alONTLIOX EN MMNAIE 207
die beiden Adverbien xa-jTr, hier und £x.£tvr, [ = ■■■/.£'.) dort
eine Beziehung zn einander haben sollen, so kann diese doch
nur gegensätzlich sein. Nimmt man also mit Wachsmuth eine
Zweiteilung der ältesten Stadt an, so würde mit Uivrr^ nicht
mehr von dem zweiten sondern wieder von dem ersten Stücke,
der Akropolis, etwas bewiesen werden. Von diesem Stand-
punkte aus müsste man daher unvermeidlich zu dem Schlüsse
kommen, dass die Enneakrunos nicht in der Nähe der Heilig-
tümer am llissos, sondern im Gegenteile in der Nähe der Akro-
polis liege.
Die rein sprachliche Betrachtung der schwierigen Stelle
scheint mithin für die neue von Dörpfeld (Athen. Mitth. 1895
S. 189 ff., Rhein. Mus. 1896 S. 127 ff.) aufgestellte Theorie
zu sprechen, der als ältestes Athen nach Thukydides nicht
zwei Teile, sondern ein im wesentlichen einheitliches Stück,
nämlich die Akropolis und ihren hauptsächlich südlichen Ab-
hang, d. h. Akropolis und Pelargikon ansieht. Dies bedarf
noch einer etwas ausführlicheren Erörterung. Dass die beiden
von Thukydides angegebenen Teile nicht getrennt waren son-
dern zusammenhingen, beweist der bestimmte Artikel tö . . .
T£Tpa[j.a£vov. Eine von der Akropolis bis zurKallirroe im llis-
sos sich ausdehnende Stadt aber würde für das Ur-Athen des
Thukydides viel zu gross sein. Dass ferner die beiden Teile
wesentlich eins waren, zeigt die auffallende Wiederholung des
Pronomens outo;'. Thukydides spricht zuerst von den Heilig-
tümern £v aür?) T?i otÄpoTcöXs'., dann von denen s;^ {zr,q tkx.^o-!:6-
Tzolidi;) und den anderen alten Stiftungen, die ebenfalls hier
(raOTTi) ausserhalb der Burg liegen. Zum Schluss ist wieder
von der .Vkropolis (bez. von Akropolis und Pelargikon zu-
sammen) die Hede und dabei wird wieder wie bei dem zwei-
ten Stücke ( TO'JTo t6 aspo: — TauT-(i) dasselbe Pronomen (Taü-rri)
gebraucht. Das war doch kaum möglich, wenn beide Stücke
grundsätzlich geschieden waren. Dazwischen fällt die Ennea-
krunos: auch sie ist ein Beweisgrund für die Ausdehnung der
' Vgl. Diiii.rohl, Hlioiii. Mus. 1896 S. 133 f.
20S H. VON PROTT
ältesten Stadt, weil sie iyyui ist. Es fragt sich, wem benach-
bart, und die Antwort darauf kann nur in Uei^ri stecken.
Wachsmulhs Deutung von exsivri als eines Ortsadverbiums
glaubte ich ableiinen zu müssen. Fasst man es epanaleptisch
den Begriff xpyivY) wieder aufnehmend*, so passt die Stellung
von T£ sehr schlecht und es ergiebt sich überhaupt eine un-
geschickte Stilisirung. Jedenfalls aber kann man dann nichts
daraus für die Lage der Enneakrunos am llissos erschliessen.
Dasselbe ergiebt sich, wenn man Ud^ri in g5C6ivoi ändert. Der
Gegensatz iKihoi n — >cocl vuv l-i legt dies sehr nahe. Zwar
kann £x,£ivoi an sich gewiss nicht 'die Alten' bedeuten, wenn
es sich nicht auf etwas Vorhergehendes oder Folgendes be-
ziehen kann. Aber die inconcinne Beziehung auf xö Tcpö toutou
wäre vielleicht nicht unmöglich, zumal >cai vuv in xizb toO äp-
j^aiou folgt. Die Stelle bedeutete dann: Jene, die Einwohner
des ältesten Athen (oi Tirpo önaeo);), brauchten das Wasser der
Enneakrunos, da sie nahe war, und auch jetzt wird es noch
gebraucht. Auch bei dieser Erklärung wird man zu Dorpfelds
Ansicht hingedrängt ; denn es fehlt dann eben eine genauere
topographische Bestimmung, das einfache eyyu? ovari 'da sie
(dem Ur-Athen) nahe war' genügte dem Historiker und folglich
war eine Angabe, ob die Enneakrunos der Akropolis oder dem
südlichen Stücke benachbart war, ganz überflüssig, da beide
ein kleines, zusammenliegendes Gebiet, Akropolis und Pelar-
gikon, ausmachten. Bestand dagegen, wie Wachsmuth und die
Früheren annehmen, das thukydideische Ur-Alhen aus zwei
Teilen und dehnte sich der zweite, südliche bis zum llissos
aus, so war die genauere Angabe unerlässlich, für welche der
beiden Teile der Enneakrunos- Beweis gelten solle, ob also
die Enneakrunos der Akropolis oder dem Stücke am llissos
nahe lag.
* Wachsniutli mcinl, den Zweck dieser Epanalcpsc sehe mau nicht ein.
Aber wenn Thukydides den einfaclien Gedanken 'weil sie nahe war' aus-
drücken wollle, so konnte er der Epanalcpsc wegen des Participiiuns Byp?
ojjr, kaum entratcn.
ENNEAKRUNOS, LENAION UND AIONrsiON Elf AIMNAIE 209
Notwendig indessen ist die Änderung der Überlieferung
nicht. Ja es ist vielleicht nicht einmal geschickt, den von Thu-
kydides schon deutlich hingestellten Gegensatz vOv ^j-h — tö Ss
TCOtXat durch das £y.£tvoi [ = x6zt) ts — y.xl vOv t-ci äxö toO ap-
j^aio'j noch einmal zu wiederholen. Thukydides erschliesst aus
den Verhältnissen der Gegenwart die Zustände der Vergangen-
heit und viermal bedient er sich dabei derselben Wendung
xal vOv £T'., fxe/pi ToOSe irt. Durch die ganze Stelle hindurch
sind Tirpö ©yiTEü); und Axi vOv £Ti die herrschenden Begriffe und
es ergänzt sich daher zu iyjiGi-^To ganz von selbst das Subject
Ol Trpö ©TioEöx;. Dann ist klar, dass in der That durch -re nur
eine topographische Bestimmung angeknüpft sein kann, und
in diesem Falle kann £>t£tviri nichts anderes sein als das ein-
fache Pronomen. Man hätte demnach zu übersetzen, wie auch
der Scholiast und andere verstanden haben: 'die Quelle, die
jetzt Enneakrunos heisst, in alter Zeit aber Rallirroe genannt
wurde und die jener (der Akropolis) nahe liegt, brauchte
man' u. s. w.
Ich will nicht behaupten, dass die in der That ungewöhn-
lich schwierige Stelle nur so verstanden werden kann. Eines
aber scheint mir ganz sicher und durch die Erwägung der
verschiedenen Möglichkeiten hinlänglich klargestellt: Thuky-
dides kann man für die Theorie der Enneakrunos am llissos
nicht ins Feld führen. Wer trotz Pausanias, trotz der durch-
schlagenden Gründe Dörpfelds für die Lage der Stadlquelle
vor dem Burgthore und ihrer Verschiedenheit von der Rallir-
roe im llissos und nicht zum letzten trotz der überwältigenden
Überzeugungskraft der Monumente selbst des Thukydides
wegen an der alten Theorie festhalten zu müssen glaubt, dem
schwindet der Boden unter den Füssen, sobald er sich klar
gemacht hat, dass Thukydides auch im günstigsten Falle nichts
gegen Pausanias beweist, wol aber völlig mit ihm überein-
stimmen kann. Fraglich mag indessen immer noch scheinen,
ob nicht trotzdem nach der Ansicht des Thukydides das äl-
teste Athen auszwei wesentlich verschiodcnen Teilen bestanden
hat, die vier von ihm erwähnten Heiligtümer nicl^t ^Iso doch
210 H. VON PROTT
am Ilissos zu suchen sind. Ilior ist nun zu untersuchen, ob
denn auch im Anfange des Beweises der Text so gesichert ist,
wie man jetzt anzunehmen pttegt. Fast allgemein setzt man
hier eine Lücke an und ergänzt etwa : tö. yäp iepa sv aÜTvi tyi
a/tpoTC6>.6i <^Ta apyaix ■rri<; ts 'AOriva;) >tat aXXcov Oewv icTi. In-
dessen dieses xxi aX^wv Oewv ist auffallend schleppend und so
wenig prägnant, dass es eigentlich gar nicht beweist, was es
beweisen soll. Waren denn nicht [leiligtumer 'der Athena
und anderer Götter' auch in anderen Teilen der Stadt?
Früher hat man an der Überlieferung keinen Anstoss genom-
men. Krüger erklärt '>cxi aX^wv Otcöv, als der Athene', und da
diese und ihr Fest, die Synoikia, vorher erwähnt sind, ist
diese Erklärung sprachlich doch wol nicht unmöglich. Es
scheint zw^ar, als ob im Sinne kein Unterschied sei ; aber xai
aXkoi 'und andere' ist nicht dasselbe wie )tai aXXoi 'auch an-
dere'. Dieser letztere Begriff 'auch (noch) andere' leitet un-
merklich über zu dem Begriffe 'noch eine Anzahl anderer' und
der Sinn könnte so etwa sein: Auf der Akropolis sind eine
ganze Anzahl von Götterkulten zusammengedrängt und unter
anderen auch Kulte der Göttin, von der die Stadt ihren Na-
men hat. Freilich fühlt man sich hier noch unsicherer als bei
der früher besprochenen Stelle. Ist wirklich eine Lücke vor-
handen, so kann man erst recht nicht wissen, was in dieser
stand, was also Tliukydides eigentlich gemeint hat. So konnte
man auf den Gedanken kommen, es werde hier vielleicht auf
eine merkwürdige Thatsache angespielt, dass nämlich die
Kulte doppelt vorhanden waren , sowol auf und an der Burg
wie am Ilissos.
Dass es am Ilissos eine Reihe alter Kulte gab, kann man
nicht bezweifeln, und es wird sich hier vielleicht einmal eine
eigene durch die liebliche Gegend hervorgerufene Art attischer
Naturreligion nachweisen lassen. Für einen Teil dieser Kulte
ist der Ausgangspunkt offenbar ein Nalurmal gewesen, der
Erdschlund der Ge Olympia, in dem sich die deukalionische
F'lut verlaufen haben sollte und an dem zum Andenken daran
cjas nach der Leg(;nde von Deukaliun gestiftete uralte Toten-
ENNEAKRUNOS, LEVAION UND AIONTSION EN AIMNAir 211
fest der Chytren gefeiert wurde. Daran hat sich der Kult des
Zeus Olympios und an beide Kronos und Rhea angeschlossen.
Mit Rücksicht auf diese alten Kulte haben die Tyrannen hier
ihre grossen Festplälze angelegt. Neben dem Olympion des
Peisistratos lag der alte Zeustempel des Deukalion (Paus. 1,
18, 8) und neben oder im Bezirke des Pythion das nach der
Sage von Aigeus gegründete Delphinion ( Paus. 1, 19,1)*.
Fand man nun einmal diese Heiligtümer bei Thukydides wie-
der, so musste man natürlich auch das Dionysion h Xiavxi;
in derselben Gegend suchen und da schien zu Hilfe zu kom-
men das so oft missverstandene Froschlied des Aristophanes
(V. 211 ff.): liii^xix )4p-/]Vüiv TE/Cvoc ^üvx'jXov Oav(i)v ßoicv cpOsY;^-
aeö' euYYipuv «[Aav äoiSäv, )toä$ xox^, y)v iy.tp'. N'jtt/'.ov Aio; A'.cö-
vuTOv £v Xiü-vaiTiv ia/y;Taij.£v , rjviy' 6 xpxixaXoKwaoi; xoi: lepoi'ii
X'jTpoiTt ycopei kxt' et/.öv xeaevo; >.aöjv o/Xof. Am Abend der
Choen nach dem grossen Zechgelage, an dem zur Erinnerung
an des Dionysos Erfindung, Wasser und Wein zu mischen,
der (X'-cpaTo? getrunken wird, bringen die Athener ihre Krüge
zum Heiligtume des Gottes sv Xiavai? (Athen. X 437c). Am
folgenden Tage pilgern sie wieder im Katzenjammer an den >i-
fxvai vorbei (xaT'eij.öv rey.svo?) zum Erdschlunde der Ge Olym-
pia, um dort das heilige Totenfest der Chytren zu feiern. Dann
singen die Frösche das Lied zum Preise ihres mächtigen Gottes
und mögen die Wallfahrer dadurch an das böse Ende des
vorigen Tages erinnern. Natürlich ist die Chytren-Procession
mit Alisicht an dem Heiligtume des Anthesteriengottes vor-
beigeführt worden -. Leicht aber konnte man weiter schliessen,
dass der Tempel des Anthesteriengottes, der den Hermes
Chthonios, den Seelenführer, ablöst und dessen Fest an den
uralten Totenkult der Chytren angegliedert wurde, dem Erd-
schlunde beim Olympion wirklich benachbart war.
' Ersteres giebt Dörpfeld jetzt als möglich zu, letzteres hält er selbst für
richtig.
2 Verniiitlicli vom Marklf aus über die panathcuäiselie Feststrasse aui
Areopag uuil Süilahhaug der Burg entlang zum Ui.vmpion.
212 H. VON PROTT
Andererseits giebt es dieselben Kulte an der Burg. Zu-
näclist kann ja darüber kein Zweifel sein, dass das Olympion
und Pytbion unterbalb der ixa/cpat zu den sichersten Thatsachen
der athenischen Topographie gehören. Ganz seltsam ist es,
wenn Wachsmutli (S. 48, 1) als Gegensatz zum Zsü? 'OXup.-
TTio? £v ÄrrT£t {C. I. A. III ^291 ) den Zsü? U lUinr,^ (III '?83)
fasst, der gar nicht 'OX^aino? lieisst, während doch den Ge-
gensatz offenbar der Zsu? 'OXuy.Trio? (nämlich des grossen
Tempels vor der Stadt III ^43, 928) bildet. Neben diesem
'OXüaTuiov am Abhänge der Burg muss das im Phaidros 227 a
erwähnte Haus gelegen haben, denn unmöglich konnte ein
Haus innerhalb der Stadtmauer nach dem gar nicht 'nahe'
gelegenen Tempel vor dem Thore bezeichnet werden. Noch
weniger glücklich aber war es, wenn VVachsmuth (S. 50) das
schon durch die Beschreibung der Panathenäen- Procession
( Philostr. vitae soph. 11,1, 5 ) gesicherte Pythion an der Burg
wieder leugnete, weil der Anapäst im Ion V. 285 'metrisch
unzulässig sei'. Diese Heiligtümer also hat Dörpfeld einfach
erwiesen. Aber auch die Ge hat nicht nur am Abhänge der
Burg mit Demeter zusammen ihren alten Tempel *, sondern
auch im Bezirke der Athena Polias ihren vielleicht den Aus-
gangspunkt der Erechtheion - Kulte bildenden alten Altar 2.
Und endlich fehlt, wie es scheint, auch Dionysos Aipaio; nicht,
denn nahe dem Prytaneion, dem alten an der Burg, wie man
meinen könnte, lag das Bukolion, wo die ßoujtöXoi ihren alten
dionysischen Kult übten und jährlich der Upo«; yx(i,o; des Dio-
nysos mit der ßa^iXivva vollzogen wurde. Hier also wäre ur-
kundlich eine jener Kultbeziehungen zwischen den beiden
Gruppen von Heiligtümern bezeugt, wie man sie voraussetzen
müsste. Wenn der Gott Hochzeit nicht in seinem Tempel
sondern im Bukolion hält, dann waren, so kfuinte man Thu-
kydides schiiessen lassen, Tempel und Bukolion gleich alt.
' Es ist so gut wie siflier,dass hier derGe-Atliciia-Kiirülrmtiios-Kiill das
allere und der Demeterkult erst später zugefügt ist.
? Leges Graec. sacrae S. 3, was icli S. 45 leider zuiiickK'Mioinincu iiabe.
ENNEAKRUNOS, LENAION UND ilONTEION EN MMNAIL 213
Ähnliche Verhältnisse konnte man für die anderen Heilig-
tümer annehmen.
Dergleichen Kombinationen zerfallen in nichts vor den ein-
fachen Thatsachen der athenischen Bodenverhältnisse. Das
heutige Athen lehrt, dass im alten Athen das Sumpfquartier
nicht am llissos gelegen haben kann. Mann muss sich auch
hier von einer Reihe alter und vielleicht lieb gewordener Vor-
stellungen lossagen. Mit der jonischen llissosstadt kommt man
nicht zum Ziele. Das Problem der llissoskuite ist eben durch
die Entscheidung der alten Streitfrage schwieriger und in-
teressanter als je geworden. Ganz ähnlich wird es mit dem
alten Tempel auf der Akropolis gehen. Auch hier wird man
erst, wenn die Frage nach allen Seiten hin endgültig ent-
schieden ist, über die Einzelheiten des Kultes wirklich klare
Vorstellungen gewinnen können. Die grossen Fragen der
athenischen Topographie und Baugeschichle, in die nun auch
der Niketempel eingetreten ist, werden zugleich vorbildlich
werden für die Untersuchung , wie eigentlich im Allertume
Helio;ion semacht worden ist. im vorliegenden P'alle muss die
Entscheidung, da sie die drei anderen Heiligtümer nicht ge-
geben haben, das Dionysion iv Xiavxi; bringen. Und da ist
ganz einfach festzulegen: So sicher im llissos niemals ein
Brunnenhaus gestanden haben kann, so sicher hat es am llis-
sos niemals >.ip.vai gegeben. Es ist von Dörpfeld genügend
hervorgehoben worden (Athen. Mitth. 1895 S. 187), dass die
einander widersprechenden Aussagen der geologischen Au-
toritäten Lepsius und Bücking (Rhein. Mus. 189'2 S. 59;
vgl. VVachsmuth S. 48,5) nicht als zwei einander aufhebende
Zeugnisse zu betracliten sind. Zum Glück indessen bedarf nie-
mand der erwünschten Bestätigung dessen, was ihn der Au-
genschein lehrt, durch den besten Kenner des attischen Bo-
dens. Es ist völlig unzweifelhaft, dass auf dem ganzen gleich-
massig von der Burg zu dem tief einschneidenden Flussbette
des llissos abfallenden felsigen Gelände sich nirgends Sumplla-
chen bilden konnten. X'ielmehr war dies nur da möglich, wo
dem Abtlusse einer reichlichen W assermenge ein natürliches
5^4 H. VON PROTT
Hinderniss entgeijentritt, wie es bei der Enge zwischen Pnyx
und Areopag der Fall ist, obwol das daran anstossende Ge-
biet des Kerameikos viel tiefer liegt. Da Wachsmuth (S. 48 f.)
hierüber kurz hinweg gegangen ist und nur die llineinziehung
der Brunnen von Seiten Dörpfelds abgelehnt hat, die für die
entscheidende Frage ganz nebensächlich ist, so verdient her-
vorgehoben zu werden, dass sowol im Anthesterion dieses
wie besonders des vorigen Jahres hier ein wirklicher Morast
mit üppigem Blumenwuchs entstanden war ^ Im Altertume,
als wenig oberhalb das Wasser aus dem Brunnenhause ab-
floss, mussten fast mit Notwendigkeit wirkliche Wasserlachen
sich bilden. Am deutlichsten sieht man dies ja daran, dass
hier der Boden vom V und IV Jahrhundert an ganz auffallend
künstlich erhöht ist. Hier ist nun ein altes Dionysosheiligtum
gefunden worden, in dem Bezirke eine mehrfach umgebaute,
lange benutzte 'upx Xyivo? und ausserhalb mehrere andere
Keltern. An sich könnte dies ein Ireilich sehr merkwürdiger
Zufall sein, und ich habe lange Zeit geglaubt, dass hier ein
bisher unbekanntes Dionysosheiligtum ans Tageslicht getre-
ten sei, welches ich vorschnell 'loSäxj^iov benannte. Aber die
Sache liegt anders.
Man setzt das Dionysion h Xipai? südöstlich der Burg an
lediglich auf Grund der Erklärung der Thukydidesstelle. Da
nun aber in der Nähe des Olympions schlechterdings keine
Sümpfe gewesen sein können, so verlegt Wachsmuth (S. 49)
mit Verweisung auf Beiger (Arch. Anzeiger 1895 S. 112)
das Dionysion noch weiter südöstlich in die Nähe des llissos,
in dessen sehr geringer Senkung es begründet liege, 'dass leicht,
wenn das eingesickerte Wasser wieder zum Vorschein kommt,
sumpfähnliche Lachen sich bilden'. Aber das oberhalb der
Felsbarre in das Flussbetl einsickernde, an ihr als Rallirroe
hervorkommende Wasser , welches sofort wieder im Boden
verschwindet und erst eine Strecke unterhalb als Bächlein
wieder hervortritt, kann nirgends 'sumpfähnliche Lachen
^ Vgl. Photographie des Instituts, 'Athen, Bauten Nr. 94',
ENNEAKRUNOS, LENAION UND AIONrEION EN AIMNAIE 215
bilden. Ferner kann das Heiligtum doch unmöglich , wie
sonst unvermeilich wäre, im Flussbette selbst gelegen haben.
Auch Wachsmuths Schluss (S. 46 t'.), der Festname A'.ovJa-.x
6v ai7T£i sei nur erklärlich, wenn die Anthesterien ausserhalb
der peisistratischen Stadt gefeiert seien, ist voreilig und darf
auf keinen Fall als sicherer Posten in der Rechnung verwertet
werden '. In klarem Widerspruche aber steht Wachsmuths
Ansetzung; des Heiligtumes mit Isaios VIII, 35: Kippcov i/.i-
KTTjTO ouniav, äypöv iih 'P'kuridi . . . oUta; S' £V xaxii S'Jo, ttiv u.£v
[^.lav . . , Tuapa tö ev Xiu.vai? Aiovuutov, woraus folgt, dass der
Tempel Iv a^Tsi mitten zwischen Häusern lag. Diesen Wider-
spruch beseitigt er freilich (S. 47) durch die Annahme, es
sei hier wie in ähnlichen Stellen nur der allgemeine Gegen-
satz von Stadt und Land gemeint, die Stelle also für eine
Lage der >{u.vai innerhalb der das octt-j umgebenden Mauer
nicht beweisend. Selbst dieses sehr unwahrscheinliche Aus-
kunftsmittel mag man einmal zugeben. Aber völlig undenk-
bar, wenngleich von Wachsmuth als eine gar nicht des Be-
weises bedürftige Möglichkeit vorausgesetzt ist, dass im IV
Jahrhundert ein athenisches Wohnhaus wenige Schritte vor
der Stadtmauer lag. Ferner bleibt nach seiner Meinung (S. 46)
trotz der höchst wahrscheinlichen Annahme von Wilamowitz,
der Xtavai und Lenaion zusammenlegt, 'die Möglichkeit ott'en ',
beides von einander zu trennen. Bei seiner Beweisführuns
scheint diese Trennung sogar notwendig. Das Dionysion =v
>.{pai; war nur am 12. Anthesterion geöffnet. Die Lenaien-
procession aber konnte unmöglich vordem geschlossenen Uoöv
Halt machen (S. 45). Wachsmuth hat nicht darauf hinge-
wiesen, dass diese Schwierigkeit, die in (h-r Thal l)isher vor-
handen und unlösbar war, durch die eigentümliche Anlage
des von Dör[)feld aufgedeckten Dionysosheiligliimes wirklich
gehoben wird. Später jedoch (S. 55) meint er, man könne
< Dörpfelds Auffassung der Aiovüaia kv ä'uTsi als des grossen, rein städti-
schen Dionysüsfesles scheint mir bis jetzt am ehesten annehiuhar. Das Le-
naion lag sicher auch ev i'jTet. Vgl. Thuk. V, 20 h Aiovüaiwv töjv äjnxwv.
^16 H. VON PROTT
'gegen die Annahme, dass das Lenaion draussen neben dem
uralten Hieron des Dionysos in J^imnai lag, etwas Durch-
schlagendes nicht einwenden'. Man weiss daher nicht recht,
woran man sich zu halten hat. Endlich erklärt er so^ar das
Lenaion für niciit lokalisirt. Denn der Wert der Angabe des
Hesychios {i~i ATjvaicp äywv) ecTTiv ev to (xarei Airivatov werde
herabgemindert durch die Paralleiexcerpte, die nicht dv Toi
a(7T£t sondern 'AO/iv/r^'.v bieten (S. 5 2). In dem Demosthenes-
Scholion aber, auf Grund dessen man das dem Lenaion be-
nachbarte Heroon des Kalamites in die Niihe der Agora ver-
lege, sei statt h xri äyopa vielmehr äv to iypw zu conjiciren.
Die Örtlichkeit des äywv stcL Ayivaiw übergeht er.
Ich kann nicht finden, dass diese Darstellung ein richtiges
Bild der thatsächlichen Verhältnisse und der Überlieferung
bietet. Vielmehr muss man überall die Argumente umkehren
und dann ergiebt sich eine Schlusskette, die bei der Erklärung
desThukydides entschieden nicht unberücksichtigt bleiben oder
in den Hintergrund gerückt werden darf. Am ilissos hat es
trotz Beiger und VVachsmuth keine Sümpfe gegeben. Aus
Isaios VIII, 35 folgt, dass das Dionysion h ^ipat; innerhalb
der Stadtmauer lag und innerhalb der Stadtmauer hat es süd-
östlich der Burg eingestandenermassen keine Sümpfe gegeben.
Nach einer höchst wahrscheinlichen, noch genauer zu unter-
suchenden Annahme lagen Dionysion dv Xtavai; und Arjvaiov
zusammen. Das Lenaion lag nach Hesychios ev tw auxei, wo-
durch die Auffassung der Isaiosstelle bestätigt wird. Es lag
ferner nach dem Demosthenes - Scholion in der Nähe der
Agora und nach den Grammatikernachrichten über den äyov
i~i Avivaico nahe der Orchestra des Marktes, auf der die IV.pia
des Os'xTpov X-^vai/tov aufgeschlagen wurden. Es ist daher ganz
unzweifelhaft, dass beide Heiliü;lümer durch die antiken Nach-
richten in die Gegend gewiesen werden, in welcher das neuent-
deckte Heiligtum liegt. Es ist nun weiter die Frage, ob An-
zeichen vorhanden sind, dass eben dies Heiligtum das Dio-
nysion £v Xiavai? sein kann oder muss, d. h. ob der Zustand
des Bezirkes sich aus der litterarischen Überlieferung über
ENNEAKRUNOS, LENAION UND AIONTEION EN AIMNAIE 217
jenes Heiligtum erklärt und umgekehrt die Überlieferung
durch die Ruinen neues Licht erhält. Und das ist in der That
der Fall.
Zunächst ist festzustellen, dass ganz im allgemeinen die vor-
handenen Heste eine andere Erklärung zulassen, als sie von
Dörpfeld bisher erfahren haben. Da ihm von befreundeter
Seite die Ansicht mitgeteilt war, der Kult der Anthesterien
sei später eingegangen, und da die ungewöhnlichen Terrain-
verhältnisse, die Aulhühung des Hodens schon in alter Zeit,
die Besetzung eines Teiles des Bezirkes durch die lobakchen,
die Thatsache, dass die Fundamente des Bakcheions höher
als der alte, später also sicher verschüttete Altar liegen, diese
Ansicht zu begünstigen schienen, so hat er angenommen,
das Heiligtum mitsamt dem Kulte sei später verschwunden
und dieser sei in dem Vereine der lobakchen aufgegangen.
Das wäre an sich sehr seltsam und ist unmöglich, weil der
Anthesterienkult sicher auch später noch als Staatskult be-
standen hat {CIA. 111 lUiO). Aber auch die Bodenverhält-
nisse machen diese Annahme keinesweges notwendig. Zwar
die Beste des alten Tempels waren später sicher verschüttet.
Doch kann sehr w^ol, wie Dörpfeld jetzt annimmt, an dersel-
ben Stelle auch später noch ein Tempel und Kult bestanden
haben. Der alte Bau mag im Persersturme, der ja vor dem
Burgthore Alles dem Boden gleichgemacht haben muss, unter-
gegangen sein. Die über seinen Fundamenten erhaltenen spä-
teren Mauern, welche älter sind als die Bauten der lobakchen,
können zu einem späteren Tempel gehören. Und wenn der
eindringende Verein den alten Bezirk beschränkte, so wurde
dieser, wenn auch nicht in demselben Verhältnisse, nach Süden
erweitert. Die Existenz eines späteren Tempels lässt sieh nicht
erweisen, aber auch nicht widerlegen. Dieses Hinderniss also
fällt fort. Aber es fehlt nicht an positiven Gründen.
Der heilige Bezirk des Dionysos Limnaios war das ganze
Jahr geschlossen mit Ausnahme des 12. Anthesterion ; aber
auch dann durfte kein [)i'olänes Auge das u.u(TTy;piov. welches in
ihm stattfand, schauen (iNeairarede 70). Worin dieses bestand,
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 15
218 H. VON pnoTT
wissen Nvir nicht: die Gerairen s-sTeXsTav tx Upi an den vier-
zehn Altäi'tMi, die aus Steinen oder Rasen aufgeschichtet ge-
wesen sein werden, ähnlich wie in den Ar,vai des 'IMieokritos.
Sie werden heilige Gegenstände und Üpl'ergahen darauf nie-
dergelegt haben. Diese Nachricht von der Unzugänglichkeit
des heiligen Bezirkes war bisher bei genauerer Betrachtung
völlig rätselhaft. Wie konnte denn an der 'Fass()ffnung' des 11.
Anthesterion und den Lenaien des Gamelion dem Dionysos an
dem im verschlossenen Bezirke gelegenen Altare geopfert wer-
den ? Da zeigt sich nun zu unserer grössten Überraschung ein
völlig einzigartiges Verhältniss von Tempel und Bezirk bei dem
aufgedeckten Heiligtume: der Tempel liegt, wie man nach den
Scholien zu Aristophanes Fröschen V. 2 1 5 erwarten mussle, im
Bezirke, ist aber von dessen grösstem Teile durch eine Mauer
und Thür abgeschlossen. Er konnte also zu jeder Zeit zugäng-
lich sein, wenn auch der dahinter liegende Teil des Bezirkes
verschlossen war. Aber freilich, der Altar liegt im Bezirke.
Indessen er ist für sich betrachtet wiederum o;enau so überra-
sehend wie die ganze Anlage. Wir wissen aus der Überliefe-
rung, dass am Altare im Dionysion ev Xtavaii; die Stele mit
dem Eide der Gerairen stand, und die Einarbeitungen in dem
gefundenen Altare sind ebenfalls für Stelen bestimmt gewesen.
Dies ist nicht etwa gewöhnlich sondern durch andere Bei-
spiele, so viel mir bekannt, nicht zu belegen, und es kann
auch kaum anders sein ; denn bei jedem gewöhnlichen Allare
würde eine solche Stele für das Opfer hinderlich sein und
durch das Feuer zerstört werden. Nun aber zeigen die Löcher
auf der Oberfläche nach Dörpfelds zweifellos richtiger Erklä-
rung.dass der erhaltene Teil nur derUnlerhau für einen grossen
Tisch ist, dessen säulenurtige Stützen in jenen Löchern stan-
den, dass es also ein Altar in Form eines Opfertisches war. Es
können daher auf ihm überhaupt keine blutigen Opfer dar-
gebracht worden sein, sondern diese haben ausserhalb des
abgeschlossenen Bezirkes an einem Brandopferaltare stattge-
funden, der, wie fast immer, vor dem Tempel gestanden liaben
muss. Genau dasselbe aber müssen wir aus der Überlieferung
ENNEAKRUNOS, LENAION UND AlO.NrilON EN AIMNAI2 219
erschliessen. Das einzige, was wir genauer von dem u.uaTr.p-.ov
des \'l. Antlieslerion wissen, ist dass die ßa-jtXiwa die Gerai-
ren vereidigte h x.xvoi: rpo; xö» ßwu-w -piv xizxichxi T(i)v Upciv
(Meairarede 78 j. A'un ist jedem bekannt, dass man scinNört,
wie der technische Ausdruck bei gewöiinliciien Eiden lautet,
'/taO' iepcöv tcXeicüv, indem man den AJtar oder die Stücke des
Optertieres selbst anfasst. Oie Inschrift von Andania f Üitten-
bev^ei',Si/lloge J88, 1 ) drückt dies besonders charakteristisch
aus durch öp/ai^eiv Leccüv xa'.oy.£V(üv. Anders die Gerairen : wenn
sie beim Schwur die Körbe berühren, in denen nur Opfer-
gerste oder Früchte und Ähnliches gewesen sein können, so
ist bei ihrem Eide kein blutiges Opfer gebracht worden. Solche
unblutigen Opfer, auf tischförmigen Allären dargebracht smd
gerade für den Dionysoskult charaklerislisch ', und ich zweiile
nicht, dass man die Ar^vai des Theokrilos vergleichen darf,
weiche die Upa izi-Kovri^i^x aus der /.ia-vn auf die niedrigen
zwölf Altäre legen. Dergleichen ganz einfache Kulthandlun-
gen, durch die Weihe der Abgeschiedenheit zum {X'j«jTr,piov im
griechischen Sinne erhoben, gelten den Griechen stets als be-
sonders ayia und eüaeSvi und die Neairarede hebt ja immer
wieder diese besondere Heiligkeit des Anthesterienkultes her-
vor. Dass endlich das höchst autlallende Fehlen aller W eih-
geschenke in dem heiligen Bezirke, deren Basen oder Funda-
mente notwendig erhaltin sein müssten, da die Grundmauern
und der Altar in Folge der Aufhöhungdes Bodens vortreülich
erhallen sind, zu der durch die Überlieferung bezeugten Un-
nahbarkeit dieses Baumes ganz merkwürdig stimmen, hat
bereits Dörpfeld genügend hervor gehoben.
Etwas anderes kommt hinzu. Dörpfeld nimmt gewiss mit
Beeilt an, dass die uialleii Wasseranlagen in Verbindung mit
dem Dionysosheiligtume stehen und umgekehrt. Wenn, wie
' Athen. Millli. 1)>80Ö. illl; Slepliaiii, 6'üm^)(e->e/a/u 1868 S. 146 IV.iWiii-
ler, IJlicr ein Vurbikl luni - aUisclier lieliols (5U. lieiliiu-r ^^'i^u•kelnlanns-
pruyiiuiiin) ö. 114. Eiia-ii gloiclicii iiiil Krüclilou lieilocklfii Allar /eittl das
Keliel' aus doiu Asklf|iioiun Athen. .Mitlh. 1878 Tal. IG. X'gl. liei.sch in
Paulj - Wissuwas lical - Enc^clupadif I S. 1070.
220 M. VON PROTT
sich als wahrscheinlich herausstellen wird, der Bezirk das
A-if)vaiov, der Kelterplatz ist, so würde sich dies aus rein prakti-
schen Gründen von selbst verstehen, denn zum Keltern und
Wein bereiten o;ehört Wasser. Derartiges scheint Eustathios
anzudeuten in der vom oivo; Ilpäaveio; handelnden Stelle durch
die Notiz (zu A 641 S. 671, <>8): Xt'yovTat youv uSara c)cXY)pä
xprvaiz Tiva a)T7rep y.xi oy-Spia sv ^ijcucivi t£ '/.cni 'A6y)vr, di
ypr/Ttaa ei? oivov auvaSovra tw TeOa^axTtoaevw. Im folgenden er-
klärt er den ins Meer fliehenden Dion^'sos als den otvo? TeOa-
XaTTWfxevo?. äXXo. toöto [/.ev st? tÖ TraXaiouaOai otvov y^pr,<7i[xov, et?
OS Tr,v sTzl Tpa7r£(^y;; /(,ai ttotou Trpo'js'vs^iv sispoiov oSwp yp-oaröv.
Siö Nüp, cpat fxuOsuovxai xiövivoi Aiovuaou stvai ou [/.övov al xax'
afXTTs'Xou; Gswpoufxsvai xai staxa axacp'jXä? .... ä'XXa x,ai al xot;
xaxä y. paatv üypoi; eTrirjTscxouaat, wv as'po; s^^xiv oü xai xa X i-
[^.vaia.Und dann folgen Exeerpte aus Phanodemos undTheo-
phrastos , die vollständiger bei Athenaios XI 465» stehen.
Phanodemos giebt als Erklärung des Kultes in 'Xiavat die Le-
gende, dass der Dionysos Limnaios die Mischung von Most
und Wasser erfunden habe, und schliesst ebenso wie Theo-
ph rastos : Sioxsp övoaa'iOr/vai xöc? Tinriyä; No[y, (pa;; )cai xi6'/iva<;
xoö Aiovucro'j. Offenbar hängt damit zusammen die wiederum bei
Theophrastos und ausserdem bei Pliilochoros vorliegende Über-
lieferung vom Dionysos 'Op66<; und Aaiawv "Axpaxo; (Athen.
II 38c. V 179e. XV 693c): Amphiktyon ' lernte von Dfo-
nysos die Mischung des Weines mit Wasser, und da die Men-
schen seitdem nicht mehr trunken wurden sondern öpOoi blie-
ben, gründete er dem Dionysos 'OpOo? einen Kult. Zur Erin-
nerung aber an die frühere Zeit wurde die gtcovSt; a/.paxo? des
'Aya^oi Aaiaojv vor dem Symposion eingeführt. Die V^erbindung
dieses alten dionysischen Dämon mit dem Anthesterienkulte
bezeugt Plutarchos aufy.x. III, 7,1 S. 650« und VIII, lö,3 S.
735 c. Der Altar des Gottes stand im lleiligtume der Hören,
die x6v xrii äfjLTCsXou )capxov 6)txp£(pou(jiv und deren enge Ver-
' Unter ihm fand die Epiplianie des Gottes in Athen Statt: Euseb. Chron,
II ö. 30; vgl. Paus. I, 2, 4.
ENNEAKRUNOS, LENAION UND AIONTEION EN AIMNAIE '221
bindung mit Dionysos bekannt ist ( besonders Athen. II 3ß(l);
ttXyi'iiov S' a'jTO'j x.ai Tai? N ü (;- cp a t c ßu>u.öv £0£it;.£v Ü7:ou.vr,L/.a toi?
Ypa)|j.£voi; TT,? /C p z 1 £ (0 ? 7i:oio»ju.£vo?' K3C'. yap A'.ovüio'j t p o C[< o i al
N'j(y.9ai >£yovTa'. In s()ätet'er Zeit ( Pbiloslr. vila Apoll. I\',
21 ) fanden an den Anlliesterien ' im Tlieater Aufliilirungen
irgend welcher Art von Hören, Nymphen un(i Bakclianlinnen
ausgelührt Statt. Kaum kann man zweifeln, dass in jenen Nach-
richten der Atthidographen und des Theophrastos eine ge-
schlossene Überlieferung vorliegt, welche Legenden über den
Anthesterienkult enthielt. Zu schliessen ist daraus, dass die
Kulte des Dionysos 'OpOo?, des Ay.iu.cov "AxpaTo?, der Nymphen
mit dem Dionysion äv Xiavat? aufs engste zusammenhingen.
Jene Nymphen, die Pflegerinnen des Dionysos, sind die Ny-
sai, welche in Athen Kult hatten [C. I. A. III 320 und 351 )
und auf die Aristophanes mit dem N'jct/iov Atö? Aiwvuaov £v
Xity.vat'jiv anspielt. An der Quelle des Pnyxabhangs sind un-
zweifelhaft Nymphen verehrt und von der Braut mit den zpo-
T£).£ia bedacht worden 2. Ist nicht das von Akropolis, Areopag,
Pnyx und Museion eingeschlossene, dem 'Nymphenhügel '
benachbarte Thal, das von den Nymphen der uralten Kallir-
roe bewässert im Schmucke der Blumen des Anthesteriengot-
tes prangt, das athenische Nysa, zu dem Köre vom Eleusinion
oder Thesmopliorion,(3reithyia von der Akropolis niederstei-
gen um Blumen zu pflücken und am Areopag entführt wer-
den^ ?
< Maass, Orpheus S. 84 f. bezieht die Nachricht von den 'Aiovjdia' auf
die kleinen Mysterien und erwartet den Gegenbeweis. Er hätte wol unige-
ivehrt beweisen dürfen, dass ein [xuaxTipiov im Tlieater vor sich gehen und
ein Fremder, der zu einem Mvsterienfesle geht, im Theater musisciio Auf-
führungen erwarten kann.
'"ä Hierauf hat mich P. Sticolli aufmerksam gemacht. Vgl. Plul. ainat.
narr. 1 8.772'', Schol. Find. Pylh. IV, 104. Slicolti wird darauf bei anderer
Gelegenheit eingehen.
3 Soviel kann schon jetzt als gesichert gelten, dass vor dem Burgfhore
der Mittelpunkt lag, um dtMi sieh eine Reihe sehr aller alheiiischer Kulte
gruppirt hat. Unter den Funden der deutschen Ausgrabungen ist leider
nichts, was meine Vermutungen bestätigen könnte. Aber sie stammen fast
alle aus jüngerer Zeit, in der die Gegend gründlich umgestaltet war.
H. VON PROTT
Nach alledem kann man eigonllieh nielit mehr zweifeln,
dass das Dionysion h Xiavai? wirklich gefunden ist. Dadurch
alxM' ist das Problem der athenischen Dionysoskulte schwie-
riger als je ii;eworden. Ehe ich die Foli^erim^en für Thiiky-
dides zu ziehen versuche, muss ich hierauf und speziell auf
die Feste näiier eingehen.
Über die Anthesterien und grossen Dionysien sind wir aus
der Überlieferung genugsam unterrichtet. Ungünstiger gestellt
sind wir für die Lenaien, von denen zunächst nur sicher ist,
dass sie in Athen im Gamelion, in Jonien in dem entsprechen-
den Monate, dem Lenaion gefeiert wurden. Aber durch sorg-
faltige Kombination lassen sich doch noch eine ganze Reihe
von Thatsachen feststellen. Der sicherste Ausgangspunkt ist
der Kalender von Mykonos*, wo es Z. 15 ff. heisst: Avivaiö-
vo; Se/CtxTTii" itzl on^rii itizko x.xpTroO A-ou.riTpt uv £vx.u[/-ova xpco-
TOTOXov, Koprit x,z7rpov xeXeov, Aii Bo'jlei y(_oipov. - - - svöe-
[xJ(x)tY11" ItcI ToTaTcXfjOo? SsjAsXTQt iTTjTtOV TOÖTO EVaTSUETat.
SucoS£)täT6i Atovu'jwi Avivst STYiiTtov. — utc(£) [p] xa(p)7rwv Aü XGovi(j)l
Fvii XBoviYit Sspra y.i'ky.'^x £Tir)(ii(a)" ^e'vwi ou 0£[j!,i(;* öxivu'jOwv
auToO. Entsprechende Opfer finden sich in dem >.6yo: exiTra-
Töjv 'EXe-jcivöOsv^, wo in der sechsten, Ende Poseideon oder
Anfang Gamelion beginnenden Prytanie zwischen einer Aus-
gabe für die llaloen (im Poseideon, Z. 8) und einer anderen
für die Ghoen (im Anthesterion, Z. 68) verzeichnet wird:
£7rap"/'o A-^a-orpt /.ai Kopr;'. y.xl IIXo'jtwv, P. iTciTrixai? £7r'.>.7)va'.a
£t; A'.ov'jfTia OüTa-. AA. Dass dieses zusammengehört mit dem
Kalender von Mykonos, dass wir hier altjonischen Lenaien-
brauch vor uns haben, einen Kult des Dionysos, dem nicht
ein Bock, sondern wie im chthonischen Kult sehr üblich ist,
ein Schaf (iTr,«7'.ov) geopfert wird, eingerahmt von chthonischem
' Dittenbcrger, 5j///o(;i?373=i,ef/e.9 Gmec. iarz-ae 4. Mit Unreclit habe icli in
meinern Conirnentar Rosclier aijgcslrillen, dass die Opfer des X. zu den
Lenaien gehören. Den Naclilrag auf S. '\b, den Waclisniulli (8. 'iO,;') nicht
ganz veisliindlich linchM, nifichlt! icli durcl) die hier gegebene, hoH'enllieh
etwas klarer ausgefaUene Darstellung erselzl wissen.
2 C.I.A. II add. 834 b, II, 4ü.
E.N'NEAKRUNOS, LENAION UND ilONmON EN AIMNAIE 223
Kult ilei' Unl(M wells^ötlei'.lie^j;! klar zti 'ra^o.N'ei'miillicIi j^eliöi L
in diese Reihe auch das Opfer für die It-ds mit den eleusi-
nischen Gotlheilen vcrhiiiiiletie, teils ihiieii reiiidliche Daira'.
Da um (Jieseihe Zeit endlich {nonis lanuariis Plin. n. h. II.
103) das Fest in Andros t^efeiert wird, so hat L'sener, Acta
S. Tiinollu'i S. 2i f. mit Hecht geschlossen, dass die Lenaien
um den dionysischen XII. anzusetzen seien, wie Antheslerien
und grosse Üionysien.
Wir können aher. wie ich glauhe, noch weiter kommen
und auch die Bezeichnungen der einzelnen Festtage wieder ge-
winnen. In den auf Plutarchos zurückgehenden Erklärungen^
des Lenaion bei llesiodos "Epya 502 wird unter anderen auch
die gegeben : r, d-rrsiSri Aiovutg) sttoio'jv sopT'/iv TüJ ar/vi toütw 7)v
'Afxßpoatav sxzXo'jv. Dies ist schon deswegen nicht erfunden,
weil es scheinbar gar keine Etymologie ist. Denn die Be-
hauptung. äaSpocia bedeute den Göttertrank, d. h. den Wein,
ist unrichtig, selbst wenn Plutarchos sich den Namen so
erklärt haben sollte. Vielmehr ist bekannt, dass aiA^poGtat
häufig vom Honig, der Speise der Unterirdischen gesagt wird,
und überliefert, dass im besonderen so eine im chthonisehen
Kult übliche Gabe bezeichnet wurde, durch die man sich die
Gunst des Zeus Ktesios sichern wollte'*. Genau dasselbe wollen
die Athener mit ihrer i7:3cp/7j, die Mykonier mit ihrem Opfer
ÜTcep Kap-cüv,denn der Zeus KTr.cio; ist nur eine Erscheinungs-
form des Zeus XOovio?. Man darf also mit ziemlicher Wahr-
scheinlichkeit als Bezeichnung des X. Gamelion 'AaSpoiia
* Im Gamelion Lege^ Graec. sacrac '26, B, 12, vor den Lenaien C. I.A. II
741. Über Daira vpl. Rohde, Psyche S. 261,2; TöptTer, Attische Genea-
logie S. 95 f.
2 Proklos, Tzetzes, Mo.schopulos zu der Stelle; Hesych. ATjvatiüv ; Et. M.
564,6; Et. Gud. 368,55.
•* Pau.saaias hei Euslatli. zu Z 176 S. 976, 1 x^opoilx ^ho; n ajvOEJiuj; If
u8aTo; ä/.pa'.?pvoC); xal (jlIXiio; xai eXaiou na'^mapziai ; Antiklt'idcs liei Athen. XI
473« ä(j.6poaia jotDp izsaupvE:, k'Xaiov, nayxapTt-'a. narnacli war die au.6poaia
wol !Jh'op «xpaitpve? xal [xi'ki xa't k'Xaiov xal r.ai-^x.apr.ia. \ gl. Koscher, Nektar
und Ambrosia Ö. 65 f.
H. VON PROTT
vorschla<];cn. Zugleich erklärt sich ans dieser Verhinduno; von
Dionvsos- und Demeterkull die liolle welclie der Daduchos
an den Lenaien spielt ( Scholien zu Arislophanes Frösclien
V. 479). und weshalh die Verwaltung der l.enaien in den
Händen nicht nur des ßaTt'Xsuc. sondern auch der iTZK^iKnzxl
jjLuTTripiwv (Arist. 'A6y;v. t.'A 57, C.l.A. II 741) liegt.
Ein anderer Tag hiess vielleicht KVr,y.xTi:. In dem Ephehen-
monument CIA. II 482,31 wird unter den Verdiensten des
Rosmeten erwähnt reO-JZ-Evat jastÖ. töjv stp-ö^wv xf, ts v.\r,\).ct.-.i%\.
/cal Tvi TcoaTTvi toü 'EXa9r,€oXiaivo; und dazu hat Michaelis die
schlagende Parallele nachgewiesen bei Plutarchos de cupid. di-
vil. 8: r) Tczxpioi; twv Atov'j'Jicov eopxY) xö TrxXatov sTcsaTCexo öYiaoxi-
kcü; y.ai IXapcö;, äa9op£'j; oi'vo'j -/car x.>.'/iaaxi?, eixa xpayov xi; elXxsv,
<x)^.Xo? iTvacSwv appij(^ov ■yix.oAO'jOci x.oyi^^cov, sttI TCÄfji öe 6 (paX'Xö«;.
Hier scheint der Tag der Lenaien-Pompe gemeint zu sein, an
der die Epheben sicherlich, obwol das sonst nicht ausdrück-
lich überliefert ist, beteiligt gewesen sind. Denn wegen der
Tuixpio? £opx-^ möchte ich die K\n\hy.Tic, nicht mit dem vorher
erwähnten Feste des Antonius im Anthesterion in Verbindung
bringen'.
Ein dritter Tag hiess höchst wahrscheinlich 'lo^x/.ysia.
Die Gerairen schwören an den Anthesterien (Neairarede 78):
xä Ösoivia x.al xa 'Io€ix.y£'.a yspaipco xo Aiovu<tw xaxa xä Tiraxpia
y.al ev xoii; xaO-/iKO'j'7'. ypövot?. Die ösoivta sind als ein städti-
sches Fest zur Zeit der ländlichen Dionysien im Poseideon
bezeugt^. Also schwören die Gerairen offenbar zwei, vielleicht
darf man sagen die beiden voraufgegangenen Dionysosfeste
Kaxöc xä Tcxxpia begangen zu haben. Und da auf Astypalaia
der Monat 'loSoot/io?, in dem Aiov-j^ta stattfinden, dem joni-
schen Lenaion entspricht^, so darf man vermuten, dass die
' Freilich ist möglicti, dass die KXT)u.aT;; ein Festlag (ter grossen Dio-
nysien war, aber nacii dem gan/eii Zusainnienliange ist dies niclil das
wahrsclieinlicherc.
2 Das Material bei TöpfTer, Attische Genealogie S. 12 und 105 f.
3 li.Ü.n. VIII S. -l^, C.J.G. II 24S4; vgl. Bisclioll', De faslis ö. 376 ff.
ENNEAKRUNOS, LENAION UND AIONTLION EK AIMNAIE '295
athenischen 'lo^x/./s-.a ein Teil der Lenaien sind. Dass sie
auch joniscli waren, verbüi't^en die iöSa/./oi genannten Rult-
lieder des Archilochos ' und der erhaltene Vers
Ay)u,-/)Tpo? a.yv^(; jtai Kopr,; Tr,v Travoyjpiv Tsbcov
kann sich auf das altjonische Fest der chthonischen Götter-
trias atn X. Lenaion bezichen. Darnach kann man mit einiger
Wahrscheinlichkeit folgendes für Athen vermuten :
Gamelion X-Xll A'.ovöor-.a tÖc inriXTivaia.
» X 'Au.^poiix ; i-!:oi^'/jri Ar,y.r)Tpi x.xi Köp-(i y.xl
ll>.OÜT(j)Vt.
» Xi K'k'nu.xxiq ; ttou-ty).
» XII ^lo^y.K'/v.oL.
Von der Ikdeutung des Festes lässt sich mit Sicherheit
zunächst nur sagen, dass es kein Kelterfest ist. Das wäre
lifcus a non lucendo, denn im Januar und Februar wird
nicht gekeltert. Das Fest heisst oßiziell AtovuTia toc ir.\\r,^v.\.%
oder xä iizl Ar,vatq) 'das Dionysosiest an der Kelter' oder 'am
Kelterplatz', nicht 'das kelterfest '2. Daneben freilich kommt
schon früh der diese umständliche Ausdrucksweise vermei-
dende kurze Name Avivaia auf^. Mit merkwürdiger Zähigkeit
aber hat sich der Begriff etciV/ivio; bis in die spätesten Zeiten
des Griechentums erhaltend Die Alten erklären daher zwar
< Hephaeslio 98 G^., Stcpli. Byz. Bc'/ap ; vgl. Proklos l)oi Pliot. Bibl.
320 b 31.
2 Ebenso in Ephesos Inscr. Brit. Mus. III 602 b; interessant sind dort in
Fragment d der ßouxoXo; und die ßaaaäpai.
3 Aristopii. Ach. 1055; Athen. IV 130d . V 217« ; C.I.A.U 1367, III 1160;
LG. Sic.Ilal. 1097-98; I.C. Ins. I 125 (wo nur Athen gemeint sein kann) u.s.w.
Ari'vaia ist Substantiv, sTctXrlvaia Adjektiv; niemals heisst das Fest Atovü^ia
ÄTJvaia und niemals ' ETuXrjvata schlechthin ( nur Aiovüaia sTz^XTJvaia). Darin
scheint mir das ganze Geheiraniss des Festnamens (Wachsmulh S. 45)
enthalten zu sein. Der Darstellung A. Körtes (Ithein. Mus. 1897 S. 168 (T.)
kann ich uiclil beitreten. Der Name des Festes soll 'liereits im IV. Jahrhun-
dert rormclhall erstarrt sein, weil es damals längst nicht mehr Ul Arivaiw
geleiert wurde'. Selbstverständlich ist das Fest bis in die späteste Zeit ej:i
ATjva^ü) gefeiert. P'esl und Agon ist doch nicht dasselbe.
* 0£oi mXTjvaioi Maximus Tyrius XXX, 4,5; ImM'^it Baxxs Orph. hymn-
L, 1; I:ciXt{viov [xeXo;, ujavo;, op/^T-i Athen. V 199» , Poll. IV, 53 und 55,
?26 H. VON PROTT
den Dionysos Lenaios als Krfinder der Kelter und sein Fest x-ko
t9)<; ■XrvoO.aber nie als eigentliches Kelterf'est*. Um dieSeiiwie-
riü;keit zu umgehen versucht es Plutarchos mit der ä[j(.€poatx,
ja sogar mit der Wolle (X'^vxta=i'pia). weil der Monat TrpoSxxo-
Söpa; sei. Die richtige Ableitung ist natürlich die von dem
Stamme, der in den >f,vai, den Bakchantinnen, zu Tage tritt,
A-nvatl^ü) hat Herakleitos'^ synonym mit p-aivsaOxi gebraucht. Die
Vorstellung erklärt sich aus dem dionysischen Schwärme. der
umVVintersonnenwendesein Wesen treibt (Usener,G(')tternamen
S. 42 f.)-'. Diese Vorstellung aber ist dem jonischen Stamme
nicht eigentümlich. Denn X-ovai heissen nach Hesychios die
Bakchantinnen bei den Arkadern, bei Theokritos XXVI die
Töchter des Kadmos. Der Frauenname Ari^x ist peloponnesisch
(Hermes 1891 S. 148 f.). Zum Kelter- und Weingott konnte
treilich der Xyiveu? vielerorts nicht werden, da die Kelter do-
risch Xavö; heisst.Aber Kult kann er trotzdem gehabt iiaben,
so gut wie der Anthesteriengott, dessen Fest auf Thera ganz
wie in Jonien begangen wurde.
Die schwierige Frage ist nun: waren Dionysos A-iovaio; und
Atij.vaio; in Athen zwei göttliche Wesen oder eines, oder was
dasselbe ist : waren A/jvaiov und Dionysion iv >.tpai? zwei
Kultstätten oder dieselbe? Natürlich konnten sehr wol die
Lenaien bei dem Tempel gefeiert werden, während der abge-
schlossene Teil des Bezirkes unzugänglich blieb. Die beiden
Kultnamen Avivatoc und Aiuivafo;, so verschieden von einander
wie Wasser und Wein, können zwar leicht dazu veranlassen,
beide Kulte scharf zu trennen. Aber auffallend ist, dass die
Etymologien und Legenden der Alten den Aiu.vato? immer
mit dem Wein und den A-övato^ mit der Kelter zusammen-
[Anacr.] 57,8, Longus II, 36; iml-^via yaipeiv Oppian, Cyneg. I, 127 (vgl.
Tot £7ti XtjvoTj axwji(AaTa Loilgus IV, 38,3).
< Proklos zu Hcs. "Epya 502; Diod. III, 63. IV. 5.
2 Clem. Alex. pmtr. S. 2U (vgl. S. 3) P. ; Plularclios, De Is. et 0.s. 28
S. 362 . Vgl. II(;sycliio.s XrjVEtiouar ßax/eüouaiv.
3 Vortrefnicli passt dazu die Bezeichnung des Gottes als öoäv Xrjvay^ta;
Bax/äv in dem halikarnassisclieu Epigrainin Inscr. Uril. Mus. IV 'JÜ2.
ENNEAKRUNOS, LENAION UND AIONrEION EN MMNAIE ??7
brino;en. Die lob ikchien endlich könnpn natürlich an sich auch
bei einem Ijesonderen 'Io?x/.-/'.ov gefeiert worden sein : aber da
sie augenscheinlich zu den beiden anderen Festen sehr en^e
Beziehung hal)en, so ist es sehr möglich, dass sie an deren
Kullslätten stattfanden. Waren sie ein Teil der Lenaien, so
denkt man sie sich am liebsten im Lenaion gefeiert; und mag
dies der Fall gewesen sein oder nicht, ihre enge Beziehung
zu den Anthesterien zusammen mit der Thatsache des lo-
bakchenkultes auf dem Grunde des Antbesterienheiligtumes
legt die Annahme sehr nahe, dass sie beim Dionysion iv
Xip.vat<; geleiert wurden.
Alles dieses leitet darauf hin, den Avivato? und A-.avaio; für
ganz leiclite Differenzirungen derselben göttlichen Person zu
halten oder besser vielleicht eine in ^Vthen durch besondere
unbekannte Umstände veranlasste teilweise Identificirung
zweier verschiedener göttlichen Wesen anzunehmen. Dann
müsste man beider Kultlokale für identisch halten. In die-
selbe Richtung weisen die direkten Zeugnisse. Zwar die
Ilesychiosglosse li^yv.i- h 'AOr^vat; [ai] TOTCo: ivgiaevo; A'-ovo-rw
oTTou ra. Ayjvxtx /lysTo ist unsicher, weil, was Niemand bisher
hervorgehoben hat, das entscheidende Wort, der Festname
verdorben ist. Die Handschrift giebt 'Xaia, was zwar sehr
leicht zu )^(rjv)ata geändert werden kann, aber vielleicht mit
mehr Recht, zumal llesychios auf die Thukydidesstelle sich
zu beziehen scheint, zu <('AvOe'7T7ip)'.a ergänzt werden darf.
Das einzige Zeugniss, welches den Lenaios mit dem Anthe-
steriengotte identificirt, ist das Scholion zu den Acharnern
9fi1, welches aus Apollodoros die Anthesterien schildernd
bemerkt: öv Si ioovri A-.ovjao'j Ar,\xio'j. Ist es auch unsicher,
wie VVachsmuth mit Recht bemerkt, ob dieser Zusatz von
Apollodoros oder vom Scholiasten herrührt, so ist dies doch
immer eine Überlieferung, wenn auch nur eine Scholiaslen-
überlieferung. Und unterstützt wird diese durch den \'ei's der
llekale A'.avxioj Ss '^opoTTxSa; Y)yov iopTi? (fr. *280 im Schol.
zu den Fröschen "i 1 5). Man bezieht diese Stelle fast immer auf
die Lenaien, an denen natürlich lange vor Einfuhrung der Ko-
2?8
H. VON PROTT
mödie dionysische Kultgesänge vorgetragen wurden. Öhmiclien
und Waclismulli aber haben mit Recht darauf hingewiesen,
dass sie sich auch auf die Antheslerien beziehen könne, an
denen nach Phanodemos (Athen. XI 465" )* Kultlieder zum
Preise des Gottes gesungen wurden. Nur scheint mir, muss
man beides verbinden und beide Feste verstehen. Denn der
Plural eopTä; lässt sich schwerlich von den wiederkehrenden
Feiern eines und desselben Festes verstehen und es sieht fast
so aus, als ob der Alexandriner den Atthidographen citire.
Das Ergebniss der Ausgrabungen ist für die Religion
wichtig genug. Wenn nicht Alles täuscht, sind das Lenaion
und das Dionysion Iv Xty.vat? identisch, nur dass tö A7)vaiov
speziell das Temenos, den xspißoXoc, wie die Grammatiker sa-
gen, bezeichnet. Schwierigkeiten macht das weiter nicht,
denn tö toO h >.i[j.vaic Aiov'jaou ispöv oder AtovÖTiov ist kein
Eigenname sondern heisst 'das Heiligtum des Dionysos in
den Sümpfen'. Und in diesem Bezirke sind zwei Gottheiten,
der Avjvaio? und der Aiu.vaio? verehrt worden, deren ursprüng-
liche Verschiedenheit man nicht bezweifeln kann. Wie es
gekommenist. dass in Athen diese beiden jonischen Dionyse
so verschmolzen sind, entzieht sich unserer Kenntniss. Aber
waren dann — diese Frao;e drängt sich zum Schluss uns wider
Willen auf — nicht doch auch die Feste in Athen identisch,
waren nicht die Lenaia nur ein Festtag oder Festakt der
Anthesterien ?
Ich würde auf diese Theorie Dörpfelds (vgl. zuletzt Theater
S. 9), die mit der Überlieferung nach meiner Meinung
durchaus unvereinbar ist, nicht zurückkommen, wenn er
nicht auf sie durch konsequente Erklärung des Thukydides
gekommen wäre. Die Stelle t6 Iv ^ifjLvat? Aiovocrou (Upov), w xi
äpyaiÖTEca AiovoTia tyI ScoSe/täTri Troteixai iv {/.y)vi 'AvÖETTYiptcJvi,
bietet allerdings eine grosse Schwierigkeit. Zwar t^ SwSeKiTip
' Wo man niclit gut tliun wird, den 'Blumip:cn' EuavO^; diirdi Con-
jeklur zu cnlf(3rncn. Vgl. übrigen,s Nounos XXVII, 3üb f.
ENNßAKRÜNOS, LENAION UND AION^EION EN AIMNAIE 229
scheint mir keineswegs interpolirt und unerklärlich , zumal
es niclit an 'falscher' sondern an hervorgehobener Stelle
steht: 'ann zwölften und zwar im Anthesterion ' *. Die Kulte
des Dionysos sind sich in ganz Griechenland sehr ähnlich ge-
wesen, aber lokale Unterschiede hat es natürlich auch in
ihnen gegeben. Zufällig wissen wir, dass in Boiotien das Fest
früher im Monat stattfand ( Plutarchos S-jutt. lil, 7, 1 S.
655'' und VIII, 10,3 S. 735«). Wenn nun überall im joni-
schen Gebiet der Haupttag des F'esles, der Upoc yäfy-oc, auf den
altheiligen und gerade dem Dionysos heiligen XII. fiel, so
musste diese auffallende Einheitlichkeit des Kultes einem
Griechen in der That den Schluss nahelegen, das Fest sei
von einem Punkte aus verbreitet worden. Jedenfalls scheint
mir nur der zur Tilgung von xri SwSsxzt-/) berechtigt zu sein,
der einen abweichenden jonischen Kult nachweisen kann.
Aber wie ist äp/aiörepa zu erklären ? Aus diesem Comparativ
hat Dörpfeld geschlossen, dass Thukydides nur zwei Feste
mit einander vergleiche, die grossen Dionysien und die An-
thesterien, dass mithin die Lenaien kein selbständiges drittes
Fest seien. Man musste ihm darin unbedingt folgen, wenn
nicht ausser der von mir versuchten Rekonstruktion eine
ganze Reihe anderer Gründe die Lenaien als selbständiges
Fest im Gamelion neben den Anthesterien erwiese. Aber
einen Ausweg sehe ich allerdings nicht. Völlig sicher ist,
dass Thukydides als Gegensatz zu dem Dionysos ev Xiu.vat;
den Eleuthereus denkt. Auch werden ganz mit Recht die
vom Archon verwalteten grossen Dionysien in Gegensatz zu
den Aiovo'Tta der Königszeit gestellt. Aber nicht nur die An-
thesterien, auch die Lenaien werden vom Könige verwaltet.
Trotzdo!n wird der Comparativ gebraucht, als ob nur zwei
Feste vorhanden wären, die mit einander verglichen werden
könnten. Und sicherlich hat Thukydides nicht den Superlativ
* Das grammatische Bedenken hebt doch wol die Inschrift Athen. Mittii.
1895 S. 'JÜU SV iü»i 'ApTefxtoitüt jATjvl £5öd[xai latauevoü.
230 H. VON PROTT
äpj(^at6TaTa gebraucht, denn wie halte er behaupten und
entscheiden können, die Anthesterien seien auch älter als die
Lenaien ? Der Comparativ würde psychologisch vielleicht er-
klärbar sein, da ja von zwei (Jöllern und zwei ileiliglümern
die Rede ist, wenn nur nicht die ganz bestimmte Angabe x-^
S(oSs)txT7i £v y.rivl 'AvÖ£OTr,piü)vi iolgte. So muss man denn auch
hier einen Mangel von Präzision im Ausdrucke annehmen, wenn
man nicht die Frage wirklich tür unentschieden halten will.
Denn das einzige Mittel, welches die Schwierigkeit beseitigen
würde, die Conjektur w töc äpyaiÖTspa Aiovucta xf, S(oS£>cäT'yi
TToisiTai £v {jL7]<^(jy>i <^rap.7)Xid)vi x,(xi^ 'AvOsTTvipicjvi wage ich nicht
vorzuschlagen, wenngleich es eigentlich auiTällt, weshalb
nicht auch die alten und allen Joniern gemeinsamen Lenaien
zum Beweise herangezogen sind.
überschauen wir zum Schlüsse die Thukydides- Stelle, so
wird iXiemand behaupten dürfen, dass Üörptelds l^rklärung
(Athen. Mitth. 1895 S. 188 IT.) philologisch unmöglich sei,
und Niemand leugnen können, dass sie die einzig konsequente
ist, welche allein die sachlichen Schwierigkeiten beseitigt.
Den sprachlichen Ausdruck allerdings glaube ich im Einzelnen
anders verstehen zu müssen. Dörpleld betont, wie mir scheint,
zu sehr, dass in der Beweislührung des Thukydides tö 7tp6?
vÖTov [jLäXicTa TSTpa[/.[/.£vov keine Rolle mehr spiele und un-
beachtet bleibe, in Folge dessen also touto t6 p.£poi; z^c, titoXeco;
dasselbe bezeichne, was vorher durch ti axpÖTvoT^t«; xai t6
ütt' aÜTy)v Tirpcx; vötov [xöcXidTa T£Tpap.p.£vov zusammengetässt sei.
Der scharte Gegensatz von aüxri t) ockpotcoXk; und toöto to p.£po;
verlangt nach meinem Gefühle, dass auch im Folgenden die
Zweiteilung beibehalten ist. Darnach kann ich unter toGto t6
u.£po? TTj^ 7coX£(0(; nlcht 'diesen Teil der heutigen Stadt, diesen
Stadtteil', sondern nur 'diesen Teil der damaligen Stadt',
nämlich tö ÜTr'aÜTviv -po; VÖTOV tv.ÄAtTTa T£Tpa(xp.£vov verstehen.
Gemeint ist damit das Pelargikon und dieses lag zum grössten
Teile südlich der Akropolis, umfasste aber auch den VVestab-
iiang und gritt aut den iXordabhang über. Trotzdem kann jxot-
XicTa nicht 'hauptsächlich, muxunam partem' beissen. Es
Enneakrünos, lenaiox und ÄioNrrroN en mmnais 231
bedeutet, dass die durch diesen Zusatz eingeschränkte Angabe
zwar nicht genau zutrifft, aber der Wirklichkeit am nächsten
kommt. 'Das Pelargikon liegt, um sich nicht mit zu genauen
Bestimmungen aufzuhalten, kurz gesagt südlich der Akro-
polis'. Sachlich aber wird durch diese Kleinigkeiten an der
neuen, lückenlos zusammenhängenden Auslegung des Thu-
kydides nichts geändert. Und so wird denn wol Jeder, der
sich angesichts der dörpfeldschen Ausgrabungen die ganze
Sachlage vorurteilsfrei überlegt, mit der Zeit zu der Überzeu-
gung kommen, dass die neue Theorie nicht auf Sand gebaut
ist und dass wirklich der alte Stadtbrunnen und t6 äpj^a-.oTa-
Tov Upöv Tou Aiovoaou kolI ayiwTaTov iv >.i(;,vai; gefunden sind.
Athen, Juni 1898.
H. VON PROTT.
■*i* • iji ■•>»■
EINIGE VERGESSENE AMPHORENHENKEL AUS RHODOS
In dem Werk der Malers Albert Berg über 'Die Insel Rho-
dos' ( Braunscbweig 1862) findet sich auf S. 47-50 eine Be-
trachtung über die riiodischen Ainphorenhonkel mit Stempeln,
welche sehr mit Unrecht von den späteren Forschern, darunter
leider auch dem Schreiber dieser Zeilen, übersehen ist. Dort
sind zunächst je zwei zusammen gehörige Henkelpare abge-
bildet, die mit einander verbunden gewesen sein sollen, wenn
sie auch in der Abbildung getrennt erscheinen. Es sind dies:
1. a. (Rose) EPI0IAANIOY b. AFPIAMOY (so)
ArAOOKAEYZ
Helioskopf
2. a. EPIArEMAXoY „^ch rechts, ^- API^TaHO^
OE€MoCl)OPIOY hesoiidors
eineednickt.
Schuchhardt, Inschriften von Pergamon II S. 426 zählt
sechs ganze Amphoren , von denen fünf die drei erforder-
lichen Angaben (Priester, Monat, Fabrikant) auf beide Henkel
verteilt, eine wol versehentlich Priester und Monat auf beiden
Henkeln, den Fabrikanten gar nicht nennt. Dazu kommt eine
ganz erhaltene Amphora aus Kition, die Perdrizet B. C. H.
1896 S. 357 mitteilt [n. ird 'ApxTO'^aveu? nA''-|MOY, was
doch trotz der scheinbaren Schwierigkeit llavau-oi» sein muss,
b. 'ApETo/,>ei;?), eine dieCesnola, Cyprua S. vM6 (Taf. 40, 4-6;
S. 185 der deutschen Ausgabe) abbildet {a. i~\ Zsvocpävxou
'ApTaaiT'j, b. 'lTC7ro)tpaT£i)(;) sowie BUS Raibel «/. G. S. 1. 2393,
1 - 9 sieben weitere Exemplare aus Sicilien * ; ferner wird der
< Nr. 5.7 Kail)cl = Nr. 2. 1 Scliucliliardl. N('licnl)ei hiess der Priester bei
Kuibel Nr. 8 walirsclieiiiliclier t)[£]uStopou als [lluOojSoipou.
EINIGE VERGESSENE AMPHORENHENKEL AUS RHODOS 233
nächste (III) Band der /. G. Ins. eine ganze Amphora aus
Syme (Nr. 27 a. ett' [epea); pHpayopa, b. [X'apiTojvo;), drei aus
Telos (Nr. 83 a. ir.l 'Ap{Ao[TJi[X]a, b. Dpoö'JfAou. 'Ap-raaiTio'j. Nr.
84 a. iTzi ispscoi; [^.eu? (?). b. 'Extyovou. ©ECj^.ocpopio'j. Nr.
85 a. ird 2(oSay.ou. Aa>.iou. b. Sto/.paTs-j?. (J). [oder Fackel?]) und
eine ausNisyros (Nr. 166 a. etcI SwSxaou. ÖsTfy.ocpopio'j. b. A-.o'j)
enthalten. Das ergäbe also schon 22 ganze Amphoren; ver-
mutlich giebt es deren noch erheblich mehr'. Für die Chrono-
logie lassen sich daraus schon einige Folgerungen ziehen. So
werden die Priester 'I'iXäv.o: (I3erg) und ['Ayi^^TpaTOi; (Kaibel),
die beide mit dem Fabrikanten 'AyaOo/.)^f,; vereint vorkommen,
ferner 'lepojv, Sevocpavn? (Schuchhardt) und SwSajjio? (Telos),
die mit SdJx.pxT-io;, ferner Ilau^avia? und TtjAoöppoSo^ (Kaibel),
die mit "l(>.a(:) zusammenstehen, auch zeitlich zusammen ge-
hören ; umgekehrt sehen wir, dass im Jahre des HcbSaao: die
Fabrikanten Aio? (Nisyros) und 2o)ytpaTyi<; (Telos) gleichzeitig
thätig waren. Bei Zunahme des Materials wird man hier sicher
noch weiter kommen.
Noch interessanter ist der bei BergS. 47 abgebildete Stempel
EPIMOAPArOPA 67ci MoXTrayopa.
PANAMOYAAEZANAPOY IlavapLou. 'A7.6;ocvSpou.
(Der Henkel trägt an der rechtwinkligen Umbiegung noch die
Blüte als Nebenstempel).
Hier ist nach Priester und Monat der Fabrikant genannt;
also sind alle drei erforderlichen Angaben auf einem Stempel
vereinigt. Der andere Stempel konnte also nur entweder leer
sein oder eine Wiederholung enthalten. Es ist völlig ausge-
* So erwähnt Schuchhardt a. a. 0. S. 425 eine Amphora aus Vulcia nii^
den Angaben: "AvTifxa/o;. ir,\ 'A0avo8d-:ou. Ba8po|jt(ou\die wir ja allenfalls auf
die beiden Henkel verleill denken dürfen. Nun ist bei Kaibel Nr. 23'J3, 7
doch zu ergänzen: a. £[7ii] rip[aTo?pav£Ji]. llavaij.oj, b. 'Av[Ti[xi/]oj, wo A für
X verlesen isl, wie Nr. '.'393,78 ANTAA für ANTIM,\\oniil der sonst nicht
bezeugte Name 'AvxäXXou beseitigt sein würde. Damit sind also Alhauodoros
und Pratophanes zusammengerückt.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIU. 16
534 EINIGE VERGESSENß AMPHORENrfENKEL AUS RttODÖS
schlössen, dass 'AXs^avSpou der Vater des MoXTrayopac sei, von
dem er durch den Monat getrennt ist. Damit wird es auch
für zwei andere Fälle aus Rhodos, nämlich /. G. Ins. 1 Nr.
1175 iTzl S£vo93cv6('j<;). ropY[t](i)vo<; Flavauo-j und Nr. 1209 sttI
$avia. ScoSxaou. AfaJXto-j, WO die Wortstelluncr nicht entschei-
det, im hohen Grade wahrscheinlich, dass ich mit der An-
nahme einer Vereinigung von Eponym, Monat und Fabrikant
auf je einem Stempel gegen Schuchhardt Recht behalte, wel-
cher in den Inschriften von Pergamon S. 4 25 ff. in dem zwei-
ten Namen den Vater des Eponymen sah. Die von Schuchhardt
als zweideutig beanstandete Folge von Eponym und Fabrikant
im Genetiv würde dann nichts auf sich haben, wenn eben auf
diesen kurzen Stempeln die Zufügung des Vatersnamens ein
durchaus nicht in Betracht kommender, der Sitte widerspre-
chender Fall war.
Es Hesse sich noch manches sagen ; aber diese Bemerkun-
gen sollen nur Anreo;un2;en für den künftio;en Sammler der
Amphoren- Stempel sein. Eine solche Sammlung ist ein drin-
gendes Bedürfniss der Wissenschaft. Sie würde natürlich bei
der Masse des Materials lückenhaft sein und von Zeit zu Zeit
durch Nachträge ergänzt werden müssen, aber erst wenn sie
vorliegt wird man manche Fragen endgiltig erledigen können,
darunter auch die, ob sich mit der Willkür der Stempelung auf
der einen Seite, der die im Wesentlichen doch wieder ge-
sicherte Regelmässigkeit auf der anderen Seite entgegensteht,
die auch in der tretilichen Rezension von Bruno Keil (Berli-
ner phil. Wochenschrilt 1896 S. 1611 ff.) vertretene Annahme
eines Monopols halten lässt oder nicht.
Berlin, März 1898.
F. IIILLER VON GAERTIIINGEN.
.<»^fr»5^^flK>^
SCHIEDSGERICHT ZWISCHEN POSEIDON UND ATHENE
Zu den Monumenten, auf denen die athenische Sage vom
Schiedsgericht zwischen Poseidon und Athene dargestellt ist,
lässt sich eine kleine Reihe von römischen Bronze-Medaillons
hinzufügen. Das beste, geprägt unter Antoninus Pius. ist
publicirt bei Grüber, Roman Medaillons in the Brit. Mus.
Taf. 10, 3 S. 9, 12 und bei Fröhner, Les Medaillons de
l'emp. rom. S. 69; ebendort S. 68 noch ein weiteres Exem-
plar aus der Regierungszeit des Antoninus und S. 81 eins mit
dem Brustbild des Marc Aurel als Caesar auf dem Avers.
Rechts sitzt auf einem Felsen Poseidon nach links gewendet.
Ein Himation bedeckt Beine und Rücken. Die Linke ruht
im Schosse, die Rechte hält den Dreizack oben gefasst. Links
von ihm wird zum Teil ein Tisch sichtbar, der im Übrigen
von den Beinen des Gottes verdeckt wird, auf dem Tisch eine
Amphore. Links sehen wir Athene stehen, nach rechts ge-
wendet. Sie hält mit der Linken die Lanze gefasst und stützt
die Rechte in die Seile oder auf den Schild, der links teil-
weise sichtbar wird; in seiner Höhlung die Schlange. Auf dem
besten Exemplar wird nun hinter Tisch und Amphore eine
weibliche Figur sichtbar. Sie ist damit beschäftigt, irgend
etwas mit der Rechten in das Gefäss zu legen, während sie dies
mit der andern Hand zu halten scheint, ihr Gesicht wendet
sich Athene zu; über ihr wird ein Bogen sichtbar.
Es ist klar, dass diese Figur zu der ursprünglichen Com-
position gehört haben muss. Ohne sie ist die Gruppe der zwei
Gottheiten an dem Tisch unverständlich. Die geringeren Exem-
plare geben nur einen Auszug aus der Gesamt- Composition.
Fröhner hat aus dem Tisch, der Amphore und der Hand-
lung der Millelügur richtig erkannt, dass es sich um eine Ab-
stimmung handelt. Er bezieht aber — etwas unklar bleibt es,
wie er es im Einzelnen meint — die Darstellung auf die Ein-
236 W. AMELUNÖ
richtung des Areopag, bei der Poseidon nichts zu thun hat.
Die Thalsache, dass es sich um eine Abstimmung handelt,
und die Anwesenheit eben der beiden genannten Gottheiten
lässt viehneiir nur eine Deutung zu: dargestellt ist das Schieds-
gericht zwischen Poseidon und Athene über den Besitz des
attischen Landes, das Schiedsgericht , das sich nach einigen
Quellen mittels regelrechter Abstimmung vollzog.
Soll ein derartiger Act dargestellt werden, so wird am be-
sten der Moment gewählt werden, in dem die entscheidende
Stimme abgegeben wird, denn dieser allein kann den Be-
schauer innerlich erregen und dem Künstler interessante Mo-
tive bieten. So ist es z. B. in einer Darstellung des Urteils
über Orestes geschehen, das uns weiterhin noch beschäfti-
gen wird (Michaelis, Das corsinische Silbergefäss): der Künst-
ler hat den Moment gewählt, in dem Athene ihren Stimm-
stein abgiebt. Diesen bedeutsamen Moment werden wir also
auch hier vermuten. Wer aber ist dann die weibliche Figur,
die den entscheidenden Stimmstein in die Urne thut und da-
bei ihr Gesicht der Göttin zuwendet?
Die Antwort darauf giebt uns eine Version unserer Sage,
die uns durch Varro überliefert ist. Dort heisst es von Ke-
krops: cives omnes lUriusque sexiis ad ferenduni suffra-
giuni convocavit. Consulta igitur multitiidine niares pro
Neptuno, feminae pro Minerva tulere sententias et, qiiia
una plus inventa est feniinarum, Minerva vicit (Augustin,
De civitate dei XVlil, 9. Auch im Scholion zu Aristides Pan-
athen. S. 106,11 ist von der Ausschlag gebenden Beteiligung
der Frauen an der Abstimmung die Rede)*. Ohne Zweifel ist
die weibliche Figur auf unserem Medaillon eine Vertreterin
der weiblichen Bewohner Athens, die mit ihrer einen Stimme
Mehrheit die Entscheidung gebracht haben. Die Wendung
ihres Gesichtes aber sagt dem Beschauer, für wen sie im Be-
gritT steht zu stimmen.
* Sielie die Zusiiinineiistollung siinUlicIier Quellen bei Stephani, Campte-
rendu 1872 Ö. 64 11.
SCHIEDSGERICHT ZWISCHEN POSEIDON UND ATHENE 237
Daneben könnte nur noch eine Deutung in Frage kommen
nämlich die auf Iris, welche dargestellt wäre im BegritT, die
Urne umzustürzen, um die Stimmen zu zählen. Der Bogen
über ihr müssle dann für eine Andeutung des Regenbogens
gehalten werden. Doch wird Iris durch diesen nie in der
Kunst bezeichnet ( Roschers Lexikon II S. 339), während das
Attribut, das ihr sonst nie fehlt, hier unterdrückt wäre, näm-
lich die Flügel. Auch wäre es dem Verfertiger des Stempels
leicht gewesen, durch eine Neigung der Urne anzudeuten,
dass sie entleert werden soll, wie es auf zwei Reliefs geschehen
ist, die uns nachher beschäftigen werden. Die Handlung der
Figur auf dem Medaillon kann, wie sie dargestellt ist, nur so
verstanden werden, dass etwas in die Urne gelegt wird, und so
ist sie denn bisher auch allo;emein verstanden worden. Ma^r
man aber diese oder die andere Deutung für die Alittelfigur
annehmen, so kann es doch nicht zweifelhaft sein, dass das
Ganze das Schiedsgericht zwischen Poseidon und Athene dar-
stellen soll.
Die Composition gewinnt bei unserer Erklärung ein eio;enes
Leben und Interesse, und ihre Erfinduns; ist keineswegs un-
bedeutend. Doch scheint es mir sicher, dass sie nicht für den
kleinen Raum des Münz- Rundes gemacht ist. Das Reizvolle,
das sie zweifelsohne besitzt, konnte erst bei einer Ausfüiirung
in grösserem Masstabe in Relief oder Bild zur Gellung kom-
men, wobei dann sicher ein weiterer Chor von Zuschauern,
göttlichen und menschlichen, durch seine Teilnahme an dem
momentanen Freigniss dessen Wichtigkeit noch bedeutender
erscheinen Hess.
Es ist sicher, dass sich manche der Darstellungen auf den
Medaillons auf grössere Bildwerke zurückführen lassen. Einige
Beispiele mögen genügen. Für Statuen sei verwiesen auf Grü-
ber Taf. 6 = Fröhner S. 33, wo ein bekannter Asklepios- Ty-
pus dargestelt ist (vgl. Amelung, Führer durch die Antiken
in Florenz Nr. 94); auf dem Medaillon Grüber Taf. S. 1 ist
ein Apollon im langen wehenden Gewände dargestellt, wie er
sich statuarisch im Brarcio niiovo des Valican ( unpublicirt)
^38 W. AMELUNG
findot ; auf einem der antoninischen Stücke (Fröhner S. 57)
ist eine auch sonst mehrfach wiederliolte Statue des Hercules
nacligebildet (vgl. Petersen, Rom. Mitth. 1889 S. 33^ ff.).
Eine Gomposition, die wir auf zwei Exemplaren des Marc
Aurel und des Commodus sehen (Fröhner S. 88=:Grüber Taf.
"20, 1 und Fröhner S. 11 5) und die ein junges Mädchen darstellt,
wie sie die Schlange der Hygieia füttert, finden wir auf einem
Relief des capitolinischen Museums wieder [Nuova descri-
zioneNr. 111). Eine besondere Arbeit Sievekings über dieses
Relief steht zu erwarten.
Eine eigene Stellung nimmt ein Medaillon des Marc Aurel
(Grüber Taf. "20, 2; Fröhner S. 89) ein, auf dem zu den
Seiten eines Altares, über dem sich eine Schlange ringelt,
rechts Athene, links Nike steht. Die Gomposition ist hergenom-
men aus einer anderen grösseren, der schon erwähnten Dar-
stellung des Urteils über Orest, die am vollständigsten in den
Reliefs des corsinischen Silbergefässes erhalten ist (Michaelis
a. a. 0.; Robert, Die antiken Sarkophagreliefs II S 171 ff.
Taf 55 f.), nur ist aus dem Tische mit der Urne der Altar
mit der Schlange , aus der Erinys durch Verlängerung der
Gewandung und durch Zufügung der Flügel eine Nike ge-
worden. Wir bemerken also hier bei den Bildnern der Medail-
lons eine Arbeitsweise, wie man sie bisher nur den sog;, neu-
attischen Kreisen zuzuschreiben pflegte. Zugleich wird auch
hierdurch ihre Abhängigkeit von der grossen Monumental -
Tradition erwiesen.
Auf ein Werk der grossen Kunst , auf eine Gruppe der
Athene und des Poseidon auf der Akropolis zu Athen (Paus.
1, 24,3), ist auch die Gomposition eines Medaillons des Ila-
drian bezogen worden (Stephani, Compte - rcndii 1872 S.
131 ff.; Robert, Athen. Mitth. 188": S.53ff.; Imhoof- Blumer
und P. Gardner, Numisni. commentart/ oti Pausanias S.
131 Taf. Z, 15). Wir kommen hiermit zugleich auf unser
Anfangstliema zurück, denn von Robert ist a.a. O. auch diese
Darstellung auf das Schiedsgericht zwischen den beiden Gott-
heiten gedeutet worden.
SCHIEDSGERICHT ZWISGHE.V POSEIDON UND ATHENE 239
Bis auf geringe Abweichungen in Einzelheiten unverändert
kehrt die Composition auf geschnittenen Steinen wieder, die
wahrscheinlich auch aus der Zeit des Hadrian oder aus noch
späteren Epochen stammen (Stephan! a. a. 0. S. 136 ff. und
2 21 ff.; Robert a. a. 0. S. 54, D-F\ Babelon, Le Cabinet des
ant. de la bibl. nation. Taf. 26). Auf einer attischen Bronze-
münze (Robert C\ imhoof- Blumer a. a. 0. Taf. Z, 17) sind
die Seiten vertauscht und die Erhaltung ist so schlecht, dass
man Einzelheiten, wenigstens an der Figur der Athene, nicht
mehr erkennen kann Endlich ist die Gruppe wiederholt auf
einer Silberschnalle aus Ilerculaneum (Robert -4); doch ist
hier für die Göttin ein anderer Typus gewählt ^
Offenbar in Anlehnung an eine Composition, wie die des
hadrianischen Medaillons sind nun auch die beiden Reliefs
gearbeitet worden, die Robert a. a. 0. Taf. 1,2 und 2 publi-
cirt und mit vollem Recht auf das Schiedsgericht zwischen
Athene und Poseidon gedeutet hat. Die Einwände, die Sauer
(Aus der Anomia S. 96 f.) dagegen macht, sind angesichts der
späten und schlechten Arbeit der Reliefs gegenstandslos, und
seine eigne Deutung auf das Schiedsgericht zwischen Asia und
< Der Typus, den wir auf dem Medaillon und den geschnittenen Steinen
sehen — er ist kenntlich an dem auf der rechten Schuller gespangten Mantel
und der in die Hüfte gestützten Linken — , ist bei den Verfertigern der Me-
daillon-Stempel besonders beliebt gewesen. Er findet sich wieder: 1. Grü-
ber Taf. 17, 3 S. 12 Nr. ü, M. der Fauslina d. 'X. (Athene und Hephäst) ;
2. Fröhner S. G5, M. des Anloninus Pius (die gleiche Composition); 3. auf
der oben erwähnten Darstellung der Athene mit Nike, die, wie wir sahen,
von der grösseren des Gerichtes über Orest hergenommen ist ; 4. Fröhner
S. 81, M. des Marc Aurel Caesar (Athene und Argos) mit der einzigen
Änderung, dass die Linke sieh auf den grossen Schild stützt; 5. Diese letzte
Fassung des Tvpus ist in Umki-hrung wiedeiholl auf den zu Anfang be-
sprochenen Medaillons. Auch auf grösseren Monumenten limlen wir den
gleichen Typus wieder; so auf dem capitolinischen Prometheus-Sarkophag
(Baumeister, Denkmäler, Abb. \l^^%) und dann, wie gesagt, auf dem eor-
sinischeii Silbergefäss und den Reliefs, welche die Hauiitgruppe seiner
Composition wiedergeben. Es liegt hier augenscheinlich überall derselbe
Typus der Athene Ergane zu Grund<', und vielleicht ist uns in den Reliefs
jenes Gelasses ein Teil der Darslellung erhalten, deieu Kinisller dioeii
Typus geschallen hat.
•24U W. AMELUNG
Hellas fällt zugleich mit der, die er dem Ostfriese des Nike-
tempels gegeben hat '. Bedenklich scheint es mir jedoch, nun
mit Robert diese Deutung der Reliefs auf das Medaillon, die
Gemmen und die Schnalle zu übertragen.
Auf den Reliefs stehen die beiden Gottheiten ungefähr in
dem Typus des Medaillons und der Gemmen rechts und links
von einem Tisch, hinter dem Nike — so wird sie zweifelsohne
mit Recht genannt — damit beschäftigt ist, die Stimmurne
auszuleeren. Ich sage: ungefähr in dem Typus des Medail-
lons, denn so genau ist die Übereinstimmung thatsächlich
nicht, dass man ohne weiteres gezwungen wäre, die Ab-
hängigkeit all dieser Monumente von einem gemeinsamen Ori-
ginal anzuerkennen. Zudem ist die Composition des Medail-
lons an und für sich, als Zusammenstellung von zwei der be-
deutendsten attischen Gottheiten 2, vollkommen verständlich.
Nehmen wir aber auch mit Robert an, dass diese Compo-
sition nur ein Auszug aus einer anderen sei , die uns die
beiden Reliefs vollkommener erhalten hätten, so müssen wir
Sauer doch Recht geben, wenn er (Anfänge der statuarischen
Gruppe Anm. 233) auf die Unwahrscheinlichkeit der Vor-
aussetzung hinweist, dass diese Original - Darstellung eine
Gruppe gewesen sei ^.
Vollends scheint mir die Annahme Roberts , dass diese
Gruppe mit der von Pausanias (1, 24,3) erwähnten identisch
sei, ganz unhaltbar. Mit den Worten des Pausanias {ize^Koiri--
Tai Se )tal xö «puxöv xv); i'kocix<; 'ABrivä xai x.ij[7-a ävoccpaivwv Iloaei-
Söiv) ist dagegen die Composition, wie sie sich auf einer Reihe
athenischer Münzen findet, wol vereinbar ( Robert a. a. 0.
* Siehe die entscheidenden Einwände bei Furtwängler, Meisterwerke
S. 217.
2 Man denke an die zweite Strophe und Gegenslrophe im ersten Chor
des Oedipus auf Kolonos.
3 Apolion und Dionysos sind auf der späten Gemme hei Stepliani S. 221
wol nur hinzugcstellt, um den Raum angemessen zu füllen. Rechnet mau
sie aber zur Original-Composition, so wird die Vermutung, dass diese eine
Gruppe gewesen sei, nur unwahrscheinlicher.
SCHIEDSGERICHT ZWISCHEN POSEIDON UND ATHENE 241
S. 54Anm. 1; Imhoof-Blumer a.a.O. Taf. Z, 11, 12, 14, 16)
und es ist sehr wol denkbar, dass in ihr die genannte Gruppe
nachgebildet ist. So hat auch Sauer (Anfänge der Gruppe)
angenommen, der mit vollem Recht darauf liinwies, dass die
Darstellung der Münzen mit der des Westgiebels vom Par-
thenon in Wahrheit nichts zu thun hat.
Müssen wir also auch die Beziehung der Darstellung jenes
hadrianischen Medaillons auf die bestimmte Gruppe der Akro-
polis als unwahrscheinlich abweisen, so ist damit ihre Ab-
hängigkeit von irgend einem anderen grösseren Werke nicht
ausgeschlossen ; diese wird im Gegenteil empfohlen durch die
Wiederkehr derselben Composition auf der Silberschnalle
aus Herculaneum. Dagegen muss uns die Thatsache, dass
Athene hier in anderem Typus erscheint, davor warnen, uns
die Vorlagen der Medaillon-Stempel in allen Einzelzügen nach
diesen selbst wieder herstellen zu wollen.
W. AMELUNG.
S TIERKANG AUF EINEM ÄGYPTISCHEN HOLZGEFÄSS
DER XVIII. DYNASTIE
(Hierzu Tafel VII. VIII)
Bei seinen Ausgrabungen in Kahun fand Flinders Petrie in
einem der späteren Gräber der XVIII. Dynastie eine cylinder-
förmige Holzbüchse mit eingeritzten Darstellungen, die heute
im Museum zu Giseh aufbewahrt wird'.
Die Büchse, deren Deckel und Boden verloren sind, und von
deren Umfang etwa Ya fehlt, misst in der Höhe 0,095 und in
der Breite 0,065. Die Dicke ihrer Wände beträft etwa !0, 005'".
Sie ist aus hellbraunem Holz, wie die meisten Holzwaaren
des neuen Reichs.
Fig. 1
Nach ähnlichen, im Louvre befindlichen Büchsen zu ur-
teilen, war der Boden flach aufgelegt und hatte drei niedrige
Füsschcn, die zugleich zur Befestigung des Bodens dienten.
Dass der Boden auch bei der Büchse aus Kahun nicht vom
' Petrie, Kahun S. 35. Vgl. die Ansicht von oben Abbildung! und Taf. 7;
für beide Zeichnungen bin ich H. Carler zu herzlichem Dank vcrpflichtel.
Der Buchstabe A in Fig. 1 bezeichnet die Stelle der senkrechten Leiste,
welche auf Taf. 7 die Mitte des Bildes cinniniiiit, // gicht dessen linkes, C
dessen rechtes Ende an. Auf Taf. 7 ist das ganze Bild aufgerollt.
VII
«- A
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTISCHEN HOLZGEFAESS 243
Rand des Cylinders eingeschlossen war , lehrt einmal das
Fehlen jeder Ansatzspur, sodann der Umstand, dass die aussen
an der einen Seite befestigte etwa 0,005"" dicke Leiste nach
unten um etwa 0,015™ über den Rand des Cylinders über-
steht. Man glaubt aber etwa auf der Hälfte des überstehenden
Stückes die Ansatzspur des Bodens zu bemerken ; die Füsse
wären demnach etwa 0,005" hoch gewesen.
Den Zweck dieser von oben nach unten gehenden Leiste
lehren wieder die pariser Exemplare : in das gegen 2"° tiefe
Loch, das sich oben in der Leiste belindet, griff ein flacher
drehbarer Deckel mit einem Zapfen ein; auf diese Weise war
es möglich, ohne den Deckel abzunehmen, die liüchse zu
öffnen und sie durch eine entsprechende Drehung wieder zu
schliessen '.
Die Aussenseite desGefässes zeigt Darstellungen in vertieften,
mit grüner Farbe ausgefüllten Linien. Ein breiter Bildstreifen
wird oben und unten von schmaleren Ornamentstreifen ein-
gefasst ; oben folgt auf ein fortlaufendes Stabband von der
Form wie Petrie, Egypt. decorative art Fig. 196 (wie es
sich z.B. auch auf Inschriften derXVIIL Dynastie als Umrah-
mung findet), durch einen schmalen Grundstreifen getrennt,
ein Kranzornament, für das man Petrie a.o.O. Fig. 159 und
Borchardt, Die ägypt. Pflanzensäule Fig. 2'2 vergleichen mag.
Es ist auf der Ilolzbüchse nicht mehr recht verstanden, rein
ornamental geworden, aber in der XVI 11. Dynastie überaus
häufig und deutlich als Blätter oder auch als Blätter und
Blüten auf den polychromen Vasen charakterisirt.
Unten scliliesst ein zweites Stabband die Darstellung ein ;
darauf folgt ein Grundstreifen , der durch eine grün aus-
gemalte Linie geteilt wird, während das beliebte Ornament
der Scheinthüren den Abschluss des Ganzen bildet*.
' Gleiche Verschlussvonioliluiiijeu von IIolz}refiisseu z. H: Wilkiiisou,
Manners and rustums' II S. .'M8, Nr. 4.01, 4. Colleclion llo/linann, AnliquiUs
liyypl. 1895 Nr. '2U2.
^ Eine aniielunharc Erkhirung des Ornaments stolil iiocli aus. Ahbildun-
{jen z. B. bei Perrot -Cliipicz I Fig. 304/5.
244 F. VON BISSING
Die Leiste, die den Deckel aufnahm, ist gleichfalls mit ei-
nem etwas modificirten Stabband geschmückt.
Die breite Bildfläche wird auf Carters trefflichem Aquarell
scheinbar durch die l^eiste zerschnitten, läuft aber natürlich
um das Gefäss als ein einziges Bild iierum. I^eider hat die
Lücke, wie wir sehen werden, wichtige Teile des Bildes zer-
stört.
Wir sind im Freien : Gräser und Pflanzen mit dicken, safti-
gen Stengeln, wie sie am Rand der Wüste wachsen, spriessen
am Boden. Nach rechts hin sprengt ein starker Stier mit zwei
kräftigen Hörnern ' und hoch im Bogen erhobenem Schwanz. Er
senkt den Kopf wie zum Angriff. Mit wenigen Strichen ist die
HautfüUean Hals und Wamme und dieZeichnung am Rücken
wiedergegeben. Unter dem Stier liegt nach links ein Mann auf
dem Bauch. Er streckt beide Arme vor. Seine F'üsse hat der
Künstler aus Raummangel weggelassen. Ein zweiter, eben-
solcher Mann erscheint in der Luft über dem Stier. Sein Ober-
körper und der Kopf sind etwas abwärts geneigt, seine rechte
Hand liegt am Hals des Stieres. Von einem dritten Mann ist
vor dem Stier nur der eine ausgestreckte Unterarm und das
Gesicht erhalten. Falls man auf den Umstand Gewicht legen
darf, dass sein Kopf im Verhältniss zum Stier ein gut Stück
höher erscheint, als der des Liegenden, wird man sich den
Mann niedergeduckt, nicht ausgestreckt liegend denken.
Die beiden vollständig erhaltenen Männer sind nur mit ei-
nem eng anliegenden, ziemlich langen, nacli hinten abge-
schrägten Schurz bekleidet, den an den Hüften ein Gurt ab-
schliesst. Er scheint gestreift oder in dünne Falten gelegt. Beide
tragen kurzes, das Ohr frei lassendes Haar, der obere einen
Schopf.
Jenseits der Lücke, in der unter andorm der Körper des
dritten Mannes dargestellt war, läuft nach rechts eine Anti-
lope mit gewundenen Hörnern, von der nur das Vorterteil er-
halten ist. Über ihr springt eine junge Antilope oder Gazelle
Über die Zahl lässt das Original keinen Zweifel.
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTISCHEX HOLZGEFAE SS 245
(nur das Flinterteil mit dem kurzen Schwänzchen ist erhalten)
nach links, während noch höher ein langohriger Hase nach
rechts hin rennt*. Die Härchen seines Fells sind sorgfältig an-
gegeben. Vor der Antilope sitzt ein mittelgrosser Hund^ mit
langem, in eine Quaste endigendem Schwanz, kurzen, spitzen,
Schlapp -Ohren am länglichen, ziemlich grossen Kopf. Sein
plumpes Maul ist geöffnet und lässt einige Zähne sehen. Im
Ganzen gleicht er etwa einem Teckel.
Über dem Hund liegt, gleichfalls nach links, ein Tier mit
Hasenpfoten (Carters Zeichnung ist hier ungenau) sonst einem
Reh am ähnlichsten. Es hat ein geflecktes Fell, spitze, auf-
gerichtete Ohren, und scheint eine der Pflanzen zu fressen.
Jenseits des Bruchs sieht man auf dem Original deutlich das
Hinterteil des Tieres. Eine Bestimmung des Tieres weiss ich
nicht zu geben.
Dass hier eine Jagdscene dargestellt sei. lässt sich nicht be-
zweifeln. VVilkinson {Manners and custonis'^ II S. 87, 89)
und Maspero haben lanoe erkannt, dass der wilde Stier zu
den regelmässigen Jagdtieren Altägyptens gehörte"^. Für das
neue Reich lässt sich das Rind als Jagdbeute nachweisen auf
dem weiter unten besprochenen turiner Holzkästchen und ei-
nem thebanischen Grabbild, das nach Champollion Monu-
ments Taf. 171 bei Perrot -Chipiez I Fig. 183 abgebildet ist.
Der eine der hier dargestellten Stiere hat übrigens ganz ähn-
liche Hörner wie der Stier auf der Büchse von Kahun : der
Beispiele sind nicht viele, wo die Hörner sich so sehr decken,
' Natürlich sind alle drei Tiere auf einem Plan hintereinander zu denken.
2 Vgl. für ihn Marielle, Monumenls divers Taf. 49, erster Hund von un-
ten (XI. Dynastie), Champollion Monuinenls IV Taf. 428, unten rechts, in
ganz ähnlicher Stellung.
^ Maspero, Leclures hisloriques S. 71-73, Ilist. ancienne de l'Orient classi-
que I S. 122 IT. S. G2. Älteste Darslcllun;,' wol Dümiclion, Resullalc l Taf. 8,
fünftes Register v. o. (V. Dynastie), die Erman, Ägypten Ö.331 allerdings
anders erklärt. Unter den Bildern von Benihassan stellen zweifellos Stiere
dar: I Taf. 13, drittes Register v. o. (der Ausgabe Aq^ Archaeological Survey),
Taf. 30, zweites Register v. o. (Stier von Ffeil gelroll'en), II Taf. 18 und das
merkwürdige Bild Taf. 31 erstes Register v. o. Säuillich Mittleres Reich.
246
F. VON BISSING
dass man zunächst wie bei den Stieren der asiatischen Kunst
den Eindruck eines Einhorns hat, aber sie fehlen nicht gänz-
lich.
Eine Stierjagd ist auch in Medinet Habu auf der Südostseite
des ersten Pylons dargestellt: Ramesses III erlegt zu Wagen
wilde Esel und Stiere', aber die ungemein lebendig darge-
stellte Scene findet nach der Inschrift auf einem asiatischen
Feldzug am Ufer eines von Dickicht umgebenen Flusses Statt,
vermutlich in Nordmesopotamien, wo auch Senacherib die
wilden Rinder jagt ^. im Kultus hat sich noch eine Remi-
niscenz an die alte Sitte, den Stier zum Opfer einzufangen er-
halten : in Abydos fängt Sethos I und sein Sohn Ramesses den
Stier mit dem Lasso, d. h. er schlingt um den zur Vorsicht
schon am einen Hinterfuss gefesselten Stier die Fangleine,
während sein Sohn den Stier am Schwanz packt (Mariette,
Abydos 1 Taf. 53). Maspero hat gezeigt, dass diese Darstellung
in Zeiten zurückweist, wo der König noch wirklich den kräf-
tigsten Stier aus der halbwilden Heerde herausfmg.
Fig. 2
Mit der Darstellung des Holzgefässes hat unter allen ange-
führten die Benihassan (Ausgabe desyl/'cA. survei/) 11 Taf.
31 abgebildete. hier Fig. 2 wiederholte Scene diegrösste Ähn-
< Murray, Ilandbüok of Egypt 189(i S. 802.
2 Maspero, Leclures hisloriques S. 274 11". Auch auf dem Ol)elisk Salma-
nassars (Layard, Ninevch and its remains I S. 282) koniint das wilde Rind
vor. Reisner macht mich aufmerksam auf den Bericht Keilinsehrifl. bihlio-
thek I S. 38, der aus der Zeit Tiglathpilesars I (etwa liOO) stammt und be-
merkt, dass der Name des Wildstiers (genauer Bergstiers) schon in Texten
des dritten Jahrtausends vorkommt.
STIERPANG AUF EINEM AEGYPTISCttEN HOLZGEPAESS 24*
lichkeit. Sechs Männer bändigen auf freiem Feld einen Stier;
zwei haben ihn mit der Bola an den Hörnern festgebunden,
einer fasst ihn mit aller Gewalt am Schwanz, zwei andere
fallen dem Tier um die Beine, einer endlich tliegt mit aus-
gebreiteten Armen in der Luft über den Ilörnem des Stiers:
das wütende Tier hat ihn hochgeschleudert. Analog mijchte
ich das Bild der Holzbüchse erklären : der Stier ist aus dem
Dickicht* gebrochen, hat den ersten Mann überrannt, einen
zweiten in die Luft geschleudert, während ein dritter sich eben
duckt, um dem Stoss der Hörner zu entgehen und vielleicht
das eine Bein des Stiers zu fassen. Dass der Mann über dem
Stier nicht etwa auch am Boden zu denken ist. lehrt die
Haltung des rechten Arms, der sonst hinter dem Stier ver-
schwinden müsste. Aber auch etwa auf den Stier springend
kann man ihn sich nicht denken : die etwas nach unten
geneigte Haltung des Oberkörpers scheint mir dagegen zu
sprechen und der ausgestreckte Arm würde andernfalls wol
nach dem Kopf und den Hörnern, nicht dem Halse fassen.
Leider fehlen uns die vermutlich weiter rechts aufgestellten
andern Jäger, nur der treue Hund sizt ruhig da und erwartet
das Wild.
Hat der Inhalt des Bildes in Ägypten nichts Befremdendes,
so macht der überaus lebendige Stil auf den ersten Blick
einen unägyptischen Eindruck. Wol jedem Beschauer fällt
unwillkürlich das Wandgemälde ein, das Schliemann zu
Tiryns entdeckt hat ^.
Die Ähnlichkeit ist in der That vorhanden, die Bewegung
des Stiers ist die gleiche, die Haltung des Schwanzes sehr
ähnlich, die Stellung des Mannes über dem Stier zu Tiryns
nimmt etwa die Mitte ein zwischen der zu Beniliassan und
der auf dem Geläss. ich glaube sogar dass das ägyptische
Bild die Deutung des tirynthischen Gemäldes auf einen
' In (lein wir ihn z. B. auf der Arcii. Jahrl.uch 1898 Taf. 2 publicirten
Schale aus Ägypten sehen.
2 Schliemann, Tiryns Taf. 13 und oft wiederholt.
248 F. VON BISSING
Stierfang * unterstützt. Denn wenn auch religiöse Momente
bei der Deutung des tirynthischen Wandbilds mitsprechen
mögen, so lehrt die Büchse von Rahun deutlich, dass in
jedem Fall der Fang eines Stiers, vielleicht zum Opfer,
dargestellt ist. Und eine Kleinigkeit scheint den Zusammen-
hang zwischen dem Holzgefäss und dem Wandbild noch enger
zu gestalten : auf der Büchse aus Rahun ist die Tracht des
Mannes oben unägyptiscli,vvenn anders der nur bei ihm, nicht
bei dem Liegenden, auftretende Haarschopf beabsichtigt ist.
Ihn tragen unter allen auf ägyptischen Denkmälern vorkom-
menden Völkern nur die Rftiu, über deren Verhältniss zu den
Mykenäern und Kretern einerseits, den Asiaten andrerseits ich
andern Orts gesprochen habe-; auch der Schnitt des Schurzes
passt besser zu den Rftiu des Rechmeregrabes ^, als zu dem
Schurz der Ägypter des neuen Reichs, der weiter, kürzer und
gerade abgeschnitten zu sein pflegt ^. Im neuen Reich hat er
zudem meist vorn eine Spitze. Der im Schnitt ähnliche Schurz
der Soldaten des neuen Reichs hat vorn ein dreieckiges,
herunter hängendes Schluss-Stück (wie es ungefähr die
Highlanders tragen) ^, hingegen scheint mir der Schurz der
Schirdana — fremder, wol kleinasiatischer Söldner in ägyp-
tischen Diensten — eine gute Parallele zu der Tracht der Männer
auf dem Stierbild zu bieten ^.
Fremde Leute also würden danach auf dem ägyptischen
Holzgefäss dargestellt sein. Der Inhalt war den ägyptischen
Rünstlern wol vertraut, aber sie hätten hier einmal ein
fremdes Vorbild eben des Inhalts wegen, nicht copirt, aber
benutzt.
< Athen. Mittheilungen 1889 S. 215. Arch. Anzeiger 1889 S. 122. Arcli.
Jahrbuch 1892 S. 72 fT. Philologus 1892 S. 9.
2 Arch. Jahrbucli 1898 S. .51, woselbst Liltcratur. Dass der Name Kftiu
Kreta umfasse, ist seil lange auch Ermans Ansiciit wie er mir milteiil.
3 Z. B. Wilkinson, Manners and cusloms- I Taf. 2 a, untere Reihe, wo
auch der Unterschied des ägyptischen Schurzes klar wird.
* Vgl. Erman, Ägypten und Mimoires du Caire V.
'• Erman, Äfiyptcn S. 153.
^ Maspero, JlisL. ancienne de L' Orient elassique 11 Ö. 351.
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTISCHEN HOLZGEFAESS 249
Die Möglichkeit nämlich, die Ilolzhüchse selbst einem frem-
den Künstler zuzuschreiben, haben wir nicht. Nicht nur die
Technik (eingeritzte Linien mit grüner Farbe ausgefüllt) ist
durch und durch ägyptisch, sondern auch die Darstellung
selbst ist es bis auf die eine Scene. Für die Tiere, Antilope,
Hase, Hund haben wir schon Parallelen herangezogen wo
dies überhaupt nötig ist. Die Pflanzen sind die in Ägypten
üblichen ^ : sie finden sich, freilich kümmerlich genug im
alten Reich (I)ümichen, Resultate I, 8), sind häufig im neuen
Reich 2. Auch den ägyptischen Charakter der Ornamente
haben wir schon hervorgehoben. Was endlich die Form angeht,
so ist die cylindrische Büchse in Ägypten gerade im neuen
Reich öfters nachweisbar. Im Louvre werden deren zwei auf-
bewahrt. Die eine mit einem Deckel derselben Construction,
wie er für die Holzbüchse aus Kahun angenommen wer-
den musste, und drei niedrigen Füssen zeigt zwischen einem
Stabband und dem Ornament der Scheinthüren auf der einen
Seite in grün ausgemalten vertieften Reliefs Mann und Frau,
beide mit dem Salbkegel auf dem Kopf, auf einem Sessel Arm
in Arm. Vor ihnen steht eine gleichfalls gesalbte Dienerin mit
einer Vase und Blumen. Auf der andern Seite sind tanzende und
musicirende Mädchen, alle «resalbt. in verschiedenen Stellungen
wiedergegeben. Diese Scenen sind im Stil und Inhalt so durchaus
ägyptisch, dass kein Zweifel möglich ist. Ganz ähnlich ist die
zweite, grössere Büchse, über und über mit bunten Quadraten
bemalt; auf dem Deckel sind Blumen dargestellt. Sehr häufig
finden sich Affen, die solch eine cylindrische Büchse vor sich
halten, wie z. B. VVilkinson, Manners'^ II S. 348.
' Wenn ihre perspeklivisclie Anordnung mit der der Pflanzen und Felsen
auf den üoldbechern von Valio üLereinsUnmil (die man überhaupt ver-
gleichen kann), so ist hier die PrioriWU sicher in Ägypten. Aber Niemand
wird ernstlich daraus Folgerungen ziehen wollen.
2 Z. B. PeUie, Teil cl Amania Taf. 3 und 9, Arch. Jalirbuoli I89S Taf. ?,
auf mehreren der später erwälinlen llol/.gegensländen.Champollion, J/on»-
menls 171 (vgl. oben 8. ^lö), Pelrie, Jllaltun Tal. 5,2 u. s. \\. und das Grab
des Noferhlp Wilkinson, Manners^ 111 Taf. 67, Grab des Amninheb, Mis-
sion du Cairc V.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 1^
250 P. VON BISSING
Andrerseits ist in Menidi eine eylindrisehe Büchse aus
Elfenbein üiefunden .deren Deckel im Stil und in der Anord-
nung der Figuren mit einem in Ägypten gefundenen über-
einstimmt. Wir müssen darauf noch zurück kommen; da aber
die Pyxis von Menidi innerhalb der griechischen Kunst vor
der Wanderung ihrer Form nach vereinzelt dasteht, wird man
eher an eine Übertragung der ägyptischen Form nach Menidi
als an das umgekehrte Verhältniss denken'.
Auch stilistiscli bleibt die Büchse von Kahun nicht verein-
zelt. Der lebendige Zug, den die Darstellung aufweist, ist
der Kunst des neuen Reichs zur Zeit der XVill. Dynastie
überhaupt eigen ~. Es ist irreführend von einem besonderen
Stil von Teil el Amarna zu reden. In den Dolchklingen der
Aahotep , an 150 Jahre vor Amenophis IV, bemerken w^ir
ihn schon, in thebanischen Gräbern der XIX. Dynastie, wie
dem des Ipuy finden wir ihn wieder und der Palast Ameno-
phis ill zu Theben hat im Wesentlichen das gleiche Aussehn
gehabt wie der zu Teil el Amarna. Nicht einmal das Incrusti-
ren der Wände ist Amenophis IV^ eigentümlich. Ich verdanke
Ludwig Borchardt Zeichnungen in London aufbewahrter
Wandincrustationen aus Gurob,die sich von denen des Königs-
palastes Amenophis 1 Vwol in der Qualität, aber nicht irgend wie
sonst unterscheiden, und neuerdings hat Petrie in Denderah
gleichartige Einlagen aus griechisch-römischer Zeit gefunden.
Es ist eine etwa 200 Jahre anhaltende Glanzzeit der ägypti-
schen Kunst, die dann unter Ramesses III eine kurze Nach-
blüte erlebt. Sie bereitet sich vor im mittleren Reich, wie die
herrlichen Decken der XII. Dynastie zuAssiut beweisen-' und
ich im Arch. Jahrbuch 1898 S.3'2f. auch an andern Beispie-
len zu zeigen versucht habe. Petrie hat gewiss Recht, wenn
* Kuppelgrab b(u Mciiidi Taf. 7 S. 27. Soweit icl) hier, wo icii fast nur
auf die eigne Bililiolliek angewiesen bin, urteilen kann, tragen die Kunde
von iMenidi aueii .sonst einen sliirker orif-ntaiisehen ( liarakler als die mei-
sten ältesten grieehiseben Funde.
2 Vgl. darüber Areb. Jabrbucbl898 S. 'A'HX.
3 Vgl. z. B. Wllklusöw, Manners ^ I Taf. 8 Kig. 4. 7. 20.
ÖTIERFANÖ AUF EINEM AEGYPTISCHEX HOLZGEFAESS
251
er meint ^die Künstler Amenophis IV seien Ägypter gewesen.
Die Grundlage der Kunst ist einheimisch. Aber es lässt sich
nicht läugnen, dass sich diese Kunst in ihrer höchsten Ent-
wicklung anscheinend auf die Kleinkunst beschränkt hat,
während die grosse Kunst nur in einzelnen Fällen nachfolgt.
Allerdings können wir nur nach den Gräbern urteilen, die uns
in ihren Maiereien gewiss nicht das Beste ägyptischen Kunst-
vermögens vergegenwärtigen. Denn Teil el Amarna und der
Palast Amenophis 111, vielleicht auch die Proben aus Gurob
gehören einer verhältnissmässig kurzen Zeit an und lassen
sich allenfalls als von einander abhängig erklären^.
Eine wertvolle Reihe hierher gehöriger Holzkästchen und
Elfenbeinschnitzereien, die ich im vorigen Herbst im Louvre
unter den alten Beständen gesehn, wird demnächst Chassinat
publiciren. Ein anderes Kästchen derselben Form, wie die
meisten hierher gehörigen ^, das aber im Stil etwas abweicht,
legte E. Naville auf dem letzten Orientalistencongress vor und
gedenkt es zu veröffentlichen.
' Teil el Amarna S. 13 uiUen.
2 Doch stösst das für Gurob sclion auf Schwierigkeiten und die gleich-
artige Decoration des Palastes Raruesses III zu Teil el Yehuiiieh macht es
wahrscheinlich, dass voriichnie Häuser in Ägypten eben mit Glasincrusta-
tioncn u.s.w. geschmückt waren. Das hat sich dann bis in die hellenisti-
sche Zeil gehalten: ein Fragment in Bonn, ganz ähnlich den Faienceu aus
Teil el Yehudieh, aber feiner in den Farben, zeigt den Donnerkeil. Es
stammt aus dem kairiner Kunsthandel.
3 Wie Wilkinson, Manners^ II Nr. 293.
25*2 F. VON fiissiNö
Andere Beispiele sind lange bekannt, so das Fig. 3 nach
Petrie, Kaluin Taf. 18, 31 wieder abgebildete Holzkästchen
aus der XVIII. Dynastie (vgl. Kaliun S. 35). Es ist nur
ein Fragment, aber nach Petries Worten zu ergänzen wie die
Holzbiichse aus Rahun. Es zeigt auf freiem Feld zwei lie-
gende und ein rennendes Kalb, wotür man als Gegenstück
nicht nur auf Teil el AmarnaXdS.. 4, sondern auch auf Schalen
aus blauer Faience mit Innenzeichnung verweisen kann '. Das
eine Kalb wendet den Kopf um sich den Schenkel zu lecken,
ein gut beobachteter Zug, wie er sich augenblicklich nicht
wieder nachweisen lässt. Die Pflanzen sind die üblichen, wie
sie z. T. auch auf der llolzbüchse von Kahun vorkommen.
Das OrnamentjWelches oben und unten das Bild einfasst, kenne
ich zuerst an dem Sarg des Entef im Louvre^, dann auch auf
einer von Furtwängler- Löschcke, Mykenische Vasen, Text S.
32 (Fig. 19) erwähnten Bügelkanne aus Faience (ägyptische
Nachahmung).
Ferner bewaiirt das Museum zu Turin ein Ilolzkästchen in
Form eines Halbcylinders (Katalog Rossi 6415) mit Schiebe-
deckel, auf dem der Name des Olliziers Iluy steht, der uns
mit Wahrscheinlichkeit in die XVIII. Dynastie oder den
Anfang der XIX. weist -*. Die Ornamente, die den Bildstreifen
einschliessen (NA'ellenlinie, Granatäpfel, Sclieinthüren u.s.w.)
sind rein ägyptisch, die Ausführung ist nicht besonders fein.
Das Bild selbst zeigt einen nach rechts eilenden Mann, im
kurzen, vorn spitzen Schurz, der einen Stier mit dem Lasso
gefangen hat. Der im Papyrussumpf daher trabende Stier zeigt
beide in der gewöhnlichen Weise gezeichnete llörner, obwol
er von der Seite gesehen ist; sein Schwanz, nach dem die an-
dere Hand des Mannes zu fassen scheint, ist im Bogen aufwärts
^ Z. B. Petrie, Illahun Taf. 17,7. 20,3. 5. Auch auf Aon polycliromcn Va-
sen der Zeil Anienophis III und IV koninildas Moliv vor und halt sich dann.
2 Petrie, //üt. of Egypt I S. 128. Decurative arl S. 51 erklärt er es kaum
mit Recht für ein Federornament. Eher stellt es ineinander geflochtene
Bander dar.
3 Die Darstellung publicirl: Petrie, Photographien Turin.
vni
3.
1
D.
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTISCHEN HOLZGEFAESS 253
gerichtet. Von obpn springt ein Panther auf den Stier herab.
Von dieser Gruppe abgcwandt zur Linken hinter dem Jä-
ger wird eine Gazelle von einem Löwen angefallen. F^n Jun-
ges springt der Gazelle an den Euter, während ein Panther
mit geflecktem Fell und grossem Schweif weiter hinten, in
der Darstellung selbst also über der Gazelle und dem Löwen,
steht.
Ganz ähnliche Motive aus dem Tierleben finden sich auf
den vorhin erwähnten Schnitzereien im Louvre und auf den
Wänden und dem Deckel eines Kästchens in Giseh . dessen
teils in Relief, teils in eingelegter Arbeit ausgeführte Darstel-
lungen Taf. 8,4. 5 abgebildet sind; auch die Arch. Jahrbuch
18y8 Taf. 2 publicirte prachtvolle Bronzeschale gehört hierher.
Anschliessen darf man weiter ein von Schäfer in der Ägyp-
tischen Zeitschrift (1893 S. 105ff. ) verötTentlichtes Lederkäst-
chen im Berliner Museum, dessen eigentümlichen, dem na-
villeschen Kästchen nah verwandten Stil der Herausgeber
gut gewürdigt hat. Hier begegnet uns. mehrfach wiederholt,
die Gruppe eines Löwen und eines Gazellenkälbchens. Der
Löwe hat einen kleinen Kopf und kurze Beine, an denen die
Muskeln stark hervortreten; der hochgehobene Schwanz endigt
in eine dreieckige Quaste^ Er packt mit dem Maul die
rotgefleckte Gazelle am Ohr und hebt so das Tierchen in
die Luft.
Der Löwe ist dem Typus nach eben so unägyptisch wie un-
assyrisch. Will man überhaupt vergleichen, so finde ich eine
Ähnlichkeit in der Anlage der Formen nur mit den Tieren am
Löwenthor von Mykene: ahmte ein ägyptischer Künstler einen
Löwen griechischen Stils ungeschickt nach, so konnte schon
ein so unwahrscheinliches Gebilde entstehen.
Stilistisch dem Lederkästchen einigermassen verwandt, ist
ein zweites llolzkästchen zu Turin', liier ist auf dem Deckel
in Hochrelief eine von zwei Hunden angefallene Gazelle dar-
' Wie aucli auf ilom turincr Kästchen 6415.
2 Nr. 6416 liussi, 0,15 laiiy, 0,065 breit, 0,05 liocli.
254 F. VON BISSING
gestellt, die den Kopf wendet. Ein Hund sitzt auf ihrem
Rücken undbeisst sie ins Maul, ein anderer packt sie am Euter*.
Als Jasrdhunde tras^en beide Halsbänder. Gräser ähnlich den
auf den petrieschen Büchsen dargestellten, füllen den Raum.
Das Kästchen wird ungefähr datirt durch einen in schlechten,
tiefen Zeichen eingeschnittenen Text magischen Inhalts, wo-
nach es frühstens der XiX. Dynastie angehört.
Collection Ho ff mann, 1895, Antiqiiites e'gyptiennes S.
84 ist in stilistisch leider nicht genügender Weise ein Holz-
gefäss veröffentlicht, das hoffentlich der unbekannte jetzige Be-
sitzer einmal besser zugänglich macht. Es stellt eine Löwen-
jagd in Relief dar : auf einem Streitwagen mit einem Ross
steht ein Mann, der zum Wurf den rechten Arm erhebt,
während er mit der gesenkten andern Hand die Zügel hielt ^,
vor ihm steht ein zw^eiterMann im Schurzmit der Feder auf dem
Kopf, der in der rechten Hand einen Speer hält, mit welchem er
einen Löwen im Sprung getroffen hat; mit der andern scheint
er einen zweiten Löwen am Schwanz hochzuziehen, nachdem
er ihn von hinten mit einem Speer durchbohrt hat. Der Löwe
blickt sich hülflos nach seinem Peiniger um und berülirt kaum
noch mit dem einen Vorderfuss den Boden. Weiter rechts grast
eine Antilope, an der ihr Junges aufspringt um zu saugen ;
den Abschluss bildet eine weibliche geflügelte Sphinx mit
menschlichem Kopf und Vorderarmen und einem nur halb
sichtbaren hohen Götterkopfschmuck.
Die weibliche Sphinx und das an bekannte asiatische^ Dar-
stellungen gemahnende Schema des Mannes mit den zwei Lö-
wen geben dem Relief etwas Fremdartiges, ohne dass man be-
stimmte Vorbilder nennen könnte.
' Übertragung des häuJigen Schemas des Muttertiers mit dem saugenden
Jungen.
2 Waren diese gemalt? Der Vcrfcrliger des Gelasses scheint eine Vorlage
benutzt zu haben, die er ungeschickt verkleinerte; so fchltdcm Mann auf dem
Wagen die n-chtc Hand, der 8f)hinx der obere Teil der Krnne.
3 Vgl. Perrot-Chipicz III 8. 03S, Nr. 429, aber auch Ro^ellini, Mon.slurici
111,1 S. HO Taf. l'i-, aus der Zeil Aiiieiio|)i)is I.
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTÜ^CHEN HOLZGEFAESS 255
Es mag hiermit genug sein, da eine Untersuchung üher den
Typenschatz dieser Reliefs erst m()glich sein wird, wenn eine
grössere Anzahl davon zugänglich gemacht ist. Sie bilden eine
besondere Monumentenklasse', stehen aber, wie nicht genug
betont werden kann, in unlöslichem Zusammenhang mit der
XVIII. Dynastie^.
L. von Sybel hat vor Jahren angenommen, die Befreiung
der ägyptischen Kunst zu Anfang des neuen Reichs sei von
Asien aus veranlasst worden ''. Heute, wo wir die ägyptische
wie die asiatische Kunst besser kennen, lässt sich das nicht
mehr aufrecht erhalten. Die asiatische Kunst weist keinerlei
Eigenschaften auf, die sie zu einer solchen Befruchtung der
ägyptischen befähigen würden. Und die Ansätze zur Befreiung
der Kunst im Niltlial sind andrerseits zweifellos älter als die
grossen asiatischen Kriege ''. Ich könnte mir denken, dass man
die ganze Entwicklung zum Höhepunkt der Kunst unter Ame-
nophis III und IV als eine national ägyptische ansähe. Nur
würde ich dann erwarten, dass die Entwicklung sich in allen
Teilen der Kunst gleichmässig zeigte und sie sich auf alle
Sphären ausgedehnt hätte. Auch scheint mir die Entwicklung
so ungemein rasch vor sich zu gehen, dass man sich unwill-
kürlich nach einer fremden Anregung umsieht.
Die einzige Kunst aber, die sich dann darbietet, ist die hel-
lenische Kunst vor der Wanderung. Sie allein zeigt die gleiche
ornamentale Fülle und Überfülle, die gleiche naive Kraft des
Vortrags. Freilich sind die griechischen Künstlei* in der Kühn-
heit der Darstellung den ägyptischen noch überlegen, während
diese ihnen im Einzel-Ornament nichts nachgeben.
Seit Furtwängler und Löschcke in den .Mykenischen Vasen
' Nur iu>l)(!nbc'i sei auf oino hierher gehörige Melallarheil aiifinerksain
gemachl, eine A\l iiiil dein eingelegten Bild eines Oeiisen, W'ilkinsun, .Va/j-
nen'2 l S. 214.
2 Vgl. z. B. auch Teil cl Amarna Tal". 9.
3 Sylicl, Kritik des äg.vplischen Ornanient.s.
< Vgl. dazu meine ölalistiselif Tafel Tuüiniosis III 8. xxii tV.
256 F. VON BISSING
zuerst auf die Beziehungen Mykenes zu Ägypten hingewiesen*,
ist das Material bedeutend gewachsen. Und während Per rot
VI S. 1005 eine ausreichende Übersicht der nach Griechen-
land exportirton ägyptischen Ware gegeben hat, fehlt für den
mykenischen Import nach Ägypten eine derartige Zusammen-
stellung. Es kann nicht meine Absicht sein, hier ein voll-
ständiges Verzeichniss zu geben, wol aber hoffe ich, dass die
folgende Übersicht lehren wird, dass der Einfluss der ältesten
griechischen Kultur auf Ägypten, so wenig man ihn über-
schätzen darf, eine Thatsache ist, mit der man rechnen muss^.
Wenn im Allgemeinen auch der stärkste Import mykeni-
scher Ware nach Ägypten mit der jüngeren Hälfte des dritten
Stils zusammenfällt^, so sind die Beziehungen Ägyptens zu den
Mykenäern unzweifelhaft älter. Über die von Petrie gefunde-
nen Scherben aus Kahun kann ich mich, ohne die Originale
gesehn zu haben, nicht äussern^. Sicher scheint aber, dass sich
darunter eine hellenische Vase mit AJattmalerei befindet^. Das
würde uns in die XII. Dynastie, d. h. etwa '2500 vor Chr.
führen. Aber Petries Datirung unterliegt doch manchen Be-
denken. Kahun war gebaut worden als massenhaft Arbeiter
zum Bau der Pyramide und des Tempels Usertesens II her-
beieilten, es versteht sich aber von selbst, dass die Stadt auch
in der Folgezeit bewohnt blieb ; in der That fehlt es nicht an
Zeugnissen aus der Zwischenzeit von der XU. zur XVIII. Dy-
nastie und bis in diese hinein. Nun hat Petrie zweifellos Recht,
dass die für Amenophis III und IV bezeichnenden Vasen und
' S. XII (T. S. ri,31ir. 8-2 ir. insbesondere. Dosen in Gestalt einer Ente,
die den Kopf ziirückwcndcl, £riel)l es jetzt eine ganze Anzaiil aus Ägypten.
2 Der erste, der dies lieloiit iial, ist wol E. Meyer, Gesell, des Altertums
II § li.5 und 129; vgl. auch S. Reinacli, Le inirage orienlal.
3 Etwa von Tuthmosis III, Sethos II, XVIII. und XIX. Dynastie.
■* Soweit man nach Abbildungen urteilen darf, könnte man, worauf mich
Wolters aufnierksaiii macht, die Vasen aus Kamares auf Kreta vergleichen;
s. Journal of Hell, sludies 1890 Taf. 14. Petrie, Jllahun Taf. 1. Munumenli
dei Lincei VI. Taf. 9.
s Petrie, Illahun Taf. 1, 13.
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTISCHEN HOLZGEFAESS 257
andren kleinen Altertümer fast ganz fehlen. Man wird also die
Menge der Funde älter setzen als die zweite Hälfte der XVIII.
Dynastie. Und da auch sonst die Kleinfunde sich mehr an die
Xil. Dynastie anschliessen, als an das neue Reich, darf man
mit der Datirung der Schutthaufen im Wesentlichen noch im
mittleren Reich bleiben. Aber weiter zu gehen erlauben uns
unsere Kenntnisse nicht. Denn zwischen Töpfen und Amu-
letten der XII. Dynastie und solchen der Folgezeit bis zur
XVIII. scharf zu scheiden, ist einstweilen unmöglich. Und
wenn die Schutthaufen auch ausserhalb der Stadt lagen, so
giebt uns das nocii kein Hecht, sie allesamt früher anzusetzen
als die Schutthaufen im Innern der Häuser. Man wird schwer-
lich sorgfältig erst das eine, dann das andere Verfahren ein-
geschlagen haben ; wer ein Haus in der Mitte der Stadt besass,
fand es gewiss bequemer, Abfall in das nächste verlassene
Haus abzuladen, wer nah der Mauer wohnte, brachte den
Schutt vor die Stadt. Petries Datirung wäre zutreffend, wenn
wir voraussetzen müssten, dass ein Quartier der Stadt von
den Behörden preisgegeben worden sei: 'hier kann Schutt
abgeladen w^erden '. Aber wie die Dinge liegen und noch heute
im Orient sind, kann man nur sagen: zwischen der Xll. und
XVIII. Dynastie, im Mittel also um 1800. Einer solchen Da-
tirung aber steht von keiner Seite etwas im Wege; wir blei-
ben somit mit der Mattmalerei am Ende des dritten Jahr-
tausends'.
Zu den älteren aus Ägypten stammenden altgriechischen Ge-
fässen wird man noch zählen dürfen : 1 ) die schfuie Kanne in
Marseille, Perrot-Chipiez VI S. 926, die nach Maspero, Cat.
du Muse'e i^gyplien de Marseille Nr. 1043 in Ägypten ge-
funden ist, während andere für sie die Herkunft aus Tyrusver-
sichern^. Unbestritten stammen aus Ägypten *2) die bei Perrot-
' Etwasanders urteilt Evans {Crelan piclographs S. 79-82), der aber
auch auf die ivrelischen Vasen liinwcisl.
2 Perrot-Chipiez VI S. 1013 zu S. 916, vgl. Arch. Anzeiger 1893 S. 9 f.
(Furlwängjer), wo verwandle Gelasse aufgezälill sind.
?58 F. VON nissiNT,
Chipiez VI S. 925 publicirte Büchse des Brittischen Museums,
sowie 3) die von Murray, American Journal of arcli. VI
S. 437 ff. Taf. 22 publicirte Vase. In der Datirung hat Furt-
wängler gegenüber dem Herausgeber, der sie für spätmyke-
nisch hielt, offenbar Becht. Die Form dieses Gefasses ebenso
Nvie die der marseiller Ranne weist deutlich auf Metallvor-
bilder, und in der Decoration stimmen die Vasen 1-3 so auf-
fällig überein , dass man am liebsten geradezu den selben
Töpfer für sie annehmen möchte ; das fällt bei der Kanne
in Maseille für Ägypten gegen Tyrus ins Gewicht. 4) Die
von Petrie , lllahwi Taf. 26 abgebildete Vase aus dem
Maketgrab, das, wie nun aucli sein Entdecker annimmt, der
frühen XVIII. Dynastie angehört'. 5) Dervon Petrie lilahun
Taf. 19, 37 abgebildete mykenische Trichter, dessen Henkel
und Spitze leider abgebrochen ist und zu dem man das Orna-
ment Myk. Vasen Taf. 31, 293; 19, 134; 35,356 vergleiche,
letzteres freilich ein Fraojment vierten Stils, wonach also der
Trichter, der undatirt ist^, auch indiejüngste mykenische Zeit
gehören könnte, von der wir m. \V. in Ägypten kein Beispiel
haben. 6) Mykenische Büchse, abgebildet auf unserer Taf. 8,
3, im Museum zuGiseh.Thon hellgelb. Firniss gut, verschie-
den dick aufgetragen, stellenweise rötlich geworden. Auch die
Lippe innen gefirnisst, Höhe 7,5*'"', Breite 7,3. Zwischen den
Henkeln Palmen, unter und über den gefirnissten Henkeln
Wellenlinien. Auf dem Boden innerhalb eines den äusseren
Umriss angebenden Kreises zwei Paar sich kreuzweis über-
schneidender geschwungener Linien, in den vier Winkeln des
Kreuzes, an die Enden der Linien ansetzend je eine nach aus-
sen geöffnete Bogenlinie. 7) Ähnliche aber weniger Hache
Büchse, abgeb. auf Taf. 8, 1, im Museum zu Giseh. Tlion
dunkelgelb, Firniss schwarz, brüchig, Höhe 8"°, Breite 7,3.
Auch die Lippe innen gefirnisst. Zwischen je zwei Henkeln
< Vgl. Äf,',ypli,sclio Zcilschrift 1897 S. 94 (T.
2 Pelric giclit über ihn nichts an uml die Datirung auf öethos II bezichl
sich nur auf die Nr. 1-27.
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTISCHEN HOLZGEFAESS 259
ein herzförmiges Blatt. Der Grund ist mit reihenweise geordne-
ten Punkten gefüllt, die Blätter sind unten durch eine Kreis-
linie miteinander verbunden. Auf dem Boden parallele, durch
einen Kreis eingefasste Wellenlinien. 8) Bügelkanne dritten
Stiles, abgeb. Taf. 8, 2, im Museum zu Giseh. Höhe IS'",
Breite 6,5. Gerades Eingussrohr, hoher Bügel, breiler Fuss,
dessen innere Fläche etwas vertieft liegt. Gelber Thon, leuch-
tender, an der einen Seite rot gewordener Firniss. Auf dem
Bügelknopf concentrische Kreise, das Ornament der Schulter
vier Mal wiederholt.
In die ältere Zeit des dritten Stils gehört vielleicht
auch der von Puchstein als mykenisch erkannte Deckel aus
dem Grab des Srbina zu Saqqarah ' ; er stimmt der Ein-
teilung der Decoration nach so genau mit einem in Menidi ge-
fundenen überein, dassein Zusammenhang sicher ist (vgl. oben
S. 2 50). Der lebendige Stil aber, der den Deckel vor allen andern
Holzarbeiten, die in Ägypten gefunden sind, auszeichnet, erweist
ihn als originale mykenische Arbeit, nicht als Nachahmung "^
Die Entwicklung der mykenischen Formen, d. h. der Bügel-
kanne, die numerisch weit überwiegt, hat an der Hand der
ägyptischen Funde Petrie, lllahun S. 18 ^ 38 bereits dargelegt;
er hat auch die von Löschcke und Furtwängler gesammelten
Nachahmungen mykenischer Ware in Ägypten um einige Bei-
spiele vermehrt. Diese Nachahmungen sind uns wertvoll,
weil sie beweisen, dass die Ägypter erstens die mykenische
Technik nicht beherrschten, andrerseits aber so viel Gefallen
an der mykenischen Ware fanden, dass sie sie in verschiede-
nem heimischen Material nachahmten. Und zwar scheint da-
bei die Bügelkanne als Behälter für Wolgerüche an die Stelle
jener ursprünglich auch importirten, schön rot polirten Flaschen
< V^l. Lcpsius, üoukiiiäler Tc\l S. 17. Areli. Anzci.u'.T I8'.)l S. 41.
2 Dass das Grab iii Sa(i(iaiah. in dein das Cn'l'.iss Furl\v;iii|;ler-Lösolicke,
Myk. Vasen 159 gefunden ist, im neuen Ileicli (odeiHndo dos niiltleren )
wieder benutzt worden ist, lebren deullicb die darin gefundenen Siirge und
Vasen; vgl. Lepsius, Dcnkniiiler, Text IS. 167 11'.
260 F. VON BISSING
getreten zu sein, die im Anfanc; der XVIII. Dynastie massen-
haft, dann immer spärlicher vorkommen.
Die folgende Liste soll, ohne vollständig zu sein, eine Reihe
verschiedenartisfer Nachahmun2;en. nach Technik und Mate-
rial geordnet vorführen. An Biigelkannim kenne ich :
1. Einfacher ägyptischer Thon mit Mattmalerei. Als Deco-
ration ausschliesslich umlaufende Kreise in mattvioletter Farbe.
Mehrere Exemplare in Giseh , je eins in Florenz (Ägypt.
Sammlung 3354) und Berlin (Ägypt. Sammlung 1611). Die
florentiner Vase schien mir eine Art heller Engobe zu haben,
vvol um die schöne Farbe der mykenischen Ware wiederzu-
geben. Vgl. Petrie, Illahun 19, 12 und Teil el Yehudieh
ed. Egypt exploratioti fand S. 46 links unten (aus der XX.
Dynastie?).
2. Blaue, schöne Faience des neuen Reichs.
Zwei Exemplare im Louvre, von denen das eine ein Zick-
zackband um den Bauch zeigt (vgl. unten).
Eine Kanne in Boloajna ^ auf der Schulter ein Band von
gegeneinander gekehrten Dreiecken , die mit Strichen gefüllt
sind; darüber Gräser, ähnlich den auf der Büchse von Rahun
dargestellten und Palmetten, für deren Form man Petrie, De-
corative art F'ig. 51 vergleiche, wo der Ursprung dieser
Palmetten klar wird-. Die Ornamente sind in der üblichen
schwarzen Farbe vor der Glasur aufgemalt.
Zwei weitere Exemplare finden sich im Museum zu Giseh.
Die eine Kanne (Kat. Maspero S. 127, 2829) ist Tat". 8, 6 abge-
bildet. Sie besteht aus graugelbem feinkörnigem Thon, mit
schöner blauer Glasur. Das Eingussrohr steht fast senkrecht,
der abgebrochene Bügel fehlt. Höhe 7,5, l^reite des Fusses
3,7"". Auf der Schulter ist in schwarzer Farbe als einzige Ver-
zierung zwischen zwei Linien eine Reihe von ägyptischen Hie-
roglyphen aufgemalt (abwechselnd Uzat- Augen, die Zeichen
< Vgl. Furlwäiifrler-Löschcke, Myk. Vasen S. 32 und Ahh. 1'.».
2 Wol XVIII. Dynastie, dooli iilinlicii .schon auf Decken der XII. Dyna-
stie in Assiul.
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTISCHEN HOLZGEFAESS 'SGI
für schön, Leben, Kraft und Lotosblüten). Interessanter ist die
zweite, Taf. 8,7 abgebildete (Kat. Maspero 28) 9 ). Sie besteht
aus gleichem Thon mit dunkelblauer Glasur und schwarz auf-
gemalten Ornamenten. Höhe 7,8, Breite des Fusses 2,8"", I^n-
gussrohr etwas schräg. Der Bügel ist oben breit, rautenförmig,
darauf Rosette ; an den Seiten des Bügels zeigt sie einen
ägyptischen Blumenstrauss mit Winden und Lotosblüten ^
Auf dem Bauch sind gleichfalls in schwarz Gruppen von
Papyrus und Disteln gemalt^. Neben dem gerade aufgerich-
teten Ausgussi'ohr sind nicht bestimmbare Gräser dargestellt.
Nach den Pflanzen-Motiven und der schönen blauen Farbe
dürfte die Kanne der XVII L Dynastie, etwa der Zeit Ame-
nophis III -iV angehören^.
3. Wichtig sind auch die Abbildungen von Bügelkannen
im Grab Ramesses III. Sie zeigen im Gegensatz zu den bisher
besprochenen und den in Mykene gefundenen keinen Fuss,
sind ziemlich schlank und mit linearen Ornamenten ge-
schmückt. Vom o-elben Grund heben sich auf allen vier seiner
Zeit von mir notirten Exemplaren rote Zickzackbänder ab ^,
die abwechselnd oben und unten geölTnete Dreiecke bilden,
in denen Punkte angebracht sind. Ganz in dergleichen Weise
sind im selben Grab grosse Vorralsgefässe ganz unmykeni-
scher Form decorirt"*. Ihre Form entspricht den aus Syrien
eingeführten Weihrauchgefässen und man kann daher schwan-
ken, ob hier syrische Nachahmungen mykenischer Ware oder
ägyptische vorliegen. Dass das Ornament in Nordsyrien und
Kreta heimisch war, hat Petrie auf Grund syrischer und Kfliu-
Kleidermuster vermutet". Petrie hätte hinzufügen können, dass
' Vgl. Petrie, Teil el Amarna Taf. 2 und 3. Derorative arl S. 81 1". 157.
2 Vgl. Mission du Caire V, Tonibcau clApaui, paroi li.
3 Petrie, Decoralive art S. Sl.Bürchardt, Die ägypt. Pflanzensäule S. 82.
* Vgl. C\\a.mpo\[ion, Monumenls Taf.2ö8 obere Reihe, in Farben, und 259.
Auf TaC. 258 ist auch die weiter unlen besprochene Bügelkaiine (?) abge-
bildet, für die ich (llas als Material vermute.
!' Wilkiiison, Manncrs'^ II S. i \r. 8, 18, 19 (uichlganz genau), besser
Chauipollion, Moniimoüs Taf. 259.
^ Decoralive art S. 15.
262 F. VON BISSING
auch im Dipylonstil das Muster nicht selten ist'. Aber an-
(h'erseits ist das Ornament so einfach, dass man nicht viel auf
die Übereinstimmung geben kann, und leider auf diese Weise
den Reweis, dass die ältesten in Griechenland gefundenen Vasen
mit Firnissmalerei unasiatisch sind, weil sie ganz abweichen
von den im Grab Hamesses III dargestellten, nicht bündig
führen kann.
Verführerisch wäre es auch, die aus Ägypten in das Bonner
Museum gekommene, Taf. 8, 8 abgebildete Bügelkanne für
syrisch zu erklären. Sie hat einen runden, etwas abgeplatteten
Boden, ist 0,095'" hoch. Ihre steilen Henkel fallen etwas zum
Bügelknopf hin ab. Das Eingussrohr ist abgebrochen. Der
grobe, rötliche Thon mit dem stark gebrannten, gelben po-
lirten Überzug entspricht genau den besten im Palast Ame-
nophis III und IV aufgelesenen Scherben von Vorratsgefässen.
Ebenso wie die von mir im Arch. Jahrbuch 1898 S. 54 be-
handelten rotpolirten Gefässe, stechen diese gelbpolirten von
der gewöhnlichen bessern ägyptischen Ware ab. Die Vermutung
Dragendortl's, dass die syrischen Erzeugnisse auch in syrischen
Krügen transportirt worden seien, hat daher viel für sich. Wir
hätten demnach in der gelben wie in der roten polirten Ke-
ramik (und beide sind schwer von einander zu trennen) Im-
port vor uns, dem freilich heimische Imitation nachfolgte.
Und darum bleibt auch für den, der den fremden Ursprung
der Töpfe als Gattung zugiebt, im einzelnen Fall ein Schwan-
ken möglich und wir können sichere Schlüsse nicht darauf
bauen 2.
Im Grab Hamesses III ist dann auch eine Bügelkanne aus
Glas abgebildet [W'iiklnson, Man ners^ S. 4 Nr. 167), die wol
kaum griechischen Ursprungs sein dürfte; für die Darstellungs-
^ Brunn, Kunslgescliiclile I S. 54.
2 Man vergesse vor allem niclil, dass mil, den lienidcn Fürsten aneli
kriegsgefangencrrenide Künstler einwanderten, und dasreielie Ägypten über-
haupt l'alirendes \'oik angezogen haben wird. So konnten fremde Teehniken,
die keine besonderen Bedingungen hatten (wie guten Thon oder Firniss-
larbe) aueli in Agj'pleii gedeihen. Vgl. Petrie, Ilislunj vf Eijijpt HS. 189.
STIERFANG AUF EINEM AEGVPTISCHEN HOLZGEFAESS 263
weise, bei der das Ausgussrohr durch den Mittelstab des
Bügels verdeckt wird, vgl. a.a.O. Nr. 15. Möglicher Weise
sind aus der Fornn der Bügelkanne oder aus Gelassen wie
Myk. Vasen Taf. 15, 90 herzuleiten Gelasse wie das bei
Cesnola- Stern, Cypern Taf. li, 6 in der Mitte abgebildete,
dem in der Form bis auf den fehlenden Boden Wilkinson,
Manners "^ 11 S. 4,1 4 entspricht (aus Glas). Das Eingussrohr
fehlt hier, oder vielmehr die Mittelstange des Bügels ist zum
Eingussrohr umgewandelt worden. Das Auftreten dergleichen
Form in Gurob zur Zeit der XVlil. Dynastie* spricht eher
für als gegen diese Annahme.
4. Eine Büojelkanne aus Alabaster aus dem Ende der XIX.
Dynastie ist abgebildet Petrio, lUahiin, Taf, 19, 27.
5. Ein mykenischer Trichter aus ägyptischer Faience be-
findet sich nach G. Karos Angabe im Brittischen iMuseum.
6. In Gurob fand Petrie zusammen mit Gegenständen der
Zeit Amenophis III einen Löwen, den er sofort mit dem Lö-
wenthor von Mykene zusammen stellte. Wie ich glaube mit
Recht. Denn die Abbildung {Illahun Taf. 8, '25), die den Stil
allerdings nicht erkennen lässt, zeigt eine Löwin (?) genau in
der Stellung derer zu Mykene und nach Illahun S. 15 scheint
eine zweite Löwin gegenüber gestanden zu haben, wodurch
die Ähnlichkeit noch grösser wird. Wozu freilich dieses Lö-
wenpaar aus vergoldetem Holz gedient hat. ist nicht zu er-
mitteln^.
< Petrie, Illahun Tat'.;20,1. Leider giebt Cesnola üIht die AulTindung der
aus Dali stammenden Vase keintii Bericht. Sie geliürl wol sielier der XVIII.
Dynastie an, wie ausser der Form der freie Stil der Tier/.i'icliniing beweist ;
ebendahin LjeliönMi die l)eiden allerdings jämmerlieli abgcliildeten Seiialen,
für die man Pelrie, Illahun Taf. vO. 3 und b; 17, 7 vergleielie. Menscliliclie
Darstellungen auf diesen Sehalen sind so seilen, dass das Stück eine gute
VeröfTcnllicIiung lohnte. Die bei Cesnola Taf. 15-16 abgebildeten Gefässe
gehören danaeli in dii; Mitte des zweiten Jahrtausends vor Chr. und Ces-
nola hatte Recht, die Gräber für die ältesten auf Kypros zu lialten.
- Aiiielung, Führer durch die Antiken in Florenz S. -^Ul Anm. erwähnt
eine 'kleine mykenische Pyxis mit Itankeiiornament'. Wie aber Wolters
erkannt hat, ist das mit Mattinalcrei verzierte Gefäss nach Form und
'i64 F. VON BISSING
Enge Beziehungen zwischen Mykene und Ägypten lassen
sich auch sonst erweisen : die gemalten Fusshöden zu Teil el
Amarna und im Palast Amenophis III zeigen die gleiche
wechselnde Technik wie die Fussböden zu Tiryns' ; hier und
dort waren die Wände mit Kalkstuck bedeckt, den Malereien
schmückten; wie im Palast des Alkinoos, wie in dem zu
Tiryns, der Fries aus Ryanos an der Wand herumlief, so
schmückten bunte Glastlüsse die Säulen und Wände zu Teil
el Amarna und zu Teil el Yehudieh ( Ramesses III Zeit).
In Ägypten reicht die Technik eingelegter Arbeit bis in die
Zeit des alten Reichs : in den Gräbern von Medum finden wir
mit Glasflüssen ausgelegte Hieroglyphen. Der Schluss wäre zu
rasch , darum die Decoration der mykenischen Paläste aus
Ägypten herzuleiten. Auch Babylonien, woher nach der stati-
stischen Tafel Tuthmosis 111 Zeile 25 die Ägypter unter ande-
rem den nachgeahmten Blaustein erhielten, kommt in Frage:
denn im Louvre werden aus Babylonien farbige, auch schon
dunkelblaue Incrustationsplatten aufbewahrt, die sich von den
sonstigen assyrisch -persischen scharf scheiden, aber mit den
Fragmenten aus Teil el Amarna entschieden verwandt schei-
nen. Leider sind es wenige Stücke und ihr Alter bleibt un-
gewiss.
Aber wenn auch der Grundgedanke der mykenischen Pa-
lastdecoration [aus Ägypten entlehnt sein, und nicht die my-
kenische Kultur bei der Ausschmückung der Serails Ame-
nophis III und IV beteiligt gewesen sein sollte, so könn-
ten wir an einem Beispiel die Selbständigkeit der ältesten grie-
chischen Kultur gegenüber der ägyptischen beweisen. Die
Dolchklingen der Schachtgräber hat man inhaltlich und
vielleicht auch der äussern Form nach mit Recht neben den
Dolch der Aahotep gestellt; aber technisch stehen die myke-
Ornanicnl unmykcriisch. Nach einigen von DragendorfT nolirlen verwandten
Gefässen aus Ägypten dürfte es vielmehr der nachchristlichen Zeil ange-
hören.
< Scbliemann, Tiryns S. 513,
STIERFANG AUF EINEM AEGYPTISCHEN H0LZ6EFAESS 265
nischen Dolcliklingen viel Ijölior: jene Metallpolychromie, die
den mykenisclien Dolchen und dem homerischen Schild (des-
sen Decorationsprineip sich hinwieder zuerst in Ägypten nach-
weisen lässt') gemeinsam ist, wird in Ägypten erst gegen Ende
des neuen Ikichs (um lOOü) gehrüuchlich.
So ist es im einzelnen Fall misslich, bei den auch in der
Ornamentik sich darbietenden Parallelen aus vielleicht zu-
tälliger Priorität auf der einen oder andern Seite Schlüsse auf
Entlehnung zu ziehen. Den Griechen bleibt die Erfindung der
Ranke, wie lliegl gezeigt hat: ob aber bei den oft abgebilde-
ten ägyptischen Deckenmustern, die mit der Decke von Or-
chomenos übereinstimmen , die Priorität nicht auf ägyptischer
Seite liegt? Die vollkommene Reihe der Entwicklung, wie
sie jetzt bequem bei Petrie, Dccorative art S. 28 ff. vorliegt,
lässt sich jedenfalls leichter in Ägypten als in iMykene
nachweisen. Und die verständnisslose Verwendung der mit
einander verbundenen Enden zweier paralleler Spiralen auf
der mykenisclien Grabstele bei Perrot-Chipiez VI S. 765 sieht
eher aus wie herübergenommen aus einem Musler wie Perrot-
Chipiez 1 Fig. 541,6, als wie selbständig entwickelt auf grie-
chischem Boden. Wie fast immer fehlt es an ausreichenden Pu-
blicationen auf ägyptischer Seite: die Decken der Gräber von
Assiut aus dem mittleren Reich sind noch immer uiipublicirt.
Im Grab des Uapzfa habe ich mir das Vorkommen des Mäan-
derslabes, der Spirale, des Schachbrettmusters nolirt. W iikin-
son, Manners'^ 1 Taf. 8 (zu S. 303) Nr. 4, 7, .^U, woi auch
14, sind ihm oder doch gleichzeitigen Gräbern entnommen,
27, 28 kann ich nach meinen Notizen zwei thebanischen Grä-
bern aus der XVlIi. Dynastie zuweisen i^Sobkhelp und Inni).
Solange uns aber die Möglichkeit fehlt, die Geschichte des
ägyplischen Ornaments lorllaulend weiter hinauf als bis in
die XV 111. Dynastie zu verfolgen-', kann unser Lrleil über
' Vgl. Aldi. Jalirliucli 1898 Ö. 50.
^ liiegl, öliliiageu liissl liier ganz im Stich , auch Petrie, Decorative arl
ist in den Angaben über Zeit und Ort der herangezogenen Beispiele zu
ATHEN. MlTTHElLLNGEN iXIlI. 18
$66 STTERPAN6 AUF EINEM AEGYtTISCHEN HOLZGEFAESS
das Verhältniss der mykenischen zur ägyptischen Kunst nicht
abschliessend lauten. ' Eines freilich kann man schon jetzt
sagen : wie viel einzelne Motive die Mykenäer auch aus
Ägypten entlehnt haben mögen, die Combination dieser Ele-
mente zu einem künstlerischen Ganzen ist den Mykenäern,
nicht den Ägyptern zu danken. Der ordnende Genius der
Griechen schafft auch hier wieder aus übernommenen Einzel-
formen das kunstvolle Ganze.
Kairo.
F. VON BISSING
knapp. Ein einzelnes Kapitel ist zum ersten Mal grundlegend dargestellt
von Borchardl, Die ägyptische Pflanzensäule.
EPIGRAMM AUS SMYRNA
An der Nordseite des Pagos ist 1 896 eine marmorne Grabstele
gefunden worden, deren Inschrift ich hier mitteilen möchte.
Ich sah sie kürzlicli in der besonders an Terracollen smvr-
näischen Fundortes reichen Sammlung des Herrn P. Gaudin,
Üirectors der Kassaba-Bahn in Smyrna. Mit derselben aus-
serordentlichen Freundlichkeit, mit der er uns das Studium
seiner Sammlung gestattete und erleichterte, gab er auch die
Erlaubniss zu dieser Veröffentlichung ; ich darf es nicht unter-
lassen, den herzlichen Dank für seine vielfache Zuvorkomrnen-
heit auch an dieser Stelle auszusprechen.
Die Stele, 58"" hoch, ist von einem flachen Giebel bekrönt,
unter dem sich in vertieften Rundungen zwei in zartem Hclief
ausgeführte Kränze befinden. Weiter unten sieht man in ein-
getieftem Viereck eine Heliefdarstellung : in der Mitte einen
stehenden Knaben im Chiton, den Mantel um den Unterkör-
per geschlagen und über den linken vorgestreckten l nierarm
geworfen. Der Knabe ist in Vorderansicht dargestellt, den rech-
ten Arm streckt er seitwärts wagerecht von sich und hält in
der Hand eine grosse Traube. Unter dieser kauert am Bo-
den ein kleineres ganz nacktes Kind und richtet verlangend
Blick und linke Hand nach der Frucht ; die rechte Hand ruht
auf dem rechten Knie. An der andern Seite, rechts, steht mit
übergeschlagenen Beinen, wie an den Band des Reliefs ange-
lehnt, ein grösserer nackter Knabe, die linke Hand ans Knie
gelegt, den linken Ellenbogen mit der rechten Hand stützend.
Über der Darstellung steht:
MHTPOA/^POZMATPEAZ
AHMHTPIOY AHMHTPIOY
Darnach haben wir also den Grabstein der jung verstorbenen
Kinder eines Demetrios vor uns. Der grössere Knabe in der
Mitte ist Matreas, der kleine links Metrodoros; in dem Kna-
ben rechts haben wir einen Diener zu erkennen. Aus dem
268 P. WOLTERS
Epigramm, das unter dem Bilde steht, erfahren wir noch.dass
Matreas drei, sein Bruder nur ein Jahr alt gestorben ist.
Die Form der Stele und ihr Schmuck, die Kränze, ist in
Smyrna sehr häufig. Ich verweise Beispiels halber auf die
Exemplare in Berlin : Beschreibung der antiken Skulpturen
Nr. 772. 77ö. 777. 778. 780. 783; ein reicher ausgestaltetes
Exemplar ist Nr. 767. Dies letztere ist dort ins zweite Jahr-
hundert vor Chr. gesetzt, die andern als spätgriechisch aber
vorchristlich bezeichnet. Nach Gesamtform, Buchstaben, der
zarten und noch nicht so erstarrten Ausführung der Kränze
ebenso wie nach dem Stil der Beliets darf man diese Datirung
für zutreffend halten.
Unter dem Relief unserer Stele stehen nun vier Distichen,
in flüchtiger, vielfach bestossener und recht schwer lesbarer
Schrift. Was ich biete ist das Ergebniss mehrfacher bei ver-
schiedensten Beleuchtungen vorgenommener Lesungen , die
also niemals das Ganze auf einmal umfassen konnten. Hoffent-
lich erweist sich trotzdem die Abschrift als zuverlässig. Ich las
folgendes :
AAAA02ENinOI2ITAMHiaONTAnAP/;,:ZTOIZ
(J)AMAKAPYZ2nMOYSO ETTEIZTOMATI
I/AYPIlATTATPArENETAZAHMHTPIOSHAETEKOYZA
NANf//IIONEKAAY2ANAIZ2AKoPnNrTAOEA
nNOMENOYKETEAE22ENENIiniOIZENIAYTOY
rrAEin/A01PAAE2HMATPEHANTPI''//TH2
AI§l.anYAAOYPEi:YAEYArEnNENIOnKO//|Z
AIAKE//y'HMHNAI2HIOEMIZATPAniToN
'A XacXo; £v ^(jiolai. xx u.ri ^cöovTa Tirap' [äJcTOi?
<I>aaa KapucTto u-ouToexsi Txöfxaxf
Z(;.'jpva xäxpa, yevixa; A7ipt,ir)xpt0(; ri^l xEKOuera
Nav[v]iov ex-XaiiTav Siaoa xopwv TraÖea,
'Qv 6 (JL£V OUK £Xe>.6T<T£V 6vi ^WOt^ £VtaUXOU
riXeio), [xoipa Sk ari, Maxp£a, viv xpi[6]xyi?.
'At[S£l(i) TcuXäoupE, alt S' EuayEwv £vt Oü»to[i];,
Aixx.i, [(j]r)(xy)vat? y)i ÖI^ak; äxpaTcixdv.
EPIGRAMM AUS 8MYRNA 269
Einfachheit und Klarheit kann ich dem Epigramm trotz seines
dürftigen Gedankeninhalts nicht nachrühmen. Die geringe
Gewandtheit des Verfassers verrät sich schon darin , dass er
gegen Schluss aus dem affcctirten dorischen in den gewöhn-
lichen Dialekt verfallt. Zu Anfang glaubte ich zuerst, allerdings
mit metrischem Anstoss, aXaXo? lesen zu sollen. Aber dass
Pheme ohne zu sprechen verkündet, wäre recht gesucht und
hätte eher von der Stele gesagt werden können Sund die Lesung
<J>xu.oi. schien mir nicht nur vor dem Stein sicher, sondern wird
auch durch den Abklatsch bestätigt, der sonst leider grade für die
schwer lesbaren Stellen ganz im Stich lässt. Merkwürdig mutet
auch das Trap' äcToi? an ; ich finde aber keine andere Herstel-
lung. Zu verbinden ist es wol mit /.xpo(7Gco. In Z.7 ist die Her-
stellung 'AtSsci) durch den Sinn geboten, obwol der senkrechte
Strich, den ich vor dem Q. zu sehen geglaubt habe, nicht dazu
stimmt. Zur viersilbigen Messung von 'AiSsw vgl. Jacobs,
Ant/i. Pal. VII, 624. Die Vorstellung von Aiakos als Pfört-
ner des Hades ist uns vor allem aus Aristophanes Fröschen
geläufig, dass aber dort sein Name willkürlich einem namen-
losen Diener des Pluton gegeben ist, wird mit Recht ange-
nommen (vgl. Preller-Robert, Mythologie^ 1 S. 808,6), wenn
auch später Aiakos öfter in dieser Function erscheint ( Roschers
Lexikon 1 S. il9). Syifxyivat«; habe ich hergestellt, ebenfalls
im Widerspruch zu der verzeichneten kleinen Hasta; aber r.r,-
[ATivaK; wäre sinnlos.
Noch ein Umstand erheischt eine Erklärung. Die beiden
Kränze über dem Relief drücken eigentlich aus, dass die Ver-
storbenen durch Verleihung eines Kranzes geehrt worden seien.
Dass diese unmündigen Rinder bei Lebzeiten solcher Ehre
teilhaftig geworden wären, wird man nicht glauben. Aber es
ist wie für andere Orte ' so auch für Smyrnu die Verleihung
von Kränzen an Verstorbene bezeugt. Cicero, Pro L. Flacco
' Vgl. Kaibel, ß/)Jöira?nmfl/a Nr. "234: fcata riEtpa äYOseüei tÖv vexüv äcpGoyYw
(pOeYYOjjieva aTOjjiaTi. 240: r.ix^a^ ooe ^eivoiai ßoaasTai.
2 Es gciüigl hicirür aul' die von Buroscli holiaiulclten Troslhosclilüsso zu
verweisen: Rliein. Museum 18'J4 S. 424.
270 P. WOLTERS, EPIGRAMM AUS SMYRNA
31, 75 : Vellem tantum habere me otii, ut possem recitare
psephisma Smyrnaeorum, quod fecerunt in Castriciiun
mortuum , . . ut imporieretur aurea corona mortuo. C.I.G.
II 3135: v,y.\^c, eyov iariv Ta; 7rpe7rou<7a? TifjLot? to ]xf:r\XKy.jo-:i
^[lyicpiTaCTÖai' oeöoj^Qat tw OTiaw TTEfpÄvöiTott 'AGvivoScopov ypudö cre-
cpavcp xai eikÖvi ^a'XxY]" aTe<pavto97ivat de auxov xai utto tou yufxvac-
(jtapyo'j xai tcüv vecov )(^puaGj (TTSipxvw'xat stKovt yaXjtvi, xat ut:6 tgjv
7raiöov6{/.(i)v xai Traiocüv j^^pucö axecpxvco >tai eIjcdv. ^a>,x9i, )tal utco
TOu IttI TV}? Eu)tO(j[xia(; xai tcov TrapOevwv )(^pu(7Ö (7T£(pav(p xxi eSkovi
Xoc^Kvi. Vgl. Böckh zu C. I. G. II 3^16. LeBas - VVaddington
13. So könnte man also vermuten, den Kindern sei die Ehre
des Kranzes aus Anlass ihres Todes zu Teil geworden. Mir
ist für eine derartige Geschmacklosigkeit kein Beleg zur Hand,
in diesem besonderen Fall können wir das Volk von Smyrna
von dem Vorwurf solch massloser Übertreibung frei sprechen.
Innerhalb beider Kränze haben einige Buchstaben, offenbar
die üblichen Worte 6 Sriiv-o;, gestanden, die dann ausgemeisselt
worden sind. Damit ist gesichert, dass diese Kränze keine of-
fiziell verliehenen sind. Ihr Vorhandensein lässt sich verschie-
den erklären. Entweder war der Grabstein bis auf Belief
und Inschrift aber mit den unvermeidlichen Ehrenkränzen
schon im Voraus fertig gestellt und wurde zu seinem beson-
deren Zweck durch Entfernung der Inschrift 6 SripLo? brauch-
bar gemacht, wobei man die auf den Grabsteinen so häufigen
Kränze zu entfernen nicht für nötig hielt, oder es w^ar so üblich
einen Grabstein mit solchen Kränzen geschmückt zu sehn,
dass der Steinmetz sie auch in diesem Fall angebracht, ge-
dankenlos aber mit der offiziellen Ehreninschrift versehen hatte,
die dann wieder gelöscht werden musste. Jedenfalls sehen wir
auch hier, wie gewöhnlich und typisch die Verleihung von
Kränzen an Verstorbene geworden, und wie die ursprünglich
besondere Ehrung zur üblichsten Höflichkeitspflicht der Gon-
dolenz herabgesunken war.
Athen, Juli 1898.
PAUL WOLTERS.
KERCHNOS
( Hierzu Tafel XIII. XIV)
Im Aglaophamus beschäftigt sich Lobeck (S. 22 ff.) ein-
gehend mit den auvS/iaaTa, d. h. Bekenntnissformeln, welche
in den verschiedenen Mysterienkulten gebräuchlich waren und
zwar, wie es das Wahrscheinlichste ist, bei denEinweihungs-
caeremonien von den neu aufzunehmenden Mysten aufgesagt
wurden*. Auch über diese auvö-^p-axa herrschte vor Lobecks
Buch grosse Verwirrung, insbesondere über ihre Zuteilung an
die verschiedenen Mysterien. Lobeck geht aus von einer Po-
lemik gegen den Scholiasten zu Piatons Gorgias 497 c und
macht diesem zum Vorwurf, dass er als eleusinisch Dinge be-
zeichne, die mit Eleusis gar nichts zu thun hätten. Hierzu rech-
net er vor allem das vom Scholion als eleusinisch angeführte
oüvÖYipia : iy. TujxTravou e'^ayov, i% KufA^aXou ettiov, ixspvofpöpYiaa,
uTTo töv Tcacxöv utteSuov. Zweifelsohne hat Lobeck damit Recht
und er hat auch den Beweis dafür erbracht, in dem für un-
sere Kenntniss vom antiken Mysterienwesen so überaus wich-
tigen Abschnitt des Protreptikos des Clemens Alexandrinus
ist uns das angeführte cruvörifxa ausdrücklich für den Attis-
Kybele-Kult überliefert (Protrept. H § 15 S. 13). Die eleusini-
sche Bekenntnissformel führt Clemens einige Kapitel später an
(§ 21 S. 18); si lautet; svTjaTeuoa, etciov tÖv xuKscüva, eXaßov ex
xiffTY)?, dyyeuffapLevo; ^ äTcgöejxriv ei; )täXa9ov xai ek )ca>.a6o'j el; )ci-
oTTiv. Als direkten Beweis gegen den Ursprung des zuerst an-
geführten Synthemas führt Lobeck die Erwähnung des Kep-
vo? und des Tympanon an. Beide gehörten in den Dienst der
< Vgl. Schul. Plal. Gorgias 497 « . . . ev oT? (den Mysterien) xoXXi ijlev £7:paT-
T£TO atcix^pä, iXi'^i-zQ hl npö; Toiv [jiuou[i^vu)v TaCixa . . . vgl. Amobius V, 26, an-
geführt bei Lobeck, Aglaophamus S. 25 (mir augenblicklich nicht zugäng-
lich).
^ Überliefert ist ep^affäiAtvoi, die Verbesserung stammt von Lübeck.
272 0. RUBENSOHN
Kybele und des Atlis. I^ür den Kernos beweisen ihm das zwei
wichtige Stellen. In Nilvanders Mexiphormaka wird Vers ^17 f.
von einem durch Schirling vergifteten Menschen gesagt, er
schreie wie die
)C6pvo(p6po; ^^dtxopoi; ßwfxidTpia 'PeiT)?
stvaSi >>ao(p6poi<7iv lvi)^pi(X7rTOu(7X iceXsuOot?,
und der Scholiast bemerkt dazu : y.£pvo<p6po<; y) tou? xpaTTipa?
(pepouoa U'psia* jcspvou; yap cpaai tou«; auijTUOu? xpaTv^pai;, i^' wv
>.uj^vou; Ti8£'a<jf (^ajtopo? Ss ri vewxöpo; xal ßtoaicTpia -h lepeia tyj?
)tepvo96pou 'Psa;. In der Dichterstelle wird zweifellos deutlich
die xspvocpöpo; und also auch der x6pvo(; in den Kult der Rhea
verwiesen, im Scholion wird Rhea selbst als xepvocpopo; bezeich-
net. Über die anderen Bemerkungen des Scholiasten, die auf
den Kernos selbst Bezug haben, lassen wir das Urteil noch
ausstehen. Die zweite Stelle, die für den xs'pvo«; und seine Be-
ziehung zum Kybelekult von Wichtigkeit ist, finden wir in ei-
nem Epigramm des Alexander Aetolus, in dem er den Alk-
man sagen lässt (Anth. Pal. Vll, 709):
Säpots? äpyaiai, Tcarsptov vo^ao?, el y.h ev u[/.iv
6Tps(p6jj(,av, xspva; yjv ti<; ccv r) ßaxeXa?
y^pu(JO(p6po?, p-/i(j(j(i)v y.xkx TUfXTvava.
Denn dass mit den Worten des zweiten und dritten Ver-
ses auf Kybeledienst angespielt wird, beweist ausser dem
TÜp-Tuavov auch die Erwähnung des ßa/teXa?, der von Salmasius
richtig für u.oi.'/,i'kaL<; eingesetzt ist. BaKsXa«; ist der Verschnittene
im Kult der Kybele.
Auf diese beiden Nachrichten gestützt verwies Lobeck den
xepvo? und mit Rücksicht hierauf und auf das Zeugniss des
Clemens auch das Synthema : ix. ruixTvivou i'cpayov u. s. w. aus
dem eleusinischen Kult, und ausnahmslos sind ihm die Neue-
ren darin gefolgt. Wenn H. von Fritze das Synthemaohne wei-
tere Begründung einfach als eleusinisch in Anspruch nimmt'
und demgemäss behauptet, Clemens (S. 14) und der Pla-
tonscholiast bewiesen, dass der xepvo? ein hochheiliges Gerät
* 'EfTjjxepU ipx.. 1897 S. 163.
KERCHNOS 273
des eleusinischen Kultes sei, so ist das eine unrichtige Dar-
stellung, die nach Lobecks Ausführungen nicht mehr hätte
vorgebracht werden sollen*. Der Kernos, der im Platonscho-
lion und von Clemens erwähnt wird, ist ein Kultinstrument
des Kybeledienstes.
Der Thatbestand ist aber in Wirklichkeit nicht so, wie Lo-
beck nach dem ihm vorliegenden Material annehmen musste.
In der von Philios in den Athenischen Mitlheilungen 189i S.
192 ff. veröffentlichten und von Üragumis in der 'E(p-/}aepU
a.^1. 1895 S. 61 ff. wieder behandelten Übernahme-Urkunde
derEpistaten von Eleusis aus dem Jahre des Euktemon 408/7
finden wir unter den Kostbarkeiten, welche im städtischen
Eleusinion aufbewahrt werden, in Z. 16 genannt: xp-j'^oi
xepyvoi P. In der Übergabe-Urkunde derselben Epistaten, die
sich auf der Rückseite des Steines befindet, kehren in Z.
22 diese fünf goldenen xe'p^voi w^ieder. Sie befinden sich auch
hier im städtischen Eleusinion. Ich glaube, es unterliegt kei-
nem Zweifel, dass wir es hier mit dem icepvo; zu thun haben.
Das Wort ^ipjyo^ begegnet uns in der Überlieferung beson-
ders bei medicinischen Schriftstellern. Sie bezeichnen damit
gewisse anormale Bildungen, insbesondere verwenden sie das
Wort und seine Ableitungen um Rauhheiten im Hals, kleine
Unebenheiten in der Kehle zu bezeichnen. Damit stimmt über-
ein, was uns durch Erotian im Glossar zu Ilippokrates s. v.
xep/vü)^/] (ed. Franz S. 198 f.) überliefert ist, dass nämlich
im Attischen jcsp/vw^v) ayyäa diejenigen Gefässe genannt seien,
die Tpa^^eia? avü)(j,aXiac hätten". Pollux II, 180 führt nun als
Bezeichnung für gewisse xp(x.yy-zr,i:i<; auch das Wort xe'pvo; an.
* In denselben Fehler ist jetzt auch Kiiruniolis verfallen, der in dem so-
eben erschienenen lieft der 'E-^ria. ap/ 1898 (S. 21 ir.l einen Aufsatz über
den Kernos veröllentliclil. Kuruninlis kommt erfreulicherweise zu densel-
ben Resultaten wie ich, da er aber auf die Mehrzahl der hier behandelten
Fragen nicht eingeht, so scheint eine Veröll'entlichung der hier vorgetrage-
nen Ansichten nicht überflüssig Zu Änderungen hat der Aufsatz von Ku-
runiotis keine Veranlassung gegeben.
2 Vgl. dazu Ilesych s. v. x£p/^voj(a.aai und xtp/^vwiä.
274 0. RUBENSOHN
Wir sehen also, dass eine inhaltliche Verschiedenheit zwischen
x£pvo<; und )t£px.^o? nicht vorhanden ist; die sprachliche Verschie-
denheit ist belanglos, wir sind daher wol berechtigt die beiden
Worte für identisch zu erklären, oder vielmehr das inschrift-
lich bezeugte k^px^o; als das richtigere für das litterarisch
überlieferte Kspvo? einzusetzen, besonders auch mit Rücksicht
auf die Erotian-Glosse. Wir haben also den »tepx^'o? i"^ V.
Jahrhundert bereits als ein Requisit des Schatzes der eleusini-
schen Göttinnen und also auch des eleusinischen Kultes bezeugt.
Fragen wir uns nun nach der Bedeutung und dem Ausse-
hen dieses Kultgeräts, so müssen wir mit Rücksicht auf die
Bedeutung des Wortes y.i^yyo(; ein Gerät oder besser gesagt ein
Gefäss erwarten, das eine anormale Bildung hat, und zwar müs-
sen die Abnormitäten in Auswüchsen oder Ansätzen bestehen,
die einen Vergleich mit den erwähnten Tpa/uxriTs? erlauben.
Dieser Anforderung entspricht die Beschreibung des y.ipi'^oi,
wie sie bei Athenaios in zwei schon des öfteren behandelten
Stellen vorliegt. In der Aufzählung der Gefässe XI, 476 ^
heisstes: Jtepvo; ayyeiov Kspafxeouv • i'^ov iw auxö ttoXXou; kotuXi-
otou? )C£)co>.>.ir)[ji.£vou?, £v ol;, cpviciv, p,Yi>'-wv£(; "kiDY-ol, TCupoi, )cpi0ai,
TTKJoi, XiOupoi, w^P^'' '?*"'^^^- 0 ^^ ßa<JT!X(j{x; aüxo olov Xtxvocpopricra«;
toÜtwv vsueTai, wi; l^ropsi 'Ai^-fxcov'.o; h y' Trspl ßwawv xod Ouoriüiv.
Einige Kapitel später ist vom Kotylosdie Rede, und hier lesen
wir (S. 478 c .) : rioXej/cov S' £v Tö TTspi tou Siou xwSiou (prici"
[jL6Ta Se TauToc t7)v teXettiv Tcotei xai aipei toc ^ £>t tt]? öaXatxYi; xai
veafii 0(TOi av(i) to )C£pvo<; TC£pi£VYivoxoT£;. touto ö eotiv ayy£iov x,£-
pauLEoGv e^ov £v aüxo) tvoXXou? )toTuXi(T)coug >c£xo>.Xvi[;.£voui;" i'vEKJi o
£V auTOi; opjzivot, p.-o)Cü)V£<; X£ux,oi, Tcupoi, xpiGai, tvkjoi, Xaöupoi, (i>-
Xpoi, (paxoi, )t6aaoi, ^£iai, ßp6[J!.o?, TcaXäöiov, [v-eXi, i'Xatov, oivo?,
yaXa, öiov e'piov ÄtcXutov. 6 Se touto ßacTOtaa? olov Xi)cvo(popyiaa(;
TOUT(i>v yeusTat ^.
' Hesych s. v. xe'pvo? ebenso.
2 So nach der Venniitung Meinckes ; iil)ei'Iicrt.'rt isl aipeiiai.
3 Mit dieser Bescbreibuug stiininl durchaus iiicbt überein — was gleich hier
erledigt sein möge — die Bemerkung des oben citirten Platouscholiasten:
KERCHNOS 275
Wir haben hier also eine genaue Besehreibung des Kerchnos.
Ehe wir uns aber mit dieser selbst befassen, müssen wir auf
die beiden Stellen etwas näher eingehen, weil sie in ihrem
ganzen Zusammenhang geeignet sind uns weitere Aufschlüsse
über unseren Gegenstand zu geben.
Ganz kurz nur über das Verhällniss beider Stellen zu ein-
ander. Preller {Polemon Frg. 88) hatte ohne weitere Be-
gründung die Ansicht geäussert, dass Ammonios Lamp-
treus aus Polemon geschöpft habe, nach Münzel bei Pauly-
Wissowa i S. 2902 hätte Polemon den Ammonios citirt, wie
sich aus einer Vergleichung der beiden Stellen ergäbe, ich
bin für Prellers Ansicht, in der Voraussetzung, dass der ganze
Abschnittt S. i76'' und nicht bloss der Satz 6 Ss '^xrj-xnxc, y.-\.
aus Ammonios geflossen sind. Das sinnlose (pr.civ hinter ev oI;
lässt sich nur so erklären, dass Athenaios es in seiner Quelle
gefunden hat. Die ganze Stelle hat demnach schon bei Am-
monios als Citat gestanden und zwar natürlich als Cilat aus
Polemons Schrift TZi^l tov) Sio-j xcjSiou. Athenaios hat das ^nciv
gedankenlos mit herübergenommen. Die zweite Frage, ob die
längere Fassung 478 d oder die kürzere 476® die ursprüng-
liche ist, lässt sich dahin beantworten, dass das Ammonios-
citat einen verkürzten Auszusraus der Notiz bei Polemon dar-
o
stellt. Die Begründung hierfür wird sich im Verlauf unserer
xe'pvo; 8e tö Xixvov tj'youv xö tctüov lattv. Das Aussehen des Xixvov ist uns be-
kannt, man v^I. nur z. B. UuUellino comimale 1879 Taf. 2 — 5; es war si-
cherlich auch nie aus Thon gefertigt, kann also nicht als iYY^'ov xepajjLsoüv
bezeichnet werden. Die Bemerkung des Scholiastcn ist falsch. Es scheint
mir auch keinem Zweifel zu unterliegen, dass der Fehler mittelbar oder
unniilteibar seinen Grund in der falschen Auslegung des letzten Satzes der
im Text angeführten Pulemous teile hat. Bei Polemon ist das Wort Xixvoipo-
prfaa? nur herangezogen, um die Art des Tragens des Kerchnos für jeden
griechischen Leser in der einfachsten Weise zu kennzeichnen (s. u.). Der
Selioliasl oder vielmehr seine Quelle hat diese Wendung missverstanden
und geglaubt, es wäre mit diesen Worten auch etwas über die Gestalt des
Kerchnos gesagt. Ähnlich zu beurteilen ist Pollux IV, 103: tö xEpvoyöpov
op-fji^a oIS' on Xfxva j\ Ed/^aptöa; 9epovT£i' xepva 31 tauta exa^Elto, wobei ich
allerdings eine Erklärung für die Bezeichnung des Kerchnos als cj/apt«
nicht geben kann.
276 O. RUBENSOHN
Betrachtung ergeben. Die grösste Schwierigkeit für die Inter-
pretation der Stelle 478^1 bilden die einleitenden Worte aexa
Ss TaÖTa TTjv TeXsTYiv TTOisi x,at alpei xa ex. rr,; Oa>.!xp,Yi(; y.ot.1 vefxei
oaoi xvü) t6 )t£pvo; Trepiev/ivo/oxe;. Viellach ist versucht worden
an den Worten herumzubessern, besonders gegen avo sind
verschiedentlich Bedenken geäussert worden und man hat
versucht, es durch Gonjectur zu beseitigen. Sehr mit Unrecht,
denn dem Wort kommt hier, wie es scheint, eine ganz beson-
dere Bedeutung zu. Kaibel hat die Stelle unverändert gelas-
sen und damit wol das Richtige getroffen. Es ist zu xeptevYivo-
^(^öte; ein £1(71 zu ergänzen. Dann heisst die Stelle: Darauf voll-
zieht er (ein Priester), oder sie, (eine Priesterin) die Weihe
und nimmt das aus dem Gemach (man kann auch Kapelle
oder Adyton verstehen) und verteilt es an alle die, welche
den Kerchnos oben herumgetragen haben. Mit avo) kann ent-
weder ein oberer Raum, etwa das obere Stockwerk in einem
Gebäude angedeutet sein, in dem die Caeremonie mit dem
Kerchnos vor sich gegangen wäre, oder es wird damit auf die
Art des Tragens des Kerchnos hingewiesen, den man, wie
wir des weiteren sehen werden, bei der entsprechenden Kult-
handlung auf dem Kopf befestigt trug. Das muss sich aus dem,
was bei Polemon vorausging, ergeben haben. Leider können
wir das heute nicht mehr feststellen, da die Stelle von Athe-
naios so aus dem Zusammenhang gerissen hergesetzt ist.
Wäre dies nicht der Fall, wüssten wir was Polemon in den
unserer Stelle vorausgehenden Sätzen gesagt hat, so wären wir
wahrscheinlich auch im Stande ohne weiteres anzugeben, im
Dienste welcher Gottheit die TeXsTY) gefeiert wurde, von der
hier die Rede ist. So sind wir auf Vermutungen angewiesen,
und man hat bisher dem Vorgehen Lobecks folgend mit dem
Kerchnos die Telete, die hier genannt ist, in den Kult der
Rhea-Kybele verwiesen' Man glaubte sich hierzu umsomehr
berechtigt, als bei den Kulthandlungen die ^xlöc^K-n eine Rolle
spielt, von der man zu wissen glaubte, dass sie die eigentiim-
' So z. B. ölengel, Kullusaltertüruer S. 70, 16.
KERCHNOS 277
liehe Bezeiehnung für Kybeleheiligtümer sei. Die Grundlage
für diese Meinung schien die Überlieferunc» zu bieten, die in
der That in einer Anzahl von Fällen die ÖaXäfxr, die öaXaar,-
TToXoi, den OäXau.o? im Kult der Kybele erwähnt. So wird z.
B. in den Alexipliarmaka gleich zu Anfang von Ryzikos
gesagt :
rr/i T£ 'Peir,;
Ao€piv7)? OaX^aoci ts Jtai öpyotCTvjptov "Attew,
wozu der Scholiast bemerkt : OaXiaai totoi Upol uxoysioi ävx-
xeiaevoi ty] 'Psa u. s. w. Man ist aber hierin zu weit gegan-
gen. Die 6aXajj.ai oder 9aXa(jiai — beide Accentuirungen kom-
men vor — gehören zwar in den Kult der Kybele, aber sie ge-
hören diesem Kult nicht ausschliesslich an. Aus Ammonios
7^601 Siacpöpwv XeEswv kennen wir die ÖaXaay) im Dienst der
Dioskuren, einem 6ä>.a{^.o?, wahrscheinlich aus dem Kult der
Aphrodite, begegnen wir in der parischen Hetäreninschrift '.
Hula und Szanto haben in den Berichten der wiener Akade-
mie 189 4 S. 18 Nr. 13 eine Inschrift aus Mylasa in Karien
verötYentliclit, nach der ein Tib. Klaudios Seleukos tov "Epctixa
<jüv TT) Tcepieyo'jcY] aüröv OaXauivj geweiht hat^. W ir iiaben also
unter der Thalame eine kleine Kapelle oder auch ein höhlen-
artiges Heiligtum zu verstehen, wie sie in den verschiedensten
Kulten Platz haben konnten. An die Erwähnung der OaXaar, in
unserer Stelle können wir daher keinen sicheren Schluss knüp-
fen.Weiter führt uns aber eine andere Erwägung. Die Angaben
über den Kerchnos sind aus Polemons Schrift Trepl toC «^lou kw-
Siou geschöpft. Wie konnte im Zusammenhang einer solchen
Schrift Polemon auf den Kerchnos zu sprechen kommen? Das
Siov /cüSiov — das Fell des dem Zeus geschlachteten Widders —
war, wie es scheint, ein ursprünglich reinatlisches Instrument
des Kultus-^ und wurde nach den uns erhaltenen Angaben der
Alten im Dienst des Zeus und bei den Mysterien in Eleusis
* Vgl. Athen. Miltli. XVIIl, 1893, S. 16, 2, Zeile 6.
^ Siehe jetzt auch Buresch, Aus Lydiea S. 63.
3 Vgl. Lobeck, Aglaupkavius S. 185.
■278 0. RUBENSOHN
verwendet. Zweifelsohne ist es aus dem Dienst des Zeus her-
vorgegangen, wie schon der Name beweist. In Eleusis be-
diente sich der Daduch des Dion Kodion zur Entsühnung der
Gemeinde oder einzelner Teilnehmer an den Mysterien'. Das
wissen wir aus einer bei Suidas und llesych erhaltenen Glosse,
die Preller sicher mit Recht auf Polemon zurückgeführt hat.
Sie lautet : Ai6? xcoöiov, ou t6 Upsiov Au -.eOuTar öuouci t£ tw t£
Mgt'Xij^^ia) x.oci tö KTYi<ytü) Ati" to. Sk xw8ia toutcov (pu>>a(j(70u(n Sia
TrpoaayopsuovTE?. j^^paivrai S' ccbrolc, oi xs S/Cipo<popicov t7]v 7T:o(X7:yiv
«jteXXovte; <tai 6 oiySou^o? iv 'EXsutTvi (jcal aXXot Tive<; Tvpö? tou;
xa9ap[j!.ou(; uTroejTopvuvre? auxä toi; tvoti tcüv evaydöv)"^. Wir sehen
also, dass Polemon in der Schrift Trspl toö SiouxwSiou auf eleu-
sinischen Kult zu sprechen gekommen ist. Dass das Siov kw-
Stov im Rybelekult irgendw^ie verwendet worden sei, ist we-
der überliefert, noch nach dem ganzen Charakter des Kybele-
kultes glaubhaft. Ist es da nicht an sich wahrscheinlich, dass
in dem Polemoncitat bei Athenaios von Eleusis die Rede ist,
dass die xiltr-h, die hier erwähnt wird, ein Kultushandlung
der eleusinischen Mysterien ist ? Das Nächstliegende ist es si-
cher. Dazu kommt noch ein weiteres. Die Caeremonie, welche
mit dem Kerchnos vorgenommen wird, besteht in der Dar-
bringung einer Gabe, die aus allen möglichen Feldfrüchten —
aufgezählt werden Salbei, Mohn, Weizen, Gerste, verschiedene
Sorten Erbsen, Linsen, Bohnen, Spelt, Hafer — ferner einem
Kuchen, TcaXocOiov^, und schliesslich noch Honig, Ol, Wein,
Milch und ungewaschener Schafwolle besteht.
An den aufgezählten Opfergaben ist vielfach Anstoss ge-
nommen worden. Insbesondere das oiov eptov ätcT^utov schien
* Genaueres wissen wir nicht. Vgl. Lobeck, Aglaophamus S. 183 ff.
Prcller, Polemon ö. 141 ff. Ruhensolin, Mystcricnlieiligliimer S. 199.
2 Über den in Klamiaeru gesetzten Zusatz, der sich auf die Sühnung der
mit Blutschuld Behafteten bezieht, vgl. Lobeck a. 0. S. 184; auch aus
dem Ainphiaraoskull ist ähnliches bekannt (Paus, l, 34, 3). Dabei wollen
wir nicht vergessen, dass Ainphiaraos ein ursprünglicher Zeus ist.
3 llaÄaOiov ist ein Kuchen, der im wcsenllichcn aus Früchten besteht, wi(
die in den weiterhin citirten Sophoklesversen begegnende noLy.i(,-.sia.; vgl
Ilerodot IV, "3 mit Steins Anmerkung.
KERCHNOS 279
Einigen sehr zu Unrecht hier erwähnt. Meineke hat z. B. wov
an Stelle von otov gesetzt, Wilamowitz wollte die Wolle ganz
beseitigen und conjicirt wov, yöpiov 7.7:A'jtov, welche Conjectur
Kaibel unter den Text gesetzt hat ' .
Für diese Änderungsversuche ist aber kein Raum. Denn
das o'.ov i'piov z-X'jTov ist ein sehr wichtiges Kultobject und
begegnet uns gerade in dem Zusammenhang, in dem wir es
hier finden, des öfteren. In einem bekannten Fragment aus
Sophokles Polyidos, das uns bei Clemens Alexandrinus
(Strom. IV S. 565) und vor allem bei Porphyrios (De absti-
nentia U 19) erhalten ist, finden wir es wieder zusammen
mit einigen bei Athenaios genannten Gegenständen. Porphy-
rios sagt a. a. 0.: xai 2o(poKX9i(; Staypacpwv tt/V O£0(pi>.95 O-j-iiav
Y)v [JL£V yap oiö? [LxXköi;, 7)v S' ä[/.TC£Xou
(TTCOvSv) T£ x,al pä^ £Ü T£Öri<7aupi<TU(.£vri*
evyjv Se 7ray)capT:£ta ouiAjAiyr)? öXai;
>.t7C0(; t' £>.aia<; Jtai to 7roiy.iX(ÖTaTov
^ouöri? ^iliacfii; xvipoTCXadTov opyavov.
Wir finden also hier wieder die Zottel der Schafwolle zu-
sammen mit Wein, Weintrauben, einem Kuchen aus Früchten,
heiliger Gerste, Öl und Honigwaben zu einem Opfer vereint,
das als die 9£09iXy); Ouaia schlechthin bezeichnet wird. Ver-
gleichen wir die Sophoklesverse mit unserer Stelle, so fin-
den wir, dass das in ihnen beschriebene Opfer genau mit den
fünf an letzter Stelle genannten Bestandteilen des Kerchnosin-
halts übereinstimmt, nur die Milch fehlt in den sophoklei-
schen Zeilen.
Die Wollflocken, den W'ein, den Honig, das Öl und an-
dere Baumfrüchte finden wir nun auch vereinigt bezeugt in
einem Opfer an Demeter. Paus. VIII, 'j2, 11 erzählt von sei-
nem Besuch im Demeterheiligtum bei Phigalia und berich-
< Vgl. über ydpiov liesonders Tlieokrit IX, 19 mit Scholion; Hesych s. v.
-/^opEiov und yopia, Atliciiaios XIV 64G« und die medicinischen Schriftsteller.
Über die Verwendung des /.opiov im Kultus ist nichts bekannt.
280 O. RURENSOHN
tet da: y.ai eOuaa tY| Oew, xaÖä xal oi £7i:i)(^ü)ptoi vo{i,i^ou(Tiv, oü-
Sev, toc Se (xtuÖ twv öEvöpwv Twv y;i/.£pcov TSC T£ oiXkoi '/.olI af/TTeXou
y.apTTOv, Jtal pt,6>.ic7aüiv te x'/ipia x.xi epiwv toc [at] I; epyaTiav ttö)
vixovTa, äX>kä i'Ti äväTcXsa tou otTLiTro'j, [a] Tiösaoiv etci tov ßwfxöv
w)toSou!.*/ia£vov Tzpb Toö c7ryi).atou, Oevtec Se xarajrEO'Joiv auTwv E'Xaiov.
Es ist ohne weiteres klar, dass es sich um ein specifisch agra-
risches Opfer handelt; oh es ein ausschliesslich für Demeter
(und Rora) bestimmtos war, mag dahin gestellt bleiben. Der
Zusammenhang bei Porphyrios erlaubt es vielleicht, das von
Sophokles beschriebene Opfer dem in diesem Fall rein agra-
rischen Apollokult zu überweisen. Aber für unsere Frage ist,
glaube ich, die Parallele von Phigalia entscheidend. Wir er-
kennen aus ihr, dass es sich auch bei der Caeremonie mit dem
Kerchnos um eine Rultushandlung im Dienst der Demeter
handelt, und wenn wir diese Thatsache neben das oben über
den Inhalt der polemonischen Schrift Gesagte stellen, werden
wir nicht mehr daran zweifeln, dass die bei Athenaios ange-
führte Telete in das Kultcaercmoniell von Eleusis gehört. Der
Kerchnos wäre damit auch litterarisch für Eleusis bezeugt.
In Eleusis hat sich nun eine Reihe von Gelassen gefunden,
die unter sich durch mancherlei Besonderheiten verschieden
doch einen einheitlichen Typus darstellen und in ihrer Er-
scheinung sehr gut allen den Anforderungen entsprechen, die
wir nach der Beschreibung des Polemon an den Kerchnos
stellen müssen. Die hauptsächlichen Fundstätten dieser Ge-
fässe im 11 ieron sind die Philohalle, unter deren Fussboden
man sie 2 — 2,5Ü m. tief in einer von Asche durchsetzten
Schicht gefunden hat, ferner der Boden unter dem Buleute-
rion und nordöstlich vom Telesterion in der i\ähe der Lehm-
ziegelmauern, hier z. T. in beträchtlicher Tiefe'.
Ausserhalb Eleusis sind Fragmente von einem der in Frage
kommenden Gelasse — von der Art wie Taf. 13,3— nur noch
bei den Ausgrabungen des deutschen Instituts am Westabhang
der Akropolis gefunden worden. Der Ausgrabungsbericht
* Vgl. Philios, 'Efr^^. ip/^. 1885 ö. 172, Skias cbeudu 1894 iS. 2UU Aiiui.
XIII
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KERCHNOS 28i
vom 24 Nov. 1894, der diesen Fund beschreibt, nennt als
Fundort eine Stelle westlich von der Nebenstrasse, die am
Südende des Dionysions von der Hauptstrasse abzweigt. Der
Zusammenhang ergiebt, dass die Scherben im Bezirk des
Dionysions, in der Umgebung des Tempels — wahrscheinlich
südlich von ihm — gefunden worden sind, in welcher Tiefe,
ist nicht mehr genau festzustellen, doch scheinen die Scher-
ben in den oberen Schichten gelegen zu haben. Die jedenfalls
verschleppten wenigen Scherben lassen einen Schluss auf
Verhältnisse des Kultus nicht zu. Es ist wahrscheinlich, dass
sie aus dem sicher in der Nähe gelegenen städtischen Eleusi-
nion an die bezeichnete Stelle geraten sind.
Es sind Gefässe', deren Form schon sehr auffällig in die
Erscheinung tritt. Der untere Teil hat die Form einer Schale
mit hohem Fuss, er endet mit einem Rand, der sich als breit
vorspringender horizontaler Streifen um das ganze Gefäss
zieht. Über diesem Teil erhebt sich ein Aufsatz, der auf der
Schulter sehr stark ausgewölbt ist, darüber eine starke hohl-
kehlenartige Einschnürung zeigt und in eine breite Mündung
endigt, die entweder für Aufnahme eines Deckels eingerichtet
ist oder mit einem nach aussen umgebogenen Rand gebildet
wird. An dem horizontalen Ringstreifen oder direkt unter-
halb dieses sind die beiden meist sehr massiv gebildeten Hen-
kel befestigt, die in der Regel nicht ganz horizontal sondern
etwas schräg nach oben stehen. Bei einer Anzahl dieser Ge-
fässe sind sie in einer sehr charakteristischen Weise nach
oben umgebogen und mit einem kleinen Aufsalz in Gestalt
eines kleinen Gefässchens verziert.
Ist die Form der Gefässe an sich schon so auffallend, dass
sie dadurch im Kreis der antiken N'asen als ganz singulär er-
scheinen, so tritt diese Absonderlichkeit der Bildung noch
mehr zu Tage in den kleinen Ansätzen, welche wir auf dem
* V},'!. zu dem Folgenden Tal". 13 Abb. 3, das bcslcrballcne Exemplar
dieser Galtung.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 19
282 Ö. RUÖENÖOHN
horizontalen Randstreifen und auf der Schulter der Gefässe
angebracht finden. Sie erscheinen auf der Mehrzahl der ge-
fundenen Exemplare dieser Vasengattung als kleine Gebilde
mit länglich rundem Fuss und einer von diesem getragenen
müssig dicken Scheibe, die auf ihrer oberen Seite eine geringe
Vertiefung zeigt und mit einem leicht profilirten Rand endigt.
Die Ansätze haben so von aussen das Ansehen kleiner Ge-
fässe. Bei den meisten der aufgefundenen Vasen sind sie
aber im inneren nicht ausgehöhlt, die leichte Einvvülbung
auf der Oberseite hat der Töpfer mit dem Daumen ausge-
führt, um wenigstens andeutungsweise anzugeben, was mit
diesen Ansätzen gemeint sei, von deren praktischer V^erwen-
dung bei den Stücken, die wir jetzt im Auge haben, keine
Rede sein kann. Es wäre aber ein Fehler, deshalb anzuneh-
men, dass diese Ansätze willkürliche bedeutungslose Ver-
zierungen seien. Es findet sich in Eleusis auch eine ganze
Anzahl von Vasen, bei denen sieb die Ansätze als wolausgebil-
dete Gefässchen — Kotyliskoi nach Athenaios — kennzeich-
nen. Sie sind, wie leicht erklärlich, sehr seilen gut erhalten.
Die kleinen, meist sehr dünnwandigen Kotylisken sind in
der Regel bis auf den Stumpf abgebrochen. Ein derartiges
Exemplar zeigt unsere Abbildung 1 auf Tat". 13 in Oberansicht.
Der Fuss ist abgebrochen. Wir sehen hier ein Gefäss unserer
Gattung, dessen Rand mit acht wolausgebildeten kleinen Va-
sen besetzt war, die eine zeigt noch einigermassen gut erhal-
ten, wie gross die Väschen waren'.
liier haben wir also eine Vase vor uns, die genau der Be-
schreibung des Kerchnos bei Athenaios entspricht und deren
praktische Verwendbarkeit unbestreitbar ist. Wir werden da-
< Dor Durchmesser des Kotyliskos am cäusscren inolilirlcu Rund der
Mündung gemessen lielriigl 7, 4 «"", die Höhe 3, 4 <='". Hei einem anderen
sehr massiv gebihlelen Kotyliskos, der auf dem Henkel eines Kerchnos
aufsitzt, sind dieselben Masse: 8,6 =■", 4,8 '='», der Durchmesser des inneren
Randes der Mündung beträgt bei diesem rund T«"". Die Kotylisken sind auf
der Drehscheibe gefertigt, \\aiirend die unausgebildeten Ansalze mit der
Hand geformt sind.
KERCHNOS 283
her kein Bedenken tragen, für die Gefässe den Namen Kerch-
nos in Ansprucli /u nelimen.
Die Mehrzahl der gefundenen Vasen ist aber von der
Art wie die zuerst betrachteten mit den unvollkommenen
Ansätzen. iJiese Stücke sind gar nicht für den kultgebrauch
geschaffen, sondern waren VVeihgeschenke an die Göttinnen.
Dass diese Gefässe zu Weihgeschenken verwendet wurden,
ist sicher. Neben den aus Thon gefertigten Exemplaren wur-
den in Eleusis auch mehrere aus Marmor o;ebildete Kerchnoi
gefunden. Alle diese geben mit verschiedenen Modalitäten
die äussere Form des Kerchnos wieder, kein einziges zeigt
die kotyliskenartigen Ansätze, geschweige denn ausgebildete
Kotylisken, nur eins ist innen ausgehöhlt, alle anderen sind
massiv gelassen. Es ist also deutlich, dass sie nicht zu prakti-
schem Gebrauch , sondern nur als Weihgeschenke dienen
sollten. Ausdrücklich bezeugt den Charakter als Weihgeschenk
auf einem der Marmorgefässe die V\ eihinschrift .... öcty)?
[AYi[j!.r,]Tpt xai Köpr; äv£07i)t6v. Auf einem kleinen Fragment eines
thönernen Kerchnos stehen in ganz dimnem Blattgold aufge-
setzt die Buchstaben u.svy) und davor eine schräge Hasta,die zu
einem a gehört haben wird, also etwa eüEalaevr,, demnach auch
der Rest einer Weihinschrift. Schliesslich ist zu bemerken,
dass sich auch einige bronzene Kerchnoi gefunden haben, und
auf einem kleinen Fragment eines solchen steht auf dem hori-
zontalen Randstreifen der Rest einer gepunzten Inschrift )EOIA
also Seoiv in Buchstabenformen, die recht wol noch dem V.
Jahrhundert angehören kcmnen. Auf einem anderen Fragment
desselben Stückes stehen die Buchstaben IPAT. wol der Rest
des Namens des Stifters.
In der Fabrik, in der diese — und auch andere — Thonge-
fässe eigens für den eleusinischen Kultus verfertigt wurden,
hat man sich , was bei der massenhaften Production nicht
zu verwundern ist, bei den Stücken, welche nicht für Kult-
handlungen dienen sollten, das mühsame Ausdrehen der
einzelnen kleinen Kotyliskoi auf der Scheibe erspart ; für den
äusseren Eindruck genügten derartige nur angedeutete Ko-
284 0. i\ubensoMn
tyliskoi auch. Ja man ist in dieser Beziehung noch weiter
gegangen. Innerhalb dieser Getässgattung können wir eine
Entwicklung constatiren. Abbildung 2 auf Taf. 13 führt uns
eines der einfachsten Geüisse vor. Hier sitzen auf dem ho-
rizontalen Streifen vier solcher Ansätze in Grösse und Form
ganz den wirklichen Kotyliskoi entsprechend. Solcher ärm-
licher Bildungen finden wir aber nur wenige. Man ist bei
der Weiterentwicklung des Typus dazu übergegangen, gewis-
sermassen als Ersatz für die unterlassene Ausarbeitung der
einzelnen Kotyliskoi die Zahl der kotyliskenartigen Ansätze
zu vermehren. Man hat zunächst den Rand mit einer dicht
gedrängten Reihe solcher Ansätze bedeckt, dann zwei Reihen
neben einander angebracht — ein solches Getäss zeigt Abbil-
dung 3 — dann hat man auch noch die Schulter der Gefässe
mit diesen Ansätzen bedeckt und ist in diesem mehr spie-
lenden Verfahren so weit gegangen wie möglich. Taf. 13, 7
zeist ein Gefäss mit vier Reihen Ansätzen. Bei der Vermeh-
rung der nur scheinbaren Kotyliskoi wurden diese immer
kleiner. In Abbildung 7 sieht man z. B., wie in der unter-
sten Reihe immer nur eins um das andere von diesen Gebil-
den wirklich kotyliskenförmig ausgeführt ist; die übrigen
dieser Reihe und ebenso auch die in den oberen Reihen sind
stark verkümmert ; es fehlt bei ihnen der obere ausladende
Teil. Die Ansätze verloren eben bei diesem Entwicklungsgang
allmählich auch äusserlich den Charakter als Gefässe und
schrumpften schliesslich zu platten Ringen, Buckeln oder Knöp-
fen zusammen, die nun rein ornamental verwandt wurden.
So sehen wir sie Tal. 13 Abbildung 5 als zwei Reihen fla-
cher neben einander gesetzter Ringe auf dem horizontalen
Streifen verwertet, bei einigen Exemplaren findet sich solche
Ringreihe auch um die Mitte der Scliiiller licrumgelegt. Ein
weiterer Schritt in der Umbildung zuni reinen Ornament ist es
sodann, wenn die flachen Ringe kleeblatlartig zusammenge-
stellt werden und die Metainorpliose ist vollendet bei Exem-
plaren, wie sie unsere Abbildung 0 veranschaulicht, wo je
KERCHNOS 285
/ün( solcher Ringe zu einer veritablen Rosette vereinigt sind'.
War man einmal so weit gegangen, dass man mit Zurück-
stellung der früheren kultlichen Bedeutung diese Kotyliskoi
zu rein ornamentalen Verzierungen umgestaltete, so ist es eine
kaum noch auffallige Erscheinung, dass die Töpfer es sich
auch häufig erlaubt haben, von der Anbringung dieser Orna-
mente ganz abzusehen, und so finden wir in der That eine
ganze Anzahl von Gefässen, die nach Form, Thon, Verzierung
sicher zu unseren Gefässen gehören und auch mit ihnen
zusammen gefunden sind, gänzlich bar der Beigabe von
Scheinkotyliskoi, sei es in Form der ausgebildeten Ansätze
sei es in Form von Ornamenten (Taf. 13,4). Wir werden uns
daher hüten, bei der Erklärung des ganzen Gefässtypus diese
Gefässe von den vorher betrachteten abzusonderen. Auch von
den Marmorkerchnoi hat, wie schon bemerkt wurde, kein ein-
ziger irgend welche Verzierungen plastischer Natur. Wir er-
kennen vielmehr aus der eben betrachteten Entwicklung, dass
für die Darstellung des Kerchnos in der bildenden Kunst ein-
fach die Wiedergabe der charakteristischen Form des Gefäs-
ses genügen konnte. Für den in die eleusinischen Mysterien
Eingeweihten bedurfte es keiner weiteren Kennzeichnung des
Gefässes; er wusste schon, was gemeint sei.
Vergleichen wir nun die Beschreibung des x.spvo; bei Athe-
naios mit unseren Gefässen, besonders mit den an erster Stelle
behandelten Exemplaren, so müsste es eigentlich wunderbar
erscheinen, dass man nicht von Anfang an die Identität desxto-
vo? mit den eleusinischen Gelassen erkannt hat. Aber abgesehen
' Die woileren Spiolartoii, die sich bei der Entwicklung: der Kotyliskoi
heraust^ebildcl haben, wollen wir hier nicht im einzelnen verfolgen. Zu
Knöpfen wurden die Scheinkotyliskoi dadurch umgestaltet, dass man den
Fuss wegliess und die tiaehe Scheibe mit ihrem protilirten Hand direkt auf
den Ringsireifcn des Kerchnos aufsetzte. Auch von dieser Abart linden
sich mehrere E\em|>lare im Museum zu Eleusis. Bei einigen kleiiu'ren und
besonders tliiehtigeii Stiieken erselieinen die Ansätze ganz verkümmert wie
Warzen oder kleine Buckel, so dass nichts an ihnen mehr au ihre frühere
Gestalt criunerl.
286 (>. HUHKNSOHN
von einigen Fundumständen waren die eigentümlichen Deckel,
welche zu diesen Gefassen gehören, der Rrkenntniss hinderlich.
Es sind Deckel bald von flach gewölbter, bald von mehr cylin-
drisclier Form, wie sie unsere Abbildnn£>on 8 a und 8 b zeigen.
Auch bei ihnen keiiren bizarre Verschiedenheiten in der For-
mengebung und in der äusseren Ausstattung wieder, wie bei
dem GefUss selbst. Fs ist nicht nötig, dass wir den einzelnen
Schöpfungen der Vasonfabrikanten nachgehen, dienuneinmal
bei dieser V'asengattung ihrer Erfindung freies Spiel gelassen
haben. Gemeinsam ist allen Deckeln, dass sie durchbrochen
gebildet sind.wie die Deckel von Thymiaterien. Das muss einen
bestimmten Grund gehabt haben. Da einige von den Gefassen,
welche in der Aule in der Aschenschicht (s.obenS. 280) gefun-
den wurden, auch in ihrem Inneren Ascheenthielten, so dass es
den Anschein haben konnte, als ob in diesen Gelassen etwas
verbrannt worden wäre, so haben Philios in seiner vorläufigen
Besprechung der Gefässe 'Ecpyiaepi? i^y^. 1885 S. 17-2 f. und
ihm folgend II. von Fritze in einem Aufsatz in der 'Ecp-^fAepi?
äpy. 1897 S. 164 unsere Gefässe für Thymiaterien erklärt.
Beide lehnen die Identificirung mit dem Kerchnos ausdrück-
lich ab. Philios, dem nur ein beschränktes Material zur Ver-
fügung stand und der insbesondere die Gefässe mit den VVeih-
inschriften noch nicht kannte — sie sind erst bei späteren Aus-
grabungen gefunden worden — that dies, weil er den Schein-
kotyliskoi jede praktische Bedeutung absprechen musste, ihre
Entwicklung aus wirklichen Rotyliskoi nicht erkannt hatte und
den Charakter der betretl'enden Gefässe als Weihgeschenke
mangels der erst später hinzu gekommenen Belege nicht in
Erwägung zog. Die Ausführungen H. von Fritzes, der zum Teil
mit denselben Gründen wie Philios operirt, scheinen mir von
Grund aus vcu'lehlt zu sein, doch würde uns eine Widerle-
gung im Einzelnen zu weit abführen. Nur das sei hier her-
vorgehoben. Es unterliegt keinem Zweifel und wird mir auch
von Herrn Dr. Skias. ficm derzeitigen Ephoros von Eleusis,
welchem ich für vielfache Unterstützung zu l('l)haftom Dank
verpilichtet bin, bt'sLutigt,dass die in den Iverchnoi vorgefunde-
RERCHNOS 287
nen Aschenleile lediglich aus der umgebenden Asclienschicht,
in der die Getässe gefunden wurden, in diese hineingeraten
sind'. In keinem einzigen der im Museum von Eleusis auf-
bewahrten Kerchnoi findet sich eine Spur, die darauf schlies-
sen liesse, dass in den Gefässen jemals etwas verbrannt wor-
den wäre. Eine sichere Widerlegung der Ansicht von Philios
und Fritze schliesst aber schon die Thatsache in sich, dass
bei der von ihnen gegebenen Erklärung die Rotyliskoi, die
ausgebildeten wie die unausgebildeten, unerklärt bleiben.
Wie erklären sich nun aber bei unserer Auffassung der Ge-
fässe die durchbrochenen Deckel? Es muss im Inneren des
Kerchnos etwas geborgen worden sein, dem durch die Öff-
nungen des Üeckels Luft zugeführt werden sollte, das ist si-
cher. Was war das aber? Die Beschreibung des Kerchnos
und der in ihm zu bergenden Gabe bei Athenaios scheint uns
für die Beantwortung dieser Frage keinen Anhalt abzugeben.
Wir besitzen aber noch eine andere Nachricht über die Caere-
monie mit dem Kerchnos, die uns vielleicht im Zusammen-
hang mit den Angaben bei Athenaios weiter zu fördern ver-
mag. ImScholion zu den zu Anfang (S. "i?! "2) angezogenen Ni-
kanderversen (Alex. ^ITjheisst es: /.epvo'pöpo; r, tou; xparvipa;
(pepouia iepsia" xe'pvo'ji; yap a^xc. roü; a'jTT'.Jtoü; z-paTT^pa?, £<p wv
Xo/vo'j; TtOia-Ti. Das Scholion bezieht sich zwar auf eine Stelle,
in der vom Kerchnos im Kybeledienst die Rede ist, das ist
aber für unsere Betrachtung belanglos. Wenn wir ein so ei-
gentümlich gestaltetes Kultgerät wie den Kerchnos in zwei
Kulten finden, so ist es ohne weiteres klar, dass die mit ihm
vorgenommene Handlung in beiden Kulten verwandter Na-
tur gewesen sein muss, auch wenn diese Kulte nicht so vie-
lerlei Beziehungen zu einander hätten, wie es bei den My-
sterien der Kybele und den eleusinischen besonders in den
späteren Zeiten des Altertums der Fall gewesen ist. Abwei-
chungen von einander werden in der Zusammensetzung des
' Vgl. (la/.ujclzl auch Kiiruiiiulis, L^prjfxcpU ip/^. 18"J8 ^. i'i f.
288 0. RUBENSOHN
im Kerchnos zu bergenden Inhalts und in der einen oder an-
deren Äusserliehkeit der Kultusliandlung obgewaltet haben,
die wesentlichen Bedingungen für die Verwendung des Kerch-
nos aber müssen die gleichen gewesen sein. In einer sol-
chen wesentlichen Bedingung des Gebrauches hat aber die
durchbrochene Bildung der Deckel der eleusinischen Kerchnoi
ihren Grund gehabt, und eben diesen lehrt uns das Nikan-
derscholion kennen, dessen Angaben wir daher ohne weite-
res für unsere Untersuchung über den eleusinischen Kultge-
brauch verwerten dürfen.
Das Scholion meldet uns also, dass in den Kerchnos luy^Qi.
gesetzt wurden. Wenn wir das wissen, verstehen wir, warum
man in den Deckeln Öffnungen angebracht hat; durch diese
Öffnungen wurde dem Ijicht des )vü)(^vo? Luft zugeführt. Können
wir diese Nachricht mit den Nachrichten bei Athenaios ver-
einigen ?
Ich glaube wol. Athenaios berichtet uns in dem aus Pole-
mon entlehnten Passus nur von den Gaben, welche in die
kleinen den Rand des Kerchnos umgebenden Kotyliskoi ge-
legt wurden. Von dem, was im Inneren des Kerchnos selbst
geborgen wurde, spricht er nicht. Das Nikanderscholion bil-
det also einfach eine Ergänzung zu dem Bericht des Athe-
naios. Wir dürfen es uns indessen nicht verhehlen, dass eine
derartige Caeremonie ganz singulär unter den griechischen
Kultusgebräuchen dastehen würde', und es würde schwer
fallen, eine Erklärung für den seltsamen Brauch, eine Lampe
in ein Getäss zu stellen und sie so der Gottheit darzubringen,
zu finden'^. Sodann muss auch bemerkt werden, dass die eleu-
* Nicht unerwähnt möge bleiben, dass Clemens Alex. Protrept. II, 22
(S. 19) unter den änopprira au[i.6oXa der Theniis d(!n Xüyvo? nennt. Welche
Verwendung in diesen sehr dunklen Mysterien aber der Xü/vo; gelundcu
hat, kann ich nicht angeben.
2 Eine Notiz, wie die bei Ilinierius VII, 2 (mir hier ni(!ht zugänglich):
'AttixÖs v(i[jio; 'EXsuatväSe «pw; lAiigTa; 9£'p£iv XEXgüst xalSpocYjAaxau.s.w. darf man
nicht mit d(;r Kerelinos-Oaereinonie in Verbindung bringen, denn SpäYjAaxa
sind Abrenbiindr-I und können deshalb mit dem K(Mchnos nichts zu thun
KERCHNOS
?89
sinischen Gefässe mit ihrem trichterförmig nach unten zu-
laufenden Boden wenig praktisch für einen solchen Zweck
eingerichtet erscheinen. Es ist daher vielleicht noch eine an-
dere Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. Wenn wir uns den
bei Athenaios beschriebenen Inhalt des Kerchnosopfers näher
betrachten und uns seine Unterbringung in den eleusinischen
Gelassen vergegenwärtigen , so ist es von vornherein klar,
dass die Getreidekörner — dass es sich um Körner handelt,
beweist der Plural — und Hülsenfrüchte , ferner auch der
Wein, das Öl, die Milch, der Honig, ja im Notfall auch die
Schafwolle in den Kotyliskoi untergebracht werden konnten.
Nicht recht angängig erscheint es, dass auch der Opferkuchen,
das TuaXzOiov, in einem solchen kleinen Rotyliskos Platz fand.
Er müsste dann erstaunlich klein gewesen sein. Die Möglich-
keit scheint mir daher nicht ausgeschlossen, dass der Opfer-
kuchen nicht in einem der Kotyliskoi sondern im Inneren des
Kerchnos selbst untergebracht worden ist. Auch in diesem
Fall kann bei dem geringen inneren Fassungsraum des Ker-
chnos der Kuchen nur klein gewesen sein, so dass die Demi-
nutivform IlaXzötov gerechtfertigt erscheint. Bekanntlich ist
es nun ein durchaus nicht singulärer Brauch gewesen, Opfer-
kuchen mit Lichtern zu bestecken. Aus Philochoros werden
z. B. bei Athenaios derartige Kuchen — ifxcpi'püivTe; genannt —
im Kult der Artemis Munichia erwähnt; auf dem 'E(pr)[X6pi(;
ip/. 1890 Taf. 5 publicirten boiotischen Glockenkrater bringt
ein Mädchen einer weiblichen Heilgottheit auf einer mit Zwei-
gen bekränzten Schüssel Früchte und einen Kuchen dar, in
dessen Mitte eine brennende Kerze steckt. Es ist möglich,
dass wir einen ähnlichen Brauch für die Kerchnoscaeremonie
anzunehmen haben, dass man auf den im Kerchnos nieder-
gelegten Kuchen kleine Lämpchen oder auch Kerzen, wie wir
sie auf dem Opferkuchen des boiotischen Gefässes sehen. stellte.
Wie dem aber auch sei, ob wir uns die >o;(^voi in der einen
haben. Unter ipoij ist das Liclil der F'ackeln zu verslelieii. Das Ganze gehl
wahrscheinlich auf <1cm Jakchos/.UL'.
290 O. RUBENSOHN
oder der anderen Weise im Kerchnos stehend zu denken ha-
ben, jedenfalls finden die durchbrochenen Deckel der Gefässe
vollauf ihre Erklärung durch die im Nikanderscholion für
den Kerchnos bezeugte Sitte der Lychnophorie.
Es wurde schon bei der Beschreibung der Gefässe darauf
hingewiesen, dass ein Teil der gefundenen Vasen nicht für
Deckel eingerichtet ist. Das beweist uns, dass die Deckel ein
unbedingtes Erforderniss nicht waren. Auf einer ganzen Se-
rie von athenischen Theatermarken aus Blei ' ist der Kerchnos
dargestellt bald mit Deckel bald ohne Deckel. Wir sehen also
auch hier dasselbe Verhältniss, wie bei den eleusinischen Ge-
lassen obwalten. Auf zweien dieser Marken, die leider in der
hiesigen Münzsammlung nicht mehr im Original vorhanden
sind — sie gehören zu den bei dem grossen Diebstahl ver-
schwundenen — und von denen ich daher nur eine nach der
Zeichnung Postolakas hergestellte Abbildung^ hier beibringen
kann, ragen aus dem deckellosen Kerchnos einmal zwei und
einmal drei dünne Stäbchen hervor, für die sich schwerlich
eine andere Erklärung finden lässt, als eben die, dass es Ker-
zen gewesen sind. Wir dürfen das Nikanderscholion nicht
pressen und uns an den Ausdruck Xu/vo<; klammern, um etwa
gegen diese Deutung Stellung zu nehmen. Es besteht zwi-
schen Lampen und Kerzen in diesem Fall kein Unterschied
für den Kultus. Für den Wechsel zwischen beiden kann eben-
sowol die Mode wie eine technische Forderung jeweilig mass-
gebend gewesen sein.
Einen Kerchnos , aus dem die Flammen solcher l^ampen
' Jetzt übersichtlich zusammengestellt von Svoroiios in seinem Juuriui'
international d'archöologie numismatique I S. b5.
2 KaiäXoYO? Tüiv VA tou vo|jLiajAaTtxoü [Aouae^oy 'AOrjvöiv xXa;i^vTO)V voiiiajAaTwv
Allicii 1888, Nr. 3-.'0 und 3i!T.
KERCHNOS
291
hervor lodern, glaube ich auf der bekannteu cumaischen Vase
in der Ermitage zu Petersburg erk^-nnen zu dürfen, für die
wir leider immer noch auf die ungenügenden Abbildungen
angewiesen sind, welche auf Campte- rendu 1862 Taf. 3
zurückgehen. Wir sehen hier in der Mitte der ganzen Dar-
stellung zwischen zwei gekreuzten Bakchoi ^ ein Getäss steben,
dass zwar in der Form nicht ganz genau dem Iverchnos ent-
spricht, aber doch schwerlich etwas anderes als ihn darstellen
soll, in Stephanis Katalog und im Text zur Tafel wird es
als kleiner Altar bezeichnet. Das kann es sieber niclit sein
wegen der Form, die deutlich ein Getäss wiedergiebt. Es ist
vergoldet, und auch dieser Umstand spricht für die vorge-
tragene Deutung.
Alles was wir den litterarischen und den monumentalen
Quellen über den /.sp/vo«; entnehmen können, trifft also, wie
wir sehen, bei den eleusinischen Gelassen zu. Wir können die
Identität des Kerchnos mit diesen für gesichert balten. Welche
Folgerungen ergeben sich nun aus diesem Resultat für den
eleusinischen Kultus? Man brachte in Eleusis die Erstlinge
der Feldfrüchte, des Weins, des Öls, kurz allen Segens, den die
Erde spendet, dar, zusammen mit der Gabe des Hirten, denn
die ScliafwoUe ist hier ohne alle Nebenbedeutung lediglich als
i^ap/y) vom Ertrag der llerdenzucht zu betrachten. Das ist
durchaus nichts Besonderes sondern begegnet eigentlich in je-
dem agrarischen Kultus, in Eleusis aber war dieser einfache
Vorgang zum Mysterium erhoben. Nicht durch Unterlegung
irgend einer geheimnissvollen Deutung oder übersinnlichen
Erklärung, nur die besondere Gestaltung des Kultcaeremoniells
hebt die heiliü;e Handlung; im Dienst von Eleusis aus der Menge
< Den Namen Bakclios ITir die als Allriluite der Myslen üblichen Zweig-
bündel anzuwenden, sinil wir, glaube ieli, trotz Ötrubes Widersprueli berocb-
tigt. Furtwängler, der im Areh. Anzeiger 189-2 S. 106 und Alben. Mitth.
1895 S. 358 ausfübriicb über die Zweigbündel gehandelt hat, bässt sie un-
benannt,obne über die von Stepbani zuerst in Vorsehlag gebrachte Be-
neuniing fJax/ot zu spreelieu. Siehe auch die Erörterungen liir und wider
zusammengeslelll bei üverbeek, KuiisUnvliiülugie II S. 671 1'.
292 0. RUBENSOHX
der gleichartigen Darbringungen in den anderen Kulten her-
aus. In Phigalia legte man einfach die Gaben auf den Altar
der Demeter nieder. In Eleusis birgt man die Spende in einem
ganz Singular geformten Getäss, dann wird sie in feierlicher
^^^eise, etwa in einer Prozession (s. u.) einhergetragen, und
zum Schluss nehmen die Träger des Kerchnos etwas von den
dargebrachten Früchten und verzehren es (Athenaios a.a.O.)
Diese Speisecaeremonie ist offenbar die Hauptsache in der gan-
zen heiligen Handlung. Sie ist der eigentlich mystische Vor-
gang. Dass bei den Mysterien solche feierliche Speisecaeremo-
nien.die von den gewöhnlichen Opferschmäusen, Götterbewir-
tungen und dergleichen wol zu unterscheiden sind, eine grosse
Rolle spielten, wissen wir. Das beweisen ja schon die Bekennt-
nissformeln, deren wir zu Anfang gedacht haben. Ich erinnere
ferner an den Genuss von rohem Fleisch in den Dionysos -
Zagreus- Mysterien (Schol. zu Clemens Alex. Protr. 1 S. 433
Dind. (mir hier nicht zugänglich) u^aa yap -^«röiov xpea ol ixuou-
IX6V01 Aiovudo) Seiyaa toOto rsXovaevoi too (TTrxpayjxo'j, öv ÜTtecTTYi
Aiövuffo; (jTZQ TiTavuv). Im Kult der grossen Götter von Samo-
thrake kennen wir eine derartige Caeremonie aus der von
Gomperz dem Sinne nach sicher richtig ergänzten Inschrift
aus Tomoi*, aus der wir erfahren, dass der Priester [tü)]v {xu-
CTwv Gsdiv Tüiv £v [Sa[jt,o6p5c]>tr, . . . ['ATVXTOulpsüivoi; sSSojAr 7rap[£^6i
To 7C£u.(x]a (J^i^a; y,al ^/x,^^' l"^^ ttotov toi;] u.dnxxi^. Darreichun-
gen von Brot und Wasser begegnen auch in den Mithras-
mysterien^, und auf eine ganze Anzahl solcher Gebräuche in
verschiedenen Geheimkulten spielt Clemens Protr. II 22 (S.
19) an. Wir sehen also, die Caeremonie mit dem Kerchnos
reiht sich ohne weiteres in eine ganze Zahl verwandter Vor-
gänge in anderen Mysterienkulten ein. Die vornehmste Paral-
lele zu ihr finden wir aber in den eleusinischen Mysterien
selbst. Das Trinken des Kykeon nimmt unter den Einweihungs-
caeremonien in die eleusinischen Mysterien eine wichtige Stel-
' Archäologisch- epigraphische Mittheilungen VI 1882 S. 8 Nr. 14.
■^ Cuniont in Kuschers Lexikon II S. 864.
kercMnos 293
lung ein, wie dies das eleusinische Synthema (s.o. S. 271) und
die für die eleusinische Myslenweihe vorbildliche Scene des
homerischen Hymnus (V. *205 ff.) lehrt: sein Genuss beendigte
das Fasten des Einzuweihenden, wie er dem neuntägigen Fa-
sten der herumirrenden Demeter im Hause des Keleos ein
Ende gemacht hatte. In näherer Beziehung zu dieser Caere-
monie steht der Kerchnos nicht. Das Getäss, aus dem man den
Kykeon genoss, war das Rymbos. Das wissen wir aus Ni-
kanders Alexipharmaka 128 ff., wo es heisst:
Tclj o£ cu 7roXXxx,i f;.£v yX'o^ö) Tzozx^y^irn vuaoat^
£[X7c>.7)S7iv )tuy.£a)va Tcöpoii; £v Jtujxßfii T£u^a;,
VTiiTeipri? AtioO? ixopoEv tuotöv, (j m:ot£ Ayiw
Xa'jxaviYiv £€p£^£v äv' aiTupov 'ItctuoOÖwvto;
öpY)i(jayi; äÖupoiT'.v 6x6 pr/xpricriv 'laaSvii;
und im Schatzverzeichniss vonEleusisC./.yl. iV,2 767bZ.54
finden wir auch ein )cu[7,o'.ov verzeichnet, leider an einer stark
fragmentirten Stelle, so dass wir nichts Genaueres angeben
können. Die Kultushandlung, bei der der Kerchnos ver-
wendet wurde, gehörte nicht zu den Einweihungscaeremonien
von Eleusis, sonst stände sie eben im Synthema verzeichnet.
Fragen wir uns nun, bei welcher Gelegenheit die Kultus-
handlung mit dem Kerchnos in den eleusinischen Mysterien
Statt hatte und wie gestaltet sie war, so giebt uns einige Auf-
klärung darüber schon Polemon bei Athenaios. Wir ent-
nehmen seinen Worten, dass der Kerchnos bei der Caeremonie
in einer Prozession oder in einem Tanz — das bleibt hier un-
bestimmt — umhergetragen worden ist. Der Ausdruck TtEpi-
£vy)vopT£<; verrät, dass es sich nicht um eine Prozession, die von
einem Punkte zu einem anderen zog, gehandelt haben kann,
die Träger des Kerchnos müssen sich vielmehr auf einem
irgendwie abgegrenzten Platz im Kreis oder sonstwie umher-
bewegt haben. Des weiteren belehrt uns Polemon , dass die
Teilnehmer an dieser Caeremonie den Kerchnos auf dem Kopf
getragen haben, nichts anderes nämlich besagt die Wendung:
294 0. RÜBENSOMN
6 Se TouTo ßacrraaa? olov ^Dtvocpopir)''«?- D^is Liknon wurde bei
den verwandten Kiiltusliandlungen anderer Gottesdienste von
den beteiligten Personen auf dem Kopf getragen ^
Eine willkommene Erojinzuno; und Bestütisunü; dieses lit-
terarischen Zeugnisses bildet nun der Pinax der Ninnion, der
im Jahre 1895 in Eleusis gefunden worden ist 2. Es ist hier
nicht der Ort näher auf die Darstellung dieses in seiner Be-
deutung für den Kultus von Eleusis einzig dastehenden Denk-
mals einzugehen. Es muss dies der bevorstehenden Veröffent-
lichuns: des Pinax durch Herrn Dr. Skias vorbehalten bleiben.
Nur so viel möge hier bemerkt werden. Es ist auf dem Pinax
in zwei Streifen übereinander eine Prozession dargestellt, die
im llieron von Eleusis vor sich geht. Das Innere des Heilig-
tums— nicht des Tempels- ist durch den Omphalos und eine
Säule im Hintergrund gekennzeichnet, in der unteren Reihe
empfängt eine thronende, in der oberen eine thronende und
eine stehende Göttin die Heranschreitenden. In dieser Prozes-
sion tragen zwei Frauen den Kerchnos, eine dritte Kerchnos-
trägerin befindet sich im Giebel des Pinax. Einen Ausschnitt aus
der Darstellung der Prozession mit dem Oberteil der einen der
beiden Kerchnosträgerinnen und der vor ihr stehenden Göttin
zeigt unsere Abbildung nach einer Zeichnung Gillierons-'.
In der Form stimmt das Gefäss so genau mit den eleusini-
schen Gelassen überein , wie das bei der ziemlich Ilüchtigen
Manier des Malers möglich ist. DieKotyliskoi fehlen. Wir haben
* Vgl. O. Jalin, Berichte der .säclisisclieii Gcsellscliatl der Wis.seiiseliallcn
1861 S. 324 Anm. 125.
2 Einige Angalieri über ihn hat Kern in der Arch. Ge.sellschaft in Berlin
(Arcli. Anzeiger 18'»5 S. 163) gcniaehl; vgl. Aliien. Milth. 18'JF. S. 231.
3 Den Kopf der Kerchno.strägcrin und die eine Fackel der vcir ihr .stehen-
den Figur hat H. von Fritze, 'EotüaepU äpx.. 1897 S. 16(1 in einer flüchligen
Skizze wiedergegeben. Seine Deutung der Scene, die Frau mit den beiden
Fackeln entzünde mit deren einer den in dem Gefäss enthaltenen Weih-
rauch, ist villlig uiiaiinehnibar. Ein Blick auf unseie Abbildung zeigt, dass
jan derartiges nicht zu denken ist. Fritze hat auch die Arl.wie der Kerchnos
auf dem Kopf der P'rau befestigt ist, und die Bedeulung der Löcher im
Randstreifen des Kerchnos völlig verkannt.
keRcmnos
29o
ja aber schon hervorgehoben (S. '285), dass ihre Anbringung
für die Darstellung des Kerchnos in der bildenden Kunst
nicht unbedingt erforderlich war. Auch dass der Deckel nicht
durchbrochen gemalt ist, kann nicht überraschen. Die Über-
einstimmung in der ganzen äusseren Erscheinung und in
einigen gleich zu berührenden Einzelheiten ist so gross, dass
ein Zweifel an der Identität der dargestellten Gefässe mit den
eleusinischen unzulässig ist.
Auf dem Pinax sehen wir nun , wie das Geläss bei der
Prozession getragen wurde. Es ist mit weiss gemalten Tä-
nien am Kopf befestigt. Die Tänien sind an den Henkeln
des Kerchnos angebunden. Eine derartige Befestigung würde
schwerlich genügen. Wir finden bei fast allen eleusinischen
Gelassen im Fuss der Vase zwei Durchbohrungen'. Offen-
bar wurde auch durch diese ein Band gezogen , das am
Kopf der Trägerin angebracht wurde und zur weiteren Be-
festigung des Gelasses diente. Über den Deckel des Kerchnos
laufen in der Darstellung zwei sich kreuzende schwarz aufge-
malte Linien. Die eine verläuft über den Rand des Deckels
< Vgl. 'E?T)|jL£p\4 ipx. 1885 Taf. 9, 7 S. 172.
296 O. RUBENSOHN
hinaus jn den Randstreifen des Kerelinos, wir können sie
daher nicht als Angahe einer rein ornamentalen Zuthat be-
trachten. Was gemeint ist, lehren uns die eleusinischen Ge-
tässe. Es finden sich bei ihnen in dem Randstreifen meist zu
beiden Seiten des Henkels vier — je zwei bei jedem Henkel —
bisweilen auch mehr kleine runde Löcher '. In einigen dieser
Löcher stecken noch heute dünne Metallstreifen. Zur Befe-
stigung des Kerchnos am Ropt können diese nicht gedient
haben, Bronze wäre für einen solchen Zweck der ungeeignetste
Stoff. Es ist deutlich, dass die dünnen Bronzestreifen zur Be-
festigung des Deckels gedient haben. Wurden die Gelasse in
der beschriebenen Weise in einer Prozession umhergetragen,
so musste man die Deckel irgendwie auf dem Kerchnos be-
festigen. Bänder aus einem ptlanzlichen Slot!' würden vom
Feuer der im Kerchnos brennenden Lampen vernichtet wor-
den sein. Deshalb musste man zu metallenen Bändern die
Zuflucht nehmen, und die Wiedergabe solcher Bänder erkenne
ich auf der Darstellung des i^inax. Die Frau , welche den
Kerchnos trägt, hat im Haar ein Diadem, während die bei-
den anderen Kerchnosträgerinnen des Pinax (vgl. die Skizzen
bei Fritze a. a. ü.) einfach Kränze auf dem Haupt tragen.
Mit der rechten Hand, in der sie einen Zweig hält, adorirt
sie die vor ihr stehende Göttin. Was sie mit der linken Hand
fasst, lässt sich nicht mehr erkennen. Auch der Iverchnos ist
mit Zweigen geschmückt. Wir haben hier die Kerchnophorie
im Kultus von Eleusis vor uns, eine Seene aus der Pompe,
deren Schilderung dem bei Athenaios erhaltenen Passus aus
Polemons Schrift unmittelbar vorausgegangen sein muss. Es
ist eine Scene aus der eigentlichen M^slerienfeier, die im In-
nern des Heiligtums von Eleusis stattfand. Zum ersten Mal
sehen wir eine solche auf einem antiken Denkmal dargestellt.
Wir haben uns etwa die Aule des Heiligtums als Ort des Vor-
gangs zu denken. Hier ging unter feierlichen Veranstaltungen
beim Schein der Fackeln — auf dem Pinax sehen wir in der
Vgl. Pliilios,'E?rj[j.£pUip/.. 1885 8.172 und unsere Abbildung Taf. 13,1.6.
RERCHNOS 297
unteren Reihe den Hierophanten oder Daduchen mitj seinen
Fackeln — dieser Teil der Mysterienleier vor sich , bei der
sicher auch das Siov xw^iov eine Rolle spielte. Auf die eigen-
tümliche Ausgestaltung der Feier, wie sie der l^inax erkennen
lässt, können wir hier natürlich nicht eingehen, auch die
einzelnen ÜilTerenzen, die zwischen der Beschreibung Pole-
mons und der Scene des Pinax bestehen, dürfen hier nicht
abgehandelt werden. Hier haben wie jetzt nur noch einige
Fragen zu erledigen, welche die eleusinischen Kerchnoi spe-
ciell angehen. Sie betreffen Technik, Decoration und Zeit die-
ser Gefässe.
Dass die grosse Menge der gefundenen Vasen einen einheit-
lichen Typus darstellt, wurde schon zu Anfang erwähnt. Der
rötliche oder hellbraune Thon, aus dem sie gefertigt sind, ist
fast durchweg mit -einem Überzug aus rotem oder weissem
Pfeifenthon versehen'. Dieser Überzug ist bei den meisten
Gelassen bis auf wenige Reste abgesprungen , und mit
ihm sind auch die auf ihn aufgesetzten Verzierungen ver-
schwunden. Der ursprüngliche Zustand lässt sich daher bei
den meisten Gelassen nur erschliessen. Verhältnissmässis; am
besten erhalten hat sich die Vergoldung. Eine grosse Anzahl
der gefundenen Kerchnoi war nämlich an ihrer ganzen Aus-
senseite mit Gold überzogen. Das Gold ist als ganz dünnes
Blattgold auf die weisse oder rote Grundlage aufgesetzt, in der-
selben Technik wie sie Furtwän^ler zu Sammlun» Sabouroff
I Taf. /Ü,2 beschreibt. Nur handelt es sich bei unseren Ge-
lassen nicht um einzelne Verzierungen aus Gold, sondern um
eine einheitliche Vergoldung ohne irgend welche Ornamente.
Diese Gelasse ahmen die »eppot xp'j'^ot nach, welche wie uns
die zu Anfang erwähnte Inschrift verrät, als VVeihgeschenke
dargebracht wurden oder im Kultus Verwendung fanden. Kei-
nes von den vergoldeten Gelassen ist mit Kotyiiskoi oder ko-
tyliskosartigen Ansalzen versehen. Die mit soli-hen, besonders
mit ersteren, gezierten Kerchnoi zeigen überhaupt selten eine
' Vgl. über die Technik Pliilios, 'E<pT)(i6pis ip-/^. 1885 S. 171 Anin. 3.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 20
^Ö O. RUBENSOJiN
weitere Decoration ausserdem weissen oder roten Überzug, nur
der Kranz der kotyliskosartigen Ansätze hat bei einzelnen Ge-
fässen durch verschiedene Färbung der Scheinkotyliskoi —
blau, rot und weiss — einige Belebung erfahren.
Wo die Kotyliskoi fehlen, ist fast überall der lilrsatz durch
Malerei eingetreten. Und zwar findet sich die Bemaking haupt-
sächlich an drei Stellen des Gefässes, auf dein horizontalen
Randstreifen, auf der Schulter oder auf dem Bauch, nur bei
wenigen Gelassen an allen drei Stellen zusammen . bei den
meisten entweder an einer oder höchstens an zweien. Auf
dem Handstreifen ist öfters ein Rierstab angebracht, die Stege
in roter, die Wülste in hellblauer Farbe, der Untergrund
weiss. Dasselbe Ornament kehrt auch in derselben Farbenver-
teilung am Rand des Deckels wieder.
Das Ornament, das bei den einfacher verzierten Gelassen
am häufigsten auf dem Schulteraufsatz begegnet, ist das neben-
stehend skizzirte. Die Strahlen sind bald breiter bald schmaler
aufgetragen und immer sehr flüchtig gezeichnet. Das Orna-
ment hebt sich immer rot vom weissen Grund ab, bei den Ge-
fässen mit rotem Überzug ist mitten um den Aufsatz herum
über den roten Überzug ein horizontaler weisser Streifen ge-
legt, erst auf diesem steht das Ornament. Bei zwei (Exempla-
ren findet sich der sonst weiss gelassene Untergrund zwischen
den Strahlen mit Blattgold abgedeckt, in der Regel kehrt das
Ornament viermal um den ganzen Aufsatz herum wieder, der
Zwischenraum zwischen den einzelnen wird entweder frei ge-
lassen üd(M' von einem horizontal gelegten und mit einem bald
helleren bald dunkleren Grün gemalten Zweig eingenommen.
Zweige finden sich auch auf einigen der Deckel angebracht.
Das eigentümliche Strahlenornament würde der Erklärung
XIV
KERCMNOS 299
Schwierigkeiten entgegensetzen, wenn uns nicht auf einem der
weissgrundigen Kerchnoi einigermassen gut erkennbare Reste
der Bemalung erhallen wären, die uns von dem einstmaligen
Aussehen der reicher bemalten Gefässe eine Vorstellung geben.
Das Erhaltene und eine Heconstruction des ganzen Gefässes
giebtTaf. \ ^t nach einer Zeichnung Gillierons '. Die Hauptdar-
stellung findet sich auf dem unteren Teil des Ge{ässes(3). Dessen
oberen Rand schliessen unmittelbar unter dem Randstreifen
guirlandenartig aufgehängte VVollbinden ab, die in roter Farbe
wiedergegeben sind. Von der Mitte eines jeden Rogens dieser
Guirlande hängt abwechselnd ein Kranz — wie solche in ähn-
licher Verwendung häufig auf hellenistischen Vasen wieder-
kehren— und das Strahlenornament herab, das uns auf dem
Schulteraufsatz der Kerchnoi begegnet ist. Hier (3) sehen
wir nun, dass es sich nicht um ein rein geometrisches Orna-
ment handelt, es stellt sich vielmehr als ein Rund von Stäben
dar, das durch drei Bänder zusammengehalten wird, als eine Art
Hülse, die durch ein Gitter von Raulenstäben gebildet wird.
Wo diese Hülsen ihre Verwendung fanden, das lehren uns die
Bakchoi^, die über das ganze Rund des Bauches verteilt sind.
Ihre Anordung ist eine unsymmetrische, bald treffen ihre
oberen Enden in die Zwickel der VVollbinden - Guirlande,
bald schneiden sie deren Bogen. Auch der Abstand der ein-
zelnen Bakchoi von einander wechselt in ganz un regelmässi-
ger Weise ab. Das Laub der Bakchoi ist mit einem grün-
lichen Gelb wiedergegeben, die Umrisse sind rot gezeichnet.
Die rot gezeichneten gitterartigen Hülsen sehen wir nun hier
als Ringe in geregelten Absländen von einander um die Bak-
' Mümlun^', Hciikci iiiul Fuss sind f^aiiz, dor luiri/.onlalc Uandstreifen
giössleiilcils wcggcbrüclicn. Die Eryiiir/.iiiig des Fiissos iiiiissle in der
Skizze (1) aus Uauniriieksielilen unlerldeibeii. Die l'\trui des Fusses war
dieselbe wie bei dem Uetäss Taf. 13,4. Die Einzelheilen der Bemalung
sind z. T. nur mit Mühe zu erkennen, da die Farbe viellach abgesprnn^'en
ist. Die senkrechte .Slrichclung- giebl rote, die wafrreelilo blaue, die Punkti-
rnnj; gelbe Farbe wieder. Die licconsUiicliun des Ornaiiienis auf der oberen
Seile des llandslreiiens (;') ist nicht ganz gesichert.
^ Über diese Bezeichnung vgl. oben S. '291 Aniii. I.
300 O. RUBENSOHN _
clioi herumgeleojt, zweifellos dienten sie dazu,dieZ\veigbiindel,
aus denen diese bestehen , znsainnionzuhalten. In iihnlicher
Weise kehren die Hülsen auch auf" anderen Darstellungen der
Bakchoi wieder, man vgl. z. B. die von den beiden Dioskuren
und Herakles getragenen auf der Mysterienvase beiOverbeck,
Runstmythologie Taf. 18, 19.
Auf der Schulter unseres Gefässes ( Tat", l-'i, ''2.) sehen
wir den Bakchos in das Ornamentale umgestaltet. Die Bo-
gen der hier dargestellten Guirlande bestehen aus den etwas
umgemodelten Mystenstäben,die insbesondere ihre Verjüngung
nach unten vollständig eingebüsst haben. Blätterbündel (gelb)
und Hülse (rot) wechseln aber hier noch in derselben Weise
wie bei den Bakchoi auf dem Bauch des Gefässes ab. Bei der
Weiterentwicklung hat man dann den Bakchos in seine einzel-
nen Ikstandteile aufgelöst und jeden — die Hülse und den Laub-
zweiü" — als selbständiges Ornament auf dem Kerchnos ver-
wertet. Eine nur auf dem abgebildeten Kerchnos nachweisbare
Zuthat zu der Verzierung sind die Tauben, welche paarweise
einander gegenüber gestellt oder einzeln unterhalb der Guir-
lande erscheinen. Sie sind mit einem hellen Blau aufgemalt.
Der horizontale Bandstreifen hat als Ornament unten den so-
genanten laufenden Hund, auf der Oberseite ein Palmetten-
band.
Zur Decoration des Kerchnos hat also, wie wir sehen, eines
der bedeutsamsten Kultusinstrumente der eleusinischen My-
sterien die hauptsächlichsten Elemente geliefert. Nur auf zwei
Denkmälern begegnet als Ornament verwendet — soweit ich
sehe — dasselbe Kultusinstrument noch einmal. Beide stammen
aus Eleusis. Das eine ist die Cista der bekannten Cistophoren
aus Eleusis'. Der um die Mitte der Cista herumlaufende Strei-
fen zeigt als Ornament den decorativ umgestalteten Bakchos ;
auf beiden Seiten wird er durch einen Perlstab eingefasst. Die
* Das eine Exemplar bclindd sidi in lüleusis, das andere in Canil)ridge.
Die beste Abbildung dfs cnKliscbcn Siüekes bei Michaelis, .«l/ir. Marhles zu
S. 1'42, das Oniamenl ist zu S, 'JV'i in grösserem Masstab wiederholt.
KERCHNOS 301
Blätterbüntlel sind in ein Flechtband umgewandelt. Getreuer ist
Hie Wiedergabe des Bai\cljos auf dem anderen Aionument, dem
Pinax der Ninnion. Auf jeder der Randleisten zu beiden Sei-
ten der Bildfläehe sehen wir einen Bakchos in ganz ähnlicher
Weise umgemodelt wie auf der Schulter des Rerchnos ohne
Verjüngung aufrecht stehend angebracht'.
Wenn wir so sehen dass auf dem Pinax, auf dem die Kerch-
nophorie dargestellt ist. und auf dem Kerchnos selbst der
Mystenstab als Ornament verwertet ist, so haben wir wol zu
folgern, dass Rerchnos und Bakchos innerhalb der eleusini-
schen Mysterien in irgend einer besonderen Beziehung zu ein-
ander gestanden haben; wir haben etwa an eine gleichzeitige
Verwendung in einer bestimmten Kultushandlung zu denken.
Dem gegenüber muss indessen bemerkt werden, dass in der
Kerchnophorie auf dem Pinax der Bakchos nicht benutzt wird.
Auf der Bildfläche des Pinax erscheinen nur zwei gekreuzte
Bakchoi als Symbole unter dem Omphalos. Es ist daher auch
nicht unmöglich, dass Kerchnos und Bakchos nur deshalb so
eng verbunden zusammen auftreten, weil sie beide als beson-
ders bezeichnende Symbole des eleusinischen Kultus betrachtet
wurden. Dass dem so war, lehren die Denkmäler. Vereint
finden wir beide so auf der cumäischen Amphora in Peters-
burg (Overbeck, Kunstmythologie Taf. 18 Nr. '20). Nebenein-
ander erscheinen sie auf dem aller Wahrscheinlichkeit nach
aus dem städtischen Eleusinion stammenden Relief.das an der
kleinen Metropolis in Athen eingemauert ist; es gilt dies seit
Böttichers Aufsatz (Philologus XXIll S. 227 mit Tafel) ge-
wöhnlich als Relief von eincMu Altar aus dem Eleusinion, es
kann aber ebensowohl auch l^^pistyl eines Baues gewesen sein,
wie das Epistyl von den Propyläen des Appius Claudius in
Eleusis.
Auch allein erscheint der Kerchnos des öfteren als Symbol
* Hier ist es ganz deullicli, dass die 'Hülsen' diirclibrnolKMi gedacht
sind, denn das Laub der Zweige ist zwischen den Stäben der Hülsen ange-
geben.
302 0. RUBENSOHN
des eleusinischen Kultus und als Wappen des eleusinischen
Gemeinwesens. So sehen wir ihn auf den Rupfermünzen von
Eleusis, die der jüngeren Epoche d. h. aller Wahrscheinlich-
keit nach dem Anfang des dritten Jahrhunderts vor Giir. an-
gehören. Auf diesen tritt der Kerchnos zusammen mit dem
Ralathos als Prügezeichen auf. Ebenso erscheint er auf gleich-
zeitigen und späteren athenischen iMünzen, wo allerdings der
Kalathos häufig fehlt (vgl. den Katalog des brittischen Mu-
seums Attica Taf. 15, besonders auch Taf. 14, 10)^
In die Jahre 287-266 setzt aus historischen Gründen Svo-
ronos eine Serie bleierner Theatermarken, die ebenfalls den
Kerchnos bald allein, bald mit dem Kalathos, bald mit einer
Fackel , bald mit Mohnslengeln , einmal auch mit einem
Thyrsos zusammen als Prägung zeigen. Meist ist er mit Zwei-
gen geschmükt wie auf dem Pinax. Stark stilisirt schliesslich
ist der Kerchnos dargestellt auf den oben erwähnten Gisten
der Gistophoren aus Eleusis, auch hier mit gekreuzten Mohn-
stengeln zusammen, wie auf den Theatermarken ^.
Die Münzen und Blei marken mit Rerchnosdarstellung ge-
hören dem dritten Jahrhundert an, die grössere Menge sicher
seinem ersten Drittel. Ein Teil der eleusinischen Gelasse ist
unter der Philohalle gefunden, ist also sicher älter als dieser
im vorletzten Jahrzehnt des vierten Jahrhunderts errichtete
Bau; dasselbe gilt von den unter den Fundamenten des Buleu-
terion gefundenen Rerchnoi. Das Marmorgefäss mit der In-
schrift gehört nach den Buchstabenformen der Inschrift in das
vierte Jahrhundert, der Pinax mit der Darstellung derRerchno-
< Vgl. zu den Münzen und zu den gleicli zu erwähnenden Theatermarken
jetzt Svoronos, Journal international cVarchiologie numismaiiqiie I S. 100.
Ich hin Herrn Dir. Svoronos für viellaolic Unterslützung in niiniisniatischen
Fragf'ii 7,u h'hhaftem Dank verptlichtet.
2 Anch auf dein Fries vom Propylun des Appius Claudius Pulcher in
Eleusis scheint der Kerchnos dargestellt gewesen zu sein. Bei Lenornianl
{Recherches arck. S. 390) erscheint wenigstens in der Ahhildungdieses Frieses
auf dem Fragment rechts am Ende der Deckel eines Kerchnos. Das Stück
hahe ich in Eleusis nicht (inden können ( vgl. jetzt auch Kuruniolis, 'Efjj-
[XEpU ip/.. 1898 S. 22).
KERCHNOS 303
phorie stammt etwa aus dem Ende des fünften Jahrhunderts,
einer etwas späteren Zeit mai? die cumäisehe Ampliora in Pe-
tersburg angehören. Die Übergaburkunde der eleusinisehen
Epistaten schliesslich mit der Erwähnung des Rerchnos ist
datirt auf das Jahr 408/7. Die grössere Menge der Zeugnisse
für den Gebrauch des Kerchnos im eleusinisehen Kultus ver-
teilt sich also über das ganze vierte, das Ende des fünften und
den Anfang des dritten Jahrhunderts. Die Fundumstände
weisen daneben aber auch eine ganze Anzahl der in Eleusis
gefundenen Kerchnoi in spätere Zeiten, sogar in die römi-
sche Periode (vgl. Philios, 'EcpTiaspU ap/. 1885 S. 173). In
römische Zeit gehören das Relief aus dem städtischen Eleu-
sinion , den Fries vom Propylon des Appius Claudius und
die Cistophoren in Eleusis und Cambridge. Wir haben also
den Beweis dafür, dass die Caeremonie mit dem Rerchnos bis
in die späteren Zeiten hinein fortgesetzt in Eleusis ausgeübt
worden ist. Doch auch aufwärts können wir vielleicht die Be-
folgung dieser Sitte nachweisen, wenn es auch als befremdend
hervorgehoben werden muss, dass sich nur sehr geringe und
dazu noch zweifelhafte Reste von Kerchnoi aus Zeiten nach-
weisen lassen, die dem vierten Jahrhundert — in eine frühere
Epoche dürfen wir aus Gründen der Technik und des Stils die
betrachtetenGefässe nicht setzen — vorausgehen. Einige schwarz-
figurige Deckel wie der hier nach Gillierons Zeichnung* wie-
dergegebene, haben sich in Eleusis gefunden. Das abgebildete
Exemplar trägt eine \\'eihinschrift an die beiden Göttinnen.
Zwei andere Exemplare derselben Form mit grauschwarzem
Der untere ornaiiienlirle Raiul ist in der Zeichnung teilweise ergänzt.
304
O. RUBENSOHN
Grund zeigen als Verzierung mehrere horizontale umlaufende
Linien in aufgesetztem Karminrot. Falls diese Deckel zu
Rerchnoi gehört haben, wäre der Gebrauch des Gefässes auch
für die Zeit des schwarzfigurigen Stils gesichert. Es muss aber
ausdrücklich bemerkt werden, dass die Form von den Deckel-
formen der Kerchnoi abweicht und dass sich kein Rest eines
Kerchnos selbst aus gleicher Zeit erhalten hat. Diese Deckel
können sehr wol auch von Thymiaterien herrühren. Gleich ge-
formte und auso-estattete Deckel haben sich auch auf der Akro-
polis gefunden, liier bleiben also einige Bedenken bestehen.
In noch ältere Zeit würde das Vorkommen des Kerchnos
gerückt, wenn wir mit Sicherheit behaupten könnten, dass die
nachstehend wiedergegebenen Fragmente zweier Ringe mit
darauf gesetzten kleinen Gefässchen als Reste von Kerchnoi
aufzufassen seien. Beide stammen aus Eleusis und befinden
sich dort im Museum. Genauere Fundnotizen sind nicht be-
kannt. Der eine Ring besteht aus einem grauen Thon , der
schlecht geschlemmt ist ; die Oberfläche ist unbemalt und
rauh gelassen. Die einhenkeligen kleinen Gelasse sind mit
der Hand geformt. Der andere Ring trägt etwas grössere hen-
kellose Gelasse, die gleichfalls mit der Hand gearbeitet sind;
der Thon ist mehr bräunlich. Der kleinere Ring zeigt innen
und aussen starke Spuren von Brand, die wol bei oder nach
der Zerstörung entstanden sind.
Der innere Rand beider Ringe ivSt abgebrochen , so dass
es sich nicht mehr mit Bestimmtheit feststellen lässt, ob die
KERCHNOS
305
Ringe einst selbständig bestanden oder den Randstreifen eines
Rerchnos gebildet haben. Dass es ein merkwürdiger Zufall
wäre, wenn beide Ringe so in ganz gleicher Weise von den
zugehörigen Gefässen abgebrochen wären, ist freilich zuzuge-
ben. Man hätte dann aber vielleicht anzunehmen . dass die
fertigen Rini^e mit den Gefässen darauf an die Rerchnoi ange-
setzt worden seien. Von den gewöhnlichen Gefässringen, über
die zuletzt Löschcke beim Winckelmannsfest des N'ereins von
Altertumsfreunden im Rheinlande 1897 gesprochen hat', un-
terscheiden sich die eleusinischen Ringe vor allem durch die
grössere Anzahl von Gefässchen, welche sie einmal getragen
haben. Die Gefässchen stehen so eng auf den Ringen und diese
haben einen so grossen Durchmesser, dass wir leichtlich auf
die Zahl von 8-1üKotyliskoi für jeden der Ringe kommen, also
etwa auf dieselbe Zahl, wie die der Kotyliskoi auf dem oben
S.2S'd betrachteten Rerchnos. Es ist daher nicht unwahrschein-
lich,dass diese Ringe zu den Rerchnoi zu rechnen sind. Bildeten
sie aber den Randstreifen von Gefässen ähnlich den betrachte-
ten, so können wir auch einen Einblick in die Entstehung
der Form des Rerchnos thun. Der Rerchnos ist vielleicht aus
einem solchen Ring und der von ihm umschlossenen V^ase
zusammengewachsen .
Ist das Gesagte richtig, so bekommen wir einen äusseren
Anhalt für das Alter der kerchnoscaeremonie, denn die bei-
den Ringe können wir nach ihrer Technik nur einer recht
frühen Periode der Vasenfabrikation zuschreiben, und jeden-
falls sind sie durch einen weiten Zeitabstand von den be-
trachteten Rotyliskoi getrennt. Jedoch auch ohne diesen An-
halt kcinnen wir der Rultushandlung mit dem Rerchnos ein
hohes Alter aus der einfachen Erwägung heraus anweisen,
< Vgl. Berliner pliilol. Wocliensehiirt 1898 8. ?-2-?. Duhn ( Der griechi-
sche Tempel in Pompeji Aiuii. 31 ), der die Kerelmoi mit den Gel'ässringen
zusammenstellt, hat alle diese als Lampen aufgefasst, wodurch nur die
Kotyliskoi, nicht das eigentliche Gefäss verständlich würden. Puchsteius
Bemerkungen (.lahrbueh ISDG S 73 Anm. ) erledigen sich durch die oben
S. 2öÜ angel'iilirteii Funde auch an anderen Stelleu.
306 0. RUBENSOHN, KERCHNOS
dass eine Caeremonie wie diese, deren Spur sich auf einer
Inschrift des fünften Jahrliunderts findet (oben S. 273),
jedenfalls beträchtlich älter sein muss als die Inschrift selbst.
Die Kerchnophorie in Eleusis ist nicht eine Schöpfung einer
jüngeren Epoche sondern hat sich herausgebildet wie die übri-
gen Begehungen und Gebräuche der Mysterienfeier spätestens
in der Zeit der grossen Reformen der solonisch -peisistratei-
schen Epoche, in der die Mysterien von Eleusis die Ausstat-
tung erhalten haben, in der sie das Altertum kannte*.
Athen, März 1898.
O. RUBENSOHN.
'■»{•' {fe ■•}»*
< In wie weit der Kerchnos auch in anderen Kulten verwendet worden
ist, soll hier nicht weiter erörtert werden, zumal es auch an Material gebricht.
Dass der Kerchnos in den Kybelokult Eingang gefunden hat, ist schon oben
ausgesprochen worden. Zu den dort ( S. 271 f. ) angeführten lilterarischen
Zeugnissen ist noch hinzuzufügen ein rnonuinentales, eine Münze von Smyrna
Cal. of Greek coins, lonia, Taf. 25, 3, deren Revers ein kraterarligcs Gefäss
mit Deckel zeigt. Drechsler in Roschers Lexikon II S. 2862 nimmt dieses
Gefäss als Kernos in Anspruch. Wie ich glaube mit Recht. Auf einigen
Exemplaren des hiesigen Münzkabinets, die mir Herr Dir. Svoronos nach-
wies,steht dies Gef.äss auf einem Dreifuss. Andere Exemplare des gleichen
Typus zeigen statt des Gefässes auf dem Dreifuss einen Kaiathos. Auch hier
wechseln also wie auf den eleusinischen und athenischen Münzen diese bei-
den Kultusinstrumente mit einander ab. Vielleicht fand der Kerchnos auch
im Asklepiosdiensl Verwendung. In dem Schatzverzeichniss aus dem atheni-
schen Asklepieion C. 1. A. II, 766 lindet sich Zeile 19 als Weihgabe eines
Philon verzeichnet: x£p/v(ov ä'aTarlov) y^p[u]aoj aXuiiio SeSejjl^Ivov), aTa9[jL(6v) im-
fi^pa-nzon hC und weiter Zeile 23 unter den Weihgaben einer Menippc ein
xsp/viov £v :rivay.iw aaraTov. Dass wir unter diesen x£px.vta eine Art kleiner
Kerchnoi zu verstehen haben, scheint mir nicht unmöglich. Bei der Viel-
deutigkeit der Worte xeo/vt) und x^p/voj ist es aber sehr wol erlaubt, hier
auch an eine andere Deutung für xep/^vi'ov zu denken.
^
XI
¥=rnF=r=i
1— 3i^.'
^MJAu^.
J 1 1 1 I I I I I I
^oJ^\.
DAS THEATER ZU PRIEXE
(Hierzu Tafel XI)
Nachdem über das im Winter 189ö/97 aus^^egrabene Thea-
ter von Priene schon durcli Alexander Conze*, dann durch
Hans Schraders Vortrag über die dortigen Ausgrabungen der
K. preussischen Museumsverwaltung ^ und jüngst durch W.
Dörpt'elds in so mancher Hinsicht befreiend wirkenden Auf-
satz über das griechische Theater Vitruvs^ einiges bekannt ge-
worden ist, soll mit einer vorläufigen Veröffentlichung des
wichtigen Bauwerks nicht gezögert werden. Eine ausführ-
lichere Darstellung bleibt dem künftigen Berichte über die
Ausgrabungen vorbehalten.
Das Theater liegt an einer von antiken Gebäudetrümmern
bedeckten Berglehne, die zu dem schroffen, die Stadt im
Norden beherrschenden und abschliessenden Akropolisfelsen
emporführt. Es füllt den Platz von etwa 1 72 gewöhnlichen
insulae der Stadt aus und ist allerseits von geraden Strassen
begrenzt.
Der erste Blick auf die marmornen Rusticaquadern des Ske-
nengebäudes und der Parodoi, auf die gut profilirten archi-
tektonischen Zierformen lässt jeden Zweifel an der einheit-
lichen, hellenistischen Entstehung des Baues zurücktreten.
Inschriften am Altar und an den Basen mehrerer Ehrenstatuen
aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert, deren Alter sich
aus dem Vergleich mit zuverlässig datirten prienischen Ur-
kunden ergiebt, bestätigen das. Leicht davon zu unterschei-
den sind die Spuren eines systematischen römischen Umbaues
der Skene, dessen Mauern auf dem beigegebenen Plane W.
< Arcli. Anzeiger 18il7 S. 71.
2 Arcl). Anzeiger 1897 S. 178.
3 Athen. Millh. 1897 S. 439 11'.
308 TH. WIEGAND
Wilbergs (Taf. 11) durcli einfache Schralfirung gekenn-
zeichnet sind.
Aufgedeckt sind bis jetzt: das ganze Skenengebäude , die
Orchestra und die untersten acht Sitzreihen des Zuschauer-
raumes, der eine oeradlinioe Umfassung; zeigt. In der Mitte
der Ostseite führte von aussen eine Treppe zu dem jetzt kaum
mehr erkennbaren Diazoma, wol dem einzigen des Theaters,
dessen obere Ränge so zerstört sind, dass sich vor der Grabung
keine Spur der Sitze mehr erkennen liess , ^vährend sie in dem
schuttbedeckten Teil bis auf die Deckplatten vortrefflich er-
halten waren. Sie sind aus mehreren Stücken zusammengefügt,
ganz in der von Dörpfeld bei seiner Besprechung des Theaters
von Magnesia am Mäander durch eine perspectivische Skizze
erläuterten, sinnreichen Art'. Sechs radiale Treppen teilen
den Sitzraum in fünf gleiche Keile. Ob sich in den oberen
Rängen mehr Treppen als unten befanden, bleibt unbekannt.
Der für das griechische Theater charakteristischen Erweite-
rung des Zuschauerraumes über den Halbkreis hinaus scheint
hier eine Kreisbogenconstruction aus mehreren Mittelpunkten
zu Grunde zu liegen, deren genaue Feststellung durch Unre-
gelmässigkeiten im Bau sehr erschwert ist.
Ein vor der Proedrie herlaufend gedachter Orchestrakreis,
dessen Grösse etwa um Y3 geringer wäre als der entsprechende
Kreis des athenischen Dionysostheaters und des epidaurischen
(6,57™), geht dicht an der Proskenionfront vorbei. Zieht man
eine erweiterte Kreislinie, mit Einschluss des Wassercanals
(Umgangs), an der untersten Sitzreihe hin, so streift diese ge-
rade die V'orderwand der Skene. Einfache Erde bedeckte den
Orchestraboden, weder Pflaster noch Spuren irgend welcher
Holzconstructionen sind gefunden, ebensowenig ein charoni-
scher Gang.
Die Proedrie steht nicht nur auf demselben Niveau wie der
Orchestraboden, sie ist sogar vom aufsteigcndcMi Sitzraum ge-
trennt durch den, wie in Epidauros und Eretria, zugleich der
< Athen. Millh. 1894 8. 71.
DAS THEATER ZU PRIENE 309
VVasserableitung dienenden Umgang , der sich auffallender
Weise an den Enden nicht erbreitert, im Gegenteil sogar durch
Statuenbasen verengt war. Genau die Mitte der Proedriereihe
nimmt der von dem Agonotheten Pythotimos gestiftete recht-
eckige iMarmoraltar ein, mit seiner niedrigen Vorstufe auf der
Orchestraseite, gekrönt von einer zierlichen Platte mit Zahn-
schnitti<esims und seitlichen Giebeln. Zu beiden Schmalseiten
dieses Altars führt durch die Proedrie je ein enger Durchgang,
der mit Schranken, welche man in die senkrechten Rillen kurzer
Pfeiler einsetzte, abgesperrt werden konnte. Dieselbe Vorrich-
tung finden wir bei den Zugängen aus den Parodoi in die
Orchestra, wo sie in unserem Plan ebenfalls durch punktirte
Linien angedeutet ist. Einen besonderen Schmuck erhielt die
Proedrie. die ursprünglich eine durchgehende bequeme Bank
mit Rückenlehne darstellte, durch fünf löwenfüssige. in Sitz-
höhe rings mit Epheuranken geschmückte iVJarmorsessel, die
Stiftung eines gewissen Nysios, Sohnes des Üiphilos. Mit ähn-
lichen Epheuranken sind auch die Pfeiler an den unteren (in-
neren) Enden der Parodoswände geziert.
Dicht hinter den Sitzen der Proedrie sowie auf der zweiten
und sechsten Sitzreihe erkennt man in bestimmten Abständen
die viereckigen Löcher für die llolzstützen der Sonnentücher.
Die Pylonen der Parodoi lehnen sich mit dem einen Pfeiler
an die Parodoswand, mit dem andern an den Eckpfeiler des
Proskenions in der üblichen Weise an. Wichtig ist die ge-
sicherte lichte Höhe der Thür am Westeingang von 3,70'".
Dem Durchmesser des grösseren Grundkreises der Orche-
stra (18,65'") entspricht fast die Länge der nur an der Vor-
derwand geglätteten, an den drei übrigen Wänden mit Rustica
versehenen Skene (18,41'"), eines Marmorhauses mit drei
gleich grossen Zimmern, wie wir es von Assos, Magnesia und
Eretria kennen. Aus den drei Zimmern, deren Höhe kaum
2^2'" betrug, führen drei gleich hohe, mit ihren Thürsturzen
noch erhaltene Thüren , ferner trat man aus der mittleren
Kammer durch eine Tiiür in die westliche Seitenkammer,
durch eine zweite aber nach rückwärts auf die Strasse. Selbst
310 TH. WIEGAND
vom Oberstock, zu dem man auf einer der westlichen Schmal-
wand angefügten zwölfstufigen Marmortreppe von der Strasse
aus gelangt, sind Reste vorhanden: erstens ein mehrere Schich-
ten hoher Teil der Rückwand in Rustica mit der Südwest-
Ecke, zweitens die etwa 1'" hoch erhaltene rechte Thürwan-
dung am oberen Ende der Treppe mit einfachem glatten
Profil, beide ein wertvolles Zeugniss für die solide Bauart
auch des Oberstockes.
Von Anfang an in Marmor aufgeführt und gleichzeitig mit
der Skene ist das Proskenion, dessen sämtliche Stützen, zwölf
in der Front, zwei an der Ost-, eine an der Westseite vor-
treffllich erhalten sind, ja im östlichen Drittel liegt noch das
ganze dorische Gebälk unversehrt an der alten Stelle mit
zahlreichen Resten bunten Farbenschmuckes, bei dem beson-
ders hervorgehoben zu werden verdient, dass die Säulenschafte
Spuren feuerroter Bemalung, und zwar nicht nur an der un-
teren Hälfte, tragen. Auch mehrere zur Skene hinübergelegte
steinerne Querbalken sind erhalten und zeigen die Einarbei-
tungen für den einstigen Bretterboden. Mit Ausnahme der
Eckpfeiler, deren westlicher am Kapitell die Spuren eines ge-
malten Epheumusters zeigt, haben alle Frontstützen die Form
dorischer Halbsäulen mit einfachen Pfeilern dahinter, eine
auch von andern Theatern her bekannte Form, z. B. von dem
zu Assüs, das auch sonst manche Ähnlichkeit zeigt. Die ganze
Höhe des Proskenions beträgt 2,70'°, sie übertritl't also bei-
spielsweise das niedrigste aller bisher bekannt gewordenen
Proskenien, das von Oropos, um etwa 0,"20'".
Die vortreilliche Erhaltung der Proskenionsäulen ermög-
lichte besonders eingehende Feststellungen einstiger Pinakes
mit Hülfe der an den Seiten der Stützen vorhandenen Einar-
beitungen. Danach ergiebl sich Folgendes. Pinakes sassen ur-
sp
rüny;licli in allen Frontintercolumnien mit Ausnahme der
'D
drei den Thüren gegenüber liegenden. Wie Dörpleld beobachtet
hat, wurden dann später einmal, aber wol noch in hellenisti-
scher Zeit, auf beiden Enden die iiussersten zwei Frontinter-
columnien von den Pinakes befreit und diese durch horizontale
DAS THEATER ZU PRIENE 311
Stäbe ersetzt, welche tiefe Spuren zurückgelassen haben. Das
mag geschehen sein, als man die Statuen eines gewissen, in
Priene oft geehrten Apollodoros und seines Schwiegersohnes
Thrasybulos vor dem Prosken ion aufstellte. Somit blieben von
da ab nur noch vier intercolumnien für herausnehmbare Pi-
nakes übrig, wofür sogar ein epigraphischer Beweis vorhan-
den ist. Denn auf der Rückseite der entsprechenden vier Pfeiler
liest man die vier Marken : A B r A.
In römischer Zeit hat man das Skenengebäude dadurch
verändert, dass man die Vordervvand des Oberstockes abriss
und etwa 2'" rückwärts eine Skenenwand mit den üblichen
Nischen, Aus- und Einsprüngen aufmauerte. Zur Unter-
stützung dieser Schmuckwand zog man der Länge nach durch
den Unterstock, der drei dicke Backsteingewölbe erhielt, eine
Bruchsteinmauer, die jedoch ebenfalls mit drei Thüren ver-
sehen wurde. In jener Zeit scheint man auch im Zuschauer-
raum, gegenüber der Bühne auf der fünften Sitzreihe, eine
etwa 4'" lange, löwenfüssige Marmorbank neu eingefügt zuha-
ben (vgl. die Zeichnung des Durchschnittes auf Taf. 1 1 links) ;
die Spuren späteren Einbaues sind wenigstens unverkennbar.
Eine wichtige Veränderung erfuhr noch das Proskenion. Wie-
derum mit Ausnahme der drei den Skenenthüren gegenüber-
liegenden Intercolumnien hat man alle Zwischenräume der
Frontstützen verschlossen, diesmal aber mit bemalten dünnen
Wänden aus Bruchstein und Mörtel. Im westlichsten Inter-
columnium ist ein solcher 'gemauerter Pinax. ' in der Höhe
eines halben Meters erhalten ; auf der dem Publicum zuge-
kehrten Seite zeigt er in bunten Farben auf gelbem Grunde
die Reste einer Flügelthür.
Die wichtigsten Ergebnisse der Aufdeckung des Theaters zu
Priene sind wol folgende: Es ist das erste Theater, in dem
sich ein Altar gefunden hat. Er steht nicht, wie man erwartet
hätte, in der Orchestra- Mitte, sondern seitab, in der Proe-
drie. Aus der Orchestra, die für Schaustellungen frei blieb,
schritt der amlirendc Priester, das Antlitz dem Zuschauerraum
zukehrend, heran.
312 TH. WIEfiAND
Nicht minder wichtig ist das bisher öfters bezweifelte hohe
Alter des steinernen Proskonions, seine gleichzeitige Entstellung
mit den übrigen Teilen des Theaters und seine vortreffliche,
alle Masse mit grösster Genauigkeit überliefernde Erhaltung.
Endlich ist der Umbau der griechischen in eine römische
Anlage von entschiedenem , durch Dörpfeld bereits hervor-
gehobenem Interesse (Athen. Milth. 1897 S. 4r.8). Die be-
kannte vitruvische Vorschrift, wonach die römische Bühne
nur 5 Fuss hoch sein solle, ist hier nicht befolgt, man hat
vielmehr auf einer fast doppelt so hohen Bühne gespielt,
da man es ohne Skrupel vorzog, die schöne, aus hellenisti-
scher Zeit vorhandene, allerdings vier Fuss höhere Anlage zu
benutzen, die nur oben erbreitertzu werden brauchte. Freilich
kamen dabei die im untersten Theaterraum sitzenden Zu-
schauer, und gerade die Ehrengäste der Proedrie , recht
schlecht weg, ein Übelstand, dem man wenigstens für die letz-
teren durch die Schaffung einer neuen Ehrenbank in der
fünften Beihe, in Augenhöhe der römischen Bühne, abhalf.
Wie sehr sich später die Aufmerksamkeit auf diese Bühne
richtete , beweist nichts deutlicher als die Verwandlung der
beweglichen Proskenion- Pinakes in nüchtern bemaltes, un-
beweo;liches Gemäuer.
Jedem Betrachter des Skenengebäudes in seiner jetzigen Ge-
stalt muss sich sofort die Frage aufdrängen: Warum errichtete
man die römische Bühnenwand nicht auf der Stelle, wo sich
die obere hellenistische Skenen- Vordervvand erhob, warum
rückte man sie vielmehr 2'" zurück, wodurch neue Funda-
mentiruno;en nötiü; vsurden? Der Grund ist klar. Trotz der
eingetretenen Vereinfachung der Spielweise fand man den
Raum über dem Proskenion zu schmal für eine allen Anfor-
derungen genügende ikihne.
Genügte aber in römischer Zeit die Proskenionbreite nicht,
so wäre sie in hellenistischer Zeit ebenfalls unzureichend für
eine ständige Bühne gewesen. Also befand sich damals der
gewöhnliche Spielplatz nicht dort oben. Es bleibt nur die Or-
chestra. Wäre es anders gewesen, so hätten die hellenistischen
I
I
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I nichh blossgeleghes
Terra i n
nichf blossgelegt^s
THEATER VON PLEURON
MAASSTAB 1200
i
DAS THEATER ZU PRIENE 313
Schauspieler, um bequem auftreten zu können, sieh entweder
nur im Oberstock aufhalten dürfen oder sie bätten, um empor
zu gelangen, durch die Ilintertbür der mittleren Skenenkam-
mer auf öffentlicher Strasse bis zur zwölfstufigen Aussentreppe
der westlichen Schmalseite eilen und von da erst den Spiel-
platz besteigen müssen, ein an Umständlicbkeit kaum zu über-
treffender Weg. Benutzten aber die Darsteller den Unterslock
nicht, — wozu dann noch die drei Thüren, und warinii ver-
sah man dann nicht auch die diesen drei Thüren entsprechen-
den Intercolumnien des Proskenions mit Pinakes? Sie sind
dort nicht nachzuweisen, und das beweist, dass man durch sie
in die Orchestra hinaustrat.
Priene 1898.
TM. WIEGAND.
•t^CiSßM"
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII.
21
DAS THEATER VON NEU- PLEURON
(Hierzu Tafel XH. XH-»)
Das Theater von Neu- Pleuron in Aetolien ist in letzter
Zeit von zwei verschiedenen Seiten einer Betrachtung unter-
zogen worden, welche denselhen autTallenden Thatbestand zu
ergeben schien: Woodhouse, der es in seinem Buche Äeto-
lia (Oxford 1897) S. 118 f. beschreibt, konstatirt , dass bei
der eeringen Breite des Raums zwischen den vorderen Stütz-
mauern des Zuschauerraums und der Stadtmauer, welche die
Skenenwand bildet, ein Proskenion nicht unterzubringen,
auch keine Spur eines solchen erhalten sei. Er schliesst da-
raus, dass entweder auf der Stadtmauer gespielt wurde oder
das Gebäude nicht skenischen Zwecken »edient habe, sondern
ein Buleuterion gewesen sei. Noack, der schon 1894 Pleuron
besuchte und die Ruinen aufnahm, hielt aus demselben Grunde
ein Proskenion für ausgeschlossen, von dem auch er nicht den
geringsten Überrest sah. Er schloss daraus, dass die Schau-
spieler direkt vor der Stadtmauer in der Orchestra gespielt
hätten. Die Fremdartigkeit eines solchen Grundrisses musste,
auch abgesehen von der Erklärung, welche man ihm geben moch-
te, den Wunsch nach genauerer Feststellung rege machen. Wir
erhielten deshalb vom archäologischen Institut in Athen den
Auftrag, diese Aufgabe zu übernehmen, und führten sie im
März dieses Jahres durch.
Die Stadt Neu- Pleuron (xä^Tpo Tvi; KuceipTivr,;;) liegt etwa
1 */2 Stunden nordwestlich von Messolongi auf Terrassen des
Zygosberges, des alten Arakynlhos, und ist noch von ihrem
ganzen Mauerring umgeben, während im Innern nur noch
Cisternen, Stützmauern für Gebäude und geringe Reste der
Agora vorhanden sind. Das ganze Stadtgebiet ist öder Fels-
Das theateh von neu-pleuron
315
grund. Eine von Herrn Noack freundlichst zur Verfügung ge-
stellte Skizze diene zur Veranschaulicliung der Lage.
Im Südwesten der Stadt, wo der Berg stetig ansteif^t. lie^t
das im Anscliluss an die Stadtmauer gebaute Theater. Wh-
fanden es im Allp;emeinen so vor, wie die l^esciireibunt'en an-
gaben. Gut erhallen waren die beiden Kcken der Stutzmauern,
die Sitzreihen waren im ganzen Halbrund noch wol erkenn-
bar, aber zum grossen Teil verschoben und lückeuhalt. Da-
gegen war die ganze Ürchestra mit den untersten Sitzreihen
316 R. HERZOG Und E. ZIEBARtH
sowie die Parodoi, d.h. der Raum zwischen den Stützmauern
des Zuschauerraums und der Stadtmauer. ansclieinend etwa 1'"
hoch mit den Trümmern der Architekturstücke bedeckt; alles
war mit Gestrüpp bewachsen und diente als Hürde und Stall
für die Ziegenherden. Nach der Reinigung sahen wir etwa
2"' vor der Stadtmauer in der Mitte zwei Stücke von roh be-
hauenen Ilalbsäulen der für Proskenien charakteristischen Form
aus dem Schutt hervorragend Wir begannen daher hier auf-
zuräumen und zugleich die untersten verschütteten Sitzreihen
und dieOrchestra wenio-stens in der Mitteso weit bloss zu leo;en,
dass der Plan des Theaters klar würde. Da es sich heraus-
stellte, dass ausser den Trümmern der Bauglieder nichts zu
finden war, beschränkten wir die Grabungen auf das Notwen-
digste. Was wir fanden, möge aus dem Plan (Taf. 12), den
beiden Ansichten der Stadtmauer und der Sitzstufen (Taf. 12 ;i)
und der folgenden Beschreibung hervorgehen.
Das Theater von Pleuron ist das kleinste in Griechenland
bekannte, steht aber dem von Oropos an Grösse nicht viel
nach ; an Ausstattung dagegen ist es bei weitem das geringste.
Als Skenenwand musste die in Rusticaquadern mit regel-
mässigen horizontalen, aber unregelmässigen verticalen Fu-
gen gebaute Stadtmauer bez. in der Mitte die Front eines Tur-
mes dienen (vgl. Taf. 12^ , 1), als einzige Thür der 1 ,05'" breite
Eingang im Erdgeschoss des Turmes. Dieser Turm ist, wie
Noack beobachtet hat, der einzige von den mehr als dreissig
Türmen der Stadtmauer, welcher im Erdgeschoss einen Ein-
gang von innen hat, woraus man auf die enge Verbindung des
Theaterbaues mit dem Stadtplan schliessen kann. Der Turm
diente statt der Skene als Garderobe der Schauspieler u.s. w.,
auf seine Thüre scheint das Theater, soweit es regelmässig
gebaut ist, orientirt zu sein.
In einer Entfernung von 1,85-2,35"' vorder Stadtmauer
liegt die Schwelle des Prosken ions, dessen Vorhandensein
' Von diesen hat aucii Bazincinc gesellen, der (Archivcs des miss. scicnl.
2. S(^r. I, 1864, S. 347) voui Innern des Tlicaters sagt: La senk Irace iVar^
cliitecture qu'on y lUcouvre est un lambour de pilastre rond taillc saus art.
XI i-^
lüdM^g^
DAS THEATER VON NEU-PLEURON 317
bezweifelt war. Die Halbsäulen, erhalten in drei vollständigen
Trommeln von 0,83, 0,97 und 1,20 (in zwei Teile zerbrochen)
Meter Länge und einer abgebrochenen, noch 0,71'" langen, be-
stehen aus demselben, am Ort anstehenden, grauen Kalkstein
wie die Stadtmauern und alle Gebäudereste. Die Rundung ist
rauh gelassen, wie beim Theater von Megalopolis, Kanneli-
rung nicht, wie dort, angearbeitet. Sonst ist derGrundriss ähn-
lich denen von Oropos. Es sollte offenbar die einfachste Form
entsprechend der Rusticamauer beibehalten werden. DerGrund-
riss eines Stücks des Proskenions ist hier wiedergegeben :
;--
- -1.59 —
— i
p o
'^^'\
/C^.
'/a2Ziav//z^i::..
. :. y/////////////y//zi///y//y////^. .
' S^/Z:7/Z.
Die einspringenden Ecken an der Hinterseite der Halbsäu-
len dienten zum Einsetzen der hölzernen Tcivst/tsc, deren Stelle
in unserer Skizze durch punktirte Linien und lichte Schraf-
firung angegeben ist. Dübellöcher wie in Oropos sind in die-
sen Ecken nicht, finden sich auch weder im Stylobat noch
an den Säulentrommeln, so dass eine Verwendung von Me-
tall zur Verankerung der Bauglieder am ganzen Bau nicht
zu konstatiren ist, wie auch bei der Stadtmauer und der Halle
an der Agora keine Klammern verwendet waren , sondern
nur Stemmlöcher für die Versetzung der Steine sich finden.
Während die Hinterkante des Stylobats ganz roh gelassen ist,
zieht sich etwa 0,05'" innerhalb, d. h. 1,90"' vor der Skenen-
wand , eine Linie hin, von der an nach vorn die Schwelle
sichtbar war. Die llalbsäulen standen nicht mehr an ihrer
Stelle, aber im Stylobat sind die Lehren eingearbeitet, welche
ihnen ihren Platz anweisen. An richtiger Stelle stand noch der
Unterteil des rechten Eckpfeilers, 0,9*2"' hoch, vorn beschädigt,
hinten links mit der Einarbeitung für den äussersten xiva; ver-
sehen.
Das Proskenion wurde nur soweit ausgegraben, dass die
Anlage klar wurde. Es muss, die beiden Anten eingeschlossen,
3IS
n. HEHZOC. UND E. ZIEHAHTII
eine Länge von 11,15"' ( Oropos 1*2, 33) gelia])t haben, an-
nähernd ei tsprecliend dem Durclimesser der Oi'chesti'a,init 7
Intereoluinnion (Oropos 9) von 1,30-1,33'" ( Axweite etwa
1 ,60"'). Es war also eingerichtet für 6 7:iva/t£(; und eine Mittel-
ihür mit 1,31™ lichter Weite, wie aus den Zapfenlöchern in
der Schwelle hervorgeht.
Diese Thür ist also um 0,^6"' breiter als die der Skene,
liegt aber nicht genau symmetrisch zu ihr, sondern ihre rechte
Kante schneidet mit der rechten der Turmthür ab.
Unter dem Stylobat liegt noch eine vorn sorglältig bear-
beitete Fundamentschicht, welche vielleicht wie beim Thealer
von Megalopolis die Schwelle eines hölzernen Proskenions
einer etwaigen früheren Bauperiode bildete. Die Vorderkante
des Proskenionstylobats ist 2,35"' von der Skene entfernt (in
Oropos nur 1,93), ebensoweit der rechte l^]ckpfeiler vom Ab-
schluss des Zuschauerraums (in Oropos rechts 3,5, links 4™).
Vom Oberbau des Proskenions fanden wir ausser Halbsäu-
len und Pfeilern mehrere Architravblöcke von derselben rohen
Bearbeitung wie die übrigen Bauglieder. Das wichtigste Stück
ist ein Thürsturz, der wol nur zur Mittellhür gehören kann,
obwol er nur 1,'£0"' lang ist, während die Axweite 1,59™ be-
trägt, und die Zapfenlöcher nur l,?!"', aussen gemessen, von
einander entfernt sind. Wir müssten demnach eine sich nach
oben um 0,10"' verjüngende Thür annehmen, und uns die
Zwickel zwischen den lotrechten Ilalbsäulen und dem kon-
vergirenden Thürpfosten durch llolzumrahmung ausgefüllt
denken. Die übrigen Architravblöcke, welche verschieden
lang erhalten sind, haben diese Form (von unten gesehen,
rechts willkürlich abgeschnitten):
Die Masse schwanken bei den einzelnen iiin Klciiiii'keiten.
DAS THEATER VON NEU • PLEUKON
319
Die Höhe der Blöcke beträgt etwa 0,31™, die Breite der obe-
ren Flache 0,36'", während die der unteren Fläche, welche
auf den Halbsäulen auflag, nur etwa 0,2G'" misst, was gerade
für die Masse der Halbsäulen jedoch ohne das eingezogene
Stück ausreicht. Wenn wir ein einfaches dorisches Kapitell für
die Halbsäulen annehmen dürfen, so muss dessen Echinus
und Abacus, wie es auch sonst stets der Fall ist, vorne über
den Architravblock herausgeragt haben. Unten wird dadurch
ein 0,10'" breiter, 0,03'" hoher Falz zum Einschieben der Triva-
xs? gewonnen. Alle diese Einrichtungen entsprechen in verein-
fachter Form denen vom Theater zu Oropos (vgl. den Auf-
riss bei Üörpfeld, Das griech. Theater S. 104).
In die abfifesch ragten Ecken der Architravblöcke passen,
wie vorstehende Zeichnung (Archilrav und Querbalken von
oben gesehen, aber nicht dicht zusammengerückt; der Ar-
chitrav rechts wieder abgeschnitten) erkennen lässt, genau die
steinernen Querbalken , welche von den Proskenionsäulen
zur Stadtmauer gelegt waren und für die wir eine Länge
von etwa 2,50 (einschliesslich des Autlagers) voraussetzen
müssen. Sie sind bei der Zerstörung abgebrochen und von
uns nur in drei vorderen Stücken von 1/14. 0.80 und 0.73'"
und einem kleinen Bruchstück mit der hinteren Fläche gefun-
den worden (vgl. die auf S. 3-20 wiedergegebene Oberansicht
des ganzen Gebälks)*. Ein solcher Balken ist auch gezeichnet
< DicOhcraiisiclildiM' llallisäiilcn und die innere Untoikanto des Archi-
Iravs sind darin pnnkliil ani;ei;elien, in i\^\\ danel)en gesel/len Dureh-
schnitlen des Arcliilravs und Querbalkens sind diese selbst doppelt, der
vorauszusetzende Holzboden des Proskenions einfaeb sebratVirt.
3-:o
H. HERZOG UND E. ZIEBARTH
in der wenis; zusiäni'liclien, von Woodhouse übersehenen ße-
Schreibung Neu-Pleurons von D.\L.Co\nd^j^\n, Journal of tour
in Acarnania. Front the Transactions of the Royal So-
DURGHSCHNITT
DURCH DEN ARGHITRAY:
DURCHSCHNITT
DURCH DIE QUERBALKEN ;
•; il
cieti/ of Literatiirc, new series VI 1 , 1 86 1 , S. 21 ff. (der Auf-
satz enthält eine genaue Beschreibung der Stadt mit Plänen
und Zeichnungen, behandelt aber das Theater ganz kurz und
bringt kein neues Material bei).
Diese Balken haben oben auf beiden Seiten einen 0,05-
0,06'" breiten und 0,04'" hohen Falz für den Bretterbelag von
Querbalken zu Querbalken, stark genug, um einem Schau-
spieler zu erlauben, auf dem Dach des Proskenions aufzutreten,
wenn er im oberen Stockwerk erscheinen musste.
Auch die Höhe des Proskenions kann annähernd berechnet
werden. Der Turm ist an der Vorderwand von der Tiiür-
schwelle an, welche in der Höhe der Proskenionschwelle und
der Orchestra liegt, '2,20™ hoch erhalten. Auf der obersten Lage
zeigen sich keine Einarbeitungen für das Auflager der Ouer-
balken, die aber auch nicht nötig waren, da die Querbalken
einfach als Binder in die Turm wand eingreifen konnten. So
erhalten wir als Mindesthöhe 2,20 + 0,31 (Höhe des Arclii-
travs und der Querbalken), d. h. 2,51'", genau wie beim Thea-
ter von Oropos. Wir müssen aber wol sicher darüber noch ein
Gesims von etwa 0,15-0,20'" Höhe annehmen, welches die
Eindeckung des Dachs vorn abschliessen musste, so dass wir
auf eine Gesamthöiie von etwa 2,05'" kommen. Die Säulenhöhe
wäre dann 2,20'".
Der Turm hatte ohne Zweifel ein zweites Geschoss, dessen
DAS THEATER VON NEU-PLEURON 321
Boden mit dem Oach des Proskenions in einer Ilölie lag, und
aus dem man durch eine der untern entspreciiende Tliür auf
das Dach des Proskenions heraustreten konnte. An den rechten
Eckpfeiler des Proskenions schliesst sich unmittelbar eine
sorgfältig gebaute, 0,50'" dicke Wand an, welche in einer
Höhe von 0,96'" erhalten ist. Sie wird wol auch die Höhe des
Proskenions mit Architrav erreicht haben. Diese Mauer ragte
noch vor der Ausgrabung mit der obersten Schicht etwas über
den Schutt hervor; daher ist es nicht unmöglich, dass Dod-
well wirklich noch mehr von ihr gesehen hat, wenn er {Pe-
lasgic reniains S. 17) sagt, es sei noch ein Teil der Pro-
skenionsmauer erhalten (ähnlich Pomardi, Viaggio 1,37:
che ancora conserva luia parte clella scena). Freilich die
dodwellsche Zeichnung des Theaters (a.a.O. Taf. 29) ist ein
reines Phantasiestück aus der Erinnerung, während seine übri-
gen Zeichnungen von der Stadt der Wirklichkeit mehr ent-
sprechen. Auch der oben erwähnte Golnaghi bemerkt (1861):
A wcdl^ tlic foundations of n'/iich can be faintly traced,
seenis to have separated t/ie stage froni tlic to^vn Kvall.
Die Mauer hat aussen eine Länge von 5,25'° und wird durch
zwei schmale Seilenmauern abgeschlossen, so dass ein innen-
raum von 4,30™ Län^e entsteht. Da die Eini];än":e, welche
zwischen diesen Querwänden und der Stadtmauer bleiben
(etwa 1,50'" breit), für die auf- und abtretenden Schauspie-
ler freigelassen werden mussten , so kann diese Fortsetzung
des Proskenions, die wir wol als Paraskenion bezeichnen
dürfen, nur eben zur Maskirung des Ab- und Zugehens und
etwa zur Aufbewahrung (Km* Hühnengeräte gedient haben.
Unter der Mitte des rechten Paraskenions führte ein mit
Steinplatten abgedeckter unterirdischer Kanal mit ziemlichem
Gefälle das Hegenwasser ab, das sich dann unter der Stadt-
mauer durch ins Freie erü;oss.
Die 0 rchestra ist in den Felsen eingehauen; da dieser aber
sanft abfällt, so ist das Niveau in der Nähe des Proskenions
tiefer und unregelmässig, was jeilenfalls durch festgestampfte
Erde ausgeglichen wurde. Vor der untersten Zuschauerreihe
322 R. HERZOG UND E. ZIEBARTH
läuft in der Mitte eine 0,40'" breite, 0,13'" liolic, aus dem Fel-
sen gehauene Schwelle, welche aber an der rechten Ecke nicht
vorhanden war. Es scheint auch, dass der Baumeister nicht
diese Scliwelle, sondern die untere Kante der vordersten Reihe
als Peripherie des Orchestrakreises genommen hat. Denn die-
ser Kreis mit einem Durchmesser von etwa 11,50'° (Oropos
12.40'") tangirt die Thür des Turmes gerade in ihrem Mittel-
punkt. Der vordere Halbkreis der Orchestra schneidet in den
seitlichen Treppen des Zuschauerraums ab.
Die Stützmauern des Theaters, bis 3,50™ hoch (an der
Südecke) erhalten, sind in schönen Busticaquadern , regel-
mässiger als die Stadtmauer, aufgeführt. Die Parodosmauern
sind nicht ganz parallel zur Stadtmauer. Die rechte, 8,00™
lange, ist an der südlichen Ecke 4,50, am Abschluss 4,75'"
von ihr entfernt, die linke an der nördlichen Ecke 4,00'"; nach
6,70"" (so weit ist sie erhalten) 4,?0'". Diese auf der ver-
schiedenen Entfernuno; der Parodosecken von der Stadtmauer
beruhende Unregelmässigkeit war wol durch die Rücksicht
auf den Felsen, aus dem das Theatron herausgeschnitten
wurde, veranlasst, hat übrigens in Oropos ein Gegenstück.
in jeder Parodos fand sich ein Architekturstück in Form
eines Bogensegments. ihre Grösse und der aus ihnen berech-
nete Durchmesser der Lichlweite (rechts 2,23, links 1,76'")
macht es wahrscheinlich, dass sie zu zwei den Eingang der
Parodoi bis an die Paraskenien überwölbenden Bögen ge-
hörten.
Von den Sitzreiiien (vgl. Taf. 12a ,2)'sind die drei unter-
sten aus dem Felsen gehauen, die höheren zum Teil ausgehauen,
zum Teil aufgesetzt. In der Mitte sind sie bis zurXI. erhalten,
nur die V. und VI. etwas abgerutscht. Nach der XI. müssen
noch vier Reihen ergänzt werden, so dass 15 herauskommen bis
zu der aus kleineren Mauersteinen aufgeführten runden Ab-
schlussmauer, von der in der Nähe der Mitte noch ein Stück er-
halten ist (auf der Abbildung Taf. 12» ,2 zu erkennen). Die
Silzstufen sind 0,80'" tief. 0,40'" hoch. Treppen waren wie es
scheint nur auf beiden Seiten, direkt an die 0,48'" starke Stütz-
DAS THEATüH VON NEÜ-PLEUUON 3'23
mauer anschliessend, 0,48'" breit, die Stufen 0,50™ hoch. Der
Anfang der rechten Treppe wurde freigelegt die linke ist trotz
der Verrückung der Reihen gut zu erkennen, in der Mitte war
keine Treppe. Von der Proedria wurde nur ein bevorzugter
Sitz gefunden. Er ist in der untersten Reihe, nicht ganz in
der Mitte, doch scheinen rechts und links von ihm keine wei-
teren gewesen zu sein. Die anschliessende Bank zeigt in roher
Ausführung das übliclie Profil (vgl. Taf. 12a, 2).
Auf den aus dem Felsen gehauenen besonderen Sitz, der durch
eine Eintiefung ausgezeichnet ist, war eine nahezu quadratische
Platte aufgelegt, mit derselben Eintiefung wie der untere
Teil des Sitzes und durch zwei Dübel mit ihm verbunden.
Sie befand sich nicht mehr an ihrer Stelle, ihr Platz ist aber
durch die Dübellöcher und ihre Übereinstimmung mit dem un-
teren Teil gesichert. Rechts hatdiePlatteeine Einarbeitung wie
zur Anfügung einer weiteren, von der sich aber keine Spur
gefunden hat. Die Platte ist ganz glatt bearbeitet, das Material
ist ein feinerer Kalkstein.
Zur Veranschaulichung der Bauart mögen die Abbildungen
auf Taf. 12a dienen, nach Photographien, welche Herr 0.
Rubensohn auf einer Reise durch Aetolien mitgrösster Freund-
lichkeit als Ersatz für unsere misslungenen aufnahm, wie wir
ihm auch die Riclitigstellung einiger vergessenen oder un-
sicheren Masse verdanken.
So stellt sich uns das Gesamtbild des Theaters, zu dem wir
noch die sich nach Westen auf die Eagunen von Messolongi,
die Inseln Kephallenia und Zante und die Rüste von Patras
mit dem sehneeigen Erymanthos im Hintergrund ölTnende Aus-
sicht hinzunehmen können, als ein bescheidenes Werk dar,
das mit dem geringsten möglichen Aufwand an Arbeit, Mate-
rial und Ausstattung ausgeführt wurde. Dass es wie alle übri-
gen Reste der Stadt in einem Zuge und zwar im Anschluss
an die Stadtbefestigung gebaut wurde, zeigt die Bauart und
namentlich der Bauplan. Dies ist insofern nicht unwichtig,
als wir dadurch ein ziemlich festes Datum für diesen, anderen
hellenistischen Theatern so ähnlichen Bau hätten. Die Sladt
324 n. HERZOG UND E. ZIEHAHTH
Neu-Pleuron, die seit I^eake allgemein [mit den Ruinen von
Kyra-Irini identifizirt wird, wurde um 234, d. h. nach der
Plünderung der in der Ebene gelegenen Stadt Pleuron durch
Demetrios Aitolikos auf dem Bergabhang aufgebaut ( Strabo
X, 2 p. 451 : ej^si Se xal v) Alxw^ia opo; ... tÖv 'Apiic'jvOov, Trspi
ov TY)v v6(0T£pav IlXsupcöva <7uv(p)ti(jav, acpevxe? tyiv Tralaiotv dyyu;
X6i(/.evYiv Ka>.uSüJvo; oi oix,y)Tope;, £'j>cap7rov oücav x.ai TCsoiÄoa, Tcop-
öouvTO; TTiv ywpav Ayi[AY)rpiou tou STuuXTjOevTO? AiTcoXtxou. Droy-
sen, Hellenismus 2 111, 2 S. 35-38). So darf wol der Bau des
Theaters in den Anfang des letzten Drittels des III. Jahrhun-
derts gesetzt werden.
Kleinfunde und Inschriften haben die Ausgrabungen leider
nicht zu Tage gefördert und so fehlt noch der bindende di-
plomatische Beweis für die überzeugende Gleichsetzung von
Neu-Pleuron mit Kyra-Irini. Auch scheint wenig IIotYnung
zu sein,dass unsere Kenntniss des Stadt jemals durch Inschrif-
ten und andere Funde weiter gefördert werde. Der Oberbau
der Gebäude ist überall systematisch als Baumaterial abgeführt,
in den erhaltenen Besten hat sich nur eine ganz schwache
Humusdecke gebildet, welche wol keine Schätze mehr in sich
birgt. Die sauber profilirten Basen von Statuen auf der Agora
tragen keine Inschrift, ebensowenig der schmucklose Archi-
trav des Proskenions und die Sitze des Theaters. Keine Ehren-
statue, keine Didaskalie- oder Choregie-Inschrift meldet uns
von den Spielen, welche das Theater gesehen hat. VAno Ver-
mutung möge hier ausgesprochen werden, wenn sie auch
wenig positiven Wert hat. Der einzige Dichter von Buf,den das
rauhe Aetolien hervorgebracht hat,AIe\anderAetolus, stammte
aus dem alten Pleuron. Er wurde zur tragischen Pleias ge-
zählt und machte in der ersten Hälfte des III. Jahrhunderts
seiner Vaterstadt Ehre am ägyptischen und makedonischen
Hofe. Von seiner dramatischen Thäligkeit ist nur der Titel
eines Stücks 'A<jTpaya>.i(jTal auf uns gekommen. Aber immer-
hin mögen seine Mitbürger auch in ihrem neuen Wohnsitz
mit Stolz seine Dramen aufgeführt und mit seinem Standbild
ihr Theater geschmückt haben. Die Vermutung von Wood-
DAS THEATER VON NEU-PLEUROK 325
house, dass unser Bau nur ein Buleuterion gewesen sei, kön-
nen wir auch nacli der besseren Erkenntniss insofern gelten
lassen, als das Theater sicher auch als Raum für die Volks-
versammlungen oder die Ratssitzungen gedient hat. Das ein-
zige grössere öffentliche Gebäude, das noch im Grundriss er-
halten ist, eignete sich nicht dafür. Es ist die an der Agora
gelegene sehr lange und schmale Halle (62,5 zu 11'°), auf den
Seiten und hinten mit geschlossenen Wänden, einer Säulen-
stellung vorn und in der Mitte und einem kleinen erkerartigen
Ausbau. Wir haben dieses und andere Gebäude an der Agora
durch eine kleine Versuchsgrabung erforscht und aufge-
nommen. Da aber Neu- Pleuron von Noack noch einer gründ-
lichen Untersuchung unterzogen werden wird, so halten wir
eine Wiedergabe des Materials von unserer Seite an diesem
Ort für überflüssig.
Athen, im Juni 1898.
R. HERZOG. E. ZIEBARTH.
*<>''y^^^°<^
DAS GRIECHISCHE THEATER VITRUVS
11.
Die neue Erklärung des theatr^um Grnecorum Vitruvs, die
ich im vorigen Jahrgänge dieser Zeitschrift (1897 S. 439)
verölTentlicht habe, ist von den Fachgelehrten in sehr ver-
schiedener Weise beurteilt worden. Während die Einen in ihr
einen Fortschritt in unserer Erkenntniss des griechischen Thea-
ters sehen und mit mir glauben, dass durch sie auch das letzte,
meiner Theorie von der Bühnenlosigkeit des eigentlichen grie-
chischen Theaters im Wege stehende Hinderniss beseitigt ist,
halten Andere sie für verfehlt, glauben noch jetzt, dass das
hellenistische Theater eine hohe und schmale Bühne für die
Schauspieler gehabt habe, und behaupten sogar, dass durch die
neue lu'klärung meine ganze Theorie ins Wanken geraten sei.
Zu den letzteren gehört in erster Linie E. Bethe, der neuer-
dings im Hermes (XXXIIl S. 313ff.) einen Aufsatz über das
griechische Theater Vitruvs verölTentlicht hat.
Diese entü;eo;en gesetzten Urteile und namentlich die Arbeit
Co D
von E. Bethe veranlassen mich, hier nochmals zu demselben
Thema des Wort zu ergreifen. Ich habe einerseits einige Miss-
versländnisse aufzuklären und mehrere irrtümliche Behauptun-
gen zurückzuweisen, andererseits aber auch einige neue Ar-
gumente beizubringen und meine Erklärung in einzelnen
Punkten weiter auszuführen.
Nach der Ansicht Bethes ist der Streit über die Entwicke-
lung des griechischen Fhealers durch meinen ersten Aufsatz
in eine neue Phase getreten: ' l)öri)(eld hat einen Stützpunkt
seiner alten Stellung geräumt' (a a.ü. S. 313). Da ich über-
zeugt war und auch jetzt noch bin, dass durch meine neue
Theorie liber Vitruv der einzige schwache Punkt meiner
Das griechische theateh vitruvs 327
Stellung, der selbstverständlich keiner ihrer Stützpunkte war,
verstärkt worden ist, so ist mir eine solche Beurteilung ganz
unerklärlich. Meine Angriffsstellung gegenüber der alten
Bühnentheorie ist doch unbedingt durch die Möglichkeit, den
vitruvischen Widerspruch fortzuschaffen, fester und gesicher-
ter geworden.
Solange ich mit Bethc und den anderen Forschern von der
Voraussetzung ausging, dassjVitruv unter dem theatruniGrae-
coriini das hellenistische Theater Griechenlands verstehe ,
widersprachen seine Vorschriften in einem wichtigen Punkte
der von mir oft dargelegten Theorie, dass im griechischen
Theater der Spielplatz zu allen Zeiten vor dem Proskenion in
der Orchestra gelegen habe. In jenem Aufsatze suchte ich nun
nachzuweisen, dass diese Voraussetzung; nicht berechtigt sei.
ich erinnerte nämlich an die nicht genügend beachtete That-
sache,dass es in der Zeit Vitruvs neben dem römischen Theater
noch zwei verschieiiene Theaterarten gegeben hat, die beide
im Gegensatz zu jenem als thealrum Graecoruni bezeichnet
werden durften, nämlich erstens die hellenistischen Theater
Griechenlands und Ivleinasiens, wie die Bauwerke von Epi-
dauros, Eretria, Delos und Priene, und zweitens die späteren
Theater Kleinasiens, also Bauwerke wie die Theater von Ter-
messos und Aspendos oder die umgebauten Theater von Priene,
Ephesos und Magnesia. In meinem Buche über das griechi-
sche Theater hatte ich den letzteren Typus lediglich als l n-
terart des römischen Theaters betrachtet , weil er in wesent-
lichen Punkten mit diesem übereinstimmt. Es wäre aber rich-
tiger gewesen, in ihm einen besonderen Typus zu sehen, der
in der Mitte steht zwischen dem römischen und dem helle-
nistischen Theater. Denn mit beiden Arten hat er manche
Eigentümlichkeiten gemein. Sind doch mehrere dieser Theater
Kleinasiens durch kleine Veränderunij;en aus liellenistisehen
Theatern entstanden. Auch hätte nicht übersehen werden dür-
fen, dass schon Schönborn (Die Skene der Hellenen) in den
jüngeren kleinasiatisclien Theatern, wie z.B. in dem von Aspen-
dos, den griechischen Typus Vitruvs erkannte. Die äUeren
3-?8 W. DOERPFELD
hellenistischen Theater Kleinasiens waren damals noch un-
hekannt.
Da sowol die hellenistischen Theater Griechenlands und
Kleinasiens wie auch die etwas jüngeren, hauptsächlich in
Kleinasien vorkommenden Theater, die wir kurz kleinasiati-
sche nennen, von Vitruv als 'griechische' hezeichnet werden
konnten, so Hess sich nicht ohne Weiteres sagen, welchen der
beiden Typen der römische Architekt unter dem theatriun
Graecorum gemeint habe. Eine Entscheidung konnte auf ei-
nem doppelten Wege herbeigeführt werden, einmal durch eine
genaue Vergleichung der von Vitruv für sein griechisches Thea-
ter gegebenen Regeln mit den Eigentümlichkeiten der beiden
Typen, und sodann durch eine Untersuchung über die zur
Zeit Vitruvs in Rom bestehenden Theaterarten. Denn von
vorne herein war es mindestens wahrscheinlich, dass Vitruv,
indem er Vorschriften zur Ausführung von Bauwerken gab,
nicht nur unter dem lateinischen, sondern auch unter dem
griechischen Theater einen in Rom üblichen, von dem ein-
heimischen Theater abweichenden Typus verstand. Wie jene
Entscheidung aber auch ausfallen mochte, auf keinen Fall war
es noch gestattet, ohne Weiteres vorauszusetzen oder sogar als
feststehende, keines Beweises bedürfende Thatsache hinzu-
stellen, dass Vitruv mit dem theatriun Graecorum nur den
einen der beiden griechischen Typen, nämlich das hellenisti-
sche Proskenion-Theater gemeint haben könne.
Eine Vergleichung der vitruvischen Vorschriften über das
theatriun Graecorum mit den l^]inrichtungen des 'hellenisti-
schen' Theaters einerseits und des 'kleinasiatischen' andrer-
seits führte mich zu dem Resultate, dass letzteres diesen Re-
geln und Angaben besser entspreche als ersteres,und also auch
grösseren Anspruch darauf habe, das theatriun Graecorum
Vitruvs zu sein. Das spätere Theater Kleinasiens bot vor Allem
den grossen Vorzug, dass es auch in jenem wichtigen Punkte,
in dem Vitruvs Aussage mit dem hellenistischen Theater nicht
in Einklang zu bringen war, nämlich in dem Vorhandensein
einer hohen Bühne für die Schauspieler, seinen Regeln unzwei-
r)AS GRIECHISCHE THEATEIi VITRUVS 329
felhaft und vüllkoinmen entsprach. In allen Theatern, welche
etwa von der Zeit Vitruvs an in Kleinasien j^ebaut worden sind,
gab es thatsächlich eine hohe Bühne als Spielplatz der Schau-
spieler; im griechischen Theater der hellenistischen Zeit konnte
dagegen aus vielen Gründen eine solche Bühne nicht bestan-
den haben.
Ferner konnte ich zeigen, dass es zu Vitruvs Zeit in Rom
zwei verschiedene Theaterarten gab. Der von Pompejus in
Rom errichtete Bau hatte nachweisbar einen von dem ein-
heimischen, lateinischen Theater abweichenden Typus. Denn
nicht nur hatte Pompejus, wie Plutarch (Pompejus 4-2) über-
liefert, seinen Neubau von einem griechischen Architekten
nach dem Vorbilde des Theaters in Mytilene errichten lassen,
sondern das Pompejus-Tbeater wurde auch, wie wir aus an-
deren Quellen wissen, zu thymelischen Spielen benutzt, also
gerade zu solchen Spielen, von denen auch Vitruv bei seinem
theatriun Graecorum spricht. Das Pompejus-Tbeater zeigte
demnach entweder den hellenistischen oder den kleinasiaU-
schen, jedenfalls einen aus Griechenland stammenden Typus.
ich zögerte nicht und zögere auch jetzt nicht, mich auch
hier für den kleinasiatischen Typus zu entscheiden, nicht nur
weil er den Vorschriften Vitruvs besser entspricht, sondern
vor Allem weil die grosse und fast allgemeine Verbreitung,
welche dieser Typus in römischer Zeit in Kleinasien gefunden
hat, sich besser erklärt, wenn auch das Pompejus-Tbeater in
Rom einen solchen Typus hatte. Dass seit der Zeit des Kai-
sers Augustus noch irgend wo hellenistische Theater gebaut
worden sind, ist nicht bekannt; alle die vielen Theaterbauton,
welche nach Pompejus in Italien, Griechenland oder Kl.in-
asien entstanden sind, zeigen entweder den römischen oder
den kleinasiatischen Typus. Finden wir nun bei Vitruv Vor-
schriften über zwei verschiedene Theaterarien, die gerade zu
der Einrichtung dieser beiden Typen vorzüglich passen, so sind
wir doch zu der Annahme berechtigt oder sogar verpflirhlet.
dass der römische Architekt unter dem tlwdtrmn laiinum
das gewöhnliche römische Theater verstehe, w\\\\ unter dem
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 22
31^0 W. DOKUPFEl.D
t/wdlruni Graccorum das 'kleinasiatisclie' Theater, also den
Typus, der zu seiner Zeit in Griechenland und Kleinasien ge-
baut wurde. Ob er das in diesen LiindiM'n IVülier aligemein
übliche Theater, nämlich den hellenistischen Typus, überhaupt
nicht kannte oder nur nicht erwähnte, brauchen wir niclit
zu entscheiden.
Konnte ich es so zum Mindesten walirscheinlicii machen,
dass Vitruv das kleinasiatische Theater im Gegensatz zu dem
italischen als das 2;riechische bezeichnet hat, und dass ein
Theater dieses Typus sogar in Rom selbst bestand, so ver-
mochte ich allerdings über die Entstehung des Typus nur Ver-
mutungen auszusprechen. Ich liess es unentschieden, ob der
Architekt des Pompejus den schon fertigen Typus in Mytilene
vorgefunden und nur nach Kom verpflanzt habe, oder ob er ihn
durch eine Verbindung des hellenistischen Theaters von My-
tilene und des in Rom üblichen Bühnentheaters neu gebildet
habe. Jetzt bin ich geneigt, der letzteren Möglichkeit den Vor-
zug zu geben. Denn abgesehen davon, dass die Entstehung
des kleinasiatischen Theaters kaum anders erklärt werden
kann als durch die Vereinigung des bühnenlosen griechisch-
hellenistischen Theaters und des römischen Bühnen-Theaters,
weist schon das Alter der kleinasiatischen Bauten auf das er-
ste vorchristliche Jahrhundert als Entstehungszeit hin. Das
Theater von Termessos reicht mindestens bis zur Zeit des Au-
gustus hinauf; in Athen ist wahrscheinlich unter Nero der
kleinasiatische Typus eingeführt worden ; in Kleinasien sind
viele ursprünglich hellenistische Theater, wie z. B. die von
Priene, Magnesia, Tralles, l^]phesos und Pergamon erst in rö-
mischer Zeit zu Bühnentheatern umgebaut worden.
Wird mir aber auch nur die Möglichkeit zugestanden, dass
in Rom ein 'kleinasiatisches' Theater bestand, und dass Vi-
truv mit seinem gricchischenThealer einen solchen Bau meinte,
so brauche ich die Angaben Vitruvs nicht länger als Zeugniss
gegen meine Erklärung des hellenistischen Theaters gelten zu
lassen. Denn dieses letztere Theater selbst und was wir über
seinen Zusammenhang mit dem altgriechischen Theater wissen,
DAS GRIECHISCHE THEATER VITHL'VS 331
spricht zu deutlich i^onjen fJas Vorhandensein einererhöliten,
für die skenischen Aufführungen hestimniten Huhne, als dass
ein in verschiedener Weise deutbares Zeugniss noch entschei-
denden Wert für ihr Vorhandensein beanspruchen könnle.
Im V. Jalirhundort liatte das griechische Theater, wie jetzt
fast aligemein zugegeben wird und auch Ikthe anerkennt,
keine Bühne; die Orchestra war der Spielplatz für Chor und
Schauspieler, und neben ihr erhob sich die Skene als Hinter-
grund des S[)iels. Es liegt gar keine Veranlassimg vor, für
die beiden folgenden Jahrhunderte, in denen noch vielfach
die älteren Stücke mit ihrem Chor aufgeführt wurden eine
vollständige Änderung des Spielplatzes und der Skene anzu-
nehmen. In den ältesten erhaltenen Theatergebäuden, z. li.
in dem lykurgischen Theater zu Athen, in dem polykletischen
von Epidauros, in den Bauten von Eretria, Üelos und Priene.
deren Entstehung bis ins IV. und 111. Jahrhundert liinuul-
reicht, finden wir noch immer den alten kreisrunden Spiel-
platz und neben ihm an derselben Stelle, wo ^vir fürs \'. Jahr-
hundert die hölzerne Skene anzunehmen hatten, einen durch-
schnittlich 3'" hohen Säulenbau mit hölzernen Pinakes in den
Intercolumnien und dahinter einen grösseren Saal oder ein-
zelne Zimmer. Wir sehen also Bauten vor uns, die oflenbar
in ihrer Gestalt und Einrichtung eine directo Nachbildung der
alten hölzernen Skene und ihrer Dekoration sind. Was be-
rechtigt uns nun, diesen Säulenbau, für den der Name Pro-
skenion urkundlich gesichert ist, trotz seines iSamens, trotz
seiner für eine Bühne ganz unpassenden Abmessungen, trotz
seiner architektonischen Ausstattung und trotz seiner Luge
neben dem alten Spielplatz für eine Bühne zu erklären, ihn
für ein Podium zu halten, auf dem vom IV. oder III. Jahr-
hundert an die Schauspieler regelmässig gespielt haben sollen.'
Wenn uns nicht sichere Nachrichten und ununislössliche Ar-
gumente beigebracht werden, müssen wir einer solchen Hypo-
these entschieden widersprechen.
Gleichwol hat diese Theorie nicht nur früher N'ertreter ge-
funden, sondern wird auch jetzt noch \on Bethe energisch
332 W. doerPfelO
verteidigt. Und welche Argumente werden beigebracht? Es
war bisher fast ausschliesslich die Nachricht des Vitruv über
das Logeion des theatriim Graecorum , auf die man sich
stützte: ' Das Zeugniss Vitruvs*, so sagte Bethe (Gölt. gel.
Anz. 1897 S. 710) genügt allein und vollkommen für
jeden philologisch Geschulten', um es 'als eine abso-
lut feststehende Thatsache zu betrachten', 'dass das
hohe schmale Prosken ion die Bühne war'. Daneben
wurden dann noch einige andere Zeugnisse für eine Bühne
angeführt, die früher nur als Nebenargumente galten, jetzt
aber selbständige Beweiskraft haben sollen. Betrachten wir
zunächst das Hauptargument, die Angabe Vitruvs.
ich bin stets überzeugt gewesen, dass sich irgend ein Weg
finden lassen müsse, um das Zeugniss des Vitruv über die
Bühne seines tlieatriun Graecorum für das altgriechische und
hellenistische Theater zu entkräften. Nur über die Art und
Richtung des einzuschlagenden Weges habe ich geschwankt.
Die Entwicklungsgeschichte des Theaters , wie ich sie auf
S. 3(33 unseres Buches über das griechische Theater kurz ge-
schildert habe, redete eine zu deutliche Sprache; sie zeigte
mir klar, dass die Forschung sich auf einem falschen Wege
befinde. Das hellenistische Theater, wie man es sich nach Vi-
truv denken musste, nämlich mit einer hohen schmalen l^ühne
als Spielplatz der Schauspieler, war mit dem bühnenlosen
1'heater des V. Jahrhunderts nicht in Einklane zu bringen.
Bethes Versuch, eine Entwicklungsreihe herzustellen, indem
er die Entstehung einer niedrigen Bühne am Ende des V.
Jahrhunderts und dann ein schnelles Wachsen derselben über
das zulässige Mass von etwa 1 ,50'" hinaus bis zur Höhe von
3'" im III. Jahrhundert annahm, war nicht nur an und für
sich wenig glaubwürdig, sondern befand sich auch nicht ein-
mal in Übereinstimmung mit den erhaltenen Monumenten.
\'on irgend einer Zwischenstufe zwischen dem alten Spiel-
platze in der bühnenlosen Orchestra und der vermeintlichen
3™ hohen Bühne ist in ^Xi^w Theaterbauten Griechenlands auch
nicht die geringste Spur erhallen.
DAS ftRIECHISCHE THEATEH VITRUVS 333
Ich glaubte nun durch meinen ersten Aufsatz über das grie-
chisclie Theater Vitruvs den richtigen Weg aus dem Irrgarten
gefunden zu haben. Indem icli die Wahrscheinlichkeit oder
zum Mindesten die Möglichkeit nachwies, dass Vitruv von ei-
nem anderen griechischen Theatertypus als dem hellenisti-
schen Proskeniontlieater spreche , hatte ich dem Zeugnisse
Vitruvs seine Bedeutung für das hellenistische Theater ge-
nommen.
Ist mir dieser Nachweis gelungen? Bethe behauptet zu-
nächst (Hermes XXXI II S. 317), ich hätte beweisen müssen, dass
Vitruv das hellenistische Theater nicht beschreiben könne.
Dass er mir damit einen Beweis zuschiebt, den ich gar nicht zu
führen brauche, liegt nach dem Gesagten auf der Hand. Umge-
kehrt hätte vielmehr Bethe beweissen müssen, dass Vitruv von
dem kleinasiatischen Theater nicht sprechen könne, weil al-
lein schon die Möglichkeit meiner Auffassung genügt, um das
Zeugniss des Vitruv gegen meine Theorie zu entkräften. Einen
solchen Beweis kann er aber nicht führen. Er macht viel-
mehr selbst das wertvolle Zugeständniss (S. 316 unten):
'Dörpfeld hat unwiderleglich gezeigt, dass der kleinasialische
Theatertypus mehr dem griechischen als dem lateinischen
Theaterschema Vitruvs entspreche'.
Passt somit, wie Bethe zugiebt, sowol der hellenistische wie
auch der kleinasiatische Typus wenigstens einigermassen zu
dem griechischen Schema Vitruvs, so entsteht die wichtige
Frage: Welcher von beiden passt besser? Hat Bethe Hecht,
wenn er (S. 317 unten) versichert: 'Ich sehe nicht einen ein-
zigen Punkt, in dem sich der kleinasiatische Typus genau
Vitruvs Regeln fügte, nicht einen einzigen, in dem er mit Vi-
truvs Schema besser übereinstimmte als der hellenistische' ?
Oder habe ich Recht, wenn ich behaupte, dass der kleinasia-
tische Typus besser passt?
Bevor ich auf iMuzolheiten eingehe, welche diese Frage
allein entscheiden kiuinen, muss ich zunächst im Allgemeinen
darauf hinweisen, dass wir gar nicht berechtigt sind, eine ge-
naue und volle Übereinstimmung zwischen den zulällig er-
3:^4 W. DOERPFELD
haltpnen Theatorriiinen und dem Schema Vitruvs zu erwarten.
^^>der die hellenistischen, noch die kleinasiatischen Theater,
welche uns bekannt sind. stimmen unter si(;li vöilii!; üherein und
können daher unmöglich je einem einzigen Schema genau ent-
sprechen. \''itruv will mit seinen Vorschriften auch keineswegs
ein Durchschnittslheater eines bestimmten Typus geben, son-
dern beschreibt von jedem Typus ein Theater, wie er es bauen
würde und wieeres für das beste hält. Sein lateinisches Sche-
ma stimmt, wie genugsam bekannt ist, mit keinem der erhal-
tenen römischen Theater genau überein. Wie dürfen wir da
bei seinem griechischen Theater eine volle Übereinstimmung
erwarten? Kleine DitYerenzen zwischen den Ruinen und dem
Schema Vitruvs wird es naturgemäss auch hier geben, und
sie werden besonders bei den Abmessungen der einzelnen
Teile, bei der Zahl der Sitzreihen und Treppen und bei den
I']inzelheiten des Skeneni>ebäudes hervortreten, nämlich bei
allen den Dingen, in denen die erhaltenen Theater unter sich
verschieden sind. Übereinstimmung müssen wir dagegen er-
warten bei der allgemeinen Anordnung des Theaters und bei
dem Namen, dem Zweck und dem gegenseitigen Verhältniss
der llauptteile. Und thalsächlich linden wir in diesen Punkten
auch eine volle Übereinstimmung zwischen dem kleinasiati-
schen Theater und dem griechischen Theater Vitruvs, eine
bessere, als sie zwischen diesem und dem hellenistischen Thea-
ter besteht.
Um dies zu beweisen, vergleichen wir die Vorschriften Vi-
truvs für sein theatrnni Graecoruni mit dem kleinasiatischen
Theater einerseits und dem hellenistischen andrerseits:
1) Der Zuschauerraum und dem entsprechend auch die Or-
cheslra sind beim thcatrum Graecoriiin grösser als ein Halb-
kreis, machen aber keinen vollen Kreis aus. Erst Orchestra
und Bühne zusammen bilden nach N'ilruv einen ganzen Kreis,
dessen Tangente die frans scacnac ist. Im Gegensatze zum
gewöhnlichen römischen Theater, bei dem die Orchestra nur
einen Halbkreis umfasst, entsprechen die kleinasiatischen
Theater dfi' röinisidicn Zeit dieser Vursrhiill vorzüglich ; die
DAS GRIECHISCHE THEATER VITRUVS 335
Orcliestra isl immer grösser als ein Halbkreis und mit der
Bühne zusammen bildet sie anniihernd einen Kreis. Beim hel-
lenistischen Theater ist diese Übereinstimmung nicht eben so
gross; sie wird erst erreicht, wenn wir nicht nur die eigent-
liche Orchestra,von der Vitruv doch spricht, ins Auge fassen,
sondern den Wassercanal und den Umgang für das Publicum
zur Orchestra hinzurechnen. In Epidauros bildet die eigent-
liche Orchestra schon ohne die vermeintliche Bühne einen
vollen Kreis und in Athen und im Piräus liegt die Vorder-
kante des Proskenion sogar um mehrere xMeter ausserhalb des
Kreises. Hätte Vitruv ein hellenistisches Theater wie das von
Epidauros beschrieben, so hätte er nicht versäumen dürfen zu
sagen, dass die Orchestra einen ganzen Kreis bilde.
2) Neben der grösseren Orchestra soll nach Vitruv auch die
schmalere Bühne [pulpitum minore latitudine) ein charakte-
ristisches Merkmal des griechischen Theaters sein. Das klein-
asiatische Theater unterscheidet sich in der That dadurch vom
römischen, dass seine Bühne um ebenso viel schmaler, wie
seine Orchestra grösser ist. Da die Bühne nur für die skeni-
schen AufTührungen diente, durfte sie schmaler als die römi-
sche gemacht werden, auf der alle AutTührungen stattfanden.
Wie sehr man beim kleinasiatischen Theater bestrebt war, die
Bühne trotz der "rrossen Orchestra und trotz des notwendigen
Zuganges zur Orchestra möglichst nahe an die Zuschauer he-
ran zu rücken, ergiebt sich aus dem Theater von Termessos, bei
dem die Vorderkante der Bühne eine gebrochene Linie bildete,
und die Bühnentiefe also in der Mitte grösser war als an den
beiden Enden. Wie weil dagegen im hellenistischen Theater
das Proskenion, die vermeintliche Bühne, von dem Zuschauer-
raum entfernt sein konnte, zeigen Beispiele wie die Theater
von Athen und Piiäus aufs Deutlichste. Dieser Thatsache nv-
genüber ist es ohne jede Bedeutung, dass die ^virkliche Tiefe
des hellenislischen Proskenion etwas geringer ist als die Tiefe
der kleinasiatischen Biihne und demnach etwas besser zu der
Vorschrift \'itiii\s iibcr die Tiefe seines griechischen Logeion
passl. Denn auch in den ciliallciitMi riiniisclicn Thcalern stimmt
336 W. DOERPFELD
die wirkliche Tiefe der Bühne nur in wenigen Fällen genau
zu der Angabe Vitruvs über die Tiefe der lateinischen Bühne.
3) Die Höhe der Bühne soll nach Vitruv im theatrum
Graecorum 10 bis 12 Fuss betragen, im theatrum latiiium
niemals 5 Fuss übersteigen dürfen. Passt zu der ersteren Vor-
schrift der Ideinasiatische oder der hellenistische Typus besser?
Im klcinasiatischen Theater ist die Bühne, wie ich schon früher
gezeigt habe, gewöhnlich 8 bis iO Fuss hoch, ob sie irgendwo
das vitruvische Maximum von 1 2 Fuss erreicht, lässt sich lei-
der noch nicht sagen, weil die Bühnenhöhe der meisten Thea-
ter Kleinasiens noch unbekannt ist. Auf jeden Fall entspricht
sie dem griechischen und nicht dem römischen Typus. Im
hellenistischen Theater schwankt die Höhe des Proskenion,
der vermeintlichen Bühne, zwischen 8 und 12 Fuss. Sie bleibt
auch in mehreren Bauten (so in Oropos, Pleuron, Priene und
Delos) unter dem vitruvischen Minimum von 10 Fuss. Beide
Theaterarten scheinen also in Bezug auf die Bühnenhöhe gleich
schlecht zu der Vorschrift Vitruvs zu passen. Aber ein Um-
stand ist dabei bisher übersehen oder mindestens nicht ge-
nügend beachtet worden , ein Umstand , der entschieden zu
Gunsten des kleinasiatischen Theaters spricht. Beim römischen
Theater sa^t nämlich Vitruv ausdrücklich, dass die Bühne
nicht höher sein dürfe als 5 Fuss, weil sonst die in der Or-
chestra sitzenden Zuschauer die auf der Bühne auftretenden
Schauspieler nicht gut sehen könnten. Er spricht damit einen
Grundsatz aus, der auch heute noch gilt und bei allen moder-
nen Theaterbauten berücksichtigt wird : Die Bühne darf nie-
mals höher sein, als die Augen der untersten Zuschauer. Ob
die letzteren im antiken Theater in der Orchestra selbst oder
auf der die Orchestra umgebenden untersten Bank sitzen, macht
keinen Unterschied. Liegt die unterste Sitzreihe in der Höhe
der Orchestra, so darf die Bühnenhöhe niemals 5 Fuss über-
steigen, auch wenn keine Zuschauer in der Orchestra selbst
sitzen. Wie kann nun derselbe Vitruv, der diesen Grundsatz
offenbar wol kennt, im griechischen Theater 10 Fuss als Mi-
niiiiiirn für die Bühnenhöhe bezeichnen? iMussleer nicht wissen,
DAS GRIECHISCHE THEATER VITRUVS 337
dass die auf der untersten Bank sitzenden Zuschauer bei ei-
ner solchen Büline nur sehr schlecht selien konnten?
Das Rätsel löst sich in einfachster Weise, wenn wir uns da-
ran erinnern, dass bei dem kleinasiatischen Theater die Sitz-
reihen thatsächlich nicht bis zurOrchestra hinabreichen, son-
dern die unterste Reihe so hoch überder Orcheslra liegt, dass
ihr Höhenunterschied gegen den Boden der Bühne nur etwa
5 Fuss beträgt, im hellenistischen Theater dagegen beiludet
sich die Proedrie mit ihren bevorzugten Sitzen immer in der
Höhe der Orchestra oder nur sehr wenig über ihr. Die Au-
gen der dort sitzenden Zuschauer würden also bei einer Büh-
nenhöhe von 10 bis 12 Fuss noch mindestens 5 Fuss unter dem
Boden der Bühne liegen und daher die Bewegungen der Schau-
spieler sehr schlecht sehen können. Daraus folgt aber mit vol-
ler Sicherheit, dass Vitruv unter dem theatrum Graecorum
nicht das hellenistische, sondern nur das kleinasiatische Thea-
ter verstanden haben kann.
Da das Fehlen der untersten Sitzreihen, wie ich schon in
meinem ersten Aufsatz darii;eleu;t habe, eine charakteristische
Eigentümlichkeit der kleinasiatischen Theater ist, so dürfte
der Schluss erlaubt sein, dass alle Theater, bei denen ein spä-
teres Abschneiden der unteren Sitzreihen constatirt werden
kann — ich nenne z. B. die Theater von Assos , Pergamon
und Delphi — , zu kleinasiatischen mit hoher Bühne umge-
baut worden sind. Andrerseits giebt es einige klcinasiatische
Theater, in denen die untersten Sitzreihen bei der späteren
Einrichtung einer 8 oder 10 Fuss hohen Bühne nicht fortge-
nommen sind, z. B. die Bauten in Prione (vgl. oben S. 31 '2)
und Magnesia. Bei thymelischen AutTülirungen und bei sonsti-
gen im Theater stattfindenden Festlichkeiten boten diese Sitz-
reihen noch immer in alter Weise die besten und bevorzugte-
sten Plätze; bei skenischen Aufführungen auf der hohen Bühne
konnten sie daueren nur noch als schlechte Plätze benutzt wer-
den. ihre gänzliche Entfernung war bei einem Umbau zwar
möglich, aber ni(;lil unbedingt notwendig. Bei .Xeiibauleii (leg
338 W. DOERPFELD
kleinasiatischen Typus sind sie jedoch, so viel wir wissen,
niemals mehr gehaut worden.
4) Auf einen anderen Punkt, der 'einen nicht unwesentli-
chen Vorzus der neuen Erkläruno;' bildet, habe ich schon in
meinem ersten Aufsatze hingewiesen. Beim römischen Thea-
ter versteht Vitruv unter scaenae frons unzweifelhaft die
Vorderwand der Skene mit ihrem Säulenschmuck. Beim
theatrum Graecorutn spricht er ebenfalls von der scaenae
frons. Denkt er nun an ein Theater wie das kleinasiatische,
so versteht er unter scaenae frons ganz richtig dieselbe Vor-
derwand mit ihren Säulen. Denkt er dagegen an ein helle-
nistisches Theater, so müsste er hier die Skenenvorderwand
ohne ihren Säulenschmuck scaenae frons genannt haben,
denn dass die Wand über dem Proskenion nicht mit Säulen
ausgestattet war, ist durch die Monumente selbst gesichert.
Dieser Vorzug bleibt bestehen, ob das Proskenion nach Be-
thes Auffassung die gewöhnliche Bühne oder nach meiner Er-
klärung die Dekoration selbst ist.
5) Schliesslich mussauch die Angabe Vitruvs, dass das hohe
Logeion seines griechischen Theaters der gewöhnliche Spiel-
platz für alle skenischen Aufführungen sei, als wichtiger Be-
weis für die Identität des kleinasiatischen Theaters und des
theatrum Graecoruni Vitruvs angeführt werden. Denn für
das kleinasiatische Theater trifft diese Angabe unzweifelhaft
zu ; sein hohes Podium war, darüber sind wir alle einig, der
Standplatz der Schauspieler bei skenischen Aufführungen. Für
das hellenistische Theater kann sie dagegen, wie ich in un-
serem Buche über das griechischeTheater eingehend dargelegt
habe, unmöglich zutreffen. Zaiilreiche Argumente ganz ver-
schiedener Art habe ich beibrinifen kiMinen. die sicher bewei-
sen, dass das griechische Proskenion keine Bühne gewesen sein
kann. Und selbst Bethe, der doch in allen seinen Veröffentlichun-
gen das Bestreben hat, das hellenistische Proskenion als Bühne
zu erweisen, macht das wertvolle Zugeständniss (Gott. gel.
Anz. 1897 S. 709): 'Auch ich kann mir nicht denken, dass
man fiir eine tneiianihiselie KomCxlie odei' selbst eine eliorlose
DAS GRIECHISCHE THEATER VITRUVS 339
Tragödie eine so schmale hohe Bühne erbaut hätte, da die
Schwierigkeiten für die Schau^^pieler doch vielleicht grösser
erscheinen, als die Vorteile, die man ihr nachrühmt'. Und
an einer anderen Stelle (Hermes XXXIII S. .■■i22. Anm. 1) giebt
er zu, 'dass irgend ein noch ungelöstes Geheimniss über der
Einrichtung dieser hohen Bühne liegt '. Wenn er dann die
Schwierigkeiten dadurch zu heben und das Geheimniss da-
durch zu lösen sucht, dass er sich die Bühne auf Kosten des
oberen Skenensaales nach hinten erweitert denkt, so darfein
solcher Versuch ohne Bedenken als verfehlt und unzulässig
bezeichnet werden, weil einerseits die erhaltenen Theaterruinen
dieser Ergänzung des Oberbaues aufs Entschiedenste wieder-
sprechen, und andererseits die Mängel der hohen Bühne bei
grösserer Tiefe nur noch wachsen. Die mancherlei Schwierig-
keiten bestehen nur für den, der das griechische Theater Vi-
truvs durchaus in dem hellenistischen Theater erkennen will.
Wer jedoch mit mir diejenige Theaterart, welche in der Kai-
serzeit in Griechenland und Kleinasien neben dem gewöhn-
lichen römischen Typus allein noch gebaut wurde, für das
theatrum Graecorum Vitruvs hält, für den giebt es keine
ungelösten Geheimnisse mehr.
Und jene Schwierigkeiten, welche Bethe bei seinerTheorie
findet und offen anerkennt, sind noch gewachsen, seitdem
von mehreren Seiten bewiesen ist, dass der traofische Chor
nicht nur in der hellenistischen, sondern sogar bis zur früh-
römischen Zeit beibehalten wurde. Wertvoll waren fur mich
in dieser Hinsicht die Worte, mit denen F. Leo einen Auf-
satz über die Ghorlieder Senecas (Rheinisches Mus(>um IJI S.
518) schliesst: 'Es scheint mir, dass damit die iMrigliehkeit,
es seien auf dem hellenistischen Proskenion chorlose Tragö-
dien aufgeführt worden, einen Stoss erhält, und dass in der
Frage, ob überhaupt je auf dem Proskeiiion TragiulicMi ge-
spielt wurden, ein erhebliches Gewicht gegen N'itruv für Diu-p-
feld in die Wage fällt'. So schrieb Leo, als ich X'itruv noch
ni(dit recht verslaiid iiiid iliin fiiuMi Ii'ituin ziiti-aiieii zu miis-
sen glaubte. Um wie viel mehr sprechen diese WOrlc zu niej-
340 W. DOERPFELD
nen Gunsten, nachdem sich herausgestellt liat, dass Vitruv
gar nicht vom hellenistischen Theater zu sprechen hraucht,
sondern von dem griechischen Theater seiner eigenen Zeit,
nämlich dem kleinasiatischen Typus redet, und nachdem so
die unanofenehme Notwendigkeit, den Vitruv eines Irrtums zu
zeihen, gänzlich fortgefallen ist!
Vitruvs Aussage über das Spielen auf dem Logeion des grie-
chischen Theaters ist in vollem Einklang mit der monumen-
talen und litterarischen Überlieferung, wenn sie sich auf das
kleinasiatische Theater bezieht. Zahlreiche Schwierigkeiten
erheben sich indessen, wenn Vitruv, wie wir alle früher als
selbstverständlich voraussetzten, unter dem tlieatrum Grae-
coritni das hellenistische Theater versteht. Was hindert uns
noch, der ersteren Möglichkeit den Vorzug zu geben?
Bethe erhebt noch verschiedene Bedenken c;eo;en die neue
Erklärung des Vitruv. Sie sind zwar zum Teil schon erwähnt
oder besprochen worden, aber einige von ihnen verdienen
noch eine eingehende Widerlegung.
Wesentliche Unterschiede zwischen dem kleinasiatischen
und hellenistischen Theater leugnet er mehrmals aufs Ent-
schiedenste. 'Beide Typen sind in der Hauptsache identisch',
sagt er im Hermes XXXIll S. 3i0. 'Ihre DitTerenzen sind so
minimal, dass sie Niemand ohne Messung zu unterscheiden
vermag', lesen wir S. 319 oben. 'Beider Schemata sind last
identisch' steht wiederum auf S. 318. Ich könnte, um diese
Behauptungen zu widerlegen, kurzer Hand auf mehrere Ab-
schnitte unseres Buches verweisen, wo die Unterschiede des
Bühnentheaters und des hellenistischen Proskeniontheaters be-
sprochen sind, aber diesen wiederholten Versicherungen ge-
genüber, fühle ich mich verpflichtet, die wichtigsten Diffe-
renzen nochmals zusammen zu stellen.
Ein erster Unterschied lallt schon bei einem flüchtigen Blick
auf die beiden 'l'ypen in die Augen. Im kleinasiati.schen Thea-
ter sehen wir über der Bühne jedesmal eine scacnae /'rons
mit einer oder auch zwei übereinander stehenden Säulenrei-
hen, während über dem hellenistischen Prqskenion, das nach
DAS GRIECHISCHE tHEATER VITRUVS 34l
Belhe die Bühne sein soll, sieh niemals (wenij^stens ist noch
kein Beispiel bekannt) eine säulengeschmückte Oherwand er-
hebt. Wir können soujar weiter gehen und behaupten, dass
sich über dem Proskenion niemals eine scaenae frons wie
die kleinasiatische oder römische Saulenwand erhoben haben
kann, denn die erhaltenen Untermauern sind in allen Thea-
tern so schmal, dass sie nur eine einfache Wand, nicht aber
eine Wand mit davorstehenden Säulen getragen haben kön-
nen. In Oi'opos, wo wir die Oberwand genau kennen, ist sie
eine einfache Mauer mit Triglyphengebälk. Entsprechende
Triglyphen haben sich auch in mehreren anderen Theatern,
z. B. in Eretria und Delos, gefunden. Die geheimnissvolle An-
deutung, welche Bethe schon öfter über eine complicirte Aus-
stattung dieser Oberwand oder eine Verschiebung derselben
gemacht hat, ist den Tbeaterruinen gegenüber ganz unhalt-
bar , weil die Oberwand selbstverständlich dort gestanden
haben muss, wo sich im unteren Geschoss die Untermauer be-
findet. Letztere ist sogar nur der Oberwand wegen angeordnet.
Zweitens ist die Vorderwand der kleinasiatischen Bühnen
stets entweder ohne Schmuck oder architektonisch als Unter-
bau ausgebildet und hat niemals Säulen, während die Vor-
dervvand des griechischen Proskenion stets mit Säulen und
Pinakes geschmückt ist. Das einzige sichere Beispiel, wo die
Vorderwand einer kleinasiatischen Bühne Säulen aufweist,
ist das Theater von Priene. Doch sind die Säulen hier nur
deshalb vorhanden, weil sie bei dem rcHuischen Umbau des
Proskenion zu einer Bühne nicht entfernt worden sind. Aus
diesem Beispiel zu schliessen. dass kleinasialische Bühnen zu-
weilen mit Säulen ausgestattet worden seien, wäre ebenso falsch,
als wenn Jemand aus der Thatsache, dass in Delphi eineStoa
unter BeibehaUung ihrer Säulen zu einem Wasserreservoir
umgebaut worden ist, den Schluss ziehen wollte, dass in die-
sem Falle die Säulen zum Wasserbassin gehörten oder gar
den charakteristischen Schmuck eines solchen bildeten. Säu-
len schmücken im Theater das Proskenion. nicht die \'order-
wand der Bühne. Ist es ferner überhaupt architektonisch denk-
34^ \V. DOLRPFKLD
bar. (lass sich über den zierlichen Säulen des hellenistischen
Proskenion jemals eine stallliehe Säulenfassade nach Art der
kleinasiatischen oder römischen Proskenien erhoben habe?
Drillens waren die Zwischenräume zwischen den Säulen des
liellenislischen Proskenion niil l^inakes geschlossen, welche Ge-
mälde verschiedener Art enthielten. iMne so ausjijestaltete l^ro-
skenionwand glich also einigermassen den gemalten Theater-
dekorationen pompejanischer Häuser, bei denen auch zwischen
den Säulen entweder kleinere Tafelgemälde, oder grosse |)er-
spectivische Durchblicke vorkommen. In der Vorderwand der
kleinasiatischen Bühnen suchen wir dagegen vergeblich nach
solchen Pinakes. Es entspricht dieser Kegel, dass in Priene
beim Umbau des Proskenion zu einer Biihne die hölzernen Pi-
nakes durch gemauerte Wände ersetzt worden sind. Dass die
hellenistischen Proskenien durch jene Gemälde als Hinter-
grund des Spiels charakterisirt wurden, scheint mir so selbst-
verständlich und für unsere Frage so wichtig, dass ich nicht
recht versiebe, wie dieser wesentliche Unterschied zwischen
dem Proskenion und einer Bühne von Betlie so wenig beachtet
werden konnte.
Einen vierten Unterschied liefern uns die Namen der beiden
Vorbauten. Hierüber lesen wir bei Bcthe, Hermes XXXIII S.
318 unten: 'Den einzigen wirklichen Unterschied trägt erst
Dörpfeld hinein durch seine Behauptung: dies ist eine Bühne,
jenes niciit'. Dass das Podium des kleinasiatischen Theaters
eine Bühne für die Aufführung skenischer Spiele ist, bezwei-
felt weder Bethe noch ich. Der Vorbau des hellenistischen
Theaters ist dagegen nicht nur deshalb keine Bühne, weil ich
das behaupte, sondern weil l'ür ihn urkundlich der Name Pro-
skenion überliefert ist, und dieses Wort nach altgriechischem
Sprachgebrauch (!ine Dekoration, eine vor der Skene aufge-
slellle Fassade bedeulel ( vgl. E. Beisch in unserem Buche S.
29U). Selbst im römischen Theater sind die Säulen im Hin-
tergründe des Spielplatzes noch Proskenion genannt worden,
obwol damals auch schon zuweilen für die Bühne der Name
i^roskenion lälschlich gebraucht wurde. Als das Proskenion
DAS GRIECHISCHE THEATER VITRUVS 343
in römischer Zeit an einigen Orten in eine Bühne umgehaut
wurde, konnte der alte Name leicht auf den neuen Bauteil
übertragen weiden. Oben auf dem griecliischen fVoskenion
sind, wie ich mit vielen anderen Gründen bewiesen zu haben
glaube, nur einzelne Schauspieler und Redner erschienen, dort
war das Theologeion. Der gewöhnliche Spielplatz für die ske-
nischen Aufführungen befand sich im hellenistischen Theater
noch an derselben Stelle, wo er auch im V. Jahrhundert ge-
wesen war, in der Orchestra vor dem Proskenion.
Fünftens sind auch die Differenzen in den Abmessungen der
beiden Vorbauten nicht so minimal, wie Bethe behauptet.
Man beachte nur, das die Tiefe des hellenistischen Proskonion
fast immer zwischen 2 und 3'" schwankt, während die klein-
asiatische Bühne niemals schmaler als 3,50™ gewesen zu sein
scheint, meist sogar beträchtlich breiter ist. Nun kann freilich
kein Mensch die zulässige Grenze für die Tiefe einer Bühne
genau bestimmen; man kann nicht etwa sagen, ein 3,50™
tiefes Podium ist noch als Bühne zu benutzen, ein 3'° tiefes
aber nicht mehr. Eines jedoch darf man ohne Zögern be-
haupten, dass ein Podium von etwa 3'" Höhe und nicht ein-
mal 3'" Tiefe eine höchst unbequeme und sogar gefährliche
Bühne ist, und dass es im höchsten Grade unbegreiflich wäre,
wenn die Griechen in der Blütezeit ihrer Kunst nur solche
unpraktische und hässliche Bühnen gebaut haben sollten, ^väh-
rend sie in der Orchestra seit Alters her einen ausgezeich-
neten und geräumigen Spielplatz besassen.
Andrerseits kann auch nicht in Abrede gestellt werden, dass
die Abmessungen der kleinasiatischen Bühnen viel besser den
berechtigten Anforderungen entsprechen, die an jede Bühne
gestellt werden müssen. Ihre zunächst auffallende Höhe lässt
sich, wie ich in dem ersten Aufsatze gezeigt habe, in einfacher
Weise gut erklären. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass
diejenigen Proskenien Kleinasiens, welche in römischer Zeit
zu Bühnen umgebaut worden sind, sämtlich eine Erbreiterunu;
erfahren haben.
Sechstens muss auch an dieser Stelle nochmals darauf hin-
344 w. DOEurrELn
gewiesen werden, dass das griechische Proskenion stets eine
diirchschnittliclie Höhe von 1 0 Fuss über der untersten Sitzreihe
hat, während die kleinasiatische Bühne nur etwa 5 l^^uss über
den untersten Sitzen liegt, ßs kommt bei der letzteren Bühne
nicht auf ihre Höhe über der vertieften Orchestra , sondern
lediglich auf den Höhenunterschied zwischen ihr und den un-
teren Sitzen an. Wenn in einem modernen Theater vor der
Bühne ein um 2 bis 3'" vertiefter Baum für die Musiker herge-
richtet ist, so wird Niemand behaupten wollen, dass es eine 2
bis 3'" hohe lUihne hätte, sondern Jedermann wird die Höhe
der Bühne nach dem Standplatz der untersten Sitze berechnen.
Diesen vielen und wichtigen Verschiedenheiten gegenüber
muss es als eine nicht erlaubte Übertreibuno; bezeichnet wer-
den. wenn Bethe die kieinasiatische Bühne und das o;riechi-
sehe Proskenion mehrmals als fast identisch hinstellt. Ge-
wiss, beide sind Vorbauten der Skene , beide haben auch
Thüren an ihrer Vorderseite , aber ihre Abmessungen, ihre
architektonische Ausstattung, ihre Lage zur Orchestra und zu
den Sitzreihen und auch ihre Namen sind verschieden. Eine
Verwechslung beider, so lange sie noch aufrecht stehen, ist
gar nicht möglich. Wenn man z. B. die schönen Zeichnungen
kleinasiatischer Theater von G. Niemann sieht (bei Lancko-
ronski, Städte Pampliyliens und Pisidiens), so kann man un-
möglich auf den Gedanken kommen , dass der Vorbau vor
den säulengeschmückten Skenen etwas anderes als eine Bühne
ist. W^er dageo;en ein hellenistisches Proskenion mit den Säu-
len und den Malereien zwischen ihnen vor Augen hat, muss
eine vorgefasste Meinung haben, um diesen schmalen hohen
Säulenbau für die gewöhnliche Bühne der Schauspieler zu
halten.
Ausser der hierdurch holTentlich genügend widerlegten Be-
hauptung Belhes, dass die kleinasiatische Büline und das hel-
lenistische Proskenion fast identisch seien, muss ich noch ei-
nigen anderen seiner Versicherungen widersprechen. So soll ich
alle Beweise, die ich in dem Buche über das griechische Thea-
ter (Abschnitt \^ll und V'Hl) gegen die Deutung des helleni-
Das griechische theateh vitruvs 345
stischen Proskenion als Bühne beigebracht habe, jetzt einfach
'streichen', 'auch den mathematischen' (a.a.O. S. 314). Und
an einer anderen Stelle (S.315) sagt er: 'Mithin hält Dörpfeld
von allen Beweisen, die er einst iiegen die f'lrklärung dfs hel-
lenistischen Proskenions als Bühne aufgefiihrl hat, nur noch
einen einzigen fest: es ist zu schmal'. In Wirklichkeit strei-
che ich keinen einzigen jener Beweise, sondern halte sie alle
ohne Ausnahme aufrecht ! Ich verstehe nicht, wie Bethe die
gegenteilige Behauptung so bestimmt aussprechen kann. Lässt
sich denn überhaupt ein klarer mathematischer Beweis zurück-
nehmen?
Ich halle es auch jetzt noch für eine mathematisch erwie-
sene Thatsache, dass Schauspieler, die 10 Fuss über einer Sitz-
reibe auftreten, von den dort Sitzenden nicht ordentlich ge-
sehen werden können. Antike und »noderne I']rfahrung, wie
auch die Angabe Vilruvs über die Bühnenhöhe des römischen
Theaters beweisen das zur Genüge. Keine Bühne darf höher
als 5 Fuss über dem Fussboden der untersten Zuschauer lie-
gen.
Wie Bethe ferner behaupten kann, dass ich erst jetzt eine
10 Fuss hohe Bühne im griechischen Theater als möglich an-
erkenne, die ich früher geleugnet hatte, ist mir unverstandlich.
Für das altgriechische und das hellenistische Theater habe ich
sowol früher als jetzt eine Bühne geleugnet, für das kleinasia-
tische Theater habe ich sie sowol früher als jetzt angenommen.
Üenn die hohen Bühnen derTheater von Termessos.Patara und
Sagalassos und von anderen kleinasialischen Städten , deren
Bühnen und Skenen noch erhalten sind, habe ich selbstverständ-
lich längst gekannt und auch ausdrücklich in unserem Buche
(z. B. S. 157 und 359) angeführt. Was ich früher nicht wussle
und jetzt erkannt habe, ist die grosse Bedeutung dieses klein-
asiatischen T)'pus für die Geschichte des Theaters und besonders
seine Übereinstimmung mit dem theatriun (i/aecorum Vi-
truvs. Ich habe also keine Concession gemacht und auch niclit
etwa meine Beweise gegen die hohe hellenistische Bühne zu-
rück genommen. Im Gegenteil haben diese Beweise gerade
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXUI. 23
346 W. doerpfelD
durch den Fortfall des vitruvischen Widerspruches eine neue
Kräftigung erfahren.
Ein volles Rätsel ist es mir ferner, warum Bethe den wich-
tigsten Punkt bei der Behandlung der hohen Bühne, nämlich
das Fehlen der unteren Sitzreihen und die dadurch bewirkte
Umwandlung der hohen Bühne in eine für die Zuschauer
niedrige von etwa 5 Fuss, in seinem letzten Aufsatze voll-
ständig mit Schweigen übergehen konnte. Soviel ich gesehen
habe, redet er mit keinem Worte davon. Ohne den Hinweis auf
diese wichtige Thatsaclie sind doch weder die kieinasiatischen
Theater, noch auch die Vorschriften Vitruvs über die grosse
Höhe der Bühne seines griechischen Theaters zu verstehen ;
ohne ihn ist auch meine Beweisführung kaum verständlich
und kann dem mit ihr nicht sehr vertrauten I^eser leicht als
eine Reihe von Widersprüchen hingestellt werden.
Am Schlüsse seines Aufsatzes fasst Bethe alle die Argu-
mente zusammen, welche den auf das vermeintliche Zeugniss
Vitruvs gestützten Satz, dass das hellenistische Proskenion die
Bühne war, bestätigen sollen. Nachdem der Wert des vitruvi-
schen Zeugnisses für das hellenistische Theater aufgehoben ist,
haben diese Argumente schon einen Teil ihrer Bedeutung ver-
loren. Sie lassen sicii aber auch aus anderen Gründen leicht
widerlegen :
1) Eine Stelle Plutarchs (Üemetr. 34) hatte bereits G. Ro-
bert (Hermes XXXM S. 4i8) herangezogen. Es wird dort von
Plutarch geschildert, wie Demetrios die ax-r^vv^ (das Skenenge-
bäude) mit Bewaffneten abschliesst, das Xoysiov (die Bühne)
mit Speerträgern besetzt und dann selbst wie ein Tragöde durch
die (xvw Träpo^oi (die oberen seitlichen Zugänge) auftritt und
von dem Logeion herab zu den Athenern spi'icht. Ich glaube als
selbstverständlich annehmen zu dürfen, dass Plutarch, obwol
er aus einer älteren Quelle schöpft, den Auftritt nicht unbe-
sehen abschreibt, sondern ihn so schildert, als ob er in dem
athenischen Theater seiner Zeit erfolgt wäre; denn weder er
noch seine Zeitgenossen wussten, wie das Theater Athens 400
Jahre früher ausgesehen hatte; sie wussten vielleicht nicht ein-
Das uriechische tHeater vitrUvs 347
mal, dass es iriilier eine ganz andere Gestalt gehabt hatte. Zur
Zeit Plutarchs bestand in Athen der von Nero errichtete Bau
mit römischem Logeion und oberen seitlichen Zugängen. Wie
hoch die Bühne damals war, ist für die Erklärung der Plu-
tarchstelle zwar gleichgültig, es mag aber wenigstens ange-
deutet werden, dass sie vielleicht beträchtlich höher war als
die jüngere Bühne des Phädros, und dass sie möglicher Weise
den kleinasiatischen Typus zeigte. Zu einem römischen und
auch zu einem kleinasiatischen Theater passen Plutarchs Worte
sehr gut. Diese volle Übereinstimmung zwischen den Aus-
drücken Plutarchs und dem damals in Athen bestehenden ne-
ronischen Bau berechtigt uns, jede Beziehung seiner Worte
auf das damals nicht mehr vorhandene hellenistische Theater
zu leugnen. Plutarch beweist also durchaus nicht, dass das
hellenistische Theater eine Bühne hatte. Übrigens redet Plu-
tarch auch an anderen Stellen von dem Theater seiner Zeit
und erwähnt das l.ogeion mehrmals, aber daneben nennt er
auch das Proskenion und die Skene. Dass er dabei unter dem
Worte Proskenion sicher die Dekoration und unter Skene den
hinter der Dekoration liegenden Bau versteht, sfeht aus zwei
Stellen (Lykurg 6 und Arat 15) mit Sicherheit hervor.
2) Die Angaben des Pollux über das antike Theater, die
auch schon von C. Bobert (a. a 0.) herangezogen \varen. wer-
den von Bethe zwar nur in einer Anmerkung erwähnt und
daher scheinbar nicht hoch bewertet, mögen aber doch hier
besprochen werden. Meines Erachtens spricht Pollux nur vom
griechischen oder hollenistischen Theater. Jedenfalls passen
seine Worte zu diesem Theatertypus sehr gut. Sein oft citir-
ter Satz: otYivv) ukv Ü7ro)tptT(i)v ES'.ov,r) Se öpyricTpa tou j^opoö, stimmt
dazu vorzüglich, weil einerseits die griechische Skene in der
That nur den Schaus[)ielern gehörte (sie hiessen ol i-6 Tf,;<7)tr)-
VT]?, wie die Stoiker o- x~o zr,; otoz;), und weil andrerseits die
Orchestra nur von den Tänzen des Chores ihren Namen führte,
des Chores, der durch die Parodos das Theater betrat und
mit der Skene als solcher in der Begel nichts zu thun hatte.
Von dem Spiel platze der Schauspieler, dem Platze unmit-
348 \V. DOERPFELD
telbar vor der Skene (£7:1 a/.YivTic), zu dem auch ein Teil der
runden Orcliestra gehörte, spricht Pollux liier nicht, weil er
beiden Parteien gemeinsam war. Gewöhnlich übersetzt man
in jenem Satze das Wort tjctivt) fälschlich mit Bühne und ci-
tirt ihn dann als Beweis für das Vorhandensein einer solchen
im griechischen Theater. Aber seine Worte, wenn sie imZu-
sammenhanu; gelesen werden, und schon das Vorkommen des
Wortes Logeion neben dem Worte Skene unter den von ihm
aufgezahlten Teilen des Theaters schliessen eine solche Be-
deutung von Tx.YivY) aus. An das römische Theater kann er fer-
ner deshalb nicht gedacht haben, weil der Chor in römischer
Zeit, wenn er überhaupt noch vorhanden war, mit den Schau-
spielern auf der Bühne und nicht in der Orcliestra auftrat.
In einem weiteren Satz des Pollux : to Ss ü-ot/ctiviov xio^t xai
ava'XjxaTioi; /.£•/. 6 Tt7.y)T0 ttoo? t6 öso-xpov Texpaaaevot? ütto tq Xoysiov
xsity.evov, erkläre ich mit E. Reiscli ( Das griecli. Theater S.
300) das Hyposkenion als Innenraum des Proskenion und der
Skene. Seine zum Zuschauerraum gerichtete Fassade war in
der That mit den Proskenionsäulen und mit bemalten Pinakes
oder freistehenden Bildwerken geschmückt. Für das von den
Säulen getragene Dach des Hyposkenion lasse ich, im Gegen-
satze zu Reisch, den von Pollux hier überlieferten Namen Lo-
geion gelten. Der Name scheint mir sehr passend für denje-
nigen Platz des griechischen Theaters, auf dem die Gölter in
den Dramen und die Redner in den Volksversammlungen oft
auftraten und ihre Reden hielten. Als später ein anderes Po-
dium vor den Proskenionsäulen erbaut wurde, und sich für
dieses auch der Name Logeion einbürgerte, erhielt das alte
Logeion zum Unterschiede von ihm den Namen Theologeion.
Ich trage daher auch kein Bedenken, das 'Logeion ' einer de-
iischen Inschrift (s. Reisch S. 301) als Podium über dem Pro-
skenion oder Hyposkenion des Theaters anzuerkennen und
vielleicht auch in einer anderen Inschrift aus Delos (S. 302)
das Wort J^ogeion trotz der allerdings vorhandenen Schwie-
rigkeit zu ergänzen. Dass ferner Xoyeiov nicht der Name des
gewöhnlichen Spielplatzes der altgriechischen Schauspieler
DAS GIUECHlSCHt; THKATEH VITP.UVS 3i9
gewesen sein kann, sollte schon durch die Thatsache gesi-
chert sein, dass das Wort in der alteren Litteratur, wo von
G5ty)v75 und op/YiTTpx so häutig die Bede ist, überhaupt nicht
vorkommt und sich zuerst in der genannten delischen Inschrift
des IM. Jahrhunderts und weiter erst bei Plutarcli findet. Ich
kann hiernach nicht zugeben, dass Pollux die Ivvistenz einer
für alle Schauspieler bestimmten Bühne im altgriechischen
oder hellenistischen Theater beweist.
3) Einen monumentalen Beweis für seine Theorie glaubt
Bethe den Theatern von Rretria, Sikyon und Oropos entneh-
men zu können. In diesen sind der Zuschauerraum und die
Orchestra tief in den Felsen oder gewachsenen Boden ein-
geschnitten. Dabei ist in Sikyon und Eretria ein Teil des Ske-
nengebäudes oder fast der ganze Bau. um unnütze Kosten zu
vermeiden, oben auf dem ursprünglichen Boden liegen ge-
blieben. In Eretria, wo die Tieferlegung etwa 3,50™ beträgt
und also gerade der Höhe des Proskenion entspricht, ist von
der Skene nur ein sehr kleiner Teil tiefer gelegt, nämlich nur
so viel, als für den Aufenthalt der Schauspieler im Hyposke-
nion notwendig war. Der lange Baum hinter dem Proskenion
und der überwölbte Mittelgang mit zusammen 70''" Flächen-
inhalt boten für die wenigen Schauspieler und Statisten reich-
lichen Platz zum Aufenthalt und Umkleiden. Für die durch
die Parodos in die Orchestra hinabsteigenden Schauspielerund
für den Chor, der auf demselben Wege die Orchestra betrat,
waren Räume in der Höhe der Parodos- Eingänge, also auf
dem ursprünglichen Boden beipiemer. Auch für die auf dem
Theologeion erscheinenden Götter, mochten sie nun am Krahn
oder auf einem Wagen oder zu Fuss aus dem Episkenion he-
rauskommen, mussten selbstverständlich l^äume in dem obe-
ren Stockwerke, also in Eretria inderilöheder älteren Skene,
hergerichtet sein. Selbst zum Aufbewahren der oberen und
unteren Dekorationen waren die Bäume des ersten Stockwer-
kes vorzüglich geeignet. Nach meiner Kenntiiiss der localen
Verhältnisse muss ich hiernach das N'erfahren der Eretrier,
ebenso wie das ähnliche der Bewohner vonSikvon. für sehr
350 W. DOKllPFELD
verständig halten. Sie haben nur so viele Räume im unteren
Stockwerk angelegt und mühsam aus dem Felsen herausgear-
beitet, als für die Aufführungen unbedingt erforderlich wa-
ren. Bethe erklärt das Vorgehender Eretrier füreinender Ab-
derilen würdigen Streich und wirft ihnen einen auffälligen
Mangel an praktischem Verstände vor; die Sikyonier ferner,
welche einen grösseren Teil des Skenengebäudes in den Fel-
sen hineingehauen haben, hält er wenigstens für etwas schlauer
als die Eretrier, 'aber '. so fügt er hinzu, 'ein Drittel des
Verstandes fehlte ihnen auch '. Welchen Bruchteil des Ver-
standes mag er da wol demjenigen zubilligen, der das Ver-
fahren der Eretrier und Sikyonier für verständlich und zweck-
mässig hält?
Die drei genannten Theater eignen sich durchaus nichtzum
Beweise für die Hypothese, dass das Prosken ion die Bühne
war. Gerade sie liefern vielmehr vorzügliche Argumente zur
Widerlegung der betheschen Theorie von dem allmählichen
Wachsen der Bühne von "2 Fuss bis auf 10 Fuss. In Eretria
und Sikyon kann nämlich seit der ersten Tieferlegung der
Orchesta die Bühne, wenn sie wirklich vorhanden war, nicht
mehr gewachsen sein, es sei denn, dass an beiden Orten auch
der natürliche Fels später wieder um ein Stück gewachsen
wäre. Das Proskenion. die vermeintliche Bühne, hat an beiden
Orten schon vom IV. oder III. Jahrhundert ab dauernd eine
Höhe von 3 — 3'/o ™ gehabt. Dass die drei Theater auch in
anderer Weise Zeugniss ablegen für meine Theorie, habe ich
in unserem Buche zur Genüge gezeigt.
4) Auch in den Rampen der Theater von Sikyon, Eretria
und Epidauros sieht Bethe (Gott. gel. Anz. 1897 S. 713) Zeu-
gen für seine Theorie, liier irrt er zunächst mit seiner An-
nahme, dass solche Rampen auch in allen anderen griechi-
schen Theatern vorhanden seien. Die meisten hellenistischen
Theater haben weder jetzt Rampen, noch können sie ehemals
solche gehabt haben. Und weiter : Glaubt denn Bethe wirk-
lich, dass die Schauspieler in Epidauros vor den .\ugen der
Zuschauer auf offenen Rampen zu der Decke einer Säulenhalle
DAS GRIECHISCHE THEATEU VITRUVS 351
hinaufgestiegen seien, und dass das Publikum nun geglaubt
habe, sie seien damit auf dem Erdboden vor einem Hause
oder Tempel angekommen ? l.nd wie denkt er sieb diesen Vor-
gang z. ß, im Theater von Delos, wo keine Rampen sind?
Wurden dort etwa an Stelle der Rampen Leitern an die seit-
liehen Säulenliallon angelehnt, damit die Schauspieler auf
das Dach dieser Hallen hinaufklettern und von dort zum Da-
che des Proskenion gelangen konnten ? Meines Erachtens sind
die Rampen erbaut, um Wagen für Göttererscheinungen und
andere Maschinen vor der Vorstellung zum Theologeion und
Episkenion hinauf zu schaffen. Für Personen macht man über-
haupt keine steilen Rampen, sondern Treppen. Den in weni-
gen Theatern vorkommenden Rampen auch nur die geringste
Beweiskraft für die Gleichsetzung von Proskenion und Bühne
zuzugestehen, scheint mir unmöglich.
5) 'Eine Gruppe der Phlyakenvasen zeigt unwiderlegt das
hellenistische Proskenion und auf ihm die Schauspieler', lesen
wir bei Betlie (Hermes XXXIII S. 321). Dass diese unter-
italischen Vasenbilder nur für die Geschichte des italischen
Theaters von Bedeutung sind und mit dem Theater Griechen-
lands zunächst nichts zu thun haben, ist schon so oft darge-
legt worden (zuletzt 'Das griechische Theater' S. 31 1 f.), dass
man sich wundern muss, weshalb Belhe diesen Einwand un-
berücksichtigt lässt. Aber weiter ist nochmals festzustellen,
dass die sämtlichen Vasenbilder niedrige, oft sogar sehr nie-
drige Bühnen zeigen. Man braucht nur das Grössenverhält-
niss zwischen der Bühne und den Schauspielern, oder zwi-
schen der Bühne und den hinter den Schauspielern abgebil-
deten Thüren und Säulen, oder auch die Zahl der Stufen der
an der Bühne befindlichen Treppen in Betracht zu ziehen. um
sich zu überzeugen, dass die durch Vitruv überlieferte maxi-
male Höhe der italischen Bühne (5 Fussi niemals überschrit-
ten wird. Nun sollen aber einige dieser Bühnen, wie Betlie
behauptet, nur von dem Maler zu niedrig gezeichnet, in Wirk-
lichkeit aber doppelt so hoch gewesen sein. Er hält sie für hohe
hellenistische Proskenien, deren untere Hälfte nicht mit abge-
352 w. DOKiiprEi.D
bildet sei. Und welches sind die (beweise fiir diese jedem Au-
genschein widersprechende BehaiipUin«;? Kr zählt ihrer drei
auf (Gott. gel. Anz. 1897 S. 711), die wir einzeln besprechen
müssen.
Erstens weist Bethe darauf hin,dass die an der Vorderwand
einiger Bühnen dargestellten Säulchen ungewfUinliche Propor-
tionen haben und berechnet aus der Höhe ihrer Kapitelle und
dem Masse ihrer Durchmesser die wirkliche Höhe zu etwa 10
Fuss. Dass er dabei ( Prolegomena S. 285) die Säulenhöhe
nach jonischen Vorbildern zu 8-9 Durchmessern berechnet,
während es sich doch um dorische Säulen handelt, ist ein un-
wesentliches Versehen. Dass er aber überhaupt auf Vasenbil-
dern aus der Dicke einer Säule und aus der Höhe des noch
dazu falsch gezeichneten dorischen Kapitells die wirkliche Höhe
der Säule berechnen und die gezeichnete Höhe (hirnach cor-
rigiren will, halte ich für unzulässig. Warum corrigirt er nicht
lieber umgekehrt die Dicke nach der Höhe?
Noch seltsamer ist der zweite Beweis : Bethe citirt zunächst
beistimmend meine Bemerkung, dass die niedrigen Bühnen
der späteren römischen Theater niemals einen Säulenschmuck
haben und behauptet dann, dass überhaupt nur hohe, nicht
aber niedrige Bühnen mit Säulen ausgestattet werden dürften.
Um diese merkwürdige Behauptung dem Leser glaubhaft zu
machen, werden einige recht starke Ausdrücke zu Hülfe ge-
nommen: 'Man Stellesich nur vor, wie es sich machen muss,
wenn Menschen über einer Bühne von Säulen agiren, die nur
halb so hoch sind wie sie selbst. Die Improportionalität würde
aufs Unang(!nehmste aulTallen, es wäre eine grenzenlose Ge-
schmacklosigkeit' (Prolegomena S. 28i, Anm. 8). Folglich, so
schliesst er weiter, müssen die auf den Vasen niedrig gezeich-
neten Säulen in Wirklichkeit höher als die Menschen sein!
Assteas, der Maler des bekanntesten unter den angeführten
Vasenbildern (vgl. Das griechische Theater S. 317), scheint
indessBethes künstlerisches Urteil nichtgeteilt zu haben, denn
sonst würde er die nach Bethes Meinung in Wirklichkeit ho-
hen Säulen schwerlich niedriger als die Menschen gezeichnet
DAS GniKCfll.SDHE THEATKIt VITHUVS 353
und sich soder 'grenzenlosen Gesclimacklosigkeit' schuldig
gemacht liahen. Nach meinem Gelulile — und icli glaube da-
rin nicht allein zu stehen — ist es üherhaupt unschön, eine
Bühne, die doch den Er.Jfussboden darstellen soll, vorne mit
Säulen zu stutzen und so Schauspieler oben auf Säulen agi-
ren zu lassen. Aber wenn durcbaus Säulen angebracht wer-
den sollen, scheinen mir niedrige Stützen oder kurze Säulchen
viel erträglicher als hohe Säulen , die einer Säulenhalle an-
zugehören scheinen. Im Altertume hat man offenbar ebenso
geurteilt. Denn in keinem einzigen antiken Theater aus Stein
ist die Büline, mag sie hoch oder niedrig gewesen sein, ur-
sprünglich mit Säulen ausgestattet worden. Die Pfosten und
Säulchen der Phlyakenvasen sind künstlerisch ausgebildete
niedrige liolzpfosten, aus denen die italischen Bühnen gezim-
mert waren. Die Nachfolger dieser llolzbühnen, die steiner
neu Bülinen der römischen Theater, haben keine Säulchen
mehr an ihrer Vorder wand
Einen dritten Beweis für seine Behauptung, dass einige
Plil}'akenbühnen hohe hellenistiscbe Proskenicn darstellen,
entnimmt Bethe dem Umstände, dass weder Thüren noch Pi-
nakesan der Vorderwand dieser Bühnen zu finden sind ! \\'äh-
rend wol Jedermann aus dem Fehlen dieser für die helleni-
stischen Proskenien so charakteristischen Dinge den Schluss
ziehen wird, dass die Phlyakenbühncn eben keine hohen hel-
lenistischen Proskenien sind , schliesst Bethe in folgender
eigentümlichen Weise: der Maler konnte Pinakes und Thüren
nicht darstellen, weil er nur den obei'sten Teil der Säulenwand
zeichnete, folglicb war die Wand in Wirklichkeit höher als
der Maler sie darstellte. Solange Betlie nicht bessere Argu-
mente beizubringen weiss, wird es wol dabei bleiben müs-
sen, dass die Phlyakenvasen uns die höchstens 5 Fuss hohe
italische Bühne und kein hellenistisches hohes Proskenion vor-
führen. Die über einer Phl^akenbühnc hinter den Schauspie-
lern abgebildeten Säulen (vgl. Das griech. Theater S. 324)
gehören dagegen sicher zu einer Dekoralitui des Hintergrun-
des, also zu einem Proskeiiidii oder einer Skeue,
354 W. DOEHPFELD
6) Zuletzt bespricht Bethe (S. 321) einige in unserem Buche
( S. 327) zusammengestellte Reliefs, bei denen Reisch, wie mir
scheint mit vollem Recht, in den hinter den Schauspielern
sichtbaren Säulen, Gebälken und Thiiren das hellenistische
säulengeschmückte Proskenion erkennt. Reihe gieht das nicht
zu, weil die Säulen dieser Reliefs paarweise verbunden seien
und über ihren verkröpften Gesimsen noch Giebel und Vasen
trügen. Dieser Grund ist mir nicht ganz verständlich. Dass auf
den Reliefs die Säulen des Hintergrundes einem Proskenion,
d. h. einer Dekoration angehören, kann doch nicht geleugnet
werden. Wenn nun auch die wenigen bisher bekannten hel-
lenistischen Proskenien , deren Gebälk erhalten ist, nur eine
gleichmässig verlaufende Architektur zeigen, so ist doch ohne
Weiteres erlaubt anzunehmen, dass es in hellenistischer Zeit
auch Proskenien mit paarweise verbundenen Säulen gegeben
hat. So viel ich weiss, ist die Ansicht fast allgemein verbrei-
tet, dass die Belebung der langen Säulenfassaden durch Grup-
pirung der Säulen und Verkröpfung des Gebälks in den gros-
sen Städten des Hellenismus entstanden und erst später auf
die römischen und kleinasiatischen Theaterfassaden übertra-
gen worden ist. ich halte es ferner nicht für unmöglich, dass
schon im Theater von Delos.wo das Proskenion in drei Häuser
geteilt war, Verkröpfungen des Gebälks vorgekommen sind.
Im Theater von Epidauros liegen solche Gruppirungen bei den
beiden nur noch architektonisch wirkenden Paraskenien schon
thatsächlich vor. Und Giebelaufsätze und Vasen werden wir
wol auch bei einigen erhaltenen Proskenien gerade auf Grund
jener Reliefs ergänzen dürfen. Jedenfalls haben Reisch und ich
schon früher Giebel über einzelnen Intercolumnien der Pro-
skenionwand angenommen (vgl. Das griech. Theater S. 274).
Den Schluss Bethes,dass die Säulen auf den genannten Reliefs
keine hellenistischen Proskenien darstellen können, weil die
wenigen bisher bekannten Proskenien keine Verkröpfungen und
keine Aufsätze zeigen, kann ich hiernach nicht als berechtigt
anerkennen.
Bethe beschliesst die Besprechung dieser Reliefs mit dem
DAS GRIKCHISCHE THEaTEH VITRUVS 355
Hinweis auf ein von Reisch (S. 332) für ein Stadtthor, von
Anderen (so namentlicli von \l. Petersen, Köm. Mittli. XII
S. 140) für eine Skenenfassade erklärtes Terrakottarelief, ich
teile Petersens Ansicht, dass es ein Proskenion mit Oberstock
und einer Bühne davor darstellt und weiss, dass auch Reisch
jetzt auf Grund des von Petersen ermittelten Thatbestandes
dieser Ansicht l)eizutreten oeneigt ist. Da die Bühne sehr nie-
drig und vorne nicht mit Säulen, sondern mit Kränzen verziert
ist, haben wir unzweifelhaft die Nachbildung einer gewölin-
lichen steinernen italischen Bühne vor uns. Dass keine Treppe
an ihr vorhanden ist, beweist nichts, weil viele italische
Bühnen, wie die Phlyakenvasen beweisen, keine Treppen
hatten. Wie trotzdem Belhe von dieser Bühne sagen kann :
'Gedacht werden kann sie nur auf dem hohen hellenistischen
Proskenion, ebenso wie Vitruv sie beschreibt und einige Phlya-
kenvasen sie zeigen', und wozu er dann noch tadelnd hinzu-
fügt: 'Dies kleine Monument sollte doch überzeugen; jeden-
falls darf es nicht mehr ignorirt werden', haben wir vergebens
zu ergründen versucht. Mit dem hellenistischen Proskenion hat
die i5ühne des neapeler Reliefs schlechterdings nichts zu thun.
Damit sind die Gründe erledigt, mit denen Bethe seine Theo-
rie, dass das Proskenion die sewöhnliche s^riechische Bühne
sei, zu stützen weiss. Ist auch nur eines dieser Argumente
stichhaltig? Giebt es unter ihnen, nachdem das Zeugniss Vi-
truvs in Fortfall gekommen ist, auch nur ein einziges, das
sich nicht mit L(Mchti'2;keit widerlegen liesse? Bei einzelnen
müssen wir uns sogar wundern, wie Belho sie überhaupt an-
führen konnte.
Und mit solchen Argumenten wird eine Theorie verteidigt,
die nicht nur der Entwicklungsgeschichte des Theaters, son-
dern dem künstlerischen Gefühl, dtMi mathematischen Regeln,
der Erfahrung vieler Jahrhunderte und selbst der urkundli-
chen Überlieferung widerspricht. Dass man glauben imd lehren
konnte, die griechischen Schauspieler hallen in hellenistischer
Zeit allgemein auf dem Dache einer Säulenhalle gespielt, wäh-
rend sie im \'. .lahrhunderl sicher, wie selbst Bethe zusieht.
3r)6 W. DOERPFELD, DAS riHlECHISCHE THEATER VITRUVS
in der bühnenlosen Orcliestra vor oinem Hause aufgetreten
sind, und dass man ferner annelniien konnte, die Griechen
hätten das säulengesehmückle hellenistische Pi'oskenion als
eine 10 Fuss hohe Bühne für die Schauspieler erbaut, finde
ich nur verzeihli(;h. so lanare man die Vorschriften Vitruvs
über sein thcatram Graecoruni mit Sicherheit auf das hel-
lenistische Theater beziehen zu müssen glaubte. Dass man aber
auch jetzt noch, nachdem Vitruvs Zeugniss in anderer Weise
erklärt werden kann und jedenfalls nicht mehr auf das hel-
lenistische Theater bezogen werden muss, an dieser merk-
würdigen Theorie festhält und sogar beteuert, dass sie zu den
am sichersten zu beweisenden Sätzen unserer Wissenschaft ge-
höre, dafür fehlt mir das Verständniss.
'Die Theorie Dörpfelds muss fallen' sagt Betheam Schlüsse
seines Aufsatzes. Dass ich nicht ohne Grund vom Gegenteil
fest überzeugt bin, zeigt die vorstehende Abhandlung.
Athen im Juni 1898.
WILHELM DÖRPFELD.
-^t»- W ■ ^■<K
LITTEHATUR
H. I. ArrEAOnOTAOS, Fiept Deipatd)? xai Tüiv >'.a£V(ov auToG.
Athen 1898.
ApistoTEAOTS 'AOTivatwv 7;o>aT£ia e>tSoÖ£ica \jtzq F. M-apT.
Ke^. 1-41. Athen 1898.
n. A. KOMNHNOS, Aa/.wvtx.ät ypovwv 7rpoiciTopiy.(lliv t6 x.ai Itto-
pixöiv. 5. 6. 7. Athen 1898 [S. 230 ff. 'Ittooi/.yj TOTroypx^ia
STCapTY)?, >.S7UT0{;-£pY;; ].
A. MlIAIAPAKHS, 'IdTopiÄ ToO ßxrr'.).££o'j tt;; Nixata; y.xl toO Se-
oTuoTiiTou TT^c 'HxEipou ( 1 204- 1 26 1 ). Athen und I^eipzigl898.
B. A. MrSTAKIAHS, AI Op-AivwSoi -P^toi -h Tap/.ocpzyo? TOJv öpnvw-
ö(iv £v TÖ a'JTO)tpaTopuü) p.o'jTEtw (' AvaT'jTVcoci; £)c TO'j riaepoXoyio'j
6 "AvaTo>tx.ö; 'A<7Ty;p'. Konstantinopel 1898.
riPAKTiKA T-nq xpy. 'EraipEix? 1897. Athen 1898.
A. PoTSOn(;rAOX;, 'EiziOTXGix y.piTDc-o xai £ptxr,v£'jT'.x-)) £•; p.iav
>£^iv TO'J liivSapou. Athen 1898.
E. StaMATIAAHS, 'ETTETripU -cm ■hyz'/.o^ix^^ Sxao'j Siic 1898.
Samos 1898. [Darin S. 68 kurzer Bericht über das Museum].
F. Hiller von Gaertringen, 0r,pa. MeTä(ppa<jt? I. N. Ae-
>£vSa. Thera 1898.
A. JouBiN, Musee imp. Ottoman , Monuments funeraires.
Deuxieme edition. Konstantinopel 1898.
P. Karolides, Die sogenannten Assyro-Chaldäer und II it-
tilen von Kleinasien. Athen 1898.
E. KoTPTIor 'EXXTivDtr, iaxopia xara (j.ETä'^'pa'Tiv ü-rrup. II.
Aa(ATCpo'j. Athen 1897 ff.
I. ApoYIEN, 'IiTOpix ToJv AixSöywv x.aTa i/Exa'ppa'Tiv I. Ilav-
xaCiSou. Athen 1897 lY.
r. FlABEPT, 'Ey/£ipt5iov 'Ap;(aioXoyix<; toö S-z^u.O'jiou [iio'j tcöv
'EXXyivwv xarä y.srä'ppa'jiv N. F. IIoXitou. Athen 1897 IT.
B. V. IIe.\I), 'lazoaix tcüv voa'.TaiTCüv, Eyj^eipiSiov {ASTaopacOEv
jcai (ju[X7c>.y)p(i)öev üttö I. N. Sßopwvou. I. II und Tafeln. Athen
1898.
358 t.lTTERATUn
K. KP0TMBaXEI\ 'laxopia zri; Bu^avT. loyox sy^ixi; xara [htx-
cpparrtv F. üwxrjpixSou. Athen 1897 tY.
O. PiBBEK, 'I(JTOpia TT}«; 'PwjjLxiKyi; T^Of/iirso); x,XTa asxy.tppaijiv
:C. K. 2a)csX>.apo7:o-jXou. Athen 1897 ff.
A01INA, (jüyypafXjxa 7repio^t)t6v ty}; dv 'A9r;v(xi; 17:11 TTiU.o^ixriq 'E-
ratpstai; IX, 3. 4. X, 1. 2. 3.
Darin U. a. S. 449. F. A. Ilana6aaiX£!ou, 'AyioviatixT) ir.iypa.<fri exXaXxiSo;. —
S. 461. n. N. llanaYstopYtou, MutiXtjvt)? ETiiYpayri äv^y.5oco; [gelimdcu in einem
Hause nalie der Kirche der 'A. ©so'Swpoi: ['ApJ/tps'w; oia ßfd) ©eä; 'Püi(jia?|
xal TO) asoaa'üi Aio? Kaiaapo; | OXuixztw 7:arp6s xä; ;;aTptSo; | ;:po£Spia Patto
KXauoiw noräawv[o;] | Ataaevr) xw eüspYExa]. — S. 497. 0. HxoO^o;, Ilept xfjjvTJ-
aou 'A[i.opYO'j.
X. S. 149. n. S. 4>wxtaor];, Et/.aiia'. ;iep; xtvwv 'AptaroTEXty.wv y_(opi!wv x^5 'A-
Orjvaitüv IloXiista?.
AlE0NIIi: E<I'I1MEP1S THS NOMlXMAT. APXAIOAOriAi]. Joumal
international d'archeologie numismatique, dirige par 1. i\. Svo-
ronos. 1, 1. 2. Athen 1898.
Darin u. a. S. 1. Babelon,Gelas, roi des Edoniens. — S. 11. F. Inilioof-
Bluraer, Bilhynisclic Münzen — S. 4ö. I. N. Söopwvo;, Ta /aXxa EiiiTrjpta xou
AuxojpYeiou AiovjataxoO Osätpou zai x^; KXEiaOsvEtou 'ExxXrjaia;. — S. 1"2I. M.
Vlaslo, Tarente. Didrachmes incdits. — S. 148. E. D. J. Dutilh, Monnaies
de Side et d'Egyple. — S. 157. I. N. 2]6opövo;, Eucpa[j.os.— S. 165. F. Halb-
herr, An important inscription for Ihe liistory ol' coinagc in Crete. — S. 181.
I. N. 26opcüvo;,|T£p[j.rjaa6? H TO KAHOYC eXOYCA. — S. 20b. Derselbe,
Bäxpayo; i^epiyio;. — S. 212. Derselbe, BspEV'xr, B', ßa^iXtaaa K'jpTjvaixfj; xat
AiY^^'^^O'-'' — '^' 121. F. N. Xai^ioäxi;, 2jri[i.£t(oai? "Epi xcJJv ■^Xtxx^avif.Civ xunwv
TETA BAIIAEY HAÜNAN xal AEPPONI KON.
E*iJMEPi2: APXAioAoriKH 1898 lieft 1. 2.
Darin S. 1. II. Ka66ao[a;, 'Ex xojv ;iepi X7]v 'AxpOTJoXiv ocvaaxa^üiv. — S. 21.
K. Koupo'jvtwxT);, Kcpvo'.. — S. 29. A. Sxiaj, IIavap/_a;'a eXsuaivtaxT] vExpo;ioXi;. —
S. 121. A. de Hidder, Auo xaxouxpa [jiExa Xaowv. — S. 135. H. KaoSao^a?, 'E;n-
Ypa-jtxä.
FUNDE
Im Piräus wurde bei Grundgrabungen nabe der Xtü/.x eine
Marmorhydria mit ReliefJarstellung und der Inscbrift Eüayöpa
Ai<T/ivio^ gefunden ("Att-j 25 'lo-jvio-j 1898).
In Patras wurden auf einem den Gebrüdern KoAA-jpo-j ge-
hörigen,unterhalb der Tt|/Y)Xa iXwvia liegenden. Grundstück bei
Grundgrabungen etwa 4™ tief mancherlei antike Reste, Mauer-
züge, Plattenpflaster, Säulentrommeln, eine Cisterne, die mit
Säulen abgedeckt war. gefunden. Eine dieser letzteren (1.81'"
hoch, 0,40 dick) trägt folgende Inschrift:
I M P ■ C A E S A
M- AVRELI \
ANTON IN\
AVGARMENI
CVSET-IMPCAES
LAVRELIVSVERVS
AVG-ARMENICVS
VI AM
CORRVPTAM
REFICI
IVSSERVNT
Oben darüber lag ein Relief von 1,8-2'" Höhe, 0,90"' Breite,
welches einen aufreciit stehenden jugendlichen Krieger mit
Panzer, Helm und Beinschienen zeigt, der in der Linken sein
Schwert hielt, während die erhobene Rechte eine aufgestutzte
Lanze an der Spitze fasst. Üer Kopf, von weiclien Formen,
zeigt einen leichten Barttlaum an der Wange; er hat keine
porträthaften Züge.
Die Arbeit ist flüchtig und decorativ, scheint aber noch aus
3G0 FUNDlv
guter römisclier Zeit zu stammen. Auf Stirn und Brust ist je
ein Kreuz eingemeisselt.
Dieser Umstand und die nicksiclilslose Verwendung sowol
des Reliefs wie der Inschrift zeigen die späte Rnlsleliung der
Anlage, wenn es überhaupt eine einheitliche Anlage ist. Das
Relief ist in das Geschäftshaus der Brüder KollOpou (Andreas-
Strasse, nahe dem Hafen) überführt worden. ("AaTu 13-15
'lo'jviou 1898, ausserdem benutzen wir Skizzen, Abschrift und
Notizen, die Herr A. Rehm freundlichst zur Verfü^unii; gestellt
hatte).
Südwestlich von Gytheion, in dem Käp§a[/a genannten Thal
am Fuss der fränkischen Burg Passava (Gurtius,Peloponnesos
II S. '^73), die auf den Trümmern des alten Las steht, sind
mancherlei antike Reste, z. T. von Gräbern und Sarkophagen,
vorhanden, die von einem der Besitzer der Gegend, Miy. M-nTox-
ico?, seit geraumer Zeit heimlich ausgebeutet wurden. Jetzt hat
die Behörde bei ihm einen Tierkopf (Widder oder Rind), dem
vorzü<j;liclie Arbeit nachgerühmt wird, eine Marmorschale und
drei Münzen (deren eine nach der Beschreibung eine der sparta-
nischen Münzen mit Keule und 'Etci Eijpux'Xeo; sein muss) fest-
gehalten. Früher entdeckte zahlreiche bemalte Thongefässe
und Metallgeräte fanden sich nicht mehr vor, ebensowenig
eine kleine marmorne Kriegerligur ("Atxu 16 IIsttt. 1898).
Beim phthiotischen Theben sind durch den dortigen
Alterlumsverein "OOpu; einige Funde gemacht worden. Ge-
nannt werden eine Lowenfinur natürlicher Grösse ohne Kopf
und Füsse, deren einer, abgebrochen, allerdings vorhanden
ist, zwei Inschriften, ein grosses korinthisches Kapitell, zwei
monolithische Säulen.
An einer anderen, als Xöcpo? ZepeXiojv bezeichneten Stelle,
fanden Mitglieder desselben Veieins Gräber, die in das 'i. Jahr-
hundert vor Chr. \ersetzt werden, obvvol ausser Gebeinen
nichts in ihnen gefunden wurde. An demselben Hügel fand
man steinerne und tiiöncnie W'irtel und zwei kleine durch-
bohrte Pyramiden aus Thon, oll'enbar die so häufigen VVeber-
gevvichte ("Attu 5 Okt. 1898).
FUNDE 361
Besondere Wiclitigkeit gewinnen die im Nannen der grie-
chisclien archäologischen Gesellschaft seit vorigem Jahr durch
Herrn Soliriadis in Thermon i^eleiteten Auso;rahun^en durch
den Fund eines altertümlichen Tempels des ApoUon, dessen
Dach nehst seinem Schmuck ebenso wie die Metopen nur aus
Thon bestehen. Ausser Thon scheint zum Bau ausschliesslich
vergängliches Material verwendet worden zu sein (Holz, unge-
brannte Lehmziegel, vielleicht auch Bruchstein mit Lehm), nur
die Fundamente und Stuten bestehen aus Stein, ausserdem fin-
den sich steinerne Säulentrommeln, die aber zum lirsatz ur-
sprunglicher hölzerner Säulen gehören. Die Metopen sind mit
grossen menschlichen Figuren bemalt; die plastischen Verzie-
rungen bestehen hauptsächlich aus männlichen und weiblichen
Köpfen, welche abwechselnd die Sima schmückten, die weib-
lichen Köpfe als Endstücke der Deckziegel, die männlichen,
zum Teil Silensköpfe, als Wasserspeier. Der Tempel ist ein
Peripteros mit fünf Säulen an der Front und fünfzehn an der
Langseite; die Cella ist durch eine in der Axe befindliche Säu-
lenstellung in zwei SchitTe geleilt. (Vorläufige Berichte: 'A^-ru
4. 28 'lo'jvio'j 1898 und sonst).
Für dieselbe Gesellschaft hat Herr D. StauropuUos auf
Rheneia Ausgrabungen geleitet, die (nach dem "A(jtu 24
He/iT. 1898) zur Aullindung der Bestattungs-Beste geführt ha-
ben, welche die Athener 420 bei der Reinigung von Delos
überführten. Ein Bezirk von etwa 500'^'°, miteiner Mauer um-
geben, enthielt eine etwa '/^ Meter starke Schicht von Gebei-
nen nebst den ehemals den Verstorbenen mit ins Grab s,o-
legten Beigaben. Die Schicht war mit gewöhnlichen Stein-
platten bedeckt, durch ebensolche, senkrecht gestellte in ein-
zelne Vierecke, und diese mitunter sogar noch durch weitere
horizontale Platten in verschiedene Schichten geleilt. Beson-
ders zahlreich sind Scherben von grossen, meist archaischen
Gelassen, aber auch ganz erhaltene Vasen fehlen nicht, von
den prähistorischen bis zu den rotligurigen. Eine Anzahl von
rotügurigen Gelassen entstammt einer Reihe von etwa 30 Po-
rossarkophagen, die sich in derselben Anlage fanden. Manver-
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXUI. -^^
362 PUNDE
mutet, dass diese bei der Reinigung von Üelos ganz überführt
worden seien, weil damals nocli niciit lange Zeit seit ihrer
Beisetzung verstrichen war.
Auf Mykonos hat derselbe Gelehrte (nach der gleichen
Nachricht) Kuppelgräber festgestellt, die allerdings ihres In-
haltes schon beraubt waren.
Im Ta/'jSp6ao? (Konstantinopel, 29 Matou 1898) wird eine
Inschrift aus Samothrake mitgeteilt, die auf einer 0,30™ ho-
hen, 0,15" breiten und 0,08"' dicken Platte steht und im Dorfe
in die Kirche OavayouSa verbaut war.
'Ayaöjvi Tu[j^yi
eTCi ^xaikitoc, 'Ijanitovo?
[xuaxai siJasjSet; Acv
u(pou
OOI
Aus Dorylaion (Eski-Schehir) sendet uns Herr I. MtiT^io-
TCOu>o; Abschrift und Abklatsch eines 0,95'" langen, 0,55""
breiten Steines mit der Inschrift (deutliche, 5"" hohe, mit
kleinen Apices versehene Buchstaben):
e IÜNlo¥MeNoC £.. tOvtoufxsvo?
NIOlCloCNAAPoToC vioiTio? vaSpoTO?
e I To¥MITPA(t>ATA eixou Mirpacpara
K6MACTeMPore xs Ma? Tgapoye
loCKeno¥NTAC 5 10? xe riouvrac
BACKeeNCTAPN/ ga?x6 Ev(jTapv(a)
Ao¥M©Keolo¥© SouaO X6 OtouO
BANAAAAKeToPo¥ €av A^^x xe Topou
ANriAPGeeMHNTO av. TcapeOsfx-ziv xö
MNHMeioNTOlCnPO 10 av-oy-siov xoic; Ttpo
rerPAMMeNolCOe YeYpafjLjy-evot? es
OlCl^THKnMH oi; 3t(ai) t-/) >tcü[;.7i-
TA¥0onATHP xaOe' 6 Trax^op
ACKAHÜIOC 'Ag/cXyi-io;.
FUNDE 363
Der Anfancr enthält offenbar eine Bestinnmung in phrygi-
scher Spraclie ( Participium auf - p-evo? mit eixou = iG-oi). Es
folgen plirygisclie Namen durch xe = griechisch y.y.l verbun-
den. Ansprechend vermutet A. Dieterich, dass dies die im grie-
chischen Text als Osoi erwähnten vergötterten Toten sind, deren
Schutze das Grabmal anvertraut wird, und verweist auf die
bekannte phrygische Sitte , dieselben Namen für Götter und
Sterbliche zu verwenden (Kretschmer, Einleitung in die Gesch.
der griech. Sprache S. 200, 1). Zu den Namen bemerkt P.
Kretschmer: MiTpa^axa persisch, wol =MiTpoSxT7]{;, lykisch
Midrapata. M5c? als Frauenname C.I.G. 4411 « und Heberdey-
Wilhelm, Reisen in Kilikien Nr. 264 seheint als Männername
vorzukommen bei Heberdey - Kaiinka, Reisen in Kleinasien
S. 37 Nr. 47; Teapoyeio? ist Tembrogius, wie Plinius VI, 4
den Thymbres nennt, an dem Dorylaion liegt. Zu Adda vgl.
Einleitung S. 338, zu den Nominativen O-.o'jOSxv (?) und To-
pouav das illyrische FepCav (Inschriften von Olympia Nr. 695).
Aus Laodicea ad Ly cu m sendet uns Herr G. Weber Ab-
schriften folgender Inschriften:
1. Marmorblock 0,47'" lang, 0,37 breit, 0,24 dick, verbaut
in den Fundamenten einer späten Mauer; rechter Rand er-
halten, linker und oberer gebrochen; Buchstaben 2"" hoch
mit Apices.
t-lOii lo oEloYA
TOKPATOPOZÄZ E
HTIM I 0¥ ZE 0¥H POY
nEPTI N AKO:Z2EBA
5 ZTOYKAAOYMENON
A NTQN H A FETEIA
O A ¥ M n I A
nATO N O eETHZAN
N TOIZK ¥PIOIZHZ
10 ¥TEPAZAIETHPI
n KAAnOPNIO¥
frei
364 FUNDE
— Oeiou A[üj| TOxpxTopo; A. S£|TTtu.iou SeouTipou | riepTivasto;
SeßalcTO'j xaXoüijisvov | 'AvTtövYia Fereia | 'OAuy.Trta | .tt' äyojvo-
öerriffav j --v toi; x'jpiot? (t)-?]; | [Sejurepac Si£T7ipi[So(;] 11. lixl-
Tcopviou.
Die Inschrift bezieht sieh offenbar auf einen äywv, der viel-
leicht in dem ü((|/)(o(v) . . . des Anfangs steckt (der zweite Buch-
stabe war schmal, P und T sind ausgeschlossen). In Z. 8 fehlt
am Anfang ein Buchstabe, so dass wol nur [ejx' oder [6]^'
möglich sind. In Z. 9 giebt Webers Abschrift, aber nicht der
Abklatsch, ein Q vordem N (äyü)voO£TY)(7äv[T]cov?), am Ende
stand möglicherweise T-i'^ in Ligatur.
2. Marmorblock 0,90™ lang, 0,39 breit, 0,40 dick (Schrift-
fläche 0,68 : 0.255) rechts gebrochen ; der Stein liegt in der
Erde an der grossen Strasse und gehört nach Webers Ansicht
zu dem Triumphbogen, der hier stand.
ANIKIONACnPONTO
YRA TIKON KAIKTICTHK
A N e CO NeYep rejHTAiANee
frei
'Av{)tiov "Atttcov t6[v] I uTTaTixöv y.y.1 y.xiGzri'j | äv6' (iv 6uv)pY£-
TTixat äv£0|[yi)cev ri -rtöXi;.
Die am Ende ergänzten Buchstaben müssen auf einem an-
deren Blocke gestanden haben, da nach der Angabe Webers
die Profilirung unterhalb des letzten © in Z. 3 umbiegt.
3. Grabstele aus Marmor, 0,65™ lang, 0,20 dick, erhaltene
Breite 0,16; Gladiator mit Siegespalme in Relief, darunter
die Inschrift :
A M M I A T Q avSpt So-
ZOME Nö
N A 1^ M N £iai; X'^P'-'*'
4. Marmorblock von 0,25'" Breite. 0,42 Höhe, rechts und
FUNDE
365
unten gebrochen, in der Nähe derAgora; die zwei ersten Zei-
len verwittert :
If V A 1 ! I
f A E N 4 r
Z E B A 2 TT,
N E a K O P 0?
M H T P O r 0
A I Z T H 2 kni
A Z A A O St
5. An dem Rundbau auf der Agora steht auf einenfi mit
Palmetten und Eierstab gezierten, 0,33'° hohen und noch 0,30™
breiten Friesstück in schönen monumentalen Buchstaben:
fATOTYip K A 5! "p f V
6. Eine Vergleichung der bei Le Bas-Waddington III, 16931'
veröffentlichten Inschrift von Kolossäergab, dass die erste Zeile
lautet :
'A(pt6p(ü<j£]v öeav Tü^Yiv TYit TraTpiöi.
Aus Hypaipa stammt die von Herrn E. "looSaviSrj; in Ab-
schrift und Abklatsch mitgeteilte Inschrift, welche sich jetzt
in seinem Besitz befindet. Der Majuskeltext musste der schma-
len Schrift und ungewöhnlich zahlreichen Ligaturen wegen
unterdrückt werden :
no(TTO'ju.i(i) TiTia[vüi
6v TTraiTCOi; Aüp. 'A<p[ iy. Trpoyövwv
(TT£(pav)0(p6p(üv a(Tiäp[^(ov
TToXei xat ßou>.£uTai<;
TYiv )cat auxap^ov uu.cöv xaxa
Y)7riCTa[xy)v , oti i/etCov i7va[iüiv oder jxei^ova Traocöv tcüv . . ,
^ap' 'jawv aiX'.TTa ipexcov
366 FUNDE
Ebenfalls aus llypaipa verschleppt ist ein Marmor. 0.55™
hoch, 0,45 breit, jetzt l)ei dem Schuster Myivä? in Ödemisch;
Buchstabenhöhe 2,5'''°. Mitteilung desselben Herrn.
TONTOTTON
ocva T I e E M I I N A n A P £/-o
tyittOAEIAHNAPIATE xpay-OTiat
AI AfiMI YnOGH KHN
5 YPAEITETI5:iNA
T O Y4)12KOYKAITn
KE0AAAION
TOZ EKTOYXÜPIOY
K T H 2 I N E
Nach der Mitteilung desselben Herrn ist in die nordwest-
liche Ecke der Moschee von Ftewri (Yeyevli auf Kieperts Karte,
östlich von Tire) ein 0,60'" langer, 0,'20'" breiter Marmorblock
verbaut, der in 1"" hohen Buchstaben die Inschrift trägt:
AIIAY0EITHKAITH2AYEN
AHNaNKATOIKIAATTOAAn
NiZOEOAnPOYTOYAnOA
AnNJOYEnOlH-'^FTON ^
Ali AuOsiTT) xai T-?i Sa'j£v|SYivwv xaTODCiK 'A7vo>.X|ü)vi(; ©eoSwpou
ToC 'Atto^IXüjviou STToi'oas tÖv . . .
Ob der durch den Abklatsch gesicherte Beiname des Zeus
mit aüOevTTK; zusammenhängt, muss dahingestellt bleiben.
Marmor vermauert im Quartier Tisiri Ma/a>£ in Tire
eyeiMHSAN
MeNANAPON
Nachtrag 367
In Tyana (jetzt KXick Xi'jap oder nach Kiepert Kenisse-His-
sär) ist die Statue eines iMädcliens gefunden und auf Befehl
der fieliörcJen nacli Ikonion üherluhrt worden, um in das .Mu-
seum in Konstantinopel verbracht zu werden. (KcüviTavT-.vo'j-
■Kolic, 11 'lo'jvio'j 1898). Iiliner dadurch veranlassten histori-
schen Skizze in derselben Zeitung (18 'Io'j^io'j 1898) entneh-
men -wir die anscheinend noch unveröffentlichte Inschrift:
2ÜTI1P KAI 0EOAOTOI
^TPATQNO:i:
EK TQN lAIÜN KATESKEr-
ASAN
die sich dort auf feinem kubischen grossen Stein nicht weit
von der Wasserleitung vor einer Gartenthür belinde.
Im ägyptischen Kunsthandel sah F. von Bissing eine nach
seiner Angabe vielleicht aus Memphis stammende ptolemäi-
sche Bauinschrift :
Euspyexwv Kxi tcüv t£x.vcov SapstTTiSi | "IctSt tov vaöv y.al tÖv Trspi-
ooXov j ^ 'AttoXXwvio; <l>i).i{ovo? 'Aü.u.(i)vi£u? I >tai r; yjvr) auToO Ay)-
(XTlTpiOt.
NACHTRAG
Bei den Ausgrabungen des deutschen archäologischen In-
stituts wurde im Jahre 1895 an der Nordwest -Ecke des Areo-
pags in einem Brunnen das rechte Endstück eines Reliefs aus
pcntelischeni Marmor (li()he 31^"°, Breite unten 25"") gefunden,
auf dem in guter Arbeit des frühen 1\' Jahriiunderts zwei nach
links gewandte Frauen hinter einander dargestellt sind. Da
sich auf der unteren Fläche keine Spur des üblichen Zapfens
erhalten hat, ist mehr als die Hälfte des Reliefs verloren. Die
368 BERICHTIGUNG
schon hiernach wahrscheinliche Romposition von drei Gott-
heiten rechts und mehr als einem Adoranten links wird durch
die Inschrift heslätigt, welche auf der oberen Leiste steht, über
dem Kopfe der Gestalt links beginnt und bis zum Ende des
Reliefs reicht :
\ IKAEoNO0ONYM(t)AIS:
Des Raumes weo;en muss mehr als ein Name am Anfang
fehlen und man wird daher -h Ssiva /.xi ri Seiva] al K)^£ov66o
Nufx<pai(; ergänzen müssen. Das vermutlich nicht weit ver-
schleppte Relief darf als monumentales Zeugniss für den oben
S. 220 f. vorausgesetzten Nymphenkult des Thaies der Kallir-
roe verwertet werden.
H. VON PROTT.
BERICHTIGUNG
S. 202 Z. 2 ist zu lesen: 'ETviTvi? ßopeioSuTi/t-^? kXituo? u. s. w.
Geschlossen 12. November 1898.
EIN ATHENISCHES PROXENIEDEKRET FÜR ARISTOTELES
Bisher war von engeren Beziehungen zwischen dem athe-
nischen Staate und Aristoteles so gut wie nichts bekannt.
Nur die Vita Marciana (S. 430 Hose: Arist. fragm.^, 1880) und
derAmmonius lalinus (S, 4i6i{osej berichteten, dass Aristote-
les sich bei König Philipp im Interesse Athens brieflich ver-
wandt habe, und nach llermippos bei Diogenes Laertius V, 1 ,2
soll er sogar als Gesandter Athens zu Philipp gegangen sein
( TrpecßeoovTOi; auTOu Trpo; 4>i;Xi--ov ü~£p 'A^r,vatcüv j. Weiter wird
uns an den beiden erstgenannten Stellen mitgeteilt, der atheni-
sche Staat habe seinen Dank dadurch abgestattet, dass er
dem Aristoteles eine Bildsäule aut" der Burg errichtete : was
Wahres daran ist, können wir nicht kontroUiren.
Über das ollizielle V'erhältniss zwischen Aristoteles und
Athen hätte man indessen längst Genaueres wissen können,
wenn man die arabische Lebensbeschreibung des Aristoteles
von ihn Abi Usaibi'a beachtet hätte, die zu einem grossen
Teile auf die Biographie ües Plolemaios Chennos zurückgeht
und in dieser Partie schon im Jahre i869 von Moritz Stein-
schneider (« Al-Farabi » Menioires de lacadeniie imperiale
des Sciences de St. Pe'tersbourg, VII Serie, Xlll, 4, An-
hang 3) erstmalig deutsch herausgegeben war. Jüngst hat nun
Anton Baumstark in seiner im Buchhandel noch nicht erschie-
nenen llabilitationsschrilt 'Syrisch-arabische Biographieen des
Aristoteles' (Leipzig 1898, Teubner), welche ich seiner Güte
verdanke, die aut" Ptolemaios zurückzuführenden Stücke des
Ibn Abi Usaibi'a in neuer besserer Übersetzung vorgelegt,
und darunter lindet sich auch S. 46/b das Folgende;
'Wegen der Menge der Wollhaten und des Guten, das er auf
diesem Gebiete erwies, gingen die Athener so weit, sich zu
versammeln und (.lau Besciiluss zu fassen, eine Inschrilt zu
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 25
370 fi. DRERUP
schreiben, die sie in eine steinerne Säule eingruben, und sie
auf der höchsten Citadelle in der Stadt, die xkoötcoI^^ genannt
wird, aufzustellen. Sie erwähnten in dem, \vas sie auf die
Säule schrieben, Aristoteles, Sohn des Nikomachos, aus Sta-
geira habe sich verdient gemacht durch die Ausübung des
Guten und die Menge des Helfens und Wolthuns, die ihm ei-
gen gewesen seien, und die Förderung, die er den Athenern
habe angedeihen lassen, indem er für das. was ihrer Sache
diente und ihnen gute Behandlung erwirkte, bei König Phi-
lippos eingetreten sei: so solle nun die Anerkennung der Athe-
ner für das hieraus erwachsene Schöne klar werden ; sie sol-
len ihm Vorzug und Auszeichnung schenken und ihm ehren-
des Gedächtniss und treue Erinnerung widmen. Wer aber von
den Männern der Herrschaft ihn für unwürdig hält, möge nach
seinem Tode es ihm gleichthun und seinem Eintreten für sie
in Allem, was sie hinsichtlich ihrer Bedürfnisse und Angele-
eenheiten wünschten. Und einer von den Athenern, mit Na-
men Himeraios (?), hatte sich, nachdem die Athener beschlos-
sen hatten, was sie bezüglich dieser Inschrift beschlossen, von
ihrem Beschlüsse getrennt. Er behauptete in Sachen des Ari-
stoteles das Gegenteil ihrer Behauptung und ging auf die Säule
los, auf die die Athener die Lobesinschrift zu schreiben be-
schlossen und die sie auf dem äx.poTcoXi; genannten Platze auf-
gestellt hatten, und warf sie von ihrer Stelle, und es ergriff
ihn, nachdem er seine That verübt hatte. Antinoos {oder
etwa Antipatros?) und Hess ihn töten. Sodann errichtete ein
Athener, mit Namen Slephanos. und zahlreiche Andere mit
ihm eine steinerne Säule. Darauf schrieben sie, was von Lob
des Aristoteles dem glich, was auf der ursprünglichen Säule
gestanden hatte, und verbanden hiermit eine nachdrückliche
Erwähnung des Himeraios (?), der die Säule umgestürzt hatte,
und der von ihm vollbrachten Thal und erklärten seine Ver-
fluchung und die Reinigung (././/. der Stadt) von ihm für
notwendig '.
Schon Baumstark hat bemerkt, dass hier ein echtes athe-
nisches ^j;yi(piG{7.a vorliegt, für dessen Erhaltung bis in das späte
tiN ATHENISCHES PROXENIEDEKRET PUER ARISTOTELES 371
Altertum es genügt, auf die urkundlichen Beilagen von Pseu-
do-Plutarchs Leben der zehn Hedner zu verweisen. Dem Ken-
ner der attischen Urkundensprache wird auch gleich die eine
oder andere Formel athenischer Ehrendekrete in den Sinn ge-
kommen sein, wennschon der Übersetzer manches offenbar
nicht versfanden hat und besonders über den staatsrechtlichen
Termini technici gestolpert ist. Cberiiaupt hat der Araber,
dessen Aristoteles- Vita auch nur durch ein syrisches Mittel-
glied auf die griechische Vorlage zurückgeht, garnicht beab-
sichtigt, das Dekret in streng wörtlicher Übersetzung wieder-
zugeben, da ihm die nüchterne Form des Kanzleistiles wenis
zusagte. Zudem ist der arabische Text kritisch keineswegs
gesichert, und darum könnte es aussichtslos erscheinen, wenn
man hiernach den Wortlaut der griechischen Urschrift re-
konstruiren wollte. Indessen: der Schematismus der attischen
Kanzleisprache ist so fest umschrieben , dass wir mit einem
gewissen Vertrauen den Versuch maclien dürfen, das Original
wieder zu gewinnen, wenn wir uns damit bescheiden wollen, die
ständigen Formeln der athenischen Fhrendekrete in der Bear-
beitung des Arabers aufzuspüren. Je weiter dieser \'ersuch uns
führt, desto grösser wird der historische \\'ert unseres Doku-
mentes werden, der sich nur in einer Zusammenstelluno; mit
den gleichartigen Psephismen völlig erschöpfen lässt.
Die Beziehung der Urkunde auf den Philosophen Aristote-
les wird ausser Zweifel gesetzt durch die oilizielle Benennung
'Api<jTOT£Ar,; N'./.oaxyo'j — Tay£'.ptTr,c, die dem Gebrauche «ier
attischen Dekrete entspricht. Die Ehrung des Aristoteles nun
ist zweimal Gegenstand der Verhandlung in der athenischen
Volksversammlung gewesen: einmal als man ihm für seine
Bemühungen bei König Philippos eine ölTentliche Auszeichnung
zuerkannte, zum anderen, als mau ihm diese Ehrung er-
neuerte, die auf Betii'iben des llimeraios kassirt worden war.
Bei dieser letzteren Gelegenheit aber wurde beschlossen, 'was
von Lob des Aristoteles dem glich, was auf der ursprüngli-
chen Säule gestanden hatte' (oder nach Steinschneider: 'sie
schrieben darauf dasselbe Lob des Aristoteles, welches auf der
372 E. DRERUP
früheren Säule gestanden'). Und da uns eben dieser zweite
Bescliluss überliefert ist, so muss in seinem ersten Teile im
wesentlichen dasselbe enthalten sein, wie in dem ursprüng-
lichen Ehrendekrel. das noch bei Lebzeiten des Königs Phi-
lippos ergangen war. Dies ist für die I^eurteiking unseres Do-
kumentes deshalb von Wichtigkeit, weil die Formeln der at-
tischen I^jlirendekrete gerade im letzten Drittel des 4. Jahrhun-
derts sich zu immer grösserer Breite entwickeln ; der frühere
Beschluss liegt noch vor dieser Zeit und muss demnach auch
mit den in der Form conciseren älteren Ehrendekreten in
Vergleich gebracht werden.
Betrachten wir nun den Inhalt des ersten Abschnittes un-
serer Urkunde, so können wir hier deutlich drei Teile unter-
scheiden: I) die Motive: 'Aristoteles — habe sich verdient
gemacht durch die Ausübun»- des Guten und die Men^e des
Helfens und VVolthuns. die ihm eigen gewesen seien, und die
Förderung, die er den Athenern habe angedeihen lassen, in-
dem er für das, was ihrer Sache diente und ihnen gute Be-
handlung erwirkte, bei König Philippos eingetreten sei'; 2) die
Ehruno;: 'so solle nun die Anerkennung; der Athener für das
hieraus erwachsene Schöne klar werden; sie sollen ihm Vor-
zug und Auszeichnung schenken und ihm ehrendes Gedächt-
niss und treue Erinnerung widmen'; 3) eine allgemeine Mah-
nung: 'wer aber von den Männern der Herrschaft ihn für
unwürdig hält, möge nach seinem Tode es ihm gleichthun
und seinem Eintreten für sie in Allem, was sie hinsichtlich
ihrer Bedürfnisse und Angelegenheiten wünschten'.
Die Motive sind doppelter Art, die allgemeinen Verdienste
des Aristoteles (um Athen) und seine besonderen Bemühun-
gen hei König Philippos. Was die ersteren angeht, so klingt
freilich der Ausdruck des Arabers — oder, wie w'iv überall
dafür einsetzen können, seiner syrischen Vorlage — 'Ausübung
des Guten und Menge des Helfens und Wolthuns' (ganz ähn-
lich Steinschneider) wenig attisch; aber der Sinn entspricht,
selbst in der Teilung der Begriffe, vollständig den üblichen
Formeln, von denen die folgende mit dem Araber am meisten
EIN ATHENISCHES PROXEkTlEDEKRET FUER ARISTOTELES 373
übereinkommt: £-£'.S-*i — y-^-ntj xyaOö; sttiv ttsoI tov Sr,aov tov
'AOY)vai(i)v y.ai Ttoiet 6t'. S'jvy.rai äyaOöv (CIA. II 68, Vgl. IV. 2
107 <6). In anderen Dekreten zeigt diese Formel kleine Abwei-
chungen, die des öfteren auch eine Nüancirung des Sinnes
mit sich bringen; sie im einzelnen zu besprechen, würde den
Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Der zweite speziellere
Teil der Motivirung bezieht sich auf die Förderung der athe-
nischen Interessen bei König Philipp ; es fragt sich, worin
dieselbe bestand und auf welche Zeit wir sie /u datiren ha-
ben. In den Worten des Arabers (' seine Verwendung bei Phi-
lippus, dem König, für das, was ihre Sache fördere und ihnen
gute Behandlung erwirke' Steinschneider) ist nun aber durch-
aus kein Anhaltspunkt dafür gegeben, dass wir hier etwa
eine Beziehung auf eine Gesandtschaft des Aristoteles oder auf
brielliche Fürsprache bei Philipp erkennen dürften: denn für
ein solches vereinzeltes Faktum ist die Ausdrucksweise des
Arabers viel zu allü;emein und unjjeslimmt. Auch hier erhal-
ten wir aus den Inschriften vollkommen befriedigende Aus-
kunft. Ich vergleiche besonders die Inschrift C.I.A. 11 124,
die in das Jahr 337/6 fällt und überhaupt in ihrer Motivirung
sich nahe mit unserem Dokumente zusammenstellen lässt. Hier
lesen wir Z. 12 etcöiSt) - - xxi] JTr'.u-cAttTai 'AOrjVaiLWv Tcjv a(p-
t)cv]o[u{;.]£'v(i)v (ii; ^OaTTTUov ^7rpxTT(i)v äya]ö6v o[T]t S['jvaT]ai 'AÖTj-
v[aiot? Tcapic <I>i]Xt-:roj. Und ganz ähnlich heisst es in der nur
wenige Jahre jüngeren Inschrift C. /. ^4. II 161 £7i:t}Z£jXfciT[ai]
06 )cai 6v t[(I) vöv ypovco y.x\ icoivr, /.vX iotzl 'AQyjvaiwv tcüv [x^ix.vou-
{jL£vü)v ei; "Apyo;. Im übrigen verweise ich auf C. 7.^4. II 193.
194. 234. 2.9. 263. 264 u. s. w. IV, 2 107 Z», 264'^, 264^
u. s.w., und für die ausgebildetste Form dieses ^Motivs vor allem
di\\{ C.I.A. II 300. Inhaltlich decken sich diese Formeln mit
den Worten des Arabers, die mit viel gi'össerer Wahrscheinlich-
keit auf die 'gute Behandlung' athenischer Gesandtschaften,
als auf die i!;ule Bebandluu'iir des ganzen Staates «redeutet wer-
den können, leb setze demnach das ältere h^hrendekret ohne
Bedenken in die Zeit vor 338, als Aristoteles noch als Prin-
zenerzieher am makedonischen königshofe weilte. Aristoteles
374 E. DRERUP
bedurfte für seine Fürsprache keines besonderen Auftrages,
der voraussetzen würde, dass er früher schon eine angesehene
Stellung in Atlien bekleidet hätte; dagegen ist es natürlich,
dass er sich in Pella der Stadt erinnerte, in der er seine vor-
züglichste Ausbilduni»- «renossen liatte und die er auch in der
Fremde als die geistige Centrale von Griechenland schätzen
musste, und ebenso natürlich ist es, dass sich Athen ihm da-
für dankbar zoigte.
Was sind nun die Ehren , die dem Aristoteles erwiesen
wurden? in den meisten attischen Ehrendekreten aus der zwei-
ten Hälfte des 4. Jahrhunderts macht eine allgemeine Belobi-
gung den Anfang dieser Ehrungen : etwa sTraivecxi 'ApicTo-
Te'Xy]V N'.5tou.xyo'j SraysipiTYiv (äpsx-oi; eve'/ca x.at süvoiai;), und
diese Formel dürfen wir meines Erachtens in den Worten des
Arabers wiederfinden 'so solle nun die Anerkennung der
Athener für das hieraus erwachsene Schöne klar werden'.
Man könnte versucht sein, hier einen Hortativ einzuschieben:
OTTO); (Xv oüv (XTraciv y) cpo-vspöv, 6t'. y] ßouX-)] x.xi ö or^ao; 6 'AOvi-
vaiwv ETCicTarai yy-pixa? äTuooiSövai -koltcl^Ixc, toi; (piXoTip-Oui^-e-
vot; sl? lauTov (C.I.Ä. IV, 2 270, Vgl. 314). Aber für die Hor-
tativformeln. die mit einiger Wahrscheinlichkeit hierher ge-
zogen werden könnten, ist der Ausdruck des Arabers viel zu
mager, und zudem glaube ich, diese Mahnung in einem an-
deren Teile unseres Dekretes deutlicher zu erkennen.
Im Folgenden sind die Worte 'und ihm ehrendes Gedächt-
niss und treue Erinnerung widmen' ('und erkannten ihm An-
denken und Erinnerung zu ' Steinschneider) für ein atheni-
sches Psephisma ebenso undenkbar, wie das unmittelbar hier-
mit verbundene 'sie sollen ihm Vorzug und Auszeichnung
schenken' ('sie begegneten ihm mit Auszeichnung und Er-
hebung' Steinschneider) in seiner l nbestimmtheit dem atti-
schen Gebrauche widerspricht. Dennoch dürfen wir hieraus
die dem Aristoteles zu Teil gewordene Ehrung mit Sicherheit
erschliessen.wenn wir überlegen. welche Auszeichnungen über-
haupt in attischen Ehrendekreten verliehen zu werden pllegen
und wie wir uns diese vom Araber umschrieben denken dür-
EIN ATHENISCHES PROXENIEDEKRKT FUER ARISTOTELES 375
fen. In der zweiten Hälfte des '.. Jahrhunderts verbindet man
mit der allgemeinen l3elohiji;ung gerne die Verleiimng eines
goldenen Kranzes in der stereotypen Wendung nai <jTe<pavwaai
ypu-jo) axEcpivw ( atTcö X Spx/atöv). Konnte dies nun etwa vom
Araber durch 'Vorzug und Auszeichnung' wiedergegeben
werden? Ich behaupte, nein: denn die Kranzverleihung ist eine
so sinnlUUige Ehrung, dass sie vom Araber verstanden, und
der Ausdruck dafür so prägnant, dass er von ihm jedenfalls
richtig übersetzt wäre. Dasselbe gilt von der Erteilung des
Bürgerrechtes: eivxi a-'jTov 'AÖYivaiov, die nicht leicht missver-
standen werden konnte; zumeist ist diese auch von umfang-
reichen Bestimmungen über die Wahl von Phyle, Demos und
Phratrie und über die Bestätigung durch die Volksversamm-
lung begleitet, von denen in der Bearbeitung des Arabers jede
Spur verloren sein müssle. 'AreXsia aber, iaoTeXs-.a oder lyy.TT)-
Gt?, die für den in AJakedonien lebenden Fremden auch erst
in zweiter Linie in Frage kommen, werden nur in seltenen
Fällen verliehen, wenn nicht gleichzeitig die Ernennung zum
Proxenos oder die Einreibung unter die altischen Bürger er-
folgt oder früher bereits erfolgt ist. Es bleibt demnach in der
That nur noch die Ernennung zum Proxenos und Euergetes,
die ich um so bestimmter für Aristoteles in Anspruch nehme,
als die Worte des Arabers sich leicht aus einem Missver-
ständniss des attischen Terminus ^ecA/?7cw5 -erklären. Die T^po-
^eviot war dem Araber in ihrer Bedeutung dunkel, und ebenso
wenig konnte er die staatsrechtlicheStellungder offiziellen eOeo-
yerai kennen ; doch konnte er vermuten, dass es sich hier um
eine ehrende Auszeichnung handle, und danach ist dann seine
Übersetzung ausgefallen. Eine vage Verallgemeinerung ver-
tritt die staatsrechtlichen Termini, die nur insofern eine ge-
nauere Wiedergabe gefunden haben, als die meistens verbun-
denen Begriffe der 7rpo;£vix und eJepve'iia durch zwei Syno-
nyma ausgedrückt sind: und dieses bürgl uns für di«^ Uichtig-
keit unserer Vermutung Wir dürfen aber jetzt auch weiter
aolion : denn die Ernennung zum Proxenos und Euergetes
wird in den meisten Fällen auf die iNachkommen des Geehr-
376 E. DRERUP
ten übertragen, und darin können wir nun eine Erklärung
finden für das 'ehrende Gedächlniss' und die 'treue Erinne-
rung*, die dem Aristoteles zuerkannt werden. Da der Araber
von Proxenie und Euergesie nichts wusste. so konnte er auch
die Fortdauer dieser Auszeichnung in ihrem wirklichen Sinne
nicht begreifen und ausdrücken; darum hat er die Erwähnung
der EKyovoi zu Andenken und Erinnerung ausgedeutet. Wei-
tere Ehrenrechte scheinen dem Aristoteles nicht eingeräumt
zu sein. Ich fasse die Ehrung des Aristoteles hiernach in die
Formel : r^eSoyOai T(p ötii/w STC^ivsaat 'Api^iTOxA-ziv 'Nix.oiJ.icyox)
STaysipiTYiv aoETYi«; hzKx x.ai süvoia; kolI eivat auTOv Trpö^evov xocl
Übrig ist noch die Mahnung 'wer aber von den Männern
der Herrschaft ihn für unwürdig hält, möge nach seinem Tode
es ihm gleichthun und seinem Eintreten für sie in Allem,
was sie hinsichtlich ihrer Bedürfnisse und Angelegenheiten
wünschten'. Sie kann in dieser Form dem Original nicht an-
gehören: denn als das Psephisma beschlossen wurde, war A-
ristoteles noch nicht tot, und darum ist die Verweisung auf
den Todesfall nicht nur an sich höchst unglücklich, sondern
auch mit dem Charakter eines athenischen Ehrendekretes
durchaus unvereinbar; dass aber Jemand von den Männern der
Herrschaft den Geehrten für unwürdig halte, ist vollends eine
Voraussetzung, die der athenischen Volksversammlung gänz-
lich fern lag. Der Sinn der arabischen Übersetzung ist auch
gerade in diesem Satze sehr unsicher, da Baumstark erst nach
einer längeren Auseinandersetzung zu der Erklärung kommt:
'wer dem grossen Toten seine Ehre neidet, verdiene sich
gleiche selbst'. Steinschneider hatte übersetzt: 'Wer von den
Hochgestellten (Männern der Herrschaft) ihn beleidigte, dessen
Strafe folgte. Seine Verwendung für sie [war] in allem, was
sie begehrten, in Bezug auf ihre Bedürfnisse und Angelegen-
heiten'. Wenn ich trotzdem eine solenne Formel hier wieder-
finden will, so leitet mich dabei die Erwägung, dass von den
Bestandteilen der älteren Ehrendokrete nur noch zwei mit ei-
niger Wahrscheinlichkeit hierauf bezogen werden können. Ich
EIN ATHENISCHES PROXENIEDEKRET FUER ARISTOTELES 377
hatte anfjinglich daran sjedacht, dass Aristoteles hier der Für-
sorge der Behörden empfolilen sei, etwa wie in CIA. 11 39
[xai T7)v ßouXyiv Tr)v] aUi ßo'jXeuO'j['jav £:rta£X7i6-/;vaji MeAxvÖiou )t[a'.
Twv eyyövcijv ö]-:o'j av ^eojvTa-. ; hiernach wäre auch die An-
rufung der 'Männer der Herrschaft' niclit so sinnlos, zumal
vielfach die Strategen (und Prytanen ) mit der Bule sich in
das Geschäft des e-iaeXetTÖa'. teilten. Besser indessen will es
mir gefallen, wenn wir grösseren Nachdruck auf die hier aus-
gesprochene Mahnung legen und danach einen llortativ sta-
tuiren, wie er schon von der Mitte des 4. Jahrhunderts an in
den Inschriften sich findet [C. LA. W 114^4. 115Z>). Es ist
aber misslich, eine bestimmte Formel als Prototyp für unsere
Urkunde auszuwählen, weil die Hortative in zahlreichen Va-
rianten vorkommen, von denen mir inhaltlich noch am näch-
sten verwandt erscheinen C. I.A. II 103 örcw; [ocv v.%\ ol xXXo'.
«Travjxs? cptXoTiuüivTai £iSö[Te? ot]i 6 Syifxo; ydcptra; otTroSi^ijSaxiiv
Toi? 6t; ea'jTÖv cptXoTi[tAo]u(j!.evot5 oder II 297 ottco; av cö; rXsiTTOi
(piXoTi[j(.{ovTai /psiocv Trape^suOxi £[7Tt] xöt rruvcpepovTa to> ö'^y.o). Aus
dem (ptT^oTtasiaÖoti (oder d-^pxuLiXXov eivai C. I. A. II '231. 243.
320) konnte der Gedanke an neidische Verkleinerung des Ver-
dienstes entstehen und daraus wieder die Übersetzung des
Arabers, in welcher die 'Männer der Herrschaft' allerdings
unerklärt bleiben.
Die Einleitung der Paraphrase und der zw^eite Teil des De-
kretes beweisen, dass ein Publikationsheschluss das Psephisma
endigte. Ich stelle hiernach die für das ursprüngliche Ehren-
dekret erschlossenen Formeln zusammen, indem ich im voraus
bemerke, dass ihre Zuverlässigkeit in manchen Einzelheiten
des Wortlautes natürlich keine Gewähr hat:
— £i7r£V £^£1^71 'ApKTTOTfiX-n; Nix.O(xäj^ou STayEipiTY)? avTip aya-
86? £(TTiv ;r£pi tÖv orimov xöv 'AOyivaiwv xai ttoiei öxi öüvaTai iyaOöv
xai £7riu'.£X£iTai 'AOiovaiüJV Toiv iiptJcvouixEvwv (ö; «tiXiTTTOV TcpxTTcov
äyaOöv oTi Süvaxai 'A6ir)vaiot; Tuapä ^iXittttou, SfiSö^-Öai xqi öY;a(i),
6Tvaiv£aat 'ApifTTOTeXiriv NiJcojAÄyou STayeipixYiv äpfix-J^; £V£x,a xai £u-
vota; x,ai fiivai aüxov 7rpö^£vov jcai £U£py£XY)v xoG öf.aoi» xoO 'A9r,-
vatcov a'jxöv xat Ixyövo'j; , Ötccü; av x.at o! aXXot a7:avx£? tpiT^oxi-
378 E. DRERUP
(jLöivTai £|S6t£<;,oti 6 ör,(jt.o; yotpiTa? ä7ToSio(0'7tv rol^ £i<; äauTOV cpi^o-
Tiaouasvot?. ävaypxij^ai Ss xöSe to (j/rjApiTaa tov Ypaa[/,aT£a x.x'X.
Der zweite Teil unserer Urkunde, der historisch ausseror-
dentlich interessant ist, lässt eine Reconstruction des ^riechi-
sehen Originals schon deshalb nicht zu, weil wir es hier nicht
mit stereotypen Redewendungen, sondern mit einer den be-
sonderen Umständen angepassten Erzählung zu thun haben.
Ausserdem hat der Araber, der sich im ersten Teile ziemlich
eng an den griechischen Wortlaut gebunden hatte, hier mit
einer allgemeinen Paraphrase des Inhalts sich begnügt, die uns
nicht einmal erkennen lässt, ob sich auf der wiedererrichteten
Stele zwei getrennte Volksbeschlüsse befunden haben oder ein
einzelnes Psephisma, das die frühere Ehrung des Aristoteles
in sich schloss.
Die Thatsachen, die der Erneuerung des Ehrenbeschlusses
vorausliegen, sind durch den Araber jedoch mit genügender
Deutlichkeit wiedergegeben, wenn seine Darstellung im Ein-
zelnen auch \on der Vorlasfe sich entfernt. Danach war also
o
zu irgend einer Zeit die früher dem Aristoteles zugesprochene
Ehrung annullirt worden Selbstverständlich ist nicht daran
zu denken, dass dies gleich nach der ersten Entschliessung
geschehen ist, wie aus den Worten des Arabers hervorzugehen
scheint : 'und einer von den Athenern . . . hatte sich . . . von
ihrem Beschlüsse getrennt'. Die hischriftstele war vielmehr
auf der Akropolis aufgestellt und hatte hier schon Jahre lang
gestanden, als das Unwetter sich über Aristoteles entlud: denn
der als sein Urheber genannte llimeraios ('Aimaraus' Stein-
schneider) ist doch wol Niemand anders, als der Bruder des
Demetrios von Phaleron. der während des lamischen Krie-
ges und kurz vorher in Athen eine Bolle gespielt hat. Er ge-
hörte zu den enragirtesten Makedonenfeinden und nahm als
solcher Teil an der Anklage gegen Demosthenes. Auch sonst
war er politisch hervorgetreten, da Deinarch gegen ihn eine
Rede in einem Eisangelieprozess verfasste (vgl. A. Schäfer,
Demosthenes 2 IMS. 327). Aus den Inschriften kennen wir
ihn jetzt als i£p£U(; too IloT£iS(i)vo; tou IhXayiO'j C. I. A. IV, 2
EIN ATHENISCHES PROXENIEDEKRET FUER ARISTOTELES 37?
184^» Z. 18. Nach dem unf^liickliclifn Ausgange des lami-
sclien Krieges teilte er das Geschick des Ilypereides und Ari-
stonikos, die auf Befehl des Antipatros ergriffen und hinge-
richtet wurden (Schäfer a. a. O. S. ;39l/2).
Die politische Stellung des llimeraios passt also vortrefilicli
zu seinem Vorgehen gegen Aristoteles; die Identität der Per-
son wird ausser Zweifel gestellt durch die letzten Schicksale
des Himeraios, da in der Inschrift, wie schon Baumstark ver-
mutete, an Stelle des hier unmöglichen Antinoos — 'Ahthitus
(Anlinus)' Steinschneider — gewiss Antipatros stand. Die enge
Verbindung zwischen dem Einschreiten gegen Aristoteles und
dem Tode des Himeraios existirt allerdings nur in der Phan-
tasie des Arabers. Die Thatsache aber , dass die staatliche
Ehrung des Aristoteles nach so vielen Jahren kassirt worden
ist; giebt uns sicheren Aufschluss über die Stellung, die die-
ser in Athen damals eingenommen hat ; denn die Aktion des
Himeraios ist nur aus seiner Antipathie gegen die Makedonen
zu erklären. Aristoteles hatte die Proxenie durch seine Ver-
wendung bei dem Makedonenkönig sich erwirkt, und offen-
bar galt er auch später, als er sich wieder in Athen befand,
als besonderer Günstling des makedonischen Hofes. Nun wissen
wir, dass er im Jahre 823, nach dem Tode Alexanders. Athen
verliess, weil man ihn wegen aisSsia vor Gericht gefordert
hatte. Aber diese solenne Philosophenanklage, die gegen ei-
nen Anaxagoras und Protagoras und selbst gegen einen So-
krates mit einem Schein von Recht erhoben war. hatte am
Ende des 4. Jahrhunderts ihre innere Berechtigung verloren:
sie war ein Anachronismus geworden, von dem man nicht
begriffen hat, wie man ihn noch in dieser Zeit des sittlichen Ver-
falls begehen konnte. Unsere Urkunde giebt uns den Schlüssel
dafür. Aristoteles hatte sich als überzeugter Makedone poli-
tisch missliebig gemacht, war aber so wenig in die ütTent-
lichkeit hinausgetreten, dass man nicht recht wusste,wie man
ihn fassen sollte. Darum i^rub man ü-ewn ihn ilie Kla^e iis-
Seia? wieder aus, die schon gegen so manchen Philosophen
ihre guten Dienste gelhan hatte : ihre Begründung war aus
380 E. DRERUP
den Schriften des Aristoteles leicht beizubringen. Und wenn
auch die Klage in ruhigen Zeiten keine Aussicht auf Erfolg
gehabt hätte, so niusste Aristoteles bei der Verhetzung der
Menge gegen alles Makedonische doch des Schlimmste be-
fürchten. Er verliess deshalb freiwillig die Stadt und nahm
dadurch den Athenern die Gelegenheit, Si; ei; (pt>.oao9iav (X|jt.ap-
TEIV.
Nachdem der makedonische Einfluss in Athen wieder her-
gestellt und die Ruhe wieder eingekehrt war, dachte man
darauf, die Spuren des gegen die Makedonenfreunde gerichte-
ten Treibens nach Möglichkeit zu vertilgen. Diese Bewegung
ist auch dem schon verstorbenen Aristoteles und seinen Nach-
kommen zu Gute gekommen, und damit ergiebt sich die Da-
tirung des zweiten Beschlusses, die natürlich nicht auf das
Jahr genau sein kann. Was seine Formulirung betrifft, so fällt
in den Worten des Arabers auf, dass die Stele errichtet wor-
den sei von Stephanos und zahlreichen Anderen mit
ihm. Das steht dem athenischen Gebrauche entgegen, der im
allgemeinen nur einen Antragsteller duldet; zum wenigsten
möchte ich die in älteren Volksbeschlüssen vorkommende yvö-
(XY) K>.6toö(po'j y.<xi cuv-puTavgwv [C. I. A. IV, '2 1 b) oder die
vvwy.Y) orxpaTYiycüv (IV, 2 11 e) zur Erklärung nicht gerne he-
ranziehen. Eher halte ich es für möglich, dass auch hier ein
Irrtum des Arabers vorliegt, der etwa die namentlich aufge-
führten ouu.7vpÖ£^pot als Antragsteller aufgefasst haben mag;
dass dieser Zusatz vom Jahre 319/8 an gemaciit werden konnte
und dass auch die Namen der Tu[;.7:p6£^poi sehr bald danach in
den Inschriften erscheinen, hat W. Hartel dargethan (Studien
über attisches Staatsrecht und Urkunden wesen, 1878, S. 16ff. ,
vgl. CIA. IV, 2 245^. 245c. 245^. 269/>).
Im übrigen verweise ich für die Formulirung auf die In-
schrift CIA. IV, 2 231 ö, der ein ähnlicher Fall zu Grunde
liegt, wie der des Aristoteles ; und zwar enthält diese Stele
zwei Beschlüsse des athenischer Volkes. Im ersten Dekret
(vom Jahre 323/2) wird der Sikyonier Euphron, der sich um
das Bündniss zwischen Athen und Sikyon im lamischen Kriege
EIN ATHENISCHES PROXENIEDEKRET FUER ARISTOTELES 38l
verdient gemacht hatte, belobt und unter Bestätigung der ihm
früher verliehenen Privilegien zum athenischen Bürger er-
nannt; im zweiten Psephisma (vom Jahre 318/7) werden dem-
selben Euphron. der im lamischen Kriege für die Freiheit
Griechenlands kämpfend fiel, die von den Oligarchen annul-
lirten Geschenke des athenischen Volkes erneuert und die
Wiederaulrichtung der von den Oligarchen zerstörten In-
schriftstele angeordnet.
Möge ein gütiges Geschick uns einmal auch die Urschrift
des für Aristoteles beschlossenen Proxeniedekretes oder seiner
Erneuerung bescheren, damit wir die Auszeichnung des Phi-
losophen, die wir jetzt nur durch Vermutung erschliessen, in
authentischer Weise vom Steine lesen können. Wenn die Eh-
rung ihm auch nur wegen eines politischen Dienstes für seine
zweite Heimat zugefallen ist, so können wir uns doch der Er-
kennlniss freuen, dass zwischen Aristoteles und Athen ein en-
geres Band bestanden hat, als wir nach den bisher bekannt
gewordenen biographischen Quellen annehmen durften.
München.
ENGELBERT DRERUP
-o-S^F--^
llAPAi^KHNIA. nAPOAOI. DEPIAKTOI
Die Frage nach der Bedeutung der TCapaay.Tjna scheint mir
bis jetzt noch niclit erledigt. Denn obwol über den Ort, wo
sie gestanden, kein Zweifel mehr möglich scheint, so ist doch
noch nicht erklärt, wozu sie gedient iiaben. A. Müller z. ß.
sagt über den Zweck dieser zwei vorspringenden Flügelbau-
ten: 'die wenigen Stellen der alten Schriftsteller gestatten ei-
nen sichern Schluss nicht* und auch Rcisch bietet keine be-
stimmte Erklärung (Dörpfeld und Keisch , Das griechische
Theater S. 202. 251). Und doch glaube ich, dass eine rich-
tige sprachliche Erklärung genügenden Aufschluss geben kann,
wenn man nur nicht meint in irgend einer Weise eine Bühne
unterbringen zu müssen.
Zunächst das Wort Trapxcrx/^viov selbst, dessen Übersetzung
als 'Raum neben der Skene' ( Beisch S. 298) mir nicht ganz
richtig scheint. Eine Zusammensetzung von T:xci mit dem
Substantivum <jy.y)yri kann meines Erachtens nur 'Nebenskene'
bedeuten so wie 7racaO'Jpa = Nebenthür (nicht 'was neben der
Thür ist') vgl. Trapxypap.uia, zapaOopiov, xapaÖsp.a, 7capaiTÜ>.iov
U.S.W. Während also 7upocr/.y)viov die veränderliche Vorderwand
der <7x.7iv7) selbst sein soll, ist Trapatj^yjviov eine Nebenskene.
Dem \\'ortlaute nach haben wir also das grosse Gebäude als
eine grosse Skene aufzulassen, an deren beiden Seiten je eine
Nebenskene angebaut ist.
Diese Bezeichnung der Flügelbauten als Nebenskenen kann
kaum anders als dadurch erklärt werden, dass auch aus ihnen
hervor Personen auftraten. An sich wäre es also wahrschein-
lich, dass die Nebenpersonen aus den 'Nebenskenen ' auftra-
ten,während die [Jauptschauspieler als Bewohner des Palastes
u. s. w. aus der Plorlc der liauptskene in die Orchestra ge-
langten. Wir hätten also zu untersuchen , ob sich für diese
Annahme Beweise linden lassen.
nAPAEKHNIA. nAPOAOI. nEPIAKTOI 383
Da liisst sich nun erstens wirklich nachweisen, dass sich in
diesen Paraskenien Thüren befanden, durch die man in die
Orchestra treten konnte. Pholios, Etym. Magnum und Bekkers
Anecdota nennen alle die Try.pa'jjtr.vioc: ai eiToSoi al e!? ty,v T/.rvr/y.
Selbstverständlich ist'7^7;v7; hiervon den Lexikographen. welche
von dem griechischen Theater keine eigene Anschauung mehr
hatten, eingesetzt für das einzig richtige öp/rarpa. welches
sich bei Didymos fand, der unzweifelhaft griechische Theater
kannte; vgl. Ilarpokration u.a : T:xpxn-/,rrn<x ... 6 Ss AiSu;j.o? ric;
IxaTs'püiOgv TTiC ö^yrirsToa; eJtö^o'j?. Also haben wir sowol Didy-
mos wie jene I^exikographen als Zeugen dafür, dass der Haupt-
zweck jener Flügel bauten so sehr in den auf den Schauspieler-
platz geöffneten Tliüren lag, dass sie sogar selbst EiaoSo-. ge-
nannt werden konnten. Dass mit diesen dno^o'. die grossen
Hauptthore, durch welche das Publikum eintrat, gemeint
seien, scheint mir ganz undenkbar; denn wie könnte man
diese mit dem Worte TrxoxTx.r/nx bezeichnen?
Die Stelle des Ilarpokration scheint mir nur verständlich,
wenn wir in diesen Paraskenien Thüren annehmen, durch die
man die Orchestra betreten konnte. Entscheidend aber ist mei-
ner Ansicht nach die Stelle des Pollux (IV, l^ß) Trap' e/cxrepa
Se Tüiv o'jo O'jpwv Ttüv TTSpi -/jV u,£ij'/iv oXkoii Suo eUv av, aia litaTe-
pwOev; also in dem grossen Gebäude, das aus der mittleren Skene
und den zwei Nebenskenen bestand waien meistens, wie be-
kannt,drei Tliüren in dem mittleren Hau. beiderseits von die-
sen drei Tliüren aber befand sich noch je eine Thür. Aus-
drücklich nennt Pollux uns also die Thüren, die wir schon
annehmen mussten. Bevor wir versuchen Näheres über sie zu
ermitteln müssen wir erst noch eine Stelle des Ilarpokration
genauer betraclilen, wo er die Paraskenien bezeichnet als 6 Trapic
TTjV GX-ovrjV aTTOf^s^siyaevo; to~o; -rai; el; tÖv ävüiva —apaixs'jai;.
Diese Worte scheinen mir z. B. bei A. Müller (S. 5!) nicht
ganz richtig erklärt, denn ein totco; äxoSs^er'jjLEvo; xxl^ ei; tÖv
ocyüiva -y.fxnKVjxii ist nicht ein Baum 'für die Thealerrcqui-
siten bestimmt', sondern ein Baum für die X'orbereilung der
Spiele, wo sich z. ß. die Aukleidezimmer und dergleichen be-
384 J. H. HOLWERDA JR.
fanden. Wenn nun von einem solchen Ort eine Thür in dieOr-
chestra führte, scheint es mir unzweifelhaft, dass auch sie zum
Auftreten benutzt worden sei.
Wie diese Thüre srebildet war, lässt sich nach meiner Mei-
nung noch ziemlich genau ermitteln. Dafür kommt in Be-
tracht die schon angeführte Stelle desPoUux (lV,12G)TCap'£)C(ic-
TSpx Se T(i>v öupcöv . . . aXXai ouo sUv av ttia estaTeptoöev, Trpö; a; a^
TTspiaxTot <7u[jt.7rs7i:yiYa7iv. Die Periakten sind an einer Thüröffnung
aufgestellt, ich glaube, dass wir also zunächst annehmen müssen,
es sei eine besondere Vorrichtung, welche vor der Öffnung
stand und diese verdeckte. Vergleichen wir mit dieser Annahme
die Ansicht Dörpfelds (S l"2ü). in Fig. 51 zeichnet er ein
'Paraskenion mit zweiseitiger Periakte', aber eine solche Vor-
richtung ist nichts Anderes als eine um eine mittlere Angel
drehbare Thür, wie er auch schon selbst sagt; erbat also
schon auf Grund der erhaltenen Beste die Thüre angenommen,
welche wir bei den Schriftstellern bezeugt gefunden haben.
Wenn wir aber diese Öffnung in dem Paraskenion als Thür
erkannt haben, kann Dörpfelds Fig. 52 nicht ganz richtig sein.
Wenn man die Periakte so in dem Paraskenion aufstellt, würde
fast die ganze Öffnung versperrt werden und es wäre unmöglich
hindurch zu geben. Pollux sagt aber auch nicht, die Trepia/tiot
seien in sondern izpo^, d. h. bei den Paraskenien angebracht.
Nach ihm hat man also die Periakten ein wenig vor dem
Paraskenion anzusetzen, so dass man aus den Paraskenien-
thüren heraus und dann hinter den Periakten hervor treten
konnte.
Über die Bedeutung der Periakten handelt Pollux IV, 131.
Zuerst spricht er über Maschinerien, die dazu gedient haben,
Götter u. s. w. von oben herab erscheinen zu lassen (aiöipat),
dann tährt er fort: >taTa€Xr;aaTa Se u^xa^LX-^x y) 7rivax.£? Tiaotv
t^ovTE? Ypa(pä<; TV) '/Jiioc twv SpafjiXTcov 7rpo(j(popou;i' Kxzt^xXktTO
S' iizi TÖt; T^epiajcTOUi; opo(; Sei/CVuvTa ri öaXaTTXv ri TUOTafjiCiv y) xXko
Ti toioOtov, Es ist hier also die Rede von Gemälden oder T^iva-
y.i<; mit verschiedenen Dekorationen bemalt, welche auf die
TpepiaxTot gestellt werden konnten. Deshalb müssen diese Tcepia-
riAPASKUNlA. nAPOAOI. UEPfAKTOl 38o
/TOI etwa Basen gewesen sein mit gewissen Vorrichtungen zur
Aulnalimevon Dekorationen. PoUux IV, 126 erzählt weiter über
diese: Trepia/.-ror r, u.h ^el'.x ~.j. £';u) -oAcüj? Sr./o'jTa. Also die
rechte Periakte diente dazu, durch ihre Dekoration die ver-
schiedenen Örtlichkeiten ausserhalb der Stadt zu bezeichnen,
woher die Auftretenden kamen; y) %\ extpa xä iy. ttoXeg)?, (xxXi-
•TTa xä if. X'.L/.e'vo? : die linke zeigte dagegen die verschiedenen
Gebäude, Häfen u.s. w., die sich in der Stadt befanden, wo
das Stück spielte. Diese linke Periakte aber >tai Ösou; xe bxlx-z-
xio\)<; iizxyn /,ai uivO' orsa. iTzxyhinnpx ovxa r, p.r//av7} cpEpetv aö'j-
vaxei. Um diese Worte zu verstehen müssen wii' wieder die
schon erwähnte Stelle des Pollux IV, 131 heranziehen. Da wird
erzählt von einer Ait u.rr/x^ri, welche von oben herab Götter
u. s. vv. sichtbar machte ; natürlich konnten aber Meergötter
nicht von oben herab wie vom Himmel erscheinen, sie mussten
also in einer anderen Weise auftreten, als kämen sie aus dem
Wasser, und hierzu diente, wie uns unsere Stelle lehrt, die linke
Periakte. Unter den /.xzx^jyr.ax-cx, welche auf den Periakten
angebracht wurden, nennt Pollux auch OiXaxxav ri TCoxaaöv, wir
haben die Worte xal Oeou; xe OaXaTxioj; i-xye'. also wahrschein-
lich so zu deuten, dass, wenn ein Meergott auftreten sollte,
dieser auf der linken Periakte zwischen Dekorationen erschien,
welche Wasser vorstellten, so dass, wenn diese Seile der Periakte
nach vorne gedreht wurde, man plötzlich den Meergott wie
aus dem Wasser erscheinen sah. Die linke Periakte musste
aber noch mehr erscheinen lassen. tixvO' öox i-::xyj)ir!Tt^x ovxa
7) \j:r\yx^r] (pepsiv äSuvxTst. Auch hier werden wir unter y\ u.rij^xsy)
die in IV, 131 unmittelbar vor den Periakten genannten alöj-
pai zu verstehen haben. Pollux sagt also, die linke Periakte
diente erstens zur Bezeichnung von Gegenständen, wie Gebäu-
den u. s. w. innerhalb der Stadt, andrerseits aber auch um
Dinge auf den Spielplatz zu bringen, welche zu schwer waren,
um von oben heruntergelassen zu werden, oder die ihrer Natur
nach, wie z. B.die Meergötter, nicht von oben herab kommen
konnten. Vollkommen stimmt hiermit überein was er weiter
sagt: £'! 8' äri'jxpy.cpeUv al 7r£pia/tT0i,7i Sj;ix p.£v xy.ii^a x6~ov,d.h.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIIl. 26
386 .'■ H. HOLWEliDA JH.
wenn die rechte Periakte. welche nur einen Ort ausserhalb der
Stadt bezeichnete, gedreht wurde, so bezeichnete das eine An-
deruna dieses Ortes. Das Drehen der linken Periakte aber,
welche nur Gegenstände iu derseliten Stadt bezeichnete, und
ausserdem dazu diente um Sachen oder i^ersonen sichtbar zu
machen, gab natürlich gar keine Ortsveränderung an.'AfAcpöre-
pai Ss ycopav 6-aA7.icT louaiv ; wenn aber die beiden zugleich ge-
dreht wurden, so änderte sich damit die ganze Dekoration
an beiden Seiten der Skene. Hierdurch wurde die Scenerie
nach einem andern Ort übertragen, d. h. der Ort der Hand-
lung wurde verlegt.
Wir haben also folgende Ansicht gewonnen : Die Paraske-
nien waren 'Nebenskenen ', neben der grossen Skene; in die-
sen Paraskenien waren Thüren, durch welche Personen auf-
treten konnten. Diese Thüren waren vielleicht meistens durch
einen um seine Mitte drehbaren Pinax verschlossen, welcher
wahrscheinlich, wie Dörpfeld annimmt, verschiedene Deko-
rationen trug, und also wenn er gedreht wurde, eine ähnliche,
nur nicht so grosse Dekorationsänderung bewirken konnte,
wie sie uns von den Periakten berichtet wird. Bisweilen aber
standen vor den Thüröfi'nungen die Periakten: dreiseitige Ba-
sen mit einer Vorrichtung zur Aufnahme von Dekorationen,
welche bei Aufstellung von T^ivaKs; an allen drei Seiten hohle
Prismen bildeten, aber auch an einer Seite offen (das heisst
ohne Dekoration) gelassen werden konnten, sodass jene Meer-
götter und jene für die ]j.r,/cL\xi zu schweren Gegenstände in
ihnen Platz finden konnten. Selbstverständlich haben wir diese
dann auch von passenden Dekorationen umgeben zu denken,
und sie erschienen dem Publikum plötzlich durch das Um-
drehen der Periakte.
Jetzt fragt es sich aber noch, welche Personen durch diese
Paraskenien aufzutreten pllegten.
Wer die dörpfeldsche Theorie annimmt, muss ihm natürlich
beistimmen, dass die llauptschauspieler aus den Skenethüren
auftraten, während der Chor tiud diejenigen Schauspieler, wel-
che aus der Stadt oder aus der Ferne kamen, durch die TrxpoSoi
HAPAEKUNIA. riAPOAOI. nP-PIAKTOI 387
die Orchestra betraten. Unter diesen Parodoi aber verstellt auch
er 'die zwei seitlieben Zugänge zur Orchestra, durch welche
die Zuschauer das Theater betreten '. FJiese letzte Annahme
lässt sich aber, wie eingestanden wird, nicht beweisen; über-
liefert ist es nicht, nur hat man gemeint es aus einigen Stellen
schliesscn zu dürfen. Hauptsaclilicli kommt hier die Stelle des
Athenaeus (XIV, 622 b) in Betracht. Hier spricht Semos 6 A/;-
Xto<; erst von den aÜTo/.aßSaXot, dann sagt er: ol Se 'Mr^xXko'. /.x-
Xoü{/,evoi TTpoiTüiTreia l/.£0'j6vtü)v 'i^o'jnu .... ^lyr, Se Sia toO tcu-
Xövo? EtTs'XOövTe; öxav /.atä ^Anr,^ t-/;v öpy/;<7Tj:av yev(i)VTai ETnaTpe-
ooudtv El? tö f)iy.-^ryj u. s. w. und endlich: oi Se oaXXo<p6poi, also
eine dritte Art, Tvpo'icü-elov p.ev ou T.kl/.Szvo'j'ji .... xaovixai; t6
7C6p'.6£€>.r,a£voi -apepyovTa'. o'i aev £/c 7:apöSou, ot Se x.aT!z airscLC, Ta?
Öupa; U.S. w.Wie man hieraus schliessen kann.Tr-j^wv sei dasselbe
wie TTzpoSo?, verstehe ich nicht. Semos berichtet vielmehr von
verschiedenen Leuten, die verschiedenartig ausgestattet in ver-
schiedener Weise auftreten. Ich glaube also im Gegenteil hie-
raus schliessen zu dürfen, die -zcoSoc sei nicht dasselbe wie der
TcuXtüv, und wäbrend ohne Zweifel der tt-jXcüv die grosse Thüre
für das Publikum ist. muss mit dem Namen rrapo^oc eine an-
dere Thür gemeint sein. Dies ist eigentlich die einzige Stelle, die
uns etwas mebr über diese Parodoi lehrt : denn bei Aristoteles
Etil. Nie. IV'jll^S wird äv -rvi Trapö^ zu übersetzen sein durch
'beim Auftreten des Cliors': wenigstens geben diese Worte
gar keinen Aufschluss über die Lage der zzpoSot*.
Ich glaube. (lass man die -zpoV^-. zu erkennen bat in den mit
Periakten oder in anderer Weise ausgestalteten Tliüren der
Paraskenien, welche an beiden Seiten der Skene in die Orche-
stra führten, denn ausser den scbon genannten, scheinen mir
auch noch die folgenden Stellen daraufbin zu weisen. Nachdem
Pollux. IV, l'2ö über die Tzxoxn^'c^Kx und rrspia/.Toi gesprochen
' Aus der Slolle des IMutiucli Dem. 34 glauLie ich nichts schliessen zu
dürfen. Er hal unzweifelhal'l eine ganz unrichtige \'orslellung vtmi griechi-
schen Theater, und ilie Ungcnauigkeit seiner Scliilderung crgiebl sich schon
aus dem üehraiich der Mehrzalil r.apootuv. [Vgl. oben S. 3ib].
388 .1. ti. Ht)L\VKUüA JH.
hat, lässt er unmittelbar folgen : tüjv jj.evtoi TrapoScov r, u.h Se-
$iä aypöOsv •>} ix. >t{xevO(; -o sx, TröXeco; aysi , ot Se äXXa/^öÖev Tire^ol
a(pixvo'ja£voi xaxx ttiv sTepav iinlxaiv. Dieses unmittelbare Über-
gehen von Trapac/cv/vix auf Trzpot'^ot ist gewiss am leiclitesten zu
erklären, wenn man sich diese Träpo^oi als die Zugänge durch
die 7rapa(T/ty)vtx selbst denkt. Weiter erklärt sich auch das Wort
TTE^oi so am leichtesten: diejenigen, welche zu Fuss kamen,
konnten natürlich durch die nicht sehr grossen Paraskenien-
thüren auftreten, die für Wagen zu klein gewesen sein werden;
diese kamen also nicht durch die irapoSoi in die Orchestra,
sondern auf einem anderen Wege, vielleicht durch den ttuT^cov.
Ich sehe nicht, wie man sonst das Wort Trs^oi erklären könnte.
Besonders wichtig scheint wir aber die bekannte Stelle des
Demosthenes i^Gegen Midias 17)* und diejirklärungdes Ulpia-
nus: xai oux. evTaOÖ' £'>tyi rvi«; uSpEwc; a.'k'k'x tocootov aürö 7repi9)v
OiOTS...Ta ■:raoaax,-/)via cppzTTcov, 7:poc-i^>.cov ih<.bi-:r,c, cov z'x briU.6rnx,
xa)cx xai TrpayfxaTa äf^-üOriTä [j.oi izcn^iytsi'^ SisTsXscev. Richtig wird
behauptet dicuSpi; bestehe darin, dass durch diese Handlung der
Chor verhindert werde aufzutreten. Aber der Chor pflegt doch
durch die Träpo^oi aufzutreten , und wenn das durch Verram-
melung der Paraskenien, verhindert werden kaim.so müssen
die Parodoi in den Paraskenien liegen. In dieser Weise erklärt
sich die Sache ganz ungezwungen. Und auch Ulpianus^ hat sie
so verslanden : xä TrapaT/C-övta (pparxcov : toCt' stti äTuotppäxrwv
Toc; £7ui TT]; »rxrjvrj; eicröSo'j; tva 6 X_op6; avaYX,a!^-/]Tat -gpuevai Sia
Ta; e'^wösv siaöSoui; u.s.w. Ausdrücklich werden hier einander
gegenüber gestellt Eingänge des Chors (also die 7T;3cpoSoi),wel-
* Die Midiana fällt ins Jahr 354, Die Detnoslhcncsstcllo beweist mithin,
dass auch die alleren Tlieaterbauten aus der Zeil vor Lykurg 'Nebenske-
nen' neben dem Hauptskenengebäude hallen,
2 Ulpianus kannte selbstverständlich Krieehischc Thcalcr eben so wenig
aus eigener Anscliauung als jene Lexikographen. Aueli ihm aber war jene
Erklärung von 7:apa7)irivca als eVaoooi sehr gut bekannt, und zwar in weil un-
getrübterer Form. Wo jene irrtümlich et? Tr;v n/.ri^r\^i eingesetzt haben, hat er
InX T7)4 oxT)v^«,bei der axT)VT|, in der Nähe der axrjvr;, was der wirklichen Ein-
richtung der griechischen Theater vollständig entsitriehl.
nAPADKHNFA. nAPOiül. nKPIAKTOl 389
che durch Ahschliessen der Paraskenien gesperrt waren, und
die grossen Eingänf^e für das Publikum, die £;(uO£v eitoSo-., die
wir schon unter dem Xamen tt-Zacövs: gefunden liaben , durcli
welche der Chor jetzt in ganz ungewöhnlicher Weise gezwun-
gen wird aufzutreten.
Ich glaube also annelimen zu dürfen, dass sowol der Chor
als die Nebenschauspieler aus diesen 7:a5a'7/.r,v'.a in dieOrche-
stra traten. An und für sich ist es gewiss viel wahrschein-
licher, dass alle Schauspieler gewöhnlich unmittelbar aus dem
selben grossen Gebäude kommen, in dem alle sich doch vorher
angekleidet haben, als dass ein Teil der Auftretenden den Weg
kommt, auf welchem noch eben die Zuschauer selbst herein-
getreten sind, und wo wahrscheinlich immer noch Leute hin
und her gehen durften.
Ich stelle mir also die Sache folgendermassen vor.
An beiden Seiten der eigentlichen Skene, deren Proskenion
die verschiedenen Häuser oder Paläste der Hauptpersonen oder
dergleichen darstellte, war eine Nebenskene angebaut, in wel-
cher sich die Garderoben u s.w. befanden. Während die einzel-
nen Hauptschauspieler aus der Skene hervorkamen, betraten
die anderen und der Chor die Orchestra durch die TrxfoSo-. d.h.
durch die Thüren der Paraskenien. Diese Paraskenienthüren
waren verdeckt durch eine veränderliche Dekoration und die
Person, welche um diese Dekoration herum auftrat, schien von
dem Ort zu kommen, welcher durch die Dekoration vorgestellt
wurde. Diese veränderliche Dekoration bestand vielleicht mei-
stens nur in einem grossen um seine Mitte drehbaren riva;,
bisweilen aber stand sie auf einer Trepiay.To;, was natürlich
grössere Änderungen gestattete.
Leiden.
J. 11. IIULWEUDA Ju.
INSCHRIFTEN AUS RHODOS
(s. oben XX, 1895, S. 222 (T. und 377 IT., XXI, 1896, S. 39 IT.)
Aus den Sitzungsprotokollen des Musee Parent in Paris
vom 16. Nov. 18G7 teilt mir W. Fröhner freundlichst fol-
gendes mit :
üne lettre de Salzman, datee du 6 de ce mois. annonce
Venvoi, tres- proc/iain .d\inc partie des obj'cts recueillis ä
Kalki et ä Kami ras.
Une des chambres se'pulcrnles de Kamiros contenait
12 petits sarcophages en marbre , de petites dimensions,
remplis de cendres. Siir l'iin d'eux oti lit le mot APOMON,
les aiitres sont marque's de chiffres. Une couronne de
feidlles de myrte en or, et une boucle d'oreille ä tete de
taureau, e'gnlement en or, qui se trouvaient dans ces os-
suaires, ont ete expediees ä Paris.
Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass in den /. G. Ins. I
durch Schuld des Herausgebers folgende beiden Inschriften
aus Kamiros fehlen :
1) Fröhner, Me'langes d'epigraphie et d'arche'ologie
1873, IV S. 10. \\ = m\\\, I. G. A. 10 (aEXi/oipiva).
2) Treu, Arch. Zeitung XL S. 276, Grabschrift des Rho-
diers Onasandros auf einem wol aus Kamiros stammenden
Bleideckel.
52. Dunkler Stein, rechts und links abgebrochen; Länge
0,65, Höhe 0,25, Tiefe 0,24, Buchstabenhöhe 0,015; kleine
Apices. Verbaul in einer Gartenmauer des Jadik-effendi in
der Stadt. Saridakis.
I A N T n N P
I ÜPE Y2B E
INSCHHIFTEN AUS HHODOS 391
1 frei K A I TT P E
O Y n AT O N
n A I O Y Y
[Töv ö£iva ToO oeivoi; TTpeT^eÜTavTa tcoti tov oeivä rauliav tcöv
P[(i)axiti)v, y.y.ll 7rp£<^'j^a^srü'7avTa ];, xxl rrpe, »j^e'JaavTa ttotI
Tov äv]0'j-aTov [tojv 'Pcoaaiwv praenomen, nomen noV^io-j u[lov
cognoinen —
Analogien: LG. Ins. I, 48 und Millli. 1896 S. 51 Xr. 48.
53. Dunkler Stein. Ausser dem oberen Rande überall ge-
brochen. Länge 0,'20, Höhe 0,1 5, Tiefe O.OP). Buehstabenhöhe
0,02; starke Apices. In einer Ackermauer von 'Ewea 6Soi =
Doqus-soqaq. Saridakis.
I E P H I . . . . 'hpyi 'I[rrio<; jcat Bou]-
BASTI. . . . €a(iTi[o? — ]
KP ATH A . . . . xpiTY) 'A - -
Die Ergänzung will nur eine Möglichkeit bezeichnen. Bu-
bastis ausserhalb Ägyptens verehrt: Steuding in Roschers Le-
xikon I S. 831.
54. Massari auf Rhodos, Ort ' ttöv {^wypi^ov. Fragment,
oben Rand, sonst überall gebrochen. Abschrift von A-i^ccj; 'A-
S6>.(piou aus Lindos.
0AHM0 2 OKYONION
FEMAXON ATH ZA K
EZBEYSANTAPPOZ
" A I I Z O S K AI ^
^ T P /^ I
'0 ^Tiaof; 6 Ku8vi[a>]v
['AJY£(jt.a^ov 'AYYi<jav[Spou]
[TcpJecßeüTavTa Trpo? [auröv]
xai l'<i[(»)]? xai S[i)caia);]
[)iai] iTpj^aTYjyörjavTa ]
395 !•■. HILLliU VON G.VEHTHINGEN
Erfolglose Bemiihunoen der Rliodier, I\ömer und Perga-
mener um Rythnos im Kriege gegen Makedonien 200 vor Chr.:
Livius 31 , 'i5, vgl. 15.
55. Fragment einer Basis aus dunklem Stein; Länge 0,35,
HöheO,20,TiefeO,15 Buchstabenliölie Z. 1: 0,03; Z. '2: 0,01.
In Qyzyl -tepe.
O E O I Z eeoi;
OAQPOY — oooipou [ — e::o(Tia£].
üass Z. 2 den Künstlernamen enthielt ist sicher. Man kann
an nXouTap/^o? oder A7i{jL7)Tpio; oder auch an 'HXioScopo; 'HXio-
Swpo'j (Löwy, Inschr. griech. Bildhauer '»03) denken, womit
natürlich die Zahl der Möglichkoiten nicht erschöpft ist.
56-59. Auf demselben Ackerstück des Qyzyl-tepe, wo 60-
63 gefunden. Diese vier Steine gehören ersichtlich zu einem
Familiengrabe (Saridakis). Es sind drei Geschwister, von de-
nen eines schon nicht mehr das heimische Demotikon führt,
und eine Anverwandte.
56. Stele von weissem (^eux-otätoü) Marmor, Länge 0,70,
Höhe 1,70, Tiefe 0,30, Buchstabenhöhe 0,04.
APIATPIOZASANAPOY 'A-ravSpou
MAFNHZ MdcyvY)?.
Man könnte an einen Schreibfehler — [A]a[(j!,]xTpto;? — den-
ken oder auch an einen mit 'Api- Zusammengesetzen Namen.
57. IMatte (Stele) von weissem Marmor; Länge 0,40, Höhe
1,20, Tiefe 0,12. Die auf dem untersten Viertel des Steines
eingehauenen (3uchstaben sind 0,02 hoch.
MENEKPATH2 MevexpäTYi;
AZANAPOY 'AcravSpou.
58. Platte (Stele) aus weissem Marmor; Länge 0,35, Höhe
0,70, Tiefe 0,20. Schrift wie bei der vorii^en Nummer.
INSCHlUFTEN AUS RHODOS
393
APAKONTIZ ApajcovTi;
A5:ANAP0Y 'A'TzvXpou
MArNHZSA Mayvr'jaa.
59. Platte (Stele) von weissem (Xe'jx.otztou) Marmor; Länge
0,35, Höhe 0,75, Tiefe 0,25, eingelassen in eine Basis von
weissem Marmor ohne Inschrift.
APTEMEISIA 'Ap-eu.iidx
APISTOrENOYS •Api'TToyevou;
MAFNHSZA MäYvr.Gca.
60-61. Fundort wie bei 56-59. Saridakis.
60. Kopwvi; (corniche) >>£'jy,0'j y.xpuAoo'j, ar,/.o; 1,00, TrXaTO?
0,60, %X'ioq 0,25. Tä YpiaaaTa -^v kizi tt;; e-'.^aveix; Tvi; iyou-
OY); 0,25 TTX/^o?, £v el'Sei jcoptoviSo;.
MENEMAXOYAlZKAAniAAABPYKOYNTlOY
KYAATETAAAEZANAPOY A M I A
TYNAAEMENEMAXOY
M£V6[A«J(^0U 'AaKXoCTTiaSa BpuXOUVTlO'J.
KuSotYETa 'A>.£;ävSpo'j 'Apiia,
yuVOt 8k M£V£1JI,3CJ(^0'J.
61. Basis aus weissem Marmor, 0,60 lang. 0,50 hoch,
0,4 0 tief.
MENEMAXOZMENEMAXOY M£V£(j.ax.o? MEvsai/^o-j
BPYKOYNTIOZ Bpu/couvTio?.
62. Grabaltar aus weissem Marmor mit Bukranien und
Guirlanden. Fundort wie bei 56-59. Saridakis.
A P T E M n 'ApT£{^w
ZYPAKOSIA i:upaxoaia.
394 F. HILLER VON GAERTRINGEN
Schwerlich identisch mit /. G. Ins. I 472 TIMÜ | 2YPA-
KOZIA (auch nach Saridakis).
63. Stele von weissem Marmor, 0,2? lang, 0,60 hoch, 0,08
tief. Fundort wie bei 56-59. Saridakis.
ANOPAKION 'Av0pä)ciov
XPH2TAXAI P E lpf><^rx /aips.
64. Dunkler Stein, Länge 0,76, Höhe 0,26, Tiefe 0,44; in
Massari (Mai^Tipy)) bei 'Icoxwy)«; KauTraaTocva; (Saridakis). Der
Stein ist in der Länge und in der Mitte quer durchgesägt.
E^...hNEPM.nOAiT..KAI Ecr....v'Epa[o]7roXiT[a?] xal
riLHNA MAIHTIZ [E]![p};iva MaicÖTi?
X P H S TOIXAI PETE xP^ctoi xatpsTe.
65. E)c ßadsto; fxap{j(.xpiv7);, £up£0si(J7i(; ev rat? 'Evvea 'OSot?
(Doqus-soqaq). 'E^wpyjöyi utco oi)coS6[jt.oi». Saridakis.
API2TPATOY 'ApKJTpaxou
OEYAYTOY 0euXurou
KAPPAOlOnOAiTA Kap7ra8io7ro\iTa.
Wie Saridakis bemerkt, jedenfalls ein Verwandter des /.
G. Ins. I 225 genannten ©suXuto; ©sdX'jtou KapxaOio-oXiTa?.
66. Altar von weissem Marmor, mit Bukranien und Guir-
landen. Aus Doqus-soqaq, in der VVerkstätte des Steinarbei-
ters in Neomaras (zu /. G. Ins. I 180 ff.).
ATHSIANAZ 'AyyiGiava^
AFHZIANAKTOZ 'AyYjaiscvaxxo?
A P r E I O 2 'Apyeio?.
67. Aschenkiste ev ttj Oeaei Mapivou Trapa tt^v yicpupav. Sari-
dakis.
INSCHRIFTEN AUS RHODOS 395
API2TOAAS 'ApiaroXa?
KAEITAINETOY K^eixaivETOu
T H A I O Z TrAto?.
Saridakis möchte hieraus in /. G. Ins. I 731, einer In-
schrift aus dem Ileili^^um des Apollon Erethimios hei Kami-
ros, wo Boss KAEI^TOAAMOZ? APISTOAA gieht, KXsi-
[raivETo? 'Aptj'TTÖ).?. lierstellen ; dies sei ein Sohn des Teliers.
Bei dem engen Zusammenhange von Telos und Rhodos (zu-
nächst allerdings Lindos) ist solche Beziehung sehr wol mög-
lich.
68. Stele mit Zapfen. Schöne Schrift des II. Jahrhunderts
vor Chr. Ahschrift von Diakos Adelphiu in Lindos.
P I A I _ $t>.i['7/to; Toö Seivo;]
KATAFENESIN xaxä yevsdiv,
KATAYO0ESIANA1. y.%-'x üoOc-jiav S[6]
TEIZIKPATEYZ OeiffixpaTeu?
A P Y I T A 2 Ap'jlTa?.
69. Tefxayiov ErriT'jabio'j Tr^^axö; Ie'jko'j aapuizco'j "zxo'x tx Ko-
(7)c'.vo'j, fx-oy.o; 0,35, T^XäToc 0,25, t^xx^"^ 0,07. Saridakis.
ZEINAF>ETAZ Setvapera;
AM(t)ITEAEYS 'AuKpixAsu;
(() A r A I A Z $ayaia?.
Zum Demotikon vgl. /. G. Ins. I 300.
70. Ilapa T7)v yicf'jpx^ Tr,<; ötfjEü); 'Mapivou'. Fragment einer
Aschenkiste. Saridakis.
P A T O Z [AafjLäjpaxo?
r O P A [Eüa^yöpa
M I O Z ["Ajaio?
So Saridakis; es sei der Sohn oder Vater des /. G. Ins. I
253 genannten Eüayöpa | AafjiapxTou 'Aaiou,
396 F. HILLElt VON GAEHTHINGEN
71. Aschenkiste in der französischen Schule in 'AxavSia
(Saridakis). Vgl. /. G. Ins. I 269 IT.
T I M O O E O Z TtjjLoOfio?
PEISIKPATEYS Ihicriy.päTcu:
0YZZAN0YNTI02 0u(TTavoOvT'.o<;.
72. Aschenkiste im Hofe eines türkischen Hauses in der
Stadt, wo auch Nr. 99. Saridakis.
T I M O O E . . Tia606[o;l
T I M O K P A T . . . Ttij.oxpäT[6u;]
OYZZANOY ©ucdavo'JfvTio«;].
Saridakis erinnert an Ttp.oxp3f[Ty](;] Ti(jt.o6eou in der lindischen
Inschrift /. G. Ins. \ 845,25.'
73. Iksis aus weissem Marmor, 0,60 lang, 0,30 hoch, 0,30
tief. Qyzyl-tepe, da wo Nr. 56 ff. Saridakis.
AAEZANA P02 'AXe^avSpo?
AAEZAN A POY 'AX£;ivSpou
K A A 2 I O 2 K).X(itoc.
74. Basis von weissem Marmor, gefunden in Doqus-soqaq.
(Saridakis nach einem Maurer).
APISTOKPITOZ 'ApicTTOJcpiTO?
KAEftNAKTOS: K>.£o)vax,TO<;
T A n I O 2 TXüJio;.
Ich habe früher geglaubt, die TXdJioi, welche auf rhodischen
Inschriften so häufig vorkommen, wären Bewohner der lyki-
sclien Stadt Tlos. Allein der umstand, dass in dem kalendarisch
geordneten Namensverzeichniss IG. Ins. I 4 TXwoi erscheinen,
rnacht bedenklich, und die in der ivaypacpY) der Priester des A-
INSCHRIFTEN AUS RHODOS 3Ö7
pollon riuöio? y-xX Kapveio; >tai M'jXavTio: aus Kamiros (Nr. 697)
genannten Tloer können kaum etwas anderes als Kamireer
sein. Wir kennen nocli lange nicht alle Demotika der rhodi-
schen Städte. Also meine ich jetzt, dass Tlos eine xToiva Kapi-
p£(i)v war, entweder vi xai vicwi oder iv tSi i-etpoj'..
75. Ai6o; Xs'j/.o; xA'.vOosiSr,; ix.epa'.o; xavrayoO , e-jceOei? £V
Merzzan -tepe (= Monte Smith), jetzt in M-oTpÖTroXi; im Hause
des Maurers Fsiopyio? KaXi/tx;. Länge Ü,22, Höhe 0,10, Tiefe
0,10. Saridakis.
TIMAKPATH TtpLa/.pÄTT)
TIMOKAEYZ Tiizo-aeC;;
T A n I A TXcofx.
76. Dunkler Stein, 0.25 lang, 0,18 tief, rechts <<ehrochen •
im Pflaster der Stadt hei der Post. Saridakis.
ERAT Z. B. 'EpaT[o(pavYi(; oder -oJtXri«;]
r N ß rvuLaayopa oder -cria]
A P 'Ap[y£io?] oder 'ApL^aaeieug' oder ''Ap[io;].
um nur einiges Nächstliegende zu erwähnen.
77. Aschenkisfe von weissem Marmor, in einem türkischen
Hause der Stadt. Saridakis.
HPA2AZIOXOY 'Hpa; 'A^iöxou.
78. Tejjiayoi; iTrtTuaSiou ■kKxmc, Xs'jäotxtO'j p,apaipou" nXiro?
0,50, 7ci/o; 0,15, tÖ u'|o? ii-() iv 1,25, äv Q)zyl-tepe, ev öOcriULa-
vixö äypw, )C£iu(.£v(p svxv-:'. xxi ou Tröppca toO 7rpo6tpriu.£'vo'j (s. Nr.
59). Saridakis.
A A K I M f
A A K . . . .
Saridakis erinnert an den Strategen 'AXäijjleSwv 'AX/.KJTpiTou
/. G. Ins. I 50, 13.
398 F. HILLEH VON ÜAKUTRlNCtEN
79. Grabstele, 0,2? lang. 0,4 5 hoch, 0,08 tief, aus Mev-
y.x'jXT,. Saridakis.
M Q r E T A 2 MoyeTa;
M Y T I Q N O Z MuTiwvo?.
Zum Namen vgl. Kretschmer, Einleitung in die Gesch. der
griech. Sprache S. 332: Moayäxrj; Tyrann von Kibyra u.a.m.
80. 'E^ ÖTTeoOr/KYis >.6u)co0 [zapp-ocpou, Tvapa xoi XaTUTuw. Sari-
dakis.
AP ZI NO H Z 'ApctvoYi?
AAEZANAPIAOS 'A);£;avSptSo?.
81.- Basis (TpÄTTsi^a?) aus weissem Marmor, unversehrt.
Läncje 0,60. Höhe 0,40. Tiefe 0,'i5. In der Mitte ein oben of-
fener Lorbeerkranz. Inder Stadt im Hofe eines türkischen Hau-
ses. Saridakis.
AHMHTPIOY (Kranz) A AI K APN AZSEQZ
AyijxTOTpio'j 'A)a-/capva(j(T£(i)c.
82. T£[7.ayo; AsuKoO i^.ap{;,äpou, p.TjX.o? 0,30, 7:>ä-:oc 0,20, irä-
yo; 0,12, £v TYi 'Ayia 'AwxnTixnix (vgl. l.G.Ins. I 2,')0 a). Sari-
dakis.
M H N O A a P Mr,voSa)p[o;]
AAIKAPNAS ' AXtx'ypvaci aeü?]
X A I P E xaTps.
83. Grabaltar aus weissem Marmor mit Bukranien undGuir-
landen. In der Stadt beim Grabsteinvei'i'ertiger. Saridakis,
APNASSIS [ä Seiva 'AXtxjapvaTdU
2 [yuvä Vi]
N O P O Z - - vopo?
P E lXai]p6
INSCHRIFTEN AUS RHODOS 399
8'i. E; ÖTTeoOr^y.T;; iv tw aiTei. Saridakis.
AFAOANOPHZ 'AyaOavopYi;
A P A A I A Z 'ApxSia;.
85. Asclienkiste von dunklem Stein; in der Stadt beim
Grabstein verfertiger. Saridakis.
K P I T n . KpiTü)[vo?]
E 4) E . . . . 'E9e[<7iou].
86. AtOo? (pa'.öi; Trap' eaoi eüpiT^oaEvo?, 1/. toO -pvaTTripiO'j Xa-
TOTTou. M-ox.o; 0,26, TcXocTo; 0, 18, -xyo; 0,1 5. Biiclistabenhöhe
ungleichmässig. Saridakis.
(j)IA0M0Y2. . <i>a6u.o'ja[o<i]
nÄT Ä P E Y Z . . . naTaps-J;.
Ä2TÄl22arHPI 'A'TTaU ^ojrr^pi-
AÄMÄZIAEIOTÄ Sa Mac(cr)a£..[ü)]Ta (so!).
87. Bukranienaltar, 0,39 hoch. In Metropolis bei Stama-
tios Razulis. Saridakis nach Abschrift des Arztes Demetrios
Maliakas.
A O H N I n N 'A9yiviü)v
5: E A . .KEYS 2£a[s-j>£Ü?.
88. Bukranienaltar bei Kopax.öv£pov. Saridakis.
MHNOAÜPOS: Mnvoö'copo?
ZMYPNAIOS Xa-jpvaio;.
89. Dunkler Stein, allseitig gebrochen. Grösste Länge 0,55,
grösste Mühe 0,50, Tiefe 0,20. Gefunden am Orte Tp£i?MüXoi.
Buchstaben mit Apices. Abschrift und mehrere Ergänzungen
von Saridakis.
400
} h\ HlLLEU
VON
GAERTRINGEN
0 E 1 .
M AT E P A
ü
-
- xäv] p.aT£pa - - -
AFHS K A 1
-
- äyY);(?) y.xl- - -
Z 1 KOYTAN
-
Nau](jiKO'j räv - - -
NOHPaNOST
-
- V ©'/jpcovo? T[a.v
ZEAEYKOZ K
-
xai] ÜeXe'jko; •^[at -
OHPHNIA
-
y.ot.1] 0Y;p(i)v 'la-
APIZ
-
'AptTiT - - -
KAO
-
KaO' [ioOeoiav Se
A
K
^
90. Basis (TpxTcs'Ca?) von weissem Marmor, 0,30 lang, 0,32
hoch, 0,35 tief. In der \'orstadt Metropolis im Hofe des Sta-
matios Razulis. Saridakis nach Abschrift des Arztes Deme-
trios Maliakas.
AI0IAOYTABHNOY AKp^ou Tagvivou .
..A0 MEPlAOSErrENEYS ['AY]ae[a]{y.£piSo? iyyevsö?.
91. Cylindrischer Bukranienaltar. Zeichnung von Diakos
Adelphiu aus Lindos.
ATHSANAPOS 'Ay^'javSpo;.
92. Grabstele, gefunden Iv rfi fiiaei Mapivou Tcapä t6v Tcoxa-
[xov. Saridakis nach Abschrift eines Maurers.
MYPMAK02 Mup|jLa)co?
KAITAZrYNAI kos: xat xa? yuvatxö?
XAPITA2 I 2T XxptT[(L]? (?) "I(7T[avia?].
Xapira? ist mir unwahrscheinlich ; über die Namen auf -ü
Gen. -d); s. Biass- Kühner, Griech. Gramm. I S. 455 Anm.
2 oben.
93. Grabstele von dunklem Stein, oben gebrochen. Länge
INSCHRIFTEN AUS RHODOS 401
0,22, Höhe 0,25, Tiefe 0,08. Beim Grabsteinverfertiger in der
Stadt. Saridakis.
A Z K A A Z K . . . 'küKkx'^ y[xK\
APIZTOBOYA. . . 'ApicTö€ou/[o?]
K A I A I O A O T O . x.ai Ai6Wo^<; jtai]
0IAAAEA4)O. ^Ckklikr^Kj[(;]
XPHZTOI XP*'"''''^^' LX*'psf«]-
Man kann auch an ol] | <I>iXaS£X9o[uj denken; doch weist yp»-
(TToi x'^'ps'^s auf einen niederen Stand, bei dem der Vater nicht
genannt zu werden brauchte.
94. MyiTpoTToXi;. Aschenkiste. Saridakis.
APOAAnNIAA 'AzoUwvi^a.
95. Qyzyl-tepe. Aschenkiste. Saridakis.
AAMQNAZZAZ Aafxwvacda;.
96. Aschenkiste von weissem Marmor, gefunden in Qyzyl-
tepe zusammen mit Nr. 56 ff.
A I O N Y S I O Y Aiov.jGiou.
97. Aschenkisle aus weissem Marmor, bei der Vorstadt Me-
tropolis.
E Y K A E Y Z EixXeu?.
98. In der Stadt beim Grabsleinverfertiger. Fragment ei-
ner profilirten Stele, Höhe 0,47, Länge 0,2'', Tiefe 0,08. Sa-
ridakis.
E Y (f) A M O Z Euipaao;
OXPHZTOZ 6 xP'^'^J'ö;
X A I P E X*"-?«-
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXIII. 27
402 F. HILLER VON GAE1\TRIN6EN
99. Aschenkiste im Hofe eines türkischen Hauses in der
Stadt. Saridakis.
HPniAAZ 'HpcötSa;.
100. Aschenkiste von weissem Marmor bei der Vorstadt
Metropolis. Saridakis.
O E Y <j) I A O Y 0eu(pa
Ol».
101. Viereckige Platte aus weissem Marmor, Länge und
Höhe 0,05. Gefunden in Max.pü 2t£v6. Saridakis nach Ab-
schrift eines Maurers.
I O Y A I O Y 'louT^iou.
102. 'Ek Xsukoö xiu.oi.jj.o\) p.ap(i.apou >tu)avSpt)toö, [xoipav (xtcot6-
XouvTO; {jt.gyd:).ou JtuXivSpou, Siau-Tra^ SiaxpiQTOu, öizdii; xal I.G.lns.
I 673. '0 Xiöo? (pu>.ä(jo6Tai iv tu ol'xo) [aou. Saridakis.
. Y A 1 Ä C [Kj-j^ioc;.
103. Bukranienaltar aus weissem Marmor, 0,36 hoch. Im
Hofe des Stamatios Kazulis in der Vorstadt Metropolis. Sari-
dakis nach Abschrift des Arztes Demetrios Maliakas.
A A O A I K H AaoSt
tKY).
104. 'E^ öcTeoOyiKTi; >£'jxoC p.app.apou , iv tw 7rpoacT£i(o toö
*Ay. Fecopyiou rou TzxXoiioü . Saridakis.
M A N E Y S Mäveu;.
Auch auf Amphorenhenkeln: 'AO/ivatov III S. 229, 109;
vgl. /. G.Ins. 1 1345.
105. Von Herrn Saridakis wurde in einer Apotheke der
inschiuftkn Alis Rhodos 403
Stadt Rhodos ein Abklatsch unbekannter Herkunft abgeschrie-
ben. Das Papier ist 0,75 lang und 0,37 hoch. Sehr spät.
EYTYXIAArEEToPlAoYXAN
API AEKA + KAAOTEKNIACKA
TECKEYAEENToAEEProN
+ ENGAAEKEINTAI -f APIIITOKPATHC
5 ATA eu N Y M X
+ KAIZU TlklCGYrAArHCX
KPAToVCKAlEYTYXIAChKAINET
XEVMBITEKNoNoYAlCrAPAGHN
E'jT'jyia 'AyeaTopiSoy -j- äv-
8pia; x.3cl x.a).OTEx.v£a<; xa-
TEfj/.e'jacEv tcSe i'pyov.
-|- 'Ev^xSs /.eivxat 'Ac'-axO/cpi-ry)«;
5 AyaOwvöüLLO'j]
-|- XX'. ZcoTix.i; 6uyx(T7)p) 'Ayr,T[t]-
xpaTOu; xat EuTuj^iä? ri xal Nex- -,
(EüO)ü[/.(6)i ? x£/cvov ouSi? yap äO(i)v[axo?].
Z. 8 ergänzt von Wolters.
Berlin, März 1897
F. IIILLKR VON GÄRTIUNGEN
-0-T$l!^-<*-
DUE LEKYTHOI DI TANAGRA
( Tavola V )
Nel commercio antiquario di Atene si trovavano nel 1886
due lekythoi assai notevoli, che, secondo affermava il posses-
sore, erano stale rinvenule insieme in una tomba di Tanagra,
e delle quali il sii^nor F. Winter, cui siamo debitoi'i di qiiesta
nolizia. fece due scliizzi, che si conservano nella raccolta di
disesni delT Istitato Germanico in Atene sotlo i nn. 354 e
355. Deir uno dei due vasi, il piü importante, che piü tardi,
nel 1893, ebbi occasione di vedere io stesso, riproduco qui
alla tavola 5, 1 il disegno per me allora eseguito dall' abile
mano del sig. E. Gillieron ; dell' altro , da me non veduto,
riproduco alla stessa tavola 5, 2 lo schizzo fatto dal Winter'.
Per quanto si puö giudicare da questo, i due vasi, che hanno
entrambi la stessa forma ed al-
tezza (m. 0,565) concordano fra
loro anche nello stile della deco-
razione^. Sul davanti di ciascuno
si vede un'unica figura disegnata
con fini tratti di vernice nera lu-
cida , abilmente condotti ma un
po' in fretta. La figura, che e es-
pressa nella prima lekythos (v.
tav. 5,1 ), e adesso alquanto sbia-
dita ed anche guasta nel piede d.
e nella mano d., ma perfettamente
riconoscibile. La foggia dell' abito
variegato la dice [un Persiano. In testa ha la tiara colle ali
disciolte e svolazzanti, di sotto alla quäle fluisce sulle spalle
* Quando 1p prescnti pagine crano giä scriltc lo schizzo del primo fu
pubblicato dal Conze, Grabreliefs II Nr. 1148 a confronto della stela di Li-
sas, tav. 244.
2 II becciiccio, 11 manicn e la parte inferiore del coipo sono neri ; il giro
fPP '. a^>?j5ifHfS-^^'^^»''jj' a^
4+j(ti]li>T,ij3£.j ri-,ii5»LL
DUE LEKYTHOI Dl TANAGRA 405
la lunga chioma ; indosso porta una giubba cinta alla vita e
adorna di frange nell' orlo. e sotto la medesima un sottaljilo
a maglia con maniche ed anassiridi ; ai piedi le scarpe asia-
tiche a punta stretta e rivolta in su.
Egli e un arciere ; al fianco porta appesa la faretra, coUa
sin. stringe 1' arco. ma insieme imbraccia anclie una pelta,
arma di difesa concessa talvolta anche agli arcieri, come si
vede p. es. nel Persiano genuflesso del fregio di Athena-Nike'.
Inutili tuttavia sono diventate le sue armi, ed ei fugge rivol-
gendo indietro lo sguardo doloroso e eolla deslra stesa implo-
rando pietä dal nemico, che, come deve immaginarsi. lo in-
calza e giä sta per finirlo.
Dalla maggior parte delle rappresentanze di Persiani, di cui
abbiamo giä non pochi esempi nella ceramica attica fino dall'
epoca dello stile d' Epitteto e piii ancora nello stile severo piü
recente^, la nostra si distingue subito per cio che ha tutta
l'aria di essere un exccrptum di una composizione piü vasta.
L' immagine di un guerriero dell' esercito persiano, forse di
alto grado, in atto di fuggire, nel cui sguardo si legge vera-
mente il dolore della sconfitta, a chi non fara pensare a qual-
che episodio della battaglia di Maratona dipinta nella Stoa
Poikile'> Si sa che nella parte centrale, ossia nel posto piü
cospicuo di quella composizione, era espressa appunto la tuga
dei Persiani^; e questi non (iguravano soli nel trambuslo ma
esteriore del piedc rimane del colore naturale dell' argilla , e cosi pure le
spalle, sopra le quaii nell' uuo dei easi e diplnla a verniee una Corona di
fogliolinc, ncir alUo Ire palmeUe. Le tigure suno cseKnile .s(ipra la solita
ingubbialura bianca del corpo; in allo, in ainbeilue i easi, corre un niean-
dro semplice; i due gruppi laterali di pahncUe si Irovano .solo nella prima
lekythos.
< Le Bas-Reinaeh, Vuyage, Arrhüecture tav. 9; Baiuncister, Dcnhmälcr
tav. 25 flg. \nS (prima ligura as.). Cf. Herodot. VII, 61 .sgg. Veggasi poi
la stcla di Lisa.s,ricurdala alla p.40'j nota 1 ,e gli allri esempi eilati dal Conze.
2 V. il piaUo in Klein, Lieblingsinscliriflen'^ p. 87, tig. 2-2; Jalirbucli des
Insl. III, 1888, tav. 4 (iigure i.solate). Seene di baUaglia in Gerhard, A. V.
tav. 106; Hartwig, Meislcrscluilcn la.\. bh i>g.; Cal. of vases in llie lirüish
Mus. III, E 233 ecc. Cf. in generale Hartwig 1. eil. p. 519 et 524.
3 Pausan. I, 15, 4.
406 L. SAVIGNONI
frammisti agli insecutori in modo da formare varii gruppi,
come si desume dalle seguenti parole di Ilimerios: outtw Se
TOi; x-o^xrsi cr'jV£u.iTYOv (gli Atcniesi) xat TracauTiJta STpeTCOvro"
eoövi'jov äXTvO'j; £v öcX).ot; Toi: elosTi tcov cpövwv , toüc aev Ta)(_£i
(pOivovTS:, to'jc Se tö cpöSw )^eipoup.6voi '.
Se menlaliiienle si compleli la rappresentanza della nostra
lekythos colla figura. qui omessa, dell' insecutore, ci parra di
avere dinanzi agli occlii uno di quegli episodi dipinti nella
Stoa. E non senza ragione. Lo Stile del vaso, che e iin po' piü
progredito di (piello della tazza di Codro, ci riporta, secondo
i recenti studi del Graf 2, verso il 460 av. Gr., cioe appunto
neir epoca, in cui le pilture di Polignoto, di Micone, di Pa-
neno ecc, fanno furore in Atene ed inspirano anche la deco-
razione dei prodotti ceramici. Ed infatli si puö sorprendere
anche qui un po' dell' rfioc, polignoleo nell' espressione del do-
lore e dello scorno, che anima la fisionoraia del fuggitivo, e
nella caratteristica del barbaro, che qui h nobile e dignitosa,
a differenza delle rappresentanze piü antiche su vasi dello
Stile severo, le quali per porre in evidenza specialmente le di-
versitä della razza rasentano talvolta la caricatura^. E note-
vole poi il disegno della testa non di profilo ma di terzo, che
viene di solito evitato nella pittura \ascolare piü antica*, nia
si ritrova, sehbene in una forma ancor dura, nel celebre cra-
tere orvietano coi Niobidi,dove codcslo particolare eattribuito
appunto ad intluenza della pittura monumentale^. Nella stessa
\eduta ed anche con analoga caratteristica dignitosa, ma tutta-
via senza espressione patetica, si presenta il Persiano dipinto
sopra un aryballos di F^erlino, che giä il Furtwängler sospettö
* Ci. Waclismulli, Sladl Allien II [). 505 sgg. e Robert, Maralhonschlachi
p. 16 e 18.
2 Die Zeil der Kudrosschalc in Jahrbucli des Insl. XIII, 1898, p. 65 sgg.
3 Cf. Löwy, Jahrbucli des Inst. III, 1888, p. 139 sgg.; Ilelbig in Sitzungs-
berichte der Akademie zu München 1897, II p. 283.
■• Cf. Hartwi;;, op. eil. p. 163. I priini es(!mpi, nclle tazze, sono csibili da
Onesimos, ibid. p. b\'i.
5 Cf. Robert, Annali dell' Islituto 1882 p. 273 sgg. Winter, Jiou/ere atl.
Vasen p.44.P.Girard, ie oralere d'Orvietu \nMunuvienls grecsll n. 23p. 7 sgg.
DUE LEKYTHOI DI TANAGHA 407
derivato da una grande composizione ed il Robert non du-
bitö di ammettere nella sua ricostruzione della MarathonO'
niachia '.
Se quindi e lecita la congettura che il presente disegno, dal
sentimento cosi fine, rifletta un particolare di una delle grandi
composizioni in parola, e forse precisamente della Maratho-
noniacliia, possiamo aggiungere, come ulleriori confronti, al-
cuni monumenti della plastica, nei quali, per quanto varia-
mente distanti di tempo dalle opere della citata pittura mo-
numentale, sono State riconosciute reminiscenze della mede-
sima. Cosi due delle figure di Persiani scolpite nel fregio del
tempio di Athena Nike sono, se non uguali, certo non molto
dissimili da quella della lekythos^; ed una somiglianza ancor
maggiore riscontrasi pure in un guerriero asiatico fuggente
del Monumento delle Nereidi ^ ed in una delle Amazzoni fi-
gurate nel fregio di Figalia^.
La seconda lekythos, che si vede riprodotta alla tav. 5, 2
si fa notare principalmente per il nome fin qui sconosciuto di
un favorito, che per altro e frammentario e di non sicura re-
stituzione: si potrebbe congetturare un M£[yi'7]to; o MelVi-Xjo;
od anche M£[Xotvü)]7ro<; )taX6; ^.
< Arch. Anzeiger 1889 p. 92. Nella lavola del Robert e posto accanto alle
navi.
2 Le Bas-Reinach 1. cit. lav. 9,D; 10, F = Baumeister tav. 25, 1238 fi-
gura seconda a d., 1239 figiira prima a s Si ricordi il parlicolare della fa-
relra, che, se manca a qucsle due figure, si trova nell' allra dello slcsso
fregio cilala sopra p. 405 uota 1. L' aecurala riproJuzioiie del coslurae e
deir armatura barbarica, cosi qui come nella noslra lek.yllios, pu6 essere
messa in rapporlo colla suddetla pittura monumentale, della quäle forse si
servi lo stcsso Erodoto nella sua particolareggiata descriziono del lib. VII,
61 sgg.: cf. Robert, op. cit. p. 18.
3 Monumenti dell' Isliluto X tav. 13, II, 22.
^ Ovcrbcck, Plastik'' lig. 131. Ost 18.
5 Nello schizzo del Winter lo spazio vuoto presenta iudizi di tre lettercL,
nia forse puo esservi posto anche per il suono o tra la terzullima lettera e
la prcccdente. L'ultiina sillaba potrebbe essere to; oppure (::)o;. Dei nomi
qui sopra proposti ncssiino si trova tra (|iii'lli conosciuli di favorili; solo
MeXavwTTOs ü il nome del padre del favorilo A'.'y.Xo» (Klein, LirbUngsinscIirif-
ten'' p. 159 sg.). II nome MeXi^to; (ibid. p. 1(J7) sembra troi^po breve.
408 L. SAVIGNONI, DUE LEKYTHOI DI TANAGRA
Quanto alla sua decorazione il soggetto e abbastanza co-
mune nella ceramografia : una Nike che Vola verso un' ara
ardente portando un cesto con Offerte. Una Nike simile, seb-
bene con attributo e movenza differenti, c quella dipinta so-
pra una lekythos edita dal Benndorf ', che il Winter crede
eseguita dalla stessa mano che ha disegnalo il Persiano della
nostra prima lekythos, come egli si esprime nella nota mano-
scritta aii;ü:iunta allo schizzo della medesima^. Ed invero in
CO
ambedue abbiamo una figura contenuta tra due coppie di pal-
mette chiuse tra viticci,dai quali si staccano delle piccole vo-
lute, come negli esempi proposti dal Winter stesso nel Jahr-
buch des Inst. VII, 1892, p. 109 sgg., colla differenza che,
mentre in questi le vediamo svolgersi organicamente dai vi-
ticci, nei due vasi in parola, e specialmente nel primo, pel
disegno meno corretto hanno la sembianza di cose appiccicate.
Le nostre due lekythoi, che da quanto si e detto apparisce
essere uscile da una medesima fabbrica, furono inoltre rinve-
nute, come in principio si disse, in una tomba medesima. Che
questo sia un mero caso ? 0 che piuttosto un nesso ideale esi-
sta fra le due figure solitarie della Nike e del Persiano fuggi-
tivo, espressione compendiosa ed allusiva della sorte toccata a
ciascuna delle parti avversarie e bella testimonianza del pa-
trio sentimento, che i recenti fatti gloriosi avevano ravvivato
fra i Greci? Sarebbe per aventura una combinazione di con-
cetti, il cui riscontro, in una forma solenne, sta su gli spalti
deir Acropoli nel bei tempietto di Athena datrice di vittoria
Roma.
LUIGI SAVIGNONI
"<'>#ae*<o-~.-
' Griech. und sie. Vasenbilder tav. 19, 3.
2 Egli attrihuiscc alla stessa mano anciic la lekyliios giä del Polylcclinion,
male pultblicala da Dumonl - Cliaplain, C^ramiques I tav. 11, cd um' allra
con un gucrrioru che cade a terra, da lui vcdula nel negozio ateniese Minerva.
DIE SOGENANNTE HETÄRENINSCHRIFT AUS FAROS
Obgleich es mir nicht gelungen ist, die Schwierigkeiten zu
lösen, welche die sogenannte Hetäreninschrif't aus Faros in den
für ihre Bedeutung entscheidenden ersten Zeilen bietet, glaube
ich doch die von mir in den Archäologisch -epigraphischen
Mittheilungen aus Österreich 1897 S.71 in Aussicht gestellten
Berichtigungen zu dem von Erich Pernice in den Miltheilungen
des athenischen Institutes 1893 S. 16 vorgelegten Texte nicht
länger zurück halten zu dürfen. Sie sind zahlreich genug, um
einen neuen Abdruck der ganzen Urkunde zu rechtfertigen K
Wie ich einer Mitteilung entnehme, die Herr Michael R.
Krispi seinerzeit an die griechische archäologische Gesellschaft
in Athen gerichtet und mir überlassen hat, ist die Inschrift
vor ungefähr achtzehn Jahren bei dem Abbruche des Hauses
des Av)[j.7)Tpio; McopaiTOCJcni; £v Oetei Xxlapa rapk tov xaXa-.öv vaov
Tüiv 'Ayiwv 'Avapyijpwv in Parikia auf Paros aufgefunden wor-
den. In zwei Stücke gebrochen, an deren Rändern in den Zeilen
20 bis 22 einige Zeichen verloren gegangen sind, bildete der
Stein einst eine Stele von 0,62™ Höhe, 0,32 Breite und 0,065
Dicke. Die Schrift ist zwar etwas ungleichmässig in Form und
namentlich Grösse der Zeichen, aber sorgfältig, und, mögen
auch einzelne Stellen minder leicht zu lesen sein, im Allge-
meinen sehr gut erhalten. Mit ausgespiochenen, aber müssi-
gen Apices versehen, scheinen mir die Buchstaben — ich er-
wähne z mit schräger Verbindungslinie Z. 23. 27. 31 f. —
sicherlich in vorchristliche Zeit, das erste, vielleicht auch noch
das zweite Jahrhundert zu weisen. Meine Lesungen beruhen
auf wiederholter Prüfung eines Abklatsches, den ich im Jahre
1897 von der Inschrift nahm, nicht auf erneuter Vergleichung
' Vgl. eil. Michel, Recueil d'inscriplions grecques Nr. 1000 (nur Z,- v
bis 31).
i\0 A. WILHELM
des Steines selbst, da für diese mein damaliger Aufenthalt,
zunächst der mühevollen Entzifferung des neuenldeckten
Bruchstückes der Marmorchronik gewidmet, keine Zeit bot.
Auf eine neue Wiedergabe der ganzen Inschrift in epi-
graphischen Charakteren glaube ich verzichten zu können,
und unterlasse auch eine z(3iclmerische Wiedergabe der kriti-
schen Stellen in ihrem Anfans; : diese dürfen wir , nach
erneuter Prüfung des Steines selbst, in der Sammlung der
parischen Inschriften zu finden erwarten, die Ililler von Gär-
tririgen vorbereitet. Für unsere Zwecke genügt eine Wieder-
gabe der ersten vier Zeilen in Majuskeln und des Ganzen in
Umschrift.
- -'V2, I I . I I I . i
EFAPXoMToZ0EO(t)PoMoZToYAEI<t>A
NoYME/^ KoPoYMTo2AKE2lo2
K A I Z o I Z T PaTS IEPHSEAoFEYZEN
S]tOT[Tp
£77' apy^ovTO? Ö£6(ppovo? ToO Aeifpot-
VO'J V£(i)XOpOOVTO; 'AxETto;
y.ai Soirrxp..;? (spyj; iXoysuaefv
5 e!; ex'.'TJtE'jrjV ty^; x,pY)v7i; y.al
TO'j ßwfxoii y.xl TO'j OaXiaou
MuXXi; XÄp7)T0? E riv'jTCL) Euayöfpo'j)
C <i>i>.a>t(j> Euayö(po'j) F 'ATTraaia Xzp7i(T0;)
E Mv/)(7iov Ti[;.y;'7i(ou) C ' Agt^oliIx T£i'7ri(vopo?) C
10 DatSap/j; Tiay)(vopo??) F ^i[li]aax TitJLyi'7t(ou) C
'EpaTiTTTT-ir) 'Apyj>>xo'j E MsXiviov Mvir)Gi£(Trou;)
C M'jXXi? KpiTwfvo;) r" TtaapfiTY) Ti[j.Y)Ti(o'j) Q
'EpaffiTTTiryi Mv7i(c':ou) C MaXGiov 'E7iri(Äva(>tTo;) C
MiiXOiov <I>iXw(vo?) E ^tXuTü) röpyo'j E
15 'AlpTcä^'o JIpo<T6£{vo'j) C rir-tö) Tta7.(pyo'j) F
^]a^oSt/-r, Ilapw(vo<;) F MäXOiov IIpo'iO£(vo'j)
A] n[pJ(i)T(i> Mvyi('Jto'j) F Ti[jtap£Ty) röpyou E
KjXeivapw 11'jOi-(tco'jj F TiaxpExv) K)vt(viou)
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT AUS FAROS 411
.] TiaapeTT) 'E7ri(iva(}tT0(;) B 'Epacri-Y) Kpx(Tivou)
20 D 'Ap/'.? 'Ap/6Ti((jL0'j) B 'Pp'jvl; K>s[t(vio'j) ? A
rjopyi; KX£o[Sr,(_L/.0'j)] A T'.t;.r,'7api'7T[7i .
'A]'77:a'7ta[Il?>TTy.( ) B EI't-.ov A£;i(xpzTO'j) B
KXsoP/tpJiT'o A Zcü'jiayi A WvlxU »-
riplcoTw 'AXx.i(o'j) r 'A'Txa'jia 'AX£^x(vSpo'j) AA
25 rX'j/C'.vvy. B riaTpo^tXa <I>tA(»)(vo(;) F
'A['j]-a[<jjia [N]t)taY6(po'j) F Scöretpa A-/;(aa)vo;) S
Yl[x]ihxp-/i^W^yJ{o'j)P ZwTtjj/o Aijrpi(o'j) A
Eji'TlOV 0cO^(O(pO'j) B -CO-pÖ) 'A/iETlO; /*
.a]Tpo;£va A KXso-y.Tpx S
30 '/Vyävjitttcy) Mr/TpofSwpov) A EWiu.spicc r).ü(/twvO(;) [^|f
Aioji-iiAv; Z(i>t(Xou) S Aa'.; Mvr((citO'j) A Zw^ia-o
. . . .Sjajjia 'Pö(8cüvo;) A IIpwT^wj A Zcüti/'o
....=: 'AyXai; 0£o(Ttp.ou) S '0[>.ikix KaX(Xiou).
. rX'j)tj£poc K3'.X(Xtou) = Euy£v£ta. A
35 £1«, S 'A-ny.-y) np3t(;io'j) S— EX[e
'HJcüy^^iov Eü-/ia£(po'j) A 'üpaia
'a AK,£rjio<; A
Die in der ersten Zeile erhaltenen Reste hat Pernice in sei-
ner Umschrift nicht berücksichtigt. Die Lesung S](i)<7[Tp- zu
Anfang betrachte ich als gesichert; die gegen die Mitte der
Zeile zu sichtbaren Reste weiterer acht, höchstens neun ^ Bucii-
stajjen — die zweite Hälfte scheint frei geblieben zu sein —
entzieiien sich für mich wenigstens vorläufig zuverlässiger
Deutung.
Z. ?/3 steht A£icpx|vo'j, nicht Aeiviou auf dem Steine. Zudem
begegnet derselbe Mann in der von Th. J. Olympios im 'AOf,-
vaiov V S. 3'2 verölTentlichten, mir auch in einem Abklatsch
Ilei'rn Dr. O. Rubensohns vorliegenden Inschrift, wenn ich
richtig ergänze :
* EinifiC undeutliche Linien, die der Aliklalscli naeli den verzeielinelen
Resten über dem <1>P der nächsten Zeile 7.eig:l, habe ich in den .\bdruek
nicht aufzunelinicn gewagt; ob sie allenfalls Buchslaben auLrehören , läss^
sich nur vor dem Ölein l'eslstelien.
412 A. WILHELM
©g6<pp](i)v Aifpävou Kxi ösoSü)-
pa' . . . .] uTiep Tüiv ulwv Ai<pxvou
'Tyietcjc ]
Der Name (vgl. z. B. Aei^piTvi; Tr^v-.o? C.I.A. II 812 b, 12)
kehrt auch auf einem Steine wieder, den M.R. Krispi in dem
Berichte der EüxyyeXr/cri ^/oX-^ 1876/78 S. 7, px^' herausge-
geben hat :
XJa[p]iK>yi; Asi'pÄvou Teii-
- ^]7)Xou ^ AioTiL/^o;
-(; ScüOTpiXTOU
'A(ppooi]T£i xai "EpCOTl
ferner in der Inschrift, die ebenda 1878/80 S. 156 abge-
druckt ist ("E^aXo; A£i9zvo'j) und in einer noch unveröffent-
lichten Inschrift, die mir kürzlich durch freundliche Mitteilung
dieses verdienten Gelehrten bekannt geworden ist.
In den Trümmern der Kirche "Aytoi ösoScüpot, eine Stunde
' Wedöcopo« Olyinpios. Gleichartige Weihungen, auch in dem Ausdrucke
übereinstimmend, C.I.G. 20i6 (vgl. S. 249, LcBas, lies 2075), 2390, 2397b,
B.C. II. 1877 S. 134 Nr. 44-48 (nach Cyriacus), Athen. Mitth. 1897 S. 409
Nr. 11, MoucteTov EüaYY- i^/.oXfi? 1876,78 S. 3. 7, 'AOrjvaiov V S. 31 Nr.
21. 22. Die Insciirift Nr. 21 vermag ich in besserer Abschrift vorzulegen.
In einem verfallenen Kirchlein in der Gegend Aspriäs. drei Viertelstunden
südlich von Parikia, ist rechts von der Thüre verkehrt eine Platte weissen
Marmors eingemauert (0,14 hoch, 0,50 breit, links Anschlussflcäche); in einer
Umrahmung steht die Inschrift:
Zoiaiiio? Aw[po6eou
x(a() 'lata? Xa66iüj[vo;
ÜTzlp TOÜ UIO'J A[(i)poO^OU
'AaaxXyi;cio) xa[i 'Tyieta
Z. 2 l< als Abkürzung für xa'i auch in einer noch unvcröircntlichten In-
schrift, die ich 1897 im Besitze des Arztes Nikolaos Russos fand.
Zu Sa66t(.)v vgl. W. Schulze in Kuhns Zeitschrift 33 S. 380.
2 So ist wül für das mir unverständliche T.r^Xoj zu lesen. Teta- mag zu
T*i3apx.os oder Ts'oi^vwp ergänzt werden.
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT AUS PaROS 413
von der Südküste der Insel, finden sich nämlich unweit eines
alten Friedhofes und der Mauern einer alten Ansiedelung, un-
ter anderen bearbeiteten Marmorblöcken und Resten einer schö-
nen Kalymmatiendecke zwei einst zu einander gehörige Stücke
eines marmornen Architraves, das eine 0,87'" lang, noch ver-
mauert, das andere, jetzt freiliegend, ü,6"2"' lang, beide 0,45™
dick, 0,15'" hoch. Das zweite Stück trägt folgende 'schön ge-
schriebene und leicht zu lesende' zweizeilige Inschrift, die ein-
zelnen Worte durch freie Zwischenräume gelrennt. Nach Kri-
spis Abschrift :
"Ap^ovTOi; 'Ap^eXäou Yy''"^*<'i3tpy(_o0vTO; S'jvgraipou" ivöpa; (Jtx-
Stov 'ATtoXXwvtgia Aei(p3cvYi; —
Tuaioa^ cräSiov Neoar/Sr)? HpocjOevou ' XocixTrotöi ivi>ta. T£>.£(ji7U7Co;
T6i(jipj(^ou
Der Finder ist geneigt, die Inschrift dem zweiten vorchrist-
lichen Jahrhunderle zuzuteilen ; seiner Abschrift nach würde
ich sie für etwas jünger hallen. Aber in die Kaiserzeil braucht
man wegen des einmal deutlichen l-l und des E neben H und
E keineswegs hinabzugehen ; dass sich l-l schon auf dem
Steine mit den Briefen der Allaliden (Arch. -epigr. Mitth.
Vill 8.95) findet, habe ich in eben jener Zeilschrift XVII
S.44 bemerkt. und bin daher auch nicht überrascht, dieser Form
in einer so ausserordentlich eleganten Inschrift wie I.G. Ins. 111
201 (Aslypalaia) zu begegnen. Agone erwähnt auch die leider
verstümmelte Inschrift, die Olympios 'A6r,vatov V^ S. VQ ver-
öffentlicht ; ich bin versucht zu ergänzen :
"Apj^JovTo; .... Tou . . .
Yu]u.va(Tiap/oüvTO; . . .
. . . ou" TOu;S£ Toü; <i[YcJva^
. . . pxTcov AiT^pcüvo; [icTi-
(pavcbö]?)'" avSpa? (jT[äSiov xai
avöpa]; ööXij^ov xat . . .
Die Lesung bleibt unsicher; . . . io.t); giebt Olympios Abscbrifl.
^14 A. Wilhelm
Der Agon ' A-Kollto^Uix hat seinen Namen von einem 'Atto^Xü-
vio;, auf dessen Kosten oder dem zu Ehren er Statt fand. Für
die Namen 'Ap/eXao«;, Neour.Sr,;, IlpoGÖsvr.c gebe ich zu Z. 1 1 . 7.
14 f. der angeblichen Hetären inschrill Belege. Sehr auffällig
und, soviel ich weiss, auf griechischem Sprachgebiet bisher
nicht bezeugt, wenn auch sonst bekannt, ist die Assimilation
von av zu vv, die. wenn Krispis Abschrift treu ist und nicht
blosses Versehen des Steinmetzen vorliegt , yuwaTiap/oCvTo;
vollzogen zeigt.
Z. 4 liest Pernice Kai? Oi(jTp[o]u:, nicht ohne ein Fragezei-
chen zuzusetzen; Maass nimmt seine Vermutung. OtrrTpw sei
Beiname der Aphrodite, auf und verfolgt sie ohne an der Le-
sung zu zweifeln. Sie unterliegt erheblichen Bedenken. Leider
ist dem Steine selbst, wie es scheint, die Entscheidung nicht
abzugewinnen. Ganz deutlich sind die ersten neun Buchstaben
der Zeile: dann zeigt der Abklatsch, unmittelbar an P anschlies-
send, erheblich weniger scharf und kleiner als die übrigen Zei-
chen einen dreieckigen, doch unten otlenen Buchstaben, wie A
oder A, denn man kann Spuren eines Querstriches zu finden
glauben; ohne Zwischenraum folgt, deutlich ausgeführt, ein
senkrechter Strich, an den oben zwei etwas schräg gestellte
kurze Linien ansetzen, also ein Y, nur dass dieses sonst nie
in der Inschrift über die Zeile reicht, oder ein, weil eingezwängt,
etwas entstelltes T. Dann ist 1 klar, aber neben dem nächsten
Buchstaben, I, kommen rechts Reste eines getilgten Zeichens wie
K zum Vorscheine. Irrtümliche Schreibungen und nachträg-
liche Verbesserung zeigt die Inschrift auch an zwei anderen
Stellen : in unserer Zeile selbst ist in ilöyivne^) erst für y ein v
eingezeichnet gewesen und noch deutlich sichtbar, und in dem
Namen MeXivtov lassen sich unter A I N Reste verschriebener
Buchstaben erkennen. Noch an einer dritten Stelle, Z. 8 zu
Anfang glaube ich zwischen C und (J) Reste eines Zeichens wahr-
zunehmen. Jedenfalls steht in dem rätselhaften Complexe (joi-
cTp..(;an drittletzter Stelle das O, welches die Lesung OiaTpoö?
voraussetzt, nicht auf dem Steine. Aber dieser Lesung stehen
auch zwei andere Bedenken entgegen. Erstlich bedürfte der
blE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT ALS FAROS 4l5
merkwürdige Name Kai? einer Erklärung; Pernice und Maass
haben über ihn kein Wort verloren. Man fühlt sich an den Ky-
nurier Sü? erinnert, den die bekannte Inschrift ausTegea, zu-
letzt in Dittenbergers Sylloge' Nr. 106 abgedruckt, nennt
(Z. 15); der Name wird zu HaiaS«.?, -aiTaSa;, Sai/.>,aco; ge-
stellt ( Bechtel-Fick, Griechische Personennamen S. '<?59). Für
einen Kzi; indess finde ich keine Erklärung; in der Zeit, der
die Inschrift von Paros angehört, darf man durchsichtige
Bildungen erwarten. Zweitens muss ich gestehen, dass mir für
Upr)? gleich iepe-j?, wie Pernice und Maass lesen, der Verweis
auf den arkadischen Dialekt, der solche Formen allerdings
kennt, nicht genügt. Denn sonst ist diese Form, so viel ich
weiss, nicht bezeugt; nur erschlossen ist sie zur Erklärung
des bekannten milesischen Genetivs tsptw, der dann in Upew^
einen neuen Nominativ erzeugt hätte, von Bechtel (Göttinger
Nachrichten 1886 S. 378. Inschriften des ionischen Dialekts
Nr. lÜÜ). Zudem bietet sich für hrn:, eine andere Deutung,
auf die, mündlicher Mitteilung zufolge, auch VV. Judeich so-
fort verfallen ist. 'hpy) gleich iepsia ist dem Ionischen geläufig;
es genügt an die Inschriften von Pantikapaion Inscr. Pont.
Eax. 1 20 (Bechtel, Inschriften des ionischen Dialekts Nr. 123.
0. Hoffmann, Griechische Dialekte III S. 67, 148) ■Ap'.oTovi;fo
A-n(xyiTpo<; Up-?i und EphesosC./.(r. 3003 (Le Bas- VVaddington
Nr. 166a, Bechtel Nr. 150) 'Avxwvia FloöX^pa iepri, Jahreshefte
des österr. Institutes 1 Beiblatt S. 76 KT^a-j^ia Tpooijj.yi 'scr; zu
erinnern '. Dann ist nach dem staatlichen Eponymos neben dem
vewxöpo? auch die Priesterin genannt gewesen, also xai Soic-rp..!;
lepY)? zu lesen; ich vergleiche für die Anreihung mit xal z.B.
die Inschriften Dittenberger , Sylloge^ Nr. 446 {B. C. H.
1881 S. 408) £v AeXcpoi«; Se apyovxo; Mavxta 5tat Upecov E'JjtXe'o?
Eevwvo?, und ebenda 321. Leider aber will es nicht gelingen,
die zwischen xai und iscr,; kenntlichen Zeichen ohne weiteres
in einen annehmbaren Namen zu verwandeln. Die erste Silbe
< 'hpfi aucL Plularch, An seni 24, Auth. Palat. VII, 733 ; W. Schulze,
Quaesliones epicae S. 489 und add.
416 A. WILHELM
Sot und die Endung — da der Stein qü(; nicht bietet — wider-
stehen, wie mir scheint, der Deutung. Nur bevor ich Stein
und Abklatsch sah, durfte ich es wagen in Soiaxp-ui;: Sw-
Tpoö«; zu suchen und zu vermuten, dass diese Stoxpo) die in
Z. 28 der Liste genannte Tochter des vew/.öpo? Akesis sei. Auch
Namen wie Eü(jot<j>c7i ' C.I.A. 11 3751 oder Söarpwv (Swoxpiwv),
zu dem eine weibliche Bildung denkbar wäre, helfen nicht wei-
ter. So bleibt nur die Vermutung, dass an der Stelle, möglicher
Weise durch die unmittelbar vorhergehenden Silben KEZIOZ
veranlasst, eine schwerere Verschreibung vorliegt, die einst
vielleicht einfach durch Eintrag mit Farbe berichtigt war. ich
verkenne nicht, wie peinlich es ist unter solchen Umständen
zu raten; dennoch ist es erlaubt an den Namen HucTpäT-in zu
denken, der den deutlich kenntlichen Schriftzeichen sehr nahe
kommt 2.
Die Deutung dieser Zeile ist auch für die der ersten von
Wichtigkeit. 'ET^öyeocsv fordert ein Subject. Nach Pernices Le-
sung ist es Kai? OifjxpoOi; Upv;? ; dies Subject wird durch meine
Lesung beseitigt. Es bleiben nur zwei Möglichkeiten: entwe-
der steht das Subject in der ersten Zeile, oder es ist durch die
Namen der Liste gegeben. Freilich erwartete man in diesem
letzteren Falle zunächst iT^oysucav, nicht e>.6y£u'7£v ; aber da das
Verzeichniss nicht etwa durch eine Überschrift AtSe jcxX. ein-
geleitet ist, mag die Einzahl erträglich sein. Es fragt sich dann,
ob Xoyeueiv nur vom Sammeln von Beiträgen ^ für den in der
' Ich kenne den Stein niclit und es sclieint vermessen Köhlers Abschrift
anzuzweifeln, doch läge es nahe statt dieses seltsamen Namens EuSoiaxr) zu
vermuten; vgl. Eü6oEcjxos G. I. G. Sept I 983. 3391.
2 Eine Form wie ^uuyi'jrii Swivajtjjs l^wivdfjio? und die auf ionischem Ge-
biete allerdings bezeugte Verkürzung von tut zu ot wäre für die Zeit der In-
schrift autfällig; auch an i^oiatpair) wage ich nicht zu denken, vgl. W.
Schulze a.a.O. S. 398 und add. Der Name Xloivaüt»)?, den Blass und Schulze
in der grossen Liste von Erelria 'E-^r^x. äpy. 1887 S. 82 IT. III 180 vermutet
hatten, wird durch die letzte Lesung nicht bestätigt: Slavropullos gieb
'EfTjfjL. otp-/^. 1895 S. 140 Ü'ivapYo[u.
3 AoY£j'jj 'sammeln' Pap. lirit. Mus. 1k Z. 7 oiaixwjiEvov (oder oiaiTwjxIvou?)
6k xai £$ u)v eXd-iEucv. Im Sinne von 'einheben, erheben", so auch Xoyc-a, Xoyeu-
TT^s, TtapaXoY^üw u.s.w. häutig in den Papyri, vgl. Flinders Pelrie Papyri II S. *
DIE :«0(}ENAN.NTE HEtAERENlNSCHhIFT AUS PaROS 417
Inschrift ü;enannten Zweck, verstanden werden oder vielleiclit
aucli das Leisten eines Beitrages bezeichnen kann. Jedenfalls
scheint mir ^cgen die Annahme, dass der Veranstalter der
Collecle in der ersten Zeile genannt war, sowol die Entfernung,
in der Suhject und Prädicat ständen, zu sprechen, als der Um-
stand, dass die erste Zeile in ihrer zweiten Hälfte keine Schrift
zeigt, also als besondere Überschrift behandelt ist. Freilich
hält es sehr schwer, für eine solche Überschrift eine Fassuni;
zu ersinnen, die dem begrenzten Baume und den sichtbaren
Spuren gerecht wird. In der Zeile standen nicht mehr als etwa
zwölf bis dreizehn Buchstaben ; also wäre auch eine Weihe-
formel nur in äusserster Kürze unterzubringen. Ich dachte einst
an SöjofTpa EiXeiö'jiY)], wie C. l. G. Sic. 967 Tö <Tü)Tr,pi 'Ag/Zat,-
TCiö (TcöCTpot y,ai yapiTTTipia Nix.oar,or/(; larpö? ; aber um von
anderen naheliegenden Bedenken abzusehen, die Beste von
Buchstaben, die gegen die Mitte der Zeile zu sichtbar sind,
lassen sich mit dieser Lesung nicht vereinigen und der Baum
reicht nicht. Auch ävtOvix.sv mit vorhergehendem Namen ist
ausgeschlossen. Wenigstens möglich schien mir ^(^)n[':^x-r^
(6071 ; dann wäre die Priesterin in der Überschrift etwa so ge-
nannt, wie der Tay.ia; 'jTpaTi(i)[Tt>c(öv] E'jp'j/.>.etSr,: Muicüvo; [Kt/-
(ptct£.j?] C.I.A. II 334.
Für den Namen der Gottheit, deren Heiligtum, unter der
Obhut eines v£(i)x.6po(; und einer Priesterin, mit den in der In-
schrift verzeichneten Beiträgen verschönert werden sollte,
sind wir auf Vermutungen angewiesen, die natürlich auf eine
weibliche Gottheit zielen ; die y.p-övo führt nicht auf .\skle-
pios allein. Der Gedanke, dass wir es wenn nicht mit
127, Athen. Millli. 1882 S. 71 (Michel, Hecueil Nr. Wl] Z. 27, C. I. G,
4956 Z.Id. 37 und in der Inschrifl aus Physkos Athen. Mitlh. 1896 S. 64
{li.C.H. 1894 S. 31) Z. 61T. in bisher nicht richtig ergänztem Satze; vielleicht
auch Itucr. Brit. Mus. 89'2 Z. 13; exXoYsüd) MystiMioninschrift aus Audania
Z. 47. Gleich XoyiCeaOai in dem Steuertarif von Pahiivra, Hermes 1884 S.
519 et? or)vocptov und Kpo« iaaäciov /oysyeiOai, und in der Inschrift aus Anior-
gos: Michel, Ikrueil Nr. 713 Z. 1 i, ::po,-XoY£J'<) ebenda Z. 47.
ATHEN. MITTHEILUNGEN X-'^lUI. *28
4l8 Ä. WILHELM
Aphrodite*, fJemeter oder Hera 2, mit Rileithyia zu lluin lia-
l)en, liegt nahe, liisst sich aher auf Grund der Inschrift, so
viel ich sehe, nicht beweisen. Milden erhaltenen Buclistaben-
resten scheint die Lesung '^iün[T^XTr] "Ilpr^t allonfalls zu ver-
einen. Freilich setze icli mich mit solcher Annahme in Wider-
spruch zu der geltenden Auffassung der Inschrift, die seit
Pernice in den Spenderinnen Hetären und Maass geradezu eine
organisirte Rultgenossenschaft der 'A'ppoSiTYi OtTTpo) erkannt
hat, den Namen der Hetäreninschrift von Faros trägt, und,
fürchte ich, auch weiterhin tragen wird, selbst wenn es gelin-
gen sollte eine andere Deutung nicht nur als möglich, sondern
als berechtigt zu erweisen. Gegen die herkömmliche Auflassung
hat, soviel ich weiss, nur W. Judeich in seinem Artikel Aspa-
sia in Pauly-\A'issowas Real- l^ncyclopädie II S. 1718 Ein-
spruch erhoben; ihm gilt die Inschrift als "Katalog eines
Frauenthiasos'.
Auf die Erwähnung der Otfirpo) wird sich jene Meinung nicht
mehr stützen können, das hoffe ich gezeigt zu hahen. Aber ist
die Auffassung, dass die in der Liste genannten Frauen He-
tären seien, sonst irgendwie gesichert oder gehoten? Nach E.
Ziebarth-' hat Maass 'erwiesen', dass der Thiasos zu Ehren
der Oi'jTpö) 'ausschliesslich aus Hetären bestand'. Maass selbst
hatte sich also ausgedrückt (S. '24): 'Von etwa der Hälfte aller
auf dieser Inschrift vorkommenden Frauen ist es sicher oder
* Eine noch unvcröffentliclite Weihcinsclirift an Apliroditc Pandemos
möge hier Platz finden. Sie steht auf einem 0,53"' langen, 0,11'" hohen
Stücke weissen Marmors, das in der Nordmauer des Katleliauses vonhoäv-
V7)s «tüjTiavös am Strande des Hafens von Parikia eingemauert ist :
inPkAI<J>AINISnEI2l?TPA
YPIOIA(J)POAITEinANAH
EuTJvJtop ? xai »I^aivi; ri£tat(JTpa[Tou
Niajuptoi 'AtppoS^-Ei IIav8ri[[i.ioi.
2 Hera und Demeter nennt die im 'AOrjvaiov V ö. 15 mitgeteilte Weihe-
inschrift.
^ Das griechische Vereinswesen S. 44.
DIE SOGENANNTE HETAÜRENINSCHBIFT AUS PAROS 419
doch wahrscheinlich, dasssie Heiaren waren'. Für die übrigen
isl dann das Gleiche einfach vorauszusetzen'.
Den Beweis fand Maass (nicht ohne zu bemerken, dass sich
seine Auffassung nicht allein auf ihre Form stütze) zunächst
in den Namen. Zwar giebt er zu, dass 'Kosenamen auf -t^iov
oder -lov oder ähnlich an sich auch Wesen bezeichnen können,
deren Anständigkeit wir anzuzweifeln nicht das Kecht haben'.
Aber 'die neutralen Formen sind wie bekannt vor allem für
Hetären beliebt'. Und solcher Namen finden sich, nach Maass,
der Pernices Lesuns; fol^t, sechs, nach meiner LesuniJ! acht in
der Liste: MvTjTiov, MsXiv.ov, MxXOiov (dreimal), E'it'.ov (zwei-
mal), 'Haü/iov,
Ich sehe ab von der Thatsache. dass sächliche Bezeichnun-
gen für weibliche Wesen in der griechischen Namengebung
ganz gewöhnlich sind 2. Aber die verbreitete Meinung, die
Verkleinerungsnamen auf -iov gehörten vorzugsweise Hetären
an — selbst die bekannte Korallion 'AyxOoövo; yWr, entgeht dem
Verdachte nicht ■' — , scheint mir ein unbegründetes \'orurteil.
Von den berühmten Hetären, die Athenaeus XIII 567a bis
599e nennt, führen allerdings dreizehn solche Namen : ^iviov,
Nävviov^, Ao/TscSiov, M'JpTtov^, FvaSaiviov, FX'jx.e'ptov, Ka^Ai^Tiov,
©a'jazpiov, AsövTtov^, Sxayövtov', Navvzpiov, — '.T'jp-Sptov ''^, Nx'j-
' Audi 11. Herzog, Pliilologus IS97 S. 50 galten die Namen iinseier In-
scliriri, ül)gleicli sie 'sich nicht auf semitische zurückführen lassen', doch
als Hetarennamcn.
2 llöSapov als 'mit Aphaeresis aus 'ladoapov hervorgegangen* zu erklären,
war J.Baunack vorhchalten (Gr. D.I. 11 Nr. 1802). Über dieses von Baunack
hevorzuj^le Piincip der Namendeutung vgl. Bechlel in Bczzenliergers Bei-
trägen XX S. 243.
3 C. I. A. II 3871, Altische Grabreliefs I Nr. 411, Comic de Mouy, Lellres
atkdniennes ö. 23.
* 0. 1. A. II mehrfach, C. I. A. III 3296.
s Vgl. W. Schulze, Gull. Gel. Anz. 1897 S. 876.
C AeovTiov '1<]/£'jO£vou GuyatTTip KXsitoj IIa/.Xr)V£'io; fuvrj C. I. A. II 2433. Wird
man ihren Namen für 'übersetzt' hallen ( IMiilologus 1897 S. 49)?
7 0. I. A. III 2920 'Apx.. AeXtiov 1888 S. 98. C. I. G. Sepl. I 4217.
8 Vgl.i]iaj[A6pa5 und i]iautj.6pf'3XQi Ilerondas II, 76, dazu Crusius, Unter-
suchungen zu llerondas ö.4b; Beehtel, Die einstämmigen männlichen Per-
sonennamen des Griechischen, die aus Spitznamen hervorgegaugen sind
420 A. WILHELM
(T'.ov', Aber ihnen stehen in jener Liste über hundert anders
gebildete Namen geiijcnüber. Mügiich, wird man mir entgeg-
nen, dass den gefeierten Priesterinnen der Liebe, die Athe-
naeus nennt, gewähltere Namen eigneten als den gewöhnlichen
Vertreterinnen der Gattung, die für uns \erschollen sind: eine
besondere Bevorzuo-uni;- der Namen auf -lov in diesem Stande
wird mindestens durch Athenaeus spwxix.o; xaxxXoyoc nicht er-
wiesen. Und spielen in Lukians 'Eraipixo! StäXoyoi die be-
kannten rX'j)t£ptov, KXcovipiov, KuaSxX'.ov. MaytSiov, Mouaapiov,
MupTiov, <I>iXy]u.octiov, XsXiSoviov eine Rolle, so lässt sich anderer-
seits zeigen, dass solche angeblich schon ihrer Bildung nach
bedenkliche Namen keineswegs etwa auf die niedere Classe
beschränkt, sondern auch, und nicht erst zur Zeit unserer In-
schrift, in der gut bürgerlichen Gesellschaft üblich gewesen
sind. In der That lag an sich kein Grund vor.es mit den Na-
men auf -lov anders zu halten als mit den zahlreichen übrigen
Koseformen, welche sich die Sprache zur zärtlichen Bezeich-
nung des Weibes geschaffen hatten Ich verfüge, um die Na-
mengebuno; in dieser Hinsicht zu verfolgen, im Augenblicke
über keine ausreichenden Sammlun^en aus den attischen
Inschriften, da ihre Masse erst auf Grund sorgsamer Son-
d(>rung nach den Zeiten und nach Herkunft und Stand der
Personen ein statistischer Bearbeitung zugängliches ^Material
darstellen wurde ; so sehe ich mich für meine Beobachtuncren
vorläufig auf einige Listen, die uns zum Glücke erhalten sind,
und die Indices angewiesen. Ein Blick auf die vier Bruchstücke,
die uns von Verzeichnissen der sogenannten Rrgastinen vorlie-
gen: C.I.A. II 9562.957. 957 b \a(ld.S. 538). IV, 2 HTd^,
(Ahtiaiidliingen der göuinger Gesellscliaft der Wissenschaften N. F. II?,
1898) 8. 76.
* Atlien. XIII 587 f. Man hat ändern wollen; Kaibeljschlägl'HXiiaiov, Mu-
surus Notvviov vor. Aber NaJaiov ist niciit zu heanslanden; zum Überflüsse
stellt C. I. A. II 3828 auf dem Steine. Nau^iov il(.)ävopo'j GuyaTrip.
2 Diese Liste gehört, wie die BescIialVeniHMt des Steines und die Sclirift
erweisen, zu dem Pscphisma II ^77. Das Bruchstück II 957 b ist mir leider
noch nicht zu Gesichle gekommen.
3 Die letzten Zeilen dieses Psepliisma habe ich Arch. - cpigr. Mitth. aus
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT AUS FAROS 421
genügt, um festzustellen. dass um das Jahr 100 vor Cli.,von dem
die Zeit der Inschrift von Paros nicht allzuweit ahliegen dürfte,
die hochadlitjen liiiuser Athens ihre 'i'öchler ohne Bedenken
mit Xamen auf -lov heschenkten. P^rlialten oder kenntlich sind
in der vollständigsten Liste IV, 2, 477 d im Ganzen 22 Namen,
darunter fimlet siel» verstümmelt ein Name auf -tov oder -ov.
In dem Bruchstücke 956 begegnen nehen 39 anders gebildeten
Namen vier auf- lov: Aa^eiov, 'A/teiT'.ov, Flipiov, Mtx/.iov, in 957
neben sechs anders gebildeten wieder Mix./. -.ov und II zc-.ov. rund-
lich ist in 957 I). während dieRnflungen aller übrigen Namen
verstümmelt sind, wenigstens ein EpcJTiov sicher. Für spätere
Zeit genügt es an Aay.{(^iov, Tochter der AaSiaeia Mn^aouCEora.
äpy. 1897 S. 18, C. I. A. lil 34 1. 3U), die Athenapriesterin
'A0/)vtov {CIA. III 61 ,282.668),dieeleusinischen Priesterinnen
Xäp'.ov Tochter des A'.ovj^io; MacaOwv.o; ('E^-zia. äcy. 1895 S.
10?) und KXauSia Taricpiov {CIA. III 218) zu erinnern. Auch
in diesen ersten Kreisen Athens unterlag also dieNamengebung
der Mode: denn für die beste Zeit hat U. v. ^^'ilamowitz (Ari-
stoteles und Athen II S.178 ) festgestellt, dass 'wenn auch im
Allgemeinen die Namengebung die Frauen sehr viel mehr wie
Sklaven behandelt, Kosenamen natürlich bei ihnen verbreite-
ter und nicht immer von den eigentlichen Spitznamen zu tren-
nen sind, die höhere attische und demgemäss im fimften
Jahrhundert die ganze gut bürgerliche Gesellschaft darauf aus
ist, Männern und Frauen volle Namen zu geben*. Recht zahl-
reich sind Namen auf -lov schon in der, wie man annehmen
darf, gemischten Gesellschaft vertreten, die uns die Urkunden
Österreich 1897 S. 65 hergestellt. Unter den Ertjastinen der Plolcniais er-
scheint Z. 43 MvTjaö) 'Aay.XT);:i(ioou BspEvixi'Bou. Es isl noch nii'hl henierkl wor-
den, dass wir ihren Grahslcin C.I.A. III 16'25 Mvrjaw 'AaxXT]7:iäoou BepEvuiSou
euyäxrjp, und den ihrer MuUer, der ehenfalls fälschlieh in den drillen Teil
des C.I.A. gewanderl isl, noch hesilzen: C^. /. .1. Ill I7li5 Mvr.aö) Kp-.ToorJaou
©opixiou 6uYaTT)p 'AaxXri7:tä5ou liepevixt'öou ■^w/r,. Diese Graltsäiile isl, was das
Corpus uiehl erwähnt, mit dein Prieslerschlüssel in Relief geziert; vgl. II.
Diels, Parmeiiides Lehrgedicht 8. 123 IT. Wie die MuUer Priesterin der
Allicna (vgl. Pliilareli Nunia 'J|, war die Tochter Ergaslinc.
422 A. WILHELM
des iurx'yu.o^ der Weihegahen an Asklepios C. I. Ä. II 835,
nach Kölilei' aus dem Ende des vierten, und II 836, aus der
zweiten Hälfte des driltiMi Jahrhunderts, vorführen, ich finde
in ersterer Inschrift folgende Namen auf -iov: AiT/piov, 'IlS'J-
Tiov,Ka>.>i7Tiov, Maaazpiov, MsiStov (Z. ^0 und vollständiger Z.33
MeiSiov rXa'j/.i:cT:ou KolXitxibn; yiivT) genannt. Vgl. II 8ü8c, 104.
809 d,'24'2 ),X]aipiov *. Viel zahlreicher sind sie II 836: AtTj(^piov,
'Api'7Ttov, BoiStov, rXu/tepiov, 'IlS'J);iov, 'riöoTtov, ©sj^.i'jTtov, KaXXi-
CTtov, A3C[;.tSiov, M^XOdcKtov, Mxu.(xapiov, Manov, Msiöiov, MuSiov
(vgl. II 322'2, M'jiStov II 3981 ), Nax,iov, Niwiov, Nijcadiov, Fla-
piov, i^'.aäy.tov, '■t'iXxKio-^, ^iKItio-^, <I>'.>.TaTiov, Xpuaiov ; mehrere
dieser Namen sind nachweislich von Töchtern und Frauen al-
tischer Bürger geführt worden. Um in niedrige Kreise hinab
zu steigen, habe ich auch die Verzeichnisse der cptiXai ileltu-
öepDcai C/.yl. II 768-776; add.S.bi'2, 776b; IV, 2, 768b-
776 e herangezogen, aber nur üapOeviov und Xpudiov unter den
Namen der Freigelassenen gefunden; von den Mitglieder-Ver-
zeichnissen der spavot, OiaToi U.S.W, sehe ich ab, da für Maass
Weiber, die 'an einem sonst nur von Männern' gebildeten
Vereine Teil nehmen, von vornherein als Hetären verdächtig
sind 2. Lehrreicher sind die delphischen Freilassungsurkunden;
^ So ei'gcäiizc ich Z. 51 nach C. f. A. II 2461 Xafptov XwiptXou Ileipaifo); Onya-
•cr)p. Bei manchen der in diesen Listen hegegnenden Namen mag man
zweifeln, ob sie einen Mann oder ein Weil) hezeichnen. Ntxaiiou z. B. 836
Z. 21 fasst der Bearheiter des Index als männlich ; aber es kann auch
Frauenname sein wie C.I. G. Sept. III 1, \\)'i,Gv.D.I. 213Ü. Ebenso steht e.s
bei ©EjJLtanov, (I>tXraTiov u. a.
2 Maass geht auch hier viel zu weit. Wenn ihm die Priestcn'in FXaöxov C.I.A.
II 619 Hetäre gewesen zu sein scheint, so ist nieiit abzusehen, warum sich
ihr nicht Krateia II 622, OnasoII (J23, und die Prieslerinnen der InschrÜlon
II 624,627, IV2, 618 b anschliessen. Dem Verdachte, den Maass gegen die II
687 genannten FrauenTIcru//a,'EpojTl?,A.iOeoiov ausspricht, werden dann auch
KaXXiiTiov, Aopxiov,Koa'|'r),:i:i;AäXri,Mr]Xtc IV 2, 618 b nicht entgehen, ebenso
wenig die2IFraueu, die eine ebenfalls vor dein I »iiivloii gefundene noch
unverölleutlichte Liste der Orgeonen der Götlin > \\;ibrsciieinli('h der Arte-
mis ) im Anschlüsse an ein l'scidiisma nennt, oder die lange Reihe von
Frauen, welche die von mir Alben. MitHi. 1896 S. 438 herausgegebene In-
schrift der Eranisten von Uhalandri aufzählt. Nebenbei, auch G.I.A.IW
219. 220 scheinen mir Denkmäler von Vereinen.
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT AUS PAROS 423
SO wenig seltenbei Scl;ivinnen Namen auf -tov sind, so sind
sie doch, und vielfucli ganz dieselben Xamen. auch für die
freilassenden Bürgerfrauen nachweislich. Ich habe mir aus
ßaunacks Sammlung G.D.I. II 1683-'2342 'AYri(Tiov, Alvri^iov,
'ApiiT'.ov, 'Ai/.opöcr'.ov, 'EpxT'.ov, Aic.ov', SzvOtov, als Namen von
Freilasserinnen bei llüchliger Durchsicht angemerkt. und glaube
nicht, dass diese langen Reihen von Inschriften für meinen
Zweck mehr als eine solche lohnen. Denn trotz ihrer Masse ge-
ben sie uns über die Namengebung. wie sie zu gewisser Zeit
in bürgerlichen Kreisen üblich war, keine statistisch unmittel-
bar brauchbare Auskunft.
Zum Glücke sind uns aber Inschriften erhalten, die uns die
weibliche bürgerliche Gesellschaft einer begrenzten Örtliclikeit
und einer bestimmten Zeit wenigstens in gewisser Vollständig-
keit vorführen. Unter diesen Inschriften steht obenan die grosse
Urkunde aus Halasarna auf Kos, nach 0. Rayet von Paton
und Hicks, Inscriptions of Cos Nr. 368 verölTentlicht, wieder
abgedruckt Gr. D. J. 3706, nach E. Preuner, Hermes 1894
S. 540 etwas älter als die in den Anfang des zweiten Jahr-
hunderts vor Chr. zu setzende Beitragsliste Inscriptions of
Cos Nr. 10. Sie verzeichnet, wie das zugehörige Psephisma In-
scriptions of Cos Nr. 367. Gr. D.I. 3705 anordnet, to-j; aexe/ov-
xa; Toü i£pou,und zwar gemäss der Meldung bei Jedem tö ovoax
TcocTpiacxi )cai täv cpuXav xal tx? axTpö? tÖ ovottot >tixi tivo? t(I)\
TcoXiTcöv G'jyxTrp 'j-zpy£'.. In dieser Liste finden sich folgende
20 Frauen mit Namen auf - iov gegenüber 115, die anders ge-
bildete Namen tragen: 'AyyjTtov, 'Apixiov (2), 'Apionov (2), Fvi-
öiov, 0£[j.iaTiov, Kaeitiov, KpaTiwtov, Axu-ttiov (3), M'.wäpiov, Nixx-
Tiov (4^ Iliciov, TEi-j'-ov und ein nicht zu ergänzender Name. Et-
was jünger ist die Liste von Kalymnos, veröfYentlicht D.C.H.
1884 S. 29, besprochen von Paton, Inscrij)tions of Cos S.
352, zuletzt abgedruckt Gr. D.I. 3593, welche die Teilnehmer
am Kulte, wie man meint, des Apollon Dalios verzeichnet. Ich
« Vd. II. Poiiiluw, Pliilologus 1899 Ö. 60,
4-24 A. WILHELM
entnehme ihr folgende Namen von Frauen und JuniijtVaupn auf
-lov: Aivr;aiov,'Api(JTiov, Ei'atov/Eptji.iov, KXsixtov (3), AäaTCiov (2),
'Ovä'iiov, Iliaiov, *I>'Ay.iOiov ; diesen 12 stehen nur 34 anders
gebildete Namen ü;eo;enüber.
Aus diesen Zusammenstellungen ergibt sich, dass das Vor-
kommen von acht Namen auf - lov unter den fünfundsechszig
Namen, welche die Liste von Paros bietet, für die Vermutung,
die aufgezählten Frauenzimmer seien Hetären, nicht geltend
gemacht werden ilarf.
Aber Maass glaubt nachweisen zu können, dass von den Na-
men der Liste 'viele, sicherlich aber nicht alle Spitznamen
gewesen sein müssen'. Finden wir, nicht nur dreimal, wie
Maass glaubte, sondern gar fünfmal 'Amz(xaix (Z. 8, 9, '22,
24, 26), so hat 'gewiss die berühmteste aller griechischen He-
tären, die milesische Freundin des Perikles, ihren Namen her-
gegeben'. 'Ist das richtig, so führen die Aspasien der Inschrift
nicht ihre wirklichen, einst bei der Geburl verliehenen Namen,
sondern Spitznamen" *. Ich kann mich dieser AufTassung, wenn
auch U. V. W'ilamowitz für sie gegen \V. Judeich lebhaft einge-
treten ist', nicht anschliessen. Nicht weniger als viermal kehrt
in der Liste der Name TiaaperT), nicht weniger als je dreimal
'EpaiiTTTC-ri, ZwaiixT], MxXOiov, OpcoTw, je zweimal 'Ay'Xaic, EI'g-.ov,
Mu)Jt?, IlottSap;(^t<; wieder. Beweist das mehr, als dass diese Na-
men, und. wie es vielleicht bloss zufällig scheint, 'AaTcaiia vor
anderen, in Paros zur Zeit unserer Inschrift sich ganz beson-
derer Gunst erfreuten? Wir wissen doch, wie sehr auch bei uns
die Namengebung je nach Zeit und Ort und Stand wechselnder
Mode unterliegt. Dass, wenn in Athen keine anständige Frau
Aspasia hiess, man in lonien mit dem Namen nicht so strenge
war, sagt v. Wilamowitz selbst, und es fehlt nicht an un-
verdächtigen Beispielen für diesen Namen ^.
' Oflor Walilnamcn.
- hl seiner Bespreciliung der Clinnsons de liililis, GiiUingiscIie gel. Anz.
1896 S. 623; vgl. Aristoteles und Athen I 8. 263. II S. 99.
3 Judeicli in Pauly-Wissowas Real - lOiievcidpädie II S. 1718. Unicr den
DIE SOGENANNTfc; HETAERENINSCHUIFT AUS PAHOS 425
'Sodann erscheinen redende Namen wie 'Attzt-o, 'EvSjtw
(=ivS'jToo6po<;), 'Oij.aia (vielleicht sogar vom gesclilcciillichen
Verkehr gemeint) und ^i\xy.öi, falls diese Bildung zu o'.Aa/.o-
"kouHoc,^ und nicht zu einem anderen Compositum Kurzform ist'.
\^on diesen 'redenden' Namen ist einer in meinem Text
nicht mehr zu finden: 'EvS-jtw. Ich liatte mir unter 'EvS-jtö>,
vollends mit Maass Erklärung, nie etwas denken können: so
hatte ich Pernices, auch aus anderen Gründen anstijssige Le-
sung Z. 14 MxXOiov <J>iXw 'EvSuTw röpyou i' längst berichtigt,
bevor ich fI>iXjTw auf dem Steine fand. Ein zweiter Name, <I>i-
Xa/.o), beweist nicht, was er beweisen soll; eine Bürgersfrau
auf Kalymnos, deren Ehrbarkeit zu bezweifeln kein Grund vor-
liegt, führt ihn Gr. D. f. 3593,31 und <l\lx/.'.o^ begegnet auch
C.f.A II 836.
'Atcxtt) und 'OuAliy. mögen, namentlich letzterer Name, zu-
nächst verfänglich scheinen. Aber 'Axxtvi findet sich auch
sonst als Frauenname: 'A. ©eoSwpou MiVorria CIA. ill 2593,
'A. 'Extx.Tr^TiSo? C.I.G. 2143c, repsUav-)) 'A. 2259, Kacia "A.
Athen. Mitth. 1886 S. 125. Und 'OuaUx kann ich mindestens
in der Grabschrift C.I.A. 11 2259: 'Oa^ia "Ou.ao-j 'Hpaz-^eoi-
T'.; (vgl."OfxiAo(; II 444.445) nicht verdächtig finden; IG. Ins.
I 493 entgeht die 'OaiXia KoL&xliCjx allerdings nicht dem Arg-
wohn des Herausgebers. 'OixiXix 'A^oX^covio-j Mii^y^iia s. im
von ihm beigebracliten Zeugnissen verdient die Grabsclirift aus Chios /.G..-1.
382 wöilliclie Anführung:
'EaXfji; T3 [t]o [Y]uvaty.ö; 68öv r.a.pa, T[Ti]vSE tö af)[j.a
Xew^OGOv 'Anr.aiirii ea[T]i y.a-:a7:0'.iJi[£v]r]5-
opY^; 5' ifvi'] äyaOT^; E'J0)[n!]8r,; tooe [j.v[fjij.]a
auT^ l::EaTTia£v to ::apäxoiTi; et]v.
' Ich halte die Ableitung des Kosenamens <^tXax^I) von 9iXaxdXojOo; für ver-
fehlt, will aber nicht versäumen, für ixoXouOttv einen Beleg beizubringen,
der an sich von Interesse ist. Im Mhnoires de la sociiU des anliqiiaires de
France 1877 S. 85 hat L. Ilru/.ev das Tlionmodoll eines Schuhes, ausUnter-
ägypten stammend, vcrilllentlioht, dessen Sohle durch Andeutung von Nä-
geln die Inschrift AI^OAOY©! trägt, und zur Erklärung auf Clemens Alex.
Paedagog. Xl,11 verwiesen: ::oXXat Sä xa! epwnxoj; icjT^aatxoj; Ey/apärTOuaiv
aÜToi? (nämlich xol? xaTTÜfiauiv). Im Sande abgedrückt, forderte die Inschrift
auf, der llelärc zu l'tdgen.
4?6 A. WILHELM
As^Tiov ap-/. 1890 S. 82,6; eine Sklavin C.I.G.Srpt. III 36.
Doch Maass t>laiibt, auch 'von zwei in diesem Denkmal auf-
tretenden Personen nachweisen' zu können, 'dass ihre Namen
zu anderer Zeit und in anderer Gegend Hetären eigentümlich
gewesen sind'. Statt der augenscheinlich verderbten Namen At;-
vaiTOKUTTo? "AcTToa stellt nämlich Maass in dem lletärenverzeich-
nisse bei Athenaeus XIII '»83 e Aviva-w RXEoiräxpa her und
findet beide Namen in der Liste von Paros wieder (Z. 18 und
19). Das Zusammentreffen genügt zur Behauptung: 'also wa-
ren diese Namen unter den Hetären mindestens seit dem drit-
ten Jahrhundert als Spitznamen ganz gebräuchlich'. Selbst
wenn in unserer Inschrift der Name Z. 18, Asivaiö) nach Per-
nice, wirklich Ar,vata) wäre, fände ich diesen Namen an sich
nicht bedenklicher als z. B. Avivat; ' und andere; aber es steht
gar nicht Asivaiw da — auch wäre die Schreibung ei für t) recht
auffällig-^ — , sondern KlAetvapw. eine Kurzform zu K"X£iva-
p£T7] : es triff't sich hübsch, dass gerade Titxapw statt Tiu.apeTn
für Paros durch den Stein C.I.G. 24 1 1 . LeBas21 18 bezeugt ist.
Also bliebe von dem Hetärenpaar nur K"XEOTCotTpa übrig. Maass
vermutet, dass für diesen 'Spitznamen' die sagenberühmte
Kleopatra , Meleagers schöne Gattin, das Namenvorbild ge-
liehen habe. Die Indices zu C.I.A. II. IV, '2. III weisen nicht
weniger als sechszehn Kleopatren , zum Teil verheiratete
Frauen, auf, und wie viele unbescholtene Frauen und Mäd-
chen, die für uns namenlos verschollen sind, mögen densel-
ben Namen getragen haben. Wird man ihnen die Ehrsamkeit
allen abstreiten, weil, erst nach Maass Conjectur, Athenaeus
eine Hetäre Kleopatra nennt? Wird ein Name dadurch, dass
ihn einst zufällig ein Frauenzimmer trug, das als Hetäre sein
Glück machte und deshalb auch uns bekannt ist, schon zum He-
* Ariva!,' z. B. C.I. A. II 2175.
2 Üio uiii^'ckchrtc Vervvccilseliiiig liatje icli seiner Z('it irrii;' in der Iiiselirift
von Ilioii, Sclilieinann, Ilion S. 704 Z.3 'EpYoiptXov jcaipös oü /pTjjjLatfal^T) an-
genommen; W. Schulze licsl Gölt. gel. Anz. 18!j7 S. 894 lichUgcr ou xpi-
jj.aT^a(^rj. Dass anf dem Steine selbst ocl äv ■fj)r^\i.'x-zii^r^ sieht, erfahre icli durch
Alfred Brückner.
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT AUS FAROS 427
tärennamen ? Zwisclien den eigentlichen IIelärennamen,Wahl-
und vollends Spitznamen wie ^i/.lvrc, ^i^oxy'j.o^, K>.£'I/'j5pa *
U.S. vv. und den Namen, die jedes Mädchen erhallen konnte,
also auch eines, das dann Hetäre ward, besteht denn doch
ein Unterschied.
Aber auch auf andere Namen hat Maass, wie mir scheint,
mit Unrecht, in diesem Zusammenhange Gewicht gelegt. Dass
'Ay^aU (und 'Qpaiy) 'die Schönheit der Gestalt jedenfalls im
Namen trägt', macht sie unbefangener Beurteilung nicht ver-
dächtig: lIcG)T(j, die 'sogar' einen Nereidennamen führt -. hat
auf Paros auch weitere Namensschwestern aufzuweisen, wie
ich zu Z. 11 zeige, ^p-jvl? Z. 20 erinnert allerdings bedenklich
an die berühmte Phryne. Ein glücklicher Zufall hat uns aber
durch Gyriacus folgende Inschrift aus Paros erhalten [B.C.H.
1877 S. 134):
Ktt/Ctcov 'Ap'.GTO'poJvTo; y.y.'. ^puv!? ^
KXsoSä(A5CVTOC 'J-£0 TO'J 'JIOO KXeo-
l ' 1
Sä(AavTO<; 'Ac?/.)ri7riqi xai 'Tyieia.
Ist es angesichts dieser Inschrift noch erlaubt, die <I>p'jv:: der
Liste — vielleicht ist sie geradezu Ktesons Frau — zur Hetäre
zu machen? iMahnt dies Zusammentreffen nicht auch zur \'or-
sicht in der Beurteilung anderer Namen*?
Einer Reihe von Frauennamen ist in der Liste kein Vater-
name beigegeben; es sind, von Z. 23 ab, -xpltTY;, Zwciixti,
'AyXal;, r>>'jx.ivva, -arpo^eva, K>£o~äTpa. Zcodiari ?, IlpwTü), -i<.x.
In dieser Sphäre, sagt Maass, sei das schwerlich Zufall; diese
Hetären seien iiK-erto patre geboren. Aber können diese
< Vgl. P. Kretschmer, Vaseninscliriften S. 209 Allien. XIII 590f. 567d.
2 Al)cr Ilesiod Thcog. 243 sclzl W. Schulze, Quaesliunes epicae S. 5"25 mit
Reiz IIÄojTo) für IIptoTw ein, v;;!. P. Kretsciiiiier, Vaseiiiiiscliiiflen S. 2U2.
3 il>iyviaa ("yiiacus Al)S(;hrifl.
•• Slüiule MtöJXXiov in der L.isle von Paros, der Name eiili,Meiige seliwer-
lieli der Nachrede. MtOüXXiüv ÖEaiiow Mupivaiou 'IiYi[A^/oi) A£uxovo£ü)4 yuvfj auf
einem vorröniischen Grahslein 'Eijitija. äpx.. 1893 S. 171 Nr. 4; ihr Mann
'HY£'[iayos Asuxovoeü? in der ^'rossen Liste aus dem Jahre des Archon Her-
mogenes C.l.A. II 983 138, über McOyXXo^ u.s.w. Beeilte!, Spitznamen S.6i.
428 A. WILHELM
Frauen nicht auch Fremde, Freiji;elassene, meinetwegen selbst
Sklavinnen sein? Alle insü;esanU auf die Huld der GiUtin, sei
es Aphrodite oder Demeter, sei es Eileithyia , an *:;e wiesen,
konnten sie sich nicht, zu Dank für die Vergangenheit und Für-
hilte für die Zukunft, bei einer Sammlung zu frommem Zwe-
cke vereint finden? Seltsam zudem, dass gerade die fünf Aspa-
sien, von denen man sagt, sie seien von ihren Eltern bei der
Geburt schwerlich mit diesem Namen begrüsst worden, nicht
aTTäTopE?, sondern sämtlich mit Vätern ausgestattet sind. Zudem
bleibe nicht unerwähnt, dass z. B. auf athenischen Schatzver-
zeichnissen dieselben Büroerfrauen hie und da mit einfachem
Namen, hie und da mit Namen des Vaters und des Gatten er-
scheinen: könnte nicht ebenso (ich will es nicht behaupten)
auch in der Liste von Paros der eine oder andere Vatername
unterdrückt sein ?
Sehr richtig hebt iMaass hervor, die nachweisliche Beziehung,
in welcher Vatername und Tochtername hinsichtlich ihrer
Bedeutung stehen', verhindere bei einer Anzahl von Frauen-
namen unserer Inschrift 'die hetärenhafte Eigenheit' anzuer-
kennen. So sind IIvjTW Eüayöpou, TifxapsTr) Tiu.r,aiou, 'Ap/t? 'Ap-
yixi^.o'j, llaTpotpiAa 4>tX(i)voi;, OaiSapyi; Apj^^eou, SwTpö) 'AxeaiO(;
vor dem Verdachte von Wahlnamen o-eschützt. Auch dass
wir 'allen Grund haben, in den Vätern parische Eingesessene
zu sehen' erkennt Maass auf Grund von Pernices Nachweisen
bereitwillig an. Ich glaube diese nicht nur vermehren, sondern
auch wahrscheinlich machen zu können, dass wenigstens ei-
nige von den in der IJste genannten Frauen auf anderen pari-
schen Steinen, anscheinend in bester Gesellschaft, wiederkehren.
Über die soeben erwähnte <I>puvt; werde ich noch zu sprechen
haben; unsere IIpJwTÖi 'A>^/.t(o'j oder wie immer) Z. ^■^ finde
ich wieder auf der durch Prokesch bekannten Inschrift C./.G.
'2413 {in sacello Eleutheriano)
nPüTnAAKI nPOIiOENOY
' Vgl. W. Scliulze, QuaestioHPS epi'-ae S. 23 add., Uscncr, Götleinaiueu
^. 362; Beclilel, Spilznamen S. 5 u. s.
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT AUS PaROS 429
ganz unsicher bleibt allerdings, ob man 'Ap::x>.r, ripo-^Oevo-j
Z. 15 zu der auf dem Steine C.I.G. 2398 b genannten -ti^yi
npo<70£vou in Beziehung bringen daif.
Um zu schliessen: Maass hatte behauptet, von etwa der Hälfte
aller auf der Inschrift vorkommenden Frauen sei es sicher oder
doch wahrscheinlich, dass sie Hetären waren, und von den
übrigen, da sich ehrbare Frauen und Gassendirnen nicht an
derselben religiösen Stiftung gemeinsam beteiligt haben wür-
den, das Gleiche einfach vorauszusetzen. Bei eingehender Un-
tersuchung auf Grund berichtigter i>esung stellt sich vielmehr
heraus: Von keiner einziß-en der Frauen der Liste kann es mit
unseren Mitteln erwiesen werden, dass sie Hetäre war. Der
Schluss von Einzelnen auf Alle ist bei dem Anlasse, um den
es sich handelt, überhaupt nicht zutreffend, und träfe er zu,
so bewiese er nicht für. sondern gegen Maass. Denn von nicht
ganz wenigen Frauen wird selbst von dem Vertreter der Hypo-
these, die ich bekämpfe. zugegeben, dass sie völlig unbedenk-
liche Namen, keinesfalls Wahlnamen des Gewerbes tragen ;
andere sind mit Wahrscheinlichkeit in unverdächtiger Um-
gebung nachzuweisen , und überblickt man die Beziehun-
gen , die sich in der Namengebung zu anderen parischen
Inschriften aufzeigen lassen, so gewinnt man zunächst don
Eindruck, durch unsere Liste nicht etwa in die verrufenen
Häuser und einen OiaTOi; der Otcrpo), sondern in die gut bürger-
liche Gesellschaft von Faros geführt zu sein ; finden sich viel-
leichtauch Angehörige niedriger Kreise und Nichtbürgerinnen,
so darf das nicht Wunder nehmen.
Die Annahme, dass die in der Liste genannten Spenderin-
nen einen Verein gebildet hätten, scheint mir unbewiesen und
unbeweisbar. Dass Neokoros und Priesterin als Vorstände des
Heiligtums in der Überschrift genannt sind, in dem \'erzeirh-
nisse der Beiträge, die der llerrichlung eben dieses Heiligtums
zu Gute kommen sollten, ist auch ohne V'oraussetzung irgend
einer Organisation durchaus natürlich ; wäre eine solche vor-
handen gewesen, so würde eine ausdrückliche Erwähnung
schwerlich fehlen. Um bei einer Sammlunir zu IVouunemZwecke
4f30 A. WILHELM
sich mit ihrem Scherflein zu beteiligen, brauchten die Frauen
von l*aros ebensowenig einem Vereine anzugehören, als die
Frauen von Oropos. deren Heiträge die Inschrift B.C.H. 1891
S. 490 (besprochen von B. Keil, Hermes 1892 S. 64H) ver-
zeichnet, oder die Frauen von Tanagra . die einer von Th.
Reinach kürzlich angekündigten Inschrift zufolge für die Errich-
tung des Ternpels steuerten '. oder die Frauen von Kos, deren
Widmungen eine Inschrift bucht, welche demnächst \\. Her-
zog in seinen Koischen Forschungen und Funden verölTentli-
chen wird.
Die Lesung und Ergänzung der Liste wird erschwert durch
das Auftreten von Zahlzeichen und Abkürzungen. Die durch
die Zahlzeichen ausgedrückten Spenden schwanken meiner
Lesung nach zwischen einem Obolos Z. 23 und 31 Drachmen,
da Z. •24 eine andere Abteilung als 'Ac7ra(jia 'AXe^ilvSpou) AA
nicht möglich scheint; meist sind Beiträge von einer halben
Drachme^ S und von einer Drachme aufwärts bis zu sechs "^
ausgewiesen. Die Abkürzung des Vaternamens, von welcher
der Herausgeber meinte, sie habe sich mit gleicher Freiheit bisher
nicht angewendet gefunden, begegnet gerade auf Steinen be-
nachbarter Inseln. Die bekannte Urkunde über die Mitgift der
Mykonierinnen (Ditten berger, *S////6>i,J'6' ' Nr. 4 33; Jnscriptions
juridiques I S.48) verzeichnet die Vaternamen zumeist nur mit
ihrer ersten Silbe. Die Liste auf der schönen Stele von Thera
LG. Ins. III 327 giebt Vaternamen hie und da nur mit einem
Buchstaben (Z. 258, 310), meist mit der ersten oder mit den
zwei ersten Silben. Auch die Inschrift von Tenos (Boss, In-
scriptiones ineditae II S. 14, 102. Le Bas ISS.C/.C^. 2338 b,
jetzt im Nationalmuseum zu Athen ) enthält gleichartige Ab-
kürzungen"^. Vereinzelt zeigen diese Abkürzung der Vaterna-
^ Oomptes renalis de l'Acadimie des inscripliuns 189S S. 833.
2 Über dieses Zeichen B. Keil, Hermes 1890 S. 610.
3 Z. 27 ist siclicrlicli B zu lesen, wenn auch der Abklatsch nur P deutlich,
von der unteren Hunduu^'' nur Spuren erkennen l.'lssf.
■• Es ist zu lesen Z. 9 Name, dar)n Vatername -vo z. B. AeiJvoIxXeoj;) Tu-
pa eü;) Eevwvi IliaTo(xpi-:ou;l Aova(x£T); Z. 12 Name 'ApiaTo(8r;[j.ou) FupaUüj),
ßlE SOGENANNTE METAERENINSCHHIFT AUS FAROS 431
men aucli attische Inschriften : ich bcj^niige mich auf den
Stein von Cliaiandri (Athen. Alitth. 1896 S. 'i38) zu ver-
weisen. Auch die Liste der Theoren auf einem per^jamenischen
VVeihgeschenke (Inschriften von Pergamon I ^) kürzt die Na-
men der Väter meist zwcisilbis;.
Dass die Vaternamen unserer Liste nicht immer mit Sicher-
heit zu ergänzen sind, hat schon Pernice bemerkt. Ich nehme
an, dass für denselben vollen Namen stets auch dieselbe Ab-
kürzung verwendet sei, Tw.r, Z. 10 also einen anderen Namen
bezeichne als Tt[j.r;<jt Z. 9. 10. 12. An diesen drei Stellen trennt
Pernice das Iota von den Namen und verbindet es als Zahl-
zeichen mit dem folgenden C ( 16 Drachmen); ich ziehe es vor
allemal Tiü-^ti als Abkürzung zu fassen, und Z. 3!, wo Per-
nice r,<7to K>,ä'.? Mvy:('7io'j) gab, auf Grund meiner Lesung A-o]-
ri^j.-n Zo)i(>.o'j) S Ax!; y.-'k. und nicht Zco (z. B. ZojTtao'j) IS ab-
zuteilen. Im Allgemeinen habe ich mir zur Regel gemacht
möglichst kurze und auf Paros sonst nachweisliche Namen zu
ergänzen. I']inzelne Schwierigkeiten kommen an ihrer Stelle
zur Sprache.
Z. 7. Der Name Mj^k begeo-net. bisher verlesen, auch in
der im 'Ae/;vaiov V S. 6 venHYentlichten Inschrift einer Platte
weissen Marmors (0,70'" breit, mindestens 0,40 hoch, 0,11
dick), die ich in dem Garten des Herrn 'AX£;avSpo? Aaaia?
eine Viertelstunde nordöstlich von Parikia, wiederfand :
NtKinariSYifxo*;
ripoaOevou
TT/V Yuvaix,a
M'jXXiSa OpäTOüvo;
und auf dem Grabsteine der Tochter dieses Ehepaares, den
ich nur durch Olympios Abschrift 'AOr.va-.ov \' S. 4"2 kenne:
MuXXl?
Denn auch hier ist augenscheinlich MuXX;:, nicht M-jXa;; zu
le^en.
435 A. WILHELM
Zu Bechtel-Fick's Griechischen Personennamen ist MuXXi?
(schon tlui'ch ilie in der Kirche "Ayio; NvaöIolo; zu \'oIo ver-
mauerte Grabschrif't, Heuzey, Mace'doine S. Ml Nr. 189
Mj'XX'.^ 0£O)cpiTou yuvY) bekannt) wie MüXXiov C. I. A. II 3982
und MuA'Xacov II *2596 nachzutraben; MüXXo; B. C. H. 1879
S. 7G,6 in den Listen aus Thavsos u. s., dazu M-jXXea?, MuX-
Xivx;^ vgl. Bechtel, Spitznamen S. 30. Sicher unrichtio; ver-
mutet Franz in dem Verzeichnisse der Herapriesterinnen von
Kyrene C.l. G. 5143 Z. 11 M}jXa[T]w AOaio? ; die Abschriften
geben lAYAlQ und dIAYABO. also^tiXxapco? vgl. <1>cAt6Sx-
[/.o;! G.Ifis. III 3 4.
Z. 10. <I>iXiT'7a ist mir, erinnere ich mich recht, sonst nicht
begegnet. Von dem dritten und vierten Buchstaben des Na-
mens zeigt der Abklatsch nur schwache Spuren.
Z. 11. Der Name 'Epo!ci7rTr7),noch zweimal in derListe ver-
treten,scheint auf Faros beliebt gewesen zu sein; er findet sich
noch in der 'AS/ivaiov V S. 15 herausgegebenen Weihein-
schrift ( "EpaTiTi-r, Goxtwvoi;), 'Ep^ctcpaiv auch in einer noch un-
veröffentlichten Inschrift.
Auch der VateiMiame 'Ap/eXao; ist sonst bezeugt. 'A07)vatov
V S. 4 "2 ist die Weibeinschrift veröflentlicht :
©sö'ppwv ©paGOüvo;
Tr,v yuvaiy.a OpcoTW
'ApyeXaou
und S. 43 die Grabschrift dieser Frau und ihres Mannes:
ripCOTOÜ; 0e6<pp(i)LV
Tii? 'ApyeXiou 0p3i:'7(i)[vo;
ypyi^JTÖ;
IlöXXa 'ApysXzo-j ß. C. II. 1877 S. 135. Als ap/cov in der S.
413 mitgeteilten Inschrift.
< Bliiikenhcrgs Lesung? der ürabscIiriCL aus Erelria MuXXcva; 0£(jaaXö{
(Erpiriskc (Ürav.skiifler 169 i, die Becl)tcl an/weilVIi, wird diiicli iiu'iiic Al)-
scliril'l l)cstätigt.
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT AUS PAROS 433
In dem Namen Me>.iviov, den ich wie Me/iwa Gr. D.I. 3534.
C.I.A. II J434, Me^^ivw C.I.A. II 1868, Me/mov C.I.G. 3?21,
3953 b, LG. Ins. IM 388 in den Griecliischen Personennamen
nicht verzeichnet finde, sind zwischen AIN verschriebene
Buchslaben deutlich sichtbar. Als V'aleriianien las Pernice
Mvr,a'.0(£ou),aber der letzte Buchstabe ist sicheriicii E; also glaube
ich mich berechtigt, den Paros eigentümlichen Namen Mvy)-
(jt£7:7)<; zu ergänzen Der durch seine Reliefs und Inschriften
merkwürdige Sarkophag, über den B.C.H. 1880 S. 285 und
ausfühi'licli von B. Löwy in den Arch.-epigr. Milth. XI S. 176
berichtet ist, nennt MvriTiE-r,; KttiT'.l/.e'vo'jc, Ilapi^-sviojv Mv-rj-jitT^ou,
KaAlivi^r, Mvr,'7t£7:ou, und seit langem bekannt ist ein mit Stier-
köpfen und Blumengewinden geschmückter runder Altar, von
Fauvcl auf Deios gesehen, jetzt im Museum von Marseille, mit
folgender Inschrift {C. I. G. 231Ü; VV. Fröhner, Cataiogue
des aiitiqmtcs ^recques et romaines du Miise'e de Mar-
seiile 1897 S. 23):
Schon Böckli hat die Namen Ilpa^-.x.)/?^? und Neoar.Sr,; als pa-
risch erkannt — sie kehren in der Inschrift C.I.G. 2376 wie-
der'— und für MvrjTie;^-/;? (damals sonst nicht bezeugt) auf den
Parier Ktt.'ju-'o; OLG. 2380 verwiesen. .Da auf Delos nicht
bestattet ward, nehmen Bcickii und Fröhner an, der Altar
sei zur Frinnerung an die Toten, aber nicht an der Grabstätte
selbst, aufgestellt gewesen. Diese Annahme entbehrt aller
' 'II ßouXrj xai ö Örjao; npa^DiX^v NeojArJöou; STiiATiaiv tö ioooiaov /pjaüii ate-
«pavtui äpiarsiüji xai elxövi y^aX/tfii xai 7:poc5p;ai iv toI; äyoiiiv xtX. Idi hin ver-
sucht, die von Krispi EüayY.i^/oX/i 1870/78 S. 5, on' ( schh'chtor 'AOrjvatov V
S. 35, 39) initgeleille Eliieniii.sohril'l auf denselhen Praxikles zu heziehen
und zu ergänzen :
'H I'Jo'jXt; xal [6 5^;jlo;
IIpa$i]xX7)v N£o[(jir^öo'j{
ETtjjLTjaEv] eixdvi jj.a[p|jLap!vrii
xat j:po£Öp;'at ev tJoi; <iYtijj[tv
äpEC^{ £]v£xe[v xai «jvota; xtX
ATHEN. MITTHEILUNÜEN .XXUI. 29
434 A. WILHELM
Wahrscheinliclikeil. V^erschleppt ist der Stein unter allen Um-
ständen und zwar sicherlich von Paros seihst, wie umgekehrt
delische Steine nach Paros gewandert sind'.
Der Name Kpircov auch C. I. G. ?399 (Antiparos)
Timarete, viermal in der Liste, begegnet, wie schon er-
wähnt, in der Kurzform Tiu.apoo auch in der Grahschrift C.I.G.
241 1 Ttaapü) KXeoospo'j y^rjG'cr, yclps.
Z. 13. Zu MvYi(cco'j) vgl. MvYiciwv in der Liste 'AOr.vaiov V
S. 22. 'ETTizva^ {C.I.G. 2836) auch in dem Verzeichnisse von
Beiträgen ebenda S. 28, der jüngeren Inschrift S. 19, und
hier Z. 19.
Z. 14. Statt 'EvSjtcl), wie Pernice las, hatte ich erst E 'HSutw
vermutet, so auch B. Latyschew in seinen Analecta cpi^ra-
yf>/z/6'<7, Philologische Bundschau (russisch), Moskau 1895,S.152.
Aber der Stein zeigt deutlich <I>lXutü). Beispiele für die Ver-
lesung von 01 zu H und N habe ich Gott. gel. Anz. 1898 S.208
und Arch.-epigr. Mitth. 1897 S. 71 beigebracht. Der Name
<1>'.).'JTW, schon durch den eben besproclienen Altar für Paros
bezeugt, wird auch in einer mir durch Olympios Abschrift
^ So die grosse Rcclimingsurkundc Le Bas II 50'J?, wie Iloniollc B. C. IL
1878 S. 3 VI ; 1882 S. 3 gezeigt hat, und nacli desselheii Gelciirteii Ausfiili-
rungen B. C. II. 1879 S. 158 die von Olympios 'AGrJvaiov V S. 9 lierausgege-
bene, von Köhier.Athen. Mitth. 1876 S. 258 und noch jetzt von Dittcnber-
ger, Si/lloge^ Nr. 313 unbedenklich für Paros in Ansprucli genommene In-
schrift,die npo'-ci|j.o; Awatöe'oj ly MupivvouTXT); als £7:i|i.£XT,Tr;; nennt. Die Zutei-
lung an Delos ist nachträglich durch eine auf Deios selbst gefundene In-
schrift, die Protimos in gleicher Eigenschaft nennt (B. C. II. 1884 S. 150)
bestätigt worden. Von der Inschrift 'AOr{vaiov V S. 27 Nr. 12 hat K. Schu-
macher Herkunft aus Delos erwiesen (Rliein. Museum 1887 S. 148). Als
verschleppt betrachteich aneli folgende Inschrift eines 0,89"' breiten, 0,14 ho-
hen, 0,27ra dicken Marnioi bli»ckes, der jetzt über der Thür des llaus(>s des
'Iwavvrii «I'wTiavo; gegenüber der Kirche TpeT; Upäo/ai in Parikia vermauer
ist:
ETTIETiME AHTOYTHIN H lOY MOIX'
Den Namen bat Herr Krispi, bevor der Siein, auf Paros verbaut gefunden,
neuerdings vermauert ward, v(dlsländiger MOIXinNo; geles(Mi. Ob diese
Unterschrift elwa der Basis '.\Or|va'.ov V 8. .'7 angehiiren k;inu, lial künftige
Untersuchung fest zu stellen.
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHRIFT AUS FAROS 435
nur ungenügend bekannten Inschrift 'AO-^vatov V S. 45 her-
zustellen sein. Der Ilerausj^ehen liest:
"n'
NtX'JTOU npO'j[9£v]ou
SojgOe'vO'j? Tou ripa^'.xXeO'Jc
in dem ersten Namen darf ich wol <I>i>.'jtoi)[(; vermuten, umso-
mehr als Krispi in dem Berichte der Euv.yye'ki-Ari'Eyolrt 1876/78
S. 7, pTUY)' folgende Inschrift mitteilt:
ripoGOevTii;
x.xl Yl(xniT:ihy]
E.O....IH
T'/^V [[J.j-/)T£pa.(J)| A
.... 2<i)(j9evou
Es wird, denke ich, auch hier *jE>ia['jtÖ) I SüxjOevo'j zu lesen sein.
Z. 3 mag man E(X]e[t]9[u]i-ir;[t versuchen, wenn nicht vielmehr
der Vatername zu ergänzen ist; VVeihungen an Eileithyia auch
C.I.G. '2389, 'AO'/;vaiov V^ S. 19. Dazu kommt noch unveröffent-
licht, von mir im Besitze des Arztes N. Busses gefunden, eine
Platte weissen Marmors (0,27'" breit. 0,150 hoch, mit zwei
Löciiern rechts und links zur Befestigung), die über zwei
weiblichen Brüsten die Inschrift trägt:
'ETCi/tpiLfviJa 'E>.£'j-
Zu der Schreibung 'E-i/.px-:-/;* , welche durch die erhalte-
nen Beste gesichert ist, vgl. E. Schweizer, Grammatik der
pergamenischen Inschriften S. 56.
^^utOevt,!; Opo-jOevou? ist als Priester des Zevx; Bxci>,eü? u.s.w.
C.I.G. 2385 genannt, in einer Beitras-sliste 'AOr.vaiov V S.28.
ropyo; auch C.I.G. '2374 e,Z. 9; '2399 ( Antii)aros) ; Le Bas
2088.
Z. 15. 'AoT^iXr, lIpo(jÖ£(vo'j): In seiner Abhandlung Über Pa-
ros und parisclie hischrillen S. 638, 10 (darnach C.I.G.
2 398 b, LeBas 2087) teilt Thiersch folgende Inschrift mit:
436 A. Wilhelm
-TtItTO; IVTYlClCpCÖVTO;
-oiXviv IlpoaÖEvoi»
TT.v ejauTO'j yuvaix.a
Es läge nahe, scheint aber doch zu gewagt, als Namen der
Frau 'Ap7:aX7i zu vermuten; Iiält man an Thierschs Abschrift
fest, so ist BajiiXYiv, wahrscheinlicher NdcthJciXiov * oder ähnlich
zu lesen (rievOcjGiXviv Thiersch). Rine noch unverölTentlichte
Weihung an 'EXe-jÖit), deren Kenntniss ich Herrn Dr. O. Ru-
bensohn verdanke, nennt W^Tzxkn 'EpaatcpwvToc. OpoTOevr,? ist
wol der häufigste Männername auf Paros.
Für lls/cö) war ic!i einst geneigt llstOco zu vermuten (als Name
einer Ergastine C. I. A. II 956. 957, einer Hetäre Athenaeus
Xlll 577 a) aber K steht deutlich auf dem Steine. Also liegt
wie bei KoSw in einer noch unveröfi'entlicliten Inschrift aus
Paros, ein stark verkürzter Kosename vor.
Z. 16. Der Name Iläptov ist auch in der kürzlich Z^.C /y. 1897
S. 21 mitgeteilten Inschrift Z. 7 zu erkennen und steht ebenso
deutlich C.I.G. 2398 e add. S. 1077 (LeBas '^066), wo Böckh
M. Aüp. Bpaaucevo'j TO'j ^(^[Tlpcövo? lesen wollte. Übrigens ist
der Name auch ausserhalb der Insel nachzuweisen.
Z. 17. Von dem Zahlzeichen an erster Stelle erkenne ich auf
dem Abklatsche noch den ersten schrägen Strich. Zu Ende
der Zeile scheint der Steinmetz statt P in Föpyou iri'ig B ein-
gehauen zu haben.
Z. 1 8. KjA6'.vapw geh(M't zu einer kleinen Gruppe von Kosena-
men, die ich bisher nicht ziisauimengeslclit finde. An Tt[j.apä)
einer anderen Inschrift von Paros habe ich schon oben S. 426
erinnert. Die Zugehörigkeit zu RXeivapex'/i und Tty.apeT-n liegt
auf der Hand. Innige Beispiele aus andeien Inschriften: Aa-
' Der N;ime NixrjaiXr], den die Giicchisclien Persononnamen niclil vcr-
zeicliiicn, hcp-egiiet Inder S 430oi\v;ilint<'ii Inschiin ans Tcnos Z. 12f.,
vgl. NurjaiXa; in der grossen üikiindi' (•ln'iidalii'r Insrr. llril. Mus. 377 Z.^b.
Die I{aiiiiiverli;iltiiis<r' sriicini'ii ihci fi'w ilcii länpTon als den kürzeren
Namrn /u s|irccliiii, indrss k.uiii die Zeile clwas eingerückt fiewcsen sein
wie Z. 2 auf dem Steine 6. i3().
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHIUFT AUS FAROS 437
aapü), KXs'.Tacw. N'./.aco>, Inscri/)lions (T Epidaure 195, 250,
248, der letzte Name auch C. LG. Sept. 1 -2681 nach Bechtel,
Personennamen 216, Tu/3cp6 C I.A. 111 l'28Üa add. S. 519,
C. LG. Sept. I 1639; dazu ^ü-rapo). wenn ich den verderbten
Namen C. L G. 5143 richtig deute (oben S. 432). riu(l'.--o;
auch 'AOr^vaiov V S. 29.
Von dem letzten Buchstaben der Z. 18 erkenne ich auf dem
Abklatsche nur eine senkrechte Linie, also war stall \\kv.-
wahrscheinlich K>.'.(vio'j) geschrieben.
Z. 2(1. Leider sind im Bruche die dem Namen des V^aters der
«^puvti; ' angeliörigen Buchstaben sehr beschädigt. Dennoch ist
KAE deutlich zu erkennen; dann ist das obere Ende einer
senkrechten Linie und an nächster Stelle der Giebel eines
dreieckigen Buchstabens klar. nach dem Platz für ein weiteres
Zeichen bleibt. Unter diesen Umständen ist die Identität die-
ser <l>p'jvi; und der <l>pjvi; KXsi^aaavro;, welche die nur durch
Cyriacus bekannte Inschrift B.C.H. 1877 S. 134 nennt, nicht
sicher: folgte auf den dreieckigen Buchstaben kein weiteres
Zeichen zu Lnde der Zeile, was sich nur vor dem Steine ent-
scheiden lässt, so ist für unsere Inschrift die Lesung <l>puvi;
KX£t(vio'j oder ähnlich) A als die wahrscheinlichste zu be-
zeichnen.
Z. 19 und •?0 zu Anfang gibt eine ältere Abschrift Krispis
das Zahlzeichen II ; auf meinem Abklatsche ist Z. 19 nichts
zu erkennen, Z. •?() dagegen das unlere Teil eines B oder allen-
falls S.
Z. 21. Pernices Lesung rooyiT/.a . . . . a T'.(;.r,T(io'j) 'Api'7T[o-
vix.Ti wird einigen dcullich sichll)aren Biichslabcnresten nicht
gerecht und ergilH nach dem ersten keinen fasslichen zweiten
Namen und keine Zahlzeichen. Ich habe ropyU (vgl. z. B.
C. LG. Sept. 1878) KA£o^S/-,(ao-j) A Tvj.rr,xoir>-:'n lesen zu sol-
len üeiilaubt. denn jeder \'ersuch, anders zu lesen, stösst auf
erhebliche Schwierigkeiten. Ist auch der Name Ttar.caaaTr,
' Ül)er die ganze Sippe der Namen <^puvrl «tpCvoj u. s. w. I3ei'lit(>l in der
S, 419,8 genannten .Miliaiidluiig S. 43.
438 A. WILHKI-M
ziiniiclist aulTällig, so wird er docli wol durch Tw/riGo^^irri
B.C. II. 18S7 S. 265 neben Ti[jt.ap£TYi und ähnliidie liildungen
geschützt. Den Ausweg Ttav: 2 'Aoitt^ . . zu sclireihen und 2
als Wertzeichen für einen Teil des Obolos zu fassen ', möchte
ich nicht empfehlen.
Z. 2*2 nach l^ernice 'AoTrxcjia 'ATTa^siaiov Ae;',6(/o'j) ; dies
wäre seiner Abschrift nach leicht in A-r-arr-a 'A-:Tä(Aou) B El'-
oiov zu verbessern, wie auch Latyschew vermutete. Aber nach
'AaTwacta sind von den Anfangsbuchstaben des V'alernamens
im Bruche des Steines beiderseits Reste erhalten, die auf n
(allesfalls auch KP) führen. Also ist 'ATTä(Xou) ausgeschlossen.
Ich vermag den Namen nicht zu finden. IlxTa-x-o; begegnet,
soviel ich weiss, nur mit einfachem T.
Sicher ist hier und Z. 28 der Name Ei'aiov,den ich auch für
Rhodos IG. Ins. I 583, Kalymnos Gr. D.I. 35y3 nachzuwei-
sen vermag. Er gehört zu 'iTiye'vaa, 'iTiyovo?, 'IatSoTO;,"I(iiSa)pO(;
U.S.W. Inixc,, 'liiptov, Icjapo'j; und verhält sich zu dem jetzt
vielfach, auch für Paros selbst ('AGyivotiov V S. 45) bezeugten
Namen 'Icricov, der Letronne {Oeuvres choisies II 83) nur in
drei Beispielen bekannt war, wie Xaiptov : Xaiptcov und zahl-
lose ähnliche Bildungen -.
Wenn Pernice als Vatersnamen As^iof/ou) gab, so hat er das
zu Ende der Zeile deutliche B verlesen. Der Name Ae^DtpxTYii;
begegnet auch 'AO^vaiov V S. 42, B.C.H. 1877 S. 134.
Unsicher bleibt mir der erste Name Z. 23, den wieder der
Bruch geschädigt hat. Nach Rrispis Abschrift zu urteilen scheint
die Stelle früher besser erhallen gewesen zu sein, und seine
Lesung 0,EOK?H?TH lässt sich mit den auf meinem Ab-
klatsche erkennbaren Resten vereinen; doch lässt dieser Name
links für einen Buchstaben Platz. Ich dachte deshalb an K>vj£o-
♦ Vgl. Bruno Keil bei M. Frauke!, Iiiselirifteii von PertiaiiKiii II S. l'J!
zu 255.
2 In Boclilel - Ficks Gricclii^elieii l'ersonemi.iiiieu lelill El'aiov, ehon.so in
den Naclilrägcn aus I.G.Ins. I, die Beclitel in Bezzenbcrgers Bcitr.'igen XXI
S. 22ö veröfreiilliclil hat.
DIE SOGENANNTE HETAERENINSCHIUFT AUS PAHOS 439
xpiTfi. Ob in dem l^niclie an zweiter Steile ein runder Buch-
stabe steckt, wird sich nur vor dem Steine entscheiden lassen.
'AyXxi: (fehlt in den jL^riechischen Personennamen] z.H. In-
scriptions /uridic/ues I Nr. VII = Inscr. Biit. Mus. '611
Z. 90 (Tenos); Leake. Travels in Northern Greece IV S.
211 (Pheraij; Aelian. v.h. 1,*26. Zu Ende der Zeile erkenne
ich deutlich das bisher übersehene Obolenzeichen.
Z. 24. llpoTÖ) 'A>./ci(ou oder ähnlich) vgl. oben S. 428.
Z. 25. rx}j>ci[a a' Tpo9aoc 1>aw(vo(;) i' Pernice; r\\j-
)t[£pa A]a[>tpxTou ß' <(o) ^Cky. $iX(i)(vo;) i' Latyschew. Meine Le-
sung ist völlig gesichert. FXuA'.wa ist auch sonst bekannt z. B.
LG. Ins. I 3-2G.875, Gr D.I. '6:A'i. Inscriptions of Cos 181.
Eine Hetäre llarpocprAa in dem Gedichte Anlli. Pul. \'ll 221,
vgl. VV. Schulze, Gott. Nachr. 1896 S. 245.
Der Name 'AXi^avi^po? auch OLG. 2390 (M. Fränkel Kpi-
graphisches aus Aegina S. 34 Nr. 113). 2408, 2414 b.
Von Z. 26 ist der Anfang bisher unentzifferl geblieben. Nach
' kn-K'xrAy. erkenne ich II KAPO, was ich nur LNy./.a.y6(pou) deu-
ten kann.
Z. 27. Züxriu.Ti KX£0[y,€p6Tou in der kürzlich nach Cyriacus Ab-
schrift veröffentlichten Inschrift Athen. Mitth. 1897 S. 409
Nr. 13.
Z. 28. MvT) T'.ov Pernice, aber die obere Linie des E und I sind
deutlich. ÖiöSwpo; auch in der S. 412 angeführten Weihin-
schrift.
Z. 29. njaxpo^Evy. oder M]xTpo;£va.
Z. 30 ist der erste erhaltene Buchstabe nicht völlig sicher,
aber dem Abklatsche nach am ehesten H gewesen; deutlich sind
nur zwei senkrechte Linien. Keinesfalls 'Epacji-Trr;, etwa A-
yavtTrTTTi.
Z. 31 r^rna Ka5ci<; Mvyi(<jtou) a' Pernice. Aber an den
Namen KXy.tc ' ist nicht zu denken. So hatte auch Latyschew
.\7.i; horgosfollt und gelesen: -r,\j.i\ ^(^(Gix) v.' A*-; v.-:\. Aber
' Ühor lO.äi's Sapplii) Frag. 76 (84), riolili.u- K)e't; v. VVil.imowil/., Ci)mm.
grnmm. lll S. -23,1.
4i0 A. wiLHKLM, DiK soGENANNTi': iii;tai:iu:ninsc.h!iift aus paros
das vermeintliclie K ist verlesen tiii' S. wovon allerdings nur
die untere Hälfte deutlich ist Aa.; auch CIA. II 988 (Ver-
zeichniss von Eranisten); III 2740. 3248; C. I. G. Sept. I
107. 560. 1616; 'E^y;;/.. äpy. 1892 S. 168; Athen. Mitth.
1886 S. 125; C. I.G.Sic. 1323. 1688. 1798 (Tuanax-^ aej^-vo-
TäxTi). 1918. Als semitisch gilt auch dieser ' Hetärennaine'
R. Herzoo;, Philolosjus 1897 S. 49.
Zu Zü)i(Xou) vgl. Arch.-epigr. Mitth. XI S. 188: oi j^^sroi-
xo[i] tÖv Yuj/,varT'.[apyY)v] ZwiXov Z(>){>,[ou y-tX.
Z 32 AxxpOx ? npot>To(y£vo'j;) a' Pernice. Allerdings hat
man in nPjT.To. wie völlig klar auf dem Stein steht, zunächst
einen Vaternamen zu suchen. Allein es will dann nicht ge-
lingen, für die erste Hälfte der Zeile eine annehmbare Losung
zu finden, es sei denn, dass man A Map6a IlpwTo'x.AfO'j
oder wie immer) A schreiben zu dürfen glaubt. Somit bleibt
nur die Voraussetzung, dass HpcoTo irrig für ripoTw geschrie-
ben sei. Üer runde Buchstabe vor A kann ebenso vvol o wie
O sein
Z. 36. -ivr.ov Pernice: 'Hau/iov ist sicher. Der Name, wie
häufig 'Iku/ia, auch C.J.A. II 3>I5. in der S. 422, 2 er-
wähnten Liste von Thiasoten und Gr. DL 1789 (Delphi).
Wie der freie Raum unter der Inschrift zeigt, ist die Liste
vollständig.
Athen.
ADOLF WILHELM
"'O'iii^f^-O'
REISKBEF^ICIIT AUS KOS
Die Absicht. den Platz des Asklepieions von Kos genauer zu
bestimmen, als es bisher gelungen war, und die Möglichkeit
einer AusiTrabunii dort zu untersuchen, führte mich im Sommer
1898 auf die Insel. Durch den Bericht, den M. Dubois in der
Abhandlung De Co insiiUi (Paris I88'i) über seinen Besuch
der türkischen Festung gegeben hatte, war mir der Gedanke
nahe gelegt, dass die vielen Architekturstücke, welche die
rhodischen Johanniter in das Schloss am HalVn verbaut hat-
ten, Aufschluss über den Verbleib der Beste des Asklepieions
geben könnten, und dass die Mauern der Burg ausser den we-
nigen unbedeutenden Inschriften, die bisher in ihnen gefunden
waren, noch viele an Orten verborgen enthalten, die nur bei Er-
laubniss einer gründlichen Untersuchung der Festungsmauern
entdeckt werden könnlen. War es doch sehr aulTallend, dass
unter den vielen bisher bekannten Inschriften von Kos das
Asklepieion eine so überaus geringe i^olle spielte, sogar in den
zahlreichen und auslrihrlichen sakralen Inschriften. Auch von
Weihgeschenken an den Gott und von all den Kleinigkeiten,
die allerorten von dem Vorhandensein einer grossen Kult-
und Fleilstätte Zeugniss geben, war keine sichere Spur auf Kos
gefunden. Wenn das Heiligtum systematisch zum Bau der Fe-
stung abgetragen war, so mussten sich auch die grossen In-
schriften in ihr linden'. Von diesen l"]rwägungen ausgehend
hatte ich zuerst durch die gütige \'ermiltelung (V^v Kaiserlich
deutschen Botschaft in Konstantinopel ein Gesuch an die tür-
< Freilicil sind die Jolianiiiter bei ihren Bauten sonderbar verfahren. Die
grosse kölsche Iiisclirill Palon-IIieks 10 war in die Johanneskirche von
Rhodos veihaiil, und die Fricsslüeke in ih'r koi>-i'hi'n i'fstun!;, die Uoss für
Uesle des Asklepieions hiril,sind aus Knidos versehieppl (vi;l. Hi-nndorf und
Niemann, Reisen in Lykieu und Ivarien l S. 1211".)
442 n. HKiizoG
kische Regierung gerichtet um die RrlaLil)niss zur arclüiologi-
sclien Durchforscliung der Stadt und Insel und insbesondere
zum Eintritt in die Festung. Die Direetion des deutsclien ar-
chäologischen Instituts bewilligte mir eine Unterstützung zur
Ausführung meiner Absichten. Auch der beste Kenner der
Insel Kos, Herr Paton, der sich nach Vollendung seiner In-
scriptions of Cos anderen wissenschaftlichen Aufgaben zu-
gewandt hat, unterstützte mich bereitwilliij;st durch seinen Rat
und Empfehlungen, und brachte zuletzt auch noch einen Teil
seines Sommeraufenthalts auf Kos zu, während dessen er mir
mit seinen Erfahrungen getreulich beistand.
Am 14. Juli kam ich in Kos an und reiste nach kurzer
Orientirung weiter nach Rhodos, um das Einführungsschrei-
ben der türkischen Rei'ierunü; dem Gouverneur des Inselvi-
lajets,Abeddin Pascha, zu überreichen. Ich wurde aufs freund-
lichste aufgenommen und erhielt ein Schreiben an den Kai-
makam von Kos, worin er auf Grund des Irades zur l nter-
stützung meiner Forschungen aufgefordert wurde. Ich wollte
nun zunächst mit der Untersuchuno; der Festun«; besfinnen.
Hier begannen aber sofort dieselben Schwierio;keiten, die sich
Dubois und Paton entgegen gestellt hatten. Der Komman-
dant der Festung erklärte, in dem Irade sei die Festung nicht
ausdrücklich genannt und er kinine nichts gestatten ohne Be-
fehl seiner direkten militärischen Vorgesetzten. Es begannen
telegraphische Unterhandlungen, bei denen mir der Vali sehr
l)eistand. Nach etwa 10 Tagen erhielt ich auch die telegra-
phische iMitteilung , dass dem Kommandanten die entspre-
chenden Weisungen von seinen Oberen zugehen würden. So
lange ich aber auf (Jer Insel weilte, kamen diese Weisungen
nicht. Somit musste ich die Festung aus meinem Programm
streichen.
Die topographische Untersuchung hatte auszugehen von den
antiken Nachrichten. Das .Askh'pieion lag nach Strabo XIV
S. 657 iv TW TrpoaTTeiw der mit der jetzigen identischen Stadt.
Diese Angabt; w ird bestätigt durch das bisher nicht beachtete,
ebenfalls auf Autopsie beruhende Zeugniss des Rhelors Ari-
REISEBERICHT AUS KOS
steides (VII, Dindorf I S. 76), nach welchem die lleilställe
h Toi; TÄv Kcocov -poxTTcio- lag. nco7.cTsiov bezeichnet nach
feststehendem antikem Sprachgebrauch die Gegend direkt
ausserhalb der Stadtmauer. Von den bisherigen Forschern
waren drei Plätze für die Stätte des Asklepieions vermutet
worden. Paton [Inscriptions of Cos S. 137) nahm dafür die
einzigen in der Umgebung der Stadt zu Tage liegenden Tem-
pelreste in Anspruch, bei der verfallenen Kirche der Ilavxvia
TapGoO jenseits des Dorfes Kermeti, am sanften Abhang der
Gebirgsausläufer. Die i^:ntfernung von der Stadt, die er auf
eine halbe Stunde schätzte, beträgt eine ganze Stunde, so dass
der Ausdruck iv Tpox-ireio) nicht mehr darauf passt. Es sind
dort noch Fundamente eines Tempels sichtbar, vom Oberbau
nur noch das Bruchstück einer dorischen Säulentrommel von
etwa 1,25'" Durchmesser mit tiefer Kannelirung und das emes
dazu gehörigen Triglyphenstücks. beides aus weissem Marmor.
Sonst ist aUes abgeräumt. Die Inschriftblöcke, welche in der
Umgebung gefunden wurden und zum Teil noch dort liegen,
haben keinerlei Beziehung zu Asklepios ergeben. Es ist nicht
unmöglich, dass der Tempelbau frührömischer Zeit angehörte.
Der Oberbau kann in die Kalköfen gewandert aber auch zum
Bau der Festung abgeführt worden sein. Eine Untersuchung
der dort verbauten Architekturstücke könnte vielleicht darüber
Auskunft geben; andrerseits kann Klarheit auch geschaflen
werden durch die wenig Arbeit erfordernde Aufräumung des
Tempelplatzes.
Das entgegengesetzte Extrem hatte Dubois {De Co insiila
S. 8-11) angenommen, indem er das Heiligtum in die nächste
Nähe der Festung und des Hafens setzte, verleitet durch grosse
Archilekturfunde in den dort gelegenen Gärten eines Türken.
Durch private Ausgrabungen, welche dieser anstellte, wurde
aber klar, dass hier nicht das Asklepieion. sondern ein grosses
Gymnasium aus n'unischer Zeit gestanden hat
Dubois hatte den von seinem N'orgänger Hayet {Memoire
sur Cile de Cos, Archives des missions seien tifi(jues 1876
S. 98) angenommenen Platz 'wenige Minuten westlich von
444 H. HEHZOG
der Stadt' als zu weit entfernt bezeiclinet. Ganz klar ist die
Beschreibuno; Rayets niclit und sein Hauptbeweisstück, 'ein
dorisches Kapitell aus weissem Marmor, von sehr »[-osser Di-
mension und sehr reinem Profil', wurde 1884 von Benndorf
und Niemann (a.a.O.) nicht mehr i>efunden, ebensowenig^- von
mir. Auch wusste von den Koern Niemand etwas darüber.
Ich hielt es zunächst fiir nolwendiii;. den Umfang, d.h. die
Mauern der antiken Stadt fest zu stellen. Auf den Gängen, die
ich zu diesem Zweck unternahm, zeigte mir mein Führer loan-
nis Kallisperis aus Kalymnos die von iiim mit grosser Wahr-
scheinlichkeit angenommenen Spuren der Stadtmauern. Sie
stellen sich jetzt als ein zum Teil hoher Damm dar, in dessen
Umgebung sich allenthalben grössere Mauersteine finden. Die-
ser vermutliche Mauerzug hat einen Umfang von etwa '2000'";
mit Zurechnung der Seeseite ergibt sich für die ganze Stadt
ein Umtang von 3-4^'", gewiss nicht zu viel, wenn Strabon
XIV S. 657 von ihr sagt: r, Se tuÖXi; o'j aeyäly), y.x'k'ki<7TX Ss
TrofTüiv a\j\iö-/.ir:u.vrf] x.xl iSsaOai toi; >caTaTrA£0U(7iv yiöiTT'o. Dieser
Stadtumfanu deckt sich ziemlich mit dem der erweiterten heu-
tiijen Stadt, die sich um Hafen, Festung und innere um-
mauerte Rittersladt in weiterer Bauart mit Gärten bei den
Häusern herumzieht*.
Der mutmassliche Mauerzug schneidet das jetzige westliche
Stadtende Jeni-Kape. Geht man von hier westlich die Strasse
nach Kermeti, so gelangt man nach '200'" an einen Platz von
etwa 100'" Länge und 160'" Breite, der sich im Gelände deut-
lich durch eine Erhöhung von ungefälir 1'" abhebt, und mit
späten Thon- und Ziegelscherben bedeckt ist. In den Garten-
und Feldmauern rings umher sind viele schöne Blöcke von
blauem Kalkstein und weissem Marmor verbaut. Aul diesen
Platz stimmt die Beschreibung BayeLs. Bei einer Besserung
' Der Plan der Stadt und Uingebmip: auf der eiif,'Ii,schen Adiniralitäts-
karte Nr. 1500 giht ein ganz falscluis liild von der jel/.igeii Stadi, rltniso die
unter uiigiinsligeii Bedingungen aiilVt'nniiiini'iicii Skizzen von linliois (De
Po msula Taf. I. II).
REISEBERICHT AUS KOS 445
der durchführenden Strasse kamen verscliiedene Marmor-
blücke zu Tai^e.
Hier glaubte ich zum Versucli den Spaten einsetzen zu
müssen, und wurde (hirin durch Herrn Paton bestärkt. Nach
länojeren Verhandlunji;en erhielt ich, wieder durch \'ermitt-
luno; der deutschen Botschaft, von der VerwaUuni< drv Kai-
serlichen Museen in Konstantinopel telegraphisch die Er-
laubniss zu einer eintägigen Versuchsgrabung. Obwol ich mir
davon kaum einen Erfolg versprechen konnte, wollte ich doch
den Versuch unternehmen. Ich liess an einer Stelle der Peri-
pherie, wo ich am schnellsten in die Tiefe zu kommen hoffte,
einen Stollen von 10"' Länge bis zu 3,30'" Tiefe eintreiben.
Aus diesem Stollen wurden aber keine Baureste zu Tage o;eför-
dert, sondern nur. nach unten immer häufiger auftretend. Scher-
ben, auch kleine Thonlampen aus .später Zeit. So musste ich
mich mit einem o;anz zweifelhaften Besullat begnügen. Aber
trotzdem bin ich nach wie vor der Ansicht, dass das Askle-
pieion an diesem Platze unter dem Boden gesucht werden
muss. Dazu bestimmen mich hauptsächlich die Ansichten, die
ich mir über seine Schicksale gebildet habe.
in der Stadt und ihrer ganzen Umgebung sind überall In-
schriften in grosser Zahl, Skulpturen und Baustücke zerstreut
und verbaut. Wie schon bemerkt, ist es sehr wunderbar, dass
unter diesen Funden solche aus dem Asklepieion eine so ge-
ringe Bolle spielen. An den Bergabhängen kann es nicht ge-
standen haben, nicht nur wegen der zu grossen Entfernung,
sondern auch, weil sich dort noch weitere Beste erhallen haben
müssten ausser jenem Tempel bei ilavxyia TapioO.
Die Ebene aber ist in Folge derVernicIitungderWälder durch
den von den Bergen herabgeschwemmten Humus stark ange-
h()lit worden. Über niedere Buinen konnte sich ilaher bald eine
schützende Decke bilden, namentlich in Zeiten, wo die Bewoh-
ner fehlten, welche die Buinen zum Hausbau verwenden konn-
ten. Dies wei.st uns auf das Schicksal der Sladl im ausgehen-
den .Altertum. Für das Asklepieion i.si unser lelzler Zeuge
Arisleides. Ob es nach dem Erdbeben unter .\nliininus Piu8
446 R. HERZOG
(s. Hicks, Inscriptions of Cos S. XLl ) wieder im alten
Glänze hergestellt wurde, ist fraglich. Vielleicht halten ihm
schon die Erdbeben am Ende des I. Jahrhunderts vor Chr.
geschadet, auf welche die für die Stadtgeschichte von Kos wich-
tige Inschrift von Olympia (Dittenherger Nr. 53) Bezug nimmt.
Mit dem ErFtarken des Christentums wird es verfallen sein,
zerstört wurde es jedenfalls durch das Erdbeben von 554,
dessen Wirkungen uns als Augenzeuge Agathias (sicdie Hicks
a.O.) schildert. Wenn die zusammengefallenen Trümmer dann
durch die Erddecke besciiirmt wurden, wie etwa in Olympia,
so fanden die Ritter nichts mehr über dem Boden, was sie
halten zum Bau ihrerPestung abtragen können. Diese Verhält-
nisse können durch einen langen und tiefen Versuchsgraben
duich den ganzen Platz aufgeklärt werden, der aber natürlich
mehr als einen Tag Arbeit erfordert.
Vor der Grabung hatte ich meine Zeit auf topographische
Untersuchungen in der ganzen Umgebung der Stadt und ganz
besonders auf die Sammlung von Inschriften und die Auf-
nahme von archäologischen Funden verwendet. Auf einer vier-
tägigen Reise durch die ganze Insel lernte ich namentlich die
Plätze der antiken Demen kennen. Bei den wichtigsten von
ihni^n, llippiolai ("Ayio? Fecopyio; Asti^ou), Isthmos (beim Dorf
Ke'oa'Xoj.Ilalasarna (Dorf KapSäi^.svx) sind die A]ittelj)unkte des
Gemeindelebens genau bestimmt und werden von den Bauern
als Steinbrüche verwendet. Eine Ausgrabung an diesen Plätzen
würde mil sehr wenig Arbeit das Urkundenmaterial der De-
men, das auch lür die Verfassung der ganzen Insel Wichtiges
bietet, sehr vermehren.
Nach Abschluss der geschilderten Untersuchungen verliess
ich am 12. August die schöne Insel ich nahm den Eindruck
mit mir, dass aus ihrem Boden mit geringem Aufwand zahl-
reiche und grosse Schätze für Wissenschaft und Kunst gewon-
nen werden können. Die äusseren Verhältnisse sind im Ein-
zelnen sehr günstig, die allgemeinen Schwierigkeiten, die sich
einer mit Sclnnfimgt'ii vcibuiideiicn systematischen Durchlör-
REISEBERICHT AUS KOS 447
schunj^ entgegenstellen, können, nachdem sie einmal erkannt
sind, auch jiehoben werden.
Meine epigraphische Ausbeute beträgt mehr als 150 unedirte
Inschriften und Inschriftenfragmente Ausserdem habe ich ge-
legentlich schon bekannte revidirt und zum Teil berichtigen
können. Dieses Material erschien zu umfangreich, um im Rali-
men dieser Zeitschrift geschlossen veröffentlicht zu werden.
ich entschloss mich daher im Einverständniss mit dem archäo-
logischen Institut das ganze neue epigraphische Material und
einige daran sich anschliessende Untersuchungen mit den nö-
tigen Indices in einem besonderen Buche zu veröffentlichen,
das demnächst unter dem Titel 'Koische Forschungen und
Funde' erscheinen wird und in Ergänzung der Inscriptions
of Cos die Urkunden , welche ohne das Werk des Spatens
für die Geschichte der Insel gewonnen werden konnten, ver-
zeichnen soll Aus der Masse der Inschriften seien aber einige
der Hauptstücke hier erstmals veröffentlicht und kurz bespro-
chen Angeschlossen werden einige Inschriften nicht koischen
Ursprungs. Ein zweiter Teil dieses Berichtes wird den archäo-
logischen Resultaten der l\eise gelten, da diese dem Plan des
Buches ferner liegen.
Inschhiften
1. Platte von weissem Marmor, 61"" hoch, 40,5 breit, 7 -8
dick, im Besitz des Herrn 'A>.£;io; ©ju.avz/tr,;. Sie diente früher
als Bodenplatte in einem alten türkischen Bad und ist daher
stark abgetreten und so beschädigt, dass nur noch das obere
Viertel der Inschrift annähernd lesbar ist. Schrift fein und
sorgfältig. Höhe (\qv Buchslaben l*""'. Der obere liand feiilt.
o 2 11,
AIPATPIAIPAPA i(? ENA
nQNEI^TOMHOENC ?IMQN
ZfEPEINTAMPOAlN YPEP^FK AZ'AEY7
448 H. hehzoct
5 AEMAlOSErPAYEYPEPAYI'OYEI ""ISTGAAl
NEPEMYEnOTITONAAMON'^nEPTASOYZ./
^1. APESTAAKE TH I TE/ 2 K A AP I Q I K A '
TOISAAAOl^OEOISAPArONTAKACl) 0(l)nNTA
METAT^N.2YNOE^PONEM0A 'IQN « TONAZ
HMENt'/ " ^0^"^0I . ^A'A'"ETA^ ^E'ANK
T A' r C ' ' A I I r Y C) N
Es folgen etwa "23 ganz unlesbare Zeilen.
[ STTetSv) Kacpi(TO(pü)v noXKüiy 5tal )rpr,]c;i(;,[o>v
yEyovs rjai TratpiSi 7rapa[iTio<; »catpöv ojüOsva
Trapa'XtJTTWv sie, ■xo (xy]9evö[; rtüy ypvijfjip.wv
y.aO'jjTTspstv TÖtp. TTÖXiv, ÜTrep (oy >'a[i ßja^i^eü;
5 IlTo]X£[7.ato; i'ypa^'e öxsp auTOu £[v eJTCt'JToT.xt
(x]v £7reat|;£ tcoti tov Saty-o[v] uTCep xa; 6'j(7i[a?
a? [l$]a7C£(jTa>.y.£ Twt ts 'A(yx.>.a7riüii xat
TOi? öcXlot? 9£or? ä-ayovxa Kacp^ajocpövTa
u.£Ta Twv r>uvO£cop(j)v l[X(pa[_v]r((ov [ajüxov a.^[tov
10 Y;U£V
Das Bruchstück enthalt einen Teil der Motive eines koischen
Elireiibeschlusses für einen Mitbürger. Uer Geehrte ist ohne
Zweifel eine Person mit dem Führer der Oplergesandtschaft
an Asklepios und dem Überbringer des Begleitsclireibens. das
der K(')nig Ptolemaios an den Demos sandte. Als Beweis da-
für diene einmal der Begleitbrief an die Milesier, den Scleu-
kos 1. einer Oplergesandtschaft lür das Apollolieiligtum mit-
gab, Dittenberger,%//o^-6' 170; Michel, /i?^t7/^i7 39 (vgl. Wil-
helm, G.G A. 1898 S. '209), Z. 11 ff. icpsaTiV^augv ei; t6 i£-
pov TO'j 'AtiÖaXcovo; tou gv AiSüaoti; tyjv ts 'X'jyviav zr,^ u.eyaXr/v y.a.1
7C0Tr,pia ypuio, y.y.1 äpyupa £1«; ävaÖEciv toi; 6£ot; Toi; ^WTvipGi )co-
p.tCov-:x IIoXixvGtiv. Durch diese Analogie wird auch die
verwickelte Konstruktion (Nachstellung des Particips und Na-
mens hinter seine Objekte, ) erläuteil. Eiir die Beziehungen
des Get-andten zu dem Staat, an den er gesebickt wird. können
REISEBERICHT AUS KOS 449
wir zur Erklärung beiziehen den Brief des Königs Philippos
V. an die Nisyrier, Michel 43. besser Dittenberger^ 263
= 1. G. Ins. III 91 : Bai'.AEÜ«; 4>iA',7r7co; Niaupioi; yaipEiv. 'Ao-
ioTaX'/.x KxXXiav xpo; uu-x?, ovxa x-xi raiv T-jvr^Or, x.al •jl/.e-
Tepov TToXiT-ov eiSöii; Se aÜTOv evvo'jv ovra t-?, ttoAei xai ttoA-
Xaitt? uTcep ütxtiv Si£t>>£ya£vov ^pöi; eae, ivTsxxXu.a'. äutw xvayyeiXai
Aus diesen beiden Briefen kann auch der Inhalt des Ptole-
maiosbriefes erraten werden: Der König schickt eine Theorie
nnit Opfern und natürlich auch Weihgeschenken an das Askle-
pieion zu Kos, bestimmt zu ihrem Führer den an seinem Hofe
weilenden Koer Kaphisophon und gibt ihm ein Schreiben an
den Demos von Kos mit, dessen llauptteil wol nach den ein-
leitenden Sätzen eine Liste der Weihgeschenke und Opfertiere
bildete'.
Der Anfang des Alotivsatzes nach dem Praescript wäre dem-
nach etwa so zu ergänzen: 'Da Kaphisophon - sich immer
als ein trefl'licher Bürger gezeigt hat und ganz besonders S-.a-
TpiSojv -otpic ßaTiXsi ÜToXe^aaiüj sowol im einzelnen sich stets
seiner Landsleute annimmt, als auch durch seinen Einlluss auf
den König >toivXi TzollCiy xai j^pr]<:itx[ci)v | ysyovs t]x: TTOCTpiSi
7uapa[iTiO(; atI.' Die Ergänzungen der ersten erhaltenen Zeilen
habe ich nach sorgfältigen Erwägungen aus der Zahl der zur
Verfügung stehenden Formeln des Kanzleistils ausgewählt 2.
Sollten sie auch im Einzelnen zweifelhaft bleiben, so dürfte
doch der Gedankeninhalt sicher sein. Der Name Ka9'.«70(p(i)v
war bisher auf Kos nicht direkt belegt, dagegen Kacpi^io; als
Beamtenname auf einer kölschen Münze (Paton, Coa/i coins
' Eine driUe autValleiule Analogie bildet der nach gulen hellenistischen
QiU'll.'ii j^n'falsclih' Berichl di's Pseudo-Aiistoas über die Theorie des Ptole-
iiiaios Philadelphos /.um Tempel in Jeiusaleni, mit Beirieitltrief, Liste der
Weihgeschenke u. s. w., vgl. Aristeae quae fertur ad Philociatem epislulae
initium ed. L. Mendelsohn (1897) S. 9 § 33 IT.
2 Das doppelte xpi^V^^v ist nicht uncrlniglich, vgl. z. B. Michel 4-23. 3-27,
3. s._ Von Wiehtigkeil für die Ergänzungen ist die Thalsaehe, dass am
Zeilenschluss die WorUrennung absichllich vermieden zu sein scheint.
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXlll. ^^
4&0 R. HERZOÖ
Nr. 106 in den Inscr. of Cos). Rro;änzen kann man den Na-
men, der aus dem kölschen Monat Kacpiaio? zu erklären ist,
auf der Insclirifl Paton - Micks 54. 2.
Z. 4 f. Vü;1. den selir älmliclien Elirenbeschluss der Athe-
ner für den Komödiendiciuer Phiiippides, der ä-oSviaTica; upo;
TÖv ßaaiXea Auaiaayov für seine Vaterstadt wirkte, Michel 1 ".^6,
Dittenberger^ 197, Z. 30 f. xai ü-ep toOtwv tuocvtcüv xoXXocki? jae-
{jiapTupvixev aurcöi 6 ßaai>.£u; Tupö? tou? TTpsGSsüovxa; 'AOyivaiwv xpo;
sxuTÖv. Zu dem dreimaligen ÜTvep mit Gen. vgl. Meislerhans
Grammatik der att. Inschriften^ S. 182. Hier ist es jedenfalls
an erster und driller Stelle ganz gleich Ttspt mit Gen.
Z. 7 f. Tcöi TS 'Ac/iXaxiöi 5tai xoi? aX'Xoi; öeoic. Diese Oeoi auvoi-
xoi des Asklepios kennen wir aus dem Gebet tler dem kölschen
'A(y>c>>Yi7ria)'. ävaTiOeicai xal Ö'jcia^ouaai bei Ilerondas IV. 1 ff.
Z. 9 f. £a(pa[v]c^ü)v [ajÜTov a^[iov] y){X6v. Das folgende ist zu
schattenhaft ufid unsicher, als dass ich nach verwandten In-
schriften eine Ergänzung wagen möchte. Man erwartet etwa
den Gedanken: dass er würdig sei der Sendung (to,; [x]v:q-
(TTo[>.z;?) oder fler Führerschaft der Theorie, des Gottes, des
Königs, seiner Mitbürger oder ähnliches.
Wenn damit die Motive erschöpft waren, so müssen die
Ehrenbeschlüsse einen grossen Raum eingenommen haben.
Die wichtigste Frage, welche die Inschrift aufgibt, ist nicht
sicher zu lösen. Der Schriftcharakter und die sorgfältige Ab-
fassung verbietet es, sie unter die Mitte des III. Jahrhunderts
zu rücken. So kommen ernstlich nur die beiden ersten Ptole-
maier in Betracht. Ptolemaios I. hatte allen Grund, den Askle-
pios von Kos zu ehren, unter dessen Schutz ihm .'!09 der
Thronerbe geboren wurde. Aber wegen des Königstitels kann
die Inschrift nicht vor 305 fallen; von 306-301 war die In-
sel dem Machtbereich des Ptolemaios entrückt. Nach 301 wäre
der Dank etwas verspätet gewesen. Es ist also wahrschein-
licher Ptolemaios II. Philadelphos als der Absender der Opl'er-
gesandlschaft anzunehmen, der mit Kos durch die innigsten
fiande der Pietät verknüpft war. Sein Verhältniss zu Kos wird
am besten erläutert durch fheokrits ty/cwtxiov ei; llToXeixaiov
Reisebericht aus kos 451
(XVII), das in die Jahre 273-71 zu datiren ist. Wenn hier
Theokrit der Insel die Worte in den Mund legt (V. 66 f.) ll-
€ts /CoGps yi^joio' Tioi? ö' £[j.£ t6<j<70v, OfioyTrsp A5t>.ov ixiy.a'jev y.ua-
vxLtTTuxo. <l>oiSo; 'A-ö"X>,wv, so ist dies vielleicht als Fiitte ex
eventu im Verein mit den Worten über die gute Verwendung
der königliehen Goldschätze (V. 108 f.) iWx ttoXuv aev e/ovt'
9£ü)v ipiK-jSsE? 01/.01 atev äzapyoy.Evoio (juv aX^.O'.Tiv Y£pa£'7Ti ein
Zeugniss für die Opfergesandtschaft unserer Inschrift.
•?. 3. Platte von weissem Marmor, in zwei Stücke gebrochen,
auf beiden Seiten beschrieben. Sie diente als Herdplatte in ei-
nem zerfallenen xaip£V£iov, wo ich sie fand und heiausreissen
liess, um sie dem Museum der Demarchie zu übergeben.
Der obere Rand ist weggebrochen Erhaltene Höhe 38, Breite
oben 42, unten 43, Dicke 8'=".
2. Durch das flerdfeuer, namentlich auf der linken Seite,
sehr beschädigt. Schrift sehr oberflächlich und flüchtig einge-
kratzt, die unterste Zeile nur eingepickt. Höhe der Buchsta-
ben 1*='".
MENHIA -ÜAh
xA ZI/ MHPEIATANOMIZOMEN
AIKAE E"IONTOIMENTANXEIMEPIN
APX 3NTE2~EPAZT10Y.KZ.TOIAETANOE
5 NANAPXON "'Z'A K A TfiN AE A AA^NOX PH I
ZnNEnEIKA KAIIZXI0N02I0NEZTIN0YEN
TAI20EAI2 O Y O N TH I AEK AI TOI EPFOA ABEYh
TESTOIEPONH-AMOZIONEPrONKAOEkAS
TONENIA AZ O Z Z O I M E N K AE PFO A A
10 BHZnNT A T EZÄ;ATT0A. ITOI AE
AHO E II IM KIOI AEYTTEP bA^OA^
kaitoi c n e z m httpotepon a y
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15 EAE20A I AONTni EHITI M ION II
PA:Z AAPA2TEIA2 KAINEMESEÜZAc:)
OYONT AE lOIAHc KNYMENolTTAI
TESYTTOT T E Z E I T A N H A A A Q 5: TT « Z
452 R. HERZOÖ
KAOlZONTESEni TANTPAnEZAN
50 EK 2 T02'IEPEION'7|| \IT A FE FE P H AI AOT
KATATAFEFPAMMENAH ATTOTINONTni
TQ. 1 E P E 1 L N KA ! ATTPAZ I 2 ESTQ A Y Tfi
kaoattepekaika:^
aevwt a xav
X.ai. u.r,pi:x tx vou.isop-^'^i ot
.a.)ca£.6..ov Toi ij.£v xav yjiij!.Epiv[äv
ap-/ovT£<; FepacrTiou . x^', toi ös tocv 96[pi-
5 väv apy^ov[T]£; [t]ä[i] jcS' twv Sk aXT^wv ö "/pyji-
^(i)v ETCEi xa [^vii]' xat layiov ooiov eittiv 9Ü£v
Tai; Seai;' OuövTwt Se xal toi epYo).ato£Uv-
te; t6 ifipov ri Sai;.6«7iov i'pyov xaO' k'xaa-
TOv ivta[uTÖv a7r]a[^]" o<TC70t [/.£v y.x IpyoXa-
10 Sr/(jcovT[t {/.E/pi Y ?, Tp]aTC£^ai axo Z- r toi Se
dcTTO [y] £[7f l £ Ö-TUO L.?] )t, TOt Sk ÜXEp £ iXTCÖ Z_ V
xal Toi [(xpj(_iT£')(,T]ov£? [jLr) TrpoTEpov au-
T0i(; Tä[; SöGEi;? (iXTUoj^JiSovTtot, ai' xa [xri 6 (p£'j<;
a]ÜTo[i]; [£u,<pa]vi(jYi xav GuC)tav etiite-
15 T]£X£G6a[l, 7] 0(pE]l>>6vTtOl £7CITI[J(,'.0V lE-
päc 'ASpacTEiac xal NE^aE'^ECo? Z.- c^ "
Ö'j6vt[(i)i] Se [xail Toi a7:o[(5£i])Cvuf/.£VO'. xxv-
te; Otto t[(J>v TpajXE^EiTav -^ aX'Xw; tvü);
y.aöi'CovTE; etcI TOtv Tpa7i:£?^av
20 ExraJTTO? UpEiov [A-v? yJat tä <(y6)>y£p'0 SiS6t[(o
xaTOC TO. yEypa{/.a£va, y] (Xtcotivovtwi
Tö[t] UoEi Z- V, xac ö. Trpx^i; ettco auTcii
xaOxTUEp £x Stxa(;.
Die Lesung und Ergänzuno; der schwer zu entziffernden In-
schrift wurde sehr gefördert durch Herrn Paton , der ge-
meinsam mit mir den Stein studirle und mir auf Grund eines
Abklatsciies — die Abklatsche lassen mehr erkennen als der
durch das Feuer gesell würzte Stein — seine vollständige Le-
sung mitteilte. Ich führe nur das an, worin Paton von mir
REISEBERICHT AUS KOS 453
abweicht. Z.'?. MFITI A tx vo{x. P. Upsla oder {X7)p<^£)ia? 3. 7u]ap
x.aO. S..OV, Tol P. Vor Toi steht ON oder f2N. 7. le'cwvjTtoi P.
9. £via[uT6]v [ä7r]a[$] P, 1 0. tgjvti \' . FTpa-j-si^av P. 11. von P. er-
gänzt. 12. t]oI [t£pou.va{jLo]v£i; P. 13. t]oi; t[Ö au]v[Txy(ih] SövtwiP.
Die Lücken in Z. 9 ff. sind so verrieben und zerkratzt, dass
es gewagt ist einzelne Striche als Buchstabenreste zu deuten.
'20. iepelov [/- . V J x.al xä y^p'^ SiSötgj P. Vor x]at Rasur. 22. ivO']
lepetoiv, xxi P. auToJv P. 23.. . . /.olzch - - P . Das letzte Wort las
ich zuerst als Ioiko;, aber der Haum passt besser zu U Si/.a?.
Wir haben hier eine zweite Sakralinschrift aus dem Heilig-
tum der Adrasteia und Nemesis, nachdem eine ähnliche schon
früher gefunden war, Itiscriptions of Cos 29. Der letzte Para-
graph der neuen Vorschrift (Z. 17 ff. ) scheint mit dem ersten
der alten annähernd gleichlautend gewesen sein. Der zweite
Paragraph jener Vorschrift enthält die Opferbeslimmungen
bei Freilassungen, die also bei diesem Heiligtum erfolgten. Die
neue Vorschrift zeigt in ihrem Eingreifen in die bürgerlichen
Verhältnisse auch Verwandtschaft mit dem koischen Sakral-
gesetz iMichel7 20 = Dialektinscliriflen 3632 (Tüpffer, Beiträge
zur griech. Altertumswissenschaft S. 2Ö4 ff.).
Eine Übersetzung (von Z. 3 an) möge an Stelle eines aus-
führlichen Kommentars treten:
'[Opfern sollen. . . .] die Beamten des Winterhalbjahrs (zu
ergänzen l^aavivov) am 24. Gerastios, die des Sommeihalbjahrs
am 27.; von den andern, wer will, zu beliebiger Zeit; und es
ist Brauch das Hüftenstück den Göttinnen zu opfern. Opfern
sollen auch die Unternehmer der heiligen und der öffentlichen
Arbeit.(en), in jedem Jahr einmal; wer bis zu 3 (Arbeiten
übernimmt?), mit einer Opfergabe (?) von 10 Drachmen Wert;
wer zwischen 3 [oder 4?] und 5 (Arbeiten übernimmt), von
20 Drachmen; wer über 5, von 50 Drachmen ; und die Bau-
meister dürfen ihnen nicht früher die (ersten) Haien ausbe-
zahlen (lassen), als bis der Priester ihnen eröffnet hat. dass
das Opfer dargebracht worden ist, oder sie haben als Bussgeld
in den Schatz der Adrasteia und Nemesis zu zaiilen . . Drach-
men. Opfern sollen auch alle die, welche von den Bankiers
454 R. HERZOG
oder sonstwie luiinhaft gemacht werden, und zwar sollen sie
auf den Opfertisch niederlegen jeder ein Opfertier [von 50 Dr.],
und die Deputate soll er (dem Priester) geben gemäss den ge-
schriebenen Bestimmun2;en. oder sie sollen dem Priester 50
Drachmen zahlen, und das Rxekutionsrecht steht demselben
zu wie auf Grund eines gerichtlichen Urteils'.
Aus den verstümmelten zwei ersten Zeilen ist kein Zusam-
menhang herauszubringen.
Z. 3. Anfang tIxFi] Ka ? Dann s[7i:]e[Tj£[i]ov jährliches Opfer,
oder duETstoiv, Rultbeamte wie die dTnayivtot?
Z. 4. apj^ovT£<; vielleicht nicht die Eponymen (aovapyoi), son-
dern irgendwelche andere, vorher genannte Beamten. — Ihr
Amtsjahr war in Winter -und Sommerhalbjahr geteilt. Die-
selbe Teilung findet sich in römischer Zeit auf Rhodos, vgl.
1. G. Ins. I 94, 11. 95 b, 5. — Der Gerastios fällt also, wie ihn
Paton angesetzt hatte, als 6. Monat in den Frühling, so dass
Bischoff, Leipziger Studien XVI, 1894, S. 148 Unrecht be-
kommt. Zur Zählung der Tage vgl. Paton zu Inscr. of Cos
43, 18-20, S. 99. '
Z. 6. Das Hüften-oder Lendenstück kommt auf den Opfer-
tisch nach der Opfervorschrift Michel 673. Der öuacpöpoi; be-
kommt das äKpi-j/iov nach den Bestimungen Inscr. of Cos
37, 52. 40b, 13. '
Z. 7. Die rechtlichen Bestimmungen für die IpyoX&Soi oder
Ipycovxt, die in ganz Griechenland annähernd gleich gewesen
zu sein scheinen, hat HomoUe im B.C.H. XIV, 1890,S. 462-5
besprochen. Die Haupturkunden dafür sind ausser Baurech-
nungen das Gesetz von Tegea (Michel 585) und die Bau Ur-
kunde von Lebadea (Michel 589). Hieraus habe ich versucht
die sakralen Bestimmungen zu ergänzen. Z. 9 f. sind aber
zweifelhaft.
Z. 11 tV. Diese Bestimmung ist parallel der in Inscr. of
Cos 29, 5 ff. Ich habe anstatt der auf Kos nicht zu belegen-
den [lepoava(jL]ov£; ergänzt [äp;^iT£/tT]ov£<; , weil diese Beamten
bei den Akkorden den Staat oder das Heiligtum vertreten, und
namentlich die Auszahlung der Baten an die Unternehmer be-
REISEBERICHT AUS KOS 455
Stimmen, welche dann allerdings durch Finanzhcamte voll-
zogen wird. Z. 12 könnte man auch an z'x 'i\zyx e/.S'tSovTwi
oder Ta? [(T-jyypacpä? SjtSövToji denken, aber am nächsten liegt
die Auszahlung der ersten Rate, die der Unternehmer haben
muss, um seinerseits seinen Arbeitern das Handgeld und den
Lohn zu geben.
Z. 16. Das Zeichen, welches die Strafsumme darstellt in Ge-
stalt zweier in einander greifender Halbkreise, ist unbekannt.
Es muss nach Analogie anderer Bestimmungen eine runde
Zahl zwischen 100 und 1000 sein, vielleicht eine von diesen
beiden oder 500. Jedenfalls aber kann es keinen der milesi-
schen Zahlbuchslaben für diese drei Ziffern darstellen.
Z. 17 IT. Die Tpx-E'Cixa'. sind Bankiers, durch welche die
Tempelverwaltungen das bewegliche Tempelvermögen umtrei-
ben liessen, um sich die Umstände zu sparen. V'gl. v. SchötTer,
De Deli insidae rebus, 1889, S. 145. 146-50. Michel 731.
In Kos waren es wol die jüdischen Grosskapitalisten, welche
im I. Jahrhundert vor Chr. dort eine grosso Bolle spielten
(Hicks Iriscr. of Cos S. XXXV'HI f.). Die Bankiers zahlten
dem Heiligtum Zinsen und liehen ihrerseits die Kapitalien aus.
Sie mussten nun nach den vorliegenden Bestimmungen ihre
Schuldner, die also indirekte Schuldner der Tempelvcrwaltung
waren, namhaft machen, damit diese noch zu einer nicht un-
beträclitlichen Opfer - oder entsprehenden Geldleistung zu Gun-
sten des Heiligtums oder gar des Priesters persönlich herange-
zogen werden konnten. Die ä-oS£iy.vü|jL£voi aXXo; xo); werden
wol Pächter des unbeweglichen Tempelvermögens gewesen
sein, wie solches in der koischen Opferinschrift Michel 720
aufgeführt ist (vgl. Stengel, Griech. Kullusaltertümer^ S.^O f.,
HomoUe B.C.H. XIV S. 450 ff. Anthes, De emptionc et ven-
ditione Graecorum, Halle 1885).
Z. 19 f. KaOt?[ovT£; £7:1 t3cv Tpx-£^av ein sonderbarer Aus-
druck wie oben Z. 10 O-je-.v TpaTre^ai.Zu vergleichen ist dasVer-
bum TpxTC£'Cxv in der Mysterieninschrift von .\ndania Michel
694, 86. Vgl. auch Inscr. of Cos 29, 2. 36c, 26 f. Michel
456 n. HicRZOG
731, 5. Trotz Inscr. of Cos 37, 9 ist KaOi^ovTg; hier nicht in-
transitiv ( = sitzen) zu fassen.
Z. 20. Der Preis des Opfertiers ist durch Rasur getilgt, aber
wol aus Z. 22 und Inscr. of Cos 29, 3 zu ergänzen [L v];
es wäre demnach eine junge Kuh, Saj^^a^tg, nach Inscr. of
Cos 38, 5 f. Auch der Rest der Zeile ist — absichtlich — be-
schädigt. Es könnte vielleicht auch gelesen werden Upeiov [oLizh
L, v] xa TS yep"/) m^6T[(o.
Z. 22 f. Diese überaus häufige Exekutionsklausel ist von
Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht S. 404-44 sehr ausführ-
lich besprochen. Sie wirft ein eigentümliches Licht auf den
Geschäftsbetrieb des Heiligtums.
Der Rest der Vorschrift Inscr. of Cos 29, Z. 9 f. enthält
Bestimmuno;en über die Besetzung des Priestertums der Göt-
tinnen durch Kauf, was von einer bestimmten Zeit an [Inscr.
of Cos 386, 6) auf Kos das Gewöhnliche war'.
Ein Ausschreiben des Priestertums und den Kaufeintrag ent-
hält nun auch der neue Stein auf seiner Rückseite.
3. Nicht geglättet. Die Inschrift nimmt etwa die obere Hälfte
des Steins ein. Links ist die Oberfläche 10-13"" vom Rand
an zerstört, was bei voller Ausnützung des Raums 7-9
Buchstaben entspricht. Rechts ist die Oberlläche zwar, ab-
gesehen von Z 1, bis an den Rand erhalten, die Zeilenenden
erscheinen aber glatt verrieben und weisen in Z. 2-6 nur
unbestimmbare eingepickte Striche und Punkte auf. Hiedurch
und durch die formlose Abfassung wird die Ergänzung sehr
erschwert. Die Schrift ist noch nachlässiger eingeritzt als auf
der Vorderseite. Höhe der Buchslaben T"', in Z. 6 und 7
1,0*"" (vielleicht von andrer Hand zugefügt).
NAnaAHOHTni. .
nSYNAZAIAFPA
' Die LiUcralMi lilicr den Kauf der Pricstcrlüiiicr isl /iih'l/.l ziisamiiKMi-
gestellt von E. Bisclioll', Hliciii. Mus. 189!» 8. ü - 18. Icli kann iiiirli seinen
Ausführungen niclil durcliweg anseliliessen.
HEISEBKHICHT ALS KOS 457
IZTTPOSTATAIZEI.
TOTTOTIKATAI Ah.
5 niepqzynanamata:. . .
~o KAEONEIKOZ
A P TT O Y 2L M /O.Q
'A Up(i>(Tu]va 7r(üXY)ÖY)T(0'. . .
"•'Txc, Upjw-T'jvxf; SiaYpa[ij;avT(oi
Tol Tap,iat TOt]? TrpoaTZTati; el? [rav
TsXsTocv ? ] t6 TCOTi/'.aTzSXviJ^p.a, ?
5 xäjv lepwijuvav ä[/.a xai [öexaTai?
Euxjapzo'j Z- M/ ÖQ..
Hiller von Gärtringen. dem ich einen Abklatsch sandte, halte
die Freundlichkeit, mir einige abweichende Lesungen mitzu-
teilen. Z. 1. 7V(o).7i6r,TCi> T(i Miller. V. Sixypxaaa? H. 4. xä tcoti
Ko.TXTz'kio 'unsicher' II. 7. Die richtige Lesung der Sigle |^ ver-
danke ich lliiler. Das kleine Zeichen am Schluss kann auch
ein O sein.
Meine Ergänzungen können bei dem traurigen Zustand des
Textes keinen Anspruch auf Sicherheit machen.
Z. 1. Der passiven Wendung entspricht sonst die aktive,
Inscr. of Cos 27,6. 28,11. 32^ 1 f.
Z. 2 f. Zur Ergänzung habe ich herangezogen Inscr. of
Cos 28, wo ich wie hier Z. 1 ff. so ergänzen möchte: [{ji,£Tä
Se xav -rrpädiv toc«; {£p(o]<ju[va(; toi Ta]p.iai 7:poSiaYp[av{/avTco toi«;
7;]po(jTaTat<; i; xäv stvi täi [teXstäi töc; tepjwauva; Ouiiav Z-t. Dort
sollen die Taaixi zur Bestreitung der Rosten der Priesterw^eihe
den xpocTTäxat 300 Drachmen zum V'^oraus anweisen. Diese
beiden Kollegien wirken auch sonst bei der Besetzung von
Priestertümern zusammen, Inscr. of Cos 27, 6. 19. l\ .
29, 14. 30,2.
Z. 4. Tö 770Tix.axaSXY)[(xa ist mir noch die wahrscheinlichste
Ergänzung der unsicheren Zeichen. Das \\'orl kommt vor bei
Demosthenes XXIV, 97 f., wo es Zuschusszahlungen dev
458 R. HEUZOG
Steuerpächter an den Staat zur Deckung von Etatsüber-
schreitungen bezeichnet. So könnte man hier an eine ausser-
ordentliche Belastung der T6"Xwvai des Heiligtums (vgl. oben)
für die niclit vorgesehene Ausgabe denken.
Z. 5 f. ist in Anlehnung an andre solche Kaufurkunden
ergänzt, z. B. Michel 7U4 (Tomi, II. Jahrhundert vor Chr.),
15^ f. 732 (Chalkedon I.), 29 f. 733 (Chalkedon 11.) 19 f. Nach
den dort genannten, zum Kaufpreis geschlagenen Kaufsteuern,
ix.xToazoL, Tpia^oGTa U.S.W, und nach den sicher ebenfalls auf
Priestertumskauf zu beziehenden Fragmenten aus Priene,
Greek Inscr. in the Brit. Mus. Nr. 'i26. 427 ( iTnSe'y.aTov )
möchte ich hier als Zuschlagsteuer die Sex-ixa einsetzen. Damit
scheint (bei der wahrscheinlicheren Lesung Z. 7) die Kauf-
summe zu stimmen, bei weitem die höchste, die wir kennen,
19800 Drachmen, zu zerlegen in 18000 Dr. (=3 Talente)
Kaufpreis und 1800 Dr. (= 10°/q) Steuer. Diese unerhört hohe
Summe können wir verstehen, wenn das Priestertum auf Le-
benszeit verkauft wurde. Dass ihr fette Einkünfte entsprachen,
ist aus den beiden Opferinschriften zu entnehmen. Der Räufer
muss allerdings sehr kapitalkräftig gewesen sein ; das ist aber
auch glaublich, denn dieser Klsovei/to; [Eüx,]äp7rou ist ohne
Zweifel identisch mit dem kölschen Tetrerenkapitän KXsovei-
xo? Eüx.ocpTTou, der im Jahr 82 vor Chr. oder kurz nachher im
rhodischen Geschwader unter dem Flottenadmiral Aulus Te-
rentius Varro gegen Mithradates fuhr, und sich nach dem
Feldzug mit seiner Schiffsmannschaft auf einem Anathem,
vielleicht auf Samolhrake, verewigte*. Spuren seiner Familie
lassen sich auch sonst in der kölschen Beamtenhierarchie ver-
folsjen.
^ Siele in Bujukdore hei lumstantinopol : Kalinl<n, Jahrcslioftc des ösicrr.
arch. Inst. I, 1«98, S. 31 11. W^illridi, IliMiiios 1,S'J8S ü57 IV. Ililler von Gär-
tringen, Jalireshofte I, Beiblatt 8. 1)0 11'. — Übersehen ist bisher die überra-
schende Parallele dr-r Inschrill Lc l?as - Wadiliiij^tüu, Asie Mineiirc 50'» aus
Halikarnass,WeilmnR der Mannschaft einer halikarn;issischen Telrere unter
einem halikarnassischen Trierarehen und einem (rhodischen?) Gcschwa-
derchef an die heimischen (.löller.
HEISEBERICHT AUS KOS 459
Der Schriftcliarakter und der Text passen zur ersten Hälfte
des I. Jahrhunderts vor Chr. Aus der Flüchtigkeit der Schrift
muss wol auf einen privaten Charakter der Aufzeichnung ge-
schlossen werden. Dann sind Formen wie rpaTre^eixav (2, 18),
Kac6v6i/.o? (3,6) nicht auffallend. Inscr. of Cos 29 wird eine
oder mehrere Generationen früher anzusetzen sein (dort Z, 8
äxoXuTpüXTio?, 9 Nsaeaioc, hier 2, 16 NepL£C6w<;). Es scheinen bei
Neubesetzungen des Priestertums auch die allgemeinen Opfer-
bestimmungen, die von Einfluss auf die Einkünfte des Prie-
sters und damit indirekt auf den Raufpreis waren, revidirt
und erweitert worden zu sein.
Adrasteia und Nemesis sind wol aus Kleinasien nach Kos
herübergekommen. Sie scheinen hier einen sehr bedeutenden
Kult gehabt zu hahen. Vielleicht hatten sie Beziehungen zu
Asklepios und llygieia, wie auch sonst (vgl. Posnansky, Ne-
mesis und Adrasteia S. 65. 138 ff.).
4. Bruchstück einer Stele von weissem Marmor, einge-
mauert in einem Zimmer des Hauses von leSaaTO? Mt:o'j9o?,
in der Stadt. Nur der obere Rand erhalten, üher der ersten
Linie eine Leiste. Höhe 16, Breite 36, Höhe der Buchstaben
l.S^".
SAMOOPAIKßHfH4)IZMA
. T H I B O Y A H 1 K AUni AHMaiE
xilMENHZPPAiHKQIOSPP
iNTHZPOAEnSKAlEYEPrE"
5 TETHNPPOiENIANTOI^PAPA
MOI^TnNPOAlTaNPAPEX
AITAPP02THHP0AINK0'
iMr /^ — M -" - Y \
2aL/.oÖpäix.ti)v ^|;•/;(pt(J[/.a.
'ESo^e] TT, ßouXyii )cat xdii Sy)U.coi* l[7C£t-
%ri llp]aCiu.evYi(; llpa^T^ Kwio; 7rp[6;6-
vo;] wv TYi; TröXew; >cai £Ü6pY£T[r,? )ta-
5 xä] TS xriv Tupo^eviav Toi<; TTapa[Yivo-
460 R. HERZOG
a;] Kai xx irpo? Tr.v -öT^iv )coi[vy)i aet
(piXoT]ip-oü{ji6vo? xa[i
Elirenbeschluss der Samotliraker für einen Koer, der sich
als 7i:p6^evo? um Samotlirake verdient gemacht halte. Er war
wol wie einige andre Roer (Gonze, Reise auf den thrakisehen
Inseln S. 6^ Kern, Athen. Milth. 1893 S.3b8f.) auf dem ge-
wöhnlichen Wege zu seiner Proxenie gekommen (oiSe Tvpö^evoi
iyevovTo Oecopol Tvapayevöuisvoi, vgl. auch Moncoaux, Les proxe-
nies grecques S. 296 f.), nemlich als kölscher Theore zu den
(xeyiiXoi 6sol von Samothrake. Das vorliegende Dekret ist nach
demselben Muster abij;efasst wie das für Ptolemaios, Sohn des
Ameinias aus Gortyn, Gonze, Heise S. 66, das nach dem neuen
richtiger ergänzt werden kann.
Z. 1. Die Überschrift soll die Urkunde als fremd kennzeich-
nen, nach einem nicht seltenen Brauch. Wie die Abschrift
zustande gekommen ist, zeigt das in Jasos gefundene ausführ-
liche Ehrendekret der Samotliraker für den tragischen Dichter
Dymas von Jasos, Michel 352, 29 ff. Iva %\ (pavspov Vit xai 'la-
ceöf^iv OTt 6 öriao; Ti{/,at xoü; }<.a>.ou; >cat äyaÖou; avopa; ä^iw? tt]«;
auTöiv äpexyi«;, Souvai töSs tÖ '^y\f:^i(j]j.ix zou. i^x/^Ckix toi; Trpwxoi;
TCapayevofAsv ot? öewpoi«;, . . . äveveyxeiv zrii ßo'jXvji xal töi
Sriu.(i)i Tdiv 'laaewv, x,ai TüapaKEX-lviTOai 'laTsi; sTripi £^Y]9yi vat (pi-
TiOTiaco; Iva xa t|/r/pi7aaxa i'v xivi xoiv Upcüv ivaypacpr, *. x,ai oi rsri-
(pavoi ävay.r,pu^6üiaiv Iv Aiovuaiot?, etSoxa? Siöxi 7rotyi<j3'vx6(; xa T^qtot)-
uiva /ap'.oövxai xwi Stjjj-wi. Die Koer scheinen sich nicht so mit
der Abschrift angestrengt zu haben wie die Jasier. Die Wie-
dergabe des Dekrets ist anscheinend summarisch, das Prae-
skript ist zusammengezogen oder falsch wiedergegeben mit An-
lehnung an das koische Formular. Es miisste eigentlich lauten:
iloli xryi ßouV/it (ohne Nennung des Sfiixo?)- ßaTiXevj; (oder xpoe-
Spo;) 6 Seiva xoO Seivo; eiTuev (vgl. Swoboda , Griechische
Volksbeschlüsse S. 118 f. 299).
Z. 3. Der Geehrte heisst IIp«^t^u£VYi: Flpa^yi. Er ist vielleicht
identisch mit dem Antragsteller Inscr. of Cos 5 ( = Michel
REISEBERICHT AUS KOS 46^
425). Der Genetiv U^x^t} aus Ilpa^ta (von npa^ea?) zeigt eine
sonst nicht zu belegende Kontraktion, wol nach Analogie von
Ypaiy-u.aT/i für ypaaixaTea (vgl. Barth, De Cooriim ütidorum
dialecto S. 89 f. 104. Schweizer, Grammatik der pergameni-
schen Inschriften S. 148 f.).
Z. 8 ^tXoTjiaouijLEvo; Vgl. z. B. Michel 110 (Athen), Z. 6.
12f. 64. 65. 77. Buresch, Aus Lydien S. 19.
Die Annahme von Monceaux (a.O.), dass die samolhraki-
schen Dekrete dieses Musters nach der athenischen Fassung
redigirt seien, weil die Athener eine Zeit lang die Insel be-
herrscht hätten, ist keinswegs notwendig. Die Ähnlichkeit mit
Dekreten wie C. I. A. 11 181. 186. 187 ist genügend in der
Gleichheit des Thatbestands begründet.
Die Buchstabenformen weisen die Inschrift etwa in den er-
sten Teil des III. Jahrhunderts vor Chr.
Tübingen,
R. HERZOG
-<>«4f,S$j-o-
PRÄHISTORISCHE IDOLE AUS BLEI
In seinem interessanten Bericht üher präliistorische Gräber
in Melos ' kommt C. G. Edgar auf meine früher geäusserten
Zweifer"^ an der Echtheit eines bleiernen Idols der durch
zahlreiche marmorne Exemplare, besonders von den Inseln,
genügend bekannten Art-^ zu sprechen. Anlass bietet ihm die
Veröffentlichung eines von Bent in Antiparos gefundenen Fi-
gürchens aus Blei ^ ; er schliesst aus diesem zweifellos echten
Stück, dass also Boss mit Recht neben Marmor auch Blei als
Material dieser Idole nenne . und meine hauptsächlich auf
Gründen a priori beruhende Verdächtigung des einzigen
bisher nachgewiesenen Exemplares nicht aufrecht erhalten
werden dürfe.
Meine Verdächtiguno; des aus Finlavs Besitz stammenden
Figürchens (jetzt im athenischen Nationalmuseum Nr. 7847)
gründete sich aber nicht ausschliesslich, ja nicht einmal haupt-
sächlich auf das Material. Nicht weil dies Figürchen aus Blei
besteht hielt ich es ohne weiteres für falsch, sondern weil es das
einzige solche Idol aus Blei war, und ich dies einzige damals
nachweisbare Exemplar für falsch halten musste, behauptete
ich, dass Verwendung von Blei für diese Figuren nicht nach-
gewiesen sei. Vielleicht bin ich dabei zu skeptisch gegen Boss
* Annuai of Ikc Brilish school al Athens III, 1896-7, S. 50.
2 Athen. MitÜi. 1891 S. 55,1.
■'' Eine Übersicht giebt Blinkenborg in den Alrnwires de la societf des an-
tiquaires du Nurd \8% S. 61 0. { = Aarboyer für nordisk uldkijndiyhed og
hislunc 1896 .S. 55 ^.), diizu kommen jclzl vor allem die von Tsiindas enl-
docktcn ('E?r,aepts ii/.. 1898 Taf. 10. 11 S. 19:j f.). In der Besprechung,
weielie Penol ihnen widmet {Jlisluire de l'arl VII S. 73511.) sind die ver-
schiedenen Klassen primitiver Idole nicht genügend gesondert.
* Journal of Hell, sludies V S. 52. 53 (dort von Beul irrig als Silber be-
zeichnet), Blinkenberg a. a. O. S. 16 bez. S. 15.
PRAEHI5T0R1SCHE IDOLE AUS BLEI 463
gewesen, aber seine Äusserungen sind so unbestimmt, dass
man grade bei einem so genauen Beobachter wie er das Gefühl
hat, er empfinde selbst einen gewissen Mangel an ganz zu-
verlässigem Beobachtungsmalerial Seine älteste bezügliche
Äusserung ist, soviel ich sehe, die in der 'Ap/aioAcyia t?,; vr,-
cou SiKivou, 1837, S. 5,9: xa ei; Tiva? vr)<jOD;, olov Oxpov, "lov
jtal 0r)pav, äveupi<T/t6p.6va äxeXe'jTXTa el'ScoXa yyixiv.ilx, ix. aap-
f;.apou r] xal (ao>.ü€Sou'. Btwas bestimmter lautet dann die
in der Abhandlung über Anaphe, 1838, S. 408,6: Ein solches
Figürchen aus Blei auch auf los (jedoch nicht ganz frei von
dem Verdachte der Fälschung) 2. Damals kannte Boss also nur
ein einziges solches Figürchen aus Blei. Dass es mit dem spä-
ter von Finlay besessenen identisch sei, lässt sich zwar nicht
bindend beweisen, ist aber wahrscheinlich. Boss hat los am
3. Sept. 1835 nur auf einige Stunden, dann vom 31. Aug. bis
2. Sept. 1837 wieder besucht, dies zweite Mal in Begleitung
von Finlay (Inselreisen 1 S. X. 54. 154), der damals dort
die Obsidianmesser erwarb, welche neben den am Hügel von
Marathon aufgelesenen Besten gleicher Art der Grundstock
seiner Sammlung prähistorischer Altertümer wurde ^, und mit
Boss zusammen bei den Bauern Gräberfunden dieser ältesten
Epoche nachspürte^. Es wäre sehr merkwürdig, wenn Finlay
damals nicht auch das Figürchen gekauft hätte.
Noch an einer dritten Stelle spricht Boss von bleiernen Ido-
len, Arcli. Aufsätze I S. 53 in seiner Übersicht über ' \'or-
' Übersetzt in den Areh. Aufsiitzen 11 S. 482,9 (aus Marmor oder auch
Blei).
2 Abhandlungen dei' niiiiiclieiier Akademie 1838 = Areh. Aufsätze II 8.
492,16. An dieser wie an der eben genannten Stelle verweist Ross auf
Thierseli, Über Faros und parisehe Insehriflen (Abhandlungen der mün-
cbener Akademie I1S34 ) S. J85, aber nur l'iir die Marmorügiirchen : Blei
nennt Thiersch gar niehl.
3 Vgl. r. «tivXali, riapaTT)pjja£t{ eni ttJj Iv 'EX^ixiz xai 'EXXäSi TipoVaTOpixi)«
ap/aioXoYia?, Alben 1869, S. 15 f. Taf. 3. 8 9 und 4, 14. 15. A. Dumonf,
Revue arcli. 18b9, II S. 297. MaUriaux potir servir d l'hisloire de l'liumme
1872 8. 210 ( = Dumont, MHanges d'arch. S. 15 und 23).
* Inselreisen 1 S. 160, 14.
•i%i P. WOLTERS
griechische Gräber', die siclitlich einige Zeit später, vielleicht
erst kurz vor der Herausgabe der Aufsätze (1855) niederge-
schrieben ist'. Hier sagt Ross , dass ihm solche Idole aus
Marmor, einige auch aus Blei auf den griechischen Inseln
öfter vorgekommen seien. Wenn wir nicht annehmen wollen
— wie ich that — dass er hier aus ungenauer Erinnerung
rede, würden wir allerdings sein Zeugniss dafür anerkennen
müssen, dass er mehr als nur ein solches Idol aus Blei ge-
sehen, und uns nur wundern, dass er über diese seltene und
ungewöhnliche Klasse nicht etwas genauere Nachricht zu ge-
ben für gut befunden hat. Da aber die Verwendung von Blei
nicht unmöglich ist. liisst sich auch die Möglichkeit nicht aus-
schliessen, dass Boss buchstäblich genau geredet hat.
Aber damit ist für das finlaysche Figürchen noch nichts
gewonnen. Es kann nicht echt sein. Denn erstlich fehlt jede
Patina, die wir doch unbedingt voraussetzen müssten . und
zweitens stimmt es in allen Formen zu genau mit den mar-
mornen Exemplaren überein. Es hat, wie diese fast ausschliess-
lich, ein ganz flaches Gesicht, ohne Angabe von Augen und
Mund ; nur die Nase ragt als kleine Erhebung hervor. Bei den
marmornen Exemplaren sind Augen und Mund und noch
manche andere Einzelheiten fraglos mit Farbe angedeutet ge-
wesen^; bei dem bleiernen war das nicht möglich, bei ihm
war deshalb eine plastische Ausgestaltung unumgänglich nö-
tig. Dass diese fehlt beweist, dass der Fälscher sich sklavisch
an sein marmornes Vorbild hielt. Auf Grund gleicher Über-
legung müsste man das von Walpole veröflentlichle Exem-
' Es i.sl mir wahrscheinlich, dass diese Ühersicht, die neues Material
nicht licihringt, und hauptsächlich die durch l'asch van Krienens Berichte
verwirrte Fragestellung nach dem Aller dieser Gräher klären soll, geschrie-
ben ist, als Ross sich mit der Absicht trug, des Oralen Buch neu abzu-
drucken; das war aber grade 1855, vgl. L. Ross, Graf Pasch van Krienen
Ö. VI.
2 Ich verweise dafür auf Allien. Millh. 18'J1 S. 4611'., Bliiikcnherg,a.a.O.
S. 46, I bez. S. 41,2 und Tsundas, 'E?r)jjiepl« ip/,. 1898 S. 188. 194. 195.
Bchon Walz (Über die Polychromie der antiken Sculplur, 1853, S. 9) hat
das für den sitzcudeu Leierspieler in Karlsruhe richtig erschlossen.
PRAEHISTORISCHE IDOLE AUS BLEI 465
plar für falsch halten, wenn es wirklich aus Tlion bestände;
vgl. darüber Athen. iMitth. 1891 S. 5^.
So bleibt für uns das von Edgar veröffentlicbte vorliiufig
das einzige nachgewiesene dieser Idole, das nicht aus Marmor"^
sondern aus Blei besteht, welches deshalb aucb nicht genau
die Form der marmornen Exemplare wiedergiebt. Wie sehr
die Verwendung von ßlei für diese Idole als Ausnahme zu
betrachten ist, beweisen auch die erfolgreichen Ausgrabungen,
über welche Tsundas in der 'E9-/)aEpi? ioy. 1898 S. 137 ff.
berichtet: er hat in rund 200 Gräbern dieser Epoche über 50
Marmoridole, kein einziges aus Blei gefunden. Das von Evans,
Cretan pictographs S. 134 Fig. 137 abgebildete, übrigens
auch nicht genau übereinstimmende, Idol aus Kreta < gilt dem
Herausgeber selbst als verdächtig und vermutlich mit Hülfe
des dort aufs neue abgebildeten Formstein.s aus der Gegend
von Thyateira hergestellt ( S. 132). So bleibt schliesslicirnur
noch das Bleiidol aus Troja 2 zu nennen, dessen stilistische
Verwandtschaft mit den iMarmoridolen auch nicht eben sehr
nahe scheint ^
Athen, Februar 1899.
PAUL WOLTERS
=*f^4S^^«s-c
' Vgl. Blinkenberg a.a.O. S. 63. CreU,^.
2 Schliemanii, llios Fig. 226. Perrol, Hisluire de l'arl VI Fig. 295.
3 Vgl. Allien. MiUli. 1891 S. 55, 1. Ikvuc arch. 1S95, I S. 377. S. Rei-
nacli, La sculplure en Enrupc avanl les iiißuences grrcu - romaincs S. 9-2;
zur Frage nach dem Ursprung des Typus s. H. von Fritze, Jahrbuch des In-
sliluls 1897 S. 199.
.^THEN. MITTHEILUNGE.N X.KIII. 31
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMÄLER
I Hierzu Tafel LX. X)
I
Zu den bekannten Bruclislücken des Salamis betreffenden
Psephisma C. L A. IV, 1 S. 57 und S. 164, \n bat W. G.
LoUing, wie P. Wolters in seinem Nacbrufe in diesen Mit-
theilungen 1894 S. XXII erwähnt, ein neues gefügt, ohne dass
es ihm »egönnt gewesen wäre diesen wie seinen früheren Fund
(AeXtiov äp/_. 1888 S. 117) selbst den Mitforschern vorzulegen.
Wenn ich die wenigen Buchstaben, die das Fragment bringt,
nachstehend endlich mitteile, so ist es nicht meine Absicht bei
dieser Gelegenheit die ganze Urkunde erneuter Behandlung zu
unterziehen. Da aber die bisherigen Abbildungen keineswegs
geeignet sind, von dem Denkmale eine richtige Vorstellung zu
vermitteln, schien es angezeigt in einem Lichtbild (Taf. 10, ?)
sämtliche Reste, vereint mit denen einer anderen bedeutsa-
men Inschrift, vorzulegen und einige kurze aligemeine Be-
merkungen beizugeben.
Zunächst über die Form des Denkmals. Ulrich Köhler als
erster Herausgeber meinte (Athen. Millh. 1884 S. 12.') ), der
Stein erinnere 'durch seine Form und die Art, wie er beschrie-
ben ist, vielmehr an die Basis eines Weihgeschenkes als an
eine Inschriftenstele; doch müsste in diesem Falle auf der
Oberfläche sich wol eine Spur erhalten haben. Der Stein scheint
danach nicht in den Burgfelsen eingelassen, sondern im In-
nern des Tempels an einer erhöliten Stelle niedergelegt gewe-
sen zu sein*. Diese Auffassung wird durch einfaclie und ein-
leuchtende Beobachtungen berichtigt, die angesichts vieler
mittlerweile gefundener archaiseli(M' Basen späteren Beurteilern
des Denkmals allerdings näher lagen als Köhler, und zuerst
AI.TATTISCHE SCHRIFTÜENKMaELER 467
von Botho Graf in den Athen. Mittli. 1890 S. Vi ausgesprochen
Nvorden sind'. Ich darf Giäfs Bcinorkungen im Nachstellenden
wiederholen, da zu fürchten steht, dass sie den Epigraphikern
entgangen seien ; der Herausgeher des Corpus hat auf sie zu
verweisen unterlassen. Dernach Lepsius(Marmorsludien S. 80)
aus unterem weissem pentelischem Marmor gefertigte Block,
auf dessen Flüche die inschrilt steht, ist an der linken Seite
dieser F'lache 0,219'° hoch, während er am Bruche rechts eine
Höhe von 0,'2v'8'" zeigt. Es wächst also in der Richtung der
Schrift die Höhe der Schriftfläche: so gelegt, dass die Bucii-
ftahen aufrecht stehen, wie in der Ahhildung Taf. 10, '.\ hat
der Block eine schräg ansteigende Oberkant(^ Ferner sind
wie die Schrifttläche so auch die Flächen, die in dieser Auf-
stellung als Ober- und Untertläche ersciieinen , sorgfältig
geglättet, die hintere und die Seitenlläche links dagegen rauh
gepickt. Dieser Sachverhalt lelirt, dass wir in \\ irkliclikeit
Reste eines nach oben verjüngten Pfeifers vor uns haben, der
so auf^eslelft zu denken ist, dass die Zeifen senkrecht ebenso
wie auf zahlreichen Basen archaisclier Weihgeschenke von
oben nach unten fiefen. Von dem Kopfe dieses l^feifers sind
uns im ganzen sechs Bruchstücke erhallen. Vier von ihnen
passen unmittelbar aneinander; zwei sind lose, beide erst von
Lülling als zugehörig erkannt, und zwar geliört das bereits
hei'auso:e<:;ebene dem oberen I^ande ( wenn man der Kürze
halber so sagen darf), das erst liier verötfenllichte dagegen dem
unteren Rande des Schriftfeldes an. Ihre Stellung iässl sicli
durch Ergänzung der auf ihnen erlialtenen Sehriftreste und
Verbindung mit denen der zugehörigen Zeilen der grösseren
Bruchstücke, und ausserdem. Iiievon unabhängig, wenigstens
einigermassen durcli Rechnung feslstelfen, weif mit der {Ent-
fernung von dem Kopf des Pfeilers die Abweicliung lier Zeilen
von einander wächst. Für das eine der beiden losen Fragmente
darf Z. 3 die JM'gänzung x.ai iTpaTi^susafi^ai als sicher gelten;
< V;;!. II. Lrclial, Monumenis Piol III S. 9.
468 A. WILHELM
damit ist dieses ungeführ an den Platz gewiesen, auf dem es
die Abbildung;- zeigt, aber nur ungelabr, da auch in den Zei-
len, in denen die Buchstaben (jTor/7;Söv geordnet sind, ihre
Abstände nicht genau dieselben bleiben. Für die übrigen Zei-
len dieses Bruchstückes ist eine einleuchtende Ergänzung noch
niclit gefunden ; ich erörtere weder die X'ersuche meiner Vor-
gänger noch wage ich neue Vorschläge, da ich überhaupt an
der Möglichkeit einer Herstellung der gesamten Urkunde, wie
sie vor mir Köhler, Foucart {B. C. H. 1888 S. 1 ). Gomperz
(Athen. Mitlh. 1888 S. 137. Arch.-epigr. Mitth. XII S. 61),
Lolling (As^Xtiov xzj^. 1888 S. 17), J, H. Lipsius (Leipziger
Studien Xli S. '2-21) vorgelegt haben, gleich A. Kirchhoft'
verzweifle. Dass die Zeilen ganz erheblich länger waren als
die ersten Herausgeber angenommen hatten. kann bei richtigerer
Auffassung der Eigenart des Denkmals und angesichts der
erst später hinzugefügten Bruchstücke nicht zweifelhaft sein.
So haben sich denn auch durch den Zuwachs des fünften
Stückes die Ergänzungen, die Köhler unter Voraussetzung von
nur 26 und Foucart unter der von 30 Buchstaben in den er-
sten sechs gedrängter gtoi/joSöv geschriebenen Zeilen versucht
hatten, als irrig erwiesen. Von den Herstellungen, die jenen
Fund berücksichtigen, beansprucht die von Lolling und die
von Gomperz empfohlene zwar an sich schon deshalb höhere
Wahrscheinlichkeit als die von Lipsius erdachte, weil dieser
nur mit 3'», jene dagegen mit 40 Buchstaben in den ersten
Zeilen rechnen, aber auch ihre Vorschläge werden durch das
neue sechste Bruchstück nicht bestätigt.
Die leider sehr dürltigen Reste, die dieser jüngste Zuwachs
bietet, gehören der achten, neunten und zehnten Zeile der Ur-
kunde an. Z. 9 zu Anfang ist die Lesung tJöc Ss [hjÖTC^a, wie
zuerst Lipsius früheren irrigen Deutungen gegenüber schön
vermutete, nicht nur zulässig, sondern wie ein Blick auf un-
sere Abbildung lehren wird, geradezu überliefert. Die Er-
gänzung TJä Se [hJoTT^a 7r[apej(^£CT]Öa[i liegt nahe. Für diese be-
kannte Formel Beispiele beizubringen, ist kaum nötig (Thu-
kydides X'lll, 97, Aristoteles lloX. 'AO. 4,2 u.s.); doch sei be-
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELER 469
merkt, dass sie in dem aul" Milet Ijezüglichen Volksbeschlusse
CIA. iV,l S. 6, Tl a Frfj;. ab Z. 11 in leider unkenntlichem
Zusammenhange wiederkehrt. Aber als völlig gesichert ver-
mag ich diese Ergänzung gleichwol nicht zu bezeichnen. In
der nächsten Zeile ist T^ptä[y.^ovTa : Sc[a/_y.ä; oder eine andere
Form zu lesen; die letzten Buchstaben des neuen Bruchstückes
stehen verhältnissmässig enge, so könnte man geneigt sein,
der Lücke in dieser Zeile einen Buchstaben mehr zuzuteilen
als in Z. 9 (also Spa/y.ai;), doch hat der Steinmetz bei aller
Ungleichmässigkeit der Abstände es verstanden, auch in die-
sem anscheinend regellos geschriebenen letzten Teil der Ur-
kunde auf einem bestimmten Raum dieselbe Zahl von Buch-
staben unterzubringen, wie die an neunter Stelle in den letzten
vier Zeilen und in den zwei vorangehenden noch T-ro-./rSov
geordneten Zeilen genau über einander stehenden Zeichen
zeigen. Nebenbei, eine beträchtliche Länge der Zeilen wird
auch dadurch erwiesen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach
zwischen ho und dem Z. 1 1 folgenden -Jv %\ [tj6v apyo: vtä ' ein,
sei es auch noch so kurzer, aber doch vollständiger Salz zu
ergänzen ist. In Zeile 6 erscheint auf dem neuen Bruchstücke
nur ein V, das erste in der ganzen Inschrift; ich finde keine
einleuchtende Ergänzung. Meine Einfälle lasse ich unerwähnt:
es ist w^ertlos Worte zu raten, solange der ganze Zusammen-
hang unerkannt ist.
Eine neue Herstellung der gesamten Urkunde vorzulegen
oder durch eindringende Auslegung der vorliegenden neuer-
dings vermehrten Beste und uniständliche Erwäijiin^ aller .M(")ii-
lichkeiten ihrer Beziehung auch nur andeutungsweise zu ver-
suchen sehe ich mich ausser Stande. Ich beschränke niicli auf
zwei Bemerkungen Zunächst habe ich für eine Stelle des An-
fangs der Inschrift eine Lesung zu empfehlen, die ich als er-
ster gefunden zu haben meinte, aber dann schon von Lolling
vorweggenommen sah. Z. 1 glaubt man iiiinilich eint'u Irr-
« Vgl. Br. Keil, Hermes 1894 S. G7, 1.
470 A. WILHELM
tum des Steinmetzen annehmen zu müssen und hält ol/.h ix
^aXo'aiv. gemeiniglich für verschrieben statt ol/.sv iv SaXayivi.
Ich fräse nicht, oh in diesem Falle nicht nach Z. 4 ixy.1 viel-
mehr s^xXxaivi zu erwarten wäre; jcdenfails ist die Voraus-
setzung eines Schreibfehlers erst dann geboten, wenn jede an-
dere Möglichkeit der Erklärung versagt Dem ist aber nicht
so. Es wird, nicht mit versehentlicher Auslassung des Ny, wie
Lolling dachte', sondern mit einer Assimilation, die gerade
nach dem langen Vocale nahe lag, und einfacher Setzung des
Consonanten" oUh saSaXaaivi für o'./tsv jav ZaXaaivt (als Loca-
tiv vgl. 'EXsuTivi) oder I]a,>.afjt.'.v{o^ geschrieben sein. Diese Le-
sung empfiehlt vor allem der Umstand, dass oUsv dav eine ge-
wöhnliche Verbindung ist; ich begnüge mich auf folgende
Stellen zu verweisen: Thukydides 3,(8: M-jn^r^vaicav ou? p.sv
nävTi; (X7:e7ü£Ut.(|;cv ist; äSiKOÜvra; /.pivxt x.aO' r,Gvyix-J, tou; o aXlous;
läcv oi-zcstv ; Aristoteles Ooa. 'AO. 52. 4; Inschrift von llion in
Dittenbergers Sylloge^ 158 (Michel, Recucil dinscriptionü
grecques 35) Z. 4 9. Nur die Anstösse, die Lollings Ergän-
zuns; (AeT^Tiov äpy. 1888 S. 118): "ESo^tsv toi Seaoi t[6; SaJ-
>.aa[ivx -/.Xepoi )vaj(_ovTa?] oix.lv la.(v) Sx>^a[7.ivi[o? höJXev [)(^tuv Xe toi;
'AOsvaiotlTi T£>£v y.xt ax^xT[vjcü^]x'. sonst bietet, haben wol seine
Nachfolger veranlasst von oiy.siv iav wieder ahzu^ehen. Es wird
sich nun darum handeln, auf Grund dieser Lesung eine neue
Deutung der ersten Zeilen zu gewinnen. Vielleicht gelingt es
dann auch, eine Schwieriorkeit zu beseitigen, an der die bis-
herige Auffassung dieser Bestimmungen leidet. In Z. 3 hat
Köhler glücklich Reste erkannt, welche der im vierten Jahr-
hunderte nachweislichen Formel aTpaT£'j£G6ai rä; nz^xz^'-xc, y.al
Ta: £l'79opa; £!G'p£p£'.v piETa 'AOrivatojv entsprechen und nach Br.
Keil (Hermes 1894 S. 67) nicht [x<juv V\0£v3cioi]'ji, sondern [zap'
'AOfivaioijTi teXev Y-xl <7TpaT[£U£aO]ai ZU ergänzen sind. Aber diese
' Wenigstens gicbt Lolling in seinem Texte hier £a(v) ilaXa[xivi[o{, Z. 4
dagegen £a(xe.
2 Vgl. W. Scliuize, Hermes 1893 S. 22, der nur int, wenn er in unserer
Insctirift t^a.'KX]i.vn gescliriel)en glaubt.
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELER 4"!
Formel findet sonst auf Xichtbürger Anwendung', die in ihren
Leistungen den Allienern gleichgestellt werden (Isolelen),
hier dagegen sämtlichen Erklärungen und Ergänzungen zu-
folge auf Rleruchen, die Bürger waren und Bürger blie-
ben. Deshalb hat Köhler nicht nur auf die Änderung hinge-
wiesen (S. 119), die im Verlaufe von zwei Jahrhunderlen der
sprachliche Ausdruck erfaliren habe, sondern auch ausdrück-
lich bemerkt (S.124): 'wenn in dem Psephisnia die Rleruchen
scheinbar den Bürgern gegenübergestellt werden, so wird man
darin nicht sowol eine formale Ungescdiicklichkeit als ein An-
zeichen dafür zu sehen haben, dass der Begriff des Bürger-
rechtes im öffentlichen Rechtsbewusstsein noch nicht festge-
stellt war*. Töpffer dagegen schloss in seinen Quaestinnes
Pisistrateae S. 26 (jetzt in den Beiträgen zur griechischen
Altertumswissenschaft S. 20) aus denselben Worten, dass das
ganze Psephisma einem Nichtathener gelte, und ihm folgend
bezeichnet es auch Beloch (Rhein. Mus. 1895 S. 26fi ) als
'bekanntlich keineswegs sicher, ob diese Inschrift wirklich
von einer Kleruchie handelt und nicht vielmehr von der Ver-
leihung eines Grundstückes auf Salamis an einen um Athen
verdienten Fremden*. Diese Auskunft glaube ich allerdings mit
Busolt (Griechische Geschichte ^ II S. 4'..^) ablehnen zu müs-
sen, da die erhaltenen Reste, so verstümmelt sie auch sind.
allgemeinen Bestimmungen anzugehören scheinen. Auchdurch
die Berufung auf formale Ungeschicklichkeit oder die Unvoll-
kommenheit der Rechtsbegrifle jener Zeit wird m. E. jene
Schwierigkeit nicht behoben. Sie würde aber verschwinden,
wenn sich die durch die Lesung oi/.eu =?.v nahegelegte Auf-
fassung als zulässig erweisen sollte, dass sich diese Bestim-
mungen nicht aul athenische Rleruchen, sondern auf die frühe-
ren Bewohner der Insel, die Salaminier, beziehen».
Meine zweite Bemerkung gilt der letzten Zeile. Hier folgt
< Über die OHMistpIlirlil dor rnU-rlanen v. Wilainowit/. llormes t8S7 S.
242 ir., über die Sala.nini.T .lersHI.c lleniies 1877 t^.34-.', f. Kolile. .Athen.
Mitth.''1879 S. 26.
472 A. WILHELM
Her Endung sv durch Interpunktion, und zwar drei Punkte wie
in Z. 3, getrennt etc]! tI; ß[oA£;. Solange man nur mit kurzen
Zeilen rechnete, war es natürlich und gehoten, diese drei Worte
als Schluss des Satzes zu betrachten. Ich vermag ein Bedenken
gegen diese Auffassung nicht zu unterdrücken. Die Inschrift
verwendet, soweit sie uns vorliegt, Interpunktion sonst nur an
zwei Stellen : erstens, um in Z. 10 das Zahlwort x^ixko^xx aus
dem Zusammenhange der Rede herauszuheben (zwei Punkte);
zweitens in Z. 3 augenscheinlich um den Anfang eines neuen
Satzes zu bezeichnen. Dagegen fehlt die Interpunktion in Z. 3
vor dem Beginne des Nebensatzes lafxe oixlt und Z. 5 nach dem
Nebensatze vordem Anfange des Hauptsatzes ix}/ Ss ua'-M<.,x7:o-
TiLvev, also an Stellen, wo man Interpunktion erwarten müsste,
wenn sie in der letzten Zeile im Inneren des Satzes lediglich
vor einer Bestimmung stehen soll. Unter diesen Umständen
scheint mir die Verwendung der Interpunktion vor den Worten
ItzI tI; ßo'X£;ein Hinweis darauf,dass mit ihnen ein neuer Satz
beo;innt. An den Schluss der o;anzen Urkunde ürestellt kann aber
ein mit i-l t-^? ßouXvic eingeleiteter Satz, glaube ich, nur den
Sinn einer Datirung haben. Die Vermutung liegt nahe, dass wie
so gewöhnlich in attischen Inschriften des fünften Jahrhunderts
i-l T£? ßoT^s; hsi oder Iiote 6 Seivoc (allenfalls Tcpoio;) £ypa[;.f;.icT£U£v
zu ergänzen sei. Allerdings vermag ich nur in einer einzigen
Urkunde eine ähnliche Datirung ebenso an den Schluss ge-
stellt nachzuweisen: das Bruchstück C.I.A. IV, 1 S. 125,557,
mit drei anderen Bruchstücken, darunter C.I.A. I 86, wie ich
in meinen Attischen Studien zeigen werde*, zu einem Ver-
trage der Athener und Samier gehörig, enthält nach einem Ver-
zeichnisse der Strategen, die den Vertrag abzuschliessen und
zu beschwören hatten, die Worte: ßoXk ep/£ [Iiöte^ 6 Seivx xpö-
' S. einstweilen meinen Berichl in den Jaiireslieflen des öslerreicliisclien
archäologisclien Inslilutes I Beiblatt S. 43.
2 Diese Ergänzung sclieinl mir durcli die jetzt, uielit mehr siehtharcn Reste
geboten, die Lolling liinter cp^e verzeichnet hat: I u. So auch C. I. A.\b
(dazu IV, 1 S. 57, L. Zielien, Lerjns Graecorum sacracl) nach Miehels Er-
gänzung (flecwetV d'inscriplions grec(jues 670): "Eoo/^aev tei jJoXei y.ai tai oi^oi liote
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELER 473
tJo? sYpay.u.zT£'js 'Pa[p6(7'.o;. Anders dalirt die Hekatompedon-
inschrif't, ebenfalls am Schlüsse : Taör' eSo/oev toi SeTu-oi e^jI
<i>[iXo-/.paTO: ap;^ovT]o? tx iv -roiv Ai6o'.[v to'jt^o'.v. Sicherlich ent-
spricht, wie zahlreiche Beispiele nichtatlischer Inschriften zei-
gen, eine solche Datirung am Schlüsse durchaus dem Urkun-
denstil. Für die letzte Zeile des Psephisma über Salamis er-
giebt sich, wenn meine Vermutung zutrifft, eine Länge von
mindestens (olme TTporo; und mit sehr kurzem Namen) 30
Stellen, eine erheblich grössere Zahl für die ersten sechs Zeilen.
Ich beschränke mich auf diese Andeutungen, um nunmehr
auf eine Frage allgemeinerer Bedeutung einzugehen, die bis-
her mehrfach erörtert, doch nicht entschieden, allerdings aber
auch nur vor den Denkmälern selbst richtig zu stellen und
richtig zu beantworten ist. Es ist dies die für die Geschichte
der altattischen Schrift hervorragend wichtige Frage nach der
Zeit, der das Psephisma über Salamis zuzuteilen ist.
Auf Grund einer Vergleiciiung mit der Inschrift des von
Peisistratos, dem Enkel des Tyrannen, gestifteten Altars aus
demPythionC./.^. IV, 1 S.^i1, 373^ (unsere Taf. 10,1), 'der
aus der Zeit der Herrschaft des Hippias und zwar wahrschein-
lich aus den späteren Jahren derselben stammt', und mit der
attischen Inschrift auf dem Denkmale des Phanodikos von Si-
geion /.G^.^.49?, 'dessen Entstehung um das Jahr 530 ange-
setzt worden ist', kam Köhler zum Schlüsse, sowol der Gestalt
der einzelnen Zeichen wie dem Gesamtcharakter der Schrift nach
stelle sich das Psephisma über Salamis zwischen jene beiden
Denkmäler, scheine also in die ersten ' Zeiten des liippias ge-
napai6aT£[s Trpoto; eypauij.ätEjEv. llapaiSaTr); als Ei,i;ennaillO aucli C.I.A. I i IT
Col. III Z. 32 I in den Index nicht aiirgenoinnien) ; in Kyrene Diou:. Laorl.
II 8. 18 und in der Liste Michel 644 Z. 11; ein Öparliate II.M-odot V 40.
"Oxe anch indem l'sephisma in Andokides Myslericnrede 96: ä'p/£i ypovo;
TOöSe loö (JirjytTiAaTO? J] jjo'jXt) ol -Eviaxociot oi Xayo'vte; tw xuätiiu) or£ KXeiysvt];
TcpüJTOs £Ypa[A[j.aT<:uev.
* 'In die lel/le Zeit der Peisislratiden' setzte LaiTeld das Psephisma in
seiner Griechischen Kpi;;raphik in Müllers Ilandhueh- I S. 4i9. in seinem
soeben erschienenen ilandhueii der icrieehischen Epigraphik I S. 3 da-
gegen 'etwa zwischen 570 und 560 v. Chr.*.
474 A. WILHELM
setzt werden zu müssen; dieser Datirung widerstrebe aber der
Inhalt. Der Volksbeschliiss, (Jer die rechtliche Stellung der
nach der Insel gesandten Kleruchen regelt, sei von der defi-
nitiven Besitznahme von Salamis durch die Athener nicht wo!
zu trennen, sei also zwischen 570 und 5li0 eingegraben ; die
Inschrift von Sigeion dürfe man nicht weit unter den Anfang
des sechsten -lahrhunderts herabrücken.
ich gehe auf das Alter der Inschrift von Sigeion nicht ein.
Denn in den fünfzehn Jahren, die seit Köhlers VerötTentlichung
verstrichen sind, hat sich die Zahl altattischer Schriftdenkmä-
ler aus Attika, vor allem aus Athen selbst, so sehr vermehrt,
dass ich ohne Schaden für die Untersuchung auf die Berück-
sichlifjuno; ausserhalb Attikas o;efundener attischer Inschriften
verzichten zu können glaube. Zudem leuchtet ein, dass Köhler,
angesichts eines so viel dürftigeren und, wie er wol erkannte,
an sich äusserst spröden Materials seine zeilliche Bestimmung
des Psephisma über Salamis zunächst auf den Vergleich mit
dem Altare des Pythion und noch vielmehr auf inhaltliche
Erwägungen, unabhängig von der Schrift, gestützt hat.
Gerade auf die Schrift baut das-eoren J. Beloch. wenn er in
seiner Abhandlung 'Zur Geschichte der älteren griechischen
Lyrik' Rhein. Museum 1895 S. 566 das Psephisma erheblich
jüngerer Zeit zuzuweisen sucht. Die Inschrift einer Basis von
der Akropolis C.l.A. IV, 1 S. 131, 372231
<I>apO£V£ £v ä)tpo7:6>.£i T£>.£(jivo;
oiyxky.^ ocveOekev KixioQ ho'. yaipoca SiSoie?
aXo ävaOsvai
sei der Inschrift über Salamis ganz ähnlich ; ebenso die In-
schrift IV, 1 S. 92, 373 ^'8 (Arch. Jahrbuch III S. 270)
EuOuSiy.o; ho ©aliocpyo
äv£6£>C£V
und IV, 1 S. 103, 373223
XvataS£; (XveÖexev
ho na>.£V6'j(;
(zweimal Z). 'Auch die Telesinosinschrift macht einen alter-
tümlicheren Eindruck als die Inschrüt auf dem Peisistralos-
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELER 475
altar; und docli ist sie jünger, denn wie das Demotikon zeigt,
fällt sie erst nach Kleistlienes'. 'Auch die Klerucheninschrift
kann also in die Zeit nach Kleistlienes gehören, wo in der
That eine Kleruchie nach Salamis geführt worden zu sein
scheint'. Es i'o\>A noch eine Bemerkung über den Gegenstand
des Psephisma, die ich bereits S. 47t berücksiclitigt habe.
Diese Beweisführung, deren Ergebniss Busolt (Griechische
Geschichte^ II S. 444, 2) beipflichtet, bedarf der Berichtigung
und Ergänzung. Was die Entsendung einer Kolonie nach Sa-
lamis in der Zeit 'nach Kleistlienes' betrifft, so ist allerdings
sicher, dass die Land Verteilung, an welcher der Held von Pin-
dars zweitem nemeischen Gedichte, Timodemos von Acharnai
— nach dem Scholion el; tüv tt.v vv^-jOv x,aTa/.)vr,po'j/r,'7ivTcov 'A-
6r,vaiü)v — beteiligt war, nicht in der ersten Hälfte des sechsten
Jahrhunderts stattgefunden haben kann , sondern erst erheb-
lich später; dass noch zur Zeit der Perserkriege Staatsländereien
auf Sulamis verfügbar war, zeigt nach v. Wilamowitz Nach-
weis (Hermes 1877 S. 3V2) die Schenkung, von der Herodot
VIII. 1 1 berichtet. Aber so wol jene Landverteilung naciiklei-
sthenisch sein mag, dass die auf der Insel angesiedelten Athe-
ner 'Demotika' führen, kann dafür nicht, wie Beloch und
Busolt wollen, beweisen, und ebenso wenig beweisen die 'De-
motika* KvjrTio? und HocXXyivsu? an sich schon Entstehung
in nachkleisthenischer Zeit für die von Beloch mit tlem Pse-
phisma über Salamis verglichenen Inschriften C. 1. A. \\ . 1
;n3"3* und 373 ■-''*. Denn auch vor Kleisthenes gab es Ort-
schaften in Attika, nach denen sich ihre Bewohner nennen
konnten, wie Myron von Phlya, Peisistratos aus Piiilaidai (Pia-
ton, Hipparch. 228 B, Plutarch, Solon 10) oder Phye,nach He-
rodot I 60 £v -(0 lr,u.(^ Tto Ilxtav.e'i (vgl. Aristoteles IIo).. 'A6.
U, 4). Wir können solchen Namen, wo sie in den Inschriften
begegnen, nicht ansehen, ob sie Demotika im dem Sinne der
kleisthenischen Verfassung oder einfach Bezeichnung der Hei-
mat und vorkleisthenisch sind*.
« Vgl. V. Wilamowitz, Hermes 1898 S. 123.
476 A. WILHELM
Ich kann also nicht zugehen, dass der Vergleich mit der
Telesinosinschrit't und ihren Verwandten in Beloohs Sinn für
das Psephisma über Sahimis die Ansolziinp; in nachkleisthe-
nischer Zeit beweise, selbst wenn die Übereinstimniiini;- in der
Schrift, auf die sich Beloch beruft, grösser wäre als sie we-
niüfstens mir zu sein scheint. Denn trotz äusserlicher Ahnlich
keiten in der Gestaltung mancher Zeichen ist in Folge völliger
Verschiedenheit der Arbeit und AusfCihriing die Erscheinung
der Schrift in beiden Denkmälern eine ungleichartige, ihre
unmittelbare Zusammenstellung daher nicht unl)edenklich und
zu bindenden Schlüssen wenig geeignet. Zudem ist es miss-
lich in solcher Angelegenheit nur einzelne, nicht die ganze
Reihe der Denkmäler zu befragen. Beloch selbst betont mit
vollstem Rechte 'die Schwierigkeiten , welche die Dalirung
griechischer Inschriften aus archaischer Zeit bietet, wenn sie
nur nach dem Schriftcharakter erfolgen soll'. Ich gestehe, dass
mir diese Schwierigkeiten, je besser ich die Steine zu verstehen
glaube, desto grösser erscheinen. Je mehr sich die Anschauung
vertieft und die Renntniss erweitert, desto vielgestaltiger und
in ihren einzelnen Erscheinungen unberechenbarer offen-
bart sich die Entwicklung; je mehr wir das Material, das
uns zufällig vorliegt, schätzen und wie viel uns fehlt ahnen
lernen, desto ärmlicher scheint es für unsere unbescheidenen
Wünsche; je vermessener sich das Meistern der Entwick-
lung mit den Gewaltmitteln der Logik und je unzuläng-
licher sich unsere Forschung zeigt, deslo mehr ertauschen
wir für erzwungene, aber bloss erträumte Sicherheit willig das
offene Gesländniss der Unsicherheit und für Vorurteile das
Nichtwissen. Das Wagniss auf Grund unserer leblosen und
irreführenden Typendi-ucke altaitische Schril'ldenkmäler in
eine Folge zeitlich wol umschriebener Gruppen einzuordnen
oder vorgefasster Meinung zu Liebe die Angaben von Augen-
zeugen über Schriftformen anzuzweifeln, kann nur ferne von
Athen unternommen werden. Vor den Denkmälern lernt man
sich bescheiden, und es kostet mir Mühe aus langer Verzagt-
heit diesen Problemen gegenüber mit einem Urteil über die
X.
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELER 477
Zeit, der das älteste attische Psepliisma angehören mag. her-
vorzutreten.
Zuletzt hat Br. Keil (Hermes 1894 S. 267; die mehr oder
minder genau datirbaren Proben altattischer Schrift, die der
Zeit vor der ältesten Quotenliste angehören, zusammengestellt
und in dieser Reihe, die ihm ein regelmässiges Aufsteigen von
jüngeren zu älteren Schriftformen zu zeigen scheint, auch der
Salamisinschrilt ihren Platz angewiesen. Ich wiederhole die
Liste der von ihm herangezogenen Denkmäler mit geringfügi-
gen Zusätzen :
CIA. 1 '»33 ( Dittenberger, Sylloge'^ 9) Verlustliste der
Erechtheis, aus dem Jahre 459/8 vor Chr.
I i32 Verlustliste des Krieges am Hellespont und umTha-
sos, nach U. Köhler, Hermes 1889 S. 85 ff., v. VVilamowitz.
Aristoteles und Athen II S. •29'2 aus dem Jahre 405.
'Für die Hekalompedosinschrift CIA. IV, 1 S. 138, wird
483/2 der nicht zu weit von der Ausfertis-ung der vorlieüren-
den Urkunde abstehende terniinus ante quem sein '. Vgl.
unsere Taf. 9,2.
IV, 1 S. 192, 570. 571 Ostraka mit dem Namen des Xan-
thippos aus dem Jahre 485/4.
IV, 1 S. 41 der Altar des Pythion, zwischen 527 und oll.
Aus dem Anfange derselben Periode I 381 Herme mit dem
Gedichte, angeblich des Anakreon, Anthol. Palat. VI 138.
Salamisinschrift 'vor 560.'
IV, 1 S. 199, 373 2^"^ Inschrift der raaia-., 'kaum unter das
Jahrzehnt der solonischen X'erfassung herabzurücken''.
Aus dieser Reihe hat I 381 auszuscheiden. Freilich hat
Lolling (Athen. Milth. 1880 S. 253 und AeXt^ov ipy. 1891
S. 77) diese Inschrilt älteren Bedenken gegenüber unbeküm-
mert für ein Denkmal der Zeit des Hippias gehalten. Aber
der Name des Anakreon, unter dem das l']pigr;nnm in der
Anthologie erseheint, verbürgt keine zeitliche Bestimmung,
da er, wie uns die ' simonideischen' Gedichte lehren, ohne
' Vgl. V. Wilamowilz, Allion iiiul Aristotclos II S. 74, 5. 87, "i?.
478 A. WILHELM
urkundliche Gewähr ist; die Inschrift gehört, glaube ich,
"Icich dem Hermes des Leokrates ' in die erste Hälfte des
fünften Jahrhunderts.
Dagegen sind andere Schriftproben in Keils Reihe nicht
aufij;enommen und nachzutraben. Es sind:
Athen. Mitth. 1897 S. 345 ( Dittenberger, Sylloge'^ 6) das
Ostrakon mit dem Namen des Themistokles, aus dem Jahre
483/^2 oder etwa zehn Jahre später.
C.I.A. IV, 1 S. 192, 569 (Dittenberger, S?/lios,re^ 4) das
Ostrakon mit dem Namen des i\lcgukles,aüs dem Jahre 487/6.
I 333 (unsere Taf. 9, 1 ), zwei auf die Schlacht bei Mara-
thon bezügliche Gedichte.
IV, 1 S. 153, 350 nach Lollings von U. Köhler, Hermes 1896
S. 15Q berichtigten Vermutungen ein vom Sohne des Polemar-
chen Rallimachos von Aphidna errichtetes Denkmal.
IV,1 S. 78, 334« Bruchstück der Basis des chalkidischen
Weihgeschenkes. Dazu die Inschrift der zum Andenken an
denselben Sieg (504 vor Chr.) errichteten Halle der Athener in
Delphi-, abgebildet in Pomtows Beiträgen zur Topographie
von Delphi Taf. 5, zuletzt abgedruckt in Dittenbergers Si/l-
loge '' 3 .
Um von den Künstlerinschriften wenigstens eine heranzu-
ziehen, IVJ S.88 und 181, 373''* (Antike Denkmäler I Taf.
53) mit dem Namen des Antenor.
Aber es geht nicht an, die Untersuchung auf die wenigen
Schriftproben zu beschränken, die zulällig mit dem Vorzuge
besonderer Bedeutung und Beziehung und daher auch mehr
oder weniger genauer zeitlicher Bestimmheit auf uns gekom-
men sind. Neben ihnen fordert die ungleich grössere Zahl von
bescheideneren Denkmälern ihr Hecht, die, wenn auch für uns
keine geschichtliche Erinnerung an sie anknüpft, doch als
' Vfjl. vorläiing Athen. MiUli. 1898 S. 168.
2 Die Wciliinsehrilt der äx[poö](vta tes MapaO[o]vi [x[a-/e? liegt nur in spä-
terer Erneuerung vor: Homolle //. C. II. 1896 S. 608. Pomlow , Arc^li. An-
zeiger 1898 S. 43.
IX
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/v^^Y't r'A/^^'^E-
ott^^oyic.
pA( TIA?
^
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELER 479
Zeugen gewöhnlicher Übung und \'ertreter durchsohniltliclier
Leistung eigentümlichen Wert besitzen. Es sind dies die vie-
len VVeihinschriften von der Akropoiis, die schon den Fund-
umständen nach in die Zeit vor dem Jahre 4 80 gehören, und
die Inschriften der ansehnliclien Grabrienkmäler des sechsten
Jahrhunderts, als deren bekannteste ich die Stelen des Ly-
seas ' und des Aristion^ nenne. Sie müssen der gesetzlichen
Einschränkung des Gräberluxus vorausliegen, welche laut dem
bei Cicero, De legibus II 26 erhaltenen Berichte des Deme-
trios von Phaleron einige Zeit nach Solon erfolgte \ entweder
schon unter den Tyrannen oder erst unter Kleisthenes^ Ich
vermag auf diese Frage nicht einzugehen, nur zur Datirung
eines Denkmals sei ein Wort erlaubt. Die durch Verwendung
des Digamma bekannte Inschrift des von Phaidimos verfer-
tigten Giabdenkmals aus Vurva C. I. A. \\\\ S. 188, M'i p
erklärt Kirchhoß' im Widerspruche zu dem ersten Herausge-
ber Sta'is, der sie \i\-ziry, ic/. 1890 S. 103, 111 in das Ende
des sechsten Jahrhunderts gesetzt halte, lür nicht jünger als
dessen Mitte. Ich muss gestehen, dass ich angesichts der techni-
schen Vollendung, welche die Inschrift auszeichnet, und nach
den Schriftformen das Denkmal als eines der jüngsten, die
uns in dieser Art erhalten sind, betrachten muss. und freue
mich dies Urteil dadurch bestätigt zu sehen, dass die Heste
der Statue, die mit der stattlichen Basis gefunden worden sind,
nach P. Wolters Urteil in ihrer Arbeit die Kunst der zweiten
Hälfte des sechsten Jahrhunderts verraten.
' Altische Grahreliols Nr. I.
2 Ebenda Nr. 2. Die Zeil des Denkmals wird wenigstens einigerinasscn
durch V. Wilamowitz Verniutunf,' (Arisloleles und Athen I S. li,'20) be-
stimmt, Arislion sei der durch Aristoteles ( floX. 'AO. 14, i i und Plulareh
(Solon 30) liekaiuite Antragsteller des Beschlusses, der l'eisistr;il(K .iie Leib-
wache bewilligte, mit deren Hilfe er sich im Jahre 5GI/(.I der Herrschaft über
Alben bemachligle.
3 Vgl. A. Brückner.Arch. Jahrbuch 1891 S. 198, Arch. Anzeiger 189'2 S.
19, P. Wollers, 'E?r]|x£p;« ipy. 1888 S. 191, Athen. Milih. 1891 S. 388.
^ Nach G. Hirschfeld, Festschrift für Overbcck S. U.
480 A. WILHELM
Ein Überblick über die tjosamten Denkmäler, soweit sie
mir zugäntilich waren, sclieinL mir zweierlei zu lebren.
Erstens, dass leider serade der Stein, den wir am liebsten
zum Markstein für unsere Beurleiluni;- der Entwicklung; alt-
attiscber Scbrit't wälilen möcbten, diesen Vertrauensposten ein-
zunebmen keineswegs geeignet ist. Die Inscbril't des Altars
aus dem Pythion (Taf. 10, 1 ) ist, wie schon Löschcke geahnt
hat (Athen. Milth. 1879 S. 4 3), in der vornehmen Schlicht-
heit und der vollen Eleganz ausgeglichener Formen und, wie
ich vermute , auch in der Orthographie ihrer Zeit voran.
Man mache die Probe : wollten wir die Inschriften, die an ihr
gemessen eine niedrigere Stufe der Entwicklung zu vertreten
scheinen, sämtlich der Inschrift des Altars auch zeillich vor-
aufgehen lassen, so blieben, fürchte ich, für die dreissig Jahre
zwischen der Vertreibung der Tyrannen und der Persernot
aller Wahrscheinlichkeit entgegen verhältnissmässig wenige
Inschriften, also auch wenige Kunstdenkmäler übrig.
Zweitens stellt sich heraus, dass der allerdings nur auf Ty-
pendrucke oder andere unzureichende Reproductionen (z. B,
gerade der Salamisinschrift) gegründete Glaube, eine Liste
altattischer Schriftproben wie die oben mitgeteilte zeige in un-
unterbrochener Reihe ohne Reaction ein regelmässiges Auf-
steigen von jüngeren zu älteren Schriftformen, dem Sachver-
halte nicht völlig gerecht wird. Schon deshalb nicht, weil, wie
eben angedeutet, neben wenigen auserwählten die grosse Masse
der Denkmäler nicht berücksichtigt ist und uncrwogen bleibt
welchen Platz und Raum sie in der Entwicklung und dem
überkommenen Bestände beansprucht; aber auch, weil wenig-
stens in Keils Erörterung eine Inschrift (vielleicht absichtlich)
übergangen ist, deren hervorragende Bedeutung für unsere Beur-
teilung der Schriftgeschichte schon LoUing und neuerdings
Sludniczka hervorgehoben hat. Es ist das Denkmal des Kalli-
machos von Aphidna. Vergleicht man diese Inschrift lediglich
der Schrift nach mit der des Altares aus dem Pythion, so wird
man diese letztere für die vorgeschrittenere, also, wie man
voreilig zu scliliessen pflegt, für die jüngere, halten; indessen
ALTaTTISCÖE SCHRIFTDENkMAELER 481
ist sie um mindestens zwanzig Jahre älter. Denn mit den Be-
richtigungen, die Köhler an Föllings Vermutungen vorgenom-
men hat, scheint mir die Beziehung des Denkmals auf den
Polemarchen, der in der Schlacht von Maralhon fiel, durchaus
glauhlich. Solche Erfahrungen, die sich bei joder Musterung des
Inschriflenschatzes späterer Jahrhunderle wiederholen, mahnen
zu weitgehender Vorsicht hei zeitlichen Bestimmungen, die le-
diglich auf stilistischer Würdigung aufhauen. Wort für Wort
gelten für den Epigraphiker die iMahnungen.dieStudniczka im
Hinblicke auf die strittige Chronologie altattischer Kunstdenk-
mäler kürzlich mit ausdrücklichem Hinweise auf die eben
besprochenen Thatsachen der Schriftgeschichte an die Kunst-
historiker gerichtet hat (Arcli. Jahrbuch 18'J6 S. 254): die
Einordnung in die stilistische Entwicklungsreihe darf nicht
mit genauer chronologischer i3estimmung verwechselt wer-
den, und der thalsächliche Entwicklungsgang ist niemals so ein-
fach, wie man es im Interesse der Forschuns; wünschen möchte.
Versuche ich auf Grund dieser allgemeinen Erwägungen
die Urkunde über Salamis als Schriftdenkmal zu würdigen,
so habe ich zuzugel)en, dass sie für sich allein betrachtet zu-
nächst allerdings den Eindruck gewisser Alterlümlichkeil ei--
wecken mag, im Original freilich viel weniger als in ilen Ab-
bildungen, die in Köhlers und Fouearts Abhandlungen und
C.I.A.IW, 1 S. 07 mitgeteiltsind. Geben diese Abbildungen
weder die Gestalt des Denkmals noch die eigenartige Form und
Anordnung der Buchstaben mit wünschenswerter Treue wie-
der, so wird die erste VerötYenllichuni!; nach einer Photoura-
phie ein richtigeres l rteil erlauben. Die Buchstaben scheinen
auf den ersten Blick unbeholfen und unruhig, und das ganze
Bild der Inschrill wird beeinträchtigt durch die geringen Zwi-
schenräume zwischen den Zeilen, die vielen schrägen Linien
mit ungleichen Neigungen, und den Wechsel der aTO'.x,r.Sov-
Ordnung, welche die ersten sechs und mit etwas grösseren
Absländen auch die zwei folgenden Zeilen zeigen. und freierer
Stellung der Buchstaben in den vier uiili-isleii Zeilen. Bei
diesen Eigenliinilichkeilen derSehrül verrat ilas Denkmal aber
ATHEN. MITTHEILUNGD.N X.XIll. Ov
482 A. Wilhelm
hohe technische Vollendung. Die Sehriftfläche ist peinlich ge-
glättet und die einzelnen Buchstaben sind nicht nur ganz
scharf und klar umrissen, sondern auch mit grosser Sory-falt
und Gleichmässigkeit eingetieft. Ueste der ursprünglichen Fär-
bung, von Zeile zu Zeile wechselnd, wie LoUing festgestellt
hat', blau und rot. sind noch erhaken. So stelU sich die Sa-
lamisinschrifl durch ihre Ausfuhrung den besten Schriftdenk-
mälern vorpersischer Zeit, die in dem ganzen Bestände sicher
die jüngeren sind, zur Seite. Und gerade auf diesen jüngeren,
durch gleiche Sorgfalt und Vollendung der Arbeit ausgezeich-
neten Denkmälern kehren einzelne Buchstaben in den ei-
gentümlichen Formen, wie sie die Salamisinschrift zeigt,
wieder. Ich bespreche sie in der Reihenfolge des Alphabets.
An dem Alpha fällt die wechselnde Steilheit der ersten Linie
auf, die sich von der gewöhnlichen Schräge in zwei Fällen
geradezu zur senkrechten Stellung steigert, so dass der Buch-
stabe, wenn der Ausdruck erlaubt ist, gewissermassen auf ei-
nem Beine steht wie in Z. 3 auf dem fünften Bruchstücke und
Z. 9 zu Anfang. Solche 'stehende 'Alpha sind allerdings alter-
tümlichen attischen Inschriften keineswegs fremd — ich ver-
weise auf die Porosbasen IV, 1 S.89,373 9^ S. 199, 373 239 und
S. 98, 373 '^^ (jetzt von Wolters mit einem noch unveröffent-
lichten Bruchstücke vereinigt in LoUings demnächst erschei-
nendem Katalog der Weihinschriften Nr. 13). Aber gerade auf
manchen schon ihrer vorzüglichen Ausführung nach sicherlich
jüngeren Schriftdenkmälern sind diese Alpha häufig. Ganz
ausgeprägt zeigt diese Form und sie allein die Inschrift des
von dem jüngeren Archermos verfertigten Weihgeschenkes der
Iphidike IV, 1 S. 181, 373 9\ die w'^eihinschrift des Epiteles
IV, 1 S. 200, 3732^' und das schon mehrfach erwähnte Denk-
mal des Kallimachos von Aphidna"^ Sie begegnet ferner —
' Bei Th. Gomperz, Arch.-epigr. Mitlli. XII S. 65, vgl. Lepsius, Marnior-
studien S. 81.
3 Bemerkcnswcii ist in dieser Inschrift die Verwendung von 9 glcicii o
wie auf dem von Arclieruios gefoitigten Weihgesclx^ike der Ipiiidike
IV, 1 S. 180, SIS'^^ und {U;n von Krctscliuier, \'ascnins(|iririi'u Ö. 1()2 ange-
ALtATTISCHE SCHRIFTDENKMAELEh 4^3
Vollständigkeit erstrebt meine Aufzälilung nicht — auf den
Weihungen I 347. 3ü2. IV, 1 S. 42, 373/. S. 80, 373^8. 86,
373 '8. S. 90, 373 104. s. 91, 373 in. S. 92. 373 «'^ und 373 »'^
S. 102,373 219 und in den Grabschriften I 466.468.470. 471.
IV, 1 S. 48, 477 c. S. 49, 477 äf, neben ihr hie und da die
gewöhnliche Form mit schräger erster Linie.
Schon dieses Wechsels wegen vermag ich ein Zeichen be-
sonderer Altertümlichkeit in dieser Gestaltung des Buchsta-
bens nicht zu erblicken. Wo die steil gestellten Alpha aus-
schliesslich erscheinen wie in den drei an erster Stelle genannten
Denkmälern, erwecken sie den Eindruck der Manier, und
wechseln sie mit den schräge gestellten in einer und derselben
Inschrift wie beispielsweise IV, 1 S. 92, 373*'*, so scheint
es fast als hätte der Steinmetz in dem Bestreben ein seinem
Empfinden nach elegantes Schriftbild zu schallen die Lage
der einzelnen Buchstaben hie und da geradezu nach den Li-
nien der Umgebung geregelt. So mag in der Salamisinschrift
das Alpha zu Anfang von Z. 9 der Bücksicht auf die senkrech-
ten Linien der Anfangsbuchstaben der übrigen Zeilen seine
Steilstellung verdanken; in der Kallimachosinschrift wird
fülirten Vasen. Man darf nicht erstannl sein aucii ® für <» zu liogegnen
und uni{i;ekclirt o für ®. Zwei Beispiele Awpo<l>£a (allerdings neben Ao<t>;'o?)
aulder Insclirift aus Naxos I.G.A. 411, li. C. II. \S8b S. 495 {Imayincs^ S.
6i,6) und 'Apiatovo^o; auf dem bekannten Krater hat v. Wilaniowitz erst
kürzlich wieder in I^rinnerung gebracht (Götting. Nachrichten 1898 S."..*3I,?),
A£[Ao®ov fülirl Krc'lschnier S. 102 an. Unl)edenklich lese ich denn auch
C.I.A. I 349 den Namen oSävs;, wie schon Kaibel Epigr. Graeca 750 ver-
mutete, - ofavj]? ; das Gedicht mag folgenderniassen zu ergänzen sein :
, . jofävej (jl' ivlöey.Ev 'AO£va;a[t 7:0X10/01
yo]p;o BexaTEv to te'xvo £Ü/[aaiJi£vo.
Zu Anfang des Penlamelers haue Kaibel an ipYujpio oder iihnlioh gedacht ;
ich vergleiche C.I.A. IV, 1 S. 182, 373 '^t ; TäOrivat'xi OExätriV yosioo) 'AOaovd-
0£v. Xaip£Oc'[jio, <I>iX£a, erklärt von v. Wilamowilz, Aristoteles und Athen 11 S.
173,1. Fürdie Längung des i, wiesie ywpiou fordert, frielit W.Schulze C^imc-
sliones epicae S. 298 u.s. eine reiche Sammlung von Beispielen. Da die Buch-
slaben in den zwei Zeilen wenigstens teilweise über einander, teilweise frei-
lich freier geordiiel stehen, mag man zweifeln, ob vor dem 0 des Namens
-09avr]; zwei oder drei Zeichen zu ergänzen sind. Zu toj xU-.oj ijlxiki^oj vgl.
aritpi? £;:[£uPaiJL^vr(; IV, I S 89, 373 '■'•'.
484 A. WILHELM
auch das Gamma ganz ähnlicli aufgestellt, el)enso inderKünst-
lerinschriit des Gorgias IV, 1 S. 201,31323', ein Delta in der
Salamisinschrift Z. 1 1 und IV, 1 S. 42, 373/. S. 102, 373''»6.
Irrtümlich und irreführend zeigen alle Epsilon in der Ab-
bildung, die aus den Athenischen Mittheilungen in das Cor-
pus übertragen ist, eine über den untersten Querbalken be-
trächtlich hinabi'eichende senkrechte llauptlinie. Solche Epsi-
lon kommen auf dem Steine überhaupt nicht vor. Bald setzen
der oberste und der unterste Querbalken genau an die Enden
der Senkrechten an, bald greift die Senkrechte oben, bald »reift
sie unten ein wenig über, oder auch oben und unten, wie IV, 1
S. 90,373 '^^i die ausgesprochene Verlängerung der Hauptlinie,
wie sie so vielen altertümlichen Epsilon eignet, ist völlig auf-
gegeben.Ein gleich unbedeutendes Übergreifen der Senkrechten
nach unten zeigen regelmässig durchgeführt, um einige datirte
Denkmäler anzuführen, die Hekatompedoninschrift und C.I.A.
I 333 Z. 1 f., ferner vieleandeie Steine z. B. IV, 1 S. 203,373259.
Diese Zeichnung des Buchstabens mag, wenn auch die einfache
spätere Form des Epsilon, wie der Altar des Pythion zeigt,
schon angewendet wurde , doch neben ihr festgehalten wor-
den sein, weil sie als elegant empfunden wurde; wie bei Epsi-
lon reichen in der Hekatompedoninschrift auch bei Delta
die beiden schrägen Linien über die wagrechte hinab, und
genau so ist das Delta auch in der Inschrift IV, 1 S. 103,
373224 gebildet. Auch in anderen Beziehungen berühren sich
die Epsilon der Salamisinschrift mit denen jüngerer Denkmä-
ler vorpersischer Zeit. Der Winkel, in dem die Querbalken
an die senkrechte Linie ansetzen, ist bald ein rechter, bald ein
wenig, aber nur ein wenig spitzer als der rechte: selbst die
Epsilon der Hekatompedoninschrift sind noch nicht sämtlich
rechtwinklig. Ferner setzen die drei Querbalken eines Buch-
stabens nicht immer in gleichem Winkel an und sind auch in
der Länge verschieden : ähnliche Epsilon finde ich auf der
Inschrift des von Antenor gefertigten Weihgeschenkes des
Nearchos wieder. Aus allen diesen Beobachtungen ergibt sich,
dass, dürfte man nach einzelnen Buchstaben urteilen, der
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELEH 485
Form des P^psilon nach (Jas Psephisma über Salamis durchaus
zu den jüngeren Denkmälern altaltischer Schrift geliürt.
Die My sind, kleiner als die übrigen Buchstaben, aber breit-
gezogen , mit nicht immer gleichen Winkeln, über die Zeile
gestellt. Genau so findet sich das My z. B. in der auch sonst
ähnlichen Inschrift des von Ilegias verfertigten Weihgeschen-
kes zweier Männer aus Lamptrai IV, 1 S. 20 3, 373 2^^. In-
schriften aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts zei-
gen vielfach kleine, so zu sagen zwischen den Zeilen schwim-
mende My, so die Uekatompedoninschrift und I 33.5 Z. 3 f.,
die Inschrift der Nachkommen des Kalliteles I 381 u. a. ;
diesen späteren My stehen die des Psephisma über Salamis
ganz erheblich näher als den altertümlich ungleichen Formen.
Ganz ähnlich, gleich stark geneigt, finden sich die Ny auf
zahlreichen Denkmälern vorpersischer Zeit, darunter In-
schriften,die sehr sorgfältig und schön eingezeichnet sind; ich
erwähnenur I 351. 352.357. IV, 1 S. 80, 373 s. S. 86,373 ^^
S. 93,373 124. s. 99, 373 '9^. S. 154. 362. S. 179,373 96. S.
203, 37323''. Rho begegnet ganz ähnlich auf der Weihung der
XoXapysi; I 352. IV, 1 S. 86,373'8. S. 93, 373 »'^i und 373 »^4.
8.203,373259, und auf einigen dieser Inschriften kehrt auch
Chi mit etwas schrägem Querstrich und V ganz wie in der
Salamisinschrift wieder. Aber es lohnt nicht bei den einzelnen
Buchstaben länger zu verweilen , zumal alle Verweise auf
unsere Drucke die Anschauung derSteine nicht ersetzen k(>n-
nen. Darf ich meinen Beobachtungen nur einigermassen ver-
trauen, so stellt sich das Psephisma über Salamis der ganzen
Erscheinung der Schrift wie ihren einzelnen Figentünilich-
keiten nach nicht zu d(Mi altertümlicheren Denkmälern, die
aus vorpersischer Zeit auf uns gekommen sind, sondern zu
der grösseren Zahl von Inschriften, die man sich nicht ent-
sehliessen wird über die letzten .lahrzehnte des sechsten Jahr-
hunderts hinaufzurücken odei- /um Teile sogar jüngerer Zeit
zuzuweisen hat. .Allerdings kann man zu Gunsten h(")heren
Allers die einlache Sclireibung statt (l()[)pelter verbunden mit
weitgehender Neigung zur Angleichung, wie sie ix^it und kx
486 A. WILHELM
laXapiivi zeigen, i^eltend machen. Aber t'nr l)inclende Schlüsse
scheint mir das Material, über das wir verfügen, zu dürftig.
Freilich begegnet doppelte Setzung der Consonanten schon in
der Inschrift des Altars aus dem Pylliion ('AttöX'XovoO und auf
der Basis des chalkidischen Weihgeschenkes (Iutttto;) , aber
schwerlich wird man deshalb sämtliche inschriften,die sich mit
einfacher Schreibung begnügen — ich führe an : IV. 1 S. 9".
373'^^ IlaXzSi in sehr schöner regelmässiger Schrift, dasselbe
S. 42, 373^. S. 82, 373^4. S. 102, 3732«« und 3732i^S. 91,
373 »06 0aX6vTOv, S.99, 373 »^^ KyM, S. 103, 373 223 OaT^eveOc,
S. 131. 373 231 Kino?, ao, S. 199, 373 24ü i:,o; ? — ohne wei-
teres für älter erklären. Mau wird vielmehr mit Grund anneli-
men dürfen, dass in diesen Dingen in einer Zeit, in der sich für
Schrift und Orthographie erst allmählig feste l\egeln bildeten,
dem Belieben des Einzelnen ungleich mehr Freiheit blieb als
späterhin. Alles in Allem ergibt sich mir, im Sinne Belochs,
der nur nicht in der Lage war seine Behauptung zureichend zu
begründen, die früher geltende Ansetzung des Psephisma über
Salamis um 560 vor Chr. als sehr unwahrscheinlich. Mit den
Vorbehalten.die jedes Urteil in so heikler Frage fordert, glaube
ich als Frgebniss meiner Untersuchung aussprechen zu sollen,
dass die Urkunde der Schrift nach in die letzten Jahrzehnte
des sechsten Jahrhunderts, vielleicht sogar erst in kleistheni-
sche Zeit zu gehören scheint, ich warte ab, ob Andere inhalt-
liche Gründe , wie sie seinerzeit Köhlers Entscheidung be-
stimmten, für oder gegen diese Ansetzung geltend zu machen
finden. F>ntstehung des vorliegenden Beschlusses erst in klei-
sthenischer Zeit zu beweisen reicht der letzte Satz schwer-
lich aus. Denn so wahrscheinlich mir meine Vermutung über
seine Bedeutung ist: ob in der Formel ItzI ttj; ßou>,7](; v) 6 Seivo,
iypxau.xzvnv späterem Gebrauche auf Grund kleisthenischer
Staatsordnung entsprechend ttowto; stand, entzieht sich unse-
ser Kenntniss. Einen Ratsschreiber, der in der Formel er-
sclif^inen konnte, hat es gegeben seit es einen iUt gab.
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELER 487
II
Die Hekatompedoninschrift hat Lolling 'Aer,vx 1890 S.63I
für etwas älter erklärt als die Inschrift des Altars aus dem Py-
thion. Er erwähnt, dass in dieser Alpha und Epsilon die re-
gelmässige Form, Theta jedoch noch das Kreuz zeige, Alpha
aher auch in der Inschrift des chalkidischen Weihgeschenkes
IV, 1 S. 41. 373<? mit schrägem Querstriche erscheine; un-
zweifelhaft älter sei das Psephisma üher Salamis. Sicherlich
hat sich EoUing bei dieser Ansetzung auch von allgemeinen
Eindrücken und Anschauungen leiten lassen, über die er nicht
öffentlich Rechenschaft ablegte: seine ausdrückliche Berufung
auf einzelne Buchstabenformen hat meines Erachtens keiner-
lei Beweiskraft. Denn Alpha mit schrägem Querstriche ist bis
in die Mitte des fünften Jahrhunderts üblich geblieben; die
verschiedenen Formen des Epsilon mit und ohne Übergreifen
der llauptlinie begegnen nebeneinander auf einem und dem-
selben Steine und ihr Unterschied hat, wo die Verlängerung
so unbedeutend ist wie in der Hekatompedoninschrift. kaum
mehr schriftgescliichtliche, vielmehr nur zeichnerische Be-
deutung; die Theta mit Kreuz und die Theta mit Punkt sind
länger neben einander hergegangt'n,wie sie sich denn auch auf
einem Steine vereint finden' ( G. I. A. IV. 1 S. 185, 422'3)^
nicht anders als die verschiedenen Formen de? Uho, die z. B.
in den Sii^naturen eines und desselben Künstlers, des Euenor,
begegnen und. mit und ohne Sporn, noch nach der Mitte des
fünften Jahrhunderts in dem Psephisma über Chalkis l\', 1
S. iO,V7(7 (l)ittenberger, Si/lloi^e'- 17) wechseln. Dass die He-
katompedoninschrift ein wenig älter sei, als der Altar des jün-
geren Peisistralos, lässt sich auf diesiMii Wege nicht erweisen;
so hat sich denn auch KirchliolT dui'cli Lollings Urteil nicht
für gebunden erachtet und sie auf Ciriiiid scharfsinniger \'er-
mutung erlicblicli späterer /eil zugewiesen Er sucht in der
glücklich hergestellten Unterschrift der einen der zwei Platten
TaÜT" e^ovTEv TÖi Ssiao'. etIi *l\- - ]o<; t'x h toiv XiOoi v to'jt,oiv die
Erwähnung des Archon, verweist auf Bruchstücke der ande-
488 A. WILHELM
len Platte, auf denen vielleicht die Worte eSo;(Tsv toi S£(jlo]i IttI
'^'-- ap/^ovT]o;und £7:1 - -] o<; ap^[ovTo;erkannt werden dürfen, und
criiänzt unter Berücksichtie;unii; der Stellenzahl den Namen
des Philokrales,den unsere Überlieferung als Archon des Jah-
res 485/ 1 vor Chr. nennt. L. Ziehens Einwände [Leges
Graecoruin sacrae S. 4) vermögen diesen Ansatz nicht zu
erschiUtern. Die Berufung auf die Schrift, in LoUings Sinne,
überschätzt wiederum die Bedeutung des E mit der etwas
verlängerten Senkrechten gegenüber der einfacheren Form
des Altars. Dass die Unterschrift Taux' eSo^^tev toi Se'aoi i-nl
<I)'.AOKoäTo? xo/ovTo? Toc SV Toiv >.iOoiv TO'JToiv crst bcl emcuter Auf-
zeichnung des viel älteren Gesetzes auf den beiden uns vor-
liegenden Steinen zugesetzt, der Name des Philokrates also
für die Zeit dieser Aufzeichnung selbst nicht beweisend sei,
vermag ich nicht als sicher zuzugeben ^ Allerdings können die
Worte To, SV toiv XiOoiv toutoiv dem eigentlichen Psephisma
nicht angehört haben, aber die Vermutung liegt nahe, dass
ihre Aufnahme in eine Unterschrift, wie sie sich auch sonst
nachweisen lässt^, in besonderen Umständen der Aufzeichnung
und Aufstellung begründet war. Solche erlaubt die ungewöhn-
liche Ansehnlichkeit und Sorgfalt der Veröffentlichung vor-
auszusetzen ; bekanntlich sind 'die beiden Steine' Metopen-
platten des sogenannten alten Tempels. Dass bei der UnvoU-
ständigkeit unserer Archontenliste für jene Zeit die Beziehung
auf einen uns zufällig bekannten Archon des Jahres 485/4
vor Chr., dessen Name mit Phi beginnt und in die Lücke passt,
unsicher bleiben muss, leuchtet ein: um so wichtiger wird es
sein diese Beziehung durch neue Gründe zu stützen.
Schon die geradezu wunderbar schöne Ausführung der In-
schrift, die leider auch die Abbildung Taf. 9, 1 noch nicht
ausreichend zur Anschauung bringt, dürfte zu Gunsten jünge-
' Welche Erwägungen Br. Keil zu dem oben S. 477 niilgeteillen Urteil
(Hermes 1894 S. 257) beslimml haben, ist nicht ersichtlich.
2 Ganz so schliessen Psephismen der Chersonesiten Taux' ^So^e ßouXai zal
oaarjji [j.r,vöj Aiovj^tou /.tX. ßaaiXeüovxo? xta. Lalyschew I.P.E. 185 (Dillenber-
ger, Sylloge^ 32ü). ISüll".
ALTATTISCHE SCHRIFTDENKMAELER 489
rer Entstehun«,'szeit gellend gemacht werden. Aber auch die
ganz unvergleichliche Frische der Erhaltung, die freilich be-
sonders geschützter Aufstellung mitverdankt werden mag. rät
die Aufzei(dinung in eine Zeil zu setzen, die von der ihrer Zer-
störung, also von dem Jahre 480 vor Chr., nicht weit ab-
liegt. Ferner scheint mir auch die Orthographie, namentlich
die gelegentliche Vernachlässigung des rauhen Hauches, der
jüngeren Zeit sehr wol zu entsprechen. Schliesslich freue ich
mich zu Gunsten von KirchhofTs Vermutunor eine besondere
Beobachtung geltend machen zu können.
Bei aller Vorsicht in Zeitbestimmungen auf Grund der
Schrift allein wird man zuzugeben geneigt sein, dass wenn
zwei Denkmäler dieselbe Schrift oder gar dieselbe fland zu
zeigen scheinen, die Annahme ihrer ungefähr gleichzeitigen
Entstehung nicht ungerechtfertigt ist.
Ich glaube versichern zu können, dass in dem ersten Ein-
trage des Steines I 333 (vgl. Tal. 9,1). einem auf die Schlacht
von Marathon bezüglichen Gedichte, dieselbe Schrift oder
Hand vorliegt wie in der Hekatompedoninschrift.
Bekanntlich hat jener Stein I 333 die unverdiente Ehre ge-
habt, für die Basis der soo;enannten Promachos gehallen zu
werden, und diese Vermutung wird, obgleich sie ihr Urhe-
ber den Einwänden von Wachsmuth und Michaelis gesenüber
bereitwilligst zurückgezogen hat, seltsamer Weise noch immer
der Erwähnung gewürdigt ^ Welcher Art das Denkmal war,
dem der vor Jahren in der Iladrianstrasse gefundene Siein an-
gehörte, vermag ich seiner Form nicht abzusehen, und die
beiden Gedichte, die er trägt, geben in ihrer \'erslümmlung
über ihre Bestimmung keine zuverlässige Auskunft. In Kirch-
hoffs Ergänzung stellt sich das zweite Gedicht denen der drei
Hermen vor der Stoa zur Seite*. Die eigenlümliche Bearbei-
tung der Schriftlläche des Steines war schon früheren Beur-
' Stadt Athen I S. 541, 3; Allien. MiUh. 1877 S. 92; C.l.A. IV, 1 S. 40.
In Blüiiiners Commeiilar zu Pausanias I 28, 2 wird die Insclirifl als pcrii
kleisclicr Zeit an^^ehörij; Itozeichnel.
2 Aischines gegen Klesiphon 183; Pieger, Inscr. Oi'ßeg. tnelr. Ibi^.
490 A. WILHELM
teilern auflällig; aber die Behauptuno; : superficiem lapidis
leviter esse striatani nori alio consilio tiisi iit ea striatura
pro ornaniento esset lapidi erschöpft niclit ganz den Sach-
verhalt. Nicht selten wird auf Steinen. namentlich älterer Zeit,
ein besonderer Streifen für die Schrift sorgfältig geglättet, wäh-
rend der übrige Teil, von einem ebenfalls geglätteten Saume
abo-esehen, i^erauht wird, wie I 3'JO 396. So hätte diese Beer-
beitung an unserem Steine nichts merkwürdiges, läge nicht
der zweite Schriflstreifen, der die dritte und vierte Zeile trägt,
ein wenig tiefer als die rauhe Fläche oberhalb und unterhalb,
der obere erste Schriftstreifen dagegen mit dem rauhen Felde
in gleicher ßbene. Die Erklärung hat mir W. Dörpfeld gege-
ben. Der Stein trug ursprünglich nur die beiden obersten
Schriftzeilen und unterhalb blieb der ganze übrige Teil des
Steines gerauht; später wünschte man auf dem Denkmale
ein zweites Gedicht einzutragen und arbeitete, um Raum zu
schalTen, auf der rauhen Fläche einen zweiten Streifen ab, der
natürlich tiefer zu liegen kam. Dazu stimmt, was von jeher
hätte klar sein sollen, dass beide Einträo;e canz verschiedene
Hand zeigen. Diese verrät sich nicht nur in den F^uchstaben-
formen, sondern auch in dem Gebrauche der Interpunktion,
die in dem ersten Gedichte vor dem Beginne des Pentameters
genau wie in der flekatompedoninschrift durch drei Kreise
mit Zirkelpunkt ausgedrückt erscheint, während sie in dem
zweiten Epigramme an der entsprechenden Stelle fehlt. Von
diesem zweiten Epigramme ist, nach KirchholTs Ergänzung:
^H u-T-Xct. ^r\ xsivo', raXxx.zpSto'. oi px t]6t' aij(^a7iv
fjTTjaap. TvpöciOe 7r'j)^ci»v äy pou £tc' sayaTia?
Ltapvocaevoi o sTaw'jXv 'AO-zivata«; tcoX'jooOXo'j]
a'TT'J ßty.t llspTOJV X.>.tVZU.£V0[l O'JVZU.'.V
die Beziehung auf die Schlacht von Marathon klar; aber auch
für das erste wird sie durch die Worte 'EAXi[Sa ..] irzTav So6-
Xio[v rjy.ap iSeiv ' gesichert. Wir haben keinen Gruntl anzu-
^ Man liest 'EXÄa[cia ifiv] ::äaav; al)(3r für drei Buchstaboil ist vor ::ötaav
nicht Kaum. Allenfalls ar; ?
AI,TATTISCHE SCHRlFTDENKNf AELER 491
uehmtMi, (luss das Üeiikmal erst längere Zeil und nicht sehr
bal(] nach der Schlacht jjjesliflet worden sei^
So wenige Buchstaben von dem ersten Gedichte auf dem
Steine erhalten sind, so glaube ich doch mit Zuversicht be-
haupten zu dürfen, dass sie mit denen der Ib'katompedonin-
schrilt völlig übereinstimmen und dass nicht bloss eine ähn-
liche, sondern geradezu dieselbe Hand vorliegt, wie auch
beide Inschriften genau dieselbe sorgfältig ausgeführte sonst
nicht nachweisliche Interpunktion zeigen. Ist dem so — und
unbefangene Beurteiler bestätigen meine Beobachtung — , so
werden beide Inschriften wenigstens ungefähr derselben Zeit
zuzuteilen sein und Kirchhoffs Datirung der Hekatompedon-
insclirift in das Jahr 485/4 vor Chr. gewinnt im besten Ein-
klänge mit allen sonstigen .Anzeichen durch dies Zusammen-
treffen erhöhte Wahrscheinlichkeit.
Ich schliesse mit einigen Bemerkungen zu dem letzten Ab-
drucke der llekatompedoninsclirift in G. Körtes Abhandlung
Rhein. Museum 1898 S. 26 UT.
Zeile \ fehlt in sämtlichen Veröffentlichungen die auf dem
Steine ganz deutliche Interpunktion nach /covTa-.. Z. 5 mag
nach y-eS höchstens unten im Bruche der Best einer senkrechten
Linie erscheinen, nicht in der Mitte. Z. 6 ivz-T^£v [i £äv Ki t-.;-
xtX. Dass Z. 8 nach isfpopy^ovTx^? — der Bruch bewahrt noch
von der Spitze an den rechten Schenkel des Gamma -die
zweite Hälfte eines My deutlich ist, habe ich schon G. Körte
mitgeteilt (S. 265) Z. 9 sind der untere Teil eines l<]psilon
und Spuren des vorangehenden Ny erhalten v'eö. Z.lü scheint
vor axav ein breiter Buchstabe wie H nicht gestanden zu ha-
ben. Z.12 stehen in Körtes Abdruck die Klammern unrichtig:
SpÄ[i z'Xoc, i]ya[l\iy.K. Z. 14 ku.TzoKv.. Z. I 6 f . io\n['. e'jO'jvEnOai ; der
obere Teil eines Siij;ma, den Lollin^s Tafel richlijj; wiedertiibl.
fehlt im Corpus. Z. 24 ei-kenne ich vor «•. deutlich Reste einer
IWiiidung, die Lolliiig und das Corpus nicht verzeichnen.
Körtes lu'gänzung des Verbotes Z. 8 ff hat mich nicht über-
zeugt, aber ich sehe mich ausser Stande seine Lesung tö; ie-
' So urleilt aucfi Franz Winter, Arcli. Jalirlmclj 1893 S. 15"2, 13.
492 A, WILHELM
[popY]ovTa[;] (/.[e ayevj a£[S£v ix. to v^sö xai to 7rpo[v£io kxI t]o [ßo]u-o
r>ca'. voJtöOsv [tö vjsö £vtÖ? to )c^JX.)vO xai /.xtx. IiIztxv to llE/.aToa-
7t[£S]ov ijL£S'övOorvl gy[X£Y6^ durch einen einleuclitenden Vorsclilag
zu ersetzen, denn ich errate nicht, von welchem augenschein-
lich geringfügigen Vergehen, denn a£(5' övOov iyLXeyev (?) ent-
sprechend und sinnverbunden. im Anfange des Satzes die Rede
war. Nur um vielleicht Glücklichere auf den richtigen Ge-
danken zu leiten, sei der Einfall erwähnt Z. 9 f;.£[Ta/au tö v]£Ö
xat To TCp6[; 60 u.£yy.X]o [^ojuö zu lesen.
Einen anderen Satz der Urkunde, dessen Verständniss Körte
glücklich erschlossen hat, freue ich mich an einer Stelle, wo
sein Vorschlag fehlgehl, mit voller Sicherheit herstellen zu
können. Das Gebot Z. 17 ff. lautet nach Körte: t(x oUi^.xxx [-rx
£v TÖl hs/txTJojv.TTeSot ävoiysv [tÖi; TjauLia? u.k o[>.£i*(ov 'i öl; t]o u.£vo[;
6j£a(j0ai T3'.[; llEvja; £t;.£'[pjai; [xkq Trpö tI; vo][X£via[<; )tai töv veov töv
67rji T£i ti[y.x^i £Tt ? tö h£f;.i^«ju 7r[apöjVTa[?. Ich sehe von den letz-
ten Worten, die ich nicht aufzuklären vermag, ab: so richtig
Tei iix.y2i erkannt ist, die Ergänzung tov veov töv ini tu £!>täSi
ist der sonderbaren Bezeichnung wegen, die sie den Zwanzi-
gertagen des Monats gibt, anstössig und zudem mit den inZ. 20
an dem unteren Rande des mittelsten Bruchstückes kenntlichen
Resten unvereinbar. Diese sind allerdings in LoUings Abbil-
dung und in Kirchhoffs Abdruck nicht völlig treu wiederge-
geben; der Stein zeigt unter dem dritt-und zweitletzten Buch-
staben des Wortes Hsxrjfjx'. in Z. 19 deutlich die oberste wag-
rechte Linie eines Epsilon und darnach die obere Hälfte eines
Iota (oder Lambda). Auch entspricht der Bruch vor -i tI». ei-
in Z. 20 am meisten einem .\lpha; ein Pi, wie es Körtes I^e-
sung verlangt, hat an der Stelle augenscheinlich nicht ge-
standen. Ich glaube, es ist Taf? hiv]«; iy.ilp'x^ [t?; ttoö tIc, v]o-
{y.£vi3L[; xai Tj£i [Iv/.xxii >ca]i tIi £t[y.äS'. ZU lesen; neben den letz-
ten Tagen des Monats und dem zwanzigsten fordert der zehnte
sein Recht. Statt mit Körte u.l ö^XeiCov s SU t]ö ij.evo[; ist dann
notwendig mit der bekanntlich häufigen Auslassung der Com-
[)arativpartikel jxe o^XeiCov Tpl; t]ö u.£v6[<; zu ergänzen.
Athen
ADOLF WILHELM
-♦■•^>»i3!f^^«-
LITTERATüR
G. BoTTi , Fouilles ä la colonne Theodosienne. Alexan-
drien 1897.
G. BoTTi & V. NouRissoN, Rapports sur la hibliollil'que
municipale en 1898 el sur le Musee Greco- Komain. Alexan-
drien 1899.
(A. Joubin), Musee Imp. Ottoinan. Bronzes et bijoux Ca-
talogue sommaire. Konstanlinopel 1898.
A. IlAi:X.\AHS, No{X'.<iL/.a.Ttx,y) Tri; vtiTO'j "AvSpou ( 'A-oc-xcaa
Ik tou r' TEÜyoui; TT,; A'.sOvoOi; dfp-oaepifio? ty^: voL/.'.(7axT'.x.r,; Ap-
j^aioXoyia?). Athen 1898.
(P. Scheil), Musee Imp. Ottoman. Monuments egypliens.
Notice sommaire. Konstantinopel 1898.
A0HN.\ , G(jyfpxij.u.x xeptoSiJtöv tt,^ iv "AOy;vai; iTTiTTr.aovi/'.r,?
Itaipsiai;. X, 4. Xi , 1 .
Darin u. a. S. 41.3. 556. XIt. ApaYOj;j.T)?, Bax/u).;'o£ioi Imi-oLzlax. — S. 3. FI.
S. «twTläor);, Su[j.6oXai z\i t6 'Attixov oi'xaiov.
Bulletin de la societe archeolo^ique d'Alexandrie, redige
par le Dr. G. Botti. I. Alexandrien 1898.
Darin S. 5. Fouilles dans le Ceraniique d'Alexandrie en 1897. — S. 25.
La deuxienie Irouvaille de Sainanoud. — S. 39. Inscriptions greeques et la-
tines trouvees en Iiigypte en 1897-9S. — S. 49. Addiliuns au plan de la ville
d'Alexandrie.
Aeation th:^ Iy:topikhs kai EeNOAoriKiii: ETAii'EiAi: ths
Eaaaaos. V,3 (19). Athen 1899.
AlEÖNUS E<t>HMKPIS TT,; voaKjy.axixr,; xzyx'.oloyix;. Journal
international d'arch. numismatique. 1.3. 4. Athen 1898.
Darin u. a. S. 233. Iv A. MjXiovä;, Ajxoücyo; 6 töv 'HSovm, l^a^iXsjj. —
S. 241. G. F. Hill, Hadrianoi and Hadrianeia — S. 253. N. B. <I>ap6ü{, No-
|xiaij.a-: x.i ^a[Ao8päxr)?. — S. 299. A. II. llar/^atXr);, No(Ata{AaTixi) ttj« VTi'aou "Av-
8pou. — S. 367. 'Iw. N. i]5opüivo?, No[i.ii[AaTixa cOpTJuaTa. — S. 405. Derscilic,
T(i 7) vf-ao; üup'r) Toü 'Oar^pou. — 8. 433. B. D. J. Dutilli, t^^tudes Alexandri-
nes. — S. 4M. 13 Pick. Zur Kpigrapliik der gricohisclion Ivaisermünzon. 1,
494 fundK
«l>aoXoyi)',ö; <:61\oyoq Ilapvaoaö?, EnETHPll. B'. V . Atlien
1898. 1899.
Darin u. a. B'. S. 245. A. «tiXio;. Aörivä; xE^aXI] e5 "F-JXEuatvoc— S. "55. A.
Sxiä;, 'Ap/jxioi ia90t sv 0cp[ior:yXau. — S. 261. M. Xpjao/_oo;, rewypacpixa ar,-
a£u6[JiaTa. 'Atxyi::oXi;. 'Hiüiv.
f. S. 5'i. N. r. IIoXiTT];, Ta övüijLaia töiv 8t{[j.wv [ Heutige Verwaltungsbe-
zirke].— S. 8t. A. MTjXiapaxr);, NriaioYpayixä xaia tt,v yswypaipiav toö "Apaöoj
Eop.^i. — S. 142. M. Xpjao/öo;. "ÜXüvOoc. — S. 175. K. A. MuXtüväs, Ilepi T^?
natpiSo; toü tj'O'j twv äp/aiV.töv tt,; 'AxpoTtoXsto; ayaXiiarwv.
E*tiiMEPii: ApxAiüAoiiivii. ] 898 lieft 3 4. Athen 1898.
Darin S. 137. Xp. Taoüvia;, KuxXaoixa. — S. 211. K. KoupouvuÖTr];, i]xr)vai
Toj ouoycVctaxO'J ßtou twv yuvatxöiv. — S. 219. L. Savjgnoni, 'Apy(^aidT7)t£; ifj;
l^^fj. — S.249. B. AsovapSo;, AuxcnoJpa; vü(j.os Upo?. — S.271. Derselbe, 'Etzi-
Ypaiptxoü Mouasfou Xi'Oou
Nachuichtkn des russischen ai'chüologischen Instituts in
Konstantino|)el. III. Sophia 1898 [Russisch].
FUNDE
In Athen sind nahe heim Syntagmaplatz hei einem Neu-
hau (des Herrn Houyz;) in der Stadionstrasse, gegenüber dem
Marstall eine ganze Anzahl von Grähern versciiiedener Epo-
chen gefunden worden Kurze Nachrichten finden sicli in den
Tageszeitungen (z. B. "A-ttu 1 •>. 18. 19.25.28.30 Ae/.. 1898.
14. V3 'I'/v. 1899), ein wissenschaftlicher Bericht ist in Aus-
sicht gestellt. In derselben Gegend sind schon früher vielerlei
Gräber gefunden worden (vgl. z. B. Conze, Attische Grab-
reliefs Nr. 1073. C.I.Ä. IV, 1 S. 190, 491 ''S); wegen derFol-
gerungen, di(; sich daraus für den Zug der Stadtmauer erge-
ben s. Athen. Mitth. 1888 S. 232.
Gräber, die beim Neuhau des Arztes 'AOavaTtiSy;? in der
Ai)ollonslrasse ( Bädekers Griechenland^ zu S. 35, E, 6) ge-
PÜNDE 495
funden wurden, sind mittelalterlichen Ursprungs, ebenso wie
die dort entdeckten Gehiiudereste. obwol beide auch antike
Überbleibsel eingebaut entliielten ( "A^-r-j 18 As/.. 1898).
Bei Ranalarbeiten in der Kolokotronis- Strasse ( Bädekers
Griechenland^ zu S. 35, D. E, 5) ist eine jugendliche Dio-
nysosherme gefunden worden ("Agt-j 25. März 1899).
Beim Dorfe Keratea in der Gegend AG-cr/E/./.Vr.Ttk wurden
30(1 byzantinische Goldmünzen gefunden ("Atto 18 Aev.. 189S).
An dem Hügel Stamalovuni (nördlich von Ikaria. Dionyso)
hat eine neu gegründete englische Gesellschaft Marmorbrüche
eröffnet. die einen für Atlika ungewöhnlich grosskryslallischen
Marmor liefern. Dass der Marmor dieser Gegend auch im
Altertum schon benutzt wurde, ist bei dieser Gelegenheit fest
gestellt worden Es liegt dort nämlich eine unfertige Marmor-
figur von dem Typus der archaischen Apolloslatuen, erst aus
dem Gröbsten herausgearbeitet, aber mit genügender Sicher-
heit zu erkennen. Höhe mit Plinthe etwa ?,10"'.
Bei Amphissa wurde in der Nähe des Dorfes KaV^xeTei-
viTca zufällig gefunden: u.txxKki^o-j xyxku.y. TtapiCTävc-v y'jvaUa
xai -zirsrjx^x xklx i-:iinr,; yz'X/.ivo. wv t5c ixev Süo -TtapiTTivo'jv xki-
x.TOoa, XX Ss xXkx Süo y,'j\x<;. 'Ekto; toutcov u'veOps Tpsi; öax.T'j-
Iwj^, S'Jo ^Itaouc, L/.ETaXXivo'j?, ivvea ur/Xivx xyytlx Siacpöpwv n/t]-
[y,7.Tü)v -Axi zinnx^x xXkx ]j.\,f.ox u.txy.'k\<.\x ivTix.siaeva.
Ofl'enbar gehört ein Teil der Gegenstände zu einem der
üblichen Standspiegel.
Der Finder H. ^xpay/ta; hat seinen Fund der Behörde über-
geben ("A'TTu 23 4>£?p. 1899).
Eine Viertelstunde von 'Ayjix ( Aconov tteSiov) in Thessa-
lien sind in der Oect; 'Ayix "Avvx antike Gebäudereste be-
merkt worden ; ausser einer grossen Marmorplatte wird be-
sonders ein Mosaikboden aus schwarzen und weissen Steinen
genannt. An derselben Stelle sollen früher Beliefs nachchrist-
licher Epoche gefunden worden sein ('Eoria 23. «l>£6p. 1899.
"A-jTu 24. a>cep. 1899).
Auf dem Hügel Bunardjik bei Philippopel wurde zufällig
ein Gral) und dabei eine ungefähr T" lange und 35"" liolie
496 FUNf)E
I^latte aus einheimischem Stein ('Granit') gefunden, die in
4"° hohen Buehtahen — nur das O sei kleiner — folgende In-
schrift trägt (TayuSpöao;, Ronstantinopel, 4 Nosy.Sp. 1898).
^TEAEZ(t)OPOZMHTPOAOPOY
NEIKOMHAEYS^ZHZAZ
ETHÜE^
X A I P E^
In Kukludja bei Smyrna fand Herr G. Weber in einem
Hause folgende zwei Inschriften :
1. Marmorplatte, 4*?'" lang, 26 hoch, 7 dick. Buchstaben
1"", in der ersten Zeile etwas höher. Nach Abklatsch.
////I-T¥PA N N lONTI -K AArAOOnO A ITQI
ANAPlKAITIKAlOYAlANniTaiTEKNQIMNHAZ
XAPIN-MHTEPTIZTENAXEIZTIAAKPYEIENOAAE
M¥PHnZE<t)ANHMOI PA I 2E M ETO N NE N« A
5 EKATEAGEINAEI^ANTIZaiHNKAlOMHAIKAZ
AAA¥nOAH0HNBHinATHP2YNEMOITOY
TO(t)IAOTEKNIAO¥KE(t)ANHNyE¥ZTH2Eni
20ITEKN0N A A A¥ n O A HO H N H A0ON A I n ft N
ZaiHNKAI(t)IA/// XNFAM ETIN
10 X A I PEl NTTA2I (j)IAOIZ
KATAKEIMENOSENOATTAPAmnKAIMETEXElN
ZaiH^aAEFAPEZTAIAHZ ^
'l(o'jXia) Tupivviov Ti. KX. 'AyaöOTToSt twi | ävSpi x.ai Tt. KX.
'lo'jXiavüit Töjt T£5tvo)t i^.v/ia? | /.^P^'^-
Mr,Tfo, Ti (jxeva/si?, ti ^i/tpuci ivö&Se | (xüp'/i ;
(i; £(pzvYi Moipati; iij.k tov v£(o)v (I)S|e KaTeXOeiv
>.£i<]/avT[a] ^(liiri^ y.y.1 ö[j.f,Xix.a;, | calV ii-KO Ay)ÖY)v
ßy^i TuaTrio luv 6[7,oi' tou|to <piXo7£/tv£a.
Oüx, £(päv/)v (j/E'jfJT-oi; £7ci I noi te'x.vov, äXX' U7c6 AyjÖiqv
YjXOov XiTTCjv I ^ü)ir,v Kai (piXUajv yaa£Ttv. |
Xaipjiv zac (piXoi; I )taTax.eip.£voi; i'vOa Tcapaivoi
>;7.l [;.6T£'y^£iv I Ctiif/i?' <JJ^£ Y^P ^'^'^' Aiör,?,
FUNDE 497
Ob zu Anfang der ersten Zeile ein Buchstabe — für mehr
ist kaum Platz — felill, ist nicht klar. Unsere Lesung setzt
voraus, dass nichts fehlt, und das I mit folojendem Punkte ei-
nen Namen darstelle. In Z. i kann das O von ve'ov. wenn es
auf dem Steine steht, nur ganz klein nachgetragen sein.
5. Oberer Teil einer Grabslele mit Giebel, 59"° breit und
noch 37 hoch ; in der Mitte zwei Füllhörner, rechts und links
davon steht 6 Sr,|j,o; in Kränzen. Buchstaben höhe "2"°. Der
Stein liegt im Pilaster des Hofes und ist ziemlich abgeschlis-
sen. Abklatsch.
OAH OAH
MOZ MOZ
A0HNAIAA ^ANHNAIONYZIOY
AMTTEAlAOYcpANHOYIAErYNAIKA
'O Sf,- '0 U-
'A6y)vaioa $zvy)v A'.ovjitiou
'Aa7C£>.toou , <I>avviou(; Se yuvaixa.
In Afium - Karah issar in Phrygien sali derselbe Herr in
der Vormauer einer Moschee einen 93"° langen, 00 breiten
weissen Marmorblock, auf dem steht;
PACTVMEIAE-SALVIAE
C-SALLVSTIVSSERAPAVXOPISVAE
nAKTOYMHIAlCAAOYIAl
rAlOCCAAAOYCTIOCCEPAnACIAIAirYNAIKI
Pactumeiae Salviae
C. Sallustius Serapa uxori suae.
Herr R. I. lordanidis sendet uns Abschriften folgender In-
schriften :
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXUl. 33
498 FUNDE
1 . Marmor von 50"" Breite und Höbe, in einem Mause des
Quartiers reviTCe'^to in Tire. Abklatsch.
OIKOYNTEZEN Ol >caT]oi)coijvT£; iv
O12ZTE0ANOY21N oi? TTe^avoöciv
ATHNAPTEMIAHROY ätyiv 'ApreaiScöpo-j
K PATH NMEN EKPATOY - - )cpzT-ov Mevsx.pxxou
EA'"^ NEPMOAAOY M]s).iT[ivo]v 'EpaoXaou
'T ZKAIKOSMI ß'.ä)(jav]T[a? jcaXü)^? )cal )tO'7[J!.i[tO(;
TOYTOYTOYHPnOYEI Tootou toö r)pcöou ei-
ZINKAE1NAIAYOEI2EP <tiv ;c*A£ivai Suo eldsp-
XOMENnNEYaNYMa xoaevwv £uwvÜ(jl(o
XEIPIKAIMEZHZYN x^'P'^ '^*' (^«'^^ ""^^
In Z. 2 schlägt lordanidis 'A}.jj.o'jp]oi<; oder Mayvo^joi? vor.
2. In einem Hause (Nstc-Ji) des Dorfes Tt^ri MtyoiVi westlieb
von Tire befindet sich ein 35"" hoher 20 breiter Marmor mit
der Inschrift (vgl. TapSpöpt-oi;, Konstantinopel 3 Ssxt. 18"j8):
T O Y T O ToÖTo
T O H P n TÖ r^pö-
O N TT O TT ov OoTT-
A I O Y T P O >iou Tpo-
(t) I M A e C cpiaa i-
T I N K A I r Y TTiv )cal yu-
N A I K O 2 K A I vaixö; )tat
T e K N n N TEKVtöV
AYTOY auTou.
-oK^f?*«»--
SITZUNGSPROTOKOLLE
7 Dez. 1898. Festsitzung zur Feier von Winckelmanns Ge-
burtstag. W. DoERPFELD giebt eine Übersicht über dieThälig-
keit des Instituts und spricht über Arcliitektonisclies aus Ägyp-
ten.— G. SoTiniADis, Über die Ausgrabungen in Thermen.
21 Dez. 1898. P.Wolters, Inschrift von der Akropolis. —
W. Reichel, Der homerische Wagen. — I. Svoronos, Erklä-
rung des Kalenderreliefs an der Kirche Gorgopiko.
ERNENNUNGEN
Am VI. April 1898 sind ernannt worden zu ordentlichen
Mitgliedern die Herren B. Arnold und C. Popp in München,
B. llaussoullier, E. Potlier und M. CoUignon in Paris, W.
Pleyte in Leiden, F. VVickhof in Wien, L. Borchardt in Cairo,
J. L. Ileiberg in Kopenhagen, zu correspondirenden i\lilglie-
dern die Herren P. Weizsäcker in Calw, E. Ritterling in
Wiesbaden, B. Pick in Gotha, H. Dragendorff in Basel, II. L.
Urlichs in München, Th. Wiegand in Smyrna. L Martens in
Elberleld, II. Lechat in Lyon, F. von Bissing in Cairo.
Am 9 Dez. 1898 wurden zu correspondirenden Mitgliedern
ernannt die Herren L. Poilak in Rom, M. Rostowzew in Pe-
tersburg, G. Botti in Alexandrien, K. Wernicke in Berlin.
BERICHTIGUNG
Oben S. 193 Z. 18, 24 und 29 von oben muss es heissen
Tschuruk-su, nicht Tschukur-su.
•t WJRkj"
Qeschlos.sen 2-3. April 1899.
TAFKI.N:
Peile
I Sogenanntes Grab des Midas (Jasili - kajai 83
II Felsdenkmal bei Düver (Arslan- kaja) 91
III, 1. 4 Felsengrab liri Hairan-veli 124
2. 3 Milesisclie Münzen 127
IV Bild einer altiscben Lekylbos 169
V Bilder zweier Lekylhen aus Tanagra 404
VI Vasenseherben aus Klazomenai 38
VII Holzbüchse aus Kahun 242
VIII, 1-3 Mykeniscbe Vasen aus Ägypten 258 f.
4.5 Holzkästeben in Giseb 253
6.7 Ägyptisclie Nachahmungen raykeniseher Biigelkannen . 260 f.
8 Nacbahniung einer mykeniscben Bügelkanne .... 262
IX, 1 Inschrift C. I.A. I 333 478.489
2 Hekatompedon -Inschrift 477.487
X, 1 Altar des Peisistratos 477. 48Ü
2 Das salaminisehe Psephisma 466fT.
XI Plan des Theaters in Pricne 307
XII Plan des Theaters in Neu - Pleuron 314
XII» ,1 Proskenion desselben Theaters und Stadtmauer . . . 316
2 Zuschauerraum desselben Theaters 322
XIII Gefässe aus Eleusis 2.S1IT.
XIV Bemaltes Gefäss aus Eleusis 299
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Gi ! ' -N '1 M i t^ LIBRARY