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Full text of "Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung"

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MITTHEILUNGEN 


DES   KAISERLICH    DEUTSCHEN 


AiidHiiöLOGiuiiEi  \mmn 


ATHENISCHE    ABTHEJLUNG 


BAND   XXni 

1898 

MIT   FUENFZEHN   TAFELN. 


Vt».  '''^.^^^ 


ATHEN 

HART  II     &    VON     III  RS  T 

1898 


Athen.—   Druck  von  GKBRUEDER    PERRIS .  —   Univeisilacls- Strasse,  51. 


INHALT 


Seite 

W.  Amelung,  Schie(lso;ericht  zwischen  Poseidon  und 

Athene 235 

F.  VON  Bissing,  Stierfan«i;  auf  einem  ägyptischen  Holz- 

getass  der  XVIII.  Dynastie  (Tafel  VII.  VIII)     .  242 

Chr.  Blinkenberg,  Epidaurische  ^^'eihgeschenke  .      .  1 

A.  CoNZE,  Archaische  Skulpturen  aus  Chios.     .      .      .  155 

W.  DoERFFKLD,  Das  griechischc  Theater  Vitruvs.  II.  .  326 
2t.  N.  ApaFüTMUS,   IlsTpatx  eTriYpx^p-/;  tou  Mo'JTtio-^     .    202.368 

E.  Drerl'p,  Ein  athenisches  Proxeniedekret  für  Aristo- 

teles   369 

M.  Fraenkel,  Epigraphisches  aus  Mustoxydis  'H  Ai- 

yivaia 157 

R.  Herzog  und  E.  Ziebarth,  Das  Theater  von  Neu- 

Pleuron  (Tafel  XII.  XII a) 314 

»       »  Reisebericht  aus  Kos 441 

F.  Hiller  von  Gaerthingen,    Einige  vergessene  Am- 

phorenhenkel aus  Rhodos 232 

»       »  Inschriften  aus  Rhodos 390 

J.  II.  IIolwerda  .jr,  IlapaotTivia.  IläpoSoi.  Ofipia/CTOu  .  382 
A.  KoKRTE,   Kleinasiatische  Studien  III.    Die  phrygi- 

sclien  Fels denkmäler  (Tafel  I- HI)      ....  80 

L.  Pollak,  Priamos  bei  Achill  (Tafel  IV)  .  ...  169 
H.  VON  Prott,  Enneakrimos,  Lenaion  und  Atovuoiov  ev 

XijAvaK; 205 


»        »  Nachtrag  dazu 367 

0.  RuBENsoHN,  Kerchnos  (Tafel  XIII.  XIV)     .      .     .  271 

Fr.  Ruehl,  Inschriften  aus  Eski-Schehir      .      .      .     .  161 

L.  Savignoni,  Due  lekythoi  di  Tanagra  (Tavola  V)     .  404 

G.  VVerkr,  Die  Flüsse  von  Laodicea 178 

Tu.  \\'iegam),  Das  Theater  zu  Priene(  Tafel  XI  j    .      ,  307 


Seile 

A.  Wilhelm,  Die  sogenannte  Hetäreninschrift  aus  Paros     409 
»  »         AltattisclieSchriftdenkmäler{Tafel  IX.X).     466 

P.  WoLTKus,  Inschrift  aus  Hierapolis 154 

»  »  Epigramm  aus  Smyrna 267 

»  »         Prähistorische  Idole  aus  Blei    ....     462 

W.  Zahn,  Vasenscherben  aus  Klazomenai  (Tafel  VI)     .       38 

E.  ZiKBARTH,  Inschriften  aus  Athen 24 

»  »  Die   Strabon -Schollen  des  Cyriakus  von 

Ankona 196 

»         »  s.  R.  Herzocx. 

Litteratur 357.  493 

Funde 163.359.494 

Sitzungsprotokolle 166.  499 

Ernennungen 499 

Berichtigungen 368.  499 


EPIDAURISCHE  WEIHGESCHENKE 
J 

Die  meisten  der  im  epidaurischen  Asklepiosheiligtum  auf- 
gefundenen Steine  mit  Volivinscliriflen  waren,  wie  gewöhn- 
lich, dazu  bestimmt,  besonders  gearbeitete  Weihgeschenke  zu 
tragen.  Sie  haben  deshalb  fast  durchgehends  eine  regelmässige, 
vierseitige  Form,  oft  mit  einfachem  Profil  oben  und  unten. 
Abweichende  Formen  kommen  unter  den  Basen  nur  verein- 
zelt vor;  die  bekanntesten  Beispiele  sind  die  als  Schiffsvor- 
derteil gearbeitete  Basis,  vermutlich  einer  Nike,  von  der  ich 
AsKL.  S.  154  eine  schlichte  Skizze  gegeben  habe^  und  die 
in  der  Expedition  de  More'e  II  Taf.  80  abgebildete  Drei- 
fussbasis,  deren  Inschrift  Askl.  S.   127  veröffentlicht  ist. 

Ausser  den  genannten  Basen  sind  aber  auch  anders  gear- 
beitete Steine  gefunden,  die  keine  besonderen  Weiligeschenke 
getragen  haben,  sondern  an  sich  als  Analheme  zu  betrachten 
sind.  Es  sollen  davon  hier  zunächst  eine  Reihe  von  tischähn- 
lich geformten  Steinen,  im  zweiten  Abschnitt  einige  steinerne 
Wasserbecken  besprochen  werden  2. 

Ein  kleiner  Kalksteinblock  (0,72'M.,  0,28  br.,  0,35h.)  bil- 
det die  Form  des  gewöhnlichen  dreibeinigen  Tisches  nach^. 
Es  hebt  sich  an  den  Seiten  der  Rand  der  Tischplatte  in  nie- 
drigem Relief  hervor;  in  derselben  Weise  ist  an  beiden  Lang- 


*  Mit  Askl.  wird  auf  dos  Verfassers  Asidepios  ug  lians  fraender  i  Hieron 
vetl  Epiilaurus  ( Kopeiiliagcn  I8'J3)  verwiesen. 

2  loh  biu  Herrn  Ivavvadias  für  die  Erlaubniss  zur  Veröffentlichung  zu 
grossem  Danlie  ver|)llichlet. 

3  Eine  schematische  Zeichnung  dieses  Stücivs  ist  in  meiner  Aldiandlung 
Les  inscriptions  d' lipidaure  (Nordisk  lidsskriß  for  filohxji,  3  raekkc,  III  S. 
163)  gegeben,  wo  das  Aller  der  Insehrilt  wol  zu  niedrig  geschätzt  ist;  sie 
wird  ins  4.-3.  Jahrhundert  gehören. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXUL  1 


CHR.  BLINKENBERG 


Seiten  und  an    der  einen  Schmalseite  je  ein  Bein  dargestellt. 
;  an  der  einen  Langseite  die  Insc 

AAMAPETAAMEOHKE 


Der  Rand  trägt  an  der  einen  Langseite  die  Inschrift 


Seine  Erklärung  findet  dies  Weihgeschenk  in  der  bekannten 
Verwendung  des  Tisches  im  Kulte  des  Asklepios  ;  es  lässt  sich 
gewissermassen  mit  den  kleinen  Altären  vergleichen  ,  deren 
in  späterer  Zeit  so  viele  im  Hieron  geweiht  sind,  und  ist  als 
verkleinerte  Nachbildung  eines  wirklichen  Tisches  zu  be- 
trachten. 

Anders  liegt  die  Sache  mit  den  im  folgenden  zu  besprechen- 
den, tischähnlich  geformten  Steinen,  welche  hier  nach  Skizzen 
und  Photographien,  die  ich  im  Frühling  1896  aufnahm,  ab- 
gebildet werden. 


Sil». 

r    C         E   N 


Fig.  1 


Flu.  2 


1.  Nahe  bei  dem  grossen  Altar  im  Flieron  befindlich.  Grauer 
Kalkstein.  Die  Ränder  der  Platte  und  die  Beine  sowie  ihre 
Verbinduno-sleiste  an  den  Schmalseiten  treten  am  Block  re- 
liefartig  hervor.  Die  Enden  der  Tischplatte  waren  frei  aus- 
gearbeitet, sind  aber  abgeschlagen.  Länge,  so  weit  erhalten, 
1,15'",  Breite  0,60,  Höbe  0,50.  An  der  abgebildeten  Schmal- 
seite zwischen  den  Tischbeinen  steht  die  Inschrift  (Buchsta- 
benhöhe etwa  0,0'25): 


apke^iaao^ 
ays:anapo^ 

AHE0ETAM 


AoaavSpOi; 
äveOexav 


EPIDAURISCHE   WEIHGESCHENKE 


welche  mitten  auf  der  Oberfläche,  wenn  ich  die  sehr  undeut- 
lichen Spuren  richtig  aufgefasst  habe,  in  dieser  Form  wieder- 
holt wird  : 


A  P  K  E  C  I  A 
NE  EH 


'Ap>i£(7iX[>.o;], 
Auc>a[vSpo]? 
[a]ve[6]6v. 


Der  Rand  der  Oberfläche  ist  ganz  wenig  erhöht.  An  beiden 
Enden  sind  flache  Furchen  eingearbeitet;  rechts  befinden  sich 
dazwischen  die  0,014-0,02'°  hohen  Zeichen 

M     X     H     —     O     I 

Die  VVeihinschrift  ist  von  Kavvadias,  Fouilles  d"  Epidaiire 
Nr.  109  veröfTentlicht ',  mit  Erwähnung  der  undeutlichen 
Wiederholung  in  der  Mitte;  die  Form  des  Steins  bezeichnet  er 
als  die  eines  Tisches  oder  Bettes. 

2.  Dicht  neben  Nr.  1,  mit  welchem  dies  Exemplar,  das 
keine  Insciirift  träi»!,  ziemlich  o;enau  übereinstimmt.  Es  ist 
aus  demselben  Material  und  in  ähnlicher  Weise  gearbeitet ; 
auch  die  Masse  sind  dieselben:  L.  1,27'".  Br.  0,59,  H,0,50; 
die  Platte  ist  in  ihrer  ganzen  Länge  erhalten.    An  der  Ober- 


f 


Fio.  3 


'  Es  wird  liier  'ApxsaiXao?  gelesen;  der  driUletzte  Buchstabe  hat  aber  ivei- 
nen  Querstrich.  Zu  ApxeoiXXo;  vgl.  z.  B.  TEXsaiXXa. 


4 


CttR.  BLINKENBERG 


fläche  befinden  sich  ausser  den  flachen  Furchen,  die  mit  Nr. 
1  übereinstimmen,   auch  eingeritzte  dünne  Striche,   die  sich 


m 


er- 


Fig.  4 

dadurch  wol  als  späterer  Zusatz  kundgeben,  dass  sie  in  Nr.  1 
fehlen;  jedenfalls  dürften  die  in  der  Nähe  des  Randes  befind- 
lichen kurzen  Striche  so  aufzufassen  sein.  Das  eine  Ende  des 
Unterteils  des  Tisches  ist  nur  rauh  bearbeitet. 

3.  Jetzt  ausserhalb  des  Museums  aufgestellt.  Roter  Kalk- 
stein. Nur  teilweise  erhaUen  ;  0,78"^  1..  0,48  br.,  0,51  h.  An 


Fig.  5 


Fig.  6 


der  abgebildeten  Schmalseite  steht  die  in  das  4.  Jahrhundert 


gehörende  Inschrift: 


E  P  r  I  A  o  ^ 
AOAYMAMTO 
A  H  E  O  E   M 


'AOauj;!.avTo[;] 
Z..^f\...  1 


*  Der  erstgenannte  Dedikant  dürfte  wegen  der  zeitliclien  Übereinstimmung 
und  der  Seltenticit  des  Namens  mit  dem  Vater  des  öflers  vorliommenden 


EPIDAURISCHE   WEIHGESCHENKE  3 

An  der  einen  Langseite  ist  der  Stein  unter  der  Tischplatte 
ziemlich  sor^fältiij  we'iiiiiearbeitet,  an  der  anderen  mehr  rauh 
gelassen.  Oben  auf  der  Platte  befinden  sich  links  flache  Fur- 
chen, dann  folgen  dünne  Striche;  der  rechte  Teil  fehlt  ganz, 
ist  aber,  nach  Ausweis  der  beiden  Stücke  Nr.  1-2,  wie  der 
linke  zu  ergänzen. 

4.  Neben  Nr.  3  aufgestellt.  Roter  Kalkstein,  Höhe  0,45. 
Der  Unterteil  ist  gut  erhalten  ,  die  Platte  aber  rings  abge- 
schlagen ;   ihre  obere  Fläche  ist  so  übel  mitgenommen,   dass 


Fig.  7 


Fig. 


ich  die  Furchen  zwar  sehen,  aber  ihre  genaue  Form  nicht 
feststellen  konnte.  Die  schematische  Fig.  8  zeigt  das  Verhält- 
niss  des  unteren  Teils  zur  Platte;  die  punktirte  Linie  giebt 
ungefähr  den  ursprünglichen  Umfang  der  letzteren  an.  Das 
Stück  träo;t  keine  Inschrift. 

Nr.  1  -  4  geben  in  Stein  Holztische  verschiedener  Form 
wieder,  und  zwar  Nr.  I-?  einen  vierbeinigen,  Nr.  3-4  einen 
dreibeinigen  Tisch.  In  Bezug  auf  die  letztgenannten  mag  auf 
Blümners  Untersuchungen',  die  hierdurch  eine  neue  Bestäti- 
gung erhalten,  verwiesen  werden.  Die  Übereinstimmung  der 
Höhenmasse  (Nr.  1:  0,50;  Nr.  ^:  0,50;  Nr.  3:  0,51;  Nr.  4: 
0,45j  macht  es  wahrscheinlich. dass  wir  es  hier  nicht  mit  ver- 


'ApiaTapyo;  'EpyO.ou  (niclit  'EpY'^ou)  idenfiscli  sein.  S.  Nordiik  tidsskriß  for 
ßluUuji,  Ny  raekke,  X  S.  •^Glj;  3  raekke,  III  S.  167,51;  Kavvadias,  Fouilles 
d'lipidaure  Nr.  110;  vgl.  unten  S.  22  Anni.  2.  Fouilles  d'l-'pidaure  Nr.  56. 
*  Archäologische  Zeitung  1884  S.  179-  192.  285-286.  1885  S.  287-290. 
Baunieisler.s  Denkiiiälcr  III  S.   1317-19. 


CHR.  BLINKENBERG 


kleinerten  Nachahmungen,  sondern  mit  Gegenständen  natür- 
liclier  Grösse  zu  thun  haben;  denn  sonst  würden  die  steinernen 
Nachbildungen,  die  von  verschiedenen  Personen  herrühren, 
doch  wol  grössere  Verseil iedenhoit  aufweisen.  Es  waren  eben, 
wie  sicli  herausstellen  wird.  Tische,  die  wirklich  gebraucht 
werden  sollten.  Dass  sie  aus  Stein  statt  aus  Holz  gemacht 
werden,  findet  durch  die  Aufstellung  unter  freiem  Himmel 
genügende  Rrkliirung.  Den  modernen  Tischen  an  Grösse  weit 
nachstehend,  stimmen  sie  mit  den  antiken,  wie  diese  uns  durch 
Vasenbilder  bekannt  sind,  so  ziemlich  überein. 

Wozu  sie  bestimmt  waren,  ergiebt  sich  aus  der  näheren 
Betrachtung  der  Vorrichtungen  auf  der  Oberfläche.  Dass  die 
bei  allen  vier  Stücken  wiederkehrenden  eingearbeiteten  Fur- 
chen nicht  nachträglich  gemacht  sind,  ersieht  man  bei  Nr.  1 
schon  daraus,  dass  die  Inschriften  darauf  Bezug  nehmen.  In 
der  Erklärung  muss  von  dieser  Vorrichtung,  die  also  mit  der 
Bestimmung  der  Tische  zusammenhängt,  ausgegangen  wer- 
den. Es  lässt  sich  meines  Erachlens  nur  entweder  an  Rechen- 
oder an  Spieltische  denken,  und  zwar  fällt  die  erstere  Mög- 
lichkeit weg,  wenn  man  in  Betracht  zieht,  dass  die  erhalte- 
nen Exemplare  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur  einen  Teil 
der  einst  vorhandenen  darstellen;  es  wäre  nicht  einzusehen, 
wozu  eine  grössere  Zahl  von  Rechenbrettern  gedient  haben 
sollten  K  Das  Hieron  war  ja  kein  mathematisches  Institut.  Da- 
gegen ist  eine  Mehrheit  von  Spieltischen  an  einer  von  vielen 
müssigen  Leuten  besuchten  Stelle  sehr  wol  verständlich.  Dass 
die  Heiligkeit  des  Orts  nach  griechischen  Vorstellungen  durch 
das  Spielen  nicht  gefährdet  wurde,  braucht  nicht  des  näheren 
ausgeführt  zu  werden  ^. 


'  Es  ist  ausserdem  noch  zu  licmcikcn,  dass  das  Reclienbrcll,  wie  wir  es 
aus  dem  salaminischen  Exemplar  licnnen,  anders  gestaltet  war  (Rangabö, 
AnliquiU's  hcAl&niques  II  Taf.  19;  vgl.  Pauly -Wissowa,  RealeiieYclopädie, 
iiiui  Darcmbeig-Saglio,  Dirtionnaire  unter  ahnrus.  Arch.  Anzeiger  18!(0  S. 
144,  61.  Areh.-epigr.  MiUlicilungen  XX  S.  Dl,  24  (Willielin  ). 

^  Ausserdem  kann  auf  die  bekannte  Nacliricbt  vom  Heiligliini  der  Alliena 
ökiras  (s.  Preller-Robert,  Griechische  Mythologie  I  S.  205)  verwiesen  wer- 
den. 


EPIDAURISCHE    WEIHGESCHENKE  7 

Wir  brauchen  aber  nicht  dabei  stehen  zu  bleiben.  Die  lit- 
terarische und  monumentale  Überlieferung  giebt  uns  die  Mittel, 
den  Namen  und  die  ungefähre  Art  des  Spiels  zu  bestimmen. 
Den  eben  beschrieijenen  Spieltischen  darf  man  niimlich  zwei- 
fellos den  in  dem  gleich  anzuführenden  Vers  cnllialtenen  Na- 
men TZinnk  7:£vT£Ypa_uip-a  beilegen.  Die'hervorstechende  Eigen- 
tümlichkeit der  Vorrichtung  sind  eben  die  an  beiden  Enden 
der  Tischplatten  wiederkehrenden  Systeme  von  je  fünf  Fur- 
chen, eins  für  jeden  Spieler.  Sie  stimmen  mit  der  bei  PoUux 
(9,97)  erhaltenen  Nachricht  sehr  genau  überein:  e-s-.Sy;  Se  'Ir,- 

©01  p.£V  elmv  Ol  TTETToi,  TCSVTE  V  £X,y.T£pO;  TÖJV  7iai{,0VT(üV  £l/_sV  STTl 
TTSVTS    Ypa(7.|X(0V,     £'./.0TO3?    £ipr,Ta!.    2j0^0)4A£'. 

•/.al  -Kinnt.  TTEVTEypaixaa  x.ai  xütoüiv  ßoXai. 
Tüiv  %\  'zh-ze  Ttöv  i/.aTEpwOEv  ypx'j.y.(ji^  u.ifj't]  Tt?  r^v  (Epk  ypay.ar/' 
xai  6  tÖv  £)t£i6£v  xtvcjv  7:£ttÖv  sttoiei  -apoip-iav  (c  /civ£i  -röv  ä(p'  t£- 
pä;».  Es  sind  hiermit  die  Worte  bei  Eustathios  zur  Odyssee 
I,  107  (p.  1397,  "28)  zu  vergleichen:  to'j;  Sk  ttetgoü;  X£'y£'.  (ö  tx 
TTfipi 'E>,Xr,vix.r,:  xaiSia;  ypsc^j/a;  ~j  ^j;7]Cpou;  £ivai  -ö'vte,  ai«;  £7cl  ttevte 
ypauLfxdJv  £7rat?^ov  £X,aT£'pci)Ö£v  ,  tva  EnacTo;  xwv  ttetteuovtcov   i'^^r,  rä; 

xx6    iauTÖv T:ap£T£iv£T0  o=  ^■/tti  f)i'  a'JToiv  x.al  l/.et'o  ypaaayj, 

Tjv  l£py.v  (ÖvÖl/.x^ov  (Ö;  xvcoTspo)  ^-/iXo'jTai,  £-fi  ö  v'.x,cöa6V0(;  £77'  i-'^yj'-- 
TYiv  a'jTV/v  i£Tai.  Ö0£v  KT,'.  7Ta.po'.y.'!a ,  x,'.v£(v  tÖv  ä©'  (fipaci;,  Xiöov  övi- 
XaSr;,    iizl  twv  iiT£yvwr7a£'vwv    x.at  kiyxv/]:    ßor.OEixi;    o£oa£'v(ov.    Die 

hieraus  zu  entnehmende  Beschreibung  ist  im  Grunde  so  deut- 
lich, dass  man  die  Form  der  Spielbretter,  wie  sie  uns  jetzt 
bekannt  ist,  in  der  Hauptsache  hätte  construiren  kimnen.  Es 
waren  an  beiden  h^nden  je  tünf  Linien,  auf  welchen  die  fünf 
Steine  der  beiden  Spieler  gesondert  aufgestellt  waren  ,  die 
mittlere  hiess  ispx  ypay.a-/i'';  der  dort  aufgestellte  Stein  hatte 
eine  besondere  Bedeutung  und  wurde  nur  im  Notfall  gezogen. 


*  Im  Naü::Xto;  Ilupxa£tJ«,  Fragm.  40-2  Wagner,  39t)  Nauek. 

2  Kaum  Polcmon,  wie  Wclcker  vermutete  (Griecli.  Tragödien  I  S.  (Z'2). 

^  Vgl.  nucli  Euslatliios  zur  Odyssee  I,  107  (p.  1396,61):  kr.l  rMts  -fpcLiLu.aXi 
Tis  4"'i?o"S  ETtOouv,  wv  f)  fjieai)  Upi  ixaXeiTo;  Scliol.  Plal.  Leg.  VII  p.  820  C: 
ly^ii  (£;/£?)  Se  7i^vT€  YpafAuia?,  oiv  J)  [x^ur)  ■^zai^ij.r,  itpoc  exaXet'o ;  Schol.  Tlieocril. 
VI,   18  [xe'ariv  tiüeaaiv  oi  nat'^ovTS?  (j^rjipov  r\i;  o-jy(^  ä;:Toviat  xtX. 


^^  CHR.  BLINKENBERG 

Auf  den  Spieltischen  Nr.  1-2  scheinen  die  zwei  ersten  Striche 
jederseits  durch  ein  Kreuz  verbunden  zu  sein  ;  ich  konnte  aber 
darüber  bei  meinem  ßesuche  im  Hieron  im  Frühlinij;  1896  zu 
keiner  sicheren  lilntsclieiduni;  kommen. 

Das  'Fünfstrich'  wird  von  Hermann  -  Blümner  (Griech. 
l^rivataltertümer  S.  511.  wo  weitere  litterarisclie  Zeugnisse 
angeführt  sind)  mit  Recht  unter  denjenigen  Spielen  aufgeführt, 
bei  denen  es  sowol  auf  Glück  als  auf  Berechnung  ankam,  in- 
dem das  Ziehen  der  Steine  zum  Teil  von  dem  Falle  der  drei 
Würfel  abhing.  Die  Spieltische  waren  deshalb  mit  einer  nie- 
driojen  Randerhöhuno;  versehen,  damit  die  Würfel  nicht  auf 
die  Erde  fielen. 

Dieselbe  Verbindung  von  Würfeln  und  Brettsteinen  bietet 
ein  meines  Wissens  einzigartiges  Denkmal  in  der  kopenha- 
gener Antikensammlung  ^  Es  ist  die  thönerne  Nachahmung 
eines  Spieltisches, in  Athen  erworben,  0,37  1.,  0,12  br.  0,14  h., 
in  der  Art  der  korinthischen  Vasenmalerei  mit  Vögeln  und 
Rosetten  dekorirt.  Die  Oberfläche,  die  hier  nach  Ussings  (s.  un- 
ten Anm.  1;  Abbildung  verkleinert  wiedergegeben  wird,  weist 


Fig.  9 


neun  Querstriche  auf,  die  zweifellos  alle  ursprünglich  an  bei- 
den Enden  mit  ovalen  Steinen  besetzt  waren;  jetzt  fehlen  drei. 
Zwei  Würfel  sind  erhalten;   in  der  Mitte  sieht  man  noch  die 


'  Von  I.  L.  Ussing  veröfTentlicht  in  der  Abhandlung  Nije  Erhvervelser  tu 
Antiksamlingen  i  Kjöbenhavn  {  Videnskabernes  Selskabs  Skrißer,  5  raekke,  5 
Bd.  III,  1884)  S.  3-b,  Taf.  1. 


EPIDAURISGHE   WEIHGESCHENKE  y 

Spur  des  dritten,  der  wie  die  zwei  anderen  sechs  Augen  auf- 
gewiesen haben  wird.  Wir  haben  somit  eine  Darstelluno;  des 
gewonnenen  Spiels:  alle  Striche  sind  in  Folge  des  glücklich- 
sten Wurfs*  voll  besetzt.  Das  Stück  muss  entweder  als  Tem- 
pelanathein  oder  als  Totenbeigabe  aufgefasst  werden  ;  für  bei- 
des liessen  sich  genügende  Analogien  beibringen.  Man  könnte 
versucht  sein, das  thünerne  Tischchen  in  ganz  nahe  Verbindung 
mit  den  epidaurischen  zu  setzen  durch  die  Annahme,  das  aus 
Versehen  9  statt  10  Striche  darauf  gezeichnet  worden  seien; 
die  Arbeit  ist  auch  in  anderer  Beziehung  ungenau,  indem  die 
Summe  der  Augen  auf  den  gegenüber  stehenden  Seiten  der 
Würfel  nicht  sieben  ist,  wie  es  im  Altertum  die  Regel  war 
(Eustalhios  zur  llias  XXII1,88)  Doch  stehtdieser  Annahme  die 
grosse  Zahl  der  Spielsteine  entgegen;  der  litterarischen  Über- 
lieferung nach  hatten  die  beiden  Spieler  beim  'Fünfstrich  ' 
nur  je  fünf  Steine. 

Dagegen  ist  meiner  Ansicht  nach  eben  das  Spiel  i-rr!  ttevte 
Ypaafy.d)v  in  einer  anderen  Klasse  von  Denkmälern  dargestellt, 
nämlich  in  den  bekannten  Vasenbildern,  die  zwei  llopliten 
einander  gegenübersitzend  zeigen  ^.  Auf  die  mannigfachen  Va- 
riationen kann  ich  hier  nicht  eingehen  ;  es  soll  nur  hervor- 
gehoben werden,  dass  die  aus  den  sorgfältigst  ausgeführten 
Exemplaren  des  llaupttypus  zu  entnehmenden  Einzelheiten  mit 
dem  Auseinandergesetzten  genau  übereinstimmen.  Aut  der  be- 
kannten Amphora  desExekias  [Monumenti  delV  inst.  II  Taf. 
22;  Wiener  Vorlegeblätter  1888  Taf.  6,  2)  sitzen  die  Krieger 
auf  vierseitigen  Blöcken  ;  in  der  Mitte  steht  ein  etwas  grösserer 
Block, der  den  epidaurischen  Steintischen  recht  ähnlich  ist  und 
ihnen  in  der  Grösse  entspricht.  Die  Bewegung  der  Hände  kann 
nicht  missverstanden  werden:  die  Krieger  sind  im  Begriff  ei- 
nen Zug  mit  den  (nicht  dargestellten)  Spielsteinen  zu  machen. 


<  S.  Hermann-Blümner,  Griecli.  Privatallcrlümer  ö.  513  Anm.  2,  beson- 
ders die  Stelle  aus  Diogenian  5,  4:  t6  a^v  tpi?  ä;  ttjv  TravTEXfj  vixtjv  SriXot,  und 
Eustatllios  zur  Odyssee  I,  1U7:  napoiiju'a  enl  tcjv  |jlt)5£v  8ia  uii'aoy  xivouveuovtwv 
tÖ  i)  Tpi?  ef  rj  Tpel;  xüöoui  (  =  tpsT;  pioväSa?  ). 

a  Welcker,  Alle  Denkmäler  III  S.  I  -24, 


<0  CHR.  BLINKENBERG 

Die  beigefügten  Inschriften  AyCkioc, — Tsaapa,  Aiavxo; — xpia  be- 
ziehen sich  aber,  wie  das  Neutrum*  zeigt,  und  wie  Welcker 
und  Ussing  es  richtig  ausgesprochen  haben,  nicht  auf  die 
Steine  (ttettoi,  (J/Yicpoi  ,  sondern  auf  die  Augen  der  Würfel. 
Das  Spiel  wurde  also  sowol  mit  Würfeln  als  mit  Steinen  ge- 
spielt. In  anderen  Vasenbildern  desselben  Typus  ist  ein  Ver- 
such gemacht  die  Spielsteine  zur  Darstellung  zu  bringen,  in- 
dem sie  auf  dem  Rande  des  im  Profil  gesehenen  Spieltisches 
gemalt  sind  und  zwar  gewöhnlich  weiss  und  schwarz  ab- 
wechselnd. Die  Zahl  der  zum  Vorschein  kommenden  Steine 
ist  verschieden  ,  was  aus  der  gewöhnlichen  Ungenauigkeit 
in  nebensächlichen  Dingen  zu  erklären  ist;  in  einigen  Fällen 
aber  sind  sicher  10  Steine  da,  d.  h.  eben  die  für  das  'Fünf- 
strich '  bezeugte  Zahl,  so  lleydemann,  Vasensammlungen  zu 
Neapel  Nr.  2460,  Monument/  dclV  inst.  1  Taf.  56,2.  Furt- 
wängler,  Vasensammlung  zu  Berlin  Nr.   1870. 

Es  geht  aus  dem  Gesagten  hervor,  dass  ich  die  Bemerkun- 
gen, die  Furtwängler  an  die  Abbildung  des  jüngsten  Exem- 
plars der  besprochenen  Darstellung  knüpft  (Arch.  Anzeiger 
189-2  S.  102  f.),  nicht  als  richtig  anerkennen  kann.  Er  nimmt 
die  welckersche  Deutung  auf  (Alte  Denkmäler  11!  S.  6  ff.) :  'es 
sind  zwei  Melden  gedacht,  die  vor  dem  Kampfe  durch  Wür- 
feln ihr  Schicksal  zu  erfahren  suchen;  als  Göttin  des  Schlach- 
tengeschicks ist  Athena  gegenwärtig,  die  auf  unserem  Bilde 
so  deutlich  dem  Einen  den  Sieg  verleiht';  sie  trägt  nämlich 
auf  der  Rechten  eine  Nike,  die  den  jüngeren  der  Helden  krän- 
zen zu  wollen  scheint.  VA'ie  man  sich  diesen  Vorgang  denkt, 
ist  mir  unklar.  Dass  zwei  feindliche  Krieger  (etwa  ein  Tro- 
janer und  ein  Grieche)  nicht  in  dieser  Weise  vor  dem  Kampfe 
beisammen  sitzen  können  um  ihr  Schicksal  zu  erforschen,  ist 
klar.  Und  wenn  es  zwei  Krieger  ein  und  desselben  Heeres 
sind,  was  heisst  es  dann,  dass  Athena  dem  l^^inon  den  Sieg 
verleiht?  Das  ist  doch  wol  der  poetisch -malerische  Ausdruck 


*  Vgl-  den  Vers  des  Euripidcs  (Wagnc  r  Nr.  t.92,  Nauck  Nr.  888  ß^eXrjx' 
'A/i^^XeÜ?  5jo  xüGo)  xat  T^Txapa. 


EPIDAURISCHE   WEIHGESCHENKE  11 

dafür,  dass  der  Eine  gewinnt,  der  Andere  verliert.  Der  Sieg. 
den  die  Gottheit  dem  l^nen  verleiht,  ist  also  nicht  der  im 
blutigen  Kampf.  Wir  dürfen  somit  auch  dies  Vasenbild  zu  den 
Darstellungen  des  Spiels  rechnen,  und  zwar  ist  wahrscheinlich 
eben  das  Spiel  i-l  xevte  ypauu.cjv  gemeint.  Denn  auf  dem  Stein- 
block in  der  Mitte  sind  bei  dem  Helden  links  vier,  bei  dem 
rechts  sitzenden  fünf  schwarze  Punkte  gemalt;  dass  links  nur 
vier  sichtbar  sind,  würde  vielleicht,  wenn  nicht  Flüchtigkeit 
der  Zeichnung  daran  Schuld  ist,  durch  die  uns  unbekannten 
Vorgänge  des  Spiels  genügende  Erklärung  finden.  Es  wäre 
wol  möglich,  dass  der  Spieler  eben  einen  Stein  aufgehoben  hat 
um  ihn  zu  versetzen,  was  auch  sonst  vorkommt ;  doch  scheint, 
nach  gütiger  Mitteilung  von  Dr.  Erich  Pernice,  die  Hand  des 
Spielers  nichts  zu  halten. 

Athena  kommt  in  den  besprochenen  Vasenbildern  sehr 
häufio;  vor.  Es  wird  dadurch  die  Scene  dem  alltä2;lichen  Leben 
entrückt;  die  Krieger  sind  nicht  gewöhnliche  Soldaten,  die  sich 
im  Lager  die  Zeit  durch  ein  Spiel  vertreiben,  sondern  sie  ge- 
hören in  die  lleroenwelt.  So  wie  hier  erscheint  Athena  doch 
nur  im  Epos.  Dass  wirklich  im  Epos  brettspielende  Krie- 
ger vorkamen,  darauf  führen  auch  andere  Zeugnisse.  Nach 
Polemon  zeigte  man  in  der  Troas  den  Stein,  auf  welchem  die 
Griechen  im  Lager  spielten  (Eustathios  zur  llias  II,  308  p. 
228,  1  ff.=  Preller,  Polemonis  fragm.  31).  In  Argos  wurde 
erzählt,  dass  Palamedes  die  von  ihm  erfundenen  xuSoi  im 
Tempel  der  Tyche  geweiht  halte  (Pausanias  2,  2Ü.  3,  vgl.  Eu- 
stathios, Od.  I,  107);  diese  h]rlindung  wurde  aber  nach  So- 
phokles im  Lager  vor  Troja  getnacht  (i^^ustathios,  llias  II,  308 
=  Sophokles  Fragm.  '«51  Wagner,  438Nauck).  Es  giebt  also 
ausser  der  Tragödie  und  den  bildlichen  Darstellungen  min- 
destens zwei  Überlieferungen,  die  sich  auf  die  troische  Sage, 
d.  h.  auf  das  Epos,  beziehen'.  Wenn  das  Epos  eine  Spiel- 
scene  enthielt,   wird  das  Vorkommen  brettspielender  Heroen 


'  Auch  die  Freier  auf  Itliaka  spielton  ja  inil  7:£aao'  (  a  107).  Das.s  die  von 
Aliii»ii   (Atlicnaios  I,  16f,  von  Eustalliios   p.  liClJ,  10  aus;j:esclirielton  I  mit- 


12  CHR.   DLINKENBERG 

im  Drama'  und  im  polygnotischen  Gemälde^  besser  verständ- 
lich. Es  wird  ferner  niclit  als  Zufall  zu  belraehten  sein,  dass 
diejenigen  ^'asenbilder,  in  welchen  die  Scenedurcli  Beischriften 
erläutert  ist,  übereinstimmend  die  Namen  Achilleus  und  Aias 
darbieten  •';  diese  dürften  ebenso  wie  die  Gegenwart  der  Athena 
für  das  Epos  vorauszusetzen  sein. 

Durch  die  vorstehende  Untersuchung  ist,  so  viel  ich  sehe, 
die  Bestimmung  der  epidaurischen  Steintische  genügend  ge- 
sichert. Dass  es  Spieltische  waren,  stellte  sich  schon  aus  der 
unmittelbaren  Anschauuns;  als  wahrscheinlich  heraus.  Die  Vor- 
richtungen  an  der  Oberfläche  zeigten  sich  mit  einem  thöner- 
nen  Tischchen,  das  wegen  des  Vorhandenseins  der  Würfel 
zweifellos  einen  Spieltisch  darstellt,  im  Wesentlichen  überein- 
stimmend. Es  ergab  sich,  dass  die  litterarische  Überlieferung 
über  das  Spiel  IkI  tttevts  ypajxu.cöv  genau  zu  den  Steintischen 
passt.  Endlich  fanden  sich  ähnliche  Objekte  dargestellt  in  ei- 
ner Reihe  von  Vasenbildern,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
sich  auf  dasselbe  Spiel  beziehen.  Es  kann  deshalb  eine  Ei- 
gentümlichkeit, die  sich  auf  einem  der  epidaurischen  Tische 
findet,  und  die  beim  ersten  Blick  eher  für  ein  Rechenbrett  als 
für  ein  Spiel  passend  scheint,  an  dem  Ergebniss  der  Unter- 
suchuno; nichts  ändern. 

Ich  meine  die  schon  oben  S.  3  wiedergegebene  Inschrift 

M     X     H     —     O     I 
Wegen  der  Abnutzung  der  Oberfläche  sind  die  Zeichen  zwar 


geteilte  Nachricht  über  das  ithakcsische  Penelope-  Spiel  zu  dcrii  lioincri- 
schen  f^u-evot  £v  pivolat  ßowv  nicht  pa.s.st,  .sciieint  klar. 

'  Euripidcs,  Fragm.  692  Wagner,  888  Nauck.  Iphigenia  in  Aulis  103  11'. 
(  Palamedos  und  Prolosilaos  ). 

2  Pausanias  10,  31,1  (  Palamo(l(!s  und  Thcrsilcs). 

3  Amphora  des  Exekias  (oben  8.9);  Calalugue  of  vases  in  the  British 
Museum  11,  B  211  ;  Jalin,  Vasensaninilung  zu  München  Nr.  5b7 ;  schwarz- 
Ggurige  Lckythos  in  Boston  Arch.  Anzeiger  1896  S.  96;  vgl.  das  Fragment 
einer  rottigurigen  Schale  bei  Hartwig,  Gricch.  Meistersebalen  S.277  Fig.  39, 


fiPiDAURiscME  Weihgeschenke  13 

nicht  alle  sehr  deutlich,  ich  hahe  sie  aber  bei  wiederholter 
Untersuchung  in  günstiger  Beleuchtung  alle  sicher  festgestellt. 
Sie  waren  schön  eingemeisselt,  nicht  leicht  eingeritzt.  Die  For- 
men können  mit  der  Weihinschrift  gleichalterig  sein.  Daraus, 
dass  die  Fünferzeichen  fehlen  (vgl.  Keil,  Athen.  Mitth.  1895  S. 
61  fl". ),  darf  hier  nichts  über  das  Alter  gefolgert  werden;  es 
ist  eben  keine  vollständige  Zahlenreihe.  M  X  H  sind  allgemein 
bekannt;  —  ist  in  den  epidaurischen  Bauurkunden  das  Zeichen 
für  lO  Drachmen,  I  für  einen  Obol.  Aus  der  Stellung  ergiebt 
sich,  dass  O  eine  Drachme  bedeutet;  das  Drachmenzeichen  in 
den  Bauurkunden  ist  ein  Punkt ,  im  Grunde  wol  dasselbe 
Zeichen  '.  Wegen  der  zwei  Einerzeichen  muss  die  Reihe  Wert- 
angaben, nicht  'reine  Zahlen  '  (vgl.  Keil,  a.  a.  O.  S.  64) 
darstellen. 

Die  Zeichen  scheinen  nun  zunächst  für  ein  Rechenbrett  am 
besten  zu  passen  ;  diese  Möglichkeit  soll  auch  nicht  vollständig 
in  Abrede  gestellt  werden.  Gegen  eine  solche  Auffassung 
spricht  aber,  dass  die  Zahlenreihe  nicht  vollständig  war.  Das 
Publicum, das  sich  im  llieron  aufhielt,  hätte  bei  seinen  Abrech- 
nungen gewiss  das  Zeichen  des  Chalkus  mehr  gebraucht  als 
das  Zeichen  für  10000  Drachmen.  Ich  gebe  deshalb  einer  an- 
deren Erklärung,  die  mit  der  erwiesenen  Bestimmung  der 
Steintische  besser  im  Einklang  steht,  den  Vorzug.  Es  sind 
sechs  Zahlen  da,  und  sechs  sind  die  Seiten  des  Würfels.  Beim 
TT^eidToSoXivSa  konnte  den  verschiedenen  Würfen  ein  beliebiger 
Wert  gegeben  werden  (Pollux  9,95  f.Eustathios.zurllias  XXIII, 
88)^.  Das  Spiel  musste  um  so  spannender  werden  je  grös- 
ser der  Unterschied  zwischen  dem  besten  und  dem  schlech- 
testen Wurf  war.  Die  grossen  Summen,  die  dabei  herauska- 
men, könnten  ja  imaginär  sein  oder  nachher  dividirt  worden 
sein.  Das  hier  Gesagte  erhält  eine  Illustration   und  die  Bezie- 


'  Das  O  auf  der  Darciosvase  (Ileydemann,  Va.sensaminlungen  zu  Neapel 
Nr.  3253)  wird  von  Ussing  a.  a.  O.  als  Dracluuonzeioheii  aufgcfasst,  doch 
viellciclil  iiiil  Unreclil. 

^  llerinanii  -  IMümru'r,  Privataltorlüinor  S.  513. 


14 


CHR.  BLlNKENBEnO 


luing  der  erwähnten  Zahlzeichen  auf  das  Würfelspiel  eine  Be- 
stätigung; durch  einen  griechischen  Würfel  aus  Terrakotta, 
dessen  Seiten  nicht  wie  gewöhnlich  mit  einem  bis  sechs  Au- 
gen, sondern  in  nachstehender  Weise  mit  Zahlen  bezeichnet 
sind  ^ 


Fig.  lü 


Es  bleibt  noch  zu  untersuchen,  von  welchen  Leuten  die 
hier  besprochenen  eigenartigen  Weihgeschenke  gestiftet  sind. 
Diese  Frage  wird  aber  besser  im  folgenden  Abschnitt  mit  Zu- 
ziehung weiteren  Materials  behandelt  werden. 


II 


Im  Hieron  ist  eine  nicht  geringe  Anzahl  steinerner  Tröge 
und  Becken  gefunden  worden.  Einige  haben  die  Expedition 
de  Morde  II  Taf.  34  Fig.  \  (Lykaion)  abgebildete  Form 
und  werden  zum  Tränken  für  die  Reittiere  der  Einkehrenden, 
für  die  heiligen  Hunde  u.  s.  w.  gedient  haben. 

Mehr  Aufmerksamkeit  verdient,  schon  wegen  der  VVeihin- 


*  In  der  Kopenhagener  Antiken.saminlung-,i846  in  Allieii  erworben.  Länge 
der  Seilen  0,045.  Die  Zeichen  sind  sehr  lief  (bis  0,008)  eingegraben;  der 
Würfel  war  also  wahrscheinlich  nicht  etwa  als  Votivslück  oder  Totenbei- 
gabe gemacht,  sondern  trotz  des  Materials  zum  wirklichen  Gebrauch  be- 
stimmt. Auf  der  Akropolis  sind  drei  thönerne  Würfel,  0,03-0,04  gross  ge- 
funden worden.  Ein  noch  viel  grösserer  Würfel  aus  geltranntem  Thon,  in 
Vechlen  gefunden,  wird  Bonner  Jahrbücher  9  S.  31  erwähnt. 


epiDauriscHe  \veihgeschenK.e  15 

Schriften,   die  Fig.  11    abgebildete  Form  von  Wasserbecken. 


Fig.  H 

Es  war  ursprünglich  eine  grosse  Anzahl  davon  vorhanden  ; 
inn  Folgenden  kann  ich,  ohne  Vollständigkeit  beanspruchen  zu 
dürfen,  18  Exemplare'  anführen.  Die  Form  ist  durchgehend 
dieselbe:  ein  flaches,  rundes  Becken  von  einem  meistens  nach 
oben  sicii  etwas  verjüngenden,  Cylinder  getragen,  das  Ganze 
aus  einem  Blo(;k  einheimischen  Kalksteins  gefertigt^.  In  der 
Grösse  weichen  die  verschiedenen  Exemplare  nur  wenige  Cen- 
timeter  von  einander  ab;  es  genügt  deshalb  die  Dimensionen 
des  abgebildeten  Stückes  anzugeben:  Gesamthöhe  0,73,  Durch- 
messer des  Beckens  0,73'". 

Wegen  der  angeführten  Übereinstimmungen  ,  wozu  noch 
hinzukommt,  dass  die  Becken  alle  etwa  dem  4.  Jahrhundert 
vor  Chr.  angehören  und  grösstenteils  unter  denselben   Ver- 


«  S.  17-23,  Nr.  1-12  und  14-19. 

2  Eine  Ausnahme  bililel  nur  Nr.  13  (unten  S.  19  ).  Nr.  12  (  von  gewöhn- 
licher Form )  war  aus  zwei  Stücken  zusammengesetzt;  nur  das  cylinder- 
förmige  Unierteil  ist  erhallen,  an  dessen  oberer  Fläche  sich  drei  Dühel- 
löcher  zur  BelesLigung  des  gesondert  gearheileten  Beckens  finden.  Bei  den 
meisten  Exem|)larcn  sind  die  Ränder  des  Beckens  abgeschlagen,  was  zur 
Verkennung  der  Form^geluhrt  hat;  vgl.  Fouilles  d'Epidaurc  Nr.  103.  'E^r)- 
[XEpi?  äp)(^atoXoYixr)  1894  S.  18. 


46  CHft.  BLINKENBEhÖ 

Iiältnissen  gestiftet  sind,  werden  sie  alle  demselben  Zweck  ge- 
dient haben.  Man  würde  sie  wol  zunächst,  weil  sie  in  einem 
Heiligtum  standen ,  als  Weihwasserbecken  auffassen.  Diese 
Erklärung  lässt  sich  aber  angesichts  der  grossen  Zahl  der  er- 
haltenen Exemplare  nicht  aufrecht  halten.  Auch  für  die  von 
Asklepios  im  Traume  gebotenen  Abwaschungen  können  sie 
nicht  bestimmt  gewesen  sein,  denn  diese  sollten  x-jzb  töc;  .cpiva; 
geschehen  {Fouilles  d'Epidaure  Nr.  1,  Z.  6  und  63).  Es 
bleibt  somit  nur  übrig,  sie  als  gewöhnliche  Waschbecken  zu 
erklären,  zum  Gebrauch  des  im  Mieron  sich  aufhaltenden  Pu- 
blicums.  Dafür  passt  auch  sehr  gut  die  solide,  etwas  plumpe 
Form,  die  bei  heiligen  Geräten  weniger  verständlich  wäre 

Die  erwähnten  Wasserbecken  sind  mit  einem  genügend  be- 
kannten Gerät  vergleichbar,  das  in  sehr  vielen  Vasenbildern 
mit  Toiletlenscenen  '  vorkommt.  Es  scheint  durch  die  Ver- 
bindung zweier  ursprünglich  getrennter  Teile  entstanden  zu 
sein:  eines  flachen,  wol  metallenen  Beckens  und  eines  säulen- 
artigen Untersatzes.  Das  Becken  lose  aufgesetzt  kommt  z.  B. 
Elite  ceramograpilique  I V  Taf.  1  5  (=Blümner,  Kunstgewerbe 
II  S.  127)  vor^;  der  Untersatz  hat  z.  B.  auf  der  strengen  rot- 
figurigen  Schale  Gerhard  A.  V.  Taf.  "2 "2,  5  noch  die  Form 
einer  ionischen  Säule.  Nachdem  die  Verbindung  der  beiden 
Elemente  eingetreten  ist,  wird  das  Gerät  allmählich  einheit- 
licher und  harmonischer  geformt,  indem  der  Untersatz  sich 
nach    unten   mehr  erbreitert  •'.     Die  Vasenbilder   zeigen    das 


<  Viele  Beispiele  von  Stephani,  Compte-rendu  pour  1865  S.  93  angeführt; 
vgl.  Hartwig,  Griech.  Meisterschalen  S.  599. 

2  Vgl.  die  Iliupersis  des  Polygnolos,  Paus.  10,  26,  9:  l~>'-^f,;  x^  AaoStxr) 
ünoataTT];T£  X^Öou  xai  XouxTJpiöv  eotiv  sjiI  xö  U/ioaTOCTT)  yaXxoSv.  Die  früher  öfters 
(z.  B.  Visconti,  Aluseu  Pio-Clemenlino  II  Taf.  2)  als  Danaide  aufgefasste 
Statue  stellt  ein  Mädchen  dar,  das  ein  Wasserbecken  auf  einem  Untersatz 
zureclit  stellt  um  sich  zu  waschen.  Die  häutige  Verwendung  dieses  Motivs 
für  Brunnenfiguren  hat  Ilclhig  (Saniniiungen  in  Rom  I  S.  208)  beleuchlet. 

3  Diese  in  den  jüngeren  Vasenbildern  (z.  B.  lilile  cdramographiquc  IV  Taf. 
75  und  78)  sehr  häufig  vorkommende  Form  ist  durch  die  unten  angeführte 
Nr.  13  vertreten. 


EPIDAURISCHE   WEIHGESCHENKE 


17 


Becken  sowol  im  Freien  <  als  im  geschlossenen  Räume  aufge- 
stellt, von  Männern  und  Frauen,  zum  Waschen  der  Hände  und 
zum  Abwaschen  des  ganzen  Körpers  benutzt.  Blümner 2  ver- 
gleicht es  zutreffend  mit  den  jetzigen  Waschtischen. 

Die  Aufschriften  befinden  sich  bei  Nr.  1-12  und  14-19, 
wie  aus  Fig.  1 1  hervorgeht,  am  oberen  Teile  des  Untersatzes.' 
Ich  führe  zunächst  13  in  der  Formulirung  ziemlich  genau 
übereinstimmende  Aufschriften  an. 


1.   Oben  Fig.  11  abgebildet.  Buchstabenhöhe  0,03-0,03i 


AP  +  I  AO€ 
TEAE^A^ 


TeXeaa?. 


2.   Buchstabenhöhe  0,04-0,045. 


EPKTPATO^ 
AA  I  K  P  A  T  I   A  A€ 
A^  K  A  A  P   I  n  I 


'E7ci(TTpaT0<;, 
AaixpaTtSa; 
'AffjtXaTTicüt. 


3.   Buchstabenhöhe  0,04-0,05. 


AAIKP/\  IAA€ 
EP  I^T  P  ATO^ 
A^  K  A  A  P I a  I 


Aaixpa[T]tSa<;, 

ETvidTpaTO? 

'AaxXaTCiöt. 


4.   Buchstabenhöhe  0,03-0,04. 


EP  O^ 

AAI  lAA^ 

A€  K  A  A  P  I n I 


'ETrftCTpax^og, 
Aai[xpaT]iSa{ 
'Aax'K'f]!:  1(1)1. 


<  Gerhard  A.  V.  Taf.  U\,  4. 

2  Das  Kunslgewcrhe  im  Altcrlum  II  S.  128. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXUI. 


18  CHlt.  BLlNKENBERG 

5.  ASKL.    S.     121,   3. 

A  A  X  A  P   H    €  Aax,cäcpyi?. 

6.  'E<py:a£pt(;  a.pyxio'koyiy.y)   1894  S.    18,  7. 

€nKPATH€  Sü))tpocTyi?, 

A  A  X  A  P  H  ^  Aayäpv);. 

7.  Buchstabenböhe  0,015-0,02. 

O  P  K  I  ^  [A]6p-4i?, 

TPATHNIAA^  [SlrpxTcoviSa; 

E  O  E  N  [ivleÖev. 

8.  Nordisk  tidsskrift  for  filologi,  3  raekke  III  S.  163,  1 . 

AafjLOTreiOyi?, 
KaX>.iK(Ji)v. 

9.  Buchstabenhöhe  0,02-0,0'25. 

(  "^  !    A  O  K  A  H  €  [4apL?]o)tXY5?, 

M  A  X  O  €  [Aaj^aayo?. 

10.  'E(pY)[X£pl?  ap/ato^oyiityi  189'5   S.  18,  6.  Buchstabenböhe 
0, 015-0,02. 

T  E  A  n  N  TeXwv 

PEIOIAA^  rieieiXa; 

ANE0HKATAN  av£e-/)>tiTav. 

11.  Buchstabenböhe  0,025-0,035. 

API^TOXO€  'Apidxoxo;, 

EPIKP^TH^  'L:-ix.päTY)?. 


ßPlDAUhlSCHE    WElHGESCttENÜE  19 

12.  Fouilles  cTEpidaiire  S.  56,  Nr.  117.  Buchstabenhöhe 
0,025-0,035. 

AA/AOXAPH^  AafAO/apr,?, 

TEI_^AMENO€  TeiTaasvo?. 

13.  Becken  von  der  S.  Iß.  Anm.  3  erwähnten  Form,  aus 
zwei  Stücken  grauschwarzen  Steins  gemacht.  Den  Fuss  sah 
ich  1896  im  Hieron;  vom  oberen  Teil  ist  etwas  mehr  als  die 
Hälfte  erhalten  (1896  beim  Museum  aufgestellt).  Durchmesser 
des  Beckens  1,07™,  Dicke  bis  0,075,  flöhe  des  Fusses  0,50. 
Die  rechts  unvollständige  Inschrift  befindet  sich  auf  dem 
oberen,  0.04  breiten  Rande  des  Beckens';  Buchstabenhöhe 
0,022-0,03.  Das  Sigma  ist  unten  unvollständig, 

AYK  AlOOi^API      AujtaiOo;,  'Apt['7T0T6XY,<;  oder  ähnlich] 

Es  geht  aus  diesen  Aufschriften  zur  Genüge  hervor,  dass 
die  betreffenden  Waschbecken  als  Weihgeschenke  dem  Askle- 
pios  dargebracht  sind,  mag  sein  Name  da  stehen  oder  nicht. 
Denn  die  Personennamen  im  Nominativ  können  nur  als  Sub- 
jekt zu  äveOri>c-/Tav  (oder  ävsOexav),  das  meistens  nicht  ge- 
schrieben wurde,  aufgefasst  werden,  und  Weihungen,  die 
keinen  Götternamen  enthalten,  sind  an  den  Hauptgolt  des  Hei- 
ligtums gerichtet;  dieser  war  aber  jedenfalls  in  der  ersten 
Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  noch  Asklepios  allein,  während  in 
den  folgenden  Jahrhunderten  das  Hieron  officiell  (aber  auch 
nur  officiell  2)  Apollon  und  Asklepios  gemeinsam  gehörte.  Die 
häufige  Verwendung  der  Formel  führte  dazu,  dass  überflüssige 
Wörter  (/.xi,  'Ai/.XotTr'.dJi,  iveöixxv )  ausgelassen  wurden^.  Die 


'  in  den  Vasenbildern  h;ii;t  die  Aussenseile  des  Beckens  bisweilen  eine 
Aursclirift  (z.  B.  AHMOSIA,  Baiiincislcrs  Denkmäler  I  Fig.  219),  was  im 
Hieron  nicht  vorkommt  und  viellciclil  nur  malerisclie  Freiheit  ist. 

2  Vgl.  AsKL.  S.  33  ir.,  wo  diese  Frage  erörtert  ist. 

3  Vgl.  die  später  gewöhnliche  FornierAjroXXwvi  'Aa/.Xa;:twi  (Askl.  S.  33  IT.), 
die  neulich  in  dem  athenischen 'Aa/.XrjKutx'Aaüvtoi  ein  genau  entsprechendes 
Seitenstück  erhalten  hat  (Athen.  Millh.  189G  S.  294). 


20 


CHR.  BLINKENBEUÖ 


Aufschrift  Nr.  1   z.  B.  sagte  dem   damaligen  Publicum   des 
Heiligtums  eben  so  viel  als  'A^ylloc,  )cal  TeXe'ax?  ' An/SkaiziCii  otve- 

Sie  sagte  aber  bei  aller  Kürze  gewiss  noch  mehr.  Die  in 
den  12  Aufschriften  (denen  zweifellos  auch  Nr.  13  hinzuzufü- 
gen ist)  sländio;  wiederkehrende  Verbindung  von  zwei  Man- 
nernamen   lässt  sich  nicht  als  Zufall   betrachten.    Es  kommt 


Fig.  12 


hinzu,  dass  dieselbe  Verbindung  auch  sonst  unter  ähnlichen 
Verhältnissen  auftritt.  Ein  Stein,  dessen  Form  die  Skizze  Fig. 
12  veranschaulicht  ',  trägt  auf  der  Scbmalseite  Ä  die  Auf- 
schrift (Buchstabenhöhe  0,02-0,025): 


T  I  M  A  N  O  H  ^ 
AMO I AYTO^ 
ANEOETAN 


'Au.<pi>.uTO(; 
aveöexav. 


Ferner  sind  hier  anzuführen  die  zwei  oben  (S.  2-4 ,  Nr.  1  und  3) 
abgedruckten  Dedikationsinschriften  der  Spieltiscbe.  Die  grosse 
Zahl  dieser  Weibungsformeln  macht  es  meines  Erachtens  ganz 


<  Gesamtlänge  1,77,  Breite  0,885,  Dicke  0,22™.  An  der  Obernäche  drei 
beckcnälinliclic  Verliefiingcu;  die  niiltlerc,  runde  liat  einen  Durchmesser 
von  0,745,  eine  Tiefe  von  0,095;  die  beiden  seitlichen  sind  0,735  lang,  0,41 
breit,  0,07  tief.  Dies  sonderbare  Weihgeschenk  dürfte  vielleicht  nach  dem 
oben  Angeführten  als  drei  in  einem  Stück  vereinigte  Waschbecken  aufzu- 
fassen sein. —  Ein  ähnlicher  Stein  (mit  nur  zwei  ungefähr  quadratischen 
Vertiefungen)  von  1,40  Länge,  0,83  Breite,  0,30  Dicke  war,  so  weit  ich  sehen 
konnte,  ohne  Inschrift. 


EPIDAURISCHE   WEIHGESCHENKE  21 

unmöglich  in  den  Dedikant  en  etwa  Rruder-  oder  Freundes- 
paare zu  sehen.  Wir  haben  es  hier  vielmehr  mit  einer  ständigen 
Sitte  zu  thun,  die  nur  dann  zu  verstehen  ist,  wenn  die  Wei- 
henden Mitglieder  eines  ständigen  Collegiums  waren.  Was 
das  für  ein  CoUegium  war,  ersieht  man  aus  den  Aufschriften 
zweier  Wasserbecken  von  der  gewöhnlichen,  durch  Nr.  1-12 
vertretenen  Form. 

14.  Buchstabenhöhe  0,02-0,03.   Foailles  cVEpidaure  ^. 
54,  Nr.  103. 

lAPoMMA/AoHE  'lapoavaaove 

A  A  X  A  P  H  ^  Aa^xpr,? 

KAEKOEMEY^  EXsiaeeveu;, 

AAKPI^AA(J)EIAEY€  Axxpi?  Aa^stSeu? 

AHE0H  KATAM  äveO-zix.zTav. 

15.  Buchstabenhöhe  etwa  0,025. 

lAPOMMA/AoNE  'lapopaaovs 

A  A  K  P  I  €  Aocxpt? 

AA0EIAEY€  AacpsiSeu;, 

A  A  X  A  P  H  ^  Aa^apri? 

KAEI€0ENEY€  K^ei-reeveu; 

AHE0HKATAM  ocveÖ-^jczTav. 

Es  war  also  im  4.  Jahrhundert  eine  wenigstens  ziemlich  regel- 
mässige Sitte,  dass  die  lliaromnamonen,  wol  beim  Anfang 
oder  Ende  ihrer  Funktion,  ein  Weihgeschenk  stifteten,  und 
zwar  scheinen  sie  solche  Stiftungen  vorgezogen  zu  haben,  die 
dem  Publicum  des  Heiligtums  nützlich  sein  konnten,  ohwol 
Beispiele  von  Weihgeschenken  gewöhnlicherer  Art  (Statuetten 
und  dergl.)  auch  nicht  fehlen  '.  Die  hier  besprochenen \A'asch- 


'  Allerdings  sind  nur  noch  die  Basen  erhallen:  Kavvadias,  Fouilles  d'lipi- 
daure,  Nr.  102.  Bliukenbcrg,  Nordisk  lidsskriß  for  filolugi,  N.  H.  X  S.  273, 
XX.  Kavvadias,  'E!fri[xep'i;  äp/aioXoyixT)  189'i  8.  IS,  8. 


22  CHR.  BLINKENBERG 

becken  und  Spieltische  gehören  in  die  Zeit  der  grossen  Bau- 
thäligkeit  und  sind  nach  der  vorstehemlen  Auseinandersetzung 
als  Zugaben  seitens  der  Miaromnamonen  zu  den  vom  [leiligtum 
officiell  für  die  Bequemlichkeit  der  Gäste  getroffenen  Vorrich- 
tungen aufzufassen  K 

Nur  Nveni^e  Wasserbecken  sind  unter  anderen  Umständen 
geweiht;  sie  entstammen  derselben  Zeit  wie  die  anderen,  und 
man  ist  wol  berechtigt  anzunehmen,  dass  die  Dedikation  von 
der  nachgewiesenen  Sitte  beeinflusst  war.  Ich  führe  die  fol- 
genden von  mir  notirten  Aufschriften  nur  kurz  an.  Die  Dedi- 
kanten  von  Nr.  19  waren  nach  dem  oben  gesagten  Hiaromna- 
monen,  die  in  diesem  Falle  ihre  Weihung  nur  an  einen  andern 
Gott  gerichtet  haben. 

16.   Buchstabenhöhe  0,027-0,03. 


n  P  A  T        A  <  npaT[i]a? 

A  ^  K  A  A  P  I  O  I  'A'yKka.Tzm 

lAPEY^EQM  lapeuaewv  2 

A  N  E  O  H  K  E  äveÖnxe. 

n.   Buchstabenhöhe  etwa  0,025. 

T  I  M  A  P  1  €  T  A  Tt|;.apt<jTa 

A  P  T  A  M   I   T  I  'ApxäaiTi 


AEKATAN  S 


ejcaxav. 


Die  Inschrift  ist  schon  C.  I.  G.  1172  veröffentlicht,  wo  die 
erste  Zeile  auf  Grund  der  Abschrift  riMAPISTA  vermutungs- 
weise als  navapiTTo.  gelesen  und  in  der  zweiten  'Apräu-uTi  ge- 
schrieben ist. 


'  Vgl.  ferner  die  von  den  Hiaroranamonen  geweihte  Sitzbank:  Kavva- 
dias,  Fouilles  d'Epidaure  Nr.  259. 

2  Eine  Weihung  beim  Antritt  des  Priestertums  findet  sich  aurh  in  einer 
unveröfrenlliebleu  Insclirift:  'Api^iap/o;  'EpyiXou  (vgl.  oben  S.  4  Anni.  !  ) 
jiapEÜ;  Xa/u)v  AaxXaTitüit  [  xai 'AnoXXwvi  äv£Oir)X£,  wo  Xa/^wv  die  erwünschte 
Auskunft  giebt. 


EPIDAURISCHE  WEIHGESCHENKE  23 

18.  Bruchstück,  0,51  hoch.   Buchstabenhöhe  0,02-0,035. 

A  A  M  O  A  A  AaijLÖAa 

AAMATPI  Aä{xaTpi. 

19.  Buchstabenhöhe  0,015-0,025. 


€  ü  3E  E  N  O  ^ 

Sw^evog, 

O  1  A  P  H   € 

©läpy); 

A  P  O  A  A  ^  N  1 

'Atcö^Xwvi 

Kopenhagen,  September  1897. 


»t*   y   "H 


CHR.  BLINKENBERG. 


INSCHRIFTEN    AUS   ATHEN 

1.  Fragment  aus  weissem  Marmor  (18"" hoch,  15  breit),  in 
der  Mitte  gebrochen.  Gefunden  bei  den  Ausgrabungen  am 
Nordwestabhang  des  Areopags. 

.EPEAI   AOHNAI 
ASiPOAl   AA  O  ^ 
APOMETPA  r 


10 


EPMHIEA/   YKEIO 
O  \X 

i  i  i^e  peü^y  i  a 

ä    ömhiisita  ^emo 
es:ebao  A/  iom 

O  I  S!/    E  I  PO 

PY  O  Wz       '70Y 
ÜH       Wt. 


iJEpeai  'AOirivai- 
a;  rioXiocSo; 
ocTTOfxeTpa 
'EpjxTit  il  Auy.sio 

Ol? 

lepeöduva 
eS]86[i.YU  lOTap-EVO 
i;  eSSoji-aiov 
Ol?  XeiTuo- 
yv(l){j!,(i)v 

nuOaicr[Ta]i(;  Ou- 
wv  .  .  . 


INSCHRIFTEN   AUS   ATHEN  25 

Offenbar  haben  wir  es  mit  dem  Fragment  einesOpferkalen- 
ders  zu  thun.  Üie]Zahlen  rechts  und  links  von  der  erhaltenen 
gehören  zur  ersten  und  dritten  Columne.  Da  im  Einzelnen 
vieles  dunkel  bleiben  wird,  geben  wir  nur  kurze  Bemerkungen 
zur  VVorterklärung. 

Z.  3.  oi.-z6ij.eTpx.  Dieses  Wort  ist  nur  noch  zu  belegen  aus 
der  Inschrift  C.  I.  A.  IV,  1  S.  5  4  Nr.  555»  (etwas  älter  als  die 
vorliegende  Inschrift),  wo  es  in  ähnlichem  Zusammenhange 
steht  (Z.  4.  hciy.>.  x7:6u.iTpx).  Es  muss  einen  bestimmten  Teil 
von  den  Opfergaben  bedeuten,  welcher  der  Priesterin,  als  ihr 
Vorrecht,  zugemessen  wird. 

Z.  7.  UpscÖT'jva,  nicht  (spu'T'jva,  wie  das  Corpus  hat,  steht 
auch  auf  dem  Stein  C.  I.A.  II  610  Z.  6. 

Z.  9.  oU  ).£t7T0Yva)a(i)v.  Aristophanes  von  Byzanz  bezeugt ^ 
dass  in  der  attischen  Kultsprache  das  Wort  ^si-oyvcou.wv  ange- 
wendet sei,  um  ein  Opfertier  zu  bezeichnen,  welches  den  Milch- 
zahn, den  yvciacov,  schon  verloren  hat,  also  ein  ausgewachsenes. 
Unser  Stein  bietet  die  erste  urkundliche  Bestätigung  dieser 
Überlieferung.  Zur  weiteren  lexikographischen  Litteratur  über 
das  Wort  vgl.  Aristophanis  Byz.  fragmenta  coli.  Nauck  S.  99. 

Z.  11.  zu  n^jHxiaTrii  vgl.  G.  I.  A.  IV,  2   11901'  .  nQOc  . 

2.  Der  Stein  G.  I.A.  IV,  2  813  b  trägtauf  der  Rückseite  oben 
die  Inschrift: 

I  S 

OONIAHNOIAErErO 
TOYrENOY^EPII     E 

0£oli; 

Öoviöüiv   oio£   yeyo- 
vÖTg;  .   .   .   .  J   Tou  yevou;   etvI  [K]e  .... 


'  Eustalh.  ad  Odyss.  p.  1404  tin.  Tä  TeXsia  eT:i  nXei'artDv  yEvwv  xal  xaTTjpTu- 
xrfxa  XetuoYvoJ[j.ova  xaXeiTai  oia  xö  (ATjxeTi  e/Jiv  oSovra;  T0Ü5  YvtiifjLOvaj  xaXouuLc'vou;, 
ot's  £7ciYivc6axouaiv  01  E[Ji7;£tpoi  toüj  Jtpwto6dXou5"  ö  5£  xouto  ypäij^aj  "Apiato^ ävTjj  X5'- 
yEi  xal  'AttixtJv  xiva  ow8dxr,oa  OucaOai  Xiyo^ivr^'j  XeiTioyvaijjiova,  oiov  TsXsiav, 


26  E.  ZIEIURTH 

darunter  in  grösseren,  viel  späteren  Buchstaben 


MHAE    loYTOAEY 
T  E   P  O  N 

AM(t)   I   OAAH5: 
0    I   A    I   N  O  :S  (()   I   A  INOY 
EVaNYMEY^ 
EP    I    M  H  A  ElO  Y 

ANTITO    YAM 

0  I  o  A  A  oY  s: 

Nl     KIASKAAAIMA 

XOYA'OA'^'^T' 


TcOOV 

cptOa'Xou; 

Ntx,ioc?  KxXkiy.x- 


Diese  Inschrift  ist  erst  eingehauen  als  von  dem  ursprüng- 
lich mehr  als  doppelt  so  breiten  Stein  reciits  (von  der  Vor- 
derseite aus  gerechnet)  ein  grosses  Stück  grade  abgeschnitten 
war,  jedenfalls  weil  das  schöne  Marmorstück  eine  andere 
Verwendung  fand. 

Die  Datirung  [iizl]  MrSsto'j  tö  Ssuxspov  bestätigt,  was  schon 
HomoUe  im  Bull,  de  corr.  hell.  17,  172  A.  an  dem  Bei- 
spiel des  Archon  Argeios  nachwies,  dass  in  späterer  Zeit  eine 
Iteration  des  Archonten- Amts  zulässig  war.  Dass  speziell  Aie- 
deios  dreimal  Archon  gewesen  ist,  war  schon  aus  der  Inschrift 
C.  I.  A.  III  1014  bekannt,  über  welche  llomolle  a.  a.  0.  zu 
vergleichen  ist.  Das  zweite  Archontat  des  Medeios  fällt  nach 
HomoUe  etwa  in  das  Jahr  80/79,  nach  Schöffer  (bei  Pauly- 
VVissowa   s.  v.  Archontes)  in  das  Jahr  84/83   vor  Chr.    Ein 

<I>0.ivo?  <^'.X^vO'J  E'jcovua^'j;    ist  Epliebe  6x1  'AttoDvoSwoo'j  apyovTO? 

(45/44  vor  Chr.)  C.I.A.  II  481,  also  nicht  mit  dem  unsrigen 
identisch.  Der  Zweck  der  Inschrift  scheint  die  Autzeichnung 
der  zur  Vornahme  gewisser  kultlicher  Handlungen  für  jedes 
Jahr  designirten  r.xi^zq,  äy.cpiOaXe^  zu  sein  ;  im  Behinderungs- 
falle konnte  an  Stelle  des  designirten,  avxt  xoo  äy.'piOaXoij;,  ein 
anderer  eintreten.  Man  denkt  dabei  an  die  bekannte  Stelle  in 
Plut.  Thes.  22  (vgl.  Eustath.  ad  II.  XXII  495  p.  1283),  nach 
der  am  Pyanopsienfeste  ein    -nrai;   äa^-.OaXr,;  die  elpeatcöv/)  trug 


INSCHRIFTEN  AUS   ATHEN  27 

und  sie  an  der  Thür  des  Apollo-Tempels  niederlegte,  anderes 
s.  bei  Pauly-Wissowa  s.  v. 

Unter  dieser  Inschrift  ist  der  Stein  halb  weggebrochen  und 
stark  abgescheuert,  aber  man  erkennt  noch  drei  Zeilen  in 
kleineren  Schriftzügen,  als  die  vorhergehenden: 

^AXOS:    ^E    I    PA  KaXXi1;j.a/o;  A£tpa(Stü>Tn?) 

AM(I)    lOAAHS:  äu-^iOaV;); 

3.  Oberes  Stück  einer  auf  beiden  Seiten  beschriebenen  Stele 
aus  pentelischem  Marmor  mit  Aetoma  und  Rand  oben,  ge- 
funden auf  der  Akropolis  im  Jahre  1884,  jetzt  im  National - 
Museum.  Breite  32'"",  Höhe  U^-",  Dicke  16'"".  Die  Renntniss  die- 
ses Steines  verdanke  ich  Herrn  Dr  A.  Wilhelm,  dem  ich  auch 
sonst  für  die  Einführung  in  das  epigraphische  Museum  und 
für  seine  Mithülfe  beim  Lesen  von  Inschriften  in  zahlreichen 
Fällen,  sowie  für  empfangene  Belehrung  zu  Danke  verpflichtet 
bin.  Der  Stein  bietet  der  Entzifferung  ganz  besondere  Schwie- 
rigkeiten, da  er  eingemauert  gewesen  ist  und  vielfach  mit  ei- 
nem harten  Mörtel  überzogen  war,  auch  die  sichtbaren  Buch- 
staben durch  Wasser  stark  gelitten  haben.  Erst  durch  Ent- 
fernung des  Mörtels  gelang  die  Lesung  der  Buchstaben  auf 
dem  Aetoma  und  vieler  anderer.  Auf  meine  Bitte  hat  auch 
11.  von  Prott  den  Stein  geprüft,  und  ihm  verdanke  ich  die 
Lesung  der  entscheidenden  Zeilen  a,  4  und  7. 
(S.  den  Text  auf  S.  28.  29). 

Auf  der  rechten  Seite  von  a  können  bis  zum  Bande  nur 
wenige  Buchstaben  fehlen,  wie  die  Überschrift  und  die  Bück- 
seite lehrt,  welche  dort  beginnt.  Z  8  ist  fast  bis  zum  Bande 
erhalten.  Es  fehlen  etwa  4  Buchstaben.  Z.  1  hat  nach  Au<TtäS7); 
wahrscheinlich  noch  das  Demolikon  iiestanden  :  v<rl.  J.  Penn- 
dort",  De  scribis  reipublicae  At/unwnsnim  S.  II  i.  Danach 
ist  die  Zeilenlänge  auf  über  70  Stellen  zu  veranschlagen.  Die 
Ergänzung  wird  erschwert  durch  die  ungewöliuliclic  Fassung 
des   Dekrets.   Nach   £(]/7i(pi<iO!xi  Z.  5  fehlt  Se,  also  ist  eine  Ab- 


28 


E.  ZIEBARTH 


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INSCHRIFTEN   AUS   ATHfiN  §9 


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UJLUHQ-W-LiJQ^G  _'^^^fi^g.3'.S«2§3 


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-1^  X<<iw:2c3E-a!'ü-6 


•A 


30  E.  ZIEBAHTH 

weicliung  von  der  Formel:  Exaivsaai  ij.ev  -  i<\in'^inf)xi.  c^s  (vgl. 
Wilhelm,  Hermes  24,  115)  vorauszusetzen.  Z.  8  habe  ich 
nicht  entziffern  können,  die  rechte  Iliilfte  liest  man  ziemlich 
deutlich,  die  linke  ist  stark  versintert. 

ö.  Z.  \  vielleicht  Bl£v]Si(pxv7)[(;.  Rechts  von  der  zweiten  Co- 
lumne  sind  Spuren  von  Gol.  'S  Z.  5-12  zu  erkennen,  d  zeigt 
kleinere  Buchstaben  wie  a.  ist  aber  ebenfalls  otoi/tiSov  ge- 
schrieben und  stammt  aus  gleicher  Zeit.  Danach  haben  auf 
der  Rückseite  mindestens  vier,  wahrscheinlich  aber  fünf  Rei- 
hen von  Namen  gestanden.  Da  nun  die  Höhe  des  Steins  nach 
seiner  Dicke  ( 16"" j  zu  schliessen  nicht  unbeträchtlich  gewe- 
sen sein  wird,  so  können  über  hundert  Namen  auf  der  Rück- 
seite üPslanden  haben.  Wir  haben  also  das  Fracment  eines 
Psephisma  etwa  aus  dem  Anfange  des  vierten  Jahrhunderts 
vor  uns,  durch  welches  einer  grossen  Zahl  von  Leuten,  welche 
ausschliesslich  naoh  ihrem  Beruf  bezeichnet  werden,  anschei- 
nend  das   Bürgerrecht  (Z.  .^)  verliehen  wird. 

Wer  diese  Leute  waren  und  was  für  Verdienste  sie  sich 
erworben  halten,  ist  in  Z.  4  und  7  ausgesprochen.  Es  sind 
die  Männer  ögoi  r7uvx.a-rv)A0ov  änro  (I>'jAr;; '  und  die,  welche  zwar 
nicht  zu  den  Piiyle- Kämpfern  gehörten  (?;,  cuvey-ic/ovTo  Ss  ty;[x 
[y.y./r,v  Tr,f;.  Mov'.yia.rrt  Sehen  wir  uns  nun  nach  der  litterarischen 
Überlieferung  um,  welche  diesem  arg  verstümmelten  Fragment 
zu  Hülfe  kommen  muss.  Über  die  Belohnung  der  Helden  von 
Phyle,der  Befreier  des  Vaterlandes,  ist  die  Haupistelle  Aeschin. 
III  187.  1 88,  die  ich  ganz  ausschreiben  muss.  'Ev  Toivuv  tw  Mti- 
Tpcöoi  Trapx  tÖ  ßo'jAE'jT'optov,  7]v  sSoTs  So)p£xv  TOi<;  y.7cö  «I^uX-Oi;  (psü- 
yovxa  tÖv  Syjp.ov  x.aTaYayoÜT'.v,  s'jTiv  irtav.  -/^v  i/iv  yap  6  t6  (j/7)Cp'.iTa3t 
Ypä<I/a;  7.7.1  v'./.r,r7a<;  'Apytvo;  ö  i/.  KoiXy)^,  £t;  fcov  x,aTaYay6vT(ov  tov 
Sv^aov,  £'ypai|;6  Ss  TupöiTOv  (viv  auTOt?  £i?  Ouaiav  jcai  ävaOy;[/.aTa  oo'jvat 
yaia;  Spayp.z;  (-/.xi  toöt'  scxtv  i'XaTTOv  r,  hi^y.  ^pay^a'.  Kar'  xvopa 
e-ztaiTOv),  sTcetra  JteXeoEi  CTSCpavoöcÖai  Öa^Xoö  'JT£(p4:v(i)    auxöJv    e'/ca- 


'    Vgl.  Acscliili.    111    l'Jü   0paaü6oüXov  .  .   sva   töjv   auYxaTEXOo'vxiüv   auTw  «nö 
*.Xr-,'. 


tNSCHRIFTE>f   AUS   ATHEN  3l 

(JTOV,  (X.W  Ol»  j^pu'Jt})  .  •  y-OL'.  ouSe  TO'JTO  i'.y.r,  -pa;ai  •/.i'Ke'JV.,  ä>X 
anpiSwi;  Tr,v  ßouXr/V  (T/ce^j/apLev/iv  ocoi  a'jxüiv  £7:1  4>u>.-?)  67coXiopx.-/)0yi- 
(jav,  0T£  Aax.sSai^a&vtoi  xai  ol  Tpii/.ovxa  -poTE^aXXov  toi?  x.aTaXa- 
ooCci  <I>'j)^r(V.  "Oti  0  äXr,07i  "kiybi,  äva.yvcÖGcTat  üaiv  xö  ']/7;'pi<5u.a. 
^ricpKju.a  TTspi  Scopea?  toi?  (xtcö  4>'jXy5?-  In  dem  Psephisma  des 
Arcliinos  muss  also  wörtlich  gestanden  haben,  einmal  die 
nicht  ungewöhnliche  Formel:  Souvat  Se  a^Toi?  eI?  Övcriav  xai 
ava6y;t/.aTa  J^i^iai;  Spayaä?,  zweitens  :  CT£<pavüi(jai  Se  £>caaTOv  aü- 
Tüiv  ÖxaXoö  GT£<pzvw,   femei"  noch,    t-/;v    Se    [io'j).r,v  Gy,i'lxnbx'.   öao: 

aüxöiv  6::t  <I>uViq  £-o>.'.op>'.7;07;'7av.  Alles  dies  steht  nicht  auf  dem 
Stein,  soweit  er  erhalten  ist;  trotzdem  muss  ein  enger  Zusam- 
menhang zwischen  jenem  Psephisma  und  unserem  Stein  be- 
stehen, ja  es  kann  in  ihm  der  Anfang  des  Psephisma  des 
Archinos  thatsächlicli  vorliegen.  Denn  die  Phyle- Kämpfer 
sind  nur  einmal  belohnt  worden,  und  die  ersten  beiden  der 
genannten  Formeln  pflegen  gegen  Schluss  eines  Dekrets  zu 
stehen,  und  auch  die  dritte  braucht  nicht  am  Anfange  gesucht 
zu  werden.  Betrachten  wir  unter  dieser  Voraussetzung  den 
Stein  genauer.  Verliehen  wird  den  Helden  von  Phyle  das 
Bürgerrecht.  Also  hatten  sie  es  vorher  nicht,  mindestens  nicht 
alle,  in  der  That  war  vorauszusetzen  und  ist  auch  ausgespro- 
chen (von  Clerc,  Les  meteques  S.  4 '29),  dass  unter  den  Ver- 
bannten und  speziell  den  ä^ö  <J>u>.7i<;  die  Metöken  in  grosser 
Zahl  vertreten  waren,  da  sich  gegen  sie  die  Verfolgung  der 
Dreissig  ganz  besonders  gerichtet  hatte,  und  da  überhaupt 
Handel  und  Gewerbe  seit  der  Einnahme  des  Piräus  tiurch 
Lysander  ganz  darniederlagen.  Dazu  stimmen  die  teilweise 
recht  fremd üindischtMi  NauKMi  auf  der  Bückseite  des  Steins. 
Neben  den  Phyhi- Kämpfern  ist  aber  auch  von  den  Munichia- 
Kämpfern  die  Bede  (Z.  7).  Wir  lernen  also,  dass  das  Dekret 
des  Archinos  nicht  ausschliesslich  den  Phyle- Siegern  galt, 
sondern  überhaupt  den  Bellern  des  Vaterlandes  in  dem  gros- 
sen Jahre  iüS.  Aiscliines  ermähnt  dies  nicht,  weil  er  das  De- 
kret nur  zu  einem  bestimmten  Zwecke  heranzieht,  nicht  seinen 
ganzen  Inhalt  bespricht.  Die  Munichia- Kämpfer  erscheinen 
von  den  anderen  getrennt,  werden  also  auch  eine  andere  Be- 


32  K.   ZIERAKTH 

lohnnng  erhalten  haben.  Und  wirklich  ist  hei  Xenophon, 
Hellen.  II  4,  25,  wo  von  den  Ereignissen  gleich  nach  der 
Schlacht  bei  Munichia  erzählt  wird,  iiherliefert.  dass  denen, 
welche  erst  in  Munichia  zu  der  Schaar  des  Thrasybul  stiessen, 
wenn  sie  Fremde  waren,  die  Isotelie  versjDrochen  wurde.  Da- 
nach vermute  ich  in  Z.  W.  etwa:  evat  ^s  aÜTOt?  laozilnx^]  >ta- 
öicTirep    'AOrivaioii;. 

Leider  ist  es  mir  im  Übrigen  nicht  gelungen,  diese  wertvolle 
historische  Urkunde  weiter  zu  eroänzen.  Nur  der  Archon  lässt 
sich  noch  ermitteln.  Die  Friedensverhandlungen  und  die  end- 
gültige Neuordnung  der  Verhältnisse  zogen  sich  zwei  Jahre 
hin,  erst  im  Jahre  4  01/0  kam  die  Verständigung  Tirpö?  toui;  h 
'EXeuctvt  £i^oi)tri<javTa;  zu  Stande  iizi  Sevatvexo-j  ap;;(^ovTO?  (AristOt. 
Hol.  'AOtiv.  40,  4).  Derselbe  Archon  muss  auch  über  unserem 
Psephisma  gestanden  haben ,  da  der  Name  keines  anderen 
Archon  dieser  Jahre  auf  -o?  endigt. 

Die  historische  f^edeutung  der  neuen  Urkunde  kann  hier 
nur  angedeutet  werden.  Archinos  hatte  schon  einmal  Gelegen- 
heit gehabt,  sich  mit  der  Belohnung  der  Befreier  des  Vater- 
landes zu  befassen,  gleich  im  Jahre  403.  Damals  hatte  Thra- 
sybul  für  sie  alle  in  Bausch  und  Bogen,  die  ex.  Ilstpaie'dx;, 
die  Verleihung  des  Bürgerrechts  beantragt.  Archinos  aber,  der 
in  der  Vermehrung  der  Bürgerschaft  um  solche  Elemente,  wv 
evioi  ^avspöi^  TiTotv  SouXoi  (Aristoteles),  nur  den  Keim  neuer  Un- 
ruhen für  den  Staat  sah,  war  es  gelungen,  durch  eine  Klage 
xapav6[X(i)v  das  Zustandekommen  dieses  Psephisma  zu  vereiteln 
(Ariatot.  lloX. 'AO.  40,  ?.  Aeschin.  III  '95),  wodurch  z.  B.  der 
Redner  Lysias  hart  getrolTen  wurde,  der  nun  trotz  der  grossen 
Opfer,  die  er  im  Kriege  gebracht  hatte,  nur  Isotele  blieb  (IMut. 
Vit.  orat.  S.  ii'M)/').  OtTenbar  war  es  hierbei  nicht  die  Absicht 
des  Archinos,  jede  Belohnung  zu  hintertreiben,  sondern  er 
wollte  nur  eine  passende  Abstufung  je  nach  Verdienst  eintre- 
ten lassen.  Denn  es  war  allerdings  ein  grosser  Unterschied, 
ob  Jemand  wirklich  zu  der  ersten  kleinen  Schaar  gehört  hatte, 
die  mit  Thrasybul  von  Theben  kam,  den  Handstreich  gegen 
Phyle  wagte  und  dort  von  den  Truppen  der  Dreissig  belagert 


INSCHRIFTEN   AUS   ATHEN  33 

wurde,  oder  ob  er  zu  denen  gehörte,  die  unmittelbar  nach 
dem  Abzug  der  Üreissig  von  Phyle  sich  einstellten  (Xenoph. 
Hell.  II  4,  5  'ifi^-n  duvsiXeYp.e'votJv  ei?  t-^v  <I>u>.y)v  Trspi  iTTTaxodio-j;  und 
kurz  darauf  §  10  Xaßwv  6  0pa<ju€o'jXo;  tou?  x-kq  'P'Ar^t;,  zeci 
y^ikioui  -/iSy)  ^'jveiXeypLEvoui),  oder  ob  er  endlich  erst  in  Munichia 
auf  die  direkte  Versprechung  der  Isotelie  hin  dem  siegreichen 
Zuge  sich  anschloss.  Man  wird  also  zur  Feststellung  dieser 
Verhältnisse,  die  gewiss  nicht  so  einfach  war,  weil  Listen 
schwerlich  geführt  waren,  eine  Untersuchung  angestellt  haben, 
und  so  kam  es  zwei  Jahre  später  zu  dem  endgültigen  Be- 
schlüsse, für  den  eben  die  genauen  Unterscheidungen  unter 
den  zu  Belohnenden  charakteristisch  gewesen  zu  sein  scheinen. 

Es  bleibt  noch  die  Frage  zu  entscheiden,  wer  auf  der  Rück- 
seite verzeichnet  stand.  Waren  es  alle  die  in  dem  Psephisma 
Belohnten,  also  sowohl  die  neuen  Bürger  wie  die  neuen  Iso- 
telen  ?  Nach  Aischines  durchaus  glaubwürdiger  Angabe  be- 
trug die  Zahl  der  x-ko  <I>uXy5<;  über  hundert,  während  die  sonsti- 
gen Angaben  zwischen  30  und  70  schwanken.  Oben  haben 
wir  berechnet,  dass  auch  auf  dem  Stein  für  mehr  als  hundert 
Namen  Platz  gewesen  ist,  und  die  Zahl  ist  mit  Aischines 
ganz  in  Übereinstimmung  wenn  wir  annehmen, dass  die  fünf 
Columnen  nicht  die  ganze  Rückseite  füllten,  also  etwa  je  25-30 
Namen  enthielten.  Die  Zahl  der  mit  der  Isotelie  Beschenkten 
dagegen  wird  eine  sehr  grosse  gewesen  sein,  die  nicht  mehr 
auf  dem  Steine  Platz  findet.  Die  Wahrscheinlichkeit  spricht 
also  dafür,  dass  die  ganz  oder  teilweise  erhaltenen  19  Namen 
den  Helden  von  IMiyle  angehören'. 

Zur  Einzelerklärung  sind  noch  einige  Bemerkungen  nötig. 

ö.Z.\.  Die  Abkürzung  rEQP  findet  sich  schon  C.l.A.  IV,  2 
773 '^  Z.  22  (FEinP),  von  J.  Simon,  Abkürzungen  auf  griech. 
Inschriften,   Zeitschrift  für  die  Österreich.    Gymnasien   1891, 


'  Aus  der  liltcrarisclien  Überlieferung  können  wir,  soweit  ich  sehe,  ausser 
den  Führern  der  Schaar,  den  beiden  Thrasylnilen  und  dem  Archinos,  nur 
den  Ergükles  namhaft  machen,  gegen  den  Lysias  Hede  28  gerichtet  ist.  Er 
war  Stratege  gewesen  und  ein  angesehener  Mann ,  wie  viele  andere  unter 
ihnen  (vgl.  Lysias  13,  62). 

ATHEN.   MITTHEILUNGEN   XXHI.  3 


34  E.  ZIEBARTÜ 

673  tY.,  noch  nicht  berücksichtiirt,  vgl.  768c  Z.  19  FEQPro. 

Z.  4.  Zu  öp£(i>;c(6ao;)  vergleiche  die  Abkürzungen  in  der  eben 
citirten  Inschrift  Col.  11,15  OPEÜKO  und  ^  Gol.  1,5  OPEQ. 

Z.  7.  övo5c6(-o?)  war  bisher  nur  bekannt  aus  dem  Fragment 
des  Alexis  (Frg.  13  K.)  bei  Pollux7,  19  xöv  Se  vOv  j^.u'Xo/cötcov 
ovoJtOTTOv  ^AXe^i;  6ip7)>t£v  ev   'AjxcpcjJTtSi' 

TOiV     TOU;     ä^ETWVa;     TCJVOS     X,07Ct6vT{OV     OVO'J?. 

Die  Deutuno;  Bhimners,  Technoloii;ie  I,  31  auf  ein  Instrument 
zum  Schälten  des  Mühlsteins  ist  nunmehr  abzulehnen.  Zwei- 
felhaft kann  nur  sein,  ob  es  einen  lieruf  bezeichnet,  der  nach 
ovo;,  Esel,  benannt  ist*  oder  nach  ovo;,  Mühlstein,  wie  Meineke 
erklärte  eoriim  uniis  qui  molares  istos  lapides  caedunt. 
Wahrscheinlich  ist  das  Letztere,  so  das  der  övo/cotco;  zu  den 
Steinarbeitern  zählt. 

Z.  8.  Zu  dem  Anfang  EAAIOF  habe  ich  das  richtige 
Wort  nicht  gefunden.  Man  könnte  an  £>^aio7r(wX-o?)  denken, 
doch  ist  das  F  durchaus  sicher. 

Z.  10.  Das  O  am  Schlüsse  ist  nicht  ganz  sicher,  es  scheint 
aber  ein  runder  Buchstabe  dazustehen. 

Col.  II  Z.  9.  Der  äy3t'X(;.(aTOTCoi6;)  KcüCk\.v.c,  ist,  soviel  ich  sehe, 
unbekannt. 

4.  Fragment  einer  Herme  aus  weissem  Marmor  (wie  C.I.A. 
III  1095.  1096.  1133),  jetzt  im  National- Museum,  Fundort 
unbekannt.  Vorderseite  und  linke  Seitentläche  erhalten,  57"" 
hoch,  21'""  breit. 

a. 

I  N  N 

(t)ANEIKOZTPATo2 
0  lAoAEi:noToZA0P 
4)|Ä0YMEN02Br2MIAN 
AnoÄÄQNlOZBAASTo 
5        A B A Z K A N  T  O  Z 0EO TEN 


^  Vgl.  die  Erklärung  von  Stephanus:  qui  asinariam  molam  vel  Sror  im- 
pellit  et  agilal. 


INSCHRIFTEN   AUS  ATHEN  35 

EY(})PANTIAH2EniTYI 

A^EiANAP02AEI(t)lA 

ZTE^ANOZONHZIMO 

EYTToPoZhPAKÄElAoYS 
10        4)1  AOMO^  ZOSEYTYXIAOY 

HPAKAEIToZ     AYnUooZE 

ZTPATaNATToAAQNIoY 

KAE^NMHTPoAnPoYN'K 

AAKIBIAAHZEYTYXOYOPEF 
15       AIOA  AHZ  ATToA  Ahn  lo  Y  M  A 

ArAGoTToYsAAMYPoYEYTTA 

KAAAinnoZOKAIMoYlATH 

PoAinnoznPAIITEAoYZETTAr 

ATTIKOSZnzIKAEoYZZEiZT 
20        ETTIKTASZQSIMOYAIONYZIO 

5:YM(t)EPaN     lAoNIKoYHZY) 

-  II  /  2  I  4)  /       OIAOZEPATT 

OZSßZIK    vEoYZEYÜO 
ZiinYloYOAAAoZ 
25  A0     SZnsiMoYAGHNA 

ZEYTToPo         AEYKir 

h. 

<"  n  E  I  PAI  E  YZ 

f^M  EAITE  YZ 

EE 
\MnTPE Y2 
:)Y 

4)HrAE  YZ 

TTAI  AN  I  E  YZ 
E  YZ 

PoYAAünEKH 
HZTEAE 
NTOY 


36  E-  ilEBARTri 

$>>.   Nsty.OfJTpaTO? 
^iT^oSeaTVOTO?   'Acpp 
<I>tXoup.ev6<;  BwpiKxv 
'ATToXXtövio;   BXaaxo 

5  'A€a(7>CaVT0?     0£OT£t[[XOu] 

EucppavTiöYi;    'E7VtTUY[yav  . .  .] 
'AXe^avSpo;   A£i^i)^[ou] 
STEcpavo;   'OvTiaifJLOu 
Euxopo<;    'Hpay.>.£tSou  S 
10        <I>t>.6^aouGO{  Eüxuj^tSou 

'HpOt)C>.£lTO?    ['HjS'JTTVOO;     'E 

STpdtTCOV    'A7ro)^X(oviou 

KXewv   MyirpoScöpo'j   Ni)c 
'A^K'-SikSyii;   Eutu^ou   0p£7Tr[T6(;] 
15        AKixkrii   'AtcoAXcoviou  Ma 
'AyaOÖTCoui;  Aap-upou   EuTra 

KxXKnzTZOi;   6   5tai   Mo<|'iaTri[(;J 
'PoStTCTCOc    Opa^tTE^ou?    'Euay 
'Attix.ö?   S(i)ai)t>.£Ou<;   Se^gt 
20       'ETTiJtTa?   Zwct^ao'j    A',ovu(Tio[(;] 

XuL/.(p£p(ov    <lH)^ovix,ou    'Htu)^ 
'E7uä[YaOo](;   i0/    $i>>0(T£pa7c[i(;] 

o;  Süxjik'Xsou?  EÜ7ro[p..] 

ZwTuupou   ©aXXoc 

25         ?  Zwciaou   'Aöy)va 

;  EuTC6po[u]    A6Ü)tt7c[7rO?] 

5.   Fragment  einer  älinliclien    Liste  aus  etwas  älterer  Zeit, 
ebenfalls  im  National- Museum. 

o2 
\o1  ZQ.1\  MoY 
I  .  O  K  P  ATHZ  :> 
oY>  NIKEPaZA4)0ONA 

ZQ^IMIQNAHMHTPIO  Y 
ZnnYPoiZXPHZIMoY 


Athen. 


INSCHHIFTEN   AUS   ATHEN  37 

TYXIKOZXPHZIMOY 
MHTPoAr^Po^AloNYZ 
KoZMIfiN  PAAINOY 
PAAINOZ 

AAEiANAPOZnnAA 
^^TPAHE  A0ZA(|)P0A 
NAIONYZIOY 

AZnAPAAA 

.  .  .  .Ol?   ZwaiLtou 

Ni)t]o)tpäTr; 
Nixepw«;   'A(pOov5t 
Zwcrty-icov    Aviy.rjTpiou 
5        ZcÖTTupo;  Xpnni^.ou 
Toyv/.bi   Xpricifj-ou 
MviTpoScopo?    Aiovua[iou] 
Ko(j[jt,t(i)v    'PaSivoö 
'PaSivö? 
10       'AXe^avSpo?    IIü)X>.[i(ovo<;] 
EjüxpxTCsXo?   'A<ppoS[tciou] 

V   Atov'jaiou 

a;   IIapSa>,[aJ 


ERICH  ZIEBARTH. 


-^^•.  at  -^^ 


VASENSCHERBEN  AUS  KLAZOMENAI 
(Hierzu  Tafel  VI) 

Bei  der  bis  jetzt  so  geringen  Anzahl  von  Gefässen  und  Scher- 
ben, die  sicher  in  Kleinasien  gefunden  sind,  gewinnt  jedes 
hinzukommende  Stück  eine  besondere  Bedeutung.  Rann  es 
uns  doch  die  Möglichkeit  geben,  eines  der  zahlreichen  Gefässe 
oder  eine  ganze  Gattung  von  solchen  ,  die  man  ihrem  Stile 
nach  in  das  kunstgebiet  des  griechischen  Ostens  setzen  darf, 
an  einem  bestimmten  Orte  festzulegen. 

Die  aufTaf.  6  in  Originalgrösse  abgebildeten  Scherben  wur- 
den im  Gebiet  des  alten  Klazomenai  gefunden  und  von  Herrn 
Misthos  in  Smyrna  erworben.  Aus  seinem  Besitz  kam  die 
grössere  Scherbe  (Nr.  1)  in  das  Nationalmuseum  zu  Athen 
(Inv.  5610).  Die  Erlaubniss  zu  ihrer  VerötYentlichung  ver- 
danke ich  der  Freundlichkeit  des  Herrn  [)r.  Stais.  Die  klei- 
nere Scherbe  (Nr.  '2)  blieb  im  Besitz  der  Wittwe  Misthos. 
Der  Abbildung  liegt  eine  vor  längerer  Zeit  genommene  Photo- 
graphie des  Herrn  Dr.  Ileberdey  zu  Grunde;  das  Original 
selbst  ist  augenblicklich  nicht  zugänglich  und  mir  aus  eigener 
Anschauung  nicht  bekannt. 

Unsere  Betrachtung  muss  also  von  dem  ersten  Fragment 
ausgehen.  Der  Thon  ist  fein,  im  F^ruch  und  auf  der  Innen- 
seite lederfarben,  die  äussere  Oberlläche  ist  graubraun.  Der 
nicht  sehr  glänzende  Firniss  ist  dunkelbraun,  wo  er  dünn  auf- 
getragen, olivfarben,  an  manchen  Stellen  ist  er  rotbraun  ge- 
worden. 

Nicht  unwichtig  ist  es,  sich  zu  vergegenwärtigen,  wie  der 
Maler  verfuhr.  Er  legte  zunächst  den  Rumpf  der  Figuren,  das 
Haupthaar  samt  der  Mütze  des  stehenden  Mannes,  den  Thron 
und  das  vordere  Pferd  mit  dunkelbrauner  Firnissfarbe  an. 

Dann  malte  er  die  Gesichter,   die  Arme,   das  Gerät  in  der 


VI 


A.   RHO.MAIDES,   ATHEN. 


VASENSCHERBEN   AUS   KLAZOMENAI  39 

Hand  des  Stehenden,  den  Thron  und  das  zweite  Pferd  mit 
Weiss.  Dieses  ist  abgesehen  vom  Throne  und  den  Teilen  der 
Arme,  die  sich  von  dem  Körper  abheben,  unmittelbar  auf  den 
Thongrund  gesetzt. 

Mit  dünnem  Firniss  wurden  dann  die  Umrisse  und  die 
Innenzeichnung  der  weissen  Teile,  mit  dunklerem  die  Barte 
und  das  Attribut  in  der  linken  Hand  des  stehenden  Mannes 
gemalt.  Am  Throne,  an  Nase  und  Mund  des  Sitzenden  und  an 
Brust  und  Bein  des  Pferdes  fehlen  die  Firnissumrisse.  Dass 
diese  sonst  erst  nach  dem  Auftrag  des  Weiss  gezogen  wurden, 
geht  daraus  hervor,  dass  das  Weiss  bisweilen  über  die  Um- 
risse hinausgreift  ohne  sie  zu  decken. 

Weiter  wurde  bei  den  mit  Firniss  aufgesetzten  Teilen  die 
Innenzeichnung  und  fast  durchgehend  auch  der  Kontur  ge- 
ritzt, auch  der  linke  Fuss  des  Thrones  ist  umrissen.  Die  Bitz- 
linie  am  Kontur  des  Mantels  der  sitzenden  Frau  nimmt  deut- 
lich auf  die  schon  vorhandene  linke  Hand  Bücksicht,  eine 
Faltenlinie  greift  in  das  Weiss  der  Armlehne  über.  Ebenso  sind 
die  Linien  an  Brust  und  Bein  des  Pferdes  und  am  linken  Fusse 
des  Thrones  deutlich  in  das  schon  vorhandene  Weiss  geritzt. 
Nur  an  der  Brust  der  Frau  ist  die  Bitzlinie  durch  das  Weiss 
der  erhobenen  Hand  gedeckt,  der  Maler  hat  also  nachträs-lich 
die  Linie  noch  einmal  überfahren. 

Erst  nach  den  Bilzlinien  ist  das  stets  auf  den  Firniss  ge- 
setzte Violelt  aufgetragen,  denn  es  nimmt  deutlich  auf  sie  Bück- 
sicht. Die  vorletzte  Faltenlinie  unten  am  Mantel  des  stehenden 
Mannes  ist  durch  das  Bot  gedeckt,  an  einigen  Stellen  greift 
das  Bot  auf  das  Weiss  über. 

Zuletzt  wurden  die  weissen  Kreuze  auf  den  Gewändern,  die 
Punkte  u.  s.  w.,  auch  die  Zähne  des  ersten  Pferdes  gemalt. 

Wenn  wir  so  sehen,  dass  nach  dem  Auftrag  von  Weiss  wie- 
der mit  Firniss  gemalt  wurde, dass  die  rote  Deckfarbe  durchaus, 
die  weisse  teilweise  auch  nach  der  Gravirung  aufgesetzt 
wurde,  so  kommen  wir  zu  dem  Schluss,  dass  alle  diese  \'or- 
gänge  ungefähr  zu  derselben  Zeit  d.  h.  V(>r  dem  (Iclinitiven 
Brennen  staltfanden. 


40  R-   ZAHN 

Die  Scherbe  zeigt  ein  ausgespartes  Bildfeld;  über  ihm,  durch 
zwei  Firnisstreifen  getrennt,  den  Rest  einer  anderen  Darstel- 
lung.Deren  Ebene  stösst  in  stumpfem  Winkel  an  die  Ebene  des 
unteren  Bildfeldes.  Das  Gefass  war  also  eine  llydria. 

Auf  einem  Throne,  dessen  Sitz  durch  eine  schwarz  gemalte 
Sphinx  mit  weissem  Streifen  am  Flügel  gestützt  w'ird,  sitzen 
nach  links  gewandt  ein  bärtiger  Mann  und  eine  Frau.  Das  Auge 
des  Mannes  ist,  wie  bei  den  anderen  Personen,  länglich  ge- 
bildet. Er  trägt  einen  kleinen  Schnurrbart,  der  wie  aus  der 
Nase  herauswachsend  gezeichnet  ist,  und  einen  V^ollbart,  der 
eigentümlich  in  die  Wange  hinein  vorspringt.  Bekleidet  ist 
er  mit  einem  langen  [schwarzen  Chiton,  der  nur  unten  zum 
Vorschein  kommt,  und  einem  Mantel,  der  mit  Ausnahme  des 
die  linke  Schulter  und  den  Oberarm  bedeckenden  Teiles  rot 
gemalt  ist.  Beide  Kleidungsstücke  sind  mit  weissen  Sternchen 
verziert.  Um  den  Hals  hat  er  ein  Band.  Die  Frau  zu  seiner 
Rechten  trägt  ein  rotes  Gewand  mit  weissen  Sternchen — es 
soll  wol  auch  der  Mantel  sein  —  ein  Halsband,  einen  runden 
Ohrring  mit  eingezeichnetem  Kreuz  und  eine  weisse  Binde 
im  Haar.  Die  Haltung  der  Hände  beider  Figuren  deutet  auf 
heftige  Gemütsbewegung. 

Vor  den  Sitzenden  steht  ein  bärtiger  Mann.  Sein  Schnurr- 
bart ist  wie  bei  dem  andern  Manne  gezeichnet,  am  Vollbart 
ist  der  Firniss  teilweise  abgesprungen;  er  hatte  offenbar 
auch  die  erwähnte  charakteristische  Form.  Mit  der  linken 
Hand  fasst  dieser  Mann  ein  Rerykeion,  mit  der  rechten  hält 
er  den  Sitzenden  ein  Thymiaterion  vor.  Noch  kräftiger  als 
bei  den  anderen  Figuren  spricht  sich  seine  Erregung  durch 
die  plötzliche  Wendung  des  Kopfes  aus.  Seine  Tracht  besteht  in 
einem  schwarzen  Chiton  mit  kurzen  Ärmeln  und  einem  roten 
Mantel.  Der  Chiton  war  auch  mit  weissen  Sternchen  ge- 
schmückt; der  Ärm(3l  ist  geknöpft  zu  denken,  er  lässt  das  weisse 
Fleisch  an  einigen  Stellen  durchschauend  Der  Mantel  ist  un- 


'  Vgl.  die  Zeichnung  der  Annel  auf  den  Scherben  Jahrbuch  1895  S.  41 
Fig.  4.  44  Fig.  7;  Anlüge  Dcnknuäier  II  Taf.  21,  1. 


VASENSCHERBEN   AUS    KLAZOMENAI  41 

ter  der  rechten  Achsel  nach  vorn  gezogen  und  über  die  linke 
Schulter  zurückgeworfen.  Um  den  Hals  trägt  auch  dieser  Mann 
ein  Band,  auf  dem  Kopfe  eine  anliegende  rote  Mütze,  die  oben 
in  einen  Knopf  mit  weissem  Punkte  endigt,  am  Rande  durch 
ein  gravirtes  Band  mit  weissen  Punkten  verziert  ist^ 

Hinter  dem  Manne  kommen  zwei  Pferde  heran :  von  beiden 
ist  nur  der  vordere  Teil  des  Kopfes,  des  Halses  und  der  Brust 
und  je  ein  erhobenes  Vorderbein  erhalten.  Charakteristisch  ist 
die  starke  Bildung  des  Halses  und  der  Brust.  Das  erste  Pferd  ist 
schwarz  gemalt,  nur  an  seinem  Halse  ist  ein  roter  Fleck.  Seine 
Schnauze  ist  stark  gegen  den  Hals  zurückgezogen.  Die  Zähne 
sind  weiss  gemalt.  Die  Innenzeicimung  ist  gravirt.  Wie  bei 
den  anderen  Pferden,  auf  die  wir  noch  zu  sprechen  kommen 
werden,  sind  die  Hautfalten  oben  am  Halse  und  am  Maule 
und  die  Muskellinie  unter  dem  Auge  mit  Sorgfalt  angegeben. 
Der  Zügel,  an  dem  ein  viereckiges  Blättchen  als  Schmuck  sitzt, 
ist  gravirt.  Das  Zaumzeug  ist  durch  weisse  Punkte  ange- 
geben, der  grösste,  in  dem  die  drei  Reihen  zusammentreffen, 
ist  mit  einem  geritzten  Kreis  umgeben.  Diese  Punkte  sind 
jedenfalls  als  Metallverzierung  der  Riemen  zu  verstehen  ^. 
Um  den  Hals  trägt  das  Tier  ein  gravirtes  Band  mit  weissen 
Punkten  und  Anhängseln.  Merkwürdiger  Weise  sind  auch  längs 
der  eingeritzten  Begrenzungslinie  des  Brustmuskels  weisse 
Punkte  aufgemalt.  Quer  über  die  Brust  verlaufen  drei  Ritz- 
linien, die  sich  vorn  in  einem  spitzen  Winkel  trelTen  und  die 
Muskellinie  sowol  wie  das  Gehänge  schneiden.  Der  rote  Fleck 
an  dem  Schnittpunkt  der  Linien  ist  wol  nur  zuiTällig.  Auf 
ihre  Bedeutung  werden  wir  später  zurückkommen. 

Das  zweite  Pferd  ist  weiss.  Die  Riemen  des  Zaumzeuges  sind 
mit  verdünntem, die  Punkte  darauf  mit  dunklerem  Firniss  ge- 
malt. Fs  wirft  den  Kopf  ungestüm  in  die  Höhe. 

Von  der  Darstellung  auf  der  Schulter  unseres  Gefässes  hat 


'  Vgl.  die  Mütze  des  Perseus  auf  der  Scliüssel  von  .'igiiia,  Arch.  Zeitung 
1882  Taf.  9. 
2  Vgl.  Pernice,  Griechisches  Pferdegeschirr  8.  30. 


42  R.  ZAHN 

diese  Scherbe  nur  einen  geringen  Rest  erhalten.  Ich  erkenne 
rechts  zwei  auf  den  Boden  gesetzte  menschliche  Füsse,  schwarz 
gemalt  und  mit  liitzlinien  umzogen,  links  den  Rest  des  Ge- 
sässes,  ebenfalls  schwarz,  und  das  Ende  eines  Köchers.  Dieser 
ist  rot  gemalt  und  hat  rechts  eine  durch  Rilzlinien  umgrenzte 
schwarze  Leiste  mit  weissen  Punkten.  Es  war  also  ein  gefal- 
lener Schütze  dargestellt. 

Das  zweite  Fragment ,  das  auch  in  Klazomenai  gefunden 
wurde,  stammt  offenbar  von  der  Schulter  einer  Hydria.  Man 
erkennt  selbst  in  der  Photographie  die  Bruchstelle  des  Halses, 
das  ihn  umgebende  Stabornament  ist  erhallen.  Die  Scherbe 
zeigt  völlige  Übereinstimmung  in  Stil  und  Technik  mit  derso- 
eben  besprochenen.  Ich  verdanke  nähere  Angaben  der  Freund- 
lichkeit des  Herrn  Dr.  Böhlau  ,  der  vor  dem  Original  no- 
tirte:  'Der  Thon  hat  eine  graurote  Farbe;  das  Weiss  ist  auf 
den  Thongrund  aufgesetzt,  wie  sich  an  Arm  und  Pferd  fest- 
stellen lässt.  Helm,  Schild,  Wagen,  Teile  des  Pferdes  sind 
violettrot'.  Da  nun  die  Kreislinie  unter  der  Darstellung  in  ihrem 

o 

Verlauf  zu  der  entsprechenden  des  ersten  Fragmentes  passt,  so 
können  wir  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  behaupten,  dass 
beide  Stücke  demselben  Gefäss  angehören'. 

Wir  sehen  ein  Zweigespann  in  vollem  Lauf  nach  links  ja- 
gen. Die  Mähne  der  Pferde  weht  kräftig  zurück.  Das  vordere, 
schwarze  Pferd  hat  den  Kopf  geradeaus  gerichtet,  das  hintere, 
weisse,  wirft  ihn  zurück  in  die  Höhe.  Innenzeichnung  und 
zum  Teil  auch  der  Kontur  sind  bei  dem  ersten  gravi rt,  bei 
dem  zweiten  mit  hellem  Firniss  aufgemalt.  Man  beachte  die 
Angabe  der  Härchen  über  den  Hufen.  Das  schwarze  Pferd 
trägt  einen  breiten  Gurt  um  den  Hals,  an  dem  es  den  Wagen 
zieht.  Er  ist  mit  Ritzlinien  umgeben  und  weiss  gefüllt.  Unter- 
halb des  Gurtes  trägt  es  denselben  Schmuck,  wie  das  Pferd 
des  Bauchbildes.    Der  Wagenstuhl,    rot  und   am   Rande  mit 


'  Mail  crwarlcl  allerdings  unten    an   diesem   Fiagnicnl  einen    Rest   der 
zweiten  Kreislinie,  allein  in  der  IMiotuf^iapliie  sieht  ilie  Ülieilläelie  des  Tho 
nes  an  dieser  Slelle  ziemlich  weiss  aus,  sie  scheint  im  Original  nicht  mehr 
intakt  zu  sein. 


VASENSCHERBEN   AUS   KLAZOMENAI  43 

der  beliebten  Reihe  weisser  Punkte  geschmückt,  hat  oben 
einen  Ring,  an  dem  die  Zügel  festgebunden  werden  konnten. 
Das  sechsspeichige  Rad  ist  aus  freier  Hand  gemalt  und  wie 
der  Wagenstuhl  mit  Ritzlinien  umzogen.  Auf  dem  nach  oben 
gebogenen  Ende  der  Deichsel  sitzt  ein  dem  Wagen  zugekehrter 
Greifenkopf  K 

Der  Lenker  des  Gespannes  ist  ein  bärtiger  Krieger, der  ebenso 
gezeichnet  ist  wie  die  Figuren  der  anderen  Scherbe.  Er  trägt 
einen  Helm,  dessen  Busch  über  das  Stabornament  hinaus  auf 
den  flals  der  Hydria  übergegriffen  haben  muss ;  mit  der 
Rechten  hält  er  zwei  Zügel,  mit  der  Linken  den  Schild  mit 
Schilddecke,  den  Speer,  dessen  Spitze  mit  einer  gewissen  Sorg- 
falt angegeben  ist,  und  das  andere  Zügelpaar.  Die  Konturen  des 
Helmes,  des  Schildes  und  seiner  Decke  sind  geritzt,  der  Schild- 
kreis ist  aus  freier  Hand  gezogen.  Von  dem  roten  Grunde  des 
Schildes  hebt  sich  ein  weisses  Gorgoneion  ab.  Auch  bei  ihm 
sind  Innenzeichnung  und  Umrisse,  wie  es  scheint,  mit  heller 
Firnissfarbe  gemalt.  Wollten  wir  uns  den  Krieger  auf  dem 
Wagen  stehend  denken,  so  wäre  vielleicht  tür  seine  Beine  kein 
genügender  Raum  vorhanden.  Er  ist  wol  vielmehr  im  Be- 
griff, auf  den  Wagen  zu  springen.  Ein  Rest  des  noch  auf  dem 
Boden  stehenden  Beines  ist  unterhalb  der  Schilddecke  erhalten, 
man  erkennt  auch  zwei  mit  verdünntem  Firniss  gezeichnete 
Muskellinien.  Dass  der  Krieger  auf  das  in  vollem  Lauf  befind- 
liche Gespann  steigt,  hat  nichts  Au  Hallendes'.  Die  Kompo- 
sition ist  den  Darstellungen  von  Apobaten  entlehnt,  wie  sie 
uns  der  neue  klazomenische  Sarkophag  in  London  zeigt  [Mo- 
numents Piot  IV  Taf.  ö). 

Links  unter  den  Pferden  bemerkt  man  einige  gerade  Li- 
nien, vielleicht  Speere  von  Gefallenen,  über  die  das  Gespann 
dahinjagt. 

Es  erübrigt  noch  einen  für  die  Deutung  besonders  wichtigen 
Rest  zu  betrachten.  Man  bemerkt  unter  dem  Wairenstuhl  hin- 


'  Vgl.  übor  diesen  Rcliinuck  weiter  unten. 

2  Aucli  in  spälerer  Zeit  ivonnnt  das  nocli  vor:   Museo  Ihrbonko  VIII  Tai'. 
14.  Friedericlis -Wolters  Nr.  1997. 


44  R.   ZAHN 

ter  dem  Rade  einen  länglichen  weissen  Fleck  mit  einigen  dun- 
keln Linien,  der  sich  bei  näherem  Zusehen  als  ein  ßein  mit 
nach  unten  gerichtetem  Fusse  herausstellt.  Wir  haben  es  also 
mit  einer  Darstellung  der  Schleifung  Heklors  zu  thun,  und 
zwar  der  ältesten  und  der  ersten  aus  dem  Gebiete  der  jonischen 
Kunst.  Vergleichen  wir  sie  mit  den  zuletzt  von  A.  Schneider, 
Der  troische  Sagenkreis  S.  27  ff.  zusammengestellten  attischen 
Bildern,  so  ergeben  sich  wesentliche  Unterschiede.  Wie  auf 
jonischen  Bildern  überhaupt,  wird  der  Wagen  nur  von  zwei 
Pferden  gezogen.  Achilleus  lenkt  ihn  selbst,  während  er  auf 
den  attischen  Bildern  neben  seinem  Lenker  steht  oder  neben 
dem  Wagen  einher  eilt.  Hektor  muss  hier  das  Gesicht  nach  unten 
gekehrt  haben,  dort  liegt  er  auf  dem  Rücken.  Aus  dem  unter 
der  Darstelluno;  erhaltenen  Streifen  können  wir  den  Durch- 
messer  des  Schulterkreises  auf  rund  20.5™  bestimmen.  Wie 
wir  von  anderen  Hydrien  wissen,  nimmt  das  Schulterbild 
gewöhnlich  nicht  ganz  zwei  Fünftel  der  den  Hals  umgebenden 
Zone  ein.  Es  ist  uns  also  nur  ein  kleines  Stück  des  Ganzen 
erhalten.  Aus  dem  Rest  oben  auf  Fragment  1  sehen  wir,  dass 
hinter^  dem  Gespann  des  Achilleus  eine  Rampfscene  folgte. 
Wir  werden  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  über  dem  ge- 
fallenen Schützen  zwei  sich  bekämpfende  Krieger  anzunehmen 
haben.  Der  Gefallene  muss  nach  den  vorhandenen  Resten 
etwas  kleiner  gebildet  gewesen  sein  als  die  anderen  Figuren. 
Eine  Analogie  dazu  liefert  uns  die  Amphora  mit  jonischen 
Inschriften  bei  Gerhard,  Auserlesene  Vasenbilder  111  Taf. 
205,  3.  Das  Schulterbild  griff  über  das  Bildfeld  |des  Bauches 
an  beiden  Seiten  etwas  hinaus. 

Die  attischen  Bilder  zeigen  gewöhnlich  hinter  dem  Wagen 
den  Grabhügel  des  Patroklos,  um  den  Hektor  geschleift  wird. 
Dass  wir  in  der  weissen  Stelle  rechts  unten  auf  unserer  Scherbe 
auch  den  Rest  desTymbos  erkennen  dürfen,  ist  mir  unwahr- 
scheinlich,  denn  der  Körper  des  Hektor   und  das  Bein    des 

'  Das  Gespann  reclits  von  den  Resten  auf  Fragment  \  anzusetzen  geht 
darum  nicht, weil  das  Sclmllcrbild  dann  zu  weil  über  das  Bildfeld  des  Bau- 
ches hinausgreifen  würde. 


Vasenscherben  aus  klazomenaI  ib 

Achilleus  hätten  sich  von  dem  weissen  Grabmal  nicht  genügend 
abgehoben.  Für  den  Fall,  dass  man  den  weissen  Fleck  nicht 
als  zufällig,  etwa  als  Versinterung  ansehen  will,  möchte  ich 
vorschlagen,  ihn  als  Rest  des  Gesässes  und  des  Oberschenkels 
von  Hektor  zu  betrachten.  Dem  Maler  hätten  dann  Bilder  des 
in  sein  Schwert  gefallenen  Aias  vorgeschwebt  (vgl.  Longpe- 
rier,  Muse'e  Napoleon  III  Taf.  66).  Diese  für  einen  Geschleif- 
ten so  unnatürliche  Stellung  hätte  der  Maler  wol  deshalb  ge- 
wählt, weil  er  bei  einem  ganz  ausgestreckt  auf  dem  Bauche 
Liegenden  mit  der  Zeichnung  des  Gesichtes  und  der  Arme  in 
Verlegenheit  gekommen  wäre.  [)\q,  Rückenlage  wiederum,  die 
auf  attischen  Darstellungen  die  übliche  ist.  hat  er  vermieden, 
weil  bei  ihr  die  Zeichnung  der  unten  am  Wagenstuhl  ange- 
bundenen Füsse  Schwierigkeiten  machte.  Ausserdem  würde 
jene  Stellung  noch  den  Vorteil  bieten,  dass  der  leere  Raum 
über  dem  Leichnam  etwas  verkleinert  wird.  Er  war  vielleicht 
durch  ein  Eidolon  oder  einen  fliegenden  Vogel  gefüllt. 

Wir  dürfen  annehmen,  dass  das  Gespann  die  Mitte  des 
Schulterbildes  einnahm.  Dann  bleibt  rechts  von  ihm  gerade 
für  ein  Kämpferpaar  Raum  übrig.  Wie  wir  die  Komposition 
nach  links  hin  vervollständigen  sollen,  lässt  sich  natürlich 
nicht  mehr  sagen.  Es  ist  reichlich  Raum  für  zwei  Figuren 
vorhanden.  Dass  hier  der  Tymbos  war,  ist  nicht  glaublich. 
Hätte  der  Maler  ihn  für  nötig  gehalten,  so  hätte  er  ihn  wol 
hinter  dem  Wagen  angebracht.  Auf  die  Reste  unter  den  Pfer- 
den, die  auf  einen  Gefallenen  schliessen  lassen,  wurde  schon 
hingewiesen. 

Der  Maler  hat  sich  genau  an  die  Schilderung  des  Epos  ge- 
halten. Er  gibt  uns  die  Scene  wieder,  wie  Achilleus,  selbst  sein 
Gespann  lenkend,  den  Leichnam  Rektors  von  dem  Schlacht- 
felde wegsclileift.  Die  Bilder,  die  uns  die  spätere  Schleifung 
um  den  Grabhügel  des  Patroklos  zeigen,  verraten  dadurch, 
dass  sie  Achilleus  meist  neben  seinem  Wagen  herlaufen  las- 
sen, und  durch  die  Zusatzfiguren  (vgl.  A.Schneider  a.  a.  O. 
S.  27  ff.)  weniger  Klarheit  und  weniger  Anlehnung  an  das 
Epos  Sie  haben  eben  das  beliebte  fertige  Schema  eines  eilenden 


46  I\.  ZAHN 

Gespannes  mit  laufenden  Kriegern  daneben',  durch  Hinzu- 
fügunji  eines  Grabhügels  und  der  Leiche  Ilektors  individualisirt. 

Versuchen  wir  nun  auch  für  die  erste  Scherbe  eine  Deutung 
zu  finden.  Zunächst  wird  man  bei  dem  Paare  auf  dem  Throne 
an  Götter  denken.  Dagegen  spricht  aber  eine  kleine  Beobach- 
tung. Bei  der  Frau  wie  bei  dem  stehenden  Manne  fallen  die 
Haare  als  Locken  in  die  Stirne.  Der  sitzende  Mann  hat  keine 
Locken,  seine  Stirne  ist  ziemlich  hoch.  Ich  glaube,  der  Maler 
AvoUte  bei  ihm  das  Schwinden  der  Haare  zum  Ausdruck  brin- 
gen. Ist  dies  richtig,  so  haben  wir  es  mit  einem  Sterblichen, 
nicht  mit  einem  Gotte  zu  thun^.  Es  ist  demnach  ein  Herr- 
scherpaar, das  auf  dem  Throne  sitzt,  der  stehende  Mann  vor 
ihm  seiner  Tracht  nach  ein  Herold  Er  hält  gerade  den  Ge- 
bietern das  Tliymiaterion  hin,  da  ereignet  sich  etwas  hinter 
seinem  Rücken,  das  alle  drei  Personen   in  Erreo;uno;  versetzt. 

Es  kommen  zwei  Pferde  heran,  im  Galopp,  wie  man  aus 
der  mit  den  Pferden  des  Schulterbildes  übereinstimmenden 
Haltung  ihrer  Köpfe  schliessen  kann.  Dass  die  Vorderfüsse 
nicht  mehr  gestreckt  sind,  beweist  nichts  dagegen,  denn  es 
gibt  gerade  im  Gebiete  der  jonischen  Kunst  genug  Beispiele 
von  galoppirenden  Pferden  mit  derselben  Haltung  der  Beine  ^. 
Man  wird  nach  der  Darstellung  des  Schulterbildes  auch  bei 


<  Vgl.  Gerhard,  A.  V.  II  Taf.  94.  136. 

2  Man  hat  allerdings  die  Figur  eines  weisshaarigen  Mannes  mil  Kerykcion, 
der  dem  Zug  der  Göttinnen  und  des  Hermes  zum  Parisurteil  vorausgeht, für 
Zeus  erklärt  (Amphora  in  München,  Jahn  Nr.  123;  Gerhard  A.  V.  III  Taf. 
170).  So  noch  Schneider,  a.  a.  0.  S.  102.  Es  ist  natürlich  nur  ein  Greis 
(vgl.  üümmlcr,  Rom.  Milthcilungen  1887  S.  174,  VIII),  der  zu  dem  Ty- 
penvorrat dieser  Vasenklasse  gehört,  wie  uns  die  Amphora  Rom.  Mit- 
theilungen 1887  Taf.  8,  I  lehrt.  Er  ist  wo!  nur  zur  Füllung  in  diese  Kom- 
position hineingcselzt.  Dass  man  überhaupt  hei  diesen  Bildern  es  mit  der 
Deutung  einzelner  Figuren  nicht  zu  genau  nehmen  darf,  zeigt  die  Amphora 
in  Paris,  auf  der  bei  der  Erlegung  des  Minolauros  ein  unhärtiger  Mann  mit 
Kerykeion  und  ein  Greis  mit  einem  Hasen  in  der  Hand  erscheinen  (vgl. 
Dümmler  a.  a.  O.  S.  174,  VII,  dessen  Beschreibung  nicht  ganz  genau  ist). 

3  Vgl.  den  neuen  Sarkophag  in  London,  Monumenls  Piul  IV  Taf.  4-7, 
das  Thonrelief  im  Cabinel  des  Mödailles  zu  Paris,  Gazelle  arclUuLogiquc  1883 
Taf.  49. 


Vasenscherben  aus  KLAzoAfENAi  47 

diesen  Pferden  zunächst  an  ein  Gespann  denken.  Allein  der 
Vergleich  zeigt  uns  wichtige  Unterschiede.  Das  Pferd  des  Schul- 
terbildes trägt  um  den  Hals  den  breiten  Gurt,  mit  dem  es  an 
der  Deichsel  befestigt  ist,  und  der  sich  regelmässig  so  bei  Wa- 
genpferden auf  jonischen  Denkmälern  findet  (vgl.  die  Bilder 
der  Thonsarkophage,  das  eben  genannte  Thonrelief  u.  s.  w.), 
und  darunter  das  Band  mit  den  Anhängseln.  Das  Pferd  auf 
dem  Bauchbilde  trägt  nur  letzteres  und  zwar  an  der  Stelle,  wo 
das  andere  den  Gurt  hat.  Diesen  in  den  wagrechten  Ritzlinien 
unterhalb  des  Zierbandes  zu  sehen  geht  nicht,  weil  sie  nach 
vorn  zusammenlaufen.  Der  Gurt  wäre  auch  zu  schmal.  Die 
unteren  Pferde  haben  Zügel,  die  den  angeschirrten  Pferden  zu 
fehlen  scheinen.  Wenn  wir  somit  unsere  Pferde  nicht  wol  an 
einen  Wagen  gespannt  denken  können,  bleibt  uns  nur  übrig 
ihnen  einen  Reiter  zu  geben.  Nun  gibt  uns  aber  auch  ein  be- 
kanntes Monument  die  Deutung  an  die  Hand. 

Auf  der  P>an9oisvase  sitzt  Priamos,  auch  durch  die  hohe 
Stirne  als  Greis  gekennzeichnet,  vor  der  Stadtmauer.  Auf  ihn 
eilen  Antenor  und  Polyxena  zu.  Hinter  ihnen  sieht  man  Troi- 
los  galoppirend,  von  Achilleus  beinahe  ereilt,  und  einige  Göt- 
ter. Wenn  wir  ähnlich  unser  Bild  ergänzen,  so  ist  die  Er- 
regung, die  sich  in  der  Haltung  der  drei  Personen  ausspricht, 
vollkommen  erklärt.  Auch  die  horizontalen  Ritzlinien  auf 
der  Brust  des  Pferdes  linden  nun  ihre  Deutung.  Es  sind  die 
Spitzen  der  kleinen  Wurfspeere,  die  Troilos  führt;  auf  der 
Francoisvase  hält  er  sie  nach  oben  gerichtet.  Hinter  den  Pferden 
werden  wir  den  laufenden  Achilleus  ergänzen.  Damit  ist  aber 
der  verfügbare  Raum  noch  nicht  gefüllt.  Wir  dürfen  in  ihn 
vielleicht  die  fliehende  Polyxena  oder  zuschauende  Götter, 
möglicher  Weise  auch  nur  Genossen  des  Achilleus  einsetzen. 
Wir  besitzen  aus  dem  Gebiete  der  jonischen  Kunst  nur  eine 
Darstellung  des  Troilosabenteuers  auf  der  Amphora  bei  Ger- 
hard, Auserlesene  Vasenbilder  111  Tai".  185.  Auf  ihr  wird 
Polyxena  von  Troilos  getrennt  durch  zwei  Krieger  bedroht. 
Etwas  Ähnliches  könnte  auf  der  linken  Seite  unseres  Bildes 
gemalt  gewesen  sein.    Die  gegebene  Erklärung  der  Scherbe 


48  R-  ZAHN 

erhält,  wie  ich  glaube,  durch  die  Darstellung  auf  der  Schulter 
noch  mehr  Wahrscheinlichkeit;  beide  Bilder  schildern  das 
Unglück  des  Troerkönigs. 

Bezeichnend  sind  die  Unterschiede,  die  sich  bei  einem  nähe- 
ren Vergleich  mit  dem  Werke  des  Klitias  ergeben.  Auf  dem 
attischen  Bild  sitzt  Priamos  allein  auf  einem  gewöhnlichen 
Sitze.  Der  jonische  Maler  lässt  ihn  auf  einem  Throne  sitzen, 
gibt  ihm  seine  Gemahlin  an  die  Seite  und  stellt  vor  beide  ei- 
nen Herold,  der  sie  durch  den  Duft  des  Weihrauchs  ergötzt. 
Er  hat  sich  viel  mehr  bemüht,  den  königlichen  Hofhalt  zur 
Anschauung  zu  bringen.  Er  wird  dabei  zunächst  von  Uemi- 
niscenzen  aus  dem  Epos  beeinflusst  worden  sein.  So  mag  ihn 
die  Scene,  wie  Hekabe  neben  Priamos  von  der  Mauer  aus 
den  Tod  des  Hektor  sieht,  veranlasst  haben,  auch  in  seinem 
Bilde  die  unglückliche  Mutter  darzustellen.  Dass  die  Königin 
neben  dem  König  sitzt,  ist  homerische  Sitte.  So  sitzt  Helena 
neben  Menelaos  (S  r21  ff.),  Arete  neben  Alkinoos  (^  305  ff.), 
es  sei  auch  daran  erinnert,  wie  Helena  mit  Priamos  auf  der 
Stadtmauer  sitzend  das  Heer  der  Achaier  betrachtet.  Auch  die 
Bedienung  des  Herrschers  durch  den  Herold  ist  homerisch. 
Ich  glaube  jedoch,  dass  in  der  Darstellung  des  letzteren  mit 
dem  Thymiaterion  bei  dem  Maler  auch  eine  gewisse  Kenntniss 
des  Ceremoniells  an  orientalischen  Fürsten höfen  mitgewirkt 
haben  kann.  Man  erinnere  sich  an  die  assyrischen  und  persi- 
schen Bildwerke, die  den  König  thronend  und  hinter  ihm  seine 
Wedelträger  zeigen.  Besonders  möchte  ich  auf  das  Relief  von 
Kujundschik  hinweisen,  auf  dem  wir  Assurbanipal  mit  seiner 
Gemahlin  in  der  Laube  sehen.  Bäucherbecken  stehen  am  Bo- 
den, eine  Reihe  von  Dienern  bemüht  sich  um  das  Herrscher- 
paar. 

Der  jonische  Maler  gibt  uns  nicht,  wie  Klitias,  das  Lokal 
an,  in  dem  wir  uns  den  König  zu  denken  haben.  Möglicher- 
weise entnahm  er  seine  Figuren  einem  grösseren  Vorbilde,  in 
dem  auch  auf  die  Umgebung  Rücksicht  genommen  war.  Ähn- 
lichen Abkürzungen  grösserer  Kompositionen  werden  wir  noch 
begegnen. 


VASENSCHERBEN   AUS   KLAZOMENAI  49 

Wenn  wir  uns  nach  verwandten  Stücken  für  unsere  Scher- 
ben im  Gebiete  der  jonischen  Vasenmalerei  umsehen,  werden 
wir  keine  näiieren  Parallelen  ßnden  als  die  Scherben  aus  Teil 
Defenneh  in  Ägypten  '.  Zunächst  können  wir  uns  die  Form  un- 
seres Gefässes  nach  der  Hydria  bei  Dümmler  a.a.O.  S.  45, 
Antike  Denkmäler  II  S.  8  Taf.  21,  1  vorstellen.  Die  vor- 
treffliche Farbentafel  der  Antiken  Denkmäler  kann  uns  am 
besten  den  bunten  Eindruck  auch  unserer  Scherben  vergegen- 
wärtigen. Allerdings  ist  die  Thonoberlläche  unseres  Stückes 
mehr  grau,  allein  dies  wird  nur  Schuld  des  Brennens  sein. 
Ich  erinnere  mich  auch  unter  den  Scherben  von  Defenneh 
solche  gesehen  zu  haben,  welche  nicht  die  lebhafte  Farbe  hat- 
ten, wie  die  abgebildeten  Proben.  Die  Technik  stimmt  ganz 
überein  mit  der  unserer  Scherben.  Das  Weiss  ist  unmittelbar 
auf  den  Thongrund  gesetzt  und  hat  Innenzeichnung  und  zum 
Teil  auch  Umrisse  in  verdünntem  Firniss.  Die  geritzten 
Konturlinien  sind  reichlich  verwendet.  Auch  das  Fleisch 
der  Männer  ist,  wie  ich  nachgewiesen  zu  haben  glaube  ^, 
mitunter  weiss  gemalt.  Dass  es  auf  unseren  Scherben  fast 
durchweg  weiss  ist  —  bei  dem  Schützen  scheint  es ,  seinen 
Füssen  nach  zu  urteilen,  allerdings  schwarz  zu  sein  —  während 
auf  den  Scherben  von  Defenneh  mehr  das  Schwarz  vorherrscht, 
ist  ohne  Belang.  Denselben  Unterschied  können  wir  zwischen 
einzelnen  Stücken  der  Gattung  der  cäretanerllydrien  gewahren. 
Ich  möchte  noch  auf  Übereinstimmungen  in  der  Zeichnuns 
hinweisen.  Ungemein  ähnlich  ist  das  schwarze  Reitpferd  auf 
unserem  Fragment  1  dem  Pferde  auf  der  ägyptischen  Scher- 
be, das  den  weissen  Knaben  trägt  [Tanis  11  Taf.  29,  4; 
Antike  Denkmäler  II  Taf.  21,  2).  Man  beachte  namentlich 
die  liebevolle  Zeichnung  des  Maules  mit  den  Zähnen,  den 
Hautfalten  ,  die  Muskellinie  unter  dem  Auge.  Die  Auf- 
zäumung und  der  Schmuck  des  Pferdes  ist  auf  beiden  Stücken 


<  Flinders  Pctrie,  Tanis  II  Taf.  29.  30;  Dümmler,  Jalirbuch  1S95  S.  38  0".; 
Antike  Denkmäler  II  Taf.  21. 
2  Darstellung  der  Barbaren  S.  Gl  Anni.  2. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXIII.  4 


50  R.  ZAHl^ 

identisch.  Auch  das  Pferd  auf  einer  Scherbe  von  Naukralis, 
die  ebenfalls  zur  Gattung  von  Defenneh  gehört,  ist  zu  verglei- 
chen [Catal.  ()/'  i'ases  in  t/ic  Brit.  Museum  II  B  103.  14 
Nr.  3.  abgebildet  Jahrbuch  1896  S.  268).  Beide  Pferde,  wie 
auch  die  Wagenpferde  auf  der  oben  angeführten  Hydria  aus 
Defenneh,  zeigen  die  sonderbaren  Reihen  weisser  Punkte 
längs  den  Muskellinien  ^  Für  die  Bildung  der  Hände,  die  ei- 
gentümlich gezeichnete  Schulter,  die  Verzierung  der  Gewän- 
der, den  Schnitt  des  Ärmels,  die  Form  des  Ohrrings,  die  Hals- 
bänder der  Männer  wird  man  leicht  die  Parallelen  auf  den 
genannten  Scherben  finden;  sie  alle  aufzuführen,  erscheint  mir 
überflüssig. 

Dass  die  Maler  der  ägyptischen  Scherben  auch  aus  dem  Epos 
schöpften,  hat  Petersen  durch  den  Nachweis  einer  Darstellung 
des  kirkeabenteuers  gezeigt  (Jahrbuch  1897  S.55).  Vielleicht 
dürfen  wir  auch  eine  Deutung  des  so  häufig  dargestellten  rei- 
tenden Knaben  wagen,  der  bis  jetzt  seiner  weissen  Färbung 
wegen  immer  für  eine  Frau  erklärt  wurde  ^.  Auf  den  älteren 
attischen  Bildern,  die  Troilos  und  Polyxena  am  Brunnen  zei- 
gen, ist  Troilos  von  einem  oder  mehreren  Männern,  meist 
Kriegern  begleitet.  Als  Beispiel  erwähne  ich  eine  zu  der  Gat- 
tung der  tyrrenischen  Amphoren  gehörende  Hydria  Annali 
delC  Inst.  1866  Taf  R.  Mehrere  Eigentümlichkeiten  in  die- 
sen Darstellungen,  auf  die  ich  an  anderer  Stelle  zu  sprechen 
komme-',  veranlassen  mich,  sie  mit  der  jonischen  Kunst  in 
Verbindung  zu  bringen.  Es  scheint  mir  nun  gar  nicht  un- 
denkbar, dass  wir  in  dem  jugendlichen  Reiter  der  Scherben 
von  Defenneh  mit  seinem  bewaiTneten  Begleiter  nur  eine  Ab- 
kürzung der  Komposition  haben,  die  das  Vorbild  für  die  atti- 


*  Solche  Vorbilder  lial  vii-llcirlil  der  ItöoUscIie  Töpfer  Gaincdes  lienülzl ; 
seine  Tiere  zeigen  dieselbe  Eigentündicbkeit  übertri(d)on.  Vgl.  die  Kanne 
Wiener  Vorlegebiälter  1888  Taf.  1,  2  und  7  und  den  Kanlliaros  Bulletin  de 
corr.  hell.  1897  S.  450,  der  gewiss  von  derselben  Hand  ist. 

2  Catal.  of  vases  in  llie  liril.  Mus.  II  B  110,  1-3  Stücke  aus  Defenneh,  B 
102,  32  Fragment  aus  Naukralis.  Vgl.  Dümmler  a.  a.  0.  S.  30  und  31i  f. 

3  Darstellung  der  Barbaren. 


Vasenscherben  aus  klazomenai  5i 

sehen  Maler  abgab.  Auf  der  Scherbe  ausNaukratis  (B  105,32) 
hielt  der  Knabe  einen  kleinen  Speer  in  der  Hand,  dessen 
Spitze  über  dem  Rücken  des  i^'erdes  noch  erhalten  ist.  Eine 
weitere  Scherbe  (B  IIb,  4),  offenbar  mit  derselben  Darstel- 
lung, ist  darum  bemerkenswert,  weil  der  Knabe  noch  ein 
Handpferd  hat,  wie  auf  unserer  Scherbe  1. 

Nach  den  eben  angeführten  Übereinstimmungen  sind  wir 
wol  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  dass  unsere  Scherben  und  die 
aus  Defenneh  derselben  Fabrik  angehören.  Flinders  Petrie 
(a.  a.  0.  S.  62)  und  ihm  folgend  Dümmler  (a.  a.  0.  S.  36) 
haben  für  letztere  lokale  Herstellung  angenommen.  Petrie 
glaubte  zu  dieser  Annahme  gezwungen  zu  sein  durch  die  Beo- 
bachtung, dass  die  Keramik  vonNaukratis  so  auffallend  wenig 
Berührungspunkte  mit  der  von  Daphnai  zeigt.  Er  konnte  sich 
diese  Erscheinung  bei  einem  Import  aus  dem  Mutterlande 
nicht  erklären.  Aber  diese  Folgerung  ist  nicht  zwingend  '.  Wir 


'  Dass  die  andere  in  Defenneh  häufige  Gattung,  die  sogenannten  Situlen, 
an  Ort  und  Stelle  gemacht  wurde,  erscheint  mir  auch  nicht  sicher.  Pelrie 
(Tanis  II  S.  62)  glaubt  nanienllich  in  der  Form  ägyptischen  Elnfluss  zu  er- 
kennen. Dass  die  Form  aber  auch  sonst  in  griechischer  Keramik  vorkommt, 
beweist  das  ilalisch-  korinthische  Gefäss  in  München  (Jahn  Nr.  946;  Lau, 
Die  griechischen  Vasen  Taf.  5,2).  Die  Form  verhält  sich  zu  den  schlanken 
Amphoren,  von  denen  die  meisten  oben  besprochenen  Scherben  von  De- 
fenneh stammen  (vgl.  Jahrbuch  1895  S.  39)  und  die  schon  in  der  Zeit  des 
geometrischen  Stiles  ausgebildet  wurden  (  vgl.  Öalzmann,  Camiros  Taf.  4b; 
Couze,  Anfänge  der  Kunst  Taf.  cl,i)  wie  die  spätere  Pelike  zur  gewöhnlichen 
Amphora.  Die  älteste  der  Situlen  [Tanis  II  Taf.  25,  3;  vgl.  Dümmler,  Jahr- 
buch 1895  S.  37)  zeigt  in  ihrer  Dekoration  noch  reichliche  geometrische 
Elemente,  die  späteren  haben  Bauchstreifen  uiil  Pahnetten  und  Lotosblüten, 
ganz  wie  aut  rhodisclien  Gelassen  (vgl.  besonders  die  Amphoren  in  Karls- 
ruhe, Winuefeld  Nr.  32-34).  Wären  nun  die  Gelasse  in  Daphnai  selbst 
hergestellt,  so  müsste  man  für  diese  Fabrik  eine  der  des  Mutterlandes  eut- 
sprecheutle  Entwicklung  aus  dem  geometrischen  zum  orientalischen  Stil 
oder  einen  bcsländigen  Import  fremder  Vorbilder  annehmen,  von  denen 
keine  Spuren  gefunden  wurden.  Lässt  man  da  nicht  einfacher  die  Gelasse 
selbst  importirt  sein  ? 

Dass  auf  einer  Scherbe  [Tunis  II  Taf.  26,3.  29,2)  ein  Beschnittener  dar- 
gestelll  ist,  kann  auch  nicht  für  engere  Beziehungen  zu  Ägypten  beweisene 
Man  erinnere  sieh,  wie  gut  der  Maler  der  cäretaner  Ilydria  mit  dem  Bu- 
sirisabenteuer die  Ägypter  kennt.  Auch  auf  der  rotügurigen  allischen  Pelik. 


52  ft.  ZAHN 

wissen  auch  sonst,  dass  gewisse  Fabriken  fast  ausschliesslich 
nach  einem  einzigen  Ort  geliefert  haben  ;  man  denke  z.  B.  an 
die  cäretaner  Hydrien.  Ferner  erklärt  sich  in  Naukratis  die 
grosse  Mannigfaltigkeit  der  Keramik  daraus,  dass  die  Stadt 
eine  gemeinsame  Gründung  mehrerer  Städte  war,  in  die  wol 
jeder  die  in  seiner  Heimat  hergestellten  Gefässe  mitbrachte. 
Daphnai  dagegen,  wo  doch  nur  griechische  Söldner  und  viel- 
leicht einige  Gewerbetreibende  wohnten,  konnte  sein  Bedürf- 
niss^bei  nur  einer  Fabrik  decken.  Übrigens  macht  Dümmler 
selbst  darauf  aufmerksam,  dass  Stücke  der  Gattung  von  De- 
fenneh  in  Naukratis  vorkommen.  Neben  den  schon  erwähnten 
Fragmenten  B  102,  32  mit  weissem  Reiter  und  B  103,  \ -i  Nr. 
3  mit  schwarzem  Reiterrechne  ich  hierher  noch  die  Scherbe  B 
102,  28  mit  der  Darstellung  eines  Hopliten  und  eines  skytiii- 
schen  Schützen,  deren  Fleisch  auch  weiss  gemalt  ist  ^  Viel- 
leicht gehört  hierher  auch  die  Scherbe  mit  dem  Sirenenaben- 
teuer (B  103,  19  Fig.  43),  wieder  einer  Darstellung  aus  dem 
Epos. 

Dümmler  findet  in  der  Zeichnung  ägyptische  Elemente. 
So  erinnert  ihn  die  Stilisirung  der  Pferde  an  ägyptische  Dar- 
stellungen. Auffallender  ist,  wie  ich  glaube,  die  Übereinstim- 
mung mit  assyrischen  Bildern.  Nicht  nur  die  Bildung  des 
Körpers  mit  der  stark  vortretenden  Brust,  dem  dicken  Halse 
und  der  genauen  Durchbildung  des  Maules  ist  assyrisch,  son- 
dern auch  die  ganze  Anschirrung  und  der  Schmuck  des  Pfer- 
des^. Auch  der  auf  der  Deichsel  vorne  aufgesetzte  Tierkopf  fin- 


iiii  atlienisclien  Nalionalmuseum  iDumont- Cliaplain ,  C^ramiques  de  la 
Grice  propre  I  Tal".  18)    sind  die  Äg.ypler  Ijcsclmitlen  daigcslellt. 

♦  Das  Stück  wird  abgeljüdet:  Darstellung  der  Barbaren. 

2  Wie  slarlv  der  Einfluss  der  assyrisclicn  Kunst  auf  die  kleinasiatiscli- 
griecliisclie  Kunst  war,  zeigt  besonders  das  Tlionreiier  Gazelle  archfuluyique 
1«88  Taf.  49.  Bezeielinend  ist  nauicnliicli  die  Modeilirung  des  Beines  an 
der  Stelle,  wo  es  an  den  Leib  ansetzt.  Die  Verniittk-i  in  war  wul  die  lictti- 
tische  Kunst,  man  vergleiebe  z,  B.  das  Relief  bei  Huniann  und  Pucbslein, 
Reisen  in  Kleinasien  und  Nordsyrien  Taf.  46  und  bei  Perrot-Cliipicz,  Hi- 
slüire  de  l'art  IV  S.  553,  auf  dem  das  Pferd  denselben  Schmuck  trägt,  wie 
die  assyriscben  und  die  griccbiscbeu  Pferde. 


VASENSCHERBEN   AUS   KLAZOMENAI  53 

det  sich  regelmässig  bei  assyrischen  Wagen.  Dass  die  Reiter 
auf  Decken  reiten  entgegen  der  gemeingriechischen  Gewohn- 
heit, geht  wol  auf  denselben  Einfluss  zurück ;  das  assyrische 
Reitpferd  trägt  regelmässig  eine  Decke*. 

In  der  Figur  mit  dem  Lendenschurz  auf  dem  von  ihm  a.  a. 
0.  S.  41  Fig.  4  abgebildeten  Fragmente  sieht  Dümmler  einen 
Nichtgriechen  und  erinnert  sich  bei  ihm  an  ägyptische  Dar- 
stellungen gefangener  Neger.  Nun  ist   aber  der  Lendenschurz 
als  Männertracht- durchaus  nicht  selten  auf  jonischen  Denk- 
mälern.  Auf  einer  polychromen  Scherbe  von  der  Akropolis, 
die  zu  der  in  Naukratis  so  häufig  vorkommenden  Gattung  ge- 
hört, trägt  ihn  Herakles.  Ebenso  ist  er  die  Tracht  der  Wagen- 
lenker und  der  sich  übenden  Krieger   auf  dem  neuen    klazo- 
menischen    Sarkophag    in  London  ^.    Weiter   tragen    ihn  die 
Komasten  auf  den  Fikellura- Amphoren  und  auf  einer  böoti- 
schen   Schüssel    im   athenischen    Nationalmuseum    Nr.   418, 
die    in  der  Zeichnung    an  jene   Amphoren   erinnert^.     Die 
sonderbare  Verdrehung  der  Brust  des  Mannes   erklärt  sich 
aus  der  Ungeschicklichkeit  des  Malers,   die  sich   gerade   bei 
der  Zeichnung   der  Brust   und  Schulter   zu  verraten   pflegt. 
Eine  entsprechende  Verzeichnung  findet  sich    auf   der  eben 
erwähnten  böotischen  Schüssel:   Ein  Flötenbläser  kniet  nach 
links,   auch  sein  Kopf   ist  dahin   gewandt,  dagegen   ist  der 
Oberkörper  von  vorn  gezeichnet   und  er  hat  nur  einen  Arm 
an  der  rechten  Schulter.  Ähnlich   muss  das  Gebilde  auf  der 
Scherbe  gewesen  sein;  den  roten  Fleck  oben,  den  Dümmler 
als  Bart  oder  den  Rest  einer  auf  der  Schulter  getragenen  Last 
ansieht,  halte  ich  für  das  Ende  des  Haares  (vgl.  die  Tanzen- 
den auf  der  Scherbe  Fig.  6  bei  Dümmler  a.  a.  0.). 


*  Vergleiche  aucli  den  Fries  von  Xanthos  im  Brittischen  Museum,  Cala- 
logiie  of  Greek  sculplure  I  Nr.  86  und  die  orientalisch-griechischen  Gemmen 
in  Berlin, Furtwängicr,  Besclircibung  der  geschnittenen  Steine  im  Anti(]ua- 
rium  Taf.  4,  180.  182.  183.  Siehe  auch  unten  S.  5b  Anm.  2. 

2  Munumenls  Piol  IV  Taf.  4.  5. 

3  Sic  wird  in  dem  vor!)ereileten  Werke  über  das  thebanische  Kabireu- 
heiliglum  abgebildet  werden. 


54  R.   ZAHN 

Die  Frage  nacli  der  Herkunft  derGcfiisse  von  Defenneli  wird 
durch  unsere  Scherben  entscliieden,  Ihre  Herstellung  ist  im 
Heiinatlande  zu  suchen.  Denn  man  wird  nicht  annehmen  wol- 
len, dass  aus  der  lokalen  Fabrik  von  Daphnai  Gefässe  nach 
Jonien  importirt  wurden.  Ich  will  noch  erwähnen,  dass  auch 
auf  der  Akropolis  zwei  Fragmente  gefunden  sind,  welche,  so- 
weit man  dies  ohnedirecte  Vergleichung sagen  kann, denselben 
Thon,wie  die  Defennehware,  und  die  für  diese  charakteristi- 
schen abwechselnd  schwarz, rot  und  weiss  gemalten  Halbmonde 
haben.  Dasselbe  Ornament  in  mehreren  Reihen  übereinander, 
die  durch  das  ebenfalls  in  Defenneh  so  häufige  Stabornament  ^ 
mit  Punkten  getrennt  werden,  zeigt  ein  grosser  fragmentirter 
Skyphos  aus  dem  Heiligtum  des  Zeus  Aphesios  bei  Megara  ^ 
im  Museum  von  Eleusis.  Auch  der  lederfarbene  Thon  des  Ge- 
fässes  erinnert  an  unsere  Gattung.  Wir  dürfen  also  vielleicht 
das  Urteil  Dümmlers,  dass  das  Ornament  der  Halbmonde  von 
den  Verfertigern  der  Amphoren  von  Defenneh  der  Fikellura- 
gattung  entlehnt  wurde,  gerade  umkehren. 

Die  Scherben  von  Defenneh  wurden  zum  grossen  Teil  zu- 
sammen gefunden  mit  den  Verschlüssen  von  Amphoren,  die 
mit  den  Namen  des  Psamtik  II  und  Amasis  gestempelt  waren. 
Bald  nach  dem  Regierungsantritt  des  Amasis  muss  die  grie- 
chische Besiedelung  von  Daphnai  aufgehört  haben,  denn  wir 
wissen  aus  Herodot  (II  15  4.178.179),  dass  er  die  griechischen 
Söldner  nach  Memphis  verlegte,  die  andern  Griechen  aber  auf 
Naukratis  beschränkte^.  So  bekämen  wir  also  für  die  Scher- 
ben als  Zeitgrenzen  ungefähr  die  Jahre  595  und  565  [Tanis  II 
S.  58  f.).  Wenn  die  Gefässe  importirt  sind,  kann  ihre  Fabrika- 
tion noch  etwas  länger  gedauert  haben, doch  ist  dies  nach  dem 
ganzen  Charakter  der  Stücke  nicht  gerade  wahrscheinlich.  Die 
klazomenischen  Scherben  gehören  jedenfalls  nicht  zu  den  äl- 


<  Vgl.  Dümmlor  a.  a.  O.  S.  .30. 

2  Vf,'l.  Pliilios  und  Lolliii.s;,  'E?r,iJiepl;  io/.  1890  S.  21  ff. 
•''  Wir  liahcn  keinen  Grund  an  der  Möglichkeit  der  Durclifül)runp;  einer 
solchen  Massregel  zu  zweifeln,  wie  dies  Düininler  a.  a.  O.  S.  3ü  lliut. 


VASENSCHERBEN   AUS    KLAZOMENAI  55 

testen  Stücken  der  Gattung, denn  sie  zeigen  schon  Faltenlinien 
in  den  Münteln.  Auch  die  Decke  am  Schilde  weist  wol  auf  eine 
etwas  jüngere  Zeit  hin.  Sie  ist  ganz  gewöhnlich  bei  den  Krie- 
gern auf  den  klazomenischen  Sarkophagen.  Das  Verhältniss 
dieser  zu  unseren  Scherben  ist  etwa  wie  das  der  strengen  at- 
tischen Meister  Exekias  und  Amasis  zu  dem  älteren  Sophilos. 
Wenn  wir  nun  die  Sarkophage  etwas  vor  und  nach  der  Mitte 
des  sechsten  Jahrhunderts  ansetzen  müssen  ',  so  dürfen  wir  mit 
unseren  Scherben  und  den  Stücken  von  Defenneh  gewiss  einige 
Jahrzehnte  über  diesen  Zeitpunkt  hinaufgehen. 

Dass  wir  die  Entstellung  der  Sarkophage  in  demselben  en- 
geren Kunstkreise  zu  suchen  haben,  wie  die  der  besprochenen 
Scherben,  scheint  mir  nicht  zweifelhaft  zu  sein.  Ein  Stück 
wie  die  Hydria  Antike  Denkmäler  II  Taf.  21,  1  nähert  sich 
durch  ihre  sorgfältigere,  strengere  Zeichnung  schon  merklich 
den  Bildern  der  Sarkophage,  andererseits  sind  die  londoner 
Fragmente  {Journal  of  Hell,  studies  1883  Taf.  31,  Antike 
Denkmäler  1  Taf.  16,  3.  4)  oder  Stücke  wie  der  Sarkophag 
in  Konstantinopel  {Revue  des  etudes  ^recques  1895  S.  161  ff.) 
und  der  im  Louvre  {Bulletin  de  corr.  hell.  1895  Taf.  1.  2) 
noch  nicht  viel  entwickelter,  als  die  Gefässe.  Die  Pferde  auf 
diesen  beiden  Sarkophagen  sind  die  nächsten  Verwandten  der 
Tiere  auf  der  Hydria. 

ZwisclK^n  beiden  Denkmälerklassen  bestehen  viele  Überein- 


^  Wenn  man  die  Sarkophage  miteinander  vergleicht,  so  scheinen  mir  die 
Unterschiede  nicht  so  gross,  dass  man  genötigt  wäre,  sie  ihrer  Entwicklung 
nacii  auf  eine  so  lange  Zeit  zu  verteilen,  wie  dies  Joubin,  liullelin  de  corr. 
hell.  1895  S.  00  f.  thut.  Auch  das  Prinzip  seiner  chronologischen  Anord- 
nung ist  hinfällig;  dereine  neuorworhene  Sarkophag  in  Berlin  (Antike  Denk- 
mäler II  Taf.  25)  hat  neben  den  ausgesparten  Figuren  auf  hellem  Grunde, 
die  also  den  rolfigurigen  Vasen  entsprechen, im  unleren  Bildfehl  auch  noch 
die  rhodischen  Tiere. 

Mein(^  Aiisetzung  beruht  auf  dem  Vergleiche  mit  der  attischen  Keramik. 
S.  lieinach,  Revue  des  Stades  grecques  1S95  S.  170  will  aus  der  Geschichte 
der  iStadt  das  Jahr  5'iÜ,  als  sie  auf  die  Insel  verlegt  wurde,  als  terminus  ante 
quem  für  die  Sarkophage  bestimmen.  Aber  die  in  ihnen  Bestatteten  könnten 
auch  Grundbesitzer  gewesen  sein,  die  bei  der  Verlegung  der  Stadt  zurück- 
geblieben waren. 


56  R.  ZAHN 

Stimmungen  in  Einzelheiten.  So  kehren  die  vorhin  bei  den 
Pferden  auf  denSclierben  hervorgeliobenen  ßigentümlichkeiten 
der  Rörperbildung  und  der  Ziiumung  auf  den  Sarkophagen 
wieder.  Man  kann  sie  am  besten  bei  den  vollendet  gezeichne- 
ten Pferden  auf  dem  neuerworbenen  Stück  in  Berlin  studiren, 
das  bald  in  den  Antiken  Denkmälern  11  Taf.  -20  veröffentlicht 
werden  wird.  Nicht  selten  ist  am  Ende  der  Deichsel  der  Grei- 
fenkopf angebracht  ^  Die  Reiter  reiten  auf  Satteldecken 2. 
Auf  dem  Helm  kommt  der  eigentümliche  Stirnaufsatz  ^  vor 
{Mori.  deW Inst.  XI  Taf.  53).  Weiter  findet  sich  der  Schopf 
am  Hinterkopf,  den  der  Knabe  auf  dem  Fragment  aus  Nau- 
kratis  (Jahrbuch  1896  S.  568)  trägt,  als  Haartracht  für  Rei- 
ter und  Wagenlenker, einmal  auch  für  Frauen  oder  Göttinnen^. 
Man  vergleiche  schliesslich  noch  das  grosse  Gorgoneion  auf 
dem  Schild  des  Kriegers  Journal of  Hell.  stad.  IV,  1883,  Taf. 
31  mildem  Schildzeichen  des  Achilleus  auf  unserer  Scherbe  2. 
Auffallend  ist  zunächst,  dass  auf  den  Sarkophagen  das  Weiss 
als  Fleischfarbe,  das  auf  unseren  Scherben  so  reichlich  ver- 
wendet ist, nicht  vorkommt.  Der  Grund  ist  ein  technischer.  Die 
Maler  ritzen  die  Innenzeichnung  nicht  ein, sondern  sie  malen  sie 


<  Monumenti  deW  Inst.  XI  Taf.  54.  Bulletin  de  corr.  hell.  1895  S.  85. 
Monuments  Piot  IV  Taf.  4.  5.  Vgl.  auch  das  schon  erwähnte  Thonrelief 
Gazette  archeologique  1883  Taf.  49  und  das  Relief  von  Kyzikos  Bulletin  de 
corr.  hell.  1894  S.  49.3.  Melische  Amphora,  Conze,  Melische  Thongefässe 
Taf.  4;  auf  der  Amphora  'E^rjaspU  ip/.  1894  Taf.  13  ist  der  Greifenkopf 
durch  einen  Schwanenkopf  ersetzt.  Bei  assyrischen  Wagen  ist  das  Deichsel- 
ende regelmässig-  durch  einen  Tierkopf  geschmückt. 

2  Antike  Denkmäler  I  Taf.  46,  5.  Journal  of  Hell,  studies  1883  Taf.  31. 
Bulletin  de  corr.  hell.  1892  S.  244.  Vgl.  auch  das  Bronzerelief  Antike  Denk- 
mäler II  Taf.  14. 

3  Vgl.  Greenwell,  Num.  Chron.  1893  S.  91  und  Dümmler,  Jahrbuch  1895 
S.  40,  wo  die  Litleratur  zusammengestellt  ist.  Es  ist  der  9aXo?  nach  Reichel. 
Homerische  WalTen  S.  116.  Beziehungen  zu  der  klazomenischen  Keramik 
haben  viclleiclit  auch  die  Gcrässc  in  Form  eines  behclinlen  K()i)fcs  mit  der- 
selben Helmform  und  tl(;m  Stirnaul'salz,  die  auch  in  ägyplisciicui  Porzellan 
nachgeahmt  wurden.  Vgl.  Gazette  arcliiologique  1890  S.  14.ö  f.  Taf.  28,  2.  3, 
Notizie  degli  scavi  1894  S.  347. 

*  Man.  delV  Inst.  XI  Taf.  54.  Monuments  Piot  IV  Taf.  4-6.  Antike  Denk- 
mäler II  Taf.  2(i.  Vgl.  Studniczka,  Jahrbuch  1891)  6.  26S. 


VASENSCHERBEN   AUS   KLAZOMENAI  57 

mit  feinen  Linien  in  Weiss  auf.  Von  der  Verwendung  des 
verdünnten  Firnisses  für  die  innenlinien  auf  weissen  Partien 
waren  sie  aus  irjjjend  einem  Grunde  auch  abgekommen  : 
die  figürlichen  Schildzeichen  sind  nur  als  weisse  Silhouetten 
gemalt.  Dies  ging  bei  dem  menschlichen  Körper  nicht  an  und 
so  verzichteten  sie  darauf,  ihn  weiss  zu  malen. 

Eine  Umschau  in  unserem  Denkmälervorrate  liefert  uns 
noch  weitere  Stücke,  die  in  diesen  engeren  Kreis  gehören. 
Nur  kurz  sei  auf  die  Scherben  von  Kyme  hingewiesen,  deren 
nahe  Verwandtschaft  mit  den  Sarkophagen  schon  Dümmler 
hervorgehoben  hat  (Römische  Mittheilungen  1888  S.  162). 

Ein  recht  entwickeltes  hierher  zu  rechnendes  Gefäss  ist  der 
Deinos  mit  Kampfdarstellung  im  Louvre,  Bulletin  de  corr. 
hell.  1893  S.  428  Taf.  18  (Pottier)^.  Die  eine  Helmform  mit 
dem  Stirnaufsatz  und,  worauf  ich  besonders  aufmerksam  mache, 
den  den  Mund  ausdrückenden  kleinen  Bogenlinien  vorn  auf  der 
Backen  klappe  3  findet  sich  genau  so  wieder  auf  dem  Fragment 
von  Defenneh,  Antike  Denkmäler  11  Taf.  21,  3,  die  andere  mit 
dem  eigentümlich  hohen  Schädel,  dem  kleinen  Augenloch  und 
dem  mehrfarbigen  Helmbusch  auf  dem  schon  genannten  Frag- 
ment aus  Naukratis,  Catalogue  of  vases  in  theBrit.  Mus.  II 
B  102,  28.  Beide  Helme  sind  auch  ganz  ähnlich  auf  den  Sar- 
kophagen vertreten,  worauf  schon  Pottier  hingewiesen  hat.  Mit 
letzteren  verbinden  den  Deinos  vor  allem  die  Schildzeichen, 


'  Wenn  wir  mit  Recht  die  Sarkophage  zu  den  Gefässen  in  ein  so  nahes 
Verhältiiiss  bringen,  kann  das  verschiedene  Verfahren  nicht  auf  zeitlichem 
Unterschied  beruhen,  sondern  es  rauss  sich  aus  technischen  Gründen  her- 
leiten, wieC.  Smith,  Journal  of  Hell,  studies  VI,  1885,  S.  185  angenom- 
men hat. 

2  Die  eben  dort  als  Fig.  1  und  Fig.  2  abgebildeten  Deinoi  möchte  ich 
nicht  hierher  rechnen.  Sie  gehören  zu  einer  anderen  jonischen  Familie, über 
welche  die  Litleratur  zuletzt  von  Masner,  Sammlung  antiker  Vasen  und 
Terracotlen  im  K.  K.  österreichischen  Museum  zu  Nr.  215  und  von  Poltier 
a.a.O.  S.  4?4  zusammengestellt  ist.  Üass  sie  zu  unserem  Kreise  allerdings 
Beziehungen  hat,  werden  wir  unten  S.  tiO  sehen 

3  Vgl.  Carapanos,  Üudonc  Taf.  .■..").  Olympia  IV  Taf.  63,  10-27.  Catal,  of 
Greek  cui/u   in  Ihe   llril.  Museum,  lonia  Taf.  5,  '22. 


58  R.   ZAHN 

auf  die  in  dem  ganzen  Kreise  viel  Sorgfalt  verwendet  wurde. 
Auf  einem  Schilde  war  ein  Gorgoneion  dargestellt  wie  auf 
dem  [Bruchstück  eines  Sarkophages  in  London',  besondere 
Beachtung  verdient  der  laufende  Silen  als  Füllung  des  Schild- 
rundes. Er  ist  bis  jetzt  viermal  bei  Kriegern  auf  den  Sarkopha- 
gen erhalten'^.  Einen  directen  Hinweis  auf  Klazomenai  gibt  uns 
schliesslich  das  letzte  zu  nennende  Scliildzeichen,  das  Vorderteil 
eines  geflügelten  Ebers.  Es  ist  das  Wappen  der  Stadt,  wie  uns 
die  Münzen  lehren.  Das  Schuppenmuster  und  die  Rosetten, 
mit  denen  der  Köcher  eines  Schützen  verziert  ist,  sind  auch 
auf  den  Sarkophagen  beliebte  Ornamente  ^  In  der  Zeichnung 
des  Gewandes  zeigt  sich  bei  den  Figuren  des  üeinos  ein  be- 
deutender Fortschritt  gegenüber  den  Scherben  von  Defenneh 
und  ihren  Verwandten  wie  auch  gegenüber  den  meisten  der 
Sarkophage.  Der  Maler  hat  sich  schon  ganz  ernstlich  bemüht, 
die  Falten  des  Gewandes  der  Natur  entsprechend  wiederzu- 
geben^. 

In  gewisse  Beziehung  zu  unserem  Kreise  möchte  ich  auch 
die  Würzburger  Amphora  bei  Gerhard,  Auserlesene  Vasen- 
bilder Taf.  194  bringen.  Schon  Dümmler  hat  für  die  wagen- 
besteigende Frau  auf  der  Hydria  von  Defenneh  auf  sie  hin- 
gewiesen (Jahrbuch  1895  S.  46).  Für  ein  jonisches  Original, 
wie  er  glaubt,  kann  ich  sie  nicht  halten,  denn  auf  dem  Gegen- 
stück in  Berlin  2154  erscheinen  neben  anderen  Eigentümlich- 
keiten,die  auf  etruskische  Kunst  hinweisen, Männer  mit  langen 
oben  gekrümmten  Tuben,  die  wir  sonst  nur  von  etruskischen 
Wandgemälden  her  kennen  ^.  Es  ist  nicht  nötig,  die  einzelnen 
Beziehungen    der  Amphora    zu  unserem   Kreise  aufzuzählen. 


*  Oben  S.  56.  Vgl.  auch   das  Gorgoneion  auf  Münzen  von  Klazomenai, 
Calal.  of  Greek  coiiis  in  Ihe  lirilish  Museum,  lonia  Taf.  0,  \.  5. 

2  Antike  Denknicäler  I  Taf.  45;  46,  2.   liulklin  de  corr.  hell.  18!)5  8.  88. 
Monuments  Piot  IV  Taf.  4.  5. 

3  Antike  Denkmäler  I  Taf.  \h.  II  Taf.  26.  Hall,  de  covr.  hell.  I8'.15  Taf.  1. 
-•  Ähnlich  ist  die  Bchandkiiig  der  Fallen  auf  der  cäretaiicr  llydria  in  how- 

Aon,  Calal.  of  Ihe  vases  in  Ihe  Ih'it.  Museum  II  B  51)  Taf.  2. 
■'  Vgl.  auch  Darstellung  der  Barbaren  .S.  66  f. 


VASENSCHERBEN  AUS  KLAZOMENAI  -^9 

Ich  will  nur  auf  ein  Schildzeichen,  eine  laufende  Frau,  hin- 
weisen, das  uns  sofort  an  die  oben  besprochenen  Bilder  er- 
innert. 

Zu  all  diesen  bis  jetzt  genannten  keramischen  Produkten 
zeigt  auch  ein  plastisches  Werk  mehrfache  Beziehungen,  ich 
meine  das  Bronzerelief  von  Perusfia,  Antike  Denkmäler  11  Tat. 
14.  Man  beachte  unter  anderem,  wie  auffallend  die  Bildung 
der  Füsse  mit  der  auf  dem  Deinos  im  Louvre  übereinstimmt. 
Die  Helme  zeigen  wieder  den  Stirnaufsatz.  Auch  eine  noch 
nicht  erwähnte  Eigentümlichkeit, die  Freude  an  der  Darstellung 
der  fremden  Schützen,  teilt  das  Relief  mit  unserem  Kreise. 

In  nicht  so  enger  Beziehung  zu  ihm,  aber  unter  den  übri- 
gen jonischen  Vasen  am  nächsten,  steht  die  Gattung  der  cäre- 
taner  Hydrien'.  Auch  auf  diesen  ist  z.  B.  Weiss  als  Fleisch- 
farbe für  beide  Geschlechter  verwendet.  Das  Weiss  wird  al- 
lerdings mit  Ausnahme  der  Ornamente  auf  Firnissgrund 
gesetzt,  aber  die  Umziehung  der  Konturen  mit  Firniss  lässt 
schliessen^,  dass  es  einst  auch  in  dieser  Fabrik  auf  denThon- 
grund  gesetzt  wurde.  Auch  die  Ropftypen ,  die  sorgfältige 
Zeichnung  der  Pferde  u.  s.  w.  sind  recht  verwandt. 

Kehren  wir  noch  einmal  zu  unseren  klazomenischen  Scherben 
zurück.  Es  ist  natürlich, dass  wir  für  Einzelheiten  in  dem  grossen 
Gebiet  der  jonischen  Kunst  noch  manche  Berührungspunkte 
finden.  So  kann  man  für  die  Verzierung  der  Gewänder  die 
Amphora  in  München  mit  dem  Parisurteil  vergleichen  (Jahn 
Nr.  123.  Gerhard, Auserlesene  Vasenbilder  111  Taf.  170). Weiter 
mag  auf  die  grosse  Ähnlichkeit  der  Kopfbildung  des  Priamos 
mit  der  des  Alton  auf  dem  Wandu;emälde  der  Tomha  dcl  vec- 
chio  in  Cornelo  hingewiesen  werden  {Monunienti  dclC  Inst. 
IX  Taf.  14,  la).  Dieser  Typus,  bei  dem  von  der  Nasenspitze 
an  bis  zum  Hinterkopf  eine  gleichmässig  gebogene  Linie  ver- 


<  Schon  Dünimlcr,  Köm.  Mittheilungen  1888  S.  ir.6  IT.  und  Potlier,  Hul- 
lelin  de  corr.  hell.  lS!)-2  S.  ^:h'6  IT.  halten  diese  Ilydrien  in  einen  solchen  Zu- 
saninieiihaiig  p:eltraeht. 

2  Vgl.  die  Ilydria  in  Wien,  Masuer  Xr.  '2i8  Taf.  2. 


60  R.    ZAHN 

iäiift,ist  gerade  der  alten  kleinasiatisch-jonischen  Kunst  eigen, 
er  lindet  sich  besonders  deuLlicli  bei  dem  Marmorkopf  aus 
Hieronda*  im  Brittisclien  Museum,  dem  in  Konslantinopel ^ 
und  einer  der  Branehidenstatuen-^.  Diese  Sitzfiguren,  l)esonders 
die  des  Chares,  bieten  uns  aiicli  für  die  Traclit  und  ihre  Wie- 
dergabe in  der  Kunst  die  besten  plastischen  l^arallelen,  ab- 
gesehen von  einigen  später  zu  erwähnenden  Werken. 

An  die  Komposition  unserer  Scherbe  1  erinnert  uns  sehr  das 
Bild  einer  jonischen  Amphora  in  München^.  Auf  einem  Klapp- 
stuhle sitzt,  in  der  Tracht  unserem  Priamos  sehr  ähnlich,  ein 
bärtiger  Mann  mit  Scepter.  Vor  ihm  steht  ein  Jüngling  mit 
Schale  und  Kanne,  um  ihm  einen  Trunk  zu  reichen.  Auch  er 
wendet  das  Gesicht  vom  Gebieter  ab  nach  zwei  Pferden  hinter 
ihm,  die  von  einem  anderen  Jüngling  getränkt  werden.  Es 
ist  ganz  glaublich,  dass  der  Maler  ein  Bild  aus  der  Ileroenzeit 
geben  wollte,  ob  er  aber  an  eine  bestimmte  Scene  dachte,  ist 
mir  sehr  fraglich.  Man  kann  sich  in  dem  Sitzenden  den  reisi- 
gen Nestor  oder  irgend  einen  andern  Helden  vorstellen,  der 
sich  nach  der  Schlacht  ausruht  und  die  Wartung  seiner  Pferde 
beaufsichtigt.  Studniczka  glaubt  mit  Sicherheit  Diomedes  zu 
erkennen ,  der  sich  der  erbeuteten  Rosse  des  Rhesos  freut, 
doch  liegt  kein  zwingender  Grund  zu  der  Deutung  vor.  Denn 
das  Bild  auf  der  anderen  Seite  der  Amphora  (S.  143),  das 
ihn  offenbar  bei  seiner  Erklärung  beeinflusst  hat,  kann  nicht 
auf  die  Dolonie  bezogen  werden  -^  Die  zwei  Krieger  grei- 
fen nicht  die  Figur  zwischen  sich  ,  sondern  einander  selbst 
an.   Auch  die  an   den  Füssen   des  Laufenden  anofewachsenen 


*  Abgebildet  bei  Rayet  und  Thomas,  Mild  Taf.  27,  wiederliult  bei  Cülli- 
gnon,  Sculplure  grecque  I  S.  174. 

2  Gazelle  arcliiologique  1884  Taf.  13;  Uullelin  de  corr.  hell.  1884  Taf.  10. 
Collignon  a.  a.  O.  S.  175. 

3  Newton,  Discoveries  Taf.  75.  Rayct  und  Thomas  a.  a.  O.  Taf.  26,  2. 
Collignon  a.  a.  0.  S.  169. 

•*  Jahn  Nr.  583.  Abgebildet  und  besprochen  von  Studniczka,  Jahrbuch 
1890  8.  146.  Vgl.  oben  8.  57  Aiim.  2. 

^  Auch  Murray,  Munumenls  Piul  IV  S.  39  f.  hat  gegen  Studniczkas  Dei}- 
tung  Widerspruch  erhoben. 


^ASENSCHERBEN   AUS   KLAZOi<E>fAl  6< 

Flügel  passen  schlecht  zu  Üolon'.VVir  müssen  uns  also  mit  der 
alten  Deutung  auf  irgend  ein  dämonisches  Wesen  begnügen. 

Interessant  ist  das  liild  mit  der  Trankung  der  Pferde  da- 
durch, dass  es  uns  zeigt,  wie  diese  Maler  mit  Typen  arbeiten. 
So  erklärt  sich  auch  die  Studniczka  nicht  ganz  verständliche 
Stellung  des  Knechtes,  der  die  Pferde  tränkt,  einfach,  wenn 
wir  bedenken,  dass  sie  eigentlich  in  den  Komosdarstellungen 
für  einen  in  Tanzstellung  aus  dem  Misclikessel  Schöpfenden 
ausgebildet  ist^.VVenn  wir  die  Darstellung  auf  unserer  Scherbe 
richtig  erschlossen  haben ,  so  hätten  wir  in  dem  Bilde  der 
münchener  Ampliora  wieder  ein  hübsches  Beispiel  der  Ty- 
penübertragung, auf  die  Löschcke  in  den  Bonner  Studien  S. 
24  8  hingewiesen  hat-^. 

Die  Macht  der  bildlichen  Tradition  zeigt  sich  auch  in  den 
Werken,  die  wol  jedem  bei  der  Betrachtung  unserer  Scherbe 
in  den  Sinn  gekommen  sein  werden, den  spartanischen  Reliefs^. 
Aber  nicht  nur  die  Komposition  erinnert  an  unsere  Scherbe, 
sondern  auch  namentlich  die  Tracht  und  ihre  Stilisirung.  Man 
beachte  den  Mantel  der  männlichen  Figuren  mit  den  schrä- 
gen  Faltenzügen  und  den  auf  dem  Rücken  niederhängenden 
Zipfeln  und  die  geknöpften  Ärmel  der  Frau  (auf  dem  Relief 
in  Berlin).  Wir  werden  also  auch  das  Vorbild  des  spartani- 
schen Künstlers  im  Osten  zu  suchen  haben.  Dorthin  weisen 
auch  die  Sandalen  des  Mannes,  die  auf  Bildern  aus  dem  joni- 


'  Sludniczka  a.  a.O.  S.  144  sagt,  die  Figur  frage  Halbstiefel  mit  Flügeln, 
doch  sind  in  seiner  Zeichnung  die  Zehen  deutlich  angegeben. 

a  Vgl.  z.B.  das  kyrenäische  Bild  Aich.  Zeitung  ISSlTaf.  1?,1,  die  Scherbe 
von  Kyme,  Rom.  Mittheilungen  1888  Taf.  6,  die  Amphora  aus  Rliodos, 
Journal  of  flcH.  studies  VI,  1885,  S.  181. 

3  Wie  stark  diese  Tyiienüberlragung  in  der  archaischen  Kunsl  wirkt, zeigt 
die  Darslelinng  eines  ( Iplcrs  an  Alliena  auf  einer  bilotiselien  Schale  [Juiir- 
nal  of  Hell.  sind.  1, 1880,  Taf.  7),  die  man  mit  leichler  Mühe  in  die  Sccne,  wie 
Achilleus  den  Troilosam  Brunnen  belauert, umsetzen  kann.  Das  sontlerbare 
Geräte  unter  der  Schlange  ist  eigentlich  der  Untersatz  vor  dem  Brunnen, 
auf  den  die  llydria  gestellt  wird  (vgl.  Annali  delV  Inst.  \S('S  Taf.  /?). 

*  Milchböler,  Athen.  Millheilungen  1877  Taf.  20-'24.  Furlwängler,  Samm- 
lung Sabouroir  I  Taf.  1. 


6i 


R.    ZAHM 


sehen  Kunstoobiet  besonders  häufiii;  dargestellt  wurden  S  und 
besondei'S  die  Schnabelschulie,  auf  die  schon  Furtwängler  in 
diesem  Sinne  aufmerksam  gemacht  hat^. 

Noch  ein  Gefäss,  auch  stark   fragmentirt,  ist  uns  aus  Kla- 
zomenai  erhalten  ;  wir  bilden  es  hier  unter  Figur  1  in  halber 


Fig.  1  a 


Fig.  1  b 

Grösse  des  Originals  ab.  Die  zu  Grunde  liegende  Zeichnung  und 
die  nähere  Angabe  über  den  Fundort  verdanke  ich  Herrn  Dr. 
Böhlau.  Er  hat  die  Stücke  selbst  in  Vurla  gesehn,  wo  sie 
höchst  wahrscheinlich  beim  Graben  nach  Sarkophagen  ge- 
funden wurden. 


<  Vgl.  Jahrbuch  1898  S.  2Ü  Anm.  9. 

2  Sammlung  Sabouroir  zu  Taf.  1.  Auf  S.  24  der  Einleitung  wci.sl  er  auf 
Beziehungen  zu  hctlili.scben  Reliefs  hin.  Vgl.  auch  die  Darstellungen  auf 
Buccherovasen,  über  die  Milchhüfcr,  Anfänge  der  Kunst  S.  229  spricht. 


Vasenscherben  aus  klazomenai  63 

Der  Thon  ist  im  Bruch  dem  der  anderen  Scherben  sehr 
ähnlich,  aber  weniger  fein.  Die  Oberfläche  ist  lederbraun.  Sie 
erscheint  durch  die  Drehringe  ganz  geriefelt.  Der  Firniss  ist 
chokoladebraun,  stellenweise  auch  so  rot  geworden,  dass  man 
ihn  fast  für  rote  Farbe  halten  könnte.  Als  Deckfarbe  ist  weiss 
verwendet  für  die  Innenzeichnung,  wie  bei  den  Sarkophagen 
aus  Klazomenai,  und  für  die  Gesichter  (auf  den  Thongrund 
aufgetragen  mit  roher  Innenzeichnung  in  rotem  Firniss).  Das 
Gefäss  war  ein  kleiner,  nach  unten  sich  stark  verjüngender 
Deinos.  Der  obere  Durchmesser  betrug  6"",  die  Höhe  etwa  8"". 
Die  Zeichnung  ist  sehr  roh  und  flüchtig.  Auf  dem  Stück  a 
sehen  wir  zwei  von  einander  abgewendete  menschenköpfige 
Vögel;  der  Flügel  des  einen  ist  merkwürdig  verrenkt.  Links 
ist  der  Rest  des  Gesichtes  eines  dritten  Vogels  zu  erkennen. 
Die  Scherbe  a  schliesst  oben  am  Kand  an  das  Stück  b  an. 
Links  von  dem  Gesicht  des  dritten  Vogels  ist  der  Rest  seines 
Flügels  erhalten,  der  ebenso  merkwürdig  gezeichnet  war,  wie 
der  des  andern.  Den  Rest  weiter  links  kann  ich  mir  nur  als 
grosse  herabhängende  Knospe  erklären'.  Ganz  links  ist  der 
Schwanz  eines  Hahnes  erhalten. 

Auf  dem  Rande  ist  in  Weiss  die  Inschrift  aufgemalt: 

AOHNArOI>H:EpMHI:HC 

Die  Buchstaben  zeigen  durchaus  die  Formen  des  jonischen 
Alphabetes  Kleinasiens.  Gewisse  Schwierigkeiten  machen  nur 
die  zwei  letzten  Buchstaben.  iMan  erwartet  an  dieser  Stelle 
einen  Beinamen  des  Hermes,  etwa  "O^io?,  aber  H  als  Hauch- 
laut zu  nehmen,  geht  bei  diesem  Alphabet  nicht  an  ^.  Der 
zweite  Buchstaben  kann  wol  nur  O  sein;  es  ist  allerdings  grös- 
ser geraten  als  das  vorhergehende.  Eine  Verbindung  r,o  lässt 
sich  nicht  gut  denken.  Ls  bleibt  also  wo)  nichts  anderes 
übrig,   als  in  r)  den  Artikel  zu  sehen   und  in   o  den  Anfang 


^  Vgl.  Micali,  Monumenli  ineäili  (1844)  Taf.  43,  3. 

2  öiiiylli,  Greek  Dialecls,  lonic  S.  324  f.  Iloirmann,  Die  griechisclicn  Dia- 
lekte Ili  ö.  545.  547. 


64  R-    ZAHN 

des  Namens   des   Gatten   oder   des  Vaters   der    Weihenden. 

Die  Schrift  macht  einen  recht  entwickelten  Eindruck,  doch 
wird  man  sie  nicht  gerade  spät  ansetzen  dürfen.  Sie  ist  nur 
weniii;  jünjj;er  —  man  vergleiche  die  Form  des  A  — als  die  auf 
tiefe  Schalen  aufgemalten  Inschriften  aus  dem  Heiligtum  der 
Aphrodite  in  Naukratis  [Naucratis  11  Taf.  21,  739-747, 
768),  die  man  nicht  viel  nach  dem  Anfang  des  ö.  Jahrhunderts 
wird  datiren  dürfen. 

Die  Darstellung  bietet  natürlich  wenig,  was  sich  mit  un- 
seren anderen  Scherben  vergleichen  liesse.  Doch  scheint  mir 
die  Bildung  der  Sphinx  am  Throne  des  Priamos  den  men- 
schenköpügen  Vögeln  sehr  verwandt.  Auch  die  Tierstreifen 
auf  den  schlanken  Amphoren  von  Defenneh  können  heran- 
sezosen  werden.  Für  die  Form  des  Gelasses  selbst  ver- 
weise  ich  auf  den  Deinos  mit  Tierfriesen,  der  bei  Westropp, 
Handbook  of  arcliaeology  S.  306  abgebildet  ist'.  Er  gehört, 
wie  man  selbst  aus  der  kleinen  Abbildung  sehen  kann,  zu 
der  von  Dümmler  in  den  Römischen  Mitlheilungen  1887  S. 
171  fY.  behandelten  Klasse  jonischer  Vasen,  im  obersten  Fries 
kehren  die  beiden  von  einander  abgekehrten  Vögel  mit  Men- 
schenköpfen unseres  Gelasses  wieder. 

Die  Verwendung  von  Sirenen  und  anderen  Fabelwesen  zum 
hauptsächlichen  Schmuck  von  Gelassen  und  die  grosse  herab- 
hängende Knospe  erinnern  uns  an  Produkte  einer  italisch- 
jonischen  Fabrik,  die  Dümmler  in  den  Rom.  Mittheilungen 
1888  S.  174  ff",  besprochen  hat.  Besonders  ist  auf  die  schon 
erwähnte  Amphora  beiMicali,  Monumenti  iV/ec//// (1844)Taf. 
43,  3  zu  verweisen,  ihre  schlanke  Form  und  ihre  Einteilung 
zur  Aufnahme  des  Bildschmuckes  erinnert  sehr  an  die  Am- 
phoren  von  Defenneh    (vgl.  Jahrbuch  1895   S.  39.   ''i3,6)2. 


'  Eine  älinliclie,  aber  nach  unten  sich  weniger  zuspitzende  Form  hat  das 
ebenlalls  junische  Gefass  in  den  Munumenli  ddi  Inst.  I  Taf.  '27,  29,  wälirend 
die  drei  im  liullelin  de  curr.  hell.  1«!)3  S.  424  IT.  vcrölVcntliclilen  Dcinoi  im 
Louvre  und  der  in  Wien,  Masner  Taf.  5,  mehr  kugelig  gcl)iidct  sind. 

2  Dieselbe  Einteilung  haben  übrigens  auch  die  von  Dümmler,  Rom.  Mit- 
lheilungen 1887  S.  171  fr.  besprochenen  Amphoren. 


Vasenscherben  aus  klazomenai  65 

Ich  halte  es  darum  nicht  für  unmöglich,  dass  ähnliche,  aber 
sorgfältiger,  als  unser  kleiner  Deinos,  ausgeführte  Stücke  mit 
Tieren  etwa  in  der  Art  der  Sirenen  auf  dem  Sarkophag  Antike 
Denkmäler  I  Taf.  45    die  Vorbilder  für  die  italische  Fabrik 
abgaben*.  Auf  die  Punkte  unterhalb  des  Stabornamentes,  die 
den  italischen  Gefässen  und  denen  von  Üefenneh  gemeinsam 
sind,   hat  schon   Dümmler,   Jahrbuch  1895    S.   39  Anm.  8 
hingewiesen.  Dass  in  der  Fabrik  flüchtigere  Exemplare  vor- 
kommen, zeigt  die  Amphora  bei  Gsell,  FoiiUles  de  Vulci 
Taf.  18.  19.  Gerade  diese  bietet  in  der  Verwendung  der  brei- 
ten weissen  Linien  eine  hübsche  Analogie  zu  der  weissen  In- 
nenzeichnung auf  unserem  Deinos.  Noch  näher  verwandt  nach 
der  Flüchtigkeit  der  Zeichnung  und  der  Darstellung  ist  eine 
Amphora  dieser  Gattung  in  Würzburg  (Urlichs  Nr.  42),  die 
ich  aus  einer  Zeichnung  des  Herrn  Professor  Wolters  kenne. 
Sie  zeigt  auf  jeder  Seite  zwei   abgewendete  Sirenen,    deren 
Schwänze  sich  berühren.  Die  Innenzeichnung  auf  den  Flü- 
geln ist  wie  bei  unserem  Deinos  in  Weiss  aufgesetzt.   An  der 
Mündung  befindet   sich  eine  weiss  aufgemalte  etruskische  In- 
schrift. Darum  trage  ich  kein  Bedenken, die  ganze  Klasse  einer 
etruskischen  Fabrik  zuzuweisen,  und  sehe  in  ihr  neben   der 
oben  S.  58  angeführten  Amphora  in  Würzburg  einen  weiteren 
Beleg  für  die  besondere  Einwirkung  unseres  klazomenischen 
Kreises  auf  die  etruskische  Kunst^. 

Der  Freundlichkeit  des  Herrn  Dr.  Böhlau  verdanke  ich  die 


<  Zu  den  Sphingen  mit  den  Zitzen  vgl.  die  Tiere  auf  einer  Büchse  mit 
Ohrenhenkeln  in  der  Sammlung  Ualvert  aus  Thyrahra  (Photographien  des 
alhenisehen  Institutes,  Kieinasien  Nr.  3  und  5).  Sie  gehört  wol  einer  loka- 
len kleinasialischen  Gattung  an. 

2  Zwischen  dieser  Würzburger  Amphora  und  der  eben  besprochenen  etruski- 
schen Gattung,  doch  dieser  durch  die  ausschliessliche  Verwendung  der 
weissen  Deckfarbe  näher,  steht  die  Hydria  in  London  mit  der  Darstellung 
eines  Seekampfes  [Calal.  of  tlic  vases  in  ihe  lintish  Museum  II  B  CO).  Die 
fremden  Bogenschützen  sind  natürlich  aus  der  jonischen  Vorlage  übernom- 
men und  können  darum  nicht  als  Grund  gegen  etruskische  Fabrikation 
verwendet  werden,  wie  dies  Heibig  in  den  Sitzungsberichten  der  Akademie 
zu  München  1897  II  S.  287  will. 

ATHEN.   MITTHEILUNGEN  XXni.  5 


66  R.  ZAHN 

Kenntniss  noch  einer  Scherbe  aus  dem  griechisclien  Osten,  die 
hier  nach  einer  von  ilim  zur  Verfü^ijung  gestellten  Zeichnung 
als  Fig.  2  in  zwei  Drittel  der  natürlichen  Grösse  abgebildet 
wird. 

Die  Scherbe  ist  von  Humann  in  Smyrna  erworben  und 
wahrscheinlich  kleinasiatischer  Provenienz.  Sie  ist  im  Feuer 
gewesen,  daher  lässt  sich  Sicheres  über  das  Technische  nicht 
sagen.  Der  Thon  hat  Glimmerbeisatz,  der  geringer,  als  z.  B. 
bei  der  samischen  Thon  wäre,   aber  immerhin  doch  auffällig 


Fig.  2. 

genug  ist.  Er  hat  jetzt  eine  lichtbraune  Färbung  auf  der  Ober- 
fläche der  Vorderseite;  die  Innenseite  ist  mit  einer  schwarzen 
kohlehaltigen  Erdschicht  überzogen.  Der  Firniss  ist  braunrot, 
sehr  ungleichmässig.  Das  Weiss  (an  Flügeln,  Schwanz  der 
Sirene  und  Mähne,  Hinterbein  und  Bauch  der  Löwen)  ist  grau 
gebrannt.  Innenzeichnung  und  der  Kontur  am  Gesicht  der 
Sirene  sind  geritzt. 

Über  die  Form  des  Gefässes  liegt  mir  leider  keine  Angabe 
vor.  Es  war,  wie  es  scheint,  eine  Amphora  mit  begrenzten 
Scbulterfeldern  und  umlaufender  Zone,  also  mit  einer  I^aum- 
einteilung,  wie  die  der  oben  S.  64  genannten  Gefässe. 


VASENSCHERBEN  AUS  KLAZOMENAI  67 

Böhlau  dachte  bei  der  Scherbe  an  eine  Beziehung  zu  der 
schon  öfter  erwähnten  Klasse,  die  in  den  Rom.  Mittheilungen 
1887   S.  171  ff.  zusammengestellt  ist.   Allein  in  dieser  wird 
die  Fleischfarbe  der  Frauen  durch  Weiss  bezeichnet  *,  während 
die  Sirene  auf  unserer  Scherbe  ein  schwarzes  Gesicht  hat. 
Auch  die  Bildung  der  Tiere  auf  unserer  Scherbe  scheint  mir 
von  den  sorgfältigen  wie  den  flüchtigen  Produkten  jener  Klasse 
gleich   weit  entfernt  zu  sein.    Ich  wage  darum  nicht,  unsere 
Scherbe  mit  ihr  in  einen  näheren  Zusammenhang  zu  bringen. 
Verwandter  scheinen  mir  die  Tiere   auf  den  Pinaxfragmenten 
von  Naukratis,  soweit  man  nach  der  Abbildung  Naucratis 
11  Taf.  9,  1.  2  urteilen  kann.   Ich  mache  besonders  auf  die 
Zeichnung  der  Tatzen  und  den  Streif  am  Hinterschenkel  auf- 
merksam. Auch  die  Tiere  auf  dem  ebenda  Fig.  3  abgebilde- 
ten grossen  Gefäss  scheinen  mir  ähnlich  zu  sein. 

Wir  haben  also  gesehen,  dass  um  die  Scherben  und  die 
Sarkophage  von  Klazomenai  eine  Reihe  von  Gefässen  oder 
Bruchstücken  verschiedenen  Fundortes  sich  gruppirt,  die 
entweder  zu  demselben  Kunstkreis  gehören  oder  wenigstens 
als  von  ihm  abhängig  sich  herausstellen.  Wir  sind  berech- 
tigt, das  Centrum  in  Klazomenai  zu  suchen,  denn  die  zahl- 
reichen dort  gefundenen  Sarkophage  ^  weisen  auf  eine  be- 
deutende Thonindustrie  an  Ort  und  Stelle  hin.  Dass  sie  von 
anderswoher  eingeführt  wurden,  ist  bei  ihrer  Grösse  nicht 
wahrscheinlich  3.  Der  Name  des  Ortes,  der  an  die  Stelle  des 
alten  Klazomenai  nach  dessen  Verlegung  auf  die  kleine  ge- 
genüberliegende Insel  getreten  war,  XOxpiov  bei  Strabo  (XIV 
1,  36)  scheint  nach  seiner  Verwandtschaft  mit  x^^pa  auch 


<  Eine  Ausnahme  bildet  nur  die  Sirene  Micali,  Monumenti  inediti  (1844) 
Taf.  36,  1,  wenn  I.ei  ihr  das  Weiss  nicht  geschwunden  ist,  wie  es  bei  der 
Sphinx  Rom.  Milthciliingcn  1887  Taf.  8,  1  geschohon  zu  sein  scheint. 

^  Die  voiisiandigsle  Zusaninienslellung  gibt  Heinach,  Hevue  des  Hudes 
grecques  1895  S.  161  if.  Zu  den  dort  aufgezählten  kommen  noch  die  zwei 
neuen  Stücke  in  Berlin  (Antike  Denkmäler  II  Taf.  25.  '26)  und  der  neue 
Sarkophag  in  London  (Monumenls  Piot  IV  Taf.  4-7)  hinzu. 

^  Vgl.  Reinach  a.  a.  0.  ö.  170. 


68  R-  ZAHN 

auf  das  Vorhandensein  von  Töpfereien  hinzuweisen'.  Allein 
der  alte  Name  ist  Xutöv,  wie  wir  aus  einer  attischen  Inschrift^ 
des  Jahres  387/86  und  aus  Ephoros  bei  Stephanus  Byz.  s.v. 
vs'issen.  Er  hat  natürlich  mit  i^t()x  nichts  zu  thun,  doch 
bleibt  die  Möglichkeit,  dass  die  spätere  Anlehnung  des  Na- 
mens an  x^'^?'^  durch  eine  am  Orte  befindliche  Töpferindustrie 
sich  erklärt. 

Deutlich  spricht  für  einheimische  Kunst  die  schon  erwähnte 
Übereinstimmung  der  Schildzeichen  des  Gorgoneion  und  des 
geflügelten  Ebers  auf  Gelassen  und  Sarkophagen  mit  Münz- 
bildern von  Rlazomenai.  Vielleicht  dürfen  wir  in  diesem  Zu- 
sammenhang auch  noch  auf  die  Schafe  des  neuen  berliner 
Sarkophages  (Antike  Denkmäler  1!  Taf.  '26)  hinweisen.  Die 
Münzen,  die  zuerst  nur  einen  VVidderkopf,  dann  das  ganze 
Tier  als  Bild  tragen-',  zeigen  uns  dieselbe  charakteristische 
Bildung  mit  dem  kleinen  Hörn,  der  krummen  Nase  und  der 
kahlen  Stirne. 

Unter  den  wenigen  Nachrichten,  die  wir  über  Klazomenai 
besitzen,  finden  sich  einige,  die  uns  zeigen,  dass  die  Stadt  in 
alter  Zeit  recht  bedeutend  gewesen  sein  muss.  Dem  Alyattes 
leistete  sie  sehr  erfolgreichen  Widerstand  (Herodot  I,  16).  Sie 
besass  ihr  eigenes  Schatzhaus  in  Delphi  (Herodot  I,  51).  Schon 
im  siebenten  Jahrhundert  gründete  sie  Abdera  (Herodot  1 ,  1 68). 
Eine  gemeinsame  Kolonie  von  Milet  und  Klazomenai  war 
Kardia,  die  grösste  Stadt  des  thrakischen  Chersonnes  (Strabo 
VII,  51).  Auch  zu  den  in  Naukratis  vertretenen  Städten  ge- 
hörte Klazomenai  (Herodot  U,  178),  es  ist  also  ganz  natürlich, 
dass  sich  so  viele  Erzeugnisse  seiner  Keramik  in  Ägypten  fan- 
den. Auf  Handelsbeziehungen  mit  dem  Westen  weisen  die 
vielfachen  Spuren  kluzomenischer  Kunst,  denen  wir  in  Etru- 
rien  begegneten. 

Wir  sind  berechtigt  von  klazomenischer  Kunst  zu  sprechen, 


<  Vgl.  Dennis,  Journal  of  Hell.  stud.  IV,  1883,  S.  21. 

2  Athenische  Mitlheilungcii  1882  S.  174  IT. 

3  Catal.  ofGreek  coins,  Imia  Taf  6,  6,  10-17. 


VASENSCHERBEN   AUS   KLAZOMENAI  69 

weil  die  Bilder  der  keramischen  Produkte  uns  im  grossen 
Rahmen  der  jonischen  Kunst  eine  besondere  Formengebung 
zeigen  und  die  Übereinstimmung  mit  einigen  Münztypen  der 
Stadt  auf  eine  grössere ,  allgemeine  Kunstübung  schliessen 
lässt,  von  der  beide  Zweige  abhängig  sind.  Allein  es  bleibt 
die  Frage,  ob  diese  Formengebung  Klazomenai  zuerst  allein 
eigen  oder  von  Anfang  an  über  ein  grösseres  Gebiet  verbreitet 
war.  Eine  Entscheidung  können  nur  weitere  Funde  in  Klein- 
asien bringen.  Es  scheint  allerdings,  dass  die  Münzbilder 
verschiedener  Orte  uns  thatsächlich  eine  Beeinflussung  von 
Klazomenai  her  verraten.  Die  Frage  verdient  eine  eingehende 
Untersuchung ;  ich  muss  mich  hier  zunächst  mit  Andeutungen 
begnügen. 

Auf  Elektronmünzen  von  Lesbos  sehen  vi^ir  wundervoll  mo- 
dellirte  Pferdevorderteile  [Troas  Taf.  31,  18.  19)',  deren  un- 
gemein grosse  Ähnlichkeit  mit  den  Pferden  auf  dem  neuen 
berliner  Sarkophag  (Antike  Denkmäler  11  Taf.  26)  sofort  in 
die  Augen  springt.  Besonders  zu  beachten  ist  die  Zeichnung 
der  Mähne  und  die  merkwürdige  Punktreihe  längs  der  Brust- 
muskellinie, wie  bei  den  Pferden  der  besprochenen  Scherben. 
Weiter  dürfen  wir  den  Athenakopf  auf  Münzen  von  Methymna 
{Troas  Taf.  36,  6.  7)  mit  den  Köpfen  auf  dem  berliner  in 
der  Art  rotfiguriger  Vasen  bemalten  Sarkophag  (Antike  Denk- 
mäler 11  Taf.  25)  zusammenbringen.  Er  hat  dieselbe  Form 
des  Helmes  mit  dem  verschieden  variirten  Stirnaufsatz,  der 
auch  für  die  Helme  auf  klazomenischen  Vasen  so  charakte- 
ristisch ist.  Aber  auch  die  Bildung  des  Kopfes  selbst  zeigt 
grosse  Verwandtschaft,  man  beachte  das  Profil  und  die  Zeich- 
nung des  Auges.  Dass  diese  Übereinstimmung  sich  nicht  aus 
der  gleichen  Kunstentwicklung  in  beiden  Städten  erklärt,  son- 
dern dass  Lesbos  von  Klazomenai  bceinflusst  ist,  ergibt  sich 
daraus,  dass  wir  die  genannten  klazomenischen  Münzbilder, 
das  Gorgoneion,   den  geflügelten  Eber  und  den  VVidderkopf, 


Ich  citirc  nach  Calal.  of  Greek  coins  in  tlie  Brit.  Museum. 


70  R-  ZAHN 

ebenso  stilisirt  auf  den  Elektronstücken  von  Lesbos  wieder- 
finden *. 

Auf  einer  Elektronmünze  von  Phokaia  sehen  wir  einen 
behelmten  Kopf  ^  —  vom  Gesicht  sieht  man  nur  das  Auge  — 
der  durchaus  mit  Köpfen  auf  dem  Deinos  im  Louvre  über- 
einstimmt {Bulletin  de  corr.  hell.  1893  Taf.  18).  Man 
beachte  wieder  die  Angabe  des  Mundes  durch  die  kleinen 
Bo2;enlinien  auf  den  Backenklappen  ^.  Auch  das  weibliche 
Köpfchen  auf  einem  andern  phokäischen  Stücke  [lonia  Taf. 
4,1)  dürfen  wir  wol  mit  klazomenischen  Typen  in  Verbindung 
bringen.  Auf  andern  Münzen  erscheint  auch  der  Widderkopf 
{lonin  Taf.  4,  17). 

Auf  Münzen  von  Abydos  [Troas  Taf.  1,  1-5)  und  Apollo- 
nia  am  Rhyndakos  [Mysia  Taf.  2,  2-4)  sehen  wir  das  Gorgo- 
neion  mit  den  weitabstehenden  Schlangen. 

Das  Vorderteil  eines  geflügelten  Ebers,  ebenso  stilisirt  wie 
auf  den  Münzen  von  Klazomenai,  findet  sich  auf  Stücken  von 
Kyzikos^,  Samos^  und  Jalysos^.  Für  eine  Entlehnung  spricht 


<  lonia  Taf.  6,  1-6  (Klazomenai).  Troas  Taf.  31,  6-17  (Lesbos). 

a  lonia  Taf.  5,  22. 

3  Vgl.  oben  S.  57  Anm.  3. 

*  Mysia  Taf.  5,  15;  Greenwell,  Coinage  of  Cyzicus  Taf.  5,  33.  Bei  Kyzikos 
mag  auch  noch  einmal  das  von  Joubin  veröfTentlichte  Relief  in  Konstan- 
tinopel erwähnt  werden  (Bulletin  de  corr.  kell.  1894  S.  491  ff.).  Er  hat  mit 
Recht  seine  Verwandtschaft  mit  den  Bildern  auf  den  Sarkophagen  hervor- 
gehoben. 

5  lonia  Taf.  34,  16-19.  Gardner,  Samos  and  Samian  coins,  Numismatic 
chronicle  1882  Taf.  2,  9.  10.  12-15.  Vgl.  S.  48  ff. 

G  Caria  Taf.  35,  1-5.  Vgl.  S.  Gl,  wo  auch  auf  Münzen  von  Kyrene  mit 
demselben  Bilde  hingewiesen  wird,  die  im  Num.  Chron.  1891  Taf.  1,  8.  9 
veröffentlicht  sind.  Der  Typus  wird  wol  aus  Kleinasien  übernommen  sein. 
Vgl.  Ilead,  Hisloria  nummorum  S.  727. 

Zwisclien  Rhodos  imtl  Klazomenai  ergeben  sich  auch  sonst  mehrfache 
Bezieluingen.  Ich  will  davon  absehen, dass  die  Tiere  und  die  Füiloriianiente 
in  den  unteren  Streifen  der  Sarkophage  fast  dieselben  sind, die  wir  auf  rho- 
dischen  Gefässen  linden.  Dieser  Stil  scheint  in  Kleiiiasien  weit  verbreitet 
gewesen  zu  sein.  Wiclilig  ist  ein  in  Kamiros  gefundener  Tbonsarkophag, 
jetzt  im  Britliscben  Museum  (SalzMiaiin,  Necropule  de  Camiros  Taf.  28),  der 
nach  dem  Urteil  von  C.  Smith  {Journal  of  Hell,  stuäies  VI,  1885,  S.  183) 


VASENSCHERBEN   AUS   KLAZOMENAI  7! 

besonders  bei  den  Typen  letzterer  Stadt  die  Punktreilie,  die 
entweder  längs  der  Buglinie  oder  auf  dem  Halse  wie  ein  Hals- 
band angebracht  ist.  Dieselbe  Erscheinung  kehrt  wieder  bei 
dem  gewöhnlich  ungeflügelten  Eber  auf  den  lykischen  Mün- 
zen'. OtVenbar  sind  die  Vorbilder  durch  Jalysos  vermittelt, 
gehen  also  auch  auf  Klazomenai  zurück. 

Die  Vorliebe  für  diese  Reihen  von  Punkten  in  der  älteren 
klazomenischen  Kunst  leitet  sich  jedenfalls  aus  der  Abhängig- 
keit von  Metallarbeiten^  her,bei  denen  sie  sich  aus  der  Technik 
desPunzens  erklärt.  Man  kijnnte  sich  also  denken,  dass  sie  bei 
den  Tieren  wie  bei  den  Gewändern,  Waffen  und  anderen  Ge- 
genständen einfach  als  Ornament  ^verwendet  wurden.  Bei  dem 
Pferde  auf  der  Hydria  von  Defenneh  (Antike  Denkmäler  H  Taf. 
21,  1)  sind  sie  auch  auf  das  Hinterteil  gesetzt.  Da  sie  sich 
nun  aber  fast  ausschliesslich  an  der  ßuglinie  finden,  lässt 
sich  vielleicht  noch  eine  besondere  Erklärung  für  sie  geben. 
Auf  den  klazomenischen  Münzen  sind  die  Punkte  längs  des 
vorderen,  der  Buglinie  entsprechenden  Flügelrandes  ange- 
bracht und  sollen  die  kleinen  Federchen  ausdrücken.  Es 
scheint  mir  nun  nicht  unmöglich,  dass  man  später  die  Punkte 
als  zum  Tier  gehörig  betrachtete  und  sie  auf  die  Buglinie 
aufsetzte,  auch  wenn  man  die  Flügel  wegliess.  Ist  dies  rich- 
tig,   so  müssen  wir  annehmen,   dass  auch  die  Punktreihen 


und  von  Joubin  (Bullelin  de  corr.  hell.  1895  S.  70  Anm.  1 )  eine  späte  lokale 
Nachalimuiii;  eines  klazomenisclien  Vorliildes  ist.  Auch  die  Stilisirung  der 
Rose  auf  den  rliodisclien  Münzen  ist  dieselbe,  wie  bei  denen,  die  anf  den 
klazomenisclien  Bildern  in  die  Darstellung  liereinianken  (vgl.  Rom.  Mit- 
theilungen 1888  Taf.  6,  Antike  Denkmäler  II  Taf.  26,  Monumenls  Piut  IV 
Taf.  4-7). 

<  Lycia  Taf.  1  (T.  —  Es  lindet  sich  auch  der  geflügelte  Typus,  z.  B.  Taf. 
6,  16.  Vgl.  Caria  S.  Ci. 

2  Vgl.  die  Schilde  ans  der  Zeusliölile  in  Kreta,  Musco  äaliano  II,  Allante, 
Taf.  1-3  und  die  Sphingen  auf  einem  Helm  im  Louvre,  Lipperheide,  Antike 
Helme  Nr.  366  (S.  57  und  516  der  vorläuligen  Ausgabe). 

3  Bei  den  Sphingen  auf  den  eben  erwähnten  kretischen  Schilden  (a.a.O. 
Taf.  2.  3)  sind  die  Punktreihen  nur  Ornament.  Auf  dem  Heim  ist  fast  der 
ganze  Kontur  der  Sphingen  mit  runktrcihen  ciugcfasst. 


72  R.    ZAHN 

bei  den  Pferden  der  besprochenen  Seherben  und  der  Mün- 
zen von  Lesbos  der  Rest  ehemaliger  Reflügeking  sind.  Und 
wirklich  sehen  wir  auch,  dass  auf  den  von  unserer  Gattung 
beeinflüssten  etruskischen  Gefiissen  *  hiiufig  getliigelte  Pferde 
dargestellt  sind,  bei  denen  die  kleinen  Federn  am  Vorderteil 
des  Flügels  durch  Reihen  kleiner  gravirter  Kreischen  ausge- 
drückt werden,  die  den  aufgemalten  Punkten  auf  den  Flügeln 
der  Sphingen  im  obersten  Streifen  des  berliner  Sarkophages 
(Antike  Denkmäler  I  Taf.  44)  entsprechen.  Die  gegebene  Er- 
klärung mag  zunächst  merkwürdig  erscheinen,  doch  finde  ich 
eine  entsprechende  Entwicklung  in  der  Erscheinung,  dass 
besonders  auf  attischen  Bildern  die  eigentlich  zur  Verzierung 
der  Schenkelschienen  dienenden  Spiralen  auf  die  nackten 
Schenkel  der  Krieger  als  Ornament  gezeichnet  werden  ^. 

Der  eine  der  neuerworbenen  Sarkophage  in  Berlin  (Antike 
Denkmäler  II  Taf.  25),  auf  dem  die  Figuren  hell  ausgespart 
vom  dunkeln  Grunde  sich  abheben, fordert  uns  zum  Vergleiche 
mit  den  frühen  attischen  Werken  gleicher  Technik  auf.  Ihre 
Einführung  wird  jetzt  gewöhnlich  mit  dem  Namen  des  Ando- 
kides  in  Verbindung  gebracht  ^.  Aber  nicht  nur  in  der  Technik 
besteht  eine  Verwandtschaft, auch  die  Kopftypen  auf  dem  Sar- 
kophage zeigen  eine  merkwürdige  Ähnlichkeit  mit  denen  auf 
rotfigurigen  Gefässen  der  Fabrik  des  Andokides*.  Beiden  sind 
die  oben  flachen  ,  wagrecht  in  die  Länge  gezogenen  Schädel, 
die  ohne  Absatz  in  die  Stirne  übergehende  Nase,  die  vorsprin- 
genden Lippen, die  geschwungenen  Augenlider  gemeinsam.  Aber 
auch  eine  Reihe  Vasenbilder  des  jüngeren  schwarzfigurigen 


<  Vgl.  Römische  Mittheilungen  1888  S.  174  ff.  und  oben  S.  64. 

2  Vgl.  Furtwängler,  Olympia  IV  S.  160  zu  Nr.  996. 

3  Vgl.  Lösclickc,  Allien.  Mittheiluiigen  1879  S.  40  f.  Furtwängler,  Ber- 
liner phil.  Wochenschrift  1894  S.  112.  Hauser,  Jahrbuch  1895  S.  158. 
Hartwig  bei  Ilelbig,  iSitzungsberichle  der  Akademie  zu  München  1897  II 
S.  261. 

^  Vgl.  besonders  die  Köpfe  auf  der  Amphora  in  Berlin  2159  (Gerhard, 
Trinkschalen  und  Gefässe  Taf.  19.  20),  ferner  die  von  Norton  im  American 
ournal  of  arrhneolugy  1896  8.  1  ff.  besprochenen  und  z.  T.  abgebildeten, 
jmeist  nicht  signirten  Gefässe. 


VASENSCHERBEN  AUS  KLAZOMENAI  73 

Stiles,  die  mir  dieselbe  Hand  zu  verraten  scheinen,  wie  jene 
rotfigurigen ', zeigen  auffallende  Anklänge  an  die  klazomenische 
Kunst.  Den  Nachweis  dieser  Gefässe  und  ihre  Besprechung 
verspare  ich  für  eine  eingehendere  Behandlung  des  Kreises 
des  Andokides  und  seiner  Stellung  im  jüngeren  schwarzfigu- 
rigen  und  frührotfigurigen  Stile,  die  ich  bald  zu  geben  hoffe. 
Nur  folgende  drei  Beispiele  mögen  uns  zeigen,  worin  der  Fort- 
schritt gegen  die  älteren  Meister  des  schvvarzfigurigen  Stiles 
sich  offenbart:  Es  ist  die  Amphora  einer  englischen  Samm- 
lung, Gerhard,  Auserlesene  Vasenbilder  II  Taf.  108  ,  die 
Hydria  in  Berlin,  Furtwängler  1896,  Gerhard,  A.  V.  IV  Taf. 
249.  250,  und  die  Hydria^  im  Museo  Gregoriano  II  (Aus- 
gabe A)  Taf.  13,  1  (=:Ausgabe  B  Taf.  10,1).  Was  uns  auf- 
fällt, ist  das  Streben,  die  Falten  an  den  Gewändern,  besonders 
die  Abtreppungen  am  Saume,  wiederzugeben  ,  den  Körper 
durch  Innenzeichnung,  mitunter  auch  durch  Angabe  der  Be- 
haarung naturgetreuer  zu  bilden, schliesslich  auch  den  Schräg- 
ansichten am  Körper  und  an  unbelebten  Gegenständen  ^  ge- 
recht zu  werden. 

Den  Anfang  zu  einer  richtigen  Faltenzeichnung  haben  wir 
schon  auf  dem  Deinos  im  Louvre  gefunden^.  Die  Abtreppung 
der  Falten  an  dem  niederhängenden  Gewandzipfel  zeigen  uns 


<  Schon  Lösclicke,  Athen.  Mittheilungen  1879  S.  41  machte  auf  ihre  Ver- 
wandtschaft mit  den  frühen  rottigurigon  Bildern  aufmerksam. 

2  Von  der  Sorgfalt  der  Zeichnung  gibt  die  Abbildung  keine  Vorstellung. 

3  Man  beaclite  die  richtige  Zeichnung  des  schräg  gesehenen  Schildes,  die 
sich  auf  beiden  Hydrien  lindet.  Sie  erscheint  wieder  auf  der  rotligurigen 
Amphora  des  Andokides  in  Berlin  und  auf  der  Schale  in  München,  die 
Hauser  ihm  zuschreibt  (Jahrbuch  iS95  Taf.  4).  Er  macht  auch  schon  auf 
diese  Erscheinung  aufmerksam  (S.  154).  Sie  ist  um  so  merkwürdiger,  als 
selbst  Euphronios  und  seine  Genossen  die  Schilde  meist  nicht  richtig  per- 
spektivisch zeichnen.  Erst  Oncsimos  hat  das  Problem  wieder  gelöst  (Hart- 
wig, Meisterschalen  Taf.  o9,  2.  Vgl.  auch  S.  537).  Wir  sehen  also,dass  wir 
in  diesen  frühen  perspektivischen  Versuchen  auf  unseren  Vasen  nicht  etwa 
eine  Rückwirkung  des  jüngeren  Kreises  auf  die  älteren  Meister  erkennen 
dürfen. 

*  Vgl.  oben  S.  57. 


74  R.  ZAHN 

die  Sarkophage  in  Berlin,  Antike  Denkmäler  I  Taf.  44.  11 
Taf.  26.  Besonders  bei  dem  zweiten  ist  die  Zeichnung  schon 
recht  entwickelt.  Eine  reichliche  Angabe  der  Muskulatur  be- 
merken wir  auf  dem  londoner  Sarkophage  [Monuments  Piot 
IV  Taf.  4-7).  In  ihrer  ganzen  Vollendung  aber  zeigt  sich  die 
Erscheinung  auf  dem  eben  erwähnten  neuen  Sarkophage  in 
Berlin,  besonders  bei  den  Tieren.  So  sind  bei  den  Pferden 
nicht  nur  die  Muskeln ,  die  Hautfalten  ,  die  Haare  über  den 
Hufen,  sondern  auch  die  Adern  am  Bauche  angegeben.  An  der 
Hand  der  Göttin  in  der  Mitte  sind  die  Knöchel  ausgedrückt. 
Man  beachte  die  gut  gezeichnete  Hand,  welche  die  Zügel  des 
linken  Gespannes  hält.  Auch  die  Oberansicht  des  Fusses,  die 
zweimal  auf  den  angeführten  attischen  Gelassen  vorkommt, 
scheint  bei  dem  neben  der  jonischen  Säule  stehenden  Jüngling* 
auf  dem  londoner  Sarkophag  wiedergegeben  zu  sein  {Monum. 
Piot  IV  Taf.  6  E).  Ich  glaube  in  der  Abbildung  noch  eine 
Spur  der  Zeichnung  des  Fusses  zu  erkennen,  ferner  schliesse 
ich  aus  der  geringeren  Ausbuchtung  der  linken  Wade,  dass 
das  Bein  von  vorn  gesehen  wird.  Zu  beachten  ist  auch,  wie 
der  Maler  das  Umschauen  nicht  mehr  durch  eine  unnatürliche 
Umdrehung  des  Kopfes  zum  Ausdruck  bringt, sondern  ihn  leicht 
geneigt  zeichnet^.  Es  offenbart  sich  darin  ein  entschiedener 
Fortschritt  gegenüber  den  sich  umblickenden  Figuren  auf  dem 
älteren  berliner  Sarkophag  (Antike  Denkmäler  I  Taf.  44). 
Eine  Rückenansicht  wollte  der  Maler  des  Gefässes  aus  Kyme 
geben  (Rom.  Mittheilungen  1888  Taf.  6).  Sie  ist  ihm  zwar 
misslungen,  aber  wir  können  immerhin  aus  seinem  Versuche 
schliessen,  dass  er  Vorbilder  kannte,  in  welchen  das  Problem 
angefasst  wurde. 


'  Die  Figur  ist  kein  Eidolon,  wie  Murray  S.  38  (glaubt,  sondern  sie  ist 
wol  einer  grösseren  palästrischen  Darstellung,  entnommen.  Sie  hält  einen 
Wurfspeer,  die  Finger  der  rechten  Hand  liegen  in  der  Ankyle.  Dass  die 
Figur  auf  ein  Vorhild  der  grossen  Kunst  zurückgehl,  wird  diircii  eine  fast 
genau  ihr  entsprechende  auf  einem  etruskisehen  Wandgemälde  aus  Chiusi 
wahrscheinlich  (Monumenti  delV  Inst.  V  Taf.  16). 

3  Vgl.  Hartwig,  Meislerschalen  S.  161  f. 


Vasenscherben  aus  klazomenai  75 

Finden  wir  so  alle  die  Erscheinungen,  die  uns  auf  den  ge- 
nannten attischen  schwarzfigurigen  Bildern  eine  neue  Ent- 
wicklung ankündeten,  im  Gebiete  der  klazomenischen  Kunst 
wieder  und  kommen  gewisse  Einzelheiten  in  der  Zeichnung, 
der  Tracht  u.  s.  w.  hinzu, die  sich  nur  aus  einer  Abhängigkeit 
der  attischen  Vasenmalerei  von  jener  fremden  Kunst  erklären, 
so  werden  wir  dieser  auch  den  Ansloss  zum  Wechsel  der  Tech- 
nik zuschreiben  dürfen. 

Diese  Neuerung  in  der  Keramik  hat  sich  in  Klazomenai 
herausgebildet,  wo,  wie  uns  die  Sarkophage  lehren,  die  Zeich- 
nung in  Konturen  neben  der  Silhouettenmalerei  nie  auf- 
gehört hatte*  und  in  der  grossen  Kunst  wol  immer  geübt 
worden  war.  Dass  wir  angesichts  der  Sarkophagbilder  auf 
eine  Blüte  der  monumentalen  Malerei  in  jener  Stadt  schlies- 
sen  dürfen,  ist  einleuchtend. 

Die  Beobachtung  Löschckes  ^  dass  die  frühen  rotfigurigen 
Werke  des  Kreises  des  Andokides  in  enger  Beziehung  zu  den 
bemalten  Stelen  stehen,  die  eine  entsprechende  Technik  zei- 
gen, lässt  sich  mit  unserer  Ansicht  ganz  gut  vereinen. 

Wenn  wir  in  der  attischen  Vasenmalerei  den  Einfluss  von 
Klazomenai  erkennen,  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  er  auch 
auf  die  grosse  Malerei  gewirkt  hat.  Die  attische  Stele  des  Ly- 
seas3  zeigt  ihn  ganz  deutlich  in  der  Zeichnung  des  Gewan- 
des. Diese  Kunst  kann  nach  Attika  durch  Gemälde  vermittelt 
worden  sein ,  glaublicher  ist  mir  aber,  dass  klazomenische 
Künstler  in  Attika  selbst  thätig  w^aren.  Gerade  in  die  Zeit, 
da  ihr  Einfluss  in  Attika  sich  uns  offenbart,  fällt  das  Vor- 
dringen der  Perser  gegen  die  kleinasiatischen  Griechenstädte. 


'  Dies  zeigt  sich  an  dea  sogenannten  rliodischen  Tierstreifen.  Vgl.  na- 
menllicli  die  ganz  in  Umrissen  gezeicluieten  Panther  aul' dem  Saikopliag  im 
Louvre,  liullelin  de  rurr.  hell.  1S95  Taf.  2.  Auf  dem  heriiner  Sarkophag  ist 
bei  den  unleren  Köpfen  der  Grund  noch  nicht  schwarz  gedeckt,  es  ist  also 
nicht  der  dunkle  Grund  das  Wesentliche,  sondern  die  Urarisszeichnung. 

2  Athen.  Mitllieihingen  1879  S.  40  f. 

3  Athen,  Mittheilungen  1879  Taf.  1  ;  Couze,  Die  attischen  Grabreliefs  l 
Taf.  1. 


76  R.  ZAHN 

Wir  wissen,  dass  die  Klazomenier  aus  Furcht  vor  den  Persern 
ihre  Stadt  auf  eine  nahegelegene  Insel  verlegten*.  Es  ist  wol 
denkbar,  dass  unter  diesen  Umständen  manche  Künstler  es 
vorzogen,  ihr  Vaterland  zu  verlassen  und  sich  nach  dem  un- 
ter der  Herrschaft  des  Peisistratos  aufstrebenden  Athen  zu 
wenden.  Vielleicht  sind  uns  noch  Werke  von  ihnen  erhalten 
in  der  fragmentirten  Stele  in  Berlin  mit  dem  Jünglingskopf^ 
und  dem  Marmordiskos  mit  dem  Bildniss  des  Arztes  Aineios^. 
Bei  jenem  erinnert  die  Form  des  Schädels,  die  Bildung  des 
Auges,  der  freundliche  Gesichtsausdruck  sehr  an  die  Köpfe 
des  so  oft  erwähnten  Sarkophages,  bei  diesem  wird  das  ei- 
gentümliche Profil  mit  der  zurückweichenden  Stirne,  die 
hohe  Stellung  der  Augenbraue^    und  der  lange  Bart^  sich 


*  Pausanias  VII,  3,  8.  S.  Reinach,  Revue  des  Hiules  grecques  1895  S.  167  f. 
hat  gewiss  Recht,  wenn  er  die  Verlegung  der  Stadt  mit  dem  ersten  Vor- 
dringen der  Perser  in  Zusammenhang  bringt.  Sie  konnte  ja  nur  Sinn  haben 
zu  einer  Zeit,  als  den  Persern  noch  keine  Flotte  zur  Verfügung  stand. 

2  Conze  a.  a.  0.  Nr.  8  Taf.  6,  2,  wo  die  Litteratur  angegeben  ist. 
Pottier  hat  den  Kopf  mit  Werken  des  Euphronios  verglichen,  er  scheint 

mir  aber  sicher  älter  zu  sein.  Auch  der  Kopf  in  Umrisszeichnung  auf  einer 
altischen  Schale,  den  Winter,  Arch.  Zeitung  1885  S.  198  f.  mit  ihm  ver- 
gleicht, zeigt  den  Einfluss  der  klazomenischen  Kunst.  Köpfe  und  Büsten 
als  Verzierung  zu  verwenden  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  klazomenischen 
und  überhaupt  der  jonischen  Kunst  (vgl.  die  klazomenischen  Sarkophage 
Mon.  delV  Inst.  XI  Taf.  53,  Antike  Denkmäler  II  Taf.  25,  den  rhodisclien 
Sarkophag  Salzmann,  Camirus  Taf.  28,  die  Scherbe  aus  Myrina  Pottier  und 
Reinach,  Necropole  de  Myrina  Taf.  51,  die  jonischc  Amphora  in  Berlin  1674). 
Sie  ist  vielleicht  ein  Erbteil  aus  der  mykenischen  Kunst,  vgl.  den  Silber- 
becher 'E9ri(jL£pi?  äpx-  1888  Taf.  7  und  Perrot-Chipiez  VI  S.  813  (s.  auch 
Böhlau,  Jahrbuch  1887  S.  46  f.).  So  wirkt  auch  in  den  in  Umrissen  ge- 
zeichneten Büsten  auf  Schalen  der  Kleinmeister,  über  die  Winter  a.  a.  0. 
S.  189  f.  handelt,  die  neue  Kunst  auf  die  älteren  Vortreter  des  schwarz- 
figurigen  Stiles  noch  ein.  Weiteres  werde  ich  in  meiner  Besprechung  des 
Kreises  des  Andokides  beibringen. 

3  DragendorfT,  Jahrbuch  1897  S.  1  f. 

*  Dieselben  Eigentümlichkeiten  zeigen  die  behelmten  Köpfe  auf  dem  Sar- 
kophage Antike  Denkmäler  II  Taf.  25.  Vgl.  auch  die  Köpfe  auf  unserer 
Scherbe  1. 

5  Für  die  Form  des  Bartes  vergleiche  die  Scherben  von  Defenneh  Tanis 
II  Taf.  30,  1.  2;  Jahrbuch  1895  S.  43.  44. 


Vasenscherben  aus  klazomenai  77 

auch  eher  aus  der  Formenfrebung  der  jonisehen  Kunst  als 
dem  Streben  nach  Portrüthaftigkeit  erklären.  Üragendorff 
macht  auf  den  Unterschied  der  Zeichnung  der  Füsse  gegen- 
über der  Stele  des  Lyseas  aufmerksam.  Das  vordere  Glied 
der  Zehen  ist  nach  oben  gebogen,  wie  in  der  Plastik  bei  den 
chiotischen  Figuren. 

Klein,  Euphronios^  S.  46  ff.  hat  das  Aufkommen  des  rotfi- 
gurigen  Stiles  mit  dem  Einfluss  des  Kimon  von  Kleonai  zu- 
sammengebracht. Hartwig^  macht  mit  Recht  dagegen  auf- 
merksam, dass  nicht  in  der  veränderten  Technik  die  grosse 
Neuerung  in  der  Vasenmalerei  zu  suchen  ist,  sondern  in  den 
Fortschritten  der  Zeichnung.  Er  findet  darum  den  Einfluss 
des  Kimon  in  den  Werken  des  Kreises  des  Euphronios  wie- 
der. Allein  wir  haben  gesehen,  dass  die  Eigentümlichkeiten, 
die  bei  Euphronios  und  seinen  Genossen  allerdings  zur  vollen 
Ausbildung  gelangt  sind,  ganz  deutlich  schon  auf  älteren  at- 
tischen Gelassen  hervorzutreten  beginnen.  Die  Vollendung  der 
Zeichnung  auf  einigen  Sarkophagen  berechtigt  uns  zu  der  An- 
nahme, dass  die  grosse  Malerei  in  Klazomenai  schon  um  die 
Mitte  des  6.  Jahrhunderts  eine  Höhe  erreicht  hatte,  die  etwa 
der  des  attischen  strengen  rotfigurigen  Stiles  entsprach. 

Wie  steht  es  nun  aber  mit  Kimon  von  Kleonai?  Von  sei- 
nen Verdiensten  spricht  eingehender  nurPlinius,  N.  II.  35,  56 
(  =  Overbeck,  Schriftquellen  377) :  et  qui  prinius  in  pictura 
marern  a  femina  discreverit,  Eiunariun  Athenienseni,  ß- 
guras  omnis  imitari  ausuni,  qidqiie  inventa  eins  excolue- 
rit,  Cimonem  Cleonaeuni.  Hie  calagrapha  irwenit,  hoc  est 
obliquas  imagines,  et  varie  fonnare  uoltus,  respicientis, 
suspicientisve  vel  despicientis .Articulis  niembra  distinxit, 
venas  protiilit^  praeterque  in  veste  rugas  et  sinus  invenit. 
Wir  werden  diese  Stelle  am  besten  durch  die  Beobachtunü;en 
'Uustriren,  die  wir  früher  bei  den  klazomenischen  Sarkopha- 


'  Meisterschalen  S.  14.  Die  ganze  Frage  ist  von  ilim  eingehend  S.  154  (T. 
bebandelt. 


78  R.    ZAHN 

gen  machten.  Man  erinnere  sich  der  Gewandzeichnung  und 
der  sorgfältigen  Angabe  der  Muskulatur  und  sogar  der  Adern 
bei  den  Pferden  auf  dem  Bilde  Antike  Denkmäler  II  Taf.  26. 
Auch  die  catagrapha,  deren  Bedeutung  Hartwig  richtig  er- 
kannt hat*,  fehlten  nicht. 

Wenn  Rimon  zu  dem  athenischen  Maler  Eumarus  in  ein 
Verhältniss  gebracht  wird,  so  werden  wir  schliessen,dass  der 
Gewährsmann  des  Plinius  die  Möglichkeit  gehabt  hat,  Bilder 
beider  Meister  mit  einander  zu  vergleichen  und  aus  ihnen  den 
bedeutenden  Fortschritt  des  Kimon  gegenüber  dem  älteren 
Maler  zu  erkennen,  und  dazu  wird  wol  in  Athen  die  Gelegen- 
heit vorhanden  gewesen  sein. 

Den  Namen  des  Kimon  erfuhr  er  wahrscheinlich  aus  der 
Künstlerinschrift.  Von  einer  Blüte  der  Malerei  in  Kleonai 
weissen  wir  nichts,  dagegen  erfahren  wir  aus  Pausanias  VII, 
3,9,  dass  der  grössere  Teil  der  ursprünglichen  Bewohner  von 
Klazomenai  keine  Jonier,  sondern  Leute  aus  Kleonai  und 
Phleius  waren.  Das  Andenken  an  die  alte  Heimat  hat  sich 
gewiss  in  den  klazomenischen  Familien  bewahrt ,  und  so 
scheint  es  mir  möglich,  dass  Kimon,  den  wir  nach  dem  Ge- 
sagten in  den  Kreis  der  klazomenischen  Kunst  setzen  müssen, 
in  einer  Künstlerinschrift  die  Abstammung  seiner  Familie  aus 
Kleonai  erwähnte  und  so  zum  Kleonäer  wurde  ^.  Wir  hätten 
also  in  ihm  den  Hauptvertreter  der  klazomenischen  Kunst  in 
Athen. 

Der  Entwicklungsgang  der  attischen  Malerei,  wie  wir  ihn 
hier  zu  schildern  versuchten  ,  entspricht  vollkommen  dem 
der  attischen  Plastik.  Beide  Kunstzweige  erfuhren  zu  der- 
selben Zeit  von  Osten  her  den  Einlluss  einer  bedeutend  weiter 


<  Meistersclialen  S.  156  fT. 

2  Ähnlich  heisst  es  von  Thaies  hei  Ilcrodol  I,  170x6  äv^xaOev  y^vo?  Eo'vtot 
4)oivixos  (vgl.  Diogenes  Lacrl.  I,  32).  Der  König  Kleomenes  nennt  sich  als 
Nachkomme  des  Herakles  Achäer  (Herodot  V,72).  Auch  die  Schwierigkeit, 
dass  Alkamenes  Athener  und  Leninier  genannt  wird,  löst  sich  in  ähnlicher 
Weise.  Vgl.  Brunn,  Künstlergeschichte  I  S.  234. 


Vasenscherben  aus  klazomenai  79 

fortgeschrittenen  Kunst,  sie  nahmen  das,  worin  die  Jonier 
ihnen  überlegen  waren,  auf,  aber  sie  verloren  ihre  Eigenart 
in  dieser  Zeit  des  Lernens  nicht.  Die  Bilder  des  Euphronios 
und  seiner  Genossen  können  uns  einen  Begriff  davon  ^^eben, 
wie  die  attische  Malerei  es  verstand,  das  Fremde  sich  anzu- 
eignen, weiterzubilden  und  doch  dabei  ihre  Selbständigkeit 
zu  wahren. 

Athen,  im  April  1898. 

ROBERT  ZAHN. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.    III. 

(Hierzu  Tafel  I-III) 
Die  phrygischen  Felsdenkmäler. 

Seit  Leake  im  Januar  1800  auf  dem  Wege  von  Sidi-Gasi 
nach  Chosrew- Pascha- Han  eine  Anzahl  grosser  skulpirter 
Felswände,  vor  allem  das  sogenannte  Midasgrab  entdeckte  ^ 
haben  diese  Skulpturen  auf  alle  Besucher  des  kleinasiatischen 
Hochlandes  eine  starke  Anziehung  ausgeübt.  Der  ästhetische 
Eindruck  so  alten  und  bedeutenden  Menschenwerkes  mitten 
in  öden,  jetzt  nur  dünn  bevölkerten  Waldthälern,  das  Rätsel- 
hafte ihrer  deutlich  lesbaren  und  doch  nur  halb  verständlichen 
Inschriften, die  Fremdartigkeit  ihrer  Kunstformen,  in  die  doch 
wieder  Hellenisches  eingemischt  schien,  alles  kam  zusammen, 
um  die  Phantasie  des  reisenden  Laien  wie  den  Forschungs- 
trieb des  Gelehrten  mächtig  anzuregen. 

Eine  neue  Epoche  für  unsere  Ivenntniss  der  phrygischen 
Denkmäler  begann,  als  Ramsay  anfing  ihnen  die  seltene  Ener- 
gie seiner  Forscherarbeit  zuzuwenden.  Auf  immer  wieder- 
holten Reisen  hat  er  den  Bestand  der  bekannten  Denkmäler 
mehr  als  verdoppelt  und  wir  verdanken  ihm  gerade  einige 
der  schönsten  und  merkwürdigsten  Stücke.  Wir  dürfen  an- 
nehmen, dass  seinem  Spürsinn  und  Finderglück  kaum  noch 
wesentliche  Überreste  entgangen  sind  ;  ich  wenigstens  habe 
bei  mehrfachem  Durchstreifen  des  ganzen  Gebietes  nur  ein 
einziges  grösseres  Denkmal  hinzufügen  können.  Es  ist  zu 
beklagen,  dass  Ramsay  seine  in  den  verschiedensten  Zeit- 
schriften zerstreuten  Forschungen  noch  immer  nicht  in  einer 
grösseren  Publikation  zusammengefasst  hat;  bisher  unterrichtet 


^  Leake,  Journal  of  a  tour  in  Asia  Minor  S.  20-36. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III.  81 

man  sicli  über  seine  Entdeckungen  am  bequemsten  durch  den 
fünften  Band  von  Perrots  llistoire  de  Cart  dans  V antiquile . 
Leider  ist  Ramsays  Stilgefühl  weniger  glänzend  als  sein  Fin- 
derglück und  noch  geringer  ist  seine  zeichnerische  Begabung. 
So  kam  es,  dass  eine  beträchtliche  Anzahl  seiner  bedeutenden 
Funde  bisher  nur  in  unzureichenden  Abbildungen  vorlagen 
und  daher  auch  von  Perrot,  der  im  Jahre  186?  einen  Teil  der 
Denkmäler  selbst  kennen  gelernt  hatte,  historisch  nicht  richtig 
gewürdigt  sind. 

Ich  hielt  es  daher  für  nützlich,  das  gesamte  Material  noch 
einmal  eingehend  zu  untersuchen,  auch  so  weit  möglich  pho- 
tographisch aufzunehmen  und  verwandte  auf  diese  Arbeit  einen 
Teil  der  Sommermonate  1894  und  1895.  Dem  warmen  wis- 
senschaftlichen Interese  des  Generaldirektors  der  anatolischen 
Eisenbahn,  Herrn  von  Rühlmann  hatte  ich  es  zu  danken, 
dass  im  Sommer  1895  der  Photograph  Berggren  unter  mei- 
ner Leitung  einige  wohlgelungene  Aufnahmen  mit  einem 
grösseren  Apparat,  als  mir  sonst  zur  Verfügung  stand,  machen 
durftet  Derselben  Förderung  hat  sich  dann  im  Sommer  1896 
Professor  F.  von  Beber  in  noch  viel  ausgedehnterem  Masse  zu 
erfreuen  gehabt  und  in  seiner  Abhandlung  über  die  phrygi- 
schen  Felsendenkmäler  (Abhandlungen  der  K.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften  XXI)  liegen  jetzt  fast  alle  Mo- 
numente in  vortrefflichen  Lichtdrucktafeln  nach  Berggrens  Pho- 
tographien vor'^.  Eine  Wiederholung  der  jetzt  so  gut  veröf- 


<  Vgl.  Arcli.  Anzeiger  1895  S.  '231 . 

2  Durunlcr  bcliiulcn  sicli  auch  zwei  der  von  Berggren  unter  meiner  Leitung 
angeferliglon  Pliolograpliien  (Tat".  3  und  Fig.  II  ).  Dass  sie  für  mich  aul- 
genommen  waren,  kann  dem  Herausgeber  ebenso  wenig  unbekannt  ge- 
blieben sein  wie,  dass  ich  inil  einer  Arbeit  über  die  Felsdenkmäler  be- 
scliäl'tigl  war.denuer  ciürl  meinen  AursatzAllien.  Millheihiiigcn  XX  6.1-19, 
in  dem  ich  sie  ankündige.  Fig.  11  bildet  er  ein  erst  von  mir  erlorsehtes 
Denkmal  ab  ohne  es  selbst  überhauid  gesehen  zu  haben.  Nicht  einmal  die 
Lage  dieses  wichtigen  Grabes  ist  ihm  bekannt,  er  bezeichnet  es  als  unweit 
von  Liycn  liegend,  von  dem  es  etwa  Tb""»  enllernl  ist.  Eine  vorherige  An- 
frage bei  mir  wäre  wol  in  jedem  Fall  angebracht  gewesen,  und  würde  ihn 
zum  wenigsten  vor  der  falschen  Ortsangabe  bewahrt  haben. 

ATHEN.    MITIHEILUMGEN    XXUI.  6 


82  A.    KOERTE 

fentlichten  Werke  hätte  diesen  Aufsatz  unnütz  belastet,  ich 
verweise  daher  ein  für  alle  Mal  auf  die  reberschen  Lichtdrucke 
und  beschränke  mich  auf  die  im  Text  sowie  auf  Taf.  1-3 
mitgeteilten  Probend 

Zwei  Grundirrtümer  standen  meines  ßrachtens  bisher  einer 
richtigen  geschichtlichen  Würdigungder  phrygischen  Felsdenk- 
mäler im  Wege:  Erstens  galten  alle,  oder  doch  fast  alle  grös- 
seren Monumente  für  sepulcral,  und  zweitens  glaubte  man  in 
ihnen  eine  fortlaufende  Reihe  zu  besitzen,  die  den  allmäh- 
lichen Wandel  des  phrygischen  Stils  und  den  wachsenden 
EinOuss  des  Hellenismus  Schritt  für  Schritt  etwa  vom  IX. 
Jahrhundert  bis  zur  Diadochenzeit  zu  verfolgen  erlaubten.  Die- 
sen beiden  Sätzen  stelle  ich  folgende  entgegen  : 

1.  Das  sogenannte  Midasgrab  und  alle  ihm  ähnlichen  Fas- 
saden mit  geometrischen  Mustern  sind  Rultstälten. 

2.  Die  Denkmäler  zerfallen  in  zwei  scharf  getrennte  Grup- 
pen, zwischen  denen  eine  Lücke  von  mindestens  600  Jahren 
klafft;  alle  Werke,  die  den  Einfluss  der  reifen  griechischen 
Kunst  zeigen,  gehören  in  die  römische  Kaiserzeit,  in  das  IL 
bis  IV.  Jahrhundert  nach  Chr. 

I.  Die  altphrygischen  Denkmaeler. 
A.   Die  Felsfassaden  ohne  Grabkammer. 

Die  erste  Frage,  die  sich  bei  der  Betrachtung  der  grossen 
phrygischen  Felsfassaden  mit  geometrischen  Mustern  auf- 
drängt, ist  die  nach  ihrem  Zweck.  Werke  von  solcher  Gr()sse 
und  so  sorgfältiger  Ausarbeitung, die  dem  unmittelbaren  prakti- 
schen Gebrauch  nicht  dienen  können,  sind  entweder  für  die 
Götter  oder  für  die  Toten  bestimmt;  zwischen  diesen  beiden 
Möglichkeiten  kann  man  schwanken,  und  die  Gelehrten  ha- 


'  Taf.  2  ist  nach  einer  berpgrensctien,  die  ülirigen  Alihilduiiijen  im  Wc- 
senlliclicn  nach  meinen  Aui'naiinien  licrgcslelil.  Die  Origiiialijhulogiaphien 
sind  hei  Berggren  (Konslantinopel,  Grande  nie  de  P6ra)  und  heim  Dcul- 
schen  Institut  zu  Allicn  käullich  zu  haben. 


rhototjplo  B.   UUlllcil,    M.-i. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III.  83 

ben  sich,  wie  bemerkt,  ganz  überwiegend  für  die  zweite  ent- 
schieden*. Die  hierlier  geliörigen  Denkmäler  sind,  in  der 
Reihenfolge,  in  der  wir  sie  betrachten  wollen,  folgende: 

a)  Jasili-kaja,  das  sogenannte  Midasgrab.  Abgeb.  Taf.  1. 
Reber  Taf.  5,  schlechter ^  bei  Texier,  Description  de  l'Asie 
Mineure  Taf.  56.  Perrot-Ghipiez  Fig.  48,49;  vgl.  Ramsay, 
Journal  of  Hellenic  studies  X,  1889,  S.  156-161. 

b)  Arslan-kaja  bei  Düver.  Abgeb.  Taf.  2  und  Fig.  3.  Re- 
ber Taf.  3  und  Fig.  5,  schlechter  Ramsay,  Journal  of  Hel- 
lenic studies  V,  1884,  Taf.  44  S.  '242  und  245.  Perrot-Ghi- 
piez Fig.  108-110. 

c)  Delikli-tasch  bei  Tauschanly.  Abgeb.  Fig.  4.  Perrot, 
Exploration,  de  la  Galatie  et  de  la  Bithynie  Taf.  5.  6. 
Perrot-Ghipiez  Fig.  50-57. 

d)  Denkmal  von  Bakschisch.  Abgeb.  Reber  Taf.  8.  Perrot- 
Ghipiez  Fig.  61-63,  vgl.  unsere  Fig.  6. 

e)  Mal-tasch  bei  Hairan-Veli.  Abgeb.  Reber  Taf.  4.  Ram- 
say, Journal  of  Hellenic  studies  111,  1882,  Taf.  21.  Perrot- 
Ghipiez  Fig.  60. 

f)  Rütschük-jasili-kaja  nahe  dem  Midasdenkmal.  Abgeb. 
Fig.  7  und  9.  Reber  Taf.  6,  schlechter  bei  Texier  Taf.  58  und 
Perrot-Ghipiez  Fig.  59  und  128. 

g)  Hassan -bey-kaja,  das  sogenannte  Grab  der  Arezastis. 
Abgeb.  Reber  Taf.  7.  Ramsay,  Journal  of  Hellenic  studies 
IX,  1888,  S.  380  Fig.  13.  Texier  Taf.  59.  Perrot-Ghipiez 
Fig.  58. 

a.  Jasili-kaja  (Midas- Denkmal). 

Das  sogenannte  Midasgrab  hat  durch  seine  Grösse,   seine 


*  Für  die  sepulcralc  Beslimmung  haben  sicli  vor  allem  Ramsay  (vgl.  be- 
sonders Journal  of  Hellenic  studies  IX,  1888,  S.  381.  X,  1889,  S.  156  ff.)  und 
Reber  S.  560  ff.  erklärt,  Bedenken  dagegen  haben  betreffs  einiger  dieser 
Denkmäler  l'errol-Chi|)iez  {Ihsloire  de  l'arl  V  S.  102  uinl  900)  und  Radet 
[Notivelles  archivcs  des  inissions  srienlificjues  VI  S.  457)  erhoben;  vgl.  auch 
Kretschmer,  Einleitung  in  die  Geschichte  der  griechischen  Sprache  S.  233. 

2  Gänzlich  unzureichende  ältere  Abbildungen  erwähne  ich  in  dieser  Liste 
nicht,  sie  sind  bei  Perrot- Chipiez  notirt. 


84  A.    KOERTE 

Inschrift  und  als  zuerst  entdecktes  Denkmal  stets  besonderes 
Interesse  erregt,  auch  ich  will  deshalb  mit  seiner  Besprechung 
beginnen,  wiewol  es  für  die  Entscheidung  der  uns  zunächst 
beschäftigenden  Frage  weniger  wichtig  ist.  Taf.  1  giebt  die 
Felswand  und  besonders  ihr  Verhältniss  zur  Umü^ebuno;  eut 
wieder,  für  feinere  Finzelheiten  der  Ornament irung  ist  die 
schöne  Abbildung  bei  Reber  ausgiebiger.  Der  stattliehe,  vorn 
in  einer  Breite  von  über  16™  und  in  einer  Höhe  von  fast  17'" 
skulpirte  Fels  besitzt  gar  keine  Tiefe;  wie  eine  von  Biesen- 
hand aufgerichtete  Stele  steht  er  da,  und  man  muss  sich  wun- 
dern, dass  er  trotz  eines  tiefen  Spalts  in  der  Mitte  den  Un- 
bilden des  Wetters  noch  immer  trotzt.  Mit  tadelloser  Sauber- 
keit sind  das  reiche  Mäanderornament  des  Hauptfeldes,  das 
Schachbrettmuster  der  Seitenborten  und  die  mannichfachen 
Balken  und  Leisten  des  Giebels  gearbeitet.  Der  Wirkung 
kommt  jetzt  das  schöne  dunkle  Rotgelb  des  Felsens  sehr  zu 
Gute,  aber  als  einst  die  ganze  Fläche  in  strahlender  Buntheit 
prangte,  muss  der  Gesamteindruck  noch  stärker  gewesen  sein'. 
Ebenso  sorgfältis;  sind  die  beiden  Inschriften,  die  <i;rosse\Veih- 
Inschrift  links  über  dem  Giebel  und  die  kleinere  Künstlerin- 
schrift auf  der  rechten  Seitenborte  in  den  Fels  gehauen ;  von 
ihrem  freien  sicheren  Zug  geben  freilich  die  ängstlich  ge- 
kritzelten Nachbilduno;en  bei  Reber  keine  richtige  Vorstel- 
lung^.  Ich  wiederhole  beide  in  griechischen  Minuskeln. 


*  Obwol  von  allen  vorröniischen  F'elsfassaden  einzig  der  Delikli-tascli 
noch  jetzt  Farbspuren  aufweist,  liat  doch  Reber  sicherlich  mit  I^echt  bei  al- 
len eine  weitgehende  Bcmaiiiiig  angenommen  (S.  574). 

2  Die  linguistisciie  Litteratiir  über  die  altpinygisclien  Inschriften  führt 
Kretsclinier,  Einleitung  in  dieGeschichte  der  griechischen  Sprache  S.'217f. 
auf. Die  Abbildungen  und  Umschriften,  die  Reber  mit  Hülfe  der  Photogra- 
phien Berggrens  von  den  Nummern  1,  2,  6,  7,  8,  9  der  ramsaysehen  Samm- 
lung {Journal  of  Ihe  Ruijal  Asialir  Society  XV  Taf.  1-3i  hergestellt  hat  'um  für 
weitere  Erklärungsversuche  eine  ganz  sichere  Grundlage  zu  scIialTen',  sind 
leider  durchaus  nicht  zuverlässig  und  ein  bedeutender  Rücksehrilt  gegen 
Ramsay.  Gleich  das  erste  Wort  der  Inschrift  Nr.  1  lautet  nicht  Axt?  son- 
dern Ate«,  wie  auch  Berggrens  Photographie  erkennen  lässt.  In  derselben 
Inschrift  ist  der  schwer  bestimmbare  fünfte  Buchstabe  des  fünften  Wortes 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  85 

Nr.  1.  Ate?  Ap-casFai;  Ax.svavoXaFoc  MiSai  >,xFa7r(?)Tae'.  Fx- 
vax,T£t  sSas«; 

Nr.  '2.  Botßx  Msi/eFai?  HpoiTaFo?  y.qi^^avaFs^^o:  oi  xeveaxv 
eyae?. 

Dass  die  kaum  1™  tiefe  Nische'  der  Felsfassade  viel  zu  flach 
ist,  um  als  Grabkammer  zu  dienen,  wird  jetzt  allgemein  aner- 
kannt. Eine  verborgene  Grabkammer  hinter  der  Nische,  an  die 
man  früher  gedacht  hat,  ist  durch  die  geringe  Tiefe  des  gan- 
zen Felsens  ausgeschlossen,  welche  unsere  Taf.  1  besonders 
gut  erkennen  lässt.  Ausserdem  hat  Hamsay  mit  mühevoller 
Kletterei  ermittelt,  dass  auch  von  oben  kein  Schacht  in  den 
Fels  hinab  führt.  Um  gleichwohl  den  sepulcralen  Charakter 
des  Denkmals  zu  retten,  hat  er  neuerdings  [Journal  of  Helle- 
nic  studies  X,  1889,  S.  160  f.)  eine  kleine  Grotte  links  neben 
der  Felsfassade  als  zugehörige  Grabkammer  angesprochen. 
Als  ich  sie  1894  sah,  war  sie  '2,44""  breit,  links  1,24'°,  rechts 
0,80'"  tief,  und  an  der  Vorderkante  links  1,20'",  rechts  0,40"° 
hoch.    Dass  sie  früher  etwas  tiefer  gewesen  und  durch  Ab- 


nicht  gleich  dem  ersten  desselben  Wortes,  sondern  steht  nach  meiner  durch 
Berggrens  Photographie  bestätigten  Abschrift  dem  FI  in  FIpoiTaFos  der  Nr.  2 
am  nüchslen.es  wird  also  weder  XaFaXiaci  noch  XaFapTast  sondern  XaFa-ia£t 
zu  lesen  siMn.  In  Nr.  6  habe  auch  ich  mir  A/£vavoXaFav  'sLatt  AxivavoXaFav 
als  möglicli  notirl,  und  die  Pliotograi)hie  scheint  das  zu  bestätigen,  aber 
dieselbe  Photographie  lehrt  auch,  dass  Ramsay  und  ich  die  folgenden  Worte 
richtig  Ti^e?  [lOYpo  Favax  aFap^  gelesen  haben  (vgl.  Kretschmer,  a.  a.  0. 
S.239),  während  Reber  schreibt  \((,iq  Y(?)o.po  Favax  ayaes.  In  Nr.  8  endlich 
fehlen  bei  Reber  die  drei  letzten  Buchstaben  ae^  gänzlich,  die  doch  selbst 
auf  der  Photographie,  freilich  weniger  gut  als  auf  dem  Stein,  lesbar  sind. 
In  Nr.  7  hat  Reber  gegen  Ramsays  erste  Publication  Recht,  wenn  er  Xa<^sT 
statt  Xa^/iT  schreibt,  aber  diese  Verbesserung  hat  Ramsay  selbst  bereits 
vollzogen  (Journal  of  Hellenic  studies  X,  1889,  S.  188)  und  auch  Kretsch- 
mer bat  sie  auf  Grund  meiner  Abschrift  angenommen  ( a.  a.  0.  S.  218 
Anin.  4). 

'  Reber,  der  S.  bC»:*  die  Tiefe  auf  1,80'»  'im  Mittel  des  rauben  Grundes  ' 
angiebt,  bat  zu  der  wirklichen  Tiefe  der  Nische  die  der  rohen  von  antiken 
oder  modernen  Sehalzgräbcni  in  die  Nischenwand  gehackten  Höhlung  hin- 
zugefügt; seine  Massangabe  ist  also  für  die  Keunlniss  des  alten  Denkmals 
wertlos. 


86  A.    KOERTE 

splitterung  des  Felsens  vorn  an  Ausdehnung  verloren  habe,  hat 
Ramsay  aus  der  Zerstörung  des  ersten  Buchstabens  ihrer  In- 
schrift (Nr.  3  bei  Ramsay  a.  a.  0.)  wol  mit  Recht  gefolgert, 
erheblich  ist  der  Grössenverlust  aber  keinenfalls,  denn  die 
Decke  senkt  sich  vorn  ziemlich  stark  und  würde  bei  einer 
beträchtlichen  Verlängerung  nach  vorn  den  Boden  berühren'. 
Diese  unregelmässige,  winklige,  kleine  Grotte  passt  zu  der 
mächtigen  Fassade  neben  ihr  ganz  und  gar  nicht,  sie  hat  auch 
mit  den  sicheren  Grabkammern,  die  wir  kennen,  in  Ausstat- 
tung, Grösse  und  Form  nicht  die  geringste  Ähnlichkeit,  und 
deshalb  scheint  mir  Ramsays  Annahme  ganz  unmöglich;  eher 
trifft  wol  Perrots  Vermutung,  man  habe  Opfergaben  in  ihr 
niedergelegt,  das  Richtige.  Reber  giebt  denn  auch  (S.  567) 
Ramsays  Grotte  preis  und  ist  'vorläufig  der  Ansicht,  dass 
sich  die  Ruhestätte  des  Königs  Midas  eher  unter  dem  Schutt 
vor  dem  Grabmal  finden  dürfte'.  iJa  er  auch  S.  564  von  einer 
'sicher  auf  mehrere  Meter  zu  schätzenden'  Verschüttune;  re- 
det,  möchte  ich  ausdrücklich  betonen,  dass  von  dem  Denk- 
mal auch  nicht  ein  Zoll  verschüttet  ist.  Die  untere  Grenze 
der  bearbeiteten  Fassade  ist  überall  sichtbar  und  darunter 
springt  der  unbearbeitete  gewachsene  Fels  stark  vor,  wie  auch 
unsere  Tafel  erkennen  lässt ;  es  ist  also  nicht  abzusehen,  wie 
vor  der  Fassade  eine  Grabkammer  in  den  Felsen  gehauen  sein 
konnte,  die  mit  dem  Denkmal  noch  irgend  welchen  Zusam- 
menhang hatte.  Die  gewaltsamen  Versuche  ein  Denkmal  als 
Grab  hinzustellen,  bei  dem  ein  Platz  für  die  Leiche  schlechter- 
dings nicht  zu  finden  ist,  erhalten  den  Schein  einer  Berechti- 
gung durch  die  bestechende  Deutung,  die  Ramsay  {Journal 
of  Hellenic  stiidies  X,  1889,  S.  186)  einem  Worte  der  In- 
schrift Nr.  2  gegeben  hat.  Er  bringt  ai5C£v6(xav  mit  dem  neu- 
phrygischen  xvoujxav  zusammen  und  erklärt  es  als  Grab'^.  Es 


^  Leider  ist  die  Grolle  jolzt  verscliwundcn ;  1895  habe  icli  sie  vergohlieh 
gesucht,  sie  scheint  bei  Anlage  des  auf  unserer  Tafel  links  sichtbaren  Stalls 
von  den  Tscherkessen  zerstört  zu  sein. 

"^  Dieselbe  Deutung  geben  Turp,  Abliandluugcn  der  wissenschaftlichen 


KLEINASIATISCHE   STUDIEN.  III.  87 

wäre  erfreulich,  wenn  unsere  Kenntniss  der  phrygisehen  Spra- 
che so  sicher  begründet  wäre,  dass  alle  sachlichen  Bedenken 
gegenüber  sprachlichen  Erklärungen  verstummen  müssten ; 
aber  dem  ist  leider  nicht  so,  nach  dem  offenen  Eingeständniss 
eines  besonnenen  Linguisten,  der  die  kleinasiatischen  Sprachen 
jetzt  wol  am  besten  beherrscht.  Rretschmer  verwirft  (a.a.O. 
S.  ^132  f.)  Ramsays  Übersetzung,  weil  eben  das  Denkmal  kein 
Grab  ist,  und  deutet  ar/C£v£t7.av  als  'diese  Skulptur,  eingegra- 
bene Arbeit'.  Die  Bestimmung  des  Midasgrabes  kann  also 
aus  den  Inschriften  nicht  mit  Sicherheit  erschlossen  werden, 
und  sie  würde  ein  Rätsel  bleiben,  wenn  uns  nicht  andere 
Werke  derselben  Art  zu  Hülfe  kämen. 

Bevor  ich  auf  diese  eingehe,  muss  ich  aber  eine  stilistische 
Frage  erörtern,  die  sich  an  die  Dekoration  des  Midasgrabes 
knüpft.  Ramsay  hat  in  seiner  Besprechung  der  perrotschen 
Abbildung  des  Denkmals  {Journal  of  Hellenic  studies  X, 
1889,  S.  149  ff.)  mit  Recht  hervorgehoben,  dass  in  dem  Mäan- 
derornament der  Hauptfläche  die  erhabenen  Streifen  die  glei- 
che Breite  haben  wie  die  vertieften,  so  dass  sich  das  ganze 
Muster  aus  gleichen  Quadraten  zusammensetzen  lässt.  Diese 
von  ihm  in  zwei  Skizzen  (a.  a  0.  S.  150  und  151)  veran- 
schaulichte Thatsache  hat  nun  Ramsay  bestimmt,  den  gesamten 
Schmuck  dieser  und  ähnlicher  Fassaden  aus  der  Nachahmung 
von  Wänden  mit  farbigem  Kachelbelag  zu  erklären. 

Für  diese  Auffassung  scheint  in  der  That  ein  kleines  Denk- 
mal zu  sprechen,  das  Ramsay  a.  a.  0.  S.  151  nur  kurz  er- 
wähnt. Etwa  400""  südlich  vom  Midasdenkmal  lieo;t  am  un- 
teren  Rande  des  Felsplateaus  eine  1,50'"  hohe,  1,45'"  breite 
und  0,96'"  tiefe  Nische,  deren  drei  Wände  gleichmässig  mit 
dem  nachstehend  Fig.  1  skizzirten  Schachbrett- Muster  in  fla- 
chern Relief  verziert  sind;  den  Boden  bedeckt  eine  anscheinend 
nur  dünne  Schuttschicht.  Der  Eingang  hatte  eine  wahrschein- 


Gesellschafl  in  Kristiania,  llist.  pliil.  Kla.sse  1804,  Nr.  2.  S.  7,  und  Solm- 
scn,  Zeitsclnifl  für  vcij^lfii-iiriulc  Siiracliforscliiiiig-  34  S.  61. 


A.    KOERTE 


lieh  ganz  glatte  Umrahmung,  die  nur  links  leidlich  erhalten 
ist;  über  ilim  befindet  sich  ein   stark  zerstörter  Giebel,  der 


p* -ü  J-b  .;Ä  .j-lJ 


Fig.  1 


zum  grösseren  Teil  wieder  durch  ein  in  Quadrate  zerlegbares 
Muster  ausgefüllt  ist;  vgl.  die  beistehende  Skizze  Fig.  '2.  Die 
Ähnlichkeit  der  Nischenwändc   mit  einem   Rachelbelag,  wie 


Fig.  2 


wir  ilm  jetzt  für  Küchen  oder  Badezimmer  verwenden,  ist  un- 
bestreitbar, aber  sie  allein  reicht  meines  Erachtens  doch  nicht 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  89 

hin,  um  die  Üel^orationsweise  der  grossen  Fassaden  zu  er- 
klären. Gleich  bei  dem  Midasdenkmal  lässt  sich  zwar  das 
Hauptfeld  in  einzelne  Kai  helvierecke  auflösen,  die  Seiten- 
borten aber  nicht,  wie  auch  Reber  bemerkt  (S.  576),  weil 
hier  immer  vier  auf  die  Spitze  gestellte  Quadrate  ein  horizon- 
tales umgeben,  und  noch  weniger  kommt  man  mit  der  Theo- 
rie bei  dem  Kütschük- jasili  -  kaja  aus.  Auch  bebt  Perrot, 
der  an  Ramsays  früherem  Versuch,  die  Dekorationsweise  aus 
der  Teppichweberei  herzuleiten,  festhält,  sehr  richtig  hervor 
(S.  902),  dass  Kacheln  eine  natürliche  Verkleidung  für  Zie- 
gelwände aber  niemals  für  Holz  sind  ,  während  doch  die 
Schachbrettmuster  mit  Vorliebe  gerade  da  auftreten,  wo  mit 
Sicherheit  Holzbalken  zu  erkennen  sind ,  nämlich  bei  den 
Giebelwangen  und  den  Mittelstützen  der  Giebel*. 

Einen  andern  Weg  der  Erklärung  hat  Reber  S.  572  ff.  ein- 
geschlagen. Sämtliche  Bestandteile  der  Giebel  erklärt  er  un- 
bedingt überzeugend^  aus  dem  Holzbau,  die  Giebelwangen 
sind  die  Verschalungsdielen  der  Dachsparren,  oder  der  darüber 
gelegten  Pfetten,  die  Akroterien  sind  die  überragenden  ge- 
kreuzten Enden  dieser  Dielen,  und  die  kleinen  verrieo;elten 
Doppelthüren,  die  sich  am  Kütschük- jasili- kaja  und  Has- 
san-bey- kaja  zu  beiden  Seiten  der  Firststütze  finden,  sind 
Luken,  durch  welche  der  Speicherraum  unter  dem  Dach  von 
aussen  zugänglich  war.  Freilich  ist  die  Nachahmung  des  phry- 
gischen  Hausgiebels  nicht  immer  ganz  streng  durchgeführt, 
die  Akroterien  haben  im  Fels  <>eleiifentlich  Formen  an^enom- 
man,  die  sie  im  Holz  gewiss  nicht  hatten,  und  Sphingen,  die 
wir  im  Giebel   von   Arslan-kaja  finden    (Taf.  2  "i ,  gehörten 


^  Eine  solche  Giebelstütze  werden  wir  nach  dem  Muster  sämtlicher  an- 
derer Fassaden  auch  beim  Midasdenkmal  aniiehnien  dürfen,  wo  die  Giebel- 
mille zerslürt  ist. 

2  Nur  das  eine  vermag  ich  selbst  der  Autorität  dos  Architekten  nicht  zu 
glauben,  dass  man  jemals  schlüge  Giebeldächer  aussen  mit  Lehm  oder  Let- 
ten belegt  hat.  So  üblich  der  Lehmbclag  im  Orient  von  jeher  für  horizontale 
Dächer  gewesen  ist,  bei  Giebeldächern  ist  er  unerhört,  der  erste  Regen  w  ürdc 
ihn  ja  hinunlerspülen. 


90  A.   KOERTE 

sicherlich  nicht  in  den  Giebel  hölzerner  Wohnhäuser,  aber 
im  Wesentlichen  sind  die  Formen  eines  äusseren  Hausgiebels 
gewahrt.  Reber  versucht  dann  auc'i  die  grossen  Wandllächen 
als  unmittelbare  Nachahmuniij  wirklicher  Haus  wände  zu  er- 
weisen,  aber  dieser  Nachweis  ist  ihm  nicht  geglückt.  Er  er- 
kennt die  Verwandtschaft  dieser  Flächen  mit  Teppichen  an 
und  meint,  gewebte  Vorhänge  wie  sie  im  Innern  der  plirygi- 
schen  Häuser  wirklich  hingen,  seien  aussen  am  Haus  in  Be- 
malung nachgeahmt  worden.  Wo  ist  es  aber  erhört  in  der 
Architektur,  dass  die  Aussenwände  eines  Baus  ihre  Formen 
dem  zufälligen  Schmuck  des  flaus- Innern  entlehnen,  dass  mit 
Verzicht  auf  alle  Fenster,  mit  Unterdrückung  aller  constructi- 
ven  Glieder,  der  Balken  und  Stützen,  die  Hauswand  als  Tep- 
pich maskirt  wird,  über  dem  dann  ein  Holzgiebel  stützenlos 
in  der  Luft  schwebt?  Ich  glaube,  dass  alle  Versuche,  die  ge- 
samte Dekoration  der  phrygischen  Felsfassaden  aus  einer  ein- 
zigen Technik  herzuleiten,  sei  es  nun  der  Holzbau,  die  Tep- 
pichweberei, oder  der  Ziegelbau  mit  Rachelbelag,  notwendig 
scheitern  müssen,  denn  das  Charakteristische  für  sie  ist  ge- 
rade, dass  sie  mit  dem  architektonischen  Aufbau  nicht  Ernst 
machen.  Selbst  bei  dem  Denkmal  von  Bakschisch,  das  die 
Formen  eines  Holz- Hauses  am  treuesten  wiederufiebt,  sind 
viele  Einzelheiten  unorganisch,  der  Verzierung  halber  hinzu- 
gefügt; welch  ein  Abstand  gegen  die  peinliche  Treue,  mit  der 
die  Lykier  in  den  ältesten  Denkmälern  die  kleinsten  Einzel- 
heiten ihrer  Holzhäuser  nachbilden.  Ohne  Frage  wird  der 
ästhetische  Eindruck  auch  der  besten  Fassaden  durch  das 
Willkürliche  ihres  sorgfältig  gearbeiteten  Schmucks  etwas  be- 
einträchtigt; es  drängt  sich  dem  Beschauer  ein  leises  Missbe- 
hagen auf,  weil  er  die  einzelnen  Teile  nicht  organisch  ver- 
binden kann.  Gerade  dieser  Mangel  organischen  Zusammen- 
schlusses des  Ganzen  führt  die  Phantasie  immer  wieder  auf 
den  Vergleich  mit  Teppichen;  denn  was  bei  den  Felstässaden 
stillos  wirkt,  macht  eben  den  Stil  der  Teppichweberei  aus. 
Mit  unbeschränkter  Freiheit  entlehnt  die  Teppichweberei  der 
Natur  und  den  verschiedensten  Techniken  Formen,  mit  denen 


"thm^h 


V.- 


Fbototfplo  B.   Uulilcn.   U.OIadbicIl. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III. 


91 


sie  in  ungebundener  Laune  spielt.  Es  verdient  Beachtung,  dass 
eine  der  schönsten  neueren  orientalischen  Teppicharten,  die 
von  Bokiiara,  fast  ganz  auf  Nachahmung  der  Kacheltechnik 
gegründet  ist;  das  Mittelfeld  weitaus  der  meisten  Bokhara- 
Teppiche  lässt  sich  in  viereckige  Kacheln  zerlegen,  deren  Fu- 
gen durch  dünne  blaue  Linien  wiedergegclien  werden.  Die  phry- 
gischen  Steinmetzen  wollten  den  Felswänden  einen  gefälligen 
farbenreichen  Schmuck  verleihen,  und  dafür  benutzten  sie 
mit  derselben  Freiheit,  die  sich  die  Teppichweberei  zu  allen 
Zeiten  genommen,  Motive  der  verschiedensten  Techniken, 
bald  die  des  Holzbaus,  bald  die  der  farbigen  Kachelverklei- 
dung, bald  die  gewebter  Vorhänge.  Diese  verschiedenen  Ent- 
lehnungen können  wir  wol  feststellen,  aber  wir  thun  den 
Werken  Gewalt  an,  sobald  wir  eine  der  Quellen,  aus  denen 
die  Phantasie  des  rein  decorativen  Künstlers  schöpfte,  für  die 
einzige  erklären,  und  aus  ihr  sämtliche  Motive  herleiten  wollen. 

b.   Arslan-kaja. 

Eine  Stunde  südöstlich  von  der  Eisenbahnstation  Düver  er- 
hebt sich  dicht  bei  einem  kleinen  See  '  ganz  isolirt  das  Arslan- 
kaja  (Löwenfels)  genannte  Denkmal,  eine  der  wertvollsten 
Entdeckungen  Ramsays.  Spitze  Felskegel ,  die  als  riesige 
rotgelbe  Zacken  einzeln  oder  in  Gruppen  auf  den  grünen 
Matten  stehen,  finden  sich  in  diesem  Teile  Phrygiens  recht 
häufig,  aber  wenige  sind  durch  Gestalt  und  Lage  so  eindrucks- 
voll wie  dieser,  den  die  Hand  eines  phrygischen  Künstlers  zu 
einem  merkwürdigen  Denkmal  formte.  Der  untere  Teil  des  7" 
breiten  und  etwa  15'"  hohen  Blockes  ist  auf  drei  Seiten  geglättet 
und  mit  Relief  geschmückt,  die  Rückseite  und  die  Spitze  sind 


'  Auf  dem  von  Reber  S.  öii  liauptsächlich  nach  ofTicicIlem  türkischem 
Material  niilgeleilleu  Kärtchen  des  phrygischen  Denkuüilerliezirks  ist  die 
gegenseitige  Lage  von  Fels  und  See  unrichtig  angegeben;  Arslan-kaja  ist 
durch  keinen  l^ergrücken  vom  See  golrennt  und  höchstens  500™  von  ihm 
enUernt.  Aul'  Kieperts  j;ritsser  Karle  des  westlichen  Kleinasicns  ist  der  Sach- 
verhalt ricliligcr  gezeichnet. 


9? 


A.    KOEHTE 


unbearbeitet  geblieben.  Der  vulkanische  TufT,  aus  dem  der 
Kegel  bestellt,  wird  dicht  über  dem  l^rdboden  von  einer  ho- 
rizontalen Schicht  weichen  Sandsteins  unterbrochen,  die  der 
Witterung  ungleich  weniger  Widerstand  geleistet  hat  als  das 
vulkanische  Gestein  ;  doch  hat  das  Denkmal  dadurch  keine 
wesentliche  Einbusse  erlitten,  weil  der  Künstler  diese  Schicht 
nicht  mit  in  seine  Fassade  zo£j.  Bei  der  ü-anz  ungeschützten 
Lage  ist  das  Denkmal  leider  viel  stärker  durch  die  Unbilden 
der  Witterung  beschädigt,  als  die  meisten  andern,  dennoch  ist 
es  möglieh  über  die  Art  der  Anlage  und  selbst  über  den  Stil 
mit  ziemlicher  Sicherheit  zu  urteilen.  Die  ganze  Nordostseite 
des  Blocks  wird  durch  einen  mächtigen  aufgerichteten  Löwen 
in  flachem  Belief  gefüllt  (Fig.  3).  Er  stemmt  beide  Vordertatzen 


Fig.  3 


an  diejechte  Giebelecke  der  llauptfassade;  sein  leider  zerstör- 
ter Kopf  würde  der  (jiebelbekrönung  der  Vorderseite  an  Höhe 
etwa  gleichkommen.  Die  Ausführung  ist  frisch  und  sorglältig. 
Die  andere  Nebenseite  enthält  nur  noch  geringe  Beste  eines 
bedeutend  kleineren,   geflügelten  Vierfüsslers.   der  in  ruhiger 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  93 

Bewef^Linji;  nach  reclils  schreitet.  Rumsay  bezeichnet  ihn  {Jour- 
nal of  Hellenic  studies  V,  1  884, S.  247)  sicherlich  mit  Recht 
als  Greifen,  denn  der  Umriss  eines  spitzen  Schnabels  ist  mit 
hinreichender  Deutlichkeit  zu  erkennen'  Die  nach  Südosten 
gekehrte  Vorderseite  erinnert  stark  an  das  Midasdenkmal.  dem 
sie  freilich  an  Breite  sehr  beträchtlich  nachsteht  (etwa  7'"  ge- 
gen IG'/./")-  Wie  dort  sehen  wir  die  Hauptiläche  durch  ein 
geometrisches  Muster  in  flachem  Relief  ausgefüllt,  wie  dort 
öffnet  sich  unten  eine  Nische  mit  Thürumrahmung  und  wie 
dort  krönt  ein  Giebel  mit  Akroterion  das  Ganze.  Im  Einzelnen 
sind  aber  alle  Formen  verschieden.  Die  starke  Zerstörung 
macht  es  zwar  unmöglich,  den  kunstvollen  Verschlingungen 
des  Flächenornamentes  ürenau  zu  folüfen.  aber  so  viel  ist  doch 
klar,  dass  es  von  dem  des  Aiidasdenkmals  abweicht  und  selt- 
samer Weise  ist  über  der  Mitte  der  Nische  eine  Rosette  in 
das  geometrische  Muster  gesetzt.  An  Stelle  der  breiten  Borten 
des  Midasdenkmals  fasst  hier  eine  einfache  Reihe  spitz  über 
einander  gestellter  Vierecke  beiderseits  die  Fläche  ein.  Die 
untere  Giebelleiste  trägt  eine  Inschrift,  deren  EntzitYerung  wol 
niemals  ganz  gelingen  wird  ;  auf  einer  bei  besonders  günstiger 
Beleuchtung  aufgenommenen  Photographie  glaube  ich  u..Tu.a- 
T£pav  zu  erkennen,  doch  bleibt  die  Lesung  unsicher.  Das  ge- 
gen die  Verschalungsdiele  etwas  zurücktretende  Sparrenglied 
des  Giebels  trägt  ein  reingriechisches  Mäanderornament,  die 
Hörner  des  besonders  grossen  Akroterion  sind  an  ihren  Enden 
mit  augenartigen  Kreisen  verziert,  so  dass  sie  Ramsay  irrtüm- 
lich für  Schlangenköpfe  hielt.  Im  Giebel  stehen  zu  beiden 
Seiten  der  mit  einer  sehr  zerstörten  Palmette  verzierten  First- 
stütze zwei  leidlich  erhaltene  Sphingen.  Der  Raumfidlung 
wegen  sind  die  Leiber  sehr  langgestreckt  und  die  Beine  ziem- 
lich kurz.  Die  verhällnissiiiässig  kleinen  Flügel  sind  aufge- 
bogen,die  in  Vorderansicht  dargestellten  Köpfe  haben  so  sehr 
gelitten,  dass  ihre  Gesichtszüge  nicht  mehr  zu  erkennen  sind, 


<   Heber  (S.  561)  irrt,  wenn  er  es  für  walirscheinlieli  hält,  dass  das  Tier 
ein  Löwe  sei. 


94  A.   KOERtE 

nur  die  grossen  Ohren  und  je  eine  lange  Schulterlocke  lassen 
sich  unterscheiden.  Wichtiger  noch   als  dieser  nach   griechi- 
scher Art  mit  fiiiürlichem  Schmuck  ^pfiillte  Giebel,  auf  dessen 
Stil  ich  noch  zurückkommen  werde,  ist  die  Ausoestaltuno;  der 
Nische.  Dass  die  Nische,  deren  Umrahmung  mit  der  des  Mi- 
dasdenkmals  fast  ganz  übereinstimmt,   den   Eingang  in  den 
Fels  bedeutet,   ist  hier  zur  sinnlichen  Anschauung  gebracht; 
die  beiden  Thorflügel  sind  weit  aufgethan  und  an  die  Nischen- 
wände angelegt,  von  ihrer  peinlich  genauen  Ausführung  in 
allen  constructiven  Einzelheiten  giebt  Rebers  vortreffliche  Zeich- 
nung und  Beschreibung  (S.  560)  das  beste  Bild.    Im  Hinter- 
gründe  der  2.30'"  breiten,  1,90'"  tiefen,  2,40"^  hohen  Nische 
sitzt  eine  aro;  zerstörte  menschliche  Gestalt  umgeben  von  zwei 
stehenden  Löwen,  die  ihre  Tatzen  an  das  Haupt  der  Figur 
legen.   Trotz  der  starken  Verwitterung  sieht  man,   dass  die 
Figur  einen  hohen  rundlichen  Aufsatz  auf  dem  Kopf  trägt  und 
die  rechte  Hand  an  die  Brust,  die  linke  in  den  Schoss  gelegt 
hat.  Das  Sitzbild  zwischen  den  beiden  Löwen  stellt  natürlich 
die  grosse  Göttermutter  dar,   die  Matar  Kubile,   wie  sie  in 
einer  gleichzeitigen  Inschrift  (Nr.  11  bei  Bamsay)  heisst.  Ihr 
Sitz  sind  die  Berge,  deshalb  führt  sie  nach  den  verschiedenen 
Gebirgen   die  Namen  Dindymene,  Sipylene,  Idaia,   und  dass 
die  {xy)T7ip  öpsia  (Eurip.  Hei.  1301)  ganz  eigentlich  drinnen  im 
Berg  hausend  gedacht  wird,  sagt  unser  Denkmal  so  deutlich 
wie  nur  möglich.  Eingeschlossen  in  der  Tiefe  des  Felsens  thront 
sie,  aber  hier  hat  sie  einmal  ihre  Pforten   aufgethan,  und  die 
Gläubigen,    die  zu   ihr  pilgern,  können   mit  eigenen   Augen 
schauen, dass  die  Göttin  ihnen  leibhaftig  nahe  ist.  So  klar  wie 
in  unserem  Denkmal  ist  diese  Vorstellung  von  der  Felswohnung 
der  Göttin    sonst   nirgends   ausgesprochen,    aber   die  beiden 
kleinen  Felsnischen  mit  ihrem  Bilde,  die  Bamsay  (bei  Perrot 
S.  158  Fig.  110)  und  Beber  (S.585  Fig.  10)  entdeckt  haben, 
drücken  wenn  auch  weniger  deutlich  ganz  denselben  Gedanken 
aus.  Auch  das  berühmte  grosse  Bild  der  Göttin  am  Sipylos  [V^v- 
voijhsloirc  de  iavt  IV  Fig.  305.  Athen.  Miltheilungen  1888 
Taf.  1 )  wird  nicht  anders  zu  verstehen  sein,  obwol  hier  die 


tLElNASIATISCHE   STUDIEN.  III.  95 

architektonische  Umrahmung  fehlt.  Ein  langes  Fortleben  hat 
sodann  die  griechische  Kunst  dieser  Darslellungsform  der 
Göttermutter  gesichert.  Erst  das  Denkmal  von  Arslan-kaja 
macht  die  merkwürdige  Thatsache  verstündlich,  dass  Rybele 


in  der  griechischen  Kunst  von  den  alten  kymäischen  Idolen  ' 
bis  herab  auf  die  hellenistische  Zeit  mit  Vorliebe  eingezwängt 
in  einen  Naiskos  dargestellt  wird.  Die  kleinasiatischen  Grie- 
chen übernahmen  von  Phrygern  und  Lydern  das  uralte  Bild 
der  im  Berge  thronenden  Göttin,  und  wenn  sie  sie  auch  in 
den  Einzeldarstellungen  von  ihrem  Bergsitze  loslösten,  so  blieb 
doch  die  an  die  alten  Felsbilder  erinnernde  Nischenumrahmung 
etwas  der  Göttin  Eigentümliches ,  das  sich  neben  jüngeren 
freieren  Bildungen  mit  echt  religiöser  Zähigkeit  hielt.  Die  äl- 
testen griechischen  Darstellungen,  die  von  Kyme,  sind  ja 
älter  als  der  Arslan-kaja,  aber  den  Schlüssel  zu  ihrem  V'er- 
ständniss  giebt  das  jüngere  Bild,  weil  es  in  jener  Landschaft 
geschatfen  wurde, die  das  Wesen  der  f7.r;Ty;p  öpeia  von  den  älte- 
sten Zeiten  vor  der  phrygischen  Einwanderung  (vgl.  Kret- 
schmer,  Einleitung  S.  194  f.)  bis  zum  Ausgang  des  Heiden- 
tums am  treuesten  bewahrt  hat. 

Die  ausschliesslich  religiöse  Bedeutung  des  Arslan-kaja 
scheint  mir  über  jeden  Zweifel  erhaben.  Perrot  S.  152  hat  sie 
auch  nicht  verkannt,  aber  Bamsay,  dem  sich  Reber  (S.  562f.) 
anschliesst,hält  an  der  Journal  of  Hellenic  studiesN,  1884, 
S.  lö^  gegebenen  Erklärung  fest:  /  feel  convinccd  tliat  the 
monument  is  sepulcral.  Wenn  Bamsay  für  seine  Auffassung 
die  aus  römischer  Zeit  gut  bekannte  phrygische  Sitte  anführt, 
den  Toten  in  enge  Verbindung  mit  einer  Gottheit  zu  bringen, 
den  Grabstein  ihm  und  dem  Gotte^  gemeinsam  zu  weihen,  so 


'  Bulletin  de  correspondance  liellönique  1889  S.  545  IT.  vgl.  Jouliin,  Musde 
Imperial  Olluman,  calalogue  des  xcitlplures  Nr.  32-34;  auch  die  driUo  Num- 
ruer  ist  ein  Bild  der  GöUermuUer,  nicht  der  Alheiia  Polias  wie  Joubiu  vor- 
schlägt; die  Talzeil  und  Teile  des  Löweuleibes  auf  ihrem  Öchoss  sind  sicher 
zu  erkennen. 

2  In  der  späteren  Zeil  ist   die  mit  dem  Toten  vereinigte  Gottheit  stets 


96  A.    KOERTE 

wird  man  ilim  den  Rückschluss  aus  der  späteren  Zeit  auf  al- 
tere reliniöse  Vorstell uni>;en  «ewiss  zu";eben,  aber  daraus  folgt 
noch  nicht  die  Berechtiguno;  ein  Denkmal,  dem  all  und  jede 
Andeutung  einer  sepulcralen  Bestimmung  fehlt,  für  einen 
Grabstein  zu  erklären.  Es  ist  Willkür  ein  irgendwo  in  der 
Nähe  verborgenes  Grab  anzunehmen  ',  wenn  ein  Denkmal  in 
seiner  ganzen  Ausdehnung  sichtbar  und  aus  sich  heraus  als 
Kultstätte  durchaus  verständlich  ist.  Arslan-kaja  ist  kein  Grab 
sondern  ein  Heiligtum  und  diesem  festen  Punkt  muss  man 
die  ähnlichen  Fassaden  angliedern,  deren  Bestimmung  we- 
niger leicht  zu  verstehen  ist. 

Beim  Jasili-kaja  ist  freilich  der  Fäva^  MiSa?  an  die  Stelle 
der  Göttermutter  getreten,  aber  das  macht  nichts  aus.  Dass 
Midas  ein  Gott  ist,  den  die  Phryger  aus  ihrer  europäischen 
Heimat  mit  nach  Asien  gebracht  haben,  ist  schon  mehrfach 
ausgesprochen  worden^.  Als  die  Eroberer  dann  den  Dienst 
der  altkleinasiatischen  Muttergottheit  (  Hamsay,  Journal  IX, 
1888,  S.  307,  Kretschmer  S.  194)  annahmen,  ja  zu  ihren  begei- 
sterten Dienern  wurden,  da  musste  auch  der  alte  Stammesgott 
Midas  zum  Kreise  der  Göttermutter  in  irgend  welche  Beziehung 


Zeus,  meist  mit  dem  Beinamen  ßpovTtöv ;  die  Göttermutter  kommt,  soviel 
icli  sehe,  ni(;lit  auf  Grai)steinen  vor. 

*  Reber  hilft  sich  wieder  mit  der  Annahme  einer  Verschütlunir.  Ange- 
sichts unserer  Taf.  2  ist  es  kaum  nötig  zu  erklären,  dass  das  Monument 
selbst  nicht  im  geringsten  verschüttet  ist.  Auch  von  dem  rohen  Felsen  ist 
vorn  ein  gutes  Stück  sichtbar, sicherlich  könnte  also  eine  Grabstätte  keinen 
unmittelbaren  Zusammenhang  mit  dem  Denkmal  haben.  Wenn  er  weiter 
sagt:  'Würde  das  Grab  mit  der  Kriegerfassade  bei  Arslan-tasch  nicht  durch 
atiiiospiiärisehe  Einflüsse  gesprengt  und  dadiircli  die  Kammer  blossgelegt 
sein,  so  würde  man,  da  dicThüre  wol  schon  in  früher  Zeit  verschüttet  war, 
von  einem  Grabraum  wahrscheinlich  nichts  wissen',  so  entbehrt  diese  Be- 
hauptung jeder  Begründung.  Nichts  ist  gewisser,  als  dass  die  TInir  jenes 
Grabes  bis  zu  seinerZerstörung  nicht  verschüttet  war. HäUe  dieThürüllnung 
bereits  vorher  im  Boden  gesteckt,  so  könnte  sie  jetzt  niclil  llach,  natürlich 
etwas  eingesunken,  auf  dem  Boden  liegen,  denn  der  Stein  halte  keinen 
Platz  zum  Umkippen  gehabt. 

'^  Kretschmer, Einleitung  S.  199;  Dieterich,  I'hilolugus  LH  S.  5;  Kuhnert 
in  Roschers  Lexikon  II  S.  v961  f. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  IIl.  97 

gesetzt  werden.  Er  sank  zum  Heros  herab  und  hiess  der  Er- 
bauer des  Tempels  von  Pessinus  (Üiod.  III,  59)  oder  aber  der 
Sohn  der  Kybele  (Mygin.  fab.  191  und  274).  Dadurch  dass 
später  die  historischen  Könige  Phrygiens  den  Namen  Midas 
abwechselnd  mit  dem  des  Gordios  führten,  wurde  der  Gott 
Midas  in  der  Überlieferung  ganz  zurückgedrängt,  manches 
was  ihm  zukam,  wurde  nun  den  menschlichen  Königen  bei- 
gelegt. Vielleicht  gehörte  auch  der  Thron,  den  Herodot  (I,  14) 
in  Delphi  sah,  ursprünglich  dem  Gotte  Midas  (vgl.  Ueichel, 
Vorhellenische  Götterkulte  S.  17).  Den  göttlichen  Sohn  der 
Kybele  haben  wir  in  dem  Fava^  MiSa?  des  Denkmals  zu  er- 
kennen, und  es  ist  nicht  wunderbar, dass  auf  ihn  eine  ursprüng- 
lich für  die  Göttermutter  erfundene  Form  der  Kultstätte  über- 
tragen wurde. Vielleicht  deutet  auch  der  Name  des  Dedikanlen 
Ates=Attis  auf  einen  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  dem 
Rybelekult.  Attis  ist  der  heilige  Name,  den  der  Oberpriester 
der  Göttermutter  noch  in  hellenistischer  Zeit  führt  (Athen. 
Mittheilungen  1897  S.  16 f.), und  diese  Hieronymie  ist  sicher- 
lich sehr  alt.  Nur  ein  Mann  in  hervorragender  Stellung  kann 
die  gewaltige  Fassade  geweiht  haben;  ein  Phrygerkönig  ist  es 
nicht  gewesen,  denn  die  heissen  ständig  Midas  und  Gordios, 
da  liegt  es  nahe  in  dem  Ates  der  Inschrift  den  Oberpriester 
der  Göttermutter  zu  erkennen,  der  neben  seinem  sacralen  Na- 
men auch  den  bürgerlichen  Arkiaevais  Sohn  des  Akenanolas 
angab. 

Dass  sich  das  Midasdenkmal  ungezwungen  nach  dem  Mu- 
ster von  Arslan  -  kaja  erklären  lässt,  leuchtet  ein;  aber  giebt 
es  nicht  Fassaden,  die  dem  Midasdenkmal  eben  so  nahe  stehen 
wie  Arslan -kaja  und  doch  deutlich  erweisbare  Gräber  sind? 
Das  ist  fi'cilicli  die  allgemeine,  auch  von  Perrot  geleilte  An- 
sicht, aber  sie  ist  irriy;. 

c.   Delikli- lasch. 

Das  entscheidende  Denkmal  ist  die  Delikli-tasch  (der  durch- 
löcherte Stein)  genannte  Fassade,   die  im  äussersten  Westen 

ATHEN.    MrrTHElLUNGEN    XXlIl.  7 


98 


A.  kOERTE 


Phrygiens  in  einem  kleinen  Seitenthal  des  Rhyndakos  liegt. 
Von  Hamilton  entdeckt  und  ganz  flüchtig  skizzirt  {Resear- 
c/ies  I  S.  97)  ist  dies  Monument  von  Perrot  auf  seiner  galati- 
schen Expedition  genau  untersucht  und  in  sorgtältigen  Zeich- 
nungen veröffentlicht  worden'  ;  die  Gesamterscheinung  giebt 
auch  unsere  Fig.  4    wieder.  Einen  gewaltigen  Felsblock  aus 


■\. 


i^f*^ 


-1    ^*'         ^  i^Y^ 


r^'ß 


Fig.  4 


vulkanischem  Gestein,  dessen  Südfassade  weithin  sichtbar  ist, 
haben  natürliche  r^nfliisse  in  alter  Zeit  in  drei  Teile  ge- 
spalten und  Menschenhand  hat  den  mittleren  zu  einem  selt- 
samen Denkmal  von  schlichter,  fast  roher  Grösse  i^estaltet. 
Die  Spitze  des  Felsens  hat  die  Form  eines  ziemlich  steilen 
gleichschenkligen  Dreiecks  ohne  jeden  weiteren  Schmuck  er- 
halten, so  dass  man  schwanken  könnte,  ob  dem  Künstler  ein 
Giebel  oder  eine  Pyramide  als  X'orbild  vorgcschwejjt  hat  Nach 
unten  schliesst  sich  zunächst, durch  einen  schmalen  Absatz  ge- 
schieden, eine  ebenfalls  glatte  trapeztörmige  Fläche  an;   ihr 


<  Weniger  gelungen  ist  der  perspectivisclie  Schnitt,  den  Chipiez  nach  den 
alten  Zeichnungen  für  die  Ilistoire  de  Vart  V  Abb.  hi  cunslruirl  lial. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III.  99 

unterer  Rand  bricht  plötzlich  ganz  unregelmässig  ab,  und  die 
glutle  Felswand  wird  auf  einer  Strecke  von  etwa  drei  Meiern 
durch  eine  roh  ausgehauene  Wölbung  unterbrochen,  die  un- 
gefähr aussieht  wie  eine  sich  überschlagende  Meereswoge.  Auf 
diese  l.iicke  folgt  nach  unten  wieder  eine  glatt  bearbeitete  Flä- 
che mit  unregelmässiger  Obei'kante,  die  anscheinend  nicht  ge- 
nau in  der  Fbene  der  oberen  Felswand  liegt,  sondern  gegen 
sie  ein  wenig  vorspringt.  Ein  grosser  Teil  dieser  3,20™  hohen 
Fläche  wird  von  einer  breiten,  ganz  flachen  Nische  eingenom- 
men, deren  Umrahmung  sehr  an  das  Midasdenkmal  erinnert; 
drei  niedrige  Stufen  sind  ihr  vorgelagert,  in  die  Mitte  der  Ni- 
schenwand ist  von  modernen  oder  antiken  Schatzgräbern  ein 
rundes  Loch  gehauen,  das  einem  schlanken  Menschen  den  Zu- 
gang zu  dem  dahinter  gelegenen  Schacht  gewährt.  Dieser 
Schacht,  dessen  Wände  nur  roh  behauen  sind',  ist  auf  dem 
Grunde  1,80'"  lang  und  1,2V"  breit.  In  einer  Höhe  von  2,40'" 
über  seiner  Sohle  ist  in  die  V^orderwand  ein  Absatz  von  0,20'" 
Breite  ziemlich  unreoelmässiof  einG:ehauen.  wieder  1,10'"  höher 

PCO-  ' 

umgiebt  ein  schärfer  hervorgehobener  Absatz,  an  den  Lang- 
seiten rund  0,25'",  an  den  Schmalseiten  rund  0,35'"  breit,  den 
Schacht,  dessen  lichte  Weile  hier  nur  1,52  zu  1,21'"  beträgt. 
Schon  diese  Abmessuniiren  machen  es  sehr  bedenklich,  den 
Schaciit  für  ein  Grab  zu  halten.  Könnte  auch  auf  der  Schacht- 
sohle ein  Toter  von  mittlerer  Grösse  zur  Not  ausgestreckt  lie- 
gen,  so  ist  die  obere  ülfnung  zweifellos  zu  klein,  um  eine 
wagerecht  ausgestreckte  Leiche  durchzulassen,  der  Tote  müsste 
einfach  in  die  Gruft  geworfen  worden  sein,  und  das  wider- 
spricht dem  sonst  bekannten  Brauch  der  Phryger.  Ich  will 
kein  Gewicht  darauf  Icm-n,  dass  der  Schacht,  bei  einem  Grabe 
doch  die  Ilaupisache,  nur  ganz  nachlässig  gearbeitet  ist,  aber 
von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die  Art  seines  oberen  Abschlus- 
ses.ln  den  vier  Ecken   des  vorhin   erwähnten  Absatzes  (vgl. 


*  Cliipioz  Perspective  (Penot  Fig. 52)  giebt  von  den  Grössenveihältiiissen 
1111(1  der  Arlicil  des  SclKiclitcs  keine  riclitiuc  Vorslolliiiii:. 


100 


A.   KOERTE 


Fig.  5  nach  Perrot),  finden  sich  vier  etwa  0,15™  breite,  0,10*" 
lan";e  und  0,06'"   tiefe  Einarbeitun";en,   und  an   dem  oberen 


Fig.  5 


Rande  des  Schachtes,  90""  über  dem  Absatz  keliren  ähnliche 
Einarbeitungen  von  0,20'"  Breite,  0,1  4™  Länge  und  0,10™  Tiefe 
wieder.  Perrot  nimmt  nun  (S.  93)  einen  doppelten  Verschluss 
durch  grosse  Steinplatten  an,  die  auf  den  Einarbeitungen  auf- 
lagen. Aber  diese  Annahme  ist  unmöglich.  Wer  den  Schacht 
mit  einer  Steinplatte  schliessen  wollte,  der  würde  die  Kanten 
der  Platte  in  ihrer  ganzen  Länge  auf  allen  vier  Rändern  des 
Absatzes  haben  ruhen  lassen;  es  wäre  geradezu  widersinnig, 
wenn  der  Steinmetz  sich  die  doppelte  Mühe  der  Einarbeitun- 
gen in  den  Felsrand  und  des  Aushauens  von  Zapfen  an  den 
Steinplatten  gemacht  hätte,  da  hierdurch  die  Festigkeit  des 
Verschlusses  nicht  im  mindesten  erhöht  wurde.  Die  viereckigen 
Einarbeitungen  sind  an  beiden  Stellen  nur  als  Lager  für  Holz- 
balken verständlich,  und  wir  müssen  sie  in  Zusammenhang 
bringen  mitandern  gleichartigen  Einarbeitungen  '  an  der  rohen 
gewölbten  Felswand  2'"  über  der  Mündung  des  Schachtes,  die 
auch  auf  Fig.  4  sichtbar  sind.  Wer  die  ganze  Fels  wand  betrachtet, 


'  Perrol  glaubt  diese  S.  97  zur  Aufnahme  hrcmzcncr  Zierrale  bcstiramt, 
al)er  dafür  sind  sie  viel  /u  gross  und  die  naelilässige  Bcarhcilimg  der  IIüli- 
lungswand  heweisl,  dass  sie  nicht  siehU)ar  sein  sollte. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III.  101 

wird  nicht  im  Zweifel  sein,  dass  nach  Absicht  des  Künstlers 
unmöglich  der  obere  und  untere  sort^taltig  bearbeitete  Teil  der 
Fassade  durch  die  klafiende  Lücke  der  roh  gehauenen  Höhlung 
auseinander  gerissen  werden  sollte,  und  doch  ist  es  sicher,  dass 
diese  Höhlung  gleichzeitig  mit  der  ganzen   Anlage  gearbeitet 
wurde,  denn  nur  sie  ermöglicht  die  Anlage  des  Schachtes.  Die 
Einarbeitungen   nun  lehren  uns,  dass  hier  eine  Holzconstruc- 
tion  aushalf;  die  Lücke  der  Fassade  war  maskirt  durch  eine 
Bretterwand,  deren  obere  Stützen  in  den  Einarbeitungen  der 
llöhlungswand  ruhten.  Unten  griff  diese  Bretterwand,  deren 
Form    und  Conslruction    wir   im   Einzelnen   natürlich   nicht 
mehr  feststellen  können,  vielleicht  etwas  über  den  Mündungs- 
rand des  Schachtes  über;  dafür  spricht  eine  auch  auf  Perrots 
Abbildung  50  sichtbare  Einarbeitung,   die  sich  aussen   rechts 
ein  wenig  unter  der  Schachtbrüstung  befindet.    Die  Einschie- 
bung  von  Holzteilen    in  die  Felsfassade  war  deshalb  nicht  stö- 
rend,  weil  die  noch  jetzt   in  sicheren    Resten  erhaltene   Be- 
malung (vgl.  Perrot  Abb.  56)  den  Unterschied  des  Materials 
verdeckt  haben    wird.   Zwischen  Holzwand  und  Felshöhlung 
entstand  dann  eine  Art  Kammer  über  dem  Schacht,  und  die 
Einarbeitungen  in  dem  Schachtabsatz  werden  den  Tragbalken 
eines  hölzernen  Bodens  als  Lager  gedient  haben.  War  aber  der 
Schacht,    wie  die  Einarbeitungen  meines  Erachtens   mit  Be- 
stimmtheit erschliessen  lassen,  nicht  durch  grosse  Felsblöcke, 
sondern  durch  einen  Ilolzdeckel  verschlossen,  erhob  sich  vorn 
über  ihm  eine  Holzwand,  so  ist  seine  \'erwendung  als  Ruhe- 
statt eines  Toten,  gegen  die  schon  seine  geringen  Abmessungen 
sprachen,  gänzlich  ausgeschlossen.  Bei  genauerer  Überlegung 
sieht  man  auch, dass  sich  die  Nische  vorn  an  der  Fassade  sehr 
schlecht  mit  der  sepulcralen  Bestimmung  des  Schachtes  ver- 
trägt. Wer  zur  Bestallung  eines  Toten  einen  Schacht  von  4,40'" 
Tiefe  in  den  Fels  haut,  hat  die  Absicht  die  Leiche  gegen  jeg- 
liche Entweihung   ganz  sicher  zu  stellen,   und  dieser  Zweck 
wird  durch  die  Anlage  der  Nische  völlig  vereitelt.  Bequemer 
kann  man  es  ja  einem  Grabräuber  gar  nicht  machen. als  indem 
man  ihm  an  der  äusseren  Felswand  den  Ruheplatz  des  Toten 


102  A.    KOERTE 

durch  eine  Scheinthür  bezeichnet  und  dort  die  Felswand  so- 
weit verdünnt,  dass  wenige  Schläge  mit  einer  Hacke  genügen, 
um  einen  Zugang  zum  Schacht  zu  (")tTnen. 

War  also  der  Delikli  -  tascli  kein  Grab,  so  kann  auch  dieses 
Denkmal  nur  als  Kultstätle  errichtet  sein.  Die  Nische  bedeutet 
hier  genau  so  wie  am  Arslan-kaja  den  Eingang  zur  Wohnung 
der  Göttermutler,  und  der  Schacht  ist  eine  Opfergrube;  er  ist 
von  oben  bis  zu  dem  Punkt  in  den  Felsen  getrieben,  wo  hin- 
ter der  Scheinthür  die  Göttin  thronte,  damit  das  IMut  der 
Opfertiere  ja  ganz  sicher  bis  zum  Sitz  der  Mutter  Kybele 
drang.  Damit  erklären  sich  alle  Einzelheiten,  die  der  Annahme 
einer  sepulcralen  Verw^endung  des  Schachtes  im  Wege  stehen, 
seine  Lage  unmittelbar  hinter  der  Nische,  die  geringen  Ab- 
messungen seiner  Mündung,  die  nachlässige  Bearbeitung  sei- 
ner Wände  und  der  Bretterboden  als  oberer  Abschluss. 
Opfergruben  sind  ja  auch  auf  griechischem  Boden  nichts  Un- 
gewöhnliches ;  sorgfältige  Anlagen  der  Art  haben  sich  in 
dem  samothrakischen  und  thebanischen  Rabirenheiligtum  are- 
funden  (Untersuchungen  auf  Samothrake  I  S.  '21,  Athen.  Mit- 
theilungen XIII  S.  95),  und  die  iayapat  des  Heroenkultes,  de- 
nen wir  schon  in  Mykene  begegnen,  sind  den  Opfergruben 
wenigstens  nahe  verwandt  (Rohde,  Psyche  S.  33).  Wie  das 
Blut  des  Opfertieres  den  Unterirdischen  in  die  Erde  hinabge- 
gossen wird,  so  lässt  man  es  für  die  aviT-zqp  öpsia  in  das  Innere 
des  Felsens  rieseln,  das  ist  eine  so  natürliche  Vorstellung,  dass 
sie  zur  Erklärung  eines  Denkmals  wie  Delikli- tasch  völlig 
ausreicht.  Vielleicht  dürfen  wir  aber  noch  weiter  o;ehen  und 
die  Art  der  Anlage  mit  dem  seltsamen  Opferbrauch  der  Tauro- 
bolien  und  Rriobolien  in  Verbindung  bringen,  die  im  späten 
Altertum  eine  so  wichtige  Bolle  im  Kult  der  GfUtermutter  und 
des  Attis  spielen'.  Nach  Prudentius  anschaulicher  Schilderung 
in  der  Passio  Romani  (TCspl  (jTSfpävcov  X  1006  ff.),  wurde  der 


'  Vgl.  Mar(|u;ir(ll,  Röinisclie  Staatsvorwalüing  III  S.  S7  f.  Pi'clIcr-.Tdidan, 
Römisclio  M.vlliolu^iii  II  S.  3'.j3.  Zi|ii)(;ls  Beliaiidluiii;-  der  TainoliDlioii  in  der 
Fcslschril'l  für  Fricdländer  S.  VJ8  IV.  .scheint  mir  wenig  glüeklicli. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  103 

ZU  Weihende  in  feierlicher  Tracht  in  eine  Grube  gesenkt,  diese 
mit  einem  vielfach  durchbohrten  Bretterboden  geschlossen  und 
darüber  der  geschmückte  Opferstier  geschlachtet.  Sein  Blut 
drang  durch  Löcher  und  Spalten  des  Holzbodens  und  benetzte 
Körper  und  Gewand  des  Versenkten,  der  blutüberströmt  her- 
ausgezogen und  mit  Jubel  als  rein  und  wiedergeboren  begrüsst 
wurde.  Ich  möchte  nicht  unterlassen,  wenigstens  darauf  hinzu- 
weisen, dass  Delikli  -  tasch  zur  Feier  einer  solchen  Bluttaufe 
sehr  geeignet  erscheint.  In  dem  Felsenschacht  fand  ein  stehen- 
der Mann  reiclilich  Platz,  und  der  hölzerne  Boden  über  ihm 
würde  zu  Prudentius  Schilderung  vortrefllich  passen.  Frei- 
lich sind  Herkunft  und  Entstehungszeit  der  Taurobolien,  die 
uns  zuerst  im  Jahre  134  nach  Chr.  begegnen  {CLL.  X  1596) 
und  den  Höhepunkt  ihrer  Verbreitung  im  IV.  Jahrhundert 
erreichen,  noch  ganz  dunkel,  und  ein  so  vorzüglicher  Kenner 
spätheidnischer  Kulte  wie  Franz  Cumont  hat  den  ursprüng- 
lichen Zusammenhang  der  Bluttaufe  mit  dem  Kybeledienst 
überhaupt  in  Abrede  gestellt'.  So  kann  die  äussere  Überein- 
stimmung einer  Kultstätte  wie  Delikli -tasch  mit  den  für  Tau- 
robolien erforderlichen  Anlagen  sehr  wol  ein  täuschender 
Zufall  sein,  und  so  lange  keine  Mittelglieder  die  Lücke  zwi- 
schen dem  VIL  oder  Vill.  Jahrhundert  vor,  und  dem  II. 
Jahrhundert  nach  Christi  Geburt  ausfüllen,  wird  man  aus  ihr 
für  das  Alter  des  naiven,  derb  sinnlichen  Kultbrauches  nichts 
folgern  dürfen.  Nur  die  Verwendung  von  Opfergruben  im 
Kult  der  GiUtermutter  können  wir  aus  den  Taurobolien  als 
allen  Brauch  erschliessen  und  in  der  That  wird  soeben  eine 
Opfergrube    in  dem  Kybeleheiligtum  hellenistischer  Zeit  in 


<  Revue  arch.  1S88,XII,  S.132  fT.,  Revue  de  phüolngie  1893  S.  19.5,  Pauly- 
Wissowa  I  S.  '?03l.  Cuinoiil  leitet  den  Ritus  aus  dem  Kult  der  persisehen 
Anallila  ab,  ohne  ganz  dutclisclilagende  Gründe  dafür  vorzubringen.  Die 
Anabila  wird  in  keiner  einzigen  Taurobolieniiisebrift  genannt,  nur  einmal 
CLL.  X  1596  die  Venus  Caelesla  [\],d:\^  ist  docii  bedenklicli.  Und  wie  kommt 
die  persiselie  Gütliii  des  berruelittiidcii  ilimmelswasserszu  den  elithonischen 
Opfergruben  V 


104  A.    KOEHTE 

Priene  bekannt '.  Möglicherweise  hat  der  Schacht  des  Denk- 
mals auch  noch  grausigere  Opfergaben  aufgenommen  als  das 
strömende  Blut  des  Opfertiers;  Herr  F.  Cumont  macht  mich 
auf  folgendes  Scholion  zu  Nikander  Alex.  8  aufmerksam  : 
Ao€pivY)(;  Ö3t>>(Z[jt.ai"  tottoi  iepoi,  ÜTröysioc,  äva/.siaevoi  T-(i  'Pea,  Öttou 
IxTeuvouLEvoi    Tot  ^.riSex   xaTexiOevTO    oi  xö  "Attei  y.ai  ty)  'Pea  Xa- 

Tp£U0VT6?  ". 

Es  ist  nicht  ausgeschlossen  ,  dass  der  religiöse  Charakter 
des  Denkmals  früher  noch  leichter  zu  erkennen  war  als  jetzt. 
An  der  Wand  der  Nische  ist  unter  dem  von  den  Schatzgräbern 
geschlagenen  Loch  ein  0,50'"  breiter,  rauher  und  etwas  er- 
habener Streifen  sichtbar,  und  noch  deutlicher  hebt  sich  auf 
dem  Boden  der  Nische  in  der  Mitte  eine  Erhöhung  von  0,06™ 
ab,  die  nach  vorn  0,45""  weit  zu  verfolgen  ist.  Es  ist  wol 
möglich,  dass  hier  ursprünglich  ein  Idol  der  Göttin  stand,  wie 
in  den  beiden  oben  (S.  94)  erwähnten  Nischen.  Der  Fels  bricht 
so  leicht  in  senkrechten  Flächen  —  auch  der  Wulst  über  der 
linken  Ecke  der  Nische  ist  ganz  glatt  abgesplittert — ,dass  die 
Absplitterung  des  ganzen  Idols  beim  Durchbrechen  des  Loches 
zum  Schacht  wol  denkbar  ist;  eine  andere  Erklärung  für  die 
unzweifelhaften  Erhebungen  des  Grundes  vermag  ich  wenig- 
stens nicht  zu  geben 

Ein  besonderes  Interesse  würde  Delikli  -  tasch  noch  bean- 
spruchen, wenn  Perrot  Becht  hätte  mit  der  Annahme  (S.  y"?  f.), 
dass  einige  seltsame  eingeritzte  Linien  l^este  einer  Inschrift  in 
vorgriechischen  'troischen  '  BuclisLaben  seien.  S(>ine  Abbildung 
57  giebt  ein  treues  Bild  von  diesen  Liniengruppen,  aber  ich 
zweifle,  ob  sie  wirklich  Schriftzeichen  sind.  Der  schmale  linke 
Innenpfeiler  der  Nischenumrahmung  wäre  ein  sehr  merk- 
würdiger Platz  für  eine  Weihinschrift,  und  die  Zeichen  haben 
in  ihrer  gegenseitigen  Stellung  etwas  so  Zufälliges,  dass  ich 
geneigt   bin,   sie   für    bedeutungslose    Kritzeleien    zu    halten. 


*  Aldi.  Anzeiger  1897  S.  182. 

2  Auf  dieselbe  Sache  gelil  wol  Hesyclis  Glosse  KüoeXa-  opr)  «l>puYi'a?  xal  4'v- 
xpa  xai  0  äXaii.0  1. 


KLEINASIATISCHE    STCDIEN.   III.  105 

Spuren  roter  Farbe,  die  Perrot  in  ihnen  wahrgenommen  hat, 
habe  ich  nicht  beobachtet.  In  Evans  sorgfältiger  Zusammen- 
stellung vorphönikischer  Schv'ikze'ichen  {Journal  of  Hellenic 
stiidies  XIV,  1894,  S.  •2;0  ff.  Taf.  1  )  findet  sich  kein  genau 
entsprechendes  Zeichen  ' ,  aber  die  Möglichkeit,  dass  die  Linien 
doch  Schriftzeichen  sind  und  mit  den  von  Evans  behandelten 
Zeichengruppen  zusammenhängen,  kann  ich  natürlich  nicht  in 
Abrede  stellen.  Auch  ohne  diese  Zeugen  besonders  hohen  Alters 
lässt  sich  Delikli-tasch  als  das  älteste  der  phrygischen  Fels- 
denkmäler erweisen;  Formen  und  Verhältnisse  sind  bei  ihm 
viel  unbeholfener, unentwickelter  als  bei  den  anderen  Fassaden 
und  die  plastischen  Verzierungen  der  grossen  Flächen  fehlen 
noch  ganz.  Um  so  mehr  Beachtung  verdient  es,  dass  dies  älteste 
Denkmal  von  einer  treuen  Nachahmung  bestimmter  Archi- 
tekturformen weiter  entfernt  ist,  als  irgend  ein  anderes;  deut- 
lich ausgeprägt  ist  nur  der  Eingang  in  den  Fels,  auf  den  es 
eben  vor  allem  ankommt. 

d.    Denkmal  von   Bakschisch. 

Auf  den  Delikli-tasch  lasse  ich  das  Denkmal  von  Bakschisch 
folgen,  das  ihm  zwar  zeitlich  ziemlich  fern  steht,  aber  in  der 
Anlage  wichtiue  Übereinstimmungen  zeigt.  Bei  diesem  zier- 
liehen  und  höchst  malerisch  am  Bergabhang  zwischen  schönen 
Bäumen  gelegenen  Monument  ist  in  der  That  die  W'irkung 
eines  Hausbaus  an2;estrebt ,  nicht  nur  die  Fassade  ist  aus- 
geliauen  ,  sondern  der  einzf^ln  vorsj)ringende  Felsblock  hat 
auch  seitlich  teilweise  glatte  Wände  erhalten,  und  selbst  das 
Giebeldach  ist  roh  angedeutet.  Aber  hinten  ist  der  Bau  von 
dem  gewachsenen  Felsen  nicht  gelöst,  er  geht  in  den  steilen 
Felsabhang  über,  dem  er  wie  ein  Propylon  vorgelagert  ist. 
Einen  ziemlich  grossen  Teil  der  3,40'"  breiten  Vorderseile"*' 
nimmt  die  etwa  1,50"'  breite  Nische  ein,  die  eine  grösste  Tiefe 


*  Sayces  Versuclie,  sie  mit  Iroischcn  Rpiiinwirleln  in  ZiisaniiiKMiliang  zu 
bringen  (hei  Sclilieniann,  Ilios  S.  769)  solieinen  mir  niclil  i;liicklii'li. 

2  Die  kleineren  Verliiiltiiisse  iles  Denkmals  halten  es  mit  i^ieh  gehraeht, 
dass  von  den  drei  Teilen  der  Fassade  des  Midasdenkinals  Seilenhorte.  K14- 


406  A.    KOERTE 

von  0.90™  besitzt.  Nach  Perrots  Grundriss  (Abb.  62)  und  Re- 
bers Beschreibung  (S.  578)  befindet  sicli  hinter  ihr  eineGrab- 
kammer.und  damit  Nväre  ja  Iroilich  dieFrai;e  nach  der  Bestim- 
muno; cles  Denkmals  entschieden,  aber  in  \N  irklichkeit  ist  der 
Hohlraum  keine  Kammer'  sondern  nur  ein  offener  Scliacht. 
Wie  beim  Delikli- lasch  ist  von  der  Nische  aus  in  unbestimm- 
barer Zeit  ein  Loch  zum  Schacht  durchgebrochen  ,  das  mir 
gestattete, wenigstens  mit  dem  Oberkörper  hindurch  zu  kriechen 
und  die  Bodentläche  des  Schachtes  zu  messen.  Während  die 
Abmessungen  der  Schachtmündung  1,19  zu  0,7 •2'"  betragen, 
misst  die  Sohle  1, 18  zu  0,68'",  die  roh  gearbeiteten  Wände  sind 
also  senkrecht  wie  bei  einem  Schornstein  von  oben  nach  un- 
ten geführt.  Üassein  Raum  von  1,18'"  Länge  und  0,68'"  Breite 
keine  Kammer  genannt  werden  kann,  und  für  einen  Toten 
nicht  gross  genug  ist,  leuchtet  ohne  weiteres  ein.  Mithin  ist 
bei  diesem  Denkmal  der  Schacht  ebenso  wie  beim  Delikli - 
tasch  als  Opfergrube  zu  erklären. 

Reber  hält  (S.  577)  das  Denkmal  von  Bakschisch  für  das 
jüngste  von  allen  und  das  kann  richtig  sein,  entschieden  wider- 
sprechen muss  ich  aber  seiner  Behauptung,  dass  an  ihm  per- 
sische Einflüsse  bemerkbar  seien.  Ks  finden  sich  nämlich  an 
allen  Ecken  der  Cassetten,  in  welche  die  Fassade  eingeteilt  ist, 
innen  und  aussen  runde  Scheiben  angesezt,  die  Reber  für  spira- 
ientörmige  Endungen  des  Cassettenrahmenwerks  erklärt  und 
ebenso  w  ie  die  dazwischen  quer  vor  die  Balken  gelegten  l^ollen 
oder  Polster  mit  den  Doppelspiralen  der  bekannten  jonisiren- 
den  Säulen  in  den  Palästen  von  Persepolis  und  Susa  in  Zu- 
samenhang  bringt^.  Diese  runden  Glieder  sind  aber  keine 
nachlässig  ausgeführten  Spiralen,  sondern  recht  sorgfältig  gear- 
beitete  Rundbalkenköpfe    mit  sauber  eingezeichnetem   Kreis, 


chenmuster  und  Nische  hier  das  Flächciinuister  fortp:pfallen  ist:  die  Borte 
schliesst  unmiUcIhar  an  die  Nische  an. 

*  Nach  Wilsons  hei  Perrol  wiedcrgcgchcncr  Skizze  wäre  sie  ein  liauni 
von  2,40  zu  ^Sö™  Grundfläche. 

2  Dieulaf«..v,  Carl  anli'jue  de  la  Pcrse  III  Fig.  105;  Stolze,  Pholographieen 
von  Persepolis  I  Taf.  67;  Perrol- Chipicz  V  Fig.  312. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III.  107 

der  wol  die  Jahresrino;e  oder  die  Scheidung  von  Rinde  und 
Ilolzkern  andeuten  soll.  Allerdinjijs  ist  der  äussere  Kreis  nir- 
gends ganz  von  der  Ecke  gelöst,  weil  das  sehr  mühsam  ge- 
wesen wäre,  aber  dass  die  Hollen  an  dem  F\ahmenwerk  nur 
anliegen,  nicht  aus  ihm  volutenarlig  herauswachsen,  das 
erkennt  man  mit  Sicherheit  bei  den  im  Giebel  zu  beiden 
Seilen  der  Firslstütze  angebrachten  Stücken  (s.  Fig.  6).    Das 


Fig.  6 

Glied  ist  demnach  als  Endi^uno;  eines  senkrecht  zur  Fassade 
liegenden  runden  Holzbalkens  aufzufassen,  wie  sie  an  lyki- 
schen  Grabmälern  so  häufig  vorkommen'.  Freilich  sind  diese 
Balken  köpfe  an  unserer  Fassade  nicht  wie  bei  den  lykischen 
mit  construclivem  V^orständniss  angebracht,  sondern  mit  jener 
spielenden  Willkür  gehäult.  die  ich  oben  (S.  90  f. )  als  Eigen- 
tümlichkeit der  phrygischen  Felsdenkmäler  zu  erweisen  suchte. 
Auch  die  quer  vorgelegten  Polster,  die  Reber  wol  zunächst 
auf  den  Gedankf^  an  persische  Säulen  gebracht  haben,  stam- 
men zweifellos  nicht  aus  l^ersien,  denn  sie  kommen  genau  so 
schon  am  Delikli  -  tasch  vor  (Perrot  Abb.  51,  52,  5'«,  55), 
und  dies  Denkmal  ist  sicher  älter  als  die  frühesten  Anfänge 
persischer  Kunst.  Es  wäre  ja  auch  ein  höchst  seltsamer  Vor- 
gang, wenn  die  persische  Umbildung  (vgl.  Dieulafby  a.a.O. 
S.  76f  )  des  jonischen  V'olutenkapitells  von  Persepolis  nach 


<  Tcxier,    Dcscnplion   dr  IWsir  mincurc  lU   Taf.  201.  2-27,3;    BiMimiorf, 
Reisen  I  Fiy.  t'i,  37,80;  I'errüt-Cliipioz  V  Fi^.  249,250,260,201,204,266. 


108  A.    KOERTE 

Phrygien  gewandert   und  hier  gänzlich   missverstanden  ange- 
wandt wäre. 

Ich  sehe  mithin  keinen  Grund,  das  Denkmal  in  die  Zeit  der 
Perserherrschaft  oder  gar  bis  ins  vierte  Jahrhundert  hinab  zu 
drücken.  Nur  seine  relative  Datirung  ist  möglich;  es  scheint 
ziemlich  am  Ende  der  echtphrygischen  Werke  zu  stehen. 

e.  Mal-tasch. 

Von  allen  phrygischen  Denkmälern  sind  wir  über  den  Mal- 
tasch  (Schatzstein)  am  schlechtesten  unterrichtet,  w^eil  er  das 
einzige  verschüttete  ist.  Sein  Entdecker  Hamsay  hat  zwar  1889 
einen  Ausgrabungsversuch  gemacht,  aber  er  konnte  nur  einen 
kleinen  Teil  freilegen  lassen,  und  die  wenigen  späteren  Be- 
sucher haben  zu  ihrem  lebhaften  Bedauern  sein  Werk  nicht 
fortsetzen  können.  Bekannt  ist  also  nur  der  Giebel,  der  oberste 
Streif  des  Flächenmusters  und  folgendes  Stück  einer  am  linken 
Rande  senkrecht  nach  unten  laufenden  Inschrift'  vaTtaei^ov  va. 
Das  sichtbare  Stück  der  Fassade  steht  dem  Midasdenkmal  und 
Arslan  -  kaja  sehr  nahe,  und  gern  würden  wir  Aufklärung 
haben  über  die  Bildung  ihres  unteren  Teiles.  Hinter  der  Fas- 
sade führt  wie  in  Bakschisch  und  beim  Delikli-tasch  ein  senk- 
rechter Schacht  von  1 ,50  zu  1,56"'  lichter  Weite  in  den  Felsen 
hinab.  Die  Grösse  dieser  Abmessungen  legt  hier  den  Gedan- 
ken an  ein  Grab  zunächst  nahe,  aber  natürlich  muss  dies  eine 
mangelhaft  bekannte  Denkmal  nach  den  übrigen  besser  er- 
forschten beurteilt  werden,  und  bei  genauerem  Zusehen  er- 
weisen sich  die  Massverhältnisse  des  Schachtes  für  ein  Grab 
keineswegs  passend.  Um  einen  Toten  hinabzusenken  braucht 
man  keinen  Schacht  von  1,50'"  Breite  auszuhauen,  dagegen 
wird   man   ihn   unbedingt  länger  machen  als  1,56™.  Also  ist 


*  Vgl.  Kretschmer,  Einleitung  S.  219.  Reber  S.  564;  in  dem  Jahr,  das 
zwisclicn  Hieiiieiii  und  Ilohers  Besuch  liegt,  ist  anscheinend  schon  wieder 
ein  Biiclislalic  der  vorlreIVlich  geschriehonen  nnd  gut  erhaltenen  Iiischrin 
zugcschwemnit  worden  ;  bald  wird  jede  Spur  von  lianisavs  Arbeit  ver- 
schwunden sein. 


KLEINASIATISCHE   STUDIEN.  III.  109 

auch  diese  Fassade  ebenso  zu  beurteilen  wie  die  beiden  an- 
dern mit  dahinter  liegendem  Schacht. 

f.  Kütschük-jasili  -  kaja. 

Eine  besondere  Stellung  nehmen  die  beiden  unweit  des 
Midasdenkmals  gelegenen  Fassaden  ein,  die  bei  den  Bauern 
Rütschük-jasili  -  kaja  (kleiner  Schriftfels)  und  Hassan -bey- 
kaja  (Fels  des  Hassan -bey)  heissen.  Diesen  beiden  fehlt  nicht 
nur  der  Schacht,  wie  dem  Midasdenkmal  und  dem  Arslan- 
kaja,  es  fehlt  ihnen  auch  anscheinend  die  Nische,  die  wir  bei 
allen  andern  Fassaden  mit  Ausnahme  des  verschütteten  Mal - 
tasch  feststellen  konnten.  Der  Kütschük  -  jasili  -  kaja  liegt  am 
Westrande  desselben  Plateaus  auf  dem  sich  das  Alidasdenk- 
mal befindet  ^  hoch  oben  am  Fels,  und  würde  gewiss  mehr 
Beachtung  gefunden  haben ,  wenn  sein  mächtiger  Nachbar 
nicht  immer  den  Liiwenanteil  von  Zeit  und  Aufmerksamkeit 
der  Reisenden  für  sicii  beansprucht  hätte.  Berggrens  Pho- 
tographie, nach  der  Bebers  Tafel  ö  und  unsere  Fig.  7  ange- 
fertigt sind,  ist  in  diesem  Falle  ganz  besonders  wertvoll,  weil 
die  älteren  Abbildungen,  auch  die  bei  Perrot  (Fig.  59)  in 
wichtigen  Punkten  ungenau  sind.  Unterhalb  des  Giebels,  des- 
sen getreu  nachgebildete  Speicherluken  ich  bereits  oben  S.  89 
erwähnte,  folgt  zunächst  ein  Streifen  mit  Lotosknospen  und 
Palmetten,  dann  die  Einfassungsborte  des  leeren,  ein  wenig 
vertieften  Hauptfeldes.  Sie  ist  ähnlich  wie  bei  dem  Denkmal 
von  Bakschisch  in  Quadrate  geteilt,  die  mit  über  Eck  gestell- 
ten Vierecken  gefüllt  sind  2.  Beber  hat  nun   die  bisher  unbe- 


^  Auf  liaiiisays  Plaiules  ganzen  Plateaus  Jourtial  of  Hell,  sludies  IX, \S8S, 
S.375  Fig.  11  lelilt  dies  Denkmal  leider:  .sein  Platz  wäre  zwischen  </ate  6' und 
gale  E,  wie  Rainsay  selbst  iiaelitriiglicli  bemerkt  hat  Uuurnal  uf  Hell,  studies 
X,  1889,  S.1Ü4).  Das  Studium  der  wertvollen  Arbeilen  des  hervorragenden 
Forschers  wird  leider  recht  olt  durch  die  Verwirrung  erschwert, die  boshafte 
Kobolde  in  seinen  Skizzen  und  Manuscripten  anzurichten  lieben. 

2  Ich  habe  gleich  allen  l'rühereu  Heisenden  Spuren  dieses  Musters  auch 
an  den  horizontalen  Seitenburtcn  zu  sehen  geglaubt,  wie  ich  gegen  Reber 
S.  568  hervorheben  luöehtc. 


110 


A.    KOERTE 


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Fig.  7 


kLEINASlATISCHE    STUDIEN.    III.  Hi 

merkte  Thatsache  festgestellt,  dass  die  Fassade  unvollendet  ge- 
bliehen ist.  Die  geringe  flöhe  des  Hauptfeldes  gegenüber  seiner 
bedeutenden   Breite   und  der  Grösse  des  Giebels  weicht   von 
den  hei  allen  andern  Denkmälern   beobachteten  Verhältnissen 
so  auffällig  ab.  dass  sie  unmöglich  von  vornherein  beabsichtigt 
sein  konnte'.  Man  möchte,  wenn  man  das  Denkmal  ansieht, 
den  unteren  Teil  der  Fassade   aus  der  Erde  graben,  aber  der 
gewaclisene  F'els  schliesst  unmittelbar  an  den  jetzigen  Unter- 
rand an.  l\eher  hat  auch  eine  Vermutung  über  den  Grund  der 
NichtVollendung,    Das  Midasdenkmal  ist  nach   ihm  das  Grab 
des  bei  Herodot  1,  35  genannten  letzten  Königs  dieses  Namens 
und  dessen  Sohn  Gordios,  der  Vater  des  Adrastos,  war  gerade 
dabei   sich  ein  nicht   weniger  schönes  Grabmal  zu  errichten, 
als  die  Perser  Ivroisos  Reich  zerstörten   und  damit  auch    der 
Herrschaft  des  lydischen  Vasallen  Gordios  ein  Ende  machten; 
im  Jahre  5iö  wurde  also  die  Arbeit  an  dem  Denkmal  abge- 
brochen. Diese  llvpothese  überhebt  lieber  der  unangenehmen 
.Notwendigkeit   bei  diesem   Denkmal,    das  Niemand    für  ver- 
schüttet halten  kann,  einen  Platz  für  die  Leiche  ausfindig  zu 
maclien,  aber  Hebers  eigene  Tafel   und  unsere  Fig.  7  lehren, 
dass  er  den  Sacli verhalt  falsch  aufgefasst  hat.   Freilich,  die 
Fassade  wurde  nicht  so  ausgeführt,  wie  sie  geplant  war,  sei  es 
dass  der  1^'els  unten  zu  stark  vorsprang  und  seine  Abarbeitung 
mehr  Mühe   verursachte,    als    man    berechnet   hatte,    sei  es 
dass  ein  Sprung  im  Gestein  die  Vollendung  störte,  aber  mim 
hat  sich  doch  geholfen   und  das  schöne  Werk  nicht  unbenutzt 
gelassen.    Etwa   zwei   Meter  unter  der  linken  Ecke  der  Fas- 
sade an  einer  Stelle  des  Felsens, die  bei  regelrechter  Ausführung 
des  Denkmals   hätte  fortgesprengt  werden   müssen,    ist 
das  Gestein  geglättet   und   eine  einfache   Nische   mit   Giebel, 
Firststülze  und  geschwungenem  Akroter  in  den  Fels  gehauen. 
Diese  kleine  Anlage  scheinen  bisher  alle  Heisenden  übersehen 


'  Die  älteren  Zeielincr  setzen,  wo!  unbewusst,  die  Fläche  nach  unten  so 
weil  fort,  dass  sie  den  Proportionen  der  andern  F'assadeii  entsprielit;  selbst 
Ranisays  kritischem  Auge  scheint  dieser  Fehler  in  Perrols  Abbildung  ent- 
gangen zu  sein. 


W'!  A.  koErte 

zu  haben ;  auch  ich  liabe  sie  nicht  bei  dem  mehrmaligen  Be- 
such der  Stätte,  sondern  erst  auf  Herggrens  Photographie  ent- 
deckt. Zufällig  hat  sich  der  Arbeiter  mit  der  Messlatte  ge- 
rade vor  die  Nische  gestellt;  dadurch  wurde  ich  auf  die  Stelle 
aufmerksam  und  konnte  dann  auf  meinen  eigenen  Aufnahmen 
sowie  auf  solchen  des  Herrn  Major  von  Diest  noch  Einzelhei- 
ten besser  feststellen.  Natürlich  ersetzen  diese  Beobachtungen 
an  Photographien,  die  Pig.  7  verwertet  sind,  nicht  die  Be- 
sichtigung des  Denkmals  selbst,  aber  die  Hauptsachen  lassen 
sich  doch  ermitteln.  Die  Nische  war  mit  Giebel  und  Akroter 
rund  3'"  hoch,  der  Giebel  2'"  breit,  die  eigentliche  Nische 
wenig  mehr  als  0,50'"  breit  und  von  geringer  Tiefe;  der  linke 
Flügel  des  Akroters  und  ungefähr  ein  Drittel  des  Giebels  sind 
jetzt  abgesplittert,  Giebelbalken,  Firststütze  und  Akroter  sind 
verhältnissmässig  dick.  Die  ganze  Anlage  ist  sehr  einfach  und 
schmucklos.  Da  die  kleine  Nische  und  die  grosse  Fassade  bei 
regelrechter  Durchführung  nebeneinander  nicht  hätten  bestehen 
können,  sind  zur  Erklärung  des  jetzigen  Zustandes  zwei  Mög- 
lichkeiten gegeben.  Entweder  war  die  Nische  älter  und  die 
grosse  Fassade  sollte  sie  ersetzen,  bei  der  Ausführung  stellten 
sich  aber  Bedenken  ein,  die  alte  Ivultstätte  zu  zerstören  und 
so  Hess  man  lieber  die  neue  Fassade  unvollendet,  oder  aber 
die  kleine  Nische  wurde  nachträglich  hart  unter  die  grosse 
Fassade  gesetzt,  als  deren  Vollendung  aus  irgend  welchen 
Gründen  aufgegeben  wurde.  Ich  halte  die  zweite  Möglichkeit 
für  ungleich  wahrscheinlicher,  denn  im  ersten  Fall  hätte  man 
die  Fassade  ohne  Gefährdung  der  Nische  noch  reichlich  einen 
Meter  weiter  nach  unten  ausführen  können.  Die  Schmucklosig- 
keit der  Nische,  die  man  als  Zeichen  höheren  Alters  ansehen 
könnte,  erklärt  sich  auch,  wenn  sie  ein  nachträglich  hinzu- 
gefügter Notbehelf  war ;  reichen  Schmuck  hatte  man  oben  an 
der  Fassade  genugsam  angebracht,  jetzt  kam  es  nur  noch  dar- 
auf an,  die  dort  fehlende  Kullnische,  den  Einuanüf  in  den  Fei- 
sen  anzudeuten.  An  sich  wäre  freilich  die  Nische  gross  genug 
für  eine  kleine  selbständige  Kultstätte;  wir  haben  mehrere 
Beispiele  entsprechender  Anlage  von  etwa  der  gleichen  Grösse; 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III. 


113 


Zu  den  beiden  mit  Kybele-Idolen  ausgestatteten  Nischen  in  der 
Umgegend  von  Liyen  (s.S  94 )  kommt  die  oben  S.88  beschrie- 
bene und  teilweise  abgebildete  Nische  mit  den  Kachelmustern 
an  den  Innenwänden,  und  für  höchst  wahrscheinlich  halte  ich 
es,  dass  die  von  Heber  S.  575  Fig.  6.  B  abgebildete  Anlage 
nicht,  wie  er  meint,  ein  Kindergrab,  sondern  gleichfalls  eine 
bildlose  Rultnische  ist'.  Von  besonderer  Wichtigkeit  für  das 
Verhältniss  dieser  kleinen  Nischen  zu  den  grossen  Fassaden 
ist  endlich  ein  kleines  Denkmal,  das  ich  ziemlich  weit  nörd- 
lich von  dem  eigentlichen  Gebiet  der  Felsdenkmäler  im  Por- 
sukthale  fand;  seine  Lage  werde  ich  S.  1  i^  bei  Besprechung 
eines  grossen  benachbarten  Grabes (o-) genauer  bezeichnen.  Lei- 
der ist  die  skulpirte  Schicht  der  geglätteten  Felswand  vielfach 
abgesprungen   und  nur  der  beistehend   in  Fig.  8  abgebildete 


Fig.  8 
Rest  des  Denkmals  erhalten.  Man  erkennt  einen  steilen  Giebel, 


'  Reltor  hat  dies  mir  unhekannlc  Monuinoiit  'Iiocli  oben  am  östlichen 
Steilrand  der  Akiopolis  von  Jasili-kaja'  nur  aus  der  Entfernung  zeieiinon 
können;  seine  AMiildunj;  slininit  mit  der  Er.satznisclie  des  Kütscliük  -  ja- 
sili-kaja aulVallend  überein. 

ATHEN.   MITTHEILUNGEN   XXIII.  8 


114  A.   KOERTE 

dessen  beide  untere  Ecken  fehlen,  und  darüber  das  charakteri- 
stisclie  rundgebogene  Akroterion, weiter  eine  breite  Firslstütze, 
in  die  längliche  Vierecke  abwechselnd  rechts  und  links  von 
der  Balkenmitte  eingeschnitten  sind,  und  unter  dem  Giebel- 
balken wird  gerade  noch  der  Rest  eines  ähnlichen  geometri- 
schen Muslers  sichtbar.  Etwa  0,50'"  tiefer  ist  eine  rund  0,60™ 
breite.  0,40'°  hohe  Nische  von  höchstens  0,8ü'°  Tiefe  in  den 
Fels  gehauen  '.  Trotz  seiner  Kleinheit  und  Dürftigkeit  —  der 
Giebel  wird  etwa  1,50'"  breit  gewesen  sein  —  ist  dies  Denk- 
mal otYenbar  eine  Nachahmung  der  grossen  Felslassaden,  mit 
denen  es  die  Ausgestaltung  des  Giebels  und  die  geometrischen 
Verzierungen  gemein  hat.  Die  Nische  hat  hier  ihre  Thürform 
verloren,  möglicherweise  erfüllte  sie  zugleich  den  Zweck  des 
Schachtes  und  diente  zur  Aufnahme  kleiner  Weihgaben.  Dass 
die  kleine  offene  Nische  keine  Grabstätte  sein  kann,  ist  ohne 
weiteres  klar,  und  um  so  vveitvoller  ist  ihre  Verwandtschaft 
mit  den  grossen  Fassaden   für  deren   Beurteilung. 

Bevor  ich  die  Besprechung  des  Kütschük-jasili-kaja  schliesse, 
muss  ich  noch  auf  den  Ornamentstreifen  unter  dem  Giebel  ein- 
gehen. Perrot,  der  Fig.  12«  nach  einer  ramsayschen  Skizze 
eine  im  Ganzen  treue  Abbildung  ^  des  Ornamentes  giebt,  hält 
(S.  1  92)  die  Bestandteile  für  Eicheln  und  Eichenblätter  und  ver- 


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Fig.  9 

mutet,  der  phrygische  Künstler  habe  vom  Osten  her  das  Motiv 
der  ivOtosknospp  und  Palmelte  übernommen, aber  an  die  Stelle 

'  Auf  der  AbhildiiiiK  erscliciiil  sie  zu  dunkel  und  darum  zu  lief. 
2  Fig.  9  wiedeiliidl  diese  Aljhildunjj  in  verseliiedencn  Punkten  nach  den 
Pliotograpliien  und  meinen  Notizen  bericbligt. 


KLEINASIATISCHE   STUDIEN.  III.  115 

der  fremdartigen  Pflanzen  Frucht  und  Blatt  eines  heimischen 
Baums  gesetzt.  Reber,  der  die  Teile  Palmetten  und  Knospen 
nennt,  meint  (S.  .068)  der  Fries  lasse  erkennen,  'dass  die  hel- 
lenische Umbildung  des  orientalischen  Motives  den  Phrygern 
bekannt  geworden  sein  musste' —  aber  wir  können  weiter  ge- 
hen ;  das  Ornament  ist  hellenischer  Besitz,  eine  treue  Nach- 
ahmung ostgriechischer  Vorbilder.  Wenn  ich  auch  kein  hel- 
lenisches Kunstwerk  anführen  kann, dessen  Ornament  sich  mit 
dem  Fries  vijllig  deckt,  so  lassen  sich  doch  alle  seine  charak- 
teristischen Eigentümlichkeiten  im  ostgriechischen  Kunstkreise 
nachweisen.  Üie  Verbindung  von  Lotos  und  Palmette  durch 
Ranken,  die  aus  dem  Kelch  des  Lotos  herauswachsen  und  auf 
ihren  Spiralen  die  Palmette  tragen,  kehrt  auf  fas^t  allen  cäre- 
taner  Hydrien  wieder',  nur  steht  bei  den  mir  bekannten 
Exemplaren  eine  Lotosblüte  an  Stelle  der  Knospe  und  die  ein- 
zelnen Blätter  der  Palmette  sind  von  einander  gelöst  ^.  Es 
genügt,  geschwungene  Seitenblälter  an  die  Knospen  des  phry- 
gischen  Ornaments  anzufügen,  um  es  dem  Fig.  10  abgebilde- 


FiG.  10 


ten  Palmettenstreifen  der  cäretaner  Hydria  in  Wien  (Masner, 
Sammlung  antiker  Vasen   im  Österreich.    Museum    Nr.   -218 


<  Dümniler,  Rom.  Mittlieilimgen  III  S.  IfififT.  ;  Pottier  B.  C.  H.  XVI 
S.  254  11'.,  Löschcke,  Allioii.  Miltlieiliinpeii  XIX  S.  5U"i  Anni.  Die  oslgrie- 
cliisclie  Herkunft  dieser  Vasenklasse  leugnet  jetzt  wol  Niemand  mehr, wenn 
der  Fabriealionsort  aucli  noch  nicht  fest  steht. 

2  Noch  etwas  freier  aber  sonst  üliereinstimmend  sind  die  PalnuMlen  und 
Blüten  auf  dem  von  Polticr  //.  C.  //.  XVI  S.  247  Kig.  3  abi;el»ildeten  Bruch- 
stück eines  klazonicnischcn  Öarkophages. 


116 


A.   KOERTE 


Taf.  2)  nahezu  gleich  zu  machen.  Die  Bildung  der  Knospe 
mit  den  gesciiwungenen  Relchhiättern  und  der  Teilung  durch 
einen  Mittelstricli  findet  sicli  ganz  ähnlich  auf  dem  Bronze- 
beschlag von  Bomarzo  (Antike  Denkmäler  1  Taf.  21,5)  sowie 
auf  vielen  rhodischen  Vasen  (z.  B.  Salzmann,  Necropole  de 
Camiros  Taf.  32.  37),  und  die  Fächerform  der  Palmette  ist 
älteren  ostgriechischen  Denkmälern  ganz  geläufig.  Auf  den 
neuerdings  von  Savignoni  [Monumenti  dei  Lincei  W\  S, 
277  ff.)  in  musterhafter  Beweisführung  als  jonisch  erwiesenen 
Stabdreifüssen  kommt  ein  dem  phrygischen  sehr  ähnliches 
Ornament  vor,  nur  sind  die  Lolosknospen  zwischen  den  Pal- 
metten zu  Eicheln  geworden.  Wie  leicht  die  Knospe   in  die 


Fig.  H 

Eichelform  übergeht,  lehrt  sehr  gut  eine  in  Caere  gefundene 
architektonische  Terakotte  des  Berliner  Museums,  die  wie  eine 
schlechte  Nachahmung  des  phrygischen  Frieses  aussieht.  In 
Fig.  11  ist  sie  mit  der  freundlichen  Genehmigung  der  Mu- 
seumsverwaltung abgebildet,  liier  gleichen  einige  der  läng- 
lichen Gebilde  zwischen  den  ganz  verwahrlosten  Palmetten 
Eicheln,  andere  wieder  sind  sicherlich  Knospen.  Dieseetruski- 
sche  Terrakotte  ist  von  den  ostgriechischen  Vorbildern  genau 
so  abhängig  wie  der  phrygische  Fries,  der  mit  geringem  Ge- 
schick in  die  nationale  geometrische  Dekoration  eingefügt  ist. 

g.   Hassan  -  bey  -  kaja. 


Der  Fels  des  Hassan-  bey,  der  2""°  nördlich  des  Midasdenk- 
mals  am  Wege  nach  Tschukurdscha  liegt,  gleicht  dem  eben 
besprochenen  Denkmal  sehr, aber  seine  Breite  (3,80'")  ist  nur 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  It7 

etwa  halb  so  gross  als  die  des  Kütscbük  -  jasili  -  kaja.  Die 
Giebel  beider  Fassaden  sind  ganz  gleich,  auch  die  Seitenborlen 
des  Hauptfeldes  stimmen  genau  überein,  nur  ist  das  Muster 
an  der  rechten  Seite  des  Hassan  -  bey  -  kaja  zweimal  neben  ein- 
ander gesetzt*,  und  die  Stelle  des  Palmeltenfrieses  vertritt  ein 
Inschriflstreifen.  Das  Hauptfeld  ist  völlig  leer,  eine  viereckige 
Einarbeitung  dicht  unter  der  Mitte  der  oberen  Borte  scheint 
mir  alt,  ich  vermag  aber  ihren  Zweck  nicht  anzugeben.  Da 
man  an  der  fertigen  Ausführung  des  Denkmals  nicht  zweifeln 
kann,  ist  das  Fehlen  der  Nische  sehr  auffallend  ;  ich  halte  es 
für  möglich,  dass  sie  durch  Bemalung  auf  dem  Hauptfelde 
angedeutet  war.  Das  Denkmal  unterscheidet  sich  von  allen 
andern  auch  dadurch,  dass  die  Fassade  durch  einen  gegen  3'° 
hohen  ^  glatten  Sockel  vom  Boden  getrennt  ist.  vor  ihm  tritt  der 
gewachsene  Fels  zu  Tage  und  somit  ist  auch  hier  das  \'or- 
handensein  eines  mit  der  Fassade  irgendwie  zusammen  hän- 
genden Grabes  ausgeschlossen. 

Nicht  ins  Gewicht  fallen  diesem  Befunde  gegenüber  alle 
Deutungsversuche  der  langen  Inschrift,  die  rechtsläufig  auf 
dem  Balken  unter  dem  Giebel  beginnt,  dann  linksläufig  hart 
über  dem  Giebel  weitergeht,  und  endlich  in  doppelter  Windung 
auf  dem  rohen  Fels  über  dem  Denkmal  fortgeführt  ist  (Nr.  8 
und  7  bei  Hamsay)  Fpsx'jv  Tsya-oC  C^^T'jT'jxaC  ae-^svoC  axevavo- 
XaFo;  ^  ae^  u.a.T£pav  ap£^a'7Tiv  ^ovo/.  ay.£vxvoXaFo[;l  ^oascaiT  u.a- 
TepsC,  eF6T6)t(jeTi^  oFsFiv  ovoL/.a.v  'Xatj'ET  'ky.'/.syox.i^  FcvaFTuv  aFra^ 
(AaT6peJ[.  Diese  Inschrift  ist  als  Ganzes  noch  durchaus  unver- 


*  Auf  der  linken  Seite  war  der  äussere  Streifen  vielleiclit  mit  demselben 
Musler  bemalt,  skulpirt  war  er  nicbt.  wie  icb  gegen  Rel)er  S.  570  Itemerke, 
vgl.  Ilamsay,  Journal  of  HeUenic  slitdies  X  S.  16"2. 

2  Wie  lieber  aucli  hier  wieder  sagen  kann  (S.570)  'Scliuttaufböbuni;  un- 
bestimmbar' begreife  icb  nicht;  seino  eigene  Tafel  7  h'hit,  dass  auch  iiichl 
eine  Fingerbreite  des  Sdckels  verschüttet  ist. 

3  Die  punktirlen  Buchstaben  gebe  ich  nach  Ramsay  (Bezzenbergers  Bei- 
träge XIV  S.  30'J),  sie  sind  möglich  aber  unsicher. 

*  Das  Sigma  in  Akenanolavos  ist  sicher,  wie  ich  gegen  Ramsay  bervor- 
bebe. 


H8  A.    KOERTE 

Ständlich;  festzustehen  scheint  mir  nur,  dass  Arezastis  das 
Weib  des  Akenanolas  und  die  Mutter  des  Vrekys  war, dagegen 
halte  ich  es  keineswegs  für  sicher,  dass  der  Sohn  ihr  dies 
Denkmal  errichtet  hat*.  Es  liisst  sich  ja  nicht  einmal  bewei- 
sen, dass  FpsKuv  Nominativ  ist;  ich  halte  es  für  mindestens 
ebenso  möglich,  dass  der  Name  gleichfalls  im  Accusativ  steht 
und  der  Sinn  der  Inschrift  etwa  ist:  den  Vrekys  und  seine 
Mutter  Arezastis  soll  schützen  die  Huld  der  Mutter  vom 
Berge  usw.  Auch  die  neben  der  rechten  Seitenborte  herab- 
laufende und  über  dem  Sockel  nach  links  einbiegende  In- 
schrift, die  man  dem  Steinmetz  zuteilen  möchte  (Nr.  9  Ram- 
say)  aravi^Ev  Kup^ave^ov  xavs^epTo^  klärt  uns  nicht  auf.  Über 
die  Inschriften  des  ganzen  Denkmals  kann  man  viel  vermu- 
ten, aber  fast  nichts  beweisen;  darum  ist  es  methodisch  falsch, 
gerade  diese  Fassade  als  Schlüssel  für  das  Verstandniss  der 
anderen  benutzen  zu  wollen. 

Sollte  aber  wirklich  Vrekys  das  Denkmal  zu  Ehren  seiner 
Mutter  Arezastis  haben  ausführen  lassen,  so  wäre  in  der  That 
diesmal  die  Tote  vereint  mit  der  Göttin  gedacht  und  mit  einem 
Kultplatz  geehrt  worden, wie  er  der  Göttermutter  zusteht.  Dass 
eine  solche  Verbindung  zu  dem,  was  wir  aus  späterer  Zeit 
von  dem  phrygischen  Volksglauben  wissen,  durchaus  passt, 
gestehe  ich  Hamsay  gern  zu  (vgl.  oben  S.  95).  Dies  ändert 
aber  nichts  an  der  Thatsache,  dass  die  eigenartige  kunstform 
der  prächtigen  Felsfassade  für  den  Kult  der  Gottermutter  er- 
funden ist  und  mit  der  Toten bestattu ng  nichts  zu  thun  hat. 

Neben  den  grossen  Fassaden  mit  ihren  Nischen,  die  den 
Eingang  zu  dem  Sitze  der  Göttermutter  drinnen  im  Berg 
schmücken, giebt  es  in  Phrygien  aus  derselben  Zeit  noch  andere 
Stätten  d(^rGoltesverehrung, nämlich  unbedachte  Felsaltäre  mit 
vorgelagerten  Stufen.  Bamsay,  der  zuletzt  Journal  of  Hel- 
leriic  studies  X  S.  167  f.  Fig.  20-24  solche  am  Felsplateau 


'  Man  würrlo  in  diesem  Falle  den  Namen  der  Müller  eher  im  Daliv  als  im 
Accusaliv  erwarten. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III.  119 

des  MidasfJenkmals  gelegene  Altäre  sehr  ausführlich  behandelt 
hat^  verkennt  meines  Eraehtens  die  ihnen  zu  Grunde  liegende 
religiöse  Vorstellung.  Er  sieht  unter  Zustimmung  Perrots  den 
Gegenstand  der  Anbetung  in  dicken  oben  abgerundeten  Stein- 
tafeln, die  sich  auf  der  obersten  Stufe  zweier  Altäre  erheben 
und  bei  den  andern  anscheinend  zu  ergänzen  sind.  Der  Name 
ßaiTuXoi,  den  er  ihnen  beilegt,  kommt  aber  nur  rohen,  vom 
Himmel  gefallenen  Meteorsteinen  wie  z.B.  dem  pessinuntischen 
Kybelestein  zu  (vgl.  Tümpels  Artikel  Baitylia  in  Pauly-Wis- 
sowas  Real  -  Encyclopädie  II  S.  '2779  ff.),  zudem  ist  bei  dem 
grössten  und  best  erhaltenen  Exemplar  ( Ramsay  Fig.  23; 
Perrot -Chipiez  Fig.  106;  Reber  Fig.  9)  dieser  oben  abge- 
rundete Pfeiler  aus  dem  Felsen  selbst  gehauen,  also  ein  in- 
tegrirender  Restandteil  des  .\ltars,  kein  darauf  gestellter  Fe- 
tisch. Die  richtige  Deutung  dieser  Anlagen  hat  bereits  Sarre 
anlässlich  der  Besprechung  eines  verwandten,  von  ihm  in  der 
lykaonischen  Salzwüste  entdeckten  Denkmals  gegeben  (Reise 
in  Rleinasien  S.  104,  Arch.  Epigr.  iMittheilungen  XIX  S.  34); 
es  sind  Throne  für  die  unsichtbare  Gottheit  und  die  oben  ge- 
rundete Steinplatte  ist  die  Rückenlehne,  die  man  je  nach  Be- 
lieben aus  dem  Felsen  selbst  herausmeisselte,  oder  gesondert 
auf  der  Sitzdäche  anbrachte.  Wie  ausserordentlich  verbreitet 
der  Throncultus  seit  den  ältesten  Zeiten  in  Hellas  und  vor  al- 
lem in  Asien  war,  und  wie  zäh  er  sich  behauptet  hat,  lehren 
Reicheis  vortreffliche  Untersuchungen  über  diese  Kultlorm 
(Vorhellenische  Gölterculte, Kapitel  1 ).  Der  Thron  ist  dem  un- 
sichtbaren Gott  als  Sitz  bereitet,  und  wenn  eine  jüngere,  am 
ikonischen  Kult  hängende  Zeit  ein  Bild  der  Gottheit  dabei  zu 
sehen  wünscht,  dann  stellt  sie  wol  eine  Bildsäule  auf  den  Sitz 
(Reichel  S.  13ff. ),  aber  schwerlich  hat  man  je  die  Umrisse 
einer  Gülterfiiiur  auf  die  Rücklehnc  des  Throns  sreritzt.  Ich 
verma«];  daher  die  Bo^enlinieii  aul  der  Rückwand  des  erwähn- 
ten  Throns,  die  nach  aussen  in  rohe  Spiralen  auslaufen,  nicht 


*  Vgl.  auch  Ramsay,  Journal  of  Hellenic  slwlies  III,  1882,  S.  12  (T.  Fig.  4 
Taf. '21,«;  Perrol-Cliipiez  S.  l'iO  IT.  Fig.  lOl-lUti.   Reber  S.  58-2  11".  Fig.  8,  9. 


120  A.    KOERTE 

mit  Ramsay,  Perrot  und  Reber  für  Götterbilder  zu  halten  *, 
sondern  sehe  in  ilinen  nur  eine  einfache  Verzierung  der 
Lehne'.  Höchstens  könnte  der  doppeke  Bo^^en  andeuten,  dass 
der  Thron  als  Doppelsitz  gedacht  ist  wie  der  durch  Hiller  von 
Gärtringen  auf  Chalke  bei  Rhodos  entdeckte  Doppelthron  des 
Zeus  und  der  Hekate  (Arch.  Epigr.  Mittheilungen  XVll  S,  3 
Fig.  2),  aber  nötig  ist  diese  Annahme  keineswegs. 

Die  Throne  sind  von  Haus  aus  nur  für  Himmelsgötter  be- 
stimmt ;  überzeugend  führt  Reichel  a.  a.  0.  S.  35  folgende  Ent- 
wiekelungsstufen  auf:  natürlicher  Berg  als  natürlicher  Götter- 
thron, natürlicher  Berg  mit  künstlichem  Thron,  künstlicher 
Berg  mit  künstlichem  Thron,  künstlicher  Thron.  So  werden 
auch  die  Throne  am  Felsplateau  von  Jasili-kaja  einem  phry- 
gischen  Himmelsgotte  gelten.  Es  scheint  aber,  dass  man  in 
Phrygien  auch  der  Göttermutter  Throne  errichtet  hat,  und  dass 
diese  dann  folgerichtis:  nicht  auf  dem  Fels  sondern  in  ihm 
standen.  Ramsay  hat  im  Journal  of  the  Royal  Asiatic  so- 
cietT/ XV  Taf.  3  ein  seltsames  Denkmal  veröffentlicht,  das 
dem  grossen  Löwengrabe  gegenüber  liegt:  In  den  Felsen  ist 
eine  ziemlich  flache,  fast  5'°  breite,  1,60-2,00™  hohe  Nische 
ohne  jeglichen  architektonischen  Schmuck  und  von  nicht  ganz 
regelmässiger  Form  gehauen,  und  etwa  in  ihrer  Mitte  befinden 
sich  vor  der  Nischen  wand  drei  bis  vier  1'°  breite,  stark  zer- 
störte Stufen,  die  kaum  etwas  anderes  gewesen  sein  können  als 
ein  Sitz  für  die  Göttin.  Dass  diese  Nische  der  Göttermutter 
geweiht  war,  lehren  die  ersten  Worte  einer  gerade  über  den 
Stufen  an  der  Nischenwand  angebrachten  Inschrift  Marap  Ku- 
^'.lil^.  Diese  eigentümliche  Verbindung  von  Götterthron  und 


'  Dass  Reber  S.  584  in  den  beiden  Kreisen  sogar  zwei  im  Profil  einan- 
der zugekehrte  Gesichter  erliennt,  ist  eine  erstaunliche  Leistung  der  Phan- 
tasie. 

2  Ich  bemerke  noch  gegen  Perrot  und  Reber,  dass  kein  Grund  vorliegt, 
die  rechte  Seite  des  Denkmals  für  zerstört  zu  hallen;  die  Stufen  schneiden 
rechts  von  dem  Thronsitz  gradlinig  ab,  ein  dem  linken  entsprechender 
rechter  Flügel  war  also  nie  vorhanden. 

3  Den  letzten  Buchslaben  habe  ich  C  gelesen  und  das  scheinen  Abklatsch 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III.  <24 

Felsnische  steht,  so  viel  ich  sehe,  bisher  allein  da,  aber  der 
Einfluss  des  Throns  ist  vielleichl  auch  in  den  Fällen  anzu- 
nehmen, wo  einer  Kultnische  der  Göttermutter  Stufen  vorge- 
lagert sind  wie  bei  Delikli-tasch  und  dem  kleinen  von  Reber 
entdeckten  Denkmal  (S.  585  Fig.  10);  auch  vor  der  Nische  des 
Midasdenkmals  glaubte  ich  Reste  von  Stufen  zu  erkennen. 

B.   Die  Felsgräber. 

Die  Zahl  der  altphrygischen  Felsgräber  ist  nach  Abzug  al- 
ler mit  Unrecht  dazu  gerechneten  Denkmäler  ziemlich  klein; 
mir  sind  nur  folgende  grössere  Grabanlagen  bekannt : 

a)  Das  zertrümmerte  Löwengrab  bei  Hairan-veli.  Abgeb. 
Taf.  3;  Ramsay,  Journal  of  Hellenic  studies  ill,  1882, 
Taf.  18.  19  Fig.  6,  7;  IX,  1888,  S.  354  ff.  Fig.  1-9;  Per- 
rot-Chipiez  Fig.  65-71,  117-122;  Reber  Taf.  2  Fig.  2. 

b)  Arslan-tasch  (Löwenstein)  in  unmittelbarer  Nähe  des 
vorigen.  Abgeb.  Ramsay,  Journal  of  Hellenic  studies  III, 
1882,  Taf.  17;  IX,  1888,  Fig.  10;  Perrot -Chipiez  Fig.  64; 
Reber  Taf.  1 . 

c)  Grab  am  Ostabhang  des  Plateaus  von  Japuldak.  Abgeb. 
Ramsay,  Journal  of  Hellenic  studies  lII,  1882,  Taf.  28,  4; 
IX,  1888,  Fig.  27;  Perrot- Chipiez  Fig.  75;  Reber  Fig.  3 
und  4. 

d)  Grab  links  neben  dem  Midasdenkmal  mit  besonders  sorg- 
fältig ausgestaltetem  Innern.  Abgeb.  Texier,  Description  de 
VAsie  mineure  Taf.  57.  Perrot- Chipiez  Fig.  123-126. 

e)  Kleines  Grab  am  Abhang  von  Pischmisch-kaleh.  Abgeb. 
Perrot,  Exploration  S.  146;  Perrot -Chipiez  Fig.  72-74. 

f)  Hamam-kaja  bei  Tschukurdscha.  Abgeb.  Ramsay, /o«r- 
nal  of  Hellenic  studies  X,  1889,  S.  165  Fig.  18. 


und  Photographie  zu  bestätif^'cn,  Ramsay  liest  neuerciings  Journal  of  Hel- 
lenic studies  IX  S.  371  Ku6iX£  Ilaifap,  schwerlich  mit  Rocht;  den  Schluss 
der  stark  zerstörten  Inschrift  las  ich  gleicii  ihm  to^sv.  Unverständlich  m 
piir,  wie  er  auch  dies  Denkmal  für  sepulcral  halten  kann. 


122  A.   KOERTE 

g)  Grössere  Grabanlage  im  Porsukthal  nahe  bei  Köktsehe- 
kissik.  Abgeb.  Fig.  13-15;  Reber  Fig.  11. 

Unter  diesen  nimmt  das  zuletzt  genannte  nach  Lafire  und 
Ausstattung  eine  ganz  besondere  Stellung  ein  und  erfordert 
daher  eine  gesonderte  Besprechung,  während  die  übrigen  in 
folgenden  Hauptpunkten  übereinstimmen. Der  Eingang  ist  ganz 
niedrig,  selten  mehr  als  1'"  hoch,  nur  gebückt  oder  kriechend 
kann  man  ihn  passiren  und  der  Zugang  zu  dieser  mehr  einem 
F'enster  als  einer  Thür  ähnlichen  Öffnung  ist  absichtlich  mög- 
lichst erschwert*.  Die  Grabkammer  des  Arslan  -  tasch  z.  B. 
ist  nur  mit  Hülfe  langer  Leitern,  die  mir  leider  fehlten,  zu- 
gänglich, und  das  Grab  von  Japuldak  öffnet  sich  nach  einem 
so  steilen  Abhang,  dass  der  Zutritt  zu  ihm  höchst  beschwer- 
lich, ja  selbst  gefährlich  sein  würde,  wenn  nicht  in  spätrö- 
mischer Zeit  der  Fels  vom  westlichen  Abhang  her  durch- 
brochen wäre.  Ganz  ähnlich  steht  es  mit  Hamam-kaja,  nur 
ist  die  Höhe  des  Felsens  geringer.  Während  also  die  Aussen- 
wand  in  der  Regel  die  Formen  einer  Hausfassade  nicht  nach- 
bildet ahmt  das  Innere  des  Grabes  in  allen  mir  bekannten 
Fällen  das  eines  Hauses  nach 2.  Mag  das  Grab  ein  [a,b,e,f), 
oder  zwei  (c,  d)  Kammern  enthalten,  immer  ist  die  Decke 
als  hölzerne  Giebeldecke  ausgestaltet,  in  a  und  d  mit  sorij;- 
fältiger  Angabe  der  einzelnen  Deckbalken.  Die  Rammern  ent- 
halten niemals  vertiefte  Ruhestätten  für  die  Toten,  sie  sind 
entweder  ganz  leer  [b,  c,  /')  oder  mit  steinernen  Toten bänken 
{a,  d,  e)  ausgestattet.  Die  Nachahmung  der  im  täglichen  Le- 
ben gebrauchten  Ruhebänke  ist  am  besten  durchgeführt  in  d, 
wo  die  Kopfkissen  und  die  geschwungenen  Metallfüsse  pla- 
stisch angedeutet  sind;  Guilleaumes  Skizze  (Perrot-ChipiezFig. 
196)  giebt  ein  gutes  Bild  von  dem  Innern  dieses  interessanten 
Grabes,   nur  ist  das  linke  Totenlager  fälschlich    verdoppelt; 


^  Nur  das  unter  d  aufgeführte  Grab  hat  eine  grössere  Thür,  vielleicht  ist 
aber  seine  Fassade  bei  späterer  Wiedcrl)cnulznng  verändert;  der  Rund- 
bogen über  der  Thür  passt  nicht  zu  den  zweifellos  alten  Formen  des  In- 
neren. 

2  Nur  im  Arslan -tasch  ist  die  Kammer  ganz  roh  gelassen. 


KLEINASIATISCHE   STUDIEN.  III.  ^23 

der  Irrtum  lässt  sich  mit  Hülfe  des  Grundrisses  Fig.  1^4  leicht 
berichtigen. 

So  verschieden  der  äussere  künstlerische  Schmuck  der  ge- 
nannten Gräber  ist,  in  den  Hauptzügen  der  Anlage  gehören 
sie  doch  deutlich  einem  Typus  an  und  weichen  durchaus  von 
den  später  zu  besprechenden  jüngeren  Werken  ab.  So  lange 
man  die  Felsfassaden  mit  geometrischen  Ornamenten  eben- 
falls für  Gräber  hielt,  schien  die  Frage  nach  dem  zeitlichen 
Verhälmiss  zweier  so  verschiedener  Gräbertypen  sehr  wichtig, 
und  sie  ist  verschieden  beantwortet  worden :  Während  Perrot 
(S.  2  29  ff.)  die  geometrischen  Fassaden  als  die  ältesten  Kunst- 
werke Phrygiens  dem  Ausgang  des  achten  und  dem  siebenten 
Jahrhundert  zuweist,  und  mit  dem  zertrümmerten  Löwengrab 
bis  zur  zweiten  Hälfte  des  sechsten  herabgehen  will,  erklärt 
Ramsay,  Journal  of  Hellenic  studies  III,  188*2,  S.  *^8  die 
Denkmäler  mit  figürlichem  Schmuck  für  älter  als  die  geome- 
trisch verzierten,  die  er  eher  ins  achte  als  ins  siebente  Jahr- 
hundert setzen  möchte,  und  weist  Journal  X,  1889,  S.  154 
unter  Berufung  auf  seinen  früheren  Aufsatz  den  Arslan-tasch 
ins  neunte  Jahrhundert ^  Reber  endlich  datirt  den  Arslan- 
tasch  auf  8Ü0-700,das  zertrümmerte  Löwengrab  bald  nach 
700,  und  lässt  die  Epoche  der  geometrischen  Fassaden  vom 
Ausgang  des  siebenten  Jahrhunderts  bis  zum  Beginn  der  Per- 
serherrschaft reichen.  Alle  diese  Datirungen  sind  falsch,  weil 
sie  von  einer,  wie  wir  sahen,  irrigen  Voraussetzung  über  den 
Zweck  der  geometrisch  verzierten  Denkmäler  ausgehen.  Da 
die  geometrischen  Fassaden  eine  ganz  andere  Bestimmung  ha- 
ben, verwenden  sie  nalurgemäss  auch  andere  Mittel  der  De- 
koration ,  und  es  hindert  nichts,  sehr  verschieden  verzierte 
Werke  für  annähernd  gleichzeitig  zu  halten.  Ich  bin  überzeugt, 
dass  sämtliche  bisher  erwähnten  Denkmäler,   die  Kultstätten 


'  Wie  er  den  Journal  of  Ilrllenir  sliidies  IX,  1888,  S.  3ß6  verfoehlenen 
Ansatz  des  zerlnirninerten  liöwoiigiabes  auf  ungefähr  700  mit  seinem  Sy- 
stem in  Einklang  bringen  will,  weiss  ich  nicht,  denn  dies  Grab  gehört  doch 
offenbar  zu  seiner  crsien  Klasse. 


424  A.   KOERTE 

wie  die  Gräber,  der  Zeit  vom  Ausgang  des  siebenten  bis  zur 
Mitte  des  sechsten  Jahrhunderts,  also  einer  verhältnissmässig 
kurzen  Epoche  angehören  '.  Zu  diesem  Ansatz  berechtigt  mei- 
nes Trachtens  ein  Vergleich  mit  Werken  des  ostgriechischen 
Kunstkreises,  der  bisher  auffallender  Weise  noch  nie  ernsthaft 
versucht  ist.  Ich  möclite  ihn  im  Anschluss  an  das  interessan- 
teste der  Felsgräber  vornehmen. 

Es  ist  ein  unglücklicher  Zufall,  dass  uns  das  reichste  und 
sorgfältigst  gearbeitete  aller  phrygischen  Gräber  in  einem  trüm- 
merhaften Zustande  vorliegt,  der  die  Reconstruction  des  Gan- 
zen vorläufig  unmöglich  macht.  Was  ohne  Ausgrabungen  zu 
erreichen  war,  hat  Ramsay  geleistet,  dessen  hingebender  Ei- 
fer sich  nirgends  glänzender  bethätigt  hat  als  an  diesem  von 
ihm  entdeckten  Torso ;  aber  ein  gesichertes  Verständniss  des 
ganzen  Werkes  kann  hier  nur  eine  Untersuchung  mit  Hacke 
und  Spaten  bringen,  und  es  ist  dringend  zu  wünschen,  dass 
diese  jetzt  durch  die  Nähe  der  Eisenbahn  erleichterte  Arbeit 
bald  vogenommen  wird. 

Das  Grab  war  in  einem  vorspringenden  Felsblock  derartig 
angelegt,  dass  die  Nord-  und  Ostseite  im  gewachsenen  Felsen 
steckten, währen  die  West-  und  Südseite  frei  standen  und  mit 
Reliefs  geschmückt  werden  konnten.  Feuchtigkeit,  Frost  und 
Erdbeben  haben  den  Bau  gesprengt ,  der  grösste  Teil  der 
Wände  liegt  in  gewaltigen  Blöcken  am  Boden,  nur  ein  Stück 
der  Nord  wand  haftet  noch  am  Felsen.  Mit  seiner  Hülfe  lässt 
sich  die  Breite  der  Kammer  auf  6,30™  berechnen  und  von  der 
inneren  Einrichtung  ein  Bild  gewinnen,  Die  Kammer  hatte 
eine  Giebeldecke  mit  Nachahmung  der  Holzbalken  und  ent- 
hielt an  der  Ost-  und  Südseite  je  ein  Totenlager,  in  der  Süd- 
westecke einen  Steinsitz  mit  plastisch  angegebenen  Füssen. 
Die  ganze  Nordwand  entlang  zog  sich  eine  Art  Ausbau,  dessen 
Boden  in  Bankliöhe  liegt  und  jedenfalls  auch  als  Totenbett 
diente;   seine  wagerechte  Decke  stützten  zwei   kurze  Säulen 


*  Vor  den  Einfall  der  Kiinmerier  wird  nur  Delikli -lasch  mit  einiger 
"Wahrscheinlichkeit  zu  setzen  sein. 


IIL 


KLEINASIATISCHE   STUDIEN.  III.  1?5 

mit  eigentümlichen  Palmettenkapitellen.   Von  der  südlichen 
Aussenvvand  haben  sich  zwei  Bruchstücke  erhalten,  die  Süd - 
westecke  mit  dem  kolossalen  Kopf  und  Rachen  eines  Löwen 
(Taf.  3,  1 )  und  ein  kleinerer  Rest  (Taf.  3,  4),  auf  dem  Ram- 
say  die  gegen  einander  gestemmten  Tatzen  eines  zweiten  Lö- 
wenpaars zu  erkennen   meint.    Er  nimmt  demnach  auf  der 
Südseite  drei  riesige  Löwen  an,  der  eine  soll  hochaufgerichtet, 
die  Vordertatzen  auf  einen    Pfeiler   gestellt   nach   der    Ecke 
schauen,   während  hinter  ihm  zwei   andere  gleichfalls  hoch 
aufbäumend   ihre  Vorderpranken   gegen    einander   stemmen. 
Diese  Reconstruction  unterliegt  aber  schweren  Bedenken  ;  zu- 
nächst wäre  die  ästhetische  Wirkung  der  drei  gleichen, zu  kei- 
ner  Gruppe  vereinigten  Tiere  möglichst  unglücklich,  zweitens 
setzt  Ramsays  Annahme  eine  Kammerlänge  von  9,40™  voraus, 
die  an  sich  auffallend  ist  und  mit  den   vorhandenen  Resten 
kaum  vereinbar  erscheint.    Die  VVestwand  ist  vornüber  ge- 
fallen,  also  jetzt  weiter  von  der  feststehenden  Ostwand  ent- 
fernt als  früher;  wie  sollen  da  so  viele  riesige  Blöcke  in  der 
Lücke  zwischen  beiden  (am  besten  auf  Rebers  Tafel  2  zu  be- 
trachten) untergebracht  werden,  und  wo  sind  die  gewaltigen 
Steinmassen  geblieben?    Dass  der  untere  Teil  der  Kammer- 
wand jetzt  in  der  Erde  steckt,  ist  klar,  aber  dasselbe  für  die 
grössere  Hälfte  des  Oberteils  anzunehmen,   gestattet   meines 
Erachtens  der  Befund   nicht.  Endlich  aber,   und  das  ist  die 
Hauptsache,  kann  ich  die  fraglichen  Reste  nicht  für  zwei  Lö- 
wentatzen halten.  Die  in  stumpfem  Winkel  an  einander  stos- 
senden  Stücke  sind  nach  Ausweis  unserer  Taf.  3,  4   keines- 
wegs gleich,  wie  sie  es  als  Tatzen  gleicher  Tiere  sein  müssten; 
der  augenartigen  Kugel  an  dem  rechten  kürzeren  Stück  ent- 
spricht  kein  ähnlicher  Bestandteil   des  linken,  das  ja  freilich 
für  eine  Raubliertatze  gelten  kann  ^  Was  dargestellt  war,  weiss 
ich  nicht,  aber  ein  Tatzenpaar  war  es  schwerlich  und  damit 


'  Blunts  Zeichnung  Journal  III  S.  ?2  isl,gerade  weil  er  keine  Vermutung 
über  die  Bedeutung  des  Fragments  haUe,  treuer  als  die  Abbildungen  Iq 
Rainsays  späterem  Aufsatz. 


l26  A.   KOERTE 

wird  Ramsays  ganze  Reconstruction  recht  unwahrscheinlich. 
Ich  bedaure  lebhaft,  keinen  andern  Herstellungsversuch  vor- 
schlagen zu  können  ;  man  wird  die  Ausgrabungen  abwarten 
müssen. 

Das  Hauptstück  des  Grabes,  der  riesige  Löv^enkopf  der  Süd- 
westecke ist  Taf.  3,  1  aufgerichtet  abgebildet,  während  er  in 
seiner  jetzigen  Lage  die  Schnauze  zur  Erde  kehrt;  diese  Dre- 
hung der  Photographie  zwang  dazu,  das  umgebende  Erdreich 
fortzulassen;  der  linke  Rand  unserer  Abbildung  ist  also  nur 
die  Grenze  des  über  der  Erde  sichtbaren  Teiles  des  Blockes, 
kein  Bruch  ,  wie  man  meinen  könnte.  Es  ist  überraschend, 
wie  sehr  der  Kopf  in  seiner  natürlichen  Haltung  an  Leben  und 
Ausdruck  gewinnt. 

Das  erhaltene  Stück  des  Tiers  misst  vom  unteren  Rande 
bis  zum  Scheitel  '2,25'",  die  Höhe  des  ganzen  Löwen  würde 
in  der  von  Ramsay  angenommenen  Stellung  etwas  über  6" 
betragen;  ich  halte  es  aber  nicht  für  ausgeschlossen,  dass  er 
sass  und  nur  den  Oberkörper  aufgerichtet  hatte  '  wie  z.  B. 
ein  Löwe  auf  dem  kürzlich  von  Couve  verötYentlichten  alten 
attischen  Gefäss  ('Ecpr.fxspi?  äp/atoloyiKyi  1897  Taf.  6),  dann 
würde  sich  seine  Höhe  auf  etwa  4,50'"  vermindern.  Das  Auf- 
fallendste an  dem  Werk  ist  die  starke  gleichmässig  durchge- 
führte Stilisirung  aller  Teile.  Die  Schultermuskeln  gleichen 
einer  Bandschlinge,  die  Zotten  der  Mähne  sind  von  der  Stirn 
bis  zum  Nacken  durch  eine  Reihe  gleichmässiger  Löckchen 
angedeutet  und  vorn  begrenzt  ein  schmaler  vom  Ohr  zum 
Hals  laufender  Wulst  mit  Fischgrätenmuster  die  Mähnenpar- 
tie; auch  die  fleischigen  Teile  der  Schnauze  sind  in  regel- 
mässige Wülste  zerlegt.  Dass  der  Künstler  keinen  Löwen  aus 
eigener  Anschauung  kannte,  lehrt  die  Bildung  des  flach  an- 
liegenden dreieckigen  Ohrs,  der  grossen  weit  vor(|uellenden 
Augen  und  des  geöffneten  Rachens,  in  dessen  Unterkiefer  nur 


'  Löwen  in  dieser  Slelluiig  lioinnicn  melirfacli  auf  den  plnygiselien  Fcis- 
gräbern  der  Kaiserzeit  vor,  die  den  alten  Gräbern  nianelicMolive  entlehnen, 
z.  B.  in  Ajas-in  und  Bey-köi. 


kLElNASIATISCHE   STUDIEN.  III.  Hl 

der  vorderste  halb  abgebrochene  Zahn  als  Reisszahn,  alle  an- 
dern   als  Mahlzähne  gestaltet  sind.    Die  Zähne  des  Oberkie- 
fers sind  abgebrochen.  Die  Zunge  scheint  vorne  über  die  Unter- 
lippe herabzuhängen.  Die  Stilisirung  ist  bisher  allgemein  auf 
den  Einfluss  des  Ostens.aufAssyrer,  Hethiter  oder  Syro-Kappa- 
dokier  zurückgeführt  worden,   aber  bei  keinem  dieser  Völker 
findet  man   für  die  Einzelheiten  des  Werks  so  genaue  Analo- 
gien wie  bei  den  Griechen.  Es  wird  mitunter  vergessen,  dass 
auch  die  archaische  griechische  Kunst  in  einer  Zeit  die  Kör- 
performen lebender  Wesen  ornamental  zu  stilisiren  liebt,  und 
gerade  an  solchen  fremdartigen  Geschöpfen  wie  Greifen,  Sphin- 
gen, Löwen  betiiätigt  sich  diese  Neigung  besonders  gern.  Mag 
auch  der  Triel)  zum   Stilisiren    ebenso  wie  die  F'abelwesen 
selbst  aus  dem  Osten  stammen,  die  Griechen  haben  aus  den 
übernommenen  Elementen  neue  und  selbständige  Gebilde  ge- 
schaffen (vgl.  Furtwänglers  Artikel  Gryps  in  l\oschers  Lexi- 
kon),  und  ein   hellenischer  für  dekorative  Zwecke  geprägter 
Löwentypus  scheint  mir  unserin   ja  auch  rein  dekorativ  ver- 
wendeten Löwen  zu  Grunde  zu  liegen.  Auf  Taf.  3  sind  unter 
2  und  3  in  beträchtlicher Vergrösserung  zwei  Elektron-Münzen 
des  Berliner  Münz-Kabinets  abgebildet,  die  wichtige  Verglei- 
chungspunkte bieten.  Die  Abdrücke,  welche  den  Abbildungen 
zu  Grunde  liegen,  verdanke  ich  der  Freundlichkeit  des  Herrn 
H.  Gabler.  Babelon  weist  diese  Drittelstatere  [Reime  Numis- 
matique  XIII,  1895,  S.  318  tY.)  mit  überzeugenden  Gründen 
Milet  zu,  und  setzt  sie  in  die  zweite  Hälfte  des  sechsten  Jahr- 
hunderts. Auch    diese  Löwenköpfe  sind  ornamental  stilisirt; 
der  Knopf  mit  kurzen  Strahlen  auf  der  Stirn   ist  ganz  phan- 
tastisch und,  wie  Furtwängler  (a   a.  O.  S.  1758)  bemerkt  hat, 
dem  bekannten  Knopt  des  archaischen  Greifentypus  nächst  ver- 
wandt. Man  beachte  auch,  wie  bei  dem  unteren  Exemplar  (3) 
die  Zähne   als  runde    l^erlen   wiedergegeben  sind.   Mit  dem 
phrygischen   Löwen    teilen   die  Münzen   die   übertrieben   llei- 
scliige, gleichsam  geschwollene  Bildung  der  Schnauze  und  vor 
allem  die  eigentümliche  Mähnenbehandlung.  Genau  derselbe 
Wulst  mit  dem  Fischgrätenmuster  kehrt  bei  ihnen  als  vordere 


{2i  A.    kOERTE 

Begrenzung  der  Mähne  zwischen  Ohr  und  Hals  wieder,  nur 
läuft  das  Muster  bei  den  Münzen  aufwärts,  auf  dem  Relief 
abwärts.  Eine  Reihe  kurzer  Striche, den  Löckchen  des  Reliefs 
entsprechend,  zieht  von  der  Stirn  bis  in  den  Nacken  und  die 
zwischen  diesen  Grenzen  liegende  Mähnenfläche  ist  in  Nr.  2 
durch  kurze  schräge  Striche ,  in  Nr.  3  durch  Punkte  be- 
lebt. Auch  auf  dem  Relief  war  die  Hauptmasse  der  Mähne 
nicht  übergangen;  noch  sind  geringe  aber  sichere  Umriss- 
spuren flach  eingegrabener  spitzer  Zotten  über  dem  Schulter- 
muskel und  hart  an  dem  Fischgrätenmuster  in  Höhe  des  Un- 
terkiefers sichtbar  ,  und  wir  dürfen  sie  uns  auf  die  ganze 
Fläche  zwischen  Wulst  und  Löckchen  ausgedehnt  und  durch 
Farbe  belebt  denken.  Dass  eine  weitgehende  Bemalung  die 
Wirkunsj  des  Reliefs  hob,  glaube  ich  mit  Bestimmtheit  aus 
den  am  Auge  erhaltenen  Spuren  folgern  zu  dürfen  ;  auf  un- 
serer Tafel  ist  der  dunkle  Kreis  der  Pupille  deutlich  zu  er- 
kennen '. 

Dieselbe  Wiedergabe  des  vorderen  Mähnenrandes  durch  ein 
Fischgiätenmuster  findet  sich  auch  bei  dem  Löwen  eines 
Bronzebeschlags  von  Polledrara  {Journal  of  Hellenic  studies 
XIV,  1894,  Taf.  8),  der  sicherlich  dem  ostgriechischen  Runst- 
kreis  angehört. 

Noch  ungleich  näher  als  die  Münzen  und  der  Bronze -Be- 
schlag steht  aber  dem  Relief  in  der  Gesamtwirkung  der  Lö- 
wenkopf, welcher  die  bekannte  macmillansche  Lekythos  des 
Brittischen  Museums  [Journal  of  Hellenic  studies  X,  1889, 
Taf.  5,  noch  besser  Xi,  1890,  Taf.  1-2)  krönt,  so  seltsam  es 
scheinen  mag,  ein  Kolossalrelief  mit  einem  68'"™  hohen  Ge- 
fässchen  zu  vergleichen.  Hier  haben  wir  dieselbe  übermässig 
fleischige  Bildung   der  Schnauze,  denselben   breiten  Rachen, 


<  Ich  habe  diese  Spuren  nicht  am  Original,  sondern  zuerst  auf  meiner, 
der  Tafel  zu  Grunde  liegenden  Photographie  bemerkt.  Da  ich  sie  dann  auch 
auf  drei  anderen  von  Bcrggren  und  mir  zu  verschiedenen  Zeilen  gemachten 
Aufnahmen  wieder  fand, scheint  mir  eine  Täuschung  durch  Zufälle  der  Be- 
leuchtung ausgeschlossen. 


ktEINASlATISCHE    STUDIEN.    IH.  '29 

die  eng  anliegenden  dreieckigen  Ohren  —  freilich  kleiner  und 
höher  sitzend  —  die  gleiche  seltsame  Mähnenbehandlung.  Zwar 
fehlt  die  hintere  Reihe  der  Löckchen,  ihre  Stelle  nimmt  der 
Henkel  ein,  aber  die  Hauptmasse  der  Mähne  wird  hier  wie 
dort  durch  spitze  aufgemalte  Zotten  angedeutet  und  ihren  vor- 
deren Abschluss  bildet  eine  schmale  einfach  gestrichelte  Borte, 
deren  Wirkung  sich  von  dem  Fischgrätenmuster  nicht  sonder- 
lich unterscheidet.  Alle  diese  Übereinslimmungen  sind  ebenso 
viele  Abweichungen  von  dem  naturgetreuen  Bilde  eines  Lö- 
wen, sie  können  also  nicht  zufällig  sein,  sondern  müssen  ei- 
nem von  der  dekorativen  Kunst  ausgebildeten  Löwentypus 
angehören,  i'ass  dieser  Typus  aber  eine  hellenische  Schöp- 
fung war,  scheint  mir  durch  das  protokorinthische  Gefäss  er- 
wiesen. 

Wer  sich  bei  der  Betrachtung  des  Löwen  von  dem  starken 
Einfluss  griechischer  Vorbilder  noch  nicht  überzeugt  hat  wird 
sich  dessen  Anerkennung  kaum  entziehen  können,  wenn  er 
die  Skulpturen  der  Westseite  mit  gi'iechischeii  Werken  ver- 
gleicht. Das  Ilauptstück  der  Westfassade  befindet  sich  an  dem- 
selben Eckblock  w  ie  der  Löwe,  ist  aber  dem  Boden  zugekehrt 
und  tief  in  die  Erde  eingesunken.  Ramsay  hat  ISSl  ein  Loch 
darunter  aushöhlen  lassen,  das  die  Möglichkeit  gewährt  die 
Skulpturen  zu  untersuchen,  doch  ist  es  nicht  leicht,  von  einem 
Kolossalrelief  ein  Bild  Zugewinnen,  wenn  man  auf  dem  Rücken 
unter  dem  Felsblock  liegt  und  das  Relief  in  kellerartiger  Dun- 
kelheit in  einer  Entlernung  von  "20""  über  sich  hängen  sieht. 
Natürlich  ist  eine  auf  Grund  solchen  Studiums  entworfene 
Skizze  sehr  unvollkommen  ,  und  es  verdient  Bewunderung, 
dass  es  Ramsay  und  llogarth  überhaupt  gelungen  ist,  ein  in 
den  llauptzügen  gesicheltes  Bild  der  Fassade  zu  geben.  Mit 
Benutzung  eines  kleineren  daneben  liegenden  Bruchstücks,  das 
Arm  und  Watfenreste  eines  Kriegers  zeigt,  hat  Ramsay  folgende 
Composition  hergestellt  [Journal  IX,  1888,  S.  3ö3  Fig.  9): 
Zwei  mit  Helm,  Schild,  Panzer.  Schwert  und  Speer  ausgerü- 
stete Krieger  richten  die  Spitze  ihrer  Walle  auf  ein  gewalliges 
Gorgoneion,   an  das   sich    unlen   der  Rahmen    des  viereckigen 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN    XXIll.  9 


130  A.   KOERTE 

Einsanssloches  zur  Grabkammer  anscliliesst.  Der  rechte'  Krie. 
ger  ist  bis  zur  Hüfte  erhalten,  von  dem  linken  sind  nur  die  er- 
wähnten Reste  auf  einem  kleineren  Block  und  die  Speerspitze 
neben  dem  Gorgoneion  vorhanden.  Einige  Kleinigkeiten  glaube 
ich  in  Ramsays  Skizze  berichtigen  zu  können,  wiewol  ein 
sicheres  Urteil  erst  nach  Freilegung  des  Blocks  möglich  sein 
wird.  Auf  der  Stütze  des  Helmbuschs  ist  ein  rundes  Auge  an- 
gegeben,die  Stütze  demnach  sicher  als  Vogelkopf  gestaltet,  der 
Helm  reicht  nicht  so  weit  in  den  Nacken  hinab,  ein  hinten  ab- 
gerundeter Haarschopf  quillt  unter  seinem  Rand  hervor,  und 
der  wagerechte  Streifen  vor  dem  Leib  des  Mannes  ist  wol  ein 
Gurt  über  dem  ein  SchwertgritY  sichtbar  wird.  Ferner  glaubte 
ich  an  dem  Gorgoneion  spitze  Ohren  und  über  der  Stirn  einen 
Kranz  breiter  Buckellocken  wahrzunehmen. 

Dass  die  Bewaffnung  der  Krieger  der  griechischen  ent- 
spricht, ist  Ramsay  natürlich  nicht  entgangen,  er  sucht  aber 
diese  Übereinstimmung  durch  eine  künstliche  Hypothese  zu 
erklären  (a.  a.  O.  S.  364  f.):  Herodot  erzählt  1,  171,  dass  die 
Karer  Helmbusch,  Schildzeichen  und  Schildhandhaben  er- 
funden hätten,  deshalb  hält  Ramsay  die  Bewatlnung  des  Re- 
liefs für  die  karische,  die  auch  den  Phrygern  als  den  nächsten 
Verwandten  der  Karer  eigentümlich  gewesen  sei.  Diese  An- 
nahme ist  höchst  bedenklich.  Zunächst  waren  Phryger  und 
Karer  keineswegs  verwandt,  w'ie  die  vortreftlichen  Untersu- 
chungen Kretschmers  (Einleitung  S.  376  1!'.)  ergeben  haben, 
und  dann  sind  die  Worte  Herodots,  der  überdies  von  einer 
weit  zurückliegenden  Zeit,  vor  Eroberung  der  Inseln  durch 
die  Hellenen,  spricht,  viel  zu  allgemein,  um  gerade  diese  be- 
stimmte Form  des  Helms  und  der  andern  Wallen  als  karisch 
zu  erweisen.  Das  Eigentümlichste  an  dem  metallenen  mit  Na- 
senschirm versehenen  Helm  ist  der  Busch,  der  auf  einer  nie- 
drigen Stütze   in   Form  eines  Vogelkopfes  ruht  und   in  zwei 


'  Nicht  der  linke,  wie  es  auf  Saint-  Elmc  Gauliers  sonst  sciir  gescliicivtcr 
Zeichnung  bei  Feirot  Fig.  117  (z.  T.  wiederliolt  bei  Dareinberg  und  Saglio, 
Lirliunnaire  II,  2  S.  l-i'iO)  dargesteill  ist. 


kLtiKASIATlSCME    StUDlEN.  111.  131 

langen  Spitzen  gleichmässig  nacli  vorn  und  hinten  herab- 
wallt'; das  ist  eine  der  vielen  Formen, die  der  Helmbuseh  bei 
den  Griechen  angenommen  hat,  freilich  keine  der  üblichsten. 
Auf  den  älteren  Vasen  herrschen  zwei  andere  Formen  vor, 
der  Busch  sitzt  entweder  in  seiner  ganzen  Länge  ohne  Stütze 
auf  dem  Helmkopf  selbst  auf  ^  oder  aber  er  wird  von  einer 
hohen  Stütze  getragen,  fällt  nur  hinten  in  langer  Spitze  herab 
und  ist  vorn  gerade  abgeschnitten.  Neben  diesen  mit  Vorliebe 
auf  denselben  Denkmälern  verbundenen  Formen,  kommt  aber 
auch  eine  dritte  zwischen  beiden  siehende  vor,  der  Helm  mit 
niedriger  Stütze  und  gleichmässig  nach  vorn  und  hinten  wal- 
lendem Busch.  Das  älteste  mir  bekannte  Beispiel  ist  eine  zu 
den  Ausläufern  des  Dipylonstils  gehörige  Vase  ,  die  Pernice 
Athen.  Mittheilungen  XVH,  1892,  S.  214  Fig.  3  und  Taf. 
10,  2  verofl'entlicht  hat.  Etwas  jünger,  aber  noch  dem  sieben- 
ten Jahrhundert  angehörig  ist  dann  die  Vase  des  Aristonothos 


(Mon.  dl' IV  Inst.  IX  Taf.  4;  Wiener  Vorlegeblätter  1 
Taf.  1,  8,  vgl.  Robert  bei  Pauly- VVissowa  M  S.  966  unter 
Aristonophos) ,  deren  ostgriechischer  Ursprung  wol  ausser 
Zweifel  steht;  auf  ihr  sind  alle  Krieger  mit  solchen  Helmen 
ausgestattet.  Zwei  weitere  Beispiele  bietet  der  bekannte  Eu- 
phorbos- Teller  (Salzmann,  Ne'cropole  de  Caniiros  Taf.  53; 
Ikunn, Kunstgeschichte  I  Fig.  1  i4j,  und  zeitlich  am  nächsten 
wird  dem  phrygischen  Relief  die  Darstellung  eines  gleich  be- 
helmten Kriegers  auf  einem  klazomenischen  Sarkophag  stehen 
(Antike  Denkmäler  1  Taf.  46,  4).  \\'enn  wir  endlich  den- 
selben Helm  auf  einem  etwas  jüngeren  lykischen  Belief  (Per- 
rot-Ghipiez  Fig.  279)  wieder  linden,  so  dürfen  wir  auch  dies 
Beispiel  bei  der  bekannten  Abhängigkeit  der  lykischen  Kunst 
aus  lonien  herleiten.  Für  den  X'ogelkopf  der  Stütze  kann  ich 
z.  B.  auf  eine  cäi etaner  Ilydria  [Man.  deil  Inst.  VI  Taf.  78), 
also   wieder  ein  ostgriechisches  Werk,  verweisen.   Auch   der 


<  Penol  liäll  S.  175  den  Buscl)  sellsamorWei.se  für  eine  Metallsclieibe. 
2  Einen  solclien  zum  Verglcicli  mit  den  plirjgiselion   wenip:  geeigneten 
Helm  bildet  Penol  Fig.  ll'J  ab. 


132  A.    KOI'HTß 

runde  llaarscliopf.  den  icli  iinlor  dein  Helm  walirzuneliinen 
«glaubte,  kehrt  auf  ostoriecliischen  Vasen  wieder;  er  ist  der 
jonisclie  Krobylos  (vgl.  Studniczka,  Arch.  Jalirbueli  XI  S. 
267  f.)-  Diese  Frisur  ist  zwar  bei  bebelmten  Kriegern  selten, 
kommt  al)er  doch  vor,  z.  B.  auf  einer  V^ase  des  Duris  (Wie- 
ner \'orlegebUitter  VII  Taf.   I  \ 

Die  angeführten  Beispiele  stellen  es  ausser  Frage,  dass  die 
Krieger  reingriechisehe  Waffen  tragen,  und  wer  die  Streiter 
auf  dorn  iMiphorbos-Teller  oder  den  des  khizomenischen  Sar- 
kophags mit  ihnen  vergleicht,  wird  nicht  im  Zweifel  darüber 
sein, dass  der  phrygisclie  Künstler  den  ganzen  Typus  des  Kämp- 
ferpaars dei- ostgriechischen  Kunst  entnommen  hat;  in  der  Aus- 
führung ist  ihm  freilich  alles  steifer  und  derber  geraten  als 
wir  es  bei  seiner  V^oi'lage  voraussetzen  dürfen.  Dass  die  un- 
kriegerischen.  Phryger  (vgl.  Göttinger  gelehrte  Anzeigen  1897 
S.  390)  selbst  jemals  solche  Waffen  getragen  haben,  wie  Ram- 
say  annimmt,  bezweifle  ich  sehr.  In  Xerxes  Heer  waren  sie 
nicht  wie  die  Griechen,  sondern  fast  genau  so  wie  die  Paphla- 
gonier  ausgerüstet  (llerodot  V'll,  73),  und  da  die  gleiche  Be- 
waffnung der  Armenier  ausdrücklich  durch  ihre  Abstammung 
von  den  Phrygern  erklärt  wird,  muss  diese  Rüstungsart  die- 
sen von  Alters  her  eigentümlich  gewesen  sein.  Schwerlich 
wären  sie  zu  den  primitiven  geflochtenen  Helmen  der  Paj)bla- 
gonier  zurückgekehrt,  wenn  sie  ein  paar  Menschenalter  früher 
griechische  iVletallhelme  geführt  hätten.  An  eine  naturgetreue 
Darstellung  selbstgesehener  Vorgänge  denkt  eben  der  phrygi- 
sche  Steinmetz  gar  nicht;  seine  Krieger  sind  genau  so  deko- 
rativ, wie  sein  Löwe  ;  aus  der  Fremde  hat  er  sie  fertig  bezogen. 

Mit  dem  Gorgoneion  wird  es  nicht  anders  stehen,  obwol 
ich  für  dies  keine  so  schlagenden  Analogien  beibringen  kann. 
Seine  Beui'teilung  wird  durch  das  Fehlen  der  Bemalung  noch 
erschwert,  die  ott'enbar  bei  ihm  sehr  reichlich  angewendet 
war.  Vor  allem  waren  die  Augen  nur  aufgemalt,  und  auch 
der  Bart  svird  durch  Farbe  angedeutet  gewesen  sein.  Die  tieri- 
schen Ohren,  die  an  jonisclie  Silenstypen  erinnern,  sind  bisher 
bei  reingriechischen  Goi'goneien  nicht  nachgewiesen  und  mö- 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  133 

gen  eine  Zutliat  des  plirygischen  Künstlers  sein  ;  die  Umrah- 
mung der  Stirn  mit  regelmässigen  l^öckchen  findet  sich  ähn- 
lich bei  dem  kleinen  Gorgoneion  der  erwähnten  macmillan- 
schen  l.ekvtlios  und  bei  einer  hochalterlümlichen  kleinasia- 
tischen  Elektronmünze,  die  man  vermutungsweise  Parion  zu- 
geteilt hat  ^  Hamsay  nimmt  an  (a.  a.  0.  S.  ;-{64),  dass  die  ganze 
Figur  derGorgo  knieend,  in  dem  altertümliclien  Laufschema, 
dargestellt  gewesen  sei,  aber  das  scheint  mir  ganz  unglaub- 
lich. Wenn  man  sich  wirklich  die  barocke  Idee  eines  Grab- 
eingangs durch  den  Leib  der  Gorgo  gefallen  lassen  wollte,  so 
müsste  dann  doch  wenigstens  seine  Umrahmung  als  Körper 
oder  Gewand  gebildet  sein,  auch  könnten  die  Arme  und 
Schultern  unmöglich  fehlen.  Die  Fratze  ist  meines  Erachtens 
als  Apotropaion  über  den  Eingang  gestellt,  so  wie  man  sonst 
etwa  einen  Phallos  über  dem  Grabe  anbringt'.  Im  Grunde  ist 
es  also  gar  nicht  das  Gorgoneion,  das  die  Krieger  bekämpfen, 
sondern  Krieger  und  Gorgoneion  bedrohen  gemeinsam  Jeden, 
der  sich  der  Ptorte  naht,  um  den  Frieden  des  Grabes  zu  stö- 
ren. Die  Häufung  zweier  apotropäischer  Motive  erzeugt  den 
Schein  eines  Kampfes  zwischen  ihnen. 

Es  war  nötig,  den  starken  Eintluss  der  griechischen  Kunst 
auf  die  phrygische  an  einem  Beispiel  ausführlicher  nachzu- 
weisen; bei  den  andern  Denkmälern  derselben  Klasse  kann 
ich  mich  nun  kurzer  fassen.  Ohne  weiteres  schliesst  sich  zu- 
nächst Arslaii-kaja  (Taf.  '.*  und  Fig.  3)  an;  der  griechische 
iMäander  spricht  hier  ebenso  laut  für  hellenischen  Einfluss  wie 
die  in  starker  Hundung  emporgebogenen  Flügel  der  Sphingen; 
denn  diese  Flügelbildung  hat  Furtwängler  als  Eigentum  der 
Griechen  erwiesen  ( Uoschers  Lexikon  I  S.  1758).  Der  Löwe 
der  Nordoslseite  (Fig.  3i.   für  dessen  kolossale  Klauen   z.  B. 


*  Calalüijiie  uf  Greck  ruiiii.  hnia  Taf.  ?,  li,  Fmlwäiiglor  in  Rdschers 
Lexikon  I  S.  1708;  \^l.  Baltclcui,  Hevue  yianisuuitiijur  Xlll,  1SU5,  Ö.  40. 

2  Als  Phallus  (lonU'l  rcnul  S.l.'J  vicllciflil  mit  Hoclil  den  si-ilsanien  Ge- 
pensland  am  Gialic  vnii  .lajuihLik,  zu  dosten  ScitL-ii  «aliisfliiMMlifh  zwei 
Slicre,  joilenralls  niclil  Plfid  und  Stier  stellen. 


134  A.    KOERTE 

das  frühattische  Gefäss  'E^rmepl;  ip/.  1 897  Taf.  6   eine  Ana- 
lo2;ie  bietet,  ist  von  den  Sphingen  nicht  zu  trennen;  in  seinem 
breiten  etwas  weiclien  Stil  erinnerte  er  mich  an  den  Fries  von 
Assos.  Dieser  Löwe  steht  aber  wiederum  in  dem  Verzicht  auf 
strenge  Stilisirung  dem  grossen   Löwengrab   ( Arslan  -  tasch) 
sehr  nahe,   und  schon  desiialb  werden  wir  für  dies  ein  ähn- 
liches Verhältniss  zur  griechischen  Kunst  annehmen  dürfen; 
von  irgend  welchem  nordsyrischen  luntluss  kann  ich  nichts  an 
ihm  bemerkend  Die  Ähnlichkeit  mit  dem  mykenischen   Lö- 
wenthor, die  wol  jedem  Beschauer  auffällt,  erklärt  sich  dann 
ganz  anders,  als  Ramsay  (S.  369  ff.)  meint,   der  das  Löwen- 
thor in  das  Vill.   Jahrhundert  hinabdrücken  und  das  Motiv 
aus  Phrygien  herleiten  will  2.  Das  Verhältniss  ist  gerade  um- 
gekehrt: Die  auswandernden  Achäer,  die  in  der  neuen  Heimat 
zu  Joniern  wurden,  haben  einen  Rest  ihres  reichen  Erbes  an 
Kunstformen  mit  in  die  neue  Heimat  gerettet  und  dort  ebenso 
treu  gehütet,  wie  ihre  heimischen  Sagen.   Das  Fortleben  my- 
kenischer  Motive  in  den  ostgriechischen  Vasen  ist  längst  beo- 
bachtet worden   ( Furtwängler,  Bronzefunde  von  Olympia  S. 
45)  und  wir  dürfen  hoffen,  das  Gleiche  in  der  grossen  Kunst 
wahrnehmen  zu  können,  wenn  wir  erst  einmal  mehr  altjoni- 
sche  Werke  besitzen.  Einstweilen  giebt  das  phrygische  Felsen- 
grab wenigstens  einen    Nachhall    der   altmykenischen    nach 
Jonien   hinübergeretteten  Weise.    Der  Zusammenhang   beider 
Denkmäler  ist  kaum  zu  bestreiten,  und  es  ist  Willkür  eines 
von  ihnen  aus  dem  Zusammenhang  der  ihnen  benachbarten 
Werke  herauszureissen  ;   folglich   muss  das  phrygische  Grab 
viele  Jahrhunderte  jünger   sein    als  der   mykenische  Thor- 
schmuck,  und  als  Vermittler  zwischen  beiden  sind   nur  die 
Jonier  denkbar. 


'  Rebers  gewundene  Sätze  (S.  547  AM,  die  den  nordsyriselien  Einfluss 
beweisen  sollen, hediirfen  keiner  Widerlep:ung.  Seine  irrii^e  Auflassung  über 
den  Zweck  der  g(;oMietriselicn  Fassaden  und  ihr  zeilliclies  Verliilllniss  zu 
den  Fclsgrcäbcrn  hat  ihm  den  Weg  zu  deren  stilistischer  Würdigung  ver- 
sperrt. 

2  Ähnlich  urteilt  Brunn,  Kunstgeschichte  I  S.  28. 


KLEINASIATISCHE   STUDIEN.  III.  135 

Die  Übereinstimmung  beider  Reliefs  geht  freilich  bei  ge- 
nauerem Zusehen  nicht  ganz  so  weit,  wie  man  anfangs  meint. 
Auf  beiden  Denkmälern  sehen  wir  zwei  mächtige  aufgerichtete 
Löwen,  die  ihre  Vordertatzen  auf  eine  hohe  Basis  setzen  und 
einen  Pfeiler  zwischen  sich  haben  ;  aber  die  mykenischen  Lö- 
wen sind  viel  ruhiger  in  ihrer  Haltung  als  die  phrygischen 
und  sie  kehrten  ihre  jetzt  verlorenen  Köpfe  dem  Beschauer 
zu,  während  jene  in  Seitenansicht  dargestellt  sind.  Uniäugbar 
wird  der  apotropäische  Zweck  durch  die  Haltung  der  phrygi- 
schen Löwen  weniger  klar  zum  Ausdruck  gebracht ;  sie  fahren 
zwecklos  aufeinander  los,  dagegen  gestattet  die  Kopfdrehung 
der  mykenischen  keinen  Zweifel  darüber,  wem  ihr  Drohen 
gilt.  Schon  hierin  verrät  sich  ,  dass  der  phrygische  Steinmetz 
von  der  eigentlichen  Bedeutung  des  alten  Typus  kein  so  kla- 
res Bewusstsein  hatte,  wie  der  mykenische  und  noch  deutlicher 
lehrt  dies  ein  Vergleich  der  Architekturglieder  zwischen  den 
Tieren. 

In  Mykene  ist  die  Säule  mit  allen  ihren  Teilen  durchaus 
klar  und  genau  wiedergegeben,  der  Pfeiler  des  Arslan-tasch 
hat  unten  die  flüchtige  Andeutung  eines  Sockels  und  oben 
geht  er  stark  ausladend  aber  ohne  deutlichen  Absatz  in  eine 
Art  Balken  über,  dessen  von  Beber  (S.  545)  bemerkte  T- 
Form  meines  Erachtens  keinerlei  architektonische  Bedeutung 
hat.  Der  Steinmetz  hat  von  der  Felsoberfläche  so  viel  stehen 
lassen,  als  die  Tierkörper  gestatteten  ;  so  sind  der  Nackenlinie 
der  Löwen  folgend  die  ankerarligen  Haken  an  dem  oberen 
Streifen  stehengeblieben.  Der  ganze  Querbalken  samt  Ansätzen 
ist  also  im  Grunde  ein  VVerkzoll .  der  nur  an  den  sorgtSltig 
gearbeiteten  Kanten  des  Feisblocks  forlgonommen  ist.  Auch 
der  Pfeiler  zwischen  den  Tieren  ist  für  diesen  Künstler  nicht 
viel  meiir  als  ein  Streifen  Werkzoll;  darum  hat  er  den  Ver- 
such einer  scharfen  architektonischen  Gliederung  gar  nicht  ge- 
macht. Auch  die  Ausführung  der  Tiere  verdient  das  Lob  nicht, 
das  ihnen  Beber  auf  Kosten  der  mykenischen  IJhven  spendet; 
ihre  stärkere  Wirkung  beim  ersten  Anblick  beruht  wesent- 
lich auf  der  Erhaltung  der  köpfe.  Gewiss  sind  sie  flott   und 


136  A.    KOEHTE 

wirkunü;svoll  entworfen,  aber  es  fehlt  das  Streben,  die  Rinzel- 
fornien  treu  wiederzugeben*.  Wie  mülit  sieb  der  mykeni- 
sche  Künstler  uns  alle  Gliedmassen  der  Tiere,  die  beiden  Vor- 
der- und  die  beiden  Hinterbeine  zu  zeigen,  der  Pbryger  maeht 
sich  die  Sache  leichter;  von  den  zurückstehenden  Hinterbeinen 
sind  nur  die  Oberschenkel  angedeutet  und  die  entsprechen- 
den Vorderbeine  fehlen  gänzlich.  Um  die  Verschiedenheit 
beider  Werke  kurz  auszudrücken  :  die  mykenischen  Löwen 
wirken  trotz  ihrer  ünbeholicnheit  monumental,  die  phrygi- 
schen  nur  dekorativ.  Auf  eine  bemerkenswerte  Übereinstim- 
mung beider  möchte  ich  zum  Schluss  noch  hinweisen.  Ham- 
say  (S.  568  Anm.  3)  und  Reichel  (  Homerische  Waffen  S.  16 
Anm.)  haben  die  Tiere  des  Löwenthors  gewiss  mit  Recht  für 
weiblich  erklärt,  und  für  die  des  Arslan  -  tasch  ist  dasselbe 
Geschlecht  mit  Sicherheit  aus  den  Jungen  zu  erschliessen,  die 
unter  den  Alten  neben  dem  Eingang  liegen.  Die  Nackenbildung 
scheint  zwar  für  Löwinnen  nicht  recht  zu  passen,  wie  Reber 
richtig  bemerkt  (S.  547),  aber  damit  nimmt  es  ein  dekorativer 
Künstler  nicht  so  genau;  gerade  in  der  jonischen  Kunst  kom- 
men bemähnte Löwinnen  mit  Zitzen  nicht  ganz  selten  vor  (vgl. 
Petersen,  Rom.  Mittheilungen  IX  S.  291  Anm.  2)  und  diese 
eigentümliche  Bildung  hat  sich  in  Phrygien  zäh  behauptet. 
In  Siwri-hissar  fand  ich  eine  aus  Pessinus  stammende  Löwen- 
figur,  auf  deren  Leib  eine  späte  Grabschrift  eingegraben  war 
(Athen.  Mittheilungen  XXil  S.  AS  Nr.  31  );  die  Zitzen  waren 
deutlich  angegeben,  aber  am  Nacken  ein  Mähnenrest  erhalten, 
der  Kopf  lehlte.  Die  Verbindung  bemähnter  Löwen  mit  1^3- 
wenjungen  ist  also  ein  weiteres  .Anzeichen  für  die  Abhängig- 
keit des  phrygischen  Steinmetzen  von  jonischen  Vorbildern. 

Mit  ebenso  wenig  Recht  wie  bei  dem  Arslan -tasch  hat  man 
hethitischen  Rinfluss  bei  einem   Felsrelief  angenommen,   das 


*  Die  auf  Rainsays  Ski/zc  {Journal  I.\  S.  368)  angegebenen  Einzelheiten 
kann  ich  zürn  grossen  Teil  nicht  l'ür  liclitig  halten.  Sicher  ist  ferner,  dass 
die.se Zeicliung  die  Gesamlwirkung  gänzlich  verdirbt;  so  plump  und  gleichsam 
ausgestopft  sehen  die  Löwen  di-iin  dixli  iiiclil  aus. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  137 

ich  hier  anschliessen  will ,  obwol  es  nicht  zu  einem  Grabe 
gehört.  Wenn  man  vom  Midasdenkmal  zum  Felsplateau  em- 
porsteigt, bemerkt  man  rechts  neben  einem  Felsaltar  ein  0,75'" 
hohes,  0,62'"  breites  Helief,  das  Fig  1?  nach  meiner  Photo- 


■•■     .'.'"•-J-'-T'J 

■  3 


Ä(iJwtfdi\W!MWiu«'3i.i.J.-.    .=. 


uiU'.miisii^täiWi 


Fig.  1-: 


graphie  wiedergiebt  ^.  Die  Rrhaltung  ist  leider  schlecht,  na- 
mentlich das  Gesicht  der  Figur  ist  stark  beschädigt,  auch  ge- 
stattet die  Roheit  der  Arbeit  kaum  von  einem  bestimmten  Stil 
zu  reden,  aber  zuvorsichllich  darf    man  sagen,  dass  alle  jene 


*  Ültor  die  von  Raiiisay  etwas  weiter  abwärts  beoltachteten  Reliefs  {Juur- 
nal  III  S.  6  IT. )  wage  ich  ebenso  wenig  etwas  zu  sagen,  wie  über  das^jvon 
iliMi  am  Hamani-kaja  beineriilc  {Journal  X  S.  165),  jedoch  |kann  ich 
Penols  Zweifel  an  iiireni  a!t[>liry,i;isehen  Ursprung  (S.  171)  nicht  teilen. 

2  Die  bisherigen  Aiibililungcn  Juiirnal  of  Ilellcnw  sludies  III  S.  9,  Perrot' 
Chipie/.  IV  Fig.  :^53,  Athen.  Mitlheihingen  XIV  S.  182  un.i  Reber  S.  583 
sind  mehr  oder  weniger  un/.ul.inglieii ;  in  unserer  Abbildung  ist  der  Stil 
etwas  verweichlieht,  aber  die  Einzelheiten  sind  treuer  ajs  auf  den  älteren 
wiedergegeben, 


138  A.    KOERTE 

Eigentümlichkeiten  der  Tracht  und  Bewegung  fehlen,  an  denen 
hethitische  oder  syrokappadokisclie  Werke  auch  bei  sciilechter 
Erhaltuno;  so  leicht  zu  erkennen  sind.  I)ar<j;estellt  ist  ein  nach 
rechts  gewendeter  Mann  in  Schrittstellung;  sein  faltenloses 
Gewand  reicht  bis  ans  Knie,  auf  dem  vielleicht  bärtigen  Kopf 
trägt  er  anscheinend  eine  eng  anliegende  Kappe  ',  unter  der 
hinten  ein  aufgebundener  llaarschopf  hervorquillt.  Ob  seine 
Füsse  beschuht  sind,  ist  nicht  zu  erkennen,  jedenfalls  stecken 
sie  nicht  in  hethitischen  Schnabelschuhen:  über  seiner 
Schulter  wird  ein  Geafensland  sichtbar,  den  ich  für  einen 
Köcher  halten  möchte,  und  in  der  Kechten  trägt  er  einen  Stab 
von  eigentümlicher  Form.  Der  ziemlich  dicke  Stock  läuft  oben 
gabelartig  in  zwei  dünne  geschwungene  Enden  aus.  deren 
Spitzen  auf  meiner  Photographie  mit  Sicherheit  zu  erkennen 
sind,  auch  am  Original  habe  ich  sie  gesehen ;  ob  diese  h]nden 
unmittelbar  über  der  Gabelung  einmal  verschränkt  sind  wie 
bei  der  gewöhnlichen  Form  des  griechischen  Kerykeion,  weiss 
ich  nicht  bestimmt  zu  sagen;  der  Fels  ist  gerade  an  dieser 
Stelle  stark  beschädigt.  Nach  der  Photographie  ist  mir  solche 
Verschränkung  nicht  wahrscheinlich  und  die  in  der  Abbildung 
gegebene  Form  wird  richtig  sein.  Die  von  Ramsay  S.  9  mit 
Recht  hervorgehobene  Verwandtschaft  mit  dem  griechischen 
Kerykeion  wird  dadurch  nicht  beeinträchtigt, denn  dies  ist  von 
Haus  aus  nichts  als  eine  gegabelte  Rute,  ein  Zwiesel  (Preller- 
Robert,  Griechische  Mythologie  I  S.U-2;  Münsterberg,  Arch. 
Epigr.  Mittheilungen  XV  S.  142),  dessen  Enden  keineswegs 
immer  verschränkt  sind  (vgl.  Rom.  Mittheilungen  II  Taf.  8,1), 
auch  ebenso  gut  zweimal  wie  einmal  verschlungen  sein  kön- 
nen (Gerhard,  Auserlesene  Vasenbilder  III  Taf.  17Ü).  Das 
Kerykeion  berechtigt  uns  aber  nicht,  die  Figur  des  Reliefs 
Hermes  zu  nennen,  wie  Ramsay  vorschlug,  denn  es  ist  ur- 
sprünglich ein  Symbol  der  llerrschergewalt,  das  dem  gött- 
lichen oder  menschlichen  Botschafter  der  geheiligten  Majestät 


*  Möglicher  Weise  ist  der  Knjil'  unbedeckt  zu  denken. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  139 

gleichsam  zur  Beglaubigung  eingehändigt  wird  *.  So  trägt  auf 
der  Dodwellvase  Agamennnon  das  Kerykeion  und  auf  den  bei- 
den angeführten  Gefässen,  die  derselben  jonischen  Fabrik  ent- 
stammen, finden  wir  es  einmal  in  der  Hand  des  Zeus,  das 
andere  Mal  führen  es  zehn  Geronten.  Demnach  werden  wir 
die  Figur  des  phrygischen  Reliefs  als  einen  göttlichen  oder 
menschlichen  Herrscher  bezeichnen  dürfen ;  eine  genauere 
Bestimmung  ist  unmöglich.  Die  beiden  Gegenstände  vor  ihm 
kann  ich  nicht  für  hethitische  Hieroglyphen  halten,  denn  sie 
haben  mit  keinem  dieser  Zeichen  Ähnlichkeit,  ebenso  bedenk- 
lich scheint  mir  aber  Rebers  Deutung  als  Opfergaben  auf  einem 
Altar.  Der  Schein  eines  Altars  entsteht  dadurch,  dass  rings 
um  die  beiden  Gegenstände  nur  so  viel  Reliefgrund  vertieft 
ist,  als  eben  nötig  war,  also  unten  und  oben  weniger  als  für 
die  menschliche  Figur.  Den  unteren  Gegenstand  weiss  ich 
nicht  zu  benennen,  der  obere  ist  kein  Nyogel  ,  sondern  wol 
zweifellos  eine  phrygisehe  Mütze  und  als  einzige  altphrygische 
Darstellung  des  einzigen  noch  heute  lebendigen  Erzeugnisses 
der  phrygischen  Kultur  nicht  ohne  Interesse.  Nicht  als  Opfer- 
gaben, auch  nicht  als  Hieroglyphen  sondern  als  Attribute 
werden  die  beiden  Dinge  dem  Bilde  des  Herrschers  beigefügt 
sein  Von  Bedeutung  ist  es,  dass  die  einzig«^  Figentümlichkeit, 
die  sich  mit  Sicherheit  an  einen  fremden  Kulturkreis  anknüp- 
fen lässt,  das  Kerykeion,  wieder  nicht  nach  dem  Osten,  son- 
dern nach  Jonien  weist. 

Von  den  Felsgräbern,  an  denen  sich  die  Abhängigkeit  von 
der  jonischen  Kunst  des  VII.  und  VI.  .lahi  hunderls  am  besten 
beobachten  lässt,  sind  die  geometrisch  verzierten  Kultstätten 
zeitlich  gar  nicht  zu  trennen.  Die  Brücke  zwischen  beiden 
Denkmälerklassen  schlägt  der  Arslan  -  kaja.  der  durch  seine 
Skulpturen  ebenso  unlöslich  mit  den  Felsgräbern  wie  durch 
seine  ganze  Anlage  und  seine  Inschrilt  mit  den  geometrischen 


*  Ich  vcrrlnnke  diosen  Hinwois  Löschrke,  von  dem  wir  eine  erscliöpfende 
Bcliandiuiig  des  iiiteressaiilt'U  Slotls  crlioiren  dürtcii. 


140  A.    KOERTE 

Fassaden  verkniipft  ist.  Diese  Fassaden  mit  ihren  reichen 
iMustern  sind  die  selbständigsten  lu'zeiignisse  der  phrygischen 
Kunst,  um  so  wichtiger  ist  es.  dass  aueii  sie  sich  dem  über- 
mächtigen jonischen  Einfluss  auf  die  Dauer  nicht  liaben  ent- 
ziehen können.  Spiiingen  und  Mäander  des  Arslan  -  kaja  sind 
ebenso  sicher  hellenisch  wieder  Lotosknospen-  und  Palmetten- 
Fries  des  Kütschük- jasili  -  kaja  ,  dessen  Herkunft  ich  oben 
(S.  1  1  4  ff. )  nachgewiesen  habe. 

Wenn  wir  von  den  geometrischen  Mustern  absehen,  steht 
es  um  die  phrygische  Kunst  nicht  anders  wie  um  das  phrygi- 
sche  Alphabet;  alles  Wesentliche  ist  von  den  kleinasialischen 
Griechen  entlehnt,  nur  Einzelheiten  sind  nach  Hedürfniss  ge- 
ändert und  hinzugethan.  Dieser  Sachverhalt  kann  nicht  mehr 
überraschen,  seit  wir  wissen,  dass  in  der  ersten  Hälfte  des 
sechsten  Jahrhunderts  auch  echte  Erzeugnisse  der  jonischen 
Plastik  (Athen.  Mittheilungen  XX  S.  1  ff. )  und  Keramik 
(Ebenda  XXII  S.  27  f.)  nach  dem  phrygischen  Hochlande 
eingeführt  worden  sind. 

Fragen  wir  uns  nun.  wann  dieser  mächtige  Einfluss  des  Hel- 
lenismus begonnen  hat,  so  bietet  die  Zurückdrängung  der 
Kimmerier  den  natürlichen  terminiis  a  quo.  Ich  sehe  keinen 
Grund,  eines  der  phrygischen  Denkmäler^zu  denen  uns  ost- 
griechische Werke  des  siebenten  und  sechsten  Jahrhunderts 
die  meisten  Analogien  gegeben  haben,  für  älter  zu  halten  als 
rund  ö.]0.  Damals  war  die  Macht  der  Kimmerier  gebrochen, 
Lydien  hatte  das  IJntertanenverhältniss  zu  Assyrien  gelöst  und 
war  wieder  in  die  Reihe  der  asiatischen  Grossmächte  einge- 
treten (vgl.  Radet,  La  Lydie  et  le  mondc  grec  S.  132). 
Durch  die  Vorherrschaft  der  halbhellenisirten  Lyder  wurde 
den  Joniern  der  Zugang  zum  Innern  Kleinasiens  geöffnet.  Eine 
tiefe  Kluft  trennt  die  im  engeren  Sinn  phrygischen  Denkmä- 
ler von  allen  Kulturresten,  die  sich  auf  dem  weiten  Hochlande 
aus  älterer  Zeit  erhallen  haben  2.  Die  lielicfs  von  Gjaur  -  ka- 


'  Nur  Dclikli  -  tascli  i.sl  wol  älter. 

?  IJbcr   dir.sc    vgl.  bcsomicrs     liiisclilcld,     Die   Frisciiiciii  fs    in    Klein- 


feLEINASIAtlSCHE    STUDIEN.   III.  iki 

lessi,  Eflatun  -  hiinar,  Fassilar  und  Ihris,  die  Hieroglyphen 
von  Bey  -  köi  und  Kölitolu  haben  mit  den  Werken,  die  uns 
beschäftigten,  so  gut  wie  nichts  gemein,  sie  hängen  ebenso 
deutlich  von  der  alten  Kunst  dos  Ostens  ab  wie  jene  von  der 
des  Westens.  Dass  zwischen  beiden  Gruppen  die  Übergänge 
fehlen,  dass  sie  so  fremd  neben  einander  stehen,  erklärt  sich 
leicht,  wenn  sie  sich  zeitlich  nicht  berührten  :  zwischen  beide 
fällt  eben  der  Schrecken  der  Kimmerierherrschaft.  während 
welcher  jede  Kunstübung  aufhörte.  Man  hat  gemeint,  die 
grossen  Felsdenkmäler  hätten  nur  in  (h^r  Zeit  nationaler  Selb- 
ständigkeit entstehen  können, aber  das  beruht  auf  einerstarken 
Überschätzung  ihrer  Eigenart.  Eine  selbständige,  wurzelechte 
phrygische  Kunst  hat  es  so  wenig  gegeben  wie  eine  lydische 
oder  karische.  Die  alten  Landeskönige  hatten,  wie  vor  allem 
die  Sculpturen  von  Gjaur- kalessi  zeigen,  ihren  Bedarf  an 
Kunsttypen  von  Osten  her  bezogen,  und  als  nach  der  Kim- 
meriernot  das  reiche  Land  sich  schnell  erholte,  da  konnten 
die  Fürsten,  die  nun  unter  lydischer  Oberhoheit  herrschten, 
für  ihre  prächtigen  Grabmäler  und  Kultstätten  die  ausländi- 
schen Vorbilder  gleichfalls  nicht  entbehren.  Die  bescheidenen 
Reime  nationalen  Stils  wurden  eifrig  gepflegt,  aber  das  reiche 
Erbe  der  Jonier  musste  aushelfen. 

Mit  der  gleichen  Wahrscheinlichkeit  wie  der  Beginn  des 
jonischen  Einflusses  lässt  sich  m.  E.  sein  Ende  daliren  ;  wol 
keines  der  besprochenen  Werke  ist  jünger  als  das  Jalir  5 '»6, 
in  dem  das  Lyderreich  dem  Perserkönige  erlag.  Nur  ein  ein- 
ziges Denkmal  ist  mir  bekannt,  das  möglicher  Weise  etwas 
jünger  sein  kann  als  der  Sturz  des  Kroisos,  und  dies  erfordert 
eine  eingehendere  Besprechung 

iütwa  70'""  n(>rdlich  von  Arslan-kaja.  dem  nördlichsten 
Denkmal  der  zusammenhängenden  Gruppe  befindet  sich  eine 
stattliche  Grabanlage  (g  in  der  S.   121  f.  aufgestellten  Liste), 


asien  und   das   X'olk    di-r  Ilillilcr  ( Aldiaiidliiiigcii   dfr  BnliiuT  Akademie 
1886). 


142  A.   KOERTfi 

deren  Kenntniss  ich  Herrn  Ingenieur  de  Philippi  verdanke*. 
Sie  liegt  etwa  '2'""  von  der  Station  Küklsche  -  kissik  der  Eisen- 
bahnlinie Eskischeliir  -  Kutaja  entfernt  am  felsigen  Südrand 
des  Porsuklhals, dessen  nicht  unbeträchtliche  Breite  hier  haupt- 
sächlich durch  sumpfige  Wiesen  ausgefüllt  wird.  Von  aussen 
sichtbar  ist  nur  (s.  Fig.   13)  in  einem  roh  vertieften  Rahmen 


Fig.  13 

ein  niedriger  schmuckloser  Giebel  von  etwa  4,00'"  Breite  und 
0.60'"  Höhe,  der  auf  einem  in  zwei  breitere  und  zwei  schma- 
lere Streifen  gegliederten  Gebälk  aufliegt.  I^ie  Ähnlichkeit, 
die  der  untere  Teil  des  Gebälks  durch  die  Absätze  mit  dem 
jonischen  Epislyl  gewinnt,  kann  Zufall  sein,  denn  auch  der 
nur  zur  Hälfte  erhaltene  rechte  Seitenpfeiler  ist  in  gleicher 
Weise  in  zwei  Streifen  geteilt.  Der  Giebel  war  in  seiner  Mitte 


'  Wenige  ScIiriU  von  ihr   eiitfernl  liegt  da.s  kleine  S.  11. S  Fig.  8  ab- 
gebildete Denkmal. 


fctfelNASIATISCHE    STUDIEN.   III. 


143 


gestützt,  wie  ein  kurzer  viereckiger  Stumpf  lehrt;  da  sich  an 
diesem  keine  Spuren  eines  runden  Kapitells  finden  und  auch 
den  Seitenpleilern  die  Kapitellhiidung  fehlt,  wird  die  Stütze 
wol  ein  einfacher  viereckiger  Pfeiler  geN\esen  sein.  Ausge- 
schlossen ist  die  Möglichkeit  freilich  nicht,  dass  sie  in  Form 
einer  Säule  gebildet  war,  wie  bei  einigen  paphlagonischen 
Felsgräbern,  die  seitlich  ähnlich  begrenzt  sind  und  doch  in 
der  Mitte  Säulen  haben  ( llirschfeld,  l^aphlugonische  Felsen- 
gräber, Abhandlungen  der  Berliner  Akademie,  1885,  Taf.  2 
und  4).  Erheblich  breiter  als  die  Fassade  ist  der  dahinter  ge- 
legene Saal   (s.  Fig.  14);   er  hat  eine  Breite  von  7,80'"  und 


Fig.  14 


eine  Tiefe  von  3,15'".  Die  aussen  in  Folge  der  Zerstörung  der 
Pfeiler  weniger  kenntliche  Nachahmung  der  Holzarchitektur 
ist  in  diesem  l\aum  sehr  sorgfältig  ausgeführt  ( s.  Fig.  15). 
Die  dem  j^^iiigang  gegenüber  liegende  Wand  wird  gegliedert 
durch  zwei  Thüren  und  drei  Scheinfenster  mit  der  Nach- 
ahmung gradlinig  prolilirter  llolzrahmen.  Zwischen  je  einer 


^44  A.    KOERTE 

Tliiir-  und  Fensteröffnung  treten  als  Träger  der  flachen  Bal- 
kendecke Pfeiler  von  etwa  0,40"'  Breite  etwas  aus  der  Wand 
iiervor.  ihre  Köpfe  sind  durch  Platten  in  der  Form  von  Bret- 


FiG.  15 


tern  verstärkt.  Ganz  entsprechend  sind  die  Schmalseiten  ge- 
staltet, ein  Pfeiler  in  der  Mitte  und  zwei  etwas  schmälere  in 
den  Fcken  hahen  an  der  linken  Wand  zwei  Scheinfenster  an 
der  rechten  ein  Scheinfenster  und  eine  kleine  Thür  mit  drei 
niedrigen  vorgelagerten  Stufen  zwischen  sich;  auch  an  der  Vor- 
derwand sind  zu  heiden  Seiten  des  Ringangs  zwei  Schein- 
fenster angebracht.  Aus  diesem  Saal,  der  das  Innere  eines 
einfachen  Holzhauses  mit  nüchterner  Treue  wiedergiebt,  ge- 
langt man  durch  die  kleine  Pforte  rechts  in  eine  schmucklose 
Kammer  von  2.30  zu  2,10'"  Grundfläche, während  die  beiden 
Thüren  der  Längswand  in  einen  gnisserer  gleichfalls  kahlen 
liaum  von  6,00  zu  3.00'"  führen.  An  diesen  schliessl  sich  hin- 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.  III.  145 

ten  eine  Nische  von  2,10'"  Tiefe  und  unregelmässiger  Rück- 
wand an,  die  ganz  oder  zum  Teil  später  hinzugefügt  zu  sein 
scheint,  als  man  das  alte  Grab  als  Kirche  benutzte.  Vielleicht 
enthielt  die  Nische  ursprünglich  ein  Totenbett  und  wurde 
von  den  Christen  zur  Apsis  ausgestaltet.  Sicher  spät  ist  ferner 
ein  roh  in  den  Boden  der  Hauptkammer  gehauenes  Schacht- 
grab und  allerlei  Kritzeleien  an  den  Wänden  des  Vorsaals. 
Üass  die  Kammern  so  schmucklos,  der  Vorraum  dagegen 
sorgfältig  verziert  ist,  lässt  voraussetzen,  dass  er  dem  Toten- 
kult diente,  während  man  die  Kammern  nicht  zu  betreten 
pflegte.  Die  ganze  Grabanlage  hat  durch  die  Witterung  und 
die  Hirtenfeuer  stark  gelitten;  die  Arbeit  ist  nicht  so  fein  wie 
am  Arslan  -  kaja  oder  dem  zertrümmerten  Löwengrab,  aber 
doch  leidlich  sorgfältig.  Von  dem  T^'pus  der  übrigen  Felsen- 
gräber weicht  dies  ganz  erheblich  ab;  die  bequem  zugäng- 
liche 3'"  hohe  Doppelthür  mit  dem  Giebel  darüber  und  der 
grosse  sorgfältig  ausgestattete  Vorsaal  haben  in  Phr^'gien  kein 
Seitenstück,  dagegen  stimmt  es  auffällig  mit  den  von  Hirsch- 
feld untersuchten  paphlagonischen  Felsengräbern  überein. 
Auch  diesen  ist  die  Giebelfassade  mit  einer  oder  mehreren 
Stützen  und  die  offene  Halle  vor  der  eigentlichen  Grabkammer 
eigentümlich;  freilich  ist  die  Vorhalle  nirgends  so  gross  und 
so  liebevoll  ausgestattet,  wie  bei  dem  Grab  von  Köktsche- 
kissik.  in  den  Einzelheiten  steht  ihm  am  nächsten  das  von 
Hirschfeld  mit  Nr.  111  bezeichnete  Grab  von  Iskelib  (a.  a.  0. 
Taf.  6  S.  19  f.,  Perrot-Chipiez  V  Fig.  144-148)  mit  einem 
zerstörten  Mittelpfeiler,  geräumiger  Vorhalle  und  sorgfältiger 
Nachahmung  der  llolzarchitektur  in  der  Grabkammer  selbst. 
Das  Totenlager  ist  liier  in  einer  Nische  an  der  Rückwand  an- 
gebracht, so  wie  ich  es  bei  dem  phrygischen  Grabe  vermutet 
habe.  In  den  llauptzügen  stimmt  das  Grab  von  Köktsche- 
kissik  so  auffällig  mit  den  paphlagonischen  überein,  dass  wol 
irgend  eine  Verbindung  zwischen  ihnen  trotz  der  grossen 
räumlichen  Trennung  anzunehmen  ist,  wenn  wir  auch  vor- 
läufig noch  nichts  über  die  Art  der  N'erbindung  feststellen 
können.  Hinweisen  möchli'  ich  nur  darauf,  dass  es  nicht  an 

ATHEN.   MITTHBILUNGEN    .\.\lll.  10 


146  A     KOERTE 

Anzeichen  für  eine  Slammes-Verwandtschaft  der  Paphlagonier 
und  Pliryger  fehlt  (vgl.  besonders  Herodot  VII,  73;  E.  Meyer, 
Geschichte  des  Altertums  I  S.  300).  Leider  geben  die  paphla- 
gonischen  Gräber  für  die  Datirungdes  phrygischen  wenig  aus, 
denn  die  genauen  Untersuchungen  llirschfelds  haben  keine 
sichern  Anlialtspunkte  für  ihre  Zeitbestimmung  ergeben  '. 
An  dem  phrygischen  Grabe  mutet  zunächst  der  Giebel  ganz 
griechisch  an  und  verleitet  zu  einem  späten  Ansatz;  Reber,  der 
das  Grab  selbst  freilich  nicht  gesehen  hat,  will  sogar  bis  in 
hellenistische  Zeit  hinabgehen  ( S.  587),  was  angesichts  der 
paphlagonischen  Gräber  unmöglich  ist".  Andrerseits  macht  die 
strenge,  nüchterne  Nachahmung  der  Holzarchitektur,  die  an 
Pfeilern,  Balken  und  Giebel  auf  jeglichen  künstlerischen 
Schmuck  verzichtet,  fast  einen  älteren  Eindruck  als  der  grös- 
sere Formenreichtum  der  paphlagonischen  Gräber,  und  so 
vermag  ich  keine  Datirung  zu  geben.  Da  jedoch  Felsengräber 
in  Phr Villen  vom  V.  Jahrhundert  vor  Chr.  bis  zum  Beginn  des 
IJ.  Jahrhunderts  nach  Chr.  bisher  sonst  nicht  nachgewiesen 
sind  ^,  halte  ich  es  für  bedenklich,  dies  eine  zweifelhafte  Stück 
erheblich  jünger  anzusetzen  als  den  Sturz  des  Lyderreichs. 
Seine  Unterschiede  von  den  übrigen  altphrygischen  Felsen- 
gräbern können  ebenso  gut  durch  örtlichen  als  durch  zeit- 
lichen Abstand  erklärt  werden. 

II.   Die  Felsgraeber  der  roemischen  Kaiserzeit. 

Die  von  mir  zuerst  bei  der  VVinckelmannsfeier  des  atheni- 
schen Instituts  1894  vorgetragene  Ansicht, dass  alle  bisher  dem 
V.  und  IV.  Jahrhundert  vor  Chr.  zugewiesenen  phrygischen 
Felsengräber  Werke  der  römischen  Kaiserzeit  seien,  ist  inzwi- 


^   Er  sclieint  geneigt  ilir  Aller  zu  überschätzen. 

2  Wenn  er  von  Akrulericnspuren  redet,  so  ist  er  wol  dureli  die  Photo- 
graphie gelausciil;  ich  halic  wenigstens  keine  solchen  Spuren  wahrge- 
nommen. 

3  Vgl.  das  folgende  Kapitel  dieser  Studien. 


KLEINASlATIbCHE    STUDIEN.   III.  147 

sehen  dureh  Reber  in  dem  wertvollen  Schlussteil  seiner  Ab- 
handlung an  der  Hand  vorzüglicher  Abbildungen  so  eingehend 
begründet  worden,  dass  ich  mich  über  diese  Gräber  "kürzer 
lassen  kann  als  ursprünglich  im  Plane  meiner  Arbeit  lag. 
Gern  sehe  ich  mich  durch  ihn  der  Xotuendigkeit  überhoben, 
neue  Abbildungen  von  diesen  unerfreulichen,  lange  Zeit  so 
seltsam  überscliätzten  Denkmälern  zu  geben, aber  es  bleibt  mir 
doch  noch  mancherlei  über  sie  zu  sagen,  da  Reber  aus  dem 
Thatbestand  die  Folgerungen  nicht  mit  der  nötigen  Bestimmt- 
heit zieht.  Ich  gebe  zunächst  wieder  eine  Liste  der  wichtige- 
ren in  diese  Klasse  gehörigen  Denkmäler  und  ihrer  Abbil- 
dungen *. 

a)  Gerdek-kaja,  dorisches  Grab  bei  Tschukurdscha.  Ab- 
geb.  Reber  Taf.  9  und  Fig.  12;  Texier,  Descriptiua  de  l'A- 
sie  nuneure  Taf.  ÜU.  Üi  ;  Perrot- Chipiez  Fig.  yi.  Stewart, 
Ancient  monuments  uf  Lydia  and  Phrygia  Tat.    1-2. 

h)  Solon-Grab  von  Kümbet.  Abgeb.  Reber  Tat.  10  Fi^^. 
13;  Perrot,  Exploration  de  La  Galatie  et  de  la  Bithynie 
Tat.  7  ;  Periot- Chipiez  Fig.  83-09,  schlechter  Stewart,  An- 
cient monuments  of  Lydia  and  P/irygia  Tat.  6.  16. 

c)  Alle  Gräber  der  grossen  A'ekropole  von  Ajas-in  -.  iMehrere 
von  ihnen  sind  abgebildet  bei  Reber  Taf.  11  und  12,  ¥'\^. 
14,  15;  Ramsay,  Joiir/uU  of  Hciienic  studies  111,  IbS'i, 
Taf.  2t) --^9;  Periot- Chipiez  Fig.  IT-öv!  und  92-97. 

d)  Mehrere  Gräber  am  VVestabhang  des  Felsplateaus  von 
Japuldak.  Abgeb.  Reber  Fig.  16  und  lö;  Ramsay,  Journal 
of  IJellcnic  studies  X,  16^9,  Fig.  28-33;  Perrot  -  Chipiez 
Fig.  9ü. 


<  VoUsläiuligkeit  der  Angaben  über  die  Abbildungen  ist  aiicli  bior  nicbt 
erstrebt,  ungenügende  .^kizzen  wie  die  \un  Bailb  erwabne  ieb  absielitiieb 
nicbl. 

'^  Hanisay  und  ibin  luigend  l'errul  benennen  aucb  die  altplirjgiscben  um 
den  Arsian-  labcb  gruiipirlen  Lenkuiaier  naeh  dem  Durle  Ajas-iu.  Da  diese 
aber  von  Ajas-in  über  eine  Ölunde  enllernl  sind  und  in  einen  andern  Tiial 
liegen,  einplieblt  es  sieb  inclir,  sie  naeb  dem  naebslen  l)urle  Hairan-veli 
zu  benennen. 


148  A.   KOERTE 

e)  Grab  bei  Demirli.  Abgeb.  Reber  Fig.  17. 

f)  Grab  bei  Bey-köi,  beschrieben  von  Ramsay,  Journal 
of  Hellenic  studies  IX,  1888,  S.  372.  In  dem  flachen  Bo- 
gen der  Vorhalle  sitzen  zwei  Löwen,  deren  Vorderpfoten  ei- 
nen Stierschädel  (?)  berühren.  Innen  drei  Arcosolien. 

Was  diese  Gräber  von  den  altphrygischen  am  deutlichsten 
scheidet,  ist  die  Form  des  Totenlagers;  wer  für  die  Verwahr- 
losung des  Stils  ihrer  Fassaden  kein  Auge  hat,  kann  durch 
einen  Blick  in  ihr  Inneres  leicht  feststellen, ob  ein  Grabmal  zu 
dieser  Klasse  gehört.  Während  die  altphrygischen  Kammern 
entweder  ganz  leer  sind,  oder  Steinbänke  für  die  Leichen  ent- 
halten, finden  sich  in  den  spätphrygischen  ausnahmslos  To- 
tenlager, die  wie  Krippen  aussehen,  und  von  den  anatolischen 
Bauern  auch  gern  als  Krippen  benutzt  werden:  In  die  Kam- 
merwände sind  booen-,  ausnahmsweise  auch  ofiebelförmisje 
Nischen  gehauen,  die  unten  in  sargartige  Höhlungen  für  die 
Leichen  übergehen  (s.  Reber  Fig.  15-17).  Diese  Grabform, 
für  welche  die  christliche  Archäologie  den  inschriftlich  be- 
zeugten (vgl.  Victor  Schnitze,  Die  Katakomben  S.  76  f.)  Na- 
men Arcosolien  eingeführt  hat,  ist  in  der  römischen  Kaiser- 
zeit von  Italien  aus  in  die  Provinzen  gedrungen.  Weitaus  am 
zahlreichsten  sind  sie  in  den  christlichen  Katakomben.  Schon 
die  in  ihren  Anfängen  bis  ins  erste  Jahrhundert  nach  Chr. 
zurückgehende  christliche  Nekropole  von  S.  Gennaro  dei  Po- 
veri  in  Neapel  enthält  Arcosolien  in  Menge,  dann  finden  wir 
sie  in  den  Katakomben  von  Rom,  Sicilien,  Kyrene,  Melos, 
Syrien,  überall  als  die  vornehmere  Grabform  neben  den  billi- 
geren loculi.  Wie  fast  alle  in  Felsnekropolen  verwendeten  For- 
men dem  Holz-  oder  Steinbau  entlehnt  sind,  so  auch  die  Ar- 
cosolien, und  zwar  weist  der  runde  Bogen  deutlich  auf  den 
römischen  Gewölbebau  als  Vorbild.  Es  scheint  mir  nicht  un- 
denkbar, dass  die  Arcosolien  aus  den  Nischen  der  Columba- 
rien  herzuleiten  sind;  im  Prinzip  sind  sie  von  den  Bogenni- 
schen,  wie  sie  z.  B.  im  Columbariuni  der  Livia  (Piranesi, 
Antichitä  di  Roma  III,  26)  in  vielen  Reihen  übereinander 
an  den  hohen  Wänden  angeordnet  sind,  nicht  sehr  verschie- 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  149 

den,  nur  sind  sie  viel  grösser,  weil  die  untere  Höhlung  nicht 
nur  die  Aschenurne  sondern  den  ganzen  Leichnam  aufnehmen 
soll.  An  Columbarien  fühlt  man  sich  besonders  erinnert,  wenn 
die  Arcosolien  in  zwei  Reihen  übereinander  liegen  (Reber 
Fig.  14,  15).  Ebenso  gut  kann  das  Arcosoliengrab  aber  auch 
durch  das  Zusammenwachsen  einer  gewölbten  Nische  mit  ei- 
nem frei  darin  stehenden  Sarkophag  entstanden  sein  (vgl. 
Schnitze  a.  a.  0.  Fig.  10;  Pacho,  Voi/af^e  dans  la  Marma- 
riqiie  et  La  Cyrena'ique  Tat".  39  und  55).  Sicher  ist.  dass 
wenigstens  in  spaterer  Zeit  die  Arcosolien  nicht  auf  die  Fels- 
nekropolen  beschränkt  waren;  in  Central  -  Syrien  kommen  aus 
Stein  erbaute  Grabmäler  mit  Arcosolien  (Vogue,  La  Sijrie 
centrale  Taf.  70-73)  und  daneben  in  den  Felsen  gehauene 
vor  (Vogue  Taf.  80.  81,  88,  89  ).  Die  syrischen  Gräber  sind 
zwar  christlich  und  gehören  zum  Teil  erst  in  das  V.  Jahr- 
hundert nach  Chr..  stimmen  aber  mit  den  phrygischen  in 
allen  wesentlichen  Punkten  (iberein;  gleich  jenen  sind  sie  Fa- 
miliengräber mit  3  bis  6  Grabstätten,  keine  Massengräber  nach 
Art  der  Katakomben,  im  Innern  ganz  entsprechende  Kammer- 
gräber heidnischen  Ursprungs  auf  der  Insel  Melos  beschreiben 
Ross  (Intelligenzblatt  der  Allgemeinen  Litteraturzeitung  1838 
Nr.  40  S.  326)  und  Prokesch  -  Osten  (Denkwürdigkeiten  II 
S.  204);  nach  der  einen  darin  gefundenen  Inschrift  C.I.  G. 
2439c  gehören  sie  in  die  Kaiserzeit '.  Die  Arcosolien  sind  aber 
keineswegs  immer  im  Innern  von  Grabkammern  angebracht, 
wol  noch  häufiger  sind  sie  einzeln  in  den  freistehenden  Fels 
gehauen;  so  kommen  sie  massenhaft  in  Phrygien,  aber  auch 
in  Syrien  (Vogue  Taf.  73,  90),  aul  Thera  {Moii.  dcll  Inst. 
III  Taf.  25,  2  und  3  =  Ross,  Arch.  Aufsätze  II  Taf.  11.  12) 
und  selbst  in  Lykien  vor,  wo  im  Allgemeinen  die  alten  Grab- 
formen auch  in  der  späten  Zeit  mit  grosser  Zähigkeit  festge- 
halten werden,  h^ins  dieser  lykischen  .Vrcosolien,  die  Petersen 
und  Luschan  bei  dem  Dorf  Alifaradin  sahen   (Reisen  in  Ly- 


'  Prokesch  -  Oston  hält  sie  zwar  für  uiall,  aber  seine  Beschreibung   be- 
weist das  Gegenteil, 


450  A.    KOERTE 

kien  Taf.  25  S.  167  f.),  ist  durch  seine  Datirung  auf  das  Jahr 
269  nach  Chr.  besonders  interessant. 

Dieser  kurze  Überblick  wird  zu  dem  Beweise  genügen,  dass 
die  Arcosolien  eine  in  Italien  aufgekommene  Grabform  sind, 
die  allmäblicli  immer  weitere  Verbreitung  gefunden  hat;  die 
meisten  in  den  Provinzen  bekannten  Beispiele  gehi)ren  dem 
III.  bis  V.  .Jahrhundert  an,  auch  von  den  plirygischen  kann 
ich  keins  für  vorhadrianisch  halten.  Reber  scbeint  geneigt 
(S.  587),  wenigstens  das  dorische  Felsgrab  von  Tschukurdscha 
um  100  Jahre  älter  anzusetzen.  Aber  aus  dieser  Zeit  sind  Ar- 
cosolien meines  Wissens  im  Osten  nicht  nachzuweisen  ;  die 
Architekturformen  scheinen  mir  in  der  Zeit  Iladrians  und 
selbst  der  Antonine  ebenso  gut  möglich,  und  die  hohe  mate- 
rielle Blüte  des  Hochlandes,  wie  eine  so  stattlicbe  Anlage  sie 
zur  Voraussetzung  hat.  beginnt  nach  Ausweis  der  Inschriften 
erst  im  zweiten  Jahrhundert '. 

Die  aus  der  inneren  Anlage  erschlossene  Datirung  der  Grä- 
ber wird  durch  ihre  Fassaden  schlagend  bestätigt;  ich  darf 
dafür  auf  Bebers  Abbildungen  und  Ausführungen  (S.  589  ff.) 
verweisen.  Eine  für  die  Spätzeit  sehr  charakteristische  Ein- 
zelheit am  Solonorab  von  Kümbet.  die  Perrot  allein  schon 
hätte  abhalten  sollen,  das  Grab  ins  V.  oder  iV.  Jahrhundert 
zu  setzen  (S.  232),  hat  auch  Reber  nicht  recht  hervorgeho- 
ben. Unter  den  Köpfchen,  die  zwischen  den  Kragsteinen  des 
Giebels  angebracht  sind  ,  befinden  sich  neben  Löwen  und 
Gorgonenköpfen  auch  zwei  unverkennbare  Theatermasken  spä- 
ter Form;  die  eine  nimmt  an  der  linken  Seite  den  zweiten 
Platz  von  unten,  die  andere  den  obersten  auf  der  rechten  Seite 
ein.  An  demselben  Grab  möchte  ich  noch  zwei  Punkte  gegen 


'  Rebers  Datirunjj:en  sind  merkwürdig  widerspruchsvoll.  Auf  S.  541  lesen 
wir,  dass  'einige  Felsengräber  iui  Berglatid  von  einer  seihst  hier  wieder  er- 
wachten Wohlhabenheit  um  die  letzte  Zeit  der  Republik  oder  zu  Anfang 
der  Kaiserzeit  sprechen  '  während  er  S.  5S7  das  älteste  dieser  Gräber  'nicht 
vor  die  Zeit  um  Christi  Geburt  fallend  '  ncnnl.  Das  Solontrrab  von  Kümbet 
gehört  nach  S.  545  in  die  Zeit  um  Christi  Geburt,  nach  S.  589  in  die  An- 
toninenzeit. 


KLEINASIATISCHE    STUDIEN.   III.  151 

Reber  richtig  stellen.  Neben  dem  Eingang  ist  rechts  ein  Buckel- 
ochse ^  und  links,  wie  Stewart  richtig  angiebt,  ein  Gorgoneion 
in  geringen,  aber  für  die  Deutung  ausreichenden  Resten  er- 
halten. Ferner  lautet  die  Inschrift  über  der  Thür  zur  zweiten 
Grabkammer  nach  meiner  Absciirift  und  meinem  \bklatsch 
COAUUN^rfl  .  .  .  NOC  B  was  ich  unter  der,  in  dieser  Zeit 
und  Gegend  vvol  möglichen  Voraussetzung,  dass  die  gerundete 
und  die  eckige  Form  des  Sigma  wechseln  ,  zu  SoXwv  2^ö>.cri\o?6' 
ergänzen  möchte^.  Dass  diese  Inschrift  nicht  nachträglich 
hinzugefügt,  sondern  mit  der  ganzen  Anlage  gleichzeitig  ist, 
braucht  nach  dem  Gesagten  kaum  betont  zu  werden. 

Damit  beschliesse  ich  die  Betrachtung  der  phrygischen  Fels- 
denkmäler-^  und  möchte  nur  noch  einmal  kurz  hervorheben, 
welche  kulturgeschichtlichen  Folgerungen  sich  aus  ihnen  er- 
geben. Bisher  stellte  man  sich  das  Verhältniss  des  weiten 
phrygischen  Hochlandes  zum  Hellenismus  sehr  ähnlich  vor 
wie  das  Lykiens.  Dort  lässt  sich,  wie  Benndorf  (Reisen  in 
Lykien  und  Karien  S.  11  1  )  so  schön  ausgeführt  hat,  der  grie- 
chische Einfluss  seit  der  Einverleibung  des  Landes  in  die  joni- 
sche Satrapie  immer  deutlicher  erkennen  ;  nicht  ohne  Schwan- 
ken, aber  doch  ohne  Unterbrechung  nimmt  der  Hellenismus 
zu  —  besonders  stark  in  der  zweiten  Hälfte  des  IV.  Jahrhun- 
derts—  und  die  Kaiserzeit  vollendet  nur.  was  lange  Jahrhun- 
derte angebahnt  hatten.  Ganzanders  in  Phrygien:  Siegreich 
war  die  glänzende  Kultur  der  jonischen  Städte   in  der  Mcr- 


<  Der  Buckclochse  ist  auf  kleinasiatisclien  Denkm/ilern  der  Kaiserzeit 
ziemlich  Iiäulig;  die  von  Perrol  S.  13-2  angeführton  Beispiele  lassen  sich 
dureh  die  Listen  Kerns  (Athen.  Mitüieiliingen  1892  S.  277)  und  Kellers 
(Thiere  des  classischen  Alterllmnis  S.  68)  vermehren.  AniTallend  war  mir, 
dasselbe  Tier  bereits  durfli  eine  mykenisclie  TerrakoUe  der  Sehliemann- 
schen  Sammlung  in  Berlin  ( Inv.  8810)  dargestellt  zu  linden. 

2  Stewart  las  XlöXwv  ;:ovo;,  Perrot  S.  135  SdXwv  x£[!](Tai)  kvOa,  Reher  üd- 
Xwv  £.  i.  X.  k'vOa. 

•■*  Einige  hvzanlinisehe  Feiskirehen  übergehe  ich.  Eine  solehc  hei  Ajas-in 
hat  Reher  S.  ;)!I7  aligeliildct  und  hesehrieheii,  eine  andere  bei  Kessik- lasch 
wird  Strz>g()wski  aut'Grund  meiner  Aiiriialiiiien  in  der  By/antinisehen  Zeit- 
schrift behandeln. 


152  A.    KOERTE 

mnadenzeit  hierhin  vorgedrungen,  jonische  Schrift  und  joni- 
sclie  Kunsttypen,  selbst  jonische  Marmorwerke  und  jonische 
Tliongefässe  hatten  Eingang  gefunden,  aber  die  Perserherr- 
schaft zerriss  alle  Fäden,  die  Phrygien  mit  dem  Westen  zu 
verknüpfen  begannen.  Wir  haben  in  Phrygien  nicht  ein  ein- 
ziges W'erk  wie  das  Amyntasgrab ,  oder  das  Heroon  von 
Trysa;  griechische  Vasen  und  Terrakotten  des  V.  und  IV.  Jahr- 
hunderts fehlen  durchaus,  nicht  ein  griechischer  Inschriltstein 
aus  vorhellenistischer  Zeit  ist  bisher  zu  Tage  gekommen.  Zu 
dieser  Abschliessung  des  Landes  gegen  Westen  trug  jedenfalls 
die  Stellung  sehr  viel  bei,  die  es  in  der  persischen  Monarchie 
einnahm.  Während  Lykien,  Rarien  und  Pamphylien  mit  Jo- 
nien  und  der  Aiolis  zur  ersten  Satrapie  gehörten,  war  Phry- 
gien mit  Bithynien,  Paphlagonien  und  Kappadokien ,  also 
lauter  östlichen  Landschaften  zur  dritten  Satrapie  vereinigt 
(Herodot  111,  90)  Jahrhunderte  lang  liegt  das  Land  wie  im 
Schlaf,  kein  Kulturrest  giebt  von  der  Zeit  der  Perserherrschaft 
Kunde.  Der  Sturz  des  Perserreichs  hat  in  diesem  Gebiet  dem 
Hellenismus  keineswegs  zu  einem  schnellen  Siege  verholten. 
Städtegründungen  der  Diadochen  haben  auf  das  eigentliche 
Hochland  zunächst  kaum  einen  nachweisbaren  Einfluss  ge- 
habt, denn  der  Keltensturm  liess  das  zarte  Ptlänzchen  der  hel- 
lenischen Kultur  nicht  aufkommen.  Auch  die  Bedeutung  der 
Attaliden  für  die  llellenisirung  Phrygiens  wird  in  der  Regel 
sehr  überschätzt.  Wol  haben  sie  der  Göttermutter  in  Pessinus 
einen  schönen  Tempel  gebaut  (Strabo  XII,  567)  und  die  Prie- 
sterschaft gegen  die  Barbaren  unterstützt,  aber  die  kostbaren 
Steine,  welche  uns  ihren  Briefwechsel  mit  den  Priestern  er- 
halten haben  ^  lehren  doch  auch,  wie  vorsichtig  sich  die  Kö- 
nige in  diesen  Gegenden  bewegen  mussten.  und  sie  sind  die 
einzigen  grösseren  Inschriften  aus  vorrömischer  Zeit,  die  wir 
bisher  auf  dem  Hochland  gefunden  haben.  Selbst  das  Jahr- 
hundert von  der  Gründung  der  Provinz  Asia  bis  auf  Augustus 


*  Arch.  Epigr.  Mitlheilungen  VIII  S.  95  ff.  vgl.  Stähelin,  Gesphichte  der 
kleinasiatischen  Galater  S.  91  ff, 


KLEINASIATISCHE   STUDIEN.  III.  153 

hat  da  noch  nicht  viel  geändert,  erst  die  römischen  Kaiser 
haben  das  weite  Land  der  abendländischen  Kultur  wirklich 
erobert,  weil  sie  ihm  die  Grundbedingungen  einer  höheren 
Entwickelung  schenkten,  gesicherten  Frieden  und  eine  geord- 
nete Verwaltung.  Etwa  seit  der  Regierung  Hadrians  ist  der 
glänzende  Aufschwung  allenthalben  zu  verfolgen,  der  seinen 
Höhepunkt  in  der  ersten  Hälfte  des  Hl.  Jahrhunderts  erreicht. 
Überall  erheben  sich  prächtige  Tempel*,  Theater  und  Bäder, 
überall  treibt  man  mit  Statuen  und  Ehrendecreten  Luxus, 
weiht  den  alten  Landesgöttern  Altäre  und  Reliefs  mit  grie- 
chischer Inschrift,  und  schmückt  selbst  in  iJörfern  gern  die 
Grabsteine  mit  einem  griechischen  Epigramm.  Damals  ent- 
standen auch  die  Felsgräber,  die  mit  den  alten  Zeugen  einer 
früheren  Glanzzeit  des  I^andes  wetteifern  sollten,  aber  freilich 
an  monumentaler  Wirkung  hinter  ihnen   zurückbleiben. 

Die  mächtig  vordringende  Kraft  der  jonischen  Kultur  in  der 
Mermnadenzeit,  und  dann  wieder  die  gewaltige  Kulturleistung 
des  alternden  Hellenismus  unter  der  weisen  Leitung  Roms, 
das  sind  die  beiden  weltgeschichtlichen  Erscheinungen,  von 
denen  Phrygiens  Felsendenkmäler  mit  beredter  Zunge  zu  uns 
sprechen. 

Bonn. 

A.  KÖRTE. 


-^|^-H^ 


*  Unter  Hadrian  ist  z.B.  dor  bosterhallene  griechische  Tempel  Phrygiens, 
der  2Jeustempel  von  Aizanoi  erbaut. 


INSCHRIFT  AUS  HIERAPOLIS 

Im  C.  I.  G.  3916,  und  darnach  in  den  Altertümern  von 
Hierapolis  von  Judeich  S.  171,  336  wiederholt,  steht  eine 
Grahschrift,  welche  so  anhebt:  'H  copö?  x.at  6  ß(ojjt.6(;  y-xl  6  irspi- 
K)Okoc,  T:a;  £(Jtiv  'Axo'XT.coviou  too  MevivSpou  tou  'A7ro)>'X(j)v{ou 
2EKOYNAAPOYAOY.  Dies  letzte  Wort  hat  Franz  im  C./.^. 
zu  Il£>couvS[i]a[vjou  bessern  wollen,  Judeich  hat  es  unangetastet 
wenn  auch  unerklärt  gelassen.  Seine  Deutung  giebt  eine  In- 
schrift aus  Ankyra,  die  in  den  Athen.  Mittheilungen  1896  S. 
467  veröffentlicht  ist.  Wir  finden  darin  :  Fl.  AlT^iw  ....  nspya- 
(/.y)vö,  ETctoö^cp  [<JO'ja]aapouov),  KoX'X-ziyiov  e'^ovti  Iv  Po>p/(fi  töv  aoua- 
u.apouS[(;)v],  und  weiterhin  rauxT^v  t-^v  gtiq^iov  Trapiwv  cpiXe  X*'P^ 
xal  evTrr?  ysiyvcÖTJCtov  (70up,p.apoüSr)V  xeij^.evov  sv  SaTreSw.  Eine  zweite 
dort  angeführte  Weihinschrift  eines  Aou)tio?  Bstwvio?  'A)^£^av- 
Spo:  <70'j(7.u.apou^Y)?  bietet  dasselbe  rätselhaft  scheinende  Wort. 
Seine  Deutung  war  uns  nicht  geglückt.  Hülsen  hat  nun  (Rom. 
Mittheilungen  1897  S.  87)  die  einleuchtende  Erklärung  ge- 
geben, dass  es  sich  in  beiden  Fällen  um  einen  Gladiator  han- 
delt, der  den  Rang  einer  summa  rudis  erreicht  hatte.  Dar- 
nach ist  wol  klar,  dass  wir  es  hier  mit  einer  secimda  rudis 
zu  thun  und  also  crs^ouvSapouSou  zu  lesen  haben. 

Athen,   18  Mai  1898. 

PAUL  WOLTERS 


ARCHAISCHE  SKULPTUREN  AUS  CHIOS 

Meine  Freunde  finden  in  einem  meiner  Notizbücher  die 
Skizzen  zweier  Torsen,  welche  icii  im  Jahre  1858  in  der  Xüizx 
auf  Ghios  sah.  Da  inzwischen  sonst  keine  Kimde  von  den 
Stücken  verlautet  zu  sein  scheint,  so  ist  die  beistehende  Wie- 
dergabe der  Skizzen  vvol  am  Platze.  Eine  Erinnerung  an  die 
Originale  habe  ich  nicht  mehr  und  kann  also  nur  mitteilen, 
was  über  sie  in  meinem  Notizbuche  beigeschrieben  ist,  zu- 
nächst, dass  beide  Stücke  von  Marmor  und  überlebensgross, 
die  Formen  dickschwammig  und  flach  waren,  das  Haar  auch 
im  Rücken  der  Figuren  herabfiel. 

Auf  der  Brust  der  einen  Figur   will  die  Skizze  otYenbar 


i    \:      V.       ( 


k  «/v^yvl-f  .  ' H  '^       'Mi  t^^^^ 


die  Einsatzspur  einer  Zuthat  angeben  ;  es  ist  eine  grössere 
viereckige  Verliefung,  umgeben  von  kleineren  Löchern.  \'er- 
mutlich  war  der  aufgebogene  linke  Unterarm  hier  befestigt. 
Die  Grösse  der  Ansatzspur  lässt  darauf  schliessen,  dass  sich 
vor  der  Brust  nicht  nur  die  linke  Hand,  sondern  auch  ein  von 
ihr  gehaltener  Gegenstand  befand.  Zu  vergleichen  sind  die  von 


156 


A.   CONZE,    ARCHAISCHE   SKULPTUREN   AUS   CHIOS 


Cheramyes  geweihte  Figur  ausSamos  und  die  ihr  verwandten 
(Athen.  Mitth.  1892  S^  40,  19.  ?ü.  S.  44,  42). 

Die  Arme  der  zweiten    Figur    erscheinen    scharf  gebogen 
und  die  Unterarme  eng  an  den  Körper  gedrückt  gehoben. 


0?!/ 


'•  1  «IVi 


UM 


'bC*AJt.h 


a 


I3eigeschrieben  habe  ich  noch,  wahrscheinlich  in  wört- 
licher Wiedergabe  einer  mir  mündlich  gemachten  Aussage: 

E/_ü)     (XTTO    T-/1V    'AtTU-/1V       £t?     TOV  "Ay.     'I(i)3CVV71V       V.TZQKXXOi      Et?     TOt 
"KOLT-'riU.XTOL. 

Studniczka  giebl  mir  an,  dass  die  'Atguc^  eine  Strasse  von 
Chics  ist  (vgl.  Athen.  Mitth.  1888  S.  165,  3),  mit  xaTriy.aTa 
müssen  dort  befindliche  Keltern  gemeint  sein. 

Endlich  finde  ich  noch  beigeschrieben:  'Makufi',  wie  auch 
sonst  für  'Vakuf,  'Vakufi'  vorkommt  (vgl.  Wilhelm  in 
Arch.  epigr.  Mittheilungen  aus  Österreich  -  Ungarn  1897  S. 
96,64).  Die  Torsen  scheinen  mir  demnach  als  geistliches  Ei- 
gentum bezeichnet  worden  zu  sein,  sei  es  als  christliches,  sei 
es  als  türkisches, denn  das  Wort  kommt  in  beiden  Beziehungen 
vor  (Paspatis,  Xiaxöv  yXcoodaptov  S.  241 ). 

CONZE. 


EPIGRAPIIISCIIES  AUS  MUSTOXYDIS,  H  AiriNAIA 

In  meinem  Aufsatze  'Epigraphisches  aus  Aegina*  (Abhand- 
lungen der  Berliner  Akademie  1897)  hatte  ich  (S.  5  Anm.  3) 
mein  Bedauern  auszusprechen. duss  ich  Mustoxydis  periodische 
Publikation  'H  Atytvaiy.  aus  dem  Jahre  1831  nicht  benutzen 
konnte.  Jetzt  hat  mir  H.  von  Prott  aus  dem  Exemplar  des 
athenischen  Instituts  den  gesamten  epigraphischen  Inhalt  jener 
Zeitschrift  ausgezogen,  und  ich  glaube  meinen  Dank  für  diese 
ausserordentliche  Mühewaltung  am  besten  dadurch  zu  bezei- 
gen, dass  ich  sie  der  ÖtYentlichkeit  nutzbar  mache:  ich  möchte 
daher  hier  alles  verzeichnen,  was  für  uns  noch  von  Wert  ist, 
um  für  epigraphische  Dinge  die  Benutzung  des  schwer  erreich- 
baren Werkes  künftig  überllüssig  zu  machen.  Um  keinen 
täuschenden  Schein  zu  erwecken,  sind  dabei  auch  für  die  In- 
schriften die  gewöhnlichen  Typen  verwendet,  welche  Musto- 
xydis benutzt. 

I.  Zunächst  ergiebt  sicli  eine  Anzahl  neuer  Nachträge'  zu 
meiner  erwähnten  Abhandlung,  nach  deren  Nummern  ich 
aufzähle  : 

3  steht  bei  Mustoxydis  S.  189  n.  19  in  folgender  Gestalt 


APXIKAI'JIÜY 

PAMi\uVi:ios 


Wir  erfahren,  dass  der  Stein  aus  Salamis  ist.  Herr  von  Prott 
hat  sicher  richtig  gesehen,  dass  meine  Nummer  7  (Kampanis 
Inventar  des  Museums  von  Aegina  n.  325:  'Af/'.Xapiou)  damit 
identisch  ist. 

5  (Kampanis  n.  115)  steht  bei  Mustoxydis  S.  187  n.  5  und 


<  VkI.  diese  Zeilsohrifl  ?e,  ISDT,  S.  349  f.  D.'in  Absatz  auf  S.  350  i.st  Lei 
der  Conclvlur  iü  Allicu  unricliliger  Weise  die  Zitier  3  vorgesetzt  worileu. 


^58  M.    FRAENKEL 

ist  C.  I.  A.  IM  1'281.  Salamis  als  Fundort  wird  bestätigt; 
Z.  5  Anfang  giebt  er  ^uXTiJÜK,  so  dass  der  Stein  damals  viel- 
leicht besser  erhalten  war  und  die  Variante  Z.  4  EIAOr 
Beachtung  verdient;  Z.  8  .  .  TVKO  .  . 

6.  Mustoxydis  S.  189  n.  25  hat  als  salaminisch  MENE 
KPATEIA.  Wie  Herr  von  Prott  bemerkt,  ist  Identität  mit 
meiner  Nr.  b  (Rampanis  n.  118:  ^xkxijJ.c,.  Mevs/cpäTYi?)  sehr 
wol  möglich. 

12.  C.l.A  II  2-275  ist  nach  Mustoxydis  S.  189  n.  10  aus 
Salamis,  nach  Rampanis  n.  346  aus  Aegina,  wonach  ich  die 
Inschrift  einem  attischen  Rleruchen  zugeteilt  hatte.  Auf  wessen 
Seite  der  Irrtum  ist,  wird  sich  kaum  ausmachen  lassen;  doch 
haben  bisher  alle  anderweitigen  glaubwürdigen  Zeugnisse, 
auch  die  von  Mustoxydis,   Rampanis  Provenienzangaben  be- 


stätigt. 

19.   Mustoxydis  S.  189  n.  27  : 

KH*l>:OAOPOS 

nOAIAPXOY 

A4)IANAI0S 

Identität  mit  C.  LA.  II  2842;  Ky^tpiGöScopoc  |  IloT^uapyou  | 'A- 
[j(jat6?  ist  ebenso  wenig  zu  bezweifeln  als  meine  Gleichsetzung 
dieser  Inschrift  mit  Rampanis  n.  9  :  «  Kvicp.  FoX.»  Aber  wieder 
giebt  Mustoxydis  Salamis,  Rampanis  Aegina  als  Herkunft  an. 
Dass  Le  Bas  den  Stein  nach  Salamis  giebt,  hat  gar  kein  Ge- 
wicht; denn  die  grosse  Unzuverlässi^d<eil  seiner  Provenienzan- 
gaben für  die  Bestände  des  aeginetischen  Museums  habe  ich 
vielfach  nachgewiesen, und  sicher  ist  sein  Zeugniss  neben  dem 
des  Sammlungsvorslehers  und  des  Ephoros  kein  selbständiges 
drittes. 

30.  C.  I.  A.  III  1689  bei  Mustoxydis  S.  189  n.  7  correet 
und  vollständig  erhalten : 

ET^ANHS 

EllIFENOT 

ETÜNTMETi] 


EPIGRAPHISCHES   aus  MUSTOXYDIS,   H   AiriNAIA  159 

II.  Zu  attischen  Inschriften,  die  ich  in  meiner  Abhandlung 
nicht  zu  erwähnen  halte,  ergiebt  sich  Folgendes: 

a)  C.  I.  A.  II  2300.  Mustoxydis  (S.  189  n.  11)  bestätigt 
die  Herkunft  aus  Salamis,  ebenso  für 

b)  CIA.  II  2322  (ebenda  n.  12;,  das  ohne  jede  Lücke 
gegeben  ist. 

c)  C.  I.  A.  II  2366  {aPiraeeo  Athenas  translatayt)  steht 
fehlerhaft  bei  Mustoxydis  S.  189  n.  15.  Wertvoll  ist  für  uns 
die  Renntniss.dass  der  Stein  im  Museum  von  Aegina  gewesen 
ist:  wir  gewinnen  also  einen  neuen  Beweis  für  die  in  meiner 
Abhandlung  S.  1 1  hervorgehobene  Thatsache.  dass  Teile  des 
Museums  beim  Transport  nach  Athen  im  Piräus  abhanden 
gekommen  sind.  Eine  weitere  Bestätigung  liefert  C.  I.  A.  MI 
1329,  welcher  Stein  nach  einer  handschriftlichen  Notiz  von 
Ludwig  Ross  in  einem  der  dei  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften aufbewahrten  Tagebücher  sich  im  Museum  von  Aegina 
befand,  aber  nach  Pittakis,  'EcpYiaspl«;  614  u.trv/.ou.i'^fi-i)  U  toO 
riEipaieci)!;  (nicht,  wie  Ditten berger  sagt :  a  in  Piraeeo  inven- 
tum  ref'ert  Pittakis  t)). 

III.  Folgende  vier  Inschriften  aus  Salamis  habe  ich  im 
C.  I.  A.  nicht  gefunden  (Mustoxydis  S.  190): 

a)   'Eile,  TYiv  TOi^ov  [xiÄ?  O'.xiai; 

AM*AINETHN 


b)  Et;  tÖv  oi)COv  ivö;  äypoixou 

AEKEAEA 

c)  El;  TViv  exÄ^TOdiav  tcöv  'Aytwv  'AtcoctoXwv 

KPATHS 
©EArENOTS 
•A?.]  ANH0EN 


160        M.    FRAENKEL,    EPIGRAPHISCHES   AUS   MUSTOXYDIS,   H   AIFINAIA 

d)   Ei?  T7)v  iv.vXrtci.xs  tt];  'TiraTravTYii; 

sünoAis 

SÜTEAOTS 
.  . AETE 

Z.  3  wol  M6]>.[i]t6[u(;  zu  lesen. 

IV,  S.  224  ff.  werden  Inschriften  aus  Skiathos  nach  Co- 
pien  des  einheimischen  Lehrers  Epiphanios  mitgeteilt:  C.I.G. 
2153  und  2154,  beide  in  übler  Gestalt,  besonders  die  erste, 
die  am  Anfang  aus  der  zweiten  interpolirt  ist  und  deren 
Schluss  durch  die  bei  einer  Kaiserehrung  lächerliche  Formel 
{xvsia?  xäpiv  ersetzt  wird.  Danach  ist  der  Wunsch  Mustoxydis 
sehr  berechtigt,  dass  die  folgenden  beiden  Stücke  utcö  -nr^eov 
Ygyupa^jjjiEvou  c)<p9aXu.o'j  gesehen  würden,  namentlich  das  zweite. 

a)  AiOo?  TSTpaywvoi;  e/^wv  eva  tcpiTTTcov  avöpa. 

ZQnTPOE  ©EIOS  APXÜN 

b)  AiOo?  TeTpscycüvo?,  s/^cov  Suo  yuvai>ca?  yluTtTÖ.?  eXXviviJcoi;  lixa- 

xai  TOJ  csu-vo)  Twv  ivout;.3CT(i)v. 

i\A*NH  KAE     ilK  XAPITÜ 
KPITÜ  IMEÜNOS  A(=)IA  NOS 
PEA 

Berlin. 

M.   FRANKE L. 


■^^IF?- 


INSCHRIFTEN  VON  ESKI-SCHEHIR 

Herr  Dr.  F.  Peiser  von  hier  kam  in  diesem  Winter  bei  ei- 
nem Auslluge  auf  der  anatolischen  Eisenbahn  zufallig  dazu, 
wie  einige  Grabstelen  dos  alten  Dorylaion,  die  eben  ausge- 
graben worden  waren,  behufs  Verwendung  zu  modernen  Bau- 
ten zerstört  werden  sollten.  Es  gelang  ihm,  die  Steine  noch 
vorher  zu  photographiren  und  er  hatte  die  Güte  mir  diese 
Photographien  mitzuteilen. 

1.  Marmorplatte  an  den  Seiten  durch  schmale  Pilaster  be- 
grenzt, ^oben  wol  durch  eine  Art  Giebel  abgeschlossen.  Den 
oberen  Teil  nimmt  ein  Relief  ein  darstellend  einen  nach  rechts 
sehenden  Adler  mit  gespreizten  Flügeln  und  einem  Kranz  im 
Schnabel.  Der  Adler  steht  auf  einer  Kugel  und  hält  zwei  Lor- 
berbüsche  mit  den  Krallen  fest.  Darunter: 

ACKAACACK  'Acx^ä?  'Adjt 

A  A  -  K  A  I  B  P  O  Y  T  T  >.a  xai  BpouTx 

lAAMIA-EENE  ta  'Ap.ia  Seve 

K  A  •  T  E  K  N  UU  ■  r  A  ¥  x.x  T£)tv(p  yXu 
KYTATUU-ZHEAN         5       x.uTäTo)  C^,aav 

T  I   E  T   H  O  K  T  UU  xi  err)  Öxto) 

MNHMHEXAPIN  pri(^.r,?  yäpiv. 

Die  Grabschrift  der  'A^ioOea,  Schwester  des  hier  genannten 
Seneca,  ebenfalls  von  den  Eltern  gesetzt,  hat  A.  Körte,  Göt- 
tingische  gelehrte  Anzeigen  1897  S.  414,73  verölTenllicht. 

ich  kenne  kein  Bildwerk  mit  genau  enlspi'ecliender  Dar- 
stellung und  bin  geneigt  eine  \'ermutung  für  richtig  zu  halten, 
welche  mir  Otto  Keller  mitteilte.  Er  glaubt,  der  Bildhauer 
habe  eine  Vorlage  benutzt,  auf  der  der  Adler  ein  Blitzbündel 
in  den  Klauen  hielt,  und  dies  irrtümlich  durch  die  Lorber- 
zweige  ersetzt. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN    XXlll.  1  1 


162  FR.    RUEHL,   INSCHRIFTEN  VON   ESKI  -  SCHEHIR 


2.  Marmorplatte;  oben  ein  Relief  darstellend  die  Büste  ei- 
s  Mannes  und  ein 
Rahmen.  Darunter 


nes  Mannes  und  einer  Frau  in  einem  kreisförmigen  erhabenen 


ni2TH(J)IAANAPn 
TONAETYMBON 
AMMI  A       E  T  E  Y  ä  E 
0AEITA-2:YN  FAMOS 
5      AHMO20EN^2^AI 
AESTEMHTPIZo 
(t)PONIMNHMH5: 
APIN    AHMOZGE 
u^  Tpcr^BlZTOZ 

Üktty)  tptXxvopG)  I  t6vö6  tuulSov   |   'Au.ij.icc 

TvailSec  T6  [A'/ixpi  aa)|<ppovi  [7.vr)u,7);  |  [yjxpiv, 
Ayi|jt.O(jO£[vY)]i;  TTpecÖKTTO«; 


Es  sind  seehsfüssige  Jamben.  Versmass  und  Sinn  lehren, 
dassumten  mindestens  noch  eine  Zeile  folgte,  die  aber  auf  der 
Photographie  nicht  mehr  zu  sehen  ist.  Die  Buchstaben  sind 
sehr  schön  und  regelmässig  zwischen  vorgezeichnelen  Linien 
eingehauen.  Der  Name  'Au.^.ix  kommt  in  ßski-Schehir  auch 
vor  bei  Radet,  En  Phnjgie  S.  161,36.  Göttingische  gelehrte 
Anzeigen  1897  S.  414,  71. 

Königsberg  i.  P. 

FRANZ    RÜHL. 


-^'^^m^-**-- 


FUNDE 

Eleusis.  Am  südlichen  Abhang  des  Akropolishügels  waren 
schon  von  Herrn  Philios  einige  Gräber  geometrischer  Periode 
aufgedeckt  worden  ('E^r.p.epi;  äp/.  1889  S.  171  );  an  derselben 
Stelle  hat  nun  Herr  Skias  seit  1895  gegraben,  und  einen  Be- 
gräbnissplatz aufgedeckt,  der  keinerlei  Spuren  irgend  welcher 
Benutzung  in  der  Zeit  nach,  wol  aber  solche  aus  den  Zeiten  vor 
der  Herrschaft  des  geometrischen  Stiles  zeigt.  Ausser  den  ge- 
wöhnlichen Gräbern  dieses  Stiles  und  grossen  Gefässen,  welche 
die  unverbrannten  Leichen  von  Kindern  oder  die  verbrannten 
von  Erwachsenen  aufgenommen  hatten,  wurden  auch  Brand- 
stätten entdeckt.  Ein  besonders  reiches  Grab,  enthielt  ausser  69 
Gefässen  noch  andere  Beigaben, besonders  drei  Skarabäen  und 
eine  Isisstatuette  aus  ägyptischem  Porzellan  (vgl.  die  vorläufige 
Notiz  Athen.  Mitth.  1895  S.  374).  Zugleich  mit  geometrischen 
wurden  auch  Gefässe  mit  eingeritzten  Mustern  entdeckt,  wie  sie 
Wide  bei  Aphidna  gefunden  hat.  im  Fortschritt  der  Ausgra- 
bung mehrten  sich  die  Brandstellen  ,  die  hier  in  mehreren 
Schichten  übereinander,  zugleich  mit  mancherlei  Resten  meist 
nachlässig  gebauter  Mauern  erschienen.  Diese  Art  des  Fundes 
ermöglicht  es,  an  den  Stellen  wo  diese  Reste  der  Leichenver- 
brennung in  ungestörten  Schichten  über  einander  liegen,  die 
zeitliche  Abfolge  der  darin  gefundenen  Reste  mit  Sicherheit 
festzustellen.  Es  ist  Herrn  Skias  so  gelungen,  Reste  my keni- 
scher und  vormykenischer  Keramik  in  ihrer  historischen  Rei- 
henfolge zu  bestimmen.  Ein  Bericht  wird  demnächst  in  der 
'E^YiixspU  ipj^.  1898  erscheinen. 

Nördlich  von  Pylos,  an  der  Küste  gegenüber  der  Südspitze 
von  Prote  (  bei  Vromoneri,  vgl.  Philippson.  Peloponnes  S.  343) 
hat  Herr  \.  ÜTravToOpo;  in  einer  nocii  jetzt  '.\.  llerpo;  heissen- 
den  Gegend  die  Reste  einer  grossen,  dem  h.  i'elros  geweihten 
Kirche  aufgedeekt.  Die  kurze  Fundbeschreibung  erwähnt  be- 
sonders viele  Fragmente  von  buntem  Glas  (doch  wol  Mosaik- 


164  FUNDE 

reste)  und  hebt  die  noch  zu  erschliessende  Pracht  und  Grosse 
des  Baues  hervor.  Schon  früher  seien  hier  Grabsteine  christ- 
licher Zeit  gefunden,  auch  zwei  Säulen  mit  der  Inschrift  Eni 
KÜNSTA(vTivou).  "A(TTu,  20  'lav.  1898. 

In  Makedonien  ist  beim  Dorfe  Kopanowo ,  lO"""  nördlich 
von  Verria  (Be'poia),  8 ■""  südöstlich  von  Niaussa  etwa  vor  ei- 
nem Jahre  ein  Grabrelief  gefunden  und  nach  Salonik  geschallt 
worden.  Die  Stele  aus  hellem  feinem  Kalkstein  zeigt  unter  ei- 
nem flachen  Giebel  die  Inschrift 


K  A  e  on  ATP  A(t>i  A  inno  Y       ^ 

AION  YC  OAOTOCT   ApeOCeAT 
ZONSnOHCEN 

K>.£0TC3CTpa  ^iXiTTTCou,  AiovuaoSoTo;  TocSso?  £auT(cp)  ^üiv  l7r6"10<J£V 

Der  siebtletzte  Buchstabe  von  Z.  2  könnte  B  oder  P  sein, 
wahrscheinlicher  ist  ersteres.  Über  dem  A  von  iauTö  ist  Y 
hinein  korrigirt;  für  das  (o  war  kein  Platz  mehr.  Auffällig  ist 
die  Form  des  g>  in  ^wv.  Das  vi  in  ettöyigev  ist  ganz  schmal  ein- 
geflickt;  es  scheint  vorher  sTcotcev  da  gestanden  zu  haben.  Der 
Name  TäSi;  (?)  scheint  neu. 

Unter  der  Inschrift  ist  in  eingetieftem  Felde  eine  nach  rechts 
sitzende  reich  bekleidete  Frau  dargestellt,  vor  der  ein  Mädchen 
steht  und  ihr  einen  runden  ,  scheibenförmigen  Gegenstand 
entgegenstreckt.  Dahinter,  am  rechten  Rande,  ist  ein  Baum 
mit  Schlange  sichtbar.  In  einem  zweiten  Felde  darunter  ist 
ein  nach  rechts  sprengender  Reiter  in  Chiton  und  Chlamys 
angebracht. 

(Mitteilung  des  Herrn  L.  Bürchner,  nach  einer  von  Herrn 
A.  Ba.ylx^i.xkrii  in  Salonik  übersandten  Photographie). 

Aus  Salonik  teilt  uns  Herr  J.  H.  Mordtmann  folgende  In- 
schrift mit : 

'Auf  einem  grösseren  Marmorblock,  welcher  bis  vor  kur- 
zem unbeachtet  ausserhalb  des  Kalamariathores  an  dem  Wege 
lag,  welcher  von  der  Obeliskfontaine  nach  der  Campagne 
führt,  steht  folgende  Inschrift: 


FUNDE  165 

kOlNToNKAIKL 
ZTPATHroNA 
ToNAYTH2:zr 

H  r 
Um  den  Stein  vor  Verschleppung  und  Zerstörung  zu  be- 
wahren, veranlasste  ich  seine  Überführung  in  den  hiesigen  Ko- 
nak  (Regierungsgebäude),  von  wo  er  demnächst  ins  Kaiser- 
liche Museum  nach  Konstantinopel  geschafft  werden  soll.  So 
viel  ich  sehe  ist  diese  Inschrift  die  älteste  uns  aus  dem  Stadt- 
gebiete von  Salonik  erhaltene.  iMan  liest  : 

KotvTov   Kaixe[>.',ov  MeteXXov 

Offenbar  ist  gemeint  Q.  Caecilius  Motellus  Macedonicus,  cos. 
611  u.  c,  welcher  nach  der  Besiegung  des  s.  g.  Pseudophi- 
lippus  148  Makedonien  als  römische  Provinz  organisirte. 

In  welcher  Eigenschaft  er  vom  Senate  entsandt  worden  war, 
ist  meines  Wissens  bisher  nicht  bekannt.  Vellejus  Paterculus 
I  ll,?  nennt  ihn  Q.  Mctellus  praetoj\  Florus  1,30  dagegen 
consid\  da  aber  Melellus  erst  nach  dem  makedonischen  Feld- 
zuge das  Consulat  bekleidete. so  war  daraus  mit  Sicherheit  zu 
schliessen,  dass  er  den  Titel  praetor  pro  consule  führte, 
vgl.  Marquardt-Mommsen'  IV  S.  387  f.  2  S.  519  f.  Momm- 
sen  C.  I.  L.  I  S  188.  Dies  wird  durch  unsere  Inschrift  be- 
stätigt, denn  es  unterliegt  wol  keinem  Zweifel, dass  Z.2<TTpx- 
TYiyöv  ä[v6u7raTOv  und  nicht  etwa  dxpaTTjyöv  a[uTO)cpicTopa  (  = 
dictator,  vgl.  Polyb.  III  87)  zu  ergänzen  ist.' 

Bei  dem  im  Mouaeiov  xxi  (iiSXioOö/.-/^  TT,:,  E'JxyysXtKri;  (J^oXt/;  III 
(1880)  S.  89  fT.  von  G.  Weber  beschriebenen  Tumulus  und 
Heiligtume  von  Belevi  südöstlich  der  Bahnstation  Kos-Bu- 
nar  hat  E.  S.  'lop^xviSy:;  einiMi  1,06'"  langen,  1'"  breiten.  0.38 
dicken  Marmorblock  gefunden,  auf  dem  steht 

H   A   I   A  A   E  2 
('Ap{xovia,  Smyrna  (^  »l'sfop.   1898). 


166  SITZUNGSPROTOKOLLE 

Derselbe  Herr  teilt  uns  folgende  Inschrift  mit : 
Marmorblock  0,48™  hoch,   Ü, 68  breit,   gefunden   mittwegs 
zwischen  Belevi  und  TCiirje;  (Djibia)  an  einem  Brunnen;  Buch- 
staben 3,75-2,75"°  hoch  und  /..  T.   in  Ligatur.    (  Rtwas  ab- 
weichend veröfYentlicht  in  der  'Apaovia,  Smyrna  5.  MapT.1898). 

AOYKION(j)ABION 
X    E    I    A    Q    N   A 
TONAAMnPOTATON 
K  A  I  A  I  Z  Y  n  A  T  O  N 
5      EÜAPXONPnMHS 

K  A  e  az  I  i7  M 

.    .    O   .    .    O...AIOZ 
H  M  Q  NAYTOKPA 
TOP2E  B AZTOZ 
10      ..A...AYPHAI 


AouittON'  <I>a€tov  I  Xsi'Xwva  |  tÖv  XajjLTrpoTaTOv  [  xal  o\c,  UTuarov  | 
£7rap)(^ov  'Pö)[j.Yi(;  .... 

Die  Inschrift  fällt  nach  204  nach  Chr.,  dem  Jahre  des  zwei- 
ten Gonsulates  des  L.  Fabius  Gilo,  über  den  zuletzt  Bitterling 
Arch.  epigr.  Mittli.  1897  S.  34  ff.  gehandelt  hat;  vgl.  Proso- 
pographia  11  S.  45.  Der  Schluss  der  Inschrift  bleibt  bei  der 
lückenhaften  Abschrift  besser  unergänzt. 


SITZUNGSPROTOKOLLE 

5.  Jan.  1898.  W.  Doerpfeld,  Die  Ausgrabungen  beim 
Areopag. —  O.  Rubensohn  und  R.  Zahn,  Über  die  dabei  ge- 
fundenen Gräber  der  Dipylonzeit.  —  P.  Wolters  legt  das 
Nuni.  chronicle  1897  Taf.  5,2  veröffentlichte  Tetradrachmon 
des  Nabis  vor.  —  J.  Svoronos,  Die  kleisthenische  Volksver- 
sammlung und  das  lykurgische  Theater.  II, 


SlTZUNGSfROTOKOLLE  467 

19.  Jan.  1898.  W.  DoERPFELD,  Aus  Ithaka. —  A.Wilhelm, 
Zwei  attische  Inschriften  [C.  I.A.  1!  20.  IV, 1  S.  23,116/^). 
—  P.  Wolters,  Eine  neue  Vase  des  SophiJos  (Arch.  Jahr- 
buch 1898  S.  13). 

2.  Februar  1898.  E.  Ziller,  Zur  Frage  der  Beleuchtung 
des  Parthenon. —  P.  Ravvadias,  Ein  V^olksbeschluss  des  Al- 
kibiades. —  W.  Doerpfeld,  Altertümer  von  iMegara. 

16.  Februar  1898.  l\.  Zuiy,  Klazomenische  Keramik. — 
E.  Ziebarth,  Archaische  Inschrift  aus  Brahami. —  J.  Svoro- 
Nos,  Eine  homerische  Insel  (Syrie).  1. 

2.  März  1898.  J.  Svoronos  ,  Eine  homerische  Insel  (Sy- 
rie). 11. —  H.  VON  Prott,  Die  llephaistien. 

Prott:  Die  Vermutung,  dass  bei  Aristoteles,  'Aötjv.  7:oX.  54,7  als  dritte 
Peuteteris  die  Hepliaistieu  und  in  ilem  letzten  öatze  die  Anipliiaraieu  ([vüv] 
5i  ;cpciay.£iTat  [xa'i    Aapiäoataj    ir.i  Krj-^iao^wvto;  i'py(_ovTOs )    einzusetzen    seien, 
von  denen  aus  oropisclien  Inscliril'ten  feststellt,  dass  ilire  Penteteris  unter 
dem  Archontat  des  Kepliisophon  eingefülirt  ist,  lässt  sich  bei  genauer  In- 
terpretation des  Aristoteles  und  Pollux  (Vlll  1U7)  sowie  der  Hephaistien- 
insclirift  C.I.A.  IV  1  S.64  f.  nicbt  halten  (vgl.  AVilamowilz,  Aristoteles  und 
Athen  I  S.  229  f.;  Wilhelm,  Anzeiger  der  Wiener  Akademie  1895  S.  3911'.; 
Keil,  Hermes  1895  S.  473  IT.).  Denn  abgesehen  von  den  zu  der  Vermutung 
nicht  stimmenden  Zügen  des  Papyrus  werden  1)  nach  Aristoteles  die  Pen- 
teteriden  von  den  Icportoioi  xat'  Eviauidv,  nach  der  Hephaislieninschril'l  da- 
gegen die  llephaistien  von  einer  aus  der  ßouXTJ  erlosten  Festkommission, 
nach  den  oropischen  Inschril'len  die  Amphiaraien  von  gewählten  EnijjLcXTjTai 
verwaltet.  2)  Bei  Aristoteles  ist  nicht   /.al  xojtojv  oGospiia  iv  tcü  aJi(l)  £v[iauTili] 
Y^v£[Tat,  was  hei  l'ünl'  penteterischen  Festen  sinnlos  ist  und  nur  durch  drei- 
fache Änderung  der  Überlieferung  ( Wilamowitz-Kaihel^  in  einen  allenfalls 
erträgliehen  iSinn  umgewandelt  werden  kann,  sondern  mit  Kenjon  xai  xou- 
Twv  oü6£|jM'a  £v  zG)  aÜTöi  £vYivE[Tai  zu  lesen.  Der  Zusatz  war  namentlich  für  den 
Nicht -Athener  nicht  üherllüssig,  da  es  in  der  That  merkwüidig  ist,  dass 
von  den  fünf  Penleteriden   nur  eine,  die  Panathenaien,   in  Athen  gefeiert 
werden,  worin  sich  ein  Stück  attischer  Geschichle  abspiegelt.  Pollu.\, dessen 
Zurückführung  auf  Aristoteles  schon  durch  den  von  ihm  begangenen  Fehler 
(eöuov  Ouaiaj  -ca«  jie vT£TT)pi6a«;  gesichert  ist,  hat  seine  Quelle  richtig  lokal 
verstanden  und  daher  den  .Salz  xai  xoutwv  ,  .  .  evYiv£xai  fortgelassen,  aber 
dafür  die  Bezeichnungen  der  Feste  in  lokalem  Sinne  verändert  (£v  Bpaypwvi, 
'EX£uatvi).  Es  sind  aho  nach  wie  vor  als  dritte  Penteteris  die  Herakleien  von 
Maralhon  anzusehen,  die  mit  panhellenischem  Agon  verbunden  waren  und 
schon  deshalb  trielcrisch  oder  penlelerisch  gewesen  sein  müssen,  bei  Pol- 
lux  ist  aber  vielleicht  'HpaxX£t6(Lv  nicht  zu  ändern,  weil  man  eine  Sage  von 
der  Stiftung  der  Herakleien  durch  die  Heraklidcn  auch  ohne  Überlieferung 


16Ö  SITZUNGSPROTOCOLLE 

als  wahrscheinlich  annehmen  darf.  3)  In  dem  Satze  der  Hephaistieninschrift 
Tj]v  5e  X[a(A7C(x8a  Ttoieiv  Tfji  tievJtettjpiSi  [xai  xois  'H«p]aiaTtoi?  ist  man  mit  Un- 
recht Schölls  Erklärung:  'an  der  penteterisclien  und  an  der  Jahresfeier  der 
Hephaisticn'  gefolgt,  was  griechisch  nur  durch  t7;i  7:£VTSTr)p[8c  xal  v^t  a(x(pi- 
ETrjptSt  Twv  'HyataTiwv  wiedergegeben  werden  könnte.  Die  richtige  Deutung 
hatte  längst  Kirchholf  gegeben,  der  t^i  Ä£vt£TT]pi8i  von  den  grossen  Panathe- 
naien  verstand.  Diese  Deutung  wird  vollkommen  sicher, wenn  man  die  Stelle 
der  Inschrift  verbindet  mit  Polemons  Nachricht  über  die  loL^nzä^ti  im  Ke- 
raraeikos  (Hermes  1873  S.  437  11'.).  Die  Schwierigkeit,  wie  in  der  Hephai- 
stieninschrift etwas  über  die  grossen  Paiiallienaien  festgesetzt  und  wie  dabei 
der  bestimmte  Artikel  (t/jv  5s  Äa^TiaSa)  gebraucht  werden  kann,  erklärt 
sich  daher,  dass  durch  die  Inschrift  eine  kultliche  Beziehung  zwischen  dem 
Feste  des  Prometheus,  dem  als  altattischen  Fcuergotte  die  älteste  XajjiTräs 
gefeiert  wurde,  des  jüngeren  Hephaistos  und  der  Allieua  Polias,  der  unter 
dem  Hanimersclilag  des  Prometheus  geborenen  Genossin  des  Hephaistos, her- 
gestellt wurde,  indem  man  die  Einführung  der  am  Promethcusaltare  in  der 
Akademie  beginnenden  Xa[j.7tas  der  Proraethien  an  den  grossen  Panathe- 
naien  und  Hephaistien  beschloss.  Wenn  Aristoteles  die  Amphiaraien 
ebenso  wie  den  Demarchen  und  den  £7iiiJ.£XrjTri5  xöiv  xpyivwv  von  Oropos  nicht 
erwähnt,  so  ist  als  Erklärung  dafür  wol  nur  möglich,  dass  üropos  nicht 
erst  durch  den  lamischen  Krieg,  sondern  durch  den  Erlass  Alexanders  über 
die  Rückkehr  der  Verbannten  von  Athen  getrennt  ist,  das  in  diesem  Punkte 
dem  Könige  nachgegeben  haben  wird,  während  es  Samos  zu  halten  suchte. 

16.  März  1898.  0.  Rubensohn  ,  Ein  eleusinisches  Kult- 
gerät.—  A.  AA'iLHELM,  Epigraphisclie  Mitteilungen. —  E.  An- 
GELOPULos,  Über  die  Häten  des  Piräus. 

Wilhelm:  Eine  von  A.  Milchböfer  in  Markopulo  nachgewiesene  alter- 
tüniliclie  Herme  trägt  Reste  einer  zweizeiligen  Inschrift,  in  der  sich  das 
erste  Distichon  des  Anth.  Pal.  VI,  144  überlieferten,  angeblieh  simonidei- 
schen  Epigramms  erkennen  lässt.  Augenscheinlich  ist  das  urspüngliche 
Gedicht  in  sjjätercr  Zeil  ebenso  erweitert  worden,  wie  dies  Wilamowilz  an 
anderen  Simonides  zugeschriebenen  Ejiigrammcn  erwiesen  hat.  —  Das 
nur  durch  Fourmont  bekannte  simonideische  Epigramm  0.  I.  G.  Sept.  I  53 
hat  sich  in  einer  Kirche  bei  Megara  vermauert  wieder  linden  lassen.  — 
Über  die  auf  den  lokrischen  Mädchentribut  bezügliche  Inschrift  von  Vitri- 
nitsa  vgl.  jetzt  Jahreshefle  des  österreichischen  Instituts  I,  Beiblatt  S.  50. 

30.  März  1S98.  Sp,  Lambkos,  Inschriften  aus  Megara. —  \\. 
Herzog,  Das  Theater  in  Pleuren. —  W.  Doerpfeld,  Die  Bau- 
werke des  alten  Ägyptens. 


Geschlossen  25.  Mai  1898. 


IV. 


PRIAMOS  BEI  ACHILL 

(Hierzu  Tafel  IV) 

Das  Vasenbild,  welches  mit  froundlioner  Einwilligunp;  des 
Herrn  Generaleplioros  Kavvadias  auf  Tal".  \.  nach  einer  Zeich- 
nung des  Herrn  Gillieron  publicirt  wird,  befindet  sich  auf 
der  Ijckythos  Nr  486  des  Nationalmuseums  in  Athen.  Die 
31,5"°  hohe,  in  Koropi  in  Altika  1877  gefundene  Lekythos 
kam  im  selben  Jahre  unter  Nr.  1916  in  die  Sammlung  der 
Arch.  Gesellschaft.  Das  Gefäss  hat  ein  wenig  gelitten.  Einige 
Abschürfungen  machen  sich  besonders  im  Bilde  unangenehm 
bemerkbar.  Auf  der  Schulter  tragt  die  schon  entwickeltere  For- 
men z'^igende,  schwarzfigurige  i.ekythos  aneinander  gereihte 
Lolosknospen  und  dai'über  Strichelchen  Das  Bild  auf  dem 
Bauche  des  Gefässe.s  ist  oben  durch  ein  Ornament  begrenzt, 
welches  einen  zwischen  zwei  Reihen  von  Knöpfen  im  Zick- 
zack gespannten  Paden  nachahmt.  Nach  unten  zu  schliesst  ein 
thongrundiger  Streifen  ab.  Neben  lliichtigen  linden  wir  im 
Hauptbilde  sorgsamer  ausgeführte  geritzte  Teile;  an  einigen 
Stellen  ist  Weiss  und  Botbraun  (letzteres  in  der  Abbildung 
durch  SchralVirung  w'iedergegeben )  als  Deckfarbe  benützt. 

Auf  einen  nach  links  auf  einer  kline  gelagerten,  unterwärts 
bekleideten  bärtigen  Mann  eilen  von  links  ein  Greis  und  zwei 
Frauen  zu  :  von  rechts  kommt  ihnen  eine  dritte  entgegen.  Das 
Gesicht  des  Gelagerten,  welches  auf  die  Herannahenden  ge- 
richtet ist,  ist  ein  wenig  missglückt;  es  entbohrt  des  schärferen 
Proliles,  denn  der  Pinsel  strich  hier  zu  breit.  In  der  Rechten 
hält  er  ein  langes  Messer,  mit  dcni  linken  riileranne  stützt  er 
sich  auf  ein  Polster,  die  Handlung  der  Linken  ist  durch  die 
Verletzung  der  Vase  unklar.  Das  Gewand,  welcln-s  ihm  Schoss 
und  Beine  verhüllt,  ist  wie  bei  den  anderen  Gestalten  spär- 
lich getüpfelt.  Hinter  seinem  Kopfe  breitet  sich  Laubwerk  aus. 
Vor  der  Kline,  deren  Fuss  reich  geschnitzt  ist,  sieht  das  nie- 
drigere Speisetischchen    mit    länienartig    Iifiimiciliängcnden. 

ATHEN.    MITTHEILIINOEN    X.\MI.  1*2 


170  L.    POLLAK 


weissgestreiften  Gegenständen, und  diesseits  von  ihm  liegt  auf 
dem  Boden  der  nackte  Körper  eines  bärtigen  Mannes,  dessen 
Kopf  in  'Podesstarre  nicht  zu  Boden  gesunken  ist.  Die  Arme 
hält  er  steif  an  die  fliiften  angelegt.  Der  von  links  her  nahende 
Greis  trägt  im  weissen,  lang  in  den  Nacken  fallenden  Haar 
eine  rotbraune  Binde;  Chiton  und  llimation  sind  mit  Streifen 
derselben  Farbe  verziert.  Flehentlich  streckt  er  die  Hände 
nach  dem  auf  der  Kline  liegenden  Manne  aus.  Hinter  dem 
Greise  folgen  zwei  Frauen  (Fleischteile  weiss)  in  jonischen 
Chitonen  und  iiber  die  linke  Schulter  geworfenen  Himatien,  mit 
brauner  Binde  im  Haare.  Auch  sie  heben  flehend  die  Hände. 
Auffallend  disproportionirt  ist  ihr  Hinterkopf  geraten.  Eine 
dritte,  den  geschilderten  in  Haltung  wol  ähnliche  weibliche 
Gestalt  steht  rechts  vom  Liegenden. 

Die  Erklärung  des  Bildes  bietet  keine  Schwierigkeiten.  Ein 
Held  auf  (l(M'  Kline  beim  Male,  vor  ihm,  verächtlich  auf  den 
Boden  hin^ewoi-teu  die  Leiche  eines  bärtigen  Mannes,  ein 
Greis, der  bittend  sich  näliert — wem  fi^le  nicht  augenblicklich 
Priamos  Besuch  bei  Achill  ein?  Eine  Bestätigung  scheint  diese 
Deutung  auch  in  den  Buchstal)en  zu  finden,  welciie  oberhalb 
der  Arme  des  Priamos  sichtbar  werden.  Man  kann  in  ihnen 
wol  die  Anfangsbuchstaben  des  Namens  'A^t>>['X£'jcl  erblicken. 
Hingegen  ergeben  die  Buchstaben  hinler  Achill  keinen  Sinn. 

Zuletzt  hat  Benndorf  ^  die  auf  die  iJisung  Hektors  bezüg- 
lichen Denkmäler  gesammelt  Seitdem  hat  sich  das  Material 
beträchtlich  vermehrt.  Hier  folge,  was  seit  Benndorfs  Katalog 
hinzugekommen  ist  : 

a)  das  Bronzerelief  von  Olympia:  Furtwängler,  Bronzen  von 
Olympia  Taf.  39,  701. 

b)  das  Relief  am  GrifTe  eines  griechischen  Bronzespiegels, 
verölYentlicht  von  Furtwängler  in  den  Historischen  und  phi- 
lologischen Aufsätzen  E.  Curtius  gewidmet  Taf.  4  S.   179  ff. 

c)  ein  übereinstimmendes  Bronzerelief  von  der  athenischen 
Akropolis  publicirt  von  Wolters  in  den  Athen.  Mittheilungen 


'   Aiinali  deW  J.sliiiilu  KSOö  S.  -.'il  If. 


PRIAMOS   BEI    ACHILL  171 

1895  S.  478  Tuf.  l'i.  1,  wiederholt  American.  Journal  of 
arch.  1896  S.  353.  Vgl.  A.  de  Ridder,  De  ecti/pis  cjuibus- 
dam  aencis  qiiac  falsa  vocantur  arf^ivo  -  corinthiaca  S.  10. 

d)  unsere  Vase. 

e)  rolfiii;uri»e  Kraterfragmente  veröfTenllicIit  in  den  Wiener 
Vorlegehiällern  1890/91  Taf.  9,  6-9. 

f)  Relief  eines  lioinerisclien  Bechers  in  Berlin,  abgehildet 
von  Robert  im  50.  Ikrliner  Winckelmannsprogramme  S.90. 

g)  ein  gleiches,  ehemals  hei  van  Branleghem,  Fröhner  Ca- 
talogue  van  Branleghem  Nr.  30 '2. 

h)  Sarkophagfragmont  in  .Athen,  vSyhel.  Katalog  der  Skulp- 
turen 4797,  Athen.  Milth  1884  S  5UT  Robert,  Sarkopliag- 
reüefs  II  Taf.  '2'i,  52. 

i)  ein  gleiches  in  Theben  ,  Körte,  Athen.  iNlitlh.  18'8  S. 
416,  Robert  a.  a.  0.  Tat.  22 -'23,  50. 

k)  und  Ij  zwei  im  Museum  von  Sparta,  Dressel -Milchhöfer 
Athen.  Mitth.  1877  S.  396  iNr.  223- 2-24 ,  Robert  a.a.O.  Taf. 
24,  51.  53. 

m)  Sarkophagfragment  in  der  Stadtmauer  von  .\dalia,  ab- 
gebildet Lanckoronski,  Städte  Pamphyliens  uml  Pisidiens  I 
S.   17  und  Robert  a.a.O.  Taf.  24,  54. 

n)  ein  gleiches  in  Taormina  (fraglich  ob  hieher  gehörig) 
Robert  a.  a.  O.  Taf.  24,  55. 

o)  ein  gleiches  in  Ostia,  Robert  a  a.  0.  Taf.  24.  58. 

p)  ein  gleiches  in  Rom,  Matz-Duhn,  Antike  Bildwerke  HI 
4063,  Robert  a.  a  0.  Taf.  24,  56. 

q)  das  pompejanische  Bild,  Maass  Man.  dcU'  Ist.  XI  Taf. 
30,  Ann.  dcli  Ist.  188!  S.  125  ff. 

r)  Gemme  im  brittischen  Museum,  Smith.  Catalogiie  of 
engraved  gems  in  the  British  Museum  Nr.   141''». 

s)  Carneol  in  Paris,  publiciil  von  Babelon.  Le  cabinet  des 
antiijues  ä  la  bibliothvque  nulionulr  Taf.  47  Nr.  15  S.  163. 

t)  Fragment  einer  tabula  iliacu  in  Paris.  Jahn- Michaelis 
Bilderchroniken  Taf.  3,  I). 

u)  Bronzerelief  an  der  tensa  vapitolinu.  Bullet tino  co- 
mufiule    y    Taf    11-15    S.   113  IV.     vyl.    auch    Hevdcmaiiii, 


172  L.    POLLAK 

Berichte    der  säclisisclien   Gosellscliaft   1878   S.  124  ff». 

Als  älteste  der  uns  erhaltenen  l)nrs[elliini!;en  der  Xürpa  über- 
liaupt  gibt  sich  das  olympisclie  Relief  argivischer  llerknnft(rt') 
und  seine  wol  dein  gleichen  Gulturkreise  entstammenden  Re- 
pliken {b,  c)  zu  erkennen.  Die  Sage  ist  in  gedrängter  Kna|)p- 
heit  dargestellt.  Achill  stehend,  vor  ihm  der  tote  liektor  auf 
dem  Boden, Priamos  von  Hermes  geleitet  —  das  ist  Alles.  Von 
dieser  Schlichtheit  bis  7a\  Brygos,  dessen  Hand  wir  wol  den 
herrlichen  wiener  Skyphos^  zuschreiben  diirlen  ,  war  zeitlich 
wie  künstlerisch  ein  weiter  Weg.  Kurz  deutet  das  l^pos  an 
(XXIV,  475),  dass  Priamos  bei  Achill  eintritt,  nachdem  die- 
ser eben  geschmaust  hat.  Wenn  Luckenbach*'  sich  an  das 
'nachdem'  klammert  und  daraus  dem  Vasenmaler  einen  Vor- 
wurf schmiedet,  so  hat  mit  Recht  A.  Schneider^  nach  Benn- 
dorfs  V^organg  (a.  a.  O.  S.  2'i4)  dies  zurückgewiesen.  Aber 
nicht  Brygos  gebührt  diese  malerische  li]rweiterung  der  knap- 
pen Scene  Das  Vorbild  lag  seiner  Zeit  voraus.  Unsere  Vase, 
welche  einige  Decennien  älter  sein  wird  als  das  wiener  Ge- 
fäss,  ist  wol  das  früheste  Beispiel  dieses  Typus,  den  wir  im 
Gegensatze  zu  jenem  argivischen  als  einen  echt  attischen  l)e- 
zeichnen  dürfen.  In  wesentlichen  Momenten  stimmen  mit  die- 
sen zwei  Gelassen  noch  zwei  andere  überein.  l^s  ist  dies  eine 
scbwarzfigurige  Lekythos -*  (Arch.  Zeitung  ISoi  Taf.  72,  3) 
und  die  münchner  strenge  rotligurige  Schale  Jahn  404  (Over- 
beck,  Heroengallerie  Taf.  V(J,  3  ;  Klein,  Lieblingsinschriflen 
S.  3'j  Nr.  20).  Beide  sind  gewiss  schlecht  abgebildet, doch  ge- 
nügt ein  Blick,  um  zu  erkennen,  dass  die  eben  genannte  Le- 

'  Unsicher  ist,  üb  der  Tiojaiier  bei  Priamos  ein  kraleräliiiliclies  Gefiiss 
oder  einen  Panzer  auf  der  linken  Scliulter  Uägl,  keinesfalls  ist  es  iingrande 
piatlo;  die  Schale  in  Prianis  Händen  ist  /um  mindesten  zweifelhaft. 

■''  Monumenii  deW  Isiilulo  VII 1  Tai'.  "27,  Masiior, Sammlung  antiker  Vasen 
und  Terracollen  Nr.  328,  Hartwig,  Meislerschalen  S.  :jü3  f. 

3  \'orhältiiiss  der  N'ascnhilder  zu  den  üediohlen  des  epischen  Isyklos  (im 
XI.  Suj)plementhande  zu  Meckeisens  Jahrbüchern)  S.  5U'J. 

*  Der  Iroische  Sagenkreis  S.  35. 

^  Mit  Recht  hat  Robert  (Bild  und  Lied  S.  I'J)  die  Meinung  Luckenbachs 
(a.  a.  U.  S.  JÜ9)  zurückgewiesen,  dass  Achill  hier  zum  Spotte  und  Hohne 
den  Becher  reiche. 


PRiAMOs  m:i  ACHILL  173 

kylhos    z(i  (](Mi   spätesten   Erzeugnissen  der  scliwarzfigurigen 
Technik  gehijrt  und  iiiclit  älter  ist  als  die  zwei  strengen  rotü- 
gurigen  Darstellungen.   Alle   vier  Vasenhilder  stimmen  darin 
übeivin,  dass  sie  Achill  aut  der  Kline  heim  Male*  darstellen, 
während  lleklor  den  /.Ove?  Tpa-=i^r,£;  gleich  unter  oder  vor  der 
Kline  liegt,  dass  Priamos   von  linksher  naht,    hald   königlich 
würdevoll,  hald   seine  Würde  vergessend  im   tiefen  Schmerze 
die    Hände    zum   gewalligen    Sieger    erhehf.    Aher    in    einem 
Punkte  unterscheidet  sich  wesentlich  unsere  Lekythos  von  den 
anderen  Vasenhildern. nämlich  durch  die  Begleitung  des  Pria- 
mos. Während  sie  auf  dem  wiener  Gelasse  aus  den  reiche  /orpa 
tragenden  Troern  und  Troerinnen  besteht  ^  auf  dem  münch- 
ner  es    Hermes    war,    der  ühereinstimmend    mit  dem    Epos 
Priamos  verlässt,  sohald  er  ihn  zu  Achill  geführt  hat,  auf  der 
späten   schwarzfigurigen  Lekythos  zwei  Jünglinge   mit  einem 
Pferde  die  Begleitung  bilden,  erblicken  wir  hier  Priamos  von 
zwei  Frauen  gefolgt,   während  eine  dritte  rechts  von  Achill  in 
entsprechender  Stellung  erscheint.    Die  Deutung   der  Frauen 
hinter  dem  Greise  kann  keinem  Zweifel  unterliegen.  Sie  gehö- 
ren zur  Familie  des  Priamos.  Mit  ihm  zugleich  kommen   sie, 
mit  ihm  bitten  sie;   hingegen  wird  man  die  weibliche  Gestalt 
rechts  von  Achill  wol  besser  Briseis  benennen,  wie  sie,  aller- 
dings nicht  so  heftig  erregt,  auf  der  münchner  Schale  darge- 
stellt ist''.  Mit  der  Schilderung  des  Epos  stiuinit  unsere  \'ase 
nicht.    Nur  Idaios  begleitet  (XXIV,  ;-{->ö.  47U)  den  von  Her- 
mes geführten  Priamos   ins  Lager  der  Griechen.  Wieso  kam 
nun  ein  Vasenmaler  des  6.  Jahrhunderies  dazu,  die  weiblichen 
Angehörigendes  Priamos  mit  darzustellen?  Der  Unterschied  in 
der  AuITassung  ist  zu  gross, als  dass  man  annehmen  könnte,  er 
habe  dies  aus  eigener  Erlindung  gethan.  Man  muss   vielmehr 
die  (Quelle  suchen,  aus  welcher  er  schöpfte. 


'  Vf,H.  Kiiilincr,  Arcli.  Jalirl)ucli  1892  S.  27. 

'  Kinc  der  ällcslcii  Darsl.'limi^M'n  der  GesrlirnlvL'  liajiciuItMi  Troer  war 
wol  die  des  Balli\kles  am  ainjkläisclH'ii  Tlirone  des  Apuilon;  vgl.  Klein  in 
den  Arch.  epigr.  MiUli.  IX  S.  149,  159Anni.  9. 

^  Vgl.  Aldi.  .lahrluich  1894  8.  156. 


174  L-    POLLAK 

Doch  betrachten  wir  vorher  die  anderen  Denkmäler,  welche 
ebenfalls  die  Familie  des  Priamos   bei   der  Lösung   Ilektors 
darstellen.    Es  sind  nur  Sarkophage.  Zu  den  schon  in  Benn- 
dorts  Aufzählung  unter  s,  k  und  /  angeführten  kamen  noch  i 
und  m  unseres  Nachtrags  hin/Ai.    Etwa  sieben  Jahrhunderte 
liegen  zwischen  unserer  Vase  und  dem  'griechisch-römischen* 
Sarkophage   von  p]phesos  s  (Robert  a.  a.  0.  Taf.  '2*2 -23,  47) 
und  die  Kluft  erweitert  sich  bei  den  anderen  noch  mehr.  Nach 
so  langer  Zeil  taucht  also  wieder  dieses  Motiv  auf.  Aber  noch 
später  sind    die  litlerarischen  Quellen,  welche  diese  Version 
wiedergeben.   Bei  Dictys  Gretensis  III  "^O  wird  Andromache, 
bei  Cedrenus  \'ll  I)  noch  Polyxena  genannt  und  beide  fügen 
ausserdem  Astyanax   und  Laomedon   hinzu    und   im  Wesent- 
lichen stimmen  mit  ihnen  andere, allerdings  auch  späte  Auto- 
ren überein  V  AulTallend  genug,  dass  erst  in  so  späten  Nach- 
richten die  Familie  Priams  eingeführt  wird.  Aber  diese  Ein- 
führung war  nicht  eine  Neuerung,  welche  auf  ihre  Rechnung 
zuschreiben  ist,    unser  Vasenbild   führt  uns   vielmehr  an  die 
reine  ungetrübte  Quelle,  welche  durch  viele  unbekannte  Rinn- 
sale  hindurch    erst   im  späten    getrübten     Niederschlag    er- 
halten blieb.   Mit  dem  Epos  stimmt   unsere   Lekythos  nicht, 
eine  freie  Erfindung  des  Vasenmalers  ist  nicht  anzunehmen, 
Einfluss  der  Fragödie  ist  in  dieser  Zeit   unmöglich,  es  bleibt 
keine  andere  Quelle  als  die  gleichzeitige  damals  blühende  Ly- 
rik. Was  Ber^k '^  geahnt  hat,  wurde  besonders  durch  Robert' 
weitergeführt   und  nun  erst  beginnt  man   der  I^yrik   den  von 
ihr  geübten  Einlluss  zuzugestehen,  liier  sei   nur  an  die   Be- 
deutung erinnert,  welche  Stesichoros,  der  ataviTr,;  'OfA7)co'j  für 
die  'Iliou   TTEpT'.;   und   Orestie   besitzt.    Auf  die   Skolienpoesie 
wurde  das  llerakles-lverberos-Bild  einer  berliner  Schale^  zu- 


'  Vgl.  Benndorf  a.  a.  0.  S   255  Aiiin.  1  und  Rolterl,  Sarkophaj^relicfs  II 
S.  61  Anm.  !. 

2  GriocIiisclK!  Lilteralurgeschiclile  II  S.  21)6. 

3  Bild   und  Lird    S.  1\  11'.  vgl.  Kiildcr   in  den  Athen.  Miüh.  i8S4    S.  1  (T, 
und  ü.  Jahn,  Ahhaudiungon  der  sächsischen  Gescll.schafl  VIII  S.  707  11". 

■'  Ilailwi-  im  Aldi,  .lahrhurho  IS'.),-;  S.  lOS. 


PRIAMOS   BEI   ACHILL  175 

ruckgefülirl,  während  die  Darstellung  der  Opferung  Polyxenas 
auf  einer  Amphora  bei  Bourguignon  •  als  durch  Ibykos  beein- 
flussl  hingestellt  wurde.  Dass  die  neugefundenen  Dichtungen 
des  Bakchylides  besonders  die  bildliche  Fassung  des  Theseus- 
mylhos  milbedingt  haben  ,  kann  man  wol  jetzt  schon  be- 
haupten'^.  In  unserem  Falle  können  wir  bis  jetzt  nicht  einen 
bestimmten  Namen  nennen,  denn  gerade  für  die  Lyrik  fliesst 
die  Überlieferung  ungemein  spärlich.  Dass  aljer  die  Kämpfe 
umTroja  in  diesem  Kreise  mit  \'orliebe  besungen  wurden,  geht 
aus  den  Titeln  hervor,  welche  uns  erhalten  blieben.  Das  iMo- 
tiv,  die  Bitte  Priams  durch  die  Mutler,  Frau  und  Schwester 
des  Gelötelen  zu  verstärken. big  menschlich  nahe  und  der  lyri- 
sche Dichter  wird  es  sich  nicht  haben  entgehen  lassen,  den 
Hörer  zu  rühren.  Wenn  schon  das  ruhig  und  behaglich  breit 
dahinfliessende  Epos  gerade  in  den  XOrpa  mächtig  ans  Herz 
greifende  Töne  anstimmt,  so  hat  gewiss  auch  die  Lyrik  den 
dankbaren  Vorgang  in  ihrem  Sinne  ausgesponnen. 

\\'urde  nun  für  unser  Lekythosbild  die  Lyrik  als  Quelle 
wahrscheinlich  gemacht,  so  erklärt  sich  die  Anwesenheit  der 
Familie  Priams  bei  llektors  Lösung  auf  den  genannten  Sarko- 
phagen anders.  Gewiss  hat  Bobert  (Sarkophagreliefs  II  S.  61) 
das  Bichtige  getroffen,  wenn  er  den  Grund  dafür  'lediglich 
in  dem  Zusammenschweissen  verschiedener  N'orlagen  sucht ' 
und  annimmt,  dass  die  'ursprünglich  für  eine  Darstellung  der 
lliupersis  erfundene  linke  Seitengruppe  ohne  Weiteres  aus 
einem  anderen  Zusammenhang  herübergenommen  ist'. 

Wenden  wir  uns  nun  einigen  Einzelfragen  zu,  welche  un- 
ser  Bild  anregt,  so  fällt  vor  Allem  der  Blick  auf  die  Zweige, 
welche  jenseits  .\chills  sichtbar  werden.  Sie  geben  in  dieser 
Darstellung  keinen  Sinn,  denn  die  Kline.  auf  vNelcher  Achill 
ruht,  ist  doch  sicher  nicht  im  Freien,  sondern   innerhalb  ei- 


'  Hauser  im  Arcli.  .Ialirl»urli  1893  S.  103:  vgl.  dagepon  Lö.schcke,  Athen. 
Millh.  181)7  S.  263. 

'  Vgl.  Kenyon,  The  poems  of  liacchylides  S.  157;  doch  scheint  mir  gerade 
der  von  Krnyon  consliuirti'  Ziisaniinoiihan);  mit  diM' Fran^oisvase  nicht  sehr 
überzciigi-nd  zu  sein. 


176  L.    POLLAK 

nes  Zeltes  zu  denken.  Aber  man  kann  noch  nachweisen,  wie 
der  Maler  dazu  kam,  diese  Rinzelheil  hier  anzubringen.  Die 
Gestalt  des  «gelagerten  Dionysos  mit  dem  Hankenwerke  war 
den  Malern  scdiwarzfiguriger  Bilder  ungemein  geläufig.  Halle 
der  Maler  einen  gelagerten  Achill  zu  malen, der  sich  nur  wenig 
von  einem  ruhenden  Dionysos  unterschied,  so  brachte  er  schon 
aus  Gewohniieil  auch  hier,  wiewol  an  unpassender  Stelle,  das 
Laub  an,  welches   ihm  bei  letzterem  immer  vorschwebte'. 

Noch  ein  Zweites  verdient  besondere  Beachtung.  Es  sind 
dies  die  zwei  länglichen  Gegenstände,  welche  von  dem  Speise- 
tischchen herabliängen.  Auch  in  diesem  Punkte  berührt  sich 
unser  Bild  mit  dem  wiener  Skyphos.  Bekanntlich  hat  Benn- 
dorl  ^  die  auf  letzterem  befindlichen  länienartig  herunter  hän- 
genden Speisen  als  ungesäuertes  Fladenbrot  erklärt.  Seine  Er- 
klärung hat  von  einer  Seile  ^  Widerspruch  erfahren. Vielleicht 
vermag  unsere  Lekythos  in  dieser  Frage  einen  Fortschritt  zu 
bringen.  Es  sind  nämlich  auf  unserem  Bilde  die  fraglichen 
Gegenstände  mit  einem  breiten  weissen  Längsstreifen  versehen. 
Was  für  einen  Sinn  hätte  dieses  Weiss,  wenn  wir  eine  Wie- 
dergabe von  Brot  annehmen,  welches  noch  dazu  in  absonder- 
lich gezackter  Form  dargestellt  wäre?  Viel  näher  liegt  der 
Gedanke,  dass  wie  Brygos  auf  dem  wiener  Skyphos  durch 
dunkle  Streifen  blutige  Fleischstücke,  unser  Vasenmaler  mit 
der  weissen  Deckfarbe  Feit  ^  wiedergeben  wollte  und  sich 
nicht  anders  helfen  konnte,  als  dass  er  seiner  Technik  gemäss 
einen  Teil  mit  Weiss  deckte. 

In  gleicherweise  werden  auch  die  weiss  und  rotbraun  ge- 
malten Gegenstände  zu  erklären  sein,  welche  im  Bilde  einer 
schwarzfigurigen  Amphora  in  Neapel  (3358)  ^  auf  einem  üpfer- 


'  Älmlicli  crklüicii  sicli,   und  zwar  aus  Contaiiiinalion,  die  WalTeii  l)ciin 
trauernden  Achill  der  korintliisclienChytra,  Arcli.  Jahrbiicli  1892  Taf.  I  S.27. 

2  Eranos  VinUuhonensis  S.  373. 

3  Liiwy  in  liüm.  MiUheilungen  1894  S.  98. 

*  Vgl.  I.  Müllers  Haiidlnich  2  IV  1,  2  S.  121. 

s  Liihtjert  in  den   Annali  delV  Istiiulu  1865  Tat.  f'  S.  83  (r.  =  Schreiber, 
Kullurlii.storisclier  Bilderatlas  Taf.  '20,  3. 


PniAMOS    BEI    ACHILL  '""^ 

tische  und  in  dor  Hand  des  Libirenden  figuriren.  und  von 
besonderer  Wichtigkeit  ist  das  l^liineusbild  der  Ilydria  bei 
Slackelberg,  Gräber  der  Hellenen  Taf.  38,  auf  dem  die  nach 
links  eilenden  Harpyien  nach  Flasch  (Arch.  Zeitung  1880  S. 
140),  lange  Fetzen,  wol  Fleischstücke  halten,  während  das 
Brot  auf  dem  Tische  vor  Phineus  ganz  entschieden  rund  ist.  in 
zwei  weiteren  Phineusdarstellungen  auf  den  londoner  Vasen  E 
291  und  302,  Arch.  Zeitung  1880  Taf.  12,  1.2  hat  Walters 
im  Catalogue  of  the  Greek  and  Etruscati  vases  iil  auf 
dem  Speisetischchen  ' piirple  nieat  and  flowers'  erkannt.  Ei- 
nen weiteren  Beleg  für  die  Richtigkeit  der  hier  ausgesproche- 
nen Ansicht  bietet  das  Bild  einer  schwarzfigurigen,  ziemlich 
sorgfältig  ausgeführten  Oinochoe,  die  ich  bei  einem  römi- 
schen Antiquar  im  Jahre  1896  sah  und  im  Folgenden  be- 
schreibe. Ein  bärtiger  bekränzter,  nach  rechts  stehender 
Mann  mit  weissem  Schurze  um  die  Lenden  hält  mit  der  Lin- 
ken eine  auf  einer  säulenähnlichen  niedrigen  Basis  liegende 
Schweinskeule,  welche  mit  beiden  Händen  ein  ihm  gegenüber 
stehender  Jüngling  ergriffen  hat.  Der  ältere  Mann  schwingt 
mit  der  Rechten  das  lange  Messer  und  ist  im  Begriffe  auf  die 
Keule  einzuhauen,  unter  der  eine  grosse  Amphora  mit  Stan- 
genhenkeln steht.  Hinter  dem  Fleischstocke  steht  ein  Tischchen 
mit  drei  herabhängenden  zackigen  Stücken,  welche  in  der  Mitte 
je  eine  von  oben  nach  unten  laufende  geritzte  Linie  zeigen, 
also  durch  den  Zusammenhang  evident  als  Fleischstücke  cha- 
rakterisirt  sind.  Die  Scene  spielt  im  Freien,  \vie  ein  jenseits 
des  Tischchens  sich  erhebender  Baum,  an  dem  die  zweite 
Keule  hängt,  lehrt.  Die  Bekränzung  des  bärtigen  Mannes  legt 
den  Gedanken  nahe,  dass  uns  hier  vielleicht  ein  Ausschnitt 
aus  dem  l^ilde  eines  feierlichen  Males  oder  Opfers  geboten 
wird,  wie  wir  ihm  z.  B.  im  Friese  von  Gjölbaschi '  begegnen. 

Rom,  im  Februar  1898. 

LUDWIG  POLLAK, 


'  Benndorf,  Ilcroon  von  Gjölbaschi -Trysa  Taf.  Ili  .^.  167  f. 


DIE  FLÜSSE  VON  LAODICEA. 
I.ykos,  Kadmos,  Kapros,  Eleinos  und  Asopos. 

Wie  sch\vieri<i;  es  ist,  auf  kleinasiatiscliem  Boden  in  geo- 
graphischen und  topographischen  Fragen  zu  allseitiger  Über- 
einstimmung zu  gelangen,  beweist  aufs  neue  der  kürzlich  er- 
schienene 11.  Teil  der  Cities  and  bishop?'ics  of  Phrj/^ia 
von  Professor  Ramsay.  Bis  jetzt  hatte  man  für  das  Lykosthal 
im  allgemeinen  folgende  Gleichsetzungen  angenommen  :  Ly- 
kos  =  Tschuruk-su  ;  Kadinos=  Gök  -  bunar- su  ;  Kapros 
=  Baschli -tschai ;  Asopos=  Gümüsch -ischa'i ;  der  Elei- 
nos blieb  unbestimmt.  Nach  Hamsays  neuester  Ansicht  muss 
der  Gök-bunar-su  Kapros  heissen,  folglich  die  Stadt  bis 
an  den  Ak-kan  reichen,  der  Kadmos  und  der  Eleinos  aber 
weiter  im  Osten  gesucht  werden.  Diesen  Aufstellungen  möchte 
ich  einige  Bemerkungen  gegenüber  stellen'. 

Es  mögen  gleich  hier  die  drei  wichtigsten  Zeugnisse  folgen, 
die  auf  diese  Frage  Bezug  haben. 

1)  Herodot  Vli  30:  ...  eTCtx.STO  ic,  KoAOcax;  TTÖAtv  aeyaXviv 
<I>p'jyt7i;,  £v  TY)  AuKO;  TiozcL^hc,  £<;  yxrs^oL  yvi;  err^äX^wv  ä<pavi^£Ta.i* 
ETTEiTa  oix  (Txaotwv  (!)(;  Trevxe  j/.ä'XtOiTä  •/.r\  ävatpatvöu.svo;  e/Cf^iooi  y.ai 
ouTO?  ei?  tÖv  MatavSpov. 

2)  Strabo  XII  578:  'EvxaOOa  ^e  x-xl  o  KäTrpo;  Kxi  6  Au/to«;  <tu(x- 
oi^Xei  T(i>  MaiävSpti)  tzotxu.&,  •nroxau.oi;  eOu.eyeOT)!;  äcp'oü  xai  r,  Tzpot; 
TÖ  AOxw  Aao^iiteia  XeyeTat.  "T7:£px.£tTat  Sk  tt,;  -Kolifüi  opo;  KaSixo;, 
6^  00  xai  6  Aox.o;  pei  xai  aA>.Oi;  ou.wvjuloi;  tw  öpet.  Tö  tt^eov  ö  oü- 
TO;  6-6  yr,;  p'j£i; ,  Etr'  ävaxotj/ai;  «tuvettetev  ei^  xauTO  TOt?  aXXoi^ 
TCOTaiAOi;,    £{x(paiv(i)v    «aa    t6    ro^üxpiOTOv    x-/;«;    ^(^wpai;      xat    xö    £u- 

OglffTOV. 


'  Zu  vgl.  isl  dazu   uioine  Karle   der  Gegend   iui  .lalnhiicli  dos   arcli.  In- 
sliluts  XIII,  1898,  Taf.  3. 


DIE    FLUESSE    VON    LAODICEA  179 

3j  Plin.  H.  N.  V,  29.  H  :  Im/jos/fa  Lnodicea  est  Lyco 
fliimini  latera  adluentibus  Asopo  et  Capro. 

Treten  wir  zuerst  an  die  Lykosfrage  heran  ;  es  hat  kaunn  ein 
anderer  Fluss  Ramsay  so  viel  beschäftigt.  In  den  Athen.  Mit- 
iheilungen  1891  S.  194  habe  ich  das  angebliche  \'ersch\vin- 
den  des  Lykos  hei  Kolossai  beschrieben  und  glaubte  den 
Schluss  ziehen  zu  müssen,  dass  ein  eigentliches  Verschwinden 
niemals  Statt  gefunden  hat.  Wiederholte  Besuche  der  Stelle 
haben  mich  in  dieser  .Vnsicht  nur  bestärkt;  es  bleibt  wol  nichts 
übrig  als  die  Annahme,  dass  Herodot  eine  Volkssage,  die  er 
von  phrygischen  Handelsleuten  in  Milet  erfahren,  wiedergiebt. 
Den  Lauf  des  Lykos  durch  die  enge,  tiefe  und  wilde  Schlucht 
hat  der  Volkswitz  zu  einem  unterirdischen  gesteigert.  Professor 
Ramsay  bespricht  wiederholt  alle  Möglichkeiten  (Church  in 
the  Rom.  Empire  S.4  76;  Cilies  and  bishoprics  of  Phnj- 
gia  I  S.  210),  um  flerodots  Aussage  und  die  Legende  des 
Erzengels  Michael  zu  rettpn.  kommt  aber  zu  dem  Schluss, 
t/iat  there  in  no  probabi/ity  t/tat  the  Lycos  ever  durin<^ 
any  historical  period  fJowed  throu<^Ii  an  Underground 
chasm  five  stadia  long  in  this  pari  of  its  course.  Trotz- 
dem will  er  die  Thatsache  nicht  ganz  annehmen.  'This  State- 
ment, hoivever,  docs  not  iniplij  tliat  the  stream  ans  al- 
ways  open  to  view.  It  is  still  in  some  places  half  con- 
cealed  from  view,  as  M^  W.  says,  and  so  we  niust  ad  mit 
the  possibility  t/iat  incrustations  from  the  streams  that 
join  it,  both  on  north  and  south,  may  have  at  a  former 
period  completely  overarched  it  for  a  little  way' .  Er 
beruft  sich  dafür  auf  'a  scientific  training  as  a  practical 
geologist  in  a  ivifness  '.  Es  fragt  sich  nun.  ob  ein  prakti- 
scher Geologe  allein  im  Stande  ist  .  zwischen  modernen 
Tropfsteinbildungen,  wie  man  sie  an  der  Südwand  des  obern 
Eingangs  der  Schlucht  sieht,  und  den  gewachsenen  Kalk- 
steinschichten in  der  Mitte,  unter  welchen  sich  das  Wasser 
einen  kurzen  Durchgang  gegraben,  zu  untersclieiden.  Jene 
Tr()[)fstninbilliing(':)  sianimen  übrigens  von  Bewässerungs- 
kanälen her,  die  vom  grossen  Kanal  bei  Ilonas  abgeleitet  wer- 


180  G.  WEBER 

den.  An  der  Nordseite  befinden  sicli  solche  Ablagerungen  nicht. 

Dass  übrigens  Ramsay  diesem  Argument  ad  hominem 
wenio;  Wert  beilegt,  beweist  eine  andre  Theorie. die  er  vorträgt. 
Auf  Strabos  Angabe  gestützt  meint  er:  This  can  onlij  mean 
thnt  the  Lycos  flows  for  more  than  20  niiles  Under- 
ground, thcn  appears  above  f^round  (bei  Kodja  -  hasch ), 
and  fjoivs  tonrirds  the  Kadmos  and  the  Maeander.  ...the 
real  source  of  the  Lycos  is  in  the  lakc  of  Anava  ( Cities 
and  bishoprics  I  S.  210).  Er  setzt  dann  hinzu:  Now  there 
are  united  in  Herodotus's  account  two  poi/tts,  \)  {\'it/iin 
the  very  city  of  Colossai,  the  Lycos  enters  a  deep  cleft 
in  the  ground,  2)  the  Lycos  issues  from  an  Underground 
Channel  and  flows  to  the  Maeander .  Each  point  is  true 
and  each  is  stated  by  the  e?je-iritness,  Strabo;  it  is  only 
the  Union  of  the  two  by  Herodotus  that  is  incorrect.  This 
is  characteristic  of  the  faithful  repeater  of  evidence  at 
secondhand.  Wie  verhalten  sich  nun  diese  [Behauptungen  den 
Thalsachen  gegenüber? 

Der  Adji-tus-göl  (See  von  Anava),  wie  der  Tus-tschölü 
auf  dem  lykaonischen  Plateau,  ist  ein  echter  seichter  Salz- 
see, dessen  Wasser  im  Sommer  verdunstet  und  die  dicke  Salz- 
kruste zurücklässt.  Hamilton  (I  S.  508)  hat  das  richtig  be- 
merkt; meine  eigenen  Beobachtungen  stimmen  mit  ihm  über- 
ein. Bei  Appa  bin  ich  im  August  2  Kilometer  weit  auf  dieser 
Salzkruste  zu  Fuss  auf  dem  See  vorgedrungen';  nirgends  war 
Wasser  zu  sehen;  nichts  als  die  harte,  glitzernde  Salzfläche 
fiel  ins  Auge.  Die  frischen  Spuren  von  Eselhufen,  vom  gegen- 
überliegenden Ufer  kommend,  haben  mir  bewiesen,  dass  zu 
dieser  Jahreszeit  der  See,  wenigstens  an  dieser  Stelle,  trocke- 
nen Kusses  zu  überschreiten  ist.  Darf  man  nun  annehmen, 
dass  er  einen  unterirdischen  Ablauf  habe?  In  diesem  Falle 
hätte  sich  doch  nie  eine  Salzkruste  auf  der  ganzen  Ober- 
fläche bilden  können.  Zweitens  hätte  der  See  in  der  Sommer- 


'   Ziivoyävrj?,  aÜYYpajJ-lJ-a  Twcpiooixov   xoü  oüXXoyou  twv  Mupaataiwv  «  'AvaxoX^t  » 
I  8    1i)2. 


DIE  FLUESSE  VON  LAODICEA  t«l 

zeit  niclit  Wasser  genug  um  die  reichen  Quellen  bei  Koclja- 
bascli  zu  speisen  Ja  nocli  mehr,  diese  Quellen  sind  gar  nicht 
salzig,  wie  es  Hamsay  selbst  zugeben  muss.  Wo  wäre  dann  das 
Salz  geblieben?  Die  Lösung  dieses  geologischen  Rätsels  bleibt 
man  uns  schuldig. 

Strabo  (XII  58Ü)  sagt  von  diesem  See:  r,  ^e  u-sTa^o  AaoSt- 

pxv  v/v.  TCeAxyix  o'jTx.  Dieser  unangenehme  Geruch  fällt  dem 
Reisenden  heute  wie  im  ersten  Jahrhundert  auf;  ist  es  nicht 
bezeichnend,  dass  Strabo,  der  die  Gegend  bereist  hatte,  nichts 
von  irgend  einer  Verbindung  zwischen  diesem  See  und  d(!n 
Quellen  des  l^ykos  ( Kodja- hasch )  anführt,  da  er  doch  ganz 
genau  diejenige  der  Quellen  des  Marsyas  und  des  Mäanders 
mit  dem  See  Aulokrene  ano;iebt?  Hingegen  sagt  er  iianz  he- 
stimmt:  'Y-ip-KsixoLi  Sk  zin^  tcöXew?  (Laodicea)  000;  Ka^u.o? ,  e; 
ou  x.ai  6  A'jx.o;  pei. 

Drittens  endlich  würden  die  90  englischen  iMeilen  unter- 
irdischen Laufes,  die  Ramsay  dem  Lykos  zuweisen  möchte, 
nicht  mit  der  Angabe  Strabos  tö  7r).eov  S'  oOto;  O-ö  yr,;  p'jd^ 
(im  Falle  sie  sich  auf  den  Lykos  bezieht,  was  nicht  bewiesen 
ist)  übereinstimmen;  die  Entfernung  zwischen  dem  See  von 
Anava  und  den  Quellen  bei  Kodja- hasch  ist  nur  17  engli- 
sche Meilen;  dagegen  beträgt  diejenige  von  diesen  Quellen  bis 
zum  Mäander  über  20  Meilen.  Da  wäre  es  doch  kaum  möglich 
zu  behaupten, dass  der  Lauf  des  Lykos  zum  grössten  Teil  un- 
terirdisch sei. 

Nachdem  wir  gesehen,  wie  Ramsay  sich  alle  erdenkliche 
Mühe  gibt,  llerodols  Aussage  sich  zurecht  zu  legen, gehen  wir  zu 
Strabo  über,  den  er  stets, und  mit  Recht,  als  Augenzeugen  an- 
führt: anz/t/ting  Strabo  stajs  i's  clcar  (uul  (nie  to  t/tc  fdcts 
of  t/ic  prcscnl  day .  Nichts  ist  zutretTender  als  dieser  Salz; 
allein  es  hängt  alles  von  der  Art  und  Weise  ab,  wie  man  den 
alten  Geographen  zu  verstehen  hat.  Liest  man  den  Anfangs 
stehenden  Paragraphen  Strabos  durch,  so  ergibt  sieh,  dass  er 
vom  Lykos  zwei  Thatsachen  feststellt:  1)  der  Lykos,  ein  be- 
trächtlicher Fluss.  gibt  der  Sladt  Laodicea  ihren  bezeichnenden 


ist  G.    WEBER 

Beinamen  und  '?)  er  hat  seine  Quelle  am  Fusse  des  Kadmos; 
weiter  nielils.  Strabo  spricht  dann  von  einem  andern  Plusse, 
der  demselben  Berge  entspringt  und  dessen  Namen  trägt,  und 
setzt  hinzu:  t6  -A£ov  ö  o'jto:  üttÖ  yf.c;  Ö'jsi;,  eit' ävaxü^j/a?  (tov£7C6- 
cev  il;  TaÖTo  Toi;  xWok;  TuoTxy.oii;.  In  diesem  Satz  liegt  der 
Kernpunkt  der  ganzen  Frage;  bezieht  ersieh  auf  den  Lykos 
oder  auf  den  Kadmos? 

Arundell  (  Dtscoverics  in  Asia  Minor  S.  171 )  erwähnt,  dass 
Strabos  Kxegeten  den  fraglichen  Satz  auf  den  Lykos  bezichen. 
AmedeeTardieu  in  seiner  französischen  Übersetzung  teilt  diese 
Ansicht;  allein  ist  sie  gerechtfertigt?  Weder  Arundell  noch 
A.  n.  Smith  {Journal  of  Hellenic  studies  1887  S.  224) 
konnten  es  annehmen.  Angesichts  des  wirklichen  Verschwin- 
dens  des  Gök-bunar-su  nahe  bei  seiner  Quelle  haben  diese 
Reisenden  Strabos  Satz  einfach  —  und  nach  den  Gesetzen  der 
Grammatik  —  auf  den  Fluss  Kadmos  bezogen.  Die  Exeueten, 
die  den  Duden  des  Gök-bunar  nicht  kannten'  und  von  Ilero- 
dots  Angabe  beeinflusst  waren  ,  haben  ihn  anders  ausgelegt 
und  sogar  behauptet,  dass  die  Erwähnung  des  Kadmos  eine 
Copislenglosse  wäre.  Diesen  Einfluss,den  eine  anerkannte  Au- 
torität auf  spätere  Schriftsteller  ausübt,  erkennt  man  sogar  an 
dieser  Stelle.  Strabo,  der  Kolossai  ganz  sicher  besucht  und  eben 
keine  Spur  vom  Verschwinden  des  Lykos  bemerkt  hatte,  be- 
gnügt sich  anstatt  Herodot  direkt  zu  widersprechen  ihn  still- 
schweigend zu  widerlegen,  indem  er  vom  Lykos  nur  die  zwei 
anü;eführten  Thalsachen  berichtet,  dai]fe";en  das  wirkliche  Ver- 
schwinden  des  Kadmos  desto  bestimmter  hervorhebt.  Nur 
ist  zu  bemerken,  dass  auch  er  zu  weit  geht.  Der  unterirdische 
Lauf  des  Kadmos  ist  kurz  (etwa  lOU  Meter);  aber  die  Sache 
erklärt  sich  leicht.  Strabo  hat  wahrscheinlich  weder  die  Quelle 
von  Gök-bunar  besucht  noch  den  engen  und  liefen  Lauf  des 
Flusses  bis  Ak- kan  gesehen.  An  diesem  Punkte,  wo  die  grosse 
Strasse  nach  Osten  vorbeiführt,  hat  er  den  Kadmos  aus  einer 


'  Arundell  ist,  su  viel  icli  weiss,  der  erste,  der  itiu  erwähnt. 


DIE   FLUESSE    VON   LAODICEA  l83 

wilden   Schlucht   hervorbrechen   sehen  ;   es  war  Cur   ihn   die 

Stelle  6'!t'  iv3C)C'r]/a;  U.  S.  W. 

Aus  den  oben  angeführten  Stellen  Ramsays  geht  klar  hervor, 
dass  er  den  besagten  Satz  Strabos  auf  den  Lykos  beziebt;  seine 
ganze  Theorie  über  diesen  Fluss  beruht  auf  dieser  Interpre- 
tation. Doch  liest  man  in  seinen  Antiq.  of  South.  Phry^^ia 
S.  5:  the  Kadnios,  Gok-  Biinar-  Su,  was  recognized  both 
by  Arwidell  and  by  Hamilton ;  the  remarks  of  A.  H. 
Smith  (Hell.  Stud.  1887  p.  22k)  seem  to  me  correct. 
Diese  fiemerkungen  aber  sind  diejenigen  Arundells.  nämlich, 
dass  der  betrelTende  Satz  Strabos  sich  nicht  auf  den  Lykos 
sondern  auf  den  Kadmos  beziehe.  In  Cities  and  bishoprics 
l,'2  S.  785,  bei  Gelegenheit  seiner  neuesten  Bestimmung  der 
Flüsse  von  Laodicea,  spricht  ersieh  in  diesem  Punkt  noch 
bestimmter  aus:  My  identißcation  of  the  Laodicean  rivers 
depended  on  two  fundamental  assumptions:  \)  that  the 
Kadmos  has  been  rightly  identißed  by  Arundell,  Hamil- 
ton and  A.  H  Smith,  with  Gcuk-Bunar- Sa  (the  reason 
being  that  Strabo  describes  a  Duden  in  tlie  former,  and 
there  is  a  Duden  in  the  latter  ■.  2)  that  Pliny's  account 
may  be  set  aside  as  inexact.  Auf  der  näcbsten  Seile  sagt  er 
weiter:  Geuk -Bunar-  Su  must  be  the  Kapros.  If  this  be 
so,  the  Kadmos  must  be  not  Geuk  -  Bunar -Su,  but  one 
oj  the  other  streams  which  flow  out  of  Mt  Kadmos  ;  and 
if  a  Duden  could  be  found  on  one  of  them,  the  case 
would  be  complete. 

Also  ganz  das  Gegenteil  von  dem.  was  er  oben  annahm; 
denn  dass  Strabos  Satz  tö  x^eov  V  oöto;  u.  s  w.  sich  gleich- 
zeilig  auf  den  Kadmos  und  den  Lykos  bezieben  kann,  wird 
doch  Niemandem  einfallen.  Folglicb  ist  doch  zuzugeben,  dass 
alle  Schlussfolgorungen.  die  auf  diesem  Widerspruch  fussen, 
mit  der  grössten  Vorsiclit  zu  behandeln  sind. 

Mit  Arundell  und  A.  II. Smith  habe  ich  bis  hieher  die  Gleich 
Stellung  des  Gök-bunar-su  mit  dem  Kadmos  vorausgesetzt. 
Aber  ehe  ich  das  hier  beij;rimde.  muss  ich  die  Fraij:e  nach  dem 
Kapros  erörtern.   Bekanntlich  hatte  Ramsay  seit  Jahren   den 


l84  G.   WEBEA 

Rapros  nach  Saraköi  versetzt,  gestützt  auf  Strabos  Text,  be- 
sonders aber  auf  seine  Erklärung  einer  Münze  von  Laodicea  ' 
die  eine  Frau  darstellt  zwischen  einem  Wolf,  AYKOC,  und 
einem  Eber,  KATTPOC  ''.  Diese  beiden  Namen  sollten  nun 
nach  ihm  die  Grenzen  des  Weichbildes  der  Stadt  bezeichnen, 
eine  ziemlich  moderne  Idee, die  wenig  mit  dem  sakralen  Cha- 
rakter der  antiken  Münzen  in  Einklang  steht.  Jetzt  gibt  Ram- 
say  diese  Gleichstellung  auf.  In  n  ivcll-  weighed  review  of 
Part  /,  in  Berl.  Philol.  ^\och.  1896  p.  4ö5,  D'  Partsc/i 
objects  to  niy  npportioning  of  the  river  nanies  ;  and  I 
think  he  has  groiind  for  his  objection  ( I,  '2  S.  785).  Allein 
anstatt  seinem  Rezensenten  nach  den  Angaben  des  Plinius  in  der 
Gleichstellung  des  Baschli- tschai  mit  dem  Kapros  zu  folgen, 
verlegt  er  diesen  Namen  auf  den  Gök  -  bunar- su,  unter  dem 
Vorvvande,  der  Baschli-tschai  is  a poor  streani,  and,  more- 
over  the  city  clearly  extended  far  beyond  the  narrow  li' 
mits  of  the  walls  ....  Finally,  Bashii  -  Tchai  is  a  niere 
branch  of  Geuk-Bunar-Su,  and  does  not  riin  direct  into 
the  Lycos.  Sind  diese  weittragenden  Behauptungen  nicht 
auffallend,  wenn  der  Verfasser  selbst  wiederholt  betont,  /  never 
devoted  any  tinie  to  thorough  exploration  of  the  Valley, 
considering  its  topography  to  be  settled.  In  fact  there  are 
many  districts  of  Phrygia  ivhich  I  knoiv  mach  better 
tlian  the  Lycos  Valley,  though  I  have  passcd  across  the 
Valley  no  less  tJian  li  tinies. 

Ramsay  gründet  seine  Beweisführung  auf  die  Worte  Stra- 
bos: 'EvraGÖoc.  Se  x,ai  6  Kocxpo?  "/cat  ö  Auxo?  (j'ju.6x^)>6i  tu  Maiscv- 
Spcp  TZOTXUM,  TTOTauö:  gOi/eysOr;;"  i^p'  ou  x.ai  r;  Tvpö;  tcö  AOxw  Axo- 
Si)c£ia  XeysTai.  Der  Geograph  habe  die  zwei  llauptflüsse  (Tschu- 
ruk-su  und  Gök  -  bunar- su )  als  die  den  eigentlichen  Ly- 
kos  bildenden  darstellen  wollen.  Diese  Ansicht,  wie  die  Auf- 
fassung der  angeführten  Münze,  trägt  eine  moderne  Färbung, 


<  Mionnel,  Suppl.  VII  Nr.  460;  B.  Ilcad,  Hisl.  Nvm.  S.  56G. 
2  Kaiiisav   übersel/.l  KATTPOC,  a  tjual   (Ziegt;).   was  sclioii    Mioiinct   ge- 
lliaii  Ijallt!,  13.  iloaii  Nagt  liflilig  KAnPOC=:rt  buar  (Eber). 


DIE    FLUESSE    VON    LAODICEA  185 

welche  der  Text  nicht  reclitfertigt.  Strabo  erwähnt  einfach  den 
Kapros*;  für  ihn  ist  der  Lykos  der  beträchtliche  Fluss.  Bei 
den  Alten  war  es  ja  nicht  nur  die  Wassermenge,  die  den 
Flüssen  Wichtigkeit  verlieh;  ihre  Nützlichkeit,  folglich  ihr 
sakraler  Charakter,  spielen  eine  hervorragende  Rolle.  Das  ist 
speziell  der  Fall  mit  dem  Baschli -tschai.  Alle  Heisenden,  die 
Denisli  besucht  haben,  wo  die  reichen  Quellen  dieses  Flusses 
liegen,  bewundern  die  ausserordentliche  Üppigkeit, welche  sie 
den  Gärten  der  Umgegend  verleihen.  Aus  denselben  Quellen 
wurde  auch  der  grosse  Aquädukt  gespeist,  der  die  Stadt  mit 
Wasser  versorgte,  wie  ich  es  im  Jahrbuch  des  arch.  Instituts 
XIII  S.  1  nachgewiesen  habe.  Für  die  Laodiceer  war  der 
Kapros  der  heilige  F'luss  xaT'  eEo/r.v,  dem  sie  nicht  nur  den 
Reichtum  ihrer  Landhäuser  bei  Denisli,  sondern  überhaupt 
die  Möglichkeit  in  ihrer  Stadt  zu  wohnen,  verdankten.  Die 
Sache  war  so  augenfällig,  dass  Strabo  es  für  unnötig  hielt, 
sich  weiter  darauf  einzulassen. 

Eine  Bekräftigung  dieser  Ansicht  geben  die  Münzen.  Der 
Lykos  und  der  Kapros  in  ihrer  mannigfaltigen  Darstellung 
waren  das  Stadtwappen  von  Laodicea;  der  erste,  weil  er  ihr 
das  bezeichnende  Beiwort  gab,  der  zweite  wegen  des  le- 
benspendenden Elementes,  das  er  ihr  lieferte.  Nicht  nur  die 
Münzen  weisen  dieses  Motiv  auf,  auch  die  Ornamentik  ver- 
wandte es  an  den  öffentlichen  Gebäuden.  Auf  der  Station 
Appa  befinden  sich  zwei  reich  profilirte  Piedestale  aus  Lao- 
dicea, die  auf  je  einer  Seite  in  Hochrelief  einen  Wolf  und  ei- 
nen Eber  tragen.  Sollte  es  daher  möglich  sein  ,  dass  dieser 
Name  Kapros  einem  Flusse  wie  dem  Gök-bunar-su  zukäme, 
der  mit  der  Stadt  in  keiner  wesentlichen  Verbindung  steht? 
Ramsay  ist  genötigt  die  Stadt  bis  an  den  Ak-kan  auszudehnen, 
um  eine  solche  Verbintiung  herzustellen.  Allein  hierin  wer- 
den Kiepert  und  Partsch  das  Richtige  getroffen  haben  (Ber- 
liner philol.  Wochenschrift  1896  S.  465-6). 


<  Etwas  lose,  was  Rayct    in  seinem   Milel  I  S.  7  veranlasste,  die  Worte 
xai  6  Kir.po;  als  eine  Copislenglosse  anzusehen. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN  XXHI.  13 


186  G.   WEBEft 

Übrigens  mi'jclite  ich  mir  erlauben  hier  zwei  wichtige  Puniite 
der  Topograpliie  von  Laodicea  des  Nähern  zu  erörtern,  näm- 
lich die  Strecke  vom  Baschli -tschai  bis  zum  Ak-kan  und 
die  Ver»n')sserun":  der  Stadt  auf  dem  Plateau  selbst. 

Von  der  Ostecke  des  AJauerrin";s  ^eht  die  antike  Strasse 
über  das  Thal  des  Baschli  -  Ischai  und  wendet  sich  dann  links 
am  Fusse  der  nächsten  Anhöhen  entlang  (dieses  Plateau  liegt 
50  Meter  h()her  als  die  Station  Gondjeli  und  befindet  sich  vor 
der  llügelreihe,  welche  die  Lykos-  l^]bene  von  der  von  Denisli 
trennt)'.  Gleich  anfangs  ist  diese  antike  Strasse.  15'"  breit, 
noch  sehr  gut  erkennbar,  mit  Grabanlagen  und  Sarkophagen 
beiderseits  auf  eine  weite  Strecke  hin  cingefasst.  Also  ein 
BcNveis.dass  wir  hier  an  dem  I^]  ingang  einer  Stadt  und  nicht 
in  (leren  Mittelpunkt  uns  befinden.  Bis  Ak-kan  Irifl't  man 
übrigens  keine  Spur  von  öffentlichen  oder  andern  Gebäuden 
an.  Ebensowenig  sind  auf  dem  Plateau  oben  Buinen  oder 
Thonscherben  zu  finden;  nichts  als  feiner  Ackerboden  ohne 
die  geringste  Spur  von  Besiedelung.  Nur  am  westlichen  Ende 
des  Plateaus,  der  Stadt  ";eü;en(iber.  rasten  aus  dem  Boden  die 
Fundamentmauern  eines  grösseren  viereckigen  Gebäudes  her- 
vor, wie  ich  ein  ähnliches  auf  dem  Ilüi^el  oberhalb  des  Klär- 
bassins  des  Arpiädukls  gefunden  habe. 

Sollten  Einwohner  von  Laodicea  die  Notwendigkeit  gefühlt 
haben  die  Stadt  zu  verlassen,  so  sind  sie  nach  Denisli  gezo- 
gen ,  Radets  Kaprima',  das  wol  von  früher  her  in  zu  enger 
Verbinduno;  mit  der  Stadt  stand  und  zu  grosse  V^orteile  bot, 
um  nicht  von  allen  denen  vori»;ezoij;en  zu  werden. die  mit  Acker- 
bau  und  Schafzucht  beschäl'tii't  waren. 

In  Betreff  des  zweiten  Punktes,  d.h.  der  von  Strabon  (XII 
577)  erwähnten  Verü;rösseruno;  der  Stadt  ist  zu  bemerken,  dass 
einer.seits  der  Zustand  der  Buincsn,  andererseits  aber  die  In- 
schriften beweisen,  dass  sie  auf  den  Stadtliiigel  beschränkt 
blieb.  Eine  ältere  Bingmauer,  deren  Überreste  noch  klar  uacii- 


'  Siehe  die  genannte  Kailen.skizze  im  Jaiirliiicli  XIII  Taf.  3. 
2  Hevue  des  universilfs  du  Midi  1896  S.  20. 


DIE   FLUESSE   VON   LAODICEA  187 

weisbar  sind,  teilt  die  Stadt  in  zwei  Hälften;  die  höhere,  nörd- 
liche war  die  u.'.y.pyL  xcÖTspov  rjjr;y..  Im  ersten  Jahrhundert  vor 
Chr.  wurde  das  niedere  Plateau  im  Süden  durch  eine  neue 
Ringmauer  in  die  Stadt  hineingezogen.  Das  Stadion  Amphi- 
thealron,  ausserhalb  dieser  Mauer  liegend,  wurde  dann  im 
Jahr  79  nach  Chr.  {C.I.G.  3935)  eingeweiht,  das  anstossen- 
de  Gymnasium  (?)  erst  imJaiir  12'i  {Cities  and bishoprics  I,  1 
S.  72);  unter  Domitian  {C.  I.  G.  39 '«9)  erbaute  der  Freige- 
lassene Tryphon  das  Tripylon  an  der  Ostecke  der  Stadt,  wo 
heute  noch  die  ßpistylblöcke  mit  der  Inschrift  am  Boden  lie- 
gen. Ramsay  glaubte,  sie  gehöre  zu  dem  jetzt  noch  aufrecht 
stehenden  Tripylon  am  Westende  der  Stadt.  Er  hat  nicht  be- 
merkt, dass  Pococke  [Desci^iption  of  the  East  11,2  S.72)  den 
Baschli-tschai  für  den  Asopos  hält  und  den  Rapros  auf  die 
Westseite  verlegt.  Übrigens  sind  die  auch  auf  dem  Boden 
umherliegenden  inschriftlosen  Epistylblöcke  dieses  erhaltenen 
Tripylons  architektonisch  verschieden  von  denen  im  Osten, 
gehören  also  nicht  damit  zusammen.  'I'ryphons  Tripylon  darf 
für  das  von  IMiilostratos  erwähnte  (Vit.  Soph.  I  25)  Syrische 
Thor  angesehen  werden. 

Diese  Thatsachen  beweisen  also  hinreichend,  wie  die  Ver- 
grösserung  der  Stadt  zu  verstehen  ist.  Plinius  Aussage  im- 
posita  est  Lyco  jliimini,  latera  adlucntibiis  Asopo  et  Ca- 
pro  kann  sich  also  nur  auf  den  Gümüsch- tschai  und  den 
Baschli-tschai  beziehen,  wie  es  Partsch  so  prägnant  ausge- 
sprochen hat.  Radet^  sagt  ebenfalls:  Laodice'e  est  baigne'e 
par  trois  rivieres:  e/i  facade  par  le  Lycus,  sur  les  ßancs 
par  t'Asopos  et  le  Capros.  Ramsays  Einwand  ,  dass  der 
Baschli-tschai  nur  ein  Nebenlluss  des  Gök- bunar-su  sei, 
verliert  seine  Kraft  durch  die  Thatsache,  dass  der  Zusammen- 
lluss  erst  unteriialb  Laodiceas  erfolgt;  der  Kapros ,  an  dieser 
Stelle  angekommen,  hat  der  Stadt  gegenüber  seine  Schuldig- 
keit reichlich  geleistet. 


'  IXevue  des  universilrs  du  Midi  189G  ö.  '20. 


188  G.   WERER 

Es  erübrigt  noch  zu  iintersuclien  ,  aus  welchen  Gründen 
der  NameKadmos  dem  Gök-bunar-su  zukommt.  Der  stärkste 
von  allen  dürfte  wol  sein,  dass  vom  Ak-kan  bis  an  die  Ly- 
kos- Schlucht  oder  Station  Bödjeli  sich  kein  Wasserlauf 
überhaupt  vorfindet,  dem  man  diesen  Xamen  tieben  könnte. 
Den  kleinen,  aber  ausdauernden  Räch  von  Dereköi  bei  jener 
Station  brauchen  wir  für  den  Eleinos. 

Doch  sehen  wir  Strabos  Text  näher  an  :  'Y-TrsoxstTai  })i  zr,^ 
tcÖXeco;  opo;  Kaöu.oi;,  i^  ou  •/tai  6  Auxo^  pei  kolI  a^Xo;  öpLwvuao?  tö 
opsi.  Tö  7c).60v  o'  ouTO;  uttÖ  yy)?  pu6i(;,  eix'  a,vax.'j(];a(;  O'jveTre'rev  et; 
Taürö  TOi;  a'X>.oi<;  TrOTap^oi;  lu.'paivwv  xux  t6  TroXürpTiTOv  tt^c  /top«; 
y.ai  TÖ  euTEiTTov.  Bemerkenswert  ist,  dass  Strabo  den  ganzen  Berg- 
stock—  Honas-dagh  mit  Baba-dagh  —  als  Kadmos  bezeichnet; 
denn  nur  der  Baba-dagh  (Salbakos)  beherrscht  die  Stadt.  Auf 
dem  hohen  Sattel  (1  i>00"')  zwisclien  beiden  Gebirgen  entspringt 
der  Tschukur-su,  der  erst  tiefer  unten,  nachdem  er  das  reich- 
liche Wasser  desGök-bunar  (Kara-göl)  aufgenommen,  den 
Namen  Gök-bunar-su  trägt,  und  ihn,  bis  zu  seiner  Mündung 
in  den  Lykos  beibehält.  Die  Quellen  des  Gök-bunar  (öSÖ'" 
Meereshöhe)  bilden  zuerst  einen  ziemlich  grossen  Teich,  das 
Wasser  lliesst  dann  durch  drei  niedere  antike  Brücken  unter 
der  Strasse  durch  über  ein  gegen  Osten  vorspringendes  Pla- 
teau, das  auf  seiner  Ost-  und  Nordseite  von  einem  etwa  30'° 
hohen  Ilügelrande  begrenzt  ist.  Nach  einem  etwa  iOO'"  langen 
Laufan  diesem  Hände  angekommen  verliert  sich  das  Wasser 
im  Boden,  um  auf  der  anderen  Seite  in  einer  80  Meter  tiefen 
Schlucht,  der  des  Tschukui'-su,  mit  grossem  Geräusch  wieder 
hervorzutreten.  Es  ist  das  von  Arundell  und  A.  II  Smith  be- 
schriebene •/.Ä.TaSäOpov,  von  dem  auch  Strabo  gehört  halte, 
nur  dass  er  ihm,  ^vie  oben  bemerkt,  eine  viel  grössere  Länge 
zuschreibt. 

Am  Fusse  der  Alluvial- Hügel,  die  dem  Kadmos  vorlie- 
gen, angelangt  durchbricht  der  Fluss  sie  nicht,  sondern  biegt 
westlich  um  und  folgt  iiinen  in  tiefem  Bette  bis  zum  Durch- 
bruch von  Ak-kan.  Dieses  zerrissene,  höchst  malerische 
Thal  lieisst  bei  den  Türken  Bagliirsak-dere  (das  Eingeweide- 


DIE    FLUESSE    VON   LAODICEA  189 

Thal).  Vom  Ak-kan  an  hat  der  Gök-bunar-su  ein  regel- 
mässiges ,  offenes  F3ett  bis  zum  Lykos.  Als  Strabo  auf  der 
antiken  Strasse  an  der  Stelle,  wo  jetzt  der  seldschukische  Kan 
steht,  ankam,  sah  er  den  Kadmos  aus  der  wilden  Schlucht 
hervorbrechen  (eW  h>y.yyyliy.;):  an  dieser  Stelle  hat  er  allerdings 
den  grössten  Teil  seines  Laufes,  etwa  IS^*",  hinter  sich;  bis 
zum  Lykos  sind  es  nur  noch  3"""  in  der  Luftlinie. 

Strabo  sagt  dann  weiter:  cr'jvE-eacv  ^  st?  tx-jto  rot;  xXkmq  tco- 
TajjLoi?.  Das  heisst :  er  fällt  zusammen,  er  vereinigt  sich  mit 
den  andern  Flüssen.  Ein  Blick  auf  die  Karte  in  dem  Jahr- 
buch des  arch.  Instituts  XIII  Taf.  3  zeigt,  wie  buchstäblich 
genau  sich  der  heutige  Sachbestand  mit  dieser  Angabe  deckt. 
Der  Kadmos  nahm  zuerst  den  Kapros  auf,  weiterhin  wahr- 
scheinlich ebenfalls  den  Asopos  und  vereinigte  sich  dann  ober- 
halb der  antiken  Brücke  mit  dem  Lykos.  Selbstverständlich 
beruht  diese  Auseinandersetzung  auf  Arundells  Erklärung 
der  besagten  Stelle  Strabos;  bezieht  man  den  Satz  t6  tvXsov  S' 
ouTo?  u.  s.  w.  auf  den  Lykos,  so  ist  der  Schwierigkeiten  kein 
Ende,  wie  wir  gesehen. 

Die  antike  Brücke  habe  ich  durch  einen  glücklichen  Zufall 

c 

im  Sommer  1897  entdeckt.  Sie  beweist,  dass  der  Lykos  hier 
sein  Bett  verändert  hat.  Sie  bestand  aus  drei  Bogen;  der  mitt- 
lere allein  steht  noch  aufrecht  und  zwar  nur  noch  das  Ton- 
nengewölbe; von  den  zwei  andern  ist  alles  bis  auf  die  niedern 
Pfeiler  abgetragen.  Das  Material  sind  grosse  Kalksteinblöcke, 
schlicht  zurechtgehauen  und  ohne  Kalk  verbunden.  Die  Ge- 
wölbespannungen  sind  4,65;  5,50;  4,80'";  die  Front  der  Pfei- 
ler ist  3'"  stark;  die  Breite  der  Brücke  war  7,10'",  ihre  Länge 
26,95"'.  Sie  erinnert  an  die  Technik  der  grossen  Brücke  über 
den  Asopos  in  Laodicea  ,  mit  der  sie  wol  gleichzeitig  ist. 
Demnach  ging  die  alte  Strasse  von  Laodicea  nach  Hierapolis 
an  dieser  Stelle  über  den  Lykos;  bekanntlich  kreuzt  der  heu- 
tige Weg  diesen  Fluss  eine  Stunde  weiter  thalabwärts. 


'  Dieser  Aorist  (liiifh»  wol   cim^  pranimalikalisolic  Wendung  sein,  dureli 
die  SU'abo  fiust?  und  ävaxJ'la?  niolivirt. 


190  G.  WEBER 

Strabo  beschliesst  seine  BeschreibunG;  desKadmos  mit  einer 
geologischen  Ikmerkung,  die  auch  nur  liier  zutrolTend  ist. 
Diese  vom  Gök-bunar-su  durchbrochenen  Alluvial-Hügel 
haben  einen  solch  eigentümlichen  Charakter,  dass  er  allen 
Reisenden  aufgefallen  ist.  Tchihatchef  [Geologie  V,  3,  159) 
sagt  von  ihnen  :  Lcs  coUines  qui  flanquent  Ic  Baba-Dagh 
sont  coniposees  soit  de  marnes  blanchcs  incohcrentes  oii 
compactes  feuilletees ,  soit  de  conglome'rat  ou  breche  tres 
solide,  soit  enßn  de  gres  j'aunätre,  friable ,  tombant  eti 
poussiere  sous  le  marteau.  Also  ganz  genau  das,  was  Strabo 
mit  dem  Ausdruck  xoXuxp'/iTov  ausspricht.  Ramsay  übersetztes 
mit  Recht  mit  porous.  Ein  solches  Terrain  ist  selbstverständ- 
lich den  schlimmen  Folgen  der  Erdbeben  mehr  ausgesetzt  als 
irgend  ein  anderes. 

Alle  diese  Betrachtungen  erweisen  einerseits,  mit  welcher 
Sorgfalt  Strabo  die  Umgegend  von  Laodicea  beschrieben,  an- 
dererseits wie  sein  Text  mit  dem  heutigen  Sachverhalt  in 
vollem  Einklang  steht. 

Ausser  den  angeführten  Münzen,  die  unter  verschiedenen 
Symbolen  den  Lykos  und  den  Kapros  darstellen,  gibt  es  be- 
kanntlich von  Laodicea  eine  andere,  unter  Garacalla  geschla- 
gene Reihe  Münzen,  die  einen  complicirteren  Revers  auf- 
weisen. Nach  B.  Ilead  {Hist.  Nuni.  S.  556)  sind  es:  R/iea 
or  Amaltheia,  nursing  infant  Zeus,  around  are  the  three 
Curetes  beating  their  s/iields  ivith  their  swords,  at  her  feet 
are  four  recunibent  river-gods.  Diese  Beschreibung  stimmt 
genau  mit  der  Münze,  welche  Ramsay,  Cities  and  bishoprics 
1,2  Taf.  1  zu  S.  790  iNr.  3  in  Lichtdruck  wiedergiebt,wenn  auch 
seine  Beschreibung  abweicht  (S.  433):  Korybantcs  dance 
round  Adrasteia ,  who  runs  ,  with  the  infant  Zeus  in 
her  arnis,  between  two  river-gods  {Lykos  and.  Kapros^ 
probably ). 

Sollten  diese  vier  Flussgötter  nicht  die  vier  Flüsse  von  Lao- 
dicea, Lykos,  Kapros,  Asopos  und  Kadmos  vorgestellt  haben? 
Die  Namen  sind  zwar  nicht  beigeschrieben  (  wie  auf  der  Münze 
von  Apameia  Ribotos);  es  bleibt  also  Vermutung.  Sicher  aber 


DIE    FLUESSE    VON   LAODICEA  191 

scheint  doch,  dass  diese  vier  Flussgötter  sicli  nur  auf  Flüsse 
in  der  Nähe  der  Stailt  beziehen  können  .  und  es  wäre  sehr 
gewagt,  einen  von  ihnen  weiter  im  Oslen  zu  suchen,  wie  es 
Ramsay  mit  dem  Kadmos  vorschlägt. 

Übrigens,  wie  schon  bemerkt,  ist  es  thatsächlich  unmöglich 
das  zu  ihun.  Votn  Ak-kan  bis  zur  Lykos-Schlucht  gibt  es  nur 
einen  Wa.sserlaut'  der  in  Belracht  kommt,  den  Bach  von  Uere- 
köi ;  alle  anderen  auf  den  Karten  verzeichneten  existiren  ent- 
weder nicht  oder  sind  einfach  VVinlerbäche,  neun  Monate  im 
Jahr  trocken,  die  bloss  das  Kegenwasser  von  der  Nordseite  der 
Alluvial- Hügel  dem  Lykos  zufuhren  ;  das  ist  besonders  der 
Fall  bei  dem  Kaleh-tschai. 

Die  Inschrift  bei  Bödjeli -kaiveh '  mit  der  Ortschaft  der 
'EXsivoxarCfjiTwv  nötigt  uns  den  Fluss  "EXeivo«;  zwischen  demGök- 
bunar-su  (Kadmos)  und  dem  Lykos  zu  suchen,  und  da  der 
Bach  von  Dere-köi  der  einzige  in  dieser  Gegend  ist,  so  kommt 
ihm  auch  dieser  antike  Name  zu.  Aber  warum  heisst  diese 
Ortschaft 'EXstvoxz-pix  und  nicht 'EAs-vo/cx^y-ix  ?  Denn  sie  kann 
doch  kaum  anderswo  gelegen  haben  als  zwischen  dem  Gök- 
bunar-su  und  dem  Bach  von  Dere-köi.  Dieser  Einwand  wäre 
richtig,  wenn  man  in  dem  Namen  Eleinokapria  einen  ganz 
bestimmten  geographischen  Ausdruck  sehen  wollte,  der  die 
Grenzen  des  'Jrtes  ani:;ibt.  Allein  dessen  Einwohner  konnten 
ebensowol  ihre  Abhänü;ii'keit  von  Laodicea  dadurch  bezeichnen 
wollen,  indem  sie  dessen  heiligen  Fluss  (Kapros)  in  ihren 
Ortsnamen  aufnahmen. 

Die  genaue  Lage  dieser  Ortschaft  ist  noch  nicht  bestimmt 
nachzuweisen.  Als  die  Eisenbahn  gebaut  wurde,  sind  zwi- 
schen Ak-kan  und  Kaleii-köi  auf  der  Nordseite  der  Bahn- 
linie die  sehr  geringen  Überbleibsel  eines  antiken  Tempels 
an  das  Tageslicht  getreten:  kanellirte  Säulentrommeln,  Archi- 
trave  u.  s.  vv.,  allein  keine  Inschrilten. 

Es  erübrigt  uns  noch  den  Fluss  Asopos  zu  erwähnen; 


'  L(;B;is-Wad(lingt()ii  Nr.  IG'J3  a.  Ilamsay,   CUies  and  bisitoprics  I,  1  S. 
77  Nr.  II. 


192  G.    WEBER 

allein  da  er  allseitig;  mit  dem  Gümüseli  -  tscliai  gleichi^estellt 
wird,  so  ist  eine  weitere  Besprcciiung  unnötig;.  Poeocke  allein 
[Descr.  of  the  East  II  S.  72)  hat  die  beiden  Flüsse  ver- 
wechselt: To  the  east  tliere  is  a  snuill  rivulet  that  may  he 
the  Asoposjo  the  ^vest  tliere  is  another  sninll  streani  which 
is  probabLij  the  Capros  oti  which  are  four  large  piers  of 
a  bridge.  Chandlers  falsche  Ansetzung  der  Flüsse  von  Lao- 
dicea  ist  hier  kaum  zu  erwähnen*.  Den  Emir-Sultan-tschai^, 
einen  modernen  türkischen  Kanal,  hielt  er  für  den  Lykos  und 
den  Tschuruk  -  su  für  den  Mäander. 


Diese  Zeilen  waren  geschrieben,  als  mir  Herr  J.  G.  G.  An- 
derson freundlichst  seine  interessante  Arbeit  A  Summer  in 
Phrygia  I  zukommen  liess-^.  Fr  bespricht  darin  auch  die 
vexed  question  of  the  Laodiceian  rivers.  Mit  vollem  Recht 
hebt  er  hervor,  dass  the  ßrst  essential  iti  any  scientific 
discussioti  of  this  question  is  evidently  to  know  the  course 
of  the  various  streanis  or  to  have  a  correct  map  to  show 
it.  Fr  gibt  auch  eine  Karte  of  the  District  of  Laodiceia, 
based  on  the  Railway  Survey.  Da  sie  in  kleinerem  Masstabe 
als  die  meinio;e  im  Jahrbuch   des  arch.  Instituts  XIII  Taf.  3 


"D" 


ausj^efülirt  ist,    so  umfasst  sie  ein  weiteres  Gebiet:   im  Osten 


"r> 


bis  Kisil- kaklik,  im  Süden  bis  Themisonion;  sie  bietet  also 
eine  erwünschte  Ergänzung. 

Mit  Freude  habe  ich  bemerkt, dass  unsere  Ansichten  in  man- 
chen Punkten  übereinstimmen:  1)  in  der  Gleichstellung  des 
Dere-köi-Baches  mit  dem  F  le  i  nos,  "l)  in  der  AutVassung  der 
Bäche  zwischen  Gök-bunar-su  und  der  Lykos-Schluclit,  be- 
sonders aber  3)  in  der  Feststellung  des  Syrischen  Thores  an 
der  Ostecke  des  Mauerringes  der  Stadt  Laodicea  :  The  stones 


*   Travels  in  Asia  Minor  S.  284. 

2  Siehe  die  Kartenskizze  im  Jahrhuch  des  arcli.  Instituts  XIII  Taf.  3. 

•^  Aus  dem  Journal  of  IJcllcnic  .üuUics  XVII  >S.  3'J6. 


DIE   FLUESSE   VON   LAODICEA  193 

(mit  der  Inschrift  C.I.  G.  8949)  nnw  lie  at  the  soiith  -east 
extremity  of  the  ruins  beside  t/ie  Bash  Buriar  Tchai  '  . 
It  is  possible,  therefore,  that  they  belonged  to  the  Sjjrian 
Gateway,  bat  they  cannot  have  beert  part  of  the  Epheslan 
gate,  as  Prof.  Ramsay  supposes.  Den  Grund  imben  wir 
oben  angegeben.  Allein  in  der  Hauptfrage, der  nach  den  Flüssen 
Lykos,  Kapros  und  Kadinos,  verteidigt  11.  Anderson  die  An- 
sichten Hamsays  und  so  behalten  meine  Gegenbemerkungen 
ihren  selbständigen  Wert. 

Den  auffallenden  Widerspruch  des  letzteren  in  der  An- 
nahme eines  Duden  (y.xTzgoOpov)  am  Lykos  und  am  Ivadmos 
beseitigt  er  einfach  mit  den  Worten:  it  is  apparently  a  slip 
that  leads  hini  {Ramsay)  oti  pp.  36  and  786  to  accept 
the  other  opinion,  that  there  was  a  duden  an  the  Kad- 
mos.  Beide  Gelehrten  stimmen  darin  iiberein ,  dass  Stra- 
bos  Satz  TO  ttXsov  S'  outo?  'j-ö  -(t^z  ö'jsi:  sich  auf  den  Lykos 
beziehe.  Allein,  wie  oben  bemerkt,  wo  ist  dieser  lange  unter- 
irdische Lauf  des  Tschukur-su  nachzuweisen?  Denn  ihn  aus 
dem  Adji-tus-göl  unterirdisch  kommen  zu  lassen  geht,  wie 
wir  gesehen,  nicht  an.  Übrigens  ist  hier  noch  zu  bemerken, 
dass  wenn  ein  Fluss  iro-endwo  in  seinem  Lauf  verschwinden 
soll,  er  doch  vorher  einen  sichtbaren  Anfang  gehabt  haben 
muss.  Der  Adji-tus-göl  hat  aber  nirgends  einen  Ablauf. 
Also  passt  Strabos  Beschreibung  nicht  auf  den  Tschukur-su. 

Die  Ansicht,  dass  Strabos  Worte  sich  auf  den  Gök-bunar- 
su  beziehen  könnten ,  sucht  Anderson  dadurch  zu  widerle- 
gen, dass  er  sagt:  the  river  does  not  disappear,  the  duden 
is  a  separate  phenomenon  on  the  left  bank.  Es  Hesse  sich 
darüber  streiten,  wenn  der  Tschukur-su  das  Hauptwasser 
wäre.  Allein  das  ist  eben  nicht  der  Fall.  Im  Sommer  würde 
der  kleine  Bach, der  hoch  oben  vom  Tschukur  herunlertliesst, 
niemals  das  l^ykosthal  erreichen.  Heule  wie  im  Altertum 
ist  die  eigentliche  Quelle  des  Gök-bunar-su    am   Kara-göl 


•  Anderson  nennt  so  den  Basclili-tsclia'i. 


194  G.    WEBER 

(wie  ihn  Kiepert  nennt)  zu  suchen;  in  allen  Jahreszeiten  hat 
diese  reichlieii  \>  asser.  Des  Kluss  hat  von  der  (^)üelle  an 
einen  Lauf  von  über  400  Metern,  verscliwindet  im  x.xxäßoQpov 
und  fliesst  dann  im  tiefen  Tiial,  wie  wir  oben  gesehen.  Die 
Schlucht  (iiniit  ubrit;ens  erst  bei  dieser  Quelle  an,  nicht  oben 
in  der  Tschukur-ova.  Ebenso  sei  hier  noch  einmal  bemerkt, 
dass  der  Gök-bunar-su  diesen  Namen  bis  an  seine  iMündung 
in  den  Lykos  beibehält.  Emir- Sultan-tschai  heisst  der  heim 
Ak-kan  abareleitete  moderne  Bewiisseruno;s- Kanal,  der  alle 
Dörfer  bis  nach  Schamli  mit  dem  nötii!;en  Wasser  versorgt. 

In  Bezug  auf  den  Kapros  folgt  Anderson  den  Ansichten 
Ramsays.  Strabo  habe  die  beiden  Flüsse  Lykos  und  Kapros 
als  die  Hauptflüsse  {tlie  c/iief  rivers]  angesehen;  also  ist 
Gök-bunar-su  der  Kapros.  Ohne  auf  die  oben  angeführten 
Einwendungen  zurückzukommen  ist  hier  in  Bezuü;  auf  die 
Ausdehnung  der  Stadt  bis  an  den  Ak-kan  folgender  Beweis- 
grund der  beiden  Gelehrten  (S.  406)  herauszuheben:  Re- 
mains  can  be  traced  nearly  up  to  the  Geuk  Bunar  water: 
perliaps  these  are  onh/  relici  of  the  tombs  lining  the  ^reat 
road  to  the  east,  but  it  is  not  impossible  that  theij  repre- 
sent  buildings.  Ob  er  überzeugend  wirkt,  ist  doch  fraglich. 
Dem  Baschli- tschai  oder  Basch  -  bunar- tscha'i  wird  alles 
Existenzrecht  abgesprochen.  //  is  a  tnerc  insignipcant  brook, 
wit/i  no  claiin  to  be  called  a  river.  Wollte  man  diesen  Satz 
gelten  lassen,  so  hätte  mancher  Fluss  in  der  griechischen  Welt 
kein  Anrecht  auf  diese  Bennenung.  Übrigens  hat  der  Baschli- 
tschai  Wasser  das  c;anze  Jahr  durch  und  bei  der  Stadt  fliesst 
er  in  einem  ganz  bestimmten,  tiefen  Tal.  das  niemals  in  das 
Stadtgebiet  einbegriffen  war.  Unter  anderem  wirft  Ander- 
son  auch  die  Frage  auf:  Moreover,  how  can  the  advocates 
of  this  View  (  Kapros  =  Baschli -tschai  j  explain  the  coin 
representing,  in  the  usnal  way ,  the  chief  rivers  of  the 
city,  K  A  TT  P  O  C  and  A  Y  K  O  C  ?  Why  is  it  that  the  Kapros 
is  always  named  alongside  of  the  Lykos  as  the  other 
chief  river  of  Laodiceia  [e.  g.  this  coin,  Strabo,  Cinna- 
mus,   and  the  terni  Acxoxd.tpoc)?  Die  Antwort  dürfte  nicht 


DIE    FLUESSE    VON   LAODICEA  195 

SO  schwierig  sein.  Dass  Strabo  den  Kapros  nicht  notwendiger 
Weise  als  einen  wasserreichen  i-'luss  darstellen  wollte,  haben 
wir  oben  gesehen.  Wenn  dessen  Name  aber  immer  ange- 
führt wird,  so  geschah  dies  1)  wegen  seiner  Wichtigkeit 
für  die  Ansiedelung  bei  Denisli,  2)  für  die  W^asserversorgung 
der  Stadt  selbst  durch  den  grossen  Aquädukt,  3)  wegen  der 
bestimmten  Abgrenzung,  die  er  im  Süden  der  Stadt  gab.  Das 
dürften  einige  der  Ursachen'  sein,  die  ihm  such  special 
prominence  gegeben  haben,  und  nicht  dem  Asopos,  wie 
Anderson  meint  (S.  405).  Dieser  Fluss ,  viel  grösser  als 
der  Baschli- tschai ,  wie  sein  breites  Bett  bezeugt,  und  im 
Winter  besonders  stark,  floss  eben  nutzlos  für  die  Stadt  da- 
hin; deshalb  ein  weiterer  Beweis,  dass  Strabo  nicht  allein  die 
Menge  des  W'^assers  im  Auge  hatte,  als  er  die  Flüsse  Laodi- 
ceas  beschrieb,  sonst  hätte  er  den  Asopos  kaum  übergehen 
können  ;  denn  die  lange,  hohe  römische  Brücke,  die  über  ihn 
führt,  bezeichnet  den  Fluss  doch  hinlänglich. 

Schliesslich  sieht  H.  Anderson  sich  gezwungen,  den  Fluss 
Kadmos  mit  dem  Bach  bei  Kolossai  zu  identiüciren.  The 
Kadnios  is  probabli/  the  river  thatcomes  (Unvn  front  hho- 
nas,  joitiing  the  Lycos  at  Colossae.  Dann  folgt  Hamiltons 
Beschreibung  dieses  Wassers.  Als  Beweisgrund  wird  ange- 
führt, dass  Strabos  Salz  to  -Xeov  S'  o-Lto;  u.  s.w.  sich  auf  den 
Lykos  beziehe.  Man  sieht,  the  question  is  still  a  vexed  one. 

Smyrna,  Mai  1898. 

G.  WEBER. 


'   Iladcl,  Revue  des  universiUs  du  Midi  1896  S.  21. 


DIE  STRABON-SCHOLIEN  DES  CYRIAKUS  VON  ANKONA 

Im  Jahre  1  'i47  verweilte  Cyriakus  bis  zum  ^5  Jan.  in  Con- 
stantinopel  und  zwar,  wie  er  selbst  in  einem  Briefe  von  dort 
sagt  (angeführt  bei  De  Rossi),  codicis  Strabonis  Gracco  a  U- 
brario  excipiendi  potissimum  causa  detentus.  Diese  Hand- 
schrift glaubte  Giov.  Batt.  de  Rossi  [Inscr.  Christ.  MS.  366) 
wiederzuerkennen  in  dem  Cod.  Laur.  XXVIli,15  des  Strabo, 
welcher  Strabo  Lib.  XI -XVII  enthält  und  zu  Lib.  XIII  S. 
622  am  Rande  des  fol.  1 16  die  Bemerkung  hat :  Kup'.xy.ö?  ^'syä) 
a'jxö?  (xsxa^ü  {Ji'jpivyii;  y,x\  x.'Jay);  si;  xk  to'j  aüroO  'ATuöX'Xcrivo;  Upoö 
IpeiTirta  ^v  rtö  uTrox,st|/,£vo)  ^iOwt  -zric,  ttuXti;  aey^'^TOic  /.a;  x.oc'X'Xi'Jtoi? 
Ypaaaaai  7:a>,aior;  toSs  STriypaaaa  supov  APOAAQNl  XPH 
ZTHPini  I  0IAETAIPO5:ATTAAOY<C.  /.  (?.  3527), 
die  nach  der  Meinung  von  Rossi  und  Kramer  von  der  eigenen 
Hand  des  Cyriakus  herrührt  ^ 

Doch  übersah  Rossi  dabei  die  sonstigen  Nachrichten, die  uns 
über  ähnliche  Strabon  -  Scholien  des  Cyriakus  erhalten  sind. 
Sie  führen  erheblich  weiter. 

Es  sind  zwei  scheinbar  völlig  von  einander  getrennte  Über- 
lieferungen. 

I.  Der  hamburger  Rechtsgelehrte  Lucas  Langermann  (1625- 
1686  vgl.  C.  I.  L.  IX  S.  xLviii),  welcher  ein  lebhaftes  In- 
teresse für  griechische  und  römische  Inschriften  besass,  sah 
apiid  PatrtcLuni  Juniuni  einen  Strabon -(^.odox  mit  griechi- 
schen Scholien  des  Cyriakus  und  erhielt  die  l^rlaubniss,  sich 
daraus  Excerple  zu  machen.  Er  teilte  aus  dieser  Quelle  dem 


'  Dieselbe  Bemerkung,  aber  iiicbt,  wie  Rossi  sagt,  eadcm  scholia  stellt 
auch  im  Cod.  Par.  1.394  und  veinihrte  Villel)iiin  zu  der  Meiuunu,  die  ganze 
Ilandschrifl  sei  von  C\Tial<Ms  selbst  gescbiieben  (s.  sein(!  Beschreibung  des 
Qpdex  bei  Slrabo  ed.  ralconer  praef.). 


blE   StRABON-SCHOLIEN   DES   CYRIAKUS   VON   ANKONA  19t 

Reinesius  die  Inschriften  mit,  welche  dieser  veröffentlichte  in 
seinem  Syntagma,  und  zwar: 

I  241  S.  223.  Delphis  vidit  Cyriacus  Anconitanus:  0£oi? 
iizl  'Ap'.ijTxvopa  (6".  /.  G.  1694)  e  scholiis  ejus  ad  Strabonem 
Graecis  manuscriptis  excerpsit  L.  Lang. 

I  242  S.  224.  In  templi  Apollinis  (juod  inter  Cumam  et 
Myrinam  in  Aeolide  porla  maxima  lapia  inscriptus  visus  a 
Cyr.  Anc.  'AT:6\lbisi  xpi^TT.  e  scholiis  ejusdem  Cyr,  descripsit 
idem  Lang.  {C  L  (?."3527>. 

I  243  S.  225.  In  oppidi  Boeotiae  Lebadiae  diruto  templo 
vidit  descripsit  idem  Cyr.  "Hpa  Ba-j^iSt.  {C. LG. Sept.  I  3097) 
excerpsit  e  scholiis  ejus  in  Strabonem  idem  Lang. 

iil  85  S.  335.  Hepertum  Athenis  e  Cyr.  Anc.  scholiis  ms. 
ad  Strabonem  (^C.I.A.  III  481)  excerpsit  concedente  Patricio 
Junio  domino  codicis  Lucas  Lang.  JC. 

111  86  S.  335.  Ex  iisdem  scholiis  mscr.  excepit  Langerm. 
{C.I.G.  1323). 

III  87  S.  336.  In  insula  Calaurea  quae  jacet  ante  portam 
Troecenis  in  sinu  Argolico,  vidit  dictus  modo  Cyr.  (C.  1.  G. 
1188)  descripsit  e  schol.  ad  Strab.  L.  Langerm. 

V  52  S.  386  (C.  /.  G.  1297  Z.  1-3). 'in  arce  Messeniae 
Ithome  vidit  Cyr.  Anc.  Scholiastes  Graecus  Strabonis,  e  co- 
dice  exe.  Lang. 

VI  120  S.  457.  Ex  scholiis  Cyr.  ad  Strabon.  excerps.  Lang. 
<C.  /.  G.  1389). 

VI  121  S  458.  <(  In  oppido  Laconico  Taenaro»  Cyriacus 
in  scholiis  ad  Strab.  unde  excerpsit  Langermannus.  (C.  I.  G. 
1393). 

Zu  den  Inschriften,  die  Langermann  aus  dem  Strabon - 
Codex  des  Cyriakus  abschrieb ,  seheint  lerner  zu  gehören 
C.I.  G.  3457  aus  Sardes.  liier  giebt  Ueinesius  111  84  S.  334 
zwar  nur  an,  er  habe  die  Inschrift  ex  sc/ieäis  La/i^cr//ia/t/n, 
aber  dass  schon  Cyriakus  sie  abschrieb,  bezeugt  der  Codex 
Hiccardianus  996,  in  dem  sie  steht;  vgl.  B.  C.  II.  I  S.  85 
Nr.  21. 

Dasselbe  gilt  wahrscheinlich   von  C.  I.  G.  3462,    welche 


lös  fe.    ZIEBARTH 

Reinesius  ebenfalls  ex  schedis  Lucae  Lnn^ermnnui  2;iebt 
(VII  3b  S.  5Ü8)  und  welche  auch  im  Cod.  Hiccard.  steht 
{B.  C.  H.  \  ^.  %K  Nr.  15),  wenn  auch  unter  dem  Fundort 
Philadelphia. 

II.  Auf  der  anderen  Seite  benutzte  Falconer  zur  Oxforder 
Strabon-Ausgabe  einen  Codex  collegü  Etoncnsis,  von  wel- 
chem er  sagt :  «  chartaceus,  recentior,  Byzantii  scriptus  Li- 
bros  tan  tum  X  continot.  Ad  marginem  sunt  notae,  quarum 
aliae  argumenta  tantum,  aliae  lecliones  variantes,  vel  loco 
praetermissa  exhibent,  conscriptae  manu  raro  quidem  recenti, 
neque  eadem  ubique.  Aliquando  etiam  reperiuntur  Epigram- 
mata,  lilteris  majusculis  exarata,  quorum  nonnulla  ab  edi- 
tore  nostro  annotationibus  suis  interjecta  sunt.  Tituli  vel  prae- 
lationes  scripti  sunt  litteris  minoribus,  manu  diversa  ab  ea 
qua  notae  reliquae  exaratae  sunt  et  scatent  contractionibus...» 
Die  Scholion,  die  Falconer  in  seiner  adnotatio  mitteilt,  sind 
folgende  : 

Strabo  ed.  Falconer  1  S.ö^l  xr.v  liuXov]  In  MS.  Etonensi 
ad  oram  paginae  scribitur:  toSs  syw  K'jpiax.o«;  ei?  MeacyTiv.aitr/V 
IlüXov  STCiypaaaa  eupov  (^  C.  1.  G.  13'23)>  %vX  vjvi  %\  Ta'jxrjv  eXät- 

I  S.  5*21  Z.  22.  MS.  Etonensis  ad  marginem  paginae  in- 
scriptionem  habet,  in  qua,  ut  mihi  videtur,  haec  urbs  dicitur 
H   POAIS  TAINAPIfiN  F.  {C.  I.  G.  1393). 

1   S.   531   Z.   "^fU.    Toö    h    ulo'j    T7;v  ^tXiav  (XTieriTpaL/.asvou  ]     MS. 

Etonensis  ad  oram  paginae   inscriptionem   habet  de  Lacone, 

^  Mit  diesen  griccliisclic'ii  Worten  vergleiclie  mau  den  crlialtencn  Text 
über  diesen  Teil  der  griecliisciien  Reise  des  Uyriakus  :  Inscri[)tioncs  per  11- 
lyricum...  (Uomae  1747)  S.  xxx.xiv...  «Ubi  (sc.  Pyli)  Joanncm  Palaeologum 
pro  Spartano  principe  Constantino  pracfecluni  inveni,  ex  quo  bouorilice 
suscoplus  CO  duee  Jiliiju.ini  in  canipo  ex  iuili(|uis  uioeiiibus  partcin  cou- 
spcxiuius  et  ad  uiarinoreani,  (|uani  et  in  agro  setni  dclossain  coniiicriiuus 
basim,  lu»c  nostrum  iu  Gordianiiui  Caesarcni  Epigraiuuia  cousciiiplum 
inveniunis.  in  ([uo  Pi/lun  a  pusleris  fUiylun  dictaui,  ul  Slrabo  ipse  testatur, 
apparet».  Die  Inseiirift  l'elilt,  allein  es  ist  klar,  dass  Cyriakus  hier  die 
uns  in  der  Elon-Handscliril't  erhaltene  Inschrift  uiilteilte,  wie  denn  auch 
sonst  vielfach  die  versprengten  Stückchen  seiner  Couimenlarii  sich  gegen- 
seitig in  glücklicher  Weise  ergänzen. 


blE    StRABON-SCHOLIEN   DES   CYIUAKUS   VON   ANKOKA  i99 

Euryclis  fil'o,  Taenari  repertain  (folgt  C.I.G.  1389  Z.  1-5). 

I.  S.  542  Z.  16.  MS.  Etonensis  ad  marginem  pag.  ad 
hunclocum  inscriptionem  habet  sequentem  :  H  EYFENEIA.. 
{C.  I.  G.  1188  Z.  1  -4). 

I  S.  601.  Ad  oram  pag.  MS.   Etonensis  haec  sunt  scripta: 

Y)L/.£t?  o£  £v  Aeoxoia  TOds  e!;  öp£'.v/;v  y.opvor.v  STrivpafj.y.a  Eupov,  tv  tö 
TcalaiGJ  '/.xi  spE'.Trio)  tö  x,ai  — avTa/o'j  y.iyxAxn'j.i'Jiii  Ucqi  6  vuvl  äy'-^^ 

'HXiav  /.y.Xoöciv  ( C  /.  6^.  Sept.  I  3097,  wo  diese  genaue 
Anii;alje  des  ersten  Fundorts  nachzutraben  ist;  v«;!.  auch  Joh. 
Schmidt,  Athen.  Mitlli.  V  S.  137). 

IIS.  665.  Ad  oram  MS.  Etonensis  haec  inserta  sunt: 
Tcspl  yäp  T-?/;  IlxAccov  ttÖXecüc  ei:  'AOiöva?  to^e  ETiiypxixaa  Eupov 
<(7.  /.^.  111  481). 

Vergleicht  man  diese  beiden  Scholien-Heihen  mit  einander, 
so  ergibt  sich  zunächst,  dass  sie  nur  eine  Überlieferung  dar- 
stellen. Falconer  teilt  aus  seiner  Handschrift  nur  sechs  In- 
schriften mit, aber  es  scheinen  mehr  darin  zu  stehen.  Diese  sechs 
kehren  unter  den  von  Lannermann  mitgeteilten  wieder.  In  der 
Inschrift  C.I.G.  Sept.  I  3097  gibt  Heinesius  nach  Langermann 
in  Z.  4  die  auffallende  Lesung  :  lEpaTEÜ^x;,  die  sich  in  der  son- 
stigen Überlieferung  der  Inschrift  nicht  findet.  Aber  auch  im 
Etonensis  steht:  isparEoia;.  V^on  den  Inschriften,  die  Langer- 
mann allein  hat,  kann  im  Etonensis  nicht  stehen  C.  I.  G. 
3527,  da  sie  zum  XIII  Buche  des  Strabon  an  den  Rand  ge- 
schrieben war,  ebenso  die  beiden  Inschriften  aus  Sardes,  falls 
sie  in  dem  Codex  standen,  den  Langermann  excerpirte.  C.  1.  G. 
1694  dagegen  steht  vielleicht  auch  im  Etonensis.  Langermann 
benutzte  also  einen  Codex,  in  welchem  sowol  Buch  X  des 
Strabon  als  auch  Buch  XIII  enthalten  war,  d.  h.  der  ganze 
Strabon  stand.  Auch  er  scheint  die  Schollen  in  griechischer 
Sprache  gelesen  zu  haben,  denn  er  sagt  'Cyriacus  Anconitanus 
Scholiastes  Craccus  Strabonis".  Auf  der  anderen  Seite  bietet 
der  Etonensis  einige  Schollen  in  ihrer  ursprünglichen  grie- 
chischen Foim  '  und  trägt  am  Schlüsse  lolgende  Subskription; 


'  Die  griechische  Kurm  dieser  Lcimiiala  ist  auch  sonst  vereiiuoll  erhalten. 


200  6.    ZIEBARTH 

6/CTr,«Jaü!.r,v  Tr,voc  Tr,v  ßt&Xov  i/t  ßu^avTiou  Yca(p£icav  Tvxpx  äya)^),ia- 

vo'j  S'.ay.övo'j  UpoavyiuLovo?  (piXou.  Danach  scheint  es  last  sicher, 
dass  dcv  Elonensis  der  von  Cyriakus  eigen liändiji;  mit  Noten 
versehene  Codex  ist.  den  er  in  Byzanz  kaufte.  Eine  Schwierig- 
keit bleibt  dabei  noch  bestehen,  nämlich  die,  dass  er  nur  Buch 
I-X  enthält,  während  Cyriakus  thatsächlich  auch  zu  Buch  XIII 
mindestens  ein  Scholion  <i;emacht  hat.  Um  sie  zu  heben,  kann 
man  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  der  Cod.  Laur.  XXVIII 
15,  der  mit  Buch  Xi  beginnt,  die  zweite  Hälfte  des  gesuchten 
Handexemplars  des  Cyriakus  darstellt  in  der  Tliat  ist  dies, 
wie  mir  der  Konservator  der  Handschriften  der  Laurentiana 
Herr  Cav.  Prof.  Dr.  E.  Bosta2;no  freundlichst  mitteilt,  seine 
Meinung  wie  auch  die  von  James  ,  der  beide  Handschriften 
gesehen  hat  (vgl.  James,  Elton  Coli.  Catalogue  S.  67).  Eine 
Entscheidung  kann  nur  die  genaue  Vergleichung  beider  Hand- 
schriften sehen.  Von  vorn  herein  erscheint  mir  dieser  Sach- 
verhalt  wenig  glaublich,  weil  dann  die  Subskription  nicht  am 
Schlüsse  der  ersten  Hälfte  des  Strabon  stehen  würde. 

Es  bleibt  noch  übrig  eine  dritte  Erwähnung  von  Cyriakus- 
Scholien  in  der  Strabon  -  Ausgabe  von  Tzschucke.  Dieser 
schreibt  in  der  Vorrede  zu  Band  1!  S.  xi :  Emissae  in  Bata- 
viam  preces  etiamnunc  insistunt  aguntque  ut  quae  possidet 
in  tiiesauris  ditissimis  bibliotheca  Lugdunensis  scholia  Graeca 
Cyriaci  Anconitani  in  Strabonem  inde  .  .  .  eß'erantur,  und  als 
er  die  Vorrede  zum  nächsten  Bande  schrieb,  war  sein  Wunsch 
erfüllt  und  er  erzählt  (Vorrede  zu  Band  iii  S.  vi):  Eodem 
honestissimi  librarii  studio  cum  votis  meis  omninoque  litte- 
ris  fato  correplus  fuisset  Kuhnkenius,  descripta  ad  me  vene- 
runt,  quae  desideraveram,  scholia  Graeca  Cyr.  Anc,  qui  Ge- 
misti  Plethonis  aetate  vixit.  Sed  quod  ipso  usu  cognovi,  exigui 


So  slclil  im  IU)rciilincr  codex  l'alaliiuis  4'J  der  liriclc  des  Cyriakus  in  dem 
Biiclc  Nr.  25  ( lcil\vei.se  lieraiisgegelien  von  Targioni -TozzeUi,  Viayyi  della 
Tuicana  V  8.  Vil)  zu  der  Inselirill  von  Delphi  U.  1.  G.  1G*J4  t6  [iev  yip  eij  t/jv 
Toö  Tiüüiou  otTiüX/iovo?  upoö  jiAEupiv  Y£Yfa[x[i^vov  EOTiv.  Vgl.  i'crner  die  gricclii- 
selien  Lemmata  im  cod.  Asiil.urii.  1174  (1103)  l'ol.  l'J'2,  herausgegeben  von 
Mommsen,  Ephem.  cpigr.  lll  .oü. 


DIE   STRABOX-SCHOLIEN    DES   CYRIAKÜS   VON    ANKONA  201 

illi  sunt,  immo  nullius  fere  ad  Strabonem  momenti.  Cumenim 
sint  pauca  admodum  et  ad  recentiorem  Geograpliiam  compa- 
rata,  tum  maximain  partem  in  inscriptionibus  enarrandis  ver- 
santur. 

Über  diesen  leydener  Codex  habe  ich  nichts  in  Erfahrung 
bringen  können.  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass  er  mit  dem 
Etonensis  identisch,  also  später  nach  England  verkauft  ist  ^ 

Unter  allen  Umständen  aber  verdient  der  Etonensis  eine  sorg- 
fältige Prüfung,  und  der  Zweck  dieser  Zeilen  ist  es,  die  Auf- 
merksamkeit auf  diese  unbeachtete  junge  Strabon-Handschrift 
zu  lenken,  die  jedenfalls  für  den  Text  des  Strabon  wertlos  ist, 
aber  für  Cyriakus  von  grosser  Bedeutung  werden  kann. 

Athen. 

ERICH  ZIEBARTH. 


"•'^■•■fetH^***'" 


'  Auch  sonst  sind  die  merkwürdigen  Scholien  nicht  ganz  unheachtet  ge- 
blieben. 

Fabricius  bemerkt  in  der  Bibliothcca  Graeca  4,  576:  Cyriaci  Anoctnitani 
scholia  in  Strabonem  Graeca  quibus  Lucas  Langermannus,  ICtus  Ilanibur- 
gensis  usus  esse  dicilur  ...  frustra  quaesivi.  Interessant  ist  ferner,  dass  Mar- 
quard  Gude  (16b5-1689)  in  seinen  Bemerkungen  zudem  Thesaurus  des 
Gruter,  die  erst  in  der  Ausgabe  von  1707  stehen,  zu  S.  CXXIX  \ö=.C.  I.G. 
1694  sagt:  haue  vooeni  (sc.  ©col; )  apposui  c\  Cyriaci  Aiiconilani  soholiis 
nianuscriptis  in  Strabonem,  und  ebenso  zu  Z.  3  H  PIN  HZ:  sie  restitue  ex 
eodem  Cyriaci  ms.  Denn  diese  Worte  können  den  Glauben  erwecken,  als  ob 
aucii  Gude  die  Scholien  des  Cyriakus  im  Original  gelesen  hätte.  Nun  er- 
schien aber  das  Syntagma  inscri[)tionum  anlitiuarum  des  Thomas  Rcine- 
sius  schon  in  Jaiiri'  1682  und  Gude  wird  auch  sonst  direkt  des  IMagiats  an 
Reinesius  lieschuldigt  ( Larl'ehl,  Grieeiiische  Epigraphik  S.  373).  Er  hat  also 
seine  Kennlniss  der  Cyriakus -Scholien,  die  er  nur  an  dieser  einen  Stelle 
anzuführen  scheint,  zweifellos  aus  Reinesius  geschöpft. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXllI.  14 


HETPAIA  EnirPA*H  TOT  M0T2EI0Y 

TOü  eTCKTTe'^ovTO?  aüröv  jAvviaeiou  xoG  •I>t>.07rä:r7roii,  ÜTceoxvü)  Trii  ya- 
paöpa?,  öXiya  ßyjixxTa  izpo^  Ss^iäv  xx;  'jtl/YiXörepov  xoO  sv  Tvi  aurorpuei 
Tcerpa  yvwtjTOu  XaTOtxYiTOö  iTCxaSäOpou,  srl  [;.'.a;  twv  £771  toö  vwaa- 
TO;  >taT'  £7:xXXr,Xou;  C'»>v3c;  e-iTroXaCooTcov  AEioTrexpäiv  '  £upr,vTai  Y£- 
Ypa[X|J!.£va  xx6£" 

E  r  0  ^  ^  g  5  ^^  ^  f\l  H 


xaxa  <j'jv£y9i  rcpooSov    «.tt'  iXadiovoc    uei^ova,    (I)?  £v  xcö  ■Tap£vx£0£t- 
|X£V(p  aTü£ix.ovi'jaa.xi  oaiv£xai. 

M'ojco;  £/£t  7)  £7:iYpa<p"o  asTpo'j  £vö;  x-at  £vö£x.a  ix.axo'jxcöv  xa  o£ 
Ypäijt.{ji.axa  u<|/o;  0,062  xö  Tcptöxov  (  E),  0,125  xö  xEltuxaiov  (H). 
'Ytj/YiXoxaxov  Tcavxtov  xö  0  £'/£i  OTÜey^oc,  o(|/ou?  0,130.  Tö  {A£xa$u 
N  xai  H  SixfjxYiaa  0,060.  T6  ?ie  u.£xa^'j  0  xat  N  x.evov  o'Xov  0,220, 

OTCEp,  (TX.07rOUU£V(OV    XüJV   X.Xxä  XO   Ü.SpO;  XOUXO   TOÖ  CxiyOU  [X£'.^6v(i)V   öta- 

<JTä<i£(i)v  x(öv  Ypxü.azTOJV    /^ai  ä(pxtpou{;.£vo'j    xou  Exaxfi'pwöfiv  o'.aaxr;- 


'  'Ev  TW  y'  ::tva/.i  (151.  III)  toü  ujtö  Cuitiiis  xa'i  Kaupert  IxSeoojj-Ivou  Alias  von 

Allicn,  y.aia  to  f,ij.i'3u  r.tpir.o\j  tt;;  aTZüaTaaEw;  loü  ar,u.£iou  Scssel  oi.r.6  toö  (jLVT)p.£iou 
TOÖ  'b'.'/.ozir.-oj  /.ai  oÄiyo''  u-£pävo)  tüjv  ixct  epuOpö  yptiifxaT'.  osorjXwjAEvtov  /Eiij/ävwv 
Felscnhi'iuscr  ( V5e  /.a-  Karten  von  AUika,  Bl.  I)  ^r,tr)Tea  It:!  toV.ou  fj  Tterpa  stp' 
?){  fj  ETCtYpa^j^.  TüJv  Ypttaasiitüv  tTjV  avay.äXuiJ/iv  Ospst'Xo)  Et?  xov  TipeaSÜTEpov  [lou  uiov, 
ou/^va  xaxeuOüvovta  t6  ß^fi«  Et?  xoü?  £prJ[ious  ^epl  tö  MouoEiov  TrEpiKotTOu?.  Üi  o'ev- 

ÖUJAOÜJJLEVOI    OTl   [AÖXl?    EV    ETEl    1  862    ävEXaXÜ<p6T)     £711   TT)?    UKO   TT)V  'AxpÖnOAlV     TZETp«;     7) 

yvoj^ifj  Ertiypaipr)  «  Ticp(OÖOC  XOÜ  JlfpxTldTOV »  8iv  OAouai  ßESaiw?  ä:ioprjaei 
OTl,  EV  (i;:ox£VTpti)  Oc'aei  /.ai  oütw;  £::i  ttj;  TTETpoiBou;  £::i?pavEia;  toü  ESaoou;  ;:apEp- 
pi(jL(A^va,  OiE^uyov  toj;  e;:i[j.EXEt5  Töiv  totudv  EpE'jvT)Taj  T«  oXiya  ifxuopä  ypotjAiAaia 
Jtepi  J)v  evTaüöa  6  Xöyoi. 


ST.  N.  APAFOrMHE,   HETPAiA  EiiirPA'tH  Toif  MorsEior  203 

[/.axoc,  (p7iv£Tai  evö;  u.ovo'j  cto'./siO'j  ösx.Tt/cöv.  AXXa,  TTAr^v  tt,;  iv 
TÖ  i^voypxtprjU.aTi  oY)lo'ja£VY5(;  Trpo;  xic  /.xtcj  öp'.'>^ovTtO'j  yX-j^pr/;  .  oü 
U.ÖVOV  oüoev  i'yvoi;  ypiaaaTo;  o'.axpivcTXi  E/tei,  (XA)ka  xai  y)  ezicpiveia 
Tou  XtOo'j   cpaivsTai  öcOuto«;  ütto  /e'.pö?   >ta'.  oXw;  eyouTa  x,aTä  cp'jTiv. 

Tr,v  el?  o'jo  ■/.£>coL/.t7.£v*/iv  opi^ovriov  xepaiav  S'JvaTai  ti?  I'-jüj;  vi/.  Ö£- 
■^Hri  (i)<;  T(X  Suo  KotTüi  a)ipa  ft  £gS6(7[jl£vo'j  ti  äTeXoG?,  6t6  /.al  r,  £7yt- 
ypacpY)  ävayivä)'7>t£Tai  outw  "Enog'  Ot  (|j[6)]vn. 

((  "Ejxo^"  pv^y-a,  ).öyo;,  ^covu »  ,  ooto)  >.£'y£'.  x.ai  6  'Hij'j/io;. 
^AXKx,  Ti  6£)^£i  ivTÄuOa  £7ci  TTii;  TCExpa;  ypai/.!;.aT'./.0!;  opicuö;  ;  "/.al 
7C(i){  d$Yiy£iTai  Y)  Trapo'j'jia  a'jvöEaaou,  tou  8e,  £v  aüxoTeAEi  -poTi-T:'.. 

KaT  cliXkr,'^  £x,Soyr/V  ,  Süvaxai  ti?  vä  ÜTCOÖEdT)  oti  ty)v  TvpÖTX-j'.v, 
oücav  T[Jt.'ou!,a  Te^Eiai;  TTEpiöSou,  x'jSfipvÄ  7rpo£;£vr|V£yu.£vov  £V  T-?)  iyvü)- 
(jTtp  7)y-iv  ''^P/,'0  P'^[^-*'  ^'*'  TcapaSEiyfAaTt  to  pri^a  ((d|.iei6eTai».  KxTa 
TV)v  ToiauT-rjv  Ü7u60£(jiv  i'yow.EV  cTtoc;  8e  (dyeiöexai)  <})0)vn,  to'jte- 
(TTi  ^covri  8t  oiaot^CTCU  xo  enog,    v6'op-a  uXr^pE;  iasv,  äXX'  aSr,- 

XOV    ETtS    TlVl    ivTauOa    £^£V6yÖ£V. 

T6  £v  TÖ  Xi6ü)  )t£vöv  i'<jci);  ti<;  OfiXYiCEt,  xapa€X£77(iiv  Tr;v  oi7:Xr,v 
xepaiav,  vä  aut;.7r)."ir)pä)Gr,  Stä  TcapevÖri/tY;;  A,  oüSevÖ;  aXXou  lyvou; 
ypajjLjxaTO? ,  (Ix;  £pp£Oy) ,  ©aivou.fivou  ekeT,  IIXtiv  xai  out(o;  axaTä- 
Xtitctov  (j'jväyEToci  t6'  «  ejtOQ  5' C(|)^d]vn  »  ■»!  «  tTiog  Si:  ^[djvn». 
Tö  ejxog  i^TiXOev  e{(;  cpcö;,  £Xap-i]/Ev,  {(pavEpcoOyi;  'E^ESriXcoövi,  £^£Cp(o- 
vtoÖy);  Tö  2\,6yiov  ä7i:£S£iyÖr/,  E^ETEXE'cÖr,  '  ; 

'EttI  TTETpa?  Xofpou  «  £vOa  MouG-aiov  äösiv  /cocl  äxoOavovTa  yiGp»^ 
Ta<p7ivai    XEyo'jTiv ))  ^   v]  Xe^i;  ejco^,    a7rpoaSox.7;T(ii:    äTTavTöj'ja,    )cai 

(XKÖVTWV    äviy£l    TOV    VOUV    £i;    TOt    TTEpl    TOÖ  äpyaiOTXTO'J    KJCOJIOIOÜ    i- 

p(.uopcö(;  yvojuTa, 

V.a\  IXUCrxiKCÖv  xeA.excäv  auvöexnc,  xarä  aiariaiv  toö  'Opfpsco;, 
i7uoir,(76  Se  >cai  i;|,ivov  eig  xiiv  Anj.inxpa.  Tevdkötepov  yvwpi^oaE- 
vo;  ö>i  uiö;  'Avxio^)ny,oi/,  £(pyi[xii^6T0  ev  toOtoi?  (XTwoyovo;  jaev  IvEp- 
x,u6vo;,  äSE>,cpoö  TOU  TpiTCToXfifxou,   'ilö;  S'  EujjlöXtcou  >cx'.  7:aT-/;p  au- 


'  *Hoüyt05,  ev  X.  ^öyia"  diofaxa,  (JiavTEÜ(iaTa,  7:po9Tj-:e'j[j.aTa,  ^rjjxai,  ypr,a(io;. 
—  'Qs  ä'vw  ^pai'vETai  £v  xiIJ  ä-£txovi'a(JiaTi,  o-sp  [Jist'  äxpioeaxEpav  toü  Xi'Oou  eieiaatv 
xaTcay.euäoOT)  niaTOTaxa  uko  toü  xupiou  Proll,  tüiv  i/vcöv  fi  ovt<üv  xaiaspaviov,  ö 
Xdyoi  ;tEpi  ;:ap£ji.6oXf,5  A  napE'Xxti  teXeov. 

'  llauaaviou  I,  26,  7. 


504  rT.  N.  iPATorMHi:,  nETiwu  KnirPA-i-H  toy  moveeiok* 

Ot;  E'jaöXxo'j,  Qpoci,  ri  'E>.6U(jivio<;,  kxI  s'k;  auxov,  xaxä  Ilaucaviav, 
(XTTsS'.SovTO  T3C  tTiU  tÖc  (pspou-Eva  uTcö  To  ovoaa  EviioA-Ttia  *. 

OuTco  S'  £youciri;  Tvi;  Trspi  aürou  Travap^xia;  Trapaoöasüx; ,  öc^iov 
Trpoffoy?};  (paivgxai  öri,  £v  'A67)vai<;,  6  Xö^o?  ö  (pe'pojv  t6  övoaa  tou 
MouTaiO'j,  —  Si3c  tÖv  ^.öyov  ort  £)cei  '/CxOr/asvoi;  £^pr;C)(j(.(i)0£i  x.ai  £V£>ca 
TT^;  O'/iU.i0?  ort  x,ai  TEOxixasvo;  £>c£i  r,TO,  —  6  XocpOi;  outo?,  ßooEioSu- 
TiKtö;  x,äT(i)  Trpö;  to  Tf'paa,  Trapä  t7)v  Ilvox.a,  £v6x  x£pi-ou  vöv  x.ei- 
Tai  tÖ  i/tx.^Yi'jiS'.ov  'Ayiou  AyiuLYiTpiou,  toO  £77i/ta)^0'jy-£vou  Ao'jp.7rap- 
Sxpv;,  £ij^£  tÖ  0£<T{j(.oqp6piov,  ie^ov  xfig  Au^mtoog',  y)v  TrpoiTOi;  6 
Mo'j(jxio(;  ufy.v/i(T6,  xiig  öedg  xwv  ^xuaTixcöv  ooyicov  xai  TeA,e- 
TÖJv,  (öv  ai^TTog  nKOuexo  ev  'Abnvaig  cwöeTuc  xai  iSovinc" 
OTt  ai/cpov  y.aT(OT£p(i),  ü-£p  tt/V  x.p7]vyiv  t7]v  Evv£z-/tpo'jvov  ,  ü-yioy£v 
d^A.0  lepov  SiTi^oüv  Any,nTpoc,  Köpng  kcu  TginToKiyuOV,  tö 

OTTO  TY)  'A)tp07:6X£l  'E>,£'J(JIV10V  '/.xl  OTl  ä(/,£(3(i)(;  ÜTTEpxVO),  £V  aUTT)  TY) 
'AxOOTTÖ^El,  /.aTÖ.  TOC  OpOTCU^ata,  äv£}C£lTO  YpaTCTY]  £!)tä)V  TOU  (XTTlJtOU 
YpYlTjJLwSoU"  (JUVeXÖvtI    S'  £'!7r£tV,  OTl    ÖCTTOC;  6  X£pi  TT/V   dvETTiypa^OV    Yl[JLüiV 

Tcerpav  J^oipo;  y.aT£t^£TO  ütÖ  te  Tri?  avyjaiQi;  -/.xl  ttiq  (^ri^-rii;  tou 
Tcavxpyatou  7upo<py)TOu  /cai  üttÖ  twv  «juyyEVüiv  Tai?  utt  auxou  auvT£- 
öfiidat;    [xudTDtaii;  Te>,£Tai;  Upcöv  vo[/.iu.(dv  tgüv  £>.£u(7iviwv  O'wv. 

Mt)  toi  £'y(oa£v  ivTauOa,  utto  X^'P^''  fJ'-eTayEVEdTEpai;  Toiv  £ux.>£i- 
Seicov  ypovcov  ävocy£ypaay,£vov,  (XTTOCfTCacraa  excoi/C  >i  JCP^^V'^^  '^'^'^ 
(j6j/,vou  Moudaiou  ^ ; 

'Ev  'AO-;ivai<;,  T-?i  12  MapTiou  1898. 

STE«I>ANOi:  N.  APArOTMHS. 


-*J«-»— s^-— »|<J— 


'  nau3av(oj,  aÜToOt  zal  TcpoaETi  I,  14,3.  IV,  1,.5.  X,  5,6.  7,2.  9,11.  12,11. 
no6)..  xai  'HpdooTOv,  IlXätüJva,  ürpäotova,  Aou/Ctavo'v,  <I)iXoarpaTOv,  'ApJioxpa- 
r/eüva  [^out'Sav],  Eüa^6iov  y.Xn.  Kata  A'.oyivr,  tov  AaspTtov  (BioixA;:.  Jcpooi[j.tov,  3) 
ö  Mo'JiaTo?  ETeXeiiTTjac  x.at  sTäarjjOÜyi  £7ii  loü  Xdao'j,  äXX'  ev  'l>aXT|p-;),  emypayevTo; 
auTüi  (ev  uaTEpwT^pot?  ßsSai'w;  ypövoi; )  toü^e  toü  EXeyEiou' 

K'j|J.dX7:o'j  »i'Xov  uiöv  k'/£t  ^aXTjpizöv  ouoa; 
MouaaTov,  cpO;;xevov  aü)[A'  £7ti  twoe  täyu). 
'Afioar;[jL£;a)TOv  ev  tojtoi?  OTi  xai  £v  «taXrjp'o  SiacpEpdvxw;  £Ttji.äTO  fj  Ar{[jLT)Tpa. 

2  KivriOEt;  C;:ovo;a  ixrjnojj  ev  t^  ^pa^Et  «etco;  8J  ^wvr)  »  xpii;:TT)iai  fj  k'vvoia  dVTl- 
^(i?y.OU,  w;  X^yEi  7)  auvrJÖEta,  IJ/JTaaa  Si?  ttjv  O^aiv  £v  r;  Jj  eJtiypaip'i'  aXX'  jj  OEuti^a 
ifiiaaij  Sev  £j:i6e6aitua£  xr^v  EvTaüOa  ünap^iv  nj^oüc- 


ENNEAKRUNOS,  LENAION  UND  AI0NT2I0N  EN  AIMNAIS 

Die  berühmte  Tliukydidesstelle  über  das  älteste  Athen  (11,15) 
hat  das  Missgeschick  gehabt,  nicht  nur  von  der  Interpretation 
sondern  auch  von  der  Kritik  aus  in  sehr  verschiedener  Weise 
behandelt  worden  zu  sein:  tö  Sk  Tupö  toütou  (vor  Theseus)  yi 
xApÖTZo'ki^  Y)  vov  oüda  ttÖXi;  t)''  >tat  t6  utt'  auTY]v  Tzpb^  votov  ij.a>iaTa 
Texpafxfxevov.  rs^aiopiov  Se'  xa  yap  ispä  Iv  auTvi  tyj  ä/Cp07:6X£'.  x.al 
a.Xkbi'j  6£ü)v  ea-rt  x.a'.  tx  s'^o)  TCpo;  touto  to  atpoc  tt,;  ttoXeco;  {ascXXov 
'iopuTai,  t6  TS  TOÖ  Aiö;  toö  'OXuaTCtou  xal  tÖ  IluO'.ov  xal  tÖ  ttjc;  Fr,? 
xoti  TO  6v  Xiavat?  A'.ovuuou,  (o  tx  ipyaiOTepa  Aiovj'jtx  Tfi  owösy.aT'^ 
TCOieiTat  £v  y.r,\l  'AvOs^TYipiwvt ,  wt— ep  xxi  ol  äx'  'A6Y,vai(ov  "Icove; 
ETI  x.ai  vov  voat'^O'jmv  tSpuTai  Ss  xai  aX).a  Uoic  TauTri  äp^aia.  /.ai 
TY|  x.pr/v/)  T"(i  vuv  aev  tojv  Tupavvwv  outw  cj/.s'jx'jZvtwv  üivvea/tpouvo) 
xaXo'jaEvr),  to  bs  TraXai  (pavcpwv  tcüv  T^rjyaiv  oü'joiv  KaXXippor,  wvo- 
{Jt.a7ut.ev7i  gKEiv/i  T£  eyyü;  ou-j-ifi  tx  ttaeittou  a^ix  i^poivTO  xal  vOv  eti 
aTCO  ToO  äpj^aio'j  Tirpo  te  Yap.ix,(öv  y.xi  iz  xXkx  tcöv  (gpwv  vo{/.iC6Tai 
T(p  uSaTi  j^pT^aOxt.  y.aXeiTXi  Se  ^ta  ttiv  TraXaiicv  TXUTr,  xaToixTiaiv 
xai  "^  ä/.pÖTToXti;  jxe'ypi  to'jSe  eti  utc'  'A^Yivaiwv  ttoXi;.  Über  die  Er- 
klärung ist  eine  Einigung  nicht  erzielt  worden  und  in  dem 
Streite  über  den  Sinn  der  Worte  ist  der  Wortlaut,  so  scheint 
es,  nicht  immer  genügend  berücksichtigt  worden.  Wachsmuth, 
der  zuletzt  den  Text  in  den  Neuen  Beiträgen  zur  Topographie 
von  Athen  (Abhandlungen  der  sächsischen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  XVlil  S.l  tY.)  im  ZusaininiMihange  besprochen 
hat,  ändert  mit  anderen  die  Überlieferung  an  drei  Stellen  und 
stellt  sie  nur  an  einer  vierten,  wo  sie  ebenfalls  fast  allgemein 
geändert  wird,  wieder  her.  Er  setzt  vor  xai  aXXwv  Oecäv  eine 
Lücke  an,  schreibt  tö  <^toO)  ev  Xiavai?  AtovuTou,  streicht  t?,  Sw- 
SExxTr,  und  setzt  nur  statt  exeivoi  die  Überlieferung  der  Hand- 
schriften £/.£tvr,  wieder  ein. 

Ob  es  nötig  ist   'der  sprachlichen  Korroklheil  halber'  den 
Artikel  toö    vor  ev  Ivj.^ xic,  Aiovöto-j  zuzufügen,  während   doch 


206  H.    VON    PROTT 

Götternamen  häufig  genug  ohne  Artikel  stehen  und  die  Volks- 
versammlung SV  A'.ovÜTou  stattfindet,  ist  mir  zwar  sehr  zweifel- 
haft, aber  für  den  Sinn  der  Stelle  gleichgültig.  Wichtiger,  ja 
vielleicht  entscheidend  ist  äx.eivr,.  Wachsmulh,  der  als  älteste 
Stadt  nach  Thukydides  die  Akropolis  und  ein  mit  ihr  nicht 
zusammenhängendes  Stück  im  Südosten  am  llissos  annimmt, 
hat  £)C£ivYi  deshalb  wieder  in  den  Text  eingesetzt,  weil  er,  von 
seinem  Standpunkte  aus  ganz   mit  Recht,    eine  Hinweisung 
darauf  verlangte,  fiir  welches  der  beiden  Stücke  der  von  der 
Enneakrunos  handelnde  Beweisabschnitt  gelten  solle.  Er  nimmt 
ix.sivY)  als  Ortsadverbium  {  =  iy.it:)  und  lässt  mit  ii  nur  diese 
topographische  Bezeichnung  angeknüpft  sein  ,   übersetzt  also 
'den  VVasserplatz ,   der  jetzt  Enneakrunos  genannt  wird,   in 
alter  Zeit  aber  Rallirroe  hiess  und  eben  dort  in  der  Nähe 
liegt'.    Alles  dieses  ist  nicht  unbedenklich.   Der  bestimmte 
Artikel  t6  ütt'  aürr/v    ivpoc  votov  iix'kt.nzoi.  Tsrpaaaevov  weist  deut- 
lich auf  eine  Verbindung  dieses  Stückes  mit  der  Akropolis 
hin  und  gar  zu  seltsam  ist  die  Verbindung  von  lyyu?  elvat  mit 
einem  Ortsadverbium  'an  einem  Orte  nahe  sein'.  Aber  beides 
zu2:eo;eben,   die  Anwenduno;,   welche  Wachsmuth  von  dieser 
Erklärung  macht  (S.  20  ff.),  ist  noch  bedenklicher:  die  Worte 
Uiirr,  eyy'j;  out-^)  'sind  zui'ückzubeziehen  auf  das  vorausgehende 
Tot'jT-o  und   melden   so  bestimmt   wie  möglich,   dass  sich  die 
Enneakrunos -Quelle   in   der  Nähe  der  bisher   besprochenen 
Gruppe  von  Heiligtümern    im  Südosten   der  Stadt   befinde  '. 
Auf  die  Schwierigkeit,  welche  dann  das  folgende  zweite  xa-jcvi 
bereitet,  will  ich   hier  nur  kurz  hinweisen.    Die  Hauptsache 
ist,   dass  Thukydides,   der  nach  Wachsmuths  Ansicht  zuerst 
von  der  Burg,  dann  mit  den  Worten  toGto  tö  aepo?  und  täuty) 
von  dem  südlichen  Stücke  spricht,  mit  dem  entgegengesetzten 
Pronomen  £>csivr,  unmöglich  wieder  dasselbe  Stück  bezeichnen 
kann.  Wachsmuth  sagt  zwar,   'Uihr,  nehme  das  Vorerwähnte 
wieder  auf,  wie  öfters  das  Pronomen  keivo!;  auf  denselben  Be- 
griff geht,  der  vorher  durch   einen  Casus  obliquus  von  auröc; 
ausgedrückt  ist'.  Aber  es  geht  ja  gar  nicht  ein  Casus  obliquus 
von  aÜTÖ;  sondern  das  Adverbium  Taüxr)  voraus.  Wenn   nun 


ENNEAKRUNOS,   LENAION    UND    alONTLIOX    EN    MMNAIE  207 

die  beiden  Adverbien  xa-jTr,  hier  und  £x.£tvr,  [  =  ■■■/.£'.)  dort 
eine  Beziehung  zn  einander  haben  sollen,  so  kann  diese  doch 
nur  gegensätzlich  sein.  Nimmt  man  also  mit  Wachsmuth  eine 
Zweiteilung  der  ältesten  Stadt  an,  so  würde  mit  Uivrr^  nicht 
mehr  von  dem  zweiten  sondern  wieder  von  dem  ersten  Stücke, 
der  Akropolis,  etwas  bewiesen  werden.  Von  diesem  Stand- 
punkte aus  müsste  man  daher  unvermeidlich  zu  dem  Schlüsse 
kommen,  dass  die  Enneakrunos  nicht  in  der  Nähe  der  Heilig- 
tümer am  llissos,  sondern  im  Gegenteile  in  der  Nähe  der  Akro- 
polis liege. 

Die  rein  sprachliche  Betrachtung  der  schwierigen  Stelle 
scheint  mithin  für  die  neue  von  Dörpfeld  (Athen.  Mitth.  1895 
S.  189  ff.,  Rhein.  Mus.  1896  S.  127  ff.)  aufgestellte  Theorie 
zu  sprechen,  der  als  ältestes  Athen  nach  Thukydides  nicht 
zwei  Teile,  sondern  ein  im  wesentlichen  einheitliches  Stück, 
nämlich  die  Akropolis  und  ihren  hauptsächlich  südlichen  Ab- 
hang, d.  h.  Akropolis  und  Pelargikon  ansieht.  Dies  bedarf 
noch  einer  etwas  ausführlicheren  Erörterung.  Dass  die  beiden 
von  Thukydides  angegebenen  Teile  nicht  getrennt  waren  son- 
dern zusammenhingen,  beweist  der  bestimmte  Artikel  tö  . . . 
T£Tpa[j.a£vov.  Eine  von  der  Akropolis  bis  zurKallirroe  im  llis- 
sos sich  ausdehnende  Stadt  aber  würde  für  das  Ur-Athen  des 
Thukydides  viel  zu  gross  sein.  Dass  ferner  die  beiden  Teile 
wesentlich  eins  waren,  zeigt  die  auffallende  Wiederholung  des 
Pronomens  outo;'.  Thukydides  spricht  zuerst  von  den  Heilig- 
tümern £v  aür?)  T?i  otÄpoTcöXs'.,  dann  von  denen  s;^  {zr,q  tkx.^o-!:6- 
Tzolidi;)  und  den  anderen  alten  Stiftungen,  die  ebenfalls  hier 
(raOTTi)  ausserhalb  der  Burg  liegen.  Zum  Schluss  ist  wieder 
von  der  .Vkropolis  (bez.  von  Akropolis  und  Pelargikon  zu- 
sammen) die  Hede  und  dabei  wird  wieder  wie  bei  dem  zwei- 
ten Stücke  ( TO'JTo  t6  aspo:  —  TauT-(i)  dasselbe  Pronomen  (Taü-rri) 
gebraucht.  Das  war  doch  kaum  möglich,  wenn  beide  Stücke 
grundsätzlich  geschieden  waren.  Dazwischen  fällt  die  Ennea- 
krunos: auch  sie  ist  ein  Beweisgrund  für  die  Ausdehnung  der 


'  Vgl.  Diiii.rohl,  Hlioiii.  Mus.  1896  S.  133  f. 


20S  H.    VON   PROTT 

ältesten  Stadt,  weil  sie  iyyui  ist.  Es  fragt  sich,  wem  benach- 
bart, und  die  Antwort  darauf  kann  nur  in  Uei^ri  stecken. 
Wachsmulhs  Deutung  von  exsivri  als  eines  Ortsadverbiums 
glaubte  ich  ableiinen  zu  müssen.  Fasst  man  es  epanaleptisch 
den  Begriff  xpyivY)  wieder  aufnehmend*,  so  passt  die  Stellung 
von  T£  sehr  schlecht  und  es  ergiebt  sich  überhaupt  eine  un- 
geschickte Stilisirung.  Jedenfalls  aber  kann  man  dann  nichts 
daraus  für  die  Lage  der  Enneakrunos  am  llissos  erschliessen. 
Dasselbe  ergiebt  sich,  wenn  man  Ud^ri  in  g5C6ivoi  ändert.  Der 
Gegensatz  iKihoi  n  —  >cocl  vuv  l-i  legt  dies  sehr  nahe.  Zwar 
kann  £x,£ivoi  an  sich  gewiss  nicht  'die  Alten'  bedeuten,  wenn 
es  sich  nicht  auf  etwas  Vorhergehendes  oder  Folgendes  be- 
ziehen kann.  Aber  die  inconcinne  Beziehung  auf  xö  Tcpö  toutou 
wäre  vielleicht  nicht  unmöglich,  zumal  >cai  vuv  in  xizb  toO  äp- 
j^aiou  folgt.  Die  Stelle  bedeutete  dann:  Jene,  die  Einwohner 
des  ältesten  Athen  (oi  Tirpo  önaeo);),  brauchten  das  Wasser  der 
Enneakrunos,  da  sie  nahe  war,  und  auch  jetzt  wird  es  noch 
gebraucht.  Auch  bei  dieser  Erklärung  wird  man  zu  Dorpfelds 
Ansicht  hingedrängt ;  denn  es  fehlt  dann  eben  eine  genauere 
topographische  Bestimmung,  das  einfache  eyyu?  ovari  'da  sie 
(dem  Ur-Athen)  nahe  war'  genügte  dem  Historiker  und  folglich 
war  eine  Angabe,  ob  die  Enneakrunos  der  Akropolis  oder  dem 
südlichen  Stücke  benachbart  war,  ganz  überflüssig,  da  beide 
ein  kleines,  zusammenliegendes  Gebiet,  Akropolis  und  Pelar- 
gikon,  ausmachten.  Bestand  dagegen,  wie  Wachsmuth  und  die 
Früheren  annehmen,  das  thukydideische  Ur-Alhen  aus  zwei 
Teilen  und  dehnte  sich  der  zweite,  südliche  bis  zum  llissos 
aus,  so  war  die  genauere  Angabe  unerlässlich,  für  welche  der 
beiden  Teile  der  Enneakrunos-  Beweis  gelten  solle,  ob  also 
die  Enneakrunos  der  Akropolis  oder  dem  Stücke  am  llissos 
nahe  lag. 


*  Wachsniutli  mcinl,  den  Zweck  dieser  Epanalcpsc  sehe  mau  nicht  ein. 
Aber  wenn  Thukydides  den  einfaclien  Gedanken  'weil  sie  nahe  war'  aus- 
drücken wollle,  so  konnte  er  der  Epanalcpsc  wegen  des  Participiiuns  Byp? 
ojjr,  kaum  entratcn. 


ENNEAKRUNOS,  LENAION   UND   AIONrsiON   Elf   AIMNAIE  209 

Notwendig  indessen  ist  die  Änderung  der  Überlieferung 
nicht.  Ja  es  ist  vielleicht  nicht  einmal  geschickt,  den  von  Thu- 
kydides  schon  deutlich  hingestellten  Gegensatz  vOv  ^j-h  —  tö  Ss 
TCOtXat  durch  das  £y.£tvoi  [  =  x6zt)  ts  —  y.xl  vOv  t-ci  äxö  toO  ap- 
j^aio'j  noch  einmal  zu  wiederholen.  Thukydides  erschliesst  aus 
den  Verhältnissen  der  Gegenwart  die  Zustände  der  Vergangen- 
heit und  viermal  bedient  er  sich  dabei  derselben  Wendung 
xal  vOv  £T'.,  fxe/pi  ToOSe  irt.  Durch  die  ganze  Stelle  hindurch 
sind  Tirpö  ©yiTEü);  und  Axi  vOv  £Ti  die  herrschenden  Begriffe  und 
es  ergänzt  sich  daher  zu  iyjiGi-^To  ganz  von  selbst  das  Subject 
Ol  Trpö  ©TioEöx;.  Dann  ist  klar,  dass  in  der  That  durch  -re  nur 
eine  topographische  Bestimmung  angeknüpft  sein  kann,  und 
in  diesem  Falle  kann  £>t£tviri  nichts  anderes  sein  als  das  ein- 
fache Pronomen.  Man  hätte  demnach  zu  übersetzen,  wie  auch 
der  Scholiast  und  andere  verstanden  haben:  'die  Quelle,  die 
jetzt  Enneakrunos  heisst,  in  alter  Zeit  aber  Rallirroe  genannt 
wurde  und  die  jener  (der  Akropolis)  nahe  liegt,  brauchte 
man'  u.  s.  w. 

Ich  will  nicht  behaupten,  dass  die  in  der  That  ungewöhn- 
lich schwierige  Stelle  nur  so  verstanden  werden  kann.  Eines 
aber  scheint  mir  ganz  sicher  und  durch  die  Erwägung  der 
verschiedenen  Möglichkeiten  hinlänglich  klargestellt:  Thuky- 
dides kann  man  für  die  Theorie  der  Enneakrunos  am  llissos 
nicht  ins  Feld  führen.  Wer  trotz  Pausanias,  trotz  der  durch- 
schlagenden Gründe  Dörpfelds  für  die  Lage  der  Stadlquelle 
vor  dem  Burgthore  und  ihrer  Verschiedenheit  von  der  Rallir- 
roe im  llissos  und  nicht  zum  letzten  trotz  der  überwältigenden 
Überzeugungskraft  der  Monumente  selbst  des  Thukydides 
wegen  an  der  alten  Theorie  festhalten  zu  müssen  glaubt,  dem 
schwindet  der  Boden  unter  den  Füssen,  sobald  er  sich  klar 
gemacht  hat,  dass  Thukydides  auch  im  günstigsten  Falle  nichts 
gegen  Pausanias  beweist,  wol  aber  völlig  mit  ihm  überein- 
stimmen kann.  Fraglich  mag  indessen  immer  noch  scheinen, 
ob  nicht  trotzdem  nach  der  Ansicht  des  Thukydides  das  äl- 
teste Athen  auszwei  wesentlich  verschiodcnen  Teilen  bestanden 
hat,  die  vier  von  ihm  erwähnten  Heiligtümer  nicl^t  ^Iso  doch 


210  H.    VON    PROTT 

am  Ilissos  zu  suchen  sind.  Ilior  ist  nun   zu  untersuchen,   ob 
denn  auch  im  Anfange  des  Beweises  der  Text  so  gesichert  ist, 
wie  man   jetzt  anzunehmen  pttegt.   Fast  allgemein  setzt   man 
hier  eine  Lücke  an  und  ergänzt  etwa :    tö.  yäp  iepa  sv  aÜTvi  tyi 
a/tpoTC6>.6i   <^Ta  apyaix   ■rri<;  ts  'AOriva;)   >tat  aXXcov  Oewv  icTi.    In- 
dessen dieses  xxi  aX^wv  Oewv   ist  auffallend  schleppend  und  so 
wenig  prägnant,  dass  es  eigentlich  gar  nicht  beweist,  was  es 
beweisen   soll.  Waren  denn   nicht  [leiligtumer   'der  Athena 
und  anderer    Götter'    auch    in   anderen   Teilen    der  Stadt? 
Früher  hat  man  an  der  Überlieferung  keinen  Anstoss  genom- 
men. Krüger  erklärt  '>cxi  aX^wv  Otcöv,  als  der  Athene',  und  da 
diese  und  ihr  Fest,   die  Synoikia,   vorher  erwähnt  sind,   ist 
diese  Erklärung  sprachlich   doch   wol  nicht   unmöglich.    Es 
scheint  zw^ar,  als  ob  im  Sinne  kein  Unterschied  sei ;  aber  xai 
aXkoi  'und  andere'  ist  nicht  dasselbe  wie  )tai  aXXoi   'auch  an- 
dere'. Dieser  letztere  Begriff   'auch  (noch)  andere'  leitet  un- 
merklich über  zu  dem  Begriffe  'noch  eine  Anzahl  anderer'  und 
der  Sinn  könnte  so  etwa  sein:    Auf  der  Akropolis  sind  eine 
ganze  Anzahl  von  Götterkulten  zusammengedrängt  und  unter 
anderen  auch  Kulte  der  Göttin,  von  der  die  Stadt  ihren  Na- 
men hat.  Freilich  fühlt  man  sich  hier  noch  unsicherer  als  bei 
der  früher  besprochenen  Stelle.    Ist  wirklich  eine  Lücke  vor- 
handen, so  kann  man  erst  recht  nicht  wissen,  was   in  dieser 
stand,  was  also  Tliukydides  eigentlich  gemeint  hat.  So  konnte 
man  auf  den  Gedanken  kommen,  es  werde  hier  vielleicht  auf 
eine  merkwürdige   Thatsache   angespielt,    dass  nämlich   die 
Kulte  doppelt  vorhanden  waren ,  sowol  auf  und   an  der  Burg 
wie  am  Ilissos. 

Dass  es  am  Ilissos  eine  Reihe  alter  Kulte  gab,  kann  man 
nicht  bezweifeln,  und  es  wird  sich  hier  vielleicht  einmal  eine 
eigene  durch  die  liebliche  Gegend  hervorgerufene  Art  attischer 
Naturreligion  nachweisen  lassen.  Für  einen  Teil  dieser  Kulte 
ist  der  Ausgangspunkt  offenbar  ein  Nalurmal  gewesen,  der 
Erdschlund  der  Ge  Olympia,  in  dem  sich  die  deukalionische 
F'lut  verlaufen  haben  sollte  und  an  dem  zum  Andenken  daran 
cjas  nach  der  Leg(;nde  von  Deukaliun  gestiftete  uralte  Toten- 


ENNEAKRUNOS,  LEVAION   UND   AIONTSION    EN  AIMNAir  211 

fest  der  Chytren  gefeiert  wurde.  Daran  hat  sich  der  Kult  des 
Zeus  Olympios  und  an  beide  Kronos  und  Rhea  angeschlossen. 
Mit  Rücksicht  auf  diese  alten  Kulte  haben  die  Tyrannen  hier 
ihre  grossen  Festplälze   angelegt.  Neben  dem   Olympion   des 
Peisistratos  lag   der  alte  Zeustempel  des  Deukalion  (Paus.  1, 
18,  8)  und  neben  oder  im  Bezirke  des  Pythion  das  nach  der 
Sage   von   Aigeus  gegründete   Delphinion  ( Paus.  1,  19,1)*. 
Fand  man  nun  einmal  diese  Heiligtümer  bei  Thukydides  wie- 
der,  so  musste  man   natürlich   auch  das  Dionysion   h  Xiavxi; 
in  derselben  Gegend  suchen  und  da  schien  zu  Hilfe  zu  kom- 
men das   so  oft  missverstandene  Froschlied  des  Aristophanes 
(V.   211  ff.):    liii^xix  )4p-/]Vüiv  TE/Cvoc  ^üvx'jXov  Oav(i)v  ßoicv  cpOsY;^- 
aeö'  euYYipuv    «[Aav  äoiSäv,  )toä$  xox^,    y)v  iy.tp'.  N'jtt/'.ov  Aio;    A'.cö- 
vuTOv    £v   Xiü-vaiTiv    ia/y;Taij.£v  ,    rjviy'  6  xpxixaXoKwaoi;    xoi:    lepoi'ii 
X'jTpoiTt    ycopei   kxt'  et/.öv   xeaevo;   >.aöjv   o/Xof.    Am    Abend    der 
Choen  nach  dem  grossen  Zechgelage,  an  dem  zur  Erinnerung 
an  des  Dionysos  Erfindung,  Wasser  und  Wein   zu  mischen, 
der  (X'-cpaTo?  getrunken  wird,  bringen  die  Athener  ihre  Krüge 
zum  Heiligtume  des  Gottes  sv  Xiavai?  (Athen.  X  437c).  Am 
folgenden  Tage  pilgern  sie  wieder  im  Katzenjammer  an  den  >i- 
fxvai  vorbei  (xaT'eij.öv  rey.svo?)  zum  Erdschlunde  der  Ge  Olym- 
pia, um  dort  das  heilige  Totenfest  der  Chytren  zu  feiern.  Dann 
singen  die  Frösche  das  Lied  zum  Preise  ihres  mächtigen  Gottes 
und  mögen    die  Wallfahrer  dadurch  an  das  böse   Ende  des 
vorigen  Tages  erinnern.  Natürlich  ist  die  Chytren-Procession 
mit  Alisicht  an  dem  Heiligtume  des  Anthesteriengottes  vor- 
beigeführt worden  -.  Leicht  aber  konnte  man  weiter  schliessen, 
dass  der  Tempel    des  Anthesteriengottes,    der  den    Hermes 
Chthonios,   den  Seelenführer,  ablöst  und  dessen  Fest  an  den 
uralten  Totenkult  der  Chytren  angegliedert  wurde,  dem  Erd- 
schlunde beim  Olympion  wirklich  benachbart  war. 


'  Ersteres  giebt  Dörpfeld  jetzt  als  möglich  zu,  letzteres  hält  er  selbst  für 
richtig. 

2  Verniiitlicli  vom  Marklf  aus  über  die  panathcuäiselie  Feststrasse  aui 
Areopag  uuil  Süilahhaug  der  Burg  entlang  zum  Ui.vmpion. 


212  H.    VON    PROTT 

Andererseits  giebt  es  dieselben  Kulte  an  der  Burg.  Zu- 
näclist  kann  ja  darüber  kein  Zweifel  sein,  dass  das  Olympion 
und  Pytbion  unterbalb  der  ixa/cpat  zu  den  sichersten  Thatsachen 
der  athenischen  Topographie  gehören.  Ganz  seltsam  ist  es, 
wenn  Wachsmutli  (S.  48,  1)  als  Gegensatz  zum  Zsü?  'OXup.- 
TTio?  £v  ÄrrT£t  {C.  I.  A.  III  ^291  )  den  Zsü?  U  lUinr,^  (III  '?83) 
fasst,  der  gar  nicht  'OX^aino?  lieisst,  während  doch  den  Ge- 
gensatz offenbar  der  Zsu?  'OXuy.Trio?  (nämlich  des  grossen 
Tempels  vor  der  Stadt  III  ^43,  928)  bildet.  Neben  diesem 
'OXüaTuiov  am  Abhänge  der  Burg  muss  das  im  Phaidros  227  a 
erwähnte  Haus  gelegen  haben,  denn  unmöglich  konnte  ein 
Haus  innerhalb  der  Stadtmauer  nach  dem  gar  nicht  'nahe' 
gelegenen  Tempel  vor  dem  Thore  bezeichnet  werden.  Noch 
weniger  glücklich  aber  war  es,  wenn  VVachsmuth  (S.  50)  das 
schon  durch  die  Beschreibung  der  Panathenäen- Procession 
( Philostr.  vitae  soph.  11,1,  5  )  gesicherte  Pythion  an  der  Burg 
wieder  leugnete,  weil  der  Anapäst  im  Ion  V.  285  'metrisch 
unzulässig  sei'.  Diese  Heiligtümer  also  hat  Dörpfeld  einfach 
erwiesen.  Aber  auch  die  Ge  hat  nicht  nur  am  Abhänge  der 
Burg  mit  Demeter  zusammen  ihren  alten  Tempel  *,  sondern 
auch  im  Bezirke  der  Athena  Polias  ihren  vielleicht  den  Aus- 
gangspunkt der  Erechtheion  -  Kulte  bildenden  alten  Altar  2. 
Und  endlich  fehlt,  wie  es  scheint,  auch  Dionysos  Aipaio;  nicht, 
denn  nahe  dem  Prytaneion,  dem  alten  an  der  Burg,  wie  man 
meinen  könnte,  lag  das  Bukolion,  wo  die  ßoujtöXoi  ihren  alten 
dionysischen  Kult  übten  und  jährlich  der  Upo«;  yx(i,o;  des  Dio- 
nysos mit  der  ßa^iXivva  vollzogen  wurde.  Hier  also  wäre  ur- 
kundlich eine  jener  Kultbeziehungen  zwischen  den  beiden 
Gruppen  von  Heiligtümern  bezeugt,  wie  man  sie  voraussetzen 
müsste.  Wenn  der  Gott  Hochzeit  nicht  in  seinem  Tempel 
sondern  im  Bukolion  hält,  dann  waren,  so  kfuinte  man  Thu- 
kydides  schiiessen  lassen,  Tempel   und  Bukolion  gleich   alt. 


'  Es  ist  so  gut  wie  siflier,dass  hier  derGe-Atliciia-Kiirülrmtiios-Kiill  das 
allere  und  der  Demeterkult  erst  später  zugefügt  ist. 

?  Leges  Graec.  sacrae  S.  3,  was  icli  S.  45  leider  zuiiickK'Mioinincu  iiabe. 


ENNEAKRUNOS,    LENAION   UND   ilONTEION   EN  MMNAIL  213 

Ähnliche  Verhältnisse    konnte  man    für  die   anderen   Heilig- 
tümer annehmen. 

Dergleichen  Kombinationen  zerfallen  in  nichts  vor  den  ein- 
fachen Thatsachen  der  athenischen  Bodenverhältnisse.  Das 
heutige  Athen  lehrt,  dass  im  alten  Athen  das  Sumpfquartier 
nicht  am  llissos  gelegen  haben  kann.  Mann  muss  sich  auch 
hier  von  einer  Reihe  alter  und  vielleicht  lieb  gewordener  Vor- 
stellungen lossagen.  Mit  der  jonischen  llissosstadt  kommt  man 
nicht  zum  Ziele.  Das  Problem  der  llissoskuite  ist  eben  durch 
die  Entscheidung  der  alten  Streitfrage  schwieriger  und  in- 
teressanter als  je  geworden.  Ganz  ähnlich  wird  es  mit  dem 
alten  Tempel  auf  der  Akropolis  gehen.  Auch  hier  wird  man 
erst,  wenn  die  Frage  nach  allen  Seiten  hin  endgültig  ent- 
schieden ist,  über  die  Einzelheiten  des  Kultes  wirklich  klare 
Vorstellungen  gewinnen  können.  Die  grossen  Fragen  der 
athenischen  Topographie  und  Baugeschichle,  in  die  nun  auch 
der  Niketempel  eingetreten  ist,  werden  zugleich  vorbildlich 
werden  für  die  Untersuchung ,  wie  eigentlich  im  Allertume 
Helio;ion  semacht  worden  ist.  im  vorliegenden  P'alle  muss  die 
Entscheidung,  da  sie  die  drei  anderen  Heiligtümer  nicht  ge- 
geben haben,  das  Dionysion  iv  Xiavxi;  bringen.  Und  da  ist 
ganz  einfach  festzulegen:  So  sicher  im  llissos  niemals  ein 
Brunnenhaus  gestanden  haben  kann,  so  sicher  hat  es  am  llis- 
sos niemals  >.ip.vai  gegeben.  Es  ist  von  Dörpfeld  genügend 
hervorgehoben  worden  (Athen.  Mitth.  1895  S.  187),  dass  die 
einander  widersprechenden  Aussagen  der  geologischen  Au- 
toritäten Lepsius  und  Bücking  (Rhein.  Mus.  189'2  S.  59; 
vgl.  VVachsmuth  S.  48,5)  nicht  als  zwei  einander  aufhebende 
Zeugnisse  zu  betracliten  sind.  Zum  Glück  indessen  bedarf  nie- 
mand der  erwünschten  Bestätigung  dessen,  was  ihn  der  Au- 
genschein lehrt,  durch  den  besten  Kenner  des  attischen  Bo- 
dens. Es  ist  völlig  unzweifelhaft,  dass  auf  dem  ganzen  gleich- 
massig  von  der  Burg  zu  dem  tief  einschneidenden  Flussbette 
des  llissos  abfallenden  felsigen  Gelände  sich  nirgends  Sumplla- 
chen  bilden  konnten.  X'ielmehr  war  dies  nur  da  möglich,  wo 
dem  Abtlusse  einer  reichlichen  W  assermenge  ein  natürliches 


5^4  H.    VON   PROTT 

Hinderniss  entgeijentritt,  wie  es  bei  der  Enge  zwischen  Pnyx 
und  Areopag  der  Fall  ist,  obwol  das  daran  anstossende  Ge- 
biet des  Kerameikos  viel  tiefer  liegt.  Da  Wachsmuth  (S.  48  f.) 
hierüber  kurz  hinweg  gegangen  ist  und  nur  die  llineinziehung 
der  Brunnen  von  Seiten  Dörpfelds  abgelehnt  hat,  die  für  die 
entscheidende  Frage  ganz  nebensächlich  ist,  so  verdient  her- 
vorgehoben zu  werden,  dass  sowol  im  Anthesterion  dieses 
wie  besonders  des  vorigen  Jahres  hier  ein  wirklicher  Morast 
mit  üppigem  Blumenwuchs  entstanden  war  ^  Im  Altertume, 
als  wenig  oberhalb  das  Wasser  aus  dem  Brunnenhause  ab- 
floss,  mussten  fast  mit  Notwendigkeit  wirkliche  Wasserlachen 
sich  bilden.  Am  deutlichsten  sieht  man  dies  ja  daran,  dass 
hier  der  Boden  vom  V  und  IV  Jahrhundert  an  ganz  auffallend 
künstlich  erhöht  ist.  Hier  ist  nun  ein  altes  Dionysosheiligtum 
gefunden  worden,  in  dem  Bezirke  eine  mehrfach  umgebaute, 
lange  benutzte  'upx  Xyivo?  und  ausserhalb  mehrere  andere 
Keltern.  An  sich  könnte  dies  ein  Ireilich  sehr  merkwürdiger 
Zufall  sein,  und  ich  habe  lange  Zeit  geglaubt,  dass  hier  ein 
bisher  unbekanntes  Dionysosheiligtum  ans  Tageslicht  getre- 
ten sei,  welches  ich  vorschnell  'loSäxj^iov  benannte.  Aber  die 
Sache  liegt  anders. 

Man  setzt  das  Dionysion  h  Xipai?  südöstlich  der  Burg  an 
lediglich  auf  Grund  der  Erklärung  der  Thukydidesstelle.  Da 
nun  aber  in  der  Nähe  des  Olympions  schlechterdings  keine 
Sümpfe  gewesen  sein  können,  so  verlegt  Wachsmuth  (S.  49) 
mit  Verweisung  auf  Beiger  (Arch.  Anzeiger  1895  S.  112) 
das  Dionysion  noch  weiter  südöstlich  in  die  Nähe  des  llissos, 
in  dessen  sehr  geringer  Senkung  es  begründet  liege,  'dass  leicht, 
wenn  das  eingesickerte  Wasser  wieder  zum  Vorschein  kommt, 
sumpfähnliche  Lachen  sich  bilden'.  Aber  das  oberhalb  der 
Felsbarre  in  das  Flussbetl  einsickernde,  an  ihr  als  Rallirroe 
hervorkommende  Wasser ,  welches  sofort  wieder  im  Boden 
verschwindet  und  erst  eine  Strecke  unterhalb  als  Bächlein 
wieder  hervortritt,    kann   nirgends  'sumpfähnliche  Lachen 


^  Vgl.    Photographie  des  Instituts,  'Athen,  Bauten  Nr.  94', 


ENNEAKRUNOS,  LENAION    UND    AIONrEION   EN  AIMNAIE  215 

bilden.   Ferner  kann  das   Heiligtum    doch    unmöglich  ,    wie 
sonst  unvermeilich  wäre,  im  Flussbette  selbst  gelegen  haben. 
Auch  Wachsmuths  Schluss  (S.  46  t'.),  der  Festname  A'.ovJa-.x 
6v  ai7T£i  sei  nur  erklärlich,  wenn  die  Anthesterien  ausserhalb 
der  peisistratischen  Stadt  gefeiert  seien,  ist  voreilig  und  darf 
auf  keinen  Fall  als  sicherer  Posten  in  der  Rechnung  verwertet 
werden  '.    In  klarem  Widerspruche  aber  steht  Wachsmuths 
Ansetzung;  des  Heiligtumes  mit  Isaios  VIII,  35:  Kippcov  i/.i- 
KTTjTO  ouniav,  äypöv  iih  'P'kuridi  .  .  .  oUta;  S'  £V  xaxii  S'Jo,  ttiv  u.£v 
[^.lav  .  .  ,  Tuapa  tö  ev  Xiu.vai?  Aiovuutov,   woraus  folgt,   dass  der 
Tempel  Iv  a^Tsi  mitten  zwischen  Häusern  lag.  Diesen  Wider- 
spruch beseitigt  er  freilich  (S.  47)  durch   die  Annahme,  es 
sei  hier  wie  in  ähnlichen  Stellen  nur  der  allgemeine  Gegen- 
satz  von  Stadt  und    Land   gemeint,   die  Stelle  also    für  eine 
Lage  der  >{u.vai  innerhalb  der  das  octt-j   umgebenden   Mauer 
nicht  beweisend.  Selbst  dieses  sehr  unwahrscheinliche  Aus- 
kunftsmittel  mag  man  einmal  zugeben.   Aber  völlig  undenk- 
bar, wenngleich   von  Wachsmuth   als  eine  gar  nicht  des  Be- 
weises  bedürftige  Möglichkeit  vorausgesetzt  ist,  dass  im  IV 
Jahrhundert  ein   athenisches  Wohnhaus  wenige  Schritte  vor 
der  Stadtmauer  lag.  Ferner  bleibt  nach  seiner  Meinung  (S.  46) 
trotz  der  höchst  wahrscheinlichen  Annahme  von  Wilamowitz, 
der  Xtavai  und  Lenaion  zusammenlegt,   'die  Möglichkeit  ott'en  ', 
beides  von  einander  zu   trennen.   Bei  seiner   Beweisführuns 
scheint  diese  Trennung  sogar  notwendig.    Das  Dionysion   =v 
>.{pai;  war  nur  am  12.  Anthesterion  geöffnet.    Die  Lenaien- 
procession  aber  konnte  unmöglich  vordem  geschlossenen  Uoöv 
Halt  machen  (S.  45).    Wachsmuth    hat  nicht   darauf   hinge- 
wiesen, dass  diese  Schwierigkeit,  die  in  (h-r  Thal  l)isher  vor- 
handen   und  unlösbar  war,    durch   die  eigentümliche  Anlage 
des  von  Dör[)feld   aufgedeckten  Dionysosheiligliimes  wirklich 
gehoben  wird.    Später  jedoch  (S.  55)  meint  er,   man  könne 


<  Dörpfelds  Auffassung  der  Aiovüaia  kv  ä'uTsi  als  des  grossen,  rein  städti- 
schen Dionysüsfesles  scheint  mir  bis  jetzt  am  ehesten  annehiuhar.  Das  Le- 
naion  lag  sicher  auch  ev  i'jTet.  Vgl.  Thuk.  V,  20  h  Aiovüaiwv  töjv  äjnxwv. 


^16  H.   VON   PROTT 

'gegen  die  Annahme,  dass  das  Lenaion  draussen  neben  dem 
uralten  Hieron  des  Dionysos  in  J^imnai  lag,  etwas  Durch- 
schlagendes nicht  einwenden'.  Man  weiss  daher  nicht  recht, 
woran  man  sich  zu  halten  hat.  Endlich  erklärt  er  so^ar  das 
Lenaion  für  niciit  lokalisirt.  Denn  der  Wert  der  Angabe  des 
Hesychios  {i~i  ATjvaicp  äywv)  ecTTiv  ev  to  (xarei  Airivatov  werde 
herabgemindert  durch  die  Paralleiexcerpte,  die  nicht  dv  Toi 
a(7T£t  sondern  'AO/iv/r^'.v  bieten  (S.  5  2).  In  dem  Demosthenes- 
Scholion  aber,  auf  Grund  dessen  man  das  dem  Lenaion  be- 
nachbarte Heroon  des  Kalamites  in  die  Niihe  der  Agora  ver- 
lege, sei  statt  h  xri  äyopa  vielmehr  äv  to  iypw  zu  conjiciren. 
Die  Örtlichkeit  des  äywv  stcL  Ayivaiw  übergeht  er. 

Ich  kann  nicht  finden,  dass  diese  Darstellung  ein  richtiges 
Bild  der  thatsächlichen  Verhältnisse  und  der  Überlieferung 
bietet.  Vielmehr  muss  man  überall  die  Argumente  umkehren 
und  dann  ergiebt  sich  eine  Schlusskette,  die  bei  der  Erklärung 
desThukydides  entschieden  nicht  unberücksichtigt  bleiben  oder 
in  den  Hintergrund  gerückt  werden  darf.  Am  ilissos  hat  es 
trotz  Beiger  und  VVachsmuth  keine  Sümpfe  gegeben.  Aus 
Isaios  VIII,  35  folgt,  dass  das  Dionysion  h  ^ipat;  innerhalb 
der  Stadtmauer  lag  und  innerhalb  der  Stadtmauer  hat  es  süd- 
östlich der  Burg  eingestandenermassen  keine  Sümpfe  gegeben. 
Nach  einer  höchst  wahrscheinlichen,  noch  genauer  zu  unter- 
suchenden Annahme  lagen  Dionysion  dv  Xtavai;  und  Arjvaiov 
zusammen.  Das  Lenaion  lag  nach  Hesychios  ev  tw  auxei,  wo- 
durch die  Auffassung  der  Isaiosstelle  bestätigt  wird.  Es  lag 
ferner  nach  dem  Demosthenes  -  Scholion  in  der  Nähe  der 
Agora  und  nach  den  Grammatikernachrichten  über  den  äyov 
i~i  Avivaico  nahe  der  Orchestra  des  Marktes,  auf  der  die  IV.pia 
des  Os'xTpov  X-^vai/tov  aufgeschlagen  wurden.  Es  ist  daher  ganz 
unzweifelhaft,  dass  beide  Heiliü;lümer  durch  die  antiken  Nach- 
richten  in  die  Gegend  gewiesen  werden,  in  welcher  das  neuent- 
deckte Heiligtum  liegt.  Es  ist  nun  weiter  die  Frage,  ob  An- 
zeichen vorhanden  sind,  dass  eben  dies  Heiligtum  das  Dio- 
nysion £v  Xiavai?  sein  kann  oder  muss,  d.  h.  ob  der  Zustand 
des  Bezirkes  sich   aus  der  litterarischen  Überlieferung  über 


ENNEAKRUNOS,  LENAION    UND    AIONTEION   EN  AIMNAIE  217 

jenes  Heiligtum  erklärt  und  umgekehrt  die  Überlieferung 
durch  die  Ruinen  neues  Licht  erhält.  Und  das  ist  in  der  That 
der  Fall. 

Zunächst  ist  festzustellen,  dass  ganz  im  allgemeinen  die  vor- 
handenen Heste  eine  andere  Erklärung  zulassen,  als  sie  von 
Dörpfeld  bisher  erfahren  haben.  Da  ihm  von  befreundeter 
Seite  die  Ansicht  mitgeteilt  war,  der  Kult  der  Anthesterien 
sei  später  eingegangen,  und  da  die  ungewöhnlichen  Terrain- 
verhältnisse, die  Aulhühung  des  Hodens  schon  in  alter  Zeit, 
die  Besetzung  eines  Teiles  des  Bezirkes  durch  die  lobakchen, 
die  Thatsache,  dass  die  Fundamente  des  Bakcheions  höher 
als  der  alte,  später  also  sicher  verschüttete  Altar  liegen,  diese 
Ansicht  zu  begünstigen  schienen,  so  hat  er  angenommen, 
das  Heiligtum  mitsamt  dem  Kulte  sei  später  verschwunden 
und  dieser  sei  in  dem  Vereine  der  lobakchen  aufgegangen. 
Das  wäre  an  sich  sehr  seltsam  und  ist  unmöglich,  weil  der 
Anthesterienkult  sicher  auch  später  noch  als  Staatskult  be- 
standen hat  {CIA.  111  lUiO).  Aber  auch  die  Bodenverhält- 
nisse machen  diese  Annahme  keinesweges  notwendig.  Zwar 
die  Beste  des  alten  Tempels  waren  später  sicher  verschüttet. 
Doch  kann  sehr  w^ol,  wie  Dörpfeld  jetzt  annimmt,  an  dersel- 
ben Stelle  auch  später  noch  ein  Tempel  und  Kult  bestanden 
haben.  Der  alte  Bau  mag  im  Persersturme,  der  ja  vor  dem 
Burgthore  Alles  dem  Boden  gleichgemacht  haben  muss,  unter- 
gegangen sein.  Die  über  seinen  Fundamenten  erhaltenen  spä- 
teren Mauern,  welche  älter  sind  als  die  Bauten  der  lobakchen, 
können  zu  einem  späteren  Tempel  gehören.  Und  wenn  der 
eindringende  Verein  den  alten  Bezirk  beschränkte,  so  wurde 
dieser,  wenn  auch  nicht  in  demselben  Verhältnisse,  nach  Süden 
erweitert.  Die  Existenz  eines  späteren  Tempels  lässt  sieh  nicht 
erweisen,  aber  auch  nicht  widerlegen.  Dieses  Hinderniss  also 
fällt  fort.  Aber  es  fehlt  nicht  an  positiven  Gründen. 

Der  heilige  Bezirk  des  Dionysos  Limnaios  war  das  ganze 
Jahr  geschlossen  mit  Ausnahme  des  12.  Anthesterion  ;  aber 
auch  dann  durfte  kein  [)i'olänes  Auge  das  u.u(TTy;piov.  welches  in 
ihm  stattfand,  schauen  (iNeairarede  70).  Worin  dieses  bestand, 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXIII.  15 


218  H.  VON  pnoTT 

wissen  Nvir  nicht:  die  Gerairen  s-sTeXsTav  tx  Upi  an  den  vier- 
zehn Altäi'tMi,  die  aus  Steinen  oder  Rasen  aufgeschichtet  ge- 
wesen sein  werden,  ähnlich  wie  in  den  Ar,vai  des  'IMieokritos. 
Sie  werden  heilige  Gegenstände  und  Üpl'ergahen  darauf  nie- 
dergelegt haben.  Diese  Nachricht  von  der  Unzugänglichkeit 
des  heiligen  Bezirkes  war  bisher  bei  genauerer  Betrachtung 
völlig  rätselhaft.  Wie  konnte  denn  an  der  'Fass()ffnung'  des  11. 
Anthesterion  und  den  Lenaien  des  Gamelion  dem  Dionysos  an 
dem  im  verschlossenen  Bezirke  gelegenen  Altare  geopfert  wer- 
den ?  Da  zeigt  sich  nun  zu  unserer  grössten  Überraschung  ein 
völlig  einzigartiges  Verhältniss  von  Tempel  und  Bezirk  bei  dem 
aufgedeckten  Heiligtume:  der  Tempel  liegt,  wie  man  nach  den 
Scholien  zu  Aristophanes  Fröschen  V.  2 1 5  erwarten  mussle,  im 
Bezirke,  ist  aber  von  dessen  grösstem  Teile  durch  eine  Mauer 
und  Thür  abgeschlossen.  Er  konnte  also  zu  jeder  Zeit  zugäng- 
lich sein,  wenn  auch  der  dahinter  liegende  Teil  des  Bezirkes 
verschlossen  war.  Aber  freilich,  der  Altar  liegt  im  Bezirke. 
Indessen  er  ist  für  sich  betrachtet  wiederum  o;enau  so  überra- 
sehend  wie  die  ganze  Anlage.  Wir  wissen  aus  der  Überliefe- 
rung, dass  am  Altare  im  Dionysion  ev  Xtavaii;  die  Stele  mit 
dem  Eide  der  Gerairen  stand,  und  die  Einarbeitungen  in  dem 
gefundenen  Altare  sind  ebenfalls  für  Stelen  bestimmt  gewesen. 
Dies  ist  nicht  etwa  gewöhnlich  sondern  durch  andere  Bei- 
spiele, so  viel  mir  bekannt,  nicht  zu  belegen,  und  es  kann 
auch  kaum  anders  sein  ;  denn  bei  jedem  gewöhnlichen  Allare 
würde  eine  solche  Stele  für  das  Opfer  hinderlich  sein  und 
durch  das  Feuer  zerstört  werden.  Nun  aber  zeigen  die  Löcher 
auf  der  Oberfläche  nach  Dörpfelds  zweifellos  richtiger  Erklä- 
rung.dass  der  erhaltene  Teil  nur  derUnlerhau  für  einen  grossen 
Tisch  ist,  dessen  säulenurtige  Stützen  in  jenen  Löchern  stan- 
den, dass  es  also  ein  Altar  in  Form  eines  Opfertisches  war.  Es 
können  daher  auf  ihm  überhaupt  keine  blutigen  Opfer  dar- 
gebracht worden  sein,  sondern  diese  haben  ausserhalb  des 
abgeschlossenen  Bezirkes  an  einem  Brandopferaltare  stattge- 
funden, der, wie  fast  immer,  vor  dem  Tempel  gestanden  liaben 
muss.  Genau  dasselbe  aber  müssen  wir  aus  der  Überlieferung 


ENNEAKRUNOS,  LENAION    UND   AlO.NrilON    EN    AIMNAI2  219 

erschliessen.  Das  einzige,  was  wir  genauer  von  dem  u.uaTr.p-.ov 
des  \'l.  Antlieslerion  wissen,  ist  dass  die  ßa-jtXiwa  die  Gerai- 
ren vereidigte  h  x.xvoi:  rpo;  xö»  ßwu-w  -piv  xizxichxi  T(i)v  Upciv 
(Meairarede  78  j.  A'un  ist  jedem  bekannt,  dass  man  scinNört, 
wie  der  technische  Ausdruck  bei  gewöiinliciien  Eiden  lautet, 
'/taO'  iepcöv  tcXeicüv,  indem  man  den  AJtar  oder  die  Stücke  des 
Optertieres  selbst  anfasst.  Oie  Inschrift  von  Andania  f  Üitten- 
bev^ei',Si/lloge  J88,  1 )  drückt  dies  besonders  charakteristisch 
aus  durch  öp/ai^eiv  Leccüv  xa'.oy.£V(üv.  Anders  die  Gerairen  :  wenn 
sie  beim  Schwur  die  Körbe  berühren,  in  denen  nur  Opfer- 
gerste  oder  Früchte  und  Ähnliches  gewesen  sein  können,  so 
ist  bei  ihrem  Eide  kein  blutiges  Opfer  gebracht  worden.  Solche 
unblutigen  Opfer,  auf  tischförmigen  Allären  dargebracht  smd 
gerade  für  den  Dionysoskult  charaklerislisch ',  und  ich  zweiile 
nicht,  dass  man  die  Ar^vai  des  Theokrilos  vergleichen  darf, 
weiche  die  Upa  izi-Kovri^i^x  aus  der  /.ia-vn  auf  die  niedrigen 
zwölf  Altäre  legen.  Dergleichen  ganz  einfache  Kulthandlun- 
gen, durch  die  Weihe  der  Abgeschiedenheit  zum  {X'j«jTr,piov  im 
griechischen  Sinne  erhoben,  gelten  den  Griechen  stets  als  be- 
sonders ayia  und  eüaeSvi  und  die  Neairarede  hebt  ja  immer 
wieder  diese  besondere  Heiligkeit  des  Anthesterienkultes  her- 
vor. Dass  endlich  das  höchst  autlallende  Fehlen  aller  W  eih- 
geschenke  in  dem  heiligen  Bezirke,  deren  Basen  oder  Funda- 
mente notwendig  erhaltin  sein  müssten,  da  die  Grundmauern 
und  der  Altar  in  Folge  der  Aufhöhungdes  Bodens  vortreülich 
erhallen  sind,  zu  der  durch  die  Überlieferung  bezeugten  Un- 
nahbarkeit dieses  Baumes  ganz  merkwürdig  stimmen,  hat 
bereits  Dörpfeld  genügend  hervor  gehoben. 

Etwas  anderes  kommt  hinzu.  Dörpfeld  nimmt  gewiss  mit 
Beeilt  an,  dass  die  uialleii  Wasseranlagen  in  Verbindung  mit 
dem  Dionysosheiligtume  stehen    und  umgekehrt.  Wenn,    wie 


'  Athen.  Millli.  1)>80Ö.  illl;  Slepliaiii,  6'üm^)(e->e/a/u  1868  S.  146  IV.iWiii- 
ler,  IJlicr  ein  Vurbikl  luni  -  aUisclier  lieliols  (5U.  lieiliiu-r  ^^'i^u•kelnlanns- 
pruyiiuiiin)  ö.  114.  Eiia-ii  gloiclicii  iiiil  Krüclilou  lieilocklfii  Allar  /eittl  das 
Keliel'  aus  doiu  Asklf|iioiun  Athen.  .Mitlh.  1878  Tal.  IG.  X'gl.  liei.sch  in 
Paulj  -  Wissuwas  lical  -  Enc^clupadif  I  S.  1070. 


220  M.    VON   PROTT 

sich  als  wahrscheinlich  herausstellen  wird,  der  Bezirk  das 
A-if)vaiov,  der  Kelterplatz  ist, so  würde  sich  dies  aus  rein  prakti- 
schen Gründen  von  selbst  verstehen,  denn  zum  Keltern  und 
Wein  bereiten  o;ehört  Wasser.  Derartiges  scheint  Eustathios 
anzudeuten  in  der  vom  oivo;  Ilpäaveio;  handelnden  Stelle  durch 
die  Notiz  (zu  A  641  S.  671,  <>8):  Xt'yovTat  youv  uSara  c)cXY)pä 
xprvaiz  Tiva  a)T7rep  y.xi  oy-Spia  sv  ^ijcucivi  t£  '/.cni  'A6y)vr,  di 
ypr/Ttaa  ei?  oivov  auvaSovra  tw  TeOa^axTtoaevw.  Im  folgenden  er- 
klärt er  den  ins  Meer  fliehenden  Dion^'sos  als  den  otvo?  TeOa- 
XaTTWfxevo?.  äXXo.  toöto  [/.ev  st?  tÖ  TraXaiouaOai  otvov  y^pr,<7i[xov,  et? 
OS  Tr,v  sTzl  Tpa7r£(^y;;  /(,ai  ttotou  Trpo'js'vs^iv  sispoiov  oSwp  yp-oaröv. 
Siö  Nüp, cpat  fxuOsuovxai  xiövivoi  Aiovuaou  stvai  ou  [/.övov  al  xax' 
afXTTs'Xou;  Gswpoufxsvai  xai  staxa  axacp'jXä?  ....  ä'XXa  x,ai  al  xot; 
xaxä  y.  paatv  üypoi;  eTrirjTscxouaat,  wv  as'po;  s^^xiv  oü  xai  xa  X  i- 
[^.vaia.Und  dann  folgen  Exeerpte  aus  Phanodemos  undTheo- 
phrastos ,  die  vollständiger  bei  Athenaios  XI  465»  stehen. 
Phanodemos  giebt  als  Erklärung  des  Kultes  in  'Xiavat  die  Le- 
gende, dass  der  Dionysos  Limnaios  die  Mischung  von  Most 
und  Wasser  erfunden  habe,  und  schliesst  ebenso  wie  Theo- 
ph rastos  :  Sioxsp  övoaa'iOr/vai  xöc?  Tinriyä;  No[y, (pa;;  )cai  xi6'/iva<; 
xoö  Aiovucro'j.  Offenbar  hängt  damit  zusammen  die  wiederum  bei 
Theophrastos  und  ausserdem  bei  Pliilochoros  vorliegende  Über- 
lieferung vom  Dionysos  'Op66<;  und  Aaiawv  "Axpaxo;  (Athen. 
II  38c.  V  179e.  XV  693c):  Amphiktyon  '  lernte  von  Dfo- 
nysos  die  Mischung  des  Weines  mit  Wasser,  und  da  die  Men- 
schen seitdem  nicht  mehr  trunken  wurden  sondern  öpOoi  blie- 
ben, gründete  er  dem  Dionysos  'OpOo?  einen  Kult.  Zur  Erin- 
nerung aber  an  die  frühere  Zeit  wurde  die  gtcovSt;  a/.paxo?  des 
'Aya^oi  Aaiaojv  vor  dem  Symposion  eingeführt.  Die  V^erbindung 
dieses  alten  dionysischen  Dämon  mit  dem  Anthesterienkulte 
bezeugt  Plutarchos  aufy.x.  III,  7,1  S.  650«  und  VIII,  lö,3  S. 
735  c.  Der  Altar  des  Gottes  stand  im  lleiligtume  der  Hören, 
die   x6v  xrii  äfjLTCsXou  )capxov  6)txp£(pou(jiv  und   deren  enge  Ver- 


'  Unter  ihm  fand  die  Epiplianie  des  Gottes  in  Athen  Statt:  Euseb.  Chron, 
II  ö.  30;  vgl.  Paus.  I,  2,  4. 


ENNEAKRUNOS,  LENAION    UND   AIONTEION    EN  AIMNAIE  '221 

bindung  mit  Dionysos  bekannt  ist  ( besonders  Athen.  II  3ß(l); 

ttXyi'iiov  S'  a'jTO'j  x.ai  Tai?  N  ü  (;- cp  a  t  c  ßu>u.öv  £0£it;.£v  Ü7:ou.vr,L/.a  toi? 
Ypa)|j.£voi;  TT,?  /C  p  z  1  £  (0  ?  7i:oio»ju.£vo?'  K3C'.  yap  A'.ovüio'j  t  p  o  C[<  o  i  al 
N'j(y.9ai  >£yovTa'.  In  s()ätet'er  Zeit  (  Pbiloslr.  vila  Apoll.  I\', 
21  )  fanden  an  den  Anlliesterien  '  im  Tlieater  Aufliilirungen 
irgend  welcher  Art  von  Hören,  Nymphen  un(i  Bakclianlinnen 
ausgelührt  Statt.  Kaum  kann  man  zweifeln,  dass  in  jenen  Nach- 
richten der  Atthidographen  und  des  Theophrastos  eine  ge- 
schlossene Überlieferung  vorliegt,  welche  Legenden  über  den 
Anthesterienkult  enthielt.  Zu  schliessen  ist  daraus,  dass  die 
Kulte  des  Dionysos  'OpOo?,  des  Ay.iu.cov  "AxpaTo?,  der  Nymphen 
mit  dem  Dionysion  äv  Xiavat?  aufs  engste  zusammenhingen. 
Jene  Nymphen,  die  Pflegerinnen  des  Dionysos,  sind  die  Ny- 
sai,  welche  in  Athen  Kult  hatten  [C.  I.  A.  III  320  und  351  ) 
und  auf  die  Aristophanes  mit  dem  N'jct/iov  Atö?  Aiwvuaov  £v 
Xity.vat'jiv  anspielt.  An  der  Quelle  des  Pnyxabhangs  sind  un- 
zweifelhaft Nymphen  verehrt  und  von  der  Braut  mit  den  zpo- 
T£).£ia  bedacht  worden  2.  Ist  nicht  das  von  Akropolis,  Areopag, 
Pnyx  und  Museion  eingeschlossene,  dem  'Nymphenhügel  ' 
benachbarte  Thal,  das  von  den  Nymphen  der  uralten  Kallir- 
roe  bewässert  im  Schmucke  der  Blumen  des  Anthesteriengot- 
tes  prangt,  das  athenische  Nysa,  zu  dem  Köre  vom  Eleusinion 
oder  Thesmopliorion,(3reithyia  von  der  Akropolis  niederstei- 
gen um  Blumen  zu  pflücken  und  am  Areopag  entführt  wer- 
den^ ? 


<  Maass,  Orpheus  S.  84  f.  bezieht  die  Nachricht  von  den  'Aiovjdia'  auf 
die  kleinen  Mysterien  und  erwartet  den  Gegenbeweis.  Er  hätte  wol  unige- 
ivehrt  beweisen  dürfen,  dass  ein  [xuaxTipiov  im  Tlieater  vor  sich  gehen  und 
ein  Fremder,  der  zu  einem  Mvsterienfesle  geht,  im  Theater  musisciio  Auf- 
führungen erwarten  kann. 

'"ä  Hierauf  hat  mich  P.  Sticolli  aufmerksam  gemacht.  Vgl.  Plul.  ainat. 
narr.  1  8.772'',  Schol.  Find.  Pylh.  IV,  104.  Slicolti  wird  darauf  bei  anderer 
Gelegenheit  eingehen. 

3  Soviel  kann  schon  jetzt  als  gesichert  gelten,  dass  vor  dem  Burgfhore 
der  Mittelpunkt  lag,  um  dtMi  sieh  eine  Reihe  sehr  aller  alheiiischer  Kulte 
gruppirt  hat.  Unter  den  Funden  der  deutschen  Ausgrabungen  ist  leider 
nichts,  was  meine  Vermutungen  bestätigen  könnte.  Aber  sie  stammen  fast 
alle  aus  jüngerer  Zeit,  in  der  die  Gegend  gründlich  umgestaltet  war. 


H.    VON    PROTT 


Nach  alledem  kann  man  eigonllieh  nielit  mehr  zweifeln, 
dass  das  Dionysion  h  Xiavai?  wirklich  gefunden  ist.  Dadurch 
alxM'  ist  das  Problem  der  athenischen  Dionysoskulte  schwie- 
riger als  je  ii;eworden.  Ehe  ich  die  Foli^erim^en  für  Thiiky- 
dides  zu  ziehen  versuche,  muss  ich  hierauf  und  speziell  auf 
die  Feste  näiier  eingehen. 

Über  die  Anthesterien  und  grossen  Dionysien  sind  wir  aus 
der  Überlieferung  genugsam  unterrichtet.  Ungünstiger  gestellt 
sind  wir  für  die  Lenaien,  von  denen  zunächst  nur  sicher  ist, 
dass  sie  in  Athen  im  Gamelion,  in  Jonien  in  dem  entsprechen- 
den Monate,  dem  Lenaion  gefeiert  wurden.  Aber  durch  sorg- 
faltige Kombination  lassen  sich  doch  noch  eine  ganze  Reihe 
von  Thatsachen  feststellen.  Der  sicherste  Ausgangspunkt  ist 
der  Kalender  von  Mykonos*,  wo  es  Z.  15  ff.  heisst:  Avivaiö- 
vo;  Se/CtxTTii"  itzl  on^rii  itizko  x.xpTroO  A-ou.riTpt  uv  £vx.u[/-ova  xpco- 
TOTOXov,     Koprit   x,z7rpov    xeXeov,     Aii    Bo'jlei   y(_oipov.    -   -    -    svöe- 

[xJ(x)tY11"      ItcI     ToTaTcXfjOo?     SsjAsXTQt     iTTjTtOV     TOÖTO      EVaTSUETat. 

SucoS£)täT6i  Atovu'jwi  Avivst  STYiiTtov.  —  utc(£)  [p]  xa(p)7rwv  Aü  XGovi(j)l 
Fvii  XBoviYit  Sspra  y.i'ky.'^x  £Tir)(ii(a)"  ^e'vwi  ou  0£[j!,i(;*  öxivu'jOwv 
auToO.  Entsprechende  Opfer  finden  sich  in  dem  >.6yo:  exiTra- 
Töjv  'EXe-jcivöOsv^,  wo  in  der  sechsten,  Ende  Poseideon  oder 
Anfang  Gamelion  beginnenden  Prytanie  zwischen  einer  Aus- 
gabe für  die  llaloen  (im  Poseideon,  Z.  8)  und  einer  anderen 
für  die  Ghoen  (im  Anthesterion,  Z.  68)  verzeichnet  wird: 
£7rap"/'o  A-^a-orpt  /.ai  Kopr;'.  y.xl  IIXo'jtwv,  P.  iTciTrixai?  £7r'.>.7)va'.a 
£t;  A'.ov'jfTia  OüTa-.  AA.  Dass  dieses  zusammengehört  mit  dem 
Kalender  von  Mykonos,  dass  wir  hier  altjonischen  Lenaien- 
brauch  vor  uns  haben,  einen  Kult  des  Dionysos,  dem  nicht 
ein  Bock,  sondern  wie  im  chthonischen  Kult  sehr  üblich  ist, 
ein  Schaf  (iTr,«7'.ov)  geopfert  wird, eingerahmt  von  chthonischem 


'  Dittenbcrger,  5j///o(;i?373=i,ef/e.9  Gmec.  iarz-ae  4.  Mit  Unreclit  habe  icli  in 
meinern  Conirnentar  Rosclier  aijgcslrillen,  dass  die  Opfer  des  X.  zu  den 
Lenaien  gehören.  Den  Naclilrag  auf  S.  '\b,  den  Waclisniulli  (8.  'iO,;')  nicht 
ganz  veisliindlich  linchM,  nifichlt!  icli  durcl)  die  hier  gegebene,  hoH'enllieh 
etwas  klarer  ausgefaUene  Darstellung  erselzl  wissen. 

2  C.I.A.  II  add.  834  b,  II,  4ü. 


E.N'NEAKRUNOS,    LENAION    UND    ilONmON    EN   AIMNAIE  223 

Kult  ilei'  Unl(M  wells^ötlei'.lie^j;!  klar  zti  'ra^o.N'ei'miillicIi  j^eliöi  L 
in  diese  Reihe  auch  das  Opfer  für  die  It-ds  mit  den  eleusi- 
nischen  Gotlheilen  vcrhiiiiiletie,  teils  ihiieii  reiiidliche  Daira'. 
Da  um  (Jieseihe  Zeit  endlich  {nonis  lanuariis  Plin.  n.  h.  II. 
103)  das  Fest  in  Andros  t^efeiert  wird,  so  hat  L'sener,  Acta 
S.  Tiinollu'i  S.  2i  f.  mit  Hecht  geschlossen,  dass  die  Lenaien 
um  den  dionysischen  XII.  anzusetzen  seien,  wie  Antheslerien 
und  grosse  Üionysien. 

Wir  können  aher.  wie  ich  glauhe,  noch  weiter  kommen 
und  auch  die  Bezeichnungen  der  einzelnen  Festtage  wieder  ge- 
winnen. In  den  auf  Plutarchos  zurückgehenden  Erklärungen^ 
des  Lenaion  bei  llesiodos  "Epya  502  wird  unter  anderen  auch 

die  gegeben  :  r,  d-rrsiSri  Aiovutg)   sttoio'jv  sopT'/iv    TüJ   ar/vi   toütw   7)v 

'Afxßpoatav  sxzXo'jv.  Dies  ist  schon  deswegen  nicht  erfunden, 
weil  es  scheinbar  gar  keine  Etymologie  ist.  Denn  die  Be- 
hauptung. äaSpocia  bedeute  den  Göttertrank,  d.  h.  den  Wein, 
ist  unrichtig,  selbst  wenn  Plutarchos  sich  den  Namen  so 
erklärt  haben  sollte.  Vielmehr  ist  bekannt,  dass  aiA^poGtat 
häufig  vom  Honig,  der  Speise  der  Unterirdischen  gesagt  wird, 
und  überliefert,  dass  im  besonderen  so  eine  im  chthonisehen 
Kult  übliche  Gabe  bezeichnet  wurde,  durch  die  man  sich  die 
Gunst  des  Zeus  Ktesios  sichern  wollte'*.  Genau  dasselbe  wollen 
die  Athener  mit  ihrer  i7:3cp/7j,  die  Mykonier  mit  ihrem  Opfer 
ÜTcep  Kap-cüv,denn  der  Zeus  KTr.cio;  ist  nur  eine  Erscheinungs- 
form des  Zeus  XOovio?.  Man  darf  also  mit  ziemlicher  Wahr- 
scheinlichkeit  als    Bezeichnung   des   X.  Gamelion     'AaSpoiia 


*  Im  Gamelion  Lege^  Graec.  sacrac  '26,  B,  12,  vor  den  Lenaien  C.  I.A.  II 
741.  Über  Daira  vpl.  Rohde,  Psyche  S.  261,2;  TöptTer,  Attische  Genea- 
logie S.  95  f. 

2  Proklos,  Tzetzes,  Mo.schopulos  zu  der  Stelle;  Hesych.  ATjvatiüv ;  Et.  M. 
564,6;  Et.  Gud.  368,55. 

•*  Pau.saaias  hei  Euslatli.  zu  Z  176  S.  976,  1  x^opoilx  ^ho;  n  ajvOEJiuj;  If 
u8aTo;  ä/.pa'.?pvoC);  xal  (jlIXiio;  xai  eXaiou  na'^mapziai ;  Antiklt'idcs  liei  Athen.  XI 
473«  ä(j.6poaia  jotDp  izsaupvE:,  k'Xaiov,  nayxapTt-'a.  narnacli  war  die  au.6poaia 
wol  !Jh'op  «xpaitpve?  xal  [xi'ki  xa't  k'Xaiov  xal  r.ai-^x.apr.ia.  \  gl.  Koscher,  Nektar 
und  Ambrosia  Ö.  65  f. 


H.    VON    PROTT 


vorschla<];cn.  Zugleich  erklärt  sich  ans  dieser  Verhinduno;  von 
Dionvsos-  und  Demeterkull  die  liolle  welclie  der  Daduchos 
an  den  Lenaien  spielt  ( Scholien  zu  Arislophanes  Frösclien 
V.  479).  und  weshalh  die  Verwaltung  der  l.enaien  in  den 
Händen  nicht  nur  des  ßaTt'Xsuc.  sondern  auch  der  iTZK^iKnzxl 
jjLuTTripiwv  (Arist.    'A6y;v.  t.'A    57,   C.l.A.  II  741)  liegt. 

Ein  anderer  Tag  hiess  vielleicht  KVr,y.xTi:.  In  dem  Ephehen- 
monument  CIA.  II  482,31  wird  unter  den  Verdiensten  des 

Rosmeten    erwähnt    reO-JZ-Evat    jastÖ.   töjv  stp-ö^wv    xf,  ts  v.\r,\).ct.-.i%\. 

/cal  Tvi  TcoaTTvi  toü  'EXa9r,€oXiaivo;  und  dazu  hat  Michaelis  die 
schlagende  Parallele  nachgewiesen  bei  Plutarchos  de  cupid.  di- 
vil.  8:  r)  Tczxpioi;  twv  Atov'j'Jicov  eopxY)  xö  TrxXatov  sTcsaTCexo  öYiaoxi- 
kcü;  y.ai  IXapcö;,  äa9op£'j;  oi'vo'j  -/car  x.>.'/iaaxi?,  eixa  xpayov  xi;  elXxsv, 
<x)^.Xo?  iTvacSwv  appij(^ov  ■yix.oAO'jOci  x.oyi^^cov,  sttI  TCÄfji  öe  6  (paX'Xö«;. 
Hier  scheint  der  Tag  der  Lenaien-Pompe  gemeint  zu  sein,  an 
der  die  Epheben  sicherlich,  obwol  das  sonst  nicht  ausdrück- 
lich überliefert  ist,  beteiligt  gewesen  sind.  Denn  wegen  der 
Tuixpio?  £opx-^  möchte  ich  die  K\n\hy.Tic,  nicht  mit  dem  vorher 
erwähnten  Feste  des  Antonius  im  Anthesterion  in  Verbindung 
bringen'. 

Ein  dritter  Tag  hiess  höchst  wahrscheinlich  'lo^x/.ysia. 
Die  Gerairen  schwören  an  den  Anthesterien  (Neairarede  78): 
xä  Ösoivia  x.al  xa  'Io€ix.y£'.a  yspaipco  xo  Aiovu<tw  xaxa  xä  Tiraxpia 
y.al  ev  xoii;  xaO-/iKO'j'7'.  ypövot?.  Die  ösoivta  sind  als  ein  städti- 
sches Fest  zur  Zeit  der  ländlichen  Dionysien  im  Poseideon 
bezeugt^.  Also  schwören  die  Gerairen  offenbar  zwei,  vielleicht 
darf  man  sagen  die  beiden  voraufgegangenen  Dionysosfeste 
Kaxöc  xä  Tcxxpia  begangen  zu  haben.  Und  da  auf  Astypalaia 
der  Monat  'loSoot/io?,  in  dem  Aiov-j^ta  stattfinden,  dem  joni- 
schen Lenaion   entspricht^,   so  darf  man  vermuten,   dass  die 


'  Freilich  ist  möglicti,  dass  die  KXT)u.aT;;  ein  Festlag  (ter  grossen  Dio- 
nysien war,  aber  nacii  dem  gan/eii  Zusainnienliange  ist  dies  niclil  das 
wahrsclieinlicherc. 

2  Das  Material  bei  TöpfTer,  Attische  Genealogie  S.  12  und  105  f. 

3  li.Ü.n.  VIII  S.  -l^,  C.J.G.  II  24S4;  vgl.  Bisclioll',  De  faslis  ö.  376  ff. 


ENNEAKRUNOS,  LENAION    UND   AIONTLION    EK    AIMNAIE  '295 

athenischen  'lo^x/./s-.a  ein  Teil  der  Lenaien  sind.  Dass  sie 
auch  joniscli  waren,  verbüi't^en  die  iöSa/./oi  genannten  Rult- 
lieder  des  Archilochos '  und  der  erhaltene  Vers 

Ay)u,-/)Tpo?  a.yv^(;   jtai  Kopr,;  Tr,v  Travoyjpiv  Tsbcov 
kann  sich  auf  das  altjonische  Fest  der  chthonischen  Götter- 
trias atn  X.  Lenaion  bezichen.  Darnach  kann  man  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  folgendes  für  Athen  vermuten  : 
Gamelion      X-Xll      A'.ovöor-.a  tÖc  inriXTivaia. 

»  X  'Au.^poiix  ;    i-!:oi^'/jri  Ar,y.r)Tpi  x.xi  Köp-(i    y.xl 

ll>.OÜT(j)Vt. 

»  Xi  K'k'nu.xxiq  ;  ttou-ty). 

»  XII  ^lo^y.K'/v.oL. 

Von  der  Ikdeutung  des  Festes  lässt  sich  mit  Sicherheit 
zunächst  nur  sagen,  dass  es  kein  Kelterfest  ist.  Das  wäre 
lifcus  a  non  lucendo,  denn  im  Januar  und  Februar  wird 
nicht  gekeltert.  Das  Fest  heisst  oßiziell  AtovuTia  toc  ir.\\r,^v.\.% 
oder  xä  iizl  Ar,vatq)  'das  Dionysosiest  an  der  Kelter'  oder  'am 
Kelterplatz',  nicht  'das  kelterfest '2.  Daneben  freilich  kommt 
schon  früh  der  diese  umständliche  Ausdrucksweise  vermei- 
dende kurze  Name  Avivaia  auf^.  Mit  merkwürdiger  Zähigkeit 
aber  hat  sich  der  Begriff  etciV/ivio;  bis  in  die  spätesten  Zeiten 
des  Griechentums  erhaltend    Die  Alten  erklären  daher  zwar 


<  Hephaeslio  98  G^.,  Stcpli.  Byz.  Bc'/ap ;  vgl.  Proklos  l)oi  Pliot.  Bibl. 
320  b  31. 

2  Ebenso  in  Ephesos  Inscr.  Brit.  Mus.  III  602  b;  interessant  sind  dort  in 
Fragment  d  der  ßouxoXo;  und  die  ßaaaäpai. 

3  Aristopii.  Ach.  1055;  Athen.  IV  130d  .  V  217«  ;  C.I.A.U  1367,  III  1160; 
LG.  Sic.Ilal.  1097-98;  I.C.  Ins.  I  125  (wo  nur  Athen  gemeint  sein  kann)  u.s.w. 
Ari'vaia  ist  Substantiv,  sTctXrlvaia  Adjektiv;  niemals  heisst  das  Fest  Atovü^ia 
ÄTJvaia  und  niemals  '  ETuXrjvata  schlechthin  (  nur  Aiovüaia  sTz^XTJvaia).  Darin 
scheint  mir  das  ganze  Geheiraniss  des  Festnamens  (Wachsmulh  S.  45) 
enthalten  zu  sein.  Der  Darstellung  A.  Körtes  (Ithein.  Mus.  1897  S.  168  (T.) 
kann  ich  uiclil  beitreten.  Der  Name  des  Festes  soll  'liereits  im  IV.  Jahrhun- 
dert rormclhall  erstarrt  sein,  weil  es  damals  längst  nicht  mehr  Ul  Arivaiw 
geleiert  wurde'.  Selbstverständlich  ist  das  Fest  bis  in  die  späteste  Zeit  ej:i 
ATjva^ü)  gefeiert.  P'esl  und  Agon  ist  doch  nicht  dasselbe. 

*  0£oi  mXTjvaioi  Maximus  Tyrius  XXX,  4,5;  ImM'^it  Baxxs  Orph.  hymn- 
L,  1;  I:ciXt{viov  [xeXo;,   ujavo;,    op/^T-i  Athen.  V  199»  ,  Poll.   IV,  53  und  55, 


?26  H.   VON    PROTT 

den  Dionysos  Lenaios  als  Krfinder  der  Kelter  und  sein  Fest  x-ko 
t9)<;  ■XrvoO.aber  nie  als  eigentliches  Kelterf'est*.  Um  dieSeiiwie- 
riü;keit  zu  umgehen  versucht  es  Plutarchos  mit  der  ä[j(.€poatx, 
ja  sogar  mit  der  Wolle  (X'^vxta=i'pia).  weil  der  Monat  TrpoSxxo- 
Söpa;  sei.  Die  richtige  Ableitung  ist  natürlich  die  von  dem 
Stamme,  der  in  den  >f,vai,  den  Bakchantinnen,  zu  Tage  tritt, 
A-nvatl^ü)  hat  Herakleitos'^  synonym  mit  p-aivsaOxi  gebraucht.  Die 
Vorstellung  erklärt  sich  aus  dem  dionysischen  Schwärme. der 
umVVintersonnenwendesein  Wesen  treibt  (Usener,G(')tternamen 
S.  42  f.)-'.  Diese  Vorstellung  aber  ist  dem  jonischen  Stamme 
nicht  eigentümlich.  Denn  X-ovai  heissen  nach  Hesychios  die 
Bakchantinnen  bei  den  Arkadern,  bei  Theokritos  XXVI  die 
Töchter  des  Kadmos.  Der  Frauenname  Ari^x  ist  peloponnesisch 
(Hermes  1891  S.  148  f.).  Zum  Kelter- und  Weingott  konnte 
treilich  der  Xyiveu?  vielerorts  nicht  werden,  da  die  Kelter  do- 
risch Xavö;  heisst.Aber  Kult  kann  er  trotzdem  gehabt  iiaben, 
so  gut  wie  der  Anthesteriengott,  dessen  Fest  auf  Thera  ganz 
wie  in  Jonien  begangen  wurde. 

Die  schwierige  Frage  ist  nun:  waren  Dionysos  A-iovaio;  und 
Atij.vaio;  in  Athen  zwei  göttliche  Wesen  oder  eines,  oder  was 
dasselbe  ist :  waren  A/jvaiov  und  Dionysion  iv  >.tpai?  zwei 
Kultstätten  oder  dieselbe?  Natürlich  konnten  sehr  wol  die 
Lenaien  bei  dem  Tempel  gefeiert  werden,  während  der  abge- 
schlossene Teil  des  Bezirkes  unzugänglich  blieb.  Die  beiden 
Kultnamen  Avivatoc  und  Aiuivafo;,  so  verschieden  von  einander 
wie  Wasser  und  Wein,  können  zwar  leicht  dazu  veranlassen, 
beide  Kulte  scharf  zu  trennen.  Aber  auffallend  ist,  dass  die 
Etymologien  und  Legenden  der  Alten  den  Aiu.vato?  immer 
mit  dem  Wein   und  den  A-övato^  mit  der  Kelter  zusammen- 


[Anacr.]    57,8,  Longus  II,  36;   iml-^via  yaipeiv  Oppian,  Cyneg.  I,  127  (vgl. 
Tot  £7ti  XtjvoTj  axwji(AaTa  Loilgus  IV,  38,3). 

<  Proklos  zu  Hcs.  "Epya  502;  Diod.  III,  63.  IV.  5. 

2  Clem.  Alex.  pmtr.   S.  2U    (vgl.  S.  3)  P. ;  Plularclios,  De  Is.  et  0.s.  28 
S.  362      .   Vgl.  II(;sycliio.s  XrjVEtiouar  ßax/eüouaiv. 

3  Vortrefnicli  passt  dazu   die  Bezeichnung  des  Gottes  als  öoäv  Xrjvay^ta; 
Bax/äv  in  dem  halikarnassisclieu  Epigrainin  Inscr.  Uril.  Mus.  IV  'JÜ2. 


ENNEAKRUNOS,   LENAION    UND   AIONrEION    EN  MMNAIE  ??7 

brino;en.  Die  lob  ikchien  endlich  könnpn  natürlich  an  sich  auch 
bei  einem  Ijesonderen  'Io?x/.-/'.ov  gefeiert  worden  sein  :  aber  da 
sie  augenscheinlich  zu  den  beiden  anderen  Festen  sehr  en^e 
Beziehung  hal)en,  so  ist  es  sehr  möglich,  dass  sie  an  deren 
Kullslätten  stattfanden.  Waren  sie  ein  Teil  der  Lenaien,  so 
denkt  man  sie  sich  am  liebsten  im  Lenaion  gefeiert;  und  mag 
dies  der  Fall  gewesen  sein  oder  nicht,  ihre  enge  Beziehung 
zu  den  Anthesterien  zusammen  mit  der  Thatsache  des  lo- 
bakchenkultes  auf  dem  Grunde  des  Antbesterienheiligtumes 
legt  die  Annahme  sehr  nahe,  dass  sie  beim  Dionysion  iv 
Xip.vat<;  geleiert  wurden. 

Alles  dieses  leitet  darauf  hin,  den  Avivato?  und  A-.avaio;  für 
ganz  leiclite  Differenzirungen  derselben  göttlichen  Person  zu 
halten  oder  besser  vielleicht  eine  in  ^Vthen  durch  besondere 
unbekannte  Umstände  veranlasste  teilweise  Identificirung 
zweier  verschiedener  göttlichen  Wesen  anzunehmen.  Dann 
müsste  man  beider  Kultlokale  für  identisch  halten.  In  die- 
selbe Richtung  weisen  die  direkten  Zeugnisse.  Zwar  die 
Ilesychiosglosse  li^yv.i-  h  'AOr^vat;  [ai]  TOTCo:  ivgiaevo;  A'-ovo-rw 
oTTou  ra.  Ayjvxtx  /lysTo  ist  unsicher,  weil,  was  Niemand  bisher 
hervorgehoben  hat,  das  entscheidende  Wort,  der  Festname 
verdorben  ist.  Die  Handschrift  giebt  'Xaia,  was  zwar  sehr 
leicht  zu  )^(rjv)ata  geändert  werden  kann,  aber  vielleicht  mit 
mehr  Recht,  zumal  llesychios  auf  die  Thukydidesstelle  sich 
zu  beziehen  scheint,  zu  <('AvOe'7T7ip)'.a  ergänzt  werden  darf. 
Das  einzige  Zeugniss,  welches  den  Lenaios  mit  dem  Anthe- 
steriengotte  identificirt,  ist  das  Scholion  zu  den  Acharnern 
9fi1,  welches  aus  Apollodoros  die  Anthesterien  schildernd 
bemerkt:  öv  Si  ioovri  A-.ovjao'j  Ar,\xio'j.  Ist  es  auch  unsicher, 
wie  VVachsmuth  mit  Recht  bemerkt,  ob  dieser  Zusatz  von 
Apollodoros  oder  vom  Scholiasten  herrührt,  so  ist  dies  doch 
immer  eine  Überlieferung,  wenn  auch  nur  eine  Scholiaslen- 
überlieferung.  Und  unterstützt  wird  diese  durch  den  \'ei's  der 
llekale  A'.avxioj  Ss  '^opoTTxSa;  Y)yov  iopTi?  (fr.  *280  im  Schol. 
zu  den  Fröschen  "i  1  5).  Man  bezieht  diese  Stelle  fast  immer  auf 
die  Lenaien,  an  denen  natürlich  lange  vor  Einfuhrung  der  Ko- 


2?8 


H.    VON    PROTT 


mödie  dionysische  Kultgesänge  vorgetragen  wurden. Öhmiclien 
und  Waclismulli  aber  haben  mit  Recht  darauf  hingewiesen, 
dass  sie  sich  auch  auf  die  Antheslerien  beziehen  könne,  an 
denen  nach  Phanodemos  (Athen.  XI  465"  )*  Kultlieder  zum 
Preise  des  Gottes  gesungen  wurden.  Nur  scheint  mir,  muss 
man  beides  verbinden  und  beide  Feste  verstehen.  Denn  der 
Plural  eopTä;  lässt  sich  schwerlich  von  den  wiederkehrenden 
Feiern  eines  und  desselben  Festes  verstehen  und  es  sieht  fast 
so  aus,  als  ob  der  Alexandriner  den  Atthidographen  citire. 

Das  Ergebniss  der  Ausgrabungen  ist  für  die  Religion 
wichtig  genug.  Wenn  nicht  Alles  täuscht,  sind  das  Lenaion 
und  das  Dionysion  Iv  Xty.vat?  identisch,  nur  dass  tö  A7)vaiov 
speziell  das  Temenos,  den  xspißoXoc,  wie  die  Grammatiker  sa- 
gen, bezeichnet.  Schwierigkeiten  macht  das  weiter  nicht, 
denn  tö  toO  h  >.i[j.vaic  Aiov'jaou  ispöv  oder  AtovÖTiov  ist  kein 
Eigenname  sondern  heisst  'das  Heiligtum  des  Dionysos  in 
den  Sümpfen'.  Und  in  diesem  Bezirke  sind  zwei  Gottheiten, 
der  Avjvaio?  und  der  Aiu.vaio?  verehrt  worden,  deren  ursprüng- 
liche Verschiedenheit  man  nicht  bezweifeln  kann.  Wie  es 
gekommenist.  dass  in  Athen  diese  beiden  jonischen  Dionyse 
so  verschmolzen  sind,  entzieht  sich  unserer  Kenntniss.  Aber 
waren  dann — diese  Frao;e  drängt  sich  zum  Schluss  uns  wider 
Willen  auf — nicht  doch  auch  die  Feste  in  Athen  identisch, 
waren  nicht  die  Lenaia  nur  ein  Festtag  oder  Festakt  der 
Anthesterien  ? 

Ich  würde  auf  diese  Theorie  Dörpfelds  (vgl.  zuletzt  Theater 
S.  9),  die  mit  der  Überlieferung  nach  meiner  Meinung 
durchaus  unvereinbar  ist,  nicht  zurückkommen,  wenn  er 
nicht  auf  sie  durch  konsequente  Erklärung  des  Thukydides 
gekommen  wäre.  Die  Stelle  t6  Iv  ^ifjLvat?  Aiovocrou  (Upov),  w  xi 
äpyaiÖTEca  AiovoTia  tyI  ScoSe/täTri  Troteixai  iv  {/.y)vi  'AvÖETTYiptcJvi, 
bietet  allerdings  eine  grosse  Schwierigkeit.   Zwar  t^  SwSeKiTip 


'  Wo  man  niclit  gut  tliun  wird,   den   'Blumip:cn'  EuavO^;  diirdi   Con- 
jeklur  zu  cnlf(3rncn.  Vgl.  übrigen,s  Nounos  XXVII,  3üb  f. 


ENNßAKRÜNOS,  LENAION    UND    AION^EION   EN  AIMNAIE  229 

scheint  mir  keineswegs  interpolirt  und  unerklärlich ,  zumal 
es  niclit  an  'falscher'  sondern  an  hervorgehobener  Stelle 
steht:  'ann  zwölften  und  zwar  im  Anthesterion '  *.  Die  Kulte 
des  Dionysos  sind  sich  in  ganz  Griechenland  sehr  ähnlich  ge- 
wesen, aber  lokale  Unterschiede  hat  es  natürlich  auch  in 
ihnen  gegeben.  Zufällig  wissen  wir,  dass  in  Boiotien  das  Fest 
früher  im  Monat  stattfand  ( Plutarchos  S-jutt.  lil,  7,  1  S. 
655''  und  VIII,  10,3  S.  735«).  Wenn  nun  überall  im  joni- 
schen Gebiet  der  Haupttag  des  F'esles,  der  Upoc  yäfy-oc,  auf  den 
altheiligen  und  gerade  dem  Dionysos  heiligen  XII.  fiel,  so 
musste  diese  auffallende  Einheitlichkeit  des  Kultes  einem 
Griechen  in  der  That  den  Schluss  nahelegen,  das  Fest  sei 
von  einem  Punkte  aus  verbreitet  worden.  Jedenfalls  scheint 
mir  nur  der  zur  Tilgung  von  xri  SwSsxzt-/)  berechtigt  zu  sein, 
der  einen  abweichenden  jonischen  Kult  nachweisen  kann. 
Aber  wie  ist  äp/aiörepa  zu  erklären  ?  Aus  diesem  Comparativ 
hat  Dörpfeld  geschlossen,  dass  Thukydides  nur  zwei  Feste 
mit  einander  vergleiche,  die  grossen  Dionysien  und  die  An- 
thesterien,  dass  mithin  die  Lenaien  kein  selbständiges  drittes 
Fest  seien.  Man  musste  ihm  darin  unbedingt  folgen,  wenn 
nicht  ausser  der  von  mir  versuchten  Rekonstruktion  eine 
ganze  Reihe  anderer  Gründe  die  Lenaien  als  selbständiges 
Fest  im  Gamelion  neben  den  Anthesterien  erwiese.  Aber 
einen  Ausweg  sehe  ich  allerdings  nicht.  Völlig  sicher  ist, 
dass  Thukydides  als  Gegensatz  zu  dem  Dionysos  ev  Xiu.vat; 
den  Eleuthereus  denkt.  Auch  werden  ganz  mit  Recht  die 
vom  Archon  verwalteten  grossen  Dionysien  in  Gegensatz  zu 
den  Aiovo'Tta  der  Königszeit  gestellt.  Aber  nicht  nur  die  An- 
thesterien, auch  die  Lenaien  werden  vom  Könige  verwaltet. 
Trotzdo!n  wird  der  Comparativ  gebraucht,  als  ob  nur  zwei 
Feste  vorhanden  wären,  die  mit  einander  verglichen  werden 
könnten.  Und  sicherlich  hat  Thukydides  nicht  den  Superlativ 


*  Das  grammatische  Bedenken  hebt  doch  wol  die  Inschrift  Athen.  Mittii. 
1895  S.  'JÜU  SV  iü»i   'ApTefxtoitüt  jATjvl  £5öd[xai  latauevoü. 


230  H.    VON    PROTT 

äpj(^at6TaTa  gebraucht,  denn  wie  halte  er  behaupten  und 
entscheiden  können,  die  Anthesterien  seien  auch  älter  als  die 
Lenaien  ?  Der  Comparativ  würde  psychologisch  vielleicht  er- 
klärbar sein,  da  ja  von  zwei  (Jöllern  und  zwei  ileiliglümern 
die  Rede  ist,  wenn  nur  nicht  die  ganz  bestimmte  Angabe  x-^ 
S(oSs)txT7i  £v  y.rivl  'AvÖ£OTr,piü)vi  iolgte.  So  muss  man  denn  auch 
hier  einen  Mangel  von  Präzision  im  Ausdrucke  annehmen, wenn 
man  nicht  die  Frage  wirklich  tür  unentschieden  halten  will. 
Denn  das  einzige  Mittel,  welches  die  Schwierigkeit  beseitigen 
würde,  die  Conjektur  w  töc  äpyaiÖTspa  Aiovucta  xf,  S(oS£>cäT'yi 
TToisiTai  £v  {jL7]<^(jy>i  <^rap.7)Xid)vi  x,(xi^  'AvOsTTvipicjvi  wage  ich  nicht 
vorzuschlagen,  wenngleich  es  eigentlich  auiTällt,  weshalb 
nicht  auch  die  alten  und  allen  Joniern  gemeinsamen  Lenaien 
zum  Beweise  herangezogen  sind. 

überschauen  wir  zum  Schlüsse  die  Thukydides- Stelle,  so 
wird  iXiemand  behaupten  dürfen,  dass  Üörptelds  l^rklärung 
(Athen.  Mitth.  1895  S.  188  IT.)  philologisch  unmöglich  sei, 
und  Niemand  leugnen  können,  dass  sie  die  einzig  konsequente 
ist,  welche  allein  die  sachlichen  Schwierigkeiten  beseitigt. 
Den  sprachlichen  Ausdruck  allerdings  glaube  ich  im  Einzelnen 
anders  verstehen  zu  müssen.  Dörpleld  betont,  wie  mir  scheint, 
zu  sehr,  dass  in  der  Beweislührung  des  Thukydides  tö  7tp6? 
vÖTov  [jLäXicTa  TSTpa[/.[/.£vov  keine  Rolle  mehr  spiele  und  un- 
beachtet bleibe,  in  Folge  dessen  also  touto  t6  p.£poi;  z^c,  titoXeco; 
dasselbe  bezeichne,  was  vorher  durch  ti  axpÖTvoT^t«;  xai  t6 
ütt'  aÜTy)v  Tirpcx;  vötov  [xöcXidTa  T£Tpap.p.£vov  zusammengetässt  sei. 
Der  scharte  Gegensatz  von  aüxri  t)  ockpotcoXk;  und  toöto  to  p.£po; 
verlangt  nach  meinem  Gefühle,  dass  auch  im  Folgenden  die 
Zweiteilung  beibehalten  ist.  Darnach  kann  ich  unter  toGto  t6 
u.£po?  TTj^  7coX£(0(;  nlcht  'diesen  Teil  der  heutigen  Stadt,  diesen 
Stadtteil',  sondern  nur  'diesen  Teil  der  damaligen  Stadt', 
nämlich  tö  ÜTr'aÜTviv  -po;  VÖTOV  tv.ÄAtTTa  T£Tpa(xp.£vov  verstehen. 
Gemeint  ist  damit  das  Pelargikon  und  dieses  lag  zum  grössten 
Teile  südlich  der  Akropolis,  umfasste  aber  auch  den  VVestab- 
iiang  und  gritt  aut  den  iXordabhang  über.  Trotzdem  kann  jxot- 
XicTa  nicht  'hauptsächlich,  muxunam  partem'  beissen.  Es 


Enneakrünos,  lenaiox  und  ÄioNrrroN  en  mmnais  231 

bedeutet,  dass  die  durch  diesen  Zusatz  eingeschränkte  Angabe 
zwar  nicht  genau  zutrifft,  aber  der  Wirklichkeit  am  nächsten 
kommt.  'Das  Pelargikon  liegt,  um  sich  nicht  mit  zu  genauen 
Bestimmungen  aufzuhalten,  kurz  gesagt  südlich  der  Akro- 
polis'.  Sachlich  aber  wird  durch  diese  Kleinigkeiten  an  der 
neuen,  lückenlos  zusammenhängenden  Auslegung  des  Thu- 
kydides  nichts  geändert.  Und  so  wird  denn  wol  Jeder,  der 
sich  angesichts  der  dörpfeldschen  Ausgrabungen  die  ganze 
Sachlage  vorurteilsfrei  überlegt, mit  der  Zeit  zu  der  Überzeu- 
gung kommen,  dass  die  neue  Theorie  nicht  auf  Sand  gebaut 
ist  und  dass  wirklich  der  alte  Stadtbrunnen  und  t6  äpj^a-.oTa- 
Tov  Upöv  Tou  Aiovoaou  kolI  ayiwTaTov  iv  >.i(;,vai;  gefunden  sind. 

Athen,  Juni  1898. 

H.  VON  PROTT. 


■*i* •  iji  ■•>»■ 


EINIGE  VERGESSENE  AMPHORENHENKEL  AUS  RHODOS 

In  dem  Werk  der  Malers  Albert  Berg  über  'Die  Insel  Rho- 
dos' ( Braunscbweig  1862)  findet  sich  auf  S.  47-50  eine  Be- 
trachtung über  die  riiodischen  Ainphorenhonkel  mit  Stempeln, 
welche  sehr  mit  Unrecht  von  den  späteren  Forschern,  darunter 
leider  auch  dem  Schreiber  dieser  Zeilen,  übersehen  ist.  Dort 
sind  zunächst  je  zwei  zusammen  gehörige  Henkelpare  abge- 
bildet, die  mit  einander  verbunden  gewesen  sein  sollen,  wenn 
sie  auch  in  der  Abbildung  getrennt  erscheinen.  Es  sind  dies: 

1.  a.  (Rose)  EPI0IAANIOY  b.   AFPIAMOY    (so) 

ArAOOKAEYZ 

Helioskopf 

2.  a.   EPIArEMAXoY      „^ch    rechts,     ^-    API^TaHO^ 

OE€MoCl)OPIOY  hesoiidors 

eineednickt. 


Schuchhardt,  Inschriften  von  Pergamon  II  S.  426  zählt 
sechs  ganze  Amphoren  ,  von  denen  fünf  die  drei  erforder- 
lichen Angaben  (Priester,  Monat,  Fabrikant)  auf  beide  Henkel 
verteilt,  eine  wol  versehentlich  Priester  und  Monat  auf  beiden 
Henkeln,  den  Fabrikanten  gar  nicht  nennt.  Dazu  kommt  eine 
ganz  erhaltene  Amphora  aus  Kition,  die  Perdrizet  B.  C.  H. 
1896  S.  357  mitteilt  [n.  ird  'ApxTO'^aveu?  nA''-|MOY,  was 
doch  trotz  der  scheinbaren  Schwierigkeit  llavau-oi»  sein  muss, 
b.  'ApETo/,>ei;?),  eine  dieCesnola,  Cyprua  S.  vM6  (Taf.  40,  4-6; 
S.  185  der  deutschen  Ausgabe)  abbildet  {a.  i~\  Zsvocpävxou 
'ApTaaiT'j,  b.  'lTC7ro)tpaT£i)(;)  sowie  BUS  Raibel  «/.  G.  S.  1.  2393, 
1  -  9  sieben  weitere  Exemplare  aus  Sicilien  * ;  ferner  wird  der 


<  Nr.  5.7  Kail)cl  =  Nr.  2.  1  Scliucliliardl.  N('licnl)ei  hiess  der  Priester  bei 
Kuibel  Nr.  8  walirsclieiiiliclier  t)[£]uStopou  als  [lluOojSoipou. 


EINIGE    VERGESSENE    AMPHORENHENKEL   AUS    RHODOS  233 

nächste  (III)  Band  der  /.  G.  Ins.  eine  ganze  Amphora  aus 
Syme  (Nr.  27  a.  ett'  [epea);  pHpayopa,  b.  [X'apiTojvo;),  drei  aus 
Telos  (Nr.  83  a.  ir.l  'Ap{Ao[TJi[X]a,  b.  Dpoö'JfAou.  'Ap-raaiTio'j.  Nr. 

84  a.  iTzi  ispscoi; [^.eu?  (?).    b.  'Extyovou.  ©ECj^.ocpopio'j.   Nr. 

85  a.  ird  2(oSay.ou.  Aa>.iou.  b.  Sto/.paTs-j?.  (J).  [oder  Fackel?])  und 
eine  ausNisyros  (Nr.  166  a.  etcI  SwSxaou.  ÖsTfy.ocpopio'j.  b.  A-.o'j) 
enthalten.  Das  ergäbe  also  schon  22  ganze  Amphoren;  ver- 
mutlich giebt  es  deren  noch  erheblich  mehr'.  Für  die  Chrono- 
logie lassen  sich  daraus  schon  einige  Folgerungen  ziehen.  So 
werden  die  Priester  'I'iXäv.o:  (I3erg)  und  ['Ayi^^TpaTOi;  (Kaibel), 
die  beide  mit  dem  Fabrikanten  'AyaOo/.)^f,;  vereint  vorkommen, 
ferner  'lepojv,  Sevocpavn?  (Schuchhardt)  und  SwSajjio?  (Telos), 
die  mit  SdJx.pxT-io;,  ferner  Ilau^avia?  und  TtjAoöppoSo^  (Kaibel), 
die  mit  "l(>.a(:)  zusammenstehen,  auch  zeitlich  zusammen  ge- 
hören ;  umgekehrt  sehen  wir,  dass  im  Jahre  des  HcbSaao:  die 
Fabrikanten  Aio?  (Nisyros)  und  2o)ytpaTyi<;  (Telos)  gleichzeitig 
thätig  waren.  Bei  Zunahme  des  Materials  wird  man  hier  sicher 
noch  weiter  kommen. 

Noch  interessanter  ist  der  bei  BergS.  47  abgebildete  Stempel 

EPIMOAPArOPA  67ci  MoXTrayopa. 

PANAMOYAAEZANAPOY  IlavapLou.  'A7.6;ocvSpou. 

(Der  Henkel  trägt  an  der  rechtwinkligen  Umbiegung  noch  die 
Blüte  als  Nebenstempel). 

Hier  ist  nach  Priester  und  Monat  der  Fabrikant  genannt; 
also  sind  alle  drei  erforderlichen  Angaben  auf  einem  Stempel 
vereinigt.  Der  andere  Stempel  konnte  also  nur  entweder  leer 
sein  oder  eine  Wiederholung  enthalten.  Es  ist  völlig  ausge- 


*  So  erwähnt  Schuchhardt  a.  a.  0.  S.  425  eine  Amphora  aus  Vulcia  nii^ 
den  Angaben:  "AvTifxa/o;.  ir,\  'A0avo8d-:ou.  Ba8po|jt(ou\die  wir  ja  allenfalls  auf 
die  beiden  Henkel  verleill  denken  dürfen.  Nun  ist  bei  Kaibel  Nr.  23'J3,  7 
doch  zu  ergänzen:  a.  £[7ii]  rip[aTo?pav£Ji].  llavaij.oj,  b.  'Av[Ti[xi/]oj,  wo  A  für 
X  verlesen  isl,  wie  Nr.  '.'393,78  ANTAA  für  ANTIM,\\oniil  der  sonst  nicht 
bezeugte  Name 'AvxäXXou  beseitigt  sein  würde.  Damit  sind  also  Alhauodoros 
und  Pratophanes  zusammengerückt. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXIU.  16 


534  EINIGE   VERGESSENß   AMPHORENrfENKEL  AUS  RttODÖS 

schlössen,  dass  'AXs^avSpou  der  Vater  des  MoXTrayopac  sei,  von 
dem  er  durch  den  Monat  getrennt  ist.  Damit  wird  es  auch 
für  zwei  andere  Fälle  aus  Rhodos,  nämlich  /.  G.  Ins.  1  Nr. 
1175  iTzl  S£vo93cv6('j<;).  ropY[t](i)vo<;  Flavauo-j  und  Nr.  1209  sttI 
$avia.  ScoSxaou.  AfaJXto-j,  WO  die  Wortstelluncr  nicht  entschei- 
det, im  hohen  Grade  wahrscheinlich,  dass  ich  mit  der  An- 
nahme einer  Vereinigung  von  Eponym,  Monat  und  Fabrikant 
auf  je  einem  Stempel  gegen  Schuchhardt  Recht  behalte,  wel- 
cher in  den  Inschriften  von  Pergamon  S.  4  25  ff.  in  dem  zwei- 
ten Namen  den  Vater  des  Eponymen  sah.  Die  von  Schuchhardt 
als  zweideutig  beanstandete  Folge  von  Eponym  und  Fabrikant 
im  Genetiv  würde  dann  nichts  auf  sich  haben,  wenn  eben  auf 
diesen  kurzen  Stempeln  die  Zufügung  des  Vatersnamens  ein 
durchaus  nicht  in  Betracht  kommender,  der  Sitte  widerspre- 
chender Fall  war. 

Es  Hesse  sich  noch  manches  sagen  ;  aber  diese  Bemerkun- 
gen sollen  nur  Anreo;un2;en  für  den  künftio;en  Sammler  der 
Amphoren- Stempel  sein.  Eine  solche  Sammlung  ist  ein  drin- 
gendes Bedürfniss  der  Wissenschaft.  Sie  würde  natürlich  bei 
der  Masse  des  Materials  lückenhaft  sein  und  von  Zeit  zu  Zeit 
durch  Nachträge  ergänzt  werden  müssen,  aber  erst  wenn  sie 
vorliegt  wird  man  manche  Fragen  endgiltig  erledigen  können, 
darunter  auch  die, ob  sich  mit  der  Willkür  der  Stempelung  auf 
der  einen  Seite,  der  die  im  Wesentlichen  doch  wieder  ge- 
sicherte Regelmässigkeit  auf  der  anderen  Seite  entgegensteht, 
die  auch  in  der  tretilichen  Rezension  von  Bruno  Keil  (Berli- 
ner phil.  Wochenschrilt  1896  S.  1611  ff.)  vertretene  Annahme 
eines  Monopols  halten  lässt  oder  nicht. 

Berlin,  März  1898. 

F.  IIILLER  VON  GAERTIIINGEN. 


.<»^fr»5^^flK>^ 


SCHIEDSGERICHT  ZWISCHEN  POSEIDON  UND  ATHENE 

Zu  den  Monumenten,  auf  denen  die  athenische  Sage  vom 
Schiedsgericht  zwischen  Poseidon  und  Athene  dargestellt  ist, 
lässt  sich  eine  kleine  Reihe  von  römischen  Bronze-Medaillons 
hinzufügen.  Das  beste,  geprägt  unter  Antoninus  Pius.  ist 
publicirt  bei  Grüber,  Roman  Medaillons  in  the  Brit.  Mus. 
Taf.  10,  3  S.  9,  12  und  bei  Fröhner,  Les  Medaillons  de 
l'emp.  rom.  S.  69;  ebendort  S.  68  noch  ein  weiteres  Exem- 
plar aus  der  Regierungszeit  des  Antoninus  und  S.  81  eins  mit 
dem  Brustbild  des  Marc  Aurel  als  Caesar  auf  dem  Avers. 

Rechts  sitzt  auf  einem  Felsen  Poseidon  nach  links  gewendet. 
Ein  Himation  bedeckt  Beine  und  Rücken.  Die  Linke  ruht 
im  Schosse,  die  Rechte  hält  den  Dreizack  oben  gefasst.  Links 
von  ihm  wird  zum  Teil  ein  Tisch  sichtbar,  der  im  Übrigen 
von  den  Beinen  des  Gottes  verdeckt  wird,  auf  dem  Tisch  eine 
Amphore.  Links  sehen  wir  Athene  stehen,  nach  rechts  ge- 
wendet. Sie  hält  mit  der  Linken  die  Lanze  gefasst  und  stützt 
die  Rechte  in  die  Seile  oder  auf  den  Schild,  der  links  teil- 
weise sichtbar  wird;  in  seiner  Höhlung  die  Schlange.  Auf  dem 
besten  Exemplar  wird  nun  hinter  Tisch  und  Amphore  eine 
weibliche  Figur  sichtbar.  Sie  ist  damit  beschäftigt,  irgend 
etwas  mit  der  Rechten  in  das  Gefäss  zu  legen,  während  sie  dies 
mit  der  andern  Hand  zu  halten  scheint,  ihr  Gesicht  wendet 
sich  Athene  zu;  über  ihr  wird  ein  Bogen  sichtbar. 

Es  ist  klar,  dass  diese  Figur  zu  der  ursprünglichen  Com- 
position  gehört  haben  muss.  Ohne  sie  ist  die  Gruppe  der  zwei 
Gottheiten  an  dem  Tisch  unverständlich.  Die  geringeren  Exem- 
plare geben  nur  einen  Auszug  aus  der  Gesamt- Composition. 

Fröhner  hat  aus  dem  Tisch,  der  Amphore  und  der  Hand- 
lung der  Millelügur  richtig  erkannt,  dass  es  sich  um  eine  Ab- 
stimmung handelt.  Er  bezieht  aber —  etwas  unklar  bleibt  es, 
wie  er  es  im  Einzelnen  meint  —  die  Darstellung  auf  die  Ein- 


236  W.   AMELUNÖ 

richtung  des  Areopag,   bei  der  Poseidon  nichts  zu  thun  hat. 

Die  Thalsache,  dass  es  sich  um  eine  Abstimmung  handelt, 
und  die  Anwesenheit  eben  der  beiden  genannten  Gottheiten 
lässt  viehneiir  nur  eine  Deutung  zu:  dargestellt  ist  das  Schieds- 
gericht zwischen  Poseidon  und  Athene  über  den  Besitz  des 
attischen  Landes,  das  Schiedsgericht ,  das  sich  nach  einigen 
Quellen  mittels  regelrechter  Abstimmung  vollzog. 

Soll  ein  derartiger  Act  dargestellt  werden,  so  wird  am  be- 
sten der  Moment  gewählt  werden,  in  dem  die  entscheidende 
Stimme  abgegeben  wird,  denn  dieser  allein  kann  den  Be- 
schauer innerlich  erregen  und  dem  Künstler  interessante  Mo- 
tive bieten.  So  ist  es  z.  B.  in  einer  Darstellung  des  Urteils 
über  Orestes  geschehen,  das  uns  weiterhin  noch  beschäfti- 
gen wird  (Michaelis,  Das  corsinische  Silbergefäss):  der  Künst- 
ler hat  den  Moment  gewählt,  in  dem  Athene  ihren  Stimm- 
stein abgiebt.  Diesen  bedeutsamen  Moment  werden  wir  also 
auch  hier  vermuten.  Wer  aber  ist  dann  die  weibliche  Figur, 
die  den  entscheidenden  Stimmstein  in  die  Urne  thut  und  da- 
bei ihr  Gesicht  der  Göttin  zuwendet? 

Die  Antwort  darauf  giebt  uns  eine  Version  unserer  Sage, 
die  uns  durch  Varro  überliefert  ist.  Dort  heisst  es  von  Ke- 
krops:  cives  omnes  lUriusque  sexiis  ad  ferenduni  suffra- 
giuni  convocavit.  Consulta  igitur  multitiidine  niares  pro 
Neptuno,  feminae  pro  Minerva  tulere  sententias  et,  qiiia 
una  plus  inventa  est  feniinarum,  Minerva  vicit  (Augustin, 
De  civitate  dei  XVlil,  9.  Auch  im  Scholion  zu  Aristides  Pan- 
athen.  S.  106,11  ist  von  der  Ausschlag  gebenden  Beteiligung 
der  Frauen  an  der  Abstimmung  die  Rede)*.  Ohne  Zweifel  ist 
die  weibliche  Figur  auf  unserem  Medaillon  eine  Vertreterin 
der  weiblichen  Bewohner  Athens,  die  mit  ihrer  einen  Stimme 
Mehrheit  die  Entscheidung  gebracht  haben.  Die  Wendung 
ihres  Gesichtes  aber  sagt  dem  Beschauer,  für  wen  sie  im  Be- 
gritT  steht  zu  stimmen. 


*  Sielie  die  Zusiiinineiistollung  siinUlicIier  Quellen  bei  Stephani,  Campte- 
rendu  1872  Ö.  64  11. 


SCHIEDSGERICHT   ZWISCHEN   POSEIDON    UND   ATHENE  237 

Daneben  könnte  nur  noch  eine  Deutung  in  Frage  kommen 
nämlich  die  auf  Iris,  welche  dargestellt  wäre  im  BegritT,  die 
Urne  umzustürzen,  um  die  Stimmen  zu  zählen.  Der  Bogen 
über  ihr  müssle  dann  für  eine  Andeutung  des  Regenbogens 
gehalten  werden.  Doch  wird  Iris  durch  diesen  nie  in  der 
Kunst  bezeichnet  ( Roschers  Lexikon  II  S.  339),  während  das 
Attribut,  das  ihr  sonst  nie  fehlt,  hier  unterdrückt  wäre,  näm- 
lich die  Flügel.  Auch  wäre  es  dem  Verfertiger  des  Stempels 
leicht  gewesen,  durch  eine  Neigung  der  Urne  anzudeuten, 
dass  sie  entleert  werden  soll,  wie  es  auf  zwei  Reliefs  geschehen 
ist,  die  uns  nachher  beschäftigen  werden.  Die  Handlung  der 
Figur  auf  dem  Medaillon  kann,  wie  sie  dargestellt  ist,  nur  so 
verstanden  werden,  dass  etwas  in  die  Urne  gelegt  wird,  und  so 
ist  sie  denn  bisher  auch  allo;emein  verstanden  worden.  Ma^r 
man  aber  diese  oder  die  andere  Deutung  für  die  Alittelfigur 
annehmen,  so  kann  es  doch  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  das 
Ganze  das  Schiedsgericht  zwischen  Poseidon  und  Athene  dar- 
stellen soll. 

Die  Composition  gewinnt  bei  unserer  Erklärung  ein  eio;enes 
Leben  und  Interesse,  und  ihre  Erfinduns;  ist  keineswegs  un- 
bedeutend.  Doch  scheint  es  mir  sicher,  dass  sie  nicht  für  den 
kleinen  Raum  des  Münz- Rundes  gemacht  ist.  Das  Reizvolle, 
das  sie  zweifelsohne  besitzt,  konnte  erst  bei  einer  Ausfüiirung 
in  grösserem  Masstabe  in  Relief  oder  Bild  zur  Gellung  kom- 
men, wobei  dann  sicher  ein  weiterer  Chor  von  Zuschauern, 
göttlichen  und  menschlichen,  durch  seine  Teilnahme  an  dem 
momentanen  Freigniss  dessen  Wichtigkeit  noch  bedeutender 
erscheinen  Hess. 

Es  ist  sicher,  dass  sich  manche  der  Darstellungen  auf  den 
Medaillons  auf  grössere  Bildwerke  zurückführen  lassen.  Einige 
Beispiele  mögen  genügen.  Für  Statuen  sei  verwiesen  auf  Grü- 
ber Taf.  6  =  Fröhner  S.  33,  wo  ein  bekannter  Asklepios- Ty- 
pus dargestelt  ist  (vgl.  Amelung,  Führer  durch  die  Antiken 
in  Florenz  Nr.  94);  auf  dem  Medaillon  Grüber  Taf.  S.  1  ist 
ein  Apollon  im  langen  wehenden  Gewände  dargestellt,  wie  er 
sich  statuarisch  im  Brarcio  niiovo  des  Valican  (  unpublicirt) 


^38  W.   AMELUNG 

findot ;  auf  einem  der  antoninischen  Stücke  (Fröhner  S.  57) 
ist  eine  auch  sonst  mehrfach  wiederliolte  Statue  des  Hercules 
nacligebildet  (vgl.  Petersen,  Rom.  Mitth.  1889  S.  33^  ff.). 

Eine  Gomposition,  die  wir  auf  zwei  Exemplaren  des  Marc 
Aurel  und  des  Commodus  sehen  (Fröhner  S.  88=:Grüber  Taf. 
"20, 1  und  Fröhner  S.  11 5)  und  die  ein  junges  Mädchen  darstellt, 
wie  sie  die  Schlange  der  Hygieia  füttert,  finden  wir  auf  einem 
Relief  des  capitolinischen  Museums  wieder  [Nuova  descri- 
zioneNr.  111).  Eine  besondere  Arbeit  Sievekings  über  dieses 
Relief  steht  zu  erwarten. 

Eine  eigene  Stellung  nimmt  ein  Medaillon  des  Marc  Aurel 
(Grüber  Taf.  "20,  2;  Fröhner  S.  89)  ein,  auf  dem  zu  den 
Seiten  eines  Altares,  über  dem  sich  eine  Schlange  ringelt, 
rechts  Athene,  links  Nike  steht.  Die  Gomposition  ist  hergenom- 
men aus  einer  anderen  grösseren,  der  schon  erwähnten  Dar- 
stellung des  Urteils  über  Orest,  die  am  vollständigsten  in  den 
Reliefs  des  corsinischen  Silbergefässes  erhalten  ist  (Michaelis 
a.  a.  0.;  Robert,  Die  antiken  Sarkophagreliefs  II  S  171  ff. 
Taf  55  f.),  nur  ist  aus  dem  Tische  mit  der  Urne  der  Altar 
mit  der  Schlange  ,  aus  der  Erinys  durch  Verlängerung  der 
Gewandung  und  durch  Zufügung  der  Flügel  eine  Nike  ge- 
worden. Wir  bemerken  also  hier  bei  den  Bildnern  der  Medail- 
lons eine  Arbeitsweise,  wie  man  sie  bisher  nur  den  sog;,  neu- 
attischen  Kreisen  zuzuschreiben  pflegte.  Zugleich  wird  auch 
hierdurch  ihre  Abhängigkeit  von  der  grossen  Monumental - 
Tradition  erwiesen. 

Auf  ein  Werk  der  grossen  Kunst ,  auf  eine  Gruppe  der 
Athene  und  des  Poseidon  auf  der  Akropolis  zu  Athen  (Paus. 
1,  24,3),  ist  auch  die  Gomposition  eines  Medaillons  des  Ila- 
drian  bezogen  worden  (Stephani,  Compte  -  rcndii  1872  S. 
131  ff.;  Robert,  Athen.  Mitth.  188":  S.53ff.;  Imhoof- Blumer 
und  P.  Gardner,  Numisni.  commentart/  oti  Pausanias  S. 
131  Taf.  Z,  15).  Wir  kommen  hiermit  zugleich  auf  unser 
Anfangstliema  zurück,  denn  von  Robert  ist  a.a.  O.  auch  diese 
Darstellung  auf  das  Schiedsgericht  zwischen  den  beiden  Gott- 
heiten gedeutet  worden. 


SCHIEDSGERICHT  ZWISGHE.V   POSEIDON   UND   ATHENE  239 

Bis  auf  geringe  Abweichungen  in  Einzelheiten  unverändert 
kehrt  die  Composition  auf  geschnittenen  Steinen  wieder,  die 
wahrscheinlich  auch  aus  der  Zeit  des  Hadrian  oder  aus  noch 
späteren  Epochen  stammen  (Stephan!  a.  a.  0.  S.  136  ff.  und 
2  21  ff.;  Robert a.  a.  0.  S.  54,  D-F\  Babelon,  Le  Cabinet  des 
ant.  de  la  bibl.  nation.  Taf.  26).  Auf  einer  attischen  Bronze- 
münze (Robert  C\  imhoof- Blumer  a.  a.  0.  Taf.  Z,  17)  sind 
die  Seiten  vertauscht  und  die  Erhaltung  ist  so  schlecht,  dass 
man  Einzelheiten,  wenigstens  an  der  Figur  der  Athene,  nicht 
mehr  erkennen  kann  Endlich  ist  die  Gruppe  wiederholt  auf 
einer  Silberschnalle  aus  Ilerculaneum  (Robert -4);  doch  ist 
hier  für  die  Göttin  ein  anderer  Typus  gewählt  ^ 

Offenbar  in  Anlehnung  an  eine  Composition,  wie  die  des 
hadrianischen  Medaillons  sind  nun  auch  die  beiden  Reliefs 
gearbeitet  worden,  die  Robert  a.  a.  0.  Taf.  1,2  und  2  publi- 
cirt  und  mit  vollem  Recht  auf  das  Schiedsgericht  zwischen 
Athene  und  Poseidon  gedeutet  hat.  Die  Einwände,  die  Sauer 
(Aus  der  Anomia  S.  96  f.)  dagegen  macht,  sind  angesichts  der 
späten  und  schlechten  Arbeit  der  Reliefs  gegenstandslos,  und 
seine  eigne  Deutung  auf  das  Schiedsgericht  zwischen  Asia  und 


<  Der  Typus,  den  wir  auf  dem  Medaillon  und  den  geschnittenen  Steinen 
sehen — er  ist  kenntlich  an  dem  auf  der  rechten  Schuller  gespangten  Mantel 
und  der  in  die  Hüfte  gestützten  Linken — ,  ist  bei  den  Verfertigern  der  Me- 
daillon-Stempel besonders  beliebt  gewesen.  Er  findet  sich  wieder:  1.  Grü- 
ber Taf.  17,  3  S.  12  Nr.  ü,  M.  der  Fauslina  d.  'X.  (Athene  und  Hephäst)  ; 
2.  Fröhner  S.  G5,  M.  des  Anloninus  Pius  (die  gleiche  Composition);  3.  auf 
der  oben  erwähnten  Darstellung  der  Athene  mit  Nike,  die,  wie  wir  sahen, 
von  der  grösseren  des  Gerichtes  über  Orest  hergenommen  ist ;  4.  Fröhner 
S.  81,  M.  des  Marc  Aurel  Caesar  (Athene  und  Argos)  mit  der  einzigen 
Änderung,  dass  die  Linke  sieh  auf  den  grossen  Schild  stützt;  5.  Diese  letzte 
Fassung  des  Tvpus  ist  in  Umki-hrung  wiedeiholl  auf  den  zu  Anfang  be- 
sprochenen Medaillons.  Auch  auf  grösseren  Monumenten  limlen  wir  den 
gleichen  Typus  wieder;  so  auf  dem  capitolinischen  Prometheus-Sarkophag 
(Baumeister,  Denkmäler,  Abb.  \l^^%)  und  dann,  wie  gesagt,  auf  dem  eor- 
sinischeii  Silbergefäss  und  den  Reliefs,  welche  die  Hauiitgruppe  seiner 
Composition  wiedergeben.  Es  liegt  hier  augenscheinlich  überall  derselbe 
Typus  der  Athene  Ergane  zu  Grund<',  und  vielleicht  ist  uns  in  den  Reliefs 
jenes  Gelasses  ein  Teil  der  Darslellung  erhalten,  deieu  Kinisller  dioeii 
Typus  geschallen  hat. 


•24U  W.    AMELUNG 

Hellas  fällt  zugleich  mit  der,  die  er  dem  Ostfriese  des  Nike- 
tempels gegeben  hat '.  Bedenklich  scheint  es  mir  jedoch,  nun 
mit  Robert  diese  Deutung  der  Reliefs  auf  das  Medaillon,  die 
Gemmen  und  die  Schnalle  zu  übertragen. 

Auf  den  Reliefs  stehen  die  beiden  Gottheiten  ungefähr  in 
dem  Typus  des  Medaillons  und  der  Gemmen  rechts  und  links 
von  einem  Tisch,  hinter  dem  Nike  — so  wird  sie  zweifelsohne 
mit  Recht  genannt  —  damit  beschäftigt  ist,  die  Stimmurne 
auszuleeren.  Ich  sage:  ungefähr  in  dem  Typus  des  Medail- 
lons, denn  so  genau  ist  die  Übereinstimmung  thatsächlich 
nicht,  dass  man  ohne  weiteres  gezwungen  wäre,  die  Ab- 
hängigkeit all  dieser  Monumente  von  einem  gemeinsamen  Ori- 
ginal anzuerkennen.  Zudem  ist  die  Composition  des  Medail- 
lons an  und  für  sich,  als  Zusammenstellung  von  zwei  der  be- 
deutendsten attischen  Gottheiten  2,  vollkommen  verständlich. 
Nehmen  wir  aber  auch  mit  Robert  an,  dass  diese  Compo- 
sition nur  ein  Auszug  aus  einer  anderen  sei  ,  die  uns  die 
beiden  Reliefs  vollkommener  erhalten  hätten,  so  müssen  wir 
Sauer  doch  Recht  geben,  wenn  er  (Anfänge  der  statuarischen 
Gruppe  Anm.  233)  auf  die  Unwahrscheinlichkeit  der  Vor- 
aussetzung hinweist,  dass  diese  Original  -  Darstellung  eine 
Gruppe  gewesen  sei  ^. 

Vollends  scheint  mir  die  Annahme  Roberts ,  dass  diese 
Gruppe  mit  der  von  Pausanias  (1,  24,3)  erwähnten  identisch 
sei,  ganz  unhaltbar.  Mit  den  Worten  des  Pausanias  {ize^Koiri-- 
Tai  Se  )tal  xö  «puxöv  xv);  i'kocix<;  'ABrivä  xai  x.ij[7-a  ävoccpaivwv  Iloaei- 
Söiv)  ist  dagegen  die  Composition,  wie  sie  sich  auf  einer  Reihe 
athenischer  Münzen  findet,   wol  vereinbar  ( Robert  a.  a.  0. 


*  Siehe  die  entscheidenden  Einwände  bei  Furtwängler,  Meisterwerke 
S.  217. 

2  Man  denke  an  die  zweite  Strophe  und  Gegenslrophe  im  ersten  Chor 
des  Oedipus  auf  Kolonos. 

3  Apolion  und  Dionysos  sind  auf  der  späten  Gemme  hei  Stepliani  S.  221 
wol  nur  hinzugcstellt,  um  den  Raum  angemessen  zu  füllen.  Rechnet  mau 
sie  aber  zur  Original-Composition,  so  wird  die  Vermutung,  dass  diese  eine 
Gruppe  gewesen  sei,  nur  unwahrscheinlicher. 


SCHIEDSGERICHT   ZWISCHEN   POSEIDON   UND   ATHENE  241 

S.  54Anm.  1;  Imhoof-Blumer  a.a.O.  Taf.  Z,  11,  12,  14,  16) 
und  es  ist  sehr  wol  denkbar,  dass  in  ihr  die  genannte  Gruppe 
nachgebildet  ist.  So  hat  auch  Sauer  (Anfänge  der  Gruppe) 
angenommen,  der  mit  vollem  Recht  darauf  liinwies,  dass  die 
Darstellung  der  Münzen  mit  der  des  Westgiebels  vom  Par- 
thenon in  Wahrheit  nichts  zu  thun  hat. 

Müssen  wir  also  auch  die  Beziehung  der  Darstellung  jenes 
hadrianischen  Medaillons  auf  die  bestimmte  Gruppe  der  Akro- 
polis  als  unwahrscheinlich  abweisen,  so  ist  damit  ihre  Ab- 
hängigkeit von  irgend  einem  anderen  grösseren  Werke  nicht 
ausgeschlossen  ;  diese  wird  im  Gegenteil  empfohlen  durch  die 
Wiederkehr  derselben  Composition  auf  der  Silberschnalle 
aus  Herculaneum.  Dagegen  muss  uns  die  Thatsache,  dass 
Athene  hier  in  anderem  Typus  erscheint,  davor  warnen,  uns 
die  Vorlagen  der  Medaillon-Stempel  in  allen  Einzelzügen  nach 
diesen  selbst  wieder  herstellen  zu  wollen. 


W.  AMELUNG. 


S TIERKANG  AUF  EINEM  ÄGYPTISCHEN  HOLZGEFÄSS 
DER    XVIII.    DYNASTIE 

(Hierzu  Tafel  VII.  VIII) 

Bei  seinen  Ausgrabungen  in  Kahun  fand  Flinders  Petrie  in 
einem  der  späteren  Gräber  der XVIII.  Dynastie  eine  cylinder- 
förmige  Holzbüchse  mit  eingeritzten  Darstellungen,  die  heute 
im  Museum  zu  Giseh  aufbewahrt  wird'. 

Die  Büchse,  deren  Deckel  und  Boden  verloren  sind, und  von 
deren  Umfang  etwa  Ya  fehlt,  misst  in  der  Höhe  0,095  und  in 
der  Breite  0,065.  Die  Dicke  ihrer  Wände  beträft  etwa  !0, 005'". 
Sie  ist  aus  hellbraunem  Holz,  wie  die  meisten  Holzwaaren 
des  neuen  Reichs. 


Fig.  1 


Nach  ähnlichen,  im  Louvre  befindlichen  Büchsen  zu  ur- 
teilen, war  der  Boden  flach  aufgelegt  und  hatte  drei  niedrige 
Füsschcn,  die  zugleich  zur  Befestigung  des  Bodens  dienten. 
Dass  der  Boden  auch  bei  der  Büchse  aus  Kahun  nicht  vom 


'  Petrie,  Kahun  S.  35.  Vgl.  die  Ansicht  von  oben  Abbildung!  und  Taf.  7; 
für  beide  Zeichnungen  bin  ich  H.  Carler  zu  herzlichem  Dank  vcrpflichtel. 
Der  Buchstabe  A  in  Fig.  1  bezeichnet  die  Stelle  der  senkrechten  Leiste, 
welche  auf  Taf.  7  die  Mitte  des  Bildes  cinniniiiit,  //  gicht  dessen  linkes,  C 
dessen  rechtes  Ende  an.  Auf  Taf.  7  ist  das  ganze  Bild  aufgerollt. 


VII 


«-  A 


STIERFANG  AUF  EINEM  AEGYPTISCHEN    HOLZGEFAESS  243 

Rand  des  Cylinders  eingeschlossen  war ,  lehrt  einmal  das 
Fehlen  jeder  Ansatzspur,  sodann  der  Umstand,  dass  die  aussen 
an  der  einen  Seite  befestigte  etwa  0,005""  dicke  Leiste  nach 
unten  um  etwa  0,015™  über  den  Rand  des  Cylinders  über- 
steht. Man  glaubt  aber  etwa  auf  der  Hälfte  des  überstehenden 
Stückes  die  Ansatzspur  des  Bodens  zu  bemerken  ;  die  Füsse 
wären  demnach  etwa  0,005"  hoch  gewesen. 

Den  Zweck  dieser  von  oben  nach  unten  gehenden  Leiste 
lehren  wieder  die  pariser  Exemplare  :  in  das  gegen  2"°  tiefe 
Loch,  das  sich  oben  in  der  Leiste  belindet,  griff  ein  flacher 
drehbarer  Deckel  mit  einem  Zapfen  ein;  auf  diese  Weise  war 
es  möglich,  ohne  den  Deckel  abzunehmen,  die  liüchse  zu 
öffnen  und  sie  durch  eine  entsprechende  Drehung  wieder  zu 
schliessen '. 

Die  Aussenseite  desGefässes  zeigt  Darstellungen  in  vertieften, 
mit  grüner  Farbe  ausgefüllten  Linien.  Ein  breiter  Bildstreifen 
wird  oben  und  unten  von  schmaleren  Ornamentstreifen  ein- 
gefasst ;  oben  folgt  auf  ein  fortlaufendes  Stabband  von  der 
Form  wie  Petrie,  Egypt.  decorative  art  Fig.  196  (wie  es 
sich  z.B.  auch  auf  Inschriften  derXVIIL  Dynastie  als  Umrah- 
mung findet),  durch  einen  schmalen  Grundstreifen  getrennt, 
ein  Kranzornament,  für  das  man  Petrie  a.o.O.  Fig.  159  und 
Borchardt,  Die  ägypt.  Pflanzensäule  Fig.  2'2  vergleichen  mag. 
Es  ist  auf  der  Ilolzbüchse  nicht  mehr  recht  verstanden,  rein 
ornamental  geworden,  aber  in  der  XVI 11.  Dynastie  überaus 
häufig  und  deutlich  als  Blätter  oder  auch  als  Blätter  und 
Blüten  auf  den  polychromen  Vasen  charakterisirt. 

Unten  scliliesst  ein  zweites  Stabband  die  Darstellung  ein  ; 
darauf  folgt  ein  Grundstreifen  ,  der  durch  eine  grün  aus- 
gemalte Linie  geteilt  wird,  während  das  beliebte  Ornament 
der  Scheinthüren  den  Abschluss  des  Ganzen  bildet*. 


'  Gleiche  Verschlussvonioliluiiijeu  von  IIolz}refiisseu  z.  H:  Wilkiiisou, 
Manners  and  rustums'  II  S.  .'M8,  Nr.  4.01,  4.  Colleclion  llo/linann,  AnliquiUs 
liyypl.  1895  Nr.  '2U2. 

^  Eine  aniielunharc  Erkhirung  des  Ornaments  stolil  iiocli  aus.  Ahbildun- 
{jen  z.  B.  bei  Perrot -Cliipicz  I  Fig.  304/5. 


244  F.   VON   BISSING 

Die  Leiste,  die  den  Deckel  aufnahm,  ist  gleichfalls  mit  ei- 
nem etwas  modificirten  Stabband  geschmückt. 

Die  breite  Bildfläche  wird  auf  Carters  trefflichem  Aquarell 
scheinbar  durch  die  l^eiste  zerschnitten,  läuft  aber  natürlich 
um  das  Gefäss  als  ein  einziges  Bild  iierum.  I^eider  hat  die 
Lücke,  wie  wir  sehen  werden,  wichtige  Teile  des  Bildes  zer- 
stört. 

Wir  sind  im  Freien  :  Gräser  und  Pflanzen  mit  dicken,  safti- 
gen Stengeln,  wie  sie  am  Rand  der  Wüste  wachsen, spriessen 
am  Boden.  Nach  rechts  hin  sprengt  ein  starker  Stier  mit  zwei 
kräftigen  Hörnern '  und  hoch  im  Bogen  erhobenem  Schwanz.  Er 
senkt  den  Kopf  wie  zum  Angriff.  Mit  wenigen  Strichen  ist  die 
HautfüUean  Hals  und  Wamme  und  dieZeichnung  am  Rücken 
wiedergegeben.  Unter  dem  Stier  liegt  nach  links  ein  Mann  auf 
dem  Bauch.  Er  streckt  beide  Arme  vor.  Seine  F'üsse  hat  der 
Künstler  aus  Raummangel  weggelassen.  Ein  zweiter,  eben- 
solcher Mann  erscheint  in  der  Luft  über  dem  Stier.  Sein  Ober- 
körper und  der  Kopf  sind  etwas  abwärts  geneigt,  seine  rechte 
Hand  liegt  am  Hals  des  Stieres.  Von  einem  dritten  Mann  ist 
vor  dem  Stier  nur  der  eine  ausgestreckte  Unterarm  und  das 
Gesicht  erhalten.  Falls  man  auf  den  Umstand  Gewicht  legen 
darf,  dass  sein  Kopf  im  Verhältniss  zum  Stier  ein  gut  Stück 
höher  erscheint,  als  der  des  Liegenden,  wird  man  sich  den 
Mann  niedergeduckt,  nicht  ausgestreckt  liegend  denken. 

Die  beiden  vollständig  erhaltenen  Männer  sind  nur  mit  ei- 
nem eng  anliegenden,  ziemlich  langen,  nacli  hinten  abge- 
schrägten Schurz  bekleidet,  den  an  den  Hüften  ein  Gurt  ab- 
schliesst.  Er  scheint  gestreift  oder  in  dünne  Falten  gelegt.  Beide 
tragen  kurzes,  das  Ohr  frei  lassendes  Haar,  der  obere  einen 
Schopf. 

Jenseits  der  Lücke,  in  der  unter  andorm  der  Körper  des 
dritten  Mannes  dargestellt  war,  läuft  nach  rechts  eine  Anti- 
lope mit  gewundenen  Hörnern,  von  der  nur  das  Vorterteil  er- 
halten ist.  Über  ihr  springt  eine  junge  Antilope  oder  Gazelle 


Über  die  Zahl  lässt  das  Original  keinen  Zweifel. 


STIERFANG   AUF    EINEM   AEGYPTISCHEX    HOLZGEFAE  SS  245 

(nur  das  Flinterteil  mit  dem  kurzen  Schwänzchen  ist  erhalten) 
nach  links,  während  noch  höher  ein  langohriger  Hase  nach 
rechts  hin  rennt*.  Die  Härchen  seines  Fells  sind  sorgfältig  an- 
gegeben. Vor  der  Antilope  sitzt  ein  mittelgrosser  Hund^  mit 
langem,  in  eine  Quaste  endigendem  Schwanz,  kurzen,  spitzen, 
Schlapp -Ohren  am  länglichen,  ziemlich  grossen  Kopf.  Sein 
plumpes  Maul  ist  geöffnet  und  lässt  einige  Zähne  sehen.  Im 
Ganzen  gleicht  er  etwa  einem  Teckel. 

Über  dem  Hund  liegt,  gleichfalls  nach  links,  ein  Tier  mit 
Hasenpfoten  (Carters  Zeichnung  ist  hier  ungenau)  sonst  einem 
Reh  am  ähnlichsten.  Es  hat  ein  geflecktes  Fell,  spitze,  auf- 
gerichtete Ohren,  und  scheint  eine  der  Pflanzen  zu  fressen. 
Jenseits  des  Bruchs  sieht  man  auf  dem  Original  deutlich  das 
Hinterteil  des  Tieres.  Eine  Bestimmung  des  Tieres  weiss  ich 
nicht  zu  geben. 

Dass  hier  eine  Jagdscene  dargestellt  sei.  lässt  sich  nicht  be- 
zweifeln. VVilkinson  {Manners  and  custonis'^  II  S.  87,  89) 
und  Maspero  haben  lanoe  erkannt,  dass  der  wilde  Stier  zu 
den  regelmässigen  Jagdtieren  Altägyptens  gehörte"^.  Für  das 
neue  Reich  lässt  sich  das  Rind  als  Jagdbeute  nachweisen  auf 
dem  weiter  unten  besprochenen  turiner  Holzkästchen  und  ei- 
nem thebanischen  Grabbild,  das  nach  Champollion  Monu- 
ments Taf.  171  bei  Perrot -Chipiez  I  Fig.  183  abgebildet  ist. 
Der  eine  der  hier  dargestellten  Stiere  hat  übrigens  ganz  ähn- 
liche Hörner  wie  der  Stier  auf  der  Büchse  von  Kahun  :  der 
Beispiele  sind  nicht  viele,  wo  die  Hörner  sich  so  sehr  decken, 


'  Natürlich  sind  alle  drei  Tiere  auf  einem  Plan  hintereinander  zu  denken. 

2  Vgl.  für  ihn  Marielle,  Monumenls  divers  Taf.  49,  erster  Hund  von  un- 
ten (XI.  Dynastie),  Champollion  Monuinenls  IV  Taf.  428,  unten  rechts,  in 
ganz  ähnlicher  Stellung. 

^  Maspero,  Leclures  hisloriques  S.  71-73,  Ilist.  ancienne  de  l'Orient  classi- 
que  I  S.  122  IT.  S.  G2.  Älteste  Darslcllun;,'  wol  Dümiclion,  Resullalc  l  Taf.  8, 
fünftes  Register  v.  o.  (V.  Dynastie),  die  Erman,  Ägypten  Ö.331  allerdings 
anders  erklärt.  Unter  den  Bildern  von  Benihassan  stellen  zweifellos  Stiere 
dar:  I  Taf.  13,  drittes  Register  v.  o.  (der  Ausgabe  Aq^  Archaeological  Survey), 
Taf.  30,  zweites  Register  v.  o.  (Stier  von  Ffeil  gelroll'en),  II  Taf.  18  und  das 
merkwürdige  Bild  Taf.  31   erstes  Register  v.  o.  Säuillich  Mittleres  Reich. 


246 


F.    VON   BISSING 


dass  man  zunächst  wie  bei  den  Stieren  der  asiatischen  Kunst 
den  Eindruck  eines  Einhorns  hat,  aber  sie  fehlen  nicht  gänz- 
lich. 

Eine  Stierjagd  ist  auch  in  Medinet  Habu  auf  der  Südostseite 
des  ersten  Pylons  dargestellt:  Ramesses  III  erlegt  zu  Wagen 
wilde  Esel  und  Stiere',  aber  die  ungemein  lebendig  darge- 
stellte Scene  findet  nach  der  Inschrift  auf  einem  asiatischen 
Feldzug  am  Ufer  eines  von  Dickicht  umgebenen  Flusses  Statt, 
vermutlich  in  Nordmesopotamien,  wo  auch  Senacherib  die 
wilden  Rinder  jagt  ^.  im  Kultus  hat  sich  noch  eine  Remi- 
niscenz  an  die  alte  Sitte, den  Stier  zum  Opfer  einzufangen  er- 
halten :  in  Abydos  fängt  Sethos  I  und  sein  Sohn  Ramesses  den 
Stier  mit  dem  Lasso,  d.  h.  er  schlingt  um  den  zur  Vorsicht 
schon  am  einen  Hinterfuss  gefesselten  Stier  die  Fangleine, 
während  sein  Sohn  den  Stier  am  Schwanz  packt  (Mariette, 
Abydos  1  Taf.  53).  Maspero  hat  gezeigt, dass  diese  Darstellung 
in  Zeiten  zurückweist,  wo  der  König  noch  wirklich  den  kräf- 
tigsten Stier  aus  der  halbwilden  Heerde  herausfmg. 


Fig.  2 


Mit  der  Darstellung  des  Holzgefässes  hat  unter  allen  ange- 
führten die  Benihassan  (Ausgabe  desyl/'cA.  survei/)  11  Taf. 
31  abgebildete. hier  Fig.  2  wiederholte  Scene  diegrösste  Ähn- 


<  Murray,  Ilandbüok  of  Egypt  189(i  S.  802. 

2  Maspero,  Leclures  hisloriques  S.  274  11".  Auch  auf  dem  Ol)elisk  Salma- 
nassars  (Layard,  Ninevch  and  its  remains  I  S.  282)  koniint  das  wilde  Rind 
vor.  Reisner  macht  mich  aufmerksam  auf  den  Bericht  Keilinsehrifl.  bihlio- 
thek  I  S.  38,  der  aus  der  Zeit  Tiglathpilesars  I  (etwa  liOO)  stammt  und  be- 
merkt, dass  der  Name  des  Wildstiers  (genauer  Bergstiers)  schon  in  Texten 
des  dritten  Jahrtausends  vorkommt. 


STIERPANG  AUF   EINEM  AEGYPTISCttEN   HOLZGEPAESS  24* 

lichkeit.  Sechs  Männer  bändigen  auf  freiem  Feld  einen  Stier; 
zwei  haben  ihn  mit  der  Bola  an  den  Hörnern  festgebunden, 
einer  fasst  ihn  mit  aller  Gewalt  am  Schwanz,  zwei  andere 
fallen  dem  Tier  um  die  Beine,  einer  endlich  tliegt  mit  aus- 
gebreiteten Armen  in  der  Luft  über  den  Ilörnem  des  Stiers: 
das  wütende  Tier  hat  ihn  hochgeschleudert.  Analog  mijchte 
ich  das  Bild  der  Holzbüchse  erklären  :  der  Stier  ist  aus  dem 
Dickicht*  gebrochen,  hat  den  ersten  Mann  überrannt,  einen 
zweiten  in  die  Luft  geschleudert,  während  ein  dritter  sich  eben 
duckt,  um  dem  Stoss  der  Hörner  zu  entgehen  und  vielleicht 
das  eine  Bein  des  Stiers  zu  fassen.  Dass  der  Mann  über  dem 
Stier  nicht  etwa  auch  am  Boden  zu  denken  ist.  lehrt  die 
Haltung  des  rechten  Arms,  der  sonst  hinter  dem  Stier  ver- 
schwinden müsste.  Aber  auch  etwa  auf  den  Stier  springend 
kann  man  ihn  sich  nicht  denken  :  die  etwas  nach  unten 
geneigte  Haltung  des  Oberkörpers  scheint  mir  dagegen  zu 
sprechen  und  der  ausgestreckte  Arm  würde  andernfalls  wol 
nach  dem  Kopf  und  den  Hörnern,  nicht  dem  Halse  fassen. 
Leider  fehlen  uns  die  vermutlich  weiter  rechts  aufgestellten 
andern  Jäger,  nur  der  treue  Hund  sizt  ruhig  da  und  erwartet 
das  Wild. 

Hat  der  Inhalt  des  Bildes  in  Ägypten  nichts  Befremdendes, 
so  macht  der  überaus  lebendige  Stil  auf  den  ersten  Blick 
einen  unägyptischen  Eindruck.  Wol  jedem  Beschauer  fällt 
unwillkürlich  das  Wandgemälde  ein,  das  Schliemann  zu 
Tiryns  entdeckt  hat  ^. 

Die  Ähnlichkeit  ist  in  der  That  vorhanden,  die  Bewegung 
des  Stiers  ist  die  gleiche,  die  Haltung  des  Schwanzes  sehr 
ähnlich,  die  Stellung  des  Mannes  über  dem  Stier  zu  Tiryns 
nimmt  etwa  die  Mitte  ein  zwischen  der  zu  Beniliassan  und 
der  auf  dem  Geläss.  ich  glaube  sogar  dass  das  ägyptische 
Bild    die    Deutung    des   tirynthischen    Gemäldes    auf   einen 


'  In  (lein  wir  ihn  z.  B.   auf  der  Arcii.  Jahrl.uch  1898  Taf.  2   publicirten 
Schale  aus  Ägypten  sehen. 
2  Schliemann,  Tiryns  Taf.  13  und  oft  wiederholt. 


248  F.   VON   BISSING 

Stierfang  *  unterstützt.  Denn  wenn  auch  religiöse  Momente 
bei  der  Deutung  des  tirynthischen  Wandbilds  mitsprechen 
mögen,  so  lehrt  die  Büchse  von  Rahun  deutlich,  dass  in 
jedem  Fall  der  Fang  eines  Stiers,  vielleicht  zum  Opfer, 
dargestellt  ist.  Und  eine  Kleinigkeit  scheint  den  Zusammen- 
hang zwischen  dem  Holzgefäss  und  dem  Wandbild  noch  enger 
zu  gestalten  :  auf  der  Büchse  aus  Rahun  ist  die  Tracht  des 
Mannes  oben  unägyptiscli,vvenn  anders  der  nur  bei  ihm, nicht 
bei  dem  Liegenden,  auftretende  Haarschopf  beabsichtigt  ist. 
Ihn  tragen  unter  allen  auf  ägyptischen  Denkmälern  vorkom- 
menden Völkern  nur  die  Rftiu,  über  deren  Verhältniss  zu  den 
Mykenäern  und  Kretern  einerseits, den  Asiaten  andrerseits  ich 
andern  Orts  gesprochen  habe-;  auch  der  Schnitt  des  Schurzes 
passt  besser  zu  den  Rftiu  des  Rechmeregrabes  ^,  als  zu  dem 
Schurz  der  Ägypter  des  neuen  Reichs,  der  weiter,  kürzer  und 
gerade  abgeschnitten  zu  sein  pflegt  ^.  Im  neuen  Reich  hat  er 
zudem  meist  vorn  eine  Spitze.  Der  im  Schnitt  ähnliche  Schurz 
der  Soldaten  des  neuen  Reichs  hat  vorn  ein  dreieckiges, 
herunter  hängendes  Schluss-Stück  (wie  es  ungefähr  die 
Highlanders  tragen)  ^,  hingegen  scheint  mir  der  Schurz  der 
Schirdana  —  fremder,  wol  kleinasiatischer  Söldner  in  ägyp- 
tischen Diensten  —  eine  gute  Parallele  zu  der  Tracht  der  Männer 
auf  dem  Stierbild  zu  bieten  ^. 

Fremde  Leute  also  würden  danach  auf  dem  ägyptischen 
Holzgefäss  dargestellt  sein.  Der  Inhalt  war  den  ägyptischen 
Rünstlern  wol  vertraut,  aber  sie  hätten  hier  einmal  ein 
fremdes  Vorbild  eben  des  Inhalts  wegen,  nicht  copirt,  aber 
benutzt. 


<  Athen.  Mittheilungen  1889  S.  215.   Arch.  Anzeiger  1889  S.  122.    Arcli. 
Jahrbuch  1892  S.  72  fT.   Philologus  1892  S.  9. 

2  Arch.  Jahrbucli  1898  S.  .51,  woselbst  Liltcratur.  Dass  der  Name  Kftiu 
Kreta  umfasse,  ist  seil  lange  auch  Ermans  Ansiciit  wie  er  mir  milteiil. 

3  Z.  B.  Wilkinson,  Manners  and  cusloms-  I  Taf.  2  a,  untere  Reihe,  wo 
auch  der  Unterschied  des  ägyptischen  Schurzes  klar  wird. 

*  Vgl.  Erman,  Ägypten  und  Mimoires  du  Caire  V. 

'•  Erman,  Äfiyptcn  S.  153. 

^  Maspero,  JlisL.  ancienne  de  L' Orient  elassique  11  Ö.  351. 


STIERFANG  AUF   EINEM  AEGYPTISCHEN   HOLZGEFAESS  249 

Die  Möglichkeit  nämlich,  die  Ilolzhüchse  selbst  einem  frem- 
den Künstler  zuzuschreiben,  haben  wir  nicht.  Nicht  nur  die 
Technik  (eingeritzte  Linien  mit  grüner  Farbe  ausgefüllt)  ist 
durch  und  durch  ägyptisch,  sondern  auch  die  Darstellung 
selbst  ist  es  bis  auf  die  eine  Scene.  Für  die  Tiere,  Antilope, 
Hase,  Hund  haben  wir  schon  Parallelen  herangezogen  wo 
dies  überhaupt  nötig  ist.  Die  Pflanzen  sind  die  in  Ägypten 
üblichen  ^ :  sie  finden  sich,  freilich  kümmerlich  genug  im 
alten  Reich  (I)ümichen,  Resultate  I,  8),  sind  häufig  im  neuen 
Reich  2.  Auch  den  ägyptischen  Charakter  der  Ornamente 
haben  wir  schon  hervorgehoben.  Was  endlich  die  Form  angeht, 
so  ist  die  cylindrische  Büchse  in  Ägypten  gerade  im  neuen 
Reich  öfters  nachweisbar.  Im  Louvre  werden  deren  zwei  auf- 
bewahrt. Die  eine  mit  einem  Deckel  derselben  Construction, 
wie  er  für  die  Holzbüchse  aus  Kahun  angenommen  wer- 
den musste,  und  drei  niedrigen  Füssen  zeigt  zwischen  einem 
Stabband  und  dem  Ornament  der  Scheinthüren  auf  der  einen 
Seite  in  grün  ausgemalten  vertieften  Reliefs  Mann  und  Frau, 
beide  mit  dem  Salbkegel  auf  dem  Kopf,  auf  einem  Sessel  Arm 
in  Arm.  Vor  ihnen  steht  eine  gleichfalls  gesalbte  Dienerin  mit 
einer  Vase  und  Blumen.  Auf  der  andern  Seite  sind  tanzende  und 
musicirende  Mädchen,  alle  «resalbt.  in  verschiedenen  Stellungen 
wiedergegeben.  Diese  Scenen  sind  im  Stil  und  Inhalt  so  durchaus 
ägyptisch,  dass  kein  Zweifel  möglich  ist.  Ganz  ähnlich  ist  die 
zweite,  grössere  Büchse,  über  und  über  mit  bunten  Quadraten 
bemalt;  auf  dem  Deckel  sind  Blumen  dargestellt.  Sehr  häufig 
finden  sich  Affen,  die  solch  eine  cylindrische  Büchse  vor  sich 
halten,  wie  z.  B.  VVilkinson,  Manners'^  II  S.  348. 


'  Wenn  ihre  perspeklivisclie  Anordnung  mit  der  der  Pflanzen  und  Felsen 
auf  den  üoldbechern  von  Valio  üLereinsUnmil  (die  man  überhaupt  ver- 
gleichen kann),  so  ist  hier  die  PrioriWU  sicher  in  Ägypten.  Aber  Niemand 
wird  ernstlich  daraus  Folgerungen  ziehen  wollen. 

2  Z.  B.  PeUie,  Teil  cl  Amania  Taf.  3  und  9,  Arch.  Jalirbuoli  I89S  Taf.  ?, 
auf  mehreren  der  später  erwälinlen  llol/.gegensländen.Champollion,  J/on»- 
menls  171  (vgl.  oben  8.  ^lö),  Pelrie,  Jllaltun  Tal.  5,2  u.  s.  \\.  und  das  Grab 
des  Noferhlp  Wilkinson,  Manners^  111  Taf.  67,  Grab  des  Amninheb,  Mis- 
sion du  Cairc  V. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN  XXIII.  1^ 


250  P.    VON   BISSING 

Andrerseits  ist  in  Menidi  eine  eylindrisehe  Büchse  aus 
Elfenbein  üiefunden  .deren  Deckel  im  Stil  und  in  der  Anord- 
nung  der  Figuren  mit  einem  in  Ägypten  gefundenen  über- 
einstimmt. Wir  müssen  darauf  noch  zurück  kommen;  da  aber 
die  Pyxis  von  Menidi  innerhalb  der  griechischen  Kunst  vor 
der  Wanderung  ihrer  Form  nach  vereinzelt  dasteht,  wird  man 
eher  an  eine  Übertragung  der  ägyptischen  Form  nach  Menidi 
als  an  das  umgekehrte  Verhältniss  denken'. 

Auch  stilistiscli  bleibt  die  Büchse  von  Kahun  nicht  verein- 
zelt. Der  lebendige  Zug,  den  die  Darstellung  aufweist,  ist 
der  Kunst  des  neuen  Reichs  zur  Zeit  der  XVill.  Dynastie 
überhaupt  eigen  ~.  Es  ist  irreführend  von  einem  besonderen 
Stil  von  Teil  el  Amarna  zu  reden.  In  den  Dolchklingen  der 
Aahotep ,  an  150  Jahre  vor  Amenophis  IV,  bemerken  w^ir 
ihn  schon,  in  thebanischen  Gräbern  der  XIX.  Dynastie,  wie 
dem  des  Ipuy  finden  wir  ihn  wieder  und  der  Palast  Ameno- 
phis ill  zu  Theben  hat  im  Wesentlichen  das  gleiche  Aussehn 
gehabt  wie  der  zu  Teil  el  Amarna. Nicht  einmal  das  Incrusti- 
ren  der  Wände  ist  Amenophis  IV^  eigentümlich.  Ich  verdanke 
Ludwig  Borchardt  Zeichnungen  in  London  aufbewahrter 
Wandincrustationen  aus  Gurob,die  sich  von  denen  des  Königs- 
palastes Amenophis  1  Vwol  in  der  Qualität, aber  nicht  irgend  wie 
sonst  unterscheiden,  und  neuerdings  hat  Petrie  in  Denderah 
gleichartige  Einlagen  aus  griechisch-römischer  Zeit  gefunden. 

Es  ist  eine  etwa  200  Jahre  anhaltende  Glanzzeit  der  ägypti- 
schen Kunst,  die  dann  unter  Ramesses  III  eine  kurze  Nach- 
blüte erlebt.  Sie  bereitet  sich  vor  im  mittleren  Reich,  wie  die 
herrlichen  Decken  der XII.  Dynastie  zuAssiut  beweisen-'  und 
ich  im  Arch.  Jahrbuch  1898  S.3'2f.  auch  an  andern  Beispie- 
len zu  zeigen   versucht  habe.  Petrie  hat  gewiss  Recht,  wenn 


*  Kuppelgrab  b(u  Mciiidi  Taf.  7  S.  27.  Soweit  icl)  hier,  wo  icii  fast  nur 
auf  die  eigne  Bililiolliek  angewiesen  bin,  urteilen  kann,  tragen  die  Kunde 
von  iMenidi  aueii  .sonst  einen  sliirker  orif-ntaiisehen  (  liarakler  als  die  mei- 
sten ältesten  grieehiseben  Funde. 

2  Vgl.  darüber  Areb.  Jabrbucbl898  S.  'A'HX. 

3  Vgl.  z.  B.  Wllklusöw, Manners  ^  I  Taf.  8  Kig.  4.  7.  20. 


ÖTIERFANÖ  AUF   EINEM   AEGYPTISCHEX   HOLZGEFAESS 


251 


er  meint  ^die  Künstler  Amenophis  IV  seien  Ägypter  gewesen. 
Die  Grundlage  der  Kunst  ist  einheimisch.  Aber  es  lässt  sich 
nicht  läugnen,  dass  sich  diese  Kunst  in  ihrer  höchsten  Ent- 
wicklung anscheinend  auf  die  Kleinkunst  beschränkt  hat, 
während  die  grosse  Kunst  nur  in  einzelnen  Fällen  nachfolgt. 
Allerdings  können  wir  nur  nach  den  Gräbern  urteilen, die  uns 
in  ihren  Maiereien  gewiss  nicht  das  Beste  ägyptischen  Kunst- 
vermögens vergegenwärtigen.  Denn  Teil  el  Amarna  und  der 
Palast  Amenophis  111,  vielleicht  auch  die  Proben  aus  Gurob 
gehören  einer  verhältnissmässig  kurzen  Zeit  an  und  lassen 
sich  allenfalls  als  von  einander  abhängig  erklären^. 

Eine  wertvolle  Reihe  hierher  gehöriger  Holzkästchen  und 
Elfenbeinschnitzereien,  die  ich  im  vorigen  Herbst  im  Louvre 
unter  den  alten  Beständen  gesehn,  wird  demnächst  Chassinat 
publiciren.  Ein  anderes  Kästchen  derselben  Form,  wie  die 
meisten  hierher  gehörigen  ^,  das  aber  im  Stil  etwas  abweicht, 
legte  E.  Naville  auf  dem  letzten  Orientalistencongress  vor  und 
gedenkt  es  zu  veröffentlichen. 


'   Teil  el  Amarna  S.  13  uiUen. 

2  Doch  stösst  das  für  Gurob  sclion  auf  Schwierigkeiten  und  die  gleich- 
artige Decoration  des  Palastes  Raruesses  III  zu  Teil  el  Yehuiiieh  macht  es 
wahrscheinlich,  dass  voriichnie  Häuser  in  Ägypten  eben  mit  Glasincrusta- 
tioncn  u.s.w.  geschmückt  waren.  Das  hat  sich  dann  bis  in  die  hellenisti- 
sche Zeil  gehalten:  ein  Fragment  in  Bonn,  ganz  ähnlich  den  Faienceu  aus 
Teil  el  Yehudieh,  aber  feiner  in  den  Farben,  zeigt  den  Donnerkeil.  Es 
stammt  aus  dem  kairiner  Kunsthandel. 

3  Wie  Wilkinson,  Manners^  II  Nr.  293. 


25*2  F.  VON  fiissiNö 

Andere  Beispiele  sind  lange  bekannt,  so  das  Fig.  3  nach 
Petrie,  Kaluin  Taf.  18,  31  wieder  abgebildete  Holzkästchen 
aus  der  XVIII.  Dynastie  (vgl.  Kaliun  S.  35).  Es  ist  nur 
ein  Fragment,  aber  nach  Petries  Worten  zu  ergänzen  wie  die 
Holzbiichse  aus  Rahun.  Es  zeigt  auf  freiem  Feld  zwei  lie- 
gende und  ein  rennendes  Kalb,  wotür  man  als  Gegenstück 
nicht  nur  auf  Teil  el  AmarnaXdS..  4,  sondern  auch  auf  Schalen 
aus  blauer  Faience  mit  Innenzeichnung  verweisen  kann  '.  Das 
eine  Kalb  wendet  den  Kopf  um  sich  den  Schenkel  zu  lecken, 
ein  gut  beobachteter  Zug,  wie  er  sich  augenblicklich  nicht 
wieder  nachweisen  lässt.  Die  Pflanzen  sind  die  üblichen,  wie 
sie  z.  T.  auch  auf  der  llolzbüchse  von  Kahun  vorkommen. 
Das  OrnamentjWelches  oben  und  unten  das  Bild  einfasst,  kenne 
ich  zuerst  an  dem  Sarg  des  Entef  im  Louvre^,  dann  auch  auf 
einer  von  Furtwängler- Löschcke,  Mykenische  Vasen,  Text  S. 
32  (Fig.  19)  erwähnten  Bügelkanne  aus  Faience  (ägyptische 
Nachahmung). 

Ferner  bewaiirt  das  Museum  zu  Turin  ein  Ilolzkästchen  in 
Form  eines  Halbcylinders  (Katalog  Rossi  6415)  mit  Schiebe- 
deckel, auf  dem  der  Name  des  Olliziers  Iluy  steht,  der  uns 
mit  Wahrscheinlichkeit  in  die  XVIII.  Dynastie  oder  den 
Anfang  der  XIX.  weist -*.  Die  Ornamente,  die  den  Bildstreifen 
einschliessen  (NA'ellenlinie,  Granatäpfel,  Sclieinthüren  u.s.w.) 
sind  rein  ägyptisch,  die  Ausführung  ist  nicht  besonders  fein. 
Das  Bild  selbst  zeigt  einen  nach  rechts  eilenden  Mann,  im 
kurzen,  vorn  spitzen  Schurz,  der  einen  Stier  mit  dem  Lasso 
gefangen  hat.  Der  im  Papyrussumpf  daher  trabende  Stier  zeigt 
beide  in  der  gewöhnlichen  Weise  gezeichnete  llörner,  obwol 
er  von  der  Seite  gesehen  ist;  sein  Schwanz,  nach  dem  die  an- 
dere Hand  des  Mannes  zu  fassen  scheint,  ist  im  Bogen  aufwärts 


^  Z.  B.  Petrie,  Illahun  Taf.  17,7.  20,3.  5.  Auch  auf  Aon  polycliromcn  Va- 
sen der  Zeil  Anienophis  III  und  IV  koninildas  Moliv  vor  und  halt  sich  dann. 

2  Petrie,  //üt.  of  Egypt  I  S.  128.  Decurative  arl  S.  51  erklärt  er  es  kaum 
mit  Recht  für  ein  Federornament.  Eher  stellt  es  ineinander  geflochtene 
Bander  dar. 

3  Die  Darstellung  publicirl:  Petrie,  Photographien  Turin. 


vni 


3. 


1 


D. 


STIERFANG   AUF  EINEM   AEGYPTISCHEN    HOLZGEFAESS  253 

gerichtet.  Von  obpn  springt  ein  Panther  auf  den  Stier  herab. 
Von  dieser  Gruppe  abgcwandt  zur  Linken  hinter  dem  Jä- 
ger wird  eine  Gazelle  von  einem  Löwen  angefallen.  F^n  Jun- 
ges springt  der  Gazelle  an  den  Euter,  während  ein  Panther 
mit  geflecktem  Fell  und  grossem  Schweif  weiter  hinten,  in 
der  Darstellung  selbst  also  über  der  Gazelle  und  dem  Löwen, 
steht. 

Ganz  ähnliche  Motive  aus  dem  Tierleben  finden  sich  auf 
den  vorhin  erwähnten  Schnitzereien  im  Louvre  und  auf  den 
Wänden  und  dem  Deckel  eines  Kästchens  in  Giseh  .  dessen 
teils  in  Relief,  teils  in  eingelegter  Arbeit  ausgeführte  Darstel- 
lungen Taf.  8,4.  5  abgebildet  sind;  auch  die  Arch.  Jahrbuch 
18y8  Taf.  2  publicirte  prachtvolle  Bronzeschale  gehört  hierher. 

Anschliessen  darf  man  weiter  ein  von  Schäfer  in  der  Ägyp- 
tischen Zeitschrift  (1893  S.  105ff. )  verötTentlichtes  Lederkäst- 
chen im  Berliner  Museum,  dessen  eigentümlichen,  dem  na- 
villeschen  Kästchen  nah  verwandten  Stil  der  Herausgeber 
gut  gewürdigt  hat.  Hier  begegnet  uns.  mehrfach  wiederholt, 
die  Gruppe  eines  Löwen  und  eines  Gazellenkälbchens.  Der 
Löwe  hat  einen  kleinen  Kopf  und  kurze  Beine,  an  denen  die 
Muskeln  stark  hervortreten;  der  hochgehobene  Schwanz  endigt 
in  eine  dreieckige  Quaste^  Er  packt  mit  dem  Maul  die 
rotgefleckte  Gazelle  am  Ohr  und  hebt  so  das  Tierchen  in 
die  Luft. 

Der  Löwe  ist  dem  Typus  nach  eben  so  unägyptisch  wie  un- 
assyrisch. Will  man  überhaupt  vergleichen,  so  finde  ich  eine 
Ähnlichkeit  in  der  Anlage  der  Formen  nur  mit  den  Tieren  am 
Löwenthor  von  Mykene:  ahmte  ein  ägyptischer  Künstler  einen 
Löwen  griechischen  Stils  ungeschickt  nach,  so  konnte  schon 
ein  so  unwahrscheinliches  Gebilde  entstehen. 

Stilistisch  dem  Lederkästchen  einigermassen  verwandt,  ist 
ein  zweites  llolzkästchen  zu  Turin',  liier  ist  auf  dem  Deckel 
in  Hochrelief  eine  von  zwei  Hunden  angefallene  Gazelle  dar- 


'  Wie  aucli  auf  ilom  turincr  Kästchen  6415. 

2  Nr.  6416  liussi,  0,15  laiiy,  0,065  breit,  0,05  liocli. 


254  F.   VON    BISSING 

gestellt,  die  den  Kopf  wendet.  Ein  Hund  sitzt  auf  ihrem 
Rücken  undbeisst  sie  ins  Maul, ein  anderer  packt  sie  am  Euter*. 
Als  Jasrdhunde  tras^en  beide  Halsbänder.  Gräser  ähnlich  den 
auf  den  petrieschen  Büchsen  dargestellten,  füllen  den  Raum. 
Das  Kästchen  wird  ungefähr  datirt  durch  einen  in  schlechten, 
tiefen  Zeichen  eingeschnittenen  Text  magischen  Inhalts,  wo- 
nach es  frühstens  der  XiX.  Dynastie  angehört. 

Collection  Ho  ff  mann,  1895,  Antiqiiites  e'gyptiennes  S. 
84  ist  in  stilistisch  leider  nicht  genügender  Weise  ein  Holz- 
gefäss  veröffentlicht,  das  hoffentlich  der  unbekannte  jetzige  Be- 
sitzer einmal  besser  zugänglich  macht.  Es  stellt  eine  Löwen- 
jagd in  Relief  dar  :  auf  einem  Streitwagen  mit  einem  Ross 
steht  ein  Mann,  der  zum  Wurf  den  rechten  Arm  erhebt, 
während  er  mit  der  gesenkten  andern  Hand  die  Zügel  hielt ^, 
vor  ihm  steht  ein  zw^eiterMann  im  Schurzmit  der  Feder  auf  dem 
Kopf,  der  in  der  rechten  Hand  einen  Speer  hält,  mit  welchem  er 
einen  Löwen  im  Sprung  getroffen  hat;  mit  der  andern  scheint 
er  einen  zweiten  Löwen  am  Schwanz  hochzuziehen,  nachdem 
er  ihn  von  hinten  mit  einem  Speer  durchbohrt  hat.  Der  Löwe 
blickt  sich  hülflos  nach  seinem  Peiniger  um  und  berülirt  kaum 
noch  mit  dem  einen  Vorderfuss  den  Boden.  Weiter  rechts  grast 
eine  Antilope,  an  der  ihr  Junges  aufspringt  um  zu  saugen ; 
den  Abschluss  bildet  eine  weibliche  geflügelte  Sphinx  mit 
menschlichem  Kopf  und  Vorderarmen  und  einem  nur  halb 
sichtbaren  hohen  Götterkopfschmuck. 

Die  weibliche  Sphinx  und  das  an  bekannte  asiatische^  Dar- 
stellungen gemahnende  Schema  des  Mannes  mit  den  zwei  Lö- 
wen geben  dem  Relief  etwas  Fremdartiges,  ohne  dass  man  be- 
stimmte Vorbilder  nennen  könnte. 


'  Übertragung  des  häuJigen  Schemas  des  Muttertiers  mit  dem  saugenden 
Jungen. 

2  Waren  diese  gemalt?  Der  Vcrfcrliger  des  Gelasses  scheint  eine  Vorlage 
benutzt  zu  haben, die  er  ungeschickt  verkleinerte;  so  fchltdcm  Mann  auf  dem 
Wagen  die  n-chtc  Hand,  der  8f)hinx  der  obere  Teil  der  Krnne. 

3  Vgl.  Perrot-Chipicz  III  8.  03S,  Nr.  429,  aber  auch  Ro^ellini,  Mon.slurici 
111,1  S.  HO  Taf.  l'i-,  aus  der  Zeil  Aiiieiio|)i)is  I. 


STIERFANG   AUF  EINEM   AEGYPTÜ^CHEN    HOLZGEFAESS  255 

Es  mag  hiermit  genug  sein,  da  eine  Untersuchung  üher  den 
Typenschatz  dieser  Reliefs  erst  m()glich  sein  wird,  wenn  eine 
grössere  Anzahl  davon  zugänglich  gemacht  ist.  Sie  bilden  eine 
besondere  Monumentenklasse',  stehen  aber,  wie  nicht  genug 
betont  werden  kann,  in  unlöslichem  Zusammenhang  mit  der 
XVIII.  Dynastie^. 

L.  von  Sybel  hat  vor  Jahren  angenommen,  die  Befreiung 
der  ägyptischen  Kunst  zu  Anfang  des  neuen  Reichs  sei  von 
Asien  aus  veranlasst  worden  ''.  Heute,  wo  wir  die  ägyptische 
wie  die  asiatische  Kunst  besser  kennen,  lässt  sich  das  nicht 
mehr  aufrecht  erhalten.  Die  asiatische  Kunst  weist  keinerlei 
Eigenschaften  auf,  die  sie  zu  einer  solchen  Befruchtung  der 
ägyptischen  befähigen  würden.  Und  die  Ansätze  zur  Befreiung 
der  Kunst  im  Niltlial  sind  andrerseits  zweifellos  älter  als  die 
grossen  asiatischen  Kriege ''.  Ich  könnte  mir  denken,  dass  man 
die  ganze  Entwicklung  zum  Höhepunkt  der  Kunst  unter  Ame- 
nophis  III  und  IV  als  eine  national  ägyptische  ansähe.  Nur 
würde  ich  dann  erwarten,  dass  die  Entwicklung  sich  in  allen 
Teilen  der  Kunst  gleichmässig  zeigte  und  sie  sich  auf  alle 
Sphären  ausgedehnt  hätte.  Auch  scheint  mir  die  Entwicklung 
so  ungemein  rasch  vor  sich  zu  gehen,  dass  man  sich  unwill- 
kürlich nach  einer  fremden  Anregung  umsieht. 

Die  einzige  Kunst  aber,  die  sich  dann  darbietet,  ist  die  hel- 
lenische Kunst  vor  der  Wanderung.  Sie  allein  zeigt  die  gleiche 
ornamentale  Fülle  und  Überfülle,  die  gleiche  naive  Kraft  des 
Vortrags.  Freilich  sind  die  griechischen  Künstlei*  in  der  Kühn- 
heit der  Darstellung  den  ägyptischen  noch  überlegen,  während 
diese  ihnen  im  Einzel-Ornament  nichts  nachgeben. 

Seit  Furtwängler  und  Löschcke  in  den  .Mykenischen  Vasen 


'  Nur  iu>l)(!nbc'i  sei  auf  oino  hierher  gehörige  Melallarheil  aiifinerksain 
gemachl,  eine  A\l  iiiil  dein  eingelegten  Bild  eines  Oeiisen,  W'ilkinsun,  .Va/j- 
nen'2  l  S.  214. 

2  Vgl.  z.  B.  auch  Teil  cl  Amarna  Tal".  9. 

3  Sylicl,  Kritik  des  äg.vplischen  Ornanient.s. 

<  Vgl.  dazu  meine  ölalistiselif  Tafel  Tuüiniosis  III  8.  xxii  tV. 


256  F.   VON   BISSING 

zuerst  auf  die  Beziehungen  Mykenes  zu  Ägypten  hingewiesen*, 
ist  das  Material  bedeutend  gewachsen.  Und  während  Per  rot 
VI  S.  1005  eine  ausreichende  Übersicht  der  nach  Griechen- 
land exportirton  ägyptischen  Ware  gegeben  hat,  fehlt  für  den 
mykenischen  Import  nach  Ägypten  eine  derartige  Zusammen- 
stellung. Es  kann  nicht  meine  Absicht  sein,  hier  ein  voll- 
ständiges Verzeichniss  zu  geben,  wol  aber  hoffe  ich,  dass  die 
folgende  Übersicht  lehren  wird,  dass  der  Einfluss  der  ältesten 
griechischen  Kultur  auf  Ägypten,  so  wenig  man  ihn  über- 
schätzen darf, eine  Thatsache  ist, mit  der  man  rechnen  muss^. 
Wenn  im  Allgemeinen  auch  der  stärkste  Import  mykeni- 
scher  Ware  nach  Ägypten  mit  der  jüngeren  Hälfte  des  dritten 
Stils  zusammenfällt^,  so  sind  die  Beziehungen  Ägyptens  zu  den 
Mykenäern  unzweifelhaft  älter.  Über  die  von  Petrie  gefunde- 
nen Scherben  aus  Kahun  kann  ich  mich,  ohne  die  Originale 
gesehn  zu  haben,  nicht  äussern^.  Sicher  scheint  aber, dass  sich 
darunter  eine  hellenische  Vase  mit  AJattmalerei  befindet^.  Das 
würde  uns  in  die  XII.  Dynastie,  d.  h.  etwa  '2500  vor  Chr. 
führen.  Aber  Petries  Datirung  unterliegt  doch  manchen  Be- 
denken. Kahun  war  gebaut  worden  als  massenhaft  Arbeiter 
zum  Bau  der  Pyramide  und  des  Tempels  Usertesens  II  her- 
beieilten, es  versteht  sich  aber  von  selbst,  dass  die  Stadt  auch 
in  der  Folgezeit  bewohnt  blieb  ;  in  der  That  fehlt  es  nicht  an 
Zeugnissen  aus  der  Zwischenzeit  von  der  XU.  zur  XVIII.  Dy- 
nastie und  bis  in  diese  hinein.  Nun  hat  Petrie  zweifellos  Recht, 
dass  die  für  Amenophis  III  und  IV  bezeichnenden  Vasen  und 


'  S.  XII  (T.  S.  ri,31ir.  8-2  ir.  insbesondere.  Dosen  in  Gestalt  einer  Ente, 
die  den  Kopf  ziirückwcndcl,  £riel)l  es  jetzt  eine  ganze  Anzaiil  aus  Ägypten. 

2  Der  erste,  der  dies  lieloiit  iial,  ist  wol  E.  Meyer,  Gesell,  des  Altertums 
II  §  li.5  und  129;  vgl.  auch  S.  Reinacli,  Le  inirage  orienlal. 

3  Etwa  von  Tuthmosis  III,  Sethos  II,  XVIII.  und  XIX.  Dynastie. 

■*  Soweit  man  nach  Abbildungen  urteilen  darf,  könnte  man,  worauf  mich 
Wolters  aufnierksaiii  macht,  die  Vasen  aus  Kamares  auf  Kreta  vergleichen; 
s.  Journal  of  Hell,  sludies  1890  Taf.  14.  Petrie,  Jllahun  Taf.  1.  Munumenli 
dei  Lincei  VI.  Taf.  9. 

s  Petrie,  Illahun  Taf.  1,  13. 


STIERFANG   AUF  EINEM   AEGYPTISCHEN   HOLZGEFAESS  257 

andren  kleinen  Altertümer  fast  ganz  fehlen.  Man  wird  also  die 
Menge  der  Funde  älter  setzen  als  die  zweite  Hälfte  der  XVIII. 
Dynastie.  Und  da  auch  sonst  die  Kleinfunde  sich  mehr  an  die 
Xil.  Dynastie  anschliessen,  als  an  das  neue  Reich,  darf  man 
mit  der  Datirung  der  Schutthaufen  im  Wesentlichen  noch  im 
mittleren  Reich  bleiben.  Aber  weiter  zu  gehen  erlauben  uns 
unsere  Kenntnisse  nicht.  Denn  zwischen  Töpfen  und  Amu- 
letten der  XII.  Dynastie  und  solchen  der  Folgezeit  bis  zur 
XVIII.  scharf  zu  scheiden,  ist  einstweilen  unmöglich.  Und 
wenn  die  Schutthaufen  auch  ausserhalb  der  Stadt  lagen,  so 
giebt  uns  das  nocii  kein  Hecht,  sie  allesamt  früher  anzusetzen 
als  die  Schutthaufen  im  Innern  der  Häuser.  Man  wird  schwer- 
lich sorgfältig  erst  das  eine,  dann  das  andere  Verfahren  ein- 
geschlagen haben  ;  wer  ein  Haus  in  der  Mitte  der  Stadt  besass, 
fand  es  gewiss  bequemer,  Abfall  in  das  nächste  verlassene 
Haus  abzuladen,  wer  nah  der  Mauer  wohnte,  brachte  den 
Schutt  vor  die  Stadt.  Petries  Datirung  wäre  zutreffend,  wenn 
wir  voraussetzen  müssten,  dass  ein  Quartier  der  Stadt  von 
den  Behörden  preisgegeben  worden  sei:  'hier  kann  Schutt 
abgeladen  w^erden  '.  Aber  wie  die  Dinge  liegen  und  noch  heute 
im  Orient  sind,  kann  man  nur  sagen:  zwischen  der  Xll.  und 
XVIII.  Dynastie,  im  Mittel  also  um  1800.  Einer  solchen  Da- 
tirung aber  steht  von  keiner  Seite  etwas  im  Wege;  wir  blei- 
ben somit  mit  der  Mattmalerei  am  Ende  des  dritten  Jahr- 
tausends'. 

Zu  den  älteren  aus  Ägypten  stammenden  altgriechischen  Ge- 
fässen  wird  man  noch  zählen  dürfen  :  1 )  die  schfuie  Kanne  in 
Marseille,  Perrot-Chipiez  VI  S.  926,  die  nach  Maspero,  Cat. 
du  Muse'e  i^gyplien  de  Marseille  Nr.  1043  in  Ägypten  ge- 
funden ist,  während  andere  für  sie  die  Herkunft  aus  Tyrusver- 
sichern^.  Unbestritten  stammen  aus  Ägypten  *2)  die  bei  Perrot- 


'  Etwasanders  urteilt  Evans  {Crelan  piclographs  S.  79-82),  der  aber 
auch  auf  die  ivrelischen  Vasen  liinwcisl. 

2  Perrot-Chipiez  VI  S.  1013  zu  S.  916,  vgl.  Arch.  Anzeiger  1893  S.  9  f. 
(Furlwängjer),  wo  verwandle  Gelasse  aufgezälill  sind. 


?58  F.  VON  nissiNT, 

Chipiez  VI  S.  925  publicirte  Büchse  des  Brittischen  Museums, 
sowie  3)  die  von  Murray,  American  Journal  of  arcli.  VI 
S.  437  ff.  Taf.  22  publicirte  Vase.  In  der  Datirung  hat  Furt- 
wängler  gegenüber  dem  Herausgeber,  der  sie  für  spätmyke- 
nisch  hielt,  offenbar  Becht.  Die  Form  dieses  Gefasses  ebenso 
Nvie  die  der  marseiller  Ranne  weist  deutlich  auf  Metallvor- 
bilder, und  in  der  Decoration  stimmen  die  Vasen  1-3  so  auf- 
fällig überein  ,  dass  man  am  liebsten  geradezu  den  selben 
Töpfer  für  sie  annehmen  möchte  ;  das  fällt  bei  der  Kanne 
in  Maseille  für  Ägypten  gegen  Tyrus  ins  Gewicht.  4)  Die 
von  Petrie ,  lllahwi  Taf.  26  abgebildete  Vase  aus  dem 
Maketgrab,  das,  wie  nun  aucli  sein  Entdecker  annimmt,  der 
frühen  XVIII.  Dynastie  angehört'.  5)  Dervon  Petrie  lilahun 
Taf.  19,  37  abgebildete  mykenische  Trichter,  dessen  Henkel 
und  Spitze  leider  abgebrochen  ist  und  zu  dem  man  das  Orna- 
ment Myk.  Vasen  Taf.  31,  293;  19,  134;  35,356  vergleiche, 
letzteres  freilich  ein  Fraojment  vierten  Stils,  wonach  also  der 
Trichter,  der  undatirt  ist^,  auch  indiejüngste  mykenische  Zeit 
gehören  könnte,  von  der  wir  m.  \V.  in  Ägypten  kein  Beispiel 
haben.  6)  Mykenische  Büchse,  abgebildet  auf  unserer  Taf.  8, 
3,  im  Museum  zuGiseh.Thon  hellgelb.  Firniss  gut, verschie- 
den dick  aufgetragen,  stellenweise  rötlich  geworden.  Auch  die 
Lippe  innen  gefirnisst,  Höhe  7,5*'"',  Breite  7,3.  Zwischen  den 
Henkeln  Palmen,  unter  und  über  den  gefirnissten  Henkeln 
Wellenlinien.  Auf  dem  Boden  innerhalb  eines  den  äusseren 
Umriss  angebenden  Kreises  zwei  Paar  sich  kreuzweis  über- 
schneidender geschwungener  Linien,  in  den  vier  Winkeln  des 
Kreuzes,  an  die  Enden  der  Linien  ansetzend  je  eine  nach  aus- 
sen geöffnete  Bogenlinie.  7)  Ähnliche  aber  weniger  Hache 
Büchse,  abgeb.  auf  Taf.  8,  1,  im  Museum  zu  Giseh.  Tlion 
dunkelgelb,  Firniss  schwarz,  brüchig,  Höhe  8"°,  Breite  7,3. 
Auch   die  Lippe  innen  gefirnisst.    Zwischen  je  zwei   Henkeln 


<  Vgl.  Äf,',ypli,sclio  Zcilschrift  1897  S.  94  (T. 

2  Pelric  giclit  über  ihn  nichts  an  uml  die  Datirung  auf  öethos  II  bezichl 
sich  nur  auf  die  Nr.  1-27. 


STIERFANG   AUF  EINEM   AEGYPTISCHEN    HOLZGEFAESS  259 

ein  herzförmiges  Blatt.  Der  Grund  ist  mit  reihenweise  geordne- 
ten Punkten  gefüllt,  die  Blätter  sind  unten  durch  eine  Kreis- 
linie miteinander  verbunden.  Auf  dem  Boden  parallele, durch 
einen  Kreis  eingefasste  Wellenlinien.  8)  Bügelkanne  dritten 
Stiles,  abgeb.  Taf.  8,  2,  im  Museum  zu  Giseh.  Höhe  IS'", 
Breite  6,5.  Gerades  Eingussrohr,  hoher  Bügel,  breiler  Fuss, 
dessen  innere  Fläche  etwas  vertieft  liegt.  Gelber  Thon,  leuch- 
tender, an  der  einen  Seite  rot  gewordener  Firniss.  Auf  dem 
Bügelknopf  concentrische  Kreise,  das  Ornament  der  Schulter 
vier  Mal  wiederholt. 

In  die  ältere  Zeit  des  dritten  Stils  gehört  vielleicht 
auch  der  von  Puchstein  als  mykenisch  erkannte  Deckel  aus 
dem  Grab  des  Srbina  zu  Saqqarah  ' ;  er  stimmt  der  Ein- 
teilung der  Decoration  nach  so  genau  mit  einem  in  Menidi  ge- 
fundenen überein,  dassein  Zusammenhang  sicher  ist  (vgl.  oben 
S.  2  50).  Der  lebendige  Stil  aber,  der  den  Deckel  vor  allen  andern 
Holzarbeiten, die  in  Ägypten  gefunden  sind,  auszeichnet,  erweist 
ihn  als  originale  mykenische  Arbeit,  nicht  als  Nachahmung "^ 

Die  Entwicklung  der  mykenischen  Formen,  d.  h.  der  Bügel- 
kanne, die  numerisch  weit  überwiegt,  hat  an  der  Hand  der 
ägyptischen  Funde  Petrie,  lllahun  S.  18  ^  38  bereits  dargelegt; 
er  hat  auch  die  von  Löschcke  und  Furtwängler  gesammelten 
Nachahmungen  mykenischer  Ware  in  Ägypten  um  einige  Bei- 
spiele vermehrt.  Diese  Nachahmungen  sind  uns  wertvoll, 
weil  sie  beweisen,  dass  die  Ägypter  erstens  die  mykenische 
Technik  nicht  beherrschten,  andrerseits  aber  so  viel  Gefallen 
an  der  mykenischen  Ware  fanden,  dass  sie  sie  in  verschiede- 
nem heimischen  Material  nachahmten.  Und  zwar  scheint  da- 
bei die  Bügelkanne  als  Behälter  für  Wolgerüche  an  die  Stelle 
jener  ursprünglich  auch  importirten, schön  rot  polirten  Flaschen 


<  V^l.  Lcpsius,  üoukiiiäler  Tc\l  S.  17.  Areli.  Anzci.u'.T  I8'.)l  S.  41. 

2  Dass  das  Grab  iii  Sa(i(iaiah.  in  dein  das  Cn'l'.iss  Furl\v;iii|;ler-Lösolicke, 
Myk.  Vasen  159  gefunden  ist,  im  neuen  Ileicli  (odeiHndo  dos  niiltleren  ) 
wieder  benutzt  worden  ist,  lebren  deullicb  die  darin  gefundenen  Siirge  und 
Vasen;  vgl.  Lepsius,  Dcnkniiiler,  Text  IS.  167  11'. 


260  F.    VON   BISSING 

getreten  zu  sein,  die  im  Anfanc;  der  XVIII.  Dynastie  massen- 
haft, dann  immer  spärlicher  vorkommen. 

Die  folgende  Liste  soll,  ohne  vollständig  zu  sein,  eine  Reihe 
verschiedenartisfer  Nachahmun2;en.  nach  Technik  und  Mate- 
rial  geordnet  vorführen.  An  Biigelkannim  kenne  ich  : 

1.  Einfacher  ägyptischer  Thon  mit  Mattmalerei.  Als  Deco- 
ration ausschliesslich  umlaufende  Kreise  in  mattvioletter  Farbe. 
Mehrere  Exemplare  in  Giseh  ,  je  eins  in  Florenz  (Ägypt. 
Sammlung  3354)  und  Berlin  (Ägypt.  Sammlung  1611).  Die 
florentiner  Vase  schien  mir  eine  Art  heller  Engobe  zu  haben, 
vvol  um  die  schöne  Farbe  der  mykenischen  Ware  wiederzu- 
geben. Vgl.  Petrie,  Illahun  19,  12  und  Teil  el  Yehudieh 
ed.  Egypt  exploratioti  fand  S.  46  links  unten  (aus  der  XX. 
Dynastie?). 

2.  Blaue,  schöne  Faience  des  neuen  Reichs. 

Zwei  Exemplare  im  Louvre,  von  denen  das  eine  ein  Zick- 
zackband um  den  Bauch  zeigt  (vgl.  unten). 

Eine  Kanne  in  Boloajna  ^  auf  der  Schulter  ein  Band  von 
gegeneinander  gekehrten  Dreiecken  ,  die  mit  Strichen  gefüllt 
sind;  darüber  Gräser,  ähnlich  den  auf  der  Büchse  von  Rahun 
dargestellten  und  Palmetten,  für  deren  Form  man  Petrie,  De- 
corative  art  F'ig.  51  vergleiche,  wo  der  Ursprung  dieser 
Palmetten  klar  wird-.  Die  Ornamente  sind  in  der  üblichen 
schwarzen  Farbe  vor  der  Glasur  aufgemalt. 

Zwei  weitere  Exemplare  finden  sich  im  Museum  zu  Giseh. 
Die  eine  Kanne  (Kat.  Maspero  S.  127,  2829)  ist  Tat".  8,  6  abge- 
bildet. Sie  besteht  aus  graugelbem  feinkörnigem  Thon,  mit 
schöner  blauer  Glasur.  Das  Eingussrohr  steht  fast  senkrecht, 
der  abgebrochene  Bügel  fehlt.  Höhe  7,5,  l^reite  des  Fusses 
3,7"".  Auf  der  Schulter  ist  in  schwarzer  Farbe  als  einzige  Ver- 
zierung zwischen  zwei  Linien  eine  Reihe  von  ägyptischen  Hie- 
roglyphen aufgemalt  (abwechselnd   Uzat- Augen,  die  Zeichen 


<  Vgl.  Furlwäiifrler-Löschcke,  Myk.  Vasen  S.  32  und  Ahh.  1'.». 
2  Wol  XVIII.  Dynastie,  dooli  iilinlicii  .schon  auf  Decken  der  XII.  Dyna- 
stie in  Assiul. 


STIERFANG  AUF  EINEM   AEGYPTISCHEN   HOLZGEFAESS  'SGI 

für  schön,  Leben,  Kraft  und  Lotosblüten).  Interessanter  ist  die 
zweite,  Taf.  8,7  abgebildete  (Kat.  Maspero  28)  9  ).  Sie  besteht 
aus  gleichem  Thon  mit  dunkelblauer  Glasur  und  schwarz  auf- 
gemalten Ornamenten.  Höhe  7,8,  Breite  des  Fusses  2,8"",  I^n- 
gussrohr  etwas  schräg.  Der  Bügel  ist  oben  breit,  rautenförmig, 
darauf  Rosette ;  an  den  Seiten  des  Bügels  zeigt  sie  einen 
ägyptischen  Blumenstrauss  mit  Winden  und  Lotosblüten  ^ 
Auf  dem  Bauch  sind  gleichfalls  in  schwarz  Gruppen  von 
Papyrus  und  Disteln  gemalt^.  Neben  dem  gerade  aufgerich- 
teten Ausgussi'ohr  sind  nicht  bestimmbare  Gräser  dargestellt. 
Nach  den  Pflanzen-Motiven  und  der  schönen  blauen  Farbe 
dürfte  die  Kanne  der  XVII L  Dynastie,  etwa  der  Zeit  Ame- 
nophis  III -iV  angehören^. 

3.  Wichtig  sind  auch  die  Abbildungen  von  Bügelkannen 
im  Grab  Ramesses  III.  Sie  zeigen  im  Gegensatz  zu  den  bisher 
besprochenen  und  den  in  Mykene  gefundenen  keinen  Fuss, 
sind  ziemlich  schlank  und  mit  linearen  Ornamenten  ge- 
schmückt. Vom  o-elben  Grund  heben  sich  auf  allen  vier  seiner 
Zeit  von  mir  notirten  Exemplaren  rote  Zickzackbänder  ab  ^, 
die  abwechselnd  oben  und  unten  geölTnete  Dreiecke  bilden, 
in  denen  Punkte  angebracht  sind.  Ganz  in  dergleichen  Weise 
sind  im  selben  Grab  grosse  Vorralsgefässe  ganz  unmykeni- 
scher  Form  decorirt"*.  Ihre  Form  entspricht  den  aus  Syrien 
eingeführten  Weihrauchgefässen  und  man  kann  daher  schwan- 
ken, ob  hier  syrische  Nachahmungen  mykenischer  Ware  oder 
ägyptische  vorliegen.  Dass  das  Ornament  in  Nordsyrien  und 
Kreta  heimisch  war,  hat  Petrie  auf  Grund  syrischer  und  Kfliu- 
Kleidermuster  vermutet".  Petrie  hätte  hinzufügen  können, dass 


'  Vgl.  Petrie,  Teil  el  Amarna  Taf.  2  und  3.  Derorative  arl  S.  81  1".  157. 

2  Vgl.  Mission  du  Caire  V,  Tonibcau  clApaui,  paroi  li. 

3  Petrie,  Decoralive  art  S.  Sl.Bürchardt,  Die  ägypt.  Pflanzensäule  S.  82. 

*  Vgl.  C\\a.mpo\[ion,  Monumenls  Taf.2ö8  obere  Reihe,  in  Farben,  und  259. 
Auf  TaC.  258  ist  auch  die  weiter  unlen  besprochene  Bügelkaiine  (?)  abge- 
bildet, für  die  ich  (llas  als  Material  vermute. 

!'  Wilkiiison,  Manncrs'^  II  S.  i  \r.  8,  18,  19  (uichlganz  genau),  besser 
Chauipollion,  Moniimoüs  Taf.  259. 

^  Decoralive  art  S.  15. 


262  F.   VON   BISSING 

auch  im  Dipylonstil  das  Muster  nicht  selten  ist'.  Aber  an- 
(h'erseits  ist  das  Ornament  so  einfach,  dass  man  nicht  viel  auf 
die  Übereinstimmung  geben  kann,  und  leider  auf  diese  Weise 
den  Reweis, dass  die  ältesten  in  Griechenland  gefundenen  Vasen 
mit  Firnissmalerei  unasiatisch  sind,  weil  sie  ganz  abweichen 
von  den  im  Grab  Hamesses  III  dargestellten,  nicht  bündig 
führen  kann. 

Verführerisch  wäre  es  auch,  die  aus  Ägypten  in  das  Bonner 
Museum  gekommene,  Taf.  8,  8  abgebildete  Bügelkanne  für 
syrisch  zu  erklären.  Sie  hat  einen  runden,  etwas  abgeplatteten 
Boden,  ist  0,095'"  hoch.  Ihre  steilen  Henkel  fallen  etwas  zum 
Bügelknopf  hin  ab.  Das  Eingussrohr  ist  abgebrochen.  Der 
grobe,  rötliche  Thon  mit  dem  stark  gebrannten,  gelben  po- 
lirten  Überzug  entspricht  genau  den  besten  im  Palast  Ame- 
nophis  III  und  IV  aufgelesenen  Scherben  von  Vorratsgefässen. 
Ebenso  wie  die  von  mir  im  Arch.  Jahrbuch  1898  S.  54  be- 
handelten rotpolirten  Gefässe,  stechen  diese  gelbpolirten  von 
der  gewöhnlichen  bessern  ägyptischen  Ware  ab.  Die  Vermutung 
Dragendortl's,  dass  die  syrischen  Erzeugnisse  auch  in  syrischen 
Krügen  transportirt  worden  seien,  hat  daher  viel  für  sich.  Wir 
hätten  demnach  in  der  gelben  wie  in  der  roten  polirten  Ke- 
ramik (und  beide  sind  schwer  von  einander  zu  trennen)  Im- 
port vor  uns,  dem  freilich  heimische  Imitation  nachfolgte. 
Und  darum  bleibt  auch  für  den,  der  den  fremden  Ursprung 
der  Töpfe  als  Gattung  zugiebt,  im  einzelnen  Fall  ein  Schwan- 
ken möglich  und  wir  können  sichere  Schlüsse  nicht  darauf 
bauen  2. 

Im  Grab  Hamesses  III  ist  dann  auch  eine  Bügelkanne  aus 
Glas  abgebildet  [W'iiklnson,  Man ners^  S.  4  Nr.  167),  die  wol 
kaum  griechischen  Ursprungs  sein  dürfte;  für  die  Darstellungs- 


^  Brunn,  Kunslgescliiclile  I  S.  54. 

2  Man  vergesse  vor  allem  niclil,  dass  mil,  den  lienidcn  Fürsten  aneli 
kriegsgefangencrrenide  Künstler  einwanderten,  und  dasreielie  Ägypten  über- 
haupt l'alirendes  \'oik  angezogen  haben  wird.  So  konnten  fremde  Teehniken, 
die  keine  besonderen  Bedingungen  hatten  (wie  guten  Thon  oder  Firniss- 
larbe)  aueli  in  Agj'pleii  gedeihen.  Vgl.  Petrie,  Ilislunj  vf  Eijijpt  HS.  189. 


STIERFANG   AUF  EINEM    AEGVPTISCHEN    HOLZGEFAESS  263 

weise,  bei  der  das  Ausgussrohr  durch  den  Mittelstab  des 
Bügels  verdeckt  wird,  vgl.  a.a.O.  Nr.  15.  Möglicher  Weise 
sind  aus  der  Fornn  der  Bügelkanne  oder  aus  Gelassen  wie 
Myk.  Vasen  Taf.  15,  90  herzuleiten  Gelasse  wie  das  bei 
Cesnola- Stern,  Cypern  Taf.  li,  6  in  der  Mitte  abgebildete, 
dem  in  der  Form  bis  auf  den  fehlenden  Boden  Wilkinson, 
Manners "^  11  S.  4,1 4  entspricht  (aus  Glas).  Das  Eingussrohr 
fehlt  hier,  oder  vielmehr  die  Mittelstange  des  Bügels  ist  zum 
Eingussrohr  umgewandelt  worden.  Das  Auftreten  dergleichen 
Form  in  Gurob  zur  Zeit  der  XVlil.  Dynastie*  spricht  eher 
für  als  gegen  diese  Annahme. 

4.  Eine  Büojelkanne  aus  Alabaster  aus  dem  Ende  der  XIX. 
Dynastie  ist  abgebildet  Petrio,  lUahiin,  Taf,   19,  27. 

5.  Ein  mykenischer  Trichter  aus  ägyptischer  Faience  be- 
findet sich  nach  G.  Karos  Angabe  im  Brittischen  iMuseum. 

6.  In  Gurob  fand  Petrie  zusammen  mit  Gegenständen  der 
Zeit  Amenophis  III  einen  Löwen,  den  er  sofort  mit  dem  Lö- 
wenthor von  Mykene  zusammen  stellte.  Wie  ich  glaube  mit 
Recht.  Denn  die  Abbildung  {Illahun  Taf.  8,  '25),  die  den  Stil 
allerdings  nicht  erkennen  lässt,  zeigt  eine  Löwin  (?)  genau  in 
der  Stellung  derer  zu  Mykene  und  nach  Illahun  S.  15  scheint 
eine  zweite  Löwin  gegenüber  gestanden  zu  haben,  wodurch 
die  Ähnlichkeit  noch  grösser  wird.  Wozu  freilich  dieses  Lö- 
wenpaar aus  vergoldetem  Holz  gedient  hat.  ist  nicht  zu  er- 
mitteln^. 


<  Petrie,  Illahun  Tat'.;20,1.  Leider  giebt  Cesnola  üIht  die  AulTindung  der 
aus  Dali  stammenden  Vase  keintii  Bericht.  Sie  geliürl  wol  sielier  der  XVIII. 
Dynastie  an,  wie  ausser  der  Form  der  freie  Stil  der  Tier/.i'icliniing  beweist ; 
ebendahin  LjeliönMi  die  l)eiden  allerdings  jämmerlieli  abgcliildeten  Seiialen, 
für  die  man  Pelrie,  Illahun  Taf.  vO.  3  und  b;  17,  7  vergleielie.  Menscliliclie 
Darstellungen  auf  diesen  Sehalen  sind  so  seilen,  dass  das  Stück  eine  gute 
VeröfTcnllicIiung  lohnte.  Die  bei  Cesnola  Taf.  15-16  abgebildeten  Gefässe 
gehören  danaeli  in  dii;  Mitte  des  zweiten  Jahrtausends  vor  Chr.  und  Ces- 
nola hatte  Recht,  die  Gräber  für  die  ältesten  auf  Kypros  zu  lialten. 

-  Aiiielung,  Führer  durch  die  Antiken  in  Florenz  S.  -^Ul  Anm.  erwähnt 
eine  'kleine  mykenische  Pyxis  mit  Itankeiiornament'.  Wie  aber  Wolters 
erkannt  hat,  ist  das  mit  Mattinalcrei  verzierte  Gefäss  nach  Form  und 


'i64  F.   VON   BISSING 

Enge  Beziehungen  zwischen  Mykene  und  Ägypten  lassen 
sich  auch  sonst  erweisen  :  die  gemalten  Fusshöden  zu  Teil  el 
Amarna  und  im  Palast  Amenophis  III  zeigen  die  gleiche 
wechselnde  Technik  wie  die  Fussböden  zu  Tiryns' ;  hier  und 
dort  waren  die  Wände  mit  Kalkstuck  bedeckt,  den  Malereien 
schmückten;  wie  im  Palast  des  Alkinoos,  wie  in  dem  zu 
Tiryns,  der  Fries  aus  Ryanos  an  der  Wand  herumlief,  so 
schmückten  bunte  Glastlüsse  die  Säulen  und  Wände  zu  Teil 
el  Amarna  und  zu  Teil  el  Yehudieh  (  Ramesses  III  Zeit). 
In  Ägypten  reicht  die  Technik  eingelegter  Arbeit  bis  in  die 
Zeit  des  alten  Reichs  :  in  den  Gräbern  von  Medum  finden  wir 
mit  Glasflüssen  ausgelegte  Hieroglyphen.  Der  Schluss  wäre  zu 
rasch ,  darum  die  Decoration  der  mykenischen  Paläste  aus 
Ägypten  herzuleiten.  Auch  Babylonien,  woher  nach  der  stati- 
stischen Tafel  Tuthmosis  111  Zeile  25  die  Ägypter  unter  ande- 
rem den  nachgeahmten  Blaustein  erhielten,  kommt  in  Frage: 
denn  im  Louvre  werden  aus  Babylonien  farbige,  auch  schon 
dunkelblaue  Incrustationsplatten  aufbewahrt,  die  sich  von  den 
sonstigen  assyrisch -persischen  scharf  scheiden,  aber  mit  den 
Fragmenten  aus  Teil  el  Amarna  entschieden  verwandt  schei- 
nen. Leider  sind  es  wenige  Stücke  und  ihr  Alter  bleibt  un- 
gewiss. 

Aber  wenn  auch  der  Grundgedanke  der  mykenischen  Pa- 
lastdecoration [aus  Ägypten  entlehnt  sein,  und  nicht  die  my- 
kenische  Kultur  bei  der  Ausschmückung  der  Serails  Ame- 
nophis III  und  IV  beteiligt  gewesen  sein  sollte,  so  könn- 
ten wir  an  einem  Beispiel  die  Selbständigkeit  der  ältesten  grie- 
chischen Kultur  gegenüber  der  ägyptischen  beweisen.  Die 
Dolchklingen  der  Schachtgräber  hat  man  inhaltlich  und 
vielleicht  auch  der  äussern  Form  nach  mit  Recht  neben  den 
Dolch  der  Aahotep  gestellt;  aber  technisch  stehen  die  myke- 


Ornanicnl  unmykcriisch.  Nach  einigen  von  DragendorfT  nolirlen  verwandten 
Gefässen  aus  Ägypten  dürfte  es  vielmehr  der  nachchristlichen  Zeil  ange- 
hören. 
<  Scbliemann,  Tiryns  S.  513, 


STIERFANG  AUF  EINEM   AEGYPTISCHEN   H0LZ6EFAESS  265 

nischen  Dolcliklingen  viel  Ijölior:  jene  Metallpolychromie,  die 
den  mykenisclien  Dolchen  und  dem  homerischen  Schild  (des- 
sen Decorationsprineip  sich  hinwieder  zuerst  in  Ägypten  nach- 
weisen lässt')  gemeinsam  ist,  wird  in  Ägypten  erst  gegen  Ende 
des  neuen  Ikichs  (um  lOOü)  gehrüuchlich. 

So  ist  es  im  einzelnen  Fall  misslich,  bei  den  auch  in  der 
Ornamentik  sich  darbietenden  Parallelen  aus  vielleicht  zu- 
tälliger  Priorität  auf  der  einen  oder  andern  Seite  Schlüsse  auf 
Entlehnung  zu  ziehen.  Den  Griechen  bleibt  die  Erfindung  der 
Ranke,  wie  lliegl  gezeigt  hat:  ob  aber  bei  den  oft  abgebilde- 
ten ägyptischen  Deckenmustern,  die  mit  der  Decke  von  Or- 
chomenos  übereinstimmen  ,  die  Priorität  nicht  auf  ägyptischer 
Seite  liegt?  Die  vollkommene  Reihe  der  Entwicklung,  wie 
sie  jetzt  bequem  bei  Petrie,  Dccorative  art  S.  28  ff.  vorliegt, 
lässt  sich  jedenfalls  leichter  in  Ägypten  als  in  iMykene 
nachweisen.  Und  die  verständnisslose  Verwendung  der  mit 
einander  verbundenen  Enden  zweier  paralleler  Spiralen  auf 
der  mykenisclien  Grabstele  bei  Perrot-Chipiez  VI  S.  765  sieht 
eher  aus  wie  herübergenommen  aus  einem  Musler  wie  Perrot- 
Chipiez  1  Fig.  541,6,  als  wie  selbständig  entwickelt  auf  grie- 
chischem Boden.  Wie  fast  immer  fehlt  es  an  ausreichenden  Pu- 
blicationen  auf  ägyptischer  Seite:  die  Decken  der  Gräber  von 
Assiut  aus  dem  mittleren  Reich  sind  noch  immer  uiipublicirt. 
Im  Grab  des  Uapzfa  habe  ich  mir  das  Vorkommen  des  Mäan- 
derslabes, der  Spirale,  des  Schachbrettmusters  nolirt.  W  iikin- 
son,  Manners'^  1  Taf.  8  (zu  S.  303)  Nr.  4,  7,  .^U,  woi  auch 
14,  sind  ihm  oder  doch  gleichzeitigen  Gräbern  entnommen, 
27,  28  kann  ich  nach  meinen  Notizen  zwei  thebanischen  Grä- 
bern aus  der  XVlIi.  Dynastie  zuweisen  i^Sobkhelp  und  Inni). 

Solange  uns  aber  die  Möglichkeit  fehlt,  die  Geschichte  des 
ägyplischen  Ornaments  lorllaulend  weiter  hinauf  als  bis  in 
die  XV  111.    Dynastie  zu  verfolgen-',   kann    unser  Lrleil   über 


'  Vgl.  Aldi.  Jalirliucli  1898  Ö.  50. 

^   liiegl,  öliliiageu  liissl  liier  ganz  im  Stich ,  auch  Petrie,  Decorative  arl 
ist  in  den  Angaben   über  Zeit  und  Ort   der  herangezogenen  Beispiele  zu 

ATHEN.    MlTTHElLLNGEN   iXIlI.  18 


$66  STTERPAN6  AUF  EINEM  AEGYtTISCHEN   HOLZGEFAESS 

das  Verhältniss  der  mykenischen  zur  ägyptischen  Kunst  nicht 
abschliessend  lauten. '  Eines  freilich  kann  man  schon  jetzt 
sagen :  wie  viel  einzelne  Motive  die  Mykenäer  auch  aus 
Ägypten  entlehnt  haben  mögen,  die  Combination  dieser  Ele- 
mente zu  einem  künstlerischen  Ganzen  ist  den  Mykenäern, 
nicht  den  Ägyptern  zu  danken.  Der  ordnende  Genius  der 
Griechen  schafft  auch  hier  wieder  aus  übernommenen  Einzel- 
formen das  kunstvolle  Ganze. 

Kairo. 

F.  VON  BISSING 


knapp.   Ein  einzelnes  Kapitel  ist  zum  ersten  Mal  grundlegend  dargestellt 
von  Borchardl,  Die  ägyptische  Pflanzensäule. 


EPIGRAMM  AUS  SMYRNA 

An  der  Nordseite  des  Pagos  ist  1 896  eine  marmorne  Grabstele 
gefunden  worden,  deren  Inschrift  ich  hier  mitteilen  möchte. 
Ich  sah  sie  kürzlicli  in  der  besonders  an  Terracollen  smvr- 
näischen  Fundortes  reichen  Sammlung  des  Herrn  P.  Gaudin, 
Üirectors  der  Kassaba-Bahn  in  Smyrna.  Mit  derselben  aus- 
serordentlichen Freundlichkeit,  mit  der  er  uns  das  Studium 
seiner  Sammlung  gestattete  und  erleichterte,  gab  er  auch  die 
Erlaubniss  zu  dieser  Veröffentlichung  ;  ich  darf  es  nicht  unter- 
lassen, den  herzlichen  Dank  für  seine  vielfache  Zuvorkomrnen- 
heit  auch  an  dieser  Stelle  auszusprechen. 

Die  Stele,  58""  hoch,  ist  von  einem  flachen  Giebel  bekrönt, 
unter  dem  sich  in  vertieften  Rundungen  zwei  in  zartem  Hclief 
ausgeführte  Kränze  befinden.  Weiter  unten  sieht  man  in  ein- 
getieftem Viereck  eine  Heliefdarstellung :  in  der  Mitte  einen 
stehenden  Knaben  im  Chiton,  den  Mantel  um  den  Unterkör- 
per geschlagen  und  über  den  linken  vorgestreckten  l  nierarm 
geworfen.  Der  Knabe  ist  in  Vorderansicht  dargestellt,  den  rech- 
ten Arm  streckt  er  seitwärts  wagerecht  von  sich  und  hält  in 
der  Hand  eine  grosse  Traube.  Unter  dieser  kauert  am  Bo- 
den ein  kleineres  ganz  nacktes  Kind  und  richtet  verlangend 
Blick  und  linke  Hand  nach  der  Frucht ;  die  rechte  Hand  ruht 
auf  dem  rechten  Knie.  An  der  andern  Seite,  rechts,  steht  mit 
übergeschlagenen  Beinen,  wie  an  den  Band  des  Reliefs  ange- 
lehnt, ein  grösserer  nackter  Knabe,  die  linke  Hand  ans  Knie 
gelegt,  den  linken  Ellenbogen  mit  der  rechten  Hand  stützend. 
Über  der  Darstellung  steht: 

MHTPOA/^POZMATPEAZ 
AHMHTPIOY    AHMHTPIOY 

Darnach  haben  wir  also  den  Grabstein  der  jung  verstorbenen 
Kinder  eines  Demetrios  vor  uns.  Der  grössere  Knabe  in  der 
Mitte  ist  Matreas,  der  kleine  links  Metrodoros;  in  dem  Kna- 
ben  rechts   haben   wir  einen  Diener  zu  erkennen.    Aus  dem 


268  P.    WOLTERS 

Epigramm,  das  unter  dem  Bilde  steht,  erfahren  wir  noch.dass 
Matreas  drei,  sein  Bruder  nur  ein  Jahr  alt  gestorben  ist. 

Die  Form  der  Stele  und  ihr  Schmuck,  die  Kränze,  ist  in 
Smyrna  sehr  häufig.  Ich  verweise  Beispiels  halber  auf  die 
Exemplare  in  Berlin  :  Beschreibung  der  antiken  Skulpturen 
Nr.  772.  77ö.  777.  778.  780.  783;  ein  reicher  ausgestaltetes 
Exemplar  ist  Nr.  767.  Dies  letztere  ist  dort  ins  zweite  Jahr- 
hundert vor  Chr.  gesetzt,  die  andern  als  spätgriechisch  aber 
vorchristlich  bezeichnet.  Nach  Gesamtform,  Buchstaben,  der 
zarten  und  noch  nicht  so  erstarrten  Ausführung  der  Kränze 
ebenso  wie  nach  dem  Stil  der  Beliets  darf  man  diese  Datirung 
für  zutreffend  halten. 

Unter  dem  Relief  unserer  Stele  stehen  nun  vier  Distichen, 
in  flüchtiger,  vielfach  bestossener  und  recht  schwer  lesbarer 
Schrift.  Was  ich  biete  ist  das  Ergebniss  mehrfacher  bei  ver- 
schiedensten Beleuchtungen  vorgenommener  Lesungen  ,  die 
also  niemals  das  Ganze  auf  einmal  umfassen  konnten.  Hoffent- 
lich erweist  sich  trotzdem  die  Abschrift  als  zuverlässig.  Ich  las 
folgendes : 

AAAA02ENinOI2ITAMHiaONTAnAP/;,:ZTOIZ 

(J)AMAKAPYZ2nMOYSO  ETTEIZTOMATI 

I/AYPIlATTATPArENETAZAHMHTPIOSHAETEKOYZA 

NANf//IIONEKAAY2ANAIZ2AKoPnNrTAOEA 

nNOMENOYKETEAE22ENENIiniOIZENIAYTOY 

rrAEin/A01PAAE2HMATPEHANTPI''//TH2 

AI§l.anYAAOYPEi:YAEYArEnNENIOnKO//|Z 

AIAKE//y'HMHNAI2HIOEMIZATPAniToN 

'A   XacXo;    £v   ^(jiolai.   xx    u.ri   ^cöovTa   Tirap'  [äJcTOi? 

<I>aaa  KapucTto    u-ouToexsi   Txöfxaxf 
Z(;.'jpva  xäxpa,   yevixa;   A7ipt,ir)xpt0(;  ri^l  xEKOuera 
Nav[v]iov   ex-XaiiTav   Siaoa  xopwv   TraÖea, 

'Qv     6     (JL£V     OUK    £Xe>.6T<T£V     6vi     ^WOt^     £VtaUXOU 

riXeio),    [xoipa   Sk   ari,    Maxp£a,    viv   xpi[6]xyi?. 
'At[S£l(i)   TcuXäoupE,    alt   S'  EuayEwv   £vt   Oü»to[i];, 
Aixx.i,  [(j]r)(xy)vat?  y)i   ÖI^ak;   äxpaTcixdv. 


EPIGRAMM   AUS   8MYRNA  269 

Einfachheit  und  Klarheit  kann  ich  dem  Epigramm  trotz  seines 
dürftigen  Gedankeninhalts  nicht  nachrühmen.  Die  geringe 
Gewandtheit  des  Verfassers  verrät  sich  schon  darin  ,  dass  er 
gegen  Schluss  aus  dem  affcctirten  dorischen  in  den  gewöhn- 
lichen Dialekt  verfallt.  Zu  Anfang  glaubte  ich  zuerst, allerdings 
mit  metrischem  Anstoss,  aXaXo?  lesen  zu  sollen.  Aber  dass 
Pheme  ohne  zu  sprechen  verkündet,  wäre  recht  gesucht  und 
hätte  eher  von  der  Stele  gesagt  werden  können  Sund  die  Lesung 
<J>xu.oi.  schien  mir  nicht  nur  vor  dem  Stein  sicher, sondern  wird 
auch  durch  den  Abklatsch  bestätigt, der  sonst  leider  grade  für  die 
schwer  lesbaren  Stellen  ganz  im  Stich  lässt.  Merkwürdig  mutet 
auch  das  Trap'  äcToi?  an  ;  ich  finde  aber  keine  andere  Herstel- 
lung. Zu  verbinden  ist  es  wol  mit  /.xpo(7Gco.  In  Z.7  ist  die  Her- 
stellung 'AtSsci)  durch  den  Sinn  geboten,  obwol  der  senkrechte 
Strich, den  ich  vor  dem  Q.  zu  sehen  geglaubt  habe,  nicht  dazu 
stimmt.  Zur  viersilbigen  Messung  von  'AiSsw  vgl.  Jacobs, 
Ant/i.  Pal.  VII,  624.  Die  Vorstellung  von  Aiakos  als  Pfört- 
ner des  Hades  ist  uns  vor  allem  aus  Aristophanes  Fröschen 
geläufig,  dass  aber  dort  sein  Name  willkürlich  einem  namen- 
losen Diener  des  Pluton  gegeben  ist,  wird  mit  Recht  ange- 
nommen (vgl.  Preller-Robert,  Mythologie^  1  S.  808,6),  wenn 
auch  später  Aiakos  öfter  in  dieser  Function  erscheint  (  Roschers 
Lexikon  1  S.  il9).  Syifxyivat«;  habe  ich  hergestellt,  ebenfalls 
im  Widerspruch  zu  der  verzeichneten  kleinen  Hasta;  aber  r.r,- 
[ATivaK;  wäre  sinnlos. 

Noch  ein  Umstand  erheischt  eine  Erklärung.  Die  beiden 
Kränze  über  dem  Relief  drücken  eigentlich  aus,  dass  die  Ver- 
storbenen durch  Verleihung  eines  Kranzes  geehrt  worden  seien. 
Dass  diese  unmündigen  Rinder  bei  Lebzeiten  solcher  Ehre 
teilhaftig  geworden  wären,  wird  man  nicht  glauben.  Aber  es 
ist  wie  für  andere  Orte  '  so  auch  für  Smyrnu  die  Verleihung 
von  Kränzen  an  Verstorbene  bezeugt.  Cicero,  Pro  L.  Flacco 


'  Vgl.  Kaibel,  ß/)Jöira?nmfl/a  Nr.  "234:  fcata  riEtpa  äYOseüei  tÖv  vexüv  äcpGoyYw 
(pOeYYOjjieva  aTOjjiaTi.  240:  r.ix^a^  ooe  ^eivoiai  ßoaasTai. 

2  Es  gciüigl  hicirür  aul'  die  von  Buroscli  holiaiulclten  Troslhosclilüsso  zu 
verweisen:  Rliein.  Museum  18'J4  S.  424. 


270  P.   WOLTERS,   EPIGRAMM  AUS   SMYRNA 

31,  75  :  Vellem  tantum  habere  me  otii,  ut  possem  recitare 
psephisma  Smyrnaeorum,  quod  fecerunt  in  Castriciiun 
mortuum ,  .  .  ut  imporieretur  aurea  corona  mortuo.  C.I.G. 
II  3135:  v,y.\^c,  eyov  iariv  Ta;  7rpe7rou<7a?  TifjLot?  to  ]xf:r\XKy.jo-:i 
^[lyicpiTaCTÖai'  oeöoj^Qat  tw  OTiaw  TTEfpÄvöiTott  'AGvivoScopov  ypudö  cre- 
cpavcp  xai  eikÖvi  ^a'XxY]"  aTe<pavto97ivat  de  auxov  xai  utto  tou  yufxvac- 
(jtapyo'j  xai  tcüv  vecov  )(^puaGj  (TTSipxvw'xat  stKovt  yaXjtvi,  xat  ut:6  tgjv 
7raiöov6{/.(i)v  xai  Traiocüv  j^^pucö  axecpxvco  >tai  eIjcdv.  ^a>,x9i,  )tal  utco 
TOu  IttI  TV}?  Eu)tO(j[xia(;  xai  tcov  TrapOevwv  )(^pu(7Ö  (7T£(pav(p  xxi  eSkovi 
Xoc^Kvi.  Vgl.  Böckh  zu  C.  I.  G.  II  3^16.  LeBas  -  VVaddington 
13.  So  könnte  man  also  vermuten,  den  Kindern  sei  die  Ehre 
des  Kranzes  aus  Anlass  ihres  Todes  zu  Teil  geworden.  Mir 
ist  für  eine  derartige  Geschmacklosigkeit  kein  Beleg  zur  Hand, 
in  diesem  besonderen  Fall  können  wir  das  Volk  von  Smyrna 
von  dem  Vorwurf  solch  massloser  Übertreibung  frei  sprechen. 
Innerhalb  beider  Kränze  haben  einige  Buchstaben,  offenbar 
die  üblichen  Worte  6  Sriiv-o;,  gestanden,  die  dann  ausgemeisselt 
worden  sind.  Damit  ist  gesichert,  dass  diese  Kränze  keine  of- 
fiziell verliehenen  sind.  Ihr  Vorhandensein  lässt  sich  verschie- 
den erklären.  Entweder  war  der  Grabstein  bis  auf  Belief 
und  Inschrift  aber  mit  den  unvermeidlichen  Ehrenkränzen 
schon  im  Voraus  fertig  gestellt  und  wurde  zu  seinem  beson- 
deren Zweck  durch  Entfernung  der  Inschrift  6  SripLo?  brauch- 
bar gemacht,  wobei  man  die  auf  den  Grabsteinen  so  häufigen 
Kränze  zu  entfernen  nicht  für  nötig  hielt,  oder  es  w^ar  so  üblich 
einen  Grabstein  mit  solchen  Kränzen  geschmückt  zu  sehn, 
dass  der  Steinmetz  sie  auch  in  diesem  Fall  angebracht,  ge- 
dankenlos aber  mit  der  offiziellen  Ehreninschrift  versehen  hatte, 
die  dann  wieder  gelöscht  werden  musste.  Jedenfalls  sehen  wir 
auch  hier,  wie  gewöhnlich  und  typisch  die  Verleihung  von 
Kränzen  an  Verstorbene  geworden,  und  wie  die  ursprünglich 
besondere  Ehrung  zur  üblichsten  Höflichkeitspflicht  der  Gon- 
dolenz  herabgesunken  war. 

Athen,  Juli  1898. 

PAUL  WOLTERS. 


KERCHNOS 

( Hierzu  Tafel  XIII.  XIV) 

Im  Aglaophamus  beschäftigt  sich  Lobeck  (S.  22  ff.)  ein- 
gehend mit  den  auvS/iaaTa,  d.  h.  Bekenntnissformeln,  welche 
in  den  verschiedenen  Mysterienkulten  gebräuchlich  waren  und 
zwar,  wie  es  das  Wahrscheinlichste  ist,  bei  denEinweihungs- 
caeremonien  von  den  neu  aufzunehmenden  Mysten  aufgesagt 
wurden*.  Auch  über  diese  auvö-^p-axa  herrschte  vor  Lobecks 
Buch  grosse  Verwirrung,  insbesondere  über  ihre  Zuteilung  an 
die  verschiedenen  Mysterien.  Lobeck  geht  aus  von  einer  Po- 
lemik gegen  den  Scholiasten  zu  Piatons  Gorgias  497  c  und 
macht  diesem  zum  Vorwurf,  dass  er  als  eleusinisch  Dinge  be- 
zeichne, die  mit  Eleusis  gar  nichts  zu  thun  hätten.  Hierzu  rech- 
net er  vor  allem  das  vom  Scholion  als  eleusinisch  angeführte 
oüvÖYipia  :  iy.  TujxTravou  e'^ayov,  i%  KufA^aXou  ettiov,  ixspvofpöpYiaa, 
uTTo  töv  Tcacxöv  utteSuov.  Zweifelsohne  hat  Lobeck  damit  Recht 
und  er  hat  auch  den  Beweis  dafür  erbracht,  in  dem  für  un- 
sere Kenntniss  vom  antiken  Mysterienwesen  so  überaus  wich- 
tigen Abschnitt  des  Protreptikos  des  Clemens  Alexandrinus 
ist  uns  das  angeführte  cruvörifxa  ausdrücklich  für  den  Attis- 
Kybele-Kult  überliefert  (Protrept.  H  §  15  S.  13).  Die  eleusini- 
sche  Bekenntnissformel  führt  Clemens  einige  Kapitel  später  an 
(§  21  S.  18);  si  lautet;  svTjaTeuoa,  etciov  tÖv  xuKscüva,  eXaßov  ex 
xiffTY)?,  dyyeuffapLevo;  ^  äTcgöejxriv  ei;  )täXa9ov  xai  ek  )ca>.a6o'j  el;  )ci- 
oTTiv.  Als  direkten  Beweis  gegen  den  Ursprung  des  zuerst  an- 
geführten Synthemas  führt  Lobeck  die  Erwähnung  des  Kep- 
vo?  und  des  Tympanon  an.  Beide  gehörten  in  den  Dienst  der 


<  Vgl.  Schul.  Plal.  Gorgias  497  «  . . .  ev  oT?  (den  Mysterien)  xoXXi  ijlev  £7:paT- 
T£TO  atcix^pä,  iXi'^i-zQ  hl  npö;  Toiv  [jiuou[i^vu)v  TaCixa  .  .  .  vgl.  Amobius  V,  26,  an- 
geführt bei  Lobeck,  Aglaophamus  S.  25  (mir  augenblicklich  nicht  zugäng- 
lich). 

^  Überliefert  ist  ep^affäiAtvoi,  die  Verbesserung  stammt  von  Lübeck. 


272  0.    RUBENSOHN 

Kybele  und  des  Atlis.  I^ür  den  Kernos  beweisen  ihm  das  zwei 
wichtige  Stellen.  In  Nilvanders  Mexiphormaka  wird  Vers  ^17  f. 
von  einem  durch  Schirling  vergifteten  Menschen  gesagt,  er 
schreie  wie  die 

)C6pvo(p6po;  ^^dtxopoi;  ßwfxidTpia  'PeiT)? 
stvaSi  >>ao(p6poi<7iv  lvi)^pi(X7rTOu(7X  iceXsuOot?, 
und  der  Scholiast  bemerkt  dazu  :  y.£pvo<p6po<;  y)  tou?  xpaTTipa? 
(pepouoa  U'psia*  jcspvou;  yap  cpaai  tou«;  auijTUOu?  xpaTv^pai;,  i^'  wv 
>.uj^vou;  Ti8£'a<jf  (^ajtopo?  Ss  ri  vewxöpo;  xal  ßtoaicTpia  -h  lepeia  tyj? 
)tepvo96pou  'Psa;.  In  der  Dichterstelle  wird  zweifellos  deutlich 
die  xspvocpöpo;  und  also  auch  der  x6pvo(;  in  den  Kult  der  Rhea 
verwiesen,  im  Scholion  wird  Rhea  selbst  als  xepvocpopo;  bezeich- 
net. Über  die  anderen  Bemerkungen  des  Scholiasten,  die  auf 
den  Kernos  selbst  Bezug  haben,  lassen  wir  das  Urteil  noch 
ausstehen.  Die  zweite  Stelle,  die  für  den  xs'pvo«;  und  seine  Be- 
ziehung zum  Kybelekult  von  Wichtigkeit  ist,  finden  wir  in  ei- 
nem Epigramm  des  Alexander  Aetolus,  in  dem  er  den  Alk- 
man  sagen  lässt  (Anth.  Pal.  Vll,  709): 

Säpots?  äpyaiai,  Tcarsptov  vo^ao?,    el  y.h  ev  u[/.iv 

6Tps(p6jj(,av,  xspva;  yjv  ti<;  ccv  r)  ßaxeXa? 

y^pu(JO(p6po?,  p-/i(j(j(i)v  y.xkx  TUfXTvava. 
Denn  dass  mit  den  Worten  des  zweiten  und  dritten  Ver- 
ses auf  Kybeledienst  angespielt  wird,  beweist  ausser  dem 
TÜp-Tuavov  auch  die  Erwähnung  des  ßa/teXa?,  der  von  Salmasius 
richtig  für  u.oi.'/,i'kaL<;  eingesetzt  ist.  BaKsXa«;  ist  der  Verschnittene 
im  Kult  der  Kybele. 

Auf  diese  beiden  Nachrichten  gestützt  verwies  Lobeck  den 
xepvo?  und  mit  Rücksicht  hierauf  und  auf  das  Zeugniss  des 
Clemens  auch  das  Synthema  :  ix.  ruixTvivou  i'cpayov  u.  s.  w.  aus 
dem  eleusinischen  Kult,  und  ausnahmslos  sind  ihm  die  Neue- 
ren darin  gefolgt.  Wenn  H.  von  Fritze  das  Synthemaohne  wei- 
tere Begründung  einfach  als  eleusinisch  in  Anspruch  nimmt' 
und  demgemäss  behauptet,  Clemens  (S.  14)  und  der  Pla- 
tonscholiast  bewiesen,  dass  der  xepvo?  ein   hochheiliges  Gerät 

*  'EfTjjxepU  ipx..  1897  S.  163. 


KERCHNOS  273 

des  eleusinischen  Kultes  sei,  so  ist  das  eine  unrichtige  Dar- 
stellung, die  nach  Lobecks  Ausführungen  nicht  mehr  hätte 
vorgebracht  werden  sollen*.  Der  Kernos,  der  im  Platonscho- 
lion  und  von  Clemens  erwähnt  wird,  ist  ein  Kultinstrument 
des  Kybeledienstes. 

Der  Thatbestand  ist  aber  in  Wirklichkeit  nicht  so,  wie  Lo- 
beck nach  dem  ihm  vorliegenden  Material  annehmen  musste. 
In  der  von  Philios  in  den  Athenischen  Mitlheilungen  189i  S. 
192  ff.  veröffentlichten  und  von  Üragumis  in  der  'E(p-/}aepU 
a.^1.  1895  S.  61  ff.  wieder  behandelten  Übernahme-Urkunde 
derEpistaten  von  Eleusis  aus  dem  Jahre  des  Euktemon  408/7 
finden  wir  unter  den  Kostbarkeiten,  welche  im  städtischen 
Eleusinion  aufbewahrt  werden,  in  Z.  16  genannt:  xp-j'^oi 
xepyvoi  P.  In  der  Übergabe-Urkunde  derselben  Epistaten,  die 
sich  auf  der  Rückseite  des  Steines  befindet,  kehren  in  Z. 
22  diese  fünf  goldenen  xe'p^voi  w^ieder.  Sie  befinden  sich  auch 
hier  im  städtischen  Eleusinion.  Ich  glaube,  es  unterliegt  kei- 
nem Zweifel,  dass  wir  es  hier  mit  dem  icepvo;  zu  thun  haben. 
Das  Wort  ^ipjyo^  begegnet  uns  in  der  Überlieferung  beson- 
ders bei  medicinischen  Schriftstellern.  Sie  bezeichnen  damit 
gewisse  anormale  Bildungen,  insbesondere  verwenden  sie  das 
Wort  und  seine  Ableitungen  um  Rauhheiten  im  Hals,  kleine 
Unebenheiten  in  der  Kehle  zu  bezeichnen.  Damit  stimmt  über- 
ein, was  uns  durch  Erotian  im  Glossar  zu  Ilippokrates  s.  v. 
xep/vü)^/]  (ed.  Franz  S.  198  f.)  überliefert  ist,  dass  nämlich 
im  Attischen  jcsp/vw^v)  ayyäa  diejenigen  Gefässe  genannt  seien, 
die  Tpa^^eia?  avü)(j,aXiac  hätten".  Pollux  II,  180  führt  nun  als 
Bezeichnung  für  gewisse  xp(x.yy-zr,i:i<;  auch  das  Wort  xe'pvo;  an. 


*  In  denselben  Fehler  ist  jetzt  auch  Kiiruniolis  verfallen,  der  in  dem  so- 
eben erschienenen  lieft  der  'E-^ria.  ap/  1898  (S.  21  ir.l  einen  Aufsatz  über 
den  Kernos  veröllentliclil.  Kuruninlis  kommt  erfreulicherweise  zu  densel- 
ben Resultaten  wie  ich,  da  er  aber  auf  die  Mehrzahl  der  hier  behandelten 
Fragen  nicht  eingeht,  so  scheint  eine  Veröll'entlichung  der  hier  vorgetrage- 
nen Ansichten  nicht  überflüssig  Zu  Änderungen  hat  der  Aufsatz  von  Ku- 
runiotis  keine  Veranlassung  gegeben. 

2  Vgl.  dazu  Ilesych  s.  v.  x£p/^voj(a.aai  und  xtp/^vwiä. 


274  0.   RUBENSOHN 

Wir  sehen  also,  dass  eine  inhaltliche  Verschiedenheit  zwischen 
x£pvo<;  und  )t£px.^o?  nicht  vorhanden  ist;  die  sprachliche  Verschie- 
denheit ist  belanglos,  wir  sind  daher  wol  berechtigt  die  beiden 
Worte  für  identisch  zu  erklären,  oder  vielmehr  das  inschrift- 
lich bezeugte  k^px^o;  als  das  richtigere  für  das  litterarisch 
überlieferte  Kspvo?  einzusetzen,  besonders  auch  mit  Rücksicht 
auf  die  Erotian-Glosse.  Wir  haben  also  den  »tepx^'o?  i"^  V. 
Jahrhundert  bereits  als  ein  Requisit  des  Schatzes  der  eleusini- 
schen  Göttinnen  und  also  auch  des  eleusinischen  Kultes  bezeugt. 
Fragen  wir  uns  nun  nach  der  Bedeutung  und  dem  Ausse- 
hen dieses  Kultgeräts,  so  müssen  wir  mit  Rücksicht  auf  die 
Bedeutung  des  Wortes  y.i^yyo(;  ein  Gerät  oder  besser  gesagt  ein 
Gefäss erwarten,  das  eine  anormale  Bildung  hat,  und  zwar  müs- 
sen die  Abnormitäten  in  Auswüchsen  oder  Ansätzen  bestehen, 
die  einen  Vergleich  mit  den  erwähnten  Tpa/uxriTs?  erlauben. 
Dieser  Anforderung  entspricht  die  Beschreibung  des  y.ipi'^oi, 
wie  sie  bei  Athenaios  in  zwei  schon  des  öfteren  behandelten 
Stellen  vorliegt.  In  der  Aufzählung  der  Gefässe  XI,  476  ^ 
heisstes:  Jtepvo;  ayyeiov  Kspafxeouv  •  i'^ov  iw  auxö  ttoXXou;  kotuXi- 
otou?  )C£)co>.>.ir)[ji.£vou?,  £v  ol;,  cpviciv,  p,Yi>'-wv£(;  "kiDY-ol,  TCupoi,  )cpi0ai, 
TTKJoi,  XiOupoi,  w^P^''  '?*"'^^^-  0  ^^  ßa<JT!X(j{x;  aüxo  olov  Xtxvocpopricra«; 
toÜtwv  vsueTai,  wi;  l^ropsi  'Ai^-fxcov'.o;  h  y'  Trspl  ßwawv  xod  Ouoriüiv. 
Einige  Kapitel  später  ist  vom  Kotylosdie  Rede,  und  hier  lesen 
wir  (S.  478  c  .)  :  rioXej/cov  S'  £v  Tö  TTspi  tou  Siou  xwSiou  (prici" 
[jL6Ta  Se  TauToc  t7)v  teXettiv  Tcotei  xai  aipei  toc  ^  £>t  tt]?  öaXatxYi;  xai 
veafii  0(TOi  av(i)  to  )C£pvo<;  TC£pi£VYivoxoT£;.  touto  ö  eotiv  ayy£iov  x,£- 
pauLEoGv  e^ov  £v  aüxo)  tvoXXou?  )toTuXi(T)coug  >c£xo>.Xvi[;.£voui;"  i'vEKJi  o 
£V  auTOi;  opjzivot,  p.-o)Cü)V£<;  X£ux,oi,  Tcupoi,  xpiGai,  tvkjoi,  Xaöupoi,  (i>- 
Xpoi,  (paxoi,  )t6aaoi,  ^£iai,  ßp6[J!.o?,  TcaXäöiov,  [v-eXi,  i'Xatov,  oivo?, 
yaXa,  öiov  e'piov  ÄtcXutov.  6  Se  touto  ßacTOtaa?  olov  Xi)cvo(popyiaa(; 
TOUT(i>v  yeusTat  ^. 


'  Hesych  s.  v.  xe'pvo?  ebenso. 

2  So  nach  der  Venniitung  Meinckes  ;  iil)ei'Iicrt.'rt  isl  aipeiiai. 

3  Mit  dieser  Bescbreibuug  stiininl  durchaus  iiicbt  überein — was  gleich  hier 
erledigt  sein  möge  — die  Bemerkung  des  oben  citirten  Platouscholiasten: 


KERCHNOS  275 

Wir  haben  hier  also  eine  genaue  Besehreibung  des  Kerchnos. 
Ehe  wir  uns  aber  mit  dieser  selbst  befassen,  müssen  wir  auf 
die  beiden  Stellen  etwas  näher  eingehen,  weil  sie  in  ihrem 
ganzen  Zusammenhang  geeignet  sind  uns  weitere  Aufschlüsse 
über  unseren  Gegenstand  zu  geben. 

Ganz  kurz  nur  über  das  Verhällniss  beider  Stellen  zu  ein- 
ander. Preller  {Polemon  Frg.  88)  hatte  ohne  weitere  Be- 
gründung die  Ansicht  geäussert,  dass  Ammonios  Lamp- 
treus  aus  Polemon  geschöpft  habe,  nach  Münzel  bei  Pauly- 
Wissowa  i  S.  2902  hätte  Polemon  den  Ammonios  citirt,  wie 
sich  aus  einer  Vergleichung  der  beiden  Stellen  ergäbe,  ich 
bin  für  Prellers  Ansicht,  in  der  Voraussetzung,  dass  der  ganze 
Abschnittt  S.  i76''  und  nicht  bloss  der  Satz  6  Ss  '^xrj-xnxc,  y.-\. 
aus  Ammonios  geflossen  sind.  Das  sinnlose  (pr.civ  hinter  ev  oI; 
lässt  sich  nur  so  erklären,  dass  Athenaios  es  in  seiner  Quelle 
gefunden  hat.  Die  ganze  Stelle  hat  demnach  schon  bei  Am- 
monios als  Citat  gestanden  und  zwar  natürlich  als  Cilat  aus 
Polemons  Schrift  TZi^l  tov)  Sio-j  xcjSiou.  Athenaios  hat  das  ^nciv 
gedankenlos  mit  herübergenommen.  Die  zweite  Frage,  ob  die 
längere  Fassung  478 d  oder  die  kürzere  476®  die  ursprüng- 
liche ist,  lässt  sich  dahin  beantworten,  dass  das  Ammonios- 
citat  einen  verkürzten  Auszusraus  der  Notiz  bei  Polemon  dar- 

o 

stellt.  Die  Begründung  hierfür  wird  sich  im   Verlauf  unserer 


xe'pvo;  8e  tö  Xixvov  tj'youv  xö  tctüov  lattv.  Das  Aussehen  des  Xixvov  ist  uns  be- 
kannt, man  v^I.  nur  z.  B.  UuUellino  comimale  1879  Taf.  2 — 5;  es  war  si- 
cherlich auch  nie  aus  Thon  gefertigt,  kann  also  nicht  als  iYY^'ov  xepajjLsoüv 
bezeichnet  werden.  Die  Bemerkung  des  Scholiastcn  ist  falsch.  Es  scheint 
mir  auch  keinem  Zweifel  zu  unterliegen,  dass  der  Fehler  mittelbar  oder 
unniilteibar  seinen  Grund  in  der  falschen  Auslegung  des  letzten  Satzes  der 
im  Text  angeführten  Pulemous teile  hat.  Bei  Polemon  ist  das  Wort  Xixvoipo- 
prfaa?  nur  herangezogen,  um  die  Art  des  Tragens  des  Kerchnos  für  jeden 
griechischen  Leser  in  der  einfachsten  Weise  zu  kennzeichnen  (s.  u.).  Der 
Selioliasl  oder  vielmehr  seine  Quelle  hat  diese  Wendung  missverstanden 
und  geglaubt,  es  wäre  mit  diesen  Worten  auch  etwas  über  die  Gestalt  des 
Kerchnos  gesagt.  Ähnlich  zu  beurteilen  ist  Pollux  IV,  103:  tö  xEpvoyöpov 
op-fji^a  oIS'  on  Xfxva  j\  Ed/^aptöa;  9epovT£i'  xepva  31  tauta  exa^Elto,  wobei  ich 
allerdings  eine  Erklärung  für  die  Bezeichnung  des  Kerchnos  als  cj/apt« 
nicht  geben  kann. 


276  O.   RUBENSOHN 

Betrachtung  ergeben.  Die  grösste  Schwierigkeit  für  die  Inter- 
pretation der  Stelle  478^1  bilden  die  einleitenden  Worte  aexa 
Ss  TaÖTa  TTjv  TeXsTYiv  TTOisi  x,at  alpei  xa  ex.  rr,;  Oa>.!xp,Yi(;  y.ot.1  vefxei 
oaoi  xvü)  t6  )t£pvo;  Trepiev/ivo/oxe;.  Viellach  ist  versucht  worden 
an  den  Worten  herumzubessern,  besonders  gegen  avo  sind 
verschiedentlich  Bedenken  geäussert  worden  und  man  hat 
versucht,  es  durch  Gonjectur  zu  beseitigen.  Sehr  mit  Unrecht, 
denn  dem  Wort  kommt  hier,  wie  es  scheint, eine  ganz  beson- 
dere Bedeutung  zu.  Kaibel  hat  die  Stelle  unverändert  gelas- 
sen und  damit  wol  das  Richtige  getroffen.  Es  ist  zu  xeptevYivo- 
^(^öte;  ein  £1(71  zu  ergänzen.  Dann  heisst  die  Stelle:  Darauf  voll- 
zieht er  (ein  Priester),  oder  sie,  (eine  Priesterin)  die  Weihe 
und  nimmt  das  aus  dem  Gemach  (man  kann  auch  Kapelle 
oder  Adyton  verstehen)  und  verteilt  es  an  alle  die,  welche 
den  Kerchnos  oben  herumgetragen  haben.  Mit  avo)  kann  ent- 
weder ein  oberer  Raum,  etwa  das  obere  Stockwerk  in  einem 
Gebäude  angedeutet  sein,  in  dem  die  Caeremonie  mit  dem 
Kerchnos  vor  sich  gegangen  wäre,  oder  es  wird  damit  auf  die 
Art  des  Tragens  des  Kerchnos  hingewiesen,  den  man,  wie 
wir  des  weiteren  sehen  werden,  bei  der  entsprechenden  Kult- 
handlung auf  dem  Kopf  befestigt  trug.  Das  muss  sich  aus  dem, 
was  bei  Polemon  vorausging,  ergeben  haben.  Leider  können 
wir  das  heute  nicht  mehr  feststellen,  da  die  Stelle  von  Athe- 
naios  so  aus  dem  Zusammenhang  gerissen  hergesetzt  ist. 
Wäre  dies  nicht  der  Fall,  wüssten  wir  was  Polemon  in  den 
unserer  Stelle  vorausgehenden  Sätzen  gesagt  hat, so  wären  wir 
wahrscheinlich  auch  im  Stande  ohne  weiteres  anzugeben,  im 
Dienste  welcher  Gottheit  die  TeXsTY)  gefeiert  wurde,  von  der 
hier  die  Rede  ist.  So  sind  wir  auf  Vermutungen  angewiesen, 
und  man  hat  bisher  dem  Vorgehen  Lobecks  folgend  mit  dem 
Kerchnos  die  Telete,  die  hier  genannt  ist,  in  den  Kult  der 
Rhea-Kybele  verwiesen'  Man  glaubte  sich  hierzu  umsomehr 
berechtigt,  als  bei  den  Kulthandlungen  die  ^xlöc^K-n  eine  Rolle 
spielt,  von  der  man  zu  wissen  glaubte,  dass  sie  die  eigentiim- 


'  So  z.  B.  ölengel,  Kullusaltertüruer  S.  70,  16. 


KERCHNOS  277 

liehe  Bezeiehnung  für  Kybeleheiligtümer  sei.  Die  Grundlage 
für  diese  Meinung  schien  die  Überlieferunc»  zu  bieten,  die  in 
der  That  in  einer  Anzahl  von  Fällen  die  ÖaXäfxr,  die  öaXaar,- 
TToXoi,  den  OäXau.o?  im  Kult  der  Kybele  erwähnt.  So  wird  z. 
B.  in  den  Alexipliarmaka  gleich  zu  Anfang  von  Ryzikos 
gesagt : 

rr/i  T£  'Peir,; 
Ao€piv7)?  OaX^aoci  ts  Jtai  öpyotCTvjptov  "Attew, 
wozu  der  Scholiast  bemerkt :  OaXiaai  totoi  Upol  uxoysioi  ävx- 
xeiaevoi  ty]  'Psa  u.  s.  w.  Man  ist  aber  hierin  zu  weit  gegan- 
gen. Die  6aXajj.ai  oder  9aXa(jiai — beide  Accentuirungen  kom- 
men vor — gehören  zwar  in  den  Kult  der  Kybele,  aber  sie  ge- 
hören diesem  Kult  nicht  ausschliesslich  an.  Aus  Ammonios 
7^601  Siacpöpwv  XeEswv  kennen  wir  die  ÖaXaay)  im  Dienst  der 
Dioskuren,  einem  6ä>.a{^.o?,  wahrscheinlich  aus  dem  Kult  der 
Aphrodite,  begegnen  wir  in  der  parischen  Hetäreninschrift '. 
Hula  und  Szanto  haben  in  den  Berichten  der  wiener  Akade- 
mie 189  4  S.  18  Nr.  13  eine  Inschrift  aus  Mylasa  in  Karien 
verötYentliclit,  nach  der  ein  Tib.  Klaudios  Seleukos  tov  "Epctixa 
<jüv  TT)  Tcepieyo'jcY]  aüröv  OaXauivj  geweiht  hat^.  W  ir  iiaben  also 
unter  der  Thalame  eine  kleine  Kapelle  oder  auch  ein  höhlen- 
artiges Heiligtum  zu  verstehen,  wie  sie  in  den  verschiedensten 
Kulten  Platz  haben  konnten.  An  die  Erwähnung  der  OaXaar,  in 
unserer  Stelle  können  wir  daher  keinen  sicheren  Schluss  knüp- 
fen.Weiter  führt  uns  aber  eine  andere  Erwägung.  Die  Angaben 
über  den  Kerchnos  sind  aus  Polemons  Schrift  Trepl  toC  «^lou  kw- 
Siou  geschöpft.  Wie  konnte  im  Zusammenhang  einer  solchen 
Schrift  Polemon  auf  den  Kerchnos  zu  sprechen  kommen?  Das 
Siov  /cüSiov — das  Fell  des  dem  Zeus  geschlachteten  Widders  — 
war,  wie  es  scheint, ein  ursprünglich  reinatlisches  Instrument 
des  Kultus-^  und  wurde  nach  den  uns  erhaltenen  Angaben  der 
Alten  im  Dienst  des  Zeus  und  bei  den  Mysterien  in  Eleusis 


*  Vgl.  Athen.  Miltli.  XVIIl,  1893,  S.  16,  2,  Zeile  6. 
^  Siehe  jetzt  auch  Buresch,  Aus  Lydiea  S.  63. 
3  Vgl.  Lobeck,  Aglaupkavius  S.  185. 


■278  0.    RUBENSOHN 

verwendet.  Zweifelsohne  ist  es  aus  dem  Dienst  des  Zeus  her- 
vorgegangen, wie  schon  der  Name  beweist.  In  Eleusis  be- 
diente sich  der  Daduch  des  Dion  Kodion  zur  Entsühnung  der 
Gemeinde  oder  einzelner  Teilnehmer  an  den  Mysterien'.  Das 
wissen  wir  aus  einer  bei  Suidas  und  llesych  erhaltenen  Glosse, 
die  Preller  sicher  mit  Recht  auf  Polemon  zurückgeführt  hat. 
Sie  lautet  :  Ai6?  xcoöiov,  ou  t6  Upsiov  Au  -.eOuTar  öuouci  t£  tw  t£ 
Mgt'Xij^^ia)  x.oci  tö  KTYi<ytü)  Ati"  to.  Sk  xw8ia  toutcov  (pu>>a(j(70u(n  Sia 
TrpoaayopsuovTE?.  j^^paivrai  S'  ccbrolc,  oi  xs  S/Cipo<popicov  t7]v  7T:o(X7:yiv 
«jteXXovte;  <tai  6  oiySou^o?  iv  'EXsutTvi  (jcal  aXXot  Tive<;  Tvpö?  tou; 
xa9ap[j!.ou(;  uTroejTopvuvre?  auxä  toi;  tvoti  tcüv  evaydöv)"^.  Wir  sehen 
also,  dass  Polemon  in  der  Schrift  Trspl  toö  SiouxwSiou  auf  eleu- 
sinischen  Kult  zu  sprechen  gekommen  ist.  Dass  das  Siov  kw- 
Stov  im  Rybelekult  irgendw^ie  verwendet  worden  sei,  ist  we- 
der überliefert,  noch  nach  dem  ganzen  Charakter  des  Kybele- 
kultes  glaubhaft.  Ist  es  da  nicht  an  sich  wahrscheinlich,  dass 
in  dem  Polemoncitat  bei  Athenaios  von  Eleusis  die  Rede  ist, 
dass  die  xiltr-h,  die  hier  erwähnt  wird,  ein  Kultushandlung 
der  eleusinischen  Mysterien  ist  ?  Das  Nächstliegende  ist  es  si- 
cher. Dazu  kommt  noch  ein  weiteres.  Die  Caeremonie,  welche 
mit  dem  Kerchnos  vorgenommen  wird,  besteht  in  der  Dar- 
bringung einer  Gabe,  die  aus  allen  möglichen  Feldfrüchten — 
aufgezählt  werden  Salbei,  Mohn, Weizen,  Gerste,  verschiedene 
Sorten  Erbsen,  Linsen,  Bohnen,  Spelt,  Hafer  —  ferner  einem 
Kuchen,  TcaXocOiov^,  und  schliesslich  noch  Honig,  Ol,  Wein, 
Milch  und  ungewaschener  Schafwolle  besteht. 

An  den   aufgezählten  Opfergaben  ist  vielfach  Anstoss  ge- 
nommen worden.  Insbesondere  das  oiov  eptov  ätcT^utov  schien 


*  Genaueres  wissen  wir  nicht.  Vgl.  Lobeck,  Aglaophamus  S.  183  ff. 
Prcller,  Polemon  ö.  141  ff.  Ruhensolin,  Mystcricnlieiligliimer  S.  199. 

2  Über  den  in  Klamiaeru  gesetzten  Zusatz,  der  sich  auf  die  Sühnung  der 
mit  Blutschuld  Behafteten  bezieht,  vgl.  Lobeck  a.  0.  S.  184;  auch  aus 
dem  Ainphiaraoskull  ist  ähnliches  bekannt  (Paus,  l,  34,  3).  Dabei  wollen 
wir  nicht  vergessen,  dass  Ainphiaraos  ein  ursprünglicher  Zeus  ist. 

3  llaÄaOiov  ist  ein  Kuchen,  der  im  wcsenllichcn  aus  Früchten  besteht,  wi( 
die  in  den  weiterhin  citirten  Sophoklesversen  begegnende  noLy.i(,-.sia.;  vgl 
Ilerodot  IV,  "3  mit  Steins  Anmerkung. 


KERCHNOS  279 

Einigen  sehr  zu  Unrecht  hier  erwähnt.  Meineke  hat  z.  B.  wov 
an  Stelle  von  otov  gesetzt,  Wilamowitz  wollte  die  Wolle  ganz 
beseitigen  und  conjicirt  wov,  yöpiov  7.7:A'jtov,  welche  Conjectur 
Kaibel  unter  den  Text  gesetzt  hat ' . 

Für  diese  Änderungsversuche  ist  aber  kein  Raum.  Denn 
das  o'.ov  i'piov  z-X'jTov  ist  ein  sehr  wichtiges  Kultobject  und 
begegnet  uns  gerade  in  dem  Zusammenhang,  in  dem  wir  es 
hier  finden,  des  öfteren.  In  einem  bekannten  Fragment  aus 
Sophokles  Polyidos,  das  uns  bei  Clemens  Alexandrinus 
(Strom.  IV  S.  565)  und  vor  allem  bei  Porphyrios  (De  absti- 
nentia  U  19)  erhalten  ist,  finden  wir  es  wieder  zusammen 
mit  einigen  bei  Athenaios  genannten  Gegenständen.  Porphy- 
rios sagt  a.  a.  0.:    xai  2o(poKX9i(;    Staypacpwv    tt/V  O£0(pi>.95   O-j-iiav 

Y)v  [JL£V  yap  oiö?  [LxXköi;,    7)v  S'  ä[/.TC£Xou 

(TTCOvSv)  T£  x,al   pä^  £Ü  T£Öri<7aupi<TU(.£vri* 

evyjv  Se  7ray)capT:£ta  ouiAjAiyr)?  öXai; 

>.t7C0(;  t'  £>.aia<;  Jtai  to  7roiy.iX(ÖTaTov 

^ouöri?  ^iliacfii;  xvipoTCXadTov  opyavov. 
Wir  finden  also  hier  wieder  die  Zottel  der  Schafwolle  zu- 
sammen mit  Wein,  Weintrauben,  einem  Kuchen  aus  Früchten, 
heiliger  Gerste,  Öl  und  Honigwaben  zu  einem  Opfer  vereint, 
das  als  die  9£09iXy);  Ouaia  schlechthin  bezeichnet  wird.  Ver- 
gleichen wir  die  Sophoklesverse  mit  unserer  Stelle,  so  fin- 
den wir,  dass  das  in  ihnen  beschriebene  Opfer  genau  mit  den 
fünf  an  letzter  Stelle  genannten  Bestandteilen  des  Kerchnosin- 
halts  übereinstimmt,  nur  die  Milch  fehlt  in  den  sophoklei- 
schen  Zeilen. 

Die  Wollflocken,  den  W'ein,  den  Honig,  das  Öl  und  an- 
dere Baumfrüchte  finden  wir  nun  auch  vereinigt  bezeugt  in 
einem  Opfer  an  Demeter.  Paus.  VIII,  'j2,  11  erzählt  von  sei- 
nem Besuch  im  Demeterheiligtum   bei  Phigalia  und  berich- 


<  Vgl.  über  ydpiov  liesonders  Tlieokrit  IX,  19  mit  Scholion;  Hesych  s.  v. 
-/^opEiov  und  yopia,  Atliciiaios  XIV  64G«  und  die  medicinischen  Schriftsteller. 
Über  die  Verwendung  des  /.opiov  im  Kultus  ist  nichts  bekannt. 


280  O.    RURENSOHN 

tet  da:  y.ai  eOuaa  tY|  Oew,  xaÖä  xal  oi  £7i:i)(^ü)ptoi  vo{i,i^ou(Tiv,  oü- 
Sev,  toc  Se  (xtuÖ  twv  öEvöpwv  Twv  y;i/.£pcov  TSC  T£  oiXkoi  '/.olI  af/TTeXou 
y.apTTOv,  Jtal  pt,6>.ic7aüiv  te  x'/ipia  x.xi  epiwv  toc  [at]  I;  epyaTiav  ttö) 
vixovTa,  äX>kä  i'Ti  äväTcXsa  tou  otTLiTro'j,  [a]  Tiösaoiv  etci  tov  ßwfxöv 
w)toSou!.*/ia£vov  Tzpb  Toö  c7ryi).atou,  Oevtec  Se  xarajrEO'Joiv  auTwv  E'Xaiov. 
Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dass  es  sich  um  ein  specifisch  agra- 
risches Opfer  handelt;  oh  es  ein  ausschliesslich  für  Demeter 
(und  Rora)  bestimmtos  war,  mag  dahin  gestellt  bleiben.  Der 
Zusammenhang  bei  Porphyrios  erlaubt  es  vielleicht,  das  von 
Sophokles  beschriebene  Opfer  dem  in  diesem  Fall  rein  agra- 
rischen Apollokult  zu  überweisen.  Aber  für  unsere  Frage  ist, 
glaube  ich,  die  Parallele  von  Phigalia  entscheidend.  Wir  er- 
kennen aus  ihr,  dass  es  sich  auch  bei  der  Caeremonie  mit  dem 
Kerchnos  um  eine  Rultushandlung  im  Dienst  der  Demeter 
handelt,  und  wenn  wir  diese  Thatsache  neben  das  oben  über 
den  Inhalt  der  polemonischen  Schrift  Gesagte  stellen,  werden 
wir  nicht  mehr  daran  zweifeln,  dass  die  bei  Athenaios  ange- 
führte Telete  in  das  Kultcaercmoniell  von  Eleusis  gehört.  Der 
Kerchnos  wäre  damit  auch  litterarisch  für  Eleusis  bezeugt. 

In  Eleusis  hat  sich  nun  eine  Reihe  von  Gelassen  gefunden, 
die  unter  sich  durch  mancherlei  Besonderheiten  verschieden 
doch  einen  einheitlichen  Typus  darstellen  und  in  ihrer  Er- 
scheinung sehr  gut  allen  den  Anforderungen  entsprechen,  die 
wir  nach  der  Beschreibung  des  Polemon  an  den  Kerchnos 
stellen  müssen.  Die  hauptsächlichen  Fundstätten  dieser  Ge- 
fässe  im  11  ieron  sind  die  Philohalle,  unter  deren  Fussboden 
man  sie  2  —  2,5Ü  m.  tief  in  einer  von  Asche  durchsetzten 
Schicht  gefunden  hat,  ferner  der  Boden  unter  dem  Buleute- 
rion  und  nordöstlich  vom  Telesterion  in  der  i\ähe  der  Lehm- 
ziegelmauern, hier  z.  T.  in  beträchtlicher  Tiefe'. 

Ausserhalb  Eleusis  sind  Fragmente  von  einem  der  in  Frage 
kommenden  Gelasse — von  der  Art  wie  Taf.  13,3— nur  noch 
bei  den  Ausgrabungen  des  deutschen  Instituts  am  Westabhang 
der   Akropolis   gefunden  worden.     Der   Ausgrabungsbericht 


*  Vgl.  Philios,  'Efr^^.  ip/^.  1885  ö.  172,    Skias  cbeudu  1894  iS.  2UU  Aiiui. 


XIII 


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KERCHNOS  28i 

vom  24  Nov.  1894,  der  diesen  Fund  beschreibt,  nennt  als 
Fundort  eine  Stelle  westlich  von  der  Nebenstrasse,  die  am 
Südende  des  Dionysions  von  der  Hauptstrasse  abzweigt.  Der 
Zusammenhang  ergiebt,  dass  die  Scherben  im  Bezirk  des 
Dionysions,  in  der  Umgebung  des  Tempels — wahrscheinlich 
südlich  von  ihm  —  gefunden  worden  sind,  in  welcher  Tiefe, 
ist  nicht  mehr  genau  festzustellen,  doch  scheinen  die  Scher- 
ben in  den  oberen  Schichten  gelegen  zu  haben.  Die  jedenfalls 
verschleppten  wenigen  Scherben  lassen  einen  Schluss  auf 
Verhältnisse  des  Kultus  nicht  zu.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass 
sie  aus  dem  sicher  in  der  Nähe  gelegenen  städtischen  Eleusi- 
nion  an  die  bezeichnete  Stelle  geraten  sind. 

Es  sind  Gefässe',  deren  Form  schon  sehr  auffällig  in  die 
Erscheinung  tritt.  Der  untere  Teil  hat  die  Form  einer  Schale 
mit  hohem  Fuss,  er  endet  mit  einem  Rand,  der  sich  als  breit 
vorspringender  horizontaler  Streifen  um  das  ganze  Gefäss 
zieht.  Über  diesem  Teil  erhebt  sich  ein  Aufsatz,  der  auf  der 
Schulter  sehr  stark  ausgewölbt  ist,  darüber  eine  starke  hohl- 
kehlenartige Einschnürung  zeigt  und  in  eine  breite  Mündung 
endigt,  die  entweder  für  Aufnahme  eines  Deckels  eingerichtet 
ist  oder  mit  einem  nach  aussen  umgebogenen  Rand  gebildet 
wird.  An  dem  horizontalen  Ringstreifen  oder  direkt  unter- 
halb dieses  sind  die  beiden  meist  sehr  massiv  gebildeten  Hen- 
kel befestigt,  die  in  der  Regel  nicht  ganz  horizontal  sondern 
etwas  schräg  nach  oben  stehen.  Bei  einer  Anzahl  dieser  Ge- 
fässe  sind  sie  in  einer  sehr  charakteristischen  Weise  nach 
oben  umgebogen  und  mit  einem  kleinen  Aufsalz  in  Gestalt 
eines  kleinen  Gefässchens  verziert. 

Ist  die  Form  der  Gefässe  an  sich  schon  so  auffallend,  dass 
sie  dadurch  im  Kreis  der  antiken  N'asen  als  ganz  singulär  er- 
scheinen, so  tritt  diese  Absonderlichkeit  der  Bildung  noch 
mehr  zu  Tage  in  den  kleinen  Ansätzen,  welche  wir  auf  dem 


*  V},'!.  zu  dem    Folgenden  Tal".  13  Abb.  3,  das  bcslcrballcne  Exemplar 
dieser  Galtung. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXIII.  19 


282  Ö.   RUÖENÖOHN 

horizontalen  Randstreifen  und  auf  der  Schulter  der  Gefässe 
angebracht  finden.  Sie  erscheinen  auf  der  Mehrzahl  der  ge- 
fundenen Exemplare  dieser  Vasengattung  als  kleine  Gebilde 
mit  länglich  rundem  Fuss  und  einer  von  diesem  getragenen 
müssig  dicken  Scheibe,  die  auf  ihrer  oberen  Seite  eine  geringe 
Vertiefung  zeigt  und  mit  einem  leicht  profilirten  Rand  endigt. 
Die  Ansätze  haben  so  von  aussen  das  Ansehen  kleiner  Ge- 
fässe. Bei  den  meisten  der  aufgefundenen  Vasen  sind  sie 
aber  im  inneren  nicht  ausgehöhlt,  die  leichte  Einvvülbung 
auf  der  Oberseite  hat  der  Töpfer  mit  dem  Daumen  ausge- 
führt, um  wenigstens  andeutungsweise  anzugeben,  was  mit 
diesen  Ansätzen  gemeint  sei,  von  deren  praktischer  V^erwen- 
dung  bei  den  Stücken,  die  wir  jetzt  im  Auge  haben,  keine 
Rede  sein  kann.  Es  wäre  aber  ein  Fehler,  deshalb  anzuneh- 
men, dass  diese  Ansätze  willkürliche  bedeutungslose  Ver- 
zierungen seien.  Es  findet  sich  in  Eleusis  auch  eine  ganze 
Anzahl  von  Vasen,  bei  denen  sieb  die  Ansätze  als  wolausgebil- 
dete  Gefässchen  —  Kotyliskoi  nach  Athenaios  —  kennzeich- 
nen. Sie  sind,  wie  leicht  erklärlich,  sehr  seilen  gut  erhalten. 
Die  kleinen,  meist  sehr  dünnwandigen  Kotylisken  sind  in 
der  Regel  bis  auf  den  Stumpf  abgebrochen.  Ein  derartiges 
Exemplar  zeigt  unsere  Abbildung  1  auf  Tat".  13  in  Oberansicht. 
Der  Fuss  ist  abgebrochen.  Wir  sehen  hier  ein  Gefäss  unserer 
Gattung, dessen  Rand  mit  acht  wolausgebildeten  kleinen  Va- 
sen besetzt  war,  die  eine  zeigt  noch  einigermassen  gut  erhal- 
ten, wie  gross  die  Väschen  waren'. 

liier  haben  wir  also  eine  Vase  vor  uns,  die  genau  der  Be- 
schreibung des  Kerchnos  bei  Athenaios  entspricht  und  deren 
praktische  Verwendbarkeit  unbestreitbar  ist.  Wir  werden  da- 


<  Dor  Durchmesser  des  Kotyliskos  am  cäusscren  inolilirlcu  Rund  der 
Mündung  gemessen  lielriigl  7,  4  «"",  die  Höhe  3,  4  <='".  Hei  einem  anderen 
sehr  massiv  gebihlelen  Kotyliskos,  der  auf  dem  Henkel  eines  Kerchnos 
aufsitzt,  sind  dieselben  Masse:  8,6  =■",  4,8  '='»,  der  Durchmesser  des  inneren 
Randes  der  Mündung  beträgt  bei  diesem  rund  T«"".  Die  Kotylisken  sind  auf 
der  Drehscheibe  gefertigt,  \\aiirend  die  unausgebildeten  Ansalze  mit  der 
Hand  geformt  sind. 


KERCHNOS  283 

her  kein  Bedenken  tragen,  für  die  Gefässe  den  Namen  Kerch- 
nos  in  Ansprucli    /u  nelimen. 

Die    Mehrzahl    der  gefundenen  Vasen    ist   aber    von    der 
Art  wie   die   zuerst  betrachteten    mit   den    unvollkommenen 
Ansätzen.  iJiese  Stücke    sind   gar  nicht  für  den  kultgebrauch 
geschaffen,   sondern  waren  VVeihgeschenke  an  die  Göttinnen. 
Dass   diese  Gefässe   zu  Weihgeschenken   verwendet  wurden, 
ist  sicher.  Neben  den  aus  Thon  gefertigten  Exemplaren  wur- 
den in  Eleusis  auch  mehrere  aus  Marmor  o;ebildete    Kerchnoi 
gefunden.    Alle  diese  geben  mit    verschiedenen    Modalitäten 
die  äussere   Form    des    Kerchnos    wieder,  kein  einziges  zeigt 
die  kotyliskenartigen    Ansätze,    geschweige  denn   ausgebildete 
Kotylisken,    nur  eins  ist  innen  ausgehöhlt,  alle  anderen  sind 
massiv  gelassen.  Es  ist  also  deutlich,  dass  sie  nicht  zu  prakti- 
schem  Gebrauch  ,     sondern    nur    als  Weihgeschenke    dienen 
sollten.  Ausdrücklich  bezeugt  den  Charakter  als  Weihgeschenk 
auf  einem    der  Marmorgefässe   die  V\  eihinschrift   ....  öcty)? 
[AYi[j!.r,]Tpt  xai  Köpr;  äv£07i)t6v.  Auf  einem  kleinen  Fragment  eines 
thönernen   Kerchnos  stehen  in  ganz  dimnem  Blattgold  aufge- 
setzt die  Buchstaben  u.svy)  und  davor  eine  schräge  Hasta,die  zu 
einem  a  gehört  haben  wird,  also  etwa  eüEalaevr,,  demnach  auch 
der  Rest  einer  Weihinschrift.    Schliesslich  ist  zu  bemerken, 
dass  sich  auch  einige  bronzene  Kerchnoi  gefunden  haben, und 
auf  einem  kleinen  Fragment  eines  solchen  steht  auf  dem  hori- 
zontalen Randstreifen  der  Rest  einer  gepunzten  Inschrift  )EOIA 
also  Seoiv    in  Buchstabenformen,    die  recht  wol  noch  dem  V. 
Jahrhundert  angehören  kcmnen.  Auf  einem  anderen  Fragment 
desselben  Stückes  stehen  die  Buchstaben  IPAT.  wol  der  Rest 
des  Namens  des  Stifters. 

In  der  Fabrik,  in  der  diese — und  auch  andere  —  Thonge- 
fässe  eigens  für  den  eleusinischen  Kultus  verfertigt  wurden, 
hat  man  sich  ,  was  bei  der  massenhaften  Production  nicht 
zu  verwundern  ist,  bei  den  Stücken,  welche  nicht  für  Kult- 
handlungen dienen  sollten,  das  mühsame  Ausdrehen  der 
einzelnen  kleinen  Kotyliskoi  auf  der  Scheibe  erspart ;  für  den 
äusseren   Eindruck  genügten  derartige   nur  angedeutete  Ko- 


284  0.  i\ubensoMn 

tyliskoi  auch.  Ja  man  ist  in  dieser  Beziehung  noch  weiter 
gegangen.  Innerhalb  dieser  Getässgattung  können  wir  eine 
Entwicklung  constatiren.  Abbildung  2  auf  Taf.  13  führt  uns 
eines  der  einfachsten  Geüisse  vor.  Hier  sitzen  auf  dem  ho- 
rizontalen Streifen  vier  solcher  Ansätze  in  Grösse  und  Form 
ganz  den  wirklichen  Kotyliskoi  entsprechend.  Solcher  ärm- 
licher Bildungen  finden  wir  aber  nur  wenige.  Man  ist  bei 
der  Weiterentwicklung  des  Typus  dazu  übergegangen,  gewis- 
sermassen  als  Ersatz  für  die  unterlassene  Ausarbeitung  der 
einzelnen  Kotyliskoi  die  Zahl  der  kotyliskenartigen  Ansätze 
zu  vermehren.  Man  hat  zunächst  den  Rand  mit  einer  dicht 
gedrängten  Reihe  solcher  Ansätze  bedeckt,  dann  zwei  Reihen 
neben  einander  angebracht  —  ein  solches  Getäss  zeigt  Abbil- 
dung 3 —  dann  hat  man  auch  noch  die  Schulter  der  Gefässe 
mit  diesen  Ansätzen  bedeckt  und  ist  in  diesem  mehr  spie- 
lenden Verfahren  so  weit  gegangen  wie  möglich.  Taf.  13,  7 
zeist  ein  Gefäss  mit  vier  Reihen  Ansätzen.  Bei  der  Vermeh- 
rung  der  nur  scheinbaren  Kotyliskoi  wurden  diese  immer 
kleiner.  In  Abbildung  7  sieht  man  z.  B.,  wie  in  der  unter- 
sten Reihe  immer  nur  eins  um  das  andere  von  diesen  Gebil- 
den wirklich  kotyliskenförmig  ausgeführt  ist;  die  übrigen 
dieser  Reihe  und  ebenso  auch  die  in  den  oberen  Reihen  sind 
stark  verkümmert  ;  es  fehlt  bei  ihnen  der  obere  ausladende 
Teil.  Die  Ansätze  verloren  eben  bei  diesem  Entwicklungsgang 
allmählich  auch  äusserlich  den  Charakter  als  Gefässe  und 
schrumpften  schliesslich  zu  platten  Ringen,  Buckeln  oder  Knöp- 
fen zusammen,  die  nun  rein  ornamental  verwandt  wurden. 
So  sehen  wir  sie  Tal.  13  Abbildung  5  als  zwei  Reihen  fla- 
cher neben  einander  gesetzter  Ringe  auf  dem  horizontalen 
Streifen  verwertet,  bei  einigen  Exemplaren  findet  sich  solche 
Ringreihe  auch  um  die  Mitte  der  Scliiiller  licrumgelegt.  Ein 
weiterer  Schritt  in  der  Umbildung  zuni  reinen  Ornament  ist  es 
sodann,  wenn  die  flachen  Ringe  kleeblatlartig  zusammenge- 
stellt werden  und  die  Metainorpliose  ist  vollendet  bei  Exem- 
plaren,   wie  sie  unsere    Abbildung  0  veranschaulicht,  wo  je 


KERCHNOS  285 

/ün(  solcher  Ringe  zu  einer veritablen  Rosette  vereinigt  sind'. 
War  man  einmal  so  weit  gegangen,  dass  man  mit  Zurück- 
stellung der  früheren  kultlichen  Bedeutung  diese  Kotyliskoi 
zu  rein  ornamentalen  Verzierungen  umgestaltete,  so  ist  es  eine 
kaum  noch  auffallige  Erscheinung,  dass  die  Töpfer  es  sich 
auch  häufig  erlaubt  haben,  von  der  Anbringung  dieser  Orna- 
mente ganz  abzusehen,  und  so  finden  wir  in  der  That  eine 
ganze  Anzahl  von  Gefässen,  die  nach  Form,  Thon,  Verzierung 
sicher  zu  unseren  Gefässen  gehören  und  auch  mit  ihnen 
zusammen  gefunden  sind,  gänzlich  bar  der  Beigabe  von 
Scheinkotyliskoi,  sei  es  in  Form  der  ausgebildeten  Ansätze 
sei  es  in  Form  von  Ornamenten  (Taf.  13,4).  Wir  werden  uns 
daher  hüten,  bei  der  Erklärung  des  ganzen  Gefässtypus  diese 
Gefässe  von  den  vorher  betrachteten  abzusonderen.  Auch  von 
den  Marmorkerchnoi  hat,  wie  schon  bemerkt  wurde, kein  ein- 
ziger irgend  welche  Verzierungen  plastischer  Natur.  Wir  er- 
kennen vielmehr  aus  der  eben  betrachteten  Entwicklung,  dass 
für  die  Darstellung  des  Kerchnos  in  der  bildenden  Kunst  ein- 
fach die  Wiedergabe  der  charakteristischen  Form  des  Gefäs- 
ses  genügen  konnte.  Für  den  in  die  eleusinischen  Mysterien 
Eingeweihten  bedurfte  es  keiner  weiteren  Kennzeichnung  des 
Gefässes;  er  wusste  schon,  was  gemeint  sei. 

Vergleichen  wir  nun  die  Beschreibung  des  x.spvo;  bei  Athe- 
naios  mit  unseren  Gefässen, besonders  mit  den  an  erster  Stelle 
behandelten  Exemplaren,  so  müsste  es  eigentlich  wunderbar 
erscheinen, dass  man  nicht  von  Anfang  an  die  Identität  desxto- 
vo?  mit  den  eleusinischen  Gelassen  erkannt  hat.  Aber  abgesehen 


'  Die  woileren  Spiolartoii,  die  sich  bei  der  Entwicklung:  der  Kotyliskoi 
heraust^ebildcl  haben,  wollen  wir  hier  nicht  im  einzelnen  verfolgen.  Zu 
Knöpfen  wurden  die  Scheinkotyliskoi  dadurch  umgestaltet,  dass  man  den 
Fuss  wegliess  und  die  tiaehe  Scheibe  mit  ihrem  protilirten  Hand  direkt  auf 
den  Ringsireifcn  des  Kerchnos  aufsetzte.  Auch  von  dieser  Abart  linden 
sich  mehrere  E\em|>lare  im  Museum  zu  Eleusis.  Bei  einigen  kleiiu'ren  und 
besonders  tliiehtigeii  Stiieken  erselieinen  die  Ansätze  ganz  verkümmert  wie 
Warzen  oder  kleine  Buckel,  so  dass  nichts  an  ihnen  mehr  au  ihre  frühere 
Gestalt  criunerl. 


286  (>.    HUHKNSOHN 

von  einigen  Fundumständen  waren  die  eigentümlichen  Deckel, 
welche  zu  diesen  Gefassen  gehören, der  Rrkenntniss  hinderlich. 
Es  sind  Deckel  bald  von  flach  gewölbter, bald  von  mehr  cylin- 
drisclier  Form,  wie  sie  unsere  Abbildnn£>on  8  a  und  8  b  zeigen. 
Auch  bei  ihnen  keiiren  bizarre  Verschiedenheiten  in  der  For- 
mengebung  und  in  der  äusseren  Ausstattung  wieder,  wie  bei 
dem  GefUss  selbst.  Fs  ist  nicht  nötig,  dass  wir  den  einzelnen 
Schöpfungen  der Vasonfabrikanten  nachgehen,  dienuneinmal 
bei  dieser  V'asengattung  ihrer  Erfindung  freies  Spiel  gelassen 
haben.  Gemeinsam  ist  allen   Deckeln,  dass   sie  durchbrochen 
gebildet  sind.wie  die  Deckel  von  Thymiaterien.  Das  muss einen 
bestimmten  Grund  gehabt  haben.  Da  einige  von  den  Gefassen, 
welche  in  der  Aule  in  der  Aschenschicht  (s.obenS.  280)  gefun- 
den wurden,  auch  in  ihrem  Inneren  Ascheenthielten, so  dass  es 
den  Anschein  haben  konnte,  als  ob    in  diesen  Gelassen  etwas 
verbrannt  worden  wäre,  so  haben  Philios  in  seiner  vorläufigen 
Besprechung   der  Gefässe    'Ecpyiaepi?  i^y^.    1885  S.  17-2  f.  und 
ihm  folgend  II.  von  Fritze  in  einem  Aufsatz  in  der    'Ecp-^fAepi? 
äpy.    1897  S.    164   unsere  Gefässe  für  Thymiaterien  erklärt. 
Beide  lehnen  die  Identificirung  mit  dem  Kerchnos  ausdrück- 
lich ab.  Philios,  dem  nur  ein  beschränktes  Material  zur  Ver- 
fügung stand  und  der  insbesondere  die  Gefässe  mit  den  VVeih- 
inschriften  noch  nicht  kannte  —  sie  sind  erst  bei  späteren  Aus- 
grabungen gefunden  worden  —  that  dies,  weil  er  den  Schein- 
kotyliskoi  jede  praktische  Bedeutung  absprechen  musste,  ihre 
Entwicklung  aus  wirklichen  Rotyliskoi  nicht  erkannt  hatte  und 
den  Charakter  der   betretl'enden  Gefässe   als   Weihgeschenke 
mangels  der  erst  später  hinzu    gekommenen  Belege   nicht  in 
Erwägung  zog.  Die  Ausführungen  H.  von  Fritzes,  der  zum  Teil 
mit  denselben  Gründen  wie  Philios  operirt,  scheinen  mir  von 
Grund   aus   vcu'lehlt  zu  sein,  doch    würde   uns  eine   Widerle- 
gung im  Einzelnen   zu    weit  abführen.  Nur  das  sei    hier  her- 
vorgehoben. Es  unterliegt  keinem  Zweifel  und  wird  mir  auch 
von  Herrn  Dr.    Skias.  ficm  derzeitigen   Ephoros  von  Eleusis, 
welchem   ich   für  vielfache  Unterstützung  zu  l('l)haftom  Dank 
verpilichtet  bin,  bt'sLutigt,dass  die  in  den  Iverchnoi  vorgefunde- 


RERCHNOS  287 

nen  Aschenleile  lediglich  aus  der  umgebenden  Asclienschicht, 
in  der  die  Getässe  gefunden  wurden,  in  diese  hineingeraten 
sind'.  In  keinem  einzigen  der  im  Museum  von  Eleusis  auf- 
bewahrten Kerchnoi  findet  sich  eine  Spur,  die  darauf  schlies- 
sen  liesse,  dass  in  den  Gefässen  jemals  etwas  verbrannt  wor- 
den wäre.  Eine  sichere  Widerlegung  der  Ansicht  von  Philios 
und  Fritze  schliesst  aber  schon  die  Thatsache  in  sich,  dass 
bei  der  von  ihnen  gegebenen  Erklärung  die  Rotyliskoi,  die 
ausgebildeten  wie  die  unausgebildeten,  unerklärt  bleiben. 

Wie  erklären  sich  nun  aber  bei  unserer  Auffassung  der  Ge- 
fässe  die  durchbrochenen  Deckel?  Es  muss  im  Inneren  des 
Kerchnos  etwas  geborgen  worden  sein,  dem  durch  die  Öff- 
nungen des  Üeckels  Luft  zugeführt  werden  sollte,  das  ist  si- 
cher. Was  war  das  aber?  Die  Beschreibung  des  Kerchnos 
und  der  in  ihm  zu  bergenden  Gabe  bei  Athenaios  scheint  uns 
für  die  Beantwortung  dieser  Frage  keinen  Anhalt  abzugeben. 
Wir  besitzen  aber  noch  eine  andere  Nachricht  über  die  Caere- 
monie  mit  dem  Kerchnos,  die  uns  vielleicht  im  Zusammen- 
hang mit  den  Angaben  bei  Athenaios  weiter  zu  fördern  ver- 
mag. ImScholion  zu  den  zu  Anfang  (S.  "i?! "2)  angezogenen  Ni- 
kanderversen  (Alex.  ^ITjheisst  es:  /.epvo'pöpo;  r,  tou;  xparvipa; 

(pepouia  iepsia"    xe'pvo'ji;  yap    a^xc.   roü;  a'jTT'.Jtoü;   z-paTT^pa?,    £<p     wv 

Xo/vo'j;  TtOia-Ti.  Das  Scholion  bezieht  sich  zwar  auf  eine  Stelle, 
in  der  vom  Kerchnos  im  Kybeledienst  die  Rede  ist,  das  ist 
aber  für  unsere  Betrachtung  belanglos.  Wenn  wir  ein  so  ei- 
gentümlich gestaltetes  Kultgerät  wie  den  Kerchnos  in  zwei 
Kulten  finden,  so  ist  es  ohne  weiteres  klar,  dass  die  mit  ihm 
vorgenommene  Handlung  in  beiden  Kulten  verwandter  Na- 
tur gewesen  sein  muss,  auch  wenn  diese  Kulte  nicht  so  vie- 
lerlei Beziehungen  zu  einander  hätten,  wie  es  bei  den  My- 
sterien der  Kybele  und  den  eleusinischen  besonders  in  den 
späteren  Zeiten  des  Altertums  der  Fall  gewesen  ist.  Abwei- 
chungen von  einander  werden    in  der  Zusammensetzung    des 


'  Vgl.  (la/.ujclzl  auch  Kiiruiiiulis,    L^prjfxcpU  ip/^.  18"J8    ^.  i'i  f. 


288  0.   RUBENSOHN 

im  Kerchnos  zu  bergenden  Inhalts  und  in  der  einen  oder  an- 
deren Äusserliehkeit  der  Kultusliandlung  obgewaltet  haben, 
die  wesentlichen  Bedingungen  für  die  Verwendung  des  Kerch- 
nos aber  müssen  die  gleichen  gewesen  sein.  In  einer  sol- 
chen wesentlichen  Bedingung  des  Gebrauches  hat  aber  die 
durchbrochene  Bildung  der  Deckel  der  eleusinischen  Kerchnoi 
ihren  Grund  gehabt,  und  eben  diesen  lehrt  uns  das  Nikan- 
derscholion  kennen,  dessen  Angaben  wir  daher  ohne  weite- 
res für  unsere  Untersuchung  über  den  eleusinischen  Kultge- 
brauch verwerten  dürfen. 

Das  Scholion  meldet  uns  also,  dass  in  den  Kerchnos  luy^Qi. 
gesetzt  wurden.  Wenn  wir  das  wissen,  verstehen  wir,  warum 
man  in  den  Deckeln  Öffnungen  angebracht  hat;  durch  diese 
Öffnungen  wurde  dem  Ijicht  des  )vü)(^vo?  Luft  zugeführt.  Können 
wir  diese  Nachricht  mit  den  Nachrichten  bei  Athenaios  ver- 
einigen ? 

Ich  glaube  wol.  Athenaios  berichtet  uns  in  dem  aus  Pole- 
mon  entlehnten  Passus  nur  von  den  Gaben,  welche  in  die 
kleinen  den  Rand  des  Kerchnos  umgebenden  Kotyliskoi  ge- 
legt wurden.  Von  dem,  was  im  Inneren  des  Kerchnos  selbst 
geborgen  wurde,  spricht  er  nicht.  Das  Nikanderscholion  bil- 
det also  einfach  eine  Ergänzung  zu  dem  Bericht  des  Athe- 
naios. Wir  dürfen  es  uns  indessen  nicht  verhehlen,  dass  eine 
derartige  Caeremonie  ganz  singulär  unter  den  griechischen 
Kultusgebräuchen  dastehen  würde',  und  es  würde  schwer 
fallen,  eine  Erklärung  für  den  seltsamen  Brauch,  eine  Lampe 
in  ein  Getäss  zu  stellen  und  sie  so  der  Gottheit  darzubringen, 
zu  finden'^.  Sodann  muss  auch  bemerkt  werden, dass  die  eleu- 


*  Nicht  unerwähnt  möge  bleiben,  dass  Clemens  Alex.  Protrept.  II,  22 
(S.  19)  unter  den  änopprira  au[i.6oXa  der  Theniis  d(!n  Xüyvo?  nennt.  Welche 
Verwendung  in  diesen  sehr  dunklen  Mysterien  aber  der  Xü/vo;  gelundcu 
hat,  kann  ich  nicht  angeben. 

2  Eine  Notiz,  wie  die  bei  Ilinierius  VII,  2  (mir  hier  ni(!ht  zugänglich): 
'AttixÖs  v(i[jio; 'EXsuatväSe  «pw;  lAiigTa;  9£'p£iv  XEXgüst  xalSpocYjAaxau.s.w.  darf  man 
nicht  mit  d(;r  Kerelinos-Oaereinonie  in  Verbindung  bringen,  denn  SpäYjAaxa 
sind  Abrenbiindr-I    und  können  deshalb   mit  dem  K(Mchnos  nichts  zu  thun 


KERCHNOS 


?89 


sinischen  Gefässe  mit  ihrem  trichterförmig  nach  unten  zu- 
laufenden Boden  wenig  praktisch  für  einen  solchen  Zweck 
eingerichtet  erscheinen.  Es  ist  daher  vielleicht  noch  eine  an- 
dere Möglichkeit  in  Erwägung  zu  ziehen.  Wenn  wir  uns  den 
bei  Athenaios  beschriebenen  Inhalt  des  Kerchnosopfers  näher 
betrachten  und  uns  seine  Unterbringung  in  den  eleusinischen 
Gelassen  vergegenwärtigen  ,  so  ist  es  von  vornherein  klar, 
dass  die  Getreidekörner  —  dass  es  sich  um  Körner  handelt, 
beweist  der  Plural  —  und  Hülsenfrüchte  ,  ferner  auch  der 
Wein,  das  Öl,  die  Milch,  der  Honig,  ja  im  Notfall  auch  die 
Schafwolle  in  den  Kotyliskoi  untergebracht  werden  konnten. 
Nicht  recht  angängig  erscheint  es,  dass  auch  der  Opferkuchen, 
das  TuaXzOiov,  in  einem  solchen  kleinen  Rotyliskos  Platz  fand. 
Er  müsste  dann  erstaunlich  klein  gewesen  sein.  Die  Möglich- 
keit scheint  mir  daher  nicht  ausgeschlossen,  dass  der  Opfer- 
kuchen nicht  in  einem  der  Kotyliskoi  sondern  im  Inneren  des 
Kerchnos  selbst  untergebracht  worden  ist.  Auch  in  diesem 
Fall  kann  bei  dem  geringen  inneren  Fassungsraum  des  Ker- 
chnos der  Kuchen  nur  klein  gewesen  sein,  so  dass  die  Demi- 
nutivform IlaXzötov  gerechtfertigt  erscheint.  Bekanntlich  ist 
es  nun  ein  durchaus  nicht  singulärer  Brauch  gewesen,  Opfer- 
kuchen mit  Lichtern  zu  bestecken.  Aus  Philochoros  werden 
z.  B.  bei  Athenaios  derartige  Kuchen  —  ifxcpi'püivTe;  genannt — 
im  Kult  der  Artemis  Munichia  erwähnt;  auf  dem  'E(pr)[X6pi(; 
ip/.  1890  Taf.  5  publicirten  boiotischen  Glockenkrater  bringt 
ein  Mädchen  einer  weiblichen  Heilgottheit  auf  einer  mit  Zwei- 
gen bekränzten  Schüssel  Früchte  und  einen  Kuchen  dar,  in 
dessen  Mitte  eine  brennende  Kerze  steckt.  Es  ist  möglich, 
dass  wir  einen  ähnlichen  Brauch  für  die  Kerchnoscaeremonie 
anzunehmen  haben,  dass  man  auf  den  im  Kerchnos  nieder- 
gelegten Kuchen  kleine  Lämpchen  oder  auch  Kerzen,  wie  wir 
sie  auf  dem  Opferkuchen  des  boiotischen  Gefässes  sehen. stellte. 
Wie  dem  aber  auch  sei,   ob  wir  uns  die  >o;(^voi  in  der  einen 


haben.  Unter  ipoij  ist  das  Liclil  der  F'ackeln  zu  verslelieii.  Das  Ganze  gehl 
wahrscheinlich  auf  <1cm  Jakchos/.UL'. 


290  O.    RUBENSOHN 

oder  der  anderen  Weise  im  Kerchnos  stehend  zu  denken  ha- 
ben, jedenfalls  finden  die  durchbrochenen  Deckel  der  Gefässe 
vollauf  ihre  Erklärung  durch  die  im  Nikanderscholion  für 
den  Kerchnos  bezeugte  Sitte  der  Lychnophorie. 

Es  wurde  schon  bei  der  Beschreibung  der  Gefässe  darauf 
hingewiesen,  dass  ein  Teil  der  gefundenen  Vasen  nicht  für 
Deckel  eingerichtet  ist.  Das  beweist  uns,  dass  die  Deckel  ein 
unbedingtes  Erforderniss  nicht  waren.  Auf  einer  ganzen  Se- 
rie von  athenischen  Theatermarken  aus  Blei '  ist  der  Kerchnos 
dargestellt  bald  mit  Deckel  bald  ohne  Deckel.  Wir  sehen  also 
auch  hier  dasselbe  Verhältniss,  wie  bei  den  eleusinischen  Ge- 
lassen obwalten.  Auf  zweien  dieser  Marken,  die  leider  in  der 
hiesigen  Münzsammlung  nicht  mehr  im  Original  vorhanden 
sind  —  sie  gehören  zu  den  bei  dem  grossen  Diebstahl  ver- 
schwundenen —  und  von  denen  ich  daher  nur  eine  nach  der 
Zeichnung  Postolakas  hergestellte  Abbildung^  hier  beibringen 


kann,  ragen  aus  dem  deckellosen  Kerchnos  einmal  zwei  und 
einmal  drei  dünne  Stäbchen  hervor,  für  die  sich  schwerlich 
eine  andere  Erklärung  finden  lässt,  als  eben  die,  dass  es  Ker- 
zen gewesen  sind.  Wir  dürfen  das  Nikanderscholion  nicht 
pressen  und  uns  an  den  Ausdruck  Xu/vo<;  klammern,  um  etwa 
gegen  diese  Deutung  Stellung  zu  nehmen.  Es  besteht  zwi- 
schen Lampen  und  Kerzen  in  diesem  Fall  kein  Unterschied 
für  den  Kultus.  Für  den  Wechsel  zwischen  beiden  kann  eben- 
sowol  die  Mode  wie  eine  technische  Forderung  jeweilig  mass- 
gebend gewesen  sein. 

Einen  Kerchnos ,  aus  dem  die  Flammen  solcher  l^ampen 


'  Jetzt  übersichtlich  zusammengestellt  von  Svoroiios  in  seinem  Juuriui' 
international  d'archöologie  numismatique  I  S.  b5. 

2  KaiäXoYO?  Tüiv  VA  tou  vo|jLiajAaTtxoü  [Aouae^oy  'AOrjvöiv  xXa;i^vTO)V  voiiiajAaTwv 
Allicii  1888,  Nr.  3-.'0  und  3i!T. 


KERCHNOS 


291 


hervor  lodern, glaube  ich  auf  der  bekannteu  cumaischen  Vase 
in  der  Ermitage  zu  Petersburg  erk^-nnen  zu  dürfen,  für  die 
wir  leider  immer  noch  auf  die  ungenügenden  Abbildungen 
angewiesen  sind,  welche  auf  Campte- rendu  1862  Taf.  3 
zurückgehen.  Wir  sehen  hier  in  der  Mitte  der  ganzen  Dar- 
stellung zwischen  zwei  gekreuzten  Bakchoi  ^  ein  Getäss  steben, 
dass  zwar  in  der  Form  nicht  ganz  genau  dem  Iverchnos  ent- 
spricht, aber  doch  schwerlich  etwas  anderes  als  ihn  darstellen 
soll,  in  Stephanis  Katalog  und  im  Text  zur  Tafel  wird  es 
als  kleiner  Altar  bezeichnet.  Das  kann  es  sieber  niclit  sein 
wegen  der  Form,  die  deutlich  ein  Getäss  wiedergiebt.  Es  ist 
vergoldet,  und  auch  dieser  Umstand  spricht  für  die  vorge- 
tragene Deutung. 

Alles  was  wir  den  litterarischen  und  den  monumentalen 
Quellen  über  den  /.sp/vo«;  entnehmen  können,  trifft  also,  wie 
wir  sehen,  bei  den  eleusinischen  Gelassen  zu.  Wir  können  die 
Identität  des  Kerchnos  mit  diesen  für  gesichert  balten.  Welche 
Folgerungen  ergeben  sich  nun  aus  diesem  Resultat  für  den 
eleusinischen  Kultus?  Man  brachte  in  Eleusis  die  Erstlinge 
der  Feldfrüchte,  des  Weins, des  Öls,  kurz  allen  Segens, den  die 
Erde  spendet,  dar,  zusammen  mit  der  Gabe  des  Hirten, denn 
die  ScliafwoUe  ist  hier  ohne  alle  Nebenbedeutung  lediglich  als 
i^ap/y)  vom  Ertrag  der  llerdenzucht  zu  betrachten.  Das  ist 
durchaus  nichts  Besonderes  sondern  begegnet  eigentlich  in  je- 
dem agrarischen  Kultus,  in  Eleusis  aber  war  dieser  einfache 
Vorgang  zum  Mysterium  erhoben.  Nicht  durch  Unterlegung 
irgend  einer  geheimnissvollen  Deutung  oder  übersinnlichen 
Erklärung, nur  die  besondere  Gestaltung  des  Kultcaeremoniells 
hebt  die  heiliü;e  Handlung;  im  Dienst  von  Eleusis  aus  der  Menge 


<  Den  Namen  Bakclios  ITir  die  als  Allriluite  der  Myslen  üblichen  Zweig- 
bündel anzuwenden,  sinil  wir, glaube  ieli, trotz  Ötrubes  Widersprueli  berocb- 
tigt.  Furtwängler,  der  im  Areh.  Anzeiger  189-2  S.  106  und  Alben.  Mitth. 
1895  S.  358  ausfübriicb  über  die  Zweigbündel  gehandelt  hat,  bässt  sie  un- 
benannt,obne  über  die  von  Stepbani  zuerst  in  Vorsehlag  gebrachte  Be- 
neuniing  fJax/ot  zu  spreelieu.  Siehe  auch  die  Erörterungen  liir  und  wider 
zusammengeslelll  bei  üverbeek,  KuiisUnvliiülugie  II  S.  671  1'. 


292  0.    RUBENSOHX 

der  gleichartigen  Darbringungen  in  den  anderen  Kulten  her- 
aus. In  Phigalia  legte  man  einfach  die  Gaben  auf  den  Altar 
der  Demeter  nieder.  In  Eleusis  birgt  man  die  Spende  in  einem 
ganz  Singular  geformten  Getäss,  dann  wird  sie  in  feierlicher 
^^^eise,  etwa  in  einer  Prozession  (s.  u.)  einhergetragen,  und 
zum  Schluss  nehmen  die  Träger  des  Kerchnos  etwas  von  den 
dargebrachten  Früchten  und  verzehren  es  (Athenaios  a.a.O.) 
Diese  Speisecaeremonie  ist  offenbar  die  Hauptsache  in  der  gan- 
zen heiligen  Handlung.  Sie  ist  der  eigentlich  mystische  Vor- 
gang. Dass  bei  den  Mysterien  solche  feierliche  Speisecaeremo- 
nien.die  von  den  gewöhnlichen  Opferschmäusen, Götterbewir- 
tungen und  dergleichen  wol  zu  unterscheiden  sind, eine  grosse 
Rolle  spielten, wissen  wir.  Das  beweisen  ja  schon  die  Bekennt- 
nissformeln, deren  wir  zu  Anfang  gedacht  haben.  Ich  erinnere 
ferner  an  den  Genuss  von  rohem  Fleisch  in  den  Dionysos  - 
Zagreus- Mysterien  (Schol.  zu  Clemens  Alex.  Protr.  1  S.  433 
Dind.  (mir  hier  nicht  zugänglich)  u^aa  yap  -^«röiov  xpea  ol  ixuou- 
IX6V01  Aiovudo)  Seiyaa  toOto  rsXovaevoi  too  (TTrxpayjxo'j,  öv  ÜTtecTTYi 
Aiövuffo;  (jTZQ  TiTavuv).  Im  Kult  der  grossen  Götter  von  Samo- 
thrake  kennen  wir  eine  derartige  Caeremonie  aus  der  von 
Gomperz  dem  Sinne  nach  sicher  richtig  ergänzten  Inschrift 
aus  Tomoi*,  aus  der  wir  erfahren, dass  der  Priester  [tü)]v  {xu- 
CTwv  Gsdiv  Tüiv  £v  [Sa[jt,o6p5c]>tr, .  .  .  ['ATVXTOulpsüivoi;  sSSojAr  7rap[£^6i 
To  7C£u.(x]a  (J^i^a;  y,al  ^/x,^^'  l"^^  ttotov  toi;]  u.dnxxi^.  Darreichun- 
gen von  Brot  und  Wasser  begegnen  auch  in  den  Mithras- 
mysterien^,  und  auf  eine  ganze  Anzahl  solcher  Gebräuche  in 
verschiedenen  Geheimkulten  spielt  Clemens  Protr.  II  22  (S. 
19)  an.  Wir  sehen  also,  die  Caeremonie  mit  dem  Kerchnos 
reiht  sich  ohne  weiteres  in  eine  ganze  Zahl  verwandter  Vor- 
gänge in  anderen  Mysterienkulten  ein.  Die  vornehmste  Paral- 
lele zu  ihr  finden  wir  aber  in  den  eleusinischen  Mysterien 
selbst.  Das  Trinken  des  Kykeon  nimmt  unter  den  Einweihungs- 
caeremonien  in  die  eleusinischen  Mysterien  eine  wichtige  Stel- 


'  Archäologisch- epigraphische  Mittheilungen  VI  1882  S.  8  Nr.  14. 
■^  Cuniont  in  Kuschers  Lexikon  II  S.  864. 


kercMnos  293 

lung  ein, wie  dies  das  eleusinische  Synthema  (s.o.  S.  271)  und 
die  für  die  eleusinische  Myslenweihe  vorbildliche  Scene  des 
homerischen  Hymnus  (V.  *205  ff.)  lehrt:  sein  Genuss  beendigte 
das  Fasten  des  Einzuweihenden,  wie  er  dem  neuntägigen  Fa- 
sten der  herumirrenden  Demeter  im  Hause  des  Keleos  ein 
Ende  gemacht  hatte.  In  näherer  Beziehung  zu  dieser  Caere- 
monie  steht  der  Kerchnos  nicht.  Das  Getäss,  aus  dem  man  den 
Kykeon  genoss,  war  das  Rymbos.  Das  wissen  wir  aus  Ni- 
kanders  Alexipharmaka  128  ff.,  wo  es  heisst: 

Tclj  o£  cu  7roXXxx,i  f;.£v  yX'o^ö)  Tzozx^y^irn  vuaoat^ 
£[X7c>.7)S7iv  )tuy.£a)va  Tcöpoii;  £v  Jtujxßfii  T£u^a;, 
VTiiTeipri?  AtioO?  ixopoEv  tuotöv,  (j  m:ot£  Ayiw 
Xa'jxaviYiv  £€p£^£v  äv'  aiTupov   'ItctuoOÖwvto; 
öpY)i(jayi;  äÖupoiT'.v  6x6  pr/xpricriv  'laaSvii; 

und  im  Schatzverzeichniss  vonEleusisC./.yl.  iV,2  767bZ.54 
finden  wir  auch  ein  )cu[7,o'.ov  verzeichnet,  leider  an  einer  stark 
fragmentirten  Stelle,  so  dass  wir  nichts  Genaueres  angeben 
können.  Die  Kultushandlung,  bei  der  der  Kerchnos  ver- 
wendet wurde, gehörte  nicht  zu  den  Einweihungscaeremonien 
von  Eleusis,  sonst  stände  sie  eben  im  Synthema  verzeichnet. 
Fragen  wir  uns  nun,  bei  welcher  Gelegenheit  die  Kultus- 
handlung mit  dem  Kerchnos  in  den  eleusinischen  Mysterien 
Statt  hatte  und  wie  gestaltet  sie  war,  so  giebt  uns  einige  Auf- 
klärung darüber  schon  Polemon  bei  Athenaios.  Wir  ent- 
nehmen seinen  Worten, dass  der  Kerchnos  bei  der  Caeremonie 
in  einer  Prozession  oder  in  einem  Tanz  —  das  bleibt  hier  un- 
bestimmt —  umhergetragen  worden  ist.  Der  Ausdruck  TtEpi- 
£vy)vopT£<;  verrät, dass  es  sich  nicht  um  eine  Prozession, die  von 
einem  Punkte  zu  einem  anderen  zog,  gehandelt  haben  kann, 
die  Träger  des  Kerchnos  müssen  sich  vielmehr  auf  einem 
irgendwie  abgegrenzten  Platz  im  Kreis  oder  sonstwie  umher- 
bewegt haben.  Des  weiteren  belehrt  uns  Polemon  ,  dass  die 
Teilnehmer  an  dieser  Caeremonie  den  Kerchnos  auf  dem  Kopf 
getragen  haben,  nichts  anderes  nämlich  besagt  die  Wendung: 


294  0.    RÜBENSOMN 

6  Se  TouTo  ßacrraaa?  olov  ^Dtvocpopir)''«?-  D^is  Liknon  wurde  bei 
den  verwandten  Kiiltusliandlungen  anderer  Gottesdienste  von 
den  beteiligten  Personen  auf  dem  Kopf  getragen  ^ 

Eine  willkommene  Erojinzuno;  und  Bestütisunü;  dieses  lit- 
terarischen  Zeugnisses  bildet  nun  der  Pinax  der  Ninnion,  der 
im  Jahre  1895  in  Eleusis  gefunden  worden  ist 2.  Es  ist  hier 
nicht  der  Ort  näher  auf  die  Darstellung  dieses  in  seiner  Be- 
deutung für  den  Kultus  von  Eleusis  einzig  dastehenden  Denk- 
mals einzugehen.  Es  muss  dies  der  bevorstehenden  Veröffent- 
lichuns:  des  Pinax  durch  Herrn  Dr.  Skias  vorbehalten  bleiben. 
Nur  so  viel  möge  hier  bemerkt  werden.  Es  ist  auf  dem  Pinax 
in  zwei  Streifen  übereinander  eine  Prozession  dargestellt,  die 
im  llieron  von  Eleusis  vor  sich  geht.  Das  Innere  des  Heilig- 
tums—  nicht  des  Tempels-  ist  durch  den  Omphalos  und  eine 
Säule  im  Hintergrund  gekennzeichnet,  in  der  unteren  Reihe 
empfängt  eine  thronende,  in  der  oberen  eine  thronende  und 
eine  stehende  Göttin  die  Heranschreitenden.  In  dieser  Prozes- 
sion tragen  zwei  Frauen  den  Kerchnos,  eine  dritte  Kerchnos- 
trägerin  befindet  sich  im  Giebel  des  Pinax.  Einen  Ausschnitt  aus 
der  Darstellung  der  Prozession  mit  dem  Oberteil  der  einen  der 
beiden  Kerchnosträgerinnen  und  der  vor  ihr  stehenden  Göttin 
zeigt  unsere  Abbildung  nach  einer  Zeichnung  Gillierons-'. 

In  der  Form  stimmt  das  Gefäss  so  genau  mit  den  eleusini- 
schen  Gelassen  überein  ,  wie  das  bei  der  ziemlich  Ilüchtigen 
Manier  des  Malers  möglich  ist.  DieKotyliskoi  fehlen.  Wir  haben 


*  Vgl.  O.  Jalin,  Berichte  der  .säclisisclieii  Gcsellscliatl  der  Wis.seiiseliallcn 
1861  S.  324  Anm.  125. 

2  Einige  Angalieri  über  ihn  hat  Kern  in  der  Arch.  Ge.sellschaft  in  Berlin 
(Arcli.  Anzeiger  18'»5  S.  163)  gcniaehl;  vgl.  Aliien.  Milth.  18'JF.  S.  231. 

3  Den  Kopf  der  Kerchno.strägcrin  und  die  eine  Fackel  der  vcir  ihr  .stehen- 
den Figur  hat  H.  von  Fritze, 'EotüaepU  äpx..  1897  S.  16(1  in  einer  flüchligen 
Skizze  wiedergegeben.  Seine  Deutung  der  Scene,  die  Frau  mit  den  beiden 
Fackeln  entzünde  mit  deren  einer  den  in  dem  Gefäss  enthaltenen  Weih- 
rauch, ist  villlig  uiiaiinehnibar.  Ein  Blick  auf  unseie  Abbildung  zeigt,  dass 
jan  derartiges  nicht  zu  denken  ist.  Fritze  hat  auch  die  Arl.wie  der  Kerchnos 
auf  dem  Kopf  der  P'rau  befestigt  ist,  und  die  Bedeulung  der  Löcher  im 
Randstreifen  des  Kerchnos  völlig  verkannt. 


keRcmnos 


29o 


ja  aber  schon  hervorgehoben  (S.  '285),  dass  ihre  Anbringung 
für  die  Darstellung  des  Kerchnos  in  der  bildenden  Kunst 
nicht  unbedingt  erforderlich  war.  Auch  dass  der  Deckel  nicht 
durchbrochen  gemalt  ist,  kann  nicht  überraschen.  Die  Über- 
einstimmung in  der  ganzen  äusseren  Erscheinung  und  in 
einigen  gleich  zu  berührenden  Einzelheiten  ist  so  gross,  dass 


ein  Zweifel  an  der  Identität  der  dargestellten  Gefässe  mit  den 
eleusinischen  unzulässig  ist. 

Auf  dem  Pinax  sehen  wir  nun  ,  wie  das  Geläss  bei  der 
Prozession  getragen  wurde.  Es  ist  mit  weiss  gemalten  Tä- 
nien  am  Kopf  befestigt.  Die  Tänien  sind  an  den  Henkeln 
des  Kerchnos  angebunden.  Eine  derartige  Befestigung  würde 
schwerlich  genügen.  Wir  finden  bei  fast  allen  eleusinischen 
Gelassen  im  Fuss  der  Vase  zwei  Durchbohrungen'.  Offen- 
bar wurde  auch  durch  diese  ein  Band  gezogen ,  das  am 
Kopf  der  Trägerin  angebracht  wurde  und  zur  weiteren  Be- 
festigung des  Gelasses  diente.  Über  den  Deckel  des  Kerchnos 
laufen  in  der  Darstellung  zwei  sich  kreuzende  schwarz  aufge- 
malte Linien.  Die  eine  verläuft  über  den  Rand   des  Deckels 


<  Vgl.  'E?T)|jL£p\4  ipx.  1885  Taf.  9,  7  S.  172. 


296  O.    RUBENSOHN 

hinaus  jn  den  Randstreifen  des  Kerelinos,  wir  können  sie 
daher  nicht  als  Angahe  einer  rein  ornamentalen  Zuthat  be- 
trachten. Was  gemeint  ist,  lehren  uns  die  eleusinischen  Ge- 
tässe.  Es  finden  sich  bei  ihnen  in  dem  Randstreifen  meist  zu 
beiden  Seiten  des  Henkels  vier  —  je  zwei  bei  jedem  Henkel  — 
bisweilen  auch  mehr  kleine  runde  Löcher  '.  In  einigen  dieser 
Löcher  stecken  noch  heute  dünne  Metallstreifen.  Zur  Befe- 
stigung des  Kerchnos  am  Ropt  können  diese  nicht  gedient 
haben, Bronze  wäre  für  einen  solchen  Zweck  der  ungeeignetste 
Stoff.  Es  ist  deutlich,  dass  die  dünnen  Bronzestreifen  zur  Be- 
festigung des  Deckels  gedient  haben.  Wurden  die  Gelasse  in 
der  beschriebenen  Weise  in  einer  Prozession  umhergetragen, 
so  musste  man  die  Deckel  irgendwie  auf  dem  Kerchnos  be- 
festigen. Bänder  aus  einem  ptlanzlichen  Slot!'  würden  vom 
Feuer  der  im  Kerchnos  brennenden  Lampen  vernichtet  wor- 
den sein.  Deshalb  musste  man  zu  metallenen  Bändern  die 
Zuflucht  nehmen,  und  die  Wiedergabe  solcher  Bänder  erkenne 
ich  auf  der  Darstellung  des  i^inax.  Die  Frau  ,  welche  den 
Kerchnos  trägt,  hat  im  Haar  ein  Diadem,  während  die  bei- 
den anderen  Kerchnosträgerinnen  des  Pinax  (vgl.  die  Skizzen 
bei  Fritze  a.  a.  ü.)  einfach  Kränze  auf  dem  Haupt  tragen. 
Mit  der  rechten  Hand,  in  der  sie  einen  Zweig  hält,  adorirt 
sie  die  vor  ihr  stehende  Göttin.  Was  sie  mit  der  linken  Hand 
fasst,  lässt  sich  nicht  mehr  erkennen.  Auch  der  Iverchnos  ist 
mit  Zweigen  geschmückt.  Wir  haben  hier  die  Kerchnophorie 
im  Kultus  von  Eleusis  vor  uns,  eine  Seene  aus  der  Pompe, 
deren  Schilderung  dem  bei  Athenaios  erhaltenen  Passus  aus 
Polemons  Schrift  unmittelbar  vorausgegangen  sein  muss.  Es 
ist  eine  Scene  aus  der  eigentlichen  M^slerienfeier,  die  im  In- 
nern des  Heiligtums  von  Eleusis  stattfand.  Zum  ersten  Mal 
sehen  wir  eine  solche  auf  einem  antiken  Denkmal  dargestellt. 
Wir  haben  uns  etwa  die  Aule  des  Heiligtums  als  Ort  des  Vor- 
gangs zu  denken.  Hier  ging  unter  feierlichen  Veranstaltungen 
beim  Schein  der  Fackeln  —  auf  dem  Pinax  sehen  wir  in  der 


Vgl.  Pliilios,'E?rj[j.£pUip/..  1885  8.172  und  unsere  Abbildung  Taf.  13,1.6. 


RERCHNOS  297 

unteren  Reihe  den  Hierophanten  oder  Daduchen  mitj seinen 
Fackeln  —  dieser  Teil  der  Mysterienleier  vor  sich  ,  bei  der 
sicher  auch  das  Siov  xw^iov  eine  Rolle  spielte.  Auf  die  eigen- 
tümliche Ausgestaltung  der  Feier,  wie  sie  der  l^inax  erkennen 
lässt,  können  wir  hier  natürlich  nicht  eingehen,  auch  die 
einzelnen  ÜilTerenzen,  die  zwischen  der  Beschreibung  Pole- 
mons  und  der  Scene  des  Pinax  bestehen,  dürfen  hier  nicht 
abgehandelt  werden.  Hier  haben  wie  jetzt  nur  noch  einige 
Fragen  zu  erledigen,  welche  die  eleusinischen  Kerchnoi  spe- 
ciell  angehen.  Sie  betreffen  Technik,  Decoration  und  Zeit  die- 
ser Gefässe. 

Dass  die  grosse  Menge  der  gefundenen  Vasen  einen  einheit- 
lichen Typus  darstellt,  wurde  schon  zu  Anfang  erwähnt.  Der 
rötliche  oder  hellbraune  Thon,  aus  dem  sie  gefertigt  sind,  ist 
fast  durchweg  mit  -einem  Überzug  aus  rotem  oder  weissem 
Pfeifenthon  versehen'.  Dieser  Überzug  ist  bei  den  meisten 
Gelassen  bis  auf  wenige  Reste  abgesprungen ,  und  mit 
ihm  sind  auch  die  auf  ihn  aufgesetzten  Verzierungen  ver- 
schwunden. Der  ursprüngliche  Zustand  lässt  sich  daher  bei 
den  meisten  Gelassen  nur  erschliessen.  Verhältnissmässis;  am 
besten  erhalten  hat  sich  die  Vergoldung.  Eine  grosse  Anzahl 
der  gefundenen  Kerchnoi  war  nämlich  an  ihrer  ganzen  Aus- 
senseite  mit  Gold  überzogen.  Das  Gold  ist  als  ganz  dünnes 
Blattgold  auf  die  weisse  oder  rote  Grundlage  aufgesetzt, in  der- 
selben Technik  wie  sie  Furtwän^ler  zu  Sammlun»  Sabouroff 
I  Taf.  /Ü,2  beschreibt.  Nur  handelt  es  sich  bei  unseren  Ge- 
lassen nicht  um  einzelne  Verzierungen  aus  Gold,  sondern  um 
eine  einheitliche  Vergoldung  ohne  irgend  welche  Ornamente. 
Diese  Gelasse  ahmen  die  »eppot  xp'j'^ot  nach,  welche  wie  uns 
die  zu  Anfang  erwähnte  Inschrift  verrät,  als  VVeihgeschenke 
dargebracht  wurden  oder  im  Kultus  Verwendung  fanden.  Kei- 
nes von  den  vergoldeten  Gelassen  ist  mit  Kotyiiskoi  oder  ko- 
tyliskosartigen  Ansalzen  versehen.  Die  mit  soli-hen,  besonders 
mit  ersteren,  gezierten  Kerchnoi  zeigen  überhaupt  selten  eine 


'    Vgl.  über  die  Technik  Pliilios,  'E<pT)(i6pis  ip-/^.  1885  S.  171  Anin.  3. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXIII.  20 


^Ö  O.   RUBENSOJiN 

weitere  Decoration  ausserdem  weissen  oder  roten  Überzug, nur 
der  Kranz  der  kotyliskosartigen  Ansätze  hat  bei  einzelnen  Ge- 
fässen  durch  verschiedene  Färbung  der  Scheinkotyliskoi  — 
blau,  rot  und  weiss — einige  Belebung  erfahren. 

Wo  die  Kotyliskoi  fehlen,  ist  fast  überall  der  lilrsatz  durch 
Malerei  eingetreten.  Und  zwar  findet  sich  die  Bemaking  haupt- 
sächlich an  drei  Stellen  des  Gefässes,  auf  dein  horizontalen 
Randstreifen,  auf  der  Schulter  oder  auf  dem  Bauch,  nur  bei 
wenigen  Gelassen  an  allen  drei  Stellen  zusammen .  bei  den 
meisten  entweder  an  einer  oder  höchstens  an  zweien.  Auf 
dem  Handstreifen  ist  öfters  ein  Rierstab  angebracht,  die  Stege 
in  roter,  die  Wülste  in  hellblauer  Farbe,  der  Untergrund 
weiss.  Dasselbe  Ornament  kehrt  auch  in  derselben  Farbenver- 
teilung am  Rand  des  Deckels  wieder. 

Das  Ornament,  das  bei  den  einfacher  verzierten  Gelassen 
am  häufigsten  auf  dem  Schulteraufsatz  begegnet, ist  das  neben- 
stehend skizzirte.  Die  Strahlen  sind  bald  breiter  bald  schmaler 


aufgetragen  und  immer  sehr  flüchtig  gezeichnet.  Das  Orna- 
ment hebt  sich  immer  rot  vom  weissen  Grund  ab, bei  den  Ge- 
fässen  mit  rotem  Überzug  ist  mitten  um  den  Aufsatz  herum 
über  den  roten  Überzug  ein  horizontaler  weisser  Streifen  ge- 
legt, erst  auf  diesem  steht  das  Ornament.  Bei  zwei  (Exempla- 
ren findet  sich  der  sonst  weiss  gelassene  Untergrund  zwischen 
den  Strahlen  mit  Blattgold  abgedeckt,  in  der  Regel  kehrt  das 
Ornament  viermal  um  den  ganzen  Aufsatz  herum  wieder,  der 
Zwischenraum  zwischen  den  einzelnen  wird  entweder  frei  ge- 
lassen üd(M'  von  einem  horizontal  gelegten  und  mit  einem  bald 
helleren  bald  dunkleren  Grün  gemalten  Zweig  eingenommen. 
Zweige  finden  sich  auch  auf  einigen  der  Deckel  angebracht. 
Das  eigentümliche  Strahlenornament  würde  der  Erklärung 


XIV 


KERCMNOS  299 

Schwierigkeiten  entgegensetzen,  wenn  uns  nicht  auf  einem  der 
weissgrundigen  Kerchnoi  einigermassen  gut  erkennbare  Reste 
der  Bemalung  erhallen  wären,  die  uns  von  dem  einstmaligen 
Aussehen  der  reicher  bemalten  Gefässe  eine  Vorstellung  geben. 
Das  Erhaltene   und  eine  Heconstruction   des  ganzen  Gefässes 
giebtTaf.  \  ^t  nach  einer  Zeichnung  Gillierons '.  Die  Hauptdar- 
stellung findet  sich  auf  dem  unteren  Teil  des  Ge{ässes(3).  Dessen 
oberen  Rand   schliessen  unmittelbar  unter  dem  Randstreifen 
guirlandenartig  aufgehängte  VVollbinden  ab,  die  in  roter  Farbe 
wiedergegeben  sind.  Von  der  Mitte  eines  jeden  Rogens  dieser 
Guirlande  hängt  abwechselnd  ein  Kranz —  wie  solche  in  ähn- 
licher Verwendung  häufig  auf  hellenistischen  Vasen  wieder- 
kehren—  und  das  Strahlenornament  herab,  das  uns  auf  dem 
Schulteraufsatz     der  Kerchnoi  begegnet  ist.    Hier  (3)  sehen 
wir  nun,  dass  es  sich  nicht  um  ein  rein  geometrisches  Orna- 
ment handelt,  es  stellt  sich  vielmehr  als  ein  Rund  von  Stäben 
dar, das  durch  drei  Bänder  zusammengehalten  wird, als  eine  Art 
Hülse,  die  durch   ein  Gitter  von  Raulenstäben  gebildet  wird. 
Wo  diese  Hülsen  ihre  Verwendung  fanden, das  lehren  uns  die 
Bakchoi^,  die  über  das  ganze  Rund  des  Bauches  verteilt  sind. 
Ihre  Anordung  ist  eine   unsymmetrische,    bald   treffen    ihre 
oberen    Enden    in   die  Zwickel  der  VVollbinden  -  Guirlande, 
bald  schneiden  sie  deren  Bogen.  Auch  der  Abstand  der  ein- 
zelnen  Bakchoi  von  einander  wechselt  in  ganz  un regelmässi- 
ger Weise  ab.    Das  Laub  der  Bakchoi    ist   mit   einem   grün- 
lichen Gelb  wiedergegeben,  die  Umrisse  sind  rot  gezeichnet. 
Die  rot  gezeichneten  gitterartigen  Hülsen  sehen  wir  nun   hier 
als  Ringe  in  geregelten  Absländen  von  einander  um  die  Bak- 


'  Mümlun^',  Hciikci  iiiul  Fuss  sind  f^aiiz,  dor  luiri/.onlalc  Uandstreifen 
giössleiilcils  wcggcbrüclicn.  Die  Eryiiir/.iiiig  des  Fiissos  iiiiissle  in  der 
Skizze  (1)  aus  Uauniriieksielilen  unlerldeibeii.  Die  l'\trui  des  Fusses  war 
dieselbe  wie  bei  dem  Uetäss  Taf.  13,4.  Die  Einzelheilen  der  Bemalung 
sind  z.  T.  nur  mit  Mühe  zu  erkennen,  da  die  Farbe  viellach  abgesprnn^'en 
ist.  Die  senkrechte  .Slrichclung-  giebl  rote,  die  wafrreelilo  blaue,  die  Punkti- 
rnnj;  gelbe  Farbe  wieder.  Die  licconsUiicliun  des  Ornaiiienis  auf  der  oberen 
Seile  des  llandslreiiens  (;')  ist  nicht  ganz  gesichert. 

^  Über  diese  Bezeichnung  vgl.  oben  S.  '291  Aniii.  I. 


300  O.   RUBENSOHN  _ 

clioi  herumgeleojt, zweifellos  dienten  sie  dazu,dieZ\veigbiindel, 
aus  denen  diese  bestehen  ,  znsainnionzuhalten.  In  iihnlicher 
Weise  kehren  die  Hülsen  auch  auf"  anderen  Darstellungen  der 
Bakchoi  wieder,  man  vgl.  z.  B.  die  von  den  beiden  Dioskuren 
und  Herakles  getragenen  auf  der  Mysterienvase  beiOverbeck, 
Runstmythologie  Taf.  18,  19. 

Auf  der  Schulter  unseres  Gefässes  ( Tat",  l-'i,  ''2.)  sehen 
wir  den  Bakchos  in  das  Ornamentale  umgestaltet.  Die  Bo- 
gen der  hier  dargestellten  Guirlande  bestehen  aus  den  etwas 
umgemodelten  Mystenstäben,die  insbesondere  ihre  Verjüngung 
nach  unten  vollständig  eingebüsst  haben.  Blätterbündel  (gelb) 
und  Hülse  (rot)  wechseln  aber  hier  noch  in  derselben  Weise 
wie  bei  den  Bakchoi  auf  dem  Bauch  des  Gefässes  ab.  Bei  der 
Weiterentwicklung  hat  man  dann  den  Bakchos  in  seine  einzel- 
nen Ikstandteile  aufgelöst  und  jeden — die  Hülse  und  den  Laub- 
zweiü"  —  als  selbständiges  Ornament  auf  dem  Kerchnos  ver- 
wertet.  Eine  nur  auf  dem  abgebildeten  Kerchnos  nachweisbare 
Zuthat  zu  der  Verzierung  sind  die  Tauben,  welche  paarweise 
einander  gegenüber  gestellt  oder  einzeln  unterhalb  der  Guir- 
lande erscheinen.  Sie  sind  mit  einem  hellen  Blau  aufgemalt. 
Der  horizontale  Bandstreifen  hat  als  Ornament  unten  den  so- 
genanten  laufenden  Hund,  auf  der  Oberseite  ein  Palmetten- 
band. 

Zur  Decoration  des  Kerchnos  hat  also,  wie  wir  sehen,  eines 
der  bedeutsamsten  Kultusinstrumente  der  eleusinischen  My- 
sterien die  hauptsächlichsten  Elemente  geliefert.  Nur  auf  zwei 
Denkmälern  begegnet  als  Ornament  verwendet  —  soweit  ich 
sehe — dasselbe  Kultusinstrument  noch  einmal.  Beide  stammen 
aus  Eleusis.  Das  eine  ist  die  Cista  der  bekannten  Cistophoren 
aus  Eleusis'.  Der  um  die  Mitte  der  Cista  herumlaufende  Strei- 
fen zeigt  als  Ornament  den  decorativ  umgestalteten  Bakchos  ; 
auf  beiden  Seiten  wird  er  durch  einen  Perlstab  eingefasst.  Die 


*  Das  eine  Exemplar  bclindd  sidi  in  lüleusis,  das  andere  in  Canil)ridge. 
Die  beste  Abbildung  dfs  cnKliscbcn  Siüekes  bei  Michaelis, .«l/ir.  Marhles  zu 
S.  1'42,  das  Oniamenl  ist  zu  S,  'JV'i  in  grösserem  Masstab  wiederholt. 


KERCHNOS  301 

Blätterbüntlel  sind  in  ein  Flechtband  umgewandelt.  Getreuer  ist 
Hie  Wiedergabe  des  Bai\cljos  auf  dem  anderen  Aionument, dem 
Pinax  der  Ninnion.  Auf  jeder  der  Randleisten  zu  beiden  Sei- 
ten der  Bildfläehe  sehen  wir  einen  Bakchos  in  ganz  ähnlicher 
Weise  umgemodelt  wie  auf  der  Schulter  des  Rerchnos  ohne 
Verjüngung  aufrecht  stehend  angebracht'. 

Wenn  wir  so  sehen  dass  auf  dem  Pinax, auf  dem  die  Kerch- 
nophorie  dargestellt  ist.  und  auf  dem  Kerchnos  selbst  der 
Mystenstab  als  Ornament  verwertet  ist,  so  haben  wir  wol  zu 
folgern,  dass  Rerchnos  und  Bakchos  innerhalb  der  eleusini- 
schen  Mysterien  in  irgend  einer  besonderen  Beziehung  zu  ein- 
ander gestanden  haben;  wir  haben  etwa  an  eine  gleichzeitige 
Verwendung  in  einer  bestimmten  Kultushandlung  zu  denken. 
Dem  gegenüber  muss  indessen  bemerkt  werden,  dass  in  der 
Kerchnophorie  auf  dem  Pinax  der  Bakchos  nicht  benutzt  wird. 
Auf  der  Bildfläche  des  Pinax  erscheinen  nur  zwei  gekreuzte 
Bakchoi  als  Symbole  unter  dem  Omphalos.  Es  ist  daher  auch 
nicht  unmöglich,  dass  Kerchnos  und  Bakchos  nur  deshalb  so 
eng  verbunden  zusammen  auftreten,  weil  sie  beide  als  beson- 
ders bezeichnende  Symbole  des  eleusinischen  Kultus  betrachtet 
wurden.  Dass  dem  so  war,  lehren  die  Denkmäler.  Vereint 
finden  wir  beide  so  auf  der  cumäischen  Amphora  in  Peters- 
burg (Overbeck,  Kunstmythologie  Taf.  18  Nr.  '20).  Nebenein- 
ander erscheinen  sie  auf  dem  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
aus  dem  städtischen  Eleusinion  stammenden  Relief.das  an  der 
kleinen  Metropolis  in  Athen  eingemauert  ist;  es  gilt  dies  seit 
Böttichers  Aufsatz  (Philologus  XXIll  S.  227  mit  Tafel)  ge- 
wöhnlich als  Relief  von  eincMu  Altar  aus  dem  Eleusinion,  es 
kann  aber  ebensowohl  auch  l^^pistyl  eines  Baues  gewesen  sein, 
wie  das  Epistyl  von  den  Propyläen  des  Appius  Claudius  in 
Eleusis. 

Auch  allein  erscheint  der  Kerchnos  des  öfteren  als  Symbol 


*  Hier  ist  es  ganz  deullicli,  dass  die  'Hülsen'  diirclibrnolKMi  gedacht 
sind,  denn  das  Laub  der  Zweige  ist  zwischen  den  Stäben  der  Hülsen  ange- 
geben. 


302  0.    RUBENSOHN 

des  eleusinischen  Kultus  und  als  Wappen  des  eleusinischen 
Gemeinwesens.  So  sehen  wir  ihn  auf  den  Rupfermünzen  von 
Eleusis,  die  der  jüngeren  Epoche  d.  h.  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  dem  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  vor  Giir.  an- 
gehören. Auf  diesen  tritt  der  Kerchnos  zusammen  mit  dem 
Ralathos  als  Prügezeichen  auf.  Ebenso  erscheint  er  auf  gleich- 
zeitigen und  späteren  athenischen  iMünzen,  wo  allerdings  der 
Kalathos  häufig  fehlt  (vgl.  den  Katalog  des  brittischen  Mu- 
seums Attica  Taf.   15,  besonders  auch  Taf.  14,  10)^ 

In  die  Jahre  287-266  setzt  aus  historischen  Gründen  Svo- 
ronos  eine  Serie  bleierner  Theatermarken,  die  ebenfalls  den 
Kerchnos  bald  allein,  bald  mit  dem  Kalathos,  bald  mit  einer 
Fackel ,  bald  mit  Mohnslengeln ,  einmal  auch  mit  einem 
Thyrsos  zusammen  als  Prägung  zeigen.  Meist  ist  er  mit  Zwei- 
gen geschmükt  wie  auf  dem  Pinax.  Stark  stilisirt  schliesslich 
ist  der  Kerchnos  dargestellt  auf  den  oben  erwähnten  Gisten 
der  Gistophoren  aus  Eleusis,  auch  hier  mit  gekreuzten  Mohn- 
stengeln zusammen,  wie  auf  den  Theatermarken  ^. 

Die  Münzen  und  Blei  marken  mit  Rerchnosdarstellung  ge- 
hören dem  dritten  Jahrhundert  an,  die  grössere  Menge  sicher 
seinem  ersten  Drittel.  Ein  Teil  der  eleusinischen  Gelasse  ist 
unter  der  Philohalle  gefunden,  ist  also  sicher  älter  als  dieser 
im  vorletzten  Jahrzehnt  des  vierten  Jahrhunderts  errichtete 
Bau;  dasselbe  gilt  von  den  unter  den  Fundamenten  des  Buleu- 
terion  gefundenen  Rerchnoi.  Das  Marmorgefäss  mit  der  In- 
schrift gehört  nach  den  Buchstabenformen  der  Inschrift  in  das 
vierte  Jahrhundert, der  Pinax  mit  der  Darstellung  derRerchno- 


<  Vgl.  zu  den  Münzen  und  zu  den  gleicli  zu  erwähnenden  Theatermarken 
jetzt  Svoronos,  Journal  international  cVarchiologie  numismaiiqiie  I  S.  100. 
Ich  hin  Herrn  Dir.  Svoronos  für  viellaolic  Unterslützung  in  niiniisniatischen 
Fragf'ii  7,u  h'hhaftem  Dank  verptlichtet. 

2  Anch  auf  dein  Fries  vom  Propylun  des  Appius  Claudius  Pulcher  in 
Eleusis  scheint  der  Kerchnos  dargestellt  gewesen  zu  sein.  Bei  Lenornianl 
{Recherches arck.  S.  390)  erscheint  wenigstens  in  der  Ahhildungdieses  Frieses 
auf  dem  Fragment  rechts  am  Ende  der  Deckel  eines  Kerchnos.  Das  Stück 
hahe  ich  in  Eleusis  nicht  (inden  können  (  vgl.  jetzt  auch  Kuruniolis,  'Efjj- 
[XEpU  ip/..  1898  S.  22). 


KERCHNOS  303 

phorie  stammt  etwa  aus  dem  Ende  des  fünften  Jahrhunderts, 
einer  etwas  späteren  Zeit  mai?  die  cumäisehe  Ampliora  in  Pe- 
tersburg angehören.  Die  Übergaburkunde  der  eleusinisehen 
Epistaten  schliesslich  mit  der  Erwähnung  des  Rerchnos  ist 
datirt  auf  das  Jahr  408/7.  Die  grössere  Menge  der  Zeugnisse 
für  den  Gebrauch  des  Kerchnos  im  eleusinisehen  Kultus  ver- 
teilt sich  also  über  das  ganze  vierte,  das  Ende  des  fünften  und 
den  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts.  Die  Fundumstände 
weisen  daneben  aber  auch  eine  ganze  Anzahl  der  in  Eleusis 
gefundenen  Kerchnoi  in  spätere  Zeiten,  sogar  in  die  römi- 
sche Periode  (vgl.  Philios,  'EcpTiaspU  ap/.  1885  S.  173).  In 
römische  Zeit  gehören  das  Relief  aus  dem  städtischen  Eleu- 
sinion  ,  den  Fries  vom  Propylon  des  Appius  Claudius  und 
die  Cistophoren  in  Eleusis  und  Cambridge.  Wir  haben  also 
den  Beweis  dafür,  dass  die  Caeremonie  mit  dem  Rerchnos  bis 
in  die  späteren  Zeiten  hinein  fortgesetzt  in  Eleusis  ausgeübt 
worden  ist.  Doch  auch  aufwärts  können  wir  vielleicht  die  Be- 
folgung dieser  Sitte  nachweisen,  wenn  es  auch  als  befremdend 
hervorgehoben  werden  muss,  dass  sich  nur  sehr  geringe  und 
dazu  noch  zweifelhafte  Reste  von  Kerchnoi  aus  Zeiten  nach- 
weisen lassen,  die  dem  vierten  Jahrhundert  —  in  eine  frühere 
Epoche  dürfen  wir  aus  Gründen  der  Technik  und  des  Stils  die 
betrachtetenGefässe  nicht  setzen — vorausgehen.  Einige  schwarz- 
figurige  Deckel  wie  der  hier  nach  Gillierons  Zeichnung*  wie- 


dergegebene,  haben  sich  in  Eleusis  gefunden.  Das  abgebildete 
Exemplar  trägt  eine  \\'eihinschrift  an  die  beiden  Göttinnen. 
Zwei  andere  Exemplare  derselben  Form   mit  grauschwarzem 


Der  untere  ornaiiienlirle  Raiul  ist  in  der  Zeichnung  teilweise  ergänzt. 


304 


O.    RUBENSOHN 


Grund  zeigen  als  Verzierung  mehrere  horizontale  umlaufende 
Linien  in  aufgesetztem  Karminrot.  Falls  diese  Deckel  zu 
Rerchnoi  gehört  haben,  wäre  der  Gebrauch  des  Gefässes  auch 
für  die  Zeit  des  schwarzfigurigen  Stils  gesichert.  Es  muss  aber 
ausdrücklich  bemerkt  werden,  dass  die  Form  von  den  Deckel- 
formen der  Kerchnoi  abweicht  und  dass  sich  kein  Rest  eines 
Kerchnos  selbst  aus  gleicher  Zeit  erhalten  hat.  Diese  Deckel 
können  sehr  wol  auch  von  Thymiaterien  herrühren.  Gleich  ge- 
formte und  auso-estattete  Deckel  haben  sich  auch  auf  der  Akro- 
polis  gefunden,  liier  bleiben  also  einige  Bedenken  bestehen. 

In  noch  ältere  Zeit  würde  das  Vorkommen  des  Kerchnos 
gerückt,  wenn  wir  mit  Sicherheit  behaupten  könnten,  dass  die 
nachstehend    wiedergegebenen    Fragmente  zweier  Ringe  mit 


darauf  gesetzten  kleinen  Gefässchen  als  Reste  von  Kerchnoi 
aufzufassen  seien.  Beide  stammen  aus  Eleusis  und  befinden 
sich  dort  im  Museum.  Genauere  Fundnotizen  sind  nicht  be- 
kannt. Der  eine  Ring  besteht  aus  einem  grauen  Thon ,  der 
schlecht  geschlemmt  ist ;  die  Oberfläche  ist  unbemalt  und 
rauh  gelassen.  Die  einhenkeligen  kleinen  Gelasse  sind  mit 
der  Hand  geformt.  Der  andere  Ring  trägt  etwas  grössere  hen- 
kellose Gelasse,  die  gleichfalls  mit  der  Hand  gearbeitet  sind; 
der  Thon  ist  mehr  bräunlich.  Der  kleinere  Ring  zeigt  innen 
und  aussen  starke  Spuren  von  Brand,  die  wol  bei  oder  nach 
der  Zerstörung  entstanden  sind. 

Der  innere   Rand   beider   Ringe  ivSt  abgebrochen  ,   so  dass 
es  sich  nicht  mehr  mit  Bestimmtheit  feststellen  lässt,  ob  die 


KERCHNOS 


305 


Ringe  einst  selbständig  bestanden  oder  den  Randstreifen  eines 
Rerchnos  gebildet  haben.  Dass  es  ein  merkwürdiger  Zufall 
wäre,  wenn  beide  Ringe  so  in  ganz  gleicher  Weise  von  den 
zugehörigen  Gefässen  abgebrochen  wären,  ist  freilich  zuzuge- 
ben. Man  hätte  dann  aber  vielleicht  anzunehmen  .  dass  die 
fertigen  Rini^e  mit  den  Gefässen  darauf  an  die  Rerchnoi  ange- 
setzt  worden  seien.  Von  den  gewöhnlichen  Gefässringen,  über 
die  zuletzt  Löschcke  beim  Winckelmannsfest  des  N'ereins  von 
Altertumsfreunden  im  Rheinlande  1897  gesprochen  hat',  un- 
terscheiden sich  die  eleusinischen  Ringe  vor  allem  durch  die 
grössere  Anzahl  von  Gefässchen,  welche  sie  einmal  getragen 
haben.  Die  Gefässchen  stehen  so  eng  auf  den  Ringen  und  diese 
haben  einen  so  grossen  Durchmesser,  dass  wir  leichtlich  auf 
die  Zahl  von  8-1üKotyliskoi  für  jeden  der  Ringe  kommen,  also 
etwa  auf  dieselbe  Zahl,  wie  die  der  Kotyliskoi  auf  dem  oben 
S.2S'd  betrachteten  Rerchnos.  Es  ist  daher  nicht  unwahrschein- 
lich,dass  diese  Ringe  zu  den  Rerchnoi  zu  rechnen  sind.  Bildeten 
sie  aber  den  Randstreifen  von  Gefässen  ähnlich  den  betrachte- 
ten, so  können  wir  auch  einen  Einblick  in  die  Entstehung 
der  Form  des  Rerchnos  thun.  Der  Rerchnos  ist  vielleicht  aus 
einem  solchen  Ring  und  der  von  ihm  umschlossenen  V^ase 
zusammengewachsen . 

Ist  das  Gesagte  richtig,  so  bekommen  wir  einen  äusseren 
Anhalt  für  das  Alter  der  kerchnoscaeremonie,  denn  die  bei- 
den Ringe  können  wir  nach  ihrer  Technik  nur  einer  recht 
frühen  Periode  der  Vasenfabrikation  zuschreiben,  und  jeden- 
falls sind  sie  durch  einen  weiten  Zeitabstand  von  den  be- 
trachteten Rotyliskoi  getrennt.  Jedoch  auch  ohne  diesen  An- 
halt kcinnen  wir  der  Rultushandlung  mit  dem  Rerchnos  ein 
hohes  Alter  aus   der  einfachen  Erwägung  heraus  anweisen, 


<  Vgl.  Berliner  pliilol.  Wocliensehiirt  1898  8.  ?-2-?.  Duhn  ( Der  griechi- 
sche Tempel  in  Pompeji  Aiuii.  31  ),  der  die  Kerelmoi  mit  den  Gel'ässringen 
zusammenstellt,  hat  alle  diese  als  Lampen  aufgefasst,  wodurch  nur  die 
Kotyliskoi,  nicht  das  eigentliche  Gefäss  verständlich  würden.  Puchsteius 
Bemerkungen  (.lahrbueh  ISDG  S  73  Anm. )  erledigen  sich  durch  die  oben 
S.  2öÜ  angel'iilirteii  Funde  auch  an  anderen  Stelleu. 


306  0.    RUBENSOHN,   KERCHNOS 

dass  eine  Caeremonie  wie  diese,  deren  Spur  sich  auf  einer 
Inschrift  des  fünften  Jahrliunderts  findet  (oben  S.  273), 
jedenfalls  beträchtlich  älter  sein  muss  als  die  Inschrift  selbst. 
Die  Kerchnophorie  in  Eleusis  ist  nicht  eine  Schöpfung  einer 
jüngeren  Epoche  sondern  hat  sich  herausgebildet  wie  die  übri- 
gen Begehungen  und  Gebräuche  der  Mysterienfeier  spätestens 
in  der  Zeit  der  grossen  Reformen  der  solonisch -peisistratei- 
schen  Epoche,  in  der  die  Mysterien  von  Eleusis  die  Ausstat- 
tung erhalten  haben,  in  der  sie  das  Altertum  kannte*. 

Athen,  März  1898. 

O.  RUBENSOHN. 


'■»{•'  {fe  ■•}»* 


<  In  wie  weit  der  Kerchnos  auch  in  anderen  Kulten  verwendet  worden 
ist, soll  hier  nicht  weiter  erörtert  werden, zumal  es  auch  an  Material  gebricht. 
Dass  der  Kerchnos  in  den  Kybelokult  Eingang  gefunden  hat,  ist  schon  oben 
ausgesprochen  worden.  Zu  den  dort  (  S.  271  f.  )  angeführten  lilterarischen 
Zeugnissen  ist  noch  hinzuzufügen  ein  rnonuinentales, eine  Münze  von  Smyrna 
Cal.  of  Greek  coins,  lonia,  Taf.  25,  3,  deren  Revers  ein  kraterarligcs  Gefäss 
mit  Deckel  zeigt.  Drechsler  in  Roschers  Lexikon  II  S.  2862  nimmt  dieses 
Gefäss  als  Kernos  in  Anspruch.  Wie  ich  glaube  mit  Recht.  Auf  einigen 
Exemplaren  des  hiesigen  Münzkabinets,  die  mir  Herr  Dir.  Svoronos  nach- 
wies,steht  dies  Gef.äss  auf  einem  Dreifuss.  Andere  Exemplare  des  gleichen 
Typus  zeigen  statt  des  Gefässes  auf  dem  Dreifuss  einen  Kaiathos.  Auch  hier 
wechseln  also  wie  auf  den  eleusinischen  und  athenischen  Münzen  diese  bei- 
den Kultusinstrumente  mit  einander  ab.  Vielleicht  fand  der  Kerchnos  auch 
im  Asklepiosdiensl  Verwendung.  In  dem  Schatzverzeichniss  aus  dem  atheni- 
schen Asklepieion  C.  1.  A.  II,  766  lindet  sich  Zeile  19  als  Weihgabe  eines 
Philon  verzeichnet:  x£p/v(ov  ä'aTarlov)  y^p[u]aoj  aXuiiio  SeSejjl^Ivov),  aTa9[jL(6v)  im- 
fi^pa-nzon  hC  und  weiter  Zeile  23  unter  den  Weihgaben  einer  Menippc  ein 
xsp/viov  £v  :rivay.iw  aaraTov.  Dass  wir  unter  diesen  x£px.vta  eine  Art  kleiner 
Kerchnoi  zu  verstehen  haben,  scheint  mir  nicht  unmöglich.  Bei  der  Viel- 
deutigkeit der  Worte  xeo/vt)  und  x^p/voj  ist  es  aber  sehr  wol  erlaubt,  hier 
auch  an  eine  andere  Deutung  für  xep/^vi'ov  zu  denken. 


^ 


XI 


¥=rnF=r=i 


1— 3i^.' 


^MJAu^. 


J 1 1 1 I I I I I I 


^oJ^\. 


DAS  THEATER  ZU  PRIEXE 
(Hierzu  Tafel  XI) 

Nachdem  über  das  im  Winter  189ö/97  aus^^egrabene  Thea- 
ter von  Priene  schon  durcli  Alexander  Conze*,  dann  durch 
Hans  Schraders  Vortrag  über  die  dortigen  Ausgrabungen  der 
K.  preussischen  Museumsverwaltung ^  und  jüngst  durch  W. 
Dörpt'elds  in  so  mancher  Hinsicht  befreiend  wirkenden  Auf- 
satz über  das  griechische  Theater  Vitruvs^  einiges  bekannt  ge- 
worden ist,  soll  mit  einer  vorläufigen  Veröffentlichung  des 
wichtigen  Bauwerks  nicht  gezögert  werden.  Eine  ausführ- 
lichere Darstellung  bleibt  dem  künftigen  Berichte  über  die 
Ausgrabungen  vorbehalten. 

Das  Theater  liegt  an  einer  von  antiken  Gebäudetrümmern 
bedeckten  Berglehne,  die  zu  dem  schroffen,  die  Stadt  im 
Norden  beherrschenden  und  abschliessenden  Akropolisfelsen 
emporführt.  Es  füllt  den  Platz  von  etwa  1  72  gewöhnlichen 
insulae  der  Stadt  aus  und  ist  allerseits  von  geraden  Strassen 
begrenzt. 

Der  erste  Blick  auf  die  marmornen  Rusticaquadern  des  Ske- 
nengebäudes  und  der  Parodoi,  auf  die  gut  profilirten  archi- 
tektonischen Zierformen  lässt  jeden  Zweifel  an  der  einheit- 
lichen, hellenistischen  Entstehung  des  Baues  zurücktreten. 
Inschriften  am  Altar  und  an  den  Basen  mehrerer  Ehrenstatuen 
aus  dem  dritten  vorchristlichen  Jahrhundert,  deren  Alter  sich 
aus  dem  Vergleich  mit  zuverlässig  datirten  prienischen  Ur- 
kunden ergiebt,  bestätigen  das.  Leicht  davon  zu  unterschei- 
den sind  die  Spuren  eines  systematischen  römischen  Umbaues 
der  Skene,   dessen  Mauern   auf  dem  beigegebenen  Plane  W. 


<  Arcli.  Anzeiger  18il7  S.  71. 

2  Arcl).  Anzeiger  1897  S.  178. 

3  Athen.  Millh.  1897  S.  439  11'. 


308  TH.    WIEGAND 

Wilbergs  (Taf.  11)  durcli  einfache  Schralfirung  gekenn- 
zeichnet sind. 

Aufgedeckt  sind  bis  jetzt:  das  ganze  Skenengebäude ,  die 
Orchestra  und  die  untersten  acht  Sitzreihen  des  Zuschauer- 
raumes, der  eine  oeradlinioe  Umfassung;  zeigt.  In  der  Mitte 
der  Ostseite  führte  von  aussen  eine  Treppe  zu  dem  jetzt  kaum 
mehr  erkennbaren  Diazoma,  wol  dem  einzigen  des  Theaters, 
dessen  obere  Ränge  so  zerstört  sind,  dass  sich  vor  der  Grabung 
keine  Spur  der  Sitze  mehr  erkennen  liess ,  ^vährend  sie  in  dem 
schuttbedeckten  Teil  bis  auf  die  Deckplatten  vortrefflich  er- 
halten waren.  Sie  sind  aus  mehreren  Stücken  zusammengefügt, 
ganz  in  der  von  Dörpfeld  bei  seiner  Besprechung  des  Theaters 
von  Magnesia  am  Mäander  durch  eine  perspectivische  Skizze 
erläuterten,  sinnreichen  Art'.  Sechs  radiale  Treppen  teilen 
den  Sitzraum  in  fünf  gleiche  Keile.  Ob  sich  in  den  oberen 
Rängen  mehr  Treppen  als  unten  befanden,  bleibt  unbekannt. 
Der  für  das  griechische  Theater  charakteristischen  Erweite- 
rung des  Zuschauerraumes  über  den  Halbkreis  hinaus  scheint 
hier  eine  Kreisbogenconstruction  aus  mehreren  Mittelpunkten 
zu  Grunde  zu  liegen,  deren  genaue  Feststellung  durch  Unre- 
gelmässigkeiten im  Bau  sehr  erschwert  ist. 

Ein  vor  der  Proedrie  herlaufend  gedachter  Orchestrakreis, 
dessen  Grösse  etwa  um  Y3  geringer  wäre  als  der  entsprechende 
Kreis  des  athenischen  Dionysostheaters  und  des  epidaurischen 
(6,57™),  geht  dicht  an  der  Proskenionfront  vorbei.  Zieht  man 
eine  erweiterte  Kreislinie,  mit  Einschluss  des  Wassercanals 
(Umgangs),  an  der  untersten  Sitzreihe  hin,  so  streift  diese  ge- 
rade die  V'orderwand  der  Skene.  Einfache  Erde  bedeckte  den 
Orchestraboden,  weder  Pflaster  noch  Spuren  irgend  welcher 
Holzconstructionen  sind  gefunden,  ebensowenig  ein  charoni- 
scher  Gang. 

Die  Proedrie  steht  nicht  nur  auf  demselben  Niveau  wie  der 
Orchestraboden,  sie  ist  sogar  vom  aufsteigcndcMi  Sitzraum  ge- 
trennt durch  den,  wie  in  Epidauros  und  Eretria,  zugleich  der 


<  Athen.  Millh.  1894  8.  71. 


DAS   THEATER    ZU   PRIENE  309 

VVasserableitung  dienenden  Umgang ,  der  sich  auffallender 
Weise  an  den  Enden  nicht  erbreitert,  im  Gegenteil  sogar  durch 
Statuenbasen  verengt  war.  Genau  die  Mitte  der  Proedriereihe 
nimmt  der  von  dem  Agonotheten  Pythotimos  gestiftete  recht- 
eckige iMarmoraltar  ein,  mit  seiner  niedrigen  Vorstufe  auf  der 
Orchestraseite,  gekrönt  von  einer  zierlichen  Platte  mit  Zahn- 
schnitti<esims  und  seitlichen  Giebeln.  Zu  beiden  Schmalseiten 
dieses  Altars  führt  durch  die  Proedrie  je  ein  enger  Durchgang, 
der  mit  Schranken, welche  man  in  die  senkrechten  Rillen  kurzer 
Pfeiler  einsetzte,  abgesperrt  werden  konnte.  Dieselbe  Vorrich- 
tung finden  wir  bei  den  Zugängen  aus  den  Parodoi  in  die 
Orchestra,  wo  sie  in  unserem  Plan  ebenfalls  durch  punktirte 
Linien  angedeutet  ist.  Einen  besonderen  Schmuck  erhielt  die 
Proedrie.  die  ursprünglich  eine  durchgehende  bequeme  Bank 
mit  Rückenlehne  darstellte,  durch  fünf  löwenfüssige.  in  Sitz- 
höhe rings  mit  Epheuranken  geschmückte  iVJarmorsessel,  die 
Stiftung  eines  gewissen  Nysios,  Sohnes  des  Üiphilos.  Mit  ähn- 
lichen Epheuranken  sind  auch  die  Pfeiler  an  den  unteren  (in- 
neren) Enden  der  Parodoswände  geziert. 

Dicht  hinter  den  Sitzen  der  Proedrie  sowie  auf  der  zweiten 
und  sechsten  Sitzreihe  erkennt  man  in  bestimmten  Abständen 
die  viereckigen  Löcher  für  die  llolzstützen  der  Sonnentücher. 

Die  Pylonen  der  Parodoi  lehnen  sich  mit  dem  einen  Pfeiler 
an  die  Parodoswand,  mit  dem  andern  an  den  Eckpfeiler  des 
Proskenions  in  der  üblichen  Weise  an.  Wichtig  ist  die  ge- 
sicherte lichte  Höhe  der  Thür  am  Westeingang  von  3,70'". 

Dem  Durchmesser  des  grösseren  Grundkreises  der  Orche- 
stra (18,65'")  entspricht  fast  die  Länge  der  nur  an  der  Vor- 
derwand geglätteten,  an  den  drei  übrigen  Wänden  mit  Rustica 
versehenen  Skene  (18,41'"),  eines  Marmorhauses  mit  drei 
gleich  grossen  Zimmern,  wie  wir  es  von  Assos,  Magnesia  und 
Eretria  kennen.  Aus  den  drei  Zimmern,  deren  Höhe  kaum 
2^2'"  betrug,  führen  drei  gleich  hohe,  mit  ihren  Thürsturzen 
noch  erhaltene  Thüren ,  ferner  trat  man  aus  der  mittleren 
Kammer  durch  eine  Tiiür  in  die  westliche  Seitenkammer, 
durch  eine  zweite  aber  nach  rückwärts  auf  die  Strasse.  Selbst 


310  TH.    WIEGAND 

vom  Oberstock,  zu  dem  man  auf  einer  der  westlichen  Schmal- 
wand angefügten  zwölfstufigen  Marmortreppe  von  der  Strasse 
aus  gelangt,  sind  Reste  vorhanden:  erstens  ein  mehrere  Schich- 
ten hoher  Teil  der  Rückwand  in  Rustica  mit  der  Südwest- 
Ecke,  zweitens  die  etwa  1'"  hoch  erhaltene  rechte  Thürwan- 
dung  am  oberen  Ende  der  Treppe  mit  einfachem  glatten 
Profil,  beide  ein  wertvolles  Zeugniss  für  die  solide  Bauart 
auch  des  Oberstockes. 

Von  Anfang  an  in  Marmor  aufgeführt  und  gleichzeitig  mit 
der  Skene  ist  das  Proskenion,  dessen  sämtliche  Stützen,  zwölf 
in  der  Front,  zwei  an  der  Ost-,  eine  an  der  Westseite  vor- 
treffllich  erhalten  sind,  ja  im  östlichen  Drittel  liegt  noch  das 
ganze  dorische  Gebälk  unversehrt  an  der  alten  Stelle  mit 
zahlreichen  Resten  bunten  Farbenschmuckes,  bei  dem  beson- 
ders hervorgehoben  zu  werden  verdient,  dass  die  Säulenschafte 
Spuren  feuerroter  Bemalung,  und  zwar  nicht  nur  an  der  un- 
teren Hälfte,  tragen.  Auch  mehrere  zur  Skene  hinübergelegte 
steinerne  Querbalken  sind  erhalten  und  zeigen  die  Einarbei- 
tungen für  den  einstigen  Bretterboden.  Mit  Ausnahme  der 
Eckpfeiler,  deren  westlicher  am  Kapitell  die  Spuren  eines  ge- 
malten Epheumusters  zeigt,  haben  alle  Frontstützen  die  Form 
dorischer  Halbsäulen  mit  einfachen  Pfeilern  dahinter,  eine 
auch  von  andern  Theatern  her  bekannte  Form,  z.  B.  von  dem 
zu  Assüs,  das  auch  sonst  manche  Ähnlichkeit  zeigt.  Die  ganze 
Höhe  des  Proskenions  beträgt  2,70'°,  sie  übertritl't  also  bei- 
spielsweise das  niedrigste  aller  bisher  bekannt  gewordenen 
Proskenien,  das  von  Oropos,  um  etwa  0,"20'". 

Die  vortreilliche  Erhaltung  der  Proskenionsäulen  ermög- 
lichte besonders  eingehende  Feststellungen  einstiger  Pinakes 
mit  Hülfe  der  an  den  Seiten  der  Stützen  vorhandenen  Einar- 
beitungen. Danach  ergiebl  sich  Folgendes.  Pinakes  sassen  ur- 
sp 


rüny;licli   in  allen    Frontintercolumnien   mit  Ausnahme   der 


'D 


drei  den  Thüren  gegenüber  liegenden.  Wie  Dörpleld  beobachtet 
hat,  wurden  dann  später  einmal,  aber  wol  noch  in  hellenisti- 
scher Zeit,  auf  beiden  Enden  die  iiussersten  zwei  Frontinter- 
columnien von  den  Pinakes  befreit  und  diese  durch  horizontale 


DAS  THEATER   ZU   PRIENE  311 

Stäbe  ersetzt,  welche  tiefe  Spuren  zurückgelassen  haben.  Das 
mag  geschehen  sein,  als  man  die  Statuen  eines  gewissen,  in 
Priene  oft  geehrten  Apollodoros  und  seines  Schwiegersohnes 
Thrasybulos  vor  dem  Prosken ion  aufstellte.  Somit  blieben  von 
da  ab  nur  noch  vier  intercolumnien  für  herausnehmbare  Pi- 
nakes  übrig,  wofür  sogar  ein  epigraphischer  Beweis  vorhan- 
den ist.  Denn  auf  der  Rückseite  der  entsprechenden  vier  Pfeiler 
liest  man  die  vier  Marken  :  A  B  r  A. 

In  römischer  Zeit  hat  man  das  Skenengebäude  dadurch 
verändert,  dass  man  die  Vordervvand  des  Oberstockes  abriss 
und  etwa  2'"  rückwärts  eine  Skenenwand  mit  den  üblichen 
Nischen,  Aus-  und  Einsprüngen  aufmauerte.  Zur  Unter- 
stützung dieser  Schmuckwand  zog  man  der  Länge  nach  durch 
den  Unterstock,  der  drei  dicke  Backsteingewölbe  erhielt,  eine 
Bruchsteinmauer,  die  jedoch  ebenfalls  mit  drei  Thüren  ver- 
sehen wurde.  In  jener  Zeit  scheint  man  auch  im  Zuschauer- 
raum, gegenüber  der  Bühne  auf  der  fünften  Sitzreihe,  eine 
etwa  4'"  lange, löwenfüssige  Marmorbank  neu  eingefügt  zuha- 
ben (vgl.  die  Zeichnung  des  Durchschnittes  auf  Taf.  1 1  links) ; 
die  Spuren  späteren  Einbaues  sind  wenigstens  unverkennbar. 
Eine  wichtige  Veränderung  erfuhr  noch  das  Proskenion.  Wie- 
derum mit  Ausnahme  der  drei  den  Skenenthüren  gegenüber- 
liegenden Intercolumnien  hat  man  alle  Zwischenräume  der 
Frontstützen  verschlossen,  diesmal  aber  mit  bemalten  dünnen 
Wänden  aus  Bruchstein  und  Mörtel.  Im  westlichsten  Inter- 
columnium  ist  ein  solcher  'gemauerter  Pinax. '  in  der  Höhe 
eines  halben  Meters  erhalten  ;  auf  der  dem  Publicum  zuge- 
kehrten Seite  zeigt  er  in  bunten  Farben  auf  gelbem  Grunde 
die  Reste  einer  Flügelthür. 

Die  wichtigsten  Ergebnisse  der  Aufdeckung  des  Theaters  zu 
Priene  sind  wol  folgende:  Es  ist  das  erste  Theater,  in  dem 
sich  ein  Altar  gefunden  hat.  Er  steht  nicht,  wie  man  erwartet 
hätte,  in  der  Orchestra- Mitte,  sondern  seitab,  in  der  Proe- 
drie.  Aus  der  Orchestra,  die  für  Schaustellungen  frei  blieb, 
schritt  der  amlirendc  Priester, das  Antlitz  dem  Zuschauerraum 
zukehrend,  heran. 


312  TH.    WIEfiAND 

Nicht  minder  wichtig  ist  das  bisher  öfters  bezweifelte  hohe 
Alter  des  steinernen  Proskonions,  seine  gleichzeitige  Entstellung 
mit  den  übrigen  Teilen  des  Theaters  und  seine  vortreffliche, 
alle  Masse  mit  grösster  Genauigkeit  überliefernde  Erhaltung. 

Endlich  ist  der  Umbau  der  griechischen  in  eine  römische 
Anlage  von  entschiedenem  ,  durch  Dörpfeld  bereits  hervor- 
gehobenem Interesse  (Athen.  Milth.  1897  S.  4r.8).  Die  be- 
kannte vitruvische  Vorschrift,  wonach  die  römische  Bühne 
nur  5  Fuss  hoch  sein  solle,  ist  hier  nicht  befolgt,  man  hat 
vielmehr  auf  einer  fast  doppelt  so  hohen  Bühne  gespielt, 
da  man  es  ohne  Skrupel  vorzog,  die  schöne,  aus  hellenisti- 
scher Zeit  vorhandene,  allerdings  vier  Fuss  höhere  Anlage  zu 
benutzen, die  nur  oben  erbreitertzu  werden  brauchte.  Freilich 
kamen  dabei  die  im  untersten  Theaterraum  sitzenden  Zu- 
schauer, und  gerade  die  Ehrengäste  der  Proedrie ,  recht 
schlecht  weg, ein  Übelstand,  dem  man  wenigstens  für  die  letz- 
teren durch  die  Schaffung  einer  neuen  Ehrenbank  in  der 
fünften  Beihe,  in  Augenhöhe  der  römischen  Bühne,  abhalf. 
Wie  sehr  sich  später  die  Aufmerksamkeit  auf  diese  Bühne 
richtete ,  beweist  nichts  deutlicher  als  die  Verwandlung  der 
beweglichen  Proskenion- Pinakes  in  nüchtern  bemaltes,  un- 
beweo;liches  Gemäuer. 

Jedem  Betrachter  des  Skenengebäudes  in  seiner  jetzigen  Ge- 
stalt muss  sich  sofort  die  Frage  aufdrängen:  Warum  errichtete 
man  die  römische  Bühnenwand  nicht  auf  der  Stelle,  wo  sich 
die  obere  hellenistische  Skenen- Vordervvand  erhob,  warum 
rückte  man  sie  vielmehr  2'"  zurück,  wodurch  neue  Funda- 
mentiruno;en  nötiü;  vsurden?  Der  Grund  ist  klar.  Trotz  der 
eingetretenen  Vereinfachung  der  Spielweise  fand  man  den 
Raum  über  dem  Proskenion  zu  schmal  für  eine  allen  Anfor- 
derungen genügende  ikihne. 

Genügte  aber  in  römischer  Zeit  die  Proskenionbreite  nicht, 
so  wäre  sie  in  hellenistischer  Zeit  ebenfalls  unzureichend  für 
eine  ständige  Bühne  gewesen.  Also  befand  sich  damals  der 
gewöhnliche  Spielplatz  nicht  dort  oben.  Es  bleibt  nur  die  Or- 
chestra.  Wäre  es  anders  gewesen,  so  hätten  die  hellenistischen 


I 


I 


I 


N 

I  nichh  blossgeleghes 
Terra  i  n 


nichf  blossgelegt^s 


THEATER  VON  PLEURON 


MAASSTAB     1200 


i 


DAS   THEATER    ZU   PRIENE  313 

Schauspieler,  um  bequem  auftreten  zu  können,  sieh  entweder 
nur  im  Oberstock  aufhalten  dürfen  oder  sie  bätten,  um  empor 
zu  gelangen,  durch  die  Ilintertbür  der  mittleren  Skenenkam- 
mer  auf  öffentlicher  Strasse  bis  zur  zwölfstufigen  Aussentreppe 
der  westlichen  Schmalseite  eilen  und  von  da  erst  den  Spiel- 
platz besteigen  müssen,  ein  an  Umständlicbkeit  kaum  zu  über- 
treffender Weg.  Benutzten  aber  die  Darsteller  den  Unterslock 
nicht,  —  wozu  dann  noch  die  drei  Thüren,  und  warinii  ver- 
sah man  dann  nicht  auch  die  diesen  drei  Thüren  entsprechen- 
den Intercolumnien  des  Proskenions  mit  Pinakes?  Sie  sind 
dort  nicht  nachzuweisen,  und  das  beweist,  dass  man  durch  sie 
in  die  Orchestra  hinaustrat. 

Priene  1898. 

TM.  WIEGAND. 


•t^CiSßM" 


ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXIII. 


21 


DAS  THEATER  VON  NEU-  PLEURON 
(Hierzu  Tafel  XH.  XH-») 

Das  Theater  von  Neu-  Pleuron  in  Aetolien  ist  in  letzter 
Zeit  von  zwei  verschiedenen  Seiten  einer  Betrachtung  unter- 
zogen worden,  welche  denselhen  autTallenden  Thatbestand  zu 
ergeben  schien:  Woodhouse,  der  es  in  seinem  Buche  Äeto- 
lia  (Oxford  1897)  S.  118  f.  beschreibt,  konstatirt ,  dass  bei 
der  eeringen  Breite  des  Raums  zwischen  den  vorderen  Stütz- 
mauern  des  Zuschauerraums  und  der  Stadtmauer,  welche  die 
Skenenwand  bildet,  ein  Proskenion  nicht  unterzubringen, 
auch  keine  Spur  eines  solchen  erhalten  sei.  Er  schliesst  da- 
raus, dass  entweder  auf  der  Stadtmauer  gespielt  wurde  oder 
das  Gebäude  nicht  skenischen  Zwecken  »edient  habe,  sondern 
ein  Buleuterion  gewesen  sei.  Noack,  der  schon  1894  Pleuron 
besuchte  und  die  Ruinen  aufnahm,  hielt  aus  demselben  Grunde 
ein  Proskenion  für  ausgeschlossen,  von  dem  auch  er  nicht  den 
geringsten  Überrest  sah.  Er  schloss  daraus,  dass  die  Schau- 
spieler direkt  vor  der  Stadtmauer  in  der  Orchestra  gespielt 
hätten.  Die  Fremdartigkeit  eines  solchen  Grundrisses  musste, 
auch  abgesehen  von  der  Erklärung,  welche  man  ihm  geben  moch- 
te, den  Wunsch  nach  genauerer  Feststellung  rege  machen.  Wir 
erhielten  deshalb  vom  archäologischen  Institut  in  Athen  den 
Auftrag,  diese  Aufgabe  zu  übernehmen,  und  führten  sie  im 
März  dieses  Jahres  durch. 

Die  Stadt  Neu-  Pleuron  (xä^Tpo  Tvi;  KuceipTivr,;;)  liegt  etwa 
1  */2  Stunden  nordwestlich  von  Messolongi  auf  Terrassen  des 
Zygosberges,  des  alten  Arakynlhos,  und  ist  noch  von  ihrem 
ganzen  Mauerring  umgeben,  während  im  Innern  nur  noch 
Cisternen,  Stützmauern  für  Gebäude  und  geringe  Reste  der 
Agora  vorhanden  sind.    Das  ganze  Stadtgebiet  ist  öder  Fels- 


Das  theateh  von  neu-pleuron 


315 


grund.  Eine  von  Herrn  Noack  freundlichst  zur  Verfügung  ge- 
stellte Skizze  diene  zur  Veranschaulicliung  der  Lage. 


Im  Südwesten  der  Stadt,  wo  der  Berg  stetig  ansteif^t.  lie^t 
das  im  Anscliluss  an  die  Stadtmauer  gebaute  Theater.  Wh- 
fanden  es  im  Allp;emeinen  so  vor,  wie  die  l^esciireibunt'en  an- 
gaben. Gut  erhallen  waren  die  beiden  Kcken  der  Stutzmauern, 
die  Sitzreihen  waren  im  ganzen  Halbrund  noch  wol  erkenn- 
bar, aber  zum  grossen  Teil  verschoben  und  lückeuhalt.  Da- 
gegen war  die  ganze  Ürchestra  mit  den   untersten  Sitzreihen 


316  R.   HERZOG   Und   E.    ZIEBARtH 

sowie  die  Parodoi,  d.h.  der  Raum  zwischen  den  Stützmauern 
des  Zuschauerraums  und  der  Stadtmauer. ansclieinend  etwa  1'" 
hoch  mit  den  Trümmern  der  Architekturstücke  bedeckt;  alles 
war  mit  Gestrüpp  bewachsen  und  diente  als  Hürde  und  Stall 
für  die  Ziegenherden.  Nach  der  Reinigung  sahen  wir  etwa 
2"'  vor  der  Stadtmauer  in  der  Mitte  zwei  Stücke  von  roh  be- 
hauenen  Ilalbsäulen  der  für  Proskenien  charakteristischen  Form 
aus  dem  Schutt  hervorragend  Wir  begannen  daher  hier  auf- 
zuräumen und  zugleich  die  untersten  verschütteten  Sitzreihen 
und  dieOrchestra  wenio-stens  in  der  Mitteso  weit  bloss  zu  leo;en, 
dass  der  Plan  des  Theaters  klar  würde.  Da  es  sich  heraus- 
stellte, dass  ausser  den  Trümmern  der  Bauglieder  nichts  zu 
finden  war,  beschränkten  wir  die  Grabungen  auf  das  Notwen- 
digste. Was  wir  fanden,  möge  aus  dem  Plan  (Taf.  12),  den 
beiden  Ansichten  der  Stadtmauer  und  der  Sitzstufen  (Taf.  12  ;i) 
und  der  folgenden  Beschreibung  hervorgehen. 

Das  Theater  von  Pleuron  ist  das  kleinste  in  Griechenland 
bekannte,  steht  aber  dem  von  Oropos  an  Grösse  nicht  viel 
nach  ;  an  Ausstattung  dagegen  ist  es  bei  weitem  das  geringste. 
Als  Skenenwand  musste  die  in  Rusticaquadern  mit  regel- 
mässigen horizontalen,  aber  unregelmässigen  verticalen  Fu- 
gen gebaute  Stadtmauer  bez.  in  der  Mitte  die  Front  eines  Tur- 
mes dienen  (vgl.  Taf.  12^  ,  1),  als  einzige  Thür  der  1 ,05'"  breite 
Eingang  im  Erdgeschoss  des  Turmes.  Dieser  Turm  ist,  wie 
Noack  beobachtet  hat,  der  einzige  von  den  mehr  als  dreissig 
Türmen  der  Stadtmauer,  welcher  im  Erdgeschoss  einen  Ein- 
gang von  innen  hat,  woraus  man  auf  die  enge  Verbindung  des 
Theaterbaues  mit  dem  Stadtplan  schliessen  kann.  Der  Turm 
diente  statt  der  Skene  als  Garderobe  der  Schauspieler  u.s.  w., 
auf  seine  Thüre  scheint  das  Theater,  soweit  es  regelmässig 
gebaut  ist,  orientirt  zu  sein. 

In  einer  Entfernung  von  1,85-2,35"'  vorder  Stadtmauer 
liegt  die  Schwelle  des  Prosken ions,  dessen  Vorhandensein 

'  Von  diesen  hat  aucii  Bazincinc  gesellen,  der  (Archivcs  des  miss.  scicnl. 
2.  S(^r.  I,  1864,  S.  347)  voui  Innern  des  Tlicaters  sagt:  La  senk  Irace  iVar^ 
cliitecture  qu'on  y  lUcouvre  est  un  lambour  de  pilastre  rond  taillc  saus  art. 


XI  i-^ 


lüdM^g^ 


DAS   THEATER   VON    NEU-PLEURON  317 

bezweifelt  war.  Die  Halbsäulen,  erhalten  in  drei  vollständigen 
Trommeln  von  0,83,  0,97  und  1,20  (in  zwei  Teile  zerbrochen) 
Meter  Länge  und  einer  abgebrochenen, noch  0,71'"  langen,  be- 
stehen aus  demselben,  am  Ort  anstehenden,  grauen  Kalkstein 
wie  die  Stadtmauern  und  alle  Gebäudereste.  Die  Rundung  ist 
rauh  gelassen,  wie  beim  Theater  von  Megalopolis,  Kanneli- 
rung  nicht,  wie  dort,  angearbeitet.  Sonst  ist  derGrundriss  ähn- 
lich denen  von  Oropos.  Es  sollte  offenbar  die  einfachste  Form 
entsprechend  der  Rusticamauer  beibehalten  werden. DerGrund- 
riss eines  Stücks  des  Proskenions  ist  hier  wiedergegeben : 


;-- 

-  -1.59  — 

— i 

p     o 

'^^'\ 

/C^. 

'/a2Ziav//z^i::.. 

. :.  y/////////////y//zi///y//y////^. . 

'  S^/Z:7/Z. 

Die  einspringenden  Ecken  an  der  Hinterseite  der  Halbsäu- 
len dienten  zum  Einsetzen  der  hölzernen  Tcivst/tsc,  deren  Stelle 
in  unserer  Skizze  durch  punktirte  Linien  und  lichte  Schraf- 
firung  angegeben  ist.  Dübellöcher  wie  in  Oropos  sind  in  die- 
sen Ecken  nicht,  finden  sich  auch  weder  im  Stylobat  noch 
an  den  Säulentrommeln,  so  dass  eine  Verwendung  von  Me- 
tall zur  Verankerung  der  Bauglieder  am  ganzen  Bau  nicht 
zu  konstatiren  ist,  wie  auch  bei  der  Stadtmauer  und  der  Halle 
an  der  Agora  keine  Klammern  verwendet  waren  ,  sondern 
nur  Stemmlöcher  für  die  Versetzung  der  Steine  sich  finden. 
Während  die  Hinterkante  des  Stylobats  ganz  roh  gelassen  ist, 
zieht  sich  etwa  0,05'"  innerhalb,  d.  h.  1,90"'  vor  der  Skenen- 
wand ,  eine  Linie  hin,  von  der  an  nach  vorn  die  Schwelle 
sichtbar  war.  Die  llalbsäulen  standen  nicht  mehr  an  ihrer 
Stelle,  aber  im  Stylobat  sind  die  Lehren  eingearbeitet, welche 
ihnen  ihren  Platz  anweisen.  An  richtiger  Stelle  stand  noch  der 
Unterteil  des  rechten  Eckpfeilers,  0,9*2"'  hoch, vorn  beschädigt, 
hinten  links  mit  der  Einarbeitung  für  den  äussersten  xiva;  ver- 
sehen. 

Das  Proskenion  wurde  nur  soweit  ausgegraben,  dass  die 
Anlage  klar  wurde.  Es  muss,  die  beiden  Anten  eingeschlossen, 


3IS 


n.    HEHZOC.    UND    E.    ZIEHAHTII 


eine  Länge  von  11,15"'  ( Oropos  1*2, 33)  gelia])t  haben,  an- 
nähernd ei  tsprecliend  dem  Durclimesser  der  Oi'chesti'a,init  7 
Intereoluinnion  (Oropos  9)  von  1,30-1,33'"  ( Axweite  etwa 
1 ,60"').  Es  war  also  eingerichtet  für  6  7:iva/t£(;  und  eine  Mittel- 
ihür  mit  1,31™  lichter  Weite,  wie  aus  den  Zapfenlöchern  in 
der  Schwelle  hervorgeht. 

Diese  Thür  ist  also  um  0,^6"'  breiter  als  die  der  Skene, 
liegt  aber  nicht  genau  symmetrisch  zu  ihr,  sondern  ihre  rechte 
Kante  schneidet  mit  der  rechten  der  Turmthür  ab. 

Unter  dem  Stylobat  liegt  noch  eine  vorn  sorglältig  bear- 
beitete Fundamentschicht,  welche  vielleicht  wie  beim  Thealer 
von  Megalopolis  die  Schwelle  eines  hölzernen  Proskenions 
einer  etwaigen  früheren  Bauperiode  bildete.  Die  Vorderkante 
des  Proskenionstylobats  ist  2,35"'  von  der  Skene  entfernt  (in 
Oropos  nur  1,93),  ebensoweit  der  rechte  l^]ckpfeiler  vom  Ab- 
schluss  des  Zuschauerraums  (in  Oropos  rechts  3,5,  links  4™). 

Vom  Oberbau  des  Proskenions  fanden  wir  ausser  Halbsäu- 
len und  Pfeilern  mehrere  Architravblöcke  von  derselben  rohen 
Bearbeitung  wie  die  übrigen  Bauglieder.  Das  wichtigste  Stück 
ist  ein  Thürsturz,  der  wol  nur  zur  Mittellhür  gehören  kann, 
obwol  er  nur  1,'£0"'  lang  ist,  während  die  Axweite  1,59™  be- 
trägt, und  die  Zapfenlöcher  nur  l,?!"',  aussen  gemessen,  von 
einander  entfernt  sind.  Wir  müssten  demnach  eine  sich  nach 
oben  um  0,10"'  verjüngende  Thür  annehmen,  und  uns  die 
Zwickel  zwischen  den  lotrechten  Ilalbsäulen  und  dem  kon- 
vergirenden  Thürpfosten  durch  llolzumrahmung  ausgefüllt 
denken.  Die  übrigen  Architravblöcke,  welche  verschieden 
lang  erhalten  sind,  haben  diese  Form  (von  unten  gesehen, 
rechts  willkürlich  abgeschnitten): 


Die  Masse  schwanken  bei  den   einzelnen   iiin  Klciiiii'keiten. 


DAS  THEATER  VON  NEU  •  PLEUKON 


319 


Die  Höhe  der  Blöcke  beträgt  etwa  0,31™,  die  Breite  der  obe- 
ren Flache  0,36'",  während  die  der  unteren  Fläche,  welche 
auf  den  Halbsäulen  auflag,  nur  etwa  0,2G'"  misst,  was  gerade 
für  die  Masse  der  Halbsäulen  jedoch  ohne  das  eingezogene 
Stück  ausreicht.  Wenn  wir  ein  einfaches  dorisches  Kapitell  für 
die  Halbsäulen  annehmen  dürfen,  so  muss  dessen  Echinus 
und  Abacus,  wie  es  auch  sonst  stets  der  Fall  ist,  vorne  über 
den  Architravblock  herausgeragt  haben.  Unten  wird  dadurch 
ein  0,10'"  breiter,  0,03'"  hoher  Falz  zum  Einschieben  der  Triva- 
xs?  gewonnen.  Alle  diese  Einrichtungen  entsprechen  in  verein- 
fachter Form  denen  vom  Theater  zu  Oropos  (vgl.  den  Auf- 
riss   bei  Üörpfeld,   Das  griech.  Theater  S.  104). 


In  die  abfifesch ragten  Ecken  der  Architravblöcke  passen, 
wie  vorstehende  Zeichnung  (Archilrav  und  Querbalken  von 
oben  gesehen,  aber  nicht  dicht  zusammengerückt;  der  Ar- 
chitrav  rechts  wieder  abgeschnitten)  erkennen  lässt, genau  die 
steinernen  Querbalken  ,  welche  von  den  Proskenionsäulen 
zur  Stadtmauer  gelegt  waren  und  für  die  wir  eine  Länge 
von  etwa  2,50  (einschliesslich  des  Autlagers)  voraussetzen 
müssen.  Sie  sind  bei  der  Zerstörung  abgebrochen  und  von 
uns  nur  in  drei  vorderen  Stücken  von  1/14.  0.80  und  0.73'" 
und  einem  kleinen  Bruchstück  mit  der  hinteren  Fläche  gefun- 
den worden  (vgl.  die  auf  S.  3-20  wiedergegebene  Oberansicht 
des  ganzen  Gebälks)*.  Ein  solcher  Balken  ist  auch  gezeichnet 


<  DicOhcraiisiclildiM'  llallisäiilcn  und  die  innere  Untoikanto  des  Archi- 
Iravs  sind  darin  pnnkliil  ani;ei;elien,  in  i\^\\  danel)en  gesel/len  Dureh- 
schnitlen  des  Arcliilravs  und  Querbalkens  sind  diese  selbst  doppelt,  der 
vorauszusetzende  Holzboden  des  Proskenions  einfaeb  sebratVirt. 


3-:o 


H.    HERZOG    UND    E.    ZIEBARTH 


in  der  wenis;  zusiäni'liclien,  von  Woodhouse  übersehenen  ße- 
Schreibung  Neu-Pleurons  von  D.\L.Co\nd^j^\n,  Journal  of  tour 
in  Acarnania.   Front  the  Transactions  of  the  Royal  So- 


DURGHSCHNITT 
DURCH  DEN  ARGHITRAY: 


DURCHSCHNITT 
DURCH  DIE  QUERBALKEN ; 


•;    il 


cieti/  of  Literatiirc,  new  series  VI 1 ,  1 86 1 ,  S.  21  ff.  (der  Auf- 
satz enthält  eine  genaue  Beschreibung  der  Stadt  mit  Plänen 
und  Zeichnungen,  behandelt  aber  das  Theater  ganz  kurz  und 
bringt  kein  neues  Material  bei). 

Diese  Balken  haben  oben  auf  beiden  Seiten  einen  0,05- 
0,06'"  breiten  und  0,04'"  hohen  Falz  für  den  Bretterbelag  von 
Querbalken  zu  Querbalken,  stark  genug,  um  einem  Schau- 
spieler zu  erlauben, auf  dem  Dach  des  Proskenions  aufzutreten, 
wenn  er  im  oberen  Stockwerk  erscheinen  musste. 

Auch  die  Höhe  des  Proskenions  kann  annähernd  berechnet 
werden.  Der  Turm  ist  an  der  Vorderwand  von  der  Tiiür- 
schwelle  an,  welche  in  der  Höhe  der  Proskenionschwelle  und 
der  Orchestra  liegt,  '2,20™  hoch  erhalten.  Auf  der  obersten  Lage 
zeigen  sich  keine  Einarbeitungen  für  das  Auflager  der  Ouer- 
balken,  die  aber  auch  nicht  nötig  waren,  da  die  Querbalken 
einfach  als  Binder  in  die  Turm  wand  eingreifen  konnten.  So 
erhalten  wir  als  Mindesthöhe  2,20  +  0,31  (Höhe  des  Arclii- 
travs  und  der  Querbalken),  d.  h.  2,51'", genau  wie  beim  Thea- 
ter von  Oropos.  Wir  müssen  aber  wol  sicher  darüber  noch  ein 
Gesims  von  etwa  0,15-0,20'"  Höhe  annehmen,  welches  die 
Eindeckung  des  Dachs  vorn  abschliessen  musste,  so  dass  wir 
auf  eine  Gesamthöiie  von  etwa  2,05'"  kommen.  Die  Säulenhöhe 
wäre  dann  2,20'". 

Der  Turm  hatte  ohne  Zweifel  ein  zweites  Geschoss,  dessen 


DAS  THEATER   VON   NEU-PLEURON  321 

Boden  mit  dem  Oach  des  Proskenions  in  einer  Ilölie  lag,  und 
aus  dem  man  durch  eine  der  untern  entspreciiende  Tliür  auf 
das  Dach  des  Proskenions  heraustreten  konnte.  An  den  rechten 
Eckpfeiler  des  Proskenions  schliesst  sich  unmittelbar  eine 
sorgfältig  gebaute,  0,50'"  dicke  Wand  an,  welche  in  einer 
Höhe  von  0,96'"  erhalten  ist.  Sie  wird  wol  auch  die  Höhe  des 
Proskenions  mit  Architrav  erreicht  haben.  Diese  Mauer  ragte 
noch  vor  der  Ausgrabung  mit  der  obersten  Schicht  etwas  über 
den  Schutt  hervor;  daher  ist  es  nicht  unmöglich,  dass  Dod- 
well  wirklich  noch  mehr  von  ihr  gesehen  hat,  wenn  er  {Pe- 
lasgic  reniains  S.  17)  sagt,  es  sei  noch  ein  Teil  der  Pro- 
skenionsmauer  erhalten  (ähnlich  Pomardi,  Viaggio  1,37: 
che  ancora  conserva  luia  parte  clella  scena).  Freilich  die 
dodwellsche  Zeichnung  des  Theaters  (a.a.O.  Taf.  29)  ist  ein 
reines  Phantasiestück  aus  der  Erinnerung, während  seine  übri- 
gen Zeichnungen  von  der  Stadt  der  Wirklichkeit  mehr  ent- 
sprechen. Auch  der  oben  erwähnte  Golnaghi  bemerkt  (1861): 
A  wcdl^  tlic  foundations  of  n'/iich  can  be  faintly  traced, 
seenis  to  have  separated  t/ie  stage  froni  tlic  to^vn  Kvall. 
Die  Mauer  hat  aussen  eine  Länge  von  5,25'°  und  wird  durch 
zwei  schmale  Seilenmauern  abgeschlossen, so  dass  ein  innen- 
raum  von  4,30™  Län^e  entsteht.  Da  die  Eini];än":e,  welche 
zwischen  diesen  Querwänden  und  der  Stadtmauer  bleiben 
(etwa  1,50'"  breit),  für  die  auf- und  abtretenden  Schauspie- 
ler freigelassen  werden  mussten ,  so  kann  diese  Fortsetzung 
des  Proskenions,  die  wir  wol  als  Paraskenion  bezeichnen 
dürfen,  nur  eben  zur  Maskirung  des  Ab-  und  Zugehens  und 
etwa  zur  Aufbewahrung  (Km*  Hühnengeräte  gedient  haben. 
Unter  der  Mitte  des  rechten  Paraskenions  führte  ein  mit 
Steinplatten  abgedeckter  unterirdischer  Kanal  mit  ziemlichem 
Gefälle  das  Hegenwasser  ab,  das  sich  dann  unter  der  Stadt- 
mauer durch  ins  Freie  erü;oss. 

Die  0  rchestra  ist  in  den  Felsen  eingehauen;  da  dieser  aber 
sanft  abfällt,  so  ist  das  Niveau  in  der  Nähe  des  Proskenions 
tiefer  und  unregelmässig,  was  jeilenfalls  durch  festgestampfte 
Erde  ausgeglichen   wurde.  Vor  der  untersten  Zuschauerreihe 


322  R.    HERZOG    UND    E.    ZIEBARTH 

läuft  in  der  Mitte  eine  0,40'"  breite,  0,13'"  liolic,  aus  dem  Fel- 
sen gehauene  Schwelle,  welche  aber  an  der  rechten  Ecke  nicht 
vorhanden  war.  Es  scheint  auch,  dass  der  Baumeister  nicht 
diese  Scliwelle,  sondern  die  untere  Kante  der  vordersten  Reihe 
als  Peripherie  des  Orchestrakreises  genommen  hat.  Denn  die- 
ser Kreis  mit  einem  Durchmesser  von  etwa  11,50'°  (Oropos 
12.40'")  tangirt  die  Thür  des  Turmes  gerade  in  ihrem  Mittel- 
punkt. Der  vordere  Halbkreis  der  Orchestra  schneidet  in  den 
seitlichen  Treppen  des  Zuschauerraums  ab. 

Die  Stützmauern  des  Theaters,  bis  3,50™  hoch  (an  der 
Südecke)  erhalten,  sind  in  schönen  Busticaquadern  ,  regel- 
mässiger als  die  Stadtmauer,  aufgeführt.  Die  Parodosmauern 
sind  nicht  ganz  parallel  zur  Stadtmauer.  Die  rechte,  8,00™ 
lange,  ist  an  der  südlichen  Ecke  4,50,  am  Abschluss  4,75'" 
von  ihr  entfernt, die  linke  an  der  nördlichen  Ecke  4,00'";  nach 
6,70""  (so  weit  ist  sie  erhalten)  4,?0'".  Diese  auf  der  ver- 
schiedenen Entfernuno;  der  Parodosecken  von  der  Stadtmauer 
beruhende  Unregelmässigkeit  war  wol  durch  die  Rücksicht 
auf  den  Felsen,  aus  dem  das  Theatron  herausgeschnitten 
wurde,  veranlasst,  hat  übrigens  in  Oropos  ein  Gegenstück. 

in  jeder  Parodos  fand  sich  ein  Architekturstück  in  Form 
eines  Bogensegments.  ihre  Grösse  und  der  aus  ihnen  berech- 
nete Durchmesser  der  Lichlweite  (rechts  2,23,  links  1,76'") 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  sie  zu  zwei  den  Eingang  der 
Parodoi  bis  an  die  Paraskenien  überwölbenden  Bögen  ge- 
hörten. 

Von  den  Sitzreiiien  (vgl.  Taf.  12a  ,2)'sind  die  drei  unter- 
sten aus  dem  Felsen  gehauen, die  höheren  zum  Teil  ausgehauen, 
zum  Teil  aufgesetzt.  In  der  Mitte  sind  sie  bis  zurXI.  erhalten, 
nur  die  V.  und  VI.  etwas  abgerutscht.  Nach  der  XI.  müssen 
noch  vier  Reihen  ergänzt  werden, so  dass  15  herauskommen  bis 
zu  der  aus  kleineren  Mauersteinen  aufgeführten  runden  Ab- 
schlussmauer, von  der  in  der  Nähe  der  Mitte  noch  ein  Stück  er- 
halten ist  (auf  der  Abbildung  Taf.  12»  ,2  zu  erkennen).  Die 
Silzstufen  sind  0,80'"  tief.  0,40'"  hoch.  Treppen  waren  wie  es 
scheint  nur  auf  beiden  Seiten, direkt  an  die  0,48'"  starke  Stütz- 


DAS  THEATüH  VON  NEÜ-PLEUUON  3'23 

mauer  anschliessend,  0,48'"  breit,  die  Stufen  0,50™ hoch.  Der 
Anfang  der  rechten  Treppe  wurde  freigelegt  die  linke  ist  trotz 
der  Verrückung  der  Reihen  gut  zu  erkennen,  in  der  Mitte  war 
keine  Treppe.  Von  der  Proedria  wurde  nur  ein  bevorzugter 
Sitz  gefunden.  Er  ist  in  der  untersten  Reihe,  nicht  ganz  in 
der  Mitte,  doch  scheinen  rechts  und  links  von  ihm  keine  wei- 
teren gewesen  zu  sein.  Die  anschliessende  Bank  zeigt  in  roher 
Ausführung  das  übliclie  Profil  (vgl.  Taf.   12a, 2). 

Auf  den  aus  dem  Felsen  gehauenen  besonderen  Sitz, der  durch 
eine  Eintiefung  ausgezeichnet  ist,  war  eine  nahezu  quadratische 
Platte  aufgelegt,  mit  derselben  Eintiefung  wie  der  untere 
Teil  des  Sitzes  und  durch  zwei  Dübel  mit  ihm  verbunden. 
Sie  befand  sich  nicht  mehr  an  ihrer  Stelle,  ihr  Platz  ist  aber 
durch  die  Dübellöcher  und  ihre  Übereinstimmung  mit  dem  un- 
teren Teil  gesichert.  Rechts  hatdiePlatteeine  Einarbeitung  wie 
zur  Anfügung  einer  weiteren,  von  der  sich  aber  keine  Spur 
gefunden  hat.  Die  Platte  ist  ganz  glatt  bearbeitet, das  Material 
ist  ein  feinerer  Kalkstein. 

Zur  Veranschaulichung  der  Bauart  mögen  die  Abbildungen 
auf  Taf.  12a  dienen,  nach  Photographien,  welche  Herr  0. 
Rubensohn  auf  einer  Reise  durch  Aetolien  mitgrösster  Freund- 
lichkeit als  Ersatz  für  unsere  misslungenen  aufnahm, wie  wir 
ihm  auch  die  Riclitigstellung  einiger  vergessenen  oder  un- 
sicheren Masse  verdanken. 

So  stellt  sich  uns  das  Gesamtbild  des  Theaters,  zu  dem  wir 
noch  die  sich  nach  Westen  auf  die  Eagunen  von  Messolongi, 
die  Inseln  Kephallenia  und  Zante  und  die  Rüste  von  Patras 
mit  dem  sehneeigen  Erymanthos  im  Hintergrund  ölTnende Aus- 
sicht hinzunehmen  können,  als  ein  bescheidenes  Werk  dar, 
das  mit  dem  geringsten  möglichen  Aufwand  an  Arbeit, Mate- 
rial und  Ausstattung  ausgeführt  wurde.  Dass  es  wie  alle  übri- 
gen Reste  der  Stadt  in  einem  Zuge  und  zwar  im  Anschluss 
an  die  Stadtbefestigung  gebaut  wurde,  zeigt  die  Bauart  und 
namentlich  der  Bauplan.  Dies  ist  insofern  nicht  unwichtig, 
als  wir  dadurch  ein  ziemlich  festes  Datum  für  diesen,  anderen 
hellenistischen  Theatern   so  ähnlichen  Bau   hätten.    Die  Sladt 


324  n.    HERZOG    UND    E.    ZIEHAHTH 

Neu-Pleuron,  die  seit  I^eake  allgemein  [mit  den  Ruinen  von 
Kyra-Irini  identifizirt  wird,  wurde  um  234,  d.  h.  nach  der 
Plünderung  der  in  der  Ebene  gelegenen  Stadt  Pleuron  durch 
Demetrios  Aitolikos  auf  dem  Bergabhang  aufgebaut  ( Strabo 
X,  2  p.  451  :  ej^si  Se  xal  v)  Alxw^ia  opo;  ...  tÖv  'Apiic'jvOov,  Trspi 
ov  TY)v  v6(0T£pav  IlXsupcöva  <7uv(p)ti(jav,  acpevxe?  tyiv  Tralaiotv  dyyu; 
X6i(/.evYiv  Ka>.uSüJvo;  oi  oix,y)Tope;,  £'j>cap7rov  oücav  x.ai  TCsoiÄoa,  Tcop- 
öouvTO;  TTiv  ywpav  Ayi[AY)rpiou  tou  STuuXTjOevTO?  AiTcoXtxou.  Droy- 
sen,  Hellenismus  2  111,  2  S.  35-38).  So  darf  wol  der  Bau  des 
Theaters  in  den  Anfang  des  letzten  Drittels  des  III.  Jahrhun- 
derts gesetzt  werden. 

Kleinfunde  und  Inschriften  haben  die  Ausgrabungen  leider 
nicht  zu  Tage  gefördert  und  so  fehlt  noch  der  bindende  di- 
plomatische Beweis  für  die  überzeugende  Gleichsetzung  von 
Neu-Pleuron  mit  Kyra-Irini.  Auch  scheint  wenig  IIotYnung 
zu  sein,dass  unsere  Kenntniss  des  Stadt  jemals  durch  Inschrif- 
ten und  andere  Funde  weiter  gefördert  werde.  Der  Oberbau 
der  Gebäude  ist  überall  systematisch  als  Baumaterial  abgeführt, 
in  den  erhaltenen  Besten  hat  sich  nur  eine  ganz  schwache 
Humusdecke  gebildet,  welche  wol  keine  Schätze  mehr  in  sich 
birgt.  Die  sauber  profilirten  Basen  von  Statuen  auf  der  Agora 
tragen  keine  Inschrift,  ebensowenig  der  schmucklose  Archi- 
trav  des  Proskenions  und  die  Sitze  des  Theaters.  Keine  Ehren- 
statue, keine  Didaskalie-  oder  Choregie-Inschrift  meldet  uns 
von  den  Spielen,  welche  das  Theater  gesehen  hat.  VAno  Ver- 
mutung möge  hier  ausgesprochen  werden,  wenn  sie  auch 
wenig  positiven  Wert  hat.  Der  einzige  Dichter  von  Buf,den  das 
rauhe  Aetolien  hervorgebracht  hat,AIe\anderAetolus,  stammte 
aus  dem  alten  Pleuron.  Er  wurde  zur  tragischen  Pleias  ge- 
zählt und  machte  in  der  ersten  Hälfte  des  III.  Jahrhunderts 
seiner  Vaterstadt  Ehre  am  ägyptischen  und  makedonischen 
Hofe.  Von  seiner  dramatischen  Thäligkeit  ist  nur  der  Titel 
eines  Stücks  'A<jTpaya>.i(jTal  auf  uns  gekommen.  Aber  immer- 
hin mögen  seine  Mitbürger  auch  in  ihrem  neuen  Wohnsitz 
mit  Stolz  seine  Dramen  aufgeführt  und  mit  seinem  Standbild 
ihr  Theater  geschmückt  haben.    Die  Vermutung  von  Wood- 


DAS  THEATER    VON   NEU-PLEUROK  325 

house,  dass  unser  Bau  nur  ein  Buleuterion  gewesen  sei,  kön- 
nen wir  auch  nacli  der  besseren  Erkenntniss  insofern  gelten 
lassen,  als  das  Theater  sicher  auch  als  Raum  für  die  Volks- 
versammlungen oder  die  Ratssitzungen  gedient  hat.  Das  ein- 
zige grössere  öffentliche  Gebäude,  das  noch  im  Grundriss  er- 
halten ist,  eignete  sich  nicht  dafür.  Es  ist  die  an  der  Agora 
gelegene  sehr  lange  und  schmale  Halle  (62,5  zu  11'°), auf  den 
Seiten  und  hinten  mit  geschlossenen  Wänden,  einer  Säulen- 
stellung vorn  und  in  der  Mitte  und  einem  kleinen  erkerartigen 
Ausbau.  Wir  haben  dieses  und  andere  Gebäude  an  der  Agora 
durch  eine  kleine  Versuchsgrabung  erforscht  und  aufge- 
nommen. Da  aber  Neu-  Pleuron  von  Noack  noch  einer  gründ- 
lichen Untersuchung  unterzogen  werden  wird,  so  halten  wir 
eine  Wiedergabe  des  Materials  von  unserer  Seite  an  diesem 
Ort  für  überflüssig. 

Athen,  im  Juni  1898. 

R.  HERZOG.  E.  ZIEBARTH. 


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DAS  GRIECHISCHE  THEATER  VITRUVS 
11. 

Die  neue  Erklärung  des  theatr^um  Grnecorum  Vitruvs,  die 
ich  im  vorigen  Jahrgänge  dieser  Zeitschrift  (1897  S.  439) 
verölTentlicht  habe,  ist  von  den  Fachgelehrten  in  sehr  ver- 
schiedener Weise  beurteilt  worden.  Während  die  Einen  in  ihr 
einen  Fortschritt  in  unserer  Erkenntniss  des  griechischen  Thea- 
ters sehen  und  mit  mir  glauben,  dass  durch  sie  auch  das  letzte, 
meiner  Theorie  von  der  Bühnenlosigkeit  des  eigentlichen  grie- 
chischen Theaters  im  Wege  stehende  Hinderniss  beseitigt  ist, 
halten  Andere  sie  für  verfehlt,  glauben  noch  jetzt,  dass  das 
hellenistische  Theater  eine  hohe  und  schmale  Bühne  für  die 
Schauspieler  gehabt  habe,  und  behaupten  sogar,  dass  durch  die 
neue  lu'klärung  meine  ganze  Theorie  ins  Wanken  geraten  sei. 
Zu  den  letzteren  gehört  in  erster  Linie  E.  Bethe,  der  neuer- 
dings im  Hermes  (XXXIIl  S.  313ff.)  einen  Aufsatz  über  das 
griechische  Theater  Vitruvs  verölTentlicht  hat. 

Diese  entü;eo;en gesetzten  Urteile  und  namentlich  die  Arbeit 

Co         D 

von  E.  Bethe  veranlassen  mich,  hier  nochmals  zu  demselben 
Thema  des  Wort  zu  ergreifen.  Ich  habe  einerseits  einige  Miss- 
versländnisse  aufzuklären  und  mehrere  irrtümliche  Behauptun- 
gen zurückzuweisen,  andererseits  aber  auch  einige  neue  Ar- 
gumente beizubringen  und  meine  Erklärung  in  einzelnen 
Punkten  weiter  auszuführen. 

Nach  der  Ansicht  Bethes  ist  der  Streit  über  die  Entwicke- 
lung  des  griechischen  Fhealers  durch  meinen  ersten  Aufsatz 
in  eine  neue  Phase  getreten:  '  l)öri)(eld  hat  einen  Stützpunkt 
seiner  alten  Stellung  geräumt'  (a  a.ü.  S.  313).  Da  ich  über- 
zeugt war  und  auch  jetzt  noch  bin,  dass  durch  meine  neue 
Theorie   liber   Vitruv     der   einzige    schwache    Punkt     meiner 


Das  griechische  theateh  vitruvs  327 

Stellung,  der  selbstverständlich  keiner  ihrer  Stützpunkte  war, 
verstärkt  worden  ist,  so  ist  mir  eine  solche  Beurteilung  ganz 
unerklärlich.  Meine  Angriffsstellung  gegenüber  der  alten 
Bühnentheorie  ist  doch  unbedingt  durch  die  Möglichkeit,  den 
vitruvischen  Widerspruch  fortzuschaffen,  fester  und  gesicher- 
ter geworden. 

Solange  ich  mit  Bethc  und  den  anderen  Forschern  von  der 
Voraussetzung  ausging, dassjVitruv  unter  dem  theatruniGrae- 
coriini  das  hellenistische  Theater  Griechenlands  verstehe , 
widersprachen  seine  Vorschriften  in  einem  wichtigen  Punkte 
der  von  mir  oft  dargelegten  Theorie,  dass  im  griechischen 
Theater  der  Spielplatz  zu  allen  Zeiten  vor  dem  Proskenion  in 
der  Orchestra  gelegen  habe.  In  jenem  Aufsatze  suchte  ich  nun 
nachzuweisen,  dass  diese  Voraussetzung;  nicht  berechtigt  sei. 
ich  erinnerte  nämlich  an  die  nicht  genügend  beachtete  That- 
sache,dass  es  in  der  Zeit  Vitruvs  neben  dem  römischen  Theater 
noch  zwei  verschieiiene  Theaterarten  gegeben  hat,  die  beide 
im  Gegensatz  zu  jenem  als  thealrum  Graecoruni  bezeichnet 
werden  durften,  nämlich  erstens  die  hellenistischen  Theater 
Griechenlands  und  Ivleinasiens,  wie  die  Bauwerke  von  Epi- 
dauros,  Eretria,  Delos  und  Priene,  und  zweitens  die  späteren 
Theater  Kleinasiens,  also  Bauwerke  wie  die  Theater  von  Ter- 
messos  und  Aspendos  oder  die  umgebauten  Theater  von  Priene, 
Ephesos  und  Magnesia.  In  meinem  Buche  über  das  griechi- 
sche Theater  hatte  ich  den  letzteren  Typus  lediglich  als  l  n- 
terart  des  römischen  Theaters  betrachtet ,  weil  er  in  wesent- 
lichen Punkten  mit  diesem  übereinstimmt.  Es  wäre  aber  rich- 
tiger gewesen,  in  ihm  einen  besonderen  Typus  zu  sehen,  der 
in  der  Mitte  steht  zwischen  dem  römischen  und  dem  helle- 
nistischen Theater.  Denn  mit  beiden  Arten  hat  er  manche 
Eigentümlichkeiten  gemein.  Sind  doch  mehrere  dieser  Theater 
Kleinasiens  durch  kleine  Veränderunij;en  aus  liellenistisehen 
Theatern  entstanden.  Auch  hätte  nicht  übersehen  werden  dür- 
fen, dass  schon  Schönborn  (Die  Skene  der  Hellenen)  in  den 
jüngeren  kleinasiatisclien  Theatern, wie  z.B.  in  dem  von  Aspen- 
dos,  den  griechischen  Typus   Vitruvs  erkannte.    Die  äUeren 


3-?8  W.    DOERPFELD 

hellenistischen  Theater  Kleinasiens  waren  damals  noch  un- 
hekannt. 

Da  sowol  die  hellenistischen  Theater  Griechenlands  und 
Kleinasiens  wie  auch  die  etwas  jüngeren,  hauptsächlich  in 
Kleinasien  vorkommenden  Theater,  die  wir  kurz  kleinasiati- 
sche nennen,  von  Vitruv  als  'griechische'  hezeichnet  werden 
konnten,  so  Hess  sich  nicht  ohne  Weiteres  sagen,  welchen  der 
beiden  Typen  der  römische  Architekt  unter  dem  theatriun 
Graecorum  gemeint  habe.  Eine  Entscheidung  konnte  auf  ei- 
nem doppelten  Wege  herbeigeführt  werden,  einmal  durch  eine 
genaue  Vergleichung  der  von  Vitruv  für  sein  griechisches  Thea- 
ter gegebenen  Regeln  mit  den  Eigentümlichkeiten  der  beiden 
Typen,  und  sodann  durch  eine  Untersuchung  über  die  zur 
Zeit  Vitruvs  in  Rom  bestehenden  Theaterarten.  Denn  von 
vorne  herein  war  es  mindestens  wahrscheinlich,  dass  Vitruv, 
indem  er  Vorschriften  zur  Ausführung  von  Bauwerken  gab, 
nicht  nur  unter  dem  lateinischen,  sondern  auch  unter  dem 
griechischen  Theater  einen  in  Rom  üblichen,  von  dem  ein- 
heimischen Theater  abweichenden  Typus  verstand.  Wie  jene 
Entscheidung  aber  auch  ausfallen  mochte,  auf  keinen  Fall  war 
es  noch  gestattet,  ohne  Weiteres  vorauszusetzen  oder  sogar  als 
feststehende,  keines  Beweises  bedürfende  Thatsache  hinzu- 
stellen, dass  Vitruv  mit  dem  theatriun  Graecorum  nur  den 
einen  der  beiden  griechischen  Typen,  nämlich  das  hellenisti- 
sche Proskenion-Theater  gemeint  haben  könne. 

Eine  Vergleichung  der  vitruvischen  Vorschriften  über  das 
theatriun  Graecorum  mit  den  l^]inrichtungen  des  'hellenisti- 
schen' Theaters  einerseits  und  des  'kleinasiatischen'  andrer- 
seits führte  mich  zu  dem  Resultate,  dass  letzteres  diesen  Re- 
geln und  Angaben  besser  entspreche  als  ersteres,und  also  auch 
grösseren  Anspruch  darauf  habe,  das  theatriun  Graecorum 
Vitruvs  zu  sein.  Das  spätere  Theater  Kleinasiens  bot  vor  Allem 
den  grossen  Vorzug,  dass  es  auch  in  jenem  wichtigen  Punkte, 
in  dem  Vitruvs  Aussage  mit  dem  hellenistischen  Theater  nicht 
in  Einklang  zu  bringen  war,  nämlich  in  dem  Vorhandensein 
einer  hohen  Bühne  für  die  Schauspieler, seinen  Regeln  unzwei- 


r)AS    GRIECHISCHE    THEATEIi    VITRUVS  329 

felhaft  und  vüllkoinmen  entsprach.  In  allen  Theatern,  welche 
etwa  von  der  Zeit  Vitruvs  an  in  Kleinasien  j^ebaut  worden  sind, 
gab  es  thatsächlich  eine  hohe  Bühne  als  Spielplatz  der  Schau- 
spieler; im  griechischen  Theater  der  hellenistischen  Zeit  konnte 
dagegen  aus  vielen  Gründen  eine  solche  Bühne  nicht  bestan- 
den haben. 

Ferner  konnte  ich  zeigen,  dass  es  zu  Vitruvs  Zeit  in  Rom 
zwei  verschiedene  Theaterarten  gab.  Der  von  Pompejus  in 
Rom  errichtete  Bau  hatte  nachweisbar  einen  von  dem  ein- 
heimischen, lateinischen  Theater  abweichenden  Typus.  Denn 
nicht  nur  hatte  Pompejus,  wie  Plutarch  (Pompejus  4-2)  über- 
liefert, seinen  Neubau  von  einem  griechischen  Architekten 
nach  dem  Vorbilde  des  Theaters  in  Mytilene  errichten  lassen, 
sondern  das  Pompejus-Tbeater  wurde  auch,  wie  wir  aus  an- 
deren Quellen  wissen,  zu  thymelischen  Spielen  benutzt,  also 
gerade  zu  solchen  Spielen,  von  denen  auch  Vitruv  bei  seinem 
theatriun  Graecorum  spricht.  Das  Pompejus-Tbeater  zeigte 
demnach  entweder  den  hellenistischen  oder  den  kleinasiaU- 
schen,  jedenfalls  einen  aus  Griechenland  stammenden  Typus. 

ich  zögerte  nicht  und  zögere  auch  jetzt  nicht,  mich  auch 
hier  für  den  kleinasiatischen  Typus  zu  entscheiden,  nicht  nur 
weil  er  den  Vorschriften  Vitruvs  besser  entspricht,  sondern 
vor  Allem  weil  die  grosse  und  fast  allgemeine  Verbreitung, 
welche  dieser  Typus  in  römischer  Zeit  in  Kleinasien  gefunden 
hat,  sich  besser  erklärt,  wenn  auch  das  Pompejus-Tbeater  in 
Rom  einen  solchen  Typus  hatte.  Dass  seit  der  Zeit  des  Kai- 
sers Augustus  noch  irgend  wo  hellenistische  Theater  gebaut 
worden  sind,  ist  nicht  bekannt;  alle  die  vielen  Theaterbauton, 
welche  nach  Pompejus  in  Italien,  Griechenland  oder  Kl.in- 
asien  entstanden  sind,  zeigen  entweder  den  römischen  oder 
den  kleinasiatischen  Typus.  Finden  wir  nun  bei  Vitruv  Vor- 
schriften über  zwei  verschiedene  Theaterarien,  die  gerade  zu 
der  Einrichtung  dieser  beiden  Typen  vorzüglich  passen,  so  sind 
wir  doch  zu  der  Annahme  berechtigt  oder  sogar  verpflirhlet. 
dass  der  römische  Architekt  unter  dem  tlwdtrmn  laiinum 
das  gewöhnliche   römische  Theater  verstehe,   w\\\\  unter  dem 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN    XXIII.  22 


31^0  W.    DOKUPFEl.D 

t/wdlruni  Graccorum  das  'kleinasiatisclie'  Theater,  also  den 
Typus,  der  zu  seiner  Zeit  in  Griechenland  und  Kleinasien  ge- 
baut wurde.  Ob  er  das  in  diesen  LiindiM'n  IVülier  aligemein 
übliche  Theater,  nämlich  den  hellenistischen  Typus,  überhaupt 
nicht  kannte  oder  nur  nicht  erwähnte,  brauchen  wir  niclit 
zu  entscheiden. 

Konnte  ich  es  so  zum  Mindesten  walirscheinlicii  machen, 
dass  Vitruv  das  kleinasiatische  Theater  im  Gegensatz  zu  dem 
italischen  als  das  2;riechische  bezeichnet  hat,  und  dass  ein 
Theater  dieses  Typus  sogar  in  Rom  selbst  bestand,  so  ver- 
mochte ich  allerdings  über  die  Entstehung  des  Typus  nur  Ver- 
mutungen auszusprechen.  Ich  liess  es  unentschieden,  ob  der 
Architekt  des  Pompejus  den  schon  fertigen  Typus  in  Mytilene 
vorgefunden  und  nur  nach  Kom  verpflanzt  habe, oder  ob  er  ihn 
durch  eine  Verbindung  des  hellenistischen  Theaters  von  My- 
tilene und  des  in  Rom  üblichen  Bühnentheaters  neu  gebildet 
habe.  Jetzt  bin  ich  geneigt, der  letzteren  Möglichkeit  den  Vor- 
zug zu  geben.  Denn  abgesehen  davon,  dass  die  Entstehung 
des  kleinasiatischen  Theaters  kaum  anders  erklärt  werden 
kann  als  durch  die  Vereinigung  des  bühnenlosen  griechisch- 
hellenistischen Theaters  und  des  römischen  Bühnen-Theaters, 
weist  schon  das  Alter  der  kleinasiatischen  Bauten  auf  das  er- 
ste vorchristliche  Jahrhundert  als  Entstehungszeit  hin.  Das 
Theater  von  Termessos  reicht  mindestens  bis  zur  Zeit  des  Au- 
gustus  hinauf;  in  Athen  ist  wahrscheinlich  unter  Nero  der 
kleinasiatische  Typus  eingeführt  worden  ;  in  Kleinasien  sind 
viele  ursprünglich  hellenistische  Theater,  wie  z.  B.  die  von 
Priene,  Magnesia,  Tralles,  l^]phesos  und  Pergamon  erst  in  rö- 
mischer Zeit  zu  Bühnentheatern  umgebaut  worden. 

Wird  mir  aber  auch  nur  die  Möglichkeit  zugestanden,  dass 
in  Rom  ein  'kleinasiatisches'  Theater  bestand,  und  dass  Vi- 
truv mit  seinem  gricchischenThealer  einen  solchen  Bau  meinte, 
so  brauche  ich  die  Angaben  Vitruvs  nicht  länger  als  Zeugniss 
gegen  meine  Erklärung  des  hellenistischen  Theaters  gelten  zu 
lassen.  Denn  dieses  letztere  Theater  selbst  und  was  wir  über 
seinen  Zusammenhang  mit  dem  altgriechischen  Theater  wissen, 


DAS    GRIECHISCHE   THEATER    VITHL'VS  331 

spricht  zu  deutlich  i^onjen  fJas  Vorhandensein  einererhöliten, 
für  die  skenischen  Aufführungen  hestimniten  Huhne,  als  dass 
ein  in  verschiedener  Weise  deutbares  Zeugniss  noch  entschei- 
denden Wert  für  ihr  Vorhandensein  beanspruchen  könnle. 

Im  V.  Jalirhundort  liatte  das  griechische  Theater,  wie  jetzt 
fast  aligemein  zugegeben  wird  und  auch  Ikthe  anerkennt, 
keine  Bühne;  die  Orchestra  war  der  Spielplatz  für  Chor  und 
Schauspieler,  und  neben  ihr  erhob  sich  die  Skene  als  Hinter- 
grund des  S[)iels.  Es  liegt  gar  keine  Veranlassimg  vor,  für 
die  beiden  folgenden  Jahrhunderte,  in  denen  noch  vielfach 
die  älteren  Stücke  mit  ihrem  Chor  aufgeführt  wurden  eine 
vollständige  Änderung  des  Spielplatzes  und  der  Skene  anzu- 
nehmen. In  den  ältesten  erhaltenen  Theatergebäuden,  z.  li. 
in  dem  lykurgischen  Theater  zu  Athen,  in  dem  polykletischen 
von  Epidauros,  in  den  Bauten  von  Eretria,  Üelos  und  Priene. 
deren  Entstehung  bis  ins  IV.  und  111.  Jahrhundert  liinuul- 
reicht,  finden  wir  noch  immer  den  alten  kreisrunden  Spiel- 
platz und  neben  ihm  an  derselben  Stelle,  wo  ^vir  fürs  \'.  Jahr- 
hundert die  hölzerne  Skene  anzunehmen  hatten,  einen  durch- 
schnittlich 3'"  hohen  Säulenbau  mit  hölzernen  Pinakes  in  den 
Intercolumnien  und  dahinter  einen  grösseren  Saal  oder  ein- 
zelne Zimmer.  Wir  sehen  also  Bauten  vor  uns,  die  oflenbar 
in  ihrer  Gestalt  und  Einrichtung  eine  directo  Nachbildung  der 
alten  hölzernen  Skene  und  ihrer  Dekoration  sind.  Was  be- 
rechtigt uns  nun,  diesen  Säulenbau,  für  den  der  Name  Pro- 
skenion urkundlich  gesichert  ist,  trotz  seines  iSamens,  trotz 
seiner  für  eine  Bühne  ganz  unpassenden  Abmessungen,  trotz 
seiner  architektonischen  Ausstattung  und  trotz  seiner  Luge 
neben  dem  alten  Spielplatz  für  eine  Bühne  zu  erklären,  ihn 
für  ein  Podium  zu  halten,  auf  dem  vom  IV.  oder  III.  Jahr- 
hundert an  die  Schauspieler  regelmässig  gespielt  haben  sollen.' 
Wenn  uns  nicht  sichere  Nachrichten  und  ununislössliche  Ar- 
gumente beigebracht  werden,  müssen  wir  einer  solchen  Hypo- 
these entschieden  widersprechen. 

Gleichwol  hat  diese  Theorie  nicht  nur  früher  N'ertreter  ge- 
funden, sondern    wird   auch  jetzt   noch    \on  Bethe  energisch 


332  W.  doerPfelO 

verteidigt.  Und  welche  Argumente  werden  beigebracht?  Es 
war  bisher  fast  ausschliesslich  die  Nachricht  des  Vitruv  über 
das  Logeion  des  theatriim  Graecorum  ,  auf  die  man  sich 
stützte:  '  Das  Zeugniss  Vitruvs*,  so  sagte  Bethe  (Gölt.  gel. 
Anz.  1897  S.  710)  genügt  allein  und  vollkommen  für 
jeden  philologisch  Geschulten',  um  es  'als  eine  abso- 
lut feststehende  Thatsache  zu  betrachten',  'dass  das 
hohe  schmale  Prosken  ion  die  Bühne  war'.  Daneben 
wurden  dann  noch  einige  andere  Zeugnisse  für  eine  Bühne 
angeführt,  die  früher  nur  als  Nebenargumente  galten,  jetzt 
aber  selbständige  Beweiskraft  haben  sollen.  Betrachten  wir 
zunächst  das  Hauptargument,  die  Angabe  Vitruvs. 

ich  bin  stets  überzeugt  gewesen,  dass  sich  irgend  ein  Weg 
finden  lassen  müsse,  um  das  Zeugniss  des  Vitruv  über  die 
Bühne  seines  tlieatriun  Graecorum  für  das  altgriechische  und 
hellenistische  Theater  zu  entkräften.  Nur  über  die  Art  und 
Richtung  des  einzuschlagenden  Weges  habe  ich  geschwankt. 
Die  Entwicklungsgeschichte  des  Theaters ,  wie  ich  sie  auf 
S.  3(33  unseres  Buches  über  das  griechische  Theater  kurz  ge- 
schildert habe,  redete  eine  zu  deutliche  Sprache;  sie  zeigte 
mir  klar,  dass  die  Forschung  sich  auf  einem  falschen  Wege 
befinde.  Das  hellenistische  Theater,  wie  man  es  sich  nach  Vi- 
truv denken  musste,  nämlich  mit  einer  hohen  schmalen  l^ühne 
als  Spielplatz  der  Schauspieler,  war  mit  dem  bühnenlosen 
1'heater  des  V.  Jahrhunderts  nicht  in  Einklane  zu  bringen. 
Bethes  Versuch,  eine  Entwicklungsreihe  herzustellen,  indem 
er  die  Entstehung  einer  niedrigen  Bühne  am  Ende  des  V. 
Jahrhunderts  und  dann  ein  schnelles  Wachsen  derselben  über 
das  zulässige  Mass  von  etwa  1 ,50'"  hinaus  bis  zur  Höhe  von 
3'"  im  III.  Jahrhundert  annahm,  war  nicht  nur  an  und  für 
sich  wenig  glaubwürdig,  sondern  befand  sich  auch  nicht  ein- 
mal in  Übereinstimmung  mit  den  erhaltenen  Monumenten. 
\'on  irgend  einer  Zwischenstufe  zwischen  dem  alten  Spiel- 
platze in  der  bühnenlosen  Orchestra  und  der  vermeintlichen 
3™  hohen  Bühne  ist  in  ^Xi^w  Theaterbauten  Griechenlands  auch 
nicht  die  geringste  Spur  erhallen. 


DAS    ftRIECHISCHE   THEATEH    VITRUVS  333 

Ich  glaubte  nun  durch  meinen  ersten  Aufsatz  über  das  grie- 
chisclie  Theater  Vitruvs  den  richtigen  Weg  aus  dem  Irrgarten 
gefunden  zu  haben.  Indem  icli  die  Wahrscheinlichkeit  oder 
zum  Mindesten  die  Möglichkeit  nachwies,  dass  Vitruv  von  ei- 
nem anderen  griechischen  Theatertypus  als  dem  hellenisti- 
schen Proskeniontlieater  spreche ,  hatte  ich  dem  Zeugnisse 
Vitruvs  seine  Bedeutung  für  das  hellenistische  Theater  ge- 
nommen. 

Ist  mir  dieser  Nachweis  gelungen?  Bethe  behauptet  zu- 
nächst (Hermes  XXXI II  S.  317), ich  hätte  beweisen  müssen, dass 
Vitruv  das  hellenistische  Theater  nicht  beschreiben  könne. 
Dass  er  mir  damit  einen  Beweis  zuschiebt, den  ich  gar  nicht  zu 
führen  brauche, liegt  nach  dem  Gesagten  auf  der  Hand.  Umge- 
kehrt hätte  vielmehr  Bethe  beweissen  müssen,  dass  Vitruv  von 
dem  kleinasiatischen  Theater  nicht  sprechen  könne,  weil  al- 
lein schon  die  Möglichkeit  meiner  Auffassung  genügt,  um  das 
Zeugniss  des  Vitruv  gegen  meine  Theorie  zu  entkräften.  Einen 
solchen  Beweis  kann  er  aber  nicht  führen.  Er  macht  viel- 
mehr selbst  das  wertvolle  Zugeständniss  (S.  316  unten): 
'Dörpfeld  hat  unwiderleglich  gezeigt,  dass  der  kleinasialische 
Theatertypus  mehr  dem  griechischen  als  dem  lateinischen 
Theaterschema  Vitruvs  entspreche'. 

Passt  somit,  wie  Bethe  zugiebt,  sowol  der  hellenistische  wie 
auch  der  kleinasiatische  Typus  wenigstens  einigermassen  zu 
dem  griechischen  Schema  Vitruvs,  so  entsteht  die  wichtige 
Frage:  Welcher  von  beiden  passt  besser?  Hat  Bethe  Hecht, 
wenn  er  (S.  317  unten)  versichert:  'Ich  sehe  nicht  einen  ein- 
zigen Punkt,  in  dem  sich  der  kleinasiatische  Typus  genau 
Vitruvs  Regeln  fügte,  nicht  einen  einzigen,  in  dem  er  mit  Vi- 
truvs Schema  besser  übereinstimmte  als  der  hellenistische' ? 
Oder  habe  ich  Recht,  wenn  ich  behaupte,  dass  der  kleinasia- 
tische Typus  besser  passt? 

Bevor  ich  auf  iMuzolheiten  eingehe,  welche  diese  Frage 
allein  entscheiden  kiuinen,  muss  ich  zunächst  im  Allgemeinen 
darauf  hinweisen,  dass  wir  gar  nicht  berechtigt  sind,  eine  ge- 
naue und  volle  Übereinstimmung  zwischen   den  zulällig  er- 


3:^4  W.    DOERPFELD 

haltpnen  Theatorriiinen  und  dem  Schema  Vitruvs  zu  erwarten. 
^^>der  die  hellenistischen,  noch  die  kleinasiatischen  Theater, 
welche  uns  bekannt  sind. stimmen  unter  si(;li  vöilii!;  üherein  und 
können  daher  unmöglich  je  einem  einzigen  Schema  genau  ent- 
sprechen. \''itruv  will  mit  seinen  Vorschriften  auch  keineswegs 
ein  Durchschnittslheater  eines  bestimmten  Typus  geben,  son- 
dern beschreibt  von  jedem  Typus  ein  Theater,  wie  er  es  bauen 
würde  und  wieeres  für  das  beste  hält.  Sein  lateinisches  Sche- 
ma stimmt,  wie  genugsam  bekannt  ist,  mit  keinem  der  erhal- 
tenen römischen  Theater  genau   überein.  Wie  dürfen  wir  da 
bei  seinem  griechischen  Theater  eine  volle  Übereinstimmung 
erwarten?  Kleine  DitYerenzen  zwischen  den  Ruinen  und  dem 
Schema  Vitruvs  wird   es  naturgemäss  auch  hier  geben,   und 
sie   werden   besonders    bei   den   Abmessungen    der  einzelnen 
Teile,  bei  der  Zahl  der  Sitzreihen  und  Treppen  und  bei  den 
I']inzelheiten   des  Skeneni>ebäudes  hervortreten,   nämlich   bei 
allen  den  Dingen,  in  denen  die  erhaltenen  Theater  unter  sich 
verschieden  sind.  Übereinstimmung  müssen  wir  dagegen  er- 
warten bei  der  allgemeinen  Anordnung  des  Theaters  und  bei 
dem  Namen,  dem  Zweck   und  dem  gegenseitigen  Verhältniss 
der  llauptteile.  Und  thalsächlich  linden  wir  in  diesen  Punkten 
auch   eine  volle  Übereinstimmung  zwischen  dem  kleinasiati- 
schen Theater   und   dem  griechischen  Theater  Vitruvs,   eine 
bessere,  als  sie  zwischen  diesem  und  dem  hellenistischen  Thea- 
ter besteht. 

Um  dies  zu  beweisen,  vergleichen  wir  die  Vorschriften  Vi- 
truvs für  sein  theatrnni  Graecoruni  mit  dem  kleinasiatischen 
Theater  einerseits  und  dem  hellenistischen  andrerseits: 

1)  Der  Zuschauerraum  und  dem  entsprechend  auch  die  Or- 
cheslra  sind  beim  thcatrum  Graecoriiin  grösser  als  ein  Halb- 
kreis, machen  aber  keinen  vollen  Kreis  aus.  Erst  Orchestra 
und  Bühne  zusammen  bilden  nach  N'ilruv  einen  ganzen  Kreis, 
dessen  Tangente  die  frans  scacnac  ist.  Im  Gegensatze  zum 
gewöhnlichen  römischen  Theater,  bei  dem  die  Orchestra  nur 
einen  Halbkreis  umfasst,  entsprechen  die  kleinasiatischen 
Theater  dfi'  röinisidicn  Zeit  dieser  Vursrhiill    vorzüglich  ;  die 


DAS   GRIECHISCHE   THEATER    VITRUVS  335 

Orcliestra  isl  immer  grösser  als  ein  Halbkreis  und  mit  der 
Bühne  zusammen  bildet  sie  anniihernd  einen  Kreis.  Beim  hel- 
lenistischen Theater  ist  diese  Übereinstimmung  nicht  eben  so 
gross;  sie  wird  erst  erreicht,  wenn  wir  nicht  nur  die  eigent- 
liche Orchestra,von  der  Vitruv  doch  spricht,  ins  Auge  fassen, 
sondern  den  Wassercanal  und  den  Umgang  für  das  Publicum 
zur  Orchestra  hinzurechnen.  In  Epidauros  bildet  die  eigent- 
liche Orchestra  schon  ohne  die  vermeintliche  Bühne  einen 
vollen  Kreis  und  in  Athen  und  im  Piräus  liegt  die  Vorder- 
kante des  Proskenion  sogar  um  mehrere  xMeter  ausserhalb  des 
Kreises.  Hätte  Vitruv  ein  hellenistisches  Theater  wie  das  von 
Epidauros  beschrieben,  so  hätte  er  nicht  versäumen  dürfen  zu 
sagen,  dass  die  Orchestra  einen  ganzen  Kreis  bilde. 

2)  Neben  der  grösseren  Orchestra  soll  nach  Vitruv  auch  die 
schmalere  Bühne  [pulpitum  minore  latitudine)  ein  charakte- 
ristisches Merkmal  des  griechischen  Theaters  sein.  Das  klein- 
asiatische  Theater  unterscheidet  sich  in  der  That  dadurch  vom 
römischen,  dass  seine  Bühne  um  ebenso  viel  schmaler,  wie 
seine  Orchestra  grösser  ist.  Da  die  Bühne  nur  für  die  skeni- 
schen  AufTührungen  diente,  durfte  sie  schmaler  als  die  römi- 
sche gemacht  werden,  auf  der  alle  AutTührungen  stattfanden. 
Wie  sehr  man  beim  kleinasiatischen  Theater  bestrebt  war,  die 
Bühne  trotz  der  "rrossen  Orchestra  und  trotz  des  notwendigen 
Zuganges  zur  Orchestra  möglichst  nahe  an  die  Zuschauer  he- 
ran zu  rücken,  ergiebt  sich  aus  dem  Theater  von  Termessos,  bei 
dem  die  Vorderkante  der  Bühne  eine  gebrochene  Linie  bildete, 
und  die  Bühnentiefe  also  in  der  Mitte  grösser  war  als  an  den 
beiden  Enden.  Wie  weil  dagegen  im  hellenistischen  Theater 
das  Proskenion,  die  vermeintliche  Bühne,  von  dem  Zuschauer- 
raum entfernt  sein  konnte,  zeigen  Beispiele  wie  die  Theater 
von  Athen  und  Piiäus  aufs  Deutlichste.  Dieser  Thatsache  nv- 
genüber  ist  es  ohne  jede  Bedeutung,  dass  die  ^virkliche  Tiefe 
des  hellenislischen  Proskenion  etwas  geringer  ist  als  die  Tiefe 
der  kleinasiatischen  Biihne  und  demnach  etwas  besser  zu  der 
Vorschrift  \'itiii\s  iibcr  die  Tiefe  seines  griechischen  Logeion 
passl.  Denn  auch  in  den  ciliallciitMi  riiniisclicn  Thcalern  stimmt 


336  W.    DOERPFELD 

die  wirkliche  Tiefe  der  Bühne  nur  in  wenigen  Fällen  genau 
zu  der  Angabe  Vitruvs  über  die  Tiefe  der  lateinischen  Bühne. 
3)  Die  Höhe  der  Bühne  soll  nach  Vitruv  im  theatrum 
Graecorum  10  bis  12  Fuss  betragen,  im  theatrum  latiiium 
niemals  5  Fuss  übersteigen  dürfen.  Passt  zu  der  ersteren  Vor- 
schrift der  Ideinasiatische  oder  der  hellenistische  Typus  besser? 
Im  klcinasiatischen  Theater  ist  die  Bühne, wie  ich  schon  früher 
gezeigt  habe,  gewöhnlich  8  bis  iO  Fuss  hoch,  ob  sie  irgendwo 
das  vitruvische  Maximum  von  1  2  Fuss  erreicht,  lässt  sich  lei- 
der noch  nicht  sagen,  weil  die  Bühnenhöhe  der  meisten  Thea- 
ter Kleinasiens  noch  unbekannt  ist.  Auf  jeden  Fall  entspricht 
sie  dem  griechischen  und  nicht  dem  römischen  Typus.  Im 
hellenistischen  Theater  schwankt  die  Höhe  des  Proskenion, 
der  vermeintlichen  Bühne,  zwischen  8  und  12  Fuss.  Sie  bleibt 
auch  in  mehreren  Bauten  (so  in  Oropos,  Pleuron,  Priene  und 
Delos)  unter  dem  vitruvischen  Minimum  von  10  Fuss.  Beide 
Theaterarten  scheinen  also  in  Bezug  auf  die  Bühnenhöhe  gleich 
schlecht  zu  der  Vorschrift  Vitruvs  zu  passen.  Aber  ein  Um- 
stand ist  dabei  bisher  übersehen  oder  mindestens  nicht  ge- 
nügend beachtet  worden  ,  ein  Umstand  ,  der  entschieden  zu 
Gunsten  des  kleinasiatischen  Theaters  spricht.  Beim  römischen 
Theater  sa^t  nämlich  Vitruv  ausdrücklich,  dass  die  Bühne 
nicht  höher  sein  dürfe  als  5  Fuss,  weil  sonst  die  in  der  Or- 
chestra  sitzenden  Zuschauer  die  auf  der  Bühne  auftretenden 
Schauspieler  nicht  gut  sehen  könnten.  Er  spricht  damit  einen 
Grundsatz  aus,  der  auch  heute  noch  gilt  und  bei  allen  moder- 
nen Theaterbauten  berücksichtigt  wird  :  Die  Bühne  darf  nie- 
mals höher  sein,  als  die  Augen  der  untersten  Zuschauer.  Ob 
die  letzteren  im  antiken  Theater  in  der  Orchestra  selbst  oder 
auf  der  die  Orchestra  umgebenden  untersten  Bank  sitzen, macht 
keinen  Unterschied.  Liegt  die  unterste  Sitzreihe  in  der  Höhe 
der  Orchestra,  so  darf  die  Bühnenhöhe  niemals  5  Fuss  über- 
steigen, auch  wenn  keine  Zuschauer  in  der  Orchestra  selbst 
sitzen.  Wie  kann  nun  derselbe  Vitruv,  der  diesen  Grundsatz 
offenbar  wol  kennt,  im  griechischen  Theater  10  Fuss  als  Mi- 
niiiiiirn  für  die  Bühnenhöhe  bezeichnen?  iMussleer  nicht  wissen, 


DAS    GRIECHISCHE   THEATER    VITRUVS  337 

dass  die  auf  der  untersten  Bank  sitzenden  Zuschauer  bei  ei- 
ner solchen  Büline  nur  sehr  schlecht  selien  konnten? 

Das  Rätsel  löst  sich  in  einfachster  Weise,  wenn  wir  uns  da- 
ran erinnern,  dass  bei  dem  kleinasiatischen  Theater  die  Sitz- 
reihen thatsächlich  nicht  bis  zurOrchestra  hinabreichen,  son- 
dern die  unterste  Reihe  so  hoch  überder  Orcheslra  liegt,  dass 
ihr  Höhenunterschied  gegen  den  Boden  der  Bühne  nur  etwa 
5  Fuss  beträgt,  im  hellenistischen  Theater  dagegen  beiludet 
sich  die  Proedrie  mit  ihren  bevorzugten  Sitzen  immer  in  der 
Höhe  der  Orchestra  oder  nur  sehr  wenig  über  ihr.  Die  Au- 
gen der  dort  sitzenden  Zuschauer  würden  also  bei  einer  Büh- 
nenhöhe von  10  bis  12  Fuss  noch  mindestens  5  Fuss  unter  dem 
Boden  der  Bühne  liegen  und  daher  die  Bewegungen  der  Schau- 
spieler sehr  schlecht  sehen  können.  Daraus  folgt  aber  mit  vol- 
ler Sicherheit,  dass  Vitruv  unter  dem  theatrum  Graecorum 
nicht  das  hellenistische,  sondern  nur  das  kleinasiatische  Thea- 
ter verstanden  haben  kann. 

Da  das  Fehlen  der  untersten  Sitzreihen,  wie  ich  schon  in 
meinem  ersten  Aufsatz  darii;eleu;t  habe,  eine  charakteristische 
Eigentümlichkeit  der  kleinasiatischen  Theater  ist,  so  dürfte 
der  Schluss  erlaubt  sein,  dass  alle  Theater,  bei  denen  ein  spä- 
teres Abschneiden  der  unteren  Sitzreihen  constatirt  werden 
kann  —  ich  nenne  z.  B.  die  Theater  von  Assos ,  Pergamon 
und  Delphi — ,  zu  kleinasiatischen  mit  hoher  Bühne  umge- 
baut worden  sind.  Andrerseits  giebt  es  einige  klcinasiatische 
Theater,  in  denen  die  untersten  Sitzreihen  bei  der  späteren 
Einrichtung  einer  8  oder  10  Fuss  hohen  Bühne  nicht  fortge- 
nommen sind,  z.  B.  die  Bauten  in  Prione  (vgl.  oben  S.  31 '2) 
und  Magnesia.  Bei  thymelischen  AutTülirungen  und  bei  sonsti- 
gen im  Theater  stattfindenden  Festlichkeiten  boten  diese  Sitz- 
reihen noch  immer  in  alter  Weise  die  besten  und  bevorzugte- 
sten Plätze;  bei  skenischen  Aufführungen  auf  der  hohen  Bühne 
konnten  sie  daueren  nur  noch  als  schlechte  Plätze  benutzt  wer- 
den.  ihre  gänzliche  Entfernung  war  bei  einem  Umbau  zwar 
möglich,  aber  ni(;lil  unbedingt  notwendig.    Bei  .Xeiibauleii  (leg 


338  W.    DOERPFELD 

kleinasiatischen  Typus  sind  sie   jedoch,   so  viel   wir  wissen, 
niemals  mehr  gehaut  worden. 

4)  Auf  einen  anderen  Punkt,  der  'einen  nicht  unwesentli- 
chen Vorzus  der  neuen  Erkläruno;'  bildet,  habe  ich  schon  in 
meinem  ersten  Aufsatze  hingewiesen.  Beim  römischen  Thea- 
ter versteht  Vitruv  unter  scaenae  frons  unzweifelhaft  die 
Vorderwand  der  Skene  mit  ihrem  Säulenschmuck.  Beim 
theatrum  Graecorutn  spricht  er  ebenfalls  von  der  scaenae 
frons.  Denkt  er  nun  an  ein  Theater  wie  das  kleinasiatische, 
so  versteht  er  unter  scaenae  frons  ganz  richtig  dieselbe  Vor- 
derwand  mit  ihren  Säulen.  Denkt  er  dagegen  an  ein  helle- 
nistisches Theater,  so  müsste  er  hier  die  Skenenvorderwand 
ohne  ihren  Säulenschmuck  scaenae  frons  genannt  haben, 
denn  dass  die  Wand  über  dem  Proskenion  nicht  mit  Säulen 
ausgestattet  war,  ist  durch  die  Monumente  selbst  gesichert. 
Dieser  Vorzug  bleibt  bestehen,  ob  das  Proskenion  nach  Be- 
thes  Auffassung  die  gewöhnliche  Bühne  oder  nach  meiner  Er- 
klärung die  Dekoration  selbst  ist. 

5)  Schliesslich  mussauch  die  Angabe  Vitruvs,  dass  das  hohe 
Logeion  seines  griechischen  Theaters  der  gewöhnliche  Spiel- 
platz für  alle  skenischen  Aufführungen  sei,  als  wichtiger  Be- 
weis für  die  Identität  des  kleinasiatischen  Theaters  und  des 
theatrum  Graecoruni  Vitruvs  angeführt  werden.  Denn  für 
das  kleinasiatische  Theater  trifft  diese  Angabe  unzweifelhaft 
zu  ;  sein  hohes  Podium  war,  darüber  sind  wir  alle  einig,  der 
Standplatz  der  Schauspieler  bei  skenischen  Aufführungen.  Für 
das  hellenistische  Theater  kann  sie  dagegen,  wie  ich  in  un- 
serem Buche  über  das  griechischeTheater  eingehend  dargelegt 
habe,  unmöglich  zutreffen.  Zaiilreiche  Argumente  ganz  ver- 
schiedener Art  habe  ich  beibrinifen  kiMinen.  die  sicher  bewei- 
sen, dass  das  griechische  Proskenion  keine  Bühne  gewesen  sein 
kann.  Und  selbst  Bethe, der  doch  in  allen  seinen  Veröffentlichun- 
gen das  Bestreben  hat,  das  hellenistische  Proskenion  als  Bühne 
zu  erweisen,  macht  das  wertvolle  Zugeständniss  (Gott.  gel. 
Anz.  1897  S.  709):  'Auch  ich  kann  mir  nicht  denken,  dass 
man  fiir  eine  tneiianihiselie  KomCxlie  odei' selbst  eine  eliorlose 


DAS   GRIECHISCHE    THEATER    VITRUVS  339 

Tragödie  eine  so  schmale  hohe  Bühne  erbaut  hätte,  da  die 
Schwierigkeiten  für  die  Schau^^pieler  doch  vielleicht  grösser 
erscheinen,  als  die  Vorteile,  die  man  ihr  nachrühmt'.  Und 
an  einer  anderen  Stelle  (Hermes XXXIII  S.  .■■i22.  Anm.  1)  giebt 
er  zu,  'dass  irgend  ein  noch  ungelöstes  Geheimniss  über  der 
Einrichtung  dieser  hohen  Bühne  liegt  '.  Wenn  er  dann  die 
Schwierigkeiten  dadurch  zu  heben  und  das  Geheimniss  da- 
durch zu  lösen  sucht,  dass  er  sich  die  Bühne  auf  Kosten  des 
oberen  Skenensaales  nach  hinten  erweitert  denkt,  so  darfein 
solcher  Versuch  ohne  Bedenken  als  verfehlt  und  unzulässig 
bezeichnet  werden,  weil  einerseits  die  erhaltenen  Theaterruinen 
dieser  Ergänzung  des  Oberbaues  aufs  Entschiedenste  wieder- 
sprechen, und  andererseits  die  Mängel  der  hohen  Bühne  bei 
grösserer  Tiefe  nur  noch  wachsen.  Die  mancherlei  Schwierig- 
keiten bestehen  nur  für  den,  der  das  griechische  Theater  Vi- 
truvs  durchaus  in  dem  hellenistischen  Theater  erkennen  will. 
Wer  jedoch  mit  mir  diejenige  Theaterart,  welche  in  der  Kai- 
serzeit in  Griechenland  und  Kleinasien  neben  dem  gewöhn- 
lichen römischen  Typus  allein  noch  gebaut  wurde,  für  das 
theatrum  Graecorum  Vitruvs  hält,  für  den  giebt  es  keine 
ungelösten  Geheimnisse  mehr. 

Und  jene  Schwierigkeiten,  welche  Bethe  bei  seinerTheorie 
findet  und  offen  anerkennt,  sind  noch  gewachsen,  seitdem 
von  mehreren  Seiten  bewiesen  ist,  dass  der  traofische  Chor 
nicht  nur  in  der  hellenistischen,  sondern  sogar  bis  zur  früh- 
römischen  Zeit  beibehalten  wurde.  Wertvoll  waren  fur  mich 
in  dieser  Hinsicht  die  Worte,  mit  denen  F.  Leo  einen  Auf- 
satz über  die  Ghorlieder  Senecas  (Rheinisches  Mus(>um  IJI  S. 
518)  schliesst:  'Es  scheint  mir,  dass  damit  die  iMrigliehkeit, 
es  seien  auf  dem  hellenistischen  Proskenion  chorlose  Tragö- 
dien aufgeführt  worden,  einen  Stoss  erhält,  und  dass  in  der 
Frage,  ob  überhaupt  je  auf  dem  Proskeiiion  TragiulicMi  ge- 
spielt wurden, ein  erhebliches  Gewicht  gegen  N'itruv  für  Diu-p- 
feld  in  die  Wage  fällt'.  So  schrieb  Leo,  als  ich  X'itruv  noch 
ni(dit  recht  verslaiid  iiiid  iliin  fiiuMi  Ii'ituin  ziiti-aiieii  zu  miis- 
sen  glaubte.   Um  wie  viel  mehr  sprechen  diese  WOrlc  zu  niej- 


340  W.    DOERPFELD 

nen  Gunsten,  nachdem  sich  herausgestellt  liat,  dass  Vitruv 
gar  nicht  vom  hellenistischen  Theater  zu  sprechen  hraucht, 
sondern  von  dem  griechischen  Theater  seiner  eigenen  Zeit, 
nämlich  dem  kleinasiatischen  Typus  redet,  und  nachdem  so 
die  unanofenehme  Notwendigkeit,  den  Vitruv  eines  Irrtums  zu 
zeihen,  gänzlich  fortgefallen  ist! 

Vitruvs  Aussage  über  das  Spielen  auf  dem  Logeion  des  grie- 
chischen Theaters  ist  in  vollem  Einklang  mit  der  monumen- 
talen und  litterarischen  Überlieferung,  wenn  sie  sich  auf  das 
kleinasiatische  Theater  bezieht.  Zahlreiche  Schwierigkeiten 
erheben  sich  indessen,  wenn  Vitruv,  wie  wir  alle  früher  als 
selbstverständlich  voraussetzten,  unter  dem  tlieatrum  Grae- 
coritni  das  hellenistische  Theater  versteht.  Was  hindert  uns 
noch,  der  ersteren  Möglichkeit  den  Vorzug  zu  geben? 

Bethe  erhebt  noch  verschiedene  Bedenken  c;eo;en  die  neue 
Erklärung  des  Vitruv.  Sie  sind  zwar  zum  Teil  schon  erwähnt 
oder  besprochen  worden,  aber  einige  von  ihnen  verdienen 
noch  eine  eingehende  Widerlegung. 

Wesentliche  Unterschiede  zwischen  dem  kleinasiatischen 
und  hellenistischen  Theater  leugnet  er  mehrmals  aufs  Ent- 
schiedenste. 'Beide  Typen  sind  in  der  Hauptsache  identisch', 
sagt  er  im  Hermes  XXXIll  S.  3i0.  'Ihre  DitTerenzen  sind  so 
minimal,  dass  sie  Niemand  ohne  Messung  zu  unterscheiden 
vermag',  lesen  wir  S.  319  oben.  'Beider  Schemata  sind  last 
identisch'  steht  wiederum  auf  S.  318.  Ich  könnte,  um  diese 
Behauptungen  zu  widerlegen,  kurzer  Hand  auf  mehrere  Ab- 
schnitte unseres  Buches  verweisen,  wo  die  Unterschiede  des 
Bühnentheaters  und  des  hellenistischen  Proskeniontheaters  be- 
sprochen sind,  aber  diesen  wiederholten  Versicherungen  ge- 
genüber, fühle  ich  mich  verpflichtet,  die  wichtigsten  Diffe- 
renzen nochmals  zusammen  zu  stellen. 

Ein  erster  Unterschied  lallt  schon  bei  einem  flüchtigen  Blick 
auf  die  beiden  'l'ypen  in  die  Augen.  Im  kleinasiati.schen  Thea- 
ter sehen  wir  über  der  Bühne  jedesmal  eine  scacnae  /'rons 
mit  einer  oder  auch  zwei  übereinander  stehenden  Säulenrei- 
hen, während  über  dem  hellenistischen  Prqskenion,  das  nach 


DAS   GRIECHISCHE   tHEATER   VITRUVS  34l 

Belhe  die  Bühne  sein  soll,  sieh  niemals  (wenij^stens  ist  noch 
kein  Beispiel  bekannt)  eine  säulengeschmückte  Oherwand  er- 
hebt. Wir  können   soujar  weiter  gehen  und   behaupten,  dass 
sich  über  dem  Proskenion    niemals  eine  scaenae  frons   wie 
die  kleinasiatische  oder  römische  Saulenwand  erhoben  haben 
kann,  denn  die  erhaltenen  Untermauern    sind  in  allen  Thea- 
tern so  schmal,  dass  sie  nur  eine  einfache  Wand,   nicht  aber 
eine  Wand  mit  davorstehenden    Säulen  getragen   haben  kön- 
nen. In  Oi'opos,  wo  wir  die  Oberwand  genau  kennen,  ist  sie 
eine  einfache  Mauer   mit    Triglyphengebälk.    Entsprechende 
Triglyphen  haben  sich  auch   in  mehreren   anderen  Theatern, 
z.  B.  in  Eretria  und  Delos,  gefunden.  Die  geheimnissvolle  An- 
deutung, welche  Bethe  schon  öfter  über  eine  complicirte  Aus- 
stattung dieser  Oberwand  oder  eine  Verschiebung  derselben 
gemacht  hat,  ist  den  Tbeaterruinen  gegenüber  ganz  unhalt- 
bar ,    weil  die  Oberwand  selbstverständlich   dort   gestanden 
haben  muss,  wo  sich  im  unteren  Geschoss  die  Untermauer  be- 
findet. Letztere  ist  sogar  nur  der  Oberwand  wegen  angeordnet. 
Zweitens  ist  die  Vorderwand  der  kleinasiatischen   Bühnen 
stets  entweder  ohne  Schmuck  oder  architektonisch  als  Unter- 
bau ausgebildet  und   hat  niemals  Säulen,    während  die  Vor- 
dervvand   des  griechischen    Proskenion   stets   mit  Säulen   und 
Pinakes  geschmückt  ist.  Das  einzige  sichere  Beispiel,    wo  die 
Vorderwand   einer  kleinasiatischen    Bühne   Säulen  aufweist, 
ist  das  Theater  von  Priene.    Doch   sind   die  Säulen  hier  nur 
deshalb  vorhanden,   weil  sie  bei  dem   rcHuischen  Umbau  des 
Proskenion  zu  einer  Bühne  nicht  entfernt  worden  sind.   Aus 
diesem  Beispiel  zu  schliessen.  dass  kleinasialische  Bühnen  zu- 
weilen mit  Säulen  ausgestattet  worden  seien,  wäre  ebenso  falsch, 
als  wenn  Jemand  aus  der  Thatsache,  dass  in  Delphi  eineStoa 
unter  BeibehaUung   ihrer   Säulen    zu   einem    Wasserreservoir 
umgebaut  worden  ist,  den  Schluss  ziehen  wollte,  dass  in  die- 
sem Falle  die   Säulen   zum  Wasserbassin  gehörten  oder  gar 
den  charakteristischen  Schmuck  eines  solchen  bildeten.  Säu- 
len schmücken  im  Theater  das  Proskenion.  nicht  die  \'order- 
wand  der  Bühne.  Ist  es  ferner  überhaupt  architektonisch  denk- 


34^  \V.    DOLRPFKLD 

bar.  (lass  sich  über  den  zierlichen  Säulen  des  hellenistischen 
Proskenion  jemals  eine  stallliehe  Säulenfassade  nach  Art  der 
kleinasiatischen  oder  römischen  Proskenien  erhoben  habe? 

Drillens  waren  die  Zwischenräume  zwischen  den  Säulen  des 
liellenislischen  Proskenion  niil  l^inakes  geschlossen,  welche  Ge- 
mälde verschiedener  Art  enthielten.  iMne  so  ausjijestaltete  l^ro- 
skenionwand  glich  also  einigermassen  den  gemalten  Theater- 
dekorationen pompejanischer  Häuser, bei  denen  auch  zwischen 
den  Säulen  entweder  kleinere  Tafelgemälde,  oder  grosse  |)er- 
spectivische  Durchblicke  vorkommen.  In  der  Vorderwand  der 
kleinasiatischen  Bühnen  suchen  wir  dagegen  vergeblich  nach 
solchen  Pinakes.  Es  entspricht  dieser  Kegel,  dass  in  Priene 
beim  Umbau  des  Proskenion  zu  einer  Biihne  die  hölzernen  Pi- 
nakes durch  gemauerte  Wände  ersetzt  worden  sind.  Dass  die 
hellenistischen  Proskenien  durch  jene  Gemälde  als  Hinter- 
grund des  Spiels  charakterisirt  wurden,  scheint  mir  so  selbst- 
verständlich und  für  unsere  Frage  so  wichtig,  dass  ich  nicht 
recht  versiebe,  wie  dieser  wesentliche  Unterschied  zwischen 
dem  Proskenion  und  einer  Bühne  von  Betlie  so  wenig  beachtet 
werden  konnte. 

Einen  vierten  Unterschied  liefern  uns  die  Namen  der  beiden 
Vorbauten.  Hierüber  lesen  wir  bei  Bcthe,  Hermes  XXXIII  S. 
318  unten:  'Den  einzigen  wirklichen  Unterschied  trägt  erst 
Dörpfeld  hinein  durch  seine  Behauptung:  dies  ist  eine  Bühne, 
jenes  niciit'.  Dass  das  Podium  des  kleinasiatischen  Theaters 
eine  Bühne  für  die  Aufführung  skenischer  Spiele  ist,  bezwei- 
felt weder  Bethe  noch  ich.  Der  Vorbau  des  hellenistischen 
Theaters  ist  dagegen  nicht  nur  deshalb  keine  Bühne,  weil  ich 
das  behaupte,  sondern  weil  l'ür  ihn  urkundlich  der  Name  Pro- 
skenion überliefert  ist,  und  dieses  Wort  nach  altgriechischem 
Sprachgebrauch  (!ine  Dekoration,  eine  vor  der  Skene  aufge- 
slellle  Fassade  bedeulel  ( vgl.  E.  Beisch  in  unserem  Buche  S. 
29U).  Selbst  im  römischen  Theater  sind  die  Säulen  im  Hin- 
tergründe des  Spielplatzes  noch  Proskenion  genannt  worden, 
obwol  damals  auch  schon  zuweilen  für  die  Bühne  der  Name 
i^roskenion  lälschlich   gebraucht  wurde.  Als  das  Proskenion 


DAS    GRIECHISCHE   THEATER    VITRUVS  343 

in  römischer  Zeit  an  einigen  Orten  in  eine  Bühne  umgehaut 
wurde,  konnte  der  alte  Name  leicht  auf  den  neuen  Bauteil 
übertragen  weiden.  Oben  auf  dem  griecliischen  fVoskenion 
sind,  wie  ich  mit  vielen  anderen  Gründen  bewiesen  zu  haben 
glaube,  nur  einzelne  Schauspieler  und  Redner  erschienen,  dort 
war  das  Theologeion.  Der  gewöhnliche  Spielplatz  für  die  ske- 
nischen  Aufführungen  befand  sich  im  hellenistischen  Theater 
noch  an  derselben  Stelle,  wo  er  auch  im  V.  Jahrhundert  ge- 
wesen war,  in  der  Orchestra  vor  dem  Proskenion. 

Fünftens  sind  auch  die  Differenzen  in  den  Abmessungen  der 
beiden  Vorbauten  nicht  so  minimal,  wie  Bethe  behauptet. 
Man  beachte  nur,  das  die  Tiefe  des  hellenistischen  Proskonion 
fast  immer  zwischen  2  und  3'"  schwankt,  während  die  klein- 
asiatische Bühne  niemals  schmaler  als  3,50™  gewesen  zu  sein 
scheint,  meist  sogar  beträchtlich  breiter  ist.  Nun  kann  freilich 
kein  Mensch  die  zulässige  Grenze  für  die  Tiefe  einer  Bühne 
genau  bestimmen;  man  kann  nicht  etwa  sagen,  ein  3,50™ 
tiefes  Podium  ist  noch  als  Bühne  zu  benutzen,  ein  3'°  tiefes 
aber  nicht  mehr.  Eines  jedoch  darf  man  ohne  Zögern  be- 
haupten, dass  ein  Podium  von  etwa  3'"  Höhe  und  nicht  ein- 
mal 3'"  Tiefe  eine  höchst  unbequeme  und  sogar  gefährliche 
Bühne  ist,  und  dass  es  im  höchsten  Grade  unbegreiflich  wäre, 
wenn  die  Griechen  in  der  Blütezeit  ihrer  Kunst  nur  solche 
unpraktische  und  hässliche  Bühnen  gebaut  haben  sollten, ^väh- 
rend  sie  in  der  Orchestra  seit  Alters  her  einen  ausgezeich- 
neten und  geräumigen  Spielplatz  besassen. 

Andrerseits  kann  auch  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  dass 
die  Abmessungen  der  kleinasiatischen  Bühnen  viel  besser  den 
berechtigten  Anforderungen  entsprechen,  die  an  jede  Bühne 
gestellt  werden  müssen.  Ihre  zunächst  auffallende  Höhe  lässt 
sich,  wie  ich  in  dem  ersten  Aufsatze  gezeigt  habe,  in  einfacher 
Weise  gut  erklären.  Auch  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass 
diejenigen  Proskenien  Kleinasiens,  welche  in  römischer  Zeit 
zu  Bühnen  umgebaut  worden  sind,  sämtlich  eine  Erbreiterunu; 
erfahren  haben. 

Sechstens  muss  auch  an  dieser  Stelle  nochmals  darauf  hin- 


344  w.  DOEurrELn 

gewiesen  werden,  dass  das  griechische  Proskenion  stets  eine 
diirchschnittliclie  Höhe  von  1 0  Fuss  über  der  untersten  Sitzreihe 
hat,  während  die  kleinasiatische  Bühne  nur  etwa  5  l^^uss  über 
den  untersten  Sitzen  liegt,   ßs  kommt  bei  der  letzteren  Bühne 
nicht  auf  ihre  Höhe    über  der  vertieften  Orchestra  ,    sondern 
lediglich  auf  den  Höhenunterschied  zwischen  ihr  und  den  un- 
teren Sitzen  an.  Wenn   in  einem  modernen  Theater  vor  der 
Bühne  ein  um  2  bis  3'"  vertiefter  Baum  für  die  Musiker  herge- 
richtet ist,  so  wird  Niemand  behaupten  wollen,  dass  es  eine  2 
bis  3'"  hohe  lUihne  hätte,  sondern  Jedermann  wird  die  Höhe 
der  Bühne  nach  dem  Standplatz  der  untersten  Sitze  berechnen. 
Diesen   vielen  und  wichtigen  Verschiedenheiten    gegenüber 
muss  es  als  eine  nicht  erlaubte  Übertreibuno;  bezeichnet  wer- 
den.  wenn  Bethe  die  kieinasiatische  Bühne  und   das  o;riechi- 
sehe  Proskenion   mehrmals    als  fast  identisch   hinstellt.    Ge- 
wiss,   beide  sind  Vorbauten  der  Skene  ,    beide  haben   auch 
Thüren   an  ihrer  Vorderseite  ,   aber  ihre   Abmessungen,    ihre 
architektonische  Ausstattung,  ihre  Lage  zur  Orchestra  und  zu 
den  Sitzreihen  und  auch   ihre  Namen  sind  verschieden.  Eine 
Verwechslung  beider,  so  lange  sie  noch  aufrecht  stehen,  ist 
gar  nicht  möglich.  Wenn  man  z.  B.  die  schönen  Zeichnungen 
kleinasiatischer  Theater   von  G.  Niemann   sieht  (bei  Lancko- 
ronski,  Städte  Pampliyliens  und  Pisidiens),  so  kann  man  un- 
möglich auf  den   Gedanken  kommen  ,    dass  der  Vorbau   vor 
den  säulengeschmückten  Skenen  etwas  anderes  als  eine  Bühne 
ist.  W^er  dageo;en  ein  hellenistisches  Proskenion  mit  den  Säu- 
len  und  den  Malereien  zwischen  ihnen  vor  Augen  hat,  muss 
eine  vorgefasste  Meinung  haben,  um  diesen   schmalen  hohen 
Säulenbau   für  die  gewöhnliche   Bühne  der  Schauspieler  zu 
halten. 

Ausser  der  hierdurch  holTentlich  genügend  widerlegten  Be- 
hauptung Belhes,  dass  die  kleinasiatische  Büline  und  das  hel- 
lenistische Proskenion  fast  identisch  seien,  muss  ich  noch  ei- 
nigen anderen  seiner  Versicherungen  widersprechen.  So  soll  ich 
alle  Beweise,  die  ich  in  dem  Buche  über  das  griechische  Thea- 
ter (Abschnitt  \^ll  und  V'Hl)  gegen  die  Deutung  des  helleni- 


Das  griechische  theateh  vitruvs  345 

stischen  Proskenion  als  Bühne  beigebracht  habe,  jetzt  einfach 
'streichen',  'auch  den  mathematischen'  (a.a.O.  S.  314).  Und 
an  einer  anderen  Stelle  (S.315)  sagt  er:  'Mithin  hält  Dörpfeld 
von  allen  Beweisen,  die  er  einst  iiegen  die  f'lrklärung  dfs  hel- 
lenistischen Proskenions  als  Bühne  aufgefiihrl  hat,  nur  noch 
einen  einzigen  fest:  es  ist  zu  schmal'.  In  Wirklichkeit  strei- 
che ich  keinen  einzigen  jener  Beweise,  sondern  halte  sie  alle 
ohne  Ausnahme  aufrecht !  Ich  verstehe  nicht,  wie  Bethe  die 
gegenteilige  Behauptung  so  bestimmt  aussprechen  kann.  Lässt 
sich  denn  überhaupt  ein  klarer  mathematischer  Beweis  zurück- 
nehmen? 

Ich  halle  es  auch  jetzt  noch  für  eine  mathematisch  erwie- 
sene Thatsache,  dass  Schauspieler,  die  10  Fuss  über  einer  Sitz- 
reibe auftreten,  von  den  dort  Sitzenden  nicht  ordentlich  ge- 
sehen werden  können.  Antike  und  »noderne  I']rfahrung,  wie 
auch  die  Angabe  Vilruvs  über  die  Bühnenhöhe  des  römischen 
Theaters  beweisen  das  zur  Genüge.  Keine  Bühne  darf  höher 
als  5  Fuss  über  dem  Fussboden  der  untersten  Zuschauer  lie- 
gen. 

Wie  Bethe  ferner  behaupten  kann,  dass  ich  erst  jetzt  eine 
10  Fuss  hohe  Bühne  im  griechischen  Theater  als  möglich  an- 
erkenne, die  ich  früher  geleugnet  hatte, ist  mir  unverstandlich. 
Für  das  altgriechische  und  das  hellenistische  Theater  habe  ich 
sowol  früher  als  jetzt  eine  Bühne  geleugnet, für  das  kleinasia- 
tische Theater  habe  ich  sie  sowol  früher  als  jetzt  angenommen. 
Üenn  die  hohen  Bühnen  derTheater  von  Termessos.Patara  und 
Sagalassos  und  von  anderen  kleinasialischen  Städten ,  deren 
Bühnen  und  Skenen  noch  erhalten  sind, habe  ich  selbstverständ- 
lich längst  gekannt  und  auch  ausdrücklich  in  unserem  Buche 
(z.  B.  S.  157  und  359)  angeführt.  Was  ich  früher  nicht  wussle 
und  jetzt  erkannt  habe,  ist  die  grosse  Bedeutung  dieses  klein- 
asiatischen T)'pus  für  die  Geschichte  des  Theaters  und  besonders 
seine  Übereinstimmung  mit  dem  theatriun  (i/aecorum  Vi- 
truvs. Ich  habe  also  keine  Concession  gemacht  und  auch  niclit 
etwa  meine  Beweise  gegen  die  hohe  hellenistische  Bühne  zu- 
rück genommen.    Im  Gegenteil  haben  diese   Beweise  gerade 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN    XXUI.  23 


346  W.  doerpfelD 

durch  den  Fortfall  des  vitruvischen  Widerspruches  eine  neue 
Kräftigung  erfahren. 

Ein  volles  Rätsel  ist  es  mir  ferner,  warum  Bethe  den  wich- 
tigsten Punkt  bei  der  Behandlung  der  hohen  Bühne,  nämlich 
das  Fehlen  der  unteren  Sitzreihen  und  die  dadurch  bewirkte 
Umwandlung  der  hohen  Bühne  in  eine  für  die  Zuschauer 
niedrige  von  etwa  5  Fuss,  in  seinem  letzten  Aufsatze  voll- 
ständig  mit  Schweigen  übergehen  konnte.  Soviel  ich  gesehen 
habe,  redet  er  mit  keinem  Worte  davon.  Ohne  den  Hinweis  auf 
diese  wichtige  Thatsaclie  sind  doch  weder  die  kieinasiatischen 
Theater,  noch  auch  die  Vorschriften  Vitruvs  über  die  grosse 
Höhe  der  Bühne  seines  griechischen  Theaters  zu  verstehen  ; 
ohne  ihn  ist  auch  meine  Beweisführung  kaum  verständlich 
und  kann  dem  mit  ihr  nicht  sehr  vertrauten  I^eser  leicht  als 
eine  Reihe  von  Widersprüchen  hingestellt  werden. 

Am  Schlüsse  seines  Aufsatzes  fasst  Bethe  alle  die  Argu- 
mente zusammen,  welche  den  auf  das  vermeintliche  Zeugniss 
Vitruvs  gestützten  Satz,  dass  das  hellenistische  Proskenion  die 
Bühne  war,  bestätigen  sollen.  Nachdem  der  Wert  des  vitruvi- 
schen Zeugnisses  für  das  hellenistische  Theater  aufgehoben  ist, 
haben  diese  Argumente  schon  einen  Teil  ihrer  Bedeutung  ver- 
loren. Sie  lassen  sicii  aber  auch  aus  anderen  Gründen  leicht 
widerlegen : 

1)  Eine  Stelle  Plutarchs  (Üemetr.  34)  hatte  bereits  G.  Ro- 
bert (Hermes  XXXM  S.  4i8)  herangezogen.  Es  wird  dort  von 
Plutarch  geschildert,  wie  Demetrios  die  ax-r^vv^  (das  Skenenge- 
bäude)  mit  Bewaffneten  abschliesst,  das  Xoysiov  (die  Bühne) 
mit  Speerträgern  besetzt  und  dann  selbst  wie  ein  Tragöde  durch 
die  (xvw  Träpo^oi  (die  oberen  seitlichen  Zugänge)  auftritt  und 
von  dem  Logeion  herab  zu  den  Athenern  spi'icht.  Ich  glaube  als 
selbstverständlich  annehmen  zu  dürfen,  dass  Plutarch,  obwol 
er  aus  einer  älteren  Quelle  schöpft,  den  Auftritt  nicht  unbe- 
sehen abschreibt,  sondern  ihn  so  schildert,  als  ob  er  in  dem 
athenischen  Theater  seiner  Zeit  erfolgt  wäre;  denn  weder  er 
noch  seine  Zeitgenossen  wussten,  wie  das  Theater  Athens  400 
Jahre  früher  ausgesehen  hatte;  sie  wussten  vielleicht  nicht  ein- 


Das  uriechische  tHeater  vitrUvs  347 

mal,  dass  es  iriilier  eine  ganz  andere  Gestalt  gehabt  hatte.  Zur 
Zeit  Plutarchs  bestand  in  Athen  der  von  Nero  errichtete  Bau 
mit  römischem  Logeion  und  oberen  seitlichen  Zugängen.  Wie 
hoch  die  Bühne  damals  war,  ist  für  die  Erklärung  der  Plu- 
tarchstelle  zwar  gleichgültig,  es  mag  aber  wenigstens  ange- 
deutet werden,  dass  sie  vielleicht  beträchtlich  höher  war  als 
die  jüngere  Bühne  des  Phädros,  und  dass  sie  möglicher  Weise 
den  kleinasiatischen  Typus  zeigte.  Zu  einem  römischen  und 
auch  zu  einem  kleinasiatischen  Theater  passen  Plutarchs  Worte 
sehr  gut.  Diese  volle  Übereinstimmung  zwischen  den  Aus- 
drücken Plutarchs  und  dem  damals  in  Athen  bestehenden  ne- 
ronischen  Bau  berechtigt  uns,  jede  Beziehung  seiner  Worte 
auf  das  damals  nicht  mehr  vorhandene  hellenistische  Theater 
zu  leugnen.  Plutarch  beweist  also  durchaus  nicht,  dass  das 
hellenistische  Theater  eine  Bühne  hatte.  Übrigens  redet  Plu- 
tarch auch  an  anderen  Stellen  von  dem  Theater  seiner  Zeit 
und  erwähnt  das  l.ogeion  mehrmals,  aber  daneben  nennt  er 
auch  das  Proskenion  und  die  Skene.  Dass  er  dabei  unter  dem 
Worte  Proskenion  sicher  die  Dekoration  und  unter  Skene  den 
hinter  der  Dekoration  liegenden  Bau  versteht,  sfeht  aus  zwei 
Stellen  (Lykurg  6  und  Arat  15)  mit  Sicherheit  hervor. 

2)  Die  Angaben  des  Pollux  über  das  antike  Theater,  die 
auch  schon  von  C.  Bobert  (a.  a  0.)  herangezogen  \varen.  wer- 
den von  Bethe  zwar  nur  in  einer  Anmerkung  erwähnt  und 
daher  scheinbar  nicht  hoch  bewertet,  mögen  aber  doch  hier 
besprochen  werden.  Meines  Erachtens  spricht  Pollux  nur  vom 
griechischen  oder  hollenistischen  Theater.  Jedenfalls  passen 
seine  Worte  zu  diesem  Theatertypus  sehr  gut.  Sein  oft  citir- 
ter  Satz:  otYivv)  ukv  Ü7ro)tptT(i)v  ES'.ov,r)  Se  öpyricTpa  tou  j^opoö,  stimmt 
dazu  vorzüglich,  weil  einerseits  die  griechische  Skene  in  der 
That  nur  den  Schaus[)ielern  gehörte  (sie  hiessen  ol  i-6  Tf,;<7)tr)- 
VT]?,  wie  die  Stoiker  o-  x~o  zr,;  otoz;),  und  weil  andrerseits  die 
Orchestra  nur  von  den  Tänzen  des  Chores  ihren  Namen  führte, 
des  Chores,  der  durch  die  Parodos  das  Theater  betrat  und 
mit  der  Skene  als  solcher  in  der  Begel  nichts  zu  thun  hatte. 
Von  dem  Spiel  platze  der  Schauspieler,  dem  Platze  unmit- 


348  \V.    DOERPFELD 

telbar  vor  der  Skene  (£7:1  a/.YivTic),  zu  dem  auch  ein  Teil  der 
runden  Orcliestra  gehörte,  spricht  Pollux  liier  nicht,  weil  er 
beiden  Parteien  gemeinsam  war.  Gewöhnlich  übersetzt  man 
in  jenem  Satze  das  Wort  tjctivt)  fälschlich  mit  Bühne  und  ci- 
tirt  ihn  dann  als  Beweis  für  das  Vorhandensein  einer  solchen 
im  griechischen  Theater.  Aber  seine  Worte,  wenn  sie  imZu- 
sammenhanu;  gelesen  werden,  und  schon  das  Vorkommen  des 
Wortes  Logeion  neben  dem  Worte  Skene  unter  den  von  ihm 
aufgezahlten  Teilen  des  Theaters  schliessen  eine  solche  Be- 
deutung von  Tx.YivY)  aus.  An  das  römische  Theater  kann  er  fer- 
ner deshalb  nicht  gedacht  haben,  weil  der  Chor  in  römischer 
Zeit,  wenn  er  überhaupt  noch  vorhanden  war,  mit  den  Schau- 
spielern auf  der  Bühne  und  nicht  in  der  Orcliestra  auftrat. 
In  einem  weiteren  Satz  des  Pollux  :  to  Ss  ü-ot/ctiviov  xio^t  xai 
ava'XjxaTioi;  /.£•/. 6 Tt7.y)T0  ttoo?  t6  öso-xpov  Texpaaaevot?  ütto  tq  Xoysiov 
xsity.evov,  erkläre  ich  mit  E.  Reiscli  (  Das  griecli.  Theater  S. 
300)  das  Hyposkenion  als  Innenraum  des  Proskenion  und  der 
Skene.  Seine  zum  Zuschauerraum  gerichtete  Fassade  war  in 
der  That  mit  den  Proskenionsäulen  und  mit  bemalten  Pinakes 
oder  freistehenden  Bildwerken  geschmückt.  Für  das  von  den 
Säulen  getragene  Dach  des  Hyposkenion  lasse  ich,  im  Gegen- 
satze zu  Reisch,  den  von  Pollux  hier  überlieferten  Namen  Lo- 
geion gelten.  Der  Name  scheint  mir  sehr  passend  für  denje- 
nigen Platz  des  griechischen  Theaters,  auf  dem  die  Gölter  in 
den  Dramen  und  die  Redner  in  den  Volksversammlungen  oft 
auftraten  und  ihre  Reden  hielten.  Als  später  ein  anderes  Po- 
dium vor  den  Proskenionsäulen  erbaut  wurde,  und  sich  für 
dieses  auch  der  Name  Logeion  einbürgerte,  erhielt  das  alte 
Logeion  zum  Unterschiede  von  ihm  den  Namen  Theologeion. 
Ich  trage  daher  auch  kein  Bedenken,  das  'Logeion  '  einer  de- 
iischen  Inschrift  (s.  Reisch  S.  301)  als  Podium  über  dem  Pro- 
skenion oder  Hyposkenion  des  Theaters  anzuerkennen  und 
vielleicht  auch  in  einer  anderen  Inschrift  aus  Delos  (S.  302) 
das  Wort  J^ogeion  trotz  der  allerdings  vorhandenen  Schwie- 
rigkeit zu  ergänzen.  Dass  ferner  Xoyeiov  nicht  der  Name  des 
gewöhnlichen   Spielplatzes    der    altgriechischen  Schauspieler 


DAS   GIUECHlSCHt;   THKATEH   VITP.UVS  3i9 

gewesen  sein  kann,  sollte  schon  durch  die  Thatsache  gesi- 
chert sein,  dass  das  Wort  in  der  alteren  Litteratur,  wo  von 
G5ty)v75  und  op/YiTTpx  so  häutig  die  Bede  ist,  überhaupt  nicht 
vorkommt  und  sich  zuerst  in  der  genannten  delischen  Inschrift 
des  IM.  Jahrhunderts  und  weiter  erst  bei  Plutarcli  findet.  Ich 
kann  hiernach  nicht  zugeben,  dass  Pollux  die  Ivvistenz  einer 
für  alle  Schauspieler  bestimmten  Bühne  im  altgriechischen 
oder  hellenistischen  Theater  beweist. 

3)  Einen  monumentalen  Beweis  für  seine  Theorie  glaubt 
Bethe  den  Theatern  von  Rretria,  Sikyon  und  Oropos  entneh- 
men zu  können.  In  diesen  sind  der  Zuschauerraum  und  die 
Orchestra  tief  in  den  Felsen  oder  gewachsenen  Boden  ein- 
geschnitten. Dabei  ist  in  Sikyon  und  Eretria  ein  Teil  des  Ske- 
nengebäudes  oder  fast  der  ganze  Bau.  um  unnütze  Kosten  zu 
vermeiden,  oben  auf  dem  ursprünglichen  Boden  liegen  ge- 
blieben. In  Eretria,  wo  die  Tieferlegung  etwa  3,50™  beträgt 
und  also  gerade  der  Höhe  des  Proskenion  entspricht,  ist  von 
der  Skene  nur  ein  sehr  kleiner  Teil  tiefer  gelegt,  nämlich  nur 
so  viel,  als  für  den  Aufenthalt  der  Schauspieler  im  Hyposke- 
nion  notwendig  war.  Der  lange  Baum  hinter  dem  Proskenion 
und  der  überwölbte  Mittelgang  mit  zusammen  70''"  Flächen- 
inhalt boten  für  die  wenigen  Schauspieler  und  Statisten  reich- 
lichen Platz  zum  Aufenthalt  und  Umkleiden.  Für  die  durch 
die  Parodos  in  die  Orchestra  hinabsteigenden  Schauspielerund 
für  den  Chor,  der  auf  demselben  Wege  die  Orchestra  betrat, 
waren  Räume  in  der  Höhe  der  Parodos- Eingänge,  also  auf 
dem  ursprünglichen  Boden  beipiemer.  Auch  für  die  auf  dem 
Theologeion  erscheinenden  Götter,  mochten  sie  nun  am  Krahn 
oder  auf  einem  Wagen  oder  zu  Fuss  aus  dem  Episkenion  he- 
rauskommen, mussten  selbstverständlich  l^äume  in  dem  obe- 
ren Stockwerke,  also  in  Eretria  inderilöheder  älteren  Skene, 
hergerichtet  sein.  Selbst  zum  Aufbewahren  der  oberen  und 
unteren  Dekorationen  waren  die  Bäume  des  ersten  Stockwer- 
kes vorzüglich  geeignet.  Nach  meiner  Kenntiiiss  der  localen 
Verhältnisse  muss  ich  hiernach  das  N'erfahren  der  Eretrier, 
ebenso  wie  das  ähnliche   der  Bewohner  vonSikvon.  für  sehr 


350  W.    DOKllPFELD 

verständig  halten.  Sie  haben  nur  so  viele  Räume  im  unteren 
Stockwerk  angelegt  und  mühsam  aus  dem  Felsen  herausgear- 
beitet, als  für  die  Aufführungen  unbedingt  erforderlich  wa- 
ren. Bethe  erklärt  das  Vorgehender  Eretrier  füreinender  Ab- 
derilen  würdigen  Streich  und  wirft  ihnen  einen  auffälligen 
Mangel  an  praktischem  Verstände  vor;  die  Sikyonier  ferner, 
welche  einen  grösseren  Teil  des  Skenengebäudes  in  den  Fel- 
sen hineingehauen  haben,  hält  er  wenigstens  für  etwas  schlauer 
als  die  Eretrier,  'aber  '.  so  fügt  er  hinzu,  'ein  Drittel  des 
Verstandes  fehlte  ihnen  auch  '.  Welchen  Bruchteil  des  Ver- 
standes mag  er  da  wol  demjenigen  zubilligen,  der  das  Ver- 
fahren der  Eretrier  und  Sikyonier  für  verständlich  und  zweck- 
mässig hält? 

Die  drei  genannten  Theater  eignen  sich  durchaus  nichtzum 
Beweise  für  die  Hypothese,  dass  das  Prosken ion  die  Bühne 
war.  Gerade  sie  liefern  vielmehr  vorzügliche  Argumente  zur 
Widerlegung  der  betheschen  Theorie  von  dem  allmählichen 
Wachsen  der  Bühne  von  "2  Fuss  bis  auf  10  Fuss.  In  Eretria 
und  Sikyon  kann  nämlich  seit  der  ersten  Tieferlegung  der 
Orchesta  die  Bühne,  wenn  sie  wirklich  vorhanden  war,  nicht 
mehr  gewachsen  sein,  es  sei  denn,  dass  an  beiden  Orten  auch 
der  natürliche  Fels  später  wieder  um  ein  Stück  gewachsen 
wäre.  Das  Proskenion. die  vermeintliche  Bühne,  hat  an  beiden 
Orten  schon  vom  IV.  oder  III.  Jahrhundert  ab  dauernd  eine 
Höhe  von  3  —  3'/o  ™  gehabt.  Dass  die  drei  Theater  auch  in 
anderer  Weise  Zeugniss  ablegen  für  meine  Theorie,  habe  ich 
in  unserem  Buche  zur  Genüge  gezeigt. 

4)  Auch  in  den  Rampen  der  Theater  von  Sikyon,  Eretria 
und  Epidauros  sieht  Bethe  (Gott.  gel.  Anz.  1897  S.  713)  Zeu- 
gen für  seine  Theorie,  liier  irrt  er  zunächst  mit  seiner  An- 
nahme, dass  solche  Rampen  auch  in  allen  anderen  griechi- 
schen Theatern  vorhanden  seien.  Die  meisten  hellenistischen 
Theater  haben  weder  jetzt  Rampen,  noch  können  sie  ehemals 
solche  gehabt  haben.  Und  weiter :  Glaubt  denn  Bethe  wirk- 
lich, dass  die  Schauspieler  in  Epidauros  vor  den  .\ugen  der 
Zuschauer  auf  offenen  Rampen  zu  der  Decke  einer  Säulenhalle 


DAS    GRIECHISCHE    THEATEU    VITRUVS  351 

hinaufgestiegen  seien,  und  dass  das  Publikum  nun  geglaubt 
habe,  sie  seien  damit  auf  dem  Erdboden  vor  einem  Hause 
oder  Tempel  angekommen  ?  l.nd  wie  denkt  er  sieb  diesen  Vor- 
gang z.  ß,  im  Theater  von  Delos,  wo  keine  Rampen  sind? 
Wurden  dort  etwa  an  Stelle  der  Rampen  Leitern  an  die  seit- 
liehen Säulenliallon  angelehnt,  damit  die  Schauspieler  auf 
das  Dach  dieser  Hallen  hinaufklettern  und  von  dort  zum  Da- 
che des  Proskenion  gelangen  konnten  ?  Meines  Erachtens  sind 
die  Rampen  erbaut,  um  Wagen  für  Göttererscheinungen  und 
andere  Maschinen  vor  der  Vorstellung  zum  Theologeion  und 
Episkenion  hinauf  zu  schaffen.  Für  Personen  macht  man  über- 
haupt keine  steilen  Rampen,  sondern  Treppen.  Den  in  weni- 
gen Theatern  vorkommenden  Rampen  auch  nur  die  geringste 
Beweiskraft  für  die  Gleichsetzung  von  Proskenion  und  Bühne 
zuzugestehen,  scheint  mir  unmöglich. 

5)  'Eine  Gruppe  der  Phlyakenvasen  zeigt  unwiderlegt  das 
hellenistische  Proskenion  und  auf  ihm  die  Schauspieler',  lesen 
wir  bei  Betlie  (Hermes  XXXIII  S.  321).  Dass  diese  unter- 
italischen Vasenbilder  nur  für  die  Geschichte  des  italischen 
Theaters  von  Bedeutung  sind  und  mit  dem  Theater  Griechen- 
lands zunächst  nichts  zu  thun  haben,  ist  schon  so  oft  darge- 
legt worden  (zuletzt  'Das  griechische  Theater'  S.  31 1  f.),  dass 
man  sich  wundern  muss,  weshalb  Belhe  diesen  Einwand  un- 
berücksichtigt lässt.  Aber  weiter  ist  nochmals  festzustellen, 
dass  die  sämtlichen  Vasenbilder  niedrige,  oft  sogar  sehr  nie- 
drige Bühnen  zeigen.  Man  braucht  nur  das  Grössenverhält- 
niss  zwischen  der  Bühne  und  den  Schauspielern,  oder  zwi- 
schen der  Bühne  und  den  hinter  den  Schauspielern  abgebil- 
deten Thüren  und  Säulen,  oder  auch  die  Zahl  der  Stufen  der 
an  der  Bühne  befindlichen  Treppen  in  Betracht  zu  ziehen. um 
sich  zu  überzeugen,  dass  die  durch  Vitruv  überlieferte  maxi- 
male Höhe  der  italischen  Bühne  (5  Fussi  niemals  überschrit- 
ten wird.  Nun  sollen  aber  einige  dieser  Bühnen,  wie  Betlie 
behauptet,  nur  von  dem  Maler  zu  niedrig  gezeichnet,  in  Wirk- 
lichkeit aber  doppelt  so  hoch  gewesen  sein.  Er  hält  sie  für  hohe 
hellenistische  Proskenien,  deren  untere  Hälfte  nicht  mit  abge- 


352  w.  DOKiiprEi.D 

bildet  sei.  Und  welches  sind  die  (beweise  fiir  diese  jedem  Au- 
genschein widersprechende  BehaiipUin«;?  Kr  zählt  ihrer  drei 
auf  (Gott.  gel.  Anz.  1897  S.  711),  die  wir  einzeln  besprechen 
müssen. 

Erstens  weist  Bethe  darauf  hin,dass  die  an  der  Vorderwand 
einiger  Bühnen  dargestellten  Säulchen  ungewfUinliche  Propor- 
tionen haben  und  berechnet  aus  der  Höhe  ihrer  Kapitelle  und 
dem  Masse  ihrer  Durchmesser  die  wirkliche  Höhe  zu  etwa  10 
Fuss.  Dass  er  dabei  ( Prolegomena  S.  285)  die  Säulenhöhe 
nach  jonischen  Vorbildern  zu  8-9  Durchmessern  berechnet, 
während  es  sich  doch  um  dorische  Säulen  handelt,  ist  ein  un- 
wesentliches Versehen.  Dass  er  aber  überhaupt  auf  Vasenbil- 
dern aus  der  Dicke  einer  Säule  und  aus  der  Höhe  des  noch 
dazu  falsch  gezeichneten  dorischen  Kapitells  die  wirkliche  Höhe 
der  Säule  berechnen  und  die  gezeichnete  Höhe  (hirnach  cor- 
rigiren  will,  halte  ich  für  unzulässig. Warum  corrigirt  er  nicht 
lieber  umgekehrt  die  Dicke  nach  der  Höhe? 

Noch  seltsamer  ist  der  zweite  Beweis  :  Bethe  citirt  zunächst 
beistimmend  meine  Bemerkung,  dass  die  niedrigen  Bühnen 
der  späteren  römischen  Theater  niemals  einen  Säulenschmuck 
haben  und  behauptet  dann,  dass  überhaupt  nur  hohe,  nicht 
aber  niedrige  Bühnen  mit  Säulen  ausgestattet  werden  dürften. 
Um  diese  merkwürdige  Behauptung  dem  Leser  glaubhaft  zu 
machen,  werden  einige  recht  starke  Ausdrücke  zu  Hülfe  ge- 
nommen: 'Man  Stellesich  nur  vor,  wie  es  sich  machen  muss, 
wenn  Menschen  über  einer  Bühne  von  Säulen  agiren,  die  nur 
halb  so  hoch  sind  wie  sie  selbst.  Die  Improportionalität  würde 
aufs  Unang(!nehmste  aulTallen,  es  wäre  eine  grenzenlose  Ge- 
schmacklosigkeit' (Prolegomena  S.  28i,  Anm.  8).  Folglich,  so 
schliesst  er  weiter,  müssen  die  auf  den  Vasen  niedrig  gezeich- 
neten Säulen  in  Wirklichkeit  höher  als  die  Menschen  sein! 
Assteas,  der  Maler  des  bekanntesten  unter  den  angeführten 
Vasenbildern  (vgl.  Das  griechische  Theater  S.  317),  scheint 
indessBethes  künstlerisches  Urteil  nichtgeteilt  zu  haben,  denn 
sonst  würde  er  die  nach  Bethes  Meinung  in  Wirklichkeit  ho- 
hen Säulen  schwerlich  niedriger  als  die  Menschen  gezeichnet 


DAS    GniKCfll.SDHE   THEATKIt    VITHUVS  353 

und  sich  soder  'grenzenlosen  Gesclimacklosigkeit' schuldig 
gemacht  liahen.  Nach  meinem  Gelulile  —  und  icli  glaube  da- 
rin nicht  allein  zu  stehen —  ist  es  üherhaupt  unschön,  eine 
Bühne,  die  doch  den  Er.Jfussboden  darstellen  soll,  vorne  mit 
Säulen  zu  stutzen  und  so  Schauspieler  oben  auf  Säulen  agi- 
ren  zu  lassen.  Aber  wenn  durcbaus  Säulen  angebracht  wer- 
den sollen,  scheinen  mir  niedrige  Stützen  oder  kurze  Säulchen 
viel  erträglicher  als  hohe  Säulen ,  die  einer  Säulenhalle  an- 
zugehören scheinen.  Im  Altertume  hat  man  offenbar  ebenso 
geurteilt.  Denn  in  keinem  einzigen  antiken  Theater  aus  Stein 
ist  die  Büline,  mag  sie  hoch  oder  niedrig  gewesen  sein,  ur- 
sprünglich mit  Säulen  ausgestattet  worden.  Die  Pfosten  und 
Säulchen  der  Phlyakenvasen  sind  künstlerisch  ausgebildete 
niedrige  liolzpfosten,  aus  denen  die  italischen  Bühnen  gezim- 
mert waren.  Die  Nachfolger  dieser  llolzbühnen,  die  steiner 
neu  Bülinen  der  römischen  Theater,  haben  keine  Säulchen 
mehr  an  ihrer  Vorder  wand 

Einen  dritten  Beweis  für  seine  Behauptung,  dass  einige 
Plil}'akenbühnen  hohe  hellenistiscbe  Proskenicn  darstellen, 
entnimmt  Bethe  dem  Umstände,  dass  weder  Thüren  noch  Pi- 
nakesan  der  Vorderwand  dieser  Bühnen  zu  finden  sind  !  \\'äh- 
rend  wol  Jedermann  aus  dem  Fehlen  dieser  für  die  helleni- 
stischen Proskenien  so  charakteristischen  Dinge  den  Schluss 
ziehen  wird,  dass  die  Phlyakenbühncn  eben  keine  hohen  hel- 
lenistischen Proskenien  sind  ,  schliesst  Bethe  in  folgender 
eigentümlichen  Weise:  der  Maler  konnte  Pinakes  und  Thüren 
nicht  darstellen,  weil  er  nur  den  obei'sten  Teil  der  Säulenwand 
zeichnete,  folglicb  war  die  Wand  in  Wirklichkeit  höher  als 
der  Maler  sie  darstellte.  Solange  Betlie  nicht  bessere  Argu- 
mente beizubringen  weiss,  wird  es  wol  dabei  bleiben  müs- 
sen, dass  die  Phlyakenvasen  uns  die  höchstens  5  Fuss  hohe 
italische  Bühne  und  kein  hellenistisches  hohes  Proskenion  vor- 
führen. Die  über  einer  Phl^akenbühnc  hinter  den  Schauspie- 
lern abgebildeten  Säulen  (vgl.  Das  griech.  Theater  S.  324) 
gehören  dagegen  sicher  zu  einer  Dekoralitui  des  Hintergrun- 
des, also  zu  einem  Proskeiiidii  oder  einer  Skeue, 


354  W.    DOEHPFELD 

6)  Zuletzt  bespricht  Bethe  (S.  321)  einige  in  unserem  Buche 
(  S.  327)  zusammengestellte  Reliefs,  bei  denen  Reisch,  wie  mir 
scheint  mit  vollem  Recht,  in  den  hinter  den  Schauspielern 
sichtbaren  Säulen,  Gebälken  und  Thiiren  das  hellenistische 
säulengeschmückte  Proskenion  erkennt.  Reihe  gieht  das  nicht 
zu,  weil  die  Säulen  dieser  Reliefs  paarweise  verbunden  seien 
und  über  ihren  verkröpften  Gesimsen  noch  Giebel  und  Vasen 
trügen.  Dieser  Grund  ist  mir  nicht  ganz  verständlich.  Dass  auf 
den  Reliefs  die  Säulen  des  Hintergrundes  einem  Proskenion, 
d.  h.  einer  Dekoration  angehören,  kann  doch  nicht  geleugnet 
werden.  Wenn  nun  auch  die  wenigen  bisher  bekannten  hel- 
lenistischen Proskenien  ,  deren  Gebälk  erhalten  ist,  nur  eine 
gleichmässig  verlaufende  Architektur  zeigen,  so  ist  doch  ohne 
Weiteres  erlaubt  anzunehmen,  dass  es  in  hellenistischer  Zeit 
auch  Proskenien  mit  paarweise  verbundenen  Säulen  gegeben 
hat.  So  viel  ich  weiss,  ist  die  Ansicht  fast  allgemein  verbrei- 
tet, dass  die  Belebung  der  langen  Säulenfassaden  durch  Grup- 
pirung  der  Säulen  und  Verkröpfung  des  Gebälks  in  den  gros- 
sen Städten  des  Hellenismus  entstanden  und  erst  später  auf 
die  römischen  und  kleinasiatischen  Theaterfassaden  übertra- 
gen worden  ist.  ich  halte  es  ferner  nicht  für  unmöglich,  dass 
schon  im  Theater  von  Delos.wo  das  Proskenion  in  drei  Häuser 
geteilt  war,  Verkröpfungen  des  Gebälks  vorgekommen  sind. 
Im  Theater  von  Epidauros  liegen  solche  Gruppirungen  bei  den 
beiden  nur  noch  architektonisch  wirkenden  Paraskenien  schon 
thatsächlich  vor.  Und  Giebelaufsätze  und  Vasen  werden  wir 
wol  auch  bei  einigen  erhaltenen  Proskenien  gerade  auf  Grund 
jener  Reliefs  ergänzen  dürfen.  Jedenfalls  haben  Reisch  und  ich 
schon  früher  Giebel  über  einzelnen  Intercolumnien  der  Pro- 
skenionwand  angenommen  (vgl.  Das  griech.  Theater  S.  274). 
Den  Schluss  Bethes,dass  die  Säulen  auf  den  genannten  Reliefs 
keine  hellenistischen  Proskenien  darstellen  können,  weil  die 
wenigen  bisher  bekannten  Proskenien  keine  Verkröpfungen  und 
keine  Aufsätze  zeigen,  kann  ich  hiernach  nicht  als  berechtigt 
anerkennen. 

Bethe  beschliesst  die  Besprechung  dieser  Reliefs  mit  dem 


DAS   GRIKCHISCHE   THEaTEH    VITRUVS  355 

Hinweis  auf  ein  von  Reisch  (S.  332)  für  ein  Stadtthor,  von 
Anderen  (so  namentlicli  von  \l.  Petersen,  Köm.  Mittli.  XII 
S.  140)  für  eine  Skenenfassade  erklärtes  Terrakottarelief,  ich 
teile  Petersens  Ansicht,  dass  es  ein  Proskenion  mit  Oberstock 
und  einer  Bühne  davor  darstellt  und  weiss,  dass  auch  Reisch 
jetzt  auf  Grund  des  von  Petersen  ermittelten  Thatbestandes 
dieser  Ansicht  l)eizutreten  oeneigt  ist.  Da  die  Bühne  sehr  nie- 
drig und  vorne  nicht  mit  Säulen, sondern  mit  Kränzen  verziert 
ist,  haben  wir  unzweifelhaft  die  Nachbildung  einer  gewölin- 
lichen  steinernen  italischen  Bühne  vor  uns.  Dass  keine  Treppe 
an  ihr  vorhanden  ist,  beweist  nichts,  weil  viele  italische 
Bühnen,  wie  die  Phlyakenvasen  beweisen,  keine  Treppen 
hatten.  Wie  trotzdem  Belhe  von  dieser  Bühne  sagen  kann  : 
'Gedacht  werden  kann  sie  nur  auf  dem  hohen  hellenistischen 
Proskenion,  ebenso  wie  Vitruv  sie  beschreibt  und  einige  Phlya- 
kenvasen sie  zeigen',  und  wozu  er  dann  noch  tadelnd  hinzu- 
fügt: 'Dies  kleine  Monument  sollte  doch  überzeugen;  jeden- 
falls darf  es  nicht  mehr  ignorirt  werden',  haben  wir  vergebens 
zu  ergründen  versucht.  Mit  dem  hellenistischen  Proskenion  hat 
die  i5ühne  des  neapeler  Reliefs  schlechterdings  nichts  zu  thun. 

Damit  sind  die  Gründe  erledigt,  mit  denen  Bethe  seine  Theo- 
rie, dass  das  Proskenion  die  sewöhnliche  s^riechische  Bühne 
sei,  zu  stützen  weiss.  Ist  auch  nur  eines  dieser  Argumente 
stichhaltig?  Giebt  es  unter  ihnen,  nachdem  das  Zeugniss  Vi- 
truvs  in  Fortfall  gekommen  ist,  auch  nur  ein  einziges,  das 
sich  nicht  mit  L(Mchti'2;keit  widerlegen  liesse?  Bei  einzelnen 
müssen  wir  uns  sogar  wundern,  wie  Belho  sie  überhaupt  an- 
führen konnte. 

Und  mit  solchen  Argumenten  wird  eine  Theorie  verteidigt, 
die  nicht  nur  der  Entwicklungsgeschichte  des  Theaters,  son- 
dern dem  künstlerischen  Gefühl,  dtMi  mathematischen  Regeln, 
der  Erfahrung  vieler  Jahrhunderte  und  selbst  der  urkundli- 
chen Überlieferung  widerspricht.  Dass  man  glauben  imd  lehren 
konnte,  die  griechischen  Schauspieler  hallen  in  hellenistischer 
Zeit  allgemein  auf  dem  Dache  einer  Säulenhalle  gespielt,  wäh- 
rend sie  im  \'.  .lahrhunderl  sicher,   wie  selbst  Bethe   zusieht. 


3r)6  W.    DOERPFELD,    DAS   riHlECHISCHE    THEATER   VITRUVS 

in  der  bühnenlosen  Orcliestra  vor  oinem  Hause  aufgetreten 
sind,  und  dass  man  ferner  annelniien  konnte,  die  Griechen 
hätten  das  säulengesehmückle  hellenistische  Pi'oskenion  als 
eine  10  Fuss  hohe  Bühne  für  die  Schauspieler  erbaut,  finde 
ich  nur  verzeihli(;h.  so  lanare  man  die  Vorschriften  Vitruvs 
über  sein  thcatram  Graecoruni  mit  Sicherheit  auf  das  hel- 
lenistische Theater  beziehen  zu  müssen  glaubte.  Dass  man  aber 
auch  jetzt  noch,  nachdem  Vitruvs  Zeugniss  in  anderer  Weise 
erklärt  werden  kann  und  jedenfalls  nicht  mehr  auf  das  hel- 
lenistische Theater  bezogen  werden  muss,  an  dieser  merk- 
würdigen Theorie  festhält  und  sogar  beteuert,  dass  sie  zu  den 
am  sichersten  zu  beweisenden  Sätzen  unserer  Wissenschaft  ge- 
höre, dafür  fehlt  mir  das  Verständniss. 

'Die Theorie  Dörpfelds  muss  fallen'  sagt  Betheam  Schlüsse 
seines  Aufsatzes.  Dass  ich  nicht  ohne  Grund  vom  Gegenteil 
fest  überzeugt  bin,  zeigt  die  vorstehende  Abhandlung. 

Athen  im  Juni  1898. 

WILHELM  DÖRPFELD. 


-^t»-    W    ■  ^■<K 


LITTEHATUR 
H.   I.   ArrEAOnOTAOS,    Fiept  Deipatd)?    xai  Tüiv  >'.a£V(ov  auToG. 

Athen  1898. 

ApistoTEAOTS  'AOTivatwv  7;o>aT£ia  e>tSoÖ£ica  \jtzq  F.  M-apT. 
Ke^.  1-41.  Athen  1898. 

n.  A.   KOMNHNOS,  Aa/.wvtx.ät  ypovwv  7rpoiciTopiy.(lliv  t6  x.ai  Itto- 

pixöiv.   5.  6.  7.    Athen  1898    [S.  230  ff.   'Ittooi/.yj    TOTroypx^ia 

STCapTY)?,    >.S7UT0{;-£pY;;  ]. 

A.  MlIAIAPAKHS,  'IdTopiÄ  ToO  ßxrr'.).££o'j  tt;;  Nixata;  y.xl  toO  Se- 

oTuoTiiTou  TT^c  'HxEipou  ( 1 204- 1  26 1 ).    Athen  und  I^eipzigl898. 

B.  A.  MrSTAKIAHS,  AI  Op-AivwSoi  -P^toi  -h  Tap/.ocpzyo?  TOJv  öpnvw- 
ö(iv  £v  TÖ  a'JTO)tpaTopuü)  p.o'jTEtw  (' AvaT'jTVcoci;  £)c  TO'j  riaepoXoyio'j 
6  "AvaTo>tx.ö;  'A<7Ty;p'.  Konstantinopel  1898. 

riPAKTiKA  T-nq  xpy.  'EraipEix?  1897.  Athen  1898. 

A.  PoTSOn(;rAOX;,   'EiziOTXGix  y.piTDc-o  xai  £ptxr,v£'jT'.x-))    £•;  p.iav 

>£^iv  TO'J  liivSapou.  Athen  1898. 

E.  StaMATIAAHS,   'ETTETripU    -cm  ■hyz'/.o^ix^^    Sxao'j    Siic     1898. 

Samos  1898.  [Darin  S.  68  kurzer  Bericht  über  das  Museum]. 

F.  Hiller  von  Gaertringen,  0r,pa.  MeTä(ppa<jt?  I.  N.  Ae- 
>£vSa.  Thera  1898. 

A.  JouBiN,  Musee  imp.  Ottoman  ,  Monuments  funeraires. 
Deuxieme  edition.  Konstantinopel  1898. 

P.  Karolides,  Die  sogenannten  Assyro-Chaldäer  und  II it- 
tilen  von  Kleinasien.  Athen  1898. 

E.  KoTPTIor  'EXXTivDtr,  iaxopia  xara  (j.ETä'^'pa'Tiv  ü-rrup.  II. 
Aa(ATCpo'j.  Athen  1897  ff. 

I.    ApoYIEN,  'IiTOpix   ToJv  AixSöywv    x.aTa  i/Exa'ppa'Tiv   I.    Ilav- 

xaCiSou.  Athen  1897  lY. 

r.  FlABEPT,  'Ey/£ipt5iov  'Ap;(aioXoyix<;  toö  S-z^u.O'jiou  [iio'j  tcöv 
'EXXyivwv  xarä  y.srä'ppa'jiv  N.   F.   IIoXitou.  Athen   1897  IT. 

B.  V.  IIe.\I),  'lazoaix  tcüv  voa'.TaiTCüv,  Eyj^eipiSiov  {ASTaopacOEv 
jcai  (ju[X7c>.y)p(i)öev  üttö  I.  N.  Sßopwvou.  I.  II  und  Tafeln.  Athen 
1898. 


358  t.lTTERATUn 

K.  KP0TMBaXEI\  'laxopia  zri;  Bu^avT.  loyox sy^ixi;  xara  [htx- 
cpparrtv  F.  üwxrjpixSou.   Athen  1897  tY. 

O.  PiBBEK,  'I(JTOpia  TT}«;  'PwjjLxiKyi;  T^Of/iirso);  x,XTa  asxy.tppaijiv 
:C.  K.  2a)csX>.apo7:o-jXou.  Athen  1897  ff. 

A01INA,  (jüyypafXjxa  7repio^t)t6v  ty};  dv  'A9r;v(xi;  17:11  TTiU.o^ixriq  'E- 
ratpstai;  IX,  3.  4.  X,    1.   2.  3. 

Darin  U.  a.  S.  449.  F.  A.  Ilana6aaiX£!ou,  'AyioviatixT)  ir.iypa.<fri  exXaXxiSo;. — 
S.  461.  n.  N.  llanaYstopYtou,  MutiXtjvt)?  ETiiYpayri  äv^y.5oco;  [gelimdcu  in  einem 
Hause  nalie  der  Kirche  der  'A.  ©so'Swpoi:  ['ApJ/tps'w;  oia  ßfd)  ©eä;  'Püi(jia?| 
xal  TO)  asoaa'üi  Aio?  Kaiaapo;  |  OXuixztw  7:arp6s  xä;  ;;aTptSo;  |  ;:po£Spia  Patto 
KXauoiw  noräawv[o;]  |  Ataaevr)  xw  eüspYExa]. —  S.  497.  0.  HxoO^o;,  Ilept  xfjjvTJ- 
aou  'A[i.opYO'j. 

X.  S.  149.  n.  S.  4>wxtaor];,  Et/.aiia'.  ;iep;  xtvwv  'AptaroTEXty.wv  y_(opi!wv  x^5  'A- 
Orjvaitüv  IloXiista?. 

AlE0NIIi:  E<I'I1MEP1S    THS  NOMlXMAT.    APXAIOAOriAi].   Joumal 

international  d'archeologie  numismatique,  dirige  par  1.  i\.  Svo- 

ronos.  1,  1.  2.  Athen  1898. 

Darin  u.  a.  S.  1.  Babelon,Gelas,  roi  des  Edoniens. —  S.  11.  F.  Inilioof- 
Bluraer,  Bilhynisclic  Münzen  —  S.  4ö.  I.  N.  Söopwvo;,  Ta  /aXxa  EiiiTrjpta  xou 
AuxojpYeiou  AiovjataxoO  Osätpou  zai  x^;  KXEiaOsvEtou  'ExxXrjaia;.  —  S.  1"2I.  M. 
Vlaslo,  Tarente.  Didrachmes  incdits. —  S.  148.  E.  D.  J.  Dutilh,  Monnaies 
de  Side  et  d'Egyple.  —  S.  157.  I.  N.  2]6opövo;,  Eucpa[j.os.—  S.  165.  F.  Halb- 
herr, An  important  inscription  for  Ihe  liistory  ol' coinagc  in  Crete. —  S.  181. 
I.  N.  26opcüvo;,|T£p[j.rjaa6?  H  TO  KAHOYC  eXOYCA.  — S.  20b.  Derselbe, 
Bäxpayo;  i^epiyio;. —  S.  212.  Derselbe,  BspEV'xr,  B',  ßa^iXtaaa  K'jpTjvaixfj;  xat 
AiY^^'^^O'-''  —  '^'  121.  F.  N.  Xai^ioäxi;,  2jri[i.£t(oai?  "Epi  xcJJv  ■^Xtxx^avif.Civ  xunwv 
TETA  BAIIAEY  HAÜNAN  xal  AEPPONI  KON. 

E*iJMEPi2:  APXAioAoriKH  1898  lieft  1.  2. 

Darin  S.  1.  II.  Ka66ao[a;,  'Ex  xojv  ;iepi  X7]v  'AxpOTJoXiv  ocvaaxa^üiv.  —  S.  21. 
K.  Koupo'jvtwxT);,  Kcpvo'.. —  S.  29.  A.  Sxiaj,  IIavap/_a;'a  eXsuaivtaxT]  vExpo;ioXi;. — 
S.  121.  A.  de  Hidder,  Auo  xaxouxpa  [jiExa  Xaowv. —  S.  135.  H.  KaoSao^a?, 'E;n- 
Ypa-jtxä. 


FUNDE 

Im  Piräus  wurde  bei  Grundgrabungen  nabe  der  Xtü/.x  eine 
Marmorhydria  mit  ReliefJarstellung  und  der  Inscbrift  Eüayöpa 
Ai<T/ivio^  gefunden  ("Att-j  25  'lo-jvio-j  1898). 

In  Patras  wurden  auf  einem  den  Gebrüdern  KoAA-jpo-j  ge- 
hörigen,unterhalb  der  Tt|/Y)Xa  iXwvia  liegenden. Grundstück  bei 
Grundgrabungen  etwa  4™  tief  mancherlei  antike  Reste,  Mauer- 
züge, Plattenpflaster,  Säulentrommeln,  eine  Cisterne,  die  mit 
Säulen  abgedeckt  war.  gefunden.  Eine  dieser  letzteren  (1.81'" 
hoch,  0,40  dick)  trägt  folgende  Inschrift: 

I  M  P  ■  C  A  E  S  A 

M- AVRELI  \ 

ANTON  IN\ 

AVGARMENI 

CVSET-IMPCAES 

LAVRELIVSVERVS 

AVG-ARMENICVS 

VI  AM 
CORRVPTAM 
REFICI 
IVSSERVNT 

Oben  darüber  lag  ein  Relief  von  1,8-2'"  Höhe,  0,90"'  Breite, 
welches  einen  aufreciit  stehenden  jugendlichen  Krieger  mit 
Panzer,  Helm  und  Beinschienen  zeigt,  der  in  der  Linken  sein 
Schwert  hielt,  während  die  erhobene  Rechte  eine  aufgestutzte 
Lanze  an  der  Spitze  fasst.  Üer  Kopf,  von  weiclien  Formen, 
zeigt  einen  leichten  Barttlaum  an  der  Wange;  er  hat  keine 
porträthaften  Züge. 

Die  Arbeit  ist  flüchtig  und  decorativ,  scheint  aber  noch  aus 


3G0  FUNDlv 

guter  römisclier  Zeit  zu  stammen.  Auf  Stirn  und  Brust  ist  je 
ein  Kreuz  eingemeisselt. 

Dieser  Umstand  und  die  nicksiclilslose  Verwendung  sowol 
des  Reliefs  wie  der  Inschrift  zeigen  die  späte  Rnlsleliung  der 
Anlage,  wenn  es  überhaupt  eine  einheitliche  Anlage  ist.  Das 
Relief  ist  in  das  Geschäftshaus  der  Brüder  KollOpou  (Andreas- 
Strasse,  nahe  dem  Hafen)  überführt  worden.  ("AaTu  13-15 
'lo'jviou  1898,  ausserdem  benutzen  wir  Skizzen,  Abschrift  und 
Notizen,  die  Herr  A.  Rehm  freundlichst  zur  Verfü^unii;  gestellt 
hatte). 

Südwestlich  von  Gytheion,  in  dem  Käp§a[/a  genannten  Thal 
am  Fuss  der  fränkischen  Burg  Passava  (Gurtius,Peloponnesos 
II  S.  '^73),  die  auf  den  Trümmern  des  alten  Las  steht,  sind 
mancherlei  antike  Reste,  z.  T.  von  Gräbern  und  Sarkophagen, 
vorhanden, die  von  einem  der  Besitzer  der  Gegend,  Miy.  M-nTox- 
ico?,  seit  geraumer  Zeit  heimlich  ausgebeutet  wurden.  Jetzt  hat 
die  Behörde  bei  ihm  einen  Tierkopf  (Widder  oder  Rind),  dem 
vorzü<j;liclie  Arbeit  nachgerühmt  wird,  eine  Marmorschale  und 
drei  Münzen  (deren  eine  nach  der  Beschreibung  eine  der  sparta- 
nischen Münzen  mit  Keule  und  'Etci  Eijpux'Xeo;  sein  muss)  fest- 
gehalten. Früher  entdeckte  zahlreiche  bemalte  Thongefässe 
und  Metallgeräte  fanden  sich  nicht  mehr  vor,  ebensowenig 
eine  kleine  marmorne  Kriegerligur  ("Atxu  16  IIsttt.  1898). 

Beim  phthiotischen  Theben  sind  durch  den  dortigen 
Alterlumsverein  "OOpu;  einige  Funde  gemacht  worden.  Ge- 
nannt werden  eine  Lowenfinur  natürlicher  Grösse  ohne  Kopf 
und  Füsse,  deren  einer,  abgebrochen,  allerdings  vorhanden 
ist,  zwei  Inschriften,  ein  grosses  korinthisches  Kapitell,  zwei 
monolithische  Säulen. 

An  einer  anderen,  als  Xöcpo?  ZepeXiojv  bezeichneten  Stelle, 
fanden  Mitglieder  desselben  Veieins  Gräber,  die  in  das  'i.  Jahr- 
hundert vor  Chr.  \ersetzt  werden,  obvvol  ausser  Gebeinen 
nichts  in  ihnen  gefunden  wurde.  An  demselben  Hügel  fand 
man  steinerne  und  tiiöncnie  W'irtel  und  zwei  kleine  durch- 
bohrte Pyramiden  aus  Thon,  oll'enbar  die  so  häufigen  VVeber- 
gevvichte  ("Attu  5   Okt.  1898). 


FUNDE  361 

Besondere  Wiclitigkeit  gewinnen  die  im  Nannen  der  grie- 
chisclien  archäologischen  Gesellschaft  seit  vorigem  Jahr  durch 
Herrn  Soliriadis  in  Thermon  i^eleiteten  Auso;rahun^en  durch 
den  Fund  eines  altertümlichen  Tempels  des  ApoUon,  dessen 
Dach  nehst  seinem  Schmuck  ebenso  wie  die  Metopen  nur  aus 
Thon  bestehen.  Ausser  Thon  scheint  zum  Bau  ausschliesslich 
vergängliches  Material  verwendet  worden  zu  sein  (Holz,  unge- 
brannte Lehmziegel,  vielleicht  auch  Bruchstein  mit  Lehm),  nur 
die  Fundamente  und  Stuten  bestehen  aus  Stein,  ausserdem  fin- 
den sich  steinerne  Säulentrommeln,  die  aber  zum  lirsatz  ur- 
sprunglicher hölzerner  Säulen  gehören.  Die  Metopen  sind  mit 
grossen  menschlichen  Figuren  bemalt;  die  plastischen  Verzie- 
rungen bestehen  hauptsächlich  aus  männlichen  und  weiblichen 
Köpfen,  welche  abwechselnd  die  Sima  schmückten, die  weib- 
lichen Köpfe  als  Endstücke  der  Deckziegel,  die  männlichen, 
zum  Teil  Silensköpfe,  als  Wasserspeier.  Der  Tempel  ist  ein 
Peripteros  mit  fünf  Säulen  an  der  Front  und  fünfzehn  an  der 
Langseite;  die  Cella  ist  durch  eine  in  der  Axe  befindliche  Säu- 
lenstellung in  zwei  SchitTe  geleilt.  (Vorläufige  Berichte:  'A^-ru 
4.  28  'lo'jvio'j  1898  und  sonst). 

Für  dieselbe  Gesellschaft  hat  Herr  D.  StauropuUos  auf 
Rheneia  Ausgrabungen  geleitet,  die  (nach  dem  "A(jtu  24 
He/iT.  1898)  zur  Aullindung  der  Bestattungs-Beste  geführt  ha- 
ben, welche  die  Athener  420  bei  der  Reinigung  von  Delos 
überführten.  Ein  Bezirk  von  etwa  500'^'°,  miteiner  Mauer  um- 
geben, enthielt  eine  etwa  '/^  Meter  starke  Schicht  von  Gebei- 
nen nebst  den  ehemals  den  Verstorbenen  mit  ins  Grab  s,o- 
legten  Beigaben.  Die  Schicht  war  mit  gewöhnlichen  Stein- 
platten bedeckt,  durch  ebensolche,  senkrecht  gestellte  in  ein- 
zelne Vierecke,  und  diese  mitunter  sogar  noch  durch  weitere 
horizontale  Platten  in  verschiedene  Schichten  geleilt.  Beson- 
ders zahlreich  sind  Scherben  von  grossen,  meist  archaischen 
Gelassen,  aber  auch  ganz  erhaltene  Vasen  fehlen  nicht,  von 
den  prähistorischen  bis  zu  den  rotligurigen.  Eine  Anzahl  von 
rotügurigen  Gelassen  entstammt  einer  Reihe  von  etwa  30  Po- 
rossarkophagen,  die  sich  in  derselben  Anlage  fanden.  Manver- 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN    XXUI.  -^^ 


362  PUNDE 

mutet,  dass  diese  bei  der  Reinigung  von  Üelos  ganz  überführt 
worden  seien,  weil  damals  nocli  niciit  lange  Zeit  seit  ihrer 
Beisetzung  verstrichen  war. 

Auf  Mykonos  hat  derselbe  Gelehrte  (nach  der  gleichen 
Nachricht)  Kuppelgräber  festgestellt,  die  allerdings  ihres  In- 
haltes schon  beraubt  waren. 

Im  Ta/'jSp6ao?  (Konstantinopel,  29  Matou  1898)  wird  eine 
Inschrift  aus  Samothrake  mitgeteilt,  die  auf  einer  0,30™  ho- 
hen, 0,15"  breiten  und  0,08"'  dicken  Platte  steht  und  im  Dorfe 
in  die  Kirche  OavayouSa  verbaut  war. 

'Ayaöjvi   Tu[j^yi 
eTCi  ^xaikitoc,   'Ijanitovo? 
[xuaxai     siJasjSet;  Acv 
u(pou 
OOI 

Aus  Dorylaion  (Eski-Schehir)  sendet  uns  Herr  I.  MtiT^io- 
TCOu>o;  Abschrift  und  Abklatsch  eines  0,95'"  langen,  0,55"" 
breiten  Steines  mit  der  Inschrift  (deutliche,  5""  hohe,  mit 
kleinen  Apices  versehene  Buchstaben): 

e       IÜNlo¥MeNoC  £..  tOvtoufxsvo? 

NIOlCloCNAAPoToC  vioiTio?  vaSpoTO? 

e  I  To¥MITPA(t>ATA  eixou  Mirpacpara 

K6MACTeMPore  xs  Ma?  Tgapoye 
loCKeno¥NTAC               5      10?  xe  riouvrac 

BACKeeNCTAPN/  ga?x6  Ev(jTapv(a) 

Ao¥M©Keolo¥©  SouaO  X6  OtouO 

BANAAAAKeToPo¥  €av  A^^x  xe  Topou 

ANriAPGeeMHNTO  av.  TcapeOsfx-ziv  xö 
MNHMeioNTOlCnPO    10      av-oy-siov  xoic;  Ttpo 

rerPAMMeNolCOe  YeYpafjLjy-evot?  es 

OlCl^THKnMH  oi;  3t(ai)  t-/)  >tcü[;.7i- 

TA¥0onATHP  xaOe'  6  Trax^op 

ACKAHÜIOC  'Ag/cXyi-io;. 


FUNDE  363 

Der  Anfancr  enthält  offenbar  eine  Bestinnmung  in  phrygi- 
scher  Spraclie  ( Participium  auf  -  p-evo?  mit  eixou  =  iG-oi).  Es 
folgen  plirygisclie  Namen  durch  xe  =  griechisch  y.y.l  verbun- 
den. Ansprechend  vermutet  A.  Dieterich, dass  dies  die  im  grie- 
chischen Text  als  Osoi  erwähnten  vergötterten  Toten  sind,  deren 
Schutze  das  Grabmal  anvertraut  wird,  und  verweist  auf  die 
bekannte  phrygische  Sitte  ,  dieselben  Namen  für  Götter  und 
Sterbliche  zu  verwenden  (Kretschmer,  Einleitung  in  die  Gesch. 
der  griech.  Sprache  S.  200,  1).  Zu  den  Namen  bemerkt  P. 
Kretschmer:  MiTpa^axa  persisch,  wol  =MiTpoSxT7]{;,  lykisch 
Midrapata.  M5c?  als  Frauenname  C.I.G.  4411 «  und  Heberdey- 
Wilhelm,  Reisen  in  Kilikien  Nr.  264  seheint  als  Männername 
vorzukommen  bei  Heberdey  -  Kaiinka,  Reisen  in  Kleinasien 
S.  37  Nr.  47;  Teapoyeio?  ist  Tembrogius,  wie  Plinius  VI,  4 
den  Thymbres  nennt,  an  dem  Dorylaion  liegt.  Zu  Adda  vgl. 
Einleitung  S.  338,  zu  den  Nominativen  O-.o'jOSxv (?)  und  To- 
pouav  das  illyrische  FepCav  (Inschriften  von  Olympia  Nr.  695). 

Aus  Laodicea  ad  Ly  cu  m  sendet  uns  Herr  G.  Weber  Ab- 
schriften folgender  Inschriften: 

1.  Marmorblock  0,47'"  lang,  0,37  breit,  0,24  dick,  verbaut 
in  den  Fundamenten  einer  späten  Mauer;  rechter  Rand  er- 
halten, linker  und  oberer  gebrochen;  Buchstaben  2""  hoch 
mit  Apices. 

t-lOii     lo         oEloYA 
TOKPATOPOZÄZ    E 
HTIM    I    0¥    ZE    0¥H   POY 
nEPTI    N     AKO:Z2EBA 
5      ZTOYKAAOYMENON 
A     NTQN     H    A     FETEIA 
O    A  ¥     M    n    I A 
nATO    N    O    eETHZAN 
N    TOIZK    ¥PIOIZHZ 
10  ¥TEPAZAIETHPI 

n      KAAnOPNIO¥ 
frei 


364  FUNDE 

—  Oeiou  A[üj|  TOxpxTopo;  A.  S£|TTtu.iou  SeouTipou  |  riepTivasto; 
SeßalcTO'j  xaXoüijisvov  |  'AvTtövYia  Fereia  |  'OAuy.Trta  |  .tt'  äyojvo- 
öerriffav  j  --v  toi;  x'jpiot?  (t)-?];  |  [Sejurepac  Si£T7ipi[So(;]  11.  lixl- 
Tcopviou. 

Die  Inschrift  bezieht  sieh  offenbar  auf  einen  äywv,  der  viel- 
leicht in  dem  ü((|/)(o(v) .  .  .  des  Anfangs  steckt  (der  zweite  Buch- 
stabe war  schmal,  P  und  T  sind  ausgeschlossen).  In  Z.  8  fehlt 
am  Anfang  ein  Buchstabe,  so  dass  wol  nur  [ejx'  oder  [6]^' 
möglich  sind.  In  Z.  9  giebt  Webers  Abschrift,  aber  nicht  der 
Abklatsch,  ein  Q  vordem  N  (äyü)voO£TY)(7äv[T]cov?),  am  Ende 
stand  möglicherweise  T-i'^  in  Ligatur. 

2.  Marmorblock  0,90™  lang,  0,39  breit,  0,40  dick  (Schrift- 
fläche 0,68  :  0.255)  rechts  gebrochen  ;  der  Stein  liegt  in  der 
Erde  an  der  grossen  Strasse  und  gehört  nach  Webers  Ansicht 
zu  dem  Triumphbogen,  der  hier  stand. 

ANIKIONACnPONTO 
YRA   TIKON   KAIKTICTHK 

A  N  e  CO  NeYep rejHTAiANee 

frei 

'Av{)tiov  "Atttcov  t6[v]  I  uTTaTixöv  y.y.1  y.xiGzri'j  |  äv6'  (iv  6uv)pY£- 
TTixat  äv£0|[yi)cev  ri  -rtöXi;. 

Die  am  Ende  ergänzten  Buchstaben  müssen  auf  einem  an- 
deren Blocke  gestanden  haben,  da  nach  der  Angabe  Webers 
die  Profilirung  unterhalb  des  letzten  ©  in  Z.  3  umbiegt. 

3.  Grabstele  aus  Marmor,  0,65™  lang,  0,20  dick,  erhaltene 
Breite  0,16;  Gladiator  mit  Siegespalme  in  Relief,  darunter 
die  Inschrift : 

A  M  M  I  A  T  Q   avSpt  So- 

ZOME    Nö 

N   A  1^  M  N   £iai;  X'^P'-'*' 

4.  Marmorblock  von  0,25'"  Breite.  0,42  Höhe,  rechts  und 


FUNDE 


365 


unten  gebrochen,  in  der  Nähe  derAgora;  die  zwei  ersten  Zei- 
len verwittert : 


If  V  A  1   !   I 
f  A  E  N   4    r 
Z  E   B  A  2  TT, 
N  E  a  K  O  P  0? 
M  H  T  P  O  r   0 
A  I  Z  T  H  2      kni 
A  Z  A  A  O   St 


5.  An  dem  Rundbau  auf  der  Agora  steht  auf  einenfi  mit 
Palmetten  und  Eierstab  gezierten,  0,33'°  hohen  und  noch  0,30™ 
breiten  Friesstück  in  schönen  monumentalen  Buchstaben: 

fATOTYip     K    A    5!   "p    f    V 

6.  Eine  Vergleichung  der  bei  Le  Bas-Waddington  III,  16931' 
veröffentlichten  Inschrift  von  Kolossäergab,  dass  die  erste  Zeile 
lautet  : 

'A(pt6p(ü<j£]v   öeav   Tü^Yiv   TYit   TraTpiöi. 

Aus  Hypaipa  stammt  die  von  Herrn  E.  "looSaviSrj;  in  Ab- 
schrift und  Abklatsch  mitgeteilte  Inschrift,  welche  sich  jetzt 
in  seinem  Besitz  befindet.  Der  Majuskeltext  musste  der  schma- 
len Schrift  und  ungewöhnlich  zahlreichen  Ligaturen  wegen 
unterdrückt  werden : 

no(TTO'ju.i(i)   TiTia[vüi 

6v  TTraiTCOi;  Aüp.    'A<p[ iy.  Trpoyövwv 

(TT£(pav)0(p6p(üv   a(Tiäp[^(ov 

TToXei  xat   ßou>.£uTai<; 

TYiv   )cat   auxap^ov   uu.cöv   xaxa 

Y)7riCTa[xy)v ,  oti  i/etCov  i7va[iüiv  oder  jxei^ova  Traocöv  tcüv  .  .  , 
^ap'  'jawv  aiX'.TTa  ipexcov 


366  FUNDE 

Ebenfalls  aus  llypaipa  verschleppt  ist  ein  Marmor.  0.55™ 
hoch,  0,45  breit,  jetzt  l)ei  dem  Schuster  Myivä?  in  Ödemisch; 
Buchstabenhöhe  2,5'''°.   Mitteilung  desselben  Herrn. 

TONTOTTON 
ocva  T  I  e  E  M  I  I  N  A  n  A  P  £/-o 
tyittOAEIAHNAPIATE    xpay-OTiat 
AI  AfiMI  YnOGH  KHN 
5  YPAEITETI5:iNA 

T  O  Y4)12KOYKAITn 
KE0AAAION 
TOZ  EKTOYXÜPIOY 
K  T  H  2  I  N  E 


Nach  der  Mitteilung  desselben  Herrn  ist  in  die  nordwest- 
liche Ecke  der  Moschee  von  Ftewri  (Yeyevli  auf  Kieperts  Karte, 
östlich  von  Tire)  ein  0,60'"  langer,  0,'20'"  breiter  Marmorblock 
verbaut,   der  in  1""  hohen  Buchstaben  die  Inschrift  trägt: 

AIIAY0EITHKAITH2AYEN 
AHNaNKATOIKIAATTOAAn 
NiZOEOAnPOYTOYAnOA 
AnNJOYEnOlH-'^FTON  ^ 

Ali  AuOsiTT)  xai  T-?i  Sa'j£v|SYivwv  xaTODCiK  'A7vo>.X|ü)vi(;  ©eoSwpou 
ToC  'Atto^IXüjviou  STToi'oas  tÖv  .  .  . 

Ob  der  durch  den  Abklatsch  gesicherte  Beiname  des  Zeus 
mit  aüOevTTK;  zusammenhängt,   muss  dahingestellt  bleiben. 

Marmor  vermauert  im  Quartier  Tisiri  Ma/a>£  in  Tire 

eyeiMHSAN 

MeNANAPON 


Nachtrag  367 

In  Tyana  (jetzt  KXick  Xi'jap  oder  nach  Kiepert  Kenisse-His- 
sär)  ist  die  Statue  eines  iMädcliens  gefunden  und  auf  Befehl 
der  fieliörcJen  nacli  Ikonion  üherluhrt  worden,  um  in  das  .Mu- 
seum in  Konstantinopel  verbracht  zu  werden.  (KcüviTavT-.vo'j- 
■Kolic,  11  'lo'jvio'j  1898).  Iiliner  dadurch  veranlassten  histori- 
schen Skizze  in  derselben  Zeitung  (18  'Io'j^io'j  1898)  entneh- 
men -wir  die  anscheinend  noch  unveröffentlichte  Inschrift: 

2ÜTI1P  KAI  0EOAOTOI 

^TPATQNO:i: 

EK  TQN  lAIÜN  KATESKEr- 

ASAN 


die  sich  dort  auf  feinem  kubischen  grossen  Stein  nicht  weit 
von  der  Wasserleitung  vor  einer  Gartenthür  belinde. 

Im  ägyptischen  Kunsthandel  sah  F.  von  Bissing  eine  nach 
seiner  Angabe  vielleicht  aus  Memphis  stammende  ptolemäi- 
sche  Bauinschrift : 


Euspyexwv  Kxi  tcüv  t£x.vcov  SapstTTiSi  |  "IctSt  tov  vaöv  y.al  tÖv  Trspi- 
ooXov  j  ^  'AttoXXwvio;  <l>i).i{ovo?  'Aü.u.(i)vi£u?  I  >tai  r;  yjvr)  auToO  Ay)- 

(XTlTpiOt. 


NACHTRAG 

Bei  den  Ausgrabungen  des  deutschen  archäologischen  In- 
stituts wurde  im  Jahre  1895  an  der  Nordwest -Ecke  des  Areo- 
pags  in  einem  Brunnen  das  rechte  Endstück  eines  Reliefs  aus 
pcntelischeni  Marmor  (li()he  31^"°,  Breite  unten  25"")  gefunden, 
auf  dem  in  guter  Arbeit  des  frühen  1\'  Jahriiunderts  zwei  nach 
links  gewandte  Frauen  hinter  einander  dargestellt  sind.  Da 
sich  auf  der  unteren  Fläche  keine  Spur  des  üblichen  Zapfens 
erhalten  hat,  ist  mehr  als  die  Hälfte  des  Reliefs  verloren.  Die 


368  BERICHTIGUNG 

schon  hiernach  wahrscheinliche  Romposition  von  drei  Gott- 
heiten rechts  und  mehr  als  einem  Adoranten  links  wird  durch 
die  Inschrift  heslätigt,  welche  auf  der  oberen  Leiste  steht,  über 
dem  Kopfe  der  Gestalt  links  beginnt  und  bis  zum  Ende  des 
Reliefs  reicht : 

\   IKAEoNO0ONYM(t)AIS: 

Des  Raumes  weo;en  muss  mehr  als  ein  Name  am  Anfang 
fehlen  und  man  wird  daher  -h  Ssiva  /.xi  ri  Seiva]  al  K)^£ov66o 
Nufx<pai(;  ergänzen  müssen.  Das  vermutlich  nicht  weit  ver- 
schleppte Relief  darf  als  monumentales  Zeugniss  für  den  oben 
S.  220  f.  vorausgesetzten  Nymphenkult  des  Thaies  der  Kallir- 
roe  verwertet  werden. 

H.  VON  PROTT. 


BERICHTIGUNG 

S.  202  Z.  2  ist  zu  lesen:   'ETviTvi?  ßopeioSuTi/t-^?  kXituo?  u.  s.  w. 


Geschlossen  12.  November  1898. 


EIN  ATHENISCHES  PROXENIEDEKRET  FÜR  ARISTOTELES 

Bisher  war  von  engeren  Beziehungen  zwischen  dem  athe- 
nischen Staate  und  Aristoteles  so  gut  wie  nichts  bekannt. 
Nur  die  Vita  Marciana  (S.  430  Hose:  Arist.  fragm.^,  1880)  und 
derAmmonius  lalinus  (S,  4i6i{osej  berichteten, dass  Aristote- 
les sich  bei  König  Philipp  im  Interesse  Athens  brieflich  ver- 
wandt habe,  und  nach  llermippos  bei  Diogenes  Laertius  V,  1 ,2 
soll  er  sogar  als  Gesandter  Athens  zu  Philipp  gegangen  sein 
( TrpecßeoovTOi;  auTOu  Trpo;  4>i;Xi--ov  ü~£p  'A^r,vatcüv  j.  Weiter  wird 
uns  an  den  beiden  erstgenannten  Stellen  mitgeteilt, der  atheni- 
sche Staat  habe  seinen  Dank  dadurch  abgestattet,  dass  er 
dem  Aristoteles  eine  Bildsäule  aut"  der  Burg  errichtete :  was 
Wahres  daran  ist,  können  wir  nicht  kontroUiren. 

Über  das  ollizielle  V'erhältniss  zwischen  Aristoteles  und 
Athen  hätte  man  indessen  längst  Genaueres  wissen  können, 
wenn  man  die  arabische  Lebensbeschreibung  des  Aristoteles 
von  ihn  Abi  Usaibi'a  beachtet  hätte,  die  zu  einem  grossen 
Teile  auf  die  Biographie  ües  Plolemaios  Chennos  zurückgeht 
und  in  dieser  Partie  schon  im  Jahre  i869  von  Moritz  Stein- 
schneider («  Al-Farabi  »  Menioires  de  lacadeniie  imperiale 
des  Sciences  de  St.  Pe'tersbourg,  VII  Serie,  Xlll,  4,  An- 
hang 3)  erstmalig  deutsch  herausgegeben  war.  Jüngst  hat  nun 
Anton  Baumstark  in  seiner  im  Buchhandel  noch  nicht  erschie- 
nenen llabilitationsschrilt  'Syrisch-arabische  Biographieen  des 
Aristoteles'  (Leipzig  1898,  Teubner),  welche  ich  seiner  Güte 
verdanke,  die  aut"  Ptolemaios  zurückzuführenden  Stücke  des 
Ibn  Abi  Usaibi'a  in  neuer  besserer  Übersetzung  vorgelegt, 
und  darunter  lindet  sich  auch  S.  46/b  das  Folgende; 

'Wegen  der  Menge  der  Wollhaten  und  des  Guten,  das  er  auf 
diesem  Gebiete  erwies,  gingen  die  Athener  so  weit,  sich  zu 
versammeln   und  (.lau  Besciiluss   zu   fassen,  eine  Inschrilt  zu 

ATHEN.   MITTHEILUNGEN  XXIII.  25 


370  fi.   DRERUP 

schreiben,  die  sie  in  eine  steinerne  Säule  eingruben,  und  sie 
auf  der  höchsten  Citadelle  in  der  Stadt,  die  xkoötcoI^^  genannt 
wird,  aufzustellen.  Sie  erwähnten  in  dem,  \vas  sie  auf  die 
Säule  schrieben,  Aristoteles,  Sohn  des  Nikomachos,  aus  Sta- 
geira  habe  sich  verdient  gemacht  durch  die  Ausübung  des 
Guten  und  die  Menge  des  Helfens  und  Wolthuns,  die  ihm  ei- 
gen gewesen  seien,  und  die  Förderung,  die  er  den  Athenern 
habe  angedeihen  lassen,  indem  er  für  das.  was  ihrer  Sache 
diente  und  ihnen  gute  Behandlung  erwirkte,  bei  König  Phi- 
lippos eingetreten  sei:  so  solle  nun  die  Anerkennung  der  Athe- 
ner für  das  hieraus  erwachsene  Schöne  klar  werden  ;  sie  sol- 
len ihm  Vorzug  und  Auszeichnung  schenken  und  ihm  ehren- 
des Gedächtniss  und  treue  Erinnerung  widmen.  Wer  aber  von 
den  Männern  der  Herrschaft  ihn  für  unwürdig  hält,  möge  nach 
seinem  Tode  es  ihm  gleichthun  und  seinem  Eintreten  für  sie 
in  Allem,  was  sie  hinsichtlich  ihrer  Bedürfnisse  und  Angele- 
eenheiten  wünschten.  Und  einer  von  den  Athenern,  mit  Na- 
men  Himeraios  (?),  hatte  sich,  nachdem  die  Athener  beschlos- 
sen hatten,  was  sie  bezüglich  dieser  Inschrift  beschlossen, von 
ihrem  Beschlüsse  getrennt.  Er  behauptete  in  Sachen  des  Ari- 
stoteles das  Gegenteil  ihrer  Behauptung  und  ging  auf  die  Säule 
los,  auf  die  die  Athener  die  Lobesinschrift  zu  schreiben  be- 
schlossen und  die  sie  auf  dem  äx.poTcoXi;  genannten  Platze  auf- 
gestellt hatten,  und  warf  sie  von  ihrer  Stelle,  und  es  ergriff 
ihn,  nachdem  er  seine  That  verübt  hatte.  Antinoos  {oder 
etwa  Antipatros?)  und  Hess  ihn  töten.  Sodann  errichtete  ein 
Athener,  mit  Namen  Slephanos.  und  zahlreiche  Andere  mit 
ihm  eine  steinerne  Säule.  Darauf  schrieben  sie,  was  von  Lob 
des  Aristoteles  dem  glich,  was  auf  der  ursprünglichen  Säule 
gestanden  hatte,  und  verbanden  hiermit  eine  nachdrückliche 
Erwähnung  des  Himeraios  (?),  der  die  Säule  umgestürzt  hatte, 
und  der  von  ihm  vollbrachten  Thal  und  erklärten  seine  Ver- 
fluchung und  die  Reinigung  (././/.  der  Stadt)  von  ihm  für 
notwendig  '. 

Schon  Baumstark  hat  bemerkt,  dass  hier  ein  echtes  athe- 
nisches ^j;yi(piG{7.a  vorliegt,  für  dessen  Erhaltung  bis  in  das  späte 


tiN   ATHENISCHES   PROXENIEDEKRET  PUER   ARISTOTELES  371 

Altertum  es  genügt,  auf  die  urkundlichen  Beilagen  von  Pseu- 
do-Plutarchs  Leben  der  zehn  Hedner  zu  verweisen.  Dem  Ken- 
ner der  attischen  Urkundensprache  wird  auch  gleich  die  eine 
oder  andere  Formel  athenischer  Ehrendekrete  in  den  Sinn  ge- 
kommen sein,  wennschon  der  Übersetzer  manches  offenbar 
nicht  versfanden  hat  und  besonders  über  den  staatsrechtlichen 
Termini  technici  gestolpert  ist.  Cberiiaupt  hat  der  Araber, 
dessen  Aristoteles- Vita  auch  nur  durch  ein  syrisches  Mittel- 
glied auf  die  griechische  Vorlage  zurückgeht,  garnicht  beab- 
sichtigt, das  Dekret  in  streng  wörtlicher  Übersetzung  wieder- 
zugeben, da  ihm  die  nüchterne  Form  des  Kanzleistiles  wenis 
zusagte.  Zudem  ist  der  arabische  Text  kritisch  keineswegs 
gesichert,  und  darum  könnte  es  aussichtslos  erscheinen,  wenn 
man  hiernach  den  Wortlaut  der  griechischen  Urschrift  re- 
konstruiren  wollte.  Indessen:  der  Schematismus  der  attischen 
Kanzleisprache  ist  so  fest  umschrieben  ,  dass  wir  mit  einem 
gewissen  Vertrauen  den  Versuch  maclien  dürfen,  das  Original 
wieder  zu  gewinnen, wenn  wir  uns  damit  bescheiden  wollen, die 
ständigen  Formeln  der  athenischen  Fhrendekrete  in  der  Bear- 
beitung des  Arabers  aufzuspüren.  Je  weiter  dieser  \'ersuch  uns 
führt,  desto  grösser  wird  der  historische  \\'ert  unseres  Doku- 
mentes werden,  der  sich  nur  in  einer  Zusammenstelluno;  mit 
den  gleichartigen  Psephismen  völlig  erschöpfen  lässt. 

Die  Beziehung  der  Urkunde  auf  den  Philosophen  Aristote- 
les wird  ausser  Zweifel  gesetzt  durch  die  oilizielle  Benennung 
'Api<jTOT£Ar,;  N'./.oaxyo'j  — Tay£'.ptTr,c,  die  dem  Gebrauche  «ier 
attischen  Dekrete  entspricht.  Die  Ehrung  des  Aristoteles  nun 
ist  zweimal  Gegenstand  der  Verhandlung  in  der  athenischen 
Volksversammlung  gewesen:  einmal  als  man  ihm  für  seine 
Bemühungen  bei  König  Philippos  eine  ölTentliche  Auszeichnung 
zuerkannte,  zum  anderen,  als  mau  ihm  diese  Ehrung  er- 
neuerte, die  auf  Betii'iben  des  llimeraios  kassirt  worden  war. 
Bei  dieser  letzteren  Gelegenheit  aber  wurde  beschlossen,  'was 
von  Lob  des  Aristoteles  dem  glich,  was  auf  der  ursprüngli- 
chen Säule  gestanden  hatte'  (oder  nach  Steinschneider:  'sie 
schrieben  darauf  dasselbe  Lob  des  Aristoteles,  welches  auf  der 


372  E.    DRERUP 

früheren  Säule  gestanden').  Und  da  uns  eben  dieser  zweite 
Bescliluss  überliefert  ist,  so  muss  in  seinem  ersten  Teile  im 
wesentlichen  dasselbe  enthalten  sein,  wie  in  dem  ursprüng- 
lichen Ehrendekrel.  das  noch  bei  Lebzeiten  des  Königs  Phi- 
lippos ergangen  war.  Dies  ist  für  die  I^eurteiking  unseres  Do- 
kumentes deshalb  von  Wichtigkeit,  weil  die  Formeln  der  at- 
tischen I^jlirendekrete  gerade  im  letzten  Drittel  des  4.  Jahrhun- 
derts sich  zu  immer  grösserer  Breite  entwickeln  ;  der  frühere 
Beschluss  liegt  noch  vor  dieser  Zeit  und  muss  demnach  auch 
mit  den  in  der  Form  conciseren  älteren  Ehrendekreten  in 
Vergleich  gebracht  werden. 

Betrachten  wir  nun  den  Inhalt  des  ersten  Abschnittes  un- 
serer Urkunde,  so  können  wir  hier  deutlich  drei  Teile  unter- 
scheiden: I)  die  Motive:  'Aristoteles  —  habe  sich  verdient 
gemacht  durch  die  Ausübun»-  des  Guten  und  die  Men^e  des 
Helfens  und  VVolthuns.  die  ihm  eigen  gewesen  seien,  und  die 
Förderung,  die  er  den  Athenern  habe  angedeihen  lassen,  in- 
dem er  für  das,  was  ihrer  Sache  diente  und  ihnen  gute  Be- 
handlung erwirkte,  bei  König  Philippos  eingetreten  sei';  2)  die 
Ehruno;:  'so  solle  nun  die  Anerkennung;  der  Athener  für  das 
hieraus  erwachsene  Schöne  klar  werden;  sie  sollen  ihm  Vor- 
zug und  Auszeichnung  schenken  und  ihm  ehrendes  Gedächt- 
niss  und  treue  Erinnerung  widmen';  3)  eine  allgemeine  Mah- 
nung: 'wer  aber  von  den  Männern  der  Herrschaft  ihn  für 
unwürdig  hält,  möge  nach  seinem  Tode  es  ihm  gleichthun 
und  seinem  Eintreten  für  sie  in  Allem,  was  sie  hinsichtlich 
ihrer  Bedürfnisse  und  Angelegenheiten  wünschten'. 

Die  Motive  sind  doppelter  Art,  die  allgemeinen  Verdienste 
des  Aristoteles  (um  Athen)  und  seine  besonderen  Bemühun- 
gen hei  König  Philippos.  Was  die  ersteren  angeht,  so  klingt 
freilich  der  Ausdruck  des  Arabers  —  oder,  wie  w'iv  überall 
dafür  einsetzen  können,  seiner  syrischen  Vorlage —  'Ausübung 
des  Guten  und  Menge  des  Helfens  und  Wolthuns'  (ganz  ähn- 
lich Steinschneider)  wenig  attisch;  aber  der  Sinn  entspricht, 
selbst  in  der  Teilung  der  Begriffe,  vollständig  den  üblichen 
Formeln,  von  denen  die  folgende  mit  dem  Araber  am  meisten 


EIN   ATHENISCHES   PROXEkTlEDEKRET   FUER   ARISTOTELES  373 

übereinkommt:  £-£'.S-*i  —  y-^-ntj  xyaOö;  sttiv   ttsoI  tov  Sr,aov   tov 
'AOY)vai(i)v  y.ai  Ttoiet  6t'.  S'jvy.rai  äyaOöv  (CIA.   II   68,  Vgl.   IV.  2 

107  <6).  In  anderen  Dekreten  zeigt  diese  Formel  kleine  Abwei- 
chungen, die  des  öfteren  auch  eine  Nüancirung  des  Sinnes 
mit  sich  bringen;  sie  im  einzelnen  zu  besprechen,  würde  den 
Rahmen  dieser  Arbeit  überschreiten.  Der  zweite  speziellere 
Teil  der  Motivirung  bezieht  sich  auf  die  Förderung  der  athe- 
nischen Interessen  bei  König  Philipp ;  es  fragt  sich,  worin 
dieselbe  bestand  und  auf  welche  Zeit  wir  sie  /u  datiren  ha- 
ben. In  den  Worten  des  Arabers  (' seine  Verwendung  bei  Phi- 
lippus,  dem  König,  für  das,  was  ihre  Sache  fördere  und  ihnen 
gute  Behandlung  erwirke'  Steinschneider)  ist  nun  aber  durch- 
aus kein  Anhaltspunkt  dafür  gegeben,  dass  wir  hier  etwa 
eine  Beziehung  auf  eine  Gesandtschaft  des  Aristoteles  oder  auf 
brielliche  Fürsprache  bei  Philipp  erkennen  dürften:  denn  für 
ein  solches  vereinzeltes  Faktum  ist  die  Ausdrucksweise  des 
Arabers  viel  zu  allü;emein  und  unjjeslimmt.  Auch  hier  erhal- 
ten  wir  aus  den  Inschriften  vollkommen  befriedigende  Aus- 
kunft. Ich  vergleiche  besonders  die  Inschrift  C.I.A.  11  124, 
die  in  das  Jahr  337/6  fällt  und  überhaupt  in  ihrer  Motivirung 
sich  nahe  mit  unserem  Dokumente  zusammenstellen  lässt.  Hier 

lesen  wir  Z.  12  etcöiSt)  -  -  xxi]  JTr'.u-cAttTai  'AOrjVaiLWv  Tcjv  a(p- 
t)cv]o[u{;.]£'v(i)v  (ii;  ^OaTTTUov  ^7rpxTT(i)v  äya]ö6v  o[T]t  S['jvaT]ai  'AÖTj- 
v[aiot?  Tcapic  <I>i]Xt-:roj.  Und  ganz  ähnlich  heisst  es  in  der  nur 
wenige  Jahre  jüngeren  Inschrift  C. /.  ^4.  II  161    £7i:t}Z£jXfciT[ai] 

06  )cai  6v  t[(I)  vöv  ypovco  y.x\  icoivr,  /.vX  iotzl  'AQyjvaiwv  tcüv  [x^ix.vou- 
{jL£vü)v  ei;  "Apyo;.  Im  übrigen  verweise  ich  auf  C. 7.^4.  II  193. 
194.  234.  2.9.  263.  264  u.  s.  w.  IV, 2  107  Z»,  264'^,  264^ 
u. s.w., und  für  die  ausgebildetste  Form  dieses  ^Motivs  vor  allem 
di\\{  C.I.A.  II  300.  Inhaltlich  decken  sich  diese  Formeln  mit 
den  Worten  des  Arabers, die  mit  viel  gi'össerer  Wahrscheinlich- 
keit auf  die  'gute  Behandlung'  athenischer  Gesandtschaften, 
als  auf  die  i!;ule  Bebandluu'iir  des  ganzen  Staates  «redeutet  wer- 
den  können,  leb  setze  demnach  das  ältere  h^hrendekret  ohne 
Bedenken  in  die  Zeit  vor  338,  als  Aristoteles  noch  als  Prin- 
zenerzieher am  makedonischen  königshofe  weilte.  Aristoteles 


374  E.    DRERUP 

bedurfte  für  seine  Fürsprache  keines  besonderen  Auftrages, 
der  voraussetzen  würde,  dass  er  früher  schon  eine  angesehene 
Stellung  in  Atlien  bekleidet  hätte;  dagegen  ist  es  natürlich, 
dass  er  sich  in  Pella  der  Stadt  erinnerte,  in  der  er  seine  vor- 
züglichste Ausbilduni»-  «renossen  liatte  und  die  er  auch  in  der 
Fremde  als  die  geistige  Centrale  von  Griechenland  schätzen 
musste,  und  ebenso  natürlich  ist  es,  dass  sich  Athen  ihm  da- 
für dankbar  zoigte. 

Was  sind  nun  die  Ehren  ,  die  dem  Aristoteles  erwiesen 
wurden?  in  den  meisten  attischen  Ehrendekreten  aus  der  zwei- 
ten Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  macht  eine  allgemeine  Belobi- 
gung den  Anfang  dieser  Ehrungen  :  etwa  sTraivecxi  'ApicTo- 
Te'Xy]V  N'.5tou.xyo'j  SraysipiTYiv  (äpsx-oi;  eve'/ca  x.at  süvoiai;),  und 
diese  Formel  dürfen  wir  meines  Erachtens  in  den  Worten  des 
Arabers  wiederfinden  'so  solle  nun  die  Anerkennung  der 
Athener  für  das  hieraus  erwachsene  Schöne  klar  werden'. 
Man  könnte  versucht  sein,  hier  einen  Hortativ  einzuschieben: 

OTTO);  (Xv  oüv  (XTraciv  y)  cpo-vspöv,  6t'.  y]  ßouX-)]  x.xi  ö  or^ao;  6  'AOvi- 
vaiwv  ETCicTarai  yy-pixa?  äTuooiSövai  -koltcl^Ixc,  toi;  (piXoTip-Oui^-e- 
vot;  sl?  lauTov  (C.I.Ä.  IV, 2  270,  Vgl.  314).  Aber  für  die  Hor- 
tativformeln.  die  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  hierher  ge- 
zogen werden  könnten,  ist  der  Ausdruck  des  Arabers  viel  zu 
mager,  und  zudem  glaube  ich,  diese  Mahnung  in  einem  an- 
deren Teile  unseres  Dekretes  deutlicher  zu  erkennen. 

Im  Folgenden  sind  die  Worte  'und  ihm  ehrendes  Gedächt- 
niss  und  treue  Erinnerung  widmen'  ('und  erkannten  ihm  An- 
denken und  Erinnerung  zu  '  Steinschneider)  für  ein  atheni- 
sches Psephisma  ebenso  undenkbar,  wie  das  unmittelbar  hier- 
mit verbundene  'sie  sollen  ihm  Vorzug  und  Auszeichnung 
schenken'  ('sie  begegneten  ihm  mit  Auszeichnung  und  Er- 
hebung' Steinschneider)  in  seiner  l  nbestimmtheit  dem  atti- 
schen Gebrauche  widerspricht.  Dennoch  dürfen  wir  hieraus 
die  dem  Aristoteles  zu  Teil  gewordene  Ehrung  mit  Sicherheit 
erschliessen.wenn  wir  überlegen. welche  Auszeichnungen  über- 
haupt in  attischen  Ehrendekreten  verliehen  zu  werden  pllegen 
und  wie  wir  uns  diese  vom  Araber  umschrieben  denken  dür- 


EIN   ATHENISCHES   PROXENIEDEKRKT    FUER   ARISTOTELES  375 

fen.  In  der  zweiten  Hälfte  des  '..  Jahrhunderts  verbindet  man 
mit  der  allgemeinen  l3elohiji;ung  gerne  die  Verleiimng  eines 
goldenen  Kranzes  in  der  stereotypen  Wendung  nai  <jTe<pavwaai 
ypu-jo)  axEcpivw  ( atTcö  X  Spx/atöv).  Konnte  dies  nun  etwa  vom 
Araber  durch    'Vorzug  und   Auszeichnung'   wiedergegeben 
werden?  Ich  behaupte, nein:  denn  die  Kranzverleihung  ist  eine 
so  sinnlUUige  Ehrung,  dass  sie  vom  Araber  verstanden,  und 
der  Ausdruck  dafür  so  prägnant,  dass  er   von  ihm   jedenfalls 
richtig  übersetzt  wäre.  Dasselbe  gilt  von  der  Erteilung  des 
Bürgerrechtes:  eivxi  a-'jTov  'AÖYivaiov,  die  nicht  leicht  missver- 
standen werden  konnte;   zumeist  ist  diese  auch  von  umfang- 
reichen Bestimmungen  über  die  Wahl  von  Phyle,  Demos  und 
Phratrie  und  über  die  Bestätigung  durch  die  Volksversamm- 
lung begleitet,  von  denen  in  der  Bearbeitung  des  Arabers  jede 
Spur  verloren  sein  müssle.  'AreXsia  aber,  iaoTeXs-.a  oder  lyy.TT)- 
Gt?,  die  für  den   in  AJakedonien   lebenden  Fremden  auch  erst 
in  zweiter  Linie  in  Frage   kommen,  werden   nur  in  seltenen 
Fällen  verliehen,  wenn  nicht  gleichzeitig  die  Ernennung  zum 
Proxenos  oder  die  Einreibung   unter  die  altischen  Bürger  er- 
folgt oder  früher  bereits  erfolgt  ist.  Es  bleibt  demnach  in  der 
That  nur  noch  die  Ernennung  zum  Proxenos  und  Euergetes, 
die  ich  um  so  bestimmter  für  Aristoteles  in  Anspruch  nehme, 
als  die  Worte  des  Arabers  sich   leicht    aus  einem   Missver- 
ständniss  des  attischen  Terminus  ^ecA/?7cw5 -erklären.  Die  T^po- 
^eviot  war  dem  Araber  in  ihrer  Bedeutung  dunkel,  und  ebenso 
wenig  konnte  er  die  staatsrechtlicheStellungder  offiziellen  eOeo- 
yerai  kennen  ;  doch  konnte  er  vermuten,  dass  es  sich  hier  um 
eine  ehrende  Auszeichnung  handle,  und  danach  ist  dann  seine 
Übersetzung  ausgefallen.  Eine  vage  Verallgemeinerung  ver- 
tritt die  staatsrechtlichen  Termini,  die  nur  insofern  eine  ge- 
nauere Wiedergabe  gefunden  haben,  als  die  meistens  verbun- 
denen Begriffe  der  7rpo;£vix   und   eJepve'iia  durch  zwei  Syno- 
nyma ausgedrückt  sind:  und  dieses  bürgl  uns  für  di«^  Uichtig- 
keit  unserer  Vermutung    Wir  dürfen  aber   jetzt  auch  weiter 
aolion :    denn   die   Ernennung  zum   Proxenos   und    Euergetes 
wird  in  den  meisten  Fällen  auf  die  iNachkommen  des  Geehr- 


376  E.    DRERUP 

ten  übertragen,  und  darin  können  wir  nun  eine  Erklärung 
finden  für  das  'ehrende  Gedächlniss'  und  die  'treue  Erinne- 
rung*, die  dem  Aristoteles  zuerkannt  werden.  Da  der  Araber 
von  Proxenie  und  Euergesie  nichts  wusste.  so  konnte  er  auch 
die  Fortdauer  dieser  Auszeichnung  in  ihrem  wirklichen  Sinne 
nicht  begreifen  und  ausdrücken;  darum  hat  er  die  Erwähnung 
der  EKyovoi  zu  Andenken  und  Erinnerung  ausgedeutet.  Wei- 
tere Ehrenrechte  scheinen  dem  Aristoteles  nicht  eingeräumt 
zu  sein.  Ich  fasse  die  Ehrung  des  Aristoteles  hiernach  in  die 
Formel  :  r^eSoyOai  T(p  ötii/w  STC^ivsaat  'Api^iTOxA-ziv  'Nix.oiJ.icyox) 
STaysipiTYiv    aoETYi«;  hzKx   x.ai  süvoia;    kolI  eivat  auTOv    Trpö^evov  xocl 

Übrig  ist  noch  die  Mahnung  'wer  aber  von  den  Männern 
der  Herrschaft  ihn  für  unwürdig  hält,  möge  nach  seinem  Tode 
es  ihm  gleichthun  und  seinem  Eintreten  für  sie  in  Allem, 
was  sie  hinsichtlich  ihrer  Bedürfnisse  und  Angelegenheiten 
wünschten'.  Sie  kann  in  dieser  Form  dem  Original  nicht  an- 
gehören: denn  als  das  Psephisma  beschlossen  wurde,  war  A- 
ristoteles  noch  nicht  tot,  und  darum  ist  die  Verweisung  auf 
den  Todesfall  nicht  nur  an  sich  höchst  unglücklich,  sondern 
auch  mit  dem  Charakter  eines  athenischen  Ehrendekretes 
durchaus  unvereinbar;  dass  aber  Jemand  von  den  Männern  der 
Herrschaft  den  Geehrten  für  unwürdig  halte,  ist  vollends  eine 
Voraussetzung,  die  der  athenischen  Volksversammlung  gänz- 
lich fern  lag.  Der  Sinn  der  arabischen  Übersetzung  ist  auch 
gerade  in  diesem  Satze  sehr  unsicher,  da  Baumstark  erst  nach 
einer  längeren  Auseinandersetzung  zu  der  Erklärung  kommt: 
'wer  dem  grossen  Toten  seine  Ehre  neidet,  verdiene  sich 
gleiche  selbst'.  Steinschneider  hatte  übersetzt:  'Wer  von  den 
Hochgestellten  (Männern  der  Herrschaft)  ihn  beleidigte, dessen 
Strafe  folgte.  Seine  Verwendung  für  sie  [war]  in  allem,  was 
sie  begehrten,  in  Bezug  auf  ihre  Bedürfnisse  und  Angelegen- 
heiten'. Wenn  ich  trotzdem  eine  solenne  Formel  hier  wieder- 
finden will,  so  leitet  mich  dabei  die  Erwägung,  dass  von  den 
Bestandteilen  der  älteren  Ehrendokrete  nur  noch  zwei  mit  ei- 
niger Wahrscheinlichkeit  hierauf  bezogen  werden  können.  Ich 


EIN  ATHENISCHES  PROXENIEDEKRET   FUER   ARISTOTELES  377 

hatte  anfjinglich  daran  sjedacht,  dass  Aristoteles  hier  der  Für- 
sorge der  Behörden  empfolilen  sei,  etwa  wie  in  CIA.  11  39 
[xai  T7)v  ßouXyiv  Tr)v]  aUi  ßo'jXeuO'j['jav  £:rta£X7i6-/;vaji  MeAxvÖiou  )t[a'. 
Twv  eyyövcijv  ö]-:o'j  av  ^eojvTa-. ;  hiernach  wäre  auch  die  An- 
rufung der  'Männer  der  Herrschaft'  niclit  so  sinnlos,  zumal 
vielfach  die  Strategen  (und  Prytanen  )  mit  der  Bule  sich  in 
das  Geschäft  des  e-iaeXetTÖa'.  teilten.  Besser  indessen  will  es 
mir  gefallen,  wenn  wir  grösseren  Nachdruck  auf  die  hier  aus- 
gesprochene Mahnung  legen  und  danach  einen  llortativ  sta- 
tuiren,  wie  er  schon  von  der  Mitte  des  4.  Jahrhunderts  an  in 
den  Inschriften  sich  findet  [C.  LA.  W  114^4.  115Z>).  Es  ist 
aber  misslich,  eine  bestimmte  Formel  als  Prototyp  für  unsere 
Urkunde  auszuwählen,  weil  die  Hortative  in  zahlreichen  Va- 
rianten vorkommen,  von  denen  mir  inhaltlich  noch  am  näch- 
sten verwandt  erscheinen  C.  I.A.  II  103  örcw;  [ocv  v.%\  ol  xXXo'. 
«Travjxs?  cptXoTiuüivTai  £iSö[Te?  ot]i  6  Syifxo;  ydcptra;  otTroSi^ijSaxiiv 
Toi?  6t;  ea'jTÖv  cptXoTi[tAo]u(j!.evot5  oder  II  297  ottco;  av  cö;  rXsiTTOi 
(piXoTi[j(.{ovTai  /psiocv  Trape^suOxi  £[7Tt]  xöt  rruvcpepovTa  to>  ö'^y.o).  Aus 
dem  (ptT^oTtasiaÖoti  (oder  d-^pxuLiXXov  eivai  C.  I.  A.  II  '231.  243. 
320)  konnte  der  Gedanke  an  neidische  Verkleinerung  des  Ver- 
dienstes entstehen  und  daraus  wieder  die  Übersetzung  des 
Arabers,  in  welcher  die  'Männer  der  Herrschaft'  allerdings 
unerklärt  bleiben. 

Die  Einleitung  der  Paraphrase  und  der  zw^eite  Teil  des  De- 
kretes beweisen,  dass  ein  Publikationsheschluss  das  Psephisma 
endigte.  Ich  stelle  hiernach  die  für  das  ursprüngliche  Ehren- 
dekret erschlossenen  Formeln  zusammen,  indem  ich  im  voraus 
bemerke,  dass  ihre  Zuverlässigkeit  in  manchen  Einzelheiten 
des  Wortlautes  natürlich  keine  Gewähr  hat: 

—  £i7r£V  £^£1^71  'ApKTTOTfiX-n;  Nix.O(xäj^ou  STayEipiTY)?  avTip  aya- 
86?  £(TTiv  ;r£pi  tÖv  orimov  xöv  'AOyivaiwv  xai  ttoiei  öxi  öüvaTai  iyaOöv 
xai  £7riu'.£X£iTai  'AOiovaiüJV  Toiv  iiptJcvouixEvwv  (ö;  «tiXiTTTOV  TcpxTTcov 
äyaOöv  oTi  Süvaxai  'A6ir)vaiot;  Tuapä  ^iXittttou,  SfiSö^-Öai  xqi  öY;a(i), 
6Tvaiv£aat  'ApifTTOTeXiriv  NiJcojAÄyou  STayeipixYiv  äpfix-J^;  £V£x,a  xai  £u- 
vota;  x,ai  fiivai  aüxov  7rpö^£vov  jcai  £U£py£XY)v  xoG  öf.aoi»  xoO  'A9r,- 
vatcov    a'jxöv    xat  Ixyövo'j; ,    Ötccü;  av    x.at  o!  aXXot    a7:avx£?    tpiT^oxi- 


378  E.    DRERUP 

(jLöivTai  £|S6t£<;,oti  6  ör,(jt.o;  yotpiTa?  ä7ToSio(0'7tv  rol^  £i<;  äauTOV  cpi^o- 
Tiaouasvot?.  ävaypxij^ai  Ss  xöSe  to  (j/rjApiTaa  tov  Ypaa[/,aT£a  x.x'X. 

Der  zweite  Teil  unserer  Urkunde,  der  historisch  ausseror- 
dentlich interessant  ist,  lässt  eine  Reconstruction  des  ^riechi- 
sehen  Originals  schon  deshalb  nicht  zu,  weil  wir  es  hier  nicht 
mit  stereotypen  Redewendungen,  sondern  mit  einer  den  be- 
sonderen Umständen  angepassten  Erzählung  zu  thun  haben. 
Ausserdem  hat  der  Araber,  der  sich  im  ersten  Teile  ziemlich 
eng  an  den  griechischen  Wortlaut  gebunden  hatte,  hier  mit 
einer  allgemeinen  Paraphrase  des  Inhalts  sich  begnügt, die  uns 
nicht  einmal  erkennen  lässt,  ob  sich  auf  der  wiedererrichteten 
Stele  zwei  getrennte  Volksbeschlüsse  befunden  haben  oder  ein 
einzelnes  Psephisma,  das  die  frühere  Ehrung  des  Aristoteles 
in  sich  schloss. 

Die  Thatsachen,  die  der  Erneuerung  des  Ehrenbeschlusses 
vorausliegen,  sind  durch  den  Araber  jedoch  mit  genügender 
Deutlichkeit  wiedergegeben,  wenn  seine  Darstellung  im  Ein- 
zelnen auch  \on  der  Vorlasfe  sich  entfernt.  Danach  war  also 

o 

zu  irgend  einer  Zeit  die  früher  dem  Aristoteles  zugesprochene 
Ehrung  annullirt  worden  Selbstverständlich  ist  nicht  daran 
zu  denken,  dass  dies  gleich  nach  der  ersten  Entschliessung 
geschehen  ist,  wie  aus  den  Worten  des  Arabers  hervorzugehen 
scheint :  'und  einer  von  den  Athenern  .  .  .  hatte  sich  .  .  .  von 
ihrem  Beschlüsse  getrennt'.  Die  hischriftstele  war  vielmehr 
auf  der  Akropolis  aufgestellt  und  hatte  hier  schon  Jahre  lang 
gestanden,  als  das  Unwetter  sich  über  Aristoteles  entlud:  denn 
der  als  sein  Urheber  genannte  llimeraios  ('Aimaraus'  Stein- 
schneider) ist  doch  wol  Niemand  anders,  als  der  Bruder  des 
Demetrios  von  Phaleron.  der  während  des  lamischen  Krie- 
ges und  kurz  vorher  in  Athen  eine  Bolle  gespielt  hat.  Er  ge- 
hörte zu  den  enragirtesten  Makedonenfeinden  und  nahm  als 
solcher  Teil  an  der  Anklage  gegen  Demosthenes.  Auch  sonst 
war  er  politisch  hervorgetreten,  da  Deinarch  gegen  ihn  eine 
Rede  in  einem  Eisangelieprozess  verfasste  (vgl.  A.  Schäfer, 
Demosthenes  2  IMS.  327).  Aus  den  Inschriften  kennen  wir 
ihn  jetzt  als   i£p£U(;  too  IloT£iS(i)vo;  tou  IhXayiO'j   C.  I.  A.   IV,  2 


EIN   ATHENISCHES   PROXENIEDEKRET   FUER   ARISTOTELES  37? 

184^»  Z.  18.  Nach  dem  unf^liickliclifn  Ausgange  des  lami- 
sclien  Krieges  teilte  er  das  Geschick  des  Ilypereides  und  Ari- 
stonikos,  die  auf  Befehl  des  Antipatros  ergriffen  und  hinge- 
richtet wurden  (Schäfer  a.  a.  O.  S.  ;39l/2). 

Die  politische  Stellung  des  llimeraios  passt  also  vortrefilicli 
zu  seinem  Vorgehen  gegen  Aristoteles;  die  Identität  der  Per- 
son wird  ausser  Zweifel  gestellt  durch  die  letzten  Schicksale 
des  Himeraios,  da  in  der  Inschrift,  wie  schon  Baumstark  ver- 
mutete, an  Stelle  des  hier  unmöglichen  Antinoos —  'Ahthitus 
(Anlinus)'  Steinschneider — gewiss  Antipatros  stand.  Die  enge 
Verbindung  zwischen  dem  Einschreiten  gegen  Aristoteles  und 
dem  Tode  des  Himeraios  existirt  allerdings  nur  in  der  Phan- 
tasie des  Arabers.  Die  Thatsache  aber  ,  dass  die  staatliche 
Ehrung  des  Aristoteles  nach  so  vielen  Jahren  kassirt  worden 
ist;  giebt  uns  sicheren  Aufschluss  über  die  Stellung,  die  die- 
ser in  Athen  damals  eingenommen  hat ;  denn  die  Aktion  des 
Himeraios  ist  nur  aus  seiner  Antipathie  gegen  die  Makedonen 
zu  erklären.  Aristoteles  hatte  die  Proxenie  durch  seine  Ver- 
wendung bei  dem  Makedonenkönig  sich  erwirkt,  und  offen- 
bar galt  er  auch  später,  als  er  sich  wieder  in  Athen  befand, 
als  besonderer  Günstling  des  makedonischen  Hofes.  Nun  wissen 
wir,  dass  er  im  Jahre  823,  nach  dem  Tode  Alexanders.  Athen 
verliess,  weil  man  ihn  wegen  aisSsia  vor  Gericht  gefordert 
hatte.  Aber  diese  solenne  Philosophenanklage,  die  gegen  ei- 
nen Anaxagoras  und  Protagoras  und  selbst  gegen  einen  So- 
krates  mit  einem  Schein  von  Recht  erhoben  war.  hatte  am 
Ende  des  4.  Jahrhunderts  ihre  innere  Berechtigung  verloren: 
sie  war  ein  Anachronismus  geworden,  von  dem  man  nicht 
begriffen  hat,  wie  man  ihn  noch  in  dieser  Zeit  des  sittlichen  Ver- 
falls begehen  konnte.  Unsere  Urkunde  giebt  uns  den  Schlüssel 
dafür.  Aristoteles  hatte  sich  als  überzeugter  Makedone  poli- 
tisch missliebig  gemacht,  war  aber  so  wenig  in  die  ütTent- 
lichkeit  hinausgetreten,  dass  man  nicht  recht  wusste,wie  man 
ihn  fassen  sollte.  Darum  i^rub  man  ü-ewn  ihn  ilie  Kla^e  iis- 
Seia?  wieder  aus,  die  schon  gegen  so  manchen  Philosophen 
ihre  guten  Dienste  gelhan   hatte  :    ihre  Begründung  war  aus 


380  E.    DRERUP 

den  Schriften  des  Aristoteles  leicht  beizubringen.  Und  wenn 
auch  die  Klage  in  ruhigen  Zeiten  keine  Aussicht  auf  Erfolg 
gehabt  hätte,  so  niusste  Aristoteles  bei  der  Verhetzung  der 
Menge  gegen  alles  Makedonische  doch  des  Schlimmste  be- 
fürchten. Er  verliess  deshalb  freiwillig  die  Stadt  und  nahm 
dadurch  den  Athenern  die  Gelegenheit,  Si;  ei;  (pt>.oao9iav  (X|jt.ap- 

TEIV. 

Nachdem  der  makedonische  Einfluss  in  Athen  wieder  her- 
gestellt und  die  Ruhe  wieder  eingekehrt  war,  dachte  man 
darauf,  die  Spuren  des  gegen  die  Makedonenfreunde  gerichte- 
ten Treibens  nach  Möglichkeit  zu  vertilgen.  Diese  Bewegung 
ist  auch  dem  schon  verstorbenen  Aristoteles  und  seinen  Nach- 
kommen zu  Gute  gekommen,  und  damit  ergiebt  sich  die  Da- 
tirung  des  zweiten  Beschlusses,  die  natürlich  nicht  auf  das 
Jahr  genau  sein  kann.  Was  seine  Formulirung  betrifft,  so  fällt 
in  den  Worten  des  Arabers  auf,  dass  die  Stele  errichtet  wor- 
den sei  von  Stephanos  und  zahlreichen  Anderen  mit 
ihm.  Das  steht  dem  athenischen  Gebrauche  entgegen,  der  im 
allgemeinen  nur  einen  Antragsteller  duldet;  zum  wenigsten 
möchte  ich  die  in  älteren  Volksbeschlüssen  vorkommende  yvö- 
(XY)  K>.6toö(po'j  y.<xi  cuv-puTavgwv  [C.  I.  A.  IV, '2  1  b)  oder  die 
vvwy.Y)  orxpaTYiycüv  (IV, 2  11  e)  zur  Erklärung  nicht  gerne  he- 
ranziehen. Eher  halte  ich  es  für  möglich,  dass  auch  hier  ein 
Irrtum  des  Arabers  vorliegt,  der  etwa  die  namentlich  aufge- 
führten ouu.7vpÖ£^pot  als  Antragsteller  aufgefasst  haben  mag; 
dass  dieser  Zusatz  vom  Jahre  319/8  an  gemaciit  werden  konnte 
und  dass  auch  die  Namen  der  Tu[;.7:p6£^poi  sehr  bald  danach  in 
den  Inschriften  erscheinen,  hat  W.  Hartel  dargethan  (Studien 
über  attisches  Staatsrecht  und  Urkunden wesen,  1878,  S.  16ff. , 
vgl.  CIA.  IV, 2  245^.  245c.  245^.  269/>). 

Im  übrigen  verweise  ich  für  die  Formulirung  auf  die  In- 
schrift CIA.  IV, 2  231  ö,  der  ein  ähnlicher  Fall  zu  Grunde 
liegt,  wie  der  des  Aristoteles ;  und  zwar  enthält  diese  Stele 
zwei  Beschlüsse  des  athenischer  Volkes.  Im  ersten  Dekret 
(vom  Jahre  323/2)  wird  der  Sikyonier  Euphron,  der  sich  um 
das  Bündniss  zwischen  Athen  und  Sikyon  im  lamischen  Kriege 


EIN  ATHENISCHES   PROXENIEDEKRET  FUER  ARISTOTELES  38l 

verdient  gemacht  hatte,  belobt  und  unter  Bestätigung  der  ihm 
früher  verliehenen  Privilegien  zum  athenischen  Bürger  er- 
nannt; im  zweiten  Psephisma  (vom  Jahre  318/7)  werden  dem- 
selben Euphron.  der  im  lamischen  Kriege  für  die  Freiheit 
Griechenlands  kämpfend  fiel,  die  von  den  Oligarchen  annul- 
lirten  Geschenke  des  athenischen  Volkes  erneuert  und  die 
Wiederaulrichtung  der  von  den  Oligarchen  zerstörten  In- 
schriftstele angeordnet. 

Möge  ein  gütiges  Geschick  uns  einmal  auch  die  Urschrift 
des  für  Aristoteles  beschlossenen  Proxeniedekretes  oder  seiner 
Erneuerung  bescheren,  damit  wir  die  Auszeichnung  des  Phi- 
losophen, die  wir  jetzt  nur  durch  Vermutung  erschliessen,  in 
authentischer  Weise  vom  Steine  lesen  können.  Wenn  die  Eh- 
rung ihm  auch  nur  wegen  eines  politischen  Dienstes  für  seine 
zweite  Heimat  zugefallen  ist, so  können  wir  uns  doch  der  Er- 
kennlniss  freuen, dass  zwischen  Aristoteles  und  Athen  ein  en- 
geres Band  bestanden  hat,  als  wir  nach  den  bisher  bekannt 
gewordenen  biographischen  Quellen  annehmen  durften. 

München. 

ENGELBERT  DRERUP 


-o-S^F--^ 


llAPAi^KHNIA.    nAPOAOI.    DEPIAKTOI 

Die  Frage  nach  der  Bedeutung  der  TCapaay.Tjna  scheint  mir 
bis  jetzt  noch  niclit  erledigt.  Denn  obwol  über  den  Ort,  wo 
sie  gestanden,  kein  Zweifel  mehr  möglich  scheint,  so  ist  doch 
noch  nicht  erklärt,  wozu  sie  gedient  iiaben.  A.  Müller  z.  ß. 
sagt  über  den  Zweck  dieser  zwei  vorspringenden  Flügelbau- 
ten:  'die  wenigen  Stellen  der  alten  Schriftsteller  gestatten  ei- 
nen sichern  Schluss  nicht*  und  auch  Rcisch  bietet  keine  be- 
stimmte Erklärung  (Dörpfeld  und  Keisch  ,  Das  griechische 
Theater  S.  202.  251).  Und  doch  glaube  ich,  dass  eine  rich- 
tige sprachliche  Erklärung  genügenden  Aufschluss  geben  kann, 
wenn  man  nur  nicht  meint  in  irgend  einer  Weise  eine  Bühne 
unterbringen  zu  müssen. 

Zunächst  das  Wort  Trapxcrx/^viov  selbst,  dessen  Übersetzung 
als  'Raum  neben  der  Skene'  (  Beisch  S.  298)  mir  nicht  ganz 
richtig  scheint.  Eine  Zusammensetzung  von  T:xci  mit  dem 
Substantivum  <jy.y)yri  kann  meines  Erachtens  nur  'Nebenskene' 
bedeuten  so  wie  7racaO'Jpa  =  Nebenthür  (nicht  'was  neben  der 
Thür  ist')  vgl.  Trapxypap.uia,  zapaOopiov,  xapaÖsp.a,  7capaiTÜ>.iov 
U.S.W.  Während  also  7upocr/.y)viov  die  veränderliche  Vorderwand 
der  <7x.7iv7)  selbst  sein  soll,  ist  Trapatj^yjviov  eine  Nebenskene. 
Dem  \\'ortlaute  nach  haben  wir  also  das  grosse  Gebäude  als 
eine  grosse  Skene  aufzulassen,  an  deren  beiden  Seiten  je  eine 
Nebenskene  angebaut  ist. 

Diese  Bezeichnung  der  Flügelbauten  als  Nebenskenen  kann 
kaum  anders  als  dadurch  erklärt  werden, dass  auch  aus  ihnen 
hervor  Personen  auftraten.  An  sich  wäre  es  also  wahrschein- 
lich, dass  die  Nebenpersonen  aus  den  'Nebenskenen  '  auftra- 
ten,während  die  [Jauptschauspieler  als  Bewohner  des  Palastes 
u.  s.  w.  aus  der  Plorlc  der  liauptskene  in  die  Orchestra  ge- 
langten. Wir  hätten  also  zu  untersuchen  ,  ob  sich  für  diese 
Annahme  Beweise  linden  lassen. 


nAPAEKHNIA.    nAPOAOI.    nEPIAKTOI  383 

Da  liisst  sich  nun  erstens  wirklich  nachweisen,  dass  sich  in 
diesen  Paraskenien  Thüren  befanden,  durch  die  man  in  die 
Orchestra  treten  konnte.  Pholios,  Etym.  Magnum  und  Bekkers 
Anecdota  nennen  alle  die  Try.pa'jjtr.vioc:  ai  eiToSoi  al  e!?  ty,v  T/.rvr/y. 
Selbstverständlich  ist'7^7;v7;  hiervon  den  Lexikographen. welche 
von  dem  griechischen  Theater  keine  eigene  Anschauung  mehr 
hatten,  eingesetzt  für  das  einzig  richtige  öp/rarpa.  welches 
sich  bei  Didymos  fand,  der  unzweifelhaft  griechische  Theater 
kannte;  vgl.  Ilarpokration  u.a  :  T:xpxn-/,rrn<x  ...  6  Ss  AiSu;j.o?  ric; 
IxaTs'püiOgv  TTiC  ö^yrirsToa;  eJtö^o'j?.  Also  haben  wir  sowol  Didy- 
mos  wie  jene  I^exikographen  als  Zeugen  dafür,  dass  der  Haupt- 
zweck jener  Flügel  bauten  so  sehr  in  den  auf  den  Schauspieler- 
platz geöffneten  Tliüren  lag,  dass  sie  sogar  selbst  EiaoSo-.  ge- 
nannt werden  konnten.  Dass  mit  diesen  dno^o'.  die  grossen 
Hauptthore,  durch  welche  das  Publikum  eintrat,  gemeint 
seien,  scheint  mir  ganz  undenkbar;  denn  wie  könnte  man 
diese  mit  dem  Worte  TrxoxTx.r/nx  bezeichnen? 

Die  Stelle  des  Ilarpokration  scheint  mir  nur  verständlich, 
wenn  wir  in  diesen  Paraskenien  Thüren  annehmen,  durch  die 
man  die  Orchestra  betreten  konnte.  Entscheidend  aber  ist  mei- 
ner Ansicht  nach  die  Stelle  des  Pollux  (IV,  l^ß)  Trap'  e/cxrepa 
Se  Tüiv  o'jo  O'jpwv  Ttüv  TTSpi  -/jV  u,£ij'/iv  oXkoii  Suo  eUv  av,  aia  litaTe- 
pwOev;  also  in  dem  grossen  Gebäude, das  aus  der  mittleren  Skene 
und  den  zwei  Nebenskenen  bestand  waien  meistens,  wie  be- 
kannt,drei  Tliüren  in  dem  mittleren  Hau.  beiderseits  von  die- 
sen drei  Tliüren  aber  befand  sich  noch  je  eine  Thür.  Aus- 
drücklich nennt  Pollux  uns  also  die  Thüren,  die  wir  schon 
annehmen  mussten.  Bevor  wir  versuchen  Näheres  über  sie  zu 
ermitteln  müssen  wir  erst  noch  eine  Stelle  des  Ilarpokration 
genauer  betraclilen,  wo  er  die  Paraskenien  bezeichnet  als  6  Trapic 

TTjV  GX-ovrjV    aTTOf^s^siyaevo;    to~o;    -rai;   el;   tÖv  ävüiva    —apaixs'jai;. 

Diese  Worte  scheinen  mir  z.  B.  bei  A.  Müller  (S.  5!)  nicht 
ganz  richtig  erklärt,  denn  ein  totco;  äxoSs^er'jjLEvo;  xxl^  ei;  tÖv 
ocyüiva  -y.fxnKVjxii  ist  nicht  ein  Baum  'für  die  Thealerrcqui- 
siten  bestimmt',  sondern  ein  Baum  für  die  X'orbereilung  der 
Spiele,  wo  sich  z.  ß.  die  Aukleidezimmer  und  dergleichen  be- 


384  J.    H.    HOLWERDA  JR. 

fanden.  Wenn  nun  von  einem  solchen  Ort  eine  Thür  in  dieOr- 
chestra  führte,  scheint  es  mir  unzweifelhaft,  dass  auch  sie  zum 
Auftreten  benutzt  worden  sei. 

Wie  diese  Thüre  srebildet  war,  lässt  sich  nach  meiner  Mei- 
nung  noch  ziemlich  genau  ermitteln.  Dafür  kommt  in  Be- 
tracht die  schon  angeführte  Stelle  desPoUux  (lV,12G)TCap'£)C(ic- 
TSpx  Se  T(i>v  öupcöv  .  .  .  aXXai  ouo  sUv  av  ttia  estaTeptoöev,  Trpö;  a;  a^ 
TTspiaxTot  <7u[jt.7rs7i:yiYa7iv.  Die  Periakten  sind  an  einer  Thüröffnung 
aufgestellt,  ich  glaube, dass  wir  also  zunächst  annehmen  müssen, 
es  sei  eine  besondere  Vorrichtung,  welche  vor  der  Öffnung 
stand  und  diese  verdeckte.  Vergleichen  wir  mit  dieser  Annahme 
die  Ansicht  Dörpfelds  (S  l"2ü).  in  Fig.  51  zeichnet  er  ein 
'Paraskenion  mit  zweiseitiger  Periakte',  aber  eine  solche  Vor- 
richtung ist  nichts  Anderes  als  eine  um  eine  mittlere  Angel 
drehbare  Thür,  wie  er  auch  schon  selbst  sagt;  erbat  also 
schon  auf  Grund  der  erhaltenen  Beste  die  Thüre  angenommen, 
welche  wir  bei  den  Schriftstellern  bezeugt  gefunden  haben. 
Wenn  wir  aber  diese  Öffnung  in  dem  Paraskenion  als  Thür 
erkannt  haben,  kann  Dörpfelds  Fig.  52  nicht  ganz  richtig  sein. 
Wenn  man  die  Periakte  so  in  dem  Paraskenion  aufstellt, würde 
fast  die  ganze  Öffnung  versperrt  werden  und  es  wäre  unmöglich 
hindurch  zu  geben. Pollux  sagt  aber  auch  nicht,  die  Trepia/tiot 
seien  in  sondern  izpo^,  d.  h.  bei  den  Paraskenien  angebracht. 
Nach  ihm  hat  man  also  die  Periakten  ein  wenig  vor  dem 
Paraskenion  anzusetzen,  so  dass  man  aus  den  Paraskenien- 
thüren  heraus  und  dann  hinter  den  Periakten  hervor  treten 
konnte. 

Über  die  Bedeutung  der  Periakten  handelt  Pollux  IV,  131. 
Zuerst  spricht  er  über  Maschinerien,  die  dazu  gedient  haben, 
Götter  u.  s.  w.  von  oben  herab  erscheinen  zu  lassen  (aiöipat), 
dann  tährt  er  fort:  >taTa€Xr;aaTa  Se  u^xa^LX-^x  y)  7rivax.£?  Tiaotv 
t^ovTE?  Ypa(pä<;  TV)  '/Jiioc  twv  SpafjiXTcov  7rpo(j(popou;i'  Kxzt^xXktTO 
S'  iizi  TÖt;  T^epiajcTOUi;  opo(;  Sei/CVuvTa  ri  öaXaTTXv  ri  TUOTafjiCiv  y)  xXko 
Ti  toioOtov,  Es  ist  hier  also  die  Rede  von  Gemälden  oder  T^iva- 
y.i<;  mit  verschiedenen  Dekorationen  bemalt,  welche  auf  die 
TpepiaxTot  gestellt  werden  konnten.  Deshalb  müssen  diese  Tcepia- 


riAPASKUNlA.     nAPOAOI.     UEPfAKTOl  38o 

/TOI  etwa  Basen  gewesen  sein  mit  gewissen  Vorrichtungen  zur 
Aulnalimevon  Dekorationen.  PoUux  IV,  126  erzählt  weiter  über 
diese:  Trepia/.-ror  r,  u.h  ^el'.x  ~.j.  £';u)  -oAcüj?  Sr./o'jTa.  Also  die 
rechte  Periakte  diente  dazu,  durch  ihre  Dekoration  die  ver- 
schiedenen Örtlichkeiten  ausserhalb  der  Stadt  zu  bezeichnen, 
woher  die  Auftretenden  kamen;  y)  %\  extpa  xä  iy.  ttoXeg)?,  (xxXi- 
•TTa  xä  if.  X'.L/.e'vo? :  die  linke  zeigte  dagegen  die  verschiedenen 
Gebäude,  Häfen  u.s.  w.,  die  sich  in  der  Stadt  befanden,  wo 
das  Stück  spielte.  Diese  linke  Periakte  aber  >tai  Ösou;  xe  bxlx-z- 
xio\)<;  iizxyn  /,ai  uivO'  orsa.  iTzxyhinnpx  ovxa  r,  p.r//av7}  cpEpetv  aö'j- 
vaxei.  Um  diese  Worte  zu  verstehen  müssen  wii'  wieder  die 
schon  erwähnte  Stelle  des  Pollux  IV,  131  heranziehen.  Da  wird 
erzählt  von  einer  Ait  u.rr/x^ri,  welche  von  oben  herab  Götter 
u.  s.  vv.  sichtbar  machte  ;  natürlich  konnten  aber  Meergötter 
nicht  von  oben  herab  wie  vom  Himmel  erscheinen,  sie  mussten 
also  in  einer  anderen  Weise  auftreten,  als  kämen  sie  aus  dem 
Wasser,  und  hierzu  diente,  wie  uns  unsere  Stelle  lehrt,  die  linke 
Periakte.  Unter  den  /.xzx^jyr.ax-cx,  welche  auf  den  Periakten 
angebracht  wurden, nennt  Pollux  auch  OiXaxxav  ri  TCoxaaöv,  wir 
haben  die  Worte  xal  Oeou;  xe  OaXaTxioj;  i-xye'.  also  wahrschein- 
lich so  zu  deuten,  dass,  wenn  ein  Meergott  auftreten  sollte, 
dieser  auf  der  linken  Periakte  zwischen  Dekorationen  erschien, 
welche  Wasser  vorstellten, so  dass,  wenn  diese  Seile  der  Periakte 
nach  vorne  gedreht  wurde,  man  plötzlich  den  Meergott  wie 
aus  dem  Wasser  erscheinen  sah.  Die  linke  Periakte  musste 
aber  noch  mehr  erscheinen  lassen.  tixvO'  öox  i-::xyj)ir!Tt^x  ovxa 
7)  \j:r\yx^r]  (pepsiv  äSuvxTst.  Auch  hier  werden  wir  unter  y\  u.rij^xsy) 
die  in  IV,  131  unmittelbar  vor  den  Periakten  genannten  alöj- 
pai  zu  verstehen  haben.  Pollux  sagt  also,  die  linke  Periakte 
diente  erstens  zur  Bezeichnung  von  Gegenständen,  wie  Gebäu- 
den u.  s.  w.  innerhalb  der  Stadt,  andrerseits  aber  auch  um 
Dinge  auf  den  Spielplatz  zu  bringen, welche  zu  schwer  waren, 
um  von  oben  heruntergelassen  zu  werden, oder  die  ihrer  Natur 
nach,  wie  z.  B.die  Meergötter,  nicht  von  oben  herab  kommen 
konnten.  Vollkommen  stimmt  hiermit  überein  was  er  weiter 
sagt:  £'!  8' äri'jxpy.cpeUv  al  7r£pia/tT0i,7i  Sj;ix  p.£v  xy.ii^a  x6~ov,d.h. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXIIl.  26 


386  .'■    H.    HOLWEliDA   JH. 

wenn  die  rechte  Periakte.  welche  nur  einen  Ort  ausserhalb  der 
Stadt  bezeichnete,  gedreht  wurde,  so  bezeichnete  das  eine  An- 
deruna  dieses  Ortes.  Das  Drehen  der  linken  Periakte  aber, 
welche  nur  Gegenstände  iu  derseliten  Stadt  bezeichnete,  und 
ausserdem  dazu  diente  um  Sachen  oder  i^ersonen  sichtbar  zu 
machen, gab  natürlich  gar  keine  Ortsveränderung  an.'AfAcpöre- 
pai  Ss  ycopav  6-aA7.icT  louaiv  ;  wenn  aber  die  beiden  zugleich  ge- 
dreht wurden,  so  änderte  sich  damit  die  ganze  Dekoration 
an  beiden  Seiten  der  Skene.  Hierdurch  wurde  die  Scenerie 
nach  einem  andern  Ort  übertragen,  d.  h.  der  Ort  der  Hand- 
lung wurde  verlegt. 

Wir  haben  also  folgende  Ansicht  gewonnen :  Die  Paraske- 
nien  waren  'Nebenskenen ',  neben  der  grossen  Skene;  in  die- 
sen Paraskenien  waren  Thüren,  durch  welche  Personen  auf- 
treten konnten.  Diese  Thüren  waren  vielleicht  meistens  durch 
einen  um  seine  Mitte  drehbaren  Pinax  verschlossen,  welcher 
wahrscheinlich,  wie  Dörpfeld  annimmt,  verschiedene  Deko- 
rationen trug,  und  also  wenn  er  gedreht  wurde,  eine  ähnliche, 
nur  nicht  so  grosse  Dekorationsänderung  bewirken  konnte, 
wie  sie  uns  von  den  Periakten  berichtet  wird.  Bisweilen  aber 
standen  vor  den  Thüröfi'nungen  die  Periakten:  dreiseitige  Ba- 
sen mit  einer  Vorrichtung  zur  Aufnahme  von  Dekorationen, 
welche  bei  Aufstellung  von  T^ivaKs;  an  allen  drei  Seiten  hohle 
Prismen  bildeten,  aber  auch  an  einer  Seite  offen  (das  heisst 
ohne  Dekoration)  gelassen  werden  konnten,  sodass  jene  Meer- 
götter und  jene  für  die  ]j.r,/cL\xi  zu  schweren  Gegenstände  in 
ihnen  Platz  finden  konnten.  Selbstverständlich  haben  wir  diese 
dann  auch  von  passenden  Dekorationen  umgeben  zu  denken, 
und  sie  erschienen  dem  Publikum  plötzlich  durch  das  Um- 
drehen der  Periakte. 

Jetzt  fragt  es  sich  aber  noch,  welche  Personen  durch  diese 
Paraskenien  aufzutreten  pllegten. 

Wer  die dörpfeldsche  Theorie  annimmt,  muss  ihm  natürlich 
beistimmen,  dass  die  llauptschauspieler  aus  den  Skenethüren 
auftraten,  während  der  Chor  tiud  diejenigen  Schauspieler,  wel- 
che aus  der  Stadt  oder  aus  der  Ferne  kamen,  durch  die  TrxpoSoi 


HAPAEKUNIA.    riAPOAOI.    nP-PIAKTOI  387 

die  Orchestra  betraten.  Unter  diesen  Parodoi  aber  verstellt  auch 
er  'die  zwei  seitlieben  Zugänge  zur  Orchestra,  durch  welche 
die  Zuschauer  das  Theater  betreten  '.  FJiese  letzte  Annahme 
lässt  sich  aber,  wie  eingestanden  wird,  nicht  beweisen;  über- 
liefert ist  es  nicht,  nur  hat  man  gemeint  es  aus  einigen  Stellen 
schliesscn  zu  dürfen.  Hauptsaclilicli  kommt  hier  die  Stelle  des 
Athenaeus  (XIV, 622  b)  in  Betracht.  Hier  spricht  Semos  6  A/;- 
Xto<;  erst  von  den  aÜTo/.aßSaXot,  dann  sagt  er:  ol  Se  'Mr^xXko'.  /.x- 
Xoü{/,evoi  TTpoiTüiTreia  l/.£0'j6vtü)v  'i^o'jnu  ....  ^lyr,  Se  Sia  toO  tcu- 
Xövo?  EtTs'XOövTe;  öxav  /.atä  ^Anr,^  t-/;v  öpy/;<7Tj:av  yev(i)VTai  ETnaTpe- 
ooudtv  El?  tö  f)iy.-^ryj  u.  s.  w.  und  endlich:  oi  Se  oaXXo<p6poi,  also 
eine  dritte  Art,  Tvpo'icü-elov  p.ev  ou  T.kl/.Szvo'j'ji  ....  xaovixai;  t6 
7C6p'.6£€>.r,a£voi  -apepyovTa'.  o'i  aev  £/c  7:apöSou,  ot  Se  x.aT!z  airscLC,  Ta? 
Öupa;  U.S.  w.Wie  man  hieraus  schliessen  kann.Tr-j^wv  sei  dasselbe 
wie  TTzpoSo?,  verstehe  ich  nicht.  Semos  berichtet  vielmehr  von 
verschiedenen  Leuten, die  verschiedenartig  ausgestattet  in  ver- 
schiedener Weise  auftreten.  Ich  glaube  also  im  Gegenteil  hie- 
raus schliessen  zu  dürfen, die  -zcoSoc  sei  nicht  dasselbe  wie  der 
TcuXtüv,  und  wäbrend  ohne  Zweifel  der  tt-jXcüv  die  grosse  Thüre 
für  das  Publikum  ist.  muss  mit  dem  Namen  rrapo^oc  eine  an- 
dere Thür  gemeint  sein.  Dies  ist  eigentlich  die  einzige  Stelle, die 
uns  etwas  mebr  über  diese  Parodoi  lehrt :  denn  bei  Aristoteles 
Etil.  Nie.  IV'jll^S  wird  äv -rvi  Trapö^  zu  übersetzen  sein  durch 
'beim  Auftreten  des  Cliors':  wenigstens  geben  diese  Worte 
gar  keinen  Aufschluss  über  die  Lage  der  zzpoSot*. 

Ich  glaube. (lass  man  die  -zpoV^-.  zu  erkennen  bat  in  den  mit 
Periakten  oder  in  anderer  Weise  ausgestalteten  Tliüren  der 
Paraskenien,  welche  an  beiden  Seiten  der  Skene  in  die  Orche- 
stra führten,  denn  ausser  den  scbon  genannten,  scheinen  mir 
auch  noch  die  folgenden  Stellen  daraufbin  zu  weisen. Nachdem 
Pollux.  IV,  l'2ö  über  die  Tzxoxn^'c^Kx  und  rrspia/.Toi  gesprochen 


'  Aus  der  Slolle  des  IMutiucli  Dem.  34  glauLie  ich  nichts  schliessen  zu 
dürfen.  Er  hal  unzweifelhal'l  eine  ganz  unrichtige  \'orslellung  vtmi  griechi- 
schen Theater, und  ilie  Ungcnauigkeit  seiner  Scliilderung  crgiebl  sich  schon 
aus  dem  üehraiich  der  Mehrzalil  r.apootuv.   [Vgl.  oben  S.  3ib]. 


388  .1.    ti.    Ht)L\VKUüA    JH. 

hat,  lässt  er  unmittelbar  folgen  :  tüjv  jj.evtoi  TrapoScov  r,  u.h  Se- 
$iä  aypöOsv  •>}  ix.  >t{xevO(;  -o  sx,  TröXeco;  aysi ,  ot  Se  äXXa/^öÖev  Tire^ol 
a(pixvo'ja£voi  xaxx  ttiv  sTepav  iinlxaiv.  Dieses  unmittelbare  Über- 
gehen von  Trapac/cv/vix  auf  Trzpot'^ot  ist  gewiss  am  leiclitesten  zu 
erklären,  wenn  man  sich  diese  Träpo^oi  als  die  Zugänge  durch 
die  7rapa(T/ty)vtx  selbst  denkt.  Weiter  erklärt  sich  auch  das  Wort 
TTE^oi  so  am  leichtesten:  diejenigen,  welche  zu  Fuss  kamen, 
konnten  natürlich  durch  die  nicht  sehr  grossen  Paraskenien- 
thüren  auftreten, die  für  Wagen  zu  klein  gewesen  sein  werden; 
diese  kamen  also  nicht  durch  die  irapoSoi  in  die  Orchestra, 
sondern  auf  einem  anderen  Wege,  vielleicht  durch  den  ttuT^cov. 
Ich  sehe  nicht,  wie  man  sonst  das  Wort  Trs^oi  erklären  könnte. 
Besonders  wichtig  scheint  wir  aber  die  bekannte  Stelle  des 
Demosthenes  i^Gegen  Midias  17)*  und  diejirklärungdes  Ulpia- 
nus:  xai  oux.  evTaOÖ'  £'>tyi  rvi«;  uSpEwc;  a.'k'k'x  tocootov  aürö  7repi9)v 
OiOTS...Ta  ■:raoaax,-/)via  cppzTTcov,  7:poc-i^>.cov  ih<.bi-:r,c,  cov  z'x  briU.6rnx, 
xa)cx  xai  TrpayfxaTa  äf^-üOriTä  [j.oi  izcn^iytsi'^  SisTsXscev.  Richtig  wird 
behauptet  dicuSpi;  bestehe  darin, dass  durch  diese  Handlung  der 
Chor  verhindert  werde  aufzutreten.  Aber  der  Chor  pflegt  doch 
durch  die  Träpo^oi  aufzutreten  ,  und  wenn  das  durch  Verram- 
melung  der  Paraskenien,  verhindert  werden  kaim.so  müssen 
die  Parodoi  in  den  Paraskenien  liegen.  In  dieser  Weise  erklärt 
sich  die  Sache  ganz  ungezwungen.  Und  auch  Ulpianus^  hat  sie 
so  verslanden  :  xä  TrapaT/C-övta  (pparxcov  :  toCt'  stti  äTuotppäxrwv 
Toc;  £7ui  TT];  »rxrjvrj;  eicröSo'j;  tva  6  X_op6;  avaYX,a!^-/]Tat  -gpuevai  Sia 
Ta;  e'^wösv  siaöSoui;  u.s.w.  Ausdrücklich  werden  hier  einander 
gegenüber  gestellt  Eingänge  des  Chors  (also  die  7T;3cpoSoi),wel- 


*  Die  Midiana  fällt  ins  Jahr  354,  Die  Detnoslhcncsstcllo  beweist  mithin, 
dass  auch  die  alleren  Tlieaterbauten  aus  der  Zeil  vor  Lykurg  'Nebenske- 
nen'  neben  dem  Hauptskenengebäude  hallen, 

2  Ulpianus  kannte  selbstverständlich  Krieehischc  Thcalcr  eben  so  wenig 
aus  eigener  Anscliauung  als  jene  Lexikographen.  Aueli  ihm  aber  war  jene 
Erklärung  von  7:apa7)irivca  als  eVaoooi  sehr  gut  bekannt,  und  zwar  in  weil  un- 
getrübterer Form.  Wo  jene  irrtümlich  et?  Tr;v  n/.ri^r\^i  eingesetzt  haben, hat  er 
InX  T7)4  oxT)v^«,bei  der  axT)VT|,  in  der  Nähe  der  axrjvr;,  was  der  wirklichen  Ein- 
richtung der  griechischen  Theater  vollständig  entsitriehl. 


nAPADKHNFA.     nAPOiül.     nKPIAKTOl  389 

che  durch  Ahschliessen  der  Paraskenien  gesperrt  waren,  und 
die  grossen  Eingänf^e  für  das  Publikum,  die  £;(uO£v  eitoSo-.,  die 
wir  schon  unter  dem  Xamen  tt-Zacövs:  gefunden  liaben  ,  durcli 
welche  der  Chor  jetzt  in  ganz  ungewöhnlicher  Weise  gezwun- 
gen wird  aufzutreten. 

Ich  glaube  also  annelimen  zu  dürfen,  dass  sowol  der  Chor 
als  die  Nebenschauspieler  aus  diesen  7:a5a'7/.r,v'.a  in  dieOrche- 
stra  traten.  An  und  für  sich  ist  es  gewiss  viel  wahrschein- 
licher, dass  alle  Schauspieler  gewöhnlich  unmittelbar  aus  dem 
selben  grossen  Gebäude  kommen,  in  dem  alle  sich  doch  vorher 
angekleidet  haben, als  dass  ein  Teil  der  Auftretenden  den  Weg 
kommt,  auf  welchem  noch  eben  die  Zuschauer  selbst  herein- 
getreten sind,  und  wo  wahrscheinlich  immer  noch  Leute  hin 
und  her  gehen  durften. 

Ich  stelle  mir  also  die  Sache  folgendermassen  vor. 

An  beiden  Seiten  der  eigentlichen  Skene,  deren  Proskenion 
die  verschiedenen  Häuser  oder  Paläste  der  Hauptpersonen  oder 
dergleichen  darstellte,  war  eine  Nebenskene  angebaut,  in  wel- 
cher sich  die  Garderoben  u  s.w.  befanden.  Während  die  einzel- 
nen Hauptschauspieler  aus  der  Skene  hervorkamen,  betraten 
die  anderen  und  der  Chor  die  Orchestra  durch  die  TrxfoSo-.  d.h. 
durch  die  Thüren  der  Paraskenien.  Diese  Paraskenienthüren 
waren  verdeckt  durch  eine  veränderliche  Dekoration  und  die 
Person,  welche  um  diese  Dekoration  herum  auftrat,  schien  von 
dem  Ort  zu  kommen,  welcher  durch  die  Dekoration  vorgestellt 
wurde.  Diese  veränderliche  Dekoration  bestand  vielleicht  mei- 
stens nur  in  einem  grossen  um  seine  Mitte  drehbaren  riva;, 
bisweilen  aber  stand  sie  auf  einer  Trepiay.To;,  was  natürlich 
grössere  Änderungen  gestattete. 

Leiden. 

J.  11.  IIULWEUDA  Ju. 


INSCHRIFTEN  AUS  RHODOS 

(s.  oben  XX,  1895,  S.  222  (T.  und  377  IT.,  XXI,  1896,  S.  39  IT.) 

Aus  den  Sitzungsprotokollen  des  Musee  Parent  in  Paris 
vom  16.  Nov.  18G7  teilt  mir  W.  Fröhner  freundlichst  fol- 
gendes mit : 

üne  lettre  de  Salzman,  datee  du  6  de  ce  mois.  annonce 
Venvoi,  tres- proc/iain  .d\inc  partie  des  obj'cts  recueillis  ä 
Kalki  et  ä  Kami  ras. 

Une  des  chambres  se'pulcrnles  de  Kamiros  contenait 
12  petits  sarcophages  en  marbre  ,  de  petites  dimensions, 
remplis  de  cendres.  Siir  l'iin  d'eux  oti  lit  le  mot  APOMON, 
les  aiitres  sont  marque's  de  chiffres.  Une  couronne  de 
feidlles  de  myrte  en  or,  et  une  boucle  d'oreille  ä  tete  de 
taureau,  e'gnlement  en  or,  qui  se  trouvaient  dans  ces  os- 
suaires,  ont  ete  expediees  ä  Paris. 

Ich  bemerke  bei  dieser  Gelegenheit,  dass  in  den  /.  G.  Ins.  I 
durch  Schuld  des  Herausgebers  folgende  beiden  Inschriften 
aus  Kamiros  fehlen : 

1)  Fröhner,  Me'langes  d'epigraphie  et  d'arche'ologie 
1873,  IV  S.    10.    \\  =  m\\\,   I.  G.  A.    10  (aEXi/oipiva). 

2)  Treu,  Arch.  Zeitung  XL  S.  276,  Grabschrift  des  Rho- 
diers  Onasandros  auf  einem  wol  aus  Kamiros  stammenden 
Bleideckel. 

52.  Dunkler  Stein,  rechts  und  links  abgebrochen;  Länge 
0,65,  Höhe  0,25,  Tiefe  0,24,  Buchstabenhöhe  0,015;  kleine 
Apices.  Verbaul  in  einer  Gartenmauer  des  Jadik-effendi  in 
der  Stadt.  Saridakis. 

I  A  N  T  n  N  P 
I  ÜPE Y2B  E 


INSCHHIFTEN    AUS    HHODOS  391 

1    frei     K  A  I  TT  P  E 
O Y  n  AT  O  N 
n  A  I  O  Y   Y 

[Töv  ö£iva    ToO  oeivoi;   TTpeT^eÜTavTa   tcoti   tov  oeivä  rauliav   tcöv 
P[(i)axiti)v,   y.y.ll  7rp£<^'j^a^srü'7avTa ];,    xxl  rrpe,  »j^e'JaavTa  ttotI 

Tov  äv]0'j-aTov  [tojv  'Pcoaaiwv  praenomen,  nomen  noV^io-j  u[lov 
cognoinen  — 

Analogien:  LG. Ins.  I,  48  und  Millli.   1896  S.  51   Xr.  48. 

53.  Dunkler  Stein.  Ausser  dem  oberen  Rande  überall  ge- 
brochen.  Länge  0,'20,  Höhe 0,1  5,  Tiefe  O.OP).  Buehstabenhöhe 
0,02;  starke  Apices.  In  einer  Ackermauer  von  'Ewea  6Soi  = 
Doqus-soqaq.  Saridakis. 

I  E  P  H  I    .    .    .    .  'hpyi  'I[rrio<;  jcat  Bou]- 

BASTI.    .    .    .  €a(iTi[o?  — ] 

KP  ATH  A  .    .    .    .  xpiTY)  'A  -  - 

Die  Ergänzung  will  nur  eine  Möglichkeit  bezeichnen.  Bu- 
bastis  ausserhalb  Ägyptens  verehrt:  Steuding  in  Roschers  Le- 
xikon I  S.  831. 

54.  Massari  auf  Rhodos,  Ort  '  ttöv  {^wypi^ov.  Fragment, 
oben  Rand,  sonst  überall  gebrochen.  Abschrift  von  A-i^ccj;  'A- 
S6>.(piou  aus  Lindos. 

0AHM0  2    OKYONION 
FEMAXON      ATH ZA K 
EZBEYSANTAPPOZ 
"  A  I  I  Z  O  S    K  AI  ^ 
^  T  P  /^  I 

'0  ^Tiaof;   6   Ku8vi[a>]v 
['AJY£(jt.a^ov    'AYYi<jav[Spou] 
[TcpJecßeüTavTa   Trpo?  [auröv] 

xai  l'<i[(»)]?  xai  S[i)caia);] 

[)iai]    iTpj^aTYjyörjavTa ] 


395  !•■.   HILLliU    VON    G.VEHTHINGEN 

Erfolglose  Bemiihunoen  der  Rliodier,  I\ömer  und  Perga- 
mener  um  Rythnos  im  Kriege  gegen  Makedonien  200  vor  Chr.: 
Livius  31 ,  'i5,  vgl.  15. 

55.  Fragment  einer  Basis  aus  dunklem  Stein;  Länge  0,35, 
HöheO,20,TiefeO,15  Buchstabenliölie  Z.  1:  0,03;  Z.  '2:  0,01. 
In  Qyzyl  -tepe. 

O  E  O  I  Z  eeoi; 

OAQPOY  —  oooipou  [ —  e::o(Tia£]. 

üass  Z.  2  den  Künstlernamen  enthielt  ist  sicher.  Man  kann 
an  nXouTap/^o?  oder  A7i{jL7)Tpio;  oder  auch  an  'HXioScopo;  'HXio- 
Swpo'j  (Löwy,  Inschr.  griech.  Bildhauer  '»03)  denken,  womit 
natürlich  die  Zahl  der  Möglichkoiten  nicht  erschöpft  ist. 

56-59.  Auf  demselben  Ackerstück  des  Qyzyl-tepe,  wo  60- 
63  gefunden.  Diese  vier  Steine  gehören  ersichtlich  zu  einem 
Familiengrabe  (Saridakis).  Es  sind  drei  Geschwister,  von  de- 
nen eines  schon  nicht  mehr  das  heimische  Demotikon  führt, 
und  eine  Anverwandte. 

56.  Stele  von  weissem  (^eux-otätoü)  Marmor,  Länge  0,70, 
Höhe  1,70,  Tiefe  0,30,  Buchstabenhöhe  0,04. 

APIATPIOZASANAPOY  'A-ravSpou 

MAFNHZ  MdcyvY)?. 

Man  könnte  an  einen  Schreibfehler — [A]a[(j!,]xTpto;?  —  den- 
ken oder  auch  an  einen  mit  'Api-  Zusammengesetzen  Namen. 

57.  IMatte  (Stele)  von  weissem  Marmor;  Länge  0,40,  Höhe 
1,20,  Tiefe  0,12.  Die  auf  dem  untersten  Viertel  des  Steines 
eingehauenen  (3uchstaben  sind  0,02  hoch. 

MENEKPATH2  MevexpäTYi; 

AZANAPOY  'AcravSpou. 

58.  Platte  (Stele)  aus  weissem  Marmor;  Länge  0,35,  Höhe 
0,70,  Tiefe  0,20.  Schrift  wie  bei  der  vorii^en  Nummer. 


INSCHlUFTEN   AUS  RHODOS 


393 


APAKONTIZ  ApajcovTi; 

A5:ANAP0Y  'A'TzvXpou 

MArNHZSA  Mayvr'jaa. 

59.  Platte  (Stele)  von  weissem  (Xe'jx.otztou)  Marmor;  Länge 
0,35,  Höhe  0,75,  Tiefe  0,25,  eingelassen  in  eine  Basis  von 
weissem  Marmor  ohne  Inschrift. 

APTEMEISIA  'Ap-eu.iidx 

APISTOrENOYS  •Api'TToyevou; 

MAFNHSZA  MäYvr.Gca. 

60-61.    Fundort  wie  bei  56-59.  Saridakis. 

60.  Kopwvi;  (corniche)  >>£'jy,0'j  y.xpuAoo'j,  ar,/.o;  1,00,  TrXaTO? 
0,60,  %X'ioq  0,25.  Tä  YpiaaaTa  -^v  kizi  tt;;  e-'.^aveix;  Tvi;  iyou- 
OY);  0,25  TTX/^o?,  £v  el'Sei  jcoptoviSo;. 

MENEMAXOYAlZKAAniAAABPYKOYNTlOY 
KYAATETAAAEZANAPOY  A  M  I  A 
TYNAAEMENEMAXOY 

M£V6[A«J(^0U    'AaKXoCTTiaSa     BpuXOUVTlO'J. 

KuSotYETa  'A>.£;ävSpo'j   'Apiia, 

yuVOt    8k    M£V£1JI,3CJ(^0'J. 

61.  Basis  aus  weissem  Marmor,  0,60  lang.  0,50  hoch, 
0,4  0  tief. 

MENEMAXOZMENEMAXOY         M£V£(j.ax.o?  MEvsai/^o-j 
BPYKOYNTIOZ  Bpu/couvTio?. 

62.  Grabaltar  aus  weissem  Marmor  mit  Bukranien  und 
Guirlanden.  Fundort  wie  bei  56-59.  Saridakis. 

A  P  T  E  M  n  'ApT£{^w 

ZYPAKOSIA  i:upaxoaia. 


394  F.   HILLER    VON    GAERTRINGEN 

Schwerlich  identisch  mit  /.  G.  Ins.  I  472  TIMÜ  |  2YPA- 
KOZIA  (auch  nach  Saridakis). 

63.  Stele  von  weissem  Marmor,  0,2?  lang,  0,60  hoch,  0,08 
tief.  Fundort  wie  bei  56-59.  Saridakis. 

ANOPAKION  'Av0pä)ciov 

XPH2TAXAI    P   E  lpf><^rx  /aips. 

64.  Dunkler  Stein,  Länge  0,76,  Höhe  0,26,  Tiefe  0,44;  in 
Massari  (Mai^Tipy))  bei  'Icoxwy)«;  KauTraaTocva;  (Saridakis).  Der 
Stein  ist  in  der  Länge  und  in  der  Mitte  quer  durchgesägt. 

E^...hNEPM.nOAiT..KAI       Ecr....v'Epa[o]7roXiT[a?]  xal 
riLHNA    MAIHTIZ  [E]![p};iva  MaicÖTi? 

X  P  H  S  TOIXAI  PETE  xP^ctoi  xatpsTe. 

65.  E)c  ßadsto;  fxap{j(.xpiv7);,  £up£0si(J7i(;  ev  rat?  'Evvea  'OSot? 
(Doqus-soqaq).  'E^wpyjöyi  utco  oi)coS6[jt.oi».  Saridakis. 

API2TPATOY  'ApKJTpaxou 

OEYAYTOY  0euXurou 

KAPPAOlOnOAiTA  Kap7ra8io7ro\iTa. 

Wie  Saridakis  bemerkt,  jedenfalls  ein  Verwandter  des  /. 
G.  Ins.  I  225  genannten  ©suXuto;  ©sdX'jtou  KapxaOio-oXiTa?. 

66.  Altar  von  weissem  Marmor,  mit  Bukranien  und  Guir- 
landen.  Aus  Doqus-soqaq,  in  der  VVerkstätte  des  Steinarbei- 
ters in  Neomaras  (zu  /.  G.  Ins.  I  180  ff.). 

ATHSIANAZ  'AyyiGiava^ 

AFHZIANAKTOZ  'AyYjaiscvaxxo? 

A  P  r  E  I  O  2  'Apyeio?. 

67.  Aschenkiste  ev  ttj  Oeaei  Mapivou  Trapa  tt^v  yicpupav.  Sari- 
dakis. 


INSCHRIFTEN   AUS   RHODOS  395 

API2TOAAS  'ApiaroXa? 

KAEITAINETOY  K^eixaivETOu 

T  H  A  I  O  Z  TrAto?. 

Saridakis  möchte  hieraus  in  /.  G.  Ins.  I  731,  einer  In- 
schrift aus  dem  Ileili^^um  des  Apollon  Erethimios  hei  Kami- 
ros,  wo  Boss  KAEI^TOAAMOZ?  APISTOAA  gieht,  KXsi- 
[raivETo?  'Aptj'TTÖ).?.  lierstellen  ;  dies  sei  ein  Sohn  des  Teliers. 
Bei  dem  engen  Zusammenhange  von  Telos  und  Rhodos  (zu- 
nächst allerdings  Lindos)  ist  solche  Beziehung  sehr  wol  mög- 
lich. 

68.  Stele  mit  Zapfen.  Schöne  Schrift  des  II.  Jahrhunderts 
vor  Chr.  Ahschrift  von  Diakos  Adelphiu  in  Lindos. 

P  I  A  I  _  $t>.i['7/to;   Toö  Seivo;] 
KATAFENESIN  xaxä  yevsdiv, 

KATAYO0ESIANA1.  y.%-'x  üoOc-jiav  S[6] 
TEIZIKPATEYZ  OeiffixpaTeu? 

A  P  Y  I  T  A  2  Ap'jlTa?. 

69.  Tefxayiov  ErriT'jabio'j  Tr^^axö;  Ie'jko'j  aapuizco'j  "zxo'x  tx  Ko- 
(7)c'.vo'j,  fx-oy.o;  0,35,  T^XäToc  0,25,  t^xx^"^  0,07.  Saridakis. 

ZEINAF>ETAZ  Setvapera; 

AM(t)ITEAEYS  'AuKpixAsu; 

(()  A  r  A  I  A  Z  $ayaia?. 

Zum  Demotikon  vgl.  /.  G.  Ins.  I  300. 

70.  Ilapa  T7)v  yicf'jpx^  Tr,<;  ötfjEü);  'Mapivou'.  Fragment  einer 
Aschenkiste.  Saridakis. 

P  A  T  O  Z  [AafjLäjpaxo? 

r  O  P  A  [Eüa^yöpa 

M  I   O  Z  ["Ajaio? 

So  Saridakis;  es  sei  der  Sohn  oder  Vater  des  /.  G.  Ins.  I 
253  genannten  Eüayöpa  |  AafjiapxTou  'Aaiou, 


396  F.   HILLElt    VON    GAEHTHINGEN 

71.  Aschenkiste  in  der  französischen  Schule  in  'AxavSia 
(Saridakis).  Vgl.  /.  G.  Ins.  I  269  IT. 

T  I  M  O  O  E  O  Z  TtjjLoOfio? 

PEISIKPATEYS  Ihicriy.päTcu: 

0YZZAN0YNTI02  0u(TTavoOvT'.o<;. 

72.  Aschenkiste  im  Hofe  eines  türkischen  Hauses  in  der 
Stadt,  wo  auch  Nr.  99.  Saridakis. 

T  I  M  O  O  E  .  .  Tia606[o;l 

T  I  M  O  K  P  A  T  .  .  .  Ttij.oxpäT[6u;] 

OYZZANOY ©ucdavo'JfvTio«;]. 

Saridakis  erinnert  an  Ttp.oxp3f[Ty](;]  Ti(jt.o6eou  in  der  lindischen 
Inschrift  /.  G.  Ins.  \  845,25.' 

73.  Iksis  aus  weissem  Marmor,  0,60  lang,  0,30  hoch,  0,30 
tief.  Qyzyl-tepe,  da  wo  Nr.  56  ff.  Saridakis. 

AAEZANA  P02  'AXe^avSpo? 

AAEZAN   A  POY  'AX£;ivSpou 

K  A  A  2  I  O  2  K).X(itoc. 

74.  Basis  von  weissem  Marmor,  gefunden  in  Doqus-soqaq. 
(Saridakis  nach  einem  Maurer). 

APISTOKPITOZ  'ApicTTOJcpiTO? 

KAEftNAKTOS:  K>.£o)vax,TO<; 

T  A  n  I  O  2  TXüJio;. 

Ich  habe  früher  geglaubt,  die  TXdJioi,  welche  auf  rhodischen 
Inschriften  so  häufig  vorkommen,  wären  Bewohner  der  lyki- 
sclien  Stadt  Tlos.  Allein  der  umstand, dass  in  dem  kalendarisch 
geordneten  Namensverzeichniss  IG. Ins.  I  4  TXwoi  erscheinen, 
rnacht  bedenklich,  und  die  in  der  ivaypacpY)  der  Priester  des  A- 


INSCHRIFTEN   AUS  RHODOS  3Ö7 

pollon  riuöio?  y-xX  Kapveio;  >tai  M'jXavTio:  aus  Kamiros  (Nr.  697) 
genannten  Tloer  können  kaum  etwas  anderes  als  Kamireer 
sein.  Wir  kennen  nocli  lange  nicht  alle  Demotika  der  rhodi- 
schen  Städte.  Also  meine  ich  jetzt,  dass  Tlos  eine  xToiva  Kapi- 
p£(i)v  war,  entweder  vi  xai  vicwi  oder  iv  tSi  i-etpoj'.. 

75.  Ai6o;    Xs'j/.o;    xA'.vOosiSr,;    ix.epa'.o;    xavrayoO  ,      e-jceOei?    £V 

Merzzan -tepe  (=  Monte  Smith),  jetzt  in  M-oTpÖTroXi;  im  Hause 
des  Maurers  Fsiopyio?  KaXi/tx;.  Länge  Ü,22,  Höhe  0,10,  Tiefe 
0,10.  Saridakis. 

TIMAKPATH  TtpLa/.pÄTT) 

TIMOKAEYZ  Tiizo-aeC;; 

T  A  n  I  A  TXcofx. 

76.  Dunkler  Stein,  0.25  lang,  0,18  tief,  rechts  <<ehrochen  • 
im  Pflaster  der  Stadt  hei  der  Post.  Saridakis. 

ERAT        Z.   B.     'EpaT[o(pavYi(;  oder  -oJtXri«;] 
r  N    ß  rvuLaayopa  oder  -cria] 

A  P  'Ap[y£io?]  oder  'ApL^aaeieug'  oder  ''Ap[io;]. 

um  nur  einiges  Nächstliegende  zu  erwähnen. 

77.  Aschenkisfe  von  weissem  Marmor,  in  einem  türkischen 
Hause  der  Stadt.  Saridakis. 

HPA2AZIOXOY  'Hpa;  'A^iöxou. 

78.  Tejjiayoi;  iTrtTuaSiou  ■kKxmc,  Xs'jäotxtO'j  p,apaipou"  nXiro? 
0,50,  7ci/o;  0,15,  tÖ  u'|o?  ii-()  iv  1,25,  äv  Q)zyl-tepe,  ev  öOcriULa- 
vixö  äypw,  )C£iu(.£v(p  svxv-:'.  xxi  ou  Tröppca  toO  7rpo6tpriu.£'vo'j  (s.  Nr. 
59).  Saridakis. 

A  A  K  I  M  f 

A  A  K    .    .    .    . 

Saridakis  erinnert  an  den  Strategen  'AXäijjleSwv  'AX/.KJTpiTou 
/.  G.  Ins.  I  50,   13. 


398  F.   HILLEH    VON    ÜAKUTRlNCtEN 

79.  Grabstele,  0,2?  lang.  0,4  5  hoch,  0,08  tief,  aus  Mev- 
y.x'jXT,.  Saridakis. 

M  Q  r  E  T  A  2  MoyeTa; 

M  Y  T  I  Q    N    O   Z  MuTiwvo?. 

Zum  Namen   vgl.  Kretschmer,   Einleitung  in  die  Gesch.  der 
griech.  Sprache  S.  332:  Moayäxrj;  Tyrann  von  Kibyra  u.a.m. 

80.  'E^  ÖTTeoOr/KYis  >.6u)co0  [zapp-ocpou,  Tvapa  xoi  XaTUTuw.  Sari- 
dakis. 

AP  ZI  NO  H  Z  'ApctvoYi? 

AAEZANAPIAOS  'A);£;avSptSo?. 

81.- Basis  (TpÄTTsi^a?)  aus  weissem  Marmor,  unversehrt. 
Läncje  0,60.  Höhe  0,40.  Tiefe  0,'i5.  In  der  Mitte  ein  oben  of- 
fener  Lorbeerkranz.  Inder  Stadt  im  Hofe  eines  türkischen  Hau- 
ses. Saridakis. 

AHMHTPIOY  (Kranz)  A  AI  K  APN  AZSEQZ 

AyijxTOTpio'j  'A)a-/capva(j(T£(i)c. 

82.  T£[7.ayo;  AsuKoO  i^.ap{;,äpou,  p.TjX.o?  0,30,  7:>ä-:oc  0,20,  irä- 
yo;  0,12,  £v  TYi  'Ayia  'AwxnTixnix  (vgl.  l.G.Ins.  I  2,')0  a).  Sari- 
dakis. 

M  H  N  O  A  a  P  Mr,voSa)p[o;] 

AAIKAPNAS  '  AXtx'ypvaci  aeü?] 

X  A  I  P  E  xaTps. 

83.  Grabaltar  aus  weissem  Marmor  mit  Bukranien  undGuir- 
landen.  In  der  Stadt  beim  Grabsteinvei'i'ertiger.  Saridakis, 

APNASSIS  [ä  Seiva  'AXtxjapvaTdU 
2  [yuvä  Vi] 

N  O  P  O  Z  -   -   vopo? 

P  E  lXai]p6 


INSCHRIFTEN   AUS    RHODOS  399 

8'i.    E;  ÖTTeoOr^y.T;;  iv  tw  aiTei.  Saridakis. 

AFAOANOPHZ  'AyaOavopYi; 

A  P  A  A  I  A  Z  'ApxSia;. 

85.  Asclienkiste  von  dunklem  Stein;  in  der  Stadt  beim 
Grabstein  verfertiger.  Saridakis. 

K  P  I  T  n  .  KpiTü)[vo?] 

E  4)  E  .   .   .  .  'E9e[<7iou]. 

86.  AtOo?  (pa'.öi;  Trap'  eaoi  eüpiT^oaEvo?,  1/.  toO  -pvaTTripiO'j  Xa- 
TOTTou.  M-ox.o;  0,26,  TcXocTo;  0, 18,  -xyo;  0,1  5.  Biiclistabenhöhe 
ungleichmässig.  Saridakis. 

(j)IA0M0Y2.    .  <i>a6u.o'ja[o<i] 

nÄT  Ä  P  E  Y  Z  .    .    .  naTaps-J;. 

Ä2TÄl22arHPI  'A'TTaU  ^ojrr^pi- 

AÄMÄZIAEIOTÄ  Sa  Mac(cr)a£..[ü)]Ta  (so!). 

87.  Bukranienaltar,  0,39  hoch.  In  Metropolis  bei  Stama- 
tios  Razulis.  Saridakis  nach  Abschrift  des  Arztes  Demetrios 
Maliakas. 

A  O  H  N  I  n  N  'A9yiviü)v 

5:  E  A  .    .KEYS  2£a[s-j>£Ü?. 

88.  Bukranienaltar  bei  Kopax.öv£pov.  Saridakis. 

MHNOAÜPOS:  Mnvoö'copo? 

ZMYPNAIOS  Xa-jpvaio;. 

89.  Dunkler  Stein,  allseitig  gebrochen.  Grösste  Länge  0,55, 
grösste  Mühe  0,50,  Tiefe  0,20.  Gefunden  am  Orte  Tp£i?MüXoi. 
Buchstaben  mit  Apices.  Abschrift  und  mehrere  Ergänzungen 
von  Saridakis. 


400 


}                                                h\   HlLLEU 

VON 

GAERTRINGEN 

0    E    1    . 

M  AT  E  P  A 

ü 

- 

-  xäv]  p.aT£pa  -      -      - 

AFHS  K  A 1 

- 

-     äyY);(?)  y.xl-      -      - 

Z  1  KOYTAN 

- 

Nau](jiKO'j  räv   -      -      - 

NOHPaNOST 

- 

-   V     ©'/jpcovo?   T[a.v 

ZEAEYKOZ  K 

- 

xai]  ÜeXe'jko;   •^[at  - 

OHPHNIA 

- 

y.ot.1]  0Y;p(i)v  'la- 

APIZ 

- 

'AptTiT          -        -        - 

KAO 

- 

KaO'  [ioOeoiav  Se 

A 
K 

^ 

90.  Basis  (TpxTcs'Ca?)  von  weissem  Marmor,  0,30  lang,  0,32 
hoch,  0,35  tief.  In  der  \'orstadt  Metropolis  im  Hofe  des  Sta- 
matios  Razulis.  Saridakis  nach  Abschrift  des  Arztes  Deme- 
trios  Maliakas. 

AI0IAOYTABHNOY  AKp^ou  Tagvivou  . 

..A0     MEPlAOSErrENEYS      ['AY]ae[a]{y.£piSo?  iyyevsö?. 

91.  Cylindrischer  Bukranienaltar.  Zeichnung  von  Diakos 
Adelphiu  aus  Lindos. 

ATHSANAPOS     'Ay^'javSpo;. 

92.  Grabstele,  gefunden  Iv  rfi  fiiaei  Mapivou  Tcapä  t6v  Tcoxa- 
[xov.  Saridakis  nach  Abschrift  eines  Maurers. 

MYPMAK02  Mup|jLa)co? 

KAITAZrYNAI    kos:  xat  xa?  yuvatxö? 

XAPITA2  I  2T  XxptT[(L]?  (?)  "I(7T[avia?]. 

Xapira?  ist  mir  unwahrscheinlich  ;  über  die  Namen  auf  -ü 
Gen.  -d);  s.  Biass- Kühner,  Griech.  Gramm.  I  S.  455  Anm. 
2  oben. 

93.  Grabstele  von  dunklem  Stein,  oben  gebrochen.  Länge 


INSCHRIFTEN  AUS  RHODOS  401 

0,22,  Höhe  0,25,  Tiefe  0,08.  Beim  Grabsteinverfertiger  in  der 
Stadt.  Saridakis. 


A  Z  K  A  A  Z  K  .   .       .  'küKkx'^  y[xK\ 

APIZTOBOYA.   .  .  'ApicTö€ou/[o?] 

K  A  I  A  I  O  A  O  T  O  .  x.ai  Ai6Wo^<;  jtai] 

0IAAAEA4)O.  ^Ckklikr^Kj[(;] 

XPHZTOI XP*'"''''^^'  LX*'psf«]- 

Man  kann  auch  an  ol]  |  <I>iXaS£X9o[uj  denken;  doch  weist  yp»- 
(TToi  x'^'ps'^s  auf  einen  niederen  Stand,  bei  dem  der  Vater  nicht 
genannt  zu  werden  brauchte. 

94.  MyiTpoTToXi;.  Aschenkiste.  Saridakis. 

APOAAnNIAA  'AzoUwvi^a. 

95.  Qyzyl-tepe.  Aschenkiste.  Saridakis. 

AAMQNAZZAZ  Aafxwvacda;. 

96.  Aschenkiste  von  weissem  Marmor,  gefunden  in  Qyzyl- 
tepe  zusammen  mit  Nr.  56  ff. 

A  I  O  N  Y  S  I  O  Y  Aiov.jGiou. 

97.  Aschenkisle  aus  weissem  Marmor, bei  der  Vorstadt  Me- 
tropolis. 

E  Y  K  A  E  Y  Z  EixXeu?. 

98.  In  der  Stadt  beim  Grabsleinverfertiger.  Fragment  ei- 
ner profilirten  Stele,  Höhe  0,47,  Länge  0,2'',  Tiefe  0,08.  Sa- 
ridakis. 

E  Y  (f)  A  M  O  Z  Euipaao; 

OXPHZTOZ  6  xP'^'^J'ö; 

X  A  I  P  E  X*"-?«- 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXIII.  27 


402  F.  HILLER   VON   GAE1\TRIN6EN 

99.  Aschenkiste  im   Hofe  eines  türkischen  Hauses  in  der 
Stadt.  Saridakis. 

HPniAAZ  'HpcötSa;. 

100.  Aschenkiste  von   weissem   Marmor  bei  der  Vorstadt 
Metropolis.  Saridakis. 


O  E  Y  <j)  I  A  O  Y  0eu(pa 


Ol». 


101.  Viereckige  Platte  aus  weissem  Marmor,  Länge  und 
Höhe  0,05.  Gefunden  in  Max.pü  2t£v6.  Saridakis  nach  Ab- 
schrift eines  Maurers. 

I  O  Y  A  I  O  Y  'louT^iou. 

102.  'Ek  Xsukoö  xiu.oi.jj.o\)  p.ap(i.apou  >tu)avSpt)toö,  [xoipav  (xtcot6- 
XouvTO;  {jt.gyd:).ou  JtuXivSpou,  Siau-Tra^  SiaxpiQTOu,  öizdii;  xal  I.G.lns. 
I  673.  '0  Xiöo?  (pu>.ä(jo6Tai  iv  tu  ol'xo)  [aou.  Saridakis. 

.  Y  A  1  Ä  C  [Kj-j^ioc;. 

103.  Bukranienaltar  aus  weissem  Marmor,  0,36  hoch.  Im 
Hofe  des  Stamatios  Kazulis  in  der  Vorstadt  Metropolis.  Sari- 
dakis nach  Abschrift  des  Arztes  Demetrios  Maliakas. 


A  A  O  A  I  K  H  AaoSt 


tKY). 


104.  'E^   öcTeoOyiKTi;   >£'jxoC    p.app.apou  ,    iv    tw    7rpoacT£i(o    toö 
*Ay.  Fecopyiou  rou  TzxXoiioü .  Saridakis. 

M  A  N  E  Y  S  Mäveu;. 

Auch  auf  Amphorenhenkeln:    'AO/ivatov  III   S.  229,   109; 
vgl.  /.  G.Ins.  1  1345. 

105.  Von  Herrn  Saridakis   wurde    in   einer  Apotheke  der 


inschiuftkn  Alis  Rhodos  403 

Stadt  Rhodos  ein  Abklatsch  unbekannter  Herkunft  abgeschrie- 
ben. Das  Papier  ist  0,75  lang  und  0,37  hoch.  Sehr  spät. 

EYTYXIAArEEToPlAoYXAN 
API  AEKA  +  KAAOTEKNIACKA 
TECKEYAEENToAEEProN 
+    ENGAAEKEINTAI -f  APIIITOKPATHC 
5  ATA  eu  N  Y  M  X 

+    KAIZU   TlklCGYrAArHCX 

KPAToVCKAlEYTYXIAChKAINET 

XEVMBITEKNoNoYAlCrAPAGHN 

E'jT'jyia   'AyeaTopiSoy  -j-  äv- 

8pia;   x.3cl   x.a).OTEx.v£a<;  xa- 

TEfj/.e'jacEv   tcSe   i'pyov. 
-|-  'Ev^xSs    /.eivxat    'Ac'-axO/cpi-ry)«; 
5  AyaOwvöüLLO'j] 

-|-   XX'.  ZcoTix.i;   6uyx(T7)p)   'Ayr,T[t]- 

xpaTOu;   xat  EuTuj^iä?  ri    xal  Nex-  -, 

(EüO)ü[/.(6)i  ?  x£/cvov  ouSi?  yap  äO(i)v[axo?]. 

Z.  8  ergänzt  von  Wolters. 


Berlin,  März  1897 


F.  IIILLKR  VON  GÄRTIUNGEN 


-0-T$l!^-<*- 


DUE  LEKYTHOI  DI  TANAGRA 
(  Tavola  V  ) 

Nel  commercio  antiquario  di  Atene  si  trovavano  nel  1886 
due  lekythoi  assai  notevoli,  che,  secondo  affermava  il  posses- 
sore,  erano  stale  rinvenule  insieme  in  una  tomba  di  Tanagra, 
e  delle  quali  il  sii^nor  F.  Winter,  cui  siamo  debitoi'i  di  qiiesta 
nolizia.  fece  due  scliizzi,  che  si  conservano  nella  raccolta   di 
disesni    delT  Istitato  Germanico   in  Atene  sotlo   i  nn.  354   e 
355.  Deir  uno  dei  due  vasi,  il  piü  importante,  che  piü  tardi, 
nel  1893,   ebbi  occasione  di  vedere  io  stesso,    riproduco  qui 
alla  tavola  5,  1    il  disegno  per  me  allora  eseguito   dall'  abile 
mano  del  sig.  E.  Gillieron ;  dell'  altro  ,   da  me  non  veduto, 
riproduco  alla  stessa  tavola  5,  2  lo  schizzo  fatto   dal  Winter'. 
Per  quanto  si  puö  giudicare  da  questo,  i  due  vasi,  che  hanno 
entrambi  la  stessa  forma   ed   al- 
tezza  (m.  0,565)  concordano  fra 
loro  anche  nello  stile  della  deco- 
razione^.    Sul  davanti  di  ciascuno 
si  vede  un'unica  figura  disegnata 
con  fini  tratti  di  vernice  nera  lu- 
cida ,   abilmente  condotti   ma  un 
po'  in  fretta.  La  figura,  che  e  es- 
pressa  nella  prima   lekythos   (v. 
tav.  5,1  ),  e  adesso  alquanto  sbia- 
dita  ed  anche  guasta  nel  piede  d. 
e  nella  mano  d.,  ma  perfettamente 
riconoscibile.  La  foggia  dell'  abito 
variegato   la  dice  [un  Persiano.    In  testa   ha  la  tiara   colle  ali 
disciolte  e  svolazzanti,  di  sotto  alla  quäle  fluisce  sulle  spalle 


*  Quando  1p  prescnti  pagine  crano  giä  scriltc  lo  schizzo  del  primo  fu 
pubblicato  dal  Conze,  Grabreliefs  II  Nr.  1148  a  confronto  della  stela  di  Li- 
sas, tav.  244. 

2  II  becciiccio,  11  manicn  e  la  parte  inferiore   del  coipo  sono  neri ;  il  giro 


fPP '.  a^>?j5ifHfS-^^'^^»''jj'  a^ 


4+j(ti]li>T,ij3£.j  ri-,ii5»LL 


DUE   LEKYTHOI   Dl  TANAGRA  405 

la  lunga  chioma ;  indosso  porta  una  giubba  cinta  alla  vita  e 
adorna  di  frange  nell'  orlo.  e  sotto  la  medesima  un  sottaljilo 
a  maglia  con  maniche  ed  anassiridi ;  ai  piedi  le  scarpe  asia- 
tiche  a  punta  stretta  e  rivolta  in  su. 

Egli  e  un  arciere  ;  al  fianco  porta  appesa  la  faretra,  coUa 
sin.  stringe  1'  arco.  ma  insieme  imbraccia  anclie  una  pelta, 
arma  di  difesa  concessa  talvolta  anche  agli  arcieri,  come  si 
vede  p.  es.  nel  Persiano  genuflesso  del  fregio  di  Athena-Nike'. 
Inutili  tuttavia  sono  diventate  le  sue  armi,  ed  ei  fugge  rivol- 
gendo  indietro  lo  sguardo  doloroso  e  eolla  deslra  stesa  implo- 
rando  pietä  dal  nemico,  che,  come  deve  immaginarsi.  lo  in- 
calza  e  giä  sta  per  finirlo. 

Dalla  maggior  parte  delle  rappresentanze  di  Persiani,  di  cui 
abbiamo  giä  non  pochi  esempi  nella  ceramica  attica  fino  dall' 
epoca  dello  stile  d'  Epitteto  e  piii  ancora  nello  stile  severo  piü 
recente^,  la  nostra  si  distingue  subito  per  cio  che  ha  tutta 
l'aria  di  essere  un  exccrptum  di  una  composizione  piü  vasta. 
L' immagine  di  un  guerriero  dell'  esercito  persiano,  forse  di 
alto  grado,  in  atto  di  fuggire,  nel  cui  sguardo  si  legge  vera- 
mente  il  dolore  della  sconfitta,  a  chi  non  fara  pensare  a  qual- 
che  episodio  della  battaglia  di  Maratona  dipinta  nella  Stoa 
Poikile'>  Si  sa  che  nella  parte  centrale,  ossia  nel  posto  piü 
cospicuo  di  quella  composizione,  era  espressa  appunto  la  tuga 
dei  Persiani^;  e  questi  non  (iguravano  soli  nel  trambuslo  ma 


esteriore  del  piedc  rimane  del  colore  naturale  dell'  argilla ,  e  cosi  pure  le 
spalle,  sopra  le  quaii  nell'  uuo  dei  easi  e  diplnla  a  verniee  una  Corona  di 
fogliolinc,  ncir  alUo  Ire  palmeUe.  Le  tigure  suno  cseKnile  .s(ipra  la  solita 
ingubbialura  bianca  del  corpo;  in  allo,  in  ainbeilue  i  easi,  corre  un  niean- 
dro  semplice;  i  due  gruppi  laterali  di  pahncUe  si  Irovano  .solo  nella  prima 
lekythos. 

<  Le  Bas-Reinaeh,  Vuyage,  Arrhüecture  tav.  9;  Baiuncister,  Dcnhmälcr 
tav.  25  flg.  \nS  (prima  ligura  as.).  Cf.  Herodot.  VII,  61  .sgg.  Veggasi  poi 
la  stcla  di  Lisa.s,ricurdala  alla  p.40'j  nota  1  ,e  gli  allri  esempi  eilati  dal  Conze. 

2  V.  il  piaUo  in  Klein,  Lieblingsinscliriflen'^  p.  87,  tig.  2-2;  Jalirbucli  des 
Insl.  III,  1888,  tav.  4  (iigure  i.solate).  Seene  di  baUaglia  in  Gerhard,  A.  V. 
tav.  106;  Hartwig,  Meislcrscluilcn  la.\.  bh  i>g.;  Cal.  of  vases  in  llie  lirüish 
Mus.  III,  E  233  ecc.  Cf.  in  generale  Hartwig  1.  eil.  p.  519  et  524. 

3  Pausan.  I,  15,  4. 


406  L.    SAVIGNONI 

frammisti  agli  insecutori  in  modo  da  formare  varii  gruppi, 
come  si  desume  dalle  seguenti  parole  di  Ilimerios:  outtw  Se 
TOi;  x-o^xrsi  cr'jV£u.iTYOv  (gli  Atcniesi)  xat  TracauTiJta  STpeTCOvro" 
eoövi'jov  äXTvO'j;  £v  öcX).ot;  Toi:  elosTi  tcov  cpövwv  ,  toüc  aev  Ta)(_£i 
(pOivovTS:,  to'jc  Se  tö  cpöSw  )^eipoup.6voi '. 

Se  menlaliiienle  si  compleli  la  rappresentanza  della  nostra 
lekythos  colla  figura.  qui  omessa,  dell'  insecutore,  ci  parra  di 
avere  dinanzi  agli  occlii  uno  di  quegli  episodi  dipinti  nella 
Stoa.  E  non  senza  ragione.  Lo  Stile  del  vaso,  che  e  iin  po'  piü 
progredito  di  (piello  della  tazza  di  Codro,  ci  riporta,  secondo 
i  recenti  studi  del  Graf  2,  verso  il  460  av.  Gr.,  cioe  appunto 
neir  epoca,  in  cui  le  pilture  di  Polignoto,  di  Micone,  di  Pa- 
neno  ecc,  fanno  furore  in  Atene  ed  inspirano  anche  la  deco- 
razione  dei  prodotti  ceramici.  Ed  infatli  si  puö  sorprendere 
anche  qui  un  po'  dell'  rfioc,  polignoleo  nell'  espressione  del  do- 
lore e  dello  scorno,  che  anima  la  fisionoraia  del  fuggitivo,  e 
nella  caratteristica  del  barbaro,  che  qui  h  nobile  e  dignitosa, 
a  differenza  delle  rappresentanze  piü  antiche  su  vasi  dello 
Stile  severo,  le  quali  per  porre  in  evidenza  specialmente  le  di- 
versitä  della  razza  rasentano  talvolta  la  caricatura^.  E  note- 
vole  poi  il  disegno  della  testa  non  di  profilo  ma  di  terzo,  che 
viene  di  solito  evitato  nella  pittura  \ascolare  piü  antica*,  nia 
si  ritrova,  sehbene  in  una  forma  ancor  dura,  nel  celebre  cra- 
tere  orvietano  coi  Niobidi,dove  codcslo  particolare  eattribuito 
appunto  ad  intluenza  della  pittura  monumentale^.  Nella  stessa 
\eduta  ed  anche  con  analoga  caratteristica  dignitosa,  ma  tutta- 
via  senza  espressione  patetica,  si  presenta  il  Persiano  dipinto 
sopra  un  aryballos  di  F^erlino,  che  giä  il  Furtwängler  sospettö 


*  Ci.  Waclismulli,  Sladl  Allien  II  [).  505  sgg.  e  Robert,  Maralhonschlachi 
p.  16  e  18. 

2  Die  Zeil  der  Kudrosschalc  in  Jahrbucli  des  Insl.  XIII,  1898,  p.  65  sgg. 

3  Cf.  Löwy,  Jahrbucli  des  Inst.  III,  1888,  p.  139  sgg.;  Ilelbig  in  Sitzungs- 
berichte der  Akademie  zu  München  1897,  II  p.  283. 

■•  Cf.  Hartwi;;,  op.  eil.  p.  163.  I  priini  es(!mpi,  nclle  tazze,  sono  csibili  da 
Onesimos,  ibid.  p.  b\'i. 

5  Cf.  Robert,  Annali  dell'  Islituto  1882  p.  273  sgg.  Winter,  Jiou/ere  atl. 
Vasen  p.44.P.Girard,  ie  oralere  d'Orvietu  \nMunuvienls  grecsll  n.  23p. 7  sgg. 


DUE  LEKYTHOI  DI  TANAGHA  407 

derivato  da  una  grande  composizione  ed  il  Robert  non  du- 
bitö  di  ammettere  nella  sua  ricostruzione  della  MarathonO' 
niachia  '. 

Se  quindi  e  lecita  la  congettura  che  il  presente  disegno,  dal 
sentimento  cosi  fine,  rifletta  un  particolare  di  una  delle  grandi 
composizioni  in  parola,  e  forse  precisamente  della  Maratho- 
noniacliia,  possiamo  aggiungere,  come  ulleriori  confronti,  al- 
cuni  monumenti  della  plastica,  nei  quali,  per  quanto  varia- 
mente  distanti  di  tempo  dalle  opere  della  citata  pittura  mo- 
numentale, sono  State  riconosciute  reminiscenze  della  mede- 
sima.  Cosi  due  delle  figure  di  Persiani  scolpite  nel  fregio  del 
tempio  di  Athena  Nike  sono,  se  non  uguali,  certo  non  molto 
dissimili  da  quella  della  lekythos^;  ed  una  somiglianza  ancor 
maggiore  riscontrasi  pure  in  un  guerriero  asiatico  fuggente 
del  Monumento  delle  Nereidi  ^  ed  in  una  delle  Amazzoni  fi- 
gurate  nel  fregio  di  Figalia^. 

La  seconda  lekythos,  che  si  vede  riprodotta  alla  tav.  5,  2 
si  fa  notare  principalmente  per  il  nome  fin  qui  sconosciuto  di 
un  favorito,  che  per  altro  e  frammentario  e  di  non  sicura  re- 
stituzione:  si  potrebbe  congetturare  un  M£[yi'7]to;  o  MelVi-Xjo; 
od  anche  M£[Xotvü)]7ro<;  )taX6;  ^. 


<  Arch.  Anzeiger  1889  p.  92.  Nella  lavola  del  Robert  e  posto  accanto  alle 
navi. 

2  Le  Bas-Reinach  1.  cit.  lav.  9,D;  10,  F  =  Baumeister  tav.  25,  1238  fi- 
gura  seconda  a  d.,  1239  figiira  prima  a  s  Si  ricordi  il  parlicolare  della  fa- 
relra,  che,  se  manca  a  qucsle  due  figure,  si  trova  nell'  allra  dello  slcsso 
fregio  cilala  sopra  p.  405  uota  1.  L'  aecurala  riproJuzioiie  del  coslurae  e 
deir  armatura  barbarica,  cosi  qui  come  nella  noslra  lek.yllios,  pu6  essere 
messa  in  rapporlo  colla  suddetla  pittura  monumentale,  della  quäle  forse  si 
servi  lo  stcsso  Erodoto  nella  sua  particolareggiata  descriziono  del  lib.  VII, 
61  sgg.:  cf.  Robert,  op.  cit.  p.  18. 

3  Monumenti  dell'  Isliluto  X  tav.  13,  II,  22. 
^  Ovcrbcck,  Plastik''  lig.  131.  Ost  18. 

5  Nello  schizzo  del  Winter  lo  spazio  vuoto  presenta  iudizi  di  tre  lettercL, 
nia  forse  puo  esservi  posto  anche  per  il  suono  o  tra  la  terzullima  lettera  e 
la  prcccdente.  L'ultiina  sillaba  potrebbe  essere  to;  oppure  (::)o;.  Dei  nomi 
qui  sopra  proposti  ncssiino  si  trova  tra  (|iii'lli  conosciuli  di  favorili;  solo 
MeXavwTTOs  ü  il  nome  del  padre  del  favorilo  A'.'y.Xo»  (Klein,  LirbUngsinscIirif- 
ten''  p.  159  sg.).  II  nome  MeXi^to;  (ibid.  p.  1(J7)  sembra  troi^po  breve. 


408  L.   SAVIGNONI,    DUE   LEKYTHOI   DI  TANAGRA 

Quanto  alla  sua  decorazione  il  soggetto  e  abbastanza  co- 
mune  nella  ceramografia  :  una  Nike  che  Vola  verso  un'  ara 
ardente  portando  un  cesto  con  Offerte.  Una  Nike  simile,  seb- 
bene  con  attributo  e  movenza  differenti,  c  quella  dipinta  so- 
pra  una  lekythos  edita  dal  Benndorf ',  che  il  Winter  crede 
eseguita  dalla  stessa  mano  che  ha  disegnalo  il  Persiano  della 
nostra  prima  lekythos,  come  egli  si  esprime  nella  nota  mano- 
scritta    aii;ü:iunta  allo  schizzo   della  medesima^.  Ed  invero  in 

CO 

ambedue  abbiamo  una  figura  contenuta  tra  due  coppie  di  pal- 
mette  chiuse  tra  viticci,dai  quali  si  staccano  delle  piccole  vo- 
lute,  come  negli  esempi  proposti  dal  Winter  stesso  nel  Jahr- 
buch des  Inst.  VII,  1892,  p.  109  sgg.,  colla  differenza  che, 
mentre  in  questi  le  vediamo  svolgersi  organicamente  dai  vi- 
ticci,  nei  due  vasi  in  parola,  e  specialmente  nel  primo,  pel 
disegno  meno  corretto  hanno  la  sembianza  di  cose  appiccicate. 
Le  nostre  due  lekythoi,  che  da  quanto  si  e  detto  apparisce 
essere  uscile  da  una  medesima  fabbrica,  furono  inoltre  rinve- 
nute,  come  in  principio  si  disse,  in  una  tomba  medesima.  Che 
questo  sia  un  mero  caso  ?  0  che  piuttosto  un  nesso  ideale  esi- 
sta  fra  le  due  figure  solitarie  della  Nike  e  del  Persiano  fuggi- 
tivo,  espressione  compendiosa  ed  allusiva  della  sorte  toccata  a 
ciascuna  delle  parti  avversarie  e  bella  testimonianza  del  pa- 
trio  sentimento,  che  i  recenti  fatti  gloriosi  avevano  ravvivato 
fra  i  Greci?  Sarebbe  per  aventura  una  combinazione  di  con- 
cetti,  il  cui  riscontro,  in  una  forma  solenne,  sta  su  gli  spalti 
deir  Acropoli  nel  bei  tempietto   di  Athena  datrice  di  vittoria 

Roma. 

LUIGI  SAVIGNONI 


"<'>#ae*<o-~.- 


'  Griech.  und  sie.  Vasenbilder  tav.  19,  3. 

2  Egli  attrihuiscc  alla  stessa  mano  anciic  la  lekyliios  giä  del  Polylcclinion, 
male  pultblicala  da  Dumonl  -  Cliaplain,  C^ramiques  I  tav.  11,  cd  um'  allra 
con  un  gucrrioru  che  cade  a  terra, da  lui  vcdula  nel  negozio  ateniese  Minerva. 


DIE  SOGENANNTE  HETÄRENINSCHRIFT  AUS  FAROS 

Obgleich  es  mir  nicht  gelungen  ist,  die  Schwierigkeiten  zu 
lösen,  welche  die  sogenannte  Hetäreninschrif't  aus  Faros  in  den 
für  ihre  Bedeutung  entscheidenden  ersten  Zeilen  bietet,  glaube 
ich  doch  die  von  mir  in  den  Archäologisch -epigraphischen 
Mittheilungen  aus  Österreich  1897  S.71  in  Aussicht  gestellten 
Berichtigungen  zu  dem  von  Erich  Pernice  in  den  Miltheilungen 
des  athenischen  Institutes  1893  S.  16  vorgelegten  Texte  nicht 
länger  zurück  halten  zu  dürfen.  Sie  sind  zahlreich  genug,  um 
einen  neuen  Abdruck  der  ganzen  Urkunde   zu  rechtfertigen  K 

Wie  ich  einer  Mitteilung  entnehme,  die  Herr  Michael  R. 
Krispi  seinerzeit  an  die  griechische  archäologische  Gesellschaft 
in  Athen  gerichtet  und  mir  überlassen  hat,  ist  die  Inschrift 
vor  ungefähr  achtzehn  Jahren  bei  dem  Abbruche  des  Hauses 
des  Av)[j.7)Tpio;  McopaiTOCJcni;  £v  Oetei  Xxlapa  rapk  tov  xaXa-.öv  vaov 
Tüiv  'Ayiwv  'Avapyijpwv  in  Parikia  auf  Paros  aufgefunden  wor- 
den. In  zwei  Stücke  gebrochen, an  deren  Rändern  in  den  Zeilen 
20  bis  22  einige  Zeichen  verloren  gegangen  sind,  bildete  der 
Stein  einst  eine  Stele  von  0,62™  Höhe,  0,32  Breite  und  0,065 
Dicke.  Die  Schrift  ist  zwar  etwas  ungleichmässig  in  Form  und 
namentlich  Grösse  der  Zeichen,  aber  sorgfältig,  und,  mögen 
auch  einzelne  Stellen  minder  leicht  zu  lesen  sein,  im  Allge- 
meinen sehr  gut  erhalten.  Mit  ausgespiochenen,  aber  müssi- 
gen Apices  versehen,  scheinen  mir  die  Buchstaben  —  ich  er- 
wähne z  mit  schräger  Verbindungslinie  Z.  23.  27.  31  f.  — 
sicherlich  in  vorchristliche  Zeit,  das  erste,  vielleicht  auch  noch 
das  zweite  Jahrhundert  zu  weisen.  Meine  Lesungen  beruhen 
auf  wiederholter  Prüfung  eines  Abklatsches,  den  ich  im  Jahre 
1897  von  der  Inschrift  nahm,  nicht  auf  erneuter  Vergleichung 


'  Vgl.   eil.  Michel,   Recueil  d'inscriplions  grecques  Nr.  1000    (nur  Z,-   v 
bis  31). 


i\0  A.    WILHELM 

des  Steines  selbst,  da  für  diese  mein  damaliger  Aufenthalt, 
zunächst  der  mühevollen  Entzifferung  des  neuenldeckten 
Bruchstückes  der  Marmorchronik  gewidmet,  keine  Zeit  bot. 

Auf  eine  neue  Wiedergabe  der  ganzen  Inschrift  in  epi- 
graphischen Charakteren  glaube  ich  verzichten  zu  können, 
und  unterlasse  auch  eine  z(3iclmerische  Wiedergabe  der  kriti- 
schen Stellen  in  ihrem  Anfans; :  diese  dürfen  wir ,  nach 
erneuter  Prüfung  des  Steines  selbst,  in  der  Sammlung  der 
parischen  Inschriften  zu  finden  erwarten,  die  Ililler  von  Gär- 
tririgen  vorbereitet.  Für  unsere  Zwecke  genügt  eine  Wieder- 
gabe der  ersten  vier  Zeilen  in  Majuskeln  und  des  Ganzen  in 
Umschrift. 

-  -'V2,    I     I  .  I   I  I  .   i 

EFAPXoMToZ0EO(t)PoMoZToYAEI<t>A 

NoYME/^  KoPoYMTo2AKE2lo2 

K  A  I  Z  o  I  Z  T  PaTS  IEPHSEAoFEYZEN 

S]tOT[Tp 

£77'  apy^ovTO?  Ö£6(ppovo?   ToO    Aeifpot- 

VO'J     V£(i)XOpOOVTO;     'AxETto; 

y.ai  Soirrxp..;?  (spyj;  iXoysuaefv 
5      e!;    ex'.'TJtE'jrjV    ty^;    x,pY)v7i;    y.al 
TO'j     ßwfxoii    y.xl    TO'j    OaXiaou 
MuXXi;   XÄp7)T0?  E    riv'jTCL)  Euayöfpo'j) 
C   <i>i>.a>t(j>  Euayö(po'j)  F   'ATTraaia   Xzp7i(T0;) 
E    Mv/)(7iov   Ti[;.y;'7i(ou)    C    ' Agt^oliIx  T£i'7ri(vopo?)    C 
10      DatSap/j;  Tiay)(vopo??)  F  ^i[li]aax  TitJLyi'7t(ou)  C 

'EpaTiTTTT-ir)    'Apyj>>xo'j    E    MsXiviov    Mvir)Gi£(Trou;) 
C  M'jXXi?    KpiTwfvo;)    r"    TtaapfiTY)    Ti[j.Y)Ti(o'j)  Q 

'EpaffiTTTiryi  Mv7i(c':ou)  C  MaXGiov  'E7iri(Äva(>tTo;)  C 
MiiXOiov   <I>iXw(vo?)   E   ^tXuTü)  röpyo'j  E 
15     'AlpTcä^'o JIpo<T6£{vo'j)  C  rir-tö)  Tta7.(pyo'j)  F 
^]a^oSt/-r,  Ilapw(vo<;)  F    MäXOiov  IIpo'iO£(vo'j) 
A]  n[pJ(i)T(i>  Mvyi('Jto'j)  F  Ti[jtap£Ty)  röpyou  E 
KjXeivapw  11'jOi-(tco'jj  F  TiaxpExv)  K)vt(viou) 


DIE    SOGENANNTE    HETAERENINSCHRIFT   AUS   FAROS  411 

.]  TiaapeTT)  'E7ri(iva(}tT0(;)  B  'Epacri-Y)  Kpx(Tivou) 
20      D  'Ap/'.?  'Ap/6Ti((jL0'j)  B  'Pp'jvl;  K>s[t(vio'j)  ?  A 

rjopyi;  KX£o[Sr,(_L/.0'j)]  A  T'.t;.r,'7api'7T[7i  . 

'A]'77:a'7ta[Il?>TTy.(        )  B  EI't-.ov  A£;i(xpzTO'j)  B 

KXsoP/tpJiT'o  A   Zcü'jiayi  A  WvlxU  »- 

riplcoTw  'AXx.i(o'j)  r  'A'Txa'jia  'AX£^x(vSpo'j)  AA 
25      rX'j/C'.vvy.  B     riaTpo^tXa     <I>tA(»)(vo(;)  F 

'A['j]-a[<jjia  [N]t)taY6(po'j)   F     Scöretpa  A-/;(aa)vo;)  S 

Yl[x]ihxp-/i^W^yJ{o'j)P   ZwTtjj/o  Aijrpi(o'j)  A 

Eji'TlOV     0cO^(O(pO'j)     B     -CO-pÖ)     'A/iETlO;    /* 

.a]Tpo;£va  A     KXso-y.Tpx    S 
30     '/Vyävjitttcy)  Mr/TpofSwpov)  A    EWiu.spicc   r).ü(/twvO(;)  [^|f 

Aioji-iiAv;    Z(i>t(Xou)    S     Aa'.;    Mvr((citO'j)  A    Zw^ia-o 

.  .  .  .Sjajjia  'Pö(8cüvo;)  A  IIpwT^wj  A  Zcüti/'o 

....=:  'AyXai;  0£o(Ttp.ou)  S  '0[>.ikix  KaX(Xiou). 

.   rX'j)tj£poc  K3'.X(Xtou)  =    Euy£v£ta.  A 
35      £1«,  S  'A-ny.-y)  np3t(;io'j)  S—  EX[e 

'HJcüy^^iov  Eü-/ia£(po'j)  A  'üpaia 

'a    AK,£rjio<;   A 

Die  in  der  ersten  Zeile  erhaltenen  Reste  hat  Pernice  in  sei- 
ner Umschrift  nicht  berücksichtigt.  Die  Lesung  S](i)<7[Tp-  zu 
Anfang  betrachte  ich  als  gesichert;  die  gegen  die  Mitte  der 
Zeile  zu  sichtbaren  Reste  weiterer  acht,  höchstens  neun  ^  Bucii- 
stajjen  —  die  zweite  Hälfte  scheint  frei  geblieben  zu  sein  — 
entzieiien  sich  für  mich  wenigstens  vorläufig  zuverlässiger 
Deutung. 

Z.  ?/3  steht  A£icpx|vo'j,  nicht  Aeiviou  auf  dem  Steine.  Zudem 
begegnet  derselbe  Mann  in  der  von  Th.  J.  Olympios  im  'AOf,- 
vaiov  V  S.  3'2  verölTentlichten,  mir  auch  in  einem  Abklatsch 
Ilei'rn  Dr.  O.  Rubensohns  vorliegenden  Inschrift,  wenn  ich 
richtig  ergänze : 


*  EinifiC  undeutliche  Linien,  die  der  Aliklalscli  naeli  den  verzeielinelen 
Resten  über  dem  <1>P  der  nächsten  Zeile  7.eig:l,  habe  ich  in  den  .\bdruek 
nicht  aufzunelinicn  gewagt;  ob  sie  allenfalls  Buchslaben  auLrehören ,  läss^ 
sich  nur  vor  dem  Ölein  l'eslstelien. 


412  A.   WILHELM 

©g6<pp](i)v  Aifpävou  Kxi  ösoSü)- 
pa'  .  .  .  .]  uTiep  Tüiv  ulwv  Ai<pxvou 

'Tyietcjc  ] 

Der  Name  (vgl.  z.  B.  Aei^piTvi;  Tr^v-.o?  C.I.A.  II  812  b, 12) 
kehrt  auch  auf  einem  Steine  wieder,  den  M.R.  Krispi  in  dem 
Berichte  der  EüxyyeXr/cri  ^/oX-^  1876/78  S.  7,  px^'  herausge- 
geben hat : 

XJa[p]iK>yi;    Asi'pÄvou   Teii- 
-  ^]7)Xou  ^   AioTiL/^o; 

-(;     ScüOTpiXTOU 

'A(ppooi]T£i    xai    "EpCOTl 

ferner  in  der  Inschrift,  die  ebenda  1878/80  S.  156  abge- 
druckt ist  ("E^aXo;  A£i9zvo'j)  und  in  einer  noch  unveröffent- 
lichten Inschrift, die  mir  kürzlich  durch  freundliche  Mitteilung 
dieses  verdienten  Gelehrten  bekannt  geworden  ist. 

In  den  Trümmern  der  Kirche  "Aytoi  ösoScüpot,   eine  Stunde 


'  Wedöcopo«  Olyinpios.  Gleichartige  Weihungen,  auch  in  dem  Ausdrucke 
übereinstimmend,  C.I.G.  20i6  (vgl.  S.  249,  LcBas,  lies  2075),  2390,  2397b, 
B.C. II.  1877  S.  134  Nr.  44-48  (nach  Cyriacus),  Athen.  Mitth.  1897  S.  409 
Nr.  11,  MoucteTov  EüaYY-  i^/.oXfi?  1876,78  S.  3.  7,  'AOrjvaiov  V  S.  31  Nr. 
21.  22.  Die  Insciirift  Nr.  21  vermag  ich  in  besserer  Abschrift  vorzulegen. 
In  einem  verfallenen  Kirchlein  in  der  Gegend  Aspriäs.  drei  Viertelstunden 
südlich  von  Parikia,  ist  rechts  von  der  Thüre  verkehrt  eine  Platte  weissen 
Marmors  eingemauert  (0,14  hoch,  0,50  breit,  links  Anschlussflcäche);  in  einer 
Umrahmung  steht  die  Inschrift: 

Zoiaiiio?  Aw[po6eou 
x(a()  'lata?  Xa66iüj[vo; 

ÜTzlp    TOÜ    UIO'J    A[(i)poO^OU 

'AaaxXyi;cio)  xa[i  'Tyieta 

Z.  2  l<  als  Abkürzung  für  xa'i  auch  in  einer  noch  unvcröircntlichten  In- 
schrift, die  ich  1897  im  Besitze  des  Arztes  Nikolaos  Russos  fand. 

Zu  Sa66t(.)v  vgl.  W.  Schulze  in  Kuhns  Zeitschrift  33  S.  380. 

2  So  ist  wül  für  das  mir  unverständliche  T.r^Xoj  zu  lesen.  Teta-  mag  zu 
T*i3apx.os  oder  Ts'oi^vwp  ergänzt  werden. 


DIE   SOGENANNTE    HETAERENINSCHRIFT  AUS   PaROS  413 

von  der  Südküste  der  Insel,  finden  sich  nämlich  unweit  eines 
alten  Friedhofes  und  der  Mauern  einer  alten  Ansiedelung,  un- 
ter anderen  bearbeiteten  Marmorblöcken  und  Resten  einer  schö- 
nen Kalymmatiendecke  zwei  einst  zu  einander  gehörige  Stücke 
eines  marmornen  Architraves,  das  eine  0,87'"  lang,  noch  ver- 
mauert, das  andere,  jetzt  freiliegend,  ü,6"2"' lang,  beide  0,45™ 
dick,  0,15'"  hoch.  Das  zweite  Stück  trägt  folgende  'schön  ge- 
schriebene und  leicht  zu  lesende'  zweizeilige  Inschrift,  die  ein- 
zelnen Worte  durch  freie  Zwischenräume  gelrennt.  Nach  Kri- 
spis  Abschrift : 

"Ap^ovTOi;  'Ap^eXäou  Yy''"^*<'i3tpy(_o0vTO;  S'jvgraipou"  ivöpa;  (Jtx- 
Stov    'ATtoXXwvtgia   Aei(p3cvYi;  — 

Tuaioa^  cräSiov  Neoar/Sr)?  HpocjOevou  '  XocixTrotöi  ivi>ta.  T£>.£(ji7U7Co; 
T6i(jipj(^ou 

Der  Finder  ist  geneigt,  die  Inschrift  dem  zweiten  vorchrist- 
lichen Jahrhunderle  zuzuteilen  ;  seiner  Abschrift  nach  würde 
ich  sie  für  etwas  jünger  hallen.  Aber  in  die  Kaiserzeil  braucht 
man  wegen  des  einmal  deutlichen  l-l  und  des  E  neben  H  und 
E  keineswegs  hinabzugehen  ;  dass  sich  l-l  schon  auf  dem 
Steine  mit  den  Briefen  der  Allaliden  (Arch. -epigr.  Mitth. 
Vill  8.95)  findet,  habe  ich  in  eben  jener  Zeilschrift  XVII 
S.44  bemerkt. und  bin  daher  auch  nicht  überrascht, dieser  Form 
in  einer  so  ausserordentlich  eleganten  Inschrift  wie  I.G. Ins.  111 
201  (Aslypalaia)  zu  begegnen.  Agone  erwähnt  auch  die  leider 
verstümmelte  Inschrift,  die  Olympios  'A6r,vatov  V^  S.  VQ  ver- 
öffentlicht ;  ich  bin  versucht  zu  ergänzen  : 

"Apj^JovTo;  ....  Tou  .   .   . 
Yu]u.va(Tiap/oüvTO;  .   .   . 
.   .   .  ou"  TOu;S£  Toü;  <i[YcJva^ 
.   .   .  pxTcov   AiT^pcüvo;    [icTi- 
(pavcbö]?)'"  avSpa?  (jT[äSiov  xai 
avöpa];    ööXij^ov    xat  .  .    . 


Die  Lesung  bleibt  unsicher;  .  .  .  io.t);  giebt  Olympios  Abscbrifl. 


^14  A.  Wilhelm 

Der  Agon  ' A-Kollto^Uix  hat  seinen  Namen  von  einem  'Atto^Xü- 
vio;,  auf  dessen  Kosten  oder  dem  zu  Ehren  er  Statt  fand.  Für 
die  Namen  'Ap/eXao«;,  Neour.Sr,;,  IlpoGÖsvr.c  gebe  ich  zu  Z.  1 1 .  7. 
14  f.  der  angeblichen  Hetären inschrill  Belege.  Sehr  auffällig 
und,  soviel  ich  weiss,  auf  griechischem  Sprachgebiet  bisher 
nicht  bezeugt,  wenn  auch  sonst  bekannt,  ist  die  Assimilation 
von  av  zu  vv,  die.  wenn  Krispis  Abschrift  treu  ist  und  nicht 
blosses  Versehen  des  Steinmetzen  vorliegt ,  yuwaTiap/oCvTo; 
vollzogen  zeigt. 

Z.  4  liest  Pernice  Kai?  Oi(jTp[o]u:,  nicht  ohne  ein  Fragezei- 
chen zuzusetzen;  Maass  nimmt  seine  Vermutung.  OtrrTpw  sei 
Beiname  der  Aphrodite,  auf  und  verfolgt  sie  ohne  an  der  Le- 
sung zu  zweifeln.  Sie  unterliegt  erheblichen  Bedenken.  Leider 
ist  dem  Steine  selbst,  wie  es  scheint,  die  Entscheidung  nicht 
abzugewinnen.  Ganz  deutlich  sind  die  ersten  neun  Buchstaben 
der  Zeile:  dann  zeigt  der  Abklatsch,  unmittelbar  an  P anschlies- 
send, erheblich  weniger  scharf  und  kleiner  als  die  übrigen  Zei- 
chen einen  dreieckigen,  doch  unten  otlenen  Buchstaben, wie  A 
oder  A,  denn  man  kann  Spuren  eines  Querstriches  zu  finden 
glauben;  ohne  Zwischenraum  folgt,  deutlich  ausgeführt,  ein 
senkrechter  Strich,  an  den  oben  zwei  etwas  schräg  gestellte 
kurze  Linien  ansetzen,  also  ein  Y,  nur  dass  dieses  sonst  nie 
in  der  Inschrift  über  die  Zeile  reicht, oder  ein,  weil  eingezwängt, 
etwas  entstelltes  T.  Dann  ist  1  klar,  aber  neben  dem  nächsten 
Buchstaben,  I, kommen  rechts  Reste  eines  getilgten  Zeichens  wie 
K  zum  Vorscheine.  Irrtümliche  Schreibungen  und  nachträg- 
liche Verbesserung  zeigt  die  Inschrift  auch  an  zwei  anderen 
Stellen  :  in  unserer  Zeile  selbst  ist  in  ilöyivne^)  erst  für  y  ein  v 
eingezeichnet  gewesen  und  noch  deutlich  sichtbar, und  in  dem 
Namen  MeXivtov  lassen  sich  unter  A  I  N  Reste  verschriebener 
Buchstaben  erkennen.  Noch  an  einer  dritten  Stelle,  Z.  8  zu 
Anfang  glaube  ich  zwischen  C  und  (J)  Reste  eines  Zeichens  wahr- 
zunehmen. Jedenfalls  steht  in  dem  rätselhaften  Complexe  (joi- 
cTp..(;an  drittletzter  Stelle  das  O,  welches  die  Lesung OiaTpoö? 
voraussetzt,  nicht  auf  dem  Steine.  Aber  dieser  Lesung  stehen 
auch  zwei  andere  Bedenken   entgegen.  Erstlich   bedürfte  der 


blE   SOGENANNTE  HETAERENINSCHRIFT  ALS  FAROS        4l5 

merkwürdige  Name  Kai?  einer  Erklärung;  Pernice  und  Maass 
haben  über  ihn  kein  Wort  verloren.  Man  fühlt  sich  an  den  Ky- 
nurier  Sü?  erinnert,  den  die  bekannte  Inschrift  ausTegea,  zu- 
letzt in  Dittenbergers  Sylloge'  Nr.  106  abgedruckt,  nennt 
(Z.  15);  der  Name  wird  zu  HaiaS«.?,  -aiTaSa;,  Sai/.>,aco;  ge- 
stellt (  Bechtel-Fick,  Griechische  Personennamen  S.  '<?59).  Für 
einen  Kzi;  indess  finde  ich  keine  Erklärung;  in  der  Zeit,  der 
die  Inschrift  von  Paros  angehört,  darf  man  durchsichtige 
Bildungen  erwarten.  Zweitens  muss  ich  gestehen,  dass  mir  für 
Upr)?  gleich  iepe-j?,  wie  Pernice  und  Maass  lesen,  der  Verweis 
auf  den  arkadischen  Dialekt,  der  solche  Formen  allerdings 
kennt,  nicht  genügt.  Denn  sonst  ist  diese  Form,  so  viel  ich 
weiss,  nicht  bezeugt;  nur  erschlossen  ist  sie  zur  Erklärung 
des  bekannten  milesischen  Genetivs  tsptw,  der  dann  in  Upew^ 
einen  neuen  Nominativ  erzeugt  hätte,  von  Bechtel  (Göttinger 
Nachrichten  1886  S.  378.  Inschriften  des  ionischen  Dialekts 
Nr.  lÜÜ).  Zudem  bietet  sich  für  hrn:,  eine  andere  Deutung, 
auf  die,  mündlicher  Mitteilung  zufolge,  auch  VV.  Judeich  so- 
fort verfallen  ist.  'hpy)  gleich  iepsia  ist  dem  Ionischen  geläufig; 
es  genügt  an  die  Inschriften  von  Pantikapaion  Inscr.  Pont. 
Eax.  1  20  (Bechtel, Inschriften  des  ionischen  Dialekts  Nr.  123. 
0. Hoffmann,  Griechische  Dialekte  III  S.  67,  148)  ■Ap'.oTovi;fo 
A-n(xyiTpo<;  Up-?i  und  EphesosC./.(r.  3003  (Le  Bas- VVaddington 
Nr.  166a,  Bechtel  Nr.  150)  'Avxwvia  FloöX^pa  iepri,  Jahreshefte 
des  österr.  Institutes  1  Beiblatt  S.  76  KT^a-j^ia  Tpooijj.yi  'scr;  zu 
erinnern  '.  Dann  ist  nach  dem  staatlichen  Eponymos  neben  dem 
vewxöpo?  auch  die  Priesterin  genannt  gewesen, also  xai  Soic-rp..!; 
lepY)?  zu  lesen;  ich  vergleiche  für  die  Anreihung  mit  xal  z.B. 
die  Inschriften  Dittenberger ,  Sylloge^  Nr.  446  {B.  C.  H. 
1881  S.  408)  £v  AeXcpoi«;  Se  apyovxo;  Mavxta  5tat  Upecov  E'JjtXe'o? 
Eevwvo?,  und  ebenda  321.  Leider  aber  will  es  nicht  gelingen, 
die  zwischen  xai  und  iscr,;  kenntlichen  Zeichen  ohne  weiteres 
in  einen  annehmbaren  Namen  zu  verwandeln.  Die  erste  Silbe 


<  'hpfi  aucL  Plularch,  An  seni  24,  Auth.   Palat.  VII,  733  ;   W.  Schulze, 
Quaesliones  epicae  S.  489  und  add. 


416  A.    WILHELM 

Sot  und  die  Endung  —  da  der  Stein  qü(;  nicht  bietet  —  wider- 
stehen, wie  mir  scheint,  der  Deutung.  Nur  bevor  ich  Stein 
und  Abklatsch  sah,  durfte  ich  es  wagen  in  Soiaxp-ui;:  Sw- 
Tpoö«;  zu  suchen  und  zu  vermuten,  dass  diese  Stoxpo)  die  in 
Z.  28  der  Liste  genannte  Tochter  des  vew/.öpo?  Akesis  sei.  Auch 
Namen  wie  Eü(jot<j>c7i '  C.I.A.  11  3751  oder  Söarpwv  (Swoxpiwv), 
zu  dem  eine  weibliche  Bildung  denkbar  wäre, helfen  nicht  wei- 
ter. So  bleibt  nur  die  Vermutung,  dass  an  der  Stelle,  möglicher 
Weise  durch  die  unmittelbar  vorhergehenden  Silben  KEZIOZ 
veranlasst,  eine  schwerere  Verschreibung  vorliegt,  die  einst 
vielleicht  einfach  durch  Eintrag  mit  Farbe  berichtigt  war.  ich 
verkenne  nicht,  wie  peinlich  es  ist  unter  solchen  Umständen 
zu  raten;  dennoch  ist  es  erlaubt  an  den  Namen  HucTpäT-in  zu 
denken,  der  den  deutlich  kenntlichen  Schriftzeichen  sehr  nahe 
kommt  2. 

Die  Deutung  dieser  Zeile  ist  auch  für  die  der  ersten  von 
Wichtigkeit.  'ET^öyeocsv  fordert  ein  Subject.  Nach  Pernices  Le- 
sung ist  es  Kai?  OifjxpoOi;  Upv;? ;  dies  Subject  wird  durch  meine 
Lesung  beseitigt.  Es  bleiben  nur  zwei  Möglichkeiten:  entwe- 
der steht  das  Subject  in  der  ersten  Zeile,  oder  es  ist  durch  die 
Namen  der  Liste  gegeben.  Freilich  erwartete  man  in  diesem 
letzteren  Falle  zunächst  iT^oysucav,  nicht  e>.6y£u'7£v ;  aber  da  das 
Verzeichniss  nicht  etwa  durch  eine  Überschrift  AtSe  jcxX.  ein- 
geleitet ist,  mag  die  Einzahl  erträglich  sein.  Es  fragt  sich  dann, 
ob  Xoyeueiv  nur  vom  Sammeln  von  Beiträgen  ^  für  den   in  der 


'  Ich  kenne  den  Stein  niclit  und  es  sclieint  vermessen  Köhlers  Abschrift 
anzuzweifeln,  doch  läge  es  nahe  statt  dieses  seltsamen  Namens  EuSoiaxr)  zu 
vermuten;  vgl.  Eü6oEcjxos  G.  I.  G.  Sept  I  983.  3391. 

2  Eine  Form  wie  ^uuyi'jrii  Swivajtjjs  l^wivdfjio?  und  die  auf  ionischem  Ge- 
biete allerdings  bezeugte  Verkürzung  von  tut  zu  ot  wäre  für  die  Zeit  der  In- 
schrift autfällig;  auch  an  i^oiatpair)  wage  ich  nicht  zu  denken,  vgl.  W. 
Schulze  a.a.O.  S.  398  und  add.  Der  Name  Xloivaüt»)?,  den  Blass  und  Schulze 
in  der  grossen  Liste  von  Erelria  'E-^r^x.  äpy.  1887  S.  82  IT.  III  180  vermutet 
hatten,  wird  durch  die  letzte  Lesung  nicht  bestätigt:  Slavropullos  gieb 
'EfTjfjL.  otp-/^.  1895  S.  140  Ü'ivapYo[u. 

3  AoY£j'jj  'sammeln'  Pap.  lirit.  Mus. 1k  Z.  7  oiaixwjiEvov  (oder  oiaiTwjxIvou?) 
6k  xai  £$  u)v  eXd-iEucv.  Im  Sinne  von  'einheben,  erheben",  so  auch  Xoyc-a,  Xoyeu- 
TT^s,  TtapaXoY^üw  u.s.w.  häutig  in  den  Papyri,  vgl.  Flinders  Pelrie  Papyri  II  S.  * 


DIE    :«0(}ENAN.NTE    HEtAERENlNSCHhIFT   AUS    PaROS  417 

Inschrift  ü;enannten  Zweck,  verstanden  werden  oder  vielleiclit 
aucli  das  Leisten  eines  Beitrages  bezeichnen  kann.  Jedenfalls 
scheint  mir  ^cgen  die  Annahme,  dass  der  Veranstalter  der 
Collecle  in  der  ersten  Zeile  genannt  war,  sowol  die  Entfernung, 
in  der  Suhject  und  Prädicat  ständen,  zu  sprechen,  als  der  Um- 
stand, dass  die  erste  Zeile  in  ihrer  zweiten  Hälfte  keine  Schrift 
zeigt,  also  als  besondere  Überschrift  behandelt  ist.  Freilich 
hält  es  sehr  schwer,  für  eine  solche  Überschrift  eine  Fassuni; 
zu  ersinnen,  die  dem  begrenzten  Baume  und  den  sichtbaren 
Spuren  gerecht  wird.  In  der  Zeile  standen  nicht  mehr  als  etwa 
zwölf  bis  dreizehn  Buchstaben  ;  also  wäre  auch  eine  Weihe- 
formel nur  in  äusserster  Kürze  unterzubringen.  Ich  dachte  einst 
an  SöjofTpa  EiXeiö'jiY)],  wie  C.  l.  G.  Sic.  967  Tö  <Tü)Tr,pi  'Ag/Zat,- 
TCiö  (TcöCTpot  y,ai  yapiTTTipia  Nix.oar,or/(;  larpö? ;  aber  um  von 
anderen  naheliegenden  Bedenken  abzusehen,  die  Beste  von 
Buchstaben,  die  gegen  die  Mitte  der  Zeile  zu  sichtbar  sind, 
lassen  sich  mit  dieser  Lesung  nicht  vereinigen  und  der  Baum 
reicht  nicht.  Auch  ävtOvix.sv  mit  vorhergehendem  Namen  ist 
ausgeschlossen.  Wenigstens  möglich  schien  mir  ^(^)n[':^x-r^ 
(6071 ;  dann  wäre  die  Priesterin  in  der  Überschrift  etwa  so  ge- 
nannt, wie  der  Tay.ia;  'jTpaTi(i)[Tt>c(öv]  E'jp'j/.>.etSr,:  Muicüvo;  [Kt/- 
(ptct£.j?]  C.I.A.  II  334. 

Für  den  Namen  der  Gottheit,  deren  Heiligtum,  unter  der 
Obhut  eines  v£(i)x.6po(;  und  einer  Priesterin,  mit  den  in  der  In- 
schrift verzeichneten  Beiträgen  verschönert  werden  sollte, 
sind  wir  auf  Vermutungen  angewiesen,  die  natürlich  auf  eine 
weibliche  Gottheit  zielen  ;  die  y.p-övo  führt  nicht  auf  .\skle- 
pios    allein.    Der  Gedanke,     dass  wir    es  wenn   nicht    mit 


127,  Athen.  Millli.  1882  S.  71  (Michel,  Hecueil  Nr.  Wl]  Z.  27,  C.  I.  G, 
4956  Z.Id.  37  und  in  der  Inschrifl  aus  Physkos  Athen.  Mitlh.  1896  S.  64 
{li.C.H.  1894  S.  31)  Z.  61T.  in  bisher  nicht  richtig  ergänztem  Satze;  vielleicht 
auch  Itucr.  Brit.  Mus.  89'2  Z.  13;  exXoYsüd)  MystiMioninschrift  aus  Audania 
Z.  47.  Gleich  XoyiCeaOai  in  dem  Steuertarif  von  Pahiivra,  Hermes  1884  S. 
519  et?  or)vocptov  und  Kpo«  iaaäciov  /oysyeiOai,  und  in  der  Inschrift  aus  Anior- 
gos:  Michel,  Ikrueil  Nr.  713  Z.  1  i,  ::po,-XoY£J'<)  ebenda  Z.  47. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   X-'^lUI.  *28 


4l8  Ä.    WILHELM 

Aphrodite*,  fJemeter  oder  Hera  2,  mit  Rileithyia  zu  lluin  lia- 
l)en,  liegt  nahe,  liisst  sich  aher  auf  Grund  der  Inschrift,  so 
viel  ich  sehe,  nicht  beweisen.  Milden  erhaltenen  Buclistaben- 
resten  scheint  die  Lesung  '^iün[T^XTr]  "Ilpr^t  allonfalls  zu  ver- 
einen. Freilich  setze  icli  mich  mit  solcher  Annahme  in  Wider- 
spruch zu  der  geltenden  Auffassung  der  Inschrift,  die  seit 
Pernice  in  den  Spenderinnen  Hetären  und  Maass  geradezu  eine 
organisirte  Rultgenossenschaft  der  'A'ppoSiTYi  OtTTpo)  erkannt 
hat,  den  Namen  der  Hetäreninschrift  von  Faros  trägt,  und, 
fürchte  ich,  auch  weiterhin  tragen  wird,  selbst  wenn  es  gelin- 
gen sollte  eine  andere  Deutung  nicht  nur  als  möglich,  sondern 
als  berechtigt  zu  erweisen.  Gegen  die  herkömmliche  Auflassung 
hat,  soviel  ich  weiss,  nur  W. Judeich  in  seinem  Artikel  Aspa- 
sia  in  Pauly-\A'issowas  Real- l^ncyclopädie  II  S.  1718  Ein- 
spruch erhoben;  ihm  gilt  die  Inschrift  als  "Katalog  eines 
Frauenthiasos'. 

Auf  die  Erwähnung  der  Otfirpo)  wird  sich  jene  Meinung  nicht 
mehr  stützen  können,  das  hoffe  ich  gezeigt  zu  hahen.  Aber  ist 
die  Auffassung,  dass  die  in  der  Liste  genannten  Frauen  He- 
tären seien,  sonst  irgendwie  gesichert  oder  gehoten?  Nach  E. 
Ziebarth-'  hat  Maass  'erwiesen',  dass  der  Thiasos  zu  Ehren 
der  Oi'jTpö)  'ausschliesslich  aus  Hetären  bestand'.  Maass  selbst 
hatte  sich  also  ausgedrückt  (S.  '24):  'Von  etwa  der  Hälfte  aller 
auf  dieser  Inschrift  vorkommenden  Frauen  ist  es  sicher  oder 


*  Eine  noch  unvcröffentliclite  Weihcinsclirift  an  Apliroditc  Pandemos 
möge  hier  Platz  finden.  Sie  steht  auf  einem  0,53"' langen,  0,11'"  hohen 
Stücke  weissen  Marmors,  das  in  der  Nordmauer  des  Katleliauses  vonhoäv- 
V7)s  «tüjTiavös  am  Strande  des  Hafens  von  Parikia  eingemauert  ist : 

inPkAI<J>AINISnEI2l?TPA 
YPIOIA(J)POAITEinANAH 

EuTJvJtop  ?    xai    »I^aivi;     ri£tat(JTpa[Tou 
Niajuptoi     'AtppoS^-Ei     IIav8ri[[i.ioi. 
2  Hera  und  Demeter  nennt  die  im  'AOrjvaiov  V  ö.  15  mitgeteilte  Weihe- 
inschrift. 
^  Das  griechische  Vereinswesen  S.  44. 


DIE  SOGENANNTE  HETAÜRENINSCHBIFT  AUS  PAROS        419 

doch  wahrscheinlich, dasssie  Heiaren  waren'.  Für  die  übrigen 
isl  dann  das  Gleiche  einfach  vorauszusetzen'. 

Den  Beweis  fand  Maass  (nicht  ohne  zu  bemerken,  dass  sich 
seine  Auffassung  nicht  allein  auf  ihre  Form  stütze)  zunächst 
in  den  Namen.  Zwar  giebt  er  zu,  dass  'Kosenamen  auf  -t^iov 
oder  -lov  oder  ähnlich  an  sich  auch  Wesen  bezeichnen  können, 
deren  Anständigkeit  wir  anzuzweifeln  nicht  das  Kecht  haben'. 
Aber  'die  neutralen  Formen  sind  wie  bekannt  vor  allem  für 
Hetären  beliebt'.  Und  solcher  Namen  finden  sich,  nach  Maass, 
der  Pernices  Lesuns;  fol^t,  sechs,  nach  meiner  LesuniJ!  acht  in 
der  Liste:  MvTjTiov,  MsXiv.ov,  MxXOiov  (dreimal),  E'it'.ov  (zwei- 
mal),  'Haü/iov, 

Ich  sehe  ab  von  der  Thatsache.  dass  sächliche  Bezeichnun- 
gen für  weibliche  Wesen  in  der  griechischen  Namengebung 
ganz  gewöhnlich  sind  2.  Aber  die  verbreitete  Meinung,  die 
Verkleinerungsnamen  auf  -iov  gehörten  vorzugsweise  Hetären 
an  —  selbst  die  bekannte  Korallion  'AyxOoövo;  yWr,  entgeht  dem 
Verdachte  nicht  ■' — ,  scheint  mir  ein  unbegründetes  \'orurteil. 

Von  den  berühmten  Hetären,  die  Athenaeus  XIII  567a  bis 
599e  nennt, führen  allerdings  dreizehn  solche  Namen  :  ^iviov, 
Nävviov^,  Ao/TscSiov,  M'JpTtov^,  FvaSaiviov,  FX'jx.e'ptov,  Ka^Ai^Tiov, 
©a'jazpiov,   AsövTtov^,    Sxayövtov',  Navvzpiov,   — '.T'jp-Sptov ''^,  Nx'j- 


'  Audi  11.  Herzog,  Pliilologus  IS97  S.  50  galten  die  Namen  iinseier  In- 
scliriri,  ül)gleicli  sie  'sich  nicht  auf  semitische  zurückführen  lassen',  doch 
als  Hetarennamcn. 

2  llöSapov  als  'mit  Aphaeresis  aus  'ladoapov  hervorgegangen*  zu  erklären, 
war  J.Baunack  vorhchalten  (Gr. D.I.  11  Nr.  1802).  Über  dieses  von  Baunack 
hevorzuj^le  Piincip  der  Namendeutung  vgl.  Bechlel  in  Bczzenliergers  Bei- 
trägen XX  S.  243. 

3  C.  I.  A.  II  3871,  Altische  Grabreliefs  I  Nr.  411,  Comic  de  Mouy,  Lellres 
atkdniennes  ö.  23. 

*  0. 1.  A.  II  mehrfach,  C.  I.  A.  III  3296. 

s  Vgl.  W.  Schulze,  Gull.  Gel.  Anz.  1897  S.  876. 

C  AeovTiov  '1<]/£'jO£vou  GuyatTTip  KXsitoj  IIa/.Xr)V£'io;  fuvrj  C.  I.  A.  II  2433.  Wird 
man  ihren  Namen  für  'übersetzt'  hallen  ( IMiilologus  1897  S.  49)? 

7  0.  I.  A.  III  2920  'Apx..  AeXtiov  1888  S.  98.  C.  I.  G.  Sepl.  I  4217. 

8  Vgl.i]iaj[A6pa5  und  i]iautj.6pf'3XQi  Ilerondas  II,  76,  dazu  Crusius,  Unter- 
suchungen zu  llerondas  ö.4b;  Beehtel,  Die  einstämmigen  männlichen  Per- 
sonennamen  des  Griechischen,    die   aus  Spitznamen  hervorgegaugen   sind 


420  A.    WILHELM 

(T'.ov',  Aber  ihnen  stehen  in  jener  Liste  über  hundert  anders 
gebildete  Namen  geiijcnüber.  Mügiich,  wird  man  mir  entgeg- 
nen, dass  den  gefeierten  Priesterinnen  der  Liebe,  die  Athe- 
naeus  nennt,  gewähltere  Namen  eigneten  als  den  gewöhnlichen 
Vertreterinnen  der  Gattung,  die  für  uns  \erschollen  sind:  eine 
besondere  Bevorzuo-uni;-  der  Namen  auf -lov  in  diesem  Stande 
wird  mindestens  durch  Athenaeus  spwxix.o;  xaxxXoyoc  nicht  er- 
wiesen. Und  spielen  in  Lukians  'Eraipixo!  StäXoyoi  die  be- 
kannten rX'j)t£ptov,  KXcovipiov,  KuaSxX'.ov.  MaytSiov,  Mouaapiov, 
MupTiov,  <I>iXy]u.octiov,  XsXiSoviov  eine  Rolle, so  lässt  sich  anderer- 
seits zeigen,  dass  solche  angeblich  schon  ihrer  Bildung  nach 
bedenkliche  Namen  keineswegs  etwa  auf  die  niedere  Classe 
beschränkt,  sondern  auch,  und  nicht  erst  zur  Zeit  unserer  In- 
schrift, in  der  gut  bürgerlichen  Gesellschaft  üblich  gewesen 
sind.  In  der  That  lag  an  sich  kein  Grund  vor.es  mit  den  Na- 
men auf  -lov  anders  zu  halten  als  mit  den  zahlreichen  übrigen 
Koseformen,  welche  sich  die  Sprache  zur  zärtlichen  Bezeich- 
nung des  Weibes  geschaffen  hatten  Ich  verfüge,  um  die  Na- 
mengebuno;  in  dieser  Hinsicht  zu  verfolgen,  im  Augenblicke 
über  keine  ausreichenden  Sammlun^en  aus  den  attischen 
Inschriften,  da  ihre  Masse  erst  auf  Grund  sorgsamer  Son- 
d(>rung  nach  den  Zeiten  und  nach  Herkunft  und  Stand  der 
Personen  ein  statistischer  Bearbeitung  zugängliches  ^Material 
darstellen  wurde  ;  so  sehe  ich  mich  für  meine  Beobachtuncren 
vorläufig  auf  einige  Listen, die  uns  zum  Glücke  erhalten  sind, 
und  die  Indices  angewiesen.  Ein  Blick  auf  die  vier  Bruchstücke, 
die  uns  von  Verzeichnissen  der  sogenannten  Rrgastinen  vorlie- 
gen: C.I.A.  II  9562.957.  957  b  \a(ld.S.  538).  IV, 2  HTd^, 


(Ahtiaiidliingen  der  göuinger  Gesellscliaft  der  Wissenschaften  N.  F.  II?, 
1898)  8.  76. 

*  Atlien.  XIII  587  f.  Man  hat  ändern  wollen;  Kaibeljschlägl'HXiiaiov,  Mu- 
surus  Notvviov  vor.  Aber  NaJaiov  ist  niciit  zu  heanslanden;  zum  Überflüsse 
stellt  C.  I.  A.  II  3828  auf  dem  Steine.  Nau^iov  il(.)ävopo'j  GuyaTrip. 

2  Diese  Liste  gehört,  wie  die  BescIialVeniHMt  des  Steines  und  die  Sclirift 
erweisen,  zu  dem  Pscphisma  II  ^77.  Das  Bruchstück  II  957  b  ist  mir  leider 
noch  nicht  zu  Gesichle  gekommen. 

3  Die  letzten  Zeilen   dieses  Psepliisma   habe   ich  Arch.  -  cpigr.  Mitth.  aus 


DIE  SOGENANNTE  HETAERENINSCHRIFT  AUS  FAROS        421 

genügt, um  festzustellen. dass  um  das  Jahr  100  vor  Cli.,von dem 
die  Zeit  der  Inschrift  von  Paros  nicht  allzuweit  ahliegen  dürfte, 
die  hochadlitjen  liiiuser  Athens  ihre  'i'öchler  ohne  Bedenken 
mit  Xamen  auf  -lov  heschenkten.  P^rlialten  oder  kenntlich  sind 
in  der  vollständigsten  Liste  IV,  2,  477  d  im  Ganzen  22  Namen, 
darunter  fimlet  siel»  verstümmelt  ein  Name  auf -tov  oder  -ov. 
In  dem  Bruchstücke  956  begegnen  nehen  39  anders  gebildeten 
Namen  vier  auf- lov:  Aa^eiov, 'A/teiT'.ov,  Flipiov,  Mtx/.iov,  in  957 
neben  sechs  anders  gebildeten  wieder  Mix./. -.ov  und  II zc-.ov.  rund- 
lich ist  in  957  I).  während  dieRnflungen  aller  übrigen  Namen 
verstümmelt  sind,  wenigstens  ein  EpcJTiov  sicher.  Für  spätere 
Zeit  genügt  es  an  Aay.{(^iov,  Tochter  der  AaSiaeia  Mn^aouCEora. 
äpy.  1897  S.  18,  C.  I.  A.  lil  34  1.  3U),  die  Athenapriesterin 
'A0/)vtov  {CIA.  III  61 ,282.668),dieeleusinischen  Priesterinnen 
Xäp'.ov  Tochter  des  A'.ovj^io;  MacaOwv.o;  ('E^-zia.  äcy.  1895  S. 
10?)  und  KXauSia  Taricpiov  {CIA.  III  218)  zu  erinnern.  Auch 
in  diesen  ersten  Kreisen  Athens  unterlag  also  dieNamengebung 
der  Mode:  denn  für  die  beste  Zeit  hat  U.  v.  ^^'ilamowitz  (Ari- 
stoteles und  Athen  II  S.178  )  festgestellt,  dass  'wenn  auch  im 
Allgemeinen  die  Namengebung  die  Frauen  sehr  viel  mehr  wie 
Sklaven  behandelt,  Kosenamen  natürlich  bei  ihnen  verbreite- 
ter und  nicht  immer  von  den  eigentlichen  Spitznamen  zu  tren- 
nen sind,  die  höhere  attische  und  demgemäss  im  fimften 
Jahrhundert  die  ganze  gut  bürgerliche  Gesellschaft  darauf  aus 
ist,  Männern  und  Frauen  volle  Namen  zu  geben*.  Recht  zahl- 
reich sind  Namen  auf  -lov  schon  in  der,  wie  man  annehmen 
darf,  gemischten  Gesellschaft  vertreten,  die  uns  die  Urkunden 


Österreich  1897  S.  65  hergestellt.  Unter  den  Ertjastinen  der  Plolcniais  er- 
scheint Z.  43  MvTjaö)  'Aay.XT);:i(ioou  BspEvixi'Bou.  Es  isl  noch  nii'hl  henierkl  wor- 
den, dass  wir  ihren  Grahslcin  C.I.A.  III  16'25  Mvrjaw  'AaxXT]7:iäoou  BepEvuiSou 
euyäxrjp,  und  den  ihrer  MuUer,  der  ehenfalls  fälschlieh  in  den  drillen  Teil 
des  C.I.A.  gewanderl  isl,  noch  hesilzen:  C^. /.  .1.  Ill  I7li5  Mvr.aö)  Kp-.ToorJaou 
©opixiou  6uYaTT)p  'AaxXri7:tä5ou  liepevixt'öou  ■^w/r,.  Diese  Graltsäiile  isl,  was  das 
Corpus  uiehl  erwähnt,  mit  dein  Prieslerschlüssel  in  Relief  geziert;  vgl.  II. 
Diels,  Parmeiiides  Lehrgedicht  8.  123  IT.  Wie  die  MuUer  Priesterin  der 
Allicna  (vgl.  Pliilareli  Nunia  'J|,  war  die  Tochter  Ergaslinc. 


422  A.    WILHELM 

des  iurx'yu.o^  der  Weihegahen  an  Asklepios  C.  I.  Ä.  II  835, 
nach  Kölilei'  aus  dem  Ende  des  vierten,  und  II  836,  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  driltiMi  Jahrhunderts,  vorführen,  ich  finde 
in  ersterer  Inschrift  folgende  Namen  auf  -iov:  AiT/piov,  'IlS'J- 
Tiov,Ka>.>i7Tiov,  Maaazpiov,  MsiStov  (Z.  ^0  und  vollständiger  Z.33 
MeiSiov  rXa'j/.i:cT:ou  KolXitxibn;  yiivT)  genannt.  Vgl.  II  8ü8c,  104. 
809  d,'24'2 ),X]aipiov  *.  Viel  zahlreicher  sind  sie  II  836:  AtTj(^piov, 
'Api'7Ttov,  BoiStov,  rXu/tepiov,  'IlS'J);iov,  'riöoTtov,  ©sj^.i'jTtov,  KaXXi- 
CTtov,  A3C[;.tSiov,  M^XOdcKtov,  Mxu.(xapiov,  Manov,  Msiöiov,  MuSiov 
(vgl.  II  322'2,  M'jiStov  II  3981  ),  Nax,iov,  Niwiov,  Nijcadiov,  Fla- 
piov,  i^'.aäy.tov,  '■t'iXxKio-^,  ^iKItio-^,  <I>'.>.TaTiov,  Xpuaiov ;  mehrere 
dieser  Namen  sind  nachweislich  von  Töchtern  und  Frauen  al- 
tischer Bürger  geführt  worden.  Um  in  niedrige  Kreise  hinab 
zu  steigen,  habe  ich  auch  die  Verzeichnisse  der  cptiXai  ileltu- 
öepDcai  C/.yl.  II  768-776;  add.S.bi'2,  776b;  IV,  2,  768b- 
776 e  herangezogen,  aber  nur  üapOeviov  und  Xpudiov  unter  den 
Namen  der  Freigelassenen  gefunden;  von  den  Mitglieder-Ver- 
zeichnissen der  spavot,  OiaToi  U.S.W,  sehe  ich  ab,  da  für  Maass 
Weiber,  die  'an  einem  sonst  nur  von  Männern'  gebildeten 
Vereine  Teil  nehmen,  von  vornherein  als  Hetären  verdächtig 
sind 2.  Lehrreicher  sind  die  delphischen  Freilassungsurkunden; 


^  So  ei'gcäiizc  ich  Z.  51  nach  C.  f.  A.  II  2461  Xafptov  XwiptXou  Ileipaifo);  Onya- 
•cr)p.  Bei  manchen  der  in  diesen  Listen  hegegnenden  Namen  mag  man 
zweifeln,  ob  sie  einen  Mann  oder  ein  Weil)  hezeichnen.  Ntxaiiou  z.  B.  836 
Z.  21  fasst  der  Bearheiter  des  Index  als  männlich  ;  aber  es  kann  auch 
Frauenname  sein  wie  C.I.  G.  Sept.  III  1,  \\)'i,Gv.D.I.  213Ü.  Ebenso  steht  e.s 
bei  ©EjJLtanov,  (I>tXraTiov  u.  a. 

2  Maass  geht  auch  hier  viel  zu  weit. Wenn  ihm  die  Priestcn'in  FXaöxov  C.I.A. 
II  619  Hetäre  gewesen  zu  sein  scheint,  so  ist  nieiit  abzusehen,  warum  sich 
ihr  nicht  Krateia  II  622,  OnasoII  (J23,  und  die  Prieslerinnen  der  InschrÜlon 
II  624,627,  IV2,  618  b  anschliessen.  Dem  Verdachte,  den  Maass  gegen  die  II 
687  genannten  FrauenTIcru//a,'EpojTl?,A.iOeoiov  ausspricht, werden  dann  auch 
KaXXiiTiov,  Aopxiov,Koa'|'r),:i:i;AäXri,Mr]Xtc  IV  2,  618  b  nicht  entgehen,  ebenso 
wenig  die2IFraueu,  die  eine  ebenfalls  vor  dein  I  »iiivloii  gefundene  noch 
unverölleutlichte  Liste  der  Orgeonen  der  Götlin  >  \\;ibrsciieinli('h  der  Arte- 
mis )  im  Anschlüsse  an  ein  l'scidiisma  nennt,  oder  die  lange  Reihe  von 
Frauen,  welche  die  von  mir  Alben.  MitHi.  1896  S.  438  herausgegebene  In- 
schrift der  Eranisten  von  Uhalandri  aufzählt.  Nebenbei,  auch  G.I.A.IW 
219.   220  scheinen  mir  Denkmäler  von  Vereinen. 


DIE    SOGENANNTE   HETAERENINSCHRIFT   AUS    PAROS  423 

SO  wenig  seltenbei  Scl;ivinnen  Namen  auf -tov  sind,  so  sind 
sie  doch,  und  vielfucli  ganz  dieselben  Xamen.  auch  für  die 
freilassenden  Bürgerfrauen  nachweislich.  Ich  habe  mir  aus 
ßaunacks  Sammlung  G.D.I.  II  1683-'2342  'AYri(Tiov, Alvri^iov, 
'ApiiT'.ov,  'Ai/.opöcr'.ov,  'EpxT'.ov,  Aic.ov',  SzvOtov,  als  Namen  von 
Freilasserinnen  bei  llüchliger  Durchsicht  angemerkt. und  glaube 
nicht,  dass  diese  langen  Reihen  von  Inschriften  für  meinen 
Zweck  mehr  als  eine  solche  lohnen.  Denn  trotz  ihrer  Masse  ge- 
ben sie  uns  über  die  Namengebung.  wie  sie  zu  gewisser  Zeit 
in  bürgerlichen  Kreisen  üblich  war,  keine  statistisch  unmittel- 
bar brauchbare  Auskunft. 

Zum  Glücke  sind  uns  aber  Inschriften  erhalten,  die  uns  die 
weibliche  bürgerliche  Gesellschaft  einer  begrenzten  Örtliclikeit 
und  einer  bestimmten  Zeit  wenigstens  in  gewisser  Vollständig- 
keit vorführen.  Unter  diesen  Inschriften  steht  obenan  die  grosse 
Urkunde  aus  Halasarna  auf  Kos,  nach  0.  Rayet  von  Paton 
und  Hicks,  Inscriptions  of  Cos  Nr.  368  verölTentlicht,  wieder 
abgedruckt  Gr.  D.  J.  3706,  nach  E.  Preuner,  Hermes  1894 
S.  540  etwas  älter  als  die  in  den  Anfang  des  zweiten  Jahr- 
hunderts vor  Chr.  zu  setzende  Beitragsliste  Inscriptions  of 
Cos  Nr.  10.  Sie  verzeichnet,  wie  das  zugehörige  Psephisma  In- 
scriptions of  Cos  Nr. 367.  Gr. D.I.  3705  anordnet, to-j;  aexe/ov- 
xa;  Toü  i£pou,und  zwar  gemäss  der  Meldung  bei  Jedem  tö  ovoax 
TcocTpiacxi  )cai  täv  cpuXav  xal  tx?  axTpö?  tÖ  ovottot  >tixi  tivo?  t(I)\ 
TcoXiTcöv  G'jyxTrp  'j-zpy£'..  In  dieser  Liste  finden  sich  folgende 
20  Frauen  mit  Namen  auf  -  iov  gegenüber  115, die  anders  ge- 
bildete Namen  tragen:  'AyyjTtov, 'Apixiov  (2),  'Apionov  (2),  Fvi- 
öiov,  0£[j.iaTiov,  Kaeitiov,  KpaTiwtov,  Axu-ttiov  (3),  M'.wäpiov,  Nixx- 
Tiov  (4^  Iliciov,  TEi-j'-ov  und  ein  nicht  zu  ergänzender  Name.  Et- 
was jünger  ist  die  Liste  von  Kalymnos,  veröfYentlicht  D.C.H. 
1884  S.  29,  besprochen  von  Paton,  Inscrij)tions  of  Cos  S. 
352,  zuletzt  abgedruckt  Gr. D.I.  3593,  welche  die  Teilnehmer 
am  Kulte,  wie  man  meint,  des  Apollon  Dalios  verzeichnet.  Ich 


«  Vd.  II.  Poiiiluw,  Pliilologus  1899  Ö.  60, 


4-24  A.    WILHELM 

entnehme  ihr  folgende  Namen  von  Frauen  und  JuniijtVaupn  auf 
-lov:  Aivr;aiov,'Api(JTiov,  Ei'atov/Eptji.iov,  KXsixtov  (3),  AäaTCiov  (2), 
'Ovä'iiov,  Iliaiov,  *I>'Ay.iOiov ;  diesen  12  stehen  nur  34  anders 
gebildete  Namen  ü;eo;enüber. 

Aus  diesen  Zusammenstellungen  ergibt  sich,  dass  das  Vor- 
kommen von  acht  Namen  auf  -  lov  unter  den  fünfundsechszig 
Namen,  welche  die  Liste  von  Paros  bietet,  für  die  Vermutung, 
die  aufgezählten  Frauenzimmer  seien  Hetären,  nicht  geltend 
gemacht  werden  ilarf. 

Aber  Maass  glaubt  nachweisen  zu  können,  dass  von  den  Na- 
men der  Liste  'viele,  sicherlich  aber  nicht  alle  Spitznamen 
gewesen  sein  müssen'.  Finden  wir,  nicht  nur  dreimal,  wie 
Maass  glaubte,  sondern  gar  fünfmal  'Amz(xaix  (Z.  8,  9,  '22, 
24,  26),  so  hat  'gewiss  die  berühmteste  aller  griechischen  He- 
tären, die  milesische  Freundin  des  Perikles,  ihren  Namen  her- 
gegeben'. 'Ist  das  richtig,  so  führen  die  Aspasien  der  Inschrift 
nicht  ihre  wirklichen, einst  bei  der  Geburl  verliehenen  Namen, 
sondern  Spitznamen"  *.  Ich  kann  mich  dieser  AufTassung, wenn 
auch  U.  V.  W'ilamowitz  für  sie  gegen  \V.  Judeich  lebhaft  einge- 
treten ist', nicht  anschliessen.  Nicht  weniger  als  viermal  kehrt 
in  der  Liste  der  Name  TiaaperT),  nicht  weniger  als  je  dreimal 
'EpaiiTTTC-ri,  ZwaiixT],  MxXOiov,  OpcoTw,  je  zweimal  'Ay'Xaic,  EI'g-.ov, 
Mu)Jt?,  IlottSap;(^t<;  wieder.  Beweist  das  mehr,  als  dass  diese  Na- 
men, und.  wie  es  vielleicht  bloss  zufällig  scheint,  'AaTcaiia  vor 
anderen,  in  Paros  zur  Zeit  unserer  Inschrift  sich  ganz  beson- 
derer Gunst  erfreuten?  Wir  wissen  doch, wie  sehr  auch  bei  uns 
die  Namengebung  je  nach  Zeit  und  Ort  und  Stand  wechselnder 
Mode  unterliegt.  Dass,  wenn  in  Athen  keine  anständige  Frau 
Aspasia  hiess,  man  in  lonien  mit  dem  Namen  nicht  so  strenge 
war,  sagt  v.  Wilamowitz  selbst,  und  es  fehlt  nicht  an  un- 
verdächtigen Beispielen  für  diesen  Namen  ^. 


'  Oflor  Walilnamcn. 

-  hl  seiner  Bespreciliung  der  Clinnsons  de  liililis,  GiiUingiscIie  gel.  Anz. 
1896  S.  623;  vgl.  Aristoteles  und  Athen  I  8.  263.  II  S.  99. 
3  Judeicli  in  Pauly-Wissowas  Real  -  lOiievcidpädie  II  S.  1718.  Unicr  den 


DIE    SOGENANNTfc;    HETAERENINSCHUIFT   AUS   PAHOS  425 

'Sodann  erscheinen  redende  Namen  wie  'Attzt-o,  'EvSjtw 
(=ivS'jToo6po<;),  'Oij.aia  (vielleicht  sogar  vom  gesclilcciillichen 
Verkehr  gemeint)  und  ^i\xy.öi,  falls  diese  Bildung  zu  o'.Aa/.o- 
"kouHoc,^  und  nicht  zu  einem  anderen  Compositum  Kurzform  ist'. 

\^on  diesen  'redenden'  Namen  ist  einer  in  meinem  Text 
nicht  mehr  zu  finden:  'EvS-jtw.  Ich  liatte  mir  unter  'EvS-jtö>, 
vollends  mit  Maass  Erklärung,  nie  etwas  denken  können:  so 
hatte  ich  Pernices,  auch  aus  anderen  Gründen  anstijssige  Le- 
sung Z.  14  MxXOiov  <J>iXw  'EvSuTw  röpyou  i'  längst  berichtigt, 
bevor  ich  fI>iXjTw  auf  dem  Steine  fand.  Ein  zweiter  Name,  <I>i- 
Xa/.o),  beweist  nicht,  was  er  beweisen  soll;  eine  Bürgersfrau 
auf  Kalymnos, deren  Ehrbarkeit  zu  bezweifeln  kein  Grund  vor- 
liegt, führt  ihn  Gr.  D.  f.  3593,31  und  <l\lx/.'.o^  begegnet  auch 
C.f.A   II  836. 

'Atcxtt)  und  'OuAliy.  mögen,  namentlich  letzterer  Name,  zu- 
nächst verfänglich  scheinen.  Aber  'Axxtvi  findet  sich  auch 
sonst  als  Frauenname:  'A.  ©eoSwpou  MiVorria  CIA.  ill  2593, 
'A.  'Extx.Tr^TiSo?  C.I.G.  2143c,  repsUav-))  'A.  2259,  Kacia  "A. 
Athen.  Mitth.  1886  S.  125.  Und  'OuaUx  kann  ich  mindestens 
in  der  Grabschrift  C.I.A.  11  2259:  'Oa^ia  "Ou.ao-j  'Hpaz-^eoi- 
T'.;  (vgl."OfxiAo(;  II  444.445)  nicht  verdächtig  finden;  IG. Ins. 
I  493  entgeht  die  'OaiXia  KoL&xliCjx  allerdings  nicht  dem  Arg- 
wohn  des  Herausgebers.    'OixiXix   'A^oX^covio-j   Mii^y^iia  s.  im 


von  ihm  beigebracliten  Zeugnissen  verdient  die  Grabsclirift  aus  Chios /.G..-1. 
382  wöilliclie  Anführung: 

'EaXfji;  T3  [t]o  [Y]uvaty.ö;  68öv  r.a.pa,  T[Ti]vSE  tö  af)[j.a 

Xew^OGOv  'Anr.aiirii  ea[T]i  y.a-:a7:0'.iJi[£v]r]5- 
opY^;  5'  ifvi']  äyaOT^;  E'J0)[n!]8r,;  tooe  [j.v[fjij.]a 
auT^  l::EaTTia£v     to  ::apäxoiTi;  et]v. 
'  Ich  halte  die  Ableitung  des  Kosenamens  <^tXax^I)  von  9iXaxdXojOo;  für  ver- 
fehlt, will  aber  nicht  versäumen,  für  ixoXouOttv  einen  Beleg  beizubringen, 
der  an  sich   von  Interesse  ist.    Im  Mhnoires  de  la  sociiU  des  anliqiiaires  de 
France  1877  S.  85  hat  L.  Ilru/.ev  das  Tlionmodoll  eines  Schuhes,  ausUnter- 
ägypten  stammend,  vcrilllentlioht,  dessen  Sohle  durch  Andeutung  von  Nä- 
geln die  Inschrift  AI^OAOY©!  trägt,  und  zur  Erklärung  auf  Clemens  Alex. 
Paedagog.  Xl,11   verwiesen:    ::oXXat  Sä    xa!  epwnxoj;  icjT^aatxoj;    Ey/apärTOuaiv 
aÜToi?  (nämlich  xol?  xaTTÜfiauiv).  Im  Sande  abgedrückt,  forderte  die  Inschrift 
auf,  der  llelärc  zu  l'tdgen. 


4?6  A.    WILHELM 

As^Tiov  ap-/.  1890  S.  82,6;  eine  Sklavin  C.I.G.Srpt.  III  36. 
Doch  Maass  t>laiibt,  auch  'von  zwei  in  diesem  Denkmal  auf- 
tretenden Personen  nachweisen'  zu  können,  'dass  ihre  Namen 
zu  anderer  Zeit  und  in  anderer  Gegend  Hetären  eigentümlich 
gewesen  sind'.  Statt  der  augenscheinlich  verderbten  Namen  At;- 
vaiTOKUTTo?  "AcTToa  stellt  nämlich  Maass  in  dem  lletärenverzeich- 
nisse  bei  Athenaeus  XIII  '»83  e  Aviva-w  RXEoiräxpa  her  und 
findet  beide  Namen  in  der  Liste  von  Paros  wieder  (Z.  18  und 
19).  Das  Zusammentreffen  genügt  zur  Behauptung:  'also  wa- 
ren diese  Namen  unter  den  Hetären  mindestens  seit  dem  drit- 
ten Jahrhundert  als  Spitznamen  ganz  gebräuchlich'.  Selbst 
wenn  in  unserer  Inschrift  der  Name  Z.  18,  Asivaiö)  nach  Per- 
nice,  wirklich  Ar,vata)  wäre,  fände  ich  diesen  Namen  an  sich 
nicht  bedenklicher  als  z.  B.  Avivat; '  und  andere;  aber  es  steht 
gar  nicht  Asivaiw  da  —  auch  wäre  die  Schreibung  ei  für  t)  recht 
auffällig-^ — ,  sondern  KlAetvapw.  eine  Kurzform  zu  K"X£iva- 
p£T7] :  es  triff't  sich  hübsch,  dass  gerade  Titxapw  statt  Tiu.apeTn 
für  Paros  durch  den  Stein  C.I.G.  24  1 1 .  LeBas21 18  bezeugt  ist. 
Also  bliebe  von  dem  Hetärenpaar  nur  K"XEOTCotTpa  übrig.  Maass 
vermutet,  dass  für  diesen  'Spitznamen'  die  sagenberühmte 
Kleopatra  ,  Meleagers  schöne  Gattin,  das  Namenvorbild  ge- 
liehen habe.  Die  Indices  zu  C.I.A.  II.  IV, '2.  III  weisen  nicht 
weniger  als  sechszehn  Kleopatren ,  zum  Teil  verheiratete 
Frauen,  auf,  und  wie  viele  unbescholtene  Frauen  und  Mäd- 
chen, die  für  uns  namenlos  verschollen  sind,  mögen  densel- 
ben Namen  getragen  haben.  Wird  man  ihnen  die  Ehrsamkeit 
allen  abstreiten,  weil,  erst  nach  Maass  Conjectur,  Athenaeus 
eine  Hetäre  Kleopatra  nennt?  Wird  ein  Name  dadurch,  dass 
ihn  einst  zufällig  ein  Frauenzimmer  trug,  das  als  Hetäre  sein 
Glück  machte  und  deshalb  auch  uns  bekannt  ist, schon  zum  He- 


*  Ariva!,'  z.  B.  C.I.  A.  II  2175. 

2  Üio  uiii^'ckchrtc  Vervvccilseliiiig  liatje  icli  seiner  Z('it  irrii;' in  der  Iiiselirift 
von  Ilioii,  Sclilieinann,  Ilion  S.  704  Z.3 'EpYoiptXov  jcaipös  oü  /pTjjjLatfal^T)  an- 
genommen; W.  Schulze  licsl  Gölt.  gel.  Anz.  18!j7  S.  894  lichUgcr  ou  xpi- 
jj.aT^a(^rj.  Dass  anf  dem  Steine  selbst  ocl  äv  ■fj)r^\i.'x-zii^r^  sieht,  erfahre  icli  durch 
Alfred  Brückner. 


DIE  SOGENANNTE  HETAERENINSCHRIFT  AUS  FAROS        427 

tärennamen  ?  Zwisclien  den  eigentlichen  IIelärennamen,Wahl- 
und  vollends  Spitznamen  wie  ^i/.lvrc,  ^i^oxy'j.o^,  K>.£'I/'j5pa  * 
U.S.  vv.  und  den  Namen,  die  jedes  Mädchen  erhallen  konnte, 
also  auch  eines,  das  dann  Hetäre  ward,  besteht  denn  doch 
ein  Unterschied. 

Aber  auch  auf  andere  Namen  hat  Maass,  wie  mir  scheint, 
mit  Unrecht,  in  diesem  Zusammenhange  Gewicht  gelegt.  Dass 
'Ay^aU  (und  'Qpaiy)  'die  Schönheit  der  Gestalt  jedenfalls  im 
Namen  trägt',  macht  sie  unbefangener  Beurteilung  nicht  ver- 
dächtig: lIcG)T(j,  die  'sogar'  einen  Nereidennamen  führt -.  hat 
auf  Paros  auch  weitere  Namensschwestern  aufzuweisen,  wie 
ich  zu  Z.  11  zeige,  ^p-jvl?  Z.  20  erinnert  allerdings  bedenklich 
an  die  berühmte  Phryne.  Ein  glücklicher  Zufall  hat  uns  aber 
durch  Gyriacus  folgende  Inschrift  aus  Paros  erhalten  [B.C.H. 
1877  S.   134): 

Ktt/Ctcov  'Ap'.GTO'poJvTo;  y.y.'.  ^puv!?  ^ 

KXsoSä(A5CVTOC   'J-£0    TO'J    'JIOO    KXeo- 
l  '  1 

Sä(AavTO<;  'Ac?/.)ri7riqi  xai  'Tyieia. 
Ist  es  angesichts  dieser  Inschrift  noch  erlaubt,   die  <I>p'jv::  der 
Liste  —  vielleicht  ist  sie  geradezu  Ktesons  Frau  —  zur  Hetäre 
zu  machen?  iMahnt  dies  Zusammentreffen  nicht  auch  zur  \'or- 
sicht  in  der  Beurteilung  anderer  Namen*? 

Einer  Reihe  von  Frauennamen  ist  in  der  Liste  kein  Vater- 
name beigegeben;  es  sind,  von  Z.  23  ab,  -xpltTY;,  Zwciixti, 
'AyXal;,  r>>'jx.ivva,  -arpo^eva,  K>£o~äTpa.  Zcodiari  ?,  IlpwTü),  -i<.x. 
In  dieser  Sphäre,  sagt  Maass,  sei  das  schwerlich  Zufall;  diese 
Hetären    seien    iiK-erto  patre   geboren.    Aber  können   diese 


<  Vgl.  P.  Kretschmer,  Vaseninscliriften  S.  209  Allien.  XIII  590f.  567d. 

2  Al)cr  Ilesiod  Thcog.  243  sclzl  W. Schulze,  Quaesliunes  epicae  S.  5"25  mit 
Reiz  IIÄojTo)  für  IIptoTw  ein,  v;;!.  P.  Kretsciiiiier,  Vaseiiiiiscliiiflen  S.  2U2. 

3  il>iyviaa  ("yiiacus  Al)S(;hrifl. 

••  Slüiule  MtöJXXiov  in  der  L.isle  von  Paros,  der  Name  eiili,Meiige  seliwer- 
lieli  der  Nachrede.  MtOüXXiüv  ÖEaiiow  Mupivaiou  'IiYi[A^/oi)  A£uxovo£ü)4  yuvfj  auf 
einem  vorröniischen  Grahslein  'Eijitija.  äpx..  1893  S.  171  Nr.  4;  ihr  Mann 
'HY£'[iayos  Asuxovoeü?  in  der  ^'rossen  Liste  aus  dem  Jahre  des  Archon  Her- 
mogenes  C.l.A.  II  983  138,  über  McOyXXo^  u.s.w.  Beeilte!, Spitznamen  S.6i. 


428  A.    WILHELM 

Frauen  nicht  auch  Fremde,  Freiji;elassene,  meinetwegen  selbst 
Sklavinnen  sein?  Alle  insü;esanU  auf  die  Huld  der  GiUtin,  sei 
es  Aphrodite  oder  Demeter,  sei  es  Eileithyia  ,  an *:;e wiesen, 
konnten  sie  sich  nicht, zu  Dank  für  die  Vergangenheit  und  Für- 
hilte  für  die  Zukunft,  bei  einer  Sammlung  zu  frommem  Zwe- 
cke vereint  finden?  Seltsam  zudem,  dass  gerade  die  fünf  Aspa- 
sien, von  denen  man  sagt,  sie  seien  von  ihren  Eltern  bei  der 
Geburt  schwerlich  mit  diesem  Namen  begrüsst  worden,  nicht 
aTTäTopE?,  sondern  sämtlich  mit  Vätern  ausgestattet  sind.  Zudem 
bleibe  nicht  unerwähnt,  dass  z.  B.  auf  athenischen  Schatzver- 
zeichnissen dieselben  Büroerfrauen  hie  und  da  mit  einfachem 
Namen,  hie  und  da  mit  Namen  des  Vaters  und  des  Gatten  er- 
scheinen: könnte  nicht  ebenso  (ich  will  es  nicht  behaupten) 
auch  in  der  Liste  von  Paros  der  eine  oder  andere  Vatername 
unterdrückt  sein  ? 

Sehr  richtig  hebt  iMaass  hervor, die  nachweisliche  Beziehung, 
in  welcher  Vatername  und  Tochtername  hinsichtlich  ihrer 
Bedeutung  stehen',  verhindere  bei  einer  Anzahl  von  Frauen- 
namen unserer  Inschrift  'die  hetärenhafte  Eigenheit'  anzuer- 
kennen. So  sind  IIvjTW  Eüayöpou,  TifxapsTr)  Tiu.r,aiou,  'Ap/t? 'Ap- 
yixi^.o'j,  llaTpotpiAa  4>tX(i)voi;,  OaiSapyi;  Apj^^eou,  SwTpö)  'AxeaiO(; 
vor  dem  Verdachte  von  Wahlnamen  o-eschützt.  Auch  dass 
wir  'allen  Grund  haben,  in  den  Vätern  parische  Eingesessene 
zu  sehen'  erkennt  Maass  auf  Grund  von  Pernices  Nachweisen 
bereitwillig  an.  Ich  glaube  diese  nicht  nur  vermehren,  sondern 
auch  wahrscheinlich  machen  zu  können,  dass  wenigstens  ei- 
nige von  den  in  der  IJste  genannten  Frauen  auf  anderen  pari- 
schen Steinen, anscheinend  in  bester  Gesellschaft,  wiederkehren. 
Über  die  soeben  erwähnte  <I>puvt;  werde  ich  noch  zu  sprechen 
haben;  unsere  IIpJwTÖi  'A>^/.t(o'j  oder  wie  immer)  Z.  ^■^  finde 
ich  wieder  auf  der  durch  Prokesch  bekannten  Inschrift  C./.G. 
'2413  {in  sacello  Eleutheriano) 

nPüTnAAKI  nPOIiOENOY 


'  Vgl.   W.  Scliulze,   QuaestioHPS  epi'-ae  S.  23  add.,  Uscncr,  Götleinaiueu 
^.  362;  Beclilel,  Spilznamen  S.  5  u.  s. 


DIE    SOGENANNTE    HETAERENINSCHRIFT   AUS   PaROS  429 

ganz  unsicher  bleibt  allerdings,  ob  man  'Ap::x>.r,  ripo-^Oevo-j 
Z.  15  zu  der  auf  dem  Steine  C.I.G.  2398  b  genannten  -ti^yi 
npo<70£vou  in  Beziehung  bringen  daif. 

Um  zu  schliessen:  Maass  hatte  behauptet, von  etwa  der  Hälfte 
aller  auf  der  Inschrift  vorkommenden  Frauen  sei  es  sicher  oder 
doch  wahrscheinlich,  dass  sie  Hetären  waren,  und  von  den 
übrigen,  da  sich  ehrbare  Frauen  und  Gassendirnen  nicht  an 
derselben  religiösen  Stiftung  gemeinsam  beteiligt  haben  wür- 
den, das  Gleiche  einfach  vorauszusetzen.  Bei  eingehender  Un- 
tersuchung auf  Grund  berichtigter  i>esung  stellt  sich  vielmehr 
heraus:  Von  keiner  einziß-en  der  Frauen  der  Liste  kann  es  mit 
unseren  Mitteln  erwiesen  werden,  dass  sie  Hetäre  war.  Der 
Schluss  von  Einzelnen  auf  Alle  ist  bei  dem  Anlasse,  um  den 
es  sich  handelt,  überhaupt  nicht  zutreffend,  und  träfe  er  zu, 
so  bewiese  er  nicht  für. sondern  gegen  Maass.  Denn  von  nicht 
ganz  wenigen  Frauen  wird  selbst  von  dem  Vertreter  der  Hypo- 
these, die  ich  bekämpfe. zugegeben,  dass  sie  völlig  unbedenk- 
liche Namen,  keinesfalls  Wahlnamen  des  Gewerbes  tragen  ; 
andere  sind  mit  Wahrscheinlichkeit  in  unverdächtiger  Um- 
gebung nachzuweisen  ,  und  überblickt  man  die  Beziehun- 
gen ,  die  sich  in  der  Namengebung  zu  anderen  parischen 
Inschriften  aufzeigen  lassen,  so  gewinnt  man  zunächst  don 
Eindruck,  durch  unsere  Liste  nicht  etwa  in  die  verrufenen 
Häuser  und  einen  OiaTOi;  der  Otcrpo), sondern  in  die  gut  bürger- 
liche Gesellschaft  von  Faros  geführt  zu  sein  ;  finden  sich  viel- 
leichtauch  Angehörige  niedriger  Kreise  und  Nichtbürgerinnen, 
so  darf  das  nicht  Wunder  nehmen. 

Die  Annahme,  dass  die  in  der  Liste  genannten  Spenderin- 
nen einen  Verein  gebildet  hätten,  scheint  mir  unbewiesen  und 
unbeweisbar.  Dass  Neokoros  und  Priesterin  als  Vorstände  des 
Heiligtums  in  der  Überschrift  genannt  sind,  in  dem  \'erzeirh- 
nisse  der  Beiträge,  die  der  llerrichlung  eben  dieses  Heiligtums 
zu  Gute  kommen  sollten,  ist  auch  ohne  V'oraussetzung  irgend 
einer  Organisation  durchaus  natürlich  ;  wäre  eine  solche  vor- 
handen gewesen,  so  würde  eine  ausdrückliche  Erwähnung 
schwerlich  fehlen.  Um  bei  einer  Sammlunir  zu  IVouunemZwecke 


4f30  A.  WILHELM 

sich  mit  ihrem  Scherflein  zu  beteiligen,  brauchten  die  Frauen 
von  l*aros  ebensowenig  einem  Vereine  anzugehören,  als  die 
Frauen  von  Oropos.  deren  Heiträge  die  Inschrift  B.C.H.  1891 
S.  490  (besprochen  von  B.  Keil,  Hermes  1892  S.  64H)  ver- 
zeichnet, oder  die  Frauen  von  Tanagra .  die  einer  von  Th. 
Reinach  kürzlich  angekündigten  Inschrift  zufolge  für  die  Errich- 
tung des  Ternpels  steuerten  '.  oder  die  Frauen  von  Kos, deren 
Widmungen  eine  Inschrift  bucht,  welche  demnächst  \\.  Her- 
zog  in  seinen  Koischen  Forschungen  und  Funden  verölTentli- 
chen  wird. 

Die  Lesung  und  Ergänzung  der  Liste  wird  erschwert  durch 
das  Auftreten  von  Zahlzeichen  und  Abkürzungen.  Die  durch 
die  Zahlzeichen  ausgedrückten  Spenden  schwanken  meiner 
Lesung  nach  zwischen  einem  Obolos  Z.  23  und  31  Drachmen, 
da  Z.  •24  eine  andere  Abteilung  als  'Ac7ra(jia  'AXe^ilvSpou)  AA 
nicht  möglich  scheint;  meist  sind  Beiträge  von  einer  halben 
Drachme^  S  und  von  einer  Drachme  aufwärts  bis  zu  sechs  "^ 
ausgewiesen.  Die  Abkürzung  des  Vaternamens,  von  welcher 
der  Herausgeber  meinte, sie  habe  sich  mit  gleicher  Freiheit  bisher 
nicht  angewendet  gefunden,  begegnet  gerade  auf  Steinen  be- 
nachbarter Inseln.  Die  bekannte  Urkunde  über  die  Mitgift  der 
Mykonierinnen  (Ditten berger,  *S////6>i,J'6' '  Nr.  4  33;  Jnscriptions 
juridiques  I  S.48)  verzeichnet  die  Vaternamen  zumeist  nur  mit 
ihrer  ersten  Silbe.  Die  Liste  auf  der  schönen  Stele  von  Thera 
LG. Ins.  III  327  giebt  Vaternamen  hie  und  da  nur  mit  einem 
Buchstaben  (Z.  258,  310),  meist  mit  der  ersten  oder  mit  den 
zwei  ersten  Silben.  Auch  die  Inschrift  von  Tenos  (Boss,  In- 
scriptiones  ineditae  II  S.  14,  102.  Le  Bas  ISS.C/.C^.  2338  b, 
jetzt  im  Nationalmuseum  zu  Athen  )  enthält  gleichartige  Ab- 
kürzungen"^. Vereinzelt  zeigen  diese  Abkürzung  der  Vaterna- 


^  Oomptes  renalis  de  l'Acadimie  des  inscripliuns  189S  S.  833. 

2  Über  dieses  Zeichen  B.  Keil,  Hermes  1890  S.  610. 

3  Z.  27  ist  siclicrlicli  B  zu  lesen,  wenn  auch  der  Abklatsch  nur  P  deutlich, 
von  der  unteren  Hunduu^''  nur  Spuren  erkennen  l.'lssf. 

■•  Es  ist  zu  lesen  Z.  9  Name,  dar)n  Vatername  -vo  z.  B.  AeiJvoIxXeoj;)  Tu- 
pa  eü;)  Eevwvi  IliaTo(xpi-:ou;l  Aova(x£T);  Z.   12  Name 'ApiaTo(8r;[j.ou)  FupaUüj), 


ßlE  SOGENANNTE  METAERENINSCHHIFT  AUS  FAROS        431 

men  aucli  attische  Inschriften  :  ich  bcj^niige  mich  auf  den 
Stein  von  Cliaiandri  (Athen.  Alitth.  1896  S.  'i38)  zu  ver- 
weisen. Auch  die  Liste  der  Theoren  auf  einem  per^jamenischen 
VVeihgeschenke  (Inschriften  von  Pergamon  I  ^)  kürzt  die  Na- 
men der  Väter  meist  zwcisilbis;. 

Dass  die  Vaternamen  unserer  Liste  nicht  immer  mit  Sicher- 
heit zu  ergänzen  sind,  hat  schon  Pernice  bemerkt.  Ich  nehme 
an,  dass  für  denselben  vollen  Namen  stets  auch  dieselbe  Ab- 
kürzung verwendet  sei,  Tw.r,  Z.  10  also  einen  anderen  Namen 
bezeichne  als  Tt[j.r;<jt  Z.  9.  10.  12.  An  diesen  drei  Stellen  trennt 
Pernice  das  Iota  von  den  Namen  und  verbindet  es  als  Zahl- 
zeichen mit  dem  folgenden  C  (  16  Drachmen);  ich  ziehe  es  vor 
allemal  Tiü-^ti  als  Abkürzung  zu  fassen,  und  Z.  3!,  wo  Per- 
nice r,<7to  K>,ä'.?  Mvy:('7io'j)  gab,  auf  Grund  meiner  Lesung  A-o]- 
ri^j.-n  Zo)i(>.o'j)  S  Ax!;  y.-'k.  und  nicht  Zco  (z.  B.  ZojTtao'j)  IS  ab- 
zuteilen. Im  Allgemeinen  habe  ich  mir  zur  Regel  gemacht 
möglichst  kurze  und  auf  Paros  sonst  nachweisliche  Namen  zu 
ergänzen.  I']inzelne  Schwierigkeiten  kommen  an  ihrer  Stelle 
zur  Sprache. 

Z.  7.    Der  Name  Mj^k  begeo-net.  bisher  verlesen,   auch  in 
der  im  'Ae/;vaiov  V  S.  6  venHYentlichten  Inschrift  einer  Platte 
weissen  Marmors  (0,70'"  breit,   mindestens  0,40  hoch,   0,11 
dick),   die  ich  in  dem  Garten   des  Herrn  'AX£;avSpo?   Aaaia? 
eine  Viertelstunde  nordöstlich  von  Parikia,  wiederfand  : 

NtKinariSYifxo*; 
ripoaOevou 
TT/V  Yuvaix,a 
M'jXXiSa    OpäTOüvo; 

und  auf  dem  Grabsteine  der  Tochter  dieses  Ehepaares,    den 
ich  nur  durch  Olympios  Abschrift  'AOr.va-.ov  \'  S.  4"2  kenne: 

MuXXl? 

Denn  auch   hier  ist  augenscheinlich  MuXX;:,    nicht   M-jXa;;  zu 
le^en. 


435  A.  WILHELM 

Zu  Bechtel-Fick's  Griechischen  Personennamen  ist  MuXXi? 
(schon  tlui'ch  ilie  in  der  Kirche  "Ayio;  NvaöIolo;  zu  \'oIo  ver- 
mauerte Grabschrif't,  Heuzey,  Mace'doine  S.  Ml  Nr.  189 
Mj'XX'.^  0£O)cpiTou  yuvY)  bekannt)  wie  MüXXiov  C.  I.  A.  II  3982 
und  MuA'Xacov  II  *2596  nachzutraben;  MüXXo;  B.  C.  H.  1879 
S.  7G,6  in  den  Listen  aus  Thavsos  u.  s.,  dazu  M-jXXea?,  MuX- 
Xivx;^  vgl.  Bechtel,  Spitznamen  S.  30.  Sicher  unrichtio;  ver- 
mutet Franz  in  dem  Verzeichnisse  der  Herapriesterinnen  von 
Kyrene  C.l.  G.  5143  Z.  11  M}jXa[T]w  AOaio? ;  die  Abschriften 
geben  lAYAlQ  und  dIAYABO.  also^tiXxapco?  vgl.  <1>cAt6Sx- 
[/.o;!  G.Ifis.  III  3  4. 

Z.  10.  <I>iXiT'7a  ist  mir,  erinnere  ich  mich  recht,  sonst  nicht 
begegnet.  Von  dem  dritten  und  vierten  Buchstaben  des  Na- 
mens zeigt  der  Abklatsch  nur  schwache  Spuren. 

Z.  11.  Der  Name  'Epo!ci7rTr7),noch  zweimal  in  derListe  ver- 
treten,scheint  auf  Faros  beliebt  gewesen  zu  sein;  er  findet  sich 
noch  in  der  'AS/ivaiov  V  S.  15  herausgegebenen  Weihein- 
schrift  ( "EpaTiTi-r,  Goxtwvoi;), 'Ep^ctcpaiv  auch  in  einer  noch  un- 
veröffentlichten Inschrift. 

Auch  der  VateiMiame  'Ap/eXao;  ist  sonst  bezeugt.  'A07)vatov 
V  S.  4  "2  ist  die  Weibeinschrift  veröflentlicht : 

©sö'ppwv  ©paGOüvo; 
Tr,v  yuvaiy.a  OpcoTW 

'ApyeXaou 

und  S.  43  die  Grabschrift  dieser  Frau  und  ihres  Mannes: 

ripCOTOÜ;  0e6<pp(i)LV 

Tii?  'ApyeXiou  0p3i:'7(i)[vo; 

ypyi^JTÖ; 

IlöXXa  'ApysXzo-j   ß.  C.  II.  1877  S.  135.  Als  ap/cov  in  der  S. 
413  mitgeteilten  Inschrift. 


<  Bliiikenhcrgs  Lesung?  der  ürabscIiriCL  aus  Erelria  MuXXcva;  0£(jaaXö{ 
(Erpiriskc  (Ürav.skiifler  169  i,  die  Becl)tcl  an/weilVIi,  wird  diiicli  iiu'iiic  Al)- 
scliril'l  l)cstätigt. 


DIE  SOGENANNTE  HETAERENINSCHRIFT  AUS  PAROS        433 

In  dem  Namen  Me>.iviov,  den  ich  wie  Me/iwa  Gr. D.I.  3534. 
C.I.A.  II  J434,  Me^^ivw  C.I.A.  II  1868,  Me/mov  C.I.G.  3?21, 
3953  b,  LG. Ins.  IM  388  in  den  Griecliischen  Personennamen 
nicht  verzeichnet  finde,  sind  zwischen  AIN  verschriebene 
Buchslaben  deutlich  sichtbar.  Als  V'aleriianien  las  Pernice 
Mvr,a'.0(£ou),aber  der  letzte  Buchstabe  ist  sicheriicii  E;  also  glaube 
ich  mich  berechtigt,  den  Paros  eigentümlichen  Namen  Mvy)- 
(jt£7:7)<;  zu  ergänzen  Der  durch  seine  Reliefs  und  Inschriften 
merkwürdige  Sarkophag,  über  den  B.C.H.  1880  S.  285  und 
ausfühi'licli  von  B.  Löwy  in  den  Arch.-epigr.  Milth.  XI  S.  176 
berichtet  ist,  nennt  MvriTiE-r,;  KttiT'.l/.e'vo'jc,  Ilapi^-sviojv  Mv-rj-jitT^ou, 
KaAlivi^r,  Mvr,'7t£7:ou,  und  seit  langem  bekannt  ist  ein  mit  Stier- 
köpfen  und  Blumengewinden  geschmückter  runder  Altar,  von 
Fauvcl  auf  Deios  gesehen,  jetzt  im  Museum  von  Marseille, mit 
folgender  Inschrift  {C.  I.  G.  231Ü;  VV.  Fröhner,  Cataiogue 
des  aiitiqmtcs  ^recques  et  romaines  du  Miise'e  de  Mar- 
seiile 1897  S.  23): 

Schon  Böckli  hat  die  Namen  Ilpa^-.x.)/?^?  und  Neoar.Sr,;  als  pa- 
risch  erkannt  — sie  kehren  in  der  Inschrift  C.I.G.  2376  wie- 
der'—  und  für  MvrjTie;^-/;?  (damals  sonst  nicht  bezeugt)  auf  den 
Parier  Ktt.'ju-'o;  OLG.  2380  verwiesen.  .Da  auf  Delos  nicht 
bestattet  ward,  nehmen  Bcickii  und  Fröhner  an,  der  Altar 
sei  zur  Frinnerung  an  die  Toten,  aber  nicht  an  der  Grabstätte 
selbst,    aufgestellt   gewesen.    Diese    Annahme   entbehrt  aller 


'  'II  ßouXrj  xai  ö  Örjao;  npa^DiX^v  NeojArJöou;  STiiATiaiv  tö  ioooiaov  /pjaüii  ate- 
«pavtui  äpiarsiüji  xai  elxövi  y^aX/tfii  xai  7:poc5p;ai  iv  toI;  äyoiiiv  xtX.  Idi  hin  ver- 
sucht, die  von  Krispi  EüayY.i^/oX/i  1870/78  S.  5,  on'  ( schh'chtor  'AOrjvatov  V 
S.  35,  39)  initgeleille  Eliieniii.sohril'l  auf  denselhen  Praxikles  zu  heziehen 
und  zu  ergänzen  : 

'H    I'Jo'jXt;   xal    [6   5^;jlo; 
IIpa$i]xX7)v  N£o[(jir^öo'j{ 
ETtjjLTjaEv]   eixdvi  jj.a[p|jLap!vrii 
xat  j:po£Öp;'at  ev  tJoi;  <iYtijj[tv 
äpEC^{  £]v£xe[v  xai  «jvota;  xtX 

ATHEN.    MITTHEILUNÜEN    .XXUI.  29 


434  A.  WILHELM 

Wahrscheinliclikeil.  V^erschleppt  ist  der  Stein  unter  allen  Um- 
ständen und  zwar  sicherlich  von  Paros  seihst,  wie  umgekehrt 
delische  Steine  nach  Paros  gewandert  sind'. 

Der  Name  Kpircov  auch  C.  I.  G.  ?399  (Antiparos) 
Timarete,   viermal   in   der  Liste,   begegnet,   wie   schon   er- 
wähnt, in  der  Kurzform  Tiu.apoo  auch  in  der  Grahschrift  C.I.G. 

241  1   Ttaapü)  KXeoospo'j  y^rjG'cr,  yclps. 

Z.  13.  Zu  MvYi(cco'j)  vgl.  MvYiciwv  in  der  Liste  'AOr.vaiov  V 
S.  22.  'ETTizva^  {C.I.G.  2836)  auch  in  dem  Verzeichnisse  von 
Beiträgen  ebenda  S.  28,  der  jüngeren  Inschrift  S.  19,  und 
hier  Z.  19. 

Z.  14.  Statt 'EvSjtcl), wie  Pernice  las, hatte  ich  erst  E  'HSutw 
vermutet,  so  auch  B.  Latyschew  in  seinen  Analecta  cpi^ra- 
yf>/z/6'<7, Philologische  Bundschau  (russisch), Moskau  1895,S.152. 
Aber  der  Stein  zeigt  deutlich  <I>lXutü).  Beispiele  für  die  Ver- 
lesung von  01  zu  H  und  N  habe  ich  Gott.  gel.  Anz.  1898  S.208 
und  Arch.-epigr.  Mitth.  1897  S.  71  beigebracht.  Der  Name 
<1>'.).'JTW,  schon  durch  den  eben  besproclienen  Altar  für  Paros 
bezeugt,    wird   auch    in  einer  mir   durch  Olympios  Abschrift 


^  So  die  grosse  Rcclimingsurkundc  Le  Bas  II  50'J?,  wie  Iloniollc  B.  C.  IL 
1878  S.  3 VI  ;  1882  S.  3  gezeigt  hat,  und  nacli  desselheii  Gelciirteii  Ausfiili- 
rungen  B.  C.  II.  1879  S.  158  die  von  Olympios  'AGrJvaiov  V  S.  9  lierausgege- 
bene,  von  Köhier.Athen.  Mitth.  1876  S.  258  und  noch  jetzt  von  Dittcnber- 
ger,  Si/lloge^  Nr.  313  unbedenklich  für  Paros  in  Ansprucli  genommene  In- 
schrift,die  npo'-ci|j.o;  Awatöe'oj  ly  MupivvouTXT);  als  £7:i|i.£XT,Tr;;  nennt.  Die  Zutei- 
lung an  Delos  ist  nachträglich  durch  eine  auf  Deios  selbst  gefundene  In- 
schrift, die  Protimos  in  gleicher  Eigenschaft  nennt  (B.  C.  II.  1884  S.  150) 
bestätigt  worden.  Von  der  Inschrift  'AOr{vaiov  V  S.  27  Nr.  12  hat  K.  Schu- 
macher Herkunft  aus  Delos  erwiesen  (Rliein.  Museum  1887  S.  148).  Als 
verschleppt  betrachteich  aneli  folgende  Inschrift  eines  0,89"'  breiten, 0,14  ho- 
hen, 0,27ra  dicken  Marnioi  bli»ckes,  der  jetzt  über  der  Thür  des  llaus(>s  des 
'Iwavvrii  «I'wTiavo;  gegenüber  der  Kirche  TpeT;  Upäo/ai  in  Parikia  vermauer 
ist: 

ETTIETiME  AHTOYTHIN  H  lOY  MOIX' 

Den  Namen  bat  Herr  Krispi,  bevor  der  Siein,  auf  Paros  verbaut  gefunden, 
neuerdings  vermauert  ward,  v(dlsländiger  MOIXinNo;  geles(Mi.  Ob  diese 
Unterschrift  elwa  der  Basis  '.\Or|va'.ov  V  8.  .'7  angehiiren  k;inu,  lial  künftige 
Untersuchung  fest  zu  stellen. 


DIE  SOGENANNTE  HETAERENINSCHRIFT  AUS  FAROS        435 

nur  ungenügend  bekannten    Inschrift  'AO-^vatov  V  S.  45  her- 
zustellen sein.  Der  Ilerausj^ehen  liest: 


"n' 


NtX'JTOU  npO'j[9£v]ou 

SojgOe'vO'j?  Tou  ripa^'.xXeO'Jc 

in  dem  ersten  Namen  darf  ich  wol  <I>i>.'jtoi)[(;  vermuten,  umso- 
mehr  als  Krispi  in  dem  Berichte  der  Euv.yye'ki-Ari'Eyolrt  1876/78 
S.  7,  pTUY)'  folgende  Inschrift  mitteilt: 

ripoGOevTii; 
x.xl  Yl(xniT:ihy] 
E.O....IH 

T'/^V    [[J.j-/)T£pa.(J)|  A 

....  2<i)(j9evou 

Es  wird,  denke  ich,  auch  hier  *jE>ia['jtÖ)  I  SüxjOevo'j  zu  lesen  sein. 
Z.  3  mag  man  E(X]e[t]9[u]i-ir;[t  versuchen,  wenn  nicht  vielmehr 
der  Vatername  zu  ergänzen  ist;  VVeihungen  an  Eileithyia  auch 
C.I.G.  '2389,  'AO'/;vaiov  V^  S.  19.  Dazu  kommt  noch  unveröffent- 
licht, von  mir  im  Besitze  des  Arztes  N.  Busses  gefunden,  eine 
Platte  weissen  Marmors  (0,27'"  breit.  0,150  hoch,  mit  zwei 
Löciiern  rechts  und  links  zur  Befestigung),  die  über  zwei 
weiblichen  Brüsten  die  Inschrift  trägt: 

'ETCi/tpiLfviJa  'E>.£'j- 

Zu  der  Schreibung  'E-i/.px-:-/;*  ,  welche  durch  die  erhalte- 
nen Beste  gesichert  ist,  vgl.  E.  Schweizer,  Grammatik  der 
pergamenischen  Inschriften  S.  56. 

^^utOevt,!;  Opo-jOevou?  ist  als  Priester  des  Zevx;  Bxci>,eü?  u.s.w. 
C.I.G.  2385  genannt,    in  einer  Beitras-sliste  'AOr.vaiov  V  S.28. 

ropyo;  auch  C.I.G.  '2374  e,Z.  9;  '2399  ( Antii)aros) ;  Le  Bas 
2088. 

Z.  15.  'AoT^iXr,  lIpo(jÖ£(vo'j):  In  seiner  Abhandlung  Über  Pa- 
ros  und  parisclie  hischrillen  S.  638,  10  (darnach  C.I.G. 
2  398  b,  LeBas  2087)  teilt  Thiersch  folgende  Inschrift  mit: 


436  A.  Wilhelm 

-TtItTO;    IVTYlClCpCÖVTO; 

-oiXviv  IlpoaÖEvoi» 

TT.v  ejauTO'j  yuvaix.a 

Es  läge  nahe,  scheint  aber  doch  zu  gewagt,  als  Namen  der 
Frau  'Ap7:aX7i  zu  vermuten;  Iiält  man  an  Thierschs  Abschrift 
fest,  so  ist  BajiiXYiv,  wahrscheinlicher  NdcthJciXiov  *  oder  ähnlich 
zu  lesen  (rievOcjGiXviv  Thiersch).  Rine  noch  unverölTentlichte 
Weihung  an  'EXe-jÖit),  deren  Kenntniss  ich  Herrn  Dr.  O.  Ru- 
bensohn  verdanke,  nennt  W^Tzxkn  'EpaatcpwvToc.  OpoTOevr,?  ist 
wol  der  häufigste  Männername  auf  Paros. 

Für  lls/cö)  war  ic!i  einst  geneigt  llstOco  zu  vermuten  (als  Name 
einer  Ergastine  C.  I.  A.  II  956.  957,  einer  Hetäre  Athenaeus 
Xlll  577  a)  aber  K  steht  deutlich  auf  dem  Steine.  Also  liegt 
wie   bei  KoSw   in  einer  noch   unveröfi'entlicliten  Inschrift  aus 
Paros,  ein  stark  verkürzter  Kosename  vor. 

Z.  16.  Der  Name  Iläptov  ist  auch  in  der  kürzlich  Z^.C /y.  1897 
S.  21  mitgeteilten  Inschrift  Z.  7  zu  erkennen  und  steht  ebenso 
deutlich  C.I.G.  2398  e  add.  S.  1077  (LeBas  '^066),  wo  Böckh 
M.  Aüp.  Bpaaucevo'j  TO'j  ^(^[Tlpcövo?  lesen  wollte.  Übrigens  ist 
der  Name  auch  ausserhalb  der  Insel  nachzuweisen. 

Z.  17.  Von  dem  Zahlzeichen  an  erster  Stelle  erkenne  ich  auf 
dem  Abklatsche  noch  den  ersten  schrägen  Strich.  Zu  Ende 
der  Zeile  scheint  der  Steinmetz  statt  P  in  Föpyou  iri'ig  B  ein- 
gehauen zu  haben. 

Z.  1  8.  KjA6'.vapw  geh(M't  zu  einer  kleinen  Gruppe  von  Kosena- 
men, die  ich  bisher  nicht  ziisauimengeslclit  finde.  An  Tt[j.apä) 
einer  anderen  Inschrift  von  Paros  habe  ich  schon  oben  S.  426 
erinnert.  Die  Zugehörigkeit  zu  RXeivapex'/i  und  Tty.apeT-n  liegt 
auf  der  Hand.  Innige  Beispiele  aus  andeien  Inschriften:    Aa- 


'  Der  N;ime  NixrjaiXr],  den  die  Giicchisclien  Persononnamen  niclil  vcr- 
zeicliiicn,  hcp-egiiet  Inder  S  430oi\v;ilint<'ii  Inschiin  ans  Tcnos  Z.  12f., 
vgl.  NurjaiXa;  in  der  grossen  üikiindi'  (•ln'iidalii'r  Insrr.  llril.  Mus.  377  Z.^b. 
Die  I{aiiiiiverli;iltiiis<r'  sriicini'ii  ihci  fi'w  ilcii  länpTon  als  den  kürzeren 
Namrn  /u  s|irccliiii,  indrss  k.uiii  die  Zeile  clwas  eingerückt  fiewcsen  sein 
wie  Z.  2  auf  dem  Steine  6.  i3(). 


DIE    SOGENANNTE    HETAERENINSCHIUFT   AUS   FAROS  437 

aapü),  KXs'.Tacw.  N'./.aco>,  Inscri/)lions  (T Epidaure  195,  250, 
248,  der  letzte  Name  auch  C. LG. Sept.  1  -2681  nach  Bechtel, 
Personennamen  216,  Tu/3cp6  C  I.A.  111  l'28Üa  add.  S.  519, 
C. LG. Sept.  I  1639;  dazu  ^ü-rapo).  wenn  ich  den  verderbten 
Namen  C.  L  G.  5143  richtig  deute  (oben  S.  432).  riu(l'.--o; 
auch  'AOr^vaiov  V  S.  29. 

Von  dem  letzten  Buchstaben  der  Z.  18  erkenne  ich  auf  dem 
Abklatsche  nur  eine  senkrechte  Linie,  also  war  stall  \\kv.- 
wahrscheinlich  K>.'.(vio'j)  geschrieben. 

Z.  2(1.  Leider  sind  im  Bruche  die  dem  Namen  des  V^aters  der 
«^puvti; '  angeliörigen  Buchstaben  sehr  beschädigt.  Dennoch  ist 
KAE  deutlich  zu  erkennen;  dann  ist  das  obere  Ende  einer 
senkrechten  Linie  und  an  nächster  Stelle  der  Giebel  eines 
dreieckigen  Buchstabens  klar. nach  dem  Platz  für  ein  weiteres 
Zeichen  bleibt.  Unter  diesen  Umständen  ist  die  Identität  die- 
ser <l>p'jvi;  und  der  <l>pjvi;  KXsi^aaavro;,  welche  die  nur  durch 
Cyriacus  bekannte  Inschrift  B.C.H.  1877  S.  134  nennt,  nicht 
sicher:  folgte  auf  den  dreieckigen  Buchstaben  kein  weiteres 
Zeichen  zu  Lnde  der  Zeile,  was  sich  nur  vor  dem  Steine  ent- 
scheiden lässt,  so  ist  für  unsere  Inschrift  die  Lesung  <l>puvi; 
KX£t(vio'j  oder  ähnlich)  A  als  die  wahrscheinlichste  zu  be- 
zeichnen. 

Z.  19  und  •?0  zu  Anfang  gibt  eine  ältere  Abschrift  Krispis 
das  Zahlzeichen  II ;  auf  meinem  Abklatsche  ist  Z.  19  nichts 
zu  erkennen,  Z.  •?()  dagegen  das  unlere  Teil  eines  B  oder  allen- 
falls  S. 

Z.  21.  Pernices  Lesung  rooyiT/.a  .  .  .  .  a  T'.(;.r,T(io'j)  'Api'7T[o- 
vix.Ti  wird  einigen  dcullich  sichll)aren  Biichslabcnresten  nicht 
gerecht  und  ergilH  nach  dem  ersten  keinen  fasslichen  zweiten 
Namen  und  keine  Zahlzeichen.  Ich  habe  ropyU  (vgl.  z.  B. 
C. LG. Sept.  1878)  KA£o^S/-,(ao-j)  A  Tvj.rr,xoir>-:'n  lesen  zu  sol- 
len üeiilaubt.  denn  jeder  \'ersuch,  anders  zu  lesen,  stösst  auf 
erhebliche  Schwierigkeiten.    Ist  auch   der  Name  Ttar.caaaTr, 


'  Ül)er  die  ganze  Sippe  der  Namen  <^puvrl  «tpCvoj  u.  s.  w.  I3ei'lit(>l   in  der 
S,  419,8  genannten  .Miliaiidluiig  S.  43. 


438  A.    WILHKI-M 

ziiniiclist  aulTällig,  so  wird  er  docli  wol  durch  Tw/riGo^^irri 
B.C. II.  18S7  S.  265  neben  Ti[jt.ap£TYi  und  ähnliidie  liildungen 
geschützt.  Den  Ausweg  Ttav:  2  'Aoitt^  .  .  zu  sclireihen  und  2 
als  Wertzeichen  für  einen  Teil  des  Obolos  zu  fassen  ',  möchte 
ich  nicht  empfehlen. 

Z.  2*2  nach  l^ernice  'AoTrxcjia  'ATTa^siaiov  Ae;',6(/o'j) ;  dies 
wäre  seiner  Abschrift  nach  leicht  in  A-r-arr-a  'A-:Tä(Aou)  B  El'- 
oiov  zu  verbessern,  wie  auch  Latyschew  vermutete.  Aber  nach 
'AaTwacta  sind  von  den  Anfangsbuchstaben  des  V'alernamens 
im  Bruche  des  Steines  beiderseits  Reste  erhalten,  die  auf  n 
(allesfalls  auch  KP)  führen.  Also  ist  'ATTä(Xou)  ausgeschlossen. 
Ich  vermag  den  Namen  nicht  zu  finden.  IlxTa-x-o;  begegnet, 
soviel  ich  weiss,  nur  mit  einfachem  T. 

Sicher  ist  hier  und  Z.  28  der  Name  Ei'aiov,den  ich  auch  für 
Rhodos  IG. Ins.  I  583,  Kalymnos  Gr. D.I.  35y3  nachzuwei- 
sen vermag.    Er  gehört  zu   'iTiye'vaa,  'iTiyovo?,  'IatSoTO;,"I(iiSa)pO(; 

U.S.W.  Inixc,,  'liiptov,  Icjapo'j;  und  verhält  sich  zu  dem  jetzt 
vielfach,  auch  für  Paros  selbst  ('AGyivotiov  V  S.  45)  bezeugten 
Namen  'Icricov,  der  Letronne  {Oeuvres  choisies  II  83)  nur  in 
drei  Beispielen  bekannt  war,  wie  Xaiptov :  Xaiptcov  und  zahl- 
lose ähnliche  Bildungen  -. 

Wenn  Pernice  als  Vatersnamen  As^iof/ou)  gab,  so  hat  er  das 
zu  Ende  der  Zeile  deutliche  B  verlesen.  Der  Name  Ae^DtpxTYii; 
begegnet  auch  'AO^vaiov  V  S.  42,  B.C.H.  1877  S.  134. 

Unsicher  bleibt  mir  der  erste  Name  Z.  23,  den  wieder  der 
Bruch  geschädigt  hat. Nach  Rrispis  Abschrift  zu  urteilen  scheint 
die  Stelle  früher  besser  erhallen  gewesen  zu  sein,  und  seine 
Lesung  0,EOK?H?TH  lässt  sich  mit  den  auf  meinem  Ab- 
klatsche erkennbaren  Resten  vereinen;  doch  lässt  dieser  Name 
links  für  einen  Buchstaben  Platz.   Ich  dachte  deshalb  an  K>vj£o- 


♦  Vgl.  Bruno  Keil  bei  M.  Frauke!,  Iiiselirifteii  von  PertiaiiKiii  II  S.  l'J! 
zu  255. 

2  In  Boclilel  -  Ficks  Gricclii^elieii  l'ersonemi.iiiieu  lelill  El'aiov,  ehon.so  in 
den  Naclilrägcn  aus  I.G.Ins.  I,  die  Beclitel  in  Bezzenbcrgers  Bcitr.'igen  XXI 
S.  22ö  veröfreiilliclil  hat. 


DIE    SOGENANNTE    HETAERENINSCHIUFT   AUS    PAHOS  439 

xpiTfi.  Ob  in  dem  l^niclie  an  zweiter  Steile  ein  runder  Buch- 
stabe steckt,  wird  sich  nur  vor  dem  Steine  entscheiden  lassen. 
'AyXxi:  (fehlt  in  den  jL^riechischen  Personennamen]  z.H.  In- 
scriptions  /uridic/ues  I  Nr.  VII  =  Inscr.  Biit.  Mus.  '611 
Z.  90  (Tenos);  Leake.  Travels  in  Northern  Greece  IV  S. 
211  (Pheraij;  Aelian.  v.h.  1,*26.  Zu  Ende  der  Zeile  erkenne 
ich  deutlich  das  bisher  übersehene  Obolenzeichen. 

Z.  24.  llpoTÖ)  'A>./ci(ou  oder  ähnlich)  vgl.  oben  S.  428. 

Z.  25.  rx}j>ci[a a'  Tpo9aoc  1>aw(vo(;)  i'  Pernice;  r\\j- 

)t[£pa  A]a[>tpxTou  ß'  <(o)  ^Cky.  $iX(i)(vo;)  i'  Latyschew.  Meine  Le- 
sung ist  völlig  gesichert.  FXuA'.wa  ist  auch  sonst  bekannt  z.  B. 
LG. Ins.  I  3-2G.875,  Gr  D.I.  '6:A'i.  Inscriptions  of  Cos  181. 
Eine  Hetäre  llarpocprAa  in  dem  Gedichte  Anlli.  Pul.  \'ll  221, 
vgl.  VV.  Schulze,  Gott.  Nachr.   1896  S.  245. 

Der  Name  'AXi^avi^po?  auch  OLG.  2390  (M.  Fränkel  Kpi- 
graphisches  aus  Aegina  S.  34  Nr.  113).  2408,  2414  b. 

Von  Z.  26  ist  der  Anfang  bisher  unentzifferl  geblieben.  Nach 
'  kn-K'xrAy.  erkenne  ich  II  KAPO,  was  ich  nur  LNy./.a.y6(pou)  deu- 
ten kann. 

Z.  27.  Züxriu.Ti  KX£0[y,€p6Tou  in  der  kürzlich  nach  Cyriacus  Ab- 
schrift veröffentlichten  Inschrift  Athen.  Mitth.  1897  S.  409 
Nr.   13. 

Z.  28.  MvT)  T'.ov  Pernice, aber  die  obere  Linie  des  E  und  I  sind 
deutlich.  ÖiöSwpo;  auch  in  der  S.  412  angeführten  Weihin- 
schrift. 

Z.  29.  njaxpo^Evy.  oder  M]xTpo;£va. 

Z.  30  ist  der  erste  erhaltene  Buchstabe  nicht  völlig  sicher, 
aber  dem  Abklatsche  nach  am  ehesten  H  gewesen;  deutlich  sind 
nur  zwei  senkrechte  Linien.  Keinesfalls  'Epacji-Trr;,  etwa  A- 
yavtTrTTTi. 

Z.  31 r^rna  Ka5ci<;  Mvyi(<jtou)  a'  Pernice.    Aber  an  den 

Namen  KXy.tc '  ist  nicht  zu  denken.  So  hatte   auch  Latyschew 
.\7.i;   horgosfollt    und  gelesen:  -r,\j.i\   ^(^(Gix)  v.'  A*-;  v.-:\.  Aber 


'   Ühor  lO.äi's  Sapplii)  Frag.  76  (84),   riolili.u-  K)e't;  v.  VVil.imowil/.,  Ci)mm. 
grnmm.  lll  S.  -23,1. 


4i0    A.  wiLHKLM,  DiK  soGENANNTi':  iii;tai:iu:ninsc.h!iift  aus  paros 

das  vermeintliclie  K  ist  verlesen  tiii'  S.  wovon  allerdings  nur 
die  untere  Hälfte  deutlich  ist  Aa.;  auch  CIA.  II  988  (Ver- 
zeichniss  von  Eranisten);  III  2740.  3248;  C.  I.  G.  Sept.  I 
107.  560.  1616;  'E^y;;/..  äpy.  1892  S.  168;  Athen.  Mitth. 
1886  S.  125;  C. I.G.Sic.  1323.  1688.  1798  (Tuanax-^  aej^-vo- 
TäxTi).  1918.  Als  semitisch  gilt  auch  dieser  '  Hetärennaine' 
R.  Herzoo;,  Philolosjus  1897  S.  49. 

Zu  Zü)i(Xou)  vgl.  Arch.-epigr.  Mitth.  XI  S.  188:  oi  j^^sroi- 
xo[i]  tÖv  Yuj/,varT'.[apyY)v]  ZwiXov  Z(>){>,[ou  y-tX. 

Z  32  AxxpOx  ?  npot>To(y£vo'j;)  a'  Pernice.  Allerdings  hat 

man  in  nPjT.To.  wie  völlig  klar  auf  dem  Stein  steht,  zunächst 
einen  Vaternamen  zu  suchen.  Allein  es  will  dann  nicht  ge- 
lingen, für  die  erste  Hälfte  der  Zeile  eine  annehmbare  Losung 

zu  finden,  es  sei  denn,  dass  man A  Map6a  IlpwTo'x.AfO'j 

oder  wie  immer)  A  schreiben  zu  dürfen  glaubt.  Somit  bleibt 
nur  die  Voraussetzung,  dass  HpcoTo  irrig  für  ripoTw  geschrie- 
ben sei.  Üer  runde  Buchstabe  vor  A  kann  ebenso  vvol  o  wie 
O  sein 

Z.  36.  -ivr.ov  Pernice:  'Hau/iov  ist  sicher.  Der  Name,  wie 
häufig  'Iku/ia,  auch  C.J.A.  II  3>I5.  in  der  S.  422,  2  er- 
wähnten Liste  von  Thiasoten  und  Gr. DL   1789  (Delphi). 

Wie  der  freie  Raum  unter  der  Inschrift  zeigt,  ist  die  Liste 
vollständig. 

Athen. 

ADOLF  WILHELM 


"'O'iii^f^-O' 


REISKBEF^ICIIT  AUS  KOS 

Die  Absicht. den  Platz  des  Asklepieions  von  Kos  genauer  zu 
bestimmen,  als  es  bisher  gelungen  war,  und  die  Möglichkeit 
einer  AusiTrabunii  dort  zu  untersuchen, führte  mich  im  Sommer 
1898  auf  die  Insel.  Durch  den  Bericht,  den  M.  Dubois  in  der 
Abhandlung  De  Co  insiiUi  (Paris  I88'i)  über  seinen  Besuch 
der  türkischen  Festung  gegeben  hatte,  war  mir  der  Gedanke 
nahe  gelegt,  dass  die  vielen  Architekturstücke,  welche  die 
rhodischen  Johanniter  in  das  Schloss  am  HalVn  verbaut  hat- 
ten, Aufschluss  über  den  Verbleib  der  Beste  des  Asklepieions 
geben  könnten,  und  dass  die  Mauern  der  Burg  ausser  den  we- 
nigen unbedeutenden  Inschriften, die  bisher  in  ihnen  gefunden 
waren,  noch  viele  an  Orten  verborgen  enthalten, die  nur  bei  Er- 
laubniss  einer  gründlichen  Untersuchung  der  Festungsmauern 
entdeckt  werden  könnlen.  War  es  doch  sehr  aulTallend,  dass 
unter  den  vielen  bisher  bekannten  Inschriften  von  Kos  das 
Asklepieion  eine  so  überaus  geringe  i^olle  spielte,  sogar  in  den 
zahlreichen  und  auslrihrlichen  sakralen  Inschriften.  Auch  von 
Weihgeschenken  an  den  Gott  und  von  all  den  Kleinigkeiten, 
die  allerorten  von  dem  Vorhandensein  einer  grossen  Kult- 
und  Fleilstätte  Zeugniss  geben,  war  keine  sichere  Spur  auf  Kos 
gefunden.  Wenn  das  Heiligtum  systematisch  zum  Bau  der  Fe- 
stung abgetragen  war,  so  mussten  sich  auch  die  grossen  In- 
schriften in  ihr  linden'.  Von  diesen  l"]rwägungen  ausgehend 
hatte  ich  zuerst  durch  die  gütige  \'ermiltelung  (V^v  Kaiserlich 
deutschen  Botschaft  in  Konstantinopel  ein  Gesuch  an  die  tür- 

<  Freilicil  sind  die  Jolianiiiter  bei  ihren  Bauten  sonderbar  verfahren.  Die 
grosse  kölsche  Iiisclirill  Palon-IIieks  10  war  in  die  Johanneskirche  von 
Rhodos  veihaiil,  und  die  Fricsslüeke  in  ih'r  koi>-i'hi'n  i'fstun!;,  die  Uoss  für 
Uesle  des  Asklepieions  hiril,sind  aus  Knidos  versehieppl  (vi;l.  Hi-nndorf  und 
Niemann,  Reisen  in  Lykieu  und  Ivarien  l  S.  1211".) 


442  n.  HKiizoG 

kische  Regierung  gerichtet  um  die  RrlaLil)niss  zur  arclüiologi- 
sclien  Durchforscliung  der  Stadt  und  Insel  und  insbesondere 
zum  Eintritt  in  die  Festung.  Die  Direetion  des  deutsclien  ar- 
chäologischen Instituts  bewilligte  mir  eine  Unterstützung  zur 
Ausführung  meiner  Absichten.  Auch  der  beste  Kenner  der 
Insel  Kos,  Herr  Paton,  der  sich  nach  Vollendung  seiner  In- 
scriptions  of  Cos  anderen  wissenschaftlichen  Aufgaben  zu- 
gewandt hat,  unterstützte  mich  bereitwilliij;st  durch  seinen  Rat 
und  Empfehlungen,  und  brachte  zuletzt  auch  noch  einen  Teil 
seines  Sommeraufenthalts  auf  Kos  zu,  während  dessen  er  mir 
mit  seinen  Erfahrungen  getreulich  beistand. 

Am  14.  Juli  kam  ich  in  Kos  an  und  reiste  nach  kurzer 
Orientirung  weiter  nach  Rhodos,  um  das  Einführungsschrei- 
ben der  türkischen  Rei'ierunü;  dem  Gouverneur  des  Inselvi- 
lajets,Abeddin  Pascha,  zu  überreichen.  Ich  wurde  aufs  freund- 
lichste aufgenommen  und  erhielt  ein  Schreiben  an  den  Kai- 
makam  von  Kos,  worin  er  auf  Grund  des  Irades  zur  l  nter- 
stützung  meiner  Forschungen  aufgefordert  wurde.  Ich  wollte 
nun  zunächst  mit  der  Untersuchuno;  der  Festun«;  besfinnen. 
Hier  begannen  aber  sofort  dieselben  Schwierio;keiten,  die  sich 
Dubois  und  Paton  entgegen  gestellt  hatten.  Der  Komman- 
dant der  Festung  erklärte,  in  dem  Irade  sei  die  Festung  nicht 
ausdrücklich  genannt  und  er  kinine  nichts  gestatten  ohne  Be- 
fehl  seiner  direkten  militärischen  Vorgesetzten.  Es  begannen 
telegraphische  Unterhandlungen,  bei  denen  mir  der  Vali  sehr 
l)eistand.  Nach  etwa  10  Tagen  erhielt  ich  auch  die  telegra- 
phische iMitteilung  ,  dass  dem  Kommandanten  die  entspre- 
chenden Weisungen  von  seinen  Oberen  zugehen  würden.  So 
lange  ich  aber  auf  (Jer  Insel  weilte,  kamen  diese  Weisungen 
nicht.  Somit  musste  ich  die  Festung  aus  meinem  Programm 
streichen. 

Die  topographische  Untersuchung  hatte  auszugehen  von  den 
antiken  Nachrichten.  Das  .Askh'pieion  lag  nach  Strabo  XIV 
S.  657  iv  TW  TrpoaTTeiw  der  mit  der  jetzigen  identischen  Stadt. 
Diese  Angabt;  w  ird  bestätigt  durch  das  bisher  nicht  beachtete, 
ebenfalls  auf  Autopsie   beruhende  Zeugniss  des  Rhelors  Ari- 


REISEBERICHT   AUS   KOS 


steides  (VII,  Dindorf  I  S.  76),    nach  welchem  die  lleilställe 
h  Toi;  TÄv  Kcocov   -poxTTcio-   lag.    nco7.cTsiov   bezeichnet    nach 
feststehendem    antikem   Sprachgebrauch     die  Gegend    direkt 
ausserhalb  der  Stadtmauer.   Von   den    bisherigen   Forschern 
waren  drei  Plätze  für  die  Stätte   des  Asklepieions  vermutet 
worden.  Paton  [Inscriptions  of  Cos  S.  137)  nahm  dafür  die 
einzigen  in  der  Umgebung  der  Stadt  zu  Tage  liegenden  Tem- 
pelreste in  Anspruch,  bei  der  verfallenen  Kirche  der  Ilavxvia 
TapGoO  jenseits   des  Dorfes  Kermeti,  am  sanften  Abhang  der 
Gebirgsausläufer.  Die  i^:ntfernung  von  der  Stadt,  die  er  auf 
eine  halbe  Stunde  schätzte,  beträgt  eine  ganze  Stunde,  so  dass 
der  Ausdruck   iv  Tpox-ireio)   nicht  mehr  darauf  passt.   Es  sind 
dort  noch  Fundamente  eines  Tempels  sichtbar,  vom  Oberbau 
nur  noch  das  Bruchstück  einer  dorischen  Säulentrommel  von 
etwa  1,25'"  Durchmesser  mit  tiefer  Kannelirung  und  das  emes 
dazu  gehörigen  Triglyphenstücks. beides  aus  weissem  Marmor. 
Sonst  ist   aUes  abgeräumt.  Die  Inschriftblöcke,  welche  in  der 
Umgebung  gefunden  wurden  und  zum  Teil  noch  dort  liegen, 
haben  keinerlei  Beziehung  zu  Asklepios  ergeben.  Es  ist  nicht 
unmöglich,  dass  der  Tempelbau  frührömischer  Zeit  angehörte. 
Der  Oberbau  kann  in  die  Kalköfen  gewandert  aber  auch  zum 
Bau   der  Festung  abgeführt  worden  sein.  Eine  Untersuchung 
der  dort  verbauten  Architekturstücke  könnte  vielleicht  darüber 
Auskunft  geben;   andrerseits   kann  Klarheit  auch  geschaflen 
werden  durch  die  wenig  Arbeit  erfordernde  Aufräumung  des 
Tempelplatzes. 

Das  entgegengesetzte  Extrem  hatte  Dubois  {De  Co  insiila 
S.  8-11)  angenommen, indem  er  das  Heiligtum  in  die  nächste 
Nähe  der  Festung  und  des  Hafens  setzte,  verleitet  durch  grosse 
Archilekturfunde  in  den  dort  gelegenen  Gärten  eines  Türken. 
Durch  private  Ausgrabungen,  welche  dieser  anstellte,  wurde 
aber  klar,  dass  hier  nicht  das  Asklepieion.  sondern  ein  grosses 
Gymnasium  aus  n'unischer  Zeit  gestanden  hat 

Dubois  hatte  den  von  seinem  N'orgänger  Hayet  {Memoire 
sur  Cile  de  Cos,  Archives  des  missions  seien tifi(jues  1876 
S.  98)  angenommenen  Platz    'wenige  Minuten   westlich    von 


444  H.    HEHZOG 

der  Stadt'  als  zu  weit  entfernt  bezeiclinet.  Ganz  klar  ist  die 
Beschreibuno;  Rayets  niclit  und  sein  Hauptbeweisstück,  'ein 
dorisches  Kapitell  aus  weissem  Marmor,  von  sehr  »[-osser  Di- 
mension und  sehr  reinem  Profil',  wurde  1884  von  Benndorf 
und  Niemann  (a.a.O.)  nicht  mehr  i>efunden,  ebensowenig^- von 
mir.  Auch  wusste  von  den  Koern  Niemand  etwas  darüber. 

Ich  hielt  es  zunächst  fiir  nolwendiii;.  den  Umfang,  d.h.  die 
Mauern  der  antiken  Stadt  fest  zu  stellen.  Auf  den  Gängen,  die 
ich  zu  diesem  Zweck  unternahm,  zeigte  mir  mein  Führer  loan- 
nis  Kallisperis  aus  Kalymnos  die  von  iiim  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit angenommenen  Spuren  der  Stadtmauern.  Sie 
stellen  sich  jetzt  als  ein  zum  Teil  hoher  Damm  dar,  in  dessen 
Umgebung  sich  allenthalben  grössere  Mauersteine  finden.  Die- 
ser vermutliche  Mauerzug  hat  einen  Umfang  von  etwa  '2000'"; 
mit  Zurechnung  der  Seeseite  ergibt  sich  für  die  ganze  Stadt 
ein  Umtang  von  3-4^'",  gewiss  nicht  zu  viel,  wenn  Strabon 
XIV  S.  657  von  ihr  sagt:  r,  Se  tuÖXi;  o'j  aeyäly),  y.x'k'ki<7TX  Ss 
TrofTüiv  a\j\iö-/.ir:u.vrf]  x.xl  iSsaOai  toi;  >caTaTrA£0U(7iv  yiöiTT'o.  Dieser 
Stadtumfanu  deckt  sich  ziemlich  mit  dem  der  erweiterten  heu- 
tiijen  Stadt,  die  sich  um  Hafen,  Festung  und  innere  um- 
mauerte  Rittersladt  in  weiterer  Bauart  mit  Gärten  bei  den 
Häusern  herumzieht*. 

Der  mutmassliche  Mauerzug  schneidet  das  jetzige  westliche 
Stadtende  Jeni-Kape.  Geht  man  von  hier  westlich  die  Strasse 
nach  Kermeti,  so  gelangt  man  nach  '200'"  an  einen  Platz  von 
etwa  100'"  Länge  und  160'"  Breite,  der  sich  im  Gelände  deut- 
lich durch  eine  Erhöhung  von  ungefälir  1'"  abhebt,  und  mit 
späten  Thon-  und  Ziegelscherben  bedeckt  ist.  In  den  Garten- 
und  Feldmauern  rings  umher  sind  viele  schöne  Blöcke  von 
blauem  Kalkstein  und  weissem  Marmor  verbaut.  Aul  diesen 
Platz  stimmt   die  Beschreibung   BayeLs.   Bei    einer  Besserung 


'  Der  Plan  der  Stadt  und  Uingebmip:  auf  der  eiif,'Ii,schen  Adiniralitäts- 
karte  Nr.  1500  giht  ein  ganz  falscluis  liild  von  der  jel/.igeii  Stadi,  rltniso  die 
unter  uiigiinsligeii  Bedingungen  aiilVt'nniiiini'iicii  Skizzen  von  linliois  (De 
Po  msula  Taf.  I.  II). 


REISEBERICHT   AUS    KOS  445 

der  durchführenden  Strasse  kamen  verscliiedene  Marmor- 
blücke  zu  Tai^e. 

Hier  glaubte  ich  zum  Versucli  den  Spaten  einsetzen  zu 
müssen,  und  wurde  (hirin  durch  Herrn  Paton  bestärkt.  Nach 
länojeren  Verhandlunji;en  erhielt  ich,  wieder  durch  \'ermitt- 
luno;  der  deutschen  Botschaft,  von  der  VerwaUuni<  drv  Kai- 
serlichen  Museen  in  Konstantinopel  telegraphisch  die  Er- 
laubniss  zu  einer  eintägigen  Versuchsgrabung.  Obwol  ich  mir 
davon  kaum  einen  Erfolg  versprechen  konnte,  wollte  ich  doch 
den  Versuch  unternehmen.  Ich  liess  an  einer  Stelle  der  Peri- 
pherie, wo  ich  am  schnellsten  in  die  Tiefe  zu  kommen  hoffte, 
einen  Stollen  von  10"'  Länge  bis  zu  3,30'"  Tiefe  eintreiben. 
Aus  diesem  Stollen  wurden  aber  keine  Baureste  zu  Tage  o;eför- 
dert,  sondern  nur. nach  unten  immer  häufiger  auftretend. Scher- 
ben, auch  kleine  Thonlampen  aus  .später  Zeit.  So  musste  ich 
mich  mit  einem  o;anz  zweifelhaften  Besullat  begnügen.  Aber 
trotzdem  bin  ich  nach  wie  vor  der  Ansicht,  dass  das  Askle- 
pieion  an  diesem  Platze  unter  dem  Boden  gesucht  werden 
muss.  Dazu  bestimmen  mich  hauptsächlich  die  Ansichten, die 
ich  mir  über  seine  Schicksale  gebildet  habe. 

in  der  Stadt  und  ihrer  ganzen  Umgebung  sind  überall  In- 
schriften in  grosser  Zahl,  Skulpturen  und  Baustücke  zerstreut 
und  verbaut.  Wie  schon  bemerkt,  ist  es  sehr  wunderbar,  dass 
unter  diesen  Funden  solche  aus  dem  Asklepieion  eine  so  ge- 
ringe Bolle  spielen.  An  den  Bergabhängen  kann  es  nicht  ge- 
standen haben,  nicht  nur  wegen  der  zu  grossen  Entfernung, 
sondern  auch, weil  sich  dort  noch  weitere  Beste  erhallen  haben 
müssten  ausser  jenem  Tempel  bei  ilavxyia  TapioO. 

Die  Ebene  aber  ist  in  Folge  derVernicIitungderWälder  durch 
den  von  den  Bergen  herabgeschwemmten  Humus  stark  ange- 
h()lit  worden.  Über  niedere  Buinen  konnte  sich  ilaher  bald  eine 
schützende  Decke  bilden,  namentlich  in  Zeiten,  wo  die  Bewoh- 
ner fehlten, welche  die  Buinen  zum  Hausbau  verwenden  konn- 
ten. Dies  wei.st  uns  auf  das  Schicksal  der  Sladl  im  ausgehen- 
den .Altertum.  Für  das  Asklepieion  i.si  unser  lelzler  Zeuge 
Arisleides.  Ob  es  nach   dem  Erdbeben    unter  .\nliininus  Piu8 


446  R.    HERZOG 

(s.  Hicks,  Inscriptions  of  Cos  S.  XLl )  wieder  im  alten 
Glänze  hergestellt  wurde,  ist  fraglich.  Vielleicht  halten  ihm 
schon  die  Erdbeben  am  Ende  des  I.  Jahrhunderts  vor  Chr. 
geschadet, auf  welche  die  für  die  Stadtgeschichte  von  Kos  wich- 
tige Inschrift  von  Olympia  (Dittenherger  Nr.  53)  Bezug  nimmt. 
Mit  dem  ErFtarken  des  Christentums  wird  es  verfallen  sein, 
zerstört  wurde  es  jedenfalls  durch  das  Erdbeben  von  554, 
dessen  Wirkungen  uns  als  Augenzeuge  Agathias  (sicdie  Hicks 
a.O.)  schildert. Wenn  die  zusammengefallenen  Trümmer  dann 
durch  die  Erddecke  besciiirmt  wurden,  wie  etwa  in  Olympia, 
so  fanden  die  Ritter  nichts  mehr  über  dem  Boden,  was  sie 
halten  zum  Bau  ihrerPestung  abtragen  können.  Diese  Verhält- 
nisse können  durch  einen  langen  und  tiefen  Versuchsgraben 
duich  den  ganzen  Platz  aufgeklärt  werden,  der  aber  natürlich 
mehr  als  einen  Tag  Arbeit  erfordert. 

Vor  der  Grabung  hatte  ich  meine  Zeit  auf  topographische 
Untersuchungen  in  der  ganzen  Umgebung  der  Stadt  und  ganz 
besonders  auf  die  Sammlung  von  Inschriften  und  die  Auf- 
nahme von  archäologischen  Funden  verwendet.  Auf  einer  vier- 
tägigen Reise  durch  die  ganze  Insel  lernte  ich  namentlich  die 
Plätze  der  antiken  Demen  kennen.  Bei  den  wichtigsten  von 
ihni^n,  llippiolai  ("Ayio?  Fecopyio;  Asti^ou),  Isthmos  (beim  Dorf 
Ke'oa'Xoj.Ilalasarna  (Dorf  KapSäi^.svx)  sind  die  A]ittelj)unkte  des 
Gemeindelebens  genau  bestimmt  und  werden  von  den  Bauern 
als  Steinbrüche  verwendet.  Eine  Ausgrabung  an  diesen  Plätzen 
würde  mil  sehr  wenig  Arbeit  das  Urkundenmaterial  der  De- 
men, das  auch  lür  die  Verfassung  der  ganzen  Insel  Wichtiges 
bietet,  sehr  vermehren. 

Nach  Abschluss  der  geschilderten  Untersuchungen  verliess 
ich  am  12.  August  die  schöne  Insel  ich  nahm  den  Eindruck 
mit  mir,  dass  aus  ihrem  Boden  mit  geringem  Aufwand  zahl- 
reiche und  grosse  Schätze  für  Wissenschaft  und  Kunst  gewon- 
nen werden  können.  Die  äusseren  Verhältnisse  sind  im  Ein- 
zelnen sehr  günstig,  die  allgemeinen  Schwierigkeiten,  die  sich 
einer  mit  Sclnnfimgt'ii  vcibuiideiicn  systematischen  Durchlör- 


REISEBERICHT   AUS    KOS  447 

schunj^  entgegenstellen,  können,  nachdem  sie  einmal  erkannt 
sind,  auch  jiehoben  werden. 

Meine  epigraphische  Ausbeute  beträgt  mehr  als  150  unedirte 
Inschriften  und  Inschriftenfragmente  Ausserdem  habe  ich  ge- 
legentlich schon  bekannte  revidirt  und  zum  Teil  berichtigen 
können.  Dieses  Material  erschien  zu  umfangreich, um  im  Rali- 
men  dieser  Zeitschrift  geschlossen  veröffentlicht  zu  werden. 
ich  entschloss  mich  daher  im  Einverständniss  mit  dem  archäo- 
logischen Institut  das  ganze  neue  epigraphische  Material  und 
einige  daran  sich  anschliessende  Untersuchungen  mit  den  nö- 
tigen Indices  in  einem  besonderen  Buche  zu  veröffentlichen, 
das  demnächst  unter  dem  Titel  'Koische  Forschungen  und 
Funde'  erscheinen  wird  und  in  Ergänzung  der  Inscriptions 
of  Cos  die  Urkunden  ,  welche  ohne  das  Werk  des  Spatens 
für  die  Geschichte  der  Insel  gewonnen  werden  konnten,  ver- 
zeichnen soll  Aus  der  Masse  der  Inschriften  seien  aber  einige 
der  Hauptstücke  hier  erstmals  veröffentlicht  und  kurz  bespro- 
chen Angeschlossen  werden  einige  Inschriften  nicht  koischen 
Ursprungs.  Ein  zweiter  Teil  dieses  Berichtes  wird  den  archäo- 
logischen Resultaten  der  l\eise  gelten,  da  diese  dem  Plan  des 
Buches  ferner  liegen. 


Inschhiften 

1.  Platte  von  weissem  Marmor,  61""  hoch,  40,5  breit,  7  -8 
dick,  im  Besitz  des  Herrn  'A>.£;io;  ©ju.avz/tr,;.  Sie  diente  früher 
als  Bodenplatte  in  einem  alten  türkischen  Bad  und  ist  daher 
stark  abgetreten  und  so  beschädigt,  dass  nur  noch  das  obere 
Viertel  der  Inschrift  annähernd  lesbar  ist.  Schrift  fein  und 
sorgfältig.   Höhe  (\qv  Buchslaben  l*""'.   Der  obere  liand  feiilt. 


o  2  11, 

AIPATPIAIPAPA  i(?  ENA 

nQNEI^TOMHOENC  ?IMQN 

ZfEPEINTAMPOAlN    YPEP^FK  AZ'AEY7 


448  H.  hehzoct 

5  AEMAlOSErPAYEYPEPAYI'OYEI    ""ISTGAAl 

NEPEMYEnOTITONAAMON'^nEPTASOYZ./ 
^1.  APESTAAKE    TH  I  TE/  2  K  A  AP  I  Q  I  K  A  ' 

TOISAAAOl^OEOISAPArONTAKACl)      0(l)nNTA 
METAT^N.2YNOE^PONEM0A      'IQN       «  TONAZ 
HMENt'/   "    ^0^"^0I   .    ^A'A'"ETA^     ^E'ANK 
T  A'    r  C        '  '  A  I         I  r  Y  C)  N 

Es  folgen  etwa  "23  ganz  unlesbare  Zeilen. 

[ STTetSv)  Kacpi(TO(pü)v noXKüiy  5tal  )rpr,]c;i(;,[o>v 

yEyovs  rjai  TratpiSi  7rapa[iTio<;  »catpöv  ojüOsva 
Trapa'XtJTTWv  sie,  ■xo  (xy]9evö[;  rtüy  ypvijfjip.wv 
y.aO'jjTTspstv  TÖtp.  TTÖXiv,  ÜTrep  (oy  >'a[i  ßja^i^eü; 
5    IlTo]X£[7.ato;  i'ypa^'e  öxsp  auTOu  £[v  eJTCt'JToT.xt 
(x]v  £7reat|;£  tcoti  tov  Saty-o[v]  uTCep  xa;  6'j(7i[a? 
a?  [l$]a7C£(jTa>.y.£  Twt  ts  'A(yx.>.a7riüii  xat 
TOi?  öcXlot?  9£or?  ä-ayovxa  Kacp^ajocpövTa 
u.£Ta  Twv  r>uvO£cop(j)v  l[X(pa[_v]r((ov  [ajüxov  a.^[tov 

10     Y;U£V 

Das  Bruchstück  enthalt  einen  Teil  der  Motive  eines  koischen 
Elireiibeschlusses  für  einen  Mitbürger.  Uer  Geehrte  ist  ohne 
Zweifel  eine  Person  mit  dem  Führer  der  Oplergesandtschaft 
an  Asklepios  und  dem  Überbringer  des  Begleitsclireibens.  das 
der  K(')nig  Ptolemaios  an  den  Demos  sandte.  Als  Beweis  da- 
für diene  einmal  der  Begleitbrief  an  die  Milesier,  den  Scleu- 
kos  1.  einer  Oplergesandtschaft  lür  das  Apollolieiligtum  mit- 
gab, Dittenberger,%//o^-6'  170;  Michel, /i?^t7/^i7  39  (vgl. Wil- 
helm, G.G  A.  1898  S.  '209),  Z.  11  ff.  icpsaTiV^augv  ei;  t6  i£- 
pov  TO'j  'AtiÖaXcovo;  tou  gv  AiSüaoti;  tyjv  ts  'X'jyviav  zr,^  u.eyaXr/v  y.a.1 
7C0Tr,pia  ypuio,  y.y.1  äpyupa  £1«;  ävaÖEciv  toi;  6£ot;  Toi;  ^WTvipGi  )co- 
p.tCov-:x  IIoXixvGtiv.  Durch  diese  Analogie  wird  auch  die 
verwickelte  Konstruktion  (Nachstellung  des  Particips  und  Na- 
mens hinter  seine  Objekte,  )  erläuteil.  Eiir  die  Beziehungen 
des  Get-andten  zu  dem  Staat,  an  den  er  gesebickt  wird. können 


REISEBERICHT   AUS   KOS  449 

wir  zur  Erklärung  beiziehen  den  Brief  des  Königs  Philippos 
V.  an  die  Nisyrier,  Michel  43.  besser  Dittenberger^  263 
=  1.  G.  Ins.  III  91  :  Bai'.AEÜ«;  4>iA',7r7co;  Niaupioi;  yaipEiv.  'Ao- 
ioTaX'/.x  KxXXiav  xpo;  uu-x?,  ovxa  x-xi  raiv  T-jvr^Or,  x.al  •jl/.e- 
Tepov  TToXiT-ov  eiSöii;  Se  aÜTOv  evvo'jv  ovra  t-?,  ttoAei  xai  ttoA- 
Xaitt?  uTcep  ütxtiv  Si£t>>£ya£vov  ^pöi;  eae,    ivTsxxXu.a'.  äutw   xvayyeiXai 

Aus  diesen  beiden  Briefen  kann  auch  der  Inhalt  des  Ptole- 
maiosbriefes  erraten  werden:  Der  König  schickt  eine  Theorie 
nnit  Opfern  und  natürlich  auch  Weihgeschenken  an  das  Askle- 
pieion  zu  Kos,  bestimmt  zu  ihrem  Führer  den  an  seinem  Hofe 
weilenden  Koer  Kaphisophon  und  gibt  ihm  ein  Schreiben  an 
den  Demos  von  Kos  mit,  dessen  llauptteil  wol  nach  den  ein- 
leitenden Sätzen  eine  Liste  der  Weihgeschenke  und  Opfertiere 
bildete'. 

Der  Anfang  des  Alotivsatzes  nach  dem  Praescript  wäre  dem- 
nach etwa  so  zu  ergänzen:  'Da  Kaphisophon  -  sich  immer 
als  ein  trefl'licher  Bürger  gezeigt  hat  und  ganz  besonders  S-.a- 
TpiSojv  -otpic  ßaTiXsi  ÜToXe^aaiüj  sowol  im  einzelnen  sich  stets 
seiner  Landsleute  annimmt, als  auch  durch  seinen  Einlluss  auf 
den  König  >toivXi  TzollCiy  xai  j^pr]<:itx[ci)v  |  ysyovs  t]x:  TTOCTpiSi 
7uapa[iTiO(;  atI.'  Die  Ergänzungen  der  ersten  erhaltenen  Zeilen 
habe  ich  nach  sorgfältigen  Erwägungen  aus  der  Zahl  der  zur 
Verfügung  stehenden  Formeln  des  Kanzleistils  ausgewählt  2. 
Sollten  sie  auch  im  Einzelnen  zweifelhaft  bleiben,  so  dürfte 
doch  der  Gedankeninhalt  sicher  sein.  Der  Name  Ka9'.«70(p(i)v 
war  bisher  auf  Kos  nicht  direkt  belegt,  dagegen  Kacpi^io;  als 
Beamtenname  auf  einer  kölschen  Münze  (Paton,  Coa/i  coins 


'  Eine  driUe  autValleiule  Analogie  bildet  der  nach  gulen  hellenistischen 
QiU'll.'ii  j^n'falsclih'  Berichl  di's  Pseudo-Aiistoas  über  die  Theorie  des  Ptole- 
iiiaios  Philadelphos  /.um  Tempel  in  Jeiusaleni,  mit  Beirieitltrief,  Liste  der 
Weihgeschenke  u.  s.  w.,  vgl.  Aristeae  quae  fertur  ad  Philociatem  epislulae 
initium  ed.  L.  Mendelsohn  (1897)  S.  9  §  33  IT. 

2  Das  doppelte  xpi^V^^v  ist  nicht  uncrlniglich,  vgl.  z.  B.  Michel  4-23.  3-27, 
3.  s._  Von  Wiehtigkeil  für  die  Ergänzungen  ist  die  Thalsaehe,  dass  am 
Zeilenschluss  die  WorUrennung  absichllich  vermieden  zu  sein  scheint. 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN   XXlll.  ^^ 


4&0  R.    HERZOÖ 

Nr.  106  in  den  Inscr.  of  Cos).  Rro;änzen  kann  man  den  Na- 
men, der  aus  dem  kölschen  Monat  Kacpiaio?  zu  erklären  ist, 
auf  der  Insclirifl  Paton  -  Micks  54.  2. 

Z.  4  f.  Vü;1.  den  selir  älmliclien  Elirenbeschluss  der  Athe- 
ner  für  den  Komödiendiciuer  Phiiippides,  der  ä-oSviaTica;  upo; 
TÖv  ßaaiXea  Auaiaayov  für  seine  Vaterstadt  wirkte,  Michel  1  ".^6, 
Dittenberger^  197,  Z.  30  f.  xai  ü-ep  toOtwv  tuocvtcüv  xoXXocki?  jae- 
{jiapTupvixev  aurcöi  6  ßaai>.£u;  Tupö?  tou?  TTpsGSsüovxa;  'AOyivaiwv  xpo; 
sxuTÖv.  Zu  dem  dreimaligen  ÜTvep  mit  Gen.  vgl.  Meislerhans 
Grammatik  der  att.  Inschriften^  S.  182.  Hier  ist  es  jedenfalls 
an  erster  und  driller  Stelle  ganz  gleich  Ttspt  mit  Gen. 

Z.  7  f.  Tcöi  TS  'Ac/iXaxiöi  5tai  xoi?  aX'Xoi;  öeoic.  Diese  Oeoi  auvoi- 
xoi  des  Asklepios  kennen  wir  aus  dem  Gebet  tler  dem  kölschen 
'A(y>c>>Yi7ria)'.  ävaTiOeicai  xal  Ö'jcia^ouaai  bei  Ilerondas  IV.   1  ff. 

Z.  9  f.  £a(pa[v]c^ü)v  [ajÜTov  a^[iov]  y){X6v.  Das  folgende  ist  zu 
schattenhaft  ufid  unsicher,  als  dass  ich  nach  verwandten  In- 
schriften eine  Ergänzung  wagen  möchte.  Man  erwartet  etwa 
den  Gedanken:  dass  er  würdig  sei  der  Sendung  (to,;  [x]v:q- 
(TTo[>.z;?)  oder  fler  Führerschaft  der  Theorie,  des  Gottes,  des 
Königs,  seiner  Mitbürger  oder  ähnliches. 

Wenn  damit  die  Motive  erschöpft  waren,  so  müssen  die 
Ehrenbeschlüsse  einen  grossen  Raum  eingenommen  haben. 

Die  wichtigste  Frage,  welche  die  Inschrift  aufgibt,  ist  nicht 
sicher  zu  lösen.  Der  Schriftcharakter  und  die  sorgfältige  Ab- 
fassung verbietet  es,  sie  unter  die  Mitte  des  III.  Jahrhunderts 
zu  rücken.  So  kommen  ernstlich  nur  die  beiden  ersten  Ptole- 
maier  in  Betracht.  Ptolemaios  I.  hatte  allen  Grund,  den  Askle- 
pios von  Kos  zu  ehren,  unter  dessen  Schutz  ihm  .'!09  der 
Thronerbe  geboren  wurde.  Aber  wegen  des  Königstitels  kann 
die  Inschrift  nicht  vor  305  fallen;  von  306-301  war  die  In- 
sel dem  Machtbereich  des  Ptolemaios  entrückt.  Nach  301  wäre 
der  Dank  etwas  verspätet  gewesen.  Es  ist  also  wahrschein- 
licher Ptolemaios  II.  Philadelphos  als  der  Absender  der  Opl'er- 
gesandlschaft  anzunehmen,  der  mit  Kos  durch  die  innigsten 
fiande  der  Pietät  verknüpft  war.  Sein  Verhältniss  zu  Kos  wird 
am   besten  erläutert  durch   fheokrits   ty/cwtxiov   ei;  llToXeixaiov 


Reisebericht  aus  kos  451 

(XVII),  das  in  die  Jahre  273-71  zu  datiren  ist.  Wenn  hier 
Theokrit  der  Insel  die  Worte  in  den  Mund  legt  (V.  66  f.)  ll- 
€ts  /CoGps  yi^joio'  Tioi?  ö'  £[j.£  t6<j<70v,  OfioyTrsp  A5t>.ov  ixiy.a'jev  y.ua- 
vxLtTTuxo.  <l>oiSo;  'A-ö"X>,wv,  so  ist  dies  vielleicht  als  Fiitte  ex 
eventu  im  Verein  mit  den  Worten  über  die  gute  Verwendung 
der  königliehen  Goldschätze  (V.  108  f.)  iWx  ttoXuv  aev  e/ovt' 
9£ü)v  ipiK-jSsE?  01/.01  atev  äzapyoy.Evoio  (juv  aX^.O'.Tiv  Y£pa£'7Ti  ein 
Zeugniss  für  die  Opfergesandtschaft  unserer  Inschrift. 

•?.  3.  Platte  von  weissem  Marmor,  in  zwei  Stücke  gebrochen, 
auf  beiden  Seiten  beschrieben.  Sie  diente  als  Herdplatte  in  ei- 
nem zerfallenen  xaip£V£iov,  wo  ich  sie  fand  und  heiausreissen 
liess,  um  sie  dem  Museum  der  Demarchie  zu  übergeben. 

Der  obere  Rand  ist  weggebrochen  Erhaltene  Höhe  38,  Breite 
oben  42,  unten  43,  Dicke  8'=". 

2.  Durch  das  flerdfeuer,  namentlich  auf  der  linken  Seite, 
sehr  beschädigt.  Schrift  sehr  oberflächlich  und  flüchtig  einge- 
kratzt, die  unterste  Zeile  nur  eingepickt.  Höhe  der  Buchsta- 
ben 1*='". 

MENHIA         -ÜAh 
xA    ZI/    MHPEIATANOMIZOMEN 
AIKAE     E"IONTOIMENTANXEIMEPIN 
APX  3NTE2~EPAZT10Y.KZ.TOIAETANOE 
5   NANAPXON     "'Z'A  K  A  TfiN  AE  A  AA^NOX  PH  I 
ZnNEnEIKA  KAIIZXI0N02I0NEZTIN0YEN 

TAI20EAI2  O  Y  O  N  TH I  AEK  AI  TOI  EPFOA  ABEYh 
TESTOIEPONH-AMOZIONEPrONKAOEkAS 
TONENIA  AZ    O  Z  Z  O  I  M  E  N  K  AE  PFO  A  A 

10   BHZnNT  A     T  EZÄ;ATT0A.  ITOI  AE 

AHO    E    II        IM  KIOI  AEYTTEP  bA^OA^ 

kaitoi  c  n  e  z  m  httpotepon  a  y 

-oizta::.  iaonthiaikamho  ipey^: 

ytc    2  1  1  z  h  t  anoy  z  1  anehite 

15        EAE20A  I  AONTni  EHITI  M  ION  II 

PA:Z    AAPA2TEIA2  KAINEMESEÜZAc:) 
OYONT       AE       lOIAHc  KNYMENolTTAI 

TESYTTOT  T  E  Z  E  I  T  A  N  H  A  A  A  Q  5:  TT  «  Z 


452  R.   HERZOÖ 

KAOlZONTESEni  TANTPAnEZAN 
50   EK     2   T02'IEPEION'7||  \IT  A  FE  FE  P  H  AI  AOT 
KATATAFEFPAMMENAH  ATTOTINONTni 
TQ.      1  E  P  E  1  L  N  KA  !  ATTPAZ  I  2  ESTQ  A  Y  Tfi 

kaoattepekaika:^ 

aevwt  a  xav 

X.ai.   u.r,pi:x  tx  vou.isop-^'^i ot 
.a.)ca£.6..ov  Toi  ij.£v  xav  yjiij!.Epiv[äv 
ap-/ovT£<;  FepacrTiou  .  x^',  toi  ös  tocv  96[pi- 
5   väv  apy^ov[T]£;  [t]ä[i]  jcS'  twv  Sk  aXT^wv  ö  "/pyji- 
^(i)v  ETCEi  xa  [^vii]'  xat  layiov    ooiov  eittiv   9Ü£v 
Tai;  Seai;'    OuövTwt   Se   xal   toi  epYo).ato£Uv- 
te;   t6   ifipov  ri    Sai;.6«7iov   i'pyov   xaO'  k'xaa- 
TOv   ivta[uTÖv   a7r]a[^]"    o<TC70t  [/.£v  y.x   IpyoXa- 
10   Sr/(jcovT[t  {/.E/pi  Y  ?,   Tp]aTC£^ai  axo  Z-  r  toi  Se 

dcTTO     [y]  £[7f l  £    Ö-TUO    L.?]   )t,    TOt  Sk    ÜXEp    £    iXTCÖ    Z_  V 

xal  Toi  [(xpj(_iT£')(,T]ov£?  [jLr)  TrpoTEpov  au- 

T0i(;  Tä[;  SöGEi;?  (iXTUoj^JiSovTtot,  ai'  xa  [xri  6  (p£'j<; 

a]ÜTo[i];  [£u,<pa]vi(jYi  xav  GuC)tav  etiite- 

15     T]£X£G6a[l,    7]    0(pE]l>>6vTtOl    £7CITI[J(,'.0V    lE- 

päc  'ASpacTEiac  xal  NE^aE'^ECo?  Z.-   c^    " 
Ö'j6vt[(i)i]  Se  [xail  Toi  a7:o[(5£i])Cvuf/.£VO'.  xxv- 
te;  Otto  t[(J>v  TpajXE^EiTav  -^  aX'Xw;  tvü); 
y.aöi'CovTE;  etcI  TOtv  Tpa7i:£?^av 
20   ExraJTTO?  UpEiov  [A-v?  yJat  tä  <(y6)>y£p'0  SiS6t[(o 
xaTOC  TO.  yEypa{/.a£va,  y]  (Xtcotivovtwi 
Tö[t]  UoEi  Z-  V,  xac  ö.  Trpx^i;  ettco  auTcii 
xaOxTUEp  £x  Stxa(;. 

Die  Lesung  und  Ergänzuno;  der  schwer  zu  entziffernden  In- 
schrift wurde  sehr  gefördert  durch  Herrn  Paton ,  der  ge- 
meinsam mit  mir  den  Stein  studirle  und  mir  auf  Grund  eines 
Abklatsciies  —  die  Abklatsche  lassen  mehr  erkennen  als  der 
durch  das  Feuer  gesell  würzte  Stein  —  seine  vollständige  Le- 
sung mitteilte.    Ich  führe  nur  das  an,  worin  Paton  von   mir 


REISEBERICHT   AUS   KOS  453 

abweicht.  Z.'?.  MFITI A  tx  vo{x.  P.  Upsla  oder  {X7)p<^£)ia?  3. 7u]ap 
x.aO.  S..OV,  Tol  P.  Vor  Toi  steht  ON  oder  f2N.  7.  le'cwvjTtoi  P. 
9.  £via[uT6]v  [ä7r]a[$]  P,  1  0.  tgjvti  \' .  FTpa-j-si^av  P.  11.  von  P.  er- 
gänzt. 12.  t]oI  [t£pou.va{jLo]v£i;  P.  13.  t]oi;  t[Ö  au]v[Txy(ih]  SövtwiP. 
Die  Lücken  in  Z.  9  ff.  sind  so  verrieben  und  zerkratzt,  dass 
es  gewagt  ist  einzelne  Striche  als  Buchstabenreste  zu  deuten. 
'20.  iepelov  [/-  .  V  J  x.al  xä  y^p'^  SiSötgj  P.  Vor  x]at  Rasur.  22.  ivO'] 
lepetoiv,  xxi  P.  auToJv  P.  23..  .  .  /.olzch  -  -  P .  Das  letzte  Wort  las 
ich  zuerst  als  Ioiko;,  aber  der  Haum  passt  besser  zu  U  Si/.a?. 

Wir  haben  hier  eine  zweite  Sakralinschrift  aus  dem  Heilig- 
tum der  Adrasteia  und  Nemesis,  nachdem  eine  ähnliche  schon 
früher  gefunden  war,  Itiscriptions  of  Cos  29.  Der  letzte  Para- 
graph der  neuen  Vorschrift  (Z.  17  ff. )  scheint  mit  dem  ersten 
der  alten  annähernd  gleichlautend  gewesen  sein.  Der  zweite 
Paragraph  jener  Vorschrift  enthält  die  Opferbeslimmungen 
bei  Freilassungen,  die  also  bei  diesem  Heiligtum  erfolgten.  Die 
neue  Vorschrift  zeigt  in  ihrem  Eingreifen  in  die  bürgerlichen 
Verhältnisse  auch  Verwandtschaft  mit  dem  koischen  Sakral- 
gesetz iMichel7  20  =  Dialektinscliriflen  3632  (Tüpffer,  Beiträge 
zur  griech.  Altertumswissenschaft  S.  2Ö4  ff.). 

Eine  Übersetzung  (von  Z.  3  an)  möge  an  Stelle  eines  aus- 
führlichen Kommentars  treten: 

'[Opfern  sollen.  .  . .]  die  Beamten  des  Winterhalbjahrs  (zu 
ergänzen  l^aavivov)  am  24.  Gerastios,  die  des  Sommeihalbjahrs 
am  27.;  von  den  andern,  wer  will,  zu  beliebiger  Zeit;  und  es 
ist  Brauch  das  Hüftenstück  den  Göttinnen  zu  opfern.  Opfern 
sollen  auch  die  Unternehmer  der  heiligen  und  der  öffentlichen 
Arbeit.(en),  in  jedem  Jahr  einmal;  wer  bis  zu  3  (Arbeiten 
übernimmt?),  mit  einer  Opfergabe  (?)  von  10  Drachmen  Wert; 
wer  zwischen  3  [oder  4?]  und  5  (Arbeiten  übernimmt),  von 
20  Drachmen;  wer  über  5,  von  50  Drachmen  ;  und  die  Bau- 
meister dürfen  ihnen  nicht  früher  die  (ersten)  Haien  ausbe- 
zahlen (lassen),  als  bis  der  Priester  ihnen  eröffnet  hat.  dass 
das  Opfer  dargebracht  worden  ist,  oder  sie  haben  als  Bussgeld 
in  den  Schatz  der  Adrasteia  und  Nemesis  zu  zaiilen  .  .  Drach- 
men. Opfern   sollen   auch   alle  die,  welche   von  den  Bankiers 


454  R.    HERZOG 

oder  sonstwie  luiinhaft  gemacht  werden,  und  zwar  sollen  sie 
auf  den  Opfertisch  niederlegen  jeder  ein  Opfertier  [von  50  Dr.], 
und  die  Deputate  soll  er  (dem  Priester)  geben  gemäss  den  ge- 
schriebenen Bestimmun2;en.  oder  sie  sollen  dem  Priester  50 
Drachmen  zahlen,  und  das  Rxekutionsrecht  steht  demselben 
zu  wie  auf  Grund  eines  gerichtlichen  Urteils'. 

Aus  den  verstümmelten  zwei  ersten  Zeilen  ist  kein  Zusam- 
menhang herauszubringen. 

Z.  3.  Anfang  tIxFi]  Ka  ?  Dann  s[7i:]e[Tj£[i]ov  jährliches  Opfer, 
oder  duETstoiv,  Rultbeamte  wie  die  dTnayivtot? 

Z.  4.  apj^ovT£<;  vielleicht  nicht  die  Eponymen  (aovapyoi),  son- 
dern irgendwelche  andere,  vorher  genannte  Beamten. —  Ihr 
Amtsjahr  war  in  Winter -und  Sommerhalbjahr  geteilt.  Die- 
selbe Teilung  findet  sich  in  römischer  Zeit  auf  Rhodos,  vgl. 
1.  G.  Ins.  I  94,  11.  95  b,  5.  —  Der  Gerastios  fällt  also, wie  ihn 
Paton  angesetzt  hatte,  als  6.  Monat  in  den  Frühling,  so  dass 
Bischoff,  Leipziger  Studien  XVI,  1894,  S.  148  Unrecht  be- 
kommt. Zur  Zählung  der  Tage  vgl.  Paton  zu  Inscr.  of  Cos 
43,  18-20,  S.  99.  ' 

Z.  6.  Das  Hüften-oder  Lendenstück  kommt  auf  den  Opfer- 
tisch nach  der  Opfervorschrift  Michel  673.  Der  öuacpöpoi;  be- 
kommt das  äKpi-j/iov  nach  den  Bestimungen  Inscr.  of  Cos 
37,  52.  40b,  13.  ' 

Z.  7.  Die  rechtlichen  Bestimmungen  für  die  IpyoX&Soi  oder 
Ipycovxt,  die  in  ganz  Griechenland  annähernd  gleich  gewesen 
zu  sein  scheinen,  hat  HomoUe  im  B.C.H.  XIV,  1890,S.  462-5 
besprochen.  Die  Haupturkunden  dafür  sind  ausser  Baurech- 
nungen das  Gesetz  von  Tegea  (Michel  585)  und  die  Bau  Ur- 
kunde von  Lebadea  (Michel  589).  Hieraus  habe  ich  versucht 
die  sakralen  Bestimmungen  zu  ergänzen.  Z.  9  f.  sind  aber 
zweifelhaft. 

Z.   11  tV.  Diese   Bestimmung  ist  parallel   der  in  Inscr.  of 
Cos  29,  5  ff.  Ich  habe  anstatt  der  auf  Kos  nicht  zu  belegen- 
den [lepoava(jL]ov£;  ergänzt   [äp;^iT£/tT]ov£<; ,    weil  diese   Beamten 
bei  den  Akkorden  den  Staat  oder  das  Heiligtum  vertreten, und 
namentlich  die  Auszahlung  der  Baten  an  die  Unternehmer  be- 


REISEBERICHT   AUS   KOS  455 

Stimmen,  welche  dann  allerdings  durch  Finanzhcamte  voll- 
zogen wird.  Z.  12  könnte  man  auch  an  z'x  'i\zyx  e/.S'tSovTwi 
oder  Ta?  [(T-jyypacpä?  SjtSövToji  denken,  aber  am  nächsten  liegt 
die  Auszahlung  der  ersten  Rate,  die  der  Unternehmer  haben 
muss,  um  seinerseits  seinen  Arbeitern  das  Handgeld  und  den 
Lohn  zu  geben. 

Z.  16.  Das  Zeichen, welches  die  Strafsumme  darstellt  in  Ge- 
stalt zweier  in  einander  greifender  Halbkreise,  ist  unbekannt. 
Es  muss  nach  Analogie  anderer  Bestimmungen  eine  runde 
Zahl  zwischen  100  und  1000  sein,  vielleicht  eine  von  diesen 
beiden  oder  500.  Jedenfalls  aber  kann  es  keinen  der  milesi- 
schen  Zahlbuchslaben  für  diese  drei  Ziffern  darstellen. 

Z.  17  IT.  Die  Tpx-E'Cixa'.  sind  Bankiers,  durch  welche  die 
Tempelverwaltungen  das  bewegliche  Tempelvermögen  umtrei- 
ben  liessen,  um  sich  die  Umstände  zu  sparen.  V'gl.  v.  SchötTer, 
De  Deli  insidae  rebus,  1889,  S.  145.  146-50.  Michel  731. 
In  Kos  waren  es  wol  die  jüdischen  Grosskapitalisten,  welche 
im  I.  Jahrhundert  vor  Chr.  dort  eine  grosso  Bolle  spielten 
(Hicks  Iriscr.  of  Cos  S.  XXXV'HI  f.).  Die  Bankiers  zahlten 
dem  Heiligtum  Zinsen  und  liehen  ihrerseits  die  Kapitalien  aus. 
Sie  mussten  nun  nach  den  vorliegenden  Bestimmungen  ihre 
Schuldner,  die  also  indirekte  Schuldner  der  Tempelvcrwaltung 
waren,  namhaft  machen,  damit  diese  noch  zu  einer  nicht  un- 
beträclitlichen  Opfer  -  oder  entsprehenden  Geldleistung  zu  Gun- 
sten des  Heiligtums  oder  gar  des  Priesters  persönlich  herange- 
zogen werden  konnten.  Die  ä-oS£iy.vü|jL£voi  aXXo;  xo);  werden 
wol  Pächter  des  unbeweglichen  Tempelvermögens  gewesen 
sein,  wie  solches  in  der  koischen  Opferinschrift  Michel  720 
aufgeführt  ist  (vgl.  Stengel,  Griech.  Kullusaltertümer^  S.^O  f., 
HomoUe  B.C.H.  XIV  S.  450  ff.  Anthes,  De  emptionc  et  ven- 
ditione  Graecorum,  Halle  1885). 

Z.  19  f.  KaOt?[ovT£;  £7:1  t3cv  Tpx-£^av  ein  sonderbarer  Aus- 
druck wie  oben  Z.  10  O-je-.v  TpaTre^ai.Zu  vergleichen  ist  dasVer- 
bum  TpxTC£'Cxv  in  der  Mysterieninschrift  von  .\ndania  Michel 
694,  86.    Vgl.  auch   Inscr.  of  Cos  29,  2.    36c,  26  f.  Michel 


456  n.  HicRZOG 

731,  5.  Trotz  Inscr.  of  Cos  37,  9  ist  KaOi^ovTg;  hier  nicht  in- 
transitiv (  =  sitzen)  zu  fassen. 

Z.  20.  Der  Preis  des  Opfertiers  ist  durch  Rasur  getilgt, aber 
wol  aus  Z.  22  und  Inscr.  of  Cos  29,  3  zu  ergänzen  [L  v]; 
es  wäre  demnach  eine  junge  Kuh,  Saj^^a^tg,  nach  Inscr.  of 
Cos  38,  5  f.  Auch  der  Rest  der  Zeile  ist  —  absichtlich  —  be- 
schädigt. Es  könnte  vielleicht  auch  gelesen  werden  Upeiov  [oLizh 
L,  v]  xa  TS  yep"/)  m^6T[(o. 

Z.  22  f.  Diese  überaus  häufige  Exekutionsklausel  ist  von 
Mitteis,  Reichsrecht  und  Volksrecht  S.  404-44  sehr  ausführ- 
lich besprochen.  Sie  wirft  ein  eigentümliches  Licht  auf  den 
Geschäftsbetrieb  des  Heiligtums. 

Der  Rest  der  Vorschrift  Inscr.  of  Cos  29,  Z.  9  f.  enthält 
Bestimmuno;en  über  die  Besetzung  des  Priestertums  der  Göt- 
tinnen  durch  Kauf, was  von  einer  bestimmten  Zeit  an  [Inscr. 
of  Cos  386,  6)  auf  Kos  das  Gewöhnliche  war'. 

Ein  Ausschreiben  des  Priestertums  und  den  Kaufeintrag  ent- 
hält nun  auch  der  neue  Stein  auf  seiner  Rückseite. 

3.  Nicht  geglättet.  Die  Inschrift  nimmt  etwa  die  obere  Hälfte 
des  Steins  ein.  Links  ist  die  Oberfläche  10-13""  vom  Rand 
an  zerstört,  was  bei  voller  Ausnützung  des  Raums  7-9 
Buchstaben  entspricht.  Rechts  ist  die  Oberlläche  zwar,  ab- 
gesehen von  Z  1,  bis  an  den  Rand  erhalten,  die  Zeilenenden 
erscheinen  aber  glatt  verrieben  und  weisen  in  Z.  2-6  nur 
unbestimmbare  eingepickte  Striche  und  Punkte  auf.  Hiedurch 
und  durch  die  formlose  Abfassung  wird  die  Ergänzung  sehr 
erschwert.  Die  Schrift  ist  noch  nachlässiger  eingeritzt  als  auf 
der  Vorderseite.  Höhe  der  Buchslaben  T"',  in  Z.  6  und  7 
1,0*""  (vielleicht  von  andrer  Hand  zugefügt). 

NAnaAHOHTni.  . 

nSYNAZAIAFPA 


'  Die  LiUcralMi  lilicr  den  Kauf  der  Pricstcrlüiiicr  isl  /iih'l/.l  ziisamiiKMi- 
gestellt  von  E.  Bisclioll',  Hliciii.  Mus.  189!»  8.  ü  -  18.  Icli  kann  iiiirli  seinen 
Ausführungen  niclil  durcliweg  anseliliessen. 


HEISEBKHICHT    ALS    KOS  457 

IZTTPOSTATAIZEI. 
TOTTOTIKATAI    Ah. 

5  niepqzynanamata:.  .  . 

~o  KAEONEIKOZ 

A    P    TT    O    Y     2L    M      /O.Q 

'A   Up(i>(Tu]va    7r(üXY)ÖY)T(0'.  .    . 

"•'Txc,  Upjw-T'jvxf;  SiaYpa[ij;avT(oi 
Tol  Tap,iat  TOt]?  TrpoaTZTati;  el?  [rav 
TsXsTocv  ?          ]  t6  TCOTi/'.aTzSXviJ^p.a,  ? 
5  xäjv  lepwijuvav  ä[/.a  xai  [öexaTai? 

Euxjapzo'j  Z-  M/  ÖQ.. 

Hiller  von  Gärtringen. dem  ich  einen  Abklatsch  sandte, halte 
die  Freundlichkeit,  mir  einige  abweichende  Lesungen  mitzu- 
teilen. Z.  1.  7V(o).7i6r,TCi>  T(i  Miller.  V.  Sixypxaaa?  H.  4.  xä  tcoti 
Ko.TXTz'kio  'unsicher'  II.  7.  Die  richtige  Lesung  der  Sigle  |^  ver- 
danke ich  lliiler.  Das  kleine  Zeichen  am  Schluss  kann  auch 
ein  O  sein. 

Meine  Ergänzungen  können  bei  dem  traurigen  Zustand  des 
Textes  keinen  Anspruch   auf  Sicherheit  machen. 

Z.  1.  Der  passiven  Wendung  entspricht  sonst  die  aktive, 
Inscr.  of  Cos  27,6.  28,11.  32^  1  f. 

Z.  2  f.  Zur  Ergänzung  habe  ich  herangezogen  Inscr.  of 
Cos  28,  wo  ich  wie  hier  Z.  1  ff.  so  ergänzen  möchte:  [{ji,£Tä 
Se  xav  -rrpädiv  toc«;  {£p(o]<ju[va(;  toi  Ta]p.iai  7:poSiaYp[av{/avTco  toi«; 
7;]po(jTaTat<;  i;  xäv  stvi  täi  [teXstäi  töc;  tepjwauva;  Ouiiav  Z-t.  Dort 
sollen  die  Taaixi  zur  Bestreitung  der  Rosten  der  Priesterw^eihe 
den  xpocTTäxat  300  Drachmen  zum  V'^oraus  anweisen.  Diese 
beiden  Kollegien  wirken  auch  sonst  bei  der  Besetzung  von 
Priestertümern  zusammen,  Inscr.  of  Cos  27,  6.  19.  l\ . 
29,  14.  30,2. 

Z.  4.  Tö  770Tix.axaSXY)[(xa  ist  mir  noch  die  wahrscheinlichste 
Ergänzung  der  unsicheren  Zeichen.  Das  \\'orl  kommt  vor  bei 
Demosthenes   XXIV,    97  f.,    wo  es   Zuschusszahlungen    dev 


458  R.    HEUZOG 

Steuerpächter  an  den  Staat  zur  Deckung  von  Etatsüber- 
schreitungen bezeichnet.  So  könnte  man  hier  an  eine  ausser- 
ordentliche Belastung  der  T6"Xwvai  des  Heiligtums  (vgl.  oben) 
für  die  niclit  vorgesehene  Ausgabe  denken. 

Z.  5  f.  ist  in  Anlehnung  an  andre  solche  Kaufurkunden 
ergänzt,  z.  B.  Michel  7U4  (Tomi,  II.  Jahrhundert  vor  Chr.), 
15^ f.  732  (Chalkedon  I.),  29  f.  733  (Chalkedon  11.)  19  f.  Nach 
den  dort  genannten, zum  Kaufpreis  geschlagenen  Kaufsteuern, 
ix.xToazoL,  Tpia^oGTa  U.S.W,  und  nach  den  sicher  ebenfalls  auf 
Priestertumskauf  zu  beziehenden  Fragmenten  aus  Priene, 
Greek  Inscr.  in  the  Brit.  Mus.  Nr.  'i26.  427  ( iTnSe'y.aTov ) 
möchte  ich  hier  als  Zuschlagsteuer  die  Sex-ixa  einsetzen.  Damit 
scheint  (bei  der  wahrscheinlicheren  Lesung  Z.  7)  die  Kauf- 
summe zu  stimmen,  bei  weitem  die  höchste,  die  wir  kennen, 
19800  Drachmen,  zu  zerlegen  in  18000  Dr.  (=3  Talente) 
Kaufpreis  und  1800  Dr.  (=  10°/q)  Steuer.  Diese  unerhört  hohe 
Summe  können  wir  verstehen,  wenn  das  Priestertum  auf  Le- 
benszeit verkauft  wurde.  Dass  ihr  fette  Einkünfte  entsprachen, 
ist  aus  den  beiden  Opferinschriften  zu  entnehmen.  Der  Räufer 
muss  allerdings  sehr  kapitalkräftig  gewesen  sein  ;  das  ist  aber 
auch  glaublich,  denn  dieser  Klsovei/to;  [Eüx,]äp7rou  ist  ohne 
Zweifel  identisch  mit  dem  kölschen  Tetrerenkapitän  KXsovei- 
xo?  Eüx.ocpTTou,  der  im  Jahr  82  vor  Chr.  oder  kurz  nachher  im 
rhodischen  Geschwader  unter  dem  Flottenadmiral  Aulus  Te- 
rentius  Varro  gegen  Mithradates  fuhr,  und  sich  nach  dem 
Feldzug  mit  seiner  Schiffsmannschaft  auf  einem  Anathem, 
vielleicht  auf  Samolhrake,  verewigte*.  Spuren  seiner  Familie 
lassen  sich  auch  sonst  in  der  kölschen  Beamtenhierarchie  ver- 
folsjen. 


^  Siele  in  Bujukdore  hei  lumstantinopol :  Kalinl<n,  Jahrcslioftc  des  ösicrr. 
arch.  Inst.  I,  1«98,  S.  31  11.  W^illridi,  IliMiiios  1,S'J8S  ü57  IV.  Ililler  von  Gär- 
tringen, Jalireshofte  I,  Beiblatt  8.  1)0  11'. —  Übersehen  ist  bisher  die  überra- 
schende Parallele  dr-r  Inschrill  Lc  l?as  -  Wadiliiij^tüu,  Asie  Mineiirc  50'»  aus 
Halikarnass,WeilmnR  der  Mannschaft  einer  halikarn;issischen  Telrere  unter 
einem  halikarnassischen  Trierarehen  und  einem  (rhodischen?)  Gcschwa- 
derchef  an  die  heimischen  (.löller. 


HEISEBERICHT   AUS    KOS  459 

Der  Schriftcliarakter  und  der  Text  passen  zur  ersten  Hälfte 
des  I.  Jahrhunderts  vor  Chr.  Aus  der  Flüchtigkeit  der  Schrift 
muss  wol  auf  einen  privaten  Charakter  der  Aufzeichnung  ge- 
schlossen werden.  Dann  sind  Formen  wie  rpaTre^eixav  (2,  18), 
Kac6v6i/.o?  (3,6)  nicht  auffallend.  Inscr.  of  Cos  29  wird  eine 
oder  mehrere  Generationen  früher  anzusetzen  sein  (dort  Z,  8 
äxoXuTpüXTio?,  9  Nsaeaioc,  hier  2, 16  NepL£C6w<;).  Es  scheinen  bei 
Neubesetzungen  des  Priestertums  auch  die  allgemeinen  Opfer- 
bestimmungen, die  von  Einfluss  auf  die  Einkünfte  des  Prie- 
sters und  damit  indirekt  auf  den  Raufpreis  waren,  revidirt 
und  erweitert  worden  zu  sein. 

Adrasteia  und  Nemesis  sind  wol  aus  Kleinasien  nach  Kos 
herübergekommen.  Sie  scheinen  hier  einen  sehr  bedeutenden 
Kult  gehabt  zu  hahen.  Vielleicht  hatten  sie  Beziehungen  zu 
Asklepios  und  llygieia,  wie  auch  sonst  (vgl.  Posnansky,  Ne- 
mesis und  Adrasteia  S.  65.  138  ff.). 

4.  Bruchstück  einer  Stele  von  weissem  Marmor,  einge- 
mauert in  einem  Zimmer  des  Hauses  von  leSaaTO?  Mt:o'j9o?, 
in  der  Stadt.  Nur  der  obere  Rand  erhalten,  üher  der  ersten 
Linie  eine  Leiste.  Höhe  16,  Breite  36,  Höhe  der  Buchstaben 
l.S^". 

SAMOOPAIKßHfH4)IZMA 
.  T  H  I  B  O  Y  A  H  1  K  AUni  AHMaiE 
xilMENHZPPAiHKQIOSPP 
iNTHZPOAEnSKAlEYEPrE" 
5  TETHNPPOiENIANTOI^PAPA 
MOI^TnNPOAlTaNPAPEX 
AITAPP02THHP0AINK0' 
iMr   /^  —  M  -"  -    Y  \ 

2aL/.oÖpäix.ti)v  ^|;•/;(pt(J[/.a. 
'ESo^e]  TT,  ßouXyii  )cat  xdii  Sy)U.coi*  l[7C£t- 
%ri  llp]aCiu.evYi(;  llpa^T^  Kwio;  7rp[6;6- 
vo;]  wv  TYi;  TröXew;  >cai  £Ü6pY£T[r,?  )ta- 
5   xä]  TS  xriv  Tupo^eviav  Toi<;  TTapa[Yivo- 


460  R.    HERZOG 

a;]  Kai  xx  irpo?  Tr.v  -öT^iv  )coi[vy)i  aet 
(piXoT]ip-oü{ji6vo?  xa[i 

Elirenbeschluss  der  Samotliraker  für  einen  Koer,  der  sich 
als  7i:p6^evo?  um  Samotlirake  verdient  gemacht  halte.  Er  war 
wol  wie  einige  andre  Roer  (Gonze,  Reise  auf  den  thrakisehen 
Inseln  S.  6^  Kern,  Athen.  Milth.  1893  S.3b8f.)  auf  dem  ge- 
wöhnlichen Wege  zu  seiner  Proxenie  gekommen  (oiSe  Tvpö^evoi 
iyevovTo  Oecopol  Tvapayevöuisvoi,  vgl.  auch  Moncoaux,  Les  proxe- 
nies  grecques  S.  296  f.),  nemlich  als  kölscher  Theore  zu  den 
(xeyiiXoi  6sol  von  Samothrake.  Das  vorliegende  Dekret  ist  nach 
demselben  Muster  abij;efasst  wie  das  für  Ptolemaios,  Sohn  des 
Ameinias  aus  Gortyn,  Gonze,  Heise  S.  66,  das  nach  dem  neuen 
richtiger  ergänzt  werden  kann. 

Z.  1.  Die  Überschrift  soll  die  Urkunde  als  fremd  kennzeich- 
nen, nach  einem  nicht  seltenen  Brauch.  Wie  die  Abschrift 
zustande  gekommen  ist, zeigt  das  in  Jasos  gefundene  ausführ- 
liche Ehrendekret  der  Samotliraker  für  den  tragischen  Dichter 
Dymas  von  Jasos,  Michel  352,  29  ff.  Iva  %\  (pavspov  Vit  xai  'la- 
ceöf^iv  OTt  6  öriao;  Ti{/,at  xoü;  }<.a>.ou;  >cat  äyaÖou;  avopa;  ä^iw?  tt]«; 
auTöiv  äpexyi«;,  Souvai  töSs  tÖ  '^y\f:^i(j]j.ix  zou.  i^x/^Ckix  toi;  Trpwxoi; 
TCapayevofAsv  ot?  öewpoi«;,  .  .  .  äveveyxeiv  zrii  ßo'jXvji  xal  töi 
Sriu.(i)i  Tdiv  'laaewv,  x,ai  TüapaKEX-lviTOai  'laTsi;  sTripi  £^Y]9yi vat  (pi- 
TiOTiaco;  Iva  xa  t|/r/pi7aaxa  i'v  xivi  xoiv  Upcüv  ivaypacpr, *.  x,ai  oi  rsri- 
(pavoi  ävay.r,pu^6üiaiv  Iv  Aiovuaiot?,  etSoxa?  Siöxi  7rotyi<j3'vx6(;  xa  T^qtot)- 
uiva  /ap'.oövxai  xwi  Stjjj-wi.  Die  Koer  scheinen  sich  nicht  so  mit 
der  Abschrift  angestrengt  zu  haben  wie  die  Jasier.  Die  Wie- 
dergabe des  Dekrets  ist  anscheinend  summarisch,  das  Prae- 
skript  ist  zusammengezogen  oder  falsch  wiedergegeben  mit  An- 
lehnung an  das  koische  Formular.  Es  miisste  eigentlich  lauten: 
iloli  xryi  ßouV/it  (ohne  Nennung  des  Sfiixo?)-  ßaTiXevj;  (oder  xpoe- 
Spo;)  6  Seiva  xoO  Seivo;  eiTuev  (vgl.  Swoboda ,  Griechische 
Volksbeschlüsse  S.  118  f.  299). 

Z.  3.  Der  Geehrte  heisst  IIp«^t^u£VYi:  Flpa^yi.  Er  ist  vielleicht 
identisch   mit  dem  Antragsteller    Inscr.   of  Cos  5  (  =  Michel 


REISEBERICHT  AUS   KOS  46^ 

425).  Der  Genetiv  U^x^t}  aus  Ilpa^ta  (von  npa^ea?)  zeigt  eine 
sonst  nicht  zu  belegende  Kontraktion,  wol  nach  Analogie  von 
Ypaiy-u.aT/i  für  ypaaixaTea  (vgl.  Barth,  De  Cooriim  ütidorum 
dialecto  S.  89  f.  104.  Schweizer,  Grammatik  der  pergameni- 
schen  Inschriften  S.  148  f.). 

Z.  8  ^tXoTjiaouijLEvo;  Vgl.  z.  B.  Michel  110  (Athen),  Z.  6. 
12f.  64.  65.  77.  Buresch,  Aus  Lydien  S.  19. 

Die  Annahme  von  Monceaux  (a.O.),  dass  die  samolhraki- 
schen  Dekrete  dieses  Musters  nach  der  athenischen  Fassung 
redigirt  seien,  weil  die  Athener  eine  Zeit  lang  die  Insel  be- 
herrscht hätten,  ist  keinswegs  notwendig.  Die  Ähnlichkeit  mit 
Dekreten  wie  C.  I.  A.  11  181.  186.  187  ist  genügend  in  der 
Gleichheit  des  Thatbestands  begründet. 

Die  Buchstabenformen  weisen  die  Inschrift  etwa  in  den  er- 
sten Teil  des  III.  Jahrhunderts  vor  Chr. 


Tübingen, 


R.  HERZOG 


-<>«4f,S$j-o- 


PRÄHISTORISCHE  IDOLE  AUS  BLEI 

In  seinem  interessanten  Bericht  üher  präliistorische  Gräber 
in  Melos '  kommt  C.  G.  Edgar  auf  meine  früher  geäusserten 
Zweifer"^  an  der  Echtheit  eines  bleiernen  Idols  der  durch 
zahlreiche  marmorne  Exemplare,  besonders  von  den  Inseln, 
genügend  bekannten  Art-^  zu  sprechen.  Anlass  bietet  ihm  die 
Veröffentlichung  eines  von  Bent  in  Antiparos  gefundenen  Fi- 
gürchens  aus  Blei  ^ ;  er  schliesst  aus  diesem  zweifellos  echten 
Stück,  dass  also  Boss  mit  Recht  neben  Marmor  auch  Blei  als 
Material  dieser  Idole  nenne  .  und  meine  hauptsächlich  auf 
Gründen  a  priori  beruhende  Verdächtigung  des  einzigen 
bisher  nachgewiesenen  Exemplares  nicht  aufrecht  erhalten 
werden  dürfe. 

Meine  Verdächtiguno;  des  aus  Finlavs  Besitz  stammenden 
Figürchens  (jetzt  im  athenischen  Nationalmuseum  Nr.  7847) 
gründete  sich  aber  nicht  ausschliesslich,  ja  nicht  einmal  haupt- 
sächlich auf  das  Material.  Nicht  weil  dies  Figürchen  aus  Blei 
besteht  hielt  ich  es  ohne  weiteres  für  falsch, sondern  weil  es  das 
einzige  solche  Idol  aus  Blei  war,  und  ich  dies  einzige  damals 
nachweisbare  Exemplar  für  falsch  halten  musste,  behauptete 
ich,  dass  Verwendung  von  Blei  für  diese  Figuren  nicht  nach- 
gewiesen sei.  Vielleicht  bin  ich  dabei  zu  skeptisch  gegen  Boss 


*  Annuai  of  Ikc  Brilish  school  al  Athens  III,  1896-7,  S.  50. 
2  Athen.  MitÜi.  1891  S.  55,1. 

■''  Eine  Übersicht  giebt  Blinkenborg  in  den  Alrnwires  de  la  societf  des  an- 
tiquaires  du  Nurd  \8%  S.  61  0.  {  =  Aarboyer  für  nordisk  uldkijndiyhed  og 
hislunc  1896  .S.  55  ^.),  diizu  kommen  jclzl  vor  allem  die  von  Tsiindas  enl- 
docktcn  ('E?r,aepts  ii/..  1898  Taf.  10.  11  S.  19:j  f.).  In  der  Besprechung, 
weielie  Penol  ihnen  widmet  {Jlisluire  de  l'arl  VII  S.  73511.)  sind  die  ver- 
schiedenen Klassen  primitiver  Idole  nicht  genügend  gesondert. 

*  Journal  of  Hell,  sludies  V  S.  52.  53  (dort  von  Beul  irrig  als  Silber  be- 
zeichnet), Blinkenberg  a.  a.  O.  S.  16  bez.  S.  15. 


PRAEHI5T0R1SCHE    IDOLE   AUS    BLEI  463 

gewesen,  aber  seine  Äusserungen  sind  so  unbestimmt,  dass 
man  grade  bei  einem  so  genauen  Beobachter  wie  er  das  Gefühl 
hat,  er  empfinde  selbst  einen  gewissen  Mangel  an  ganz  zu- 
verlässigem Beobachtungsmalerial  Seine  älteste  bezügliche 
Äusserung  ist,  soviel  ich  sehe,  die  in  der  'Ap/aioAcyia  t?,;  vr,- 
cou  SiKivou,  1837,  S.  5,9:  xa  ei;  Tiva?  vr)<jOD;,  olov  Oxpov,  "lov 
jtal  0r)pav,  äveupi<T/t6p.6va  äxeXe'jTXTa  el'ScoXa  yyixiv.ilx,  ix.  aap- 
f;.apou  r]  xal  (ao>.ü€Sou'.  Btwas  bestimmter  lautet  dann  die 
in  der  Abhandlung  über  Anaphe,  1838,  S.  408,6:  Ein  solches 
Figürchen  aus  Blei  auch  auf  los  (jedoch  nicht  ganz  frei  von 
dem  Verdachte  der  Fälschung)  2.  Damals  kannte  Boss  also  nur 
ein  einziges  solches  Figürchen  aus  Blei.  Dass  es  mit  dem  spä- 
ter von  Finlay  besessenen  identisch  sei,  lässt  sich  zwar  nicht 
bindend  beweisen,  ist  aber  wahrscheinlich.  Boss  hat  los  am 
3.  Sept.  1835  nur  auf  einige  Stunden,  dann  vom  31.  Aug.  bis 
2.  Sept.  1837  wieder  besucht,  dies  zweite  Mal  in  Begleitung 
von  Finlay  (Inselreisen  1  S.  X.  54.  154),  der  damals  dort 
die  Obsidianmesser  erwarb,  welche  neben  den  am  Hügel  von 
Marathon  aufgelesenen  Besten  gleicher  Art  der  Grundstock 
seiner  Sammlung  prähistorischer  Altertümer  wurde  ^,  und  mit 
Boss  zusammen  bei  den  Bauern  Gräberfunden  dieser  ältesten 
Epoche  nachspürte^.  Es  wäre  sehr  merkwürdig,  wenn  Finlay 
damals  nicht  auch  das  Figürchen  gekauft  hätte. 

Noch  an  einer  dritten  Stelle  spricht  Boss  von  bleiernen  Ido- 
len, Arcli.  Aufsätze  I  S.  53   in  seiner  Übersicht   über   '  \'or- 


'  Übersetzt  in  den  Areh.  Aufsiitzen  11  S.  482,9  (aus  Marmor  oder  auch 
Blei). 

2  Abhandlungen  dei'  niiiiiclieiier  Akademie  1838  =  Areh.  Aufsätze  II  8. 
492,16.  An  dieser  wie  an  der  eben  genannten  Stelle  verweist  Ross  auf 
Thierseli,  Über  Faros  und  parisehe  Insehriflen  (Abhandlungen  der  mün- 
cbener  Akademie  I1S34  )  S.  J85,  aber  nur  l'iir  die  Marmorügiirchen  :  Blei 
nennt  Thiersch  gar  niehl. 

3  Vgl.  r.  «tivXali,  riapaTT)pjja£t{  eni  ttJj  Iv  'EX^ixiz  xai  'EXXäSi  TipoVaTOpixi)« 
ap/aioXoYia?,  Alben  1869,  S.  15  f.  Taf.  3.  8  9  und  4,  14.  15.  A.  Dumonf, 
Revue  arcli.  18b9,  II  S.  297.  MaUriaux  potir  servir  d  l'hisloire  de  l'liumme 
1872  8.  210  (  =  Dumont,  MHanges  d'arch.  S.  15  und  23). 

*  Inselreisen  1  S.  160,  14. 


•i%i  P.   WOLTERS 

griechische  Gräber',  die  siclitlich  einige  Zeit  später, vielleicht 
erst  kurz  vor  der  Herausgabe  der  Aufsätze  (1855)  niederge- 
schrieben ist'.  Hier  sagt  Ross ,  dass  ihm  solche  Idole  aus 
Marmor,  einige  auch  aus  Blei  auf  den  griechischen  Inseln 
öfter  vorgekommen  seien.  Wenn  wir  nicht  annehmen  wollen 
—  wie  ich  that  —  dass  er  hier  aus  ungenauer  Erinnerung 
rede,  würden  wir  allerdings  sein  Zeugniss  dafür  anerkennen 
müssen,  dass  er  mehr  als  nur  ein  solches  Idol  aus  Blei  ge- 
sehen, und  uns  nur  wundern,  dass  er  über  diese  seltene  und 
ungewöhnliche  Klasse  nicht  etwas  genauere  Nachricht  zu  ge- 
ben für  gut  befunden  hat.  Da  aber  die  Verwendung  von  Blei 
nicht  unmöglich  ist.  liisst  sich  auch  die  Möglichkeit  nicht  aus- 
schliessen,  dass  Boss  buchstäblich  genau  geredet  hat. 

Aber  damit  ist  für  das  finlaysche  Figürchen  noch  nichts 
gewonnen.  Es  kann  nicht  echt  sein.  Denn  erstlich  fehlt  jede 
Patina,  die  wir  doch  unbedingt  voraussetzen  müssten  .  und 
zweitens  stimmt  es  in  allen  Formen  zu  genau  mit  den  mar- 
mornen Exemplaren  überein.  Es  hat,  wie  diese  fast  ausschliess- 
lich, ein  ganz  flaches  Gesicht,  ohne  Angabe  von  Augen  und 
Mund  ;  nur  die  Nase  ragt  als  kleine  Erhebung  hervor.  Bei  den 
marmornen  Exemplaren  sind  Augen  und  Mund  und  noch 
manche  andere  Einzelheiten  fraglos  mit  Farbe  angedeutet  ge- 
wesen^; bei  dem  bleiernen  war  das  nicht  möglich,  bei  ihm 
war  deshalb  eine  plastische  Ausgestaltung  unumgänglich  nö- 
tig. Dass  diese  fehlt  beweist,  dass  der  Fälscher  sich  sklavisch 
an  sein  marmornes  Vorbild  hielt.  Auf  Grund  gleicher  Über- 
legung müsste  man  das    von  Walpole  veröflentlichle  Exem- 


'  Es  i.sl  mir  wahrscheinlich,  dass  diese  Ühersicht,  die  neues  Material 
nicht  licihringt,  und  hauptsächlich  die  durch  l'asch  van  Krienens  Berichte 
verwirrte  Fragestellung  nach  dem  Aller  dieser  Gräher  klären  soll,  geschrie- 
ben ist,  als  Ross  sich  mit  der  Absicht  trug,  des  Oralen  Buch  neu  abzu- 
drucken; das  war  aber  grade  1855,  vgl.  L.  Ross,  Graf  Pasch  van  Krienen 
Ö.  VI. 

2  Ich  verweise  dafür  auf  Allien.  Millh.  18'J1  S.  4611'.,  Bliiikcnherg,a.a.O. 
S.  46,  I  bez.  S.  41,2  und  Tsundas,  'E?r)jjiepl«  ip/,.  1898  S.  188.  194.  195. 
Bchon  Walz  (Über  die  Polychromie  der  antiken  Sculplur,  1853,  S.  9)  hat 
das  für  den  sitzcudeu  Leierspieler  in  Karlsruhe  richtig  erschlossen. 


PRAEHISTORISCHE   IDOLE   AUS    BLEI  465 

plar  für  falsch  halten,  wenn  es  wirklich  aus  Tlion  bestände; 
vgl.  darüber  Athen.  iMitth.   1891   S.  5^. 

So  bleibt  für  uns  das  von  Edgar  veröffentlicbte  vorliiufig 
das  einzige  nachgewiesene  dieser  Idole,  das  nicht  aus  Marmor"^ 
sondern  aus  Blei  besteht,  welches  deshalb  aucb  nicht  genau 
die  Form  der  marmornen  Exemplare  wiedergiebt.  Wie  sehr 
die  Verwendung  von  ßlei  für  diese  Idole  als  Ausnahme  zu 
betrachten  ist,  beweisen  auch  die  erfolgreichen  Ausgrabungen, 
über  welche  Tsundas  in  der  'E9-/)aEpi?  ioy.  1898  S.  137  ff. 
berichtet:  er  hat  in  rund  200  Gräbern  dieser  Epoche  über  50 
Marmoridole,  kein  einziges  aus  Blei  gefunden.  Das  von  Evans, 
Cretan  pictographs  S.  134  Fig.  137  abgebildete,  übrigens 
auch  nicht  genau  übereinstimmende,  Idol  aus  Kreta  <  gilt  dem 
Herausgeber  selbst  als  verdächtig  und  vermutlich  mit  Hülfe 
des  dort  aufs  neue  abgebildeten  Formstein.s  aus  der  Gegend 
von  Thyateira  hergestellt  ( S.  132).  So  bleibt  schliesslicirnur 
noch  das  Bleiidol  aus  Troja  2  zu  nennen,  dessen  stilistische 
Verwandtschaft  mit  den  iMarmoridolen  auch  nicht  eben  sehr 
nahe  scheint  ^ 

Athen,  Februar  1899. 

PAUL  WOLTERS 


=*f^4S^^«s-c 


'  Vgl.  Blinkenberg  a.a.O.  S.  63.  CreU,^. 

2  Schliemanii,  llios  Fig.  226.  Perrol,  Hisluire  de  l'arl  VI  Fig.  295. 

3  Vgl.  Allien.  MiUli.  1891  S.  55,  1.  Ikvuc  arch.  1S95,  I  S.  377.  S.  Rei- 
nacli,  La  sculplure  en  Enrupc  avanl  les  iiißuences  grrcu  -  romaincs  S.  9-2; 
zur  Frage  nach  dem  Ursprung  des  Typus  s.  H.  von  Fritze,  Jahrbuch  des  In- 
sliluls  1897  S.  199. 

.^THEN.    MITTHEILUNGE.N    X.KIII.  31 


ALTATTISCHE  SCHRIFTDENKMÄLER 
I  Hierzu  Tafel  LX.  X) 

I 

Zu  den  bekannten  Bruclislücken  des  Salamis  betreffenden 
Psephisma  C.  L  A.  IV, 1  S.  57  und  S.  164,  \n  bat  W.  G. 
LoUing,  wie  P.  Wolters  in  seinem  Nacbrufe  in  diesen  Mit- 
theilungen 1894  S.  XXII  erwähnt,  ein  neues  gefügt,  ohne  dass 
es  ihm  »egönnt  gewesen  wäre  diesen  wie  seinen  früheren  Fund 
(AeXtiov  äp/_.  1888  S.  117)  selbst  den  Mitforschern  vorzulegen. 
Wenn  ich  die  wenigen  Buchstaben,  die  das  Fragment  bringt, 
nachstehend  endlich  mitteile,  so  ist  es  nicht  meine  Absicht  bei 
dieser  Gelegenheit  die  ganze  Urkunde  erneuter  Behandlung  zu 
unterziehen.  Da  aber  die  bisherigen  Abbildungen  keineswegs 
geeignet  sind,  von  dem  Denkmale  eine  richtige  Vorstellung  zu 
vermitteln, schien  es  angezeigt  in  einem  Lichtbild  (Taf.  10,  ?) 
sämtliche  Reste,  vereint  mit  denen  einer  anderen  bedeutsa- 
men Inschrift,  vorzulegen  und  einige  kurze  aligemeine  Be- 
merkungen beizugeben. 

Zunächst  über  die  Form  des  Denkmals.  Ulrich  Köhler  als 
erster  Herausgeber  meinte  (Athen.  Millh.  1884  S.  12.') ),  der 
Stein  erinnere  'durch  seine  Form  und  die  Art,  wie  er  beschrie- 
ben ist,  vielmehr  an  die  Basis  eines  Weihgeschenkes  als  an 
eine  Inschriftenstele;  doch  müsste  in  diesem  Falle  auf  der 
Oberfläche  sich  wol  eine  Spur  erhalten  haben.  Der  Stein  scheint 
danach  nicht  in  den  Burgfelsen  eingelassen,  sondern  im  In- 
nern des  Tempels  an  einer  erhöliten  Stelle  niedergelegt  gewe- 
sen zu  sein*.  Diese  Auffassung  wird  durch  einfaclie  und  ein- 
leuchtende Beobachtungen  berichtigt,  die  angesichts  vieler 
mittlerweile  gefundener  archaiseli(M' Basen  späteren  Beurteilern 
des  Denkmals  allerdings   näher  lagen   als  Köhler,  und  zuerst 


AI.TATTISCHE    SCHRIFTÜENKMaELER  467 

von  Botho  Graf  in  den  Athen.  Mittli.  1890  S.  Vi  ausgesprochen 
Nvorden  sind'.  Ich  darf  Giäfs  Bcinorkungen  im  Nachstellenden 
wiederholen,  da  zu  fürchten  steht,  dass  sie  den  Epigraphikern 
entgangen  seien  ;  der  Herausgeher  des  Corpus  hat  auf  sie  zu 
verweisen  unterlassen.  Dernach  Lepsius(Marmorsludien  S.  80) 
aus  unterem  weissem  pentelischem  Marmor  gefertigte  Block, 
auf  dessen  Flüche  die  inschrilt  steht,  ist  an  der  linken  Seite 
dieser  F'lache  0,219'°  hoch, während  er  am  Bruche  rechts  eine 
Höhe  von  0,'2v'8'"  zeigt.  Es  wächst  also  in  der  Richtung  der 
Schrift  die  Höhe  der  Schriftfläche:  so  gelegt,  dass  die  Bucii- 
ftahen  aufrecht  stehen,  wie  in  der  Ahhildung  Taf.  10, '.\  hat 
der  Block  eine  schräg  ansteigende  Oberkant(^  Ferner  sind 
wie  die  Schrifttläche  so  auch  die  Flächen,  die  in  dieser  Auf- 
stellung als  Ober-  und  Untertläche  ersciieinen  ,  sorgfältig 
geglättet,  die  hintere  und  die  Seitenlläche  links  dagegen  rauh 
gepickt.  Dieser  Sachverhalt  lelirt,  dass  wir  in  \\  irkliclikeit 
Reste  eines  nach  oben  verjüngten  Pfeifers  vor  uns  haben,  der 
so  auf^eslelft  zu  denken  ist,  dass  die  Zeifen  senkrecht  ebenso 
wie  auf  zahlreichen  Basen  archaisclier  Weihgeschenke  von 
oben  nach  unten  fiefen.  Von  dem  Kopfe  dieses  l^feifers  sind 
uns  im  ganzen  sechs  Bruchstücke  erhallen.  Vier  von  ihnen 
passen  unmittelbar  aneinander;  zwei  sind  lose,  beide  erst  von 
Lülling  als  zugehörig  erkannt,  und  zwar  geliört  das  bereits 
hei'auso:e<:;ebene  dem  oberen  I^ande  ( wenn  man  der  Kürze 
halber  so  sagen  darf), das  erst  liier  verötfenllichte  dagegen  dem 
unteren  Rande  des  Schriftfeldes  an.  Ihre  Stellung  iässl  sicli 
durch  Ergänzung  der  auf  ihnen  erlialtenen  Sehriftreste  und 
Verbindung  mit  denen  der  zugehörigen  Zeilen  der  grösseren 
Bruchstücke,  und  ausserdem.  Iiievon  unabhängig,  wenigstens 
einigermassen  durcli  Rechnung  feslstelfen,  weif  mit  der  {Ent- 
fernung von  dem  Kopf  des  Pfeilers  die  Abweicliung  lier  Zeilen 
von  einander  wächst.  Für  das  eine  der  beiden  losen  Fragmente 
darf  Z.  3  die  JM'gänzung    x.ai   iTpaTi^susafi^ai   als  sicher  gelten; 


<  V;;!.  II.  Lrclial,  Monumenis  Piol  III  S.  9. 


468  A.    WILHELM 

damit  ist  dieses  ungeführ  an  den  Platz  gewiesen,  auf  dem  es 
die  Abbildung;-  zeigt,  aber  nur  ungelabr,  da  auch  in  den  Zei- 
len, in  denen  die  Buchstaben  (jTor/7;Söv  geordnet  sind,  ihre 
Abstände  nicht  genau  dieselben  bleiben.  Für  die  übrigen  Zei- 
len dieses  Bruchstückes  ist  eine  einleuchtende  Ergänzung  noch 
niclit  gefunden  ;  ich  erörtere  weder  die  X'ersuche  meiner  Vor- 
gänger noch  wage  ich  neue  Vorschläge,  da  ich  überhaupt  an 
der  Möglichkeit  einer  Herstellung  der  gesamten  Urkunde,  wie 
sie  vor  mir  Köhler,  Foucart  {B.  C.  H.  1888  S.  1  ).  Gomperz 
(Athen.  Mitlh.  1888  S.  137.  Arch.-epigr.  Mitth.  XII  S.  61), 
Lolling  (As^Xtiov  xzj^.  1888  S.  17),  J,  H.  Lipsius  (Leipziger 
Studien  Xli  S.  '2-21)  vorgelegt  haben,  gleich  A.  Kirchhoft' 
verzweifle.  Dass  die  Zeilen  ganz  erheblich  länger  waren  als 
die  ersten  Herausgeber  angenommen  hatten. kann  bei  richtigerer 
Auffassung  der  Eigenart  des  Denkmals  und  angesichts  der 
erst  später  hinzugefügten  Bruchstücke  nicht  zweifelhaft  sein. 
So  haben  sich  denn  auch  durch  den  Zuwachs  des  fünften 
Stückes  die  Ergänzungen, die  Köhler  unter  Voraussetzung  von 
nur  26  und  Foucart  unter  der  von  30  Buchstaben  in  den  er- 
sten sechs  gedrängter  gtoi/joSöv  geschriebenen  Zeilen  versucht 
hatten,  als  irrig  erwiesen.  Von  den  Herstellungen,  die  jenen 
Fund  berücksichtigen,  beansprucht  die  von  Lolling  und  die 
von  Gomperz  empfohlene  zwar  an  sich  schon  deshalb  höhere 
Wahrscheinlichkeit  als  die  von  Lipsius  erdachte,  weil  dieser 
nur  mit  3'»,  jene  dagegen  mit  40  Buchstaben  in  den  ersten 
Zeilen  rechnen,  aber  auch  ihre  Vorschläge  werden  durch  das 
neue  sechste  Bruchstück  nicht  bestätigt. 

Die  leider  sehr  dürltigen  Reste,  die  dieser  jüngste  Zuwachs 
bietet,  gehören  der  achten,  neunten  und  zehnten  Zeile  der  Ur- 
kunde an.  Z.  9  zu  Anfang  ist  die  Lesung  tJöc  Ss  [hjÖTC^a,  wie 
zuerst  Lipsius  früheren  irrigen  Deutungen  gegenüber  schön 
vermutete,  nicht  nur  zulässig,  sondern  wie  ein  Blick  auf  un- 
sere Abbildung  lehren  wird,  geradezu  überliefert.  Die  Er- 
gänzung TJä  Se  [hJoTT^a  7r[apej(^£CT]Öa[i  liegt  nahe.  Für  diese  be- 
kannte Formel  Beispiele  beizubringen,  ist  kaum  nötig  (Thu- 
kydides  X'lll,  97,  Aristoteles  lloX.  'AO.  4,2  u.s.);  doch  sei  be- 


ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELER  469 

merkt,  dass  sie  in  dem  aul"  Milet  Ijezüglichen  Volksbeschlusse 
CIA.  iV,l  S.  6,  Tl  a  Frfj;.  ab  Z.  11  in  leider  unkenntlichem 
Zusammenhange  wiederkehrt.  Aber  als  völlig  gesichert  ver- 
mag ich  diese  Ergänzung  gleichwol  nicht  zu  bezeichnen.  In 
der  nächsten  Zeile  ist  T^ptä[y.^ovTa  :  Sc[a/_y.ä;  oder  eine  andere 
Form  zu  lesen;  die  letzten  Buchstaben  des  neuen  Bruchstückes 
stehen  verhältnissmässig  enge,  so  könnte  man  geneigt  sein, 
der  Lücke  in  dieser  Zeile  einen  Buchstaben  mehr  zuzuteilen 
als  in  Z.  9  (also  Spa/y.ai;),  doch  hat  der  Steinmetz  bei  aller 
Ungleichmässigkeit  der  Abstände  es  verstanden,  auch  in  die- 
sem anscheinend  regellos  geschriebenen  letzten  Teil  der  Ur- 
kunde auf  einem  bestimmten  Raum  dieselbe  Zahl  von  Buch- 
staben unterzubringen, wie  die  an  neunter  Stelle  in  den  letzten 
vier  Zeilen  und  in  den  zwei  vorangehenden  noch  T-ro-./rSov 
geordneten  Zeilen  genau  über  einander  stehenden  Zeichen 
zeigen.  Nebenbei,  eine  beträchtliche  Länge  der  Zeilen  wird 
auch  dadurch  erwiesen,  dass  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
zwischen  ho  und  dem  Z.  1  1  folgenden  -Jv  %\  [tj6v  apyo: vtä  '  ein, 
sei  es  auch  noch  so  kurzer,  aber  doch  vollständiger  Salz  zu 
ergänzen  ist.  In  Zeile  6  erscheint  auf  dem  neuen  Bruchstücke 
nur  ein  V,  das  erste  in  der  ganzen  Inschrift;  ich  finde  keine 
einleuchtende  Ergänzung.  Meine  Einfälle  lasse  ich  unerwähnt: 
es  ist  w^ertlos  Worte  zu  raten,  solange  der  ganze  Zusammen- 
hang unerkannt  ist. 

Eine  neue  Herstellung  der  gesamten  Urkunde  vorzulegen 
oder  durch  eindringende  Auslegung  der  vorliegenden  neuer- 
dings vermehrten  Beste  und  uniständliche  Erwäijiin^  aller  .M(")ii- 
lichkeiten  ihrer  Beziehung  auch  nur  andeutungsweise  zu  ver- 
suchen sehe  ich  mich  ausser  Stande.  Ich  beschränke  niicli  auf 
zwei  Bemerkungen  Zunächst  habe  ich  für  eine  Stelle  des  An- 
fangs der  Inschrift  eine  Lesung  zu  empfehlen,  die  ich  als  er- 
ster gefunden  zu  haben  meinte,  aber  dann  schon  von  Lolling 
vorweggenommen  sah.  Z.  1   glaubt   man    iiiinilich    eint'u  Irr- 


«  Vgl.  Br.  Keil,  Hermes  1894  S.  G7,  1. 


470  A.  WILHELM 

tum  des  Steinmetzen  annehmen  zu  müssen  und  hält  ol/.h  ix 
^aXo'aiv.  gemeiniglich  für  verschrieben  statt  ol/.sv  iv  SaXayivi. 
Ich  fräse  nicht,  oh  in  diesem  Falle  nicht  nach  Z.  4  ixy.1  viel- 
mehr  s^xXxaivi  zu  erwarten  wäre;  jcdenfails  ist  die  Voraus- 
setzung eines  Schreibfehlers  erst  dann  geboten,  wenn  jede  an- 
dere Möglichkeit  der  Erklärung  versagt  Dem  ist  aber  nicht 
so.  Es  wird,  nicht  mit  versehentlicher  Auslassung  des  Ny,  wie 
Lolling  dachte',  sondern  mit  einer  Assimilation,  die  gerade 
nach  dem  langen  Vocale  nahe  lag,  und  einfacher  Setzung  des 
Consonanten"  oUh  saSaXaaivi  für  o'./tsv  jav  ZaXaaivt  (als  Loca- 
tiv  vgl.  'EXsuTivi)  oder  I]a,>.afjt.'.v{o^  geschrieben  sein.  Diese  Le- 
sung empfiehlt  vor  allem  der  Umstand,  dass  oUsv  dav  eine  ge- 
wöhnliche Verbindung  ist;  ich  begnüge  mich  auf  folgende 
Stellen  zu  verweisen:  Thukydides  3,(8:   M-jn^r^vaicav  ou?  p.sv 

nävTi;  (X7:e7ü£Ut.(|;cv  ist;  äSiKOÜvra;  /.pivxt  x.aO'  r,Gvyix-J,  tou;  o  aXlous; 

läcv  oi-zcstv  ;  Aristoteles  Ooa.  'AO.  52.  4;  Inschrift  von  llion  in 
Dittenbergers  Sylloge^  158  (Michel,  Recucil  dinscriptionü 
grecques  35)  Z.  4  9.  Nur  die  Anstösse,  die  Lollings  Ergän- 
zuns;  (AeT^Tiov  äpy.  1888  S.  118):  "ESo^tsv  toi  Seaoi  t[6;  SaJ- 
>.aa[ivx  -/.Xepoi  )vaj(_ovTa?]  oix.lv  la.(v)  Sx>^a[7.ivi[o?  höJXev  [)(^tuv  Xe  toi; 
'AOsvaiotlTi  T£>£v  y.xt  ax^xT[vjcü^]x'.  sonst  bietet,  haben  wol  seine 
Nachfolger  veranlasst  von  oiy.siv  iav  wieder  ahzu^ehen.  Es  wird 
sich  nun  darum  handeln,  auf  Grund  dieser  Lesung  eine  neue 
Deutung  der  ersten  Zeilen  zu  gewinnen.  Vielleicht  gelingt  es 
dann  auch,  eine  Schwieriorkeit  zu  beseitigen,  an  der  die  bis- 
herige  Auffassung  dieser  Bestimmungen  leidet.  In  Z.  3  hat 
Köhler  glücklich  Reste  erkannt,  welche  der  im  vierten  Jahr- 
hunderte nachweislichen  Formel  aTpaT£'j£G6ai  rä;  nz^xz^'-xc,  y.al 
Ta:  £l'79opa;  £!G'p£p£'.v  piETa  'AOrivatojv  entsprechen  und  nach  Br. 
Keil  (Hermes  1894  S.  67)  nicht  [x<juv  V\0£v3cioi]'ji,  sondern  [zap' 
'AOfivaioijTi  teXev  Y-xl  <7TpaT[£U£aO]ai  ZU  ergänzen  sind.  Aber  diese 


'  Wenigstens  gicbt  Lolling  in  seinem  Texte  hier  £a(v)  ilaXa[xivi[o{,  Z.  4 
dagegen  £a(xe. 

2  Vgl.  W.  Scliuize,  Hermes  1893  S.  22,  der  nur  int,  wenn  er  in  unserer 
Insctirift  t^a.'KX]i.vn  gescliriel)en  glaubt. 


ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELER  4"! 

Formel  findet  sonst  auf  Xichtbürger  Anwendung',  die  in  ihren 
Leistungen    den    Allienern    gleichgestellt  werden    (Isolelen), 
hier  dagegen   sämtlichen  Erklärungen   und  Ergänzungen   zu- 
folge  auf  Rleruchen,    die   Bürger   waren    und    Bürger   blie- 
ben. Deshalb  hat  Köhler  nicht  nur  auf  die  Änderung  hinge- 
wiesen (S.  119),  die  im  Verlaufe  von   zwei  Jahrhunderlen  der 
sprachliche  Ausdruck  erfaliren  habe,  sondern  auch  ausdrück- 
lich bemerkt  (S.124):   'wenn  in  dem  Psephisnia  die  Rleruchen 
scheinbar  den  Bürgern  gegenübergestellt  werden, so  wird  man 
darin  nicht  sowol  eine  formale  Ungescdiicklichkeit  als  ein  An- 
zeichen  dafür  zu  sehen  haben,  dass  der  Begriff  des  Bürger- 
rechtes im  öffentlichen  Rechtsbewusstsein   noch  nicht  festge- 
stellt war*.    Töpffer  dagegen   schloss   in   seinen   Quaestinnes 
Pisistrateae   S.  26   (jetzt   in  den  Beiträgen   zur  griechischen 
Altertumswissenschaft  S.  20)  aus  denselben  Worten,  dass  das 
ganze  Psephisma  einem  Nichtathener  gelte,  und  ihm  folgend 
bezeichnet  es  auch    Beloch    (Rhein.  Mus.  1895  S.  26fi )  als 
'bekanntlich   keineswegs  sicher,   ob  diese  Inschrift  wirklich 
von  einer  Kleruchie  handelt  und  nicht  vielmehr  von  der  Ver- 
leihung eines  Grundstückes   auf  Salamis  an  einen   um  Athen 
verdienten  Fremden*.  Diese  Auskunft  glaube  ich  allerdings  mit 
Busolt  (Griechische  Geschichte  ^  II  S.  4'..^)  ablehnen  zu  müs- 
sen,  da  die  erhaltenen  Reste,  so  verstümmelt  sie  auch  sind. 
allgemeinen  Bestimmungen  anzugehören  scheinen.  Auchdurch 
die  Berufung  auf  formale  Ungeschicklichkeit  oder  die  Unvoll- 
kommenheit  der   Rechtsbegrifle  jener  Zeit  wird   m.  E.  jene 
Schwierigkeit   nicht  behoben.  Sie  würde  aber  verschwinden, 
wenn  sich   die  durch   die  Lesung   oi/.eu  =?.v   nahegelegte    Auf- 
fassung als  zulässig  erweisen  sollte,  dass  sich  diese  Bestim- 
mungen nicht  aul  athenische  Rleruchen,  sondern  auf  die  frühe- 
ren Bewohner  der  Insel,  die  Salaminier,  beziehen». 

Meine  zweite  Bemerkung  gilt  der  letzten  Zeile.  Hier  folgt 


<  Über  die  OHMistpIlirlil  dor  rnU-rlanen  v.  Wilainowit/.  llormes  t8S7  S. 
242  ir.,  über  die  Sala.nini.T  .lersHI.c  lleniies  1877  t^.34-.',  f.  Kolile.  .Athen. 
Mitth.''1879  S.  26. 


472  A.    WILHELM 

Her  Endung  sv  durch  Interpunktion, und  zwar  drei  Punkte  wie 
in  Z.  3,  getrennt  etc]!  tI;  ß[oA£;.  Solange  man  nur  mit  kurzen 
Zeilen  rechnete, war  es  natürlich  und  gehoten,  diese  drei  Worte 
als  Schluss  des  Satzes  zu  betrachten.  Ich  vermag  ein  Bedenken 
gegen  diese  Auffassung  nicht  zu  unterdrücken.  Die  Inschrift 
verwendet,  soweit  sie  uns  vorliegt,  Interpunktion  sonst  nur  an 
zwei  Stellen  :  erstens,  um  in  Z.  10  das  Zahlwort  x^ixko^xx  aus 
dem  Zusammenhange  der  Rede  herauszuheben  (zwei  Punkte); 
zweitens  in  Z.  3  augenscheinlich  um  den  Anfang  eines  neuen 
Satzes  zu  bezeichnen.  Dagegen  fehlt  die  Interpunktion  in  Z.  3 
vor  dem  Beginne  des  Nebensatzes  lafxe  oixlt  und  Z.  5  nach  dem 
Nebensatze  vordem  Anfange  des  Hauptsatzes  ix}/  Ss  ua'-M<.,x7:o- 
TiLvev,  also  an  Stellen,  wo  man  Interpunktion  erwarten  müsste, 
wenn  sie  in  der  letzten  Zeile  im  Inneren  des  Satzes  lediglich 
vor  einer  Bestimmung  stehen  soll.  Unter  diesen  Umständen 
scheint  mir  die  Verwendung  der  Interpunktion  vor  den  Worten 
ItzI  tI;  ßo'X£;ein  Hinweis  darauf,dass  mit  ihnen  ein  neuer  Satz 
beo;innt.  An  den  Schluss  der  o;anzen  Urkunde  ürestellt  kann  aber 
ein  mit  i-l  t-^?  ßouXvic  eingeleiteter  Satz,  glaube  ich,  nur  den 
Sinn  einer  Datirung  haben.  Die  Vermutung  liegt  nahe, dass  wie 
so  gewöhnlich  in  attischen  Inschriften  des  fünften  Jahrhunderts 
i-l  T£?  ßoT^s;  hsi  oder  Iiote  6  Seivoc  (allenfalls  Tcpoio;)  £ypa[;.f;.icT£U£v 
zu  ergänzen  sei.  Allerdings  vermag  ich  nur  in  einer  einzigen 
Urkunde  eine  ähnliche  Datirung  ebenso  an  den  Schluss  ge- 
stellt nachzuweisen:  das  Bruchstück  C.I.A.  IV, 1  S.  125,557, 
mit  drei  anderen  Bruchstücken,  darunter  C.I.A.  I  86,  wie  ich 
in  meinen  Attischen  Studien  zeigen  werde*,  zu  einem  Ver- 
trage der  Athener  und  Samier  gehörig,  enthält  nach  einem  Ver- 
zeichnisse der  Strategen,  die  den  Vertrag  abzuschliessen  und 
zu  beschwören  hatten,  die  Worte:  ßoXk  ep/£  [Iiöte^  6  Seivx  xpö- 


'  S.  einstweilen  meinen  Berichl  in  den  Jaiireslieflen  des  öslerreicliisclien 
archäologisclien  Inslilutes  I  Beiblatt  S.  43. 

2  Diese  Ergänzung  sclieinl  mir  durcli  die  jetzt,  uielit  mehr  siehtharcn  Reste 
geboten,  die  Lolling  liinter  cp^e  verzeichnet  hat:  I  u.  So  auch  C.  I.  A.\b 
(dazu  IV,  1  S.  57,  L.  Zielien,  Lerjns  Graecorum  sacracl)  nach  Miehels  Er- 
gänzung (flecwetV  d'inscriplions  grec(jues  670):  "Eoo/^aev  tei  jJoXei  y.ai  tai  oi^oi  liote 


ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELER  473 

tJo?  sYpay.u.zT£'js  'Pa[p6(7'.o;.  Anders  dalirt  die  Hekatompedon- 
inschrif't,  ebenfalls  am  Schlüsse  :  Taör'  eSo/oev  toi  SeTu-oi  e^jI 
<i>[iXo-/.paTO:  ap;^ovT]o?  tx  iv  -roiv  Ai6o'.[v  to'jt^o'.v.  Sicherlich  ent- 
spricht, wie  zahlreiche  Beispiele  nichtatlischer  Inschriften  zei- 
gen, eine  solche  Datirung  am  Schlüsse  durchaus  dem  Urkun- 
denstil. Für  die  letzte  Zeile  des  Psephisma  über  Salamis  er- 
giebt  sich,  wenn  meine  Vermutung  zutrifft,  eine  Länge  von 
mindestens  (olme  TTporo;  und  mit  sehr  kurzem  Namen)  30 
Stellen,  eine  erheblich  grössere  Zahl  für  die  ersten  sechs  Zeilen. 

Ich  beschränke  mich  auf  diese  Andeutungen,  um  nunmehr 
auf  eine  Frage  allgemeinerer  Bedeutung  einzugehen,  die  bis- 
her mehrfach  erörtert,  doch  nicht  entschieden,  allerdings  aber 
auch  nur  vor  den  Denkmälern  selbst  richtig  zu  stellen  und 
richtig  zu  beantworten  ist.  Es  ist  dies  die  für  die  Geschichte 
der  altattischen  Schrift  hervorragend  wichtige  Frage  nach  der 
Zeit,  der  das  Psephisma  über  Salamis  zuzuteilen  ist. 

Auf  Grund  einer  Vergleiciiung  mit  der  Inschrift  des  von 
Peisistratos,  dem  Enkel  des  Tyrannen,  gestifteten  Altars  aus 
demPythionC./.^.  IV, 1  S.^i1,  373^  (unsere  Taf.  10,1),  'der 
aus  der  Zeit  der  Herrschaft  des  Hippias  und  zwar  wahrschein- 
lich aus  den  späteren  Jahren  derselben  stammt',  und  mit  der 
attischen  Inschrift  auf  dem  Denkmale  des  Phanodikos  von  Si- 
geion  /.G^.^.49?,  'dessen  Entstehung  um  das  Jahr  530  ange- 
setzt worden  ist',  kam  Köhler  zum  Schlüsse,  sowol  der  Gestalt 
der  einzelnen  Zeichen  wie  dem  Gesamtcharakter  der  Schrift  nach 
stelle  sich  das  Psephisma  über  Salamis  zwischen  jene  beiden 
Denkmäler,  scheine  also  in  die  ersten  '  Zeiten  des  liippias  ge- 


napai6aT£[s  Trpoto;  eypauij.ätEjEv.  llapaiSaTr);  als  Ei,i;ennaillO  aucli  C.I.A.  I  i  IT 
Col.  III  Z.  32  I  in  den  Index  nicht  aiirgenoinnien) ;  in  Kyrene  Diou:.  Laorl. 
II  8.  18  und  in  der  Liste  Michel  644  Z.  11;  ein  Öparliate  II.M-odot  V  40. 
"Oxe  anch  indem  l'sephisma  in  Andokides  Myslericnrede  96:  ä'p/£i  ypovo; 
TOöSe  loö  (JirjytTiAaTO?  J]  jjo'jXt)  ol  -Eviaxociot  oi  Xayo'vte;  tw  xuätiiu)  or£  KXeiysvt]; 
TcpüJTOs  £Ypa[A[j.aT<:uev. 

*  'In  die  lel/le  Zeit  der  Peisislratiden'  setzte  LaiTeld  das  Psephisma  in 
seiner  Griechischen  Kpi;;raphik  in  Müllers  Ilandhueh-  I  S.  4i9.  in  seinem 
soeben  erschienenen  ilandhueii  der  icrieehischen  Epigraphik  I  S.  3  da- 
gegen 'etwa  zwischen  570  und  560  v.  Chr.*. 


474  A.   WILHELM 

setzt  werden  zu  müssen;  dieser  Datirung  widerstrebe  aber  der 
Inhalt.  Der  Volksbeschliiss,  (Jer  die  rechtliche  Stellung  der 
nach  der  Insel  gesandten  Kleruchen  regelt,  sei  von  der  defi- 
nitiven Besitznahme  von  Salamis  durch  die  Athener  nicht  wo! 
zu  trennen,  sei  also  zwischen  570  und  5li0  eingegraben  ;  die 
Inschrift  von  Sigeion  dürfe  man  nicht  weit  unter  den  Anfang 
des  sechsten  -lahrhunderts  herabrücken. 

ich  gehe  auf  das  Alter  der  Inschrift  von  Sigeion  nicht  ein. 
Denn  in  den  fünfzehn  Jahren,  die  seit  Köhlers  VerötTentlichung 
verstrichen  sind,  hat  sich  die  Zahl  altattischer  Schriftdenkmä- 
ler aus  Attika,  vor  allem  aus  Athen  selbst,  so  sehr  vermehrt, 
dass  ich  ohne  Schaden  für  die  Untersuchung  auf  die  Berück- 
sichlifjuno;  ausserhalb  Attikas  o;efundener  attischer  Inschriften 
verzichten  zu  können  glaube.  Zudem  leuchtet  ein, dass  Köhler, 
angesichts  eines  so  viel  dürftigeren  und,  wie  er  wol  erkannte, 
an  sich  äusserst  spröden  Materials  seine  zeilliche  Bestimmung 
des  Psephisma  über  Salamis  zunächst  auf  den  Vergleich  mit 
dem  Altare  des  Pythion  und  noch  vielmehr  auf  inhaltliche 
Erwägungen,    unabhängig  von   der  Schrift,   gestützt  hat. 

Gerade  auf  die  Schrift  baut  das-eoren  J.  Beloch.  wenn  er  in 
seiner  Abhandlung  'Zur  Geschichte  der  älteren  griechischen 
Lyrik'  Rhein.  Museum  1895  S.  566  das  Psephisma  erheblich 
jüngerer  Zeit  zuzuweisen  sucht.  Die  Inschrift  einer  Basis  von 
der  Akropolis  C.l.A.  IV, 1  S.  131,  372231 

<I>apO£V£  £v  ä)tpo7:6>.£i  T£>.£(jivo; 

oiyxky.^  ocveOekev  KixioQ  ho'.  yaipoca  SiSoie? 

aXo  ävaOsvai 
sei  der  Inschrift  über  Salamis  ganz  ähnlich  ;  ebenso  die  In- 
schrift IV, 1  S.  92,  373  ^'8  (Arch.  Jahrbuch  III  S.  270) 

EuOuSiy.o;  ho  ©aliocpyo 

äv£6£>C£V 

und  IV, 1  S.  103,  373223 

XvataS£;  (XveÖexev 

ho  na>.£V6'j(; 
(zweimal  Z).  'Auch  die  Telesinosinschrift  macht  einen  alter- 
tümlicheren Eindruck  als  die  Inschrüt  auf  dem  Peisistralos- 


ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELER  475 

altar;  und  docli  ist  sie  jünger,  denn  wie  das  Demotikon  zeigt, 
fällt  sie  erst  nach  Kleistlienes'.  'Auch  die  Klerucheninschrift 
kann  also  in  die  Zeit  nach  Kleistlienes  gehören,  wo  in  der 
That  eine  Kleruchie  nach  Salamis  geführt  worden  zu  sein 
scheint'.  Es  i'o\>A  noch  eine  Bemerkung  über  den  Gegenstand 
des  Psephisma,  die  ich  bereits  S.  47t  berücksiclitigt  habe. 

Diese  Beweisführung,  deren  Ergebniss  Busolt  (Griechische 
Geschichte^  II  S.  444,  2)  beipflichtet,  bedarf  der  Berichtigung 
und  Ergänzung.  Was  die  Entsendung  einer  Kolonie  nach  Sa- 
lamis in  der  Zeit  'nach  Kleistlienes'  betrifft,  so  ist  allerdings 
sicher,  dass  die  Land  Verteilung,  an  welcher  der  Held  von  Pin- 
dars  zweitem  nemeischen  Gedichte,  Timodemos  von  Acharnai 
—  nach  dem  Scholion  el;  tüv  tt.v  vv^-jOv  x,aTa/.)vr,po'j/r,'7ivTcov  'A- 
6r,vaiü)v  —  beteiligt  war,  nicht  in  der  ersten  Hälfte  des  sechsten 
Jahrhunderts  stattgefunden  haben  kann  ,  sondern  erst  erheb- 
lich später;  dass  noch  zur  Zeit  der  Perserkriege  Staatsländereien 
auf  Sulamis  verfügbar  war,  zeigt  nach  v.  Wilamowitz  Nach- 
weis (Hermes  1877  S.  3V2)  die  Schenkung,  von  der  Herodot 
VIII.  1 1  berichtet.  Aber  so  wol  jene  Landverteilung  naciiklei- 
sthenisch  sein  mag,  dass  die  auf  der  Insel  angesiedelten  Athe- 
ner 'Demotika'  führen,  kann  dafür  nicht,  wie  Beloch  und 
Busolt  wollen,  beweisen,  und  ebenso  wenig  beweisen  die  'De- 
motika* KvjrTio?  und  HocXXyivsu?  an  sich  schon  Entstehung 
in  nachkleisthenischer  Zeit  für  die  von  Beloch  mit  tlem  Pse- 
phisma über  Salamis  verglichenen  Inschriften  C.  1.  A.  \\  .  1 
;n3"3*  und  373  ■-''*.  Denn  auch  vor  Kleisthenes  gab  es  Ort- 
schaften in  Attika,  nach  denen  sich  ihre  Bewohner  nennen 
konnten,  wie  Myron  von  Phlya,  Peisistratos  aus  Piiilaidai  (Pia- 
ton, Hipparch.  228  B,  Plutarch,  Solon  10)  oder  Phye,nach  He- 
rodot I  60  £v  -(0  lr,u.(^  Tto  Ilxtav.e'i  (vgl.  Aristoteles  IIo)..  'A6. 
U,  4).  Wir  können  solchen  Namen,  wo  sie  in  den  Inschriften 
begegnen,  nicht  ansehen,  ob  sie  Demotika  im  dem  Sinne  der 
kleisthenischen  Verfassung  oder  einfach  Bezeichnung  der  Hei- 
mat und  vorkleisthenisch  sind*. 


«  Vgl.  V.  Wilamowitz,  Hermes  1898  S.  123. 


476  A.    WILHELM 

Ich  kann  also  nicht  zugehen,  dass  der  Vergleich  mit  der 
Telesinosinschrit't  und  ihren  Verwandten  in  Beloohs  Sinn  für 
das  Psephisma  über  Sahimis  die  Ansolziinp;  in  nachkleisthe- 
nischer  Zeit  beweise,  selbst  wenn  die  Übereinstimniiini;-  in  der 
Schrift,  auf  die  sich  Beloch  beruft,  grösser  wäre  als  sie  we- 
niüfstens  mir  zu  sein  scheint.  Denn  trotz  äusserlicher  Ahnlich 
keiten  in  der  Gestaltung  mancher  Zeichen  ist  in  Folge  völliger 
Verschiedenheit  der  Arbeit  und  AusfCihriing  die  Erscheinung 
der  Schrift  in  beiden  Denkmälern  eine  ungleichartige,  ihre 
unmittelbare  Zusammenstellung  daher  nicht  unl)edenklich  und 
zu  bindenden  Schlüssen  wenig  geeignet.  Zudem  ist  es  miss- 
lich in  solcher  Angelegenheit  nur  einzelne,  nicht  die  ganze 
Reihe  der  Denkmäler  zu  befragen.  Beloch  selbst  betont  mit 
vollstem  Rechte  'die  Schwierigkeiten  ,  welche  die  Dalirung 
griechischer  Inschriften  aus  archaischer  Zeit  bietet,  wenn  sie 
nur  nach  dem  Schriftcharakter  erfolgen  soll'.  Ich  gestehe,  dass 
mir  diese  Schwierigkeiten,  je  besser  ich  die  Steine  zu  verstehen 
glaube,  desto  grösser  erscheinen.  Je  mehr  sich  die  Anschauung 
vertieft  und  die  Renntniss  erweitert,  desto  vielgestaltiger  und 
in  ihren  einzelnen  Erscheinungen  unberechenbarer  offen- 
bart sich  die  Entwicklung;  je  mehr  wir  das  Material,  das 
uns  zufällig  vorliegt,  schätzen  und  wie  viel  uns  fehlt  ahnen 
lernen,  desto  ärmlicher  scheint  es  für  unsere  unbescheidenen 
Wünsche;  je  vermessener  sich  das  Meistern  der  Entwick- 
lung mit  den  Gewaltmitteln  der  Logik  und  je  unzuläng- 
licher sich  unsere  Forschung  zeigt,  deslo  mehr  ertauschen 
wir  für  erzwungene, aber  bloss  erträumte  Sicherheit  willig  das 
offene  Gesländniss  der  Unsicherheit  und  für  Vorurteile  das 
Nichtwissen.  Das  Wagniss  auf  Grund  unserer  leblosen  und 
irreführenden  Typendi-ucke  altaitische  Schril'ldenkmäler  in 
eine  Folge  zeitlich  wol  umschriebener  Gruppen  einzuordnen 
oder  vorgefasster  Meinung  zu  Liebe  die  Angaben  von  Augen- 
zeugen über  Schriftformen  anzuzweifeln,  kann  nur  ferne  von 
Athen  unternommen  werden.  Vor  den  Denkmälern  lernt  man 
sich  bescheiden,  und  es  kostet  mir  Mühe  aus  langer  Verzagt- 
heit diesen  Problemen  gegenüber   mit  einem  Urteil  über  die 


X. 


ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELER  477 

Zeit,  der  das  älteste  attische  Psepliisma  angehören  mag.  her- 
vorzutreten. 

Zuletzt  hat  Br.  Keil  (Hermes  1894  S.  267;  die  mehr  oder 
minder  genau  datirbaren  Proben  altattischer  Schrift,  die  der 
Zeit  vor  der  ältesten  Quotenliste  angehören,  zusammengestellt 
und  in  dieser  Reihe, die  ihm  ein  regelmässiges  Aufsteigen  von 
jüngeren  zu  älteren  Schriftformen  zu  zeigen  scheint,  auch  der 
Salamisinschrilt  ihren  Platz  angewiesen.  Ich  wiederhole  die 
Liste  der  von  ihm  herangezogenen  Denkmäler  mit  geringfügi- 
gen Zusätzen  : 

CIA.  1  '»33  (  Dittenberger,  Sylloge'^  9)  Verlustliste  der 
Erechtheis,  aus  dem  Jahre  459/8  vor  Chr. 

I  i32  Verlustliste  des  Krieges  am  Hellespont  und  umTha- 
sos,  nach  U.  Köhler,  Hermes  1889  S.  85  ff.,  v.  VVilamowitz. 
Aristoteles  und  Athen  II  S.  •29'2  aus  dem  Jahre  405. 

'Für  die  Hekalompedosinschrift  CIA.  IV,  1  S.  138,  wird 
483/2  der  nicht  zu  weit  von  der  Ausfertis-ung  der  vorlieüren- 
den  Urkunde  abstehende  terniinus  ante  quem  sein  '.  Vgl. 
unsere  Taf.  9,2. 

IV,  1  S.  192,  570.  571  Ostraka  mit  dem  Namen  des  Xan- 
thippos  aus  dem  Jahre  485/4. 

IV,  1  S.  41  der  Altar  des  Pythion,  zwischen  527  und  oll. 

Aus  dem  Anfange  derselben  Periode  I  381  Herme  mit  dem 
Gedichte,  angeblich  des  Anakreon,  Anthol.  Palat.  VI  138. 

Salamisinschrift  'vor  560.' 

IV,  1  S.  199,  373  2^"^  Inschrift  der  raaia-.,  'kaum  unter  das 
Jahrzehnt  der  solonischen  X'erfassung  herabzurücken''. 

Aus  dieser  Reihe  hat  I  381  auszuscheiden.  Freilich  hat 
Lolling  (Athen.  Milth.  1880  S.  253  und  AeXt^ov  ipy.  1891 
S.  77)  diese  Inschrilt  älteren  Bedenken  gegenüber  unbeküm- 
mert für  ein  Denkmal  der  Zeit  des  Hippias  gehalten.  Aber 
der  Name  des  Anakreon,  unter  dem  das  l']pigr;nnm  in  der 
Anthologie  erseheint,  verbürgt  keine  zeitliche  Bestimmung, 
da  er,  wie  uns  die   '  simonideischen'  Gedichte  lehren,    ohne 


'  Vgl.  V.  Wilamowilz,  Allion  iiiul  Aristotclos  II  S.  74,  5.  87, "i?. 


478  A.    WILHELM 

urkundliche  Gewähr  ist;  die  Inschrift  gehört,  glaube  ich, 
"Icich  dem  Hermes  des  Leokrates  '  in  die  erste  Hälfte  des 
fünften  Jahrhunderts. 

Dagegen  sind  andere  Schriftproben  in  Keils  Reihe  nicht 
aufij;enommen  und  nachzutraben.  Es  sind: 

Athen.  Mitth.  1897  S.  345  ( Dittenberger,  Sylloge'^  6)  das 
Ostrakon  mit  dem  Namen  des  Themistokles,  aus  dem  Jahre 
483/^2  oder  etwa  zehn  Jahre  später. 

C.I.A.  IV,  1  S.  192,  569  (Dittenberger,  S?/lios,re^  4)  das 
Ostrakon  mit  dem  Namen  des  i\lcgukles,aüs  dem  Jahre  487/6. 

I  333  (unsere  Taf.  9,  1  ),  zwei  auf  die  Schlacht  bei  Mara- 
thon bezügliche  Gedichte. 

IV, 1  S.  153,  350  nach  Lollings  von  U.  Köhler, Hermes  1896 
S.  15Q  berichtigten  Vermutungen  ein  vom  Sohne  des  Polemar- 
chen  Rallimachos  von  Aphidna  errichtetes  Denkmal. 

IV,1  S.  78,  334«  Bruchstück  der  Basis  des  chalkidischen 
Weihgeschenkes.  Dazu  die  Inschrift  der  zum  Andenken  an 
denselben  Sieg  (504  vor  Chr.)  errichteten  Halle  der  Athener  in 
Delphi-,  abgebildet  in  Pomtows  Beiträgen  zur  Topographie 
von  Delphi  Taf.  5,  zuletzt  abgedruckt  in  Dittenbergers  Si/l- 
loge ''  3 . 

Um  von  den  Künstlerinschriften  wenigstens  eine  heranzu- 
ziehen, IVJ  S.88  und  181,  373''*  (Antike  Denkmäler  I  Taf. 
53)  mit  dem  Namen  des  Antenor. 

Aber  es  geht  nicht  an,  die  Untersuchung  auf  die  wenigen 
Schriftproben  zu  beschränken,  die  zulällig  mit  dem  Vorzuge 
besonderer  Bedeutung  und  Beziehung  und  daher  auch  mehr 
oder  weniger  genauer  zeitlicher  Bestimmheit  auf  uns  gekom- 
men sind.  Neben  ihnen  fordert  die  ungleich  grössere  Zahl  von 
bescheideneren  Denkmälern  ihr  Hecht,  die,  wenn  auch  für  uns 
keine  geschichtliche  Erinnerung  an  sie  anknüpft,   doch   als 


'  Vfjl.  vorläiing  Athen.  MiUli.  1898  S.  168. 

2  Die  Wciliinsehrilt  der  äx[poö](vta  tes  MapaO[o]vi  [x[a-/e?  liegt  nur  in  spä- 
terer Erneuerung  vor:  Homolle  //.  C.  II.  1896  S.  608.  Pomlow ,  Arc^li.  An- 
zeiger 1898  S.  43. 


IX 


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ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELER  479 

Zeugen  gewöhnlicher  Übung  und  \'ertreter  durchsohniltliclier 
Leistung  eigentümlichen  Wert  besitzen.  Es  sind  dies  die  vie- 
len VVeihinschriften  von  der  Akropoiis,  die  schon  den  Fund- 
umständen nach  in  die  Zeit  vor  dem  Jahre  4  80  gehören,  und 
die  Inschriften  der  ansehnliclien  Grabrienkmäler  des  sechsten 
Jahrhunderts,  als  deren  bekannteste  ich  die  Stelen  des  Ly- 
seas  '  und  des  Aristion^  nenne.  Sie  müssen  der  gesetzlichen 
Einschränkung  des  Gräberluxus  vorausliegen,  welche  laut  dem 
bei  Cicero,  De  legibus  II  26  erhaltenen  Berichte  des  Deme- 
trios  von  Phaleron  einige  Zeit  nach  Solon  erfolgte  \  entweder 
schon  unter  den  Tyrannen  oder  erst  unter  Kleisthenes^  Ich 
vermag  auf  diese  Frage  nicht  einzugehen,  nur  zur  Datirung 
eines  Denkmals  sei  ein  Wort  erlaubt.  Die  durch  Verwendung 
des  Digamma  bekannte  Inschrift  des  von  Phaidimos  verfer- 
tigten Giabdenkmals  aus  Vurva  C.  I.  A.  \\\\  S.  188,  M'i  p 
erklärt  Kirchhoß'  im  Widerspruche  zu  dem  ersten  Herausge- 
ber Sta'is,  der  sie  \i\-ziry,  ic/.  1890  S.  103,  111  in  das  Ende 
des  sechsten  Jahrhunderts  gesetzt  halte,  lür  nicht  jünger  als 
dessen  Mitte.  Ich  muss  gestehen,  dass  ich  angesichts  der  techni- 
schen Vollendung,  welche  die  Inschrift  auszeichnet,  und  nach 
den  Schriftformen  das  Denkmal  als  eines  der  jüngsten,  die 
uns  in  dieser  Art  erhalten  sind,  betrachten  muss.  und  freue 
mich  dies  Urteil  dadurch  bestätigt  zu  sehen,  dass  die  Heste 
der  Statue,  die  mit  der  stattlichen  Basis  gefunden  worden  sind, 
nach  P.  Wolters  Urteil  in  ihrer  Arbeit  die  Kunst  der  zweiten 
Hälfte  des  sechsten  Jahrhunderts  verraten. 


'  Altische  Grahreliols  Nr.  I. 

2  Ebenda  Nr.  2.  Die  Zeil  des  Denkmals  wird  wenigstens  einigerinasscn 
durch  V.  Wilamowitz  Verniutunf,'  (Arisloleles  und  Athen  I  S.  li,'20)  be- 
stimmt, Arislion  sei  der  durch  Aristoteles  (  floX.  'AO.  14,  i  i  und  Plulareh 
(Solon  30)  liekaiuite  Antragsteller  des  Beschlusses, der  l'eisistr;il(K  .iie  Leib- 
wache bewilligte, mit  deren  Hilfe  er  sich  im  Jahre  5GI/(.I  der  Herrschaft  über 
Alben  bemachligle. 

3  Vgl.  A.  Brückner.Arch.  Jahrbuch  1891  S.  198,  Arch.  Anzeiger  189'2  S. 
19,  P.  Wollers,  'E?r]|x£p;«  ipy.  1888  S.  191,  Athen.  Milih.  1891  S.  388. 

^  Nach  G.  Hirschfeld,  Festschrift  für  Overbcck  S.  U. 


480  A.    WILHELM 

Ein  Überblick  über  die  tjosamten  Denkmäler,  soweit  sie 
mir  zugäntilich  waren,  sclieinL  mir  zweierlei  zu  lebren. 

Erstens,  dass  leider  serade  der  Stein,  den  wir  am  liebsten 
zum  Markstein  für  unsere  Beurleiluni;-  der  Entwicklung;  alt- 
attiscber  Scbrit't  wälilen  möcbten, diesen  Vertrauensposten  ein- 
zunebmen  keineswegs  geeignet  ist.  Die  Inscbril't  des  Altars 
aus  dem  Pythion  (Taf.  10,  1 )  ist,  wie  schon  Löschcke  geahnt 
hat  (Athen.  Milth.  1879  S.  4  3),  in  der  vornehmen  Schlicht- 
heit und  der  vollen  Eleganz  ausgeglichener  Formen  und,  wie 
ich  vermute ,  auch  in  der  Orthographie  ihrer  Zeit  voran. 
Man  mache  die  Probe  :  wollten  wir  die  Inschriften,  die  an  ihr 
gemessen  eine  niedrigere  Stufe  der  Entwicklung  zu  vertreten 
scheinen,  sämtlich  der  Inschrift  des  Altars  auch  zeillich  vor- 
aufgehen  lassen,  so  blieben,  fürchte  ich,  für  die  dreissig  Jahre 
zwischen  der  Vertreibung  der  Tyrannen  und  der  Persernot 
aller  Wahrscheinlichkeit  entgegen  verhältnissmässig  wenige 
Inschriften,  also  auch  wenige  Kunstdenkmäler  übrig. 

Zweitens  stellt  sich  heraus,  dass  der  allerdings  nur  auf  Ty- 
pendrucke oder  andere  unzureichende  Reproductionen  (z.  B, 
gerade  der  Salamisinschrift)  gegründete  Glaube,  eine  Liste 
altattischer  Schriftproben  wie  die  oben  mitgeteilte  zeige  in  un- 
unterbrochener Reihe  ohne  Reaction  ein  regelmässiges  Auf- 
steigen von  jüngeren  zu  älteren  Schriftformen,  dem  Sachver- 
halte nicht  völlig  gerecht  wird.  Schon  deshalb  nicht,  weil,  wie 
eben  angedeutet, neben  wenigen  auserwählten  die  grosse  Masse 
der  Denkmäler  nicht  berücksichtigt  ist  und  uncrwogen  bleibt 
welchen  Platz  und  Raum  sie  in  der  Entwicklung  und  dem 
überkommenen  Bestände  beansprucht;  aber  auch,  weil  wenig- 
stens in  Keils  Erörterung  eine  Inschrift  (vielleicht  absichtlich) 
übergangen  ist, deren  hervorragende  Bedeutung  für  unsere  Beur- 
teilung der  Schriftgeschichte  schon  LoUing  und  neuerdings 
Sludniczka  hervorgehoben  hat.  Es  ist  das  Denkmal  des  Kalli- 
machos  von  Aphidna.  Vergleicht  man  diese  Inschrift  lediglich 
der  Schrift  nach  mit  der  des  Altares  aus  dem  Pythion,  so  wird 
man  diese  letztere  für  die  vorgeschrittenere,  also,  wie  man 
voreilig  zu  scliliessen  pflegt,  für  die  jüngere,  halten;  indessen 


ALTaTTISCÖE    SCHRIFTDENkMAELER  481 

ist  sie  um  mindestens  zwanzig  Jahre  älter.  Denn  mit  den  Be- 
richtigungen, die  Köhler  an  Föllings  Vermutungen  vorgenom- 
men hat,  scheint  mir  die  Beziehung  des  Denkmals  auf  den 
Polemarchen,  der  in  der  Schlacht  von  Maralhon  fiel, durchaus 
glauhlich.  Solche  Erfahrungen, die  sich  bei  joder  Musterung  des 
Inschriflenschatzes  späterer  Jahrhunderle  wiederholen, mahnen 
zu  weitgehender  Vorsicht  hei  zeitlichen  Bestimmungen,  die  le- 
diglich auf  stilistischer  Würdigung  aufhauen.  Wort  für  Wort 
gelten  für  den  Epigraphiker  die  iMahnungen.dieStudniczka  im 
Hinblicke  auf  die  strittige  Chronologie  altattischer  Kunstdenk- 
mäler kürzlich  mit  ausdrücklichem  Hinweise  auf  die  eben 
besprochenen  Thatsachen  der  Schriftgeschichte  an  die  Kunst- 
historiker gerichtet  hat  (Arcli.  Jahrbuch  18'J6  S.  254):  die 
Einordnung  in  die  stilistische  Entwicklungsreihe  darf  nicht 
mit  genauer  chronologischer  i3estimmung  verwechselt  wer- 
den, und  der  thalsächliche  Entwicklungsgang  ist  niemals  so  ein- 
fach, wie  man  es  im  Interesse  der  Forschuns;  wünschen  möchte. 
Versuche  ich  auf  Grund  dieser  allgemeinen  Erwägungen 
die  Urkunde  über  Salamis  als  Schriftdenkmal  zu  würdigen, 
so  habe  ich  zuzugel)en,  dass  sie  für  sich  allein  betrachtet  zu- 
nächst allerdings  den  Eindruck  gewisser  Alterlümlichkeil  ei-- 
wecken  mag,  im  Original  freilich  viel  weniger  als  in  ilen  Ab- 
bildungen, die  in  Köhlers  und  Fouearts  Abhandlungen  und 
C.I.A.IW,  1  S.  07  mitgeteiltsind.  Geben  diese  Abbildungen 
weder  die  Gestalt  des  Denkmals  noch  die  eigenartige  Form  und 
Anordnung  der  Buchstaben  mit  wünschenswerter  Treue  wie- 
der, so  wird  die  erste  VerötYenllichuni!;  nach  einer  Photoura- 
phie  ein  richtigeres  l  rteil  erlauben.  Die  Buchstaben  scheinen 
auf  den  ersten  Blick  unbeholfen  und  unruhig,  und  das  ganze 
Bild  der  Inschrill  wird  beeinträchtigt  durch  die  geringen  Zwi- 
schenräume zwischen  den  Zeilen,  die  vielen  schrägen  Linien 
mit  ungleichen  Neigungen,  und  den  Wechsel  der  aTO'.x,r.Sov- 
Ordnung,  welche  die  ersten  sechs  und  mit  etwas  grösseren 
Absländen  auch  die  zwei  folgenden  Zeilen  zeigen. und  freierer 
Stellung  der  Buchstaben  in  den  vier  uiili-isleii  Zeilen.  Bei 
diesen  Eigenliinilichkeilen  derSehrül  verrat  ilas  Denkmal  aber 

ATHEN.    MITTHEILUNGD.N    X.XIll.  Ov 


482  A.  Wilhelm 

hohe  technische  Vollendung.  Die  Sehriftfläche  ist  peinlich  ge- 
glättet und  die  einzelnen  Buchstaben  sind  nicht  nur  ganz 
scharf  und  klar  umrissen,  sondern  auch  mit  grosser  Sory-falt 
und  Gleichmässigkeit  eingetieft.  Ueste  der  ursprünglichen  Fär- 
bung, von  Zeile  zu  Zeile  wechselnd,  wie  LoUing  festgestellt 
hat',  blau  und  rot.  sind  noch  erhaken.  So  stelU  sich  die  Sa- 
lamisinschrifl  durch  ihre  Ausfuhrung  den  besten  Schriftdenk- 
mälern vorpersischer  Zeit,  die  in  dem  ganzen  Bestände  sicher 
die  jüngeren  sind,  zur  Seite.  Und  gerade  auf  diesen  jüngeren, 
durch  gleiche  Sorgfalt  und  Vollendung  der  Arbeit  ausgezeich- 
neten Denkmälern  kehren  einzelne  Buchstaben  in  den  ei- 
gentümlichen Formen,  wie  sie  die  Salamisinschrift  zeigt, 
wieder.  Ich  bespreche  sie  in  der  Reihenfolge  des  Alphabets. 
An  dem  Alpha  fällt  die  wechselnde  Steilheit  der  ersten  Linie 
auf,  die  sich  von  der  gewöhnlichen  Schräge  in  zwei  Fällen 
geradezu  zur  senkrechten  Stellung  steigert,  so  dass  der  Buch- 
stabe, wenn  der  Ausdruck  erlaubt  ist,  gewissermassen  auf  ei- 
nem Beine  steht  wie  in  Z.  3  auf  dem  fünften  Bruchstücke  und 
Z.  9  zu  Anfang.  Solche  'stehende  'Alpha  sind  allerdings  alter- 
tümlichen attischen  Inschriften  keineswegs  fremd  —  ich  ver- 
weise auf  die  Porosbasen  IV,  1  S.89,373  9^  S.  199, 373  239  und 
S.  98,  373  '^^  (jetzt  von  Wolters  mit  einem  noch  unveröffent- 
lichten Bruchstücke  vereinigt  in  LoUings  demnächst  erschei- 
nendem Katalog  der  Weihinschriften  Nr.  13).  Aber  gerade  auf 
manchen  schon  ihrer  vorzüglichen  Ausführung  nach  sicherlich 
jüngeren  Schriftdenkmälern  sind  diese  Alpha  häufig.  Ganz 
ausgeprägt  zeigt  diese  Form  und  sie  allein  die  Inschrift  des 
von  dem  jüngeren  Archermos  verfertigten  Weihgeschenkes  der 
Iphidike  IV,  1  S.  181,  373  9\  die  w'^eihinschrift  des  Epiteles 
IV,  1  S.  200,  3732^'  und  das  schon  mehrfach  erwähnte  Denk- 
mal des   Kallimachos  von   Aphidna"^  Sie  begegnet  ferner  — 


'  Bei  Th.  Gomperz,  Arch.-epigr.  Mitlli.  XII  S.  65,  vgl.  Lepsius,  Marnior- 
studien  S.  81. 

3  Bemerkcnswcii  ist  in  dieser  Inschrift  die  Verwendung  von  9  glcicii  o 
wie  auf  dem  von  Arclieruios  gefoitigten  Weihgesclx^ike  der  Ipiiidike 
IV, 1  S.  180,  SIS'^^  und  {U;n  von  Krctscliuier,  \'ascnins(|iririi'u  Ö.  1()2  ange- 


ALtATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELEh  4^3 

Vollständigkeit  erstrebt  meine  Aufzälilung  nicht —  auf  den 
Weihungen  I  347.  3ü2.  IV,  1  S.  42,  373/.  S.  80,  373^8.  86, 
373 '8.  S.  90,  373  104.  s.  91,  373  in.  S.  92.  373  «'^  und  373  »'^ 
S.  102,373  219  und  in  den  Grabschriften  I  466.468.470.  471. 
IV,  1  S.  48,  477  c.  S.  49,  477  äf,  neben  ihr  hie  und  da  die 
gewöhnliche  Form  mit  schräger  erster  Linie. 

Schon  dieses  Wechsels  wegen  vermag  ich  ein  Zeichen  be- 
sonderer Altertümlichkeit  in  dieser  Gestaltung  des  Buchsta- 
bens nicht  zu  erblicken.  Wo  die  steil  gestellten  Alpha  aus- 
schliesslich erscheinen  wie  in  den  drei  an  erster  Stelle  genannten 
Denkmälern,  erwecken  sie  den  Eindruck  der  Manier,  und 
wechseln  sie  mit  den  schräge  gestellten  in  einer  und  derselben 
Inschrift  wie  beispielsweise  IV,  1  S.  92,  373*'*,  so  scheint 
es  fast  als  hätte  der  Steinmetz  in  dem  Bestreben  ein  seinem 
Empfinden  nach  elegantes  Schriftbild  zu  schallen  die  Lage 
der  einzelnen  Buchstaben  hie  und  da  geradezu  nach  den  Li- 
nien der  Umgebung  geregelt.  So  mag  in  der  Salamisinschrift 
das  Alpha  zu  Anfang  von  Z.  9  der  Bücksicht  auf  die  senkrech- 
ten Linien  der  Anfangsbuchstaben  der  übrigen  Zeilen  seine 
Steilstellung  verdanken;     in    der  Kallimachosinschrift    wird 


fülirten  Vasen.  Man  darf  nicht  erstannl  sein  aucii  ®  für  <»  zu  liogegnen 
und  uni{i;ekclirt  o  für  ®.  Zwei  Beispiele  Awpo<l>£a  (allerdings  neben  Ao<t>;'o?) 
aulder  Insclirift  aus  Naxos  I.G.A.  411,  li.  C.  II.  \S8b  S.  495  {Imayincs^  S. 
6i,6)  und  'Apiatovo^o;  auf  dem  bekannten  Krater  hat  v.  Wilaniowitz  erst 
kürzlich  wieder  in  I^rinnerung  gebracht  (Götting.  Nachrichten  1898  S."..*3I,?), 
A£[Ao®ov  fülirl  Krc'lschnier  S.  102  an.  Unl)edenklich  lese  ich  denn  auch 
C.I.A.  I  349  den  Namen  oSävs;,  wie  schon  Kaibel  Epigr.  Graeca  750  ver- 
mutete, -  ofavj]? ;  das  Gedicht  mag  folgenderniassen  zu  ergänzen  sein  : 

,    .  jofävej  (jl'  ivlöey.Ev  'AO£va;a[t  7:0X10/01 

yo]p;o  BexaTEv  to  te'xvo  £Ü/[aaiJi£vo. 
Zu  Anfang  des  Penlamelers  haue  Kaibel  an  ipYujpio  oder  iihnlioh  gedacht ; 
ich  vergleiche  C.I.A.  IV, 1  S.  182,  373 '^t ;  TäOrivat'xi  OExätriV  yosioo)  'AOaovd- 
0£v.  Xaip£Oc'[jio,  <I>iX£a,  erklärt  von  v.  Wilamowilz,  Aristoteles  und  Athen  11  S. 
173,1.  Fürdie  Längung  des  i,  wiesie  ywpiou  fordert,  frielit  W.Schulze  C^imc- 
sliones  epicae  S.  298  u.s.  eine  reiche  Sammlung  von  Beispielen.  Da  die  Buch- 
slaben in  den  zwei  Zeilen  wenigstens  teilweise  über  einander, teilweise  frei- 
lich freier  geordiiel  stehen,  mag  man  zweifeln,  ob  vor  dem  0  des  Namens 
-09avr];  zwei  oder  drei  Zeichen  zu  ergänzen  sind.  Zu  toj  xU-.oj  ijlxiki^oj  vgl. 
aritpi?  £;:[£uPaiJL^vr(;  IV, I   S    89,  373 '■'•'. 


484  A.   WILHELM 

auch  das  Gamma  ganz  ähnlicli  aufgestellt, el)enso  inderKünst- 
lerinschriit  des  Gorgias  IV,  1  S.  201,31323',  ein  Delta  in  der 
Salamisinschrift  Z.  1 1  und  IV,  1  S.  42,  373/.  S.  102,  373''»6. 
Irrtümlich  und  irreführend  zeigen  alle  Epsilon  in  der  Ab- 
bildung, die  aus  den  Athenischen  Mittheilungen  in  das  Cor- 
pus übertragen  ist,  eine  über  den  untersten  Querbalken  be- 
trächtlich hinabi'eichende  senkrechte  llauptlinie.  Solche  Epsi- 
lon kommen  auf  dem  Steine  überhaupt  nicht  vor.  Bald  setzen 
der  oberste  und  der  unterste  Querbalken  genau  an  die  Enden 
der  Senkrechten  an, bald  greift  die  Senkrechte  oben,  bald  »reift 
sie  unten  ein  wenig  über, oder  auch  oben  und  unten,  wie  IV,  1 
S. 90,373  '^^i  die  ausgesprochene  Verlängerung  der  Hauptlinie, 
wie  sie  so  vielen  altertümlichen  Epsilon  eignet,  ist  völlig  auf- 
gegeben.Ein  gleich  unbedeutendes  Übergreifen  der  Senkrechten 
nach  unten  zeigen  regelmässig  durchgeführt, um  einige  datirte 
Denkmäler  anzuführen,  die  Hekatompedoninschrift  und  C.I.A. 
I  333  Z.  1  f., ferner  vieleandeie  Steine  z.  B.  IV,  1  S.  203,373259. 
Diese  Zeichnung  des  Buchstabens  mag,  wenn  auch  die  einfache 
spätere  Form  des  Epsilon,  wie  der  Altar  des  Pythion  zeigt, 
schon  angewendet  wurde  ,  doch  neben  ihr  festgehalten  wor- 
den sein, weil  sie  als  elegant  empfunden  wurde;  wie  bei  Epsi- 
lon reichen  in  der  Hekatompedoninschrift  auch  bei  Delta 
die  beiden  schrägen  Linien  über  die  wagrechte  hinab,  und 
genau  so  ist  das  Delta  auch  in  der  Inschrift  IV,  1  S.  103, 
373224  gebildet.  Auch  in  anderen  Beziehungen  berühren  sich 
die  Epsilon  der  Salamisinschrift  mit  denen  jüngerer  Denkmä- 
ler vorpersischer  Zeit.  Der  Winkel,  in  dem  die  Querbalken 
an  die  senkrechte  Linie  ansetzen,  ist  bald  ein  rechter,  bald  ein 
wenig,  aber  nur  ein  wenig  spitzer  als  der  rechte:  selbst  die 
Epsilon  der  Hekatompedoninschrift  sind  noch  nicht  sämtlich 
rechtwinklig.  Ferner  setzen  die  drei  Querbalken  eines  Buch- 
stabens nicht  immer  in  gleichem  Winkel  an  und  sind  auch  in 
der  Länge  verschieden  :  ähnliche  Epsilon  finde  ich  auf  der 
Inschrift  des  von  Antenor  gefertigten  Weihgeschenkes  des 
Nearchos  wieder.  Aus  allen  diesen  Beobachtungen  ergibt  sich, 
dass,   dürfte    man    nach    einzelnen  Buchstaben    urteilen,  der 


ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELEH  485 

Form  des  P^psilon  nach  (Jas  Psephisma  über  Salamis  durchaus 
zu  den  jüngeren  Denkmälern  altaltischer  Schrift  geliürt. 

Die  My  sind,  kleiner  als  die  übrigen  Buchstaben,  aber  breit- 
gezogen ,  mit  nicht  immer  gleichen  Winkeln,  über  die  Zeile 
gestellt.  Genau  so  findet  sich  das  My  z.  B.  in  der  auch  sonst 
ähnlichen  Inschrift  des  von  Ilegias  verfertigten  Weihgeschen- 
kes zweier  Männer  aus  Lamptrai  IV,  1  S.  20  3,  373  2^^.  In- 
schriften aus  der  ersten  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  zei- 
gen vielfach  kleine,  so  zu  sagen  zwischen  den  Zeilen  schwim- 
mende My,  so  die  Uekatompedoninschrift  und  I  33.5  Z.  3  f., 
die  Inschrift  der  Nachkommen  des  Kalliteles  I  381  u.  a.  ; 
diesen  späteren  My  stehen  die  des  Psephisma  über  Salamis 
ganz  erheblich  näher  als  den  altertümlich  ungleichen  Formen. 

Ganz  ähnlich,  gleich  stark  geneigt,  finden  sich  die  Ny  auf 
zahlreichen  Denkmälern  vorpersischer  Zeit,  darunter  In- 
schriften,die  sehr  sorgfältig  und  schön  eingezeichnet  sind;  ich 
erwähnenur  I  351.  352.357.  IV, 1  S.  80,  373  s.  S.  86,373  ^^ 
S.  93,373  124.  s.  99,  373 '9^.  S.  154.  362.  S.  179,373  96.  S. 
203,  37323''.  Rho  begegnet  ganz  ähnlich  auf  der  Weihung  der 
XoXapysi;  I  352.  IV,  1  S.  86,373'8.  S.  93,  373  »'^i  und  373  »^4. 
8.203,373259,  und  auf  einigen  dieser  Inschriften  kehrt  auch 
Chi  mit  etwas  schrägem  Querstrich  und  V  ganz  wie  in  der 
Salamisinschrift  wieder.  Aber  es  lohnt  nicht  bei  den  einzelnen 
Buchstaben  länger  zu  verweilen  ,  zumal  alle  Verweise  auf 
unsere  Drucke  die  Anschauung  derSteine  nicht  ersetzen  k(>n- 
nen.  Darf  ich  meinen  Beobachtungen  nur  einigermassen  ver- 
trauen, so  stellt  sich  das  Psephisma  über  Salamis  der  ganzen 
Erscheinung  der  Schrift  wie  ihren  einzelnen  Figentünilich- 
keiten  nach  nicht  zu  d(Mi  altertümlicheren  Denkmälern,  die 
aus  vorpersischer  Zeit  auf  uns  gekommen  sind,  sondern  zu 
der  grösseren  Zahl  von  Inschriften,  die  man  sich  nicht  ent- 
sehliessen  wird  über  die  letzten  .lahrzehnte  des  sechsten  Jahr- 
hunderts hinaufzurücken  odei-  /um  Teile  sogar  jüngerer  Zeit 
zuzuweisen  hat.  .Allerdings  kann  man  zu  Gunsten  h(")heren 
Allers  die  einlache  Sclireibung  statt  (l()[)pelter  verbunden  mit 
weitgehender  Neigung  zur  Angleichung,  wie  sie  ix^it  und  kx 


486  A.   WILHELM 

laXapiivi  zeigen,  i^eltend  machen.  Aber  t'nr  l)inclende  Schlüsse 
scheint  mir  das  Material,    über  das  wir  verfügen,  zu  dürftig. 
Freilich  begegnet  doppelte  Setzung  der  Consonanten  schon  in 
der  Inschrift  des  Altars  aus  dem  Pylliion  ('AttöX'XovoO  und  auf 
der   Basis  des  chalkidischen  Weihgeschenkes  (Iutttto;)  ,    aber 
schwerlich  wird  man  deshalb  sämtliche  inschriften,die  sich  mit 
einfacher  Schreibung  begnügen  —  ich  führe  an  :  IV.  1  S.  9". 
373'^^  IlaXzSi  in  sehr  schöner  regelmässiger  Schrift,  dasselbe 
S.  42,  373^.  S.  82,  373^4.  S.  102,  3732««  und  3732i^S.  91, 
373  »06  0aX6vTOv,  S.99,  373  »^^  KyM,  S.  103,  373  223  OaT^eveOc, 
S.  131.  373  231  Kino?,  ao,  S.  199,  373 24ü  i:,o; ?  — ohne  wei- 
teres für  älter  erklären.  Mau  wird  vielmehr  mit  Grund  anneli- 
men  dürfen,  dass  in  diesen  Dingen  in  einer  Zeit, in  der  sich  für 
Schrift  und  Orthographie  erst  allmählig  feste  l\egeln  bildeten, 
dem  Belieben  des  Einzelnen  ungleich  mehr  Freiheit  blieb  als 
späterhin.  Alles  in  Allem  ergibt  sich  mir,  im  Sinne  Belochs, 
der  nur  nicht  in  der  Lage  war  seine  Behauptung  zureichend  zu 
begründen,  die  früher  geltende  Ansetzung  des  Psephisma  über 
Salamis  um  560  vor  Chr.  als  sehr  unwahrscheinlich.  Mit  den 
Vorbehalten.die  jedes  Urteil  in  so  heikler  Frage  fordert, glaube 
ich  als  Frgebniss  meiner  Untersuchung  aussprechen  zu  sollen, 
dass  die  Urkunde  der  Schrift  nach   in  die  letzten  Jahrzehnte 
des  sechsten  Jahrhunderts,  vielleicht  sogar  erst  in  kleistheni- 
sche  Zeit  zu  gehören  scheint,  ich  warte  ab,  ob  Andere  inhalt- 
liche Gründe ,    wie  sie  seinerzeit   Köhlers  Entscheidung  be- 
stimmten, für  oder  gegen  diese  Ansetzung  geltend  zu  machen 
finden.  F>ntstehung  des  vorliegenden  Beschlusses  erst  in  klei- 
sthenischer  Zeit  zu  beweisen   reicht   der  letzte  Satz  schwer- 
lich aus.  Denn  so  wahrscheinlich  mir  meine  Vermutung  über 
seine  Bedeutung  ist:  ob  in  der  Formel  ItzI  ttj;  ßou>,7](;  v)  6  Seivo, 
iypxau.xzvnv  späterem   Gebrauche   auf  Grund  kleisthenischer 
Staatsordnung  entsprechend  ttowto;  stand,  entzieht  sich  unse- 
ser  Kenntniss.    Einen    Ratsschreiber,    der  in   der  Formel  er- 
sclif^inen  konnte,  hat  es  gegeben  seit  es  einen  iUt  gab. 


ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELER  487 

II 

Die  Hekatompedoninschrift  hat  Lolling 'Aer,vx  1890  S.63I 
für  etwas  älter  erklärt  als  die  Inschrift  des  Altars  aus  dem  Py- 
thion.  Er  erwähnt,  dass  in  dieser  Alpha  und  Epsilon  die  re- 
gelmässige Form,  Theta  jedoch  noch  das  Kreuz  zeige,  Alpha 
aher  auch  in  der  Inschrift  des  chalkidischen  Weihgeschenkes 
IV,  1  S.  41.  373<?  mit  schrägem  Querstriche  erscheine;  un- 
zweifelhaft älter  sei  das  Psephisma  üher  Salamis.  Sicherlich 
hat  sich  EoUing  bei  dieser  Ansetzung  auch  von  allgemeinen 
Eindrücken  und  Anschauungen  leiten  lassen,  über  die  er  nicht 
öffentlich  Rechenschaft  ablegte:  seine  ausdrückliche  Berufung 
auf  einzelne  Buchstabenformen  hat  meines  Erachtens  keiner- 
lei Beweiskraft.  Denn  Alpha  mit  schrägem  Querstriche  ist  bis 
in  die  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  üblich  geblieben;  die 
verschiedenen  Formen  des  Epsilon  mit  und  ohne  Übergreifen 
der  llauptlinie  begegnen  nebeneinander  auf  einem  und  dem- 
selben Steine  und  ihr  Unterschied  hat,  wo  die  Verlängerung 
so  unbedeutend  ist  wie  in  der  Hekatompedoninschrift.  kaum 
mehr  schriftgescliichtliche,  vielmehr  nur  zeichnerische  Be- 
deutung; die  Theta  mit  Kreuz  und  die  Theta  mit  Punkt  sind 
länger  neben  einander  hergegangt'n,wie  sie  sich  denn  auch  auf 
einem  Steine  vereint  finden' ( G.  I.  A.  IV.  1  S.  185,  422'3)^ 
nicht  anders  als  die  verschiedenen  Formen  de?  Uho,  die  z.  B. 
in  den  Sii^naturen  eines  und  desselben  Künstlers,  des  Euenor, 
begegnen  und.  mit  und  ohne  Sporn,  noch  nach  der  Mitte  des 
fünften  Jahrhunderts  in  dem  Psephisma  über  Chalkis  l\',  1 
S.  iO,V7(7  (l)ittenberger,  Si/lloi^e'-  17)  wechseln.  Dass  die  He- 
katompedoninschrift ein  wenig  älter  sei,  als  der  Altar  des  jün- 
geren Peisistralos,  lässt  sich  auf  diesiMii  Wege  nicht  erweisen; 
so  hat  sich  denn  auch  KirchliolT  dui'cli  Lollings  Urteil  nicht 
für  gebunden  erachtet  und  sie  auf  Ciriiiid  scharfsinniger  \'er- 
mutung  erlicblicli  späterer  /eil  zugewiesen  Er  sucht  in  der 
glücklich  hergestellten  Unterschrift  der  einen  der  zwei  Platten 
TaÜT"  e^ovTEv  TÖi  Ssiao'.  etIi  *l\- -  ]o<;  t'x  h  toiv  XiOoi  v  to'jt,oiv  die 

Erwähnung  des  Archon,  verweist  auf  Bruchstücke  der  ande- 


488  A.    WILHELM 

len  Platte,  auf  denen  vielleicht  die  Worte  eSo;(Tsv  toi  S£(jlo]i  IttI 
'^'--  ap/^ovT]o;und  £7:1  - -]  o<;  ap^[ovTo;erkannt  werden  dürfen, und 
criiänzt  unter  Berücksichtie;unii;  der  Stellenzahl  den  Namen 
des  Philokrales,den  unsere  Überlieferung  als  Archon  des  Jah- 
res 485/ 1  vor  Chr.  nennt.  L.  Ziehens  Einwände  [Leges 
Graecoruin  sacrae  S.  4)  vermögen  diesen  Ansatz  nicht  zu 
erschiUtern.  Die  Berufung  auf  die  Schrift,  in  LoUings  Sinne, 
überschätzt  wiederum  die  Bedeutung  des  E  mit  der  etwas 
verlängerten  Senkrechten  gegenüber  der  einfacheren  Form 
des  Altars.  Dass  die  Unterschrift  Taux'  eSo^^tev  toi  Se'aoi  i-nl 
<I)'.AOKoäTo?  xo/ovTo?  Toc  SV  Toiv  >.iOoiv  TO'JToiv  crst  bcl  emcuter  Auf- 
zeichnung des  viel  älteren  Gesetzes  auf  den  beiden  uns  vor- 
liegenden Steinen  zugesetzt,  der  Name  des  Philokrates  also 
für  die  Zeit  dieser  Aufzeichnung  selbst  nicht  beweisend  sei, 
vermag  ich  nicht  als  sicher  zuzugeben  ^  Allerdings  können  die 
Worte  To,  SV  toiv  XiOoiv  toutoiv  dem  eigentlichen  Psephisma 
nicht  angehört  haben,  aber  die  Vermutung  liegt  nahe,  dass 
ihre  Aufnahme  in  eine  Unterschrift,  wie  sie  sich  auch  sonst 
nachweisen  lässt^,  in  besonderen  Umständen  der  Aufzeichnung 
und  Aufstellung  begründet  war. Solche  erlaubt  die  ungewöhn- 
liche Ansehnlichkeit  und  Sorgfalt  der  Veröffentlichung  vor- 
auszusetzen ;  bekanntlich  sind  'die  beiden  Steine'  Metopen- 
platten  des  sogenannten  alten  Tempels.  Dass  bei  der  UnvoU- 
ständigkeit  unserer  Archontenliste  für  jene  Zeit  die  Beziehung 
auf  einen  uns  zufällig  bekannten  Archon  des  Jahres  485/4 
vor  Chr.,  dessen  Name  mit  Phi  beginnt  und  in  die  Lücke passt, 
unsicher  bleiben  muss,  leuchtet  ein:  um  so  wichtiger  wird  es 
sein  diese  Beziehung  durch  neue  Gründe  zu  stützen. 

Schon  die  geradezu  wunderbar  schöne  Ausführung  der  In- 
schrift, die  leider  auch  die  Abbildung  Taf.  9,  1  noch  nicht 
ausreichend  zur  Anschauung  bringt,  dürfte  zu  Gunsten  jünge- 


'  Welche  Erwägungen  Br.  Keil  zu  dem  oben  S.  477  niilgeteillen  Urteil 
(Hermes  1894  S.  257)  beslimml  haben,  ist  nicht  ersichtlich. 

2  Ganz  so  schliessen  Psephismen  der  Chersonesiten  Taux'  ^So^e  ßouXai  zal 
oaarjji  [j.r,vöj  Aiovj^tou  /.tX.  ßaaiXeüovxo?  xta.  Lalyschew  I.P.E.  185  (Dillenber- 
ger,  Sylloge^  32ü).  ISüll". 


ALTATTISCHE    SCHRIFTDENKMAELER  489 

rer  Entstehun«,'szeit  gellend  gemacht  werden.  Aber  auch  die 
ganz  unvergleichliche  Frische  der  Erhaltung,  die  freilich  be- 
sonders geschützter  Aufstellung  mitverdankt  werden  mag.  rät 
die  Aufzei(dinung  in  eine  Zeil  zu  setzen, die  von  der  ihrer  Zer- 
störung, also  von  dem  Jahre  480  vor  Chr.,  nicht  weit  ab- 
liegt. Ferner  scheint  mir  auch  die  Orthographie,  namentlich 
die  gelegentliche  Vernachlässigung  des  rauhen  Hauches,  der 
jüngeren  Zeit  sehr  wol  zu  entsprechen.  Schliesslich  freue  ich 
mich  zu  Gunsten  von  KirchhofTs  Vermutunor  eine  besondere 
Beobachtung  geltend  machen  zu  können. 

Bei  aller  Vorsicht  in  Zeitbestimmungen  auf  Grund  der 
Schrift  allein  wird  man  zuzugeben  geneigt  sein,  dass  wenn 
zwei  Denkmäler  dieselbe  Schrift  oder  gar  dieselbe  fland  zu 
zeigen  scheinen,  die  Annahme  ihrer  ungefähr  gleichzeitigen 
Entstehung  nicht  ungerechtfertigt  ist. 

Ich  glaube  versichern  zu  können,  dass  in  dem  ersten  Ein- 
trage des  Steines  I  333  (vgl. Tal.  9,1).  einem  auf  die  Schlacht 
von  Marathon  bezüglichen  Gedichte,  dieselbe  Schrift  oder 
Hand  vorliegt  wie  in  der  Hekatompedoninschrift. 

Bekanntlich  hat  jener  Stein  I  333  die  unverdiente  Ehre  ge- 
habt, für  die  Basis  der  soo;enannten  Promachos  gehallen  zu 
werden,  und  diese  Vermutung  wird,  obgleich  sie  ihr  Urhe- 
ber den  Einwänden  von  Wachsmuth  und  Michaelis  gesenüber 
bereitwilligst  zurückgezogen  hat,  seltsamer  Weise  noch  immer 
der  Erwähnung  gewürdigt  ^  Welcher  Art  das  Denkmal  war, 
dem  der  vor  Jahren  in  der  Iladrianstrasse  gefundene  Siein  an- 
gehörte, vermag  ich  seiner  Form  nicht  abzusehen,  und  die 
beiden  Gedichte,  die  er  trägt,  geben  in  ihrer  \'erslümmlung 
über  ihre  Bestimmung  keine  zuverlässige  Auskunft.  In  Kirch- 
hoffs  Ergänzung  stellt  sich  das  zweite  Gedicht  denen  der  drei 
Hermen  vor  der  Stoa  zur  Seite*.  Die  eigenlümliche  Bearbei- 
tung der  Schriftlläche   des  Steines  war  schon    früheren  Beur- 

'  Stadt  Athen  I  S.  541,  3;  Allien.  MiUh.  1877  S.  92;  C.l.A.  IV,  1  S.  40. 
In  Blüiiiners  Commeiilar  zu  Pausanias  I  28,  2  wird  die  Insclirifl  als  pcrii 
kleisclicr  Zeit  an^^ehörij;  Itozeichnel. 

2  Aischines  gegen  Klesiphon  183;  Pieger,  Inscr.  Oi'ßeg.  tnelr.  Ibi^. 


490  A.    WILHELM 

teilern  auflällig;  aber  die  Behauptuno;  :  superficiem  lapidis 
leviter  esse  striatani  nori  alio  consilio  tiisi  iit  ea  striatura 
pro  ornaniento  esset  lapidi  erschöpft  niclit  ganz  den  Sach- 
verhalt. Nicht  selten  wird  auf  Steinen. namentlich  älterer  Zeit, 
ein  besonderer  Streifen  für  die  Schrift  sorgfältig  geglättet, wäh- 
rend der  übrige  Teil,  von  einem  ebenfalls  geglätteten  Saume 
abo-esehen,  i^erauht  wird,  wie  I  3'JO  396. So  hätte  diese  Beer- 
beitung  an  unserem  Steine  nichts  merkwürdiges,  läge  nicht 
der  zweite  Schriflstreifen,  der  die  dritte  und  vierte  Zeile  trägt, 
ein  wenig  tiefer  als  die  rauhe  Fläche  oberhalb  und  unterhalb, 
der  obere  erste  Schriftstreifen  dagegen  mit  dem  rauhen  Felde 
in  gleicher  ßbene.  Die  Erklärung  hat  mir  W.  Dörpfeld  gege- 
ben. Der  Stein  trug  ursprünglich  nur  die  beiden  obersten 
Schriftzeilen  und  unterhalb  blieb  der  ganze  übrige  Teil  des 
Steines  gerauht;  später  wünschte  man  auf  dem  Denkmale 
ein  zweites  Gedicht  einzutragen  und  arbeitete,  um  Raum  zu 
schalTen,  auf  der  rauhen  Fläche  einen  zweiten  Streifen  ab,  der 
natürlich  tiefer  zu  liegen  kam.  Dazu  stimmt,  was  von  jeher 
hätte  klar  sein  sollen,  dass  beide  Einträo;e  canz  verschiedene 
Hand  zeigen.  Diese  verrät  sich  nicht  nur  in  den  F^uchstaben- 
formen,  sondern  auch  in  dem  Gebrauche  der  Interpunktion, 
die  in  dem  ersten  Gedichte  vor  dem  Beginne  des  Pentameters 
genau  wie  in  der  flekatompedoninschrift  durch  drei  Kreise 
mit  Zirkelpunkt  ausgedrückt  erscheint,  während  sie  in  dem 
zweiten  Epigramme  an  der  entsprechenden  Stelle  fehlt.  Von 
diesem  zweiten  Epigramme  ist,  nach  KirchholTs  Ergänzung: 

^H  u-T-Xct.  ^r\  xsivo',  raXxx.zpSto'.  oi  px  t]6t'  aij(^a7iv 
fjTTjaap.  TvpöciOe  7r'j)^ci»v  äy  pou  £tc'  sayaTia? 
Ltapvocaevoi  o    sTaw'jXv  'AO-zivata«;  tcoX'jooOXo'j] 

a'TT'J     ßty.t     llspTOJV    X.>.tVZU.£V0[l    O'JVZU.'.V 

die  Beziehung  auf  die  Schlacht  von  Marathon  klar;  aber  auch 
für  das  erste  wird  sie  durch  die  Worte  'EAXi[Sa ..]  irzTav  So6- 
Xio[v  rjy.ap   iSeiv '   gesichert.  Wir   haben    keinen   Gruntl    anzu- 


^    Man  liest  'EXÄa[cia    ifiv]  ::äaav;  al)(3r    für   drei    Buchstaboil  ist  vor  ::ötaav 
nicht  Kaum.  Allenfalls  ar;  ? 


AI,TATTISCHE    SCHRlFTDENKNf  AELER  491 

uehmtMi,  (luss  das  Üeiikmal  erst  längere  Zeil  und  nicht  sehr 
bal(]  nach  der  Schlacht  jjjesliflet  worden  sei^ 

So  wenige  Buchstaben  von  dem  ersten  Gedichte  auf  dem 
Steine  erhalten  sind,  so  glaube  ich  doch  mit  Zuversicht  be- 
haupten zu  dürfen,  dass  sie  mit  denen  der  Ib'katompedonin- 
schrilt  völlig  übereinstimmen  und  dass  nicht  bloss  eine  ähn- 
liche, sondern  geradezu  dieselbe  Hand  vorliegt,  wie  auch 
beide  Inschriften  genau  dieselbe  sorgfältig  ausgeführte  sonst 
nicht  nachweisliche  Interpunktion  zeigen.  Ist  dem  so  —  und 
unbefangene  Beurteiler  bestätigen  meine  Beobachtung  — ,  so 
werden  beide  Inschriften  wenigstens  ungefähr  derselben  Zeit 
zuzuteilen  sein  und  Kirchhoffs  Datirung  der  Hekatompedon- 
insclirift  in  das  Jahr  485/4  vor  Chr.  gewinnt  im  besten  Ein- 
klänge mit  allen  sonstigen  .Anzeichen  durch  dies  Zusammen- 
treffen erhöhte  Wahrscheinlichkeit. 

Ich  schliesse  mit  einigen  Bemerkungen  zu  dem  letzten  Ab- 
drucke der  llekatompedoninsclirift  in  G.  Körtes  Abhandlung 
Rhein.  Museum  1898  S.  26 UT. 

Zeile  \  fehlt  in  sämtlichen  Veröffentlichungen  die  auf  dem 
Steine  ganz  deutliche  Interpunktion  nach  /covTa-..  Z.  5  mag 
nach  y-eS  höchstens  unten  im  Bruche  der  Best  einer  senkrechten 
Linie  erscheinen,  nicht  in  der  Mitte.  Z.  6  ivz-T^£v  [i  £äv  Ki  t-.;- 
xtX.  Dass  Z.  8  nach  isfpopy^ovTx^?  —  der  Bruch  bewahrt  noch 
von  der  Spitze  an  den  rechten  Schenkel  des  Gamma  -die 
zweite  Hälfte  eines  My  deutlich  ist,  habe  ich  schon  G.  Körte 
mitgeteilt  (S.  265)  Z.  9  sind  der  untere  Teil  eines  l<]psilon 
und  Spuren  des  vorangehenden  Ny  erhalten  v'eö.  Z.lü  scheint 
vor  axav  ein  breiter  Buchstabe  wie  H  nicht  gestanden  zu  ha- 
ben. Z.12  stehen  in  Körtes  Abdruck  die  Klammern  unrichtig: 
SpÄ[i  z'Xoc,  i]ya[l\iy.K.  Z.  14  ku.TzoKv..  Z.  I  6  f .  io\n['.  e'jO'jvEnOai ;  der 
obere  Teil  eines  Siij;ma,  den  Lollin^s  Tafel  richlijj;  wiedertiibl. 
fehlt  im  Corpus.  Z.  24  ei-kenne  ich  vor  «•.  deutlich  Reste  einer 
IWiiidung,  die  Lolliiig  und  das  Corpus  nicht  verzeichnen. 

Körtes  lu'gänzung  des  Verbotes  Z.  8  ff  hat  mich  nicht  über- 
zeugt, aber  ich  sehe  mich  ausser  Stande  seine   Lesung  tö;  ie- 

'  So  urleilt  aucfi  Franz  Winter,  Arcli.  Jalirlmclj  1893  S.  15"2,  13. 


492  A,    WILHELM 

[popY]ovTa[;]  (/.[e  ayevj  a£[S£v  ix.  to  v^sö  xai  to  7rpo[v£io  kxI  t]o  [ßo]u-o 
r>ca'.  voJtöOsv  [tö  vjsö  £vtÖ?  to  )c^JX.)vO  xai  /.xtx.  IiIztxv  to  llE/.aToa- 
7t[£S]ov  ijL£S'övOorvl  gy[X£Y6^  durch  einen  einleuclitenden  Vorsclilag 
zu  ersetzen,  denn  ich  errate  nicht,  von  welchem  augenschein- 
lich geringfügigen  Vergehen,  denn  a£(5'  övOov  iyLXeyev  (?)  ent- 
sprechend und  sinnverbunden. im  Anfange  des  Satzes  die  Rede 
war.  Nur  um  vielleicht  Glücklichere  auf  den  richtigen  Ge- 
danken zu  leiten, sei  der  Einfall  erwähnt  Z.  9  f;.£[Ta/au  tö  v]£Ö 
xat  To  TCp6[;  60  u.£yy.X]o  [^ojuö  zu  lesen. 

Einen  anderen  Satz  der  Urkunde,  dessen  Verständniss  Körte 
glücklich  erschlossen  hat,  freue  ich  mich  an  einer  Stelle,  wo 
sein  Vorschlag  fehlgehl,  mit  voller  Sicherheit  herstellen  zu 
können.  Das  Gebot  Z.  17  ff.  lautet  nach  Körte:  t(x  oUi^.xxx  [-rx 
£v  TÖl  hs/txTJojv.TTeSot  ävoiysv  [tÖi;  TjauLia?  u.k  o[>.£i*(ov  'i  öl;  t]o  u.£vo[; 
6j£a(j0ai  T3'.[;  llEvja;  £t;.£'[pjai;  [xkq  Trpö  tI;  vo][X£via[<;  )tai  töv  veov  töv 
67rji  T£i  ti[y.x^i  £Tt  ?  tö  h£f;.i^«ju  7r[apöjVTa[?.  Ich  sehe  von  den  letz- 
ten Worten,  die  ich  nicht  aufzuklären  vermag,  ab:  so  richtig 
Tei  iix.y2i  erkannt  ist,  die  Ergänzung  tov  veov  töv  ini  tu  £!>täSi 
ist  der  sonderbaren  Bezeichnung  wegen,  die  sie  den  Zwanzi- 
gertagen des  Monats  gibt,  anstössig  und  zudem  mit  den  inZ.  20 
an  dem  unteren  Rande  des  mittelsten  Bruchstückes  kenntlichen 
Resten  unvereinbar.  Diese  sind  allerdings  in  LoUings  Abbil- 
dung und  in  Kirchhoffs  Abdruck  nicht  völlig  treu  wiederge- 
geben; der  Stein  zeigt  unter  dem  dritt-und  zweitletzten  Buch- 
staben des  Wortes  Hsxrjfjx'.  in  Z.  19  deutlich  die  oberste  wag- 
rechte Linie  eines  Epsilon  und  darnach  die  obere  Hälfte  eines 
Iota  (oder  Lambda).  Auch  entspricht  der  Bruch  vor  -i  tI».  ei- 
in  Z.  20  am  meisten  einem  .\lpha;  ein  Pi,  wie  es  Körtes  I^e- 
sung  verlangt,  hat  an  der  Stelle  augenscheinlich  nicht  ge- 
standen. Ich  glaube,  es  ist  Taf?  hiv]«;  iy.ilp'x^  [t?;  ttoö  tIc,  v]o- 
{y.£vi3L[;  xai  Tj£i  [Iv/.xxii  >ca]i  tIi  £t[y.äS'.  ZU  lesen;  neben  den  letz- 
ten Tagen  des  Monats  und  dem  zwanzigsten  fordert  der  zehnte 
sein  Recht.  Statt  mit  Körte  u.l  ö^XeiCov  s  SU  t]ö  ij.evo[;  ist  dann 
notwendig  mit  der  bekanntlich  häufigen  Auslassung  der  Com- 
[)arativpartikel  jxe  o^XeiCov  Tpl;  t]ö  u.£v6[<;  zu  ergänzen. 

Athen 

ADOLF  WILHELM 


-♦■•^>»i3!f^^«- 


LITTERATüR 

G.  BoTTi ,  Fouilles  ä  la  colonne  Theodosienne.  Alexan- 
drien  1897. 

G.  BoTTi  &  V.  NouRissoN,  Rapports  sur  la  hibliollil'que 
municipale  en  1898  el  sur  le  Musee  Greco- Komain.  Alexan- 
drien  1899. 

(A.  Joubin),  Musee  Imp.  Ottoinan.  Bronzes  et  bijoux  Ca- 
talogue  sommaire.  Konstanlinopel  1898. 

A.  IlAi:X.\AHS,  No{X'.<iL/.a.Ttx,y)  Tri;  vtiTO'j  "AvSpou  ( 'A-oc-xcaa 
Ik  tou  r'  TEÜyoui;  TT,;  A'.sOvoOi;  dfp-oaepifio?  ty^:  voL/.'.(7axT'.x.r,;  Ap- 
j^aioXoyia?).  Athen   1898. 

(P.  Scheil),  Musee  Imp.  Ottoman.  Monuments  egypliens. 
Notice  sommaire.  Konstantinopel  1898. 

A0HN.\  ,    G(jyfpxij.u.x    xeptoSiJtöv    tt,^    iv    "AOy;vai;    iTTiTTr.aovi/'.r,? 

Itaipsiai;.  X,   4.  Xi ,  1 . 

Darin  u.  a.  S.  41.3.  556.  XIt.  ApaYOj;j.T)?,  Bax/u).;'o£ioi  Imi-oLzlax. —  S.  3.  FI. 
S.  «twTläor);,  Su[j.6oXai  z\i  t6  'Attixov  oi'xaiov. 

Bulletin  de  la  societe  archeolo^ique  d'Alexandrie,  redige 
par  le  Dr.  G.  Botti.   I.  Alexandrien  1898. 

Darin  S.  5.  Fouilles  dans  le  Ceraniique  d'Alexandrie  en  1897.  —  S.  25. 
La  deuxienie  Irouvaille  de  Sainanoud. —  S.  39.  Inscriptions  greeques  et  la- 
tines  trouvees  en  Iiigypte  en  1897-9S. —  S.  49.  Addiliuns  au  plan  de  la  ville 
d'Alexandrie. 

Aeation  th:^  Iy:topikhs  kai  EeNOAoriKiii:  ETAii'EiAi:  ths 
Eaaaaos.  V,3  (19).  Athen  1899. 

AlEÖNUS    E<t>HMKPIS    TT,;    voaKjy.axixr,;    xzyx'.oloyix;.     Journal 

international  d'arch.  numismatique.  1.3.  4.  Athen  1898. 

Darin  u.  a.  S.  233.  Iv  A.  MjXiovä;,  Ajxoücyo;  6  töv  'HSovm,  l^a^iXsjj. — 
S.  241.  G.  F.  Hill,  Hadrianoi  and  Hadrianeia  —  S.  253.  N.  B.  <I>ap6ü{,  No- 
|xiaij.a-:  x.i  ^a[Ao8päxr)?. —  S.  299.  A.  II.  llar/^atXr);,  No(Ata{AaTixi)  ttj«  VTi'aou  "Av- 
8pou. —  S.  367.  'Iw.  N.  i]5opüivo?,  No[i.ii[AaTixa  cOpTJuaTa. —  S.  405.  Derscilic, 
T(i  7)  vf-ao;  üup'r)  Toü 'Oar^pou. —  8.  433.  B.  D.  J.  Dutilli,  t^^tudes  Alexandri- 
nes. —  S.  4M.  13    Pick.  Zur  Kpigrapliik  der  gricohisclion   Ivaisermünzon.  1, 


494  fundK 

«l>aoXoyi)',ö;    <:61\oyoq    Ilapvaoaö?,     EnETHPll.    B'.   V  .     Atlien 
1898.  1899. 
Darin  u.  a.  B'.  S.  245.  A.  «tiXio;.  Aörivä;  xE^aXI]  e5  "F-JXEuatvoc— S.  "55.  A. 

Sxiä;,  'Ap/jxioi  ia90t    sv  0cp[ior:yXau.  —  S.  261.    M.  Xpjao/_oo;,  rewypacpixa  ar,- 
a£u6[JiaTa.    'Atxyi::oXi;.  'Hiüiv. 

f.  S.  5'i.  N.  r.  IIoXiTT];,  Ta  övüijLaia  töiv  8t{[j.wv  [  Heutige  Verwaltungsbe- 
zirke].—  S.  8t.  A.  MTjXiapaxr);,  NriaioYpayixä  xaia  tt,v  yswypaipiav  toö  "Apaöoj 
Eop.^i.  —  S.  142.  M.  Xpjao/öo;.  "ÜXüvOoc. —  S.  175.  K.  A.  MuXtüväs,  Ilepi  T^? 
natpiSo;  toü  tj'O'j  twv  äp/aiV.töv  tt,; 'AxpoTtoXsto;  ayaXiiarwv. 

E*tiiMEPii:  ApxAiüAoiiivii.    ] 898  lieft  3    4.    Athen  1898. 

Darin  S.    137.  Xp.  Taoüvia;,    KuxXaoixa. —  S.  211.  K.  KoupouvuÖTr];,    i]xr)vai 
Toj  ouoycVctaxO'J  ßtou    twv  yuvatxöiv.  —  S.  219.    L.  Savjgnoni,    'Apy(^aidT7)t£;    ifj; 

l^^fj. —  S.249.  B.  AsovapSo;,  AuxcnoJpa;  vü(j.os  Upo?. —  S.271.  Derselbe, 'Etzi- 

Ypaiptxoü  Mouasfou  Xi'Oou 

Nachuichtkn   des   russischen   ai'chüologischen    Instituts    in 
Konstantino|)el.  III.  Sophia  1898  [Russisch]. 


FUNDE 

In  Athen  sind  nahe  heim  Syntagmaplatz  hei  einem  Neu- 
hau (des  Herrn  Houyz;)  in  der  Stadionstrasse,  gegenüber  dem 
Marstall  eine  ganze  Anzahl  von  Grähern  versciiiedener  Epo- 
chen gefunden  worden  Kurze  Nachrichten  finden  sicli  in  den 
Tageszeitungen  (z.  B.  "A-ttu  1  •>.  18.  19.25.28.30  Ae/..  1898. 
14.  V3  'I'/v.  1899),  ein  wissenschaftlicher  Bericht  ist  in  Aus- 
sicht gestellt.  In  derselben  Gegend  sind  schon  früher  vielerlei 
Gräber  gefunden  worden  (vgl.  z.  B.  Conze,  Attische  Grab- 
reliefs Nr.  1073.  C.I.Ä.  IV, 1  S.  190,  491  ''S);  wegen  derFol- 
gerungen,  di(;  sich  daraus  für  den  Zug  der  Stadtmauer  erge- 
ben s.  Athen.  Mitth.  1888  S.  232. 

Gräber,  die  beim  Neuhau  des  Arztes  'AOavaTtiSy;?  in  der 
Ai)ollonslrasse  ( Bädekers  Griechenland^  zu  S.  35,  E,  6)  ge- 


PÜNDE  495 

funden  wurden,  sind  mittelalterlichen  Ursprungs,  ebenso  wie 
die  dort  entdeckten  Gehiiudereste.  obwol  beide  auch  antike 
Überbleibsel  eingebaut  entliielten  ( "A^-r-j  18  As/..  1898). 

Bei  Ranalarbeiten  in  der  Kolokotronis- Strasse  (  Bädekers 
Griechenland^  zu  S.  35,  D.  E,  5)  ist  eine  jugendliche  Dio- 
nysosherme gefunden  worden  ("Agt-j  25.  März  1899). 

Beim  Dorfe  Keratea  in  der  Gegend  AG-cr/E/./.Vr.Ttk  wurden 
30(1  byzantinische  Goldmünzen  gefunden  ("Atto  18  Aev..  189S). 

An  dem  Hügel  Stamalovuni  (nördlich  von  Ikaria.  Dionyso) 
hat  eine  neu  gegründete  englische  Gesellschaft  Marmorbrüche 
eröffnet. die  einen  für  Atlika  ungewöhnlich  grosskryslallischen 
Marmor  liefern.  Dass  der  Marmor  dieser  Gegend  auch  im 
Altertum  schon  benutzt  wurde,  ist  bei  dieser  Gelegenheit  fest 
gestellt  worden  Es  liegt  dort  nämlich  eine  unfertige  Marmor- 
figur von  dem  Typus  der  archaischen  Apolloslatuen,  erst  aus 
dem  Gröbsten  herausgearbeitet,  aber  mit  genügender  Sicher- 
heit zu  erkennen.  Höhe  mit  Plinthe  etwa  ?,10"'. 

Bei  Amphissa  wurde  in  der  Nähe  des  Dorfes  KaV^xeTei- 
viTca  zufällig  gefunden:  u.txxKki^o-j  xyxku.y.  TtapiCTävc-v  y'jvaUa 
xai  -zirsrjx^x  xklx  i-:iinr,;  yz'X/.ivo.  wv  t5c  ixev  Süo  -TtapiTTivo'jv  xki- 
x.TOoa,  XX  Ss  xXkx  Süo  y,'j\x<;.  'Ekto;  toutcov  u'veOps  Tpsi;  öax.T'j- 
Iwj^,  S'Jo  ^Itaouc,  L/.ETaXXivo'j?,  ivvea  ur/Xivx  xyytlx  Siacpöpwv  n/t]- 
[y,7.Tü)v  -Axi  zinnx^x  xXkx  ]j.\,f.ox  u.txy.'k\<.\x  ivTix.siaeva. 

Ofl'enbar  gehört  ein  Teil  der  Gegenstände  zu  einem  der 
üblichen  Standspiegel. 

Der  Finder  H.  ^xpay/ta;  hat  seinen  Fund  der  Behörde  über- 
geben ("A'TTu  23  4>£?p.  1899). 

Eine  Viertelstunde  von  'Ayjix  ( Aconov  tteSiov)  in  Thessa- 
lien sind  in  der  Oect;  'Ayix  "Avvx  antike  Gebäudereste  be- 
merkt worden  ;  ausser  einer  grossen  Marmorplatte  wird  be- 
sonders ein  Mosaikboden  aus  schwarzen  und  weissen  Steinen 
genannt.  An  derselben  Stelle  sollen  früher  Beliefs  nachchrist- 
licher Epoche  gefunden  worden  sein  ('Eoria  23.  «l>£6p.  1899. 
"A-jTu  24.  a>cep.   1899). 

Auf  dem  Hügel  Bunardjik  bei  Philippopel  wurde  zufällig 
ein  Gral)   und   dabei   eine   ungefähr  T"  lange   und   35""  liolie 


496  FUNf)E 


I^latte  aus  einheimischem  Stein  ('Granit')  gefunden,  die  in 
4"°  hohen  Buehtahen  —  nur  das  O  sei  kleiner  —  folgende  In- 
schrift trägt  (TayuSpöao;,  Ronstantinopel,  4  Nosy.Sp.  1898). 


^TEAEZ(t)OPOZMHTPOAOPOY 
NEIKOMHAEYS^ZHZAZ 
ETHÜE^ 

X  A  I  P  E^ 

In  Kukludja  bei  Smyrna  fand  Herr  G.  Weber  in  einem 
Hause  folgende  zwei  Inschriften  : 

1.  Marmorplatte,  4*?'"  lang,  26  hoch,  7  dick.  Buchstaben 
1"",  in  der  ersten  Zeile  etwas  höher.  Nach  Abklatsch. 

////I-T¥PA  N  N  lONTI  -K  AArAOOnO  A  ITQI 
ANAPlKAITIKAlOYAlANniTaiTEKNQIMNHAZ 
XAPIN-MHTEPTIZTENAXEIZTIAAKPYEIENOAAE 
M¥PHnZE<t)ANHMOI  PA  I  2E  M  ETO  N  NE  N«  A 
5    EKATEAGEINAEI^ANTIZaiHNKAlOMHAIKAZ 
AAA¥nOAH0HNBHinATHP2YNEMOITOY 
TO(t)IAOTEKNIAO¥KE(t)ANHNyE¥ZTH2Eni 
20ITEKN0N  A A A¥ n O A HO H  N  H  A0ON  A I n ft N 
ZaiHNKAI(t)IA///  XNFAM  ETIN 
10  X  A  I  PEl  NTTA2I  (j)IAOIZ 

KATAKEIMENOSENOATTAPAmnKAIMETEXElN 
ZaiH^aAEFAPEZTAIAHZ  ^ 

'l(o'jXia)  Tupivviov  Ti.  KX.  'AyaöOTToSt  twi  |  ävSpi  x.ai  Tt.  KX. 
'lo'jXiavüit   Töjt  T£5tvo)t  i^.v/ia?  |  /.^P^'^- 

Mr,Tfo,    Ti  (jxeva/si?,    ti  ^i/tpuci  ivö&Se  |  (xüp'/i  ; 
(i;  £(pzvYi  Moipati;  iij.k  tov  v£(o)v   (I)S|e   KaTeXOeiv 
>.£i<]/avT[a]  ^(liiri^  y.y.1  ö[j.f,Xix.a;,   |  calV  ii-KO  Ay)ÖY)v 
ßy^i  TuaTrio    luv  6[7,oi'  tou|to  <piXo7£/tv£a. 
Oüx,  £(päv/)v  (j/E'jfJT-oi;  £7ci  I  noi  te'x.vov,   äXX'  U7c6  AyjÖiqv 
YjXOov  XiTTCjv  I  ^ü)ir,v  Kai  (piXUajv  yaa£Ttv.   | 
Xaipjiv  zac  (piXoi;  I  )taTax.eip.£voi;   i'vOa  Tcapaivoi 
>;7.l    [;.6T£'y^£iv  I  Ctiif/i?'    <JJ^£    Y^P  ^'^'^'   Aiör,?, 


FUNDE  497 

Ob  zu  Anfang  der  ersten  Zeile  ein  Buchstabe — für  mehr 
ist  kaum  Platz — felill,  ist  nicht  klar.  Unsere  Lesung  setzt 
voraus,  dass  nichts  fehlt,  und  das  I  mit  folojendem  Punkte  ei- 
nen Namen  darstelle.  In  Z.  i  kann  das  O  von  ve'ov.  wenn  es 
auf  dem  Steine  steht,  nur  ganz  klein  nachgetragen  sein. 

5.  Oberer  Teil  einer  Grabslele  mit  Giebel,  59"°  breit  und 
noch  37  hoch  ;  in  der  Mitte  zwei  Füllhörner,  rechts  und  links 
davon  steht  6  Sr,|j,o;  in  Kränzen.  Buchstaben  höhe  "2"°.  Der 
Stein  liegt  im  Pilaster  des  Hofes  und  ist  ziemlich  abgeschlis- 
sen. Abklatsch. 

OAH  OAH 

MOZ  MOZ 

A0HNAIAA  ^ANHNAIONYZIOY 

AMTTEAlAOYcpANHOYIAErYNAIKA 

'O  Sf,-  '0  U- 

'A6y)vaioa  $zvy)v  A'.ovjitiou 

'Aa7C£>.toou  ,    <I>avviou(;   Se   yuvaixa. 

In  Afium  -  Karah  issar  in  Phrygien  sali  derselbe  Herr  in 
der  Vormauer  einer  Moschee  einen  93"°  langen,  00  breiten 
weissen  Marmorblock,  auf  dem  steht; 

PACTVMEIAE-SALVIAE 
C-SALLVSTIVSSERAPAVXOPISVAE 
nAKTOYMHIAlCAAOYIAl 
rAlOCCAAAOYCTIOCCEPAnACIAIAirYNAIKI 

Pactumeiae   Salviae 
C.   Sallustius  Serapa   uxori    suae. 

Herr  R.  I.  lordanidis  sendet  uns  Abschriften  folgender  In- 
schriften : 

ATHEN.    MITTHEILUNGEN    XXUl.  33 


498  FUNDE 

1 .  Marmor  von  50""  Breite  und  Höbe,  in  einem  Mause  des 
Quartiers  reviTCe'^to  in  Tire.  Abklatsch. 

OIKOYNTEZEN  Ol  >caT]oi)coijvT£;  iv 

O12ZTE0ANOY21N  oi?  TTe^avoöciv 

ATHNAPTEMIAHROY ätyiv  'ApreaiScöpo-j 

K  PATH  NMEN  EKPATOY  -  -   )cpzT-ov  Mevsx.pxxou 

EA'"^  NEPMOAAOY  M]s).iT[ivo]v  'EpaoXaou 

'T  ZKAIKOSMI  ß'.ä)(jav]T[a?  jcaXü)^?  )cal  )tO'7[J!.i[tO(; 

TOYTOYTOYHPnOYEI  Tootou  toö  r)pcöou  ei- 

ZINKAE1NAIAYOEI2EP  <tiv  ;c*A£ivai  Suo  eldsp- 

XOMENnNEYaNYMa  xoaevwv    £uwvÜ(jl(o 

XEIPIKAIMEZHZYN  x^'P'^  '^*'  (^«'^^   ""^^ 

In  Z.  2  schlägt  lordanidis  'A}.jj.o'jp]oi<;  oder  Mayvo^joi?  vor. 

2.  In  einem  Hause  (Nstc-Ji)  des  Dorfes  Tt^ri  MtyoiVi  westlieb 
von  Tire  befindet  sich  ein  35""  hoher  20  breiter  Marmor  mit 
der  Inschrift  (vgl.  TapSpöpt-oi;,  Konstantinopel  3  Ssxt.  18"j8): 

T  O  Y  T  O  ToÖTo 

T  O  H  P  n  TÖ   r^pö- 

O  N  TT  O  TT  ov   OoTT- 

A  I  O  Y  T  P  O  >iou  Tpo- 

(t)  I  M  A  e  C  cpiaa    i- 

T  I   N   K  A  I  r  Y                     TTiv   )cal   yu- 

N  A  I  K  O  2  K  A  I  vaixö;  )tat 

T    e     K     N     n     N  TEKVtöV 

AYTOY  auTou. 


-oK^f?*«»-- 


SITZUNGSPROTOKOLLE 

7  Dez.  1898.  Festsitzung  zur  Feier  von  Winckelmanns  Ge- 
burtstag. W.  DoERPFELD  giebt  eine  Übersicht  über  dieThälig- 
keit  des  Instituts  und  spricht  über  Arcliitektonisclies  aus  Ägyp- 
ten.—  G.  SoTiniADis,  Über  die  Ausgrabungen  in  Thermen. 

21  Dez.  1898.  P.Wolters,  Inschrift  von  der  Akropolis. — 
W.  Reichel,  Der  homerische  Wagen. —  I.  Svoronos,  Erklä- 
rung des  Kalenderreliefs  an  der  Kirche  Gorgopiko. 


ERNENNUNGEN 

Am  VI.  April  1898  sind  ernannt  worden  zu  ordentlichen 
Mitgliedern  die  Herren  B.  Arnold  und  C.  Popp  in  München, 
B.  llaussoullier,  E.  Potlier  und  M.  CoUignon  in  Paris,  W. 
Pleyte  in  Leiden,  F.  VVickhof  in  Wien,  L.  Borchardt  in  Cairo, 
J.  L.  Ileiberg  in  Kopenhagen,  zu  correspondirenden  i\lilglie- 
dern  die  Herren  P.  Weizsäcker  in  Calw,  E.  Ritterling  in 
Wiesbaden,  B.  Pick  in  Gotha,  H.  Dragendorff  in  Basel,  II.  L. 
Urlichs  in  München,  Th.  Wiegand  in  Smyrna.  L  Martens  in 
Elberleld,   II.  Lechat  in  Lyon,  F.  von  Bissing  in  Cairo. 

Am  9  Dez.  1898  wurden  zu  correspondirenden  Mitgliedern 
ernannt  die  Herren  L.  Poilak  in  Rom,  M.  Rostowzew  in  Pe- 
tersburg, G.  Botti  in  Alexandrien,  K.  Wernicke  in  Berlin. 


BERICHTIGUNG 

Oben   S.  193  Z.  18,  24    und  29  von  oben  muss  es  heissen 
Tschuruk-su,  nicht  Tschukur-su. 


•t  WJRkj" 


Qeschlos.sen  2-3.  April   1899. 


TAFKI.N: 

Peile 

I  Sogenanntes  Grab  des  Midas  (Jasili  -  kajai 83 

II  Felsdenkmal  bei  Düver  (Arslan- kaja) 91 

III,  1.  4  Felsengrab  liri  Hairan-veli 124 

2.  3  Milesisclie  Münzen 127 

IV  Bild  einer  altiscben  Lekylbos 169 

V  Bilder  zweier  Lekylhen  aus  Tanagra 404 

VI  Vasenseherben  aus  Klazomenai 38 

VII  Holzbüchse  aus  Kahun 242 

VIII, 1-3  Mykeniscbe  Vasen  aus  Ägypten 258  f. 

4.5  Holzkästeben  in  Giseb 253 

6.7  Ägyptisclie  Nachahmungen  raykeniseher  Biigelkannen     .       260  f. 
8  Nacbahniung  einer  mykeniscben  Bügelkanne    ....       262 

IX,  1      Inschrift  C. I.A.  I  333 478.489 

2      Hekatompedon -Inschrift 477.487 

X,  1      Altar  des  Peisistratos 477. 48Ü 

2  Das  salaminisehe  Psephisma 466fT. 

XI  Plan  des  Theaters  in  Pricne 307 

XII  Plan  des  Theaters  in  Neu  -  Pleuron 314 

XII»  ,1  Proskenion  desselben  Theaters  und  Stadtmauer    .     .     .  316 

2      Zuschauerraum  desselben  Theaters 322 

XIII  Gefässe  aus  Eleusis 2.S1IT. 

XIV  Bemaltes  Gefäss  aus  Eleusis 299 


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